Geschichte der chinesischen Literatur: Band 7 Die chinesische Literatur im 20. Jahrhundert [Reprint 2014 ed.] 9783598441158, 9783598245473

Die chinesische Literatur kann im 20. Jahrhundert dank der Wandlung Chinas zum Nationalstaat die Isolation überwinden un

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Geschichte der chinesischen Literatur: Band 7 Die chinesische Literatur im 20. Jahrhundert [Reprint 2014 ed.]
 9783598441158, 9783598245473

Table of contents :
Frontmatter
Inhalt
Vorwort
Teil I. Die Chinesische Literatur am Vorabend der Moderne
Teil II. Die Literatur der Republikzeit (1912–1949)
Teil III. Chinesische Literatur nach 1949: Staat, Individuum und Region
Backmatter

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Geschichte der chinesischen Literatur Band 7

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Geschichte der chinesischen Literatur Herausgegeben von Wolfgang Kubin Band 1

Wolfgang Kubin Die chinesische Dichtkunst Von den Anfängen bis zum Ende der Kaiserzeit Band 2

Thomas Zimmer Der chinesische Roman der ausgehenden Kaiserzeit Band 3

Monika Motsch Die chinesische Erzählung Vom Altertum bis zur Neuzeit Band 4

Marion Eggert, Wolfgang Kubin, Rolf Trauzettel, Thomas Zimmer Die klassische chinesische Prosa Essay, Reisebericht, Skizze, Brief Band 5

Karl-Heinz Pohl Ästhetik und Literaturtheorie in China Von der Tradition bis zur Moderne Band 6

Wolfgang Kubin Das traditionelle chinesische Theater Band 7

Wolfgang Kubin Die chinesische Literatur im 20. Jahrhundert Band 8

Lutz Bieg Bibliographie zur chinesischen Literatur in deutscher Sprache Band 9

Henriette Pleiger, Thomas Zimmer Biographisches Handbuch chinesischer Schriftsteller Leben und Werke Band 10

Nicola Dischert Register

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Geschichte der chinesischen Literatur Band 7

Wolfgang Kubin

Die chinesische Literatur im 20. Jahrhundert

K · G · Saur München 2005

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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar. U Gedruckt auf säurefreiem Papier © 2005 by K . G . Saur Verlag GmbH, München Alle Rechte vorbehalten Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlags ist unzulässig Lektorat: Marc Hermann Satz: Dipl.-Übers. Nicola Dischert, Bonn und Dr. Rainer Ostermann, München Druck & Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Printed in Germany ISBN 3-598-24547-5

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Teil I 1. 2.

Teil II 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.5.1 1.5.2 1.5.3 1.5.4 1.5.5 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 3. 3.1 3.2 3.3

Die chinesische Literatur am Vorabend der Moderne . . . . . Einleitung: Sprache und Nationenwerdung . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Tradition zur Moderne. Die Literatur der Jahrhundertwende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Literatur der Republikzeit (1912–1949) . . . . . . . . . . . . 21 Die Grundlegung einer modernen Literatur in China (1915–1927) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Die Bewegung vom 4. Mai (1915–1925) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Literatur als Erlösung: Lu Xun (1881–1936) und Vox clamantis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Literatur als Selbsterlösung: Guo Moruo (1892–1978) und die Göttinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Literatur und das Pathos des Selbstmitleids: Yu Dafu (1896–1945) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Die neue Literatur: Ihre Pioniere und Gattungen, ihre Organisation und ihre Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Die Kurzgeschichte: Bing Xin (1900–1999) und Ye Shengtao (1894–1988) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Die Literaturgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Die neue Lyrik: Kurzgedicht, Prosagedicht, modernes Gedicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Das Sprechtheater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Essay und Aphorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Die Entfaltung einer modernen Literatur in China (1928–1937) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Die Erzähler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Die Schanghaier Schule (Haipai) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Das modernistische Gedicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Die Essayistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Das Theater. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Die Radikalisierung der Literatur (1937–1949) . . . . . . . . . . . . . 190 Der Krieg, die Stadt und das Hinterland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Yan'an: Maoistische Ästhetik und literarische Praxis . . . . . . . . . 199 Die Literatur der Literaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

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Inhalt

Teil III

Chinesische Literatur nach 1949: Staat, Individuum und Region . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Blick vom Rand: Taiwan, Hongkong und Macau . . . . . . . . . 2. Der Blick vom Zentrum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Organisation der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Literatur der Volksrepublik China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Die Militarisierung der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Die Erzählliteratur (Landreform, Krieg, Historie) . . . . . . . . . . . 4.1.2 Die Zeit der Hundert Blumen (1956–1957) . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Das historische Drama. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Das Volkstümliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5 Die Kulturrevolution (1966–1976) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Die Humanisierung der Literatur (1979–1989) . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Die Hermetische Literatur, die Wundenliteratur . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Die Literatur der Vergangenheitsbewältigung. . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Die Frauenliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Die Reformliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Heimat, Identität, Avantgarde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausblick: Die Kommerzialisierung der chinesischen Literatur am Ende des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459

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Vorwort

Keine Epoche der chinesischen Literatur ist so gut dokumentiert, so vielfach übersetzt, so weitgehend literaturwissenschaftlich erschlossen wie die des 20. Jahrhunderts, aber keine steht auch wie diese, was ihren literarischen Wert angeht, so sehr zur Debatte. Der Grund für dieses Mißverhältnis ist denkbar einfach. Dank seiner Wandlung vom Weltreich (tianxia) zum Nationalstaat (guojia) ist China mit der Gründung der Republik 1912 offiziell und als aktives Mitglied in die Weltgemeinschaft und die Weltgeschichte eingetreten. Seitdem spielt es politisch, wirtschaftlich und bedingt auch kulturell international eine wichtige Rolle. Die Literatur war und ist ein wesentliches Zeugnis dieses Wandels, sei es, daß sie mit zur Transformation Chinas beitrug, sei es, daß sie über diesen Wandel Auskunft gab. Diese Tatsache hat bis heute zu einer unverhältnismäßig eingehenden Beschäftigung mit der modernen und gegenwärtigen chinesischen Literatur geführt, hinter welcher längst alle anderen Epochen, so glänzend sie auch sein mögen, zurückstehen müssen. Inzwischen sind nicht nur Literaten des zweiten Gliedes in westlichen Publikationen – seien diese Übersetzungen oder Studien – und gar in Buchform gut zugänglich, sondern selbst Vertretern des dritten Ranges wird inzwischen vermehrt Aufmerksamkeit zuteil, wohingegen die wichtigsten Repräsentanten der klassischen Literatur, die ohne Frage zur Weltliteratur gehören, oftmals kaum oder gar nicht in einer westlichen Sprache außerhalb von akademischen Abschlußarbeiten gewürdigt worden sind. Die Vergangenheit ist vergangen, und vielen ist der Zugang zu Chinas reicher Tradition nicht mehr selbstverständlich. Es ist jedoch leicht nachvollziehbar, daß viele der Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, die aus politischen oder zeitbedingten Umständen vor allem seit 1979, also seit der Öffnung der Volksrepublik China, übersetzt und vorgestellt worden sind, den Weg des Vergessens gehen werden oder bereits gegangen sind. Der Büchermarkt und der Kulturbetrieb pflegen die Erinnerung an den einen oder anderen Autor nicht mehr als zehn Jahre wachzuhalten. Schon jetzt sind viele Werke der letzten 25 Jahre nur noch dem Fachpublikum bekannt. Dazu gehört selbstverständlich auch das Opus von Gao Xingjian (geb. 1940), der dank des Nobelpreises für Literatur im Jahre 2000 nur für kurze Zeit ins Licht der Öffentlichkeit hat zurückkehren können. Der Autoritätsverlust, den die Volksrepublik China seit 1989 im eigenen Lande zu gewärtigen hat, hat auch auf die chinesische Literaturwissenschaft durchgeschlagen. Es ist seit dem Ende der 90er Jahre modisch, bislang allgemein, das heißt national wie international akzeptierte Repräsentanten der modernen chinesischen Literatur herunterzustufen und gleichzeitig diejenigen heraufzustufen, die als weniger bedeutsam erschienen oder gar der Unterhaltungsliteratur zugerechnet worden waren. Der Paradigmawechsel von Lu Xun (1881–1936), dem Vater einer modernen Literatur in China, zu Jin Yong (geb. 1924), dem Vertreter des zeitgenössischen Heldenromans, kann hier als beispielhaft hervorgehoben werden. Der Wert oder Unwert der modernen und gegenwärtigen

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Vorwort

chinesischen Literatur erschließt sich selbstverständlich nur aus der Distanz, diese ist noch nicht hinreichend gegeben. Als weitere Crux einer möglichen Bewertungsfrage erweist sich nicht selten die mangelnde Kenntnis nichtchinesischer Literaturen der Moderne und der Gegenwart. Wer zum Beispiel die deutschsprachige Gegenwartsliteratur aufmerksam verfolgt, wird zu seinem Erstaunen nicht um die Erkenntnis herumkommen, daß sie nicht unbedingt sehr viel besser, aber auch nicht sehr viel schlechter als die chinesischsprachige ist. Die Geschichte einer chinesischen Literatur im 20. Jahrhundert hat, will sie nicht langweilen und nicht kommentarlos Fakten aneinanderreihen, etwas mit einer Wertung zu tun. Die Wertungen, die ich im folgenden mit einbringe, sind meine subjektiven, sie beanspruchen keine allgemeine Gültigkeit und vor allem keine Dauer. Jeder ist aufgerufen, zu einem anderen Urteil zu kommen; niemand, besonders die bewerteten und die nicht repräsentierten Schriftsteller, sofern sie noch leben, sollten einen persönlichen Anstoß an meinem Auswahlverfahren nehmen, sondern dieses lediglich als die notwendige Voraussetzung betrachten, ohne welche eine Literaturgeschichte nicht möglich ist. Meine Vorlieben und meine Absagen sind die meinen allein und werden, wenn sie denn eher Vorurteile als Urteile sind, sicherlich auch durch die schwierige politische Situation, in welcher China sich im 20. Jahrhundert befand, entschuldbar sein. Man kann nicht gleichzeitig die Volksrepublik China, die Republik China auf Taiwan, die heutigen Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macau, chinesischsprachige Räume wie Singapur oder in Nordamerika, die alle ihre chinesische Literatur haben, im selben Maße und zu jeder Zeit goutieren. Die einen oder anderen notwendigen Abstriche gehören zum kritischen Handwerkszeug des Literaturwissenschaftlers. Meine persönliche Wertung macht sich an den drei konventionellen Kriterien von sprachlicher Meisterschaft, formaler Gestaltungskraft und individueller geistiger Durchdringung fest. Beispielhaft in dieser Hinsicht ist für mich nach wie vor Lu Xun, der in meinen Augen als der unübertroffene und unübertreffbare chinesische Schriftsteller im 20. Jahrhundert anzusehen ist. Daß neben seinem gewaltigen Werk auch vereinzelt andere Werke Bestand haben mögen, ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Für eine Gesamtwertung entscheidend ist jedoch die Frage nach der Kompaktheit eines Œuvre. Immer wieder läßt sich nämlich in der chinesischen Literatur des 20. Jahrhunderts die Feststellung machen, daß von einem vereinzelten gelungenen Werk eines Literaten nicht auf das gesamte Opus geschlossen werden darf. Zu unterschiedlich kann das Niveau über Jahrzehnte ausfallen, falls ein chinesischer Autor überhaupt auf eine so lange Schaffenszeit zurückblicken kann. Die hier vorgelegte Geschichte geht auf Vorlesungen zurück, welche ich von der Mitte der 90er Jahre bis Anfang 2002 verschiedentlich an der Universität Bonn vor einer meist sehr kleinen Zuhörerschaft gehalten habe. Es war mein Bemühen, mich nicht zu wiederholen, das heißt, all meine bisherigen Arbeiten zur chinesischen Literatur im 20. Jahrhundert, von gewissen zeitbedingten Einschätzungen einmal abgesehen, behalten weiterhin ihre Gültigkeit. Ich werde auf sie im folgenden jedoch nicht immer verweisen können und dürfen. Wenn diese dennoch vergleichsweise oft

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Vorwort

angeführt worden sind, so mag die werte Leserschaft Nachsicht haben. Die eigene Zitierung folgt einer Not. Von 1977 bis 1985 habe ich an der Freien Universität zu Berlin und von 1985 bis 1995 am Seminar für Orientalische Sprachen der Universität Bonn schwerpunktmäßig die Sprache und Literatur des modernen wie gegenwärtigen China unterrichten können. Dabei sind manche Übersetzungen und Studien abgeschlossen worden, deren Gültigkeit noch nicht außer Kraft gesetzt worden ist. Dies hängt auch mit dem Umstand zusammen, daß viele nach 1989 meinen Gegenstand – in den 80er Jahren eine heiße Angelegenheit – und mich mit meinem durchaus kritikwürdigen Enthusiasmus (fast) allein zurückgelassen haben. Was ich gern anderen an Arbeit überlassen hätte, wurde so leider zur Zitiermasse aus eigenen Publikationen. Ich hätte mich sonst im Text inhaltlich wiederholen müssen, und nichts ist mir unliebsamer, als bereits Gesagtes noch einmal schreiben zu müssen. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Niederschrift der Vorlesungen, die unter dem Unstern eines offenkundigen und exemplarisch mangelnden Interesses an der chinesischen Literatur stand, von entsprechenden Zweifeln und auch Verzweiflungen begleitet gewesen ist. Wären nicht die ständigen Gespräche mit den Schriftstellern und Wissenschaftlern Chen Sihe (geb. 1954, Schanghai), Zhai Yongming (Chengdu; geb. 1955), Ouyang Jianghe (Peking; geb. 1956), Wang Jiaxin (Peking, geb. 1957) und Xiao Ying (Tsinghua-Universität Peking; geb. 1962) gewesen, hätte ich mein Geschäft vielleicht nie zu einem Abschluß gebracht. Ihnen verdanke ich neben wesentlichen Einsichten auch stete Ermunterungen. Andernfalls wäre ich sowohl den einheimischen als auch den chinesischen Unkenrufen erlegen gewesen, die besagen, das moderne und zeitgenössische China habe keine (gute) Literatur aufzuweisen. Diese Gespräche fanden oft im Rahmen meiner Gastdozenturen statt, die der Deutsche Akademische Austauschdienst, Bonn, immer wieder in China ermöglicht hat. Ihm sei dafür gebührend Dank gesagt. Der Bequemlichkeit halber habe ich die übliche Einteilung der chinesischen Literatur im 20. Jahrhundert beibehalten. Ich unterscheide also wie andere Literaturwissenschaftler auch zwischen einer neuzeitlichen (jindai, 1842–1911), einer modernen (xiandai, 1912–1949) und einer gegenwärtigen (dangdai, ab 1949) Literatur. Hinter einer solchen Differenzierung steht selbstverständlich ein Interpretationsmodell, welches sich der gesellschaftlichen Entwicklung vor allem auf dem Festland verdankt. Andere Einteilungen mögen denkbar sein, haben sich bislang jedoch nicht durchsetzen können. Für die Niederschrift waren mir selbstverständlich die bislang erschienenen systematischen Literaturgeschichten von großer Hilfe, auch wenn ich ihnen oft kritisch gegenüberstehe. Der Boom der Literaturgeschichtsschreibung in der Volksrepublik China seit den 90er Jahren hat nicht immer Qualität statt Quantität fördern helfen. Gleichwohl hätte diese ein detailliertes Studium verlangt, doch mußte ich die Leserschaft vor einem Ausufern des Stoffes bewahren. Unter der Fülle der literaturhistorischen Bücher seien stellvertretend hier die folgenden Werke genannt, die mir wichtig waren: BONNIE S. MCDOUGALL, KAM LOUIE: The Literature of China in the Twentieth

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Vorwort

Century, New York: Columbia UP 1997; QIAN LIQUN (geb. 1939) u.a.: Zhongguo xiandai wenxue sanshi nian (Moderne chinesische Literatur, 1917–1949), Peking: Beijing Daxue 1998; CHEN SIHE (Hg.): Zhongguo dangdai wenxue shi (Geschichte der chinesischen Gegenwartsliteratur), Schanghai: Fudan Daxue 1999. Wichtige Erkenntnisse, die ich diesen Literaturgeschichten verdanke, sind nicht immer einzeln ausgewiesen. Ich habe es vorgezogen, nicht alle Sekundärliteratur und alle Werke, die sich mir über die Jahre verinnerlicht haben, zu zitieren, anzuführen oder zu besprechen. Ich habe lieber versucht, einen in sich stimmigen Zusammenhang herzustellen, gleichsam eine Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts am literarischen Modell zu schreiben. Daß ein solcher Zusammenhang ein künstlicher ist, ist mir durchaus bewußt. Er verdankt sich selbstverständlich einer Interpretation, die unter vielen möglichen Interpretationen nur eine ist und sein kann. Ich wollte bewußt der Beliebigkeit einer Auflistung und Aneinanderreihung von Titeln und Namen entgehen, um so nicht ein weiteres Nachschlagewerk zu schaffen. Selbstverständlich habe ich alle angeführten Werke im Original gelesen bzw. eingesehen. Sicherlich problematisch ist die Tatsache, daß ich nicht immer habe auf Originalausgaben zurückgreifen können, sondern mit Nachdrucken bzw. Neuauflagen hie und da vorliebnehmen mußte. Wider die politische Korrektheit wähle ich das neutrale »männliche« Geschlecht, welches das weibliche und das sächliche miteinschließt. Ich spreche also mitunter von dem Autor statt von Autor und Autorin, ich sähe mich nämlich sonst gezwungen, neben »er« und »sie« auch noch das Personalpronomen »es« miteinzuführen, denn es geht nicht an, daß Kinder hinter Männern und Frauen zurückzustehen haben. Ich folge der alten Rechtschreibung und verwende das geläufige Umschriftsystem Hanyu Pinyin (s. Lachner, Stoppok) in modifizierter Form. Dabei auftretende Probleme konnten nicht immer eindeutig gelöst werden. Gewisse Unstimmigkeiten waren daher nicht zu vermeiden. Die Datierungen von Ersterscheinungen sind nicht immer eindeutig zwischen dem Abschluß eines Manuskriptes, der Ersterscheinung in einer Zeitschrift und der Publikation in Buchform zu unterscheiden gewesen. Die Jahresangaben mögen also differieren. Für die Erstellung des druckfertigen Manuskriptes fand ich technischen Rat und sprachlichen Beistand bei Nicola Dischert, die neben dem Layout auch den Index erstellte, René Weiler und Liu Dao. Frau Sinda Kapp-Matsukawa habe ich für die Freistellung der Mitarbeiter von mancher Büroarbeit zu danken. In Detailfragen zur Literatur der Republikzeit durfte ich auf das Wissen von Raoul David Findeisen, Ruhr-Universität Bochum, zurückgreifen. Zur Literatur von Hongkong, Macau und Taiwan beantwortete mir William Tay (Zheng Shusen) von der Hong Kong University of Science and Technology viele Fragen. Ihm verdanke ich auch viele Materialien, die er über die Jahre selbstlos sandte. Eine detaillierte Durchsicht des gesamten Manuskriptes schulde ich Marc Hermann, der manchen Fehler tilgte. Rolf Trauzettel danke ich für die kritische Bemerkung, daß ich als (Literatur)Historiker auch mir unliebsame Autoren und Werke zu behandeln habe, wenn sie denn geschichtlich einmal Bedeutung

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Vorwort

erlangt haben. Und Zhang Suizi bin ich für die kritische Begleitung meiner Beschäftigung mit der modernen chinesischen Literatur seit dem September 1981 verbunden. Vieles hat sie für mich gelesen, aufgespürt und bedacht. Meine Beschäftigung mit der modernen chinesischen Literatur begann im November 1974 am damaligen Pekinger Spracheninstitut. Ich war als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes auserkoren, ein Jahr lang die moderne chinesische Hochsprache zu erlernen. Sie wurde oftmals am Beispiel von neueren literarischen Werken vermittelt. So lernte ich Lu Xun und Hao Ran kennen. Inzwischen haben sich die Dinge verschoben, so oder so, und die Lehrer von einst befleißigen sich weniger der chinesischen Gegenwartsliteratur. Geblieben ist ihnen und mir die fürsorgliche Frage, womit wir uns so viele Jahre lang beschäftigt haben. Ob die Zeit sinnvoll verbracht war oder nicht, mag die werte Leserschaft bei der folgenden Lektüre entscheiden. Das Manuskript wurde vielfach und von vielen Korrektur gelesen. Etwaig verbliebene Fehler sind allein dem Verfasser anzulasten. Bonn, Pfingsten 2005

Wolfgang Kubin

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Teil I

Die Chinesische Literatur am Vorabend der Moderne

1. Einleitung: Sprache und Nationenwerdung

Nationenwerdung hat etwas mit Sprachbildung zu tun. Nicht nur für viele junge Nationen ist daher die Sprachplanung notwendiger Teil einer Identitätsbestimmung, sondern auch für manche (Welt-)Reiche, die aus einem universalen Zustand hervortreten und zu etwas Singulärem werden. Dies gilt insbesondere für China im Übergang von der Tradition zur Moderne. Als tianxia (»alles, was unter dem Himmel ist«) war das Reich der Mitte Ökumene, der alles am Rand Liegende Tribut schuldete. Seine Schrift war daher eine Schrift für alle, und sein Schrifttum war ein Schrifttum für die Welt. Im engeren Sinne bedeutet dies, daß chinesische Literatur nicht zur Weltliteratur gehörte, da sie als Literatur für die Welt selber Weltliteratur war. Dies konnte sich erst ändern, als das Selbstverständnis des Reiches grundsätzlich in Frage gestellt wurde und der allgemein verbindliche Kanon eine Umwertung zu erfahren begann. Die entscheidende Phase eines Übergangs von chinesischer Tradition zu westlicher Moderne setzte mit der gewaltsamen Öffnung des Landes ein. Großbritannien hatte durch den ersten Opium-Krieg (1839–1842) eine Entwicklung eingeleitet, die in der Folge die Mandschu-Regierung immer mehr dazu zwang, die Küstenregionen und Verkehrswege für den internationalen Handel freizugeben. Im Einzelfall kann gar von einer Besetzung gesprochen werden, allerdings ist China nie eine Kolonie gewesen, und selbst der Terminus Halbkolonie ist angesichts der Größe des Landes eher fragwürdig als plausibel. Die bedrohliche Situation hat das Kaiserhaus jedoch erst nach dem zweiten Opium-Krieg (1856–1860) zu entsprechenden Maßnahmen greifen lassen. Die Gründung eines »Außenministeriums« und einer »Fremdsprachenhochschule« im Jahre 1861 signalisiert den einsetzenden Abschied von der TianxiaIdeologie und den allmählichen Übergang zu der Vorstellung, wie andere Länder auch eine Nation (guojia) unter Nationen werden zu müssen und auch werden zu wollen.1 Bereits vor dem Untergang des Kaiserreiches 1911 und vor der Ausrufung der Republik 1912 war 1905 mit der Abschaffung des kaiserlichen Prüfungssystems dem traditionellen Bildungskanon das Ende bereitet worden. Neue Kenntnisse gelangten über die vor Ort ansässigen Diplomaten und Militärs, Kaufleute und Missionare ins Land. Im Unterschied zu den Vermittlungsversuchen der Jesuiten im 17. und 18. Jahrhundert war diesmal der Wissenstransfer nicht an die überschaubare Elite bei Hofe gebunden. Alle Schichten, wenn auch nicht alle Personen, wurden, ob in der Stadt oder auf dem Land, gleichermaßen erfaßt. Da das neue Wissen weniger in der Original1

Hierzu und zum folgenden s. EDWARD M. GUNN, JR.: Rewriting Chinese. Style and Innovation in Twentieth-Century Chinese Prose, Stanford: Stanford UP 1991; LYDIA H. LIU: Translingual Practice: Literature, National Culture and Translated Modernity – China, 1900–1937, Stanford: Stanford UP 1995.

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DIE CHINESISCHE LITERATUR AM VORABEND DER MODERNE

sprache als vielmehr in der Übersetzung westlichen Schriftguts vermittelt wurde, bedeutete dies, daß Chinas Moderne als eine Moderne zu definieren ist, welche sich wesentlich der Übersetzung verdankt. Die Kunst der Übertragung hatte nicht nur Auswirkungen auf die Entwicklung des chinesischen Geistes und der chinesischen Gesellschaft, sondern unmittelbar auch auf die Sprachnormierung. Viele Begriffe, Bezeichnungen und Vorstellungen, für die es ursprünglich kein eigentliches Pendant gab, fanden auf dem Umweg über Japan ihren Eingang in das Chinesische. Das Inselreich hatte sich schneller und konsequenter nach westlichem Vorbild zu modernisieren begonnen, hatte 1895 Taiwan annektiert und 1905 den Krieg gegen Rußland gewonnen. Tokio war bereits zur Jahrhundertwende zur heimlichen Hauptstadt der revolutionären chinesischen Jugend avanciert. Hier wie andernorts hatte man westliche Wissenschaft an das Japanische anzugleichen begonnen und sich dabei der chinesischen Zeichen und der überkommenen chinesischen Binome zu bedienen versucht. Oftmals stellten die neuen Ausdrücke eine Wiederbelebung alter chinesischer Termini und damit einen Rückimport nach China dar, wobei die Bedeutung natürlich eine gänzlich andere war. So oder so begann das Fremde auch in scheinbar heimischer Gestalt seine Wirkung zu entfalten. Insbesondere gilt dies für Syntax und Grammatik. Übersetzungen, sei es von Literatur oder Wissenschaft, die sich nicht mehr nur an die alte Elite richten sollten und konnten, begannen, immer mehr fremdes Sprachgut einzuschmuggeln und die kanonisierte Sprache zu verändern. Ein übriges tat die langsame Anerkennung der baihua, die über die Jahrhunderte als »gesprochene Sprache« des Nordostens immer mehr verschriftet worden war.2 Diglossie war ein Kennzeichen des kaiserlichen China gewesen. Man schrieb nicht, wie man sprach, und man sprach nicht, wie man schrieb.3 Dies war jedoch nur die Regel, die schon lange vor der Sprachreform Einbußen erfahren hatte. Zwei Entwicklungen sind hier von besonderer Wichtigkeit gewesen: die Herausbildung einer Theater- und Erzählkultur, die sich weniger nach dem Schriftkanon als nach der aktuellen Sprachsituation zu richten begann, und die Praktizierung einer Amtssprache (guanhua), üblicherweise Mandarin genannt, die von den Beamten zwecks besserer Verständigung aus dem Pekinger Raum in die Provinz getragen wurde.4 Ein natürliches, aber auch typisches Ergebnis der allmählichen Angleichung von Schriftsprache und Verkehrssprache war die Mischform zweier unterschiedlicher Stile, wie sie vor allem in der Literatur begegnet. Der Roman Der Traum der Roten Kammer (1792) 2

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Zu diesem komplexen Thema s. vor allem THOMAS ZIMMER: Baihua. Zum Problem der Verschriftung gesprochener Sprache im Chinesischen. Dargestellt anhand morphologischer Merkmale in den »bianwen« aus Dunhuang, Nettetal: Steyler 1999 (= Monumenta Serica; XL). Vgl. hierzu ERHARD ROSNER: Schriftsprache. Studien zur Diglossie des modernen Chinesisch, Bochum: Brockmeyer 1992 (= Chinathemen; 74). Die Herausbildung der Hochsprache, des sogenannten Pekinger Dialekts, in den letzten tausend Jahren, ist zu komplex, um hier ausgeführt werden zu können; s. hierzu LIN TAO: »Wie entstand das Beijinger Mandarin?«, aus dem Chinesischen von ELKE SPIELSMANNS-ROME und HUANG HUIMIN, in: Orientierungen 1/1990, S. 53–79.

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Einleitung: Sprache und Nationenwerdung

kann hier als repräsentativ angesehen werden.5 Die Ersetzung der Diglossie durch eine sprachliche Mischform muß man sich als einen langen Prozeß vorstellen, der in der Tang-Zeit (618–907) begonnen hat und bis heute noch zu keinem letzten Abschluß gekommen ist. Nach wie vor steht die Einheitssprache aus. Davon zeugt schon allein die Existenz von wenig verschrifteten und vielleicht auch nicht verschriftbaren Regionalsprachen wie dem Kantonesischen, dem Fukienesischen oder dem Schanghaier Dialekt, die sich niemals wie das Nordchinesische amtlicher Unterstützung erfreuen konnten. Dennoch lassen sich innerhalb dieses langen Prozesses unterschiedliche Phasen ausmachen. Die sprachliche Praxis der ausgehenden QingDynastie (1644–1911) wurde durch die republikanischen Reformer zur Norm erhoben. Die Erziehung zur baihua war eine Erziehung zum Neuen Bürger (xinmin) und sollte zur Vereinheitlichung des neuen Staatsgebildes dienen. Wir dürfen uns diese Erziehung jedoch keinesfalls als eine allzu systematische vorstellen. Die baihua stellt vielmehr ein Mittelstück in der Sprachentwicklung dar. Sie war zwischenzeitlich (1926) von der guoyu (Landessprache) und ist heute durch die putonghua, durch die (chinesische) Hochsprache abgelöst worden. Dies hat mit der systematischen Sprachplanung6 zu tun, die erst nach 1949 auf dem Festland einsetzt und auf Taiwan wenig, in Hongkong sowie Macau erst jüngst Wirkung zeigt. Die Zäsur 1949 markiert jedoch insofern einen gewaltigen Einschnitt, als die Sprachreform der Volksrepublik China zur weltweit verbindlichen Norm dessen wurde, was heute als chinesische Gemeinsprache zu gelten hat, und dies schließt auch das wichtige Umschriftsystem Hanyu Pinyin mit ein. Mögen daher auch weiterhin unterschiedliche Sprach- und Umschriftformen des Chinesischen üblich sein, so können diese dennoch keinerlei Anspruch auf Verbindlichkeit oder gar Allgemeingültigkeit erheben. Chinas Eintritt in die Weltgeschichte, den Weltmarkt, die Sprachgemeinschaft und die Weltliteratur ist natürlich nicht erst abrupt in den letzten gut einhundert Jahren erfolgt. Selbstverständlich gab es hier bereits eine lange Vorbereitungsphase, die man schematisch spätestens mit der Ankunft der Portugiesen 1517 im Südchinesischen Meer beginnen lassen kann. Auch wenn China mit Beginn der Neuzeit immer wieder seit der Südlichen Song-Dynastie (1127–1279) den Versuch unternommen hat, sich nach außen hin abzuschotten, so hat dennoch sporadisch eine Begegnung mit dem Abendland stattgefunden, die mehr Spuren hinterlassen hat als bis heute angenommen und nachgewiesen. Es ist daher durchaus nicht abwegig, die neueren Entwicklungen in China von der fernen Vergangenheit herleiten zu wollen, jedoch verbietet sich eine allzu starke Betonung endogener Elemente, wie sie vor allem in den USA bevorzugt wird. Das Modell von challenge and response scheint mir daher zumindest bis 1839 5

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Vgl. hierzu THOMAS ZIMMER: »Ein früher Vorläufer der Baihua? Zwischen klassischer Tradition und volkstümlicher Moderne«, in: WOLFGANG KUBIN (Hg.): Hongloumeng. Studien zum »Traum der roten Kammer«, Bern: Peter Lang 1999 (= Schweizer Asiatische Studien; 34), S. 109–129. Vgl. hierzu HELMUT MARTIN: Chinesische Sprachplanung, Bochum: Brockmeyer 1982.

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DIE CHINESISCHE LITERATUR AM VORABEND DER MODERNE

eher zuzutreffen als die These von einer vollkommen eigenständigen Modernisierung. Umgekehrt hat ebenso längst die Tatsache Anerkennung gefunden, daß die europäische Neuzeit viel dem chinesischen Einfluß (Druck, Kompaß, Pulver etc.) zu verdanken hat. In beiden Fällen spricht man daher besser von einer mehr oder minder gemeinschaftlichen Entwicklung, die in der Tiefe stattgefunden hat, ohne bis heute ganz an der Oberfläche in Erscheinung getreten zu sein. Hinter der Diskussion um endogene oder exogene Elemente einer Moderne in China verbirgt sich ein grundsätzliches Problem. Erfolgte der Übergang von der Tradition zur Moderne durch einen Bruch oder durch eine Weiterentwicklung, durch eine Revolution oder eine Evolution? Hier scheiden sich die Geister, und eine letztliche Klärung ist sicherlich weder möglich noch wünschenswert. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Nehmen wir zum Beispiel den Genre-Schwenk, auf den Jaroslav Prušek so genial als das Kennzeichen einer modernen Literatur in China verweist.7 Diesen Schwenk hat es nicht erst mit der Erneuerungsbewegung vom 4. Mai (1919) gegeben, sondern bereits in den Jahrhunderten zuvor, als die Literaten, vom Beamtentum ausgeschlossen, sich dem Theater und der Erzählkunst zuzuwenden begannen. Der Lyrik und dem Essay eignen die Muße und die Meditation. Diese waren dem BeamtenLiteraten auf seinem Landgut daher vorzüglichstes Ausdrucksmittel. Als sich jedoch mit der Ming-Zeit (1368–1644) Amt und Literatur zu trennen begannen, trat ein neuer Künstlertypus auf den Plan. Dieser fing an, verkürzt gesagt, für einen »Markt« zu arbeiten und seine Produkte zu »verkaufen«. Die aus dieser Zeit resultierende Dominanz von Roman und Drama läßt sich jedoch nicht einfach aus der veränderten Stellung der Autoren erklären. Mit der Neuzeit war das Leben in China komplexer geworden. Der entwickelte Warenverkehr hatte die Stadtentwicklung begünstigt und die Herausbildung einer »städtischen« Kultur ermöglicht. Es gab nun ein zahlenmäßig ins Gewicht fallendes Publikum, das die Verstrickungen des Lebens eher prosaisch als lyrisch verarbeitet wissen wollte. Und auch die Autoren selbst schienen einen eher agierenden als besinnlichen Helden vorzuziehen. Es ist daher kein Zufall, daß ebenso wie im Abendland in China auch die Dichtkunst zugunsten der Erzählkunst und des Theatralischen zurückzutreten begann. So besehen wäre der sich seit der Jahrhundertwende anbahnende Genre-Schwenk rein endogen zu erklären. Doch eine solche Betrachtung wäre zu formal. Traditionelle chinesische Erzählkunst nämlich erlaubt keine Konzentration auf einen einzigen Helden, auf eine einzige Episode, sie verbietet auch eine über systemimmanente Kritik hinausgehende Auseinandersetzung mit Staat und Gesellschaft. Insofern stellt die Einführung der Kurzgeschichte (duanpian xiaoshuo), sei es als Short story (Gattung), sei es als short story (kurze Geschichte), zur Zeit des 4. Mai eine Revolution dar. Der einzelne Held wird genauso wie sein Autor, der mit diesem natürlich nicht identisch sein muß, zum Umstößler. Das soziale Engagement und die gesellschaftliche Analyse gelten nun nicht mehr der bemühten 7

JAROSLAV PRŮŠEK (Hg.): Studien zur modernen chinesischen Literatur. Studies in Modern Chinese Literature, Berlin: Akademie 1964, S. 12–13.

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Harmonisierung von Widersprüchen, sondern dem herbeigesehnten Umsturz bestehender Verhältnisse. In der Erzählkunst der jungen Republik klingt daher in der Forderung nach einer nationalen Sprache und nationalen Literatur stets ein Unterton der Rebellion an. Genrewechsel ist somit mehr als nur der Wechsel von der einen literarischen Gattung zu einer anderen, er muß gleichzeitig neben einem Sprach- und Kanonwechsel auch einen ideologischen Wechsel mit beinhalten. Dies betrifft selbstverständlich die geistigen Träger der chinesischen Gesellschaft. Sieht man einmal von den wenigen verbliebenen konservativen Vertretern ab, so läßt sich die neue Elite nach der Abschaffung des kaiserlichen Prüfungssystems als eine unter westlichem Einfluß stehende, antitraditionalistische, aufmüpfige Intelligenz verstehen, die sich grundlegend von dem auf Ausgleich bedachten Geist der Vergangenheit unterscheidet. Kritische Analyse ist ihr Geschäft, nicht schöne Betrachtung. Ihr Gegenstand ist die Zukunft Chinas, ein Gegenstand, von dem sie bis in die Gegenwart besessen bleiben wird. Diese obsession with China, wie C.T. Hsia (geb. 1921)8 einmal die für chinesische Schriftsteller so kennzeichnende Attitüde kurz und prägnant benannt hat, wirft die Frage nach dem Charakter der chinesischen Moderne auch für die Literatur auf.9 Obsession with China stellt ein ganzheitliches Engagement dar, welches alles Denken und Tun so in Beschlag nimmt, daß alles außer acht bleibt, was sich nicht mit dem Vaterland in Verbindung bringen läßt. Als moralische Verpflichtung zeitigt diese Einstellung nicht nur eine künstlerisch verarbeitete patriotische Leidenschaft, sondern auch eine gewisse patriotische Provinzialität. Das politische Anliegen verführte nicht wenige Autoren zu einer Betonung des Inhalts vor der Form und zu einer Orientierung am Realismus. Eine literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit chinesischer Literatur im 20. Jahrhundert läuft daher oftmals auf eine Beschäftigung mit der Geschichte des modernen China hinaus. Der häufig stark zeitbezogene Charakter der modernen chinesischen Literatur steht aber einer Auffassung von Weltliteratur entgegen, die eine über Zeiten und Nationen hinausgehende, für alle einsehbare und verbindliche Literatur meint. Der Spagat zwischen einer für chinesische Zwecke geschriebenen und einer an ein nichtchinesisches Lesepublikum gerichteten Literatur führte nur in wenigen Fällen zum gewünschten Erfolg. Das hier angeschnittene Problem hat selbstverständlich etwas mit der Frage einer Identitätsstiftung in einer veränderten Welt zu tun. Es wird uns noch als das Problem im Zusammenhang mit der Bewegung vom 4. Mai 1919 begegnen. Es ist dies der 8

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C.T. HSIA: A History of Modern Chinese Fiction, New Haven u. London: Yale 21971, S. 533– 554. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Rolle des Ressentiments, s. HANS KÜHNER: »Von der (Un)Produktivität des Ressentiments in der Literatur. Einige aktuelle chinesische Beispiele«, in: MECHTHILD LEUTNER u. JENS DAMM (Hg.): Chinesische Literatur. Zum siebzigsten Geburtstag von Eva Müller, Münster: LIT Verlag 2005 (= Berliner China-Hefte; 27), S. 29–40. Ich folge in den weiteren Ausführungen LEO OU-FAN LEE: »Literary Trends I: The Quest for Modernity, 1895–1927«, in: JOHN K. FAIRBANK (Hg.): Cambridge History of China, Bd. 12 (Republican China), Teil 1, Cambridge u.a.: Cambridge UP 1983, S. 451–452, 499–504.

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Komplex von Fremd- und Eigenbestimmung. Die Moderne erwartet vom einzelnen die Selbstsetzung. Dazu gehören Ich-Stärke und Durchhaltevermögen. Kennzeichen der Moderne ist jedoch auch, daß in Ermangelung dieser Ich-Stärke die Mehrheit die Fremdbestimmung vorzieht. Diese sieht von Kultur zu Kultur, von Land zu Land anders aus. Im Falle von China bietet die Nation, bietet das Vaterland die Möglichkeit einer Identitätsgewinnung, der sich bis auf wenige Ausnahmen im Laufe der Zeit die Mehrzahl der Schriftsteller und Künstler unterwirft. Das westliche Unbehagen an der chinesischen Literatur im 20. Jahrhundert hat hier seine wesentliche Ursache. Was bedeutet nun obsession with China im engeren Sinne? Dahinter verbirgt sich vor allem zweierlei. 1. Eine Sicht von China als einem kranken Patienten, der dringend des Arztes bedarf. Die medizinische Metaphorik sollte daher geradezu zwangsläufig eine wichtige Rolle bei der Grundlegung einer modernen chinesischen Literatur spielen. Als verheerend hat sich allerdings in diesem Zusammenhang die schematische Zuschreibung erwiesen: Krankheit und Tradition wurden gleichgesetzt, so daß Moderne und Bildersturm zu einem Pendant wurden. Bis heute leidet der chinesische Sprachraum daher an einer unterschätzten Vergangenheit und einer überschätzten Gegenwart. 2. Eine Hinwendung zur Moderne aus politischen Gründen und aus sozialer Not. Moderne war den Literati in der Regel kein Wert an sich, sie war praktischen Gesichtspunkten unterworfen. Sie schien der Garant für eine Heilung des kranken Patienten China. Das heißt, es waren in erster Linie nicht künstlerische Impulse, welche die Schriftsteller zum Abschied von der Vergangenheit bewegten, sondern politische Erwägungen. Literatur wurde somit überwiegend als Mittel eines sozialen Protestes und als Werkzeug praktischer Veränderung begriffen. Moderne bedeutete damit in China etwas anderes als im Westen. Sie meinte keinesfalls einen doppelten, antagonistischen Begriff, wie er sich seit Beginn der Industrialisierung und der Romantik im Abendland herauszubilden begann, wo nämlich auf der einen Seite Moderne als der Garant für einen wissenschaftlich-technischen Fortschritt begriffen und auf der anderen Seite als grundlegende Kritik eines vom saturierten Bürgertum getragenen materialistischen Nützlichkeitsdenkens instrumentalisiert wurde. Vielmehr bedeutete Moderne in China ganz einseitig und fast ausschließlich Wissenschaft und Technik im Dienste der Politik. Es galt, das Äußere zu gestalten und nicht etwa das Innere als den einzig möglichen Hort einer sinnvollen und dauerhaften Veränderung im Kampf gegen die Gesellschaft zu pflegen. Der Pessimismus und die Verzweiflung, die seit der Romantik so sehr die Literaturen im Abendland geprägt haben, sind der modernen chinesischen Literatur selbstverständlich nicht etwa fremd. Doch kommt ihnen ein anderer Stellenwert im modernen China zu. C.T. Hsia10 bringt den Unterschied zwischen einem westlichen und einem chinesischen Schriftsteller wie folgt auf den Punkt: Er [der moderne chinesische Schriftsteller] hat mit dem modernen westlichen Schriftsteller eine Vision des Ekels, ja der Verzweiflung gemeinsam. Da seine Vision 10

Übersetzt nach HSIA: A History of Modern Chinese Fiction, S. 536.

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Einleitung: Sprache und Nationenwerdung jedoch nicht über China hinausgeht, läßt er gleichzeitig die Tür offen für Hoffnungen, für den Import westlicher oder sowjetischer Systeme, die sein Land vom gegenwärtigen Zustand der Dekadenz befreien könnten. Hätte er den Mut oder die Einsicht gehabt, das, was sich ihm in China bietet, mit der Bedingtheit des modernen Menschen gleichzusetzen, wäre er ein fester Bestandteil der allgemeinen modernen Literatur geworden. Dazu fehlte ihm jedoch der Mut, denn dann hätte er sich der Hoffnung auf eine Verbesserung des Lebens, auf die Wiederherstellung der menschlichen Würde beraubt.

Leiden bedeutet insofern für einen chinesischen Schriftsteller nicht das Leiden an der menschlichen Existenz oder an sich selbst, sondern an dem Zustand des Vaterlandes, ein Leiden, das dementsprechend nicht grundsätzlich und auf Dauer gegeben ist, sondern auf Zeit und durch Aktivität überwunden werden kann. Einer solchen Einstellung muß man nicht unbedingt kritisch, man kann ihr auch positiv gegenüberstehen, denn die absolute Freiheit, welche die westlichen Künste für sich in Anspruch nehmen, führt ebensowenig automatisch zu einem ästhetischen Erfolg, wie eine engagierte Kunst per se zum Mißerfolg verdammt sein muß. Es ist die Umsetzung, die im einen wie im anderen Fall die tatsächliche oder mangelnde Größe eines Kunstwerkes ausmacht. Abendländische Vorbehalte gegen chinesische Künste sind aus hiesiger Sicht ebenso möglich, wie umgekehrt chinesische Indifferenz gegenüber einem nur sich selbst verpflichteten Künstlertum verständlich erscheinen muß. Bei dem folgenden Gang durch die Geschichte der chinesischen Literatur im 20. Jahrhundert erscheinen mir zwei andere Gesichtspunkte von viel gravierenderer Bedeutung für eine ausgewogene Beurteilung der künstlerisch erbrachten Leistungen zu sein. Es ist dies einmal das Problem einer verspäteten Nation und zum anderen das einer Geschichtsfälschung. Die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Michelle Yeh hat einmal von dem Phänomen einer belatedness in Sachen moderner chinesischer Literatur gesprochen. Gemeint ist damit das folgende: Die chinesische Literatur, die sich seit der Jahrhundertwende als Neue Literatur zu etablieren beginnt, knüpft nicht etwa an den damaligen Stand der abendländischen Literatur an, sondern nimmt ihren Ausgang bei der westlichen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. Diese ist selbstverständlich auch Teil der Moderne, doch stellt sie Fragen, die hundert Jahre später nicht mehr unbedingt zentral für das Verständnis eines neuen Jahrhunderts gewesen sind. Aus westlicher Sicht mußte daher die chinesische Literatur, bevor sie überhaupt hat modern sein können, bereits Patina angesetzt haben. Ohne den komparativen Aspekt, den der slovakische Sinologe Marián Gálik so sehr in seinem Werk betont hat, läßt sich daher keine Standortbestimmung einer chinesischen Literatur im Konzert moderner Literaturen vornehmen. Eine systemimmanente Untersuchung würde auch noch aus einem anderen Grund zum Scheitern verurteilt sein: So wie die neuere Geschichte Chinas ein Streitgegenstand unter ihren Interpreten ist, so ist auch die Entwicklung einer modernen Literatur bislang nicht vollends aus dem politischen Fahrwasser der Deutungen herausgekommen. Eine Neuschreibung, wie sie die Exilliteraturzeitschrift Today (Jintian) versucht hat, scheint bitter notwendig zu sein. Doch solange die Ar-

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chive nicht allgemein zugänglich sind, wird man sich nicht von liebgewonnenen Ansichten und Vorurteilen trennen müssen. Beide Seiten, die Volksrepublik China wie auch die Republik China auf Taiwan, haben Ansichten festgeschrieben, die der Überprüfung harren. Auch darum ist chinesische Literatur im 20. Jahrhundert keine Sache an sich, sondern ein Bild, das sich Interpreten und deren Interpretationen verdankt.

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2. Von der Tradition zur Moderne. Die Literatur der Jahrhundertwende

Der eigentliche Beginn einer modernen Literatur in China wird allgemein mit zwei Daten angesetzt, und zwar einmal mit dem Jahr 1916, als Hu Shi (1891–1962) seine »Acht Thesen zu einer literarischen Reform« aufstellt, zum anderen mit dem Jahr 1918, als die 1915 erstmals erscheinende Zeitschrift Neue Jugend (Xin Qingnian) Lu Xuns (1881–1936) »Tagebuch eines Verrückten« (»Kuangren riji«) veröffentlicht. Doch hat dieser Beginn selbstverständlich zahllose Voraussetzungen. Ihm geht eine langjährige Vorbereitung voraus, die weder eine gesuchte noch eine in sich widerspruchsfreie ist. Sie umfaßt im engeren Sinne grob gesagt die Jahre zwischen 1895 (Niederlage gegen Japan) bzw. 1898 (Reformbewegung) und 1915, im weiteren Sinne die ausgehende Kaiserzeit einschließlich der beginnenden Republikzeit (1912–1949) und hat mit den unterschiedlichsten Aspekten zu tun. Es war bereits darauf aufmerksam gemacht worden, daß der Schwenk von einer traditionellen zu einer modernen Literatur in China die Wendung von der Dichtkunst zur Erzählkunst darstellt. Darüber darf jedoch nicht vergessen werden, daß, wenn auch der Roman in dieser Zeit die Vorherrschaft antritt, andere Genres wie die Lyrik und das Theater ebenfalls Veränderungen zu durchlaufen beginnen. Dem Dichter Huang Zunxian (1848–1905) zum Beispiel gebührt das Verdienst, im Rahmen der Tradition sprachlich, thematisch und formal Neuland betreten zu haben.11 Sein berühmter Ausspruch »Ich schreibe, wie es mir der Mund eingibt« (wo shou xie wo kou) darf zwar nicht wörtlich genommen werden, doch trägt Huang Zunxian in seinen Gedichten im Alten Stil den großen Veränderungen Rechnung, die er – in diplomatischen Diensten unterwegs – weltweit wahrnehmen kann. Nicht nur neue technische Ausdrücke oder »umgangssprachliche« Wendungen der Zeit erhalten Einzug in eine bald zweitausend Jahre alte lyrische Form, sondern auch das komplexe Verhältnis von »China und der Welt«, von Tradition und Reform wird wiederholt angesprochen. Was Huang Zunxian mit dem Roman und dem Sprechtheater der Jahrhundertwende verbindet, ist ein Phänomen, das sich mit dem Schlagwort »Gegenwart und Erfahrung« annähernd umreißen läßt. Es war der Anspruch der reformbewußten Literati, aus eigener Anschauung Stellung zum zeitgenössischen Zustand des chinesischen Reiches zu beziehen, das heißt, ihre Werke weder in die Vergangenheit zu verlegen noch auf die Lektüre angelesener Werke zu stützen. Kurz, es ging um Authentizität, nicht um Belesenheit, es ging um Engagement, nicht um müßige Betrachtung. 11

JERRY D. SCHMIDT: Within the Human Realm: The Poetry of Huang Zunxian, 1848–1905, Cambridge: Cambridge UP 1994.

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DIE CHINESISCHE LITERATUR AM VORABEND DER MODERNE

Die Niederlage im Krieg gegen Japan 1895 hatte die Literatur zu einem wichtigen Teil der Reformbewegung werden lassen. War man bislang der Auffassung gewesen, eine technische und militärische Modernisierung würde China international zum gleichwertigen Partner machen, so war man sich jetzt im klaren darüber, daß eine geistige Erneuerung ebenso vonnöten war wie eine praktische. Hierbei sollte die Übertragung westlicher Romane eine wichtige Vorreiterrolle spielen.12 Es reicht an dieser Stelle zunächst der Hinweis, daß die Übersetzungstätigkeit nicht nur die Blüte des chinesischen Romans zur Jahrhundertwende vorbereiten, sondern auch die Bühne verändern half. Chinesisches Theater pflegte Musiktheater zu sein, eine Art Gesamtkunstwerk, in dem in höchst komplizierter Form Wort, Melodie und Bewegung zusammenkamen. Dabei ging es stets um allgemeine Dinge, um ewige Themen, deren zeitlicher Rahmen die Vergangenheit war. Das sich um die Jahrhundertwende allmählich etablierende Sprechtheater bedurfte für sein reformerisches Unterfangen anderer Vorlagen, es fand diese bei Übersetzungen wie Onkel Toms Hütte oder Die Kameliendame, die es auf chinesische Verhältnisse zuschnitt und für die Aufführung adaptierte.13 Trotz gewisser beachtlicher Leistungen, welche Lyrik und Theater, um Erneuerung bemüht, vor 1911 aufzuweisen haben, war der eigentlich literarische Erfolg dennoch dem Roman vorbehalten gewesen, so daß sich mit Recht der Übergang von der Tradition zur Moderne als ein Schwenk von der Dichtkunst zur Erzählkunst charakterisieren läßt. Dieser Schwenk war formal durch bestimmte neuzeitliche Entwicklungen begünstigt worden.14 Dazu gehörten die Ausweitung des Druckereiwesens, des Büchermarktes, der Schulbildung, die einsetzende Angleichung von Stadt und Land und natürlich auch die veränderte Position der Künste. Der Literat (wenren), der seit der Ming-Zeit (1368–1644) nicht mehr ohne weiteres mit dem Beamten gleichgesetzt werden konnte, begann seine künstlerische Arbeit weniger in Relation zum politischen Gemeinwesen als verstärkt in Relation zu sich selbst und zum Markt zu setzen. Dies schloß selbstverständlich keine politische Stellungnahme aus, eine solche erfolgte jedoch nicht mehr von der Warte einer Amts-, sondern einer Privatperson aus. Die sukzessive, alles andere als gesuchte und gewünschte Trennung der Kunst vom Amt ließ die künstlerische Betätigung zu einer Lebensform, die künstlerische Arbeit mitunter aber auch zu einer Ware werden. Die strenge Scheidung von hoher und niederer Literatur begann sich aufzulösen, ein Trend zu einer allgemeinen »populären« Kultur einzusetzen. Der Ausdruck »Privatheit« verbietet sich hier sicherlich, gleichwohl 12

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Vgl. hierzu WANG-CHI WONG: »An Act of Violence. Translation of Western Fiction in the Late Qing and Early Republican Period«, in: MICHEL HOCKX (Hg.): The Literary Field of TwentiethCentury China, Surrey: Curzon 1999, S. 21–39. Vgl. BERND EBERSTEIN: Das chinesische Theater im 20. Jahrhundert, Wiesbaden: Harrassowitz 1983, S. 21–27. Vgl. EVELYN S. RAWSKI: »Economic and Social Foundations of Late Imperial Culture«, in: DAVID JOHNSON, ANDREW J. NATHAN u. EVELYN S. RAWSKI (Hg.): Popular Culture in Late Imperial China, Berkeley: University of California Press 1985, S. 3–33.

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Von der Tradition zur Moderne. Die Literatur der Jahrhundertwende

sind Aspekte des Privaten in Betracht zu ziehen, insofern nämlich, als Erzählkunst immer mehr das Leben einzelner Familien und Personen im Detail einzufangen bemüht gewesen ist. Erzählkunst und populäre Kultur erfahren jedoch ihre entscheidende Zuspitzung Richtung moderner Literatur erst mit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Die wichtigsten Veränderungen dürften vor allem die folgenden zwei sein, nämlich einmal die allmähliche Herausbildung eines modernen Bewußtseins, welches die Krise des Vaterlandes zum Gegenstand hat, und zum anderen die Entstehung einer Presse, welche den Schriftstellern die Veröffentlichung ihrer Erzählwerke in Fortsetzungen erlaubte und ihnen ein Forum für ihre kritischen Ansichten bot.15 Eine chinesische Presse hatte sich vor allen Dingen in den Jahren zwischen 1895 und 1911 zu etablieren begonnen, wobei die Hafenstädte, allen voran Schanghai, eine besondere Rolle spielten. Vorbild, vor allem was die pädagogischen Ziele anging, war die lang etablierte ausländische Missionspresse in chinesischer Sprache. Die Vorstellung von einer Zeitung als »moralischer Anstalt« fand eine Fortsetzung in den Schlagworten der Zeit, die die Presse als »Wecker des Bürgers«, als »Klapper der Zivilisation« zu begreifen begann. Die Romanliteratur dieser Jahre ist unterschiedlich gewichtet worden, man wird ihr weder gerecht, wenn man sie als reinen Vorläufer der modernen Literatur, noch, wenn man sie als reine Nachhut der klassischen Literatur betrachtet.16 Sie ist ein Zwitter, sprachlich, formal und ideologisch.17 Ihr Wert liegt just in dieser Mittelposition, die sowohl den Bruch mit der Tradition als auch den Umbruch zur Moderne zu erkennen gibt. Dies gilt in ungleichem Maße für alle vier Spielarten, welchen der Roman der Jahrhundertwende thematisch zugerechnet wird. Aus westlicher Sicht hat der sogenannte »Enthüllungsroman« einen Vorrang vor dem »Liebesroman«, »Ritterroman« und der science fiction gehabt. Es interessierte und interessiert – dies zeigt 15

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Über die Rolle der Presse bei der Herausbildung des chinesischen Romans zur Jahrhundertwende ist inzwischen viel geschrieben worden, s. hierzu u.a. LEO OU-FAN LEE u. ANDREW J. NATHAN: »The Beginnings of Mass Culture: Journalism and Fiction in the Late Ch'ing and Beyond«, in: JOHNSON, NATHAN u. RAWSKI (Hg.): Popular Culture in Late Imperial China, S. 360–395. Vgl. hierzu die Studien von MILENA DOLEŽELOVÁ-VELINGEROVÁ (Hg.): The Chinese Novel at the Turn of the Century, Toronto u.a.: University of Toronto Press 1980; DAVID DER-WEI WANG: Fin-de-Siècle Splendor. Repressed Modernities of Late Qing Fiction. 1849–1911, Stanford: Stanford UP 1997; HENRY Y.H. ZHAO: The Uneasy Narrator. Chinese Fiction from the Traditional to the Modern, Oxford: Oxford UP 1995; KEIKO KOCKUM: Japanese Achievement, Chinese Aspiration: A Study of the Japanese Influence on the Modernisation of the Late Qing Novel, Stockholm: Plus Ultra 1990. Vgl. hierzu meine Ausführungen in meinem Beitrag: »Tradition und Moderne im chinesischen Roman des 20. Jahrhunderts«, in: WOLFGANG KUBIN: Die Jagd nach dem Tiger. Sechs Versuche zur modernen chinesischen Literatur, Bochum: Brockmeyer 1984, bes. S. 14–19. Zum Widerspruch von Theorie und Praxis im Roman zur Zeit der Jahrhundertwende s. CLEMENS TRETER: Zwischen Kunst, Markt und Moral. Die Debatte um die Erzählliteratur im China des frühen 20. Jahrhunderts, Wiesbaden: Harrassowitz 2003 (= Lun Wen. Studien zur Geistesgeschichte und Literatur in China; 1).

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DIE CHINESISCHE LITERATUR AM VORABEND DER MODERNE

sich sowohl in Übersetzungen wie auch in der Forschung – eher das Problem eines Werteverfalls und Wertewechsels als schwüle Erotik und heldische Geschichten, für die es sehr bald ein größeres Bedürfnis auf Seiten der chinesischen Leserschaft geben sollte als für die gesellschaftspolitische Satire und für Wissenschaftsutopien. Gleichwohl lassen sich wichtige Gemeinsamkeiten ausmachen, die auf den kommenden Umbruch verweisen. Sprachlich erfolgt eine Erprobung neuen erzählerischen Materials, und zwar bei dem Versuch, die sogenannte Umgangssprache als Literatursprache zu verschriften, wobei Fremdsprachen für die Herausbildung eines neuen Vokabulars keine unerhebliche Rolle spielen. Formal wird die traditionelle Episodentechnik, die Ereignisse in beliebiger Fülle und Zahl aneinanderzureihen gestattete, durch ein gemeinsames Thema oder durch eine agierende Person gebunden. Erzählkunst verliert damit ihre traditionelle Beliebigkeit und Unverbindlichkeit, sie nimmt stattdessen den Charakter eines gewissen Engagements an. Dies führt zu der dritten wesentlichen Neuerung. Ideologisch zerbricht die herkömmliche communis opinio, die der Erzähler mit seinem Publikum zu teilen pflegte. Es schleicht sich oftmals eine persönliche oder ambivalente Sicht in das Erzählgut ein, die nicht mehr für eine Mehrheit repräsentativ sein muß. Die Absicht des Erzählers, über den labilen Zustand des Reiches aufzuklären und der gesellschaftlichen Reform einen Boden zu bereiten, brachte die unmittelbare Gegenwart und die eigene Erfahrung in den Vordergrund. Auch wenn der theoretische Anspruch nicht immer eingehalten wurde, so ist der Paradigmawechsel doch unverkennbar. Sozialkritik und die unverblümte Auseinandersetzung mit der Gegenwart waren eigentlich der Dichtkunst von Urzeiten an vorbehalten gewesen. Erzähler bevorzugten eher die ferne Vergangenheit für ihre Geschichten. Der Roman veränderte daher seit der Jahrhundertwende seine Funktion. Er wechselte von einer reinen Unterhaltungkunst zu einer Kunst der Instruktion. Eine solch schematische Einschätzung wie die obige ist in der Tendenz zwar richtig, im Einzellfall jedoch mitunter problematisch. Das Neue und das Alte gehen nämlich selbst in den progressivsten Werken ein Mischverhältnis ein. Auf der einen Seite liebt der Erzähler die Einbindung der einzelnen Episoden durch Leitmotive wie die Wirkmacht des Geldes oder die Herrschaft des Bösen, auf der anderen Seite ist er aber nicht in der Lage, seiner Desillusionierung die rechten Erzählmittel zur Verfügung zu stellen, statt dessen greift er gern auf überlieferte Techniken zurück und leitet, zumindest für einen westlichen Leser sehr ermüdend, mittels standardisierter Formeln und Floskeln seine Episoden ein und aus. Dies bringt das Erzählen, kaum daß es sich neuen Horizonten geöffnet hat, wieder in die Nähe der Tradition zurück. Mitunter wirkt sich aber auch die Moderne ambivalent aus. Die Presse zum Beispiel will nicht nur aufklären, sie bietet auch bezahlte Unterhaltung. Die Romane der Jahrhundertwende erscheinen in Fortsetzungen und bedürfen daher mit Rücksicht auf die Erinnerung des Lesers des traditionellen Vor- und Nachspanns. Eine Serialisierung von Erzählkunst in Zeitungsform bedeutet aber auch neben Gelderwerb ein Schreiben ad hoc. Viele Romane sind auf diese Art und Weise nie fertiggeworden, das materielle Interesse mag dabei eher ausschlaggebend gewesen sein als das künstlerische.

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Von der Tradition zur Moderne. Die Literatur der Jahrhundertwende

Das Fragmentarische und Unfertige ist daher ein besonderes Kennzeichen des Romans der Jahrhundertwende, dieser ist damit Ausdruck einer Zeit, die das Ende des Alten nahen sah, ohne die Ankunft des Neuen voll einschätzen zu können. Das Bruchstück ist somit interessanter als das Ganze. Nehmen wir vor aller weiteren Diskussion den vielleicht bekanntesten und beliebtesten Roman der Jahrhundertwende als repräsentatives Beispiel. Liu E (1857–1909) hat sein Werk Die Reisen des Lao Can (Lao Can youji, 1903–1907) nie vollendet. Wer von diesem Roman spricht, spricht eigentlich immer nur von dem Vorwort bzw. von der Eingangsszene. Beides, so großartig es sein mag, kann jedoch nicht als repräsentativ für das gesamte Werk gelten. Die Dinge, die hier meisterhaft formuliert werden, haben den traditionellen Rest eher verdeckt als erhellt. Die Möglichkeit einer Reduktion des Romans auf die beiden »Urszenen« hat etwas mit dem chinesischen Geist der Moderne zu tun, dem Geist der Krise, des Fragmentarischen und der Weinerlichkeit, dessen Nachwirkung bis heute anhält. Da Moderne und Krise auch im Abendland eines zu sein pflegen, dürfte der Aspekt des Bruchstückhaften weniger die westliche Rezeption des chinesischen Romans der Jahrhundertwende gefährden, als dies die Tendenz zur Wehleidigkeit18 nicht nur im vorliegenden Fall zu tun pflegt. Als Versuch zu Autonomie und Subjektivität fordert die Moderne ihrem Selbstverständnis nach geradezu die aktive Auseinandersetzung mit der Krise und verbietet das Selbstmitleid. Liu E hat mit den folgenden historischen Bemerkungen in seinem Vorwort gleichsam Schule gemacht. Schreiend kommt ein Kind auf die Welt, und wehklagend versammeln sich die Angehörigen um das Bett des Greises, wenn dessen Ende naht. So begleiten Tränen den Anfang und den Ausklang eines jeden Menschenlebens. In der Zeitspanne, die dazwischenliegt, gibt das Maß an vergossenen Tränen Aufschluß über das Wesen eines Menschen, denn im Weinen äußert sich seine Seele. Nicht die Wechselfälle der weltlichen Existenz, sondern der Wert seiner Seele bestimmen [sic!] die Tränen, die er weint. [...] Das Schachspiel meines Lebens neigt sich dem Ende zu, ich werde alt. Wie könnte ich da meine Tränen zurückhalten? Doch weiß ich, daß überall im Lande »tausend Grazien und zehntausend Schönheiten« mein Leid mit mir teilen werden.19

Der Verfasser weint nicht allein, er weint kollektiv mit seinesgleichen. Grund seiner Tränen ist kein individuell erfahrenes Leid, sondern der Zustand der chinesischen Welt in Geschichte und Gegenwart. Schon immer hat es die großen Weinenden gegeben, der Verfasser setzt nur fort, was vor mehr als zweitausend Jahren begann, er reiht sich also in eine Kette ein, deren Kennzeichen eher Permanenz als Differenz ist. Und doch ist im Werk des Liu E ein gänzlich neuer Aspekt zu konstatieren, es ist dies 18 19

Vgl. hierzu die exzellenten Ausführungen bei WANG: Fin-de-Siècle Splendor, S. 36–42. LIU E: Die Reisen des Lao Can, aus dem Chinesischen übertragen von HANS KÜHNER, mit einem Nachwort versehen von HELMUT MARTIN, Frankfurt: Insel 1989, S. 11, 13; Lao Can youji, Peking: Renmin Wenxue 1979, S. 1f.

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DIE CHINESISCHE LITERATUR AM VORABEND DER MODERNE

der Gesichtspunkt der Krise, der am Beispiel einer sinkenden Dschunke veranschaulicht wird. Was der Erzähler in diesem Zusammenhang schildert, läßt sich sehr wohl als Gleichnis für das untergehende kaiserliche China, für das Chaos der Gesellschaft und die Konfusion der Bürger im Angesicht der Katastrophe verstehen. Es ist bezeichnend für den Geist der Zeit, daß der Protagonist einen sprechenden Namen führt und einen dazu passenden Beruf ausübt. Lao Can ist eigentlich derjenige, der von »Resten« (can) lebt, es sich aber zur Aufgabe gemacht hat, all das »zu ergänzen« (bu), was einen Mangel hat (can), also Ordnung zu schaffen. Daher ist er als Arzt auf Wanderschaft und hat als erstes die Krankheit eines Mannes zu heilen, der nichts Geringeres als den Gelben Strom, also China verkörpert. Während sich hier die Genesung noch den Methoden der Vorfahren verdankt, soll die Rettung der Dschunke dem Einsatz westlicher Technologie überantwortet werden. Ausgangspunkt ist in diesem Fall eine Bergtour, die Lao Can mit Freunden unternimmt, um den Sonnenaufgang zu genießen. Was sich dem Auge jedoch bietet, ist neben einem Kampf der Wolken die Havarie eines chinesischen Passagierschiffes, kaum daß ein westlicher Dampfer dieses passiert hat. Während der Beobachtung, Diskussion und schließlichen Aktion der Freunde gerät dieses Schiff20 zum Zeichen für den Zustand des chinesischen Staates, der von Engstirnigkeit, Orientierungslosigkeit, Verantwortungslosigkeit geprägt ist, so daß die Bürger bzw. Passagiere eher von innen als von außen her gefährdet sind. Neben moralischer Unzulänglichkeit auf Seiten von Regierung und Verwaltung sind Unerfahrenheit im Umgang mit einer veränderten Situation und das Vertrauen auf alte chinesische statt auf neue westliche Methoden die Hauptprobleme. Der Rettungsversuch der Freunde ist notwendigerweise zum Scheitern verurteilt. Statt Navigationsinstrumente wie Kompaß oder Sextant zu akzeptieren, verlangt nicht nur die Menge vom Kapitän die Ergreifung und Tötung der Freunde. Interessiert erkundigten sich die Steuerleute, wozu diese Geräte gut seien und wie man sie bedienen müsse. Doch plötzlich erhob sich, während sie noch diese oder jene Frage erörterten, ein großes Geschrei, und Rufe ertönten: »Kapitän, Kapitän, laßt Euch von den Leuten nicht täuschen! Das ist ein ausländischer Kompaß! Ganz gewiß haben sie ihn von den fremden Teufeln bekommen! Vielleicht sind sie sogar Katholiken, die unser Schiff schon an die Ausländer verschachert haben, darum besitzen sie auch einen ausländischen Kompaß. Laßt sie schnell festnehmen, Kapitän, und hinrichten, damit sie kein Unheil anrichten können. Redet nicht mehr mit ihnen, weist die ausländischen Sachen von Euch! Verkauft Eure Seele nicht den fremden Teufeln, sonst reißen sie noch unser ganzes Schiff an sich!« Nun stimmten alle an Bord in diesen Chor ein, und sogar der heldenmütige Redner rief von seinem sicheren Platz aus: »Verräter sind sie, die unser Schiff verkaufen wollen! Tötet sie, schnell, schlagt sie tot!«21 20

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Zur Rolle des Schiffbruchs in der Moderne s. HANS BLUMENBERG: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt: Suhrkamp 1979 (= stw; 289). LIU E: Die Reisen des Lao Can, S. 26; Lao Can youji, S. 8.

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Von der Tradition zur Moderne. Die Literatur der Jahrhundertwende

Unabhängig davon, daß sich der Schiffbruch recht konkret auf die damalige politische Situation übertragen ließe, ist die Aktualität dieser Zeilen frappierend. Die seinerzeitige Auseinandersetzung über die Situation und Zukunft Chinas unterscheidet sich nicht wesentlich von der heutigen: mal ist der Westen Schoßkind, mal ist er Prügelknabe. Dies Leitmotiv des 20. Jahrhunderts wird von zwei weiteren Leitmotiven eingerahmt, dem der Krankheit und dem der Menge. China galt damals als »der kranke Mann Ostasiens«, und die Selbstbezeichnung als »ostasiatischer Patient« war gang und gäbe. So nennt sich einer der beiden Verfasser des Romans Blumen im Meer der Sünde (1903ff) Dongya Bingfu (»Ostasiens Kranker«).22 Die Vorstellung vom Schriftsteller als Arzt, die sich besonders mit dem 4. Mai von 1919 durchzusetzen begann, scheint daher ganz zwangsläufig die Folge zu sein. Was Liu E überdies erkennt, aber noch nicht zu problematisieren und damit zur Theorie zu erheben versteht, ist die Rolle der Masse. Diese ist – so legen es die literarischen Zeugnisse nahe – allem Neuen abgeneigt und macht selbst dann gemeinsame Sache mit ihren Peinigern, wenn es um die eigenen Belange geht. Lu Xun wird nach der Revolution von 1911 dem Massenmenschen besondere Aufmerksamkeit widmen und Thesen von dessen Sklavencharakter vertreten, die sich ebenfalls der Literatur der Jahrhundertwende verdanken23, gleichwohl bis heute an Gültigkeit nichts eingebüßt haben. Die Reisen des Lao Can gehören zum Genre des Enthüllungsromans (qianze xiaoshuo) und geben damit ein politisches Engagement zu erkennen. Der bedeutende Reformer Liang Qichao (1873–1929) hatte in seinem japanischen Exil 1898 unter dem Eindruck des viktorianischen Romans und des japanischen Politromans die Bedeutung von Erzählkunst zu Zwecken politischer Einflußnahme erkannt. Er forderte daher 1902 eine »Revolution der Welt des Romans« (xiaoshuojie geming) und folgte damit uralten konfuzianischen Nützlichkeitsvorstellungen, denen die Literatur, vor allem die Dichtkunst, traditionell unterworfen gewesen war.24 Er schreibt in dem Aufsatz »Über die Beziehungen zwischen Roman und Gesellschaft«: Will man das Volk eines Reiches erneuern, so kann man nicht anders, als den Roman des Reiches zu erneuern. Will man also eine neue Moral schaffen, so muß man einen 22

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ZENG PU: Blumen im Meer der Sünde, aus dem Chinesischen von THOMAS ZIMMER, Bonn, München: Iudicium 2001. Zum Roman s. u.a. BLANKA HINZ: Der Roman »Eine Blume im Sündenmeer« (»Niehai hua«) und sein Platz in der chinesischen Literatur, Bochum: Brockmeyer 1995 (= Chinathemen; 86). So spricht der Roman Blumen im Meer der Sünde gleich zu Beginn von China als »Sklavenland«, in welchem »Sklavenglück« genossen wird. Zu Liang Qichaos Einschätzung des Romans als Mittel politischer Veränderung ist bereits vieles geschrieben worden. Siehe u.a. HELMUT MARTIN: »A Transitional Concept of Chinese Literature. Liang Ch'i-ch'ao on Poetry Reform, Historical Drama and Political Novel«, in: Oriens Extremus 20 (1973), S. 175–217; CHING-MAO CHENG: »The Impact of Japanese Literary Trends on Modern Chinese Writers«, in: MERLE GOLDMAN (Hg.): Modern Chinese Literature in the May Fourth Era, Cambridge, Mass. u.a.: Harvard UP 1977, S. 63–88.

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DIE CHINESISCHE LITERATUR AM VORABEND DER MODERNE neuen Roman schaffen. Will man die Religion erneuern, so muß man den Roman erneuern. Will man die Politik neu gestalten, so muß man den Roman neu gestalten. Will man die Sitten neu formen, so muß der Roman neu geformt werden. Will man Kunst und Wissenschaft erneuern, so muß man den Roman erneuern. Ja sogar zur Neugestaltung der Gesinnung und des Charakters des einzelnen ist zuerst die 25 Erneuerung des Romans erforderlich.

Dennoch nimmt Liang Qichao mehr als nur einen Paradigmawechsel vor, denn er zielt, wenn auch in ähnlichem Gewand, auf eine Veränderung in größerem als dem traditionellen Maßstab. Der Roman sollte nämlich zum Träger einer neuen Ideologie aus politischem Bewußtsein und nationaler Gesinnung werden, so daß nicht nur die Herausbildung einer Nationalliteratur möglich würde, sondern ein motivierter Leser auch in die Lage versetzt sein würde, seinen Beitrag zu Chinas neuer Rolle als Nation unter Nationen zu leisten. In dem Maße, in welchem Liang Qichao die progressive Rolle der Erzählkunst erkennt, erkennt er jedoch auch deren Gefahr. Nicht nur aller Fortschritt, sondern auch aller Rückschritt rühre von der Wirkungskraft der Erzählkunst her. Der Roman Blumen im Meer der Sünde von Zeng Pu (1872–1935) reflektiert gleichsam diesen Doppelcharakter. Mag er sich hier und da auch noch so revolutionär äußern, mit seiner Geschichte einer Kurtisane, einer »Blume« (hua, homonym für Hua, »China«), verbleibt er im Bereich des erotisch-sentimentalen Romans, der sich nach dem Wandel der anfänglich hochgestimmten Erwartungshaltung beim Publikum großer Beliebtheit erfreute. Um den Janus-Charakter des Romans der Jahrhundertwende verstehen zu lernen, reicht ein Vergleich von Anspruch und Wirklichkeit. Zeng Pu schreibt zum Beispiel in seiner Nachbetrachtung des Romans (1928), daß es ihm darum gegangen sei, Chinas Veränderungen über dreißig Jahre hinweg (1870–1900) am Beispiel der Heldin Sai Jinhua einzufangen. Alle Phänomene aus den Bereichen von Politik und Kultur habe er »mit der Kamera seines Pinsels ablichten wollen«. Die Dinge sollten sich dementsprechend Szene für Szene entfalten können und zu einem »Gesamtpanorama großer Ereignisse« beitragen.26 Der Roman ist jedoch nie vollendet, statt dessen immer weitergeschrieben worden. Das Material entglitt gleichsam dem Verfasser aus seinen Händen und verselbständigte sich in einem Maße, daß man als westlicher Leser nur hätte wünschen mögen, der Autor hätte sich eine ebensolche Disziplin auferlegt wie seine abendländischen Zeitgenossen, die ebenfalls an umfangreichen Werken arbeiteten, diese aber streng zu gestalten wußten. Man denke zum Beispiel nur an Marcel Prousts (1871–1922) Auf der Suche nach der Verlorenen Zeit. Was heute von Blumen im Meer der Sünde bleibt, ganz gleich ob auf Seiten der Leserschaft oder der Forschung, ist oftmals nicht mehr als die Frage nach dem möglichen Verhältnis von Sai Jinhua (1874–1936) mit Alfred 25

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Zitiert nach A YING: Geschichte des chinesischen Romans zum Ende der Qing-Zeit, aus dem Chinesischen übertragen und mit Anmerkungen versehen von ALFRED HOFFMANN, Bochum: Richard Wilhelm-Übersetzungszentrum. Arcus Texte 5 (1997), S. 4. WEI SHAOCHANG (Hg.): Niehaihua ziliao, Schanghai: Shanghai Guji 1982, S. 129–131.

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Von der Tradition zur Moderne. Die Literatur der Jahrhundertwende

Graf von Waldersee (1832–1904), der 1900 in Peking als General zur Niederwerfung des Boxeraufstandes eingesetzt war.27 Ansonsten folgen die Amouren der Kurtisane zu sehr dem Gesetz traditioneller chinesischer Erzählkunst, das eine Verhältnis löst das andere ab, ohne daß damit »China« verständlicher würde. Der Roman der Jahrhundertwende ist trotz aller möglichen Vorbehalte viel zu komplex, um ihn schematisch als gelungen oder mißlungen einzustufen. Man muß sehen, daß sein Ursprung, der in der Presse zu suchen ist, bereits von Anfang an fremdbestimmt gewesen ist. Letzten Endes bestimmte das Zeitungswesen sein Geschick, indem es von ihm ernste oder unterhaltsame Literatur verlangte. Es ist daher kein Zufall, wenn einzelne Zeitschriften und Erzähler in der Phase seines Niedergangs (1905–1915) das Lager wechseln und eine Literatur aus Sex and Crime favorisieren. Die 1915 von Liang Qichao bekundete Enttäuschung über die unmoralische Entwicklung der Erzählkunst ist geradezu absehbar. Vereinfacht läßt sich die weitere Zukunft des Romans der Jahrhundertwende wie folgt einschätzen. Dieser geht in zwei unterschiedlichen Richtungen auf. Auf der einen Seite ist die allmählich aufkommende Trivialliteratur28, deren wichtigster Vertreter Zhang Henshui (1895– 1967)29 ist, sein natürlichster Nachfolger, auf der anderen Seite mündet sein kritisches und progressives Potential in die Genese der modernen chinesischen Kurzgeschichte (duanpian xiaoshuo) zwischen 1912 und 1918 ein. Es tut an dieser Stelle nicht not, auf ersteren Aspekt hier näher einzugehen, zumal die Sekundärliteratur in diesem Fall vorzügliche Arbeit geleistet hat, letzterer Aspekt sollte jedoch um einer Überleitung willen nochmals angesprochen werden. Trotz aller offenkundigen Mängel30 hat der Roman der Jahrhundertwende dennoch entscheidende Weichen für die Herausbildung einer modernen Literatur in China gestellt. Sieht man einmal von den sprachlichen Aspekten ab, so ist dies die Thematik von Krise und Desillusion, von Reform und Revolution, weiterhin ist es die mitunter anzutreffende Konzentrierung auf eine einzige Person als Protagonisten. Was noch fehlt, sind die Reduktion des Stoffes und die Konzentration auf wenige, aber entscheidende Erzählmomente. Diese finden sich erst in dem Augenblick, als die Kurzgeschichte am Vorabend des 4. Mai von 1919 nach China gebracht wird. Es ist die Beherrschung und minutiöse Gestaltung des Stoffes, die auch zu einem neuen Bild des Menschen und des Autors führen.

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Vgl. hierzu u.a. STEPHAN VON MINDEN: Die merkwürdige Geschichte der Sai Jinhua. Historisch-philologische Untersuchung einer Legende aus der Zeit des Boxeraufstands, Stuttgart: Steiner 1994 (= Münchener Ostasiatische Studien; 70). Zur Einführung s. PERRY LINK: Mandarin Ducks and Butterflies. Popular Fiction in Early Twentieth-Century Chinese Cities, Berkeley u.a.: University of California Press 1981. Zur Einführung s. HSIAO-WEI WANG RUPPRECHT: Departure and Return. Chang Hen-shui and the Chinese Narrative Tradition, Hongkong: Joint Publishing 1987. WANG: Fin-de-siècle Splendor, S. 28, 41, 43, spricht diese unverhohlen an.

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Teil II

Die Literatur der Republikzeit (1912–1949)

1. Die Grundlegung einer modernen Literatur in China (1915–1927) Es gehört zu den Widersprüchlichkeiten einer jeden Entwicklung von Literatur, daß programmatische Zuschreibungen oft nur Tendenzen, nicht aber die volle Wirklichkeit festhalten können. Zuschreibungen pflegen Bilder festzulegen, welche die Realität zu ersetzen beginnen. So ist man es zum Beispiel gewohnt, von Lu Xuns »Tagebuch eines Verrückten« (»Kuangren riji«, 1918) als der ersten modernen Kurzgeschichte in China zu sprechen. Neben der kompakten Form ist wesentliches Kriterium die Verwendung der baihua. Es ist jedoch eine Tatsache, daß Lu Xun bereits 1911 mit einer Erzählung brillierte, die noch ganz der Schriftsprache verpflichtet ist, aber so moderne Züge zu erkennen gibt, daß sich, von der Sprachform einmal abgesehen, ebenfalls von einer modernen Kurzgeschichte reden ließe.31 Ähnliches gilt insbesondere für Su Manshu (1884–1918), der mit einer Handvoll gelungener Geschichten die schriftsprachliche Erzählkunst zu einem Abschluß bringt und zu einer modernen Erzählstrategie überleitet. In seiner Novelle Die Geschichte vom einsamen Schwan (Duan hongyan ji, 1912)32 geht es nicht mehr um den traditionellen Konflikt eines Protagonisten mit seiner Umgebung, sondern um eine Spannung in dem erzählenden Ich selbst. Diese hat hier wie in allen anderen Erzählungen des Su Manshu auch etwas mit dem Phänomen der Liebeskrankheit zu tun.33 Die Welt des Erzählers besteht vornehmlich aus Frauen: Frauen sind die Erzieher und die Partner von Geist, Seele und Sinnen. Der Held Kawaga Saburō (Hehe Sanlang), ein sinisierter Japaner, ist auf der Suche nach seiner japanischen Mutter. Er geht von China nach Yokohama und wird in der Umgebung von Kamakura fündig. Er läßt Schneeblume (Xuemei) hinter sich, der er als Kind versprochen worden ist, und fühlt sich am neuen Ort zu seiner Cousine Shizuko (Jingzi) hingezogen. Er hat jedoch als Mönch längst ein Gelübde abgelegt. Nicht erst jetzt ist sein Konflikt doppelter Natur. Da der Vater von Xuemei das Verlöbnis aufkündigt, fühlt Saburō sich gezwungen, seine Braut für eine neue Verbindung freizugeben. Daher die Entscheidung fürs Mönchtum, die von Xuemei jedoch nicht mitgetragen wird. Diese bleibt ihm weiter nahe und grämt sich zu guter Letzt zu Tode. Der Held verschuldet den Tod eines lieben Menschen, dessen 27 28 29 30

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LU XUN: »Eine Kindheit in China« (»Huaijiu«, 1911), in: LU XUN: Die Methode, wilde Tiere abzurichten. Erzählungen, Essays, Gedichte, Auswahl, Übertragung, Einführung von WOLFGANG KUBIN, Berlin: Oberbaum 1980, S. 9–21, 68–80. Aus dem Chinesischen übertragen von ANNA VON ROTTAUSCHER: Der wunde Schwan. Die Aufzeichnungen des Mönches Man Ju, Wien: Amandus 1947. Zur Interpretation s. LIU WU-CHI: Su Man-shu, New York: Twayne 1972 (= TWAS; 191), S. 83–96; LEO OU-FAN LEE: The Romantic Generation of Modern Chinese Writers, Cambridge, Mass.: Harvard UP 1973, S. 65–68. Vgl. hierzu meinen Beitrag: »Liebe auf Distanz: Su Manshus (1884–1918) ›Aufzeichnung einer zerbrochenen Haarnadel‹« (»Sui zan ji«, 1916), in: KUBIN: Die Jagd nach dem Tiger, S. 53–84.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949)

Grab er später noch nicht einmal mehr finden wird. Andererseits erwartet die Mutter in Japan von ihrem Sohn ein pietätvolles Verhalten und damit Nachkommenschaft. Ihr Sohn ist nun hin- und hergerissen zwischen Sinnlichkeit und Askese, Pflicht und Neigung. Er möchte es allen Seiten gleicherweise recht machen, was jedoch unmöglich ist. Damit lädt der Protagonist aber weitere Schuld auf sich. Im Anblick des selbstverschuldeten Leidens und der aussichtslosen Situation tritt er die Flucht in Krankheit und Todessehnsucht an. Melancholie ist jetzt erst recht sein seelischer Dauerzustand, der sich in Form von fortwährendem Weinen Bahn schafft. Leitmotiv der Novelle ist der Vorrang des Gefühls (qing). Der Erzähler führt damit eine Tradition fort, die gegen Ende der Ming-Zeit (1368–1644) einsetzt, nämlich nicht mehr, wie vom Neokonfuzianismus erwartet, das Gefühl der Vernunft (li) unterzuordnen und von ihr kontrollieren zu lassen. Su Manshu geht jedoch noch einen Schritt weiter, er propagiert nicht etwa die Gleichwertigkeit von Gefühl und Vernunft, er betont vielmehr die Einzigartigkeit des Gefühls. Damit öffnet er dem Sentimentalismus, den Tränen und dem Herzeleid Tor und Tür. Das Bemühen, den »Netzen der Liebe« (qingwang) zu entkommen und den »Paß der Liebe« (qingguan) zu überschreiten, um zur buddhistischen Erleuchtung (wu) zu gelangen, kann zwar als Rationalisierungsversuch angesehen werden, doch der Held ist trotz aller Fluchtmaßnahmen unfähig, sich von seiner selbstverschuldeten Traurigkeit zu befreien. Er schwelgt gleichsam in ihr, als ob sie sein Lebenszustand wäre. Wesentlicher Grund hierfür dürfte die Tatsache sein, daß im Werk des Su Manshu deutlich zwischen geistiger und sinnlicher Liebe unterschieden wird: Nur in vergeistigter Form könne sich Liebe vollenden. Ein Festhalten an der Liebe zwischen Mann und Frau, und sei sie auch platonisch, ermöglicht jedoch jederzeit den Rückfall in Sinnlichkeit und damit in Begierde und Leid. Der Erzähler bringt dies in seiner Aufzeichnung vom einsamen Schwan ganz eindeutig zum Ausdruck: »Jetzt wurde mir klar, wie wahr es ist, daß kein Wesen auf Erden, das durch Verlangen [ai] geboren wurde, frei bleiben kann von Schwierigkeiten.«34

1.1 Die Bewegung vom 4. Mai (1915–1925) Su Manshu ist der letzte große Meister der chinesischen Schriftsprache, und gleichzeitig ist er der erste, der das Morbide, statt es wegzudiskutieren, in sein Schreiben unbeschönigt miteinbezieht. Ihm gelingt es, den neuen Stoff exemplarisch auf eine einzige Person zu konzentrieren und beispielhaft zu veranschaulichen. Wie viele andere Zeitgenossen auch bereitet er damit den Grund für den ambivalenten Geist der Moderne in China vor, der wie im Westen zwar einerseits von Präzision und Rationalität, andererseits aber auch von Handlungshemmung, Zwiespalt, Unrast, Melancholie und Selbstverlust geprägt ist. Dies ist jedoch nur die eine Seite des Su 34

ROTTAUSCHER: Der wunde Schwan, S. 35; Su Manshu xiaoshuo shige ji, Peking: Xinhua 1982, S. 13.

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Die Grundlegung einer modernen Literatur in China (1915–1927)

Manshu. In seinem Leben und in seinen Übersetzungen vor allem von Lord Byron (1788–1824) verkörpert er auch den revolutionären und anarchistischen Zeitgeist, der China aus den despotischen Fängen der Mandschus zu befreien versuchte. Liebe und Revolution, die in Leben und Werk des Su Manshu noch getrennt sind, werden sehr bald in der chinesischen Literatur zusammengeführt werden. Zu diesem Zweck muß jedoch ein Aspekt in den Vordergrund drängen, der dem spezifischen Charakter von Gefühl und Rebellion Rechnung trägt, nämlich der Aspekt der Freiheit des einzelnen bzw. der Befreiung der Gesellschaft. Hiermit bahnt sich ein Paradigmawechsel an, den ich gegen die landläufige These eines kontinuierlichen Übergangs von der Tradition zur Moderne als einen tiefgehenden Bruch interpretieren möchte. Nur der Bruch mit der Vergangenheit kann die Ambivalenz der Erneuerungsbewegung vom 4. Mai 1919 hinlänglich verständlich machen, und dieser Bruch muß bewußt durchgeführt sein. Er kleidet sich daher nicht etwa zufällig, sondern ganz zielstrebig in das Modewort der Jahrhundertwende, das da lautet po (zerschlagen) bzw. pohuai (zerstören), ein Wort, dessen problematische Konsequenzen bis heute noch nicht ganz überschaubar geworden sind.35 Objekt der Zerstörung sollte alles Überkommene, alles Chinesische sein. Am bekanntesten ist in diesem Zusammenhang das von Hu Shi 1921 geprägte Schlagwort »Nieder mit dem Konfuziusladen« (dadao Kongjiadian) geworden.36 Als Literat weiß Su Manshu noch nicht, daß auch er mit seinem Werk inhaltlich einen Abschied vom traditionellen China einzuleiten beginnt. Nur darum kann er noch eine überkommene Sprachform wählen. Er stößt mit ihr insofern auf Grenzen, als es ihm nicht mehr gelingt, die aufbrechende Gefühlswelt auf herkömmliche Art zu bändigen. Der Übergang von der Schriftsprache zur verschrifteten Umgangssprache kann daher auch als der Übergang von einem minutiösen Regelwerk zu einer Befreiung von diesem Regelwerk und somit zu einer freieren Sprache interpretiert werden. Unter dem 4. Mai 1919 möchte ich mehr als nur die damaligen politischen Ereignisse verstanden wissen, als die chinesische Jugend gegen das Vorhaben der Versailler Konferenz aufbegehrte, Japan die ehemalige deutsche Kolonie Tsingtau (Qingdao) zuzuschlagen. Die damalige auch soziale und kulturelle Umbruchsphase sollte zeitlich nicht allzu eng, sondern vielmehr in die Eckdaten von 1915 und 1925 eingekleidet werden. Im September 1915 benennt Chen Duxiu (1879–1942) seine Zeitschrift Qingnian Zazhi (Zeitschrift der Jugend) ab der zweiten Nummer in Xin Qingnian (Neue Jugend) mit dem Untertitel »La Jeunesse« um.37 Zwar gewinnt 35

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37

Zu dieser vielleicht von Liang Qichao erstmals aufgebrachten Vorstellung habe ich in den letzten Jahren bereits mehrfach kritisch Stellung bezogen, s. hierzu vor allem die einschlägigen Beiträge der von mir mitherausgegebenen Zeitschrift minima sinica. CHOW TSE-TSUNG: The May Fourth Movement. Intellectual Revolution in Modern China, Stanford: Stanford UP 1967, S. 307. Zu einer Übersicht über diese wichtige Zeitschrift s. die detaillierte Zusammenstellung bei FUJITA MASASUKE u.a. (Hg.): Shin seinen betsukan, Tokio: Kyuko Sho-in 1977.

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diese Zeitschrift, die 1926 eingestellt wird, erst mit der Verlegung von Schanghai nach Peking im Jahre 1917 ihre eigentliche, aufrührerische Bedeutung, doch findet sich bereits in der ersten Ausgabe der wichtige »Aufruf« des Herausgebers »an die Jugend« (»Jinggao qingnian«). »Menschenrecht, Gleichheit, Freiheit« lautet die hier erhobene Forderung.38 Der Vorfall vom 30. Mai 1925 in Schanghai, als die Polizei des International Settlement das Feuer auf Demonstranten eröffnete und damit Massenproteste in ganz China auslöste, markiert das vorläufige Ende der ursprünglich eher auf gewaltfreie Reform als auf bewaffnete Revolution angelegten Bewegung vom 4. Mai. Wiewohl der amerikanische Sinologe chinesischer Herkunft Chow Tse-tsung bereits 1960 mit seinem bis heute unerreichten Standardwerk zum 4. Mai auf den ikonoklastischen Charakter der damaligen Jugendbewegung hingewiesen hat, ist der westliche Einfluß auf die Herausbildung des modernen China von der Sinologie im Laufe der Jahrzehnte immer weiter heruntergespielt worden.39 Dahinter steckt nicht nur ein Bemühen um politische Korrektheit, sondern auch und vielleicht sogar mehr noch die Angst vor den Thesen der damaligen radikalen Denker, Thesen, die bis heute an Aktualität nichts eingebüßt haben. Daß diese Thesen kaum in ein Nachdenken über das traditionelle und moderne China miteinbezogen werden, liegt in der Natur einer Sinologie, die sich und ihre Forschung nicht in Frage gestellt sehen möchte. Es ist jedoch vollkommen ausgeschlossen, die damalige und die heutige Zeit ohne hinreichende Kenntnis der seinerzeit vorgelegten Schriften zu verstehen. Obwohl eine systematische Auseinandersetzung mit der Zeitschrift Neue Jugend noch aussteht, läßt sich doch soviel mit Sicherheit sagen, daß auch im literarischen Bereich eine Tabula rasa geschaffen werden sollte, die eine bewußte Transformation der chinesischen Literatur einzig auf der Basis der westlichen Literatur vorsah. Hier spielen auch politische Gründe mit hinein. Chen Duxiu hat diese unzweideutig in seiner darwinistisch angehauchten Adresse an die Jugend benannt: Es geht um das Überleben von China. Das Schlagwort Survival of the fittest hatte zu einer Doppelstrategie geführt. Man wollte China retten (jiuguo) und mußte zu diesem Zweck die Menschen, vor allem die Jugend, erwecken. Hiermit verfolgte man zwar formal einen traditionellen Weg, indem man der neuen Jugend den Auftrag zur »Selbstdisziplinierung« (xiushen) und zur »Regelung des Staatswesens« (zhiguo) gab40, doch als Werkzeuge dieser Doppelstrategie waren Wissenschaft, Demokratie und Liberalismus konzi38

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Ursprünglich in: Xin Qingnian, Bd. 1, S. 9–18; nachgedruckt in: Chen Duxiu zhuzuo xuan, Schanghai: Shanghai Renmin 1993, Bd. 1, S. 129–135. Zu einer Übersetzung ins Deutsche s. CHEN DUXIU: »Mahnung an die Jugend«, aus dem Chinesischen von BURKHARD CAPITAIN, in: minima sinica 1/2004, S. 101–113. Vgl. hierzu MILENA DOLEŽELOVÁ-VELINGEROVÁ u. OLDŘICH KRÁL (Hg.): The Appropriation of Cultural Capital. China’s May Fourth Project, Cambridge, Mass., London: Harvard University Press 2001. LIN YÜ-SHENG: The Crisis of Chinese Consciousness. Radical Antitraditionalism in the May Fourth Movement, London: University of Wisconsin Press 1979, S. 65.

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piert. Folgenschwer waren bei diesem Unterfangen die strikte Trennung von Alt und Neu und die simplifizierenden Zuschreibungen. Für Chen Duxiu war das Alte das Verkommene und damit der Feind, den man beseitigen mußte.41 Der Ikonoklasmus gewinnt hier eine »totalitäre« Radikalität, die für das gesamte 20. Jahrhundert in China beibehalten werden sollte und keine Entsprechung in einer anderen Kultur kennt.42 An die Stelle des Alten hatte folgerichtig etwas Neues zu treten, dieses Neue war der Westen. Da nun alle kommende, verbindliche Identität aus diesem Neuen geschöpft werden sollte, gewinnt der Terminus »neu« eine ungeahnte Bedeutung und findet eine fast schon inflationär häufige Erwähnung in den Schriften der damaligen Zeit. Nur wenige Schriftsteller waren in der Lage, die Problematik dieses mit Inbrunst herbeigesehnten, jeglicher Grundlage entbehrenden Neuen zu erkennen und distanziert wahrzunehmen. Aus dieser Konfrontation von Alt und Neu hat sich die bis heute ungelöste »chinesische Frage« ergeben, die etwas mit der oben angesprochenen Identitätsproblematik zu tun hat. Wer die Tradition verwirft, hat keinen Ursprung mehr, und wer den Westen sich nicht so zu eigen machen kann, daß er das Ziel einer Gleichheit mit dem Abendland zu erreichen in der Lage ist, hat auch keine Zukunft. Unvermeidlicherweise läuft unter diesen Voraussetzungen die »chinesische Frage« auf das Verhältnis von Tradition und Moderne, Ost und West sowie auf das Problem einer tatsächlichen Vergleichbarkeit zwischen China und dem Abendland hinaus.43 Der unbedingte Wunsch, das feudalistische und imperialistische Joch der Vergangenheit mit Hilfe der Mittel und Waffen des Westens abzuschütteln, um mit den fremden Mächten gleichziehen zu können, verengt notgedrungen den Blick auf »die Rettung des Vaterlandes« (jiuguo) und überläßt mit der Zeit dem Staat die Umwertung alter Normen und die Prägung neuer Werte. Der Staat bzw. eine auf die Staatsbildung hinzielende politische Gruppierung wird zum alleinigen Ideengeber, die Basis ist mehr oder minder ein Voluntarismus, welcher einer Priorität des Geistes und der Gedanken das Wort redet. Alle Veränderung sei nur eine Sache des Willens und der Ambition. Dies ist ein Grund dafür, daß die Hochstimmung des 4. Mai und später der Enthusiasmus nach 1949 so schnell in Niedergeschlagenheit umkippen konnten. Das Neue läßt sich weder herbeiphantasieren noch herbeiwünschen. Die Ambivalenz, die hier zutage tritt, ist jedoch nicht spezifisch chinesischer Natur. Die Moderne ist grundsätzlich ambivalent44, sie verspricht Freiheit und Fortschritt, schafft aber gleichzeitig im Rahmen ihres Rationalisierungsprozesses »stahlharte Gehäuse« (Max Weber). Nicht nur vor dem konkreten chinesischen Hintergrund, sondern auch auf der Basis neuzeitlicher Entwicklungstendenzen gehören Moderne 41 42 43

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CHOW: The May Fourth Movement, S. 45–46. LIN: The Crisis of Chinese Consciousness, S. 3–9. Vgl. hierzu LIU XIAOFENG: Xiandaixing shehui lilun xulun, Schanghai: Sanlian 1998, S. 28, 38, 161–165, 194–197. Vgl. hierzu ZYGMUNT BAUMAN: Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit, aus dem Englischen von MARTIN SUHR, Frankfurt: Fischer 1996.

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und Melancholie auf das engste zusammen.45 Realismus und Romantik stellen daher zur Zeit des 4. Mai keine zufälligen Entwicklungstendenzen der neuen chinesischen Literatur dar, vielmehr sind Wirklichkeitsbewußtsein und Empfindsamkeit zwei Seiten ein und derselben Münze. Wer aufklärt, klärt sich und andere über einen IstZustand auf, an dessen Stelle ein anderer Zustand zu treten hat. Tritt dieser Zustand jedoch nicht ein oder bedeutet der neue Zustand noch mehr Knechtschaft als der alte, dann werden die Bilder vom Alten und vom Neuen hinfällig, dann setzt Handlungshemmung ein und in ihrer Folge Melancholie. Damit stimmt dann aber auch die Voraussetzung für eine Moderne nicht mehr, welche den einzelnen als Akteur und Hoffnungsträger dringend benötigt. Nur der Tatkräftige kann Änderung bewirken, nicht der an sich und seiner Welt Verzweifelnde. Chinesische Literatur wird bis 1949 zwischen diesen beiden Extremen hin- und herschwanken, der Paradigmawechsel, der 1949 offiziell und durchgreifend vorgenommen wird, deutet sich jedoch schon Jahre zuvor an, sei es, daß die Intelligenz das moderne Ich freiwillig von sich weist, sei es, daß die Kommunistische Partei Chinas eine neue, eine optimistische Marschrichtung vorgibt. Die Umwertung aller Werte ist ein wesentlicher Charakterzug der Moderne. Dies trifft auch für China zu, jedenfalls was den Anspruch, das Bild von sich selbst und was bestimmte Phasen im Laufe des 20. Jahrhunderts angeht. Wer umwertet, zerstört die überkommene Ordnung. Etwas hat zurückzutreten, etwas schiebt sich in den Vordergrund. Trotz seines latenten Einflusses hatte der Westen bis 1911 nicht offiziell festen Fuß in der chinesischen Gesellschaft fassen können. Spätestens mit dem 4. Mai sollte sich dies jedoch ändern. Auf die Zerstörung des Alten sollte nämlich eine Neugründung auf der Grundlage des Westens erfolgen, so die latente Forderung von Zhou Zuoren (1885–1967) in dem epochemachenden Essay »Für eine menschliche Literatur« (»Ren de wenxue«)46 von 1918. Zwar überzieht der Verfasser den Gegensatz von Alt und Neu, von China und dem Abendland nicht, doch sprechen seine Beispiele eine eindeutige Sprache: Was immer er als Beleg für eine inhumane Literatur anführt, entstammt der chinesischen Geistesgeschichte. Was immer er als Beleg für eine humane Literatur anführt, entstammt dem Westen und Japan. Langfristig warf die Umwertung aller Werte ein doppeltes Problem auf, welches den intellektuellen Diskurs bis heute bestimmen sollte: 1. Man gab die Identität im Eigenen auf, ohne, wie sich in der Folge zeigte, die volle Identität im Anderen gewinnen zu können. 2. Das, was man aufgab, stand folglich auch nicht mehr zur Verfügung. Beides wurde jedoch nicht unmittelbar zum Problem, sondern erst im Laufe der Zeit. Dies aus einem einfachen Grund. Die Bilderstürmer von 1919 waren noch in der Tradition aufgewachsen, sie verfügten über die alte und die neue Kultur, sie hatten 45

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Ich kann hier nicht ins Detail gehen, sondern nur auf meine Arbeiten verweisen, s. u.a. mein Buch: Symbols of Anguish. In Search of Melancholy in China. Helmut Martin (1940–1999) in memoriam, Basel: Peter Lang 2001 (= Schweizer Asiatische Studien; 38), bes. S. 13–15. Zhou Zuoren sanwen, Peking: Zhongguo Guangbo 1992, Bd. 2, S. 121–129, übersetzt von ERNST WOLFF: Chou Tso-jen, New York: Twayne 1971 (= TWAS; 184), S. 97–105.

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immer noch die Wahl zwischen Ost und West, zwischen Tradition und Moderne, zwischen Alt und Neu, oder aber sie waren zu einer Synthese von China und dem Abendland in der Lage. Allein sprachlich konnte dies bereits weitgehende Auswirkungen haben: die stilistische Eleganz eines Lu Xun oder eines Zhou Zuoren ist bis heute weder eingeholt noch übertroffen worden. Im Vergleich hierzu muß vor allem die sprachliche Inkompetenz der meisten Schriftsteller nach 1949 geradezu ins Auge stechen. Sie hat ihren Ausgang bei den Nachgeborenen, konkret bei denjenigen, die nicht mehr die klassische Ausbildung genießen und folglich kaum noch über das Alte, nur noch über das Neue verfügen konnten. Die Möglichkeit zu einem Schritt zurück gab es nicht mehr und wird es vielleicht nie mehr geben. Das, was China einmal konkret gewesen war, begann immer weiter zu entschwinden und durch ein Bild ersetzt zu werden, das bis heute stereotyp und inhaltsleer wiederholt wird. Es ist dies das Bild einer alten Kultur mit einer langen Geschichte. Da jedoch gleichzeitig das Schlagwort der Finsternis zur beliebtesten Charakterisierung der chinesischen Vergangenheit wurde und das Zeichen für Licht immer mehr zur Metapher, ja zum Symbol der Gegenwart avancierte, konnte es nur noch ein Leben, Schreiben und Denken im Gegenwärtigen geben. Anspielungen, Zitate, Adaptionen, Verarbeitungen vergangener Literatur und Philosophie wurden unmöglich bzw. schienen überflüssig. Dies ist ein wesentlicher Grund, warum chinesische Literatur mit dem fortschreitenden 20. Jahrhundert immer mehr reflexives Niveau einbüßt, und warum es einer Unzahl von Literaten möglich war und ist, so schnell und so viel zu schreiben. Selbst das anspruchsvollste Genre, das der Lyrik, kommt bis heute überwiegend ohne Anleihen aus der Vergangenheit aus. Diese Diskontinuität ist Teil eines größeren Problems, nämlich des Problems der Identität. Die Forderung nach einer »vollkommenen Verwestlichung« (quanpan xihua) konnte nur von einem bestimmten Bild des Westens und damit von einem Bild der Moderne begleitet gewesen sein. Modernisierung, das war Verwestlichung, aber diese kannte man eher aus Büchern denn aus eigener Anschauung. Das Unbehagen in der Moderne, das sich der Literatur vor 1949 und dann wieder nach 1989 entnehmen läßt, hat seinen Grund in dem subjektiven Gefühl einer ermangelnden Identität. Daraus erklärt sich der jederzeit von staatlicher Seite abrufbare Haß auf die Moderne und den Westen, der nur die andere Seite einer blinden Verehrung ist. Inwiefern es überhaupt noch angängig ist, in der Moderne bzw. Postmoderne nach einer Identität zu verlangen, soll hier nicht weiter vertieft werden. Soviel sei jedoch gesagt, daß Moderne und Postmoderne wohl kaum eine feste Identität zulassen können, vielmehr sind Mobilität, Übergang, Provisorium, kurz, alles Transitorische Merkmal einer weltweiten Entwicklung, die dem Menschen nicht mehr in Aussicht stellt, er könne morgen noch das sein, was er heute erst geworden ist. Es war schon des öfteren angedeutet worden, daß das scheinbare Gegensatzpaar von »Realismus« und »Romantik«, von »Rationalität« und »Empfindsamkeit«, das Charakteristikum der Literatur des 4. Mai ausmacht. Was beide Phänomene miteinander verbindet, ist ein dritter Aspekt, nämlich der des Individualismus. Die Analyse

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von Mensch und Gesellschaft, welche die Voraussetzung für eine aktive Umgestaltung des Jungen China für jeden Literaten zu sein schien, setzte einen kritischen, unabhängigen Beobachter voraus, der in Wissenschaft und Demokratie zumindest theoretisch geschult und für das Leid der Zeitgenossen empfänglich war. Der Begriff der Rationalität meinte vor allem eine schonungslose Auseinandersetzung mit der Überlieferung. Dabei rückten insbesondere der Aberglaube, der Volkscharakter und die Familie in den Vordergrund. Es ging also um konkrete Fragen, um gesellschaftliche Probleme. Pate stand das dramatische Werk von Henrik Ibsen (1828–1906), auf dessen Rezeption inhaltlich noch einzugehen sein wird. Hier ist zunächst ein formaler Aspekt von größerem Interesse. Literatur als Fragestellung und Problemlösung lief um 1921, als das Genre der Kurzgeschichte seinen ersten quantitativen Höhepunkt erlebte, auf eine erzählerische Form hinaus, die als wenti xiaoshuo bezeichnet wurde, also als eine »Geschichte mit einer Frage im Zentrum«. Über die Erzählkunst hinaus sollte sich dieser spezifische Einfluß Ibsens auch noch im Theater, ja sogar bis in die Gegenwart hinein entfalten, nämlich als wenti huaju, als ein »Drama mit einer Frage im Zentrum«. Erst Gao Xingjian mit seinen am französischen absurden Theater geschulten Stücken war Anfang und Mitte der 80er Jahre in der Lage, zumindest im Bereich der Bühne diesem einseitigen Phänomen zeitweise Einhalt zu gebieten. Auch in der Essayistik und in der Lyrik der damaligen Zeit läßt sich der durch gesellschaftliche Fragen wachgerufene gedankliche, ja philosophische Ton nachweisen. Die Kurzgedichte (xiaoshi) von Zong Baihua (1897–1986) und Bing Xin (1900–1999) sowie die »Aphorismen« (Suiganlu) von Lu Xun sind hierfür das beste Beispiel. Ziel dieser Art »Gedankenliteratur« war ein dreifaches: die Aufklärung über den Zustand der Gesellschaft, die Erweckung der Jugend zur Tat und die aktive Umgestaltung Chinas. Als praktische Suche nach dem wahren Leben ist Literatur zweckgebunden, sie hat keinen Wert an sich. Dies hat einen unmittelbaren Einfluß auf die sprachliche und formale Gestaltung. Viele Werke nicht nur der damaligen Zeit, sondern auch weit über 1949 hinaus tendieren zu einer Vernachlässigung der ästhetischen Gestaltung um des Inhalts willen. Vielleicht mehr noch als der rationale Anstrich ist das Gefühl der Empfindsamkeit auffällig, das die gesamte Literatur der damaligen Zeit durchtränkt. Es findet vor allem in drei Binomen wiederholten Ausdruck: kumen, was sich mit »Melancholie«, auch »Depression« wiedergeben läßt, gudu, »Einsamkeit« und schließlich panghuang, »Unentschlossenheit«. Das Bild der Kreuzung begleitet in Literatur und Film diese Gefühlswelt. Rationalität und Empfindsamkeit sind wie gesagt nur ein formaler, jedoch kein wirklicher Widerspruch. Die von der Neuen Jugend betriebene Aufklärung ist, wie Vera Schwarcz47 sehr eindringlich gezeigt hat, in der Regel recht naiv und keinesfalls auf der Basis der tatsächlichen Gegebenheiten betrieben worden. Enttäuschung war geradezu zwangsläufige Folge. Doch nicht hier liegt das eigentliche Pro47

VERA SCHWARCZ: The Chinese Enlightenment. Intellectuals and the Legacy of the May Fourth Movement of 1919, Berkeley u.a.: University of California Press 1986.

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blem der damaligen neujugendlichen Seelenlage, es liegt vielmehr in dem geringen Durchhaltevermögen und der großen Illusionsbereitschaft. Beides führt in den Künsten zum Typus des überflüssigen Menschen (duoyu de ren), welcher, aus der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts übernommen, zum Prototyp des modernen Helden wird.48 Auch hinter dieser Gestalt steckt trotz aller offensichtlichen Lethargie, Selbstbezogenheit und Wehleidigkeit ein soziales Engagement, denn überflüssig kann sich nur fühlen, wer einen Auftrag zu haben meint, von dessen Erfüllung aber ausgeschlossen ist. Auch wenn das Individuum bei dieser Art von Selbsteinschätzung keinen Wert für sich und an sich fern gesellschaftlicher Verpflichtung zu erkennen gibt, so haben wir es hier dennoch mit einem gänzlich neuen Phänomen, nämlich mit dem zu tun, was sich als Individualität einschätzen und diskutieren läßt. Sowohl Rationalität als auch Empfindsamkeit setzen als die Kennzeichen des 4. Mai und seiner Literatur ein gehöriges Maß an Selbstbestimmung voraus, sei es, daß das soziale Leben des einzelnen, sei es, daß die subjektive Gefühlswelt des einzelnen zur Beschreibung anstand, sei es, daß eine realistische Schilderung, sei es, daß eine autobiographische Form bevorzugt wurde. Das neue Verständnis des Menschen und das neue Selbstverständnis wurden am Beispiel von Ibsen gewonnen. Ausschlaggebend war einmal mehr auch hier die Rolle des Hu Shi. Dieser hatte 1918 in der Zeitschrift Neue Jugend Ibsen und dessen Stücke gleichsam als ideologische Richtung, nämlich als »Ibsenismus« (Yibushengzhuyi), vorgestellt.49 Ganz offensichtlich ging es ihm hier nicht um etwas rein Ästhetisches, nämlich das Theater an sich, sondern um etwas ganz Praktisches, um die Ideen, welche sich aus dem Werk des Skandinaviers zur Veränderung der chinesischen Gesellschaft ablesen und ableiten ließen. Die Gestalt der Nora wurde gleichsam zur Symbolfigur einer weiblichen wie männlichen Emanzipation und schließlich einer gesellschaftlichen Befreiung. Hu Shis Interesse galt also besonders dieser Verbindung von Individuum und Staat. Einen Fortschritt könne es nur bei Befreiung der zu ca. 50 Prozent brachliegenden weiblichen Arbeitskraft geben etc. Fassen wir Hu Shis Interesse an Ibsen und insbesondere an der Heldin Nora zusammen, so lassen sich vier Punkte herausheben: 1. Der Realismus eines Ibsen kann Vorbild zur Analyse und Rettung der Gesellschaft sein. 2. Die Familie ist der Ort der Unterdrückung der Frau. 3. Mut und Wille haben Brauch und Aberglaube zu ersetzen. 4. Der Fortschritt einer Gesellschaft hängt von dem Fortschritt des Individuums ab. Die radikalste Ansicht der Nora wird von Hu Shi im Sinne obiger vier Punkte und im Sinne von Ibsen umgebogen. Aus der Auffassung, eine Frau sei vor allem ein menschliches Wesen, das in erster Linie sich selbst gegenüber Pflichten habe, ließe sich meines Erachtens nach auch etwas anderes ableiten als die sattsam bekannte Tatsache, daß eine Frau in der Emanzipierung von der Familie sich zum 48

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Vgl. hierzu MAU-SANG NG: The Russian Hero in Modern Chinese Fiction, Hong Kong: The Chinese UP 1988. HU SHI: »Yibushengzhuyi«, in: Xin Qingnian 4.6 (1918), S. 575–593; nachgedruckt in: Shin seinen betsukan, S. 575–593.

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Werkzeug zu machen und den Fortschritt der Gesellschaft zu fördern habe. Die Unabhängigkeit der Frau wird zwar – wie auch die Entwicklung ihrer Fähigkeiten – als Wert einer Frau für sich selbst gesehen, gleichzeitig bleibt aber der gesellschaftliche Aspekt dominant.50 Wir finden auch hier eine für den 4. Mai typische Verquickung von Emanzipation und Gesellschaft, die für das gesamte 20. Jahrhundert Schule gemacht hat. Wir sind es heute gewohnt, Emanzipation als Befreiung vom gesellschaftlichen Anspruch zu begreifen. Hier dagegen erscheint die Emanzipierung von der Familie geradezu als Voraussetzung für eine sinnvolle soziale Tätigkeit. Auch wenn Hu Shi einer der gewieftesten Vertreter einer am westlichen Beispiel geschulten chinesischen Moderne ist, so ist auch in seinen anderen Schriften aus der damaligen Zeit eine Verankerung der Befreiung in der Liebe zum Vaterland zu finden. Eine solche bildet ebenfalls den Hintergrund seiner berühmten »Acht Thesen« zur Reform der Literatur in China.51 1916 im amerikanischen Ithaca formuliert, 1917 in der Neuen Jugend veröffentlicht, sind sie Teil einer 1915 geforderten »Revolution der Literatur« (wenxue geming). Zwei der wichtigsten Umwertungen, die Hu Shi vornimmt, betreffen die Sprache und das überlieferte Erzählgut. Seine Forderung nach einer lebendigen Sprache als »Werkzeug«, das sein Vorbild in der traditionellen Erzählkunst haben soll, kurz, die Sprachreform, ist für ihn nichts anderes als ein Dienst am Vaterland. Wir kennen Thesen dieser Art schon aus einem früheren Zusammenhang. Hu Shi steht hier unter dem Einfluß seiner Zeit. Gleichwohl ist er mit seinen Thesen revolutionär und seiner Zeit weit voraus gewesen, jedenfalls was China angeht. Dies gilt insbesondere für seine Auffassung, man müsse Gedichte schreiben, wie man Prosa schreibe. Mit Ansichten dieser Art stand Hu Shi in Ithaca amerikanischen Dichtern wie Ezra Pound (1885–1972) und Amy Lowell (1874–1925) nahe, die ähnlich wie er ein Ende blumiger Ausdrucksweisen und eine klare Rede gefordert hatten. Hu Shi ist mit seinen eigenen lyrischen »Experimenten« (Changshi) von 1920 kein Erfolg beschieden gewesen, ja, man muß seine Gedichte in Umgangssprache geradezu als gescheitert ansehen. Dies ist keinesfalls ein Einzelfall, vielmehr bringt uns dies zu einem größeren Problem. Es ist nämlich auffällig, daß für lange Zeit keiner der damaligen Bilderstürmer zu einem rechten Gebrauch der Umgangssprache in der Dichtkunst befähigt gewesen ist und daß mit der Ausnahme von Bing Xin große Lyrik lange auf sich warten läßt. Hu Shi, der von Umsturz und einem neuen Säkulum spricht, folgt wie 50

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Zu obigen Ausführungen s. ELISABETH EIDE: »Ibsen’s Nora and Chinese Interpretation of Female Emancipation«, in: GÖRAN MALMQVIST: Modern Chinese Literature and its Social Context, Nobel Symposium 32 [1975], o.O.o.J., S. 140–151; ELISABETH EIDE: China’s Ibsen. From Ibsen to Ibsenism, London: Curzon Press 1987 (= Scandinavian Institute of Asian Studies. Monograph Series; 55). Vgl. hierzu und zum folgenden den immer noch sehr lesenswerten Aufsatz von ALFRED HOFFMANN: »Die literarische Revolution Chinas«, in: Ostasienwissenschaftliche Beiträge zur Sprache, Literatur, Geschichte, Geistesgeschichte, Wirtschaft, Politik und Geographie, Wiesbaden: Harrassowitz 1974 (= VOAB; 11), S. 65–79.

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manch anderer dem Schema »Schöpfer! Zerstörer!«, das, aus der Zeit des Geniekultes stammend, auch in China Früchte gezeigt hat.52 Man zerstört in der irrigen Annahme, sogleich etwas Neues an die Stelle des Alten setzen zu können. Ein mögliches Scheitern schreibt man aber nicht sich selbst und dem eigenen Unterfangen zu, sondern den Zeiten und ihren finsteren Mächten. Es ist dies eine Strategie des Selbstbetruges, die besonders unter sozialistischem Einfluß für die chinesische Kultur im 20. Jahrhundert prägend geworden ist.

1.2 Literatur als Erlösung: Lu Xun (1881–1936) und Vox clamantis Fassen wir zusammen: Der 4. Mai steht unter einem doppelten Aspekt von Befreiung, der Befreiung des einzelnen und der Befreiung der Gesellschaft. Beide Aspekte sind aufeinander bezogen, wobei der erstere dem zweiten untergeordnet ist. Eine freie Gesellschaft setzt ein freies Individuum voraus. Da das freie Individuum jedoch die Befreiung der Gesellschaft ins Werk zu setzen hat, ist es letztlich einem praktischen Ziel untergeordnet, nämlich dem der »Rettung des Vaterlandes« (jiuguo). Von hier zum neuen Untertanen eines neuen Staatsgebildes ist kein weiter Schritt. Dies ist der konkrete Weg Chinas zwischen 1919 und 1949, und die Literatur ist lediglich der Spiegel dieses Weges. Gleichwohl sind die Nöte der Zeit und das unbedingte Engagement der Literati nicht von der Hand zu weisen. Die Frage jedoch ist, ob das unter vielen Mühen erreichte Ergebnis am Vorabend von 1949 all die Opfer wert war. Diese Frage kann hier jedoch nicht weiter von Interesse sein. Vielmehr ist dem Problem nachzugehen, warum die Literati zu einem Ausverkauf ihrer eigenen Interessen bereit gewesen sind. Ich denke, dies hat mit dem religiösen, säkularisierten Charaker der chinesischen Revolution zu tun. Hier kann allerdings nur eine Hypothese vertreten werden. Auch wenn der slovakische Sinologe Marián Gálik beizeiten auf den Umstand verwiesen hat, daß chinesische Literatur im 20. Jahrhundert nicht ohne den abendländischen Kontext verstanden werden kann, so hat sich seine theoretisch wie praktisch fundierte Einsicht in der Sinologie bislang nicht angemessen durchsetzen können.53 Noch immer werden Interpretationen angeboten, die ohne besagten Bezug oberflächlich bleiben müssen, ihr textimmanentes Vorgehen vermag zu wenig der chinesischen Literatur die geistesgeschichtliche Tiefe zu geben, die ein Verständnis eigentlich erst ermöglichen würde. Dies gilt zum Beispiel selbst für das vielleicht im 20. Jahrhundert einflußreichste Werk der chinesischen Literatur, nämlich für den ersten Erzählband von Lu Xun. Sein Titel Nahan ist bis heute unbefriedigend wiedergegeben worden. Ob nun Aufruf zum Kampf, Aufschrei oder Applaus, die Sache, um die es eigentlich geht, ist von keiner der bisherigen Übersetzungen getroffen worden. Dies ist wenig 52 53

Vgl. hierzu meinen gleichnamigen Beitrag in: minima sinica 2 (1999), S. 95–109. MARIÁN GÁLIK: Milestones in Sino-Western Literary Confrontation (1898–1979), Wiesbaden: Harrassowitz 1986 (= Asiatische Forschungen; 98).

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verwunderlich, denn der antireligiöse Charakter der chinesischen Revolution und die Heiligschreibung von Lu Xun als Bannerträger des gesellschaftlichen Umsturzes haben bisher eine exakte Lektüre des vielleicht wichtigsten Textes in diesem Erzählband verhindert. Es handelt sich um das Vorwort (zixu) vom 3. Dezember 1922, das immer wieder als Zeugnis für den aufklärerischen Geist des 4. Mai hat herhalten müssen. Was den Verfasser jedoch wohltuend auszeichnet, ist die ironische Distanz zu sich und zu seiner Zeit. Der Leser erlebt den Autor keinesfalls als Vertreter oder Befürworter der damaligen Jugendbewegung, er entdeckt ihn bei genauer Lesung eher als deren Kritiker. Lu Xun ist ein Meister des Lakonischen. Aus diesem Grund ist jedes einzelne Wort, und sei es noch so unscheinbar, wichtig. Wer hier etwas übersieht, ist geradezu zu falschen Interpretationen verdammt. Dies gilt vom ersten bis zum letzten Satz. Der Text enthält nicht nur zentrale Bilder der Zeit- und Melancholiegeschichte, er bietet gleichzeitig auch ein ganzes Sammelsurium von unterschiedlichsten Themen – ein Kaleidoskop gleichsam. Der Autor verhandelt so viele Dinge zur selben Zeit, daß der Zusammenhang verlorenzugehen scheint. Das für diese Essays so typische Mittel der Abschweifung mag hier zum Einsatz gekommen sein. Gleichwohl schafft das Stilmittel der Repetition einen Zusammenhang. Immer wieder werden Leitmotive erneut beschworen: der Traum, der (Auf-)Ruf, die Traurigkeit bzw. Einsamkeit. Daneben klingen so viele Dinge an, daß sie hier gar nicht alle aufgezählt werden können, die wichtigsten sind Erinnern und Vergessen sowie das Kopieren und das Schreiben. Aber auch Konfliktsituationen werden gestreift wie zum Beispiel die von Vater und Sohn, Mutter und Sohn, Jugend und Alter, Zeitgeist und Abgeklärtheit, China und dem Westen. Gibt es in der Fülle der zwischen Krankheit und Reform rasch wechselnden Szenen ein Bindeglied? Ich denke ja, es hat mit dem Titel des Erzählwerkes und mit einer zentralen Stelle des Vorworts zu tun. Bevor hierauf einzugehen ist, müssen die Voraussetzungen geklärt werden. Das Vorwort ist alles andere als das Werk eines Revolutionärs, ganz im Gegenteil handelt es sich hier um einen Abgesang auf den Umsturz von 1911, die republikanische Reform und die Utopie der Jugend. Dies belegt bereits der erste Satz: »Auch ich hatte in meiner Jugend viele Träume.« Das unscheinbare Wörtchen »auch« (ye) kreiert hier einen Spannungsbogen von Einst und Jetzt, von Jugend und Alter, von Inbrunst und Resignation. Der damals gut vierzigjährige Autor blickt, umgeben von aufmüpfigen Rebellen, auf sein Leben zurück. Beide Seiten haben den Traum der Jugend gemein, den Traum von einem neuen Leben. Vita nuova, dies ist die eine Seite, für deren Formulierung auch Dantes Werk herhalten mußte, aber da ist noch das Bild der Wüste, eingerahmt vom Eingeständnis des Ennui (wuliao) und der Selbstbetäubung. Die fragliche Stelle lautet wie folgt: [...] Später dachte ich, wenn jemand für seine Meinung Zustimmung erntet, bringt es ihn voran, stößt er jedoch auf Widerspruch, macht es ihn kämpferisch. Aber wirklich tragisch ist, wenn einer unter seinen Mitmenschen laut die Stimme erhebt [han], aber keinen Widerhall findet, weder Beifall noch Ablehnung, wie in einer

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Die Grundlegung einer modernen Literatur in China (1915–1927) grenzenlosen Ödnis und ohne die Möglichkeit, irgendwie einzugreifen. Daher begann ich, mich einsam zu fühlen.54

Für das Bild der Wüste, das bereits mit dem Frühwerk des Lu Xun zu einem der Leitmotive der chinesischen Moderne wird, lassen sich verschiedene Vorbilder ausmachen. In Verbindung mit einer Stimme ist das offensichtlichste natürlich die Bibel. Wie aber ließe sich die Annahme rechtfertigen, es hier mit einem »Rufer in der Wüste« zu tun zu haben? Da hilft nur bibliographische Detektivarbeit weiter. Der in Deutschland in den 20er Jahren so einflußreiche und heute in China wiederentdeckte konservative Denker Gu Hongming (Ku Hung-ming, 1857–1928) hat um 1915 in Leipzig eine Aufsatzsammlung unter dem Titel Vox clamantis herausgebracht.55 Ob nun in dieser Ausgabe selbst oder an anderem Ort, der Verfasser gab den lateinischen Titel als Nahan wider. Der Ausdruck vox clamantis geht auf die Vulgata zurück, wo bei Jesaja 40:3 die Rede von einem »Rufer in der Wüste« (vox clamantis in deserto) ist, ein Bild, welches im Neuen Testament von den Evangelisten verschiedentlich wieder aufgenommen wird: Johannes der Täufer kündige die Ankunft des Messias in der Gestalt des Jesus Christus an (Mt. 3:3, Lk. 3:4, Joh. 1:23). Im Falle von Gu Hongming und Lu Xun kann es natürlich nicht um die christliche Heilsbotschaft, sondern nur um eine säkularisierte Form der Verkündigung gehen. Die Botschaft in letzterem Falle heißt Moderne bzw. Reform. Der selbsternannte Prophet ist der Schriftsteller, der im Rückblick jedoch kritisch geworden ist. Das einstige Projekt Jungchina hat nicht die politische und soziale Erlösung gebracht, welche einmal sein Evangelium war und jetzt das Evangelium der Jugend des 4. Mai ist. Hieraus läßt sich der vorsichtige Schluß ziehen, daß es sehr wahrscheinlich das Versprechen der chinesischen Moderne auf Rettung aus nationalem und sozialem Desaster war, das, als Religionsersatz genommen, in der Folge die Intelligenz nach einem »Übermenschen«, nach einem »Führer« (lingxiu), also nach der säkularisierten Heilsgestalt eines Messias Ausschau halten ließ und zur bedingungslosen Hingabe an die Sache der Revolution bewegte. In diesem Kontext ist auch die Mißinterpretation des Werkes von Lu Xun zu sehen. Es ist richtig, daß der Autor kein gutes Haar an der chinesischen Tradition und an der Gegenwart läßt, aber er sieht auch kein Licht am Ende der Finsternis. Er bringt jedoch seine Skepsis nicht offen, sondern eher distanziert und ironisch zum Ausdruck. Wir können das auch der hier abgehandelten Geschichte vom Akt des 54

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LU XUN: Werke in sechs Bänden, hg. von WOLFGANG KUBIN, Zürich: Unionsverlag 1994, Bd. 1: Applaus, S. 11. Lu Xun quanji, Peking: Renmin 1981, S. 417. Da mir dieses Buch in deutscher Sprache bislang nicht zugänglich war, kann ich mich nur auf bibliographische Angaben anderer verlassen. Die chinesische Übersetzung, in: Gu Hongming wenji, Haikou: Hainan 1996, Bd. 1, S. 485–576, spricht von 1920 als Erscheinungsdatum, so auch das Vorwort des Übersetzers. Das Beiwort von Gu Hongming ist auf 1917 datiert. Da die übrigen Werke von Gu Hongming in Deutschland jedoch verschiedentlich aufgelegt wurden und mit unterschiedlichen Erscheinungsdaten zitiert werden, ist es durchaus denkbar, daß eine Erstausgabe von Vox clamantis schon um 1915 vorlag.

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Schreibens entnehmen. Selbst wenn diese etwas widersprüchlich dargestellt wird, so liegt der eigentliche Impuls zur Schriftstellerei nicht in der vermeintlichen Erinnerung, sondern in der Aufforderung durch die Jugend, an der Bewegung des 4. Mai teilzunehmen. Lu Xun gibt nur halben Herzens nach. Der Skeptiker in ihm entwirft zunächst das Bild der Eisenzelle, das an Max Webers um dieselbe Zeit entstandenes Wort von der Moderne als »stahlhartem Gehäuse« denken läßt. Und auch nach dem Einspruch durch einen Vertreter des Zeitgeistes versteht sich der Autor auf eine Reihe von Schlichen. Er entwirft sich als unzuverlässigen Erzähler und begründet sein Verfahren mit den Erfordernissen der Zeit. Damit greift er weit über das Tagesgeschehen hinaus und beschreibt die Situation eines Literaten, wie sie insbesondere für die Jahre nach 1949 typisch werden sollte. Unüberhörbar ist hier die leise, aber bestimmte Ironie gegenüber dem Gesprächspartner und sich selbst. Ich selbst habe wohl nicht mehr den unbedingten Drang, mich zu äußern, aber manchmal kann ich doch nicht an mich halten und fühle mich verpflichtet, die anderen anzufeuern [nahan], vielleicht weil mir das Leiden an meiner damaligen Einsamkeit noch nicht aus dem Gedächtnis geschwunden ist. Ich will bloß den eiligen Streitern in ihrer Einsamkeit gut zusprechen, damit sie unbekümmert weiter voranschreiten. Mag mein Aufruf [hansheng] nun mutig oder verzagt, abstoßend oder lächerlich sein – darüber zerbreche ich mir nicht den Kopf. Da er jedoch eine Maßnahme zur Anfeuerung [nahan] ist und daher dem Muster militärischer Befehle gehorchen muß, habe ich mir gelegentlich erlaubt, bewußt und mit literarischen Mitteln von den Tatsachen abzuweichen [qubi].56

Der Autor hält sich nicht an die Tatsachen (qubi), und zwar aus zwei Gründen: Die Schilderung von Schattenseiten ist zu vermeiden, so lautet der Tagesbefehl, und der Autor möchte die Jugend vor den Schmerzen bewahren, unter denen er selbst einmal als junger Mann gelitten hat. Aus der Selbstbetäubung wird so die Betäubung der anderen. Der Autor gaukelt seiner Zeit etwas vor, was nur ein kritischer Leser zu durchschauen in der Lage ist. Jede Lektüre des Werkes von Lu Xun hat daher von einem unzuverlässigen Autor und im einzelnen Fall von einem unzuverlässigen Erzähler auszugehen. Es ist eben diese Distanz zu seiner Zeit und auch zu sich selbst, die den Verfasser im 20. Jahrhundert so einzigartig erscheinen läßt. Die Reflexion über die Bedingtheit des Schreibens und die Einsicht in die geringe Wirkung des Literaten waren nur wenigen chinesischen Intellektuellen gegeben. Gleichwohl wird auch hier hinter der Ironie das Projekt der Erlösung sichtbar. Noch 1933 erklärt Lu Xun in seinem Essay »Was mich trieb, Erzählungen zu schreiben« (»Wo zenme zuoqi xiaoshuo lai«): Wenn man zu schreiben beginnt, hält man sich natürlich an eine bestimmte Auffassung. Will ich zum Beispiel darüber sprechen, »warum« man schreiben muß, gehe 56

LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. 1: Applaus, S. 14; Lu Xun quanji, Bd. 1, S. 419.

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Die Grundlegung einer modernen Literatur in China (1915–1927) ich heute genauso wie schon vor zehn Jahren vom Gesichtspunkt der »Aufklärung« [qimengzhuyi] aus, wonach man »im Sinne des Lebens der Menschen« [wei rensheng] und zur Verbesserung dieses Lebens schreiben muß. Das Material für mein Schaffen entnehme ich hauptsächlich dem Milieu der unglücklichen Menschen der kranken Gesellschaft, und ich stelle mir das Ziel, diese Menschen zu studieren und die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken, damit ihnen Heilung gebracht werden möge.57

Krankheit und Heilung, das sind vertraute Worte aus dem »Vorwort« von 1922. Einmal mehr entwirft Lu Xun ganz im Geist der Reform von 1898 und des 4. Mai das Bild vom Schriftsteller als Arzt, ja, er spricht sich im Original auch gegen eine »Mußekultur« (xianshu) und gegen »eine Kunst um der Kunst willen« aus. Das Bild des Rufers in der Wüste verwendet er in diesem Essay zwar nicht, es hat ihn aber wenige Jahre zuvor noch einmal zur Begründung für die seinerzeitige Niederschrift seiner bekanntesten Erzählung »Die wahre Geschichte des Herrn Jedermann« (»A Q zhengzhuan«) gedient. Wir lesen in dem Essay »Wie ›Die wahre Geschichte des Ah Q‹ geschrieben wurde« (»›A Q zhengzhuan‹ de chengyin«, 1926): Ich habe schon oft gesagt, daß das, was ich schreibe, mir nicht entströmt, sondern aus mir herausgepreßt werden muß. Es gibt viele Leute, die denken, ich sagte das aus Bescheidenheit; es entspricht aber tatsächlich der Wahrheit. Ich habe nichts zu sagen, nichts zu schreiben. Aber zu meinen unangenehmen Eigenheiten gehört, daß ich von Zeit zu Zeit einen lauten Ruf ausstoßen [nahan] muß, um den Dingen für jedermann Nachdruck zu verleihen.58

Das Bild der Wüste, wie gesagt eines der Leitmotive der chinesischen Moderne, mag für sich alleingenommen selbstverständlich nicht ausschließlich religiösen Ursprungs sein, es findet sich bekanntlich auch in Nietzsches (1844–1900) Gedicht »Vereinsamt« (auch »Der Freigeist«, 1884) und in dessen Werk Also sprach Zarathustra (1887) sowie in T.S. Eliots (1888–1965) Zyklus »The Waste Land« (1922), in Werken und bei Autoren also, die von großem Einfluß auf das Neue China waren und sind. Gleichwohl scheint mir die Verbindung von Rufer und Wüste ein Indiz dafür zu sein, daß der chinesischen Moderne eine Art heilsähnlicher Charakter zugetraut wurde, ein Charakter, der Literatur zu einem Teil des nationalen Erneuerungsprogramms werden ließ.59 Ob ein Autor als Erzähler oder ob ein Autor als Erläuterer seiner eigenen Werke auftritt, sind natürlich zwei verschiedene Dinge, entsprechend unterschiedlich fällt die jeweilige Haltung in und zu einem Werk aus. Aus dem allwissenden 57

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Zitiert nach HANS CHRISTOPH BUCH u. WONG MAY (Hg.): Lu Hsün. Der Einsturz der Lei-fengPagode. Essays über Literatur und Revolution in China, Reinbek: Rowohlt 1973, S. 145. Lu Xun quanji, Bd. 4, S. 512. BUCH u. MAY: Lu Hsün, S. 59; Lu Xun quanji, Bd. 3, S. 376. WOLFGANG KUBIN: »Vox clamantis in deserto. Die weltlichen Gesichter von Christus: China und der Westen«, in verbum svd 4.44 (2003), S. 427–441.

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Erzähler wird zu Beginn der »Wahren Geschichte des Herrn Jedermann« sogleich ein ironischer Erzähler, der nicht mehr alles weiß, wissen will oder kann, auch wenn er im Laufe seiner Geschichte zur Position eines allwissenden Erzählers zurückkehrt. Und dennoch läßt Lu Xun vielmals und nicht nur in seinem Vorwort zur russischen Ausgabe eben dieser Geschichte verlauten, er habe »die stumme Seele des chinesischen Volkes aufzeichnen wollen«.60 Ein Programm zur Rettung des »stummen China« also, der Autor möchte für diejenigen sprechen, die dem Anschein nach nicht für sich selbst sprechen können. Aus heutiger Sicht vielleicht keine Anmaßung, wohl aber bedenklich, zumal sich mit Recht die Frage stellen läßt, ob es der Leser in der Gestalt des Protagonisten A Q wirklich mit einem Repräsentanten des chinesischen Volkes zu tun hat oder nicht eher mit einem Herrn Jedermann, der in allen Völkern und Kulturen daheim ist. Soll die Erzählung tatsächlich rein chinesisch gelesen und nur auf China bezogen werden? Sie wäre dann ausschließlich Teil der chinesischen Kultur und nicht Teil der Weltliteratur, sie wäre dann provinziell in dem furchtbaren Sinne, den konservative Literaturkritiker von der chinesischen Literatur immer wieder einfordern. Dies ist ein Problem, zu dem weiter ausgeholt werden muß. Bei dem Stichwort »Seele« geht es Lu Xun um mehr als nur die seelische Befindlichkeit eines Volkes. Es geht um die Frage nach dem chinesischen Volkscharakter und damit auch um die Frage nach Chinabildern.61 Das Nachdenken über die eigenen Landsleute ist fester Bestandteil der chinesischen Moderne. Es beginnt 1902 mit Liang Qichao und seinen Reflexionen zum »neuen Bürger« (xinmin). Geistesgeschichtlich ist dieser Reformer durch die Rezeption von Johann Gottfried Herders (1744–1803) »Volksgeist« in Japan beeinflußt, von wo der Begriff kokuminsei als guominxing (Volkscharakter) nach China wanderte. Lu Xun war sein Leben lang von der Bestimmung dieses Terminus besessen. Jedoch nicht er allein. Heute läßt sich gar von einer »kollektiven Besessenheit« reden. Lu Xun hat lediglich ein Problem vorgedacht, das er selbst als grundlegend für die Modernisierung von China erachtet hat. Die Rückständigkeit seines Landes brachte er nämlich mit geistigen und seelischen Untugenden seiner Landsleute in Verbindung. Insofern erschien ihm die Änderung des Volksgeistes als Voraussetzung für die Änderung Chinas. Dies ist bekanntlich ein auf dem Voluntarismus basierendes konfuzianisches Prinzip, welches von tatsächlichen Gegebenheiten absehen zu können meint und jegliche Erneuerung aus dem Geist empfiehlt. Lu Xun hatte neben den Theorien von Herder und Liang Qichao noch andere Wegbereiter. Am wichtigsten von all denjenigen, die mit ihren Büchern zum chinesischen Volkscharakter Chinabilder entwarfen, war das bis heute durch wiederholte Auflagen erfolgreich gebliebene Buch Chinese Characteristics des Missionars Arthur H. Smith (1845–1932).62 Lu Xun hatte die japanische Übersetzung von 1896 und nicht die 60 61 62

Lu Xun quanji, Bd. 7, S. 82 (»Ewen yiben ›A Q zhengzhuan‹ xu [...]«). Vgl. hierzu und zum Folgenden LIU: Translingual Practice, S. 45–76. Zugänglich waren mir die Ausgaben von 1890 (Schanghai: North-China Herald) und von 1894 (New York u.a.: Revell).

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chinesische Übertragung von 1903 konsultiert. In seinen späteren Ausführungen ist er Arthur H. Smith theoretisch wie praktisch verpflichtet. Theoretisch, weil der Amerikaner durch sein Buch lange vor Liang Qichao die Frage nach dem Wesen des Chinesen aufgeworfen hat, praktisch, weil er Bilder festgeschrieben hat, denen sich auch Lu Xun nicht hat entziehen können. Kapitel wie über »das Gesicht«, »den Mangel an Gemeinsinn«, »den gegenseitigen Argwohn« finden – auf andere Weise natürlich – eine Fortschreibung in Lu Xuns Gesamtwerk. Von diesen Fort- und Festschreibungen ist die bildhaft verknappte Charakterisierung im »Tagebuch eines Verrückten« am bekanntesten geworden: Die Grausamkeit eines Löwen, die Ängstlichkeit eines Hasen, die Verschlagenheit eines Fuchses ...63

Sie hat eine verblüffende Parallele bei dem englischen Philosophen Bertrand Russell (1872–1970), der in seinem Buch The Problem of China (1922) ebenso Stellung zum chinesischen Volkscharakter nimmt und diesen mit den Schlagworten avarice, cowardice, and callousness umschreibt.64 Zu seiner Ehre ist jedoch zu sagen, daß er zu einer Charakterisierung von einem bedeutenden chinesischen Schriftsteller aufgefordert worden war und nur widerwillig zugestimmt hat. Es läßt sich leicht vorstellen, daß besagter – übrigens der Aussage beipflichtender – Schriftsteller, dessen Name nicht genannt wird, Lu Xun gewesen sein mag, zumal dieser auf Russells Buch später (1925) eingehen wird.65 Charakterisierungen dieser Art scheinen in der damaligen Zeit gang und gäbe gewesen zu sein. So spricht Sun Yatsen (Sun, Yixian, 1866–1925), der Vater der Revolution von 1911, 1917 und 1924 vom Chinesen als »unterwürfig, ignorant, selbstbezogen und bar einer Idee der Freiheit«.66 Auch wenn den Missionaren das Verdienst gebührt, den chinesischen Volkscharakter thematisiert zu haben, so gilt dennoch Lu Xun, der 1907 zum ersten Mal von guominxing spricht, als dessen Entdecker, sicherlich weil ihm als Chinesen eher die Formulierung einer Wahrheit als die Kreierung eines Bildes zugestanden wird. Dabei dürfte ganz wesentlich das Vorwort Pate gestanden haben, das die praktische Erkenntnis des chinesischen Wesens auf 1905 datiert. Vielzitiert ist das zweifach erzählte Urerlebnis in Sendai (Japan). Es war gerade während des Japanisch-Russischen Krieges [1904–1905], so daß naturgemäß ziemlich viele Bilder über das Kriegsgeschehen gezeigt wurden und ich mich wohl oder übel dem Beifall und Jubel meiner Kommilitonen anschließen mußte. 63 64 65

66

LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 24; Lu Xun quanji, Bd. 1, S. 427. Wegen Unzugänglichkeit des Buches zitiert nach LIU: Translingual Practice, S. 45. So in dem berühmten Essay »Beiläufiges im Lampenschein«, in: LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. 5 (Das Totenmal), S. 299. Zitiert nach LIU: Translingual Practice, S. 48–49.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949) Einmal erschienen auf den Dias plötzlich viele Chinesen, von denen ich doch so lange getrennt gewesen war. In der Mitte stand einer, dem die Hände auf dem Rücken gefesselt waren, um ihn herum lungerte eine Menge von Menschen. Er war von einem kräftigen Körperbau, hatte aber einen offenkundig abgestumpften Gesichtsausdruck. Den Erklärungen zufolge hatte der Gefesselte für die Russen Militärspionage betrieben. Zur Abschreckung sollte ihm öffentlich von der japanischen Armee der Kopf abgehackt werden, doch die Umstehenden waren nur gekommen, um mit Kennermiene ein Schauspiel zu würdigen. Noch vor Ende des Studienjahres war ich nach Tokio abgereist, denn nach diesem Erlebnis hatte ich den Eindruck, die Medizin sei keineswegs so wichtig. Wenn die gesamte Bevölkerung eines schwachen Landes, so gesund und kräftig sie auch sein mochte, zu nichts anderem nütze war, denn als Material und als Zuschauer eines völlig sinnlosen Schauspiels zu dienen, so sind in diesem Fall Krankheit oder Tod nicht unbedingt als großes Unglück anzusehen. Unsere wichtigste Aufgabe sei es also, ihre Ideen zu verändern.67

Diesem Urerlebnis verdankt Lu Xun nicht nur das Thema seines Lebens, sondern auch eines der Grundmuster seines Werkes: beobachten und beobachtet werden, der einzelne und die Masse. Es ist die Masse, die beobachtet, es ist der einzelne, der beobachtet wird. Dem einzelnen widerfährt etwas, die Masse schaut nur zu. Die Indifferenz, das mangelnde Engagement, die fehlende Zivilcourage, kurz die Schaulust, gepaart mit Schadenfreude, ist das Charakteristikum des chinesischen Wesens, das Lu Xun zu geißeln nicht müde wird. Wir können dies auf die Formel von »Unglück mit Zuschauer« bringen und »Die Wahre Geschichte des Herrn Jedermann« als Probe aufs Exempel verstehen. Gleichwohl gilt es weiterhin auch hier, die Differenz zwischen Autor und Erzähler zu beachten. Der Erzähler erweist sich nämlich in seinem Spiel mit dem Protagonisten und mit dem Leser als ein dem Autor überlegener Partner, so daß sich kaum noch von der Analyse einer lediglich chinesischen Seele sprechen läßt. Doch bevor hierauf eingegangen werden kann, ist es zunächst notwendig, den Rahmen der Erzählung abzustecken, und das heißt konkret, den Erzählband Nahan in groben Zügen vorzustellen. Um einer gewissen Widersprüchlichkeit zu entgehen, scheint es angebracht, den Umstand zu beachten, daß die distanzierte Haltung zum 4. Mai, die wir dem Vorwort entnehmen können, nicht unbedingt deckungsgleich mit der Intention der jeweiligen Erzählungen sein muß. Lu Xun hat das Vorwort erst im Anschluß an die zwischen 1918 und 1922 verfaßten und verstreut publizierten Geschichten geschrieben. Er blickt nun zurück auf ein Werk, das offiziell Teil der neuen Kulturbewegung ist, ohne darin voll aufzugehen. Mag der Autor auch die feudale Vergangenheit und die despotische 67

LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 9–10; Lu Xun quanji, Bd. 1, S. 416–417. Zur weiteren Erinnerung dieses Vorfalls s. den Essay »Fujino Genkuro«, in: LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. 3 (Blumen der Frühe am Abend gelesen), S. 98–99. Allerdings ist hier nicht von Enthauptung, sondern von Erschießung die Rede!

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Gegenwart denunzieren, einen Lichtblick vermag er keinesfalls in den gesellschaftlichen Bewegungen seiner Zeit auszumachen. Ihm fehlt die Naivität seiner Zeitgenossen. Es ist gerade die Fähigkeit zur Distanzierung von dem eigenen Werk und der eigenen Zeit, welche die Modernität von Nahan ausmacht. Die Bedeutung dieser Erzählungen, welche die wichtigsten literarischen Beispiele des 4. Mai darstellen und den Beginn einer modernen Literatur in China markieren, ist dreifacher Natur. Sie liegt, wie bereits allgemein für den Umbruch von der Tradition zur Moderne festgelegt, im Bereich einer neuen Sprache, einer neuen Form und einer neuen Weltanschauung. Epochemachend war »Das Tagebuch eines Verrückten« (»Kuangren riji«).68 Trotz seiner Einleitung in klassischer Sprache und trotz seiner formal traditionellen Hinführung zum Thema gilt es als das erste überzeugende Beispiel einer in Umgangssprache verfaßten modernen Literatur in China. Nicht nur die vom Westen übernommene Form des Tagebuches macht seine Modernität aus, sondern auch die zwischen den dreizehn Eintragungen bestehenden engen Ordnungsstrukturen, welche auf der Ebene von ineinandergreifender Handlung und Deutung die in der traditionellen chinesischen Erzählkunst herrschende bloße Aneinanderreihung von Episoden aufhebt. Man denke zum Beispiel an die funktionale Rolle des Lichtes oder der Augen. Wesentlicher und von nicht zu unterschätzendem Einfluß ist jedoch die neue Sicht des alten China und seiner ideologischen Basis, des Konfuzianismus. Wie bereits in der ersten noch in klassischem Chinesisch verfaßten Geschichte »Eine Kindheit in China« (»Huaijiu«) von 1911 teilt der Erzähler auch hier die Gesellschaft nach dem Verhältnis von Wissen und Besitz in Herr und Knecht ein. Da den konfuzianischen Klassikern die Aufgabe zukomme, diesen Gegensatz aufrechtzuerhalten – so die provokante These –, schrumpfen deren Moral- und Wertvorstellungen auf eine bloße »Menschenfresserei« (chiren) zusammen. Die Polarität von Gentry und Volk ist ein Strukturelement, welches immer wieder in Nahan anzutreffen ist. Der Grund, warum diese nach heutiger Auffassung etwas überholt wirkende materialistische Sicht nicht in einen reinen Schematismus umschlägt, hängt vor allem mit zwei Erscheinungen zusammen: Einmal versteht es der Erzähler, die Gegensätze dialektisch so zu gestalten, daß sie als gesellschaftliche Produkte vor den Leser treten, zum anderen beherrscht er meisterhaft die Verknüpfung von Innenwelt und Außenwelt, die in China nur einen Vorläufer in der klassischen Dichtung hat, aber ansonsten auf die moderne westliche Erzählkunst zurückgeführt werden muß. Die Position des Erzählers, selbst in der von Lu Xun in die chinesische Erzählung neu eingeführten Ich-Form, deutet sich oft lediglich in diesen beiden Ordnungsstrukturen an. Die Geschichte »Kong Yiji« leitet zum Beispiel die Mittelstellung des gleichnamigen Helden zwischen Gentry und Volk plausibel aus den gesellschaftlichen Verhältnissen ab. Ebenso ist es mit dessen Tod, der durch die Doppelfunktion einer Schuldtafel vorausgedeutet wird. Die Tafel ist nicht einfach ein simpler Einrichtungsgegenstand in einer Weinschenke von Luzhen, sondern sie ist vielmehr ein 68

LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 16–32; Lu Xun quanji, Bd. 1, S. 422–433.

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Zeichen. Als ein solches signalisiert sie den Wandel in Kong Yijis Leben, nämlich dessen fortschreitende Verelendung, welche die Begleichung seiner Schulden unmöglich macht und zu seinem Tod führt. Trotz der vorherrschenden materialistischen, oft düsteren Sicht der chinesischen Gesellschaft und ihrer Vertreter (Gentry, Volk, der gescheiterte traditionelle und der frustrierte moderne Intellektuelle), die der Autor zwischen dem Ende der QingDynastie und den ersten Jahren der Republik einzufangen versucht, kommt mitunter auch eine idealistische Sicht von der Veränderbarkeit der Wirklichkeit zum Tragen. Dies zeigt sich am deutlichsten gegen Ende der Erzählung »Heimat« (»Guxiang«, 1921), wo den Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und sozialen Stellung das Potential zur Schaffung einer neuen Welt zuerkannt wird. Die Verschränkung von Hoffnung und Weg ist so berühmt, daß sie hier zitiert werden soll. Während ich in einen Halbschlaf zu versinken begann, erstand vor meinen Augen wieder der jadegrüne Meerestrand, darüber erhob sich am tiefblauen Himmel ein goldgelber runder Mond. Es läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, dachte ich, ob es schon immer Hoffnung gegeben hat oder nicht. Es verhält sich wie mit den Wegen auf der Erde, ursprünglich gab es keine, doch als immer mehr Menschen die Erde beschritten, entstanden auch Wege.69

Eine gewisse Vorausdeutung auf die spätere Sympathie mit dem marxistischen Denken kann dagegen in der Kurzgeschichte »Eine Bagatelle« (»Yi jian xiaoshi«) gesehen werden. Hier rückt der Erzähler von der Sicht einer rohen und unbedarften Volksmasse ab, indem er in der Figur eines Rikschafahrers das Proletariat zum Träger der Zukunft macht; gleichzeitig widmet er sich zum ersten Mal sozialen Gegebenheiten in der Republikzeit. Lu Xun ist der erste Schriftsteller, der den unterprivilegierten Menschen in den Blickpunkt seiner Erzählkunst rückt. In seinem berühmtesten Werk »Die wahre Geschichte des Herrn Jedermann«, das erstmalig einem chinesischen Bauern eine eigene Biographie (zhuan) zugesteht, hat er dem Underdog ein Denkmal gesetzt. Erzähltechnisch scheint diese Geschichte auf den ersten Blick weniger raffiniert als manch andere angelegt zu sein, eher traditionell als modern. Selbst die äußeren Voraussetzungen für die Niederschrift erwecken den Eindruck einer herkömmlichen Publikation. Lu Xun hat die »Wahre Geschichte« zwischen dem 4. Dezember 1921 und dem 12. Februar 1922 in Fortsetzungen für das Feuilleton der Chenbao in Peking geschrieben. Wie er selbst sagte, mußte er immer wieder zur Weiterarbeit gedrängt werden und hat sein Werk gegen den offensichtlichen Willen der Redaktion vorzeitig beendet. Verständlich wird damit zumindest die lose Aufeinanderfolge von neun Kapiteln (zhang), die das Leben des Protagonisten nur zu bebildern scheinen und im eigentlichen Sinne keinen strengen Plot möglich machen, gleichwohl wird aber ein Bogen zwischen Anfang und Ende erkenntlich. Tatsächlich spielt hier der Erzähler jedoch mit der Tradition wie in keiner anderen Geschichte. Und man darf weder ihm 69

LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 103; Lu Xun quanji, Bd. 1, S. 485.

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während des Erzählvorgangs noch dem Autor in seiner Nachbetrachtung70 allzuviel Glauben schenken. So benennt er zwar ganz traditionell das letzte Kapitel mit »Das große Happy-end« (»Datuanyuan«), doch erlebt dort der Leser alles andere als das erhoffte »Ende gut, alles gut«. Statt dessen muß er sich genarrt fühlen. Datuanyuan meint vor allem im klassischen chinesischen Erzählgut und auf der klassischen chinesischen Bühne eine Harmoniestiftung: Die Kontrahenten erfahren Lohn und Strafe, die Gesellschaft kommt wieder ins Lot, Himmel und Erde sind ausgesöhnt, der Kaiser und das Volk stehen zueinander. Hier ist jedoch ganz das Gegenteil der Fall: Ein Unschuldiger verliert sein Leben und schreibt zuvor mit der Unterschrift unter sein Todesurteil seinen Namen für alle Ewigkeit fest. Q ist nämlich der verunglückte Kreis eines Analphabeten. Während sich der Erzähler zu Beginn seiner Biographie weitschweifig über den Gebrauch des Pinsels ausläßt und damit seine lebenslange Vertrautheit mit Schreiben und Lesen demonstriert, nimmt der Protagonist am Schluß der Erzählung zum ersten Mal das Schreibgerät in seine Hand. Statt Versöhnung ist die unversöhnte Welt Thema des letzten Kapitels. Der Leser wird also in seiner Erwartungshaltung getäuscht. Die Enttäuschung suggerierter Aussichten ist das durchgehende Prinzip der vermeintlichen Biographie. Das erste Kapitel, das Vorwort (xu), sucht formal im Stil eines traditionellen Erzählers die soziale Herkunft des Protagonisten und die diesem gebührende Form der Biographie zu bestimmen. Die Unmöglichkeit, Name, Geburtsort, Familienhintergrund exakt festzulegen, macht diesen Versuch zunichte. Der eigentlich allwissende Erzähler scheint mit diesem zum Scheitern verurteilten Unterfangen zwei Dinge zu verfolgen: Er demontiert von Anfang an seine Rolle als zuverlässiger Vertreter seines bis dahin auf Eindeutigkeit angelegten Gewerbes, und er signalisiert die allgemeine Bedeutung, die dem Gelegenheitsarbeiter A Q, wohnhaft in einem Tempel des Dorfes Wei, zukommt. A Q ist jeder Chinese, in mancher Hinsicht geht seine Repräsentativität sogar weit über China hinaus. Seine Kunst des »psychologischen Sieges« zum Beispiel teilt er mit vielen Zeitgenossen in anderen Kulturen auch. Insofern ist A Q Herr Jedermann, insofern hat Lu Xun ein bleibendes Zeugnis auch für Nichtchinesen hinterlassen. »Die wahre Geschichte des Herrn Jedermann« läßt sich auf verschiedenen Ebenen lesen. Dies hängt mit besagtem Vorwort zusammen, das nicht ein Thema, sondern viele Themen anschlägt. Der erste Satz mag genügen. Schon lange wollte ich die wahre Geschichte des Herrn Jedermann niederschreiben, aber ich habe es mir wieder anders überlegt, was zeigen mag, daß ich nicht zu jenen gehöre, die sich durch Schreiben ein unvergängliches Denkmal zu setzen versuchen.71

70

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Vgl. hierzu die Quelle in Anm. 58. In diesem Essay zur Entstehungsgeschichte der »Wahren Geschichte« scheint der Autor dem Leser manchen Bären aufzubinden. Man denke nur an die Begründung für den Wechsel von Humor zu Ernsthaftigkeit! LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 104; Lu Xun quanji, Bd. 1, S. 487.

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Unabhängig von der Tatsache, daß Schreiben seit der Antike eine der drei Formen ist, sich Unsterblichkeit zu sichern, ist die Frage zu stellen: Was soll eine Biographie, wenn sie nicht auf Ewigkeit hin angelegt ist? Ähnlich problematisch ist der Wahrheitsbegriff. Wie läßt sich eine wahre (zheng) Geschichte erzählen, wenn der Erzähler, kaum daß er sein Unterfangen begonnen hat, gestehen muß, über Name und Familie nicht hinreichend informiert zu sein? Sein Gewährsmann Konfuzius, der eine »Richtigstellung der Namen« (zhengming) verlangte, hat recht: Stimmen die Begriffe nicht, so entgleitet auch die Sprache. Es ist eben in diesem Sinne, daß auch der Protagonist dem Erzähler scheinbar zu entgleiten droht, tatsächlich jedoch nicht entgleitet. Wie ist das möglich? Der Erzähler, der uns den ganzen Namen nicht nennen kann (telling), zeigt uns den charakteristischen Namen (showing), indem er Jedermann zur Hinrichtung begleitet und einen verunglückten Kreis malen läßt. Dieser Name ist deswegen der wahre, weil er das Wesen seines Trägers und nicht dessen Familienzugehörigkeit offenbart. Neben solchen Überlegungen grundsätzlicher Art bietet das Vorwort auch zeitgeschichtliche, aktuelle Bezüge: das damals vieldiskutierte chinesische Wesen (guocui), das angeblich verlorenzugehen droht, der Wert und Unwert der neuen chinesischen Hochsprache, die schillernde Gestalt des Hu Shi, der 4. Mai und dessen Problematik. Themen wie diese erlauben eine jeweils andere Lektüre mit jeweils anderem Ergebnis. Die vielfach mögliche Verschachtelung soll hier jedoch nicht weiter verfolgt, sondern ein denkbar einfacher Zugriff im folgenden angeboten werden. Für A Q teilt sich die Welt in Sieger und Besiegte, Unterdrücker und Unterdrückte. Sein Verlangen, auf der Seite der Sieger zu stehen, wird durch seine unterprivilegierte Stellung und die daraus resultierende Angst vor den Mächtigen (pa qiang) gebrochen: Ein Sieg ist ihm nur über die Schwachen möglich, die seine ganze Verachtung trifft (qi ruo) – eine Geisteshaltung, die man im Deutschen Radfahrermentalität nennt. Aus diesem Dilemma resultiert die Taktik des »psychologischen Sieges« (jingsheng shengli), die es ihm ermöglicht, Niederlagen in Siege, Unrecht in Recht umzumünzen. Bestes Beispiel hierfür ist eine Ohrfeige des Großgrundbesitzers Zhao, aus welcher A Q ein Vater-Sohn-Verhältnis ableitet und somit sich wie aller Welt einen sozialen Aufstieg suggeriert. Während das zweite und dritte Kapitel nach dem überkommenen Prinzip der Reihung charakteristische Belege für A Qs Kunst des Siegens anführen, gehen die folgenden Kapitel vier bis sechs bzw. sieben bis neun auseinander hervor und tendieren vage zum Plot. Alle Verwicklungen der Kapitel vier bis sechs ergeben sich aus dem mißglückten Versuch des Protagonisten, die Dienerin der Familie Zhao, Wu Ma, zur Liebe zu überreden. A Q verliert daraufhin nicht nur seine Arbeit, sondern findet auch in der Folge keine weitere Anstellung. Aus der Gesellschaft ausgestoßen und vom Hunger gequält, begibt er sich nach versuchtem Mundraub in einem Nonnenkloster in die Stadt. Seine Rückkehr stellt ihn auf die Seite der Privilegierten: Er ist zu Geld gekommen, selbst die Zhaos, die ihn aus seiner Arbeit verjagt hatten, wollen von seinen neuerworbenen Gütern profitieren. Doch als bekannt wird, daß er seinen Reichtum der passiven Beteiligung an einem Diebstahl verdankt, büßt er seine Position und damit seine vermeintliche Macht ein.

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A Q hat jedoch bald schon wieder Gelegenheit, sich auf die Seite der Starken zu schlagen (Kap. 7–9): Auf die Kunde der Xinhai-Revolution von 1911 erklärt er sich selbst zum Revolutionär. Seine Hoffnungen, auf diese Weise die Bedürfnisse seines Lebens befriedigen zu können, werden in mehrfacher Hinsicht enttäuscht. Die Gentry einschließlich der Familie Zhao hat bereits für die Revolution Partei ergriffen, kann so ihren Besitz und ihre Position retten, zum anderen wird A Q von Seiten der Gentry die »Revolution untersagt« (bu zhun geming), und auch die von A Q irrtümlich für »revolutionäre Truppen« gehaltenen Räuber, die das Anwesen der Zhaos plündern, sind nicht an seiner Mitwirkung interessiert. Obwohl dergestalt ausgeschlossen von der »Revolution«, hat A Q die Konsequenzen zu tragen. Er kommt vor Gericht, wird des Raubes bezichtigt und zum Tode verurteilt. Der Augenblick, da er, begleitet von einer erwartungshungrigen Menge, durch die Stadt zur Hinrichtung geleitet wird, befähigt ihn zum ersten Mal, der Wirklichkeit ins Auge zu schauen und diese nicht zu verdrängen. Wenn auch der Erzähler mit seinem Vorwort und der Aneinanderreihung von Szenen der Tradition nahesteht, läßt sich doch auf der anderen Seite die Darstellung des Helden als modern im Sinne westlicher Erzählkunst bezeichnen. A Q wird nicht nur in seinen Handlungen, sondern auch von innen her in seinen Reaktionen auf die Ereignisse beschrieben. Insofern ist »Die wahre Geschichte des Herrn Jedermann« mit ihrer Omnipräsenz des Erzählers eine psychological tale (Lyell72). Die Bedeutung der »Wahren Geschichte des Herrn Jedermann« liegt in ihrem exemplarischen Charakter. Das Dorf Wei ist ein Mikrokosmos der chinesischen Gesellschaft, wo jedem innerhalb einer hierarchischen Ordnung seine Rolle zugewiesen ist. A Q, der sich innerhalb der vorgegebenen Rollen einzurichten versucht, aber dennoch zugrundegeht, ist die Verkörperung aller denkbaren Rollen, welche Chinesen im Laufe ihrer Geschichte gespielt haben. »Die wahre Geschichte des Herrn Jedermann« fällt in gewisser Hinsicht aus dem allgemein lyrisch gehaltenen Rahmen von Nahan heraus. Ihr fehlt das Verzweifelte, das Vordringliche, das Verhaltene, das sich in vielen Erzählungen andeutet, ehe es mit dem zweiten Erzählband Zwischenzeiten, Zwischenwelten (Panghuang, 1926) ganz offensichtlich wird. Die Vielgestaltigkeit des erzählerischen Werkes von Lu Xun hat die Literaturkritik von einer Gabe zur Vielfalt sprechen lassen. In der Tat scheint jede Erzählung in einer anderen Gestalt daherzukommen, mal in der Form des Tagebuches (»Das Tagebuch eines Verrückten«), mal lyrisch (»Heimat«), mal derb (»Jedermann«), mal in Form des Theaters73, mal in der eines Essays (»Die Geschichte von den Kaninchen und der Katze«). Auch scheint die Bandbreite der jeweiligen Stimmung beträchtlich zu sein, der Erzähler spielt zwischen Humor und Depression 72

73

WILLIAM A. LYELL, JR.: Lu Hsün’s Vision of Reality, Berkeley, Los Angeles, London: University of California Press 1976. »Auferstehung« (»Qisi«), in: LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. 4: Altes, frisch verpackt [Gushi xinbian]), S. 161–174.

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alle Seelenlagen aus. Es ist daher mitunter schwierig, den impliziten Autor auszumachen. Schenkt der Leser zum Beispiel dem Kind als Erzähler von »Kong Yiji« volles Vertrauen, so geht er in die Irre. Unmöglich kann der implizite Autor der Auffassung sein, das Leid von Kong Yiji verdiene die Schaulust und Schadenfreude seiner Umgebung. Vielmehr kann auch hier nur ein weiteres Exempel für den chinesischen Volkscharakter statuiert worden sein. Wir können dies an dem Schema erkennen, dessen sich der implizite Autor bedient, um die immer wieder im Gesamtwerk beklagte Herzlosigkeit des Chinesen zu veranschaulichen. Dieses Schema war oben als »Unglück mit Zuschauer« charakterisiert worden, im Fall von A Q kann es als »Hinrichtung mit Zuschauer« konkretisiert werden. Das Projekt der Rettung leuchtet hier zwar kaum auf, bildet aber dennoch den geistigen Hintergrund. Es hält gleichsam die heterogen konzipierten Erzählungen zusammen. Dabei bedient es sich nicht nur des Schemas »Sehen und Gesehenwerden«, sondern auch noch anderer Erzählmuster. Am bekanntesten dürfte darunter das Modell »Fressen und Gefressenwerden« sein. Unter die Topoi der Weltliteratur fällt das Schema des Heimkehrers, der auf eine veränderte Welt trifft: Jemand geht aus der Heimat fort, kehrt zurück und geht endgültig weg. Der Plot läuft oftmals auf Tod und Enttäuschung hinaus, nicht selten enden Erzählungen mit einem Abschied und dem anschließenden alleinigen Heimweg. Was haben aber dann angesichts eines immer wieder gefährdeten Projekts der Rettung Humor und Ironie in diesen Bestandsaufnahmen des zeitgenössischen Geistes zu suchen? Ist der implizite Autor etwa genauso unfähig zum Mitleiden wie manchmal sein Erzähler oder »der« von ihm so gescholtene Chinese? Schwarzer Humor ist ein Kennzeichen der Moderne, die sich der Ambivalenz bewußt ist: Ein Zurück in die Vergangenheit kann es nicht geben, aber ein Verweilen in der Gegenwart ist auch nicht möglich, die Zukunft ist verschlossen, und daß der Marxismus, mit dem Lu Xun geliebäugelt hat, noch mehr Unterdrückung des einzelnen bringen würde als jegliche Dynastie zuvor, konnte er auf Grund seines frühen Todes nicht vorhersehen. Der Humor entspringt der Einsicht in eine nahezu ausweglose Situation, in welcher der einzelne seine Stimme als Rufer in der Wüste nur erhebt, um sich von der Schwermut nicht ganz überwältigen zu lassen.

1.3 Literatur als Selbsterlösung: Guo Moruo (1892–1978) und die Göttinnen Literatur als Projekt zur Rettung des Vaterlandes, betrieben von einer Handvoll Intellektueller, die sich als »Rufer in der Wüste« verstehen und den »Retter« aus der Reihe der (westlichen) Moderne anzukündigen bemüht sind, eine solche Sicht der Dinge mag auf der Hand liegen, schließlich hat sich dieser Trend, verstärkt durch den Maoismus (1949–1979), auch seit der Öffnungspolitik (1979–) bis heute gehalten. Meine These zur modernen chinesischen Literatur als Projekt einer Selbsterlösung aber scheint bereits im Vorfeld erklärungsbedürftig zu sein. Das Problem, das sich hier stellt, läuft einmal mehr auf die allgemein geringe Kenntnis der tatsächlichen

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Einbettung der chinesischen Moderne in die Weltkultur hinaus. Oberflächlich betrachtet mag Nietzsches Wort vom »Tode Gottes« wenig auf China zutreffen, da die christliche Religion bzw. Religion überhaupt im 20. Jahrhundert nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben scheint. Die frühe Rezeption des Übermenschen (seit 1902) hat jedoch im Verein mit Schlagworten wie »Schlagt den Konfuziusladen entzwei« zu einem gesteigerten Glauben an die menschliche Leistung geführt. Das Ende der Bescheidenheit war hier genauso eingeläutet wie zu Zeiten von Nietzsche. Die Benennung eines Propagandaorgans als Neue Jugend signalisiert einen Abschied von den Lehren und Lehrern der Vergangenheit, welche eine Unterordnung des einzelnen unter die Tradition und das Alter verlangt hatten. Alle drei großen Lehren Chinas waren sich darin einig gewesen, daß Genügsamkeit und Selbstbescheidung Vorrang einzuräumen war und daß man selber nie das Gewicht eines Vorbilds erlangen konnte. Man konnte sich um Ebenbürtigkeit bemühen, mehr aber nicht. Nun jedoch, wo alles außer Kraft gesetzt war, begann das Ich, genährt auch durch die Lehren von Nietzsche, zu wachsen und zu schwellen. Es hatte nichts mehr hinter sich, sondern alles vor sich. Dies bedeutet, es begann, nur noch sich selbst zu begegnen, und zwar in einem doppelten Sinn: einmal, indem es einem anderen menschlichen Ich begegnete, also seinesgleichen (Ich des anderen), zum anderen, indem es einzig sich selbst begegnete und sich in dieser Begegnung gleichsam verdoppelte (Ich des Ichs). Wenn sich auch das Wort Theophanie für die chinesische Tradition nicht besonders empfiehlt, so läßt sich dennoch sein Pendant, die Egophanie, bequem veranschlagen. Eric Voegelin (1901–1985) hat den Übergang von der Tradition zur Moderne als den Übergang von der Erscheinung Gottes zu der Erscheinung des Ich bezeichnet.74 Die anhaltende Faszinationskraft des Selbst, welcher insbesondere die amerikanische Sinologie in ihrer Auseinandersetzung mit der modernen chinesischen Literatur so sehr erliegt, ist eine Fasziniertheit von sich selbst. Selbststeigerung und Enthusiasmus lauten die Stichworte, die deswegen pathetisch daherkommen müssen, weil nur das Pathos die notwendige Selbstbestätigung und Selbstsicherheit in einem grundsätzlich leeren Raum ermöglichen kann. Der Übergang von Theophanie zu Egophanie ist keine simple Passage von einer religiösen zu einer säkularisierten Haltung, vielmehr macht sich die neue Einstellung die Insignien der alten zunutze und etabliert sich auf diese Weise als neue Religion. Dabei kommt ihr einmal mehr das Pathos zustatten, dieses erfüllt nun die Rolle der Legitimierung. Ohne die notwendige Einsicht in die Moderne als Selbsterhöhung, Selbstbezüglichkeit, Selbstlob und Selbstfeier müssen die Grundtexte der Moderne unverständlich bleiben. Dies ist ein wesentlicher Grund, warum bislang zentrale Dokumente der chinesischen Moderne nicht gleichzeitig auch als wichtige Zeugnisse einer jeglichen Moderne erkannt worden sind. Man mag heute über das sentimentale und aufgeblähte Frühwerk eines Guo Moruo lächeln, man wird ihm mit Mißachtung 74

Vgl. NORBERT BOLZ: »Selbsterlösung«, in: 1998, S. 211.

DERS.

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(Hg.): Heilsversprechen, München: Fink

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jedoch nicht gerecht. Das folgende Gedicht »Himmelshund« (»Tiangou«)75 aus dem Zyklus Göttinnen (Nüshen, 1921) ist vielleicht der beste Beleg für Moderne als Egophanie. Ich bin ein Himmelshund! Ich verzehre den Mond, Ich verzehre die Sonne, Ich verzehre alle Sterne, Ich verzehre das gesamte Universum. Ich bin ich! Ich bin das Mondlicht, Ich bin das Sonnenlicht, Ich bin das Licht aller Sterne, Ich bin das Licht der Röntgenstrahlen, Ich bin die Gesamtheit aller Energy des Universums! Ich rase, Ich schreie, Ich brenne. Ich brenne wie das Feuer! Ich schreie wie das Meer! Ich rase wie die Elektrizität! Ich fliege, Ich fliege, Ich fliege, Ich ziehe meine Haut ab, Ich esse mein Fleisch, Ich trinke mein Blut, Ich kaue mein Herz und meine Leber, Ich fliege in meinem Geist, Ich fliege in meinem Rückenmark, Ich fliege in meinem Gehirn. Ich bin ich! Mein Ich will bersten!

(Februar 1920) 75

WOLFGANG KUBIN (Übers.): Nachrichten von der Hauptstadt der Sonne. Moderne chinesische Lyrik 1919–1984, Frankfurt: Suhrkamp 1985 (= NF; 322), S. 35–36; Guo Moruo quanji, Bd. 1, Peking: Renmin 1982, S. 54–55.

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Der Titel ist mehrdeutig.76 Es kann unter all den überlieferten Möglichkeiten aber nur eines gemeint sein, nämlich ein mythologischer Erklärungsversuch für Sonnenund Mondfinsternis, der die scheinbare Störung der natürlichen Ordnung einem sogenannten Himmelshund zuschrieb. Ein Hund würde Sonne und Mond aufzuessen beginnen. Dies wäre nach traditioneller Vorstellung ein böser Geist. Fassen wir die letzte Zeile der ersten Strophe wörtlich auf, so ließe sich exakt folgendermaßen übersetzen: »Danach nun bin ich ich!« (Wo bian shi wo le!) Die Voraussetzung für die Ich-Werdung ist die Vernichtung der bisherigen Welt, dies in einem doppelten Sinn: 1. Nach der Verzehrung des gesamten Kosmos kann ja nur das Ich übrigbleiben. 2. Das Ich hat sich von dem Universum genährt und ernährt. Außerhalb seiner selbst kann fortan nichts mehr existieren. Was fängt dieses Ich nun mit sich selbst an? Nachdem es alle natürlichen Energiequellen aufgebraucht hat, ist es selbstverständlich die Energie schlechthin, auch die der Moderne, die hier im Geist der Zeit mit energy benannt ist. Energie braucht bekanntlich Nahrung, wenn nichts mehr zu verzehren ist, kann man nur noch sich selbst verzehren. Und auch hier lautet das Ergebnis wörtlich: »Danach nun bin ich ich!« Was kann es nach diesem »danach« (bian) noch geben? Nur ein Explodieren (bao) des Ich und anschließend das Nichts. Guo Moruo macht hier von der Ich-bin-Formel Gebrauch, die, wie Marián Gálik nachgewiesen hat77, auf das Alte Testament zurückgeht: »Ich bin, der ich bin« bzw. »Ich werde sein, der ich sein werde« (2. Mose 3.14) wäre demnach die korrektere Übersetzung. Wie dürfen wir diese blasphemische Gleichsetzung des Dichters mit Jahwe verstehen? Es geht um die Kreierung einer neuen Welt aus dem Bewußtsein von Wissenschaft und Fortschritt. Hierzu ist die alte Welt einschließlich der eigenen Person zu verwerfen. Dem Neuen Ich entspricht die Neue Welt. Weltenbrand und Schöpfung sind eigentlich nur einem höheren Wesen gegeben. Im Verein mit Göttinnen fühlt sich der Dichter als alter deus jedoch zu der Neuordnung verpflichtet und berufen. Dabei vertraut er ganz auf technische Neuerungen, die ein neues Solarsystem ermöglichen sollen. Hierzu wäre noch vieles zu sagen. Es ist jedoch notwendig, zunächst innezuhalten, um einen größeren Rahmen abstecken zu können. Guo Moruo entwirft hier mehr als nur eine chinesische Version der Moderne. Er schreibt gleichsam den Text, der, sich der abendländischen Geistesgeschichte verdankend, auch für den Westen Gültigkeit beanspruchen kann. Er steht damit in der Nachhut eines Denkens, das auf Nietzsche zurückgeht und in Nietzsche seinen entschiedensten Befürworter hat. Guo Moruo entwirft sich hier als Zerstörer einer Welt und Ordnung, die Nietzsche als die der Zukurzgekommenen, als die der schlecht 76

77

Da Guo Moruo im ersten Gesang der Göttinnen – KUO MO-JO: The Goddesses. Selected Poems, Peking: Foreign Languages 1958, S. 7; Guo Moruo quanji, Bd. 1, S. 13 – den »Himmelswolf« (tianlang) geheißenen Stern erwähnt, der vom Himmel geschossen wird, setzt Gálik (Milestones in Sino-Western Literary Confrontation, S. 58) den »Himmelswolf« mit dem »Himmelshund« (tiangou) gleich. Dies scheint mir aber die Angelegenheit unnötig zu verdunkeln. Vgl. zu diesem Komplex meinen Beitrag »Schöpfer! Zerstörer!«, S. 102–103.

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Redenden, schlecht Meinenden kritisiert hatte.78 Gewährsmann beider ist die Gestalt des Zarathustra, zu deren Übersetzern in China auch Guo Moruo gehört. Mit seinem Werk unternahm Nietzsche nichts Geringeres, als der Menschheit ein neues, ein »fünftes« Evangelium zu verkünden und hiermit zum Dysangelisten, zum Verkünder einer Gegenbotschaft, zu werden. Gegen die bisherigen vier Evangelien, welche die Welt zum Jammertal und den Menschen zum Sünder erklärten, sei es notwendig, den Menschen und seine Kreativität gutzuheißen und ihn zur Bejahung des Lebens zu befreien. Der Neuevangelist Nietzsche bereitet mit seiner Eulogik der kommenden »Linguistik des Jubels«, einem bald entstehenden »Hochgefühlskollektiv« den Boden. In diesem Sinne werden Völker zu »selbstlobenden Einheiten«, wird jede Art von Sprechen zum Akt einer »Selbst-Hochhaltung der Sprechenden«, ist Reden ein Reden von sich als einer unnachahmlichen Existenz und einem Glück für sich und die Menschheit. Es ist kein Zufall, daß Guo Moruo sehr bald zu den Preissängern eines Mao Zedong (1893–1976) gehören wird, der als eine der repräsentativsten Gestalten der Selbstbejubelung zu gelten hat. Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Der Weg von der Misologie zur Eulogie ist der Weg von einem Leben aus der Tradition zu einem Leben, das man sich selbst verdankt. Was der Mensch ist und wird, ist und wird er nicht in der Nachfolge, sondern von eigenen Gnaden. Die Selbststeigerung hat ihren Grund nicht mehr außerhalb des einzelnen, sondern nur noch in diesem selbst. Statt daß der Mensch im religiösen Akt oder in der Unterweisung durch einen Lehrer etwas empfängt, das ihm zur Erweiterung seiner Fähigkeiten verhilft, meint er nun, sich alles selber zu verdanken. Dies wird zum Grund und Anlaß des für die Moderne so charakteristischen Gegenentwurfs zur Traurigkeit des Menschen: Enthusiasmus statt Melancholie, Pathos statt Kleinmut, Selbstmitleid statt Mitleid. Was hier stattfindet, läßt sich auch als »Erhabenheitstransfer« bezeichnen. Erhaben sind nicht mehr Religion und Tradition, sondern erhaben ist zunächst der einzelne und dann die Gemeinschaft, insbesondere der Staat. Dabei erfolgt der Transfer über drei Stufen: Ausgangspunkt ist der einzelne, der sich erhaben dünkt. Guo Moruo spricht von »Selbstanbetung« (wo [...] zongbai wo!) in einem Gedicht, welches das Ich vom »Bilderverehrer« zum »Bilderstürmer« führt.79 Die nächste Stufe stellt die Heldenverehrung dar, gepriesen werden vor allem diejenigen, die gegen die Tradition standen und stehen. Vorbild war für Guo Moruo die 78

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Ich folge hier PETER SLOTERDIJK: »Ich bin jetzt der unabhängigste Mann in Europa. Über die Verbesserung der guten Nachricht: Nietzsches fünftes Evangelium«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.8.2000, S. 52–53; zur Buchform s. die Ausgabe Frankfurt: Suhrkamp 2000; RÜDIGER SAFRANSKI: »Um sein Leben denken. Nietzsche – Nach hundert Jahren«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.8.2000, S. I–II (Bilder und Zeiten); PETER SLOTERDIJK: »Die schöne Politik und der hohe Ton. Nicht Konsensus, sondern Enthusiasmus: Überlegungen zum Ideenhimmel von Beethovens Neunter Symphonie«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.10.2000, S. 68. KUBIN: Nachrichten von der Hauptstadt der Sonne, S. 37 (»Ich bin ein Bilderverehrer«); Guo Moruo quanji, Bd. 1, S. 99.

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geschichtsphilosophische Schrift Über Helden, Heldenverehrung und das Heldentümliche in der Geschichte (1841) von Thomas Carlyle (1795–1881). Eine derartige Verehrung ist im Grunde genommen eine Selbstverehrung, denn der Entwurf des Helden als Poet läuft auf den Entwurf des Poeten als Prophet und Führer hinaus. Davon spricht Guo Moruo auch unmißverständlich in seinem nach der Lektüre von Carlyle geschriebenen Gedicht »Schneemorgen« (»Xuezhao«).80 Und zu guter Letzt ist da die Anrufung des Vaterlandes, die sehr oft im Rahmen der Selbstmotivation erfolgt. Der einzelne, der nach Bilderverehrung und Bildersturm nur noch sich selber hat, neigt im Anblick der eigenen Schwäche zur Überantwortung an ein Über-Ich, zur Auszehrung auch um der Heimat willen.81 So wird die junge Republik für den Dichter zu einem jungen Mädchen, um dessentwillen er sich ganz wie ein Stück Kohle im Ofen aufbrennen möchte. Von all diesen drei genannten Stufen eines »Erhabenheitstransfers« geben die Göttinnen hinreichend Kunde. Kehren wir zum Ausgangspunkt unserer Betrachtungen, zum Gedicht »Himmelshund«, zurück. Das Rebellische dieses Textes läßt sich nur über einen Umweg erkennen. Die chinesische Tradition kennt keine Hervorkehrung des Ich, sie kennt auch keinen freien Vers und noch weniger eine solch formlose Aneinanderreihung von Zeilen. Ob das Poem einen Vers mehr oder weniger hat, hätte es einen Unterschied gemacht? Guo Moruo bricht hier in mehrfacher Hinsicht aus dem Käfig der Vergangenheit aus und begründet damit praktisch eine moderne Poesie, die bislang Hu Shi nur theoretisch zu etablieren gelungen war. 39mal wird ein Ich benannt, es leitet jeden Vers ein und findet sich auch in der Mitte, zweimal auch noch am Ende, sehen wir einmal von den als Ausrufezeichen fungierenden Partikeln le und ya ab. Das Ich ist also der Anfang und das Ende, ganz so wie der Gott des Alten Testamentes. Eine derartige Dominanz läßt selbstverständlich alles andere hinter sich verschwinden, damit wird eine Gleichheit, eine Gleichwertigkeit von Ich und Welt vollkommen unmöglich gemacht. Ein solch präsentes Ich verabschiedet hier ostentativ die überkommene grammatische Subjektlosigkeit der chinesischen Dichtkunst. Um überhaupt so oft Ich sagen zu können, müssen die bisherigen festgefügten Versmaße und Sprachformen notwendigerweise gesprengt werden. Subjektivität duldet das Ritual der klassischen Sprache nicht mehr, umgekehrt kann auch kein klassischer Kanon Subjektivität in diesem Maße zulassen. Beides schließt einander aus. Ein unterschiedliches Bewußtsein bedarf einer unterschiedlichen Form, unterschiedliche Formen gewähren umgekehrt auch nur einem unterschiedlichen Bewußtsein einen bestimmten Halt. Mit einem Text wie dem obigen wird das lyrische Ich zu dem Verbrecher, von dem Nietzsche in seinem Zarathustra als Erneuerer spricht. Die Vielschichtigkeit des Werkes erlaubte manche Weiterdeutung, die hier jedoch nicht weiterverfolgt, nur angedeutet werden soll. Wenn nämlich das lyrische Ich dem 80 81

Guo Moruo quanji, Bd. 1, S. 85–86; KUO: The Goddesses, S. 30. Vgl. z.B. »Kohle im Ofen« (»Lu zhong mei«), in: Guo Moruo quanji, Bd. 1, S. 58–59; KUO: The Goddesses, S. 17.

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Gott des Alten Testamentes gleichkommt, dann ist es auch zum Retter berufen. So wie Jahwe die Kinder Israels aus der Gefangenschaft in Ägypten geführt hat, so müßte auch der Sprecher im vorliegenden Fall befähigt sein, das geknechtete Volk Chinas aus dem Joch von Imperialismus und (Halb-)Kolonialismus zu befreien.82 Dies läge durchaus auch auf der in den Göttinnen vertretenen Linie vom Poeten als Helden und Propheten, der sich der Hilfe höherer Mächte bei der Umgestaltung der Welt gewiß sein darf. Da Guo Moruo den Gedichtband mehrfach bearbeitet und den Erfordernissen der Zeit angepaßt hat, ist es nicht leicht, ein angemessenes und in sich widerspruchfreies Bild von den Göttinnen zu gewinnen. Bislang ist es keinem westlichen Sinologen gelungen, die seltene und anscheinend kaum auftreibbare Erstausgabe einzusehen. Wie gravierend vorgenommene Änderungen sein können, zeigt der Fall von Gabriele D’Annunzio (1863–1938), dessen Heldenverehrung, martialischer Einsatz als Flieger und nationaler Preisgesang manche Parallele zu Werk und Leben des Guo Moruo aufweisen. Spätere Ausgaben ersetzen den Namen des italienischen Dichters in einer hymnischen Grußadresse an die Heroen der Welt durch den von Leonardo da Vinci, als dessen Verstrickung in den italienischen Faschismus bekannt wird bzw. offiziell nicht mehr goutiert werden darf.83 Die komparativ sehr sorgfältige Interpretation der Göttinnen durch Marián Gálik, die sich wohltuend von der politischen Deutung eines Lars Ellström84 abhebt, zeigt die zahlreichen in- wie ausländischen, traditionellen wie modernen Einflüsse auf.85 Die Widersprüchlichkeiten, zu denen eine beliebige Rezeption notwendigerweise führen muß, liegen in der Natur einer Sache, die sich weniger der Vernunft als vielmehr dem Gefühl verpflichtet sieht. Das Potpourri, das Guo Moruo zubereitet hat, erlaubt viele und unterschiedliche Deutungen. Es läßt sich im Grunde genommen nur aus dem internationalen Geist der Zeit verstehen, der, um Neuerung bemüht, dem faschistischen wie sozialistischen Denken offenstand und im Führerkult aufging. Der Poet war trotz aller inneren Anfeindungen Steigbügelhalter einer Elite, zu der er sich selber zugehörig fühlte. Nicht zufällig bekränzt er sich mit eben der Sonne, die im 82

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DAVID E. APTER: »Yanan and the Narrative Reconstruction of Reality«, in: Dædalus (Frühling 1993), S. 207–232. Vgl. auch DAVID E. APTER u. TONY SAICH: Revolutionary Discourse in Mao’s Republic, Cambridge, Mass., London: Harvard University Press 1994; ANDREA RIEMENSCHNITTER: »Revolution als Fundament nationaler Identität? Literarische Interventionen zum Gründungsmythos der VR China«, in: GESA VON ESSEN u. HORST TURK (Hg): Unerledigte Geschichte. Der literarische Umgang mit Nationalität und Internationalität, Göttingen: Wallstein 2000, S. 334–361. Vgl. z.B. GUO MORUO: Nüshen, Peking: Renmin Wenxue 1977 (Nachdruck von 1953), S. 54 (»Chen'an«); KUO: The Goddesses, S. 19 (»The Good Morning«); Guo Moruo quanji, Bd. 1, S. 65–66 (nur in der Fußnote 8 findet sich hier ein Verweis auf den ursprünglichen Vers zum Preis von D’Annunzios Fliegereinsatz über Wien). In: A Selective Guide to Chinese Literature 1900–1949, Bd. 3: The Poem, hg. von LLOYD HAFT, Leiden u.a.: Brill 1989, S. 108–114. GÁLIK: Milestones in Sino-Western Literary Confrontation, S. 43–71.

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Zentrum seiner Anrufungen steht.86 Dabei spielt es keine Rolle, daß es eben jene Sonne ist, die er eigentlich durch eine künstliche ersetzt haben möchte. Er findet nämlich die bisherige Sonne veraltet und wünscht sie sich im Spektakel von Götterdämmerung und Wiedergeburt durch eine neue, künstliche ersetzt.87 Er inszeniert zu Beginn des Gedichtbandes ein Drama mit dem Titel »Die Wiedergeburt der Göttinnen« (»Nüshen zhi zaisheng«). Zwei mythologische Gestalten kämpfen um die von der Göttin Nü Wa geschaffene Welt. Wir hören die Göttinnen im Angesicht des einsetzenden Chaos die Müdigkeit der alten, verblaßten Sonne beklagen und »der Kreierung eines neuen Lichtes, einer neuen Wärme, einer neuen Sonne« das Wort reden. Mag auch der Kampf um die Weltherrschaft die alte Welt buchstäblich aus den Angeln heben, so sehen doch die Göttinnen das neugeschaffene Licht aus dem Dunkel bereits nahen. Dies nimmt der Poet in der Rolle eines Intendanten zum Anlaß für eine Adresse an das Publikum. Wertes Publikum! Sie haben wohl schon genug in der Finsternis einer verwüsteten Welt ausgeharrt! Sicherlich verlangen Sie nach Licht! Der Poet dieses lyrischen Spiels hat an dieser Stelle innegehalten, er ist bereits auf und davon, um ein neues Licht und eine neue Wärme zu schaffen. Wertes Publikum, wünschen Sie eine neugeborene Sonne aufgehen zu sehen? Dann ist es an Ihnen, sich an das Werk zu machen und Hand anzulegen. Wir sehen uns wieder unter einer neuen Sonne!88

Der Poet geht hier seiner Zeit voran, er hat große Vorbilder, er folgt Göttinnen, die aus Nischen getreten sind und die toten Leiber der einstigen Streiter um die Weltherrschaft in die Nischen verbannen. Die Zukunft scheint also weiblich zu sein und der Poet ihr erster Verkünder. Sowohl das lyrische Ich als auch die Göttinnen machen inflationären Gebrauch von den Adjektiven »neu« und »neugeboren«. Diesem Gebrauch liegt ein denkbar einfaches Weltverständnis zugrunde. Die vorhandene Welt ist die Welt der Finsternis, die kommende ist die des Lichts, eines selbstgeschaffenen Lichts, eines künstlichen, eines elektrischen Lichts89, dem mancher Hymnus gewidmet wird. Die Notwendigkeit zur Umwertung aller bisherigen Werte macht sich an Klagen wie den folgenden fest: Weit ist das Universum, fühllos wie Eisen! Weit ist das Universum, schwarz wie Pech! 86 87

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Guo Moruo quanji, Bd. 1, S. 132 (»Libie«); KUO: The Goddesses, S. 46 (»Parting«). Zur Sonne als Inbegriff des Guten bei Nietzsche vgl. PETER SLOTERDIJK u. HANS-JÜRGEN HEINRICHS: Die Sonne und der Tod, Frankfurt: Suhrkamp 2001. Zum Neuen als Wert an sich s. an neueren Publikationen MARIANNE GRONEMEYER: Immer wieder neu oder das ewig Gleiche, Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 2000. Guo Moruo quanji, Bd. 1, S. 14. Vgl. z.B. den komplexen Gesang »Bei elektrischem Licht« (»Dianhuoguang zhong«), KUO: The Goddesses, S. 24–26; Guo Moruo quanji, Bd. 1, S. 75–78.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949) Weit ist das Universum, stinkig wie Auswurf! [...] Universum, Ich will mich befleißigen, dich zu schmähen: Du von Eiter und Blut besudeltes Schlachthaus! Du Gefängnis voller Traurigkeit! Du Grab, wo die Geister schreien! Du Hölle, wo die Dämonen tollen. Warum deine Existenz? Wir fliegen gen Westen, Der Westen ist auch ein Schlachthaus. Wir fliegen gen Osten, Der Osten ist ebenso ein Gefängnis. Wir fliegen gen Süden, Auch der Süden ist ein Grab. Wir fliegen gen Norden, Der Norden ist nicht minder eine Hölle.90

Dies ist der Gesang des Phönix, der sich hier auch anderer Stimmen bedient. Guo Moruo beruft sich für seine Verwendung sowohl auf die arabische wie auf die chinesische Tradition. Der Phönix aus der Asche ist Zeichen für den Untergang einer alten und die Geburt einer neuen Welt. Wir haben uns hier etwas länger aufgehalten, als vielleicht geboten erscheinen mag, besonders wenn man bedenkt, wie sehr manche Texte in die Jahre gekommen sind. Gleichwohl geht der Zyklus Göttinnen über das rein Historische hinaus. Er hat Schule gemacht, Denk- und Schreibmuster festgelegt, gleichzeitig die andere Seite der menschlichen Seele mitbedacht. So finden sich nicht nur »Hymnen an die Sonne« (»Taiyang lizan«)91, Preisgesänge einer vita nuova (»Xinsheng«)92, sondern auch Nachtlieder, Lieder der Todessehnsucht und der Desillusion.93 Selbst den Rebellen der späteren Pekinger Demokratiebewegung (1978–1980) hat Guo Moruo Munition geliefert, denn Bei Daos (geb. 1949) berühmte Absage »Ich glaube nicht« (wo bu xiangxin) findet sich bereits mehrfach und formelhaft in dem Gesang »Erde, meine Mutter« (»Diqiu, wo de muqin«).94 Neben Bildern und Techniken der Moderne reflektieren die Göttinnen ebenfalls beispielhaft den Selbstbetrug der Moderne. Auch Guo 90

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Aus: »Gesang des Phönix« (»Feng ge«), deutsch vom VERFASSER in: die horen 138 (1985), S. 56; Guo Moruo quanji, Bd. 1, S. 36–38. Guo Moruo quanji, Bd. 1, S. 100–101; KUO: The Goddesses, S. 37. Ebd., S. 157–158, ursprünglich unter »Neu-Leben« auf deutsch verfaßt, s. KUBIN: Nachrichten von der Hauptstadt der Sonne, S. 41. Guo Moruo quanji, Bd. 1, S. 127 (»Ye«), 128 (»Si«), 137–138 (»Si de youhuo«), 144–145 (»Misangsuoluopu zhi yege«), 162 (»Shanghai yinxiang«). Ebd., S. 79–84; KUO: The Goddesses, S. 27–29.

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Moruo macht Gebrauch vom Schiffbruch als Metapher95, der er den Dampfer als Emblem des 20. Jahrhunderts entgegensetzt. Unter dem Einfluß von Walt Whitman (1819–1892) führt er die Ich-bin-Formel, die Katalogtechnik und die Emphase in die chinesische Literatur ein. Bei aller heißen Luft sind ihm doch auch formal vitale und emotionsgeladene Verse gelungen. Die Kehrseite sind ein übersteigertes Ich (Ichbin-Formel), eine Beliebigkeit von Aufzählungen (Katalogtechnik) und eine naive Überzeugung von der Machbarkeit der Welt. Guo Moruo ist vielleicht der erste chinesische Schriftsteller, der ein Loblied auf Lenin96 anstimmt und freiwillig proletarisches Denken zu übernehmen bereit ist.

1.4 Literatur und das Pathos des Selbstmitleids: Yu Dafu (1896–1945) Guo Moruo entwirft in den Göttinnen ein abstraktes Ich, kein konkretes, und damit ebensowenig ein individuelles. Dieses Ich ist zwar auch kein kollektives Ich, doch eines, das neben dem »Dichter als Soldaten« und dem »Dichter als Heroen« auch das Ich aller Rebellen, ob der Vergangenheit oder Gegenwart zugehörig, umfaßt. Das Ich ist gleichsam Programm und damit Pose, es unterscheidet sich daher grundlegend von dem Ich der späteren, 1928 begonnenen Autobiographie.97 Hier in der Abhandlung einer Epoche am Beispiel eines Ich98 erfährt der Leser trotz der Verzahnung mit der Zeitgeschichte soviel Persönliches über die Gestalt des Verfassers, daß diese einmalig und individuell vor Augen tritt. Im Vergleich zu den Göttinnen erleben wir ein nüchternes Ich, dem die Gabe zur Selbststeigerung abhanden gekommen zu sein scheint. Dies mag durchaus auch auf den Genrewechsel zurückzuführen sein, doch lehrt das Beispiel des Erzählers Yu Dafu (1896–1945), daß Enthusiasmus der Prosa nicht unbedingt fremd sein muß. Fassen wir zusammen: Guo Moruo schafft dank einer neuen Symbolik (Sonne, Meer, Blut) eine neue Mythologie, die Mythologie der Moderne, der Dynamik und Rebellion zu eigen sind. Er knüpft dabei an das Erbe der Weltzivilisation an: Sein Internationalismus erlaubt es ihm, generell zwischen China und dem Ausland, zwischen Chinesen und den Fremden keinen qualitativen Unterschied festzumachen. Es bedarf nur der entsprechenden Dichter-Seher, und eine neue Welt würde auch im Reich der Mitte entstehen können. Mit seiner Lichtmetaphorik vollzieht Guo Moruo einen Paradigmawechsel ebenso wie zu derselben Zeit Yu Dafu (1896–1945) mit 95

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Guo Moruo quanji, Bd. 1, S. 39 (»Huang ge«); deutsch vom VERFASSER in: die horen 138 (1985), S. 55 (»Der Gesang der Phönixin«). Guo Moruo quanji, Bd. 1, S. 108–112 (»Jupao zhi jiaoxun«). GUO MORUO: Kindheit, aus dem Chinesischen von INGO SCHÄFER, Frankfurt: Insel 1981; DERS.: Jugend, aus dem Chinesischen von INGO SCHÄFER, Frankfurt: Insel 1985. Eine vierbändige Ausgabe der Autobiographie erschien unter dem Titel Moruo zizhuan, Hongkong: Joint Publishing 1978. GUO MORUO: Kindheit, S. 7 (Vorwort); Moruo zizhuan, Bd. 1, S. 1.

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seiner Betonung der Finsternis. Poesie bevorzugt bekanntlich die Nacht, also den Mond, Erzählkunst den Tag, also die Sonne.99 Guo Moruo gibt jedoch dem elektrischen Licht den Vorzug und Yu Dafu der natürlichen Dunkelheit. Die neue Welt, die der eine ankündigt, scheint der andere bereits wieder zurückzunehmen. Dies darf keinesfalls als widersprüchlich mißverstanden werden. Es ist ja gerade die vielfach übersehene Leistung von Guo Moruo, der anderen Seite des Lichts, der Finsternis, wenn auch nicht einen prominenten, so doch einen verschwiegenen Ort eingeräumt zu haben. Enthusiasmus und Depression bleiben allerdings ungleiche Geschwister, der Größenwahn behält die Oberhand. Guo Moruo ist nur formal eine gewisse Abgleichung von Licht und Schatten möglich, ihm ist es keinesfalls gegeben, eine inhaltlich kritische Auseinandersetzung mit dem Phänomen der megalomania durchzuführen. Wenn wir dem Vorwort zu Applaus Glauben schenken dürfen, hat Lu Xun bereits nach seiner Rückkehr aus Japan (1909) praktische Maßnahmen gegen seine melancholischen Zustände ergriffen, ehe er sie literarisch abzuhandeln begann. Wie immer man dies deuten mag, hat Yu Dafu zeitlich zwar später, anhand von Publikationen nachprüfbar jedoch nahezu zeitgleich wie sein Vorgänger eine Auseinandersetzung mit der Schwermut betrieben. Es ist allerdings sein Unglück, daß sein Werk auf Grund eines sicherlich weniger stark ausgeprägten sprachlichen Vermögens bislang unterschätzt wird.100 Die chinesische Leserschaft hat sich oftmals eher nach inhaltlichen Phänomenen wie Fragen des Nationalismus, der Sexualität oder der »Klassenunterschiede« gerichtet. Die bekanntesten und auch einflußreichsten Erzählungen sind daher oft nicht Yu Dafus besten. Die mangelhaften Interpretationen haben einmal mehr mit einer mangelnden Einbettung seines Werkes in den Kontext der Weltliteratur zu tun. Die allgemein als am repräsentativsten eingeschätzte Erzählung »Untergang« (»Chenlun«)101 entstand 1921 in Japan. Sie bildet auch den Titel einer ersten Sammlung, die insgesamt drei Werke umfaßt. Sie besticht eher durch ihre kritische 99

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Zur Thematik und Sekundärliteratur vgl. meinen Aufsatz »Nocturnal Consciousness and Female (Self-)Destruction. Towards a Theory of Darkness in Modern China«, in: minima sinica 2/2001, S. 103–117. Auch ich komme noch 1994 zu einem recht kritischen Urteil: »Der Junge Mann als Melancholiker. Ein Versuch zu Yu Dafu (1896–1945)«, in: minima sinica 2/1994, S. 15–33. Eine eher als freie Bearbeitung denn als zitierfähige Übersetzung zu bezeichnende Version liegt von ANNA ROTTAUSCHER vor: Yo Ta Fu: Untergang, Wien: Amandus 1947. Zuverlässig, wenn auch unliterarisch ist dagegen die Übersetzung von YU DAFU: »Der Untergang«, in: DERS.: Die späte Lorbeerblüte. Erzählungen, aus dem Chinesischen von YANG ENLIN, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 1990, S. 1–48. Zu einer sowohl zuverlässigen als auch literarischen Fassung von MARC HERMANN s. minima sinica 1/2002, S. 93–135. Zum Original s. Yu Dafu wenji, Bd. 1, Hongkong: Joint Publishing 1982, S. 16–53. Zu einer Interpretation und zur Sekundärliteratur s. meinen Beitrag: »Yu Dafu (1896–1945): Werther und das Ende der Innerlichkeit«, in: GÜNTHER DEBON u. ADRIAN HSIA (Hg.): Goethe und China – China und Goethe, Lang: Bern u.a. 1985, S. 155–181.

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Haltung zum Phänomen des Jungen Mannes als durch ihre vermeintlich nationale Thematik102, die sich leicht für einen antijapanischen Chauvinismus mißbrauchen läßt. Ihr eigentlicher Gegenstand, der Junge Mann als Melancholiker, entstammt der abendländischen Geistesgeschichte, der Beginn ist mit Johann Wolfgang von Goethes (1749–1832) Werther anzusetzen, ein Ende bis heute noch nicht abzusehen. Yu Dafu ist vielleicht der erste chinesische Autor, der Kernbegriffe der abendländischen Melancholiegeschichte in der Originalsprache einzusetzen weiß und damit deren volles Verständnis zu erkennen gibt. Schlagen wir zum Beispiel die erste Seite von Kapitel 2 der Erzählung in einer chinesischen Ausgabe auf, so stechen auch einem des Chinesischen unkundigen Leser unmittelbar Worte wie Zarathustra, megalomania und hypochondria in die Augen. Der Erzähler faßt hier allein mit Hilfe dieser drei Signale genial das Phänomen seiner Zeit zusammen: Der Name Zarathustra steht für die Lehre vom Übermenschen, für eine Hoffnung auf die beispielhafte Selbsterhebung des Menschen aus seiner Not, eine Selbsterhebung freilich, die im Angesicht einer weniger gut lenkbaren Wirklichkeit leicht in Depression umschlagen kann. Es ist bezeichnend, daß der Erzähler selbständig eine Übersetzung von hypochondria in youyuzheng, in Depression vornimmt. In einer westlichen Übersetzung muß dieser Signalcharakter natürlich entfallen. Die entscheidende Passage lautet wie folgt: Er litt unter einer immer tieferen krankhaften Melancholie [youyuzheng]. Die Lehrbücher an seiner Hochschule schienen ihm vollkommen freudlos und so zäh und fade wie Wachs im Mund. An klaren, sonnigen Tagen pflegte er mit seinen Lieblingsbüchern in die Berge oder ans Meer zu entfliehen, um an solch menschenleeren Stätten die Tiefen der Einsamkeit auszukosten. In Augenblicken vollkommener Stille, an Orten, wo Himmel und Wasser einander spiegelten, betrachtete er die Gräser und Bäume, die Insekten und Fische, schaute auf zu den weißen Wolken und dem blauen Himmel und fühlte sich als ein Weiser, der sich in stolzer Einsamkeit über die Welt erhoben hatte, ein Einsiedler, der sich, frei und selbstmächtig, von allem gelöst hatte. Traf er dann manchmal in den Bergen einen Bauern, so sprach er innerlich zu ihm die Worte Zarathustras im Glauben, er wäre es selbst. Sein Größenwahn [megalomania] wuchs im selben Maße wie seine Melancholie [hypochondria] von Tag zu Tag.103

Yu Dafu charakterisiert seine Erzählung als Versuch, am Beispiel eines Jungen Mannes »das Leiden des modernen Menschen« zu beschreiben.104 Auch wenn er hierbei verstärkt den körperlichen Aspekt, den Widerspruch von Leib und Geist, hervorhebt, so erlaubt der »nationale Aspekt« vor allem gegen Ende der Erzählung gleichwohl 102

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Vgl. KIRK A. DENTON: »The Distant Shore: The Nationalist Theme in Yu Dafu’s ›Sinking‹«, in: CLEAR 14 (1992), S. 107–123. YU DAFU: »Versinken«, aus dem Chinesischen von MARC HERMANN, in: minima sinica 1/2002, S. 98; Yu Dafu wenji, Bd. 1, S. 21. YU DAFU: Chenlun, Schanghai: Taidong Shuju 1921, S. 1.

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eine über das Sexuelle hinausgehende Deutung. Der Schluß bedient sich der Politsprache der Jahrhundertwende, die dem Protagonisten ein drittes Mal in den Mund gelegt wird und bis zum heutigen Tag das Ziel von Chinas Erneuerungsweg vertritt, nämlich als Staat reich und stark (fuqiang) zu werden. Von konservativen Interpreten wird dieser Schluß für bare Münze genommen, er liest sich jedoch aus westlicher Sicht, wenn er nicht als Parodie verstanden und übersetzt wird, unfreiwillig komisch, ja kitschig: »Vaterland, ach, Vaterland! Du fügst mir den Tod zu! Werde bald reich [fu] und stark [qiang]! Viele deiner Kinder leiden noch immer!«105

Der Protagonist steht im Begriff, sich zu ertränken, so ist eigentlich auch der chinesische Titel der Erzählung zu verstehen. Anlaß für seinen Selbstmord ist die vermeintliche Demütigung durch Japaner, vor allem durch japanische Frauen. Geht man von einer Identität des Erzählers und des Protagonisten aus, dann verliert diese Erzählung jeglichen Reiz, denn dann läge die Botschaft in nichts anderem als in dem folgenden trivialen Gedankengang: Weil China schwach ist und Japan stark, deswegen werden Chinesen von den Japanern verachtet. Selbst in japanischen Bordellen müssen sich Chinesen als Männer Demütigungen gefallen lassen. Wenn China erst einmal reich und stark geworden ist, dann wird sich kein Chinese mehr aus Scham zu ertränken haben, sondern jeder chinesische Mann kann sich unbesorgt mit japanischen Freudenmädchen vergnügen. Es besteht jedoch kein Grund, Yu Dafu so leichtzunehmen. Er scheint mir hier mit einem Topos seiner Zeit zu spielen. Ein Jahr zuvor hatte Guo Moruo in einem Gedicht Patriotismus und Liebe zu einem politischen Kontext verwoben. Er besingt, wie oben bereits erwähnt, das Vaterland als junges Mädchen, um derentwillen er wie ein Stück Kohle im Ofen verbrennen möchte. Bei Yu Dafu mögen die Vorzeichen zwar andere sein, dennoch bleibt der Aspekt einer Sexualisierung der Heimat bzw. Patriotisierung der Frau bestehen. Auch sein Held spricht eine ähnliche Sprache. Im Bordell ruft er, der sich von seiner japanischen Begleitung zu Unrecht vernachlässigt fühlt, die folgenden Sätze aus: Genug, genug, ich werde keine Frauen mehr lieben, nein, ich werde keine Frauen mehr lieben. Besser liebe ich mein Vaterland. Das Vaterland soll mir Geliebte sein.106

Die Frage ist, wie der Erzähler zu dem Jungen Mann steht und woran seine Einstellung ablesbar ist. Im Gegensatz zu Guo Moruo, der keine Distanz zu seinem lyrischen Ich 105

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YU DAFU: »Versinken«, S. 135. Yu Dafu wenji, Bd.1, S. 53. Zur weiteren Verwendung von fuqiang (reich und stark) s. YU DAFU: »Der Untergang«, S. 10, 43. Übersetzt nach Yu Dafu wenji, Bd. 1, S. 49.

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zu erkennen gibt, scheint mir im Werke des Yu Dafu eine Differenz zwischen Autor und Erzähler offensichtlich zu sein. Läsen wir dessen Werk nicht als Parodie auf den Zeitgeist, nämlich auf Narzißmus und Selbstbezogenheit, auf Selbstüberhebung und Selbstmitleid, bliebe das Pathos vieler Erzählungen heute wenig nachvollziehbar und hätte nur noch historischen Charakter. Das Pathetische ist Teil der megalomania, und da der Erzähler diese mit hypochondria sowie nostalgia kontrastiert, weiß er, wovon er spricht. Guo Moruo kreiert ein Ich, das sich über einer zerstörten Welt zu einem Schöpfergott aufblähen kann, Yu Dafu gibt diesem Ich eine konkrete Form und läßt es die Moderne betreten und durchwandern. Er stattet es mit dem Wissen des Abendlandes aus und erprobt es in der Hochburg westlichen Fortschritts, in Tokio. Dem Pathos fällt bei Guo Moruo die Rolle der (Selbst-)Legitimierung zu, es ist gleichsam der göttliche Odem über der wüsten und leeren Welt, der sich anschickt, es Licht werden zu lassen und dieses von der Finsternis zu scheiden. Yu Dafu und seine Helden sind einen Schritt weiter: Das Pathos ist die verpuffende Luft eines vergeblich aufgeblähten Ich, das nur noch sich selbst gestalten wollte, aber nicht mehr konnte. Es beschwört gleichsam den Fall des modernen Menschen, der nicht anders denn als Flaneur zwischen zwei Welten unterwegs sein mag. Vielleicht ließe sich auch so die »Mehrsprachigkeit« (Englisch, Deutsch, Lateinisch) der Erzählung »Der Untergang« erklären. Der Text verkörpert mit seinem vielfach praktizierten sprachlichen Bruch das Leben des Helden in zwei Welten und Sprachen, in der Welt Chinas und in der Welt des Westens, im Reich der Natur und im Reich der Krankheit. Der Erzähler führt uns exemplarisch die Geschichte einer Psyche vor, die an Nervenschwäche, Verfolgungswahn und Melancholie leidet. Standardausdruck für die seelische Notlage der damaligen Jugend ist der aus Japan stammende sinojapanische Begriff kumen, der, ganz dem Zeitgeist verpflichtet, zum Modewort wurde. Der Erzähler läßt die Geschichte einer Psyche unter der natürlichen Sonne beginnen und unter elektrischem Licht die entscheidende Wendung nehmen: Es folgt ein Selbstmord unter dem Sternenzelt. Er entlarvt den Protagonisten, der alles auf sich bezieht, auf dreifache Art und Weise: 1. Er läßt ihn mitunter in Distanz zu sich selber treten: »Sentimental, too sentimental!«107 2. Er gibt überwiegend Informationen, die nicht zum Selbstverständnis des Helden passen. Nicht nur die Japaner sind nämlich seine vermeintlichen Feinde, sondern die Chinesen ebenso, ja sogar die eigenen Familienangehörigen, so daß sich eine nationale Interpretation ohnehin verbietet. 3. Er bedient sich der Mittel von Ausruf und Wiederholung, um dem Protagonisten zu einer emphatischen Rede zu verhelfen, die er jedoch ständig durch die vorangehende oder nachfolgende Wendung ta juede, »er hatte das [subjektive, jeder Tatsache entbehrende] Gefühl«, neutralisiert. Yu Dafu scheint bis zu seiner Hinwendung zur chinesischen Revolution immer wieder dieselbe Geschichte zu erzählen. Bereits mit seinem ersten Erzählband entwirft er das Muster aller kommenden Erzählungen. Jedes Werk weist demgemäß dasselbe 107

Ebd., S. 29.

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Vokabular und dieselbe Struktur auf. Der Held ist bisexuell, er scheint sich jedoch eher zu Frauen hingezogen, von diesen aber grundsätzlich ausgeschlossen zu fühlen. Auf ihn treffen all die Charakterisierungen zu, welche für die abendländische Melancholiegeschichte exemplarisch geworden sind, weshalb es wenig Sinn macht, diese auf einen einzigen Aspekt und damit auf eine einzige Quelle zu reduzieren.108 Er muß als Sichverzehrender wie sein großes Vorbild, die Kameliendame, an Tuberkulose leiden oder auch nur an der Modekrankheit Neurasthenie (jingshen shuairuo), er hat als Dandy durch die Straßen zu irren, er wird unter Handlungshemmung leiden und seine innere Pein durch ein Standardvokabular umschreiben, zu welchem selbstverständlich auch das deutsche Wort Weltschmerz als Originalzitat gehört. Hier können, um einen ersten Eindruck von der Fülle zu vermitteln, lediglich die gängigsten Wendungen dieses Vokabulars aufgelistet werden: Der Held ist einsam (jimo, gudu), er treibt allein umher (piaobo), alles erscheint ihm leer und nichtig (kongxu) oder monoton (dandiao), er langweilt sich (wuliao), er ist bedrückt (chenmen) und empfindsam (ganshang), er leidet (tongku), er hält sich für nutzlos und bedauernswert (kelian) etc. Die konservative Interpretation führt den Geist dieses Vokabulars auf den politisch zerrissenen Zustand des damaligen China zurück. Eine mögliche, aber nicht zwingende Sicht. Eine weniger konservative Interpretation versucht eine Einbettung dieses Vokabulars in die entsprechende Literatur des Weltschmerzes, jedoch nicht mit aller Konsequenz. Eine lose Deutung innerhalb des internationalen Kontextes muß jedoch zu Mißverständnissen führen. Immer wieder wird zum Beispiel die Erzählung »An einem Abend im trunkenen Frühlingswind« (»Chunfeng chenzui de wanshang«, 1923)109 proletarisch aufgefaßt. Trotz der hoffnungsvollen Begegnung eines Schriftstellers mit einer Arbeiterin endet dieses Werk genauso düster, wie es beginnt. Die Tat, zu welcher sich der Protagonist durch die junge Frau ermuntert sieht, ist ein Topos der Melancholiegeschichte. Alle Melancholiker verlangt es nach der Tat, mitunter der großen Tat, um der inneren Leere entfliehen und einer Sinngebung den Weg ebnen zu können. Diese Tat kann durch alles und jedes ausgelöst werden, auch durch so unscheinbare Dinge wie eine Motte110 , ohne daß von einem solchen Faktum auf eine besondere Tierliebe zu schließen wäre. Viel eher ist hier eine Nähe zu Goethes »Stirb und werde« zu veranschlagen und eine Aufforderung zum Absterben des alten Ich zu vermuten. Eine wie auch immer ins Auge gefaßte Tat mag durchaus einem Wunschdenken entspringen und ungeschehen bleiben. Gewaltphantasien gehören ebenfalls hierher. Sie sind nicht selten die folgenreiche Rückseite von Depression und Verzweiflung. Die inneren Drangsale können sich dann gegen zwei Seiten kehren: gegen die Gesellschaft in Form von revolutionären Akten, gegen sich selbst in Form 108 109 110

Dies tut z.B. NG: The Russian Hero in Modern Chinese Fiction, S. 83–127. YU DAFU: Die späte Lorbeerblüte, S. 49–68; Yu Dafu wenji, Bd. 1, S. 237–251. Vgl. etwa den Diskurs zur Neurasthenie bei YU DAFU: »Die Nacht, in der die Motte begraben wurde« (1928, Übers.: IRMGARD WIESEL), in: Hefte für Ostasiatische Literatur 6 (1987), S. 24– 30; Yu Dafu wenji, Bd. 3, S. 150–155 (»Deng'e maizang zhi ye«).

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von Sadomasochismus111. Der zweiten Variante wird meist der Vorzug eingeräumt. Dabei gelingt es Yu Dafu immer wieder, moderne Gestalten zu entwerfen, die in der chinesischen Literatur ihresgleichen suchen. 1922 verfaßte Yu Dafu die bemerkenswerte Erzählung »Grenzenlose Nacht« (»Mangmang ye«). Er läßt den Protagonisten, den Lehrer Yu Zhifu, nach dem Abschied von dem homosexuellen Partner auf der Suche nach einer Prostituierten durch die nächtlichen Straßen von Schanghai ziehen. In Ermangelung einer Frau beschließt der Held, eine Verkäuferin um eine gebrauchte Nadel zu bitten. Er verlangt ebenfalls nach einem Taschentuch, das von einer Frau bereits benutzt worden ist. Die Erzählung geht dann wie folgt weiter: Nachdem Zhifu ihre alte Nadel und ihr altes Taschentuch erhalten hatte, lief er eilig und stolpernden Schrittes nach Hause zurück. [...] Heimlich schlich er in sein Zimmer, schloß die Tür und holte schnell die erschwindelte Nadel und das alte Taschentuch aus seiner Brusttasche. Er setzte sich auf einen Stuhl, hielt die beiden Schätze unter seine Nase und atmete ihren Duft tief ein. Plötzlich fiel ihm der Spiegel auf, der auf dem Tisch stand, und da wurde der Wunsch in ihm wach, sich bei seinem Tun zuzusehen. Er nahm den Spiegel hoch, schaute sich und seinem idiotischen Treiben zu und dachte, daß er ja noch die Nadel habe. Stumpfsinnig blickte er zwei, drei Minuten in den alten Spiegel, dann stieß er sich die Nadel mit aller Kraft in die Wange. Sein Gesicht war vor Erregung teils rot, teils weiß geworden, und plötzlich rollte ihm, einer Murmel gleich, ein Blutstropfen über die Wange. Als er ihn mit dem Taschentuch abwischte, sah er, daß aus dem Gesicht, das sich ihm im Spiegel zeigte, noch eine runde, feuchte Perle Bluts hervorquoll. Er betrachtete das Gesicht mit dem Blutstropfen ihm gegenüber, dann blieb sein Blick an der Blutspur auf dem Taschentuch hängen. Er sog den Geruch des Taschentuchs und der Nadel ein, dachte an die frühere Besitzerin dieser Gegenstände und spürte, wie ein Wonnegefühl seinen ganzen Körper durchströmte. Kurz darauf gingen die Lichter aus, und weil er befürchtete, daß diesem Gefühl der Wonne, das sich seiner gerade bemächtigt hatte, ein Ende bereitet werden würde, saß er – noch immer von Wünschen beseelt – ganz still in dem dunklen Raum und kostete den süßen Geschmack jener Metamorphose aus. Erst als der Nachtwächter vor seinem Fenster zur Nachtruhe schlug, hielt er, wie ein gerade erst aus dem Traum Erwachender, die Nadel und das Taschentuch umschlossen, legte sich aufs Bett und schlief ein.112

Die Selbstbespiegelung und der Autismus des modernen Menschen sind wenig Gegenstand der modernen chinesischen Literatur. Yu Dafu stellt eine Ausnahme dar, nach ihm haben lediglich noch Ding Ling (1904–1986) und Zhang Ailing (1920–1995) auf künstlerisch annehmbare Weise die innere Gefährdung ihrer Zeit zu entwerfen vermocht. Yu Dafu ist ein kluger und belesener Erzähler, der es versteht, Mensch 111

112

Die Selbstverletzung als Folge traumatischer Erlebnisse in der Kindheit nennt die Wissenschaft heute Borderline-Syndrom, s. MARTIN BOHUS: Borderline-Störung, Göttingen: Hogrefe 2002. Aus dem Chinesischen von KLAUS HAUPTFLEISCH u. FRANK STAHL, in: minima sinica 1/1997, S. 87–88; Yu Dafu wenji, Bd. 1, S. 133–134.

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und Gesellschaft auf den Begriff zu bringen. Nach einem erneuten, wohl willentlich erfolglosen Gang ins Rotlichtmilieu läßt er seinen Helden von Schanghai als »dead city« und von sich selbst als »living corpse« sprechen, Bezeichnungen, die auf die Lektüre von Leo Tolstoi (1828–1910) und Gabriele D’Annunzio zurückgehen dürften. Von Tolstoi stammt das Drama Der lebende Leichnam (1900 verfaßt, 1911 aufgeführt). Sein Titel, ein sprechendes Bild, meint die für die russische Literatur so typische Gestalt des »Überflüssigen«. Yu Dafu hat diese Gestalt gleichsam für die chinesische Literatur fortgeschrieben. Er hat hierfür immer wieder zwei Bezeichnungen verwendet: duoyuzhe und lingyuzhe, sie stehen für Figuren, die sich zwischen zwei Welten und nirgendwo mehr zugehörig fühlen. Dies ist exemplarisch für eine Übergangssituation, wo das Alte abzusterben beginnt, ohne daß das erahnte Neue sich schon im ganzen Ausmaß hätte zeigen können. Der Überflüssige ist deswegen Repräsentant dieser Phase, weil er ein Gespür für sie hat und die kommende Zeit am eigenen Leib zu erfahren beginnt. Von D’Annunzio stammt die Tragödie La Città Morta (1898). Sie preist in der Nachfolge von Nietzsche eben jene »übermenschlichen« Eigenschaften, die, auf Passion und Verbrechen basierend, der Selbstverwirklichung dienen sollen. Im Kontext von Yu Dafus Werk gewinnt die dead city zwar eine etwas andere Bedeutung als bei D’Annunzio, doch trifft sie sich mit der città morta in der Betonung der Leidenschaften und in dem Verstoß gegen die gesellschaftlichen Normen. Bei D’Annunzio ist die città morta, das Ruinenfeld von Mykene, Vorbild antiker Größe, bei Yu Dafu ist die dead city, das moderne Schanghai, der Schauplatz des individuellen Untergangs. Yu Dafu mag schnell geschrieben und seine Werke kaum überarbeitet haben, großartige Beschreibungen wechseln sich oft mit weniger gelungenen Szenen ab. Weniger bekannte und selten angeführte Erzählungen sind nicht selten Kleinode. Dazu gehört auch die Liebesgeschichte »Passé« (»Guoqu«) von 1927. Sie spielt auf zwei Ebenen in Macau, die eine ist zeitlicher, die andere menschlicher Natur. Vergangenheit und Gegenwart weben in die Leben zweier Personen hinein, die in ihrer Nähe und Ferne die Positionen gewechselt haben. War der Ich-Erzähler einst der Schwester Lao Er zugetan, so verlangt es ihn nun nach Lao San. Doch diese, die ihn vor Jahren gern erhört hätte, verschließt sich ihm nun innerlich wie äußerlich. Die ungleich Liebenden sind miteinander verabredet, nachdem sie sich zufällig in der portugiesischen Kolonie wiedergetroffen haben. Beim Essen schmeichelte ich ihr und erzählte mit gesenkter Stimme die Umstände in Mindeli. Sie blieb bis zum Ende des Essens recht einsilbig. Ich wollte ihre Erinnerungen wieder wachrufen und ihre alten Gefühle für mich wieder entfachen, aber an ihrem Gesichtsausdruck sah ich, daß meine Worte sie nicht berührten. Schließlich wußte ich kein anderes Mittel mehr, als sie unter tränenreichem Bitten und Betteln zu nötigen, nicht heimzukehren. Förmlich nahmen wir uns ein Zimmer in dem ausländischen Hotel nebenan. Tief in der Nacht pfiff draußen immer noch der Wind. Die Blitze leuchteten nach Mitternacht heller, ihr Schein ließ meine äußerste Einsamkeit sichtbar werden. Im

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Die Grundlegung einer modernen Literatur in China (1915–1927) Zimmer wurde es kälter. Sie hatte immer noch ihre Kleider an, durch eine Decke von mir getrennt lag sie auf der Wandseite des Bettes. Mehrmals näherte ich mich ihr, wurde aber jedesmal zurückgestoßen. Zuletzt fing sie an zu weinen und stieß unter Tränen hervor: »Herr Li, unsere... unsere Geschichte ist schon lange... lange zu Ende. [...]«113

Hier erweist sich Yu Dafu als ein Meister der Andeutung. Dies gelingt ihm auch bei der Beschreibung der sadomasochistischen Beziehung zwischen Lao Er und dem Ich-Erzähler. Sie haben die traditionellen Rollen von Mann und Frau gewechselt, Lao Er ist der »Hahn« und ihr Verehrer die »Glucke«. Nachdem er sich von ihr mit ihren Stöckelschuhen hat treten und malträtieren lassen, gerät er über ihre Füße ins Schwärmen. Übrigens waren ihre Füße allerliebst. Obwohl sie bereits zwanzig Jahre alt war, glichen ihre Füße denen eines zwölf- oder dreizehnjährigen Mädchens. Seit ich ihr einmal geholfen hatte, Seidenstrümpfe anzuziehen, bildeten diese dicken weißen Füße mit ihren dünnen Spitzen und fleischigen Fersen oft den Mittelpunkt meiner Phantasien. Sie inspirierten mich zu den sonderbarsten Vorstellungen. Wenn ich zum Beispiel beim Essen den weißen, klebrig-feuchten und duftenden Reis sah, mußte ich unwillkürlich an ihre beiden Füße denken. »Wenn doch in dieser Schale...« dachte ich, »wenn doch in dieser Schale ihre zarten Füße lägen, würde ich hineinbeißen und so an ihnen saugen, daß sie einen seltsam prickelnden Schmerz verspüren müßte. Angenommen, sie läge mit vorgestreckten Füßen vor mir und erlaubte mir hineinzubeißen und an ihnen zu saugen, müßten aus ihren geschwungenen Lippen viele verzückte Schreie hervorbrechen. Oder sie würde sich umdrehen und mich grausam auf den Kopf schlagen.« Hatten meine Phantasien diesen Punkt erreicht, verspürte ich stets Lust auf eine weitere Schale Reis.114

Der Fuß hat in der chinesischen Kulturgeschichte der letzten tausend Jahre eine wichtige erotische Rolle gespielt. Er hat erst mit Ausrufung der Republik 1912 bzw. der Volksrepublik 1949 seine animierende Bedeutung verloren. Der Erzähler kann daher bei seinem damaligen Publikum manche Kenntnis voraussetzen, die heute nicht mehr unbedingt gegeben ist. Was einem modernen bzw. westlichen Publikum einseitig verdinglicht erscheinen mag, hat tiefere Dimensionen. Der Schuh steht sinnbildlich für die Vagina. Der Held wird daher von und mit dem gepeinigt, wonach er sich sehnt. Überdies vertritt eine Reisschale traditionell die kosmische Ordnung: Oben symbolisiert sie den Himmel, unten die Erde. Der Mann ist nach herkömmlicher Auffassung der Himmel, die Frau die Erde. Wenn sich jedoch wie hier die Ordnung umkehrt, liegen die Füße in der Schale sinnbildlich zuoberst, und es ist die Frau, die dem Mann gebietet. Dem Mann als Diener der Frau wird der Verzehr der Füße so 113

114

Aus dem Chinesischen von ALMUTH RICHTER u. BARBARA HOSTER, in: minima sinica 2/1990, S. 94; Yu Dafu wenji, Bd. 1, S. 386. In: minima sinica 2/1990, S. 85–86; Yu Dafu wenji, Bd. 1, S. 377–378.

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lebenswichtig wie die Ernährung mit Reis. Man mag dies deuten, wie man will, vordringlich erscheint mir hier der Verweis auf die Gabe des Erzählers zu einer neuen Sicht des Geschlechterverhältnisses. Eine leichte Ironie mag durchaus mitschwingen. Yu Dafu hat ein seltenes Gespür für den Menschen und die (Groß-)Stadt. Er sieht vor allem die Selbstgefährdung des einzelnen, die Gemeinschaft unmöglich macht. Seine Gestalten sind so modern, weil sie weder den Grund ihres Unglücks ahnen noch eine letztendliche Lösung für ihr Getriebensein finden können. In der Vergangenheit ist immer wieder der bekannte Ausspruch von Yu Dafu, alles Schreiben sei ein autobiographisches Schreiben (1927)115, zitiert worden, um bei einer Interpretation Autor und Protagonist gleichsetzen zu können. Gegen diese dominante Sicht wäre vieles zu sagen. Ich muß mich hier beschränken. Ohne die von mir behauptete Distanz von Erzähler und Held wäre manches Werk unfreiwillig komisch oder gar kitschig. Die deutsche Literatur kennt die romantische Ironie, die Brechung von Tatsache und Vorstellung. Eine solche Brechung läßt sich meiner Meinung nach auch für Yu Dafu festmachen, was bislang jedoch wenig gesehen worden ist. Der Autor spielt mit den überlieferten Formen, er entlarvt immer wieder die Ansprüche des Jungen Mannes als Pose. Dies gilt vor allem für das westliche Erbe, das nahezu beliebig Eingang in China fand. Als Vielstudierter, Vielsprachiger und Vielbelesener scheint es Yu Dafu wie kaum einem anderen gegeben gewesen zu sein, Einsicht in die Bedingtheit der damaligen Rezeption zu gewinnen. Eine besonders offenkundige Kritik an der seinerzeit blinden Übernahme abendländischen Gedankengutes ist die Erzählung »Blut und Tränen« (»Xuelei«, 1922)116. Sie wirft einen derart spöttischen Blick auf so viele Junge Männer und deren Ideologien, daß der Leser fast schon meinen könnte, es mit einer Satire auf den Zeitgeist zu tun zu haben, auf einen Zeitgeist, der neben einer letztlich beliebigen Ideologie auch eine beliebige Blut- und Tränenliteratur forderte. Es ist die Crux einer jeden Literaturgeschichtsschreibung, daß sie sich notwendigerweise auf Erkenntnisse anderer Wissenschaftler stützen muß. Wenn es auch im Falle von Yu Dafu einen herrschenden Trend gibt, so verdankt sich dieser jedoch keinesfalls der Gesamtlektüre von dessen Werk. Es wurden bislang Bilder formuliert, die weitergeschrieben wurden. Dies ist an sich nicht verwerflich, jedoch beginnen sie den Blick zu trüben, wenn diese Bilder nicht an Hand des Gesamtwerkes und der Weltliteratur überprüft werden. Die scheinbar favorisierte autobiographische Schreibe möchte ich versachlicht verstanden wissen: Das vermeintliche Ich des Yu Dafu mag zwar als Folie von dessen Erzählungen dienen, aber nur exemplarisch, nicht identisch. Der Autor analysiert am eigenen Beispiel den Jungen Mann seiner Zeit. Er schafft gleichsam stellvertretend als Schriftsteller die Symbole, die er von einem Künstler generell erwartet. 1925 hat Yu Dafu in seiner »Einführung in die Literatur« (»Wenxue gaishuo«) unter der Rubrik »Leben und Kunst« zwar alles Leben, insofern es Selbst115 116

Yu Dafu wenji, Bd. 7, S. 180 (»Wu-liu nian lai chuangzao shenghuo de huigu«). Übers.: HEIKE MÜNNICH u. UTE LEUKEL, in: minima sinica 1/1991, S. 97–108; Yu Dafu wenji, Bd. 1, S. 173–185.

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ausdruck sei, zur Kunst erklärt, dem Künstler bei der Kreierung von »Symbolen« dieses Selbstausdrucks (biaoxian ziji) jedoch Vorbildcharakter eingeräumt. Der Künstler wird also gleichsam zum »Führer«. Alle Menschen haben das Bedürfnis, sich selbst auszudrücken und schöpferisch tätig zu sein. [...] Deshalb sind sie auf die Hilfe eines Sprechers angewiesen, der sich stellvertretend für sie ausdrückt. [...] Somit ist der Künstler derjenige, der Symbole am sorgfältigsten und genauesten auswählt, derjenige, der sich selbst unverfälscht darstellen kann.117

Die Analyse der eigenen Person ist somit eine stellvertretende Analyse, als solche gewährt sie dem Autor Distanz und erlaubt auch ihm, der Medizin und Literaturwissenschaft in Japan studiert hat, das Schreiben als Heilmittel zu verstehen. Nicht zufällig hat Yu Dafu in seinen ästhetischen Schriften den Gedanken von Kunst als Trost entwickelt, konkret als Mittel zur Überwindung des Weltschmerzes.118 Mit dieser Sicht trägt Yu Dafu der Tatsache Rechnung, daß im Einzelfall der 4. Mai eine Befreiung des Individuums aus den Fängen des Kollektivs möglich gemacht hat, vor allen Dingen in den großen Städten wie Tokio und Schanghai, die er persönlich gut kannte. Oberflächlich mag Yu Dafus vermeintliche zunächst theoretische, dann praktische Wende zur chinesischen Revolution wie eine Abkehr von dem einst eingeschlagenen Weg erscheinen. Der Ton wandelt sich mit Beginn der 30er Jahre: Statt Melancholie ist nun Revolution angesagt, andere prosaische Formen wie der Essay oder die Abhandlung gewinnen den Vorrang vor der Erzählkunst. Ein Blick auf die Weltliteratur zeigt jedoch, daß ähnlich eingestellte Vertreter wie Lord Byron oder D’Annunzio ebenfalls zur Zeitkritik und zur politischen Tat finden konnten. Subjektivität und Revolution müssen daher im Falle von Yu Dafu keinen Gegensatz darstellen, sondern können auch als notwendiger Entwicklungsgang verstanden werden. Der späteren chinesischen Sicht von Yu Dafu als Märtyrer der chinesischen Revolution ist nicht zu widersprechen. Die letzten Lebensjahre belegen zu eindeutig den politischen Kampf gegen Japan fern der Heimat.119 Auch sonst sind selbst die frühen schriftstellerischen Arbeiten des Yu Dafu nicht ohne politischen Unterton. Die Antipathie zunächst gegen die Warlords, dann gegen die Guomindang ist nicht zu überlesen. Aus der damaligen politischen Situation jedoch den eigentlichen und letztendlichen Grund für den Weltschmerz im Werk des Yu Dafu ableiten zu wollen, scheint mir auf eine verengte und einengende Interpretation hinauszulaufen. Dazu ist die bisherige Gesamtausgabe zu reich und auch zu wenig griffig. Manches, in einem neuen Kontext gelesen, erscheint weiterhin gültig, ja geradezu aktuell. So entwickelt Yu Dafu 1923 in seinem Essay »Die Kunst 117

118 119

BEATE RUSCH: Kunst- und Literaturtheorie bei Yu Dafu, Dortmund: projekt verlag 1994 (= edition cathay; 2), S. 69; Yu Dafu wenji, Bd. 5, S. 68. RUSCH: Kunst- und Literaturtheorie bei Yu Dafu, S. 20f., 33, 36, 38. Vgl. hierzu die knappe Zusammenfassung von BIRGIT BEUTLER: »Yu Dafu in Singapur: Flucht und Tod«, in: minima sinica 2/1994, S. 34–40.

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und der Staat« (»Yishu yu guojia«)120 einen Gegensatz von Militarismus und Etatismus auf der einen und dem Schönen, Wahren, Guten auf der anderen Seite. Seine diesbezüglichen Ausführungen helfen auch dabei, die nationale Interpretation zu untergraben, die dem Schluß von der Erzählung »Der Untergang« gern untergeschoben wird. Er greift hier einmal mehr das Vokabular der Jahrhundertwende auf, welches – wie gesagt – ungeschmälert das politische Ziel der Volksrepublik China darstellt. Der Staat heute ist nach wie vor in seinem Wesen ein Staat um des Staates willen. [...] Um seine Ziele, die Stärkung [qiang] des Militärs und nationalen Reichtum [fu] zu erreichen, scheut der Staat als Mittel zum Zweck nicht davor zurück, einzelne beziehungsweise eine ganze Gruppe von Menschen zu opfern.

Es sind viele und die unterschiedlichsten Einflüsse im Werk des Yu Dafu nachgewiesen worden. Problematisch ist mittlerweile jedoch, daß die Fülle der Nachweise die Sicht auf Yu Dafu eher verdunkeln als erhellen hilft. Der Autor hat einfach zuviel gelesen. Überdies kann kein möglicher Einfluß an sich interessant sein, sondern nur die Verarbeitung von bestimmten Anregungen. Es ist daher ein Leichtes, nach Belieben aus dem Werk des Yu Dafu dekadente oder romantische, anarchistische oder sozialistische, realistische oder fetischistische Elemente hervorzukehren und mit den Literaturen Japans, Rußlands oder Deutschlands in Verbindung zu bringen. Es ist ja gerade der bestimmte Umstand der Zeit, daß alle Schulen und Theorien, für die der Westen viele Jahrhunderte gebraucht hat, gleichzeitig nach China einströmen und binnen kurzer Zeit zur Verarbeitung gelangen. Eine Aufdröselung der jeweiligen literarischen und ästhetischen Stränge ist kaum mehr möglich und müßte notwendigerweise zu noch mehr Verwirrung führen. Letzten Endes bilden auch die möglichen Einflüsse nur einen Teil des damaligen unsteten Lebensflusses, den Yu Dafu oftmals über China hinaus beispielhaft entworfen hat. Die Fülle fremdsprachiger Zitate im Werk des Yu Dafu läßt die Relativierung eines landläufigen Urteils geboten erscheinen. Nach herkömmlicher Anschauung läßt sich die Literatur des 4. Mai in die rationale und in die sentimentale Spielrichtung einteilen. Yu Dafu gehört demnach zu den Subjektivisten. Nehmen wir ihn jedoch als Analytiker ernst, der die Krankheit der Jugend untersucht, wäre er als Erzähler den Vertretern der Ratio zuzuschlagen, wenn auch die von ihm beschriebenen Gestalten keinen Hehl aus ihrer Existenz im Reich des Sentiments machen.

1.5 Die neue Literatur: Ihre Pioniere und Gattungen, ihre Organisation und ihre Formen Fassen wir zusammen: Megalomania und hypochondria sind die beiden extremen Seiten einer Literatur, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, entweder zur Erlösung der Gesellschaft oder des einzelnen beizutragen. Auch wenn dies mitunter die interes120

RUSCH: Kunst- und Literaturtheorie bei Yu Dafu, S. 61; Yu Dafu wenji, Bd. 5, S. 149.

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santesten Seiten sind, so können sie dennoch nicht für jeden Autoren und jedes Werk des 4. Mai veranschlagt werden. Als problematisch ist jedoch der Umstand zu betrachten, daß andere mir wichtig erscheinende Zeitgenossen nicht soviel Interesse gefunden haben, als daß sich auf eine Sekundärliteratur zurückgreifen ließe, die mir die Aufgabe einer angemessenen Würdigung erleichtern würde. Inzwischen führt die eher faktisch orientierte Literaturgeschichtsschreibung so viele Namen auf, daß vor lauter Benennungen von Autoren und Werken gar keine Geschichte mehr sichtbar wird. Ich möchte mich daher auf wenige Pioniere beschränken, die mir einer näheren Beschäftigung für würdig erscheinen, auch wenn diese bislang weitgehend ausgeblieben ist.

1.5.1 Die Kurzgeschichte: Bing Xin (1900–1999) und Ye Shengtao (1894–1988) Der 4. Mai stellt zunächst und vor allem die Geburtsstunde der modernen chinesischen Erzählung bzw. Kurzgeschichte dar. Die Neuerungen sind vielfältig, sie betreffen nicht nur die Form oder die Sprache, sondern auch so unscheinbare Dinge wie die Interpunktion. Wenn auch zunächst der erfolgreichste, so war Lu Xun doch nicht der erste oder der einzige, der mit einer neuen Erzählweise auf den Plan trat. Rein formal hat Chen Hengzhe (1890–1976) mit »Ein Tag« (»Yi ri«)121 1917 die erste Kurzgeschichte in »Umgangssprache« vorgelegt, doch ebenbürtig konnten erst 1919 weitere Pioniere wie Ye Shengtao (1894–1988) oder bedingt Bing Xin (1900–1999) neben ihn treten. Was beide miteinander verbindet, ist ihr stiller Ton, der sich ganz offensichtlich von ihrer Zeit abhebt, was beide unterscheidet, ist die Tiefe ihrer unprätentiösen Redeweise. Ye Shengtao ist ein raffinierter Erzähler, Bing Xin die schlichte Vermittlerin einer »Philosophie der Liebe«. Ihr Lebensweg kennt eine Gemeinsamkeit, die ein spezifisches Problem aufwirft. Beide Autoren sind heute eher als Vertreter einer Kinderliteratur bekannt, die gleichsam mit ihnen in China anhebt, beide haben um dieser Kinderliteratur willen die »ernste« Literatur aufgegeben, so daß in beiden Fällen nur eine kurze Phase des aktiven Schaffens der eigentlichen Belletristik gewidmet war, nämlich die Jahre zwischen 1919 und 1936. Diese siebzehn Jahre nehmen sich jedoch vergleichsweise lang aus, denn vielen Schriftstellern der damaligen Zeit und auch späterer Zeiten war oft nicht einmal ein Jahrzehnt gegönnt gewesen. Da jedoch weder Bing Xin noch Ye Shengtao das Schreiben jemals vollends aufgegeben haben, sollten sie vielleicht nicht mit Autoren verglichen werden, die sehr bald ausgeschrieben waren. 121

Zum angesprochenen Problem s. MICHEL HOCKX: »Mad Women and Mad Men: Intraliterary Contact in Early Republican Literature«, in: RAOUL D. FINDEISEN u. ROBERT H. GASSMANN: Autumn Floods. Essays in Honour of Marián Gálik, Bern u.a.: Peter Lang 1998 (= Schweizer Asiatische Studien; 30), S. 307–322. Zur Übersetzung ins Englische s. CHEN HENGZHE: »One Day«, in: AMY D. DOOLING u. KRISTINA M. TORGESON (Hg.): Writing Woman in Modern China. An Anthology of Women’s Literature from the Early Twentieth Century, New York: Columbia University Press 1998, S. 87–99.

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Bing Xin hat in China einen guten Ruf. Außerhalb von China hat sie dagegen kaum Leser. Wie ist dieses Mißverhältnis zu verstehen? Bing Xin ist in mancher Hinsicht traditonell geblieben, sie spricht von sich nur als »Hausfrau und Lehrerin«, die Mutterschaft und Mutterliebe betont und die neuen Freiheiten mit den traditionellen Pflichten zu verbinden sucht.122 Ihre eigentliche Bedeutung sehe ich weniger in ihrer Erzählanlage, die mitunter unbedarft wirkt, als vielmehr in ihrer sprachlichen Gestaltung. Im Gegensatz zu ihrer Zeit schreibt sie bereits 1919 ein modernes Chinesisch, das erst sehr viel später Allgemeingut wurde. Da sie ohne Anspielungen auskommt, ist ihre Sprache klar und verständlich. Sie wirft in ihren Erzählungen Fragen auf, für die sie auch eine Antwort hat. Ihr Werk stellt insofern einen Idealfall der Form von wenti xiaoshuo dar, von einer Erzählkunst, die ein Problem in den Raum stellt und dafür auch eine Lösung weiß. Bing Xin ist Mitbegründerin dieser Gattung, die für den 4. Mai so typisch ist. Als Beispiel mag ihre erste Erzählung »Der Übermensch« (»Chaoren«, 1919)123 genügen, die eine für die Zeit ungewöhnliche und einzigartige kritische Auseinandersetzung mit Nietzsche darstellt. Darin nimmt die Autorin eine Umwertung der nietzscheanischen Umwertung vor, um an deren Stelle ihre »Philosophie der Mütter« zu setzen. Zu Beginn der Erzählung entwirft sie die Gestalt des Protagonisten He Bin. Dieser spricht nicht etwa von sich selbst als Übermensch, es ist vielmehr die Erzählerin, die sich einen Übermenschen als Weltentsager wie folgt vorstellt. He Bin ist ein kühler junger Mann, der augenscheinlich noch nie mit anderen Umgang gepflegt hat. Die Mitbewohner des großen mehrstöckigen Hauses sind zwar sehr zahlreich, doch er beachtet niemanden, auch nimmt er seine Mahlzeiten nicht mit ihnen im Speisesaal ein, ja begrüßt sie nicht einmal, wenn er ihnen beim Hinausoder Hineingehen über den Weg läuft. Kommt der Postbote, nehmen viele der jungen Leute freudig hüpfend ihre Briefe entgegen, er jedoch hat seit Ewigkeiten keinen Brief erhalten. Sieht man einmal von den paar offiziellen Worten ab, die er im Amt mit seinen Kollegen wechselt oder mit seiner Wirtin Cheng Laolao notwendigerweise austauscht, wenn diese ihm das Essen bringt, so kriegt er kaum den Mund auf. Es sind nicht nur die Menschen, die er meidet, auch alles andere, was eine Spur Leben zeigt, weiß er nicht zu schätzen. Nicht eine Blume, nicht ein Ziergras befinden 122

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Vgl. hierzu GLORIA BIEN: »Frauenbilder in Bing Xins Erzählungen«, in: WOLFGANG KUBIN (Hg.): Moderne chinesische Literatur, Frankfurt: Suhrkamp 1985, S. 246–261. – Zum späteren Werk der Autorin siehe auch WERNER BARTELS: Xie Bingxin. Leben und Werk in der Volksrepublik China, Bochum: Brockmeyer 1982 (= Chinathemen; 5); BIRGIT HÄSE: Einzug in die Ambivalenz. Erzählungen chinesischer Schriftstellerinnen in der Zeitschrift Shouhuo zwischen 1979 und 1989, Wiesbaden: Harrassowitz 2001 (= opera sinologica; 10), S. 221–223; Renditions 32 (Herbst 1989) mit einer Spezialausgabe zu Bing Xin auf den Seiten 84–145. Zu Übersetzungen ihres Werkes im Englischen s. BING XIN: The Photograph, übersetzt von JEFF BOOK, Peking: Panda Books 1992. Übers.: MARC HERMANN, in: minima sinica 2/2002, S. 143–151. Bing Xin wenji, Schanghai: Shanghai Wenyi 1982, S. 77–84.

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Die Grundlegung einer modernen Literatur in China (1915–1927) sich in seinem Zimmer, das kalt und finster einer Höhle in den Bergen gleicht. Doch die Regale sind voller Bücher.

Dies mag als Auszug genügen. Bing Xin präsentiert eine denkbare einfache Sicht von einem »Übermenschen«. Sie läßt ihren Protagonisten aber auch selber zu Worte kommen, der in einem Gespräch mit der Wirtin fleißig Nietzsche zitiert. Die Welt sei wüst und leer124, das Leben ein Theaterspiel, eine Maskerade, Liebe und Mitleid ein Übel etc. Was setzt die Erzählerin gegen diese defätistische Sicht der Dinge? Sie läßt den jungen Mann nachts die Klage eines kranken Kindes vernehmen und innere Bilder sehen. Drei Nächte lang kommt die Vergangenheit wieder in seine Erinnerung zurück: die Mutter, die Sterne und die Blumen von einst bewirken schließlich eine Wandlung. He Bin verhilft dem kranken Laufburschen durch ein Geldgeschenk zum Arztbesuch und wird durch die Erscheinung einer Frau, seiner Mutter, belohnt. Aus den imaginären Blumen werden zu guter Letzt wirkliche Blumen, denn der gesundete Laufbursche Lu Er erweist seine Dankbarkeit durch einen Blumenkorb. Die Erzählung klingt durch einen Briefwechsel aus, der an die Stelle von Nietzsches Forderung nach Mitleidlosigkeit (»Meine Güte ist mein Vergehen«) die Utopie von Müttern und Söhnen setzt. Über die Söhne verbunden seien die Mütter der Welt gute Freundinnen, und über die Mütter seien die Söhne der Welt gute Freunde. So wird aus dem konkreten Blumenstrauß ein geistiger, der als Zeichen für die Reinheit des Universums Mond, Tränen und Sterne vereinigt. Bing Xin ist in jungen Jahren unter den Einfluß des Christentums125 geraten. Man darf also davon ausgehen, daß sie Nietzsches gewaltiges Wort vom mitleidlosen Übermenschen126, das gegen das Christentum gerichtet war, wieder zurückzunehmen versucht. Ihr »Appell« stellt eine Art Regressionswunsch in einer Welt dar, die sich anschickte, die herkömmliche Familie in Frage zu stellen. Sie steht damit gegen den theoretischen und praktischen Trend der Zeit. Vielleicht ist dies auch ein Grund, warum ihre späteren ähnlich idealistischen »Briefe an junge Leser« (»Zhi xiao duzhe«, 1926)127 bis heute so erfolgreich geblieben sind. 124

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Wohl eine Anspielung auf das bekannte Gedicht »Vereinsamt« von NIETZSCHE: »Die Welt – ein Tor / Zu tausend Wüsten stumm und kalt! / Wer das verlor, / Was du verlorst, macht nirgends halt.« Zur Rolle des Christentums in der chinesischen Literatur des 20. Jahrhunderts s. LIANG GONG (Hg.): Jidujiao wenxue, Peking: Zongjiao Wenhua 2001, hier bes. S. 395–445; YANG JIANLONG: Kuangye de husheng. Zhongguo xiandai zuojia yu dujiao wenhua, Schanghai: Shanghai Jiaoyu Chubanshe 1998; XU ZHENGLIN: Zhongguo xiandai wenxue yu jidujiao, Schanghai: Shanghai Daxue 2003. Vgl. hierzu u.a. das Kapitel »Von den Mitleidigen« im Zweiten Teil von »Also sprach Zarathustra«, in: KARL SCHLECHTA (Hg.): Friedrich Nietzsche Werke II, Frankfurt u.a.: Ullstein 1981, S. 620–622. Die achtbändige von ZHUO RU herausgegebene Ausgabe Bing Xin quanji, Fuzhou: Haixia Wenyi 1994, Bd. 2, verzeichnet allerdings schon ab 1923 die ersten Folgen besagter Briefe.

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Ye Shengtao ist im Vergleich zu Bing Xin der kühlere Erzähler. Dies gilt auch für seine plotlosen »mood pieces«, seine Stimmungsbilder ohne einen bestimmten Abschluß.128 Ye Shengtao, der zwischen 1914 und 1918 Kurzgeschichten noch in der Schriftsprache verfaßt hat, hat nach 1918 eine relativ große Bandbreite »umgangssprachlichen« Erzählens in kürzester Zeit entwickelt. Er beherrscht sein Metier zwischen Sachlichkeit und Stimmung, zwischen Humor und Satire nahezu perfekt. Er entwirft dabei immer wieder klassische Figurenkonstellationen: die davongelaufene Frau, der verarmte Lehrer, das verunsicherte (Schul-)Kind. Kurz, der marginalisierte Mensch und seine besondere soziale Situation stehen im Zentrum des Denkens und Schreibens von Ye Shengtao. Die subtile, unaufdringliche, oftmals distanzierte Schreibweise hat dem Autor jedoch noch nicht die internationale Achtung eingebracht, die ihm eigentlich gebühren würde. Zu unauffällig erscheinen seine Arbeiten. Statt plakativ die Rettung des Vaterlandes oder die Erlösung des einzelnen erzählerisch umzusetzen, widmet er sich der Analyse von Anspruch und Wirklichkeit. Ein frühes Beispiel ist die meisterliche Miniatur »Ein Leben« (»Yisheng«, 1919)129, die mit ihren nur 2200 Zeichen eher wie ein sachlicher Bericht denn als ein engagiertes Kunstwerk daherzukommen scheint. Ye Shengtao hat mit Arbeiten wie diesen eine zweite Spielart der damaligen Erzählkunst begründet: Rensheng xiaoshuo meint eine Erzählform, welche die Frage nach dem Leben an sich in den Mittelpunkt stellt. Natürlich liegt hier auch eine Verwandtschaft zu wenti xiaoshuo vor, ja, man kann die erstere als Folge der zweiten ansehen. Ye Shengtao, der von sich sagte, daß er ohne die Lektüre englischsprachiger Literatur nicht hätte schreiben können130, entwickelt in seinem Porträt einer jungen Bauersfrau ein erstaunliches Geschick für eine zurückhaltende Beobachtung. Gleich der Beginn wirft die Frage auf: Wer spricht hier eigentlich? Sie war in eine Bauernfamilie geboren. Sie wußte nichts vom Glück der Reichen, von den Sklaven und Mägden, die denen zu Diensten standen, von der Schminke und dem Puder vornehmer Damen. Sie hatte niemals von den »drei Abhängigkeiten 128

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Vgl. z.B. »Geigenspiel in der kalten Morgendämmerung« (»Han xiao de qin ge«, 1921), deutsch von SABINE LÖSCHMANN, in: minima sinica 1/1997, S. 101–103; Ye Shengtao ji, Bd. 5, o.O.: Jiangsu Jiaoyu 1988, S. 29–31. Der Text besteht aus nur tausend Zeichen. Übers.: RODERICH PTAK, in: VOLKER KLÖPSCH u. RODERICH PTAK (Hg.): Hoffnung auf Frühling. Moderne chinesische Erzählungen. Erster Band. 1919 bis 1949, Frankfurt: Suhrkamp 1980 (= NF; 10), S. 40–45; Ye Shaojun [d.i. Ye Shengtao] xuanji, Hongkong: Wenxue o.J., S. 75–78. Eine ausführliche und ausgezeichnete Interpretation von Don Holoch findet sich in: A Selective Guide to Chinese Literature 1900–1949, Bd. 2 (The Short Story), hg. von ZBIGNIEW SLUPSKI, Leiden u.a.: Brill 1988, S. 233–236. Quelle: JAROSLAV PRŮŠEK: »Yeh Shao-chün and Anton Chekhov«, in: DERS.: The Lyrical and the Epic. Studies of Modern Chinese Literature, hg. von LEO OU-FAN LEE, Bloomington: Indiana UP 1980, S. 178–194, führt dagegen die Einflüsse auf Chekhov und die klassische chinesische Literatur zurück.

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Die Grundlegung einer modernen Literatur in China (1915–1927) [sancong] und vier Tugenden [side]« oder von so etwas wie Freiheit und Gleichheit gehört. Sie war einfach ein Tier.

»Sie« hat keinen Namen, aber nicht dies macht sie zum Tier. Sie hat keinen Ort in der Gesellschaft und damit auch keinen in der Menschenwelt. Ihr fehlt nämlich die Erziehung. Man hat sie weder einer traditionellen Unterweisung noch einer modernen Unterrichtung für wert befunden. Sie weiß also nicht, wem sie sich unterzuordnen (sancong), noch, wie sie sich angemessen zu verhalten hat (side), genausowenig hat sie eine Vorstellung von sich als Person und von ihren Rechten. Sie ist mit ihrer mißlichen Situation schon zufrieden, wenn nur Schläge, Verwünschungen und dergleichen ausbleiben. Wer ist es nun, der sie als Tier bezeichnet, und warum? Aus der traditionellen chinesischen Literaturgeschichte sind Frauen in Schlangengestalt oder als Fuchsfeen hinlänglich bekannt. In ihrer tierischen Gestalt verkörpern sie die Angst des Mannes vor der weiblichen Sexualität. Davon kann hier nicht die Rede sein. Die Charakterisierung »Tier« ist schließlich keine Metapher. Nach altchinesischer Vorstellung unterscheidet sich der Mensch nicht wesentlich vom Tier, besonders dann nicht, wenn er keine Erziehung genossen hat. Vorstellungen vom Mitmenschen als »Tier« sind auch heute noch in der chinesischen Gesellschaft gang und gäbe. Hängt also der Erzähler einer menschenverachtenden Mentalität an? Der Begriff »Tier« ist nicht abstrakt als Werturteil, sondern konkret als Beschreibung einer Funktion zu verstehen. Im Laufe seiner Geschichte zeigt der Erzähler, wie die Protagonistin auf dem Feld die Aufgabe eines Ochsen erfüllt. Sie ist kein Ochse, sie erfüllt nur die Funktion eines Ochsen, und zwar in den Augen ihrer Mitmenschen. Der Erzähler kommt daher zu dem folgenden sarkastischen Schluß. Ihr Vater, ihr Schwiegervater und ihre Schwiegermutter hielten diese Lösung für angemessen. Sie befolgten alle eine ihnen längst vertraute Regel: Bleibt das Feld unbestellt, verkaufe man den Pflugochsen. Sie war ja ein Ochse, jetzt brauchte man sie nicht mehr, man mußte sie verkaufen. Ihr Verkaufspreis konnte die Begräbniskosten für ihren Mann decken. Das war schließlich ihre letzte Pflicht.

Wie kann der Leser jedoch wissen, daß er zwischen dem Erzähler und dem impliziten Autor einen Unterschied zu machen und damit den Schluß nicht für bare Münze zu nehmen hat? Es spricht jemand nicht nur aus der Sicht der Mitmenschen zum Leser, sondern auch aus der Sicht der Protagonistin! Wendungen wie »zum Glück« (sixing) oder »ihr einziges Unglück« (bukuai) würden zum distanzierten Erzähler nur als sarkastische Bemerkungen passen. Dies kann in den genannten Fällen jedoch nicht angenommen werden. Wir haben es daher entweder mit einem unzuverlässigen Erzähler oder mit zwei unterschiedlichen Erzählinstanzen zu tun. Wir dürfen davon ausgehen, daß in jedwedem Text eine Stimme präsent sein muß, die mehr als ein Erzähler weiß. Anders könnte es nicht zu Doppeldeutigkeiten kommen. Einen schönen Beleg stellt hierfür der Erzählkommentar zum Leben der Protagonisten in der Stadt dar. Diese

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hat nach ihrer Flucht von daheim eine Anstellung als Hausmädchen gefunden. »Von da an begann ihr neues Leben«, heißt es lakonisch von seiten des Erzählers. Was war an diesem Leben neu? Die Absenz von Prügel und Schmähung, sonst nichts, die Arbeitsbelastung und die Albträume blieben die gleichen. Nun hat »neues Leben« (xin shenghuo) in der damaligen Zeit aber noch eine allgemeinverbindliche Konnotation. Sie leitet sich idealistisch von Dante und von dem Konzept einer vita nuova her, praktisch von den politischen Utopien seit der Jahrhundertwende. Das Adjektiv »neu« (xin) hatte dementsprechend inflationär Gebrauch gefunden. Lu Xun war der erste, der sich darüber lustig gemacht hat. Ye Shengtao folgt ihm hier nach und tut dies später vor allem in seinem Roman über den Lehrer Ni Huanzhi.131 Die Konnotation, welche die Wendung »neues Leben« impliziert, sollte Sache des impliziten Autors sein, der, so dürfen wir annehmen, ein anderes Wertesystem als der Erzähler hat. Der Erzähler berichtet emotionslos vom Tod des Kindes, vom Tod des Ehemannes und vom Verkauf der Protagonistin zur Begleichung der Begräbniskosten. Seine Aufgabe scheint nur der Hinweis darauf zu sein, was Sache ist, dem impliziten Autor dagegen wird es eher um den Entwurf eines Mikrokosmos gegangen sein, der am Beispiel »eines Lebens« das ganze Leben der damaligen Zeit im Kern spiegelte. Lu Xun, Yu Dafu, Bing Xin und Ye Shengtao begründen sprachlich, formal und ideologisch die moderne chinesische Erzählkunst. Mit ihrer Betonung von Mutter, Kindheit, Liebe und Natur steht die einzige Autorin unter lauter Autoren etwas abseits. Auch Yu Dafu mit seiner Analyse einer morbiden Welt scheint einen Sonderstatus einzunehmen. Einzig Ye Shengtao verbindet in seinem breiter angelegten Werk all seine Zeitgenossen miteinander, dabei wird besonders seine geistige Nähe zu Lu Xun deutlich. Mit ihm, aber auch mit Bing Xin hat er den »Kinderblick« gemeinsam. Das ist die Fähigkeit, Kinder nicht nur wahrzunehmen und zum Gegenstand der Literatur zu machen, sondern auch aus dem Blick des Kindes die Vergangenheit wachzurufen bzw. die Gegenwart zu sehen. Bing Xin und Ye Shengtao beschreiten gleichsam zwangsläufig nach 1936 den Weg der Kinderliteratur. Beider Bedeutung liegt aber nicht nur in der Kreierung einer neuen Gattung für China, sondern auch in der Einführung des Kindes in die ernste Literatur, die Lu Xun schon vor ihnen in Angriff genommen hat. Die Entdeckung des Kindes zur Zeit des 4. Mai ist im Rahmen der damaligen Reformbemühungen zu sehen. Wie bereits erwähnt, hatte Lu Xun 1918 das Schlagwort »Rettet die Kinder« ausgegeben. Die Erziehung des Kindes nach einer neuen westlichen Pädagogik war genauso Teil der nationalen Erneuerung wie auch die Befreiung der Frau. Ye Shengtao ist von Haus aus Erzieher gewesen, die Thematik von Schüler und Lehrer lag für ihn daher nahe. Man gedenkt heute noch seiner im Tempel 131

WOLFGANG KUBIN: »Der Schreckensmann. Deutsche Melancholie und chinesische Unrast. Ye Shengtaos Roman Ni Huanzhi«, in: minima sinica 1/1996, S. 61–73. Der Roman Ni Huanzhi erschien auf deutsch in der Übersetzung von HELMUT LIEBERMANN als: Yä Scheng-Tau: Die Flut des Tjiäntang, Berlin: Rütten & Loening 1962.

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Baosheng Si von Luzhi, nahe seiner Heimatstadt Suzhou, wo er als Lehrer gewirkt hat. Eine seiner großen Erzählungen, »Melonen« (»Malinggua«, 1923)132, sicherlich eine der besten chinesischen Erzählungen des 20. Jahrhunderts überhaupt, spielt um 1905, zu einer Zeit also, als das alte Prüfungssystem noch nicht endgültig abgeschafft war. Sie entwirft am Beispiel eines Kindes vordergründig die Übergangsphase von traditioneller zu moderner Erziehung, hintergründig den Untergang des alten China und die Ankündigung einer neuen Gesellschaft. Die Erzählung ist in einem komödienhaften Ton verfaßt, scheint also wenig dem Ernst der Dinge angemessen zu sein. Die Wahl des Tones hat jedoch Methode. Bereits in seiner ersten modernen Erzählung hat Ye Shengtao unmißverständlich zu erkennen gegeben, daß auch nach Errichtung der Republik die neuen Werte wie Freiheit und Gleichheit nicht automatisch zu einem theoretischen oder praktischen Allgemeingut geworden waren. Später hat er sich in seinem Roman Ni Huanzhi (1928) zum Mißverhältnis von Vorstellung und Wirklichkeit fast schon sarkastisch geäußert. Die Erzählung »Melonen«, deren Abfassung zeitlich zwischen »Ein Leben« und Ni Huanzhi steht, macht weder den strengen Eindruck des ersteren Werkes noch den verbitterten des letzteren. Der Humor, der hier zum Zuge kommt, scheint der eines abgeklärten Zeitgenossen zu sein, der im Rückblick weiß, daß die Unterschiede von Alt und Neu nie so groß sind, wie sie vorgeben. Mit seiner Thematik der Melonen steht Ye Shengtao in indirekter Nachfolge von Lu Xun. 1922 hatte dieser in einer Erinnerung an »Eine Oper auf dem Land« (»Shexi«)133 den Genuß von Saubohnen zum heimlichen Thema gemacht und ebenfalls die damalige Zeit mit den Augen eines Kindes geschildert. Während bei Lu Xun jedoch die Bohnen kein Leitmotiv sind, werden die Melonen bei Ye Shengtao zum durchgehenden Erzählprinzip erhoben. Die Melonen sind in Kontrast zur Prüfung auf Kreisebene gesetzt, an welcher der im zwölften Lebensjahr befindliche Knabe erneut »zur Probe« teilnehmen soll. Ein Examen, das nur der Sammlung von Erfahrung dienen soll, entbehrt natürlich des gehörigen Ernstes. Das Kind wird nicht als einziger Kandidat aus wenig lauteren Motiven ins Rennen geschickt. Auch Mittelschüler, die nach westlichem Vorbild erzogen werden und eigentlich an keiner traditionellen Prüfung teilnehmen dürfen, haben sich eingeschlichen, um sich Optionen offenzuhalten. Da der Bildersturm der Mittelschüler bereits vor Ort eingesetzt hat, ist deren Teilnahme an einer kaiserlichen Prüfung ein Verrat auch an ihrer eigenen Überzeugung von der Tradition als Aberglauben, ja, der Betrug ist inzwischen allgemein legitimiert, denn 132

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Deutsch von UTE LASCHEWSKI, in: minima sinica 1/1991, S. 75–96. Ich zitiere die chinesische Fassung nach LIU SHAOMING u. HUANG WEILIANG (Hg.): Zhongguo xiandai zhong-duanpian xiaoshuo xuan [d.i. die chinesische Ausgabe von: Modern Chinese Stories and Novellas 1919– 1949, hg. von JOSEPH S.M. LAU , C.T. HSIA u. LEO OU-FAN LEE, New York: Columbia UP 1981] 1919–1949, Bd. 1, Hongkong: Youlian o.J., S. 137–149. Zur Interpretation s. CATHERINE E. PEASE: »Remembering the Taste of Melons: Modern Chinese Stories of Childhood«, in: ANNE BEHNKE KINNEY (Hg.): Chinese Views of Childhood, Honolulu: University of Hawaii Press 1995, S. 283–284, S. 301–305. LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. 1: Applaus, S. 201–218.

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Kontrollen sind abgeschafft und »Spickzettel« erlaubt. Die Prüfung findet, ohne daß die Kandidaten dessen gewiß sein können, zu einer Unzeit statt. Die Ergebnisse werden mit der unmittelbar bevorstehenden Abschaffung des überkommenen Beamtenauswahlsystems kaum mehr von Bedeutung sein. Jedoch macht nur das Kind durch sein Verhalten dem Leser klar, daß es der Zeit voraus ist. Es hat längst eine Umwertung vorgenommen, die Melonen sind ihm nämlich wichtiger als die Klassiker, ihr Genuß hat Vorrang vor der Prüfung und vor den konfuzianischen Tugenden. Die Welt des Kindes und die Welt der Prüfung sind klar voneinander getrennt. Der Leser erlebt dies gleich zu Beginn der Erzählung, wo die Eßvorräte einschließlich der Melonen Sache des Kindes sind und die Prüfungsunterlagen in der Obhut des Oheims ruhen. Das Kind trägt einen Korb, der Oheim eine Tasche. In meiner Hand trug ich einen Bambuskorb, der zwei Melonen, sieben oder acht Dampfbrötchen und ein Stück Schinken enthielt. Außerdem befanden sich darin Wassermelonenkerne, Erdnüsse und eingelegte Oliven. Alles Dinge, die ich gerne aß. Doch meine Gedanken drehten sich einzig und allein um die Melonen: Sie hatten die Größe einer Reisschüssel, und ihre weißgrüne Schale war mit hübschen Mustern überzogen. Schon bei dem Gedanken an sie lief mir das Wasser im Munde zusammen. Am Tag zuvor hatte ich an den Vater die Bitte gerichtet: »Wenn du willst, daß ich morgen gehe, muß ich unbedingt zwei Melonen bekommen.« Als er das hörte, mußte er lachen und antwortete großzügig: »Wo ist denn da das Problem? Du willst zwei, also sollst du auch zwei bekommen!« Am Nachmittag brachte er tatsächlich zwei Melonen mit und gab sie mir mit den Worten: »Los, leg sie in deinen Proviantkorb!« Ich war überglücklich, packte die Melonen behutsam in den Korb und deckte sie mit einem Stück Papier zu. Zum Schluß legte ich die anderen Sachen dazu. Als wir uns am Abend auf den Weg machten, hatte ich es sehr eilig, den Korb zu tragen, alle anderen Sachen überließ ich dem Oheim.134

Was hier lakonisch als »alle anderen Sachen« bezeichnet und vom Oheim in einer Büchertasche getragen wird, das waren in Gestalt der konfuzianischen Klassiker und in Form von »Papier, Pinsel und Tusche« gleichsam die einstige gesellschaftliche Ordnung und das Werkzeug eines jeden Literaten und Beamten. Das Vergängliche und das Sinnliche der Melonen ist an die Stelle der einst vermeintlich ewigen Werte getreten. Das Kind erlebt den Ort der Prüfung, wo es noch von Halle zu Halle über die Schwellen gehoben werden muß, als Jahrmarkt. Es achtet inmitten des Gedränges nicht auf die Aufrufung seines Namens. Die Sorge um die Melonen, die zerdrückt werden könnten, ist größer als die Angst vor einem Scheitern im Examen. Das kurzweilige Vergnügen des Volkes, der Betrug der Kandidaten, die Erinnerung an imposantere Dinge als eine Prüfungshalle machen zu guter Letzt erklärlich, warum der 134

In: minima sinica 1/1991, S. 75–76; LIU u. HUANG (Hg.): Zhongguo xiandai zhong-duanpian xiaoshuo xuan, S. 137.

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Knabe seine gute Schule vergißt. Statt in der Pension der Familie Hu die begehrten Melonen auf gut konfuzianische Art mit den anderen zu teilen, zügelt das Kind seinen Appetit, bloß um langfristig nichts abgeben zu müssen. Es verstößt damit gegen die Anstandsregeln, die der Oheim in der Büchertasche trägt und die ein Gegenstand der Prüfung sind. Die Erzählung endet, wie sie begonnen hat, mit dem Lobpreis der Melonen und mit der Bitte, der Vater möge, die verzehrten Melonen durch neue ersetzen. Wir dürfen davon ausgehen, daß dem Wunsch des Knaben Rechnung getragen wird, denn der Vater spielt das Spiel des Kindes mit. Ihm mögen zwar die Melonen nicht wichtiger sein als die Prüfung, aber er läßt die väterliche Strenge vermissen, deren Zeuge wir im Werk des Lu Xun werden. Erklärlich wird sein Verhalten nur aus seiner Einsicht in den Lauf der Zeit, er ist der heimliche Verbündete des Knaben, denn ohne Prüfung blieben die Melonen nicht erinnert. Die wiederholt erwähnten Schwellen der Prüfungshallen, über die das Kind vor und nach der Prüfung gehoben werden muß, sind Bestandteil der traditionellen »Abenteuerfahrt«, die alle Werke der Weltliteratur kennen: Vor bzw. nach dem Genuß sind Hindernisse zu überwinden, wofür es Helfer gibt. Der Genuß ist das Ziel der Unternehmung, die nur in Erinnerung bleiben kann, wenn es auch überwindbare Gegenkräfte gibt. Der Antipode ist die Tradition, sie stellt in der Büchertasche des Oheims das kollektive Gedächtnis dar. Die Schriften enthalten die verbindlichen Grundlagen, die in der Prüfung abzufragen und damit zu vergegenwärtigen sind. Der Erzähler jedoch gewährt uns nur einen Einblick in die private Erinnerung des erwachsen gewordenen Kindes. Eine Differenz von einstigem und jetzigem Ich scheint nicht gegeben zu sein. Der Umbruch von Gedächtnis zu Erinnerung erfolgt nahtlos. Das alte China hat abgedankt, das neue gibt noch keinen Ersatz für die verlorene Gedächtniskultur zu erkennen. Was bleibt, ist die Zeit des Kindes als Abschluß und Neubeginn. Lu Xun, Ye Shengtao und Guo Moruo widmen als erste der Erinnerung an die Kindheit weiten Raum, nach ihnen treten noch andere auf den Plan wie Xiao Hong (1911–1942) oder Li Jieren (1891–1962). Die Frage, die hier nach dem inneren Zusammenhang von Erinnerung und Erzählkunst zu stellen wäre, muß vorerst unbeantwortet bleiben. Auffällig ist jedoch, daß die moderne chinesische Erzählkunst und andere Formen literarisch verschrifteter Umgangssprache ein gehöriges Maß dem Rückblick aufs eigene Leben widmen, als wenn Erzählen und Erinnern eine so tiefe Gemeinschaft haben, daß eine Entstehung moderner Prosa ohne eine Aufarbeitung der Vergangenheit gar nicht vorstellbar erscheint.

1.5.2 Die Literaturgesellschaften Erinnerung ist Sinngebung, sie wird erst möglich und auch nötig, wenn eine allgemeinverbindliche Gemeinschaft ihre kollektive Bedeutung und damit auch ihr kollektives Gedächtnis verliert. Umgekehrt wird die (private) Erinnerung in dem Moment zurückzutreten beginnen, wo ein neues (kollektives) Gedächtnis begründet werden soll. Dies ist mit der Ausrichtungsbewegung von Yan'an 1942 und mit der Gründung der

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Volksrepublik China 1949 der Fall. In der nachfolgenden Literatur gibt es kaum Erinnerung, wohl aber sehr viel Gedächtnis. Das Modewort des 4. Mai, »neu«, meint auch Sinnstiftung. Die Zeit, die nun nicht mehr nach dem Ritus der Vergangenheit geordnet werden sollte, mußte »neu« geordnet werden, um einen »neuen« Sinn stiften zu können. Die Sinnstiftung kannte in der Epoche des 4. Mai zwei Wege: Die Zeit wurde entweder im Rückblick geordnet, dank einer persönlichen Erinnerung, oder sie wurde für die Gegenwart bzw. für die Zukunft organisiert, dank Begründung einer »neuen« Gemeinschaft. Im ersten Fall führte das zur autobiographischen Literatur, im zweiten Fall zur Organisation von literarischen Gesellschaften. Ersterer Fall wird uns später noch beschäftigen, letzterer soll hier kurz abgehandelt werden. Über die literarischen Gesellschaften zur Zeit des 4. Mai ist relativ viel geschrieben worden.135 Auch heute noch werden Schriftsteller immer wieder gern mit ihnen in einem Atemzug genannt. Der Grund für das anhaltende Interesse dürfte in der Tatsache einer Gedächtnisgemeinschaft136 zu suchen sein, die in diesem Fall von einer Gruppe gebildet wird. Als Gruppenbildung steht eine literarische Vereinigung zwischen Staat und Individuum, verfügt zwar über keine private Erinnerung, aber auch nur bedingt über ein kollektives Gedächtnis. Literarische Gruppierungen hat es in China schon seit dem Mittelalter gegeben, in Mode kamen sie aber erst mit der Neuzeit. Was die herkömmlichen Gesellschaften von denen des 4. Mai unterscheidet, ist die Einstellung zum literarischen Schaffen. Schreiben war im traditionellen China oftmals ein Ausdruck der Muße oder ein Akt des Zeitvertreibs, es war Teil einer ästhetischen Haltung, die auch in anderen Künsten befriedigt werden konnte. Literatur wurde oft in Gemeinschaft gepflegt. Poetische Wettkämpfe zum Beispiel waren eine beliebte Form der Unterhaltung. Mit dem 4. Mai jedoch wird Literatur bewußt betrieben und auch organisiert. Dies hat viele verschiedene Gründe. Sehen wir einmal von der Funktion der Literatur als Retterin von Staat und Individuum ab, so dienten die Gesellschaften ganz vordergründigen Zwecken: Sie halfen Zeitschriften gründen und Buchläden aufbauen, um ein Publikationsorgan, ein Vertriebsnetz zu haben und eine Leserschaft zu gewinnen. Langfristig erhoffte man sich die Aufnahme der chinesischen Gegenwartsliteratur in die Weltliteratur, und da diese nur über die Aneignung westlicher literarischer Techniken erreichbar schien, waren Vorbilder notwendig und Trends gefragt. Es überrascht daher nicht, daß alle wichtigen Zeitschriften und Zeitungsbeilagen (fukan) hauptsächlich Übersetzungen westlicher Literatur präsentieren. Hinter 135

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AMITENDRANATH TAGORE: Literary Debates in Modern China 1918–1937, Tokio: Centre for East Asian Cultural Studies1967; BONNIE S. MCDOUGALL: The Introduction of Western Literary Theories into Modern China 1919–1925, Tokio: Centre for East Asian Cultural Studies 1971; CHARLOTTE DUNSING: Die literaturtheoretische Diskussion in China in den Jahren 1917–1940, Inaugrual-Dissertation, München: Salzer 1977. ERICH PILZ: »›Erinnerungsgemeinschaften‹. Das Chubanshiliao als Identität-stiftende Materialsammlung«, in: minima sinica 2/1999, S. 75–94, spricht in diesem Zusammenhang von Erinnerungsgemeinschaften. Da ich (kollektives) Gedächtnis von (privater) Erinnerung trenne, spreche ich in diesem Fall von Gedächtnisgemeinschaft.

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der Suche nach der »Schreibvorlage« steht ein tieferes Problem. Ein »umgangssprachliches« Schrifttum war China ja nicht etwa unbekannt. Über die Geschichte und Geschichtsschreibung der westlichen Literatur hatte man auch Interesse an der eigenen Literaturgeschichte gefunden und dabei – wie im Falle von Hu Shi – die Geschichte der chinesischen Literatur in Umgangssprache (Baihua wenxue shi, 1928) entdeckt, eine Literatur also, die, zunächst auf Märkten vorgetragen, den Weg in die Studierstuben und zur Bearbeitung gefunden hatte. Dieser Literatur, wiewohl hochmoralisch und meist konform, hing immer der Ruch des Gewöhnlichen an. Eine moderne Literatur in der Sprache und in der Form des »Volkes« hätte kaum Aussicht auf allgemeinen Respekt gehabt. Die baihua bedurfte daher eines Gegengewichtes, das über jeden Verdacht erhaben war, und das war das westliche Vorbild. Wer heute in den damaligen Zeitschriften liest, wird mit zwei Problemen konfrontiert. Zum einen wird er viele Namen der übersetzten Autoren und Werke nicht mehr kennen, zum anderen stammen viele Übertragungen aus Zweitsprachen. Auch die Sekundärliteratur zur westlichen Primärliteratur hat oftmals einen Umweg gemacht, in den meisten Fällen über Japan. Da jede Übersetzung eine Interpretation darstellt, lagen den chinesischen Literaten zu ihrer Orientierung nicht selten Interpretationen von Interpretationen vor. Ein übriges taten die textbooks, die sich bis heute im angloamerikanischen Raum großer Beliebtheit an Schulen und Universitäten erfreuen. Sie wurden gern ins Japanische oder ins Chinesische (weiter-)übersetzt. Auf Grund ihrer Autorität haben sie Bilder festgeschrieben. Eine moderne chinesische Literatur, die strenggenommen als »Übersetzung« westlicher Vorbilder zu verstehen wäre, verlangte zu ihrer Erforschung nicht unwesentlich die Aufarbeitung ihrer einstigen Grundlagen. Mit einer solchen Aufgabe, die eigentlich die der Übersetzungswissenschaft wäre, übernähme sich die Literaturwissenschaft. Ihr ist es im Rahmen der Komparatistik ohnehin nur gegeben, auf Parallelen zu verweisen, die nicht immer wirklich zur weitergehenden Erhellung ihres Gegenstandes beitragen müssen. Von den vielen damaligen literarischen Gesellschaften seien hier nur zwei stellvertretend genannt: die Gesellschaft zur Pflege der Literatur (Wenxue Yanjiu Hui, 1920–1932) und die Schöpfungsgesellschaft (Chuangzaoshe, 1921–1929). Formal sind die Unterschiede zwischen diesen beiden beträchtlich. Während die eine sich dem »Realismus«, einer Kunst um des Lebens willen und der Vermittlung fremder Literaturen verpflichtet fühlte, verfocht die andere die Romantik, eine Kunst um der Kunst willen und die schöpferische Tätigkeit des einzelnen. Es ist nicht nur das Kommen und Gehen der Mitglieder, welches die Unterschiede weniger streng erscheinen läßt, es ist auch die innere Unstimmigkeit, welche die strikte Differenzierung in Zweifel ziehen läßt. Nehmen wir die Schöpfungsgesellschaft als Beispiel. Es ist ja nicht so, daß sie erst 1925 den Schwenk vom Ästhetizismus zum Marxismus vollzieht und alle Literatur zur Propaganda erklärt. Schon zu Beginn ihrer Tätigkeit läßt sich leicht in einem ihrer repräsentativen Werke ein soziales Engagement nachweisen, nämlich in den Göttinnen von Guo Moruo. Der Autor hatte sich nämlich bereits 1921 in der poetischen Vorrede seines Gedichtbandes zum Proletarier erklärt. Dies paßt

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wenig zu den geistigen Strömungen und Richtungen, auf die sich Guo Moruo in den Göttinnen ansonsten bezieht. Hier wird beispielhaft die intellektuelle Unsicherheit sichtbar, die für viele chinesische Literati typisch ist und innerhalb kürzester Zeit zu beliebigen Schwenks hat führen können. Die gegenseitigen Unterstellungen und Schmähungen lassen sich oftmals weniger aus Tatsachen herleiten als aus der traditionellen Verachtung, die jedem anderen Literatus zuteil zu werden pflegte. Vieles, was vielleicht nur auf eine altersbedingte oder ausbildungsrelevante Hackordnung zurückzuführen ist, läßt sich heute kaum noch einsichtig machen. Schauen wir uns zum Beispiel Ye Shengtao und Yu Dafu an, die beide unterschiedlichen Lagern angehört und anfänglich gegensätzliche Slogans vertreten haben, so ist anhand ihres weiteren Lebens und Schreibens leicht auszumachen, daß beide über kurz oder lang der chinesischen Revolution und deren Vokabular nahegetreten sind. Aus heutiger Sicht müssen auch die einst starren Fronten zwischen den Reformern und Konservativen neu bewertet werden. Die Kritik der damals wie später als reaktionär verschrienen Gegner verdient inzwischen Aufmerksamkeit, nicht nur weil sie zu Beginn der 90er Jahre im neuen Gewand wiederauferstanden ist, sondern vor allem auch deshalb, weil sie die Schwierigkeiten der modernen chinesischen Literatur erklären hilft. Sie weist zurecht darauf hin, daß zur Zeit des 4. Mai der Westen nur einseitig verstanden und die eigene Tradition zu schmählich behandelt worden ist. Noch gewichtiger ist ihr Einwand, daß die baihua ein formloses und damit ein unkontrolliertes, unkontrollierbares Schreiben ermöglichte. Wenn die Zeichen stimmen und richtig gedeutet werden, so ist quantitativ noch nie soviel Literatur in China produziert worden wie im 20. Jahrhundert. Das meiste davon ist heute vergessen oder kann ob der Fülle auf absehbare Zeit nicht bearbeitet werden. Allein die Gegenwart weist 300.000 Dichter auf, von den Erzählern, Dramatikern, Essayisten ganz zu schweigen. Eine solch schiere Fülle von Namen wird nur aus der Tatsache eines jedermann scheinbar leicht handhabbaren Sprachmaterials erklärlich. Gutes Chinesisch ist jedoch keinesfalls leichter als gutes Englisch oder gutes Deutsch. Man muß also ein Mißverhältnis zwischen Autor und Handwerkszeug ansetzen. Baihua verlangt nur scheinbar ein geringeres Maß an Reflexion und Überarbeitung als wenyan. Mittlerweile sind auch in China die Fronten zwischen den »progressiven« und den »rückschrittlichen« Kräften nicht mehr so verhärtet wie noch Jahrzehnte zuvor. Der Mut zu einem undogmatischen Blick könnte daher auch die seinerzeit konservative Kritik in einem anderen Licht erscheinen lassen.

1.5.3 Die neue Lyrik: Kurzgedicht, Prosagedicht, modernes Gedicht Wenn das Sentiment (qing) zur Zeit des 4. Mai, wie der Essayist Liang Shiqiu (1903–1987) einmal sagte, wirklich wie ein wilder Tiger war, der, aus einem Eisenkäfig freigelassen, die Vernunft (li) zu zermalmen begann, dann lassen sich daraus zwei Rückschlüsse schließen. 1. Es waren dann nicht nur die konventionelle Norm, der gesellschaftliche Ritus und die familiäre Etikette, welche den einzelnen zu einer

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Kontrolle seiner Gefühlswelt anhielten, es war auch die Schriftsprache selbst, die als Vermittlerin und Hüterin der überkommenen Ordnung die inneren Regungen kontrollieren half. Da die Emotionalität ihren angemessenen Ausdruck in der »Umgangssprache« fand, ist der folgende bildliche Rückschluß möglich: Auch wenyan war ein Käfig, und die baihua war ein Tiger. Kaum freigelassen, hat die neue Sprache das alte Erbe vernichtet. 2. Alles, was ausbricht, bricht aus alten Formen aus. In der Freiheit bedarf es neuer Formen, Formen der Freiheit. Wir können auch die traditionelle chinesische Literatur mit ihrem mitunter starren Regelwerk für Lyrik, Theater, Erzählung und Essay als Käfig bezeichnen, als einen Käfig, der die gesellschaftliche Norm des Tao gefangenhielt und die Literatur zum Botschafter dieses Tao verdammte. Der freie Vers, das Sprechtheater, die Kurzgeschichte und der moderne Essay bzw. Aphorimus, künstlerische Formen also, die – mit dem 4. Mai aus dem Westen übernommen – sich zu etablieren und die alten Formen zu vertreiben begannen, lassen sich ebenfalls bildlich als Tiger bezeichnen, denn die Tiermetapher gibt trotz allen Freiheitsgedankens auch noch die Gebundenheit durch eine Gestalt zu erkennen. Der Tiger ist nicht nur frei, den Käfig zu verlassen und durch die neue Welt zu ziehen, er ist selbst in seiner Freiheit begrenzt durch den Boden unter sich und durch seine Körperlichkeit, das heißt, er bedarf auch in seiner Freiheit der Beschränkung, um seine Freiheit spüren zu können. Eine solche Dialektik von Freiheit und Bindung bot der freie Vers, der sich hauptsächlich der Rezeption von Walt Whitman in China verdankte. Guo Moruo war mit seinen Göttinnen zwar der exponenteste Vertreter seiner Zeit, doch nicht der einzige. An seine Seite ist eine Schriftstellerin zu stellen, die uns schon als Erzählerin begegnet ist: Bing Xin. Unter dem Einfluß des indischen Schriftstellers Rabindranath Tagore (1861–1941), der China 1924 bereist hat, beginnt sie 1921, Kurzgedichte zu verfassen, die von der Literaturkritik unterschiedlich aufgenommen worden sind. Der landläufige Vorwurf des Altklugen, Versöhnlichen und Betulichen ist nicht von der Hand zu weisen, andererseits ist es der Verfasserin gelungen, ein Genre zu etablieren, das bis heute seine Verfechter gefunden hat. Unabhängig von einer inhaltlichen Würdigung ihres lyrischen Werkes läßt sich die Leistung, die sie 1923 mit der Publikation ihrer beiden einzigen Gedichtbände Sterne (Fanxing) und Frühlingswasser (Chunshui) erbracht hat, als nicht gering veranschlagen. Tagore ist seit 1918 in China durch Übersetzungen bekannt und wird durch die Übertragung von Zheng Zhenduo (1898–1958) populär. Zwar läßt sich die Gattung des xiaoshi, des Minigedichtes, schon seit 1917 nachweisen, doch ist die Etablierung dieser lyrischen Form erst Bing Xin zu verdanken, die 1921 ihre 164 Texte umfassende erste Sammlung Fanxing abschließt.137 Ihr Vorwort 137

Die geringe Sekundärliteratur zum xiaoshi, nämlich MICHELLE YEH: Modern Chinese Poetry. Theory and Practice since 1917, New Haven u. London: Yale UP 1991, S. 80–83; MICHEL HOCKX: A Snowy Morning. Eight Chinese Poets on the Road to Modernity, Leiden: Research School 1994 (= CNWS; 18), S. 168–169, 181–185; RUTH CREMERIUS: Das poetische Hauptwerk des Xu Zhimo (1897–1931), Hamburg: Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde 1996

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ist in dieser Hinsicht sehr aufschlußreich. Unter dem Datum des 1.9.1921 schreibt sie:138 Im Winter des Jahres 1919 habe ich mit meinem jüngeren Bruder Bing Zhong am Ofen kauernd die Stray Birds von R. Tagore gelesen. »Sagst du nicht immer wieder, dein Denken sei mitunter zu lose [lingsui], so daß du nicht leicht etwas Ganzes zustandebringst?« meinte der Bruder zu mir. »Schau mal, du könntest es doch auch so machen.« Von da an begann ich, in ein Notizbüchlein zu schreiben. An einem Sommertag des Jahres 1920 holte mein kleiner Bruder Bing Shu dies Büchlein aus dem Bücherregal heraus. Nachdem er es erneut gelesen hatte, schrieb er die Zeichen für Sterne auf die erste Seite. An einem Herbsttag des Jahres 1921 sagte mein jüngster Bruder zu mir: »Ältere Schwester! Kann man diese deine Geschichtchen drucken?« Da schrieb ich den Rest und gab das ganze in Druck. So hat mein loses [lingsui] Denken das Urteil dreier Kinder passiert. Dies als Vorwort zu den Sternen.

Drei Dinge dürften hier von Interesse sein: der Anstoß von außen, die Rücknahme der eigenen Person und der Gedanke des Fragmentarischen (lingsui: lose). Schenkt man der Autorin Glauben, so verdankt sich ihr Werk einzig der Bekanntschaft mit Tagore und dem Drängen der Brüder. Wir hätten hier einen schönen Beleg für die These von der modernen chinesischen Literatur als Über-Setzung, als Sprachwechsel. Die für die Autorin so kennzeichnende Bescheidenheit, der möglicherweise die Unterschätzung des Werkes anzulasten ist, steht in einem scharfen Kontrast zum großen Wort eines Guo Moruo. Während dieser zur selben Zeit seine Göttinnen kreiert und die tatsächliche Welt in Bausch und Bogen verwirft, besingt Bing Xin den Stand der Dinge; während Guo Moruo den kommenden Äon in Superlativen beschwört, mahnt Bing Xin die Dichter zur Umsicht in der gegebenen Ordnung. Semantisch könnte der Unterschied zwischen diesen beiden Dichtern tatsächlich kaum größer sein: Bing Xin genügt in ihrer Dichtung ein »kleines Boot«, Guo Moruo dagegen bedarf eines modernen »Dampfers«. Lange, lautstarke, explizite Formen auf der einen

138

(= MOAG; 125), S. 14–16; MARIÁN GÁLIK: »Young Bing Xin and Her Poetry«, in: DERS.: Influence, Translation and Parallels. Selected Studies on the Bible in China, mit einer Einleitung von IRENE EBER (Jerusalem), Sankt Augustin: Monumenta Serica Institute 2004 (= Collectanea Serica), S. 251–270, differiert leicht bei den Jahresangaben, ist sich in der Sache aber einig: Die Stray Birds (auf chinesisch Mitu zhi niao) von Tagore, die Bing Xin schon 1919 gelesen hat, haben die Form des Minigedichts initiieren helfen. Die chinesische Ausgabe von Tagores Gedichten ist mir bislang nicht zugänglich gewesen, so daß ich keinen Aufschluß über die Stray Birds gewinnen konnte. Übersetzt nach Bing Xin quanji, Bd. 1, S. 233. Die folgenden Übersetzungen werden, da in dieser Ausgabe leicht auffindbar, nicht eigens ausgewiesen. Zu neuerlichen Übersetzungen der Gedichte nebst bibliographischer Notiz im Deutschen s. BING XIN: »Sterne« aus dem Chinesischen von MARC HERMANN, in: minima sinica 2/2003, S. 111–115.

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Seite kontrastieren mit kurzen, stillen, verhaltenen Formen auf der anderen Seite. Bei allen möglichen Vorbehalten gegenüber Bing Xin sollte dennoch nicht die Modernität ihrer Kurzgedichte unterschlagen werden. Mit dem Stichwort »loses Denken« (lingsui de sixiang) – später im Vorwort zu Frühlingswasser heißt es »lose Werke« (lingsui de pianr) – formuliert sie einen Grundgedanken der Moderne, nämlich die Idee des Fragmentarischen. Die Moderne als Bruch mit der Vergangenheit erlaubt nichts Ganzes mehr, sondern nur noch das Bruchstück. In diesem Sinne kann das Binom lingsui auch als »fragmentarisch« übersetzt werden. Die vielleicht von Tagore übernommene Technik der Juxtaposition kann ebenfalls in diesem Sinne diskutiert werden. Inwiefern sich diese Technik dem Haiku oder dem klassischen chinesischen Vierzeiler (jueju) verdankt, sei dahingestellt, auf jeden Fall teilt Bing Xin mit Ezra Pound eine Gemeinsamkeit, nämlich die Diskontinuität, die mit der Technik der Juxtaposition einhergeht. Erinnert sei nur an den berühmten Zweizeiler des Zeitgenossen: »The apparition of these faces in the crowd / Petals on a wet black bough.« Ähnlich setzt auch Bing Xin Bilder voneinander ab. Das Beispiel Nr. 32 der Frühlingswasser lautet: Die Fischerboote sind heimgekehrt, Schau die roten Lampen, Pünktchen auf dem Fluß!

Eine offensichtliche Verbindung von Booten und Lampen gibt es nicht. Der Zusammenhang muß durch den Akt des Lesens hergestellt werden. Wir dürfen nur annehmen, daß die Fischer zur Zeit des Abends vom Fischfang heimkehren und rote Lichter aufgesetzt haben, die sich im Wasser spiegeln. Bing Xin liebt es, Momente wie diese einzufangen. Oftmals schildert sie klassische Situationen: An eine schlichte Begebenheit schließt sich eine schlichte Beobachtung an, die mit einem kurzen Augenblick der Erkenntnis einhergeht. So auch in Nr. 23 der Frühlingswasser: Ein schlichter Teich – von der Abendsonne beschienen, sein Wasser wird zum goldenen Meer!

So unscheinbar sich der Text geben mag, so anspielungsreich ist er dennoch. »Schlichtheit« (pingfan) ist ein Dogma der chinesischen Ästhetik der Neuzeit, das mit dem 4. Mai in den Hintergrund zu treten beginnt. Der Teich als Spiegel dient in der buddhistisch beeinflußten chinesischen Lyrik zum Mittel der Erkenntnis. Dasselbe gilt für die letzten Strahlen der Sonne. Die Verwandlung der einfachen Welt, auch wenn sie als goldene übertrieben ausgezeichnet zu sein scheint, ist dennoch nur eine temporäre. Manche der von Bing Xin verwendeten Metaphern und Symbole können in ihrer Modernität nur vor ihrem spezifischen Hintergrund erkannt werden. Sterne zum Beispiel vermögen einem westlichen Leser kaum noch einen tiefgehenden Eindruck zu machen, zu abgegriffen erscheint ihr Bild. Michelle Yeh hat für den Titel des ersten Gedichtbandes von Bing Xin jedoch unter dem Gesichtspunkt des Poeten als tragi-

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schen Helden eine sehr eingehende Deutung unterbreiten können.139 Sie sei hier zusammengefaßt. Der Stern fungiert besonders im Werk von Bing Xin als vielfaches Symbol der Abgehobenheit und Losgelöstheit. Als wichtiges Zeichen des modernen Geistes steht er für ein Doppeltes, für Erfüllung und Desillusion, für Ewigkeit und Flüchtigkeit, für Idealismus und Klage, für Glanz und Dauer von Dichter und Poesie, aber auch für eine entfremdete Existenz und die Einsamkeit. Im Bild des Sternes ist die traditionelle kosmologische Einheit aufgehoben. Es geht nicht mehr um etwas Universelles, das für alle gilt, also nicht mehr um eine grundsätzliche Ordnung und letztendliche Harmonie, sondern um die Vereinzelung des einzelnen und dessen Rebellion gegen den gesellschaftlichen Zustand der Vereinzelung. Der Stern wird zum Symbol der Moderne und löst den Mond als Bild der Tradition ab. Er ist Ausdruck der Spannung, einer Spannung zwischen dem Irdischen und dem »Heiligen«, zwischen gesellschaftlicher Überflüssigkeit und dichterischer Bewußtheit, zwischen Anpassung und Individualität und letztlich auch zwischen Sterblichkeit und Unsterblichkeit. In ihrer Thematik von Natur, Mutter und Dichter mag Bing Xin ebenso begrenzt sein wie in ihrer Weltanschauung, der »Philosophie der Liebe«. Man muß ihre in Lebensweisheiten, Ratschläge und Bibelsprüche gekleideten Verse nicht eigens als Kritik des Zeitgeistes positiv hervorheben, ihre eigentlichen Vorzüge liegen woanders. Erstaunlich ist ihr Sprach- und Formbewußtsein. Im Gegensatz zu vielen anderen Zeitgenossen scheint sie eine klare Vorstellung von ihrem Handwerkszeug gehabt zu haben. Sie schreibt zwar ein einfaches, aber in sich schlüssiges Chinesisch, und sie gibt ihren Text in eine klar gegliederte Form, die sie als Meisterin ausweist. Auch mit ihrer Zeilung beschreitet sie neue typographische Wege, welche die Aufgabe der traditionellen Schreibung von rechts nach links und von oben nach unten erfordern. Die Einrückung eines Verses und die Abhebung der einen Strophe von einer anderen mittels einer Leerzeile waren im herkömmlichen Druckverfahren nicht gut möglich. In ihrer sprachlichen wie formalen Begabung zur Gestaltung eines lyrischen Textes ist Bing Xin weit über ihre Zeit hinaus einzigartig geblieben. Was die Kurzform angeht, so hat erst Gu Cheng (1956–1993) sie an inhaltlicher Tiefe zu übertreffen vermocht. Auch ohne den Begriff Frauenliteratur defensiv bemühen zu wollen, läßt sich vielen Versen von Bing Xin eine sanfte Schönheit abgewinnen, die zeitlose Gültigkeit beanspruchen kann. In Nr. 105 der Frühlingswasser lesen wir: Schöpfer – Hätte in einem ewigen Leben Ich nur den einen Wunsch auf höchstes Glück, Ich bäte inniglich: Laß mich sein in meiner Mutter Schoß, die Mutter in einem kleinen Boot, das kleine Boot unter hellem Mond auf großem Meer.

139

Yeh: Modern Chinese Poetry, S. 36–55.

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Mag hier auch einem vielleicht altmodischen Regressionswunsch Ausdruck verliehen sein, formal ist der Text weniger unbedarft, als er vorgibt. Mit der Thematik der Mutter greift er einem Topos vor, den die moderne Literatur in West wie in Ost, vor allem im Rahmen der Frauenbewegung und Frauenliteratur, verstärkt in die Diskussion eingebracht hat. Im Falle von China denke man nur an Ding Ling, Zhai Yongming oder Zhang Jie (geb. 1937). Formal spielt der Text geschickt mit den Adjektiven »groß« und »klein« sowie mit dem Irrealis. Während der Raum des Ichs immer kleiner wird, weitet sich andererseits der Raum vom Schoß zum Kosmos. Die Konditionalpartikel »falls« (tangruo) nimmt den Regressionswunsch sehr stark zurück: Falls es überhaupt ein ewiges Leben gibt, wollte ich bitten... Das Gedicht erweist sich somit als ein vorsichtiges Gedankenspiel, mehr nicht. Zwar ist die Wirkungsgeschichte von Bing Xins Kurzgedichten noch nicht nachgezeichnet worden, doch haben im Einzelfall Epigonen ihr Vorbild eingestanden. Zong Baihua (1897–1986) zum Beispiel, der vielleicht bedeutendste chinesische Ästhetiker im 20. Jahrhundert, hat während seines Berliner Aufenthaltes am 18. April 1922 die Lektüre der Sterne als Ausgangspunkt für seinen einzigen Gedichtband Treibende Wolken. Kurzgedichte (Liuyun xiaoshi, 1923) bezeichnet.140 Die Texte, die des öfteren Berlin und die Ostsee behandeln, sind heute eher von historischem als von literarischem Interesse. Im Vergleich offenbaren sie den großen sprachlichen und ästhetischen Unterschied zu Bing Xin. Ein Beispiel mag genügen. Vermutlich wurden die folgenden Verse auf das Grab von Heinrich von Kleist (1777–1811), welches sich am Wannsee befindet, verfaßt. Es trägt den Titel »Unsterblichkeit« (»Buxiu«).141 Auf des Dichters Grab gedeiht Unkraut. Ein Mädchen geht vorbei und streut rote Blumen. Ja, Dichter, Unsterblichkeit ist nun dein!

Dieser Text reflektiert nur einen kleinen poetischen Einfall, der ebenfalls der schlichten Beobachtung einer denkbar einfachen Situation entspringt. Der abschließende Kommentar, der sich wie bei Bing Xin der Technik der Erkenntnis verdankt, ist nicht besonders originell. Was in der Übersetzung nicht zum Ausdruck kommen kann, ist der schmucklose, teilweise unsichere Gebrauch der modernen Sprache. Ob poetisch oder sprachlich, Bing Xin beherrscht dies Metier, das mit seinen meist zwei bis fünf Versen der Gedankenlyrik zuzurechnen ist, bei weitem besser. 140

141

Zong Baihua quanji, Hefei: Anhui Jiaoyu 1994, Bd. 1, S. 348. Die Gedichte befinden sich auf den Seiten 348–425. Da die »Kurzgedichte« mitunter über eine Seite lang sein können, ließe sich xiaoshi auch als »Kleine Gedichte« übersetzen. Zur Dichtung und Ästhetik des Zong Baihua s. Chinese Literature (Frühling 1987), S. 160–180. Zu einer weiteren Übersetzung im Deutschen durch MARC HERMANN s. minima sinica 1/2005, S. 49–65. Ebd., S. 382.

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Das Kurzgedicht stellt unter den neuen literarischen Formen, die der 4. Mai erfindet, das eine Extrem dar, ein anderes Extrem ist das Prosagedicht (sanwenshi), das seinen Ursprung im Frankreich des 19. Jahrhunderts hat und vermutlich über die Übersetzung von oder die Bekanntschaft mit Charles Baudelaire (1821–1867) nach China gelangt sein dürfte. Lu Xun ist vielleicht der einzige chinesische Schriftsteller, der es bislang in dieser seit 1918 für China nachweisbaren Gattung zu Erfolg gebracht hat.142 Er hat sich hierin jedoch nur einmal versucht und 1924/26 den Zyklus Unkraut (Yecao) verfaßt, der zu den dunkelsten Werken der modernen chinesischen Literatur gehört. Aus chinesischer Sicht ist unter einem Prosagedicht ein Text zu verstehen, der die Eigenschaften der Lyrik mit denen der Prosa verbindet, das bedeutet konkret: Vitalität und Dichte, Bündigkeit und Lebendigkeit.143 Und man kann hinzufügen: Wiederholung und Variation. Manche der 24 Texte sind jedoch so prosaisch, daß sie nur durch ihre Verankerung im Zyklus noch als Prosagedicht gelten können. Diese Eigenschaft teilt Lu Xun jedoch ebenfalls mit seinen europäischen Vorläufern Baudelaire, Arthur Rimbaud (1854–1891) und Stéphane Mallarmé (1842–1898), mit denen er auch noch andere Gemeinsamkeiten hat, vor allem die – so sieht es zumindest bis heute aus – private Metaphorik und Bildwelt, die jeglicher Logik zu entbehren scheinen. Die Paradoxie und die Repetition sind wohl die wesentlichsten Merkmale der »Unkräuter«. Sie schaffen zwischen den formal heterogenen Texten einen stilistischen Zusammenhalt. Inhaltliche Konstante scheint die Verhandlung des 4. Mai zu sein. Es begegnen immer wieder die Schlagworte der Zeit wie Wildnis, Jugend, Westen, Wanderer, Hoffnung und Langeweile. Dabei mag Nietzsche so sehr Pate gestanden haben, daß sich die Prosagedichte mitunter auch wie eine kreative Verarbeitung von Also sprach Zarathustra lesen. Trotz der inzwischen zahlreichen Interpretationen kann der Zyklus Unkraut nicht als aufgeschlüsselt gelten. Die herkömmliche materialistische Deutung greift zu kurz, und die textimmanente Erklärung kann die offensichtlichen Widersprüche nicht lösen. Ohne das Prinzip der Paradoxie, welches das Leben und Werk des Lu Xun wesentlich kennzeichnet, zu sehr bemühen zu wollen, scheint mir die Lösung doch in dem unliebsamen Schritt zu liegen, das Scheitern des 4. Mai als die Prämisse des Zyklus anzusehen. Die Erneuerungsbewegung von 1919 ist über die Jahrzehnte so sehr als eine rein positive Rebellion verstanden worden, daß ihr vermeintlicher Repräsentant, Lu Xun, unmöglich auch als ihr Kritiker fungieren konnte oder durfte. Nimmt man jedoch das Vokabular ernst, dessen sich der Autor in seinen Prosagedichten bedient, so ist es kaum angängig, 142

143

Ich sage vielleicht, da mir noch nicht abschätzbar erscheint, wie einmal die Langgedichte von Xi Chuan (geb. 1963) zu bewerten sein werden. Zu seinem Werk s. XI CHUAN: Die Diskurse des Adlers. Gedichte und poetische Prosa, aus dem Chinesischen von BRIGITTE HÖHENRIEDER, PETER HOFFMANN und dem TÜBINGER ARBEITSKREIS CHINESISCHE LITERATUR, Bochum/Freiburg: projekt verlag 2004 (= arcus chinatexte; 20); MAGHIEL VAN CREVEL: »Xi Chuan’s ›Salute‹: Avant-Garde Poetry in a Changing China«, in: Modern Chinese Literature and Culture 11.2 (Herbst 1999), S. 107–149. Vgl. hierzu CREMERIUS: Das poetische Hauptwerk des Xu Zhimo, S. 16–18.

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diesen als Propheten der Jugendbewegung zu idealisieren. Lu Xun konzipiert in dem als Theaterspiel entworfenen Text »Ein Vorübergehender« (»Guoke«, 1925) die für seine Zeit typische Gestalt des Wanderers, der auf dem Weg vom Osten nach dem Westen in der Einöde und unter den Zeichen des Todes unterwegs ist und zu guter Letzt auch wiederum nur in die Wildnis (yedi) entschwindet. Warum ist er überhaupt unterwegs? Er hört eine Stimme. Welche Stimme das ist, wird dem Leser nicht verraten. Es ist eine Stimme, die andere auch schon gehört haben, darüber aber alt geworden sind. Da sie aus dem Westen zu kommen scheint, dürfte es sich um die Verlockungen handeln, die zur damaligen Zeit mit der Rezeption des Westens in Verbindung gebracht wurden. Möglicherweise liegt hier eine versteckte Anspielung auf einen frühen Essay von Lu Xun vor. 1907 hatte der Autor »Über die dämonische Macht der Poesie« (Moluo shili shuo) geschrieben und das Fehlen einer »Stimme des Herzens« (xinsheng) beklagt. Er meinte damit Streiter des Geistes wie Byron oder Percy Bysshe Shelley (1792–1822), die im Westen zur Zerstörung der alten Ordnung angetreten und deshalb als satanische Dichter gebrandmarkt worden waren. Mit ihrer Stimme hätten diese, aber auch andere ihre Landsleute einst wachgerufen.144 Es ließe sich jedoch ebenso an eine (selbst-)kritische Wiederaufnahme von vox clamantis in deserto (nahan) denken. Wie dem auch sei, beklagte Lu Xun 1907 das Fehlen einer Stimme für China und 1922 den Mangel an nachfolgebereiten Zuhörern, so scheint er in besagtem Prosagedicht von einer neuen Situation auszugehen, nämlich von der Existenz einer solchen Stimme und auch eines Hörers, gleichwohl scheinen nun andere Dinge zu fehlen: eine bestimmte Richtung, ein fester Weg und Ort sowie ein weiterer Mitläufer. Trotz der vorhandenen und von anderen auch wahrgenommenen Stimme scheint alles beim Alten geblieben zu sein. Hören wir den Vorübergehenden den Osten wie folgt beklagen: Wo ich herkomme, da hat alles einen Namen, einen Herrn, da gibt es nur Verfolgung und Gefangenschaft, alles grinst oder hat Tränen in den Augen. Ich empfinde dort nur Abscheu, nichts wird mich dahin zurückführen!145

Natürlich ist mit dieser abfälligen Kritik das China der Republikzeit gemeint und nicht das kaiserliche China, doch traten die Jahre 1911, 1912 und 1919 mit dem Anspruch auf den Plan, der Wissenschaft und der Demokratie zum Durchbruch zu verhelfen. Dieser ist jedoch nicht erfolgt. Statt dessen ist etwas verlorengegangen und dafür nichts Neues gewonnen worden. Dieses verlorene »Etwas« ist hier in der Schwebe 144

145

LU XUN: »Über die Macht der dämonischen Poesie«, in: LU XUN. Werke in sechs Bänden, Bd. 5: Das Totenmal, S. 163–167. Beachte hier auch die reiche Metaphorik von Wildnis und Winter! Ähnliche Gedanken äußerte Lu Xun auch ein Jahr später in dem Essay »Wider die Stimmen des Bösen« (»Po e sheng lun«), ins Englische übertragen von J.E. KOWALLIS, in: Renditions 26 (1986), S. 108–119. LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. 6: Das trunkene Land, S. 112; Lu Xun quanji, Bd. 2, S. 191.

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belassen, ja, es scheint in der Philosophie der Namen (mingmu) und in der Gestalt des »Herrn« (dizhu, eig. »Großgrundbesitzer«) nur eine einzige schlechte Seite zu kennen und diese auch noch weitervererbt zu haben, nämlich den traditionell konfuzianischen Aspekt von Herrschaft, die auf Benennungen und Grundbesitz basierte. Dies ist im Werk von Lu Xun an sich nichts Neues, schließlich wird es bereits im »Tagebuch eines Verrückten« thematisiert. Neu dagegen ist die Gestalt des Wanderers, die der Weltliteratur entlehnt ist und ein Vorbild in der Figur des Ewigen Juden (Ahasver) haben dürfte. Sie ist so vielgestaltig, daß sie hier nur angedeutet werden kann. Sie hört Stimmen und geht an denjenigen vorüber, die einmal Stimmen gehört haben, aber nicht mehr hören wollen und die Jugend in der Gestalt eines jungen Mädchens von ihr fernzuhalten scheinen. Sie unterscheidet sich von einem ebenfalls der Weltliteratur entlehnten funktional ähnlichen Topos, dem Schatten, in einem Punkt ganz gewaltig. Der Vorübergehende hat auf seiner ruhelosen Wanderschaft zumindest noch eine Stimme und damit ein imaginäres Ziel vor sich. Der Schatten dagegen, der seinen Herrn zu verlassen sucht, sucht auch dessen Geschichte zu verlassen. Er selbst bedarf des Trostes nicht mehr, weiß aber wohl, daß sein Herr nicht dem ausgesetzt werden darf, dem er sich auszusetzen bereit ist. In dem Prosagedicht »Der Abschied des Schattens« (»Ying de gaobie«, 1924) hören wir einen Schatten wie folgt seinen Herrn verlassen: Es ist etwas im Himmel, das mir nicht behagt, darum will ich dort nicht hin; es ist etwas in der Hölle, das mir nicht behagt, so will ich dort auch nicht hin; es ist etwas in eurem kommenden Goldenen Zeitalter, das mir nicht behagt, da will ich genausowenig hin. So bist du es also, der mir nicht behagt.146

Auch der deutschen Übersetzung läßt sich die durch Wiederholung und Variation erzeugte stilistische Gestaltung des Textes noch ansehen. Die dadurch gewonnene lyrische Sprechweise kommt dem landläufigen Verständnis eines Prosagedichtes am ehesten entgegen. Was dem Schatten an seinem Herrn mißfällt, ist eine Art blindes Vertrauen, welches Kompromißlosigkeit unmöglich macht. Der Schatten erklärt nicht nur der Vergangenheit seinen Abschied, einer Vergangenheit, die hier durch Himmel und Hölle repräsentiert wird, sondern er zeigt sich auch reserviert gegenüber all den Versprechungen seiner Zeit. Hoffnungsträger einer Aussicht auf ein »Goldenes Zeitalter« ist der Herr des Schattens. Das natürliche Verhältnis von Mensch und Ding scheint sich hier umzukehren: Der Schatten wächst über seinen Herrn hinaus und nimmt für sich die Haltung in Anspruch, die Lu Xun für die Protagonisten seines zweiten Erzählungsbandes als so charakteristisch angesetzt hatte: das ruhelose Durchstreifen der Welt (panghuang), welches ein unentschiedenes Zögern zwischen zwei 146

LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. 6: Das trunkene Land, S. 87; Lu Xun quanji, Bd. 2, S. 165.

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Orten und zwei Zeitaltern impliziert. Ganz im Sinne Nietzsches verlangt der Schatten für sich selbst etwas, das er seinem Gegenüber nicht zutraut: Ich begebe mich in die Dunkelheit, um das Nirgendwo [wudi] zu durchstreifen. Du willst noch eine Gabe zum Abschied? Ich habe nur die Finsternis und das Nichts [xukong]. Aber ich wünschte, es wäre nur die Finsternis, die in deinem Tag verlöschen würde; ich wünschte, es wäre nur das Nichts [xukong], das niemals dein Herz befiele. So wünsche ich Freund – Allein in die Ferne zu gehen, weder mit dir noch mit anderen Schatten aus der Finsternis. Nur mich würde die Finsternis umfangen, und eine solche Welt der Finsternis wäre ganz und gar die meine.147

Da der Schatten in der Weltliteratur eine nicht unbedeutende Rolle spielt148, kann die Tiefendimension dieses Prosapoems in all ihren Facetten hier nicht abgehandelt werden, lediglich ein Gedanke sei an dieser Stelle nachgeschickt. Sieht man einmal von der Einleitung ab, so hören wir nur die Stimme des Schattens. Was ist aber mit dem Herrn, den der Schatten schützen zu müssen meint? Wir erfahren weder seine Reaktion noch seine Einstellung, wir können nur mutmaßen. Folgt man den Interpretationen vergleichbarer Werke der Weltliteratur, dann wäre der Schläfer dank seiner Schattenlosigkeit von all dem befreit, was ihn an diese Welt bindet, er hätte sein reines Ich gewonnen und wäre damit von seinem Leiden erlöst.149 Interessanterweise verlegt Lu Xun das Gespräch des Schattens in den Schlaf, in eine Phase also, wo der Mensch nicht ganz Herr seiner selbst ist. Diesem widerfährt etwas, das er vielleicht gar nicht einmal will, denn schließlich scheint er tatsächlich an ein kommendes Goldenes Zeitalter zu glauben. Der Schatten mag seinen Herrn nicht unbedingt von einem Selbstbetrug abhalten, doch möglicherweise ist der eigentliche Ansprechpartner gar nicht der Schläfer, sondern der Leser. Lu Xun hat sich sehr lange und sehr kritisch mit dem Prinzip Hoffnung und mit dem dahinter lauernden Selbstbetrug auseinandergesetzt. Berühmtheit hat in diesem Zusammenhang das Prosagedicht »Hoffnung« (»Xiwang«, 1925) erlangt, das einmal mehr das Thema der Jugend abhandelt, diesmal zweigesichtig: Es sind zum einen die eigene Jugendzeit und Jugendlichkeit, die in und mit der Zeit zu entschwinden be147

148

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Leicht modifizierte Übersetzung nach LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. 6: Das trunkene Land, S. 88; Lu Xun quanji, Bd. 2, S. 166. Es sei nur auf die gängigste Parallele in der deutschen Literatur aufmerksam gemacht. Neben Nietzsche (Menschliches, Allzumenschliches und Also sprach Zarathustra) ist hier vor allem zu nennen: ADELBERT VON CHAMISSO: Peter Schlehmils wundersame Geschichte (1814). Zur Deutung auch von Lu Xun empfiehlt sich die Interpretation von BENNO VON WIESE: Die deutsche Novelle, Düsseldorf: Bagel 1967, S. 97–116. Vgl. hierzu die Deutung bei VON WIESE, S. 110–111.

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ginnen, es sind zum anderen die jungen Menschen um den Sprecher herum, die ein anderes Verhalten zeigen, als dieser erwartet und aus seiner Erfahrung gewohnt ist. Vordem war mein Herz auch einmal erfüllt von blutigen Gesängen: Blut und Eisen, Flamme und Gift, Rache und Erneuerung. Aber mit einem Mal war das alles nichtig, und manchmal nährte ich mein Herz absichtlich mit der hilflosen Hoffnung des Selbstbetruges.150

Der Sprecher entwirft sich in der Folge des Textes mit dem Blick auf das eigene fortschreitende Alter und die zu ruhige Jugend seiner Zeit als Streiter, der mit Vertrauen auf ein Wort des ungarischen Dichters Sándor Petöfi (1823–1849) weder der Hoffnung noch der Verzweiflung ins Garn gehen möchte: »Die Verzweiflung trügt wie die Hoffnung.« Dies ist ein ungewöhnlicher Diskurs, der bis heute einzigartig geblieben ist. Der Selbstbetrug ist, so hat Lu Xun in der Vergangenheit immer wieder betont, ein oder sogar das Kennzeichen des Chinesen. Er ermöglicht, der Realität zu entfliehen und sich entweder in überzogenen Zukunftsprognosen oder in ausuferndem Selbstmitleid zu betäuben. Enthusiasmus und Depression heißen die Extreme eines Verhaltens, das im China des 20. Jahrhunderts neben psychischen auch politische Dimensionen angenommen hat. Die Wahrung eines Gleichgewichts von Hoffnung und Verzweiflung ist eine Kunst. Können wir der Biographie von Lu Xun Glauben schenken, so ist sein immer wieder gegen die Depression gerichteter Kampf nicht ganz erfolglos geblieben. Eines der Mittel in der Auseinandersetzung mit den finsteren Mächten war das Prosagedicht. Die formale Meisterschaft, welche die gelungene Handhabung von Repetition und Variation offenbart, dient dem Ringen um die sprachliche Bändigung einer wie in zyklischen Schüben einbrechenden Schwermut. Der sein Thema immer wieder umkreisende und erneut anpackende Stilwille sollte daher auch als der bewußte Versuch zur Bewältigung einer Hinterlassenschaft der Moderne betrachtet werden: der herrschenden Melancholie, der außerhalb eines religiösen Rahmens nur der Akt der Bewegung beizukommen scheint. Lu Xun hat die sprachliche Bewegung einer körperlichen vorgezogen. Andere wie sein Zeitgenosse Yu Dafu machten die Straße zum Ort der Auseinandersetzung, eine Maßnahme, die Geschichte gemacht hat und den Hintergrund für manches Gedicht in der ersten Phase der modernen Lyrik bildet. Auch wenn es zur Zeit des 4. Mai der Kurzgeschichte gelang, sich lange vor der Lyrik mit vollendeten Beispielen als neue literarische Gattung zu etablieren, so wurde die eigentliche Diskussion über die literarische Revolution der damaligen Jahre doch vor allem am Gegenstand des »neuen Gedichtes« (xinshi) geführt. Maßgebend war hier einmal mehr Hu Shi, der im Oktober 1919 in einem Essay »Zur Neuen Lyrik« (»Tan xinshi«) wie folgt Stellung bezog. Dabei faßte er Ideen zusammen, die er in 150

LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. 6: Das trunkene Land, S. 97; Lu Xun quanji, Bd. 2, S. 177.

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den Jahren zuvor bereits entwickelt hatte, vor allem in Amerika. Im Gegensatz zu den theoretisch zwar revolutionären, praktisch aber konservativen Erneuerern wie Liang Qichao verstand er die »Revolution in der Lyrik« nicht als eine Sache, wo neuer Wein in alte Schläuche gefüllt werden sollte. Ihm genügte es nicht, neue Inhalte mittels einer neuen, das heißt westlich beeinflußten Syntax lediglich in traditionelle Formen der Dichtkunst zu gießen. Er wollte keine alten Weisen für neue Welten, sondern die »vollkommene Befreiung der Lyrik« (shiti de jiefang), also eine Zerschlagung aller bisherigen Verslehren. Dabei verfolgte er mehr als nur die Etablierung des freien Verses, es ging ihm auch um einen demokratischen Aspekt, der eine erstaunliche Nähe zur späteren postmodernen Diskussion hat. Wesentlich war ihm die Prosaisierung des Gedichtes, »ein Gedicht soll gemacht sein wie ein Stück Prosa« (zuo shi ru zuo wen). Zu diesem Zweck waren die Einführung und die Anwendung der baihua so wichtig. Nur sie erlaubte die »Verbürgerlichung« (pingminhua), die Rede »eines normalen Ich« (pingping-changchang de wo) zum »Menschen wie du und ich« (yiban de ren) über alltägliche Dinge, und das waren Dinge der praktischen Erfahrung, die, dem natürlichen Rhythmus des Sprechakts angepaßt, Gegenstand eines jeden Gedichtes werden konnten. Kurz, alles konnte zur Lyrik werden, es bedurfte nur einer Voraussetzung, nämlich der persönlichen Erfahrung und nicht etwa der Lektüre. Hu Shi spricht hiervon in dem Gedicht »Träume und Poeme« (»Meng yu shi«, 1920)151. Dies alles sind schlichte Erfahrungen, dies alles schlichte Eindrücke, einmal in einen Traum gespült zeigen sie manch neue Seite! Dies alles sind schlichte Gefühle, schlichte Worte, einmal an einen Dichter geraten zeigen sie manch neuen Vers. Nur trunken wissen wir von der Schwere des Weins, nur liebend von der Tiefe der Liebe: – Du kannst nicht meine Gedichte schreiben und ich nicht deine Träume träumen.

Formal weist dieses Gedicht die Widersprüchlichkeit auf, die so kennzeichnend für Hu Shis Gedichtband Experimente (Changshi, 1920) ist: Es ist nämlich gereimt, Theorie und Praxis klaffen damit auseinander. Der angeblich freie Vers, den wir erwarten möchten, ist doch nicht ganz so frei, wie sein Befürworter ihn gefordert hat. 151

Übersetzt nach XIE MIAN u. YANG KUANGHAN (Hg.): Zhongguo xinshi cui. 20 shiji chuye – 40 niandai, Peking: Renmin Wenxue 1988, S. 88–89.

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Das Gedicht weist ein recht deutliches Maß an geregelter Form auf. Selbst die Zahl der Zeichen pro Vers (sechs bis neun) und der Parallelismus zu Beginn wie zum Ende einer jeden Strophe geben eher eine feste Größe als eine beliebige Gestaltung zu erkennen. Dennoch erweist sich der poetische Ton als natürlich, die einfache Sprache wird dem Konzept gerecht, das Hu Shi in einer Anmerkung zu obigem Gedicht als shi de jingyanzhuyi, als poetic empiricism umschreibt. Er verlangt, daß Dichtung von der tatsächlichen Lebenserfahrung auszugehen habe, und führt zwei Beispiele für den Verstoß von Versen gegen reale Gegebenheiten an. Hu Shis poetischer Empirismus beruht auf den Maximen eines »tatsächlichen Ich« (you wo) als wirklichen Beobachter und eines »tatsächlichen Mitmenschen« (you ren), der sich nicht von seinesgleichen unterscheidet. Gedichte mit freiem Vers, wie sie seit 1918 in der Zeitschrift Xin Qingnian zu erscheinen begannen, waren Gedichte ohne Reim, ohne geregelte Abfolge von Tonhöhen, ohne festgelegte Verslänge. Sie sollten an die Stelle eines »Königreichs der Dichtkunst« eine »Republik der Lyrik« setzen. Sie trafen im Laufe der Zeit selbst unter den Befürwortern einer neuen Literatur nicht nur auf Gegenliebe. Eine Gegenbewegung begann sich seit 1923 zu formieren, sie wird wesentlich von dem Multitalent Wen Yiduo (1899–1946) getragen. Ausgangspunkt seiner Kritik waren ihm vor allem die Göttinnen von Guo Moruo gewesen.152 Er beklagte das Unchinesische und die Naturbelassenheit des Tones, ein Gedicht habe nicht zu europäisch zu sein, es müsse »gemacht« sein und als »gemacht« erscheinen. Damit betonte er den Unterschied von Schönheit und Natur, das Natürliche müsse nicht unbedingt schön sein, das Schöne dagegen lasse sich erzeugen. Was seinesgleichen, der Mondsichelschule (Xinyuepai, 1923–1931), vorschwebte, war eine Gedichtform als Brücke zwischen dem neuen und dem traditionellen Gedicht. Die Betonung sollte dabei weniger auf der Umgangssprache liegen, welche zum Unpoetischen (feishihua) führe, als vielmehr auf dem Gedicht als solchem. Es ging also um die bewußte Gestaltung eines lyrischen Textes, welche die Kontrolle des Gefühls durch den Verstand vorsah, konkret um die Zurücknahme des Ichs (wuwo), die Kontrolle des Gefühls (bu dong qinggan) und in dieser Hinsicht um eine Entindividualisierung (feigerenhua). Ein solches Konzept verdankte sich vielen Einflüssen, darunter dem französischen Dichterkreis Parnasse, es erinnert auch an Filippo Tommaso Marinettis (1878–1944) Forderung nach der Zerstörung des Ichs in der Literatur und an José Ortega y Gassets (1883–1955) Tatsachenbeschreibung einer Dehumanisierung der Künste. Gleichwohl, trotz allen westlichen Anklanges, bezweckte Wen Yiduo eine Sinisierung des Neuen 152

WEN YIDUO: »Das Lokalkolorit der ›Göttinnen‹«, in: DERS.: Tanz in Fesseln. Essays, Reden, Briefe, aus dem Chinesischen von PETER HOFFMANN u.a., Bochum: projekt verlag 2000 (= arcus chinatexte; 17), S. 20–26. Wen Yiduo quanji, Bd. 2, Wuhan: Hubei Renmin 1993, S. 118–124. Zur Frage der Form s. die Beiträge in HANS PETER HOFFMANN (Hg.): Poet Scholar Patriot. In Honour of Wen Yiduos 100th Anniversary, [Dortmund]: projekt verlag [2004] (= arcus chinatexte; 21).

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Gedichtes. Diese suchte er durch Rückgriff auf chinesische Vorstellungen von Schönheit (Harmonie und Gleichmäßigkeit) zu erreichen. In seinem Fall darf ein solcher Rückgriff jedoch nicht als Versöhnung mit der schnöden Wirklichkeit mißverstanden werden. Es ging ihm vielmehr um die formale Bewältigung ästhetischer Probleme, die sich mit der Einführung des Neuen Gedichts ergeben hatten. In seinem Essay »Die Regeln des Gedichts« (»Shi de gelü«, 1926)153 hat Wen Yiduo seine Prinzipien auch anhand der eigenen Dichtkunst dargelegt. Ein Gedicht sei ein »Tanz in Fesseln«, das heißt, kein Dichter könne sich dem natürlichen Fluß seiner Worte überlassen, da es die Aufgabe der Kunst sei, die Natur zu verbessern. Insofern bedürfe auch das Neue Gedicht einer sichtbaren Form und eines hörbaren Rhythmus. Der visuelle Aspekt sollte durch das Gleichmaß der Strophen und die Gleichheit der Verslänge zum Ausdruck kommen. Der auditiven Seite sollte durch ein Metrum (Hebung und Senkung) sowie durch einen Wechsel der Töne Rechnung getragen werden. Auf diese Weise wollte Wen Yiduo eine »dreifache Schönheit« (san mei) verwirklichen, musikalisch durch die Strophenform, malerisch durch eine bildliche Sprache und architektonisch durch das Gleichmaß der Verse. Als Faustregel galt ihm, eine Strophe habe aus vier Versen zu bestehen, und die Verse hätten dieselbe Anzahl von Zeichen aufzuweisen. Die eigentliche Schwierigkeit, die Wen Yiduo gehabt haben dürfte, muß in der rhythmischen Gestaltung eines Verses gelegen haben. Das Chinesische kennt bei einer Abfolge von ein- oder mehrsilbigen Worten keinen Rhythmus, der sich durch Hebung und Senkung markieren ließe. Der traditionelle Vers ist zwar durch eine Zäsur in einen A- und einen B-Teil aufgegliedert, doch rhythmisch kaum erkennbar gestaltet. Wen Yiduo hat sich für seine Zwecke des Trochäus und des Daktylus bedient und dies anhand seines vielleicht berühmtesten Gedichtes exemplifiziert. Bis heute haben Literaturkritiker dieses Beispiel immer wieder gern aufgegriffen. Das Gedicht heißt »Totes Gewässer« (»Sishui«) und stammt vom April 1925.154 Es ist Teil der gleichnamigen berühmten Gedichtsammlung, die zwischen 1925 und 1928 entstand und das poetische Werk des Wen Yiduo abschließt. Betrachten wir einmal die erste und die letzte Strophe, welche die Form des Gedichtes als Rundform zu erkennen geben. In der deutschen Übersetzung sind die chinesischen Hebungen und Senkungen kaum nachzuvollziehen. Dies ist ein totes Wasser, bar jeder Hoffnung, ’ne Brise würfe nicht mal ’ne Welle auf. 153 154

WEN YIDUO: Tanz in Fesseln, S. 3–19; Wen Yiduo quanji, Bd. 2., S. 137–144. KUBIN: Nachrichten von der Hauptstadt der Sonne, S. 65 (modifiziert). Das Gedicht ist oft übersetzt und besprochen worden, s. HANS PETER HOFFMANN: Wen Yiduos »Totes Wasser«. Eine literarische Übersetzung, Bochum: Brockmeyer 1992 (= Chinathemen; 67), S. 122–125, 164; WEN YIDUO: Das Herz, es ist ein Hunger, aus dem Chinesischen von PETER HOFFMANN u.a., Bochum: projekt verlag 1999 (= arcus chinatexte; 14), S. 125; JULIA C. LIN: Modern Chinese Poetry: An Introduction, London: George Allen & Unwin 1972, S. 81–82, 85–87; KAI-YU HSU: Wen I-to, Boston: Twayne 1980 (= TWAS; 580), S. 90–94.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949) Besser gäbe man noch Unrat dazu, Auch Essensreste wären willkommen. [...] Dies ist ein totes Wasser, bar jeder Hoffnung, Dies ist kein Ort von Schönheit, Besser lüde man Häßlichkeit ein zur Urbarmachung Und schaute, welche Welt entstünde. Zhe shi / yi gou / juewang de / sishui, qingfeng / chuibuqi / bandian / yilun. Buru / duo reng xie / po tong / lan tie, shuangxing / po ni de / sheng cai / can geng.

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[...] Zhe shi / yi gou / juewang de / sishui, zheli / duan bu shi / mei de suozai, buru / ranggei / chou'e lai / kaiken, kan ta / zaochu ge / shenme / shijie.

R R

Wen Yiduo entwirft hier ein Bild des damaligen China, das sich ästhetisch nur zwischen Schönheit und Häßlichkeit bewegt. Er gibt vor, ein totes Gewässer zu sehen. Tatsächlich entsteht aber etwas Neues, wie die beiden ausgelassenen Strophen in der Mitte veranschaulichen: eine Welt, im Absterben aus und von der Häßlichkeit geboren. Doch hier soll weniger der inhaltliche als der formale Aspekt interessieren. Das Gedicht ist handwerklich auf vier Bausteinen aufgebaut, auf Reim, Rhythmus, Iteration und Synästhesie. Da sich die Reimpraxis im Chinesischen grundsätzlich von der im Deutschen unterscheidet und die Reime nach abendländischem Verständnis eher unechte Reime zu sein scheinen, sei hier nur soviel gesagt, daß der Text mit Kreuzreim (abcb), Stabreim und Binnenreim (sheng cai – can geng) arbeitet. Der Rhythmus wird aus einer geschickten Abfolge von Trochäen (zweisilbiger Versfuß) und Daktylen (dreisilbiger Versfuß) gebildet. Jeder Vers weist drei Trochäen und einen Daktylus auf, wobei die Stellung von Vers zu Vers variiert. Refrainartigen Charakter gewinnen einzelne Verse durch viermalige Verwendung von Zahl und Zähleinheitswort yi gou und durch dreimalige Verwendung des Binoms »totes Gewässer« (sishui). Synästhetische Effekte zeigen sich zum Beispiel in der dritten Strophe. Laß das tote Wasser gären zu grünem Schnaps, Auf weißem Schaum trieben Perlen dahin; Kleine zunächst, große dann, als lachten sie, Ehe Mücken sie durchbohrten, auf der Jagd nach dem Schnaps.

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Farben, Klänge, Bilder: Man kann sich lebhaft das Platzen der Schaumblasen (Perlen) vorstellen. Dies ist alles andere als ein totes Gewässer, hier geschieht etwas, jeder scheint sich nach Gutdünken und ohne Achtung vor der gewordenen und werdenden Welt bedienen zu können. Wen Yiduo hat für die letztlich westliche Form eines chinesischen Gedichtes nicht nur Zustimmung erfahren. Manche kritisierten die starre Rechteckform und sprachen sogar von einem Gedicht in Gestalt eines Stücks Bohnenkäse. Die Kritik ist leicht nachvollziehbar. Die Strophen sind festgefügt, ebenso die Verse, die nach jeweils neun Zeichen enden und kein Enjambement kennen. Rein äußerlich könnte man den Eindruck gewinnen, mit einer neun- statt siebensilbigen Langform des klassischen Gedichtes konfrontiert zu sein. Wen Yiduos größter Widersacher in dieser Hinsicht war Xu Zhimo (1896–1931), der zwar derselben Schule, der Xinyuepai, angehörte, sich aber dennoch gegen die starre Regulierung des Neuen Gedichtes aussprach. Man darf sich hiervon jedoch nicht täuschen lassen. Auch wenn sich Xu Zhimo für Schlagworte wie Herzschlag, Blut und Inspiration starkgemacht hat, so hat er dennoch keinesfalls ein regelloses Gedicht verfaßt, wie es das ziyoushi erlaubt hätte. Vielmehr erkennen wir bei ihm ein hohes Formbewußtsein, das der Praxis von Wen Yiduo nur scheinbar entgegenstand. Vielleicht läßt sich der vermeintliche Widerspruch als die unterschiedliche Praxis von strikt rationaler und weniger strikt rationaler Gestaltung erklären. Auch wenn Liebe, Freiheit und Schönheit von zentraler Bedeutung für das schmale poetische Werk des Xu Zhimo sind, so haben diese dennoch nicht die Form in ihrer klaren Komposition tangieren können.155 Der Gestaltungswille des Dichters geht sogar bis in die Satzzeichen hinein. Wen Yiduo hat frühzeitig die Bewegung als ein Kennzeichen der Moderne erkannt und dabei in der Eisenbahn den Exponenten gesehen.156 Xu Zhimo hat die Zugfahrt immer wieder thematisiert und sich zur Veranschaulichung ihrer Hektik, die dem traditionellen chinesischen Prinzip der Muße (xian) entgegenstand, in besonderem Maße der westlichen Satzzeichen bedient. Dies wird selbst noch in der Umschrift deutlich. Als Beispiel das Gedicht »Im Zug von Shanghai nach Hangzhou« (»Hu Hang che zhong«)157: Hu hu hu! Cui cui cui! Yi juan yan, yi pian shan, ji dian yunying, Yi dao shui, yi tiao qiao, yi zhi lu sheng, Yi lin song, yi cong zhu, hong ye fenfen:

155

156 157

Zum formalen Aspekt s. CREMERIUS: Das poetische Hauptwerk des Xu Zhimo. Zu den Amouren, die inzwischen auch gern verfilmt werden, s. den aufschlußreichen Beitrag von CHEN SHUMEI: »Taiwan’s Love Affair with Early Republican-Era Romance«, in: Sinorama 25.4 (2000), S. 42–51. WEN YIDUO: »Die Göttinnen und der Geist unserer Zeit«, in: DERS.: Tanz in Fesseln, S. 12. Xu Zhimo quanji, hg. von JIANG FUCONG u. LIANG SHIQIU, Bd. 2, Taipeh: Zhuanji Wenxue 1969, S. 76–77; CREMERIUS: Das poetische Hauptwerk des Xu Zhimo, S. 37–38.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949) Yanse de tianye, yanse de qiujing, Mengjing shide fenming, mohu, xiaoyin, – Cui, cui, cui! Shi che haishi guangyin? Cuilaole qiurong, cuilaole rensheng!

Ausrufezeichen, Kommata, Punkte etc. dienen hier zur klaren Gliederung des einzelnen Verses und der Verse untereinander. Es ist nichts dem Zufall überlassen. Dies gilt auch für die sogenannten luftigen Gedichte des Xu Zhimo. Dem Dichter ist der Vorwurf gemacht worden, mit seinen leichten Gedichten nichts als Seifenblasen hinterlassen zu haben. Dies ist eine Charakterisierung, die sich jedoch auch im guten Sinne weiterspinnen läßt. Xu Zhimo hat nicht nur die Eisenbahn, sondern auch das Flugzeug als Fortbewegungsmittel benutzt. Er war gleichsam ein homo velox, der in den Lüften von Depression und Daseinsekel Abstand gewinnen wollte.158 Wie sehr das Luftige überlegter Teil einer klaren Form sein kann, zeigt das gern anthologisierte Gedicht »Die Freude der Schneeflocken« (»Xuehua de kuaile«)159. Hier der Beginn: Wenn ich eine Flocke wär’, frei wirbelnd in der Luft, wüßte ich meinen Weg – Ich flöge, flöge, flöge – Hätte auf Erden meinen Weg. Ginge nicht ins einsame Tal, Ginge nicht ins kalte Gebirge, Auch nicht traurig auf öde Straßen! Ich flöge, flöge, flöge! Schau, ich hätte meinen Weg!

Das Gedicht verwendet mehrere Reimformen, von denen der Endreim (aa bbb cc ddb bb etc.), der Kehrreim (xiang, yang,chang etc.), der Stabreim bzw. die Anapher (bu qu / bu qu) und der Binnenreim (feiyang, feiyang, feiyang) die wichtigsten sind. Eine abgewogene Verslänge und ineinandergreifende Strophen verstärken die flüchtige Wirkung von Anapher und Kehrreim, so als flöge nicht nur der Dichter durch die Lüfte an das Herz seiner Geliebten, um dort dahinzuschmelzen, sondern mit ihm auch der Text. Die scheinbare Leichtigkeit der Aussage ist hier zur wohlkalkulierten Form geworden. Dies gilt auch für das berühmteste, gern vertonte und gesungene Gedicht von Xu Zhimo »Zweiter Abschied von Cambridge« (»Zai bie Kangqiao«), 158

159

Vgl. hierzu RICARDA PÄUSCH: Fliegen und Fliehen. Literarische Motive im Werk Hsü Chih-mos [d.i. Xu Zhimo], Dortmund: projekt verlag 1995 (= edition cathay; 5). Übersetzt nach Xu Zhimo quanji, Bd. 2, S. 23–25. Zur Deutung s. CREMERIUS: Das poetische Hauptwerk des Xu Zhimo, S. 77, 89–90, 99, 125.

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das am 6. November 1928 unterwegs auf dem Chinesischen Meer verfaßt wurde. 1928 hatte Xu Zhimo anläßlich einer Europareise erneut das von ihm innig geliebte Cambridge besucht. Den Abschied vollzog er wohl erst kurz vor der Heimkehr nach China. Das Gedicht gliedert sich in sieben Strophen zu je vier Versen, die aus sechs bzw. sieben, mitunter auch acht Zeichen gebildet werden und über Kreuz reimen (abcb). Es mag genügen, sich die erste und die letzte Strophe anzuschauen.160 Leicht gehe ich, Wie ich leicht gekommen bin; Und leicht auch winke ich Den Wolken über westlichem Himmel zum Abschied. [...] Still gehe ich, Wie ich still gekommen bin; Ich schüttele die Ärmel aus, Daß sich keine Wolke mit mir fortstiehlt.

Die Rundform des Gedichtes wird in der Umschrift deutlicher als in obiger Übersetzung: Qingqing de wo zoule, zhengru wo qingqing de lai; wo qingqing de zhaoshou, zuobie xitian de yuncai. […] Qiaoqiao de wo zoule; zhengru wo qiaoqiao de lai; wo hui yi hui yixiu, bu daizou yi pian yuncai.

Binnenreim, Alliteration, Assonanz und die diversen Arten von Iteration, wie sie hier, kunstvoll eingesetzt, unmittelbar ins Auge fallen, sind Ausdruck hoher Kunstfertigkeit. Von einem mangelnden Formwillen kann nirgendwo die Rede sein. Wir dürfen daher die Auflehnung gegen die formalen Gebote eines Wen Yiduo als die Auflehnung gegen eine zu starre Fixierung auf eine pedantisch durchkomponierte Form verstehen. Für Xu Zhimo scheint die Form eher Spiel zu sein. So wie die Verse 160

KUBIN: Nachrichten von der Hauptstadt der Sonne, S. 50–51; Xu Zhimo quanji, Bd. 2, S. 394– 397.

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leicht aufeinanderfolgen, ohne mehr zu sagen als ihr Anfang und ihr Ende, so leicht folgen auch die Vokale und Konsonanten aufeinander, ohne mehr als nur der Natur ihres Klanges zu gehorchen. Schreiben bedeutet auch im Falle von Xu Zhimo ein Über-Setzen von Fremdem ins Eigene, konkret von englischen Versmaßen in eine chinesische Form. Manche Verse hat der Autor erst auf englisch vorgeschrieben, bevor er sie chinesisch umformuliert hat.161 Etwas Ähnliches gilt auch für Feng Zhi (1905–1993), der heute eher für seine späteren Sonette und für seine germanistischen Beiträge bekannt ist. In jungen Jahren hat er jedoch bereits zwei wichtige Gedichtbände vorgelegt, deren Bedeutung bislang nur vereinzelt wahrgenommen worden ist.162 Hier in seinen Liedern von Gestern (Zuori zhi ge, 1927) und in seiner Reise in den Norden (Beiyou ji qita, 1929) kreiert er unter dem Einfluß der deutschen Ballade das chinesische Gegenstück. Vielleicht läßt sich auch die Neue Sachlichkeit als Hintergrund für den Typus des »abgeklärten Gedichtes« ansetzen, von dem die chinesische Literaturkritik als der großen Leistung des frühen Feng Zhi163 spricht. Schauen wir einmal in das Gedicht »Die Schlange« (»She«) von 1926.164 Das Gefühl der Einsamkeit wird hier zwecks Bändigung auf ein »kaltes« Tier übertragen und vergedanklicht. Meine Einsamkeit ist eine Schlange, still und stumm. Magst du von ihr träumen, fürchte dich nicht! Sie ist mein treuer Gefährte, so fiebrig heimwehkrank: Sie verlangt nach dichten Gefilden – den schwarzen, duftenden Strähnen auf deiner Stirn. Leicht wie der Mond streicht sie an dir vorbei; deinen Traum im Schlund wie eine rote Blüte. 161

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CYRIL BIRCH: »English and Chinese Metres in Hsü Chih-mo [d.i. Xu Zhimo]«, in: Asia Major 7 (1959), S. 258–293. Der Versuch einer Widerlegung von Birchs Thesen durch CREMERIUS: Das poetische Hauptwerk des Xu Zhimo, S. 57–62, hat mich nicht überzeugt. So zum Beispiel von BARBARA HOSTER: »Feng Zhi und sein Gedichtzyklus ›Reise in den Norden‹«, in: Orientierungen 1/1990, S. 127–146. Zu Übersetzungen des Frühwerks im Englischen und zur Einschätzung des Dichters in der Volksrepublik China s. Chinese Literature (Frühling 1991), S. 63–76 und Chinese Literature (Herbst 1992), S. 183–192. Feng Zhi xuanji, Bd. 1, Chengdu: Sichuan Wenyi 1985, S. 32. Zur englischen Übersetzung und Interpretation s. LIN: Modern Chinese Poetry, S. 132 und DOMINIC CHEUNG: Feng Chih, Boston: Twayne 1979 (= TWAS; 515), S. 34–35.

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Formal gliedert sich das Gedicht in drei Strophen zu je vier Versen, die einen Wechsel zwischen sieben und neun Zeichen aufweisen und durch einen Kreuzreim (abab) gebunden sind. Der Dichter erzählt zwei verschiedene Geschichten, die Geschichte einer Einsamkeit und die Geschichte einer Liebe. Er führt einen Dialog mit einem unbenannten und abwesenden Gegenüber. Wir dürfen von einer Frau ausgehen. Die Verbindung zwischen beiden wird durch die Einsamkeit und den Traum hergestellt. Warum jedoch sollte sie von seiner Einsamkeit träumen? Doch nur aus Begehren! Die Schlange ist ein sexuelles Symbol für die Suche des Mannes nach der Frau, einer Frau, die als Begehrende entworfen wird. Wonach er verlangt, ist eine Landschaft. Dies ist der Raum der Schlange, gleichzeitig aber auch das Reich der Frau, symbolisiert durch das Haar. Die Einsamkeit nimmt etwas fort, einen Traum und eine Blume. Die Blume mit ihrer Röte mag Zeichen der Liebe sein. Aber warum stiehlt sich mit der Schlange auch der Traum der Frau fort? Im Traum der Frau ist die Einsamkeit des Mannes daheim. Der Diebstahl des Traumes kommt dem Diebstahl der Einsamkeit gleich. Dies bedeutet aber, daß sich jemand selbst bestiehlt. Das ist nur möglich, wenn von der Einheit von Mann und Frau ausgegangen werden kann. Die Sehnsucht ist daher die Sehnsucht nach sich selbst, nach der Harmonie im anderen. Dies ist ein sehr ausgeklügelter Text, der Emotionalität ganz an den Rand drängt und das Gedankenspiel in den Vordergrund schiebt. Mag die Einsamkeit auch noch so sehr Schlange sein, ihr Gift ist gebändigt.

1.5.4 Das Sprechtheater Von allen neuen literarischen Formen, die sich zur Zeit des 4. Mai herausbilden, scheint das moderne chinesische Sprechtheater die am wenigsten erfolgversprechende Gattung gewesen zu sein, ja, verallgemeinernd ließe sich gar von einem weitgehenden Mißerfolg des chinesischen Sprechtheaters im 20. Jahrhundert reden, vergleicht man es einmal mit den anderen künstlerischen Formen, die sich nicht selten sogar international haben durchsetzen können, wie Malerei, Film, Lyrik oder Erzählkunst. Bis heute scheint ein modernes Theater aus China nicht nur auf chinesischen Bühnen ein Fremdkörper zu sein. Was ist das Problem? Aus chinesischer Sicht kann ein Theater, welches die gesprochene Sprache und die unstilisierte Aktion in den Mittelpunkt stellt, an keinen Vorläufer anknüpfen. Theater, wie es sich in China hauptsächlich seit der Yuan-Zeit (1279–1368) herausgebildet hat, war in erster Linie Singspiel, und sprachlicher Ausdruck hatte, um als vollendet gelten zu können, lyrischer Natur zu sein. Schauspielerei bestand lediglich in der verhaltenen Andeutung einer Geste, keinesfalls in der realistischen Ausübung einer wie auch immer gearteten Handlung. Vereinfacht läßt sich von Statik statt von Dynamik, von Gesangskunst statt von Sprechkunst reden. Gleichwohl bleibt eine Gemeinsamkeit bestehen, auf welche bislang wenig aufmerksam gemacht worden ist. Das traditionelle Theater vermittelte mehr als jede andere literarische Gattung die moralischen Werte einer mehr oder minder konfuzianisch ausgerichteten Gesellschaft. Es war gleichsam moralische

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Anstalt. Das Volk lernte hier auf den Märkten und anläßlich von Tempelfesten die Verhaltensnormen kennen, die ein hierarchisch strukturiertes Zusammenleben ermöglichen sollten. Etwas Ähnliches läßt sich ebenfalls dem Selbstverständnis der jungen Theatermacher seit der Jahrhundertwende nachsagen: Auch Sprechtheater war bei allem demokratischen Unterfangen »Propaganda«, war in manchen Augen gar der geeignetste Transmissionsriemen für die Vermittlung neuer Kenntnisse aus dem Westen und das naheliegendste Instrument zur Erziehung einer antifeudalistischen und prorepublikanischen Jugend. Der Paradigmawechsel von einer konservativen zu einer modernen »Morallehre« kann also nicht das eigentliche Problem des neuen Theaters gewesen sein. Daß dennoch über die politische Schiene keine nahtlose Vermittlung, kein unmittelbarer Übergang vom traditionellen Singspiel zur modernen Sprechbühne, keine Akzeptanz des neuen Theaters beim unterhaltungsgewohnten Publikum möglich gewesen sind, muß mit dem Medium Sprache zu tun gehabt haben. Durch den Einsatz der tatsächlich gesprochenen Sprache gewann das Mittel der Propaganda einen direkten, unmittelbaren Aussagecharakter. Lyrischer Gesang dagegen, jegliche Geste oder auch jedwede szenische Andeutung hatten ihren impliziten Erziehungsauftrag bis dahin nur unterschwellig vermittelt. Ein zweiter Gesichtspunkt, warum das moderne chinesische Theater bislang nicht die erhoffte (inter)nationale Resonanz gefunden hat, mag mit dem leidigen Umstand zu tun haben, daß weder die Zuschauer noch die Kritiker in zwei Kulturen zu Hause waren oder sind. Gehen wir von den Fakten aus, so erweist sich die Geschichte eines Sprechtheaters in China als die Geschichte eines abendländischen Einflusses. 1866 gründete eine westliche Laienspielgruppe das erste Theater in Schanghai. 1907 bilden chinesische Auslandsstudenten in Tokio die »Frühlingsweidengesellschaft« (Chunliushe), sie fordern in ihrem Manifest eine Bühne, welche die Musik durch die Sprache ablöst und in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen einer modernen Zivilisation (xiandai wenming) als weiteren Paradigmawechsel die Ersetzung tänzerischer Einlagen durch die Handlung (action) und östlicher Choreographie durch westliche vorsieht. Der Name für diese Art von Theater lautet entsprechend wörtlich »Neues Zivilisationstheater« (wenming xinxi), das heißt ein Theater, das sich zunächst über Adaptionen westlicher Werke wie Die Kameliendame oder Onkel Toms Hütte zu einer Vermittlung fremder Kulturen verpflichtet fühlte. Die Fakten lehren aber auch folgendes: Zwar konnte 1910 die erste berufsmäßige Theatergruppe aus Heimkehrern gebildet werden, zwar mauserte sich Schanghai 1914 mit mehr als zehn Profitruppen und mit mehr als tausend Schauspielern zum Zentrum des neuen Theaters, doch erfreute sich das neue Schauspiel über die Jahre nicht des erhofften Zulaufs. Das Publikum wollte auch weiterhin unterhalten werden und hatte nach wie vor eine Vorliebe für die chinesische Kunst der Andeutung, so daß sich bereits um 1915 herum eine Schwächung des neuen Theaters als erzieherischer Anstalt zur »Erweckung der Welt« abzuzeichnen begann. Dies hatte Konsequenzen. Seit Anfang der 20er Jahre sah man sich zu einer Sinisierung des Theaters gezwungen, die in einer »nationalen Theaterbewegung« (guoju yundong) aufging und zu einem »neuen Theater chinesischer Art« (Zhongguo

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xinju) führte, zu einem Theater, das so chinesisch wie westlich, so westlich wie chinesisch war und die offenkundigsten Charakteristika beider Traditionen miteinander zu verbinden suchte, nämlich Realismus (xieshi) und Verhaltenheit (xieyi). Von nun an war eine Beurteilung von neuen Stücken, welche auf die Bedürfnisse eines chinesischen Publikums zugeschnitten waren, nur möglich, wenn man über Grundkenntnisse des chinesischen oder des abendländischen Theaters verfügte. Dieses Wissen hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte jedoch eher vermindert als verstärkt. Entsprechend oberflächlich fällt immer wieder das Urteil über das chinesische Theater der 20er Jahre aus. Es ist schlechterdings unmöglich, einen der ersten großen Stückeschreiber, Tian Han (1898–1968), unabhängig von einer Theorie des modernen Dramas165 verstehen zu wollen, zuviel hat er vom Westen übernommen, zuviel hat er an westlichen Einflüssen verarbeitet. Es soll gleich im folgenden ein für sich selbst sprechendes Beispiel angeführt werden. Zunächst sei jedoch kurz noch ein dritter Grund für die zurückhaltende Rezeption des modernen chinesischen Sprechtheaters angeführt. Es ist die Frage zu stellen, ob traditionellerweise Theater in China, das ja in erster Linie Musiktheater war, überhaupt als Literatur zu verstehen war und verstanden wurde, und das heißt, ob es als schriftlicher Text akzeptiert und entsprechend auch gelesen wurde. Wie dem auch sei, modernes chinesisches Sprechtheater war nicht nur als Bühnengeschehen, sondern auch als Textlektüre konzipiert. Unter den zahlreichen neuen Theatermachern und Stückeschreibern des 4. Mai verdienen vor allem zwei eine besondere Erwähnung. Neben dem bereits genannten Tian Han, mit dem sich das Theater eigentlich erst zu professionalisieren beginnt, ist dies Ding Xilin (1893–1974). Ohne anderen bekannten Namen wie Ouyang Yuqian (1889–1962), Hong Shen (1894–1955) oder Xiong Foxi (1900–1965) Unrecht widerfahren lassen zu wollen, erscheint mir eine Beschränkung in meiner Darstellung vonnöten, zumal die Lage der Sekundärliteratur denkbar günstig ist.166 Beiden genannten Vertretern gelingt in ganz exemplarischer Weise die Lösung der »Theaterkrise« seit dem 4. Mai. Man hatte seinerzeit erkannt, daß zum einen die Adaptionen westlicher Werke, die in Auszügen szenisch aufgeführt wurden, nicht unbedingt den gewünschten Effekt zu erzielen in der Lage waren und daß es keinem der selbsternannten chinesischen Ibsens so recht gelingen wollte, ein »westliches« Stück zu schreiben, das in der spielerischen Praxis den hohen theoretischen Anspruch eines Dramas als »Röntgenapparat« einlösen konnte. Seitdem die Zeitschrift »Neue Jugend« 1917 und 1918 das traditionelle chinesische Theater als »barbarisches Spiel« verurteilt und ein zeitbezogenes Theater in der Nachfolge Ibsens gefordert hatte, hatte sich auf der Bühne eine Art Nora-Syndrom herausgebildet, das zu ideologischen Verlautbarungen statt zum kreativen Spiel führte. Der wohlmeinende Amateur und nicht der erfahrene 165 166

PETER SZONDI: Theorie des modernen Dramas (1880–1950), Frankfurt: edition suhrkamp 1963. Neben der erwähnten Geschichte des modernen chinesischen Theaters im 20. Jahrhundert von BERND EBERSTEIN war mir dessen Handbuch The Drama, Bd. 4 des Selective Guide to Chinese Literature 1900–1949, Leiden: Brill 1990 eine große Hilfe.

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Profi beherrschte die Szene. Die Darstellung von Zeitalter und Lebenswirklichkeit war schematisch dem Erziehungsauftrag zur Aufklärung untergeordnet. Eine der zahlreichen Gegenmaßnahmen war die Entfaltung einer Bewegung zum »Kammertheater« (xiaojuyuan), dessen Ursprung im Frankreich des 19. Jahrhunderts lag. Für diese Bewegung, die in kleinem Umfang Qualität anstrebte, war das »Stück«, das well-made play, ein und alles, ein Stück, das sich nicht nur auf kleiner Bühne, sondern auch bei stiller Lektüre als große Literatur erwies. Sowohl Tian Han als auch Ding Xilin kamen von dieser Bewegung her. Auch wenn für sie gilt, was für das Theater der damaligen Zeit allgemein galt, scheinen mir beide über »das Spiel mit Sozialproblematik« (shehui wenti ju) hinauszugehen. Trotz seiner großen Bedeutung für die Herausbildung eines eigenständigen modernen chinesischen Theaters ist zu Tian Han bislang nicht allzu viel geschrieben worden.167 Zwar gibt das Handbuch The Drama von Bernd Eberstein (geb. 1942) ausreichend Auskunft über alle frühen Stücke unseres Autors, doch geht diese selten über eine reine Inhaltsangabe hinaus. Auch auf chinesischer Seite scheint nach wie vor das Problem einer angemessenen Herangehensweise zu bestehen. Tian Han, der eine eigene Theatertruppe (Nanguoshe) zur Aufführung seiner Stücke unterhielt, ist nur aus dem europäischen Kontext und aus dem Geist seiner Zeit zu verstehen. Nehmen wir den 1920 in Tokio verfaßten Einakter Eine Nacht im Café (Kafeidian zhi yi ye) als Beispiel.168 Der Titel ist Programm: »Ein Tag im Teehaus« wäre das Gegenstück. Die Nacht wird bekanntlich mit dem Siegeszug der Moderne zur bevorzugten Zeit des entwurzelten Protagonisten169, und das Kaffeehaus, vielleicht damals in China noch keine wirkliche Errungenschaft, symbolisiert den widerspenstigen Geist der europäischen Jahrhundertwende. Im vorliegenden Fall steht die Heldin Bai Qiuying, die sich einer arrangierten Ehe auf dem Lande entzieht, als Rebellin gegen die bestehende Ordnung, sie versieht daher nicht zufällig als Kellnerin in einem Café Dienst, das selbstverständlich in einer Stadt angesiedelt ist. Stadt – Kaffeehaus – Frau, das wären eigentlich Signale, die auf eine beschleunigte Entwicklung der Handlung schließen lassen müßten. Statt dessen erleben wir jedoch eine Protagonistin, deren Tätigkeit durch Warten geprägt ist. Sie wartet auf ihren Verlobten, um dessentwillen sie von daheim fortgegangen ist. Das Stück ist arm an Handlung, denn auch die anderen Protagonisten gefallen sich in Inaktivität. Man beschwört gemeinsam die Farce allen Wartens, entwirft in melancholischen Bildern das Leben als Reise durch die Wüste und definiert die Traurigkeit des Menschen als die Religion der Moderne. Es liegt in der Natur der Dinge, daß der Verlobte zwar im Café erscheint, aber in Be167

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Zu einer frühen Studie s. JARMILA HÄRINGOVÁ: »The Development of T'ian Han’s Dramatic Writings During the Years 1920–1937«, in: PRŮŠEK (Hg.): Studien zur modernen chinesischen Literatur, S. 131–157. In: Tian Han wenji, Bd. 1. Peking: Zhongguo Xiju 1983, S. 115–149, deutsch vom ARBEITSKREIS FÜR MODERNE CHINESISCHE LITERATUR, in: minima sinica 2/2001, S. 53–82. S. hierzu meinen Beitrag: »Nocturnal Consciousness and Female (Self-)Destruction.«

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gleitung einer anderen Frau. Enttäuschte Gefühle machen den Einakter aus, die Stimmung ist der eigentliche Held. Ganz im Geist der Zeit träumt man vom Bombenwerfen und fühlt sich am Ende des Stückes dem Trost der Selbsttäuschung verpflichtet: »Leben wir mutig weiter.« Eine Nacht im Café lebt von der Stimmung und dem Dialog. Man mag von einem »lyrischen Drama« sprechen oder von einem »Konversationsstück«. Im Mittelpunkt steht die Vergeblichkeit allen menschlichen Bemühens, die so typisch ist für Tian Hans frühes Schaffen170. In einem Leben, »das keinen festen Moment kennt«, das »der Seele keinen Ruhepunkt erlaubt«, kommt alle Existenz entweder der des homo viator (guoke)171 oder »geistigem Vagantentum« gleich. Ob »der Traum der Liebe« oder »der Traum der Kunst«, alles Schöne ist vom Untergang bedroht. Den Protagonisten ist es nur gegeben, von ihrem Schicksal in einer dichten Sprache zu berichten: Gefühle, Erinnerungen werden monologisch vorgetragen, wobei Sprecher, Inhalt und Länge der Rede eher unerheblich zu sein scheinen, entscheidend ist die auf Untätigkeit basierende Stimmung. Von Aufklärung im Sinne des 4. Mai läßt sich hier wohl kaum sprechen, gleichwohl entwirft das Stück, das weniger in der Nachfolge von Ibsen als von Anton P. Čechov (1860–1904) steht, den geistigen Zustand der damaligen Zeit. Aus heutiger Sicht erfüllt es damit eine aufklärerische Funktion. Einen Sonderfall stellt in der modernen chinesischen Literatur Ding Xilin dar. Dies nicht so sehr, weil er als anerkannter Naturwissenschaftler auch Theaterstücke geschrieben hat, sondern weil ihm ein für seine Zeit ungewöhnlich leichter und doch tiefsinniger Ton gelungen ist. Er ist ein viel zu wenig gewürdigter Meister des wellmade-play, des Konversationsstückes. Humor ist sein Metier. Im Gegensatz zum gängigen Theater der Republik zog er den Einakter einem Stück mit mehreren Akten vor. Ding Xilin, der sich bereits vor Ausrufung der Volksrepublik China von der Literatur verabschiedet hat, gehört heute mit seinen nach wie vor gespielten Stücken zu den erfolgreichsten Autoren. Ihm gelang gleichsam das Kunststück, alle seine Werke auf gleichbleibend hohem Niveau zu verfassen. Darunter läßt sich Unterdrükkung (Yapo)172, 1925 geschrieben, 1926 erschienen, als das beliebteste Stück nicht nur seiner Zeit bezeichnen. Ding Xilin hat Komödien verfaßt, keine Tragödien wie seine Zeitgenossen. Auch wenn es ihm nicht um ein moralisches Programm zur Anklage des Bösen und zur Propagierung des Guten gegangen ist, auch wenn er mit seinem Schreiben die »Versöhnung« gesucht hat, so hat sein besonderes Gespür für 170

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Zum Frühwerk des Tian Han s. RANDY KAPLAN: »Images of Subjugation and Defiance: Female Characters in the Early Dramas of Tian Han«, in: TANI E. BARLOW: Gender Politics in Modern China. Writing and Feminism, Durham u. London: Duke UP 1993, S. 106–117. Ein sehr schönes Beispiel ist hierfür das Stück Rückkehr in den Süden (Nangui, 1929), s. BERND EBERSTEIN (Hg.): Moderne Stücke aus China, Frankfurt: Suhrkamp 1980, S. 301–319, 437–440, exzellent besprochen in EBERSTEIN (Hg.): The Drama, S. 228–231. Zu einer englischen Übersetzung von JOSEPH S.M. LAU s. EDWARD M. GUNN JR. (Hg.): Twentieth Century Chinese Drama. An Anthology, Bloomington: Indiana UP 1983, S. 41–51. Zu einer deutschen Übersetzung von MARC HERMANN s. minima sinica 2/2005.

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den Humor ihn keinesfalls blind gegenüber den Nöten seiner Zeit gemacht. Unterdrückung greift ein soziales Problem der 20er Jahre auf, nämlich das der Wohnungsnot, ohne jedoch simple Anklage zu erheben. Der Titel des Stückes würde eigentlich ein sozialistisches Lehrstück nahegelegt haben. Ding Xilin spielt jedoch mit den gängigen Slogans seiner Zeit. Statt Worte wie »Unterdrückung« und »Vereinigung« (von Geknechteten) am Beispiel der politisch korrekten Klasse, des Proletariats, zu veranschaulichen, überträgt er dieses Vokabular des Zeitgeists auf das (Klein-)Bürgertum. Dieses fühlt sich durch die Wohnungsnot »unterdrückt« und sieht sich gezwungen, mit dem jeweils anderen Geschlecht eine eheliche »Einigung« einzugehen, weil es nur so als würdige Mietpartei in Erscheinung treten kann. In diesem als Verwechslungskomödie angelegten Stück schwingt ein leicht erotischer Unterton mit, der alle Bereiche miteinschließt. Das Thema Warten, welches im Sinne von Handlungshemmung so sehr das Frühwerk von Tian Han dominiert, wird hier zum Spiel. Alles wartet, jedoch ohne der »Religion der Traurigkeit« zu verfallen: Die Vermieterin wartet auf einen Mieter, die Tochter wartet auf einen Ehemann, der Protagonist wartet auf eine Partnerin, das Haus wartet auf ein Ende des Leerstandes etc. Es ist die jeweils konkrete Situation, die »Unterdrückung« unabhängig von Geschlecht und »Klasse« bedeutet. Man möchte fast der Ansicht zuneigen, Ding Xilin greife hier einem Thema vor, das unter dem Schlagwort »traumageil«173 am Ende des 20. Jahrhunderts aufgekommen ist: Die Sucht, sich immer und überall als ein Leidender zu erkennen zu geben, so daß selbst der mächtigste Mensch der Welt noch von sich behaupten könnte, auf Grund seines Geschlechtes, seiner Rasse, seiner Religion etc. unterdrückt zu sein. Ding Xilin hat sein Handwerkszeug während seines Studiums in England erlernt und hat sich Oscar Wilde zu seinem Vorbild erkoren. Jedes Wort in seinem Werk ist meisterlich gesetzt. Selbst so unscheinbare, alltägliche Fragen wie nach dem Namen oder dem Familienstand, die mit »Das ist eine Beleidigung« gekontert werden, erweisen sich mit ihren sexuellen Anspielungen über den reinen Dialog hinaus als strukturierende Elemente. Zentrales Wort dieser Wortgefechte ist immer wieder qipian (betrügen). Jeder spielt etwas, täuscht in seinem Spiel etwas vor und hintergeht somit den anderen. Der Betrug wird zur Lebensform in einer Welt des Mangels, die den Stoff für eine Komödie, nicht aber für eine Tragödie abgibt.

1.5.5 Essay und Aphorismus Zu den am wenigsten beachteten, gleichwohl subtilsten Neuerungen der modernen chinesischen Literatur ist der Essay zu zählen. Er etabliert sich seit dem 4. Mai in unterschiedlichen Formen als eigene Gattung. Zu unterscheiden ist hier hauptsächlich zwischen einer lyrischen, meditativen (sanwen) und einer politischen, polemischen 173

Zu diesem Komplex s. PASCAL BRUCKNER: Ich leide, also bin ich. Die Krankheit der Moderne. Eine Streitschrift, aus dem Französischen von CHRISTIANE LANDGREBE, Berlin: Aufbau Taschenbuch 21996.

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(zawen) Variante, ohne daß die Grenzen immer ganz klar zu definieren wären. Eine Sonderform stellt zwischen diesen beiden der Aphorismus dar, auf den bislang nicht eigens aufmerksam gemacht worden ist. Die späte Entdeckung des Essays als literarische Gattung von eigenem Recht und seine vergleichsweise stiefmütterliche Behandlung in der Sekundärliteratur hängen möglicherweise mit einer mangelnden Erkenntnis von dessen künstlerischem Wert zusammen. Im traditionellen China war der Essay oftmals Mittel zu einer müßigen Betrachtung der Welt, er war von philosophisch angehauchtem Lebensgenuß untrennbar, insofern war er in gewisser Hinsicht unverbindlich. Dies änderte sich mit der Neuzeit. Zwar konnte der Essay bis in die Vormoderne politisch engagiert sein, aber er war dies von seinem Umfang und von seinem Anliegen her nur in begrenztem Maße, denn selbstverständlich war es ihm nicht möglich, den Rahmen systemimmanenter Kritik zu sprengen. Erst mit der unausweichlichen äußeren und inneren Bedrohung Chinas kommt ein Bewußtsein auf, daß die eigene Sache auf dem Spiel stehe. Die eigene Sache, das war mehr als nur das Vaterland, das war auch die eigene Person, die in den Wirren der Zeit keinen Halt mehr fand. Federführend bei der Kreierung des modernen Essays waren zunächst die beiden Brüder Zhou: Lu Xun und Zhou Zuoren. Daß Lu Xun als unbestrittener Meister erst des sanwen und dann des zawen gilt, ist hinlänglich bekannt, daß er aber auch den Aphorismus in China eingeführt hat, weniger. Seine Form des Aphorismus entspricht nicht dem herkömmlichen Verständnis, denn dieser besteht nicht aus ein, zwei Sätzen, die etwas prägnant auf die Spitze treiben, sondern aus Gedankensplittern, die in einer modernen Ausgabe bis zu fünf Buchseiten füllen können. Ähnlich lange Aphorismen sind spätestens seit Arthur Schopenhauers (1780–1860) Aphorismen zur Lebensweisheit bekannt. Lu Xun hat 1918 mit der Abfassung von Aphorismen begonnen, die in der Zeitschrift Neue Jugend unter dem Titel »Suiganlu« (eig. Aufzeichnungen von beiläufigen Eingebungen) veröffentlicht wurden. Auf Grund des Publikationsortes ließe sich der Titel auch anders übersetzen, nämlich als Glosse oder Miszelle, als Feuilleton oder Kolumne, als Impromptu, wie der Lu-Xun-Spezialist Raoul Findeisen (geb. 1958) vorschlägt.174 Gleichwohl möchte ich bei der Übertragung »Aphorismus« bleiben, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen ist die Bezeichnung im Chinesischen auch nicht einheitlich, so spricht man statt von suigan auch von zagan (eig. vermischte Eingebungen), zum anderen scheint mir mit dem Stichwort Aphorismus am ehesten die Verbindung von sprunghaftem Stil, sarkastischer Schärfe und philosophischer Tiefe getroffen zu sein. Einer der frühesten Aphorismen ist der folgende vom 15. November 1918.175

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Zum Begriff suiganlu s. RAOUL DAVID FINDEISEN: Lu Xun. Texte, Chronik, Bilder, Dokumente, Basel: Stroemfeld/Nexus 2001, S. 669–674. Erschienen als Nr. 36 in der Sammlung »Heißer Wind« (»Refeng«) in: Lu Xun quanji, Bd. 1, S. 307.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949) Viele sind heutzutage von einem großen Schrecken befallen, so auch ich. Viele befürchten, »der Chinese« könne als Name aussterben; ich dagegen befürchte, der Chinese werde aufhören, »Kosmopolit« zu sein. Ich meine, »der Chinese« kann als Name gar nicht untergehen. Solange die Menschheit besteht, wird es Chinesen geben. Ägypter und Juden zum Beispiel werden immer noch Ägypter und Juden genannt, daran hat sich nichts geändert, unabhängig davon, ob sie ein »Ägyptertum« oder »Judentum« kennen oder gekannt haben. Namen lassen sich offensichtlich bewahren, ohne eigens besondere Anstrengungen darauf zu verwenden. Doch ich denke, in einer Welt wie dieser, wo man zusammen heranwächst und sich einen Platz ergattert, bedarf es eines gewissen Fortschritts in Gedanken und Wissen, in Charakter und Moral, um auf eigenen Füßen zu stehen: Hier sind alle möglichen Anstrengungen zu unternehmen. Ein Volk jedoch, das viel »Volkstum« aufweist, fühlt sich zu noch größeren Anstrengungen bemüßigt, weil sein »-tum« einfach zuviel ist. Ist dieses zuviel, dann liegt etwas ganz Besonderes vor. In einem solchen Fall läßt sich schwerlich mit anderen Völkern zusammenleben und ein Platz ergattern. Da sagt jemand: »Wir wollen auf besondere Art und Weise heranwachsen; wozu sind wir denn sonst Chinesen!« Und so möchte man aufhören, »Kosmopolit« zu sein. Und so kommt es, daß die Chinesen die Welt verlieren, wo sie doch für eine kleine Zeit auf der Erde zu sein haben. – Dies ist mein großer Schrecken.

Lu Xun handelt hier ein heute noch immer in China anzutreffendes Problem ab. Als tianxia war China ein Weltreich, wenn nicht gar die Welt, als Vaterland (guojia) wäre es eigentlich eine Nation unter Nationen. Dieser Übergang von Reich zu Staat ist auf dem Festland bislang nur von wenigen Bürgern nachvollzogen und verinnerlicht worden – mit der Folge, daß weiter zwischen »Chinesen« und »Ausländern« unterschieden und nicht von Weltbürgern geredet wird. China ist damit im Bewußtsein seiner Bewohner kein Teil der Welt, sondern immer noch eine Welt, zu welcher andere Menschen nur am Rande gehören. Alleiniger Grund für diese Unterscheidung ist das »Chinesentum« (guocui), das – wenn gepflegt – das Überleben als »Chinesen« garantieren bzw. – wenn nicht gehegt – die Aufhebung des »Chinesen« im Weltbürger zur Folge haben soll. Lu Xun hat sich mit dieser Frage überwiegend in Essayform immer wieder beschäftigt. Er tut dies hier auf fast kryptische Art und Weise, und zwar so stilbewußt, daß durch die Technik der Iteration eine lyrische Dichte entsteht. Lu Xun war seiner Zeit voraus. Er erkannte, was eher heute im Rahmen des interkulturellen Gesprächs Allgemeingut sein sollte: Ein starres Beharren auf dem Eigenen läuft auf einen Verlust der Zugehörigkeit zur Welt hinaus. Lu Xuns Bruder Zhou Zuoren hat sich hauptsächlich als Essayist einen Namen gemacht, für manche ist er gleichsam identisch mit dieser Gattung.176 Schematisch 176

Vgl. vor allem WOLFF: Chou Tso-jen [d.i. Zhou Zuoren] u. DAVID E. POLLARD: A Chinese Look at Literature. The Literary Values of Chou Tso-jen in Relation to the Tradition, London: Hurst 1973.

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lassen sich seine Essays in die des Rebellen (bis 1927) und in die des »Einsiedlers« unterteilen. Oftmals entstammen die bekannteren Beispiele dieser zweiten Phase. Wenn auch der moderne chinesische Essay für Zhou Zuoren mit der sogenannten Gong'an-Schule eines Yuan Hongdao (1568–1610) beginnt, so dürfen wir ihm in dieser Hinsicht dennoch keinen Glauben schenken. Die Gong'an-Schule mag neuzeitlich sein, modern ist sie nicht. Was ihr fehlt, ist die Möglichkeit einer Verbindung mit etwas Nichtchinesischem, der Blick von außen gleichsam. In Zhou Zuoren kommen zwei Traditionen zusammen, einmal die Song-chinesische Ästhetik der Uneigentlichkeit (pingdan)177, zum anderen die westliche Sexualwissenschaft, wie sie für ihn durch Havelock Ellis (1859–1939) und dessen Werk Studies in the Psychology of Sex (1897–1928) verkörpert wird. Der Essay wird bei ihm zu der Verkörperung einer einheitlichen Sicht des Lebens, eines Ortes der Stille. Das vermeintlich Unpolitische, das Zhou Zuoren vor allem für seine späteren Essays zum Vorwurf gemacht worden ist, erlangt über die Jahre offensichtliche Dominanz, es steht damit gegen den unnachgiebigen Zeitgeist, doch ist die Konzentrierung auf die kleinen Dinge, die unter einem unscheinbaren Titel formal streng und in einer bestimmten Stimmung gefaßt werden, Ausdruck genauer Beobachtung. Die Tragik des Lebens bleibt selten außen vor, sie ist eher der Grund eines jeden Essays. Ein früher Beleg von 1923, der die Verzweiflung der damaligen Zeit einfängt, ist ein sehr lyrisch gehaltenes knappes Werk für den Dichter Xu Yunuo (1893–1958), der in seinem 1922 veröffentlichten Gedichtband Der Garten der Zukunft (Jianglai de huayuan) der puren Hoffnungslosigkeit das Wort geredet hat. Es sei hier nur nebenbei vermerkt, daß eben derselbe Dichter 1953 mit einem weiteren Gedichtband die Bodenreform und den Korea-Krieg (1950–1953) preist. Der folgende Text »Ein Suchender« (Xunlu de ren)178 hat das damalige Peking zu seinem Hintergrund. Herrn Xu Yunuo zugeeignet Ich bin ein Suchender. Ich suche täglich meinen Weg und weiß immer noch nicht um seine Richtung. Jetzt erst weiß ich: Im Leid sich abmühen, das gerade ist der Weg der Natur, den man mit allen Kreaturen teilt, doch dies nehmen wir nur wahr, sonst nichts. Das Ende des Weges ist der Tod, wir mühen uns ab, dorthin zu gelangen, und bevor wir dort angelangt sind, bleibt uns nichts anderes zu tun übrig, als uns abzumühen. Ich habe einmal am Torbogen von Xisi ein Auto gesehen, das mit einem Räuber zur Exekution Richtung Tianqiao fuhr. Ich dachte bei mir, das ist zu grausam, warum ihn nicht wie früher auf einem offenen Wagen hinschicken? Warum ihm nicht einen 177

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Vgl. hierzu meine Ausführungen in meiner Geschichte der chinesischen Dichtkunst. Von ihren Anfängen bis zum Ende der Kaiserzeit, Bd. 1 der Geschichte der chinesischen Literatur in zehn Bänden, hg. von WOLFGANG KUBIN, München: Saur 2002, S. 256–264. Übersetzt nach: ZHOU ZUOREN: Sanwen, hg. von ZHANG MINGGAO u. FAN QIAO, Bd. 1, Peking: Zhongguo Guangbo Dianshi Chubanshe 1992, S. 106–107.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949) gemächlichen Blick auf die Straßenszene erlauben, so daß er die Leute diskutieren hören kann? Er würde überall dort vorbeikommen, wo er ohnehin vorbeikommen muß, ehe er zu seiner endgültigen Bestimmung gelangen würde. Doch so war er viel zu schnell da. Das war wirklich zu grausam. Wer möchte nicht auf einem offenen Wagen fahren? Manche meinen, es gehe ins Paradies, sie singen und sie lachen; manche meinen, es gehe in die Hölle, sie sind dann traurig und weinen; manche sind betrunken und schlafen. Was uns angeht, so möchten wir lediglich gemächlich dahingehen, die Straßenszene sehen, die Leute diskutieren hören und mit aller Macht die unausweichlichen Freuden und Leiden genießen. Was nun die Route betrifft, so ist es gleich, ob der Weg vom Torbogen am Xisi Richtung Süden oder vom Torbogen am Dongdan Richtung Norden erfolgt. Yunuo hat am eigenen Leib viel Leid erfahren, diesmal ist sein Dorf von Banditen heimgesucht worden, nur sein Vater ist außerhalb [in Sicherheit], von allen anderen fehlt jede Nachricht. Er sagt, er habe schon keine Tränen mehr. – Auch du hast wohl schon deinen Weg gefunden. Sein vages Lächeln sagt mir, dies ist das Gesicht eines ewigen Wanderers. Wir sollten die größten Optimisten sein, denn wir haben schon keinerlei Pessimismus und keinerlei Enttäuschung mehr. 30. Juli 1923

Dieser Text spricht auf Grund seiner Dichte schon fast für sich allein. Der Weg des Lebens ist der Weg in den Tod. Alles, was sich auf diesem Weg erhoffen läßt, ist der Anblick des lebendigen Anderen auf diesem Weg. Nur wer sich nicht auf diesem Weg befindet bzw. nicht um diesen Weg in den Tod weiß, sieht sich selbst als Suchenden. Die Suche hat ein Ende, wenn die Tränen ein Ende haben, und der Optimismus der Verzweifelnden kehrt zurück, wenn einen nichts mehr zu rühren vermag.

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2. Die Entfaltung einer modernen Literatur in China (1928–1937)

Es sind nicht so sehr die gesellschaftlichen Ereignisse, welche die erste Phase einer modernen Literatur in China zu einem Ende bringen, es ist vielmehr der von den Literaten im Angesicht des Massakers von Schanghai vollzogene Schwenk, der die Aufgabe des einst freien, aufgeklärten, pluralistischen Klimas zugunsten einer »revolutionären Literatur« (geming wenxue) fordert. Was war passiert? China präsentierte sich nach 1912 nicht als Einheitsstaat, sondern als ein von vielen partikulären Interessen gebeuteltes Land. In einem Nordfeldzug gelang es der Regierung unter Chiang Kai-shek (Jiang Jieshi, 1887–1975) bis zum März 1927 die Warlords überwiegend niederzuwerfen. Ihr Repräsentant, die Guomindang (KMT), war eine Nationale Volkspartei mit unterschiedlicher politischer Ausrichtung. Ihr rechter und ihr linker Flügel standen einer Zusammenarbeit mit den Kommunisten, die auch in der Partei tätig waren, konträr gegenüber. Chiang Kai-shek suchte nach seiner Ankunft in Schanghai die Gunst der Stunde zu nutzen und sich seiner marxistischen Widersacher zu erledigen. Dies führte am 12. April 1927 zu dem bekannten Massaker von Schanghai, dem Hunderte von linken Zeitgenossen und Gewerkschaftern auf offener Straße zum Opfer fielen. Hierbei handelt es sich zwar nur um eines von vielen blutigen Ereignissen der 20er Jahre, es war jedoch ausschlaggebend für den Linksruck der chinesischen Intelligenz. Im Januar 1928 verkündete das Monatsjournal der Schöpfungsgesellschaft: »Die Zeit einer individualistischen Kunst ist endgültig vorbei!« An ihre Stelle habe eine »proletarische Kunst« zu treten. Wenn auch Hu Shi, Xu Zhimo und Liang Shiqiu im März desselben Jahres offen für die »Unabhängigkeit« der Literatur eintraten, so fanden sie selbst bei denen kein Gehör mehr, die nicht unbedingt dem Marxismus nahestanden. Die Aufkündigung des Einheitspaktes mit den Kommunisten durch Chiang Kai-shek führte neben einer sich weiter vertiefenden politischen zwangsläufig auch zu einer ästhetischen Polarisation. Dabei muß man sich jedoch vor Augen halten, daß im Kulturbereich quantitativ weit weniger Gegner einander gegenüberstanden als im militärischen oder gesellschaftlichen. Auch wenn die Guomindang nach ihrem Sieg bis zum Ausbruch des Krieges gegen Japan (1937–1945) politisch und wirtschaftlich das Land fest im Griff zu haben schien, war ihr der Kulturbereich großenteils abhold geblieben. Gleichwohl muß formal von der Polarisierung einer linken und einer liberalistischen Literatur gesprochen werden. So oder so unterliegt das Schreiben den Zwängen der Tagespolitik, gleichwohl bedeutet dies nicht, daß die Literaten als Parteigänger der einen oder anderen Seite den jeweiligen ideologischen Repräsentanten hörig waren. Auf die Propagierung marxistischer Ästhetik, welche die nächsten 20 bis 30 Jahre dominieren soll, antwortet die Guomindang im September 1929 mit der Forderung

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949)

nach einer »Kunst der Drei Volksprinzipien« (sanminzhuyi wenyi). Sun Yatsen, der Gründer der Guomindang und Vater der Republik China, hatte sein politisches Konzept der Drei Grundlehren vom Volk (Nationalismus, Demokratie und Volkswohl) seit 1897 auszuarbeiten begonnen und 1924 abgeschlossen. Es ist ein offenes Konzept und konnte bis heute das Selbstverständnis sowohl der Volksrepublik China als auch der Republik China auf Taiwan begründen helfen. Eine »Literatur der Drei Volksprinzipien« (sanminzhuyi wenxue) sollte also eine »Literatur der Revolution« (geming wenxue) in die Schranken weisen. Dies gelang ihr jedoch nicht. Den Kulturkampf gewann die Kommunistische Partei dank einer besseren Organisation und Disziplin. Ihr Einheitsdenken setzte sich langfristig auch in der »Liga linker Schriftsteller« (zuolian) durch, die – im März 1930 begründet – dem Pluralismus abschwor und eine »nationalistische Kunstbewegung« (minzuzhuyi wenyi yundong) in die Wege leitete. Hier ist auch der Grund zur späteren Zerstörung einer modernen Literatur in China gelegt. Grob gesagt gab es damals nur zwei Arten von Schriftstellern, die einen, und das war die Mehrheit, gehörten zur Liga, und die anderen, eine Minderheit, standen außerhalb. Auch hier tendierte man eher zu den Kommunisten als zur Guomindang. Von einer Organisation im eigentlichen Sinne läßt sich jedoch nicht sprechen. Der Gründung der Liga linker Schriftsteller mit Hauptsitz in Schanghai und einer Zweigstelle in Tokio war ein Bruderstreit vorangegangen. Der Paradigmawechsel von wenxue geming zu geming wenxue, von einer Revolutionierung der Literatur zu einer Literatur der Revolution war längst durch Diskussionen seit 1923 vorbereitet gewesen. Seinerzeit hatte Jiang Guangci (1901–1931), Schriftsteller und Parteimitglied, bereits eine proletarische Literatur propagiert. Als 1928 in Folge des Massakers von Schanghai die radikalen Kräfte verstärkt unter den Einfluß der Sowjetunion und der japanischen Linken gerieten, verschärfte sich der Ton auch gegenüber dem eigenen Lager. Der 4. Mai wurde für veraltet erklärt, Lu Xun als »feudales Überbleibsel« kritisiert.179 Der Altvater der Moderne reagierte sowohl im Vorfeld der Ereignisse als auch bei der Gründung der Liga nachdenklich: Er erklärte den Slogan geming wenxue als Widerspruch in sich, entweder es gebe Revolution oder es gebe Literatur. Auch wenn er später die »revolutionäre Literatur« als Mittel des Kampfes gegen die Guomindang ansah, hatte er dennoch manch Kritisches auf der Gründung der Liga zu sagen. Vor allem vermißte er ein Bewußtsein für das Leiden, das jede Revolution begleite. Zu leichtfertig redeten die linken Schriftsteller von »töten« und »schlagen«, zu schnell würden sie angesichts der Realität zu Vertretern der Rechten.180 Die Liga, die im Frühling 1936 zwecks Bildung einer ideologischen Einheitsfront gegen Japan aufgelöst worden ist, sah dreierlei als ihre Aufgabe an: 1. Die Verbreitung 179

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Zur sowjetischen Kritik an Lu Xun s. JEF. LAST: Lu Hsün – Dichter und Idol. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des neuen China, Frankfurt, Berlin: Metzner 1959. Vgl. seine »Gedanken über die ›Liga linker Schriftsteller‹« vom 2. März 1930, in: BUCH u. MAY: Lu Hsün, S. 108–111.

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marxistischer Ästhetik. 2. Die Anknüpfung an die proletarische Weltliteratur. 3. Die Schaffung einer Massenkultur und Massenkunst. Nur dieser letzte Aspekt dürfte aus heutiger Sicht von Interesse sein, denn im Rahmen der Postmoderne hat sich eine ästhetische Haltung durchgesetzt, die mutatis mutandis viel zuwenig mit der Diskussion der 30er Jahre in Verbindung gebracht wird. So falsch eine proletarische Massenkultur, die sich eigentlich erst mit der Kulturrevolution verwirklicht hat, sein mag, so unleugbar ist heute doch ihre faktische Präsenz, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Die damalige Hinwendung zum Volk war von einer Diskussion über das Sprachniveau begleitet gewesen, die bis in die jüngste Zeit nichts an Aktualität eingebüßt hat. 1934 war es zum grundsätzlichen Streit um die Sprache der neuen Literatur gekommen. Ihr wichtigster Vertreter war Qu Qiubai (1899–1935), der seit 1931 die Linke angegriffen hatte und einen neuen »4. Mai« forderte, nämlich eine neue den Massen verständliche Sprache.181 Seine Kritik galt sowohl der »bürgerlichen« als auch der »revolutionären« Literatur. Die seit 1919 praktizierte Schreibweise sei nichts anderes als ein neuer Klassizismus unter westlicher Ägide. Statt Verwestlichung verlangte er eine Entwestlichung. Dies galt auch für den Marxismus, in diesem Fall trat er für eine Sinisierung ein. Und das lief selbstverständlich auf eine Entindividualisierung der bisher geübten modernen Sprachpraxis hinaus, es findet eine Parallele in den Maßgaben, welche die Schöpfungsgesellschaft nach Aufgabe ihres »romantischen« Weltverhaltens ausgab: Eine proletarische Schreibe habe eine öffentliche, eine ideologische Schreibe zu sein. Der Verzicht auf ein authentisches Ich und Wir führte zu einer Konzeptualisierung von Literatur, deren Gegenstand nicht der Mensch an sich war, sondern zu deren Gegenstand die Idee allein wurde. Dieses Ansinnen kulminierte schon 1933 in der frühzeitigen Übernahme des Sozialistischen Realismus, der nur ein Jahr zuvor in der Sowjetunion eingeführt worden war. Auch wenn seinerzeit die Forderung nach einem dritten Weg zwischen linkem und bürgerlichem Lager von gemäßigten Vertretern erhoben worden war, so hat sich die Idee eines politisch unabhängigen Schriftstellers (ziyouren), eines unabhängigen Dritten (di-san zhong ren), nicht durchsetzen können. Gleichwohl ist zu konstatieren, daß es sich bei dem Kampf zwischen den beiden Lagern um einen Stellvertreterkrieg handelte, der einzig auf die politischen Auseinandersetzungen der damaligen Zeit zurückzuführen ist. Ihre wichtigsten Repräsentanten wie die bereits genannten Hu Shi, Liang Shiqiu, Xu Zhimo sowie die beiden Vertreter der »Pekinger Schule« (Jingpai), der Romancier Shen Congwen (1902–1988) und der Ästhetiker Zhu Guangqian (1897–1986), verfochten zwar »eine Kunst um der Kunst willen«, tatsächlich ging es jedoch auch ihnen um eine Renaissance von China, ja, ihre Sorge um das Böse im Menschen stand noch ganz in der aufklärerischen Tradition des 4. Mai: Literatur diente ihnen zur Reinigung des Herzens. 181

Vgl. hierzu PAUL G. PICKOWICZ: »Qu Qiubai’s Critique of the May Fourth Generation: Early Chinese Marxist Literary Criticism«, in: GOLDMAN (Hg.): Modern Chinese Literature in the May Fourth Era, S. 351–384.

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Beim Kampf um die Kulturhoheit stand die Beziehung von Kunst und Leben im Mittelpunkt. Prominentester Gegner der Liga linker Schriftsteller war die Mondsichelschule (Xinyuepai, meist übersetzt als Neumondschule). Diese vertrat vor allem zwei gewichtige Ansichten. Zum einen sprach sie sich dafür aus, in der Literatur nicht das »Proletariat«, sondern das »Leben an sich« zu favorisieren, das heißt, statt Klassenkampf faßte sie die unabänderlichen Erscheinungen aller Existenz ins Auge, zum anderen verstand sie alle Zivilisation (wenming), die sie mit dem Kapitalismus gleichsetzte, als Produkt von nur wenigen Genies. Es sei hier nur nebenbei angemerkt, daß gegen diesen Geniekult (tiancailun) von Liang Shiqiu später das Diktum von Mao Zedong stand: »Das Volk, nur das Volk schafft die Geschichte...« Internationale Berühmtheit erlangte unter den »Liberalen« einzig Lin Yutang (1895–1976), er steht daher heute gleichsam für das »bürgerliche« Lager. Seine damalige Theorie einer Literatur, die der Natur (xing) und der Seele (ling) des Menschen gerecht zu werden habe, stand auch noch viele Jahrzehnte später zur Debatte. Wie auch in seinen zahlreichen international weiterhin äußerst erfolgreichen Büchern182 anschaulich vermittelt wird, waren ihm als Autor der Geist des Menschen und dessen Natürlichkeit wichtiger als die Sache von Staat und Nation. Demzufolge hatte der Schriftsteller sich selbst Gehör zu verschaffen, die Muße in Wort und Tat zu pflegen sowie den kleinen Dingen des Lebens Aufmerksamkeit zu schenken. Dieser Aufwärmung einer traditionellen Mußekultur in unruhigen Zeiten pflichteten im Tenor auch Zhu Guangqian und Shen Congwen bei. Im Zentrum der allgemeinen Forderung nach einer Trennung von Literatur und Politik stand der wichtige, aber schwer zu übersetzende Begriff quwei. Dieser meint nicht einfach Interesse, Geschmack oder Vorliebe, wie es die Lexika vorschlagen, sondern er meint den Widerhall, den Nachklang von vermeintlich unscheinbaren Dingen im Menschen. Es geht um das Stille, dessen Schönheit und Ewigkeit. Es ist dies das Programm einer ästhetischen Nutzlosigkeit, die konträr zum Warencharakter der Zeit steht: Die damalige Literatur wollte sich entweder verkaufen oder sie wollte etwas bewirken. Die Künste wurden damit zu »Fast-Künsten«, wie es Shen Congwen spöttisch bemerkte: Stimmte der Stil nur »halbwegs« (chabuduo), so galt sein Exponat schon als Kunst. Quwei wurde seinerzeit zu einem wichtigen literarischen Kriterium, welches eine Literaturkritik, die sich als »Waffe« verstand, in die Schranken weisen sollte. Der Paradigmawechsel von einer Revolutionierung der Literatur zu einer revolutionären Literatur war von vielen anderen Paradigmawechseln begleitet: Aus der Befreiung des Individuums wurde die Befreiung der Gesellschaft, besonders nach182

Vgl. zum Beispiel LIN YUTANG: Weisheit des lächelnden Lebens, aus dem Amerikanischen übertragen von W.E. SÜSKIND, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1979; LIN YUTANG: Glück des Verstehens. Weisheit und Lebenskunst der Chinesen, aus dem Englischen übersetzt von LISELOTTE u. WOLFF EDER, Stuttgart: Ernst Klett 1963; LIN YUTANG: Mein Land und mein Volk, aus dem Amerikanischen übertragen von W. E. SÜSKIND, Stuttgart, Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt 1936.

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dem sich Japan 1931 im Nordosten des Landes festgesetzt hatte; aus dem »Schönen« wurde das »Garstige«. Dementsprechend begannen sich auch die literarischen Formen zu wandeln: Aus der Kurzform wurde die Langform, aus der lyrischen Grundstimmung der narrative oder berichtende Ton. Der Roman, der Mehrakter, die Reportage drängten in den Vordergrund, so daß sich jahrzehntelang die ästhetisch anspruchsvolle Erzählkunst eines Shen Congwen, eines Ai Wu (1904–1992) und einer Xiao Hong (1911–1942) nicht hat behaupten können. Die neuen Genres dienten nicht mehr einer Kritik der »Feudalgesellschaft« wie zur Zeit des 4. Mai, sondern sie übten sich in einer (marxistischen) Betrachtung der Gegenwart, die sich von der Vergangenheit inzwischen vielfach unterschied: »Wohin geht die chinesische Gesellschaft?« wurde zur Hauptfrage der Zeit. Auch Autoren und Themen folgten neuen Wegen. Die Literaten entstammten nicht mehr vornehmlich der alten Gentry, sondern sie traten aus allen Schichten der Gesellschaft als Söhne und Töchter einer modernen Bildung auf den Plan. Das Gesellschaftliche mit seiner Aussicht auf ein Glück im Kollektiv ersetzte den Konflikt von konfuzianischer Rite und »romantischer« Liebe durch den Konflikt von Liebe und Revolution. Mit dem sich abzeichnenden Niedergang der Großfamilie verlagerte sich der soziale Widerspruch entsprechend immer mehr auch auf die Straße: Die Straßenkreuzung mit ihren unterschiedlichen Himmelsrichtungen wurde zum Symbol einer Zeit, die nach einem Weg suchte, ohne ihn finden zu können. Wie läßt sich nun angesichts dieser überwiegenden Politisierung und Revolutionierung der Künste überhaupt von einer Entfaltung der modernen Literatur in China während der Jahre 1928 und 1937 sprechen? Die erste Phase, die Grundlegung der literarischen Moderne, hatte die Kleinform bevorzugt und in nuce den Boden bereitet, – die moderne Kurzgeschichte, das moderne Gedicht, der moderne Einakter, der moderne Essay traten nahezu zeitgleich und in perfekter Form hervor, – aber sie hatte noch nicht den modernen Roman, das Drama in drei Akten, das epische Langgedicht kreieren können. Die bewegten Zeiten der 30er Jahre scheinen hingegen weniger die Kleinform, die vielleicht von ihrer Eigenheit her zur Besinnlichkeit anhielt, als vielmehr die Großform zu bevorzugen, die wohl unmittelbarer zur Aktion einlud. Das politische Engagement der Schriftsteller entlädt sich in der Darstellung größerer Zusammenhänge, die Literatur wird demzufolge narrativer, sie findet zur Langform, zum abendfüllenden Bühnenstück, zum Epischen. Und auch die Autoren beginnen, sich stärker zu differenzieren, jeder entwickelt dank Streckung der Form seine besondere Note. Erzähler wie Mao Dun (1896–1981), Lao She (1899–1966)183, Ba Jin (geb. 1904), Ding Ling (1904–1986), Xiao Hong und Shen Congwen unterscheiden sich aufgrund ihres unterschiedlichen Engagements so stark voneinander, daß sie in ihrem Stil und durch ihren Gegenstand unverwechselbar sind. 183

Die Sekundärliteratur zu Lao She ist inzwischen so angewachsen, daß im folgenden nicht mehr auf alles Erschienene verwiesen werden kann. Gleichwohl sei hier die Spezialausgabe der Zeitschrift Renditions 10 (Herbst 1978) genannt, da sie zum Autor immer noch einen guten Überblick gibt.

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2.1 Die Erzähler Die Moderne ist das Zeitalter des Romans. Dies hat der frühe Georg Lukács (1885– 1971) überzeugend in seinem Standardwerk Die Theorie des Romans (erstmals 1916) nachgewiesen. Es handelt von dem Verlust der Totalität, der Spaltung in Ich und Welt, von der transzendentalen Obdachlosigkeit des Menschen. Für China trifft nun verspätet zu, was für das westliche 19. Jahrhundert kennzeichnend war: Der Mensch tritt aus einer brüchig gewordenen Ganzheit heraus, er muß, sich selbst fremdgeworden, agieren und unterliegt schließlich in seinem Kampf für eine neue Existenzform den Mächten der Gesellschaft oder den Drangsalen des Inneren. Die vorhersehbare Versöhnung widerstrebender Kräfte, welche für den traditionellen chinesischen Episodenroman so typisch war, ist seit dem 4. Mai nicht mehr möglich. Mao Dun gebührt das Verdienst, den modernen chinesischen Roman zwar spät, aber doch begründet zu haben. Er ist nicht der erste und auch nicht der einzige, der Mitte der 20er Jahre das Unterfangen einer zeitgemäßen großformatigen Erzählform auf sich nimmt, aber er ist damit erfolgreich. Ein Vergleich mit dem Roman Ni Huanzhi (1928)184 von Ye Shengtao zeigt, woran der eine scheiterte und worin der andere reüssierte. Beider Ausgangspunkt ist die gescheiterte Revolution von 1927, beide bedürfen der episch breiten Darstellung, um den Zwiespalt von Wille und Wirklichkeit entwerfen zu können. Dabei werden sie von außerliterarischen Vorgaben geleitet, welche die blutigen Ereignisse ideologisch verständlich machen sollen. Ye Shengtao verleiten diese schematischen Konzepte zu einem für die Leserschaft unbefriedigenden Schluß, er läßt den Helden wie einen Narren in den revolutionären Umtrieben untergehen, ohne die zuvor geschickt aufgebauten Spannungsbögen ästhetisch lösen zu können. Mao Dun wird für sein Romanwerk heute von chinesischer Seite zwar auch der Vorwurf eines abstrakten Schematismus (gainianhua) gemacht, doch ist er ein in der Weltliteratur so belesener Autor, daß seine offenen Schlüsse literaturwissenschaftlich völlig unproblematisch sind. In einer Welt, die von unkontrollierbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Mächten beherrscht wird, bleibt dem modernen Helden nur der Schein einer Handlungsmöglichkeit. Und so endet denn durchaus lapidar, aber in sich vollkommen schlüssig der Roman Schanghai im Zwielicht (Ziye, 1933) wörtlich: »Aber auch dies hängt von dir ab.« (keshi, ye you ni)185 Nachdem sich der Protagonist Wu Sunfu mit der ganzen Welt angelegt hat, um eine nationale Industrie in China aufzubauen, dabei jedoch kläglich gescheitert ist, bleibt ihm nur noch die Flucht in die Sommerfrische. Die Frage an seine Frau erhält die Antwort, die dem Roman angemessen ist: Er, der bislang alles entschieden hat, aber keine 184 185

Deutsch von HELMUT LIEBERMANN als: Yä Scheng-tau: Die Flut des Tjiäntang. Mao Dun quanji, Bd. 3 (Ziye), Peking: Renmin 1984, S. 552. Vgl. auch MAO DUN: Schanghai im Zwielicht, aus dem Chinesischen übertragen von FRANZ KUHN, revidierte Ausgabe, Berlin: Oberbaum [1979], S. 475. Zur Entstehung des Romans s. RAOUL DAVID FINDEISEN: »Von Ford zu Citroën – Überlegungen zur Genese des Romans Mitternacht (1933) von Mao Dun«, in: BJOAF 28/2004, S. 159–181.

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weitere wichtige Entscheidung treffen kann, ist eigentlich am Ende, ihm bleibt nur eine letzte Sache zu regeln, nämlich seinen Abtritt von der Bühne der zeitgeschichtlichen Ereignisse, auf welche es keine Rückkehr mehr geben wird. Mao Dun hat in der »westlichen« Sekundärliteratur schon sehr früh viel Beachtung erfahren. Einzig im Abendland hat er seine bisherige Stellung behaupten können. Die oft unsägliche chinesischsprachige Sekundärliteratur hat ihm zwar nicht direkt seinen einstigen Rang abgesprochen, doch betont sie heute verstärkt die Tatsache, daß unser Autor erst Kommunist und Soziologe, dann Literaturkritiker war, ehe er Schriftsteller wurde. Das Mißverhältnis in der Beurteilung seines Werkes hängt sicherlich mit dem Umstand zusammen, daß sich die von Mao Dun erzählerisch aufgeworfene Problematik des modernen Menschen gleichsam nur von »Europa« her erschließen läßt. Ohne eine grundlegende Kenntnis der westlichen Moderne ist eine hinreichende Würdigung von Mao Dun ausgeschlossen. Mao Dun gilt als der repräsentative Schriftsteller dieser zweiten Periode. Man mag darüber streiten, besonders wenn man bedenkt, wie sehr das Werk der Ding Ling und das der Xiao Hong von der chinesischen Literaturkritik unterschätzt werden, gleichwohl halten die besten Arbeiten von Mao Dun durchaus einen Vergleich mit den beiden Schriftstellerinnen aus. Allerdings wird man Mao Dun auch nicht gerecht, wenn man zu stark auf das Modell des revolutionären Realismus abhebt, das er geschaffen haben soll. Was er vor allem mit Ding Ling teilt, ist die Einsicht in die Gefährdetheit der Jugend, in deren Zwiespalt von Vorstellung und Wirklichkeit. Das Modell der mit dem Äußeren unversöhnbaren Innerlichkeit verdankte sich unterschiedlichen europäischen Werken des 18. und 19. Jahrhunderts, allen voran Gustave Flauberts (1821–1880) Madame Bovary und Goethes Werther. Mao Dun zeigt nicht einfach nur die Willenskrankheit der umtriebigen Revolutionäre auf, er findet für diese auch einen gesamtgesellschaftlichen Hintergrund. Insofern vollzieht er den Schritt von der Deutung des geknechteten Individuums zur gesamtgesellschaftlichen Analyse, anders formuliert: er nimmt den Abschied vom 4. Mai stellvertretend für andere exemplarisch vor, denn er zeigt nicht mehr das trostlose Geschick des einzelnen unter den Zwängen feudalistischer Nachwehen auf, sondern er schildert, wie die Moderne Stadt und Land und mit ihnen die Menschen verändert. Es ist eben dieses Verfahren, das ihm die Vollendung des modernen chinesischen Romans erlaubt, im Einzelfall gilt dies auch für die moderne Novelle und Kurzgeschichte. Mao Dun ist der Chronist seiner Zeit, er verfaßt die Chronik des republikanischen China, und dies aus eigener Erfahrung.186 Er tut damit etwas, was bis heute nicht aus der Mode gekommen ist. Der deutsche Schriftsteller Rainald Goetz (geb. 1954) zum Beispiel ist mit seiner auf fünf Bände angelegten Geschichte der Gegenwart ein später und repräsentativer Nachfolger. Die Jugend und die Stadt sind in beiden Fällen die großen Themen. Aus der Haltung eines Chronisten der unmittelbaren Ereignisse 186

Hierzu hat sich als erster Jaroslav Průšek verschiedentlich geäußert, s. zum Beispiel den deutschen Abriß in meinem Buch: Moderne chinesische Literatur, S. 262–282.

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erwächst dem Erzähler jedoch ein großes Problem. Gegenwart läßt sich eher aus der Distanz als aus dem Erlebnis deuten. Mao Dun bedarf daher der Maßgabe, und wenn diese von der Kommunistischen Partei Chinas vorgegeben ist, dann stehen Geschichte und Literatur, Propaganda und Kunst in einer gehörigen Spannung.187 Die Frage ist, auf welcher Seite steht letzten Endes der Erzähler? Tatsächlich eindeutig auf der Seite der Revolution und Wissenschaft oder nicht auch auf der Seite von Mächten, die eher mit Schicksal und Vorsehung in Verbindung zu bringen sind? Opfert er also Personen, nur um der marxistischen Sicht Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, oder vertraut er auch seiner unmittelbaren Einsicht in die nicht immer logischen Zeitläufte? Man mag fast von Glück reden, daß ein Urerlebnis Mao Dun gleichsam beigestanden hat, den modernen »historischen« Roman unter seiner Ägide nicht scheitern zu lassen. Dieses Urerlebnis ist die Niederlage der Revolution von 1927, welche das Abrücken von einer allzu schematischen Sicht nahelegte. Mao Dun hat für sein Vertrauen in die Lehrmeister Émile Zola (1840–1902) und Leo Tolstoi (1828–1910) sowie für seine vermeintlich bürgerliche Sicht zahlen müssen, 1927 wurde er, wenn auch nur für eine kurze Zeit, aus der Partei ausgeschlossen. »Historischer« Roman, das bedeutet nicht die Erzählung vergangener Dinge in literarischer Form, sondern die Verarbeitung laufender Geschehnisse. Da weder Distanz noch Rückblick möglich sind, reduziert sich Geschichte auf den Flux der täglichen Ereignisse, auf den historischen Moment (shidaixing): Geschichte JETZT lautet das Verfahren, die Geschichte sollte gleichsam selber sprechen. Dies Verfahren trieb Mao Dun auf die Spitze in seiner Dokumentation Ein Tag in China: Der 21. Mai 1936. In Nachfolge von Maxim Gorkis (1868–1936) Ein Tag in der Welt (1934) entwirft er hier eine enzyklopädische Version von Gegenwartsgeschichte, wobei Verfasser und Gegenstand identisch sind: Das Volk ist gefordert, über sich selbst zu schreiben. Mao Dun wählte lediglich aus den Zusendungen aus und stellte Material zusammen. Er hat mit dieser entindividualisierten Schreibe in China Schule gemacht, denn viele Jahrzehnte später sollte nicht nur Zhang Xinxin (geb. 1953) mit ihren Pekingmenschen (Beijingren, 1985)188 etwas Ähnliches tun. Der Flux der Ereignisse läßt sich näher bestimmen als Flux vernichtender Kräfte. Wie später eindrucksvoll die unter dem Titel Seidenraupen im Frühling (Chuncan, 1933)189 veröffentlichte Sammlung von sozialkritischen Erzählungen zeigt, insbesondere die auch verfilmte Geschichte Der Laden der Familie Lin (Linjia puzi), wird jeder zum Opfer, auch der Unterdrücker. Alles kann durch etwas anderes ersetzt werden: 187

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Vgl. hierzu und zum folgenden DAVID DER-WEI WANG: Fictional Realism in 20th-Century China: Mao Dun, Lao She, Shen Congwen, New York: Columbia UP 1992, S. 26ff. ZHANG XINXIN u. SANG YE: Pekingmenschen, hg. von HELMUT MARTIN, Diederichs: Köln 1986. Auf deutsch u.a. bei FRITZ GRUNER (Hg.): Mao Dun. Seidenraupen im Frühling, Berlin: Volk und Welt 1975; JOSEPH KALMER (Übers.): Mao Tun. Der Laden der Familie Lin, Berlin: Volk und Welt 1953. Zum Original s. Bd. 8 von Mao Dun quanji.

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die Ware durch das Geld, der Erzeuger durch den Händler. Geld und Leihvertrag sind die besonderen Symbole dieses Fluxes, der alles und jeden zum Untergang bestimmt. Mao Dun gelingt dank objektiver Beobachtung und quasi wissenschaftlicher Beschreibung, das heißt durch die meisterhafte Beherrschung des personalen Erzählers, der Entwurf von China als Panorama. Als Chronist hat er die diachrone Zeit synchron zu entwerfen. Die einander entgegenstehenden Kräfte wie Agrarwirtschaft und Industrie, Kommunisten und Kapitalisten, Jung und Alt, Gegenwart und Vergangenheit finden ihr Symbol in den entsprechenden Chronotopen (Land, Stadt, Metropole) und Repräsentanten (Erzeuger, Händler und Spekulanten). Der für Mao Dun so typische offene Romanschluß ist das notwendige Kennzeichen eines Erzählens, das dank einer Konzentration auf den Flux der gesellschaftlichen Erscheinungen zur unverbindlichen Bebilderung bzw. zur Beliebigkeit tendieren kann. Weder läßt sich die Zukunft letztgültig voraussagen noch nach ideologischen Vorgaben zwingen. Gehen Leben und Kunst nicht ineinander auf, so kann die Kunst sich immer noch fortstehlen: sie beläßt, wo das Leben darniederliegt, alles in der Schwebe. Es ist jedoch das hohe Krisenbewußtsein, das Mao Dun noch heute lesenswert macht: Sein Mut zur Reflexion über das Scheitern der sich selbst betrügenden Jugend ist deswegen so beachtenswert, weil er in der Weltliteratur eher die Ausnahme als die Regel darstellt. Man mag den von Zola übernommenen naturalistischen Determinismus nicht so schätzen, man wird sich aber mit dem an Tolstoi geschulten »humanistischen Realismus« anfreunden können. Mao Dun macht (Zeit-)Geschichte exemplarisch am Beispiel einer (aufgeklärten) Person sichtbar, die mit den Mächten der Zeit ringt und zum Untergang verurteilt ist. Beispielhaft für dieses Verfahren und zu Ruhm gelangt ist der Roman Schanghai im Zwielicht (Ziye, 1933)190. Der Beginn des modernen Romans ist für Mao Dun jedoch bereits vorher anzusetzen, als Höhepunkt seines Schaffens gilt ebenso die viel früher fertiggestellte Trilogie Finsternis (Shi, in Zeitschriftenform 1927–1928).191 Sie dokumentiert die Jahre 1926–1928 aus der Sicht der bürgerlichen Jugend, die im Angesicht der zum Scheitern verurteilten Revolution alle Hoffnungen fahren läßt. Mao Dun konzentriert sich hier also noch auf eine einzige Schicht und auf eine Altersgruppe. Dabei wird dem Privaten sehr viel Raum gegeben. Die Aktualität der Trilogie liegt in der Verquickung von Einzelschicksal und gesellschaftlichem Geschehen. Die hier geschilderte Enttäuschung hat manche Parallele zu der Desillusion, die nach den politischen Ereignissen in Osteuropa 1989 einen Großteil der europäischen Intelligenz befallen hat. Die jeweiligen Untertitel des Romanwerks sprechen für sich: »Desillu190

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MAO DUN: Schanghai im Zwielicht, aus dem Chinesischen von FRANZ KUHN, revidierte Ausgabe, Berlin: Oberbaum [1979]; vgl. auch DERS.: Schanghai im Zwielicht, übersetzt von JOHANNA HERZFELDT u.a., Berlin: Volk und Welt 1966; Mao Dun quanji, Bd. 3 (Ziye). Zu einer politisch-symbolischen Interpretation s. YU-SHIH CHEN: Realism and Allegory in the Early Fiction of Mao Tun, Bloomington: Indiana UP 1986, S. 51–135; zu einer literarischen Deutung s. MARSTON ANDERSON: The Limits of Realism. Chinese Fiction in the Revolutionary Period, Berkeley, Los Angeles, Oxford: University of California Press 1990, S. 119–151.

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sion« (»Huanmie«), »Wankelmut« (»Dongyao«) und »Auf der Suche« (»Zhuiqiu«). Am Beispiel der Heldin Zhang Jing schildert der erste Teil die emotionalen Konflikte, die im Frühsommer 1926 der zeittypische Gegensatz von Liebe und Revolution hervorrufen konnte. Schanghai und das damalige Zentrum der Revolution, Wuhan, sind die Orte des Geschehens. Der zweite Teil widmet sich am Beispiel von Hu Guoguang, einem Vertreter der Gentry, und dem linken Kader Fang Luolan den revolutionären Konflikten, die in der Provinz Hubei zur Zeit der aufrührerischen Umtriebe zwischen Februar und Juni 1927 zutage treten, und der dritte Teil schließlich hat die erfolglose Suche der gescheiterten Helden zum Thema, die nach der niedergeschlagenen Revolution während des Sommers 1928 in Schanghai einen Ausweg erproben und ihr persönliches Schicksal verfolgen. In allen drei Teilen ist der Plot mit dem Schicksal der jeweiligen Protagonisten identisch und damit denkbar einfach eingesetzt. Mao Dun offenbart in vielen Werken eine Vorliebe für den weiblichen Diskurs. Dies zeigt sich auch in der besagten Trilogie. »Desillusion« ist aus der Sicht junger Frauen geschildert. Schon die Eingangsszene ist typisch. Hier ein Auszug.192 »Schanghai widert mich an! Ich hasse die Ausländer, die schmierigen Verkäufer in den Warenhäusern, die Rikschakulis, die Schaffner in den Straßenbahnen, die miesen Typen, die ihre Wohnungen untervermieten, die Horden von Stadtstreichern, die am Straßenrand herumlungern und Frauen nachgaffen [...]«. Zhang sah, wie erregt Hui war, und ergriff ihre Hand. Sie blickte Hui an und sagte ernst: »Auch mir gefällt Schanghai überhaupt nicht! Aber ich finde, daß das Leben nicht nur in Schanghai gräßlich ist, sondern auch auf dem Lande. In Schanghai hassen wir den Lärm und die Geldgier, fahren wir aber aufs Land, verachten wir die Rückständigkeit, Einfalt und Totenstille. Schanghai ist so verwirrend, daß uns der Kopf dröhnt. Auf dem Lande sind wir niedergeschlagen und verzagt und meinen, dem Tod ins Auge zu sehen. Immerhin kann man sich in Schanghai Wissen aneignen, und ich möchte jetzt nur in Ruhe lesen.« [...] In der letzten Zeit konnte sie tatsächlich nur noch dem Schmökern ein gewisses Vergnügen abgewinnen. Seitdem die Kommilitoninnen an den Frauenhochschulen in der Provinz letztes Jahr Unruhe heraufbeschworen hatten, war sie sehr passiv geworden. Sie sah, daß viele Kommilitoninnen allmählich das eigentliche Ziel ihres Protestes aus den Augen verloren, dafür aber die Gesellschaft von attraktiven jungen Herren genossen, die nur leere Phrasen dreschen konnten. Die Mädchen verliebten sich in diese schönen, aber oberflächlichen Männer und wurden zu Recht mit sarkastischen Bemerkungen bedacht. Auch für Zhang Jing war dies ein Grund zum Ärgernis. Sie verabscheute diese Aktivitäten ebenfalls, und so machte es ihr nichts aus, daß sogenannte »aktive« Kommilitonen sie als »Schwächling« verspotteten. Nicht nur, daß sie sich abgewandt hatte, auch all ihre Illusionen waren zerstört worden, und sie gab sich keinerlei Hoffnungen mehr hin. Allein die Möglichkeit, in Ruhe ein Buch zu lesen, übte noch eine gewisse Anziehungskraft auf sie aus. 192

Mao Dun quanji, Bd. 1, S. 7–8; deutsch von NICOLA DISCHERT, in: minima sinica 1 (2003), S. 99–126, hier: S. 99–100.

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Mao Duns Diskurs zur chinesischen Frau widmet sich vor allem zwei Typen, der sanften, eher östlichen Frau und der neuen, eher westlichen Frau. In beiden Fällen haben wir es mit Städterinnen zu tun, deren Eigenschaften auch ineinanderübergehen können. Dabei ist die »wilde« Frau, in deren Augen es keine feste Moral mehr gibt, sondern allein das zu erlangende Vergnügen den Charakter von Moral bestimmt, die interessantere Erscheinung. Vielleicht hat Mao Dun nirgendwo genialer die neue Frau entworfen als in der meisterlichen Erzählung »Die Geburt einer Frau« (»Chuangzao«, eig. »Schöpfung«, 1928)193. Sie entstammt der 1929 publizierten Sammlung von fünf Kurzgeschichten Wilde Rosen (Yeqiangwei).194 Im Mittelpunkt aller Erzählungen stehen Frauen. Der Titel der Sammlung geht auf eine Kurzgeschichte des norwegischen Schriftstellers Johan Bojer (1872–1959) zurück, der dort die Bedeutung der Dornen im Zusammenhang mit der Schönheit wilder Rosen behandelt. Die Anspielung auf den Skandinavier dient dem Ziel und Zweck der fünf Erzählungen, nämlich die Bedeutung von Dornen erkennbar werden zu lassen und deren anschließende Beseitigung in die Wege leiten zu können. Die Dornen verkörpern das Wesen des Lebens. So wie Rosen der Dornen bedürfen, um Rosen zu sein, bedürfe auch das Leben der Unanehmlichkeiten, um Leben zu sein. Eine Rose wäre – gänzlich dornenlos – nur noch eine Blumenkrone. Hierzu hat sich Mao Dun in einem Vorwort vom 9. Mai 1929 geäußert, das auch weiteren Aufschluß gibt.195 Anhand der griechischen und nordischen Schicksalsgötter macht er zum Beispiel klar, daß es ihm nicht um die Vergangenheit oder die Zukunft geht, sondern einzig um das Heute (xianzai) und die Realität (xianshi). Man solle sich weder von der Vergangenheit einlullen lassen noch sich mit der Zukunft betrügen. Insofern ist auch die Heldin der Erzählung »Die Geburt einer Frau«, Xianxian, als neue Frau durch die Schule des Wirklichen gegangen. Gleichwohl ging es Mao Dun hier wie auch in anderen Fällen nicht um die perfekte Frau. Die von ihm entworfenen Gestalten hat er als Suchende in einer gewissen Unvollkommenheit belassen. Es ging Mao Dun eher um die »normale« (pingfan) Frau, an deren Beispiel »im Gewand der Liebe« exemplarisch die Stufen des weiblichen Bewußtseins dargelegt werden sollen. Wer einmal mit der neuen Erziehung in Berührung gekommen sei, könne nicht mehr zum konfuzianischen Ideal von Maß und Mitte zurück. Dies betrifft auch unmittelbar die Beziehung von Mann und Frau. Das Unabänderliche der Moderne symbolisiert sich hier in dem Spiel des Erzählers mit dem Pygmalion-Mythos: Die Frau, angeblich eine Kreation des Mannes, entschlüpft ihrem vermeintlichen Schöpfer. Sie verkörpert die Moderne, nicht er! Mao 193

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Mao Dun quanji, Bd. 8, S. 1–32; deutsch von KLAUS MICHEL als »Eine ideale Frau« in: KLÖPSCH u. PTAK: Hoffnung auf Frühling, S. 134–174. Zur Gänze über die Jahre übersetzt in der Zeitschrift minima sinica. Zu einer umfassenden, wenn auch ideologischen Interpretation s. CHEN: Realism and Allegory in the Early Fiction of Mao Tun, S. 136–160. Deutsch in: DOROTHEE BALLHAUS: Die moderne Frau im Frühwerk des Schriftstellers Mao Dun, Bochum: Brockmeyer 1989 (= Chinathemen; 43), S. 92–96.

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Dun folgt mit dieser Deutung seinen Vorläufern in der Weltliteratur, die ebenfalls das neue, meist künstliche Geschöpf über den alten Schöpfer haben hinauswachsen sehen.196 Warum hat Mao Dun wie vielleicht kein anderer chinesischer Schriftsteller der modernen Frau soviel Aufmerksamkeit geschenkt? Die Gestalt der Xianxian kann darauf vielleicht eine Antwort geben. In ihr gewinnt dreierlei Gestalt: in ihr als Frau der Geschlechterkampf, in ihr als »ungeschliffenem Edelstein« die Urgewalt, in ihr als mißratener Schöpfung die Unordnung. Es ist daher kein Zufall, daß eine leichtbekleidete Schöne den Eröffnungsreigen von Schanghai im Zwielicht anführt. Auf seinem Weg durch die Metropole fühlt sich der alte Herr Wu, Vertreter des Landadels auf dem Lande, von dem Reiz der Damen brüskiert.197 »Natürlich. Bei uns sind die Frauen auch mit der Mode gegangen, bloß ich nicht. Ich möchte schon, aber Vater erlaubt es nicht...« Wie ein schmerzender Nadelstich traf die Bemerkung seiner Jüngsten den lauschenden Greis, und zum ersten Male richtete er mit Bewußtsein den Blick auf das Äußere seiner Ältesten. Er wagte kaum hinzusehen. Obwohl dem Kalender nach erst Mai war, hatte sie sich heute in Anbetracht des schwülen Wetters bereits völlig hochsommerlich angezogen: ein Kleid von blaßblauem, dünnstem Musselin schmiegte sich eng um ihre kräftige Figur und ließ die Form ihres vollen Busens mehr als deutlich hervortreten. Die kurzen weitausgeschnittenen Ärmel hatten sich bis über den Ellbogen hinauf verschoben und enthüllten sogar noch den weißen Oberarm. Von Abscheu erfaßt wandte der Greis den Kopf rasch nach der anderen Seite, konnte es aber leider nicht verhindern, daß seinem beleidigten Auge ein noch gräulicherer Anblick widerfuhr: eine junge Schöne, die lediglich mit einem tief ausgeschnittenen ärmellosen dünnen Seidenfähnchen angetan auf einer Rikscha thronte, und deren hochgezogene unbedeckte Knie die Feststellung gestatteten, daß die Schöne sogar unbehost war!

Wie Marián Gálik198 gezeigt hat, stehen die im Roman immer wieder erwähnten weiblichen Brüste als pars pro toto für die fatalistische Kraft weiblicher Sexualität. Es geht nicht um Verführung, sondern um Zerstörung, eine Zerstörung der alten Welt, die in der Gestalt des alten Herrn Wu noch ein letztes Mal in Schanghai vorstellig werden kann. Das taoistische Brevier von Lohn und Strafe (Taishang ganying pian, ca. 1233), das für Pietät (xiao) ein langes und für Unzucht (yin) ein kurzes Leben verspricht, hat hier ausgedient. Die Frauen haben begonnen, die Häuser zu verlassen 196

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Vgl. hierzu ELISABETH FRENZEL: Motive der Weltliteratur, Stuttgart: Kröner 21980, S. 513– 524; BARBARA SCHAEFFER-HEGEL u. BRIGITTE WARTMANN (Hg.): Mythos Frau. Projektionen und Inszenierungen im Patriarchat, Berlin: publica 1984, S. 258–263. MAO DUN: Schanghai im Zwielicht (Übers.: FRANZ KUHN), S. 20f.; vgl. auch DERS.: Schanghai im Zwielicht (Übers.: JOHANNA HERZFELDT u.a), S. 20–21; Mao Dun quanji, Bd. 3 (Ziye), S. 12. GÁLIK: Milestones in Sino-Western Literary Confrontation, S. 84, 90.

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und die Fußbandagen abzuwerfen, ihre Sexualität ist nicht mehr durch den Mann kontrollierbar und will sich zeigen. Das heißt, Moderne und Entblößung bilden einen unmittelbaren Zusammenhang. Es ist daher kein Zufall, daß die Rücknahme der Moderne nach 1949 und die Rückkehr zur Moderne nach 1979 auf dem Festland entsprechend immer auch von Verhüllung bzw. Enthüllung des weiblichen Körpers begleitet gewesen sind. Mao Dun, der – wie bereits gesagt – heute leichthin von der jungen chinesischen Literaturkritik als Vertreter einer ideologischen Schreibe (gainianhua) abgetan wird, ist nur aus Sicht der Weltliteratur als ein äußerst raffinierter Vertreter seiner Kunst zu würdigen. Der chinesischen Literaturkritik fehlen oftmals die notwendige Belesenheit und die entsprechende Fremdsprachenkenntnis. Es ist daher meist der westlichen Literaturkritik vorbehalten gewesen, die Tiefe der modernen chinesischen Literatur auszuloten. Im Falle von Mao Dun haben bereits früh so bedeutende Sinologen wie Jaroslav Průšek (1906–1980), Fritz Gruner (1923–2001)199 und Marián Gálik eingehende und bis heute unübertroffene Studien vorgelegt. Aus der Fülle ihrer Arbeiten kann hier nur der eine oder andere wesentliche Aspekt weiter ausgeführt werden. Dies betrifft zum Beispiel den Titel. Im Deutschen zwar Schanghai im Zwielicht, heißt der Roman eigentlich Mitternacht (Ziye, d.i. die Zeit zwischen 23 und 1 Uhr). Und so wie die jeweiligen Ausgaben der modernen chinesischen Literatur von Auflage zu Auflage durch Zusätze, Streichungen und Überarbeitungen jeweils anders ausfallen, so daß sich nicht mehr von einem »heiligen« oder dem Original reden läßt, so sind auch Buchtitel alles andere als endgültige Interpretationshilfen. Mao Dun, der mit der nordischen Mythologie sehr vertraut war,200 hatte seinen Roman ursprünglich Xiyang (Abendsonne, wörtlich Sonne im Westen) benannt und mit dem Untertitel The Twilight: A Romance of China in 1930 versehen.201 Der englische Untertitel, der tatsächlich im Druck erschien, auch wenn er heute von chinesischen Ausgaben unterschlagen wird, verweist auf eine »Götterdämmerung« von »Feudalismus« und Kapitalismus, weshalb die Eingangsszene, ja der erste Satz des Romans nicht zufällig eine untergehende Sonne am Bund von Schanghai zeigt. Mao Dun entfaltet jedoch nicht simpel die Apokalypse der damaligen Welt, wo die nationale Bourgeosie und die nationale Industrie im Angesicht von Imperialismus, Bürgerkrieg und Aufstand der Massen zum Untergang verurteilt sind. Er erzählt viele Geschichten auf unterschiedlichen Ebenen, die sich erst im Zusammenhang erschließen. Schanghai im Zwielicht ist auch der Roman eines mal offensichtlichen, mal 199

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Da ich meine frühere Deutung des Romans nicht wiederholen möchte, sei auf eine der zahlreichen Arbeiten von FRITZ GRUNER verwiesen, die mir seinerzeit hilfreich gewesen sind: »Der Roman Tzu-yeh [d.i. Ziye] von Mao Tun [d.i. Mao Dun] – Ein bedeutendes realistisches Werk der neuen chinesischen Literatur«, in: Asian and African Studies XL (1975), S. 57–72. MARIÁN GÁLIK: »The Messenger of the Gods: Mao Tun [d.i. Mao Dun] and the Introduction of Foreign Myths to China«, in: Tamkang Review Bd. XXIII (1992/93), S. 639–669. Marián Gálik: »Merchants and ›Mercenarie‹ in the Twilight of China in the 1930s«, in: JOSA 24 (1992), S. 1–14.

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verhaltenen Geschlechterkampfes. Der Kampf eines Mannes und einer Frau bildet gleichsam einen von den vielen Rahmen des Romans. Das Brevier von Lohn und Strafe ist der Kanon der Vergangenheit, es ist der Kanon der Tradition, der Gentry, des Mannes. Am Ende des Romans spielt noch ein anderes Werk eine wesentliche Rolle, das den Gang der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ereignisse stets begleitet hat. Es sind Goethes Leiden des jungen Werther. Dies damals wie heute in China überaus erfolgreiche und folgenschwere Werk202 ist gleichsam der geheime Seelenführer von Smaragd, der Gattin des gescheiterten Helden Wu Sunfu. Das Brevier hat ausgedient, der Protagonist ist in seinem Kampf gegen »Gott und die Welt« seinen Widersachern erlegen. Auch über dem Geld, dem nervus rerum, scheint eine andere Botschaft zu triumphieren, die Botschaft der leidmütigen Jugend, die an einem anderen Leben festhält, einem Leben in der Erinnerung. Nur hier gibt es Erfüllung. Die Angelegenheit ist jedoch komplizierter: Auch die Jugend gehört zu den treibenden Kräften des Romans, die Niedergang befördern und eine neue Welt heraufbeschwören. Licht und Finsternis spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Mächte der Finsternis müssen light, heat, power, den Mächten des Lichts, weichen. Dies besagt der Titel des Romans, dies legt auch die Eingangsszene unmißverständlich nah. Mao Dun spinnt also in gewisser Hinsicht den Sonnenmythos eines Guo Moruo weiter. Und auch wenn die chinesische Literaturkritik diesen Gang der Dinge pro domo interpretiert, tut sie dies nicht unintelligent: Sie sieht in dem Erzählvorgang den Determinismus eines Zola eingeflochten, und zwar als Sprungstein zum Kommunismus, die Zwischenstation bilde der Humanismus eines Tolstoi. Dieser Determinismus besage nichts anderes als den unaufhaltsamen Untergang der »bürgerlichen« Gesellschaft, der um der künftigen humanitären Ideale willen notwendig sei. Der Intellektuelle, der sich im tolstoischen Sinne zu wandeln habe, könne nun als »Junger Mann« nur aus der Schicht stammen, zu deren Untergang er das Volk anführe. Dies sei der Grund, warum die Jugend der »bürgerlichen« Schicht die Romanwelt Mao Duns so sehr bevölkere. So gesehen wird der Erzähler zum Moralisten oder Propheten, ist Literatur immer noch ein Mittel zur Erweckung des Volkes. Mao Dun scheint sich mit der Sache der Frau so sehr identifiziert zu haben, daß er unter seinem Namen den Roman Regenbogen (Hong, 1930)203 veröffentlich hat, der – wie man heute erst weiß – von seiner damaligen Partnerin stammte. Er behandelt das Thema der Zeit, den Weg einer jungen Frau von der Liebe zur Revolution (1919–1925). Die Sache der (weiblichen) Emanzipation war zwar nach 1919 gleicherweise eine Angelegenheit von Mann und Frau, doch hat niemand radikaler und 202

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Hierzu ist viel gearbeitet worden, am ausführlichsten von BARBARA ASCHER: Der chinesische Werther, Phil. Diss Universität Wien 1994, 228 S. Aus der als ganzes nie publizierten Dissertation hat die Verfasserin das eine oder andere Kapitel gesondert veröffentlicht. MAO DUN: Regenbogen, deutsch von MARIANNE BRETSCHNEIDER, Berlin: Volk und Welt 1963. Zur Deutung s. MARIÁN GÁLIK: »Persephone, Pandora und Fräulein Mei. Mythopoetische Vision im klassischen griechischen Mythos und im modernen chinesischen Roman«, in: minima sinica 2/1993, S. 47–63.

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künstlerisch überzeugender das Problem der Befreiung aus der männlichen Knechtschaft thematisiert als Ding Ling. Auch wenn die Sekundärliteratur zu dieser Autorin inzwischen stattliche Ausmaße angenommen hat, sind dennoch manch wichtige Originaltexte bislang nicht übersetzt, sind Arbeiten zu ihr in chinesischer Sprache großenteils indiskutabel. Auch was die amerikanische Sinologin Tani Barlow204 in beeindruckender Weise seit mehr als zwanzig Jahren zur Feministin Ding Ling zu sagen hat, hat wenig Schule gemacht. Das Werk der Ding Ling läßt sich grob in drei Phasen einteilen. Das Frühwerk umfaßt die Jahre 1927–1931. Hier entstehen die bis heute berühmtesten Erzählungen wie »Das Tagebuch der Sophia« (»Shafei nüshi de riji«, 1928).205 Allgemeines Thema ist der Zwiespalt von Wille und Vorstellung, der auf spezifische Art die weibliche Innenwelt konstituiert. Nach der Erschießung ihres Lebenspartners Hu Yepin (1905– 1931)206 durch die Schergen der Guomindang hat Ding Ling den Schritt vollzogen, den sie auch für ihre Heldinnen angeraten erscheinen ließ, nämlich den von der Liebe zur Revolution. In dieser zweiten Phase (1932–1942) wird die Innenperspektive durch eine Außenperspektive erweitert. Es geht nicht mehr um die willenskranke Frau in einem Zimmer für sich allein, sondern um die aktive Frau bewußt und mitten in der Gesellschaft. Als beispielhaft mag hier der Roman Jahreszeiten einer Frau (Muqin, eig. »Mutter«, 1932–33)207 Erwähnung finden. Man mag dieser Phase den Mantel der »proletarischen Literatur« umhängen, doch ist die Großzahl der in dieser Zeit entstehenden Werke alles andere als vordergründig »proletarisch«. Selbst in Yan'an, der späteren Hochburg des aufkeimenden Maoismus, fallen ihre Werke nachdenklich und radikal aus. Ding Ling büßt ihre eigentliche Bedeutung erst mit der letzten Phase ein, die sich in zwei Abschnitte gliedern läßt: Nach 1942, dem Zeitpunkt einer ideologischen Kritik ihres Schaffens, verficht sie bis 1956 einen sozialistischen 204

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Vgl. etwa TANI E. BARLOW: »›Gedanken zum 8. März‹ und der literarische Ausdruck von Ding Lings Feminismus«, in: KUBIN: Moderne chinesische Literatur, S. 283–312; DIES.: The Question of Women in Chinese Feminism, Durham u. London: Duke UP 2004, S. 127–189 (Frühwerk), S. 190–252 (Yan'aner Werk). DING LING: Das Tagebuch der Sophia, aus dem Chinesischen vom ARBEITSKREIS MODERNE CHINESISCHE LITERATUR, Frankfurt: Bibliothek Suhrkamp 1980; Neuauflage 1987 Weißes Programm, erweitert durch ein Nachwort von WOLFGANG KUBIN. Zur Geschichte des Namens Sophia s. RAOUL DAVID FINDEISEN: »Anarchist or Saint? On the Spread of ›Wisdom‹ (Sophia) in Modern Chinese Literature«, in: Asiatica Venetiana 3 (1998), S. 91–104. Zur Interpretation der Erzählung siehe auch HÄSE: Einzug in die Ambivalenz, S. 42–46. Zur Übersetzung im Englischen s. DING LING: Miss Sophia’s Diary and Other Stories, übersetzt von W.J.F. JENNER, Peking: Panda Books 1985. Zu seinem (proletarischen) Werk s. RODERICH PTAK: Hu Yeh-p'in und seine Erzählung »Nach Moskau«, Bad Boll: Klemmerberg 1979. DING LING: Jahreszeiten einer Frau, aus dem Chinesischen von MICHAELA HERRMANN, mit einem Nachwort von WOLFGANG KUBIN, Freiburg u.a.: Herder 1991. Zur Deutung s. TANI E. BARLOW: »Gender and Identity in Ding Ling’s Mother«, in: Modern Chinese Literature 2.2 (Herbst 1986), S. 123–142.

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Realismus, ehe sie nach ihrer Rehabilitierung 1979 zu gemäßigten feministischen Positionen aus der Verbannung zurückkehrt.208 Verallgemeinernd läßt sich sagen, daß das Gesamtwerk der Ding Ling drei wesentliche Problemfelder berührt: die weibliche Sexualität, das weibliche Bewußtsein, die weibliche Gemeinschaft. Es geht kurz gesagt um eine Kritik an der männlichen Verfügung über die Frauen und um die Grundlegung eines weiblichen Selbst. Dabei ist es immer wieder die Liebe, die beide Unternehmen gefährdet und das modern girl in Hysterie sowie Neurasthenie drängt. Ist in der Frühphase der Ding Ling die Frau allein wahre Partnerin einer Frau, so bietet sich in den folgenden Phasen des schriftstellerischen Schaffens auch die Aussicht auf die (kommunistische) Revolution als Möglichkeit zur Beseitigung von Unterdrückung und zur Überwindung der Willenskrankheit an. Ding Ling hat mit ihrem zwischen 1927 und 1942 verfaßten Werk ein gewaltiges Erbe hinterlassen. Sie hat früh Dinge erkannt, die sie später nicht mehr unmittelbar auszusprechen wagte und um die sich die Literaturwissenschaft herumdrückt, als da sind: Das Geschlecht bestimmt alles, der Mann ist auch unter sozialistischen Bedingungen ein Patriarch, weibliche Sexualität wird weiterhin durch die Ehe vereinnahmt und kann sich letztlich nur von Frau zu Frau erfüllen. Trotz aller ideologischen Zurüstung und Zuspitzung gelingt es den Erzählern in dieser Zeit, einen je für sie typischen Raum zu schaffen. Im Fall von Mao Dun war dies der Raum der Metropole und des »Bürgertums«, im Falle von Lao She ist es der von Peking und seinen kleinen Leute. Die chinesische Haupstadt ist erst jüngst einem Modernisierungswahn zum Opfer gefallen und hatte bis Ende der 80er Jahre jenes Flair der Gassen (hutong) und der Muße bewahren können, das Lao She so unnachahmlich einzufangen gewußt hat. Der einzige, der es ihm in dieser Hinsicht nachzutun vermochte, ist Lin Yutang mit seinen englischsprachigen Büchern zum Geist der chinesischen Kultur. Man spricht hier von jingwei bzw. von Beijingweir, vom Hauptstadtflair bzw. vom Pekinger Flair, und von jingwei xiaoshuo, von der Pekinger Erzählkunst. Es ist dieser Stil und keinesfalls ein Plot, der den Autor so lesenswert macht. Bis heute gehört Lao She zu den wenigen Schriftstellern Chinas, die ein Empfinden für eine Stadt und eine künstlerische Form zu deren Beschreibung entwickelt haben. Viele chinesische Erzählwerke spielen nämlich in so abstrakten Räumen, daß der Leser den Eindruck gewinnt, die Autoren seien nie vor Ort gewesen. Der Grund, warum Lao She so anders ist, mag darin zu suchen sein, daß der Autor eine ästhetische Welthaltung einnimmt, welche für Peking so kennzeichnend war. Andere Orte mögen durch eine »geschäftliche« Einstellung, andere Autoren durch eine ideologische Sicht geprägt (gewesen) sein: Humor, Muße und Genuß, kurz, die Art eines Beamten 208

Einen literarischen Überblick über diese drei Schaffensphasen bietet die Sammlung DING LING: Hirsekorn im blauen Meer. Erzählungen, aus dem Chinesischen von YANG ENLIN und KONRAD HERRMANN, Köln: Pahl-Rugenstein 1987. Zum Spätwerk der Ding Ling (hier zu Du Wanxiang) s. JUDITH FARQUHAR: Appetites. Food and Sex in Post-Socialist China, Durham u. London: Duke UP 2002, S. 167–171.

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(guanyang) schien einzig der Schicht vorbehalten, die in Peking seit Jahrhunderten regierte. Was in den Augen von Lu Xun und anderen das Unheil Chinas ausmachte, die Etikette, die geziemende Rede, die Bildung und die Sanftmütigkeit (wenrou), hier waren sie der ganze Stolz eines Schriftstellers. Lao She hatte jedoch nicht nur einen Blick für die oberen Zehntausend, sondern auch für die Unterschichten. Peking bestand für ihn auch aus den Bruchbuden (zayuan), nicht allein aus den idyllischen Hofhäusern (siheyuan) und den malerischen Gassen (hutong). Sein Augenmerk galt den Menschen in einer Stadt, die von einer Kultur der Gleichmut geprägt war: Humor, das war für den Erzähler wie für den Städter oftmals ein Lachen oder Lächeln (xiao), das die Stelle des Zornes (fen) einnahm. Das Wesen des Chinesen, der Volkscharakter in einer bestimmten historischen Situation, das war das übergreifende Thema unseres Autoren. Lao She nimmt eine Sonderstellung ein. Der 4. Mai ist nicht seine geistige Heimat, die Trends der 20er und 30er Jahre sind an ihm vorübergegangen. Daß es ihm dennoch gelungen ist, nicht in den Ruch eines Heimatdichters zu geraten, hängt mit seiner Internationalität zusammen. Er ist in England (1924–1928) zum Schriftsteller geworden209 und hat in den USA (1946–1949) den Durchbruch zum international anerkannten Autoren geschafft. Der Aufenthalt an der Londoner School of Oriental and Asian Studies, wo er als Lektor Chinesisch unterrichtet, gibt ihm die Gelegenheit, grundsätzlich über die westliche Kultur und die Stellung des Chinesen in der Welt nachzudenken. In England entstehen die dann oftmals später publizierten Romane Die Philosophie des Alten Zhang (Lao Zhang de zhexue, 1928), Meister Zhao sagt (Zhao Zi yue, 1926) und Chinesen in London (Er Ma, 1929).210 In allen drei Fällen haben wir es mit dem Genre der Farce zu tun, die Lao She als erster in China einführt. Er macht sich ebenso über den alten Pekinger lustig wie über den Auslandschinesen. Seine Art von Humor speist sich hauptsächlich aus der Bekanntschaft mit der englischen Literatur und da insbesondere mit Charles Dickens.211 Die allgemein konstatierte Plotschwäche des Autors geht jedoch auf den Einfluß der chinesischen Erzählertradition zurück. Lao She gefällt sich oft im Erzählen von Episoden, mit ihm kehren auch herkömmliche Frauenbilder212 zurück, die sich mittelalterlichen Handbüchern zur Sexualkunde verdanken. 209

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211

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Zu seinem Aufenthalt in London s. ROBERT A. BICKERS: »New Light on Lao She, London, and the London Missionary Society, 1921–1929«, in: Modern Chinese Literature 8.1/2 (Frühling/Herbst 1994), S. 21–39. Zu dieser frühen Phase s. ZBIGNIEW SŁUPSKI: »The Work of Lao She During the First Phase of his Career«, in: PRŮŠEK: Studien zur modernen chinesischen Literatur, S. 77–95. Die deutsche Gesamtübersetzung von Er Ma liegt vor unter LAO SHE: Eine Erbschaft in London, aus dem Chinesischen von IRMTRAUD FESSEN-HENJES, Berlin: Volk und Welt 1988. Zum Original s. Lao She wenji, Bd. 1, Peking: Renmin 1984, S. 397–646. CYRIL BIRCH: »Lao She: The Humourist in his Humour«, in: The China Quarterly 8 (1964), S. 45–62. SILVIA KETTELHUT: Nicht nur der Rikschakuli. Frauendarstellung und Geschlechterverhältnis im Werk Lao Shes, Frankfurt u.a.: Peter Lang 1997.

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Auch wenn sich Die Philosophie des Alten Zhang in China großer Beliebtheit erfreute, wurde Lao She im Westen doch erst mit jenen Werken bekannt, welche er nach seiner Rückkehr aus London verfaßt hat. Gleichwohl bieten die frühen Werke nach wie vor bedenkenswerte Passagen. Dies gilt vor allem für die Problematik des Kulturschocks. Lao She, der sich, geboren als Shu Qingchun, ein christliches Pseudonym gab – Lao She ist wörtlich der Alte, der sein Ich fahren läßt –, karikiert immer wieder gern Auswüchse des Christentums. So auch in Chinesen in London. Am Beispiel von Pastor Evans und einer Mrs. Winter, die als Mieter Chinesen aufgenommen hat, parodiert er Chinabilder im Ausland. Dabei entwirft er aber selber wieder nur ein Bild von diesen Bildern! Wenn er etwa Hunde und Chinesen, Chinesen und Opium, Tee und Reis oder die chinesische Sprache zum besonderen Gegenstand eines Gespräches in einem Londoner Salon macht, dann verläßt der Erzähler kaum den Rahmen der Stereotypen.213 Dem Roman geht es jedoch um mehr als um westliche oder chinesische Unsitten, es geht ganz wesentlich um den Unterschied von China und dem Westen, vor allem um die Frage der Unter- und der Überlegenheit. Der Erzähler legt dem jüngeren Ma die folgenden Reflexionen214 in den Mund: »Die Imperialisten spielen sich nicht grundlos auf!« sagte Ma wie zu sich. »Sie haben nicht nur anderen Grund und Boden geraubt und das Land zerstört, sie nehmen einem wirklich alles, um es noch gründlicher zu erforschen. Tiere, Pflanzen, Geographie, Sprache, Sitten und Gebräuche, alles erforschen sie, darin liegt die Gefährlichkeit der Imperialisten. Sie haben nicht nur die militärische Übermacht, sondern verfügen auch über einen sehr hohen Wissensstand! Wissen und militärische Stärke! Ihre militärische Stärke kann eines Tages zunichtegemacht werden, aber Wissen ist immer notwendig! Die Engländer sind gefährlich, und gleichzeitig doch so bewundernswert!«

Sieht man einmal vom Klischee des Imperialismus ab, so arbeitet der Erzähler zwei wesentliche Unterscheidungsmerkmale von China und Europa heraus. In der Gestalt des Alten Ma kristallisiert sich die Kunst des psychologischen Sieges, das heißt, die Gabe, aus Niederlagen selbstbewußt und gestärkt als Gewinner hervorzugehen.215 Dagegen setzt der Erzähler die Arbeits- und Schulungsmoral des Westens: hard work, Erziehung und Bildung. Diese Art von Kulturkritik hat Lao She nach seiner Rückkehr nach Peking in verschiedenen Romanen weiter fortgesetzt. Im Gegensatz zu China fand sein einziger Beitrag zum Genre Science fiction sehr viel Beachtung im Westen. Die Stadt der Katzen (Maocheng ji, 1933) ist auch ins Deutsche übersetzt worden.216 Dieser »Be213

214 215 216

PETRA GROßHOLTFORTH: Chinesen in London. Lao She’s Roman »Er Ma«, Bochum: Brockmeyer 1985 (= Chinathemen; 24), S. 129–132, 140–141. Ebd., S. 156; Lao She wenji, Bd. 1, S. 584. Vgl. z.B. die Episode bei GROßHOLTFORTH: Chinesen in London, S. 115–116. LAO SHE: Die Stadt der Katzen. Phantastischer Roman, aus dem Chinesischen u. mit einem Nachwort von VOLKER KLÖPSCH, Frankfurt: Suhrkamp 1985 (= st; 1154). Zur Deutung s.

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richt« (ji) aus dem Land der Katzen setzt die Katzenmenschen (maoren) bzw. das Katzenvolk (maomin) mit den »Töchtern und Söhnen des alten China« gleich. Auch hier entwirft Lao She in der Nachfolge von Lu Xun den Chinesen als Herrn Jedermann (A Q), der – ängstlich wie ein Hase, gerissen wie ein Fuchs – sich vor allem Schwachem stark gibt wie ein Löwe. Das Mittel der Selbstbetäubung ist allerdings nicht der psychologische Sieg, sondern ein Phantasiekraut (miye), das als Nationalspeise zur täglichen Ernährung dient. Die Lebendigkeit, die es bewirkt, ist die Lebendigkeit von Sterbenden, die in ihrer Schaulust von Schauerszenen nicht wissen, daß sie nur ein Gleichnis wahrnehmen. Obwohl Lao She nicht vom 4. Mai herzukommen scheint, leistet er mit diesem Werk doch einen Beitrag zur Aufklärung. Hie und da gewinnt man den Eindruck, seine Kritik gilt dem linken wie dem rechten Lager gleichermaßen: »Freiheit« als »Kunst des Tötens«217, »nationale Seele« als Sache des Geldes, »Parteiensystem« als Möglichkeit des Kampfes gegeneinander. Manches scheint auch zeitlos gültig, so wenn etwa das Katzenreich als Land des Graus geschildert wird, eine Erfahrung, die sich je nach Wetterstand in Nord- wie in Südchina machen läßt.218 Ich sah einen grauen Himmel. Nicht wolkenverhangen, sondern in sich grau. Die Sonneneinstrahlung mußte beachtlich sein, denn es kam mir sehr heiß vor; diese Hitze ging von keiner Helligkeit aus, war bloße Hitze ohne gleißende Strahlen. Die Last und die Hitze, das Bedrückende und Erstickende dieser grauen Atmosphäre ringsum, waren für mich wie mit Händen greifbar. Es lag auch nicht am Staub, denn der Blick in die Ferne war ungetrübt und ein Sandsturm somit auszuschließen. Die Sonnenstrahlen schienen sich in dem Grau zu brechen und zu verlieren, so daß die ganze Welt wie eingetaucht aussah in dieses silbergraue Licht. In Nordchina herrscht während der sommerlichen Trockenheit eine vergleichbare Atmosphäre, wenn die Wolken nutzlos am Himmel treiben und die Kraft der Sonne ein wenig mildern, es aber dennoch sengend heiß bleibt. Das Grau hier war allerdings noch dumpfer und drückender, fast spürte man es auf den Wangen. Wenn sich des Nachts in den Bohnenquarkläden die Hitze staut und nur eine vereinzelte Ölfunzel ihr fahles Licht in den heißen Dampf verbreitet, so kam das dieser Welt am ehesten nahe. Die Luft verursachte mir Beklemmungen. In der Ferne erhoben sich einige Hügel, auch sie grau, wenn auch ein wenig dunkler vor dem Horizont; da die Sonne ja schien, lag auf dem Grau der Hügel ein rötlicher Glanz wie auf dem Hals von wilden Tauben. »Das Land des Graus«, ging es mir damals durch den Kopf.

Hier wird, typisch für Lao She, ein Phänomen des Alltags zu einem Mittel der Charakterisierung eines Volkes und Landes. Im Herkömmlichen zeigt sich das Besondere.

217

218

KOON-KI TOMMY HO: »Cat Country: A Dystopian Satire«, in: Modern Chinese Literature 3.1/2 (Spring/Fall 1987), S. 71–89. Zum Original s. Lao She wenji, Bd. 7, S. 307–468. Vgl. z.B. die entsprechende Passage im sechsten Kapitel von LAO SHE: Die Stadt der Katzen, S. 31–32; Lao She wenji, Bd. 7, S. 330–331. LAO SHE: Die Stadt der Katzen, S. 9; Lao She wenji, Bd. 7, S. 311–312.

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Als bestes Beispiel für diese Technik gilt der Roman Scheidung (Lihun, 1933)219. Er setzt mit der Lebensphilosophie des Ehevermittlers Zhang Dage ein, der die Scheidung ebenso wie die moderne Ehe als Extreme ansieht, die es um der gefälligen Harmonie willen zu meiden gilt. Insofern haben auch die Riten einen Vorrang vor allem Politischen. Lao She erweist sich einmal mehr als ein Meister des Humors, der warmherzig den Menschen ihre Schwächen zugesteht.220 Die heilige Mission, der Bruder Zhang sein Leben geweiht hatte, war: Heiraten vermitteln und Scheidungen verhindern. Seiner Ansicht nach gab es für jedes Mädchen den dazugehörigen Mann und für jeden Burschen die passende Frau. Wo aber konnte man den Partner finden? Zhang Dage war in der Gesamtheit seiner Person Mikroskop und Waage zugleich. Entdeckte er unter dem Mikroskop ein Mädchen, das einige Pockennarben im Gesicht hatte, so fand er im Nu aus dem Menschenmeer einen Mann heraus, der leicht stotterte oder vielleicht ein wenig kurzsichtig war. Auf der Waage heben sich Pockennarben und Kurzsichtigkeit genau gegeneinander auf und ergeben ein geradezu ideales Paar. Kurzsichtigkeit übersieht leicht Pockennarben, und das pockennarbige Fräulein wird keine Lust haben, den Ehemann zu einer Brille zu überreden; also werden sofort – falls sich das überhaupt als nötig erweisen sollte – Porträtfotos ausgetauscht; es muß klappen, ein Reinfall kommt gar nicht in Frage.

Lao She war ein äußerst produktiver Schreiber. Zu unterschiedlichen Zeiten hat er unterschiedliche Meisterwerke hinterlassen, so daß er eigentlich nicht in einem Atemzug mit einem einzigen repräsentativen Werk genannt werden sollte. Trotzdem ist er der Mehrheit hauptsächlich als der Verfasser des auch verfilmten Romans Rikschakuli (Luotuo Xiangzi, 1937)221 bekannt. Der Held Luotuo Xiangzi, der Glückspilz mit den Kamelen, entstammt der Pekinger Unterschicht, die Lao She ohne ideologische Scheu wie kein zweiter einzufangen wußte. Sein Lebensziel ist der Erwerb einer eigenen Rikscha. Eine eigene Rikscha, das ist für ihn wie der Besitz eines Stückes Land oder die Beziehung zu einer Frau. So wird die zweite Rikscha seines Lebens zum Beispiel als »kleine Witwe« betrachtet, ein Vehikel ist also eine so ernste Sache wie Heirat und Wiederheirat. Die Rikscha gewinnt damit Zeichencharakter: Aufstieg und Fall eines einfachen Mannes, den das Glück betört und das Unglück hinrafft, sind darin inbegriffen. Der Roman ist in verschiedenen Fassungen überliefert und steht damit unterschiedlichen Interpretationen offen. So oder so haben wir es mit einer Tragödie und 219

220 221

Deutsch als LAO SHE: Die Blütenträume des Lao Li, aus dem Chinesischen von IRMTRAUD FESSEN-HENJES, Berlin: Volk und Welt 1984. Zum Original s. Lao She wenji, Bd. 2, S. 147–367. Zum folgenden s. LAO SHE: Die Blütenträume des Lao Li, S. 5; Lao She wenji, Bd. 2, S. 149. LAO SHE: Rikschakuli, aus dem Chinesischen von FLORIAN REISSINGER, Frankfurt: Insel 1987. Zur Deutung s. CHING-KIU STEPHEN CHAN: »Split Consciousness: The Dialectic of Desire in Camel Xiangzi«, in: Modern Chinese Literature 2.2 (Herbst 1986), S. 171–195. Zum Original s. Lao She xuanji, Chengdu: Sichuan Renmin 1982, S. 1–243.

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nicht mit einer Komödie zu tun. Die Frage ist nur, auf welcher Seite steht der Erzähler? Nach dem ursprünglichen Schluß zu folgern, keinesfalls auf der Seite unseres Helden. Wir lesen:222 Der anständige, strebsame, träumerische, auf eigenen Vorteil bedachte, individualistische, starke, großartige Xiangzi geleitete ungezählte Fremde zu Grabe. Wann und wo würde er sein eigenes Grab schaufeln? Xiangzi, diese heruntergekommene, egoistische, glücklose Ausgeburt eines kranken Wurfs der Gesellschaft, irrlichternder Geist eines in der Sackgasse des Individualismus Verendeten!

Nehmen wir diese Kritik für bare Münze, so verbirgt sich hinter der Gestalt des Xiangzi mehr als nur ein Einzelschicksal. Es ginge dann ganz im Geist der damaligen Zeit um das grundsätzliche Problem, ob eine Erlösung Chinas und seines Volkes aus der Kraft des einzelnen überhaupt möglich sei. Die Absage an den Einzelkämpfer Xiangzi ist eine Absage an den Individualismus des 4. Mai, die seinerzeit gang und gäbe war. Es ist nur konsequent, wenn Lao She sich wenig später ganz in den Dienst der nationalen Sache stellt und die Künste dem Zweck eines Kampfes gegen Japan unterzuordnen beginnt.223 So lautet zum Beispiel die Botschaft des Romans Vier Generationen unter einem Dach (Sishi tongtang, 1946)224, daß der einzelne sich um Chinas Erneuerung willen zu opfern habe. Gleichwohl kommt der kritische Schluß von Rikschakuli überraschend, hat doch der Erzähler seinen Helden gleichsam liebevoll durch sein Unglück hindurchbegleitet und dank seiner Irrfahrten ein immer wieder grandioses Bild von Peking entwerfen können. Man betrachte einmal die ausführliche Beschreibung des sommerlichen Beiping, das ist Peking. Sie schließt nach Aufführung aller möglichen volkstümlichen Vergnügungen mit dem folgenden Kommentar:225 Überall konnte man sich amüsieren, überall war etwas los, gab es etwas für Augen und Ohren. Wie ein göttliches Zeichen verlieh die frühsommerliche Hitze jedem Flecken dieser alten Stadt eine verführerische Kraft. Diese Stadt kümmerte weder Tod, noch Unglück oder Leid. War es an der Zeit, versetzte sie dank der ihr eigenen Kraft Millionen Herzen in Schlaf, sang wie im Traum ihre Hymne. Sie war schmutzig, sie war schön, war altersschwach, lebendig, chaotisch, gelassen, liebenswert, sie war das große frühsommerliche Beiping.

222 223

224

225

LAO SHE: Rikschakuli, S. 306; Lao She xuanji, Bd. 1, S. 243. Vgl. hierzu IRMTRAUD FESSEN-HENJES: »Das dramatische Schaffen Lao Shes im antijapanischen Krieg (1937–1945)«, in: Berichte. Arbeiten zur Kultur und Geschichte Ost- und Südostasiens zu Ehren der Professoren Fritz Gruner und Kurt Huber, hg. vom REKTOR DER HUMBOLDT-UNIVERSITÄT ZU BERLIN, Berlin: Druckkombinat o.J., S. 35–49; DAVID WANG: »Lao She’s Wartime Fiction«, in: Modern Chinese Literature 5.2 (Herbst 1989), S. 197–218. LAO SHE: Vier Generationen unter einem Dach, hg. u. aus dem Chinesischen von IRMTRAUD FESSEN-HENJES, Zürich: Unionsverlag 1998. Zum Original s. Lao She wenji, Bd. 4–6. LAO SHE: Rikschakuli, S. 295; Lao She xuanji, Bd. 1, S. 236.

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Trotz aller Vorbehalte der neueren chinesischen Literaturkritik, die dazu neigt, aus ideologischen Gründen der modernen Literatur Chinas ihren Wert abzusprechen, kann bislang konstatiert werden, daß in allen oben aufgeführten Fällen kaum ein Mißverhältnis zwischen Handwerk und Berühmtheit besteht. Man mag zu ihnen stehen, wie man will, aber Erzähler wie Mao Dun, Ding Ling oder Lao She sind Stilisten, die wissen, was sie tun. Anders sieht das im Falle von Ba Jin (geb. 1904) aus, sein anhaltender Ruhm steht in keinem begründeten Verhältnis zu seinem tatsächlichen sprachlichen Vermögen als Schriftsteller. Sein Chinesisch ist weniger von Stilverlangen als von einer emotionalen Wucht geprägt, die damals wie heute junge Leser in den Bann schlägt. Anarchie und Rebellion, Hoffnung und Enttäuschung sind seine großen Themen. Dabei polarisiert der Autor in sehr starkem Maße: Das ist die Jugend und da sind ihre Feinde, das sind die heiligen Rechte und da sind die schnöden Pflichten, da sind als Versprechen Licht und Freiheit und da sind als Vergangenheit und Gegenwart Unterdrückung und Elend. Der große Einfluß und der unübertroffene Erfolg Ba Jins speisen sich aus zwei weiteren Quellen: Er berichtet aus seinem eigenen Leben, das er Literatur werden läßt, er setzt als Mittel eine lyrische Stimmung ein und bedient sich gern des Dialoges.226 Nun muß man gerechterweise sagen, daß sich Ba Jin nie für einen Literaten im eigentlichen Sinne gehalten hat.227 Seitdem ich in das Reich der Literatur eingedrungen bin, habe ich immer wieder betont, daß ich eigentlich kein Literat sei: [...] Ich habe auch nie daran gedacht, mich gefällig und schmuckvoll zu präsentieren, und noch weniger ist mir je in den Sinn gekommen, hübsche Geschichtchen zur Unterhaltung zu liefern. Wie ich früher schon betont habe, brachten mich die Leiden derart vieler Menschen und mein eigenes Unglück zum Schreiben [...]. Es war Rousseau, der mich zuerst in der Romanschreiberei unterwies. Der Autor der Confessiones hat mich gelehrt, aufrichtig zu sein und nicht zu lügen. Meinen Roman Die Familie schrieb ich nur, um die verrottete feudalistische Gesellschaft anzuklagen, um die Grausamkeiten, unter denen junges Leben ständig zu leiden hatte, zu schildern. Literarische Kunstgriffe brauchte ich dazu nicht, ich hatte nur die innere Welt eines Autors und mein ehrliches Gefühl zu vermitteln, um die Leser anzurühren und sie zu ermutigen, nach vorn zu schreiten.

Vielleicht ist es die Aufrichtigkeit, die – auch aus diesen Worten sprechend – die Leser so sehr anzurühren vermag. Ba Jins Programm ist denkbar einfach: Der Autor schreibt um des Lebens willen, um den Leidenden ein Sprachrohr zu sein. Nicht für die Literatur, sondern für die Menschheit möchte er sich ausbrennen. Diesen Gedanken hat er mehrfach geäußert. Am bekanntesten geworden ist vielleicht das folgende 226

227

HUA JIAN: »On the Lyrical Art of Ba Jin’s Novels«, in: Papers of Shanghai Academy of Social Sciences 3 (1990), S. 417–428. BA JIN: Gedanken unter der Zeit, aus dem Chinesischen von SABINE PESCHEL, Köln: Diederichs 1985, S.10–11; BA JIN: Tansuo ji. Suixianglu 2 1980 nian, Hongkong: Sanlian 1981, S. 143.

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Wort: »Ich möchte ein Holzscheit sein. Ich möchte mich im Feuer verzehren, bis ich alle Wärme, die in mir ist, an andere Menschen weitergegeben habe.«228 Insofern belebt er den Anspruch des 4. Mai neu, und vielleicht ist es kein Zufall, daß das Werk, welches ihn bis heute berühmt gemacht hat, den 4. Mai zu seinem eigentlichen Thema hat. Pose und Pathos, auf diese Formel läßt sich das ästhetische Denken des Ba Jin in dieser Phase der chinesischen Literatur bringen. Die großen Worte müssen heute jedoch verdächtig machen. Sein von Zola übernommenes J’accuse229, seine Forderung nach einem »neuen Leben oder einer vollkommenen Zerstörung«, seine naive Verbindung von Rebellion und Rettung gehören einer Zeit an, welche sich damals nicht schlechter denken ließ und sich vor allen Dingen nicht wehrte. Ba Jin, der während der Kulturrevolution viel zu leiden gehabt hat, hat nach 1949 seine Stimme nie mehr so radikal erhoben wie vor 1949. Seine seinerzeitige und immer wieder repetierte Anklage gerät damit zu einem Akt des Verbrechens, weil ein solch vehement vorgetragenes J’accuse gleichzeitig so viele unterlassene Klagen miteinschließt. Es ist leicht, zur Vergangenheit sich zu äußern, aber zur Gegenwart zu schweigen. Die für Ba Jin so typische Vermengung von Leben und Kunst hat vielfache ästhetische Auswirkungen, sie ist nicht nur der Auslöser für die Hinwendung zur Kunst 1928, sondern auch der Grund für die Fülle von Erzählwerken, mit denen unser Autor neben Mao Dun und Lao She zum produktivsten und von der Sekundärliteratur230 am meisten diskutierten Schriftsteller der 30er Jahre wird. Sein vielfach aufgelegter Erstling Untergang (Miewang, 1928)231 verdankt sich der Enttäuschung über die Politik seiner Zeit. Er predigt in der Gestalt des Protagonisten Du Daxin den Haß gegen die bestehende Gesellschaft und empfiehlt ein Märtyrertum: Der eigene Untergang wird zum Untergang der Gesellschaft, wenn nur genug Gleichgesinnte es dem Helden nachzutun bereit sind. Von Haus aus Anarchist, ein Parteigänger von BAkunin und KropotKIN, denen er seinen Namen entlehnt (Ba Kin = Ba Jin), setzt der Autor von Beginn an auf die Jugend und ihre Rebellion gegen die Kriegsherren und gegen die traditionelle Familie.232 Insofern ist Ba Jin besonders während der ersten Phase 228

229 230

231

232

BA JIN: Gedanken unter der Zeit, S. 57; DERS.: Suixianglu, Hongkong: Joint Publishing 1980, S. 82. Ebd., S. 31. S. vor allem OLGA LANG: Pa Chin [d.i. Ba Jin] and his Writings. Chinese Youth between the Two Revolutions, Cambridge, Mass.: Harvard UP 1967; NATHAN K. MAO: Pa Chin [d.i. Ba Jin], Boston: Hall 1978 (= TWAS; 496). Zum Roman s. MAO: Pa Chin, S. 42–49. Ich habe hier und im folgenden oftmals auf die Angabe eines Originalwerks verzichtet, da Ba Jin seine »Gesamt«-Ausgaben immer wieder überarbeitet, d.h. zensiert hat, so daß unklar ist, was in seinem Fall als Original gelten kann. Zur Rolle des Anarchismus in Leben und Werk des Ba Jin s. GOTELIND MÜLLER: China, Kropotkin und der Anarchismus. Eine Kulturbewegung im China des frühen 20. Jahrhunderts unter dem Einfluß des Westens und japanischer Vorbilder, Wiesbaden: Harrassowitz 2001 (= Freiburger Fernöstliche Forschungen; 5), S. 538–541, 595–598, 611–629, 688–690.

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seines Schaffens (1928–1937) ein Schriftsteller der Jugend, die Widerstand und Zerstörung auf ihr Tapet geschrieben hat. Sein anfänglicher Anarchismus weicht jedoch schon sehr bald einem Sentimentalismus, der in seinem bekanntesten Roman voll zu Buche schlägt. Eigentlich wäre Die Familie (Jia, 1931)233 als Teil und Beginn der Trilogie Reißende Strömung (Jiliu)234 zu verstehen, doch haben die nachfolgenden beiden Bände Frühling (Chun, 1938) und Herbst (Qiu, 1940) weder thematisch noch strukturell viel mit dem ersten großen Familienroman der modernen chinesischen Literatur gemeinsam. Überdies wird dieses auch erfolgreich verfilmte Werk stets als Einzelband gelesen und diskutiert. Die drei Liebesgeschichten und damit die Lebensschicksale dreier Brüder machen seinen Plot aus. Diese Brüder haben alle sprechende Namen, sie alle »erwachen« (jue) zu etwas, zur »Einsicht« (hui), zum »Neuen« (xin), zum »Volk« (min). Ihr Erwachen und ihr Aufbruch (geistig wie physisch) bilden die exemplarische Grundlage für den sinnbildlichen Untergang des alten China. Die Familie mit ihrer Harmonievorstellung von vier Generationen unter einem Dach ist nach konfuzianischem Selbstverständnis der Garant und die Stütze des Staates. Wer Hand an die Familie legt, legt Hand an den Staat, und gleichzeitig legt er Hand an die überkommene Tradition. Hierin ist vielleicht der wichtigste Grund für die große Wirkung des Romans zu sehen. Ba Jin ist kein Analytiker, er verdankt viele seiner Einsichten seinem »Lehrmeister« Lu Xun. Er bebildert die Tragödie der Herrschaft, die Macht des Geldes und die Rolle des Zufalls nur anders. Er folgt Schemata, die er sentimental anreichert. Zwangsläufig stehen sich Konfuzianismus und 4. Mai unversöhnlich gegenüber, daraus ergibt sich notwendig der Gegensatz von Alter und Jugend, von Mann und Frau, von Wissenschaft und Aberglaube. Ba Jin schreibt aus der Rückschau, der 4. Mai ist längst passé, niemand liest mehr die Bücher, die Juehui, die Personifizierung des 4. Mai, liest! Man ist schon Jahre zuvor zu einem kollektiven Verständnis von Rebellion aufgebrochen. Juehui ist Einzelkämpfer, typisch ist seine norahafte Pose am Ende des Romans: Er geht fort, denn er hat große Ziele. Er will sein eigener Herr sein, er will Schmied seines eigenen Glücks werden und sieht sich als Zerstörer der alten Ordnung: »Unsere Familie braucht einen Rebellen.« Dies sind starke Worte, aber sie werden bis heute gern gehört, ganz so, als wäre die traditionelle chinesische Familie tatsächlich das einzige und letzte »Gefängnis und Grab der Jugend« gewesen. Die propagierte Rebellion hat selbstverständlich etwas mit der freigewählten Liebe zu tun, welche die arrangierte Ehe ablösen sollte, bis heute aber nicht unbedingt abgelöst hat. Diese Liebe entstammte als »Ruf der Jugend« meist der abendländischen 233

234

BA JIN: Die Familie, aus dem Chinesischen von FLORIAN REISSINGER. Mit einem Nachwort von WOLFGANG KUBIN, Berlin: Oberbaum 1980. Die Übersetzung erfolgte nach BA JIN: Jia, Shanghai: Kaiming 311949. Der von den Künsten Ballet, Film, Theater vielfach verarbeitete Roman liegt auf deutsch auch in einer früheren Fassung vor: BA DJIN: Das Haus des Mandarins, aus dem Chinesischen von JOHANNA HERZFELDT, Rudolfstadt: Greifenverlag o.J. OLGA LANG: »Die chinesische Jugend zur Zeit der 4.-Mai-Bewegung. Ba Jins Romantrilogie ›Reißende Strömung‹«, in: KUBIN: Moderne chinesische Literatur, S. 328–346.

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Literatur, und so ist es nicht verwunderlich, wenn Juehui zu Ivan Turgenevs (1818– 1883) Roman Am Vorabend (1860) greift, um die Brüder über das Wesen der Liebe zu belehren:235 Juehui nahm den Band »Vorabend« und ließ sich auf einem Stuhl an der Wand nieder. Aufs Geratewohl schlug er eine Seite auf und begann, vor sich hin zu lesen: »›Liebe ist ein großes Wort und ein großes Gefühl. Doch von welcher Liebe sprichst du?‹ ›Von welcher Liebe? Ganz egal, von welcher. Meiner Meinung nach besteht da kein Unterschied. Wenn du dich verliebt hast, dann liebe von ganzem Herzen!‹« Juexin und Juemin sahen ihn erstaunt an, aber er hatte es nicht bemerkt und las mit unveränderter Stimme: »›Nichts gibt es außer der lodernden Hoffnung auf Liebe, der lodernden Hoffnung auf Glück!‹ ›Wir sind jung, sind weder verschroben noch dumm, wir müssen für unser eigenes Glück kämpfen!‹« Hitze schoß in ihm hoch, seine Hände zitterten vor Erregung, er konnte nicht weiterlesen. Er schloß das Buch und nahm ein paar kräftige Schluck Tee.

Ganz gleich, wie man Mao Dun, Lao She, Ba Jin als Erzähler einstufen mag, ihr gesellschaftspolitischer Bezug ist in all ihren Werken unverkennbar. Dies ist bei dem vierten großen anerkannten Romancier der 30er Jahre, bei Shen Congwen (1902– 1988)236, nicht unmittelbar der Fall. Doch man darf sich nicht täuschen lassen: Hinter den beiden Merkmalen seines Erzählens, hinter der scheinbaren Apathie gegenüber den Schrecken der Gegenwart und hinter der offensichtlichen Verklärung der bäuerlichen Welt lauert ebenfalls das Politische. Shen Congwen ist der wichtigste Vertreter der sogenannten Pekinger Schule und ist erst sehr spät mit dem 4. Mai in Berührung gekommen. Als überzeugter »Mann vom Lande« (xiangxiaren) – er stammte aus Westhunan – stand er mit seinem Werk gegen die Moderne. Die vielgepriesene Zivilisation war seiner Meinung nach nichts anderes als »eine Krankheit der Metropolen«, »eine Krankheit des Wissens« und »eine Krankheit der Kultur«. Das Land verkörperte daher für ihn eine Passion, die in den Städten verlorengegangen war, eine 235 236

BA JIN: Die Familie, S. 109. Vgl. Ba Jin wenji, Hongkong: Nankwok 1970, Bd. 4, S. 108–109. Zu seinem Leben und Werk s. vor allem HUA-LING NIEH: Shen Ts'ung-wen [d.i. Shen Congwen], New York: Twayne 1972 (= TWAS; 273); JEFFREY C. KINKLEY: The Odyssey of Shen Congwen, Stanford: Stanford UP 1987; WANG: Fictional Realism in the 20th Century China, S. 201–289; FRANK STAHL: Die Erzählungen des Shen Congwen. Analysen und Interpretationen, Frankfurt u.a.: Peter Lang 1997; ANKE HEINEMANN: »Die Liebe des Schamanen« von Shen Congwen. Eine Erzählung des Jahres 1929 zwischen Ethnographie und Literatur, Bochum: Brockmeyer 1992 (= Chinathemen; 72). Zur Rolle der Ehefrau bei der Edition der Werke des Autors s. RAOUL FINDEISEN: »›Cherchez la femme‹: Eine kritische Hommage an die Schriftstellerin Zhang Zhaohe (1910–2003), Nachlassverwalterin von Shen Congwen (1902–1988)«, in: LEUTNER u. DAMM: Chinesische Literatur, S. 41–58.

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zwangsläufige »Askese« hatte hier eine Erschlaffung des chinesischen Volkes eingeleitet. Der unverbildete Mensch seiner Heimat war ihm daher Vorbild für den Wiederaufstieg der chinesischen Nation. Da Shen Congwen jedoch erst nach seiner Ankunft in Peking (Winter 1922) zu schreiben begann, schrieb er notwendigerweise aus der Erinnerung, er rekonstruierte damit eine Vergangenheit, die er unter dem Diktat eines unveränderlichen Kreislaufes betrachtete. Es ging ihm um die Schicksalsschläge des Lebens, die sich in schöner Regelmäßigkeit wiederholen. Das Unveränderliche (chang) des Landes und das Veränderliche (bian) der Stadt, das war sein Modell. Die Verklärung des Landes, welche Shen Congwen betreibt, impliziert in ihren ästhetischen Prinzipien etwas Politisches. Im Leben habe sich das Heilige (shen) zu offenbaren, es vermag dies jedoch nur, wenn in ihm das Schöne und die Liebe zusammenkommen. Es ist diese ästhetische Trinität von Eros, Schönheit und Göttlichkeit, welche Shen Congwens geheimes politisches Programm zu erkennen gibt. Dabei hat nach seiner Anschauung das Leben den Vorrang vor allem Gedanklichen. Es geht um eine ursprüngliche Kraft, welche die Literatur zu befördern hat. Leben bedeutet in diesem Fall die Abwesenheit von jeglicher moralischen Beschränkung. Das Gefühl wird zum Maßstab, sowohl des Lebens als auch der Literatur. Um einer Passion willen scheint im Leben alles erlaubt, Literatur hat auch die schrecklichsten Taten nicht zu bewerten, sondern nachzuzeichnen, und zwar nicht mit Hilfe eines ausgeklügelten Plots, sondern im Rahmen einer großangelegten Stimmung. Schreiben wird damit zu einer rein sinnlichen Angelegenheit, zu einer Art »Erprobung des Gefühls« (qingxu de ticao). Mit diesem Verfahren entwirft der Autor gleichsam eine Gegengeschichte des sogenannten einfachen Volkes. Shen Congwens Geschichtssicht unterscheidet damit die lautlose Historie eines Urvolkes von der dokumentierten Historie der Herrschenden. Im Gegensatz zu seiner Zeit geht es unserem Autor nicht um eine revolutionäre Erneuerung Chinas, sondern um eine kulturelle Rückkehr zum verlorenen Ursprung. Bei der Aufgabe der Künste, eine Änderung des nationalen Charakters herbeizuführen, spielt die Literatur als eine »Literatur des Menschen« eine besondere Rolle, sie ersetzt nämlich in der Praxis die Religion durch die Ästhetik. Man faßt das Werk des Shen Congwen auch gern unter den Begriff der xiangtu wenxue, einer Art »Heimatliteratur«, die dem Rechnung zu tragen versucht, was unmittelbar im Prozeß der Moderne verlorenzugehen droht. »Heimat« bedeutet in diesem Fall soviel wie den Gegensatz zum Zentrum, zur Großstadt, zur Zivilisation, zur Kultur der Han-Chinesen. Der Begriff xiangtu impliziert alles, was am Rande zu stehen scheint und kein besonderes Gewicht für sich beanspruchen kann. Als Vorläufer gilt Lu Xun, der das Erzählmuster vorgegeben hat: Die Zeit und die Erinnerung sind die wesentlichsten Elemente, sie haben selbstverständlich mit der Vergänglichkeit zu tun. Ob aus dem Rückblick oder nach einer Rückkehr konzipiert, die »Erzählungen vom Lande« schildern einen zeitlich bedingten Wertekonflikt: Etwas ist unwiderruflich anders geworden. Der Zusammenstoß von alt und neu zeichnet sich in der Wiederbegegnung mit den Bekannten von einst, den altertümlichen Bräuchen und unvor-

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hergesehenen Schicksalen ab. Unterschwelliges Heimweh und latente Nostalgie sind die typischen Reaktionsformen des Erzählers Shen Congwen. Lu Xun dagegen ist zu abgeklärt, um nicht in der Rückständigkeit und Schicksalsangst das Unglück der Landbewohner zu sehen. Gleichwohl empfiehlt es sich nicht, Shen Congwen in die traditionalistische Ecke abzuschieben. Als Vertreter des Fragmentarischen ist er ein durchaus moderner Erzähler: Er fühlt sich der Idee der Ortlosigkeit verpflichtet, die sowohl physischer als auch geistiger Natur sein kann und darum dem Zufall soviel Raum gewährt. Auch das Ritual der Erinnerung gewinnt durch das Prinzip der Iteration einen modernen Zug: Eine einzige rückwärtsgewandte, immer wieder zu erzählende Geschichte wird gleichsam begonnen, unterbrochen und wieder aufgenommen, als gäbe es doch einen einzigen Plot, der nur nicht realisiert werden kann. Die Iteration hat wohl auch einen ideologischen Hintergrund. Wenn sich immer dasselbe ereignet, so kann dies zwar natürliche Gründe haben – der Wechsel der Jahreszeiten wäre das schlichteste Beispiel –, doch wenn die immer selben Dinge eine lose und beliebige Abfolge von Ereignissen darstellen, so wird dies zur Frage nach einer Sinngebung der menschlichen Existenz. Und eben diese scheint Shen Congwen nicht im Stil der chinesischen Aufklärung des 4. Mai oder des materialistischen Denkens der 30er Jahre lösen zu wollen. Einen »Sinn« gibt es offensichtlich nur in der Natur, nicht aber in der Gesellschaft, ja, es läßt sich nicht einmal auf einen solchen Sinn reflektieren. Es ist eben diese sich von jeder voreiligen Erklärung distanzierende Haltung, welche sich mit dem Wort Apathie bezeichnen läßt. Das bekannteste und offenkundigste Beispiel stellt die Autobiographie Türme über der Stadt (Congwen Zizhuan) von 1931 dar, die schon 1925 als literarisch reife Skizze vorgelegen hat.237 Shen Congwen verkörpert mit diesem Werk das reinste Kontrastprogramm zum tränenreichen Ba Jin, zum mitleidvollen Lu Xun, zum warmherzigen Lao She und zum analytischen Mao Dun. Der lakonische Ton, der besonders bei der Schilderung unmenschlicher Geschehnisse hervorsticht, weist weit über die Moderne hinaus, er hat sich eigentlich erst mit der Postmoderne in der Literatur eingebürgert, als Kunst und Moral endgültig unversöhnbar auseinanderzufallen begannen. Hören wir Shen Congwen, wie er mit eigenen Worten sein Erzählverfahren einschätzt.238 Ich bin ein Mensch, der auf Prinzipien nicht allzu viel Wert legt, sondern eher jemand, der sich zu den Begebenheiten des wirklichen Lebens hingezogen fühlt. Nie habe ich meine Erlebnisse mit irgendwelchen gesellschaftlichen Wertvorstellungen in einen Topf geworfen, auch ließ ich meine Liebes- oder Haßgefühle nicht davon bestimmen. Ich wollte nicht die Frage nach dem Preis stellen, um danach allen 237

238

SHEN CONGWEN: Türme über der Stadt. Eine Autobiographie aus den ersten Jahren der chinesischen Republik, aus dem Chinesischen von CHRISTOPH EIDEN, Horlemann: Unkel 1994; Shen Congwen wenji, Bd. 9 (Sanwen), Hongkong: Joint Publishing 1984, S. 100–224; DERS.: »Meine Erziehung«, in: KLÖPSCH u. PTAK: Hoffnung auf Frühling, S. 77–121. SHEN CONGWEN: Türme über der Stadt, S. 115; Shen Congwen wenji, Bd. 9, S. 179.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949) Dingen eine gute oder schlechte Note zu geben, sondern hatte lediglich den Wunsch zu überprüfen, ob sie bei mir Begeisterung oder Zurückhaltung hervorriefen. Ich wurde des Schauens nie müde. In meiner Phantasie konnte ich der unendlichen Vielfalt des Universums, sei es im Zustand der Bewegung oder der Ruhe, immer die schönste und harmonischste Seite abgewinnen. Doch waren meine Vorlieben ganz offensichtlich nicht mit den Ansichten der Allgemeinheit in Einklang zu bringen, denn ich konnte nicht begreifen, in welcher Beziehung zum menschlichen Leben Schönes und Häßliches stehen – anders gesagt: ich vermochte ethische Normen nicht zu erkennen.

Shen Congwen hat von 1917 bis 1922 in der Armee gedient, er war jedoch schon vorher als Kind Zeuge blutiger Ereignisse gewesen. Es war nicht die Schule, die seiner Erziehung diente, es war das auch in grausamen Geschehnissen erfahrbare Leben selbst, das, wie er sagt, zu seiner Persönlichkeitsbildung beigetragen hat. In gewisser Hinsicht stellt seine Autobiographie die chinesische Variante eines abendländischen Bildungsromans dar. Er greift hier auch viele Themen auf, die längst von Lu Xun her bekannt sind, gleichwohl bis heute in der chinesischen Gesellschaft ein charakteristisches Merkmal abgeben: Es ist dies unter anderem die Tatsache der Schaulust. Shen Congwens Autobiographie ist auch über die Literatur hinaus ein wichtiges historisches Zeugnis. Die chinesische Geschichtsdeutung liefert nämlich oftmals eine sehr beschönigende Sicht der Revolution von 1911. Shen Congwen entwirft das Gegenbild einer Soldateska, die, ganz gleich auf welcher Seite sie steht, weder von ihrer Disziplin noch von ihrer Haltung her auf den vermeintlich hohen Ernst ihres Auftrages eingestellt ist. Merkwürdig unbestimmt läßt der Erzähler auch die Zuordnung der Truppen, die zur Befriedung der Minderheit der Miao in Westhunan zur Zeit der Xinhai-Revolution (1911) eingesetzt waren. Man weiß jedoch, daß die dortige Niederwerfung der Aufstände von allen politischen Lagern bis nach 1949 auf die gleiche Art und Weise betrieben wurde. Insofern entwirft der Erzähler mit der folgenden Schilderung gleichsam ein Muster.239 Der Aufstand war also niedergeschlagen, aber das eigentliche Gemetzel sollte nun erst beginnen. Nachdem die Stadtwache ihre Verteidigungsaufgaben so gründlich und akkurat erledigt hatte, entsandte man die Soldaten in einzelnen Trupps aufs Land, um dort Verdächtige aufzugreifen. Den Arrestanten wurden eben mal ein, zwei Fragen gestellt, bevor man sie vor die Stadt schleifte und enthauptete. Normalerweise fanden Exekutionen vor dem Westtor statt, doch da die »Rebellen« von Norden gekommen waren, wurden diese Todeskandidaten auf eine Sandbank beim Nordtor gebracht und dort erledigt. Anfangs vollstreckte man täglich etwa hundert Todesurteile. Für die Exekution von fünzig Leuten setzte man ein Hinrichtungskommando von zwanzig Mann ein, das von ein paar Gaffern umringt wurde. Manchmal hatte man den Delinquenten nicht einmal die Kleider abgestreift und sie waren auch nicht mit Stricken gefesselt, sondern wurden nur einer vor dem anderen 239

SHEN CONGWEN: Türme über der Stadt, S. 40–42; Shen Congwen wenji, Bd. 9, S. 125–126.

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Die Entfaltung einer modernen Literatur in China (1928–1937) hergetrieben. Es soll sogar Todeskandidaten gegeben haben, die etwas entfernt herumstanden und völlig von den Soldaten vergessen wurden, da man annahm, sie gehörten zum Publikum. [...] Diese sinnlose, brutale Schlächterei dauerte ungefähr einen Monat an, bis man es allmählich gut sein ließ. Draußen war es inzwischen bitterkalt geworden, man brauchte sich also nicht wegen der Verwesung der Leichen zu sorgen; schaffte man es nicht, sie zu verscharren, blieben sie eben liegen. Vielleicht steckte dahinter aber auch die Absicht, dem Volk eine Lektion zu erteilen, jedenfalls lagen oft vier-, fünfhundert Körper und abgeschlagene Köpfe am Ufer herum. [...] Damals durfte ich schon allein aus dem Haus, wenn ich Lust dazu hatte, und wann immer sich mir die Gelegenheit bot, kletterte ich auf die Mauerkrone des Stadtwalls und beobachtete die Hinrichtungen am Ufer. War ich zu spät dran, um dieses Schauspiel noch mitzubekommen, wettete ich mit anderen Kindern, wie viele Leichen es wohl diesmal gegeben hatte [...] So etwas also habe ich in einem Alter erlebt, da ich gerade zu verstehen begann, was man »das menschliche Leben« [rensheng] nennt.

Dem Apathischen im Werk des Shen Congwen ist bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Die meisten Interpreten bleiben dem herkömmlichen Bild einer poetischen Vision des »ewigen Westhunan« verhaftet, wie es sich vor allen Dingen in seinen Hunanesischen Skizzen (Xiang xing sanji, 1936) und seinen Essays Xiangxi (Westhunan, 1938) abzuzeichnen scheint.240 Shen Congwen folgt hier den Wasserläufen seiner Heimat, beschreibt Orte, schildert die täglichen Dinge und entwirft vor allem Schicksale, die sich durch das Schlagwort »Liebe und Transgression« charakterisieren lassen. »Liebe und Transgression«, das bedeutet, daß man um einer Leidenschaft willen bereit ist, die herkömmlichen Grenzen von Anstand und Sitte zu überschreiten.241 Ein ausgezeichnetes Beispiel mag folgende Begebenheit liefern: die Gattin des Brigadier Liu Junqing hatte eine Töchterschule absolviert, beide Eheleute waren einander herzlich zugetan. Eine junge Frau, die während der Schulzeit mit der Gattin befreundet gewesen war, verwendete in ihren Briefen häufig mädchenhafte Zuneigungsbezeugungen, die den Verdacht des Brigadiers erregten. Ein Brief enthielt nun einen Satz, der auch von einem Mann hätte stammen können: »seit Deiner Heirat hast Du mich vergessen«, und der den Argwohn des Gatten verstärkte. Als er eines Tages alleine auswärts stationiert war, befahl er plötzlich seinem Adjutanten: »Ergreife meine Frau und töte sie fünf Kilometer von hier. Ich will, daß sie stirbt. 240

241

Eine Auswahl ist in englischer Übersetzung erschienen: SHEN CONGWEN: Recollections of West Hunan, übersetzt von GLADYS YANG, Peking: Panda 1982. Zum Original s. Shen Congwen wenji, Bd. 9, S. 226–415. Im folgenden ein Beispiel aus »Fenghuang«, übersetzt von JUTTA STREBE, in: minima sinica 1/1992, S. 134–135; Shen Congwen wenji, Bd. 9, S. 404.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949) Ich wünsche sie zu sehen, solange sie noch warm ist, möchte aber nicht mehr mit ihr sprechen. Erledigst Du die Angelegenheit zu meiner Zufriedenheit, übernehme ich alles Weitere, versagst Du, will ich Dich nicht mehr sehen.« Der Adjutant tat natürlich, wie ihm geheißen und brachte die Frau in die Nähe der Garnison. Als er Hand an sie legen wollte, fragte ihn die Frau ahnungsvoll, was er mit ihr vorhabe. Er erklärte ihr, daß er im Auftrag des Brigadiers handele, worauf sie bat: »Ich will nicht durch einen Irrtum unschuldig sterben, laß mich mit meinem Gatten sprechen und alles aufklären!« »Der Brigadier hat es so befohlen«, entgegnete der Adjutant, »widersetze ich mich, bin ich des Todes.« Schließlich brachen sie beide in Tränen aus. Die Gattin hieß den Adjutanten, die Gewehrmündung direkt auf ihr Herz zu richten (denn wenn das Herz genau getroffen wird, fließt das Blut nach innen!) und sie mit einem Schuß zu töten. In einer Sänfte wurde sie unverzüglich zum Brigadier getragen, der ihr Gesicht und Hände streichelte und, als er erkannte, daß die Atmung bereits ausgesetzt hatte, zwei heroische Tränen nicht zu unterdrücken vermochte. Dem Adjutanten trug er auf, einen Fünfhundert-Silberdollar-Sarg zu besorgen und die Gattin darin zu bestatten. Mit der Beerdigung war dann der Fall auch abgeschlossen. Die meisten Menschen empfanden lediglich Mitleid für die Tote, die einzig durch ein Mißverständnis ein so tragisches Schicksal erleiden mußte, sie nahmen aber keinerlei Anstoß am Verhalten des Brigadiers. Und hätte die Gattin damals tatsächlich einen Liebhaber gehabt, so wäre diese Bestrafung aus der Sicht der lokalen Bevölkerung schlichtweg heldenhaft gewesen.

Der Eindruck eines »ewigen Hunan« erfolgt durch die »sachliche« Einbettung solcher Heldentaten in Landschaften und Orte, die unter dem Diktat eines zyklischen Geschehens, der offensichtlich einzigen Konstante des Lebens, stehen. Der Erzähler ergreift unzweideutig Partei für die Passion, die auch das herkömmliche Interpretationsmuster auf zwei unterschiedliche Aspekte festlegt: Hunan, das ist Natur, das ist herkömmliche Tugend, das ist jahrhundertealte Überlieferung etc., und alles andere, was nicht Hunan ist, das ist eine kraftlose Zivilisation, das ist Korrumpiertheit, das ist schäbige Neuerung etc. Auch wenn die bekannteste Arbeit von Shen Congwen, Grenzstadt (Biancheng, 1933)242, gleichsam Westhunan als ewigen Mythos entwirft, sollte dennoch nicht die stille Tragödie übersehen werden, die sich auch hier abspielt. Shen Congwen thematisiert in dieser Initiationsgeschichte einer jungen Frau Leben und Tod, Liebe und Mißverständnis, er ruft Welten in die Erinnerung zurück, die ihm auf Grund ihres tragischen Charakters beispielhaft waren. Die Liebenden sind trotz ihrer großen Leidenschaft füreinander von innen gefährdet. Da mag Shen Congwen noch so sehr die Orte des Geschehens als geschichtslos, das heißt als ewig besingen, auch an ihnen vollzieht sich die Geschichte eines Scheiterns.243 242

243

Zur Interpretation s. LO MAN WA: »Female Selfhood and Initiation in Shen Congwen’s ›The Border Town‹ and Ding Ling’s ›The Girl Ah Mao‹, in: Comparative Literature & Culture Bulletin 1 (1996), S. 20–26. Im folgenden SHEN CONGWEN: Die Grenzstadt, aus dem Chinesischen von URSULA RICHTER, Frankfurt: Suhrkamp 1985, S. 25; Shen Congwen wenji, Bd. 6, S. 84. Eine weitere deutsche

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Die Entfaltung einer modernen Literatur in China (1928–1937) Der örtliche Kommandant der beiden Grenzgebiete sorgt seit über zehn Jahren für Ruhe und Ordnung, und zwar so gewissenhaft, daß es kaum je zu Unruhen gekommen ist. Der Handel zu Wasser und zu Land hat weder Kriegshandlungen noch Räuber und Banditen zu fürchten. Überall waltet Ordnung, und die Leute sind mit ihrem Los zufrieden. Stirbt ein Rind, kentert ein Boot, gibt es in einer Familie einen Todesfall, dann herrscht große Aufregung und Trauer. Aber was andernorts in China geschieht, die vielen unglückseligen Kämpfe und Unruhen in den übrigen Gebieten, das alles nehmen die Leute in unserer Grenzstadt kaum wahr. Richtig laut und lebendig wird Chadong nur an drei Tagen im Jahr: beim Drachenbootfest, beim Mondfest und zu Neujahr. Was auch in der großen Welt draußen vorgeht, für die Leute hier bleiben diese drei Festtage wie vor dreißig oder fünfzig Jahren die fröhlichen Höhepunkte des Jahres.

Dies klingt zu schön, dürfen wir einer solchen Schilderung Vertrauen schenken? Die Novelle handelt von der pubertären Cuicui, ihrem alternden Großvater und einem Hund, sie spielt an einer Fähre, Sinnbild für das Kommen und Gehen der Menschen und ihrer immergleichen Geschichten. Doch über dieser vermeintlichen Idylle schwebt ein Schatten. Die Heldin ist das Kind einer Leidenschaft, die Mutter hat Selbstmord begangen. Die Geschichte, die Shen Congwen erzählt, ist die Geschichte eines sexuellen Erwachens und Scheiterns, sie steht also von Anfang an unter einem ungünstigen Stern. Sie wird jedoch nicht als offizielles Drama entfaltet, sondern als stille Tragödie, die zwei Menschen den Tod kostet. Man muß schon zwischen den Zeilen lesen können, um nachzuvollziehen, was im Herzen der jungen Frau vor sich geht. Die vergebliche Liebe ist symbolisch geschickt durch das in Form einer Neckerei aufgebrachte Leitmotiv des Fisches eingefangen. Schauen wir uns einmal die entscheidende Begegnung zwischen Cuicui und Nuosong, dem zweiten Sohn des Nachbarn, an.244 Cui-cui verstand jedoch seine gute Absicht, denn sie hatte noch im Ohr, wie die beiden Matrosen über die Frau oben im Haus geredet hatten, und meinte nun, dieser Junge wollte sie in den oberen Stock bringen, wo die Frau sang. Bisher hatte sie noch nie über einen Menschen geflucht, aber sie wartete schon so lange auf den Großvater, machte sich so große Sorgen um ihn, und als jetzt auch noch jemand vorschlug, da hinauf zu gehen, glaubte sie, er hätte etwas Unrechtes mit ihr im Sinn. Darum sagte sie ganz leise: »Verdammter Kerl, man sollte dir den Kopf abschlagen!« So leise sie auch gesprochen hatte, dem Burschen war es nicht entgangen. An ihrer Stimme hörte er, wie jung sie noch war, und sagte lachend: »Na so was! Noch so klein und schon fluchen! Wenn du nicht mit nach oben gehst, sondern hier stehen

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Übersetzung mit demselben Titel stammt von HELMUT FORSTER-LATSCH und MARIE-LUISE LATSCH, Köln: Cathay 1985. In deutscher Sprache liegt außerdem noch vor: SHEN CONGWEN: Erzählungen aus China, aus dem Chinesischen von URSULA RICHTER, Frankfurt: Insel 1985. SHEN CONGWEN: Die Grenzstadt, S. 35–38; Shen Congwen wenji, Bd. 6, S. 91–92.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949) bleibst, kommt der große Fisch aus dem Fluß und schnappt dich. Dann ist es zu spät, um nach Hilfe zu schreien.« [...] Bald hatten sie den Felsenhügel überquert und sahen Licht in der Hütte am Bach. Dort war die Fackel ebenfalls bemerkt worden. Der Fährmann setzte das Boot über und rief während der Fahrt mit seiner rauhen alten Stimme: »Cui-cui, Cui-cui, bist du da?« Das Mädchen gab keine Antwort, sondern murmelte vor sich hin: »Nein nein, Cui-cui ist nicht da, die hat ja schon längst der große Fisch im Fluß gefressen.« Sie stieg auf die Fähre, und der Mann mit der Fackel ging nach Chadong zurück. Großvater zog das Boot hinüber und fragte: »Warum antwortest du denn nicht? Du bist mir wohl böse?« Cui-cui stand am Bug und sagte immer noch kein Wort. War sie wirklich ein wenig ärgerlich auf Großvater gewesen, so war das restlos verflogen, nachdem sie den Bach überquert hatten und im Haus angekommen waren, denn als sie hier Großvaters alten Freund betrunken liegen sah, verstand sie alles. Ganz andere Gedanken ließen sie für den Rest des Abends verstummen, doch das war ihre eigene Sache und ging den Großvater nichts an.

Man hat zu Recht Shen Congwens Erzählen als spannungsloses Erzählen bezeichnet. Der iterative Modus erlaubt keine äußere Spannung. Shen Congwen schien es um anderes zu gehen, als den Leser weiterhin wie in seiner Autobiographie und bedingt auch in seinen Essays von einem Schrecken zum anderen zu jagen. In seinen Erzählungen nimmt er die Qual des Menschen aus der Äußerlichkeit in die Innerlichkeit zurück. Dabei entwickelt er einen stillen Blick für die Heimat, das Detail, das scheinbar Alltägliche. Diese Gabe, am Beispiel der Heimat unterschwellige Unruhe und offensichtliche Stille zu mischen, ist auf so überzeugende Weise nur noch der Erzählerin Xiao Hong gelungen. Um ihre in der Literaturgeschichte vernachlässigte Position angemessen beschreiben zu können, wird es an dieser Stelle notwendig sein, die damaligen Zeitumstände nochmals zur Sprache zu bringen. Es war zu Beginn dieses Kapitels auf die Polarisierung der literarischen Kreise hingewiesen worden. Tonangebend wurde die Forderung der Liga linker Schriftsteller nach einem Realismus, der den Umbruch der Zeit und den sogenannten arbeitenden Menschen in den Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens stellte. Den Haupttrend einer Kunst, die hinter der Ideologie zurückzustehen und lediglich die Zeitereignisse zu bebildern habe, verkörpert Jiang Guangci (1901–1931).245 Mit ihm wird die Literatur zur reinen Propaganda, zu einem Organ, welches die revolutionäre Gewalt zu preisen hat. Die Formalisierung und Konzeptualisierung des Schreibaktes vermag gleichwohl nicht, den privaten Sektor vollkommen zu eliminieren. Dieser tritt in dem Gegensatzpaar von Revolte und Liebe246 immer wieder hervor. Es handelt sich hier245 246

Lee: The Romantic Generation of Modern Chinese Writers, S. 201–221. Vgl. hierzu YI-TSI MEI FEUERWERKER: Ding Ling’s Fiction. Ideology and Narrative in Modern Chinese Literature, Cambridge, Mass. u.a.: Harvard UP 1982, S. 52–88.

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bei um eine Formel mit unterschiedlicher Ausrichtung. Entweder vernachlässigt ein Protagonist um der Liebe willen die Revolution, oder er gibt um der Revolution willen die Liebe auf. Diese beiden Möglichkeiten zur Bildung eines Plots können jedoch auch in einem einzigen Werk zusammenkommen und sogar noch um ein drittes Element, das der Literatur, erweitert werden. Die Alternative kann dann lauten: Liebe und Literatur oder Revolution. Am prononciertesten hat sich in dieser Thematik Ding Ling hervorgetan. Sie vollzog nach der Ermordung ihres Lebenspartners endgültig die Wendung vom Entwurf einer weiblichen Innenwelt zur Praxis der Sozialkritik. Es ist dies eine Wendung, die sich jedoch schon vorher abgezeichnet hatte. Symptomatisch sind in diesem Zusammenhang der Roman Wei Hu (Wei Hu, 1930)247 und die zweiteilige Erzählung »Shanghai, Frühling 1930« (Yijiusanling nian chun Shanghai, 1930). Beide Werke stellten – in der Sprache der Ding Ling gesprochen – gleichsam den Übergang von den »Zeiten der Finsternis« (Zai hei'an zhong, 1928) an die »Front« (Dao qianxian qu, 1936)248 dar. Dabei ist jedoch der Tatsache Rechnung zu tragen, daß die Autorin ihr feministisches Anliegen nicht etwa schlicht aufgegeben, sondern neu eingekleidet hat: Sie beginnt von der Vorstellung Abschied zu nehmen, daß das Geschlecht an sich ausschlaggebend für das Leben einer Frau sein soll, sie wird dem Klassenaspekt, der nationalen Rettung mehr Beachtung schenken und ihren Mitstreiterinnen Arbeit (zuoshi) als Mittel zur Überwindung der durch die Liebe hervorgerufenen Instabilität empfehlen. Ding Ling mag zwar von sich nun nicht mehr als Frau, sondern als Schriftsteller in der männlichen Form sprechen, gleichwohl sieht sie durchaus die anhaltende Brüchigkeit des Geschlechterverhältnisses selbst in einer veränderten Welt. Dies gilt insbesondere für ihre Zeit in Yan'an, die im folgenden Kapitel noch abzuhandeln sein wird. In beiden oben genannten Werken ist die Formel »Liebe und / oder Revolution« um den Aspekt der Literatur erweitert. Während der Protagonist Wei Hu im gleichnamigen Roman sowohl der Liebe als auch der Literatur entsagt, um sich ganz seinen revolutionären Aufgaben widmen zu können, beläßt die Erzählung »Shanghai, Frühling 1930« der Literatur noch ein eingeschränktes Existenzrecht. Sie enthält eine inzwischen klassisch gewordene vielzitierte Passage über den Wert von Literatur in Zeiten des Umsturzes. Sie findet sich in einem Gespräch, das der Schriftsteller Ruoquan mit dem Erfolgsschriftsteller Zibin und dessen Partnerin Meilin führt. Den Hintergrund der Erzählung bildet nicht nur der Interessenkonflikt von hoher und niederer Literatur, sondern auch der problematische Selbstentwurf des Literaten und die schwierige Selbstverwirklichung einer Frau in einer reinen Liebesbeziehung. Es 247

248

S. hierzu TANI E. BARLOW: »Feminist Gerealogy: The Problem of Estrangement in Ding Ling’s Wei Hu«, in: ANNA GERSTLACHER u.a. (Hg.): Woman and Literature in China, Bochum: Brockmeyer 1985 (= Chinathemen; 25), S. 239–258. Dies ist der Titel einer Erzählung in dem 1938 erschienenen Band Eine nicht abgefeuerte Kugel (Yi ke wei chu tang de qiangdan), s. A Selective Guide to Chinese Literature, Bd. 2, S. 50–52.

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ist schließlich Meilin, die aus Gründen der Selbsterhaltung der Revolution den Vorzug vor der Zweisamkeit gibt. Mit leicht ironischem Unterton zeichnet die Autorin am Beispiel des Zibin den Widerspruch zwischen faktischer Wohlsituiertheit und Armutspose bei einem Schriftsteller, der selbstverständlich dem Geist der Zeit gemäß niedergeschlagen (kumen) und melancholisch (youyu) zu sein hat. Hier ist der Kommentar des Ruoquan, der in der Gestalt eines Anwalts des Proletariats auftritt und entsprechend Antworten auf die Nöte der Zeit weiß.249 »Manchmal, Zibin, glaube ich, ich könnte mit dem Schreiben ganz aufhören. Was hat unsere Arbeit denn bisher bewirkt? Gut, wir haben etwas geschrieben, und ein paar Leute haben es gelesen – aber soviel Zeit ist inzwischen vergangen, und was ist daraus geworden? Siehst du denn wirklich irgendeinen Sinn in unserer Arbeit – mal abgesehen von dem Geld, das wir damit verdienen? Schön, es stimmt, daß wir mit unseren Geschichten immer ein paar Leser beeindruckt haben, aber was waren das denn für Leser? Pubertierende Kinder, schwermütige [fanchou] bürgerliche Mittelschüler! Denen haben unsere Werke gefallen, weil sie genau die Ängste beschrieben, die sie selbst zwar empfanden, aber nicht begreifen konnten. Außerdem mochten sie unsere Bücher, weil sie ihre eigenen Ideale dort wiederfanden und weil die von uns beschriebenen Personen ihnen selbst immer ein wenig ähnlich waren. Deshalb schwärmten sie dann schließlich auch für uns Schriftsteller und schrieben uns kindlich-naive Briefe – und was taten wir? Wir fühlten uns natürlich geschmeichelt, glaubten, unsere Kunst sei tatsächlich etwas Großes, Bedeutendes. Wie gewissenhaft haben wir damals auf diese Briefe geantwortet! Und was ist dabei herausgekommen? Heute weiß ich, daß wir diesen hungrigen Menschen keinen Gefallen getan haben. Wir haben sie nur auf ausgetretene Pfade gedrängt, sie zu Sentimentalismus und Individualismus verführt, ihnen unser ewiges Jammern über die Ausweglosigkeit unserer Situation eingeimpft – und was bitte fangen sie jetzt damit an? Sie versinken immer tiefer in ihren Groll und begreifen nicht, daß es noch einen Zusammenhang gibt zwischen ihren eigenen Schwierigkeiten und denen der Gesellschaft. Es fällt ihnen nichts besseres ein, als ebenfalls an ihrem Stil zu feilen! Sie verfassen Artikel und Gedichte und ergattern vielleicht auch ein paar lobende Worte von uns älteren Schriftstellern. Aber sag doch selbst, Zibin, was nützt ihnen all das? Und was nützt es der Allgemeinheit? Siehst du, das ist der Grund, warum ich mich entschieden habe, nicht mehr zu schreiben. Ich wünschte nur, es würden auch einige von unseren Kollegen einmal darüber nachdenken und ihren Kurs etwas korrigieren. Für den Augenblick würde es vielleicht nicht viel ändern, aber den Fortgang der Literatur könnte es möglicherweise doch beeinflussen!«

Die einschlägige Sekundärliteratur verzichtet seltsamerweise auf die wichtige Antwort von Zibin, nur diese erlaubt jedoch einen vollen Einblick in die Diskussionen der damaligen Jahre: 249

DING LING: Shanghai 1930, aus dem Chinesischen von MICHAELA LINK, auszugsweise in: minima sinica 2 (2002); S. 136–142; s. Ding Ling wenji, Bd. 2, Changsha: Hunan Renmin 1982–1984, S. 233–234.

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Die Entfaltung einer modernen Literatur in China (1928–1937) »Ach, da wären wir also endlich wieder bei deinem Lieblingsthema angelangt!« Er lachte. »Wir singen mal wieder das Loblied von der Literatur des Proletariats! Und es werden ja auch reihenweise proletarische Schriftsteller produziert! Übrigens – wozu eigentlich? Vielleicht für ihre Freunde, die Herren und Damen Literaturkritiker, die sich in ihren Huldigungen geradezu überschlagen? Wo bleibt denn eigentlich die versprochene Wirkung dieser Literatur? Frag doch mal die Leser, geh hin und frag Chinas proletarische Massen! Oder sollten diese Schreiberlinge gar auch ihre eigenen – und womöglich einzigen! – Leser sein? Was soll’s, laß uns nicht mehr davon reden. Es ist auch völlig egal, wem die Epoche gehört: Hauptsache, man arbeitet immer weiter, dann kann man schon nichts verkehrt machen.«

Auch wenn wir bei der Ding Ling der Übergangsphase noch ein Nachdenken über die innere Befindlichkeit des modernen Bürgers zu konstatieren haben, so kündigt sich in dem leisen Spott der Erzählerin doch ein gesuchter Abschied von der Melancholie an, die für die 20er Jahre so konstitutiv gewesen ist und zum Teil weiterhin bleibt. Zibins Vorbehalte gegen eine proletarische Literatur scheint die Autorin dagegen weniger zu teilen. Kaum ein Jahr später legt sie nämlich mit der Erzählung Fluten (Shui)250 eine Arbeit vor, welche die Nöte auf dem Lande nach einer tatsächlichen Flutkatastrophe des Jahres 1931 auf sozialkritische Weise schildert. Der für die spätere Literatur der Volksrepublik China so wichtige kognitive Prozeß spielt hier bereits eine zentrale Rolle: Die Flüchtlinge erwachen nämlich zu einem neuen Selbstbewußtsein, ihre Erkenntnis, weniger Opfer eines Naturgeschehens als vielmehr Opfer gesellschaftlicher Verhältnisse zu sein, befähigt sie, »wilder als die Fluten zur Kreisstadt [Symbol der Ungerechtigkeit] zu stürzen«.251 Dies ist selbstverständlich ein unbefriedigender Schluß, keinesfalls entfaltet hier die Autorin ihre Meisterschaft als Vermittlerin weiblicher Seelennöte. Ding Ling scheint mit ihrer Wende zu einem – wie es so schön in der chinesischen Sekundärliteratur heißt – »neuen Realismus« einem Programm zu gehorchen, dem sich selbst Autoren zu unterwerfen bereit waren, die der marxistischen Deutung der Welt eher fernstanden. Ba Jin ist ein solch offensichtliches Beispiel. Ihm wird mit seiner Novelle (zhongpian xiaoshuo) Shading (Shading, eig. »Kumpel« 1932)252 nachgesagt, in der modernen chinesischen Literatur den ersten Roman verfaßt zu haben, der sich ausschließlich dem Schicksal von arbeitenden Menschen, nämlich Bergarbeitern, widme. Als »proletarische Erzählung« kündigt sie den praktischen Übergang von einer Literatur des Bürgertums zu einer Literatur der Arbeiterschaft an. Allerdings schrieb Ba Jin diese Novelle unter dem Einfluß des französischen Natura250

251 252

Zu dieser wenig geschätzten und nur auszugsweise übersetzten Erzählung s. A Selective Guide to Chinese Literature, Bd. 1: The Novel, hg. von MILENA DOLEŽELOVÁ-VELINGEROVÁ, Leiden u.a.: Brill 1988, S. 69–71. Ding Ling wenji, Bd. 2, S. 406 (Shui). BA JIN: Shading, aus dem Chinesischen von HELMUT FORSTER-LATSCH, Frankfurt: Suhrkamp 1981. Vgl. Ba Jin wenji, Bd. 2, S. 1–80.

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lismus, er hatte, wie er gestand, Emile Zolas (1840–1902) Roman Germinal (1885) noch einmal schreiben wollen, und auch ideologisch folgt er den französischen und russischen Vorbildern des Anarchismus wie Pierre-Joseph Proudhon (1809–1865). Die Geschichte ist plakativ und simpel erzählt: Im Mittelpunkt steht der Arbeiter Shengyi, der sich unter dem Versprechen von 500 Silberdollar an eine Zinnmine verdingt hat, um so später seine Freundin aus den Diensten bei reichen Leuten freikaufen zu können. Aber in der Totenstadt, wie die Arbeiter die Umgebung des Bergwerks nennen, wird er bei seiner Ankunft ebenso wie die nach ihm neueintreffenden Kollegen von den Kindern mit dem Schimpfwort für Minenarbeiter als shading geschmäht und verhöhnt. Diese Totenstadt erweist sich als eine bewachte, überwachte Spielhölle, wo die Arbeiter in doppelter Hinsicht um ihren Lohn gebracht werden: Zum einen erhalten sie nicht die versprochenen Silberdollar, zum anderen verlieren sie ihr weniges Geld an den Spielständen. Damit die in ihren Hoffnungen betrogenen Bergleute nicht fliehen können, sind sie nachts unter Aufsicht angekettet. Die Novelle endet mit einem Bergwerksunglück, bei dem viele Arbeiter, darunter auch Shengyi, ihr Leben lassen müssen, ohne daß den Besitzern des Bergwerks aus der Katastrophe ein Schaden entsteht, denn es gibt genug neue Arbeiter, welche die toten auf der Stelle zu ersetzen bereit sind. Verkürzt läßt sich sagen, daß mit repräsentativen Werken wie diesen von Ba Jin und Ding Ling nicht einfach mehr die soziale Not der 30er Jahre neben anderen Problemen mitthematisiert wird, sondern die brennende Zeit zum alleinigen Gegenstand des Schreibens avanciert. Das Private verschwindet idealiter entweder nach und nach, oder es wird zum rein Politischen. Es ist nun nicht mehr schlicht der Bürger (Mao Dun), der sogenannte einfache Mensch (Lao She), der ehrliche Bauer (Shen Congwen), der Junge Mann (Ba Jin), der das literarische Interesse auf sich zieht und Anlaß zu mannigfachen Betrachtungen aus unterschiedlichem Blickwinkel gibt, es ist vielmehr die vermeintlich gesellschaftlich treibende Kraft, die am Beispiel von menschlichen Schicksalen, oftmals von Gruppen oder Schichten, schematisch veranschaulicht wird. Das politische Engagement für die Unterpreviligierten mochte seinerzeit schwerer wiegen als das ästhetische Bemühen, entsprechend reagiert die Nachwelt heute mit Desinteresse und Vergessen. Was nach so vielen Jahrzehnten noch nicht ganz aus dem literarischen Bewußtsein verschwunden zu sein scheint, läßt sich nicht selten einem historischen Fragenkatalog zuschreiben, dem auch Literatur als soziologisches Objekt taugt. Die Liga linker Schriftsteller mag damals zwar, wie oben bereits ausgeführt, den literarischen Ton vorgegeben haben, es sind dennoch rein formal von ihr auch noch die Pekinger Schule (Jingpai) und die Schanghaier Schule (Haipai)253 zu unterscheiden, die später Gegenstand sein sollen. Die jeweiligen Zuordnungen von Autoren müssen jedoch keinesfalls immer in sich stimmig sein. Es sind nun nur noch wenige 253

Schon an dieser Stelle sei verwiesen auf die Studie JIALING FU [d.i. Fu Jialing]: Die haipaiErzählliteratur, Wiesbaden: Harrassowitz 2004 (= Lun Wen; 4).

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Werke zu benennen, die literarisch gesehen den Wandel der Zeiten überstanden haben. Zu ihnen gehört vor allem die ergreifende Geschichte der »Sklavenmutter« (Wei nuli de muqin, 1930)254 aus der Feder des ehemaligen Pädagogen und späteren Publizisten Rou Shi (1902–1931). Auf Grund seiner Ermordung als Kommunist ist ihm in der Volksrepublik China relativ viel Aufmerksamkeit zuteil geworden, die sich auch in fremdsprachigen Publikationen niedergeschlagen hat.255 In der Tat verdient sein Werk Beachtung, was auch für die vorliegende Erzählung gilt. Diese handelt von einer verpfändeten Frau, die nach der Rückkehr in ihre Familie selbst von ihrem eigenen Sohn als Fremde betrachtet wird. Rou Shi erzählt jedoch nicht einseitig schwarz-weiß, er sieht den Fellhändler, der seine neugeborene Tochter tötet und seine Frau vermietet, auch als Opfer der Umstände. Ebenso erscheint der Gelehrte, der sich gezwungen sieht, mit einer geliehenen Frau einen Sohn zu zeugen, als Gefangener des konfuzianischen Systems. Auch wer herkömmliche Konstellationen wie Mann versus Frau, Gentry versus Proletariat und Frau solidarisch mit Frau erwartet, sieht sich enttäuscht. Im Gegensatz zu ihrem eigentlichen Mann wird die namenlos bleibende Frau von ihrem zeitweiligen zweiten Gatten gut behandelt. Dieser genießt die Freuden mit ihr, und sie empfindet umgekehrt seine fehlende Rohheit mit Dankbarkeit. In der neuen Familie ist ihr Widerpart einzig die Hauptfrau, die auch die Bedingungen für ihre Leihgeberschaft stellt. Die Kupplerin, Frau Shen, schildert dies dem Fellhändler so: »Es gibt da einen Bakkalaureus, der mit schon fünfzig Jahren immer noch keinen Sohn hat. So trug er sich mit der Absicht, eine Konkubine zu kaufen. Seine Hauptfrau aber verweigerte die Einwilligung und erlaubte ihm nur, eine Nebenfrau auf drei oder fünf Jahre zu pachten. So beauftragte man mich, ihm etwas Entsprechendes ausfindig zu machen: Eine Frau um die dreißig, still, ehrlich und arbeitswillig, die zwei oder drei Söhne geboren habe, ihre Augen vor der Hauptfrau zu Boden senke und sich ihr beuge. Wenn diese Bedingungen zuträfen, so versicherte mir die Frau des Bakkalaureus, sei sie willens, achtzig bis hundert Yuan Körperpreis dafür auszugeben. Ich suche für sie nun schon viele Tage, habe aber noch nichts Passendes finden können. Jetzt, 256 wo ich dir begegne, dachte ich an dich, bei dem dies alles doch zutrifft.«

Rou Shi erzählt eine Spiegelgeschichte: Die Erzählung beginnt und endet mit dem Abschied von einem Kind, mit dem Fortgang von dem einen zu einem anderen Mann. Dazwischen liegen sinnbildlich Frühling und Herbst, erkennbar an den Namen der 254

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Die Erzählung ist vielfach, auch ins Deutsche, übersetzt worden. Zur Übertragung von MARTIN GIMM aus dem Chinesischen s. minima sinica 2/1992, S. 103–128, zum Original s. Rou Shi xuanji, Peking: Renmin 1978, S. 194–217. Auf deutsch, wohl aus dem Englischen übersetzt von INGRID RUDOLPH, liegt zum Beispiel die Sammlung Februar, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 1982 vor. »Die Sklavenmutter« (s. Anm. 254), S. 104–105; Rou Shi xuanji, S. 195.

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beiden in unterschiedlichen Familien geborenen Söhnen: Chunbao und Qiubao, Frühlingsschatz und Herbstschatz. Frühling und Herbst machen nun gleichsam das Leben eines Menschen, die Geschicke eines Landes aus: Es wird gepflanzt und es wird geerntet. Nach altchinesischer Auffassung ist die Frau mit der Erde gleichzusetzen, in sie wird investiert, auch in Form von freier Kost und Logis. Dafür hat sie eine Gegenleistung zu erbringen, die sie innerlich an die neue Familie bindet und der alten entfremdet. Zum Bild ihrer Position zwischen einst und jetzt wird die Sänfte, die sie schließlich ein Stück wieder heimführt. Ursprünglich war es der ganze Weg, den sie vom Fellhändler zum Gelehrten getragen wurde, nun, nachdem ihre Zeit abgelaufen ist, ist es nur noch der halbe Weg, ihre Schritte zu Fuß wecken entsprechend die Neugier der Menschen. Unter den Schaulustigen ist auch ihr erster Sohn, der sie einst nicht hatte gehen lassen wollen, nun aber nicht wiedererkennt. Bei den Repräsentanten der Liga linker Schriftsteller werden formal zwei Stile unterschieden, der sozialanalytische und der ironische, der eine gibt sich eher direkt engagiert, der andere mehr distanziert und verhalten, ja mitunter sogar lyrisch. Zu den offensichtlich politisch entschiedenen Vertretern zählt der an Tuberkulose jung verstorbene Ye Zi (1912–1939). Er ist gleichsam Chronist der revolutionären Bewegungen auf dem Lande, wie er sie seit den bäuerlichen Erhebungen 1926–1927 in der Provinz Hunan persönlich miterlebt hat.257 Sein Schreiben, das einzig auf den Erfahrungen eines ruhelosen Lebens zu basieren scheint, ist gleichwohl stark von einem schematischen Denken beprägt. In seiner bekanntesten Erzählung »Ernte« (Fengshou, 1933) zum Beispiel läßt er den Leser an dem kognitiven Prozeß eines Bauern teilhaben, dem erst in seinem endgültigen Elend die Wahrheit über seinen Sohn aufgeht: Kein pietätloses Kind hält sich da von der anstrengenden Feldarbeit fern, sondern ein verantwortungsbewußter junger Mann, der bei seiner Arbeit für eine (kommunistische) Bauernorganisation weiträumig und langfristig über die Scholle hinausdenkt. In Erzählungen wie diesen, die dem Leser die Botschaft des notwendigen Aufruhrs gleichsam häppchenweise vermitteln, mag zwar die Frage im Vordergrund stehen, unter welchen Umständen ein eher unterwürfiger Bauer zu einem aktiven Rebellen wird, doch der erzieherische Auftrag geht nicht vollständig in den Schilderungen auf. Es bleibt ein Rest soziologisches Studienmaterial: Der chinesische Bauer der 30er Jahre vertraut eher dem Himmel als irgendeiner Partei, er ordnet sich gern seinen Herren unter, solange diese ihm das Überleben garantieren, er will nichts anderes als das tun, was seine Vorfahren schon seit Jahrhunderten gemacht haben, nämlich den Acker pflügen und für Nachkommenschaft sorgen. Um zu solch einem Urteil kommen zu können, muß man allerdings zwischen den Zeilen zu lesen in der Lage und bereit 257

Seine wichtigsten zwischen 1933 und 1934 in Schanghai entstandenen Erzählungen erschienen auf englisch als YEH TZU: Harvest, Peking: Foreign Language Press 21979. Auf deutsch liegt vor: »Gestohlener Lotus«, in: W.J.F. JENNER (Hg., Übers.): Chinesische Erzähler der letzten Jahrzehnte, aus dem Englischen von RITA HOEVEL, Köln: Hegner 1973, S. 113–118. Zum Original nebst Aufzeichnungen aus der Soldatenzeit (1928) s. Ye Zi xuanji, Peking: Renmin 1978.

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sein. Man hat hier nämlich eher den Verdacht, die interessanteren, weil unideologischen Schilderungen unterlaufen dem Autor unwillentlich. Dies trifft ganz und gar nicht auf Wu Zuxiang (1908–1994) zu, dem nur eine kurze Karriere als Schriftsteller Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre vergönnt war. Er, der nicht zur Liga gehörte, deren Vertretern aber nahestand, liefert mit seinen Erzählungen gleichsam das Gegenprogramm zum Trend der Zeit. Mal idyllisch, mal sozialkritisch schildert er das bäuerliche Leben auf dem Land, das er in der Provinz Anhui am eigenen Leib erfahren hat. Wenn auch frei von ideologischen Scheuklappen, gibt sich der Erzähler gleichwohl engagiert, er hat ein Gespür für die Auswirkungen der damaligen Weltwirtschaftskrise auf den chinesischen Markt und glaubt an die Verbesserungsfähigkeit der geschilderten Welt. Meliorismus, so sein Biograph, laute das literarische Programm.258 Diese Absicht zur Verbesserung der Welt läßt sich jedoch nicht immer unmittelbar den Erzählungen entnehmen. Eine der bekanntesten Geschichten, »Allgemeiner Friede im Reich« (»Tianxia taiping«, 1933)259, schildert, wie ein Ehepaar aus bitterster Not heraus seine Behausung niederreißt, um die Bausteine zu Geld zu machen. Wu Zuxiang, der sehr von Lu Xun beeinflußt war, dreht hier ein zentrales Bild des 4. Mai um: Die Zerstörung der Eisenzelle, die eigentlich zur Befreiung vom geistigen Sklaventum führen sollte, taucht in verwandelter Form als Bild des Untergangs auf. Wir werden später noch am Beispiel von Bei Dao und Gao Xiaosheng (1928–1999) sehen, wie sehr die Vorstellung vom Bau eines Hauses, das ist gleichsam das Haus China, auch das spätere chinesische Selbstverständnis geprägt hat.260 Streng gesehen geht die Vorstellung von China als Haus gar nicht einmal auf Lu Xun zurück. Liang Qichao hat sich bereits 1896 folgendermaßen geäußert:261 Wir haben ein großes Haus, das seit Jahrtausenden existiert. Sein Dach und Gemäuer sind vermodert, seine Balken und Sparren morsch. Es ist noch immer ein prachtvolles großes Gebäude. Doch wenn Regen und Wind einsetzen, ist sein Ver258 259

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PHILIP F. WILLIAMS: Village Echoes. The Fiction of Wu Zuxiang, Boulder u.a.: Westview 1993. KLÖPSCH u. PTAK: Hoffnung auf Frühling, S. 205–252. Zum Original s. WU ZUXIANG: Mouri, Hongkong: Shanghai Shuju 1974, S. 1–43. Aus der Sammlung Weiden im Westen (Xiliu ji, 1934), zu der genannte Erzählung gehört, liegt auf deutsch noch »Das Elixier« (»Guanguan de bupin«) vor, s. ANDREAS DONATH (Hg.): China erzählt. Acht Erzählungen, Frankfurt a.M., Hamburg: Fischer Bücherei 1964, S. 99–116. Zu weiteren Übersetzungen s. JOSEPH S.M. LAU, C.T. HSIA u. LEO OU-FAN LEE (Hg.): Modern Chinese Stories and Novellas 1919–1949, New York: Columbia UP 1981, S. 370–415. Zur Deutung s. CATHERINE PEASE CAMPBELL: »Political Transformation in Wu Zuxiang’s Wartime Novel Shanhong«, in: Modern Chinese Literature 5.2 (Herbst 1989), S. 293–323. Das Bild des Hauses hat ursprünglich einen religiösen Hintergrund, vgl. Joh. 14, 1–3, hat sich dann als Motiv in der Weltliteratur bis heute gehalten, vgl. das Gedicht »Rückblick« von HERMANN LENZ (1913–1998), das mit dem Vers »Kein Haus gebaut« beginnt. LIANG QICHAO: »Lun bu bianfa zhi hai«, in: Yinbingshi wenji, Bd. 1, Schanghai 1902, S. 5, hier deutsch von EIKE SCHOLL, Bonn.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949) fall nur noch eine Frage der Zeit. Die Menschen, die das Haus bewohnen, sind zum Teil noch sehr vergnügt, können ruhig schlafen und verhalten sich so, als hätten sie nichts bemerkt. Einige von ihnen sind sehr wohl auf das drohende Unheil aufmerksam geworden. Doch können sie nur bitterlich weinen, ihre Arme verschränken und auf den Tod warten, ohne an eine Erlösung zu denken. Manche versuchen, einige Reparaturen vorzunehmen, um wenigstens für einen gewissen Zeitraum in Frieden weiterleben zu können, in der Hoffnung, daß eine Besserung eintreten werde. Diese drei Typen von Menschen benutzen ihren Verstand in unterschiedlicher Weise, doch wenn ein schwerer Sturm heraufzieht, dann werden sie gemeinsam sterben. [...] Genauso verhält es sich mit unserem Land.

Es ist daher kein Zufall, daß Wu Zuxiang seine Erzählung mit dem Versuch des Protagonisten enden läßt, die Krone des verfallenen Dorftempels zu stehlen. Es ist insbesondere der Ahnentempel, der im Werk des Autors eine besondere Rolle spielt. Bekanntlich stellt auch in China das Haus als Tempel den Beginn aller Kultur dar. Sowohl die Verwahrlosung als auch der Raub des Heiligen markieren daher das Ende einer Zeit, die dem Ansturm des Weltmarktes nicht mehr gewachsen ist. Wu Zuxiang zeichnet allerdings keinen vereinfachenden Gegensatz von Gentry und Proletariat, die Verarmung ist allgemeiner Art, jeder wird des anderen Wolf, Solidarität gibt es keine. Vielleicht sind es eher Topoi genannter Art, welche es erlauben, selbst Schriftsteller in eine Geschichte der modernen chinesischen Literatur einzubinden, die literarisch nicht mehr zu überzeugen vermögen. Diese Topoi stellen Zusammenhänge her, national wie international. Nehmen wir Duanmu Hongliang (1912–1996) zum Beispiel, der auf Grund der japanischen Besetzung der Mandschurei seit 1932 zur Heimatlosigkeit verurteilt war. Im Nachwort zu seinem Erzählband Haß (Zenghen, 1937)262 erklärt er die Liebe für altmodisch und feiert den Haß als Mittel der Veränderung. Was er sich unter diesem Haß vorstellt, kann man seiner gleichnamigen Erzählung entnehmen. Haß, das ist Klassenhaß, der Haß der Bauern auf die Gentry, ein Haß, der es erlaubt, ihre Vertreter bei lebendigem Leib zu verbrennen und damit Rache zu nehmen für erlittenes Unrecht. Haß, das ist Lynchjustiz. Im Gegensatz zu Wu Zuxiang, der das Verhältnis Herr und Knecht weniger auf die einseitige Beziehung von Unterdrückung und Ausbeutung zugespitzt sah, beherrscht Duanmu Hongliang nur die Schwarz-Weiß-Zeichnung. Dabei bedient auch er sich der herkömmlichen Bilder des 4. Mai, die er umdreht: Der Buchhalter und seine Geliebte werden in einer Hütte 262

Die Sammlung einschließlich der Erzählung »Haß« findet sich übersetzt in DUANMU HONGLIANG: Red Night, aus dem Chinesischen von HOWARD GOLDBLATT, Peking: Panda 1988. Zum Original s. Duanmu Hongliang wenji, Bd. 3, Peking: Beijing Chubanshe 1999, S. 133– 149. Auf deutsch liegen aus genannter Anthologie nur »Die Münzen des langen Lebens« bei KLÖPSCH u. PTAK: Hoffnung auf Frühling, S. 272–283, vor. »Haß« ist unter dem Titel »Tiger« schon früh ins Englische übersetzt worden, s. YUAN CHIA-HUA u. ROBERT PAYNE (Übers.): Contemporary Chinese Short Stories, London u.a.: Transatlanctic Arts 1946, S. 130–146, wurde daher schon zu Lebzeiten des Autors als repräsentativ aufgefaß.

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regelrecht geröstet, nur der eingeschlossene Hund kann und soll bei Lebensgefahr gerettet werden. Die Schaulust der Bauern wird vom Erzähler positiv gedeutet: Hier haben sie das Recht, sich am Tod zweier Repräsentanten von Besitz und Unmoral zu erfreuen. Duanmu Hongliang liefert mit dieser Erzählung das literarische Rechtfertigungsmodell für die spätere Abschlachtung von Millionen vermeintlicher Großgrundbesitzer durch das Volk im Rahmen der Landreform nach 1949.263 Er hat damit seinen Anteil am Jahrhundert des Hasses, als welches das 20. Jahrhundert bezeichnet worden ist. Schlimmer noch, er hat etwas reaktivieren helfen, was durch Lu Xun eigentlich aus der Welt geschafft sein sollte: die Schadenfreude, die das Grundübel der chinesischen Gesellschaft ausmacht.264 Aus dem Haß ist nicht die Liebe geworden, die Duanmu Hongliang dennoch in seinem Nachwort gefordert hat, aus dem Haß ist ein Instrument geworden, welches vom Zeitgeist beliebig bedient und eingesetzt wird. In Erzählungen wie diesen ist es vor allem die Jugend, die auf Gewalt und Vergeltung setzt. Wenn auch später veröffentlicht (1939), so veranschaulicht der 1933 verfaßte Roman Die Ebenen von Khorchin (Keerqinqi caoyuan) das extreme, an Anton Reiser265 erinnernde Vernichtungspotential seines jugendlichen Helden, der, genährt von Mussolini, Nietzsche und der inflationär geäußerten Sehnsucht nach einer vita nuova, ebenfalls die Zerstörung des eigenen Hauses ins Werk gesetzt sehen möchte.266 Auch hier gilt für seinen Verfasser, was für so viele Literaten der damaligen Zeit galt, daß die Revolution die Aussicht auf eine Verscheuchung tiefer Depressionen bot. Nicht zufällig wurde Duanmu Hongliang, ein Sohn aus reichem Hause, 1932 Mitglied der Liga linker Schriftsteller, um ganz auf Patriotismus und politische Aktion zu setzen. Der Junge Mann als Revolutionär, dies ist ein Phänomen mit versteckt ideologischem Hintergrund: Sowohl der Kommunismus als auch der Faschismus haben sich zur Durchsetzung ihrer Programme an die Jugend gewandt, und dies aus einem ganz einfachen Grund: Die Jugend hat kein Gedächtnis, sie vertraut den Versprechungen einer »neuen« Welt, und da diese sie selbst als Herren vorsieht, hat sie, die Jugend, keine Scheu vor überkommenen Werten. Hier gilt der Satz von dem deutschen Philosophen Peter Sloterdijk (geb. 1947), daß der moderne Mensch die Gewalt (des Heiligen) nicht erleiden, sondern die Gewalt selber sein wird. Wenn auch nach einem Wort von Herbert Marcuse (1898–1979) Kunst und Töten sich gegenseitig ausschließen sollten, so liefert die chinesische Literatur dieser Epoche 263

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Vgl. CHOW CHING-WEN: Ten Years of Storm. The True Story of the Communist Regime in China, mit einem Vorwort von LIN YUTANG, übersetzt u. hg. von LAI MING, Westport, Connecticut: Greenwood Press 1973. Zum Thema Schadenfreude äußert sich sehr einsichtig C.T. HSIA: »The Chinese Sense of Humour«, in: Renditions 9 (Frühling 1978), S. 30–36. Roman von KARL PHILIPP MORITZ (1756–1793), der zwischen 1785 und 1790 entstand. Vgl. hierzu auch die Anm. 131. C.T. HSIA: »The Korchin Banner Plains: A Biographical and Critical Study«, in: La littérature Chinoise au temps de la guerre de résistance contre le Japon, Paris: Singer-Pollignac [1982], S. 33–56, bes. S. 47. Zum Roman s. Duanmu Hongliang wenji, Bd. 1, S. 1–481.

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auf vielfältige Art und Weise das Gegenprogramm: Literatur ist die Aufforderung zur Vernichtung des anderen, der je nach politischer Lage mal Japaner, mal Grundbesitzer, mal Kapitalist, mal Patriarch sein kann. Werke mit Botschaften diesen Inhalts wären leicht zu übergehen, hätten sie nicht ihre Wirkung entfaltet, ihre Übersetzer gefunden und ihren Autoren einen anhaltenden Nachruhm eingebracht. Fragwürdig ist nicht so sehr diese Tatsache als vielmehr die mangelhafte literaturwissenschaftliche Lektüre. Diese, wenn detailliert betrieben, vermag Werke zumindest in den Stand einer angemessen politischen Diskussion zu erheben. Ein etwas ausführlicher dargestelltes Beispiel mag dies belegen. Zum Umkreis von Duanmu Hongliang gehören auch die beiden aus dem Nordosten stammenden Schriftsteller Xiao Jun (1907–1988) und Xiao Hong. Diese sogenannten mandschurischen Autoren teilten beide dasselbe Schicksal der Vertreibung und Zensur, sie waren außerdem durch eine problematische Liebesbeziehung miteinander verbunden. Aus heutiger Sicht mag die Tatsache erstaunen, daß die kränkliche und früh verstorbene Xiao Hong sich literarisch gegen die beiden Freunde hat durchsetzen können, denn Xiao Jun und Duanmu Hongliang, die sie lange überlebten, haben sie kleinzuhalten versucht und sich als die überlegeneren Literaten betrachtet. Ein Indiz für die Schwierigkeit einer künstlerischen Selbstbehauptung mag ihr Briefwechsel mit Xiao Jun sein.267 Wer Xiao Hongs erzählerisches Werk mit seiner klaren Struktur und lyrischen Sprache kennt, wird über ihr kümmerliches Chinesisch in ihren Briefen aus Japan erstaunt sein, es scheint ganz so, als hätte sie an ihren Adressaten nicht besser zu schreiben gewagt. Der gewaltige Unterschied zwischen den beiden Autoren wird bei einem Vergleich zweier Romane sichtbar, die zur selben Zeit entstanden sind: Land im August (Bayue de nongcun, 1934) von Xiao Jun268 und Der Ort des Lebens und des Sterbens (Shengsi chang, 1934) von Xiao Hong269. Village in August war der erste moderne chinesische Roman, der ins Englische übersetzt worden ist und 1942 in New York erschien. Seine Prominenz verdankt er sicherlich der Tatsache, daß Lu Xun zur Publikation dieses Erstlings 1935 ein Vorwort beigesteuert hat. Bei diesem Roman handelt es sich um ein Fragment, dessen Handlung beliebig einsetzt und nach vierzehn Kapiteln beliebig endet. Es gibt keinen Plot, sondern nur einzelne Szenen. Der Autor entfaltet eine Art Panorama des Kampfes gegen Japan und gegen die Truppen von Mandschukuo. Statt Kampf spräche man 267 268

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XIAO JUN: Xiao Hong shujian jicun zhushi lu, Harbin: Heilongjiang Renmin 1980. T'IEN CHÜN [d.i. Xiao Jun]: Das erwachende Dorf, aus dem Amerikanischen von HARTMUT REBITZKI, Schwerin: Petermänken 1953. Zu einer editorisch angereicherten Neuauflage s. XIAO JUN: Bayue de nongcun, Peking: Renmin 1980. XIAO HONG: Der Ort des Lebens und des Sterbens, aus dem Chinesischen von KARIN HASSELBLATT, Freiburg: Herder 1989. Zum Original s. Xiao Hong quanji, Harbin: Ha'erbin Chubanshe 1991, Bd. 1, S. 54–144. Zur feministischen Deutung s. LYDIA H. LIU: »The Female Body and Nationalist Discourse: Manchuria in Xiao Hong’s Field of Life and Death«, in: ANGELA ZITO u. TONI BARLOW (Hg.): Body, Subject of Power in China, Chicago u. London: University of Chicago Press 1994, S. 157–177.

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vielleicht besser von Scharmützeln, denn es kann weder von Siegen noch von Niederlagen die Rede sein. Japan war 1931 in die Mandschurei eingefallen und hatte 1932 den Marionettenstaat Mandschukuo (Manzhouguo) gegründet. Xiao Jun schreibt aus der Rückschau bzw. nach dem Hörensagen in dem weit entfernten Küstenort Tsingtau (Qingdao). Er hatte nämlich den Nordosten verlassen müssen, weil er wie auch Xiao Hong 1933 die japanische Aggression darzustellen gewagt hatte und entsprechend repressiven Maßnahmen ausgesetzt gewesen war.270 Drei Themen lassen den Roman unabhängig von seiner Qualität als diskussionswürdig erscheinen: 1. Das Verhältnis von Krieg und Sexualität bzw. Liebe und Revolution; 2. die Utopie einer neuen Ordnung (xin shijie) mit ihrer Verdammung des Alten als Abfall; 3. der Zusammenhang von Literatur und Disziplin. Diese zum Teil längst bekannten Themen weisen überall da neue Momente auf, wo es dem Verfasser gelingt, das starre Schema der proletarischen Literatur zu verlassen und statt eindeutiger Parteinahme eine innere Spannung im Herzen der Protagonisten zu veranschlagen.271 Das politische Credo des Erzählers ist zwar denkbar einfach, hat aber für die Anlage des Romans und für den Entwurf der Helden eine wichtige Konsequenz. Es lautet: Die japanische Führung, die Offiziere der Armee von Mandschukuo und die lokale Gentry, sofern diese auf der Seite des Feindes steht, sind zu töten, das einfache Volk aber einschließlich der Japaner zu schonen. Statt einer Schwarz-weiß-Zeichnung von Freund und Feind entwirft der Erzähler selbst im Falle eines vergewaltigenden japanischen Soldaten dessen innere Zerrissenheit zwischen Trieb und Disziplin. Die Spannung, unter welcher die chinesischen Protagonisten zu leiden haben, ist unter anderen Vorzeichen eine ähnliche. An der Oberfläche handelt der Roman von der Notwendigkeit der Disziplin im Kampf gegen Japan, tatsächlich erzählt er aber die Geschichte einer unerlösten Sexualität. Der Krieg ist für die japanischen Soldaten die Möglichkeit zur Jagd auf chinesische Frauen, für die chinesische Soldateska von Mandschukuo bedeutet er die Chance zu einem Besuch im Freudenhaus, und für die rebellischen Bauern erlaubt die Revolution den Traum von einer Ehefrau. Folgerichtig gefährden die Liebesgeschichten den Gang der Revolution. Statt auf ihren Posten auszuharren, laufen die Männer den Frauen hinterher, beschwören somit den Tod ihrer Kameraden herauf, und die Frauen, die ihre Freiheit wollen, gefährden die Disziplin der Truppe. Die sexuellen Sehnsüchte der Menschen stellen das Gegenstück zur allseitigen Zerstörung dar. Trotz der Allgegenwart des Todes sind die Protagonisten menschlich geblieben und können mitunter die Hinrichtungen von Grundherren nicht mehr ertragen. Der Roman bietet für den Zwiespalt von Liebe und Revolution keine Lösung an, und darin liegt trotz aller offensichtlichen Mängel sein eigentlicher Wert. 270 271

Zum Nachdruck von 1933 s. XIAO JUN u. XIAO HONG: Bashe, Kanton: Huacheng 1983. RUDOLF G. WAGNER: »Xiao Jun’s Novel ›Countryside in August‹ and the Tradition of ›Proletarian Literature‹«, in: La littérature Chinoise au temps de la guerre de résistance contre le Japon, S. 57–66.

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Xiao Hong hat für ihre Version der japanischen Okkupation einen weiblichen Standpunkt gewählt, sie hält sich nicht bei Fragen von Revolution und Disziplin auf. Für die Erzählerin ist der Mann das grundsätzliche Übel, das in der Gestalt des einmarschierenden japanischen Soldaten seine letzte Steigerung erfährt. Berühmt geworden ist der Satz der Protagonistin Jinzhi: »Früher haßte ich die Männer, heute hasse ich die Japaner.« Xiao Hong hat für ihren Roman das Titelbild selber entworfen, es zeigt ein Tier, welches im Chinesischen als yang nicht klar nach Schaf oder Ziege unterschieden wird. Als Bild der Unterwürfigkeit und des Elends taucht dieses Tier wiederholt in der chinesischen Literatur des 20. Jahrhunderts auf.272 Man mag es buddhistisch als Symbol der Ignoranz oder christlich als »Lamm Gottes« interpretieren, es behält in beiden Fällen seine menschliche Konnotation.273 Hier bestätigt sich einmal mehr die Auffassung von Meng Zi (372–281), daß der Unterschied zwischen Tier und Mensch nicht groß sei. Xiao Hong geht gar noch einen Schritt weiter: Das Tier ist dem Menschen vorgeordnet, ja, dasselbe läßt sich gar von der Ernte sagen, denn der Mensch lebt vom Fleisch und von den Früchten der Schöpfung, darum ist all sein Sinnen auf den Erhalt seiner organischen Umgebung gerichtet. Kurz, in der Ordnung der Tiere und Pflanzen wird der Mensch erst durch den Vierbeiner und die Saat zum Menschen. Wichtig ist daher nicht der Erhalt der einzelnen Person, sondern die Hege der Felder, Ställe und Weiden. Xiao Hongs Welt ist die Welt des Landes, dies gilt auch für ihre späteren Erzählungen.274 Im Gegensatz zu den Vertretern des 4. Mai und der proletarischen Literatur zeigt sie den Bauern nicht als Objekt der Aufklärung oder Subjekt der Rebellion, sie verklärt sein Leben nicht. Eine Tumbheit liegt über dem Land, die manchen Leser ratlos macht. Entsprechend ist die Rezeption ausgefallen, statt von enthusiastischer Aufnahme ist von gehöriger Distanz zu sprechen.275 Zu unerbittlich scheint auch das Urteil über das Prinzip Mann, das den Haß in die Welt trägt und das traurige Los der Frauen bedingt. Wie bei dem späteren Roman Geschichten vom Hulanfluß (Hulan He zhuan, 1942) haben wir es im vorliegenden Fall ebenfalls mit einem Episodenroman zu tun. Es findet keine Entwicklung statt, die Erzählerin bietet ein Panorama ihrer Zeit. Der 272

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Vgl. XIAO JUN: »Ziegen«, in: HOLGER HÖKE (Übers. u.a.): Ausgewählte Kurzprosa, Bochum: Brockmeyer 1984 (= Chinathemen; 11), S. 38–75; KARL-HEINZ POHL: »Hoffen auf die Kindeskinder. Eine literarische Betrachtung zu Xiao Juns Erzählung ›Ziegen‹«, in: Nachrichten der Gesellschaft für Ostasienkunde 134 (1983), S. 36–46; MARSTON ANDERSON: »The Barred View: On the Enigmatic Narrator in Xiao Jun’s ›Goats‹«, in: THEODORE HUTERS (Hg.): Reading the Modern Chinese Short Story, Armonk, New York: M.E. Sharpe 1990, S. 37–50. FRIEDRICH A. BISCHOFF: »Hsiao Hung’s Wheel of Birth and Death«, in: CLEAR 2/2 (1980), S. 249–257. XIAO HONG: Frühling in einer kleinen Stadt. Erzählungen, aus dem Chinesischen von RUTH KEEN [Köln: Cathay 1985]. Bezeichnend ist das völlige Verschweigen von Xiao Hong in C.T. HSIAS A History of Modern Chinese Fiction!

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geschickte Gebrauch von Leitmotiven verhindert die Zerfaserung des Erzählvorgangs in lauter beziehungslose Szenen. Das wichtigste Leitmotiv findet sich im Titel, der auf Erzählkommentare im sechsten und zehnten Kapitel zurückgeht. Chang (Ort) ist eigentlich ein im Religiösen abgetrennter Bereich zur Durchführung des Ritus. Shengsi (Leben und Sterben) meint die Abfolge von Zeugen, Gebären, Leben und Sterben, eine Abfolge, die sich immer wiederholt. Dies ist selbstverständlich eine blinde Reproduktion, hinter welcher ohne jegliches menschliche Zutun allein die Naturkräfte wirksam sind. Darum heißt es ganz nüchtern über ein Dorf in der Nähe von Harbin zu Beginn der 20er Jahre: »Im Dorf war Mensch und Tier gleichermaßen geschäftig zu gebären und zu sterben.« Und zehn Jahre später am Vorabend des japanischen Einmarsches heißt es weiter lakonisch: Der Berg ragte wie vor zehn Jahren in den Himmel, der Fluß strömte wie vor zehn Jahren in seinem Bett dahin, und das Grün der Anhöhe wechselte nach wie vor je nach Jahreszeit sein Kleid. Im Dorf drehte sich das ewige Rad des Lebens und Sterbens wie vor zehn Jahren.

Zitate wie diese276 belegen, daß der Roman nicht einfach in zwei Teile zerfällt, die zeitlich voneinander durch eine Dekade getrennt sind, sondern daß er dem Einheitscharakter des yiyang, des Immergleichen, durch eindrucksvolle Bilder Rechnung trägt. Und so steht nicht zufällig zu Beginn und am Ende des Romans das Bild einer Ziege, das auch den Gang der Handlung begleitet. Unabhängig von den politischen und kriegerischen Ereignissen entwirft die Erzählerin einen Raum, in welchem Geschichte die Kette aus »Leben, Alter, Krankheit und Tod« (sheng, lao, bing, si)277 nicht zu unterbrechen vermag. Es ist diese Geschichtslosigkeit, welche die direkte und die indirekte Fülle der Tiervergleiche erst ermöglicht. Am bekanntesten ist die folgende poetische Reihung: »Die alte Mähre, die alte Frau und das alte Blatt: Sie waren auf dem Weg in die Stadt.«278 Die Tatsache, daß die Zensur der Guomindang, die eine Beschwichtigungspolitik gegenüber Japan betrieb, den Roman verbot, hat sicherlich auch dazu beigetragen, dieses Werk als Vorgriff auf die bald einsetzende Literatur des antijapanischen Krieges mißzuverstehen. Die japanische Aggression bedeutet nichts anderes als eine Steigerung von Haß und Gewalt, die sich immer ereignen. In dieser Welt gilt jede Geburt als Strafe, ein Kind als Sünde, Mütter sind die Feinde ihrer Kinder etc. Der Erzählerin geht es nicht um ein historisches China vor und nach dem Einfall Japans, sondern um einen exemplarischen, symbolischen Ort der menschlichen Existenz auf dem chinesischen Kontinent. So erklärt sich auch der »filmische« Charakter des Werkes, das Beispielhafte bedarf des veranschaulichenden Bildes, das hier meisterhaft eines um das andere aufeinander folgt. 276 277 278

XIAO HONG: Der Ort des Lebens und des Sterbens, S. 73, 94; Xiao Hong quanji, Bd. 1, S. 99, 113. XIAO HONG: Der Ort des Lebens und des Sterbens, S. 54; Xiao Hong quanji, Bd. 1, S. 87. XIAO HONG: Der Ort des Lebens und des Sterbens, S. 39; Xiao Hong quanji, Bd. 1, S. 77.

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Werke wie Der Ort des Lebens und des Sterbens sind eher lyrisch als analytisch, sie sind bitterer Ernst. Xiao Hong hat aber auch ihren Anteil an der zweiten Spielart der damaligen linksgerichteten Literatur, nämlich an der Satire. Dies bewies sie durch ihren Roman Ma Bole279, der – 1940 veröffentlicht – eigentlich nicht in den hier zu behandelnden Zeitraum gehört, aber ein Thema aufgreift, das zu Beginn der 30er Jahre von Zhang Tianyi (1906–1985), dem »Meister der chinesischen Kurzgeschichte«280, immer wieder aufgebracht worden ist, nämlich das von Patriotismus und Maulheldentum, von Nationalismus und Schläue. Während Xiao Hong nur vereinzelt satirisch schreibt, verfährt Zhang Tianyi überwiegend so. Am bekanntesten ist seine Erzählung »Herr Hua Wei« (»Hua Wei xiansheng«, 1938), die den Leerlauf von Aktionen im Kampf gegen Japan karikiert. Persönlichkeiten in gehobenen Positionen wie Hua Wei begeben sich geschäftig von Sitzung zu Sitzung, verfolgen aber nur ihre eigenen Interessen. Ein Zitat mag zur Charakterisierung genügen:281 Ununterbrochen schrillte die Klingel der Rikscha, die Speichen blitzten im Licht. Bevor man das Bild noch recht aufgenommen hatte, war sie schon in weiter Ferne entschwunden, schnell wie ein Blitzstrahl. Nach den Berechnungen einiger hochgestellter hiesiger Aktivisten im Widerstandskrieg war die mit Abstand schnellste diejenige unseres Herrn Hua Wei. Er war eben sehr in Eile. Einmal hatte er gesagt: »Wie gern würde ich mir etwas von meinem Nachtschlaf abzwacken! Immer noch hoffe ich, der Tag hätte mehr als nur 24 Stunden. Meine Arbeit im Widerstandskrieg wächst mir wirklich über den Kopf!«

Hua Wei ist ein sprechender Name: Hua steht für China, und Wei bedeutet soviel wie Macht.282 Diese fragwürdige »Macht Chinas« ist nicht erst von Zhang Tianyi thematisiert worden, sie durchzieht wie ein roter Faden die Geschichte der chinesischen Revolution. Sun Yatsen, der Vater der chinesischen Republik, hatte von den Chinesen als einem »Haufen Streusand« gesprochen, Lu Xun beklagte immer wieder die Servilität seiner Landsleute, und Zhang Tianyi wirft seinen Mitbürgern mangelnde Courage in Sachen Patriotismus und Nationalismus vor. So in den Romanen Ein Jahr (Yi nian, 279

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Zu einer Teilübersetzung nebst bibliographischen Hinweisen von RODERICH PTAK s. minima sinica 2/2000, S. 113–135. HSIA: A History of Modern Chinese Fiction, S. 212, 231. KLÖPSCH u. PTAK (Hg.): Hoffnung auf Frühling, S. 351; Zhang Tianyi wenji, Bd. 4, Schanghai: Wenyi 1985, S. 259. Zur Deutung s. MARSTON ANDERSON: »Realism’s Last Stand: Character and Ideology in Zhang Tianyi’s Three Sketches«, in: Modern Chinese Literature 5.2 (Herbst 1989), S. 179–196. Zur Interpretation s. SHU-YING TSAU: »Zhang Tianyi’s Satirical Wartime Stories«, in: La littérature Chinoise au temps de la guerre de résistance contre le Japon, S. 175–188; ANDERSON: The Limits of Realism, S. 173–174; YIFENG SUN: Fragmentation and Dramatic Moments. Zhang Tianyi and the Narrative Discourse in Modern China, New York u.a.: Peter Lang 2002 (= Asian Thought and Culture; 54), S. 153–154, 291–294.

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1933) und Der wundersame Heros in Shanghais Konzessionen (Yangjingbang qixia, 1936). Wenn auch schon frühzeitig Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas, nimmt er in seiner Kritik die eigene Seite nicht aus. 1931 zum Beispiel entwirft er in seinem Roman Tagebuch aus dem Land der Gespenster (Guitu riji) die politische Situation Chinas als den Kampf zweier Parteien (d.h. der GMD und der KPCh) um die Frage, ob der chinesischen Hock- oder der westlichen Sitztoilette der Vorzug zu geben sei. Hinter den satirischen Werken hat bislang in der literaturwissenschaftlichen Würdigung das nichtsatirische Werk des Zhang Tianyi zurückstehen müssen. Beispielhaft ist die Mißinterpretation der beachtlichen Kurzgeschichte »Die Brüste eines Mädchens« (»Jibei yu naizi«, eig. »Rücken und Brüste«, 1933)283 aus der Sammlung Gegenoffensive (Fangong, 1934) durch Yifeng Sun als ein Stück »proletarische Literatur«284. Es ist dies die Geschichte einer entlaufenen Ehefrau, die zu guter Letzt den Sieg über die Sippe und die Macht der Ahnen davonträgt. Hier wird nicht wie sonst bei Zhang Tianyi die Frau als Opfer285 gezeigt, sondern in ihrer Stärke. Um ihrer Liebe zu einem anderen Mann willen verläßt sie ihren Gatten und läßt sich auch nicht durch das Sippengericht im Ahnentempel und die verhängte Prügelstrafe von einem erneuten Ausbruch abbringen. Ihr eigentlicher Gegner ist das Oberhaupt der Sippe, Zhang Taiye. Dieser hat ein Wohlgefallen an der »Schwägerin« Ren San gefunden. Der Erzähler ist meisterhaft in der Lage, das Begehren des Alten zu schildern, das sich an der Haut der Rückenpartien und an den Brüsten286 festmacht. Bei der Auspeitschung leidet Zhang Taiye mit: Er sieht das, was er begehrt, durch den Strafvollzug blutig zerstört. Der Vergleich der Brüste mit den Grabhügeln erlaubt die folgende Deutung: Es ist die Frau, die die Ahnen gebärt und säugt, diese überleben im Bewußtsein der Nachgeborenen, indem sie die Form dessen nachahmen, was ihnen Nahrung gab. Man weiß, daß die Nahrung aus Muttermilch auch zur pietätvollen Versorgung von hoffnungslos kranken Sippenältesten in exemplarischen Geschichten gehört hat. Zhang Taiyes dreimaliger Griff nach den Brüsten der Ren San Sao ist mehr als nur der Griff nach 283

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ADRIAN BAAR (Hg.): Erotische Geschichten aus China, Frankfurt: Fischer 1978 (= Fischer TB; 2416), S. 138–155. Die Übersetzung folgt der gekürzten englischen Fassung von YUAN u. PAYNE (Übers.): Contemporary Chinese Short Stories, S. 97–117. Zhang Tianyi wenji, Bd. 1, S. 485–511. SUN: Fragmentation and Dramatic Moments, S. 282–283. Als Literatur des Zeitgeistes ließe sich z.B. die Erzählung »Die Macht des Buddha« (»Pusa de weili«, 1935) bezeichnen, in: KLÖPSCH u. PTAK: Hoffnung auf Frühling, S. 327–349; Zhang Tianyi wenji, Bd. 2, S. 473–490. ANDERSON: The Limits of Realism, S. 171. Brüste spielen auch eine zentrale Rolle in der sehr gelungenen Satire »Das Bollwerk« (»Dizhu«, 1936) auf die damals wiederbelebte Konfuziusgesellschaft, übersetzt in LAU, HSIA u. LEE (Hg.): Modern Chinese Stories and Novellas 1919–1949, S. 336–344, interpretiert von HSIA: A History of Modern Chinese Fiction, S. 215–216; ANDERSON: The Limits of Realism, S. 164–165; SUN: Fragmentation and Dramatic Moments, S. 116–118. Zum Original s. Zhang Tianyi wenji, Bd. 3, S. 271–289.

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einem Sexualobjekt, das Greifen beinhaltet auch das Verlangen nach einem Weiterleben seiner selbst und von seiner Sippe. Der Komplott der Schwägerin macht all diese Hoffnungen zunichte. Mit ihrem Fortgang bleiben nur die Grabhügel und die Erinnerung an ihren Leib, die Nora vom Land hat gesiegt, das patriarchalische System ist dem Untergang geweiht. Zhang Tianyi löst hier den für sein Werk typischen Konflikt zwischen der Familie als Gefängnis der Emotionen und dem Verlangen des einzelnen nach Freiheit optimistisch. Er dreht insofern Lu Xuns Diktum von der hilflosen Nora in der Fremde um. Diese positive Sicht der Dinge ersetzt ausnahmsweise die tragische Auffassung der Moderne als »Widerspruch in sich«. Die Ironie des Autors ist nur die andere Seite der seinerzeit landesüblichen Enttäuschung und Verzweiflung, die in einem Akt der Entpersönlichung hatten überwunden werden sollen: Vom Ich zum Kollektiv, das war in diesem Fall der Weg vom Autobiographischen zur Sozialstudie und damit zur Verspottung all derjenigen, denen die Bewahrung des öffentlichen Gesichts wichtiger war als die Rettung Chinas.287 Es liegt in der Logik der Dinge, wenn am Anfang von Zhang Tianyis Karriere eine Erzählsammlung mit dem Titel Von der Leere zur Fülle (Cong kongxu dao chongshi, 1931)288, d.h. sinngemäß von der Vorstellung zur Wirklichkeit, steht. Und es scheint nur konsequent zu sein, wenn sich der Autor, der in seinem Werk nicht wenig die Jugend thematisiert hat, am Ende seiner vergleichsweise kurzen literarischen Karriere nach 1949 ganz der Kinderliteratur verschreibt und mit Ye Shengtao zum bedeutendsten Schriftsteller für die Jüngsten wird.289 Ironie hat bekanntlich etwas mit Moral zu tun: Jemand richtet von oben den Blick auf eine Gesellschaft, die er im argen sieht, dabei weiß er immer, was anders sein sollte. Statt Mitleid empfindet er Spott. Diese Abgrenzung des einzelnen Erzählers, der es besser weiß, gegen eine Schar von Protagonisten, die sich vor dem Leser der Lächerlichkeit preisgeben, birgt die Gefahr von Überheblichkeit oder bestenfalls falschem Mitleid in sich. Lu Xun hat auf diesen Umstand aufmerksam gemacht, den Ai Wu290 aktiv durch einen Wechsel seiner »Klassenzugehörigkeit« überwinden 287 288 289

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ANDERSON: The Limits of Realism, S. 154–158. Zhang Tianyi wenji, Bd. 1, S. 1–112. In Übersetzung liegen die folgenden Werke vor: DSCHANG TIÄN-YI: Der Grauwolf. Ein Theaterstück für Kinder, deutsch von EBERHARD TREPPT, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 3 1980; DSCHANG TIÄN-YI: Groß-Lin und Klein-Lin, deutsch von LOTTE SICHROVSKY, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 31980; CHANG TIEN-YI: The Magic Gourd, übersetzt von GLADYS YANG, Peking: Foreign Languages Press 1979. Zu seiner Person und seinem Werk s. EVA MÜLLER: »Les ›Novelles‹ de Ai Wu au Temps de la Guerre Sino-japonaise«, in: La littérature Chinoise au temps de la guerre de résistance contre le Japon, S. 239–241; ANDERSON: The Limits of Realism, S. 193–196; EVA MÜLLER: »Arbeiterdarstellungen aus Anshan in den Kurzgeschichten des chinesischen Schriftstellers Ai Wu«, in: Berichte. Arbeiten zur Kultur und Geschichte Ost- und Südostasiens zu Ehren der Professoren Fritz Gruner und Kurt Huber, hg. vom REKTOR DER HUMBOLDT-UNIVERSITÄT ZU BERLIN, Berlin: Druckkombinat o.J., S. 64–78.

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wollte. Auf Wanderungen durch die Provinz Yunnan bis nach Burma suchte er in den 20er Jahren als einer der ihren ein Leben mit Randgruppen zu führen. Er nannte dies die »Universität des Lebens«. Seine Erlebnisse hat er nach seiner Niederlassung in Schanghai ab 1931 einer Vielzahl von essayhaften Erzählungen anvertraut. Am bekanntesten ist das 1984 auch verfilmte Werk »Der Tempel in der Schlucht« (Shanxia zhong, 1933).291 Es macht bei aufmerksamer Lektüre jedoch eindeutig klar, warum der Erzähler auf Grund seiner Liebe zu den Büchern allen vergangenen Initiationsbemühungen zum Trotz niemals eine endgültige Aufnahme bei Abenteurern und Banditen hat finden können. Ai Wus wenig analysierte, lyrisch anmutende Erzählungen schlagen eine seltene Brücke zwischen ländlicher Heroisierung und linkem Bewußtsein. Das Bodenständige ist eigentlich eher das Metier der konservativen Erzähler, die der Schule der Hauptstadt (Jingpai) zugerechnet werden und ihre geistige Heimat in der Gesellschaft zur Förderung der Literatur (Wenxue Yanjiu Hui) haben. Besagte Schule bildet das Gegenstück zur Liga linker Schriftsteller, ihr liegt der Wandel der bislang vertrauten Welt am Herzen: Was einmal die Konstanten des Lebens ausgemacht hat, ist nun den einfachen Menschen entglitten. Entsprechend ergeht die Forderung nach einer Wiederbelebung der Tradition und der Volkskultur, die beide im Angesicht der Moderne ausgespielt zu haben scheinen. Erinnerung heißt das Programm zur Ablösung von Kollektivgeist und Gefühlsschwall durch eine gewisse Individualisierung und durch eine Mäßigung der Tonlage. Das Vergangene wird oftmals verklärt und seine Schönheit nicht selten mittels der überkommenen Ästhetik des Schlichten (pingdan), die den Kontrast des Hehren und Profanen erlaubt, zum Ausdruck gebracht. Mit den Vertretern dieser Schule hat sich die Sekundärliteratur bislang nur spärlich abgegeben, und auch die schulische Zuschreibung ist nicht gerade unproblematisch. Nehmen wir zum Beispiel den Fall des erst kürzlich wiederentdeckten Fei Ming (1901–1967).292 Als Erzähler wird er, der von großem Einfluß auf Shen Congwen und Wang Zengqi (1920–1997) gewesen sein soll, der Pekinger Schule zugerechnet, als Lyriker jedoch wäre er auf Grund der Nähe zu Baudelaire ein Vertreter des Modernismus zu nennen. Allerdings geben auch seine Erzählungen trotz aller bescheinigten reaktionären Einstellung Züge der Avantgarde und der Dekadenz zu erkennen, und seine modernistischen Gedichte sind wesentlich vom Zen291

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AI WU: Der Tempel in der Schlucht und andere Erzählungen, hg. von EVA MÜLLER, Berlin: Volk und Welt 1989, hier S. 44–61. Zum Original s. Ai Wu wenji, Bd. 1, Chengdu: Sichuan Renmin 1981, S. 152–169. Zu den wenigen längergefaßten Informationen gehört HAOMING LIU: »Fei Ming’s Poetics of Representation: Dream, Fantasy, Illusion and Ālayavijñāna«, in: Modern Chinese Literature and Culture 13.2 (2001), S. 30–71. Zum Prosawerk s. Fei Ming daibiaozuo, Peking: Huaxia 1998. Zur englischen Übersetzung seiner Erinnerung an den Tod der Schwester s. CHI-CHEN WANG (Übers.): Contemporary Chinese Stories, 2. Nachdruck, Westport: Greenwood Press 1973, S. 127–134. »Little Sister« wurde veröffentlicht unter dem ursprünglichen Namen des Autors: FENG WEN-PING [d.i. Feng Wenbing].

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Buddhismus geprägt. Fei Ming hat von allem etwas, und sein späterer Preisgang auf die chinesische Revolution und Mao Zedong fügt sich in dieses Bild eines zwischen allen Fronten lavierenden Autors. Ansonsten mögen zur Schule der Hauptstadt ein paar weitere Hinweise genügen. Sieht man einmal von den ihr nahestehenden Vertretern der »Schule des Lebens« (Renshengpai) wie Ye Shengtao293, Li Jieren (1891–1962) und dem christlich geprägten Xu Dishan (1893–1941)294 ab, so konzentriert sich dieser Kreis neben Fei Ming auf die Autoren Xiao Qian (1910–1999), Shi Tuo (1910–1988) und Li Jianwu (1906–1982). Auch hier sind die Informationen oftmals spärlich oder unbefriedigend. Li Jianwu, der nostalgisch den Nordwesten von Peking (Haidian, TsinghuaUniversität, Alter Sommerpalast, Westberge) besingt, hat sich eher als Dramatiker und Übersetzer von Flaubert denn als Erzähler einen Namen gemacht.295 Xiao Qian (1910–1999), der während seines Englandaufenthaltes (1939–1945) Kriegsberichterstatter gewesen ist, hat sich seit 1940 zum Journalisten entwickelt.296 In den wenigen Jahren seines Erzählens lag ihm wie Li Jianwu auch die Erweckung der Mitmenschen aus ihrer Indifferenz am Herzen. Dies war ein nationales Thema, und das Nationale stellte ein wesentliches Element der Pekinger Schule dar. Es ging dabei auch um das Eigene und das Fremde. Xiao Qian ist der Sänger des alten Peking und gleichzeitig der Kritiker des Christentums in China, das, wenn auch anders als die japanische Aggression, in seinen Augen ebenfalls Zerstörung und Demütigung mit sich gebracht hat. Die engagierte Auseinandersetzung mit dem Los der kleinen Leute in und um Peking läßt die Erzählweise oftmals eher modern als traditionalistisch erscheinen. Auch wenn die Hauptstadt mit ihrer inzwischen versunkenen Geschichte im Zentrum der Schilderungen stehen mag, so bedient sich der Autor keinesfalls der überkommenen 293

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Als repräsentativ kann aus dieser Zeit die Erzählung »Duo shoule sanwu dou«, eine Studie zu den Nöten auf dem Land, gelten, s. YE SHENGTAO: How Mr Pan Weathered the Storm, Peking: Panda Books 1987, S. 116–127 (»A Year of Good Harvest«). Zu seinem christlich geprägten Werk s. LEWIS S. ROBINSON: Double-Edged Sword: Christianity & 20th Century Chinese Fiction, Hongkong: Tao Fong Shan 1986. Übersetzungen seiner Werke finden sich vor allem in: Stories from the Thirties, Bd. 1, Peking: Panda 1982, S. 71–157. Zu seinem dramatischen Werk s. EDWARD M. GUNN, JR.: Unwelcome Muse. Chinese Literature in Shanghai and Peking 1937–1945, New York: Columbia UP 1980, S. 102–107; TONY HYDER (Hg.): It’s only Spring & Thirteen Years: Two Early Plays by Li Jianwu, London: Bamboo 1989; Li Jianwu juzuo xuan, Peking: Zhongguo Xiju 1982. Xiao Qian, der auch auf englisch geschrieben hat, hat teilweise seine Werke selber ins Chinesische übersetzt. Von den vielen verstreut erschienenen englischen Fassungen lagen mir vor: XIAO QIAN: Chestnuts and Other Stories, Peking: Panda 1984; HSIAO CH'IEN: Semolina and Others, Hongkong: Joint Publishing 1984; Xiao Qian Yingwen zuopinxuan. Selected English Writings by Xiao Qian, Peking: Beijing Yuyan Wenhua Daxue Chubanshe 2001. Zu seinem Werk s. JEFFREY C. KINKLEY: »Xiao Qian: Autobiography as Therapy«, in: CHRISTINA NEDER, HEINER ROETZ u. INES-SUSANNE SCHILLING (Hg.): China in seinen biographischen Dimensionen. Gedenkschrift für Helmut Martin, Wiesbaden: Harrassowitz 2001, S. 157–166.

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Muster zur Fabulierung eines Plots. Sein Thema ist die (Halb-)Waise in der Welt, und der Tonfall gehört nach eigenen Worten zum »Monolog eines Melancholikers«. Shi Tuo zu guter Letzt hat sich nicht etwa Peking, wo er von 1931 bis 1936 als Schriftsteller wirkte, zum Gegenstand gewählt, sondern die verarmten Dörfer des Nordens.297 Er gibt allgemein in seinen frühen Erzählungen über Land und Leute Elemente zu erkennen, die sich – vereinfachend betrachtet – auch in den Werken anderer Zeitgenossen nachweisen lassen. Sein traditioneller Schicksalsbegriff, sein Rückfall ins herkömmliche Erzählen, sein Gegensatzpaar von Stadt und Land stellen an sich nichts Neues dar. Der Einfluß von Lu Xun hat jedoch dazu geführt, daß seine Geschichten nicht einfach als konventionell abgetan werden können. Man kann auch in diesem Fall von sozialen Studien zu den Nöten des einfachen Volkes sprechen. Shi Tuo, der vom Lande stammte und sich auch als Vertreter der bäuerlichen Welt verstand, macht die Fragwürdigkeit einer Zuweisung zur Schule der Hauptstadt deutlich. Ähnlich problematisch ist auch, um an den Anfang zurückzukommen, die simple Zuweisung von Li Jieren zur »Schule des Lebens«. Wäre nicht die Heimat Chengdu sein Metier, würde sein nostalgischer Entwurf des Vergangenen – vorausgesetzt, dieser gälte dem Norden – sicherlich der Pekinger Schule zugerechnet werden. Von allen in diesem Zusammenhang genannten Erzählern ist dieser Autor der traditionellste, aber auch packendste. Seine zwischen 1935 und 1937 verfaßte Trilogie einer jüngeren Zeitgeschichte der Provinz Sichuan (1894–1911) zerfällt in lauter Episoden, die lediglich durch die Meisterschaft einer nicht verwestlichten Sprache und durch den rückwärtsgewandten Tonfall einen Zusammenhang zu erkennen geben. Der Erzähler versteht es, im Rahmen seiner Geschichte die Details der versunkenen Welt Sichuans liebevoll und ohne jeden Ideologieverdacht wieder heraufzubeschwören. Die drei Romane tragen sprechende Titel: Wellen in totem Gewässer (Sishui weilan), Vor dem Gewitter (Baofengyu qian) und Die Große Woge (Dabo). 298 Mit Hilfe seiner Natur297

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Zu seinem Gesamtwerk s. vor allem HSIA: History of Modern Chinese Fiction, S. 461–468; GUNN: Unwelcome Muse, S. 77–102; ZBIGNIEW SLUPSKI: »The World of Shih T'o«, in: Asian and African Studies IX (1973), S. 11–28. Alle genannten Beiträge ziehen die Inhaltsangabe der Analyse vor. THEODORE HUTERS: »The Telling of Shi Tuo’s ›A Kiss‹: Few Words and Several Voices«, in: HUTERS (Hg.): Reading the Modern Chinese Short Story, S. 74–91 (Interpretation), S. 153–161 (Übersetzung). Zu einer Gesamtausgabe s. Shi Tuo quanji, 8. Bde., o.O: Henan Daxue 2004. In der Ausgabe Li Jieren xuanji (Chengdu: Sichuan Renmin Chubanshe 1980) findet sich im ersten Band auf den Seiten 2–271 der Roman Sishui weilan (Wellen in totem Gewässer), auf den folgenden Seiten 273–662 findet sich der Roman Baofengyu qian (Vor dem Gewitter). In Band 2 erstreckt sich in drei Teilen über 1631 Seiten der Roman Dabo (Die Große Woge). Zur Übersetzung des ersten Romans ins Englische s. LI JIEREN: Ripples Across Stagnant Water, Peking: Panda 1990. Zur Deutung von Sishui weilan s. LAN DIZHI: Xiandai wenxue jingdian: zhenghoushi fenxi. Modern Literary Classics: Symptomatic Reading, Peking: Qinghua Daxue Chubanshe 1998, S. 179–192.

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metaphorik vermittelt der Autor seine Sicht des historischen Geschehens: Durch den Konflikt von Geheimgesellschaften und (chinesischen) Christen, durch Imperialismus und Eisenbahnbau entsteht selbst im toten Gewässer (sishui) China eine Wellenbewegung (weilan), die zu einer großen Woge (dabo) wird. Li Jieren, der übrigens von 1919 bis 1924 in Frankreich als Arbeiterstudent tätig war und anschließend zu einem bekannten Übersetzer französischer Literatur geworden ist, variiert hier selbstverständlich einen Gedanken von Wen Yiduo, der China als »totes Gewässer, bar jeder Hoffnung« entworfen hatte. Sein schon zu Lebzeiten hochgelobtes Werk, das der Autor nach 1949 immer wieder umzuschreiben sich genötigt sah, ist heute so schwer zugänglich, daß die selbst in einer ausgewiesenen Bibliothek anzutreffenden Ausgaben kein Garant für den ursprünglichen Entwurf sind.

2.2 Die Schanghaier Schule (Haipai) Will man der Einteilung der damaligen Erzähler in eine Pekinger (Jingpai) und in eine Schanghaier Schule (Haipai) etwas literaturwissenschaftlich Sinnvolles abgewinnen, so ließe sich grob wie folgt rekapitulieren: Die »Schule der Hauptstadt« neigt zum Einheimischen, Ländlichen und Vergangenen, die »Schule vom Meer« dagegen hat das Fremde, die Stadt und die Gegenwart zu ihrem Gegenstand. Die Tradition und die Moral machen die eine, der Markt und die Dekadenz die andere Seite aus. In letzterem Fall liegt der Übergang von einem Modernismus zu einer Trivialliteratur auf der Hand. Zur Abgrenzung von der traditionalistischen Unterhaltungsliteratur eines Zhang Henshui zum Beispiel ist der Hinweis vonnöten, daß Schanghaier Autoren wie Zhang Ziping (1893–1959)299 oder Ye Lingfeng (1905–1975)300 durchaus als moderne Erzähler ernstzunehmen sind.301 Auch in diesem Fall erweist sich die Angelegenheit als äußerst komplex. Zhang Ziping mag zwar ein Vielschreiber gewesen sein, durch dessen Vulgarisierung von Themen seiner Zeit die Literatur zur Ware geworden ist, aber seine Behandlung des menschlichen Leidens (kumen) als das Leiden an, unter und dank Sex verweist auf ein modernes Bewußtsein, das sich wesent299

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Zu dieser Gestalt gibt es so wenig in der westlichen Sinologie, daß die Aufnahme zweier seiner Werke in A Selective Guide to Chinese Literature 1900–1949 doch eigens hier vermerkt sei, s. SLUPSKI: The Short Story, S. 284–286, und DOLEŽELOVÁ-VELIGEROVÁ: The Novel, S. 224–225. Zu seiner Beschreibung als Dandy s. LEO OU-FAN LEE: Shanghai Modern. The Flowering of a New Urban Culture in China, 1930–1945, Cambridge, Mass.: Harvard UP 1999, S. 257–266. Es sei an dieser Stelle nachgetragen, daß als erster Franz Kuhn die damalige Unterhaltungsliteratur durch eine Übersetzung ernstgenommen hat: HAI SCHANG SCHUO MONG JEN: Fräulein Tschang. Ein chinesisches Mädchen von heute, Berlin u.a.: Zsolnay 1931 [Haishang shuomengren, d.i. der Traumwandler von Schanghai: Xiepuchao, d.i. Im Dunst von Schanghai, Schanghai 1925]. Ihm ist 1948 in Peking JOS. SCHYNS: 1500 Modern Chinese Novels & Plays, Nachdruck, Ridgewood: Gregg Press 1965, gefolgt. Der Verfasser stellt kommentierend und wertend die (Unterhaltungs-)Literatur der damaligen Zeit zusammen. Viele heute vergessene Autoren und Werke sind hier aufgelistet, darunter auch Zhang Ziping und Ye Lingfeng.

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lich der Rezeption von Sigmund Freud (1856–1939) verdankt.302 Auch Ye Lingfeng hat, durch den Wiener Begründer der Psychoanalyse angeregt, der Fleischeslust das Wort geredet und über die Rede wider das Lustverbot und die alte Moral hinaus kosmopolitische Themen wie modern girl, eternal woman und Weltschmerz aufgegriffen. Kurz, in beiden Fällen gewinnt die Metropole Schanghai erst durch die Literatur der Haipai ihr geistig-seelisches Gewicht als ein Zentrum der internationalen Moderne, werden der Städter und die Städterin als besonders gefährdetes Subjekt entdeckt. Das Triviale und das Avantgardistische, das Banale und das Dekadente liegen hier nicht weit auseinander. He Jin, ein nicht weiter erfaßbarer Erzähler der damaligen Zeit, brachte seine Sicht folgendermaßen auf den Punkt: »Alles Moderne ist krank.« Die Literatur des damaligen Schanghai als der Ort von Moderne und Krankheit hat in den letzten Jahren verstärkt sinologische Aufmerksamkeit gefunden.303 Es sind weniger große Werke gewesen, die auf diese Art und Weise wiederentdeckt worden sind, es ist gleichwohl eine Epoche vor dem Auge des Historikers wiedererstanden, die auch jenseits der reinen Literaturgeschichtsschreibung eine interessierte Zuwendung verdient. Bevor im folgenden einzelne Aspekte eigens beleuchtet werden sollen, sei hier die Schanghaier Schule schematisch mit vier Punkten charakterisiert, Punkte, die hinreichend klarmachen dürften, daß der westliche Modernismus im Gegensatz zum Deutschland der 30er Jahre zur Gänze bekannt war und gepflegt wurde: 1. Die Schule ist apolitisch, sie verfolgt eine Kommerzialisierung und zu diesem Zweck eine Vulgarisierung der Literatur (qingwenxue). Sie ist Teil der Konsumkultur, die in den 30er Jahren um die Nankinger Straße (Nanjinglu) herum entsteht. 2. Ihr Ort des Erzählens ist die Metropole, in diesem Fall Schanghai, eine Stadt im Übergang, eine Ausgeburt des Häßlichen und Perversen. Ästhetische Vorstellungen richten sich nicht mehr auf das vordergründig Schöne, sondern auf das hintergründig Böse. Die Dekadenz der Stadt wird – wie international auch304 – zum künstlerischen Selbstzweck. Schönheit existiert nur im Häßlichen. 3. Die Protagonisten der (Liebes-)Romane sind 302

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Zur Aufnahme von Freud in der chinesischen Literatur s. DONGSHU ZHANG: Die Psychoanalyse in der modernen chinesischen Literatur (1919–1949), Frankfurt: Lang 1994; JINGYUAN ZHANG: Psychoanalysis in China. Literary Transformations 1919–1949, Ithaca: Cornell University 1992. Das Interesse verdankt sich vornehmlich zwei unveröffentlichten Dissertationen: RANDOLPH TRUMBELL: The Shanghai Modernists, PhD 1989, und vor allem HEINRICH OTMAR FRÜHAUF: Urban Exoticism in Modern Chinese Literature 1910–1933, PhD Chicago 1990. Insbesondere in Nachfolge von Frühauf hat sein Doktorvater LEO OU-FAN LEE den folgenden Aufsatz verfaßt: »Decadence: A Tentative Essay on the Relevance of a Concept in Modern Chinese Literature«, in: MARIÁN GÁLIK (Hg.): Chinese Literature and European Context, Bratislava: Slovak Adademy of Sciences 1994, S. 19–25. Glücklicherweise hat HEINER FRÜHAUF seine Erkenntnisse in zwei kleinen Beiträgen zusammengefaßt: Sehnsüchte unter sich. Literarischer Exotismus in Ost und West, Tokio: Deutsche Gesellschaft 1988 (= OAG aktuell; 33); »Das Fremde im Eigenen, das Eigene im Fremden. Exotische Ästhetik am Beispiel Paris/Shanghai«, in: minima sinica 1/1989, S. 1–38. Vgl. hierzu WOLFDIETRICH RASCH: Die literarische Décadence um 1900, München: Beck 1986.

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der geile Städter und die lüsterne Städterin, welche die freie Liebe pflegen und dabei nur fleischliche Befriedigung suchen. Man spricht hier vom »erotischen Roman neuen Typs« (xinshi de yurou xiaoshuo). 4. Unter dem japanischem Einfluß des Neosensualismus, auch Neoperzeptionismus genannt (shinkankakuha),305 bilden sich in den experimentellen Formen des großstädtischen Erzählens ein Ästhetizismus, Symbolismus und Sensualismus heraus, die schließlich unter dem Namen Neue Sinnlichkeit (Xin Ganjuepai) Schule machen. Der Aufstieg Schanghais zum »Paris des Ostens«306 verdankt sich einer Naturkatastrophe: 1923 war Yokohama von einem Erdbeben erschüttert worden, in dessen Folge sich das dortige Nachtleben nach Schanghai zu verlagern begann. Es waren nicht nur Lebemänner, sondern auch Künstler aus aller Herren Länder, die sich bis zur ersten Bombadierung von Schanghai (1932) und längstens bis zum Ausbruch des Chinesisch-Japanischen Krieges 1937 in den modernsten Kinos, an den längsten Hotelbars, in den buntesten Tanzsälen und an den größten Swimming-pools, ganz zu schweigen von den international besetzten Etablissements, zu vergnügen suchten. Hier feierte man die Grundtugend der Zeit, die Geschwindigkeit, die alles, ob Mensch oder Dinge, in beliebigem Wechsel auf den flüchtigen Moment einer Begegnung, einer Berührung reduzierte. Die Lust am Fragmentarischen stellt ein Gegenprogramm zur Rationalität des 4. Mai dar, ihre Vorbilder sind im Fin de siècle des Abendlandes zu suchen. Ob Arthur Schnitzler (1862–1931), Baudelaire oder Aubrey Beardsley (1872–1898), alles Westliche stand Pate, sofern es nur Leben im Sinne von Lebendigkeit zu suggerieren schien. Fremdes, besonders wenn es dem antiken Griechenland oder dem Frankreich des 19. Jahrhunderts entstammte, wurde blind rezipiert, angebetet und nachgeahmt. Das Fremde war – so schien es – die Zivilisation, und Schanghai als Ort des Fremden avancierte somit automatisch zum Hort der Zivilisation, und da das Fremde die Aufgabe hatte, durch seine Vorbilder das Eigene zu stärken, wurde Schanghai auch als Ausgangspunkt zur nationalen Erneuerung verstanden. Natürlich läßt sich in diesem Kontext leicht die Frage stellen, ob die drei wichtigsten Vertreter der Neuen Sinnlichkeit, Li Na'ou (1900–1939), Mu Shiying (1912–1940) und Shi Zhecun (1905–2003)307, überhaupt etwas anderes getan haben, als Texte auf der Basis von anderen (übersetzten) Texten zu entwerfen und herkömmliche Bilder von Frauen als Statuen, als Duft und Fleisch, als Wesen mit Filmgesichtern zu tradieren. Sicherlich haben oftmals eine rätselhafte Zusammenarbeit mit den Mächten der Reaktion und gewaltsame Todesfälle das literarische Werk sekundär erscheinen lassen, 305

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Vgl. hierzu IRMELA HIJIYA-KIRSCHNEREIT: Selbstentblößungsrituale. Zur Theorie und Geschichte der autobiographischen Gattung »Shishōsetsu« in der modernen japanischen Literatur, Stuttgart: Steiner 1981, S. 62, 68. Zu diesem Aufstieg s. MARIE-CLAIRE BERGÈRE: Histoire de Shanghai, Paris: Fayard 2002; XUDONG ZHANG: »Shanghai Image: Critical Iconography, Minor Literature, and the UnMaking of a Modern Chinese Mythology«, in: New Literary History 33.1 (2002), S. 137–169. Zu einer Dokumentation ihrer Werke s. Xin ganjuepai xiaoshuo xuan, Peking: Renmin Wenxue 1985. Zu Li Na'ou s. Hefte für Ostasiatische Literatur 37 (2004), S. 88–96.

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doch ist ohne ihre literarisch konzipierte Welt des Sadismus, der Selbstquälerei und der Grausamkeit das spätere Werk von inzwischen weltbekannten Autoren der Volksrepublik China wie Wang Anyi (geb. 1954), Ge Fei (geb. 1964), Yu Hua (geb. 1960) und Su Tong (geb. 1963) gar nicht vorstellbar. Es mag hier genügen, stellvertretend den inzwischen bekanntesten Repräsentanten kurz zu Wort kommen zu lassen, zumal er im deutschen Sprachraum jüngst wiederholt hinlänglich mal kritisch, mal enthusiastisch bekanntgemacht worden ist.308 In der Novelle »Shi Xiu« (1931) entwirft Shi Zhecun die grausame Welt der Räuber vom Liang-Schan-Moor (Shuihuzhuan)309 noch einmal in einzelnen Szenen neu:310 Shi Xiu blickte voller Gefühle zu Pan Qiaoyun hinüber. Yang Xiong trat einen Schritt vor, er drehte den scharfen Dolch nur einmal und schnitt zuerst die Zunge ab. Das frische Blut spritzte zwischen den zarten Lippen heraus. Dann begann er, zu fluchen und gleichzeitig die Frau von der Herzgegend bis zum Magen aufzuschlitzen. Er entnahm das Herz, die Leber und die Eingeweide. Shi Xiu genoß den Anblick bei jedem Stich freudig. Erst als Yang Xiong den Magen von Pan Qiaoyun zerteilte, spürte er ein Ekelgefühl. Nur ein beschränkter Mensch mit dem familiären Hintergrund eines Scharfrichters war zu einem solchen Tun befähigt. Shi Xiu überkam erneut das befriedigende Gefühl der Freude, als er den von Yang Xiong 308

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GOAT KOEI LANG-TAN: »The European Literature of the Decadence and the So-called Modernist Chinese Short Stories from the 1920s and 1930s: Interliterary Study of Arthur Schnitzler, Shi Zhecun and Ling Shuhua«, in: MARIÁN GÁLIK (Hg.): Interliterary and Intraliterary Aspects of the May Fourth Movement 1919 in China: Proceedings of the International Sinological Symposium, Smolenice Castle, March 13-17, 1989, Bratislava: Veda Publishing House of the Slovak Adacemy of Science 1990, S. 139–153; INES-SUSANNE SCHILLING u. RALF JOHN: Die Neuen Sensualisten (xin-ganjuepai). Zwei Studien über Shanghaier Modernisten der zwanziger und dreißiger Jahre, Bochum: Brockmeyer 1994 (= Chinathemen; 78); LUTZ BIEG: »Shi Zhecun und seine Erzählung Große Lehrerin Huangxin oder die bewußte Rückwendung zur Tradition«, in: HELWIG SCHMIDT-GLINTZER (Hg.): Das andere China: Festschrift für Wolfgang Bauer zum 65. Geburtstag, Wiesbaden: Harrassowitz 1995 (=Wolfenbütteler Forschungen; 62), S. 435–448 (mit Hinweisen auf frühe deutsche und englische Übersetzungen); RALF JOHN: Zum Erzählwerk des Shanghaier Modernisten Shi Zhecun (geb. 1905). Komparatistische Untersuchungen und kritische Würdigung einer sinisierten »Literarischen Psychologie«, Frankfurt u.a.: Peter Lang 2000; SHI ZHECUN: »Kumārajīva«, aus dem Chinesischen von RALF JOHN, in: minima sinica 2 (1997), S. 61–103; Zur Deutung dieser Erzählung s. WILLIAM SCHAEFER: »Kumarajiva’s Foreign Tongue: Shi Zhecun’s Modernist Historical Fiction«, in: Modern Chinese Literature 10.1/2 (1998), S. 25–70; MARC HERMANN: »Zu Leben und Werk des chinesischen Schriftstellers Shi Zhecun«, in: Kosmopolis. Interkulturelle Zeitschrift aus Berlin, 11–12 (2004), S. 29–33; SHI ZHECUN: »Ein Abend in der Regenzeit« (»Meiyu zhi xi«), aus dem Chinesischen von MARC HERMANN, in: Kosmopolis 11–12 (2004), S. 35–45. Zum Sadismus in diesem Roman s. IRENE EBER: »Weakness and Power: Women in Water Margin«, in: GERSTLACHER u.a. (Hg.): Woman and Literature in China, S. 3–28. Übersetzt nach Xin ganjuepai xiaoshuo xuan, S. 107. Die Szene wird besprochen von LEE: Shanghai Modern, S. 161–163. Zur Novelle s. JOHN: Zum Erzählwerk des Shanghaier Modernisten Shi Zhecun, S. 37–45.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949) weiter zerstückelten Leib mit dem letzten Rot der Pfirsichblüte sah. Wirklich ein wunderbarbarer Anblick! Jedes abgeschnittene Glied war von extremer Schönheit. Ließen sich all diese Teile wieder zu einer lebendigen Frau zusammensetzen, ich würde sie ungeachtet von Yang Xiong in meine Arme nehmen.

Es handelt sich hier um eine plakativ geschilderte Hinrichtungsszene. Pan Xiaoyun ist des Ehebruchs verdächtigt und wird daher von ihrem Mann, Yang Xiong, der Bestrafung unterzogen. Shi Xiu, ein Schwurbruder von Yang Xiong, hat jedoch längst ein Auge auf die Frau seines Gefährten geworfen, er findet nun im Akt der Verstümmelung seine sexuellen Phantasien verwirklicht. Mag auch die Sekundärliteratur die an Freud und Schnitzler geschulte psychologische Tiefe der Novelle zu preisen nicht müde werden, die Wiederentdeckung der Neosensualisten wird eher dem Literaturhistoriker als dem Literaturfreund gerecht, zu sehr scheint billige Sensationslust eine anspruchsvolle Fabuliergabe zu ersetzen. Die Haipai verkörpert eine Unterhaltungsliteratur, die von der Moderne nicht zu trennen ist. Von ihr zu unterscheiden ist diejenige Trivialliteratur, die äußerlich noch ganz im Stile der Tradition daherkommt, gleichwohl Anzeichen ihrer Zugehörigkeit zu einer veränderten Welt zu erkennen gibt. Ihr wichtigster Repräsentant ist der bereits kurz erwähnte Zhang Henshui. Jedoch erwiese sich auch in diesem Fall eine vereinfachende Zuschreibung zum rein konservativen, affirmativen Erzählen als problematisch. Die Haipai ist unpolitisch, Zhang Henshui dagegen stellt sich nach dem Zwischenfall von Mukden (Shenyang, 1931), der einsetzenden japanischen Okkupation des Nordostens, mit seinem Schaffen auf die Seite des Patriotismus und hilft, mit seinen vierzehn gegen Japan gerichteteten Romanen eine Literaturpolitik vorzubereiten, die wenig später unter Mao Zedong zur Popularisierung revolutionärer Inhalte mit Hilfe der traditionellen Erzähltechnik führen sollte. Zhang Henshui war auch deswegen der Linken ein Politikum, weil er wie ebenfalls die Haipai die Stellung der Neuen Literatur bei der Leserschaft zu gefährden begann. Die Erzählkunst machte unter der Buchproduktion ein bis zwei Drittel des gesamten Ausstoßes im damaligen China aus, dabei hatte die Unterhaltungs- bzw. Trivialliteratur inzwischen eindeutig den größten Anteil übernommen. Dieser Bedeutungsverlust führte auf Seiten der Linken zu einem Nachdenken über die Rolle des 4. Mai im politischen Prozeß einer erfolgreichen Umgestaltung der chinesischen Gesellschaft. Man begann, sich nun auf eine »Vermassung« (dazhonghua) der ernsten Literatur und auf die Formel »alte Form« + »Sprache der Masse« (dazhongyu) zu verständigen. Nur wenige waren jedoch damals in der Lage, der Theorie die Praxis folgen zu lassen, und was unmittelbar unter besagter Maßgabe aus der Feder von Ouyang Shan (1908–2000) oder Qu Qiubai erschien, vermochte sich nicht mit den offensichtlichen Erfolgen der Erzähler von Rittergeschichten (wuxia xiaoshuo) wie Gu Mingdao (1897–1944) oder Huanzhulou Zhu (1902–1961)311 zu messen. 311

HUANZHULOUZHU [d.i. Huanzhulou Zhu]: Blades from the Willows, übersetzt von ROBERT CHARD, London: Wellsweep 1991.

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Auch wenn Zhang Henshui312 als der moderne Trivialautor gilt, so sollten die neuen Aspekte in seinem Schaffen doch nicht übersehen werden. Mit seinen 91 Romanen, die unterschiedlichen Genres wie Liebesroman, Rittergeschichte oder Kriminalroman zugerechnet werden, avanciert er zum bestbezahlten Autor seiner Zeit, weil es ihm gelingt, als erster chinesischer Schriftsteller seine Arbeiten für viel Geld zu verkaufen. Er ist damit Vorläufer der seit den 90er Jahren in der Volksrepublik China geübten Praxis, die eigenen Werke gleichsam an der Börse meistbietend zu versteigern. Politisch ist er revolutionär eingestellt und versteht sein Schreiben als eine Waffe gegen den Imperialismus und als Mittel zu einer nationalen Erweckung der chinesischen Leserschaft, literarisch dagegen verficht er als ein konservativer Erzähler bewußt das Gegenprogramm zur Moderne. Sein Erzähler ist allwissend und von der Macht des Schicksals überzeugt. Seine Protagonisten vertreten die herkömmlichen Tugenden wie Tapferkeit, Gelehrsamkeit, Loyalität und schöne Erscheinung. Seine Welt ist die der Teehäuser, Theater und Etablissements, seine Geschichten sind die von Trennung und Begegnung, von Freude und Leid, die wie Yin und Yang einander ablösen und den natürlichen Prozeß einer lockeren Abfolge von anekdotenhaften Episoden in Kapitelform (zhanghui) mit Hilfe narrativer Standardformeln (huashuo, »es hatte geheißen«) bedingen. Seine Sprache ist eine Mischform aus Nord und Süd, die ohne Beeinträchtigung westlicher Syntax in reiner Form daherkommt und dem Bedürfnis des städtischen Lesepublikums nach einer chinesischen Identität gerecht wird. Um den Erfolg von Zhang Henshui verstehen zu können, ist es notwendig, einen Blick auf die Komplexität von Moderne zu werfen. Moderne bedeutete westliche Moderne, in einer Stadt wie Schanghai waren ihre Zeichen auf Schritt und Tritt wahrnehmbar, in einer Stadt wie Peking äußerte sie sich zwar weniger durch die Veränderung des Stadtbildes, aber doch durch ein neues Bewußtsein. Auf die Literatur übertragen bedeutet dies, daß Chinesisches sich fremd einzukleiden hatte, um als up to date gelten zu können. Ihre Sprache, ihre Form und ihr Geist mochten sich zwar noch der Schriftzeichen bedienen, aber sie blieben dank ihrer Modernität Boten des Fremden. Das Triviale, das es als Massenphänomen im kaiserlichen China nie gegeben hatte, bot die Möglichkeit, diesem Mißverhältnis von Eigenem und Fremdem entgegenzusteuern, indem es einen sprachlichen Raum der Tradition begründete, der mit den Mitteln der Moderne (Druck, Vertrieb, Verfilmung etc.) umgesetzt wurde. Insofern gehören Unterhaltung und Modernität mitunter zusammen und bilden nur bedingt einen Gegensatz. Überdies hat die chinesische Revolution, die trotz aller 312

Zu seinem Werk siehe neben der Arbeit von WANG RUPPRECHT (Anm. 29) auch EVA WAGNER: Zhang Henshuis »Einundachtzig Träume«. Gesellschaftskritik zwischen Tradition und Utopie, Bochum: Brockmeyer 1990 (= Chinathemen; 56); ROLAND ALTENBURGER: »Willing to Please: Zhang Henshui’s Novel ›Fate in Tears and Laughter‹ and Mao Dun’s Critique«, in: FINDEISEN u. GASSMANN (Hg.): Autumn Floods, S. 185–194; T.M. MCCLELLAN: »Change and Continuity in the Fiction of Zhang Henshui (1895–1967): from Oneiric Romanticism to Nightmare Realism«, in: Modern Chinese Literature 10.1/2 (1998), S. 113–133.

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Wiederbelebung von traditionellen Herrschaftsformen als Teil der Moderne zu begreifen ist, Ansätze der Trivialkultur übernommen und in ihrem Sinne weiterentwickelt, die auf den ersten Blick mit ihrem Programm unvereinbar erscheinen mögen. Was Zhang Henshui und die Kulturpolitik der Kommunistischen Partei Chinas verbindet, ist neben den oben genannten Punkten verallgemeinert ein Doppeltes: 1. Das Phänomen einer auf die Massen ausgerichteten Literatur, das seinen Ausdruck in der Forderung nach einer »Vermassung« (dazhonghua) der Künste findet, und 2. die Absage an eine Moderne, die den einzelnen in seinem Abschied von dem Kollektiv bestärkt. Es ist eine wenig bekannte Tatsache, daß Mao Zedong trotz aller scheinbaren Lobgesänge auf den 4. Mai diesen durch Reduzierung auf den patriotischen Aspekt im Grunde genommen bekämpfte. Es ist also die Feststellung zu treffen, daß am Vorabend des Chinesisch-Japanischen Krieges das Phänomen einer Massenkultur reiche und unterschiedliche Facetten aufweist: Es sind da eine Unterhaltungsliteratur mit modernistischen Zügen (Haipai) von einer Trivialliteratur mit politischem Engagement und beide von einer sozialkritischen Literatur zu unterscheiden, die sich in das dezente Gewand der Pekinger Tradition (Jingpai) oder das marktschreierische Gewand der Revolution kleiden.

2.3 Das modernistische Gedicht In demselben Maße, wie die Werke der Unterhaltungs- und Trivialschriftsteller heute wiederaufgelegt worden sind, sind auch die Werke ihrer elitären Gegenspieler, der Modernisten, wieder zugänglich gemacht worden. Ihr gemeinsamer Ort war vornehmlich Schanghai, die geheime Hauptstadt des Wandels und des Transitorischen. Hatte die Trivialliteratur der Flüchtigkeit moderner Existenz die Konstanten der Tradition entgegensetzen wollen, hatte die Unterhaltungsliteratur der unbeständigen Triebnatur des Städters durch die Mittel von Kitzel und Reiz Rechnung getragen, so basierte der Modernismus ganz auf dem Bewußtsein einer Moderne als einer beliebigen Abfolge flüchtiger Zeichen, die sich nicht weiter deuten, sondern nur bejahen lassen. Zentraler Text des chinesischen Modernismus ist das Gedicht »Gasse im Regen« (»Yuxiang«)313, das seinem Verfasser, Dai Wangshu (1905–1950)314, den Beinamen »Dichter der Regengasse« eingebracht hat. Den Schirm aus Ölpapier aufgespannt, allein Mit meiner Unruhe in einer endlosen, endlosen 313

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LIANG REN (Hg.): Dai Wangshu shi quanbian, o.O.: Zhejiang Wenyi 1989, S. 27f; KUBIN: Nachrichten von der Hauptstadt der Sonne, S. 127f. Nach MICHELLE LOIS bahnbrechender Studie (s. Anm. 317) ist inzwischen soviel zu Dai Wangshu publiziert worden, daß zwei allgemeine Buchhinweise genügen mögen: GREGORY LEE: Dai Wangshu. The Life and Poetry of a Chinese Modernist, Hongkong: Chinese UP 1989; INGRID KRÜßMANN-REN: Literarischer Symbolismus in China. Theoretische Rezeption und lyrische Gestaltung bei Dai Wangshu (1905–1950), Bochum: Brockmeyer 1990 (= Chinathemen; 58).

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Die Entfaltung einer modernen Literatur in China (1928–1937) Und verlassenen Regengasse, Hoffe ich eine Frau zu treffen, Die wie der Flieder Ihre Wehmut trägt. Ja, sie ist Von der Farbe des Flieders, Von dem Duft des Flieders, Von der Melancholie des Flieders, Im Regen ihre Wehmut, Ihre Wehmut und Unruhe. Unruhig läuft sie durch diese verlassene Regengasse, Den Schirm aus Ölpapier aufgespannt Wie ich, Wie ich Geht sie schweigend, Teilnahmslos und in sich verloren. Sie kommt näher, Näher kommt sie Mit seufzergleichen Blicken, Sie gleitet vorbei, Wie ein Traum, Wie ein Traum: verlorene Anmut und flüchtig. Wie ein Traum gleitet sie vorbei Fliederzweigartig, An meiner Seite gleitet diese Frau vorbei; Schweigend entfernt sie sich, ist schon fort, An der verödeten Hecke Hat sie die Regengasse durcheilt. In der Klage des Regens Ist ihre Farbe verwischt, Ist ihr Duft erloschen, Fort ist sogar ihr Seufzergleicher Blick, Die fliedergleiche Wehmut. Den Schirm aus Ölpapier aufgespannt, allein Mit meiner Unruhe in einer endlosen, endlosen Und verlassenen Regengasse, Hoffe ich vorüberzugleiten An einer Frau, die fliedergleich Ihre Wehmut trägt.

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Dai Wangshu greift hier einen Topos der abendländischen Moderne auf. Viele haben Gedichte »an eine Vorübergehende« geschrieben. Erinnert sei nur an den Vierzeiler »Begegnung« (1842) von Theodor Storm315: Das süße Lächeln starb dir im Gesicht Und meine Lippen zuckten wie im Fieber; Doch schwiegen sie – wir grüßten uns auch nicht, wir sahn uns an und gingen uns vorüber.

Der chinesische Modernismus, der seine Geburtsstunde 1925 an der 1903 gegründeten und von französischen Jesuiten geleiteten Schanghaier Aurora-Universität erlebte, wird normalerweise auf die Jahre 1927 bis 1932 eingegrenzt, sollte aber mit all seinen Nachwirkungen bis 1937 veranschlagt werden. Der Begriff ist nicht eindeutig und wurde in der Vergangenheit auch oftmals durch den des Symbolismus widergegeben, der ihm eigentlich nur vorangegangen war.316 Shi Zhecun hat drei Charakteristika festgelegt, die sich gut mit dem internationalen modernismo zusammenschließen lassen. Er spricht 1. vom reinen Gedicht, 2. vom Gedicht als Ausdruck eines zerrissenen Lebensgefühls und 3. von einem unwillentlich klassizistischen Hauch. Ein anderer wesentlicher Aspekt ist bereits durch das obige Textbeispiel aufgezeigt worden: die Musikalität, die das Ergebnis eines reinen Sprach- und eines reinen Formwillens, kurz von Ästhetizismus ist. Schönheit und Ordnung sind in differenzierter Weise eine ästhetische Antwort auf die Zeit, die aus den Fugen geraten und unansehnlich ist. Insofern wohnt der elitären Gestaltung des Chaotischen und Häßlichen auch etwas Politisches inne: Dem Modernismus, der weder nationale noch soziale Themen scheute, geht es um die Erneuerung der Gesellschaft. So erklärt sich denkbar einfach das Zusammenspiel von Kunst und Engagement, das im Falle von Dai Wangshu ganz offen und nicht nur latent anzutreffen ist. Die Begründer des chinesischen Modernismus, der seine größten Erfolge in der Lyrik aufzuweisen hat, sind neben den bereits genannten Erzählern Liu Na'ou (1900– 1939) und Shi Zhecun der spätere Mitherausgeber der gewichtigen Literaturzeit-

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THEODOR STORM: Sämtliche Gedichte in einem Band, Frankfurt a.M. u. Leipzig: Insel 2002, S. 384–387. Zum Thema Vorübergehende(r) s. auch das Gedicht von HUGO VON HOFMANNSTHAL: »Einem, der vorübergeht « [1891], in: DERS.: Die scheue Schönheit kleiner Dinge. Gedichte, ausgewählt u. hg. von DOROTHEA TETZELI VON ROSADOR, München: dtv 2004, S. 90. Während z.B. LIN: Modern Chinese Poetry, KAI-YU HSU (Hg., Übers.): Twentieth Century Chinese Poetry: An Anthology, New York: Doubleday 1964, und EUGEN FEIFEL: Moderne chinesische Poesie, von 1919 bis 1982. Ein Überblick, Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms 1988, Dai Wangshu unter den Symbolisten anführen, nimmt SUN BAOSHI (Hg.): Xiangzheng shipai, Peking: Renmin Wenxue 1986 unseren Dichter in seine Anthologie gar nicht auf.

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Die Entfaltung einer modernen Literatur in China (1928–1937)

schrift Xiandai (Les Contemporains, 1932–1935) Du Heng (1907–1964) und ihr bedeutendster Vertreter Dai Wangshu. Politisch stand diese Richtung, die ihre geistige Heimat im Modernismus französischer317 und spanischer318 Prägung hatte, zwischen allen Lagern mal links, mal rechts, mitunter scheinbar apolitisch, mal kritisiert, mal selber Zensor im Amt. Sie war vor allem literarisch ein erratischer Block, doch trotz aller Verfemung bis 1979 von ungebrochen anhaltendem Einfluß. So ist die spätere Hermetische Schule (Menglong Shipai)319 eines Bei Dao ohne die große übersetzerische Tätigkeit des Dai Wangshu320 nicht vorstellbar, schließlich war es letzterer, der mit seinen Übertragungen von Frederico García Lorca (1898–1936) der chinesischen Dichtkunst einen Ausweg aus der Kulturrevolution gewiesen hat. Schauen wir uns das Umfeld der damaligen Zeit an, so gilt selbstverständlich auch für die Lyrik all das, was die Erzählkunst ästhetisch eingeengt hatte: Thema sollte nicht die Welt des Dichters, sondern die Revolution sein, nicht der einzelne sang, sondern die Masse im Chor. Pathos, Volkstümelei und ein kruder Realitätsbegriff waren angesagt. So pries Yin Fu (1909–1931)321 in seinem Gedicht »1. Mai 1929« (»1929 nian wuyue yiri«) das Glück des Kollektivs: »Ich bin nicht mehr ich.« Oder Pu Feng (1911–1942)322 forderte in seinem Gedicht »Gehirn unter Waffen« (»Wuzhuang de naodai«) »den heiligen Krieger, der die Wahrheit auf dem Bajonett trägt«: »China, ja ich will ein Kanonier sein!« Die Chinesische Dichtungsgesellschaft (Zhongguo Shige Hui), die 1932 als Teil der Liga linker Schriftsteller gegründet worden war, atmete ganz den Geist des ersteren und zielte unter der Leitung des letzteren gegen den morbiden Geist der Modernisten (Xiandaipai) und die formalen Experimente der Mondsichelschule (Xinyuepai), in ihrer Spätphase hauptsächlich vertreten durch den frühverstummten Chen Mengjia (1911–1966)323. Sie schloß mit Slogans wie »Gedicht und Dichter zu den Massen« (shi yu shiren de dazhonghua) an den Streit an, der Jahre zuvor von dem Proletarier Jiang Guangci und dem Symbolisten Li Jinfa (1900– 317

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Zum französischen Einfluß s. v.a. MICHELLE LOI: Roseaux sur le mur. Les poètes occidentalistes Chinois 1919–1949, Paris: Gallimard 1971. Zum spanischen Einfluß s. EROL GÜZ: »Dai Wangshu in Spanien«, in: minima sinica 1/2001, S. 100–138. Diese Schule, von der noch die Rede sein wird, ist ausführlich und zweisprachig (ChinesischEnglisch) vorgestellt in Renditions 19&20 (Frühling/Herbst 1983), S. 181–270. Zur politischen Kritik s. HE YUHUAI: Cycles of Repression and Relaxation. Politico-Literary Events in China 1976–1989, Bochum: Brockmeyer 1992 (= Chinathemen; VI), S. 279–314. Zu den Übersetzungen s. Dai Wangshu yishi ji, Changsha: Hunan Renmin 1983. Zu seiner Person und seinem Werk s. WILLIAM A. LYELL: »Down the Road that Mei Took: Women in Yin Fu’s Work«, in: FINDEISEN u. GASSMANN: Autumn Floods, S. 335– 350. Zu diesem heute vergessenen Verfasser von Massenchören s. FEIFEL: Moderne chinesische Poesie, S. 107–111. Zu diesem in westlicher Sprache spärlich behandelten Dichter s. FEIFEL: Moderne chinesische Poesie, S. 54–56.

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1976)324 auf den Gegensatz von Entpoetisierung (feishihua) und Poetisierung (chunshihua) gebracht worden war. Eine rein schematische Gegenüberstellung von revolutionärer und elitärer Dichtung greift jedoch zu kurz. Viele haben beliebig die Lager gewechselt oder waren in beiden zuhaus. Mu Mutian (1900–1971)325 ist vielleicht das bekannteste Beispiel: Allgemein wird er dem Vorläufer des Modernismus, dem Symbolismus (Xiangzhengpai) zugeschlagen, doch nach seiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei und der Liga linker Schriftsteller hat er patriotische Verse verfaßt. Auch Dai Wangshu hat später offenkundig politische und gleichwohl modernistische Gedichte geschrieben, am bekanntesten sind seine Verse aus dem Gefängnis geworden. Umgekehrt trifft dies auf Zang Kejia (1905–2004) zu, der zwar früh schon auf der Seite der Revolution stand, sich aber bis 1937 noch seine literarische Unabhängigkeit zu bewahren wußte. Er soll unter dem Einfluß der Mondsichelschule gestanden und einen Realismus wie die Dichtungsgesellschaft vertreten haben. So oder so lassen sich seine frühen und oftmals ungewöhnlichen Gedichte mit ihrem Geist der Leidensfähigkeit (jianrenzhuyi) wenig in eine Schule einordnen. Sie verkörpern ein Mitleid mit den Notleidenden, das sprachlich ergreifend umgesetzt ist. 1933 veröffentlichte Zang Kejia den schmalen Band Brandmale (Laoyin). Der Titel ist sprechender Natur und steht für die Bitternis des Lebens, die sich wie ein Feuer einsengt. Der folgende gleichnamige Text von 1932 könnte formal auch unter dem Stichwort Modernismus subsumiert werden, allerdings fehlt ihm der oftmals so typische Geist der Agonie.326 Um nicht in die Vergangenheit zu schauen, Sage ich listig, das Leben ist eine Lüge, Der Schmerz hat meinem Herzen ein Zeichen eingebrannt, Zu jeder Zeit sagt es mir, was Leben ist. Ich kann nicht lassen, das Brandmal zu berühren, Bis im roten Licht plötzlich ein giftiges Feuer aufflammt, Aus den Funken sprühen Lieder, Ein jedes singt vom Unglück des Lebens. Nie habe ich meinen Schmerz kundgetan, Denn ich weiß, das ist ein Verbrechen, Fühllos ist dieses Leben und ungeschieden in Tag und Nacht, Hüte dich, seine Lösung preiszugeben. 324

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Zu Übersetzungen von HARALD JESCHKE s. Orientierungen 2/1999, S. 61–66, zu seinem Werk LIN: Modern Chinese Poetry, S. 152–164; KUO-CH'ING TU: »Symbolist Imagery in Li Jinfa’s Weiyu«, in: Journal of Oriental Studies XXV (1987), S. 187–196. Da auf deutsch sonst nichts vorzuliegen scheint, s. zu diesem Dichter FEIFEL: Moderne chinesische Poesie, S. 64–67. ZANG KEJIA: Laoyin, Nachdruck, Schanghai: Kaiming Wenxue 1947, S. 14f; KUBIN: Nachrichten von der Hauptstadt der Sonne, S. 147 (leicht verändert).

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Die Entfaltung einer modernen Literatur in China (1928–1937) Ich nähre mich vom Saft der Bitternis Wie ein Wurm von Krotonbohnen, Das Herz hoch in der Luft, Fällt selbst das Atmen schwer.

Akademisch betrachtet ist die Modernistische Schule ein Zusammengehen von Symbolismus und der späten Mondsichelschule, die Übergänge sind jedoch fließend und die Berührungen vielfach. Gemeinsam ist ihnen ein Bewußtsein von der »Krankheit der Stadt«, von der »Krankheit der Jugend« und von der Gefährdung der Künste. Nahezu zwangsläufig wird 1936 aus ihrer Mitte stellvertretend He Qifang (1912– 1977) treten, um dem modernen Ich das Abschiedsgeleit zu geben und sich ganz der revolutionären Sache zu widmen. Sein Gedicht »Das letzte Geleit« (»Songzang«)327 schließt: Ich werde nicht mehr von der Liebe singen Wie die Zikade des Sommers von der Sonne. Adjektive, Metaphern und Papierblumen, Ein kurzer Brand im Ofenfeuer. Seidenraupen, die stumm an Bücherblättern nagen, Spinnen mählich ihre Kokons. Dies ist Winter. In dem langen Leichenzug Trage ich mein Selbst zu Grabe, Wie wenn ich die Zähne eines Drachen säte, Daß ihnen eine Schar Krieger entwüchse, Die einander abschlachteten, Bis der Stärkste übrigbliebe.

Was He Qifang wenige Verse zuvor als »das Zeitalter der Leichenzüge« bezeichnet hat, hat mit dem Tod der Dichter zu tun. Die Dichter sind die »Traumsucher«, »die Nachtwandler«, »die Paradiesvögel«, Dinge, die Dai Wangshu immer wieder thematisiert hat, um schließlich zu sagen: »Der Garten des Himmels ist öd und leer.«328 Besagte »Krankheit der Jugend« findet ihren offensichtlichsten Ausdruck in dem meisterhaft komponierten Gedicht »Der Traumsucher« (»Xunmengzhe«), das den Zwiespalt von Suche und Ziel entwirft. Es endet nüchtern:329 327

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Kubin: Nachrichten von der Hauptstadt der Sonne, S. 144f; He Qifang wenji, Peking: Renmin Wenxue 1982, Bd. 1, S. 52f. Zu Leben und Werk s. BONNIE S. MCDOUGALL: Paths in Dreams. Selected Prose and Poetry of Ho Ch'i-fang [d.i. He Qifang], St. Lucia: University of Queensland Press 1976. LIANG: Dai Wangshu shi quanbian, S. 96 (»Leyuanniao«). Ebd., S. 95; zum gesamten Text und zur Deutung s. LEE: Dai Wangshu, S. 219–222.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949) Schließlich wird dein Traum erblüht sein, ja, er wird zart erblüht sein, wenn du alt bist und gebrechlich.

Gedichte wie diese zeigen auch, wie brüchig alle Schulzuweisungen sind, welche die vor allem chinesische Sekundärliteratur so sehr liebt. Es ist zwar wahr, daß der »symbolistische« Dai Wangshu dunkel und überladen geschrieben hat, doch im Laufe seiner Hinwendung zum »Modernismus« vereinfacht sich der Ton und führt zu der Forderung nach einer Prosaisierung der Lyrik, allerdings nicht um den Preis einer ästhetischen Nivellierung. Lyrisch soll der Inhalt sein, prosaisch die Form und die Musikalität soll statt durch den Wechsel der Tonhöhen durch ein Auf und Ab der Gefühlslage kreiert werden. Trotz aller Komplexität wirkt der obige Text verständlich und schlicht. »Der Traumsucher« thematisiert das Fragmentarische allen Seins. Dai Wangshu ist nicht nur der Dichter des Flüchtigen, sondern auch des Brüchigen. Sein Zeitgenosse Bian Zhilin (1910–2000) hat ebenso wie er das Fragment zum Titel und zur Form erhoben.330 Beispielhaft ist der Vierzeiler »Fragment« (»Duanzhang«) von 1935.331 Du stehst auf einer Brücke und betrachtest die Landschaft, Wer die Landschaft betrachtet, betrachtet dich von einem Turm. Der helle Mond verschönt dein Fenster, Und du verschönst den Traum eines dritten.

Mit Verweis auf Zhuang Zi (369–286) verkennt die Literaturkritik den modernen Charakter dieses Gedichtes. Es geht nicht um die taoistische Auffassung der Relativität menschlicher Erkenntnis, sondern um das Transitorische aller Existenz. Der vierfache Perspektivenwechsel besagt: Es gibt nichts Unabdingbares, jeder ist ein anderer, keine Handlung gehört einem Handelnden allein, alles steht in einem Beziehungsgeflecht, das beliebig seine Teile zueinanderfinden läßt. Das Fragmentarische ist das Thema der Moderne, es läßt keine letzte Sinngebung mehr zu, ganz im Gegensatz zum Taoismus, der im Beiläufigen und im Marginalen seine Bestimmung erst findet. Diese Kunst, gleichsam vom Rande her zu denken, hat erst der Hongkonger Schriftsteller Liang Bingjun (Leung Ping-kwan, geb. um 1949) wieder aufgenommen, der ihr neben einem postmodernen auch einen politischen Unterton gegeben hat. 330

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LIANG: Dai Wangshu shi quanbian, S. 10 (»Fragments«). Zu Leben und Werk des Bian Zhilin s. LLOYD HAFT: Pien Chih-lin [d.i. Bian Zhilin]. A Study in Modern Chinese Poetry, Dordrecht u.a.: Foris Publications 1983. KUBIN: Nachrichten von der Hauptstadt der Sonne, S. 121 (leicht verändert); BIAN ZHILIN: Yumu ji, Nachdruck, Hongkong: Mee Ming Book Centre o.J., S. 12. Zur Interpretation s.YEH: Modern Chinese Poetry, S. 122f; WAI-LIM YIP (Hg.): Lyrics from Shelters. Modern Chinese Poetry 1930–1950, New York u. London: Garland Publishing 1992, S. 38–40; HAFT: Pien Chih-lin, S. 49.

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Bian Zhilin ist ein philosophischer Dichter, der das Prinzip des Modernismus, die Person zurückzunehmen, in der chinesischen Literatur der Moderne am weitesten entwickelt hat. Diese sogenannte Dehumanisierung332 zeigt sich auch in obigem Gedicht, wo die Personalpronomina »du« und »er« in Fluß geraten. Nicht selten verwischen sich bei diesem Dichter gar alle drei Pronomina: »Ich«, »du«, »er« werden zu ein und derselben Angelegenheit. Diese Austauschbarkeit findet eine Fortsetzung in dem eigenwilligen Gebrauch der Verbindungspartikel »und« (he), die erst über die Berührung mit westlichen Sprachen im Chinesischen populär geworden ist. Wendungen wie »ein Freund bringt die Idee von Schnee mit und 17 Uhr« gibt es die Fülle. Verfahren dieser Art gehören zu dem, was man später im Rahmen einer postmodernen Ästhetik als Fluxus bezeichnet hat. Dieses beliebige Treiben der Dinge, die entsprechend auch menschliche Qualitäten annehmen können, hat Fei Ming 1937 in dem Gedicht »An der Straßenecke« (»Jietou«)333 wie folgt zum Ausdruck gebracht: Zur Straßenecke gehen, also fährt ein Auto vorbei, Also ist da die Einsamkeit eines Briefkastens. Der Briefkasten PO Also ist nicht mehr erinnerlich die Nummer des Autos, also ist da die Einsamkeit arabischer Zahlen, die Einsamkeit eines Autos, die Einsamkeit einer Straße, die Einsamkeit der Menschheit.

2.4 Die Essayistik Was für die Erzählkunst und für die Lyrik gilt, gilt selbstverständlich auch für den Essay in dieser Zeit, auch er wird zur Waffe im Kampf der beiden unterschiedlichen politischen Lager und kann nur in Ausnahmefällen rein literarische Qualitäten entwickeln. Gleichwohl ist ihm ein Charakter zueigen, der ihn formal dem gerade angesprochenen Phänomen des Fluxus nahebringt. Dies gilt allerdings eher für die dominierende Form des zawen als für die Form des sanwen.334 Ihr wichtigster Vertreter ist Lu Xun, ihre Bestimmung für diese Zeit erfolgt daher auch nach Maßgabe seines umfangreichen Zawen-Werkes. Zawen und Zeitungswesen gehören unmittelbar zusammen. Lu Xun hat seine politische Essayistik zunächst in Zeitungen veröffentlicht 332

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Vgl. hierzu JOSÉ ORTEGA Y GASSET: Die Vertreibung des Menschen aus der Kunst. Auswahl aus dem Werk, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1964. ZHANG MANYI (M.M.Y. Fung) u.a. (Hg.): Xiandai Zhongguo shixuan 1917–1949, Hongkong: Hong Kong UP 1974, Bd. 1, S. 279; zur Interpretation s. YEH: Modern Chinese Poetry, S. 5–7. Zur Gattung des zawen s. DAVID POLLARD: »Contemporary Zawen«, in: JOSEPHINE RILEY u. ELSE UNTERRIEDER (Hg.): Hashi Zou Hao. Chinese Poetry, Drama and Literature of the 1980’s, Bonn: Engelhardt-NG Verlag 1989 (= Berichte des Ludwig-Boltzmann-Instituts; 27), S. 152–176.

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und später erst zu einer Sammlung zusammengestellt. Trotz aller Umstrittenheit ist sie von einer in China unübertroffenen Modernität: 1. Als fester Bestandteil des Journalismus ist sie ein modernes Genre. 2. Sie ist Ausdruck und Mittel einer schnellebigen Existenz, die eine unmittelbare Reaktion auf alle Dinge in allen Bereichen verlangt. Zawen, das heißt kurzgesagt: JETZT. 3. Diese Essayistik tritt engagiert auf, sie ist moralischer Natur. Sie will sofort eingreifen und ohne Umschweife verändernd wirken. 4. Sie kommt fragmentarisch und gestaltlos daher. Da sie gleichsam alles an Form und Gedankengut in sich aufnehmen kann, gilt sie als »eine freie Form ohne Form«. Eben dies macht ihre klare Eingrenzung so schwierig. Lu Xun hat die Möglichkeiten des zawen wie kein zweiter und verstärkt in den letzten Jahren vor seinem Tod zu nutzen gewußt.335 Die »Teilchen«, wie er sagte, fügten sich nicht nur ihm zum »sinnlichen Ganzen«, auch heute erfährt der Leser, was der Chinese, insbesondere was die chinesische Seele damals war. Seine, wie er es nannte, »Geschichte des Menschen in China« stellt die chinesische Enzyklopädie des 20. Jahrhunderts dar. Die Bedeutung dieser »Enzyklopädie« kann in folgenden Punkten gesehen werden: 1. Ihr kritischer Charakter. Gegen den traditionellen Geist der Toleranz (shudao) und gegen die Lehre von Maß und Mitte (zhongyong) stellt Lu Xun sein Konzept des »nicht endenwollenden Kampfes«. Hauptzielscheibe seiner Sozial- und Kulturkritik ist neben dem bereits erwähnten Sklavencharakter des Chinesen und der allwaltenden Unterdrückung in der chinesischen Gesellschaft die rechtsgerichtete Politik seiner Zeit: Da geht sein Kampf mal gegen die Militärs, mal gegen die Guomindang, mal gegen Restaurationsbemühungen jeglicher Art, mal gegen eine nationalistische Literatur, mal gegen das Chinesentum (guocui), mal gegen nationale Bildung (guoxue) etc. Unter den vierzehn Bänden der politischen Essayistik ist Das Totenmal (Fen, 1927) am bekanntesten und am wenigsten umstritten. Viele Sammlungen dagegen, vor allem die nach 1927 entstandenen, gelten inzwischen nicht wenigen Literaturwissenschaftlern als reine Verleumdung. Jedoch enthalten auch einige vor 1927 geschriebene Polemiken bereits die eine oder andere Provokation, die heute eines neuen Nachdenkens bedarf. Erinnert sei nur an die folgenden berühmten Worte des Essays »Beiläufiges im Lampenschein« (»Deng xia manbi«)336 von 1925: Aber immer mehr Chinesen preisen ihre alte Kultur, und die Ausländer stimmen ein. [...] Was sich chinesische Kultur nennt, ist nichts anderes als ein Festessen aus Menschenfleisch, das nur den Reichen zum Genuß zubereitet wird. Und China selbst ist nur die Küche, in der diese Festessen aus Menschenfleisch zubereitet 335

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Zu Lu Xuns zawen im besonderen s. DAVID E. POLLARD: »Lu Xun’s Zawen«, in: LEO OU-FAN LEE (Hg): Lu Xun and His Legacy, Berkeley u.a.: University of California Press 1985, S. 54–89; LEO OU-FAN LEE: Voices from the Iron House. A Study of Lu Xun, Bloomington and Indianapolis: Indiana UP 1987, S. 110–129. Lu Xun: »Das Totenmal«, in: LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 294, 298, 300; Lu Xun quanji, Bd. 1, S. 214, 216f.

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Die Entfaltung einer modernen Literatur in China (1928–1937) werden. [...] Diese Festmahle aus Menschenfleisch werden immer noch bereitet, und viele wollen, daß es immer so weitergeht. Diese Menschenfresser auszurotten, die Festtafeln umzustürzen, die Küche zu zerstören – darin liegt die Mission der heutigen Jugend.

Starke Worte. Man spürt hier deutlich den Geist Nietzsches am Werk. Der Essay wird damit, wie es sein Verfasser selber gefordert hat, zur Waffe, zum Messer oder zum Speer. Kein fair play scheint mehr zu gehen. Lu Xun setzt nach 1927 nur um so verbitterter fort, was er zuvor bereits angemahnt hatte: Was fällt, gehört gestoßen, und zwar im Sinne Nietzsches ohne Erbarmen, ohne Mitleid. In diesem Sinne wurde der Essay »Kein überstürztes ›Fair play‹. Ein Disput« (»Lun ›Feie polai‹ yinggai huanxing«, 1925 )337 zur Zeit der Kulturrevolution in die politische Tat zur vollkommenen Vernichtung des Gegners umgesetzt.338 Selbst im Angesicht des Todes hat Lu Xun keine Nachsicht gekannt. Eines seiner letzten Worte in dem Essay »Tod« (»Si«, 1936)339 lautet: Ich erinnere mich noch, wie mir während des Fiebers einfiel, daß die Europäer kurz vor ihrem Tod eine Zeremonie abhalten, in der sie andere um Verzeihung bitten und gleichzeitig ihren Gegnern verzeihen. Ich habe viele Feinde, aber was soll ich antworten, wenn irgendein »aufgeklärter« Mensch meine Meinung zu dieser Frage wissen will? Nach gründlicher Überlegung bin ich zu dem Schluß gekommen: Sollen sie mich ruhig weiter hassen, ich werde keinem von ihnen verzeihen!

2. Ihr Charakter des Zweifels. Die chinesische Tradition kennt keinen Zweifel im Sinne einer permanenten Hinterfragung und anhaltenden Verzweiflung. Sie kennt lediglich eine momentane Verwirrung, die durch Selbstkultivierung zu beheben ist. Dies hat sich unter Intellektuellen bis weit ins 20. Jahrhundert so gehalten. Lu Xun stellt die große Ausnahme dar, der Zweifel ist gleichsam seine zweite Haut, ein Lebensgefühl, das im Essay seinen besonderen Ausdruck findet. Der Autor hegt Argwohn, gegenüber den alltäglichen Dingen, gegenüber sich selbst. Dabei geht es ihm um die Analyse herkömmlicher Situationen, die Sezierung der eigenen Person. Selbst ein Fluch kann zum Gegenstand einer kritischen Betrachtung der chinesischen Geschichte werden.340 Der Autor liebt es, seine Hinterfragung mit Hilfe der Technik der Umwertung und des Paradoxes durchzuführen. Dabei gibt er dem Leser manches 337

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In: LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. 5: Das Totenmal, S. 357–369; Lu Xun quanji, Bd. 1, S. 270–281. Zum Hintergrund dieses gegen Lin Yutang und dessen Konzept des Mitleids gerichteten Essays habe ich verschiedentlich publiziert. Zu diesem meist diskutierten Essay s. THOMAS TÄUBNER: Chinas neuer Heiliger. Lu Xun in der Volksrepublik China […], Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 2004, S. 237–248. BUCH u. MAY: Lu Hsün, S. 194f; Lu Xun quanji, Bd. 6: Qiejieting zawen mobian, S. 612. Vgl. »Apropos ›… bei seiner Mutter!‹« (»Lun ›Tamade‹«, in: LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. 5: Das Totenmal, S. 311–317.

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Rätsel auf. Es gibt im Deutschen die Wendung »um die Ecke denken«, diese trifft wohl sehr gut den Sachverhalt. Am 10. April 1933 reagiert Lu Xun auf den am selben Tag verfaßten Essay von Cao Juren (1900–1972) zum Thema »des fälschlichen Tötens von Menschen« mit einem Einwand. Zu dessen These, jede Revolution verlange Blutopfer, man dürfe nur nicht die falschen, das heißt die eigenen Leute hinmetzeln, führt er aus: Yuan Shikai (1859–1916) habe nach der zweiten Revolution von 1913 nicht etwa fälschlich sondern gezielt Anhänger des eigenen Lagers, der Revolutionspartei, getötet, um sich später selber als Kaiser einsetzen zu können. Lu Xun, der auch hier Vergangenheit und Gegenwart zu einem Kreislauf von Geschichte zusammenfaßt, zieht den folgenden Schluß: »Daher denke ich, die Revolution in China hat es so weit gebracht, nicht weil man ›fälschlich Menschen töten‹ ließ, sondern weil wir den Menschen [Yuan Shikai] falsch betrachtet haben.«341 Diese Übersetzung stellt eine Interpretation dar, denn die Umwertung ist semantisch nicht eindeutig erfolgt: Das Zeichen für »der Mensch« kann auch als »die Menschen« aufgefaßt und auf die Getöteten bezogen werden, was den Charakter der Satire verstärken würde. Strenge Logik ist jedoch nicht die Sache des Satirikers Lu Xun. Bei der Verbindung der heterogensten Dinge stellt der Regelverstoß gleichsam die Regel dar, nur so ist es möglich, in den größten formalen Kontrasten eine innere Gemeinsamkeit zu entdecken. So zum Beispiel wenn er Gelehrte, deren Artikel in allen Boulevardzeitungen an den Kiosken zu finden sind, auf eine Stufe mit den Straßendirnen stellt, die gezwungen sind, wegen mangelnder Nachfrage nachts auszuschwärmen. Das Geschriebene und das Fleischliche werden so eines, denn beides kann nur, den Ärmsten angedient, sein Glück in der Gosse versuchen. 3. Ihr übertragener Charakter. Gegen die Kritik, Lu Xun habe mit seinen politischen Essays Schindluder getrieben, indem er selbst die Großen seiner Zeit wie den für Bertolt Brecht (1898–1956) so wichtigen Schauspieler Mei Lanfang (1894–1961) verunglimpft habe, läßt sich leicht das folgende Argument in die Diskussion einbringen: Es geht dem Verfasser nicht um den einzelnen oder das Konkrete, sondern um das Ganze und das Allgemeine. Der einzelne ist lediglich der Aufhänger für eine generelle Betrachtung. Wir sehen dies auch an dem gerade kritisch angeführten Beispiel des Essays »Kein überstürztes ›Fair play‹«, der übrigens im Stil des traditionellen achtgliedrigen (Examens-)Aufsatzes (baguwen) verfaßt ist: Es geht nicht um den einzelnen Hund, der, ins Wasser gefallen, weiter zu prügeln ist, sondern um seine übertragene Bedeutung. Er steht für eine Gruppe von Menschen, und zwar für die geschlagene Schicht der Gentry, die nach Ausrufung der Republik auf allen Ebenen zu den Mitteln der Restauration bzw. der Konterrevolution griff. Kurz, nicht der einzelne, das einzelne in seiner Gesamtheit ist dem Essayisten wichtig, sondern das Konkrete in der einen typischen Situation, das dadurch zum repräsentativen Beispiel aufsteigen 341

»›Shacuole ren‹ yiyi« (»Einwand gegen ›das fälschliche Töten von Menschen‹«), in: Lu Xun quanji, Bd. 5: Wei ziyou shu, S. 95.

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kann. »In dem einen Punkt angreifen, aber nicht auf alles übrige zielen«, dies ist das Verfahren von Lu Xun. Insofern sind die von ihm vielfach angegriffenen Essayisten Lin Yutang und Liang Shiqiu stellvertretend für ihn »öffentliche« und keine »privaten Feinde«. 4. Ihr doppelbödiger Charakter. Ausgang aller zawen ist ein objektives Ereignis, das aber subjektiv umgedeutet wird. Die »Seele Chinas« wird zur Seele Lu Xuns. Die Essays haben demzufolge ein offizielles und ein unterschwelliges Thema. In einem der berühmtesten Beispiele »Zur Erinnerung an Fräulein Liu Hezhen« (»Jinian Liu Hezhen jun«, 1926)342 geht es letztlich weniger um die Erschießung zweier Studentinnen durch die damalige Regierung in Peking als vielmehr um die Möglichkeit einer politischen Rede in Zeiten der Gewalt: Soll man schweigen (chenmo) oder den Mund auftun (kaikou), wo alles Reden nichtig und alles Schweigen beredt ist? Wie ist Widerstand möglich? Die große Wirkung dieses und ähnlicher Essays auf die Generation der sogenannten 68er erklärt sich aus einem verwandten Denken auf der chinesischen und auf der deutschen Seite. 5. Ihr sprachlicher Charakter. Lu Xun gelingt es, die Möglichkeiten der chinesischen Sprache zwischen Reden und Schweigen angesichts des Schreckens in einer Weise zu entfalten, die bis heute unerreicht geblieben ist. Er liebt die Iteration, das Paradox und den Sarkasmus. Er bedient sich unterschiedlicher Sprachebenen: Die verschriftete Umgangssprache (baihua) wechselt mit der gesprochenen Sprache (kouyu) und diese mit der Schriftsprache (wenyan) ab. Hoher und niederer Sprachgebrauch, chinesische und westliche Grammatik, einheimisches und fremdes Vokabular schaffen einen Duktus, der eine mehrfache Lektüre verlangt. Neben den herkömmlichen Mitteln einer Abfolge von kurzen und langen Sätzen, Ausrufen, rhetorischen Fragen, traditionellen parallelen Konstruktionen liebt es der Autor, auch gegen die Grammatik oder insbesondere gegen die Logik zu verstoßen, »vernünftige Unterdrückung« und »kniender Rebell« sind hier nur zwei Beispiele. Fassen wir zusammen: Im Kampf gegen die Guomindang wird unter der Führung der Liga linker Schriftsteller zawen zur bevorzugten Form der politischen Auseinandersetzung. Dies gilt insbesondere für Lu Xun, der sich nach 1927 und bis zu seinem Tode kaum eines anderen Genres angenommen hatte, sieht man einmal von den wiedererzählten Geschichten Altes frisch verpackt (Gushi xinbian, 1936)343 ab. In seinem Umkreis treten neue Essayisten hervor, deren Arbeiten für die des Meisters gehalten werden: Im Falle von Qu Qiubai gingen dessen Essays gar in die Sammlungen von Lu Xun ein, ohne daß die Leserschaft den Unterschied bemerkte, und im Falle von Tang Tao (1913–1992) äußerte die Kritik ihren Unmut am Vorbild und nicht am eigentlichen Autor. Kurz, zawen, das war Lu Xun, und Lu Xun, das war zawen; Lu Xun, das war Politik, und was nicht Lu Xun war, das war unpolitisch bzw. apolitisch. 342 343

BUCH u. MAY: Lu Hsün, S. 54–58; Lu Xun quanji, Bd. 3: Huagai ji xubian, S. 273–278. Deutsch als Band IV der Ausgabe LU XUN: Werke in sechs Bänden. Zum Original s. Lu Xun quanji, Bd. 2, S. 341–481.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949)

Es ist die logische Konsequenz, wenn als das Gegenstück zu zawen in diesen Jahren der lyrische Essay sanwen praktiziert und angesehen wurde. Schulbuchähnlichen Charakter gewann zu Beginn dieser zweiten Phase der modernen chinesischen Literatur der Essay »Lotusteich im Mondschein« (»Hetang yuese«, 1927)344 von Zhu Ziqing (1898–1948), der in meisterhafter baihua einen Abendspaziergang durch die kleine, aber idyllische Parkanlage der Tsinghua-Universität von Peking beschreibt. Der eigentliche, jedenfalls vermeintliche Gegenspieler in Sachen politischer oder lyrischer Essayistik war jedoch der bereits erwähnte Vertreter des Liberalismus Lin Yutang345, der heute weniger wegen seiner zahlreichen Romane346 als vielmehr wegen seines reichen essayistischen Werkes erinnert wird. Allerdings ist die Frage zu stellen, ob der zweisprachige Autor, der von 1932 bis 1936 den Höhepunkt seiner schriftstellerischen Karriere in China hatte, mit seinen 300 Essays allgemein wirklich als so unpolitisch eingestuft werden darf, wie dies oftmals geschah. Nicht erst nach seiner Niederlassung in Amerika, wo ihm der internationale Durchbruch gelang, hat Lin Yutang auch angesichts des Krieges und der Nöte in der Heimat durchaus engagierte Essays verfaßt. So trägt etwa sein späteres Buch The Vigil of a Nation (1944/45)347 das Motto »auf einem Speer als Kopfkissen erwarte ich den Morgen«. Er hatte bereits vor seiner »Wende« von 1928, die er politisch zu begründen wußte, gesellschaftsbezogen gedacht und argumentiert. Am 17. April 1926 formuliert er zum Beispiel in dem Essay »Das Schlagen von Hunden. Eine Richtigstellung« (»Da gou shiyi«)348 den bekannten Satz »Ohne einen gewissen Haß ist man kein Mensch« und spricht sich für den Kampfgeist und gar gegen den Frieden aus! Es liegt in der Tragik der Sache, daß die jahrzehntelange Konzentration der Literaturwissenschaft auf Lu Xun die Nebenfelder der modernen chinesischen Literatur oftmals eher verdeckt als hervorgehoben hat. So ist die »Erinnerung an Fräulein Liu Hezhen« aus der Feder des 344

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Zhu Ziqing wenji, Nachdruck, Bd. 1, Hongkong: Wenxue Yanjiushe 1972, S. 182–184; DAVID POLLARD (Übers.): The Chinese Essay, New York: Columbia UP 2000, S. 222–224; MARTIN WOESLER: Ausgewählte chinesische Essays des 20. Jahrhunderts in Übersetzung, Bochum: MultiLingua 1998, S. 21–23. Zur Geschichte des Essays (sanwen) s. MARTIN WOESLER: Geschichte des chinesischen Essays in Moderne und Gegenwart, Teil 1: Moderne (1917–1949), Teil 2: Gegenwart (seit 1949), Teil 3: Bibliographie, Index, Bochum: MultiLingua 1998 (= Deutsche Chinareihe; 2); ALEXANDRA WAGNER: Bildnisse des Selbst. Die Neumondschule (Xinyue pai) und der moderne chinesische Essay, Bochum: projekt verlag 1996 (= edition cathay; 15). Zu seiner Person und seinem Werk s. MARTIN ERBES, GOTELIND MÜLLER, WU XINGWEN u. QING XIANCI: Drei Studien über Lin Yutang (1895–1976), Bochum: Brockmeyer 1989 (=Chinathemen; 41). Von den mir in meiner Privatbibliothek auf deutsch vorliegenden sechs Erzählwerken sei auf das bekannteste (1938/39 verfaßte) verwiesen: Peking. Augenblick und Ewigkeit [Moment in Peking], aus dem Englischen von L. ROSSI, 2 Bde., Frankfurt: Büchergilde Gutenberg [um 1950]. LIN YUTANG: The Vigil of a Nation, New York: John Day Company [um 1945]. Lin Yutang sanwen xuanji, Tientsin: Baihua Wenyi 1987, S. 27–29.

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Altmeisters wohlbekannt, aber kaum die nicht weniger ergreifende Trauer, die Lin Yutang für dieselbe erschossene Studentin verspürt und schriftlich bekundet hat.349 Gleichwohl hat der christliche Autor, der 1923 an der Universität Leipzig promoviert worden war, in den 30er Jahren selber zu dem landläufigen Urteil eines apolitischen Schriftstellers beigetragen. Er, der für das Chinesische das Wort youmo, Humor, geprägt hatte, forderte für die Kunst des Essays, den er als sanwen, nicht als zawen verstand, »Humor« und »Plauderei« (xianhua). Lin Yutang verstand Humor im Gegensatz zur Satire (fengci) als Sache von äußerem Standpunkt und innerer Haltung. Man solle zwar die Wirklichkeit im Auge behalten, aber sich – wie im Theater über allem ruhend – das Schauspiel des Lebens einfach anschauen, statt es kritisieren und ändern zu wollen. Geplauder (xianhua) sei als Stil und Form nur bei gehöriger Distanz möglich, die die Ästhetik des Unscheinbaren (dan)350 zu ihrer Voraussetzung hat. Humor, der aus der Tiefe des Herzens komme, ist damit eine ästhetische Angelegenheit. Thema sei also nicht »das verlorene Reich« (wangguo), sondern »die Größe des Universums, die Winzigkeit einer Fliege«. Es ist eben diese Vorliebe für das Unscheinbare, die heute noch die Lektüre von Lin Yutangs Essays ans Herz gehen läßt. Man werfe nur einmal einen Blick auf die Art und Weise, wie er 1932 das Verhältnis zwischen sich als Herrn und seinem Hausburschen A Fang beschreibt:351 Nun muß ich aber erst erklären, weshalb ich dazukam, es A Fang zu erlauben, die ganze moralische Disziplin meines Haushaltes auf den Kopf zu stellen, und so vieles zu tun, das ich nie von einem andern Dienstboten hingenommen hätte. Ehe er zu uns kam, lag jede Arbeit auf mir. Ich mußte elektrische Glocken reparieren, Batterien einsetzen, den Mechanismus im W.C. in Ordnung bringen oder ein Bild richtig aufhängen. Dies alles fiel immer mir zur Last. Seitdem er da ist, ließ ich ihn alles machen und fuhr fort mit meiner Lektüre von Platos »Republik«, ohne daß mich jemand aus der Küche durch den Ruf störte: »Ach, der Wasserhahn rinnt!« Dieses Gefühl der Sicherheit wog nun alle sonstigen Mühen auf, die ich unter A Fangs Herrschaft erlitt. Er war direkt ein Erfindungsgenie für die unmöglichsten

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Ebd., S. 23–26 (»Diao Liu Hezhen, Yang Dequn nüshi«, 1926). Zu dieser so wichtigen und einflußreichen Ästhetik s. FRANÇOIS JULLIEN: Über das Fade – eine Eloge. Zu Denken und Ästhetik in China, aus dem Französischen von ANDREAS HIEPKO und JOACHIM KURTZ, Berlin: Merve 1999. Unter Verwendung der heute üblichen Umschrift zitiert nach LIN YUTANG: Ein wenig Liebe... ein wenig Spott, aus dem Amerikanischen von INES LOOS, Zürich: Rascher 1943, S. 138. Eine abweichende chinesische Version des Autors findet sich in: Lin Yutang sanwen xuanji, S. 36–39. Da Lin Yutang auf chinesisch und englisch geschrieben und mitunter sich selber interpretierend übersetzt, das heißt umgeschrieben hat, ist in seinem Fall jeweils von einem chinesischen und einem englischen Original auszugehen. Die Frage nach dem »Original« verwirrt weiter der Tatbestand, daß die meisten englisch verfaßten Werke nicht vom Autor höchstpersönlich ins Chinesische übersetzt sein dürften. Chinesischsprachige Editionen heben den Übersetzer jedoch nicht eigens hervor.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949) Notbehelfe mechanischer Art und für alle Märchen, die er meinen Kindern erzählte, um sie beschäftigt im Garten zu halten.

Wir spüren hier etwas von der Güte, die es dem Hausherrn später unmöglich macht, A Fang trotz wiederholten Ungehorsams zu entlassen, und etwas von dem ins Ironische gehenden Humor des Autors sich selbst gegenüber. Lu Xun entwirft eine bittere Welt, eine Welt auf Leben und Tod, Lin Yutang dagegen zeichnet einen Alltag nach, wo Recht und Unrecht nicht so offensichtlich zutage treten und simple Schuldzuweisungen sich verbieten. Das Lachen, in welches wir am Ende vieler Skizzen (xiaopin) von Lin Yutang einstimmen, möchte Lu Xun seiner Zeit verbieten. Seine Betrachtung »Von der Satire zum Humor« (»Cong fengci dao youmo«, 1933)352, welche die Gefährdung des Satirikers beschwört, schließt mit den Worten: Wahrscheinlich ist das [nämlich daß Lachen nicht wehtut] die Hauptursache für den »humoristischen« Trend in der Literatur seit ungefähr einem Jahr; natürlich handelt es sich dabei oft um ein »Lachen um des Lachens willen«. Aber ich fürchte, das wird nicht lange so weitergehen. Der »Humor« ist kein Nationalprodukt Chinas, die Chinesen sind kein Volk von Humoristen, und heutzutage ist es schwer, seinen Sinn für Humor zu behalten. Deswegen wird sich sogar der Humor ändern müssen: entweder er wird zur gesellschaftskritischen Satire, oder er degeneriert zum traditionellen »Scherz« oder »Witz«.

Lin Yutang hat einmal gesagt, der Humor mache als Teil des Menschen die Kultur eines Landes aus, und in diesem Sinne sei ein Volk ohne Humor zum Untergang verurteilt.353 Ähnlich hat Zhou Zuoren, der Meister des unscheinbaren lyrischen Essays, dem Humor einen hohen Stellenwert als »Ausdruck von Harmonie und Glück« einer gereiften Persönlichkeit beigemessen.354 Auch er gewinnt dem Uneigentlichen, dem bislang kaum jemand Bedeutung beigemessen hat, seinen Charme ab. In seinem Essay »Übers Lesen auf dem Klo« (»Ruce dushu«, 1935)355 unterscheidet er vier Toiletten als ungeeignet für die Lektüre, ehe er geeignete Orte zu beschreiben beginnt: Im Wald der Wörter [Anekdotensammlung der Östlichen Jin, 317–420] heißt es, in der Toilette des Shi Chong habe ein großes Bett mit einem Vorhang aus tiefroter Gaze gestanden und mit prächtigen Matratzen und Matten. Zwei Mägde hielten bestickte Beutel voll duftender Ingredienzien, was nun wiederum zu protzig ist und

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BUCH u. MAY (Hg.): Lu Hsün, S. 143; Lu Xun quanji, Bd. 5: Wei ziyou shu, S. 42f. Lin Yutang sanwen xuanji, S. 146–160 (»Lun youmo«, 1934). WOLFF: Chou Tso-jen, S. 30f; POLLARD: A Chinese Look at Literature, S. 110–112. ZHANG MINGGAO u.a. (Hg.): Zhou Zuoren sanwen ji, Bd. 1, Peking: Zhongguo Guangbo 1992, S. 132–135; »Übers Lesen auf dem Klo«, deutsch von WOLF BAUS, in: Hefte für Ostasiatische Literatur 11 (1991), S. 16–21. Zu seinen weiteren Essays im Deutschen s. Hefte für Ostasiatische Literatur 32/2002, S. 32–52 (»Acht Essays«).

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Die Entfaltung einer modernen Literatur in China (1928–1937) ebenfalls nicht angemessen. Ich denke da, offen gesagt, eher an etwas Einfaches, lediglich mit einem Dach, mit Wänden, Fenster und Tür Versehenes, etwas, wo man abends Licht anmachen kann, und wenn es dort keinen Strom gibt, täte es auch eine Kerze. Von mir aus kann es auch zwanzig bis dreißig Schritt vom Haus entfernt sein, dann braucht man zwar einen Regenschirm, aber im Norden kommt ja einem zugute, daß es dort nicht viel regnet. Hätte ich solch ein Klo, ich griffe gern zu einem Buch und schmökerte darin; das wär schon was!

Charakteristisch für die Ästhetik des Uneigentlichen ist ihr Hintersinn. Wenn Zhou Zuoren im folgenden japanische Toiletten als besonders passende Orte für müßigen Lebensgenuß entwirft, dann impliziert sein Lobgesang eine politische Note: In China ist es eben nicht (mehr) so. Folglich stellt er denn einen Brief wie diesen, den er aus den Westbergen bei Peking schreibt, an das Ende seiner »anrüchigen« Betrachtungen: In letzter Zeit habe ich meine Unternehmungen bis zu den Quellen im Osten ausgedehnt. Eine wahrlich gute Gegend. Jeden Morgen schlendere ich dort in aller Herrgottsfrühe, wenn die Ausflügler noch fern sind, eine Weile umher und genieße mit Kennerblick die Schönheit der Landschaft. Schade nur, daß es dort nicht eben sauber ist, eine Fülle übler Gerüche steigt einem unterwegs in die Nase, denn zur Schau gestellt findet sich eine Menge dessen, was im Abriß der Arzneimittelkunde als das »Hellbraune des Menschen« bezeichnet wird. Ein wahrhaft verwirrendes Land ist China, das muß man schon sagen. Schwer nur finden die Leute dort nahrhafte Kost und wissen doch nicht, mit ihren Exkrementen umzugehen.

Man hat immer wieder Zhou Zuoren nach seiner »Wende« als unpolitischen Schriftsteller eingestuft. Auch hier sehen wir, wie wenig zutreffend derlei Urteile sind. Es ist gerade die Ästhetik des Unscheinbaren (pingdan), welche es dem Autoren ermöglicht, in einer unprätentiösen Sprache die Tiefe seines Empfindens und Denkens zu verstecken und damit literarisch hinreißende und gleichzeitig gesellschaftlich subtile Miniaturen (xiaopin) vorzulegen. »Mit gezogenem Schwert und mit gespanntem Bogen«, so hat er 1935, als er diesen Essay verfaßte, seine schriftstellerische Tätigkeit charakterisiert! Dies trifft exakt auf das zu, was Su Dongpo (1037–1101) als ein Charakteristikum von pingdan, nämlich höchste Lebenskraft in versteckter Form, bezeichnet hat.356 356

Zum politischen Hintergrund und zur Ästhetik des Uneigentlichen bei Zhou Zuoren s. POLLARD: A Chinese Look at Literature, S. 85–96; s. weiter SUSAN DARULAVA: Zhou Zuoren and an Alternative Chinese Response to Modernity, Cambridge, Mass., London: Harvard University Asia Center 2000, S. 113–168. S. in diesem Zusammenhang auch die Literaturhinweise in den Anmerkungen 176 und 334. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Ästhetik des Uneigentlichen (pingdan, aber auch chongdan, kudan, quwei oder in diesem Zusammenhang auch ziran) in einer fremden Sprache immer wieder anders umschrieben werden muß. Ich spreche also mitunter auch von der Ästhetik des Unscheinbaren, der Blandheit etc.

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Im Unterschied zum zawen und zur Liga linker Schriftsteller, als deren wichtigster Essayist Lu Xun gilt, werden Lin Yutang und Zhou Zuoren dem sanwen und dem Liberalismus zugerechnet. Das dritte Lager der damaligen Essayisten, die Schule der Hauptstadt, wird hauptsächlich durch He Qifang (1911–1977) und dessen lyrische Arbeiten repräsentiert. Diese schematische Unterscheidung von jeweiligem Lager und jeweiliger Form kann jedoch nur ideeller Natur sein. Natürlich haben auch Anhänger der Liga linker Schriftsteller wie Mao Dun oder Yu Dafu weiterhin sanwen verfaßt. Sieht man einmal von den politischen Implikationen und den Örtlichkeiten ab, so könnte eines der bekanntesten Beispiele der damaligen Zeit, »Ein Frühlingstag an der Anglerwarte« (»Diaotai de chunzhou«, 1932)357, stimmungsmäßig als ein abgehobenes Stück Prosa der Jingpai durchgehen. Doch sein Verfasser, Yu Dafu, gehörte zur Liga, und He Qifang war damals noch nicht »vom Träumer zum Patrioten«358 erwacht, der sich anschicken sollte, den guten Ruf eines großen literarischen Talents als Transmissionsriemen der maoistischen Ästhetik zu ruinieren. Umgekehrt haben die Essays von Li Guangtian (1906–1968)359 trotz aller Bemühtheit um Schönheit soviel Realitätsbezug, daß sie keinesfalls dem von He Qifang veranschlagten Maßstab eines reinen Ästhetizismus genügen. Ähnliches gilt für Shen Congwen mit seiner »Erinnerung an [die vermeintlich ermordete] Ding Ling« (»Ji Ding Ling«, 1933)360. Überdies haben die in Schanghai ansässigen und Kaimingpai (Aufklärer) geheißenen Vertreter wie Ye Shengtao oder der berühmte Karikaturist Feng Zikai (1898–1975)361 als Lehrer mit ihren Essays auch didaktische Zwecke verfolgt, so daß ihre Arbeiten ganz selbstverständlich heute noch zur Pflichtlektüre an chinesischen Schulen gehören. He Qifang hat allerdings in die Tat umgesetzt, was er in der Theorie gefordert hatte. Er beklagte zunächst die Entwicklung des Essays seit dem 4. Mai, den eine starke Gefühlsarmut kennzeichne. Sein Ziel war die Rückgewinnung des Empfindens in einer Zeit, wo die Dominanz von zawen mit der Dominanz der Ratio gleichgesetzt werden konnte. Er steht damit gegen den allgemeinen Trend einer Versachlichung und Rationalisierung. Die Eigenständigkeit eines jeden Essays, die er so sehr betont, 357

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Eine englische Übersetzung von DON J. COHN findet sich in YU DAFU: Nights of Spring Fever and Other Writings, Peking: Panda 1984, S. 181–194; zum Original s. Yu Dafu wenji, Bd. 3, S. 196–203. MCDOUGALL u. KAM: The Literature of China in the Twentieth Century, S. 77. LI GUANGTIAN: A Pitiful Plaything and Other Essays, aus dem Chinesischen von GLADYS YANG, Peking: Panda 1982. Dieses zeitlebens umstrittene Werk ist nicht in die Hongkonger, wohl aber in die Taiyuaner Gesamtausgabe von Shen Congwen aufgenommen worden. Mir liegt ein nicht weiter spezifizierter Hongkonger Nachdruck der Schanghaier Ausgaben (Ji Ding Ling und Ji Ding Ling xu ji) von 1934 bzw. 1939 aus dem Verlag Shanghai Liangyou Fuxing Gongsi vor. Eine Teilübersetzung ist zur Publikation in der minima sinica geplant. CHRISTOPH HARBSMEIER: The Cartoonist Feng Zikai. Social Realism with a Buddhist Face, Oslo u.a.: Universitetsforlaget 1984. Drei seiner Essays finden sich übersetzt bei POLLARD: The Chinese Essay, S. 188–205.

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gewinnt er durch das Stilmittel des Monologs (duyu) in dem zu Recht berühmten Werk Aufzeichnungen von bemalten Träumen (Huameng lu, 1936).362 He Qifang gelingt es, eine Innenwelt zu entwerfen, die trotz ihrer traumhaften und zur Einsamkeit neigenden Gestaltung nicht selbstbezüglich ist. »Die Klage« (»Aige«, 1935)363 dokumentiert eben jene nostalgische, apolitische, schönheitsbesessene Haltung, die den Unterschied zu einem auf der Toilette müßigem Ästhetizismus nachhängenden Zhou Zuoren hinreichend klarmacht. Hier der Schluß: Alles ist vergänglich. Alles leistet der Inschrift von König Davids Ring Folge. In Zeiten der Trauer macht uns das kurze Wort fröhlich, in Zeiten der Fröhlichkeit wiederum traurig. Wir haben bereits in der Fremde einige lange und monotone Jahre verbracht. Wir haben längst Erinnerung an andere Häuser und Mädchen. An junge Frauen, die, an die Reeling eines Dampfschiffes gelehnt, den Flußwind durch ihr kurzes Haar wehen lassen, nachdem sie gerade dem Land entflohen sind; oder an Mädchen, die verschwommene Ideen von allem Neuen ihr eigen nannten und einem Mann übers Meer gefolgt sind, nun aber zurückkehren. Was lesen wir in ihren Augen, von ihren gerunzelten Brauen ab? Erinnern wir uns all der Tanten in ihrer Jugend und Schönheit? Wir sind nun von daheim bereits drei, vier oder fünf Jahre fortgegangen. Nach den Strapazen einer langen Reise sind wir zur heimatlichen Erde zurückgekehrt. Ein so lichter Tag! Wir sind erstaunt, daß sich Wald, Bach und Weg gar nicht verändert haben. Wir stehen bereits vor dem Tor unseres Anwesens. Die Türflügel geben quietschend nach. Schon stehen wir in der kleinen Halle. Die abgenutzten Lackstühle befinden sich immer noch zu beiden Seiten des Tisches. Auf dem Tisch steht immer noch eine gebrauchte Vase mit langem schmalem Hals. In die Vase ist immer noch nichts gestellt worden. Was uns am meisten verwirrt, ist die Frage: Ist dies die »Vergangenheit«, die in die Zeit enteilte, oder existiert hier alles jenseits der Zeit? Schließlich sehen wir an Mutters Schläfen ein paar silberne Strähnen. Ihrem erregten, zusammenhanglosen, nicht enden wollenden Redeschwall entnehmen wir, daß manch Älterer, der bettlägerig gewesen war und sich von seiner Krankheit nicht hatte erholen können, nun heimgekehrt ist in die ewige Ruhe. Und manch junger Mensch ist ins Unglück geraten und hinweggerafft worden. In diesem Zustand aus Verwirrung und Ergriffenheit vernahm ich die letzten Nachrichten der dritten Tante: verheiratet, gestorben. Verstorben, vergessen. Doch wenn wir ihr Bild vor unserem geistigen Auge vorüberziehen lassen, ist es ganz so, wie ein spanischer Essayist einmal gemeint hat: Wir sehen einen Garten, einen Dorfwald und einige Bäumchen unter dem Staub und die Lampe an einem Pfahl, vom Winterwind zur Seite geblasen ... 362

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Zu einer Teilübersetzung s. MCDOUGALL: Paths in Dreams, S. 65–80. Die nach Jahren geordnete Werkausgabe He Qifang wenji führt die Sammlung, die zwischen 1933 und 1936 entstand, in Bd. 2, S. 29ff, ab dem Jahr 1934, ohne jedoch deren Schluß zu markieren. Die folgende Passage wurde übersetzt nach He Qifang wenji, Bd. 2, S. 38. Zu einer Gesamtübersetzung s. MCDOUGAL: Paths in Dreams, S. 72–75; POLLARD: The Chinese Essay, S. 271– 275. Der letzte Satz gibt Rätsel auf: Ich folge hier Pollard, der anders als McDougall die Wendung kebushi nicht verneinend, sondern rhetorisch versteht.

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Der gesamte Essay entspricht jenem schönen Wort, das besagt, man habe es hier mit »aufgelösten Spinnweben in den Lüften« zu tun. David Pollard spricht in diesem Zusammenhang von der isolierten Kindheit, die den poetischen Genius von He Qifang erst ermöglicht habe.364 Daß der junge Mann sich wenig später blind dem Marxismus verschreibt und völlig naiv einen neuen Weg einschlägt, mag traurig stimmen, doch scheint sein Kindheitstrauma der Ausgeschlossenheit nur so lösbar gewesen zu sein. Vereinfacht läßt sich der Weg des Essays in der damaligen Zeit als ein Weg von sanwen über zawen zur Reportage (baogao wenxue)365 bezeichnen. Zwar hat es eine Dokumentationsliteratur schon seit dem 4. Mai bei Qu Qiubai etwa gegeben, doch gewinnt diese erst unter der Liga linker Schriftsteller in den 30er Jahren ihren eigentlichen Charakter als (journalistische) Berichterstattung. Ihre Etablierung als literarisches Genre seit 1936 hängt wesentlich mit dem Einfluß von Egon Erwin Kisch (1885–1948) zusammen, der 1932 China bereist hatte. Sein Bericht China geheim (1933)366 erschien 1938 in Tientsin auf chinesisch. An chinesischen Werken der damaligen Zeit mag hier stellvertretend auf Die Kontraktarbeiter (Baoshengong, 1936)367 verwiesen sein. Der einstige Theatermann und spätere Filmemacher Xia Yan (1900–1995) hatte zwei Monate lang eine Fabrik in Schanghai inspiziert und aus seinen Erfahrungen wahre Geschichten in Form von Nachrichten verfaßt. Neben Sozialgeschichten wie diesen verdienen aus heutiger Sicht auch all die Auslandsberichte Aufmerksamkeit, welche Schriftsteller und Intellektuelle auf ihren Reisen hauptsächlich durch Europa verfaßt haben. So hinterließ Zhu Ziqing Europäische Notizen (Ouyou zaji), Londoner Notizen (Lundun zaji), Li Jianwu Briefe aus Italien (Yidali shujian) und der Literat Zheng Zhenduo (1898–1958) sein Tagebuch einer Europareise (Ouxing riji).

2.5 Das Theater Nur zweimal ist es dem chinesischen Theater gelungen, Anschluß an die Weltliteratur zu gewinnen: für wenige Jahre in dieser Umbruchsphase der modernen chinesischen Literatur und ein einziges Mal für einen kurzen Moment in den 50er Jahren. Im ersten Fall ist dies Cao Yu (1910–1996) zu verdanken, im zweiten Lao She, worüber später zu sprechen sein wird. Grundsätzlich folgt die Entwicklung des chinesischen Theaters jedoch den Nöten und dem Trend der Zeit. Nach 1927 verlagert sich die Literatur nach Schanghai, wo auch die weitere Verbreitung des Dramas ihren Aus364 365

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Vgl. hierzu die Interpretation bei POLLARD: The Chinese Essay, S. 270–271. Zur Geschichte der Reportageliteratur in China s. SIEGFRIED KLASCHKA: Das Genre baogao wenxue und seine politisch-gesellschaftlichen Bezüge, Wiesbaden: Harrassowitz 1998 (= opera sinologica; 4). Zur jüngsten bebilderten Ausgabe s. EGON ERWIN KISCH: China geheim. Fotografien von Wilhelm Thiemann, Berlin: Elefanten Press 1996. Die nur zwanzig Druckseiten umfassende Dokumentation wurde 1978 vom Verlag Renmin Wenxue in Peking – mit entsprechendem Material versehen – als Büchlein wieder aufgelegt.

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gang nimmt. Unter den dortigen fünfzig Theatertruppen gehören zu den bekanntesten die Nanguoshe (Südchinagesellschaft) unter Tian Han und die Fudan Jushe (Theater an der Fudan-Universität) unter Hong Shen368. 1929 erfolgt die Gründung der Shanghai Yishu Jushe (Schanghaier Gesellschaft für das Kunstdrama), die mit der Forderung nach einem proletarischen Theater (wuchanjieji xiju) auf den Plan tritt und die Ansichten linker Theatermacher zum Theater vorstellt. 1930 vollzieht Tian Han mit »Unsere Selbstkritik« (»Women de ziji pipan«) die Wende seiner Theatergesellschaft von einem gewissen Pluralismus zu einer eindeutigen Parteinahme. Allgemein läßt sich sagen, daß die anschließende »Vereinigung des linken Theaters in China« ein Bühnengeschehen für die Massen will, sie schickt ihre Truppen aufs Land und stellt sich ganz in den Dienst der Revolution. Protagonisten sind von nun an Arbeiter und Bauern. Ähnlich sieht es in den »Befreiten«, das heißt von der Kommunistischen Partei Chinas kontrollierten »Gebieten« aus. Die Bewegung nannte sich hier »Rotes Theater« (Hongse Xiju), das eigentlich nichts anderes als eine Propagandaorganisation der Roten Armee war. Ihre Praxis sah die Einheit von Kunst und Krieg vor, denn echte Soldaten spielten Soldaten, echte Generäle sich selbst, und ein ganzes Dorf wurde infolgedessen zur Theaterbühne, auf der auch die Dörfler als Bauern auftraten. Nach Ausbruch des Chinesisch-Japanischen Krieges mündete diese Bewegung in ein Nationales Theater zur Landesverteidigung (guofang xiju) ein. Ihre Ziele waren denkbar einfach: a) wider Japan, b) für eine allseitige Befreiung, c) für eine Popularisierung des Theaters, die Dialekte miteinbezog. Am bekanntesten geworden ist das Stück für die Straße Leg deine Peitsche nieder (Fangxia ni de bianzi), das zwischen 1928 und 1937 von verschiedenen Autoren erarbeitet bzw. bearbeitet wurde und sich des Mignon-Liedes bediente.369 Tian Han und Hong Shen sind repräsentativ für all die Veränderungen, die in diesen Jahren auf der Bühne stattfanden. Tian Han gebührt auch das unrühmliche Verdienst, den Revolutionskitsch auf die Bühne gebracht zu haben. Er hatte schon zuvor durch seine Hinwendung zum Realismus den für sein Frühwerk so typischen Charakter des abgehoben Lyrischen und der gefährdeten Innerlichkeit verloren. 1935 kam dann ein weiterer Wandel hinzu. In dem Dreiakter Lied von der Wiederauferstehung (Huichun zhi qu)370 verbindet er den Kampf gegen Japan und die Rettung des Vaterlandes mit einer Liebesgeschichte. Mei Niang (geb. 1920), deren heute noch beliebtes Lied »Der Frühling ist wieder da!« Chinas Wiederauferstehung beschwört, pflegt den Helden Gao Weihan gesund, der nach dem Verlust seines Gedächtnisses nur wiederholt sagen kann: »Vorwärts, töten!« (Sha ya, qianjin!); so schließt auch das Stück. 368

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Zu diesem Autor, über dessen Frühwerk hauptsächlich Marián Gálik geschrieben hat, gibt das Handbuch von EBERSTEIN: The Drama, S. 128–144, ausführlichst Auskunft. BARBARA KAULBACH: »Mignon auf der chinesischen Bühne«, in: GÜNTHER DEBON u. ADRIAN HSIA (Hg.): Goethe und China – China und Goethe, Bern u.a.: Lang 1985, S. 195–204. Das Stück wird inzwischen CHEN LITING (geb.1910) und CUI WEI (1912–1979) zugeschrieben und so auch bei EBERSTEIN: The Drama, S. 90–94 aufgelistet. Tian Han wenji, Bd. 3, S. 321–370.

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Das Theater dieser Zeit, so sehr es eher historisch als künstlerisch Aufmerksamkeit zu verdienen scheint, spiegelt latent eine gewisse Krise des Sprechtheaters wider, das – allgemein gesagt – vor 1949 nur fünf Prozent des gesamten Bühnenschaffens ausgemacht hat. Verallgemeinernd läßt sich diese Krise wie folgt zusammenfassen: 1. Als Mittel der Aufklärung war das Theater in erster Linie eine moralische Anstalt. Es war Belehrung statt Unterhaltung. 2. Bis 1937 herrschte die Adaption vor, mit der Folge, daß es 3. zu viele weibliche und männliche Noras, das heißt bürgerliche Figuren auf der Bühne gab. Die Maßnahmen, welche die Linke zur Aktualisierung des Theaters ergriff, waren daher nicht allein eine rein politische Angelegenheit, sondern auch ein künstlerisches Unterfangen. Dabei ging es um eine dreifache Verschiebung: 1. Vom Problem des einzelnen zur Problematik der gesellschaftlichen Ordnung. 2. Von der eher intellektuell geprägten baihua zur Sprache der Straße. 3. Vom Bürgertum zum Volk. Doch es gab auch eine von der Kommunistischen Partei unabhängige Bewegung, die den allgemeinen Trend vom Aufklärungs- zum Boulevardtheater aufhalten und dem Bühnenspiel seinen erzieherischen Charakter retten helfen wollte. Xiong Foxi371 zum Beispiel war es mit seinem Bauerntheater weiterhin um Aufklärung gegangen. Er wollte jedoch Erziehung und Vergnügen miteinander verbinden. Er war zunächst Schöpfer des Kammertheaters (xiaojuyuan yundong, eig.: Kleintheaterbewegung) gewesen, er erkannte jedoch sehr bald, daß sein »kleines Theater«, das ein Gesamtkunstwerk aus Musik, Malerei, Skulptur, Tanz und Literatur anstrebte, in den Städten die Mehrheit der Bevölkerung nicht erreichte. Auch der Zuschauerschwund ließ ihn in den 30er Jahren umdenken und die Forderung nach einem Theater auf der Straße (jietouju), auf dem Land aufstellen. Im Rahmen einer neuen Bewegung zur Erziehung des Volkes, als Alternative zum Sozialismus gedacht, war er von 1932 bis 1936 in dem Musterdorf Dingxian (Hebei)372 verantwortlich für die Umsetzung der Theorie in die Praxis. Durch das Projekt eines Bauerntheaters (nongmin xiju shiyan) sollte den vier Untugenden des Volkes wie Rückständigkeit oder Egoismus abgeholfen werden, über eine Alphabetisierung erhoffte man sich die Hinführung der Bauern zur Kunst. Was Xiong Foxi mit der Linken teilt, ist sein Konzept eines Kollektivgeistes. Es sollte nur einen Körper geben: Xiong Foxi will keine Zuschauer, er will nur Akteure, besonders unter freiem Himmel sollen alle Anwesenden Spieler sein, so daß es möglich würde, an den Urbeginn allen Theaterspiels zurückzukehren, als es keine 371

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HSIUNG FU-HSI [d.i. Xiong Foxi]: Chinesisches Bauernleben. Drei Stücke aus dem chinesischen Landleben, aus dem Chinesischen von WERNER EICHHORN, Tokio: Deutsche Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens 1938. Die Ausgabe enthält die Stücke »Der Schlächter« (»Tuhu«), »Ein Held vom Lande« (»Chutou jian'er«) und »Das Rind«. Eine weitere deutsche Übersetzung stammt von ALFRED FORKE: Elf chinesische Singspieltexte aus neuerer Zeit, bearbeitet von Martin Gimm, Stuttgart: Steiner 1993 (= Sinologica Coloniensa; 17), S. 421–441, 455 (»Vaterlandsliebe« [»Yi pian aiguo xin«]). Zu dieser Theaterbewegung s. das umfangreiche Material von SIDNEY D. GAMBLE: Chinese Village Plays from the Ting Hsien [d.i. Ding Xian] Region, Amsterdam: Philo Press 1970.

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Scheidung zwischen Theater und Leben gab. Das Experiment Dingxian kam zwar 1937 zum Erliegen, aber hier war mit der Einbeziehung der Reissetzlieder, der Yangge-Tänze, die Grundlage für die Sinisierung des Sprechtheaters gelegt worden, welche in der Phase des Widerstandskrieges und der Herausbildung einer maoistischen Ästhetik eine so gewichtige Rolle spielen sollte. Die vielen damaligen Theatermacher, zu denen auch Frauen wie Bai Wei (1894– 1987)373 gehörten, können hier nicht alle namentlich hervorgehoben werden. Eine kurze Erwähnung verdienen jedoch Xia Yan und Li Jianwu. Während ersterer mit Sai Jinhua (1936) und Unter den Dächern von Shanghai (Shanghai wuyan xia, 1937)374 gekonnt die Thematik von Patriotismus und sozialer Befindlichkeit bedient, paßt letzterer als Komödiant nicht so recht in seine Zeit. Li Jianwu mag zwar überwiegend europäische Stücke adaptiert oder in seinem Sinne weitergeschrieben haben, mit seiner wichtigsten Arbeit Es war nur der Frühling (Zhe buguo shi chuntian, 1934)375 gelingt ihm trotz des belasteten Sujets von Liebe, Revolution und Korruption ein damals äußerst erfolgreiches Lustspiel. Gleichwohl hat nur ein Dramatiker auch in seiner internationalen Bedeutung die Zeiten künstlerisch überdauert: Cao Yu. Einzig ihm gelingt die Professionalisierung der Bühne, welche Ouyang Yuqian (1889–1962) 1929 gefordert hatte. 1934 bewerkstelligt Cao Yu diese mit dem Stück Das Gewitter (Leiyu)376. Chinesisches Theater basierte bis dahin oftmals auf der Übersetzung oder 373

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Ihr bekanntestes Stück, der Ibsens Nora nachempfundene Dreiakter Heraus aus dem Gespensterhaus (Dachu youlingta, 1928), findet sich in Bai Wei zuopin xuan, Changsha: Hunan Renmin 1985, S. 245–332 (Fassung von 1931), besprochen von BAI SHURONG, HE YOU: Bai Wei pingzhuan, Changsha: Hunan Renmin 1983, S. 80–90. Diese ansonsten in der chinesischen Sekundärliteratur weniger behandelte Autorin ist in den genannten Arbeiten von EBERSTEIN gut zugänglich gemacht worden. Zu ihrer Biographie s. RAOUL DAVID FINDEISEN: »Autobiographie als Collage – ›Tragischer Lebenslauf‹ von Bai Wei«, in: CHRISTINA NEDER u.a. (Hg.): China in seinen biographischen Dimensionen, S. 111–127. Auf Grund der Einheit von Raum und Zeit müßte der Titel strenggenommen lauten: Unter einem Dach von Schanghai. Das Stück wurde ins Englische übersetzt u.a. von GEORGE HAYDEN, in: GUNN (Hg.): Twentieth Century Chinese Drama, S. 76–125. Zum Original s. JIAO SHANGZHI (Hg.): Xia Yan daibiaozuo, Zhengzhou: Huanghe Wenyi 1986, S. 93–168. Zur Person von Sai Jinhua s. oben Anm. 27. Das von Nationalisten und Kommunisten gleicherweise befehdete Stück findet sich, obwohl es als das bedeutendste von Xia Yan gilt, nicht in genannter Ausgabe. Zur chinesischen Quelle und englischen Übersetzung des Stücks s. Anm. 295. Zu Li Jianwu als Dramatiker s. D.E. POLLARD: »Li Jianwu and Modern Chinese Drama«, in: Bulletin of the School of Oriental and African Studies 39 (1976), S. 364–388. Cao Yu xuanji, Peking: Renmin Wenxue 1978, S. 1–134; deutsch von JUNG-LANG CHAO, in: EBERSTEIN (Hg.): Moderne Stücke aus China, S. 19–141. Deutsch in Buchform von UWE KRÄUTER, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 1980. Zur Interpretation s. JOHN Y.H. HU: Ts'ao Yü [d.i. Cao Yu], New York: Twayne Publishers 1972 (= TWAS; 201), S. 29–43; JOSEPH M. LAU: Ts'ao Yü [d.i. Cao Yu]. The Reluctant Disciple of Chekhov and O’Neill. A Study in Literary Influence, Hongkong: Hong Kong UP 1970, S. 6–27; MARIÁN GÁLIK: »Ts'ao Yü’s [d.i. Cao Yu] Thunderstorm: Creative Confrontation with Euripides, Racine, Ibsen and Galsworthy«, in: DERS.: Milestones in Sino-Western Literary Confrontation, S. 101–121.

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der Umschreibung (rewrite) fremder Stücke. Für die Professionalisierung spielte die Spielstätte Carlton in Schanghai eine wichtige Rolle. 1936 und 1937 kam es zu einem großen Theaterfieber, das auch Kaufleute zur Investition bewegte. Das Gewitter ist das erste Werk von Cao Yu, dennoch stellt es das erste große und meistgespielte moderne Drama in chinesischer Sprache dar. Mit ihm findet das moderne Theater in China seinen Höhepunkt. Die vier Akte spielen an einem Tag zwischen Morgen und Mitternacht sowie an zwei Orten, hauptsächlich jedoch im Wohnzimmer von Zhou Puyuan und nur während des dritten Aktes in der Bleibe von Lu Dahai. Zhou Puyuan steht einer Bergwerksgesellschaft vor, und Lu Dahai ist Arbeiter im Bergwerk. Beide vertreten als Vater und Sohn, was erst zum Schluß aufgedeckt wird, die gegenläufigen Kräfte der Zeit. Thema ist ein Konflikt, der dreißig Jahre zurückreicht und Vergangenheit wie Gegenwart miteinander verbindet. Dieser Konflikt hat zum einen mit der Verstoßung einer Haushaltshilfe zu tun, die dem Hausherrn Zhou Puyuan zwei Kinder geboren hatte, und zum anderen mit den aus Unkenntnis eingegangenen inzestuösen Beziehungen der Protagonisten, die auf Grund der wechselnden Beziehungen ihrer Eltern notwendig in Schuld geraten. Über allen waltet gleichsam eine Macht, der niemand entrinnen kann. Insofern handelt es sich trotz der Polarität von Kapital und Arbeit, Alt und Jung, Mann und Frau nicht um ein Gesellschaftsdrama, sondern es geht um die poetische Erfassung einer Stimmung, die sich auch im sprechenden Titel des Stückes ausdrückt. Über allem liegt eine gespannte Atmosphäre, die sich in einem Gewitter zu entladen droht. Es ist dies die Atmosphäre aus Mühsal und Not, welche die um ihr Überleben Ringenden zu ersticken (men) im Begriff ist. Als Lösung scheint sich auch ästhetisch nur der religiöse Akt der Vergebung anzubieten. Da ist zunächst die Bitte der einzig wirklich schuldiggewordenen Protagonistin Zhou Fanyi um Mitleid (beimin)377, da sind dann auch die in den meisten Ausgaben unterschlagenen Vor- und Nachspiele, in denen sich die Haltung des impliziten Autors offenbart: Das Anwesen der Familie Zhou ist zehn Jahre nach dem Tod der Jugend zu einem christlichen Krankenhaus geworden, wo die verbliebenen älteren Familienmitglieder in ihrem Irrsinn die alten Geschichten weitererzählen. Aller Zwist hat so in der Erinnerung ein Ende, und der Betrachter hat sich der – wie der Autor es sagt – »armen Würmchen« zu erbarmen. Cao Yu, für den das Universum ein Brunnen der Grausamkeit ist und keine Möglichkeit zur Befreiung aus seiner Finsternis zuläßt, treibt den Aspekt der Handlungshemmung hier noch ein Stück weiter: Im Salon mag ein jeder noch nach einem anderen greifen, um sich zu retten, doch dies ist eine Illusion, die Handlung ist eine Scheinhandlung, die zu keiner Rettung führt. War man im Leben dazu verurteilt, die Schuld der Ahnen zu wiederholen, so 377

EBERSTEIN: Moderne Stücke aus China, S. 124, vgl. auch S. 104. Zur Rolle des Mitleids in der Literatur der Republikzeit (u.a. Ling Shuhua, Ye Shengtao) s. GOAT KOEI LANG-TAN: Konfuzianische Auffassungen von Mitleid und Mitgefühl in der Neueren Literatur Chinas (1917–1942). Literaturtheorien, Erzählungen und Kunstmärchen der Republikzeit in Relation zur konfuzianischen Geistestradition, Bonn: Engelhardt-NG Verlag 1995.

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Die Entfaltung einer modernen Literatur in China (1928–1937)

ist man nun im Krankenhaus dazu verurteilt, sich in der Erinnerung zu wiederholen. Gegen den Trend seiner Zeit führt der Autor hier weiter, was das frühe Theater eines Tian Han schon versinnbildlicht hatte: die Gefangenschaft des einzelnen in seinen Vorstellungen, eine Gefangenschaft, die wesentlich die Gefangenschaft im System der Familie und der Erziehung zu ihrer Voraussetzung hat. Die große Wirkung dieses Stückes mag einerseits auf seiner emotionalen Wucht von Haß und Selbsthaß basieren, andererseits aber auch auf dem meisterhaften Gebrauch von Leitmotiven, der den Raum zur Zukunft hin öffnet. Es sind freilich so viele Leitmotive, daß eine Erwähnung aller sich verbietet. Am offensichtlichsten ist die symbolische Bedeutung von Gewitter und elektrischem Kabel. Die mal geschlossenen, mal offenen Fenster stehen als Fenster der Vergangenheit, der Erinnerung, der Beobachtung und der Befreiung für die stickige Luft der Existenz oder für die Sehnsucht nach einem anderen Leben. Möbel sind die Orte, wo Fotos die Liebe von einst wachrufen. Am wichtigsten aber ist das von Ibsen übernommene Leitmotiv des Spukes. Es spukt im Haus, weil Hausherrin und Stiefsohn eine illegitime Beziehung unterhalten: Sie sind verurteilt, die Fehler der Vergangenheit, der Ahnen zu wiederholen, da sie ohne Erinnerung bzw. ohne Wissen sind. Krankheit und Melancholie, besonders der Frauen, sind die unausweichliche Folge des allgemeinen Spuks. Auch in seinen weiteren Stücken betont Cao Yu den Aspekt der Handlungshemmung.378 Dies ist ihm als Abgesang auf die »alte« Gesellschaft ausgelegt worden und paßte insofern gut zur »Grablegung des republikanischen China«, welche auch andere Autoren in dieser Zeit betrieben haben. Auffällig ist jedoch, daß der hohe Gesang der Jugend (»Wir sind jung«; »wir werden fliegen«) nicht nur hier durch den Gang der Ereignisse zunichte gemacht wird. Auch in seinem zweiten Stück Sonnenaufgang (Richu, 1936)379 sind die jungen Protagonisten dem Untergang geweiht. Unzufrieden mit dem theatralischen, vermeintlich rein handwerklichen Stück Das Gewitter, einem well-made play, schlägt Cao Yu nun einen neuen Weg ein: Er wählt ein »impressionistisches« Verfahren. Menschen sollen fragmentiert, als »Tupfen« entworfen, eine Idee belegen: Sie alle sind, ob sie nun als Reiche nehmen oder als Arme geben, »Tiere, stolz in einem Käfig unterwegs«. Auch hier macht sich der Einfluß unter anderem von Ibsen in vielfacher Hinsicht bemerkbar. Die beiden Orte, an denen die Handlung spielt, sind Salons in einer Metropole (Tientsin). In dem einen Fall dient ein vornehmes Hotel, in dem anderen eine Absteige zur Bebilderung von »Nora auf und davon«. Was Cao Yu entwirft, ist eine vollkommen degenerierte Welt, der sich die jungen 378

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Dies ist am gelungensten in dem Stück Der Pekingmensch (Beijingren, 1941). Da ich dieses Stück und auch den Aspekt der Handlungshemmung schon ausführlich behandelt habe, sei hier zunächst nur auf die Quelle verwiesen: »Das Paradigma der Handlungshemmung. Zu einer Theorie des chinesischen Theaters im 20. Jahrhundert«, in: Bochumer Jahrbuch zur Ostasienforschung 1987, S. 143–159. CAO YU: Sonnenaufgang, deutsch von YVONNE MÄDER-BOGORAF, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 1981. Zum Original s. Cao Yu quanji, Shijiazhuang: Huashan Wenyi 1996, Bd. 1, S. 191–397. Zur Deutung s. HU: Ts'ao Yü, S. 44–54; LAU: Ts'ao Yü, S. 28–42.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949)

Leute nur durch Selbstmord entziehen können. Der Sonnenaufgang, der am Ende des Stückes durch das Aufziehen von Fenstervorhängen sichtbar wird, ist nicht unbedingt als Zeichen von Optimismus und Hoffnung zu deuten. Der sprechende Titel dürfte zunächst ganz einfach für die Sehnsucht des (modernen) Menschen nach Erlösung aus der Finsternis stehen. In seinem Vorwort zum Drama zitiert Cao Yu zu guter Letzt die »Offenbarung« (21.1): »Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde verging, und das Meer ist nicht mehr.«380 Das Symbol des Sonnenaufgangs ist jedoch komplexer angelegt, als der sprechende Titel nahezulegen scheint. Die vier Akte des Stückes spielen nämlich bis zum Schluß fast ausschließlich zu Zeiten der Dunkelheit. Das Licht, das sich hie und da trotzdem zeigen kann, wird einmal zweifelsohne ganz kommen. Es fragt sich jedoch nur, wie. Wenn fast alle Akte in den frühen oder späten Nachtstunden spielen, werden die Protagonisten nur nachts wach sein, tagsüber aber schlafen. So sagt denn die Protagonistin Chen Bailu zweimal: »Die Sonne ist aufgegangen, und die Dunkelheit ist bald gewichen. [...] Aber die Sonne scheint nicht für uns, denn wir werden schlafen.«381 Überdies hat das Drama einen Chor wie im griechischen Theater zu seinem Hintergrund. Bauarbeiter, die des Nachts arbeiten, singen unentwegt von der Sonne, doch ihr Arbeitsprodukt, ein hohes Gebäude für das Kapital, wird denen das Licht nehmen, die unterhalb leben. Es geht hier jedoch nicht simpel um die Finsternis, welche die bürgerliche Gesellschaft durch ihre Arbeit produziert, auch nicht um eine kommende Sonne des Sozialismus, es geht vielmehr um die Unbehaustheit in der Moderne, das heißt um die Heimatlosigkeit eines Menschen, der das Alte hinter sich läßt, um eine neue Welt aus lauter Utopien ohne die entsprechenden Voraussetzungen zu bauen. Das Stück erzielt seine Wirkung ebenso wie Das Gewitter durch den Einsatz vielschichtiger Leitmotive. Auch wenn der Autor es auf »das Handbuch eines Revolutionärs« und auf die Konsequenz einer Sozialstudie ohne Plot und theatralische Effekte zu reduzieren wünscht, steht es doch je nach Gewichtung vielfachen Interpretationsmöglichkeiten offen. Die Kurtisane Chen Bailu lebt hinter verhängten Fenstern, sie öffnet aber diese, da sie für Frühling, Sonne und Kindheit stehen. Fang Dasheng, einer ihrer Verehrer, bietet ihr einen Aufbruch aus dem Etablissement und eine Rückkehr in ihre Kindheit an. Doch sie will weder eine Regression noch eine Familie, denn ihre Beziehung zu einem Mann kann sich nur auf Geld gründen. Das Geld ist ihr der einzig wahre Tauschgegenstand für das Opfer ihrer Keuschheit. Die Veränderung, die Fang Dasheng in ihr Leben bringen will, ist auf eine naive und patriarchalische Liebe gegründet. Chen Bailu will sich aber nicht durch Fang Dasheng verändern lassen, sie will Macht über ihn wie über ein Kind haben. Sie verkörpert damit die Konsequenz, die auch für Zhou Fanyi in Das Gewitter so typisch gewesen ist: ein Leben ohne Reue, selbst wenn es in den Abgrund führt. 380

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Zitiert nach dem Neuen Testament in der Übersetzung von MARTIN LUTHER, Stuttgart: Privilegierte Württembergische Bibelanstalt 1909. CAO YU: Sonnenaufgang, S. 39, 181; Cao Yu quanji, Bd. 1, S. 237, 375.

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Die Entfaltung einer modernen Literatur in China (1928–1937)

Das Gewitter und Sonnenaufgang werden zusammen mit einem weiteren Stück, Die Wildnis (Yuanye, 1937)382 als Teil einer Trilogie aufgefaßt, die Rebellen gegen die alte Ordnung in den Mittelpunkt ihres Spiels stellt. Die Wildnis hat sich zwar bislang keinen Namen wie die beiden ersten Stücke machen können, gleichwohl aber der modernen chinesischen Literatur ein zugkräftiges Bild hinterlassen, das von Nietzsche über Lu Xun bis zu T.S. Eliot das Bild der Moderne als Wüstenei auch in China hat prägen helfen.383

382

383

TS'AO YÜ: The Wilderness (Yüan-yeh), übersetzt von CHRISTOPER C. RAND u. JOSEPH S.M. LAU, Hongkong u.a.: Hong Kong UP 1980. Die Ausgabe enthält auch Materialien zu Das Gewitter und Sonnenaufgang. CAO YU: Yuanye, Nachdruck, Schanghai: Shanghai Wenhua Shenghuo o.J. Zur Interpretation s. HU: Ts'ao Yü, S. 55–65; LAU: Ts'ao Yü, S. 43–56. Vgl. in diesem Zusammenhang auch KIRK A. DENTON: The Problematic of Self in Modern Chinese Literature. Hu Feng and Lu Ling, Stanford: Stanford UP 1998, bes. S. 253–255. Die Darstellung im Falle von Lu Ling ist allerdings höchst unbefriedigend.

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3. Die Radikalisierung der Literatur (1937–1949)

Keine Periode der modernen chinesischen Literatur hat die Entwicklung Chinas für die nachfolgenden Jahrzehnte so tiefgreifend geprägt wie die dritte Phase, die Phase der Kriege. Dies war einmal der Krieg gegen Japan (1937–1945) und zum anderen der Krieg der Bürger untereinander (1945–1949). Von beiden Kriegen war der erste für die Herausbildung einer neuen politischen Kultur der wichtigere. Die kulturelle Wende der damaligen Jahre läßt sich mit den Stichworten Patriotismus bzw. Nationalismus, Hinterland bzw. Volkskultur, Popularisierung bzw. Sinisierung vorerst zusammenfassen. Das heißt, vieles, was am Rande stand, die Randkultur ausmachte, gerät nun ins Zentrum und wird zur Leitkultur. Die Bewegung vom 4. Mai 1919 mag zwar ein Ikonoklasmus gewesen sein, aber dieser war eher idealistischer Natur. Die revolutionären Umtriebe nach 1927 fanden zwar auch in der Literatur ihren Niederschlag, aber die Organisation der Künste war noch eine von Verbänden. Überdies stand die Moderne lediglich zur Debatte. Die Phase der Kriege dagegen sah, folgt man der landläufigen Interpretation, eine Radikalisierung vor, welche sukzessive das ganze Land erfassen sollte und die Begeisterung für die westliche Moderne offensichtlich durch die Rückbesinnung auf die chinesische Tradition ersetzte. Die Künste wurden nun nicht mehr durch die Künstler, die Politiker sein konnten, organisiert, sondern durch die Politiker, die einmal Künstler waren oder sich gelegentlich künstlerisch betätigten. Dabei gingen die Organisationsformen weit über die Verbände und die Städte hinaus. Bis Ende des Bürgerkrieges hatten sie fast das gesamte Land ergriffen, so daß Radikalisierung und politische Organisierung gleichsam Synonyme sind. Mao Zedongs damalige Reden und Schriften zur Ausrichtung der Künste als gewichtiges Mittel für den Kampf um das Vaterland traten nicht etwa 1949, als das Ziel, die Errichtung einer Volksrepublik, erreicht war, außer Kraft, sondern sie behielten in der Praxis ihre Gültigkeit bis 1989, in der Theorie gar bis ins neue Jahrhundert. Hier ist auf zwei Dinge zu achten: 1. Die Rückkehr zur Tradition der chinesischen Künste bedeutet zwar einen Abschied von der abendländischen Moderne, doch sind Mao Zedongs Ausführungen in den marxistischen Diskurs einer Mobilisierung und Aufklärung des Volkes eingebettet. Ganz gleich, wie man nun diesen definieren mag, ist die wiedererweckte Tradition nicht so ohne weiteres mit einem »Feudalismus« vor 1911 gleichzusetzen und dem kommunistischen China nicht eine Moderne zur Gänze abzusprechen. Der Einfachheit halber spräche man am besten von einer formalen Rückkehr zur chinesischen Tradition und einer inhaltlichen Neuorientierung am Beispiel des Sozialismus. Um ein abgegriffenes Bild zu benutzen: Es wurde ein neuer Wein in alte Schläuche gegossen, wie Lao She einmal meinte. Eine Charakterisierung als Teil der Moderne verdiente Mao Zedongs Unterfangen jedoch insofern, als die gesamtgesellschaftliche Durchsetzung von Kunst zu Zwecken politischer

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Die Radikalisierung der Literatur (1937–1949)

Indoktrination grundsätzlich nur in einem modernen, allseits kontrollierten Gemeinschaftsgefüge möglich ist. 2. Die Selbstinterpretation der Volksrepublik China hat für die Jahre der Kriege nicht nur das Bild einer kämpferischen Literatur, sondern auch das eines kämpferischen Volkes festgeschrieben. Im Einzelfall mag das seine Richtigkeit haben, insgesamt ist jedoch zwischen Vorstellung und Realität zu differenzieren. Die Literatur dieser Jahre bestand eben nicht nur aus dem gelenkten Schrifttum, das seine spätere Stellung in der Geschichtsschreibung eher dem Sieg des kommunistischen China als seiner künstlerischen Reife verdankte. Und die Menschen sind nicht immer hohen Mutes in den Kampf gezogen, sondern waren vielfach auch sehr verzagt oder haben in nicht seltenen Fällen gar gemeinsame Sache mit dem japanischen Feind oder der chinesischen »Reaktion« gemacht.

3.1 Der Krieg, die Stadt und das Hinterland Es wäre auch falsch, sich den Gegenstand unserer Betrachtung, das China nach der Revolution von 1911, als ein kulturell oder politisch einheitliches (Staats-)Gebilde vorzustellen. Dies gilt um so mehr für die Jahre nach 1931, als Japan ganz unverhüllt die Okkupation der Mandschurei betreibt. Spätestens mit dem Ausbruch des Widerstandskrieges, der offiziell mit einem Scharmützel zwischen Japanern und Chinesen an der Marco-Polo-Brücke (Lugouqiao) bei Peking am 7. Juli 1937 eingeleitet wird, ist China in vier administrative Einheiten aufgeteilt. Da ist das von der Guomindang beherrschte Gebiet (Guotongqu) im Süden und Südwesten mit der »nationalen« Hauptstadt Chongqing. Da sind die Befreiten Gebiete (Jiefangqu) im Nordwesten mit der kommunistischen »Hauptstadt« Yan'an. Da sind die von Japan besetzten Gebiete (Lunxianqu) im Norden, an der Küste sowie im Jangtse-Tal mit der »feindlichen« Hauptstadt Nanking. Und da ist schließlich »die einsame Insel« Schanghai, die nach ihrem Fall im November 1937 zwar zunächst noch in den Konzessionsgebieten von den imperialistischen Mächten mitverwaltet, aber 1941 von der militanten Macht aus Fernost ganz übernommen wurde. Die (chinesische) Literaturwissenschaft ist gern der Administration der damaligen Zeit gefolgt und hat dementsprechend auch die Literatur dieser Jahre der Bequemlichkeit halber in vier unterschiedliche Richtungen unterteilt. Naturgemäß war das von der Guomindang gehaltene Gebiet am größten, wies zahlenmäßig die meisten Schriftsteller auf und übte, was den ästhetischen Wert angeht, langfristig den größten Einfluß aus. Es verbietet sich jedoch, diese sogenannten Weißen Gebiete ideologisch einem einzigen Lager, dem der Guomindang, zuzuschlagen, denn auch hier betätigten sich linke Schriftsteller offen oder im Untergrund. Und auch das vermeintlich bürgerliche Lager war nicht immer ganz frei von sozialistischem Gedankengut. Kurz, die rechten und linken Ideologien haben einander durchdrungen und boten schließlich nach 1949 dem jeweiligen Lager Anlaß zur Diffamierung in den eigenen Reihen. Alle wichtigen Städte im Osten wie Peking, Tientsin, Schanghai und Nanking sowie wichtige Verkehrswege im Hinterland waren in der Hand Japans, das eine pax

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949)

asiatica von seinen Gnaden vorbereitete. Zum offenen Widerstand mußte die herrschende Guomindang-Regierung erst gezwungen werden. Der sogenannte Zwischenfall von Xi'an am 12. Dezember 1936 erlaubte die Bildung zuerst einer militärischen (15.7.1937) und dann einer kulturellen (27.3.1938) Einheitsfront, die jedoch immer wieder gefährdet war, da Chiang Kai-shek eher an der Fortsetzung des Bürgerkrieges mit den linken Kräften als an einer militärischen Auseinandersetzung mit der Besatzungsmacht interessiert war. Die politischen und kriegerischen Ereignisse betrafen natürlich auch die Schriftsteller. Die mit dem Krieg einhergehenden Fluchtbewegungen ließen die traditionellen Orte der Literatur hinter neuen Orten wie Chongqing, Kunming oder auch Hongkong zurücktreten. Der Auszug aus den großen Städten wie Peking oder Schanghai brachte die Literatur und damit die städtische Kultur aufs Land, ins Hinterland. Dies erfolgte nicht nur notgedrungen, sondern auch aus ideologischen Gründen. Es war ja bereits seit 1918 die Forderung nach einer »Volksliteratur« (minjian wenxue) und nach einem »Gang aufs Land« (dao minjian qu) erhoben worden.384 Was damals an der Universität Peking unter Liu Bannong (1891–1934), Zhou Zuoren und Gu Jiegang (1893–1980) begann, liest sich heute rückblickend oftmals als »maoistisch«. Vieles wurde also hier vorgedacht, was später ins Gedankengut der Kommunistischen Partei Chinas eingegangen ist. Geistige Paten einer »Literatur vom Volk für das Volk« waren dabei so unterschiedliche Vertreter wie Johann Gottfried Herder, Ferdinand Tönnies (1855–1936) oder die russischen Narodniki seit 1870. Typisch für das Denken der damaligen Zeit war der vereinfachende Gegensatz von Stadt und Land, von Städter und Bauer. Auf der einen Seite sah man »Gesellschaft« im Sinne von Verderbtheit und Anonymität, auf der anderen Seite veranschlagte man »Gemeinschaft« im Sinne von Unschuld und gegenseitiger Nähe. Das geschäftige Schanghai wurde dabei zum Urbild des Bösen. Eine Erneuerung Chinas erwartete man von »unten«, vom Volk und vom Lande, her. Zu dieser Erneuerung gehörte auch die Sichtung des volkstümlichen Erbes. Trotz ihrer vereinfachenden Weltsicht ist diese Rückbesinnung auf das »unverbildete Volk« und die »gesunde Volkskultur« von großer Bedeutung für die Literaturgeschichtsschreibung und für die Entwicklung einer modernen Literatur gewesen. Denn nur so konnte in das Gedächtnis zurückgelangen, was jahrhundertelang in seiner kollektiv überlieferten Form als minderwertig betrachtet und keiner Beschäftigung für würdig befunden worden war, und nur so konnte der »einfache« Mensch zum Gegenstand einer so unterschiedlichen Sicht bei Lu Xun und bei Shen Congwen werden. Die Bewegung fand zwar 1937 mit dem Beginn des Krieges gegen Japan durch die Schließung der entsprechenden Redaktionsstuben ein offizielles Ende, doch war es auch längst vorher schon zu politisch schwierigen Situationen gekommen. Die vermeintlich gesunde Volksliteratur entpuppte sich nämlich oftmals auch als vielbeklagter Hort von Aberglauben, Obszönität und Vulgarität. 384

Vgl. hierzu und zum folgenden CHANG-TAI HUNG: Going to the People. Chinese Intellectuals and Folk Literature, 1918–1937, Cambridge, Mass.: Harvard UP 1985.

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Die Radikalisierung der Literatur (1937–1949)

Der Ausgangspunkt für die erneute »Bewegung aufs Land« (xiaxiang) ist mit 1937 ein vielfach anderer. Die sogenannten Folkloristen gingen von der Annahme aus, Chinas Not sei eine kulturelle und könne dank einer Ersetzung der hohen Kultur durch eine »niedere« behoben werden. Angesichts der kriegerischen Zerstörungen auch in den Dörfern ließ sich eine solch naive Sicht nicht aufrechterhalten. Mao Zedong dagegen verstand Chinas Nöte konkret als Folge der »Drei schweren Berge«, nämlich als Folge der Erblast von Feudalismus, Imperialismus und Kapitalismus. Zur gewaltsamen Abtragung dieser »Berge« benötigte er das Volk. Durch Massenerhebungen sollte der äußere Feind aus China vertrieben, der innere Feind besiegt und eine sozialistische Umgestaltung des Landes vorgenommen werden. All dies setzte aber die »Aufklärung« über die Ursachen des herrschenden Unglücks voraus. Eine solch »aufklärerische« Indoktrinierung hatte bei denjenigen zu erfolgen, die von der Kultur im großen und ganzen ausgeschlossen waren, und sie hatte durch diejenigen ins Werk gesetzt zu werden, die das Schreiben und Denken zu ihrer Lebensaufgabe gemacht hatten. Die Aufklärung an sich war jedoch nicht nur ein Anliegen der Kommunistischen Partei Chinas, sondern auch der Guomindang, ja selbst der japanischen Besatzungsmächte, die mit Hilfe einer Literatur für Großasien ihre Neue Ordnung ideologisch abzusichern suchten. Überall geriet das Schreiben also in die Gefahr, in einen allgemeinen Chorgesang (gongshihua) auszuarten, weil die Intelligenz nur allzu bereit war, um der politischen Sache willen ihre Individualität hintanzusetzen. Um all dies zu vertiefen, ist es notwendig, bestimmte Dinge nochmals aufzugreifen. Das Jahr 1937 stellte für den Machtkampf zwischen den Nationalisten und den Kommunisten eine entscheidende Wende dar. Es war nun augenscheinlich, daß die Guomindang weder in der Lage war, China unter ihrer Herrschaft zu einen, noch fähig war, die Kommunisten zu besiegen, denn sie hatte durch die japanische Besetzung ihre Stammlande verloren.385 Die psychische Befindlichkeit der Intelligenz war zu Beginn des Widerstandskrieges (1937–1939) euphorisch, denn man sah in ihm zunächst einen willkommenen Anlaß für die notwendige Neuordnung Chinas. Der Dichter Zang Kejia kleidete stellvertretend den Patriotismus der Zeit in die folgenden Worte: Ist Krieg denn so schrecklich? Nein, ganz im Gegenteil. 400 Millionen Menschen sehnen seine Ankunft herbei. Wir heißen den Krieg willkommen, er ist der Moment, da wir uns befreien können.386

Der Krieg wurde für die nationalistische wie für die kommunistische Seite zunächst zum Auslöser einer systematischen Popularisierung städtischer Kultur auf dem Land: 385

386

Vgl. hierzu und zum folgenden CHANG-TAI HUNG: War and Popular Culture. Resistance in Modern China, 1937–1945, Berkeley, Los Angeles u. London: University of California Press 1994. Zitiert nach ebd., S. 3.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949)

Die Literatur und die Künste hatten zu den Bauern, hatten zu den Soldaten zu gehen. »Verkündet patriotische Nachrichten in den Dörfern und auf den Schlachtfeldern!« »Verlaßt das Carlton [Theater in Schanghai] und geht [mit euren Stücken] auf die Straße!« So oder ähnlich lauteten die Aufrufe der ersten Kriegsjahre. Die baldige Kriegserschöpfung führte jedoch besonders auf der Seite der Guomindang, die die großen Schlachten schlug, zu einer Desillusionierung. So bemerkt der einst kriegsbegeisterte Zang Kejia 1943 wiederum stellvertretend für seine Zeit lakonisch: Der Enthusiasmus erstarrte, die Illusionen zerplatzten, der Glanz [einer schönen Zukunft] verblaßte, an ihre Stelle traten diese neue Schwermut (kumen) und diese 387 neue Depression (yiyu).

In dieser zweiten Phase (1939–1945) konnte der Weg der Intelligenz zurück in die Städte führen und die Literatur unterschiedliche Wege, auch die der Unterhaltung und Zerstreuung, gehen. In den besetzten Gebieten kommt es folglich zu einem Nebeneinander von hoher und niederer Literatur, wobei das Phänomen der Trivialliteratur so ernst genommen wird, daß es gar vielfach zum Gegenstand von Konferenzen wird. Die Trivialliteratur verdient deswegen Aufmerksamkeit, weil literarische Zerstreuung auch ein Politikum darstellt. Das Publikum verlangte nicht nur Aufklärung, sondern auch Unterhaltung. Wollte man eine möglichst große Zahl von Bürgern oder Bauern für »die Rettung des Vaterlandes« aktivieren, so mußte die literarisch verpackte Botschaft auch ihren Adressaten finden. Das Mißverhältnis von Text und Aufklärung war den sozialistischen Theoretikern eindringlich klargeworden. Mao Zedong löste es in den bekannten Yan'aner Reden, auf die noch einzugehen sein wird, durch die Forderung nach einer Rückkehr zu den künstlerischen Formen, die dem Volk teuer und lieb waren. Das waren die traditionellen Formen der Unterhaltung und Erziehung. Mochte auch die Volkskultur wiedererweckt werden, ihr Inhalt war ein neuer, denn er erfüllte die Bedürfnisse der Zeit. Die Tradition nimmt damit ambivalente Züge an. Wir sehen dies deutlich am Ziel der künstlerischen Umbrüche, in deren Mittelpunkt das Konzept der Veränderung (gaizao) steht. Zunächst sollte das Land verändert werden, dann veränderte sich auch der Literat durch die Begegnung mit den Bauern, unter Umständen gar zum Konservativen hin, schließlich veränderten sich die Künste selbst, indem sie ihr städtisches Flair durch ein volkstümliches eintauschten. Kurz, der Unterhaltung an sich ist die Möglichkeit zu einer politischen Aufklärung nicht grundsätzlich abzusprechen. Bislang orientiert sich das Bild, das die Sekundärliteratur von den Künsten der Kriegsjahre verbreitet, eher an den erfolgreichen Versuchen der Kommunistischen Partei Chinas, durch eine »Kultur für das Volk« das Land ideologisch zu unterwandern und auf die Übernahme der Macht vorzubereiten. Die drei bevorzugten Mittel waren das Schauspiel (Sprech- und Musiktheater), die Karikatur und die Tageszeitung bzw. 387

Übersetzt nach QIAN u.a.: Zhongguo xiandai wenxue sanshi nian, S. 448.

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Die Radikalisierung der Literatur (1937–1949)

die Reportage. Sie waren als bildhafter Ausdruck in der Praxis leicht umsetzbar und politisch äußerst wirksam. Sie sprachen eine neue Leser- und Zuschauerschaft an, nämlich die des »einfachen« Volkes. Ihr Inhalt lautete: Einheit nach innen und Widerstand nach außen. Hier wird im Zuge einer geforderten »Vermassung« (dazhonghua) des Schrifttums von der Presse ein neues Vokabular geschaffen, das bis heute von seiner politischen Schlagkraft wenig eingebüßt hat. Man denke nur an Binome wie »Befreiung« (jiefang) oder »Kehrtwendung« (fanshen). Hier schafft Feng Zikai seine stillen Karikaturen gegen den Krieg, die weit über seine Zeit und sein Land hinaus ihre Bedeutung behalten haben. Mit den sparsamen traditionellen Mitteln des schlichten Worts und des unscheinbaren Pinselstrichs gelingt ihm ein hohes Maß an ästhetischer Vollendung. Von den drei genannten Mitteln zur »ästhetischen« Erziehung des Volkes sind der Allgemeinheit eher die Versuche zum Straßentheater (jietouju), welche die Wandertruppen in den Dörfern unternahmen, bekanntgeworden. Hier setzt sich selbstverständlich fort, was oben bereits am Beispiel von Dingxian ausgeführt worden war. Der Kampf auf der Bühne zielte dabei nie nur gegen den äußeren oder inneren Feind, sondern immer auch gegen abweichende Meinungen in den eigenen Reihen. Wir sehen dies deutlich am Beispiel des Theaters, das sich im innerparteilichen Kampf vom Sprech- zum Musiktheater wandelte und auf der Grundlage der Volkskultur die westlichen Vorbilder gegen die einheimische Tradition austauschte. Diese Sinisierung, die sich gegen die Internationale und ihre Repräsentanten in China richtete, brachte jedoch auch eine von oben verordnete Reinigung der überlieferten mal derben, mal erotischen Spielformen mit sich. Typisch ist in dieser Hinsicht das Neue Singspiel (xin geju): Aus dem herkömmlichen Reissetztanz wurde ein »Kämpferischer Tanz« (douzheng yangge), ein »Bühnengeschehen« also, das zur Bekämpfung des Bösen, konkret des Japaners und des Großgrundbesitzers, eingesetzt wurde. Ob zu Recht oder nicht, bis heute erfreut sich das Spiel Das Mädchen mit den weißen Haaren (Baimaonü, ca. 1944) als bekanntestes Beispiel dieses Genres großer Beliebtheit.388 Es wurde auf der Basis einer Volkslegende unter anderem von He Jingzhi (geb. 1924) umgeschrieben, der später als Sänger der chinesischen Revolution und zu guter Letzt (1989) auch als Kulturminister (unrühmlich) hervorgetreten ist.389 Neben dem Straßentheater etablierte sich in jenen Jahren auch noch als wichtige Form eines theatralischen Widerstands das historische Drama390, das seinen einfluß388

389

390

Baimaonü, Peking: Renmin Wenxue 131962. Zu diesem Spiel und zu den Reissetztänzen allgemein s. JAROSLAV PRŮŠEK: Die Literatur des Befreiten China und ihre Volkstraditionen, Prag: Artia 1955, S. 359–373, 406–417. Als fremdsprachige Gesamtausgabe liegt mir vor HO CHING-CHIH [d.i. He Jingzhi] u. TING YI [d.i. Ding Yi]: The White-haired Girl. An Opera in Five Acts, übersetzt von YANG HSIEN-YI u. GLADYS YANG, Peking: Foreign Languages Press 1954. Zu seinem lyrischen Werk s. meine Ausführungen in: »Revolution und Affirmation. Zur Eigenständigkeit und Komposition gegenwärtiger Literatur und Kunst in der Volksrepublik China [...]«, in: BJOAF 1978, S. 110–121. PRŮŠEK: Literatur des Befreiten China und ihre Volkstraditionen, S. 457–465.

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reichsten Vertretern wie Guo Moruo oder Xia Yan die Möglichkeit bot, historische Stoffe für die Gegenwart aufzubereiten, ohne daß die japanische oder die nationalistische Zensur die zahlreichen versteckten Anspielungen unmittelbar verstehen konnte. Formal stellt diese Dramaform auch eine Folge der seit 1939 und verstärkt seit 1941 zu beobachtenden Desillusionierung dar. Es ist nicht nur das Theater, sondern auch der Roman, der sich der Geschichte zuwendet und ernüchtert die Frage nach »Volk« und »Nation« aufwirft. Als beispielhaft wären hier das historische Drama Qu Yuan (Qu Yuan, 1942)391 oder der epische Roman Vier Generationen unter einem Dach (Sishi tongtang, 1944ff.) von Lao She392 zu nennen. Ein paar Worte mögen an dieser Stelle zu den beiden Werken genügen. Guo Moruo kleidet in die Gestalt des als patriotischen Dichters (miß)verstandenen Qu Yuan (ca. 340 – ca. 278) die politische Frage seiner Zeit ein: Wie kann der aufrechte Mann sich gegen die Mächte der Finsternis behaupten? Er kann es nur als poetische Lichtgestalt, die, auf das Volk vertrauend, mit dem Volk die Nation rettet. Für unsere Frage nach der Rolle der Tradition in Zeiten des Krieges stellt dieses Drama eine Art Zwischenspiel dar. Das Sujet ist klassisch, die Sprache der Gegenwart angepaßt und mit klassizistischen Einsprengseln verziert. In der Form folgt das Stück jedoch dem europäischen Vorbild eines Dramas in fünf Akten. Hie und da ist der Autor auch bei Shakespeare in die Schule gegangen. Die Wiederaufnahme der Lichtmetaphorik und die Propagierung eines Popularismus sind dem Zeitgeist verpflichtet. Alles in allem ist uns in Qu Yuan ein Stück Literatur gegeben, das noch nicht ganz der maoistischen Ästhetik von Yan'an verpflichtet ist. Dies darf und kann jedoch auch nicht verwundern, denn seine Abfassung, Veröffentlichung und Premiere erfolgten in Chongqing, der Hochburg der Guomindang, die weitere Aufführungen zu unterbinden suchte. Eine vordergründige und propagandistische Demaskierung von Chiang Kai-shek hätte der Sache dagegen von Anfang an geschadet. Ein intelligentes Verfahren war gefordert, und dies führte zu einem historisierenden Versteckspiel mit chinesischen und abendländischen Versatzstücken. Auch Lao She, damals ebenfalls in Chongqing ansässig, überläßt in seinem Kriegsroman Vier Generationen unter einem Dach einem Dichter (Qian Moyin) die Führung des Volkes im Untergrundkampf gegen die japanischen Besatzer und ihre chinesi391

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GUO MORUO: Qu Yuan. Ein Schauspiel in fünf Akten. Deutsch von Markus Mäder, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 1980. Zu einer kommentierten Ausgabe s. KUO MOJO: K’iu Yuan [d.i. Qu Yuan]. Traduction, préface et notes par Liang Pai-Tchin, Paris: Gallimard 1957. Zum Original s. Guo Moruo quanji, Bd. 6, S. 289–396. Materialien zum Stück finden sich S. 397–424. Zur Deutung s. YI ZHENG: »The Figuration of a Sublime Origin: Guo Moruo’s Qu Yuan«, in: Modern Chinese Literature and Culture 16.1 (Frühling 2004), S. 153–198. LAO SHE: Vier Generationen unter einem Dach. Zum Original, das erst später seine Einheit aus drei zunächst selbständig veröffentlichten (Teil-)Werken erhielt, s. Lao She wenji, Bd. 4: Huanghuo (Irrungen und Wirrungen), Bd. 5: Tousheng (Das gestohlene Leben), Bd. 6: Jihuang (Hunger). Zur Quelle s. LAO SHE: »Vier Generationen unter einem Dach«, besprochen von WOLFGANG KUBIN, in: Orientierungen 1/2003, S. 141–143.

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schen Helfershelfer. Er entfaltet sein Anliegen anhand einer Schilderung dreier Familien im besetzten Peking. Dabei gerät die Gegend um den einstigen Tempel Huguo Si im Westen der Stadt, wo sich auch heute noch das Wohnhaus des Autors befindet, zu einer Art Mikroskosmos. Es ist dies der mit Schafhürdengasse (Xiaoyangquan) bezeichnete Wohnort der Clane Qi, Guan und Qian. Schematisch gesprochen steht die Familie Qi mit ihrem Ideal von vier Generationen unter einem Dach für die traditionellen Werte der Pekinger. Sie verkörpert also gleichsam die Geschichte und Kultur der »Nördlichen Hauptstadt«. Ihr Gegenstück ist die opportunistische Familie Guan, die zur Kollaboration mit den Japanern bereit ist und um ihres Vorteils willen auch den Verrat der Nachbarn nicht scheut. Lao Shes Studie zum chinesischen Charakter in Zeiten der Bedrängnis ist auf hundert Kapitel formal wie ein traditionelles Panorama angelegt. Sie hat seit ihrem Erscheinen in Buchform unter Literaturwissenschaftlern wenig Gegenliebe gefunden. Erst die Zusammenstellung der drei Teile, die über die Jahre in Fortsetzungen erschienen waren, offenbarte die offensichtliche Schwäche. Dies »Melodram aus Verbrechen und Bestrafung«393, das in den 90er Jahren auch als Fernsehserie produziert wurde, hat stark patriotischen und moralischen Charakter. Gleichwohl ist es besser als sein Ruf. Man muß zunächst wissen, daß Lao She aktiv im Rahmen einer Literatur zur Bekämpfung des Feindes tätig gewesen ist.394 Er, der sich als »Fußsoldaten« betrachtete, war Präsident der Vereinigung chinesischer Schriftsteller zum Kampf gegen Japan. Als solcher hat er entscheidend zur Ablösung einer Kunst als Kunst durch eine gelenkte Volkskunst als (Propaganda-)»Waffe« beigetragen. Lao She hatte einen klaren Blick für den Verlust, den seine von ihm so geliebte Pekinger Kultur durch die Besatzung erlitt. Traditionelle Familienwerte und nationales Bewußtsein begannen sich zu reiben. Bei allem Niedergang des Alten, den der Erzähler vorhersah, war der Widerstandskrieg jedoch auch als Möglichkeit zur Wiedergeburt Chinas begrüßt worden. Es sind daher drei Dinge, die eine kritische Lektüre des Romans immer noch angelegen sein lassen: 1. Es ist der Dichter, der durch sein Leiden und seinen Mut dem Volk die Zukunft weist. Insofern stünde die Familie Qian für die Zukunft, wenn es richtig ist, die Familien Qi und Guan jeweils der Vergangenheit und der Zukunft zuzuweisen. 2. Wenn auch fern der Heimat, gelingt es Lao She im Einzelfall meisterlich, das alte Peking einzufangen und oftmals voller Humor dem Leser nahezubringen. 3. Manches Gedankengut ist ideologischer Natur und hat auch nach 1949 eine große Rolle gespielt: der Dichter als Soldat, der Krieg als Katharsis, der Gegner als Schmeißfliege, die den Tod verdient. Hier ist im Einzelfall jedoch zwischen der Meinung der Protagonisten und des Erzählers bzw. Autors zu unterscheiden. Trotz aller nationalen und patriotischen Begeisterung zeigt ein Schriftsteller wie Lao She jedoch auch die geistige und physische Erschöpfung des chinesischen Volkes zur Kriegszeit. Wir gewinnen daher ein etwas anderes Bild, wenn wir eine bislang 393 394

HSIA: A History of Modern Chinese Fiction, S. 372. S. Anm. 219.

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eher vernachlässigte Seite der damaligen Literaturszene betrachten.395 Von Schanghai, Peking oder Hongkong aus gesehen, konnte auch die wirtschaftliche und nicht allein die politische Situation für die Entscheidung der Schriftsteller, ob Bleibe oder Flucht, ausschlaggebend sein. Manche sprachen sich für eine unengagierte Literatur aus, manche suchten die Zusammenarbeit mit Japan, um größeren Schaden von China fernzuhalten. Die allgemeine Kriegsmüdigkeit besonders nach 1941 konnte auch im Hinterland zu einer Vorliebe für entpolitisierte Werke führen. So war zum Beispiel Gone with the Wind (1936) von Margaret Mitchell (1900–1949) das Lieblingsbuch im Chongqing der 40er Jahre. Die japanischen Militärs versuchten, durch drei Maßnahmen Herr über den Kulturbereich zu werden. Zum einen durch eine strenge Zensur, welche die Widerstandsliteratur unterbinden sollte. Allein in der Mandschurei konfiszierten sie zwischen 1931 und 1936 insgesamt 8 Millionen Schriften. Zum anderen strebten sie eine inhaltliche Lenkung der Künste an, und zum dritten griffen sie zum Mittel der Gründung von schriftstellerischen Organisationen. Bevorzugt wurden auch hier das Theater und die Zeitung zu Zwecken der Massenpropaganda eingesetzt. Man schickte sogenannte Truppen zur Befriedung (sempuban) in die eroberten Gebiete, die mit Hilfe örtlicher Schauspieler und Bühnen die Neue Ordnung verkünden halfen: Nieder mit den Kommunisten, vernichtet Chiang Kai-shek, Asien den Asiaten etc. Dabei griff man immer wieder gern auf Formen des traditionellen chinesischen Singspiels zurück. Im Zeitungswesen sahen Opportunisten ihre Stunde für den Kampf gegen westliche Werte und für eine »Literatur der Rasse und des neuen Zeitalters in Ostasien« gekommen. Wenn wir noch die Verbandsgründungen und die Indoktrinationen auf Konferenzen in Tokio mithinzunehmen, sehen wir, wie wenig sich die jeweiligen Seiten formal voneinander unterscheiden: Man bediente sich überall derselben Mittel bis hin zum Meuchelmord, mit dem einzigen Unterschied, daß es schließlich nur einen Sieger gab, die Kommunisten. Die Archivlage erlaubt heute noch kein endgültiges Urteil über die Namen, die in obigem Zusammenhang immer wieder gern fallen. Am prominentesten sind bereits erwähnte Vertreter wie Zhou Zuoren, Mu Shiying oder Zhang Ziping. Ob sie Hochverräter waren, Mitläufer oder ganz einfach Irrende, denen es um Schadensbegrenzung ging, sollte nüchtern betrachtet werden. Lao She hat in dem Roman Vier Generationen unter einem Dach nebenbei ja auch gezeigt, wie sehr die chinesische Bevölkerung unter japanischer Besatzung bereit war, ihr Mäntelchen nach dem Wind zu hängen. Kollaboration wäre daher nicht als Frage einzelner Schriftsteller, sondern als Problem breiter Massen zu thematisieren.

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Ich folge hier GUNN: Unwelcome Muse.

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3.2 Yan'an: Maoistische Ästhetik und literarische Praxis Ganz gleich, von welchem Blickwinkel aus man die Ästhetik der Kriegsjahre betrachten mag, der Trend zu einer »Massenkultur« scheint zumindest theoretisch eindeutig zu sein. Nur im Falle der von den Kommunisten kontrollierten Gebiete wurde jedoch dasjenige, was theoretisch gefordert wurde, auch praktisch umgesetzt, überwiegend mit Billigung, unter Umständen aber auch gegen den Widerstand der Künstler. Wir dürfen uns nun die folgenreichen »Reden auf der Beratung über Fragen der Literatur und Kunst in Yan'an« (»Zai Yan'an wenyi zuotanhui shang de jianghua«)396, die von Mao Zedong zwischen dem 2. und dem 23. Mai 1942 gehalten und am 19. Oktober 1943 veröffentlicht worden sind, keinesfalls als innovative Leistung vorstellen. Die Editionsgeschichte nicht nur dieser »Reden«, sondern aller Mao Zedong zugeschriebenen Werke macht klar, daß man es jeweils nicht mit authentischen Arbeiten zu tun hat. Kollektive haben nämlich mit Rückgriff auf sowjetische Klassiker des Marxismus-Leninismus die Schriften verfaßt und zugleich immer wieder nach den Bedürfnissen der Zeit redigiert. Eine Rekonstruktion der »Reden«397 ist versucht worden, sei es auf der Basis der Erstpublikation von 1943, sei es auf der Basis von Tagebuchaufzeichnungen damaliger Hörer. So oder so konnten diese Rekonstruktionsversuche bislang nicht in der Volksrepublik China publiziert werden398. Es dürfen daher im vorliegenden Fall nicht die »historischen« Reden von Interesse sein, sondern nur die Fassungen, welche über mehr als ein halbes Jahrhundert rezipiert, propagiert und funktionalisiert worden sind. Es ist dies darüber hinaus eine Kriegsästhetik, die den Zeitgeist zusammenfaßt und keinerlei individuelle Ausprägung zu erkennen gibt. Eine Literatur für die (kämpferischen) Massen hat eine Literatur für den Menschen (ren de wenxue) bzw. eine Literatur für den Bürger (pingmin wenxue) abzulösen. Dies impliziert den Abschied von den Idealen des 4. Mai, deren Problematik der Ausgang der »Reden« von Mao Zedong ist. Die Kriegsmetaphorik hat über die nachfolgenden Jahrzehnte auch dort noch ihre Wirkung entfalten können, wo längst die Abkehr vom Maoismus vollzogen worden war. Es ist daher bezeichnend, wenn Bei Dao, das Symbol einer nicht nur literarischen Erneuerung der Volksrepublik China, einen seiner jüngeren Texte mit »Post bellum« (»Zhan hou«)399 396

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Eine deutsche Fassung findet sich in MAO TSE-TUNG: Über Literatur und Kunst, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 1961, S. 91–150. Zum Original s. Mao Zedong xuanji, Bd. 3, Peking: Renmin 1968, S. 804–835. BONNIE S. MCDOUGALL: Mao Zedong’s »Talks at the Yan'an Conference on Literature and Art«: A Translation of the 1943 Text with Commentary, Ann Arbor: Center for Chinese Studies 1980 (= Michigan Papers in Chinese Studies; 39). Sie haben bisher den Umweg über Korea oder Japan zu nehmen, so zum Beispiel die zahlreichen Arbeiten von LUO GANG und WANG PEIYUAN in der japanischen Zeitschrift Yasō (Wilde Gräser) ab Nr. 63 (1999)ff. BEI DAO: Post bellum. Gedichte, aus dem Chinesischen und mit einer Nachbemerkung von WOLFGANG KUBIN, München: Hanser 2001, S. 63. Zum Original s. BEI DAO: Kaisuo, Taipeh: Jiuge 1999, S. 71–72.

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überschreibt und damit einen Nachkriegszustand zwischen Partei und Kunst ansetzt. Die maoistische Ästhetik400 geht von den folgenden Fragen aus: Wie sollten die Künste geleitet werden? Wie bestimmt sich das Verhältnis von Kunst und Leben, von Kunst und Politik? Welchen Vorgaben folgen Form und Inhalt? Wer ist der Adressat? Wie verhalten sich künstlerisches Niveau und Breitenwirkung? Mao Zedong versteht die Künste als eine Sache für die Arbeiter, Bauern und Soldaten (gongnongbing), die zunächst im Kampf gegen Japan, später gegen die Guomindang stehen und grundsätzlich das Land unter der Führung der Partei zukunftsweisend umzugestalten haben. Bei all diesen Veränderungen (gaizao), die physischer und auch psychischer Natur sind, steht die Konzentrierung der politischen Einheit (jizhong tongyi), der schichtenübergreifende Zusammenschluß (jiehe), im Mittelpunkt. Die Künste sind so ganz im Sinne des Marxismus-Leninismus »Rädchen und Schräubchen« im Werk der Revolution: In ihrem Dienst an den Massen dienen sie der Politik. Schreiben bedeutet folglich »das Zentrum beschreiben« (xie zhongxin), Singen »das Zentrum besingen« (chang zhongxin), das heißt die Leitung der Kommunistischen Partei Chinas verherrlichen und die tagespolitischen Reden der Führungsspitze künstlerisch gestalten. Erfolg oder Mißerfolg der Künste richten sich dementsprechend nach der gelingenden Umsetzung aktueller Parolen in die »Sprache« der Massen. Diese hatte eindeutig und engagiert zu geschehen. Zu diesem Zweck erschien die Tradition geeigneter als die Moderne, denn die Tradition kennt keine Ambivalenz. Die jeweiligen Lager sind nach Gut und Böse klar abgegrenzt, die communis opinio duldet keinen Zweifel. Die Moderne dagegen, wie wir sie oben entworfen haben, bedeutet Infragestellung und fordert Analyse. Da kann auch die eigene Seite mal kritisch hinterfragt und die andere Seite folglich weniger verteufelt werden. Die von Mao Zedong betriebene Rückkehr zur Volkskultur kennzeichnet daher nicht nur eine formale, sondern auch eine in sich stimmige inhaltliche Notwendigkeit. Das ändert nichts an der Tatsache, daß die maoistische »Zivilisierung« der chinesischen Welt heute kritisch zu beurteilen ist. Was damals unter Volkskultur bzw. Volksliteratur verstanden wurde, ist nicht einheitlich. Der Begriff wurde von der Intelligenz nicht selten negativ mit Vorstellungen von »Aberglaube«, »Feudalismus« etc. in Verbindung gebracht. Die Sprachpolitik der damaligen Zeit erlaubte jedoch auch eine neue Sicht, denn die Vorbehalte bezogen sich eher auf die inhaltliche als die formale Seite der traditionell überlieferten populären Kunstformen. Es schien völlig hinreichend, die Inhalte zur Gänze auszutauschen, formale Aspekte aber nur zu modifizieren, so daß der Verständlichkeit, 400

Im folgenden sei nur das Notwendigste gesagt, da ich mich mit dem Gegenstand bereits andernorts ausführlich beschäftigt habe, WOLFGANG KUBIN u. GERHARD WILL: »Literatur und Kunst in den politischen Auseinandersetzungen der VR China zu Beginn der fünfziger Jahre. Ihre Rezeption in der westlichen Sinologie am Beispiel M. GOLDMANS ›Literary Dissent in Communist China‹«, in: BJOAF 1980, S. 337–369.

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Unterhaltsamkeit und Belehrung Genüge getan war. Schaut man sich einmal die volkstümlichen Formen an, die umfunktioniert wurden, so stellt man voller Überraschung fest, daß selbst der Dreizeichenklassiker (Sanzijing), der bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts als reaktionäres Mittel zur konfuzianischen Indoktrination verschrien war, als Dreizeichenklassiker zum Kampf gegen Japan (Kang Ri Sanzijing) oder als Dreizeichenklassiker für das Proletariat (Gongnong Sanzijing) wiederauferstehen konnte. Ähnliches gilt für die »Bänkelgesänge« (kuaiban), die Trommellieder (dagu) und die »Balladen« (tanci). Alles in allem läßt sich sagen, daß in der damaligen Debatte um nationale Formen nicht nur das einheimische, sondern auch das ausländische Erbe an die politischen und ideologischen Erfordernisse der Zeit angepaßt wurde. Dies hat zur Folge, daß sich im einzelnen die jeweiligen Einflüsse nicht immer eindeutig trennen lassen und man besser von einem neuen, artifiziellen Kunstprodukt spricht. Dessen Kennzeichen sind eine Nationalisierung der Form und eine Militarisierung der Sprache. Die Ideologie von »Gewehr und Pinsel« führt zu Vorstellungen von Karikaturen als »stillen Bomben«, von Zeitungen als »Papierkugeln«, von Kulturarbeit als »Angriff und Front«, von geistig Schaffenden als »Soldaten in Zivil« oder als »Guerillatrupps«. Sie führt aber auch zu heute nicht immer nachvollziehbaren Einstellungen wie opferbereiter Loyalität, blindem Vertrauen und uneingeschränktem Optimismus. Ein frühes und bekanntes, gleichzeitig wirkungsmächtiges Beispiel, das all diese besagten Tendenzen in sich verkörpert, ist der sogenannte »Trommler seines Zeitalters« (shidai de gushou) Tian Jian (1916–1985), der seine freien staccatohaften Verse als Waffen begriff. Sein dichterisches Werk stellt gleichsam »eine Illustration zu Mao Zedongs Lehren«401 dar, in die der Autor 1942 in Yan'an eingeführt worden war. Es steht unter russischem, sowjetischem und chinesischem Einfluß und hat trotz aller Martialität bis in die 80er Jahre hinein sein Publikum gehabt. Heute dürfte es nur noch der Aspekt der Gewalt sein, der einen Gedichtband und ein gleichnamiges Gedicht wie »Auch sie möchte töten« (Ta ye yao sha ren, ca. 1938) geistesgeschichtlich diskussionswürdig macht. Tian Jian entwirft hier, dem Zeitgeist des historischen Dramas verpflichtet, die Frau als Rebell: Die Heldin möchte für das erlittene Unrecht Rache nehmen und »Menschen töten« (sha ren), genauer gesagt japanische Soldaten. Eine unverblümte Predigt von Gewalt und Haß, wie sie für die Kriegsgedichte An die Kämpfer (Gei Zhandouzhe)402 kennzeichnend ist, hat viele Jahrzehnte ihre Spuren in China hinterlassen und ist als Teil einer gnostisch geprägten Säuberung zu verstehen.403 Sie versinnbildlicht gleichsam die Umwertung aller traditionellen, auf Har401

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Unter Verwendung der heutigen Umschrift zitiert nach PRŮŠEK: Die Literatur des Befreiten China und ihre Volkstraditionen, S. 165. Zum Autor vgl. hier auch allgemein die umfangreichen Ausführungen S. 159–180. Diese Gesänge entstanden zwischen 1937 und 1942. Sie sind 1954 erstmals in Buchform erschienen und 1978 (Peking: Renmin Wenxue) wieder aufgelegt worden. Zu diesem Thema habe ich bereits vielfach u.a. in der Zeitschrift minima sinica publiziert, so daß sich weitere Ausführungen erübrigen.

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monie angelegten Werte der chinesischen Gesellschaft. Später hat sich die Vernichtungswut nach innen gewandt, als der äußere Gegner besiegt war und durch den Klassenfeind ersetzt wurde. Auch wenn Tian Jian in der Vergangenheit viel literaturwissenschaftliche Aufmerksamkeit404 zuteil geworden ist, so ist er heute mit seinem Zeitalter verblaßt. Gedichte, die wie Trommelschläge konzipiert sind, richten sich nach den Erfordernissen der Straße und der Schlachtfelder.405 Der deutschsprachige tschechische Schriftsteller F.C. Weiskopf (1900–1955), dem wir auch die Gesamtübersetzung des bekanntesten und vielfach aufgelegten Epos Das Lied vom Karren (Ganche zhuan, 1946)406, die Geschichte eines Kutschers in den Jahren 1937–1945, verdanken, hat einen dieser Kriegsgesänge wie folgt übersetzt:407 Du willst wissen, Du Hund, Wo ich Flinte und Pulver verborgen? Mach dir Keine Sorgen! Versuch nicht, Zu graben! Ich will’s Dir sagen: Wir alle haben Flinte und Pulver Im Herzen Vergraben!

Es sind Texte wie diese, die damals auf den Straßen und unter den Soldaten ihre begeisterten Hörer und eifrigen Nachahmer fanden. Ihr Erfolg verdankt sich auch 404

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Vgl. u.a. LIN: Modern Chinese Poetry, S. 188–197; FEIFEL: Moderne chinesische Poesie, von 1919 bis 1982, S. 110–122. Ein sehr anschauliches Beispiel im Stil des Reissetztanzes (yangge) bietet nebst Abriß zum Autor (S. 111–113) FEIFEL: Moderne chinesische Poesie, S. 114–122 (zweisprachig). Eine Fülle martialischer Gesänge findet sich auch in der Übertragung von F.C. WEISKOPF: Gesang der gelben Erde. Nachdichtungen aus dem Chinesischen, Berlin: Dietz 1951. F[RANZ] C[ARL] WEISKOPF: Des Tien Tschien [d.i. Tian Jian] Lied vom Karren. Nachdichtung aus dem Chinesischen, Berlin: Dietz 1953. Zu einer weiteren deutschen Übersetzung s. PRŮŠEK: Die Literatur des Befreiten China und ihre Volkstraditionen, S. 589–646. Daselbst auch eine Deutung S. 159–164. Dieses Gedicht findet sich neben vielen anderen Beispielen auch übersetzt bei PRŮŠEK: Die Literatur des Befreiten China und ihre Volkstraditionen, S. 165–180. Die chinesische Quelle des »Feste Mauer« (»Jian bi«) betitelten Gedichtes lag mir zwar nicht vor, ähnliche Gesänge aus der Zeit des Krieges finden sich jedoch in TIAN JIAN: Gei zhandouzhe, Peking: Renmin Wenxue 1978 (Nachdruck von 1954).

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einer Metaphorik der Tradition und Moderne, die der Sänger ebenfalls umzuwerten weiß. Tian Jian, der einem reichen Haus entstammte, hat sich aus freien Stücken der Sache des Proletariats angenommen. Indem er für das Volk den künftigen Weg sucht, wird er ebenfalls zur Gestalt des Dichters als Führer. Es geht bei ihm immer wieder um den rechten »Weg«, der aus der »Wildnis« in die »Freiheit« führt und dazu des Anführers bedarf. Der Weg, Leitmotiv im Lied vom Karren, wird nach 1949 gern in den Titeln neuer literarischer Werke verwandt. Der Weg ist natürlich der Weg unter Anleitung der Kommunistischen Partei Chinas bzw. Mao Zedongs, an seinem Ende steht die leuchtende Sonne des Sozialismus. Die bedrückende »Wildnis« China, das Syndrom einer verwirrenden »Kreuzung«, findet sich aufgehoben in der schönen Gewißheit einer befriedeten Gemeinschaft. Die literarische Gleichschaltung erfolgt sowohl freiwillig als auch gelenkt. Sie geht weit über den Bereich der Künste hinaus. Sie betrifft ebenso unscheinbare Dinge wie die Abfolge von Nachrichten in der Tagespresse, Selbstzensur wird zur Pflicht. Nicht alle haben sich jedoch der neuen Rhetorik und der einen verbindlichen Stimme beugen wollen. Es gab auch Opposition in den eigenen Reihen. Es ist müßig zu fragen, ob es erst Gegenstimmen gab, auf welche Mao Zedong mit seiner Ästhetik reagierte, oder umgekehrt. These und Gegenthese haben sich bis in die 50er Jahre gegenseitig bedingt und im Ringen miteinander gemeinsam die politische Kultur schaffen helfen, die alles Geistige nur als Mittel des tagespolitischen Auftrags sah. Philosophie und Literatur waren demnach keine Werte an sich, sondern das Schlachtfeld unterschiedlicher Auffassungen von Sozialismus und Kommunismus.408 Also ging es seit 1938 bei der Debatte um die nationalen bzw. volkstümlichen Formen (minzu xingshi) innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas Mao Zedong nicht um vordergründige ästhetische Fragen, sondern um das generelle Problem einer Sinisierung der Moderne und in diesem Zusammenhang um die Etablierung einer allgemein verbindlichen Weltsicht, kurz, es ging um die Frage von Herrschaft. Fassen wir noch einmal mit anderen Worten zusammen, was Mao Zedong mit seiner Aussprache zur Literatur und Kunst bezweckte, bevor wir uns den kritischen Stimmen von Yan'an zuwenden. Revolution und Affirmation, so läßt sich der Spannungspol zwischen Feind und Freund kennzeichnen. Nicht zufällig stellt Mao Zedong eine ähnliche Frage wie Carl Schmitt (1888–1985): Wer sind unsere Freunde, wer sind unsere Feinde? Es gibt daher nur Schwarz und Weiß. Die Künste werden zur Waffe gegen den Feind und zum Mittel der Erziehung der Freunde. Insofern gibt es keine Differenz zwischen Ästhetik und Politik, beide sind eines, da sie einander dienen: Die Ästhetik verpackt die Politik, und die Politik ebnet der Ästhetik ihren Weg. Beider Standpunkt ist eindeutig: Er ist parteilich, verficht die Sache des Proletariats und sucht mit jeweils anderen Mitteln die Einheit der chinesischen Welt zu befördern. 408

Vgl. hierzu die beeindruckende Studie von WERNER MEIßNER: Philosophie und Politik in China. Die Kontroverse über den dialektischen Materialismus in den dreißiger Jahren, München: Fink 1986.

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Gegen diese vereinfachende Sicht der Künste hat sich vielfach Widerstand geregt. Dieser ist gut dokumentiert409 und heutzutage oftmals nurmehr von historischem Interesse. Die einstige Brisanz ist nicht selten verblaßt, mitunter fragt man sich ratlos, warum jemand für letztlich wohlwollende Kritik überhaupt hat belangt werden können. Es reicht daher, wenn an dieser Stelle nur stellvertretend Texte angeführt werden, die heute noch ein gewisses Interesse verdienen. Bei der sogenannten Berichtigungsbewegung, auch Ausrichtungsbewegung (zhengfeng yundong)410, von 1941/42 ging es Mao Zedong im Bereich der Künste um eine Neueinschätzung und Instrumentalisierung des 4. Mai. Er erklärte diesen Aufstand der Studenten und die ihn begleitende literarische Renaissance zum festen Bestandteil der chinesischen Revolution. Lu Xun avancierte dabei zum fragwürdigen Bannerträger der sozialistischen Umgestaltung. Hu Feng (1902–1985), einer seiner Schüler, war zwar Marxist, wollte aber dem Schriftsteller seine Subjektivität belassen.411 In dieser Hinsicht war er gleichsam der letzte Vertreter des 4. Mai, der gegen die einseitige Diskursgemeinschaft von Yan'an »das aktive Ich« in Zeiten der Geschichte vertrat, das heißt, ein Autor sollte unabhängig von der herrschenden Meinung subjektiv die historische Situation, in der er lebt, erkennen und gestalten. Dabei hatte auch den Wunden geistiger Unterwürfigkeit besonderes Augenmerk zu gelten. Eine solche Subjektivität war in Yan'an jedoch nicht gefragt, denn sie eröffnete dem einzelnen die Möglichkeit zu einer eigenständigen und kritischen Sicht. Der Künstler war jedoch gefordert, die Sicht der Partei zu vertreten, die immer wieder nach den jeweiligen tagespolitischen Bedürfnissen neu festgelegt wurde, und die eigene Seite in den höchsten Tönen zu preisen. Um zu verstehen, warum Hu Feng bis in die 50er Jahre hinein ein solches Gewicht als Gegenspieler von Mao Zedong hat gewinnen können, muß man sich die damalige Situation vor Augen halten. Die Jugend war, enttäuscht von der Politik der Guomindang, voller Enthusiasmus nach Yan'an geströmt, fand dort aber nur ein für sie monotones Leben vor. Langeweile und Melancholie wurden sehr schnell zur Grundstimmung einer Generation, die gewisse bürgerliche Freiheiten gewöhnt war. Ihr mißfielen das eingeengte Denken, der Widerspruch von sozialistischer Theorie und chauvinistischer Praxis, die Kleinlichkeit der Funktionäre. Ob Literat oder Karikaturist, das Objekt der Kritik hatte man bald ausgemacht: Es war der Parteibonze, 409

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ROBERT TUNG: Proscribed Chinese Writing, London u. Malmö: Curzon Press 21978 (= Scandinavian Institute of Asian Studies Monograph Series; 21). Diese Ausgabe enthält das chinesische Original und eine englische Übersetzung. Zu einer deutschen Fassung s. die einschlägigen Ausgaben der Orientierungen. Zeitschrift zur Kultur Asiens. Hier sind über die Jahre alle wichtigen Texte dokumentiert worden. Zum Hintergrund s. DAVID HOLM: »The Literary Rectification in Yan'an«, in: WOLFGANG KUBIN u. Rudolf G. WAGNER: Essays in Modern Chinese Literature and Literary Criticism, Bochum: Brockmeyer 1982 (= Chinathemen; 4), S. 272–308. Vgl. hierzu DENTON: The Problematic of Self in Modern Chinese Literature.

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der eher an seinen Privilegien als an der Sache der Revolution interessiert war. Kumen, Schwermut, wurde bald zur vorherrschenden Vokabel in den Reihen der Schriftsteller und zum Anlaß der öffentlichen Maßregelung in den Reihen der kommunistischen Kader. Der später als Kinderbuchautor hervorgetretene Yan Wenjing (1915–2005) hat ihr 1940 in seinem Roman Die Leiden eines Mannes (Yi ge ren de fannao)412, der in Yan'an spielt, ein Denkmal gesetzt. Die damaligen öffentlichen Reden wider die vermeintlich kleinbürgerliche Einstellung zeigen nach 1942 Wirkung. Die allgemeine Kritik verstummt, die Schriftsteller lassen sich umerziehen oder erziehen sich selber um, sie werden in der Regel, ganz im Sinne der Partei, zum Steigbügelhalter der Revolution. Mit einer einzigen Ausnahme: Hu Feng beharrt auf der Unabhängigkeit des Literaten und wird damit vor allem nach 1949 zur symbolischen Angriffsfläche. An seiner Person wird 1955 landesweit ein Exempel statuiert. Dies soll uns jedoch erst später interessieren, da der Sachverhalt in sich nicht so stimmig darstellbar erscheint. Wichtiger dagegen scheint zunächst an dieser Stelle der Hinweis auf die baldige freiwillige und allgemeine Selbstzensur zu sein. Es wäre nämlich nicht richtig, der Kommunistischen Partei allein die Schuld an einer gelenkten Literatur zu geben. Sie hat zwar das geistige Klima für Zensur und Selbstzensur geschaffen, doch sind die Schriftsteller nicht immer von einer Mitverantwortung freizusprechen. Wir können dies beispielhaft dem Essay »Über Liebe und Duldsamkeit unter Genossen« (»Lun tongzhi de ›ai‹ yu ›nai‹«)413 von Xiao Jun entnehmen. Seine Ausführungen stellen überwiegend einen nachträglichen Kommentar zur Abfassung des Romanes Land im August und gleichzeitig ein schlagendes Beispiel für Selbstzensur lange vor Yan'an dar. Der Autor schildert, wie er literarisch mögliche Szenen aus freien Stücken den Notwendigkeiten der Ideologie geopfert hat. Der Essay ist auch noch aus zwei anderen Gründen interessant. Er ist nicht nur ein Beleg für die Tristesse in Yan'an, sondern auch für den religiösen Unterton der chinesischen Revolution. Der Autor beschwört nämlich seine Mitstreiter, ein »religiöses Gefühl« zur Bekämpfung des revolutionären Unmutes zu entwickeln und wie ein »Heiliger« den Versuchungen des »Teufels« zu widerstehen. Yan'an steht für die Wende von einer kritischen zu einer affirmativen Literatur. Das Zeitalter des zawen sei vorbei, verkündete Mao Zedong kategorisch, das heißt, der politische Essay hatte in der Vergangenheit mit seiner Kritik am Gegner sein Ziel erreicht und sollte nun durch literarische Formen ersetzt werden, die das Rühmen der eigenen Seite erleichtern halfen. Dagegen behaupteten besonders engagierte Vertreter wie Ding Ling die weitere Gültigkeit, gar Notwendigkeit der politischen Essayistik. Sie und ihresgleichen betrachteten den zawen als Waffe, ja Literatur überhaupt als 412

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Mir liegt der erste Nachdruck seit 1949, die Ausgabe von 1983 vor (Peking: Zhongguo Wenyi Lianhe). Zu einem Auszug in deutscher Übersetzung von EIKE ZSCHACKE und zu editorischen Bemerkungen s. minima sinica 2/1990, S. 53–64 (»Die Leiden eines Mannes«). Deutsch von STEPHAN VON MINDEN in: Orientierungen 1/2003, S. 135–140. Zum chinesischen Original s. der Einfachheit halber TUNG: Proscribed Chinese Writing, S. 24–28.

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Mittel des Kampfes gegen sich und andere. Mit der Selbstkritik war Mao Zedong einverstanden, mit der Kritik nicht. Gegen die offensichtliche Mißachtung der Schriftsteller und gegen ihren Mißbrauch als Claqueure trat der Lyriker Ai Qing (1910–1996) auf den Plan: »Die Schriftsteller verstehen und respektieren« (»Liaojie zuojia, zunzhong zuojia«, 1942)414 lautet einer seiner bekannten Essays, in welchem er seinen Berufsstand nicht als »Sänger«, sondern unter Umdeutung des konfuzianischen Erbes als »sinnliches Organ der Klassen«, als »geistigen Nerv der Nation« bzw. als »das Auge der Weisheit« geehrt wissen wollte. Ai Qing nimmt auch ansonsten die Metaphorik seiner Zeit auf: Der Schriftsteller ist als Arzt für die geistige Gesundheit des Volkes verantwortlich, er hat überdies als Soldat Schutz zu bieten und die allgemeine Kampfkraft zu erhöhen. Basis seiner Tätigkeit sei allein die eigene Weltanschauung, sei das eigene Gefühl. So sehr die damaligen Essays mit ihrer Kritik der kommunistischen Kulturpolitik heute an historischem Glanz auch eingebüßt haben mögen, zumindest ein Essay und eine Gestalt sind bis heute in Erinnerung geblieben und weiterhin wirkungsmächtig. Beginnen wir mit Ding Ling, der nach ihrem beachtlichen Frühwerk in diesen Jahren eine zweite meisterliche Periode der Erzählkunst beschieden gewesen ist. Bekannter noch als Erzählungen wie »Im Krankenhaus«, auf die noch zu kommen sein wird, ist ihr vielfach auch ins Deutsche übertragener Essay »Gedanken zum 8. März« (»Sanbajie yougan«, 1942).415 Am 8. März wird bekanntlich der Frauentag begangen, der in der sozialistischenWelt wesentlich die Befreiung der Frau in den Mittelpunkt rückt. Offizielle Verlautbarungen pflegen dann von den Errungenschaften der Gleichberechtigung zu sprechen. Ding Ling dagegen vertritt eine Gegenposition: Selbst in Yan'an, das heißt selbst in einer der Emanzipation verpflichteten kommunistischen Welt, bestimmt nach wie vor das Geschlecht die Strukturen der Macht. Eine unbeschönigende Einsicht und eine erstaunliche Weitsicht kennzeichnen den Essay. Allein der erste Satz ist verblüffend: »Wann wird das Wort ›Frau‹ endlich keine Aufmerksamkeit mehr erregen, wann wird es nicht mehr besonders erwähnt werden?« Diese Frage ist bis heute aktuell geblieben. Der Aufbruch der Frau ist vorerst gescheitert. Nora ist heimgekehrt, so lautet Ding Lings Analyse kurz und bündig. Statt Emanzipation habe eine Frau nur die Alternative zwischen Rückständigkeit als Mutter und Zielscheibe von Klatsch und Tratsch als unverheiratete Frau. Was die Verfasserin ihren Schwestern am Schluß ihrer »Gedanken« zu empfehlen hat, mag heute altvorder wirken, unter ihren vier Ratschlägen befindet sich jedoch eine Empfehlung, die an den Beginn ihres Schaffens zurückführt. Es ist dies die Empfehlung von Willensstärke. In ihren ersten Studien zur Befindlichkeit der chinesischen Frau in der Moderne hatte, wie oben ausgeführt, die Erzählerin auf den Zwiespalt von Gefühl und Wille auf414

415

Deutsch von PETRA GROßHOLTFORTH u. ANNE GRÖNING-VON DER ELTZ in: Orientierungen 2/1999, S. 136–139. Zum chinesischen Original s. TUNG: Proscribed Chinese Writings, S. 17–20. Ding Ling wenji, Bd. 4, S. 388–392, deutsch von LIVIA KNAUL u. BASTIAN BROER, in: Orientierungen 2/1999, S. 139–144.

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merksam gemacht. Auch in Yan'an legt Ding Ling ihren Geschlechtsgenossinnen die Kontrolle der Vorstellungswelt durch eiserne Disziplin nahe. Diese feministische Sicht der Dinge läßt sich verallgemeinern. Es waren ja nicht nur die »Genossinnen«, die nach ihrer Ankunft in Yan'an hohe Erwartungen hegten und Opfer ihrer Vorstellungswelt wurden, es waren auch die »Genossen«, welche die Kluft zwischen »hehrer« Revolution und schnödem Alltag verspürten. Daß sich in Yan'an eine neue Klassengesellschaft etabliert hatte, hatte als erster Wang Shiwei (1906–1947) erkannt und in seinem Essay »Wilde Lilien« (»Ye baihehua«, 1942)416 zu benennen gewagt. Wilde Lilien stehen gleichsam für besagten Widerspruch: Diese Blumen sind schön anzusehen, schmecken jedoch, als Medizin genossen, bitter. Der als Übersetzer an der Akademie für Marxismus-Leninismus in Yan'an tätige Literat417 gewinnt während des Schauprozesses von 1942 symbolische Bedeutung, die trotz seiner Rehabilitierung im Jahre 1991 bis heute anhält.418 Jüngst hat noch der Berliner Schriftsteller Hans Christoph Buch Wang Shiwei in einer »wahren Geschichte« verewigt.419 Was unterscheidet den Fall Wang Shiwei vom Fall Ding Ling zum Beispiel? Kritiker vom Schlage Ding Lings waren ein ideologisches, kein politisches Problem, denn sie waren bereit, ihre vermeintlichen Fehler zu bekennen und am Schauprozeß gegen ihren uneinsichtigen Kollegen aktiv teilzunehmen. Insofern wird die Sache mit den »Wilden Lilien« zu einem Wendepunkt in der chinesischen Geschichte. Alle nachfolgenden Kampagnen nehmen hier ihren modellhaften Ausgang. Drei Dinge sind dabei kennzeichnend: 1. Aus einem literarischen Streit wird ein Politikum. 2. Es findet ein linguistischer Wechsel von einem ästhetischen Urteil zu einer pauschalen Anklage auf Leben und Tod statt. 3. Der eigentliche Gegenstand der Auseinandersetzung ist nicht die Person im Vordergrund, sondern das von dieser vermeintlich repräsentierte politische Lager im Hintergrund. Warum war die Führung von Yan'an plötzlich so unerbittlich und sprach von einem bis dahin unbedeutenden Literaten völlig willkürlich als »Konterrevolutionär«, »Trotzkisten« und »Spion der Guomindang«? Warum wurde trotz erfolgreicher Gehirnwäsche zu guter Letzt das Todesurteil über ihn gesprochen und vollstreckt? Warum wurde von seiten der Partei so viel und so lange Geheimniskrämerei betrieben? Auch heute sind noch manche Historiker der Auffassung, daß der damalige Erfolg der Berichtigungsbewegung, die nur eine einzige Stimme, nämlich die der Partei bzw. von Mao Zedong, zuließ, der Garant für den 416

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418

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Deutsch von UTE LÜGHAUSEN u. ELKE ZIMMERMANN in: minima sinica 1/1990, S. 75–85. Zum chinesischen Original s. TUNG: Proscribed Chinese Writing, S. 1–11. Zu seinem literarischen Werk s. NI MOYAN: »Wang Shiwei und seine Erzählkunst«, in: minima sinica 2/1989, S. 149–151. Zu Hintergrund und Ablauf der Kampagne s. DAI QING: Wang Shiwei and »Wild Lilies«. Rectification and Purges in the Chinese Communist Party 1942–1944, hg. u. übersetzt u.a. von DAVID E. APTER, ARMONK, London: Sharpe 1994. HANS CHRISTOPH BUCH: Wie Karl May Adolf Hitler traf und andere wahre Geschichten, Frankfurt: Eichborn 2003, S. 115–145 (»Bittere Lilien oder: Weit weg und lang her«).

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späteren Sieg der Kommunisten gewesen ist. An Wang Shiwei wurde also ein Exempel statuiert: Ob außerhalb oder innerhalb der Partei, ob für oder wider den Kommunismus, jeder kann zum Staatsfeind werden, der wie Wang Shiwei Kritik an den Machtstrukturen von Yan'an, am Vorbild des Stalinismus und an der neuen revolutionären Literatur übt. Die vergleichsweise späte Hinrichtung wäre vielleicht gar nicht einmal notwendig gewesen, wenn sie nicht zu Zwecken der Abschreckung hätte dienen sollen. Wie schwer sich die Kommunistische Partei Chinas mit diesem unrühmlichen Kapitel ihrer Geschichte tat, zeigt die erst sehr spät erfolgte Rehabilitierung. Während fast alle einstigen Gegner 1979 oder kurz danach erneut in ihren Reihen aufgenommen worden waren, wurde die Bezeichnung »Genosse« erst auf Antrag der Witwe zwölf Jahre später Wang Shiwei posthum wieder zugestanden. Wang Shiwei schrieb seine »Wilden Lilien« im Stil von Lu Xun und von Mao Zedong. Dies war ein doppeltes Sakrileg. Lu Xun hatte die »alte« Gesellschaft kritisiert, Mao Zedong hatte die »neue« Gesellschaft gepriesen. Wang Shiwei machte sich die »alten« und die »neuen« Mittel zunutze, um die Gegenwart kritisch zu hinterfragen. Er zeigt auf, daß selbst im kommunistischen Yan'an nach alter Maßgabe eine Verteilung von »Frauen, Essen und Kleidung« von oben nach unten erfolgt und somit die Tristesse bei den jungen Leuten vor Ort heraufbeschwört. Der Essay ist heute weniger aus literarischen denn aus historischen Gründen interessant. Er verdankt sein Überleben im Bewußtsein der Geschichte nur dem traurigen Schicksal seines Verfassers. Dies gilt für die Mehrheit der damals in den befreiten Gebieten produzierten Literatur. Lediglich Ding Ling stellt mit ihren Kurzgeschichten und Novellen eine Ausnahme dar. Hier kommen zwar nicht immer, aber doch noch oft genug eine kritische Bestandsaufnahme der Zeit und eine feministische Fabulierfreude meisterlich zusammen. Ding Ling war 1936 nach Yan'an gekommen und blieb bis 1946.420 Im Unterschied zu den unmittelbaren Jahren davor, welche lediglich der inneren Vorbereitung auf eine sozialistische Literatur dienten, werden diese Jahre als ihr eigentlicher Wendepunkt von einem kritischen zu einem hörigen Sozialismus angesehen. Man muß hier jedoch zwischen den Jahren vor und nach den »Reden« von Mao Zedong unterscheiden. Bis 1941 hat sie mit ihren Erzählungen und Essays eine systemimmanente Kritik an den Zuständen in den Befreiten Gebieten betrieben. Nach dem öffentlichen Eingeständnis ihrer »Fehler« am 11. Juni 1942 hat sie aber die Frage nach »Licht oder Dunkel« als Aufgabe der Künste zugunsten eines »Realismus« verschoben, welcher der maoistischen »Meistererzählung« verpflichtet war. Es ist dies die Fabel vom Aufbruch des chinesischen Volkes aus der Finsternis der Vergangenheit ins Licht der Zukunft. Parteilicher Geist, Volkstümlichkeit und sozialistischer Realismus sind ihre Mittel. Ab 1944, als Ding Ling nach ihrer Umerziehung wieder zu schreiben anfängt, 420

Zu diesen Jahren s. FEUERWERKER: Ding Ling’s Fiction, S. 89–121; CHANG JUN-MEI: Ting Ling [d.i. Ding Ling], Taipei: Institute of International Relations 1978, S. 72–101; Chinese Literature, Frühling 1987, S. 57–87.

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ist es daher eher der optimistische als kritische Ton, der das Erzählen unserer Autorin kennzeichnet. Leute aus dem Leben, wie es so schön heißt, verkörpern nun als Vertreter des Kollektivs, der Armee, der Partei oder einer Lehrinstitution all die Führungsqualitäten, die vermeintlich zwangsläufig die der Gesellschaft innewohnenden Tendenzen zur vollen sozialistischen Entfaltung führen sollten. Der Typus bzw. das Modell ersetzen von nun an die gespaltenen Protagonisten ihrer Erzählwerke aus der Zeit vor 1942. Ding Lings Aufgabe »an der Front« beinhaltete den Dienst im Propagandateam (xuanchuandui).421 Die Indoktrination der ländlichen Bevölkerung fand meist in den örtlichenTempeln statt, die für gewöhnlich über eine Bühne verfügten und einer entsprechend großen Zahl von Zuschauern Platz boten. Thema der Aufführungen von oft improvisierten Stücken, Sketchen und Gedichten war vornehmlich die nationale Rettung. Der Widerstand gegen Japan hatte zunächst noch Vorrang vor der kommunistischen Sache. Was Ding Ling an Ort und Stelle über die Zustände auf dem Land erfährt, nimmt sie unmittelbar zum Gegenstand ihres Schreibens. Dabei können auch lebende Personen, die Geschichte machen, wie die Heerführer Peng Dehuai (1898– 1974) und Zhu De (1885–1976), thematisiert werden.422 Wie dem auch sei: auch wenn von Anfang an auf seiten der Partei, hat Ding Ling erst nach Mao Zedongs Kritik an ihrem Schreiben allmählich ihren eigenständigen feministischen Standpunkt zugunsten der offiziellen Literaturpolitik aufgegeben. In ihrem Vorwort zur Erzählsammlung Landschaften des Nordens (Shaanbei fengguang, 1948) gesteht sie freimütig ihre Unterwerfung unter das Diktat der maoistischen Ästhetik ein. Was dem in den Yan'aner Jahren verfaßten Werk heute immer noch uneingeschränkte Anerkennung einbringt, ist im wesentlichen der vor dem Schauprozeß von 1942 geschriebene Teil. Berühmtheit haben hier vor allem zwei Erzählungen erlangt: »Im Krankenhaus« (»Zai yiyuan zhong«, 1940)423 und »Aufenthalt im Dorf der Morgenröte« (»Wo zai Xiacun de shihou«, 1941)424. Während letzteres Werk von Ding Ling 1944 in eine gleichnamige Erzählsammlung aufgenommen wurde, blieb ersteres Werk unanthologisiert. Der Grund dürfte offensichtlich mit der unterschiedlichen Zielvorgabe der Erzählungen zu tun haben. »Im Krankenhaus« liest sich wie eine Kritik an der Partei, während der »Aufenthalt im Dorf der Morgenröte« sowohl 421

422 423

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Vgl. hierzu CHARLES J. ALBER: »Ting Ling [d.i. Ding Ling] and the Front Service Corps«, in: La littérature Chinoise au temps de la guerre de résistance contre le Japon, S. 117–130, sowie DERS. in Buchform: Enduring the Revolution. Ding Ling and the Politics of Literature in Guomindang China, Westport u.a.: Praeger 2002. Vgl. hierzu das in Anm. 248 angeführte Werk Yi ke wei chu tang de qiangdan. Deutsch von SUSANNE WEIGELIN in: KLÖPSCH u. PTAK: Hoffnung auf Frühling, S. 362–394. Zum Original, das nie anthologisiert worden ist, s. Ding Ling wenji, Bd. 3, S. 243–265. Deutsch in: DING LING: Hirsekorn im blauen Meer, S. 165–191. Zum Original s. Ding Ling wenji, Bd. 3, S. 221–242. Zur Diskussion s. THOMAS HARNISCH: »The Reception of Ding Ling’s Story ›When I was in Xia Village‹ in the People’s Republic of China since 1976«, in: GERSTLACHER u.a (Hg.): Woman and Literature in China, S. 292–312.

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der in den Erzählvorgang involvierten Erzählerin als auch der Leserschaft die moralische Rückschrittlichkeit auf dem Lande bewußtmacht. Zunächst zur ersten Erzählung. Am Beispiel der Ärztin Lu Ping, die in einem Krankenhaus von Yan'an Dienst tut, zeichnet die Erzählerin die tiefe Gespaltenheit der revolutionären Jugend nach. Die Heldin, Mitglied der Kommunistischen Partei, ist, wie ihre Schwestern aus den 20er Jahren von ihrer Vorstellungswelt geleitet, in die Befreiten Gebiete aufgebrochen und leidet ebenso wie diese an der Willenskrankheit Neurasthenie. Die Widersprüche, die zwischen ihr und ihrer neuen Umgebung aufbrechen, sind vielfacher Art. Es sind die Gegensätze zwischen Partei und Utopie, zwischen Mann und Frau, zwischen Arbeit und Liebe, welche Lu Ping zu einer Außenseiterin werden lassen:425 Eigentlich war sie ein Mensch voller Utopien, der sich heftig darum bemühte, die Grenzen des eigenen Lebens zu durchbrechen. Jetzt aber steckte sie in dem Korsett der »Partei« und deren »Notwendigkeiten«, das sie in ihren Bewegungen einschränkte. [...] Warum – wenn die Revolution doch im Dienst der Menschheit stand – fehlte es schon Genossen, die einander nahestanden, so sehr an Liebe? Sie schwankte und fragte sich, ob sie wohl an der Revolution zweifelte. Die Nervenschwäche, die sie seit langem quälte, übermannte sie wieder und raubte ihr jede Nacht den Schlaf. Auch in ihrer Zelle gab es Leute, die sie kritisierten und ihr verschiedene Hüte aufsetzten: Kleinbürgerliche Ideologie, Heroismus und Liberalismus des Intellektuellen wurden ihr vorgeworfen. Kurz: Sie entsprach nicht den Normen der Partei.

Durch die Erzählungen der Yan'an-Zeit ziehen sich viele rote Fäden. Einer dieser Fäden ist die Gerüchteküche. Der tägliche Klatsch hat stets etwas mit der weiblichen Sexualität zu tun. Die Frage »wer mit wem« gehört zum Machtinstrumentarium männlicher Kontrolle. Die Erzählung »Aufenthalt im Dorf der Morgenröte« veranschaulicht diesen Tatbestand besonders eindringlich. Es geht um die Geschichte einer jungen Frau, die von Frau zu Frau erzählt wird. Im Rahmen einer mystery story macht auch die Erzählerin, eine Schriftstellerin, einen kognitiven Prozeß durch. Am Ende steht die Einsicht in das Leiden einer Frau im Dienste der Nation, wobei gerechterweise gesagt werden muß, daß die Frauen auf dem Lande sich nicht anders verhalten als die Vertreter der Partei. Die Dörflerin Zhenzhen ist nach ihrer Vergewaltigung durch die Japaner von den Kommunisten zu Spionagediensten eingesetzt worden. Beim Feind hat sie entsprechend ihren Körper zum Segen des Vaterlandes zu verdingen. Bei ihrer Rückkehr ins Dorf der Morgenröte erfährt sie jedoch statt 425

Die folgenden Zitate entstammen den Seiten 371 und 391 der deutschen Übersetzung (s. Anm. 423); im Original: Ding Ling wenji, Bd. 3, S. 249 und 262.

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Achtung für ihre Verdienste nur Verachtung. Die feinfühlig geschriebene Erzählung schließt mit einem bekannten Bild: Die an Syphilis erkrankte Zhenzhen bricht zu ihrer Genesung nach Yan'an auf. Der sozialistischen Nora wird mit den letzten Worten der Erzählerin eine »helle Zukunft« (guangming de qiantu) verheißen. Doch auch dieser optimistische Schluß hat Ding Ling nicht vor der später immer wieder aufflammenden Kritik an dieser Erzählung bewahren können. Ding Ling war nach ihrer Ankunft in Yan'an zu einer bedeutenden Persönlichkeit avanciert, der Privilegien gestattet waren. Sie war von allen mächtigen Vertretern der Partei empfangen und hofiert worden. Dazu hatte auch Mao Zedong gehört, der es sich gleichwohl nicht nehmen ließ, sie zur vornehmsten Zielscheibe seiner Kritik auf dem Yan'an-Forum zu machen. Neben der inhaltlichen Brisanz ihrer Werke stellte das Wirken der Ding Ling auch eine formale Herausforderung dar: Sie war mit der Herausgabe der Jiefang Ribao, der Tageszeitung namens Befreiung, betraut und nutzte diese als Plattform nicht nur ihrer, sondern auch anderer Leute Kritik. Ding Ling hat sich die politische Unterweisung auf der Parteischule zwischen 1942 und 1944 gefallen lassen und ihr Schreiben fortan in den gewünschten Dienst der kommunistischen Sache gestellt. Dies dankt ihr heute niemand mehr, es hat sie auch nicht vor Verleumdung, Haft und Verbannung geschützt. Gleichwohl sollte man der Geschichte Gerechtigkeit widerfahren lassen. Und hier geraten wir vorzeitig in ein Dilemma, das uns nachhaltig im nächsten Kapitel beschäftigen wird: Sind Werke, die ihre Zeit gehabt haben, vollends aus der Literaturgeschichtsschreibung auszuschließen oder nicht? Wenn ja, würde dies das positive Bild der Ding Ling eher befördern helfen, falls nein, würde dies den guten Eindruck schmälern. Im vorliegenden Fall ihres ersten und einzigen umfangreichen Romans Sonne über dem Sanggan (Taiyang zhao zai Sanggan He shang)426 – 1946 begonnen, 1949 erschienen, 1951 mit dem Stalin-Preis ausgezeichnet – halten sich Lob wie Tadel427 aus den unterschiedlichsten Gründen die Waage. Heute erlauben nur eine kritische Lektüre gegen den Strich sowie die Einordnung in die Zeit die Behandlung an Ort und Stelle. Hier kann etwas ausgeholt werden, zumal die notwendig anzuführenden Fakten auch noch in anderen Zusammenhängen benötigt werden. Der Roman beschreibt für die Jahre 1946/47 die Landreform im damaligen Chahar, der heutigen Provinz Hebei. Die Autorin war hier an den am Sanggan-Fluß eingeleiteten Maßnahmen selbst aktiv beteiligt gewesen. Dies erklärt, warum die Beschreibung von Land und Leuten trotz aller Verpflichtung gegenüber dem sozialistischen Realismus doch eher der Begegnung mit wirklichen Menschen als der ideologischen 426

427

Auf deutsch liegt eine Zweitübersetzung vor: DING LING: Sonne über dem Sanggan, aus dem Russischen von ARTHUR NESTMANN, Berlin: Dietz 1952. Zum Original s. Ding Ling wenji, Bd. 1, S. 245–573. Von einem Meisterwerk spricht überschwenglich die ansonsten unvoreingenommene CHANG: Ting Ling, S. 101–119. Abgeklärter äußert sich FEUERWERKER: Ding Ling’s Fiction, S.122– 143.

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Vorgabe vertraut. Dementsprechend kann die Erzählerin mitunter zu lebendigen Einschätzungen kommen, die nicht im Sinne der gelenkten Literatur waren. Die Landreform (1946–1948) war eine wichtige Maßnahme der Kommunistischen Partei Chinas, um die Bauern auf ihre Seite zu bringen und damit eine Grundlage für den Krieg gegen die Guomindang zu gewinnen. Sie bedeutete auch die Wiederherstellung der durch die allgemeinen Nöte zerstörten Familien und damit die Wiederherstellung der kleinsten gesellschaftlichen Einheit.428 Folgerichtig stellt die Erzählerin die Familie als Gemeinschaft in das Zentrum ihres Romans. Mit der Landreform ging es der Partei auch noch um das Muster der künftigen Revolution. Die Bauern sollten Vertrauen in den Sozialismus fassen und die Umgestaltung des Landes in die eigene Hand nehmen. Dies setzte den Kampf gegen die bestehende Ordnung voraus. Dementsprechend war »das Herz des Volkes umzudrehen« (fanxin) und der Haß gegen die Gentry sowie die Tradition zu säen. Eine kommunistische Machtübernahme auf Dauer war daher nur möglich, wenn die Schlacht gegen die Grundbesitzer gewonnen wurde. Ding Ling zeigt in einzelnen Kapiteln jedoch sehr schön, welche großen Schwierigkeiten die Bauern hatten, bei der Enteignung des Landes den geforderten Klassenhaß auszuleben und die angemahnte Lynchjustiz zu üben. Das Bild, das sie zeichnet, ist oftmals sehr komplex und hat ihr im Nachwort der sowjetrussischen Ausgabe Vorwürfe von mangelndem Klassenbewußtsein eingebracht. Die Bauern sind nämlich eher geneigt, das ihnen übereignete Land den ehemaligen Besitzern wieder zurückzugeben als es selber zu nutzen. Die Kommunisten sind keine Bilderbuchkommunisten, sie haben ihre menschlichen Schwächen, sind oft aufgeblasene Schwätzer und betreiben nicht selten das Geschäft der Partei aus reinem Opportunismus. Zumindest in den ersten Kapiteln wird klar: So kann keine Revolution gelingen. Damit diese wenigstens rein theoretisch gelingen kann, verfällt die Erzählerin in der Folge immer mehr der Ideologie. Das Bild von der Revolte beginnt die tatsächliche Erfahrung auf dem Lande zu verdrängen. Dieses Bild macht sich an dem wichtigen Schlagwort fanshen fest: Es meint die »Umkehr (des Leibes)«, die Befreiung von der jahrtausendalten Ordnung. Mit der Schilderung des ungleichen Kampfes zwischen Alt und Neu, Alter und Jugend, Gentry und Partei mündet die Erzählerin in die von der Partei vorgegebene »Meistererzählung« ein. Wenden wir uns nun dem Titel des Romans zu, so beschleicht einen alsbald der Verdacht, daß es dem Werk nicht allein um die Erfüllung des verpflichtend gemachten Geschichtsmythos geht. Der Roman beginnt und endet mit dem Bild der Sonne, aber erst im nachhinein bekam der Roman seinen heutigen Ttel. Er hieß zunächst schlicht Am Sanggan (Zai Sanggan He shang). 1979 erinnert sich Ding Ling an die damaligen Beweggründe für die spätere Namengebung. In einem Vorwort zur Wiederauflage des Romans gesteht sie, sie habe das Werk in Gedenken an Mao Zedong geschrieben und zwar wie ein Kämpfer an der Front, der sich mit dem Namen des Revolutions428

Vgl. hierzu JUDITH STACEY: Patriarchy and Socialist Revolution in China, Berkeley u.a.: University of California Press 1983.

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führers auf den Lippen ins Kampfgetöse stürzt.429 Bekanntlich fungiert Mao Zedong in der chinesischen Politsprache bis heute als Sonne. Der Roman feiert ihn überdies ständig als Befreier und Heilsbringer, für die Bauern ist der Bannerträger der chinesischen Revolution gar ein Buddha. Das Werk mag daher letztlich eine Gabe der Autorin an den einstigen Weggefährten gewesen sein, der sie im Gegensatz zu Wang Shiwei seinerzeit, wie es so schön heißt, »begnadigt« habe. Der Roman Sonne über dem Sanggan fällt in die Kategorie des Untersuchungsromans.430 Die »soziale Untersuchung« (shehui diaocha), welche die Schriftsteller vor allem auf dem Lande für ihr und vor ihrem Schreiben durchzuführen hatten, bot der Partei die Möglichkeit, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verstehen. Das Verständnis der jeweiligen Situation war wesentlicher Bestandteil des Revolutionskonzepts, denn erst durch Erkenntnis der Lage vor Ort war es möglich, die Unruhe zu stiften, welche die Bauern gegen die Grundbesitzer und gegen die Guomindang aufbrachte. Nur so konnte es zu dem »Orkan« kommen, von dem Zhou Libo (1908–1979) in seinem gleichnamigen Roman Baofeng zhouyu von 1948 spricht.431 Dieser Orkan der Jahre 1946–1948 gipfelt in der Erziehung der wankelmütigen Bauern zum Haß gegen das »Feudalsystem« und in der Lynchjustiz, die mittels Volksgericht an den Grundbesitzern geübt wird.432 Trotz allen Modellcharakters, den die Gestalten im Verlaufe der Geschehnisse gewinnen, hat diese Chronik der Ereignisse in der Mandschurei den Kadern hinreichend Materialien für das Verständnis von Land und Leuten geboten. Literatur dieser Art ist heute mannigfachen (Vor-)Urteilen ausgesetzt, diese sind nicht unbegründet. Gleichwohl erlaubt eine unvoreingenommene Lektüre Einsichten in die Schwierigkeiten der damaligen Landreform, die bislang anderswo so nicht zu gewinnen sind. Im Einzelfall halten sich Ansichten wider besseres Wissen. So soll Zhao Shuli (1906–1970) seine Erzählung »Die Heirat des Hsiao Örl-He« (»Xiao Erhei jiehun«, 1943)433 als Modellerzählung im Sinne des Yan'aner Forums geschrie429 430

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YUAN LIANGJUN: Ding Ling yanjiu ziliao, Tientsin: Renmin Chubanshe 1982, S. 165. Vgl. hierzu RUDOLF GEORG WAGNER: »Der moderne chinesische Untersuchungsroman«, in: JOST HERMAND (Hg.): »Literatur nach 1945 I«, in: KLAUS VON SEE (Hg.): Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Bd. 21, Wiesbaden: Akademische Verlagsanstalt 1979, S. 361–406. Ding Lings Roman wird hier auf den S. 371–375 gewürdigt. Zu einer weiteren Würdigung s. PRŮŠEK: Die Literatur des Befreiten China und ihre Volkstraditionen, S. 240–246. Als deutsche Fassung liegt mir eine zweibändige Ausgabe vor, die ohne Übersetzerangabe den Raubdruck einer DDR-Ausgabe darstellen soll: CHOU LI-PO: Orkan, Berlin: Oberbaum 1971. Zum Original s. Zhou Libo wenji, Schanghai: Shanghai Wenyi 1981, Bd. 1, S. 1–514. Der Roman wird besprochen von WAGNER: »Der moderne chinesische Untersuchungsroman«, S. 375–382; von PRŮŠEK: Die Literatur des Befreiten China und ihre Volkstraditionen, S. 246–252. Zu den Verlusten, die sich auf zehn Millionen Leben belaufen sollen, s. CHOW: Ten Years of Storm. Deutsch von Hannelore Salzmann, in: DONATH: China erzählt (1964), S. 117–135. Zum Original, das zunächst in Buchform, später immer nur als Teil von Erzählsammlungen erschien, s. Zhao Shuli wenji, Bd. 1, Peking: Gongren Chubanshe 1980, S. 1–16.

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ben haben. Tatsache ist jedoch, daß diese Erzählung erst auf Grund ihres großen Erfolges im nachhinein als anschauliches Beispiel für die maoistische Ästhetik von dem Kulturbeauftragten Zhou Yang (1908–1989) eingestuft wurde.434 Gleichwohl läßt ihre erzählerische Anlage eine Art vorauseilenden Gehorsam vermuten, denn die Ehe zweier junger Bauern wird gegen allen Widerstand von seiten der Tradition und Reaktion nur durch die Partei möglich. Ähnliches gilt auch für andere berühmte Erzählungen wie etwa die Novelle Die Lieder des Li Yü-ts’ai (Li Youcai banhua, 1943).435 Diese liefert gleichsam ein Paradigma für die Revolution auf dem Land: Die Bauern, die nach Demokratie verlangen, bedürfen der Kommunistischen Partei Chinas, um aktiv ihre politische Rolle spielen und den Kampf gegen die finsteren Mächte führen zu können. Zhao Shuli war schon vor seiner Bekanntschaft mit der maoistischen Ästhetik durch seine damaligen Lebensumstände bedingt zum überzeugten Kommunisten geworden.436 Zu seiner politischen Überzeugung trat noch sein Talent als Volkserzähler hinzu, so daß seine Werke als anerkanntes Beispiel für die nationale Form chinesischer Künste geradezu prädestiniert erschienen. Ideologisch vertritt Zhao Shuli die These vom Wandel, welchen die Begegnung mit dem Sozialismus zwangsläufig hervorrufen sollte. Als beispielhaft wäre hier der 1945 verfaßte Roman Die Wandlung des Dorfes Lidjiadschuang (Lijiazhuang de bianqian) zu nennen.437 Natürlich steckt hinter diesem wie jedem anderen geschilderten Wandel von Land und Leuten die Frage nach einer Übertragung der Autorität von einem alten auf einen neuen Machtträger. Die freie Partnerwahl, die Enteignung der Grundbesitzer und der Krieg gegen die inneren wie äußeren Feinde boten der Kommunistischen Partei Chinas die Möglichkeit, die Herrschaftsstrukturen aus den Händen der Eltern, der Gentry und der Soldateska zu übernehmen. Jaroslav Průšek macht dies unwillentlich an seiner Diskussion der Erzählung »Wie Meng Xiangying ein anderer Mensch wurde« (»Meng Xiangying fanshen«, 1945)438 besonders klar:439 434

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LIU ZAIFU: »Zur Erzählkunst von Zhang Ailing und zur Geschichte des modernen chinesischen Romans von C.T. Hsia«, in: minima sinica 1/2003, S. 160. DSCHAO SCHU-LI: Die Lieder des Li Yü-ts'ai. Autorisierte Übersetzung von Joseph Kalmer, Berlin: Verlag Volk und Welt 1950. Zum Original s. Zhao Shuli wenji, Bd. 1, S. 17–61. Zur Interpretation von Li Youcai s. YI-TSI MEI FEUERWERKER: Ideology, Power, Text. SelfRepresentation and the Peasant »Other« in Modern Chinese Literature, Stanford, California: Stanford UP 1998, S. 128–134. Vgl. hierzu PRŮŠEK: Die Literatur des Befreiten China und ihre Volkstraditionen, S. 222–239. DSCHAO SCHU-LI: Die Wandlung des Dorfes Lidjiadschuang, Deutsch von TJEN NOU, Berlin: Volk und Welt 1952. Zum Original s. Zhao Shuli wenji, Bd. 1, S. 71–194. Diese und viele andere bekannte Erzählungen finden sich übersetzt von THOMAS ZIMMER: Kriegsgott Guanggong. Chinesische Dorfgeschichten aus fünf Jahrzehnten, Dortmund: projekt verlag 1996 (= edition cathay; 19), S. 23–114. Zur Interpretation von Meng Xiangying s. FEUERWERKER: Ideology, Power, Text, S. 123–128. Unter Benutzung der heutigen Umschrift zitiert nach PRŮŠEK: Die Literatur des Befreiten China und ihre Volkstraditionen, S. 227f.

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Die Radikalisierung der Literatur (1937–1949) Wir haben den Terminus fanshen wiedergegeben mit »wurde ein anderer Mensch«. Wörtlich bedeutet der Ausdruck »sich wenden« und er ist der meistverwendete Ausdruck im heutigen China. Er bedeutet die völlige Abkehr von der Vergangenheit, die Aneignung neuer Lebensgrundsätze und den Anbeginn eines neuen Lebens im Sinne von Mao Zedongs Lehren.

Fanshen bedeutet im vorliegenden Fall, daß die Heldin Meng Xiangying sich nicht den traditionellen Heiratsbräuchen unterwirft, sondern sich der Partei, die sie vom Heiratszwang befreit hat, unterstellt. Künstlerisch steht Zhao Shuli nicht in der Tradition des 4. Mai. Er kommt vom Land, er spricht die Sprache der Bauern und versteht sich als deren Sprachrohr. Er ist ein Geschichtenerzähler, der traditionell Verse und Prosa mischt. Insofern wäre er eigentlich eher von der überlieferten Erzählkunst Chinas her zu verstehen. Doch ein solches Urteil wäre vorschnell. Zhao Shulis Gegenstand ist die Gegenwart, sein Protagonist der Bauer als Repräsentant einer Klasse, sein Ort die Provinz Shanxi, welche zu den Befreiten Gebieten gehörte, sein Credo eine engagierte Literatur, seine Sprache die des Volkes.440 Dies alles sind moderne Eigenschaften. Und wenn man noch bedenkt, daß er der erste Parteischriftsteller ist, der seine Erzählkunst als wenti xiaoshuo konzipierte, das heißt als die Kunst, nach dem richtigen Weg des Lebens zu fragen, daß er weiterhin, um den gewünschten Erfolg bei seinem bäuerlichen Publikum zu haben, die Bereiche Massenkultur, Volkskultur und Unterhaltungskultur mischte, dann bedeutet die »nationale Form«, für die er in den Augen der Partei zu stehen beginnt, nicht einfach Rückwärtsgewandtheit. Zhao Shuli ist trotz aller traditionellen Elemente ein Vertreter der Moderne, einer allerdings unter sozialistischen Vorzeichen sehr eingeschränkten Moderne. Ob seine Werke, die als politisches Erziehungs- und Schulungsmaterial fungierten, nur die kritischen Stimmen verdienen, die bereits seit den 40er Jahren zu hören sind, sei dahingestellt. Tatsache ist, daß ihm auch heute noch Aufmerksamkeit zuteil wird.441 Seine Gabe, dem Volk aufs Maul zu schauen, läßt ihn so oder so als einen bedeutenden Erneuerer der chinesischen Literatursprache erscheinen. Sein Bild von den Bauern unterscheidet sich erheblich von dem der Vertreter des 4. Mai. Er betont nicht das Leid, sondern die Tatkraft der Menschen auf dem Land. Oftmals gelingt ihm der humorvolle Entwurf einer dörflichen Welt, welche auch von der Kommunistischen Partei Chinas für die Zeit vor 1949 als eine der Finsternis hingestellt worden ist. Der Bänkelsänger Li Youcai, der es liebt, seine Kritik an den Machtverhältnissen mit Hilfe einer Klapper akustisch zu untermalen, weshalb man von kuaiban spricht, von einer Art rhythmischem Sprechgesang, der auch heute noch sehr beliebt ist, dieser Li Youcai wird mit seinem ersten Lied wie folgt eingeführt.442 440

441 442

Vgl. hierzu THOMAS ZIMMER: »Tradition und Ideologie – Bemerkungen zum Charakter des Bäuerlichen in Zhao Shulis Werk«, in: Orientierungen 2/1990, S. 125–143. Daselbst auch weiterführende Literaturangaben. FEUERWERKER: Ideology, Power, Text, S. 100–145. Unter Benutzung der heutigen Umschrift zitiert nach DSCHAO SCHU-LI: Die Lieder des Li Yüts'ai, S. 15f; zum Original s. Zhao Shuli wenji, Bd. 1, S. 18f.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949) Unter dem alten Johannisbrotbaum war niemand so beliebt wie Li Youcai. Kam er einmal nicht zu einem Abendessen, dann fehlte er jedermann. Er steckte immer voller Späße, und auch die gewöhnlichste Bemerkung brachte die Leute zum Lachen, wenn sie aus seinem Munde kam. Seine besondere Begabung lag im Improvisieren von Liedern. Über jeden aus der Art geschlagenen Charakter, zu jedem ungewöhnlichen Ereignis im Dorf verstand er es, aus dem Stegreif ein Lied zu dichten. Und diese Lieder trafen immer den Nagel auf den Kopf und gingen angenehm ins Ohr. In Peking nennt man solche Lieder kuaiban – Schnellreime; in Renjiashan hießen sie einfach »Schlüpfrige Schnauze«. Als zum Beispiel Ren Hengyuan aus der alten Westendfamilie, der viele Jahre Dorfschulze gewesen war, wieder einmal zu diesem Amt gewählt werden wollte, dichtete Li Youcai die folgenden Verse: Unser Dorfschulze ist nicht nur Herr übers Land, auch dem Himmel winkt er nur mit der Hand. Seit das Dorf einen Schulzen hat, mehr als zehn Jahr, Dorfschulze immer nur Ren Hengyuan war. Allmählich müssen wir zur Wahl, aber fragt man dann nach der Stimmenzahl, was immer vorher geschehen sein kann, gewählt ist nachher – Ren Hengyuan. Viel einfacher, als sich da abzuschwitzen, wär’s seinen Namen in ein Brett zu schnitzen. Man könnt mit dem Finger darüberfahren Und würde so Tusche und Nachdenken sparen. Man braucht das Brettchen nur aufzubewahren, bis sie Ren Hengyuan – auf Brettern aufbahren.

Die chinesische Literaturgeschichtsschreibung liebt die Einteilung der damaligen Künste nach politischem Gesichtspunkt. Dies wurde bereits oben gesagt. Für den weiteren Verlauf unserer Darstellung macht es jedoch nicht immer Sinn, von Autoren etwa als Vertretern der Befreiten Gebiete oder der Weißen Gebiete zu sprechen. Viele Schriftsteller sind auf Grund der Kriegswirren ununterbrochen unterwegs und wechseln die jeweiligen Gebiete, viele vertreten auch unter der Guomindang sozialistische Auffassungen, mitunter sehen sich Kommunisten und Nationalisten zur Zusammenarbeit in den Institutionen der jeweils anderen Seite gezwungen. Mitunter ist das Politische auch nicht immer so ohne weiteres eindeutig zu fassen. Die Zeit des ausklingenden Krieges gegen Japan und des anschließenden Bürgerkrieges soll daher im folgenden nicht chronologisch abgeschildert, sondern nur insofern ausgeführt werden, wie es das heutige Interesse verlangen dürfte. Dabei mag die eine oder andere kulturelle Differenz zutage treten. Es kann nicht darum gehen, alle bekannten Namen und Werke aufzuzählen, die heute noch im Bewußtsein der chinesischen Leserschaft oder Kritik, ja sogar in deutschen Übersetzungen überlebt haben.

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Sun Li (geb. 1913) zum Beispiel, der nach Zhao Shuli als der wichtigste in den Befreiten Gebieten herangewachsene Literat gilt, ist bis heute als Verfasser der kleinen lyrischen Erzählung »Die Lotusbucht« (»Hehuadian«, 1946)443 in Erinnerung geblieben. Für manche ist er gar einer der ganz großen Erzähler des Neuen China. Aus westlicher Sicht ist besagte Erzählung Kriegskitsch. Sie schildert eine Szene aus dem Krieg gegen Japan, wie sie sich in der Heimat des Autors am See Baiyangdian in Hubei zugetragen haben mag. Ehefrauen erlernen hier am Vorbild ihrer Männer den Kampf gegen Japan. Dies genügt dem Erzähler, um ohne jeden Vorbehalt diesen Frauen sein Lob zu spenden. Auch hier findet also ein Paradigmawechsel statt: Haben Vertreter des 4. Mai, einschließlich ihrer Nachfahren, eher Not und Elend des weiblichen Geschlechts beschrieben, entwirft Sun Li die »schöne Seele« der kämpfenden Gefährtin. Der Krieg wie später die Revolution werden zu einem Akt der Reinigung mit der Aussicht auf ein »schönes Leben«. Ein hehrer Volksgeist, den Mann wie Frau teilen, hat die Schrecken des Krieges hinfällig gemacht. Dieser Befund läßt sich verallgemeinern. Das Muster für solch eine positive Sicht des Krieges als Möglichkeit zur Neugeburt eines Kämpfers hat Jahre zuvor Yao Xueyin (1910–1999) mit seiner Erzählung »Hat-nicht-alle-Tassen-im-Schrank« (»Cha banche majie«, 1938)444 vorgegeben. Ein Bauerntölpel durchläuft einen Erkennungsprozeß, an dessen Ende er zu einem revolutionären Bewußtsein findet. Der Leser zieht schnell die entsprechenden Schlüsse: Wer sich in den Flammen des Kriegs stählt, wer seinen alten Charakter abwirft und ein neues Wesen annimmt, wird zum Prototyp des Neuen Menschen. Der Erzähler predigt Kollektivgeist und Nationalbewußtsein, er bedient sich dabei der traditionellen Episodentechnik und der bäuerlichen Dialekte von Henan und Anhui. Yao Xueyin ist heute, wenn überhaupt, nur noch wegen seines Historienromans Li Zicheng bekannt.445 Darin schildert er in Übereinstimmung mit der damaligen offiziellen Geschichtsversion den Untergang der Ming-Dynastie (1368–1644).

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445

Zu Übersetzungen s. SUN LI: Lotus Creek and Other Stories, Peking: Foreign Languages Press 1982, hier S. 8–16; DERS.: The Blacksmith and the Carpenter, Peking: Panda 1982, hier S. 88–97. Zum Original besagter Erzählung s. Sun Li wenji, Tientsin: Baihua Wenyi 1981, S. 90–97. In deutscher Sprache liegt als Zweitübersetzung die Erzählung »Der Schmied und der Zimmermann« (»Tie mu qianzhuan«, 1956), in: JENNER: Chinesische Erzähler der letzten Jahrzehnte, S. 169–232, vor sowie »Der Appell« (»Zhufu«, 1946), aus dem Chinesischen von UDO HOFFMANN in: Orientierungen 1/2001, S. 134–144. Zur englischen Übersetzung s. YUAN u. PAYNE: Contemporary Chinese Short Stories, S. 155– 169. Zur Analyse s. WILLIAM A. LYELL: »The Early Fiction of Yao Xueyin«, in: KUBIN u. WAGNER: Essays in Modern Chinese Literature and Literary Criticism, S. 39–58. YAO XUEYIN: Li Zicheng, 5 Bde., s. Anm. 624. Zum Verständnis des Romans s. GUY ALITTO: »Yao Xueyin and his Li Zicheng: An Interview«, in: Modern Chinese Literature 2.2 (Herbst 1986), S. 211–216.

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3.3 Die Literatur der Literaten Die Literatur des antijapanischen Widerstandskrieges mag heute nicht nur auf Desinteresse, sondern mitunter sogar auf Widerwillen treffen, wenn zum Beispiel der Tod ideologisiert wird, die einen also »krepieren«, während die anderen »sich heldisch opfern«.446 Gleichwohl mag eine Kenntnis der Literaturgeschichte auch dieser Periode vor Fehleinschätzungen hüten. Der satirische Erzähler Sha Ding (1904–1992) etwa bediente sich in seinen regionalen Schilderungen des Krieges und des Machtmißbrauchs in seiner Heimatprovinz Sichuan so sehr des örtlichen Dialektes, daß er sich nach 1949 bei Wiederauflage seiner Werke zu Anmerkungen gezwungen sah.447 Man kann daher in ihm einen Vorläufer jener Richtung sehen, die sich in den 60er, 70er Jahren auf Taiwan als Heimatliteratur (xiangtu wenxue) zu etablieren beginnt. Natürlich läßt sich allein auf der Basis solcher Verweise keine Literaturgeschichte weiterschreiben. Es tut daher not, sich im folgenden auf wenige Namen und Tendenzen zu konzentrieren. Ba Jin und Qian Zhongshu (1910–1998) mögen Beleg dafür sein, daß auch zur Zeit des Krieges gegen Japan große Romane möglich waren. Feng Zhi verdeutlicht im Vergleich mit Ai Qing, welche großen Verse selbst der Anblick von feindlichen Flugzeugen am Himmel erlaubt, und die Essayistik von Liang Shiqiu widerlegt die unmittelbare Gleichsetzung von Pinsel und Waffe. Sieht man einmal von Qian Zhongshu und Feng Zhi ab, so lassen sich vielleicht die Werke von Frauen wie Xiao Hong oder Zhang Ailing (Eileen Chang) als der wichtigste Beitrag zur Entwicklung der chinesischen Literatur dieser Periode bezeichnen. Ba Jin wird zu Recht der Vorwurf einer wenig meisterlichen Handhabung der chinesischen Sprache gemacht. Der appellative Charakter seines Werkes verschreckt heute mitunter eher, als daß er anlockt. Gleichwohl hätte eine solche Einschätzung vielen Literaten im 20. Jahrhundert zu gelten. Man betont jedoch diesen Mangel im Falle von Ba Jin deshalb so hartnäckig, weil er zu den namhaftesten Vertretern der modernen chinesischen Literatur gehört und deshalb ein besonderes Maß an Beachtung verdient. Bei der Fülle seiner Werke mag durchaus der eine oder andere Roman der verdienten Aufmerksamkeit entgangen sein. Dies gilt insbesondere für die nachdenkliche Studie Garten der Ruhe (Qiyuan, 1944).448 Wenn auch in der Sekundärlite446

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So etwa im Werk von Qiu Dongping (1910–1941), s. MICHAEL GOTZ: »The Pen as Sword: Wartime Stories of Qiu Dong-ping«, in: La littérature Chinoise au temps de la guerre de résistance contre le Japon, S. 101–113. Zu seinem Werk und einer sehr positiven Einschätzung s. KAM-MING WONG: »Animals in a Teahouse. The Art of Sha Ting’s [d.i. Sha Ding] Fiction«, in: La littérature Chinoise au temps de la guerre de résistance contre le Japon, S. 243–265. Auf deutsch liegt von ihm der 1946 abgeschlossene Roman Huanxiangji vor: SCHA TING [d.i. Sha Ding]: Heimkehr. Deutsch von Alfons Mainka, Berlin: Volk und Welt 1958. Zum Original s. Sha Ding xuanji, Bd. 2, Chengdu: Sichuan Renmin 1984, S. 627–903. Englische Übersetzungen seiner Erzählungen erschienen in Stories from the Thirties, Bd. 2, S. 125–205. PA CHIN: Garten der Ruhe, aus dem Chinesischen von JOSEPH KALMER, München: Hanser 1954. Zum Original s. Ba Jin wenji, Bd. 13, Hongkong: Nan Kwok 1940, S. 1–194.

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ratur449 immer wieder besprochen, ist die eigentliche Tiefe dieser Arbeit nicht erkannt worden. Denn es geht nicht einfach um die alten drei Themen: Degeneration einer traditionellen Familie, Unterdrückung der Frau und Vater-Sohn-Konflikt. Hier werden gleichzeitig viele verschiedene Geschichten erzählt, die sich überlappen und eine als dominant zu erkennen geben: die Problematik des Schreibens in Zeiten der Not. Ba Jin hat seine Erzählung in einen Erkenntnisrozeß eingebettet und läßt uns an der Aufklärung vieler unterschiedlicher geheimnisvoller Dinge teilnehmen. Es sind dies die allgemeinen Fragen nach dem Leben, der Liebe und dem Glück, insbesondere nach der Erziehung von Kindern, nach der kindlichen Psyche, nach der Rolle von Häusern und Blumen in der Erinnerung und Gegenwart eines heranwachsenden Menschen. Ba Jin hebt traditionell an: Er läßt den Erzähler an den Ort seiner Kindheit zurückkehren und eine veränderte Welt vorfinden. Der chinesische Terminus technicus für ein solches Verfahren heißt guijia xunmeng, »heimkehren und den Traum von einst suchen«. Auch in das entlegene Chengdu reichen jedoch die Ausläufer des Krieges gegen Japan hinein. Da sind es freilich lediglich japanische Flieger, die das müßige Leben einer genußorientierten Schicht zeitweilig zu unterbrechen in der Lage sind. Ba Jin hat – im Gegensatz zu den maoistisch geprägten Erzählern – den Krieg in den Hintergrund geschoben. Das Drama der Zeit ist ein psychisches und moralisches: Die bislang herrschende Schicht ist nicht mehr in der Lage, ihren Werten gemäß zu leben und ihren Reichtum auf diese Weise abzusichern. Statt dessen verbraucht sie das Erbe und zerstört sich selbst von innen her. Der Ich-Erzähler, ein Schriftsteller, erlebt im Garten der Ruhe die Degeneration seiner einstigen Freunde mit eigenen Augen. Das Problem, das sich ihm als Literaten auftut, wird von der Herrin des Hauses, Yao Zhaohua, wie folgt formuliert:450 Zu meiner Überraschung zauderte sie, schaute mich an und sagte schließlich ziemlich erregt: »Herr Li, warum lassen Sie diesen alten Rikschakuli und das blinde Mädchen nicht glücklich werden? So viel Kummer gibt’s auf der Welt und so wenig Glück. Wir können unser Leben nicht so haben, wie wir’s möchten, aber ihr Schriftsteller könntet uns ein wenig Wärme geben und Lächeln statt Tränen. Könnte ich schreiben, ich würde die blinde Sängerin nicht ins Wasser gehen und den Rikschakuli nicht wahnsinnig werden lassen.« Ihre Stimme war, während sie so flehte, voller Mitleid und Erbarmen. »Gut«, sagte ich, »um Ihretwillen will ich sie am Leben lassen.« »Ich danke Ihnen für Ihr Versprechen. Auf Wiedersehen morgen!« Mit einem dankbaren Lächeln wandte sie sich um und ging ins Haus hinein. Ich hatte mein Versprechen aus einer plötzlichen Aufwallung heraus gegeben, obwohl es nicht meine Absicht war, den Ablauf meiner Geschichte durch Frau 449 450

Vgl. etwa MAO: Pa Chin, S. 116–127. Zitiert unter Benutzung der heutigen Umschrift nach PA CHIN: Garten der Ruhe, S. 73f; Ba Jin wenji, Bd. 13, S. 65.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949) Yaos Ansichten ändern zu lassen. Als ich nun in mein Gartenzimmer kam und die ausdruckslose Glühbirne betrachtete, als erwartete ich eine Antwort von ihr, fühlte ich mich grenzenlos verlassen. Ich schlug mein Manuskript auf, war jedoch unfähig, auch nur ein Wort zu schreiben.

Dies mag naiv klingen, und auch die anschließende Erkenntnis des Ich-Erzählers, dieser Bitte nicht Genüge getan zu haben, mag zunächst wenig überzeugen. Doch sehen wir einmal davon ab, daß die Forderung nach einer positiven Literatur eine Frage des Zeitgeistes ist und sowohl in der maoistischen Ästhetik wie auch in der Unterhaltungsliteratur zu Buche schlägt, stellt sich die Frage nach dem richtigen Schreiben unter erschwerten Bedingungen für alle als äußerst komplex dar. Hier vertritt jeder eine andere Ansicht, und besonders der Herr des Hauses, Yao Guodong, »die Stütze des Staates«, versteht es immer wieder, die Tätigkeit eines Schriftstellers ironisch zu betrachten. Auch der Ich-Erzähler ist letzten Endes trotz aller hohen Ansprüche an sich selbst ehrlich genug, selbst das eigene Schreiben als ein Schreiben um des Zeilenhonorars willen hinzustellen. Dies ist jedoch noch nicht alles. Oben klingt ein wichtiges Wort an, das mit den 30er Jahren seine Bedeutung verloren hat: das Mitleid. Zum Mitleiden fähig zu werden ist das vielleicht gerade für diese Zeit so wichtige und so seltene Anliegen der Novelle. Es ist dies ein Mitleid, das der IchErzähler wohl seinen Helden, nicht aber langfristig seiner Umgebung angedeihen lassen kann. Leben und Schreiben bleiben damit zwei getrennte Welten: Was in der Literatur möglich ist, muß dem Leben verwehrt sein. Der maoistischen Ästhetik ging es dagegen wesentlich um eine Aufhebung der Trennung, diese wurde dann insbesondere während der Kulturrevolution (1966–1976) herbeigezwungen. Ba Jin hat die Novelle Garten der Ruhe bei einem Besuch in Chengdu geschrieben, also fernab vom eigentlichen kriegerischen Geschehen. So wie die heutige Hauptstadt der Provinz Sichuan war auch die damalige provisorische Hauptstadt der Guomingdang-Regierung im Krieg, Chongqing, von den Japanern nur auf dem Luftwege mit Bombern zu erreichen gewesen. Ein Exodus hatte daher Richtung Westen aus den unmittelbar umkämpften Gebieten stattgefunden. Eine große Anzahl von Studenten, Professoren und Schriftstellern hatte sich angeschlossen. Ba Jin beschreibt die Welt der Kriegsgewinnler und Kriegsverlierer in seinem allgemein als repräsentativstes Werk eingeschätzten Roman Kalte Nächte (Hanye, 1947).451 Auch wenn der Hintergrund von Garten der Ruhe und Kalte Nächte derselbe ist, so sind beide Erzählwerke in ihrem Charakter doch völlig verschieden. Die Novelle folgt noch dem Muster, 451

BA JIN: Kalte Nächte, aus dem Chinesischen von SABINE PESCHEL u. BARBARA SPIELMANN, mit einem Nachwort von WOLFGANG KUBIN, Frankfurt: Suhrkamp 1981; BA JIN: Nacht über der Stadt, aus dem Englischen von PETER KLEINHEMPEL, Berlin: Volk und Welt 1985. Da ich auch anderweitig zu diesem Roman Betrachtungen angestellt habe und mich nicht wiederholen möchte (s. meinen Aufsatz: »Nocturnal Consciousness and Female (Self-)Destruction«), beschränke ich mich im folgenden auf neue Aspekte. Zum Original s. Ba Jin wenji, Bd. 14, S. 1– 294.

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welches Die Familie vorgegeben hat, auch sie beschreibt den Niedergang einer traditionellen und begüterten Großfamilie. Kalte Nächte stellt dagegen eine moderne und unbegüterte Kleinfamilie in den Mittelpunkt. Der Roman, 1944 begonnen, erschien zunächst in Fortsetzungen, bevor er 1947 in Buchform auf den Markt kam. Er basiert auf den persönlichen Erfahrungen, die der Autor 1944/45 während des Chinesisch-Japanischen Krieges in Chongqing gemacht hat. Im Mittelpunkt stehen vor allem drei Personen, ein Ehepaar mit Kind und die Mutter des Mannes. Zwischen der Mutter und der Schwiegertochter herrscht ein unüberbrückbarer Gegensatz. Es ist dies der Gegensatz von einer konservativ geprägten und einer modernen Frau. Zwischen beiden befindet sich der tuberkulose Wang Wenxuan. Wie seine Frau ist auch er in seinem Idealismus und in seiner Hoffnung auf ein besseres Leben enttäuscht worden. Der Krieg hat sie von Schanghai nach Chongqing verschlagen, wo sie ihr Dasein auf kümmerlichen Posten – er als Lektor und sie als Bankangestellte – fristen. Die Beziehungen dieser drei Personen sind vergiftet, da Wang Wenxuan, in seinen Rollen als Ehemann und als Sohn gespalten, sich nicht von seiner Passivität gegenüber der Gattin und der Mutter freimachen kann. Gefangen in der Bindung an seine Mutter, kann er neben ihr keine andere Frau wirklich lieben. Daher drängt er auch seine Frau, die das Leben bis zur Neige auskosten will, mit ihrem Liebhaber Chongqing zu verlassen, während er auf der anderen Seite im Tod den Schmerz, den er der Mutter bereitet hat, zu sühnen sucht. Die Konflikte der genannten drei Personen spielen sich vor dem Hintergrund des Krieges vom Herbst 1944 bis zum Herbst 1945 ab. Inflation, Arbeitslosigkeit, Epidemien, Hunger, Korruptheit und Demoralisierung sind die äußeren Kennzeichen einer allgemeinen gesellschaftlichen Unruhe. Der Erzähler stellt hier nicht wie in dem Roman Die Familie Menschen in ihrem Kampf gegen die herrschende Ordnung, sondern als deren Opfer dar. Das dominierende Bild des Romans ist die Nacht. Zur Veranschaulichung sei der Beginn des Romans zitiert. Vor knapp einer halben Stunde war Fliegeralarm gegeben worden. Aus der Ferne hörte man das dumpfe Dröhnen der Motoren, in der Straße rührte sich nichts, kein Licht war zu sehen. Er erhob sich von den steinernen Stufen des Bankgebäudes, ging den Gehsteig entlang und sah hinauf zum Himmel, der sich grau verhangen wie ein verblichenes Stück schwarzen Stoffes über ihm ausbreitete. Außer den dunklen Umrissen des gegenüberliegenden Hochhauses konnte er nichts erkennen. Doch seine Umgebung interessierte ihn ohnehin nicht, er starrte nur teilnahmslos nach oben, als wolle er bloß die Zeit herumbringen. Aber die Zeit schien sich absichtlich gegen ihn zu wenden, sie verging quälend langsam, es kam ihm sogar vor, als sei sie längst stehengeblieben. Nächtliche Kälte zog durch seine leichgefütterte Jacke und ließ ihn frösteln. Da erst senkte er den Blick, stieß einen tiefen Seufzer aus und flüsterte kaum hörbar: »So darf es nicht weitergehen!«

In den wenigen Kapiteln, wo doch Tag ist, scheint keine Sonne. Die Nacht, deren Dunkelheit durch ein ständig verlöschendes Licht vertieft wird, ist erfüllt von tödlichen

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und albtraumhaften Klängen und Geräuschen, die Ba Jin auch in seinem Nachwort erwähnt.452 Um das Leid der Menschen zum Ausdruck zu bringen, bedient sich der Erzähler hauptsächlich des inneren Monologs und ahnungsvoller Träume. Der Tod Wang Wenxuans wenige Tage nach der japanischen Kapitulation und die Rückkehr der desillusionierten Ehefrau beschließen den Roman. Die großen Themen von einst sind also ersetzt durch die kleinliche Welt des Alltags, wo sich jeder mit jedem wegen Trivialitäten unablässig in den Haaren liegt. Ebenso sind die großen Ideale zu einem Ende gekommen: Die Jugend ist vorbei, die am Westen genährten Vorstellungen von Aufklärung, Befreiung und Rettung sind zerbrochen, jedem Aufbruch ins Neue folgt die enttäuschte Rückkehr in die Enge der Vergangenheit. Daran ändert auch der Sieg über Japan nichts: Die Siegesfeierlichkeiten am Ende des Romans verdeutlichen nur die These der Protagonisten, daß Siege immer nur die der anderen sind. Marián Gálik hat in seiner Analyse dieses Romans auf die griechische Mythologie zurückgegriffen und wenn auch spekulativ, so doch sehr bedenkenswert die traditionelle Übersetzung des Titels Kalte Nächte in Frage gestellt. Gemäß dem Schlußsatz des Romans (»Die Nacht war wirklich kalt«) korrigiert er den Titel in Kalte Nacht und merkt zum Leitmotiv der Nacht das folgende an:453 Die Nacht und insbesondere die kalte Nacht haben in diesem Roman eine symbolische Bedeutung und zweifelsohne eine mythische Färbung. Zwischen die »beiden Abende« zu Beginn und am Ende fügt der Autor praktisch eine Periode von zwei Jahren des allmählichen Sterbens oder zumindest der Desillusionierung der Protagonisten ein. Der erste Abend ist durch Luftalarm, Schreckenserwartung, Unsicherheit, Furcht und vielleicht auch durch Tod charakterisiert, der zweite Abend, welcher die erste Nacht nach dem Sieg über einen jahrzehntelang gefürchteten mächtigen Gegner zum Gegenstand hat, bedeutete für die Bewohner von Chongqing den Beginn neuer Mühsale. [...] Die kalte Nacht war für Ba Jin die verlängerte Kriegsperiode mit all ihren Konsequenzen für die chinesische Bevölkerung. Der Krieg, dem sein Interesse galt, war nicht der bewaffnete Konflikt zwischen verschiedenen Ländern, noch ein gerechter oder ungerechter Bürgerkrieg oder ein Befreiungskrieg, sondern ein Krieg, der allgemein als Bild für Leiden, Elend, ansteckende Krankheiten, Grauen, Existenznot, soziale Unsicherheit und ein unbestimmtes Gefühl der Kälte stand.

Ba Jin hat diesen Roman, wie er im Nachwort schreibt, in einer kalten Winternacht begonnen, und er weiß auch daselbst von einer anderen kalten Nacht zu berichten, in welcher viele erfroren sind. Der Erzähler hat weder einen positiven Helden noch ein 452 453

Ba Jin wenji, Bd. 14, S. 295–297. Übersetzt nach MARIÁN GÁLIK: »Pa Chin’s [d.i. Ba Jin] Cold Night: The Interliterary Relations with Zola and Wilde«, in: DERS.: Milestones in Sino-Western Literary Confrontation, S. 209. Die Übersetzung hatte etwas frei zu erfolgen, da das Englische – nicht die Muttersprache des Autors – nicht immer eindeutig zu verstehen war.

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Happy-End entworfen. Der Exodus ins Hinterland, den maoistische Theorie und kriegerische Praxis als Mittel der Rettung nahelegten, scheint seine Faszination eingebüßt zu haben. Ba Jin begründet dies in seinem Nachwort denkbar einfach: »Die vom Leben gebeutelten Menschen hatten keine Kraft mehr, ›Der Morgen ist da!‹ zu rufen.« Wir sehen hier, wie der Krieg gegen Japan den Pessimismus in die Literatur zurückbringt. Die chinesische Literaturkritik reagiert auf dieses Phänomen bis heute auf zweifache Art: Entweder sie erklärt die gesamte Zeit vor 1949 für finster, oder sie stellt ganz auf den maoistischen Hoffnungswahn ab. In beiden Fällen verfehlt sie ihre eigentliche Aufgabe, nämlich Erfolg und Mißerfolg von Werken aus literarischer Sicht herauszuarbeiten. Sie muß daher notwendigerweise zu falschen Einschätzungen kommen. Immer wieder hat sie bestimmte Literaten entweder zu hoch oder zu niedrig eingestuft. Dies gilt insbesondere für Qian Zhongshu, den raffiniertesten chinesischen Erzähler des 20. Jahrhunderts. Man möchte fast sagen, daß dieser mit wenigen Werken in wenigen Jahren ein so hohes Niveau erreicht hat, daß die chinesische Literaturkritik bislang vollkommen überfordert gewesen ist. Es ist vor allem der Bonner Sinologin Monika Motsch zu verdanken, daß sie dessen Größe frühzeitig erkannt und in zahlreichen Publikationen gewürdigt hat.454 Aus ihrer Feder stammt auch die brillante Übersetzung des Romans Die umzingelte Festung (Weicheng).455 Dieser Roman, der 1946 nach nur zwei Jahren in Schanghai abgeschlossen war und 1947 als Buch auch in Schanghai erschien, kann auf Grund seiner einzigartigen Komposition und Tiefe als das anspruchsvollste und in diesem Sinne unerreichte Zeugnis moderner chinesischer Erzählkunst gelten. Er behandelt satirisch die Befindlichkeit der Intelligenz im Krieg, deren Suche, Handlungshemmung und schließlich Untergang. Qian Zhongshu, der zwischen 1935 und 1938 in Oxford und Paris studiert hat, ist sicherlich der belesenste aller chinesischen Literaten im 20. Jahrhundert. Seine zahlreichen Anspielungen auch auf die europäische Literatur machen seine Lektüre so schwierig wie vergnüglich. Nehmen wir den Titel des Romans als Beispiel.456 Er 454

455

456

Vgl. u.a. MONIKA MOTSCH: Mit Bambusrohr und Ahle. Von Qian Zhongshus »Guanzhuibian« zu einer Neubetrachtung Du Fus, Frankfurt u.a.: Peter Lang 1994. QIAN ZHONGSHU: Die umzingelte Festung, aus dem Chinesischen übertragen von MONIKA MOTSCH u. J. SHIH, Frankfurt: Insel 1988. Diese Ausgabe enthält auch ein Nachwort und Erläuterungen von MONIKA MOTSCH. Zum Original s. QIAN ZHONGSHU: Weicheng, Peking: Renmin Wenxue 1983. Die wenigen Erzählungen von Qian Zhongshu stehen diesem Roman durchaus nicht nach, s. QIAN ZHONGSHU: Das Andenken. Erzählungen, aus dem Chinesischen von CHARLOTTE DUNSING u. YLVA MONSCHEIN, mit einem Nachwort von CHARLOTTE DUNSING, Köln: Diederichs 1986. Vgl. hierzu und zum folgenden GUNN: Unwelcome Muse, S. 243–263; HSIA: A History of Modern Chinese Fiction, S. 432–460; WONG YOON WAH: »Symbolism in Qian Zhongshu’s Novel Fortress Besieged«, in: DERS.: Essays on Chinese Literature: A Comparative Approach, Singapore: Singapore UP 1988, S. 82–95; DENNIS T. HU: »A Linguistic-literary Approach to Ch'ien Chung-shu’s [d.i. Qian Zhongshu] Novel Wei-ch'eng [d.i. Weicheng]«, in: Journal of Asian Studies XXXVII (May 1978), S. 427–443; THEODORE HUTERS: Qian Zhongshu, Boston: Twayne 1982, S. 118–154.

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spielt auf verschiedene Dinge an: den Krieg, die Ehe und das Leben. Die Sache mit dem Krieg ist offensichtlich, denn China ist von Japan umzingelt. Dies gilt im kleinen insbesondere für Schanghai, wo die 1937 einsetzende Handlung zum Teil spielt. Das bedarf keiner weiteren Worte. Ebenso erübrigt sich eine explizite Ausführung zu dem Phänomen, daß die Umzingelung auch eine Einengung der Tradition durch die Moderne, des Alten durch das Neue, des »Ostens« durch den »Westen« etc. ist. Aber die Sache mit der Ehe?457 Vorher hatte Hongjian bei den Toasts nur zu nippen brauchen, doch jetzt sollte er auf einmal ein ganzes Glas leeren. Er ließ es über sich ergehen, weil er im Unrecht war, bekam aber langsam das Gefühl, ein zweites »Ich« rede außerhalb seines Körpers. »Ich habe mit Bertie über seine Ehen und Scheidungen gesprochen«, sagte Chen Shuming. »Er zitierte einen alten englischen Spruch, die Ehe sei wie ein goldener Vogelkäfig: Die Vögel, die draußen sind, wollen hinein und die gefangenen Vögel hinaus, daher der endlose Wechsel zwische Ehe und Scheidung, Scheidung und Ehe.« »In Frankreich gibt es einen ähnlichen Spruch«, ergänzte Fräulein Su. »Nur ist es kein Vogelkäfig, sondern eine umzingelte Festung, eine ›forteresse assiégée‹: Die Belagerer wollen hineinstürmen und die Eingeschlossenen ausbrechen, nicht wahr, Hongjian?« Hongjian schüttelte verständnislos den Kopf. »Wozu die Frage?« protestierte Xinmei, »du hast doch immer recht!« »Ob Vogelkäfig oder umzingelte Festung«, erklärte Shenming salbungsvoll, »jemand, der über den Dingen steht wie ich, fürchtet keine Belagerung.«

Im Gegensatz zu der von der Zeit und vom Zeitgeist geprägten Literatur steht im Roman nicht die nationale Frage nach Befreiung und Rettung des Landes im Mittelpunkt. Wohlgemerkt, sie klingt vor dem Handlungshintergrund des chinesischjapanischen Krieges und im Titel mit an, aber nur als Spiel, als Wortspiel. Der Erzähler, dem es, wie er im Vorwort vom 15. Dezember 1946 schreibt, um »das Menschliche« (renlei) geht, gewichtet also wider damalige politische Anweisungen an die Literatur und entwirft ein allgemeinverbindliches Bild des Lebens, wo alles gleichsam wie in einer Festung gefangen liegt. Wir können dies deutlich an der dritten Bedeutung des Titels erkennen. Es geht hierbei um eine symbolische Dimension des menschlichen Seins schlechthin:458 »Gehst du wirklich gern an die Universität?« fragte Hongjian überrascht. »Ich bewundere deine Zuversicht, mir fehlt da etwas. Du hast mehr Vertrauen in Ehe und Beruf als ich. Ich muß immer an die ›Umzingelte Festung‹ denken, von der der Philosoph Chu und Fräulein Su erzählten. In letzter Zeit kommt mir das ganze Leben so vor. Zum Beispiel war ich zuerst sehr interessiert an der Sanlü-Universität und 457 458

QIAN ZHONGSHU: Die umzingelte Festung, S. 118; QIAN ZHONGSHU: Weicheng, S. 96f. QIAN ZHONGSHU: Die umzingelte Festung, S. 170f; QIAN ZHONGSHU: Weicheng, S. 141f.

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Die Radikalisierung der Literatur (1937–1949) habe die Stelle angenommen. Jetzt läßt mich das kalt, und ich verachte mich sogar, weil ich nicht den Mut habe, mit dem gleichen Schiff wieder zurückzufahren. Nach meinem Fiasko weiß ich nicht, ob ich je wieder eine Frau finde, und wenn du wirklich Fräulein Su geheiratet hättest, wäre es wahrscheinlich auch nur mittelprächtig geworden. Du kennst doch das Sprichwort von dem Hund, der seinen Knochen fallen läßt, um hinter dessen Spiegelbild im Wasser herzujagen! Wenn du, wie erhofft, deine Geliebte heiratest, frißt du zwar deinen Knochen, aber wirst wohl ewig dem entschwundenen Spiegelbild im Wasser nachtrauern. [...]«

Qian Zhongshu entwirft den Typus des modernen Menschen, der nur unterwegs sein kann, aber nicht sein Ziel erreichen darf, denn jede Ankunft hat unmittelbar Langeweile zur Folge. Insofern kann der Roman keinen herkömmlichen Plot kennen. Die Unbehaustheit des Menschen ist das Thema, diese kann sich zwangsläufig nicht entwickeln, sie ist vielmehr ein Dauerzustand. Bekanntlich bilden Reise und Melancholie ein komplementäres Paar, hier ergänzt durch den Zwang zu einer ständigen Kommunikation. Wer sich langweilt, muß unterwegs sein, wer unterwegs ist, bedarf der Ansprache. Insofern wird die Befindlichkeit des Menschen zum Gegenstand eines brillanten Feuerwerks aus Witz, Humor, Satire, angereichert mit Zitaten aus Ost und West. Es sind die grandiosen Dialoge, die, bis zum Schluß selbst im Ehestreit durchgehalten, zusammen mit den Leitmotiven dem pikaresken Roman doch eine gewisse Einheit verleihen. Dies ist allerdings eine unverbindliche Einheit, denn es steht die Erprobung des Unverbindlichen zur Debatte. Wienerisch würde man von Durchwurschteln reden. Der Mensch, der keine Mitte hat und diese Mitte auch nicht in der Reflexion herzustellen bereit ist – lieber findet er sich ab, paßt sich an oder geht Kompromisse ein –, ein solcher Mensch kann seinen unverbindlichen Tanz über der Realität nur solange fortsetzen, bis sich seine Mitwelt erschöpft hat. Im Moment der Erschöpfung tritt die Enge des Wirklichen zutage, dessen häßliche Seiten dann nicht mehr zu bemänteln sind. Der anfängliche Humor wird zum Ernst, der Spott zur Verzweiflung. Zu den wichtigsten Leitmotiven gehört die Nacht, die den Roman ein- und ausleitet. Der Erzähler greift also auf das Grundmotiv der Moderne zurück. Er drapiert es mit Funken von Licht als dem spärlichen Licht der Hoffnung. Wir kennen dies aus der Zeit des 4. Mai. Von den vielen Leitmotiven, die gleichsam ein Netzwerk bilden, das keine losen Enden zurückläßt, sei zum Abschluß nur noch eines genannt. Es hat mit der Vorstellung vom Menschen als zweibeinigem Tier zu tun, die das Vorwort mit Rückgriff auf Platon so paradigmatisch verkündet. Mindestens dreimal greift der Erzähler auf Schopenhauers Diktum von der menschlichen Gemeinschaft als einer Geselligkeit von Stacheltieren zurück.459

459

QIAN ZHONGSHU: Die umzingelte Festung, S. 257, vgl. auch S. 295, 405; zur Erläuterung s. die Ausführungen S. 434. QIAN ZHONGSHU: Weicheng, S. 257f.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949) Deprimiert ging Hongjian auf sein Zimmer. Kaum war er mal ein bißchen glücklich, verdarb ihm ein Freund die Stimmung. Das Schicksal des Menschen war Einsamkeit, alle lebten für sich allein und hatten bis zum Tod keinen Umgang miteinander. Wenn der Körper mit überschüssigen Dingen wie Verdauung und Ausscheidung alleine fertig wird, wieso braucht man dann für seine überschüssigen Gefühle einen Kameraden? Wo Menschen zusammenkommen, beleidigen sie sich – wie Stachelschweine. Besser hält man Abstand, denn bei zu großer Nähe verletzt man sich nur an den Stacheln. Hongjian hatte wirklich Lust, seine Qualen einem verständnisvollen Menschen darzulegen. Fräulein Sun verstand ihn wohl besser als Xinmei, mindestens hörte sie ihm interessiert zu – allerdings hatte er gerade gefordert, alle zwischenmenschlichen Beziehungen zu vermeiden, wieso zog es ihn jetzt wieder zu einer Frau? Vielleicht benahmen sich Männer untereinander wie Stacheltiere, Männer und Frauen dagegen wie ... Hongjian fiel kein Vergleich ein, und er machte sich an die Unterrichtsvorbereitung für den folgenden Tag.

Unabhängig von der Frage, ob China eine Transzendenz kenne oder nicht, scheint der Hintergrund des Romans gleichwohl das Bewußtsein einer transzendentalen Obdachlosigkeit zu sein. Verschiedentlich klingt im Werk des Qian Zhongshu an, daß Gott seine Schöpfung nicht mehr im Griff habe, daß der Himmel zu einem Hort von Bomben mutiert sei etc. Insofern lebt der Mensch als Marionette des Schicksals in einer blindwütigen Welt ohne Hoffnung auf Rettung und Erlösung. Es ist an der Zeit, eines der vergangenen Themen wieder aufzugreifen. Der 4. Mai hatte bildlich gesprochen das Ich als Tiger aus seinem Käfig entlassen, und die umtriebige Jugend der 30er Jahre hatte dem Ich einen neuen Käfig gebaut, den des Kollektivs und der Revolution. Qian Zhongshu ist einer der letzten Literaten, der seine Romanhelden über den Verlust des Ichs nachdenken läßt. Er tätschelte sie wie ein Kind. Als sie fest schlief, grübelte er darüber nach, wie gleichgültig ihn der Gedanke an ein Wiedersehen mit Fräulein Tang ließ, ein wirkliches Treffen würde kaum anders sein. Das Ich, das Fräulein Tang vor einem Jahr geliebt hatte, war längst tot, ebenso die Ichs, die Fräulein Su gefürchtet hatten und von Fräulein Bao verführt wurden. Ein paar Tote hatte er in seiner Erinnerung begraben und ihnen dort einen Grabstein gesetzt, vor dem er manchmal eine nostalgische Gedenkminute einlegte – zum Beispiel für seine Liebe zu Fräulein Tang. Andere Ichs waren am Wegrand verstorben, wo sie unbeerdigt verfaulten und von Vögeln und wilden Tieren gefressen wurden. Doch sie verwesten nie völlig – ein Beispiel 460 war das Ich, das von dem Iren das Doktordiplom erwarb.

Die Auffächerung des Ichs ist eine Erscheinung der Moderne. Sie müßte konsequenterweise vom Individuum als Möglichkeit zur Vielgestaltigkeit getragen, ertragen werden. Dies ist wie gesagt im China nach 1942 selten der Fall. Wer noch 1942 für ein wenig 460

QIAN ZHONGSHU: Die umzingelte Festung, S. 402f; QIAN ZHONGSHU: Weicheng, S. 343.

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Freiheit des Dichters eingetreten sein mag, mag wenige Jahre später sein Ansinnen freiwillig und öffentlich denunzieren. Ai Qing (1910–1996) ist in dieser Hinsicht exemplarisch.461 Er, der sich für das Verständnis der Dichter in Yan'an noch stark gemacht hatte, dankt 1950 Mao Zedong für die Berichtigung seiner Fehler, fordert eine Poesie der Propaganda und die Hinwendung zum vermeintlich volkstümlichen chinesischen Stil462. Es fällt schwer, Ai Qing Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Da ist auf der einen Seite der große formale Neuerer, da ist auf der anderen Seite der Lobhudler von Mao Zedong und Stalin. Da ist auf der einen Seite der Realist, der die Kargheit des Nordens (1938)463 wie nur wenige vor ihm zu entwerfen in der Lage ist. Da ist auf der anderen Seite der Verklärer der Sowjetunion als »neues Eden« (1940) und der Verkünder eines naiven Fortschrittsglaubens. Sieht man einmal von seiner Gabe ab, in der poetischen Nachfolge von Walt Whitman, Vladimir Majakoskij (1893– 1930), Émile Verhaeren (1855–1916) und anderen den freien Vers in der chinesischen Poesie formal zu erneuern, so erscheint seine Dichtung heute grundsätzlich schal. Dies gilt auch für so bekannte und vielfach übersetzte Gedichte wie »Meine Amme Dayanhe« (»Dayanhe – Wo de baomu«, 1933) oder »Er starb ein zweites Mal« (»Ta si zai di-er ci«, 1939). Ihre Schlichtheit mag dank Repetition und simplem Vokabular durchaus bei einem öffentlichen Vortrag eine ästhetische Wirkung entfalten, ihre Lektüre ist jedoch immer wieder ein unbefriedigendes Unterfangen. Die kritische Sekundärliteratur charakterisiert Ai Qing nicht zu Unrecht verkürzt als Maoisten, Kriegsdichter, Patrioten und Propagandisten. Aus heutiger Sicht stellt es keinesfalls eine Genugtuung dar, daß selbst sein voreiliger Kniefall vor den Mächtigen der Zeit ihn nicht vor deren Schergen bewahrt hat: Von 1957 bis 1978 gehörte er zu den Verfolgten des Regimes.464 Als wenn er daraus nicht gelernt hätte, hat er sogleich Anfang der 80er Jahre gemeinsame Sache mit den Machthabern im Kulturbereich gemacht, um gegen die jungen Dichter der Hermetischen Schule (Menglong Shipai) vorzugehen.465 Es scheint, daß Ai Qing nach den Erfahrungen von Yan'an 461

462

463

464

465

Zum folgenden vgl. LIN: Modern Chinese Poetry, S. 172–188; FEIFEL: Moderne chinesische Poesie, von 1919 bis 1982, S. 104–107. Zum Dichter allgemein s. SUSANNE WEIGELINSCHWIEDRZK: Beitrag für das Kritische Lexikon zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur (im folgenden abgekürzt als KLfG, hg. von HEINZ LUDWIG ARNOLD). Der bekannteste Versuch einer chinesischen Folklore ist die Ballade Heiman (Schwarzer Aal, 1954), s. AI QING: The Black Eel, übersetzt von YANG XIANYI u. ROBERT C. FRIEND, Peking: Panda 1982. AI QING: Beifang, Schanghai: Wenhua Shenghuo 1942. Zu einer Übersetzung des Zyklus s. die angeführten Quellen. Vgl. hierzu das Interview von WOLFGANG M. SCHWIEDRZIK: Literaturfrühling in China? Gespräche mit chinesischen Schriftstellern, Köln: Prometh 1980, S. 111–125. In diesem Buch finden sich auch Interviews mit Ba Jin, Ding Ling, Mao Dun u.a. Er äußerte sich in der China Daily vom 8. Oktober 1982, S. 5 zwar noch eher indifferent gegenüber der Hermetischen Schule, hat aber im Rahmen der staatlichen Kampagne wider geistige Verschmutzung ein Jahr später eindeutig Position für den herrschenden Kulturbetrieb bezogen. Zum Verlauf der Kampagne s. HE: Cycles of Repression and Relaxation, S. 229–277.

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immer zu den Siegern466 hat gehören wollen, wo doch den Dichtern eine Niederlage viel besser steht. Seine Auffassung von engagierter Literatur stellt genau das Gegenteil von dem dar, was Jean-Paul Sartre (1905–1980) unter dem Begriff einer littérature engagée verstanden wissen wollte: die Unabhängigkeit des Künstlers von Partei und Nationalismus und die Verpflichtung gegenüber politischen Ereignissen weltweit.467 Wir sprechen also in Fällen wie diesen besser von einer Tendenzliteratur als von einer engagierten Literatur. Der vielübersetzte Ai Qing468 bietet wohlfeil Gelegenheit zur Wiederaufnahme eines in unserer Geschichte immer wieder bemühten Topos. Seine Symbolik ist durchwirkt von christlichen Motiven! Das Kreuz, das Opfer und die Auferstehung sind ihm die wichtigsten Bilder zur Beschreibung des chinesischen Volkes: Dieses sei wie Jesus ans Kreuz genagelt und erwarte nach freiwilligen wie unfreiwilligen Opfern seine Auferstehung. Dabei kommt dem Dichter als religiösem Führer eine wichtige Rolle zu. Schauen wir beispielhaft einmal in das Gedicht »Tagesanbruch« (»Liming de tongzhi«, eigentlich: »Verkündigung des Morgens«), auch Titel eines 1943 erschienenen Gedichtbandes, hinein. Es spricht hier der Morgen zum Dichter.469 Erfülle du mein Verlangen, mein Dichter, steh auf, erhebe dich! Geh und verkünde allen Der sehnlichst Erwartete kommt Ich komme, die Sohlen benetzt vom Tau Ich komme, geleitet vom Licht des letzten Sterns Ich komme von Osten Ich komme aus dem tosenden Meer Ich bringe Licht für die Welt Ich bringe für die Menschheit Wärme 466

467

468

469

Vgl. hierzu das symptomatische Tagebuch von 1945 Zouxiang shengli, Schanghai: Chuangzuo Shushe 1950, das mit einer Apotheose des Glücks endet. JEAN-PAUL SARTRE: Was ist Literatur? Übertragung von Hans Georg Brenner, Reinbek: Rowohlt (= rde; 65) 1958. Mir liegt u.a. vor EUGENE CHEN EOYANG (Hg.): Ai Qing. Selected Poems, Peking: Foreign Languages Press 1982; AI QING: Poemes, ausgewählt und aus dem Chinesischen übersetzt von YAN HANSHENG u. SUZANNE BERNARD, Peking: Editions en Languages Etrangères 1980. Vgl. weiter YIP: Lyrics from Shelters, S. 83-97; PETER HOFFMANN: »›Ein Leben im Feuer‹. Zum Tode des chinesischen Lyrikers Ai Qing«, in: Hefte für Ostasiatische Literatur 21 (1996), S. 98–109. AI QING: Auf der Waage der Zeit. Gedichte, hg. u. aus dem Chinesischen übersetzt von MANFRED u. SHUXIN REINHARDT, Berlin: Volk und Welt 1988, S. 39–41; Ai Qing shixuan, Peking: Renmin Wenxue 1955, S. 187–190.

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Die Radikalisierung der Literatur (1937–1949) Weil du ehrlich bist, sollst du mir deinen Mund Zur Verkündigung meiner Botschaft leihn [...] Jeden Verzweifelten sollst du wecken Ich werde sie alle trösten [...] du der Zeit getreu Überbinge den Menschen die tröstende Kunde Alle, alle sollen sich zum Empfang bereiten Ehe der Hahn zum letzten Mal kräht, werde ich da sein Sie sollen gläubig zum fernen Horizont schauen Alle, die mich erwarten, belohne ich mit barmherzigem Licht Spute dich, ehe die Nacht vorbei, und verkündige ihnen Der sehnlichst Erwartete kommt

Dieser Text ist so voll von offensichtlichen Motiven aus dem Neuen Testament, daß sie nicht eigens aufgewiesen werden müssen. Man wird sich gleichwohl fragen: Was ist denn die Botschaft? Ai Qing, der es liebt, immer wieder die Sonne überschwenglich zu besingen, scheint ganz im Stil des 4. Mai und in Übereinstimmung mit der Partei das Licht, das er in Yan'an empfangen haben will, als Botschaft per se zu verstehen. Insofern ist die Botschaft die Botschaft, das heißt, die Ankündigung der Erlösung reicht schon aus, um die Menschen in freudige Erwartung zu versetzen, sie bedarf keiner Konkretisierung. Da in Ai Qings chinesischer Gedichtauswahl von 1955 nach diesem Text unmittelbar ein Lobgesang auf Mao Zedong (»Mao Zedong«, 1941) folgt, dürfen wir wohl mutmaßen, daß die Botschaft des »Tagesanbruchs« ganz einfach Maoismus lautet und der Dichter sich hier als Prophet desselben entwirft. So gesehen wäre Mao Zedong Jesus, und Ai Qing wäre sein Verkünder. Dies deckt sich mit der politisch-religiösen Malerei, die zu etwa dieser Zeit aufkam und den jungen Mao gern als Messias entwarf. Die Hinwendung zu Mao Zedong ließe sich psychologisch auch als Suche nach einem neuen Vater interpretieren. Wie viele Literaten seiner Zeit entstammte Ai Qing ebenfalls einer begüterten Gentryfamilie. Den Bruch mit dem Vater hat er im August 1941 in einem autobiographischen Langgedicht470 festgehalten, in einer Zeit also, als 470

KUBIN: Nachrichten von der Hauptstadt der Sonne, S. 155–163; Ai Qing shixuan, S. 90–100 (»Wo de fuqin«).

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er nach Yan'an gegangen war und von Mao Zedong in einem persönlichen Schreiben in seine Aufgaben eingewiesen wurde. Sein poetischer deklamatorischer Jubel nimmt in vielfacher Hinsicht die spätere Ästhetik des Großen Sprungs nach vorn (1958), ja der Kulturrevolution vorweg. In seinem Werk lächeln selbst die Verwundeten, wenn sie denn auf der richtigen Seite stehen. Ai Qing ist der Sänger einer Ära, die längst untergegangen ist. Er hat diese Ära, für die er jedes Opfer zu bringen bereit gewesen ist,471 als das Tor zur vollkommenen Glückseligkeit gesehen. Seine Überzeugung kann man ihm nicht übelnehmen, seinen offensichtlichen Selbstbetrug schon. Bleibt denn außer seinen Irrtümern von Ai Qing nichts haften? Man kann der Zukunft nicht vorgreifen, aber bemerkenswert scheint durchaus seine Gabe, über ferne Lande, die er besucht hat, Gedichte zu verfassen. Er, der in Frankreich von 1929– 1932 seinen künstlerischen Studien nachgegangen ist, hat Paris oder Marseille besungen wie später auch Trier oder Wien. In dieser Hinsicht war er Kosmopolit und für das Fremde offen. Nicht zufällig kommt daher die Literaturkritik auch zu dem Urteil, daß er letztlich nur von der internationalen Lyrikentwicklung her zu verstehen sei. Formal mag das richtig sein, seine obsession with China macht ihn gleichwohl zu einem im negativen Sinne repräsentativen Dichter. Daß Schlichtheit der Diktion Tiefe nicht ausschließen muß, zeigt sein Antipode Feng Zhi. Feng Zhi, der Ai Qing 1957/58 den Schergen der Macht ans Messer geliefert hat,472 ist von der deutschen Kultur geprägt, vor allem von Goethe, Rainer Maria Rilke (1875–1926) und Karl Jaspers (1883–1969). Bei letzterem hatte er in Heidelberg (1930–1935) studiert. Die Einflüsse der genannten drei zeigen sich vielfach während des Krieges, als Feng Zhi in Kunming473 von 1939 bis 1946 an der Vereinigten Universität des Südwestens Deutsch unterrichtet. Weniger bekannt ist sein einziger Roman Wu Zixu (Wu Zixu, 1944).474 Feng Zhi schildert hier anhand der legendären Gestalt des Flötenspielers Wu Zixu die Macht der Poesie. Er war dazu von Rilkes Prosadichtung Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke (1899) angeregt worden, die er 1942 in der Übersetzung von Bian Zhilin gelesen hatte. Bekannter sind dagegen seine 1942 erschienenen 27 Sonette (Shisihang ji), die bereits vielfach übertragen und analysiert worden sind.475 Er war zu diesen 1941 bei seinen täglichen Spaziergängen angeregt 471 472

473

474 475

Vgl. hierzu das Gedicht »Ära« (»Shidai«, 16.12.1941) in: Ai Qing shixuan, S. 208–210. Vgl. hierzu seine Hetzrede »Kritik an Ai Qings ›Die Schriftsteller verstehen und respektieren‹«, in: SCHWIEDRZIK: Literaturfrühling in China?, S. 194–197. Zu Krieg und Poesie in Kunming s. KAI-YU HSU: »Between Eucalyptus and Gunsmoke: The Kunming-based Poetry of 1937–1945«, in: La littérature Chinoise au temps de la guerre de résistance contre le Japon, S. 297–308. Vielleicht spräche man hier besser von einer Novelle, s. Feng Zhi xuanji, Bd. 1, S. 309–371. Vgl. u.a. CHEUNG: Feng Chih [d.i. Feng Zhi], S. 41–53, 77–89; LIN: Modern Chinese Poetry, S. 143–151; GÁLIK: »Feng Chih’s [d.i. Feng Zhi] Sonnets: The Interliterary Relations with German Romanticism, Rilke and van Gogh«, in: DERS.: Milestones in Sino-Western Literary Confrontation, S. 179–201. Zum formalen Aspekt seiner Sonette s. LLOYD HAFT: »Some Rhythmic Structures in Feng Zhi’s Sonnets«, in: Modern Chinese Literature 9.2 (Herbst 1996), S. 297–326.

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worden. Da ich selbst hier als Übersetzer und Deuter476 hervorgetreten bin, möchte ich mich im folgenden nicht wiederholen, sondern nur auf das Notwendigste beschränken. Feng Zhi, der in deutschen Landen vielfach ausgezeichnet worden ist,477 gelingt mit den Sonetten die wundersame Einheit von verbaler Einfachheit und gedanklicher Reife, von chinesischem Erbe und westlicher Tradition. Dies unterscheidet ihn von der Naivität der (pro)kommunistischen Dichtkunst und von der Dunkelheit seiner um reine Literatur bemühten Zeitgenossen. Das fünfte Sonett hat Venedig zu seinem Gegenstand. Das Reimschema (abba, cddc, cee, caa) konnte in der leicht veränderten Übersetzung nicht nachvollzogen werden. Nie werde ich vergessen eine Stadt im Westen, übers Wasser gebaut, sie ist Zeichen des Lebens, der Hort zahlloser Einsamkeiten. Jede Einsamkeit ist eine Insel, Insel für Insel schließt sie Freundschaft. Wenn deine Hand nach mir faßt, sind wir eine Brücke über dem Wasser; Oder dein Lächeln scheint ein Fenster, plötzlich aufgestoßen, von der Insel gegenüber. Wenn dann die Nacht kommt, still und tief, sind alle Fenster geschlossen, auf den Brücken fehlen Menschenspuren.

Man muß schon sehr viel wissen, um der Unscheinbarkeit des Textes auf die Schliche zu kommen. Es geht um ein großes philosophisches Thema des 20. Jahrhunderts, das der Kommunikation. Bei Jaspers hatte Feng Zhi gelernt, daß die »Kommunikation als die universale Bedingung des Menschen« zu verstehen sei. Bei Martin Buber (1878–1965) ist Menschsein Angesprochenwerden, und für Gadamer konstituiert sich der Mensch durch das Gespräch in seinem Dasein als Person für sich und andere. Wir kennen auch das Wort von John Donne (1572–1631), daß niemand eine Insel sei, 476

477

S. hierzu die von mir besorgte zweisprachige Ausgabe Feng Zhi. Inter Nationes Kunstpreis 1987, Bonn: Gesellschaft für Druckabwicklung 1987. Eine ungekürzte Fassung meiner Deutung findet sich in: Drachenboot 1 (1987), S. 6–13. Zur Übersetzung lag mir seinerzeit ein Hongkonger (1977) Nachdruck der Pekinger Ausgabe von 1948 vor, s. ansonsten Feng Zhi xuanji, Bd. 1, S. 123–149. Vgl. hierzu Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung Jahrbuch 1988, Neuwied: Luchterhand, S. 23–27 (ROLF TRAUZETTEL: »Laudatio«), S. 28–32 (FENG ZHI: »Dankrede«); Drachenboot 2 (1988), S. 131–134 (»Dankrede«).

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und seit dem chinesischen Mittelalter hat die Vorstellung von wahrer Freundschaft etwas mit der Stimme des anderen und mit dem Hören zu tun. Ein Freund, ein zhiyin bzw. zhiji, ist jemand, der meine Stimme bzw. mich kennt. Meine Stimme kennen, das heißt wissen, was ich lyrisch oder musikalisch bei einem Vortrag zum Ausdruck bringe. Daß eine solche Gemeinschaft nicht unverbrüchlich gegeben ist, zeigt das zweite Terzett. Hier ist es jedoch nur ein natürliches Ereignis, das Ereignis der Nacht, welches die Kommunikationsmöglichkeit von Insel zu Insel, von Brücke zu Brücke, von Mensch zu Mensch zeitweise unterbricht. Das Gedicht endet letzten Endes positiv: Mit dem Tag mag zwar die während der Nacht nur gespürte Einsamkeit wieder sichtbar werden, doch dank Brücke, Hand und Lächeln wird diese sich öffnen wie ein Fenster und für einen Zuruf oder für ein Winken empfänglich sein. Feng Zhi hat dieses Gedicht im Angesicht des Krieges geschrieben. Der Krieg spielt in den Sonetten zwar nur eine untergeordnete Rolle, aber er ist nicht verdrängt. Auch in seinen Erinnerungen und in Gesprächen hat der Autor den Hintergrund der japanischen Angriffe auf Kunming immer wieder betont. Die Sonette sind also trotz ihrer optimistischen Tönung nicht weltfremd. Man hat Feng Zhi auf Grund dieses Zyklus einen metaphysischen Dichter genannt, da er die Stellung des Menschen im Kosmos behandelt. Man darf heute dankbar sein für diese seltene und damals nicht selbstverständliche Gabe. Der Dichter war in der Lage, über die Enge des ChinesischJapanischen Krieges hinwegzusehen und die Frage nach dem zu stellen, was dem Menschen in seiner Zeit bleibt. Das Sonett 27 spricht hiervon. Die folgende Übersetzung ist leicht überarbeitet. Aus der Formlosigkeit überquellenden Wassers füllt der Wasserträger seine ovale Flasche und gibt dem Wasser seine Form; schau, der Wimpel im Herbstwind Hält unhaltbare Dinge, das Licht in der Ferne, die ferne Nacht und ferner Pflanzen Wuchs, und auch noch das Herz, ins Unendliche strebend, Sie alle sind verwahrt auf diesem Wimpel. Wir haben vergeblich der Nacht den Wind abgelauscht, umsonst dem Tag das Gelb der Fluren, das Rot der Blätter abgeschaut, Wohin also geben wir unser Denken? Laß diese Gedichte einem Wimpel gleich das Nichtzubewahrende bewahren.

Ein Wimpel verweist nicht auf sich, sondern auf das, was in und an ihm die Richtung gibt, den Wind. So steht es auch mit der Form des Sonettes. Sie verweist nicht auf sich, sondern auf den Gedanken, der ohne sie nicht faßbar würde. Das Bleibende selbst

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hat keinen festen Ort, wenn wir es vom Wimpel her betrachten, es ist in die Zeit gestellt und unter bestimmten Bedingungen wie denen der Nacht unsichtbar. Feng Zhi verhandelt letztlich die Existenz des Menschen in seinen Sonetten, auch wenn er dies wie hier am Schreiben festmacht. Feng Zhi hatte in Kunming eine begabte Schülerin, die mit 28 Jahren unter dem Einfluß von Rilke ihren ersten Gedichtband vorlegte und diesen auch für drei Jahrzehnte ihren einzigen bleiben ließ.478 Die Rede ist von der späteren Heimkehrerin aus den USA (1955) und Anglistin Zheng Min (geb. 1920), die erst nach 1979 ihre lyrische Karriere der Jahre 1942–1947 wieder aufnahm, ohne jedoch an ihr damaliges Niveau anknüpfen zu können. Sie gehörte zur poetischen Gruppe der Neun Blätter (Jiuye). Das waren neun Dichter, die sich in den 40er Jahren in dem von der Guomindang kontrollierten Gebiet aus gemeinsamen stilistischen Interessen zusammengeschlossen hatten.479 Unter ihnen sind am poetisch reifsten sicherlich die zwei weiblichen Vertreter Zheng Min und Chen Jingrong (1917–1989), die beide unterschiedlich durch Studien und Übersetzungen zugänglich gemacht worden sind. Zu der einen (Zheng Min) gibt es wenig, zu der anderen (Chen Jingrong)480 relativ viel. Auch wenn mittlerweile andere Namen wie Mu Dan (1918–1977)481 oder Xin Di (geb. 1912) vielleicht bekannter sind, so soll dennoch hier den weiblichen Stimmen der Vorzug gegeben werden. Zheng Min ist wie ihr Mentor Feng Zhi stark philosophischer Natur. Ihre Suche nach Schönheit und Sinn ist ebenfalls auf dem Hintergrund des Krieges zu sehen, den sie allerdings nicht wie Mu Dan oder Hang Yuehe (1917–1995) besonders betont. Zu ihren gelungensten Gedichten gehört »Ankunft« (»Laidao«):482 Was sacht unser Herz erreicht, ist kein Pfeil, das wäre zu voreilig; 478

479

480

481 482

Zheng Min shiji, Schanghai: Wenhua Shenghuo 1948. Zur Lyrik der Zheng Min s. LING CHUNG: »Her Dexterous Sensibility: On Zheng Ming’s Poetry«, in: Modern Chinese Literature 3.1/2 (Frühling, Herbst 1987), S. 47–70. Ihre Werke sind zugänglich gemacht in der Anthologie: Jiuye ji, o.O.: Jiangsu Renmin 1981. Zu Übersetzungen im Englischen s. u.a. HSU: Twentieth Century Chinese Poetry, S. 229ff; YIP: Lyrics from Shelters, S. 123ff. Vgl. zu ihr vor allem SHIU-PANG E. ALMBERG: The Poetry of Chen Jingrong. A Modern Chinese Woman Poet, Edsbruk: Akademitryck AB 1988 (= Skrifter utgivna Föreningen för Orientaliska Studier, 21). Zu Gedichten von MU DAN s. Chinese Literature (Winter 1992), S. 130–145. Zum Original s. ZHENG MIN u.a.: Jiuye ji, S. 143. Zur dieser (leicht überarbeiteten) Übersetzung und zu weiteren Übersetzungen von mir s. die horen 138 (1985), S. 137f; 155 (1989), S. 120. Zu neueren Gedichten von ihr s. LÜ YUAN u. WINFRIED WOESLER (Hg.): Chinesische Lyrik der Gegenwart. Chinesisch/Deutsch, Stuttgart: Reclam 1992 (= 8803), S. 329–335. Siehe auch FEIFEL: Moderne chinesische Poesie S. 257–258. (Die Angaben sind zwar falsch oder unsinnig, dafür ist das Textbeispiel aus den 40er Jahren sehr schön.). Zu einer Übersetzung im Englischen s. Chinese Literature (Winter 1994), S. 126–132.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949) es ist auch kein Segelschiff, das wäre zu langsam, es ist ein sanfter Hauch, wie wenn im Schnee ein alter Mann in die letzte Glut bläst; in Frühlingsnächten ist es das »Künftige«, die dunkle Erde beatmend; vor der Ankunft des Heils sind vonnöten Strenge und Huld. Dann erst mag es sein wie eine wundersame Erscheinung, andere kennen nur Preis und Schrecken, stell dir vor: Wie ein Gebäude erstarrt im Mysterium einer Mondnacht, vernähmen sie nicht den gegenseitigen Herzschlag, ständen Arm in Arm vor einem reißenden Wasserfall und sähen einander das zerfließende Gesicht nur durch vorüberschießende Tröpfchen.

Die Schwierigkeit des Textes liegt in dem Personalpronomen tamen zu Beginn des zweiten Verses der zweiten Strophe. Dieses ist mit dem männlichen Radikal geschrieben und sollte sich auf mehrere Personen, ob männlich oder weiblich, beziehen. Es sind aber zuvor keine Menschen genannt. Da vor 1949 die Unterscheidung der Personalpronomen »er, sie, es«, ob Singular oder Plural, ob männlich, weiblich oder sächlich, nicht strikt gehandhabt wurde, hatte ich bei der Erstübersetzung 1985 tamen auf »Wunder« bezogen (»das Erscheinen von Wundern«). Das Gedicht scheint aber mit dem Bild eines Paares vor einem Wasserfall zu schließen. Hier wäre das zweite tamen eindeutig auf Personen zu beziehen. Es scheint um die Ankunft von etwas zu gehen, welches anscheinend nur die Dichterin erfahren kann. Es muß mehr sein als der Frühling, es ist wörtlich auch im Original in Anführungszeichen »die Zukunft« (»weilai«), eine Zukunft, an die man vielleicht im Angesicht des Krieges nicht zu glauben wagt? Die Suche und die Reise sind ebenfalls Markenzeichen der in jungen Jahren weitaus produktiveren Dichterin Chen Jingrong. Ihr Leben ist bis 1949 von einer ständigen Wanderschaft zwischen Peking, Schanghai, Chongqing und anderen Orten bestimmt worden. Wie Zheng Min hat sie nach den beiden Gedichtbänden Aus der Fülle (Yingying ji, 1948) und Symphonie (Jiaoxiang ji, 1948) nach dreißig Jahren Schweigen 1979 das Dichten wiederaufgenommen.483 Ca. 350 Gedichte hat sie hinterlassen. 483

Zu neueren Gedichten von ihr s. LÜ u. WOESLER: Chinesische Lyrik der Gegenwart, S. 46–53; KATRINA PANGRITZ u. GU ZHENGXIANG (Hg.): Ich lebe östlich des Ozeans. Chinesische Lyrik des 20. Jahrhunderts, Berlin: Oberbaum 1996, S. 45.

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Chen Jingrong hat als Übersetzerin von Baudelaire und Rilke 1946 in Schanghai begonnen und ist darüber zur Dichterin geworden. Eine ähnliche Einheit von Schreiben und Übertragen hatten wir oben bei Dai Wangshu beobachtet. Die Themen ihrer Gedichte sind auch die Themen der von ihr übersetzten Werke: die Nacht und der Tod, die Reise und die Finsternis, die Zeit und die Erinnerung, das Warten und der Abschied. Nichts Ungewöhnliches also, doch wie sie ihre Vorlagen behandelt, inhaltlich wie formal, hat ihr die Charakterisierung mit Attributen wie männliche Energie und Durchhaltekraft eingebracht. Im März 1946 hat sie in Chongqing das Gedicht »Scheidung« (»Huafen«) verfaßt.484 Ich halte oft in einem plötzlichen Windstoß inne Ich verliere mich oft in einem plötzlich hergewehten Glockenton Auch ein wolkenloser Himmel läßt mich verloren schauen Ich schlürfe dasselbe Grün aus Gras oder Kiefer Schiffe vor dem Ablegen Schwingen vor dem Flug Bogen, ach, auf der unruhigen Sehne liegt verborgen deine Eile Nächtens bei Feueralarm sind da Schatten auf der Flucht Vor vertrauten Dingen plötzlich das Gefühl von Fremdheit Es scheidet das Universum und uns ein für allemal

Der gereimte Text gibt sich fragmentarisch, er reiht Bilder aneinander, die im Thema der Gemeinschaft (erste Strophe) und des Abschieds (zweite und dritte Strophe) einen Berührungspunkt zu haben scheinen. Schiff, Schwinge, Bogen: Alles will fort, so auch der Mensch im Krieg. Die in der ersten Strophe noch zu verspürende Einheit mit dem Universum ist aufgehoben. Man kann sich leicht denken, wie die vertrauten Dinge wie Schiff, Schwinge und Bogen zusammenhängen. Der Bogen ist eine Waffe, vor der der Mensch fliehen möchte, er möchte sich wie ein Vogel aufschwingen oder das Schiff nehmen. Chen Jingrong hat in dem Gedicht »Pfeil und Bogen« (»Xian yu jian«)485 eine ähnliche Thematik bereits wenige Monate zuvor aufgegriffen. Auch 484

485

Übersetzt nach ZHENG MIN u.a.: Jiuye ji, S. 42, ins Englische übersetzt u. interpretiert von ALMBERG: The Poetry of Chen Jingrong, S. 107. ALMBERG: The Poetry of Chen Jingrong, S. 88f.

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hier ist der Moment vor dem Flug des Pfeils der Ausgang für die Betrachtung des Lebens. Alles ist ein Kommen und Gehen, Leuchten und Verglühen, das heißt eine Wanderschaft. In einer solchen Welt gilt es, alles Licht zu sammeln, um in der Weite ein großes Feuer zu entfachen und die Nacht wie die Hoffnung auszuleuchten. Was bei Feng Zhi, Zheng Min und Chen Jingrong in der Praxis erprobt wird, wird von dem viele Jahrzehnte unterschätzten Essayisten Liang Shiqiu (1903–1987) zur Theorie erhoben: Es darf im Angesicht des Krieges nur um das stille Leid gehen, ein thematisches Primat wie »Widerstand gegen Japan« kann nur zum Schaden der Literatur gereichen.486 Liang Shiqiu, der vielen lediglich als der Kompilator des exzellenten und bis heute vielfach wiederaufgelegten Wörterbuchs A New Practical ChineseEnglish Dictionary (Hongkong, 1971) bekannt ist, ist während seines Studiums in den USA (1923–1926), vor allem an der Harvard University, zum Humanisten und Kritiker der modernen chinesischen Literatur geworden. Er verstand die menschliche Natur als die eigentliche Angelegenheit literarischen Bemühens.487 Ihm ging es, auch als Mitbegründer der Mondsichelschule, immer wieder um die geistige Freiheit des Menschen. Er wendet sich gegen die seit Lu Xun übliche »Rikschakuli-Literatur« und plädiert für eine sanfte, verhaltene Schreibweise. Liang Shiqiu ist ein Meister des sprachlichen Ausdrucks. Ihm gelingt eine intelligente Mischung aus Schriftsprache, sogenannter Umgangsspache (baihua) und aus Strukturelementen des westlichen Sprachsystems. Mit seinen zeitlosen Essays steht er damals nicht allein. Der gemeinhin eher als Sprachwissenschaftler bekannte Wang Li (1900–1986) oder auch Qian Zhongshu wären hier ebenfalls zu nennen. Wir müssen uns jedoch auf einen einzigen Vertreter des rein künstlerischen Essays beschränken. In seinen Miniaturen (xiaopin) setzt sich Liang Shiqiu humorvoll und kritisch mit seiner Zeit auseinander. Stilistisch standen ihm dabei die chinesische und die westliche Essayistik Pate. Auch hier gilt, im Kleinen liegt alles Große verborgen. Mag der Gegenstand noch so unbedeutend erscheinen, er wird bei der Behandlung durch einen verständigen Literaten seine Fülle beweisen. Nehmen wir zum Beispiel den Essay »Händeschütteln« (»Woshou«).488 Er entstammt der 1949 publizierten Sammlung Miniaturen, in einer Hütte verfaßt (Yashe xiaopin). Liang Shiqiu hat diese 1937 bis 1946 bei Chongqing entworfen, als er dort nach vielen Professuren an chinesischen Universitäten schließlich einer Unterrichts- und Forschungstätigkeit an einer Institution der Regierung nachging. 486

487

488

Vgl. hierzu GAYLORD KAI LOH LEUNG: »The Eye of a Storm. The Familiar Essays by Liang Shih-ch'iu [d.i. Liang Shiqiu] during the Anti-Japanese War Period«, in: La littérature Chinoise au temps de la guerre de résistance contre le Japon, S. 67–82. Vgl. hierzu MARIÁN GÁLIK: »Studies in Modern Chinese Literary Criticism VII: Liang Shih-ch'iu [d.i. Liang Shiqiu] and New Humanism«, in: Asian and African Studies 9 (1973), S. 29–51. Übersetzt nach YANG KUANGHAN (Hg.): Liang Shiqiu mingzuo xinshang, Peking: Zhongguo Heping 1993, S. 48f. Zu einer englischen Übersetzung s. die zweisprachige Ausgabe: Sketches of a Cottager (Yashe xiaopin), übersetzt von SHIH CHAO-YING, Taipeh: Yuandong Tushu 1977, S. 152–156.

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Die Radikalisierung der Literatur (1937–1949) Daß Menschen sich bei der Hand nehmen, ist bereits seit dem Altertum überliefert. In der Geschichte der Späteren Han-Dynastie etwa heißt es: »Ma Yuan und Gongsun Shu wuchsen von klein an in derselben Gasse auf, sie waren einander sehr zugetan. Als sie sich später wiedertrafen, hielten sie sich bei der Hand und waren glücklich wie früher.« Doch das heute übliche Händeschütteln entspricht ganz und gar nicht den Riten des Altertums. Weder war es schriftlich festgehalten, noch gab es einen solchen Brauch. Es begann wohl erst, als die Zöpfe fielen, so daß es nicht angeht zu sagen, Ma Yuan und Gongsun Shu hätten einander die Hände geschüttelt. Westliche Kleidung können wir problemlos akzeptieren, und so einfache Dinge wie Händeschütteln sollten natürlich auch auf keinen Widerstand treffen. Allerdings möchte man nicht jedem die Hände schütteln. Da ist einmal der Typ des hohen Beamten oder des Gernegroß im Amt. Deren Hände schüttelt man nicht gern. So jemand wirft sich oft in die Brust, reicht eine mächtige Pranke und schaut in die Luft. Wenn du dich von unten näherst, schwebt seine Hand immer noch steif in der Luft, ohne sich zu dir herabzulassen. Er erwartet deine Hand. Du weißt im voraus nicht, daß er so darauf bedacht ist, seine Kraft zu schonen. Daher handelst du dir eine Blamage ein, wenn du unvermeidlich heißen Herzens auf ihn zusteuerst. Er nimmt deine Hand nicht, sondern weist sie kalt zurück. Überdies bist du in der Not, deine Hand schnell fahren zu lassen, denn er wendet sich einem anderen zu, um ihn mit seiner mächtigen Pranke zu begrüßen. Kein Händeschütteln, nur eine Berührung. Für einen solchen Menschen gibt es nur einen Weg der Behandlung, nämlich selber eine mächtige Pranke reichen, ohne die Hand zu schütteln. Man lege ein Imponiergehabe an den Tag und schaue, wer wem zuerst die Hand schüttelt.

Dies mag als Auszug genügen. Im folgenden stellt der Sprecher weitere unterschiedliche Arten des Händeschüttelns vor: das kräftige Händeschütteln von vertrauten Freunden, das zarte Berühren der Fingerspitzen edler Frauen, die sich weder erheben noch ihre Handschuhe ablegen müssen. Schließlich beschreibt er auch die verschiedenen Formen, welche Hände haben können. Da sind die Wurstfinger, da sind die Klavierfinger, da sind die feuchten und die trockenen Handflächen. Und zu guter Letzt stellt sich selbstverständlich die Frage nach der Pfote eines Hundes, die, wenn geschüttelt, wahren Aufschluß über ihre Fühligkeit gäbe. Bei allem Humor, der hier zum Ausdruck kommt, gewinnen wir nie den Eindruck eines von der Realität abgehobenen Stücks Literatur. Oben war die Rede von einer Verpflichtung gegenüber der Kunst an sich gewesen, doch die hohe Sprachkunst, die Liang Shiqiu zu eigen ist, gerät nie zur reinen Artistik. Er tadelt die traditionelle chinesische Bürokratie, gibt zu bedenken, ob nicht das weibliche Begrüßungsritual die Gleichheit der Geschlechter bedroht, und ruft am Schluß mit Rückgriff auf Shakespeare zu einer Achtung der Hände auf, denn wer seine Hände nicht achtet, der macht mit jedem gemeinsame Sache, auch mit den Unwürdigen. Wir sehen, wie aus etwas scheinbar Unpolitischem doch ein Politikum wird, so daß seine ihm viele Jahrzehnte übelgenomme Ablehnung einer Literatur, »die in Beziehung zum Widerstandskrieg steht«, in einem neuen Licht erscheint. Ein hohes Sprachvermögen muß nicht unpolitisch sein, ein Engagement

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im Widerstandskrieg muß nicht literarisch sein. Die Fronten haben sich heute geklärt. Liang Shiqiu hat auf dem Festland, das er 1949 Richtung Taiwan verlassen hat, seine Leserschaft wiedergefunden. In Tsingtau (Qingdao), wo er von 1930 bis 1934 an der heutigen Ocean University unterrichtete, wird sein einstiges Wohnhaus nahe dem Campus mit einer entsprechenden Tafel gewürdigt. Ein solch bissiger Humor, wie ihn Liang Shiqiu vertritt, ist für seine Zeit ungewöhnlich. Man ergeht sich lieber in Auferstehungsphantasien und Untergangsvisionen. Man hat auch keinen Blick wie er für die kleinen, unscheinbaren Dinge des Lebens. Er spricht in seinen Essays von Kindern, von Mann und Frau, von der Kleidung, vom Haareschneiden, von Hunden, vom Briefeschreiben etc. Hier wird offensichtlich nichts Großes verhandelt. Normalerweise stehen aber die ganz großen Dinge zur Debatte, denn in der Tat tut sich vor Chinas Zukunft ein Abgrund auf, ein Abgrund, der von Cao Yu und Xiao Hong beispielhaft symbolisch gefaßt worden ist. In dem einen Fall haben wir es mit dem wichtigsten Theaterstück der Kriegszeit zu tun, mit Der Pekingmensch (Beijingren, 1941)489 und in dem anderen mit dem großen posthum erschienenen Roman Geschichten vom Hulanfluß (Hulan He zhuan, 1942)490. Auf diese Weise leiten wir zur gewichtigen Frauenliteratur der 40er Jahre über, mit welcher die Geschichte der Literatur der Republikzeit zu ihrem Abschluß kommen soll. Dem Titel Der Pekingmensch kommt eine dreifache Bedeutung zu. Diese Vielschichtigkeit läßt ahnen, daß Cao Yu sein Stück nicht für den politischen Tageszweck angelegt hat. Das erweist sich nun als ein Glück, denn wenn auch die Rezeption der damaligen Zeit wegen mangelnder Widerstandsthematik zögerlich war, so erkennen wir doch heute die Größe dieses Dramas, das vielleicht nur noch durch Lao Shes Stück Das Teehaus erreicht bzw. übertroffen wird. Mit Pekingmensch ist ganz vordergründig der von Pierre Teilhard de Chardin (1881–1955) 1928 bei Peking entdeckte homo pekinensis gemeint, hintergründig der traditionelle, in Peking residierende Beamte und zu guter Letzt die aufbrechende Jugend als die Verkörperung des neuen Pekingmenschen. Wir sehen, wie sich hier im Titel die drei Zeitstufen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbergen sowie die Spannung von Urmensch, müßigem Mensch und Rebell. Wie nach ihm Lao She entwirft Cao Yu ein Bild des zum Untergang verurteilten China. Dafür wird nicht der von Japan ins Land getragene Krieg 489

490

Zur deutschen Fassung s. EBERSTEIN: Moderne Stücke aus China, S. 143–299; zum Original s. Cao Yu quanji, Bd. 2, S. 367–539; zur Interpretation s. LAU: Ts'ao Yü, S. 57–64; HU: Ts'ao Yü, S. 85–96; KUBIN: »Das Paradigma der Handlungshemmung«, S. 147–149. XIAO HONG: Geschichten vom Hulanfluß, aus dem Chinesischen übertragen von RUTH KEEN, mit einem Nachwort versehen von RUTH KEEN u. WOLFGANG KUBIN, Frankfurt: Insel 1990. Zum Original s. Xiao Hong quanji, Bd. 2, S. 698–878. Zur Interpretation s. GUDRUN FABIAN: »Xiao Hongs Geschichten vom Hulanfluß. Ein Beitrag zum Problem der Gattungen«, in: Orientierungen 2/1990, S. 83–105; Howard GOLDBLATT: Hsiao Hung [d.i. Xiao Hong], Boston: Twayne Publishers 1976 (= Twayne World Author Series; 386), S. 104–111; RUTH KEEN: Autobiographie und Literatur. Drei Werke der chinesischen Schriftstellerin Xiao Hong, München: Minerva 1984 (= Berliner China-Studien; 3), S. 27–64.

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verantwortlich gemacht, sondern die chinesische Tradition, wie sie sich in der Gestalt des Oberhaupts Zeng Hao verkörpert. Diese ist mit ihrer Betonung von Genuß, Muße und Verfeinerung in der neuen Zeit nicht mehr überlebensfähig, da ihr die Gabe zum Lebenserwerb abhanden gekommen ist und sie sich den neuen aufstrebenden sozialen Kräften beugen muß. Ihr fehlt die Lebenskraft, welche den Urmenschen auszeichnete und welche von der Jugend, vor allen Dingen von den Frauen, wiedergewonnen werden kann. Das Stück verdankt Ibsen sehr viel: die Mentalität der flüchtigen Nora, die Einheit von Raum und Zeit in einem Salon, die Bebilderung eines Lebenszustandes der älteren, mittleren und jüngeren Generation. Erinnerung, Apathie und Aufbruch stehen stellvertretend für je eine Altersschicht, diese werden vielfach symbolisch umgesetzt. Durchgehendes Leitmotiv ist der Sarg des Zeng Hao, der nur noch in seiner Erinnerung lebt und darauf bedacht ist, sein einziges Unterpfand der Zeit, besagten immer wieder lackierten Sarg, mit sich in den Tod zu nehmen. Folgerichtig beginnt das Drama mit dem Bild des Sarges und endet mit dessen Abtransport. Dazwischen stehen Betrachtungen des Hausherrn, welche den schleichenden Übergang von der chinesischen Tradition zu einer westlichen Moderne veranschaulichen helfen.491 HAO [...] Ja, ich habe es gesagt, ich habe es gesagt, ich habe es nur wegen meiner mißratenen Nachkommenschaft gesagt. Bei uns sieht es im Moment schlecht aus; keiner ist imstande, Geld zu verdienen, [...] und mein einziger Sohn taugt am wenigsten! Diese neureichen Dus von nebenan belästigen uns Tag für Tag mit ihren Schuldforderungen und wollen unbedingt unser Haus kaufen. Aber wir können ihnen doch nicht, nur weil sie uns noch zehn-zwanzigtausend Dollar dazugeben wollen, einfach unser Haus überlassen! [...] Diese neureichen Spinnereiunternehmer benutzen ihre Macht, um einen zu erpressen, und alles meinen sie für Geld kaufen zu können. Sie haben sogar jemanden geschickt, meinen Sarg zu kaufen, der seit fünfzehn Jahren lackiert wird. [...] Solche Leute haben noch nie ein Buch in der Hand gehabt. Wie kann ich denen meinen Sarg, in dem ich mich zur Ruhe legen will, verkaufen wollen?

Cao Yus Gegenstand ist hier einmal mehr eine Familie, eine Familie mit Sitz in einer Stadt. Mag sie an ihrer Spitze auch noch so traditionell sein, sie unterscheidet sich dennoch von den bäuerlichen Familien auf dem Lande. Cao Yus Symbolwelt ist eine moderne: Ratten, Tauben, Krähen, Affen dienen zur Kennzeichnung des Menschen in der Moderne bzw. im Übergang zur Moderne. Xiao Hongs Symbolwelt ist ebenfalls wesentlich von Tieren geprägt, doch da ihr Roman Geschichten vom Hulanfluß auf dem Land spielt, wächst den Tieren wie auch der Familie eine andere Rolle zu. Beide Autoren treffen sich in der Kreierung eines Bildes, das den Zustand, in welchem sich China ihrer Meinung nach befindet, veranschaulicht. In beiden Fällen ist es ganz wesentlich die Apathie: Dies gilt sowohl für die Menschen in der Stadt als auch für 491

EBERSTEIN: Moderne Stücke aus China, S. 202; Cao Yu quanji, Bd. 2, S. 427.

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die Bauern auf dem Land. Ist es für Cao Yu ein immer wieder lackierter Sarg, welcher die Unbeweglichkeit der chinesischen Gesellschaft symbolisiert, so ist es für Xiao Hong ein Schlammloch, das die Unempfindsamkeit und Schaulust des (chinesischen) Volkes vertritt, ein psychischer Zustand, der selbstverständlich für Stagnation sorgt. Bei der Beschreibung dieses Naturphänomens in ihrer Heimat Hulan, eigentlich Name eines Nebenflusses des Sungari nahe Harbin, kommt die Autorin vom Tier auf den Menschen zu sprechen. Schauen wir uns Beginn und Ende dieser langen Beschreibung an:492 In der Zweiten Oststraße liegt außerdem die große Schlammgrube, die fast zwei Meter tief ist. Wenn kein Regen fällt, dann pappt der Schlamm darin so dick wie Brei, regnet es, dann wird die Grube zum Fluß, und die Anwohner müssen sich damit herumärgern, weil all der Dreck in ihre Häuser dringt. Sinkt bei klarem Himmel das Wasser wieder, dann trocknet der Morast in der Sonne und ihm entsteigen unzählige Insekten, die die Menschen der umliegenden Häuser belästigen. Gleichzeitig wird das Schlammloch mit zunehmender Trockenheit immer klarer, als unterzöge es sich einem Läuterungsprozeß, und man erwartet förmlich, daß etwas Neues aus ihm erwachse. Wenn es mehr als einen Monat keinen Regen mehr gegeben hat, ist der Wasseranteil vollkommen verdampft, nunmehr klebrig und schwarz geworden, ist der Schlamm zäher als Kesselkleister und Sirup. In der Grube wabert wie in einem großen Leimschmelztopf eine fettig glänzende, breiige Masse, an der die darüber sirrenden Fliegen und Mücken klebenzubleiben drohen. Die kleinen Schwalben lieben das Wasser; manchmal fliegt eine unvorsichtigerweise zum Schlammloch und streift dessen Oberfläche mit ihren Flügeln. Das kann sehr gefährlich werden, denn allzu leicht geht so ein Vogel in die Falle und bleibt stecken. Diesmal ist es noch gutgegangen, schnell fliegt die Schwalbe davon, ohne auch nur einmal zurückzuschauen. Ganz anders, wenn das einem Pferd passiert. Es muß unweigerlich im Schlamm einsinken. Die Falle schnappt vollends zu, wenn es versucht, sich zu wälzen und hochzurappeln. Nach einer Weile vergeblichen Mühens wird das erschöpfte Pferd einfach liegen bleiben. Und wenn es erst einmal so daliegt, dann wird es recht kritisch, und die Sache kann tödlich ausgehen. Das geschieht jedoch sehr selten, nur ganz wenige Menschen führen ihre Pferde oder lenken ihren Karren hier vorbei und setzen sich einer solchen Gefahr aus. [...] Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das große Schlammloch den Bewohnern der Stadt zwei Vorzüge bietet: Erstens: Daß immer wieder Karren und Pferde im Morast stecken bleiben und Hühner und Enten darin ertrinken, sorgt für ständige Abwechslung, lebhafte Diskussionen, und ist insgesamt von hohem Unterhaltungswert. Und zweitens erlaubt es den Menschen, jederzeit verseuchtes Schweinefleisch zu essen. Das Fleisch wird so oder so gegessen, das steht ohnehin fest, nur wie soll man es begründen? Gibt man zu, verseuchtes Fleisch zu verzehren, dann läßt sich das Thema Hygiene nicht 492

XIAO HONG: Geschichten vom Hulanfluß, S. 16f, 27; Xiao Hong quanji Bd. 2, S. 710f, 717.

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Die Radikalisierung der Literatur (1937–1949) vermeiden. Mit dem Schlammoch hingegen läßt es sich wunderbar umgehen, indem man ein verseuchtes Schwein zu einem ersoffenen erklärt; und wenn die Leute Fleisch einkaufen, dann ist das erstens ökonomisch, und zweitens brauchen sie sich um Hygiene nicht zu scheren.

Offensichtlich hat die Erzählerin von ihrem Mentor Lu Xun viel gelernt: Statt zuzupacken und die Schlammgrube zuzuschütten, gefällt sich das Volk in Schaulust, statt die Gefahr und den Krankheitsherd zu beseitigen, übt man Selbstbetrug. Doch offensichtlich ist auch, daß die Erzählerin über eine rein vordergründige Charakterisierung der Schlammgrube weit hinausgeht. Sie entwirft mit ihrem Symbol auch ein Bild des »ewigen« China: Alles ist in einem zyklischen Fluß begriffen. Das Schlammloch ist das Allgemeine, das, was bleibt und sich wesenhaft nicht verändert. Die Menschen und die Tiere sind das Kommende und Gehende, sie scheinen in das Bild des unveränderlichen Schlammlochs eine Bewegung hineinzutragen. Da sich ihre Einstellung zu dem sie gefährdenden Schlammloch aber gar nicht ändert, ist ihre Erscheinung nur eine Bestätigung und Vertiefung des unabänderlich von Natur her Gegebenen. Der japanische Dichter Bashō (1644–1694) hat dieses Phänomen in seinem berühmten Haiku »Ein uralter Teich, vom Sprung eines Frosches ein Laut« vollendet zum Ausdruck gebracht: Die Ewigkeit des Wassers kann von einem Tier nicht in Frage gestellt werden. Alles Seiende, wenn es denn durch Bewegung gekennzeichnet ist, kehrt in ein anderes Seiendes, eines ohne Bewegung, zurück. Das Bewegte ist so stets nur ein flüchtiger Moment vor dem Unbewegten. Das Unbewegte mag von dem Bewegten für einen kleinen Augenblick bewegt sein, aber das Bewegte wird in diesem Unbewegten seine Bewegung verlieren und zur Zeitlosigkeit zurückkehren. Man hat dieses erzählerische Verfahren den »disparaten Stil« genannt. Wir sehen dies oben besonders deutlich, wo zunächst ganz allgemein vom Verhalten der Schwalben die Rede ist, ehe die Erzählerin auf eine konkrete Situation umschaltet, als stände sie nach vielen Jahren wieder in ihrer Heimat vor der Schlammgrube: »Diesmal ist es noch gutgegangen [...]« Die Übersetzung dieses disparaten Stiles hat vielen große Schwierigkeiten bereitet. Die Meisterung dieses Stils entscheidet über den Erfolg bzw. Mißerfolg der Xiao Hong in einer fremden Sprache. Xiao Hong hat diesen Roman nach langen Jahren der Wanderschaft durch das Hinterland von China schließlich am 20. Dezember 1940 in Hongkong beendet. Sie erinnert sich hier, wie sie in einer Nachschrift sagt, ihrer Kindheit, die sie ganz wesentlich mit dem Großvater im Nordosten Chinas verbracht hat. Die Kraft der Erinnerung ist das rote Band, das die sieben Kapitel zunächst eint. Dies ist wenig erkannt worden. Manche haben gemeint, diesem Werk jegliche Form absprechen zu müssen. Mao Dun war der prominenteste Sprecher einer solchen Sicht. Die Geschichten vom Hulanfluß seien kein Roman, keine Autobiographie, ein Zusammenhang sei nicht zu erkennen, so faßte er 1947 die Meinungen auch kommender Kommentatoren zusammen. Aus westlicher Sicht stellen sich diese Vorbehalte nicht. Wie die deutsche Sinologie vielfach nachgewiesen hat, hat man es hier mit einem milieuschildernden Roman im

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Sinne von Eberhard Lämmert (geb. 1924) bzw. mit einem Panorama im Sinne von Franz Stanzel (geb. 1923) zu tun. Eine Fülle von Handlungen, Tatsachen, Personen und Erinnerungen ist hier zur lebendigen Charakterisierung der bäuerlichen Lebenswelt eingebracht, die, wie die Autorin in ihrem Epilog sagt, heute verschwunden ist. Neben der Gabe zum oftmals lyrischen Rückblick ist es die symbolische Verzahnung vieler Szenen, die es letztlich doch erlaubt, von einem immer wieder eindringlich erzählten Meisterwerk zu sprechen. Es ist bewundernswert und erstaunlich, wie eine so jungverstorbene Autorin trotz des Krieges und eines persönlich sehr schweren Lebens zu einer solchen Leistung befähigt gewesen ist. Ihr Ruhm hat lange auf sich warten lassen. Ihr großer Anteil an der chinesischen Literaturgeschichte beginnt erst jetzt klar hervorzutreten, wo der kritische Blick es erlaubt, gutgemeinte Werke und präpotente Schriftsteller der damaligen Zeit in der Geschichte unwiederbringlich versinken zu lassen. Was für Xiao Hong gilt, gilt auch für Zhang Ailing (Eileen Chang). Diese erst jüngst von der Literaturwissenschaft wiederentdeckte Autorin493 war ebenfalls eine Frühvollendete. Die Kontroverse um ihr Werk hält bis heute an.494 Oftmals hat diese etwas mit einer möglichen politischen Verstrickung und weniger mit literarischen Kriterien zu tun. Zhang Ailing hat in Schanghai mit dem Publizisten Klaus Mehnert (1906–1984) zusammengearbeitet, dem bis heute nachgesagt wird, dort einen nationalsozialistischen Propagandasender betrieben zu haben. Da dessen Nachlaß, wie es heißt, erst siebzig Jahre nach seinem Tod zugänglich gemacht werden darf, wird in diesen Angelegenheiten so bald keine Klarheit zu gewinnen sein. Zhang Ailing war des weiteren unglücklich mit einem sogenannten Landesverräter verheiratet, und schließlich hat sie nach ihrer Übersiedlung in die Kronkolonie Hongkong (1952) für den CIA gearbeitet. Was letzteres bedeutet und ob ihre im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes geschriebenen Romane reine Propagandaliteratur darstellen, gehört in unsere Geschichte der chinesischsprachigen Literatur nach 1949. Soviel sei jedoch gesagt, daß politische Argumente die literarische Bedeutung ihres Werkes nicht in Frage zu stellen vermögen. Ich vermag auch nicht den Kritikern zu folgen, die ob vor oder nach 1949, ob in der Volksrepublik oder auf Taiwan, der Autorin Dekadenz vorwerfen. Es ist wahr, daß ihre Sicht der Frau, der Beziehung von Mann und Frau, der Familie und der Entwicklung Chinas nach 1949 eine sehr düstere ist – gleichsam das Gegenprogramm zur Aufklärung des 4. Mai –, doch ist Zhang Ailing eine moderne Autorin, die sich und der Leserschaft keine Illusionen beläßt. Nach Ding Ling und Xiao Hong beschreibt sie nicht nur den Geschlechterkampf als das Merkmal einer modernen Gesellschaft, sondern sie spricht auch von den zerstörerischen Kräften, welche Frauen zu eigen sein können, Kräfte, die nicht nur gegen einen Mann, sondern 493

494

Zu Ihrem Comeback s. PHILIP F.C. WILLIAMS: »Back from Extremity: Eileen Chang’s Literary Return«, in: Tamkang Review XXIX.3 (Spring 1999), S. 127–138. Vgl. hierzu LEE: Shanghai Modern, S. 267–303; LEUNG PING-KWAN: »Two Discourses on Colonialism: Huang Guliu and Eileen Chang«, in: Boundary 2 25.3 (Herbst 1998), S. 77–96.

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auch gegen die eigene Familie, ja gegen sich selbst gerichtet sein können. Das bekannteste Beispiel ist hier die Erzählung »Das goldene Joch« (»Jin suoji«, 1943).495 Diesen Aspekt weiblicher (Selbst-)Zerstörung haben später Autorinnen wie Wang Anyi und Zhai Yongming wieder aufgegriffen und weitergeführt. Zhang Ailing ist eine zweisprachige Autorin. Sie hat sich selbst ins Englische bzw. ins Chinesische übersetzt, wobei man sagen muß, daß diese Übersetzungen Neuschöpfungen darstellen und ein Recht haben, als Originalwerke angesehen zu werden. Ihre beiden kurzen Schaffensperioden werden von zwei unterschiedlichen Sprachen dominiert. Die Jahre 1942 bis 1952 brachten ihren auf chinesisch verfaßten Erzählungen und Essays einen kurzen, aber maßgeblichen Ruhm auf dem Festland ein. Dagegen sind die auf englisch in Hongkong (1952–1955) geschriebenen Romane erst in letzter Zeit einer Würdigung für wert befunden worden. Ihre Schaffensphase klingt nach ihrer Übersiedlung in die USA 1967 mit ihrem auf englisch verfaßten Roman The Rouge of the North aus. Danach bearbeitet sie nur noch ihre Werke oder schreibt, wie sie das auch früher getan hatte, Filmskripte. Ansonsten lebt sie so zurückgezogen, daß sie schließlich mutterseelenallein in Los Angeles stirbt und ihr Tod erst später wahrgenommen wird. Es scheint, daß die Traumata ihrer Jugend, die sie sich zunächst noch hat von der Seele schreiben können, sie zu guter Letzt eingeholt haben. Wang Anyi und Zhai Yongming mögen ähnlich der Literatur als Therapie bedurft haben, mit dem Unterschied jedoch, daß beide aus diesem Prozeß geläutert hervorgegangen sind und heute reife Autorinnen darstellen, die das Schreiben nie aufgegeben haben. Ähnlich wie Xiao Hong pflegt Zhang Ailing im Chinesischen einen nur sehr schwer in eine Fremdsprache zu übersetzenden Stil. Sie liebt zur Charakterisierung ihrer »Helden der Verzweiflung« die Technik des unausgeglichenen Vergleichs (cenzi de duizhao), das heißt, sie setzt zwei Dinge nebeneinander, die nicht richtig zusammenpassen. Diese von ihr selbst so benannte, aber nicht weiter erklärte Ästhetik der Differenz läßt sich am ehesten an dem von ihr privilegierten Gebrauch von Farben veranschaulichen. Um die Farben von Schanghai zum Beispiel zu beschreiben, spricht sie von »Farben des Schutzes, der Zivilisation« etc. Zhang Ailing präsentiert eine allwissende Erzählerin, der es hauptsächlich um das Leiden an und unter Gefühlen (qing) geht. Dieses Leiden mündet immer wieder, 495

ZHANG AILING: »Das goldene Joch«, aus dem Chinesischen von WULF BEGRICH, in: Orientierungen. Literatur-Sonderheft 1995. Texte der Avantgarde: China, Taiwan, Hongkong, S. 1–61. Zum Original s. ZHANG AILING: Chuanqi, Peking: Renmin Wenxue 1986, S. 5–57. Zur Interpretation s. WEIPING HUANG: Melancholie als Geste und Offenbarung. Zum Erzählwerk Zhang Ailings, Bern u.a.: Peter Lang 2001 (= Schweizer Asiatische Studien; 40), S. 62–74, 154–159; GUNN: Unwelcome Muse, S. 218–222; HSIA: A History of Modern Chinese Fiction, S. 398–407, passim. Die Autorin hat diese Erzählung viermal neu geschrieben, darunter einmal 1967 auf englisch, s. EILEEN CHANG: The Rouge of the North, Berkeley u.a.: University of California Press 1967. Zur Edition ihrer englischen Romane s. PHILIP F.C. WILLIAMS: »Back from Extremity: Eileen Chang’s Literary Return«, in: Tamkang Review XXIX/3 (Spring 1999), S. 127–138.

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besonders für die Frauen, in eine Philosophie der Verzweiflung ein. Huangliang (öde und verlassen) ist das Lieblingswort der Autorin. Nur einmal, soweit sich das überblicken läßt, gelingt es der Erzählerin, ihre Protagonisten aus diesem Käfig von unglücklichen Beziehungen ausbrechen und die Beziehung von Mann und Frau zu einem heiteren Spiel werden zu lassen. Dies ist in der populärsten und vielleicht sogar besten Erzählung »Liebe in einer gefallenen Stadt« (»Qingcheng zhi lian«, 1943)496 der Fall. Erstaunlich ist, wie lakonisch hier die gut Zwanzigjährige ihre persönlichen Erfahrungen von Japans Überfall auf Hongkong am 8. Dezember 1941 einbringt. Eine geschiedene Frau und ein im Ausland aufgewachsener, eher traditionell gebliebener Mann mit Geld ringen in witzigen und tiefsinnigen Dialogen miteinander um ihre gemeinsame Zukunft. Sie möchte Sicherheit, das heißt eine Ehe, er möchte Freiheit, das heißt sie als Konkubine, die er, wie das damals üblich war und heute wieder ist, in einem eigens dafür erwobenen Haus bzw. Apartment unterbringen würde. Als er von Hongkong in seine Freiheit abreisen möchte, kommt seinem Ansinnen der Krieg dazwischen: Er kann nicht fort, im zerstörten Hongkong bleibt ihm nur die Ehe, die beide als Sieger frohen Herzens eingehen. Unter Aufnahme des Titels endet die Erzählung wie folgt: Hongkongs Fall war ihr Sieg. Doch wer weiß schon um Ursache und Folge in dieser rätselhaften Welt? Wer schon? Vielleicht mußte erst eine Metropole fallen, bevor ihr Sieg möglich wurde. Soviele Menschen starben, soviele Menschen leiden weiterhin. Und was darauf folgte, war eine große Umwälzung, die Himmel und Erde umkehrte... Liusu hatte ganz und gar nicht das Gefühl, daß ihre Stellung in der Geschichte besonders exponiert wäre. Sie erhob sich lediglich mit einem Lächeln und trat die Moskitofalle unter den Tisch. Frauen, die in wundersamen Begebenheiten Städte und Länder zu Fall brachten, waren eben so. Überall gibt es wundersame Begebenheiten, doch nicht mit einem so guten Ende. Eine Kniegeige klagte in der von zahllosen Lampen erleuchteten Nacht, ihr Bogen glitt hin und her, ohne ihre traurigen Geschichten beenden zu können – warum danach weiter fragen?

Zwei Dinge bedürfen hier der Klärung: qingcheng bezeichnet seit alters eine Schönheit, um derentwillen ein Land, eine Stadt zugrunde gehen; chuanqi meint seit der Tang-Zeit eine Erzählform, die wundersame Begegnungen zwischen Mann und Frau schildert. Die Heldin Liusu hat aber nicht Hongkong zu Fall gebracht, und Übernatürliches hat sich in ihrer Liebesgeschichte auch nicht ereignet. Die Erzählerin spielt hier mit zwei alten Topoi und dreht diese um. Das gewöhnliche Ereignis, die Ehe, wird zu einem Wunder: Sie hat den Mann und die Sicherheit. Um beides zu haben, 496

Zu einer englischen Übersetzung s. Renditions 45 (Spring 1996. Special Issue: Eileen Chang), S. 61–92; zum Original s. ZHANG AILING: Chuanqi, S. 58–106. Zur Interpretation s. HUANG: Melancholie als Geste und Offenbarung, S. 53–62, 144f; GUNN: Unwelcome Muse, S. 214–218.

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Die Radikalisierung der Literatur (1937–1949)

hatte sich allerdings etwas Unvorhergesehenes abzuspielen, und dies ist der Angriff Japans auf Hongkong. Für diesen kann Liusu jedoch nichts. Er kommt ihr einfach zu paß. Insofern handelt die Geschichte nicht von einer »Liebe, die ein Reich zu Fall bringt«, sondern um die »Liebe in einer gefallenen Stadt«. Nur bei aufmerksamer Lektüre fallen die weitverzweigten Leitmotive wie Uhr, Qipao (bzw. kantonesisch Cheongsam) oder Spiegel auf. Die Erzählung scheint unscheinbar mit Verweis auf eine Kniegeige auszuklingen, doch diese ist vorher schon erwähnt gewesen und läßt sich als Requisit des chinesischen Musikspieltheaters deuten. Das Spiel der Protagonisten scheint einem Theaterspiel gleichzukommen, das Schicksal wäre der Regisseur, ein Schicksal, das Liusu eigentlich nur acht bis zehn glückliche Ehejahre zugestehen möchte. Irgendwann würde auch sie in den Augen ihres Mannes verblüht sein. Das mag traurig stimmen wie das Spiel der Kniegeige, doch eine Auflehnung macht keinen Sinn. Wir können auch so sagen: Irgendwann wird die gefallene Stadt keine gefallene Stadt mehr sein, sie wird sich von ihren Schrecken erholt haben und die Liebenden vor die Zerreißprobe der Realität stellen. Insofern endet die Erzählung, deren Ton anfänglich ironisch war, leicht resignierend. An der Gestalt der Zhang Ailing zeigt sich eine Besonderheit der Literatur im besetzten Schanghai. Unter der japanischen Herrschaft bildet sich eine Avantgarde heraus, die auch Elemente der Unterhaltungsliteratur aufnehmen kann. Für viele verkörpert Zhang Ailing die Einheit von Tradition und Moderne, von Unterhaltung und Avantgarde. Sie entwirft gleichsam paradigmatisch die Verwicklungen von Mann und Frau in einer Stadt wie Schanghai, wo die Gegensätze des Alten und des Neuen aufeinandertreffen. Schanghai trifft Hongkong, das ist gleichsam ein Muster kommender Erzählkunst, das die Autorin vorgibt. In dieser Hinsicht ist sie von großem Einfluß auf die Literatur in Taiwan und Hongkong gewesen. Oftmals ist es freilich eine Interpretationssache, ob man die Autorin der Tradition oder der Moderne zurechnet. Ihr verdankt sich zum Beispiel die Wiederbelebung des Qipao bzw. des Cheungsam (Changshan) als Kleidungsstück.497 Für sie war er Ausdruck weiblicher Emanzipation, aus männlicher oder feministischer Sicht mag man da heute anderer Auffassung sein. Ähnlich verhält es sich im Falle ihrer Zeitgenossin Su Qing (1917–1982), die mit ihrem Eheroman Zehn Jahre Ehe (Jiehun shi nian, 1944)498 zwischen 1944 und 1948 auf 18 Auflagen kam und auch mit ihrem Fortsetzungroman Nochmals zehn Jahre Ehe (Lian jiehun shi nian) vier Auflagen schaffte. Sie war eine Bestsellerautorin, die die alltäglichen Dinge und vor allem die Liebe behandelte, doch ihre witzige Behandlung des Themas »eine moderne Frau auf dem Weg vom Haushalt in die Selbstbestimmung« macht ihr Werk auch heute noch aktuell und lesenswert. 497

498

Vgl. hierzu HAZEL CLARK: The Cheongsam. Images of Asia, Hongkong: Oxford University Press 2000, S. 9–19. Zur Autorin s. HEIKE MÜNNICH: »Kein Papierdrachen in der Hand eines Herrn. Die Schriftstellerin Su Qing (1917–1982)«, in: Orientierungen 2/1990, S. 107–116. Ein Auszug aus dem genannten Roman findet sich ebd., S. 117–124 (SU QING: »Das Glück der Hochzeit«). Vgl. auch GUNN: Unwelcome Muse, S. 69–77.

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DIE LITERATUR DER REPUBLIKZEIT (1912–1949)

Man mag weitere Vertreter der damaligen Unterhaltungsliteratur in Schanghai bzw. in dem von der Guomindang kontrollierten Gebiet wie Mei Niang, Wuming Shi (geb. 1917) oder Xu Yu (1908–1980)499 einschätzen, wie man will, man sollte jedoch nicht außer acht lassen, daß wie im Falle von Zhang Henshui eine Brücke zur Literatur der Befreiten Gebiete bzw. zur Literatur nach 1949 geschlagen werden kann. Man vertrat eine Massenkultur und wollte dem Volk die hohe Literatur nahebringen. In dieser Hinsicht sind die genannten Bestsellerautoren, ob direkt oder indirekt, für die Entwicklung der künftigen Literaturen auf dem Festland, in Hongkong und auf Taiwan nicht ohne Bedeutung gewesen.

499

Von diesem Autor, auch Xu Xu transkribiert, liegen mir ohne weitere Angaben als zweisprachige Ausgaben vor: HSU YU: Bird Talk (Niaoyu), übersetzt von LIN YUTANG, Hongkong: South Sky o.J.; DERS.: When the Tide Comes (Chao lai de shihou), übersetzt von Y.K.HO, Hongkong: South Sky o.J; DERS.: Woman in the Mist (Lihun), übersetzt von EUDORA YU, Hongkong: South Sky o.J. Der Autor nahm kurz vor seinem Tod noch an der Konferenz in Paris zur antijapanischen Literatur (1980) teil, wo ich ihn habe treffen und sprechen können.YÜ HSU (d.i. Xu Xu): »A propos de la controverse sur le problème de la forme nationale dans les années 30«, in: La littérature Chinoise au temps de la guerre de résistance contre le Japon, S. 195–204. Zu einer Einschätzung des Werkes von Xu Yu, der 1951 vom Festland nach Hongkong ging und die britische Staatsangehörigkeit annahm, s. GENG CHUANMING: Qingyi yu chenzhong zhi jian. »Xiandaixing« wenti shiyede »Xin Langmanpai« wenxue, Tientsin: Nankai Daxue 2004, passim. Der Tientsiner Literaturwissenschaftler Geng Chuanming von der Nankai-Universität ist übrigens auch Fachmann für Wuming Shi, s. seine Studie »Xiandai xing« de wenxue jincheng, Peking: Zhongguo Wenshi Chubanshe 2003, S. 165–190.

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Teil III

Chinesische Literatur nach 1949: Staat, Individuum und Region

Einleitung

Wir waren bislang von der Annahme ausgegangen, daß die chinesische Literatur an einen Raum und an eine Zeit gebunden ist. Deshalb haben wir uns ausschließlich mit dem Festland beschäftigt und die Nebenschauplätze wie Taiwan, Hongkong und Macau außer acht gelassen. Eine solche Konzentration ist jedoch für die Zeit nach 1949 nicht mehr zu empfehlen. Es ist nun besser, von einer chinesischsprachigen Literatur zu sprechen, die ihren Weg in die Welt nimmt und nicht mehr an die chinesische Nation gebunden ist. Frühe bekannte Beispiele sind der Erzähler Bai Xianyong (geb. 1937) und der Lyriker Zheng Chouyu (geb. 1933). Beide stammen vom Festland, sind auf Taiwan aufgewachsen und haben alsbald ihre neue Heimat, die USA, zu ihrem lebenslangen Domizil gemacht. Entsprechend ist ihre Staatsangehörigkeit seit vielen Jahrzehnten eine amerikanische. Sie mögen zwar auf chinesisch im chinesischen Sprachraum publizieren und dort auch hauptsächlich ihre Leserschaft haben, doch sind sie als Kosmopoliten an kein chinesisches Staatsgebilde gebunden, wie immer man dieses auch definieren mag. Späte Beispiele sind der Literaturnobelpreisträger Gao Xingjian und der jahrelange Literaturnobelpreisanwärter Bei Dao. Beide haben Ende der 80er Jahre das Festland verlassen, der eine ist heute Franzose, der andere ist inzwischen Amerikaner. Ähnliches läßt sich mittlerweile für viele Länder der Welt nachweisen. Die Diversifizierung und Internationalisierung der chinesischen Gegenwartsliteratur hat vor allem politische Gründe. Der Sieg der Kommunisten auf dem Festland, die Niederlage der Guomindang im Bürgerkrieg, der Rückzug von Chiang Kai-shek nach Taiwan, der Kalte Krieg und die anfänglich diktatorische Regierungsform auf beiden Seiten der Straße von Taiwan haben die Ränder des chinesischen Reiches mehr in den Vordergrund der literaturgeschichtlichen Betrachtung treten lassen. Man kann nun nicht mehr von einer einzigen chinesischen Literatur, sondern nur noch von unterschiedlichen Literaturen in chinesischer Sprache sprechen. Zieht man neben der chinesischsprachigen Literatur in den angloamerikanischen Ländern gar die (allerdings weniger bedeutsamen) Werke mit in Betracht, die von Auslandschinesen im südostasiatischen Raum geschrieben werden,500 so läßt sich konstatieren, daß inzwischen weltweit chinesische Literatur verfaßt und auch auch verlegt wird. Chinesisch ist daher neben Englisch, quantitativ gesehen, sicherlich die wichtigste Literatursprache der Welt. 499

500

Vgl. hierzu zum Beispiel CAROLINE DRAEGER: Die chinesischsprachige Literatur aus Malaysia und Singapur 1919–1995, Dortmund: projekt verlag 1997 (= edition cathay; 33); WONG YOON WAH, HORST PASTOORS (Hg.): Chinese Literature in Southeast Asia, Singapur: Goethe-Institut 1989; WONG YOON WAH: Post-colonial Chinese Literatures in Singapore and Malysia, Singapur: World Scientific 2003. Der Herausgeber spricht hier gar von Weltliteratur in besagten Regionen.

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION

Wenn die Ränder aber in den Vordergrund treten, so können ihre Vertreter nicht weiter ignoriert werden, und es tut daher not, von den Rändern her den Einstieg in die Literaturgeschichte nach 1949 zu nehmen, zumal sich die Einschätzung der Literatur auf dem Festland zwischen 1949 und 1979 ganz gleich aus welchem Blickwinkel immer wieder gewandelt hat und sich heute als höchst problematisch erweist. Ein letztes Urteil ist hier nicht möglich, eine kritische Aufarbeitung erscheint jedoch dringend erforderlich.

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1. Der Blick vom Rand: Taiwan, Hongkong und Macau

Die chinesische Literaturgeschichtsschreibung auf dem Festland behandelt die moderne (1912–1949, zu unterscheiden von der gegenwärtigen, ab 1949 einsetzenden) Literatur auf Taiwan und in Hongkong in der Regel eher stiefmütterlich, wenn sie diese als Teil der Historie überhaupt wahrnimmt und nicht eigens außerhalb einer gemeinsamen Geschichte abhandelt.501 Auch wenn heute Wissenschaftler in den entsprechenden Regionen bemüht sind, die weißen Flecken aufzuarbeiten,502 so ist eine solche Ausschließung aus der Literatur der Republikzeit nicht ganz unbegründbar. Aufgrund der japanischen Besatzung (1895–1945) ist die Provinz Taiwan von der Entwicklung auf dem Festland, und das heißt insbesondere von der Rebellion des 4. Mai und von der kommunistischen Revolution, weitgehend ausgeschlossen gewesen.503 Ein übriges tat die japanische Kolonialpolitik während der Kriegszeit: Schriftsteller durften nur noch auf japanisch schreiben und publizieren.504 Was daher heute mitunter in Geschichten einer Literatur auf Taiwan angeführt wird, hat bestenfalls ein einheimisches Sujet zum Thema, ist jedoch in ein rein japanisches Sprachgewand gekleidet. Es sollte daher der japanischen und nicht der chinesischen Literaturgeschichte zugeschlagen werden. So geht es nicht an, Wu Zhuoliu (1900–1976)505, den wichtigsten Schriftsteller vor 1949 auf Taiwan, für die chinesische Literaturgeschichte zu vereinnahmen. All seine bedeutsamen Werke sind auf japanisch geschrieben und werden von der 501

502

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505

Zur Historiographie einer Literatur auf Taiwan s. HELMUT MARTIN: »Taiwanesische Literaturhistoriographie: Wege zu einer kulturell-politischen Identität, Perspektiven aus Taiwan, China und dem Westen«, in: DERS.: Taiwanesische Literatur – Postkoloniale Auswege. Chinabilder III, Dortmund: projekt verlag 1996, S. 211–253. Für Hongkong hat hauptsächlich William Tay (Zheng Shusen) an der Hong Kong University of Science and Technology diese Arbeit geleistet. Zu den u.a. von ihm herausgegebenen Büchern gehören die drei Anthologien Xianggang sanwen xuan, Xianggang xiaoshuo xuan, Xianggang xinshi xuan. Alle umfassen die Jahre 1948 bis 1969 und sind in der mir vorliegenden zweiten Auflage in Hongkong an der Chinese University 1998 erschienen. Des weiteren s. Xianggang xin wenxue nianbiao 1950–1969, Hongkong: Cosmos 2000; Xianggang wenxue ziliao xuan 1945–1949, Hongkong: Cosmos 1999. Zur Beziehung von Taiwan zum 4. Mai s. STEFANIE ELIES: Kulturelle Orientierung in kolonialer Unterdrückung. Die taiwanesische Kultur- und Sozialbewegung der japanischen Besatzungszeit und die 4.-Mai-Bewegung der kulturellen Erneuerung Chinas, Dortmund: projekt verlag 1997 (= edition cathay; 32). Zur heutigen Wiederentdeckung dieser Literatur s. HELMUT MARTIN: »Exkavation der Vergangenheit: Taiwans Literatur und Film«, in: DERS.: Taiwanesische Literatur – Postkoloniale Auswege, S. 177–210. Zu Person und Werk im Englischen siehe Taiwan Literature. English Translation Series, Nr. 15, Juli 2004.

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION

Literaturwissenschaft nur über die Übersetzung ins Chinesische, die nicht unbedingt aus seiner Feder stammt, rezipiert!506 Ähnliches gilt heute, wo nicht wenige Chinesen im Ausland auf englisch, französisch oder deutsch zu schreiben beginnen. Hier wären unter anderem Ha Jin (geb. 1956) oder Dai Sijie (geb. 1954) zu nennen.507 Deren Werke gehören trotz ihrer chinesischen Thematik zur amerikanischen bzw. französischen und nicht zur chinesischen Literatur, denn sonst müßten Tilman Spenglers (geb. 1947) China-Romane ebenfalls der chinesischen statt der deutschen Literaturgeschichte zugerechnet werden. Es sei hier nur nebenbei noch angemerkt, daß der heute auf internationalen Buchmärkten zu beobachtende vermeintlich neue Trend von chinesischen Autoren, sich in einer fremden Sprache ihrer Jugend in China zu erinnern, eine Vorläuferin in der WahlBonnerin Chow Chung-cheng (Zhou Zhongzheng, 1908–1996) hatte. Diese aus der Provinz Anhui stammende und heute eher als Malerin bekannte Künstlerin hat Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre drei wichtige und seinerzeit sehr erfolgreiche (Auto-)Biographien auf deutsch verfaßt, die immer noch lesenswert sind.508 Was für Taiwan gilt, gilt ähnlich für Hongkong. Das britische Mandat schirmte Hongkong vom Festland und seinen Einflüssen ab bzw. filterte diese, so daß der Eindruck einer politikfreien, allein der wirtschaftlichen Entwicklung verpflichteten Zone entstand. Dieser Eindruck trog jedoch, denn in Hongkong kamen die unterschiedlichsten politischen Strömungen zusammen und neutralisierten einander. Diese Hafenmetropole bot allen Lagern die Möglichkeit zur Publikation und Werbung in eigener Sache. Die Fülle an Informationen, die bis heute für den chinesischen Sprachraum einzigartig ist, bewog in Zeiten des Kalten Krieges den einen oder anderen Informationsdienst dazu, hier ein Zentrum zur Erforschung des Festlandes zu errichten. Hongkongs Sonderstellung drückt sich auch in sprachlicher Hinsicht aus. Im Gegen506

507

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Symptomatisch in diesem Zusammenhang ist CHRISTA GESCHER: »Taiwanbewußtsein« versus »Chinabewußtsein«. Der taiwanesische Schriftsteller Wu Cho-liu [d.i. Wu Zhuoliu] (1900– 1976) im Spiegel der Literaturkritik, Dortmund: projekt verlag 1997 (= edition cathay; 28). Die Dissertation basiert großenteils auf Übersetzungen aus dem Japanischen. HA JIN: Im Teich, aus dem Englischen von SUSANNE HORNFECK, München: dtv 2001; DERS.: Warten, aus dem Englischen von SUSANNE HORNFECK, München: dtv 52002; DERS.: Ein schlechter Scherz, aus dem Englischen von SUSANNE HORNFECK, München: dtv 2001. DAI SIJIE: Balzac und die kleine chinesische Schneiderin, aus dem Französischen von GIÒ WAECKERLIN INDUNI, München: Piper 2001. Letzteres Werk wurde 2003 verfilmt. Zur Literatur von Chinesen in deutscher Sprache s. unter anderem die Autorin LUO LINGYUAN: Du fliegst jetzt für meinen Sohn aus dem fünften Stock. Erzählungen, München: dtv 2005. CHOW CHUNG-CHENG: Kleine Sampan, Aarau u. Frankfurt a.M: H.R. Sauerländer & Co. 1957; DIES.: Zehn Jahre des Glücks, Aarau u. Frankfurt a.M.: H.R. Sauerländer & Co. 1960; DIES.: Sklavin Goldblume. Ein authentischer Lebensbericht aus dem vorrevolutionären China. Mit Holzschnitten der Autorin, Opladen: Argus Verlag o.J. Zur Beurteilung des literarischen Werkes der Autorin s. meinen Beitrag »Kleine Sampan. Vorläufige Bemerkungen zum literarischen Werk der Chow Chung-cheng«, in: minima sinica 2/2005. Der Nachlaß der Künstlerin liegt heute im Archiv für moderne chinesische Literatur von Peking.

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Der Blick vom Rand: Taiwan, Hongkong und Macau

satz zu anderen Kolonialgebieten, wo sich das Englische als Literatursprache durchzusetzen vermochte, haben in Hongkong weder die Kolonialsprache noch die moderne chinesische Hochsprache wirklich Fuß fassen können.509 Bis heute zeigt das Kantonesische phonetische, grammatische, gar zeichenspezifische Eigenheiten, die einer überregionalen mündlichen oder schriftlichen Kommunikation eher hinderlich als förderlich sind. Entsprechend ist die Hongkonger Literatur bislang wenig wahrgenommen worden. Von Macau läßt sich in diesem Zusammenhang sicherlich schweigen, denn große Literatur scheint dort bislang nur von Portugiesen in ihrer Muttersprache verfaßt worden zu sein.510 Es ist richtig, daß bedeutende Werke, die den Literaturen auf Taiwan und in Hongkong zugerechnet werden,511 erst relativ spät entstehen. Da diese jedoch zu einer Zeit abgefaßt werden, als die Literatur auf dem Festland ganz und gar unter politischer Bevormundung steht, kommt ihnen eine vergleichsweise höhere Bedeutung zu, als wenn ihr Erscheinen in einem ansonsten intakten kulturellen Umfeld erfolgt wäre. Die moderne Literatur des Festlandes dagegen war zu stark, als daß sich eine auf der Suche nach sich selbst befindliche Literatur Taiwans oder Hongkongs schon vor 1949 dagegen hätte behaupten können. Gleichwohl wäre es falsch, die damaligen Schreibversuche dort gänzlich zu leugnen. Es mag zwar richtig sein, daß Hongkong, sieht man einmal von Huang Guliu (1908–1977) und seinem Roman Die Geschichte von Krabbenbällchen (Xiaqiu zhuan, 1947)512 ab, erst seit den 60er, 509

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Man spricht allerdings inzwischen von einer anglophonen Literatur in Hongkong, s. BRIAN HOOPER: Voices in the Heart. Postcolonialism and Identity in Hong Kong Literature, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2003 (= Anglo-Amerkanische Studien; 23). Als ihr wichtigster Vertreter gilt Timothy Mo mit seinem Roman The Monkey King (1978). Vgl. in diesem Zusammenhang auch ANDREW PARKIN u. LAURENCE WONG [d.i. Huang Guobin]: Hong Kong Poems in English and Chinese, mit Übersetzungen von EVANGELINE ALMBERG u.a., Vancouver: Ronsdale Press 1997. Die Ausgabe enthält auf englisch bzw. chinesisch verfaßte Texte über Hongkong von kanadischen Autoren, die heute (wieder) in der einstigen Kronkolonie leben. Dies ist zumindest, was auch Literaturwissenschaftler vor Ort mir bestätigt haben. Zu den großen Portugiesen, die in Macau wichtige Werke der portugiesischen Literatur verfaßt haben, gehört neben Luis de Camôes (1524–1580), der hier die ersten sechs Gesänge der Lusiaden (Os Lusiadas) geschrieben haben soll, u.a. Camilo Pessanha (1867–1926). Sein bedeutender Gedichtband Wasseruhr (Clépsidra, 1920) entstand vor Ort. Der Dichter liegt auch hier, wo er die meiste Zeit seines Lebens in wechselnden Gemeinschaften mit chinesischen Frauen verbracht hat, begraben. Bedauerlicherweise und zur allgemeinen Verwirrung werden von wohlmeinenden Literaturwissenschaftlern auf Taiwan und in den USA auch immer wieder Autoren wie Bai Xianyong oder Zheng Chouyu, die nur wenige Jahre auf Taiwan gelebt haben, als Schriftsteller der Republik China auf Taiwan geführt, obwohl sie ihre Werke als amerikanische Staatsbürger in den USA verfassen! LEUNG PING-KWAN: »Two Discourses on Colonialism: Huang Guliu and Eileen Chang«, S. 80– 87. Da Huang Guliu in Vietnam geboren wurde und in Kanton starb und sich nur zu Studienzwecken und während des Bürgerkrieges in Hongkong aufhielt, ist der Autor eigentlich nicht als Hongkonger Schriftsteller einzustufen. Besagter Roman erschien jedoch zuerst als Fortsetzungsroman in der Hongkonger Presse.

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION

70er Jahren des letzten Jahrhunderts eine ernstzunehmende Literatur aufzuweisen beginnt,513 doch hat die ehemalige Kronkolonie bis dahin kulturell gesehen keine unwichtige Funktion innegehabt.514 Vor 1949 war sie das Sammelbecken vieler bedeutender Literaten vom Festland, die sich hier dem Weißen Terror der Guomindang entzogen oder auf die Übernahme der kommunistischen Herrschaft in Peking vorbereiteten.515 Deren Spuren ist die Literaturzeitschrift Xianggang Wenxue (»Literatur in Hongkong«) bereits seit Jahren detailliert nachgegangen. Nach 1949 war Hongkong ein Sprungbrett für die konservativen Kräfte, die das Festland verlassen wollten.516 Dazu gehörte auch Zhang Ailing, die hier, vom CIA im Rahmen des Kalten Krieges unterstützt, eines ihres besten Werke schrieb, worauf später noch einzugehen sein wird. Der Hongkonger Literaturwissenschaftler William Tay (Zheng Shusen) ist gar der Auffassung, daß besagte Finanzierung von Schreibversuchen durch den amerikanischen Geheimdienst erst die Grundlage für die spätere Literatur in der heutigen Sonderverwaltungszone gelegt hat.517 Zu guter Letzt sei Jin Yong (geb. 1924) nicht vergessen, der seine Karriere als Populärschriftsteller im Hongkong der 50er Jahre mit Ritterromanen begann, ehe er auf dem Festland der 80er Jahre Furore machte und für manche in den 90er Jahren zum wichtigsten chinesischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts avancierte.518 513

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Zur modernen Lyrik der 50er und 60er Jahre in Hongkong s. PING-KWAN LEUNG: »Modern Hong Kong Poetry: Negotiation of Cultures and the Search of Identiy«, in: Modern Chinese Literature 9.2 (Herbst 1996), S. 221–245. Vgl. hierzu und zum folgenden KONG FANJIN (Hg.): Ershi shiji Zhongguo wenxue shi, Jinan: Shandong Wenyi 1997, Bd. 2, S. 1638–1666. Dokumente dieser reisenden Literaten finden sich in der Zeitschrift Renditions 29 & 30 (1988). Diese Spezialausgabe zu Hongkong gewährt auch einen guten, allerdings keinen vollständigen Überblick über die Literaturszene in Hongkong seit den 50er Jahren. Eine weitere Spezialausgabe zur Literatur in Hongkong, Renditions 47 & 48 (1997), gibt einen Einblick in die 90er Jahre. Einen Rückblick bietet auch The Literary Review 47.4 (2004: Hong Kong Issue). Zu deren literarischen Werken s. ZHENG SHUSEN u.a. (Hg.): Xianggang bendi yu nanlai wenren zuopin xuan, 2 Bde., Hongkong: Cosmos 1999. ZHENG SHUSEN: »Dongxi lengzhan, zuoyou duilei, Xianggang wenxue«, in: ZHANG JING'ER, CHEN PENGXIANG (Hg.): Erdu hexie. Shi Youzhong jiaoshou jinian wenji, Gaoxiong: Guoli Zhongshan Daxue Wenxueyuan 2002, S. 185–191. Vgl. auch WILLIAM TAY: »Colonialism, the Cold War Era, and Marginal Space. The Existential Condition of Five Decades of Hong Kong Literature«, in: PANG-YUAN CHI u. DAVID DER-WEI WANG (Hg.): Chinese Literature in the Second Half of a Modern Century. A Critical Survey, Bloomington u. Indianapolis: Indiana UP 2000, S. 31–38. Der Autor behandelt die Rolle der Tagespresse bei der Herausbildung einer Literatur in Hongkong. Vgl. hierzu KAI PORTMANN: Der Fliegende Fuchs vom Schneeberg. Die Gattung des chinesischen Ritterromans (wuxia xiaoshuo) und der Erfolgsschriftsteller Jin Yong, Bochum: Brockmeyer 1994 (= Chinathemen; 77); LIU CHING-CHIH: The Question of Reception: Martial Arts Fiction in English Translation, Hongkong: Lingnan 1997; LOUIS CHA [d.i. Jin Yong]: The Deer and the Cauldron, the adventures of a Chinese Trickster, übersetzt u. mit einer Einleitung von

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Der Blick vom Rand: Taiwan, Hongkong und Macau

Da die Entwicklung der chinesischen Literatur im 20. Jahrhundert wesentlich von 1919 und 1949 her zu verstehen ist, da der 4. Mai und die Staatsgründung der Volksrepublik China jedoch auf Taiwan bis zur Aufhebung des Kriegsrechts und der Zensur (1987) tabuisiert waren und in Hongkong nur beobachtend bzw. kommentierend wahrgenommen wurden, wäre der Ausschluß der Literaturen auf Taiwan und in Hongkong von der Geschichtsschreibung formal zu rechtfertigen. Das Problem liegt jedoch tiefer. Für die amerikanische Sinologie, die wesentlich von Taiwan her geprägt ist, ist der 4. Mai als übergreifendes Phänomen so gut wie nicht existent. Selten wird das traditionelle China aus der Perspektive von 1919 hinterfragt, genausowenig wird die Literatur außerhalb der Volksrepublik China aus dem Blickwinkel des 4. Mai kritisch gesehen. Sympathien und Antipathien scheinen zu einfach verteilt. Es wäre jedoch notwendig zu erkennen, daß jegliche chinesische Literatur seit 1949 bis heute gewissen Gefahren ausgesetzt ist. Hat die Volksrepublik China ihre selbstgewählte Isolation 1979 mit ihrer Öffnungspolitik aufgegeben, so hat Taiwan den umgekehrten Weg beschritten: Nach der ebenfalls selbstgewählten Isolation unter Chiang Kai-shek, der 1975 verstarb, fand unter seinem Sohn Jiang Jingguo (1910– 1988) eine Öffnung statt, die zur Aufhebung der politischen und auch sprachlichen Repression führte. Als sich in den 90er Jahren jedoch die einheimischen politischen Kräfte gegen die herrschende Guomindang, die Ende der 40er Jahre mit einer Million Flüchtlingen vom Festland gekommen war, durchzusetzen begannen, wurde der Anspruch auf ein einiges China nach und nach in Frage gestellt. An die Stelle der »Republik China« ist nun immer mehr die Idee eines unabhängigen Staatsgebildes namens Taiwan getreten. Hier droht die Saat einer Hoffnung aufzugehen, die bereits viele Jahrzehnte zuvor gerade von den Literaten gesät worden ist. Es geht um die Frage nach der Identität, um das im Deutschen fälschlich sogenannte »taiwanesische« (bentu) und das »chinesische« Bewußtsein, um die Frage also, ob Taiwan eine chinesische oder eine eigenständige Geschichte und Kultur habe.519 Während der Bildersturm des 4. Mai und die Einführung der baihua auf Taiwan nur eine Episode (1925–1931) gewesen zu sein scheinen, haben die auf japanisch verfaßten Werke doch größere Auswirkungen auf die spätere Literatur der Insel gehabt. Daran hat auch die Tatsache nichts zu ändern vermocht, daß nach 1949 unter Chiang Kai-shek

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JOHN MINFORD, Canberra: ANU 1994. Zu einer weiteren Übersetzung im Englischen s. JIN Yong: »The Life of a Learned Warrior«, übersetzt von LORETTA L. GIBBS, in: Chinese Literature, Herbst 1997, S. 5–50. Zur frühen Erzählkunst und deren Hongkonger Hintergrund s. JOHN CHRISTOPHER HAMM: »The Marshes of Mount Liang Beyond the Sea: Jin Yong’s Early Martial Arts Fiction and Postwar Hong Kong«, in: Modern Chinese Literature and Culture 11.1 (Frühling 1999), S. 93–123. Vgl. hierzu auch MARTINA MOHR: Taiwanesisches Bewußtsein. Wu Jinfa und die soziokulturelle Problematik der Ureinwohner Taiwans, Bochum: Brockmeyer 1994 (= Chinathemen; 76). Für Wu Jinfa beginnt die Aufarbeitung der Geschichte Taiwans mit der Ankunft der Europäer vor 300 Jahren.

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die japanischsprachigen Repräsentanten ebenso tabu waren wie die Vertreter des 4. Mai. Aus heutiger Sicht mag es sonderbar anmuten, daß unter der japanischen Herrschaft eine sozialkritische Literatur überhaupt möglich war, die den Widerstand gegen den Kolonialismus, die Liebe zur Heimat (Taiwan) und die Sehnsucht nach dem Vaterland (China) thematisierte. Im Falle von Yang Kui (1905–1985), der sich im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen ebensowenig wie Wu Zhuoliu hat geistig japanisieren lassen, mag die verschlüsselte Schreibweise eine Erklärung sein.520 Man hat diese Art von realistischer Literatur mit dem Begriff xiangtu wenxue bezeichnet.521 Es ist dies eine Art bodenständige »Heimatliteratur«, welche mit Blick auf und in die Geschichte das Eigene stärker in den Vordergrund stellt als eine moderne Literatur, die ja schon auf Grund ihrer Genese eher weltoffen ist. Als ihr Ahnherr gilt Lai He (1894–1943).522 Seine Erzählung »Es geht hoch her« (Dou naore, 1926) wird als erstes in baihua verfaßtes Werk auf Taiwan eingestuft. Es ist daher kein Wunder, daß am Ende der Forderung nach »Heimatliteratur« die heutige Forderung nach einer Literatur für Taiwanesen steht, einer Literatur also, die sich nicht nur von der Welt520

521

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Zu diesem Literaten, der sein Leben hauptsächlich in den Gefängnissen der Japaner und der Guomindang verbracht hat, s. HELMUT MARTIN: Das kulturelle China und die Chinawissenschaften. Chinabilder VII, hg. von CHRISTIANE HAMMER u. TIENCHI MARTIN-LIAO, Dortmund: projekt verlag 2001, S. 443–451. Der Verfasser vertritt hier allerdings die Auffassung, daß Yang Kui sehr wohl Konzessionen gegenüber der japanischen Besatzung gemacht habe. Zur Problematik und zur Bewertung der damaligen Kollaboration s. HELMUT MARTIN: »Vom Dilemma der Tenno-Bürger-Literatur zu den Problemen deutscher Schriftsteller nach der Wiedervereinigung«, in: DERS.: Taiwanesische Literatur – Postkoloniale Auswege, S. 23–44. Zu einer Würdigung des Werkes s. ANGELINA C. YEE: »Writing the Colonial Self: Yang Kui’s Texts of Resistance and National Identity«, in: CLEAR 17 (1995), S. 111–132. Beispiele für »Heimatliteratur« finden sich in den folgenden Anthologien: ROSEMARY M. HADDON (Übers.): Oxcart. Nativist Stories from Taiwan 1934–1977, Dortmund: project 1996 (= cathay; 18); JOSEPH S.M. LAU (Hg.): The Unbroken Chain. An Anthology of Taiwan Fiction since 1926, Bloomington: Indiana UP 1983; HELMUT MARTIN u.a. (Hg.): Blick übers Meer. Chinesische Erzählungen aus Taiwan, Frankfurt: Suhrkamp 1982 (= NF; 129); KUO HENG-YÜ (Hg.): Der ewige Fluß. Chinesische Erzählungen aus Taiwan, München: Minerva 1986. Zum theoretischen und politischen Hintergrund s. JING WANG: »Taiwans ›Heimat‹-Literatur (xiangtu wenxue): Die Evolution einer literarischen Bewegung«, in: KUBIN: Moderne chinesische Literatur, S. 102–122. Zur Geschichte von Theorie und Praxis auf dem Festland und auf Taiwan s. ANKE PIEPER: Literarischer Regionalismus in China. Entstehung, Themen und Funktionen, Bochum: projekt verlag 1997 (= edition cathay; 29). Die Autorin behandelt Autoren wie Shen Congwen, Jia Pingwa, Mo Yan, Han Shaogong, Ma Jian, Zhang Chengzhi, Wu Zhuoliu. Zu diesem Autor, der nur auf chinesisch und nicht (auch) auf japanisch publizierte, s. HELMUT MARTIN: »Regionale Elemente der taiwanesischen Erzählprosa in der japanischen Periode und die internationale Perspektive – eine Einschätzung, von Lai He ausgehend«, in: DERS.: Taiwanesische Literatur – Postkoloniale Auswege, S. 5–22. Zu Person und zu Werk im Englischen siehe Taiwan Literature. English Translation Series, Nr. 15, Juli 2004.

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literatur, sondern auch von der chinesischen Literatur verabschiedet. Was war zwischen 1926 und 1997, zwischen Lai He und der Einrichtung des Faches taiwanesische Literatur an Hochschulen, auf Taiwan passiert?523 Der Geist des 4. Mai hatte nicht nur aus den obengenannten Gründen kaum Fuß auf Taiwan fassen können, sondern auch aus dem ganz naheliegenden Grund, daß die von ihm gepflegte, auf der Sprache des Pekinger Raumes basierende neue Literatursprache, die baihua, als Fremdsprache empfunden wurde. Dies gilt auch verallgemeinert für das Hochchinesische, das unter der Bezeichnung guoyu (Landessprache) vom Festland mit den Truppen und Flüchtlingen des unterlegenen bürgerlichen Lagers kam. Die Sprache Taiwans ist jedoch Taiwanhua (Taiwanesisch) bzw. eine modifizierte Minnanhua. Minnanhua ist ein Dialekt, der ursprünglich im Süden der Provinz Fukien gesprochen wurde und mit den Siedlern gekommen war. Unter der japanischen Besatzung hat er viele japanische Ausdrücke angenommen und sich zu dem herausgebildet, was heute als Taiwanesisch auf dem Lehrplan der Schulen steht. Streng gesehen war die chinesische Hochsprache die Sprache der neuen Herrscher nach 1949. Ob nun unter Japan in den 30er Jahren oder unter der Guomindang in den 70er Jahren, die Forderung der einheimischen Kulturträger klang immer gleich: Eine Literatur auf Taiwan habe den regionalen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Als Verbindungsglied zwischen diesen beiden Zeitläuften diente das Werk des Wu Zhuoliu, der, ob vor oder nach 1949, Taiwans Anderssein im Vergleich zu Japan und China hervorgehoben hatte. In seinen autobiographischen Schriften von 1967 und 1975 war er für einen unabhängigen Inselstaat eingetreten und hatte gleicherweise die Anwesenheit der Japaner einst und der Guomindang jetzt als Okkupation bezeichnet.524 Im Zuge der Forderung nach einer »Heimatliteratur« nahm die Diskussion nationalistische, patriotische, ja gar sozialistische525 Züge an. Es ging dabei auch um eine Art Vergangenheitsbewältigung: Die antiimperialistische, antikolonialistische Haltung ermutigte ihre radikalen Vertreter, Taiwan als ein Land der Dritten Welt zu verstehen und eine Politik im Sinne der Massen zu verlangen. Die Verbrechen der Japaner und der Guomindang waren für sie keine Tabus mehr.

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Eine erste Geschichte taiwanesischer Literatur war 1987 erschienen (Ye Shitao). In diesem Zusammenhang ist auch die Gründung eines Museums für taiwanesische Literatur am 17. Oktober 2003 in Tainan, s. Taiwan Journal vom 31.10.2003, S. 5, von zeichenhafter Bedeutung. Vgl. hierzu das Vorwort von HELMUT MARTIN zu WU ZHUOLIU: The Fig Tree. Memoirs of a Taiwanese Patriot, aus dem Chinesischen von DUNCAN B. HUNTER, Dortmund: projekt verlag 1994 (= cathay; 1), S. III–XI. Zur deutschen Fassung s. MARTIN: Taiwanesische Literatur – Postkoloniale Auswege, S. 45–53. Vgl. hierzu zum Beispiel die »Arbeiterliteratur« von Yang Qingchu (geb. 1940), der von 1979 bis 1983 aus politischen Gründen im Gefängnis saß, s. INGRID SCHUH: Die Erzählungen des taiwanesischen Schriftstellers Yang Qingchu bis 1975, Bochum: Brockmeyer 1989 (= Chinathemen; 45). Zu einer Übersetzung im Deutschen s. Orientierungen Literatur-Sonderheft 1995, S. 125–150 (»Ein Tagelöhner«).

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Der politische Sprengstoff, der hinter der Absage an eine chinesische und hinter der Suche nach einer taiwanesischen Identät verborgen war, wurde von der damaligen Regierung bald erkannt, weshalb nicht wenige Repräsentanten der »Heimatliteratur« 1979 bei Demonstrationen gefangengenommen und eingesperrt wurden. Die Kritik richtete sich damals nicht nur gegen die als feindlich empfundene chinesische Regierung, sondern auch gegen den Westen, insbesondere gegen die westliche Moderne, wie sie sich in der taiwanesischen Literatur der 60er Jahre kundtat. Zu den namhaften Kritikern gehörte unter anderem der 1937 auf Taiwan geborene sozial engagierte Erzähler Chen Yingzhen, der bereits zuvor (1968–1975) wegen »subversiver Tätigkeit« im Gefängnis gesessen hatte.526 Um hier die Zusammenhänge im größeren Rahmen zu verstehen, muß weiter ausgeholt werden. Es gilt allgemein, auf Taiwan zwischen zugewanderten und einheimischen Schriftstellern zu unterscheiden. Der lokalen Literatur wurde von der Guomindang nach der Übersiedlung alsbald der Garaus gemacht. Wer nicht umgebracht wurde, wurde ins Gefängnis geworfen oder mundtot gemacht. Man spricht daher im nachhinein nicht zufällig von einer Gefängnisliteratur, die zwischen 1927 und 1993 der Aufarbeitung der japanischen und chinesischen Schrecken diente. An die Stelle der einheimischen Autoren traten die zugereisten. Wer jedoch vom Festland gekommen war, empfand seine neue Heimat nicht selten als Kulturwüste, ja politisch auch als Zwangsjacke und bereitete sich auf die Ausreise nach Amerika vor. Die Reisewilligen konnten aber nicht ohne weiteres das Land verlassen, da ein allgemeines Ausreiseverbot bestand. Aus Furcht vor einem kommunistischen Untergrund fanden zugleich eine politische Zensur und Überwachung statt. Selbst für eine Kritik an Konfuzius konnte man wie Bo Yang (eig. Bai Yang, geb. 1920) zum Beispiel für viele Jahre in die Gefängnisse wandern.527 Über den damaligen Weißen Terror wagen die Betroffenen erst in jüngster Zeit zu berichten.528 526

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Zu ihm und seinem Werk s. ANKE PIEPER: Der taiwanesische Autor Chen Yingzhen, Bochum: Brockmeyer 1987 (= Chinathemen; 29); EXILES AT HOME: Stories by Ch'en Ying-chen [d.i. Chen Yingzhen], übersetzt von LUCIEN MILLER, Ann Arbor: University of Michigan 1986; JOSEPH S.M. LAU: »Death in the Void: Three Tales of Spiritual Atrophy in Ch'en Ying-chen’s [d.i. Chen Yingzhen] Post-Incarceration Fiction«, in: Modern Chinese Literature 2.1 (Frühling 1986), S. 21–28; WEN-SHAN SHIEH: »Ideology, Sublimation, Violence: The Transformation of Heroines in Chen Ying-chen’s [d.i. Chen Yingzhen] Suicidal Narratives«, in: Tamkang Review XXXII/2 (Winter 2001), S. 153–173. Siehe hierzu EDEL LANCASHIRE: »Popeye and the Case of Guo Yidong, alias Bo Yang«, in: China Quarterly 92 (1982), S. 663–686. Von und zu Bo Yang, der 1949 vom Festland nach Taiwan übersiedelte und in seinem essayistischen Werk oftmals an Lu Xun erinnert, ist viel publiziert und übersetzt worden. Siehe z.B. JÜRGEN RITTER: Kulturkritik in Taiwan: Bo Yang (1920–), Bochum: Brockmeyer 1987 (= Chinathemen; 30); BO YANG: Rückkehr in die Heimat [Jiayuan, 1989]. Ein Schriftsteller aus Taiwan besucht die VR China, aus dem Chinesischen übersetzt von JÜRGEN RITTER, Bochum: Brockmeyer 1991 (= Chinathemen. Serie zur Modernisierung in China; II). BO YANG: Secrets. A Collection of Short Stories, übersetzt von DAVID STEPHEN L. SMITH u. ROBERT REYNOLDS, Hongkong: Joint Publishing 1986; BO YANG: Golden

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Es sind nun diese zugewanderten Schriftsteller, welche die erste Generation berühmter »taiwanesischer« Autoren stellen. Diese sind von der zweiten Generation einheimischer Literaten zu unterscheiden, die sich erst später einen Namen machen. Entsprechend unterschiedlich fallen auch die Werke aus. Die erste Generation, die von der Regierungsseite aufgefordert ist, im Kampf gegen das Festland eine antikommunistische »Soldatenliteratur« zu verfassen oder als Armeeschriftsteller, an der Zhengzhan Xuexiao (Political Warfare Academy) ausgebildet, Papiergranaten zu produzieren, kommt dieser Aufgabe nicht immer und unbedingt nach. Eine Ausnahmestellung nimmt in den Augen der Kritiker allerdings Jiang Gui (1908–1980) mit seinem Roman Der Wirbelwind (Xuanfeng, 1959)529 ein. Wie alle anderen Autoren dieser Zeit auch geht er der Frage nach, warum der Kampf gegen die Kommunisten auf dem Festland verloren wurde. Er arbeitet die sozialen Bedingungen für den Sieg der einen und die Niederlage der anderen Seite heraus. Dabei zeichnet er das Bild der Kommunisten zwar sehr finster, geht aber mit dem bürgerlichen Lager auch nicht gerade zimperlich um. Denn – so lautet die These – die kommunistische Anarchie war nur möglich auf Grund der bürgerlichen Anarchie. Daß das Unterste zuoberst gekehrt wird, ist die Schuld aller. Jiang Gui bedient sich der traditionellen Erzählform. In einer Art pikareskem Roman jagt eine Handlung die andere, löst eine Person die andere ab. Es gibt allerdings einen durchgehenden Helden und Schauplatz. Der Roman endet optimistisch: So wie ein Wirbelwind kommt und geht, wird auch der Kommunismus, kaum daß er da ist, schon wieder gehen müssen. Wir wissen heute, daß sich der Autor hier geirrt hat, doch seine Sicht ist repräsentativ für die Illusionen, die man sich jahrzehntelang auf Taiwan gemacht hat. Bekannter als die üblicherweise geforderten ideologischen Machwerke ist bis heute die sogenannte »Flughafenliteratur« geblieben. Ihr Kennzeichen ist die Nostalgie, ihre Verfasser warten gleichsam auf einem Flughafen, um heimkehren oder ausfliegen zu können. Bekannte Beispiele sind Lin Haiyin (1919–2001) mit ihrem vielfach aufgelegten und verfilmten Roman Die Geheimnisse der Yingzi (Chengnan jiushi, 1960)530 und Bai Xianyong (geb. 1937) mit seinen den Dubliners von James Joyce

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Triangle Frontier and the Wilderness, übersetzt von CLIVE GULLIVER, Hongkong: Joint Publishing 1987. Siehe z.B. SUN KANGYI: Zouchu baise kongbu. Farewell to the White Terror, Taipeh: Yunnong 2003. Kang-I Sun-Chang, wie sie sich in den USA nennt, ist als Literaturwissenschaftlerin heute an der Yale University tätig. CHIANG KUEI [d.i. Jiang Gui]: The Whirlwind, übersetzt von TIMOTHY A. ROSS, San Francisco: Chinese Materials Center 1977. Zum Original s. JIANG GUI: Xuanfeng, Tainan: Changcheng 1966. Zur Diskussion s. TIMOTHY A. ROSS: Chiang Kuei [d.i. Jiang Gui], New York: Twayne 1974, S. 76–101; HSIA: A History of Modern Chinese Fiction, S. 555–561. Aus dem Chinesischen übertragen u. mit einem Nachwort versehen von SUSANNE HORNFECK, München: Hanser 1997. Zum chinesischen Original s. Lin Haiyin wenji: Chengnan jiushi, Hangzhou: Zhejiang Wenyi Chubanshe 1997, S. 3–128.

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(1882–1941) nachempfundenen Menschen in Taipeh (Taibeiren)531. Lin Haiyin schrieb ihren Roman aus der Erinnerung. Sie war mit den Eltern als Sechsjährige von Taiwan nach Peking gegangen und von dort 1948 wieder zurückgekehrt. Insofern trägt der Roman im Original wörtlich den Namen »Was einst in der Südtstadt geschah«. Mit Südstadt ist die Gegend um den Himmelstempel in Peking gemeint. Der große und anhaltende Erfolg des Romans532 erklärt sich aus einer doppelten Nostalgie. Waren es einst die Zugereisten, die sich auf Taiwan nach den alten Tagen in Peking zurücksehnten, so sind es heute die Pekinger selbst, die im Anblick ihrer durch Modernisierung zerstörten Stadt nach der Vergangenheit verlangen. Der Roman ist mit den Augen eines heranwachsenden Mädchens geschrieben, das deutlich den Unterschied zwischen Taiwan und Peking erkennt. Dies ist vor allem ein sprachlicher Unterschied, der humorvoll beschrieben wird.533 Mama hat noch Probleme mit der Pekinger Aussprache. Wenn Sie Song Ma aufträgt, was sie vom Markt holen soll, kommt anstatt »Kauf ein Pfund Schweinefleisch, aber nicht zu fett« etwas heraus, das so viel bedeutet wie »Kauf ein Pfund geliehene Trichter, aber sie sollen nicht zurückkommen«. [...] Song Ma kommt aus der Gegend von Shunyi, deshalb hat sie auch keine ordentliche Aussprache, und aus »Huian« wird bei ihr »Huinan«. In Mamas taiwanesischem Dialekt klingt es wie »Huiwa«, und bei Papa heißt es »Feian«. Ich sage »Huian« wie die anderen Kinder in unserer Gasse. Keine Ahnung, was nun eigentlich richtig ist.

Während Lin Haiyin ihren Roman in der Vergangenheit spielen läßt und gleichsam in der Gestalt eines Kindes die Vergangenheit heraufbeschwört, ist das Konzept der Erinnerung bei Bai Xianyong ein anderes. Seine Geschichten spielen nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart. Ihr Ort ist auch keine Stadt auf dem Festland, sondern die neue, ungeliebte Heimat Taipeh. Die Zugezogenen erinnern sich und konstruieren den Übergang von Einst zu Jetzt als Wertewandel. So heißt es bezeichnenderweise in der Erzählung »Alte Zeiten« (Si jiu fu): »Nein, die alten Zeiten sind vorbei.«534 Was einst auf dem Festland galt, gilt heute nicht mehr: Die Jugend 531

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BAI XIANYONG: Einsam mit siebzehn, aus dem Chinesischen übertragen von WOLF BAUS u. SUSANNE ETTL, mit einem Nachwort von WOLF BAUS, Köln: Diederichs 1987. Als chinesische Ausgabe liegt mir vor BAI XIANYONG: Taibeiren, Taipeh: Erya 1984. Zur Deutung s. OUYANG ZI: »Die Welt der Erzählung von Bai Xianyong«, in: KUBIN (Hg.): Moderne chinesische Literatur, S. 447–461; CHRISTOPHER LUPKE: »(En)gendering the Nation in Pai-Hsien-yung’s ›Wandering in the Garden, Waking from a Dream‹«, in: Modern Chinese Literature 6.1/2 (Frühling, Herbst 1992), S. 157–177. Bezeichnend ist die in der Volkszeitung zwischen September und November 2003 serialisierte Biographie der Autorin durch Xia Zuli und Zhang He. LIN HAIYIN: Die Geheimnisse der Yingzi, S. 9; Lin Haiyin wenji: »Chengnan jiushi«, S. 3f. BAI XIANYONG: Einsam mit siebzehn, S. 151; BAI XIANYONG: Taibeiren, S. 119.

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kennt keine Moral, die Alten sind zu Krankheit und Tod verurteilt. Bai Xianyongs Geschichten sind denkbar einfach aufgebaut. Sie entstanden im Rahmen einer sogenannten Campusliteratur, als sich im Übergang von den 50er zu den 60er Jahren eine Reihe junger Autoren und Literaturwissenschaftler in Ablehnung der verordneten antikommunistischen »Staatsliteratur« der westlichen Moderne öffneten und Autoren wie Franz Kafka (1883–1924) bekannt zu machen begannen. Campusliteratur, das meinte eine Literatur von Akademikern über Akademiker für Akademiker. Dies gilt selbstverständlich nicht zur Gänze für Bai Xianyong. Sein Gegenstand sind keine Akademiker, sondern Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. Gleichwohl schwingt in der Nostalgie ein Bewußtsein mit, das für die traditionelle chinesische Gelehrtenund Beamtenschaft typisch ist. Die vierzehn Erzählungen von Menschen in Taipeh haben Bai Xianyong berühmt gemacht. Ob es sich hier wirklich um große Literatur handelt, mag bezweifelt werden. Aus heutiger Sicht scheinen die Plots mit ihren Kontrastpaaren Vergangenheit und Gegenwart, Schein und Sein zu simpel, ihre Handlungsträger längst nur noch Teil der Historie zu sein. Wenn der Spezialist für Literatur auf Taiwan Zhang Henghao seinen Forschungsgegenstand im Vergleich mit der Weltliteratur als zweit- bis drittklassig einstuft,535 dann gilt dies vielleicht nicht unbedingt für Bai Xianyong, doch wird man ihn auch mit seinem späteren Werk kaum der großen Literatur zurechnen können.536 Das Gefühl der Verlorenheit und des Verlustes, welches die Menschen in Taipeh auszeichnet, ist Ausdruck eines Zeitgeistes, der sich, von den 50er Jahren ausgehend, bis heute nicht gänzlich verflüchtigt hat. Wir können dies auch den zahlreichen und beliebten Vertonungen der frühen Lyrik des Zheng Chouyu (geb. 1933) entnehmen. Dieser wie gesagt auf dem Festland geborene, auf Taiwan aufgewachsene und seit langem in den USA lebende Dichter mit amerikanischem Paß hat in den 50er Jahren eine Vielzahl von Versen geschrieben, die heute auch außerhalb von Taiwan wohlbekannt sind. Beispielhaft und viel gesungen ist der folgende »Mönchsgesang« (»Ji«) von 1954.537 Kein Unterwegs mehr, ich mag nicht der Sänger des Raumes sein, schon lieber ein Steinmann der Zeit. Und doch bin ich der kosmische Wanderer. Welt, behalt mich nicht. Auf diese Erde kam ich aus einer Richtung nur, gehe nun in jede Richtung fort.

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CHANG HENG-HAU: »Critical Reading. Taiwan’s Indomitable Homegrown Literature«, in: Sinorama 28.9 (2003), S. 86–95. Vgl. hierzu die sehr kritische Einschätzung von WOLF BAUS in: ARNOLD (Hg.): KLfG. Vgl. weiter DERS.: »Schicksal. Zum Fatalismus in den Erzählungen des Bai Xianyong«, in: minima sinica 1/1991, S. 21–46, minima sinica 2/1991, S. 153–155. Übersetzt nach Zheng Chouyu shiji, Bd. 1 (1951–1968), Taipeh: Hongfan 2003, S. 6.

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In diesem als Lied zu sechs Zeilen konzipierten Gedicht fallen einige »Reizworte« auf: liulang und youzi. Beide meinen unstete Wanderschaft. Sie variieren ein altes buddhistisches Thema, nämlich das der Unbeständigkeit allen Seins. Gleichwohl läßt sich auch hier ein politischer Unterton des ansonsten als unengagiert eingeschätzten Dichters heraushören. Der letzte Doppelvers enthält das Wortspiel yifang und bafang, »eine Richtung« und »acht Richtungen«. Die eine Richtung könnte die vom Festland nach Taiwan sein, die acht Himmelsrichtungen mögen dann für den Aufbruch vom Eiland in die Welt stehen. Und so ist denn dieser Lebensweg von Zheng Chouyu auch konsequent beschritten worden. Damit sind die Deutungsmöglichkeiten jedoch noch nicht erschöpft. Der oben erwähnte Steinmann (shiren) stellt eine Verkürzung aus shiren shima dar, das sind Steinfiguren, ob Mensch, ob Tier, die an sogenannten Seelenwegen aufgestellt wurden und zum Grab eines Herrschers führten. Als Steinmann bringt ein ehemaliger Sänger natürlich seine Zeit zu einem Abschluß: Nach dem Abgesang hält er Totenwache. Und wenn nicht dies, so bricht er auf. Doch wohin? Die Sache mit den Richtungen ist auch taoistisch zu deuten. Nach taoistischer Auffassung entsteht aus dem Einen das Unendliche, und so kann bafang das Ureine (Taiji) meinen. So gesehen ließe sich der letzte Doppelvers folgendermaßen verstehen: Ich kam aus der Enge von Raum und Zeit, ich gehe nun ins Unendliche ein. Man hat über dem sehr lyrischen Dichter den versteckt politischen Dichter vollkommen außer acht gelassen.538 Auf diese Weise haben sich viele Verse verselbständigt und sind zu geflügelten Worten geworden. Im Zuge der Aufarbeitung des Weißen Terrors hat Zheng Chouyu immer wieder auf die Zensur der damaligen Zeit verwiesen, die eine Umschreibung seiner Texte verlangte: So war es verboten, »Genosse« zu schreiben, von »fünf Sternen« oder einem »roten Stern« zu sprechen. Demzufolge wurde bei der Publikation aus dem »Genossen« ein »Kollege«, aus den »fünf Sternen« wurden »vier Sterne«, aus dem »roten Stern« wurde ein »blauer Stern«. Man befürchtete heimliche kommunistische Propaganda. Selbst offensichtliche Liebesgedichte entpuppen sich heute als politische Texte. Nehmen wir das Gedicht »Irrtum« (»Cuowu«) von 1954 als Beispiel, dessen Wendung »ein schöner Irrtum« (meili de cuowu) inzwischen selbst zum Sprachbestand von taiwanesischen Politikern gehört. Es ist nun Teil des Zyklus »Kleinstadt: Thema und Variation« (»Xiao cheng lianzuo«).539 Das Motto wurde in der folgenden Übersetzung ausgelassen. Kein Ostwind naht, keine Flocken fliegen im März Dein Herz ist wie eine winzige einsame Stadt 538

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So auch ich in einer frühen Deutung, s. WOLFGANG KUBIN: »Der schwarze Ritter auf dem eisernen Pferd. Bemerkungen zu Zheng Chouyus poetischer Variante des fahrenden Liebhabers«, in: DRACHENBOOT 1(1987), S. 23–29. Hier finden sich auch weitere Übersetzungen. Vgl. weiter Orientierungen 1/2005, S. 129–143. Übersetzt nach Zheng Chouyu shiji, Bd. 1, S. 8. Zu einer ähnlichen Fassung sowie anderen Übersetzungen von Zheng Chouyus Gedichten s. KUBIN: Nachrichten von der Hauptstadt der Sonne, S. 177 bzw. S.174–181.

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Der Blick vom Rand: Taiwan, Hongkong und Macau ein grüner Steinpfad in den Abend wo niemand geht, wo kein März den Lenzvorhang hebt Dein Herz ist ein winziger verschlossener Fensterladen Der Hufklang meines Pferdes ist ein schöner Irrtum Ich kehre nicht heim, ich bin nur unterwegs...

Bei Hufklang mag man die Assoziationen haben, die das Thema des Gedichtes auch nahezulegen scheint. Doch es geht in Wahrheit nicht um Rittergeschichten. Hufklang hat etwas – so erklärt der Dichter heute540 – mit dem antijapanischen Krieg zu tun. Sein Vater hatte bei Wuhan gegen die Japaner gekämpft, die Armee war fast vollständig aufgerieben worden. Mutter und Kind befanden sich auf der Flucht. Als sie in der Nähe des Schlachtfeldes vorbeikamen, war die Zugstrecke unterbrochen. Auf dem weiteren Fußmarsch hörte das Kind hinter sich Hufgetrappel: Pferde zogen Kanonen vorbei. Der »schöne Fehler« beruht so gesehen nicht auf dem wankelmütigen Herzen eines fahrenden Ritters – so meine frühere Interpretation –, sondern ist Folge kriegerischer Tatsachen. Der Reiter zieht von Schlacht zu Schlacht und kann deshalb nicht heimkehren. Dies würde auch erklären, warum Zheng Chouyu das Gedicht dem traditionellen Genre der Frauenklage (guiyuan) zurechnet und die weibliche durch eine männliche Stimme ersetzt hat. Der Text liest sich zwar wie ein Theaterspiel, hat aber nichts mit einem »Liebesspiel« zu tun. Insofern führt das Motto in die Irre und verleitet den Leser zu einem »schönen Fehler«. Das Motto lautet: »Ich ziehe durch Jiangnan. / Da wartet im Lenz eine Schöne auf mich. Ihr Antlitz ist wie der Lotos, der blüht, der welkt.« Jiangnan ist eine alte Bezeichnung für Süd(ost)china. Mit ihr verbinden sich Vorstellungen von schönen Frauen, gutem Schnaps, anmutiger Landschaft, Muße, Kunst und Gelehrsamkeit. Kein Wunder also, wenn die Leserschaft dem »schönen Fehler« amouröser Assoziationen verfällt. Es gilt, an den Ausgangspunkt unserer Überlegungen zurückzukehren. Es war oben konstatiert worden, daß die Bewegung zu einer bodenstämmigen Literatur und Kunst ein Bewußtsein hat prägen helfen, das als »taiwanesisches« gegen China und gegen den Westen gerichtet war. Das erste Opfer ihrer Kritik war die (westliche) Moderne und die von ihr beeinflußte einheimische Campusliteratur. Der amerikanische Sinologe David Wang spricht von drei Zentren eines chinesischen Modernismus der Vergangenheit, der den Modernismus der Gegenwart auf dem Festland seit den 80er Jahren habe vorbereiten helfen: Shanghai in den 30er Jahren, Taipeh und Hongkong in den 60er Jahren.541 In der Tat gehen hier viele Dinge ineinander über, die der Klärung bedürfen. Wider alle Verlautbarungen, Taiwan sei »das freie China«, müssen wir 540

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So Zheng Chouyu zu mir in Gesprächen, die im April 2003 in New Haven und im Dezember 2003 in Bonn geführt wurden. DAVID DER-WEI WANG: »Introduction«, in: CHI u. WANG (Hg.): Chinese Literature in the Second Half of a Modern Century, S. XXVIII.

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uns in die Erinnerung zurückrufen, daß die Kulturpolitik der Guomindang bis 1987 nicht unbedingt der Kulturpolitik der Kommunistischen Partei Chinas unähnlich war. Ein Ausweg aus der von oben verordneten Literaturpraxis schien jungen Literati wie Bai Xianyong oder Wang Wenxing (geb. 1939) und den späteren weltberühmten Sinologen Leo Ou-fan Lee (d.i. Li Oufan, geb. 1939), C.T. Hsia (d.i. Xia Zhiqing; geb. 1921) sowie dessen Bruder T.A. Hsia (d.i. Xia Ji'an, 1916–1965) nur durch eine Hinwendung zur westlichen Moderne möglich. Hier galt jedoch mitunter, was auch vorher schon in Schanghai und später auf dem Festland gang und gäbe war bzw. wurde: die Nachahmung, die selten an das Vorbild der Übersetzung heranreichte, wurde zum Mittel der Befreiung von politischer Bevormundung. Kafka, Freud, Albert Camus (1913–1960) waren besonders beliebte Vorbilder, wenn es um den Entwurf des Unbewußten oder des Absurden ging.542 Wenn auch ideologisch überzogen, war die spätere Kritik der bodenstämmigen Literaten an der gekünstelten Ausdrucksweise nicht unberechtigt. Dies zeigt sich insbesondere im Fall der seit Mitte der 50er Jahre praktizierten modernistischen Poesie, deren wichtigste Vertreter Ji Xian (geb. 1913), Luo Fu (geb. 1928), Yang Mu (geb. 1940) und Yu Guangzhong (geb. 1928) sind.543 Die meisten von ihnen stammten vom Festland, zu den wenigen auf Taiwan geborenen Repräsentanten gehört Yang Mu. Der vielfach auch ins Deutsche übersetzte Yu Guangzhong mag hier beispielhaft angeführt werden.544 Sein Zyklus Lotos542

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Vgl. hierzu die 1939 in Hiroshima geborene, auf Taiwan zwischen 1945 und 1962 aufgewachsene, seit 1962 in den USA lebende Erzählerin Ouyang Zi, s. CARSTEN HOEFER: Literarischer Modernismus in Taiwan. Ouyang Zis Kurzgeschichten, Dortmund: projekt verlag 1996 (= edition cathay; 14). Oder den 1939 auf Taiwan geborenen Erzähler Qideng Sheng, s. CAROLINE DRAEGER: Das Spiel mit dem Absurden. Der taiwanesische Autor Qideng Sheng, Bochum: Brockmeyer 1994 (= Chinathemen; 82); C.H. WANG: »Fancy and Reality in Ch'i-teng Sheng’s [d.i. Qideng Sheng] Fiction«, in: JEANETTE L. FAUROT (Hg.): Chinese Fiction from Taiwan. Critical Perspectives, Bloomington: Indiana UP 1980, S. 194–205; LI-FEN CHEN: »Form and Its Discontent: A Rereading of Chi'teng Sheng’s [d.i. Qideng Sheng] Fiction«, in: Modern Chinese Literature 6.1/2 (Frühling, Herbst 1992), S. 179–202. Diese sind vielfach ins Englische, inzwischen auch ins Deutsche übersetzt u. kommentiert worden, s. u.a. TIANCHI MARTIN-LIAO u. RICARDA DABERKOW (Hg.): Phönixbaum. Moderne taiwanesische Lyrik, Bochum: projekt verlag 2000 (= arcus chinatexte; 19); CHI PANG-YUAN u.a. (Hg.): An Anthology of Contemporary Chinese Literature. Taiwan: 1949–1974, Vol. 1: Poems and Essays, Taipeh: National Institute for Compilation 1975; DOMINIC CHEUNG (Hg.): The Isle Full of Noises. Modern Chinese Poetry from Taiwan, New York: Columbia UP 1987; JULIA C. LIN: Essays on Contemporary Chinese Poetry, Athens u.a.: Ohio UP 1985; WAI-LIM YIP (Hg.): Modern Chinese Poetry. Twenty Poets from the Republic of China 1955–1965, Iowa: University of Iowa Press 1970; ANGELA JUNG PALANDRI (Hg.): Modern Verse from Taiwan, Berkeley u.a.: University of California Press 1972; MICHELLE YEH u. N.G.D. MALMQVIST (Hg.): Frontier Taiwan. An Anthology of Modern Chinese Poetry, New York: Columbia UP 2001. Zu seinem Werk s. die Dissertation von DETLEF KÖHN: Akzente zur Lyrik Yü Kuang-Chungs [d.i. Yu Guangzhong], Universität Göttingen 1981. Vgl. auch ANDREAS DONATH: »Ein Lang-

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Assoziationen (Lian de lianxiang, 1964)545 entstand nach einem längeren Aufenthalt in Amerika und nach einem Besuch von Europa. Folglich ist die abendländische Geistesgeschichte ebenso hineingearbeitet wie die chinesische. Eine verständige Lektüre setzt viele Kenntnisse voraus. Diese auf Taiwan sehr beliebten Liebesgedichte enthalten jedoch auch aus sich selbst heraus nachvollziehbare Verse. Dazu gehört »Im Regen warten« (»Deng ni zai yu zhong«).546 Ich warte auf dich im Regen, im Regenbogen bildenden Regen. Die Zikadenstimmen versinken, die Frösche kommen heraus. Die Lotosblüten auf dem Teich Sind rote Kerzenflammen im Regen. Ob du kommst oder nicht, Ist unwichtig geworden. Ich fühle, daß jede Lotosblüte Dir gleicht, besonders Bei diesem feinen Regen, wenn Dämmerung uns trennt. Ewigkeit, Augenblick, Ewigkeit. Ich warte auf dich, ich warte innerhalb der Zeit, ich warte außerhalb der Zeit, ich warte auf dich im Augenbick und in der Ewigkeit. Läg deine Hand in meiner Hand, dein Duft in meiner Nase, ich sagte: Geliebte, mit diesen Händen könntest du im alten Königsschloß die Lotosblüten brechen.

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gedicht von Yu Kwang-chung [d.i. Yu Guangzhong]«, in: HANS LINK u.a. (Hg.): China. Kultur, Politik und Wirtschaft. Festschrift für Alfred Hoffmann, Tübingen u. Basel: Erdmann 1976, S. 51–56. Bei dem fraglichen Langgedicht handelt es sich um »Gedanken für Schlagzeug« (»Qiaoda yue«) von 1966, die anläßlich einer Autofahrt durch die USA um Amerika, die Kulturrevolution und den Dichter kreisen. YÜ GUANG-DSCHUNG [d.i. Yu Guangzhong]: Lotos-Assoziationen. Moderne Liebesgedichte, aus dem Chinesischen übertragen u. mit einer Einführung versehen von ANDREAS DONATH, Tübingen und Basel: Erdmann 1971. YÜ GUANG-DSCHUNG: Lotos-Assoziationen, S. 23–24. Zum Original s. YANG MU, ZHENG SHUSEN (Hg.): Xiandai Zhongguo shixuan, Bd. 1., Taipeh: Hongfan 1989, S. 355–357.

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION Mit diesen Händen solltest du In einem Magnolienboot Das Zimtholz-Ruder führen. Am Dach des Naturkunde-Museums Hängt wie ein Ohrring der Abendstern. Die Armbanduhr sagt sieben. Da kommst du, du schreitest Durch die Lotosblüten nach dem Regen, du kommst wie eine Strophe aus einem Liebeslied des dreizehnten Jahrhunderts, es reimt sich: du bist da.

Kein großes Gedicht fürwahr. Es steht ganz in der Nachfolge von Dai Wangshus berühmtem Meisterwerk »Gasse im Regen«. Es mischt traditionelle Bilder (»Magnolienboot«) mit modernen Vergleichen (»wie ein Ohrring der Abendstern«), es scheut sich nicht, Lotos (lian) und Liebe (lian), die homophon sind, durch Verweis auf die Präzision einer »Schweizer Uhr« (im Text: Armbanduhr) zu versachlichen. Ähnlich fremd stehen das »Naturkundemuseum« (»Kexueguan«) und das »Liebeslied« (»Xiaoling«) einander gegenüber. Ort des Treffens ist der Botanische Garten von Taipeh. Unweit von dessen Lotosteich befindet sich besagtes Museum im pseudochinesischen Stil, das heute der Nationalgeschichte gewidmet ist. Als meisterlich ist hier lediglich die Repetition zu bezeichnen, die schon in den 30er Jahren als modernistisches Verfahren gang und gäbe war. Sie macht das Gedicht leicht und täuscht über das hinweg, was den Kritikern des Modernismus so sehr ein Dorn im Auge war. Das moderne Gedicht hatte in einer Zeit, da antikommunistische Literatur gefragt war, auch aus ganz praktischen Gründen einen schweren Stand. Regierungskonforme Literatur wurde nämlich mit hohen Preisen ausgezeichnet, die einem Monatsgehalt entsprechen konnten.547 Bekanntlich eignet sich jedoch moderne Literatur auf Grund ihrer Ambivalenz nicht zu eindeutigen Stellungnahmen. Der frühe Yang Mu ist ein gutes Beispiel.548 Nehmen wir einmal das Gedicht »Der Mann in Schwarz« (»Heiyi ren«, 1958).549 547 548

549

MICHELLE YEH: »Introduction«, in: YEH u. MALMQVIST: Frontier Taiwan, S. 22. Ein Überblick über sein Werk auf deutsch bietet YANG MU: Patt beim Go. Gedichte chinesisch – deutsch, aus dem Chinesischen von SUSANNE HORNFECK u. WANG JUE, München: A1 2002. Zu einem Interview mit Yang Mu s. ARTHUR SZE u. MICHELLE YEH: »Frontier Perspectives: Yang Mu, Ya Xian, and Luo Fu«, in: Mānoa 15:1 (Contemporary Poetry from Taiwan), S. 27– 31. Zur Deutung s. SUSANNE ETTL-HORNFECK: »Yang Mus Beifang. Die Reise eines taiwanesischen Dichters im Kernland des Wenhua Zhongguo«, in: CHRISTIANE HAMMER u. BERNHARD FÜHRER (Hg.): Chinesisches Selbstverständnis und kulturelle Identität. »Wenhua Zhongguo«, Dortmund: projekt verlag 1996 (= edition cathay; 22), S. 225–234. Original, englische Übersetzung u. Interpretation bei YEH: Modern Chinese Poetry, S. 20–21, S. 147.

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Der Blick vom Rand: Taiwan, Hongkong und Macau Hin und her. Vor meinen Wimpern Einen Moment draußen vor der Tür, der Stimme der Wellen eingedenk Ja, der Mann in Schwarz ist wolkig! Vor dem Orkan Ich nehme die Regenlandschaft vom Fenster herab Ich nehme die Schatten der alten Wutong-Bäume herab Ich nehme dich herab

Das Subjekt bleibt hier vage. Man kann nur mutmaßen, daß das lyrische Ich im Angesicht eines nahenden Sturms vor der Haustür auf und ab geht und schließlich in Erwartung der Gefahr alles, was habhaft zu sein scheint, hereinzuholen bemüht ist. Dazu gehören auch eine Landschaft und eine nicht näher gekennzeichnete Person. Die Ambivalenz beginnt bereits beim Titel. Es könnte sich bei der Person auch um eine Frau handeln, die sich – so vielleicht der erste Vers – unruhig hin und herbewegt, darin den Wolken ähnlich. Möglicherweise sind jedoch auch die Wolken Thema zu Beginn. Selbstverständlich sind Texte wie diese ohne jeden sozialen Bezug, sie scheinen rein ästhetischer Natur und nur der reinen Sprache wie der Schönheit verpflichtet zu sein. Die spätere Kritik der bodenstämmigen Literaten machte sich dementsprechend nicht allein an dem puren Ästhetizismus, sondern auch an dem offensichtlich mangelnden gesellschaftlichen Engagement fest. Moderne ist hier eher Form als Inhalt. Sie ist Spiel, und als solches erlaubte sie, sich frei der Sprache statt den vorgegebenen politischen Themen zu widmen. Als Form und Spiel stellt sie eine sprachliche und kulturelle Übersetzung dar, die auf Lektüre und Nachahmung beruht.550 Wichtiger Vermittler für eine Umsetzung der angelesenen westlichen Moderne war als Übersetzer der später sehr einflußreiche amerikanische Sinologe Wai-lim Yip (Ye Weilian, geb. 1937), der auch seinerzeit schon als Dichter hervorgetreten ist. Wenn denn damals Moderne auf Taiwan eine reine Form ohne spezifischen Inhalt bedeutet, so muß sie von einer Moderne in Europa unterschieden werden. Wie später auch auf dem Festland teilte man generell nicht den Pessimismus, der für Denker wie Georg Büchner (1813–1837), Nietzsche oder Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) so typisch ist. Auffassungen von Moderne als unabdingbarer Verlust eines »Zentrumsgefühls« sind zur damaligen Zeit weniger denkbar. Man vertraute blind den bürgerlichen Werten der Moderne, und vor allem stand man ganz auf der Seite von Technik und Fortschritt. Kurz, Moderne, das war vor allem (Natur-)Wissenschaft. In diesem Rahmen war die Kunst als vermeintlich autonome eine rein handwerkliche, eine technische Angelegenheit. Der Gedanke von Freiheit als Emanzipation, die der einzelne permanent gegen Staat und Religion zu erkämpfen und zu verteidigen hat, tritt dagegen zurück. Mit ihrer Kritik am Modernismus scheinen die Vertreter der Heimatliteratur 550

Vgl. hierzu u. auch zum folgenden SUNG-SHENG YVONNE CHANG: Modernism and Nativist Resistance. Contemporary Chinese Fiction from Taiwan, Durham u. London: Duke UP 1993, bes. S. 107, 116.

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION

auf einer Seite mit den Kritikern der Moderne in Europa zu stehen. Doch da ihr Gegenstand jeweils ein anderer ist, fällt auch ihre Stellungnahme jeweils anders aus. Die bodenstämmigen Literaten haben anscheinend schon mit Vorgriff auf den späteren Postkolonialismus im Modernismus den westlichen Kapitalismus sein Unwesen treiben sehen und den vermeintlichen Kulturimperialismus verdammt. Man stand aber auch allgemein gegen das Wertesystem, das mit der Guomindang vom Festland gekommen war. Man verachtete alles Städtische und pries alles Ländliche. Man könnte die damalige Kritik an der Moderne einfach ad acta legen, wenn sie aus heutiger Sicht tatsächlich rein historischer Natur wäre. Nun trifft es sich aber, daß manche der damaligen Avantgardisten, die gleichzeitig durchaus auch Antikommunisten oder Traditionalisten sein konnten, angesichts der massiven Vorbehalte eine Kehrtwendung vollzogen haben, um zur Gegenseite überzulaufen oder einen anderen Weg einzuschlagen, und daß auf dem Festland die Diskussion über eine »Kulturkrise« Anfang der 80er Jahre unter ähnlichen Vorzeichen wieder aufgeflammt ist. Gegenstand war ebenfalls der Modernismus, der in Peking nicht weniger als in Taipeh zuvor mißverstanden wurde.551 Die Argumente lauteten nicht unähnlich, lediglich die Kritiker hatten die Positionen gewechselt. Der Angriff erfolgte nicht von unten, sondern von oben her. Die Regierung selber sah den Staat höchst gefährdet und lancierte im Herbst 1983 die Bewegung zur »Beseitigung der geistigen Verschmutzung« (»qingchu jingshen wuran«). Wir wollen jedoch dem nicht vorgreifen, sondern die unterschiedlichen Positionen auf Taiwan literarisch und beispielhaft belegen. Zu diesem Zweck greifen wir uns die beiden Exponenten Wang Wenxing und Huang Chunming (geb. 1939) heraus. Wang Wenxing wird allgemein als der chinesische James Joyce bezeichnet. Er verdankt diesen Ruf einem Roman, der zunächst auf Taiwan sehr umstritten war, heute aber zu den Bestsellern zählt. Die Rede ist von Die Familienkatastrophe (Jiabian, 1972), einem Werk, das sich ganz der Imitation bzw. der Verarbeitung von Ulysses bzw. Finnegans Wake verdankt, auch wenn der Autor im Nachwort zur englischen Ausgabe andere westliche Autoren als seine Vorbilder benennt.552 Wang 551

552

Zur begrifflichen Fragwürdigkeit der Diskussion von Moderne und Modernismus auf Taiwan s. KO CH'ING-MING: »Modernism and its Discontents. Taiwan Literature in the 1960s«, in: CHI u. WANG (Hg.): Chinese Literature in the Second Half of a Modern Century, S. 76–95. Zum Modernismus auf Taiwan allgemein s. LEO OU-FAN LEE: »›Modernism‹ and ›Romanticism‹ in Taiwan Literature«, in: FAUROT (Hg.): Chinese Fiction from Taiwan, S. 6–30. WANG WEN-HSING [d.i. Wang Wenxing]: Family Catastrophe, aus dem Chinesischen übersetzt von SUSAN WAN DOLLING, Honolulu: University of Hawaii’s Press 1995, S. 249–250. Den Einfluß von Joyce weist nach: ANTON LACHNER: Die familiäre Katastrophe – Wang Wenxings literarischer Bildersturm. Sprache und Stil des Romans »Jiabian«. Mit einer Teilübersetzung und einer Einführung zu Autor und Werk, Frankfurt u.a.: Peter Lang 1988. Siehe weiter JAMES C.T. SHU: »Iconoclasm in Wang Wen-hsing’s [d.i. Wang Wenxing’s Jiabian] Chia-pien«, in: FAUROT: Chinese Fiction From Taiwan, S. 179–193; CHRISTOPHER LUPKE: »Wang Wenxing and the ›Loss‹ of China«, in: boundary 2 (Fall 1998), S. 98–128; HAN-LIANG CHANG: »Gra-

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Der Blick vom Rand: Taiwan, Hongkong und Macau

Wenxing ist auf dem Festland geboren und seit 1946 auf Taiwan aufgewachsen. Trotz mehrerer Aufenthalte in den USA ist er seiner neuen Heimat treu geblieben. Er ist ein Verächter der chinesischen Literatur im 20. Jahrhundert und ein Kritiker der bodenstämmigen Literatur. Die Aufregung um seinen Roman hat mit einem vermeintlichen Traditionsbruch zu tun, der in einem anderen Fall, nämlich dem des ersten chinesischen homosexuellen Romans Söhne des Bösen (Niezi, 1983)553, auch seinem Verfasser, Bai Xianyong, nachgesagt wird. Wang Wenxing behandelt einen Konflikt zwischen Vater und Sohn sowie die Suche des Sohnes nach dem Vater. Dabei steht die traditionelle Tugend der Kindespietät (xiao) zur Debatte. Daß dies zu einem Proteststurm in allen gesellschaftlichen Schichten Taiwans hat führen können, hängt mit der Vernachlässigung des Erbes vom 4. Mai zusammen. Man hatte 1919 längst die chinesische Familienstruktur als Hort der Unterdrückung denunziert. Insofern holt Wang Wenxing lediglich nach, was die Rebellen von Lu Xun bis Ba Jin längst vor ihm getan haben. Allerdings nur inhaltlich, denn sprachlich beschreitet Wang Wenxing für chinesische Verhältnisse neue Wege, die vielleicht erst mit Yang Lians (geb. 1955) dichterischem Werk Ende des 20. Jahrhunderts wieder aufgenommen worden sind. Der Autor experimentiert nämlich, indem er bewußt gegen die herrschende Sprachnorm verstößt, Zeichen erfindet, Zeichen anders oder gar fehlerhaft schreibt, Sätze in Gestammel auflöst. Aus europäischer Sicht stellt der Roman weder als sprachliches Experimentierfeld noch als Kritik an konfuzianischen Werten eine besondere Herausforderung der Leserschaft dar. Wer mit der experimentellen Literatur eines Arno Schmidt (1914–1979), eines Ernst Jandl (1925–2000), eines Hans Carl Artmann (1921–2000) oder Oskar Pastior (geb. 1927) vertraut ist, wird der monomanen Schreibe von Wang Wenxing wenig abgewinnen können. Während der auf dem Festland geborene Wang Wenxing durch seine kritische Auseinandersetzung mit der Struktur und Ideologie der chinesischen Familie das traditionelle China gleichsam zu zerstören bemüht ist, baut der auf Taiwan geborene Huang Chunming das durch die Kriege heruntergebrachte China unter anderen Vorzeichen wieder neu auf. Er tut dies aus einer nationalistischen Sicht, die für die bodenstämmige Literatur nicht untypisch ist. Am besten läßt sich dies an seiner bekanntesten Erzählung »Sayonara – Auf Wiedersehen!« (»Sayonara Zaijian«, 1973) demonstrieren.554 Trotz seines bekannten Namens und trotz dieser vieldiskutierten Erzählung

553

554

phemics and Novels Interpretation: The Case of Wang Wen-hsing«, in: Modern Chinese Literature 6.1/2 (Frühling, Herbst 1992), S. 133–156. Zu seinem Werk s. auch die drei Beiträge in Modern Chinese Literature 1.1 (September 1984), S. 29–65. BAI XIANYONG: Niezi, Hongkong: Wah Hon 1988; engl. PAI HSIEN-YUNG [d.i. Bai Xianyong] : Crystal Boys, aus dem Chinesischen übersetzt von HOWARD GOLDBLATT, San Francisco: Gay Sunshine 1990. HUANG CHUNMING: Sayonara – Auf Wiedersehen [Erzählungen], aus dem Chinesischen von WOLF BAUS u.a., Bochum: projekt verlag 1999 (= arcus chinatexte; 16), S. 233–280. Zum Original s. HUANG CHUNMING: Sayonara Zaijian, Taipeh: Yuanjing 1974, S. 105–171. Zur Interpretation s. KUBIN: Die Jagd nach dem Tiger, S. 143–160 (»The Search for Identity. Huang-

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION

wird man Huang Chunming, der sich im Grunde genommen nur von 1967 bis 1977 der Literatur verschrieben hat, nicht als großen Autoren bezeichnen können. Seine Mängel sind nicht nur sprachlicher Art, sondern auch ideologischer Natur. Was heute aus der zeitlichen Distanz unangenehm auffällt, ist der selbstgefällige und belehrende Ton von »Sayonara – Auf Wiedersehen«. Gleichwohl bleibt die Erzählung aktuell, denn der Vorwurf des Erzählers, japanische Männer führten als Sextouristen den Krieg gegen China mit anderen Mitteln fort, wird auch heute noch auf dem Festland erhoben.555 Insofern hat der »Klub der tausend Enthauptungen« trotz seines Ortes in einer Erzählung immer noch repräsentativen Charakter: Statt wie im Krieg tausend Chinesen zu töten, wollen nun sieben japanische Männer tausend chinesische Frauen (Prostituierte) beschlafen. Ihre Waffe ist nicht mehr das Schwert, sondern der Phallos. Über ihre Schlachten führen sie sogar Buch. Der Erzähler, der als Zuhälter im Namen einer Firma agieren muß, ersinnt ein Mittel, wie er die ihm widerwärtige Angelegenheit zu einem psychologischen Sieg wenden kann. Durch die fingierte Übersetzung eines Gesprächs zwischen den sieben Japanern und einem jungen Chinesen hilft er, das Überlegenheitsgefühl seiner Gäste abzubauen und das Bild des jungen China als Vorbild aufzubauen. Zu guter Letzt gestehen die Touristen ihre Verstrickung in den damaligen Krieg. Was der Leser längst ahnt, daß nämlich der Erzähler, der die Japaner als »Hunde« und »Pack« karikiert, seine Gäste haßt, kommt wie vieles andere auch plakativ zum Ausdruck. Es ist das Moralisierende, Belehrende und Vereinfachende, was die Erzählung als literarisches Ereignis so unbefriedigend erscheinen läßt.

555

Chunming’s Short Story ›Sayonara Zaijian‹«). Zum Autor s. HOWARD GOLDBLATT: »The Rural Stories of Hwang Chun-ming [d.i. Huang Chunming]«, in: FAUROT: Chinese Fiction from Taiwan, S. 110–133; ISA GRÜBER: Moderne Zeiten. Chinesische Literatur aus Taiwan. Huang Chemmings (sic!) Erzählungen 1967–1977, Bochum: Brockmeyer 1987 (= Chinathemen; 28). Zu einer englischsprachigen Ausgabe der Erzählungen s. HWANG CHUN-MING [d.i.Huang Chunming]: The Drowning of an Old Cat and Other Stories, aus dem Chinesischen übersetzt von HOWARD GOLDBLATT, Bloomington: Indiana UP 1980. Leicht modifiziert wieder aufgelegt unter: HUANG CHUN-MING: The Taste of Apples, übersetzt von HOWARD GOLDBLATT, New York: Columbia University Press 2001. Zur Erzählkunst des Huang Chunming s. LI JUI-T'ENG: »Comfort the Old? On the Condition of the Aged in Huang Ch'un-ming’s Fiction«, übersetzt von SYLVIA LI-CHUN LIN, in: Taiwan Literature. English Translation Series 5 (1999), S. 81–99. Vgl. South China Morning Post, 29.9.2003, S. A 1, 6 (»Reports of Japanese Orgy in Zhuhai Spark Outrage«).

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2. Der Blick vom Zentrum Aus leicht nachvollziehbarer politischer Motivation ist der Unterschied zwischen der (Nachfolge-)Republik China auf Taiwan und der Volksrepublik China bis in die 90er Jahre immer sehr stark betont worden, und zwar hauptsächlich von solchen Vertretern, die Antikommunismus vorbehaltlos mit Demokratie gleichsetzten. Wir haben jedoch gesehen, daß die Literatur auf der Insel bis 1987 genausowenig frei war wie bis 1979 bzw. 1989556 auf dem Festland, ja es läßt sich über die Lenkung der Literatur und die Drangsalierung der Schriftsteller hinaus noch manch andere Gemeinsamkeit ausmachen, die Taipeh mit Peking teilt: Die Literaturkritik ist penetrant moralischer Natur, und Schreiben bedeutet sehr oft, in der Nachfolge eines anderen zu schreiben. Wir können sogar sagen, daß die beiden scheinbar unterschiedlichen Literaturen mittlerweile über ihre nichtchinesischen Vorbilder zusammengefunden haben: Werke des jeweils anderen Lagers werden auf beiden Seiten der Straße von Taiwan publiziert, die Literaten treffen einander, ob auf der Insel oder auf dem Festland. Neben Kafka, Sartre und anderen standen als Paten die Postmoderne, der magische Realismus, die Frauenliteratur in den 80er Jahren zur Vermittlung bereit. Über die Qualität der Werke, die sich in dem einen Fall von der simplen antikommunistischen Schreibe und der vordergründig sozialkritischen »Heimatliteratur«,557 in dem anderen von parteilicher und moralischer Bevormundung befreiten, wird noch lange zu diskutieren sein. Anders scheint es dagegen mit der gelenkten Kunst vor 1987 bzw. 1979 zu stehen: Hier klingt inzwischen das Verdammungsurteil in Ost und West wie aus einem Munde. David Wang hat jedoch für diese Art von Kriegsliteratur jüngst einen diskussionswürdigen Rettungsversuch unternommen.558 Er spricht ihr soziologische Bedeutung zu: Nur durch diese Art von Literatur erführen wir etwas über die (seelischen) Wunden der damaligen Zeit. Als eine Art Vorläufer der späteren »Wundenliteratur« handelten die Autoren den schmerzhaften Fall des Vaterlandes, den Verlust von Heimat und Familie sowie die zahllose Opfer verlangende Wiedergeburt von China ab. Der nationale Diskurs und die nationale Thematik seien daher notwendiger Bestandteil ihres Genres, nämlich des historischen Romans, dessen geschichtlicher Diskurs die peinvolle Frage nach den Gründen und Ursachen für Untergang und Aufstieg stelle. Unabhängig von der Tatsache, daß man mit einer solchen Deutung der literarisch unbedeutenden »Wundenliteratur« ahistorisch vorgreift, ist man metho555

556

557

558

Diese Daten mögen zunächst verwirren, sie dürften im Laufe der Darstellung jedoch Kontur gewinnen. Vgl. hierzu YANG CHAO: »Beyond ›Nativist Realism‹. Taiwan Fiction in the 1970s and 1980s«, in: CHI u. WANG: Chinese Literature in the Second Half of a Modern Century, S. 96–123. DAVID DER-WEI WANG: »Reinventing National History. Communist and Anti-Communist Fiction of the Mid-Twentieh Century«, in: CHI u. WANG: Chinese Literature in the Second Half of a Modern Century, S. 39–75.

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disch im Grunde genommen an den Anfang einer Beschäftigung mit der Literatur der Volksrepublik China zurückgekehrt. Die eher soziologische Betrachtung der 70er, 80er Jahre559 hat ebenfalls die sozialistische Schreibe nur als Material zur Erkenntnis von gesellschaftlichen Strukturen verstanden. Als »Rädchen und Schräubchen« des Machtapparates war ihr Ort ein solcher im Staat, als »Transmissionsriemen« gab sie die Ideologie von oben nach unten weiter. Der Untergang des Sozialismus bzw. – im Falle der Volksrepuplik China – dessen Anpassung an das kapitalistische System haben die maoistische Literatur jener Jahrzehnte trotz aller bis heute anhaltenden Neuauflagen obsolet werden lassen. Dürfen wir also die Künste des Festlandes zwischen 1949 und 1979 bei unserer Betrachtung außer acht lassen? Gab es in jenen Jahren wirklich keine Literatur, die einer ästhetischen Deutung wert wäre? Oder weichen wir besser auf Nebenschauplätze wie Hongkong aus, wo jemand wie Liang Bingjun (Leung Ping-kwan) seit den 60er Jahren kontinuierlich schreibt und damit seine Kollegen auf dem Festland wie auf der Insel, die eher nur wenige Jahre kreativ zu sein pflegen, zeitlich gesehen weit hinter sich läßt? Der Schanghaier Literaturwissenschaftler Chen Sihe schlägt einen anderen Ausweg aus diesem Dilemma vor.560 Er plädiert für die Literatur der Schubladen: Es habe immer gute Literatur gegeben, diese habe zwischen 1949 und 1979 jedoch nicht publiziert werden können. Nun sei es an der Zeit, ihr ihren Ort in der damaligen Zeit wiederzugeben und sie dementsprechend aus den Schubladen hervorzuholen. Ich denke, daß das Problem tiefer liegt. Manche der damaligen Künstler waren handwerklich nicht unbedarft, manche haben auch heute noch ihr Publikum. Man denke nur einmal an die Pekinger Oper der Kulturrevolution. Manche waren nicht ohne Wirkung und Einfluß auf den Westen. Sie haben zum Beispiel bei Andy Warhol (1928–1987) Spuren hinterlassen. Überdies verfolgten sie eine Ästhetik, welche den Forderungen der westlichen Massenkultur nach einer Aufhebung der Differenz von Elite und Volk formal nicht unbedingt fernsteht. Was ist also zu tun? Zunächst ist von der vielstrapazierten Vorstellung Abschied zu nehmen, die Volksrepublik China sei zwischen 1949 und 1979 ein rein »feudalistischer« Staat gewesen und habe erst 1979 mit dem Beginn der Vier Modernisierungen ihren Weg in die Moderne gefunden. Eine solche Sicht ist Teil eines Propagandaapparates, der sich zur Rechtfertigung seiner neuen kapitalorientierten Politik gegenüber der alten ideologieverbrämten Machtstruktur gezwungen sah. Die Volksrepublik China war bereits mit ihrer Ausrufung am 1. Oktober 1949 ein modernes Staatswesen. Lediglich ihr Begriff der Moderne war ein anderer als der im Westen gängige. Gegen eine ambivalente Moderne 559

560

Symptomatisch ist hier RUDOLF G. WAGNER (Hg.): Literatur und Politik in der Volksrepublik China, Frankfurt: Suhrkamp 1983 (= es; 1151), eine auf ihre Art bahnbrechende Studie. Siehe in dieser Hinsicht auch die Ergebnisse einer Berliner Konferenz von 1978 zur Literatur der Volksrepublik China: KUBIN u.WAGNER (Hg.): Essays in Modern Chinese Literature and Literary Criticism. CHEN SIHE (Hg.): Zhongguo dangdai wenxue shi, Schanghai: Fudan Daxue 1999.

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Der Blick vom Zentrum

setzte sie eine totalitaristische. Ihr Kampf gegen eine westliche Moderne, wie sie vor 1949 in den Künsten zum Ausdruck gekommen war und sich zum Teil auf Taiwan noch zum Ausdruck verhalf, war aus ihrer Sicht ein notwendiger Beitrag zur Konsolidierung des neuen Staates. Und dem hatte sich alles unterzuordnen. Aus europäischer Sicht dient die Moderne aber nicht nur dem Staat, sie hatte und hat zunächst emanzipatorische Funktion: Nicht die Nation soll aus den Fängen ihrer Unterdrücker befreit werden, sondern der einzelne hat sich aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu lösen. Dies tut er, indem er den Kampf gegen die politischen und religiösen Mächte aufnimmt. In diesem Sinne können wir durchaus den 4. Mai von 1919 zunächst als eine Moderne westlichen Stils begreifen. Der anfängliche Anspruch des Indiviuums auf Selbstbestimmung wird jedoch nicht durchgehalten, sondern nach und nach dem Wohl der Nation bedingungslos untergeordnet. Dies hat eine unmittelbare Auswirkung auf das Schreiben. An die Stelle der Ambivalenz der Moderne tritt nämlich eine ideologische Eindeutigkeit, die mit Hilfe fortgeschrittener Technik und im Glauben an die wissenschaftliche Planbarkeit totalitaristisch im ganzen Land umgesetzt wird. Text und Autor, die sich eigentlich voneinander gelöst haben und nicht mehr miteinander identifiziert werden dürfen, treten nun wieder so zusammen wie auch Schriftsteller und Gesellschaft, die vorher in einem Spannungsverhältnis standen. Wer jetzt schreibt, steht auf der Seite der Kommunistischen Partei Chinas, was er schreibt, ist Ausdruck seiner Weltanschauung, die zum gegebenen Zeitpunkt vollkommen mit den politischen Direktiven der Staatsführung übereinstimmt und erst im veränderten Kontext sich als überholt oder als der Zeit voraus erweist. Die Folge: kein unpersönlicher bzw. unzuverlässiger Erzähler mehr, keine Erprobung des point of view mehr, keine seelischen Abnormitäten mehr, es sei denn, auf der Seite des Gegners. Lediglich eine Variante der Moderne scheint zu verbleiben, nämlich die des Selbstbezüglichen. Bekanntlich begegnet der moderne Mensch nach dem »Tode Gottes«, das heißt nach dem Verlust der einstigen unverbrüchlichen Schriftordnung, nur noch seinesgleichen bzw. sich selbst. Der Bezug auf seinesgleichen bzw. sich selbst gewinnt mit fortschreitender Individualisierung den Charakter des Selbstreferentiellen. Ob Mensch, Nation oder Staat, man tendiert dazu, um sich selbst zu kreisen. Zwar ist die chinesische Kultur nach 1949 zunächst eine übersetzte,561 doch schon sehr bald beginnt sie, sich von ihrem übermächtigem Vorbild, der Sowjetunion, zu lösen und ihre eigene Ästhetik im Rahmen des Großen Sprunges nach vorn (1958) zu entwickeln. Aus dem sozialistischen Realismus wird die Theorie von Revolutionärem Realismus und Revolutionärer Romantik, welche Mao Zedong als den Größten Menschen in das Zentrum des künstlerischen Schaffens stellt. Auf diese Weise wird die chinesische Moderne über die politische auch zu einer ästhetischen Religion. Die theologische Selbsterhöhung, welche die Kommunistische Partei Chinas gleichsam 561

HONG ZICHENG: Zhongguo dangdai wenxue shi, Peking: Beijing Daxue 1999, S. 18–22.

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION

als ihr Programm betreibt, wird in einem Zirkular deutlich, das sie 1949 verschickt: »Die Verwirklichung des Kommunismus ist die Erfüllung der Hoffnungen Jesu«.562 Da nicht nur in den christlichen Kirchen, sondern auch in den buddhistischen und taoistischen Tempeln die Konterfeis der chinesischen Führungsschicht Jesus, Buddha und den Gelben Kaiser ersetzen, ist der Maoismus nicht nur latent theoretisch, sondern auch praktisch als eine Ersatzreligion zu verstehen. Hinter der Umfunktionierung ehemals heiliger Stätten und Lehren steckt durchaus ein modernes Kalkül. Der sich zwischen 1839 und 1949 immer stärker abzeichnende Ordnungsschwund geht auf die Begegnung mit dem Westen zurück. Das traditionelle ganzheitliche Denken Chinas wurde insofern in Frage gestellt, als es in seiner Auseinandersetzung mit neuen Weltanschauungen relativiert wurde: Es war nicht mehr absolut und universal gültig, sondern es stellte nur noch eine mögliche unter anderen möglichen Ideologien dar. Ein solcher Pluralismus der Meinungen hat jedoch nie eine besondere Befürwortung auf seiten der chinesischen Staatsführung finden können. Die Ersetzung des »reinen Wirklichkeitssinns« durch den »reinen Möglichkeitssinn« hat nicht nur in China zu einer bis heute anhaltenden Krise geführt, sondern auch in Europa: Wenn es keine ein für allemal verbindliche Gesellschaftsform gibt, was ist dann die gemeinsame Anschauung, welche eine Gemeinschaft zusammenhält?563 Auf beiden Seiten war die Totalisierung der Gesellschaft ein Versuch, den Verlust des »Ganzen« wieder wettzumachen. Dies gilt für das Dritte Reich ebenso wie für die Sowjetunion. Sowohl die Republik China (einschließlich Taiwan) als auch die Volksrepublik China standen beide unter dem Einfluß von Faschismus und Sozialismus, sie haben jeweils einen Weg eingeschlagen, der Elemente beider Lager zu einem eigenen Weg verband. Oberstes Ziel war dabei, die verlorene Einheit wiederzugewinnen. Hierfür bedurfte es einer Ersatzform, welche die Herstellung einer neuen ganzheitlichen Ordnung zu suggerieren in der Lage war. Der Maoismus konnte aber nur zu einer Ersatzform werden, wenn er nach der nahezu gänzlichen Zerstörung aller Glaubensgemeinschaften selber mythische und religiöse Züge annahm. Diese gewann er mit bewußtem Rückgriff auf die chinesische Tradition und das Christentum. Es ist nun das Kalkül des allumfassenden Planes zur systematischen »Theologisierung« der Gesellschaft, welches die Volksrepublik China von Anbeginn zu einem modernen Staat macht. Auf ihre Glaubensinhalte konnte auch nur gläubig reagiert werden: Von 1949 bis 1979 durch ein stammelndes »Ah« und »Oh« der parteiischen Literati und seit 1979 durch ein »Ich glaube nicht« (Bei Dao) bzw. durch ein »Sonne, ich zweifle« (Zhai Yongming) der sogenannten verlorenen Generation. Wie möchte ich das oben angeschnittene Problem des literarischen Werts von chinesischer Literatur zwischen 1949 und 1979 gelöst wissen? Ich mag weder die 562

563

So zu lesen in der Ausstellung des Instituts Monumenta Serica und des China-Zentrums »Die Gesichter Jesu in China«, Museum Haus Völker und Kulturen, St. Augustin 15.2. – 15.5.2003. Zu dieser Problematik s. BERNHARD WALDENFELS: Der Stachel des Fremden, Frankfurt: Suhrkamp 1989 (= stw; 868), S. 15–27.

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Der Blick vom Zentrum

»Schubladenliteratur«, die in ihrer Zeit keinerlei Rolle spielte, zu sehr betonen, noch möchte ich die Kriegsliteratur schönreden, die heute nicht mehr wahrgenommen wird. Die Werke der damaligen Jahrzehnte stellen ein oftmals in sich geschlossenes ästhetisches System dar. Sie sind verblaßt, wie auch heute Heinrich Böll (1917– 1985) und seine Zeitgenossen im deutschen Sprachraum verblaßt sind. In beiden Fällen fühlt man sich mittlerweile anderen künsterischen Auffassungen verpflichtet. Ich möchte jedoch Dinge ernstnehmen, die heute eher belächelt oder beschwiegen werden, die aber helfen würden, die politische Religion des Maoismus zu erkennen und die neue Literatur seit 1979 oftmals als eine Gegenreaktion zu verstehen. Wenn Zhai Yongming zum Beispiel ihren Zyklus »Frauen« 1984 mit dem Vers »Die Frau in Schwarz kommt tief in der Nacht« eröffnet und im zweiten Gedicht mit der oben genannten Aussage »Sonne, ich zweifle« (»Taiyang, wo zai huayi«) fortfährt, wird nicht nur der Sonnenkult eines Guo Moruo in Frage gestellt, sondern auch die Lichtmetaphorik der Partei, wie sie in ihrem Organ, der Guangming Ribao, der »Tageszeitung des Lichts«, Gestalt annimmt. Weiß man dies nicht, wird man unweigerlich die Poetik des »nächtlichen Bewußtseins«, welche die Dichterin ihrem Zyklus voranstellt, für einen Nachklang der deutschen Romantik halten.564 Natürlich bin ich mir im klaren darüber, daß ich mit meiner Verfahrensweise Literatur wiederum zu soziologischem Material zu degradieren oder aufzuwerten drohe. Eine Alternative sehe ich in diesem Fall momentan jedoch nicht. Will man all die politischen Kampagnen in ihrer tieferen Bedeutung verstehen, die unmittelbar nach Ausrufung der Volksrepublik China die Künste landesweit und unaufhörlich heimsuchen, muß man sich über den manichäischen Charakter der Verfolgungen klar werden.565 Das politische Vokabular jener Jahre führt nicht zufällig Worte auf, die immer wieder mit Ausrotten, Ausmerzen, Vernichten zu tun haben. Es ist dies ein Vokabular, das sich erst Mitte der 80er Jahre verändert hat und heute noch in jährlichen Aktionen wie »hart zuschlagen« (yan da) nachklingt. Sein Hintergrund hat mit der Legitimationskrise seit 1912 zu tun. Das chinesische Kaiserreich gründete bekanntlich in der politischen Überzeugung einer halbreligiösen Gemeinschaft von Himmel und Gesellschaft. Der Herrscher einte als Stellvertreter der kosmologischen Ordnung auf Erden die diesseitige und »jenseitige« Sphäre. Hieraus leitete sich all seine Macht ab, die als solche von keinem Untertanen in Frage gestellt wurde, da der geringste Zweifel auch das eigene Selbstverständnis untergraben hätte. Erst mit der Revolution von 1911 und mit der Ausrufung der Republik von 1912 tat sich die Legitimationsfrage auf: Was war nach dem Untergang des kaiserlichen China die 564

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Zu dem genannten Text s. ZHAI YONGMING: Kaffeeehauslieder, aus dem Chinesischen u. mit einem Nachwort von WOLFGANG KUBIN, Bonn: Weidle 2004, S. 4ff. Zum Original des Zyklus s. ZHAI YONGMING: Cheng zhi wei yiqie, Shenyang: Chunfeng Wenyi 1997, S. 3–28. Die Poetik, die sich hier nicht findet, war mir nur im Urmanuskript zugänglich. Zum theoretischen Hintergrund vgl. HANS MAIER (Hg.): Totalitarismus und politische Religionen. Band III: Deutungsgeschichte und Theorie, Paderborn u.a.: Schöningh 2003.

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Grundlage des modernen China? Der Konfuzianismus war im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts nicht zur Staatsreligion zu erheben gewesen, dazu war der Widerstand zu groß. Eine andere Ideologie oder Religion schien nicht in Sicht, lediglich der Kommunismus bot sich über die Jahre als Plattform an. Er, der vorgab, rein weltlicher Natur zu sein, konnte das Problem der Souveränität und Legitimation jedoch nur auf religiöser bzw. quasi-religiöser Basis lösen und mußte daher überkommene Lehren wie das Christentum säkularisieren. Man mag im Kampf der Kommunistischen Partei Chinas gegen die (europäische) Moderne zwar eine antimoderne Tendenz bzw. eine Gegenaufklärung sehen, doch wie schon vor 1949 führt Mao Zedong zwecks Mobilisierung der Volksmassen eine Aufklärung in seinem Sinne durch: Sollte der Chinese vor 1949 gegen seinen äußeren Feind aufstehen, so soll er sich nun gegen den inneren erheben. Dazu bedurfte es neuer theoretischer wie praktischer Fähigkeiten, die über Schulen, Hochschulen, Straßenkomitees und Propagandaabteilungen vermittelt wurden. Eine solche Mobilmachung hat es im traditionellen China nie gegeben, sie ist nur möglich dank einer technisch-naturwissenschaftlich geplanten Moderne. Was vermittelt wurde, wurde religiös eingekleidet, damit die neue Orthodoxie in jeder Hinsicht »glaub«-würdig war. Die innerweltliche Religiosität erforderte einen neuen Feier- und Festkalender: Die Zeitenwende von 1949 teilte sich ein in »vor der Befreiung« (jiefang qian) und »nach der Befreiung« (jiefang hou). Man begeht seitdem jährlich und landesweit den 1. Oktober 1949 als Gründungstag der Volksrepublik China, den 1. Juli 1921 als Gründungstag der Kommunistischen Partei Chinas, den 1. August 1927 als Gründungstag der Volksbefreiungsarmee etc. Man gedenkt also immer einer Sinnstiftung, für die Rituale wie Weihe, Askese, Opfer und Reliquienkult notwendig werden. Ihre Letztbegründung ist von dogmatischer Gewißheit und schriftlich festzuhalten. Insofern gibt es sehr bald einen neuen Katechismus, die sogenannte »Mao-Bibel«, und neue heilige Texte, nämlich die Ausgewählten Werke von Mao Zedong. Beides ist regelmäßig zu lesen, zu zitieren und wenn möglich bei sich zu führen. Es gibt Wallfahrtsorte wie Geburtsort (Shaoshan) und Grab (Mao-Mausoleum) des »großen Führers« (weida lingxiu). Einmal im Leben hat ein wahrer Anhänger vor Ort gewesen zu sein. Die chinesische Nation, die Klasse des Proletariats und bedingt auch die Hanchinesische Rasse avancieren zu neuen »transzendenten« Größen. Lange zuvor hatte bereits Guo Moruo in seinen Göttinnen vom »Arbeiter als Gnadenbringer« (»Gongren! Wode enren!«) gesprochen.566 Ähnlich wird später während der Kulturrevolution von der »Gnade» (enze, enqing) des Mao Zedong die Rede sein. Der Arbeiter und ihr Führer, beide schlüpfen in die Rolle des Erlösers, so daß Geschichte zur Heilsgeschichte wird. Ihr Ziel ist der »neue Mensch«, der nun anders als im Neuen Testament einen innerweltlichen Wandel durchläuft. Die Partei als Avantgarde des Heilsgeschehens setzt wie die Gnosis auf die Selbsterlösung, auf die Vollendung aus eigener 566

Guo Moruo quanji (wenxuebian) Bd. 1, S. 126 (»Chuo le ke de di-yi dian zhong li«).

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Der Blick vom Zentrum

Kraft. Da die perfekte Gesellschaft oftmals nur mit Gewalt herbeigezwungen werden kann, gehören Apokalypse und Eschatologie zur Praxis der hier und jetzt ins Werk gesetzten Erlösung. Ihr Führer ist Mao Zedong, ihr Prophet Guo Moruo und ihre Bruderschaft die Partei. Diese Trinität verleiht der Gesellschaft und ihrer Spitze sakrosankten Charakter. Es liegt in der Natur der Sache, daß während der Kulturrevolution Formen der Beichte und Anrufung von der Jugend zu üben waren. Im Tagebuch erstattete man täglich Bericht, vor Mao gelobte man jeden Morgen einen geziemenden Lebenswandel. Man wird die drei Jahrzehnte zwischen 1949 und 1979 vielleicht nur richtig erfassen können, wenn man neben dem manichäischen Charakter der Kampagnen auch die »Glaubenshaltung« der Opfer betont. Dies erlaubt, von einem Glaubenskrieg zu sprechen. Schauen wir uns nämlich die Aussagen der sogenannten Rechtsabweichler an, die – etwa 500.000 an der Zahl – unter der Zuständigkeit von Deng Xiaoping (1904–1997) aufs Land verschickt, in die Arbeitslager gesteckt oder ins Gefängnis geworfen wurden, so fällt eine Vokabel besonders ins Auge. Es ist das Verb »glauben«. Dies gilt für die damalige Zeit wie auch für die heutige, wenn sich die einstigen Opfer erinnern. Die Rede klingt immer gleich: Ich glaub(t)e an die Kommunistische Partei Chinas, ich glaub(t)e an ihren Führer Mao Zedong. Hier stand der eine Glaube, der Glaube der realistischen Marxisten, gegen einen anderen Glauben, den Glauben der marxistischen Utopisten. Die eine Seite verfügte über das Wort, die andere über die Waffen. Das folgende Beispiel mag zwar methodisch nicht ganz gerechtfertigt sein, doch gleichsam symbolischen Charakter hat in diesem Zusammenhang das Schicksal der überzeugten Kommunistin und praktizierenden Christin Lin Zhao (1932–1968). Als Rechtsabweichlerin zu zwanzig Jahren Haft verurteilt, hat sie im Gefängnis ihre Anklage gegen Mao Zedong mit ihrem eigenen Blut geschrieben und sich dabei immer wieder auf den christlichen Gott berufen. Der Gedanke der Nächstenliebe schloß für sie konsequent die Feindesliebe mit ein, so daß sie sich mit der öffentlichen Demütigung von Freund und Feind nicht abfinden konnte, sondern immer wieder dagegen einschritt. Das maoistische System, das wesentlich seinen Sieg der Erzeugung von Haß verdankte, wäre von einer solch konsequenten Nächstenliebe untergraben worden. Daher verfügte Mao Zedong persönlich die Hinrichtung, um den »Glauben« an seinen Kanon retten zu können. Lin Zhao wurde dadurch zur Märtyrerin. Ihr Blutzeugnis hat jedoch Geschichte gemacht, die heute dokumentiert ist, aber bislang nicht öffentlich gemacht werden konnte.567 Insofern ist der Glaubenskrieg immer noch nicht abgeschlossen. Der Glaubenskrieg der Kommunistischen Partei Chinas ist ein in sich widersprüchlicher Krieg. Er bekämpft jeden anderen Glauben und bezichtigt jede Religion des Aberglaubens sowie der Verführung, gleichzeitig macht er sich aber die religiösen 567

Der Dokumentarfilmer Hu Jie ist in seinem Film Auf der Suche nach Lin Zhao (Xunzhao Lin Zhao) den Spuren für mehrere Jahre nachgegangen. Das 2003 abgeschlossene Projekt konnte bislang im Ausland nur privat gezeigt werden.

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION

Formen zunutze, um die vermeintlich richtigen Inhalte an ein möglichst großes Publikum vermitteln zu können.568 Dabei wird die Sakralisierung der Literatur von einer Mythologisierung der Geschichte begleitet: Alle historischen Ereignisse gewinnen unter der Führung der Partei repräsentativen und einmaligen Charakter. Hierzu steht eine Sprachpolitik zu Gebote, deren Ziel Säuberung und Drill ist, sowohl im geistigen wie im körperlichen Sinne. Das vermeintlich richtige Sprechen und Schreiben verwandelt Schriftsteller wie Leser ganzheitlich. So unwissenschaftlich der Maoismus sein mag, so wissenschaftlich ist er bei der Durchsetzung seiner Ziele. Deswegen ist für die Volkrepublik China eine Rücknahme der Moderne als individueller Befreiung bei gleichzeitiger Forcierung von Moderne als vollkommen durchgeplanter Ausrichtung der Gesellschaft kennzeichnend. Ihre natürlichen Begleiter sind Größenwahn und Weinerlichkeit. Man vergießt Tränen im Anblick der eigenen Größe, und man beklagt das Leid der Vergangenheit, das 1949 vermeintlich abrupt endete.

568

Vgl. hierzu die Forderung von Zhao Shuli in FEUERWERKER: Ideology, Power, Text, S. 117.

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3. Die Organisation der Literatur

Im Gegensatz zur frühen Sowjetunion, die den Künstlern unmittelbar nach der Oktoberrevolution noch einen ästhetischen Spielraum beließ, wurde die Literatur in der Volksrepublik China sogleich nach deren Ausrufung staatlich organisiert. Dies erfolgte mit Rückgriff auf die veränderte sowjetische Kulturpolitik, die seit den 30er Jahren Literatur und Kunst unter staatliche Aufsicht gestellt hatte. Die Kontrolle erfolgte formal durch den Schriftstellerverband und inhaltlich verstärkt durch Kampagnen. Man hat bislang der politischen Funktion der künstlerischen Vereinigungen und des Verlagswesens wenig Aufmerksamkeit geschenkt.569 Daher sind hier einige Ausführungen vonnöten. Der Allchinesische Schriftstellerverband (Zhongguo Zuojia Xiehui) wurde im Juni 1949 gegründet und hat seinen Sitz in Peking. Seine Aufgabe besteht darin, unter der Führung der Kommunistischen Partei Chinas die Schriftsteller im ganzen Land und aus allen Völkern zu einen, zu organisieren und zu leiten, um so die sozialistische Literatur unseres Landes blühen zu lassen 570 und zu entwickeln.

Die Aufnahme in den Verband erfolgt auf Grund von Eigenbewerbung und durch die Empfehlung von zwei Mitgliedern. Sein höchstes Organ ist die Generalversammlung der Mitglieder. Dabei steht ein Vorstand (lishihui) mit einem Präsidium (zhuxituan) vor, das aus einem Präsidenten (zhuxi), mehreren Vizepräsidenten (fuzhuxi) und einem Sekretariat (shujichu) von neun bis elf Personen gebildet wird. Das Sekretariat ist das ausführende Organ für die tägliche Arbeit. Es spricht im Namen des Parteikomitees des Verbandes und ist insofern ein Zentralorgan. Wir sehen, wie hier Politik und Kunst, Partei und Ästhetik eine Einheit bilden, welche innerhalb der Vereinigung die Kontrolle über die Mitglieder und deren Schaffen garantierte. Die bekanntesten Publikationsorgane des Verbandes sind Renmin Wenxue (Volksliteratur) und Shikan (Lyrikjournal). Neben der Herausgabe von ehemals etwa 80 weiteren Literaturzeitschriften obliegt der Vereinigung die Organisierung von gemeinsamen Treffen, von Seminaren zu neuerschienenen Werken, von einer Fortbildung, die einer Parteischulung nahekommt. Als staatliches Organ teilte und teilt der Schriftstellerverband seine Mitglieder wie Beamte im traditionellen China in acht Ränge ein und behandelte sie somit als Staatsbeamte (guojia ganbu). Der erste Rang entsprach dem eines Professors, der zweite dem eines Assistenzprofessors etc. Die Autoren bezogen vom Verband je nach Einstufung ein entsprechendes festes Gehalt, 568

569

570

Eine der wenigen Ausnahmen stellt das methodisch sehr problematische Buch von PERRY LINK: The Uses of Literature. Life in the Socialist Literary System, Princeton: Princeton UP 2000 dar. So die Enzyklopädie Zhongguo dabaike quanshu. Zhongguo wenxue, Bd. 2, Peking, Schanghai: Zhongguo Dabaike Quanshu Chubanshe 1986, S. 1284.

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bekamen eine Wohnung gestellt und wurden medizinisch versorgt. Dies gilt im großen und ganzen bis zu Beginn der 90er Jahre. Das Jahr 1992 stellt insofern eine Zäsur dar, als die Einleitung einer markwirtschaftlich ausgerichteten Entwicklung der Volksrepublik China das vom Staat kontrollierte Preissystem ablöste. Damit verlor das einst vergleichsweise hohe Gehalt eines Schriftstellers seine Kaufkraft. Der Verband war nun nicht mehr unbedingt das Sprungbrett zum Erfolg. Der Autor, der nun eher auf den Markt als auf den Verband bzw. die Partei setzte, war fortan weniger staatlich kontrollierbar. Seit 1992 läßt sich daher die Tendenz beobachten, daß international namhafte Schriftsteller immer weniger organisiert sind und daß ein Eintritt in den Schriftstellerverband nicht mehr aus ideologischer Überzeugung, ja vielleicht nicht einmal mehr aus materiellen Erwägungen erfolgt, sondern einzig und allein aus Gründen des Prestiges und der Begünstigung. Als Staatsbeamter, als »Berufsschriftsteller« (zhuanye zuojia) erhält man eine bevorzugte Behandlung und Vergünstigungen wie Urlaub, Schreibaufenthalte im Hotel oder (Auslands-)Reisen. Da heute jedoch eher Jahresverträge abgeschlossen werden, darf man davon ausgehen, daß die Tendenz zum freien Autor, der früher automatisch als »antirevolutionär« galt, weiter den bisherigen Schriftstellerverband überflüssig und eine unmittelbare politische Zensur unmöglich machen wird. Erst die Einführung des Schriftstellerverbandes, der in allen Provinzen und »Stadtstaaten« Zweigstellen unterhielt, erlaubte es chinesischen Schriftstellern, vom Schreiben zu leben. Erfolgreiche Autoren vermochten dabei sogar sehr reich zu werden. So hat Du Pengcheng (1921–1991) allein mit seinem Roman Verteidigt Yan'an (Baowei Yan'an) gut 100.000 Yuan in den 50er Jahren verdient. Wenn man bedenkt, daß ein gutes Monatsgehalt selbst in den 70er Jahren noch bei 60 Yuan lag, war dies ein unvorstellbares Vermögen. Autoren wie Perry Link oder Chen Sihe betonen bei der Frage der Zensur gern die Tatsache der Selbstzensur. Natürlich hat »die Schere im Kopf« immer wieder eine große Rolle gespielt, doch sollten die Umstände, die dazu geführt haben, nicht außer Betracht gelassen werden. Da gab es zunächst den allgemeinen psychologischen Druck seit 1942, da gab es die delegierte Kontrolle durch den Schriftstellerverband, da gab es die Zentralisierung des Publikationswesens, und da gab es die landesweiten Kampagnen, die bis 1992 im nachhinein die Autoren für etwas belangten, was zum Zeitpunkt der Ausübung ihres Berufes noch nicht zur Debatte gestanden hatte, aber später politisch problematisiert worden war. Die Bezeichnung Dissident verbietet sich in den meisten Fällen, da die Autoren wenig Aufbegehren zeigten und in der Regel auf seiten der Partei standen. So hat selbst der vielfach kritisierte Erzähler Bai Hua (geb. 1930) noch 1984 »einen wahren chinesischen Schriftsteller« mit »einem wahren Sohn Chinas« gleichgesetzt, das heißt, das Los Chinas lag ihm mehr am Herzen als sein eigenes individuelles Schicksal. Von Dissens kann daher überwiegend nur intern die Rede sein: Man klagte China nicht im Angesicht des Auslands an, sondern man suchte im bestehenden System einen Weg zu beschreiten, der Auswüchse bekämpfte.

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Die Organisation der Literatur

Ansonsten hatte man eigentlich kaum Schwierigkeiten, den Anforderungen der Partei formal gerecht zu werden. Man befleißigte sich in seinen Werken der »korrekten« Darstellung lebender Führungspersönlichkeiten wie Mao Zedong oder Zhou Enlai (1898–1976), man erlernte die offizielle Politsprache, gleichsam eine neue Beamtensprache, die landesweit zwecks Ideologisierung des Volkes durch die Medien verbreitet wurde, man »bebilderte« nicht unwillig die »Tagespolitik« (tujie zhengce), und liebend gern »wandte man sich um des Volkes willen an die Vorgesetzten« (min qingming), die man in den Werken direkt ansprach. In letzterem Fall wird deutlich, daß die Autoren sich in ihrer Mittelposition zwischen Führenden und Geführten als Anwälte, als »Lehrer« des Volkes verstanden. Von dieser traditionellen Einstellung wird später noch die Rede sein. Natürlich kann all dies nur für jene Schriftsteller Gültigkeit beanspruchen, die damals publiziert haben. All die verstummten Autoren wie Shen Congwen oder Qian Zhongshu haben sich keinesfalls einer »Literatur auf Befehl« (zunming wenxue) gebeugt. Sie sahen vielleicht zu genau, daß zwischen der Forderung der Partei, die Künstler mögen »das Leben kennenlernen« (tiyan shenghuo), und der Praxis einer internen mündlichen wie schriftlichen Informationspolitik, in welche nur hohe Kader eingeweiht waren, ein Widerspruch klaffte, der für die Uneingeweihten tödlich sein konnte. Denn »lernte man das Leben kennen«, so lernte man es nach Maßgabe der Tagespolitik kennen, intern mochten aber längst andere Entscheidungen ins Auge gefaßt worden sein, die erst später zur Umsetzung gelangten. Wer also gestern die Tagespolitik A bebildert hatte, konnte hierfür morgen belangt werden, sobald die Tagespolitik B angesagt war. Dies galt bis in die 90er Jahre so. Inzwischen hat sich das Bild jedoch geändert. Die sogenannte sozialistische Marktwirtschaft chinesischer Prägung hat es mit sich gebracht, daß chinesische Schriftsteller mehr die Verkäuflichkeit ihrer Werke in Betracht ziehen. Es ist auch im Interesse der Verlage, wenn der Faktor des Marktes bei der künstlerischen Tätigkeit mit Berücksichtigung findet. Es macht sich in Zeiten der Öffnungspolitik international jedoch nicht gut, wenn Schriftsteller beim Verstoß gegen ungeschriebene Gesetze weiter drangsaliert werden. Deswegen liegt heute die Verantwortung beim Verleger bzw. beim jeweiligen Redakteur. Entsprechend führen Publikationen immer auch den Namen des für ein Buch, ja selbst für eine Erzählung oder einen Aufsatz Verantwortlichen an. Hier zeigt sich die Macht und Ohnmacht der Verlage. Die Vereinheitlichung des Publikationswesens nach dem Vorbild der Sowjetunion hatte in den 50er Jahren alle Zensur in die Hand der Verlage gelegt, da der Staat jedoch das wirtschaftliche Überleben garantierte, war es im Grunde gleichgültig, ob sich ein Angebot auf dem Markt gut verkaufte oder nicht. Heute, wo die staatlichen Garantien großenteils weggefallen sind, ist ein Verleger zum Erfolg verurteilt. Es sind nun gerade die erfolgreichen Titel, die Ärger einbringen. Von westlichen Journalisten wird in solchen Zusammenhängen immer wieder gern von »Verbot« gesprochen, dies wird aber der komplexen Angelegenheit nicht gerecht. Schanghaier Skandalautorinnen wie Mian Mian (geb. 1970) oder Wei Hui (geb. 1973) mögen zwar

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION

ihrer obrigkeitsgefährdenden »Körperschreibe« (shenti xiezuo) frönen, belangt werden sie dafür nicht. Sie können sogar an Buchmessen im Ausland teilnehmen oder ausländische Fernsehreporter empfangen, lediglich die Verlage haben das Nachsehen. Sie dürfen nämlich die fraglichen Werke nicht mehr ausliefern. Wenn diese erst mal in den offiziellen (shudian) wie halboffiziellen (shushang) Buchläden ausverkauft sind, werden sie auf dem Schwarzmarkt beliebig nachgedruckt. Das Nachsehen haben die Autorinnen und die Verleger, denn die Gewinne streichen nun andere ein. Die Kontrolle des Buchwesens war bis in die 80er Jahre möglich, als nicht nur Vervielfältigungsmaschinen, sondern auch Papierwaren kontingentiert waren. Dies bricht mit dem Pekinger Frühling (1978–1980) auf, deren Vertreter zeitweise Zugang zu den Vervielfältigungsmitteln erhalten. Das bekannteste Produkt ist die Literaturzeitschrift Jintian mit dem Untertitel »Today«, die heute noch im Ausland verlegt wird. Seit Mitte der 80er Jahre läßt sich ein sogenannter zweiter Kanal beobachten, über den nicht nur Schund massenhaft in Umlauf gebracht wird.571 Heute kann man konstatieren, daß jedes Werk aus dem In- oder Ausland zu haben ist. Die Zeiten sind also vorbei, wo eine Autorin wie Zhai Yongming ihren Zyklus »Frauen« (Nüren) 1984 heimlich an ihrer Arbeitsstelle während der Mittagspause 25mal kopieren mußte, um ihn an Leser weiterreichen zu können. Gleichwohl hat die Gleichschaltung auf dem Büchermarkt von 1949 bis 1979, von der Abkapselung bis zur Öffnung Chinas, im Sinne der Partei Wirkung gezeigt. Was schon vor 1949 erprobt worden war, die Verstaatlichung von Verlagen, wurde nach 1949 erfolgreich fortgeführt.572 Repräsentativen Charakter haben hier Verlage wie Remin Wenxue (Volksliteratur) und Buchläden wie Xinhua Shudian (Neues China) erlangt. Verlagswesen, Druckerei und Vertrieb waren gleichsam in der Hand der Partei. Ein wesentlicher Grund für die Vereinheitlichung war die Notwendigkeit, im ganzen Land dieselben Textfassungen der revolutionären Schriften sicherstellen zu können. Dies hatte zur Folge, daß auch die Werke der chinesischen Führungsspitze nur »zensiert« auf den Markt kamen. Bis heute ist ein authentischer Mao Zedong lediglich im Westen erschienen. Um den zentralen Buchvertrieb garantieren, die privaten Verlage verstaatlichen und das Schrifttum überwachen zu können, wurde ein Publikationshauptamt (chuban zongshu) eingerichtet, »die oberste staatliche Stelle für die Verwaltung des gesamten Publikationswesens«.573 Dieses war zunächst dem Regierungsrat und später dem Kulturministerium, also in jedem Fall der Zentralregierung unterstellt. Zensur vor und nach der Veröffentlichung war Sache der staatlichen Organe. Eine Kontrolle, was die Distribution angeht, fand zusätzlich duch die Post statt, deren Hauptaufgabe der Versand von Zeitschriften und Zeitungen war. 571

572

573

Lesenwert ist immer noch JIA LUSHENG: »Der zweite Kanal«, in: Die Tageszeitung, 9.4.1989, S. 25–26. S. hierzu und zum folgenden HANS J. HENDRISCHKE: Populäre Lesestoffe. Propaganda und Agitation im Buchwesen der Volksrepublik China, Bochum : Brockmeyer 1988 (= Chinathemen; 31). Ebd., S. 56.

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Die Organisation der Literatur

Wenn auch heute der Markt die Macht der Zensur weitgehend außer Kraft gesetzt hat, so übt der Staat im Bereich der Wissenschaft und der ernsten Literatur immer noch sein Hoheitsrecht aus. Er tut dies seit den 90er Jahren vornehmlich durch die Vergabe von ISBN-Nummern (shuhao) für Bücher und Zeitschriften. Ohne eine solche Nummer ist eine Publikation offiziell ausgeschlossen und kann, wenn sie »privat« erfolgt ist, als Verstoß geahndet werden. Nicht jeder Verlag bekommt jedoch die gewünschte Zahl von Nummern bzw. nicht jeder Verlag hat so viele Publikationsvorhaben wie Nummern. Deswegen gibt es mit diesen Nummern einen schwunghaften Handel. Da Zeitschriften jedoch strenger kontrolliert werden, werden eher die für Buchveröffentlichungen vergebenen Nummern verkauft und gekauft. Das ist ein wesentlicher Grund für die Tatsache, daß heute viele Zeitschriften in Buchform erscheinen.

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4. Die Literatur der Volksrepublik China

Die Lenkung der Künste mit Hilfe von politisch ausgerichteten Verbänden und einem vereinheitlichten Publikationswesen konnte keinesfalls schon von Beginn an zu dem von der Partei vielleicht erwünschten Ergebnis einer vollkommenen Kontrolle führen. Wir dürfen auch nicht von der Vorstellung ausgehen, daß sich die Lager – hier die Politik, dort der Geist – so eindeutig und klar gegenüberstanden. Wir müssen vielmehr annehmen, daß auf beiden Seiten zunächst ein guter Wille zum gemeinsamen Aufbau eines neuen Gemeinwesens vorhanden war. Daß beide Seiten sich jedoch so schnell voneinander enttäuscht geben konnten, liegt in der Natur der Sache: Die sozialistische Wirklichkeit sieht meist anders als die utopische Vorstellung aus, und die Gesetze der Politik müssen nicht denen der Literatur folgen. Tatsache ist, daß die Partei sich sehr bald zu weiteren Maßnahmen einer Reglementierung des Geistes gezwungen fühlte, um die Einflüsse der Vergangenheit zu eliminieren bzw. in den Griff zu bekommen. Zu diesem Zweck lancierte sie eine Reihe von Kampagnen, die zunächst rein künstlerischen Problemen zu gelten schienen, dann jedoch ins Politische umschlugen und einen landesweiten Charakter annahmen. Dabei wurde der Intellektuelle zum Sündenbock der Nation. Am bekanntesten sind heute die Fälle der Schriftsteller, da unter diesen einige namhafte Vertreter mit namhaften Werken zu finden sind. Es ist nun schon so viel über die damaligen Kampagnen auch auf deutsch geschrieben worden,574 daß hier ein grober Überblick genügen mag, um sich besser noch unerschlossenen Dingen widmen zu können. Galt im Rahmen der Bodenreform (1950–1952) der Kampf dem »Feudalismus« und der »Gentry«, also den vermeintlichen Überresten aller gesellschaftlicher Formationen vor 1949, so rückte im Rahmen des ersten Fünfjahresplanes (1953–1957) und der Anlehnung an die Sowjetunion die Kritik an den U.S.A und an den dort erzogenen bzw. ausgebildeten chinesischen Intellektuellen in den Mittelpunkt (1954–1955). Gegenstand der Auseinandersetzung war also das sogenannte bürgerliche Bewußtsein. Ihr namhaftester und daher am meisten bekämpfter Repräsentant war Hu Shi. Mit der Kollektivierung der Landwirtschaft und der Überführung der Industrie in Staatseigentum (1953–1955) fanden bei der Auseinandersetzung der Partei mit den Literati zwei entscheidende Verschiebungen statt: 1. Man sagte den eigenen Mitgliedern den Kampf an. 2. Aus einer literarischen wurde eine politische Kampagne, zu deren Exzessen auch wesentlich namhafte Schriftsteller beitrugen, um ihre eigene Haut zu retten. Meist in Erinnerung geblieben ist bis heute der Fall des Hu Feng, der am 18. Juli 1955 als erster Literat verhaftet wurde und seinen Widerstand gegen die kollektivistischen Visionen des Maoismus mit einer 574

KUBIN u. WILL: »Literatur und Kunst in den politischen Auseinandersetzungen der VR China zu Beginn der fünfziger Jahre«, S. 337–369.

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Die Literatur der Volksrepublik China

bald fünfundzwanzigjährigen Haftstrafe zu büßen hatte. Es wäre jedoch zu einfach, den Widersacher von Mao Zedong nur als Opfer einer fehlgeleiteten Politik zu sehen. Wie wir heute wissen575 und unten auch noch sehen werden, hat Hu Feng liebedienerisch um Mao Zedong gerungen und somit das System stärken helfen, das ihn schließlich geistig und psychisch vernichtet hat. Seine Forderung nach einem kritischen statt visionären »Realismus«, seine Forderung nach einer individuellen Meinung statt einer sprachrohrähnlichen Funktion des Autors, diese Forderungen klingen gut und schön, sind aber von ihm nicht ohne Anbiederung an die kommunistische Sache umgesetzt worden. Das heute zugängliche Material läßt daher manch wohlmeinende Ansicht der Vergangenheit, was die Einschätzung von »Opfern« und »Dissidenten« angeht, als übereilt erscheinen. Dies wirft nun nochmals die grundsätzliche Frage auf, wie im Rahmen unserer Literaturgeschichte mit Personen und Texten verfahren werden soll, die sich trotz ihrer einstigen Bedeutung aus heutiger Sicht völlig überlebt haben. Chen Sihe schlägt, wie gesagt, eine doppelte Strategie vor: Auch in den sanktionierten Texten habe es Untertöne und Nebenstimmen gegeben, woraus sich leicht die Tatsache erklären läßt, daß selbst diese später der Kritik anheimfallen konnten. Zum anderen lasse sich neben der öffentlichen Stimme stets auch die private aufspüren, die damals zwar nicht zu veröffentlichen gewesen, heute aber zu publizieren und damit zugänglich sei. Was Chen Sihe aus den Läuften der Zeit ausgräbt, sind Briefe, Tagebücher, Aufzeichnungen, die nicht als Literatur konzipiert gewesen sind, gleichwohl heute den Schluß erlauben, auch die vermeintlich verstummten Stimmen sind nicht gänzlich verstummt gewesen, vielmehr bilden sie mit den Werken, die eine Gegenlesung erlauben, eine Spur, die auch für die Jahrzehnte zwischen 1949 und 1979 eine Geschichte und eine Rede von Literatur erlaubt. Inwiefern diese Ansicht trägt, soll im folgenden zwar nicht das Hauptanliegen sein, wohl aber im Auge behalten werden.576 Auf Grund der Zäsur, welche das Jahr 1979 für die Volksrepublik China darstellt, empfiehlt sich eine Zweiteilung der Darstellung. Für die erste Phase, die 1949 beginnt und 1979 endet, ist die öffentliche Stimme herauszuarbeiten, welche die private immer mehr unterdrückt. Für die zweite Phase, die mit der 1978 verkündeten und seit 1979 praktizierten Öffnungspolitik beginnt, ist die private Stimme abzuhandeln, welche allmählich die öffentliche ersetzt und am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts zur dominierenden Stimme geworden ist. Äußerlich sichtbares Zeichen für diesen 575

576

Siehe hierzu den Bericht seiner Frau MEI ZHI: »Hinter hohen Mauern. Hu Feng und die ›Kulturrevolution‹«, aus dem Chinesischen von JUTTA DIEFENBACH u. CHRISTIAN SCHWERMANN, in: minima sinica 2/1994, S. 118–148. Unter den zahlreichen Briefen, die Shen Congwen nach 1949 geschrieben hat, s. Shen Congwen quanji, Taiyuan: Beiyue Wenyi 2002, Bd. 18–26, führt Chen Sihe als bemerkenswertes Beispiel den Brief »Vom 30. Mai [1949] abends um 10 Uhr in einer Pekinger Herberge« (»Wuyue sanshi hao xia shi dian Peiping sushe«), s. Bd. 19, S. 42–43, an. So ungewöhnlich dieses Schreiben über den Verlust der Mitte, den Abstand von der Literatur und die Sehnsucht nach dem Tod ist, so wenig kann es dennoch als ein großes Stück Literatur herhalten.

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION

Wandel ist die Einstellung der Zeitschrift Chinese Literature in Peking, welche – vom chinesischen Staat getragen – gut fünfzig Jahre lang offizielle Literaturpolitik betrieb und bei den Übersetzungen tunlichst auf »gesunde« Lesarten achtete, so daß die englische Übersetzung mit dem chinesischen Original nicht unbedingt identisch sein mußte.

4.1 Die Militarisierung der Literatur Die Künste sind seit 1949 ein bevorzugtes Mittel des Kampfes, um eine »neue« Gesellschaft durchzusetzen, und da ihre Ästhetik seit 1942 aus dem Krieg geboren ist, ist ihr Vokabular ein militärisches, das Klassenkampf und Guerillataktik betont. Der Autor ist »Rädchen und Schräubchen« der Partei und nicht mehr wie 1905 noch bei Lenin formuliert »Rädchen und Schräubchen der revolutionären Maschinerie«. Man machte es sich jedoch zu einfach, wenn man die oben bereits angesprochene Militarisierung der Literatur als eine rein maoistische Angelegenheit betrachten würde. Wir kennen ähnliche Tendenzen in der europäischen Literatur, wo der Soldat seit Jakob Michael Reinhold Lenz (1751–1792) literaturfähig wird,577 wo sich der Dichter seit Lord Byron als Soldat versteht und Poeten bis heute nicht müde werden, Schwert und Pinsel, Messer und Gedicht in einem Atemzug zu nennen, ganz zu schweigen von der Gestalt des miles christianus oder der Gründungsmythen aus dem Geist des Krieges.578 Natürlich gerät in Fällen wie diesen die Polarisierung der Gesellschaft nicht ganz so einfältig wie im Falle der Volksrepublik China zu Beginn der 50er Jahre. Da entstammten alle literarischen Konzepte dem Militär. Dieses hatte der Politik und damit der Kultur die Idee zweier feindlicher Heere vorgegeben, die miteinander um eine »neue« Gesellschaft rangen. Es war dies der Kampf gegen die »Kleinbourgeoisie«, ein Klassenkampf, der eines »vollkommen neuen proletarischen Großheeres der Künste« bedürfe, um in einem »Feldzug«, auf dem sich »die Streitkräfte« vereinigten, »von Sieg zu Sieg« eilend »die rote Fahne zu hissen« und »die weiße Fahne«, die Fahne des Gegners, einzuholen. Fassen wir zusammen: Die Kriegsästhetik, die eine »Staatsräson« (guojia yizhi) durchzusetzen und den »einfachen Menschen« als Stimme von Partei und Volk zu entwerfen hatte, diese Kriegsästhetik hatte vier Gesichtspunkte zu ihrem Kernstück: 1. Die Aufgaben von Literatur und Krieg sind eines. 2. Der Preis einer in der Geschichte noch nie dagewesenen Revolution ist Pflicht. 3. Das literarische Niveau hat sich nach den Soldaten als Angehörigen des Volkes zu richten (Massenkultur). 4. Die Kriegserfahrung hat der Ausgangspunkt für die Rekrutierung von Literaten aus den Massen zu sein (Amateurkünstler). Es wäre auch falsch zu meinen, die Schriftsteller wären alleiniges Opfer der Partei geworden. Eine solche Schwarzweißmalerei wird den Tatsachen nicht gerecht, denn 577

578

CURT HOHOFF: Jakob Michael Reinhold Lenz, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1977 (= rm; 50259), S. 72–83. Vgl. NIKOLAUS BUSCHMANN (Hg.): Der Krieg in den Gründungsmythen europäischer Nationen und der USA, Frankfurt a.M.: Campus Verlag 2004.

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Die Literatur der Volksrepublik China

von Anfang an sind es die Autoren selber gewesen, die ihre Kollegen drangsaliert und an die Staatsmacht ausgeliefert haben. Wir können dies dem ersten Schriftstellerkongreß entnehmen, der im Juli 1949 in Peking stattfand und nur geladene Teilnehmer kannte, »Leute, die das Volk braucht« (Mao Zedong). Ausgeschlossen waren Shen Congwen, Zhu Guangqian und Zhang Ailing. Während Zhou Yang lediglich den »richtigen« Weg der maoistischen Ästhetik bestätigte, ging Mao Dun einen Schritt weiter, indem er »falsche« Tendenzen unter den Literaten kritisierte, besonders bei solchen, die aus den Weißen Gebieten kamen. Hu Feng und seinesgleichen waren die bevorzugte Zielscheibe. Diese Kulturpolitik hatte schon 1948 in Hongkong begonnen. Guo Moruo hatte Shen Congwen, Zhu Guangqian und Xiao Qian als Vertreter der »kapitalistischen Klasse« angegriffen und hatte am Beispiel von Hu Fengs Literaturtheorie und von Lu Lings (1923–1994) Romanen579, obwohl doch beide zum linken Lager gehörten, Säuberungsmaßnahmen durchgeführt. Ebenso hatte es eine gezielte Kritik an denjenigen Autoren gegeben, die in den Weißen Gebieten besonders erfolgreich gewesen waren, wie zum Beispiel Qian Zhongshu oder Zang Kejia. Ziel der damaligen Kritik in Hongkong war die Vorbereitung der ersten Schriftstellertagung, die von Anfang an politischen Charakter haben sollte. Die vorzeitige bzw. folgende Einschüchterung zeigte »Erfolg«: Die großen Autoren verstummten fast alle: Ba Jin, Ye Shengtao, Feng Zhi, Zang Kejia, Cao Yu. Keiner von ihnen hat nach 1949 ein großes Werk hinterlassen. Will man die Schriftsteller unmittelbar nach Ausrufung der Volksrepublik China gruppieren, so bietet sich die Einteilung in drei Lager an: 1. Die sogenannten demokratischen Vertreter des linken Lagers bzw. auf seiten der Kommunistischen Partei Chinas. Sie hatten den Sieg des Kommunismus herbeigesehnt und priesen die neuen Machtverhältnisse. Hu Fengs Preisgesang »Die Zeit hat begonnen« (»Shijian kaishi le«, s.u.) ist in dieser Hinsicht repräsentativ. 2. Eine große Gruppe von unabhängigen Idealisten, die mit der Guomindang unzufrieden und vom Humanismus beinflußt waren. Ba Jin und Lao She seien stellvertretend genannt. 3. Vertreter, die bereits einmal mit der Linken oder mit der Partei in Konflikt geraten waren und sich bewußt aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatten, wie zum Beispiel Shen Congwen. Der Zwang zu Kritik und Selbstkritik führte im Fall des letzteren zu einem Selbstmordversuch. Heute ist die Gesamtausgabe seines Werkes von zwölf auf 32 stattliche Bände angewachsen, sie enthält auch neun Bände Briefe, so daß sich sein Schweigen 579

Zu seinem am meisten geschätzten Roman Die Kinder der Reichen (Caizhu di ernümen, 1948), s. DENTON: The Problematic of Self in Modern Chinese Literature, S. 191–220. Von diesem Roman liegt mir ein zweibändiger Nachdruck von 1995 vor: Hefei: Anhui Wenyi. Zur Deutung s. KIRK A. DENTON: »Lu Ling’s Children of the Rich: The Role of Mind in Social Transformation«, in: Modern Chinese Literature 5.2 (Herbst 1989), S. 269–292; Kang Liu: »Mixed Style in Lu Ling’s Novel Children of the Rich: Family Chronicle and Bildungsroman«, in: Modern Chinese Literature 7.1 (Frühling 1993), S. 61–87; YUE DAIYUN: Comparative Literature and China. Overseas Lectures, Peking: Peking UP 2004, S. 394–422.

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nach 1949 relativieren läßt.580 Ähnliches gilt auch für den großen Übersetzer Fu Lei (1908–1966), dessen Gesamtwerk heute zwanzig Bände umfaßt. Der These, daß bei aller Dürftigkeit der Literatur zwischen 1949 und 1979 doch auf dem Gebiet der Übertragung und des Briefwechsels in der stillen Kammer Großes geleistet worden ist, ist nicht zu widersprechen. Gleichwohl ist dies nicht der Trend der Zeit. Der Trend ist vielmehr der öffentliche Preisgesang, dessen wichtigster Vertreter Guo Moruo mit seiner Heldenverehrung ist. Dieser Trend ist bereits von Hu Feng zwischen 1949 und 1951 mit seinem sinfonieartigen, damals nicht gänzlich publizierbaren Langgedicht »Die Zeit hat begonnen« vorbereitet worden. Der erste Satz, das »Freudenlied« (»Huanle song«), preist die Eröffnung der politischen Konsultativkonferenz des Volkes im September 1949 und malt das Bild von Mao Zedong in den rosigsten Zügen aus. Der zweite Satz, das »Ruhmeslied« (»Guangrong song«) rühmt die chinesische Frau, der vierte Satz »Trost« (»Anhun qu«) ehrt die Märtyrer, zu deren Ehren auf dem Platz des Himmlischen Friedens ein Denkmal errichtet worden ist. Den Abschluß des Gesangs stellt mit dreitausend Versen das »Erneute Freudenlied« (»You yi ge huanle song«) dar, das die Staatsgründung feiert. Mit diesem Preis der neuen Macht wollte Hu Feng wohl praktisch seine Kritiker davon überzeugen, daß es möglich sein müsse, mit subjektivem Kämpfergeist, also ohne verordnete Formula, Kunst im Sinne der Gemeinschaft zu verfassen, denn er war der Überzeugung, daß zwischen der Stimme des Dichters und der Stimme des gärenden Zeitgeistes kein Unterschied bestehe. Der folgende Auszug erhebt Mao Zedong zum Giganten der Geschichte. Das Meer Es brodelt Es steigt hervor ein höchster Gipfel Mao Zedong Er steht unerschütterlich auf dem höchsten Gipfel als bückte er sich leicht als ballte er die rechte Hand zur Faust nach vorn als stände er an riesigem unsichtbarem Steuer als hielte er im Blick, was hierher strömte alle großen und kleinen Wasser

Mit seinem Urteil »Die Zeit hat begonnen« meinte Hu Feng, daß sich mit Mao Zedong und der Gründung der Volksrepublik die Zeit erfüllt hat. Zeit ist hier zu verstehen 580

Shen Congwen quanji [Taiyuan: Beiyue Wenyi 2002]. Diese Ausgabe ist gegenüber der zwölfbändigen aus Hongkong deswegen so angewachsen, weil neben den zahlreichen Briefen auch die wissenschaftlichen Arbeiten aufgenommen worden sind! Unglücklicherweise hat Shen Congwen in vorauseilendem Gehorsam gemeint, die Hongkonger Ausgabe seit 1982 eigenhändig zensieren zu müssen, so daß sich heute nicht mehr eindeutig sagen läßt, was in seinem Fall eigentlich ein Original ist und was nicht.

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im Sinne von kairos, von Zeitenwende, sie hat also einen religiösen Hintergrund, vor dem sich die Ankunft von Christus in der Welt und das Erscheinen von Mao Zedong im chinesischen (Welt-)Reich gleichsetzen läßt. Hieraus erklärt sich auch der kirchenliedähnliche Preisgesang, der nun allen abgefordert wird. Modellhaft steht seine hohe Stimme für die selbstbezügliche Stimme der politischen Sieger. Sein einziger Gegenstand ist das neue Zeitalter, das es nun im Aufbau zu bewahren gilt. Die Unerträglichkeit dieser Gesänge hat etwas mit dem Charakter der Selbstverdoppelung zu tun. Jemand, der sich selbst preist und dies nur in den Worten tut, die jedem geläufig sind, verdoppelt sich aus hermeneutischer Sicht selbst. Er läßt keine andere Sicht zu. Wir wollen diesen Gedanken unten noch einmal aufnehmen.

4.1.1 Die Erzählliteratur (Landreform, Krieg, Historie) Der damals den Autoren abverlangte Preisgesang äußerte sich vor allem im Roman zur Landreform und im Kriegsroman. Betrachten wir zunächst den ersteren, der sich der Vergenossenschaftlichung (hezuohua) auf dem Lande widmete. Diese war zwar zunächst 1955 mit Mao Zedongs Bericht »Zur Frage des genossenschaftlichen Zusammenschlusses in der Landwirtschaft«581 abgeschlossen, ging aber später über die Einrichtung von Volkskommunen (1958) und die Diskussion von Privateigentum bis in die Kulturrevolution weiter, so daß die Umgestaltung auf dem Lande ein beherrschendes Thema der Erzählkunst auch noch in den sechziger Jahren war. Da der Roman zur Landreform unmittelbar an die literarische Verarbeitung der Untersuchungsberichte der vierziger Jahre anknüpft, sei ein kurzer Rückblick erlaubt.582 Die Landreform war seit 1947 der erste großangelegte Versuch der Partei zu einer Reorganisation der chinesischen Gesellschaft in allen Bereichen, also politisch, wirtschaftlich, sozial, militärisch, kulturell etc. Es ging daher Mao Zedong nicht einfach um die Erringung von Macht, sondern um eine historisch völlig neue Ausrichtung von China. Als Dokumente dieses ungeheuren Umbruchs sind die seinerzeitigen Romane durchaus noch lesenswert. Sie wurden von der Partei bewußt eingesetzt, damit die Kader sich entsprechend in die möglichen Konflikte und Probleme einlesen konnten. Insofern verbietet sich die von der tschechischen Sinologin Milena Doleželová-Velingerová geforderte Lektüre dieser Literatur als »Literatur«.583 581

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Zur deutschen und chinesischen Fassung s. Mao Zedong Texte. Erster Band. 1949–1955. Schriften, Dokumente, Reden und Gespräche. Deutsche Bearbeitung und chinesische Originalfassung, hg. von HELMUT MARTIN, München, Wien: Carl Hanser Verlag 1979, S. 170–198, S. 365–378. Ich folge hier JOE C. HUANG: Heroes and Villains in Communist China. The Contemporary Chinese Novel as a Reflection of Life, London: C. Hurst & Company 1973, der meisterhaft den gesellschaftlichen Charakter der Landreform und der entsprechenden Romanliteratur zu belegen versteht. Die Werke gewinnen so einen historischen Charakter und machen als Dokumente die Zeiten und ihre Nöte verständlich. So auf der von Rudolf G. Wagner und mir im September 1978 an der FU Berlin organisierten Konferenz zur Literatur der Volksrepublik China. Beispielhaft führte sie dies anhand von LI

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Die mit der Landreform verbundene Umgestaltung Chinas war nur durch die Mobilisierung der Massen durchzuführen. Der persönliche Anreiz bestand in der Landvergabe. Alle wollten Land und waren daher zum Sturz der alten Ordnung bereit. Zu diesem Zweck mußte vor allem den Bauern ein neues Bewußtsein eingeimpft werden, das die Grundbesitzer nicht mehr als Nachbarn, als Teil eines Familienclans, als Mitmenschen, sondern als reiche Klasse im Gegensatz zu den Pächtern als armer Klasse verstand. Insofern war ein Trennungsstrich, die sogenannte »Klassenlinie«, zu ziehen und das ganze Land in Unterdrücker und Unterdrückte einzuteilen. Dies lief auf eine Instrumentalisierung des (Klassen-)Hasses hinaus, um einen »Feind des Volkes« ausfindig zu machen. Ein solcher »Feind« wurde auf Massenveranstaltungen gefunden, wo jeder wie in einem religiösen Akt Buße tat, um sich schließlich auf einen Übeltäter festzulegen und dessen Land zu verteilen. Es ging der Partei hierbei nicht so sehr um die physische als vielmehr um die politische Vernichtung des Gegners, weshalb ein lebender Grundbesitzer eher zum negativen Lehrbeispiel taugte als ein toter. Die politische Erziehung am lebendigen Exempel schweißte schließlich Kader und Bauern gleichsam zu Blutsbrüdern zusammen. Die Verteilung des Landes hatte jedoch 1952 ein Ende, als im Rahmen der Kollektivierung das gerade gewährte Privateigentum für alle wieder zurückgenommen wurde. Nachdem die alte Ordnung gestürzt, der Bauer gewonnen war, wurde nun die Säuberung unter dem Volk vorgenommen. Die Wege der Kollektivierung von a) gegenseitiger Hilfe über b) die Kooperation zu c) der Volkskommune schildern die Romane der damaligen Zeit aus ideologischer Sicht. Die beiden repräsentativsten sind Sanliwan (Name eines Ortes, 1955)584 von Zhao Shuli und Großer Wandel in einem Bergdorf (Shanxiang jubian, 1957 vollendet)585 von Zhou Libo. Im Übergang von den vierziger zu den fünfziger Jahren zeichnet sich jedoch in der Konzeption des Romans zur Landreform eine wesentliche Verschiebung ab. In der Regel basiert dieser nämlich nun nicht mehr auf eigenen sozialen Untersuchungen, sondern auf ideologischen Vorgaben der Partei. Die damals recht bekannte Erzählung »Diesen Weg darfst du nicht gehen« (»Bu neng zou zhe tiao lu«, 1953 )586 von

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SIN-TIÄN: »Leuchtender Stern« (»Shanshan de hongxing«, 1972), aus dem Chinesischen von MULAN LEHNER u. RICHARD SCHIRACH, Zürich: Schweizer Verlagshaus 1973, vor, s. MILENA DOLEŽELOVÁ-VELINGEROVÁ: »Li Xintian’s Novel The Bright Red Star: The Making of Revolutionary Hero«, in: KUBIN u. WAGNER: Essays in Modern Chinese Literature and Literary Criticism, S. 150–167. Zum Original s. Zhao Shuli wenji, Bd. 2, S. 337–542, englische Fassung von GLADYS YANG: CHAO [d.i. Zhao] SHULI: Sanliwan Village, Peking: Foreign Languages Press 1957. Zuerst als Vorabdruck 1958 in der Literaturzeitschrift Renmin Wenxue, 1959 als Buch erschienen. Mir liegen als Ausgaben vor: ZHOU LIBO: Shanxiang jubian, 2 Bände, Peking: Renmin Wenxue 1979 sowie die von DEREK BRYAN ins Englische übersetzte Fassung: CHOU LI-PO [d.i. Zhou Libo]: Great Changes in a Mountain Village, 2 Bde., Peking: Foreign Languages Press 1961. Zum Original dieses »Lehrstückes« s. Li Zhun xiaoshuo xuan, Chengdu: Sichuan Renmin 1981, S. 1–17. Die deutsche Fassung von 1955 aus der DDR war mir nicht zugänglich. Zu einer

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Li Zhun (1928–2000) ist ein gutes Beispiel für die literarische Illustrierung von Parteiverlautbarungen, in diesem Fall zur Vergenossenschaftlichung. Ein solches Verfahren hat sich unter chinesischen Autoren bis Anfang der neunziger Jahre gehalten! Demgegenüber stellt Zhou Libos Roman Großer Wandel in einem Bergdorf eine gewisse Ausnahme dar. Er ist zwar als Instrument einer Propaganda zu sehen, welche »Menschen wie du und ich« (zhongjian renwu) für die Kollektivierung gewinnen will, sein Autor entwirft seine Protagonisten jedoch nicht immer nach vorgegebenen Dokumenten, sondern er schaut dem Volk auch gleichsam aufs Maul. Der Roman spielt auf dem Hintergrund von 1955, als der Kampf gegen »Rechts« das Land erreicht hatte. Politisch steht der Erzähler zwar auf der Seite der Partei, kann aber nicht verhehlen, daß die Bauern diese »Rechtsabweichung« (youqing) eigentlich zu ihrem (Über-)Leben brauchen und ob der Tatsache zerrissen sind, daß sie Land, das ihnen kaum zugeteilt worden ist, nun schon wieder abliefern sollen. Daher bezeichnet der Parteisekretär Li Yuehui – ein Wort von Mao Zedong aufnehmend und umdeutend – eine Frau mit gebundenen Füßen auch als eine Person, der man nur Zeit lassen solle, damit sie gehen lerne, das heißt, mögen die Leute auf dem Land heute auch uneinsichtig sein, eines Tages werden sie umdenken. Dies wird am Beispiel des unbedarften Bauern Chen Xianjin abgehandelt, der zu guter Letzt doch aus der Reihe der Zögerlichen ausschert und freiwillig seine Dokumente über seinen Landbesitz abliefert, um an der Kollektivierung teilzunehmen. Wenn auch der Dorfschulze vollkommen in der Welt parteilicher Vorstellungen (gainian) lebt, gelingt es dem Autor trotzdem immer wieder, in einzelnen Szenen Mensch, Land und Natur sehr lebendig zu entwerfen. In solchen Fällen tritt traditionelles Erzählen an die Stelle von Ideologie. Die Unbeliebtheit der damaligen Politik wird hinreichend deutlich, wenn man bedenkt, daß der Autor auf 250 Seiten Bauern eines rückständigen Dorfes in Hunan schildert, die ihren Bestand plündern, um diesen nicht in die Kooperative einbringen zu müssen, aber nur fünfzehn Seiten auf die unplausible Beschreibung der erfolgreichen Kollektivierung verwendet. Es ist der Subtext, welcher auch heute noch eine Lektüre all der Werke lohnt, die zu ihrer Zeit sehr bekannt, oft auch sehr beliebt waren, inzwischen aber »aus der Mode« gekommen sind, weil ihr Oberflächentext nun leicht die politische Auftragsarbeit zu erkennen gibt. Chen Sihe bezeichnet diesen Subtext gern als xiangtu, als das Volkstümliche, als das Bodenstämmige, welches den Autoren aus ihrer Erfahrung einfach in die Feder fließe. Dazu gehören Erzähler wie Liu Qing (1916–1978)587

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englischen Übersetzung s. KAI-YU HSU (Hg.): Literature of the People’s Republic of China, Bloomington u. London: Indiana UP 1980, S. 90–102. Li Zhun bestätigt in seinem Rückblick auf die Abfassung der Erzählung den Einfluß von Direktiven, s. PU ZHONGKANG (Hg.): Li Zhun zhuanji, Suzhou: Jiangsu Renmin 1982, S. 74–78. LIU QING: Chuangye shi von 1960 ist sein bekanntestes Werk. Mir liegt eine zweibändige Ausgabe Peking: Zhongguo Qingnian 1977ff. vor. Englisch von Sidney Shapiro unter dem Namen Liu Ching, Peking: Foreign Language Press 1964, besprochen von WAGNER: »Der moderne chinesische Untersuchungsroman«, S. 394–403. Zu nennen wäre in diesem Zusammenhang auch CAO MING (1913–2002): Die treibende Kraft (Yuandong li, 1949); ins Deutsche

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oder Wang Wenshi (1921–1999)588, aber vor allem und immer wieder Zhao Shuli. Beispielhaft ist seine Erzählung »Üben, Üben« (»Duanlian, duanlian«)589. Dem Autor gelingt es im Gegensatz zu anderen, die lediglich auf der Grundlage von politischen Dokumenten zur Bodenreform den üblichen Plot mit Klassenkampf entfalten, Probleme am Beispiel lebendiger Charaktere zu formulieren. Insofern schreibt er nicht für die Partei, sondern, wie er sagt, für das Volk, und was das Volk freue, habe eine politische Funktion. Im August 1958 veröffentlicht Zhao Shuli seine Erzählung, die den Herbst 1957 zu ihrem zeitlichen Rahmen hat. Sie stellt eine Gratwanderung zwischen Parteilichkeit und Kritik dar. Eine übelwollende Interpretation könnte diese Erzählung lesen als Kritik an mangelnder Arbeitsbereitschaft, die rein weiblicher Natur sei, und als Kritik an der kompromißbereiten Haltung der Kader, die – menschlich gesonnen – willens sind, auf den Charakter der einzelnen Landarbeiter Rücksicht zu nehmen. Die Lösung, die der Erzähler jedoch anbietet, erweist sich als sehr witzig: Nicht nur die angeblich faulen Frauen sollen »üben, üben«, das heißt, mehr Engagement in ihrer Haltung und Arbeit zeigen, sondern auch der Leiter der Genossenschaft, Wang Juhai, soll »üben, üben«. Ob ihm dieses »Üben«, ein härteres Anfassen der Arbeiterinnen also, gelingt, erfährt die Leserschaft nicht. Damit wird der Erzähler allen Seiten gerecht. Worum geht es? Die Hundert-Blumen-Periode ist für beendet erklärt worden, es folgt die Zeit der Ausrichtungsbewegung (zhengfeng), welche von Kadern und Bürgern politische Korrektheit und intensiven Arbeitseinsatz verlangt. Insofern sind Politik und Produktion eines. In diesem Zusammenhang spielt die Wandzeitung (dazibao) eine wichtige Rolle. Ihre demokratische Funktion bestand eigentlich in der Kritik der Kader durch das Volk. Hier ist es jedoch umgekehrt: Vizeleiter Yang bedient sich dieses Mittels, um die Arbeiterinnen mit den sprechenden Namen Wadenschmerz und Bin-nicht-satt öffentlich bloßzustellen, ihnen mit Strafe, gar mit Gericht oder

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übersetzt von GERHARD MEHNERT: TSAO MING [d.i. Cao Ming]: Die treibende Kraft, Berlin: Dietz Verlag 1953; auf englisch liegt vor: TSAO MING [d.i. Cao Ming]: The Moving Force, Peking: Cultural Press 1950, besprochen von WAGNER: »Der moderne, chinesische Untersuchungsroman«, S. 382–389. Die Autorin schildert den Wiederaufbau der zerstörten Fabriken in der Mandschurei und entwirft die Arbeiterschaft als »treibende Kraft der Geschichte«. WANG WENSHI: Fengxue zhi ye, Peking: Renmin Wenxue 1977. WANG WEN-SHIH [d.i. Wang Wenshi]: The Night of the Snowstorm, Peking: Foreign Languages 21979. Auf deutsch liegt die beachtliche Erzählung »Zur Zeit des Frühlingfestes« (»Chunjie qianhou«, 1956) vor; zur Übersetzung ins Deutsche von CORINNA BECKMANN u. CLAUDIA PUK s. WOLFGANG KUBIN (Hg.): Hundert Blumen. Moderne chinesische Erzählungen. Zweiter Band. 1949–1979, Frankfurt a.M: Suhrkamp 1980 (= es; 1010), S. 151–183. Zum Original s. WANG WENSHI: Fengxue zhi ye, S. 69–89. Zu einer weiteren Übersetzung im Deutschen s. Eine Sommernacht. Erzählungen, ins Deutsche übersetzt von GÜNTER LEWIN, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 1965, S. 52–74 (»Eine Sommernacht«, 1959); WANG WENSHI: Fengxue zhi ye, S. 295–318 (»Xiaye«). ZHAO SHULI: »Üben, Üben«, übersetzt von THOMAS HARNISCH, in: KUBIN: Hundert Blumen, S. 247–291. Diese Erzählung findet sich merkwürdigerweise nicht in: Zhao Shuli wenji.

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Gefängnis zu drohen. Der eigentliche Grund für die Arbeitsunwilligkeit liegt jedoch nicht in der Faulheit, sondern in dem geringen Lohn, so daß nicht nur diese beiden Frauen nicht so richtig motiviert sind und lieber stibitzen gehen. Daher wendet Vizeleiter Yang eine List an: Er erklärt die Nachlese von Baumwolle zunächst für frei, stuft sie dann aber als Arbeitseinsatz ein, so daß die Nachlese, die in die eigene Tasche wanderte, plötzlich zum Diebstahl wird. Die beiden Frauen werden der Kritik der Massen ausgesetzt, die das »Bekenntnis« der Übeltäterinnen nicht akzeptieren und statt dessen eine Gerichtsverhandlung verlangen. Eine subversive Lesung dieser Erzählung machte Zhao Shuli bzw. den Erzähler zum Kritiker von Kadern, die um des erwünschten Erfolges willen die Massen manipulieren und einzelne hintergehen. Mag der Plot auch langweilig sein, Zhao Shuli beherrscht sein Handwerk. Seine Kunst besteht im Gebrauch einer anschaulichen Sprache und in der Verwendung von Leitmotiven. Der Titel zum Beispiel stellt ein Leitmotiv dar, welches der humanistisch gesonnene, auf Harmonie bedachte Leiter der Genossenschaft, Wang Juhai, vertritt. Ein zweites Leitmotiv ergibt sich aus dessen Theorie vom spezifischen Charakter einer jeden einzelnen Person. Um angemessen reagieren zu können, sei es notwendig, die Besonderheiten eines Menschen in Betracht zu ziehen. Da aber auch zu guter Letzt Wang Juhai als Exempel eines unerwünscht kompromißbereiten Kaders kritisiert wird, fragt man sich natürlich, auf welcher Seite der Erzähler eigentlich steht. Die Erzählung läßt sich wohl nur retten, wenn man ihren Wert neben ihrer natürlichen Sprache im Aufzeigen damaliger Probleme sieht, Probleme, die heute nicht mehr interessieren mögen, aber doch noch von historischem Belang sind. Sieht man einmal von Ausnahmen wie Shen Congwen und Qian Zhongshu ab, so scheint es für diejenigen, die sich vor 1949 einen großen Namen gemacht haben, eine abgemachte Sache gewesen zu sein, mit den Wölfen zu heulen. Sei es Lao She, der 1950 mit dem Theaterstück Longxugou590 das neue Zeitalter und die Pekinger Stadtregierung lobpreist, sei es Ba Jin, der im Korea-Krieg an die Front geht, um Heldenepen zu verfassen, ja, selbst Zhang Ailing hat von 1949 bis 1951 prokommunistische Werke verfaßt, die sie später wieder umgeschrieben hat. Gleichwohl stammt aus der Feder der letzteren eine Erzählung zur Landreform, welche die Zeiten überdauern dürfte und als einziges Werk zur genannten Thematik ohne Abstriche ernst zu nehmen ist. Es handelt sich hier um den 1954 in Hongkong auf englisch591 verfaßten Roman Das Reispflanzerlied (The Rice-Sprout Song).592 590

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Mir liegt von diesem Propagandastück über die Sanierung des einstigen Pekinger Slums Longxugou (Drachenbartgraben) eine Einzelausgabe mit Vor- und Nachwort vor: LAO SHE: Longxugou, Peking: Renmin Wenxue 1979. Zur englischen Fassung s.: LAO SHEH [d.i. She]: Dragon Beard Ditch. A Play in Three Acts, Peking: Foreign Languages Press 1956. Das Stück endet mit einem allgemeinen Segenswunsch für Mao Zedong. Es herrscht einige Verwirrung hinsichtlich der Sprache des Originals. Während C.T. Hsia und Chen Sihe davon ausgehen, Zhang Ailing habe erst auf chinesisch geschrieben und dann ihr Werk ins Englische übersetzt, belegt David Der-wei Wang in seinem Vorwort zu EILEEN

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Dieser »Klassiker« (C.T. Hsia) galt lange Jahre als »antikommunistisch« und wird dementsprechend in seiner chinesischen Version auf dem Festland nach wie vor offiziell nicht zugänglich gemacht. Man machte und macht es sich jedoch mit einer solch simplifizierenden Deutung zu leicht, die Autorin nahm für ihre Studie immerhin Einsicht in Dokumente und Statistiken. Ohne jegliche Schwarzweißmalerei entwirft sie am Beispiel einer dreiköpfigen bäuerlichen Familie das Leben auf dem Lande, wie es sich unweit von Schanghai zur Zeit des Korea-Krieges zwischen Landreform und Kollektivierung zugetragen haben mag. Die Erzählerin schildert ein menschliches Drama, in dessen Zentrum der Hunger steht. Weder Goldwurzel (Tan Jingben) noch Mondduft (Yuexiang) und auch nicht das Kind werden es überleben. Die verwendete Sprache ist denkbar einfach, sie scheint rein berichtender Natur ohne jegliche Stellungnahme zu sein. Doch die Erzählerin kreiert immer wieder gleichnishafte Bilder, gibt letzten Endes so zu verstehen, auf welcher Seite sie steht. Gleich zu Beginn heißt es:593 Das erste, was man von diesem Landstädtchen sah, war eine Reihe von genau gleichen Latrinen, vielleicht sieben oder acht. Sie sahen verlassen aus, obwohl der Wind gelegentlich einen schwachen Geruch mit sich führte. Die Nachmittagssonne schien blaß auf das ausgeblichene Stroh. Nach den Latrinen kamen die Läden. Und über der einen Reihe kleiner, weißgetünchter Geschäfte türmte sich die schwarze Masse des Hügels; es sah aus, als habe er zwei neblige blaue Kappen auf, aber das waren ferne Berge. Auf der anderen Seite der mit kleinen Steinen gepflasterten Straße fiel der Boden in eine tiefe Schlucht ab. Eine niedrige Steinmauer zog sich die ganze Straße entlang. Eine Frau kam aus einem der Läden; sie trug ein rotes Emaillebecken voll schmutzigen Wassers, überquerte die Straße und goß das Wasser über die Mauer. Diese Verrichtung berührte irgendwie unangenehm, wie wenn jemand das Ende der Welt als Ausguß benutzt hätte.

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CHANG: The Rice-Sprout Song. A Novel of Modern China, Berkeley, Los Angeles u. London: University of California Press 1955, S. viif., xiv, xxii, eindeutig, daß die Autorin erst auf englisch schrieb. Man wird auch nicht von einer Übersetzung des englischen Originals ins Chinesische sprechen können. Die Autorin hat eher neugeschrieben (Wang: »rewrite«) als übertragen! EILEEN CHANG: The Rice-Sprout Song; DIES.: Das Reispflanzerlied. Ein Roman aus dem heutigen China, übertragen aus dem Amerikanischen von GABRIELE ECKEHARD, Düsseldorf, Köln: Eugen Diederichs Verlag 1956. Zur Deutung s. HSIA: A History of Modern Chinese Fiction, S. 416–427; David Der-wei Wangs Vorwort zu EILEEN CHANG: Rice-Sprout Song, S. vii–xxv; HUANG: Melancholie als Geste und Offenbarung, S. 81–91. Zum englischsprachigen Werk der Autorin s. HELMUT MARTIN: »›Like a Film abruptly Torn off‹. Tension and Despair in Zhang Ailing’s Writing Experience«, in: WOLFGANG KUBIN (Hg.): Symbols of Anguish: In Search of Melancholy in China. Helmut Martin (1940–1999) in memoriam, Bern u.a.: Peter Lang 2001 (= Schweizer Asiatische Studien; 38), S. 366–369. EILEEN CHANG: Das Reispflanzerlied, S. 5f; EILEEN CHANG: Rice-Sprout Song, S. 1f.

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Wie sollen wir dieses Bild oder das eine Seite weiter folgende Bild »Hier war die Sonne altgeworden« deuten? Da die allgemeine Not im Dorf auch die (kommunistischen) Kader betrifft und diese nicht unsympathisch geschildert werden, scheint sich das wiederholt anzutreffende Stichwort Humanität für eine Interpretation zu empfehlen. Es geht um die condition humaine Anfang der 50er Jahre, welche die Bauern aus Hungersnot zum Aufstand treibt. Was die Erzählerin klar sieht, ist, daß etwas zu einem Ende gekommen ist. Die Werte und Bräuche der Bauern werden sich zu ändern haben. Was vor 1949 als Hungeraufstand aus marxistischer Sicht gerechtfertigt war, wird nun blutig niedergeschlagen. Diese Umwertung der Werte zeigt sich ganz deutlich in der Umfunktionierung des als Reispflanzerlied bezeichneten traditionellen ländlichen Tanzes Yangge. Einer der Gründe für die Unzufriedenheit auf dem Lande war der Zwang zur Ablieferung von Nahrung und Kleidung an die in den KoreaKrieg ziehenden Soldaten bzw. deren Familien gewesen. Nach dem gewaltsamen Ende des Aufstandes jedoch geben die Bauern klein bei und überbringen ihre Gaben den Soldatenfamilien, indem sie dazu tanzen und singen. So endet der Roman. Das Ausschütten des schmutzigen Wassers zu Beginn, das wohl nichts anderes darstellt als die allübliche Säuberung des Nachtgeschirrs, sollte zusammen mit dem Bild der alternden Sonne nicht allzu plakativ ausgedeutet werden. Es reicht zu sagen: was war, wird nicht so sein wie bisher, was war, wird künftig als Abfall betrachtet werden. Dies galt in der Volksrepubik China politisch bis 1978 und hat sich ab 1979 langsam zu ändern begonnen. Insofern gelingt Zhang Ailing schon sehr früh ein treffendes Bild für die kommende Entwicklung auf dem Festland, wo die Kommunistische Partei zum einzigen Großgrundbesitzer wird und auf ihre Weise bewahrheitet, was Mao Dun mit seinen Seidenraupen im Frühling für die »alte« Gesellschaft aufgezeigt hat: je mehr ein Bauer arbeitet, desto mehr hungert er. Bedenkt man, daß es zwischen 1958 und 1962 auf Grund fehlgesteuerter Wirtschaftspolitik 30 Millionen Hungertote gegeben haben soll, dann gewönne in Zhang Ailings Roman Geschichte ihr Recht zurück. Gleichwohl bliebe die Aufgabe des Lesers bestehen, nicht voreilig die Schlagworte Kommunismus bzw. Antikommunismus zu gebrauchen, da auch vor 1949 ähnliche Dinge von Schriftstellern zu beklagen gewesen sind. Neben dem Roman zur Landreform prägen der Kriegsroman und der historische Roman entscheidend die Erzählkunst der damaligen Jahrzehnte. Die Aufgabe des Kriegsromans bestand in der Vermittlung all der geschichtlichen Fakten des Krieges, welche aus Sicht der Partei die Staatsgründung möglich gemacht haben. Die Autoren kamen in der Regel aus den Befreiten Gebieten, wo sie als Kriegsjournalisten oder im musischen Korps als Militärs tätig gewesen waren. Daß sie aus ihrer Erfahrung berichten, ist auch der Grund, warum sie in der Regel nur einen Roman vorlegen können und warum ihr Werk ein Opfer der Zeit wird: Fallen ihre wirklichen Helden nämlich politisch in Ungnade, sind Zensur oder Umarbeitung angesagt. Ihre Erzähltechnik ist denkbar einfach. Um den Krieg und die mit ihm verbundene Revolution hinreichend preisen zu können, berichtet ein auktorialer Erzähler in der Sprache der

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Partei aus der Sicht des einfachen Volkes fern von allem Leid über die damaligen Geschehnisse. Dabei stehen sich grundsätzlich zwei Lager einander gegenüber. Es sind zwei Heere, die sich in Freund und Feind, in Licht und Finsternis, in Märtyrer und Bösewichter teilen. Der Schlachtruf heißt: Befreit die Welt. Die Ästhetik, die dem Heroismus und Optimismus verpflichtet ist, entwirft ihr Personal auch äußerlich deutlich erkennbar groß und erhaben bzw. klein und niederträchtig. Gleichwohl gibt es Erzählgut, welches aus der Masse der zum Teil recht bekannt gewordenen Romane594 594

Diese seien hier rasch aufgezählt. Yuan Jing (1914–1999), Kong Jue (1916–1966): Xin ernü yingxiong zhuan von 1949. Mir liegt eine Fassung von 1956 vor: Peking: Renmin Wenxue. Die deutsche Fassung: KUNG DJÜE u. YÜAN DJING: Schüsse am Bayangsee. Roman, Berlin: Verlag Volk und Welt 1954 ist eine Zweitübersetzung von EDUARD KLEIN nach der Zeitschrift Chinese Literature, die vielleicht identisch ist mit der englischen Fassung: YUAN CHING [d.i. Yuang Jing]: Daughters and Sons, übersetzt von SIDNEY SHAPIRO, Peking: Foreign Languages Press 1958. Dieser Roman ist ein Remake nach Wen Kang (ca. 1798 – ca. 1877): Die schwarze Reiterin [Ernü yingxiong zhuan]. Roman aus der Tsing-Zeit, aus dem Chinesischen verdeutscht von FRANZ KUHN, Zürich: Manesse Verlag 1954. Jedes Kapitel wird traditionell mit Versen eingeleitet. Zum Werk s. ROBERT E. HEGEL: »Making the Past Serve the Present in Fiction and Drama: From the Yan'an Forum to the Cultural Revolution«, in: BONNIE S. MCDOUGALL (Hg.): Popular Chinese Literature and Performing Arts in the People’s Republic of China 1949– 1979, Berkeley u.a.: University of California Press 1984, S. 210–214. Feng Chih [d.i. Feng Zhi (1923–1968), nicht zu verwechseln mit dem Dichter Feng Zhi!]: Behind Enemy Lines, Peking: Foreign Languages Press 1979. Qu Bo (geb. 1923): Linhai xueyuan, 1957. Mir liegt die Pekinger Ausgabe von 1977 (Renmin Wenxue) vor. Als englische Fassung dazu dient Chu Po [d.i. Qu Bo]: Tracks in the Snowy Forest, übersetzt von SIDNEY SHAPIRO, Peking: Foreign Languages Press 1965. Zur Diskussion um die Adaption als Fernsehserie (seit Februar 2004 ausgestrahlt) s. Renmin Ribao, 09.03.2004, S. 8. Der Autor war selber Kommandant. Sein Erzählmodell der »fünf furchtlosen Generäle« (wu hujiang) entstammt dem Roman Die drei Reiche (Sanguo yanyi). Nach dieser Vorlage ist die bekannte Pekinger Oper Mit taktischem Geschick den Tigerberg erobert (Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 1971) verfaßt worden. Zum Werk s. Robert E. Hegel: »Making the Past Serve the Present in Fiction and Drama«, S. 214–222. WU QIANG (1910–1990): Hong ri, Peking: Zhongguo Qingnian Chubanshe 1957. Zur englischen Fassung s. WU QIANG: Red Sun, übersetzt von A.C. BARNES, Peking: Foreign Languages Press 1961. Der Roman ist erstmals 1957 erschienen und 1959, 1964 und 1978 überarbeitet worden. Der Verfasser erzählt die Schlacht um Shandong von 1947 und auch das damalige Leben hinter der Front. Da er sich nicht der traditionellen mythenhaften Erzählform chuanqi bedient, gelingt ihm die Darstellung von Menschen aus Fleisch und Blut, gleichwohl bedient er sich der bekannten Sonnenmetaphorik. Man vergleiche einmal Anfang und Ende des Romans. Auf die »Finsternis« folgt der Blick der Sieger aus der Höhe auf die Welt. Dies ist reine Gigantomanie! – Im Westen am bekanntesten ist der Roman Roter Fels geworden (Hong Yan, 1961): LUO GUANG-BIN [d.i. Luo Guangbin]u. YANG YI-YÄN [d.i. Yang Yiyan]: Roter Fels. Roman aus China, Stuttgart: Verlag Neuer Weg 21974; LO KUANG-PIN [d.i. Luo Guangbin] u. YANG YI-YEN [d.i. Yang Yiyan]: Red Crag, Peking: Foreign Languages Press 1978; LUO GUANGBIN u. YANG YIYAN: Hong Yan, Peking: Zhongguo Qingnian Chubanshe 1977. Seine Autoren Luo Guangbin (1924–1967) und Yang Yiyan (geb. 1925) schildern das letzte Kriegsjahr 1949 in Chongqing. Sie widmen dabei der Beschreibung der Konzentrationslager unter der Guomindang große

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heraussticht. Da ist einmal Lu Lings Kurzgeschichte über den Koreakrieg »›Schlacht‹ in der Senke« (»Wadishang de ›zhanyi‹«, 1954)595 und zum anderen die Erzählung »Lilien« (»Baihehua, 1958)«596 von Ru Zhijuan (1925–1998), die 1943 mit dem musischen Korps der Vierten Neuen Armee ins Feld gezogen ist. Beschränken wir uns als Beispiel auf die letzte Erzählung. Es ist dies eine stille, feinfühlige Geschichte, die Thanatos und Eros miteinander verbindet. Ru Zhijuan entfaltet hier schon früh die Kunst des Einfachen, für die sie vor allem nach 1979 bekannt wurde. Ausgang der Erzählung ist ebenfalls der Krieg der Kommunistischen Partei gegen die Guomindang im Nordosten Anfang Herbst 1946. Die Ich-Erzählerin ist eine Krankenschwester, die von einem »Boten« zur Front gebracht werden soll. Dieser, um die achtzehn Jahre alt, weicht ihr jedoch aus Schüchternheit unterwegs aus, indem er ständig vorangeht. Da die Felddecken für die Verwundeten in den Lazaretten gebraucht werden, sind die in den Kampf ziehenden Soldaten gehalten, unterwegs von den Bauern Decken zu leihen und abzuliefern. Die Erzählung folgt der Struktur eines kognitiven Prozesses, wie er für das Erzählen im Maoismus so typisch ist. Die Erzählerin erkennt im Boten jemanden aus ihrer Heimat (Tianmushan) wieder, der dort früher Bambus geschleppt hat. Sie erfährt, daß er unverheiratet ist, und bemerkt alsbald, daß er auf Fragen nach Liebesdingen ungern Auskunft gibt. Während es ihr mühelos gelingt, von den Bauern zwei Matratzen und eine Decke auszuleihen, kommt er mit leeren Händen zurück. Seine Begründung lautet: Die Bauern (laobaixing) seien stockkonservativ. Ihre Überprüfung der Situation ergibt: Der Bote war zu einem Haus gegangen, wo die Zeichen für »Glück« (= Hochzeit) an beiden Türseiten prangten. Die junge Frau, welche die Tür öffnet, gibt durch die Frisur ihren Status als verheiratete Frau zu erkennen. Ihr Zögern hat sicherlich mit ihrer vor drei Tagen erst erfolgten Heirat zu tun, und die einzige Decke des Hauses ist mit Lilien bestickt, mit den Symbolen für die ersehnte Geburt eines Sohnes also. Was der Bote »stockkonservativ« (sifengjian) nennt, hat in Wahrheit das gerade genossene eheliche Glück zum Hintergrund. Bei

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Aufmerksamkeit. Zur Deutung der Kriegsromane s. LI CHI: »Communist War Stories«, in: CYRIL BIRCH (Hg.): Chinese Communist Literature, New York u. London: Frederick A. Praeger 1963, S. 139–157. Ursprünglich in: Renmin Wenxue 3/1954; nachgedruckt in: LU LING: »Wadishang de ›zhanyi‹«, in: Zhongguo dangdai wenxue canyue zuopin xuan 1, Fuzhou: Fukien Renmin Dazhong 1983, S. 402–445. RU ZHIJUAN: Baihehua, Peking: Renmin Wenxue 1978, S. 66–76. Zur englischen Fassung s. RU ZHIJUAN: Lilies and Other Stories, Peking: Chinese Literature 1985. Zum Hintergrund dieser Erzählung s. DIES.: Ru Zhijuan xiaoshuo xuan, Chengdu: Sichuan Renmin 1983, S. 344–351 (»Wo xie »Baihehua« de jingguo«). Zur Deutung s. ROBERT E. HEGEL: »Political Integration in Ru Zhijuan’s ›Lilies‹«, in: HUTERS (Hg.): Reading the Modern Chinese Short Story, S. 92–104. Zu einer deutschen Übersetzung ihrer Erzählungen aus damaliger Zeit s. JU DSCHI-DJÜAN [d.i. Ru Zhijuan]: »Das Entbindungsheim« (»Jingjing de chanyuan«)«, in: Eine Sommernacht, S. 134–152.

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der durch die Erzählerin gleichsam erzwungenen Übernahme der Decke reißt sich der Bote an der Tür ein Loch in sein Gewand. Er möchte die Decke zurückgeben, zurücktragen, aber die Erzählerin läßt es nicht zu. Aufgrund seiner Schüchternheit hat sich die Erzählerin schon längst in den Burschen verliebt. Er überreicht ihr als Dank für die Hilfe ihr Essen: zwei Mantous (Dampfbrötchen) die er aus seiner Tasche zieht. In seinen Gewehrlauf steckt er eine Chrysantheme. Die Offensive beginnt. Die Erzählerin kann für die Versorgung der vielen Verwundeten nur die Braut gewinnen, die anderen Bäuerinnen mögen mit den Kranken nicht in Berührung kommen. Als der Bote verletzt hereingetragen wird, beginnt die Braut, sein Loch in der Uniform zu flicken. Dies ist eben das Loch, das er sich beim Abholen der Decke eingehandelt hat. Dagegen ist nicht etwa von den vielen neuen Löchern die Rede, die er sich zugezogen haben muß, als er mit seinem Körper eine Granate abdeckte, um seine Kameraden zu retten. Die Braut flickt auch noch weiter, als der Arzt sagt, es gebe keine Rettung mehr. Die Erzählerin, die schon längst in Tränen ausgebrochen ist, spürt im Moment des Todes die beiden Mantous in ihrer Tasche. Wir dürfen dies als traditionelles Bild für die Gemeinschaft von Dingen bei gleichzeitiger Abwesenheit des (geliebten) Menschen interpretieren. Die junge Frau sorgt schließlich dafür, daß der Sarg für den Boten mit der Decke ausgeschlagen wird und die Lilien auf seinem Gesicht zu liegen kommen. Die Frage ist, wer liebt hier eigentlich wen? Von einer Liebe ohne (erfüllte) Liebe handle diese Geschichte, sagt die Autorin. Doch warum sollte sich die junge Braut in den Boten verguckt haben? Ist sie etwa verheiratet worden und hat daher andere Hoffnungen? Aber dann sollte sie doch nicht mit der Herausgabe der Decke zögern! Oder handelt die Geschichte von der Verliebtheit der Erzählerin, die alles in Händen hält und manipuliert? Neben dem Roman zur Landreform und dem Kriegsroman bildet der historische Roman das dritte damals wichtige Erzählmodell. Er hatte die Aufgabe, die moderne Geschichte so zu erzählen, wie die Partei sie sah, er diente also gleichsam als Anschauungs- und Erziehungsmaterial. Das Thema, an das sich aber nicht immer jeder sklavisch hielt, lautete: Wie hat sich die Revolution unter der Führung der Partei vollzogen? Der historische Bogen reichte von 1898 (Reform) bzw. 1911 (Sturz des Kaiserreiches) oder 1919 (4. Mai) bis 1949 (Ausrufung der Volksrepublik China). Es gab drei Vorbilder, denen oft nachgeeifert wurde: 1. Shanghai im Zwielicht von Mao Dun, der – wie heute allgemein kritisch eingeräumt wird – strikt dem Standpunkt der Parteigeschichtsschreibung gefolgt ist. 2. Wellen in totem Gewässer (Sishui weilan) von Li Jieren, der aus der Vogelperspektive ein historisches Panorama gegen Ende der Qing-Dynastie am Beispiel einfacher Menschen entwirft. Ähnliches gilt für seine Fortsetzungsromane Vor dem Gewitter (Baofengyu qian) und Die Große Woge (Dabo). 3. Die Kinder der Reichen von Lu Ling, der die chinesische Geschichte zwischen 1932 und 1941 am Beispiel einzelner Vertreter einer alten, im Niedergang begriffenen Mandarinfamilie nachzeichnet. Unter der Fülle teilweise recht bekannt gewordener

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Arbeiten597 scheinen mir zwei einer besonderen Beachtung wert: die Erzählung »Rote Bohnen« (»Hongdou«, 1957)598 von Zong Pu (geb. 1928) und das Drama Das Teehaus (Chaguan, 1958) von Lao She, das zwar nicht von seiner Gattungszugehörigkeit her, wohl aber thematisch hierher paßt. Wenden wir uns zunächst der Erzählerin Zong Pu zu, der Tochter des bekannten Philosophen Feng Youlan (1895–1990). Ihre Erzählung macht zwar die jüngere Geschichte im Sinne der Partei verständlich, bedarf dazu aber eines Gegengewichtes, das nicht im Sinne der Partei gedeutet werden kann. Sie läßt sich daher auf zwei Ebenen lesen: überwiegend im Sinne der Partei, unterschwellig im Sinne unlebbarer Liebe. Hongdou, rote Bohnen, sind seit der Tang-Dynastie (618–907) Zeichen der Liebe. Die Heldin erinnert – wohl 1956 – eine Geschichte, die sich acht Jahre zuvor ereignet hat (1948). Sie ist als Parteiarbeiterin an den Ort ihrer Studienjahre zurückgekehrt. Es ist die Erinnerung an eine dämonische Liebe – also ganz das Gegenprogramm zu Ru Zhijuans reiner Liebe. Sie wird durch ein christliches Kreuz geweckt, das trotz der Revolution an seinem alten Platz im damaligen Wohnheim verblieben war. Dieses hat etwas mit der unglücklichen Liebe der Jiang Mei zu tun. Hinter dem Kreuz ist nämlich ein Kästchen mit zwei Bohnen verborgen, die von einer vergangenen unerfüllten Liebe aus der Zeit vor 1949 erzählen. Die Rahmenhandlung der Erzählung schließt mit Tränen, die dem in die USA ausgewanderten Freund nachgeweint werden. Ihnen folgt jedoch sogleich ein Lachen, das Kästchen wird beiseitegetan, denn so viele wollen die Heldin sehen, die in die Partei aufgenommen worden ist und nun im Parteikomittee ihrer alten Hochschule arbeiten soll. Der erste ist selbstverständlich der Parteisekretär. Man nennt dies die Technik des »goldenen Schwanzes«, welche die Autorin vielleicht für die Veröffentlichung zu beherzigen hatte. Trotz ihres versöhnlichen Schlusses war die Erzählung ein Jahr lang Gegenstand der Kritik. Dies hängt mit der unbewältigten Vergangenheit der Liebe zusammen. 1948 war Jiang Mei zusammen mit ihrer Freundin Xiao Su an der Universität Peking eingeschrieben. Sie pflegt die Haarspange ihrer Mutter zu tragen, die mit besagten Bohnen verziert ist. Mutter und Tochter verachten dem Zeitgeist gemäß die 597

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Hierher gehören YANG MO (1914–1995): Das Lied der Jugend, ins Deutsche übersetzt von ALEXANDER SICHROVSKY u. ANNEMARIE MA, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 1983 (YANG MO: Qingchun zhi ge, Peking: Renmin Wenxue 1978; besprochen von WAGNER: »Der moderne chinesische Untersuchungsroman«, S. 389–393); LIANG BIN: Hongqi pu, Peking: Zhongguo Qingnian Chubanshe 1957 (auf englisch: LIANG BIN (1914–1996): Keep the Red Flag Flying, übersetzt von GLADYS YANG, Peking: Foreign Languages Press 1980), der eine Welt des Hasses u. der Vergeltung entwirft; OUYANG SHAN (1908–2001): Sanjiaxiang (1. Teil, Peking: Renmin Wenxue 1983; Dreifamiliengasse), der die Geschichte dreier Familien (Arbeiter, Händler, Grundbesitzer) schildert. Der erste Band erschien 1959, der letzte 1985. W.J.F. JENNER (Hg.): Fragrant Weeds – Chinese Short Stories once labelled as »Poisonous Weeds«, verfaßt von LIU BINYAN u.a., übersetzt von GEREMIE BARMÉ u. BENNETT LEE, Hongkong: Joint Publishing 1983, S. 195–228; zum Original s. Chongfang de xianhua, Schanghai: Shanghai Wenyi Chubanshe 1979, S. 366–397.

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Reichen und die Beamten. Der erste Anblick des Physikstudenten und Klavierspielers Qi Hong macht Jiang Mei (Spitzname: Kleiner Vogel) schlaflos. Die Erzählung ist latent von einem kognitiven Prozeß begleitet. Letztendlich erkennt Jiang Mei nach Ablauf von acht Jahren, daß ihre Entscheidung, nicht mit ihrem Freund nach Amerika auszuwandern, die richtige war. Die Erzählung ist von mehreren Leitmotiven durchwirkt, deren wichtigste vielleicht Demokratie und Freiheit sind, um die es ja zur Zeit der Hundert Blumen vornehmlich geht. Jiang Mei und Qi Hong sind für diese Welt nicht gemacht: sie leben nur in Träumen und stellen die Frage nach dem Sinn des Lebens. Während alle Qi Hong für einen Egomanen halten, verfällt Jiang Mei ihm. Seine Liebe ist eine obsessive, exklusive. Qi Hong will mit ihr so zusammen sein, wie die beiden Bohnen auf ihrer Haarspange beieinander sind. Er begründet dieses Verlangen nach ihr mit seinem Haß auf die ganze menschliche Rasse. Seine besitzergreifende Liebe (zhanyou de aiqing) läßt ihre Emanzipation nicht zu: ihre Teilnahme an der Demokratiebewegung macht ihn rasend. In Tobsuchtsanfällen wirft er ihre Spange auf den Boden und tritt die Bohnen mit Füßen, ehe er diese in einer Schachtel hinter der Christusfigur versteckt. Die Liebe macht ihn schwermütig, und für sie ist die Kommunistische Partei – »ein Leuchtturm« – die Rettung aus der verfahrenen Situation. Das heißt, hier kehrt das altbekannte Thema Liebe und Revolution wieder. Gleichwohl muß die Heldin über den Kommunismus erst noch aufgeklärt werden. Naiv stellt sie sich den Kommunismus als eine Gemeinschaft vor, wo alle so sind wie ihre Freundin! Für sie ist diese Welt, das ist die Welt vor 1949, eine Welt der »Menschenfresserei« (ren chi ren) und der Einsamkeit. So ergibt sich für sie automatisch der Wunsch, ewig Soldat zu sein. Xiao Sus Verhaftung durch die Guomindang im Hörsaal und die Nachricht von der Ermordung ihres Vaters durch die Guomindang vor fünfzehn Jahren, latent wohl auch die Demonstration vom 9. Juni 1948 gegen die Unterstützung Japans durch die USA, haben sie zu guter Letzt stark genug gemacht, der Aufforderung ihres Freundes zur gemeinsamen Auswanderung zu widerstehen. Dazu paßt auch das Gefühl nationaler Scham beim Anblick des Platzes des Himmlischen Friedens. Der Freund weiß sehr wohl, warum er nicht in China bleiben will, denn er will nicht zu der Masse gehören, die er mit der Kommunistischen Partei als bestimmende Kraft der Geschichte heraufkommen sieht. Im Grunde genommen geht es in dieser Erzählung um zwei unterschiedliche Formen von Liebe, um eine Liebe zu Xiao Su und eine zu Qi Hong, um eine zu China und eine zu den Idealen, die aus dem Westen kommen. Gleichwohl empfängt die Heldin das Jahr der »Befreiung« 1949 als »Geschenk« (liwu). Der Abschied der Liebenden findet unter dem Kreuz statt. Er will sie künftig nicht als Teil des »Volkes« (renmin) erleben müssen. Sein Abschied von ihr als Abschied von einer Revolutionärin ist der Abschied von einem China der Revolution. Bis dahin mag die Erzählung, besonders wenn man sie vom Schluß her betrachtet, vollkommen den Konventionen sozialistischer Erzählweise entsprechen, so daß die

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damalige Kritik aus heutiger Sicht wenig nachvollziehbar erscheint. Auf diese Dinge soll nun nicht näher eingegangen werden. Interessanter ist vielmehr, daß die christlich anmutende Liebe der Protagonistin in dem neuen China nicht in Erfüllung geht, wohl aber der Haß ihres Partners! Sein bürgerlicher Haß ist nur der Vorbote eines viel größeren Hasses, der Millionen von Menschen das Leben kosten wird. Der Haß der Revolutionäre ist allerdings nicht von seinem Haß genährt, sondern stellt wohl eine pervertierte Form von Jiang Meis Humanität dar. Ganz offensichtlich ist Ru Zhijuan die bessere Erzählerin als Zong Pu. Beide verbindet eine weibliche Sicht der Dinge. Dies ist ein Bewußtsein für die alltäglichen Erscheinungen, in denen ihrer Meinung nach ebenso Großes zum Ausdruck kommt wie in der hehren Politik. 1979 werden sie wieder die Bühne der Literatur betreten und ihr Unterfangen, vom Unscheinbaren aus die Welt zu erklären, zu rechtfertigen haben. Denn nicht wenigen Literaturkritikern will die Hausarbeit einer Frau als unangemessener Gegenstand der schönen Künste erscheinen. Lao She gelingt dagegen in seinem Theaterstück Das Teehaus599 die offensichtliche Verbindung von Politik und Alltag. Der Alltag eines Teehauses wird zum bevorzugten Ort eines gemeinsamen Nachdenkens über den Zustand des Vaterlandes. Wenn auch nach dem Ende der HundertBlumen-Periode im März 1958 aufgeführt, darf dieses 1957 geschriebene Schauspiel doch noch als Folge bzw. Nachhut des chinesischen Tauwetters gesehen werden. Die Kritik, die ihm unmittelbar nach der Inszenierung zuteil wurde, ist die Konsequenz seiner Ambiguität. Meine bisherige Deutung600 hat das Stück vielleicht zu vordergründig als Abgesang auf das moderne China verstanden. Nimmt man nämlich den Bänkelsänger ernst, der mit seinen Knittelversen zwischen den Akten die communis opinio vertritt, dann weicht der Autor keinen Deut von der Geschichtsdeutung der Partei ab: Auf den dritten und letzten Akt folgt als vierter und wirklicher Akt im Leben das fassungslose Glück des neuen China. Diese Sicht wird aber wenig geteilt, vielmehr vertritt man allgemein die Auffassung, daß das Spiel in einen Akt des Nichts und des Schweigens einmündet, welcher die Zeit nach 1949 zum Thema hat. Insofern könnte man durchaus die Auffassung vertreten, daß der Bänkelsänger zwar eine offizielle Version vertritt, aber nicht die des Autors. Dies läge durchaus in der Konsequenz des Stückes, welches die Geschichte des modernen China in drei Stufen als konsequenten Niedergang entwirft: Auf die Reformbewegung von 1898 folgt 1918 der Vorabend vom 4. Mai (1919) und darauf schließlich 1948 der Vorabend der kommunistischen Machtübernahme. Auf allen drei Stufen erfolgt eine Verschärfung des 599

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VOLKER KLÖPSCH (Hg.): Lao She. Das Teehaus. Schauspiel, ins Deutsche übersetzt von VOLKER KLÖPSCH, LIU REN-KAI u. PAI YING-LIN, Reinbek bei Hamburg: rowohlt 1980 (= dnb; 39). Vgl. auch UWE KRÄUTER u. HUO YONG (Hg.): Lao She. Das Teehaus. Mit Aufführungsfotos und Materialien, Frankfurt: edition suhrkamp 1980 (= NF; 54). Zum Original s. Lao She juzuo xuan, Peking: Renmin Wenxue 1978, S. 73–144. KUBIN: »Das Paradigma der Handlungshemmung«, S. 150–153.

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politischen Redeverbots, das – weitergedacht – unter der Kommunistischen Partei Chinas ab 1949 erst seine eigentliche Perfektionierung erfahren sollte. Dies wird selbstverständlich auf der Bühne weder gezeigt noch angedeutet, es wird lediglich vom aufmerksamen Zuschauer mitbedacht.

4.1.2 Die Zeit Hundert Blumen (1956–1957) Als der damalige Propagandaminister Lu Dingyi offiziell am 26. Mai 1956 die Kulturpolitik »Laßt hundert Blumen blühen, laßt hundert Schulen miteinander wetteifern« (baihua qifang, baijia zhengming) verkündete, reagierte er als Sprachrohr von Mao Zedong auf zwei Ereignisse: 1. In Folge der Kampagne gegen Hu Feng und der anschließenden »Liquidierung der Konterrevolutionäre« (sufan) sowie in Anbetracht der Landreform und der Umgestaltung der Städte, wo der Handel »siegreich« entprivatisiert worden war, war die Intelligenz mißmutig geworden und nicht im Sinne der Partei einsatzbereit. Ihre Kenntnisse wurden aber dringend benötigt. Daher erklärte Zhou Enlai im Januar 1956 die Intellektuellen zu einem Teil der Arbeiterklasse. 2. Im Februar 1956 hatte mit der Geheimrede von Chruschtschow, der sich gegen Stalin aussprach, die Politik des sogenannten Tauwetters eingesetzt. Die nachfolgenden Ereignisse in Ungarn und Polen ließen der chinesischen Führung einen eigenen sozialistischen Weg geboten erscheinen, um »die Widersprüche im Volke« zu klären. Zunächst gewährte man »Redefreiheit«, das heißt jeder, der kein »Konterrevolutionär« oder »Volksfeind« war, konnte seine Meinung literarisch verkleidet zum Ausdruck bringen. Gleichwohl sorgte die Partei dafür, daß brisante Themen wie Bevölkerungspolitik tabu blieben. Man darf davon ausgehen, daß auf beiden Seiten Unsicherheit darüber bestand, wie groß der Diskussionsrahmen sein konnte, sein durfte. Betrachtet man diese Periode von ihrem Ende her, das am 8. Juni 1957 verkündet wurde, so war die vermeintliche Toleranz ein Trick, um die Intelligenz herauszulocken und ihre wahre Gesinnung zu erfahren. Nicht umsonst lautete der damalige Slogan des vermeintlichen Linienkampfes zwischen »Kapitalisten« und »Proletariern«: Lockt die Schlange aus der Höhle, packt und vernichtet sie. Was innerhalb eines Jahres publiziert wurde, ist heute gut dokumentiert.601 Nicht alles Bekannte hat die Zeiten literarisch überdauert, doch manche Beiträge waren immer noch der Rede wert, als sie 1979 als ehemalige »Giftkräuter« wieder aufgelegt werden konnten. Als zeitlos dürfte wohl Wang Mengs (geb. 1934) Erzählung »Der Neuling in der Organisationsabteilung« (»Zuzhibu xinlai de qingnianren«, September 1956)602 gelten. Da sie andernorts schon ausführlich gewürdigt worden ist,603 sei hier 601

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NIEH HUALING (Hg. u. Mitübers.): Literature of the Hundred Flowers, Band 1: Criticism and Polemics, Band 2: Poetry and Fiction, New York: Columbia UP 1981. Die von mir und Berthold Damshäuser herausgegebene Zeitschrift Orientierungen hat über die Jahre die wichtigsten Dokumente in deutscher Übersetzung mit bibliographischen Angaben herausgebracht. Zum Original dieser Erzählung, von der verschiedene Versionen vorliegen, da der damals zuständige Redakteur QIN ZHAOYANG bei der Erstpublikation Änderungen vornahm, s. Chongfang

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nur das notwendigste ausgeführt. Der Autor, der damals bereits langjähriger Kader des Kommunistischen Jugendverbandes war und auch heute noch die damalige Sowjetunion idealistisch verklärt sieht, steht hier ganz unter dem Einfluß des sowjetischen Tauwetters. Der Erzähler flicht immer wieder die Metapher des Frühlings (in Moskau) ein und läßt seine Helden den Kampf gegen die Bürokratie mit Hilfe sowjetischer Literatur führen. Was die Erzählung nicht nur für ihre Zeit, sondern noch weit darüber hinaus ungewöhnlich macht, ist ihr feiner Humor, der das damals und auch oft bis 1989 übliche Pathos außer Kraft setzt. Der Neuling ist mit seinen zweiundzwanzig Jahren ein »unbeschriebenes Blatt«. Er verkörpert den Typ des Jungen Mannes, dem durchaus die Sympathie der Leserschaft gehört, der aber dennoch nicht in seinem Idealismus überzeichnet wird. In ihm treffen zwar Jugend und Alter, Idealismus und Bürokratie aufeinander, doch da der Gegenspieler Liu Shiwu früher auch einmal ein Neuling gewesen ist, hat er mit seiner Abgeklärtheit nicht unbedingt Unrecht. Mag die Auseinandersetzung von Idealist und Realist auch leicht zugunsten des Neulings ausgehen – so zumindest scheint sich der Erzähler entschieden zu haben –, die Geschichte hat danach Liu Shiwus Theorie von der Krankheit der Köche recht gegeben: So wie ein Koch seinen Brei nicht anrühren mag, so verfallen auch die Erbauer des neuen Staates beim Anblick ihres Produktes in Apathie: »Das ist immer so« (jiu name hui shi), so kommentiert Liu Shiwu immer wieder die Situation. Der Erzähler setzt diese vielfach zitierte Aussage keinesfalls ins Unrecht. Denn wer will Einsichten von Liu Shiwu wie die folgenden leugnen? »Parteiarbeiter sind Ärzte, sie sollen die anderen heilen, aber sie selbst sind ja auch nicht völlig gesund.« Oder: »Man sagt, Appetitlosigkeit sei eine Berufskrankheit von Köchen. Sie kochen das Essen und haben den ganzen Tag mit Essen zu tun. Wir Parteiarbeiter haben ein neues Leben geschaffen, aber letztendlich kann uns dieses Leben nicht in Begeisterung versetzen.«604 Gleichwohl dürfen wir mit dem damals zweiundzwanzigjährigen Helden davon ausgehen, daß sein gleichaltriger Autor einem Prinzip verpflichtet war, welches auf Valentin Oveckin (1904–1968) aus der Sowjetunion zurückgeht. Oveckin war zunächst 1954 durch Übersetzungen bekannt gemacht worden, ehe er 1955 die Möglichkeit zu einem persönlichen Besuch in China hatte. Sein Einfluß hat bis in die achtziger Jahre nachgewirkt. Sein Prinzip heißt »ins Leben eingreifen« (ganyu shenghuo) und fand seinen besonderen Fürsprecher in Liu Binyan (geb. 1925).605 Dieser wird eher als Wang Meng dem Genre gerecht, das Oveckin als besonders geeignet ansah: der Skizze (ocerk) nämlich, einer Art Tatsachenerzählung, die der Journalist Liu Binyan

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de xianhua, S. 162–200. Eine deutsche Fassung in der Übersetzung von GERHARD WILL findet sich in: KUBIN: Hundert Blumen, S. 83–149. S. hierzu meinen Beirag zu Wang Meng in: ARNOLD (Hg.): KLfG. WANG MENG: »Der Neuling in der Organisationsabteilung«, S. 133, 135; WANG MENG: »Zuzhibu xinlai de qingnianren«, in: Chongfang de xianhua, S. 165, 191–192. Hierzu hat RUDOLF G. WAGNER wiederholt ausführlich geschrieben, s. u.a. seinen Aufsatz: »Liu Binyan and the Texie«, in: Modern Chinese Literature 2.1 (1986), S. 63–98.

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auf seine Weise so beherrschte, daß er bis zu seiner Auswanderung in die USA (1988) immer auf eine große Leser- und Hörerschaft rechnen konnte. Wenn auch stilistisch oft sehr unbedarft, hat er doch wiederholt gesellschaftliche Probleme aufzeigen können, die heute noch virulent sind. Insofern ist die neben »Brückenbau« (»Zai qiaoliang gongdi shang«, 1956)606 am bekanntesten gewordene Arbeit »Interne Neuigkeiten« (»Benbao neibu xiaoxi«, 1956)607 weiterhin aktuell geblieben. Um es noch einmal zu vergegenwärtigen: es ist die Partei, welche verbindlich alle Werte für jedermann vorgibt und selber mit Adjektiven wie »gesund« (jiankang) oder »korrekt« (zhengque) kommentiert. Sie legt auch in Dokumenten (wenjian) fest, welche Themen zu behandeln und welche zu meiden sind. Es bestand für jeden Schriftsteller und Journalisten als »Stahlsoldaten« die Pflicht zu Patriotismus und Nationalismus. Volk, Vaterland, Partei und Staat waren Größen, die nicht zu hinterfragen waren. Anweisungen wie »Helft Korea« zur Zeit des Korea-Krieges oder Aufforderungen zum Preis der chinesischen Atombombe war unreflektiert nachzukommen. Die Nachdenklichkeit von Wang Mengs »Neuling« oder von Liu Binyans Journalistin Huang Jiaying stellte einen Wertewechsel dar. Man wollte wieder »Auge und Ohr« des Volkes sein und im Namen der Leidenden aus einer Mittlerposition heraus Mißstände nach oben berichten. Ein solches Unterfangen setzt jedoch die Verfügungsgewalt der Partei über die täglichen Nachrichten außer Kraft. Was und wie berichtet wird, ist ihr Monopol. Liu Binyan wirft daher in den »Internen Neuigkeiten« am Beispiel der Protagonistin die Frage auf, die ihn auch später noch beschäftigen und schließlich Anfang 1987 zu seinem Ausschluß aus der Partei führen wird: Wem gegenüber hat der Intellektuelle loyal zu sein, der Partei oder dem Volk?608 Hier wie später wird zwischen einer »korrekten« und einer »höheren« Loyalität unterschieden. Diese »zweite Loyalität«609 berechtigt einen Journalisten, um der Partei willen gegen die Partei Zeugnis abzulegen. Mögen auch die »Internen Neuigkeiten« inzwischen erzähltechnisch angestaubt wirken, ihre Lektüre fällt selbst fünfzig Jahre später weiterhin verblüffend aus. Man 606

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Zum Original s. Chongfang de xianhua, S. 1–37, deutsch von KLAUS WALTHER, in: ANDREAS DONATH (Hg.): China erzählt (1964), S. 137–181, analysiert von RUDOLF G. WAGNER: Inside a Service Trade. Studies in Contemporary Chinese Prose, Cambridge, Mass., London: Harvard UP 1992, S. 147–178. Zum Original s. Chongfang de xianhua, S. 64–99 (Teil 1), 100–128 (Teil 2), deutsch von PIERRE BRUN u. UTE LÜGHAUSEN, in: Orientierungen 2/1992, S. 99–139 (Teil 1), 1/1993, S. 36–70 (Teil 2), analysiert von WAGNER: Inside a Service Trade, S. 179–191. Vgl. hierzu u. zum Hintergrund: CAROLIN BLANK u. CHRISTA GESCHER: Gesellschaftskritik in der Volksrepublik China: Der Journalist und Schriftsteller Liu Binyan, Bochum: Brockmeyer 1991 (= Chinathemen Serie Europäisches Projekt zur Modernisierung Chinas; III). Vgl. hierzu »Die zweite Form von Loyalität« von 1985 in: LIU BINYAN: China! Mein China!, hg. u. kommentiert von JEAN-PHILIPPE BÉJA, aus dem Französischen von PETRA HUSTEDE, Wien u. Darmstadt: Zsolnay 1989, S. 199–259.

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fragt sich bei der folgenden Beschreibung eines gewöhnlichen Journalistenvormittags, wie es möglich war, daß wenige Jahre nach dem spektakulären Sieg der Revolution von 1949 sogleich ein grauer Alltag in die Redaktionsstuben einzog, der noch nicht wieder ausgezogen zu sein scheint. Wir lesen über den Redakteur Ma Wenyuan:610 Zehn Uhr fünfzehn. Zwischen zehn und elf Uhr würde das Telefon mindestens einmal klingeln. Wie gewöhnlich würde ein ohrenbetäubender Wortschwall aus der Muschel tönen, noch bevor er den Hörer am Ohr hätte. Egal, was anstand, Chefredakteur Chen brüllte immer mit der gleichen Donnerstimme. [...] Er pflegte dieses allmorgendliche Gespräch während seines Frühstücks zu erledigen. Manchmal ging es nur um eine angeblich unpassende Schlagzeile oder um Vorschläge, die ihm [Ma Wenyuan] das Provinzkomitee unterbreitet hatte. Bisweilen kam es auch vor, daß der Chefredakteur guter Laune war und seinen Assistenten an der eigenen Zufriedenheit teilhaben ließ. Sein erster Satz lautete dann zum Beispiel: »Wenyuan, wie steht’s? Hast du schon einen Blick in die Zeitung geworfen?« Sobald Ma Wenyuan den Chefredakteur in dieser Tonart sprechen hörte, konnte er meist prophezeien, welcher Artikel ihm besonders gefallen hatte. Doch noch ehe er eine Antwort geben konnte, schallte es aus der Muschel: »Dieser Spezialartikel auf der Titelseite über den Direktor der Provinzbehörde, Herrn Gao, hat wirklich Gewicht, wirklich. Ich hatte auch schon ein paar positive Stellungnahmen ... Der Erfahrungsbericht auf Seite drei ist auch ganz anständig. Die Organisationsabteilung wird hier wohl keine Einwände haben... hatte Stellungnahmen...« Soviel Gunst war Ma natürlich nur sehr selten beschieden. An den meisten Tagen war die Zeitung nicht zur Zufriedenheit des Chefredakteurs ausgefallen. Am Telefon zeigte er dann gewöhnlich die Mängel der jeweiligen Ausgabe auf und machte für die Ausgabe des nächsten Tages konkrete Vorgaben: Er schrieb vor, wie der Leitartikel auszusehen habe, bestimmte die Auswahl der Fotos und griff sogar in das Layout ein. Häufig klangen diese Weisungen wie Vorwürfe, als wolle er sagen: »Dies sei dir ein Beispiel dafür, wie man das als Leiter der Chefredaktion regeln sollte.«

Folge dieses Alltags ist eine Trägheit im Leben des Ma Wenyuan, welche an die mittelalterliche acedia der Mönche erinnert. Es sind die »Ordensregeln« der Partei, welche ihm das Leben vergällen:611 Aus dem farbenfrohen Leben draußen wurde auf diese Weise eine bloße Illustration jener Lebensgesetze, die Ma schon früh meinte verstanden zu haben. Gefühle wie Liebe, Trauer, Freude und Haß waren untrennbar mit den drei Grundsätzen »Klassenstandpunkt«, »Lebensanschauung« und »Ideologie« verbunden. Mochte Ma vor zwei Jahren noch versucht haben, aus der »allgemeinen Situation« Schlüsse zu ziehen, 610

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LIU BINYAN: »Interne Neuigkeiten. Teil I«, in: Orientierungen 2/1992, S. 115f.; Chongfang de xianhua, S. 77f. Orientierungen 2/1992, S. 126f.; Chongfang de xianhua, S. 87.

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION so genügte ihm heute ein Blick, um sogleich die Regel zu erkennen, die zu dem Film gehörte, der sich vor ihm abspielte. Je mehr Phänomene Ma auf diese Weise einordnen konnte, desto mehr verlor er das Interesse an der Vielfalt des Lebens.

Die Presse ist eine Presse der Partei, nicht des Volkes. Ihre wichtigste Aufgabe ist, die Leserschaft in Kenntnis von den Beweggründen der Regierung zu setzen. Daran hat sich bei den staatlichen Tageszeitungen wie Renmin Ribao und Guangming Ribao bis heute nicht viel geändert. Probleme werden verpackt statt angepackt, und eine »falsche« Verpackung selbst unscheinbarster Dinge kann einen Journalisten Kopf und Kragen kosten. Es ist nicht die Literatur selbst, die den Leser bei der Lektüre anrührt, es sind die Verhältnisse, die Liu Binyan so repräsentativ auch für die nachfolgenden fünf Jahrzehnte eingefangen hat. Der Heidelberger Sinologe Rudolf Wagner hat auf vorbildliche Art und Weise die geistige Matrix für die Zeit der Hundert Blumen herausgearbeitet. Seine minutiöse und beispiellose Rekonstruktion von Literatur und (Tages-) Politik der 50er Jahre widerlegt indirekt die immer wieder gern auf chinesischer Seite nostalgisch verbreitete These von den Goldenen Gründerjahren, für die Wang Mengs 1983 verfilmter Roman Ein Hoch der Jugend (Qingchun wansui, 1956)612 mit dem programmatischen Gedicht »Kommt, all ihr Tage« symbolisch steht. Statt goldene Zeiten registrieren wir in den Texten der damaligen Epoche die fortschreitende Domestizierung des chinesischen Geistes. Am Ende steht die Verschickung von mehr als 500.000 Intellektuellen zur Arbeit aufs Land. Für die in jedem Betrieb aufzuspürenden »Rechtselemente« hatte Mao Zedong Quoten ausgegeben, und Deng Xiaoping hatte die Umsetzung der Direktiven zu leiten gehabt. Um nicht das Ansehen des letzteren nachhaltig zu schädigen, sind bis heute nicht alle Verurteilten rehabilitiert worden. Nach wie vor stehen fünf Personen in Verdacht, den Staat geschädigt zu haben. Diese seien daher, so heißt es, zu Recht verurteilt worden, so daß »der Kampf gegen Rechts« damals an sich gerechtfertigt gewesen sei. Wir können einer solchen am Anfang des 21. Jahrhunderts immer noch anzutreffenden Rechtfertigung die weiterhin bestehende Aktualität der damaligen Kampagne entnehmen. In der Tat kehren mit den Reformern im Jahre 1979 all diejenigen an die Macht zurück, die seinerzeit gemaßregelt worden sind. Sie knüpfen selbstverständlich da an, wo sie 1957 bzw. 1966 ihre Arbeit haben liegen lassen müssen. Letzten Endes geht derselbe alte Kampf zwischen Politik und Kunst unter anderen Vorzeichen weiter, ein Kampf, der erst in den 90er Jahren zu einem vorläufigen Ende kommt, als die seit 1992 freigesetzten wirtschaftlichen Kräfte die Literatur an den Rand des allgemeinen Interesses drängen und dementsprechend zwangsläufig mehr Freiheit erlauben. Dadurch gerät das Monopol der Partei auf Macht und Denken zwar nicht ins Wanken, doch sind die Gegner nicht mehr so eindeutig auszumachen wie einst, sei es, weil das politische Engagement nachgelassen hat, sei 612

Meines Wissens konnte dieser Roman erst 1979 publiziert werden. Mir liegt die Ausgabe Peking: Renmin Wenxue 1979 vor.

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es, daß sich Menschen in einer komplexer werdenden Gesellschaft nicht mehr so ohne weiteres auf Schwarz oder Weiß reduzieren lassen. Wie dem auch sei, literarisch hat die Geschichte die Werke der Jahre 1956 und 1957 längst eingeholt, gleichwohl bieten diese immer noch beispielhaft Einsicht in das Verhältnis von Macht und Geist im Maoismus, das weit über die 50er Jahre und über China hinausweist. Wir dürfen bei der Lektüre nicht nach dem Plot oder dem lyrischen Ich fragen, es ging den Literaten damals um ein gesellschaftliches Problem, das sie aufzuzeigen bemüht waren, ein Problem, das bis heute vielleicht seine Brisanz nicht einmal verloren haben mag, weil sein einstiger moralischer, pathetisch verkleideter Impetus immer noch nachschwingt. Dies gilt vor allen Dingen für das von den Erzählern so gern entfaltete Gegensatzpaar von Jugend und Alter, von Enthusiasmus und Abgeklärtheit, von Spontaneität und Bürokratie, von Veränderung und Bewahrung, von Eigeninitiative und Gehorsam, von Frau und Mann. Was wir bei genauer Lektüre nach Rudolf Wagner erkennen können, ist die enge Verzahnung von Wort und Wirklichkeit. Alles, auch das Unscheinbarste, hat seinen Ort in der Gesellschaft. Ein neues Kleidungsstück markiert einen politischen Wechsel an der Spitze. Wenn die jungen Helden Bücher aus der Sowjetunion lesen, wenn sie vom Frühling schwärmen, wenn ihre Vorbilder weiblich sind, so verbirgt sich hinter all diesem ein politisches Programm, das auf Veränderung der gegebenen Ordnung zielt. Da die geringste Abweichung von der Norm alles zu Fall zu bringen droht, kann es deshalb auf Seiten der Konservativen keine Toleranz gegenüber »Nischen« geben. Der von Wagner eingeführte Begriff der Nische meint zum Beispiel die Einkleidung brisanter Themen in das vertraute Vokabular der Sowjetunion. Die ab 1958 immer offensichtlicher werdende Abgrenzung Pekings von Moskau hat hier eine ihrer Ursachen. Auf diese Weise sollte das Kunststück gelingen, langfristig die Jugend, die sich zur neuen Kraft der Revolution erklärt hatte, im Interesse der Partei zu domestizieren und zu funktionalisieren. Dieses gelang endgültig bei Ausbruch der Kulturrevolution, die den Haß umsetzte, zu welchem der spätere Vorsitzende der Kommunistischen Partei Chinas Hu Yaobang (1915–1989) in seiner Adresse an die Jugend 1955 aufgerufen hatte: »Hasse und verachte all unsere Feinde in der Welt«.613 Auch wenn die Literatur der Hundert-Blumen-Periode als systemimmanente Kritik einzustufen ist, haftet ihr dennoch etwas Subversives an. Sie fordert einen demokratischen Sozialismus und plädiert für »ein humanes Schreiben«. Letzteres ist ein Wortspiel: Aus wenxue wird renxue, aus »Literatur« bzw. »der Lehre vom Schreiben« wird »die Lehre vom Menschen«.614 Wir können das neue Menschenbild ganz deutlich 613 614

WAGNER: Inside a Service Trade, S. 45. Zu diesem Begriff, der normalerweise mit Ba Ren in Verbindung gebracht und später von Wang Meng wieder aufgenommen wird, s. CH’IEN KU-JUNG: »Literature is the Study of Man«, in: NIEH: Literature of the Hundred Flowers, Bd. 1, S. 181–198. Der Verfasser sieht allerdings Gorki als Urheber an. Zum Original »Lun wenxue shi renxue« s. Wenyibao Mai 1957.

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in allen angeführten Beispielen antreffen, welche die schlichte Einteilung der Welt in Schwarz und Weiß aufheben. Für die von Mao Zedong befürwortete allseitige Kollektivierung der Gesellschaft war ein Freund- und Feinddenken jedoch unabdingbar. Berühmt ist in dieser Hinsicht seine bereits erwähnte Aufforderung nach einer klaren Scheidung von Freund und Feind in seiner Schrift »Analyse der Klassen in der chinesischen Gesellschaft« (1926): »Wer ist unser Freund und wer ist unser Feind?«615 Eine solche klare Scheidung, die Freund und Feind als politische Kategorien begreift, erfordert einen »Führer« (lingxiu), der in Verbund mit den guten Freunden den bösen Feind unbarmherzig bekämpft und dafür von den Seinen als über allem stehend verehrt wird. Den Führerkult begleitet entsprechend ein Kult des Pathetischen, denn da der Kampf ein vom Staat geleiteter »Endkampf« ist, dem Millionen zum Opfer fallen,616 stehen große Dinge auf dem Spiel und sollen in ihrer Dringlichkeit verbal angemessen veranschaulicht werden. Insofern mußte der aus der Sowjetunion übernommene sozialistische Realismus über kurz oder lang zum Problem werden, besonders von dem Moment an, wo ein Theoretiker wie Qin Zhaoyang (1914–1994) besagte Theorie um ihr Adjektiv »sozialistisch« erleichtern wollte und im September 1956 nach einem »Realismus« als »einem Weg für alle« (»Xianshizhuyi – guangkuo de daolu«)617 verlangte. Zuvor war bereits in Moskau von Vertretern des Tauwetters der »sozialistische Realismus« als unwissenschaftlich kritisiert worden. Qin Zhaoyang verstand den Marxismus als eine kritische Tradition zur gesellschaftlichen Analyse und nicht als Dogma zur Ausübung von Macht. Dementsprechend befürwortete er einen Realismus, der kritisch war und sich nicht zu Propagandazwecken oder zur Bebilderung geschönter gesellschaftlicher Entwicklung mißbrauchen ließ. Es ging ihm um eine »Wahrhaftigkeit« des Schriftstellers, der »ins Leben eingreift« und Politik statt Tagespolitik betreibt. Ein solcher Realismus, der nach Engels typische Charaktere in einer typischen Situation erfassen sollte, konnte keiner billigen Schwarzweißzeichnung dienen, er war – wie parteiisch auch immer – weiterhin dazu angetan, ein eher reales als ideales Bild sozialer Verhältnisse zu entwerfen. Die Politik der Drei Roten Banner betonte seit 1958 in Abkehr von Moskau den Primat des Willens: China, gleichsam in einer einzigen Volkskommune (3. Banner) zusammengefaßt, sollte – allein auf seine sozialistischen Ideen (1. Banner) gestützt – in einem Großen Sprung nach vorn (3. Banner) die wirtschaftliche Leistung von Großbritannien bis 1972 einholen und übertreffen. 615

616 617

MAO TSE-TUNG: Ausgewählte Werke, Bd. 1, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 1968, S. 9; Mao Zedong xuanji, Bd. 1, S. 3. In der Fachsprache der Politologie nennt man dies »death by government«. Unter dem Pseudonym He Zhi, in: Renmin Wenxue 9/1956, übersetzt in: NIEH: Literature of the Hundred Flowers, Bd. 1, S. 121–144, besprochen von WAGNER: Inside a Service Trade, S. 224–226. Zum literarischen Werk von Qin Zhaoyang s. VIBEKE BØRDAHL: »Before Silence: Qin Zhaoyang’s Early Short Stories, 1940–1957«, in: China Quarterly June 1987, S. 231–255. In englischer Übersetzung liegt mir vor CHIN CHAO-YANG [d.i. Qin Zhaoyang]: Village Sketches, Peking: Foreign Languages Press 1957.

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Dieses Ziel war nicht an die soziale Realität gebunden und daher ästhetisch nicht nach der Konzeption des sozialistischen Realismus umsetzbar. Bekanntlich war die sowjetische Ästhetik idealiter der Entwicklung einer Gesellschaft in ihrer vermeintlichen Tendenz verbunden, beließ gleichwohl der Praxis des Schreibens noch genug Raum für eine differenzierte Sicht. Um der Gefahr einer Widerspiegelung tatsächlicher gesellschaftlicher Verhältnisse zu entgehen, kreierte daher Guo Moruo die Ästhetik des Revolutionären Realismus und der Revolutionären Romantik (künftig: Vier »R«). Eine solche heute seltsam anmutende Kombination sollte den angeblich inhärenten Schattenseiten von Realismus und Romantik vorbeugen und die revolutionären Tendenzen einer sich permanent umkehrenden Gesellschaftsordnung durch die revolutionäre Vorstellungskraft eines nie zur Ruhe kommenden Rebellen vorantreiben helfen. Mao Zedong und seine klassischen Gedichte wurden zur Verkörperung dieser Ästhetik, die von ihrem Fürsprecher Guo Moruo nie eindeutig festgelegt worden war.618 Wir erleben in diesen Zeiten den offensichtlichen Schwenk vom Berufs- zum Amateurschriftsteller, der sich im Zuge einer Mobilisierung der Massen auch in Form einer Massenpoesie äußert. Diese kann nun ob ihrer schieren Quantität nicht mehr gedruckt, sondern nur noch auf Lastwagen in den allseitigen Kampf abtransportiert werden. Für Mao Zedong spricht jedoch, daß die ersten 18 seiner im klassischen Stil verfaßten Gedichte bzw. Lieder, die zur Zeit der Hundert Blumen erschienen, die Handschrift eines Dichters tragen. Ob Mao Zedong wirklich dieser Dichter gewesen ist, ist heute umstritten. Vielleicht hat er schreiben lassen. So oder so muß man zumindest von einer Überarbeitung seiner Verse ausgehen, die nicht selten von Guo Moruo vorgenommen gewesen sein mag. Den formal unzeitgemäßen Dichtungen kommt vielfach Programmatik zu. Zunächst mag man sich wundern, daß Mao eine Poesie in klassischer und nicht in alltäglicher Sprache verfaßt hat. Bei großzügiger Auslegung können die Dinge wie folgt benannt werden: In Abwehr der internationalen Moderne, zu welcher auch der sozialistische Realismus zählt, geht es exemplarisch um eine ästhetische Matrix, welche traditionelle chinesische Form und utopischen Geist künstlerisch umsetzt. Alle Kunst würde demnach ein chinesisches Gewand gewinnen und gleichzeitig der Staatsideologie dienen. Politisch und ästhetisch würde China als ein einziger Körper der aktiven Umgestaltung seiner Geschichte, Gesellschaft und Natur verpflichtet sein. Das Ziel hieße Versöhnung, gesellschaftlich und künstlerisch. Da sich Mao Zedong in seiner Dichtkunst jedoch einer Fülle von Anspielungen bedient, gibt sich der ideologische Charakter seiner Verse oftmals nur dem kundigen Interpreten zu erkennen. Ein Beispiel mag genügen, zumal ich zum Thema hinreichend geschrieben habe.619 Bekanntlich er618

619

S. hierzu KUBIN: »Revolution und Affirmation«, S. 107–110. Vgl. auch EBERSTEIN: Das chinesische Theater im 20. Jahrhundert, S. 309–312. WOLFGANG KUBIN: »Revolution und Versöhnung. Mao Tse-tungs Dichtungen und die Umwandlung der chinesischen Literatur«, in: Maoismus: Kontinuität und Diskontinuität. Bilanz und Perspektiven der Entwicklung nach dem Tode Mao Tse-tungs, Bochum: Brockmeyer 1977, S. 43–57; DERS.: Mao Zedongs »Lied nach der Melodie Dielianhua. Zur Antwort an Li Shuyi.

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tüchtigt sich der chinesische Mensch seit der Neuzeit nicht mehr körperlich. Auch heute noch läßt er sich gern einen Berg hinauftragen. So kommt den Bildern des schwimmenden Mao Zedong ein symbolischer Charakter zu. Dem Schwimmen nämlich stand man in China traditionell skeptisch gegenüber. Man suchte nicht die Gefahr und hatte auch nicht den Ehrgeiz, die Natur zu bezwingen. Das vielleicht zunächst unschuldig wirkende klassische Lied »Schwimmen« (Youyong)620, das im Juni 1956 nach der traditionellen Melodie Shuidiao getou verfaßt wurde, ist daher ideologisch als ein Zeichen zur bewußten Umgestaltung von Natur, Gesellschaft und Geschichte zu werten. Hab’ gerade getrunken von Changshas Wassern, dann schon verspeist die Fische Wuchangs. Den langen Fluß durchquert, erschöpft sich mein Blick unter Hubeis endlosem Himmel. Nicht scheren mich Windhauch oder Wellenschlag, besser ist’s, hier zu sein, als im abgeschiedenen Hof müßig zu schlendern. Von Herzen ist mir heute frei, einst sprach Konfuzius am Fluß: »So wie die Wasser geht alles dahin!« Unter dem Wind beugen sich der Schiffe Masten, Schildkröte und Schlange liegen still, große Pläne sind gefaßt, eine Brücke überspanne im Fluge Norden und Süden, daß aus der Himmelsschranke ein Verkehrsweg werde. Und weiter große Staudämme am Oberlauf des Jangtse, die Wolken und Regen des Wu Shan scheiden, ein Stausee träte dann in hohen Schluchten hervor. Die Göttin, wohl bei Gesundheit, erstaunte sicher über den Wandel der Welt.

Bald fünfzig Jahre später soll diese Vision Wirklichkeit werden. Das ehrgeizige Staudammprojekt am Mittellauf des Jangtse steht heute unmittelbar vor dem Abschluß. Damals befand sich Mao Zedong auf Inspektionsreise. Im Mai 1956 traf er in der Hauptstadt der Provinz Hubei ein. Wuhan, wo der Jangtse mit dem Han zusammenströmt, besteht aus den drei Orten Wuchang mit dem Schlangenberg (oben »Schlange«), Hanyang mit dem Schildkrötenberg (oben »Schildkröte«) und Hankou. Die Brücke über den Jangtse, die »Himmelsschranke«, befand sich damals noch in Bau,

620

11. Mai 1957«, in: KUBIN: Die Jagd nach dem Tiger, S. 85–123. Guo Moruo dient dieses Lied zur Veranschaulichung seiner ästhetischen Theorie der Vier »R«. Mit leichten Veränderungen zitiert nach KUBIN: Nachrichten von der Hauptstadt der Sonne, S. 167f.; Mao zhuxi shici, Peking: Renmin Wenxue 1974, S. 30f.

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als Mao Zedong Anfang Juni dreimal den Strom durchschwamm. Er imaginiert die Fee (oben »Göttin«), die an der Grenze von Hubei und Sichuan vom Wu Shan aus die gewaltigen Staumassen in den berühmten Jangtse-Schluchten voller Schrecken wahrnimmt. Vordergründig wirkt dieses Lied unschuldig und schön, tatsächlich stellt es eine gewaltige Kampfansage an die Natur und die Tradition dar. Die Muße des Literaten, der sich daheim ergeht oder am Gewässer über den Gang der Dinge meditiert, hat ein Ende. Die Landschaft ist kein Gegenstand der Betrachtung oder der Ergebung mehr, vielmehr wird sie so umgestaltet, daß sie dem Menschen, statt Hindernis zu sein, Dienerin wird. Die einstige Ehrfurcht vor den Kräften, welche die Natur durchwalten und in dem Glauben an Feen und Geister religiöse Gestalt gewonnen haben, weicht der Überzeugung von der allmächtigen Kraft des Menschen: nicht der Mensch erschrickt vor der Göttin, vielmehr wird umgekehrt die Göttin bei der Betrachtung der ihr einst bekannten Welt nichts Vertrautes mehr wiederfinden und in Schrecken geraten. Revolutionärer Realismus und Revolutionäre Romantik halten sich in diesem Lied noch in Grenzen. Es kommt zu keiner Übersteigerung. Auch das Ideologische wirkt nicht aufgesetzt. Dies ist bei dem frühen Paradebeispiel für die neue Ästhetik, bei der »Geschichte von Li Shuangshuang« (»Li Shuangshuang xiaozhuan«, 1959)621 von Li Zhun nicht der Fall. Penetrant ist die Rolle des Parteisekretärs. Sie wird immer dann bemüht, wenn es um die Absegnung von Li Shuangshuangs eigenwilligen Entscheidungen geht. Die chinesische Literaturkritik hat daher von dieser Erzählung Abstand genommen und preist statt dessen die Filmversion, weil diese den zur Zeit der Verfilmung (1962) bereits überholten Zeitgeist außer acht gelassen und sich ganz auf die Beziehung eines Ehepaares konzentriert hat. Trotzdem halte ich die erzählte Fassung für weiterhin bedenkenswert. Sie zeigt wie der Film, daß die Ehe zum Anschauungsmaterial sozialer Veränderung dienen kann. Trotz aller Ideologie gelingt dem Erzähler manch humorvoller Kommentar zur Erziehung eines Mannes. Li Zhun führt am Beispiel der Protagonistin fort, was Ding Ling in ihren »Gedanken zum 8. März« problematisiert hatte: daß die Arbeit auch im Sozialismus noch einer geschlechtlichen Teilung unterliege, daß sich die Frauen, an Kinder und Küche gebunden, nicht emanzipieren können, daß der Mann weiterhin den Patriarchen spielt etc. Li Zhun versteht sein Handwerk, und so beginnt die Erzählung hintersinnig, indem sie aus Lu Xuns Novelle »Die wahre Geschichte des Herrn Jedermann« das Problem des Namens aufgreift. Li Shuangshuang ist die Frau von Sun Xiwang aus der Sunzhuang-Brigade unserer Volkskommune. In diesem Jahr zählt sie 25 oder 26 Jahre. Vor Einführung der Volkskommunen und dem »Großen Sprung nach vorn« wußten nur wenige in unse621

Aus dem Chinesischen von PETRA GROßHOLTFORTH, in: KUBIN (Hg.): Hundert Blumen, S. 293– 345. Zum Original dieser erst ein Jahr später veröffentlichten Erzählung s. Li Zhun xiaoshuo xuan, S. 278–313.

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION rem Dorf, daß sie Shuangshuang hieß, da sie sehr jung schon an zwei, drei Kinder gebunden war. Zur Zeit der höher entwickelten landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften war sie nur selten auf dem Feld, und selbst wenn sie bei der Weizenernte wochenlang mitausgeholfen hatte, wurden alle ihre Arbeitsstunden Xiwang angerechnet. Die älteren Leute im Dorf nannten sie »Xiwangs Frau« oder »Xiwangs junge Frau«, wenn sie von ihr sprachen. Die Jüngeren sagten nur »Schwägerin Xiwang«. Xiwang selbst sprach in den ersten Jahren nur von der »Frau bei mir zu Hause«, als Shuangshuang dann ein Kind hatte, pflegte er sie »die Mutter meiner Kleinen Ju« zu nennen. Außerdem hatte er noch einen anderen, ziemlich häßlichen Namen für sie, nämlich »meine Reisköchin«. Bei so vielen Bezeichnungen tauchte der Name Shuangshuang natürlich sehr selten auf, aber in jener Umbruchszeit des »Großen Sprungs nach vorn« im Frühjahr 1958 »sprang« auch der Name Shuangshuang ins öffentliche Bewußtsein.

Der richtige Name »sprang« deswegen ins allgemeine Bewußtsein der Kommune, weil die Protagonistin eine Wandzeitung mit der Forderung nach einer Kantine für alle aufhängt und damit die alte Ordnung umkehrt: Eine Gemeinschaftsküche läuft auf die Emanzipation der Frau hinaus, die an der Revolution teilnehmen und sich nicht mehr daheim eingesperrt wissen möchte. Unabhängig von der Tatsache, daß der Versuch zur Kollektivierung der Gesellschaft durch den Bau von massenhaften Speisesälen damals ein Fehlschlag war und bald aufgegeben werden mußte, ist der Gedanke einer Aufhebung der geschlechtsbedingten Aufgabenteilung nicht grundsätzlich als Irrweg zu betrachten. Das Umtriebige der Li Shangshuang folgt selbstverständlich Maos Prinzip, daß das Oberste zuunterst gekehrt gehört und daß dies bei der Geschlechterbeziehung zu beginnen hat. Folglich erzieht die fortschrittlich gesinnte Frau ihren rückschrittlichen Mann auf eine oft sehr witzige Weise. Es ist dies der Grund, warum ihr eine »Biographie« gebührt. Bekanntlich stand weder einem Herrn Jedermann noch einer einfachen Frau in der Geschichtsschreibung eine Biographie zu, ja, Frauen hatten nur sehr selten einen eigenen Namen. Daher nennt der Erzähler seine Biographie auch vorsichtig eine »kleine Biographie« (xiaozhuan).622 Man mag die Biographie einer Bäuerin als politische Auftragsarbeit verurteilen, ja ihr sogar vorwerfen, mit ihrer Unterstützung der damaligen politischen Utopie zu den drei folgenden Hungerjahren (1959–1962) beigetragen zu haben, gleichwohl bleibt als diskussionswürdiges Problem die bis heute ungelöste Geschlechterproblematik zurück. Ein übriges tut der Humor. Selten hat ein Autor so ungezwungen über Unterdrückung und Emanzipation der chinesischen Frau geschrieben. Bis zu guter Letzt verfolgt der Leser amüsiert die Auseinandersetzung zwischen Li Shuangshuang und ihrem Mann. Es ist dieser »volkstümliche« Anteil, der die Erzählung für ihre Zeit so repräsentativ macht: Li Zhun verbindet mit Mao Zedong die Rückbesinnung auf das vermeintlich rein Chinesische. Dies betrifft sowohl das Sujet als auch die 622

Die mögliche Übersetzung von xiaozhuan als Kurzbiographie scheint sich mir hier zu verbieten, da die »Biographie« ja recht ausführlich ausfällt!

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Ideologie. Beide Vertreter erfüllen die theoretischen Forderungen ihrer Zeit, nämlich das chinesische Erbe und Volkstum zur Grundlage des künstlerischen Schaffens zu machen.623 Als einzig fremder Anteil verbleibt eine marxistisch-leninistische Ideologie, die aber so stark sinisiert worden ist, daß sie als Maoismus rein nationale Züge angenommen zu haben scheint. Wir erleben daher eine Zuspitzung des Eigenen, die in der Folge mit der Kulturrevolution ihre extremste Form gewinnt. Es läßt sich aber bereits mit dem Großen Sprung nach vorn von dem Primat der Selbsterregung sprechen. Wenn man nur noch sich selber sieht und sich selber hört, vermag einen außer der eigenen Person und den eigenen Angelegenheiten nichts mehr zu begeistern. Auch wenn sich für China die theologische und philosophische Erkenntnis, daß Stimme und Gehör der Grund der Welt sind, nur bedingt annehmen läßt, so vermögen wir dennoch zu erahnen, wie sehr die Zurückweisung des Schriftstellers als Ohr und Stimme des Volkes in die Katastrophe führen mußte. Wenn ein Staat, eine Regierung und eine Partei nur noch ihre eigene Stimme aus den Mündern der Untertanen hören wollen, so verdoppeln sie sich selbst, indem sie ihre Ansicht von sich selbst zu der Ansicht aller machen. Man begegnet im anderen nicht mehr dem anderen, man begegnet nur noch dem eigens entworfenen Bild von sich selbst. Das Fremde wird somit zu einer Erweiterung des Eigenen. Dies faßte sich später neben dem bereits erwähnten Stammeln »Ah!« und »Oh!« in dem Schlagwort »Alles aus eigener Kraft« (zili gengsheng) zusammen. Es ist daher kein Zufall, daß es ab 1979 ein fremder »Ruf« ist, der China aus seiner Einspinnung in sich selbst herausführen wird. Doch dazu später an seinem Ort.

4.1.3 Das historische Drama Am Ende der Hundert-Blumen-Periode und zu Beginn des Sprunges nach vorn verbat sich jegliche öffentliche Einmischung. Dem Autor, der nicht mit den Wölfen heulen wollte, blieb nur die Historie als Rückzugsraum. Hier waren Anspielungen auf die Gegenwart möglich, hier ließ sich »das Alte im Sinne der Gegenwart gebrauchen« (gu wei jin yong), indem man »durch das Alte die Gegenwart verspottete« (jie gu feng jin). Man nennt dies auch »auf den Maulbeerbaum zeigen, aber die Akazie beschimpfen« (zhi sang ma huai), also über einen Tyrannen des Altertums sprechen, aber Mao Zedong meinen. Die Verarbeitung historischer Gestalten und Stoffe vornehmlich auf der Bühne, aber auch im Roman624 oder im politischen Essay 623 624

Vgl. hierzu HAFT: Pien Chih-lin, S. 79–114. Stellvertretend sei hier das Mammutwerk Li Zicheng von Yao Xueyin erwähnt, das auf fünf Bände angelegt war und spätestens 2005 vollendet vorlag (Peking: Renmin Wenxue 2005). 1963 erschien der erste, 1977 der zweite und 1981 der dritte Band. Jeder Band der mir vorliegenden Ausgabe (Peking: Zhongguo Qingnian 1976) besteht aus zwei bis drei Teilbänden! Der Titel geht auf den Bauernführer Li Zicheng (1606–1645) zurück, der mit zum Sturz der MingDynastie beigetragen hat. Da das Werk Bauernkriege und Bauernaufstände als Motor der Geschichte konzipierte, war wohl später auf Grund veränderter (Staats-)Ideologie eine Fortsetzung nur mit Mühen zu denken gewesen.

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(zawen)625 muß daher immer wie eine Kommentierung der damaligen politischen Situation gelesen bzw. gesehen werden. Diese läuft stets auf Lob oder Tadel für das eine oder andere politische Lager hinaus. Es war einmal mehr Rudolf G. Wagner, der diese Zusammenhänge von Politik und Kultur auf exemplarische Weise aufgedeckt hat.626 Die folgenden Ausführungen verdanken sich daher großenteils seinen Erkenntnissen. Da politische Auseinandersetzungen seit 1949 immer weniger einen distinguierten Ort in der Gesellschaft hatten, waren die Künste zwischen 1958 und 1966 um so mehr zum Ersatzforum politischer Diskussion geworden. Die Frage, ob wir es bei den Texten eher mit Literatur oder Politik zu tun haben, erübrigt sich insofern, als es sich in jedem Fall um parteiische Literatur handelt, die handwerklich gesehen schlichten ästhetischen Anforderungen durchaus genügt. Wir müssen bei der Lektüre im Auge behalten, daß auf literarische Weise verschiedene weltanschauliche Lager gegeneinander arbeiten, die sich der Einfachheit halber in die Gruppierung um Mao Zedong und in die um Liu Shaoqi (1898–1969) bzw. Deng Xiaoping einteilen lassen. Der Kampf, der schließlich in die Kulturrevolution einmündet, ist der Kampf zwischen Utopie und Pragmatismus, zwischen Totalitarismus und sozialistischer Demokratie, zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Dieser machte sich weit über die Künste hinaus auch an anderen Gegenständen wie Philosophie oder Geschichtsschreibung fest. Die Historie war ein beliebter Tummelplatz für politische Bewertungen und Umwertungen jeglicher Art. Dabei stand jeder Name, jeder Ort, jede Epoche, jedes Schlagwort der Vergangenheit für ein entsprechendes Vorkommnis in der Gegenwart. Den »Konservativen« zum Beispiel war das Vorbild des »reinen Beamten“ (qing guan) wichtig, der seine besondere historische Gestalt in dem aufrechten Beamten der Ming-Dynastie Hai Rui (1513–1587) gefunden hatte. Also verfaßte der Historiker und stellvertretende Bürgermeister von Peking Wu Han (1909–1969) seit 1959 verschiedene Bühnenversionen zum Thema, ehe er im Januar 1961 mit der siebten Fassung, mit der Pekinger Oper Hai Rui legt sein Amt nieder (Hai Rui baguan)627, 625

626

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Hier sei insbesondere auf Deng Tuo und seine 153 Essays verwiesen, die unter dem Titel »Abendgespräche am Yan Shan« (»Yan Shan yehua«) zunächst 1961–1962 in der Tageszeitung Pekinger Abendnachrichten (Beijing Wanbao) und dann in Buchform (1963, 1979) erschienen. Die Kritik an diesen und an den zusammen mit Liao Mosha (1907–1990) sowie Wu Han verfaßten Essays »Notizen aus dem Dorf der drei Familien« (»Sanjiacun zhaji«, 1961–1964) leitete ebenfalls die Kulturrevolution ein. Vgl. hierzu H.C. CHUANG: Evening Chats at Yenshan, or the Case of Teng T’o [d.i. Deng Tuo], Berkeley: Center for Chinese Studies 1970 (= Studies in Chinese Communist Terminology; 14). Vgl. auch ANGELA SCHOTTENHAMMER: Zufußgehen und Zubodenfallen. Liao Mosha und die Literaturkampagne zu Beginn der Kulturrevolution, Heidelberg: Edition Forum 1993 (= Würzburger Sinologische Schriften). RUDOLF G. WAGNER: The Contemporary Chinese Historical Drama. Four Studies, Berkeley: University of California Press 1990. Zuerst erschienen in Beijing Wenyi 1 (1961). Besprochen von WAGNER: The Contemporary Chinese Historical Drama, S. 289–302; EBERSTEIN: Das chinesische Theater im 20. Jahrhundert, S. 312–317; LIN CHEN: »Hai Rui Dismissed from Office and China’s Opposition Movement,

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an die breite Öffentlichkeit treten konnte. Den »Revolutionären« waren dagegen die bisher als Bösewichter verschrienen Herrscher Cao Cao (155–220) und Wu Zetian (reg. 690–705) wichtig. Also reagiert Guo Moruo zunächst 1959 mit der Oper Cai Wenji (Cai Wenji)628 zum Preis von Cao Cao, sprich Mao Zedong, und mit einer weiteren Oper, mit Wu Zetian (Wu Zetian)629 zum Lob von Jiang Qing (1913–1991), der Ehefrau des »großen Führers«. Die damalige politische Situation ist zu komplex, als daß sie simpel nachgezeichnet werden könnte. Das Thema Hai Rui war von Mao Zedong selbst vorgegeben worden. Der internen Erstaufführung von Wu Hans Stück wohnte der Staatsmann im November 1960 persönlich bei. Trotzdem bedurfte es der Kritik vieler Jahre, ehe sich die offizielle Meinung durchsetzen und die Kulturrevolution einleiten konnte. Beide Seiten waren sich im klaren darüber, daß nicht Hai Rui und seine Zeit zur Debatte standen, sondern der Verteidigungsminister Peng Dehuai (1898–1974) und die Politik des Großen Sprungs nach vorn. Peng hatte auf Konferenzen, die im Sommer 1959 am Lu Shan stattfanden, die Politik der Drei Roten Banner kritisiert und war daraufhin mit seinen Anhängern als antiparteilich eingestuft worden. Sein Wunsch nach Aufgabe des Amtes kam einer Entlassung gleich. Die Parallelen zu Hai Rui wird entlassen sind offensichtlich. Gemeinsame Themen sind: das auf höhere Weisung enteignete Land, das an die Bauern zurückzugeben ist; die Korruption, die ein Ende haben muß; die offene, furchtlose Kritik an der Macht im Staate, deren Vertreter, der Gewaltherrscher, zu stürzen ist; die Suspendierung eines integren Beamten, die nicht hinzunehmen ist; die Rolle des Staatsdieners als gewissenhafter Mittler zwischen Volk und Herrscher. Kurz, es geht um eine Rektifizierung neuer Art, die im Stück selbst mehrfach geflügelt zum Ausdruck kommt: Es handelt sich um ein politisches, wirtschaftliches und kulturelles Rollback. Daß die Auseinandersetzung über das Stück von Wu Han, der von Mao Zedongs Gegenspielern gestützt wurde, so viele Jahre in Anspruch nahm und erst im Mai 1966 zu einem Ende kam, spricht für die zeitweilige Ausgewogenheit der damaligen Machtverhältnisse. Nach der verfehlten Wirtschaftspolitik der Kollektivierung hatten die Pragmatiker um Liu Shaoqi am Ende der Hungerjahre seit 1962 wieder an Einfluß gewinnen können. Ihre Gegner nutzten im Laufe der Jahre die Gelegenheit nicht nur zur politischen, sondern auch zur kulturellen Abrechnung. Gegen die vermeintlich schwarze Linie der Künste seit 1949 etablierte Jiang Qing als Muster für das ästhetische Schaffen die Fünf Modellopern, welche die neue Ästhetik der »Drei Her-

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1958–1959«, in: CONSTATINE TUNG u. COLIN MACKERRAS (Hg.): Drama in the People’s Republic of China, Albany: State University of New York Press 1987, S. 30–53. Zu einer neueren Übersetzung dieses allgemein als Mittelmaß eingeschätzten Stückes in Auszügen s. GUNN: Twentieth Century Chinese Drama, S. 381–408. Es gibt ansonsten drei Gesamtübersetzungen im Englischen, die zwischen 1969 u. 1972 erschienen sind. In: Guo Moruo juzuo xuan, Peking: Renmin Wenxue 1978, S. 321–387. Besprochen von WAGNER: The Contemporary Chinese Historical Drama, S. 92–95, S. 282–289.

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vorhebungen« (San tuchu) exemplarisch veranschaulichten: Demgemäß erhebt sich über dem guten (chinesischen) Volk eine gute Gruppe (Kader, Partei, Zentralkomitee), aus deren Mitte der Eine an der Spitze der Gemeinschaft über allen anderen dezidiert hervorragt. Wir erleben hier im Grunde genommen eine Transplantierung von christlichen Abendmahlsbildern, die bereits der maoistischen Malerei zur Verherrlichung der politischen Führung als Vorlage gedient haben. Literarisch gesehen verhalten sich die Dinge natürlich weniger greifbar. Doch offensichtlich lassen sich Mao Zedong und Jesus, die Partei und die Jünger, das Volk der Gläubigen und das chinesische Volk gleichsetzen. Die Präzisierung der Ästhetik der Vier »R« zur Theorie der »Drei Hervorhebungen« muß in einem größeren Zusammenhang gesehen werden. Es ging dabei auch um das Erbe und die sogenannte Volkskultur. Zunächst hatte es zwischen Sommer 1950 und Frühling 1952 ein Verbot von 24 Singspielen gegeben, die auf Grund ihrer zu großen Nähe zu einer als unstatthaft empfundenen Volkstradition nicht aufgeführt werden durften. Zur Zeit der Hundert Blumen hat man jedoch eine Bestandsaufnahme des chinesischen Theaters unternommen und von den 51867 ausgegrabenen Stücken 14632 dokumentieren können. Das heißt, der Schwenk zur Politisierung der traditionellen Bühne nach 1958 war formal und faktisch vorbereitet. Das Erbe blieb jedoch weiterhin gefährlich. Man mochte zwar wie Cao Yu in seinem Stück Galle und Schwert (Danjianpian, 1961)630 die Parteimeinung vertreten, das Volk sei der Herr der Geschichte, und jede Unabhängigkeit (zili gengsheng) erfordere einen mühseligen Kampf (jianku fendou), aber man konnte auch wie Tian Han 1958 mit seinem gleichnamigen Stück über den Dramatiker Guan Hanqing (ca. 1240 – ca. 1320)631 den Intellektuellen gegen die herrschende Meinung zur Triebkraft und zum Gewissen der Gesellschaft machen. In beiden Fällen jedoch war die Geschichte, war das Theater Magd der Politik. Alles Geschehene schien sich wie in der Vergangenheit an einem Hof abzuspielen und in eine Auseinandersetzung zwischen verantwortungslosem Herrscher und verantwortungsbewußtem Beamten einzumünden. Je nach politischem Lager konnte eine solche Funktionalisierung des Erbes sehr gefährlich werden, hieß es doch »Der Herrscher ist unerheblich, das Volk ist wertvoll« (jun qing, min wei gui): gefährlich zunächst für den Angegriffenen, gefährlich später für den Angreifer, den zur Zeit der Kulturrevolution Gefängnis und Tod erwarteten. Es ist daher kein Zufall, daß Pinsel und Schwert in diesen Jahren immer wieder in einem Atemzug genannt werden, und daß »mit dem Pinsel töten« (yi bi sha ren) zu einem geflügelten Wort wird. Der Humanist Ba Ren (1901–1972) erhebt folglich warnend die Stimme: 630

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Zur Deutung und Quelle s. FRANK GERKE: »Geschichte im Zeichen der Gegenwart. Cao Yus Theaterstück Galle und Schwert«, in: minima sinica 2/2000, S. 136–158. Zum Original s. Tian Han wenji, Bd. 7, S. 1–133. Als Datum der Überarbeitung ist hier das Jahr 1960 angegeben. Der Autor hat sein Stück so oft überarbeitet, daß man nicht mehr von einem Original, sondern nur von vielen verschiedenen Versionen sprechen kann. Zur Deutung s. WAGNER: The Contemporary Chinese Historical Drama, S. 1–79.

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»Unter einem Pinsel befinden sich Menschen!« (bi xia you ren) Theater, Politik und Geheimdienst gehen eine so enge Verbindung im Guten wie im Bösen ein, daß an einem Stück jeder mitzuschreiben scheint. Statt einer Fassung gibt es oft viele Fassungen, statt einem Verfasser viele Verfasser. Doch auch die Revisionen nutzen über kurz oder lang nichts, der Geheimdienstchef Kang Sheng (1898–1975)632 wird am Vorabend der Kulturrevolution im Verein mit der linken Politik das Verbot nicht genehmer Stücke und die Verfolgung unliebsamer Theatermacher zu betreiben beginnen. Zwischen der Zeit der Hundert Blumen und der Kulturrevolution findet im Rahmen des Großen Sprungs nach vorn ein folgenreicher Paradigmawechsel statt. Die Literatur wird auf der Bühne zum Schlachtfeld, am deutlichsten sichtbar in der Gestalt des Affenkönigs Sun Wukong, der mit seinem rebellischen Geist und mit seiner Bereitschaft, »dreifach [d.h. vielfach] zuzuschlagen« (san da), für Mao Zedong und dessen Revolution steht. Der Wertewechsel, der sich innerhalb von zehn Jahren vollzieht, läßt sich wie folgt umreißen: An die Stelle der »modernen« Skizze (texie) und der »modernen« Kurzgeschichte tritt das traditionelle Drama. Gegenstand ist nicht mehr die gegenwärtige sozialistische Gesellschaft, sondern die alte, die sogenannte feudalistische Gesellschaft. Intrigen und Fraktionskämpfe bei Hofe ersetzen das tägliche Leben, das von einer Kommunikation über Fragen der Wissenschaft, der Rationalität, der Produktionssteigerung etc. geprägt ist. Weil die Kommunikation um des Kampfes willen aufgegeben wird, werden Gestalten nicht mehr ambivalent gezeichnet, sondern eindeutig schwarz oder weiß: Das Gute und das Böse werden ontologisiert. Lob und Tadel werden zum Mittel, die eigene Seite zu stärken, die andere Seite zu schwächen. Damit ändert sich die Sprache: Die Sprache der Kader, die von sozialistischer Moderne und von gesellschaftlichem Fortschritt handelt, wird zur Sprache einer Minderheit, welche die Führungsspitze ausmacht und in Kämpfe verstrickt ist. Sie nimmt radikale, pathetische und formal klassische Züge an! Die Schriftform (wenyan) hat die Umgangssprache (putonghua) ersetzt. Dies folgt zwar der Logik der Pekinger Oper, welche die angemessene Singspielform für die historische Thematik zu sein scheint, ist aber letztlich die Konsequenz aus einem Machtkampf, den nur eine Führungsschicht durchschauen kann und durchschauen soll. Deren Protagonisten sind keine »Techniker« mehr, sondern »Helden«, denen es vordergründig um Ehre, Vaterland, Patriotismus, Integrität, kurz um moralische und politische Werte geht. Alle Führungspersönlichkeiten besuchen am Vorabend der Kulturrevolution die Aufführungen und sehen sich auf der Bühne jene politischen Auseinandersetzungen an, die sie in der Öffentlichkeit nicht zu führen wagen. Die Kunst der Ambivalenz hat ausgedient, der Ermahner wird schließlich vom Preissänger ersetzt. Der schöne Schein wird nun für zehn Jahre alle sozialen Probleme verdecken. 632

Zu dieser Person s. ROGER FALIGOT, RÉMI KAUFFER: Der Meister der Schatten. Kang Sheng und der chinesische Geheimdienst 1927–1987, aus dem Französischen von REGINA V. BECKERATH u. BARBARA SCHADEN, München: Ehrenwirth 1988.

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4.1.4 Das Volkstümliche Bevor wir uns kurz der Kulturrevolution zuwenden wollen, ist noch eine Bemerkung zu einem Stichwort notwendig, das immer wieder gefallen ist. Es hat etwas mit dem Volkstümlichen zu tun und dient der chinesischen Literaturkritik sehr gern zur Aufspürung von möglicherweise bedenkenswerten literarischen Beispielen in der damaligen Zeit. Man greift dabei gern exemplarisch auf die Gesänge von Minderheiten zurück. Am bekanntesten geworden ist das Epos Ashma (Ashima)633, ein von den Sani in Yunnan mündlich überlieferter Gesang, der zwischen 1954 und 1980 immer wieder von Han-chinesischer Seite bearbeitet worden ist. Auch namhafte Autoren haben sich an einer schriftlichen Fassung beteiligt. Es sind bis heute viele verschiedene Versionen mit unterschiedlichen Schlüssen überliefert. Dies hat neben der Adaption für Theater und Film auch mit dem Umstand zu tun, daß jede Zeit ihrer politisch korrekten Fassung bedurfte. Allen Bearbeitern, die das Epos erst dank ihrer Bearbeitung schufen, war jedoch eines gemeinsam: Die Deutung von Liebe und Ehe durfte nach Vorgabe der Partei nicht mehr unter dem herkömmlichen Aspekt einer Tragödie erfolgen, sondern sie hatte der Konzeption vom Klassenkampf gerechtzuwerden. Auch wenn die chinesische Literaturkritik Werke der Minderheiten, die nicht auf chinesisch verfaßt worden sind, der chinesischen Literatur zuschlägt, sollte uns Ashma an dieser Stelle nur Anlaß zu weiteren Überlegungen geben. Im Rahmen der Kampagne zum neuen Volksgesang (xin minge yundong), die offiziell seit dem Frühjahr 1958 durchgeführt wurde, war der Leitspruch ausgegeben worden: »In jedem Dorf gibt es Dichter.« (cuncun you shiren) Also zogen Wissenschaftler, Intellektuelle, Autoren über das Land. So hoffte man, das gesamte mündlich überlieferte Liedgut sichten und schriftlich festhalten zu können. Die Begegnung der Han-chinesischen Schriftsteller mit der oralen Kultur in China führte zu Veränderungen auf beiden Seiten: Die Autoren schrieben die Werke der Minderheiten nicht nur auf, sondern gleichzeitig auch um, sei es durch die Übertragung ins Chinesische, sei es durch Anpassung an die herrschende Ideologie. Zum anderen begannen auch sie nun zu »volkstümeln«. Hierin waren ihnen schon Schriftsteller unterschiedlicher Minderheiten vorausgegangen, die nicht mehr in ihrer Muttersprache, sondern um der besseren Verbreitung ihrer Werke willen auf chinesisch schrieben. Dies ist bis heute so geblieben. Nicht selten ist darüber die eigene Sprache verlorengegangen. Ein tibetischer Schriftsteller wie Tashi Dawa (auch Zhaxi Dawa, geb. 1959)634 spricht und schreibt kein Tibetisch mehr. 633

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Ashma, Peking: Foreign Languages Press 1957. Dies ist eine Zweitübersetzung. Die von einem Kollektiv aus dem Sani ins Chinesische übertragene Fassung hat GLADYS YANG ins Englische übersetzt. Als chinesische Fassung liegt mir vor: Ashima, Peking: Renmin Wenxue 1978 (Nachdruck von 1960). Vgl. ALICE GRÜNFELDER (Hg.): An den Lederriemen geknotete Seele. Erzähler aus Tibet, aus dem Chinesischen von ALICE GRÜNFELDER u. BEATE RUSCH, Zürich: Unionsverlag 1997.

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Das Volkstümliche ist, wie oben bereits mehrfach angedeutet, Teil einer Ideologisierung der Gesellschaft. Die Moderne war auf Technik reduziert worden, daher hatte alles, was über den rein naturwissenschaftlichen Aspekt hinausging, eliminiert zu werden. Dazu gehörte auch der sowjetische Revisionismus, wie man bald zu sagen pflegte. Die Lücke sollte nun das chinesische Erbe schließen. Dieses hatte jedoch ebenfalls von den mißliebigen Spuren der Tradition gesäubert zu werden. Endergebnis ist, ob nachgeschaffen oder neu entworfen, ein Kunstprodukt, welches seinen Unterbau im Volk und seinen Überbau im Maoismus hat. Zu Mustern volkstümlicher Kunst wurden die Singspiele Das Mädchen mit den weißen Haaren und Liu Sanjie (Liu Sanjie). Letzteres handelt von einer jungen Frau gleichen Namens, welche die Kunst beherrscht, es mit drei Männern im Brautgesang aufzunehmen. Man nennt diese auf der Bühne beliebte Technik »eine Frau, drei Männer« (yi nü, san nan). Singspiele dieser Art haben bis heute ihre Anziehungskraft auf das chinesische Publikum nicht verloren. In einem Atemzug mit Ashma wird vor allem ein Fragment von Lao She als ein brauchbares Stück Literatur dieser Jahre genannt. Es ist das Romanfragment Sperber über Peking (Zhenghongqi xia, 1961/62)635, das 1979 posthum veröffentlicht wurde, für viele das künstlerisch gelungenste Erzählwerk des Autors. Es sind nur elf Kapitel abgeschlossen worden, die stark autobiographischen Charakter haben. Das Werk paßt insofern in die oben angeschnittene Diskussion von chinesischem Erbe und chinesischer Tradition, als Lao She aus dem Blickwinkel eines vierzehnjährigen Jungen den Niedergang der Mandschus thematisiert. Das Volk der Mandschus, dem die Familie des Autors entstammte, hatte bekanntlich 1644 den Kaiserthron übernommen und war 1911 gestürzt worden. Da die neuen Herrscher über China jedoch im Laufe der Jahrhunderte sinisiert worden waren, so daß ein Unterschied zu den Han-Chinesen nicht mehr unbedingt gegeben war, läßt sich die Thematik des Romans weitergehend fassen: Es geht nicht nur um die Geschichte, den Charakter, die Sitten und insbesondere um die Verweichlichung dieser ethnischen Minderheit, sondern um ein allgemeines Bild des im Niedergang begriffenen kaiserlichen Reiches um 1900. Ein genauer Blick für die entschwundene Welt, eine feine Ironie und die Gabe, im Kleinen die großen historischen Mächte am Werke zu sehen, kennzeichnen die Erzählgabe von Lao She. Der Leser mag ob der Fülle von anmutigen Details in Nostalgie verfallen, der Erzähler tat dies nicht. So sehr man heute auch die Rückkehr der Vögel nach Peking begrüßen mag, der Autor weiß sehr wohl, daß in der Kunst der Taubenzucht sich der Pekinger Hang zur Muße offenbart, der – mit seiner Vernachlässigung der Staatsgeschäfte – den Untergang der einstigen chinesischen Zivilisation mit heraufbeschworen hat. Die Sperber stehen stellvertretend für die Kräfte, die das Kunst-

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LAO SHE: Sperber über Peking, aus dem Chinesischen von SILVIA KETTELHUT, mit einem Nachwort von WOLFGANG KUBIN, Freiburg u.a.: Herder 1992. Zum Original s. die Werkausgabe Lao She wenji, Bd. 7, S. 179–306.

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werk der Vogelzucht, das heißt die chinesische Hochkultur, zerstören werden. Wir lesen:636 An jenem Tag hatte Duofu nur ungefähr zwanzig Tauben freigelassen: viele schwarzgefleckte mit weißem Körper und schwarzen Phönix-Köpfchen und Schwanzfedern, ein paar Purpurfleckchen und zwei Raben mit pechschwarzen Flügeln. Damit war die Fliegertruppe zwar nicht groß, aber mit viel Sorgfalt ausgesucht. Der hohe Himmel und der frische Hauch des jungen Herbstes verlangten geradezu nach dieser gewagten Zusammenstellung – einfarbig weiße Vögel oder Vögel mit weißen Schwanzfedern wären einer solchen Kulisse nicht ebenbürtig gewesen. Wie tiefschwarz und kräftig waren doch die kurzen Schwanzfedern der Schwarzgefleckten! Und schien das Purpur ihrer Verwandten auch ein wenig blaß – sobald diese sich im Fluge wiegten und neigten, ging von ihren Schwanzfedern ein Glanz aus, wie er nur von purpurnen Schwanzfedern ausgehen kann. Überwog bei jenem Vogelschwarm auch die Farbe Weiß, so war die Rolle der beiden Raben nicht zu unterschätzen. Mit ihrem weißen Körper und den schwarzen Flügeln erinnerten sie an kräftige Blüten und setzten einen reizvollen Akzent im hellen Schwarm. Duofu hatte ein lebendes Kunstwerk geschaffen. [...] Trotz der Freude über sein eigenes Kunstwerk war er auf der Hut. Der Lieblingsbeschäftigung durfte man nicht halbherzig nachgehen, Nachlässigkeit wurde übel bestraft. Obwohl der Ostwind gerade erst begonnen hatte, den Bäumen ihre welken Blätter abzufordern, band Duofu seinen Tauben keine Pfeifen mehr um. Er fürchtete, daß die hellen Töne bis in den Neunten Himmel – den höchsten aller Himmel – dringen und die »Rabentiger« – die Sperber, die zur Herbstzeit aus dem Norden kommen – herbeilocken könnten.

4.1.5 Die Kulturrevolution (1966–1976) Die Jahreswende 1961/1962, in welcher Lao She sein letztes erzählerisches Meisterwerk in Angriff nimmt, stellt eine Ausnahme in der sich immer mehr verschärfenden Kulturpolitik dar. Die gemäßigten Kräfte hatten vorübergehend an Einfluß gewinnen können. Doch Forderungen nach Menschen wie du und ich (zhongjian renwu), die Shao Quanlin (1906–1971) im August 1962 öffentlich erhob, vermochten sich nur kurz zu behaupten. Mao Zedong befand zur selben Zeit in dem Badeort Beidaihe: »Niemals den Klassenkampf vergessen!« In den folgenden Jahren erläßt er Direktiven, welche die vergleichsweise gemäßigte Kulturpolitik von Zhou Yang vollkommen widerrufen, und er leitet persönlich Kampagnen gegen dreißig ihm unliebsame Künstler. Der von Zhou Yang 1958 ausgegebene Slogan »Schreibt über die Zentrale, bringt die Zentrale auf die Bühne, besingt die Zentrale« (Xie zhongxin, yan zhongxin, chang zhongxin) entfaltet nun seine übelste Seite.637 Fortan gibt es nur noch zwei 636 637

LAO SHE: Sperber über Peking, S. 153f.; Lao She wenji, Bd. 7, S. 283. Zur ästhetischen Theorie von Zhou Yang, die der maoistischen Ästhetik folgt, s. CHOU YANG [d.i. Zhou Yang]: China’s New Literature and Art. Essays and Addresses, Peking: Foreign Languages Press 1954.

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Arten von Werken, den lyrischen Preisgesang und die narrative Bebilderung des Klassenkampfes. Wenn wir so kategorisch »fortan« sagen, lassen wir natürlich die oben kurz angesprochenen Essays eines systemimmanenten Kritikers wie Deng Tuo (1912–1966) oder die Briefe eines Fu Lei638 außer acht. Doch die Essays, die das Gewissen des traditionellen Literatus wieder in ihr Recht zu setzen suchten, waren 1962 bzw. 1964 eingestellt und von dem Ästhetikpapst der Kulturrevolution Yao Wenyuan (geb. 1931)639 öffentlich als »Angriff auf die Partei«, als »Restauration des Kapitalismus«, als »verborgenes Gift« kritisiert worden. Und die Briefe, die wie andere sehr viel später erst verlegbare Werke eine Wende der Literatur vom (Tages-)Politischen zum Privaten andeuten, waren nicht vor Beginn der 80er Jahre zu publizieren gewesen. Diese Briefe, zwischen 1954 und 1966 verfaßt, sind auf Grund der Schuldgefühle, die ein Vater gegenüber seinen Kindern hegt, ungewöhnlich. Schuld war damals rein politischer Natur und wurde im Klassenkampf instrumentalisiert, sie war eine Waffe und wurde in der Regel nicht privat empfunden bzw. privat nicht zum Ausdruck gebracht. Fu Lei steht damit ganz gegen den Trend seiner Zeit. Doch dies kann uns hier nicht weiter beschäftigen. Es geht um die beiden einzig möglichen Formen von Literatur am Vorabend der Kulturrevolution, um den Preisgesang und die Bebilderung der Revolution. Für das erste Genre sind stellvertretend der Dichter He Jingzhi640 und der Essayist Liu Baiyu (geb. 1916)641 zu nennen, für das zweite der Erzähler Hao Ran (geb. 1932). So unerheblich deren Werke aus heutiger Sicht auch sein mögen, in ihnen formuliert sich dennoch ein Problem, ohne welches die nachfolgende Entwicklung der chinesischen Literatur seit 1979 nicht hinlänglich verständlich wird. Was die Zeit des Großen Sprungs ästhetisch vorbereitet hat, vollenden sie: Aus dem Ich des einzelnen, wenn es denn überhaupt hat überleben können, wird endgültig ein Wir, das vollkommen in Volk, Vaterland, Revolution und Heldentum aufgeht. Das chinesische Volk ist ein Leib, ein Geist, eine Seele. Es kleidet sich gleich, es empfindet gleich, und es denkt gleich. Dies jedenfalls ist der 638 639

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Fu Lei jiashu, Peking: Sanlian Shudian 1984. Zum ästhetischen Werk dieses Mitglieds der »Viererbande«, das 1976 in Ungnade fiel, s. LARS RAGVALD: Yao Wenyuan as a Literary Critic and Theorist. The Emergence of Chinese Zhdanovism, Diss. Universität Stockholm: Gotab 1978. Da ich mich mit dessen Lyrik schon hinreichend beschäftigt habe, mag hier der Hinweis auf eine Übersetzung und Interpretation genügen, s. KUBIN: »Revolution und Affirmation«, S. 110–121. An Werken lagen mir vor: Liu Baiyu sanwen xuan, Peking: Renmin Wenxue Chubanshe 1978; Liu Baiyu xiaoshuo xuan, Peking: Renmin Wenxue Chubanshe 1979; Liu Baiyu yanjiu zhuanji, Peking: Jiefang Junwen Yishe 1982. Zur Person Liu Baiyus und zu seinen Werken sowie einem Auszug aus »Xie zai taiyang chu sheng de shihou« s. Chrestomathie der chinesischen Literatur der 50er Jahre, bearbeitet u. hg. von SHUXIN REICHARDT u. MANFRED REICHARDT, mit einer Einführung von FRITZ GRUNER, Leipzig: Verlag Enzyklopädie 1982, S. 395–405. Zu neueren Übersetzungen im Englischen s. Chinese Literature, Herbst 1988, S. 117–121. Der Autor wurde übrigens bis 1966 vielfach in der Zeitschrift Chinese Literature vorgestellt.

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Eindruck, den die damaligen offiziellen wie halboffiziellen Verlautbarungen vermitteln. Repräsentativ ist in dieser Hinsicht auch der Essayist Yang Shuo (1913–1968), der oben in einem Atemzug mit Liu Baiyu zu nennen gewesen wäre. Da er mehrfach auch ins Deutsche übersetzt worden ist, empfiehlt sich seine Zitierung.642 In dem Essay auf die Melodie Xi jiang yue (Mond über dem Fluß im Westen, 1963) entwirft er zum Schluß das von ihm besuchte Gebirge Jinggang Shan als »Höhepunkt der chinesischen Geschichte«. Mao Zedong hatte hier einst einen Stützpunkt gehabt und verteidigt. Seinen Kampf hat er in einem Lied nach der besagten Melodie verewigt. Der folgende Auszug vereint also Maoismus, Revolution, Krieg, Natur und Poesie zu einem sinnbildlichen Textkörper: Sänger, Soldaten und Führer (lingxiu) sind eines.643 Und obwohl der Hauptberg des Jinggang-Gebirges nur achtzehnhundert Meter hoch ist, sah ich jetzt in ihm doch den höchsten Punkt der chinesischen Geschichte, der eigentlich »Erster Berg unter dem Himmel« genannt werden müßte. Von diesem höchsten Gipfel aus konnte ich deutlich die chinesische Rote Armee erkennen, wie sie den kleinen Weg entlang marschierte, hin zu anderen und größeren Straßen bis nach Beijing. In dieser Armee marschierten unzählige Helden mit, die kämpften und dichteten. Ihr gesamtes Leben war ein Epos. Sicher, dieses Epos hat einen Anfang – »Xi Jiang Yue« ist eine seiner größten Einleitungen –, aber es hat kein Ende. Solange Menschen weiterkämpfen und aufbauen, wird dieses unvergleichliche Gedicht niemals ein Ende haben.

Wie hier steht auch bei den drei oben genannten Vertretern He Jingzhi, Liu Baiyu und Hao Ran der Kampf im Mittelpunkt ihres Schaffens. Es ist dies in dem vielgepriesenen »großen Zeitalter« (da shidai) der Kampf gegen die Natur, gegen den (alten) Menschen, gegen den Revisionismus, ein Kampf, der keinen Gedanken an die vergangenen Hungerjahre des Großen Sprungs verschwendet. Sein Sänger ist ein Ich, das sich mit der (Partei-)Geschichte gleichsetzt und sich als Saubermann des Weltgeschehens aufbläst. Symptomatisch heißt es in den Texten eines Liu Baiyu etwa: »Der liebliche Duft überall ist der Duft des Sozialismus.« Dies ist ein Duft, der über den Vier Säuberungen (si qing) liegt, Säuberungen, die zwischen 1963 und 1966 auf dem Lande durchgeführt wurden und der Bereinigung von politischen, ökonomischen, organisatorischen und ideologischen Problemen galten. Man kann diese Jahre auch die Vorbereitung zum Bürgerkrieg nennen, der im Sommer 1966 wie ein manichäischer Endzeitkampf einsetzt. Vorbote ist Hao Rans Roman Strahlender Himmel 642

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YANG SHUO: Prosastücke, ins Deutsche übersetzt von JÖRG RUDOLPH, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 1982; YANG SCHUO: Schneeflocken tanzen, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 21980. Auf englisch liegt mir noch sein Roman zum Korea-Krieg vor, an dem er teilnahm: A Thousand Miles of Lovely Land. Translated from Yuan Ko-chia, Peking: Foreign Languages Press 1957. YANG SHUO: Prosastücke, S. 139; Yang Shuo sanwen xuan, Peking: Renmin Wenxue 1978, S. 236.

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(Yanyang tian, 1964/66)644, der rückblickend auf das Jahr 1957 den gewaltigen Umbruch im Sinne von Mao Zedong erklärt. Seine Struktur folgt dem altbekannten Modell der Kriegskultur: Zwei feindliche Heere stehen einander gegenüber, das Heer der Vortrefflichen und das Heer der Schlechten. Die Ontologisierung von Gut und Böse paßt zu den kurzen, klaren Sätzen des Erzählers, der sprachlich den Weg zur Ausrottung der »Schwarzen« (heiwulei) und der »Kapitalisten« (zouzipai) in der Kulturrevolution vorbereitet. Die Basis für seine Zweiteilung der chinesischen Welt ist das Hörensagen seiner Zeit, die revolutionäre Gerüchteküche. Fakten, die sich etwa auf soziologische Untersuchungen stützten, spielen keine Rolle. Und weil alles der willkürlichen Deutung unterworfen ist, kann man nicht immer eine stimmige Logik in den Ablauf der nachfolgenden Ereignisse bringen. Eigentlich hatte Mao Zedong in einer Direktive 1959 den Beamten Hai Rui als Vorbild für Propagandazwecke und für die Nachahmung empfohlen. Kang Sheng und Jiang Qing setzten jedoch den historischen Helden 1961 mit dem entlassenen Verteidigungsminister Peng Dehuai gleich. Am Ende solcher politischen Interpretationen steht schließlich Yao Wenyuans »Kritik am neugefaßten Drama ›Hai Rui wird entlassen‹« von Wu Han (10. November 1965). Die am 18. August 1966 vom Platz des Himmlischen Friedens unter Mao Zedongs Anweisung ausgehende Kulturrevolution gab vor, die Kultur im Interesse der »einfachen Leute« (gongnongbing) grundlegend verändern zu wollen, so daß die Differenz von Kopf und Hand, Stadt und Land, Oben und Unten, Spezialistentum und Politik, Mann und Frau etc. ein für alle Mal aufgehoben sein würde. Tatsächlich handelte es sich um einen parteiinternen Machtkampf, den »Kampf zweier Linien«. Bereits im Februar hatten Jiang Qing, Zhang Chunqiao (1917–2005) und Chen Boda (1904–1989) Direktiven zur Kunst entworfen, die von Mao Zedong revidiert wurden. Sie besagten, daß eine »reaktionäre Literatur« seit dreißig Jahren Irrlehren verpflichtet gewesen sei. Über den Kulturbereich habe diese gegen Mao Zedong eine Diktatur ins Werk gesetzt, welche die Reaktion und den Revisionismus als politische Ziele verfolgt habe. Daher sei eine Revolution der Kultur zur Rettung des wahren Sozialismus vonnöten. Die Angst vor dem Rattenschwanz jeglicher Geschichte führt zu einer Leugnung jeglicher bisheriger Geschichte. Unter Jiang Qing wurde aus Mao Zedongs Theorie vom chinesischen Volk als einem weißen Blatt Papier die Praxis einer leeren weißen Bühne: die Geschichte hatte neu zu beginnen. Und sie begann vermeintlich neu mit einer Umsetzung der maoistischen Ideen zum Klassenkampf bzw. zum Linienkampf. Der Gegner hatte als Angehöriger einer anderen Klasse in einem »Kampf zweier Linien« ausgeschaltet 644

Mir liegt die dreibändige Ausgabe Peking: Renmin Wenxue 1974 vor. Ein kleiner zweisprachiger Auszug erschien als HAO JAN [d.i. Hao Ran]: Little Pebble is missing, Hongkong: Chao Yang 1973. Zu einer positiven Einschätzung des Romans s. BARBARA CHANG: »Hao Jan’s [d.i. Hao Ran] Roman Yen-yang t'ein [d.i. Yanyang tian]«, in: Ostasienwissenschaftliche Beiträge zur Sprache, Literatur, Geschichte, Geistesgeschichte, Wirtschaft, Politik und Geographie, Wiesbaden: Harrassowitz 1974, S. 3–16.

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zu werden. Dies bedeutete in der Praxis, daß am 28. August 1966 die Aktionen gegen die Schriftsteller beginnen. 150 kommen innerhalb der nächsten drei Jahre um. Lao She trifft es als ersten, der daraufhin den Freitod sucht.645 Literarischer Wortführer des Klassen- bzw. Linienkampfes wird Hao Ran. Er, der in den 50er Jahren wie andere auch in Schreibwerkstätten als Amateur ausgebildet worden ist, kann als einziger seine Werke der Vergangenheit weiter drucken lassen. Der Grund liegt auf der Hand: Was er schreibt, entspricht dem Zeitgeist und ist politisch korrekt. Es deckt sich mit den Vorstellungen von der permanenten Revolution, und es betont immer wieder die Rolle von Protagonistinnen, die versteckt Jiang Qing als Vorbild zum Gegenstand haben. Erstaunlich in diesem Zusammenhang ist jedoch die Tatsache, daß auch der Roman der Kulturrevoution Unser Weg im goldenen Licht (Jinguang dadao, 1972ff.)646, eine Auftragsarbeit, nicht etwa in der Gegenwart, sondern in der Vergangenheit spielt, und zwar wiederum in den 50er Jahren, diesmal unmittelbar zur Zeit der Landreform. Einmal mehr steht für Hao Ran die Frage nach dem richtigen Sozialismus zur Debatte: Das »Muster an Tugend«647, das Parteimitglied Gao Daquan mit dem sprechenden Namen »Groß Eminentvollkommen«, vertritt in Theorie und Praxis den Vorrang von Vaterland, Kommunismus, Kollektiv und Klassenkampf vor dem Geldverdienen des einzelnen, sprich den Vorrang der politischen Utopie vor dem wirtschaftlichem Nutzen. Um Hao Ran, einst der bedeutendste und meistgelesene Schriftsteller der Kulturrevolution, der auch vielfach übersetzt648 und reichlich – durchaus positiv – besprochen worden ist,649 ist es mit Beginn der Reformperiode still geworden. Das, was er einst bekämpft hatte, die persönliche 645

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Zum Tod von Lao She s. SHU YI: »Father’s Last Two Days«, übersetzt von HARRIET CLOMPUS, in: Renditions 38 (Herbst 1992), S. 107–122. Mir liegt die Ausgabe Peking: Renmin Wenxue Bd. 1. 1972, Bd. 2 1974 vor; englisch: HAO RAN: The Golden Road, übersetzt von CARMA HINTON u. CHRIS GILMARTIN, Peking: Foreign Languages Press 1981. Der Roman war eigentlich auf vier Bände angelegt und sollte die Jahre 1950–1956 umfassen. Lediglich vom dritten Band sind Auszüge in verschiedenen Literaturzeitschriften erschienen. PÄR BERGMAN: Paragons of Virtue in Chinese Short Stories during Cultural Revolution, Göteborg: Graphic Systems AB 1984 (= Skrifter utgivna av Föreningen för Orientaliska Studier; 17), behandelt Hao Ran auf den S. 165–195. Mir liegt u.a. vor HAO JAN [d.i. Hao Ran]: Bright Clouds, Peking Foreign Languages Press 1974; DERS.: Da-mang wird flügge, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 1974. Auf deutsch findet sich außerdem noch die Erzählung »Pfiffikus« (1981) in: ZIMMER: Kriegsgott Guanggong, S. 297–308. S. ansonsten auch noch meine Übersetzung u. Deutung von »Zwei Eimer Wasser« (»Yi dan shui«, 1972), in: KUBIN: »Revolution und Affirmation«, S. 127–136, 148–164; HAO RAN: Nouvelles de la campagne Chinoise (verschiedene Übersetzer), Paris: Mazarine 1980; HAORAN: Ma plume au service du prolétariat, aus dem Chinesischen übersetzt von JOËL BEL LASSEN u.a., Lausanne: Eibel 1976. Vgl. z.B. WONG KAM-MING: »A Study of Hao Ran’s Two Novels: Art and Politics in ›Bright Sunny Skies and The Road of Golden Light‹«, in: KUBIN u.WAGNER (Hg.): Essays in Modern Chinese Literature and Literary Criticism, S. 117–149; MICHAEL EGAN: »A Notable Sermon:

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Bereicherung, ist heute die Triebfeder der chinesischen Gesellschaft, und das, was er einst verfochten hatte, der Klassenkampf, ist längst einem zaghaften Humanismus gewichen. Was von ihm bleibt, verbleibt dem Historiker, der die brauchbare handwerkliche Leistung des Erzählers hinnehmen mag und den Wahn vergangener Zeiten gern so augenfällig findet: Wann immer der Protagonist Mao Zedong zitiert, wechselt seine Rede im Druckbild von einfachen zu fetten Lettern.650 Pate mag hier die Bibel gestanden haben, die wichtige Worte von Jesus oder Paulus zum Beispiel ebenfalls durch Schriftwechsel hervorhebt. Biblische Anklänge mag man auch in der Verwendung von »Weg« und »Licht« im Titel sehen sowie in der Erzähltechnik des kognitiven Prozesses bzw. der Suche (quest), doch läßt sich im Falle des Weges auch von der Tradition her argumentieren, die den Weg als Tao in vielfachen Schattierungen kennt. Wie dem auch sei, Hao Ran entwirft ein goldenes Glanzbild der maoistischen Lehre und Praxis, das sich heute durch den Sieg des einstigen »Feindes« als wichtiger Bestandteil eines politischen Lügenapparates entpuppt. Ästhetisch vertritt Hao Ran beispielhaft für seine Zeit im Rahmen einer Kunsttheorie der Vier »R« die Praxis der bereits erläuterten »Drei Hervorhebungen«651 und der »Dreifachen Vereinigung«. Unter letzterer hat man sich folgendes vorzustellen: Die Staats- bzw. die Parteipitze gibt der Literatur die Ideologie vor (lingdao chu sixiang), Gegenstand des in Auftrag gegebenen Werkes ist das (vermeintliche) Leben des Volkes (qunzhong chu shenghuo), und die Schriftsteller steuern für die Niederschrift ihre Technik bei (zuojia chu jiqiao). Indem diese drei Dinge zusammenkommen, entsteht die für die Kulturrevolution so typische Oberflächenkunst, die eine heile Welt verspricht. Allerdings beruht diese heile Welt auf der Ausmerzung eines Gegners, der wie im Kasperletheater ein Popanz ist und in seiner historisch notwendigen Niederlage die Gesellschaft noch heiler erscheinen läßt. Dies gilt insbesondere für die Modelloper, welche das künstlerische Medium der Führung zur Übermittlung revolutionärer Botschaften darstellt. Trotz aller politischen und wirtschaftlichen Veränderungen in der chinesischen Gesellschaft haben die von der Renmin Ribao am 26. Dezember 1966 so bezeichneten »Revolutionären Modellopern« (geming yangbanxi) im Volk eine gewisse Beliebtheit bewahren können. Ihre Rückkehr auf die Bühne der 90er Jahre hängt sicherlich auch mit dem guten Handwerk zusammen, das ihnen als Ge-

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The Subtext of Hao Ran’s Fiction«, in: MCDOUGALL (Hg.): Popular Chinese Literature and Performing Arts in the the People’s Republic of China 1949–1979, S. 224–243. Zur Funktion von Mao-Zitaten in der Literatur der Kulturrevolution s. LAN YANG: »Ideological Style in the Language of the Chinese Novels of the Cultural Revolution«, in: Modern Chinese Literature 10.1/2 (1998), S. 149–171. Hier wird gern auf den Roman Xisha Ernü – Zhengqipian, Peking: Renmin 1974 verwiesen, welcher die Auseinandersetzung um ein Archipel im südchinesischen Meer zwischen China und Vietnam schildert, s. EGAN: »A Notable Sermon«, S. 242–243. Zur französischen Übersetzung s. HAORAN: Les enfants de Xisha, aus dem Chinesischen übersetzt von LIANG PAITCHIN, mit einem Vorwort von MICHELLE LOI, Lausanne: Eibel 1976; zu einem englischen Auszug (Kap. 11–27) s. Chinese Literature 10 (1974), S. 3–66.

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samtkunstwerk zugrunde liegt. Da es sich hier jedoch um ein Singspiel handelt, welches wesentlich Gesang und Akrobatik, weniger Handlung und Sprache betont, sei es nicht weiter verfolgt, sondern mit Verweis auf die Sekundärliteratur abgetan.652 Die Kulturrevolution gilt zwar erst im Oktober 1976 mit dem Sturz der sogenannten Viererbande als beendet, doch zeichnen sich schon vor dem Tod Mao Zedongs am 9. September 1976 Zeichen einer Wende ab. Im Januar 1975 verkündet Zhou Enlai die Vier Modernisierungen. Verschiedene traditionelle und moderne Werke können nun wieder aufgelegt werden, lang eingestellte wissenschaftliche Zeitschriften erscheinen erneut, der Name Deng Xiaoping taucht in den Nachrichten auf, ein Kulturaustausch mit Europa setzt ein. Natürlich wird dies alles von den letzten verzweifelten Attacken der Kulturrevolutionäre begleitet. Doch sie können nicht verhindern, daß sich die ersten Vertreter einer zhiqing wenxue, einer Literatur der aufs Land (zur Umerziehung) verschickten Jugendlichen mit Mittelschulbildung653, sowie einer sogenannten Reformliteratur (gaige wenxue) langfristig durchsetzen. Autoren wie Zhang Kangkang (geb. 1950)654, Jia Pingwa (geb. 1952) oder Jiang Zilong (geb. 1941)655 leiten den kritischen Rückblick auf die zehn verlorenen Jahre ein. 652

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MCDOUGALL, KAM: The Literature of China in the Twentieth Century, S. 345–362; BELL YUNG: »Model Opera as Model: From Shajiabang to Sagabong«, in: MCDOUGALL: Popular Chinese Literature and Performing Arts in the People’s Republik of China 1949–1979, S. 144– 164; BARBARA MITTLER: »›Mit Geschick den Tigerberg erobert‹. Zur Interpretation einer multiplen Quelle«, in: ANDREAS ECKERT u. GESINE KRÜGER (Hg.): Lesarten eines globalen Prozesses. Quellen und Interpretationen zur Geschichte der europäischen Expansion, Hamburg: Lit 1998 (= Periplus Parerga; 5), S. 35–51 (daselbst auch reiche Sekundärliteratur der Autorin). Zu dieser Gattung s. LIANG YONG: »Zhiqing-Literatur: Über die aufs Land verschickten Jugendlichen«, in: HELMUT MARTIN (Hg.): Cologne-Workshop 1984 on Contemporary Chinese Literature, Köln: Deutsche Welle 1986, S. 239–248; zur Zhiqing-Literatur s. die Spezialausgabe »There and Back again: The Chinese ›Urban Youth‹ Generation«, Gast-Editor: RICHARD KING, in: Renditions 50 (Herbst 1998). Da diese Autorin nur kurz im Rahmen der Frauenliteratur hervorgetreten ist, heute aber eher zur Unterhaltungsliteratur zählt, sei hier nur auf die Sekundärliteratur verwiesen, s. BIRGIT HÄSE: Einzug in die Ambivalenz, S. 79–83; WOLFGANG KUBIN: »Die Unruhe des Traumes. Zhang Kangkangs Roman Beijiguang (Das Nordlicht)«, in: MARTIN (Hg.): Cologne-Workshop 1984 on Contemporary Chinese Literature, S. 249–283. Zu einem Auszug aus Nordlicht s. Chinese Literature, Winter 1988, S. 92–102. Zu einer weiteren Übersetzung s. ZHANG KANGKANG: »Cruelty«, übersetzt von RICHARD KING, in: Renditions 49 (Frühling 1998), S. 115–152. Da dieser Autor, der in den 80er Jahren wegen seiner Erzählungen zur Betriebsreform recht bekannt war, heute an Bedeutung eingebüßt hat, sei nur auf die Literatur verwiesen: WAGNER: Literatur und Politik in der Volksrepublik China, S. 283–349. Hier findet sich neben Kommentaren die bekannteste und preisgekrönte Erzählung abgedruckt: »Direktor Qiao übernimmt das Kommando« (»Qiao gongzhang shangren ji«, 1979). JIANG ZILONG: All the Colours of the Rainbow, übersetzt von WANG MINGJIE, Peking: Panda 1983. An chinesischen Ausgaben liegen mir vor Jiang Zilong ji, Fuzhou: Haixia Wenyi 1986; Jiang Zilong zhongpian xiaoshuo ji, Changsha: Hunan Renmin 1982.

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Doch wie verloren waren diese Jahre wirklich? Die neue Politik, die vor allem seit 1979 mit den Reformen ins Werk gesetzt wurde, bedurfte der Rechtfertigung und gab zunächst die Kritik an der Kulturrevolution frei. Die Schriftsteller reagierten dankbar und beklagten immer wieder in Form einer sogenannten Wundenliteratur (eig. Narbenliteratur, shanghen wenxue) die »Leere« (kongbai)656 der durch die Vergangenheit verschuldeten Gegenwart. Der Pekinger Literaturwissenschaftler Xie Mian (geb. 1932) hat jedoch die Forderung erhoben, die Literatur der damaligen zehn Jahre keinesfalls zu vergessen, Chen Sihe hat auf die Untergrundliteratur bzw. Schubladenliteratur verwiesen, und die Heidelberger Sinologin Barbara Mittler spricht gar von einer Kultur in der Kulturrevolution. Tatsache ist, daß trotz allen privaten Schreibverbotes privat geschrieben wurde. Bei der privaten Schreibe ist zwischen einer traditionellen verborgenen und einer progressiven zirkulierenden Literatur zu unterscheiden, und bei letzterer wiederum zwischen eher politisch als ästhetisch wirksamen Texten und Werken, die auch unabhängig von ihrer Zeit auf Grund ihrer Kunstfertigkeit haben überdauern können. Künstler wie Feng Zikai etwa schrieben zur Beruhigung ihres Geistes über die kleinen Dinge des Lebens. So entstand in den frühen Morgenstunden zwischen 1971 und 1973 die erst 1992 veröffentlichte Essaysammlung Yuanyuan tang xubi (Aus der Halle der Vorsehung. Eine Weiterschrift). Diese Sammlung ist deswegen eine Fortschreibung, weil Feng Zikai bereits 1931 in Shanghai seine Yuanyuan tang suibi (Eingebungen in der Halle der Vorsehung) veröffentlicht hatte. Bei dem Genuß der kleinen Dinge geht es ihm um die Bestätigung einer klassischen Weisheit des Ostens: Ob in oder fern der Welt, nie soll man das Gefühl für die Welt aufgeben. Gemeint ist damit das folgende: Auch wenn die Literatur einen kurzweilig der Welt entheben mag, auch wenn die Welt zum Wahn neigt, so verfällt man angesichts der Unbeständigkeit des Lebens nicht in Hoffnungslosigkeit, sondern man lebt wohlgemut unter den Menschen, ohne sich verbittern zu lassen. Von einer solchen Weisheit sind natürlich diejenigen Künstler weit entfernt, die zunächst an die Kulturrevolution geglaubt hatten, sich dann aber getäuscht sahen. Ihren Zweifel und ihre Kritik vertrauten sie dem Papier an. Da das Geschriebene jedoch zum Teil handschriftlich zirkulierte und auch von Hand kopiert wurde, ließe sich leicht von Untergrundliteratur sprechen.657 Gleichwohl stellt sich die Frage nach der Qualität, denn Untergrund allein ist noch kein Kriterium für die Existenz von Literatur in einem kunstfeindlichen Umfeld. Wenden wir uns daher den zwei bekanntesten Fällen zu, Guo Lusheng (geb. 1948) und Bei Dao. Auch Bei Dao, mit dem symbolisch die neue Literatur in der Übergangsphase 1978/79 begann, gesteht, daß ihm Guo Lusheng, eher bekannt unter dem Pseudonym 656

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So auch der Titel einer Erzählung von ZHANG KANGKANG: »Die verlorenen Jahre«, in: Frauen in China. Erzählungen, hg. u. ins Deutsche übertragen von HELMUT HETZEL, München: dtv 2 1986, S. 71–83. Zum Original s. ZHANG KANGKANG: Xia, Harbin: Heilongjiang Renmin 1982, S. 229–243. Vgl. hierzu BONNIE S. MCDOUGALL: »Dissent Literature: Official and Nonofficial Literature in and about China in the Seventies«, in: Contemporary China 3.4 (Winter 1979), S. 49–79.

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Shi Zhi, vorangegangen und daher als erster neuer Dichter gleichsam Vorläufer der sogenannten »Literatur der neuen Periode« (xin shiqi wenxue) ist. Dessen – auf Grund einer geistigen Erkrankung (seit 1972) – spärlich gebliebenes Werk steht jedoch unter dem Einfluß des lyrischen Lobhudlers He Jingzhi, der zur Kulturrevolution nachgedruckt werden konnte,658 und auch später als Vertreter einer politischen Literatur einen stark staatstragenden Eindruck hinterließ. Manche Texte von Guo Lusheng atmen daher auf den ersten Blick eine naive Hoffnungsgläubigkeit, die sich gut mit allen politischen Phasen der Volksrepublik China zu vertragen scheint. Beim zweiten Blick heben jedoch die Zweifel an. Symptomatisch ist hierfür das Gedicht »Ich glaube an die Zukunft« (Xiangxin weilai), gleichzeitig Titel seines ersten schmalen Gedichtbandes.659 1968, also mitten in der Zeit des kulturrevolutionären Chaos, geschrieben, endet es nach vorsichtiger Abwägung der Hoffnungsmöglichkeit in einem »kalten Land« voller Zuversicht mit der Zeile: »Ich glaube an die Zukunft, ich liebe das Leben.« Ähnlich programmatische Aussagen finden sich in Titeln und Versen des öfteren. Gleichwohl sollte nicht vorschnell eine politische oder semantische Nähe zu He Jingzhi veranschlagt werden. Guo Lusheng preist kein politisches System. Seine vielfach bekundete »Liebe zum Leben« ist keine Liebe zur Partei, zum »Vorsitzenden« Mao oder zum »großartigen sozialistischen« Vaterland, seine Liebe ist eine Liebe zu dem, was damals keinen Fürsprecher hatte und daher leicht geopfert werden konnte: ob Freund, ob Feind, das Leben hatte keinen besonderen Wert. Der Dichter vertritt daher ein anderes Wertesystem als die Kulturrevolution oder He Jingzhi, ihm sind Zweifel an seiner Hoffnungsgläubigkeit nicht fremd. So endet zum Beispiel das Gedicht »Hoffnung« (»Xiwang«) mit den beiden Versen: »Was gestern gerade taute, / ist heute wieder Eis geworden.«660 Was Guo Lusheng mit He Jingzhi teilt, ist das Formbewußtsein. In dieser Hinsicht gesteht er einen formalen Einfluß ein. Was ihn jedoch unterscheidet, ist die Substanz seiner Verse. He Jingzhi füllt die lyrischen Formen mit lauter pathetischen Nichtigkeiten auf. Guo Lusheng ist durchaus nicht frei von Pathos, doch er neutralisiert dieses Pathos durch die Technik der Iteration 658

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Mir liegt sein 1961 erschienener Gedichtband Fanggeji im Nachdruck Peking: Renmin Wenxue 1972 vor. Das Titelgedicht »Fangsheng gechang« (Aus vollem Herzen) enthält Verse wie: »Des Sozialismus’ / köstlicher Wein / durchfließt / jede unserer / feinsten Körperzellen, / und jeden unserer / zarten Nerven.« Zitiert nach FEIFEL: Moderne chinesische Poesie, S. 254. Feifel behandelt hier den Dichter umfassend S. 243–257. Zur Entwicklung von Guo Lusheng, der die »Lieder« von He Jingzhi auswendig zitieren konnte, s. meine Ausführungen in: »Das Ende des Propheten. Chinesischer Geist und chinesische Dichtung im 20. Jahrhundert«, in: die horen 169 (1/1993), S. 82–83 sowie MAGHIEL VAN CREVEL: Language Shattered. Contemporary Chinese Poetry and Duoduo, Leiden: Research School CNWS 1996, S. 28–34. Zu zwei deutschen Übersetzungen seiner Gedichte s. CHRISTOPH BUCHWALD u. KARL MICKEL (Hg.): Jahrbuch der Lyrik 1990/91, Frankfurt: Luchterhand Literaturverlag 1990, S. 134–135. SHI ZHI: Xiangxin weilai, Guilin: Guangxi Xinhua Shudian 1988, S. 26–27. Die Fassung unterscheidet sich von der in LIN MANG u. LIU FUCHUN (Hg.): Shi Zhi juan, Peking: Zuojia 1998, S. 11–12. LIN u. LIU (Hg.): Shi Zhi juan, S. 28.

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und Variation. Eines der damals bekanntesten im Umlauf befindlichen Gedichte war »Dies ist Peking um 16 Uhr 8« (»Zhe shi si dian ling ba fen de Beijing«).661 Dies ist Peking um 16 Uhr 8 Eine Handvoll Meereswellen schwankt auf und nieder Dies ist Peking um 16 Uhr 8 Lang tönt eine schrille Pfeife Das hohe Gebäude des Pekinger Bahnhofs wankt heftig mit einem Mal Überrascht schaue ich aus dem Fenster weiß nicht, was passiert ist Ich spüre jäh einen Stich im Herzen, bestimmt hat sich Mutter beim Knopfannähen in die Brust gestochen Da wird mein Herz zu einem Drachen Die Schnur in der Hand meiner Mutter spannt zu sehr, sie droht zu reißen Also strecke ich den Kopf zum Abteil hinaus Und da, da erst weiß ich, was sich ereignet hat Ein Abschiedsgewirr will den Bahnhof aufrollen Peking unter meinen Füßen beginnt sacht zu beben Ich winke Peking noch einmal zu möchte die Stadt beim Kragen packen und innig rufen: Vergiß mich nicht, Mutter! Peking Zu guter Letzt halte ich etwas in Händen Egal, welche Finger es sind, nur nicht loslassen Denn es ist mein Peking Es ist mein allerletztes Peking 20. Dezember 1968

Hintergrund dieser Verse ist die damalige Landverschickung von Jugendlichen mit Mittlerer Reife (zhishi qingnian). Im Dezember 1968 ging Guo Lusheng mit vielen 661

Übersetzt nach ebd., S. 47–48.

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Gleichaltrigen in die Provinz Shanxi, um sich dort – wie es damals hieß – für immer unter Bauern niederzulassen. Diese Landverschickungen fanden stets in großer Zahl statt. Der Zug fuhr täglich um 16 Uhr 8 von Peking ab. Die hier erwähnte »Handvoll Meereswellen« meint wohl die zum Abschied winkenden Hände von Jugendlichen, die der Auffassung sein mußten, nie mehr nach Peking und in die Familie zurückkehren zu können. Die angesprochene Unruhe dürfte daher zunächst weniger die von Peking als vielmehr die des jungen Dichters sein, der ahnen mag, daß bei einer möglichen Rückkehr die Hauptstadt eine ganz andere sein wird. Der damalige Pekinger Bahnhof bietet auch heute noch eine stattliche Erscheinung, selbst wenn er durch den neuen, Xizhan (Westbahnhof) genannten Bahnhof an Ausmaßen inzwischen weit übertroffen wird. Seine Architektur ließe sich als pompös charakterisieren. Er ist repräsentativ für eine Herrschaftsarchitektur, die Sieg und Macht von kommunistischer Partei und sozialistischem Staat zu verkünden hat. Insofern kommt schließlich sein Wanken, kommt aber auch das sachte Beben von Peking – im Gedicht abgesetzt – einem Erdbeben gleich: Die Ordnungen werden sich bald auflösen. Die erste Ordnung, die sich sichtbarlich aufhebt, ist die von Mutter und Sohn, veranschaulicht durch den Drachen und die Schnur, die zweite ist die von Peking und den Pekingern. Die fortziehende Jugend erblickt ein »letztes Peking«. Nach diesem »letzten Peking« wird es kein altes Peking mehr geben. Das lyrische Ich beschreibt eine symbiotische Beziehung des lyrischen Ich zur Mutter und zur Stadt, die in eins gesetzt werden. Der Schmerz der fernen Mutter bei der Nadelarbeit wird zum Schmerz des Sohnes, der Abschied von der Stadt wird zum Abschied von der Mutter. Sprachlich und ästhetisch gesehen ist dies kein großes Gedicht, auch wenn es sich um ein wichtiges Zeitzeugnis handeln mag. Handwerklich und weltanschaulich geht es lediglich den Werken voraus, die ab 1977 die Rückkehr in die Weltliteratur einzuleiten beginnen. Wer letzten Endes die Wende von einer gleichgeschalteten Literatur zu einer sich der Bevormundung entziehenden Literatur herbeigeführt hat, ist immer wieder von den Schriftstellern selbst kontrovers diskutiert worden. Viele nehmen für sich höchstpersönlich den Umbruch in Anspruch. Der Dichter Duo Duo (geb. 1951)662 ebenso wie der heute verstummte Erzähler Kong Jiesheng (geb. 1952)663. Wie dem 662

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So in einem Gespräch mit mir während seines Berliner Aufenthaltes (1994/95). Zu seinem Werk s. VAN CREVEL: Language Shattered. Zu Duo Duo, der nach seinem Exil in Leiden inzwischen eine Anstellung an der Hochschule von Hainan gefunden hat, liegt so viel auf deutsch vor, daß hier nur auf die Titel in Buchform verwiesen sei: DUO DUO: Der Mann im Käfig. China, wie es wirklich ist, aus dem Chinesischen von BI HE u. LA MU, Freiburg, Basel, Wien: Herder 1990; DUO DUO: Wegstrecken, aus dem Chinesischen von JO FLEISCHLE u.a., hg. von PETER HOFFMANN, Dortmund: projekt verlag 1994 (= arcus chinatexte; 5), DUO DUO: Heimkehr. Erzählungen, aus dem Chinesischen übertragen von IRMTRAUD FESSEN-HENJES, Stuttgart: Edition Solitude 1997. So in einem Gespräch mit mir zur Jahreswende 1986/87 in Kanton. Einst auf dem Festland mit Verfilmungen seiner Erzählwerke sehr erfolgreich, ist er nach seiner Emigration in die USA

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Die Literatur der Volksrepublik China

auch sei, keiner von ihnen hat so Schule gemacht wie Bei Dao (Pseudonym »Insel im Norden« für bürgerlich Zhao Zhenkai). Und damit kommen wir zu unserem zweiten Beispiel einer privaten Schreibe. Um den Druck der Kulturrevolution verarbeiten zu können, hat ihm Bei Dao seit 1970 literarisch Form gegeben, zu Beginn sowohl in der Prosa als auch in der Lyrik. Heute dagegen hat er sich von seiner anfänglichen Erzählkunst getrennt und verfaßt neben Gedichten nur noch Essays664. Obwohl durchaus bei den Kritikern erfolgreich und auch im Rückblick immer noch der sogenannten Wundenliteratur überlegen, hält er sein erzählerisches Werk665 heute für wenig ausgereift. Zum Schreiben zog sich Bei Dao damals in eine einsame Hütte bei Peking zurück, wo er als Bauarbeiter tätig war. Dabei hatte er auf die Geräusche vor der Tür zu achten, denn Schreiben war gefährlich. Wer privat schrieb, hatte mit seiner Verhaftung zu rechnen. Ein Produkt jener Jahre ist die Novelle (zhongpian xiaoshuo) Gezeiten (Bodong)666, die, 1974 erstmals fertiggestellt, dann nach mehrfacher Überarbeitung 1979 erscheinen konnte. Sie behandelt fünf Protagonisten, die in Episodenform ihre jeweils eigene Geschichte erzählen, eine Geschichte, welche sich von der damals offiziellen vollkommen unterscheidet. Jede der fünf Personen hat ihre eigene Sicht auf die Kulturrevolution. Der Leser erfährt etwas über die geistig-seelische Befindlichkeit des Menschen in einem geschlossenen System, welches auch ein geschlossenes Sprachsystem gewesen ist. Der Ausbruch aus der Knechtschaft der Sprache war daher das Anliegen des Bei Dao von Anfang an. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Immer noch bezeichnet er Schreiben als ein Zerbrechen der von Mao Zedong verordneten Denk- und Redeweise (Mao ti). So ist es kein Wunder, daß auch in der

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1989 vom Schriftsteller zum Rundfunkredakteur geworden. Zu Übersetzungen im Deutschen s. die bibliographische Notiz zu der Erzählung »Der Pekinger Marathon« von KONG JIESHENG, aus dem Chinesischen von ANDREA WEHRMEISTER, in: Orientierungen 1/2002, S. 116–140. Zur späteren Essayistik in Übersetzung s. BEI DAO: Blue House, übersetzt aus dem Chinesischen von TED HUTERS u. FENG-YING MING, Brooline, Mass.: Zephyr 2000. Seine auf deutsch verstreut erschienenen Kurzgeschichten finden sich zusammengestellt in: BEI DAO: Straße des Glücks Nr. 13. Die Kurzgeschichten, übersetzt u.a. von EVA KLAPPROTH, Bochum: Brockmeyer 1992 (= Chinathemen; 71). Zur Interpretation s. meinen Beitrag: »Ein literarisches Beispiel des Pekinger Frühlings. Shi Mos Erzählung ›Die Heimkehr des Fremden‹«, in: Bochumer Jahrbuch für Ostasienforschung 1984, S. 215–229. Zur Deutung seiner Erzählkunst s. BONNIE S. MCDOUGALL: »Zhao Zhenkai’s Fiction: A Study in Cultural Alienation«, in: Modern Chinese Literature 1.1 (September 1984), S. 103–130. BEI DAO: Gezeiten, aus dem Chinesischen von IRMGARD E.A. WIESEL, hg. u. mit einem Nachwort von HELMUT MARTIN, Frankfurt: S. Fischer 1990. In Buchform liegt mir als Original vor: ZHAO ZHENKAI: Bodong, Hongkong: Zhongwen Daxue 1985. Zur Deutung s. PHILIP WILLIAMS: »A New Beginning for the Modernist Chinese Novel: Zhao Zhenkai’s Bodong«, in: Modern Chinese Literature 5.1 (Frühling 1989), S. 73–89. Die Novelle sowie sämtliche Kurzgeschichten sind übersetzt und kommentiert erschienen unter ZHAO ZHENKAI: Waves. Stories, hg. u. mit einer Einleitung von BONNIE S. MCDOUGALL, übersetzt von BONNIE S. MCDOUGALL u. SUSETTE TERNENT COOKE, Hongkong: The Chinese University Press 1985.

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Novelle die Protagonisten herkömmliche Sprechweisen hinterfragen. In ihren Dialogen – wesentlicher Teil der Erzählstruktur – lesen wir also Sätze wie:667 »[...] Wir haben eine Pflicht unserem Land gegenüber...« »Eine Pflicht?« unterbrach sie mich schroff. »Von welcher Pflicht redest du? Etwa von der, sich den Oberen ehrerbietig anzudienen, nachdem man unterdrückt und ausgebeutet wurde, oder was?« [...] »Danke, dieses Vaterland ist nicht meines! Ich habe kein Vaterland, habe kein...« »Oh, du zwingst dich ständig, an etwas zu glauben – an das Vaterland, die Pflicht, die Hoffnung. Diese schönen Zuckerstückchen treiben dich immer weiter nach vorn, bis du irgendwo gegen eine hohe Mauer prallst...«

Dies klingt aus heutiger Sicht selbstverständlich äußerst plakativ. Dergleichen gilt auch für das bekannteste Gedicht von Bei Dao, welches uns über seine anhaltende Aktualität hinaus erneut die Problematik von inoffizieller und offizieller, von kulturrevolutionärer und »neuer« Literatur aufzuwerfen erlaubt. Der Dichter hat nämlich Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre manche Gedichte, die später seinen Ruhm begründen sollten, zu Zwecken ihrer Publizierbarkeit vor- bzw. rückdatiert. So erschien »Die Antwort« (»Huida«) 1978 in der ersten Nummer der von Bei Dao mitbegründeten (Untergrund-)Zeitschrift Today (Jintian) mit der Datumsangabe April 1976. Demgemäß wäre das Gedicht also aus Anlaß des 5. April 1976, des Totengedenkens für den Premier Zhou Enlai auf dem Platz des Himmlischen Friedens, geschrieben worden. Tatsache ist jedoch, daß die Verse schon 1973 niedergeschrieben worden waren und zirkulierten. Sie sind 1978 lediglich überarbeitet worden.668 Warum aber diese Umdatierung? 1978 setzt in Peking die Demokratiebewegung ein, welche als Pekinger Frühling (1978–1980) bekannt geworden ist.669 Ihr Ausgangspunkt ist das massenhafte, aber stille Gedenken für Zhou Enlai am Heldendenkmal. Der Reformpolitiker Deng Xiaoping hat sich der noch stillen Unruhe unter der Jugend bedient, um sein Wirtschaftsprogramm erfolgreich gegen das konservative Lager durchzusetzen. Man darf daher im guten Sinne vermuten, daß Bei Dao und seinesgleichen diese Politik unterstützen wollten. Daß sie später deren Opfer geworden sind, liegt in der 667 668

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BEI DAO: Gezeiten, S. 32f., 37; ZHAO ZHENKAI: Bodong, S. 19, 23. So der Autor zu mir im Gespräch in Bonn Anfang Juli 2004. Zur Frage der Datierung s. auch BONNIE S. MCDOUGALL (Übers., Hg.): Notes From the City of the Sun: Poems by Bei Dao, Ithaca: Cornell University East Asia Papers 1983, S. 2; CREVEL: Language Shattered, S. 32. Zum Zwischenfall vom 5. April 1976, zum Pekinger Frühling (1978–1980) und zur damaligen (Untergrund-)Poesie sowie Malerei s. FLEMMING CHRISTIANSEN u.a.: Die demokratische Bewegung in China – Revolution im Sozialismus?, München: Simon & Magiera 1981; DAVID S.G. GOODMAN: Beijing Street Voices. The Poetry and Politics of China’s Democracy Movement, London, Boston: Marion Boyars 1981; GREGOR BENTON: Wild Lilies: Poisonous Weeds. Dissident Voices from People’s China, London: Pluto Press 1981; »Poemes & Art en Chine. Les ›Non-Officiels‹«, in: Doc(k)s II4.f N° 41 Hiver 81/82.

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Natur von Machtpolitik.670 Berühmt und vielzitiert sind die beiden Eingangsverse des Gedichtes »Die Antwort«671. Sie hatten auch bei späteren Protestbewegungen als öffentlich skandierte und an Wänden angebrachte Slogans immer wieder eine motivierende Funktion bei Protestaktionen. Diese und auch andere Verse haben daher dazu beigetragen, in Bei Dao die Stimme und das Gewissen Chinas zu sehen, sicherlich ein Grund, warum die chinesische Regierung ihm zwischen 1989 und 2002 die Verlängerung des Passes und die Einreise nach Peking verweigert hat. Infam lautet das Paßwort der Infamen, erhaben ist das Epitaph der Ehrwürdigen. Schau am vergoldeten Himmel treiben überall die gebogenen Schatten der Toten. Die Eiszeit ist längst vorbei, warum herrscht überall noch das Eis? Das Kap der guten Hoffnung ist entdeckt, warum messen sich tausend Segel im Toten Meer? In diese Welt kam ich nur mit Papier, Strick und Schatten, um vor den Richtern die Stimmen der Verurteilten zu verkünden: Ich sage dir, Welt, ich glaube nicht! Selbst wenn zu deinen Füßen tausend Herausforderer liegen, zähle mich als tausendundeins. Ich glaube nicht an die Bläue des Himmels; ich glaube nicht an die Stimme des Donners; ich glaube nicht an die Falschheit von Träumen; ich glaube nicht an die Sühnelosigkeit des Todes. Wenn es bestimmt ist, daß Meere die Dämme durchbrechen, so laß alle Wasser der Bitternis in mein Herz hinein; wenn es bestimmt ist, daß Ufer sich erheben, so laß die Menschheit ihrer Existenz neu einen Gipfel wählen.

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Zum komplexen Verhältnis von Politik und Literatur in der damaligen Zeit s. die detaillierten Ausführungen bei BONNIE S. MCDOUGALL: Fictional Authors, Imaginary Audiences. Modern Chinese Literature in the Twentieth Century, Hongkong: Chinese UP 2003, S. 171–204. Im folgenden leicht überarbeitet zitiert nach BEI DAO: Notizen vom Sonnenstaat. Gedichte, aus dem Chinesischen und mit einem Nachwort von WOLFGANG KUBIN, München: Hanser 1991, S. 10f.; zum Original s. Bei Dao shixuan, O.O.: Xin Shiji 1986; S. 25f.

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION Es ist der Schnittpunkt der Zeit, und blitzende Sterne verschönen gerade den unblockierten Himmel, es sind fünftausend Jahre alte Piktogramme, es sind Gestalt gewordene Blicke künftiger Generationen.

Dies ist kein abgeklärter Text, er atmet ein Pathos, das bis heute in China goutiert wird. Er vertritt mit seinem Aufbruchsbegehren eine ganze Generation, die den Glauben an die unmittelbare Vergangenheit zwar verloren hat, aber die ferne Vergangenheit mit der weiten Zukunft verbindet. Anlaß zur Hoffnung ist die Umbruchsituation, die zwischen 1972 und 1979 die Reformpolitik der 80er Jahre vorbereitet. Die Frage, die sich unmittelbar dem Leser stellt, ist natürlich die: Wer antwortet in diesem Gedicht eigentlich wem? Und wichtiger noch: Wie lautet überhaupt die Frage? Ist es die Doppelfrage in der zweiten Strophe, die im Angesicht einer Öffnung mehr Öffnung verlangt? Sagen läßt sich zunächst nur soviel: Der Sprecher nimmt in seiner Antwort für sich die Position all der zur Zeit der Kulturrevolution Verurteilten ein, redet dann zum Schluß gar von der gesamten Menschheit. Besonders letzteres ist ein großes Wort, das jedoch typisch für die Hermetische Schule (Menglong Shipai) ist und sich bei einem ihrer wichtigsten Vetreter, Yang Lian, bis heute gehalten hat. Eine weitere, für Bei Dao nach wie vor wichtige poetische und politische Konzeption verbirgt sich hinter dem Bild des »Donners«. Genau gesagt ist vom »Echo des Donners« (lei de huisheng) die Rede. Lautliche Aspekte spielen im Werk von Bei Dao bis heute eine prominente Rolle. Sie verkörpern politische Macht. Symptomatisch ist inzwischen ein Binom wie »Orkan« (fengbo), das – immer wieder anzutreffen – gleichsam symbolischen Charakter gewonnen hat. Bei Dao sagt von sich selbst, daß es der gesellschaftliche Druck gewesen sei, der ihn zum Schreiben gezwungen habe, ein Druck, der weiterhin anhalte. In der Tat ließe sich in dieser Hinsicht sein Schreiben mittlerweile als manisch einstufen. Entsprechend seiner Zugehörigkeit zur frühen Schaffensphase liest sich das Gedicht so optimistisch wie pessimistisch. Kein Tod, so heißt es, bleibt ungesühnt, und doch sind die einzigen Dinge, die in dieser Welt gewiß sind, eine Schattenexistenz, ein Strick für den Selbstmord bzw. die Hinrichtung und ein Blatt Papier für die poetische Anklage. Weniger verstörend als dieses, welches ja der Interpretation bedarf, dürfte das unmittelbare »Unglaubensbekenntnis« auf die Leserschaft gewirkt haben. Man mag hier von einer Reaktion auf das »Glaubensbekenntnis« von Guo Lusheng ausgehen, durch den Bei Dao zum Dichter geworden ist. Hinter jedem »Ich glaube nicht« scheint immer noch ein Glaube zu stehen, nämlich der Glaube an andere Farben des Himmels, an wahre Träume, an Strafe und Sühne. Bei Daos »Ich glaube nicht« und Zhai Yongmings späteres »Ich bin aufgestanden« bilden gleichsam die Eckpfeiler des männlichen und weiblichen Protestes für die 80er Jahre. Aus politischen Gründen hat Bei Dao das Gedicht »Die Antwort« rückdatiert, ebenfalls aus politischen Gründen hat er ein weiteres sehr bekanntes Gedicht vordatiert. Die Motive sind beide Male unterschiedlicher Natur. Im ersten Falle ging es

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um eine Unterstützung der Demokratisierung Chinas, im zweiten Fall um die Möglichkeit einer Publikation. Wir müssen hier also von einer Selbstzensur sprechen, welche auch seit der Reform- und Öffnungspolitik noch gang und gäbe ist.672 Um welches Gedicht handelt es sich? 1970 war der Regimekritiker Yu Luoke (1942–1970), der seinen Protest damals auch in Verse gekleidet hatte, hingerichtet worden. Bei Dao hat ihm mehrere Gedichte gewidmet. Darunter findet sich eine 1980 verfaßte »Proklamation« (»Xuangao«). Diese war jedoch nur mit verändertem Datum zu veröffentlichen. Also führte der Verfasser als Abfassungszeit die Zeit der Kulturrevolution an.673 Das Gedicht hat es in der Tat in sich.674 Vielleicht ist dies der letzte Moment Ich habe kein Testament zu hinterlassen nur einen Stift, für die Mutter Ich bin kein Held In einer Zeit ohne Helden möchte ich nichts sein als ein Mensch Der friedliche Horizont hat die Lebenden und die Toten geschieden Ich kann nur den Himmel wählen nicht die Erde, um darauf zu knien Die Schlächter erschienen sonst zu groß und der Freiheit bliebe noch weniger Raum Ein blutroter Morgen schickt sich an aus dem Gestirn von Einschußlöchern zu treten

Dies klingt wie eine Proklamation aus dem Munde von Yu Luoke kurz vor seiner Hinrichtung. Warum dann aber die Aufregung um das Datum? Wir dürfen vermuten, daß die Leserschaft bereit gewesen wäre, die Proklamation auf das Jahr 1980 zu beziehen, als die sogenannte Mauer der Demokratie in Peking auf Veranlassung von Deng Xiaoping von der Straßenkreuzung Xidan zunächst zum Mondtempel verlegt und dann ganz untersagt worden war. Die Mauer der Demokratie war eine Art Relikt: Hier wurden wie zur Zeit der Kulturrevolution an Bretterzäune, vielleicht auch an Steinwände Wandzeitungen geklebt, welche nicht nur die Vier Modernisierungen unterstützten, sondern weitergehend auch noch eine Fünfte Modernisierung forderten, 672 673

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Vgl. hierzu MCDOUGALL: Fictional Authors, Imaginary Audiences, S. 205–223. So Bei Dao mehrfach im Gespräch mit mir, zuletzt Anfang Juli 2004 in Bonn. Die mir vorliegenden chinesischen Buchausgaben führen allerdings gar kein Datum an. Wir müssen daher von einer Erstpublikation in einer Zeitschrift damals ausgehen. Leicht verändert zitiert nach BEI DAO: Notizen vom Sonnenstaat, S. 19. Zum Original s. Bei Dao shixuan, S. 73f.

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nämlich eine stärkere Demokratisierung. Dies ging jedoch der neuen Führung zu weit, die Demokratie im Sinne einer väterlichen Fürsorge verstand und keinen Einspruch duldete. Entsprechend war das Ende des Pekinger Frühlings von Verhaftungen und Denunziationen begleitet. Die im Gedicht erwähnten Schlächter könnten sich daher auch auf die Zeit beziehen, die seit 1979 so gern als Neue Epoche (xin shiqi) bezeichnet wird. Entsprechend radikal wäre der Text zu lesen: Man kniet nicht vor den Handlangern und beruft sich auch nicht auf die »Erde«, die sie repräsentieren. Auch hier wird die Sache mit dem Stift erwähnt, sie klingt aber im Gegensatz zum vorherigen Gedicht fast schon nihilistisch. In der Tat ist der Vorwurf des Nihilismus in jenen Jahren immer wieder gegen Bei Dao und seinesgleichen erhoben worden und im Rahmen der Kampagne zur Bekämpfung der geistigen Verschmutzung eskaliert. Wie sollte der Dichter aber in jenen Jahren den Nihilismus kennengelernt haben? Er führt selbst an, daß er zur Zeit der Kulturrevolution und später Zitate gesammelt habe, die sich der Kritik am Werk von Sartre entnehmen ließen. Dieses Thema soll uns hier aber nicht weiter interessieren, da Einflüsse, die auf nicht mehr nachprüfbaren und vielleicht gar fragwürdigen Übersetzungen basieren, Deutungen nicht hinreichend gesichert erscheinen lassen könnten.

4.2 Die Humanisierung der Literatur (1979–1989) Die Stimme des Untergrundes zur Zeit der Kulturrevolution ist vornehmlich die Stimme der Lyrik. Gleichwohl hat sich hier eine Erzählstimme eingeschlichen, deren Tragweite erst später und auf Umwegen bekannt werden konnte. Sie wird in diesem Kontext wenig erwähnt, weil sie einem anderen Lager, einer Fahnenflüchtigen zu gehören scheint. Doch wer Chen Ruoxi – 1938 in Taipeh geboren, von 1966 bis 1973 wohnhaft auf dem Festland, heute Amerikanerin – so betrachtet, müßte auch konsequent einen Auswanderer wie Gu Hua (geb. 1942) verschweigen, da er sich unter dem Einfluß von Shen Congwen mit dem Roman Hibiskus oder Vom Wandel der Beständigkeit (Furongzhen, 1981)675 erfolgreich »ausgeschrieben« hatte und alsbald sein Glück in Kanada versuchte. Hier schreibt er, heute kaum noch bekannt, unter Pseudonym Essays für die taiwanesische Tagespresse. Chen Ruoxi hat als Lektorin die Kulturrevolution miterlebt und ihre Erlebnisse nach der Ausreise in Hongkong zu Papier gebracht, so daß diese im selben Jahr, als die maoistischen Ideale untergingen, in Taipeh erscheinen konnten.676 Es sind bemerkenswerte Zeugnisse, geprägt von 675

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Aus dem Englischen von PETER KLEINHEMPEL, mit einem Nachwort des Autors, Berlin: Volk und Welt 1986. Zum Original s. Gu Hua houjiang xiaoshuo ji, Kanton: Huacheng 1984. Zu englischsprachigen Ausgaben s. GU HUA: A Small Town called Hibiscus, übersetzt von GLADYS YANG, Peking: Panda 1983; DERS.: Pagode Ridge and Other Stories, Peking: Panda 1985. Zur Deutung s. KINKLEY: »Shen Congwen’s Legacy«, in: WIDMER, WANG (Hg.): From May Fourth to June Fourth, S. 76–82. Der Roman wurde 1982 verfilmt. CHEN JO-HSI [d.i. Chen Ruoxi]: Die Exekution des Landrats Yin und andere Stories aus der Kulturrevolution, aus dem Chinesischen von MELINA YAM, Hamburg: Knaur 1979; CHEN RUOXI:

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Distanz, Mitleid und einem stillen Humor. Ihren späteren Werken war kein solcher Erfolg mehr beschieden.677

4.2.1 Die Hermetische Literatur, die Wundenliteratur Es mag sinnvoll erscheinen, nochmals auf das für Chinas jüngsten Aufbruch so schicksalhafte Gedicht »Die Antwort« zurückzukommen. Es enthält neben dem Stichwort »Menschheit« auch das Stichwort »Generation«, das für die weitere Entwicklung der Literatur so wichtig wird. Die Generation der nach 1949 Geborenen wird gern als die »verlorene Generation« bezeichnet.678 Ihre »Glaubenskrise«, die obiges Gedicht überdeutlich anspricht, hat sich mit Rückgriff auf Heinrich Bölls in China äußerst einflußreiches »Bekenntnis zur Trümmerliteratur« (1952)679 ein Symbol gesetzt: die Ruine (feixu), die auch zum Titel einer Erzählung von Bei Dao avanciert.680 Chinesische Ruinenliteratur, um sie sprachlich von der deutschen Trümmerliteratur zu unterscheiden, muß sich damals nicht verteidigen. Sie bedarf keiner Fürsprecher wie Heinrich Böll. Jeder hatte seinerzeit das Gefühl, auf die Trümmer einer Revolution zurückzublicken, die viel versprochen hatte, aber nichts hielt. Der sinnbildlich in den Ruinen der Vergangenheit gefangene Mensch war zu befreien und wieder zum geistigen Leben zu erwecken. Darum wird das chinesische Zeichen für Mensch (ren) in der folgenden Zeit so wichtig. Oftmals findet es sich symbolisch versinnbildlicht im Zug von Wildgänsen681 oder gar im Titel eines Werkes.682

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Yin xianzhang, Taipeh: Yuanjing 1976. Zur Deutung s. KAI-YU HSU: »A Sense of History: Reading Chen Jo-hsi’s [d.i. Chen Ruoxi] Stories«, in: FAUROT (Hg.): Chinese Fiction from Taiwan, S. 206–233. Auf deutsch liegt in Buchform noch vor CHEN JO-HSI [d.i. Chen Ruoxi]: Heimkehr in die Fremde (Gui, 1979), aus dem Chinesischen von CHEN CHAI-HSIN u. DIETHELM HOFSTRA, Unkel u.a.: Horlemann 1991. Zur Entwicklung ihres internationalen Weges s. ARNOLD (Hg.): KLfG. Zu den Schlagworten der damaligen Zeit s. KARL-HEINZ POHL: »Chinesische Literatur der achtziger Jahre. Zeugnis einer ›Glaubenskrise‹ der Jugend«, in: Stimmen der Zeit 204 (6/1986), S. 397–407. Zum Text s. VIKTOR BÖLL (Hg.): Das Heinrich Böll Lesebuch, München: dtv 21983, S. 96–100. Zur Wirkungsgeschichte in China s. QIU-HUA HU: Literatur nach der Katastrophe. Eine vergleichende Studie über die Trümmerliteratur in Deutschland und die Wundenliteratur in der Volksrepublik China, Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 1991. Die Autorin behandelt hier Autoren wie Bei Dao, Liu Xinwu, Shu Ting, Sha Yexin. BEI DAO: »In den Ruinen«, in: BEI DAO: Straße des Glücks Nr. 13, S. 45–54; zum Original s. ZHAO ZHENKAI: Bodong, S. 139–147 (»Zai feixu shang«). Vgl. z.B. HUANG ZONGYING (geb. 1925): »Der Flug der Wildgänse«, in: Frauen in China. Erzählungen, hg. u. ins Deutsche übertragen von HELMUT HETZEL, München: dtv 21986, S. 45– 70. Zum Original der Autorin (geb. 1925) s. HUANG ZONGYING: Xing, Schanghai: Shanghai Wenyi 1981, S. 24–63 (»Dayan qing«, 1978). Vgl. zum Beispiel den Roman Mensch, oh, Mensch (Ren a ren, 1980) der Schriftstellerin Dai Houying (1938–1996), deutsch: Die große Mauer, aus dem Chinesischen von MONIKA BESSERT u. RENATE STEPHAN-BAHLE, mit einem Nachwort von HELMUT MARTIN, München: Hanser

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In Abwandlung eines Wortes von Marx heißt es bald: Ein Gespenst geht um in China: der Mensch bzw. der Humanismus.683 Wie kommt es überhaupt zu diesem politischen Reizwort »Mensch«, das selbst Anfang der 90er Jahre noch Unmut auf seiten der staatlichen Vertreter hervorrufen konnte? Die Partei hatte in den nahezu dreißig vergangenen Jahren grundsätzlich im Namen aller Chinesen gesprochen. Es gab nur Menschen, nicht den einzelnen, es gab nur ein Wir, kein Ich, es gab eine allgemeine Sprache, keine individuelle. Das Ich war nach einem Wort des Dichters Gu Cheng (1956–1993) ein Nicht-Ich, welches zur Pflasterung der Straße diente.684 Die plötzliche Betonung des Menschen meinte eine Betonung des einzelnen und seiner Geschichte, die sich nicht mit den offiziellen Verlautbarungen deckte, wohl aber mit den Erfahrungen einer Generation. Diese Generation wurde nun zum Fürsprecher eines demokratischen Sozialismus. Sie teilte ihre Reflexionen zur Frage, was der Mensch sei, mit all denjenigen, die als sogenannte Rechtsabweichler zwischen ihr und der Vätergeneration standen. Insofern ist es nicht ganz richtig, wie immer geschehen, nur von der Generation der nach 1949 Geborenen als Träger des Aufbruchs zu sprechen. Der von Hegel übernommene Begriff der Reflexion (fansi), die sich besonders im Rahmen einer Literatur zur Vergangenheitsbewältigung (fansi wenxue) Ausdruck verleiht, gilt für Wang Meng ebenso wie für Bei Dao. Gleichwohl sprechen die damaligen Vertreter der Hermetischen Schule (Menglong Shipai) selbstbewußt von »ihrer« Generation. Die Kritik der späteren Posthermetischen Schule (Hou Menglong Shipai), wieder nur ein Wir kreiert zu haben, nämlich das Wir einer Generation, erscheint nicht unberechtigt. Es verwundert daher nicht, wenn Bei Dao sein Gedicht »Die Antwort« als die Suche einer Generation nach sich selbst versteht. Gu Cheng hat diese Suche in das berühmte Gedicht »Eine Generation« (»Yi dai ren«, 1979) gekleidet:685

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1987. Zum humanistischen Aspekt dieses Werkes s. CAROLYN S. PRUYN: Humanism in Modern Chinese Literature. The Case of Dai Houying, Bochum: Brockmeyer 1988 (= Chinathemen; 35). Oder vgl. die Novelle »Ren dao zhongnian« (Ein Mensch in seinen besten Jahren) der Autorin Chen Rong (geb. 1935), die meist fälschlich Shen Rong transkribiert wird. Zur englischen Übersetzung der einst vielfach diskutierten Erzählung s. SHEN (sic!) RONG: At Middle Age, Peking: Panda 1987, S. 9–85. Zum Original s. Chen Rong ji, Fuzhou: Huangxia Wenyi 1986, S. 149–236. Zur Autorin, die verschiedentlich auch auf deutsch vorgestellt worden ist, s. ansonsten TIENCHI MARTIN-LIAO: SHEN (sic!) RONG: »Chinesische Intellektuelle in der Umorientierungsphase [...]«, in: MARTIN (Hg.): Cologne-Workshop 1984 on Contemporary Chinese Literature, 203–212. Vgl. hierzu EVA KLAPPROTH, HELMUT FORSTER-LATSCH u. MARIE-LUISE LATSCH (Hg.): Das Gespenst des Humanismus. Oppositionelle Texte aus China von 1979 bis 1987, Frankfurt: Sendler 1987. BI HUA u. YANG LING (Hg.): Jueqi de shiqun. Zhongguo dangdai menglongshi yu shilun xuanji, Hongkong: Dangdai Wenxue Yanjiushe 1984, S. 105. Diese sehr verdienstvolle Ausgabe enthält alle wichtigen und immer noch aktuellen Diskussionen und Texte der damaligen Zeit. Leicht verändert zitiert nach KUBIN: Nachrichten von der Hauptstadt der Sonne, S. 229. Zum Original s. Gu Cheng quanji, Schanghai: Sanlian 1995, S. 121.

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Die Literatur der Volksrepublik China Die Nacht hat mir dunkle Augen gegeben, ich gehe mit ihnen das Licht suchen.

Diese scheinbar schlichten Zeilen lassen sich vielfach deuten. Die Nacht könnte mit der Kulturrevolution gleichgesetzt werden, unter welcher der Dichter sehr gelitten hat. Er war seinerzeit mit dem Vater Gu Gong (geb. 1928), der auch ein Dichter ist, auf dem Land Ziegen hüten. Beide schrieben dort Gedichte, die sie gleich nach Fertigstellung den Flammen überantworteten. Diese Art von (Selbst-)Zensur hat der Vater bis in die Gegenwart beibehalten, so daß das in der Fußnote angeführte »Gesamtwerk« von Gu Cheng gar kein Gesamtwerk darstellt, sondern lediglich eine Ausgabe ad usum Delphini ist. Obiger Zweizeiler ist jedoch von diesen Maßnahmen unbetroffen. Was in der Übersetzung nicht herauskommen kann, ist die Gemeinschaft von »Nacht« und »dunkle Augen«. Beiden ist das Adjektiv hei (schwarz) zu eigen. Man kann dieses wie oben geschehen politisch deuten (Kulturrevolution), aber auch ethnisch: die schwarzen Augen eines Chinesen. Das Binom Licht (guangming), das im Gegensatz zur »Nacht« (Vergangenheit) für die Zukunft steht, läßt sich idealistisch, aber auch historisch verstehen. Es knüpft an den Lichtmythos an, der von Lu Xun über Guo Moruo zur Guangming Ribao (Tageszeitung des Lichts) führt. Zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen der Nacht und dem Licht ist ein Ich, eigentlich das Wir einer gesamten Generation, in der Gegenwart auf der Suche. Mit dem Verb xunzhao (suchen) fällt das dritte wichtige Schlagwort der Zeit, das sich alle Lager zu eigen gemacht haben, ob revolutionär, konservativ oder reformfreudig. Mit drei Binomen (heiye, xunzhao und guangming) erzählt Gu Cheng die Geschichte, genauer die Seelengeschichte einer Generation. Diese Generation ist aus der Finsternis aufgebrochen, sie ist aber aus dem gemacht, was sie nicht mehr sein möchte, aus Dunkelheit. Sie betreibt ihre Suche also vorbelastet. Auf schreckliche Weise hat sich dies im Leben von Gu Cheng bewahrheitet, der seine Suche nach dem Licht nie erfüllen konnte und statt dessen so endete wie die von ihm einst so bekämpften Meuchelmörder.686 Schaut man sich den Lebenslauf von Gu Gong und Gu Cheng an, so kann der Gegensatz von Vater und Sohn nicht größer sein. Nach dem, was uns Eugen Feifel berichtet, war Gu Gong total angepaßt.687 Der Sohn dagegen, wie wir ihn erlebt haben, war ein Rebell, der sich um keine Ordnungen scherte und lieber Armut und Tod in Kauf nahm, als sein Künstlertum beschädigen zu lassen. Dieser sogenannte »Märchen686

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Über das Leben und das Werk von Gu Cheng ist so viel und so gut zugänglich auch auf deutsch publiziert worden (s. ARNOLD [Hg.]: KlfG), daß im folgenden nur die Standardwerke angeführt seien, als da sind: HANS PETER HOFFMANN: Gu Cheng – Eine dekonstruktive Studie zur Menglong-Lyrik, 2 Bde., Frankfurt u.a.: Peter Lang 1983; DERS. (Hg.): Gu Cheng – Quecksilber und andere Gedichte, Bochum: Brockmeyer 1990 (= Chinathemen; 48); LI XIA: Essays, Interviews, Recollections and Unpublished Material of Gu Cheng, 20th Century Chinese Poet. The Poetics of Death, Lewiston: Mellen Press 1999. Man lese einmal den unsäglichen Eintrag bei FEIFEL: Moderne chinesische Poesie, S. 274–275.

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dichter« war, ganz wie er selber bekannte, »ein launisches Kind«688, das sein Verlassenheitsgefühl nie in den Griff bekam. Der Generationskonflikt von Gu Gong und Gu Cheng hat ebenso stellvertretenden Charakter wie der von Bei Dao und dessen Vater. Bei Dao bekannte jüngst, aus Rebellion gegen den Vater zum Dichter geworden zu sein. Der Vater stand in seinen Augen für das patriarchalische System, das absolute Hörigkeit verlangte. In diesem Sinne war die Hermetische Dichtung auch als sprachliches Ereignis ein Aufstand gegen die Väter, die nicht nur ihr Herz und Gewissen, sondern auch ihre Sprache blind an die Partei verkauft hatten. Auch wenn das Adjektiv menglong (verschwommen) von den Kritikern seit August 1980 eigentlich als Schimpfwort für die neue Dichtung nach 1979 gedacht war, so ist es doch ein glückliches Wort. Es läßt sich nämlich auf Grund seiner Übersetzung ins Englische als obscure leicht historisch umdeuten. Bei Dao ist während der Kulturrevolution durch Übersetzungen mit der hermetischen Dichtung, wie sie zwischen den Weltkriegen in Spanien, Frankreich und Italien üblich war, in Berührung gekommen, vor allem Garciá Lorca hat ihn sehr beeindruckt. Das heißt, der poetologische Hintergrund der Hermetischen Schule Chinas verdankt sich ganz wesentlich den damaligen literarischen Bewegungen in der Romania. Wir können dies leicht auch der Technik der Juxtaposition entnehmen, von welcher Bei Dao bis heute Gebrauch macht. Man nennt dies auch die Montagetechnik, die den Dichtern dazu verhilft, gleichsam filmische Sequenzen ohne äußerlich erkennbaren Zusammenhang aufeinander folgen zu lassen. Man erklärt dies disjunktive Moment gern mit der philosophischen Theorie des Fluxus. Alle Realität sei demnach eine unmittelbare Wahrnehmung von einzelnen isolierten Phänomenen.689 Greifen wir zwecks kurzer Veranschaulichung auf ein späteres Gedicht vor. Es beschreibt den Dichter in einer Art Nachkriegszustand und trägt den Titel »Post bellum« (»Zhan hou«, 1998?)690. Mit Krieg ist das verordnete Denken gemeint, das als Akt der Gewalt die Sprache des einzelnen bis ins kleinste Detail geprägt hat und immer noch prägt. Gestalten, destilliert im Traum werfen am Horizont die Fahnen fort Der Teich wird licht Das Gelächter der Vermißten

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HOFFMANN: Gu Cheng – Eine dekonstruktive Studie zur Menglong-Lyrik, Bd. 2, S. 81–83 (»Ich bin ein eigensinniges Kind«); Gu Cheng quanji, S. 308–309 (»Wo shi yi ge renxing de haizi«, 1981). Natürlich ist es nicht ganz korrekt, das lyrische Ich und das Ich des Autors gleichzusetzen. Die Parallele liegt in diesem Fall trotzdem nahe. Interessanterweise findet sich auch hier der Gegensatz von »an Finsternis gewöhnten Augen« und »Licht« (guangming), an das sich diese Augen zu gewöhnen haben. Vgl. YEH: Modern Chinese Poetry, S. 79–80. Zitiert mit leichter Korrektur nach BEI DAO: Post bellum, S. 63. Zum Original s. BEI DAO: Kaisuo, S. 71–72.

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Die Literatur der Volksrepublik China beweist: Schmerz ist der Schrei des Lotos Unser Schweigen wird Strohbrei, wird Papier, ein Winter zur Heilung von Schreibwunden

Wir können nicht ahnen, was die Bilder verbinden mag, wenn sie denn überhaupt etwas verbindet. Der erste Doppelvers beschreibt wohl die Fahnenflüchtigen der Revolution, die – das dürfen wir hinzufügen – heute von ihrer Vergangenheit nichts mehr wissen wollen und Geld verdienen. Doch in welchem Verhältnis stehen die folgenden vier Verse? Man fragt sich: Welcher Teich, welche Vermißten sind gemeint? Und wie sind die ersten beiden Strophen zur letzten Strophe konzipiert, die poetisch gut nachvollziehbar erscheint? Wir haben nun im einzelnen den Ereignissen weit vorgegriffen und müssen an den Anfang der neuen Literatur zurückkehren. Die chinesische Literaturkritik liebt die Klassifizierung. Sie hat immer wieder gern die literarischen Entwicklungen zwischen 1979 und 1989 auf griffige Formeln zu bringen versucht. So folge auf die Wundenliteratur die Literatur zur Vergangenheitsbewältigung (fansi wenxue), auf diese die Reformliteratur (gaige wenxue), ehe ein Neotraditionalismus in den unterschiedlichen Facetten einer Avantgardeliteratur (xianfeng wenxue) aufgehe. Eine solche Einteilung mag durchaus hilfreich sein. Oft ist es jedoch so, daß Vertreter der einzelnen Sparten im Laufe der Zeit zu unterschiedlichen Richtungen Werke vorgelegt haben, so daß eine sklavische Orientierung an diesem Entwicklungsmodell wenig sinnvoll erscheint. Im folgenden sollen daher anhand einzelner Beispiele die Trends veranschaulicht werden. Am Anfang der Wundenliteratur691 stehen Namen, die einst in aller Munde waren, heute aber kaum mehr für literarische Qualität bürgen. Nur noch das historische Bewußtsein erinnert sich ihrer, vielleicht mit der einzigen Ausnahme des Theaterstückes »Und wenn ich es wirklich wäre« (Jiaru wo shi zhen de, 1979) von Sha Yexin (geb. 1939).692 Die Kommunistische Partei Chinas gibt am Vorabend ihrer Öffnungspolitik 691

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Zu den Anfängen s. THOMAS HARNISCH: China’s [sic!] neue Literatur. Schriftsteller und ihre Kurzgeschichten in den Jahren 1978 und 1979, Bochum: Brockmeyer 1985 (= Chinathemen; 26). Weitergehend s. auch IDA BUCHER: Chinesische Gegenwartsliteratur. Eine Perspektive gesellschaftlichen Wandels der achtziger Jahre, Bochum: Brockmeyer 1986 (= Chinathemen; 27). Ich sage vielleicht, weil die Zuordnung nicht klar ist und meine positive Lektüre durch Rudolf Wagners Interpretation in Frage gestellt wird. QIU-HUA HU: Literatur nach der Katastrophe, S. 124–171, ordnet das Stück der Wundenliteratur zu, Chen Sihe der Literatur der Vergangenheitsbewältigung. Sha Yexins gelungene und alsbald verbotene Satire auf die Privilegien der Macht steht nach Wagner auf der Seite der Ideale der Kulturrevolution und gleichzeitig auch

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Slogans wie »die Praxis als einziger Maßstab für die Überprüfung der Wahrheit« (shishi qiu shi, 11. Mai 1978), »Befreiung der Gedanken« (sixiang jiefang) aus und beginnt ab dem 15. November 1978 mit der Rehabilitierung von sogenannten Rechtsabweichlern. Auf diesem Hintergrund veröffentlichen unter anderem Liu Xinwu (geb. 1942), Lu Xinhua (geb. 1954) und Zong Fuxian (geb. 1947) Werke, die trotz ihrer literarischen Mängel auf ein landesweites Interesse stoßen. Sie helfen einerseits der Partei, die Kulturrevolution zu verneinen und deren Nachhut zu bekämpfen, sie verleihen andererseits dem Volk eine Stimme zur Klage über die erlittenen Schmerzen. Insofern ist die auf Lu Xinhuas Erzählung »Wunden« (»Shanghen«, eig. Narben, 1978)693 zurückgehende Bezeichnung »Wundenliteratur« (shanghen wenxue) recht glücklich gewählt. Da sie aber vollkommen im Dienste der neuen Politik steht, wie besonders deutlich die Kurzgeschichte »Der Klassenlehrer« (»Banzhuren«, 1977)694 von Liu Xinwu und das Theaterstück Aus der Stille (»Yu wusheng chu«, 1978)695 von Zong Fuxian zeigen, sollte man in ihnen nicht, wie von der Literatur-

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auf der Seite der neuen Führungsschicht. Zum Text und zur Deutung s. WAGNER: Literatur und Politik in der Volksrepublik China, S. 105–176, 354–355, 365–367. Da sich Sha Yexin mit seinem preisgekrönten Theaterstück Bürgermeister Chen Yi (Chen Yi shizhang, 1980) zur Macht einer politischen Führungspersönlichkeit bekennt, muß in ihm vielleicht doch eher ein staatstragender als rebellischer Geist gesehen werden. Überdies wäre die Frage zu stellen, inwiefern Und wenn ich es wirklich wäre nicht ein Remake von Gogols Stück Der Revisor, auf das immer wieder Bezug genommen wird, darstellt. Zu einer weiteren Deutung s. GILBERT C.F. FONG: »The Darkened Vision: If I were For Real and the Movie«, in: CONSTANTINE TUNG u. COLIN MACKERRAS: Drama in the People’s Republic of China, Albany: State University of New York Press 1987, S. 213–232. Zum Autor und seinen weiteren Stücken s. NATASCHA VITTINGHOFF: Geschichte der Partei entwunden. Eine semiotische Analyse des Dramas Jiang Qing und ihre Ehemänner (1991) von Sha Yexin, Dortmund: projekt verlag 1995 (= edition cathay; 6). Zu einem neueren Stück von Sha Yexin s. den Auszug aus »Jesus, Confucius and John Lennon«, übersetzt von ALEC STOCKWELL, in: Renditions 43 (Frühling 1995), S. 1–15. Deutsch in JOCHEN NOTH (Hg.): Der Jadefelsen. Chinesische Kurzgeschichten 1977–1979, Frankfurt: Sendler 1981, S. 131–142. Der Autor, der heute in den USA lebt, hat erst 2004 überhaupt wieder ein zweites (!) literarisches Werk vorgelegt. Deutsch in NOTH (Hg.): Der Jadefelsen, S. 11–35. Zum Original s. Liu Xinwu duanpian xiaoshuo xuan, Peking: Beijing 1980, S. 1–31. Von Liu Xinwu, in den 80er Jahren ein erfolgreicher Schriftsteller, liegen auf deutsch verstreut zahlreiche Übersetzungen vor. Sie sollen auf Grund ihres nunmehr rein historischen Werts nicht eigens aufgeführt werden. Daher sei nur auf DON. J. COHN (Hg.): Liu Xinwu. Black Walls and Other Stories with an Introduction by Geremie Barmé, Hongkong: Renditions 1992 verwiesen. Zur Deutung seines Frühwerks s. KAM LOUIE: Between Fact and Fiction. Essays on Post-Mao Chinese Literature & Society, Sydney: Wild Peony 1989. Zur Rolle seines Frühwerks im Rahmen der Wundenliteratur s. HE: Cycles of Repression and Relaxation, S. 73–112. MARTIN KROTT: Politisches Theater im Pekinger Frühling 1978. »Aus der Stille« von Zong Fuxian. Übersetzung und Kommentar, Bochum: Brockmeyer 1980 (= Chinathemen; 1); ZONG FUXIAN: Yu wusheng chu, Schanghai: Shanghai Wenyi 1978. Mir liegt der Vierakter auch als Comicstrip des Verlages Guangdong Renmin von 1979 vor.

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kritik vorgeschlagen, eine Aufklärung nach Art des 4. Mai sehen. Dazu fehlt zu sehr die kritische Distanz zum Geschehen einst und jetzt. Der Dank, den die Schriftsteller mittels ihrer Werke an die Partei richten, das Vorbild des Parteisekretärs, das sie perpetuieren, die Absegnung ihrer Kritik durch die Technik des »goldenen Schwanzes«, all dies macht die Lektüre heute unerträglich, besonders dann, wenn der Lobgesang eine Person oder eine Angelegenheit betraf, die schon sehr bald von der Geschichte überholt waren. Beispielhaft sind hier Wang Mengs Erzählungen »Mit bolschewistischem Gruß« (»Buli«, 1979)696 und »Das Teuerste« (»Zui baogui de«, 1978)697. Ihr Autor gehört allerdings nicht eigentlich zur Wundenliteratur und ist, wie wir noch sehen werden, als Schriftsteller überwiegend sehr ernst zu nehmen. Die Wundenliteratur ist eine Lobbyliteratur698. Dies macht der Fall Wang Meng besonders deutlich: Man vertritt seine eigene Sache und gleichzeitig die der Partei, in der Hoffnung, daß sich die eigene politische Ansicht ohne besonderen Widerstand durchzusetzen vermag. Daher scheint ein versöhnlicher Schluß bittere Notwendigkeit für jede Kritik zu sein. Einmal mehr setzt sich hier die konfuzianische Auffassung von »Harmonie als höchstem Gut« (he wei gui) durch. Aus abendländischer Sicht wirkt eine solche Anbiederung leicht verwerflich. Für ein abschließendes Urteil ist die gesamte politische Situation in Betracht zu ziehen. Wo Demokratie noch nicht verbürgt ist, kann auch eine noch so ausgewogene Kritik wie die der Wundenliteratur im nachhinein tödlich sein. Die Metapher »Wunde« hat über die Wundenliteratur hinaus Schule gemacht. Geniale Vertreterin eines Wundenbewußtseins ist Shu Ting (geb. 1952), die eigentlich der Hermetischen Schule zugerechnet wird, obwohl ihr lyrisches Werk keinesfalls als dunkel zu bezeichnen ist. Ihr war als Dichterin eine frühe und kurze Blüte vergönnt. Zwar ist sie heute noch schriftstellerisch tätig, doch die Essays, die sie bevorzugt schreibt, verraten nichts mehr von ihrer einstigen Begabung. Wie im Falle von Hugo von Hofmannsthal wird man sagen können, daß ein Dutzend frühvollendeter Gedichte einen langanhaltenden Ruhm begründet hat. Was das Besondere der frühen Lyrik der Shu Ting ausmacht, ist ein über die Plakativität der Wundenliteratur hinausgehendes Bewußtsein für das Leid des Menschen. Auch wenn sich in ihrem Fall 696

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WANG MENG: Das Auge der Nacht, Erzählungen aus dem Chinesischen u.a. von IRMTRAUD FESSEN-HENJES, mit einem Nachwort von WOLFGANG KUBIN, Zürich: Unionsverlag 1987, S. 134–253; Wang Meng xiaoshuo baogao wenxue xuan, Peking: Beijing 1981, S. 222–308. Zur Deutung s. YUE DAIYUN: Comparative Literature and China. Overseas Lectures, Peking: Peking UP 2004, s. 423–450. INSE CORNELSSEN u. SUN JUNHUA (Hg.): Wang Meng. Lauter Fürsprecher und andere Geschichten, Bochum: Brockmeyer 1989, S. 139–147; Wang Meng xiaoshuo baogao wenxue xuan, S. 81–87. Zum Begriff der Lobbyliteratur s. RUDOLF G. WAGNER: »Lobby Literature: The Archeology and Present Functions of Science Fiction in China«, in: JEFFREY C. KINKLEY (Hg.): After Mao: Chinese Literature and Society 1978–1981, Cambridge (Mass.) u. London: Harvard UP 1985, S. 17–62.

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von einem spezifisch weiblichen Wundschmerz reden läßt,699 der später von Zhai Yongming weiter vielfach thematisiert wird, so sollte die feministische Interpretation nicht im Vordergrund stehen. Shu Ting ist keine Feministin und spricht eher vom Menschen denn von der Frau als Leidensperson. Ihre Lyrik, die inzwischen Schulbuchlektüre ist, wird in der Volksrepublik China völlig falsch verstanden. Dies mag mit einer ungenauen Lesart zu tun haben, welche herkömmlichen Erwartungsmustern verpflichtet ist. Bei dem Wort »Vaterland« (zuguo) zum Beispiel denkt jeder chinesische Leser an etwas Großartiges. Ein Gedicht mit dem Titel »Vaterland! Liebes« (»Zuguo, a, wo qinai de zuguo«) wird so ganz zwangsläufig als Lobgesang auf China (miß)verstanden. Wer aber die Verse langsam und genau liest, wird eher von einer Klage als von einem Preis sprechen. Hier der Anfang und der Schluß.700 Ich bin das ausgeleierte Schöpfrad am Flußrand, das seit vielen hundert Jahren Lieder spinnt; ich bin die rußige Grubenlampe auf deiner Stirn, die dich auf schneckengleicher Suche nach deiner Geschichte zeigt; ich bin eine verwelkte Reisähre; eine verfallene Bahnschwelle; bin der Schleppkahn auf einer Sandbank, der das Tau tief in deine Schultern schnürt; Vaterland! [...] Aus meinem Fleisch und Blut nimmst du deinen Reichtum, deinen Glanz, deine Freiheit; Vaterland, liebes!

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Vgl. hierzu meinen Beitrag: »Mit dem Körper schreiben: Literatur als Wunde. Bemerkungen zur Lyrik Shu Tings«, in: Drachenboot 1 (1987), S. 15–22. Unter leichten Veränderungen zitiert nach KUBIN: Nachrichten von der Hauptstadt der Sonne, S. 207–208. Als Datum findet sich hier April 1974. Das muß nicht unbedingt ein Irrtum sein, da ich seinerzeit nach Büchern und Manuskripten übersetzte, die mir zugesteckt wurden. Die Ausgabe Menglong shixuan, Shenyang: Chunfeng Wenyi 1986, S. 42–43, führt unter dem Original den 20. April 1979 an, die Ausgabe SHU TING: Shuangweichuan, Schanghai: Shanghai Wenyi 1982, S. 83f., April 1979. Zu einer weiteren deutschen Übersetzung s. Schu Ting, aus dem Chinesischen von ERNST SCHWARZ, Berlin: Neues Leben 1988 (= Poesiealbum; 247), S. 10f. Vgl. auch SHU TING u. GU CHENG: Zwischen Wänden. Moderne chinesische Lyrik, aus dem Chinesischen von RUPPRECHT MAYER, München: Simon & Magiera 1984 sowie die zweisprachige Ausgabe SHU TING: Archaeopteryx, aus dem Chinesischen von CHRISTINE BERG, Dortmund: projekt verlag 1996 (= arcus chinatexte; 9).

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Mehrere Stichworte fallen im gesamten Text auf, welche das Gedicht zu einem schönen Beleg für den Zeitgeist machen. Von Heidegger herkommend haben Vertreter der Hermetischen Schule gern von den Ablagerungen der Geschichte gesprochen, die es aufzuspüren gilt.701 Das trifft insbesondere auf Yang Lian zu, der dieses poetische Verfahren auch zur Theorie erhoben hat. Es deutet sich hier mit dem Wort »Grubenlampe« an. Es ist Sache der Jugend, der vielfach beschworenen Generation der Autorin, sich von dem »Spinnennetz der Legenden«, das heißt vom Maoismus, zu befreien. Anders als Bei Dao, der vergleichsweise verhalten der Jugend das Wort redet, mutet Shu Ting ihrer Generation viel zu: Trotz aller weiter anhaltenden Ausbeutung des Individuums durch den Staat sind einzig ihr eine »Startlinie« für den Weg in den Neuanfang und ein »Morgen« anbrechenden Lichtes vorbehalten. Shu Ting ist die versöhnliche Stimme unter den hermetischen Dichtern, weshalb sie auch nicht Ende 1983, Anfang 1984 mit Publikationsverbot belegt war wie Bei Dao oder Gu Cheng etwa. Für sie sind die typischen Kennzeichen der Hermetischen Schule weniger streng zu veranschlagen: Ihr Zweifel ist nicht grundlegend, ihr Widerstand nicht staatsgefährdend, ihr Modernismus bleibt verständlich, ihr Bedürfnis nach Enthüllung gesellschaftlicher Zustände ist nicht extrem, ihre Sicht einer schicksalhaften Einheit von Ich und Volk ist ganz von der Sorge um den einzelnen Menschen getragen. Im Vergleich zu den drei oben erwähnten Vertretern eines literarischen Neubeginns nach der Kulturrevolution (Liu Xinwu, Lu Xinhua, Zong Fuxian) sehen ihre Vorläufer, die Veteranen, tiefer. Wenn auch literarisch nicht immer hohen Ansprüchen gerecht werdend, vermögen Ba Jin und Yang Jiang (geb. 1911) dennoch ein Thema aufzugreifen, das bis heute nahezu tabu ist bzw. gar nicht für relevant erachtet wird, das Thema der Schuld. Betrachten wir einmal den Fall der Vordenker der Kulturrevolution. Unter dem Namen Liangxiao firmierte zu Beginn der 70er Jahre eine Gruppe an der Universität Peking, die Materialien zur spätmaoistischen Theorie zusammenstellte und die chinesische Geschichte auf das übelste verdrehte. Zu ihr gehörten auch die heute hochberühmten und angesehenen Professoren Tang Yijie (für Philosophie, geb. 1927) und Ye Lang (für Ästhetik, geb. 1938), doch keiner scheint von ihnen eine Art Entschuldigung oder gar ein öffentliches Nachdenken über ihre einstige Rolle im totalitären Regime zu erwarten. Vor diesem Hintergrund muß Ba Jins frühes und öffentliches Nachdenken über die Kulturrevolution ungewöhnlich erscheinen. In seinen zwischen 1978 und 1986 erscheinenden Gedanken unter der Zeit beklagt er den Sklavengeist der »chaotischen Jahre«, wo alle Komplizen der 701

Dieses poetische Unterfangen läßt sich inzwischen weltweit in der internationalen Gegenwartsdichtung aufspüren. Vgl. zum Beispiel LOTHAR MÜLLER: »Der Knochenträumer. Laudatio auf Lutz Seiler«, in: Sprache im technischen Zeitalter 170 (Juli 2004), S. 153–159, hier S. 157. Inzwischen ist es so gängig, daß es sich auch bei den konservativen Vertretern der Volksrepublik China wie Ai Qing finden läßt, s. sein Gedicht »Fossiler Fisch« (»Yuhuashi«) in: LÜ u. WOESLER: Chinesische Lyrik der Gegenwart, S. 22–25 (zweisprachig).

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Macht waren, und fordert seitdem vergeblich ein Museum der Kulturrevolution.702 Er spricht auch von seiner eigenen Schuld bei der Verfolgung von Schriftstellern. In diesen Gedanken, einer Art confessiones oder »schriftliches Kulturmuseum«, entwirft er das Aufgeben von jeglicher Kritik, die Anpassung an die Zeit und die Unterwerfung unter die Politik als die eigentliche Tragödie des chinesischen Intellektuellen. Ba Jin wählt keine unversöhnliche Sprache. Darin unterscheidet er sich wesentlich von den Vertretern der Hermetischen Schule etwa. Ähnliches gilt für die Übersetzerin Yang Jiang, die in ihren Sechs Kapiteln aus der Kaderschule (Ganxiao liuji, 1980)703 vom Leben mit ihrem Mann, Qian Zhongshu, in einer Umerziehungsanstalt für die Intelligenz berichtet. 1970 waren beide »aufs Land« verschickt worden, konnten aber schon zwei Jahre später 1971 auf Grund von Unpäßlichkeiten nach Peking zurückkehren. Insgesamt sind es zwanzig Millionen »Kader« gewesen, die während der Kulturrevolution in diese sogenannten Kaderschulen vom 7. Mai [1966] geschickt worden sind. Die Autorin wählt ihre Worte ohne Groll und Häme und endet mit dem erstaunlichen Satz, daß sie auch am Ende des Lageraufenthaltes dieselbe Person geblieben sei. Bitternis scheint sie nicht zu empfinden. Vielleicht ist dies der Grund, warum ihr Mann sich bemüßigt fühlte, in einem sehr beachtlichen Vorwort ein »Kapitel über Schuld und Schande« einzufordern, zumal er sich selbst von einer Mitschuld an den Verbrechen der Kulturrevolution nicht ausnimmt.

4.2.2 Die Literatur der Vergangenheitsbewältigung Auch wenn den Schriftstellern auf dem Vierten Schriftstellerkongreß Ende 1979 von politischer Seite die Freiheit des Wortes in Aussicht gestellt worden war,704 so wurden dennoch alsbald nicht wenige von ihnen für den angeblichen Mißbrauch dieser gewährten Freiheit kritisiert, ja gar drangsaliert. Bekannt ist das Beispiel des Schanghaier Schriftstellers Bai Hua, dessen Drehbuch Bittere Liebe (Kulian)705 1981 702

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BA JIN: Wuti ji. Suixianglu 5 (1984), Hongkong: Joint Publishing 1986, S. 134–138. Zu den Alpträumen des Autors während und nach der Kulturrevolution s. Gedanken unter der Zeit, S. 192–194; BA JIN: Bingzhong ji. Suixianglu 4 (1982), Hongkong: Joint Publishing 1984, S. 111–113. – Inzwischen (2005) gibt es ein Museum in Shantou. YANG JIANG: A Cadre School Life: Six Chapters, übersetzt von GEREMIE BARMÉ, Hongkong: Joint Publishing 1982. Zu einem Auszug in deutscher Sprache (»Der Brunnenbau«) s. HELMUT MARTIN u. CHRISTIANE HAMMER (Hg.): Die Auflösung der Abteilung für Haarspalterei. Texte moderner chinesischer Autoren, Reinbek: Hamburg 1991, S. 68–76. Zum literarischen Werk der Autorin s. auch HÄSE: Einzug in die Ambivalenz, S. 109–115; AMY D. DOOLING: »In Search of Laughter: Yang Jiang’s Feminist Comedy«, in: Modern Chinese Literature 8.1&2 (Frühling/Herbst 1994), S. 41–67. Vgl. hierzu HOWARD GOLDBLATT (Hg.): Chinese Literature for the 1980s. The Fourth Congress of Writers & Artists, Armonk u.a.: Sharpe 1982. Zu einem Auszug im Deutschen s. KLAPPROTH u.a. (Hg.): Das Gespenst des Humanismus, S. 83–98. Zur damaligen politischen Diskussion s. HE: Cycles of Repression and Relaxation, S. 191–227.

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wiederholt für Aussagen wie »Ich liebe mein Vaterland, aber liebt es auch mich?« öffentlich gemaßregelt wurde. Trotz anderslautender Bekundungen war eine wirklich freie Entfaltung der Literatur bis 1989 nicht möglich. Dazu waren die (erz)konservativen Kräfte im Kulturbereich zu stark. Gleichwohl läßt sich generell sagen, daß eine freiere Entwicklung stattfand und daß nach 1992 der Markt schließlich die Kontrolle der Literatur aus den Händen der Politik weitgehend übernommen hat. Die Literatur hat insgesamt zu mehr Freiheit gefunden. Die damaligen Kampagnen, die staatlicherseits gegen ihre Befreiung von der politischen Bevormundung geführt worden sind, sind heute weitgehend vergessen und sollten im folgenden nur noch Erwähnung finden, wenn sie wichtige Wendepunkte in der Literaturgeschichte oder im Leben einzelner Personen betreffen. Sie lenkten sonst zu sehr vom Gang der Dinge ab. Zu Beginn der Reform- und Öffnungspolitik wird die literarische Szene vornehmlich von zwei Gruppierungen geprägt: den jungen aus der Kulturrevolution hervorgegangenen Schriftstellern und den »Rückkehrern«. Die Veteranen dagegen spielen kaum eine Rolle, auch wenn Vetreter wie Ding Ling oder Ai Qing noch mit einzelnen, allerdings weniger bedeutsamen Werken in Erscheinung treten. Das Feld gehört vor allem zunächst denjenigen, die rehabilitiert worden sind und nun vom Land in die Städte, meist nach Peking, zurückkehren. Mit ihrer Rückkehr beginnt die Literatur, sich nicht mehr nur dem Trauma der Kulturrevolution, sondern allgemein der Vergangenheitsbewältigung (fansi) zuzuwenden. Symptomatisch ist hierfür Wang Mengs bekannte Aussage, »ein Reich von achttausend Meilen und drei Jahrzehnte Umwälzungen« (guguo baqian li, fengyu sanshi nian) seien sein literarischer Gegenstand. Der Rückblick gilt also den Jahren 1949 bis 1979 und nicht nur den Jahren 1966 bis 1976. Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Die »Rückkehrer« haben eine lebhafte Erinnerung an »ihr« 1949, sie haben bereits in den 50er Jahren geschrieben und denken nun über die verlorenen zwanzig Jahre ihrer Verbannung nach. Man läßt die Wende zur Literatur der Vergangenheitsbewältigung, welche die Jahre 1979 bis 1981 bestimmt, mit Ru Zhijuans Erzählung »Eine falsch redigierte Geschichte« (»Jianji cuole de gushi«, 1979)706 beginnen. Vergangenheitsbewältigung meint in diesem Fall eher die Bewältigung der eigenen Vergangenheit als die einer problematisch verlaufenen Geschichte. Die bekanntesten Rückkehrer sind neben Wang Meng Erzähler wie Gao Xiaosheng, Zhang Xianliang (geb. 1936), Li Guowen (geb. 1930)707 und 706

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Ru Zhijuan xiaoshuo xuan, S. 203–226; DIES.: Lilies and Other Stories, S. 148–202. Deutsch in IRMTRAUD FESSEN-HENJES, FRITZ GRUNER u. EVA MÜLLER (Hg.): Erkundungen. 16 chinesische Erzähler, Berlin: Volk und Welt 1984, S. 55–81. Von diesem heute vergessenen Erzähler, der im Gegensatz zu den genannten anderen nicht weiter behandelt werden soll, liegt auf deutsch die folgende größere Publikation vor: LI GUOWEN: Gartenstraße 5 [Huayuanjie wu hao, 1983], ins Deutsche übersetzt von MARIANNE LIEBERMANN, Berlin: Aufbau 1989. Der Roman wurde 1983 verfilmt. Li Guowen war 1957 auf Grund seiner Erzählung »Die Neuwahl« (»Gaixuan«), s. Orientierungen 2/1994, S. 92–112, zum »Rechtselement« verurteilt worden.

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Lu Wenfu (1928–2005). Sie sind oftmals mit seinerzeit als repräsentativ geltenden Werken wieder bekannt geworden, deren heutige Lektüre jedoch aus ideologischen Gründen unerträglich ist. Dazu gehören zum Beispiel die oben bereits erwähnte Novelle »Mit bolschewistischem Gruß« von Wang Meng und die Novelle Die Pionierbäume (Lühua shu, 1984)708 von Zhang Xianliang. Gleichwohl mögen auch solche aus der Zeit gekommenen Werke gewisse modernistische Züge von Interesse tragen. Schon früh ist zum Beispiel Wang Meng mit seiner Technik des stream of consciousness709, wie sie auch in obiger Novelle zur Anwendung kommt, in die konservative Kritik geraten.710 Wir würden im Deutschen von indirekter Rede bzw. von innerem Monolog sprechen. Allerdings verselbständigt sich bei Wang Meng der »Bewußtseinsstrom« so sehr, daß er außer Kontrolle (durch den Erzähler) zu geraten scheint und daher eine andere Qualität als die indirekte Rede bzw. der innere Monolog besitzt. Leo Ou-fan Lee hat hier nicht zu Unrecht von einem rhetorischen Overkill gesprochen.711 Dieses Phänomen läßt sich übrigens auch bei den späteren Essays und Miniaturen von Wang Meng beobachten.712 708

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ZHANG XIANLIANG: Die Pionierbäume (Lühua shu). Ein Roman der Volksrepublik China des Jahres 1984, übersetzt von BEATRICE BREITENMESSER, Bochum: Brockmeyer 1990 (= Chinathemen; 51). Der einst vielbeachtete Autor ist heute nur noch als Geschäftsmann tätig. Seine Romane sind eher als unfreiwillig komisches Psychogramm des chinesischen Mannes interessant denn als literarisches Erzeugnis. Zu einer ähnlich kritischen Einstellung s. MCDOUGALL: Fictional Authors, Imaginary Audiences, S. 64–66. Zu den Werken im Deutschen s. weiter ZHANG XIAN-LIANG: Die Hälfte des Mannes ist die Frau,. aus dem Chinesischen von PETRA RETZLAFF, Frankfurt a.M. u.a.: Limes 1989; ZHANG XIANLIANG: Die Hälfte des Mannes ist Frau, ins Deutsche übersetzt von KONRAD HERRMANN, Berlin: Neues Leben 1990. Zur Deutung s. KWOK-KAN TAM: »Sexuality and Power in Zhang Xianliang’s Novel Half of Man is Woman«, in: Modern Chinese Literature 5.1 (Frühling 1989), S. 55–72; ZUYAN ZHOU: »Animal Symbolism and Political Dissidence in Half of Man is Woman«, in: Modern Chinese Literature 8.1/2 (Frühling/Herbst 1994), S. 69–95. Zum Original s. ZHANG XIANLIANG: Nanren de yiban shi nüren, Peking: Zuojia 1985, zum Roman s. DOUWE FOKKEMA: »Modern Chinese Literature as a Result of Acculturation: The Intruiging Case of Zhang Xianliang«, in: LLYOD HAFT (Hg.): Words from the West. Western Texts in Chinese Literary Context. Essays to Honor Erik Zurcher on his Sixty-fifth Birthday, Leiden: Centre of Non-Western Studies 1993, S. 26–34. XIANLIANG ZHANG: Gewohnt zu sterben, aus dem Chinesischen von RAINER SCHWARZ, Berlin: edition q 1994. Zum Original s. ZHANG XIANLIANG: Xiguan siwang, Tientsin: Baihua 1989, zum Roman s. H.R. LAN: »Modernism vs Realism: Zhang Xianliang’s Getting Used to Death«, in: Journal of Contemporary China 5 (1996), S. 391–405. Zu weiteren Erzählungen s. ZHANG XIANLIANG: Mimosa, Peking: Panda 1985. Vgl. hierzu ELLY HAGENAAR: Stream of Consciousness and Free Indirect Discourse in Modern Chinese Literature, Leiden: Centre of Non-Western Studies 1992. Wang Meng wird hier auf den Seiten 123–160 behandelt. S. WILLIAM TAY: »Wang Meng, Stream-of-consciousness, and the Controversy over Modernism«, in: Modern Chinese Literature 1 (1984), S. 7–24. LEO OU-FAN LEE: »Erzähltechnik und Dissens. Zu Wang Mengs neueren Erzählungen«, in: KUBIN (Hg.): Moderne chinesische Literatur, S. 424.

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War die Kurzgeschichte die bevorzugte Form der Wundenliteratur, so ist die Novelle (zhongpian xiaoshuo) das besondere Medium der Literatur zur Vergangenheitsbewältigung. Gao Xingjian hat ihr zwischen Oktober 1980 und März 1981 nachträglich die theoretische Grundlage geschaffen,713 die seinerzeit ebenfalls umstritten war. Die Thematik und das Anliegen der Autoren gleichen einander sehr. Deren politisches Engagement läßt die Sorge um Vaterland und Volk in den Mittelpunkt rücken. Dabei geht es um die Aufdeckung historischer und sozialer Tragödien.714 Wieder einmal meint der Schriftsteller, Stellvertreter des Volkes vor den Autoritäten zu sein. Der Protagonist ist entweder ein Intellektueller oder ein Kader (ganbu), stets wird er als Opfer entworfen. Dies ist auch der Grund für die Tatsache, daß der Plot und das politische Anliegen stets ein und dieselbe Sache sind. Der Autor hat eine Botschaft, die er klar und eindeutig vermitteln möchte. Dabei verfolgt er nicht selten ein moralisierendes Muster: Den Guten ist Böses widerfahren, sie sind die zur Unzeit Geborenen, so daß das Böse leichtes Spiel hatte bzw. immer noch hat. Es ist vor allem Wang Meng, der mitunter in der Gattung der Literatur zur Vergangenheitsbewältigung brilliert. Von all seinen bis heute bekannt gebliebenen Novellen sei die vielleicht erfolgreichste kurz vorgestellt. Sie heißt »Der Schmetterling« (»Hudie«, 1980)715 und wurde in Deutschland auch als Hörspiel ausgestrahlt. Ihr Titel geht auf ein Gleichnis des taoistischen Philosophen Zhuang Zi zurück, der einmal träumte, er sei ein Schmetterling, aber nach seinem Erwachen nicht mehr zu sagen vermochte, ob er als Mensch von sich als einem Schmetterling träumte oder nun als Schmetterling träumt, ein Mensch zu sein. Dieser Gedanke der unauslotbaren 712

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Von Wang Meng ist soviel ins Deutsche übersetzt und über ihn soviel auch auf deutsch publiziert worden, daß hier nicht alles aufgezählt werden kann. Der Einfachheit halber sei daher auf meinen Beitrag in ARNOLD (Hg.): KlfG verwiesen. GAO XINGJIAN: Xiandai xiaoshuo jiqiao chutan, Kanton: Huacheng 1981. Der Autor behandelt hier das Phänomen des stream of consciousness (yishiliu) auf den Seiten 26–33. Wenn auch nicht zum Genre der Novelle gehörig, sollte doch in diesem Zusammenhang eines der damals exemplarischen Werke genannt werden: »Unter Menschen und Dämonen« (»Ren yao zhi jian«, 1979) von Liu Binyan, in: Liu Binyan baogao wenxue xuan, Chengdu: Sichuan Renmin 1980, S. 120–178; englisch in LIU BINYAN: People or Monsters. And Other Stories and Reportage from China after Mao, hg. von PERRY LINK, Bloomington: Indiana UP 1983, S. 11–68. Zur Diskussion und Sekundärliteratur s. BLANK u. GESCHER: Gesellschaftskritik in der Volksrepublik China, S. 92–98. – An dieser Stelle sei auch auf LU YAN-ZHOU [d.i. Lu Yanzhou, geb. 1928]: Die wunderbare Geschichte des Himmel-Wolken-Berges (Tianyun Shan chuanqi, 1979), aus dem Chinesischen und mit einem Nachwort von EIKE ZSCHACKE, Bornheim-Merten: Lamuv 1983 verwiesen. Es liegen zumindest zwei Übersetzungen auf deutsch vor, in Buchform WANG MENG: Der Schmetterling, ins Deutsche übersetzt von KLAUS B. LUDWIG, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 1986; in der Übersetzung von HANNELORE SALZMANN als »Ein Schmetterlingstraum« einmal in WANG MENG: Das Auge der Nacht, S. 7–117, und in WANG MENG: Ein Schmetterlingstraum. Erzählungen, Berlin: Aufbau 1988, S. 205–300. Zum Original s. Wang Meng xiaoshuo baogao wenxue xuan, S. 309–390.

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Verwandlung ist gleichsam ein Leitmotiv im Werk von Wang Meng. Am deutlichsten kommt er später in dem Roman Rare Gabe Torheit (Huodong bian renxing, 1985)716 zum Ausdruck. Der Titel geht eigentlich auf Schokoladenpackungen der 50er Jahre im deutschen Sprachraum zurück. Diese hatten auch ihren Weg nach Japan gefunden. Sie waren mit Hilfe menschlicher Figuren gestaltet, deren Glieder verschiebbar waren. In Japan hat der Autor gesehen, wie durch das Verschieben (huodong, Bewegung) der unteren Reihe (Füße) bzw. der oberen Reihe (Köpfe) der Mensch bzw. dessen Leib, fest in der Mitte, zu jeweils einem anderen Charakter (renxing) wechselte (bian). Das Binom huodong (Aktivität) kann auch im politischen Sinne verstanden werden: Mit jeder politischen Aktivität (zhengzhi huodong) wird der Mensch in jeder politischen Kampagne ein anderer, so daß er zu guter Letzt nicht mehr sagen kann, ob er A oder B ist, wo ihm der »Kopf« steht, wie ihm die »Beine verrenkt wurden«. Eben dies ist das Problem des Protagonisten Zhang Siyuan in der Novelle »Der Schmetterling«. Dieser, ein sechzigjähriger Vizeminister, sinnt über seine Identität nach, die sich im Laufe der letzten dreißig Jahre ständig gewandelt hat.717 Waren denn jener Stellvertretende Minister Zhang Siyuan, der in einer SIMLimousine durch die hellerleuchteten, zu beiden Seiten von Hochhäusern gesäumten Straßen des Stadtzentrums fuhr, und jener mit gebeugtem Rücken und zusammengebissenen Zähnen eine Kiepe Ziegenmist über holprige Bergpfade schleppende »alte Zhang« ein und dieselbe Person? War er der »alte Zhang«, der sich plötzlich in den Stellvertretenden Minister Zhang verwandelte? Oder war er der Stellvertretende Minister Zhang, der mit einemmal der »alte Zhang« wurde? Das war eine interessante Frage. Vielleicht war er weder der Stellvertretende Minister Zhang noch der »alte Zhang«, sondern nur er selbst, Zhang Siyuan? Ohne den Stellvertretenden Minister Zhang und ohne den »alten Zhang« – was blieb da noch von den drei Silben Zhang Siyuan? Stellvertretender Minister oder »alter Zhang« – war das von Bedeutung, alles entscheidend? Oder war es unwichtig, nicht wert, lange darüber nachzudenken?

»Der Schmetterling« stellt eine erstaunliche Studie zum Problem der Männlichkeit in China dar, erstaunlich deshalb, weil Wang Meng anders als Zhang Xianliang oder Gao Xingjian keinen abstrusen Männlichkeitswahn an den Tag legt, sondern eine kritische Sicht. Es sind nicht so sehr die Zeiten, die den Protagonisten als Persönlich716

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WANG MENG: Rare Gabe Torheit, ins Deutsche übersetzt von ULRICH KAUTZ, Frauenfeld: Waldgut 1994. Das Original WANG MENG: Huodong bian renxing, Peking: Renmin Wenxue 1987 wurde mir vom Autor bereits im November 1986 (!) gegeben und war wohl zuvor schon in Zeitschriften serialisiert worden. Zum Roman s. ULRICH KAUTZ: »Wang Meng und sein Roman Huodong bian renxing«, in: minima sinica 2/1991, S. 83–103. WANG MENG: Ein Schmetterlingstraum, S. 208; WANG MENG: Das Auge der Nacht, S. 10f.; Wang Meng xiaoshuo baogao wenxue xuan, S. 312.

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keit vernichten, es ist vielmehr seine Unfähigkeit zur Mitmenschlichkeit, die seine Beziehungen zu Frauen und zu seinem Kind belasten. Der Schluß der Novelle bleibt zwar offen, legt aber die Deutung nahe, daß das Nachdenken über sich selbst zu keiner gewünschten Vermittlung zwischen Arbeit und Privatleben geführt hat. Auch nach dreißig Jahren gibt es nur die Pflicht und sonst gar nichts. Wang Mengs Erzählungen mögen zwar in die Jahre gekommen sein, aber sie geben selbst im zeitlichen Abstand noch gutes Handwerk zu erkennen und regen zum Nachdenken über den Menschen in Zeiten des Umsturzes an. Der Autor hat in den 90er Jahren nochmals einen Rückblick auf die Geschichte der Volksrepublik China in Angriff genommen, diesmal in Romanform. Vier Bände sind erschienen, welche mit der Kulturrevolution abschließen und im Titel jeweils das Binom »Jahreszeiten« (jijie) tragen. Die Bedeutung Wang Mengs als Erzähler liegt allerdings weniger hier als vielmehr in seinen ironischen Bemerkungen zum Zeitgeist, wie sie in den Kurzgeschichten und in den Essays zum Ausdruck kommen. Doch dazu später.

4.2.3 Die Frauenliteratur Von Wang Meng gibt es das bekannte Wortspiel, wenxue sei renxue, das heißt, »die Lehre vom Schreiben« sei »die Lehre vom Menschen«. Dieses Schlagwort mag vielleicht gar nicht einmal auf ihn zurückgehen, charakterisiert aber sehr schön sein Anliegen, das mit dem Stichwort Humanismus umschrieben werden kann. Wir hatten den Humanismus oben kurz gestreift. Er steht im Gegensatz zum Klassenkampf und dessen Theorie, daß alle Menschen einer Klasse zugehören und es, da die Ausbeuterklasse zu bekämpfen sei, keinen klassenübergreifenden Humanismus geben könne und dürfe. So die damalige Ideologie. Nun, wo mit dem vielzitierten Schlagwort »der Mensch ist das Ziel, der Mensch steht im Zentrum« das Humane zurückkehrt, kehrt auch das Thema der Liebe zurück, die lange Zeit als sachlicher Bezug nur für die Partei, für das Vaterland, die Symbole der Revolution reserviert war. Es sind insbesondere die Schriftstellerinnen, die sich dieses Themas annehmen und mit ihrer Kritik am patriarchalischen Gesellschaftssystem eine »Frauenliteratur«718 begründen. So umstritten und ungeliebt diese Bezeichnung bis heute auch geblieben ist, sie hat doch etwas für sich: chinesische Frauen gewichten anders. Die vermeintlich kleinen Dinge sind für sie wichtig. Auch in ihnen zeige sich das Politische. Mit diesen Worten hat Ru Zhijuan einmal die Kritik an ihren Erzählungen zurückgewiesen, die sich vermeintlich nur unwichtigen Angelegenheiten wie Haushaltsdingen widmeten. Auch wenn 718

Einen brauchbaren Überblick über die chinesische Frauenliteratur seit 1979 geben LYDIA H. LIU: »Invention and Intervention: The Making of a Female Traditition in Modern Chinese Literature«, in: ELLEN WIDMER u. DAVID DER-WEI WANG (Hg.): From May Fourth to June Fourth. Fiction and Film in Twentieth-Century China, Cambridge, Mass., London: Harvard UP 1993, S. 194– 220; JINGYUAN ZHANG: »Breaking Open. Chinese Women’s Writing in the Late 1980s and 1990s«, in: CHI u. WANG (Hg.): Chinese Literature in the Second Half of a Modern Century, S. 161–179.

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sich die Autorin ihre Themen durch die Tagespolitik vorschreiben läßt, so unterscheidet sie sich dennoch von ihren männlichen Kollegen durch eine als subversiv empfundene weibliche Sicht.719 Insofern wäre der Terminus »Frauenliteratur« nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar positiv zu verstehen: Frauen sehen (in bestimmten Dingen) tiefer. Das Adjektiv »subversiv« mag in diesen Ausführungen überzogen erscheinen. Verfolgt man jedoch die Reaktionen auf die Anfang der 80er Jahre aufkommende Frauenliteratur, so weiß man sehr bald um die Brisanz des von Frauen geschriebenen Wortes. Dabei stand eher die thematische Behandlung als die literarische Qualität im Vordergrund. Am offensichtlichsten ist dies im Fall der Yu Luojin (geb. 1946), die in zwei recht bekanntgewordenen autobiographischen Romanen ihre ersten beiden Ehen beschrieb, ehe sie vielgescholten 1986 nach Deutschland emigrierte und verstummte.720 Hier interessierte die internationale Leserschaft vor allem die Tragik einer chinesischen Frau. Wir können an dieser Stelle einen Bogen zu den späteren Sex-Schriftstellerinnen Mian Mian721, Wei Hui722 und Hong Ying (geb. 1962)723 719

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Vgl. hierzu vor allem BARBARA HENDRISCHKE: »Ru Zhijuan: Chinas sozialistische Revolution aus weiblicher Sicht«, in: KUBIN (Hg.): Moderne chinesische Literatur, S. 394–411. Vgl. auch die horen 138 (1985) und 156 (1989) mit kürzeren Beiträgen von und zu Ru Zhijuan. YU LUOJIN: Ein Wintermärchen [Yi ge dongtian de donghua, 1980], Übersetzung und Nachwort: MICHAEL NERLICH, Bonn: Engelhardt-Ng 1985. Zum »Fall« der Yu Luojin s. RENATE KRIEG: »Die Scheidungen der Yu Luojin«, in: MARTIN (Hg.): Cologne Workshop 1984 on Contemporary Chinese Literature, S. 338–353; MICHAEL NERLICH: »In Search of the Ideal Man: Yu Luojin’s Novel A Winter Tale«, in: GERSTLACHER u.a. (Hg.): Woman and Literature in China, S. 454–472. MIANMIAN: La la la, aus dem Chinesischen von KARIN HASSELBLATT, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2000. Als Nachdruck liegt mir die Ausgabe MIAN MIAN: Yansuan qingren [Salzsäurengeliebte,1997], Schanghai: Sanlian 2000 vor. MIAN MIAN: Deine Nacht mein Tag [Candy, 2000], aus dem Chinesischen von KARIN HASSELBLATT, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2004. Zur Autorin s. BEATE GEIST: Die »neue Menschheit« in Chinas Großstädten. Eine Untersuchung zur chinesischen Gegenwartsliteratur, Hamburg: Institut für Asienkunde 2003 (= IFA; 369), S. 66–74. WEI HUI: Shanghai Baby [Shanghai baobei, 1999], aus dem Chinesischen von KARIN HASSELBLATT, München: Ullstein 2001. Als Original liegt mir Wei Hui jingpin ji, Changchun: Shidai Wenyi 2000 vor. Zur Autorin s. GEIST: Die »neue Menschheit« in Chinas Großstädten, S. 75–80. Stellvertretend sei hier nur auf HONG YING: Die chinesische Geliebte [K, 1999], aus dem Chinesischen von MARTIN WINTER, Berlin: Aufbau 22004 verwiesen. Zur Rezeption in der Volksrepublik China s. TANG ZHESHENG: Liuxing bainian. Zhongguo liuxing xiaoshuo jingdian, Peking: Wenhua Xishu Chubanshe 2003, S. 372–375. Die chinesische Geliebte beschreibt die Liebesbegegnung der Schriftstellerin Ling Shuhua (1900–1990) mit Julian Bell, dem Neffen von Virginia Woolf. Zum Werk der Ling Shuhua s. MEIHUA GOATKOEI LANG-TAN: Begegnungen mit Anton Tschechow […]. Eine Motiv- und Stiluntersuchung […], Heidelberg: Verlag Heidelberger Hochschulservice 22004; REY CHOW: »Virtuous Transaction: A Reading of Three Stories by Ling Shuhua«, in: TANI E. BARLOW: Gender Politics in Modern China. Writing and Feminism, Durham u. London: Duke UP 1993, S. 90–105; DON HOLOCH: »Everyday Feudalism. The Sub-

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schlagen, die seit Ende der 90er Jahre eher durch Beschreibung der sexuellen Nöte einer chinesischen Frau als durch ein erzählerisches Können auf sich aufmerksam machen. Diesen dreien geht auf Taiwan die auf Skandale erpichte Li Ang (geb. 1952) voraus, die allerdings mit dem Roman Gattenmord (Shafu, 1983)724 ein großes literarisches Talent zu erkennen gegeben hat. Im Gegensatz zu diesen vier Vertreterinnen einer Körperschreibe (shenti xiezuo), welche die Frau bevorzugt von ihrem Geschlecht her definiert, geht es Schriftstellerinnen wie Zhang Jie (geb. 1937)725, Zhang Xinxin oder Zhang Kangkang nicht um Sex, sondern um Liebe, oftmals eine platonische Liebe. Auslöser für diesen Trend war die eher unbedarfte Kurzgeschichte »Vergeßt die Liebe nicht« (»Ai, shi bu neng wangji de«, 1979)726, die einen Begriffswandel anzeigt. Liebe wird von der in der Volksrepublik üblichen Praxis einer Ehe ohne Liebe unterschieden und als höchstes Ideal angesetzt. Es geht für eine Frau darum, nicht in einen »Tausch« einzuwilligen, sondern auf den Ruf des wahren Partners zu warten. Dies kann, wenn der andere gebunden ist, zu einer Liebe auf Distanz führen, aber trotzdem dem Leben seinen eigentlichen Sinn geben. Ganz im Sinne der Frauengestalten bei Ibsen geht es nicht nur den Protagonistinnen bei Zhang Jie, sondern auch denen bei Zhang Kangkang727,

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versive Stories of Ling Shuhua«, in: GERSTLACHER u.a. (Hg.): Woman and Literature in China, S. 379–393. LI ANG: Gattenmord, aus dem Chinesischen von UDO HOFFMANN u. CHANG HSIEN-CHEN, mit einem Nachwort von HELMUT MARTIN, Köln: Diederichs 1987. Zur Autorin und zum Werk s. u.a. SYLVIA DELL: Chinesische Gegenwartsliteratur aus Taiwan. Die Autorin Li Ang: Erzählprosa und Rezeption bis 1984, Bochum: Brockmeyer 1988 (= Chinathemen; 32); SABINE BURKARD: Entwürfe weiblicher Identität. Eine Analyse der Erzählungen von Li Ang, Bochum: Brockmeyer 1993 (= Chinathemen; 75); SHEUNG-YUEN DAISY NG: »Feminism in the Chinese Context: Li Ang’s The Butcher’s Wife«, in: TANI E. BARLOW (Hg.): Gender Politics in Modern China. Writing & Feminism, Durham u. London: Duke UP 1993, S. 266–289; ROSEMARY HADDON: »From Pulp to Politics: Aspects of Topicality in Fiction by Li Ang«, in: Modern Chinese Literature and Culture 13.1 (2001), S. 36–72; YING-CHIAO LIN: »The Dark Persephone Myth in Li Ang’s The Butcher’s Wife«, in: Tamkang Review XXXIV/2 (Winter 2003), S. 95– 111. Ich habe über diese Schriftstellerin bereits soviel geschrieben, daß ich mich hier nicht wiederholen möchte, s. meinen Beitrag für ARNOLD (Hg.): KlfG. Zur Deutung ihres Frühwerkes s. HÄSE: Einzug in die Ambivalenz, S. 236–240; zur Deutung ihres Spätwerkes s. EVA MÜLLER: »Die Schriftstellerin Zhang Jie: Vom großen politischen Roman zum weiblichen Psychogramm«, in: NEDER u.a. (Hg.): China in seinen biographischen Dimensionen, S. 167–175. Vielfach auch ins Deutsche übersetzt, s. ZHANG KANGKANG u. ZHANG JIE: Das Recht auf Liebe. Drei chinesische Erzählungen, übersetzt u. eingeleitet von CLAUDIA MAGIERA, München: Simon & Magiera 1982, S. 89–115 (»Liebe ist unvergeßlich«). Zum Original s. ZHANG JIE: Ai, shi bu neng wangji de, Kanton: Huacheng 1980, S. 102–122. Zur Deutung s. FARQUHAR: Appetites, S. 177–190, 201–207; MICHAEL YETMAN u. ZHAO HEPING: »Love and the Collective: Social and Psychological Marginalization in Zhang Jie’s Love Must Not Be Forgotten«, in: Tamkang Review XXXIV/2 (Winter 2003), S. 113–138. Vgl. hierzu Anm. 654 (Das Nordlicht).

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Zhang Xinxin (geb. 1953)728, Wang Anyi und Tie Ning (geb. 1957)729 um das Wunderbare, das sich ereignen möge, es geht um ein Innenbild, um den Märchenprinzen. Doch sowohl Zhang Jie als auch Zhang Xinxin zeigen, wie schnell eine solche Erwartungshaltung einem schnöden Alltag weichen kann. Beispielhaft ist in diesem Fall die Novelle Die Arche (Fangzhou, 1981)730 von Zhang Jie, eine Art feministisches Manifest, dessen Motto »Weil du eine Frau bist, wird dein Leid unermeßlich sein« das Leiden der Frauen an der Welt wie ein Naturgesetz geschlechtsspezifisch festschreibt. Eine Wohngemeinschaft von drei Frauen dient der Erzählerin als Modell zur Exemplifizierung von feministischen Thesen, die nicht unbedingt gänzlich neu sind. Daß allein das Geschlecht das Leben einer Frau bestimmt, daß nur Frauen und nicht Männer Frauen verstehen können, hat schon Ding Ling in ihrem Frühwerk formuliert. Neu für die chinesische Literatur sind vielleicht eher die Prononcierung einer Geschlechterkluft zwischen Mann und Frau sowie die Frage nach dem weiblichen Selbstwertgefühl. Ersteres legt den Abschied der Frau vom Mann nahe, letzteres berührt das Problem weiblicher Identität. Für den Mann ist die Identität durch die Gesellschaft vorgegeben. Er muß sie selten hinterfragen wie etwa Zhang Siyuan in Wang Mengs Novelle »Der Schmetterling«. Weibliche Identität scheint zwar ebenfalls festgelegt zu sein, nämlich durch Ehe, Beruf und Familie, doch entwickelt die Frau in diesen Bereichen anscheinend kein Selbstwertgefühl, weil ihr ihre Rolle vorher728

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Da die einst zu großen Hoffnungen Anlaß gebende Autorin seit ihrer Übersiedlung in die USA (1989) verstummt ist, sei nur auf meinen ausführlichen Beitrag zu ihr in: ARNOLD (Hg.): KlfG verwiesen sowie auf die seinerzeit sehr wichtigen Werke in deutscher Übersetzung: ZHANG XINXIN: Traum unserer Generation [Women zhege nianji de meng, 1982], aus dem Chinesischen mit einer literarischen Betrachtung von GAOTKOEI LANG-TAN, Bonn: Engelhardt-Ng 1986; ZHANG XINXIN: Am gleichen Horizont [Zai tongyi dipingxian shang, 1981], aus dem Chinesischen von MARIE-LUISE BEPPLER-LIE, Bonn: Engelhardt-Ng 1987; ZHANG XINXIN u. SANG YE: Eine Welt voller Farben [Beijingren], hg. von EVA MÜLLER, Berlin: Aufbau 1987. An Originalausgaben liegen mir vor: Zhang Xinxin daibiaozuo, Zhengzhou: Huanghe Wenyi 1988; Zhang Xinxin xiaoshuo xuan, Hefei: Beifang Wenyi 1985; ZHANG XINXIN u. SANG YE: Beijingren, Schanghai: Shanghai Wenyi 1986. Zur Deutung ihres Werkes s. auch HÄSE: Einzug in die Ambivalenz, S. 247–262. Ihr bekanntestes Werk, die Kurzgeschichte »Der Zug« [»O, Xiangxue«, eig. »Oh, duftiger Schnee«, 1982], übersetzt von G. u. B. JORDAN, in: Temperamente 3 (1985), behandelt das Thema von Dorfschönheiten, die sich jeden Tag feinmachen, um auf das wunderbare Ereignis der Ankunft eines Zuges vorbereitet zu sein. Zum Original s. Tie Ning xiaoshuo ji, Shijiazhuang: Huashan Wenyi 1985, S. 128–141. Zum Entwicklungsgang der Autorin s. u.a. CAROLA VOß: »Der Beitrag der Schriftstellerin Tie Ning zur zeitgenössischen Literatur von Frauen«, in: CHENG YING u.a. (Hg.): Frauenstudien. Beiträge der Berliner China-Tagung 1991, München: Minerva 1992 (= Berliner China-Studien; 20), S. 265–272. Zu einer englischsprachigen Ausgabe ihrer Erzählungen s. TIE NING: Haystacks, Peking: Panda 1990. Vgl. auch die Anmerkungen 729 und 741. ZHANG JIE: Die Arche, aus dem Chinesischen von NELLY MA, München: Frauenoffensive 1985; ZHANG JIE: Fangzhou [Die Arche], Peking: Beijing 1983, S. 1–137.

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bestimmt ist, ohne daß sie sich mit dieser Rolle identifizieren kann. Ihr Aufbegehren stellt daher zwangsläufig das gesellschaftliche System in Frage. Eine Frauengemeinschaft als Arche signalisiert überdies den Untergang der alten männlichen Ordnung und die Hoffnung auf ein neues Menschengeschlecht, welches durch die Frau garantiert wird. Dies klingt alles sehr programmatisch. Doch der seinerzeitige Erfolg der Novelle dürfte sich gerade deren plakativem Charakter verdanken. Das schmälert nicht die anhaltende Bedeutung vieler Gedanken. So etwa die folgenden Ausführungen aus weiblichem Mund zum genannten Thema weiblichen Selbstwertgefühls:731 Es geht um das Recht von uns Frauen! Auf wie viel habe ich verzichtet, um es mir zu erkämpfen. Und wie viele Frauen kämpfen noch immer dafür. Unsere Emanzipation bedeutet mehr als ökonomische und politische Befreiung, sie verlangt, daß Frauen sich selbst und die Gesellschaft begreifen lernen, daß sie eine richtige Vorstellung vom Sinn und Wert ihrer Existenz haben. Frauen sind keine Sexobjekte, sondern Menschen! Aber manche Leute wollen das nicht einsehen, selbst manche Frauen leben nur dafür, den Männern zu gefallen. Das ist Sklaverei! Überreste eines rückständigen Bewußtseins!

Zhang Jie ist eine vielseitige Autorin, die zwar ein (von ihr geleugnetes) feministisches Anliegen hat, auf dieses aber nicht reduziert werden kann. Sie hat zum Beispiel wesentlich zur Reformliteratur732 beigetragen, sie hat weiter die Ästhetik des Häßlichen, von der noch die Rede sein wird, schonungslos auf Mann und Frau übertragen, und sie hat auch sonst internationale Trends wie eine Literatur über Vater und Mutter nach China gebracht.733 Ihr Werk hat etwas Verstörendes, das nicht einmal vor der Kritik am eigenen Geschlecht Halt macht. Zhang Jie hat nicht nur die durch patriarchalische Strukturen aufgezwungene Sprachlosigkeit der Frauen gesehen, sondern auch das selbstzerstörerische Wesen ihrer Geschlechtsgenossinnen problematisiert. Die Frau ist sich selbst der größte Feind, so hat sie die Erzählerin in ihrem Fortsetzungsroman Wortlos (Wuzi) befinden lassen.734 731 732

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ZHANG JIE: Die Arche, S. 166; ZHANG JIE: Fangzhou, S. 123f. ZHANG JIE: Schwere Flügel, aus dem Chinesischen von MICHAEL KAHN-ACKERMANN, München: Hanser 21985; ZHANG JIE: Chenzhong de chibang, Peking: Renmin Wenxue 1981. Zu diesem vielleicht bekanntesten Stück Reformliteratur (der Hanserverlag brachte bereits 1987 die siebte Auflage heraus) vgl. auch ZHANG JIE: Solange nichts passiert, geschieht auch nichts. Satiren, aus dem Chinesischen von MICHAEL KAHN-ACKERMANN, München: Hanser 1987. Diese sehr gelungenen Satiren haben ebenfalls die frühe Reformphase zu ihrem Gegenstand. ZHANG JIE: Abschied von der Mutter [Shijie shang zui teng wo de nage ren qu le, 1994], aus dem Chinesischen von EVA MÜLLER, Berlin: Unionsverlag 2000 verbindet beide letztgenannten Tendenzen. ZHANG JIE: Wuzi, Schanghai: Shanghai Wenyi 1998, S. 103; vgl. auch Anm. 725.

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Zhang Jie teilt diese Sicht mit vielen Autorinnen in China. Hier steht selbstverständlich Zhang Ailing mit ihrer Zeichnung abnormer weiblicher Psyche Pate. Der Einfluß dieser Ahnherrin auf die gegenwärtige Frauenliteratur in China ist vermutlich größer als bisher angenommen. Er scheint gar bis in die Titel einzelner Erzählwerke zu reichen. Man denke einmal an die drei recht bekannten Novellen »Liebe im Schatten des Berges« (»Huangshan zhi lian«, 1986), »Kleinstadtliebe« (»Xiao chengshi zhi lian«) und »Liebe im verwunschenen Tal« (»Jinxiugu zhi lian«, 1987) von der Schanghaier Autorin Wang Anyi, der Tochter von Ru Zhijuan.735 Das Vorbild ist eindeutig »Liebe in einer gefallenen Stadt« (»Qingcheng zhi lian«). Und auch das Muster von Wang Anyis Erzählweise verdankt sehr viel Zhang Ailings Entwurf weiblicher deformierter Psyche. Vielleicht stand Schanghai Pate, das in beiden Fällen Hintergrund von Leben und Werk ist. Zwar kommen in Wang Anyi viele verschiedene literarische Strömungen und Einflüsse zusammen, so daß sie nicht auf eine einzige Richtung festgelegt werden kann, doch scheint ihr vordergründiges Thema die weibliche Sexualität zu sein. Was eine gerechte Beurteilung ihres äußerst umfangreichen Werkes erschwert, ist die Tatsache, daß die Autorin bislang nicht müde wurde, ihr Schreiben als autobiographisch auszulegen. Im einzelnen Fall werden selbst von der Literaturkritik konkrete Namen als Vorbild für die eine oder andere Gestaltung eines Liebhabers genannt. Möchte man dieses wirklich wissen? Der vielgegebene Hinweis, daß Zhang Xianliang als Geliebter in »Liebe im verwunschenen Tal« wiederzuerkennen ist, dürfte einem hiesigen Leser eher gleichgültig sein. Ein solcher Verweis mag eher den Zweifel nähren, ob einem solchen Schriftsteller mit seinen verqueren Frauenbildern überhaupt eine überraschende Seite abzugewinnen ist. Die Crux dieser Erzählung liegt jedoch nicht hier, sondern in der Erzählhaltung. Wenn in diesem Fall wie auch in den beiden anderen genannten Erzählungen Erzähler(in) und (weibliches) Ich in ihren Urteilen und Einschätzungen nicht zu trennen sind, dann muß die Novelle als mißlungen gelten. Und eben dies ist die These von Bonnie McDougall, die gar die Auffassung vertritt, es handele sich hier um Lobbyliteratur.736 Die beiden Protagonisten, zwei Schreibende, würben in erster Linie für die Sache des Intellektuellen. Wie dem auch sein mag, der Narzißmus der Protagonistin 735

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WANG ANYI: Kleine Lieben, aus dem Chinesischen von KARIN HASSELBLATT, München: Hanser 1988. Zum Original s. WANG ANYI: Huangshan zhi lian [eig. »Liebe am Kahlenberg«], Hongkong: South China Press 1988. Diese Ausgabe enthält die drei genannten Erzählungen. Zur Autorin ist soviel geschrieben und von ihren Werken soviel (auch ins Deutsche) übersetzt worden, daß der Einfachheit halber auf meinen Beitrag in ARNOLD (Hg.): KlfG verwiesen sei. An neuerer Literatur ist lediglich aufmerksam zu machen auf ULRIKE SOLMECKE: Zwischen äußerer und innerer Welt. Erzählprosa der chinesischen Autorin Wang Anyi 1980–1990, Dortmund: projekt verlag 1995 (= edition cathay; 7); KATHLEEN WITTEK: Wang Anyi zwischen Fiktion und Autobiographie, Bochum: cathay skripten 15 (1999); HÄSE: Einzug in die Ambivalenz; S. 86– 95. Die Autorin hat übrigens Deutschland vielfach besucht und dabei besonders Lübeck in ihr Herz geschlossen, s. WANG ANYI: Lü De de gushi, o.O: Jiangsu Wenyi 1990. MCDOUGALL: Fictional Authors, Imaginary Audiences, S. 63–64, 95–113.

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paßt eher zum Erzählmuster der Autorin. Diese entwirft immer wieder in ihren Geschichten und ihrer Geschichte weiblicher Vorstellungswelt eine Art kollektiver weiblicher Sehnsucht nach dem plötzlichen Einbruch des Wunderbaren in eine alltägliche und langweilige Welt, die Sehnsucht nach einer Veränderung durch die Liebe. Die Beziehung von Mann und Frau ist jedoch immer, kaum daß sie an ihr hohes Ziel gelangt ist, dazu verurteilt, vom erhabenen Ideal in schieren Horror umzuschlagen: Ob Selbstqual oder Terrorisierung des Partners, der Geschlechterkampf oder der Kampf gegen sich selbst endet stets mit einer Niederlage. Wang Anyi schreibt manisch, sie schreibt pausenlos. Niemand hat seit 1979 soviel an ernstzunehmender Literatur produziert wie sie. Und da sie letzten Endes immer dasselbe schreibt, scheint sie sich von einem Trauma freischreiben zu müssen. Schreiben sei für sie eine Therapie, so bekannte sie einmal.737 Etwas Ähnliches gilt auch für Zhai Yongming738, der es jedoch im Unterschied zu Erzählerinnen wie Chen Ran (geb. 1962)739 oder Lin Bai (geb. 1958)740 gelungen ist, sich durch den Akt des Schreibens aus dem Kokon weiblichen Selbstbezuges741 zu befreien. Auch sie hat ihr Werk unter dem Eindruck eines Traumas begonnen, geht heute aber neue Wege. Mochte sie auch noch während ihres Berliner Aufenthaltes (2000) dieses, ohne konkret zu werden, benennen, so hat sie dennoch immer wieder auf die für sie bestehende Notwendigkeit verwiesen, weniger schreiben zu müssen, um sich nicht zu wiederholen. Das Schreiben diente ihr also spätestens da nicht mehr zu therapeutischen Zwecken. Auch wenn Zhai Yongming die Nacht und den Abgrund in ihrer frühen 737 738

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So zu mir im Gespräch am 23. März 2004 in Schanghai. Ich habe über diese Dichterin bereits soviel geschrieben, daß der Einfachheit halber auf den umfassenden Beitrag von Shen Yong Miklitz in ARNOLD (Hg.): KlfG verwiesen sei. An neuerer Literatur sei lediglich meine Notiz »Das Glück des Gedichts. Zur chinesischen Dichterin Zhai Yongming«, in: Orientierungen 1/2004, S. 96–103 erwähnt. Auf deutsch liegt bislang von der Autorin nur eine Übersetzung vor: CHEN RAN: »Die Krankheit des Jahrhunderts (Shiji bing, 1986)«, aus dem Chinesischen von MICHAELA HERRMANN, in: minima sinica 2/1989, S. 91–109. Zur Deutung s. HÄSE: Einzug in die Ambivalenz, S. 145– 153. Auf englisch liegt vor RAN CHEN: A Private Life, übersetzt von JOHN HOWARD-GIBBON, New York: Columbia UP 2004. Zum Original des beachtlich geschriebenen Romans s. CHEN RAN: Siren shenghuo, Peking: Zuojia 2004. Zum Einfluß von Kafka auf diesen Roman s. KATHLEEN WITTEK: »Chen Ran und Kafka – eine unilaterale freundschaftliche Beziehung«, in: LEUTNER u. DAMM: Chinesische Literatur, S. 64–69. Zur Deutung des Werkes der Autorin s. WENDY LARSON: »Women and the Discourse of Desire in Postrevolutionary China: The Akward Postmodernism of Chen Ran«, in: ARIF DIRLIK u. XUDONG ZHANG: Postmodernism & China, Durham u. London: Duke UP 2000, S. 337–357. Zur Autorin s. KATHRIN ENSINGER: Leben und Fiktion. Autobiographisches im erzählerischen Werk der chinesischen Autorin Lin Bai, Münster: LIT 1999 (= Berliner China-Studien; 36). Die Literaturkritik spricht hier gern von weiblicher Privatheit als Tendenz der 90er Jahre, s. CHEN XIAOMING: »The Extrication of Memory in Tie Ning’s Woman Showering: Privacy and the Trap of History«, in: BONNIE S. MCDOUGALL u. ANDERS HANSSON (Hg.): Chinese Concepts of Privacy, Leiden: Brill 2002, S. 195–208.

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Poetik als weibliches Bewußtsein ausgegeben hat, so war ihr doch auch ein reflexives Moment zu eigen. Am Ende des Zyklus »Frauen« stellt sie die verblüffende Frage »Was kommt nach dem Ende?«, nämlich nach dem Ende des Schreibens. Diese Frage steht am Schluß des Zyklus »Frauen«, in ihr klingt die Befürchtung an, bereits jetzt schon »ausgeschrieben« zu sein:742 Was kommt nach dem Ende? Am Morgen danach halte ich mein Geschöpf in den Lüften, kehre wieder ins erste Zentrum zurück, wie ein Baum, der Blut bezieht aus seinem Grund, steige ich empor, und ich rufe nun, sehend mit neuen Augen, zum Himmel: Was kommt nach dem Ende? Schaut, wendet nicht euer Gesicht! Sieben Tage wurden eine Woche und folgten mir. Gelungene Träume horten neue Träume um mich ohne Zahl, da ist unerklärlich eine Not, die sich anschickt und von neuem am Himmel steht: Was kommt nach dem Ende? Beharrlich ist sie, ihr Echo gleicht einem vertrauten Weg. Alle Kraft zielt in die tödliche Ferse, da ich nicht mehr weiß: Was kommt nach dem Ende? Doch in den Lüften ist unstreitig eine andere Stimme. Natürlich ist es nur die letzte, die unbeantwortbare Frage: Was kommt nach dem Ende? Mich schert mein Geheimnis nicht mehr, ein Fötus durchsichtiger noch, er ist wie die Klage des Oktobers. Ich erwarte unablässig das Ende, ihr aber seid wortlos geduldig. Eine Eingebung heißt mich, die Richtung der Nacht innig zu schauen. Den ganzen Winter habe ich leise gefragt und unergründlich gelächelt: Wer kann mir sagen, was kommt nach dem Ende?

Nicht erst bei Zhai Yongming werden aus den guten »Töchtern der Partei« die »gebrechlichen Töchter«. Ob Autorin oder Protagonistin, der Wunsch nach einer starken (männlichen) Schulter ist bei vielen um Emanzipation bemühten Frauen unüberhörbar. Es ist diese Widersprüchlichkeit, welche den Wunsch nach Selbstverwirklichung von innen her gefährdet. Eine größere Gefahr stellt jedoch die reine Selbstliebe dar, oftmals veranschaulicht im Bild einer vor ihrem Spiegelbild sitzenden Heldin, die nur noch mit sich selber spricht. Zhang Jies, Wang Anyis und Zhai Yongmings These von den selbstzerstörerischen Kräften einer Frau ist als Warnung verklungen. Das Morbide 742

ZHAI: Kaffeehauslieder, S. 30; ZHAI YONGMING: Cheng zhi wei yiqie, S. 27f.

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hat im ausgehenden 20. Jahrhundert Konjunktur. Das Werk von Franz Kafka743 hat dabei auch mancher Schriftstellerin als Wegweiser gedient. Man denke nur an Can Xue (geb. 1953)744, Liu Suola (geb. 1955)745 oder Pi Pi (geb. 1963)746.

4.2.4 Die Reformliteratur Es wird der werten Leserschaft nicht entgangen sein, daß mit immer größerer Annäherung an die Gegenwart die Kommentare des Verfassers immer knapper ausfallen und manche Autoren und manche Werke in die Fußnote abwandern. Die Gegenwart erlaubt nämlich keine besondere Distanz, ein endgültiges Urteil fällt daher oft schwer. Überdies haben die letzten Jahre auf ganz natürlichem Wege auch manche Umwertung ergeben. Nicht jedem war das Schreiben ein wirklich ernstes Geschäft, manche mögen es nur aus Therapiegründen oder aus Zeitvertreib betrieben und sogleich wieder aufgegeben haben, als eine veränderte Lebenssituation eine seelische oder materielle Neuausrichtung möglich machte. Die literarischen Eintagsfliegen stellen nicht das eigentliche Problem einer Geschichte der chinesischen Literatur im 20. Jahrhundert dar, vielmehr ist die gerechte Einschätzung von Autoren problematisch, die ihr literarisches Können immer noch in den Dienst der Politik zu stellen bereit sind. Dies gilt 743

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Zum Einfluß von Kafka in China ist viel geschrieben worden. Zu einer neuerlichen Publikation s. WEIDONG REN: Kafka in China. Rezeptionsgeschichte eines Klassikers der Moderne, Frankfurt u.a.: Peter Lang 2002. Die Autorin, bekannt für ihre surrealistische Schreibweise, ist vielfach – auch ins Deutsche – übersetzt worden, s. u.a. CAN XUE: Dialoge im Paradies, aus dem Chinesischen und mit einem Vorwort von WOLF BAUS, Dortmund: projekt verlag 1996 (= arcus chinatexte; 10); CAN XUE: Dialogues in Paradise, übersetzt von RONALD R. JANSSEN u. JIAN ZHANG, Evanston, Ill.: Northwestern UP 1989; CAN XUE: Old Floating Clouds. Two Novellas, übersetzt von RONALD R. JANSSEN u. JIAN ZHANG, mit einem Vorwort von CHARLOTTE INNES, Evanston, Ill.: Northwestern UP 1991. Zu ihrem Werk s. XIAOBIN YANG: The Chinese Postmodern. Trauma and Irony in Chinese Avantgarde-Fiction, Ann Arbor: University of Michigan Press 2002, S. 74–92, 129–149; JIANGUO CHEN: »The Aesthetics of the Transposition of Reality, Dream, and Mirror: A Comparative Perspective on Can Xue«, in: Comparative Literature Studies 34.4 (1997), S. 348–375; LU TONGLIN: Misogyny, Cultural Nihilism, & Oppositional Politics. Contemporary Chinese Experimental Fiction, Stanford: Stanford UP 1955, S. 75–103; JON SOLOMON: »Taking Tiger Mountain: Can Xue’s Resistance and Cultural Critique«, in: BARLOW: Gender Politics in Modern China, S. 238–265; ANNE WEDELL-WEDELLSBORG: »Ambiguous Subjectivity: Reading Can Xue«, in: Modern Chinese Literature 8.1&2 (Frühling/Herbst 1994), S. 7–20. Zur Autorin, die heute in Hongkong lebt und schon lange nicht mehr schreibt, s. HÄSE: Einzug in die Ambivalenz, S. 210–218. Die Autorin, die sich nach Pippi Langstrumpf ihr Pseudonym gewählt hat, nennt sich in Deutschland, wo sie sich verschiedentlich aufgehalten hat, bürgerlich Feng Li. Für 2004/ 05 ist ihr ein Stipendium vom DAAD für Berlin zugesprochen worden. Sie ist auch als Übersetzerin deutscher Kinderliteratur und als erfolgreiche Drehbuchautorin hervorgetreten. Zu ihrem Werk s. HÄSE: Einzug in die Ambivalenz, S. 153–160, 168–174, 240–246; s. Hefte für Ostasiatische Literatur 37 (2004), S. 52–87.

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insbesondere für die Reformliteratur, auf die wir beispielhaft zurückkommen wollen. Parallel zur Kampagne wider »die geistige Verschmutzung«, das heißt konkret wider die Frauenliteratur und wider den Modernismus, hatte die genannte Richtung ihren Höhepunkt 1983/84. Auch wenn ihre Repräsentanten kein Sprachrohr der Partei, sondern eher der Mund des Volkes sein wollten, so waren sie wenn nicht kritische, so doch enthusiastische Kommentatoren einer gesellschaftlichen Entwicklung, welche die wirtschaftliche Eigenverantwortlichkeit auf dem Land und in der Stadt befördern half. Das vielleicht beste Werk in dieser Hinsicht ist die Erzählung »Li Shunda baut ein Haus« (»Li Shunda zao wu«) von Gao Xiaosheng (1928–1999)747, die – bereits im März 1979 abgeschlossen – ganz am Anfang der Reformliteratur steht, ja, vielleicht gar nicht einmal zu ihr gehört, da sie nach ihrem Rückblick auf dreißig Jahre vergeblichen Häuserbaus den Beginn der Reformperiode nur streift. Man sieht hier einmal mehr, wie unbefriedigend die Zuordnungspraxis der chinesischen Literaturwissenschaft ist. Andererseits paßt dieses Werk auch nicht so recht zur Literatur der Vergangenheitsbewältigung. Der zeitliche Rahmen von gut drei Jahrzehnten erfüllt zwar die Kriterien der fansi wenxue, aber ihr Humor gibt dem so gern beklagten Leid keinen Raum. Betrachten wir die Erzählung von ihrem Ende her, so scheint dank Reformpolitik der langersehnte Hausbau eines Bauern von Erfolg gekrönt zu sein. Damit stände der Erzähler voll auf der Seite der neuen Politik. Der Schluß der Erzählung ist aber nicht so eindeutig optimistisch zu deuten. Er ist in gewisser Hinsicht offen, denn die Lieferung des für den Hausbau notwendigen Materials ist nur durch die übliche Praxis der kleinen Geschenke, sprich Bestechung, möglich. Wer weiß, was für Unannehmlichkeiten noch auf Li Shunda warten. Sollte man nicht wie im Falle von Lao Shes Theaterstück Das Teehaus hier auch annehmen, daß die neue Zeit Probleme mit sich bringt, welche das von der Partei so gern propagierte Glück schal erscheinen lassen? In sprachlicher Hinsicht stellt die Erzählung eine raffinierte Verarbeitung maoistischer Zitate dar, wie wir das später noch bei Wang Shuo (geb. 1958) erleben werden. Li Shunda ist ein Mitläufer (gen'genpai), er ist das, was man im Deutschen einen »braven Schluffen« nennt. Er ist in jeder Kampagne dabei, er ist in jeder Kampagne der Leidtragende, aber er glaubt an die Versprechungen des Sozialismus und an den Bau seines Hauses. Was hier verhandelt wird, ist natürlich das Haus des Sozialismus, das zu bauen ist, und was ist dieses Haus anderes als das Haus des Neuen China, ein Haus, das sich zu guter Letzt doch bauen läßt? Der Bau eines Hauses ist ein allgemeiner Topos, der oben bereits angesprochen worden ist. Er zieht sich – reich bebildert – durch die gesamte Erzählung hindurch. Ob Boot, Sarg, Strohhütte, Schweinekoben, Rinderstall, Gefängnis oder schließlich 747

Gao Xiaosheng daibiaozuo, Zhengzhou: Huanghe Wenyi 1987, S. 3–24. Auf deutsch liegen zwei Übersetzungen vor: ANDREAS DONATH (Hg.): Die Drachenschnur. Geschichten aus dem chinesischen Alltag, Darmstadt u. Neuwied 1981, S. 183–218, und ZIMMER: Kriegsgott Guanggong, S. 163–186. Zur Interpretation s. FEUERWERKER: Ideology, Power, Text, S. 156–163.

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Ziegelhaus, es geht immer um die Behaustheit des Menschen in einer Welt der Unsicherheit. Unsicher sind nicht nur die Zeiten, unsicher ist auch die Sprache, da sie sich mit jeder politischen Richtung ändert. Was heute gern angenommen wird, wird morgen böse ausgelegt. So zeichnet der Erzähler Li Shunda sein Ideal eines Hausbaus (d.h. des Aufbaus des Sozialismus) zur Zeit der Bodenreform:748 Wenn ein armer Mensch sich nach der Bodenreform das Kampfziel setzte, ein Haus mit drei Räumen zu bauen, so konnte man vielleicht annehmen, daß seine Urteilskraft und sein Wille verschwommen und undeutlich waren. Doch Li Shun-da vertraute auf die Unterstützung der Partei und die Unterstützung der Volksregierung. Das brachte ihn erst dazu, diesen unbeugsamen Entschluß zu fassen und alles daranzusetzen, die Realität zu verändern. So beschloß er, der Kommunistischen Partei mit aufrichtigem Herzen bis ans Ende zu folgen. Und sein Verhalten bis zum heutigen Tag ist der beste Beweis für diese Einstellung. Den Sozialismus aufbauen, hieß nach Li Shun-das Auffassung: »Erdgeschoß, erster Stock, Elektrizität und Telefon.« Das Wichtigste war dabei der Hausbau. Allerdings nahm er an, daß ein mehrstöckiges Haus nicht so gut wäre wie ein eingeschossiges mit zwei Räumen. Er wollte also gar nicht »Erdgeschoß, erster Stock«, er wollte nur ein eingeschossiges Haus, aber er wußte nicht, ob das noch zum Sozialismus gerechnet wurde. Was die Elektrizität betraf, so stimmte er zu. Ein Telefon brauchte er dagegen nicht. Er hatte keine Freunde oder Verwandte, mit denen er telefonieren könnte. Wozu dann ein Telefon? Das Kind könnte es kaputtmachen, und für die Reparatur müßte Geld ausgegeben werden, das die Familie für wichtigere Ausgaben brauchen konnte. Alle diese Gedanken sprach er öffentlich aus, und es gab niemanden, der daran zweifelte.

Zur Zeit der Kulturrevolution jedoch gelten seine Worte »Ein mehrstöckiges Haus ist nicht so gut wie ein eingeschossiges« und »Wenn das Telefon kaputt ist, kann man es nicht mehr reparieren« als »bösartige Angriffe auf den Sozialismus«. Gao Xiaosheng, der als »Rechtsabweichler« lange unter den Bauern gelebt hat, hat mit Li Shunda ein neues Bild vom chinesischen Bauern geschaffen. Dies ist ihm noch mehr mit dem Protagonisten Chen Huansheng seit 1980 gelungen.749 Wenn ich sage »neues Bild«, so ist damit gemeint, daß ihm die Leute auf dem Land nicht zur Illustrierung der maoistischen Lehre dienen. Er möchte den Bauern über die eigenen Schwächen wie Stärken belehren und ihn zum wahren »Herrn des Landes« (guojia de zhuren) machen. Dies klingt alles noch vertraut politisch, doch gelingt es Gao Xiaosheng, liebenswerte Charaktere zu schaffen, mit denen man gerne lacht. Bitternis 748 749

DONATH: Die Drachenschnur, S. 187f., vgl. S. 200; Gao Xiaosheng daibiaozuo, S. 5f., vgl. S. 13. GAO XIAOSHENG: Geschichten von Chen Huansheng, aus dem Chinesischen und mit einem Vorwort von EIKE ZSCHACKE, Göttingen: Lamuv 1988. Zum Original s. die entsprechenden Erzählungen in Gao Xiaosheng daibiaozuo; zur Interpretation s. FEUERWERKER: Ideology, Power, Text, S. 163–173; zu weiteren Übersetzungen aus dem Werk des Autors s. GAO XIAOSHENG: The Broken Betrothal, Peking: Panda 1987.

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scheint dem Autor fremd zu sein. Der allwissende, chronologisch verfahrende Erzähler kleidet die Tragödien der Zeit und die Unzulänglichkeiten des Menschen in eine leichte Ironie. Wer nicht zwischen den Zeilen zu lesen vermag, wird sich politisch nicht brüskiert fühlen. Nur so läßt sich wohl die so frühe Publikation einer kritischen Lesart der chinesischen Revolutionsgeschichte erklären. Bei der Gestaltung von Bauern greift Gao Xiaosheng gern auf Ansichten zurück, die schon Lu Xun in die chinesische Literatur eingebracht hat. So ist Li Shunda für ihn das Beispiel chinesischer Sklavenmentalität, und Chen Huansheng läßt sich dank seines Hangs zu psychologischen Siegen als Nachkomme des Herrn Jedermann (A Q) verstehen. Sozialismus, das ist für Li Shunda »Erdgeschoß, erster Stock, Elektrizität und Telefon« (loushang louxia, diandeng dianhua), mehr nicht. Ganz so, wie es ein Slogan der Partei zu Beginn der 50er Jahre besagte. Eine rein materielle Angelegenheit also. Daran hat sich auch am Vorabend der Reformen für ihn nichts geändert. Von politischen Rechten ist keine Rede! Man muß diese naive Sicht nicht als Folge totalitärer Herrschaft verstehen, vielleicht war die Erwartungshaltung auf dem Lande tatsächlich nie höher, aber die Ambivalenz des Erzählers sollte uns zu denken geben. Mit dem irgendwie offenen Schluß entläßt dieser den Leser von »Li Shunda baut ein Haus« in ein Dilemma. Wenn der Sozialismus, vom Anfang her gesehen, sich nur zum Schlechten verändern kann, dann liegt es am einzelnen, in den Läuften der Zeit zur Verbesserung der eigenen Situation an sich selber zu arbeiten. Vom Ende her betrachtet, kann Li Shunda nur auf die Idee kommen, sich – ganz im konfuzianischen Sinne – selber zu ändern, denn wer ein Haus richten will, so besagt es Die Große Lehre (Daxue), hat die eigene Persönlichkeit auszubilden.750 Mit diesen unpolitischen Schlußworten verabschiedet sich der Protagonist vom Leser. Und der Erzähler? Steht er, der alles von seinem Helden weiß, auf seiner Seite oder doch auf der Seite der Reformer mit ihren großen Versprechen? Wir müssen ihn vom Autor unterscheiden. Der Autor hat eine Botschaft, welche die zehn Jahre vor der »großen Befreiung« als Kontrast zum Lauf der Dinge nach 1949 dringend benötigt. Für ihn stellt das Jahr 1949 eine »große Befreiung« (weida de jiefang) dar, nur danach sei überhaupt an den Bau eines Hauses für Li Shunda zu denken gewesen.751 Der Erfinder von Li Shunda, der »nie seinen Glauben an die Partei verloren hat«, erweist sich in seinen Reflexionen zur Erzählung als ein treues Parteimitglied. Wir dürfen also nicht zwischen Autor und Erzähler unterscheiden und eine jeweils unterschiedliche Haltung konstruieren? Rudolf Wagner sieht das Werk trotz aller Ironie durchgängig als Lobbyliteratur im Sinne der sich ankündigenden Reformpolitik an und weist stringent dessen Einbettung in den Gründungsmythos der Volksrepublik China nach.752 Allerdings unterscheidet er nicht immer streng zwischen Autor und Erzähler. 750 751

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RICHARD WILHELM (Übers.): Li Gi. Das Buch der Sitte, Köln: Diederichs 1958, S. 46. Hierzu und zum folgenden s. GAO XIAOSHENG: Shenghuo, sikao, chuangzuo, Schanghai: Shanghai Wenyi 1986, S. 31–39. WAGNER: Inside a Service Trade, S. 431–480.

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Folgt man Wagners Interpretation, so hat sich diese Erzählung überlebt, folgt man der von Feuerwerker, so kommt ihr als kritischem Spiel mit der Sprache der Partei immer noch Aktualität zu. Vielleicht ist zwischen beiden Ansichten auch keine letzte Entscheidung möglich und nötig, denn Sprechen und Schreiben im Sozialismus bedarf der Ambivalenz, um eine abweichende Meinung in Szene setzen zu können. Ähnliches erleben wir im Falle von Lu Wenfu und seiner Novelle Der Gourmet (»Meishijia«, 1982).753 Sie klingt nach all dem geschilderten Unglück der Menschen im Sozialismus merkwürdig versöhnlich aus. Wir beobachten hier ein Phänomen, das auch für Gao Xiaosheng oder Wang Meng gilt: Die Stimme des Erzählers schwankt zwischen der »schlechten« und der »guten« Politik der Partei. Vielleicht würde man daher besser vom Über-Ich des Autors sprechen, der Parteimitglied ist und weiß, was er sagen sollte und was nicht. In jedem Fall ist die kritische Stimme des Erzählers, der sich nicht betrügen mag, spätestens am Ende einer Erzählung zurückzunehmen. Eine solche Ambivalenz kann ästhetisch Spannkraft erzeugen, aber nur wenn die jeweilige Gegenposition auch ihre Stärken hat. Dies ist jedoch für die Jahre 1949 bis 1979 selten der Fall. So gilt um so mehr die Frage, was denn von der Literatur der damaligen Jahre bleibt, die einmal in Zeiten des Umdenkens durchaus ihre Bedeutung gehabt hat. Wir kennen im vorliegenden Fall von Lu Wenfu den Rahmen zur Genüge. Am Beispiel zweier Antipoden wird mit Hilfe der chinesischen Küche das Auf und Ab der Volksrepublik China unter Mao Zedong abgesteckt. Einmal mehr steht ein Haus, hier ein Restaurant, für den Bau des Sozialismus. Die Ausführungen zum Thema Essen, das die Folie für die bekannte Vergangenheitsbewältigung abgibt, haben jedoch bis heute ihren Reiz nicht verloren. Schauen wir einmal in die Kunst der Nudelzubereitung hinein, wie sie in Suzhou, unweit von Schanghai, gepflegt wird:754 Hier muß ich wohl ein bißchen weiter ausholen, anderenfalls verstehen nur die Suzhouer – oder besser: nur die älteren Suzhouer –, was an diesen Nudeln so Besonderes war. Schon in jener Zeit gab es in der Stadt das bekannte Nudelrestaurant 753

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LU WENFU: Der Gourmet, aus dem Chinesischen u. mit einem Nachwort von ULRICH KAUTZ, Zürich: Diogenes 1993; LU WENFU: Der Gourmet, Übersetzung u. Nachwort von STEFAN HASE-BERGEN, Bochum: Brockmeyer 1992 (= Chinathemen. Serie Europäisches Projekt; IV); LU WENFU: A World of Dreams, Peking: Panda 1986, S. 121–214. Zum Original s. Lu Wenfu ji, Fuzhou: Haixia Wenyi 1986, S. 1–85, zur Interpretation s. STEFAN HASE-BERGEN: Suzhouer Miniaturen. Leben und Werk des Schriftstellers Lu Wenfu, Bochum: Brockmeyer 1990 (= Chinathemen; 53), S. 46–52; FARQUHAR: Appetites, S. 105–119, 154–162. Zu weiteren Übersetzungen von Werken des Autors im Deutschen s. FESSEN-HENJES u. GRUNER, MÜLLER (Hg.): Erkundungen, S. 219–237 (»Die Chronik einer Straßenhändlerfamilie«); ERNST SCHWARZ (Hg.): Das gesprengte Grab. Erzählungen aus China, Berlin: Neues Leben 1989, S. 78–199 (»Der Brunnen«); Orientierungen 1/1994, S. 83–99 (»In einer stillen Gasse«). In der Übersetzung von KAUTZ: LU WENFU: Der Gourmet, S. 11f.; Lu Wenfu ji, S. 3f.

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION Zhu Hongxing, das noch heute gegenüber dem Garten der Heiteren Ruhe zu finden ist. Ich möchte mich nicht weiter darüber auslassen, unter wie viel verschiedenen Nudelgerichten man dort wählen konnte, wie delikat sie waren, und so weiter – das alles steht in den Rezeptbüchern und ist an sich nichts Außergewöhnliches. Erwähnenswert ist nur das Drum und Dran. Welches Drum und Dran? fragen Sie. Sind Nudeln nicht gleich Nudeln? Nun, die Art und Weise, wie eine Schüssel Nudeln angerichtet wird, ist für den Gourmet schon etwas sehr Wichtiges. Nehmen wir an, Sie sitzen im Restaurant Zhu Hongxing und bestellen: »He [...], bringen Sie mir eine Schüssel Soundso-Nudeln!« Es vergeht ein Moment, und dann ruft der Kellner mit lauter Stimme: »Sehr wohl! Eine Schüssel Soundso-Nudeln!« Sie wundern sich über die Pause? Der Kellner hat auf nähere Anweisungen gewartet, wie Sie Ihre Nudeln wünschen: bißfest oder weich, mit viel Brühe oder wenig oder überhaupt nicht als Brühnudeln, »grün« oder »nicht grün« (das heißt mit oder ohne Frühlingsknoblauch), »fett« oder »etwas leichter« (das heißt mit viel oder wenig Öl), »Nudeln mit Beilage« oder »Beilage mit Nudeln« oder gar »Brückennudeln«, was nichts anderes heißt, als daß die Gemüse- und Fleischbeilage getrennt von den Nudeln serviert und vom Gast mit den Eßstäbchen Stückchen für Stückchen wie über eine steinerne Bogenbrücke zum Munde geführt wird. Im Fall von Zhu Ziye [dem Gourmet] bedurfte es freilich solcher Anweisungen nicht. Kaum daß er Platz genommen hatte, hörte man schon den Kellner trompeten: »Sehr wohl! Einmal Brückennudeln mit Garnelen nature, reichlich Brühe, grün, viel Beilage und bißfest.«

4.2.5 Heimat, Identität, Avantgarde Von Gao Xiaosheng über Lu Wenfu führt eine Brücke zu den literarischen Tendenzen Mitte der 80er Jahre. Diese haben einen politischen Hintergrund. Die Kritik an der Frauenliteratur und am Modernismus in der Kampagne zur Säuberung der geistigen Verschmutzung hatte zwischen Herbst 1983 und Frühjahr 1984 die (feministischen) Schriftstellerinnen und die (hermetischen) Dichter mundtot gemacht. Aber auch das Theater und die Erzählkunst waren betroffen. Die Folgen waren zweifacher Art: die einen, vielleicht ohne von der Kampagne direkt angesprochen zu sein, besannen sich auf die (Han-)chinesische Tradition, und die anderen entzogen sich der bisweilen massiven Kritik ins Hinterland, wo ihnen fremde Kulturen von Minderheiten begegneten. Im ersten Fall haben wir es mit einer neotraditionalistischen Tendenz zu tun, im zweiten Fall mit einer avantgardistischen. Beide Lager verbindet die politische Frage, wie China – besonders zu Zeiten der Kulturrevolution – zu dem hat werden können, was es nach dem Tod von Mao Zedong im Herbst 1976 war: ein Land ohne Tradition, ohne Moral, ohne Fortschritt. Beide unterscheiden sich durch den Gegenstand ihrer Suche: die einen suchen das »Volkstümliche« in der Stadt, die anderen das Archaische auf dem Land. Beide stehen damit in einem Spannungsverhältnis zur Moderne, auch wenn sie sich in dem einen oder dem anderen Fall der Technik des Modernismus bedienen mögen. So oder so gehören sie zum großen Strom der Heimatliteratur (xiangtu wenxue), die stilbildend mit Shen Congwen beginnt und das Jahr-

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hundert mit einer Wiederbelebung der Schanghaier Schule (Haipai) unter Wang Anyi755 und Chen Danyan (geb. 1958)756 ausklingen läßt. Zu den wichtigsten Vertretern, die mit ihren nostalgischen Werken selbstverständlich auch auf die zerstörerischen Konsequenzen der Vier Modernisierungen reagieren, gehört der seit 1949 in Peking lebende Deng Youmei (geb. 1931). Seine bekannteste Arbeit ist die Novelle Das Schnupftabakfläschchen (Yanhu, 1983).757 Symptomatisch das Wort Verlust, das der Erzähler am Beispiel eines beliebten Sammlerobjektes758 festmacht. Dabei schlüpft er in die traditionelle Rolle des Geschichtenerzählers. Die Handlung spielt in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts und schildert einen Meister für die inseitige Bemalung von Schnupftabakfläschchen. Auch hier wird Peking zum Gleichnis für den Niedergang des (traditionellen) China. Deng Youmei versteht sich meisterhaft auf die Schilderung von kleinen, unscheinbaren Dingen, auf »die Welt im Krug«. So beginnt mit leichtem Humor seine Novelle: In unserer Zeit der industriemäßigen Tabakverarbeitung hat die Zahl der Zigarettenraucher unter Angehörigen aller Bevölkerungsschichten in der ganzen Welt so zugenommen, daß das Tabakschnupfen, einer der alten Genüsse, die das Leben für uns bereithält, praktisch in Vergessenheit geraten ist – traurig, aber wahr! Dabei ist Schnupftabak wesentlich weniger gesundheitsschädlich als Zigaretten und Zigarren. Man genießt ja das Aroma des Tabaks, mit dem man die Lebensgeister wecken und zugleich allen möglichen Krankheiten vorbeugen kann, ohne ihn anzuzünden und ohne den giftigen Rauch in die Lunge zu ziehen und womöglich noch andere Organe zu schädigen. Hinzu kommt, daß der Schnupfer den Tabak direkt unter seine Nasenlöcher bringt und sich ganz allein an ihm erfreut, so daß ein anderer, der am Schnup755

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Als beispielhaft wäre hier der Roman Das Lied vom langen Leid (Chang hen ge, vollendet 1995) zu nennen. Mir lag die Ausgabe Haikou: Nanhai 2003 vor. Die Autorin hat die Geschichte einer Schanghaier Prostituierten von den 40er bis in die 80er Jahre verfolgt. Sie hat diese jedoch gegen den nostalgischen Trend der Zeit satirisch konzipiert, ohne aber vom (begeisterten) Publikum so verstanden zu werden. Die Autorin ist für ihr Jugendbuch Neun Leben. Eine Kindheit in Schanghai, aus dem Chinesischen von BARBARA WANG, Zürich: Nagel & Kimche 1995 mit dem Unesco-Preis 1997 für Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnet worden. Das Werk geht jedoch weit über ein Jugendbuch hinaus. Zum Original s. CHEN DANYAN: Yi ge nühai, o.O.: Jiangsu Shaonian Ertong 1992. Repräsentativer sind im vorliegenden Fall jedoch ihre dokumentarischen Verarbeitungen von einstigen Schanghaier Persönlichkeiten (u.a. Zhang Ailing) wie zum Beispiel in Das Manifest von Einzelkindern (Dusheng zinü xuanyan, Schanghai: Nanyang 1997). DENG YOUMEI: Das Schnupftabakfläschchen, deutsch von GÜNTER APPOLDT, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 1990; DENG YOUMEI: Phönixkinder und Drachenenkel. Bilder aus dem alten Peking, deutsch von ULRICH KAUTZ, Berlin: Aufbau 1990, S. 5–221. Zu weiteren Übersetzungen von Werken des Autors im Deutschen s. FESSEN-HENJES, GRUNER u. MÜLLER (Hg.): Erkundungen, S. 301–324 (»Suche nach Bilder-Han«); Orientierungen 2/1998, S. 102– 137 (»Am Rande des Abgrunds«). Vgl. KLAUS G. MÜLLER: Eine Prise China. Schnupftabakflaschen, Spiegel der chinesischen Seele, Wien u.a.: Böhlau 1999.

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION fen keinen Gefallen findet, weder durch Qualm noch sonstwie belästigt wird, und säße er auch direkt daneben. Wenn der Schnupfer sich überdies beim Niesen ein Taschentuch vor die Nase hält, genügt es vollends den Anforderungen des Umweltschutzes. Nachdem der Jesuit Matteo Ricci 1582 den Schnupftabak am Hofe der MingKaiser eingeführt hatte, dauerte es nicht lange, bis das Tabakschnupfen bei jedermann, vom höchsten Hofbeamten bis zum einfachen Mann auf der Straße, populär wurde; unter der mandschurischen Qing-Dynastie [...] erlebte es dann seine Blütezeit. Damals mag man einen Nichtschnupfer für genauso hoffnungslos zurückgeblieben gehalten haben wie heutzutage jemanden, der Diskotänze nicht beherrscht ...

Die Erinnerung nationaler Geschichte ist selbstverständlich in allen Landesteilen erfolgt. Gleichwohl hat der Nordwesten, der lange als das eigentliche Stammland Chinas galt, stellvertretend für die Benennung des Trends herhalten müssen. Man sprach damals von dem »Geist des Nordwestens« und meinte damit die räumliche und geschichtliche Weite der von vielen Schicksalschlägen geprägten chinesischen Lande.759 Es wären in diesem Kontext viele Namen aufzuzählen, wie etwa Feng Jicai (geb. 1942) und sein Roman Drei Zoll goldener Lotus (San cun jinlian, 1986)760 oder Liu Shaotang (1936–1997)761 und seine Novelle Die Leute bei den Kätzchenweiden (Puliu renjia, 1979)762, beschränken wir uns jedoch lieber auf das Beispiel eines begnadeteren Erzählers, auf Wang Zengqi (1920–1997), der in der Nachfolge seines Lehrers Shen Congwen steht und auch während der Kulturrevolution als Mitglied des Pekinger Opernensembles unter Jiang Qing (1913–1991) künstlerisch gewirkt 759

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Vgl. hierzu BERND EBERSTEIN: »Geschichte in der chinesischen Gegenwartslyrik«, in: PETER M. KUHFUS (Hg.): China – Dimensionen der Geschichte. Festschrift für Tilemann Grimm, Tübingen: Attempto 1990, S. 25–48; HE XIU: Cong Xibu shitan guaqi de lüse fengbao. Zhongguo Xibu shiqun daguan, Peking: Zhongguo Wenshi Chubanshe 2004. FENG JICAI: Drei Zoll goldener Lotus, aus dem Chinesischen von KARIN HASSELBLATT, Freiburg u.a.: Herder 1994. Vom und zum Tientsiner Autoren, der sich verstärkt historischer Themen angenommen hat, liegt auf deutsch soviel vor, daß hier der Einfachheit halber und ausnahmsweise auf die Bibliographie bei VOLKER KLÖPSCH u. EVA MÜLLER (Hg.): Lexikon der chinesischen Literatur, München: Beck 2004, S. 90f. verwiesen sei. Zur Einführung in sein Werk s. ansonsten MONIKA GÄNßBAUER: Trauma der Vergangenheit. Die Rezeption der Kulturrevolution und der Schriftsteller Feng Jicai, Dortmund: projekt verlag 1996 (= edition cathay; 21). Der Autor widmet sich im Auftrag des Staates seit den 90er Jahren eher der Stadterhaltung von Tientsin als der Literatur und hat sich, um seinen Etat aufzustocken, auf die Malerei verlegt. Zu Feng Jicai als Kritiker der Gegenwart s. ZHOU LIMIN: Feng Jicai duihualu, Suzhou: Suzhou Daxue 2003. Zu einer zweisprachigen Ausgabe (Englisch-Chinesisch) s. Selected Stories by Liu Shaotang. Liu Shaotang xiaoshuo xuan, Peking: Chinese Literature Press u.a.1999. Aus dem Chinesischen von URSULA RICHTER, Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur 1987. Zu einer um weitere Erzählungen erweiterten Ausgabe im Englischen s. LIU SHAOTANG: Catkin Willow Flats, Peking: Panda 1984. Zum Original s. LIU SHAOTANG: Puliu renjia, Peking: Renmin Wenxue 1985.

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hat. Seine bekannteste Erzählung ist »Die Mönchsweihe« (»Shoujie«, 1980)763, welche seine ästhetischen Ansichten von Schönheit und Natürlichkeit verkörpert. Hier fällt nicht ein Intellektueller ein (moralisches) Urteil über Land und Leute, hier schildert jemand, der sich der heimischen Volkskultur in der Provinz Jiangsu verbunden fühlt, Menschen wie du und ich ohne ideologische Scheuklappen. Die Erzählung ist zeitlos angelegt. Die Nachschrift des Autors vom 12. August 1980 spricht von einem Traum, »geträumt vor 43 Jahren«, die Handlung dürfte also um 1937 anzusetzen sein und vielleicht am Vorabend oder zu Beginn des Chinesisch-Japanischen Krieges spielen.764 Thema ist die Weihe eines jungen Novizen zum Mönch. Da jedoch unter den Mönchen eine »disziplinlose Disziplinlosigkeit« herrscht, ist diese Initiation (shoujie, namentlich erst am Ende der Geschichte) noch von einer weiteren Initiation überlagert. Der junge Mönch wird in den Armen einer jungen Nachbarin, die ihm Lotossamen (Lotos ist im Chinesischen homophon mit Liebe) zu essen gibt, auch zum Mann. Wang Zengqi schildert Menschen, die in ihrem Alltag den Dingen keinen Zwang antun, sondern ihrer Natur folgen, ohne groß darüber nachzudenken. Die Bräuche im buddhistischen Kloster schildert er wie folgt:765 Der Dritte Meister ist ein sehr kluger und talentierter Mensch. Manchmal kommt der Große Meister mit einer Abrechnung nicht zu Rande, obwohl er stundenlang das Rechenbrett betätigt hat. Der Dritte Meister dreht nur mal eben die Augen nach oben, und schon hat er die Aufgabe gelöst. Beim Kartenspiel gewinnt er meistens. Ist ein Teil der Karten gespielt, dann weiß er ungefähr, welche Karten seine Partner noch in den Händen halten. Beim Spiel steht immer jemand hinter ihm, um zu sehen, ob er nicht schummelt. Fordert ihn jemand zum Kartenspielen auf, so tut er das mit den Worten: »Ich gedenke, dir zwei Geldstücke zu schenken.« Der Dritte Meister 763

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In: FESSEN-HENJES, GRUNER u. MÜLLER (Hg.): Erkundungen, S. 252–276. Zum Original s. CHEN JIANHUA (Hg.): Wang Zengqi wenji, xiaoshuo juan 1, o.O.: Jiangsu Wenyi 1993, S. 158– 179. Zu einer englischen Fassung s. WANG ZENGQI: Story After Supper, Peking: Panda 1990, S. 75–103. Zur Übersetzung von Wang Zengqis Essays im Englischen s. Chinese Literature, Herbst 1999, S. 65–83. Zur Deutung und zu Wang Zengqi als Epigone von Shen Congwen s. JEFFREY C. KINKLEY: »Shen Congwen’s Legacy in Chinese Literature of the 1980s«, in: WIDMER u. WANG (Hg.): From May Fourth to June Fourth. Fiction and Film in TwentiethCentury China, S. 82–90. Zu Wang Zengqis Sicht seines Lehrers Shen Congwen s. Chinese Literature (Herbst 1985), S. 219–231. Zu Wang Zengqi in der Kulturrevolution s. CHEN XISHOU: Ren you bing. Tian zhifou. 1949 nian hou Zhongguo wentan jishi, Peking: Renmin Wenxue Chubanshe 2000. In seinem Rückblick auf sein Schaffen spricht der Autor von der Flucht vor den Japanern und vom Unterschlupf in einem Tempel, der zum Ort des Geschehens in der Erzählung wurde, s. HELMUT MARTIN (Hg.): Bittere Träume. Selbstdarstellungen chinesischer Schriftsteller, Bonn: Bouvier 1993, S. 174 (»Vergessen wir unsere historischen Wurzeln nicht«, S. 171–178). Hier bestätigt Wang Zengqi auch den starken Einfluß von Shen Congwen und der Tradition. FESSEN-HENJES, GRUNER u. MÜLLER (Hg.): Erkundungen, S. 260f.; Wang Zengqi wenji, xiaoshuo juan 1, S. 164f.

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION beherrscht nicht nur alle buddhistischen Kanons und rituellen Sprüche (was übrigens nur auf wenige Mönche in kleinen Klöstern zutrifft), er ist auch in anderen, seltenen Künsten bewandert, zum Beispiel dem »Zymbalfliegen«. Im Juli wird in einigen Gegenden das Yulan-Fest, ein Fest für das Seelenheil der Ahnen, gefeiert. Auf freiem Feld findet eine Andacht statt, zelebriert von einigen Dutzend Mönchen, die zu diesem Zweck in seidenbestickte Gewänder gehüllt sind. Zu dem Ritual gehört das »Zymbalfliegen«. Das ist wörtlich zu verstehen und besagt, daß schwere Becken von etwa fünfzehn Pfund Gewicht durch die Luft wirbeln. Zu einem bestimmten Zeitpunkt schweigen alle buddhistischen Musikinstrumente, nur mehrere Dutzend große Zymbals werden weiter in raschem Tempo geschlagen. Plötzlich heben die Schläger die Hände, und die großen Becken steigen empor. Sie fliegen rotierend durch die Luft und werden, bevor sie zu Boden fallen, wieder aufgefangen. Dabei gibt es vielerlei Posen [...]. Das ist schon kein Sutra-Singen mehr, sondern eine Akrobatik-Darbietung. Es heißt wohl, Bodhisattwa Ksitigarbha sehe das gern, aber in Wirklichkeit vergnügen sich dabei die Menschen, vor allem die Frauen und Kinder. Im übrigen ist das eine Gelegenheit für junge hübsche Mönche, sich zu produzieren. Nach einer solchen Zeremonie ist es genauso, als sei eine gute Operntruppe durchgezogen. Dann sind nämlich ein, zwei Mädchen oder junge Frauen spurlos verschwunden – sie sind mit den Mönchen fortgegangen. Rendu kann auch eine »Blumenandacht« abhalten. Manche Familien haben in ihrer Verwandtschaft leichtfertige Burschen. Von denen kann gelegentlich eines nicht sonderlich traurigen buddhistischen Rituals, wie es zum Beispiel die Geburtstagsfeier für einen lieben Toten ist, der Vorschlag zu einer »Blumenandacht« kommen. Sie besteht darin, daß im Anschluß an eine reguläre Andacht die Mönche gebeten werden, Volksweisen vorzutragen, die Saiteninstrumente zu zupfen, die Flöten zu blasen und die Schlaghölzer zu schlagen. Es werden auch Liedwünsche der Zuhörer erfüllt. Allein Rendu kann eine ganze Nacht lang singen, ohne zu ermüden.

Wang Zengqi, der für sich die kulturrevolutionäre Modelloper Shajiabang766 in Anspruch genommen hat, gibt sich hier in der Rolle des Erzählers höchst unpolitisch. Und dies zu einer Zeit, wo alles Schreiben noch politisch war bzw. zu sein hatte! Ohne den Vorgaben der Partei zu folgen, die eine Verunglimpfung der »alten Gesellschaft« zur Pflicht machte, entwirft er eine zeitlose, paradiesisch anmutende Welt. Dies tut er bereits 1980, als noch von keinem Neotraditionalismus die Rede sein kann. Ähnlich verhält es sich in einem anderen Fall, wenn wir auf die andere Spielart des Traditionalismus zu sprechen kommen, einen avantgardistischen Traditionalismus, der seit Ende 1984 unter dem Schlagwort einer »Literatur auf der Suche nach den Wurzeln« (xungen wenxue) bekannt geworden ist.767 Bereits 1982 hat nämlich Yang Lian mit 766

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CHEN JIANHUA (Hg.): Wang Zengqi wenji, xiqu juben juan, o.O.: Jiangsu Wenyi 1993, S. 54– 121. Nach mündlicher Aussage von Chen Sihe am 14.11.2004 in Bonn handelt es sich jedoch um ein Plagiat. Zum Hintergrund s. LI QINGXI: »Searching for Roots. Anticultural Return in Mainland Chinese Literature of the 1980s«, in: CHI u. WANG (Hg): Chinese Literature in the Second Half of a Modern Century, S. 110–123.

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pathetischen Gedichtzyklen über alte Orte und Gottheiten wie »Banpo« (»Banpo«), »Dunhuang« (»Dunhuang«) oder »Nuorilang« (»Nuorilang«)768 dieser Tendenz vorgegriffen, so daß die Periodisierung der chinesischen Gegenwartsliteratur, welche die (nicht nur chinesische) Literaturkritik so fein säuberlich vornimmt, einmal mehr fragwürdig erscheint. Gleichwohl bedarf es selbstverständlich mehrerer Vertreter, um eine Evozierung des Archaischen unter Beimengung modernistischer Züge zu einer Schule werden zu lassen, welche für viele einen epochalen Übergang von einem Realismus des 19. Jahrhunderts zu einem Modernismus oder gar einer Postmoderne des 20. Jahrhunderts in der chinesischen Gegenwartsliteratur darstellt.769 Yang Lian hat gleichsam Schule gemacht. Er hat zum ersten Mal 1980 die Ränder der Han-chinesischen Zivilisation im Nordwesten besucht und in seiner Dichtkunst exemplarisch das Urtümliche seines Vaterlandes mit der modernen Ästhetik des Westens zu verbinden begonnen. Die Nähe von Antike und Gegenwart hatte er jedoch schon zuvor auf dem Lande erfahren, als er während der Landverschickung am Ende der Kulturrevolution feststellen mußte, daß die Bauern ihre Toten wie vor mehr als 3000 Jahren bestatteten. Ein anderes Urerlebnis war der Tod seiner Mutter im Jahre 1976. Beides fügte sich zu einem Repertoire, das aus Worten wie Tod, Grab, Erde, Feuer, Läuterung, Wiedergeburt bestand und immer noch besteht. Für Yang Lian wandelt der heutige Mensch auf dem Weg der Ahnen, die Tradition lebt in ihm weiter fort. Die Suche nach der Seele Chinas wird somit zur Suche nach der Urseele der Ahnen. Da der Schamane im Altertum die Möglichkeit hatte, den Kontakt zu den Ahnen und Gottheiten herzustellen, muß der moderne Dichter wieder zum Schamanen und die Dichtung zur Pilgerfahrt werden. Aus dieser Sicht der Dinge erklärt sich die Vorliebe von Yang Lian für die Lieder des Südens (Chuci, 3. Jhdt. v.Chr.), die zwischen einem Poeten und einem Schamanen keinen Unterschied machen. Yang Lian bedient sich jedoch eines modernen poetischen Verfahrens, um gleichsam die Gegenwart aus der Tradition ausgraben (wajue) zu können. Die Vergangenheit muß ausgegraben werden, so seine Gewährsleute von Heidegger bis Seamus Heany (geb. 1939), um mit der Gegenwart in ein Gespräch zu treten. Die sprachlichen Bindeglieder sind stetig wiederkehrende Floskeln wie zongshi (immer), dou shi (alle/s), quan (gänzlich), renlei (Menschheit), All, Kosmos, Welt. Sie tragen wesentlich zu dem Pathos bei, das für Yang Lian so typisch ist. Zusammen mit seiner komplexen, nach Zyklen verlangenden Schreibweise, die auf eine Art musikalischer Gesamtkomposition hinausläuft, kreiert er eine Sprache, die in ihren Strukturen weder offensichtlich chinesisch 768

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Zu den entsprechenden Übersetzungen im Deutschen s. YANG LIAN: Pilgerfahrt. Gedichte, hg. von KARL-HEINZ POHL, Innsbruck: Handpresse 1987; YANG LIAN: Gedichte. Drei Zyklen, aus dem Chinesischen von HUANG YI u. ALBRECHT CONZE, Zürich: Ammann 1993. Zum Original s. Yang Lian zuopin 1982–1997, shige juan: Dahai tingzhi zhi chu, Schanghai: Shanghai Wenyi 1998, S. 3ff. Vom u. zum Autor liegt soviel auf deutsch vor, daß der Einfachheit halber auf den Eintrag in ARNOLD (Hg.): KlfG verwiesen sei. FEUERWERKER: Ideology, Power, Text, S. 190. Die Verfasserin behandelt hier auf den S. 188– 237 ausführlich besagte Schule.

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noch verborgen englisch, sondern – wie er selber sagt – »Yanglisch« ist. Eine angemessene Übersetzung fällt daher grundsätzlich schwer. Dies gilt insbesondere für das von ihm als Hauptwerk bezeichnete Langgedicht Der Sonnenmensch770, für das er ein eigenes Zeichen geschaffen hat. Er liest dieses als yi und löst es als taiyang yu ren (Sonne und Mensch) auf, um auf neue Weise dem alten Gedanken von einer Einheit des Menschen mit dem Himmel (tianren heyi) Ausdruck zu verleihen. Mit diesem zwischen 1985 und 1989 verfaßten, erstmals 1991 erschienenen Werk stellt er den Sonnenkult wieder her, den Guo Moruo begründet und Zhai Yongming beendet hatte. Man muß obige Floskeln als festen Bestandteil von Pathosformeln betrachten, derer sich Yang Lian gerne bedient. Diese verhelfen dem Werk zu seiner so typischen Einheit. Das Pathetische ist eigentlich dem chinesischen Geist fremd, da es gegen das Prinzip von Maß und Mitte verstößt. Man könnte ihm nur die »Inbrunst« (kangkai) an die Seite stellen. Das Pathos wird erst mit dem Siegeszug des Sozialismus nach 1949 in China hoffähig und hat mit der verborgenen Theologie des Marxismus zu tun.771 Nach 1979 ist dieses Pathos von der kritischen Jugend unter anderen Vorzeichen weitergepflegt worden, es stellt eine der großen Schwierigkeiten bei der Rezeption der Gegenwartsliteratur aus China dar. Oft genug gerät es in die Nähe von Schwulst. Die Begeisterung und die Abwehr, die das Oeuvre des Yang Lian hervorrufen, haben hier ihre Ursache. Wenn der Dichter sagt, der Tod sei das Gedicht, und das lyrische Ich sei das Ich der Ahnen, dann kommt dem Pathos die rhetorische Aufgabe zu, den Zeitraum von der fernen Vergangenheit bis in die nahe Gegenwart zu umspannen.772 Der »Tod«, den ich betone, ist eine Art Fähigkeit. Er ist die Fähigkeit, im Atem und Licht eines jeden Tages den fortschreitenden Untergang zu spüren, zu sehen, auszusprechen, er ist die Fähigkeit, in der Verzweiflung weiter zu leben, und auch eine Gabe, sich selbst zu finden. [...] Der Mensch geht unumgänglich tief in seinen Tod ein, er begreift in diesem einzigen Zentrum der Existenz das Leben, begreift und schöpft alle Möglichkeiten aus, um sprachlich dieses Leben zum Ausdruck zu bringen. Dies eben ist das Gedicht. Wenn ich über den Tod schreibe, schreibe ich in Wirklichkeit über das Leben. Ich erfahre an mir den Prozeß eines geistigen Todes und hinterlasse seine Spuren. Meine »Fähigkeit zum Tod« ist vom Moment, da ich mit dem Schreiben begonnen habe, bis heute stetig gewachsen. [...]

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Erstmals erschienen unter YANG LIAN u. NING FENG zhu (Yang Lian mit Kommentar von Ning Feng): Taiyang yu ren, Changsha: Hunan Wenyi 1991, wiederaufgelegt als: [Yi]. Yang Lian shiji (Gedichte von Yang Lian), Taipeh: Xiandai Shi Jikan She 1994. Zu einer englischsprachigen Übersetzung nebst Kommentar s. YANG LIAN: Yi, aus dem Chinesischen übersetzt von MABEL LEE, zweisprachige Ausgabe, Los Angeles: Green Integer 2002. Zum Pathos s. NORBERT BOLZ (Hg.): Das Pathos der Deutschen, München: Fink 1996. Zum folgenden Zitat s. SUIZI ZHANG-KUBIN: »Die Geburt aus dem Tod. Ein Gespräch mit Yang Lian«, in: minima sinica 1/1994, S. 113f.

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Die Literatur der Volksrepublik China Zwischen 1982 und 1984 habe ich Zyklen wie »Banpo«, »Dunhuang«, »Nuorilang«, »Tibet« geschrieben. Hier hat der Tod die Zeit zu ihrem Kennzeichen. Dieser Tod geht aus mir heraus, er verbindet sich mit einem »Ich« aus unterschiedlichen Zeiten sowie an unterschiedlichen Orten und wird zu einem einzigen, vom Licht des Todes erstrahlten Ich. Nur, wenn das Leben vom Tod bereichert wird, kann es zum Leben werden. Von 1985 bis 1989 schrieb ich das Langgedicht »Sonnenmensch«. Ich verstehe es als »literarischen Selbstmord«. Das Langgedicht besteht aus »konzentrischen Kreisen des Todes«, die in 64 Abschnitten von Lyrik und Prosa gebildet werden. Hier hat der Tod alles Leibliche abgestreift, er zeigt sich einzig als Sprache. Das Geheimnis des Todes ist auch das Geheimnis eines jeden Wortes.

Die zwischen 1982 und 1984 verfaßten Langgedichte fielen 1983/84 der Kritik zum Opfer. Dies gilt insbesondere für »Nuorilang« (Name einer tibetischen Gottheit), das von den offiziellen Presseorganen des Nihilismus, des Defätismus und der Pornographie bezichtigt wurde. Ähnlich war es dem Theatermacher Gao Xingjian ergangen, der vor allem für sein Stück Die Busstation (Chezhan, 1983)773 kritisiert worden war. In der Folge zog sich der Autor ins Hinterland des Südwestens zurück, wo er mit Kulturen von Minderheiten in Berührung kam, die ihm bis dahin gänzlich fremd gewesen waren. Seine damaligen Erfahrungen hat er in dem Roman Der Berg der Seele (Lingshan)774 zu verarbeiten begonnen. Dieses Werk, das ihm den Literaturnobelpreis 2000 eingebracht hat, hatte sich nach seinem Erscheinen auf Taiwan bis dato nur mit wenigen hundert Exemplaren verkauft.775 Frühe deutsche Teil- oder Gesamtübersetzungen fanden weder bei der Leserschaft noch bei einem Verlag Inter773

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GAO XINGJIAN: Die Busstation, hg. von CHANG HSIEN-CHEN u. WOLFGANG KUBIN, mit einem Nachwort von WOLFGANG KUBIN, aus dem Chinesischen von dem Arbeitskreis Moderne Chinesische Literatur, FU Berlin, Bochum: Brockmeyer 1988 (= Chinathemen; 34); IRMTRAUD FESSEN-HENJES: Das Nirwana des »Hundemanns« und andere chinesische Stücke, Berlin: Henschel 1993, S. 77–130 (aus dem Chinesischen von ANJA GLEBOFF). Zur damaligen Kritik s. You zhengyi de huaju juben xuanji, Peking: Zhongguo Xiju 1986, Bd. 2, S. 1–105. Das Original findet sch hier auf S. 1–54. Zur Deutung s. neben meinem Nachwort auch meinen oben genannten Beitrag »Das Paradigma der Handlungshemmung«, S. 153–156, zur weiteren Deutung s. u.a. KWOK-KAN TAM (Hg.): Soul of Chaos. Critical Perspectives on Gao Xingjian, Hongkong: Chinese UP 2001, S. 43–88. GAO XINGJIAN: Der Berg der Seele, aus dem Chinesischen von HELMUT FORSTER-LATSCH, MARIE-LUISE LATSCH u. GISELA SCHNECKMANN, Frankfurt: S. Fischer 2001. Zum Original s. GAO XINGJIAN: Lingshan, Taipeh: Lianjing 1990. Zur Deutung s. u.a. TAM (Hg.): Soul of Chaos, S. 235–291; MONIKA MOTSCH: »Chan-Mystik im Werk von Gao Xingjian«, in: minima sinica 1/2004, bes. S. 67–72; MING JIAN: »In Search of Creativity: Agony and Ecstasy in Gao Xingjian’s Lingshan«, in: Asiatische Studien / Études Asiatique LVIII/4 (2004), S. 931–962. Ähnliches läßt sich für das Stück Die Busstation sagen, das ich mit besagtem Arbeitskreis (s. Anm. 773) bereits Ende 1984 fertig übersetzt hatte, doch drucken wollte es kein einziger Verlag. Erst eine Selbstfinanzierung machte das Erscheinen möglich. Der Verlag Brockmeyer blieb jedoch trotz eines Ramschangebotes auf dem Buch bis zur Preisverleihung sitzen.

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esse. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand und werden durch spätere Verrisse im deutschen Feuilleton bestätigt. Gao Xingjian steht in der Nachfolge von vielen europäischen Autoren. Für die kurzweilige Erneuerung des chinesischen Theaters, die ihm Anfang der 80er Jahre gelungen ist, war dies von großem Vorteil. Durch seine frühen Stücke und durch seine theoretischen Ausführungen hat er den Einfluß von Ibsens »Problemtheater« (wentiju) und von Konstantin Stanislavskijs (1863–1938) Theater der zwei Dimensionen (Schauspieler und Rolle) zeitweise brechen können. Die unter dem Einfluß von Eugène Ionesco (1912–1994) und von Samuel Beckett (1906–1989) entstandenen Werke776 sind zwar für die damalige Zeit sehr wichtig gewesen, hätten vielleicht heute noch ihre Bedeutung, wenn sie nicht aus dem Rückblick ein Problem zu erkennen gäben, das oben schon angesprochen worden ist: das Problem der Nachfolge bzw. des Imitats, das auch für die Schule der Suche nach den Wurzeln virulent ist. Gao Xingjian hat wenig Eigenes, und wenn, dann ist es belanglos. Ganz gleich, ob es sich um das Stück Die Busstation handelt oder um den Roman Der Berg der Seele, die Vorbilder sind klar zu erkennen. In dem einen Fall erleben wir eine Variante von Warten auf Godot, und in dem anderen Fall steht der italienische Schriftsteller Italo Calvino (1923–1985) Pate. Verweilen wir nur bei dem letzten Beispiel. Calvino behandelt in seinen Romanen exemplarisch die Zerrissenheit des modernen Menschen. Die Selbstanrede wird zum prägenden Stilmittel. Und so beginnt sein Roman Wenn ein Reisender in einer Winternacht mit den Worten:777 »Du schickst dich an, den neuen Roman Wenn ein Reisender in einer Winternacht von Italo Calvino zu lesen.« Gao Xingjian läßt seinen Erzähler wie folgt anheben: »Du bist mit dem öffentlichen Fernbus gekommen [...] (Ni zuo de shi changtu gonggong qiche).« Mit diesen Worten schickt der Erzähler einen Protagonisten 1983 auf die Suche nach den mehrfach erwähnten Wurzeln und trägt dessen Zerissenheit dadurch Rech776

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Im deutschen Sprachraum ist früh mit der Übersetzung des theatralischen Oeuvres von Gao Xingjian begonnen worden. Hier können nicht alle Quellen aufgezählt werden. Da der Eintrag zum Autor bei ARNOLD (Hg.): KlfG bislang (2004) noch nicht aktualisiert worden ist, sei auf die bibliographischen Angaben bei KLÖPSCH u. MÜLLER: Lexikon der chinesischen Literatur, S. 103f. verwiesen. Erwähnt seien zumindest zwei Werke, da sie in Hamburg (1988) bzw. in Wien (1992) zur Aufführung gebracht worden sind: MONICA BASTING: Yeren. Tradition und Avantgarde in Gao Xingjians Theaterstück »Die Wilden« (1985), Bochum: Brockmeyer 1988 (= Chinathemen; 36). Die Ausgabe enthält auch das Original; SASCHA HARTMANN: JA oder/und NEIN (1992). Ein Drama von Gao Xingjian. Übersetzung und Studie, Dortmund: projekt verlag 1999 (= edition cathay; 40). Zur dramatischen Theorie s. GAO XINGJIAN: Nächtliche Wanderung. Reflektionen (sic!) über das Theater, übersetzt von MARTIN GIESELMANN u.a., mit einem Nachwort von NATASCHA VITTINGHOFF, Neckargemünd: Edition Mnemosyne 2000. Zur Würdigung seines Gesamtwerkes s. Modern Chinese Literature and Culture 14.2 (Herbst 2002). Die Ausgabe ist gänzlich seinem dramatischen und erzählerischen Schaffen gewidmet. ITALO CALVINO: Wenn ein Reisender in einer Winternacht, ins Deutsche übersetzt von BURKHART KROEBER, München: 12dtv 2000, S. 7. Calvino lag spätestens seit 1987 auf chinesisch vor!

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nung, daß aus dem »Du« ein »Ich« und ein »Er« werden kann. Der Erzählende und der Erzählte werden eines. Für die Begegnung des Helden mit der Fremde zwischen Sichuan und Tibet bemüht der Autor wiederholt eine Technik, die er bei der Lektüre von Shen Congwen kennengelernt hat. Land und Leute mit ihren Bräuchen und Räuberpistolen haben immer wieder das Kolorit zu liefern, das man irgendwie schon zu kennen meint. In 81 Kapiteln, deren Zahl auf das Daodejing von Laotse zurückgehen dürfte, geht es neben der Frage nach der Identität auch um die Suche nach der Frau. Beides ist wohl nicht voneinander zu trennen. Ähnlich wie im Falle von Zhang Xianliang leiden auch die Werke von Gao Xingjian unter einem altbackenen Frauenbild und dem naiven Verständnis vom Mann. Der Protagonist als Liebhaber scheint der Liebhaber aller Frauen zu sein, und da er diese auf Schoß und Brust reduziert, stehen sie für die Eine und die Einzige, die den Ursprung verkörpert, für die Urmutter. Der allwissende Erzähler gibt sich oft altklug, seine Kommentare sind nicht selten banal oder gar kitschig. Der Berg der Seele war zwar im Sommer 1982 in Peking begonnen worden, wurde aber erst im September 1989 in Paris beendet. Dazwischen lag die wichtige Station Berlin, wo der Autor im Rahmen des Künstlerprogramms (DAAD) ein gutes halbes Jahr (1985/86) weilen konnte. Hier wurden die Kontakte geknüpft, die ihm 1987 die Übersiedlung von der chinesischen in die französische Hauptstadt ermöglichen sollten. Es ist zwar richtig, daß sich Gao Xingjian daheim auch in der freieren Atmosphäre der ausgehenden 80er Jahre Schikanen ausgesetzt sah, doch war seine Entscheidung eine freiwillige. Die Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte, waren nicht die seinen allein, sie sind heute von seinen ehemaligen Kollegen vielfach aus dem Wege geräumt. Es ist daher nicht richtig, daß Gao Xingjian immer wieder das Wort Exil bemüht, um seinen neuen Aufenthaltsort zu charakterisieren. Ich habe schon an anderer Stelle gesagt, daß die undifferenzierte Zurücksetzung der einstigen Heimat zum taktischen Manöver von chinesischen Intellektuellen gehört, um ihre Aufenthaltsberechtigung nachzuweisen und die notwendige Unterstützung zu erlangen.778 Letzten Endes hat dies Gao Xingjian auch den Literaturnobelpreis eingebracht. Selbst wenn Der Berg der Seele keinerlei Literaturpreis verdient hat, so muß man doch der Gerechtigkeit halber dem Autor eine gehörige Steigerung attestieren, die ihm mit seinem nächsten Roman Das Buch eines einsamen Menschen (Yi ge ren de shenjing, eig. Die Bibel eines Mannes, 1999)779 gelungen ist. Das autobiographische Werk, das im Spätfrühling 1997 in Hongkong einsetzt, als der Autor zu Vorträgen u.a. an der dortigen Baptist University weilt, pflegt zwar auch die Selbstanrede, es spricht zwar immer 778

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WOLFGANG KUBIN: »The Status of Chinese Literature in the 21st Century«, in: HEINZ-DIETER ASSMANN u. KARIN MOSER V. FILSECK (Hg.): China’s New Role in the International Community: Challenges and Expectations for the 21st Century, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2005. GAO XINGJIAN: Das Buch eines einsamen Menschen, aus dem Chinesischen von NATASCHA VITTINGHOFF, Frankfurt: S. Fischer 2004. Das Original erschien auf Taiwan mit der finanziellen Unterstützung der französischen Nationalbibliothek: GAO XINGJIAN: Yi ge ren de shenjing, Taipeh: Lianjing 1999. Zur Deutung s. TAM (Hg.): Soul of Chaos; S. 293–310.

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wieder von der Frau als Fleisch780, zwar fällt die eine oder andere stilistische Peinlichkeit leicht ins Auge, doch hat der Erzählstil im großen und ganzen durch die Gabe zur Erinnerung gewonnen. Der Autor berichtet aus seiner Kindheit, aus der Kulturrevolution, und solange er dabei bleibt und nicht in die Liebesbegegnung mit einer alten Bekannten aus Pekinger Tagen, einer deutschen Jüdin namens Margarete, abgleitet, ist der Leser gewogen, den Erinnerungen gern zu folgen, zumal der Erzähler in der Lage ist, das Tabu der persönlichen Verstrickung in die »chaotischen zehn Jahre« anzugehen. Es sei hier noch einmal daran erinnert, daß die Kulturrevolution den chinesischen Historikern nicht zur Erforschung freigegeben ist und daß auch Künstler auf dem Festland, die immerhin die Fiktion zu ihrer Verteidigung vorschieben können, hie und da noch in ihrer ästhetischen Aufarbeitung auf Schwierigkeiten treffen können.781 Insofern stellen Gao Xingjians autobiographische Erinnerungen ein seltenes Dokument dar, auch wenn dieses kaum über die Bebilderung der Kulturrevolution hinausgeht. Für die kundige Leserschaft ist weniges überraschend, das meiste bekannt. Mit einer Ausnahme freilich: Der Protagonist ist nicht nur Opfer, er ist auch Täter und verhandelt in seinen Bettgeschichten die Frage der deutschen und die Frage der chinesischen Schuld, wobei er – politisch nicht korrekt – keinen Unterschied zwischen dem Nationalsozialismus und dem chinesischen »Faschismus« macht. Der Roman entwirft China als »Hölle«, eine »Hölle«, in welche weder der Protagonist noch der Autor zurückkehren möchten. Sein China ist heute Taiwan, wo er seit langem publiziert und künstlerisch tätig ist.782 Gao Xingjian gehört nur bedingt zur Schule der Suche nach den Wurzeln. Er ist ihr Vorläufer (Der Berg der Seele), er ist ihr Epigone (Die Wilden). Gleichwohl läßt sich an seinem Beispiel gut verdeutlichen, wie die Politik Künstler ins Hinterland drängt, das dann zum Gegenstand eines Nachsinnens über China wird. Formal geht aus der besagten Schule die Schule der Avantgarde (xianfeng)783 hervor, tatsächlich lassen sich aber beide Richtungen nicht so ohne weiteres voneinander trennen, wie auch das Beispiel Gao Xingjian eine scharfe Unterscheidung wenig lang angeraten sein läßt. Viele Vertreter gehören beiden Lagern an und finden über das Stichwort »Primitivismus« zusammen. Geistiger Vater und Repräsentant der Schule der Suche nach 780

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Vgl. zum Beispiel »Das feuchte warme Fleisch, das sich um dich wand und schlängelte [...]«, in: GAO XINGJIAN: Das Buch eines einsamen Menschen, S. 32; GAO XINGJIAN: Yi ge ren de shenjing, S. 26. So hat der chinesische Geheimdienst die Dokumentation Auf der Suche nach Lin Zhao von HU JIE (s. Anm. 567) in der Bonner Kunsthalle am 14. Februar 2004 noch zu unterbinden gewußt. Der Dokumentarfilm konnte dann aber an der Chinese University of Hong Kong und an der Sun Yat-sen-Universität von Kanton im Sommer problemlos gezeigt werden. Vgl. SUN SUNG-TANG: »An Epic Tale in the Making: An Interview with Gao Xingjian«, in: Sinorama 27.11 (November 2002), S. 82–89. Vgl. hierzu WU u. LIANG: »Remembering the Cultural Revolution. Chinese Avant-garde Literature of the 1980s«, in: CHI u. WANG (Hg.): Chinese Literature in the Second Half of a Modern Century, S. 124–135.

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den Wurzeln ist Han Shaogong (geb. 1953).784 Sein Essay »Die ›Wurzeln‹ der Literatur« (»Wenxue de ›gen‹«, 1985)785 führt mit den ersten Sätzen noch eine andere wesentliche Quelle für die neue Schulrichtung an. Han Shaogong gehört zu den schon oben erwähnten Jugendlichen mit Mittelschulbildung (zhiqing), die während der Kulturrevolution aufs Land verschickt worden waren und nach ihrer Rückkehr in die Stadt in eine Krise gerieten und langsam über ihre verlorene Zeit zu reflektieren begannen.786 Es ist kein Zufall, daß Westhunan, schon bekannt durch die Erzählungen von Shen Congwen, zum bevorzugten Gegenstand seines Erzählens wird. Hier hatte er sich nach seiner Zeit als Rotgardist »als Bauer für immer niedergelassen« (chadui luohu), tatsächlich für sechs Jahre (1969–1974), und zwar am Miluo, unweit der Gedenkstätte für Qu Yuan, den Ahnherrn der Lieder des Südens (Chuci) und die Symbolfigur der Chu-Kultur, der archaischen Kultur des Südens. Hier begann er sich seinerzeit auch die Frage zu stellen, wo denn die einst vom Schamanismus geprägte Welt der heutigen Provinz Hunan verblieben sei. Er wird sie später in Westhunan (Xiangxi) wiederfinden. Seine Frage ist in einem größeren Kontext zu sehen. Han Shaogong nimmt rückblickend seine Gedanken zu einem Zeitpunkt wieder auf, als der landläufig gepflegte Realismus sowjetischer Art und die sozialistische Moral, die beide noch von der Generation der rehabilitierten Schriftsteller hochgehalten werden, in eine Krise geraten sind und allerorten die Fragen nach dem eigentlichen Wesen des Menschen in China zu einem sogenannten Kulturfieber (wenhuare) führten. Ausschlaggebend für diesen Richtungswechsel vom vordergründig Politischen zum hintergründig Zivilen ist auch das Erscheinen einer Übersetzung von Gabriel García Márquez’ (geb. 1928) Roman Hundert Jahre Einsamkeit (1967) im Jahre 1984 gewesen, ohne den die literarischen Produkte eines chinesischen magischen Realismus787 und der Avantgarde nicht zu denken sind. In den Überlegungen von Han Shaogong schwingt auch ein nationales 784

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Zur Entwicklung seines Werkes s. FEUERWERKER: Ideology, Power, Text, S. 201–210; JOSEPH S.M. LAU: »Visitation of the Past in Han Shaogong’s Post-1985 Fiction«, in: WIDMER u. WANG (Hg.): From May Fourth to June Fourth, S. 19–42; KARL ROSPENK: »Wurzelsuche – Experimentalismus – Absurdität. Han Shaogong (VR China)«, in: Literaturnachrichten 43 (1994), S. 7–10. Mir liegt ein Abdruck aus Zuojia 4 (1985), S. 2–5 vor. Beispielhaft in der Erzählung von HAN SHAOGONG: »Die leere Stadt« (»Kong cheng«, 1987), in: MARTIN u. HAMMER (Hg.): Die Auflösung der Abteilung, S. 136–146. Zum chinesischen Original s. Han Shaogong zixuanji. Duanpian ji. Guqulai, Peking: Zuojia 1996, S. 91–100. Bei dieser Gelegenheit sei auch noch auf eine neuerliche Übersetzung von WOLF BAUS im Deutschen hingewiesen: »Mord« (Mousha), in: Hefte für ostasiatische Literatur 31 (2001), S. 52–71. Der Ausdruck (chinesisch mohuan xianshizhuyi) ist von Deutschland (1925) über die romanischen Ländern (1927) 1948 nach Lateinamerika gelangt. Er bezeichnet seit den 50er, 60er Jahren ein erzählerisches Verfahren, welches die Mentalität alter nichteuropäischer Hochkulturen und den Rationalismus der westlichen Welt miteinander verbindet, so daß Phantastik, Mythos und Wirklichkeit eines zu werden scheinen.

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Element mit. Es ging dem Autoren, wie er in einem Interview von 1987788 festhielt, um »das nationale Selbst« und um die Änderung des Volkscharakters durch die Literatur. Dieses »Besessensein von China« ließ ihm »das Ausgraben der Kindheit« im Sinne einer chinesischen Urzeit als vornehmste Sache der Künste erscheinen. Es geht um eine Art Gegenmythos, der die kommunistischen Mythen zu ersetzen hat. Und eben dieses Verfahren ist die von der Literatur betriebene Suche nach den endogenen Wurzeln. Dabei sollte eigentlich auch die chinesische (Erzähl-)Tradition zur Abwehr westlicher Einflüsse789 bemüht werden, doch der neue Primitivismus, der damals in allen Künsten für Furore sorgte, führte nur bedingt zur einheimischen Erzählkunst zurück, vielmehr bedienten sich Han Shaogong und seine Gefolgsleute eher der Erzähltechniken, die sie in den Übersetzungen von Kafka, García Márquez, Milan Kundera (geb. 1929), Italo Calvino etc. kennengelernt hatten. Aus dem Rückblick ist man manchmal geneigt zu sagen: So wie ohne Kafka keine Can Xue vorstellbar ist, so ist auch ohne García Márquez kein Han Shaogong denkbar, auch wenn dieser dessen Einfluß erst für die Erzählung »Fraufraufrau« (»Nününü«, 1986)790 konstatiert. Und da die Epigonen die Charakteristika ihrer Vorbilder oft überzeichnen, stellt sich nicht selten der Eindruck von saurem Kitsch791 ein. Man muß kein patriotisch eingestellter Chinese sein, um bei entsprechender Lektüre die Frage zu stellen, ob in China denn wirklich alles so im argen liege, daß sich nur noch die Ästhetik des Häßlichen zur Schilderung von »Land und Leuten« empfiehlt. So oder so ist dem Wertewechsel, welchen die Schule der Suche nach den Wurzeln und die Avantgarde vollziehen, kritisch zu begegnen. Der Held wird durch einen Antihelden ersetzt, das Zentrum (der Macht) durch die Peripherie (= Ohnmacht), die Vernunft (von Fünfjahresplänen) durch einen Irrationalismus. Wir erleben keine Kader und Jugendlichen mit Mittelschulbildung als Protagonisten mehr, sondern tumbe Tölpel. Die Stadt hat als Hort der Zivilisation ausgedient, nun dominiert das Hinterland mit seiner Rückständigkeit. Der Mensch, der nicht einmal mehr seine Notdurft beherrscht, darf wieder zum Tier werden. Kurz, Archetyp, Natur und Ritus werden bemüht, um China, seine Geschichte und Kultur, neu zu definieren.792 Daß es damals 788

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MARTIN (Hg.): Bittere Träume, S. 161–170. Das hier abgedruckte Interview ist sehr unausgegoren, gibt aber dennoch hinreichend Einblick in die Sache selbst. Vgl. HAN SHAOGONG, in: Akzente 2/1985, S. 170–175. Deutscher Auszug von SUIZI ZHANG-KUBIN u. WOLFGANG KUBIN in: Drachenboot 1 (1987), S. 96–98; zum Original s. Shanghai Wenxue 5 (1986), S. 4–27; zu einer englischen Gesamtübersetzung s. HAN SHAOGONG: Homecoming and Other Stories, übersetzt von MARTHA CHEUNG, Hongkong: Renditions 1992, S. 91–161. Dieser Terminus bezeichnet nach Karlheinz Deschner eine gekünstelte Schwarzmalerei, bei der das Schlechte gleichsam ontologisiert wird; s. hierzu sein vielfach aufgelegtes Buch Kitsch, Konvention und Kunst (1957). Vgl. hierzu LIDIA KASAREŁŁO: »Grotesker Realismus und Karnevalisierung der xungenLiteratur«, in: NEDER, ROETZ u. SCHILLING (Hg.): China in seinen biographischen Dimensionen, S. 289–299.

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nicht wenige gab, welche China für vollkommen rückschrittlich hielten und daher eine vollkommene Verwestlichung forderten, liegt auf der Hand. Dies sei hier nicht unser Thema. Kommen wir zu einem repräsentativen Beispiel. Es stammt aus der Feder von Han Shaogong und ist vielfach besprochen worden.793 Sein Titel lautet »Papapa« (»Bababa«, 1985).794 An der Geschichte eines Stammes der Miao, der von der Welt abgeschlossen an der Grenze von Hunan und Guizhou lebt, werden archaische Opfer, Bräuche und Glaubensformen geschildert, die sinnlich den rückschrittlichen Zustand der »nationalen« Zivilisation veranschaulichen sollen. Der Protagonist Bing Zai, der nur »Papapa« und »Sau« stammeln kann und ganz seinem Instinkt lebt, verkörpert trotz seiner Zugehörigkeit zu einer Minderheit China bzw. den Chinesen. Dies ist deshalb möglich, da sich in seiner Gestalt der mythische Schöpfer Pan Gu verkörpert, der sowohl von den Miao als auch von den Han verehrt wird. Seine Unsterblichkeit läßt sich als Persiflage auf das »ewige« China bzw. auf das Fortleben der Tradition verstehen. Han Shaogong übt hier eine Kulturkritik an dem irrationalen Zug der chinesischen Zivilisation. Das Fehlen eines rationalen Selbstbewußtseins macht er an dem schwachsinnigen Kindgreis fest, den er wie folgt einführt:795 Nach seiner Geburt blieben seine Augen zwei Tage und zwei Nächte geschlossen, er aß und trank nicht, war wie ein Toter, und seine Familie schwebte in Angst und Sorge bis zum dritten Tag, an dem er endlich zu schreien begann. Als er krabbeln konnte, spielten die Nachbarn mit ihm, und er lernte, wie ein Mensch sich benimmt, lernte schon früh die zwei Worte »Papa« und – nicht etwa »Mama«, sondern »Sau«. Dies mag ungehobelt klingen, doch für das Kind war es nur irgendeine Silbe. Drei Jahre, fünf Jahre, sieben Jahre, schließlich acht Jahre waren ins Land gegangen, in denen das Kind kein weiteres Wort gelernt hatte. Apathisch war es und plump, und in seinem unförmigen Kürbiskopf war nur ein Haufen Schrott, der sich einbildete, ein Gehirn zu sein. Nach dem Essen von oben bis unten mit Fett bespritzt, wankte der Junge unsicher einher, und jeden, den er traf, egal ob Mann oder Frau, jung oder alt, rief er zutraulich »Papa«. [...] Diesem Etwas mußte man einen Namen geben, und sei es nur für die Hochzeitskarten und den Grabstein. Also wurde er Bing Zai genannt, was gleichzeitig »Dritter Sohn« oder »Krankes Kind« bedeuten kann.

Was den Wert einer Literatur auf der Suche nach den Wurzeln angeht, so bestimmt sich dieser vielleicht gar nicht so sehr nach der Frage einer Imitation von Vorla793

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Neben den genannten neueren Quellen empfiehlt sich immer noch GOATKOEI LANG-TAN: »Auf der Suche nach der verlorenen Identität. Zum Phänomen der ›Xungen Wenxue‹ in der chinesischen Gegenwartsliteratur (1984–1987)«, in: Drachenboot 1 (1987), S. 30–34. HAN SHAOGONG: »Papapa«, aus dem Chinesischen von KARIN HASSELBLATT, in: Drachenboot 1 (1987), S. 41–62. Zum Original s. Renmin Wenxue 6 (1985), S. 83–102. Zu einer englischen Fassung s. HAN SHAOGONG: Homecoming, S. 35–90. Deutsch in: Drachenboot 1 (1987), S. 41; chinesisch in: Renmin Wenxue 6 (1985), S. 83.

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gen796, sondern nach der sprachlichen Umsetzung eines Bildes vom sogenannten einfachen Menschen. Eigentlich ließe sich hier leicht für den Autor argumentieren. Han Shaogong und seinesgleichen wie Ma Jian (geb. 1953)797, Jia Pingwa (geb. 1953)798, Zhang Chengzhi (geb. 1948)799 oder nach ihm auch die Vertreter der Avant796

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HAN SHAOGONG: Maqiao cidian, Peking: Zuojia 1996, englisch von JULIA LOWELL: A Dictionary of Maqiao, New York: Columbia UP 2003, hat sich den Vorwurf des Plagiats gefallen lassen müssen, der durch Gerichtsbeschluß jedoch zurückgewiesen wurde, s. hierzu ARTHUR WARDEGA: »Maqiao cidian«, in: Chinese Cross Currents 1.1 (2004), S. 170–177. Zur Interpretation des Romans s. MARK LEENHOUTS: »Is it a Dictionary or a Novel? – On Playfulness in Han Shaogong’s ›Dictionary of Maqiao‹«, in: ANDERS HANSSON, BONNIE S. MCDOUGALL u. FRANCIS WEIGHTMAN (Hg.): The Chinese at Play: Festivals, Games and Leisure, London: Kegan Paul 2002, S. 168–185; VIVIAN LEE: »Cultural Lexicology: Maqiao Dictionary by Han Shaogong«, in: Modern Chinese Literature and Culture 14.1 (2002), S. 145–177. Der Roman behandelt einmal mehr Land und Leute in Hunan. Zu Ma Jian, der seit 1997 in London lebt, s. SABINE KOJIMA: Bilder und Zerrbilder des Fremden. Tibet in einer Erzählung Ma Jians, Bochum: Brockmeyer 1994 (= Chinathemen; 83). Die Bilder, die der Autor als Erzähler und Fotograf von Tibet lieferte, waren in der Volksrepublik China sehr umstritten, s. Drachenboot 1 (1987), S. 103–106 (u.a. Auszug aus der Erzählung »Der Belag deiner Zunge«). S. ansonsten MA JIAN: Ma Jian zhi lu, Hongkong: Mingbao [1987]; MA JIAN: Red Dust. A Path Through China, aus dem Chinesischen übersetzt von FLORA DREW, London: Vintage 2002. Der Autor hat sich zunächst durch seine Erzählungen zur Bergwelt von Shangzhou in seiner Heimatprovinz Shaanxi einen Namen gemacht, s. MARTIN: Bittere Träume, S. 105–110, ehe er sich durch seinen pornographischen Roman Die verbrauchte Großstadt (Fei du, Peking: Beijing Chubanshe 1993) einen zweifelhaften Ruf erwarb. Zu einem Auszug aus dem der Tradition nachgeschriebenen Roman s. minima sinica 1/1996, S. 111–117, zu einer Besprechung s. Orientierungen 2/1994, S. 148–152 und zu einer Deutung YLVA MONSCHEIN: »Alles im Zerfall? Kunst und Leben in Jia Pingwas Fei du, ›Verfallende‹ Hauptstadt«, in: minima sinica 1/1996, S. 88–110. Vom Autor liegt auf deutsch wenig vor, so die Erzählung »Feuerpapier« in: Nach den Wirren. Erzählungen und Gedichte aus der Volksrepublik China 1988, S. 128– 158. Zur Deutung seines Werkes s. SUN JIANXI: »Jia Pingwa and his Fiction«, in: YING BIAN: The Time is not yet Ripe. Contemporary China’s Best Writers and Their Stories, Peking: Foreign Language Press 1991, S. 99–111. Auf den Seiten 112–148 findet sich »Touch Paper« in der Übersetzung von DAVID PATTINSON. Zu weiteren Übersetzungen im Englischen s. Chinese Literature (Sommer 1987), S. 3–26; Chinese Literature (Sommer 1993), S. 136–170 (Essays); Chinese Literature (Winter 1994), S. 3–74; Chinese Literature 3 (1996), S. 94–103. Der Autor gehört der islamischen Minderheit der Hui-Nationalität an und geriert sich selbst als Fundamentalist. Er preist in seinem Erzählwerk das Grasland der (Inneren) Mongolei als Wiege und die Heimat als Heimat der Seele und als Ort der Frau(-en). Mit seiner Feier der Jugend(zeit) entpuppt er sich als Sentimentalist unter den Vertretern der Schule der Suche nach den Wurzeln. Zu seinem Werk s. XIAOBING WANG-RIESE: Zwischen Moderne und Tradition. Leben und Werk des zeitgenössischen Schriftstellers Zhang Chengzhi, Frankfurt u.a.: Peter Lang 2004. Zu seinen bekannteren Werken zählen die Novellen »Der Rappe« (»Hei junma«, 1982) und »Die Flüsse des Nordens« (»Beifang de he«, 1984), s. ZHANG CHENGZHI: The Black Steed, übersetzt von STEPHEN FLEMING, Peking: Panda 1990; ZHANG CAIXIN (Hg.): Zhang Chengzhi

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garde800 wie Su Tong, Yu Hua, Ge Fei801 und Ma Yuan (geb. 1953)802 beziehen mit ihren Entwürfen vom Landleben eine Gegenposition zur Ideologie der Kommunistischen Partei Chinas, nach welcher das Volk grundsätzlich gut und progressiv war. Die herkömmliche Geschichtsdeutung wird von ihnen auch sonst in Frage gestellt. Fragwürdig bleibt nur, ob dieser Gegenmythos nicht ebenfalls überzogen ist. Der Bauer wird, wie die amerikanische Sinologin Yi-tsi Mei Feuerwerker es so kryptisch beschrieben hat, zum peasant »other«. Dasselbe gilt für alles Fremde, wofür meist Tibet herzuhalten hat. Als Verkörperungen eines Alter ego geben beide Bilder eher Auskünfte über ihre Schöpfer als über deren Gegenstand. Wie human schreibt dagegen Shi Tiesheng (geb. 1951), selber behindert, über den gebrochenen Menschen!803 Mag Han Shaogong mit seinen beiden Erzählungen »Papapa« und »Fraufraufrau« im eigentlichen Sinne die Literatur auf der Suche nach den Wurzeln exemplarisch repräsentieren, so wird mit ihm dennoch im gleichen Atemzug eine Gestalt genannt, die so stilistisch und weltanschaulich ganz anders ist: A Cheng (eig. Zhong Acheng, geb. 1949), der nach seinen großen Erfolgen mit den Königserzählungen804 1987 in

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daibiaozuo, Zhengzhou: Huanghe 1988. Zu einer zweisprachigen Ausgabe (Englisch-Chinesisch) s. Selected Stories by Zhang Chengzhi. Zhang Chengzhi xiaoshuo xuan, Peking: Chinese Literature Press u.a. 1999. Zur Einführung in das Werk der drei wichtigsten Vertreter der Avantgarde (Ge Fei, Su Tong, Yu Hua) s. XIAOBING TANG: »Residual Modernism: Narratives of the Self in Contemporary Chinese Fiction«, in: Modern Chinese Literature 7.1 (Frühling 1993), S. 7–31. Zu diesem Erzähler s. Jing Wang: »›The Mirage of Chinese Postmodernism‹: Ge Fei, SelfPositioning, and the Avant-Garde Showcase«, in: positions 1.2 (1993); S. 349–388; XUDONG ZHANG: Chinese Modernism in the Era of Reforms, Durham u. London: Duke 1997, S. 163– 200; YANG: The Chinese Postmodern, S. 168–187. Ma Yuan hat von 1982 bis 1989 in Tibet gelebt, zeitweise mit seiner damaligen Frau Feng Li (Pi Pi, s. Anm. 746), und Tibet zum Gegenstand seines Erzählens gemacht. Mit seinem Fortgang aus Lhasa hat er auch seinen Gegenstand verloren. Seit langem schreibt er keine Erzählungen mehr. Nachdem er sich in den 90er Jahren mit Theaterstücken versucht hat, verdient er seit 2000 sein Geld in der Filmwirtschaft. Zu Übersetzungen im Deutschen s. MA YUAN: »Eine erfundene Geschichte« (»Xugou«), in: minima sinica 1/1989, S. 69–113; MA YUAN: »Die Göttin des Lhasaflusses« (»Lhasa He de nüshen«, 1983), in: minima sinica 2/2005. Zur Ausgabe seiner tibetischen Erzählungen s. MA YUAN: Xihai wufanchuan, o.O.: Xizang Renmin 1987. Zum Autor, der als erster die Form der Metaerzählung und der Selbstreferenz in die chinesische Literatur eingeführt haben soll, s. XIAOBIN YANG: The Chinese Postmodern, S. 153– 167. Zum Einfluß von Borges auf Ma Yuan s. RONG CAI: »The Mirror in the Text: Borges and Metafiction in Post-Mao-China«, in: Tamkang Review XXXII/2 (Winter 2001), S. 35–67. S. SHI TIESHENG: Strings of Life, Peking: Panda 1991. Zu einer Auswahl seiner Erzählungen im Chinesischen s. SHI TIESHENG: Zhongsheng, Peking: Shidai Wenyi 2001. A CHENG: Baumkönig • Kinderkönig • Schachkönig. Erzählungen aus China, mit einem Nachwort von HELMUT MARTIN, Dortmund: projekt verlag 1996 (= arcus chinatexte; 8). A CHENG: Qiwang, Peking: Zuojia 1985. Diese Ausgabe enthält das gesamte Erzählwerk. Zu einer englischsprachigen Ausgabe mit guter Einführung s. AH CHENG: Three Kings, übersetzt aus dem Chinesischen u. mit einer Einleitung von BONNIE MCDOUGALL, London: Collins Harvill 1990.

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die USA übergesiedelt ist und seitdem eher essayistisch denn erzählerisch tätig ist. Dieser aus Peking stammende Schriftsteller805 hat als »Jugendlicher mit Mittelschulbildung« einen großen Teil seiner jungen Jahre auf dem Land verbracht (1968– 1979), nach Shanxi und der Inneren Mongolei hauptsächlich in Yunnan (1969–1979), zunächst in der Bergregion von Xishuangbanna, dann in der Provinzhauptstadt Kunming (seit 1970). In besagter Bergwelt spielt auch seine bekannteste Erzählung »Schachkönig« (»Qiwang«, 1984)806, die ihm weltweit Anerkennung eingebracht und der Literatur aus der Volksrepublik China das Tor zum Buchmarkt von Taiwan geöffnet hat. Sie ist für viele der Anlaß, den Verfasser der xungen wenxue zuzurechnen und hier einen weiteren Beginn besagter Schule anzusetzen. Im Unterschied zu Han Shaogong und seinesgleichen verzichtet A Cheng jedoch auf eine grausige Beschreibung des Lebens von Jugendlichen zur Zeit der Kulturrevolution auf dem Land. Ganz im Gegenteil zeigt er ohne jede Larmoyanz, wie bei entsprechender Bescheidung auch unter kärglichen Umständen ein glückliches Leben möglich ist. Der Schachkönig Wang Yisheng macht es vor. Für ihn ist das Schachspielen alles. Daneben bedarf es nur des guten Essens, und die Lebensfreude ist sogleich perfekt. Das Leben ist schön, so scheint der Erzähler mit Wang Meng und anderen Künstlern am Ende des 20. Jahrhunderts auszurufen. Eine solche Botschaft geht vollkommen gegen das bekannte und einflußreiche Diktum von Theodor W. Adorno (1903–1969), daß ein richtiges Leben im falschen nicht möglich sei. Lassen wir einmal alle Ideologie beiseite und fragen: Was ist denn der Grund für die offensichtliche Lebensfreude zur Zeit der Kulturrevolution? Dieser muß mit etwas Überzeitlichem, mit ewigen und inneren Werten zu tun haben. Thema der Erzählung ist nämlich nicht das Schachspielen an sich, sondern vielmehr die chinesische Lebenskunst, und diese wird ganz traditionell als eine Hingabe an das Gegebene verstanden. Dies läuft im vorliegenden

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Die Erzählung »Kinderkönig« (»Haiziwang«) wurde übrigens von Chen Kaige 1986 verfilmt, 1988 war dessen Version in Cannes zu sehen. Der Pekinger A Cheng, bügerlich Zhong Acheng, ist leicht mit dem Heilongjianger A Cheng (geb. 1948), bürgerlich Wang Acheng, zu verwechseln. Zu Übersetzungen des letzteren im Englischen s. AH CHENG: Unfilled Graves, Peking: Panda Books 1995. Zur Deutung s. KAM LOUIE: »The Short Stories of Ah Cheng [d.i. A Cheng]: Daoism, Confucianism and Life«, in: The Australian Journal of Chinese Affairs 18 (1987), S. 1–13. Der Verfasser gibt sich hier zwar als Maoist bzw. Marxist zu erkennen, seine kritischen Ausführungen sind jedoch nach wie vor lesenswert; KARL ROSPENK: »Acheng [d.i. A Cheng] (VR China). Anspruchslose Daseinsfreude«, in: Literaturnachrichten 40 (1994), S. 7–9; KIN-YUEN WONG: »Between Aesthetics and Hermeneutics: A New Type of Bildungsroman in Ah Cheng’s [d.i. A Cheng] ›The Chess Champion‹«, in: Modern Chinese Literature 5.1 (Frühling 1989), S. 43–54. Nach einem Interview von Helmut Martin mit A Cheng sind die drei Königserzählungen alle schon während der Kulturrevolution in Yunnan entstanden, ja, er habe damals sogar schon mit dem Schreiben aufgehört, s. MARTIN (Hg.): Bittere Träume, S. 123. Dies paßt nicht zur Aussage von Bonnie McDougall in AH CHENG: Three Kings, S. 13, wonach der »Geschichtenerzähler« A Cheng seine Geschichte zunächst Freunden in Peking erzählt und dann niedergeschrieben habe, ehe sie wenig später in der Zeitschrift Shanghai Wenxue veröffentlicht gewesen sei.

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Die Literatur der Volksrepublik China

Fall auf eine Sinngebung des Sinnlosen hinaus, so jedenfalls möchte es dem westlichen Kritiker erscheinen. Man mag jedoch auch etwas Subversives in dem Preis der kleinen, unscheinbaren Dinge sehen. Die Kulturrevolution war eine Zeit der großen Sprache und der großen Entwürfe. Dies galt häufig selbst noch für die 80er Jahre. A Cheng thematisiert den Alltag, der oftmals bis 1989 als Gegenstand des Erzählens verpönt gewesen ist. Er beschwört die traditionelle Kraft des chinesischen Geistes, um sich nicht von den großsprecherischen Utopien unterkriegen zu lassen und sich angesichts der Nöte auch nicht der Verzweiflung zu überlassen. Die Erzählung »Schachkönig« feiert den Sieg der Spiritualität. Dieser wird mit Rückgriff auf eine Meditationshaltung möglich, die man aus der Praxis des Taoismus und des Zen-Buddhismus bereits hinlänglich kennt. Weltanschaulich hat A Cheng in dieser Hinsicht wenig Neues zu bieten, ja, man mag gar gegenüber dem Schachkönig, der am Ende der Erzählung wie ein Mönch beim Blindschach gegen neun Gegner in der Halle thront und sich eins mit dem Kosmos weiß, ein gewisses Gefühl von Déjà-vu empfinden. Auf Grund gemeinsamer Quellen fühlt man sich mitunter an Hermann Hesse (1877–1962) und seinen Roman Das Glasperlenspiel (1943) erinnert. So klingt A Chengs Erzählung mit folgender Bescheibung des Schachkönigs aus:807 Wang Yisheng saß mutterseelenallein in der Mitte des großen Raumes, die Augen starr auf uns gerichtet, die Hände auf den Knien, ein dünnes Baumstämmchen, aber wie aus Eisen. Er schien nichts zu sehen und nichts zu hören. Die elektrische Deckenlampe hoch über ihm beleuchtete trübe sein Gesicht. Die Augen, tief eingesunken und unergründlich schwarz, schienen hinabzuschauen in Myriaden von Welten, in ein grenzenloses Universum. Es war, als konzentrierte sich all seine Lebenskraft in dem wirren Haarschopf, wo sie eine Ewigkeit verharrte, um sich dann allmählich auszubreiten und mit ihrer Glut unsere Gesichter zu versengen.

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A CHENG: Baumkönig • Kinderkönig • Schachkönig, S. 176; A CHENG: Qiwang, S. 75.

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5. Ausblick: Die Kommerzialisierung der chinesischen Literatur am Ende des 20. Jahrhunderts Die chinesische Literaturkritik hält das Jahr 1985 viel eher als das Jahr 1989 für den Wendepunkt in der chinesischen Gegenwartsliteratur. Die finanzielle Unterstützung der Verlage durch den Staat findet langsam ein Ende, auf dem Buchmarkt setzt nach und nach ein marktwirtschaftliches Denken ein.808 In der Folge gewinnt man den Eindruck, daß der Markt immer mehr das Schreiben bestimmt, daß jegliche Ideologie oder Botschaft, ja selbst ein Verantwortungsgefühl gegenüber der Literatur in den Hintergrund zu treten beginnen. Dennoch ist es nicht angängig, die Mehrheit der »Gewinnler« gegen die Minderheit der »Verlierer« auszuspielen. Kunst und Kommerz können durchaus Hand in Hand gehen. Wir sehen dies überdeutlich bei einem Erfolgsschriftsteller wie Mo Yan (geb. 1956)809, der in allen Lagern zuhause ist und sein jeweiliges Handwerk versteht. Die Literaturkritik rechnet seine großen Erfolge so scheinbar unterschiedlichen Richtungen wie der Schule der Suche nach den Wurzeln, der Avantgarde, dem Neorealismus (xinxieshi xiaoshuo)810 etc. zu. Mo Yan, als Parteimitglied und Angehöriger der Volksbefreiungsarmee, bedient nicht nur den Markt811, sondern auch die Staatsideologie. Wir sehen dies deutlich bei seinem ersten und äußerst erfolgreich verfilmten Roman Das Rote Kornfeld (Hong gaoliang jiazu, 1986)812. Unter dem Einfluß von García Márquez, aus dessen Saga Hundert Jahre Einsamkeit 807

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Vgl. hierzu HENRY Y.H. ZHAO: »The River Fans Out: Chinese Fiction since the Late 1970s«, in: European Review 11.2 (2003), S. 193–208. Auf Grund der Fülle der Übersetzungen und der Sekundärliteratur sei der Einfachheit halber auf den Beitrag von HUANG WEIPING in ARNOLD (Hg.): KlfG verwiesen. Zu diesem Begriff und seinem Hintergrund s. THOMAS STURM: »Zwischen den Diskursen. Die chinesische neorealistische Erzählung«, in: Oriens Extremus 40 (1997), S. 102–152. So z.B. mit dem Roman: Fengru, feitun, Peking: Zuojia 1996; MO YAN: Big Breasts & Wide Hips, aus dem Chinesischen übersetzt von HOWARD GOLDBLATT, New York: Arcade 2003. Zur Deutung s. ANDREA RIEMENSCHNITTER: »Mother China Myths in Twentieth-Century Narrative«, in: ROY STARRS (Hg.): Asian Nationalism in an Age of Globalization, Richmond: Japan Library (Curzon) 2001, S. 324–346. MO YAN: Das rote Kornfeld, ins Deutsche übersetzt von PETER WEBER-SCHÄFER, Hamburg: Rowohlt 1993; MO YAN: Hong gaoliang jiazu, Peking: Jiefang Wenyi 1987. Der Roman besteht eigentlich aus fünf Novellen, die schon zuvor in Zeitschriften erschienen waren. Zur Verfilmung s. ZHANG YIMOU: »Ein Plädoyer für Kreativität. Meine Arbeit an dem Film Rotes Hirsefeld«, in: Orientierungen 1 (1997), S. 90–119. Zur Deutung s. FEUERWERKER: Ideology, Power, Text, S. 214–225; LU: Misogyny, Cultural Nihilism, & Oppositional Politics, S. 51–74; CHOU YINGHSIUNG: »Romance of the Red Sorghum Family«, in: Modern Chinese Literature 5.1 (Frühling 1989), S. 33–41; H.C. LI: »Color, Character, and Culture: On Yellow Earth, Black Cannon Incident, and Red Sorghum«, in: Modern Chinese Literature 5.1 (Frühling 1989), S. 91–119.

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er zum Teil Passagen übernimmt, gelingt ihm ein Werk, welches seine Heimat Gaomi in der Provinz Shandong »magisch« überhöht und dadurch der Schule der Suche nach den Wurzeln zuzurechnen ist. Gleichzeitig verlegt er die Handlung in die 30er Jahre zurück und erzählt nochmals eine Geschichte aus dem Chinesisch-Japanischen Krieg, und zwar gegen die herrschende Deutung von unten her aus der Sicht von schlichten Bauern, Banditen und Herumtreibern. Diese »Wiedererzählung« (chongxie) ist ein Charakteristikum der Avantgarde und des Neorealismus. Man erzählt gegen den Strich eine Geschichte neu und widersetzt sich damit der bisher verordneten Sicht der Revolutionsgeschichte. Insofern sind schon die frühen Erzählungen813 von Mo Yan – er schreibt seit 1981 – von dem Verfahren gekennzeichnet, Staatsschriftsteller wie Zhao Shuli oder Hao Ran mit ihren Bildern vom guten, progressiven Bauern auf den Kopf zu stellen und das Land als einen Alptraum zu entwerfen. Ein solches Verfahren läßt sich durchaus als stille Kritik an der von der Kommunistischen Partei Chinas monopolisierten Geschichtsschreibung verstehen. Man sollte dabei jedoch nicht zu weit gehen, denn im fraglichen Fall – im Roman Das Rote Kornfeld – weiß der Autor ein gutes Stück Patriotismus der Handlung von Liebe, Krieg und Schnapsbrennerei beizumischen, so daß er ganz auf der Seite der communis opinio steht. Was nicht nur diesen Roman, sondern auch alle folgenden Romane mit dem Markt verbindet, ist der Aspekt von Gewalt, den Mo Yan mit Vertretern wie Liu Heng (geb. 1954)814 oder Li Rui (geb. 1950)815 in der Übergangsphase von einer Literatur auf 813

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MO YAN: Trockener Fluß und andere Geschichten, aus dem Chinesischen von SUSANNE HORNFECK u.a., Dortmund: projekt verlag 1997 (= arcus chinatexte; 12); MO YAN: Touming de hong luobo (Durchsichtiger roter Rettich), Peking: Zuojia 1986; MO YAN: Explosions and Other Stories, hg. von JANICE WICKERI, Hongkong: The Chinese University 1991. Am bekanntesten ist seine Novelle Fu Xi, Fu Xi (Urkaiser, Urkaiser, 1988), die von Zhang Yimou 1990 unter dem Titel Judou (Name der Heldin) verfilmt worden ist. Das Werk liegt im Englischen unter dem Titel The Obsessed in LIU HENG: The Obsessed, übersetzt von DAVID KWAN, Peking: Panda 1991, S. 16–125 vor, und im Deutschen als Auszug unter LIU HENG: »Phallos«, in: Orientierungen 1/1997, aus dem Chinesischen von CHRISTIAN SCHWERMANN, S. 123–133. Zum Original s. LIU HENG: Dong-xi nan-bei feng, Peking: Zuojia 1989, S. 152– 256. Zum Autor, der hier eine Dorfgeschichte aus den 40er Jahren wiedererzählt, s. BIRGIT LINDER: »The Motif of Unlived Life in Liu Heng’s Fiction«, in: Journal of Modern Literature in Chinese 2.2 (1999), S. 119–148. In diesem Zusammenhang s. auch THILO DIEFENBACH: Kontexte der Gewalt in moderner chinesischer Literatur, Wiesbaden: Harrassowitz 2004 (= Opera sinologica; 15). Auf englisch liegt des weiteren eine Geschichte aus den 80er Jahren vor, s. LIU HENG: Black Snow (Hei de xue), übersetzt von DAVID KWAN, Peking: Panda 1991. Zu einer zweisprachigen Ausgabe (Englisch-Chinesisch) s. Selected Stories by Liu Heng. Liu Heng xiaoshuo xuan, Peking: Chinese Literature Press u.a. 1999. LI RUI: Die Salzstadt, ins Deutsche übersetzt von PETER WEBER-SCHÄFER, Reinbek: Rowohlt 1999 bebildert die Revolutionsgeschichte zwischen 1911 und 1988. Zum Original s. LI RUI: Jiu zhi (Orte der Vergangenheit), Schanghai: Shanghai Wenyi 1993. Zu einer Einführung in sein Werk und seine Erzählkunst s. LI RUI: Trügerische Heirat, hg. u. mit einem Vorwort von HELMUT MARTIN, Dortmund: projekt verlag 1994 (= arcus chinatexte; 3).

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der Suche nach den Wurzeln zum Neorealismus gemein hat. Hier ließe sich leicht und oft nicht zu Unrecht einwenden, die pure Schilderung von Gewalt diene als Zuspitzung von sex and crime letzten Endes nur der Bebilderung. Wir können jedoch einem Roman wie Die Schnapsstadt (Jiuguo, 1993)816 entnehmen, daß der dort geschilderte Kannibalismus nicht aus Effekthascherei erfolgt, sondern sich der Botschaft verdankt, China richte sich selber zugrunde. Literaturkritiker neigen daher immer mehr dazu, Schilderungen von Gewaltexzessen, ob bei Mo Yan oder anderen Autoren, als Allegorie für Chinas Weg nach 1949 oder als Parodie der chinesischen Tradition zu deuten. Neben einer latenten Kritik an der herrschenden Ideologie erlaubt die Kunst des rewrite (chongxie) eine Rückkehr zu ganzen Geschichten. Dies erklärt auch den Erfolg der chinesischen Erzähler seit den 90er Jahren auf dem Weltmarkt, die – von amerikanischen Literaturagenten lanciert – inzwischen jeden Bücherclub erreichen. Ob verfilmt oder nicht, es gibt immer noch ein Publikum, das nach ganzen Familiengeschichten verlangt.817 Während (post)moderne Erzähler des Westens den Plot zerbrechen, eine Geschichte, kaum begonnen, abrupt enden lassen, zur Metaerzählung neigen, das heißt zu einer Erzählung über eine Erzählung, und den Leser, den sie direkt ansprechen, durch den Wechsel von vielen unterschiedlichen Erzählern gern in die Irre leiten, bleiben die Verfasser von Familiensagas eher bei der Stange. Um möglichst viele Geschichten erzählen zu können, greifen sie gern zur traditionellen Technik der Episodentechnik zurück, welche in einer raschen Abfolge von Abenteuern eine Fülle von Handlungsträgern verlangt. Es kann daher leicht der Eindruck von Räuberpistolen oder von Schmökern entstehen. Dagegen hat sich weder beim heimischen noch beim ausländischen Publikum die (post)modernistische Erzählweise von Ma Yuan, dem frühen Yu Hua oder Ge Fei durchsetzen können. Mitte der 80er Jahre kaum in die Wege geleitet, verschwindet sie sogleich wieder, um nur noch hie und da nachzuklingen. Das fragmentierte Erzählen pflegte Wirklichkeit und Fiktion bis zur Unkenntlichkeit zu mischen. Tatsächliche Personen wie der Erzähler höchstpersönlich konnten auftreten, gleichwohl wurde die Realität als fiktiv entlarvt. Hier wirkte 816

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MO YAN: Die Schnapsstadt, ins Deutsche übersetzt von PETER WEBER-SCHÄFER, Hamburg: Rowohlt 2002; MO YAN: Jiuguo, Changsha: Hunan Wenyi 1993. Zur Deutung s. XIAOBIN YANG: The Chinese Postmodern, S. 207–229; FARQUHAR: Appetites, S. 121–136. Hier ließe sich neben den zahlreichen Autobiographien, meist von Chinesinnen verfaßt, auch beispielhaft anführen ALAI (geb. 1959): Roter Mohn, aus dem Chinesischen von KARIN HASSELBLATT, Zürich: Unionsverlag 2004; ALAI: Chen’ai luoding, Peking: Renmin Wenxue 1998. Zwei Erzählungen von ihm erschienen weiter in dem Sammelband von GRÜNFELDER (Hg.): An den Lederriemen geknotete Seele. Zu dem hier auch anthologisierten Erzähler Tashi Dawa (eig. Zhaxi Dawa, geb. 1959) s. LU: Misogyny, Cultural Nihilism, & Oppositional Politics, S. 104–128. Problematisch an diesen »tibetischen« Erzählern ist dreierlei: sie schreiben auf chinesisch, sie beherrschen das Tibetische nicht (mehr), und sie haben auch nie (länger) in Tibet gelebt. Zu Übersetzungen von Zhaxi Dawa im Englischen und zu seiner Einschätzung s. Chinese Literature (Herbst 1981), S. 41–62 (Umschrift hier: Tashi Dawa).

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sich insbesondere der Einfluß von Jorge Luis Borges (1899–1967) mit seiner symbolischen Welt von Spiegeln, Labyrinthen und Doppelgängern aus. Die Avantgarde verunsicherte ihre Leserschaft insbesondere durch zwei Verfahren: Ihre Sprache verwies nicht mehr auf etwas Außersprachliches, sondern nur noch auf sich selbst, und die Erzählhaltung eines ständig wechselnden Erzählpersonals entzog sich jeglicher verbindlichen Anteilnahme. Erzählen wurde zu einem herzlosen Sezieren ohne jeden inneren Bezug. Ob Kinder umgebracht oder Frauen vergewaltigt wurden, der Erzähler zeigte lediglich die Schrecken auf und überließ dem Leser die Urteilsfindung. Dabei konnte man durchaus den Eindruck gewinnen, die Autoren entziehen sich aus Angst vor einer Auseinandersetzung mit der Tagespolitik der gesellschaftlichen Problematik der Gegenwart. Für ihre Deutung der Vergangenheit würde sie kaum jemand mehr zur Rechenschaft ziehen wollen. Zumal sie nicht selten trotz aller Neuschreibung der jüngeren Geschichte durchaus politisch auf der sicheren Seiten stehen konnten. Wir sehen dies deutlich bei Ge Feis bekanntester Erzählung »Das verschwundene Boot« (»Mizhou«, 1988).818 Im Gegensatz zum frühen, noch stereotyp erzählenden Yu Hua819 bietet der Autor eine packende mystery story mit allem Drum und Dran: Geheimnisse werden angedeutet, Voraussagen gemacht, die Schicksale befragt. Anders als beim frühen Yu Hua liest man hier gern weiter, auch wenn die aufgebaute Spannung ästhetisch nicht ganz befriedigend gelöst wird, auch wenn der Titel nebulös bleibt. Die Handlung spielt 1928 zur Zeit des Nordfeldzuges von Chiang Kai-shek, sie zieht sich über sieben Tage hin. Diese sieben Tage machen auch die äußere Struktur des Werkes aus. Zeit (21. März 1928) und Ort (Zusammenfluß von Lan Jiang und Lian Shui) sind genau benannt. Der Protagonist, Kommandant Xiao, gehört zum Lager des so gut wie geschlagenen Kriegsherrn des Südens Sun Chuanfang (1884–1935). Er steht also auf der historisch falschen Seite und ist im Sinne der Volksrepublik China, aber auch der Republik China ein unwürdiger Held, der eines unwürdigen Todes durch seine eigenen Leute stirbt. Der Erzähler baut mehrere Spannungsfelder auf, die wichtigsten sind die zwischen Sohn und Eltern (Pietät), zwischen ungleichen Brüdern, die in verschiedenen Armeen dienen, zwischen dem Brigadekommandeur und der Frau eines anderen, zwischen dem Helden und der Leibwache und schließlich zwischen Pflicht und Liebe. Die Erzählung lebt von Leitmotiven. Da ist zum Beispiel die heimliche Liebe von einst, die Xiao bei der Rückkehr ins heimatliche Dorf wiederentdeckt. Die Beerdigung des Vaters wird zur 818

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Zur Übersetzung s. HENRY ZHAO (Hg.): The Lost Boat. Avant-garde fiction from China, London: Wellsweep 1993, S. 77–100. Zum Original s. Ge Fei wenji. Shu yu shi, Yangzhou: Jiangsu Wenyi 1996, S. 58–85. Zu einer weiteren Übersetzung s. GE FEI: »Meetings« [Xiangyu, 1993], übersetzt von DEBORAH MILLS, in: Abandoned Wine, gesammelt u. hg. von HENRY Y.H. ZHAO u. JOHN CAYLEY, mit einem Vorwort von GARY SNYDER, London: Wellsweep Press 1996 (= Chinese Writing Today; 2), S. 15–49. Zur Deutung konsultiere Anm. 801. Vgl. hierzu ANDREW F. JONES: »The Violence of the Text: Reading Yu Hua and Shi Zhecun«, in: Positions 2.3 (1994), S. 570–602.

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Nebensache. Die Geliebte als Verkörperung der eternal woman mit ihrem Duft, ihrer Figur, mit ihren Fingern bestimmt die Erinnerung des Helden und die Matrix der Erzählweise. Die Beziehung wird entdeckt, der heimkehrende Ehemann, so geht die Rede im Dorf, hängt seine Frau wie ein Schwein auf und weidet ihren Unterleib aus. Das sei so üblich und auch rechtens, befinden die Dörfler. Mehr tot als lebendig wird sie in die Heimat zurückgeschickt, wo der Bruder des Protagonisten als Angehöriger der Nordarmee Position bezogen hat. Xiao folgt ihr, wird aber nicht etwa von dem rachsüchtigen Ehemann getötet, sondern von seiner Wache, da Verrat befürchtet wird. Ge Fei hat politisch alles richtig gemacht. Wer im entscheidenden geschichtlichen Augenblick auf der falschen Seite steht und auch noch um einer vergangenen Liebe willen seine Pflichten versäumt, wer sich ganz von der Erinnerung und das heißt hier von seinen Trieben leiten läßt, kann nur aus der Geschichte »verschwinden«. Ge Fei ist jedoch ein viel zu raffinierter Erzähler, als daß sich der Kritiker die Sache so leicht machen könnte. Als klassisch gebildeter Autor knüpft er an eine hypothetische Geschichtssicht an, die von Du Mu (803–852) aufgebracht worden ist. Was wäre gewesen, wenn, so fragte der Dichter zur Tang-Zeit und verband seine Frage mit dem Schicksal schöner Frauen.820 Was wäre also gewesen, so können wir heute fragen, wenn der Kommandant Xiao nicht, von Schuld und Verlangen geplagt, seine Eltern und seine Geliebte für höher geachtet hätte als die damalige Entscheidungsschlacht? Wäre bei einem möglichen Sieg von Sun Chuanfang Geschichte anders verlaufen? Man kann jedoch Ge Fei nur den üblichen Vorwurf machen, den andere Kritiker Jahrhunderte zuvor auch gegenüber Du Mu erhoben haben: Darf Geschichte, wo Land und Leute auf dem Spiele stehen, so auf die persönlichen Belange eines einzelnen reduziert werden? Vielleicht hilft hier nur der Titel weiter: Der Held ist so losgelöst von aller Geschichte und wird so von seinem Verlangen bestimmt wie ein Boot, das ohne jeden Halt im Wasser treibt und verlorengeht. Geschichte, so mächtig sie von chinesischen Historikern in Vergangenheit und Gegenwart beschworen wurde, verblaßt im Angesicht der Liebe. Kehren wir zurück zum Ausgangspunkt unserer Betrachtungen, zum Problem der politischen Korrektheit bei gleichzeitiger politischer Unkorrektheit. Eine solche Sehweise kann bedingt auch für Mo Yan gelten, der mit seinem Roman Die Knoblauchrevolte (Tiantang suantai zhi ge, 1988)821 einen gesellschaftlichen Mißstand von 1987 aufgriff. Der Erzähler behandelt einmal mehr in seiner Heimat Gaomi ein 820

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Vgl. hierzu meinen Beitrag: »Die Rote Wand. Zur Kunst der Deutung von Tang-Lyrik« (im Druck). MO YAN: Die Knoblauchrevolte, ins Deutsche übersetzt von ANDREAS DONATH, Reinbek: Rowohlt 1997; MO YAN: Tiantang suantai zhi ge, Peking: Zuojia 1988. Dies ist die Erstfassung und von der Zweitfassung: Fennu de suantai, Peking: Beijing Shifan Daxue 1993, zu unterscheiden. Zur (überschwenglichen) Deutung s. MICHAEL S. DUKE: »Past, Present, and Future in Mo Yan’s Fiction of the 1980s«, in: WIDMER u. WANG (Hg.): From May Fourth to June Fourth, S. 43–70.

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unmittelbares Ereignis, das sich tatsächlich in Shandong, hier in einem Dorf, Paradies (Tiantang) geheißen, zugetragen haben soll. Im Mittelpunkt steht ein Problem, das zunächst sozialer, dann politischer und schließlich auch familiärer Natur ist. Die Bauern, die von der örtlichen Führung zum Knoblauchanbau angehalten waren, können ihre Ernte auf den Märkten plötzlich nicht mehr verkaufen und rebellieren. Gleichzeitig wird die Heldin des Romans, Fang Jinju, von der Familie aus ökonomischen Gründen jemandem zur Ehe versprochen, den sie nicht liebt. Ein Stoff wie aus der Gesellschaft vor 1949, den Zhao Shuli – das sei hier angemerkt – bereits vor Mo Yan verarbeitet hat! Die Flucht mit ihrem eigentlichen Partner Gao Ma führt ins Desaster, eine Flucht, die wir schon aus der Literatur vor 1949 kennen. Am Ende des Romans sind alle Protagonisten tot, und der Leser weiß, wo er die Schuldigen zu suchen hat: bei der örtlichen Partei und im traditionellen bäuerlichen Familiensystem. Der Mut des Mo Yan besteht nun darin, seine kritische Sicht der gesellschaftlichen Verhältnisse auf dem Lande unmittelbar zu äußern und sich nicht eines Remakes und damit des Tricks einer Transposition von Gegenwartsgeschichte in die Vergangenheit zu bedienen. Diesen Mut konnte er sich nur leisten, weil er in der Partei und beim Militär ist. In einem anderen Fall wie bei dem Roman Die Schnapsstadt hat der Autor für seine Courage bezahlen müssen: Eine Teilnahme am Berliner Literaturfestival Anfang der 90er Jahre wurde ihm nicht genehmigt. Gleichwohl lassen sich im Falle des Romans Die Knoblauchrevolte Dinge kritisch anmerken, die auch für alle anderen Werke von Mo Yan Geltung haben mögen. Vieles ist schon thematisch und stilistisch durch die Klassiker der Moderne erprobt worden und nicht mehr neu. Hinter der Technik des stream of consciousness und des flashback steht ein Erzähler, der durch seinen Wechsel von der dritten zur ersten Person so allwissend wird, daß er sogar ahnt, was Embryos im Mutterleib denken. Zu dieser Art von Deutungshoheit paßt auch die traditionelle Rolle des Bänkelsängers zu Beginn eines jeden Kapitels, der mit seiner politischen Meinung die communis opinio des leidenden Bauernvolkes und der aufgeklärten Leserschaft vertritt. Er erinnert in dieser Rolle an den Sänger von Lao Shes Stück Das Teehaus. Auffällig ist allerdings der weltanschauliche Widerspruch von Erzähler, Volkssänger und Protagonisten. Man gewinnt durch den vom Erzähler gesteuerten Gang der Ereignisse zunächst den Eindruck, im Mittelpunkt des Romans stehen die unschönen Seiten des Alltags in China: der häßliche Chinese, wie er schon aus dem Werk von Lu Xun und Bo Yang bekannt ist, die Korruptheit der Kader – davon haben wir bei Liu Binyan gehört –, China als Ort des Todes und nicht des Lebens – wir fühlen uns an Xiao Hong erinnert. Doch die Protagonisten wissen bei aller Kritik an der Beamtenschaft durchaus ein Loblied auf den Reformer Deng Xiaoping zu singen. Insofern ist der Name des Ortes, Paradies, zweideutig, ein Ort, anscheinend nicht nur zum Sterben, sondern auch zum Leben! Dazu paßt die Botschaft, welche im vorletzten Kapitel des Romans ein Parteimitglied vor Gericht äußert, um die Rebellen wider die öffentliche Ordnung zu verteidigen:822 822

MO YAN: Die Knoblauchrevolte, S. 363; MO YAN: Tiantang suantai zhi ge, S. 285.

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION Ich bin der Ansicht, der Knoblauchzwischenfall ist ein Alarmsignal für unsere Partei. Denn wenn eine Partei und eine Regierung nicht für die Interessen des Volkes eintreten, dann ist das Volk berechtigt, sie zu stürzen.

Diese Litanei, die mit einem langen Rückblick auf die Reformperiode anhob, unterscheidet jedoch zwischen der korrekten Parteiführung (in Peking) und den Fehlern der Kader vor Ort. Sie beruft sich auf die konfuzianische Tradition, nach welcher eine »Änderung des Himmelsauftrages« (geming), eine Revolution, gerechtfertigt sei, wenn dem Auftrag auf Erden, der Befriedung des Volkes, nicht Genüge getan wird. Natürlich wird der Sprecher nicht müde, »die große und korrekte Partei, die mit ganzem Herzen dem Volke dient«, zu preisen. Letzten Endes sind die Mißstände nur auf das Fehlverhalten einzelner Beamter zurückzuführen. Der Beifall, welchen das Publikum dem Redner zu guter Letzt zollt, macht untrüglich klar, auf welcher Seite das ansonsten so kritische Volk steht, nämlich auf der Seite des Zentralkomitees und der Regierung. Der Bänkelsänger dagegen trifft im letzten Kapitel des Romans keinerlei Unterscheidung zwischen guten und schlechten Kadern, für ihn sind alle Beamte gleich schlecht. Natürlich ließe sich diese einmal positive und einmal negative Sicht von Kommunisten als geschickter Schachzug des Autors zum Zwecke des Selbstschutzes abtun, doch warum hat der Erzähler bei der Beschreibung der Rebellen, ganz gleich ob Mann oder Frau, eine solch übertriebene Vorliebe für skatologische Mittel?823 Kot, Urin und Blähungen scheinen den chinesischen Bauern auszumachen. Wenn es denn statthaft wäre, Chinas modische Kritik an seiner falschen Repräsentation durch Europa einmal umzudrehen, so müßte sich die chinesische Gegenwartsliteratur erst recht die Frage gefallen lassen, ob Menschen wie du und ich in China »so« richtig repräsentiert wären. Halten wir fest: Mo Yan steht mutatis mutandis in der Nachfolge der modernen chinesischen Literatur vor 1949, besonders von Shen Congwen und Lu Xun. Er macht überdies Anleihen bei der Tradition und bei der (post)modernen Erzählkunst des Westens. In diesem Zusamenhang wird auch gern auf William Faulkner (1897–1962) und dessen Erzählungen aus dem Yoknapatawpha County aufmerksam gemacht. Er scheint überdies – und das gilt auch für seine Kollegen – eine Unmenge von Splattermovies oder Italo-Western gesehen zu haben. So finden wir hier von allem etwas, mit der Folge, daß sich bei der Lektüre der Eindruck beliebiger Reize ohne eine tiefere Durchdringung des Materials aufdrängt. Wenn wir der Ausgabe vom April 1988 trauen können, so hat der Autor Die Knoblauchrevolte zwischen dem 10. August und dem 15. September 1987 verfaßt. Eine so kurze Zeit reicht kaum für mehr als eine erste Niederschrift, geschweige denn für eine Überarbeitung. Je mehr wir uns dem Ende des 20. Jahrhunderts nähern, um so vordringlicher wird die Frage: Was ist im Werk der chinesischen Schriftsteller eigen, was nicht, was ist 823

S. hierzu LING TUN NGAI: »Anal Anarchy: A Reading of Mo Yan’s ›The Plagues of Red Lucusts‹«, in: Modern Chinese Literature 10.1&2 (1998), S. 7–24.

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ernsthaft, was nicht. Bevor nicht eine Geschichte der Übersetzung in China geschrieben worden ist, bevor nicht alle Übersetzungen, die Einflüsse ausgeübt haben mögen, einsehbar sind, wird man diese Frage nur vage beantwortet können. Gleichwohl lassen Han Shaogong und Mo Yan mit ihren möglichen Übernahmen aus übersetzten Werken ahnen, was in wenigen Jahrzehnten einmal Gewißheit werden kann: Wenn nicht als Plagiat, so wird vielleicht doch das eine oder andere Werk als Imitat zu gelten haben. Die Übermacht von Kafka, García Márquez, Borges, Alain Robbe-Grillet (geb. 1922) oder Kawabata Yasunari (1899–1972) hat auch vor Yu Hua824 nicht Halt gemacht. Seine von ihm propagierte Ästhetik der Gewalt speist sich wahrscheinlich aus der Begegnung mit dem nouveau roman, der im Frankreich der Nachkriegszeit en vogue war. An Gemeinsamkeiten fällt die kühle, sachliche, detaillierte Beschreibung objektiver Gegebenheiten auf. Die Personen sind anonym, der Erzähler hält sich von jeder Bewertung zurück. Yu Hua ist von der chinesischen Literaturkritik eines »kulturellen Nihilismus« bezichtigt worden. Nun liegt es in der Natur des nouveau roman, dem Leben seine Kausalität und dem Erzähler seine subjektive Meinung abzusprechen. Der Leser wird daher im »Frühwerk« von Yu Hua, welches der Avantgarde zuzurechnen ist, immer wieder einer Ontologisierung der Gewalt und des Bösen begegnen. Der traditionelle Schicksalsbegriff hat die einstigen Auffassungen der Moderne vom notwendigen »Sieg der Geschichte« oder vom unumstößlichen Weg des Humanismus ersetzt. Die Protagonisten haben keinen Namen mehr, ihre Handlungen sind irrational, ihre Existenz ist in absurde Situationen hineingestellt. Und so kommentiert der Autor sein Werk:825 Gewalt fasziniert mich, denn ihre Form inspiriert die Leidenschaft, ihre Kraft kommt aus den menschlichen Wünschen. In der Konfrontation mit Gewalt und Chaos scheint die Zivilisation nur ein Schlagwort zu sein, ist die menschliche Ordnung nichts als ein Ornament.

Als bekanntestes Beispiel läßt sich die Erzählung »Eine Art von Wirklichkeit« (»Xianshi yi zhong«, 1988)826 anführen. Sie ist gleichzeitig auch repräsentativ für die 824

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Zu seiner Autobiographie in der Übersetzung von ULRICH KAUTZ s. Orientierungen 1/2001, S. 102–109. Wichtig sind hier die Ausführungen zu seiner anfänglichen Ausbildung als Mediziner, die sich mir in seiner Kunst der Sezierung niederzuschlagen scheinen. Zitiert nach Thomas Zimmer: »Yu Hua«, in: ARNOLD (Hg.): KlfG, S. 5. Man beachte hier neben der ausführlichen Darstellung auch die reichlichen Hinweise zur Sekundärliteratur. YU HUA: »One Kind of Reality«, in: DAVID DER-WEI WANG u. JEANNE TAI (Hg.): Running Wild. New Chinese Writers, New York: Columbia UP 1994, S. 21–68. Yu Hua zuopin ji, Bd. 2, [Peking]: Zhongguo Shehui Kexue 1994, S. 3–45. Zur Deutung s. ANNE WEDELL-WEDELLSBORG: »One Kind of Chinese Reality: Reading Yu Hua«, in: CLEAR 18 (1996), S. 129–143; XIAOBIN YANG: The Chinese Postmodern, S. 66–70. Hierzu und zum frühen Werk s. auch ULRICH KAUTZ: »Drei Novellen und ein Roman von Yu Hua – ein Lesebericht«, in: Hefte für Ostasiatische Literatur 31 (2001), S. 111–115. Das Frühwerk liegt auf englisch vor, s. YU HUA: The Past and the Punishments, aus dem Chinesischen übersetzt von ANDREW F. JONES,

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frühen Erzählungen, die alle nach dem selben Muster angelegt sind. Es wird eine in sich abgeschlossene Welt im kleinen entworfen, die – so sagt es ein Kritiker – wie eine Sanduhr abläuft. Der kalte Erzähler benutzt ein symmetrisches Verfahren und läßt den Sohn von X den Sohn von Y töten, darafhin tötet Y den Sohn von X, nun tötet X den Y und schließlich tötet die Frau von Y den X etc. Geschichten dieser Art sind an und für sich für die chinesische Literaturgeschichte nicht neu. Im Unterschied zur Tradition jedoch, die immer auch einen Anlaß für einen Mord oder Totschlag anzuführen pflegt, läßt der Erzähler keinen Grund für die Tötungshandlung erkennen. Die Handlung läuft nach einem blinden Mechanismus ab. Der Erzähler möchte das Tier im Menschen zeigen, das nur biologischen Reaktionen und nicht geistigen Reflexionen folgt. Daher enthält er sich auch jeglichen Werturteils und schiebt das nackte Geschehen in den Vordergrund. Dies nennt Yu Hua ein »direktes Erzählen« bzw. ein »subjektloses Erzählen«. »Wirklich« ist ihm bei der Suche nach der »Wirklichkeit« nicht der Alltag, sondern Chaos bzw. Gewalt. Die These von der reinen Biologie des Menschen gemahnt an Thesen, die Durs Grünbein (geb. 1962) mit Rückgriff auf Georg Büchner vertreten hat.827 Über den Kreis von Fachleuten hinaus ist Yu Hua hauptsächlich durch die beiden Romane Leben! (Huozhe, 1992)828 und Der Mann, der sein Blut verkaufte (Xu Sanguan mai xue ji, 1995)829 einem größeren Publikum bekanntgeworden. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand. Der Autor erlaubt seinem Erzähler wieder eine Anteilnahme, und er setzt verstärkt die Mittel der chinesischen Tradition ein. In beiden Fällen wird chronologisch über einen Zeitraum von etwa vier Jahrzehnten berichtet. Es entsteht eine Art Familiensaga. Nehmen wir Leben! als Beispiel. Der Erzähler zeigt in einer traditionellen Rahmenhandlung Mitleid mit den Geschichten, die ihm der Protagonist Xu Fugui aus seinem Leben erzählt. In gewisser Hinsicht schreibt der

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Honolulu: Hawaii UP 1996. Zur Einschätzung der frühen Erzählungen s. ANNE WEDELLWEDELLSBORG: »Self, Identity and Allegory in the Fiction of Yu Hua«, in: LISBETH LITTRUP: Identity in Asian Literature, London: Routledge Curzon 1996, S. 72–91; RONG CAI: »The Lonely Traveler Revisited in Yu Hua’s Fiction«, in: Modern Chinese Literature 10.1&2 (1998), S. 173–190; XIAOBIN YANG: The Chinese Postmodern, S. 188–206. S. THEO ELM: »Einleitung«, in: DERS. (Hg.): Lyrik der neunziger Jahre, S. 16–26. YU HUA: Leben, aus dem Chinesischen übersetzt von ULRICH KAUTZ, Stuttgart: Klett-Cotta 1998. Mir lag die Neuauflage YU HUA: Huozhe, Schanghai: Shanghai Wenyi 2004 vor. Dieser vom Verlag sogenannte Roman ist zunächst als Novelle (zhongpian xiaoshuo) in Zeitschriftenform (Shouhuo 1992) erschienen und sehr viel später erst in Buchform (1998). Daher gehen die Datierungen auseinander. Zur Rezeption des Romans im deutschsprachigen Raum s. ULRICH KAUTZ: »Begegnung mit Yu Hua«, in: Hefte für Ostasiatische Literatur 29 (2000), S. 149–154. Der Roman wurde von Zhang Yimou verfilmt und 1994 in Cannes gezeigt. YU HUA: Der Mann, der sein Blut verkaufte, aus dem Chinesischen übersetzt von ULRICH KAUTZ, mit einem Nachwort des Autors, Stuttgart: Klett-Cotta 2000. Als Original lag mir die Neuauflage YU HUA: Xu Sanguan mai xue ji, Schanghai: Shanghai Wenyi 2004 vor. Auch dieser »Roman« erschien zunächst in Zeitschriftenform (Shouhuo 1995) und dann erst in Buchform (1998).

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Autor die Geschichte der Volksrepublik China aus dem Blickwinkel der unteren Schichten neu. Allerdings muß gesagt werden, daß die kritische Sicht des Großen Sprungs nach vorn in voller Übereinstimmung mit der Parteilinie seit 1979 steht. Gleichwohl hebt der implizite Autor durch die beiden Ich-Erzählungen von Erzähler und Xu Fugui all die Mythen auf, die Schriftsteller wie Zhao Shuli oder Li Zhun seinerzeit gesponnen hatten. Interessanterweise läßt er den Erzähler zu diesem Zweck in die traditionelle Rolle eines Sammlers von Volksliedern schlüpfen. Seit der Han-Zeit (206 v.Chr. – 220 n.Chr.) war es üblich gewesen, daß Beamte auf dem Lande Liedgut sammelten, um am Hofe über die Volksmeinung Bericht erstatten zu können. In unserem Fall hat sich der Adressat jedoch geändert: Nachricht von einem Leben unter dem unabweislichen Schicksal von Willkür, Schuld, Tod und Krankheit wird in erster Linie der Leserschaft und weniger der politischen Führung zuteil. Das Bild, das man gewinnt, unterscheidet sich grundsätzlich von dem der Partei, die sich selbst immer auf dem richtigen Weg sah. Der Roman beschreibt zwar die Läuterung eines ehemaligen Lüstlings, steuert somit im Rahmen einer Art Erziehungsroman auf ein positives Ende zu, doch »der Lebende« – so wäre der Titel des Werkes auch zu übersetzen –, der »Überlebende« steht zu guter Letzt allein da. Seine Familie, seine Freunde, alle sind im Laufe der Ereignisse zwischen Chinesisch-Japanischem Krieg und Reformperiode umgekommen. Was ist die Hoffnung von Xu Fugui zu Beginn der 80er Jahre? Ganz traditionell findet sie in seinem (Ab-)Gesang ihren Ausdruck: Junger Mann stromert rastlos umher, Reifer Mann strebt nach Wohlstand so sehr. Alter Mann wird Mönch und will gar nichts mehr.

Hierzu fügen sich die letzten Worte des Ich-Erzählers, sie lesen sich wie der Kommentar zur Entwicklung Chinas seit 1949. Bald würde die Dämmerung weichen und die Nacht sich vom Himmel herabsenken. Ich sah, wie die weite Erde ihre starke Brust entblößte – ein Ruf war das: Wie die Frauen ihre Söhne und Töchter, so rief die Erde die Nacht.

Yu Hua ist ein Werk gelungen, das trotz aller Schwächen auf Grund seiner Menschlichkeit den Leser zu packen weiß. Er hat vom Antihumanismus seines »Frühwerkes« abgelassen und der chinesischen Familie ihre Humanität zurückgegeben, die er ihr noch in der Erzählung »Eine Art von Realität« vollkommen abgesprochen hatte. Viele Szenen sind rührend geschrieben, so wie die von der Liebe des Schiefhalses Erxi zur Taubstummen Fengxia.830 Seit Fengxia schwanger war, liebte Erxi sie noch mehr. Im Sommer hatten sie viele Mücken im Zimmer, aber kein Moskitonetz. So legte Erxi sich, wenn es dunkel 830

YU HUA: Leben!, S, 190f.; YU HUA: Huozhe, S. 168.

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION wurde, aufs Bett und fütterte die Mücken, während Fengxia draußen die Abendkühle genoß. Erst wenn die Mücken satt waren und nicht mehr stachen, durfte sie hereinkommen und zu Bett gehen. Mehrmals war es vorgekommen, daß Fengxia schon vorher hineinging und nach ihrem Mann schaute, aber da wurde er beinahe ärgerlich und schob sie wieder aus dem Zimmer – das erzählten mir die Nachbarinnen. Sie hatten Erxi auch aufgefordert, ein Moskitonetz zu kaufen, doch er hatte nur gelacht und nichts gesagt. Bei Gelegenheit erklärte er es mir: »Ich hätte ein zu schlechtes Gewissen, solange ich noch Schulden habe.«

Yu Hua mag zwar nicht wie Mo Yan ein Preissänger des Primitivismus sein, der die Zivilisation als Verlust begreift und daher die Ahnen, die Vergangenheit beschwört, aber er sieht doch wie dieser im Volk eine Kraft, allen Widerständen zum Trotz zu überleben. Unter seiner Feder wandelt sich auch das despektierliche Frauenbild: Frauen und Männer leiden gleichermaßen, sie bedürfen einander, um ihr Leid durchzustehen. Der Mann, der sich früher tragen ließ, trägt nun die Frauen auf dem Rücken. Der Alltag gerät ins Zentrum der Beobachtung und wird zum Kennzeichen eines Neorealismus, der sich im Übergang von den 80er zu den 90er Jahren sowohl gegen den Primitivismus als auch gegen die Avantgarde langsam zu etablieren beginnt. Man fragt nun nicht mehr nach dem Sinn des Lebens. Kultur und Politik verlieren ihren Vorrang. Es gibt keine höhere Bedeutung, die hinter etwas anderem verborgen läge und auf die »Erlösung« durch einen Schriftsteller warten würde. Der Sinn des Lebens liegt, wenn es ihn denn überhaupt gibt, im realen Leben selbst. Der Slogan lautet nun konsequent: zurück zum wirklichen Leben der einfachen Leute. Bei Neorealismus sollte man vielleicht nicht so sehr an einen Neorealismus im Stil der italienischen Nachkriegsliteratur denken, sondern an eine Art Gegenprogramm gegen den verordneten Sozialistischen Realismus, der nach 1979 immer noch die Widerspiegelung eines typischen Charakters in einer typischen Situation gefordert hatte. Man wollte sich nicht mehr von der Ideologie bevormunden lassen, man kündigte vielmehr den Dienst an der Politik auf. Das »Wesen« des Lebens trat als Gegenstand der Literatur in den Hintergrund, die »reinen Fakten« des Lebens drängten in den Vordergrund. Diese beschrieb man und sonst nichts. Dabei ging es auch – wie gesagt – um eine Rekonstruktion von Geschichte, wie dies Thomas Zimmer für Su Tong trefflich nachweist.831 Man spricht daher auch von einem Neohistorismus (xin lishizhuyi), zumal der Autor die Rekonstruktion bis ins Mittelalter betreibt. Was ihn mit Yu Hua verbindet, ist der Aspekt von Misogynie in seinem Werk. Während dieser bei Yu Hua nicht grundsätzlich vorherrscht, macht er bei Su Tong das eigentliche Charakteristikum aus. Natürlich wäre hier – was bislang nicht geschehen ist – die Frage zu stellen, ob Erzähler, Held oder impliziter Autor oder gar alle drei sich wirklich der Frauenfeindschaft schuldig machen. Da Misogynie einen Grundtenor der Avantgarde darstellt – vergleichbar dem Männerhaß in der feministischen Literatur des Westens –, 831

S. seinen ausführlichen Artikel für ARNOLD (Hg.): KlfG. Hier finden sich auch Hinweise zu zahlreichen Übersetzungen im Deutschen und zur reichlichen Sekundärliteratur.

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wäre in diesem Zusammenhang des weiteren zu problematiseren, ob nicht deren Modernismus ein reaktionärer Modernismus ist oder ein Pseudomodernismus unter dem Einfluß des europäischen Fin de siècle.832 Su Tongs Ruhm gründet auf oft preisgekrönten Verfilmungen von Werken wie Rote Laterne (Qiqie chengqun, 1990)833 durch Zhang Yimou (1992), Rouge (Hongfen, 1993)834 durch Li Shaohong (1994) und Reis (Mi, 1991)835 durch Huang Jianzhong (geb. 1941). Fraglich ist jedoch, ob dieser lange anhalten wird. Su Tong ist ein Synthetiker, er bietet von allem etwas. Mit der »Heimatliteratur« und mit der Literatur auf der Suche nach den Wurzeln verbindet ihn die Ansiedelung vieler seiner Erzählungen an einem einzigen Ort (Fengyang)836, ja gar in einer einzigen Gasse, der Surenbaumgasse. Mit der Avantgarde teilt er die Groteske, und mit dem Neorealismus hat er das Verfahren des Remakes gemein. Seine Bevorzugung von sex and crime schließlich bindet ihn an den Markt. Er schreibt gern die Geschichte der Republik-Zeit gegen den Strich neu: der sogenannte einfache Mensch ist nicht mehr Opfer (so der 4. Mai), sondern Täter, er ist nicht mehr gut (so Mao Zedong), sondern böse. Gleichwohl vermögen seine Räuberpistolen auch auf Parteilinie zu stehen, so zum Beispiel, wenn die Erzählung Die Opiumfamilie (Yingsu zhi jia, 1990)837 mit dem Hinweis endet: 832

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RASCH: Die literarische Décadence führt viele Beispiele für Misogynie und Gewalt an. Vgl. in diesem Zusammenhang auch MARIÁN GÁLIK (Hg.): Decadence (fin de siècle) in SinoWestern Literary Confrontation. Selected Papers Read at the International Symposium, Vienna University, June 9, 1999, Bratislava: Institute of Oriental and African Studies / Slovak Academy of Sciences 2005. Für die folgenden Erzählungen geben alle konsultierten Werke unterschiedliche Daten für die Ersterscheinung des Originals an. Die Verwirrung beruht wahrscheinlich auf der Ersterscheinung in Zeitschriften und der Zweiterscheinung in Buchform! SU TONG: Rote Laterne, [aus dem Französischen] ins Deutsche übersetzt von STEFAN LINSTER, München: Goldmann 1992. Als Ausgabe lag mir die Neuauflage SU TONG: Qiqie chengqun, Schanghai: Shanghai Wenyi 2004, S. 1–51 vor. Zur Deutung dieses Geschlechterkampfes zwischen einer jungen Frau und einem alten Mann s. LU: Misogyny, Cultural Nihilism, & Oppositional Politics, S. 134–140; ROBIN VISSER: »Displacement of the Urban-Rural Confrontation in Su Tong’s Fiction«, in: Modern Chinese Literature 91 (1995), S. 124–133; DEIRDE SABINA KNIGHT: »Decadence, Revolution and Self-Determination in Su Tong’s Fiction«, in: Modern Chinese Literature 10.1&2 (1998), S. 103–110. Zur Verfilmung durch Zhang Yimou s. HSIU-CHUANG DEPPMAN: »Body, Space, and Power: Reading the Cultural Images of Concubines in the Works of Su Tong and Zhang Yimou«, in: Modern Chinese Literature and Culture 15.2 (Herbst 2003), S. 121–153. SUSANNE BAUMANN: Rouge. Frauenbilder des chinesischen Autors Su Tong, Dortmund: projekt verlag 1996 (= edition cathy; 24), S. 107–151. Als Original lag mir die Neuauflage SU TONG: Hongfen, Schanghai: Shanghai Wenyi 2004, S. 51–144 vor. SU TONG: Reis, ins Deutsche übersetzt von PETER WEBER-SCHÄFER, Reinbek: Rowohlt 1998. Zum Original s. Su Tong wenji, 6 Bde. (ohne Zählung): Mi, [Nanking]: Jiangsu Wenyi 1996, S. 3–222. Zu diesem Ort s. CLEMENS TRETER: China neu erzählen. Su Tongs Erzählungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Dortmund: projekt verlag 1999 (= edition cathay; 43), S. 35ff. SU TONG: Die Opiumfamilie, ins Deutsche übersetzt von PETER WEBER-SCHÄFER, Reinbek: Rowohlt 1998. Zum Original s. SU TONG: »Yinsu zhi jia«, in: Su Tong xiaoshuo jingpin, o.O.:

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION [Der Brigadeleiter] Lu Fang sagte, von diesem Moment an habe er [dem Vorarbeiter] Chen Mao seine zahlreichen Fehler vergeben und begonnen, den verknöcherten Großgrundbesitzer und mit ihm die ganze verrottete und dem Untergang geweihte Klasse der Großgrundbesitzer leidenschaftlich zu hassen. Im Winter 1950 führte Brigadeleiter Lu Fang den Befehl zur Liquidierung des konterrevolutionären Großgrundbesitzersohns Liu Chencao aus. So wurde die Familie Liu aus Fengyang bis aufs letzte Glied ausgerottet.

Hier meint man noch in den Adjektiven die Diktion der Partei mitzulesen. Ähnliches gilt für den Haß, der sich als Leitmotiv durch die Novelle zieht und zum Grundsatzprogramm der Partei bis 1979, teilweise bis 1989 gehört. Hier wie andernorts dient die Historie als Folie für die konstruierte Inszenierung von grotesken Gewaltszenen, die für sich kaum historische Wahrheit oder die Widerspiegelung von Alltagsmilieu in Anspruch nehmen können. Die Ästhetik des Häßlichen mit ihrem Hang zum Skatologischen scheint sich verselbständigt zu haben. Man mag diesen Zug des Neohistorismus politisch als eine Abkehr von der Politpropaganda oder als Flucht aus der Realität deuten,838 mir scheint der Erzähler seine Mittel letztlich plakativ auf den Zeitgeist zuzuschneiden. Man hat nicht zufällig vom »Primat des Visuellen« (Thomas Zimmer) im Werk des Su Tong gesprochen. Der allwissende Erzähler, der »sagt« (telling) statt »zeigt« (showing), bebildert ohne jede Anteilnahme Dinge, die den Hauch des Sensationellen haben und sich gut verfilmen lassen. So auch im Falle von Reis. Reis ist ein Leitmotiv, das die Grundbedürfnisse des Menschen wie Nahrung und Fortpflanzung symbolisiert. Es wird begleitet von allen möglichen Farben, Düften und Klängen, so daß zunächst der Eindruck von einem durchkomponierten Werk entsteht. Der Erzähler bemüht jedoch altbekannte Dinge wie den Topos des Jungen Mannes, der vom Land in die Stadt kommt und im Laufe der Zeit vom Underdog zum Herrn über Reis und Frauen aufsteigt:839 Die Unterwäsche der Mädchen aus dem Reisladen und ihre Strümpfe hingen noch auf der Wäscheleine, und die Tür zum Reislager stand offen und ließ den einzigartigen Duft von frischem Reis zu ihm herüberwehen. Wulong fragte sich, ob er endlich den Hafen gefunden hatte, in dem seine Irrfahrten enden sollten: Berge von schneeweißem Reis; schöne, begehrenswerte Frauen; Züge auf der einen Seite, Dampfer auf der anderen; im Herzen der Stadt und doch nah am Industriegebiet; umgeben von Menschen und Reichtum. Der Traum eines jeden Mannes aus Fengyang. Zum Greifen nahe. Ein ganz privates Paradies gewann in Wulongs Kopf Gestalt.

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Xinan Shifan Daxue (Chubanshe) 1993, S. 60–129. Zur Deutung s. LU: Misogyny, Cultural Nihilism, & Oppositional Politics, S. 140–145. Zur Diskussion s. BAUMANN: Rouge, S. 15–19. SU TONG: Reis, S. 26; SU TONG: Mi, S. 19.

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Su Tongs Protagonisten treten als fertige Personen auf und ab. Das Biologische steuert sie so sehr, daß sich der Gang der Handlung zwangsläufig ergibt und jedes Geschehen vorhersehbar wird. Ob Mann oder Frau, das Leben spielt sich nur zwischen Klo und Bett ab. Su Tong folgt dem weltweiten Trend einer »Kunst der Exkremente und Spermata«. Und wenn nicht, dann schleichen sich formelhafte Dinge ein wie: das Land ist gut; die Frauen sind schlecht und ohnehin der Grund aller Verderbnis; das Böse organisiert sich in Form einer Mafia; eine überflüssige ghost story und eine alberne Schatzsuche runden schließlich den Eindruck ab: hier wurde eigentlich ein Drehbuch für einen reißerischen Film konzipiert. Su Tong ist kein geistvoller Schriftsteller, seine »Botschaften« sind simpel. Der Mensch ist ein Stück Fleisch, das von seiner Natur bestimmt ist. Den biologischen Aspekt hatten schon Wang Anyi und Liu Heng in die Erzählkunst der 80er Jahre eingeführt. Eine Betonung von Erbanlagen wie in der Erzählung »Prima Ma, Onkel Xie, Fräulein Mei und Nini« (»Hao muma, Xie bobo, Xiao Mei ayi he Nini«, 1986)840 oder des menschlichen Triebes wie in der Novelle Urkaiser, Urkaiser erlaubt den Erzählern eine Rückkehr zum traditonellen Schicksalsbegriff, der durch den Maoismus viele Jahrzehnte außer Kraft gesetzt worden war. Nun erweist sich der Mensch nicht mehr als Herr seiner Geschichte, ja nicht einmal mehr als Herr seiner Triebe. Auch Liu Heng hatte ihm alle geistigen Elemente abgesprochen und jegliche Existenz zu einer Sache des Essens erklärt. Gleichwohl ist eine solche Sicht in der Literatur der 90er Jahre eher eine Ausnahme als die Regel. Repräsentativ für den Trend des Neorealismus sind vielmehr Liu Zhenyun (geb. 1958)841, Fang Fang (geb. 1955)842 oder 840

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WANG ANYI: »Prima Ma, Onkel Xie, Fräulein Mei und Nini«. Auszüge aus dem Chinesischen von KARIN HASSELBLATT, in: minima sinica 1 (1990), S. 105–139; Shouhuo 1 (1986), S. 4–55. Repräsentativ ist sein Roman Die Einheit (Danwei, 1992). LIU ZHENYUN: »Danwei«, in: Li Zhenyun wenji: Yi di jimao, [Nanking]: Jiangsu Wenyi 1996, S. 103–174. Zu einem Auszug aus dem siebten Kapitel s. die horen 169 (1993), S. 57–62. In dieser Zeitschrift findet sich auch ein weiterer Auszug, nämlich aus dem Roman Die gelben Blumen unter dem Himmel der Heimat (Guxiang tianxia huanghua, 1991), S. 49–56, der die Geschichte Chinas von 1912 bis 1968 aus dem Blick des Volkes »wiedererzählt« und dadurch eher zum Neohistorismus gehört. LIU ZHENYUN: »Guixiang tianxia huanghua«, in: Liu Zhenyun wenji: Huanghua tuyuan, S. 1–340. Zu Übersetzungen seiner Erzählungen im Englischen s. LIU ZHENYUN: The Corridors of Power, Peking: Panda Books 1994. Als beispielhaft gilt ihre Novelle »Landschaft« (»Fengjing«, 1989) mit der stringenten Schilderung des täglichen Lebens in Wuhan, s. Contemporary Chinese Women Writers II, Peking: Panda 21997, S. 18–135 (»Landscape«), nachgedruckt in: Contemporary Chinese Women Writers V. Three Novellas by Fang Fang, Peking: Panda 1996, S. 95–211. Hier finden sich allerdings noch Spuren einer Literatur auf der Suche nach den Wurzeln (tumbe Protagonisten), des magischen Realismus und der Avantgarde (ein frühverstorbenes Kind als kalter Erzähler von Grausamkeiten). Die Autorin weiß auch manche Räuberpistole zu erzählen. Zu weiteren Übersetzungen im Englischen und zu einer Einschätzung s. Chinese Literature (Sommer 1997), S. 5–39 (»Hints«), S. 40–78 (»Stakeout«), S. 79–83 (zur Autorin). Zum chinesischen Original s. Fang Fang wenji, 4 Bde. (ohne Zählung), o.O.: Jiangsu Wenzi 1995.

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Chi Li (geb. 1957)843. In ihren Werken gibt es keine hehren Dinge mehr, es herrscht die Banalität des Faktischen vor. Im Unterschied zu Su Tong wird das Gewöhnliche gewöhnlich und nicht etwa grotesk erzählt. Klassische Charaktere oder hohe Ideale haben ausgespielt, es zählen nur noch die Sorgen des »kleinen Mannes«. Nichts stiftet einen besonders sinnhaltigen Plot: alle politischen Erwartungen, alle Hoffnungen auf eine Veränderung der Welt sind einer emotionslosen, mitunter kalten, ja auch sarkastischen Schreibweise gewichen. »Der Bohnenquark in der Familie Lin war schlecht geworden...« So beginnt der Roman Ein Flecken Hühnerfedern (Yi di jimao, 1990)844 von Liu Zhenyun, und entsprechend trivial gestaltet sich der Plot. Nicht selten lautet die Botschaft, so »bitter« (xinsuan, vielfach bei Liu Zhenyun) ist das Leben, nicht selten nähert sich ihr Prophet dem Naturalismus an. Die gleichzeitige Zugehörigkeit bzw. Zuschreibung von Literaten zu unterschiedlichen Schulrichtungen wirft ein Bild auf das Wirrwarr in der herrschenden Literaturkritik. Man kann aber auch positiv von einem Pluralismus sprechen, welcher mit der unten anzusprechenden sozialen Wende der 90er Jahre zu tun hat. Es gibt kein verbindliches Zentrum und damit keinen allgemein verbindlichen Wertekanon mehr. Manche Literaturwissenschaftler haben dies als Anzeichen einer auch in China um sich greifenden Postmoderne verstanden und in diesem Zusammenhang gern von der Avantgarde als der chinesischen Spielart der Postmoderne gesprochen. Die Definitionen und Beweisführungen fielen dabei nicht selten äußerst dürftig aus.845 Natürlich wird man in dem 843

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Repräsentativ ist ihre Novelle »Ein schweres Leben« (»Fannao rensheng«, 1987). Mit ihrer gekonnten Schilderung des schnöden Alltags gilt sie der Literaturkritik als Vorläufer, ja gar Initiator des Neorealismus. Zur Übersetzung s. Contemporary Chinese Women Writers II, Peking: Panda 21995, S. 11–87, nachgedruckt in: CHI LI: Apart from Love, Peking: Panda 1994, S. 11–87 (»Trials and Tribulations«). Zum Original s. CHI LI: »Bu tan aiqing« (Apart from Love), in: Chi Li wenji, 6 Bde., 1995–1998, hier Bd. 2 (Yi dong wu xue), [Nanking]: Jiangsu Wenyi, S. 55–109. Zu ihrem Werk s. EVA MÜLLER: »›Postmoderne‹ Entwicklungen in der chinesischen Literatur und das Werk chinesischer Erzählerinnen der Gegenwart«, in: HAMMER u. FÜHRER (Hg.): Chinesisches Selbstverständnis und kulturelle Identität, S. 157–170. Die Autorin behandelt hier auch Zong Pu, Fang Fang, Chen Ran, Zhang Xin und Lin Bai. LIU ZHENYUN: »Yi di jimao«, in: Liu Zhenyun wenji, 4 Bde., besagter Band: Yi di jimao, [Nanking]: Jiangsu Wenyi 1996, S. 175–233. S. zum Beispiel XIAOBIN YANG: »Answering the Question. What is Chinese Postmodernism/ Post-Mao-Dengism?«, in: CHI u. WANG (Hg.): Chinese Literature in the Second Half of a Modern Century, S. 193–215. Der Aufsatz versteht simpel den Maoismus als Teil der Moderne, was zugegeben nicht ganz falsch ist, und dementsprechend die Zeit nach Mao Zedong bzw. Deng Xiaoping als Postmoderne! Zum Stand der Postmoderne in der amerikanischen Sinologie s. WEN-HSIN YEH (Hg.): Cross-Cultural Readings of Chineseness. Narratives, Images and Interpretations of the 1990s, Berkeley, California: University of California Press 2000 (= China Research Monograph; 51); MICHAEL S. DUKE: »Everyday Resistance to Postmodern Theory«, in: Tamkang Review XXX/3 (Spring 2000), S. 7–49; DIRLIK u. ZHANG (Hg.): Postmodernism & China.

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einen oder anderen Fall Verwandtschaften spüren, so etwa wenn die sogenannte Dritte Generation von Dichtern in der Mitte der 80er Jahre in Abkehr von der Hermetischen Schule sich wider alles Hehre stellt: Keine Helden, keine Kultur, keine Metaphern und keine Tiefe. Beispielhaft hat hier Han Dong (geb. 1961) mit seinem Gedicht »Über die Große Wildganspagode« (»Youguan Dayan Ta«) den pathetischen Stil von Yang Lian angegriffen und einen antihistorischen Standpunkt vertreten.846 Eine echte Postmoderne jedoch, die nicht als Imitation oder Spielerei daherkommt, wird man wohl nur dem Hongkonger Liang Bingjun (Leung Ping-kwan)847 nachsagen können. Sein vielschichtiges Werk lebt gerade von dem für die Postmoderne so wichtigen Gedanken einer Welt von flüchtigen Zeichen ohne jede Mitte. Seine Sprache trägt dem Rechnung, indem sie – scheinbar beliebig – Hochchinesisch, Kantonesisch, Umgangssprache und Schriftsprache mischt, indem sie Geschichte durcheinanderwirbelt und keinen Unterschied zwischen West und Ost macht. An die Stelle der Aura, des Ritus, kurz des heiligen Ernstes tritt das geistvolle, ironische Spiel mit Versatzstücken. Der Rand, das heißt das Marginale, ersetzt das Zentrum. Symptomatisch und vom Dichter immer wieder gern als Beispiel angeführt ist das Gedicht »Ein altes Kolonialgebäude« (»Lao zhimindi jianzhu«).848 Sein Gegenstand ist die (englischsprachige) University of Hong Kong, wo der Dichter seinerzeit – der Text dürfte aus den 80er Jahren stammen – unterrichtet hatte. Soviel Staub wirbelt zwischen Sonne und Schatten, überall sind Gerüste errichtet, Bretter bedrängen das alte Kolonialgebäude als ob jeder Ziegel, jeder Balken zu beseitigen ist Vielleicht bleibt zuletzt die Grundform Vielleicht kehrt man im Boden die Bitternis hervor Die hehre Kuppel und der breite Gang blickten weiter auf Mauerblockaden, vielleicht reißt man die Treppen ein, vielleicht für eine Passage mehr zu Alltagsbauten Ich gehe den Korridor entlang, manchmal sind sie offen 846

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RAFFAEL KELLER: Die Poesie des Südens. Eine vergleichende Studie zur chinesischen Lyrik der Gegenwart, Dortmund: projekt verlag 2000 (= edition cathay; 50), S. 49; KARL ROSPENK: »Rückhalt in unscheinbaren Wirklichkeiten. Der chinesische Dichter Han Dong«, in: Orientierungen 2/1994, S. 34–46. Zu seinem umfangreichen Werk s. der Einfachheit halber den Eintrag in ARNOLD (Hg.): KlfG. Unter seinen zahlreichen Übersetzungen im Deutschen sei stellvertretend hingewiesen auf LEUNG PING-KWAN: Von Politik und den Früchten des Feldes. Gedichte, aus dem Chinesischen und mit einem Nachwort von WOLFGANG KUBIN, Berlin: DAAD 2000 (= Spurensicherung; 1). Leicht verändert zitiert nach LEUNG PING-KWAN: »Bilder von Hongkong. Gedichte«, aus dem Chinesischen von WOLFGANG KUBIN, in: Orientierungen 1/2003, S. 128f. Zum Original s. die zweisprachige Ausgabe – der Autor hat sich auch selbst übersetzt – LEUNG PING-KWAN: City at the End of Time, eingeführt von ACKBAR ABBAS, übersetzt von GORDON T. OSING u. dem Autor, Hongkong: Twilight Books 1992, S. 30.

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION die Blumen im Topf, manchmal geschlossen, ich gehe weiter Artikel kopieren, sehe die schiefen Spiegelbilder im Lotusteich, die runden Fenster wie Entengrütze treiben, allzeit ausgespült sind auch sie Wissende, ihre Reinheit ist vielleicht schon getrübt, arglose Goldfische ecken überall an, auf der Suche nach totenstarren Zweigen, ihre orangenen Schuppen mal hell, mal dunkel, Kiemen atmend im Fenstergitter Bilder von Ruinen neu ordnen, so fügt sich ein neuer Bau? Die Porträts sind absurd, Macht ist so lächerlich Eine Begegnung im Korridor, ein zufälliger Blick auf die Wechsel im Lotusteich. Wir denken nach, keiner Welle weichen wir, keinem Wind beugen wir uns. Ich weiß, du vertraust keiner Fahne, keinem Feuerwerk am Himmel. Meine Lettern für dich sind Fragmente ohne Anspruch auf Realität, keine Mitte von hohen Häusern, ein kristallklarer Teich nur mit beweglichen Zeichen

In der Literatur der 90er Jahre zeichnet sich in vielfacher Hinsicht eine soziale Wende ab. Dies gilt für die Volksrepublik China ebenso wie für Taiwan. Wir werden uns aber vorwiegend dem Festland zuwenden, da die Praxis der Selbstzerfleischung auf der Insel und der Abwehr alles Chinesischen kaum noch ein richtiges Urteil zuläßt, ob die Literatur der »Republik China« zum Commonwealth der chinesischen Literatur gehört oder zur Provinzposse herabsinkt.849 Marktwirtschaft und Konsum bestimmen immer mehr das Leben und Denken der Menschen. Der Intellektuelle und mit ihm der Schriftsteller verliert seine alte gesellschaftliche Position als Mahner und Rufer. Er wird an den Rand gedrängt und kann nach Verlust der alten Ideale vorerst keine neuen nicht- materiellen finden. Wie überlebe ich in der Marktwirtschaft, wird für ihn nun zu einer Existenzfrage, die sich ihm in der Planwirtschaft nie gestellt hat. Diese Wende ist in vielfacher Hinsicht grundlegend. Sie bedeutet im positiven Sinne eine Pluralisierung von Kultur und Gesellschaft. Sie führt die Künste von ihrer einstigen Aufgabe als Transmissionsriemen der Partei weg und eröffnet den Künstlern die Möglichkeit zu einem erstmals wirklichen individuellen Standpunkt, ganz gleich ob man diesen goutieren mag oder nicht. Der Literat ist nun in der Regel kein Staatskader mehr, dessen Staatsbewußtsein die schriftstellerische Tätigkeit als »Dienst am Volke« (gongnongbing) festlegt. Damit hat auch – zumindest in der Literatur – das offensichtliche Phänomen einer Besessenheit von China (obsession with China) ein Ende, und die dahinter lauernde missionarische Haltung, durch den Akt des Schreibens China auf den Heilsweg zu bringen, findet weder bei Autor noch Leser Fürsprecher. 849

SUNG-SHENG YVONNE CHANG: Literary Culture in Taiwan. Martial Law to Market Law, New York: Columbia UP 2004. Im Falle der Volksrepublik China s. SHUYU KONG: Consuming Literature. Best Sellers and the Commercialization of Literary Production in Contemporary China, Standord: Stanford UP 2005.

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Mit Ausnahme des Kultes um den Dichter Hai Zi (1964–1989)850 hat die religiös verbrämte Sprache ausgedient. Die Absage an ein vom »Glauben« geprägtes Engagement des Schriftstellers geht mit einer Absage an die Geschichte einher.851 »Das Leben ist jetzt«, lautet die Botschaft der konsumorientierten »neuen Menschheit« in den Großstädten (dushi xin renlei). »Jetzt«, das ist die chinesische Variation westlicher Unersättlichkeit: Wir wollen alles, und zwar »sofort« (dangxia). Diese »neue Befindlichkeit« (xin zhuangtai) ist am Ende der 90er Jahre das Extrem einer neuen Generation von »Literaturvagabunden« (liulang wenren), die mit ihrer radikalen Ablehnung von einstigen Vorbildern wie Lu Xun ins neue Jahrhundert verweist. Ohne Ideale, ohne Geschichte, ohne Tradition, ja selbst ohne ein Gefühl für die Stadt ihrer Vergnügen und folglich ohne ein großes Sprachvermögen, so lassen sich die bislang an sex and crime, ja man kann auch sagen, an Schmutz orientierten Schreibversuche charakterisieren. Das Ich, autobiographisch, selbstverliebt, wird zur wichtigsten Erzählform und zum bevorzugten Gegenstand einer sogenannten individuellen Schreibe (geren xiezuo). »Obszön, dekadent, sprachlich miserabel!« so lautet nicht zu Unrecht die Kritik des konservativen Lagers. Ob diese übrigens oft frauenfeindliche Literatur doch einmal »ernst zu nehmen« sein wird, entzieht sich heute unserer Kenntnis. Wir können nicht in die Zukunft schauen. Doch schon jetzt läßt sich das Phänomen beobachten, daß Literatur in China seit 1989 zu einer Randexistenz verurteilt ist. Zhu Wen (geb. 1967)852, der vielleicht bislang wichtigste Vertreter dieser »unkonventionellen« (linglei) Generation, hat bereits zum Film gewechselt.853 Einmal mehr scheint Literatur nur ein Zeitvertreib gewesen zu sein. Kehren wir zu unserem Ausgang zurück: Fanden sich bis etwa 1992 die meisten Schriftsteller unter dem Namen einer Richtung, einer Strömung, einer Bewegung zusammen, ganz so, als könnte sich Literatur nur in Gruppenveranstaltungen ereignen, so hat diese Art einer Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen »öffentlichen Redeform« (gongming) allmählich ein Ende gefunden. Man spricht nun von einem wuming zhuangtai, das heißt von einer Situation, in welcher kein allgemeinverbindliches Thema mehr (von oben) vorgegeben ist. Verbindliche politische Werte sind von den Schriftstellern nur noch bei entsprechender finanzieller Unterstützung durch den 850

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Zu diesem vielgefeierten, aber umstrittenen Dichter, der den Poeten als leidenden Christus wieder entwirft, s. den kritischen Beitrag von MAGHIEL VAN CREVEL: »Thanatography and the Poetic Voice: Ways of Reading Haizi«, in: minima sinica 1/2006; zu Übersetzungen im Deutschen s. Orientierungen 1/1995, S. 40–44. S. hierzu und zum folgenden GEIST: Die »neue Menschheit«; FRANK MEINSHAUSEN (Hg.): Das Leben ist jetzt. Neue Erzählungen aus China, Frankfurt: Suhrkamp 2003. Zur neuen obszönen Lyrik s. MAGHIEL VAN CREVEL: »Lower Body Poetry and Its Lineage: Disavowal, Bad Behavior and Social Concern«, in: Modern Chinese Literature (im Druck). Zu seinem Werk s. GEIST: Die »neue Menschheit«, S. 46–54; zu einer Erzählung im Deutschen s. MEINSHAUSEN (Hg.): Das Leben ist jetzt, S. 65–92 (»Duanli in der alten Stadt Nanjing«). SUSANNE MESSMER: »Schwänke aus dem chinesischen Schilda. Pekings ›sechste Generation‹«, in: die tageszeitung, 9.9.2004, S. 15.

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Staat (Gehalt, Preise) einzufordern, ansonsten regiert der Markt und wird zum einzigen Kriterium für Erfolg oder Mißerfolg. Die reine Literatur, die sich dem Konsumdenken nicht beugt, überlebt bei geringer Auflage und – finanziell von den Autoren getragen – nur in Zirkeln von Lesern, die vom Fach sind. Ihre Gefährdung liegt nicht etwa bei einer staatlichen Zensur. Trotz anderslautender Berichte im Westen gibt es die Überwachung des Schrifttums im alten Stil der Vorzensur gar nicht mehr. Ihre Gefährdung liegt vielmehr bei den Gesetzen des Marktes. Dessen Einfluß zeigt sich in erster Linie im Anschwellen einer populären Gegenwartsliteratur, die sich nicht immer fein säuberlich in Unterhaltungsliteratur (tongsu wenxue), Trivialliteratur (su wenxue) oder Popliteratur trennen und als minderwertig abtun läßt. Zu dem diffusen Bild paßt auch die Tatsache, daß nicht wenige ehemals »ernste« Schriftsteller wie Wang Meng, Zhang Kangkang, Yu Qiuyu (geb. 1946) oder Chen Danyan ihr Schärflein zur Grablegung der »hohen« Literatur beigetragen haben. Wie dem auch sei, der veränderten Situation läßt sich neben einer verstärkten Individualisierung auch eine positive Grundtendenz abgewinnen: Der Intellektuelle ist gezwungen, über sich und seinesgleichen nachzudenken, feste Standpunkte in Frage zu stellen und sich eine neue geistige Grundlage zu verschaffen. Zu seiner Aufgabe der Hinterfragung gehören wesentlich das Erbe des 4. Mai, die Rolle der chinesischen Tradition und die oftmals ausgesparte Realität von Menschen wie du und ich. Da die wirtschaftliche Entwicklung des Festlandes wesentlich unter dem Einfluß von Hongkong und Taiwan steht, konnte es nicht ausbleiben, daß die veränderten Konsumgewohnheiten auch einer Unterhaltungsliteratur im Stile von Taipeh und der ehemaligen Kronkolonie förderlich waren. Jin Yong, den Hongkonger Meister von Rittergeschichten, haben wir bereits erwähnt, San Mao (1943–1991)854 und Qiong Yao (geb. 1938), erst auf Taiwan, dann auch auf dem Festland heißgeliebte Erzählerinnen von Liebe und Fremde, wären noch nachzutragen. Mit ihnen kehrten auch so honorige wie unterhaltsame Autoren der Republikzeit wie Lin Yutang, Liang Shiqiu, Zhang Ailing oder Su Qing wieder ins allgemeine Bewußtsein zurück. Schanghai, das ohnehin schon im Zuge des Wirtschaftsbooms zum erneuten Zentrum des Konsums und Vergnügens geworden war, fand zu seiner Haipai genannten Unterhaltungsliteratur zurück, die eine Verklärung von Vergangenheit und Gegenwart der Hafenmetropole betrieb und betreibt.855 Die Sehnsucht nach der von Mao Dun so glänzend be854

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SAN MAO: »Das Bad in der Wüste«, in: minima sinica 1/1999, S. 120–130. Als Kommentar zu San Mao und Qiong Yao s. MIRIAM LANG: »San Mao and Qiong Yao, a Popular ›Pair‹«, in: Modern Chinese Literature and Culture 51.2 (Herbst 2003), S. 76–120. S. hierzu FOLKE PEIL: Chinesische Populärliteratur. Das Werk der Shanghaier Erzählerin Cheng Naishan, Bochum: Brockmeyer 1992 (= Chinathemen; 70). Zu einer Übersetzung der 1946 geborenen Autorin, die 1990 von Schanghai nach Hongkong übergesiedelt ist, s. Literarisches Arbeitsjournal. Sonderheft China September 1988, S. 37–45 (»Elternliebe«, Auszug). S. weiter XUEPING ZHONG: »Shanghai Shimin Literature and the Ambivalence of (Urban) Home«, in: Modern Chinese Literature 9.1 (1995), S. 79–99. Hier finden sich auch weitergehende Ausführungen zur »bürgerlichen« (shimin) Literatur in Schanghai und zum Bild von Schanghai

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schriebenen Welt des Bürgertums vor 1949 ist unter der Leserschaft so stark, daß ein Werk wie das oben genannte Lied vom langen Leid von Wang Anyi gern als Preis des »alten« Schanghai fehlgelesen wird. Mag auch allgemein seit 1992 das rein Geistige dem Materiellen seinen Tribut zu zahlen gehabt haben, so läßt besagtes Comeback der vier Literaten doch auf eine Literatur schließen, die nicht nur gute Unterhaltung, sondern auch nützliche Lebenshilfe, ja Lebensweisheit bietet. Eben dies ist es, was nun allgemein mit dem Begriff der Lesestoffe (wenxue duwu) bezeichnet wird. Wenn auch der reinen Literatur diametral entgegengesetzt, kommt ein »Lesestoff« nicht gänzlich anspruchslos den Bedürfnissen der Städter nach Abwechslung und Muße entgegen. Dies zeigt sich zum Beispiel bei dem Schanghaier Essayisten Yu Qiuyu, dem es mit seinem Werk Eine bittere Reise durch die Kultur (Wenhua kulü)856 gelang, literarisches Niveau und kommerziellen Erfolg zu verbinden. Vielleicht liegt es, was diese Art von Unterhaltungsliteratur angeht, in der Natur der Sache, daß seine zunächst auf ein Problem hin brisant aufgebauten Essays grundsätzlich auf eine unbefriedigende Lösung hinauslaufen und den kritischen Leser zu guter Letzt maßlos enttäuschen. Dies ist bei dem kommerziell ebenfalls erfolgreichen und erzählerisch begabten Wang Shuo857 weniger der Fall. Dieser naughty boy858 der chinesischen Literaturszene, der in Zhang Dachun (geb. 1957)859 auf Taiwan einen Seelenverwandten hat, hat als erster Autor auf dem Festland mit den Medien zusammengearbeitet. Ob Liebesgeschichten, Krimis oder Gesellschaftssatire, ob Buch oder Fernsehserie, alles lief ihm glatt von der Hand. Aussagen

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als Erotikum. Zur Übersetzung im Englischen s. CHENG NAISHAN: »Why Parents Worry«, übersetzt von JANICE WICKERI, in: Renditions 27 & 28 (Frühling/Herbst 1987), S. 235–248 (Spezialausgabe zur chinesischen Frauenliteratur der Gegenwart); CHENG NAISHAN: The Blue House, Peking: Panda Books 1989; CHENG NAISHAN: »Happy Birthday«, in: Contemporary Chinese Women Writers III, Peking: Panda Books 21995, S. 109–197. YU QIUYU: Wenhua kulü, Schanghai: Zhishi 1992. Zu Übersetzungen s. Hefte für Ostasiatische Literatur 31/2001, S. 25–48 (»Die Pagode des daoistischen Mönches«; »Träume vom Westsee«); minima sinica 1/2001, S. 57–83 (»Die Shanghaier«). Zu Übersetzungen seiner Essays im Englischen s. Chinese Literature, Herbst 1998, S. 113–143; Chinese Literature, Herbst 1999, S. 53–64. Zu seiner Rolle während der Kulturrevolution s. Sinorama 21.8 (1996), S. 118–121. Zur Einführung in sein Werk s. GEREMIE BARMÉ: »Wang Shuo and Liumang (›Hooligan‹) Culture«, in: The Australian Journal of Chinese Affairs 28 (1992), S. 21–64; KARL ROSPENK: »Wang Shuo«, in: Literaturnachrichten 39 (1993), S. 6–8. Das Interview von Georg Blume mit Wang Shuo, »Taxifahrer sind viel höflicher«, in: die tageszeitung, 25.5.2000, S. 4, vermittelt einen entsprechenden Eindruck. ZHANG DACHUN: Ein Denkmal für den General. Erzählungen aus Taiwan, aus dem Chinesischen von SUSANNE ETTL-HORNFECK u.a., hg. von TIENCHI MARTIN-LIAO mit einem Nachwort von CHRISTIANE HAMMER, Dortmund: projekt verlag 1995 (= arcus chinatexte; 6). Die Titelgeschichte karikiert Bai Xianyong und dessen Vater sowie die Erinnerungssucht der Festländer. Zu seinem Werk in englischer Übersetzung nebst Einführung s. CHANG TA-CHUN [d.i. Zhang Dachun]: Wild Kids. Two Novels about Growing Up, aus dem Chinesischen übersetzt von MICHAEL BERRY, New York: Columbia UP 2000.

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wie »das Hehre meiden« und »Ich gehöre zum gemeinen Volk« machen seine Theorie aus. Er benimmt sich daher auch nicht wie ein Schriftsteller. Er läßt sich weder hofieren, noch nimmt er Einladungen ins Ausland an. Er ist aber auch ein Nestbeschmutzer, der große Namen wie Lu Xun in den Dreck zieht und nichts Gutes an der Intelligenz läßt. Besonders nach 1989 war er mit einer despektierlichen Sicht der schreibenden Zunft politisch up to date, als die Regierung in den Intellektuellen noch ein Gefahrenpotential für sich selbst sah. Mit seinem Sarkasmus und Zynismus hat er Schule gemacht.860 Gleichwohl, Wang Shuo ist trotz aller Häme und trotz allen Jargons ein intelligenter Autor, der den Kampf gegen das verordnete Denken des Maoismus (Mao ti) ebenfalls, wenn auch anders als Bei Dao oder Mo Yan, betreibt. Er hat keine Illusionen mehr, das Lakonische ist sein Metier. Dies gilt auch für seine eigene Person. In einem Rundfunkinterview861 gesteht er frank und frei, aus reinem Opportunismus eine schnelle Gebrauchsliteratur mit Blick auf die Medien verfaßt zu haben und aus lauter Eitelkeit dem Schriftstellerverband vor dem 4. Juni beigetreten zu sein. Daß Wang Shuo trotz aller Schnoddrigkeit auch ein politischer Autor ist, zeigt nicht nur sein Interesse an einem Zusammenhang von Kommunismus und Faschismus – »Wir alle sind zu Faschisten erzogen worden!« bekundet er in besagtem Interview –, sondern auch sein 1988 verfaßter, 1989 erschienener Roman Herzklopfen heißt das Spiel (Wande jiu shi xintiao)862. Der Titel erinnert an Nietzsches später von Janis Joplin (1943–1970) popularisiertes Diktum »lebe gefährlich«. Wang Shuo pflegt den Jargon der Straße, vor allem den der Jugend. Seine sprachliche Heimat ist Peking und dessen Dialekt, der von der Hochsprache (putonghua) zu unterscheiden ist. Der Jargon, der das damals noch übliche Pathos ersetzt hat, herrscht nicht um seiner selbst willen vor. Der Autor verfolgt einen tieferen Sinn. Dieser erschließt sich aber nur auf dem Hintergrund von Geschichte und Politik. Zunächst: Als Schnellschreiber – er verfaßt pro Tag bis zu zwanzig Seiten – ist Wang Shuo der Roman mitunter entglitten. Der Leser gewinnt den Eindruck vieler 860

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In seiner Nachfolge stehen z.B. HEI MA: Verloren in Peking (Hun zai Beijing; Peking: Beijing Wenyi 1993), hg. u. aus dem Chinesischen übersetzt von GERLINDE GILD unter Mitarbeit von KARIN VÄHNING, Frankfurt: Eichborn 1996, und XU XING (geb. 1956): Und alles, was bleibt, ist für dich (Shengxia de dou shuyu ni), aus dem Chinesischen von IRMY SCHWEIGER u. RUPPRECHT MAYER, mit einem Nachwort von IRMY SCHWEIGER, München: Schirmer Graf Verlag 2004. Von HEI MA (geb. 1960), der heute ebenfalls in Peking mit den Medien zusammenarbeitet, liegt auf deutsch noch der folgende Roman vor: Das Klassentreffen oder Tausend Meilen Mühsal, aus dem Chinesischen von KARIN HASSELBLATT, Frankfurt: Eichborn 1999. Zum Original s. HEI MA: Nie yuan qian li, Hefei: Anhui Wenyi 1997. Hei Ma (Schwarzes Pferd) ist das Pseudonym von Bi Bingbin (geb. 1960), dem Übersetzer von D.H. Lawrence. Am Abend vorgestellt, WDR III vom 8.1.1996. Peter Mosler hatte den Autor 1993 in Peking besucht. WANG SHUO: Herzklopfen heißt das Spiel, aus dem Chinesischen von SABINE PESCHEL in Zusammenarbeit mit WANG DING u. EDGAR WANG, mit einem Nachwort von SABINE PESCHEL, Zürich: Diogenes 1995; WANG SHUO: Wande jiu shi xintia, Peking: Zuojia 1989.

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Wiederholungen, falscher Frauenbilder und mancher Nachschrift im Stil vom Traum der Roten Kammer (Hongloumeng, 1792). Das sollte aber letzten Endes nicht stören. Worum geht es? Von außen betrachtet hat der Autor im Stil einer mystery story einen Krimi geschrieben, der von einem perfekten Verbrechen handelt. Vor zehn Jahren – das dürfte um 1975 sein – soll der Held Fang Yan, zunächst der Ich-Erzähler, aus Gründen des Nervenkitzels (vgl. den Titel) jemandem mit einem Säbel den Kopf abgetrennt haben. Die Leiche ist aber erst jetzt – Mitte der 80er Jahre, wo die Handlung spielt – gefunden worden. Die Angelegenheit ist jedoch komplizierter, als sie scheint, da der Ich-Erzähler eine mehrfache Suche nach der Wahrheit im weitesten Sinne betreibt: auf der Ebene der Erinnerung (er erinnert sich an nichts), auf der Ebene des anderen Geschlechts (die Suche nach der Wahrheit ist die Suche nach einer bzw. der Frau), auf der Ebene der eigenen Identität (jeder hält ihn für einen anderen). Die Frage nach sich selbst mündet in eine größere Frage ein, nämlich in die Frage nach China. Die Jugendlichen, die der Held trifft, sind Herumtreiber und Gauner. Ihr Jargon bedient sich immer wieder der Sprache der Partei. Insbesondere werden Worte des Vorsitzenden Mao und Sprüche der Kulturrevolution verwendet, so daß der Eindruck entsteht, die Partei, die Welt der Diebe, die Mafia, die Staatssicherheit sprechen alle nicht nur dieselbe Sprache, sondern sind auch ein und derselben Disziplin unterworfen. Auf diese Weise wird alles austauschbar: oben und unten, heilig und profan, gut und böse. Wang Shuo unternimmt also eine hinterhältige Neuschreibung der Parteigeschichte. Die Erzähltechnik gemahnt oft an die Verfahren der Avantgarde, die den eindeutigen Erzähler mit Rückgriff auf Robbe-Grillet oder Calvino aufzuheben beliebte. Wang Shuo problematisiert jedoch die Benennbarkeit der Dinge, indem er sich den Traum der Roten Kammer zunutze macht. Benennbar ist aber nur, was eindeutig wahr oder falsch ist. Die Lehre, die sich aus dem Roman und aus der Parteigeschichte ziehen läßt, ist die jeder Logik widersprechende Einsicht, daß das Wahre falsch und das Falsche wahr ist, daß dieses jenes und jenes dieses ist. So heißt der Erzähler zunächst zwar Fang Yan, sein Name wird aber auch von jemand anderem geführt. So wie sich Erzähler und Held in verschiedene Personen trennen, so gewinnt auch die gesuchte Frau eine dreifache Indentität: die Eine, die Einzige führt ständig einen anderen Namen. Zu guter Letzt ist sie eine Frau mit drei verschiedenen Namen oder aber sie geht in drei Personen mit drei unterschiedlichen Namen auf. Dieses Verwirrspiel macht auch nicht vor der Literatur halt. Fang Yan schlüpft plötzlich in die Rolle von Wang Meng:863 »Wir haben uns auf dem Flug von Peking nach Kanton kennengelernt; wir saßen nebeneinander. Es war Frühling, und ich war für den Verlag unterwegs, um mit potentiellen Autoren Gespräche wegen Beiträgen zu führen. Er erzählte mir, daß er Schriftsteller sei. Er hatte eine tiefe Stimme und sprach mit einer besonders melodiösen Intonation, was zu seiner dezenten gelehrten Ausstrahlung paßte. Er habe 863

WANG SHUO: Herzklopfen, S. 187; WANG SHUO: Wande jiu shi xintiao, S. 123.

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CHINESISCHE LITERATUR NACH 1949: STAAT, INDIVIDUUM UND REGION Frühlingsauge, Glockenblitz und Rare Gabe Torheit geschrieben. Er schien dabei ein absolut reines Gewissen zu haben und sprach vollkommen ruhig und gelassen; seine Augen hatten einen ganz bescheidenen und höflichen Ausdruck. Ich entgegnete: ›Sehr erfreut, ich habe schon viel von Ihnen gehört und Ihre Bücher gelesen, ja, nicht nur gelesen, sondern eines davon auch lektoriert. Sie haben zugenommen und sind gewachsen, Ihre Brillengläser dagegen sind schwächer geworden, entweder habe ich Sie nicht erkannt, oder Sie haben die Grußform gewechselt.‹ Völlig unerschüttert sah er mir offen ins Gesicht und sagte: ›Ganz recht, Sie haben mich nicht erkannt, der nach außen hin Amtierende ist der falsche, der Echte ist dicker, so wie ich.‹ [...]«

Wang Meng hat sich bekanntlich seit 1982 viel mit dem Traum der Roten Kammer befaßt,864 vor allem in den Jahren nach 1989, als er nach seinem Rücktritt vom Posten des Kulturministers seine Identität neu hinterfragen mußte. Ihm, der Wang Shuo sehr unterstützt hat, ist der Humor durchaus nicht fremd. Einige seiner Erzählungen wie »Die Wissenschaft vom Baden. Ein Winterthema« (»Dongtian de huati«, 1985)865 oder »Die Sache mit dem Reisbrei« (»Jianying de xizhou«, 1989)866 werden mit ihrer liebevoll-spöttischen Sicht der Gegenwart gerade aus diesen Gründen von bleibender Dauer sein. Wang Meng unterscheidet selbstverständlich viel von Wang Shuo. Er ist nicht sarkastisch und auch nicht subversiv. Wang Shuo, dem der Glaube seines väterlichen Mentors an den Sozialismus fehlt, geht weiter. Auch er bewegt seine Leser zum Lachen, handelt aber die Probleme der chinesischen Gesellschaft unter und nach Mao Zedong in der Substruktur seiner Texte eher bitterböse ab. Dazu bedient er sich, wie wir gesehen haben, der maoistischen Sprache und der Revolutionsgeschichte. Durch den Einsatz von sprachlichen Wendungen und historischen Fakten an ungeziemendem Ort erzielt er einen Verfremdungseffekt: Was einst wie ein Glaubensartikel zu behandeln war, ist nun Sache der Gosse. Wer nicht auf dieser zweiten Ebene zu lesen versteht, wird den im Deutschen mit Oberchaoten867 betitelten, tatsächlich aber 864

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S. hierzu MARTIN WOESLER: Der Essay ist die Sehnsucht nach Freiheit. Wang Meng, ehemaliger Kulturminister Chinas, als Essayist im Zeitraum 1948 bis 1992, Frankfurt: Peter Lang 1998, S. 42–58. WANG MENG: »Die Wissenschaft vom Baden. Ein Winterthema«, aus dem Chinesischen von ANJA SCHMITZ u. CHRISTIAN SCHWERMANN, in: minima sinica 2/1996, S. 101–132. Zum Original s. Wang Meng wenji, Peking: Huayi 1993, Bd. 4, S. 597–618. Die Erzählung ist mehrfach ins Deutsche übersetzt worden, s. hierzu und zum gesellschaftlichen Hintergrund MARTIN WOESLER: Politische Literatur in China 1991–92. Wang Mengs »Frühstücksreform«, Bochum: Brockmeyer 1994 (= Chinathemen; 80). WANG SHUO: Oberchaoten, aus dem Chinesischen von ULRICH KAUTZ, mit einem Nachwort des Übersetzers, Zürich: Diogenes 1997. Die Ausgabe setzt sich zusammen aus den Novellen Oberchaoten (Wanzhu, 1987) und Kein bißchen seriös (Yidian zhengjing meiyou, 1989). Zu den Originalen s. Wang Shuo wenji, Peking: Huayi 1992, S. 1–65, 66–154. Zu einem Auszug aus dem Roman Schön anzusehen (Kanshangqu hen mei, 1999) in der Übersetzung und Einführung von ULRICH KAUTZ s. Hefte für Ostasiatische Literatur 34 (2003), S. 15–35.

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aus zwei zusammenhängenden Novellen bestehenden Roman vielleicht an beliebiger Stelle lachend beiseitelegen. Das Werk, in Dialogform verfaßt, scheint auch beliebig wieder hervorholbar zu sein. Außerhalb des Dialogs der Protagonisten scheint es keine weitere Welt zu geben. Eine Handlung ist so gut wie gar nicht auszumachen. Der Dialog, zwischen Tiefsinn und Nonsens angelegt, treibt die Helden von einem Wortgefecht zum nächsten. Die witzige und amüsante Abrechnung mit der chinesischen Gesellschaft nach der Kulturrevolution, insbesondere auch mit den Möchtegernschriftstellern nach 1979, paßt jedoch ebenfalls gut zum herrschenden System der damaligen Kulturkritik. Sah die chinesische Regierung im chinesischen Literaten einen potentiellen Unruhestifter, so sah das westliche Establishment in der schreibenden Zunft Chinas mehr Dilettantismus am Werk als künstlerischen Ernst. Man kann Wang Shuo durchaus als Totengräber der ernsten Literatur bezeichnen. Mit ihm fällt der Respekt vor den Gründungsvätern, ob in der Politik oder in der Kultur. In seiner Nachfolge setzt sich der Siegeszug des Ekels durch. Der Unterleib beherrscht seitdem die chinesische Literaturszene, und der Markt macht mit. Ziehen wir auch die (Selbst-)Exilierung vieler Schriftsteller in Betracht, den frühen Tod manch begnadeter Literaten,868 das Ende des Experimentiertheaters seit dem Weggang von Gao Xingjian, den Streit der Dichter untereinander, die sich in eine »westlich-orientierte« (geren xiezuo) und in eine »volkstümliche« (minjian xiezuo) Schule gespalten zu haben scheinen,869 so sähe es am Ende des 20. Jahrhunderts mit der chinesischen Literatur nicht zum besten aus. Doch es gibt eine Hoffnung. Sie macht sich einmal mehr an einer Minderheit fest, an der Minderheit jener Dichter, die eine Verantwortung gegenüber der Sprache betonen und danach auch handeln. Hier haben wir zwischen denjenigen zu unterscheiden, die im Westen leben und das Exil als eine Herausforderung zur Bereicherung der eigenen Sprache betrachten wie Yang Lian oder Gao Xingjian,870 und denjenigen, die in China verblieben sind und eine reine, vom Politischen freie Sprache fordern. Dies gilt seit Ende der 80er Jahre für die sogenannte Posthermetische Schule (Hou Menglong Shipai)871, auch Dritte Generation 868

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Zum Tod vor allem der Dichter s. MICHELLE YEH: »Death of the Poet. Poetry and Society in Contemporary China and Taiwan«, in: CHI u. WANG (Hg.): Chinese Literature in the Second Half of a Modern Century, S. 216–238. S. hierzu und zum folgenden das Interview von SHEN YONG MIKLITZ mit WANG JIAXIN: »Durs Grünbein und ein großer Streit in China«, in: Literaturnachrichten 70 (2001), S. 12–13; s. auch MAGHIEL VAN CREVEL: »The Intellectual vs the Popular – A Polemic in Chinese Poetry«, in: RAOUL D. FINDEISEN (Hg.): Chinese Texts, People and Procedures, Bochum: 2005 (in Vorbereitung). GAO XINGJIAN u.YANG LIAN: Was hat uns das Exil gebracht? Ein Gespräch zwischen Gao Xingjian und Yang Lian über chinesische Literatur, aus dem Chinesischen von PETER HOFFMANN, Berlin: DAAD 2001 (= Spurensicherung; 4). Zum Original s. YANG LIAN u. YOU YOU: Renying, guihua, Peking: Bianyi 1994, S. 293–327. Zu ihrer Geschichte und Bedeutung s. KELLER: Die Poesie des Südens; ZHANG ZAO: »Zeitgenössische chinesische Lyrik und Sprachbewußtsein. Betrachtungen zum metapoetischen Ver-

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genannt, die sich bewußt von der noch politisch ausgerichteten Hermetischen Schule absetzen wollte. Es ist allerdings zu konstatieren, daß sich die Gegensätze von China und Exil, von politischem Engagement und reiner Sprache nicht so ohne weiteres aufrechterhalten lassen. Längst haben sich die Dinge vermischt: sei es, daß die Dichter hin- und herreisen und ihre Erfahrungen aus Ost und West in einer Art »Migrationsliteratur«872 festhalten, sei es, daß auch ein vermeintlich »reines Gedicht« politisch ausgelegt werden kann. Überdies mag inzwischen die klare Scheidung zwischen diesem und jenem Lager hinfällig geworden sein, denn eines bleibt allen Seiten gemeinsam: die Sorge um die Sprache und die Zukunft der Literatur. Eine Bestandsaufnahme mag für die Übergangsphase vom 20. ins 21. Jahrhundert kurz und bündig wie folgt ausfallen. Sprachlich ist Yang Lian873 am weitesten gegangen, und der in Tübingen lebende Zhang Zao (geb. 1962)874 hat bei seiner Suche nach dem »rechten Wort« die Semantik wie keiner vor ihm bis zur völligen Unverständlichkeit aufgeladen. Im Gegensatz zu diesen beiden »dunklen« Dichtern erscheint der Pekinger Wang Jiaxin (geb. 1957)875, den Chen Sihe neben Zhai Yongming als den wichtigsten Poeten

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fahren der Postobskuren Lyrik«, in: Orientierungen 2/1996, S. 63–81. Zu einer chinesischenglischen Auswahl (u.a. Hai Zi, Ouyang Jianghe) s. »Post-Misty Poetry«, übersetzt von LI FUKANG mit EVA HUNG, in: Renditions 37 (Frühling 1992), S. 91–148. Zu ihren Werken in deutscher Sprache s. SUSANNE GÖßE u. VALÉRIE LAWITSCHKA (Hg.): Chinesische Akrobatik – Harte Stühle, Tübingen: konkursbuch 1995. Diese zweisprachige Ausgabe versammelt Gedichte von BAI HUA, OUYANG JIANGHE, ZHAI YONGMING, ZHANG ZAO u. ZHONG MING; BAI HUA, ZHANG ZAO, OUYANG JIANGHE: Die Glasfabrik. Gedichte chinesisch-deutsch, hg. von VALÉRIE LAWITSCHKA, PAUL HOFFMANN und JÜRGEN WERTHEIMER, Tübingen: konkursbuch 1993. Hierzu könnte man in der Lyrik Xiao Kaiyu (geb. 1960) zählen, der lange in Berlin gelebt hat, oder in der Prosa YoYo (eig. You You bzw. Liu Youhong, geb. 1955 ), die mit ihrem Mann Yang Lian seit langem in London lebt. Zu ihren Werken s. XIAO KAIYU: Im Regen geschrieben. Gedichte, aus dem Chinesischen von RAFFAEL KELLER, Frauenfeld: Waldgut 2003; YOYO: Ghost Tide, aus dem Chinesischen übersetzt von BEN CARRDUS, Harper Collins 2005. Das Original (Hechao, »Flut«) erschien 2002 bei Lianhe Wenxue in Taipeh und 2005 bei Shanghai Wenyi in Schanghai. YoYos Werke wurden unter dem Verfassernamen You You verschiedentlich auch in den Orientierungen 1/1995 und in der minima sinica 1/1995 u. 1/2002 vorgestellt. Werke wie YANG LIAN: Der Ruhepunkt des Meeres, aus dem Chinesischen von WOLFGANG KUBIN, Stuttgart: Edition Solitude 1996, sind bis ins Detail durchkomponiert, s. hierzu WOLFGANG KUBIN: »Das Meer und das Exil. Zur neueren Dichtung von Yang Lian«, in: Orientierungen 2/1996, S. 96–100. Zu jüngsten Sprachexperimenten s. WOLFGANG KUBIN: »Wort, Erde, Zoll. Notizen zu Yang Lians Zyklus ›Konzentrische Kreise‹«, in: Orientierungen 1/1999, S. 112– 117. Zu seinem Werk s. ZHANG ZAO: Briefe aus der Zeit. Chinesisch und deutsch, aus dem Chinesischen u. mit einem Nachwort von WOLFGANG KUBIN, Eisingen: Heiderhoff 1999. Zum Werk dieses Dichters, der längere Zeit in London und Stuttgart gelebt hat, aber wenig ins Deutsche übersetzt worden ist, s. WANG JIAXIN: »Londoner Miszellen. Aus dem Chinesischen u. mit einer Einführung von WOLFGANG KUBIN«, in: Orientierungen 2/1998, S. 89–101; WANG JIAXIN u. ZHANG ZAO: »Peking im Gedicht«, Einführung u. Übersetzung von Wolfgang Kubin, in: Orientierungen 2/2002, S. 122–132; WANG JIAXIN: »Solitude. Fragmente« [Auszüge aus

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Ausblick: Die Kommerzialisierung der chinesischen Literatur

der 90er Jahre bezeichnet, denkbar einfach. Er ist aber wie der aus Chengdu stammende, heute in Peking ansässige Ouyang Jianghe (geb. 1956)876 auch poeta doctus: beide lieben die raffinierte Verarbeitung der westlichen Literatur. Homer, Dante und Shakespeare stehen immer wieder Pate. Ob Zhai Yongming und Wang Jiaxin wirklich die besten Dichter des ausgehenden Jahrhunderts sind, sei dahingestellt, auf jeden Fall verkörpern beide einen neuen Trend, der Schule machen könnte. Wang Jiaxin liebt den scheinbar schlichten Vers, er versteckt also nach einem Wort von Hugo von Hofmannsthal Tiefe an der Oberfläche, und Zhai Yongming brilliert mit inzwischen lakonischen Versen. In dieser Hinsicht teilt sie eine »Seelengemeinschaft« mit ihrer poetischen »Schwester« Xia Yu (Hsia Yü, geb. 1956)877 auf Taiwan, die gern den Geschlechterkampf thematisiert. Hier das Gedicht »Du bist so gelangweilt und ich bin so schön« (»Ni zheng bai wu liaolai wo zheng meili«):878 Nur ein Zauberwort kann ein Zauberwort lösen Nur ein Geheimnis kann ein Geheimnis tauschen Nur ein Rätsel kann ein anderes erreichen Doch ich beherzige nicht die Bedeutung von Gesundheit ein Warten, bis Gesundheit Schaden nimmt eine Liebe, bis Leben sich mildert Ein gemeinsames Kind ist mein bösester Vorschlag, sonst nichts Du bist so gelangweilt und ich bin so schön

So oder so haben sich auf beiden Seiten der Taiwanstraße neue Schreibräume und Begegnungsmöglichkeiten eröffnet. Die Schriftsteller, ob aus Peking, Hongkong oder Taipeh, lesen nicht nur einander, sie verkehren auch miteinander allen politischen Schwierigkeiten zum Trotz. Mögen ihnen viele bisherige Werte abhanden gekommen sein, sie treffen sich doch in der Sorge auch um die Verantwortung des Intellektuel-

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dem Chinesischen von WOLFGANG KUBIN], in: MARGRIT MANZ: Das Fremde im Auge des Fremden, Basel: Literaturhaus 2003, S. 69–71. Zu seinen Werken im Deutschen s. Anm. 871, zur Einführung in sein Werk s. WOLFGANG KUBIN: »Handschellen aus Papier. Der Dichter Ouyang Jianghe«, in: Orientierungen 1/2000, S. 118–128. Im August 2000 erklärte mir der Dichter in Peking, bewußt eine Schreibpause von zwei Jahren eingelegt zu haben. Für die Öffentlichkeit hat er diese noch nicht beendet. Zu dieser Dichterin, die bislang noch mitunter verkannt ist – kein einziges Beispiel bei MARTIN-LIAO u. DABERKOW (Hg.): Phönixbaum! – s. MICHELLE YEH: »The Feminist Poetic of Xia Yu«, in: Modern Chinese Literature 7.1 (Frühling 1993), S. 33–60; MÁRIAN GÁLIK: »Three Modern Taiwanese Woman Poets (Rongzi, Xia Yu and Siren) on Three Wisdom Books of the Bible«, in: DERS.: Influence, Translation and Parallels, S. 221–226. Zu einer zweisprachigen Ausgabe ihrer Werke s. HSIA YÜ: Fusion Kitsch, übersetzt von STEVE BRADBURY, Brookline: Zephyr 2001. S. auch YEH u. MALMQVIST (Hg.): Frontier Taiwan, S. 399–419. Übersetzt nach XIA YU: Salsa, Taipeh: Xia Yu 2000, S. 3. Vgl. auch XIA YU: Fusion Kitsch, S. 8f.

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len. Beispielhaft hat dies Wang Jiaxin im Dezember 1990 in seinem Preisgesang auf »Pasternak« (»Pasijieernake«)878 zum Ausdruck gebracht. An einer Person macht er das Leid einer Zeit sichtbar: Der Schriftsteller hat trotz aller Anfechtung Gewissen zu sein und unangepaßt den Schmerz zu seiner Arbeit zu machen. Auch die sogenannte »volkstümliche« Schule hat das Ideal der Leidensfähigkeit zum Thema gemacht, und zwar am Beispiel von Menschen wie du und ich. Die toten Dichter Hai Zi und Luo Yihe (1961–1989) waren mit ihren Gesängen auf das (chinesische) Land und Volk in gewisser Hinsicht die Vorläufer. Der Idealismus, der hier zum Ausdruck kommt, ist kein von oben verordneter, es ist ein Humanismus, den die Autoren bei den sogenannten unteren Schichten als gegeben vorfinden. Yu Huas Romane Leben! und Der Mann, der sein Blut verkaufte sind die vielleicht eindringlichsten Beispiele. Nicht wenige Literaten haben inzwischen die Moral des »einfachen Mannes« zu ihrem Gegenstand gemacht, eine Moral des stillen Duldens, die nicht selten in Schicksalsgläubigkeit umschlägt. Ob aber der Gesang auf die große Mutter Erde, wie ihn Zhang Wei (geb. 1956) stellvertretend mit seinem Roman Septemberfabel (Jiuyue yuyan, 1992)879 anschlägt, im Angesicht der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung der kommende Weg der chinesischen Literatur ist, wird die Zukunft beantworten müssen. Vielleicht liegt dieser ja doch eher in der Rückbesinnung auf die guten Traditionen des chinesischen Literaten, der – gefeit gegen jede Verlockung des Marktes – Wissen, Humor und Verantwortung in sich zu vereinigen wußte. Talente dieser Art blühen heute immer noch »am Rande«. Stellvertretend sei hier Ma Ruifang (geb. 1942) genannt, die in ihren weit beachteten Essays ein klassizistisches Chinesisch mit einer hohen Gelehrsamkeit zu verbinden weiß. Dabei verliert sie nie den Alltag und dessen Mächte aus dem Auge. Sie, die als Spezialistin für Pu Songling (1640– 1715) gern die Provinz Shandong bereist, um den Spuren der Vergangenheit nachzugehen, sieht den Verlust des Alten, aber sie beklagt ihn nicht. In ihren »Gedanken am Grab von Cao Zhi« (»Cao Zhi mu suixiang«)880 entfaltet sie zum Beispiel einen feinen Humor: Die Grabhügel mögen zwar als Ofenteil oder Bettgestell in die Häuser der Bauern gewandert sein, doch sie lassen sich auch wieder einsammeln, das Grab kann neu befestigt werden, das Grab eines Literaten (192–232), dessen Werk einmal die hohe Literatur des (chinesischen) Mittelalters eingeleitet hat. In diesem Sinne dürfen wir übertragen mit einem frühen Wort von Bei Dao aus dem Gedicht »Komet« (»Huixing«)881 enden: Komm zurück, wir errichten das Haus neu.

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Wang Jiaxin de shi, Peking: Renmin Wenxue 2001, S. 76–78. ZHANG WEI: Jiuyue yuyan, Shenyang: Chunfeng Wenyi 2003. Zu einer Einschätzung des Romans als Preis einer Idylle am Ende der Kulturrevolution s. GENG: »Xiandai xing« de wenxue jincheng, S. 208–211. MA RUIFANG: Jiaru wo you qian, Peking: Zhongguo Shehui 1996, S. 327–331. BEI DAO: Notizen vom Sonnenstaat, S. 32; Bei Dao shixuan, S. 101.

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Literaturverzeichnis

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Index der wichtigsten Namen, Titel, Begriffe und Zeichen A

Chun (Frühling) 130 Gedanken unter der Zeit 345 Hanye (Kalte Nächte) 220, 222 Jia (Die Familie) 31, 130, 221 Jiliu (Reißende Strömung) 130 Miewang (Untergang) 129 Qiu (Herbst) 130 Qiyuan (Garten der Ruhe) 218, 220 Shading (Shading, eig. Kumpel) 141 Ba, Ren ᏈҎ (1901–1972) 316 baguwen ܿ㙵᭛ 174 Bai, Hua ⱑḺ (geb. 1930) 280, 346 Kulian (Bittere Liebe) 346 Bai, Wei ⱑ㭛 (1894–1987) 185 Bai, Xianyong ⱑ‫( ࢛ܜ‬geb. 1937) 249, 259, 260, 264, 269 Niezi (Söhne des Bösen) 269 Si jiu fu (Alte Zeiten) 260 Taibeiren (Menschen in Taipeh) 260, 261 baihua qifang, baijia zhengming ⱒ㢅唤ᬒˈⱒᆊѝ号 302 baihua ⱑ䆱 4, 5, 23, 77–79, 89, 175, 176, 184, 236, 255–257 Baiyangdian ⱑ⋟⎔ 217 bao ⟚ 49 baogao wenxue ᡹ਞ᭛ᄺ 182 Barlow, Tani 121 Bashō (1644–1694) 241 Baudelaire, Charles (1821–1867) 84, 155, 160, 235 Beamten-Literat 6 Beamter, Beamtentum 4, 6, 12, 74, 122, 300, 314–316, 323, 388 Beardsley, Aubrey (1872–1898) 160 Beckett, Samuel (1906–1989) 372 Bei, Dao ࣫ቯ (geb. 1949) 54, 145, 167, 199, 249, 274, 327, 331, 332, 334, 336–338, 340, 345, 402 Bodong (Gezeiten) 331 Huida (Antwort) 332 Huixing (Komet) 408

A, Cheng 䰓ජ (geb. 1949) (eig. Zhong Acheng 䩳䰓ජ) 379 Königserzählungen 379 Qiwang (Schachkönig) 380 Adorno, Theodor W. (1903–1969) 380 ai ⠅ 24 Ai, Qing 㡒䴦 (1910–1996) 206, 218, 227–230, 347 Liaojie zuojia, zunzhong zuojia (Die Schriftsteller verstehen und respektieren) 206 Liming de tongzhi (Tagesanbruch) 228 Ta si zai di-er ci (Er starb ein zweites Mal) 227 Ai, Wu 㡒㡰 (1904–1992) 111, 154 Shanxia zhong (Der Tempel in der Schlucht) 155 Alter Sommerpalast 156 Anarchie, Anarchismus 128, 130, 142, 259 Aphorismus 103 Artmann, Hans Carl (1921–2000) 269 Ashima 䰓䆫⥯ 318 Ashma 䰓䆫⥯ (s. auch Ashima) 318, 319 Askese 24, 132, 276 Ästhetik des Häßlichen 355, 376, 394 Ästhetik, Ästhetizismus passim Autobiographie 55, 133, 134, 138, 241 Avantgarde (s. auch xianfeng) 155, 245, 276, 374–376, 379, 382, 385, 389, 392, 393, 396, 403 Avantgardeliteratur (s. auch xianfeng wenxue ‫ܜ‬䫟᭛ᄺ) 341

B Ba, Jin Ꮘ䞥 (geb. 1904) 111, 128–131, 133, 141, 142, 218, 220, 222, 269, 287, 293, 345

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Index can ⅟ 16 Can, Xue ⅟䲾 (geb. 1953) 359, 376 Cao, Cao ᳍᪡ (155–220) 315 Cao, Juren ᳍㘮ҕ (1900–1972) 174 Cao, Yu ᳍⾎ (1910–1996) 182, 185– 187, 238, 239, 287, 316 Beijingren (Der Pekingmensch) 238 Danjianpian (Galle und Schwert) 316 Leiyu (Das Gewitter) 185–189 Richu (Sonnenaufgang) 187 Yuanye (Die Wildnis) 189 Carlyle, Thomas (1795–1881) 51 Über Helden, Heldenverehrung und das Heldentümliche in der Geschichte 51 Čechov, Anton P. (1860–1904) 101 chabuduo Ꮒϡ໮ 110 chadui luohu ᦦ䯳㨑᠋ 375 challenge and response 5 Chang, Eileen (s. auch Zhang Ailing) 218, 242 chang zhongxin ଅЁᖗ 200 Changshan䭓㸿 245 Chardin, Pierre Teilhard de (1881–1955) 238 Chen, Boda 䰜ԃ䖒 (1904–1989) 323 Chen, Danyan 䰜Ѝ➩ (geb. 1958) 365, 400 Chen, Duxiu 䰜⣀⾔ (1879–1942) 25, 26 Chen, Hengzhe 䰜㸵૆ (1890–1976) 67 Yi ri (Ein Tag) 67 Chen, Jingrong 䰜ᭀᆍ (1917–1989) 233–236 Huafen (Scheidung) 235 Jiaoxiang ji (Symphonie) 234 Xian yu jian (Pfeil und Bogen) 235 Yingying ji (Aus der Fülle) 234 Chen, Mengjia 䰜Ṻᆊ (1911–1966) 167 Chen, Ran 䰜ᶧ (geb. 1962) 357 Chen, Ruoxi 䰜㢹Ჺ (geb. 1938) 336 Chen, Sihe 䰜ᗱ੠ (geb. 1954) ix, x, 272, 280, 285, 291, 327, 406 Zhongguo dangdai wenxue shi (Geschichte der chinesischen Gegenwartsliteratur) x

Xuangao (Proklamation) 335 Zhan hou (Post bellum) 199, 340 Beidaihe ࣫᠈⊇ 320 Beijingweir ࣫Ҁੇ‫( ܓ‬s. auch jingwei Ҁੇ) 122 beimin ᚆᚃ 186 belatedness 9 bentu ᴀೳ 255 bi xia you ren ヨϟ᳝Ҏ 317 bian ব 132, 350 Bian, Zhilin लП⨇ (1910–2000) Duanzhang (Fragment) 170 biaoxian ziji 㸼⦄㞾Ꮕ 65 Bing, Xin ‫ބ‬ᖗ (1900–1999) 30, 32, 67– 70, 72, 79–83 Chaoren (Der Übermensch) 68 Chunshui (Frühlingswasser) 79, 81, 82 Fanxing (Sterne) 79 Zhi xiao duzhe (Briefe an junge Leser) 69 Biographie (s. auch zhuan Ӵ) 42–44, 88, 312 Bo, Yang (eig. Bai Yang) ᶣᴼ (geb. 1920) 258, 387 Bodenreform (1950–1952) 105, 284, 292, 361 Bojer, Johan (1872–1959) 117 Böll, Heinrich (1917–1985) 275, 337 Borges, Jorge Luis (1899–1967) 385, 389 Brecht, Bertolt (1898–1956) 174 bu zhun geming ϡ‫ޚ‬䴽ੑ 45 Buber, Martin (1878–1965) 231 Buch, Hans Christoph (geb. 1944) 207 Büchner, Georg (1813–1837) 267, 390 Bürgerkrieg (1946–1949) 119, 249, 322 Burma 155 Byron, Lord (1788–1824) 25, 65, 85, 286

C Calvino, Italo (1923–1985) 372, 376 Wenn ein Reisender in einer Winternacht 372 Campusliteratur 261, 263 Camus, Albert (1913–1960) 264

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Index dan ⎵ 177 dangdai (wenxue) ᔧҷ (᭛ᄺ) ix Dante, Alighieri (1265–1321) 34, 72, 407 dao minjian qu ࠄ⇥䯈এ 192 Das Mädchen mit den weißen Haaren (ein Singspiel) 195, 319 Daxue ໻ᄺ 362 dazhonghua ໻ӫ࣪ 162, 164, 195 dazhongyu ໻ӫ䇁 162 dazibao ໻ᄫ᡹ 292 demokratischer Sozialismus 307, 338 Deng, Tuo 䙧ᢧ (1912–1966) 321 Deng, Xiaoping 䙧ᇣᑇ (1904–1997) 277, 306, 314, 326, 332, 335, 387 Deng, Youmei 䙧টṙ (geb. 1931) 365 Yanhu (Das Schnupftabakfläschchen) 365 Depression (s. auch youyuzheng ᖻ䚕⮛) 30, 45, 56, 57, 60, 88, 94, 147 Der Traum der Roten Kammer (s. auch Hongloumeng) 4 Dickens, Charles 123 Die Kameliendame 12, 98 Diglossie 4 Ding, Ling ϕ⦆ (1904–1986) 61, 83, 111, 113, 121, 122, 128, 139, 141, 142, 180, 205–209, 211, 212, 242, 311, 347, 354 Dao qianxian qu (An die Front) 139 Muqin (Jahreszeiten einer Frau) 121 Sanbajie yougan (Gedanken zum 8. März) 206, 311 Shaanbei fengguang (Landschaften des Nordens) 209 Shafei nüshi de riji (Das Tagebuch der Sophia) 121 Shui (Fluten) 141, 385 Taiyang zhao zai Sanggan He shang (Sonne über dem Sanggan) 211 Wei Hu (Wei Hu) 139, 352 Wo zai Xiacun de shihou (Aufenthalt im Dorf der Morgenröte) 209 Yijiusanling nian chun Shanghai (Schanghai Frühling 1930) 139 Zai yiyuan zhong (Im Krankenhaus) 206, 209

Chen, Yingzhen 䰜᯴ⳳ (geb. 1937) 258 Chenbao ᰼᡹ 42 Chengdu ៤䛑 ix, 157, 219, 220, 407 chenmen ≝䯋 60 chenmo ≝咬 175 Cheongsam (s. auch Changshan) 245 Chi, Li ∴㥝 (geb. 1957) 396 Chiang, Kai-shek 㩟ҟ⷇ (1887–1975) (s. auch Jiang Jieshi) 107, 192, 196, 198, 249, 255, 385 chiren ৗҎ 41 chongdan ‫ ⎵ކ‬179 Chongqing 䞡ᑚ 191, 192, 196, 198, 220, 234, 236 chongxie 䞡‫ ݭ‬383, 384 Chow, Chung-cheng ਼ӆ䫂 (Zhou Zhongzheng, 1908–1996) 252 Chow, Tse-tsung ਼ㄪ㒉 (geb. 1916) 26 Christentum 69, 124, 156, 274, 276 Chruschtschow, Nikita S. (1894–1971) 302 Chuangzaoshe ߯䗴⼒ 77 chuanqi Ӵ༛ 244 chuban zongshu ߎ⠜ᘏ㕆 282 Chu-Kultur 375 Chunliushe ᯹᷇⼒ 98 chunshihua 㒃䆫࣪ 168 communis opinio 14, 200, 301, 383, 387 condition humaine 295 cuncun you shiren ᴥᴥ᳝䆫Ҏ 318

D D’Annunzio, Gabriele (1863–1938) 52, 62, 65 La Città Morta 62 da shidai ໻ᯊҷ 322 dabo ໻⊶ 158 dadao Kongjiadian ᠧ‫צ‬ᄨᆊᑫ 25 dagu ໻哧 201 Dai, Sijie ᠈ᗱᵄ (geb. 1954) 252 Dai, Wangshu ᠈ᳯ㟦 (1905–1950) 164, 166–170, 235, 266 Xunmengzhe (Der Traumsucher) 169 Yuxiang (Gasse im Regen) 164, 266

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Index Ding, Xilin ϕ㽓ᵫ (1893–1974) 99, 101, 102 Yapo (Unterdrückung) 101 di-san zhong ren ㄀ϝ⾡Ҏ 109 dizhu ഄЏ 86 Doleželová-Velingerová, Milena 289 Dongya Bingfu ϰѮ⮙໿ 17 Donne, John (1572–1631) 231 douzheng yangge ᭫ѝ⾻℠ 195 Dreißigster Mai 1925 26 Du, Heng ᴰ㸵 (1907–1964) 167 Du, Mu ᴰ⠻ (803–852) 386 Du, Pengcheng ᴰ吣⿟ (1921–1991) 280 Duanmu, Hongliang ッ᳼㭏㡃 (1912– 1996) 146–148 Keerqinqi caoyuan (die Ebenen von Khorchin) 147 Zenghen (Haß) 146 duanpian xiaoshuo ⷁ㆛ᇣ䂀 6, 19 Duo, Duo ໮໮ (geb. 1951) 330 duoyu de ren ໮ԭⱘҎ 31 duoyuzhe ໮ԭ㗙 62 dushi xin renlei 䛑ᏖᮄҎ㉏ 399 duyu ⣀䇁 181

Episodentechnik 14, 217, 384 Erinnerung passim Eros 132, 297 Erster Fünfjahresplan (1953–1957) 284 Erster Opiumkrieg (1839–1942) 3 Essay, Essayistik, Essayist, essayistisch passim eternal woman 159, 386 Evangelium 35, 50 Ewiger Jude (Ahasver) 86 Experimentiertheater 405

F fanchou ⢃ᛕ 140 Fang, Fang ᮍᮍ (geb. 1955) 395 Fangxia ni de bianzi ᬒϟԴⱘ䶁ᄤ 183 fanshen 㗏䑿 195, 212 fansi wenxue ডᗱ᭛ᄺ 338, 341, 360 fansi ডᗱ 338, 347 fanxin 㗏ᖗ 212 Faschismus 52, 147, 274, 374, 402 Faulkner, William (1897–1962) 388 Fei, Ming ᑳৡ (1901–1967) 155, 156, 171 Jietou (An der Straßenecke) 171 feigerenhua 䴲ϾҎ࣪ 90 feishihua 䴲䆫࣪ 90, 168 feixu ᑳ๳ 337 fen ᛸ 123 Feng, Jicai ‫ރ‬偹ᠡ (geb. 1942) 366 San cun jinlian (Drei Zoll goldener Lotus) 366 Feng, Youlan ‫ރ‬ট݄ (1895–1990) 299 Feng, Zhi ‫ރ‬㟇 (1905–1993) 96, 218, 230–233, 236, 287 Beiyou ji qita (Reise in den Norden) 96 She (Die Schlange) 96, 197, 319 Shisihang ji (27 Sonette) 230 Wu Zixu (Wu Zixu) 230 Zuori zhi ge (Lieder von Gestern) 96 Feng, Zhi ‫ރ‬ᖫ (1923–1968): Behind Enemy Lines 296

E Einsamkeit 30, 34, 82, 96, 97, 181, 231, 232, 300 Eliot, T.S. (1888–1965) 37, 189 The Waste Land 37 Ellis, Havelock (1859–1939) 105 Studies in the Psychology of Sex 105 Emanzipierung, Emanzipation 31, 32, 120, 206, 245, 267, 300, 312, 358 Empfindsamkeit 28–30 Engels, Friedrich (1820–1895) 308 enqing ᘽᚙ 276 Enthüllungsroman (s. auch qianze xiaoshuo) 13, 17 Enthusiasmus ix, 27, 47, 50, 55, 56, 88, 204, 307 Enttäuschung 19, 30, 43, 46, 115, 128, 129, 154 enze ᘽ⋑ 276

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Index Feng, Zikai Єᄤᙎ (1898–1975) 180, 195, 327 Yuanyuan tang suibi (Eingebungen in der Halle der Vorsehung) 327 Yuanyuan tang xubi (Aus der Halle der Vorsehung. Eine Weiterschrift) 327 fengbo 亢⊶ 334 fengci 䆑ࠎ 177 Fengyang ޸䰇 393 Feudalismus, feudalistisch 27, 119, 190, 193, 200, 284, 317 Fin de siècle 160 Finnegans Wake 268 Finsternis 29, 35, 53, 56, 59, 120, 139, 186, 188, 196, 208, 215, 235, 296, 339 Flaubert, Gustave (1821–1880) 113, 156 Madame Bovary 113 Flughafenliteratur 259 Frauenliteratur 82, 83, 238, 271, 351, 356, 360, 364 Freiheit 9, 25–27, 39, 73, 79, 93, 125, 128, 149, 154, 203, 227, 236, 244, 267, 300, 306, 344, 346 Freud, Sigmund (1856–1939) 159, 162, 264 fu ᆠ 58, 66 Fu, Lei ٙ䳋 (1908–1966) 288, 321 Fudan Jushe ໡ᮺ࠻⼒ 183 fukan ࡃߞ 76 Fukien 257 fuqiang ᆠᔎ 58

Li Shunda zao wu (Li Shunda baut ein Haus) 360 Gao, Xingjian 催㸠‫( ع‬geb. 1940) vii, 30, 249, 349, 350, 371, 373, 374, 405 Chezhan (Busstation) 371 Yeren (Die Wilden) 374 Lingshan (Der Berg der Seele) 371, 373, 374 Gaomi 催ᆚ 383, 386 García Lorca, Frederico (1898–1936) 167, 340 García Márquez, Gabriel (geb. 1928) 375, 382, 389 Hundert Jahre Einsamkeit 375, 382 Ge, Fei Ḑ䴲 (geb. 1964) 161, 379, 384 Mizhou (Das verschwundene Boot) 385 Gedächtnis 75, 147, 192 Gedicht im Alten Stil 11 geming wenxue 䴽ੑ᭛ᄺ 107, 108 geming 䴽ੑ 388 gen'genpai 䎳䎳⌒ 360 Gentry 41, 42, 45, 111, 116, 120, 143, 146, 149, 174, 212, 214, 284 geren xiezuo ϾҎ‫ݭ‬԰ 399, 405 Goethe, Johann Wolfgang von (1749– 1832) 57, 60, 113, 120, 230 Die Leiden des jungen Werther 57, 113, 120 Goetz, Rainald (geb. 1954) 113 Geschichte der Gegenwart 113 gongming ݅ৡ 399 Gongnong Sanzijing Ꮉ‫ݰ‬ϝᄫ㒣 201 gongnongbing Ꮉ‫ ݉ݰ‬200, 323, 398 gongshihua ݀ᓣ࣪ 193 Gorki, Maxim (1868–1936) 114 Ein Tag in der Welt 114 Göttlichkeit 132 Großer Sprung nach vorn (1958) 230, 273, 313, 315, 317, 321, 322, 391 Großgrundbesitzer 86, 147, 295 Grünbein, Durs (geb. 1962) 390 gu wei jin yong সЎҞ⫼ 313 Gu, Cheng 乒ජ (1956–1993) 82, 338, 339, 345 Yi dai ren (Eine Generation) 338

G Gadamer, Hans-Georg (1900–2002) 231 gaige wenxue ᬍ䴽᭛ᄺ 326, 341 gainian ὖᗉ 291 gainianhua ὖᗉ䆱 112, 119 gaizao ᬍ䗴 194, 200 Gálik, Marián (geb. 1933) 9, 33, 49, 52, 118, 119, 222 ganyu shenghuo ᑆ乘⫳⌏ 303 ganshang ᛳӸ 60 Gao, Xiaosheng 催ᰧໄ (1928–1999) 145, 347, 360, 361, 363, 364

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Index Gu, Gong 乒Ꮉ (geb. 1928) 339 Gu, Hongming 䕰吓䫁 (Ku Hung-ming, 1857–1928) 35 Vox clamantis 35 Gu, Hua সढ (geb. 1942) 336 Furongzhen (Vom Wandel der Beständigkeit) 336 Gu, Jiegang 乒九߮ (1893–1980) 192 Gu, Mingdao 乒ᯢ䘧 (1897–1944) 162 Guan, Hanqing ݇∝॓ (ca. 1240 – ca. 1320) 316 guangming de qiantu ‫ܝ‬ᯢⱘࠡ䗨 211 Guangming Ribao ‫ܝ‬ᯢ᮹᡹ 275, 306, 339 guangming ‫ܝ‬ᯢ 339 guanhua ᅬ䆱 4 guanyang ᅬḋ 123 gudu ᄸ⣀ 30, 60 guguo baqian li, fengyu sanshi nian ᬙ೑ܿग䞠ˈ亢䲼ϝकᑈ 347 guijia xunmeng ᔦᆊᇏṺ 219 guiyuan 䯎ᗼ 263 Guo, Lusheng 䛁䏃⫳ (geb. 1948) (s. auch Shi Zhi亳ᣛ) 327, 329, 334 Guo, Moruo 䛁≿㢹 (1892–1978) 47, 49–52, 54, 55, 58, 75, 77, 79, 80, 90, 120, 196, 275, 276, 287, 288, 309, 315, 339, 370 Cai Wenji (Cai Wenji) 315 Diqiu, wo de muqin (Erde, meine Mutter) 54 Feng ge (Gesang des Phönix) 54 Nüshen (Göttinnen) 48, 49, 51–55, 77, 79, 80, 90, 276 Nüshen zhi zaisheng (Die Wiedergeburt der Göttinnen) 53 Qu Yuan (Qu Yuan) 196 Taiyang lizan (Hymnen an die Sonne) 54 Tiangou (Himmelshund), siehe auch den dazugehörigen Zyklus Nüshen (Göttinnen) 48 Wu Zetian (Wu Zetian) 315 Xuezhao (Schneemorgen) 51 guocui ೑㊍ 44, 104, 172 guofang xiju ೑䰆៣࠻ 183

guojia de zhuren ೑ᆊⱘЏҎ 361 guojia ganbu ೑ᆊᑆ䚼 279 guojia yizhi ೑ᆊᛣᖫ 286 guojia ೑ᆊ vii, 3, 104, 279 guoju yundong ೑࠻䖤ࡼ 98 guoke 䖛ᅶ 101 Guomindang ೑⇥‫ ܮ‬passim guominxing ೑⇥ᗻ (s. auch Volkscharakter) 38, 39 Guotongqu ೑㒳ऎ 191 guoxue ೑ᄺ 172 guoyu ೑䇁 5, 257

H Ha, Jin જ䞥 (geb. 1956) 252 Hai, Rui ⍋⨲ (1513–1587) 314, 315, 323 Hai, Zi ⍋ᄤ (1964–1989) 399, 408 Haidian ⍋⎔ 156 Haiku 81, 241 Haipai ⍋⌒ (s. auch Schanghaier Schule) 142, 158, 162, 164, 365, 400 han ୞ 34 Han, Dong 䶽ϰ (geb. 1961) 397 Youguan Dayan Ta (Über die Große Wildganspagode) 397 Han, Shaogong 䶽ᇥࡳ (geb. 1953) 375, 377–379, 389 Bababa (Papapa) 377 Nününü (Fraufraufrau) 376 Handlungshemmung 24, 28, 60, 102, 186, 187, 223 Hang, Yuehe ᵁ㑺䌿 (1917–1995) 233 Hankou ∝ষ 310 hansheng ୞ໄ 36 Hanyang ∝䰇 310 Hanyu Pinyin ∝䇁ᣐ䷇ x, 5 Han-Zeit (206 v.Chr. – 220 n.Chr.) 391 Hao, Ran ⌽✊ (geb. 1932) xi, 321, 322, 324, 325, 383 Jinguang dadao (Unser Weg im goldenen Licht) 324 Yanyang tian (Strahlender Himmel) 323 Harbin જᇨⒼ 151, 240 he wei gui ੠Ў䌉 343

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Index He, Jingzhi 䌎ᭀП (geb. 1924) 195, 321, 322, 328 Baimaonü (Das Mädchen mit den weißen Haaren) 195 He, Qifang ԩ݊㢇 (1912–1977) 169, 180, 182 Aige (Die Klage) 181 Huameng lu (Aufzeichnungen von bemalten Träumen) 181 Songzang (Das letzte Geleit) 169 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770– 1831) 338 Heidegger, Martin (1889–1976) 345, 369 Heimat (s. auch xiangtu) passim Heimatliteratur (s. auch xiangtu wenxue) 132, 218, 256–258, 267, 271, 364, 393 heiwulei 咥Ѩ㉏ 323 Herder, Johann Gottfried (1744–1803) 38, 192 Hermetische Schule (s. auch Menglong Shipai) 167, 227, 334, 338, 340, 343, 345, 397, 406 Hesse, Hermann (1877–1962) 381 Das Glasperlenspiel 381 hezuohua ড়԰࣪ 289 historischer Roman 295, 298 historisches Drama 195, 201 Hochsprache (s. auch Pekinger Dialekt) xi, 4, 5, 44, 253, 257, 402 Hoffnung 42, 57, 84, 87, 88, 128, 158, 188, 221, 225, 226, 236, 255, 334, 343, 355, 391, 405 Hofmannsthal, von, Hugo (1874–1929) 267, 343, 407 Homer (8. Jhdt. v.Chr.) 407 homo pekinensis 238 Hong, Shen ⋾⏅ (1894–1955) 99, 183 Hong, Ying 㱍ᕅ (geb. 1962) 352 Hongkong 佭␃ (Xianggang) viii, x, 5, 192, 198, 241–246, 249, 251–253, 255, 263, 272, 287, 293, 336, 373, 400, 407 Hongloumeng 㑶ὐṺ (s. auch Traum der Roten Kammer) 403 Hongse Xiju 㑶㡆៣࠻ 183 Hou Menglong Shipai ৢᳺ㚻⌒ (s. auch Posthermetische Schule) 338, 405

Hsia, C.T. (geb. 1921) (d.i. Xia Zhiqing ໣ᖫ⏙) 7, 8, 264, 294 Hsia, T.A. (1916–1965) (d.i. Xia Ji'an໣⌢ᅝ) 264 Hu, Feng 㚵亢 (1902–1985) 204, 205, 284, 287, 288, 302 Shijian kaishi le (Die Zeit hat begonnen) 287 Hu, Shi 㚵䗖 (1891–1962) 11, 25, 31, 32, 44, 51, 77, 88, 89, 107, 109, 284 Acht Thesen zu einer literarischen Reform 11 Baihua wenxue shi (die Geschichte der chinesischen Literatur in Umgangssprache) 77 Changshi (Experimente) 32, 89 Meng yu shi (Träume und Poeme) 89 Tan xinshi (Zur Neuen Lyrik) 88 Hu, Yaobang 㚵㗔䙺 (1915–1989) 307 Hu, Yepin 㚵г乥 (1905–1931) 121 hua ढ 18 hua 㢅 18 Huang, Chunming 咘᯹ᯢ (geb. 1939) 268, 269 Sayonara Zaijian (Sayonara – Auf Wiedersehen) 269 Huang, Guliu 咘䈋᷇ (1908–1977) 253 Xiaqiu zhuan (Die Geschichte von Krabbenbällchen) 253 Huang, Jianzhong 咘ᓎЁ (geb. 1941) 393 Huang, Zunxian 咘䙉ᅾ (1848–1905) 11 Huanzhulou Zhu 䖬⦴ὐЏ (1902–1961) 162 huashuo 䆱䇈 163 hui ᜻ 130 Hulan ੐݄ 240 Humanität, Humanismus 120, 287, 295, 301, 325, 338, 351, 389, 391, 408 Humor 43, 45, 70, 73, 101, 122, 123, 177, 178, 197, 225, 237, 238, 303, 312, 337, 360, 365, 404, 408 Hundert-Blumen-Periode (1956/57) 292, 300, 301, 306, 307, 309, 313, 316, 317 hutong 㚵ৠ 122 hypochondria 57, 59, 66

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Index jimo ᆖᆲ 60 Jin, Yong 䞥ᒌ (geb. 1924) vii, 254, 400 jindai (wenxue) 䖥ҷ (᭛ᄺ˅ ix Jingpai Ҁ⌒ (s. auch Pekinger Schule) 109, 142, 155, 158, 164, 180 jingshen shuairuo ㊒⼲㹄ᔅ 60 jingsheng shengli ㊒⼲㚰߽ 44 jingwei xiaoshuo Ҁੇᇣ䇈 122 jingwei Ҁੇ (s. auch Beijingweir ࣫Ҁੇ‫ )ܓ‬122 Jintian Ҟ໽ (Today) 9, 282, 332 jiu name hui shi ህ䙷Мಲџ 303 jiuguoᬥ೑ 26, 33 Jiuye б৊ 233 jizhong tongyi 䲚Ё㒳ϔ 200 Joyce, James (1882–1941) 259, 268 Dubliners 259 jue 㾝 130 jueju 㒱হ 81 jun qing, min wei gui ৯䕏ˈ⇥Ў䌉 316

I Ibsen, Henrik (1828–1906) 30, 31, 99, 101, 187, 239, 353, 372 Identität 27–29, 58, 163, 255, 350, 354, 373, 403, 404 Imperialismus 52, 119, 124, 158, 163, 193 Individualismus, Individualität, Individuum 29, 31, 33, 76, 82, 127, 193, 226 Innere Mongolei 380 Innerer Monolog 348 Ionesco, Eugène (1912–1994) 372 Iteration 92, 95, 104, 133, 175, 328

J J’accuse 129 Jahwe 49, 52 Jandel, Ernst (1925–2000) 269 Jangtse, s. auch Chang Jiang 191, 310 Jaspers, Karl (1883–1969) 230 ji 䆄 125 Ji, Xian 㑾ᓺ (geb. 1913) 264 Jia, Pingwa 䌒ᑇߍ (geb. 1952) 326, 378 Jiang, Guangci 㩟‫ܝ‬᜜ (1901–1931) 108, 138, 167 Jiang, Gui ྰ䌉 (1908–1980) 259 Xuanfeng (Der Wirbelwind) 259 Jiang, Jieshi 㩟ҟ⷇ (1887–1975) (s. auch Chiang Kai-shek) 107 Jiang, Jingguo 㩟㒣೑ (1910–1988) 255 Jiang, Qing ∳䴦 (1913–1991) 315, 323, 324, 366 Jiang, Zilong 㩟ᄤ啭 (geb. 1941) 326 Jiangnan ∳फ 263 jiankang‫ع‬ᒋ 304 jie gu feng jin ‫׳‬স䆑Ҟ 313 jiefang hou 㾷ᬒৢ 276 jiefang qian 㾷ᬒࠡ 276 Jiefang Ribao 㾷ᬒ᮹᡹ 211 jiefang 㾷ᬒ 195 Jiefangqu 㾷ᬒऎ 191 jiehe 㒧ড় 200 jietouju 㸫༈࠻ 184, 195

K Kaderschule 346 Kafka, Franz (1883–1924) 261, 264, 271, 359, 376, 389 Kaimingpai ᓔᯢ⌒ 180 Kang Ri Sanzijing ᡫ᮹ϝᄫ㒣 201 Kang, Sheng ᒋ⫳ (1898–1975) 317, 323 kangkai ᝋ᜼ 370 Kantonesisch 253, 397 Kawabata, Yasunari (1899–1972) 389 Kinderliteratur 67, 72, 154 Kisch, Egon Erwin (1885–1948) 182 China geheim 182 Klassenkampf 110, 286, 292, 318, 320, 323, 324, 351 klassische Literatur vii, 13 Kleinmut 50 Kleist, Heinrich von (1777–1811) 83 kokuminsei 38 kollektives Gedächtnis 75, 76 Kollektivgeist 155, 217

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Index Lee, Leo Ou-fan ᴢ⃻ẉ (geb. 1939) (d.i. Li Oufan) 264, 348 Lenin, Vladimir I. (1870–1924) 55, 286 Lenz, Jakob Michael Reinhold (1751– 1792) 286 Leung, Ping-kwan ṕ⾝䩻 (geb. um 1949) 170, 272, 397 li ⧚ 24, 78 Li, Ang ᴢᯖ (geb. 1952) 353 Shafu (Gattenmord) 353 Li, Guangtian ᴢᑓ⬄ (1906–1968) 180 Li, Guowen ᴢ೑᭛ (geb. 1930) 347 Li, Jianwu ᴢ‫ع‬਒ (1906–1982) 156, 182, 185 Yidali shujian (Briefe aus Italien) 182 Zhe buguo shi chuntian (Es war nur der Frühling) 185 Li, Jieren ᴢ九Ҏ (1891–1962) 75, 156, 157, 298 Baofengqu qian (Vor dem Gewitter) 157, 298 Dabo (Die Große Woge) 157, 298 Sishui weilan (Wellen in totem Gewässer) 157, 298 Li, Jinfa ᴢ䞥থ (1900–1976) 167 Li, Rui ᴢ䫤 (geb. 1950) 383 Li, Shaohong ᴢᇥ㑶 (geb. 1955) 393 Li, Youcai ᴢ᳝ᠡ 215 Li, Zhun ᴢ‫( ޚ‬1928–2000) 291, 311, 312, 391 Bu neng zou zhe tiao lu (Diesen Weg darfst du nicht gehen) 290 Li Shuangshuang xiaozhuan (Geschichte von Li Shuangshuang) 311 lian 㦆 266 Liang, Bingjun ṕ⾝䩻 (geb. um 1949, s. auch Leung Ping-kwan) 170, 272, 397 Lao zhimindi jianzhu (Ein altes Kolonialgebäude) 397 Liang, Qichao ṕਃ䍙 (1873–1929) 17– 19, 25, 38, 89, 145 Liang, Shiqiu ṕᅲ⾟ (1903–1987) 78, 107, 109, 110, 175, 218, 236–238, 400 Woshou (Händeschütteln) 236 Yashe xiaopin (Miniaturen, in einer Hütte verfaßt) 236

Kommunismus 120, 147, 203, 208, 259, 274, 276, 287, 295, 300, 324, 402 Kong, Jiesheng ᄨ᥋⫳ (geb. 1952) 330 Konterrevolutionär 207, 302 kouyu ষ䇁 175 Krieg gegen Japan (1937–1945) 107, 192, 216, 218, 219 Kriegsliteratur 271, 275 Kriegsroman 196, 289, 295, 298 kuaiban ᖿᵓ 201, 215 kudan ᶃ⎵ 179 Kulturimperialismus 268 Kulturkritik 124, 172, 377, 405 Kulturrevolution ᭛࣪໻䴽ੑ passim kumen 㢺䯋 30, 59, 140, 158, 194 Kundera, Milan (geb. 1929) 376 Kunming ᯚᯢ 192, 230, 232, 233, 380 Kurzgeschichte 6, 19, 23, 30, 42, 67, 79, 88, 111, 113, 117, 152, 153, 297, 317, 342, 349, 353

L Lai, He 䌪੠ (1894–1943) 256 Dou naore (Es geht hoch her) 256 Landreform (1946–1948) 147, 211, 213, 289, 290, 293, 294, 302, 324 Lao, She 㗕㟡 (1899–1966) passim Chaguan (Das Teehaus) 238, 299, 301, 360, 387 Er Ma (Chinesen in London) 123, 124 Lao Zhang de zhexue (Die Philosophie des Alten Zhang) 123, 124 Lihun (Scheidung) 126 Longxugou (Longxugou) 293 Luotuo Xiangzi (Rikschakuli) 126, 127, 236 Maocheng ji (Die Stadt der Katzen) 124 Sishi tongtang (Vier Generationen unter einem Dach) 127, 196 Zhao Zi yue (Meister Zhao sagt) 123 Zhenghongqi xia (Sperber über Peking) 319 laobaixing 㗕ⱒྦྷ 297 Laotse 㗕ᄤ 373 Daodejing 373

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Index Liberalismus 26, 176, 180 Licht vii, 29, 35, 48, 53, 56, 59, 78, 120, 128, 138, 188, 208, 221, 225, 229, 236, 237, 275, 296, 339 Lichtmetaphorik 55, 196, 275 Liebesroman 13, 163 Lieder des Südens (Chuci, 3. Jhdt. v. Chr.) 369, 375 Liga linker Schriftsteller 108, 110, 138, 142, 144, 147, 155, 167, 168, 175, 180, 182 Lin, Bai ᵫⱑ (geb. 1958) 357 Lin, Haiyin ᵫ⍋䷇ (1919–2001) 259, 260 Chengnan jiushi (Die Geheimnisse der Yingzi) 259 Lin, Yutang ᵫ䇁ූ (1895–1976) 110, 122, 175–178, 180, 400 Da gou shiyi (Das Schlagen von Hunden. Eine Richtigstellung) 176 Ein wenig Liebe ... ein wenig Spott 177 Glück des Verstehens 110 Mein Land und mein Volk 110 The Vigil of a Nation 176 Weisheit des lächelnden Lebens 110 Lin, Zhao ᵫᰁ (1932–1968) 277 ling ♉ 110 lingdao chu sixiang 乚ᇐߎᗱᛇ 325 linglei ঺㉏ 399 lingsui 䳊⹢ 80 lingxiu 乚㹪 35, 308, 322 lingyuzhe 䳊ԭ㗙 62 lishihui ⧚џӮ 279 Literatursprache 14, 215, 249, 253, 257 littérature engagée 228 Liu Sanjie ߬ϝྤ (ein Singspiel) 319 Liu, Baiyu ߬ⱑ㖑 (geb. 1916) 321, 322 Liu, Bannong ߬ञ‫( ݰ‬1891–1934) 192 Liu, Binyan ߬ᆒ䲕 (geb. 1925) 303, 304, 306, 387 Benbao neibu xiaoxi (Interne Neuigkeiten) 304 Zai qiaoliang gongdi shang (Brückenbau) 304 Liu, E ߬含 (1857–1909) 15, 17

Lao Can youji (Die Reisen des Lao Can) 15 Liu, Heng ߬ᘦ (geb. 1954) 383, 395 Liu, Na'ou ߬ਤ叹 (1900–1939) 166 Liu, Shaoqi ߬ᇥ༛ (1898–1969) 314, 315 Liu, Shaotang ߬㒡Ẵ (1936–1997) 366 Puliu renjia (Die Leute bei den Kätzchenweiden) 366 Liu, Xinwu ߬ᖗ℺ (geb. 1942) 342, 345 Banzhuren (Der Klassenlehrer) 342 Liu, Zhenyun ߬䳛ѥ (geb. 1958) 395 Yi di jimao (Ein Flecken Hühnerfedern) 396 liulang wenren ⌕⌾᭛Ҏ 399 liwu ⼐⠽ 300 Lobbyliteratur 343, 356, 362 Lowell, Amy (1874–1925) 32 Lu Shan ᑤቅ 315 Lu, Ling 䏃㖢 (1923–1994) 287, 297, 298 Die Kinder der Reichen 298 Wadishang de zhanyi (Schlacht in der Senke) 297 Lu, Wenfu 䰚᭛໿ (1928–2005) 348, 363, 364 Meishijia (Der Gourmet) 363 Lu, Xinhua शᮄढ (geb. 1954) 342, 345 Shanghen (Wunden) 342 Lu, Xun 剕䖙 (1881–1936) passim A Q zhengzhuan (Die wahre Geschichte des Herrn Jedermann) 37, 38, 42, 43, 45, 311 Cong fengci dao youmo (Von der Satire zum Humor) 178 Datuanyuan (Das große Happy-end) 43 Deng xia manbi (Beiläufiges im Lampenschein) 172 Die Geschichte von den Kaninchen und der Katze 45 Fen (Das Totenmal) 172 Guoke (Ein Vorübergehender) 85 Gushi xinbian (Altes frisch verpackt) 175 Guxiang (Heimat) 42 Huaijiu (Eine Kindheit in China) 41 Jinian Liu Hezhen jun (Zur Erinnerung an Fräulein Liu Hezhen) 175, 176

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Index Kong Yiji 41, 46 Kuangren riji (Tagebuch eines Verrückten) 11, 23, 41 Lun ›Feie polai‹ yinggai huanxing 173 Nahan (Applaus) 33, 35, 40, 41, 45 Panghuang (Zwischenzeiten, Zwischenwelten) 45 Shexi (Eine Oper auf dem Land) 73 Si (Tod) 173, 197 Suiganlu (Aphorismen) 30, 103 Wo zenme zuoqi xiaoshuo lai (Was mich trieb, Erzählungen zu schreiben) 36 Xiwang (Hoffnung) 87 Yecao (Unkraut) 84 Yi jian xiaoshi (Eine Bagatelle) 42 Ying de gaobie (Der Abschied des Schattens) 86 Lugouqiao श≳ḹ 191 Lukács, Georg (1885–1971) 112 Die Theorie des Romans 112 lunxianqu ≺䱋ऎ 191 Luo, Fu ⋯໿ (geb. 1928) 264 Luo, Yihe 做ϔ⾒ (1961–1989) 408

Chuncan (Seidenraupen im Frühling) 114, 295 Hong (Regenbogen) 120, 240 Linjia puzi (Der Laden der Familie Lin) 114 Shi (Finsternis) 29, 115 Dongyao (Wankelmut) 116 Huanmie (Desillusion) 116 Zhuiqiu (Auf der Suche) 116

Yeqiangwei (Wilde Rosen) 117 Ziye (Shanghai im Zwielicht, eig. Mitternacht) 112, 115, 119, 298 Mao, Zedong ↯⋑ϰ (1893–1976) passim Analyse der Klassen in der chinesischen Gesellschaft 308 Ausgewählte Werke 276 Youyong (Schwimmen) (nach der Melodie Shuidiao verfaßt) 310 Zur Frage des genossenschaftlichen Zusammenschlusses in der Landwirtschaft 289 Mao-Bibel 276 Maoismus 46, 121, 199, 229, 274, 275, 278, 284, 297, 307, 313, 319, 322, 345, 395, 402 maoistische Ästhetik 180, 185, 196, 200, 209, 214, 220, 287 Mao-Mausoleum 276 maomin ⣿⇥ 125 maoren ⣿Ҏ 125 Marcuse, Herbert (1898–1979) 147 Marinetti, Filippo Tommaso (1878–1944) 90 Marx, Karl (1818–1883) 338 Marxismus 46, 77, 107, 109, 182, 199, 200, 207, 308, 370 Marxismus-Leninismus 199, 200, 207 Massenkultur 109, 164, 199, 215, 246, 272, 286 Massenmensch 17 Massenpoesie 309 Mauer der Demokratie 335 megalomania 56, 57, 59 Mehnert, Klaus (1906–1984) 242 Mei, Lanfang ṙ݄㢇 (1894–1961) 174 Mei, Niang ṙ࿬ (geb. 1920) 183, 246

M Ma, Jian 偀ᓎ (geb. 1953) 378 Ma Ruifang 偀⨲㢇 (geb. 1942) 408 Cao Zhi mu suixiang (Gedanken am Grab von Cao Zhi ) 408 Ma, Yuan 偀ॳ (geb. 1953) 379, 384 Macau ▇䮼 (Aomen) viii, x, 5, 62, 249, 253 magischer Realismus 271 Majakoskij, Vladimir (1893–1930) 227 Mallarmé, Stéphane (1842–1898) 84 Mandarin 4 Mandschu, Mandschurei, mandschurisch 25, 146, 148, 149, 191, 198, 213, 319 Mandschukuo (Manzhouguo) 148, 149 Mao ti ↯ԧ 331, 402 Mao, Dun 㣙Ⳓ (1896–1981) 111–120, 122, 128, 129, 131, 133, 142, 180, 241, 287, 295, 298, 400 Chuangzao (Die Geburt einer Frau, eig. Schöpfung) 117

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Index meili de cuowu 㕢Бⱘ䫭䇃 262 Melancholie, melancholisch (s. auch youyu) 24, 28, 30, 50, 59, 65, 88, 140, 141, 187, 204, 225 Melancholiker 57, 60 Meliorismus 145 men 䯋 186 Meng, Zi ᄳᄤ (372–281) 150 Menglong Shipai ᳺ㚻䆫⌒(s. auch Hermetische Schule) 167, 227, 334, 338 menglong ᳺ㚻 340 Metaphorik 8, 84, 85, 203, 206 Mian, Mian ẝẝ (geb. 1970) 281, 352 Miao 㢫 134, 377 min ⇥ 130 Ming-Dynastie ᯢᳱ (1368–1644) 217, 314 mingmu ৡⳂ 86 Ming-Zeit (s. auch Ming-Dynastie) 6, 12, 24 minjian wenxue ⇥䯈᭛ᄺ 192 minjian xiezuo ⇥䯈‫ݭ‬԰ 405 Minnanhua 䯑फ䆱 257 minzu xingshi ⇥ᮣᔶᓣ 203 minzuzhuyi wenyi yundong ⇥ᮣЏН᭛㡎䖤ࡼ 108 Misogynie 392 Mitchell, Margaret (1900–1949) 198 Gone with the Wind 198 Mitleid (s. auch beimin) 50, 69, 154, 168, 173, 186, 220, 337, 390 miye 䗋৊ 125 Mo, Yan 㥿㿔 (geb. 1956) 382, 386–389, 392, 402 Hong gaoliang jiazu (Das Rote Kornfeld) 382 Jiuguo (Die Schnapsstadt) 384, 387 Tiantang suantai zhi ge (Die Knoblauchrevolte) 386–388 Modelloper 325, 368 modern girl 122, 159 Moderne passim Modernisierung, Modernismus 6, 12, 29, 38, 155, 158, 159, 164, 166, 168, 170, 171, 260, 263, 266–268, 335, 345, 360, 364, 369, 393

Modernistische Schule 169 Mondsichelschule (s. auch Xinyuepai) 90, 110, 167–169, 236 mood pieces 70 Morallehre 98 Moritz, Karl Philipp (1756–1793) Anton Reiser 147 Mu, Dan 〚ᮺ (1918–1977) 233 Mu, Mutian 〚᳼໽ (1900–1971) 168 Mu, Shiying 〚ᯊ㣅(1912–1940) 160, 198 Mukden 〚‫ܟ‬乓 (heute Shenyang ≜䰇) 162 Musiktheater 12, 99, 194, 195 Mussolini, Benito (1883–1945) 147 Mykene 62 mystery story 210, 385, 403

N nahan ਤ୞ 36, 37, 85 Nanguoshe फ೑⼒ 100, 183 Nanking फҀ 191 Narodniki 192 Nationalismus 56, 108, 152, 190, 228, 304 Nationalliteratur 18 Naturalismus 142, 396 Neohistorismus (s. auch xin lishizhuyi) 392, 394 Neokonfuzianismus 24 Neoperzeptionismus (Japanisch shinkankakuha) 160 Neorealismus (s. auch xinxieshi xiaoshuo) 382, 392, 393, 395 Neosensualismus, Neosensualist 160, 162 Neotraditionalismus 341, 368 Neue Jugend (siehe auch Xin Qingnian) ᮄ䴦ᑈ) 11, 25, 26, 31, 47, 99, 103 Neue Literatur 9 Neue Ordnung 193, 198 Neue Sinnlichkeit 160 Neuer Mensch 217

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Index Neues Gedicht 91, 93 Neurasthenie (s. auch jingshen shuairuo) 60, 122, 210 Neuzeit 5, 6, 76, 81, 103, 310 Nietzsche, Friedrich (1844–1900) 37, 47, 49, 51, 62, 68, 69, 84, 87, 147, 173, 189, 267, 402 Also sprach Zarathustra 37, 50, 51, 57, 84 Vereinsamt (auch Freigeist) 37 Nihilismus, nihilistisch 336, 371, 389 nongmin xiju shiyan ‫⇥ݰ‬៣࠻ᅲ偠 184 Nora 31, 99, 154, 187, 206, 211, 239 nostalgia 59 Nostalgie 133, 259, 261, 319 nouveau roman 389

Pekinger Frühling (1978–1980) 282, 332, 336 Pekinger Oper 272, 314, 317, 366 Pekinger Schule, Schule der Hauptstadt (s. auch Jingpai) 109, 131, 142, 155–158, 180 Pekingmensch 238 Peng, Dehuai ᕁᖋᗔ (1898–1974) 209, 315, 323 Petöfi, Sándor (1823–1849) 88 piaobo ⓖ⊞ 60 pingdan ᑇ⎵ 105, 155, 179 pingfan ᑇ޵ 81, 117 pingmin wenxue ᑇ⇥᭛ᄺ 199 pingminhua ᑇ⇥࣪ 89 Platon (427–347 v.Chr.) 225 platonisch 24 po ⸈ 25 pohuai ⸈ണ 25 Politik der Drei Roten Banner 308, 315 populäre Kultur 13 Posthermetische Schule (s. auch Hou Menglong Shipai) 405 Postmoderne 29, 109, 133, 271, 369, 396 Pound, Ezra (1885–1972) 32, 81 Privatheit, privat 12, 115, 321 Proletariat 42, 110, 143, 146 proletarische Kunst 107 proletarische Literatur 108, 121, 141, 149, 150, 153 Proudhon, Pierre-Joseph (1809–1865) 142 Proust, Marcel (1871–1922) 18 Suche nach der Verlorenen Zeit 18 Průšek, Jaroslav (1906–1980) 119, 214 Pu, Feng 㪆亢 (1911–1942) 167 Wuzhuang de naodai (Gehirn unter Waffen) 167 Pu, Songling ⌺ᵒ啘 (1640–1715) 408 putonghua ᱂䗮䆱 5, 317, 402

O obsession with China 7, 8, 230, 398 Öffnungspolitik (seit 1979) 46, 255, 281, 285, 335, 341, 347 Ortega y Gasset, José (1883–1955) 90 Ouyang, Jianghe ⃻䰇∳⊇ (geb. 1956) ix, 407 Ouyang, Shan ⃻䰇ቅ (1908–2000) 162 Ouyang, Yuqian ⃻䰇ќ‫( ׽‬1889–1962) 99, 185 Oveckin, Valentin (1904–1968) 303

P pa qiang ᗩᔎ 44 Pan, Gu Ⲭস (mythischer Schöpfer) 377 panghuang ᕋᕼ 30, 86 Paradoxie, Paradox 84, 175 Parnasse (franz. Dichterkreis) 90 Pastior, Oskar (geb. 1927) 269 Pathos, pathetisch 47, 50, 59, 129, 167, 303, 328, 334, 369, 370, 402 Patriotismus 58, 147, 152, 162, 185, 190, 193, 304, 317, 383 Peking ࣫Ҁ passim Pekinger Demokratiebewegung (1978– 1980) 54 Pekinger Dialekt 4

Q Qian, Zhongshu 䪅䩳к (1910–1998) 218, 223, 225, 226, 236, 281, 287, 293, 346 Weicheng (Die umzingelte Festung) 223

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Index ren chi ren ҎৗҎ 300 ren de wenxue Ҏⱘ᭛ᄺ 199 renlei Ҏ㉏ 224, 369 Renmin Ribao Ҏ⇥᮹᡹ 306, 325 renmin Ҏ⇥ 300 rensheng Ҏ⫳ 135 Renshengpai Ҏ⫳⌒ 156 renxue Ҏᄺ 307, 351 Repetition 34, 84, 88, 227, 266 Republik 3, 7, 10, 42, 51, 63, 73, 90, 101, 108, 152, 174, 255, 271, 274, 275, 385, 393, 398 Revolution passim Revolutionäre Modelloper 325 Revolutionäre Romantik 309, 311 Revolutionärer Realismus 309, 311 Rilke, Rainer Maria (1875–1926) 230, 233, 235 Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke 230 Rimbaud, Arthur (1854–1891) 84 Rittergeschichten 162, 263, 400 Ritterroman 13, 254 Robbe-Grillet, Alain (geb. 1922) 389, 403 Roman der Jahrhundertwende 15, 18, 19 Roman zur Landreform 289, 295, 298 Romanliteratur 13 Romantik 8, 28, 29, 77, 273, 275, 309 Rou, Shi ᶨ⷇ (1902–1931) 143 Wei nuli de muqin (Sklavenmutter) 143 Ru, Zhijuan 㤍ᖫ࿳ (1925–1998) 297, 299, 301, 347, 351, 356 Baihehua (Lilien) 297 Jianji cuole de gushi (Eine falsch redigierte Geschichte) 347 Ruinenliteratur 337 Russell, Bertrand (1872–1970) 39 The Problem of China 39

qiang ᔎ 58, 66 qianze xiaoshuo 䈈䋷ᇣ䇈 17 qimengzhuyi ਃ㩭ЏН 37 Qin, Zhaoyang ⾺‫ܚ‬䰇 (1914–1994) 308 Xianshizhuyi – guangkuo de daolu (Realismus – ein Weg für alle) 308 qing guan ⏙ᅬ 314 qing ᚙ 24, 78, 243 qingcheng ؒජ 244 qingchu jingshen wuran ⏙䰸㊒⼲∵ᶧ 268 Qingdao 䴦ቯ 25, 149, 238 Qing-Dynastie ⏙ᳱ (1644–1911) 5, 42, 298 qingguan ᚙ݇ 24 Qingnian Zazhi 䴦ᑈᴖᖫ 25 qingwang ᚙ㔥 24 qingwenxue 䕏᭛ᄺ 159 qingxu de ticao ᚙ㒾ⱘԧ᪡ 132 Qiong, Yao ⨐⩊ (geb. 1938) 400 Qipao ᮫㹡 (s. auch Cheongsam) 245 Qu, Qiubai ⶓ⾟ⱑ (1899–1935) 109, 162, 175, 182 Qu, Yuan ሜॳ (ca. 340 – ca. 278 v.Chr.) 375 quanpan xihua ܼⲬ㽓࣪ 29 qubi ᳆ヨ 36 qunzhong chu shenghuo 㕸ӫߎ⫳⌏ 325 quwei 䍷ੇ 110, 179

R Rationalität 24, 29, 30, 160, 317 Realismus (s. auch xieshi) 7, 28, 29, 31, 77, 99, 109, 113, 115, 138, 141, 168, 183, 208, 273, 285, 308, 309, 369, 375, 392 realistische Literatur 256 Rebellion 7, 25, 55, 82, 84, 128–130, 150, 251, 340 Reformliteratur 326, 341, 355, 360 Regionalsprache 5 Religion 47, 50, 100, 102, 132, 267, 273, 275–277

S Sai, Jinhua 䌯䞥㢅 (1874–1936) 185 San tuchu ϝさߎ 316 San, Mao ϝ↯ (1943–1991) 400 sancong ϝҢ 71

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Index Shanghai Yishu Jushe Ϟ⍋㡎ᴃ࠻⼒ (Schanghaier Gesellschaft für das Kunstdrama) 183 shanghen wenxue Ӹ⮩᭛ᄺ (s. auch Wundenliteratur) 327, 342 Shao, Quanlin 䚉㤗味 (1906–1971) 320 Shaoshan ䷊ቅ 276 shehui diaocha ⼒Ӯ䇗ᶹ 213 shehui wenti ju ⼒Ӯ䯂乬࠻ 100 Shelley, Percy Bysshe (1792–1822) 85 shen ⼲ 132 Shen, Congwen ≜Ң᭛ (1902–1988) 109, 110, 111, 131–138, 142, 155, 180, 192, 281, 287, 293, 336, 364, 366, 373, 375, 388 Biancheng (Grenzstadt) 136 Congwen Zizhuan (dt. Türme über der Stadt) 133 Ji Ding Ling (Erinnerung an Ding Ling) 180 Xiang xing sanji (Hunanesische Skizzen) 135 Xiangxi (West-Hunan) 135, 375 sheng, lao, bing, si ⫳㗕⮙⅏ 151 shenti xiezuo 䑿ԧ‫ݭ‬԰ 282, 353 shi de jingyanzhuyi 䆫ⱘ㒣偠ЏН 90 shi yu shiren de dazhonghua 䆫Ϣ䆫Ҏⱘ໻ӫ࣪ 167 Shi, Tiesheng ৆䪕⫳ (geb. 1951) 379 Shi, Tuo Ꮬ䰔 (1910–1988) 156, 157 Shi, Zhecun ᮑ㳄ᄬ (1905–2003) 160, 166 Shi Xiu (Shi Xiu) 161, 162 Shuihuzhuan (Die Räuber vom LiangSchan-Moor) 161 Shi, Zhi 亳ᣛ (geb. 1948) (s. auch Guo Lusheng) 328 Xiangxin weilai (Ich glaube an die Zukunft) 328 Xiwang (Hoffnung) 328 shidaixing ᯊҷᗻ 114 Shikan 䆫ߞ 279 shiti de jiefang 䆫ԧⱘ㾷ᬒ 89 short story 6 Short story 6 showing 44, 394

Sanggan He ḥᑆ⊇ 211 Sani ᩦሐ 318 sanmei ϝ㕢 91 sanminzhuyi wenxue ϝ⇥ЏН᭛ᄺ 108 sanminzhuyi wenyi ϝ⇥ЏН᭛㡎 108 sanwen ᬷ᭛ 102, 103, 171, 176, 177, 180, 182 sanwenshi ᬷ᭛䆫 84 Sanzijing ϝᄫ㒣 201 Sarkasmus 175, 402 Sartre, Jean-Paul (1905–1980) 228, 271, 336 Schanghai Ϟ⍋ passim Schanghaier Schule (s. auch Haipai) 142, 158, 159, 365 Schatten 56, 86, 87, 137 Schmidt, Arno (1914-1979) 269 Schmitt, Carl (1888–1985) 203 Schnitzler, Arthur (1862–1931) 160, 162 Schopenhauer, Arthur (1780–1860) 103, 225 Aphorismen zur Lebensweisheit 103 Schriftsprache 4, 23, 24, 70, 79, 175, 236, 397 Schriftstellerverband 279, 280, 402 Schwermut (s. auch kumen) 46, 56, 88, 205 science fiction 13 Seamus Heany (geb. 1939) 369 Seele 23, 38, 40, 54, 101, 110, 125, 172, 175, 217, 243, 321, 369 Selbsterlösung 46, 276 Selbstkritik 183, 206, 287 Selbstzensur 203, 205, 280, 335 sempuban 198 Sentimentalismus 24, 130 sex and crime 384, 393, 399 Sha, Ding ≭∔ (1904–1992) 218 Sha, Yexin ≭৊ᮄ (geb. 1939) 341 Jiaru wo shi zhen de (Und wenn ich es wirklich wäre) 341 Shakespeare, William (1564–1616) 196, 237, 407

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Index Shu, Qingchun 㟦ᑚ᯹ 124 Shu, Ting 㟦။ (geb. 1952) 343, 345 shudao ᘩ䘧 172 shudian кᑫ 282 shuhao кো 283 shujichu к䆄໘ 279 shushang кଚ 282 si qing ಯ⏙ 322 siheyuan ಯড়䰶 123 Singapur viii sishui ⅏∈ 92, 158 sixiang jiefang ᗱᛇ㾷ᬒ 342 Sloterdijk, Peter (geb. 1947) 147 Smith, Arthur H. (1845–1932) 38 Chinese Characteristics 38 Soldatenliteratur 259 Sonnenmythos 120 sowjetischer Revisionismus 319 Sozialismus 184, 188, 190, 203, 208, 212, 214, 272, 274, 311, 322–324, 360–363, 370, 404 sozialistischer Realismus 122, 208, 211, 273, 308, 309 Sozialkritik 14, 139 Sprachplanung 3, 5 Sprechbühne 98 Sprechtheater 11, 12, 79, 97, 98, 184, 185, 194, 195 Stalin, Josif V. (1879–1953) 211, 227, 302 Stanislavskij, Konstantin (1863–1938) 372 Stern 48, 49, 69, 81, 83, 137, 262 Storm, Theodor (1817–1888) 166 Begegnung 166 Straßentheater 195 stream of consciousness 348, 387 su wenxue ֫᭛ᄺ (Trivialliteratur) 400 Su, Dongpo 㢣ϰവ (1037–1101) 179 Su, Manshu 㢣᳐⅞ (1884–1918) 23, 24 Duan hongyan ji (Die Aufzeichnung vom einsamen Schwan) 23, 24 Su, Qing 㢣䴦 (1917–1982) 245, 400 Jiehun shi nian (Zehn Jahre Ehe) 245

Lian jiehun shi nian (Nochmals zehn Jahre Ehe) 245 Su, Tong 㢣ス (geb. 1963) 161, 379, 392–395 Hongfen (Rouge) 393 Mi (Reis) 393 Qiqie chengqun (Rote Laterne) 393 Yingsu zhi jia (Die Opiumfamilie) 393 Subjektivität 15, 51, 65, 204 Südliche Song-Dynastie फᅟ (1127– 1279) 5 sufan 㙗ড 302 Sun, Li ᄭ⡕ (1913–2002) 217 Sun, Wukong ᄭᙳぎ (Affengestalt) 317 Sun, Yatsenᄭ䘌ҭ (1866–1925) (d.i. Sun Yixian) 39, 108, 152 Sungari ᵒ㢅∳ 240 Suzhou 㢣Ꮂ 73, 363 Symbolismus (s. auch Xiangzhengpai) 160, 166, 168, 169

T Tagore, Rabindranath (1861–1941) 79 Stray Birds (Mitu zhi niao) 80 Taiji ໾ᵕ 262 Taipeh 260, 263, 266, 268, 271, 336, 400, 407 Taishang ganying pian ໾Ϟᛳᑨ㆛ (Brevier von Lohn und Strafe) 118 Taiwan ৄ⑒ passim Taiwanhua ৄ⑒࣪ 257 tanci ᔍ䆡 201 Tang, Tao ૤ᓶ (1913–1992) 175 Tang, Yijie ∸ϔҟ (geb. 1927) 345 Tang-Dynastie ૤ᳱ (618–907) 299 Tang-Zeit (s. auch Tang-Dynastie) 5, 244, 386 Tao 79, 325 Taoismus 170, 381 taoistisch 118, 170, 262 Tashi, Dawa (geb. 1959) (s. auch Zhaxi Dawa) 318 telling 44, 394 texie ⡍‫ ݭ‬317

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Index

U

textbooks 77 Theater 4, 6, 11, 12, 30, 31, 45, 79, 97– 101, 163, 177, 182, 184–186, 188, 194–196, 198, 316, 318, 364, 372 Tian, Han ⬄∝ (1898–1968) 99–102, 183, 187, 316 Huichun zhi qu (Lied von der Wiederauferstehung) 183 Kafeidian zhi yi ye (Eine Nacht im Café) 100 Women de ziji pipan (Unsere Selbstkritik) 183 Tian, Jian ⬄䯈 (1916–1985) 201–203 Gei Zhandouzhe (An die Kämpfer) 201 Ta ye yao sha ren (Auch sie möchte töten) 201 tiancailun ໽ᠡ䆎 110 tianren heyi ໽Ҏড়ϔ 370 tianxia ໽ϟ vii, 3, 104 Tibet 㽓㮣 373, 379 Tie, Ning 䪕‫( ޱ‬geb. 1957) 354 Tientsin (Tianjin) ໽⋹ 182, 187, 191 tiyan shenghuo ԧ偠⫳⌏ 281 Tod passim Tokio 4, 59, 65, 98, 100, 108, 184, 198 Tolstoi, Leo (1828–1910) 62, 114, 115, 120 Der lebende Leichnam 62 tongku ⮯㢺 60 tongsu wenxue 䗮֫᭛ᄺ 400 Tönnies, Ferdinand (1855–1936) 192 Totalitarismus 314 Tradition passim Traum 34, 97, 101, 149, 170, 219, 367, 403 Traurigkeit, tristesse 24, 34, 50, 54, 100, 102 Trivialliteratur (s. auch su wenxue) 19, 158, 162, 164, 194, 400 Trümmerliteratur 337 Tsinghua-Universität Peking ix, 156, 176 Tsingtau (Qingdao) 䴦ቯ 25, 149, 238 tujie zhengce ೒㾷ᬓㄪ 281 Turgenev, Ivan (1818–1883) 131 Am Vorabend 131

Umgangssprache 14, 25, 32, 41, 67, 75, 79, 90, 175, 317, 397 Unsterblichkeit 44, 82, 83, 377 Untergrundliteratur 327 Unterhaltungsliteratur (s. auch tongsu wenxue) vii, 158, 162, 164, 220, 245, 246, 400, 401

V Vergangenheitsbewältigung 257, 338, 341, 347, 349, 360, 363 Vergenossenschaftlichung 289, 291 Verhaeren, Émile (1855–1916) 227 Verhaltenheit, s. auch xieyi 99 verlorene Generation 337 Verwestlichung 29, 109, 377 Verzweiflung 8, 60, 88, 105, 154, 173, 225, 243, 244, 381 Vier Modernisierungen 272, 326, 335, 365 Viererbande 326 Vierter Mai 1919 passim viktorianischer Roman 17 Vinci, Leonardo da (1452–1519) 52 vita nuova 54, 72, 147 Voegelin, Eric (1901–1985) 47 Volkscharakter 30, 38, 39, 46, 123 Volksfeind 302 Volkskultur 155, 190, 192, 194, 195, 200, 215, 316, 367 Volkstümlichkeit 208 Vormoderne 103 vox clamantis 35, 85

W wajue ᣪᥬ 369 Waldersee, Alfred Graf von (1832–1904) 19 Wang, Anyi ⥟ᅝᖚ (geb. 1954) 161, 243, 354, 356–358, 365, 395, 401 Hao muma, Xie bobo, Xiao Mei ayi he Nini (Prima Ma, Onkel Xie, Fräulein Mei und Nini) 395

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Index wangguo ѵ೑ 177 Weber, Max (1864–1920) 27, 36 wei rensheng ЎҎ⫳ 37 Wei, Hui ि᜻ (geb. 1973) 281, 352 Weinerlichkeit 15, 278 Weiskopf, F.C. (1900–1955) 202 Ganche zhuan (Das Lied vom Karren) 202, 203 well-made play 100, 187 Weltkultur 47 Weltliteratur vii, 3, 5, 7, 38, 46, 56, 64, 65, 75, 76, 86, 87, 109, 112, 115, 118, 119, 182, 257, 261, 330 Weltschmerz 60, 65, 159 Wen, Yiduo 䯏ϔ໮ (1899–1946) 90–93, 95, 158 Shi de gelü (Die Regeln des Gedichts) 91 Sishui (Totes Gewässer) 91 wenhuare ᭛࣪⛁ 375 wenjian ᭛ӊ 304 wenming xinxi ᭛ᯢᮄ៣ 98 wenming ᭛ᯢ 110 wenren ᭛Ҏ 12 wenrou ⏽ᶨ 123 wenti huaju 䯂乬䆱࠻ 30 wenti xiaoshuo 䯂乬ᇣ䇈 30, 68, 70, 215 wentiju 䯂乬࠻ 372 wenxue duwu ᭛ᄺ䇏⠽ 401 wenxue geming ᭛ᄺ䴽ੑ 32, 108 Wenxue Yanjiu Hui ᭛ᄺⷨおӮ 77, 155 wenyan ᭛㿔 78, 79, 175, 317 Westberge 㽓ቅ (Xishan) 156, 179 Whitman, Walt (1819–1892) 55, 79, 227 Wilde, Oscar (1854–1900) 102 Wu, Hanਈᰫ (1909–1969), (s. auch Deng, Tuo) 314, 315, 323 Hai Rui baguan (Hai Rui legt sein Amt nieder) 314 Wu Shan Ꮏቅ 311 wu ᙳ 24 Wu, Zetian ℺߭໽ (reg. 690–705) 315 Wu, Zhuoliu ਈ⌞⌕ (1900–1976) 251, 256, 257

Huangshan zhi lian (Liebe im Schatten des Berges) 356 Jinxiugu zhi lian (Liebe im verwunschenen Tal) 356 Lied vom langen Leid 401 Xiao chengshi zhi lian (Kleinstadtliebe) 356 Wang, Jiaxin ⥟ᆊᮄ (geb. 1957) ix, 406, 408 Pasijieernake 408 Wang, Li ⥟࡯ (1900–1986) 236 Wang, Meng ⥟㩭 (geb. 1934) 302–304, 306, 338, 343, 347, 349–351, 354, 363, 380, 400, 403, 404 Buli (Mit bolschewistischem Gruß) 343, 348 Dongtian de huati (Die Wissenschaft vom Baden. Ein Winterthema) 404 Hudie (Der Schmetterling) 349 Huodong bian renxing (Rare Gabe Torheit) 350 Jianying de xizhou (Die Sache mit dem Reisbrei) 404 Qingchun wansui (Ein Hoch der Jugend) 306 Zui baogui de (Das Teuerste) 343 Zuzhibu xinlai de qingnianren (Der Neuling in der Organisationsabteilung) 302 Wang, Shiwei ⥟ᅲੇ (1906–1947) 207, 208, 213 Ye baihehua (Wilde Lilien) 207, 208 Wang, Shuo ⥟᳨ (geb. 1958) 360, 401– 405 Kanshangqu hen mei (Schön anzusehen) 404 Wande jiu shi xintiao (Herzklopfen heißt das Spiel) 402 Wanzhu (Oberchaoten) 404 Yidian zhengjing meiyou (Kein bißchen seriös) 404 Wang, Wenshi ⥟≊⷇ (1921–1999) 292 Wang, Wenxing ⥟᭛݈ (geb. 1939) 264, 268, 269 Jiabian (Familienkatastrophe) 268 Wang, Zengqi ∾᳒⽎ (1920–1997) 155, 366, 368 Shajiabang 368 Shoujie (Mönchsweihe) 367

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Index Wu, Zuxiang ਈ㒘㓗 (1908–1994) 145, 146 Tianxia taiping (Allgemeiner Friede im Reich) 145 wuchanjieji xiju ᮴ѻ䰊㑻៣࠻ 183 Wuhan ℺∝ 116, 263, 310 wuliao ᮴㘞 34, 60 Wuming Shi ᮴ৡ⇣ (geb. 1917) 246 wuming zhuangtai ᮴ৡ⢊ᗕ 399 Wundenliteratur (s. auch shanghen wenxue) 271, 327, 331, 341, 343, 349 Wüste 34, 35, 37, 46, 100 wuwo ᮴៥ 90 wuxia xiaoshuo ℺մᇣ䇈 162

xianshu 䯆㟦 37 xianzai ⦄೼ 117 xiao ᄱ 118, 269 Xiao, Hong 㧻㑶 (1911–1942) 75, 111, 113, 138, 148–150, 152, 218, 238, 239, 241–243, 387 Hulan He zhuan (Geschichten vom Hulanfluß) 150, 238, 239, 241 Ma Bole (Ma Bole) 152 Shengsi chang (Der Ort des Lebens und des Sterbens) 148, 152 Xiao, Jun 㧻‫( ݯ‬1907–1988) 148, 149, 205 Bayue de nongcun (Land im August) 148, 205 Lun tongzhi de »ai« yu »nai« 205 Xiao, Qian 㧻ђ (1910–1999) 156, 287 Xiao, Ying ᰧ呄 (geb. 1962) ix xiaojuyuan yundong ᇣ࠻䰶䖤ࡼ 184 xiaojuyuan ᇣ࠻䰶 100 xiaopin ᇣક 178, 179, 236 xiaoshi ᇣ䆫 30, 79, 83 xiaoshuojie geming ᇣ䇈⬠䴽ੑ 17 xiaozhuan ᇣӴ 312 xiaxiang ϟе 193 xie zhongxin ‫ݭ‬Ёᖗ 200 Xie zhongxin, yan zhongxin, chang zhongxin ‫ݭ‬ЁᖗˈⓨЁᖗˈଅЁᖗ 320 Xie, Mian 䇶‫( ݩ‬geb. 1932) 327 xieshi ‫ݭ‬ᅲ (s. auch Realismus) 99 xin geju ᮄ℠࠻ 195 xin lishizhuyi ᮄग़৆ЏН 392 xin minge yundong ᮄ⇥℠䖤ࡼ 318 Xin Qingnian ᮄ䴦ᑈ 11, 25, 90 xin shenghuo ᮄ ⫳ ⌏ 72 xin shijie ᮄϪ⬠ 149 xin shiqi wenxue ᮄᰖᳳ᭛ᄺ 328 xin shiqi ᮄᯊᳳ 336 xin zhuangtai ᮄ⢊ᗕ 399 Xin, Di 䕯䖾 (geb. 1912) 233 xing ᗻ 110 Xinhai-Revolution (1911) 45, 134 Xinhua Shudian ᮄढкᑫ 282

X Xia, Yan ໣㸡 (1900–1995) 182, 185, 196 Baoshengong (Die Kontraktarbeiter) 182 Sai Jinhua 18, 185 Shanghai wuyan xia (Unter den Dächern von Schanghai) 185 Xia, Yu ໣ᅛ (d.i. Hsia Yü, geb. 1956) 407 Ni zheng bai wu liaolai wo zheng meili (Du bist so gelangweilt und ich bin so schön) 407 xian 䯆 93 xiandai wenming ⦄ҷ᭛ᯢ 98 xiandai wenxue ⦄ҷ᭛ᄺ ix Xiandai ⦄ҷ (Les Contemporains) 167 Xiandaipai ⦄ҷ⌒ 167 xianfeng wenxue ‫ܜ‬䫟᭛ᄺ (s. auch Avantgardeliteratur) 341 xianfeng ‫ܜ‬䫟 374 Xianggang Wenxue 佭␃᭛ᄺ 254 xiangtu wenxue еೳ᭛ᄺ 132, 218, 256, 364 xiangtu еೳ 291 xiangxiaren еϟҎ 131 Xiangzhengpai 䈵ᕕ⌒ 168 xianhua 䯆䆱 177 xianshi ⦄ᅲ 117

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Index xinmin ᮄ⇥ 5, 38 xinsheng ᖗໄ 85 xinshi de yurou xiaoshuo ᮄᓣⱘ℆㙝ᇣ䇈 160 xinshi ᮄ䆫 88 xinxieshi xiaoshuo ᮄ‫ݭ‬ᅲᇣ䇈 382 Xinyuepai ᮄ᳜⌒ 90, 93, 110, 167 Xiong, Foxi ❞ԯ㽓 (1900–1965) 99, 184 Xishuangbanna 㽓ঠ⠜㒇 380 xiushen ׂ䑿 26 Xu, Dishan 䆌ഄቅ (1893–1941) 156 Xu, Yu ᕤ㿣(1908–1980) 246 Xu, Yunuo ᕤ⥝䇎 (1893–1958) 105 Jianglai de huayuan (Der Garten der Zukunft) 105 Xunlu de ren (Ein Suchender) 105 Xu, Zhimo ᕤᖫᨽ (1896–1931) 93–96, 107, 109 Hu Hang che zhong (Im Zug von Schanghai nach Hangzhou) 93 Xuehua de kuaile (Die Freude der Schneeflocken) 94 Zai bie Kangqiao (Zweiter Abschied von Cambridge) 94 xuanchuandui ᅷӴ䯳 209 xukong 㰮ぎ 87 xungen wenxue ᇏḍ᭛ᄺ 368, 380

Der Sonnenmensch 370 Dunhuang (Dunhuang) 369 Nuorilang (Nuorilang) 369, 371 Yang, Mu ᴼ⠻ (geb. 1940) 264, 266 Heiyi ren (Der Mann in Schwarz) 266 Yang, Shuo ᴼ᳨ (1913–1968) 322 Xi jiang yue (Mond über dem Fluß im Westen) 322 Yangge-Tänze ⾻℠ 185, 295 Yao, Wenyuan ྮ᭛‫( ܗ‬geb. 1931) 321, 323 Kritik am neugefaßten Drama ›Hai Rui wird entlassen‹ 323 Yao, Xueyin ྮ䲾൴ (1910–1999) 217 Cha banche majie (Hat nicht alle Tassen im Schrank) 217 Li Zicheng 217 Ye, Lang ৊ᳫ (geb. 1938 ) 345 Ye, Lingfeng ৊♉޸ (1905–1975) 158 Ye, Shengtao ৊೷䱊 (1894–1988) 67, 70, 72, 73, 75, 78, 112, 154, 156, 180, 287 Malinggua (Melonen) 73 Ni Huanzhi (Der Lehrer) 72, 73, 112 Yisheng (Ein Leben) 70 Ye, Zi ৊㋿ (1912–1939) 144 Fengshou (Ernte) 144 yedi 䞢ഄ 85 yi bi sha ren ҹヨᴔҎ 316 yiban de ren ϔ㠀ⱘҎ 89 Yibushengzhuyi ᯧर⫳ЏН (Ibsenismus) 31 yin ⎿ (Unzucht) 118 Yin, Fu ↋໿ (1909–1931) 167 Yip, Wai-lim (d.i. Ye Weilian ৊࿕ᒝ) (geb. 1937) 267 yiyu ᡥ䚕 194 Yokohama 23, 160 youmo ᑑ咬 177 youqing েؒ 291 youyu ᖻ䚕 140 youyuzheng ᖻ䚕⮛ 57 youzi ␌ᄤ 262 Yu, Dafu 䚕䖒໿ (1896–1945) 55–59, 61–66, 72, 78, 88, 180 Chenlun (Untergang) 56, 59, 66, 272

Y ya ਔ 51 Yan, Wenjing Ϲ᭛ѩ (1915–2005) 205 Yi ge ren de fannao (Die Leiden eines Menschen) 205 Yan'an ᓊᅝ 75, 121, 139, 191, 196, 199, 201, 203–208, 210, 211, 227, 229, 230 Yan'aner Reden 194 yang 㕞 150 Yang, Jiang ᴼ㒯 (geb. 1911) 345 Ganxiao liuji (Sechs Kapitel aus der Kaderschule) 346 Yang, Kui ᴼ䘉 (1905–1985) 256 Yang, Lian ᴼ⚐ (geb. 1955) 269, 334, 345, 368–370, 397, 405 Banpo (Banpo) 369

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Index Zeng, Pu ᳒ᴈ (1872–1935) 18 Blumen im Meer der Sünde 17, 18 Zhai, Yongming 㖳∌ᯢ (geb. 1955) ix, 83, 243, 274, 275, 282, 334, 344, 357, 358, 370, 406 Nüren (Frauen) 275, 282, 358 zhang ゴ 42 Zhang, Ailing ᓴ⠅⦆ (1920–1995) (d.i. Eileen Chang) 61, 218, 242, 243, 245, 254, 287, 293, 295, 356, 400 Jin suoji (Das goldene Joch) 243 Qingcheng zhi lian (Liebe in einer gefallenen Stadt) 244, 356 The Rice-Sprout Song (Das Reispflanzerlied) 293, 295 The Rouge of the North 243 Zhang, Chengzhi ᓴᡓᖫ (geb. 1948) 378 Zhang, Chunqiao ᓴ᯹ḹ (1917–2005) 323 Zhang, Dachun ᓴ໻᯹ (geb. 1957) 401 Zhang, Henshui ᓴᘼ∈ (1895–1967) 19, 158, 162, 163, 246 Zhang, Jie ᓴ⋕ (geb. 1937) 83, 353, 355, 356, 358 Ai, shi bu neng wangji de (Vergeßt die Liebe nicht) 353 Fangzhou (Die Arche) 354 Wuzi (Wortlos) 355 Zhang, Kangkang ᓴᡫᡫ (geb. 1950) 326, 353, 400 Zhang, Tianyi ᓴ໽㗐 (1906–1985) 152– 154 Cong kongxu dao chongshi (Von der Leere zur Fülle) 154 Fangong (Gegenoffensive) 153 Guitu riji (Tagebuch aus dem Land der Gespenster) 153 Hua Wei xiansheng (Herr Hua Wei) 152 Jibei yu naizi (Die Brüste eines Mädchens) 153 Yangjingbang qixia (Der wundersame Heros in Schanghais Konzessionen) 153 Zhang, Wei ᓴ♰ (geb. 1956) 408 Jiuyue yuyan (Septemberfabel) 408

Chunfeng chenzui de wanshang (An einem Abend im trunkenen Frühlingswind) 60 Diaotai de chunzhou (Ein Frühlingstag an der Anglerwarte) 180 Guoqu (Passé) 62 Mangmang ye (Grenzenlose Nacht) 61 Wenxue gaishuo (Einführung in die Literatur) 64 Xuelei (Blut und Tränen) 64 Yishu yu guojia (Die Kunst und der Staat) 66 Yu, Guangzhong ԭ‫ܝ‬Ё (geb. 1928) 264 Deng ni zai yu zhong (Im Regen warten) 265 Kexueguan (Naturkundemuseum) 266 Lian de lianxiang (LotosAssoziationen) 265 Xiaoling (Liebeslied) 266 Yu, Hua ԭढ (geb. 1960) 161, 379, 384, 389–392, 408 Huozhe (Leben!) 390, 408 Xianshi yi zhong (Eine Art von Wirklichkeit) 389 Xu Sanguan mai xue ji (Der Mann, der sein Blut verkaufte) 390, 408 Yu, Luojin 䘛㔫䫺 (geb. 1946) 352 Yu, Luoke 䘛㔫‫( ܟ‬1942–1970) 335 Yu, Qiuyu ԭ⾟䲼 (geb. 1946) 400, 401 Wenhua kulü (Eine bittere Reise durch die Kultur) 401 Yuan, Hongdao 㹕ᅣ䘧 (1568–1610) 105 Yuan, Shikai 㹕Ϫ߃ (1859–1916) 174 Yuan-Zeit (1279–1368) 97

Z zagan ᴖᛳ 103 Zang, Kejia 㞻‫ܟ‬ᆊ (1905–2004) 168, 193, 194, 287 Laoyin (Brandmale) 168 zawen ᴖ᭛ 103, 171, 172, 175–177, 180, 182, 205, 314 Zeitgeist 25, 34, 36, 59, 64, 82, 105, 147, 153, 196, 199, 201, 220, 224, 261, 288, 299, 311, 324, 345, 351, 394 Zen-Buddhismus 156, 381

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Index zhiqing ⶹ䴦 375 zhishi qingnian ⶹ䆚䴦ᑈ 329 zhiyin ⶹ䷇ 232 Zhongguo Shige Hui Ё೑䆫℠Ӯ 167 Zhongguo xinju Ё೑ᮄ࠻ (neues Theater chinesischer Art) 99 Zhongguo Zuojia Xiehui Ё೑԰ᆊणӮ 279 zhongjian renwu Ё䯈Ҏ⠽ 291, 320 zhongpian xiaoshuo Ё㆛ᇣ䇈 141, 331, 349 zhongyong Ёᒌ 172 Zhou, Enlai ਼ᘽᴹ (1898–1976) 281, 302, 326, 332 Zhou, Libo ਼ゟ⊶ (1908–1979) 213, 290, 291 Baofeng zhouyu (Der Orkan) 213 Shanxiang jubian (Großer Wandel in einem Bergdorf) 290 Zhou, Yang ਼ᡀ (1908–1989) 214, 287, 320 Zhou, Zuoren ਼԰Ҏ (1885–1967) 28, 29, 103, 104, 178–181, 192, 198 Mit gezogenem Schwert und mit gespanntem Bogen 179 Ren de wenxue (Für eine menschliche Literatur) 28 Ruce dushu (Übers Lesen auf dem Klo) 178 Zhu, De ᴅᖋ (1885–1976) 209 Zhu, Guangqian ᴅ‫( ┰ܝ‬1897–1986) 109, 110, 287 Zhu, Wen ᴅ᭛ (geb. 1967) 399 Zhu, Ziqing ᴅ㞾⏙ (1898–1948) 176, 182 Hetang yuese (Lotusteich im Mondschein) 176 Lundun zaji (Londoner Notizen) 182 Ouyou zaji (Europäische Notizen 182 zhuan Ӵ 42, 202 Zhuang, Zi ᑘᄤ (369–286 v. Chr.) 170, 349 zhuanye zuojia ϧϮ԰ᆊ 280 zhuxi Џᐁ 279 zhuxituan Џᐁಶ 279 zili gengsheng 㞾࡯᳈⫳ 313, 316

Zhang, Xianliang ᓴ䋸҂ (geb. 1936) 347, 350, 356, 373 Lühua shu (Die Pionierbäume) 348 Zhang, Xinxin ᓴ䕯⃷ (geb. 1953) 114, 353 Beijingren (Pekingmenschen) 114 Zhang, Yimou ᓴ㡎䇟 (geb. 1951) 393 Zhang, Zao ᓴᵷ (geb. 1962) 406 Zhang, Ziping ᓴ䌘ᑇ (1893–1959) 158, 198 Zhao, Shuli 䍉ᷥ⧚ (1906–1970) 213– 215, 217, 290, 292, 293, 383, 387, 391 Duanlian, duanlian (Üben, Üben) 292 Hehuadian (Die Lotusbucht) 217 Li Youcai banhua (Die Lieder des Li Yü-ts’ai) 214 Lijia Zhuang de bianqian (Die Wandlung des Dorfes Lidjiadschuang) 214 Meng Xiangying fanshen (Wie Meng Xiangying ein anderer Mensch wurde) 214 Sanliwan (Name eines Ortes) 290 Xiao Erhei jiehun (Die Heirat des Hsiao Örl-He) 213 Zhaxi Dawa ᠢ㽓䖒࿗ (geb. 1959) s. auch Tashi Dawa 318 zheng ℷ 44 Zheng, Chouyu 䚥ᛕќ (geb. 1933) 249, 261–263 Cuowu (Irrtum) 262 Xiao cheng lianzuo (Kleinstadt Thema und Variation) 262

Zheng, Min 䚥ᬣ (geb. 1920) 233, 234, 236 Laidao (Ankunft) 233 Zheng, Zhenduo 䚥ᤃ䪢 (1898–1958) 79, 182 Ouxing riji (Tagebuch einer Europareise) 182 zhengfeng yundong ᭈ亢䖤ࡼ 204 zhengming ℷৡ 44 zhengque ℷ⹂ 304 zhengzhi huodong ᬓ⊏⌏ࡼ 350 zhiguo ⊏೑ 26 zhiji ⶹᏅ 232 zhiqing wenxue ⶹ䴦᭛ᄺ 326

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Index ziyouren 㞾⬅Ҏ 109 Zola, Émile (1840–1902) 114, 115, 120, 129 Germinal 142 Zong, Baihua ᅫⱑढ (1897–1986) 30, 83 Buxiu (Unsterblichkeit) 83 Liuyun xiaoshi (Treibende Wolken. Kurzgedichte) 83 Zong, Fuxian ᅫ⽣‫( ܜ‬geb. 1947) 342, 345

Yu wusheng chu (Aus der Stille ) 342 Zong, Pu ᅫ⩲ (geb. 1928) 299, 301 Hongdou (Rote Bohnen) 299 zuguo ⼪೑ 344 zunming wenxue 䙉ੑ᭛ᄺ 281 zuojia chu jiqiao ԰ᆊߎᡔᎻ 325 Zuolian Ꮊ㘨 108 zuoshi ‫خ‬џ 139 Zweiter Opiumkrieg (1856–1860) 3

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