Geschichte der chinesischen Literatur. Band 6 Das traditionelle chinesische Theater: Vom Mongolendrama bis zur Pekinger Oper 9783598441097, 9783598245435

As early as the Mongol Age – at a time when dramatic art had not yet been rediscovered in Europe – Chinese theatre bloss

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Geschichte der chinesischen Literatur. Band 6 Das traditionelle chinesische Theater: Vom Mongolendrama bis zur Pekinger Oper
 9783598441097, 9783598245435

Table of contents :
Frontmatter
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Teil I. Die Religion und das Theater
Teil II. Das Theater der Yuan-Zeit (1279–1368)
Teil III. Das Drama der Yuan-Zeit in Einzeldarstellungen
Teil IV. Die Romanze der Ming-Zeit (1368–1644): chuanqi und Kunqu
Teil V. Vom Literarischen zum Performativen. Die Qing-Zeit (1644–1911)
Ausblick: Zum Problem von Innovation und Konvention
Backmatter

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Geschichte der chinesischen Literatur Band 6

Geschichte der chinesischen Literatur Herausgegeben von Wolfgang Kubin Band 1

Wolfgang Kubin Die chinesische Dichtkunst Von den Anfängen bis zum Ende der Kaiserzeit Band 2

Thomas Zimmer Der chinesische Roman der ausgehenden Kaiserzeit Band 3

Monika Motsch Die chinesische Erzählung Vom Altertum bis zur Neuzeit Band 4

Marion Eggert, Wolfgang Kubin, Rolf Trauzettel, Thomas Zimmer Die klassische chinesische Prosa Essay, Reisebericht, Skizze, Brief Band 5

Karl-Heinz Pohl Ästhetik und Literaturtheorie in China Von der Tradition bis zur Moderne Band 6

Wolfgang Kubin Das traditionelle chinesische Theater Vom Mongolendrama bis zur Pekinger Oper Band 7

Wolfgang Kubin Die chinesische Literatur im 20. Jahrhundert Band 9

Marc Hermann, Weiping Huang, Henriette Pleiger, Thomas Zimmer Biographisches Handbuch chinesischer Schriftsteller Leben und Werke Band 10

Nicola Dischert Register

Geschichte der chinesischen Literatur Band 6

Wolfgang Kubin

Das traditionelle chinesische Theater Vom Mongolendrama bis zur Pekinger Oper

K · G · Saur München 2009

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

U Gedruckt auf säurefreiem Papier © 2009 by K . G . Saur Verlag, München Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG Alle Rechte vorbehalten Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlags ist unzulässig Lektorat: Marc Hermann, Viatcheslav Vetrov Satz: Dipl. Übers. Nicola Dischert, Bonn und Dr. Rainer Ostermann, München Druck & Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Printed in Germany ISBN: 978-3-598-24543-5

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 9 15 20

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Die Orte des Theaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Ursprung des chinesischen Theaters. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Hof und die Unterhaltungskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die beiden unterschiedlichen Traditionen des chinesischen Theaters. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kunst und Handwerk der chinesischen Bühne . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu einer Theorie des chinesischen Theaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Teil I:

Die Religion und das Theater. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1. 2. 3. 4. 5.

Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Schuldner fürs zukünftige Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Sklave seines Geldes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Töpfchengespenst mit der tönernen Stimme . . . . . . . . . . . Guan Hanqing (ca. 1240 – ca. 1320): Dou E geschieht Unrecht

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Teil II: Das Theater der Yuan-Zeit (1279–1368) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. 3.

Zur Genese des Mongolendramas (zaju) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bai Pu (1227–1306): Ein Wutong-Baum im Regen. . . . . . . . . . . . . . . Ma Zhiyuan (1260–1325): Herbst im Han-Palast . . . . . . . . . . . . . . .

Teil III: Das Drama der Yuan-Zeit in Einzeldarstellungen. . . . . . . . . . . . 1. 2. 3. 4. 5.

Ji Junxiang (?–?): Die Waise von Zhao . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Li Xingdao (13. Jh.): Der Kreidekreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wang Shifu (13. Jh.): Das Westzimmer und die Folgen der Passion (Guan Hanqing u.a.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Spiel des Südens (nanxi): Shi Junbao (1192–1272) u.a. . . . . . Gao Ming (ca. 1305 – ca. 1370): Die Laute. . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil IV: Die Romanze der Ming-Zeit (1368–1644): chuanqi und Kunqu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Zhu Youdun (1379–1439) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kang Hai (1475–1541), Wang Jiusi (1468–1551) u.a. . . . . . . . . . . Die Romanze (chuanqi) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der weiße Hase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Kunqu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liang Chenyu (ca. 1519 – ca. 1591): Die Geschichte von der Seide, die gewaschen wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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172 181 184 187 191

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INHALT

7. 8. 9.

Wu Bing (1595–1647): Die grüne Päonie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruan Dacheng (1587–1645): Der Brief der Schwalbe . . . . . . . . . . . . Tang Xianzu (1550–1617): Die Rückkehr der Seele. . . . . . . . . . . . . .

199 202 208

Teil V: Vom Literarischen zum Performativen. Die Qing-Zeit (1644–1911) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 1. 2. 3. 4. 5.

Wu Weiye (1609–1672), Chen Yujiao (1544–1611) u.a. . Hong Sheng (1645–1704): Der Palast des langen Lebens . Kong Shangren (1648–1718): Der Pfirsichblütenfächer . . Li Yu (Li Liweng, 1611–1680): Die chinesische Komödie . Die Pekinger Oper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ausblick: Zum Problem von Innovation und Konvention. . . . . . . . . . . . . 285 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Index der wichtigsten Namen, Begriffe und Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . 319

vi

Vorwort

Die aufmerksame Leserschaft mag sich wundern, warum sich der Herausgeber schon wieder als (Allein-)Autor in seine Literaturgeschichte einbringt, die er eigentlich nicht – überwiegend auf sich gestellt – derart dominant in Angriff nehmen wollte. Hatten nicht im vorliegenden Falle andere zunächst allein, dann mit ihm zusammen die Geschichte des klassischen chinesischen Theaters von den Mongolen bis zu den Mandschus, das heißt zwischen 1279 und 1911, schreiben wollen? Es gilt einmal mehr, das (Un-)Glück der unnachahmlichen Jugend zu beklagen, die vielversprechend anhebt und dann den »Alten« die einstigen großen, vielleicht zu großen Projekte zu beenden überläßt. Namen, die unter Vertrag waren, möchte ich hier nicht nennen, aber dennoch auf die Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft verweisen, die Anfang der 90er Jahre zwei Jahre lang diese Geschichte des klassischen chinesischen Theaters finanziell gefördert hat, ohne daß die gewonnenen Erkenntnisse in meine Arbeit mit haben eingehen können. Sie wurden mir einfach nicht zur Verfügung gestellt. Die wenigen Fachleute für das chinesische Theater im deutschen Sprachraum, die vorgesehen waren, haben mir nicht einmal, wiewohl vielfach erbeten, ein Torso hinterlassen, um dort der Pflicht gemäß beginnen zu können, wo sie nachlässig aufgegeben haben. Ich hatte also ganz von vorne anzuheben und habe mir diese unfreiwillige Last nur deswegen zugetraut, weil ich einst das Glück gehabt hatte, von Alfred Hoffmann (1911–1997) und Barbara Chang (1920–1996) an der Ruhr-Universität Bochum Anfang der 70er Jahre in das Theater der Yuan-Zeit (1279–1368) grundsätzlich eingewiesen worden zu sein. Das Wissen dieser Fachleute für das chinesische Schauspiel hat mich verschiedentlich an der Universität Bonn in Seminaren und vor nur wenigen Hörern in zwei Vorlesungen (Sommersemester 2002 und 2008) zur Kunst und Interpretation einzelner Stücke begleitet. Selbstverständlich habe ich bei der Niederschrift auf die Fülle der oftmals exzellenten Sekundärliteratur zurückgegriffen, die mir nicht selten Zhang Suizi aus Peking mitgebracht hat, und habe mich gern von Wang Jinmin (Universität Peking) und Zang Kehe (East China Normal University, Shanghai) sowie von Jiang Jurong und Ma Meixin (beide Fudan-Universität, Schanghai) beraten lassen. Ich kann daher nur beschämt gestehen, daß mein vielleicht einziger und eigener Beitrag in einer literaturwissenschaftlichen Deutung besteht, die über die reinen Fakten hinausgeht. Es gibt inzwischen hinreichend gute Vorarbeiten, welche die philologischen Grundlagen gelegt, die praktischen Dinge vorgestellt und die wichtigsten Werke durch Übertragungen zugänglich gemacht haben. Als beispielhaft wären für den deutschen Sprachraum die Dissertationen von Hans Link, Holger Höke, Werner Oberstenfeld – sie alle sind Schüler von Alfred Hoffmann – und Roderich Ptak (Schüler von Günther Debon) zu nennen, ganz zu schweigen von Martin Gimm (geb.

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VORWORT

1930), dem Emeritus der Universität Köln, der über die Jahre die zahlreichen nachgelassenen Übersetzungen des ehemaligen Berliner Sinologen Alfred Forke (1867–1944)1 ediert und kommentiert hat. Sieht man einmal von letzterem ab, so haben alle anderen die chinesische Literatur, und das heißt in unserem Fall, das chinesische Theater um anderer praktischer Tätigkeiten willen aufgegeben. Nach all diesen guten Vorarbeiten, in deren Schatten ich beschämt stehe, aber nicht stehen müßte, hätten andere ihre Pflicht erfüllt, scheint mir ein Desiderat in der Problematik von Deutung und Wertung zu liegen. Ich habe mich daher für einen anderen Zugang als den der Kollegen entschieden, den ich bereits im angloamerikanischen Bereich bei Wilt L. Idema (geb. 1944) und Stephen H. West (geb. 1944), zwei weiteren Giganten der chinesischen Theatergeschichtsschreibung, angedeutet gefunden habe. Mein Zugang ist also ein interpretatorischer, einer, wie er mir in der Germanistik, die ich ein Leben lang mitbetrieben habe, methodisch vermittelt worden ist und immer noch vermittelt wird. Ich denke, es ist an der Zeit, über die reine Nacherzählung bei der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem chinesischen Theater und über die reine Philologie, die eher ein Fachpublikum interessiert, hinauszukommen und mitunter auch eine echte Wertung zu wagen, um die sich die meisten Kollegen herumzudrücken scheinen. Dabei werde ich, was nicht selbstverständlich ist, die Theaterstücke als Lesestücke ernst nehmen. Und da ich die Geisteswissenschaft nach wie vor hochhalte, wird sich meine Geschichte des klassischen chinesischen Theaters hie und da auch als eine wertende Geschichte des chinesischen Geistes bzw. der chinesischen Kultur in der ausgehenden Kaiserzeit lesen lassen. Hiermit berühre ich die Problematik einer Geschichtsschreibung des (chinesischen) Theaters, über die mir bislang nicht hinreichend nachgedacht worden zu sein scheint. Es kann mir nicht um Faktenhuberei gehen, auch nicht um die bloße Zusammenstellung von interessanten Materialien. Noch mehr verbietet sich der Versuch einer historischen Rekonstruktion, wie unten noch zu zeigen sein wird. In gewisser Hinsicht schwebt mir eine Ideengeschichte vor, wie ich sie schon am Beispiel der klassischen chinesischen Dichtkunst (Bd. 1) und der chinesischen Literatur im 20. Jahrhundert einschließlich des modernen Theaters (Bd. 7) unternommen habe. Dabei werde ich einmal mehr auf das Problem der Epochen stoßen: Auch ich werde nicht in der Lage sein, mich von der dynastischen Einteilung der chinesischen Literaturgeschichte zu befreien und unabhängig von den gebräuchlichen Eingrenzungen in Yuan-, Ming (1368–1644)- und Qing (1644–1911)-Zeit mein Unternehmen übergreifend zu betreiben. Ich bin mir des weiteren vollkommen im klaren darüber, daß das chinesische Theater in seinen Anfängen eher als Schauspiel denn als Literatur zu begreifen ist. Dies gilt sicherlich 1

Zu seinem Leben und Werk s. REINHARD EMMERICH: »›Ich fühle mich immer wieder angezogen von originellen und freien Geistern‹ – Alfred Forke (1867–1944)«, in: HELMUT MARTIN u. CHRISTIANE HAMMER (Hg.): Chinawissenschaften – Deutschsprachige Entwicklungen. Geschichte, Personen, Perspektiven, Hamburg: Institut für Asienkunde 1999, S. 421–448.

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Vorwort

auch noch für eine Vielzahl von Stücken der Yuan-Dynastie. Jedoch sind diese durch Bearbeitungen während der Ming-Dynastie zur Literatur geworden, und niemand kann hinter diese Zeit zurücktreten.2 Wie dem auch sei, die frühe Unterweisung in das Drama der Yuan-Zeit durch vorzügliche Lehrer und die späte Lektüre ebenso vorzüglicher Studien von Kollegen waren meine Grundlage auch für die nachfolgende Beschäftigung mit dem Theater der Ming- und Qing-Zeit in den letzten bald dreißig Jahren. Es schreibt also im folgenden ein vermeintlicher Fachmann, der gern ein gestandener Fachmann gewesen wäre, strenggesehen aber wegen entsprechender Forschungsdefizite kein wirklicher Fachmann sein kann. Und so wagt er sich auch nicht an einen Überblick über den Forschungsstand heran, der ihm kaum mehr beherrschbar angewachsen zu sein scheint. Obwohl die Erforschung des chinesischen Theaters gerade einmal einhundert Jahre ausmacht, so ist nach einem zögerlichen Beginn die Sekundärliteratur zu einem der Lieblingskinder der internationalen Sinologie geworden und inzwischen so weit gediehen, daß, um sie quantitativ und qualitativ idealiter aufzuarbeiten, der Einsatz eines ganzen Lebens notwendig würde. Immerhin sind von mir alle angeführten Werke, ob Primär- oder Sekundärliteratur, im Original gelesen bzw. eingesehen worden. Gutgemeinte Vorschläge von Kollegen, andere Fachkräfte außerhalb des deutschen Sprachraums um die Erledigung der letzten verbliebenen historischen Darstellung im Rahmen der (Bonner) Geschichte der chinesischen Literatur zu bitten, sind nicht in den Wind geschlagen worden, doch hätte eine Übersetzung aus dem Englischen oder Chinesischen weitere Zeit und viel zusätzliches Geld gekostet. Überdies, alles will ein Ende haben, und diese mehrbändige Geschichte der chinesischen Literatur hat ihr einst vereinbartes »Ende« zeitlich längst überschritten. Die Leserschaft mag daher mit dem einen oder anderen Ungenügen meinerseits leben (wollen). Dies gilt insbesondere für die Bibliographie. Angesichts der Fülle von Studien zur chinesischen Bühne hatte ich gemäß meinen Neigungen meine individuellen Entscheidungen zu treffen. Der von mir auch in dieser Darlegung gern und oft verwendete Plural »wir« ist bitte nicht als Pluralis majestatis mißzuverstehen. Er ist, ganz das Gegenteil, vielmehr Ausdruck der Bescheidung: Was ich hier zu Papier bringe, verdanke ich oftmals den Erkenntnissen anderer. »Wir« meint also ein Ich, das auf den Schultern vieler Vorläufer und Zeitgenossen steht. Das Layout wurde einmal mehr von Nicola Dischert erstellt. Unterstützt wurde sie dabei dank einer finanziellen Zuwendung durch den Saur Verlag von Alexandra Leipold, der ich großenteils den Index und die Zusammenstellung des Literaturverzeichnisses verdanke. Marc Hermann und Viatcheslav Vetrov haben mich dank ihrer genauen Lektüre des Manuskriptes vor manchen sprachlichen und inhaltlichen Fehlern bewahrt. Fehler gehören jedoch unabdingbar zum Handwerk 2

So auch S. JOSEPHINE HUANG HUNG: Ming Drama, Taipeh: Heritage 1966, S. 3, 21.

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VORWORT

eines jeden Wissenschaftlers, zumal die Lektüre von chinesischsprachiger Sekundärliteratur, ob allein oder zusammen mit chinesischen Studierenden, ob am Schreibtisch oder im Unterricht betrieben, nicht selten den Eindruck erweckte, auch die Muttersprachler verstehen nicht immer so ganz, was sie denn lesen bzw. schreiben. Zu guter Letzt sei dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) in Bonn und der Taipeh Vertretung in Berlin gedankt. Der DAAD hat es mir einmal mehr erlaubt, in Peking, diesmal an der dortigen Pädagogischen Hochschule (Beishida), im März 2008 einer einmonatigen Gastdozentur nachzugehen und bei der Gelegenheit nicht nur meine Studien zum chinesischen Theater weiter zu betreiben, sondern auch dank der Hilfe von Prof. Dr. Fang Weigui seltenes Material einzusehen, welches mir in Bonn unzugänglich war. Der Taipeh Vertretung verdanke ich einen zweiwöchigen Aufenthalt in Taipeh, wo ich Anfang August 2008 mit Blick auf die Bergwelt des Yuan Shan große Teile des letzten Kapitels habe niederschreiben können. Nun ist also wieder einmal ein Buch fertig geworden, welches ich weniger habe schreiben als viel lieber aus der Feder eines anderen hätte lesen wollen. Es ist ein Buch der offenen Tür, das am Alten Zoll von Bonn begonnen und dort auch beendet wurde. Während seiner Genese kamen und gingen die Studierenden und die Besucher nach Belieben in meinem Büro aus und ein. Manch Gedankengang wurde so unterbrochen, aber hoffentlich dennoch immer zuende gesponnen. Dieses Buch ist fertig geworden, nicht weil ich weiter die besondere Gunst der Universität Bonn wie bei den früheren Projekten habe genießen dürfen, sondern weil ich mir die Zeit zur Niederschrift vom Schlaf und von der Freizeit stahl. Dies war bitter nötig angesichts eines allgemeinen Trends in Deutschland, Dozenten an Hochschulen immer mehr mit der Forderung nach Einwerbung von Geldern, durch zusätzliche Verwaltungsarbeiten und durch Stellenstreichungen zu belasten. Nicht selten hatte ich, während ich dieses Buch schrieb, dank der Sparmaßnahmen den im Institut anfallenden Unrat höchstpersönlich zu entsorgen, das Papier auf der Toilette auszuwechseln und Sperrmüll die Treppe hinunterzutragen. Wie dem auch sei, ich will nicht klagen, ermunterten mich doch unablässig meine Kollegen, die begonnene Arbeit nicht mißmutig zu beenden und lieber freudig als grollend meinem großen Vorbild Su Dongpo (1037–1101), der in widrigeren Umständen ohne Gram sein meisterliches Werk vollendete, einmal mehr den gebührenden Tribut zu zollen. Bei der Niederschrift habe ich mich der alten Rechtschreibung bedient, um die übrigen von mir verfaßten Bände formal nicht so gänzlich anders erscheinen zu lassen. Das Ungenügen, das die werte Leserschaft vielleicht hie und da empfinden mag, ist auch ganz das meine. Doch ich kann hier im Rahmen meiner Pflichterfüllung nur auf Bertolt Brechts Geschichten vom Herrn Keuner verweisen: »Woran arbeiten Sie?« wurde Herr K. gefragt. Herr K. antwortete: »Ich habe viel Mühe, ich bereite meinen nächsten Irrtum vor.«

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Vorwort

Was mein nächster Irrtum sein wird, steht noch aus. Aber auf einen alten, offensichtlichen Irrtum sollte ich doch zu guter Letzt zu sprechen kommen. Dieser ist vielleicht eher ein Vorurteil, das Freunde des chinesischen Theaters kaum mit mir zu teilen geneigt sein dürften. Bei der Beschäftigung mit der klassischen chinesischen Dichtkunst, der meine ganze und ewige Liebe gilt, habe ich mich (fast) immer im Bereich des Elitären bewegt. Sowie ich jedoch die Geschichte des chinesischen Theaters in Angriff zu nehmen begann, trat ich in eine völlig »andere« Welt ein: in die Welt des Volkes, des vermeintlich Niederen, des oftmals Derben, des Vulgären, und selbst dort, wo hohe Liedkunst an die Verse der antiken oder der mittelalterlichen Elite erinnerte, befiel mich nicht selten der Eindruck des Déjà-vu. Ich habe hier eine dezidierte Meinung, die, weil sie eher abschrecken würde, jedoch noch nicht geäußert werden soll. Gleichwohl sollte an dieser Stelle auf ein Problem verwiesen werden: Sinologen sind inzwischen eher Spezialisten als Generalisten. Wer das chinesische Theater erforscht, erforscht nicht mehr wie seinerzeit noch Alfred Hoffmann gleichzeitig auch die chinesische Dichtkunst. Das Epigonale nicht weniger Gedichte und Lieder im chinesischen Theater fällt daher nur noch dem einen oder anderen vereinzelt auf, und wenn, dann wird daraus nicht unbedingt die notwendige kritische Konsequenz gezogen. Befürchtet man, dem chinesischen Theater und damit der Geschichte der chinesischen Literatur Schaden anzutun? Ich will diese Frage nicht beantworten, aber doch für mehr akademischen Mut plädieren. Ein letztes Wort: Im deutschen Sprachraum hat sich dank Pekinger Redaktionsstuben, die einer vermeintlich wörtlichen Übersetzung frönen, manch falsches Deutsch eingebürgert, welches inzwischen von deutschen Redaktionsstuben sogar dem richtigen Deutsch vorgezogen wird. Doch so wenig man von einer ItalienOper oder von Königsberg-Klopsen reden kann, so wenig sollte weiterhin von Peking-Oper oder von Peking-Ente die Rede sein. Daher heißt es bei den folgenden Ausführungen nach der deutschen und nicht chinesischen Sprachgewohnheit richtig: Pekinger Oper, Pekinger Ente etc. Ein allerletztes Wort: Mit diesem Buch ist die (Bonner) Geschichte der chinesischen Literatur in zehn Bänden inhaltlich abgeschlossen. Inzwischen sind die ersten Übersetzungen auch auf chinesisch in Schanghai erschienen, der Rest wird zügig folgen. Hierfür zu danken habe ich meiner geistigen Alma mater in China, der East China Normal University (Huadong Shifan Daxue) in Schanghai, und Dr. Li Xuetao an der Ersten Fremdsprachenhochschule von Peking (Beiwai), der die Redigierung der chinesischen Ausgabe selbstlos betreut hat. Was nun daheim noch aussteht, sind drei Nachschlagewerke, die zur Frankfurter Buchmesse 2009 mit ihrem Schwerpunktthema China, rechtzeitig fertig werden sollen. Die Idee zur Bonner Geschichte der chinesischen Literatur kam mir 1988 in Bonn während der Lektüre der Cambridge History of China, die heute selbst nach bald vierzig Jahren noch ein Torso ist. In den Anfangsjahren sammelte und sichtete ich das Material. Meine erste Niederschrift begann 1994 nach der Geburt

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VORWORT

meines vierten Kindes. Nun sind 14 Jahre vergangen, das Kind ist mit dieser »Geschichte« 14 geworden und hat mich einmal mehr über die unnachahmliche Jugend räsonieren lassen, der ich einst gern angehört habe. Dabei kam mir immer wieder das Gedicht »Die Ameisen« von Joachim Ringelnatz (1883–1934) in den Sinn, das mir gelegentlich auch für die Welt der (sinologischen) Wissenschaft zu stehen scheint: In Hamburg lebten zwei Ameisen, Die wollten nach Australien reisen. Bei Altona auf der Chaussee Da taten ihnen die Beine weh, Und da verzichteten sie weise Dann auf den letzten Teil der Reise.

Daß dies Mammutunternehmen der (Bonner) Geschichte der chinesischen Literatur nicht auch kritisch zu hinterfragen ist, steht außer Zweifel. Oft hat mich mein geistiger Vater, Rolf Trauzettel (geb. 1930), Emeritus der Universität Bonn, mit den Worten gemahnt, man könne (wenn man stürbe), nichts mitnehmen. Mag sein, aber man kann auch etwas hinterlassen, und das sah und sehe ich als meine persönliche Pflicht an. Ganz im Sinne des Zuozhuan übrigens, das ein großes Werk, eine große Tat und eine hohe Moral von jemandem fordert, der von der Nachwelt nicht vergessen sein will. Ob mir etwas von diesen hehren Lebensentwürfen gelungen ist, ist mir persönlich nicht wichtig. Mir reicht, wenn ich es denn sagen darf, allein das Bemühen. Alles andere sei der Nachsicht der Nachgeborenen anheimgestellt. Schanghai im Mittherbstfest 2008

Wolfgang Kubin

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Einleitung1 Wenn wir von dem Gegenstand unserer Darstellung als einer Geschichte des chinesischen Theaters sprechen, so haben wir mit dem Gattungsbegriff »Theater« etwas verkürzt, was es in dieser Verkürzung für die allgemeine Forschung erst sehr spät im chinesischen Sprachraum gibt. Man unterscheidet heute vereinfacht zwischen dem Singspiel der Tradition und dem (Sprech-)Theater der Moderne bzw. Gegenwart. Das gesprochene Wort steht ursprünglich keinesfalls im Zentrum der chinesischen Bühne, und wenn es im Laufe des 20. Jahrhunderts dennoch »die Bretter der Welt« zwischen Peking und Kanton erobert hat, hat es mitnichten das gesungene Wort gänzlich zurückzudrängen vermocht. Wir könnten also, da dem gesungenen Wort ein Vorrang vor dem gesprochenen Wort auf der Bühne zukam, gleichfalls von einer Geschichte der chinesischen Oper sprechen. Aber auch dieses wäre eine verkürzte Sicht der Dinge. Wir haben es im vorliegenden Fall strenggenommen weder mit einem Theater oder einer Oper allein zu tun, sondern mit einem Gesamtkunstwerk, wo Elemente des Theaters, der Oper, der Literatur, der Musik, der Akrobatik, des Varietés etc. synthetisch zusammenkommen.2 In unserer Geschichte können jedoch unmöglich alle Aspekte behandelt werden, unter die auch noch Dinge wie Kostüme und Schminke zu rechnen wären.3 Überdies hat sich in der Rezeption ein doppelter reduktionistischer Ansatz herausgebildet: Während die Literaturwissenschaftler überwiegend dem Wort, ob gesungen oder gesprochen, und der Handlung ihre Aufmerksamkeit schenken, genießt das landläufige Publikum die Musik und die Inszenierung. Wenn ich im folgenden weniger 1

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Als ein erster Leitfaden für die Einführung diente mir u.a. HEINER FRÜHAUF: Schausteller, Geschichtenerzähler, Akrobaten. Die Traditionen des chinesischen Theaters, Tokio: Deutsche Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens 1989 (= OAG aktuell; 37). Zum Verhältnis von Erzählung und Theater in China s. MAENO NOAKI: »Chinese Fiction and Drama«, in: Acta Asiatica 32 (1977), S. 1–13. Das Wort Gesamtkunstwerk ist nicht im Sinne von Richard Wagner (1813–1883) mißzuverstehen. Während dieser eine Totalität durch Wiedererweckung des Mythos und durch die Konzeption der einzelnen Künste als organische Glieder in einem einzigen Großen und Ganzen anstrebte, hatte das chinesische Bühnengeschehen bis 1911 seine »Totalität« nie verloren und daher auch nicht wiederherzustellen gehabt. Zu diesen hier nicht oder nur flüchtig zu behandelnden praktischen Aspekten des chinesischen Theaters s. u.a. TAO-CHING HSÜ: The Chinese Conception of the Theatre, Seattle u. London: University of Washington Press 1985; CECILIA S.L. ZUNG: Secrets of the Chinese Drama. A Complete Explanatory Guide to Actions and Symbols seen in the Performance of Chinese Dramas, New York: Benjamin Blom 1964 (Neuauflage von 1937); JO RILEY: Chinese Theatre and the Actor in Performance, Cambridge: Cambridge UP 1997; ELIZABETH WICHMANN: Listening to Theatre. The Aural Dimension of Beijing Opera, Honolulu: University of Hawaii Press 1991; JAMES R. BRANDON u. MARTIN BANHAM (Hg.): The Cambridge Guide to Asian Theatre, Cambridge: Cambridge UP 1993.

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EINLEITUNG

die theatralischen Aspekte, dafür aber eher die literarischen Aspekte4 herausstreichen werde, so erfolgt das aus der Not heraus, nicht alles bieten zu können und zu wollen. Vereinfacht redete man besser von Singspiel als von Theater in China, wie dies auch der Kölner Sinologe und Fachmann für die chinesische Bühne Martin Gimm tut.5 Er folgt dabei Alfred Forke, der einmal folgendes zu bedenken gegeben hat:6 Chinesische Dramen sind mehr Opern oder Singspiele als Schauspiele. Man singt in Fistelstimme; auch die Frauenrollen werden von Männern gespielt. Nicht einmal die Prosa wird mit natürlicher Stimme gesprochen, sondern in einer Art Rezitativ. […] Das chinesische Theater gleicht unserem Varieté. Namentlich in den Kampfszenen werden allerlei Akrobatenkunststücke ausgeführt. Daher ist es auch gar nichts Seltenes, daß die Zuschauer während der Vorstellung speisen, was man bei uns nur im Kabarett kann.

Gleichwohl dürfte heute die Bezeichnung Singspiel auf keine besondere Gegenliebe stoßen und vielleicht auch wider Erwarten unseren Gegenstand herabwürdigen helfen. Ein Singspiel ist bekanntlich ein »kleines heiteres Bühnenstück des Musiktheaters, mit gesprochenem Dialog, Gesang und Musikeinlagen«7. Es sei daher weiterhin aus der Not eine Tugend gemacht und das Bühnenspiel in der Regel als Theaterstück bezeichnet. Das, was im folgenden unter chinesischem Theater verstanden werden soll, umfaßt also vielerlei: Gesang, das heißt lyrische Arien (qu)8, die für das chinesi4

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In seinem heute immer noch lesenswerten »Vortrag über heutige Theaterkunst in China« vom 18.12.1931, in: HARTMUT WALRAVENS: Vincenz Hundhausen (1878–1955). Das Pekinger Umfeld und die Literaturzeitschrift Die Dschunke, Wiesbaden: Harrassowitz 2000 (= Orientalistik Bibliographien und Dokumentationen; 7), S. 61, bezeichnet Diether von den Steinen (1903–1954) die Lektüre von chinesischen Theaterstücken als »literarisch kaum genießbar«, denn: »Das Wort ist nicht wesentlich schön als Träger eines Sinnes […], es wirkt nur als Klang. Seine Aussprache in Rede und Gesang ist wichtiger als das, was es sagt.« Insofern sei der Schauspieler alles, und das Theater, »mehr als Vergnügungsmittel denn als Kunst betrachtet«, S. 67, habe auf der Bühne das Bild zu schaffen. So gesehen wäre mein Ansatz zu einer literarischen Betrachtung zu hoch gegriffen. Ich fühle mich aber bestätigt durch Fachleute wie Josephine Huang Hung (s.o. Anm. 2, S. IX) oder Eric Henry (s.u.), die ähnliche Versuche unternommen haben. So in der Herausgabe und Kommentierung von ALFRED FORKE (Übers.): Zwei chinesische Singspiele der Qing-Dynastie, hg. von MARTIN GIMM, Stuttgart: Steiner 1993 (= Sinologica Coloniensia; 16); DERS. (Übers.): Elf chinesische Singspieltexte aus neuerer Zeit, hg. von MARTIN GIMM, Stuttgart: Steiner 1993 (= Sinologica Coloniensis; 17). Zitiert nach FORKE (Übers.): Elf chinesische Singspieltexte aus neuerer Zeit, S. 7f. Übrigens gibt es eine Parallele zu Männern in Frauenrollen: Im Vatikan wurden gern Heiligenopern aufgeführt, in deren Mittelpunkt christliche Märtyrer standen. Die Frauenrollen hatten dann von Kastraten gespielt und gesungen zu werden. Bestes Beispiel ist hier die Oper Il Sant’ Alessio (1632) von Stefano Landi (1587–1639). So kurz und bündig GERO VON WILPERT: Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart: Kröner 8 2001, S. 756. Das Zeichen qu für das nachklassische Lied bzw. die Arie wird von der westlichen Sekundärliteratur mitunter auch als Drama (zaju) aufgefaßt! Die traditionelle chinesische Literaturkritik

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Einleitung

sche Publikum den Kern eines jeden Stückes ausmachen; Orchestermusik, das ist eine Instrumentalmusik aus Saiten- und Schlaginstrumenten; eine Maskierung und Kostümierung, die Auskunft über die Charakterrolle des jeweiligen Schauspielers gibt; eine Gestik, deren Kunst der Andeutung (Fingersprache!) vom chinesischen Publikum als zentral erachtet wird; Akrobatik (oft in Kampfszenen) und Tanz. Es kommen also »hohe« und »niedere« Elemente gleichermaßen zusammen, und zwar sowohl in der szenischen Repräsentation (zuo) als auch im gesungenen bzw. gesprochenen Wort. Vereinfacht bietet sich für die meisten Fälle die Formel hohe ästhetische Kunst (Arie, Gestik) plus hausbackene Moral an. Dieser scheinbare Widerspruch ließe sich allerdings mit Rückgriff auf die Eigenheit der chinesischen Ästhetik leicht rechtfertigen. Ästhetisches Denken ist in China bekanntlich durch das Wechselspiel von »Fülle und Leere« gekennzeichnet, welches auf das Zusammenspiel von Yin und Yang zurückgeht.9 Demnach hat ein »hohes« Element ein »niederes« in stetem Wechsel abzulösen und dadurch die Wellenbewegung des Tao nachzugestalten. Dies gilt auch für die in chinesischen Stücken maßgeblichen beiden unterschiedlichen Sprachebenen: Die Arien sind der gebundenen Sprache verpflichtet und kommen meist in klassischen Wendungen und Anspielungen daher; die Dialoge dagegen sind umgangssprachlicher (bai) Art, mitunter sprachlich lose und derbe ausgeführt. Ich möchte die ästhetische Rechtfertigung zweier einander kontrastierender Stile nicht überbetonen, denn bislang hat hierzu meines Wissens noch niemand hinreichend Untersuchungen angestellt. Gleichwohl sollte bei einer letzten Beurteilung des chinesischen Theaters, das ja nicht nur im Abendland, sondern auch in der Heimat seine unverständigen Kritiker hat, dieser kunsttheoretische Hintergrund nicht außer acht bleiben. Selbst unscheinbare Dinge gewönnen dann ein überraschendes Gewicht. So ließen sich die Arien und die Dialoge als der Kontrast von Statik und Bewegung, von Betrachtung und Handlung auffassen. Während die Arien ein retardierendes Moment darstellen, treiben die Dialoge das Geschehen auf der Bühne voran.

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habe nämlich das chinesische Theater auf die Arie als wichtigsten Teil reduziert. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Anm. 42. Zur Einbindung des Gesanges ins chinesische Theater seit der Song-Zeit s. WANG ZHONGGE: »Der Wandel der Ansichten zum chinesischen Theater und die Genese einer Theorie des Gesanges«, in: minima sinica 2/2008, S. 148–152. Hierzu ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden, verwiesen sei daher nur auf das Standardwerk von FRANÇOIS CHENG: Fülle und Leere. Die Sprache der chinesischen Malerei. Aus dem Französischen von JOACHIM KURZT, Berlin: Merve 2004. Einen kosmologischen Zusammenhang von Theater und chinesischer Weltanschauung versucht auch – allerdings wenig überzeugend – herzustellen HUANG YIHUANG: »The Impact of Traditional Philosophy on Temporal and Spatial Expressions of Chinese Drama«, in: MABEL LEE u. A.D. SYROKOMLA-STEFANOWSKA: Literary Intercrossings. East Asia and the West, Sydney: Wild Peony 1998, S. 18–30. Zu einer chinesischen Sicht mit direktem Bezug zum Theater s. TAN FAN u. LU WEI: Zhongguo gudian xiju lilun shi [Geschichte der Theorie zum klassischen chinesischen Theater], Schanghai: Huadong Shifan Daxue 2005, S. 149–164.

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EINLEITUNG

Es ist viel darüber diskutiert worden, ob die chinesischen Künste die Theorie und Praxis der Mimesis kennen.10 Die Diskussion soll hier nicht wieder aufgenommen werden. Es läßt sich jedoch soviel sagen, daß es dem Theater wie der Dichtkunst in China nicht darum ging, ein wirkliches Abbild der tatsächlichen Welt11 zu bieten, sondern vielmehr ein archaisches, ein repräsentatives Muster zu schaffen, das einst, jetzt und künftig galt bzw. gilt. Das sogenannte Allgemeinmenschliche und nicht das Einzelne, Individuelle, historisch Konkrete waren von Interesse. Für die Bühne bedeutet dies, daß der Sprache und der Gestik insbesondere zukommt, das Unsichtbare gleichsam sichtbar zu machen, nämlich die Gefühlswelt der Hauptpersonen. Von daher liegt die Typisierung der unterschiedlichen Charaktere in der Natur der Sache. Individuen darf man in der Regel nicht erwarten, sondern eher Typen oder, anders ausgedrückt, Menschen wie du und ich. Ob Peking, Hongkong oder Taipeh, das fast tausendjährige chinesische Theater steckt heute in einer tiefen Krise.12 Es hat großenteils sein Publikum verloren und kann nur noch durch staatliche Subventionen13 oder durch private Initiativen in den großen Städten überleben. Gleichwohl ist es gut dokumentiert, und seine Geschichte ist anschaulich bewahrt. Wir finden heute viele Museen im chinesischen Sprachraum, welche die historische Entwicklung selbst von regionalen oder lokalen Bühnen nachzeichnen. Hongkong, wo das Singspiel hauptsächlich zur abendlichen Unterhaltung auf den Straßen überlebt hat14, ist ein jüngstes Beispiel. Das dortige Heritage Museum im Stadtteil Shatin hat eigens eine Abteilung für die Geschichte des kantonesischen Theaters zu bieten. Und in der Nähe von Tempeln mag man immer noch Aufführungen zu Ehren der Lokalgottheit Tinhou (Tian Hou) sehen.15 10

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Nach 1949 wurde diese Frage in der VR China als Frage nach dem fehlenden Realismus auf der chinesischen Bühne aufgeworfen. Zu den Bemühungen um eine Anpassung des chinesischen Operntheaters an den vermeintlichen Realismus s. TAI YIH-JIAN [d.i. Tai Yijian]: »Stanislavsky and Chinese Theatre«, in: Journal of Oriental Studies XVI (1978), S. 49–62. JAMES J.Y. LIU: Essentials of Chinese Literary Art, North Scituate: Duxbury 1979, S. 85– 113, bietet hierzu eine knappe Einführung nebst Beispielen. Zum Thema vgl. ansonsten FRANÇOIS JULLIEN: Umweg und Zugang. Strategien des Sinns in China und Griechenland. Aus dem Französischen von MARKUS SEDLACZEK, Wien: Passagen Verlag 2000, 139–162. Zur Situation in der VR China s. ELIZABETH WICHMANN: »Traditional Theater in Contemporary China«, in: COLIN MACKERRAS (Hg.): Chinese Theater. From its Origins to the Present Day, Honolulu: University of Hawaii Press 1983, S. 184–201. Zur Situation in Hongkong s. WONG HING-CHEUNG [d.i. Wang Qingqiang]: »The Quest for a Hongkong Theatre«, in: Tamkang Review XII.3 (1982), S. 259–265. So hat das Erziehungsministerium der VR China im Februar 2008 den Beschluß gefaßt, in zwanzig Grund- und Mittelschulen von zehn Provinzen die Pekinger Oper als Ausbildungsfach einzuführen. Vgl hierzu China Daily, 11.3.2008, S. 18; 22./23.3.2008, S. 4. Ein weitaus günstigeres Bild vermittelt BARBARA E. WARD: »Regional Operas and Their Audiences: Evidence from Hong Kong«, in: DAVID JOHNSON, ANDREW J. NATHAN u. EVELYN S. RAWSKI (Hg.): Popular Culture in Late Imperial China, Berkeley u.a.: University of California Press 1985, S. 161–187. Die optimistischen Angaben gelten vielleicht nur noch für den Untersuchungszeitraum (1950–1981). So wurde ich z.B. am 2. Dezember 2007 in Shek-O (auf der Insel Hongkong) auf dem Parkplatz des dortigen Badestrandes Augenzeuge einer Aufführung des Stückes Die hohe Geburt

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Einleitung

Das chinesische Theater wurde trotz seiner generellen Andersartigkeit relativ früh in Europa rezipiert,16 und zwar seit etwa 1615 durch die Vermittlung der Jesuiten in Peking und später durch Reisende17. Die Kenntnis beruhte zunächst auf Hörensagen und erst seit 1735 mit Jean-Baptiste du Halde (1674–1743) auch auf einer Textbasis.18 Was auf diesem Wege zunächst nach Europa gelangte, war das Drama der Yuan-Zeit, das bekanntlich als die erste vollendete Bühnenkunst in China gelten kann. Dabei haben vor allem zwei Stücke eine große Wirksamkeit in der europäischen Literatur entfalten können: Die Waise von Zhao (Zhaoshi gu’er)19 und Der

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der Meeresgöttin (Tian Hou bao dan). Der Ort des Schauspiels war aus naheliegenden Gründen gewählt: In der Nähe befand sich der Tempel von Tinhou! Zur Geschichte des Kultes um die Tinhou (identisch mit Mazu) s. JAMES L. WATSON: »Standardizing the Gods: The Promotion of T’ien Hou (›Empress of Heaven‹) along the South China Coast, 960– 1960«, in: JOHNSON u.a. (Hg.): Popular Culture in Late Imperial China, S. 292–324. Der Beitrag behandelt ebenfalls Hongkong! Besagte Seegöttin kann auch auf der Bühne Begleiterin eines Helden sein, s. RODERICH PTAK: Cheng Hos [d.i. Zheng He] Abenteuer im Drama und Roman der Ming-Zeit. Hsia Hsi-yang [d.i. Xiyang ji]: Eine Übersetzung und Untersuchung. Hsi-yang chi: Ein Deutungsversuch, Wiesbaden: Steiner 1986 (= Münchener Ostasiatische Studien; 41), S. 109–111. Zur frühen Rezeption und Übersetzung s. PATRICIA SIEBER: Theaters of Desire. Authors, Readers, and the Reproduction of Early Chinese Song-Drama, 1300–2000, New York: Palgrave 2003. Zu dieser Studie ist zweierlei anzumerken, einmal daß »Song-Drama« nicht als Drama der Song-Zeit, sondern als Musiktheater zu verstehen ist, und zum anderen, daß die Autorin Edward Said (1935–2003), dem Erfinder des Postkolonialismus, wie einem Heiligen verpflichtet ist. Methodisch kommt sie daher mit der Gleichsetzung von Übersetzung und Imperialismus etc. zu fragwürdigen Ergebnissen. Wenn auch die Schlußfolgerungen kritisch zu hinterfragen sind, so sind die zahlreichen Fakten zuverlässig recherchiert. Ein prominentes Beispiel für den Bericht von Reisenden ist JOHANN CHRISTIAN HÜTTNER [1766–1847]: Nachricht von der britischen Gesandtschaftsreise nach China: 1792–1794, hg. von SABINE DABRINGHAUS, Sigmaringen: Thorbecke 1996, S. 132f., 181. Zu diesem in Paris ansässigen, des Chinesischen unkundigen Vermittler s. ISABELLE LANDRYDERON: »Early Translations of Chinese Texts in French Jesuit Publications: Politics in Historiography«, in: XIAOXIN WU (Hg.): Encounters and Dialogues. Changing Perspectives on Chinese-Western Exchanges from the Sixteenth to Eighteenth Century, Sankt AugustinNettetal: Monumenta Serica 2005 (= Monumenta Serica Monograph Series; LI), S. 271–276 (auf S. 273 findet sich der Hinweis auf das Drama Die Waise von Zhao). Zu diesem Stück und zu dessen Wirkungsgeschichte hat Adrian Hsia so viel publiziert, daß sich ein einzelner Beitrag nicht gut herausheben läßt, s. hierzu seine Publikationsliste in: MONIKA SCHMITZ-EMANS (Hg.): Transkulturelle Rezeption und Konstruktion. Festschrift für Adrian Hsia, Heidelberg: Synchron 2004, S. 209f. In diesem Zusammenhang immer noch lesenswert ist CHEN SHOUYI: »The Chinese Orphan: A Yuan Play. Its Influence on European Drama of the Eighteenth Century«, in: ADRIAN HSIA (Hg.): The Vision of China in the English Literature of the Seventeenth and Eighteenth Centuries, Hongkong: Chinese UP 1998, S. 359–382. Dieser Aufsatz von 1936 behandelt ausführlich die Übersetzungsgeschichte. Verwiesen sei bei dieser Gelegenheit auch noch auf ADOLF REICHWEIN: China und Europa im Achtzehnten Jahrhundert, Berlin: Oesterheld 1923, S. 142–150, der den Einfluß auf Goethe behandelt. Zum jesuitischen Kontext s. ADRIAN HSIA: »The Jesuit Plays on China and Their Relation to the Profane«, in: ADRIAN HSIA, RUPRECHT WIMMER (Hg.): Mission und Theater. China und Japan auf den deutschen Bühnen der Gesellschaft Jesu, Regensburg: Schnell & Steiner 2005, bes. S. 220–222.

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EINLEITUNG

Kreidekreis (Huilan ji)20. Auf beide Werke wird noch zurückzukommen sein. Nur soviel sei hier schon angemerkt, daß die europäische Vorliebe für bestimmte Stücke nicht auf einer chinesischen Vorliebe beruhen mußte, ja daß diese von chinesischer Seite sogar scheel angesehen werden konnte. Inzwischen haben sich jedoch die Dinge in der Ost-West-Begegnung so zum Positiven verschoben, daß eine ehemals wohlmeinende westliche Rezeption auch zum Umdenken in China geführt hat. Das einst im Reich der Mitte vernachlässigte Stück Die Waise von Zhao zum Beispiel wird heute nach europäischer Maßgabe unter dem humanen Aspekt neu gewürdigt und in Peking wieder aufgeführt. Neben dem Einfluß, den einzelne chinesische Bühnenwerke im Abendland ausüben konnten, hat auch noch eine Reihe von Motiven und Techniken des chinesischen Theaters die europäische Schauspielkunst zu prägen vermocht. Denken wir einmal an die Gestalt der Turandot, die seit Carlo Gozzi (1720–1806) über Friedrich von Schiller (1759–1895) und Giacomo Puccini (1858–1924) bis heute an Attraktivität nichts eingebüßt hat. Zwischen Peking und Gelsenkirchen avancierte die »grausame« Prinzessin von China in den Jahren 1998 bis 2005 unter der Regie des Filmemachers Zhang Yimou (geb. 1951) zu einem medialen Großereignis.21 Oder denken wir an den Verfremdungseffekt, den Bertolt Brecht (1898–1956) seiner Sicht der Aufführungspraxis des Schauspielers Mei Lanfang (1864–1961) 1935 in Moskau verdankte.22 Nebenbei bemerkt ließe sich in gewisser Hinsicht am Beispiel seiner Dreigroschenoper (1928) gut veranschaulichen, was chinesisches Theater in erster Linie für ein chinesisches Publikum ist: So wie die Dreigroschenoper von den zündenden Melodien und den gekonnten Liedtexten lebt, mit der Folge, daß der Plot und der Dialog Nebensache zu werden drohen, so speist sich gleichfalls das chinesische Singspiel in erster Linie aus Lyrik und Gesang und weniger aus der Handlung und dem gesprochenen Wort. Wir dürfen hieraus schließen, daß auch das europäische Theater seit der Barockzeit nicht ohne den chinesischen Einfluß zu denken ist. Dinge wie diese waren 20

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S. hierzu meine bibliographische Notiz: »Das Motiv des Kreidekreises«, in: BJOAF 1981, S. 512–516. Zu u.a. einer Synopse des Stückes s. RICHARD WILHELM: »Über das chinesische Theater. Eine Betrachtung anläßlich des Klabundschen Kreidekreises«, in: Chinesische Blätter 1/1925, S. 79–90, bes. S. 82–84. Vgl. hierzu die Tagespresse, z.B. den General-Anzeiger vom 4./5. Juni 2005, S. 16. Es war übrigens dieser »grausame« Charakter der Heldin, der lange Zeit eine Aufführung in China behinderte. S. hierzu und zur Wiederaufnahme der Oper in Peking (musikalische Neufassung des unvollendeten Werkes durch den chinesischen Komponisten Hao Weiya) China Daily vom 22./23.3.2008, S. 5. Hierzu ist soviel geschrieben worden, daß an dieser Stelle lediglich auf eine neuere Publikation verwiesen sei, welche die Dinge kurz und bündig auf den Punkt bringt. Sie stammt von dem Fachmann ANTONY TATLOW: Brechts Ostasien, Berlin: Parthas 1998, S. 23–28. Als allgemeine Einführung in die hohe Kunst des Mei Lanfang empfiehlt sich wegen des reichen (Bild-)Materials immer noch GEORGE KIN LEUNG: Mei Lan-fang. Foremost Actor of China, Schanghai: Commercial Press 1929. Zu einer neuerlichen bebilderten Biographie des Künstlers s. WANG HUI: Mei Lanfang hua zhuan [Illustrierte Biographie des Mei Lanfang], Peking: Zuojia 2004.

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Einleitung

für Edward W. Said (1935–2003) 1978 der Anlaß, um in seinem folgenreichen Werk Orientalism Europa geistige Ausbeutung und willkürliche Repräsentation des Orients vorzuwerfen. Mit Blick auf das 20. Jahrhundert, wo China nicht nur die westliche Bühne zu eigenen Zwecken adaptiert hat, sehen wir heute gelassen über solch einseitige Geschichtsdeutung hinweg. Der Ost-West-Austausch hat glücklicherweise mehr zu bieten als nur das Thema eines willkürlichen Mißverständnisses.23 Gleichwohl hat eine vollkommene Rezeption des chinesischen Theaters in Europa auf gewisse Schwierigkeiten stoßen müssen. Dies gilt übrigens auch noch für China nach 1949.24 Die Volksrepublik hatte und hat bis heute eine Menge Vorbehalte gegen diese moralische Anstalt einer »feudalistischen« 25 Ideologie. Ein übriges tut die lange Ausbildungszeit: Frauenrollen waren ab dem sechsten Lebensjahr einzustudieren. Dergleichen mußte in den Augen von Marxisten als Verschwendung der Jugend gelten. Wenn auch die Erforschung des chinesischen Theaters26 sehr spät erst mit dem großen Gelehrten Wang Guowei (1877–1927) 1912 einsetzt und wiederholt durch kriegerische oder politische Ereignisse unterbrochen worden ist, so hat dennoch die nationale wie internationale Forschung nach 1949 eine solch reiche Sekundär- und auch Übersetzungsliteratur vorzulegen gewußt, daß ein Überblick über all die Studien hauptsächlich in chinesischer, japanischer, englischer und deutscher Sprache ein eigenes Studium erfordern würde.27 23

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Zur Kritik an Said ist jüngst manches (auch von mir) geschrieben worden. Zu einer neuerlichen Auseinandersetzung s. IBN WARRAQ: Defending the West. A Critique of Edward Said’s Orientalism, New York: Prometheus 2007. Zur Schwierigkeit einer Rezeption auf westlicher wie chinesischer Seite s. MAY ZHANG QUE: »Chinesisches Theater als Gegenstand westlicher China-Forschung«, in: ANDREAS ECKERT, GESINE KRÜGER (Hg.): Lesarten eines globalen Prozesses. Quellen und Interpretationen zur Geschichte der europäischen Expansion, Hamburg: LIT 1998, S. 143–156. Das Wort »Feudalismus« wird in der VR China von den (marxistischen) Kritikern grundsätzlich pejorativ verwendet. Es ist dies kein wissenschaftlicher Begriff, sondern gleichsam ein Schimpfwort. Nach Auffassung der deutschen Sinologie kann von einem Feudalismus in China nach der Reichsgründung von 221 v.Chr. nicht mehr oder nur bedingt geredet werden. Zur Problematik der Erforschung des chinesischen Theaters s. CHING-HSI PERNG [d.i. Peng Jingxi]: »Excursions to Xanadu. Criticisms of Yüan Tsa-chü [d.i. Yuan zaju]«, in: Tamkang Review VIII.2 (1977), S. 101–119. Der Verfasser sieht erst in der neueren westlichen Forschung den Beginn einer Untersuchung des chinesischen Theaters als Theater. Bislang (und dies gilt bis heute!) hätten chinesische Wissenschaftler das chinesische Drama entweder nur als »Poesie« behandelt oder unter ideologischem Gesichtspunkt als soziale bzw. politische Kritik gedeutet. Letzteres gilt insbesondere für die VR China nach 1949, die in vielen Stücken einen Protosozialismus wittert. Beiderlei Verfahren kritisiert der Verfasser als unnötige Versuche, das bis dato scheel angesehene chinesische Theater aufzuwerten, statt es, wie im Westen geschehen, mit notwendigem kritischem Abstand zu würdigen. Zu einer ersten Bestandsaufnahme s. den immer noch sehr lesenswerten Beitrag von LIU WU-CHI: »Some Additions to Our Knowledge of the Song-Yüan [d.i. Yuan]-Drama – A Bibliographical Study«, in: TSE-TSUNG CHOW [d.i. Zhou Cezong] (Hg.): Wen-lin, Vol. II, Studies in the Chinese Humanities, Hongkong u.a.: Chinese University u.a. 1989, S. 175–203.

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Studium deshalb, weil die fraglichen Arbeiten oft ungenau und im Detail nicht selten unstimmig sind. Im Verlauf unserer Ausführungen seien daher nur die wichtigsten Werke und Übertragungen vorgestellt. Selbstverständlich mag man die Frage danach stellen, wie es denn zu einem solch breiten wissenschaftlichen Interesse an unserem Gegenstand kommt. Ich denke, dies hat mit dem Umstand zu tun, daß uns hier eine völlig andere Welt begegnet als in der Lyrik, der Essayistik, der Philosophie oder der Malerei etwa, die gewöhnlich für die Hochkultur Chinas stehen. Trotz der Nähe zum Hof und trotz eines gewissen späteren Wohlgefallens auf Seiten der Gebildeten bieten das Theater und sein Umfeld eine eher alltägliche Perspektive, die weniger Sujet der Elite war. Der hier abgebildete Alltag muß daher notwendig unser hohes Bild von der Elitekultur als vermeintlich einzig mögliches Bild von China in Zweifel ziehen.

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1. Die Orte des Theaters Bei Reisen durch China fallen auch heute noch an öffentlichen Orten wie Märkten oder Tempeln Bühnen auf.30 Wenn ich sage »auch heute noch«, so sagte ich vielleicht besser: Es fallen wieder Bühnen auf. Denn über Jahrzehnte waren diese Bühnen ob ihrer Zugehörigkeit zu einem Tempel der Obrigkeit nicht genehm gewesen und daher durch Umfunktionierung unkenntlich gemacht worden. Inzwischen ist aber manch Vergangenes wieder in sein Recht zurückgekehrt. So zum Beispiel in dem Geburtsort des Erzählers Mao Dun (1896–1981). Im heutigen Wuzhen, damals Qingzhen, findet sich unweit seines Geburtshauses eine freie Fläche, die wieder von einer Bühne dominiert wird. Diese war einmal Teil einer buddhistischen Tempelanlage gewesen, zu ihr gehörte ein freier Platz, der dem bäuerlichen Markt vorbehalten war. Ähnliches gilt für Orte im Norden wie den Wutai Shan, das buddhistische Paradies, oder für Orte im Süden wie die der Stadt Xiamen (Amoy) vorgelagerte Insel Quemoy (Jinmen). Aber auch ansonsten gehörte zu einem buddhistischen Tempel eine Bühne. Davor mußte nicht unbedingt zusätzlich Markt gehalten werden. Wir sehen dies am Fuße des Tai Shan, bevor man nach Tai’an hinuntergelangt.31 Die Bühne dort war nur für die Gläubigen bzw. die Pilger gedacht, die einem religiösen Spektakel beizuwohnen gedachten. Dennoch dürfen wir verallgemeinern: So wie der Tempel und der Dorfplatz oft zusammengehören, so sind auch das Heilige und das Weltliche meist untrennbar. Dies fügt sich gut in die buddhistische Auffassung vom Weltlichen als Hort des Überweltlichen ein. So gesehen hat das Theater einen Ort in der Religion, der noch weiter zu bestimmen sein wird, und gleichzeitig einen Ort im Alltag. Dies läßt sich gut mit hiesigen Kirchweihfesten vergleichen, die ihren kirchlichen Bezug über die Zeit verloren haben und zur Kirmes wurden. Bei Reisen durch China, besonders im Süden, fallen des weiteren auch Teehäuser ins Auge, die wieder Szenen des chinesischen Theaters zum festen Bestandteil ihrer Einrichtung gemacht haben. Bekannter als diese ist jedoch das Teehaus von Lao She (1899–1966) in Peking, welches heute allerdings eher eine touristische Attraktion darstellt. Teehäuser gehörten ursprünglich zu einer Unterhaltungskultur, die ihren Ausgang zur Tang-Zeit nahm, als sich die wirtschaftliche Entwicklung Richtung Süden auszubreiten begann und die in Folge einsetzende Verstädterung Einrichtungen für Unterhaltung jeglicher Art notwendig machte. Da zur damaligen Zeit abendlicher Ausgang jedoch verboten war, bedurfte es noch einiger Jahrhun30

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Zur Geschichte der Bühne von den Anfängen bis zum Ende der Kaiserzeit s. die exzellente und bebilderte Studie von LIAO BEN: Zhongguo gudai juchang shi [Geschichte der chinesischen Bühnen in alter Zeit], Zhengzhou: Zhongzhou Guji 1997. Ähnliches gilt auch für den taoistischen Tempel Shangqing Gong auf dem Berg Qingcheng Shan in der Provinz Sichuan.

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EINLEITUNG

derte, ehe sich weltliche Vorformen des Theaters in den Vergnügungsvierteln etablieren konnten. Dies ist seit der Song-Zeit (960–1279) der Fall, als die Kontrollmechanismen für die Bevölkerung gelockert wurden, ja im einzelnen Fall ganz fortfielen.32 Etablissements durften damals die ganze Nacht hindurch geöffnet sein. So vollendete sich eine Art Varietéschau, die ihren Ausgang in der TangZeit hatte33 und schließlich zum Leidwesen des Literaturwissenschaftlers mit eben jenem Binom benannt wurde, das später auch für die Bezeichnung des YuanDramas Verwendung fand, nämlich zaju, was zunächst soviel bedeutete wie »vermischte Spiele«. 34 Diese »vermischten Spiele« muß man sich ursprünglich als Komödien, Farcen oder Sketche vorstellen, die auch politischer Natur sein und zum politischen Kabarett neigen konnten. Ihre Verfasser mochten durchaus in den gebildeten Kreisen daheim sein und sich gar im Rahmen einer Schreibgruppe gemeinsam einer gemeinsamen Ausarbeitung befleißigen. Die Ergebnisse, von wem auch immer sie verfaßt sein mögen, kamen in einem mit Ziegeln gedeckten Haus zur Aufführung. Man sprach dementsprechend in diesem Kontext von »Ziegelhäusern« (washe, wazi, wajie) oder von »Ziegelmärkten« (washi).35 Zu den »vermischten Spielen« gehörten selbstverständlich auch Singmädchen, die eigens zur Unterhaltung ausgebildet waren und oftmals – aus traditionell westlicher Sicht – in einem zweifelhaften Ruf standen. 36 Sie konnten nämlich 32

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Konkrete Informationen dieser und der folgenden Art verdanke ich der überragenden Studie WILT IDEMA u. STEPHEN H. WEST: Chinese Theater 1100–1450. A Source Book, Wiesbaden: Steiner 1982 (= Münchener Ostasiatische Studien; 27), S. 7. Ausführlich behandelt von DOROTHEE SCHAAB-HANKE: Die Entwicklung des höfischen Theaters in China zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert, Hamburg: Hamburger Sinologische Gesellschaft 2001 (= Hamburger Sinologische Schriften; 1). Dieser ausgezeichneten Studie verdanke ich auch manche Erkenntnis im folgenden. Vgl. weiter CHARLES BENN: Daily Life in Traditional China. The Tang Dynasty, Westport, Conn. u. London: Greenwood 2002, S. 157–170. Vgl. hierzu und zum folgenden STEPHEN H. WEST: Vaudeville and Narrative: Aspects of Chin [d.i. Jin] Theater, Wiesbaden: Steiner 1977 (= Münchener Ostasiatische Studien; 20). Zur unterschiedlichen Bedeutung von zaju, das auch durch yuanben (Kladden von den Vergnügungsstätten) ausgetauscht werden konnte, im Laufe der Zeit s. ebd., S. 6, 10f. Der Münchner Sinologe Hans van Ess erklärt die Bedeutung von wa symbolisch mit Rückgriff auf das chinesische Verständnis von Ziegel: So wie sich Ziegel leicht ineinanderfügen und wieder lösen, so kommen auch die Menschen in den Vergnügungsvierteln unverbindlich zusammen, s. REINHARD EMMERICH: Chinesische Literaturgeschichte, Stuttgart, Weimar: Metzler 2004, S. 216. WILLIAM DOLBY: A History of Chinese Drama. London: Elek 1976, S. 17, macht interessanterweise auf den Zusammenhang von Etablissements dieser Art und dem Militär aufmerksam: Wo Militärlager aufgeschlagen wurden, da etablierten sich auch wazi! Im künstlich nachgebildeten Distrikt Jinli von Chengdu lassen sich heute noch derlei wazi in Augenschein nehmen: Man findet dort eine freie Bühne in der Mitte für alle Passanten und eine überdachte Bühne, die nun als Teehaus fungiert. Ähnliches läßt sich von der Altstadt in Luocheng bei Leshan (Sichuan) sagen. Zur Geschichte von Gesang und Ruf s. ULRIKE MIDDENDORF: »Sängerinnen und Tänzerinnen der Han. Herkunft, Sozialstatus, Tätigkeiten«, in: JIANFEI KRALLE u. DENNIS SCHILLING (Hg.): Schreiben über Frauen in China, Wiesbaden: Harrassowitz 2004 (= Lun Wen; 5), S. 149–251.

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Die Orte des Theaters

nicht nur für eine Aufführung in Dienst genommen werden. Hier spielen der Hof, die hohe Beamtenschaft, die reiche Kaufmannsschicht etc. Hand in Hand. Es hatte – vereinfacht gesagt – seit der Tang-Zeit ein Amt für Musik gegeben, das zunächst für die Opfer und Riten zuständig war. Um dem Bedürfnis des Hofes nach Zerstreuung nachzukommen, wurde unter Kaiser Xuanzong (reg. 712–756) von diesem Zeremonialamt das Hofunterhaltungsamt abgespalten. 37 Die Unterhaltungskünstler wurden im berühmten Birnengarten (Liyuan) 38 ausgebildet. Auf diese Weise waren Ritus und Vergnügen formal klar voneinander getrennt, was sie vordem so nicht gewesen waren und später auch nicht immer sein mußten, da je nach Bedarf ein Austausch von Musikanten für die jeweiligen Bedürfnisse stattfinden konnte. Die Zahl der Sängerinnen schwoll jedoch später am Hofe so sehr an, daß die weniger Gefragten aus Kostengründen zur weiteren Verfügung ebenso außer Hofes ausgeliehen bzw. angesiedelt wurden. Die städtische Verwaltung hatte dann für sie aufzukommen. Umgekehrt ließ man im Bedarfsfall Künstlerinnen aus der Stadt dem Kaiser im Palast aufwarten. Dazu konnte sogar fahrendes Volk gehören. Die enge Verbindung von Stadt und Herrscherhaus in Sachen Theater wird ebenfalls durch den Umstand verdeutlicht, daß es durchaus auch ein kaiserliches Theater in der Stadt geben konnte, das der Kaiser unter entsprechendem Geleitschutz aufsuchte. Wir erleben hier eine Institutionalisierung der Unterhaltung, die vom Staat überwacht wurde. Den strengen Beamten erschien 39 eine staatliche Kontrolle deswegen angelegen, da Vergnügen aus konfuzianischer Sicht von Übel war und in der Praxis nicht nur Glücksspiel oder Liebesdienste mit einschloß, sondern gleichfalls in staatlichen Ämtern einen festen Ort hatte. So verfügte das Yamen über registrierte Sängerinnen, für die Steuern zu zahlen waren, und hohe Beamte hatten ihre eigenen Ensembles. All dies stellt selbstverständlich eine allmähliche Entwicklung seit der TangZeit dar und läßt sich vollendet erst für die Hauptstadt der Nördlichen SongDynastie (960–1127) nachweisen, für das damalige Bianliang, das heutige Kaifeng. Es behält seine Gültigkeit für die nachfolgende Jin-Dynastie (1115–1234) im Norden und die Südliche Song-Dynastie (1127–1279) mit ihrer Hauptstadt im

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Die reiche Darstellung berührt immer wieder die Frage nach Schauspiel und Schauspieler, bes. S. 158f., 183f., 189f. Zur komplexen Trennung der Zeremonial- und Unterhaltungsmusik und zur Rekrutierung von Künstlerinnen auch aus dem Volk s. die ausführliche Darstellung bei SCHAAB-HANKE: Die Entwicklung des höfischen Theaters in China, S. 31–93. Bei dieser seit wohl 712 eingerichteten Ausbildungsstätte handelt es sich nicht um einen einzigen Ort, sondern um zwei unterschiedliche Stätten im Stadtgebiet von Chang’an, s. hierzu MARTIN GIMM: Das Yüeh-fu tsa-lu [d.i. Yuefu zalu] des Tuan An-chieh [d.i. Duan Anjie]. Studien zur Geschichte von Musik, Schauspiel und Tanz in der T’ang-Dynastie, Wiesbaden: Harrassowitz 1966 (= Asiatische Forschungen; 19), S. 570–573. Eine ähnliche Mischung von Volk, Adel und Kaiser war im Wien des 19. Jahrhunderts möglich. Vgl. ERIKA FISCHER-LICHTE: Kurze Geschichte des deutschen Theaters, Tübingen u. Basel: Francke 21999 (= UTB; 1667), S. 168.

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EINLEITUNG

heutigen Hangzhou. Quelle ist u.a. Die Aufzeichnung über die Blüte der Östlichen Hauptstadt, die wie ein Traum verflog (Dongjing menghua lu, 1147) von Meng Yuanlao (ca. 1090 – ca. 1155).40 Hiernach gab es damals bereits zwanzig Arten von Schauspielen, die der Zerstreuung dienten. Dazu gehörten Formen, die dem späteren Theater vorgriffen. Als Aufführungen lassen sich die folgenden anführen: Darbietungen von Gesang und Tanz; Puppenspiel und Schattenspiel41; Akrobatik; und in gewisser Hinsicht gehören auch die Geschichtenerzähler hierher. Eine für die Entwicklung des Theaters besonders wichtige Form der Unterhaltung war die Ballade (zhugongdiao), die von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zum Ende des 13. Jahrhunderts nachweisbar ist, dann aber verschwand, als sie im Nördlichen Drama aufging. Sie stellt die früheste Verbindung von Erzählung und Musik dar, indem sie Narratives (bianwen) mit Liedern (qu) und Arien (taoshu) verband.42 Nach bisherigen Erkenntnissen verdankt sich das spätere Drama der Yuan-Zeit einer Vermischung von Varieté (zaju bzw. yuanben) und Ballade (zhugongdiao). Nicht alles hat von den historisch belegbaren Unterhaltungskünsten überleben bzw. überliefert werden können. Besonders Puppen- und Schattenspiel haben es im heutigen China sehr schwer. Nur vereinzelt noch mag man sie in Pekinger Gärten antreffen. Die Varietés waren für das »einfache« Volk gedacht und wurden dementsprechend an Orten aufgeführt, die – den Quellen gemäß – tatsächlich Tausende von Zuschauern aufnehmen und auch zu beköstigen vermochten. Bühne und Gasthaus konnten daher eines sein. Aus Prototypen dieser Art bildeten sich vermutlich später die Teehäuser mit ihrer Kultur heraus.43 Dieser Trend, der sich unter Kaiser Huizong (reg. 1101–1125) ergeben hatte, setzte sich nach der erzwungenen Verlegung der Hauptstadt vom heutigen Kaifeng ins heutige Hangzhou (damals Lin’an) weiter fort. Darüber geben auch viele andere Werke Auskunft. So 40

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Vgl. hierzu STEPHEN H. WEST: »The Interpretation of a Dream. The Sources, Evaluation, and Influence of the Dongjing Meng Hua Lu«, in: T’oung Pao 71 (1985), S. 63–108. Von washe ist auf S. 77 die Rede. Zur Geschichte des Schattenspiels in China s. FAN PEN LI CHEN (= Chen, Fan Pen): Chinese Shadow Theatre. History, Popular Religion & Women Warriors, Montreal u.a.: McGillQueen’s UP 2007. Vgl. hierzu WEST: Vaudeville and Narrative, S. 48–78. Zum Thema der »Ballade« allgemein s. WILT L. IDEMA: »Performance and Construction of the chu-kung-tiao [d.i. zhugongdiao]«, in: Journal of Oriental Studies XVI (1978), S. 63–78; LI-LI CH’EN [d.i. Chen Lili]: »Outer and inner Forms of Chu-kung-tiao [d.i. zhugongdiao] with Reference to Pien-wen [d.i. bianwen], Tz’u [d.i. ci] and Vernacular Fiction«, in: HJAS 32 (1972), S. 124–149. DIES.: »Some Background Information on the Development of Chu-Kung-Tiao«, in: Harvard Journal of Asiatic Studies 33 (1973), S. 224–237. Zu taoshu insbesondere s. ELLEANOR H. CROWN: »Rhyme in the Yüan [d.i. Yuan] Dynasty Poetic Suite (T’ao shu [d.i. taoshu])«, in: Tamkang Review IX.4 (1979), S. 451–467. Zu dieser Kultur gehört übrigens auch das Teepflückspiel (Caicha xi), welches sich heute auf Taiwan noch erhalten hat. Zu diesem leibhaftigen Sing-Spiel bei der Teeernte in den Bergen s. WANG SHIH-I [d.i. Wang Shiyi]: »The Ts’ai-ch’a-hsi [d.i. Caicha xi] or The Ts’ai-ti hsi [d.i. Caiti xi]: A Discussion on Its Name«, in: Tamkang Review XII.3 (1982), S. 267–276.

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Die Orte des Theaters

zum Beispiel Die Aufzeichnungen vom Hirsetraum (Mengliang lu, 1275), welche die Welt der »Ziegelhütten« (washe) detailliert darstellen.44 Orte des chinesischen Theaters waren auch die Wasserwege. Dies gilt insbesondere für den wasserreichen Süden. Wanderschauspieler pflegten von Dorf zu Dorf zu schippern und auf ihren Booten oder auf freiem Feld ihre Stücke aufzuführen. Diese Aufführungen, deren Kosten die Dörfer gemeinsam aufbrachten, dauerten meist drei Tage. Lu Xun hat eine solche Darbietung aus kindlicher Sicht sehr anschaulich beschrieben.45 Durch die Wanderbühnen kam nicht nur die Unterhaltung auf das Land, sondern auch die allgemein verbindliche Moral. Diese war oftmals an religiöse Zeremonien gebunden, wovon noch zu sprechen sein wird.46 Von all diesen der Allgemeinheit verpflichteten Bühnen ist das private Theater abzuheben. Das Kaiserhaus, reiche Familien, aber auch Gilden unterhielten auf ihrem Grund und Boden Einrichtungen für das Theaterspiel. Das konnten freie Bühnen wie im Sommerpalast von Peking sein, das konnte eine Art Salontheater wie in der Residenz des Prinzen Wang (Gong wang fu)47 ebenfalls in Peking sein, das konnten aber auch Zusammenkünfte von Landsmannschaften – wie heute noch in Schanghai oder Tientsin (Tianjin) auffindbar – sein, die ganz wesentlich aus einer Bühne unter einem festen Dach bestanden, um die herum zahlreiche Stühle und Tische gruppiert waren. In dem einen Fall kamen also die Familien bzw. Clans, in dem anderen die Landsleute aus einer Provinz zusammen, um sich bei Speis und Trank48 unterhalten zu lassen. Die Schauspieler gehörten dann entweder fest zur jeweiligen theatralischen Einrichtung, oder sie wurden für die jeweiligen Zwecke angeworben. Die chinesische Literatur bietet viele Beispiele für Aufführungen, die im Familienoder Freundeskreis stattfanden und damit belegen, wie sehr ein Schauspiel oft nur den Hintergrund für ein geselliges Beisammensein abgab.49 44

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S. hierzu die Sammelausgabe Dongjing menghua lu, Mengliang lu etc., Peking: Zhongguo Shangye 1982, S. 166–171. Vgl. hierzu auch MONIKA MOTSCH: Die chinesische Erzählkunst. Vom Altertum bis zur Neuzeit, Bd. 3 der Geschichte der chinesischen Literatur, hg. von WOLFGANG KUBIN, München: Saur 2003, S. 136. LU XUN: »Applaus. Erzählungen«, in: DERS.: Werke in sechs Bänden, hg. von WOLFGANG KUBIN, Zürich: Unionsverlag 1994, S. 201–218 (»Eine Oper auf dem Lande«, 1922); Lu Xun quanji, Peking: Renmin Wenxue 21982, S. 559–570 (»Shexi«). MANFRED PORKERT: »Das chinesische Theater und sein Publikum«, in: DERS.: China – Konstanten im Wandel, Stuttgart: S. Hirzel 1978, S. 184–192, faßt diese Dinge in seinen drei Thesen zum chinesischen Theater wie folgt zusammen: 1. Das Theater ist Fest und eine sakrale Angelegenheit zur Erneuerung der Beziehung von Mensch und Gottheit. 2. Es ist eine moralische Bildungsinstitution, die nichts kostet und daher alle bildet. 3. Es ist Unterhaltung. Der dortige Theaterraum ist heute zur täglichen Aufführung von Pekinger Opern etc. wiederbelebt worden, s. China Daily vom 15. März 2008, S. 5. Zum Zusammenhang von Essen und Theater s. STEPHEN H. WEST: »Playing with Food: Performance, Food, and the Aesthetics of Artificiality in the Sung and Yuan«, in: HJAS 57.1 (1997), S. 67–106. Vgl. in diesem Zusammenhang z.B. BA JIN: Die Familie. Aus dem Chinesischen von Florian Reissinger. Mit einem Nachwort von Wolfgang Kubin, Berlin: Oberbaum 1980, S. 172–176.

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EINLEITUNG

Worauf wir aus den unterschiedlichen Orten des chinesischen Theaters schließen dürfen, ist eine Verschiebung vom Öffentlichen zum Privaten, vom Religiösen zum Weltlichen. Zusammenfassend und unserer Darlegung vorgreifend, läßt sich sagen: Der erste Ort ist der Ort des Erdgottes bzw. später des (buddhistischen) Tempels, und da dieser ein öffentlicher Ort ist, ist er der einer Dorfgemeinschaft oder einer (städtischen) Gemeinde zu Wasser und zu Lande. Der zweite Ort ist der des Teehauses im weitesten Sinne und der dritte der einer privaten Residenz. In letzterem Fall gibt es natürlich einen gewichtigen Vorläufer, dies ist der Hof. Doch dazu später.

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2. Der Ursprung des chinesischen Theaters Spätestens seit Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) wissen wir, daß das Haus am Beginn der Menschheit steht. Das ist das Haus Gottes, das ist der Tempel. Der Tempel ist der Ursprung aller Kultur. Dies hat sich für das Abendland leicht nachweisen lassen. Für China ist ein solcher Zusammenhang von Haus und Gottheit bislang kaum hergestellt worden. Die Pekinger Enzyklopädie zum Theater in China spricht vom Volk als Ort der Entstehung alles dramatischen Schaffens und erwähnt unter ihren Hunderten von Stichworten außer dem Nuo-Spiel (Nuo xi), einem exorzistischen Spiel, von dem noch die Rede sein wird, überhaupt nichts Religiöses! 50 Gleichwohl hat der gewichtige Ästhetiker Zong Baihua (1897– 1986) den von Tanz und Musik unterstützten Dienst im Ahnentempel als Beginn des chinesischen Theaters und der chinesischen Kultur angesetzt.51 Ich bin dem gern in meiner Geschichte der klassischen chinesischen Dichtkunst (2002) gefolgt. Auf Grund der ideologischen Vorbehalte von konfuzianischer und marxistischer Seite hat leicht der fälschliche Eindruck entstehen können, China sei ein Land ohne jede (besondere) Religion. Dem ist aber nicht so. Das religiöse Moment der chinesischen Kultur ist jedoch erst in den letzten Jahren nach und nach wiedererkannt worden und bedarf selbstverständlich noch seiner weiteren Vertiefung. Von großer Hilfe waren hierbei die neuerlichen Funde und die Auswertungen von Orakelknochen- sowie Bronzeinschriften.52 So wecken scheinbar alltägliche Worte wie »Platz« (chang) ein neues Interesse. Bekanntlich gilt »ein Platz, der durch Markierung des Bodens freigemacht wurde« (hua di zuo chang), als Vorläufer der Bühne in China. Was freigemacht wurde, war ein Platz am Erdaltar (she)53 oder später in einem Tempelbezirk.54 Aber auch Dreschplätze kamen dafür in Frage. 50 51

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Zhongguo dabaike quanshu [Die chinesische Enzyklopädie]: Xiqu, quyi [Die Bühnenkünste], Peking, Schanghai: Zhongguo Dabaike Quanshu 1983. S. hierzu meinen Beitrag: »Das Schöne und das Leere. Bemerkungen zu Zong Baihua (1897–1986)«, in: minima sinica 1/1997, S. 18–30. HUNG: Ming Drama, S. 6, geht interessanterweise ganz bis an die Anfänge der chinesischen Zivilisation zurück, indem sie die Tänze der Shang-Dynastie (ca. 16. Jh. v.Chr. – 1066 v.Chr.) z.B., die den Regengöttern galten, als Beginn des Theaters in China versteht. Das mag zwar in Sachen Theater überzogen sein, doch in Sachen Tanz mit Sicherheit nicht. Einen vorzüglichen Überblick bietet in dieser Hinsicht MARTIN KERN: »Die Anfänge der chinesischen Literatur«, in: EMMERICH (Hg.): Chinesische Literaturgeschichte, S. 1–13. Zur Rolle des Erdaltars s. CLAUDIUS C. MÜLLER: Untersuchungen zum »Erdaltar« she im China der Chou- [d.i. Zhou] und Han-Zeit, München: Minerva 1980 (= Münchner Ethnologische Abhandlungen; 1). Man unterscheidet heute in der modernen Umgangssprache zwischen cháng als Ort, wo den Gottheiten geopfert wurde, und chăng als freiem Platz für eine Aufführung. Zur Tang-Zeit war chang übrigens ein freier Platz, der in einem buddhistischen Tempel den Zuschauermassen vorbehalten war, vgl. BENN: Daily Life in Traditional China, S. 155.

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EINLEITUNG

Was sollen wir uns unter all dem vorstellen? Vielleicht läßt sich hier eine denkbar einfache Brücke zu Lu Xun schlagen, der in besagter Erzählung »Eine Oper auf dem Lande« folgende Mutmaßungen äußert:55 Was ich dort schließlich am sehnlichsten erwartete, war nach Zhaozhuang zur Aufführung einer Oper zu gehen. Zhaozhuang war ein etwas größeres Dorf, fünf Li entfernt. Weil man es sich in Pingqiaocun selber nicht leisten konnte, eine Oper aufführen zu lassen, zahlte man gutnachbarschaftlich jedes Jahr einen bestimmten Betrag an Zhaozhuang. Damals machte ich mir weiter keine Gedanken, warum Jahr für Jahr eine Oper aufgeführt wurde. Heute glaube ich, daß derlei Dinge Bestandteil der im Frühling stattfindenden Prozessionen oder der Feste zu Ehren der Erdgottheit waren.

Lu Xun verwendet hier das Binom shexi, welches sich der Didaktik halber gut mit »Theater am Erdaltar« übersetzen ließe, wenn es nicht in den Lexika erst für die Republik-Zeit (1912–1949) belegt wäre. Unstreitig ist jedoch, daß unser heutiges xi (Theater) nach den neuesten Erkenntnissen von Orakel- und Bronzeinschriften eben Dinge wie jene religiösen Prozessionen meinte, von denen unser Autor spricht. Der Erdaltar (she) ist »der Ort, wo die Opfer dargebracht wurden« (chang) und wo im Rahmen der Opferhandlungen »Rituale vollzogen wurden« (xi). Der Erdaltar (she) und die Aufführungen am Erdaltar (shexi) machen zwar vielleicht den Ursprung, aber nicht das einzige religiöse Moment des chinesischen Theaters aus. Vielmehr ist es so, daß alles weitere religiöse Geschehen in China seine Spuren ebenfalls auf der Bühne hinterlassen hat. Auch hiervon gibt Lu Xun glänzend Auskunft. In seinen Erinnerungen Blumen der Frühe am Abend gelesen (Zhao hua xi shi, 1927) beschreibt er wiederholt Prozessionen, die unterschiedlichen Gottheiten gelten. Am bekanntesten ist unter ihnen die Erzählung Wu Chang, der Geist des vergänglichen Lebens (Wu Chang)56 geworden, in deren Mittelpunkt das für Lu Xun so wichtige buddhistische Spiel Mulian xi steht.57 Dieses Spiel von der Rettung der Mutter aus der Hölle durch Mulian, einen Schüler Buddhas mit dem ursprünglichen Namen Maudgalyẫyana, geht ursprünglich auf eine »Verwandlungsgeschichte« (bianwen)58 zurück und ist seit der Tang-Zeit überliefert. 55 56 57

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LU XUN: Applaus, S. 207; Lu Xun quanji, Bd. 1, S. 562. LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. II: Blumen der Frühe am Abend gelesen, S. 49–60; Lu Xun quanji Bd. 2, S. 267–277. Vgl. hierzu TSI’AN HSIA: The Gate of Darkness. Studies on the Leftist Literary Movement in China, Seattle u. London: University of Washington Press 1968, S. 154–157. Zur Geschichte dieses buddhistischen Spiels s. VOLKER KLÖPSCH: »Dramatische Wirkung und religiöse Läuterung am Beispiel der buddhistischen Mulian-Spiele«, in: CHRISTIANE HAMMER u. BERNHARD FÜHRER (Hg.): Tradition und Moderne – Religion, Philosophie und Literatur in China, Dortmund: projekt 1997, S. 99–112. Zur Übersetzung dieser Verwandlungsgeschichte s. Y.W. MA u. JOSEPH S.M. LAU (Hg.): Traditional Chinese Stories. Themes and Variations, New York: Columbia UP 1978, S. 443– 455.

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Der Ursprung des chinesischen Theaters

1956 war es noch aufgeführt worden. Unter dem schwierigen und kontrovers diskutierten Gattungsnamen »Verwandlungsgeschichte« hat man sich nach dem amerikanischen Sinologen Victor H. Mair (geb. 1943) »die Erscheinung, Manifestation oder Wahrnehmung einer [buddhistischen] Gottheit in einem narrativen Kontext«59 vorzustellen. Wir wissen auch dank der oben erwähnten Aufzeichnungen vom Hirsetraum, daß es zur Song-Zeit eine Gilde von Geschichtenerzählern gegeben hat, welche auf buddhistische Sutren (shuojing) spezialisiert waren. Erzählen und Aufführen gingen damals Hand in Hand, da diese »gesprochene und gesungene Literatur« (shuochang wenxue) wesentlich auch durch eine Performanz begleitet gewesen ist. Nun kann man leicht den chinesischen Volksglauben als Aberglauben abtun, ganz gleich, ob aus der Sicht einer Hochreligion oder auf der Basis eines rationalistischen Weltbildes. Man wird dann aber nicht seiner Wirkungsmächtigkeit gerecht. Und diese läßt sich bis heute nachweisen. So auch bei dem Nuo-Spiel.60 Dieses Maskenspiel ist ein heute im Süden der Provinz Anhui wiederbelebtes61 religiöses Spiel, das eigentlich zu Neujahr, aber ebenso zum Frühjahr der Austreibung von bösen Geistern und der Bekämpfung von Seuchen diente. Es hatte seinen religiösen Höhepunkt zwischen der Han- (206 v.Chr. – 220 n.Chr.) und der Tang-Zeit. Die Austreibung des alten Jahres erfreute sich nicht nur im Volke großer Beliebtheit, sondern auch am Hof, wo der Kaiser an den Zeremonien persönlich teilnahm. So wurde im Laufe der Zeit aus dem Kleinen Nuo auf dem Lande das Große Nuo in der Hauptstadt. Die Ursprünge dürften aber weit vor der Han-Zeit liegen. So lesen wir in der Übersetzung von Richard Wilhelm (1873–1930) über Konfuzius (551–479):62 59

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VICTOR H. MAIR: T’ang Transformation Texts. A Study of the Buddhist Contribution to the Rise of Vernacular Fiction and Drama in China, Cambridge, Mass., u. London: Harvard UP 1989, S. 60. Die Studie, die übrigens immer wieder Bezug nimmt auf die besagte Geschichte von Mulian, hat viel zur Erzählkunst, aber wenig zum Drama zu sagen. Vgl. hierzu STEFAN KUZAY: Das Nuo von Guichi. Eine Untersuchung zu religiösen Maskenspielen im südlichen Anhui, Frankfurt u.a.: Peter Lang 1995; LÜ GUANGQUN (Hg.): Guichi Nuo wenhua yishu [Das Nuo-Spiel von Guichi: Kultur und Kunst], Hefei: Anhui Meishu 1998. Bei letzterem handelt es sich um eine bebilderte Ausgabe. WOLFRAM EBERHARD: The Local Cultures of South and East China. Translated from the German by ALIDE EBERHARD, Leiden: Brill 1968, S. 328–330, der das Nuo-Spiel der Thai-Kultur zuordnet, sieht in diesem einen Ursprung des chinesischen Theaters seit der Song-Zeit. Eine schöne Sammlung von (Nuo-)Masken findet sich übrigens im Schanghaier Museum (Shanghai Bowuguan). Dies scheint nicht nur für Anhui zu gelten, sondern auch für die Provinz Guangxi, s. Renmin Ribao (Overseas Edition) 16.3.2006, S. 6. Besagte Tageszeitung hat in jüngster Zeit wiederholt Fotos von den Nuo-Umzügen veröffentlicht, s. die entsprechenden Ausgaben vom 18.7.2006, S. 2 (Jiangxi); 26.10.2006, S. 1 (Anhui). RICHARD WILHELM (Übers.): Kungfutse. Gespräche, Köln: Diederichs 1967, S. 109 (10.10); Lunyu 10.8. Kuzay, s. Anm. 24, S. 85, interpretiert die »östliche Treppe« als Stufen, die zum Familienaltar der Ahnen führen. Konfuzius habe auf diese Weise die Geister seiner Ahnen vor den Exorzisten schützen wollen. Zur Geschichte des Nuo in China s. auch J.J.M. DE GROOT: The Religious System of China, Leiden: Brill 1910, Vol. VI, Bd. II, S. 973–990.

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EINLEITUNG Wenn die Dorfgenossen zusammen tranken und die Alten aufbrachen, so brach er auf. Wenn die Dorfgenossen den Reinigungsumzug [Nuo] hielten, so kleidete er sich in Hoftracht und stellte sich auf die östliche Treppe seines Hauses.

Was sollen wir uns unter diesen Umzügen, die erst zur Song-Zeit um das Element der Oper erweitert und damit zum eigentlichen Nuo-Spiel wurden, vorstellen? Darüber geben die Quellen der damaligen Zeit Auskunft. Wir lesen im Frühling und Herbst des Lü Bu We (Lüshi chunqiu, um 239 v.Chr.):63 Die zuständigen Beamten erhalten den Befehl, den großen Exorzismus vorzunehmen, die Glieder der Opfertiere vor den vier Stadttoren umherzustreuen, den irdenen Ochsen auszuführen, um dem Winter das Abschiedsgeleite zu geben. Alle Vögel fliegen schnell und hoch. Opfer werden dargebracht für alle Flüsse und Berge und den hohen Dienern der höchsten Götter, sowie allen Göttern des Himmels und der Erde.

Hierzu merkt der große Übersetzer Richard Wilhelm an: Am Vorabend des neuen Jahres wurde der große Exorzismus (Da Nuo) vollführt. Man schlug die Trommeln, um den Pestgeist auszutreiben. In Zhouli steht über die Bräuche folgendes: Man nimmt ein Bärenfell um, auf dem vier goldene Augen sind, man trägt dunkle Oberkleider und rote Unterkleider, hält einen Speer in der Hand und schwingt einen Schild; so führt man die Sklaven zum Exorzismus durch die Straßen, um den Pestgeist zu vertreiben. Man schlachtet Hunde und Schafe und streut ihre Glieder nach allen vier Himmelsrichtungen, um so den Winter zu verabschieden. Der irdene Ochse wird am Tage des Frühlingsanfangs hinausgeführt, um die Leute zum Pflügen zu ermahnen.

So wie sich die Rolle des Kaisers gewandelt hat, so hat sich auch der Charakter des Nuo-Umzuges geändert. Nach dem König als Schamanen zur Zhou-Zeit wurde der Kaiser nach und nach zum Zeremonialmeister des Ritus unter der Han-Dynastie. Diese Säkularisierung dürfen wir uns jedoch nicht als plötzliches Ereignis vorstellen. Sie schlug langsam zu Buche und führte erst nach der Tang-Zeit zur Entfernung des Nuo-Rituals aus dem Palastritual.64 Somit ergab sich nicht vor der Song-Zeit die Öffnung des ehemals exorzistischen Treibens für das Bühnengeschehen. Dabei werden alle bislang rein religiösen Formen säkularisiert. Exemplarisch wird aus 63

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Unter Verwendung der heutigen Umschrift zitiert nach RICHARD WILHELM (Übers.): Frühling und Herbst des Lü Bu We. Mit einem neuen einleitenden Essay von WOLFGANG BAUER, Köln: Diederichs 1971, S. 143, 489. S. auch ähnliche Aussagen S. 29, 93; Lüshi Chunqiu jiaoshi, kommentiert von CHEN QIXIAN, Bd. 1, Schanghai: Xuelin 1984, S. 615. Zum Nuo-Ritual während der Tang-Zeit s. GIMM: Das Yüeh-fu tsa-lu des Tuan An-chieh, S. 156–168.

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Der Ursprung des chinesischen Theaters

der Verkleidung das Theaterkostüm, aus der Maske wird die Theatermaske, aus der Bemalung der Maske wird die Bemalung des Gesichtes, und die Stärkung des Männlichen (Yang) durch Ausschluß des Weiblichen (Yin) führt zur Frauenrolle männlicherseits. Natürlich werden auch Dinge einfach beibehalten wie zum Beispiel die Selbsteinführung beim Auftritt: Ich bin der und der usw.

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3. Der Hof und die Unterhaltungskultur Es wäre nach dem heutigen Erkenntnisstand falsch, den Ursprung des chinesischen Theaters allein in der chinesischen Religiosität zu suchen. Selbstverständlich haben auch all diejenigen auf ihre Weise recht, die diesen eher im weltlichen Bereich wie dem des Hofes und seiner Unterhaltungskunst vermuten.65 Wir wissen dank Grabfiguren aus der Han-Zeit, daß eine Art »Zirkus« oder besser gesagt eine Art Akrobatik (zaji) seinerzeit schon sehr verbreitet gewesen ist. Dinge wie diese gehörten zur höfischen Unterhaltung, die allerdings nicht allein auf den Kaiserhof beschränkt war. In der noch halb-feudalen Han-Dynastie wurde auch noch manch verbliebener Fürstenhof unterhalten, ja, mit Blick auf die Tang-Dynastie läßt sich dies in gewandelter Form gar ebenfalls für die (gehobene) Beamtenschaft sagen. Die Akrobatik hat heute nicht nur als selbständige Unterhaltungsform überlebt, sondern ist ganz wesentlicher Teil der Aufführungspraxis der erst sehr spät aufkommenden Pekinger Oper, die mit der Kulturrevolution (1966–1976) gleichsam zum Symbol für die einheimische chinesische Bühnenkunst avanciert ist. Da die Unterhaltung am Hofe der Tang-Zeit bereits so weit gediehen war, daß aus aller Herren Länder Schauspieler66 jeglicher Couleur zur Aufführung kamen, die Hofnarren gar Narrenfreiheit67 zu genießen schienen, hat man in diesem Zusammenhang wiederholt vom Sprechtheater und von der Sprechkunst des Mittelalters68 gesprochen, um so den Beginn des Theaters in China von der Song-Zeit auf die Tang-Zeit vordatieren zu können.69 Da es aber inzwischen auch Versuche gibt, die Höfe zur Zeit der Sechzehn Staaten (304–439) im Norden des damals geteilten Reiches als die erste wichtige Keimzelle des chinesischen Theaters anzusehen,70 scheint die allgemeine Verwirrung groß zu sein. Es geht jedoch nicht an, inzwischen breit dokumentierte Dinge wie Akrobatik, Marionettenspiel71 oder 65 66 67

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S. hierzu SCHAAB-HANKE: Die Entwicklung des höfischen Theaters in China. Zur Bedeutung von Schauspielern zur Tang-Zeit als Wandersänger, Gaukelspieler etc. s. GIMM: Das Yüeh-fu tsa-lu des Tuan An-chieh, S. 274–275. SCHAAB-HANKE: Die Entwicklung des höfischen Theaters in China, S. 302–310. Zu einer vergleichbaren Rolle des Narren im Wiener (Volks-)Theater des 19. Jahrhunderts. s. FISCHERLICHTE: Kurze Geschichte des deutschen Theaters, S. 169–192. SCHAAB-HANKE: Die Entwicklung des höfischen Theaters in China, S. 219ff., 224ff. Richtiger würde man hier von Kabarett sprechen. Dem widerspricht zu Recht THOMAS THILO: Chang’an. Metropole Ostasiens und Weltstadt des Mittelalters 583–904, Teil 2: Gesellschaft und Kultur, Wiesbaden: Harrassowitz 2006 (= opera sinologica; 19), S. 488–510 (»Musik, Tanz, Theater«). TIAN TONGXU: »Die Volkskulturen und das klassische chinesische Theater«, in: minima sinica 1/2005, S. 148–151. Zum möglichen Zusammenhang von Marionettenspiel, Totenspiel und Schauspiel aus kunstgeschichtlicher Sicht s. ANNELIESE BULLING: »Die Kunst der Totenspiele in der östlichen Han-Zeit«, in: Oriens Extremus 3 (1956), S. 28–56.

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Der Hof und die Unterhaltungskultur

Scherze, die der höfischen Kurzweil dienten, überzubewerten. Was in Fällen wie diesen aus abendländischer Sicht fehlt, ist ein Text, der einen Plot zu erkennen gibt. Dieser konnte aber nicht überliefert werden, weil es ihn damals noch nicht gab. Ein entsprechender dramatischer Gestaltungswille läßt sich mit Wilt L. Idema und Stephen H. West nicht vor der Nördlichen Song-Zeit (960–1127) ansetzen. Man muß diesen beiden Spezialisten für das chinesische Theater nicht unbedingt folgen, doch erlaubt ihr reiches Material eine solch vorsichtige Vordatierung für den Beginn des chinesischen Dramas, der bekanntlich gemeinhin mit der Mongolenzeit angesetzt wird. Es ist oben exemplarisch versucht worden, die Orte des chinesischen Theaters zu bestimmen. Dabei hat der mögliche religiöse Ursprung eine wichtige Rolle gespielt. Alles konnte und sollte an dieser Stelle nicht aufgelistet werden, denn wir behandeln hier nicht die Geschichte der religiösen Urspiele, sondern vor allem die Geschichte eines säkularisierten Bühnengeschehens. Es wäre an dieser Stelle noch auf die schamanistischen Praktiken, taoistische Suiten, das buddhistische indische Theater oder auch auf die Tänze der Militärs im Tempel zu verweisen gewesen, um das Bild abzurunden. Es würde sich jedoch dann der Eindruck aufdrängen, daß die gesamte chinesische Gesellschaft religiöser Natur war oder alle gesellschaftlichen Entwicklungen von der Antike bis zum Mittelalter zur Genese des chinesischen Theaters beigetragen haben. Das mag durchaus so gewesen sein, wie auch so unscheinbare Dinge zeigen wie das in der Sekundärliteratur vielfach genannte und bis zur Song-Zeit nachweisbare »Adjutantenspiel« (canjunxi), ein Spiel zur Verspottung eines Militäradjutanten, der sich etwas hat zuschulden kommen lassen.72 Man könnte diesen leicht mit unserem Hanswurst vergleichen. Worauf will ich hinaus? Wir wissen nicht, wie sich all die religiösen und weltlichen Elemente konkret gefügt und zum Theater in China beigetragen haben. Es sind viele Glieder gewesen. Vereinfacht können lediglich drei Tendenzen als verbindlich angesetzt werden: einmal die Tendenz vom Heiligen zum Profanen, zum anderen die Tendenz einer Verlagerung der Unterhaltung vom Hof zum Volk und schließlich die allgemeine Tendenz einer Literatur, die von der Elite in die Unterschicht drängt und zu guter Letzt von einem Teil der Gebildeten als Bestand einer »bürgerlichen Literatur«73 (shimin wenxue) akzeptiert wird.

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Zur Herkunft und zur Bedeutung s. GIMM: Das Yüeh-fu tsa-lu des Tuan An-chieh, S. 272. Vgl. auch die Ausführungen bei COLIN MACKERRAS: Chinese Drama. A Historical Survey, Peking: New World Press 1990, S. 23–26, bei DOLBY: History of Chinese Drama, S. 7–9, und ausführlich bei SCHAAB-HANKE: Die Entwicklung des höfischen Theaters in China, S. 241, 244–278. Zur Beziehung des Adjutantenspiels zum Drama der Yuan-Zeit s. CENG YONGYI: Canjunxi yu Yuan zaju [Das Adjutantenspiel und das Mongolendrama], Taipeh: Lianjing 22005. S. hierzu XIE TAOFANG: Zhongguo shimin wenxue shi [Die Geschichte der bürgerlichen Literatur in China], Chengdu: Sichuan Renmin 1997.

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4. Die beiden unterschiedlichen Traditionen des chinesischen Theaters Seit der Verlegung der Hauptstadt vom heutigen Kaifeng ins heutige Hangzhou zur Südlichen Song-Zeit unterscheidet man ein Nördliches (beiqu) von einem Südlichen (nanqu) Schauspiel. Diese, die noch Vorläufer des eigentlich späteren Bühnenspiels waren, gewannen dann im Laufe der Zeit als zaju und chuanqi ihre Reife, das heißt als Drama der Yuan-Zeit (zaju) und als Drama (chuanqi, eigentlich Überlieferung von wunderbaren Dingen) der Ming-Zeit.74 Als unmittelbare Vorläufer des Yuan-Dramas, das sei in die Erinnerung zurückgerufen, gelten der Sketch (yuanben), wie er in den Vergnügungsvierteln gepflegt wurde, und die Ballade namens zhugongdiao, die aus Süd-Shanxi stammte und im heutigen Kaifeng zur Blüte gekommen war, ehe sie durch das zaju verdrängt wurde. Diese Ballade wurde gesungen, wies aber auch Prosaisches auf. Ihre Melodien waren durch eine Koda gekennzeichnet und gingen in einer Suitenform auf. Die lyrischen Teile, die gereimt waren, bilden also einen ähnlichen Kontrast wie später im zaju. Will man das zaju, das in 171 Beispielen75 überliefert ist und vornehmlich in Dadu, dem heutigen Peking, zur Aufführung kam, kurz umreißen, so läßt sich das Folgende als seine Regel anführen (von Ausnahmen soll noch nicht die Rede sein). Sein lyrischer Part wurde zu vorgegebenen Melodien verfaßt, und sein gesamter Text wurde in vier Akte gegliedert, die ein Vor- bzw. Nachspiel (xiezi) ein- bzw. ausleiten konnte. Die Arien kannten lediglich eine einzige Tonart und meist nur einen Endreim. Es durfte lediglich ein einziger Schauspieler singen. Die Charaktere, die auf der Bühne auftraten, waren auf und durch ihre Rollen beschränkt. Sie entfalteten, neudeutsch gesprochen, nicht »sich selbst«, sondern sie erfüllten den festgelegten Typ.76 Am wichtigsten waren innerhalb der drei vorgegebenen Muster a) die männliche Hauptrolle (zhengmo), b) die weibliche Haupt74 75

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Laut HUNG: Ming Drama, S. 102, unterschied man erst zur Qianlong-Zeit (1736–1797), und zwar in den Jahren zwischen 1757 und 1796, zaju von chuanqi! Was die Zahl 171 angeht, so folge ich hier CHUNG-WEN SHIH: The Golden Age of Chinese Drama: Yüan Tsa-chü [d.i. Yuan zaju], Princeton: Princeton UP 1976, S. 225–234. Nach einer anderen Auffassung und Zählung ergibt sich lediglich ein Umfang von 162 Stücken! Zur ausführlichen Charakterisierung der Rollen s. WEN-LUNG HWANG: Körpersprache im traditionellen chinesischen Drama, Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 1998, S. 169–197. MEI-SHU HWANG [d.i. Huang Meixu]: »A Further Look at the Character Types of the Traditional Chinese Theatre and Drama«, in: Tamkang Review XXI.4 (1991), S. 407–416, versucht der Frage nachzugehen, warum im Gegensatz zum abendländischen Theater das chinesische Drama nicht Personennamen, sondern Rollennamen benutzt, um die Handlungsträger auftreten zu lassen. Die Antwort, die Stücke seien eben für die Schauspieler bzw. Schauspieltruppen, für die Bühne nicht zur Lektüre, von den Akteuren höchstpersönlich verfaßt, fällt so nicht ganz befriedigend aus.

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Die beiden unterschiedlichen Traditionen des chinesischen Theaters

rolle (zhengdan), c) die maskierte Rolle (jing), das ist die Rolle des Schurken, und d) die Rolle des Clowns (chou)77. Der Text war durch drei unterschiedliche Stile gekennzeichnet, einmal durch eine ungebundene Sprache (baihua), zum anderen durch die gebundene Sprache der Lyrik (shi), die sich dem klassischen Erbe verdankte, aber auch in Form von Knittelversen die Sprache der Straße aufnehmen konnte, und schließlich durch die Lieder (qu), die einzeln gesungen (xiaoling) oder als Abfolge zu lyrischen Arien (taoqu, taoshu) miteinander verbunden werden konnten. Im Deutschen kennt man die Vorstellung von Kettengesängen. Diese Arien, welche den Höhepunkt eines Schauspiels bildeten, thematisieren die Vorgänge auf der Bühne in einer Art »innerem Monolog«. Die Themen der Stücke entstammten dem bekannten Repertoire der Geschichtenerzähler auf den Märkten. Entsprechend waren sie festgelegt und oftmals dem Genre der Geschichten von »klugen Männern und schönen Frauen« (caizi jiaren) zuzuordnen. Das Publikum wußte also schon vorher, worum es bei einer Aufführung ging. Von großem Einfluß auf das europäische Theater im 20. Jahrhundert war die Tatsache, daß das Yuan-Drama keine Einheit von Raum und Zeit anstrebte. Es war ein episches Theater, welches dem Spiel die Vision von weit voneinander entfernten Lokalitäten und Zeiträumen auf der Bühne erlaubte. Man nimmt an, daß dies ein wesentlicher Grund für die ausgeprägte Zeichensprache des chinesischen Theaters ist, das als nichtaristotelisches die Entfernungen in Raum und Zeit künstlerisch zu meistern und eine ästhetische Einheit zu schaffen hatte. Bertolt Brecht hat aus dieser Praxis wie bekannt seine Konzeptionen zu seinem epischen Theater entwickelt. Das Gegenstück zum zaju, zum »Mischstück«, ist das chuanqi, das »Wunderspiel«, die »Romanze«.78 Sein Ort ist Hangzhou, in reifer Form ist es dort seit 1320 nachweisbar. Es läßt sich wie folgt kurz charakterisieren. Dieses »Spiel des Südens« (nanxi) gilt im Vergleich zum »starren« Spiel des Nordens als »flexibel«. Es ist nämlich, was seine Melodien angeht, nicht auf eine Region, die Region des Nordens, beschränkt, sondern konnte aus unterschiedlichen Regionen sein musikalisches Repertoire auffüllen. Ist, vereinfacht gesagt, die Sprache des Nordens das Kennzeichen des zaju, so ist das chuanqi selbstverständlich von der Sprache des Südens geprägt. Namentlich faßbare Literaten bedienen sich nun verstärkt dieser Theaterform, um allegorisch ihre systemimmanente Kritik zum Ausdruck zu bringen.79 Dadurch erfolgte eine solch sprachliche Elaborierung, daß ein Stück 77

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Zur Rolle des Clowns im chinesischen Theater s. ASHLEY THORPE: The Role of the Chou (»Clown«) in Traditional Chinese Drama: Comedy, Criticism and Cosmology on the Chinese Stage, Lewiston: Mellen 2007. Verwirrend ist die Tatsache, daß dieses Binom ursprünglich die Novelle der Tang-Zeit bezeichnete und immer noch bezeichnet. Man kann sich aber leicht vorstellen, daß Stoffe der Tang-Novelle für das Bühnengeschehen adaptiert wurden. »Romanze« ist insofern eine »glückliche« Eindeutschung, als in einem chuanqi genannten Spiel die Liebe im Mittelpunkt steht. Hans van Ess führt die politische Kritik überhaupt als einen Grund für die plötzliche Blüte des chinesischen Theaters schon zur Yuan-Zeit an: Die Lyrik und der Essay waren ohnehin

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EINLEITUNG

nun nicht mehr nur zum Schauen und Hören, sondern auch zum Lesen80 gedacht sein konnte. Auf das »derbe« Stück des Nordens folgte so, schematisch gesehen, das »elegante« Stück des Südens. Eine »Romanze« weist folgende Charakteristika auf. Auf eine Inhaltsangabe zu Beginn folgt die Selbstvorstellung der Protagonisten mit Angabe von Name, Geburtsort und Beruf.81 Jeder hat nun das Recht zu singen, es ist gar Chorgesang möglich. Die Zahl der Akte weitet sich von festgesetzten vier auf beliebig viele, so daß man im Einzelfall wie bei Die Laute (Pipa ji, um 1360) von Gao Ming (ca. 1305 – ca. 1370) vielleicht besser von 42 Szenen als 42 Akten spricht.82 Die Übersetzer und Interpreten haben sich hauptsächlich des Südlichen Spiels angenommen. Dies ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, daß ja in China die »Romanze« schon sehr früh das »Mongolendrama« abgelöst hat, und zwar mit der Etablierung der Ming-Dynastie in Nanking, das von 1368 bis 1403 Hauptstadt des neuen Reiches war. Von dieser schematischen Einteilung des chinesischen Theaters in Nord und Süd sind Singspiele zu unterscheiden, die eigentlich eher lokaler Natur sind, formal aber auch zum obigen Raster passen und landesweite Beachtung gewinnen können. Am bekanntesten sind das Kunqu und das jingju. Das »Spiel aus Kun« stammte aus Kunshan nahe Suzhou und hatte seine Blütezeit in den Jahren zwischen 1522 und 1779. Als eine musikalische Form der Romanze wurde es oftmals

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politischer Natur und daher von den mongolischen Machthabern leicht zu beargwöhnen, das Theater dagegen war über einen solchen Verdacht erhaben, s. EMMERICH (Hg.): Chinesische Literaturgeschichte, S. 215. Zu dieser im Ansatz landläufigen These s. auch RICHARD F.S. YANG: »The Social Background of the Yüan [d.i. Yuan] Drama«, in: Monumenta Serica 17 (1958), S. 331–352. Der Autor führt die Diskriminierung der Chinesen durch die Mongolen und die jahrezehntelange Abschaffung des Examenssystems als Gründe dafür an, warum chinesische Literati sich mit einem Male dem Theater als möglichem Ort zur Bewältigung ihrer Frustration zugewandt haben. Als Wendepunkt vom reinen Musiktheater zur Literaturbühne sieht JAMES I. CRUMP: »Giants in the Earth: Yuan Drama as Seen by Ming Critics«, in: Tamkang Review V.2 (1974), S. 51, das Jahr 1618. Zur Selbstvorstellung mit vielen Beispielen s. MEI-SHU HWANG [d.i. Huang Meixu]: »A Note on Characters’ Self-descriptions in the Traditional Chinese Drama«, in: Tamkang Review XII.3 (1982), S. 295–313. Der Übersetzer Vincenz Hundhausen spricht von 42 Aufzügen, s. GAU MING [d.i. Gao Ming]: Die Laute. Ein chinesisches Singspiel in deutscher Sprache von Vincenz Hundhausen [unter Mitarbeit von Feng Zhi], Peking: Pekinger Verlag 1930. Zum chinesischen Original mit ebenfalls 42 Aufzügen s. WANG JISI (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji [Chinas zehn klassische Tragödien], Schanghai: Shanghai Wenyi 1982, S. 99–229. Zu den Unterschieden in 17 verschiedenen Editionen s. TANAKA ISSEI: »The Social and Historical Context of Ming-Ch’ing [d.i. Qing] Local Drama«, in: JOHNSON u.a. (Hg.): Popular Culture in Late Imperial China, S. 153–159. Zu dem meist unterschätzten Übersetzer Hundhausen, dessen Eindeutschung des chinesischen Theaters uns noch des öfteren beschäftigen wird, s. HARTMUT WALRAVENS: Vincenz Hundhausen (1878–1955). Leben und Werk, Wiesbaden: Harrassowitz 1999 (= Orientalistik Bibliographien und Dokumentationen; 6).

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Die beiden unterschiedlichen Traditionen des chinesischen Theaters

mit dem chuanqi gleichgesetzt. Neben Suzhou wurde es hauptsächlich in Hangzhou aufgeführt. Dank Kaiserkanal und dank der reisefreudigen »Opernfreunde« unter den Kaufleuten fand es auch eine überregionale Verbreitung. Viele der heute bekanntesten chinesischen Theaterstücke gehören ursprünglich zu dieser lokalen Variante, und nicht wenige Theatermacher haben für diese Variante geschrieben. Wir sehen, wie auch hier eine schematische Charakterisierung an ihre Grenzen stößt und zur Verwirrung führen mag. Die im Westen bekannteste Form des chinesischen Theaters ist das »Theater aus der Hauptstadt [des Nordens]« (jingxi bzw. jingju), gemeinhin im Deutschen mit dem Sinismus Pekingoper (auch Peking-Oper) wiedergegeben, richtig aber nur als Pekinger Oper zu bezeichnen.83 Sie stellt nach dem Niedergang des Kunqu und dem weiteren Aufleben lokaler Schauspielformen mit ihrem Mischstil aus der Sicht der Forschung eine Rückentwicklung dar. Wanderbühnen brachten aus allen Landesteilen regionale Singspiele nach Peking, die am Hofe anläßlich von Geburtstagsfeiern aufgeführt wurden und sich seit 1790 zu vermengen begannen. Die sogenannte Pekinger Oper war nur eine von etwa 300 regionalen Schauspielen. Sie verdankt ihren späten Aufstieg den politischen und sozialen Unruhen des 19. Jahrhunderts. Der verheerende Aufstand der Anhänger des Himmlischen Friedens (Taiping, 1850–1864) im Süden hat unmittelbar Auswirkungen auch auf das Theaterwesen. Die Schauspieler treten in diesen unwirtlichen Zeiten die Flucht an, die sie nach Peking in die dortigen Schauspielhäuser führt. Da die seinerzeitige Pekinger Oper auf die Darstellung von Kampfhandlungen spezialisiert war und bis heute noch ist, fand die zeitgenössische Kriegssituation auf der Bühne ihre künstlerische Umsetzung. Ihr Hauptinstrument stellt die viersaitige Kniegeige Huqin dar. Dieses »Saiteninstrument der Barbaren« ist kleiner als die Erhu, eine, wie es der Name sagt, zweisaitige Kniegeige. Es löst die für den Süden so typischen Flöten ab. Aufführungen der Pekinger Oper gingen selten über ein bis zwei Aufzüge hinaus. Als Vorlage dienten populäre Stoffe, deren vordergründig theatralische Umsetzung »das Schauspiel des Nordens« auf Außenwirkung festlegte. Es ging um die Schau, nicht um das Lesen. Dank ihrer Politisierung unter den Kommunisten nach 1949 kann die Pekinger Oper mittlerweile als Nationaloper bzw. Nationaltheater (guoju) angesehen werden. Selbst ihre kulturrevolutionären Parademodelle erfreuen sich auch in Zeiten der Entpolitisierung (seit 1992) unter dem Volk nach wie vor einer großen Beliebtheit.

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Leider führt inzwischen auch die 24. Auflage des Duden den falschen Sprachgebrauch von »Pekingoper« als vertretbar an. Dieses Binom geht, wie im Vorwort schon angedeutet, auf die Praxis einer vermeintlich möglichen wörtlichen Übersetzung durch Pekinger Redaktionsstuben zurück: jingju = jing+ ju = Peking + Oper. Verfahren dieser Art haben bereits im Englischen zu dem geführt, was man inzwischen Chinglish nennt – mit absurden Ergebnissen.

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5. Kunst und Handwerk der chinesischen Bühne Die chinesische Bühne ist keine Frontalbühne, wie man sie aus Europa kennt, sondern eine nach drei Seiten hin offene Bühne. Sie ist im Freien oft quadratisch und übermannshoch. Vom Zuschauer aus gesehen sitzt auf der rechten Seite ein Dutzend Musiker, die nicht nach Noten spielen, sondern der jeweiligen Situation auf der Bühne musikalischen Ausdruck verleihen. Die Bühne ist grundsätzlich leer.84 Es gibt keinen gemalten Hintergrund und auch keine Requisiten. Der Ort der Handlung wird durch Gesten angedeutet. Eine Ruderbewegung verweist zum Beispiel auf Gewässer. Die Schauspieler betreten die Bühne durch die rechte Tür und verlassen diese durch die linke. Um nachvollziehen zu können, was auf der Bühne vor sich geht, hat der Zuschauer die Kunst der Gestik zu verstehen. Nur über diese erfährt er etwas von Raum und Zeit, von dem Inhalt der Handlung etc. Bereitet ein Schauspieler zum Beispiel seinen Abgang durch Purzelbäume vor, so mimt er einen Soldaten auf der Flucht. Die Kunst der Gestik besteht in der Variation der Konventionen. Im Falle eines Auftritts gibt es sechzig verschiedene Varianten, die Bühne zu betreten. Ebenso hat man sich über die Gepflogenheiten in Sachen Farben und Kostüme im klaren zu sein. Die Farbe Gelb steht zum Beispiel für die obere Schicht, die Farbe Schwarz für die untere, ein Hut, der verrutscht ist, deutet auf einen Trunkenbold hin. All dem läßt sich entnehmen, daß es beim chinesischen Theater nicht um das geht, was man als Lebensnähe bezeichnen könnte, also als die unmittelbare Wiedergabe des vermeintlich Wirklichen, sondern vielmehr um die Übertragung des einzelnen Lebens ins Allgemeine, ins Archetypische, ins Beispielhafte, ins Abstrakte. Und dazu paßt auch das Fehlen von Dingen wie Vorhang oder Beleuchtung, die so wichtig für das abendländische Theater sind. Auch wenn das chinesische Theater einen Ort im Religiösen hat, so war Theater nicht als Andachtsraum konzipiert, als der er sich vielfach im Abendland bis heute erhalten hat. Das Publikum kommt und geht, es genießt die Potpourris bekannter Szenen, selten ein ganzes Stück. Man ißt, man plaudert. All dies hat selbstverständlich mit der Vorgeschichte des Theaters in China zu tun, die sich wie gesagt wesentlich auch den Vergnügungsvierteln verdankt. Hier kauften in erster Linie Männer »Tische«, um sich mit ihresgleichen bei Speis und Trank an den Darbietungen der Bühnen zu delektieren. Ich sage »in erster Linie Männer«, da mitunter wie zur Qing-Zeit ein Theaterverbot85 für die Frauen gelten konnte, aber nicht immer ein84

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Hier ließe sich als geistiger Hintergrund gut die chinesische Philosophie des »Abwesens« (= der Abwesenheit) einbringen, vgl. hierzu BYUNG-CHUL HAN: Abwesen. Zur Kultur und Philosophie des Fernen Ostens, Berlin: Merve 2007. Frauenbücher der Qing-Zeit zum Beispiel kennen ein solches Theaterverbot als Empfehlung, s. TIENCHI MARTIN-LIAO: Frauenerziehung im Alten China. Eine Analyse der Frauenbücher, Bochum: Brockmeyer 1984 (= Chinathemen; 22), S. 70.

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Kunst und Handwerk der chinesischen Bühne

gehalten wurde.86 Gleichwohl lesen wir zu anderen Zeiten doch auch Ausführungen wie die folgenden, die aus der Biographie des damals bekannten Schauspielers Ma Ling, verfaßt von dem Essayisten Hou Fangyu (1618–1655), stammen:87 Ma Ling war Mitglied einer Nankinger Schauspieltruppe. Da Nanking als die alte Hauptstadt der Ming-Dynastie galt, blieben die Ämter und Altäre weiterhin erhalten, und da es sich zudem um eine ausgesprochen friedvolle Epoche handelte, machte sich ein jeder ein vergnügtes Leben. Männer wie Frauen besuchten das Pfirsichblatt-Ufer oder drängten sich auf der Regenblumenterrasse in solcher Zahl, daß kaum noch ein Durchkommen war. An Schauspielertruppen wurden wohl mehrere Dutzend ob ihrer hohen Kunst gerühmt, doch zwei davon genossen besonders hohes Ansehen: die Xinghua- sowie die Hualin-Truppe. Eines Tages lud ein Kaufmann aus Anhui die beiden Gruppen zu einem großen Fest, auf dem an Gästen alles zusammenströmte, was in Nanking Rang und Namen hatte, dazu die verführerischsten wie auch die sittsamsten Damen, denn keiner wollte sich dieses Ereignis entgehen lassen.

Trotz des hohen ästhetischen Genusses, den Schauspieler bieten konnten, standen diese nicht unbedingt in einem hohen Ansehen. Man rechnete sie zur untersten Schicht der Gesellschaft, da sie oftmals sogenannte Unfreie waren, die als Kinder von den Eltern an Schauspieltrupps verkauft worden waren, um dann entsprechend ausgebildet zu werden. Trotzdem konnten sie hin und wieder Achtung erfahren88, aber auch wegen ungebührlicher Schauspielkunst streng gestraft werden.89 Etwas widersprüchlich müssen dem Laien die Angaben in der Sekundärliteratur zur Rolle der Frauen im chinesischen Schauspiel erscheinen. Diese konnten sich zwar nicht immer, aber wohl doch mitunter dem theatralischen Fach widmen. Dies hing von den jeweiligen Dynastien und den Zeitläuften ab. Was den Ruf der Schauspieltrupps auch beeinträchtigte, war die weit verbreitete Auffassung von Homosexualität und Prostitution als (Über-)Lebensstrategie unter deren Mitgliedern. Wie dem auch sei, dies soll uns hier nicht weiter interessieren.90 86

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Wilhelm Grube berichtet z.B. von Sondervorstellungen für Frauen (d.h. vor der Bühne) in Tempeln und Privathäusern, s. WILHELM GRUBE: Geschichte der chinesischen Litteratur, Leipzig: Amelangs (= Die Literaten des Ostens; 8), S. 399; CYRIL BIRCH: Scenes for Mandarins. The Elite Theater of the Ming, New York: Columbia UP 1995, S. 4, spricht von einem nur theoretischen Verbot für Frauen auf der Bühne, das in der Praxis nicht einhaltbar war. So in der Übersetzung von Volker Klöpsch: »Der pietätvolle Räuber und andere Charakterbilder aus der ›Neuen Chronik des Yu Chu‹«, in: Hefte für Ostasiatische Literatur 26 (1999), S. 69f. Zum Original s. ZHANG CHAO: Yu Chu xinzhi [Neue Chronik des Yu Chu, Vorwort 1683], Schanghai: Wenruilou o.J. Heft 1, j. 3, S. 15b (Ma Ling zhuan). So zum Beispiel in Form von Biographien, als diese auch für untere Schichten seit der TangZeit immer üblicher wurden. Vgl. Anm. 87, s. des weiteren in der Übersetzung von VOLKER KLÖPSCH Biographien von Schauspielern und Kurtisanen aus der »Feder« des Zhang Dai (1597–1679) in: Hefte für Ostasiatische Literatur 9 (1989), S. 71–76. SCHAAB-HANKE: Die Entwicklung des höfischen Theaters in China, S. 223, 235, 278, 313. Vgl. hierzu VOLKER KLÖPSCH: »Zhang Dais Pinselnotizen Tao’an Mengyi als theatergeschichtliche Quelle«, in: MARC HERMANN u. CHRISTIAN SCHWERMANN (Hg.): Zurück zur

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6. Zu einer Theorie des chinesischen Theaters Wir wollen unsere einleitenden Betrachtungen mit dem Versuch beenden, etwas mehr Theorie in die obige historische Übersicht zu bringen. Dabei soll uns ein chinesischer Theoretiker zur Seite stehen. Es ist dies Qi Rushan (1875–1961), ein Mann vom Fach, der sich nach seiner Karriere als Dolmetscher für Deutsch und Französisch ganz dem Theater zugewandt hat.91 Im folgenden mag manche Wiederholung anklingen, sie kann aber auch als Zusammenfassung bzw. als Zuspitzung aufgefaßt werden. Die Theorie und Praxis des Theaters pflegte in China vom Lehrer auf den Schüler weitergegeben zu werden. Dies geschah meist in mündlicher Form. Sieht man einmal von Ausnahmen ab, so galt das Bühnengeschehen nicht als hohe Kunst. Folglich gab es bis zum Ende der Kaiserzeit auch keine eigentliche Abhandlung zum Theater als ganzem, lediglich zu einzelnen Aspekten, die in einer Art von Handbüchern92 festgehalten wurden. In gewisser Hinsicht stellt Li Liweng (Li Yu, 1611–1680), der uns noch beschäftigen wird, mit seinen Überlegungen zur Schauspielkunst eine Einzelerscheinung dar, doch fehlte ihm die Gabe zur Systematisierung, was ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, da er aus der Praxis kam. Allgemein wird die systematische Erforschung des chinesischen Theaters, wie oben schon gesagt, mit Wang Guowei angesetzt.93 Dieser hatte 1912 nach

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Freude. Studien zur chinesischen Literatur und Lebenswelt und ihrer Rezeption in Ost und West. Festschrift für Wolfgang Kubin, unter Mitwirkung von JARI GROSSE-RUYKEN, St. AugustinNettetal: Monumenta Serica 2007, S. 224f. Ich folge u.a. BARBARA M. KAULBACH: Ch’i Ju-shan [d.i. Qi Rushan] (1875–1961). Die Erforschung und Systematisierung der Praxis des Chinesischen Dramas, Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 1977 (= Würzburger Sino-Japonica; 7). (Diese inhaltlich immer noch lesenswerte Dissertation ist formal sehr nachlässig ediert!) HOWARD L. BOORMAN u. RICHARD C. HOWARD (Hg.): Biographical Dictionary of Republican China, New York u. London: Columbia UP 1967, Bd. 1, S. 299–301, führen als Lebensdaten die Jahre 1876–1962 an. Das vielleicht bekannteste Handbuch ist das Zhongyuan yinyun (Reime im Kernland, Vorwort 1324) von Zhou Deqing (fl. 1324). Es verzeichnet in Tabellen die Reime, wie sie für das nachklassische Lied im Norden (qu) üblich waren, und sollte den Literaten des Südens bei der Abfassung von lyrischen Werken behiflich sein. Vgl. hierzu HUGH STIMSON: »Phonology of the Chung-yüan yin yün [d.i. Zhongyuan yinyun]«, in: The Tsing Hua Journal of Chinese Studies N.S. 3/1 (1962), S. 114–159. Erwähnt werden sollte hier auch das Qulü [Die Gesetze des nachklassischen Liedes] von Wang Jide (gest. ca. 1623), der auch chuanqi und zaju verfaßt hat. Zu seinem Qulü, das bereits die Tendenz zu einer Theatergeschichte aufweist, s. LIAO BEN u LIU YANJUN (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, [Die Entwicklung des Theaters in China], Taiyuan: Shanxi Jiaoyu 2003, Bd. 3, S. 449–461. Mit diesem Allgemeinplatz der Forschung setzt sich kritisch auseinander YUMING HE [d.i. He Yuming]: »Wang Guowei and the Beginnings of Modern Chinese Drama Studies«, in: Late Imperial China 28.2 (2007), S. 129–156. Mitunter wird auch Yao Xie (1805–1864) und sein posthum publiziertes Werk Jinyue kaozheng [Neue philologische Studien zum Theater]

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Zu einer Theorie des chinesischen Theaters

fünfjähriger Arbeit seine sehr bald einflußreichen Untersuchungen zum Theater der Song- und Yuan-Zeit (Song Yuan xiqu kao, ursprünglich Song Yuan xiqu shi) veröffentlicht.94 Dabei wird gern vergessen, daß Qi Rushan zur selben Zeit seine Schrift Über das Theater (Shuo xi, 1913) vorbereitete, welche das chinesische Theater als hohe Kunst einschätzt und mit den Grundstein zu einer chinesischsprachigen Geschichte des Schauspiels in China legt. Qi Rushan war während seines Aufenthaltes in Europa (1908–1913), vornehmlich in Paris, die Bedeutung von Theater als Beginn aller Kultur aufgegangen. Um so mehr mußte ihn der Gedanke verwirren, daß in China im Gegensatz zu allen anderen Hochkulturen das Bühnenspiel nicht am Anfang, sondern ganz am Ende stehen sollte. So gesehen wäre das chinesische Schauspiel das jüngste in der Weltliteratur. Das Ziel von Qi Rushan bestand folglich in dem Nachweis, daß das chinesische Drama dem europäischen ebenbürtig ist. Dies gelang ihm langfristig durch die frühe Zusammenarbeit mit dem später weltberühmten Schauspieler Mei Lanfang.95 Dieser hatte zu seinen ersten Hörern 1913 in Peking gehört. Umgekehrt hatte Qi Rushan dessen Auftritte verfolgt und kritisch begleitet. Die Zusammenarbeit führte zu Tourneen 1930 in die USA und 1935 in die Sowjetunion.96 Am

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als Vorläufer angeführt. Doch ermangelt dieser Materialsammlung aus heutiger Sicht die notwendige wissenschaftliche Durchdringung. Zu einer kritischen Einschätzung, der ich folge, s. LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 4, S. 428f. Zu dessen schwankender Haltung gegenüber dem chinesischen Theater s. HERMANN KOGELSCHATZ: Wang Kuo-wei [d.i. Wang Guowei] und Schopenhauer. Wandlung des Selbstverständnisses der chinesischen Literatur unter dem Einfluß der klassischen deutschen Ästhetik, Stuttgart: Steiner 1986 (= Münchener Ostasiatische Studien; 35), S. 39–44; JOEY BONNER: Wang Kuo-wei [d.i. Wang Guowei]. An Intellectual Biography, Cambridge, Mass. u.a.: Harvard UP 1986, S. 128–143. Die genannten Untersuchungen finden sich in: Wang Guowei yishu [Der Nachlaß des Wang Guowei], Schanghai: Shanghai Guji 1983. Bd. 15, S. 1–106 (chinesische Paginierung). Zu einer kommentierten Ausgabe s. MA RONGXIN (Hg.): Wang Guowei: Song Yuan xiqu shi shuzheng [Geschichte des Theaters zur Song- und Yuan-Zeit nebst Kommentar], Schanghai: Fudan 2004. Zu einer Teilübersetzung von EDUARD ERKES: »Das chinesische Theater vor der T’ang-Zeit [d.i. Tang-Zeit]«, s. Asia Major X (1935), S. 229–246. Die Seiten 234–242 behandeln wesentlich die Herkunft der Schauspieler aus dem Schamanismus, Totenkult etc. S. auch den Auszug in: FAYE CHUNFANG FEI (Hg.): Chinese Theories of Theater and Performance from Confucius to the Present, Ann Arbor: University of Michigan Press 1999, S. 106–108. Zur These von Wang Guowei, »wahres Theater hat seinen Ursprung zur Song-Zeit«, s. LIN FENG: »›Zhenzheng de xiju qi yu Songdai‹ – ›Song Yuan xiqu kao‹ chuyi« [Vorüberlegungen zu Untersuchungen zum Theater der Song- und Yuan-Zeit], in: WU ZE (Hg.): Wang Guowei xueshu yanjiu lunji [Festschrift für Wang Guowei], Bd. 2, Schanghai: Huadong Shifan Daxue 1987, S. 505–526. Zu dieser Zusammenarbeit s. KAULBACH: Ch’i Ju-shan (1875–1961), S. 77–109. Mei Lanfang hatte zuvor auch schon Japan besucht (1919, 1924 und wieder 1956). Bei seinen Gastspielen traf er übrigens auch mit Erwin Piscator (1893–1966), dem, wie es mitunter gern heißt, »Erfinder« des epischen Theaters, zusammen. Zu den Gastspielen und zur Reaktion des Auslands auf Mei Lanfang s. WU ZUGUANG, HUANG ZUOLIN u. MEI SHAOWU: Peking Opera and Mei Lanfang. A Guide to China’s Traditional Theatre and the Art of its Great Master, Peking: New World Press 1981, S. 46–65.

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EINLEITUNG

Ende der Gastspiele stand im Westen die Anerkennung des chinesischen Theaters als hohe künstlerische Ausdrucksform.97 Da die Kunst des Theaters, wie bereits gesagt, bis dahin eher mündlich vermittelt worden war, konnte Qi Rushan seine historischen Bemühungen auch nur auf der mündlichen Basis durchführen. Er tat dies, indem er Schauspieler befragte und auf diese Weise Materialien zu Studienzwecken zusammenstellte. Wir dürfen aus diesem Verfahren schließen, daß die schauspielerische Praxis ganz wesentlich die Eigenheit des Theaters ausmachte. Der Schauspieler verstand einen vorgegebenen Text eher als Richtlinie und setzte ihn eher durch Improvisation um, so daß gemeinhin zwischen ihm und einem Autor kein ganz so großer Unterschied bestand. Und da die Aufführung letzten Endes wichtiger war als der Text, war der Text auch nicht unbedingt als Lesetext konzipiert, er realisierte sich vielmehr über die Aufführung. Was ist nun nach Qi Rushan der Begriff des Theaters? Er versteht das Zeichen xi, welches wir heute in Binomen wie xiju98 oder jingxi mit Theater wiedergeben, als Verb im Sinne von »spielen« und leitet daraus das Unterfangen einer spielerischen Unterhaltungsform ab, die Tanz, Musik, Schattenspiel etc. umfaßt. Erst mit der Song-Zeit wird das Zeichen ju üblich, das wir heute in Binomen wie juyuan ebenfalls mit Theater übersetzen. Nach Qi Rushan besteht aber ein beträchtlicher Unterschied: ju steht für eine Spielform, die bereits künstlerische Absichten verfolgt und einen Plot zu erkennen gibt. So oder so betont auch unser Theoretiker den Unterschied zur westlichen Schauspielform, indem er auf den Gesamtkunstcharakter (zonghe yishu) des chinesischen Theaters verweist, »das eine organische Verschmelzung vieler und vollkommen verschiedenartiger Mittel des theatralischen Ausdrucks darstellt«.99 Trotz dieser weltlichen Deutung vertritt ebenfalls Qi Rushan die Auffassung, daß der Ursprung des chinesischen Theaters im religiösen Bereich 97

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Etwas ähnliches war übrigens bereits Jahrzehnte zuvor erfolgt, als zwischen 1900 und 1902 das japanische Schauspielerehepaar Kawakami Otojirō und Sadayakko das japanische Theater nach Europa brachte, s. PETER PANTZER (Hg.): Japanischer Theaterhimmel über Europas Bühnen. Kawakami Otijirō, Sadayakko und ihre Truppe auf Tournee durch Mittel- und Osteuropa 1901/1902, München: Iudicium 2005. Was die heute üblichen Bezeichnungen für Theater im Chinesischen angeht, so ist das Binom xiju, das seit dem 9. Jahrhundert nachzuweisen ist, mit seiner Betonung auf Schauspiel schematisch zu unterscheiden von dem erst sehr viel später, nämlich seit dem 14. Jahrhundert gebräuchlichen Binom xiqu mit der Betonung auf Gesang. Ursprünglich bezeichneten diese Binome wie auch ihre einzelnen Bestandteile xi und ju niedere Spielformen, s. hierzu SCHAABHANKE: Die Entwicklung des höfischen Theaters in China, S. 18–20. Ähnlich DOLBY: History of Chinese Drama, S. 3f, der von play oder game bzw. ludus spricht. Zu xiqu als reimportiertem japanischem Lehnwort und allgemeiner Bezeichnung für »Drama« s. SIEBER: Theaters of Desire, S. 22–24. Für Wang Guowei bezeichnete dieses Binom übrigens eine Aufführungspraxis, bei der mit Hilfe von Gesang und Tanz eine Geschichte erzählt wird. Martin Gimm übersetzt xiqu als »dargestellte / szenische Gesangsstücke«, s. DERS.: »Das chinesische klassische Singspiel«, in: Deutsche China-Gesellschaft Mitteilungsblatt 51 (1/2008), S. 32. Zitiert nach KAULBACH: Ch’i Ju-shan (1875–1961), S. 21.

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Zu einer Theorie des chinesischen Theaters

zu suchen ist. Neben den bekannten Formen wie den Riten im Ahnentempel oder den Maskenumzügen verweist er auf die Tatsache, daß in der Frühzeit des chinesischen Schauspiels die Theatertruppen sich nach den Gottheiten zu benennen pflegten, zu deren Tempeln sie gehörten. Die Verweltlichung des frühen Schauspiels, das als »Mischspiel« (zaxi) zur höfischen Unterhaltung während der Mahlzeiten diente, und das sängerische Moment, welches aus den Teehäusern auf die Bühne gelangt sein konnte, hatten einst Qi Rushan dazu verleitet, den Beginn des chinesischen Theaters für die Tang-Zeit anzusetzen. Zu dieser Annahme hatte ihn auch die Begeisterung des Kaisers Xuanzong für das Schauspiel bewegt. Man nimmt an, daß dieser sich möglicherweise hinter der Gestalt des Lao Langshen (etwa »Alter Theatergeist«) als Ahnherr des chinesischen Theaters verbirgt. 100 Und auch sein Birnengarten (Liyuan) hat Anlaß zu derlei Spekulationen gegeben. Doch Qi Rushan hat sich bald eines anderen belehren lassen: Der »Birnengarten« war kein Ort für Spiele, die auf einen Plot hinzielten, sondern lediglich eine Ausbildungsstätte für Sänger und Tänzer, und bevor zur Song-Zeit theatralisch vermittelte »Geschichten« als eine Art Pausenfüller zwischen Gesang und Tanz aufkamen, dienten die »vermischten Aufführungen« (zaju) oftmals zur Überbringung von Toasten anläßlich von höfischen Festen. Man nannte dies das Ritualspiel (chengyingxi), welches vom Unterhaltungsspiel (yulexi) zu unterscheiden ist. So vertritt letzten Endes auch Qi Rushan die These, daß erst mit der Mongolenzeit von einem plötzlich und vollendet auftretenden Theater101 in China die Rede sein kann. Von diesem Theater ausgehend entwickelt er seine aufschlußreichen vier »Grundprinzipien des chinesischen Nationaltheaters« (Guoju de jiben yuanze), welche hinreichend klarmachen, wie anders das chinesische Theater als das abendländische konzipiert ist. Die Grundprinzipien lauten wie folgt: 1. Jeder Laut hat Gesang zu sein. Was heißt das? Musik und Ritus standen im antiken China in dem Wechselverhältnis von Yin und Yang. Das, was als Musik auf der Bühne zur Aufführung gelangt, hat also auch Teil dieses Wechselverhältnisses zu sein und das chinesische Theater in seiner Rolle als moralische Anstalt mitzuprägen. Es sei an dieser Stelle in die Erinnerung zurückgerufen, daß in der Antike sowohl die Musik als auch der Ritus zu den Sechs Kunstfertigkeiten (liu yi) gerechnet wurden, zu denen außer den beiden genannten auch noch das Wagen100

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WILHELM GRUBE: »Zur Pekinger Volkskunst«, in: Veröffentlichungen aus dem Königlichen Museum für Völkerkunde, Bd. VII, Berlin: Spemann 1901, S. 119, macht in diesem Zusammenhang auch noch auf andere Schutzpatrone des chinesischen Theaters aufmerksam. Diese allgemeine Auffassung wird nicht geteilt von JAMES I. CRUMP (geb. 1921): Chinese Theater in the Days of Kublai Khan, Ann Arbor: University of Michigan 1990, S. 24–30, 179, der in den Sketchen (yuanben) der Jin-Dynastie die entscheidende Basis für die kommende Blüte sieht. Zur Problematik s. auch STEPHEN WEST: »Mongol Influence on the Development of Northern Drama«, in: JOHN D. LANGLOIS, Jr. (Hg.): China under Mongol Rule, Princeton: Princeton UP 1981, S. 434–465.

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EINLEITUNG

lenken, das Bogenschießen, die Kalligraphie und die Mathematik gezählt wurden. Unter Musik auf der Bühne verstand man nun nicht, wie wir vielleicht meinen möchten, die Instrumentalmusik, sondern den Gesang. Die Musikinstrumente hatten lediglich die Aufgabe, das Singen rhythmisch zu untermalen. Gesang meint in diesem Zusammenhang jede Art von lautlichem Ausdruck, also auch Husten oder Lachen, das heißt, alles, was sich klanglich äußert, fällt in den Bereich des Gesanges. Es werden vier Formen dieses für ein westliches Verständnis ungewöhnlichen Gesanges unterschieden. Zum einen ist da als formaler Gesang die Arie, die durchaus volkstümlichen Charakter annehmen und in die Nähe eines Schlagers geraten kann. Dann ist da als rhythmischer Gesang die Rezitation bzw. Deklamation (nian) einer festgefügten sprachlichen Form, also eines Gedichtes (nian shi), einer Einleitung (nian yinzi). Des weiteren ist da der Prolog eines Schauspielers, der sich dem Publikum vorstellt und die Situation bekanntmacht. Man kann dies ursprünglich auch als eine Art Begrüßung der (hohen) Gäste verstehen, die in das Spiel eingewiesen werden wollten. Entsprechend hieß der Prolog ebenfalls huabai (in klaren Worten) bzw. binbai (klare Worte an die Gäste). Und schließlich ist da der reine Laut wie Lachen, Weinen, Seufzen etc. Seine Handhabung setzt eine genaue Kenntnis des Menschen voraus, da man wie im Falle des Lachens bis zu 27 Formen unterscheidet. Man konnte entsprechend einer Situation kalt, irre oder bitter lachen. 2. Jede Bewegung hat Tanz zu sein. Bekanntlich liegen die Anfänge des Theaters im Tanz, der im Ahnentempel aufgeführt wurde. Die Herkunft des chinesischen Theaters vom Tanzspiel schlägt sich heute noch in zwei Bezeichnungen nieder: wutai, eigentlich Tanzbühne, für Bühne und wutaiju, eigentlich Tanzstück, für Theaterstück. Tanz als Bewegung ist Leben. Und wenn wir den Gesang ebenfalls als Ausdruck von Leben verstehen, dann kann es nicht wundernehmen, daß der Tanz und der Gesang im Zentrum des chinesischen Theaters stehen und nicht etwa ein fertiger Text oder die gesprochene Sprache. Aus abendländischer Sicht muß ein chinesisches Libretto mit seiner Schwarzweißzeichnung und dem unaufhaltsamen Sieg des Guten oft stereotyp wirken. Das Ziel des chinesischen Geistes ist das Leben. In dieser Hinsicht stellt das chinesische Theater keine Ausnahme dar. Was wird nun der Bewegung (dongzuo) zugerechnet? Da ist zunächst der Auftritt auf der Bühne. Dieser gilt in der Regel erst als Auftritt, wenn der Schauspieler den Platz eingenommen hat, an dem sein Spiel beginnen soll. Da ist weiter der Tanz, der den Gang der Handlung anzudeuten hat. Das Wort Tanz ist hier nicht allzu wörtlich zu nehmen. Wir würden heute eher von Körpersprache sprechen.102 Es geht um symbolische Bewegungen, die stark typisiert sein können wie das Sinken der Hand zum Ausdruck von Enttäuschung oder das Knallen mit der Peitsche zur Andeutung des Abschiedes. Was für ein westliches Publikum nur schwer nachvollziehbar ist, sind umfangreiche Variationsmöglichkeiten einer einzelnen Bewegung, So gibt es zum Beispiel 72 verschiedene Bewegungen für die Ärmel, 102

Vgl. hierzu HWANG: Körpersprache im traditionellen chinesischen Drama.

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Zu einer Theorie des chinesischen Theaters

50 für die Finger, 53 für das Laufen etc. Zu den häufigsten Gesten gehören das Teetrinken, das Zusichnehmen von geistigen Getränken, das Schlafen etc. Beim Trinken von Tee bedeckt der Schauspieler mit einem Ärmel sein Gesicht, er trinkt nicht wirklich aus einer Schale. Bei der Einnahme von Alkoholika dagegen können drei wirkliche Becher zum Schein geleert und auf einen Tisch gestellt werden. In der Regel wird jedoch jeglicher naturalistischer Bezug vermieden. Schlafen wird beispielsweise dadurch angedeutet, daß der Kopf auf den Arm gelegt wird. Der Begriff der Bewegung ist aus westlicher Sicht nicht immer eindeutig nachzuvollziehen. So gehört das Gespräch mit sich selbst, wie es Verschwörer zur Unterrichtung des Publikums zu führen belieben, hierher. Der Sprechende tritt dabei zur Seite, so daß andere ihn auf der Bühne nicht hören können. Vielleicht ist dieses Beiseitetreten ja als Bewegung zu verstehen, zumal die entsprechende Bezeichnung beigong sich folgendermaßen »wörtlich« übersetzen ließe: (den Mitspielern) den Rücken zukehren und etwas gestehen. Offensichtlicher sind dagegen die verschiedenen Formen von Tänzen als Bewegung zu verstehen, die im Westen eher unter einem einzigen Stichwort subsumiert würden als unter verschiedenen. Da ist der Tanz von Gottheiten oder Geistern, der immer noch seine religiöse Herkunft zu erkennen gibt. Man bezeichnet ihn in der chinesischen Theaterwissenschaft meist als tiao (Solotanz) und meint damit im Unterschied zu wu (ritueller Tanz) den Tanz eines einzelnen (Gottes). Hiervon ist eine Art Ausdruckstanz zu unterscheiden, der die Aufgabe hat, die Musik, die Handlung, den Text oder die Gefühlslage deuten zu helfen. Da er wohl eher der Intuition des einzelnen als einer allgemein verbindlichen Vorgabe verpflichtet war, war er in Kreisen von Kennern nicht hoch angesehen. Anders als der religiöse oder weltliche Tanz kommt der Kriegstanz erst spät auf, und zwar im Rahmen des Kriegsschauspiels (wuxi) zur Ming-Zeit. Er hat dann erst in der Pekinger Oper seinen Siegeszug antreten können. 3. Requisiten gehören nicht auf die Bühne. Bei strengem Vergleich mit dem Abendland ist zunächst zu konstatieren, daß es einen Begriff der Bühne, wie ihn Europa vielleicht gekannt haben mag, in China zunächst nicht gegeben hat. Denn ursprünglich konnte alles »Bühne« sein, und wohl erst ab der Song-Dynastie kannte man die Erhöhung eines Spielortes, um mehr Menschen, dem »Volk«, das Zuschauen zu ermöglichen. Bis dahin sprach man von xichang (»Theaterplatz«). Das war ein Dorfplatz (chang), wo sonst die Ernte eingebracht wurde, Feste stattfanden und Spiele zur Aufführung (xi) kamen. Ein solcher »Platz« konnte sehr groß sein und war von allen Seiten offen und damit zugänglich. Die später erhöhte Bühne (tai) bewahrte mit ihren drei offenen Seiten diesen ursprünglichen Charakter des chinesischen Theaterspiels. Einen Vorhang gab es nicht und ebensowenig eine Kulisse. Beides kam erst mit dem sogenannten Einbruch des Westens um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auf. Ein Vorhang geht bekanntlich auf einen religiösen Kultus zurück, der das Heiligste zu verbergen hatte. Ein solches Heiligtum kennt aber die frühe chinesische Religiosität nicht. Und Kulissen setzen einen festen Raum und eine feste Zeit voraus. Auch hiermit konnte oder wollte der chi-

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EINLEITUNG

nesische Geist nicht dienen. Vielmehr setzte er auf die eher symbolische Durchdringung von großen räumlichen und zeitlichen Entfernungen in einem einzigen Akt. Überdies ließen sich Kulissen auch nicht so gut von Wanderbühnen mitnehmen. Um Ort und Zeit zu verdeutlichen, bediente man sich neben der Gestik wider alle Theorie von der requisitenfreien Bühne doch ebenfalls mancher konkreter Dinge, die allerdings nur die ästhetische Wirkung unterstützen, nicht aber einen realistischen Zweck verfolgen sollten. Qi Rushan unterscheidet hier dreierlei: a) die Aktion bzw. Rolle des Spielers, b) die Verwendung von Tisch und Stuhl, c) die Benutzung eines sogenannten Tanzgerätes (qiemo bzw. daoju). Der Schauspieler mochte also so tun, als öffnete er eine Tür, ohne eine konkrete Tür zu öffnen. Er konnte auf 27fache Weise einen (konkreten) Tisch aufstellen, um eine Räumlichkeit wie einen Tempel, einen Laden oder eine Bibliothek anzudeuten. Schließlich war es ihm auch möglich, mit Hilfe einer (wirklichen) Reitpeitsche auf das Reiten und damit auf seine Ortsveränderung, nicht etwa auf ein Pferd zu verweisen. Das alles heißt, die konkreten Dinge waren nur solange auf der chinesischen Bühne willkommen, wie sie in der Lage waren, den abstrahierenden Charakter von Gesang und Tanz zu stärken. Hierzu gehörten vor allem die Kostüme, die unabhängig von der Zeit (Dynastie) und dem Ort (Lokaltracht) gewählt wurden. Diese waren nach den für den chinesischen Staat so typischen Vertretern des Zivilen und des Militärischen ausgerichtet. Unter den jeweils drei verschiedenen auf Effekt bedachten Gewändern gab es zum Beispiel das Staatsgewand oder das Soldatenkleid. In allen Fällen spielte der sogenannte Wasserärmel (shuixiu) eine wichtige Rolle. Mit Hilfe dieses Überärmels konnte der Schauspieler seine hohe Kunst des symbolischen Ausdrucks unter Beweis stellen. Überdies fiel den Farben der Kleider eine eminente Aufgabe zu. Man unterschied fünf Standardfarben zur Charakterisierung von Personen: Grün stand für Loyalität, Gelb für den Kaiser, Rot für Mut, Weiß für rechtschaffene Menschen und Schwarz für Rohheit. Zu den sogenannten Tanzgeräten zählen auch die Masken (jiamian, eig. falsche Gesichter), die in einem Register (lianpu, eig. Tabellatur für Gesichter) zusammengefaßt wurden und urtümlich, wie gesagt, auf religiöse Umzüge zurückgingen. Das Wort Maske ist in diesem Fall irreführend. Es handelt sich eigentlich nicht um eine Maske, sondern um die Bemalung eines Gesichtes. Die Maske wurde gleichsam ins Gesicht gemalt bzw. auf das Gesicht aufgetragen. Dabei sind ihre Farben anders als bei den Kostümen zu verstehen. Schwarz steht für loyale Krieger, Weiß für Tücke, Rot für rechtschaffene Generäle, Blau für Grausamkeit. Aus westlicher Sicht muß das letzte der drei »Tanzgeräte« stereotyp erscheinen. Es geht um den Bart, der normalerweise für Alter, Weisheit und Respekt steht. Unter den fünfzig verschiedenen Formen kommt den drei wichtigsten jedoch eine ideologische Bedeutung zu. So kann der dreisträhnige Bart eine würdige Person charakterisieren, ein Vollbart eine mächtige Persönlichkeit und ein Schnurrbart einen ungehobelten Burschen.

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Zu einer Theorie des chinesischen Theaters

4. Realismus und Realität sind verpönt. Es ist hier nicht der Ort, lang darüber zu diskutieren, was sich in China unter den oftmals leichtfertig gebrauchten Begriffen Realismus bzw. Realität subsumieren läßt. Es geht im Theater wie auch in den anderen Künsten um das sogenannte Sinn-Bild (yixiang), um ein archetypisches Bild, um eine archetypische Geste.103 Diese sind Raum und Zeit enthoben und gelten immer und überall. Dasjenige, was nach Qi Rushan »schön für das Auge, schön für das Ohr« sein sollte, hatte dem Atem des Kosmos zu folgen. Um dem Atem des Kosmos folgen zu können, bedarf ein chinesischer Schauspieler bzw. ein chinesisches Theaterstück urtümlich keines Regisseurs, wie ein solcher seit Gotthold Ephraim Lessings (1729–1781) Hamburgische Dramaturgie (1767–1769)104 in Deutschland etwa aufzutreten beginnt. Natürlich ließe sich für diesen Akt einer Befolgung des kosmischen Atems das Wort Nachahmen gebrauchen, doch dürfte sich ein chinesischer Künstler eher in das kosmische Geschehen hineinbegeben, als es beobachtend zu wiederholen suchen. Insofern geht es um die Bilder (xiang), die der Kosmos der Erde hinterlassen hat und die sich im schöpferischen Akt veranschaulichen. Gegenstand ist die Ordnung der Welt, und diese ist eine innere. Sie veranschaulicht sich im Äußeren nur unwesentlich bzw. zufällig oder beliebig. Lediglich im Inneren ist sie immer dieselbe und als solche einzufangen. Wenn denn Gesang und Tanz den Kern des chinesischen Theaters ausmachen, dann sind aus chinesischer Perspektive ein Blick auf die Handlung, die Reflexion über den Konflikt, das Studium der Charaktere eher Nebensache. Es ist deswegen notwendig, hierauf aufmerksam zu machen, weil sich aus Tatsachen wie diesen gehörige Konsequenzen für die Beurteilung des chinesischen Dramas ergeben. Besagter Wang Guowei hat bereits sehr früh dem chinesischen Geist mit Ausnahme des Romans Der Traum der roten Kammer (Hongloumeng, 1792) die Gabe zum Tragischen abgesprochen und statt dessen seine optimistische Welthaltung in den Vordergrund gestellt.105 Wie schon im vorigen Kapitel angedeutet, ist unser chinesisches Gemüt weltlich, optimistisch, und so sind auch alle von diesem Geist durchdrungenen Dramen und Romane nie frei von entsprechend optimistischer Färbung: Was mit Trauer beginnt, endet in Freuden, die zunächst Getrennten finden wir zum Schluß vereint, und aus der anfänglichen Bedrängnis wird am Ende das große Glück. Weiterhin wird in der chinesischen Literatur, da sie von optimistischem Geiste getragen ist, stets eine poetische Gerechtigkeit verfolgt: Die Guten dürfen nur ein gutes Ende nehmen, und die Bösewichte müssen ihre Strafe finden. Ohne all dies wäre das Herz des Lesers nur schwerlich zufriedenzustellen. Die Rückkehr der Seele in der Päonienlaube [Mudan ting] und die Wiederver103 104 105

Huang Zuolin spricht in diesem Zusammenhang vom Essentialismus (xieyi) des chinesischen Theaters, s. WU, HUANG u. MEI: Peking Opera and Mei Lanfang, S. 28f. GOTTHOLD EPHRAIM LESSING: Werke in drei Bänden, Bd. 2, München: dtv 2003, S. 29–506. Unter Auslassung der Verweise und unter Kursivschreibung der Titel zitiert nach KOGELSCHATZ: Wang Kuo-wei und Schopenhauer, S. 128.

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EINLEITUNG einigung im Palast des langen Lebens [Changsheng dian] sind die berühmtesten Beispiele dieser Art. Daß das Spiel Das Westzimmer [Xixiang ji] mit einem schrecklichen Traum endet, ist dem Umstand zu verdanken, daß es ein Fragment blieb; wer weiß, ob es sonst nicht auch in die Banalitäten der Fortsetzung verfallen wäre!

Hier ließen sich leicht weitere offensichtliche Beispiele und auch gute Gründe anführen. So zum Beispiel das eher als mäßig eingestufte Stück Der Goldfadenteich (Jinxianchi)106 von dem unten noch ausführlich zu besprechenden bedeutenden Dramatiker Guan Hanqing. Sein Übersetzer Werner Oberstenfeld weist im vorliegenden Fall überzeugend auf die stereotype Rolle des Beamten als deus ex machina hin.107 Die Liebenden, die Kurtisane Du Ruiniang und der Scholar Han Fuchen, finden trotz aller Liebe nach den Intrigen der (künftigen Schwieger-)Mutter nicht aus eigener Kraft zueinander, sondern nur durch die Listen des Freundes und Präfekten von Ji’nan namens Shi Haowen. Sieht man einmal von ergreifenden Milieuschilderungen ab, funktioniert der Plot auf altbekannte Weise: Man liebt sich, man wird getrennt, man liebt sich. Gleichwohl ist gegen besagte Sicht von Wang Guowei unter unterschiedlichen Gesichtspunkten Kritik erhoben worden.108 Selbst dieser Vater der chinesischen Theaterwissenschaft hat später zumindest Spuren des Tragischen im chinesischen Theater zu finden versucht.109 Dies soll uns hier jedoch nicht weiter beschäftigen, da die Fragestellung uns zu sehr einengen und uns zu einer zu spezifisch europäischen Sicht auf das chinesische Bühnengeschehen verleiten würde. Das chinesische Theater darf anders sein, und dem Vorwurf einer Exotisierung darf man sich gern stellen. Was dem Tragischen aus hiesiger Sicht sicherlich entgegensteht, ist der konventionelle Charakter des chinesischen Bühnenspiels. Das Tragische ist eher einmalig, das Konventionelle stellt jedoch eine Wiederholung des allgemein Verbindlichen dar. Gleichwohl darf die positive Einstellung zur Konvention in China 106

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109

ZANG MAOXUN (Hg.): Yuanqu xuan, Hangzhou: Zhejiang Guji 1998, S. 565–571; deutsch von WERNER OBERSTENFELD: Chinas bedeutendster Dramatiker der Mongolenzeit (1280– 1368). Kuan Han-ch’ing [d.i. Guan Hanqing], Frankfurt a. M., Bern: Peter Lang 1983, S. 124–215. OBERSTENFELD: Chinas bedeutendster Dramatiker der Mongolenzeit (1280–1368), S. 116f. Vgl. hier stellvertretend HEINER ROETZ: »Das Schicksal des Prinzen Shensheng und das Problem der Tragik in China«, in: BJOAF 23 (1999), S. 309–326. Der Autor behandelt auch das Drama der Yuan-Zeit! Ähnlich lassen sich Alfred Forkes Kommentare zu dem von ihm übersetzten Stück Das Komplott (Lianhuan ji) verstehen, s. ALFRED FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan [d.i. Yuan]-Dynastie. Zehn nachgelassene Übersetzungen, hg. u. eingeleitet von MARTIN GIMM, Wiesbaden: Franz Steiner Verlag 1978 (= Sinologica Coloniensia; 6), S. 109–185 (Übersetzung), S. 596–600. Zu einer englischen Fassung besagten Stückes s. LIU JUNG-EN: Six Yüan Plays, Harmondsworth: Penguin 1972, S. 225–279, zum Original s. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 694–705. Das Stück kennt keinen Verfasser.

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Zu einer Theorie des chinesischen Theaters

nicht übersehen werden. Unter den vier Charakteristika des chinesischen Theaters führt der moderne Dramaturg Huang Zuolin (1906–1994) eine Konventionalität, welche die Bedingungen von Zeit und Raum aufhebt, gar als das wichtigste Charakteristikum an!110

110

WU, HUANG u. MEI: Peking Opera and Mei Lanfang, S. 16, 28.

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Teil I Die Religion und das Theater

1. Zusammenfassung und Ausblick

Bestimmte oben bereits angesprochene Dinge seien an dieser Stelle noch einmal aufgegriffen, vielleicht gar wiederholt, schließlich aber zugespitzt. Wer sich heute mit der Frage nach dem Ursprung des chinesischen Theaters beschäftigt, sieht sich oftmals mit einem Wildwuchs der Meinungen konfrontiert. Es sieht fast so aus, daß jeder nicht nur seine eigene Auffassung hat, sondern auch für diese eine eigene Wahrheit beansprucht. Da wird also fleißig der Anfang alles Theatralischen in China über die Jahrhunderte bis in die Zeit der Frühlings- und Herbstperiode (722–481) zurückverlegt, da wird das Puppenspiel bemüht, da werden mal das indische Theater111, mal der Westen als Vorbild genannt etc.112 In diesen Meinungswirrwarr ist kein Grund zu bringen. Warum aber ist nach Wang Guowei der geniale Ansatz, neben dem Komödiantentum den Ursprung des chinesischen Theaters aus dem Religiösen, konkret aus dem Schamanismus, 113 abzuleiten, verlorengegangen?114 Und warum ist zuvor (1907) die ebenso geniale Herleitung der Ursprünge des Theaters aus dem vermeintlich mimetischen Spiel des Totenknaben (shi bzw. gongshi), des Repräsentanten eines vergöttlichten Toten, im Ahnenkult115, wie sie der eher als Anarchist bekannte Liu Shipei (1884–1919) betrieben hat, kaum weitergeführt worden? Dies hat nicht nur mit der »Religionspolitik« der Volksrepublik China zu tun, welche nach 1949 alles Religiöse als Aberglauben abgewertet hat und oft weiterhin so verfährt. Dies hat auch etwas mit dem Begriff des Religiö111 112

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Zum möglichen Einfluß des indischen Theaters s. SCHAAB-HANKE: Die Entwicklung des höfischen Theaters in China, S. 25–30. Vgl. hierzu HUANG SHIZHONG: »Xiqu qiyuan, xingcheng. Ruogan wenti zai tantao [Der Ursprung des Theaters. Nochmals zu einigen Fragen]«, in: Yishu baijia 2/1997, S. 1–9. SHEN XINLIN: »Zhengti er qingyuan. – Zhongguo gudai xiaoshuo, xiqu qiyuan zhi bijiao yanjiu [Zum Ursprung von Erzählkunst und Theater. Ein Vergleich]«, in: Yishu baijia 1/2002, S. 55, führt sieben mögliche Ursprünge an. Eine gute und materialreiche Zusammenfassung für die Ursprünge und Vorläufer des chinesischen Theaters bietet WILLIAM DOLBY: »Early Chinese Plays and Theater«, in: COLIN MACKERRAS (Hg.): Chinese Theater, S. 7–31. Zu einer neuerlichen Einschätzung der Thesen von Wang Guowei s. XIE YUFENG: »Wang Guowei und seine Geschichte des Theaters zur Song- und Yuan-Zeit. Eine Neulesung«, in: minima sinica 2/2005, S. 151–156. Vgl. hierzu C.H. WANG [d.i. Wang Jingxian]: »The Lord Impersonator: Kung-shih [d.i. gongshi] and the First Stage of Chinese Drama«, in: YING-HSIUNG CHOU [d.i. Zhou Yingxiong] (Hg.): The Chinese Text. Studies in Comparative Literature, Hongkong: The Chinese UP 1986, S. 1–14. Wang Guoweis und Zong Baihuas Theorien zur Genese des chinesischen Theaters basieren auf dem Aufsatz »Die Ursprünge des Theaters« (Yuanxi) von Liu Shipei. So interessant der Ansatz von Liu Shipei auch sein mag, so ist doch kritisch anzumerken: Da der Totenknabe während der Zeremonie schweigt und nur den Verstorbenen als Gottheit mimt, sollte man vielleicht besser von Performanz als von (Sprech-)Theater reden.

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DIE RELIGION UND DAS THEATER

sen116 in China selbst zu tun. Wird nämlich das genuin Religiöse im Reich der Mitte auf den Ahnenkult und auf den Staatskult beschränkt, dann kann man es nicht mit einer Hochreligion im üblichen Sinne zu tun haben. Bis heute ist dem Stadtbild von Peking, wo wie in früheren Hauptstädten auch die Staatskunst und die Staatsreligion eines waren, die einstige Praxis einer jahreszeitlich bedingten Verehrung von Naturgottheiten (Sonne, Mond, Erde etc.) zu entnehmen. In Anbetracht der Fülle von vergöttlichten Wesen läßt sich daher leicht von einem chinesischen Pantheon sprechen, das nicht nach jedermanns Geschmack sein muß. Setzt man nämlich den Begriff der Religion sehr hoch an, so müssen einem kritischen Betrachter auch heute noch Orte der genuin chinesischen Religiosität mit ihren Opferdiensten nicht frei von Zügen des Aberglaubens erscheinen. Sinologen möchten jedoch ihren Gegenstand China auf eine Ebene mit Europa erheben, und so entfallen etwa bei der Diskussion von Konfuzius ebenso die Dinge des Aberglaubens, die sich einem unvoreingenommenen Auge im Konfuziustempel von Peking weiterhin bieten. Überdies verlangt der auf dem Festland immer noch praktizierte marxistische Interpretationsansatz eine Herleitung aller Kultur aus dem Volk und nicht aus der Religion, konkret aus der Arbeit oder schlicht gar aus dem Leben.117 Westliche Sinologen folgen nicht selten bei ihren Deutungsversuchen den chinesischen Kollegen, inzwischen peinlich darauf bedacht, keinem vermeintlich eurozentristischen Ansatz zu verfallen. In der Tat könnte die in unserer Geschichte verfolgte Herleitung des Theaters aus der religiösen Praxis, die nicht des Aberglaubens geziehen werden soll, Verdacht erregen: Wenn nicht eurozentristisch, so versuche man hier letztlich auch aus naheliegenden Gründen, China zumindest auf dieselbe Stufe wie Europa zu stellen, jedenfalls was den Ursprung der Kulturen angeht. Andererseits sprechen bestimmte Dinge eine so deutliche Sprache, daß es nicht not tut, sich auf eine solche falsche Argumentation einzulassen. Schon 1902 hat der in St. Petersburg geborene und in Berlin verstorbene Universalgelehrte Wilhelm Grube (1855–1902)118 auf die 116

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118

Zur Problematik s. meinen Beitrag: »Religion and History. Towards the Problem of Faith in Chinese Tradition. A Pamphlet«, in: Orientierungen 2/2007, S. 17–27, sowie PHILIP CLART: »The Concept of ›Popular Religion‹, in the Study of Chinese Religions: Retrospect and Prospects«, in: ZBIGNIEW WESOLOWSKI (Hg.): The Fourth Fu Jen University International Sinological Symposium: Research on Religions in China: Status quo and Perspectives, Taipeh: Fu Jen University 2007, S. 166–203; PI QINGSHENG: Songdai minzhong cishen xinyang yanjiu [Untersuchung zum Opferglauben unter der Bevölkerung der Song-Zeit], Schanghai: Shanghai Guji 2008, S. 1–33. Vgl. CHEN WEIZHAO: Xiqu qiyuan wenti de kexue xingzhi yu zhexue xingzhi [Der wissenschaftliche und philosophische Charakter der Frage nach dem Ursprung des Theaters], in: Shanghai Xiju Xueyuan Xuebao 1/2002, S. 86, 90. Zu seinen Zeugnissen s. HARTMUT WALRAVENS u. IRIS HOPF (Hg.): Wilhelm Grube (1855– 1908). Leben, Werk und Sammlungen des Sprachwissenschaftlers, Ethnologen und Sinologen, Wiesbaden: Harrassowitz 2007 (= Asien- und Afrika-Studien; 28).

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Zusammenfassung und Ausblick

Nähe von Theater und Religion selbst für die damalige Zeit verwiesen.119 Und erst recht hat Piet van der Loon (1920–2002) 1977 in einem beispielhaften Beitrag 120 darauf aufmerksam gemacht, daß die Anrufung der Gottheiten und die Austreibung des Bösen nicht nur der Ursprung des für ihn grundsätzlich religiösen Theaters in China sind, sondern daß die kultische, religiöse Tradition niemals abgebrochen oder säkularisiert worden ist. Zu Recht ist in diesem Zusammenhang von Opferspielen gesprochen worden.121 Statt in einem weltlichen Theater aufzugehen, sei bis heute alles auf der chinesischen Bühne als kultisch zu verstehen. Daher sei der Zweck des Theaters die Hommage an die Götter anläßlich von religiösen Festen, oftmals von Festen zu Neujahr, zum Erntedank, zum Frühling, im Falle von Epidemien etc. Vordergründig seien die Gottheiten zu animieren und nicht etwa die Zuschauer. Das Vergnügen des Zuschauers, ja der Zuschauer selber sei sekundär.122 Die Schauspieler sind also nicht um der Menschen, sondern sie sind um der Götter willen da! Sie sind gar deren Medium, opfern ihnen vor der Aufführung und betreten mit einem Segensspruch die Bühne. Altar, Schrein bzw. Tempel, Bühne und (Lokal-)Gottheit bilden daher eine unverbrüchliche Einheit.123 Alfred Forke, unser immer wieder gern zitierter Übersetzer, der von 1890 bis 1913 als Dolmetscher in Peking gelebt hat, faßt die Dinge auf Peking bezogen und damit wohl aus eigener Anschauung wie folgt zusammen:124 Die Schauspieler in Peking verehren drei Schutzgötter, Guandi, den Kriegsgott, der zugleich Gott der Literatur ist, den Tang-Kaiser Minghuang, der sich um das Theater sehr verdient gemacht hat, und Lin Mingru, einen »Schüler des Birnbaumgartens« des besagten Kaisers. Einmal im Jahr unternehmen alle Schauspieler eine Pilgerfahrt zum Miaofeng Shan in den Westlichen Bergen. Dem Komiker der Truppe obliegt es, vor den Bildern der Schutzpatrone im Theater Weihrauch zu verbrennen. Die Schauspieler sind sehr abergläubisch; sie dürfen alles mögliche nicht tun, das Unglück bringen könnte. Jeder hat seinen eigenen Gott oder [seine eigene] Göttin im Koffer, die er vor und nach dem Auftreten 119 120 121

122

123 124

GRUBE: Geschichte der chinesischen Litteratur, S. 396–398. PIET VAN DER LOON: »Les Origines Rituelles du Théâtre Chinois«, in: Journal Asiatique 265 (1977), S. 143–168. So TANAKA ISSEI: Chūgoku saishi engeki kenkyū [Studien zu den Opferspielen in China], Tokio: Tokio UP 1981. Mir lag die chinesische Übersetzung von BU HE vor: Zhongguo jisixiju yanjiu, Peking: Peking UP 2008. Streng gesehen widerspricht dies vollkommen der abendländischen Sicht von Theater, die Schauspieler und (menschlichen) Zuschauer als grundsätzlich für die Konstituierung eines Bühnenspiels ansetzt. Ohne Zuschauer kein Theater! Vgl. ERIKA FISCHER-LICHTE: Semiotik des Theaters, Bd. 1: Das System der theatralischen Zeichen, Tübingen: Gunter Narr Verlag 5 2007, S. 16. BIRCH: Scenes for Mandarins, S. 7f., und MACKERRAS: Chinese Drama, S. 81–85, bringen dies ebenfalls sehr schön auf den Punkt. Unter Angleichung der Orthographie und Umschrift zitiert nach FORKE (Übers.): Zwei chinesische Singspiele der Qing-Dynastie, S. 496.

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DIE RELIGION UND DAS THEATER verehrt. Sogar die Puppen, die Kinder darstellen, genießen Verehrung, denn man nimmt an, daß die Seelen der Kinder darin ihren Sitz haben.

Im Gegensatz zum Festland, wo durch die Reform des Theaters nach 1949 das Kultische verlorengegangen ist und jetzt erst teilweise wiederzukommen scheint, hat sich in Hongkong, wo es unter der britischen Herrschaft keinerlei Zensur der Bühne gab, der spezifisch religiöse Charakter des Schauspiels erhalten können. In obiger Sache hat die britische Soziologin Barbara E. Ward (1919–1983) kurz vor ihrem Tod noch die folgenden Beobachtungen festgehalten:125 Anders als bei den weltlichen Spielen ist der vordringliche Zweck der festlichen Aufführungen weder kommerzieller noch künstlerischer Art. Es geht darum, einer Göttin oder den Göttern Freude zu bereiten. In einem eigens temporär errichteten Theater und unter der Kontrolle eines speziell ausgewählten Lokalkomitees, das normalerweise keine Eintrittskarten verkauft, ist eine Reihe von festlichen Spielen als Gabe zur aktuellen Unterhaltung für einen bestimmten Gott oder für mehrere Götter konzipiert. Gelegenheiten für derlei Opfergaben bieten üblicherweise die Jahresfeier eines sogenannten Geburtstages von einem Tempelgott, die jährlichen Rituale für die »hungrigen Geister« im siebten Mondmonat oder, wenn auch weniger häufig, doch regelmäßig wiederkehrend, taoistische Riten, die im Kantonesischen als ta chiu (Hochchinesisch: da jiao) bekannt sind. Die religiöse Rolle der Opern als (gesellschaftlich bedeutendster und sicherlich teuerster) Teil der Opfer an die Götter bei besagten Gelegenheiten ist klar zum Ausdruck gebracht mit der kantonesischen Wendung shan kung hei [d.i. shen gong xi] (wörtlich: die Götter ehren Spiele), durch welche festliche Aufführungen gewöhnlich bekannt sind. Die Position der Bühne für die festlichen Aufführungen ist ein bedeutender Indikator von deren Rolle als Opfergaben. Wie die stehenden Bühnen, die noch in einigen Tempelkomplexen auf dem Festland zu sehen sind, ist die temporäre Bühne oftmals direkt gegenüber dem Haupteingang des Tempels errichtet, und zwar so, daß die Spieler direkt die Götterbilder im Blick haben (gewöhnlich Richtung Norden). Manchmal werden diese vor den Tempeleingang gestellt, »um ihnen das Zuschauen zu erlauben«. An Orten, wo aus topographischen oder anderen Gründen die Bühne nicht vor dem Tempel in der genannten Weise aufgebaut werden kann, bietet sich die eine von zwei Möglichkeiten an. Am wahrscheinlichsten ist die Errichtung eines temporären Tempels oder Schreines (Kantonesisch: shan p’anng [d.i. shenpeng]) für die Götterbilder. Ein solcher Schrein ist immer auf die Bühne ausgerichtet, und die Götterbilder werden in einer Prozession aus dem Tempel gebracht und kurz vor der ersten Aufführung rituell aufgestellt. Der temporäre Schrein wird dann zum Fokus des religiösen Rituals, das dem Fest zueigen ist. 125

Unter Verwendung der heutigen Umschift übersetzt nach WARD: »Regional Operas and Their Audiences«, S. 165f., 176. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die ausführliche und eindringliche Beschreibung einer Theateraufführung in Hongkong bei PORKERT: »Das chinesische Theater und sein Publikum«, S. 188–192.

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Zusammenfassung und Ausblick Manchmal jedoch verbleibt der Tempel im Fokus der Riten, aber ein Götterbild wird auf dieselbe Weise herausgebracht und aufgestellt, zwar nicht in einem temporären Schrein, aber in etwas, was ich andernorts als »königliche Tribüne« bezeichnet habe – eine kleine Plattform oder Erhöhung über den Köpfen der Zuschauer unter dem Dach eines Behelfsunterstandes Richtung Bühne. In jedem Fall verbleiben die Götterbilder an ihren temporären Aufenthaltsorten für die Dauer der gesamten Spiele. Erst nach dem letzten Spiel und nach Abschluß der Schlußzeremonien werden sie rituell heimbegleitet. Es kann keinen Zweifel daran geben, daß diese Plazierung die religiöse Bedeutung der Spiele als Opfergaben anzeigt. […] Man fühlt sich an die Berichte von Theaterfesten im Athen des 6. Jahrhunderts [v.Chr.] erinnert, wenn dem Bild von Dionysos der Ehrenplatz zugewiesen wurde, welches dann zur Mitte in der ersten Reihe geleitet und später wieder an seinen ursprünglichen Ort im Tempel durch eine Prozession zurückgebracht wurde, nicht anders als bis zu diesem Tag in Hongkong auch. […] Die Vorstellung, daß die Opern Opfergaben an die Götter waren, kommt noch klarer in der Praxis zum Ausdruck, »Dämmerungsspiele« [t’in kwong hei, d.i. tianguangxi] zu veranstalten. Diese finden über Nacht statt. Sie beginnen kurz nach der Abendveranstaltung und dauern bis zur Morgendämmerung. Sie werden von den jüngeren Mitgliedern der Truppe gespielt, die nur notdürftig zurechtgemacht sind, und zwar vor nahezu leeren Rängen, wo ein paar Bettler und Hausierer herumliegen, die anderweitig keinen Ort zum Schlafen haben. Ob Dämmerungsspiele anläßlich von Festen aufgeführt werden oder nicht, ist eine Sache lokaler Gebräuche. Fragt man danach, so wird einem nachdrücklich und ohne Umschweife erklärt, daß sie um der göttlichen, nicht der menschlichen Zuschauerschaft anberaumt sind.

Wie tritt aber hier das Spielerische hinzu, welches Wang Guowei als Komödiantentum vom Schamanismus abtrennt? Das Böse sollte zur Stärkung von Gott und Mensch symbolisch durch die Aufführung von Kämpfen, Wettkämpfen nämlich, wie zum Beispiel von Ringkämpfen, vertrieben werden, aber auch durch militärische Aktionen, für deren Gelingen zuvor gebetet worden war. Die chinesische Lexikographie verweist daher seit langem auf den urtümlich militärischen Charakter des Zeichens xi, welches heute für Theater verwendet wird. Nach dem 100 n.Chr. fertiggestellten Shuowen Jiezi steht dieses Zeichen für eine Heeresformation.126 Das Bühnenspiel hat so gesehen also eine enge Beziehung zum Militärischen. Dies aus zwei Gründen: Zum einen wurden die Gottheiten vor den Kriegszügen um gutes Geleit über gefährliches Terrain gebeten. Dabei spielten Tanz und Maskerade eine wichtige Rolle. Zum anderen war es die Aufgabe des Menschen, die Götter zu erfreuen (le shen). Man rief sie also auf die Bühne herbei, um sie auch durch Wettkämpfe wohlgesonnen zu stimmen. So läßt sich leicht nachvollziehen, wie aus einem Ringkampf zum Beispiel ein Kampfspiel und aus diesem 126

ZANG, KEHE u. WANG PING (Hg.): Shuowen Jiezi, Peking: Zhonghua Shuju 2002, S. 839.

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wiederum ein Spiel werden konnte.127 Religion, Militär128, Bühne und Unterhaltung für die Gottheiten waren daher nicht voneinander zu trennen.129 Man darf sogar mutmaßen, daß die Form der chinesischen Bühne, die ja nur eine einzige Wand aufweist und ansonsten nicht nur zum Zuschauer hin, sondern auch auf den beiden Seiten rechts und links offen ist, auf eine religiöse Praxis zurückgeht. Die Bühnen, wie sie heute noch in Tempelanlagen zu sehen sind, kennen alle nur je eine Eingrenzung, die Hinter- bzw. Rückwand, vor der agiert wird.130 Das legt den Gedanken nahe, daß die nach drei Seiten hin offenen Bühnen eher geeignet waren, die Götter zur Teilnahme am theatralischen Geschehen herunterzurufen. Natürlich bleibt die Frage, warum es überhaupt noch einer Wand bedarf. Hier ließe sich wie folgt mutmaßen: Ursprünglich gab es im Tempelbezirk eine freie Bühne (xitai) vor der Haupthalle (shenmiao)131 und dem Opferaltar auf der Nord-Südachse. Erst später kam ein Dach dazu. Dieses Dach bedurfte der Stütze. Als Stütze fungierte neben den Säulen auch eine Rückwand. So entstanden überdachte Bühnen, für die es dreißig unterschiedliche Bezeichnungen gab, darunter »Tanzhalle« (wuting), »Musikaltan« (yuelou), »Tempelbühne« (shanmen xitai) etc. Wie dem auch sei: erhöhte Bühnen hat es nicht immer bzw. nicht immer schon von Anfang an gegeben. Sie kommen erst mit der Ming-Zeit auf und lösen die xitai (»Theateraltar«) genannte Bühne durch eine guolutai bzw. guolu xitai (»(Theater-) Altar, an dem man vorbeigeht«?) genannte Bühne ab. Dieses stellt eine gewaltige Veränderung dar, denn die Zuschauer, die sonst in den Tempeln ebenerdig vor einem xitai zu stehen pflegten, blickten nun auf eine erhöhte Bühne und konnten 127

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Vgl. in diesem Zusammenhang das seit 108 v.Chr. belegte Kampfspiel »Hörnerstoßen« (juedi), dem meiner Meinung nach zu Unrecht der sakrale Charakter abgesprochen wird, s. SCHAAB-HANKE: Die Entwicklung des höfischen Theaters in China, S. 175–177, 204–206. Zum weiten Bedeutungsfeld dieses Spiels, das alle mögliche Arten von Akrobatik und Kunststücke mit umfassen konnte, s. die knappe und gute Darstellung von DOLBY: A History of Chinese Drama, S. 3. Der Autor transskribiert übrigens jiaodi. An dieser Stelle sei im Vorgriff darauf hingewiesen, daß die Götterspiele sich auch bis in die Anlage späterer Militärspektakel haben auswirken können. Wir sehen dies deutlich bei Guan Hanqing und seinem Stück über Guan Yu (gest. 219), Dandaohui, s. SUI SHUSEN (Hg.): Yuanqu xuan waibian, Bd. 1, Peking: Zhonghua Shuju 1980 (Neuauflage von 1959), S. 58–80, englisch »Lord Kuan [d.i. Guan] Goes to the Feast«, in: YANG HSIEN-Yi u. GLADYS YANG (Übers.): Selected Plays of Kuan Han-ching [d.i. Guan Hanqing], Schanghai: New Art and Literature 1958, S. 178–204. Zur (religiösen) Deutung s. LI XIUSHENG: Yuan zaju shi (Geschichte des Yuan-Dramas), Nanking: Jiangsu Guji 2002, S. 149–151. Zu entsprechenden Belegen für die Yuan-Zeit s. CRUMP: Chinese Theater in the Days of Kublai Khan, S. 31–42. Vorläufer einer Aufführung als Opfer für die Götter sind für den Verfasser »Die Neun Elegien« aus den Liedern des Südens (Chuci). Vgl. hierzu die Fotos bei JU WENMING: Zhongguo shenmiao juchang (The Temple Theatres of China), Peking: Wenhua Yishu 2005. Dieser vorzüglichen Studie verdanke ich auch die folgenden Ausführungen. Der Wortgebrauch von shenmiao ist verwirrend. Das Binom ist die allgemeine Bezeichnung für eine Ahnenhalle, für einen buddhistischen oder taoistischen Tempel, ja sogar für die Anlage einer Landsmannschaft, zu der ein Theater gehörte.

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Zusammenfassung und Ausblick

dadurch besser sehen. Diese Entwicklung fand dann mit der Errichtung von »zweigeschossigen Tribünen« (erceng kanlou), die im oberen Teil für Frauen und Kinder gedacht waren, ihren Abschluß. Das heißt, auch Bühnen haben eine Geschichte. Zunächst umfaßten die Orte, da man die Götter durch Tanz, Musik und Spiele erfreute, »Hallen« (dian), »Altäre« (tai, tan). Einrichtungen dieser Art pflegten vor einer »Ahnenhalle« (shendian) zu stehen, und zwar u.a. in Form von »Opferaltar« (jitai), »Mondaltar« (yuetai), »Musikaltar« (yuetai) oder »Taualtar« (lutai, da unter freiem Himmel). Seit der Tang-Zeit konnten die Darbietungen einen so prachtvollen Charakter annehmen, daß für sie ein abgegrenzter Bereich vorgesehen war. Diesen nannte man »hinter Gittern« (goulan)132. Zur Song- und JinZeit, wo das »gemischte Spiel« (zaju) aus Akrobatik, Gesang und Tanz bestand, begann sich die Aufführung von »einer Musik und einem Tanz für die Götter« (yuewu chou shen) zu einem »Spiel für die Götter« (yi xi chou shen) zu wandeln. Erst seitdem gibt es eine eigene Bühne in den Tempeln. Diese Bühnen waren zunächst für rituelle Musik, dann auch für Tanz sowie für Feste und schließlich für Theater vorgesehen. Sie trugen Namen wie lutian (unter freiem Himmel), yueting (Musik»Laube«) oder xilou (Theateraltan). Am Ende der Entwicklung wird es schließlich zur Ming- und Qing-Zeit heißen: »Wo es ein Dorf gibt, gibt es einen Tempel. Wo es einen Tempel gibt, gibt es einen Altar. Wo es einen Altar gibt, gibt es ein Theater.« Das religiöse Spiel auf dem Land ist also als die älteste Theaterform in China anzusehen. Es nahm seinen Weg in die Stadt, wo es vermarktet bzw. umfunktioniert wurde. Es war oben schon die Rede vom höfischen und vom städtischen Theater gewesen. Beide wurden ursprünglich zu ihrer Kennzeichnung ebenso mit dem Binom goulan (»hinter Gittern«) belegt. Bei Hofe war das später ein großer Theaterbau, der aus drei Stockwerken bestand und – wie man heute noch in der Verbotenen Stadt sowie im Sommerpalast von Peking sehen kann – kaiserlichen Bauanlagen vorbehalten war. Er hieß »Theateraltan« (xilou), »Theateraltar« (xitai), »Theatergarten« (xiyuan) o.ä. Während von Gebäuden dieser Art aus dem 18. Jahrhundert noch einige wenige architektonische Beispiele verblieben sind, hat sich vom städtischen Theater heute kaum etwas erhalten. Auch hier sprach man erst von goulan, nannte dann aber das, was man in den ziegelgedeckten Wohngebieten (wasi) als eigenen Bezirk »absperrte«, xiyuanzi (Theatergarten). Ihr Vorbild war nicht mehr ihr Ursprung auf dem Land, sondern neben den Teehäusern und den Landsmannschaften vornehmlich zur Qing-Zeit der mandschurische Hof. Man ahmte nicht nur die Architektur, sondern auch den entsprechenden Lebensstil nach, das heißt, die Zuschauer aßen und tranken beim Schauen. 132

MACKERRAS: Chinese Drama, S. 79f., spricht von »Balustradentheater«, das zur Ming-Zeit durch entsprechende Aufführungen in Weinlokalen, Teehäusern (xiyuan) und Freudenhäusern abgelöst worden sei. Goulan, was zur Yuan-Zeit die Bedeutung von Bühne hatte, nahm übrigens zur Ming-Zeit die Bedeutung von Bordell an.

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Von den besagten goulan – die Bezeichnung bewahrt von der Song- bis zur Republik-Zeit ihre Gültigkeit – sind übrigens später die sogenannten Teppichbühnen (qushu) zu unterscheiden. Das sind provisorische Bühnen, die seit der Ming-Zeit durch einen roten Teppich in einem Wohnzimmer oder in einem Gartenpavillon ausgelegt wurden.133 Unschwer läßt sich hier die gewandelte Praxis der Antike wiedererkennen, durch eine Markierung auf dem Boden einen theatralischen Bezirk kenntlich zu machen. Die obigen Ausführungen müssen mitunter verwirrend oder unpräzise erscheinen. Dies liegt nicht in einem bösen Willen oder in mangelnder Kenntnis begründet. Es hat vielmehr mit dem leidigen Umstand zu tun, daß der Begriff der Religiosität in China kein einheitlicher ist. Ebenso wenig ist der Verlauf der Geschichte ein einheitlicher. Um es an einem einfachen Beispiel zu verdeutlichen, sei auf die Einrichtung der Bühne verwiesen. Nach den obigen Ausführungen müßte man meinen, daß jede religiöse Stätte in China über einen Ort der Aufführung verfügt hat oder verfügt. Dem ist aber nicht so. Die staatlichen (Konfuzius-)Tempel, die regulären buddhistischen, die großen taoistischen Tempel, die christlichen Kirchen und die islamischen Moscheen kannten keine Bühnen. Bühnen konnte es eigentlich nur dort geben, wo die Volkskultur gepflegt wurde, und diese war an den Ahnenkult und an den Erdaltar gebunden. Aber: in der Frühzeit hatten die buddhistischen Tempelanlagen alle ihre Bühnen. Erst als das Theater aufzublühen und kommerziell zu werden begann, wurde kein Bau einer Bühne in den wichtigen buddhistischen Einrichtungen mehr gestattet. Ähnliches gilt für den Taoismus. In seinen großen Tempeln war keine Bühne erlaubt, in den volkstümlichen dagegen war eine solche vor weniger wichtigen Gottheiten möglich. Weitere Verwirrung stiftet das Wort shenmiao (Göttertempel) als Bezeichnung für die Weihestätte des Volksglaubens. Dieses Binom konnte nämlich auch – wie oben angeführt (s. Anm. 131) – zur Benennung von allen möglichen religiösen und weltlichen Stätten verwendet werden! Dieses Phänomen nämlich, daß im chinesischen Denken alles jederzeit alles sein kann, ist wohl oder übel als Eigenart der chinesischen Logik zu akzeptieren. Wenn also oben die Rede davon gewesen ist, daß China keine Hochreligion im Sinne einer abendländischen Definition kenne, so betrifft dies nicht die fremden Religionen auf chinesischem Boden, sondern nur die eigenstämmige Volksreligion, deren Kulte an den genannten shenmiao gebunden waren und je nach Auslegung mit der kritischen Charakterisierung »Aberglaube« belegt werden können. Die Aufführungen in einem solchen Göttertempel lassen sich wie folgt kennzeichnen: 1. Die Aufführungen fanden im Rahmen der Tempelfeste statt und erfolgten zu Ehren der Gottheiten. 2. Sie wurden von oben nach unten organisiert und lagen in der Hand einer Opfergemeinschaft. Das entsprechende Wort für Opfergemeinschaft she bezeichnet eigentlich den Erdaltar bzw. den Erdgott, konnte 133

HWANG: Körpersprache im traditionellen chinesischen Drama, S. 63–72.

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Zusammenfassung und Ausblick

dann aber auch für den Kult, das heißt für die Aufführung zu Ehren des Gottes stehen. Die Gemeinschaft, die sich um einen Erdaltar scharte, benannte man im Laufe der Zeiten unterschiedlich. Man unterschied seit der Song-Zeit eine ländliche Opfergemeinschaft namens she von einer städtischen Gemeinschaft namens hui. Diese städtische Gemeinschaft nahm sich speziell der Opfer verantwortlich an. Das heutige Binom shehui für Gesellschaft meinte damals eine Gemeinschaft, die sich des Erhaltes eines Tempels und der entsprechenden Opfer annahm. Viele dieser Gemeinschaften konnten sich zusammenschließen, ihr Vorstand wurde dann nicht selten von der Gentry ohne Entgelt mit der Pflege der Anlagen und der Kulte beauftragt. 3. Die Kosten, welche die Aufführungen erforderten, wurden mal von den Ämtern getragen, mal vom Volk übernommen, oft aber auch durch die Erträge eines gemeinschaftlich bestellten Ackers, der den bezeichnenden Namen »Aufführungsfeld« (xitian) trug, abgegolten.

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2. Der Schuldner fürs zukünftige Leben Nach all diesen Vorüberlegungen zum Ursprung des Theaters in der Religion tut es not, von der Theorie zur Praxis zu kommen. Im Gegensatz zu den drei monotheistischen Weltreligionen kennt die chinesische Religiosität keinen einigen Gott, sondern statt dessen viele unterschiedliche Gottheiten. Der chinesische Götterhimmel läßt sich schematisch in drei Stufen unterteilen. Oben steht der (unpersönliche) Himmel (tian), der sich allen »offenbart«, aber zu den Menschen in der Regel nicht spricht. In der Mitte stehen die Ahnengeister (gui), die sich nur einem engen Kreis von Menschen zeigen und sich dementsprechend wenigen kundtun, zum Beispiel durch Träume. Sie sprechen nach chinesischer Vorstellung auch im Rahmen der Überlieferung zu ihren Nachfahren, in den Genealogien (jiapu) etwa. In der Rangfolge unten stehen die Naturgeister (shen) wie der Erdgott, der bis heute verehrt wird, oder ein ehemals menschliches, später vergöttlichtes Wesen wie zum Beispiel eine Flußgöttin. Hier haben wir es mit Formen des Volksglaubens zu tun, die im religiösen Taoismus und im Buddhismus zu vielen konkreten, namentlich faßbaren Gottheiten geführt haben. All dies müßte nun im chinesischen Theater der Yuan-Dynastie einen Niederschlag finden. Und exakt dies ist der Fall. Schaut man sich nämlich allein die Titel der 171 überlieferten Dramen134 der Mongolenzeit an, so trifft man auf mindestens zwei bis drei Dutzend Stücke, die – allein äußerlich schon erkennbar – eindeutig mit dem Volksglauben, also mit dem religiösen Taoismus und dem Buddhismus, zu tun haben. Bislang ist der religiöse Aspekt in der Sekundärliteratur zum chinesischen Schauspiel nur als ein Thema unter anderen Themen behandelt worden. 135 Dies hat sicherlich seinen Grund auch darin, daß die offensichtlich religiösen Dramen nicht zu den bekanntesten zählen, selbst wenn sie bei einer engen Auswahl von repräsentativen Stücken der damaligen Zeit quantitativ immer noch prominent vertreten sind. So finden sich in der beliebten Auswahl von hundert Singspielen der Yuan (Yuanqu xuan, Vorworte von 1615 und 1616), die der Beamtenliterat Zang Maoxun (1550–1620) getroffen hat, rund zehn Stücke, die buddhistischen oder taoistischen Themen gewidmet sind.136 Man hat hier also leichtes Spiel, will man für die dritte Stufe auf der reli134 135

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Zur Zahl s. Anm. 75. Vgl. z.B. SHIH: The Golden Age of Chinese Drama, S. 91–97. Das Werk der Autorin war mir auch im folgenden dienlich. Eine reiche Zusammenfassung der Geschichte des YuanDramas bietet WILLIAM DOLBY: »Yuan Drama«, in: MACKERRAS (Hg.): Chinese Theater, S. 32–59. Mir liegt ein Nachdruck aus Hangzhou: Zhejiang Guji 1998 vor. 94 Stücke stammen aus der Yuan-, sechs aus der Ming-Zeit! Zur Biographie des Herausgebers s. HANS LINK: Die Geschichte von den Goldmünzen (Chin-ch’ien chi [d.i. Jinqian ji]), Wiesbaden: Harrassowitz 1978 (= VOB; 22), S. 50f. Teile des Vorwortes finden sich übersetzt bei JAMES I. CRUMP: »The Conventions and Crafts in Yuan Drama«, in: CYRIL BIRCH (Hg.): Studies in Chinese

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giösen Rangskala Belege finden. Allerdings erfreut sich keines von ihnen einer allgemeinen Wertschätzung im Westen. Dies gilt selbst in dem Fall, wo eine Übersetzung und eine besondere Würdigung vorliegen.137 Es mag gar nicht so sehr die traditionelle Zurückhaltung des chinesischen Literaten gegenüber dem Volksglauben und damit auch gegenüber dem Theater sein, welche die geringe Prominenz der Götterspiele im Bewußtsein der Nachwelt zu erklären vermag. Es ist vielleicht eher so, daß diesen Stücken ein vertieftes Moment der Religiosität fehlt. Wer Tiefe erwartet, wie sie ja durchaus in der buddhistischen oder taoistischen Philosophie angelegt ist, wird enttäuscht sein. Daraus ergibt sich die widersprüchliche Erkenntnis, daß man ein Weihespiel nicht um seiner religiösen Ausrichtung willen analysieren mag, sondern auf etwas anderes, auf etwas Weltliches hofft. Wir sehen dies ganz deutlich an dem Tendenzstück Der Schuldner fürs zukünftige Leben (Laisheng zhai)138. Im Mittelpunkt steht eine historische Person aus der Tang-Zeit, deren Name und Berufung nicht eindeutig überliefert sind. Uns darf hier nur interessieren, wie sie im Theaterstück auftritt, nämlich als »der buddhistische Laienbruder Pang« (Pang jushi) aus Xiangyang mit dem Vornamen Yun und dem Anredenamen Daoxuan. Dieser, ursprünglich ein reicher Mann, der vielleicht im 8. Jahrhundert gelebt hat, soll tatsächlich, wie es auch der Plot gestaltet, seinen gesamten Reichtum im Meer versenkt haben. Bevor es jedoch dazu kommt, bedarf unser Laienbruder der Einsicht in die bösen Wirkungsmächte des Mammons. Was

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Literary Genres, Berkeley: University of California Press 1974, S. 202. Zur vollen Übersetzung zweier Vorworte sowie zur Einschätzung von Herausgeber und Edition s. CRUMP: »Giants in the Earth«, S. 33–62. Eine Auflistung aller überlieferten Yuan-Dramen findet sich bei HUGH M. STIMSON: »Song Arrangements in Shianleu [d.i. Xianlü] Acts of Yuan Tzarjiuh [d.i. Yuan zaju]«, in: Tsing Hua Journal of Chinese Studies V.1 (1965), S. 86–106. Das zaju Die Geschichte von den Goldmünzen, von dem HANS LINK eine vollständige deutsche Übersetzung bietet, stammt übrigens von QIAO MENGFU, der zwischen 1280 und 1345 gelebt haben muß und auch unter dem Namen Qiao Jifu bzw. Qiao Ji bekannt ist. Zu einer englischen Übersetzung und Einführung durch DALE R. JOHNSON s. Renditions 24 (1985), S. 130–154 (»The Golden Coins«). Zum Original s. ZANG MAOXUN (Hg.): Yuanqu xuan, S. 22–29. Als repräsentativ kann hier der unten noch ausführlich zu behandelnde Ma Zhiyuan mit seiner Vorliebe für taoistische Themen angeführt werden. Sein Stück Der Traum bei gelber Hirse (Huangliang meng), deutsch von FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der YüanDynastie, S. 243–296, kommentiert S. 604–606, handelt das Thema, die Nichtigkeit der menschlichen Existenz, zu schematisch ab, als daß etwas anderes bliebe als das schöne Bild eines 18 Jahre lang Träumenden, der nach dem Erwachen sich sagen lassen muß, daß die vor seinem Schlaf aufgesetzte Hirse noch nicht einmal gargekocht sei. Zu einer Deutung s. YEN YUAN-SHU: »Yellow Millet Dream: A Study of its Artistry«, in: Tamkang Review VI (1975), S. 241–249. Daselbst findet sich auch eine englische Übersetzung vom Verfasser, S. 205–239. Der gesamte Titel lautet: Pang jushi wufang laisheng zhai zaju. Er wird von ALFRED FORKE übersetzt mit (unter Verwendung der heute gebräuchlichen Umschrift): Der Buddhist Pang verleiht versehentlich Gelder, die im zukünftigen Leben zurückzuzahlen sind. Zum Original s. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 147–156. Zur Übersetzung im Deutschen s. FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 365–428, erläutert S. 608–610.

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das Stück zum Thema einer wahren Bestimmung des Menschen zu sagen hat, nämlich zur Seelenruhe eines gläubigen Buddhisten, wird heute kaum noch jemanden begeistern können. Zu altklug und stereotyp kommen die Sprüche des Bruders Pang daher. Anders sieht es dagegen mit der Verurteilung des Geldes aus. Da sind dem unbekannten Verfasser manche Erkenntnisse gewachsen, die fast schon modern anmuten. So läßt er den Glücksgott Zeng die folgenden »Knittelverse« reimen:139 Der Edle ohne Geld muß leiden bittre Pein, der Bauer, der Geld hat, scheint edel und klug zu sein. Daß Eltern, Brüder man nicht mehr in Ehren hält, Recht bricht und lieblos ist, daran ist schuld das Geld.

Dem Geld wird also die Macht zugesprochen, die gesellschaftliche Ordnung umzukehren: Der gemeine Mann wird dank seines Geldes für weise erachtet, der honorige Vertreter des gelehrten Standes hat zu leiden. Die Pietät in der Familie, eine Säule der chinesischen Gesellschaft, gilt nichts mehr, der traditionelle soziale Abstand, den der Konfuzianismus so sehr betont, ist aufgehoben: Der Herr ist kein Herr und der Vater kein Vater mehr. Das Geld wird zur Natur des Menschen. Der Glücksgott Zeng weiter:140 Das Geld hat einen Körper bestehend aus Yin und Yang. Es ist wie ein älterer Bruder, sein Name heißt Kongfang. Es hat keine Tugend, aber wird geehrt. Es ist ohne Kraft, aber es erwärmt. Es dringt durch das goldene Tor, scheut nicht des Palastes Rot, beseitigt jede Gefahr, erweckt zum Leben den Tod. Vornehme kann es ins Elend zwingen und Lebende zu Tode bringen. 139 140

ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 148, Sp. 3; FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der YüanDynastie, S. 379. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 149, Sp. 1; FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der YüanDynastie, S. 381.

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Der Schuldner fürs zukünftige Leben Ohne Geld kann man im Streit nicht gewinnen, und ohne Geld der Haft nicht entrinnen. Ohne Geld kann man nicht Ruhm erwerben und wird als Unbekannter sterben. Drum in der Welt die berühmten Gelehrten und die Herren in Luoyang, die ehrenwerten, sie alle beseelt derselbe Trieb, haben Bruder Geld gar herzlich lieb. Von allen Wesen dieser Welt ist es auch nur allein das Geld, das mir die Hand entgegenreicht und nicht von meiner Seite weicht.

Das Geld war im traditionellen China zwar ebenso rund wie in anderen Zivilisationen auch, aber es pflegte ein viereckiges Loch in der Mitte aufzuweisen. Deswegen hat es hier den Anredenamen (zi) Kongfang, ein sprechender Name, der sich als »viereckig gelocht« übersetzen läßt. Es wird dem Jüngeren zum älteren Bruder, es bestimmt über Recht und Ruhm, es macht auch nicht vor dem Kaiserpalast halt. Diese Verse bestehen im Original überwiegend aus vier Zeichen, die oft parallel angeordnet sind. Sie lassen sich rhythmisch gut lesen.

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3. Der Sklave seines Geldes Von dem hohen Bewußtsein für die Rolle des Geldes, das bekanntlich während der Yuan-Zeit seine ökonomische Bedeutung erst zu entfalten beginnt,141 spricht auch das Stück Der Sklave seines Geldes (Kanqian nu), das möglicherweise von Zheng Tingyu (fl. 1281) stammt.142 Es ist eingebettet in eine Rahmenhandlung, die wesentlich von Gottheiten geprägt ist. Einem Geizhals werden auf Bitten von höheren Mächten zwanzig Jahre anhaltender Reichtum auf Kosten einer anderen Familie gewährt. Einzig ausbleibender Kindersegen gibt nun noch Anlaß zur Sorge. Diesem wird durch den Kauf eines Sohnes abgeholfen. Das Kind entwickelt sich jedoch wie sein Ziehvater zu einem »Geldmann« (qianshe), der in einem Tempel gar auf seine leiblichen Eltern einschlägt. Natürlich aus Unkenntnis, aber er sieht in den beiden Alten nur lästige Bettler. Ihm fehlt also nicht nur das Mitgefühl für arme Menschen, sondern auch die Achtung vor dem Alter. Obwohl sein Übersetzer Alfred Forke das Stück für eines der besten Dramen der damaligen Zeit hält, so vermag es heute wenig zu überzeugen. Zu schematisch ist der Eingriff der Gottheiten in das Geschick der Menschen, um es schließlich zum Guten zu führen. Wenn hier überhaupt etwas noch die Aufmerksamkeit heischen mag, dann ist es wiederum nicht das moralisierend Religiöse. Es ist das Weltliche, das dank witziger Schilderung den heutigen Leser zu erheitern versteht. Der unbekannte Autor läßt den Geizhals Jia Ren seine (Geld-)Krankheit wie folgt entwerfen:143 Mein Sohn, du weißt nicht, daß meine Krankheit mit einem Wutanfall begann. Eines Tages hatte ich Appetit auf gebratene Ente. Ich ging auf die Straße, und in einem Laden hingen gebratene Enten, von denen das Fett nur so heruntertroff. Ich tat so, als wollte ich eine Ente kaufen und griff sie so fest, so daß alle fünf Finger sie berührten. Als ich nach Hause kam, ließ ich mir Reis vorsetzen. Zu jeder Schüssel, die ich aß, leckte ich einen Finger ab und zu vier Schüsseln Reis vier Finger. Plötzlich überfiel mich eine gewisse Müdigkeit und ehe ich mich’s versah, war ich auf der Bank eingeschlafen. Da kam ein Hund und leckte den 141 142

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S. hierzu HERBERT FRANKE: Geld und Wirtschaft in China unter der Mongolen-Herrschaft. Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte der Yüan-Zeit, Leipzig: Harrassowitz 1949. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 713–724; FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der YüanDynastie, S. 430–499 plus Erläuterung S. 610–611. Der gesamte Titel lautet: Kanqian nu mai yuanjia zhaizhu, was Forke mit Der Sklave seines Geldes kauft von einer unglücklichen Familie seinen Gläubiger übersetzt. Zur Einschätzung s. GRUBE: Geschichte der chinesischen Litteratur, S. 386–388. Zur Textüberlieferung, Deutung und zum Humor s. RODERICH PTAK: Die Dramen Cheng T’ing-yüs [d.i. Zheng Tingyu], Bad Boll: Klemmerberg 1979, S. 178–180, 185–192, 198–203, 207–211. FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 475; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 720, Sp. 1.

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Der Sklave seines Geldes einen noch übrig gebliebenen Finger ab. Darüber geriet ich in großen Zorn, und daraus hat sich diese meine Krankheit entwickelt. Doch genug davon!

Mögen wir auch den bisherigen religiösen Befund in seiner inhaltlichen Bedeutung herunterspielen, so kommt man dennoch nicht umhin, die Fülle der Glaubensdinge zu konstatieren. Man mag geradezu der Behauptung zugeneigt sein, daß ein Mongolendrama ohne Gottesbezug undenkbar ist.

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4. Das Töpfchengespenst mit der tönernen Stimme Wir haben oben lediglich für die dritte Stufe der chinesischen Religiosität zwei Belege aufgeführt. Wie sieht es nun mit der zweiten Stufe aus? Gemäß chinesischer Vorstellung wird der Mensch nach seinem Tod zu einer »armen Seele« (gui) und kann bei guter Pflege und Hege durch die Nachkommenschaft sechs Generationen im Kosmos überdauern. Man mag einwenden, daß eine arme Seele weit entfernt von einer Gottheit ist. Das ist sicherlich richtig. Sehen wir uns jedoch einmal den Kontext an, in welchem eine arme Seele auftritt, dann stellen wir fest, daß dieser einen religiösen Rahmen bekommt. Sollte jemand zum Beispiel zu Unrecht und vor der Zeit ums Leben gekommen sein, so kann er sich als Rachegeist weiterhin bemerkbar machen und sein Recht einfordern. Und dabei ist er dann auch nicht von normalen Gottheiten aufzuhalten. Dies zeigt sehr deutlich das Spiel Das Töpfchengespenst mit der tönernen Stimme (Dingding dangdang pen’er gui) eines unbekannten Verfassers aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts.144 Dieses oft sehr derbe Stück ist ohne überirdische Mächte und Kräfte gar nicht denkbar, auch wenn es zur Gattung der Vergeltungsdramen (gonganju)145 gehört. Selbst der bekannte Richter Bao Zheng (999–1062), der hier wie in vergleichbaren Rechtsfällen zur Rechtsfindung bemüht wird, bedient sich magischer Mittel. Er steht im Bunde mit übernatürlichen Mächten, ist Richter in der Ober- und Unterwelt, nur er vermag arme Seelen zu sehen. Das Stück, das der Leipziger Sinologe 144

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ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 626–635; deutsch von JOHN HEFTER (1890–1953), in: FORKE (Übers.): Zwei chinesische Singspiele der Qing-Dynastie, S. 449–482; S. 503 bietet eine Inhaltsangabe. Martin Gimm bezeichnet die Übersetzung von Hefter als »leicht gekürzt« (S. 20). Tatsache ist jedoch, daß das Original vier Akte umfaßt, die deutsche Übertragung dagegen nur drei Akte. Es fehlt der zweite Akt des Originals, so daß der deutsche zweite und dritte Akt dem dritten und vierten im Original entsprechen. Zu einer neuerlichen Gesamtübersetzung und Würdigung s. RAINER VON FRANZ: Das »Ding-ding dang-dang pen-er gui [d.i. Dingding dangdang pen’er gui]«, ein chinesisches Drama aus der Zeit um 1300 n.Chr. Phil. Diss. Universität München 1977. Zu einer englischen Übertragung von George A. Hayden s. Renditions 3 (1974), S. 32–52 (»The Ghost of the Pot«). Diese Übersetzung findet sich überarbeitet nachgedruckt in: DERS.: Crime and Punishment in Medieval Chinese Drama. Three Judge Pao [d.i. Bao] Plays, Cambridge, Mass. u. London: Harvard UP 1978, S. 79–124. In letztgenanntem Werk finden sich übersetzt und annotiert auch die Stücke Reisverkauf in Chenzhou (Chenzhou tiao mi) und Blüten im hinteren Anwesen (Houting hua) von Zheng Tingyu. Zur immer noch bedenkenswerten Kritik der hier enthaltenen Übersetzungen s. die Rezension von F.W. MOTE in: Ming Studies 10 (1980), S. 9–13. Zum Rachegeist u.a. im Töpfchengespenst s. JOYCE C.H. LIU [d.i. Liu Jihui]: »The Protest from the Invisible World: the Revenge Ghost in Yuan Drama and the Elizabethan Drama«, in: Tamkang Review XIX.1–4 (1988/89), S. 755–783. Zu diesem Genre, das erst später zu seinem Namen kam, s. GEORGE A. HAYDEN: »The Courtroom Plays of the Yüan [d.i. Yuan] and Early Ming Periods«, in: HJAS 34 (1974), S. 192– 220.

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Das Töpfchengespenst mit der tönernen Stimme

Rainer von Franz als »eines der besten und unterhaltsamsten Yuan-Dramen«146 bezeichnet, stellt in seinen Mittelpunkt einen Nachttopf, in welchem die arme Seele eines von einem Töpfer aus Habgier ermordeten Handlungsreisenden zu darben hat. Nun muß man wissen, daß in der chinesischen Geistesgeschichte einem Topf oftmals die Rolle eines Wahrsageinstrumentes zufiel. 147 Um Wahrsagerei geht es auch zu Beginn des Dramas: Dem unglücklichen Helden wird der Tod innerhalb von hundert Tagen vorausgesagt, wenn er sich nicht auf Wanderschaft begibt. Er hält es jedoch nur 99 Tage in der Fremde aus, so daß das Schicksal seinen Lauf nimmt. Auch der Alte namens Zhang Biegu, der den Nachttopf zwecks Rechtsfindung zum Richter Bao trägt, nimmt für sich magische Fähigkeiten in Anspruch. Für ihn ist der Umgang mit Gespenstern eine Sache des Alltags. So rühmt er sich wie folgt:148 Ich bin der Zhang Biegu, der kein Gespenst [gui] fürchtet. Dafür bin ich in Bianliang berühmt. Ich verstehe mich auf die himmlische Magie [tianxin fa], auf die irdische Magie [dixin fa], auf die Magie des Dämonentöters Nuodo [Nuozha fa].

Daß unser Held es auf seinem Heimweg, mit dem Töpfchen als Begleiter, doch mit der Angst vor dem Rachegeist zu tun bekommt, macht einen Teil des Witzes aus, von dem das Stück lebt. Seine Verunsicherung verweist aber auch auf die unterschiedliche Gewichtung höherer Wesen aus menschlicher Sicht. Der Rachegeist scheint nämlich besonders mächtig zu sein und daher befähigt, andere Geister, die ihn eigentlich hätten abwehren sollen, zu überwinden. So beschimpft besagter Zhang Biegu den Torgott (menshen) mal prosaisch, mal lyrisch:149 Ich geh, den Torgott und den Geistertürwart auszuschalten. Schöner Torgott, schöner Türwart! Wie kommt ihr dazu, das Gespenst hereinzulassen? Wozu seid ihr eigentlich da? (Er singt nach der Melodie Ma lang’er): Am Neujahrstage habe ich euer Bild angeklebt, habe euch geopfert und genährt mit Opferkügelchen. Ich erwartete, dass ihr die schlechten Geister vertreiben Und bösem Spuk ein Ende machen würdet. Ich hoffte, ihr bewachtet das Haus und sorgtet vor. (Nach der Melodie Yaopian:) Pfui, soll ich etwa denken, daß ihr, trotz eurer gemalten bösen Glieder und eures mörderischen Aussehens Doch nur Schlafmützen seid? 146 147 148 149

VON FRANZ: Das »Ding-ding dang-dang pen-er gui«, S. 94. Ebd., S. 196ff. FORKE (Übers.): Zwei chinesische Singspiele der Qing-Dynastie, S. 463; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 631, Sp. 1. FORKE (Übers.): Zwei chinesische Singspiele der Qing-Dynastie, S. 471f; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 632, Sp. 2.

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DIE RELIGION UND DAS THEATER Was stellen die beiden Pfirsichholzamulette zu beiden Seiten des Türwarts für Arschbacken vor? (Er zerreißt den gemalten Türgott-Dämonentöter. Er singt:) Mit beiden Händen zerreiße ich diesen träumenden Türgott.

Trotz der positiven Urteile der Übersetzer und trotz seiner Aufnahme in die Auswahl (bedeutender) Yuan-Dramen dürfte das Stück Das Töpfchengespenst mit der tönernen Stimme kaum mehr als historische Bedeutung haben. Selbst für unseren Gegenstand, die Religiosität des chinesischen Theaters, gibt es außer einem anschaulichen Material für volkstümliche Glaubensvorstellungen nicht viel her. Das sieht bei dem berühmten und gern adaptierten150 Stück Dou E geschieht Unrecht (Dou E yuan)151 ganz anders aus. Seine lange Wirkungsgeschichte dürfte allerdings mit seiner religiösen Basis nicht viel zu tun haben.152

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So zum Beispiel von dem recht bekannten Dramatiker Ye Xianzu (1566–1641) in seiner Romanze Das goldene Joch (Jinsuo ji). Die beste Übersetzung im Englischen (mit Einleitung, Interlinearversion und Kommentar) ist immer noch CHUNG-WEN SHIH: Injustice to Tou O (Tou O Yüan [d.i. Dou E yuan]), Cambridge: Cambridge UP 1972. Zum Original s. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 675–683. Zu einer frühen Übersetzung ins Französische (1838) durch Antoine Pierre Louis Bazin (1799–1863) s. SIEBER: Theaters of Desire, S. 12f. und FORKE (Übers.): Elf chinesische Singspieltexte aus neuerer Zeit, S. 10. (Daselbst auch eine spätere Adaption auf deutsch nebst Kommentar und Original, S. 10, 94–116, 448f., 476–478.) Zur sprachlichen Seite des Dramas s. CHING-HSI PERNG [d.i. Peng Jingxi]: Double Jeopardy: A Critique of Seven Yüan [d.i. Yuan] Courtroom Dramas, Ann Arbor: University of Michigan 1978 (= Michigan Papers in Chinese Studies; 35), S. 42–46. Eine Kurzfassung des Buches durch den Autor mit Schwerpunkt auf Dou E findet sich in: Tamkang Review IX.1 (1978), S. 33–49. Zur Textgeschichte des Dramas s. STEPHEN H. WEST: »Zang Maoxun’s Injustice to Dou E«, in: Journal of the American Oriental Society 111 (1991), S. 284f. Zum Versuch, das Drama zu einer Tragödie zu stilisieren s. Ping-cheung Cheung [d.i. Zhang Bingxiang]: »Tou O yüan [d.i. Dou E yuan] as Tragedy«, in William Tay u.a. (Hg.): China and the West: Comparative Literature Studies, Hongkong: The Chinese UP 1980, S. 251–275. Der moderne Dramatiker Tian Han (1898–1968) hat es 1958 zur Kritik an der damaligen politischen Situation in seinem Stück Guan Hanqing wieder aufleben lassen. Zum Original s. Tian Han wenji, Bd. 7, Peking: Zhongguo Xiju 1983, S. 1–133 (Fassung von 1960), zur Deutung s. RUDOLF G. WAGNER: The Contemporary Chinese Historical Drama. Four Studies, Berkeley u.a.: University of California Press 1990, S. 1–79.

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5. Guan Hanqing (ca. 1240 – ca. 1320): Dou E geschieht Unrecht Es war bislang auf der unteren Stufe des chinesischen Pantheons von den Naturgottheiten (shen) die Rede gewesen und auf der mittleren Stufe von den Ahnengeistern. Ganz oben steht der Himmel, der, wie gesagt, zwar nicht spricht, sich aber dennoch offenbart. Die Bedeutung des Himmels für besagtes Stück von Guan Hanqing (ca. 1240 – ca. 1320)153, dem Begründer des Genres zaju, der später erst unser besonderer Gegenstand sein kann, wird in dem Langtitel deutlich, der dem üblichen Kurztitel die viergliedrige Wendung Gantian dongdi voranstellt, was soviel bedeutet wie »den Himmel rühren, die Erde bewegen«. Die beiden Binome gehen auf einen ähnlich klingenden Ausruf der zum Tode verurteilten und zur Hinrichtung geführten Heldin Dou E zurück, die zu Beginn des dritten Aktes singt:154 Grundlos heißt es, ich brach heiliges Recht, kann mich nicht hüten vor Strafe, ich beklage das Unrecht, damit Himmel und Erde aufmerken.

Warum ist es denn so notwendig, daß »Himmel und Erde aufmerken« (dongdi jingtian, eig. »die Erde bewegen, den Himmel aufschrecken«)? Diese kosmischen Repräsentanten von Yin und Yang sind deswegen so wichtig für die Heldin, weil in der Welt kein Recht herrscht. Sie wird Opfer zweier Mächte, welche in der Erzählkunst und auf der Bühne der kommenden Jahrhunderte einen immer größeren Raum einnehmen, nämlich das Geld und das geschlechtliche Verlangen (yu). Ihr Vater, der zunächst arme Scholar Dou Tianzhang, hat sie im siebten Lebensjahr – so berichtet der »Keil« (xiezi), eine Art Prolog – als Dienerin und künftige Schwiegertochter an eine Ziehmutter namens Cai gegen seine Schulden eingetauscht. Das Schicksal will es so, daß beide Frauen über kurz oder lang allein sind und ihnen ihrer beider Witwenstand zum Verhängnis wird. Als ein weiterer Schuldner angesichts nicht zurückzahlbarer Summen Frau Cai umzubringen versucht, erfolgt deren Rettung durch zwei Tunichtgute, die nun als Vater und Sohn zum Dank die 153

154

Aus seinem Leben ist wenig bekannt. Zur Sichtung des biographischen Materials s. A.W.E. DOLBY: »Kuan Han-ch’ing [d.i. Guan Hanqing]«, in: Asia Major 16 (1971), S. 1–60, sowie LIU WU-CHI: »Kuan Han-ch’ing [d.i. Guan Hanqing]: The Man and His Life«, in: Journal of Sung-Yuan Studies 22 (1990–1992), S. 63–87. Letzterer Beitrag hebt vor allem auf den Dramatiker als Lebemann ab, von dem als solchem noch später die Rede sein wird. Hier wie im folgenden übersetze ich nach den angegebenen Quellen! SHIH: Injustice to Tou O, S. 188f.; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 679, Sp. 3; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 19.

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Heirat mit den beiden Frauen verlangen. Während die Schwiegermutter einwilligt, bleibt Dou E standhaft. Da sie keine zweite Ehe eingehen will, nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Ein Giftanschlag des Sohnes trifft fälschlicherweise den eigenen Vater und nicht die eigentliche Schwiegermutter in spe. Dou E wird nun angeklagt, ihren Schwiegervater in spe getötet zu haben. Vor ihrer Hinrichtung ruft sie im dritten Akt den Himmel an und verlangt Wunder zum Zeichen ihrer Unschuld. Es solle im Sommer schneien, ihr Blut soll, statt zur Erde zu fließen, hinaufströmend ein Seidentuch an einer Fahnenstange tränken, und es soll drei Jahre lang im Lande Dürre herrschen.155 All dies ereignet sich tatsächlich, so daß ihr Vater, zu Amt und Ehren gekommen, sich genötigt sieht, als Vertreter von Kaiser und Gesetz in seiner alten Heimat nach dem Rechten zu schauen. Wie aber erfährt er, was sich wirklich zugetragen hat? Hier kommt das zweite religiöse Moment ins Spiel. Die tote Tochter erscheint dem Vater immer wieder als Geist, als arme Seele (gui), und klärt ihn auf. Das chinesische Theater kennt seit der Mongolenzeit eigens eine weibliche »Geisterrolle« (hundan)! Das Stück macht auch unmißverständlich klar, daß längst vor dem Eintreffen des Vaters die durch die Dürre heraufbeschworene unglückliche Situation der Bevölkerung durch Opfer an den Geist der Dou E hätte bereinigt werden können.156 Es hätte dann zu regnen begonnen. Aber seltsamerweise findet sich niemand zu diesem Versöhnungsakt bereit! Erst die buddhistischen Opfer, die der Vater nach der Richtigstellung des fälschlichen Gerichtsurteils vollzieht, lassen die Seele der Tochter gen Himmel aufsteigen (shengtian).157 Dem Himmel 158 kommt in unserem Stück die wichtigste Bedeutung zu. Er stellt eine jenseitige Macht dar, auf die sich ein rechtschaffener Mensch berufen und die er wunderbarerweise auch in seinem Sinne bewegen kann. Damit bezieht die Heldin gegen die Sicht des Mittelalters Stellung, die besagt, daß der Himmel unempfindlich sei und keinerlei Mitleid kenne. Dies ist nicht ganz selbstverständlich, denn die Beschreibung ihrer unglücklichen Situation nach dem Tod des Mannes schließt mit der typischen Frage des Mittelalters. So singt sie im ersten Akt:159 155 156

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SHIH: Injustice to Tou O, S. 212–215; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 21; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 680, Sp. 2. Es ist daher ganz unzulässig, Dou E vorzuwerfen, sie habe mit ihrem dritten Wunsch unnötig Unglück über eine arme Bevölkerung gebracht, s. MEI-SHU HWANG [d.i. Huang Meixu]: »The Deaths of Cordelia and Tou O [d.i. Dou E]«, in: YUN-TONG LUK [d.i. Lu Runtang] (Hg.): Studies in Chinese-Western Comparative Drama, Hongkong: Chinese UP 1990, bes. S. 171–174. Vielmehr zeigt sich gerade in der Indifferenz der »kleinen« Leute deren Gleichgültigkeit bzw. Mangel an Zivilcourage! SHIH: Injustice to Tou O, S. 314f; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 29; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 683, Sp. 2. Zur Bedeutung des Himmels in der frühen chinesischen Geistesgeschichte s. ROBERT ENO: The Confucian Creation of Heaven. Philosophy and the Defense of Ritual Mastery, State University of New York Press 1990. SHIH: Injustice to Tou O, S. 75–77; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 10; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 676, Sp. 1.

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Guan Hanqing: Dou E geschieht Unrecht In mir ist tiefe Trauer, ich leide schon viele Jahre, weiß das der Himmel? Wüßte der Himmel um meine Gefühle, auch er würde abnehmen.

Dieser Anklage gegen den Himmel160 steht die spätere Einsicht gegenüber, daß der Himmel sich derer annimmt, denen Unrecht widerfahren ist. Folglich singt Dou E unmittelbar vor ihrer Hinrichtung im dritten Akt:161 Du sagst, der Himmel gibt nichts auf Gerechtigkeit, er erbarmt sich nicht des Menschen Herz. Weißt du nicht, daß der hohe Himmel bereit ist, dem Schwur des Menschen zu folgen? Wie würde sonst drei Jahre kein Tau fallen können?

»Der Himmel ist gerecht« (yuanwang shi tiandi zhi), nicht nur der Himmel, auch die Erde weiß um das Unrecht, welches Dou E vor Gericht widerfährt.162 Vergleichbar wäre der nachträglich versöhnliche Ausgang des Stückes mit einem Gottesurteil im Alten Testament, aber auch mit der Praxis von Gottesurteilen im Volksglauben des Abendlandes, die allerdings 1234 durch päpstliches Dekret eingeschränkt wurde. Die Anrufung des Himmels durch Dou E gibt zu beiden Traditionen Parallelen zu erkennen. Der Himmel kann mit einem höheren Wesen (Jahwe im Alten Testament), verglichen werden, und die erwirkten Zeichen von Schnee, Blut, Dürre entsprechen der Enthüllung der Wahrheit durch die Elemente, wie sie bei »naturnahen« Völkern, aber auch noch im Okzident zumindest bis 1234 üblich war. Dies alles läßt sich aber auch konkretisieren, denn im Alten Testament verkündet der Prophet Elia im Buch 1. Könige, Kapitel 17.1 eine Dürre, die nach dem Gottesurteil auf dem Karmel (Kapitel 18) erst drei Jahre später in Regen verwandelt wird. Der Brief des Jakobus 5.17 faßt dies im Neuen Testament wie folgt zusammen: »Elia war ein Mensch gleich wie wir; und er betete ein Gebet, daß es nicht regnen sollte, und es regnete nicht auf Erden drei Jahre und sechs Monate.« Überlieferungen wie diese mögen gewandert sein, aber wir wissen auch, daß nicht nur zur Mongolenzeit christliche Missionare China wieder erreicht (1294), Kirchen gebaut (ab 1299) und Diözesen bzw. Bistümer eingerichtet 160

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Vgl. hierzu weiter OBERSTENFELD: Chinas bedeutendster Dramatiker der Mongolenzeit (1280–1368), S. 41. Vgl. auch ansonsten die Seiten 31–49, die nebst Textbeispielen der Einführung, Deutung und Rezeption des Stückes gewidmet sind. SHIH: Injustice to Tou O, S. 218–221; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 22; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 680, Sp. 2. SHI: Injustice to Tou O, S. 184f.; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 19; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 679, Sp. 2.

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DIE RELIGION UND DAS THEATER

haben, sondern daß auch schon seit 635 die christliche Heilslehre des Nestorianismus im Reich der Mitte bekannt war und zur Yuan-Zeit wieder aufblühte.163 In den Augen der Dou E beweist der Himmel dank der Wunder, die er geschehen läßt, zwei Dinge: einmal ihre Unschuld und zum anderen seine Gabe zum Mitleid. Gleichwohl ist es letztlich der Mensch, der als wahrer Vertreter eines gerechten Herrschers und einer vollkommenen Ordnung Recht werden läßt. Da er aber im Bund mit dem Himmel steht, sind auch ihm magische Kräfte zueigen, wie das Beispiel des Vaters deutlich zeigt, der seine Tochter – so sagt es der vierte Akt – im Falle der Unwahrheit in einen Hungergeist hätte verwandeln können. Unsere These von dem religiösen Hintergrund des chinesischen Theaters ist alles andere als Allgemeingut, sie soll daher nicht über Gebühr strapaziert werden. Vielmehr werden wir uns im folgenden eher landläufigen Ansichten überlassen und das Religiöse nur bemühen, wo es unabdingbar geboten erscheint.

163

Vgl. hierzu NICOLAS STANDAERT (Hg.): Handbook of Christianity in China: 635–1800, Leiden: Brill 2000.

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Teil II Das Theater der Yuan-Zeit (1279–1368)

1. Zur Genese des Mongolendramas (zaju) Mit einer Erklärung, warum zur Yuan-Zeit das chinesische Theater plötzlich so sehr an Prominenz gewinnt und gleichsam als fertiges, in sich geschlossenes Produkt die literarische Szene betritt, tun sich bis heute viele Forscher schwer. Manche sehen in Guan Hanqing den Begründer164, andere sprechen von der neuen entwickelten Sangeskunst des nachklassischen Liedes (qu) als Auslöser.165 In mancher Hinsicht fühlt man sich an das Werk des Homer (8. Jh. v.Chr.?) erinnert, das, wie es immer wieder so schön heißt, aus dem Dunkel der Geschichte tritt und keine Vorläufer zu erkennen gibt. Vorhergehende Zeugnisse mögen in beiden Fällen auf Grund der bereits erreichten Perfektion den Nachgeborenen keiner sorgfältigen Aufbewahrung wert erschienen sein. Überdies scheint gar nicht mehr so klar zu sein, ob dem bisher allgemein angenommenen Tatbestand überhaupt so Glauben zu schenken ist. Inzwischen wird nämlich von einigen Gelehrten die These vertreten, daß dem zaju bereits hundert Jahre zuvor eine in sich abgeschlossene Theaterform vorausgegangen sei, und zwar im Süden, genauer in Wenzhou (Provinz Zhejiang), weshalb man auch vom Wenzhou zaju spricht. Dies wäre insofern auch nicht verwunderlich, als nach den anfänglichen Zerstörungen166 des Nordens unter der Fremdherrschaft der Dschurdschen (Ruzhen, Jin-Dynastie) alle großen literarischen Ereignisse zunächst im Süden Gestalt annahmen. Besagtes eher allgemein als »Spiel des Südens« (nanxi) benanntes Theater – so neuere Erkenntnisse – habe bereits hundert Jahre zuvor, und zwar 164 165

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DOLBY: Kuan Han-ch’ing, S. 40ff.; DERS.: A History of Chinese Drama, S. 44 (»Vater und Schöpfer des zaju«). DALE R. JOHNSON: »The Prosody of Yüan [d.i. Yuan] Drama«, in: T’oung Pao LVI (1970), S. 142. Dieser Beitrag macht ansonsten ernüchternd klar, daß eine letzte Gewißheit in Sachen unseres Gegenstandes nicht zu gewinnen ist. Ähnlich CRUMP: »The Conventions and Crafts in Yuan Drama«, in: BIRCH (Hg.): Studies in Chinese Literary Genres, S. 192–219: Zu jeder Regel gibt es eine Ausnahme! – Obzwar die Prosodie hier nicht unser Gegenstand sein kann – sie wäre eher etwas für ein Fachpublikum –, sei an dieser Stelle doch noch ein Hinweis auf die Prosodie des Mongolendramas mit praktischen Beispielen angeführt, s. J.I. CRUMP, JR.: »Spoken Verse in Yüan [d.i. Yuan] Drama«, in: Tamkang Review IV.1 (1973), S. 41–52. Vgl. weiter DALE R. JOHNSON: »One Aspect of Form in the Arias of Yüan [d.i. Yuan] Opera«, in: LI CHI u. DALE JOHNSON: Two Studies in Chinese Literature, Michigan Papers in Chinese Studies 3 (1968), Ann Arbor, S. 47–98. Anfänglich deshalb, weil die Jin-Dynastie zu guter Letzt ein sinisierter Staat war und die chinesische Kultur förderte. Dazu gehörte auch das Theater, das in der Hauptstadt Zhongdu (heute Peking) durch Konzentration der Unterhaltungskünstler besonders gepflegt wurde. Zu einer ausgewogen positiven Sicht der Fremdherrschaft der Dschurdschen in Nordchina s. HERBERT FRANKE: »The Chin [d.i. Jin] Dynasty«, in: DERS. u. DENIS TWITCHETT (Hg.): Alien Regimes and Border States. 907–1368, Cambridge UP 1994 (= The Cambridge History of China; 6), S. 215–320.

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DAS THEATER DER YUAN-ZEIT

entweder zwischen 1119 und 1125 oder zwischen 1190 und 1194, eine volle, in sich abgeschlossene Form entwickelt, sei dann aber durch das »Spiel des Nordens« verdrängt worden. Tatsache ist, daß uns heute nur noch drei Stücke vollständig überliefert sind, ansonsten deren Titel und bestenfalls ihre Fragmente. Diese sind meist anonym, das heißt von Amateuren, sogenannten »Schreibclubs« (shuhui), zur Unterhaltung für ein weniger anspruchsvolles Publikum verfaßt worden. Darunter gilt Der Spitzenkandidat Zhang Xie (Zhang Xie zhuangyuan) als das älteste Beispiel und somit als der älteste existierende Beleg eines chinesischen Singspiels vom Beginn des 13. Jahrhunderts. Auch dieses handelt wie all die anderen Stücke von den bekannten Themen wie Liebe, Ehe, Familie. 167 Schreibclubs, die sich seit der Song-Zeit aus Vorbereitungskursen für das kaiserliche Examen entwickelt hatten, standen übrigens in enger Beziehung zu Tempeln, deren Feste sie theatralisch mitzugestalten hatten. Nach 1450 finden sie in dem chinesischen Schrifttum keine besondere Erwähnung mehr.168 Gleichwohl läßt sich weiter an der These von der Yuan-Zeit als dem eigentlichen Beginn des chinesischen Theaters festhalten. Dies aus dem ganz einfachen Grund, weil die Stücke nun auf jeden Fall reifer sind, einen Verfasser zu erkennen geben und den Anspruch auf Kunst zu erheben scheinen. Insofern würde nachvollziehbar, warum das Spiel des Nordens das des Südens so plötzlich verdrängen konnte. Wie mag es aber zu diesem qualitativen Sprung gekommen sein? Ein Standardargument besagt, daß schon seit der mongolischen Eroberung des heutigen Peking, der späteren Hauptstadt Dadu, im Jahre 1215 und erst recht seit 1234, als die Mongolen im Norden die Jin-Dynastie und damit ganz Nordchina eingenommen hatten, die chinesischen Literati, wenn sie denn überleben konnten und nicht versklavt worden waren, sich dem Amt fernhielten bzw. fernhalten mußten, da für sie keine Verwendung bestand. Sie hätten nun, ob gezwungen oder nicht, den Rückzug aus der politischen Öffentlichkeit ins Private angetreten, und ein Ort unter anderen sei die Welt des Vergnügungsviertels gewesen. So seien hier das nachklassische Lied (qu) und das Drama zum bevorzugten Genre ihrer Klage geworden. 169 Wir wissen von Dingen wie diesen in der Regel 170 erst durch die 167

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Zu diesen frühen Spielen s. IDEMA, WEST: Chinese Theater 1100–1450, S. 205–235. Zu einem Auszug auf englisch s. DOLBY: A History of Chinese Drama, S. 27–33. Der Übersetzer schätzt dieses Spiel als das früheste erhaltene Beispiel der Gattung nanxi ein. Zum Original s. GUO HANCHENG (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 1, Ji’nan: Shandong Jiaoyu 2000. S. 3–92. Eine sehr gute Einführung in die Geschichte der shuhui findet sich bei WILLIAM H. NIENHAUSER, JR. (Hg.) The Indiana Companion to Traditional Chinese Literature, Bloomington: Indiana UP 1986, S. 708–710, und zwar von STEPHEN H. WEST. So zum Beispiel bei DOLBY: A History of Chinese Drama, S. 40ff. Eine Ausnahme stellt das 1330 erstmals kompilierte Register von Verstorbenen [Dramatikern] (Lu gui bu) von Zhong Sicheng (ca. 1279–1360) dar, welches katalogartig 152 Autoren von Liedern und Stücken der Jin- und Yuan-Zeit vorstellt. Zur Übersetzung des Vorwortes s. FEI (Hg.): Chinese Theories of Theater and Performance, S. 37–38.

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Nachgeborenen der nachfolgenden Dynastie, die auch die einzelnen Stücke der Yuan-Zeit überliefert und bei der Gelegenheit bearbeitet haben, so daß sich mit Fug und Recht sagen läßt, wir kennen eigentlich so gut wie gar kein Drama der Yuan-Zeit in seiner ursprünglichen Fassung, und wenn überhaupt etwas aus der damaligen Zeit auf uns gekommen ist, dann nur in der Form von Arien.171 Natürlich stellt sich an dieser Stelle die Frage, warum denn die Literati auf ein neues Medium ausgewichen sein sollen und nicht weiter mit den alten, erprobten Genres vorlieb genommen haben. Nun ist es eine Tatsache, daß das klassische Gedicht (shi) ohnehin seit der Song-Zeit an Ausdruckskraft verloren hat und durch das klassische Lied (ci) ersetzt worden war. Letzteres wiederum mußte dem besagten nachklassischen Lied weichen. Die Essayistik war im weitesten Sinne als politische an den Hof gebunden, als ästhetische an die Muße in privater Umgebung. Der Hof war den Gebildeten verwehrt. Es wurden nicht nur Fremde für den Dienst in den Ämtern vorgezogen, sondern Han-Chinesen – Hanren im Norden, Nanren im Süden geheißen – galten ohnehin nur als Menschen dritter (im Norden) bzw. vierter Klasse (im Süden).172 So wurde aus der »offenen« Gesellschaft der Song-Zeit eine geschlossene Gesellschaft der Yuan-Zeit.173 Zwischen 1234 im

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Das Werk wurde später von Jia Zhongming (ca. 1343–1422) zunächst überarbeitet und schließlich, um 71 Autoren der späten Yuan- und frühen Ming-Dynastie erweitert, unter dem Titel Ergänzungen zum Register von Verstorbenen [Dramatikern] (Lu gui bu xubian) ediert. In diesem Zusammenhang seien auch noch zwei weitere Quellen erwähnt, die immer wieder gern zitiert werden. Da ist einmal die Suite Ein Bauer kennt sich im Theater nicht aus (Zhuangjia bu shi goulan) von DU RENJIE (fl. 1233), welche in der »Ichform« den Besuch einer damaligen Aufführung beschreibt, so daß die lyrische Stimme und der »Bauer« identisch sein dürften. Zum Original siehe der leichten Auffindbarkeit und der ausführlichen Kommentierung halber HE XINHUI (Hg.): Yuanqu jianshang cidian [Vademecum zum nachklasischen Lied der Yuan-Zeit], Peking: Zhongguo Funü 1988, S. 27–30. Zu einer englischen Übertragung s. u.a. David Hawkes: »Reflections on some Yuan Tsa-chü [d.i. Yuan zaju]«, in: Asia Major XVI (1971), S. 75f. bzw. FEI (Hg.): Chinese Theories of Theater and Performance, S. 39f. Da ist weiter das anonyme Theaterstück Lan Caihe (14. Jh.), das einen Regisseur und Schauspieler gleichen Namens vorstellt. Thema ist zwar die taoistische Erlösung, gleichwohl erfährt man viel über das Familienunternehmen einer Wandertruppe. Zum Original s. SUI (Hg.): Yuanqu xuan waibian, Bd. 3, S. 971–980, zur vollen Übersetzung nebst Einleitung und Kommentar s. IDEMA, WEST: Chinese Theater 1100–1450, S. 299–349. Bis jüngst war man davon ausgegangen, daß zumindest Die Ausgabe der dreißig während der Yuan-Zeit gedruckten Dramen (Jiaoding Yuan kan zaju sanshi zhong, Nachdruck Taipeh: World Book Co. 1962) aus der Mongolenzeit stammt. Nach neueren Erkenntnissen der japanischen Sinologie ist jedoch eine spätere Edition anzusetzen. Zu der von Zheng Qian herausgegebenen oben genannten Edition s. DALE JOHNSON: »Yüan [d.i. Yuan] Drama: New Notes to Old Texts«, in: Monumenta Serica 30 (1972–1973), S. 426–438. ELIZABETH ENDICOTT-WEST: »The Yüan [d.i. Yuan] Government and Society«, in: FRANKE u. TWITCHETT (Hg.): Alien Regimes and Border States, S. 610–613, hält diese traditionelle Sicht der Sinologie jedoch für ein Stereotyp. So FREDERICK W. MOTE (1922–2005): »Chinese Society under Mongol Rule, 1215–1368«, in: FRANKE u. TWITCHETT (Hg.): Alien Regimes and Border States, S. 627ff.

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Norden bzw. 1274 im Süden und 1314 waren die traditionellen Staatsprüfungen ausgesetzt, so daß es keinen allgemeinen und verbindlichen Hort für die klassische chinesische Bildung mehr gab. Und als 1315 das staatliche Prüfungssystem wieder eingesetzt wurde, war es kaum zwanzig Jahre später wieder außer Kraft gesetzt. Aber auch in der Zwischenzeit hatten die chinesischen Kandidaten bei Prüfungen und Amtsübernahme Diskriminierungen zu gewärtigen, sie hatten immer hintanzustehen. Besonders eklatant wird dies in der Rangordnung der »Berufe« zur Yuan-Zeit deutlich. Auf der zehnstufigen Skala nahmen die Konfuzianer vor den Bettlern den vorletzten Rang ein!174 Die damalige Demütigung der Chinesen durch die Mongolen ist eine Tatsache, so daß man davon ausgehen muß, daß es kaum einem traditionell gebildeten chinesischen Literatus vergönnt gewesen war, ein im besten Sinne müßiges Leben zu führen. Kurz, die bisherigen Ausdrucksweisen des chinesischen Geistes hatten keinen praktischen Ort mehr in der Gegenwart. Wir müssen daher neben dem politischen und auch ökonomischen Wechsel, der sich damals vollzog, ebenso von einem grundlegend geistigen Wandel, ja Wertewandel ausgehen, welcher – schwer erklärlich175 – von einer Elitekultur zu einer Volkskultur zu führen scheint. Wie allgemein bekannt176 übernimmt mit den Mongolen eine Stammesföderation den chinesischen Verwaltungsstaat, eine Nomadenkultur löst eine Agrarkultur ab, eine Militäraristokratie tritt an die Stelle einer Beamtenzivilisation. Und da die Stammesfürsten, besonders im Norden, mit Ländereien in der Größenordnung von Provinzen belohnt werden, setzt eine Refeudalisierung ein, die eines anderen Regierungsapparates zu bedürfen scheint, zumal man im Gegensatz zu anderen Fremdvölkern, die in China an die Macht gekommen waren bzw. kommen sollten, 174

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ZHOU YIBAI: Zhongguo xiqu fazhan shi gangyao, Schanghai: Guji 21984, S. 143. Zu Zhou Yibai (1900–1977), Fachmann in der Nachfolge von Wang Guowei, s. SCHAAB-HANKE: Die Entwicklung des höfischen Theaters in China, S. 15. Zu einer anderen Einschätzung als Zhou Yibai kommt LI: Yuan zaju shi, S. 63f.: Der Neokonfuzianismus sei gefördert worden und habe im Gegensatz zu den nachfolgenden Dynastien der Ming und Qing viel Freiheit genossen. Überdies hätten die Mongolen die Kulturen und Bräuche anderer Völker toleriert. Ähnlich CRUMP: Chinese Theater in the Days of Kublai Khan, S. 16f., der hier auch auf die für das Theaterleben so wichtigen Enklaven Zhending und Pingyang verweist, S. 12–17. Am vehementesten spricht sich MOTE: »Chinese Society under Mongol Rule, 1215–1368«, S. 634, 640–643, gegen die herkömmliche Auffassung aus, chinesische Literati hätten aus Frustration über ihre Randexistenz das chinesische Theater aus dem Nichts geschaffen. Der amerikanische Sinologe scheint sich aber im Rahmen seines Beitrages zu widersprechen! Es sei an dieser Stelle angemerkt, daß besagtes Werk von einem Verbot des Theaters und der Erzählkunst während der Jahre 1333–1340 spricht! S. ebd., S. 570. CRUMP: Chinese Theater in the Days of Kublai Khan, S. 22f., geht davon aus, daß die Mongolen dem Gewerbe der Unterhaltung näher standen und deswegen auf diese »Volkskunst« nicht ablehnend reagierten, zumal die Unterhaltungskünstler gern mit ihnen zusammenarbeiteten. Ich folge hier ROLF TRAUZETTEL: »Die Yüan [d.i. Yuan]-Dynastie«, in: MICHAEL WEIERS (Hg.): Die Mongolen. Beiträge zu ihrer Geschichte und Kultur, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1986, S. 217–282.

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nicht zu einer spezifischen Sinisierung bereit war. Die Mongolen griffen bei der Verwaltung des geeinten Reiches auf die Erfahrungen der Dschurdschen zurück, die nomadische und agrarische Elemente in einem neuen Staatsmodell zu verbinden gewußt hatten. Die Mongolen setzten nun für Verwaltungsaufgaben Fremde ein, die man heute als Iraner oder Araber bezeichnen würde. Die Finanzen wurden den sogenannten Semuren überlassen. Mit diesem nicht eindeutig zu klärenden Namen aus drei chinesischen Zeichen177 bezeichnete man meist Mohammedaner aus West- und Innerasien, die sozial zwischen der herrschenden Schicht der Mongolen und der beherrschten Schicht der Chinesen standen. Vielleicht wäre den neuen Herren aus der Steppe die weitere Befleißigung der chinesischen Literati mit traditionellen Genres auch verdächtig erschienen, waren diese doch repräsentativ für eine chinesische Elite, die sie nicht in Anspruch zu nehmen gedachten. Das Theater dagegen war unschuldig. Es kam aus dem Volk, es sprach eine – so scheint’s – verständliche Sprache, und es richtete sich moralisierend an das Volk. Die communis opinio mußte daher leicht überprüfbar erscheinen. Verwunderlich ist in diesem Zusammenhang allerdings die allgemeine Auffassung, daß das Theater, dessen erster Ort das heutige Peking, das damalige Dadu (Khanbalik), gewesen ist, ebenso wie das nachklassische Lied zum Sturz der mongolischen Herrschaft mit beigetragen habe. Wir können dem hier nicht weiter nachgehen, wollen aber Dinge wie diese im Auge behalten. Wie läßt sich nun, bevor wir zur beispielhaften Analyse einzelner repräsentativer Dramen der Mongolenzeit kommen, das damalige Theater allgemein charakterisieren?178 Sehen wir einmal von der hinlänglich bekannten Tatsache ab, daß wir es mit einem auf Moral spezialisierten Spiel zu tun haben, das, ganz gleich, ob aus konfuzianischer, taoistischer oder buddhistischer Perspektive, eine Botschaft zu vermitteln bemüht ist, so stellt ästhetisch gesehen die Lyrik in Gestalt des nachklassischen Liedes das wichtigste Element dar. Als gesungene Arie ist sie zu unterscheiden von der bloß gesprochenen, rezitierten, also keinesfalls gesungenen Poesie in Gestalt des (klassischen) Gedichtes (shi, ci)179, das jedem, vor allem einer Nebenrolle, als Mittel der sachlichen Äußerung zustand und oftmals, mitunter auch komödienhaft, den Auf- und Abtritt von Personen begleitete. Das Lied dagegen war nur einer einzigen Bühnenfigur in den Mund gelegt. Hiervon ist weiter zu unterscheiden die Prosa, die ebenfalls jedermanns Sache ist: Sie kommt zur Anwendung im Monolog, im Dialog und bei den Regieanweisungen zum Aufund Abtritt der Protagonisten. Sie kann dazu dienen, den Plot voranzubringen oder 177 178

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Manche vertreten die Auffassung, der Ausdruck sei als »Menschen mit bunten Augen« zu verstehen. Ich folge hier in groben Umrissen SHIH: The Golden Age of Chinese Drama, und CHING-HSI PERNG [d.i. Peng Jingxi]: »Language as Discovery: An Aspect of Yüan [d.i. Yuan] Drama«, in: Renditions 9 (1978), S. 92–101. Ci ist hier nicht zu verwechseln mit dem klassischen Lied! In diesem Falle bezeichnet das Wort lediglich einen gereimten Vers.

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den aufgestauten Gefühlsüberschwang zu mäßigen. Wir haben es also mit drei verschiedenen sprachlichen Formen180 zu tun. Die beiden wichtigsten, das Lied und die Prosa, lassen sich in ihrer Unterschiedlichkeit vereinfacht als »klassizistisch« und »umgangssprachlich« bzw., wie es in der Fachsprache der Fall ist, als »lyrisch« (changci) und narrativ (binbai) charakterisieren. Sie stehen – wie oben gesagt – in einem Verhältnis wie Yin und Yang zueinander. Zwischen ihnen nimmt das Gedicht eine Zwischenposition ein, da es von beiden Ausdrucksmitteln jeweils einen wichtigen Teil hat: Vom Lied die gebundene Form und von der Prosa die auf den Plot bezogene Aussage. Wir finden dies beispielhaft in dem wenig unten weiter zu besprechenden Stück Ein Wutong-Baum im Regen, wenn etwa zu Beginn des zweiten Aktes der Rebell An Lushan sein Vorhaben rational wie folgt zusammenfaßt:181 Mit meinen wohlerprobten Heeren marschiere ich auf Tongguan grad’. Sich meines Angriffs zu erwehren das Haus der Tang weiß keinen Rat. Um Yang Guifei nur ist mein Bangen, nur sie ich mir erobern will, nicht Gold und Schätze zu erlangen, Berge und Flüsse, ist mein Ziel.

Lied und Prosa verkörpern unterschiedliche Bereiche: den Raum der Imagination und den Raum des Alltags, die Welt des Gefühls und die Welt der Sachlichkeit.182 Hier spielt der Aspekt der Zeit eine wichtige Rolle. Während nämlich das gesprochene Wort die Handlung und damit die Zeit entfaltet, hält das gesungene Wort die Zeit an. Geht es im ersten Fall um eine Information für den Zuschauer, so geht es im zweiten Fall um den Ausdruck einer Emotion, die der Sprecher in erster Linie an sich selber zu richten scheint, denn da nur die männliche (zhengmo) bzw. weibliche (zhengdan) Hauptperson singen kann, ist das Subjekt in den Liedern immer das lyrische Ich! Die Angelegenheit läßt sich auch wie folgt darstellen: Was episch zunächst dargelegt wurde, wird anschließend in einem Bild zusammenfaßt. Deshalb bestehen die Lieder in erster Linie aus Leitmotiven, welche den 180

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Zur Sprache (nicht nur) des Yuan-Dramas s. DALE R. JOHNSON: A Glossary of Words and Phrases in the Oral Performing and Dramatic Literatures of the Jin, Yuan, and Ming, Ann Arbor: The University of Michigan 2000. Mit heutiger Umschrift zitiert nach FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 207f.; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 173, Sp. 1. Tongguan ist ein strategisch wichtiger Paß in der Provinz Shaanxi. Die Vorstellung von der Eroberung der Schönen und der Welt (jiangshan) hat sich übrigens bis heute in der populären Musik Chinas erhalten. Zu diesen beiden unterschiedlichen Sprachformen s. den kurzen und prägnanten Beitrag SAI-SHING YUNG: »Tsa-chü [d.i. zaju] as a Lyrical Form«, in: LUK (Hg.): Studies in ChineseWestern Comparative Drama, S. 81–93.

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Zur Genese des Mongolendramas (zaju)

Fortgang der Handlung zur Stärkung des Gefühls anzuhalten haben.183 Die Handlung selber muß an sich nicht unbedingt neu und interessant sein, da sie unter Umständen jeder Zuschauer bzw. Leser schon kennt. Dies gilt insbesondere für beliebte Themen wie die unglückliche Liebe des Tang-Kaisers Xuanzong zu seiner Konkubine Yang Guifei (713–756).184

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Gegen eine Auffassung wie diese, daß nämlich das Lied ein retardierendes Moment enthalte, wehrt sich VIATCHESLAV VETROV: »The Element of Play in the Textual Structure of Yuan Drama. Creating Artistic Meaning Through Literary Allusions and Quotations«, in: Monumenta Serica 56 (2008), S. 373–393. Die Thematik ist sehr gut abgehandelt von FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der YüanDynastie, S. 601–604.

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2. Bai Pu (1227–1306): Ein Wutong-Baum im Regen Bai Pu (白朴 1227–1306) greift besagte längst abgehandelte Thematik in seinem Stück Ein Wutong-Baum im Regen (Wutong yu, nach 1261)185 wieder auf. Es ist ein großes Stück, das ihn zu Recht berühmt gemacht hat und sein einzig weiteres als authentisch geltendes theatralisches Werk (Qiangtou mashang, Auf dem Pferd an der Mauer)186 weit hinter sich läßt. Dabei vertieft der Autor den Aspekt des Schmerzes auf Kosten der Handlung. So läßt er den Kaiser im letzten Akt immer wieder das Thema Regen – eines von vielen Leitmotiven187 – zum Gegenstand der Lieder machen. Hier nach der Weise Daodaoling heißt es:188 Oft klingen die fallenden Tropfen noch heller als wenn Perlen fielen auf Jadeteller. Oft ist melodischer noch ihr Klag als beim Festmahl Flöten und Gesang. Dann wieder tönt so rein ihr Schall wie auf grünen Felsen der Wasserfall. Bisweilen ist noch wilder ihr Grollen, als wenn in der Schlacht die Trommeln rollen und unter seidenen Fahnen dann in Reihen kämpfen Mann gegen Mann. Soll man sich darüber nicht ärgern? Soll man sich darüber nicht ärgern? Der Regen ist so mannigfach, man wird betäubt von all dem Krach.

Seit der Dichter Bai Juyi (772–846) in seinem »Lied vom langen Leid« (Chang hen ge)189 die Sehnsucht unseres Tang-Kaisers nach seiner toten Konkubine in 185

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Zur Übersetzung s. FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 186–242; zum Original s. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 170–177. Zur Deutung des sprachlichen Aspektes s. PERNG: Double Jeopardy, S. 21–27. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 164–170, eine der üblichen Geschichten von einem Scholar und einer Schönheit: Man findet sich, man wird getrennt, man findet sich wieder. Zur Raffinesse der Leitmotive s. PAUL Z. PANISH: »Tumbling Pearls: The Craft of Imagery in Po Pu’s [d.i. Bai Pu] ›Rain on the Wu-t’ung [d.i. Wutong] Tree‹«, in: Monumenta Serica XXXII (1976), S. 355–373. Der Verfasser wirft auf S. 367 zu Recht die Frage nach dem Sinn des vierten Aktes auf, der – aus lauter Monologen bestehend – die Handlung gar nicht mehr voranbringe, nachdem mit dem Tod der Yang Guifei im dritten Akt der Höhepunkt des Dramas bereits erreicht sei. Meine folgenden Ausführungen zum Thema der Handlungshemmung mögen vielleicht eine hinreichende Erklärung sein! FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 238; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 176, Sp. 3. Vgl. hierzu WOLFGANG KUBIN: Die chinesische Dichtkunst. Von den Anfängen bis zum Ende

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Bai Pu: Ein Wutong-Baum im Regen

höchstem Maße idealisiert hat, ist diese Thematik aus der chinesischen Literatur nicht mehr fortzudenken. Bai Pu hat nur eine der vielen Variationen geschaffen, in deren Mittelpunkt eigentlich der Aufstand des An Lushan (703–757) von 755 und der sich abzeichnende Niedergang der Tang-Dynastie stehen müßten. Statt dessen wird jedoch die Liebe, die ewige Liebe, zum eigentlichen Gegenstand erhoben. So zeigt der erste Akt den verliebten Kaiser, der unter dem Wutong-Baum einen Liebesschwur ablegt. Der zweite Akt inszeniert die schöne Welt der Yang Guifei bei Wein und Tanz vor der Flucht. Der dritte Akt stellt wie in einem klassischen Gedicht eine Wende dar: Auf der Flucht vor den Rebellen hat sich Yang Guifei auf Verlangen des meuternden Heeres das Leben zu nehmen. Und der vierte Akt schließlich widmet sich ausschließlich dem Schmerz des abgedankten Herrschers. Mag Xuanzong, der dem Bild seiner Konkubine opfert, auch deren Geist erscheinen, nichts kann ihn über seinen Verlust hinwegtrösten. Er lebt ganz in seiner Erinnerung. Bei der Beschreibung des Liebesschmerzes gelingen Bai Pu ergreifende Lieder. Dabei macht er nicht nur von dem Leitmotiv des WutongBaumes190 häufig Gebrauch, sondern auch von der Lautmalerei. Zunächst zur Bedeutung des Baumes in der chinesischen Literatur. Der Fachmann für die chinesische Dichtkunst und das chinesische Theater, Alfred Hoffmann, merkt hierzu an:191 Der Wutong-Baum ist der Firmiana simplex. Dieser prachtvolle, Platanen-ähnliche Baum mit seinen großen Blättern (mit Stiel häufig rd. 1 m lang), der oft in chinesischen Höfen und an Brunnen gepflanzt wird, gilt als der Baum, der »um den Herbst weiß«, »den Herbst kennt« (zhi qiu), d.h. in seinen vergilbenden Blättern kündet sich die Ankunft des Herbstes zuerst an (was bei alleiniger Betrachtung der großen dekorativen Bäume im allgemeinen zutrifft). Seine Blätter werden blaßgelb, und auf kaum einem chinesischen Herbstbilde fehlt die Darstellung dieses Baumes. Er gehört ebenso in das Requisit der chinesischen Herbstdichtung. Der Ausdruck ist Schlüsselwort und kann nur in Herbstdichtungen verwendet werden. […] Berühmt sind die beiden Verse Bai Juyis aus seinem Chang hen ge, in denen er den höchsten Glanz und die tiefste Trauer, die Kaiser Minghuang [d.i. Xuanzong] und seine Geliebte Yang Guifei erlebten, kurz in den Versen andeutet: »Sie waren beisammen in Tagen, wo im Frühlingswinde Pfirsich- und Pflaumenbäume ihre Blüten öffneten, / und zu Zeiten, wo im Herbstregen FirmianaBäume ihre Blätter abwarfen.«

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der Kaiserzeit, Bd. 1 der Geschichte der chinesischen Literatur, hg. von WOLFGANG KUBIN, München: Saur 2002, S. 198ff. FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 205, 212, 234, 237, 238–240. Unter Anpassung an die heutige Phonetik etc. nach ALFRED HOFFMANN: Die Lieder des Li Yü [d. i. Li Yu], 937–978, des Herrschers der Südlichen T’ang-Dynastie, Köln: Greven 1950, S. 96f.

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Für den Klang des Regens, der in obigem Zitat schon angesprochen worden war, hat der Kaiser ein besonderes Gespür. Unverständlich für seine Umwelt ist ihm die Stimme des Wassers eine jeweils andere, sie ändert sich für sein Ohr von Baum zu Baum. Um dies zu verdeutlichen, singt Xuanzong nach der Melodie Sansha die folgenden Verse:192 Da ist der Regen vom Weidenbaum. Er rieselt, sprüht kalt durch jeden Raum, durchfeuchtet der Portiéren Saum. Wie Seide der Regen vom Pflaumenbaum fließt und das Ufer des Flusses mit Perlen begießt. Der Regen von Blüten der Aprikosen tropft auf Balustraden, die schimmern wie Rosen. Es scheint der Birnenblüte Regen ihr schönes Äußeres nicht zu erregen, im Regen die Lotosblumen dagegen ihre Blüten hin und her bewegen. Wenn auf Bohnenblüten es niedernieselt, es leis in den grünen Blättern säuselt. Ganz anders ist es beim Wutong-Baum, der die Träume stört und die Seele erschreckt, den Schmerz erneut und den Kummer weckt. Ein Wassergenius ist es vielleicht, der die ganze Nacht, bis das Dunkel weicht, hier seine Zauberkünste zeigt, der die Bäume mit Wasser begießt und schüttelt und mit dem Winde sie durchrüttelt?

Unabhängig von den Freiheiten, die sich der Übersetzer Alfred Forke zwecks Einhaltung der Reime genommen hat,193 gewinnt man dennoch ein eindeutiges Bild vom Charakter des Wutong-Baumes: Dieser Baum, der hier im Gegensatz zu den anderen Bäumen mit »Du« (ni) angesprochen wird, als wenn er ein Mensch wäre194, ist der Baum der Schwermut, und deshalb klingt der Regen auf seinen Blättern auch anders als auf den anderen Bäumen. Sein Regen wiegt nicht etwa in den Schlaf, ganz das Gegenteil, er schreckt auf. Den unterschiedlichen Klang des Regens auf 192 193

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Zitiert unter Verwendung der heutigen Umschrift nach FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 240; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 176, Sp. 3. Zu einer »philologischeren« Übersetzung des an sich nicht einfachen Dramas s. Renditions 3 (1974), S. 61 (nur Akt 3 und 4, übers. von SHIZUE MATSUDA); RICHARD F.S. YANG [d.i. Yang Fusen]: Four Plays of the Yuan Drama, Taipeh: China Post 1972, S. 137. Zur Kritik der letzteren Ausgabe s. die immer noch diskussionswürdigen Bemerkungen von STEPHEN H. WEST in: Journal of Oriental Studies XVI (1978), S. 103–106. Zu einem ähnlichen Phänomen s. »Das Buch der Richter« 9 im Alten Testament!

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Bai Pu: Ein Wutong-Baum im Regen

unterschiedlichen Bäumen beschreibt Alfred Hoffmann wohl aus eigener Anschauung wie folgt:195 Regen auf Bananenblättern ist stark gefühlsbetont: auf den riesigen Blättern vervielfältigt und verstärkt sich das strömende, traurig stimmende Geräusch des trommelnden Regens. Er schafft eine Stimmung, die man im Chinesischen mit yumen bezeichnet: Eine Melancholie oder Traurigkeit, die bedrückend und unauflösbar auf der Seele lastet. Im ähnlichen Sinne wird der Regen auf den Blättern des Firmiana-Baumes (Wutong Firmiana simplex) in der Dichtung zur Unterstreichung trauriger Empfindungen verwendet. Regen auf diesen großen, prachtvollen Blättern deutet eine Traurigkeit an, die mehr die fröstelnde Einsamkeit zum Unterton hat und im Chinesischen mit qiliang wiedergegeben wird.

Diese Apotheose der Trauer am Ende eines chinesischen Dramas ist überraschend. Die Wehklage wird nicht etwa, wie zu erwarten gewesen wäre, zurückgenommen, sondern durch die nachfolgenden Lieder verstärkt. Normalerweise darf man im chinesischen Theater mit einem Happyend rechnen. Der 4. Akt hat eigentlich die Handlung und die Geschichte auf einen Höhepunkt zu führen.196 Von einem Plot kann im vorliegenden Fall kaum die Rede sein, von einer erwartbaren »Liebesgeschichte« auch nicht. Die Stimmung ist der Held und befähigt den Protagonisten zur unnachahmlichen Kunst der kleinen Dinge, wie sie seit der Tang-Zeit so typisch für den chinesischen Literaten geworden ist. Daß eine vergleichbare Gabe wie die, vom Klang des Regens auf die Baumsorte schließen zu können, nach 1949 zu einer Kritik am müßigen Lebensstil der Elite geführt hat, muß hier nicht eigens ausgeführt werden. In allen 23 Liedern des letzten Aktes geht es nur um Erinnerung und Trauer. Wohlgemerkt: die »Trauerarbeit« macht sich an einem konkreten Verlust fest. Insofern kann nicht von Melancholie die Rede sein, die in der Moderne an sich herrscht, ohne direkt an einen unmittelbaren Gegenstand gebunden zu sein. Gleichwohl ist die Stimmungslandschaft ungewöhnlich, denn nach der Theorie von Peter Szondi (1929–1971) löst erst in der Moderne die Darstellung eines Seelenzustandes die Entfaltung einer Handlung ab. 197 Überdies wird dem chinesischen Theater gern nachgesagt, keine Tragödie zu besitzen.198 Das mag sein, aber 195 196 197

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Unter Anpassung an die heutige Phonetik etc. nach HOFFMANN: Die Lieder des Li Yü, S. 45. S. hierzu und zum folgenden die gute Deutung von LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 2, S. 289–291. Ich habe hierzu am Beispiel des modernen chinesischen Theaters bereits vor Jahren besagte Dinge ausgeführt, s. »Das Paradigma der Handlungshemmung: Zu einer Theorie des chinesischen Theaters im 20. Jahrhundert«, in: Bochumer Jahrbuch zur Ostasienforschung 10 (1987), S. 143–159. Es seien hier zwei folgende wichtige Quellen nachgetragen: CH’IEN CHUNG-SHU [d.i. Qian Zhongshu, 1910–1998]: »Tragedy in Old Chinese Drama [1935]«, in: Renditions 9 (1978),

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mit dem Konflikt Liebe oder Reich kommt das Drama durchaus der Tragödie nahe, auch wenn dieser Konflikt nicht ausgetragen wird.

S. 85–91; YUN-TONG LUK [d.i. Lu Runtang]: »The Concept of Tragedy as Genre and Its Applicability to Classical Chinese Drama«, in: CHOU (Hg.): The Chinese Text, S. 15–27.

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3. Ma Zhiyuan (1260–1325): Herbst im Han-Palast

Wie ist nun ein Drama der Yuan-Zeit aufgebaut? Zunächst: Sein Titel ist in der Regel länger, als er üblicherweise heute in Umlauf ist. So redet man zum Beispiel kurz und bündig im Falle von Ma Zhiyuans (1260–1325) bekanntestem Stück verkürzt nur von Herbst im Han-Palast (Hangong qiu),tatsächlich lautet der Titel aber Eine einsame Wildgans stört den stillen Traum während des Herbstes im Han-Palast (Po youmeng guayan Hangong qiu zaju).199 Dieser »offizielle Titel« (zhengming) wird am Ende des Dramas wiederholt. Er bildet also eine Art Klammer. Diesem oft siebensilbigen Titel geht am Ende die Angabe des »Themas« (timu) voraus. Im vorliegenden Fall lauten die acht statt sieben Zeichen: »Die Konkubine Ming versinkt im schwarzen Fluß, und man empfindet Groll an der grünen Gruft« (Chen Hei Jiang Mingfei qing zhong hen). Mit dem »schwarzen Fluß« (Hei Jiang) ist hier der Amur gemeint, in welchen sich die Protagonistin Wang Zhaojun, die Konkubine namens Ming, stürzt, um der Heirat mit einem »Tatarenfürsten« zu entgehen. Mit der »grünen Gruft« wird auf ihr dortiges Grab verwiesen. Derlei »Doppelverse« am Schluß eines Dramas dienten, so sagt die japanische Sinologie, ehemals zu Reklamezwecken: Auf Bannern seien diese öffentlich bekanntgemacht worden, um das Publikum anzulocken. Bei Wang Zhaojun handelt es sich um eine historische Person, die als Konkubine am Hofe des Han-Kaisers Yuan (reg. 48–33) lebte.200 Ma Zhiyuan greift also 199

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FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 60–108; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 16–21. Hier findet sich jeweils der Langtitel. Dagegen führt die interpunktierte Ausgabe von WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 35 bzw. 41, nur den Kurztitel an. Zu einer frühen englischen Übersetzung (The Sorrows of Han, 1829) von JOHN FRANCIS DAVIS (1795–1890), s. SIEBER: Theaters of Desire, S. 11. Zu einer Verarbeitung dieser Version zu einer tschechischen Erzählung durch Julius Zeyer (1841–1901), s. MARIÁN GÁLIK: »Julius Zeyer’s Version of Ma Zhiyuan’s Lady Zhaojun: A Xiongnu Bride in Czech Attire«, in: Asian and African Studies 15 (2006), S. 152–166. Zur sprachlichen Gestaltung des Dramas s. PERNG: Double Jeopardy, S. 27–29. S. hierzu und zum folgenden FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 594–596; MICHAEL LOEWE: A Biographical Dictionary of the Qin, Former Han and Xin Periods (221- BC – AD 24), Leiden u.a.: Brill 2000, S. 547. Zu Huhanye Chanyu s. ebd. S. 167–169. Zur Kritik an Ma Zhiyuan und zur Umdeutung der historischen Wang Zhaojun durch die Geschichtsschreibung der VR China s. NICOLA SPAKOWSKI: »Kanon und Zensur in populärwissenschaftlichen Geschichtsbüchern der VR China«, in: BERNHARD FÜHRER (Hg.): Zensur. Text und Autorität in China in Geschichte und Gegenwart, Wiesbaden: Harrassowitz 2003 (= Veröffentlichungen des Ostasien-Instituts der Ruhr-Universität Bochum; 48), S. 90–95. Zum Nachleben der Wang Zhaojun im chinesischen Drama der Gegenwart s. ANNA DOLEŽELOVÁ: »A New Image of Wang Zhaojun in Contemporary Chinese Drama«, in: R.P. KRAMERS (Hg.): China: Continuity and Change. Papers of the XXVIIth Congress of Chinese Studies, Zürich: Universität Zürich 1982, S. 265–272.

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auf eine alte Geschichte zurück.201 Im Jahre 33 v.Chr. wurde sie dem Hunnenführer Huhanye Chanyu (gest. 31 v.Chr.) bei dessen dritten Besuch in Chang’an zur Nebenfrau gegeben. Sie, die nach dem Tode ihres Mannes noch mit einem weiteren Hunnen verheiratet war, hatte insgesamt drei Kinder. Diese Begebenheit hat erstmals das Werk Dies und das aus der westlichen Hauptstadt (Xijing zaji, ca. 500 n.Chr.) literarisch ausgeschmückt und umgestaltet, so daß sie in den folgenden Jahrhunderten bis in die Gegenwart hinein oft zum Sujet der Literatur geworden ist.202 Auslöser hierfür war die Umdeutung, Wang Zhaojun habe als einzige die Hofmaler nicht bestochen und sei daher mißgestaltet porträtiert worden. Entsprechend fand sie keine Gunst bei dem Kaiser, der seine zahlreichen Beischläferinnen nach Gemälden aussuchte und gern der Vermählung von Wang Zhaojun mit einem Hunnen zustimmte. Erst beim Abschied vom Hofe habe er ihre wahre Schönheit erkannt und daraufhin die Hinrichtung aller Hofmaler angeordnet. Ma Zhiyuan gestaltet nun diese Geschichte weiter um. Aus den vielen Hofmalern wird ein Hofmaler, nämlich der Bösewicht Mao Yanshou, der, um seinem Schicksal zu entgehen, die Schönheit der Wang Zhaojun an die »Tataren« verrät. Die Dinge nehmen nun entsprechend ihren Lauf, denn der Kaiser muß sich um des lieben Friedens willen von seiner großen Liebe trennen, die sich ihm in einer persönlichen Begegnung zuvor offenbart und damit die Macht des verunstalteten Porträts außer Kraft gesetzt hatte. Ein Drama zur Yuan-Zeit umfaßt normalerweise vier Akte, denen ein sogenannter »Keil« (xiezi 楔子), eine Art Vorspiel, vorausgeht. Bleiben wir einmal bei dem Stück Herbst im Han-Palast, da es inhaltlich gut zum vorherigen Stück Ein WutongBaum im Regen paßt. Im Mittelpunkt steht nämlich ebenso ein Verlustgefühl, es ist dies gleich die Trauer um eine verlorene Liebe. Im Vorspiel tritt zunächst der zweite Hauptdarsteller (chongmo) auf, der – so übersetzt Alfred Forke – Tatarenfürst Huhanye Chanyu. Chanyu ist der Name eines phonetisch wiedergegebenen Fürstentitels der Hunnen. Dieser Tatarenfürst stellt sich, wie das für die Eröffnung

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Am Beispiel von 34 Spielen zur Gestalt des Wang Zhaojun geht KWONG HING FOON: »L’Évolution du Théâtre Populaire Depuis les Ming Jusqu’à Nos Jours: Le Cas de Wang Zhaojun«, in: T’oung Pao LXXVII.4–5 (1991), S. 179–225, 375, auch der Frage nach, warum auf der chinesischen Bühne immer wieder dasselbe thematisiert und verarbeitet wird. Zum allgemeinen historischen Hintergrund s. REINHARD EMMERICH: »Xiongnu-Politik und chinesisches Selbstverständnis in der beginnenden Han-Zeit«, in: CHRISTIANE HAMMER u. BERNHARD FÜHRER (Hg.): Chinesisches Selbstverständnis und kulturelle Identität – »Wenhua Zhongguo«, Dortmund: Projekt Verlag 1996 (= edition cathay; 22), S. 15–33. Als eine Art Remake läßt sich auch sein Drama Tränen auf blauem Gewand (Qingshan lei) bezeichnen, welches Bai Juyis (772–846) Gedicht »Die Weise von der Laute« (»Pipa xing«) nachgezeichnet ist. Zum Original s. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 412–405, zur Übersetzung im Englischen von Shiao-ling Yu [d.i. Yu Xiaoling] s. Renditions 10 (1978), S. 131–154 (»Tears on the Blue Gown«). Daselbst findet sich auch, S. 155–159, zweisprachig die genannte Vorlage. Die Hongkonger Zeitschrift Renditions widmet ihrem Fortleben in der chinesischen Literatur eine Doppelausgabe (59 & 60, 2003).

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Ma Zhiyuan: Herbst im Han-Palast

eines Spieles üblich ist, mit einem (siebensilbigen) Gedicht in vier Versen vor, das sachlich Auskunft gibt, und zwar über den Ort, wo die Seinen lagern, nämlich an der Grenze, und über das Verhältnis zur (Früheren) Han-Dynastie, nämlich seinen Vasallenstatus. Erst dann setzt er in Prosa ein und wiederholt mit anderen und ausführlicheren Worten, was er gerade prägnant formuliert hat. Eine solche Verdoppelung der Aussage, die auch in umgekehrter Reihenfolge erfolgen kann, ist typisch für das Spiel der Yuan-Zeit. Mitunter kommen sogar noch mehr Wiederholungen203 vor, die als Gedächtnishilfe für das Publikum angelegt sein mögen. Unser Text fährt fort:204 Ich bin der Chanyu Huhanye, seit langer Zeit in der Gobi und Alleinherrscher der nördlichen Gebiete. […] Mit meinen hunderttausend gepanzerten Kriegern bin ich südlich bis an den Grenzwall vorgerückt und gelte als Verwandter der Han im Ausland. Vor kurzem habe ich an den Han-Kaiser Gesandte mit Tribut geschickt und ihn um eine Prinzessin gebeten.

Typisch ist hier die Selbstvorstellung: Man sagt, wer man ist, was man tut, und oft auch, was man will. Diese direkte Kommunikation mit dem Publikum, die ohne jede Psychologisierung daherkommt, führt die Forschung auf zwei unterschiedliche Hintergründe zurück: einmal auf die Tradition der Geschichtenerzähler, die ähnlich verfuhren, zum anderen auf die Tatsache, daß manche Schauspieler mitunter in drei verschiedenen Rollen auftreten mußten und sich daher auch verbal zu unterscheiden hatten. Unabhängig von der Tatsache, daß sich der Kaiserhof viele hundert Kilometer von der Wüste Gobi entfernt befindet, tritt nach dem Abgang des Fürsten sogleich der Charakterspieler (jing), der Hofmaler Mao Yanshou, auf. Es gibt keine Einheit des Raumes! Dieser Hofmaler ist der absolute Bösewicht, der von Anfang bis zum Schluß gleich hintertrieben bleibt und sich selbst auch als Ränkeschmied zu erkennen gibt. In Prosa führt er breiter aus, was er in Versen schon vorher zusammengefaßt hat. Und so erfahren wir nicht nur seinen Namen und seine Umstände, sondern vor allem auch seinen übelwollenden Charakter: Ich bin niemand anders als Mao Yanshou. […] Da ich in allen Listen und Schlichen wohl erfahren bin und dem Kaiser immer zu schmeicheln verstehe, so habe ich ihn ganz für mich gewonnen und stehe bei ihm in hoher Gunst. […] Ich habe ein ausgezeichnetes Mittel gefunden, das darin besteht, daß ich den Kaiser veranlaßt habe, seine gelehrten Ratgeber so wenig wie möglich zu sehen und sich ganz den Haremsdamen zu widmen. 203 204

Zur Funktion der Wiederholung im Theater der Yuan-Zeit s. CRUMP: Chinese Theater in the Days of Kublai Khan, S. 142–145. Die folgenden Zitate in heutiger Umschrift nach FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 62ff.; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 16f.

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Wir sehen hier schon, wie die Sache mit den Frauen binnen kürzester Zeit zu einem Problem zu werden droht. Der eine, der Tatarenfürst, verlangt nach einer chinesischen Prinzessin, der andere, der Kaiser, verlangt in Zeiten scheinbar gesicherten Friedens nach immer neuen körperlichen Vergnügungen. Er äußert sich folglich indigniert über die »Frauenpolitik« seiner Entourage: Nach dem Ableben des letzten Kaisers wurden alle Haremsdamen entlassen, und der hintere Palast ist leer, was durchaus nicht nach meinem Sinn ist.

Diese Politik wird verständlich, wenn man bedenkt, daß zur Han-Zeit der kaiserliche Harem auf bis zu 6000 Frauen anschwellen konnte. Sieht man einmal von der rein materiellen Seite ab, so verbirgt sich hinter einer solch horrenden Zahl auch ein menschliches Elend: Selbst wenn der Kaiser in der Lage gewesen wäre, täglich mit einer Konkubine zu verkehren, so hätte er gut 16 Jahre gebraucht, um jeder ein einziges Mal seine »Gunst« zukommen zu lassen. Viele wären während der Wartezeit für die Gewährung der kaiserlichen »Gnade« bereits zu alt gewesen und hätten entlassen werden müssen. Dies ist ein Grund, warum zumindest bis in die Tang-Zeit hinein chinesische Dichter immer wieder das traurige Los schöner Frauen in den Palästen besungen haben, ein Los, mit dem sie sich identifizierten, um so ihre unfreiwillige Ferne vom hofierten Kaiser veranschaulichen zu können. Wie dem auch sei: Im vorliegenden Fall können wir uns leicht ausmalen, wie gern Kaiser Yuan den Vorschlag seines hintertriebenen Untertanen hört, es doch den Grundbesitzern gleichzutun, die gegen einen Gewinn von zusätzlich zehn Scheffeln Weizen »eine Frau eintauschen« (yi fu). Um wieviel mehr stünde dies doch einem prosperierenden Kaiserhause zu! Und so erhält Mao Yanshou den Auftrag, auf der Suche nach den Schönen das ganze Reich zu bereisen, allerorts eine Auswahl zu treffen und gegebenenfalls ein Bildnis anzufertigen. Natürlich ist ihm so alle Macht der Manipulation in die Hand gegeben. Davon erfahren wir sogleich zu Beginn des ersten Aktes. Ma Yanshou begründet die Verunstaltung des Porträts von Wang Zhaojun praktisch und theoretisch. Er habe von ihrem Vater, einem Bauern, nicht genug Geld abpressen können. Und so wird Praxis, was in der Theorie wie folgt lautet: »Nicht edel ist, wer nicht hassen kann, und wer ohne Gift, ist kein echter Mann« (hen xiao fei junzi, wudu bu zhangfu)205 Dies ist eine folgenreiche Aussage, die sich mehrfach in der damaligen Dramatik nachweisen 205

FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 66; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 17, Sp. 2. – Dieselbe Wendung findet sich auch in dem Stück Der Pavillon am Fluß (Wangjiang ting) von GUAN HANQING, s. YANG u. YANG (Übers.): Selected Plays of Kuan Han-ching, S. 137 (The Riverside Pavilion); ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 746, Sp. 3. Zur Deutung des Stückes s. JOSEPHINE HUANG HUNG: »The Candida Character in Kuan Hanching’s [d.i. Guan Hanqing] The Riverside Pavilion«, in: Tamkang Review II.2 & III.1 (1971/72), S. 295–308. Die Autorin vergleicht die Heldin Tan Ji’er mit der Protagonistin Candida aus George Bernard Shaws (1856–1950) gleichnamigem Werk von 1895.

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läßt, aber ebenso in der Erzählkunst der nachfolgenden Dynastien. Obwohl seit zehn Jahren »in einen verlassenen Seitenpalast« (lenggong) verbannt, ist Wang Zhaojun zu keinem Haß, wohl aber zur Traurigkeit befähigt. Ihr Lautenspiel des Nachts wird vom Kaiser gehört, den sie nie zu Gesicht bekommen hat, der sich aber auf der Suche nach einer Schönen für die Nacht gern auf sie einstimmen läßt. Die Ausgangssituation ist denkbar einfach: Nicht nur die Protagonistin, jede einsame Haremsdame hofft auf seine Gunst, unabhängig von seinem Aussehen oder seinem Charakter. In dem Mann wird der Kaiser begehrt, kein individuelles Wesen. In diesem Tatbestand liegt auch seine Sicherheit begriffen, eine Sicherheit, die für andere den Tod bedeuten kann. So singt er selbstbewußt:206 Während mein Wagen vorübergleitet, er mancher Blume den Tod bereitet. Es stellen die Mägdlein beim Mondenschein plötzlich das Blasen der Flöten ein. Vielen, die nie mein Blick erreicht, hat schon der Kummer manch’ Haar gebleicht.

Solche Dinge mögen zwar wenig angenehm klingen, sind aber durchaus realistisch zu sehen. Die Klischees von schönen Frauen dagegen, die der Kaiser und der Autor zur Beschreibung von Wang Zhaojun bemühen, interessieren uns dagegen nur insoweit, wie sie anzudeuten in der Lage sind, daß der selbstgefällige Kaiser mit Beginn des zweiten Aktes, das heißt mit Beginn der Besuche im Westpalast, bei seiner Favoritin aus der Fassung gerät. Von nun an wird er nicht mehr leichten Herzens auf der Suche nach einer beliebigen Beischläferin sein, sondern voller Sehnsucht nur noch der Einen, der Einzigen leben. Er ist, wie er bekennen muß, seit Wochen von einer Krankheit (bing) befallen, die ihn während der Audienzen nur an sie und während der Sorge um das Reich nur an Schönheit und Trunkenheit (chou hua bing jiu) denken läßt. Wang Zhaojun nennt dies seine »übergroße Liebe« (ni’ai guoshen) zu ihr, die ihn seine Pflichten vernachlässigen läßt. Es ist dies eine Liebe, die sich an lauter Äußerlichkeiten festmacht, auch wenn sie schließlich ihren Gegenstand zur Göttin der Barmherzigkeit erhöht. Hören wir einmal in die Liebesgesänge eines chinesischen Kaisers hinein, welche die Handlung retardieren lassen:207 206 207

FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 68; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 17, Sp. 2. Unter Verwendung der heutigen Umschrift zitiert nach FORKE (Übers.) Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 78f.; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 18, Sp. 3. Was Forke hier mit LokaBerg (Luojia Shan) übersetzt, ist nach den herkömmlichen Nachschlagewerken nicht zu verifizieren. Im Text steht Naluojia Shan. Naluojia bzw. Luojia steht für Naraka, die Unterwelt, den Ort des Leidens, die Hölle. Die englische Übersetzung von LIU: Six Yüan Plays, S. 206, umgeht das Problem. Dagegen übersetzt DONALD KEENE in: CYRIL BIRCH (Hg.): Anthology of Chinese Literature. From Early Times to the Fourteenth Century, New York:

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DAS THEATER DER YUAN-ZEIT […] Da die treuen Beamten die Arbeit tun, könnt ich sorglos auf meinen Kissen ruhn. Doch ich schaue stets ihre glänzenden Zähne, ihre blitzenden Augen zu sehen ich wähne; mit Mühe nur will es mir gelingen, durch die Öde des Tages mich durchzuringen. Es hat mich ergriffen in letzter Zeit Eine gar seltsame Krankheit: Ich bin in Sorgen um Volk und Reich und bekümmert durch Blumen und Wein zugleich. […] Leicht scheuchet sie verborgnes Wehe, begleitet mich, wohin ich gehe, sei’s, Birnenblüten ihr zu zeigen, sei’s, im Mondlicht auf die Terrassen zu steigen. Ihr schlanker Körper warm und weich, einem versteckten Täubchen gleich, von rosigem Kerzenlicht umflossen, ist in zwanzig Jahren emporgeschossen. Fünfhundert Jahre werden wir beid’ Vermählet sein in Freud und Leid. Und tausendfach aus ihren Blicken strahlt unaussprechliches Entzücken. Andächtig will ich zu ihr flehen und meine Guanyin in ihr sehen, die auf dem Loka-Berge thront, und gnädig ihren Gläubigen lohnt. Siehst du sie nur eine kurze Weil’, wird langes Leben dir zuteil, denn Liebe und Lust zu Ende bald sind, wie die Wolke verweht und der Regen verrinnt.

Erstaunlich für die Zeit ist die Betonung der Gefühle! Gefühlskrankheiten dieser Art haben sich in einer solchen Tiefe bislang nur in klassischen Gedichten der Tang-Zeit und in klassischen Liedern der Song-Zeit zum Ausdruck gebracht. Sie standen einem Kaiser nicht an, ja selbst der normale Mensch, ob Mann oder Frau, hatte sich zu mäßigen. Der Neokonfuzianismus verdächtigte den gesamten Gefühlshaushalt des einzelnen, in einem Gegensatz zu Staat, Gesellschaft und Familie zu stehen. Statt Begierden (yu) nachzugeben, statt Gefühle (qing)208 zu pflegen, hatte

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Grove (First Evergreen Edition) 111967, S. 433 (»She is like Kwan-yin of Lo-chia-Mountain«) ähnlich wie Forke. Zur Geschichte dieses für das chinesische Theater immer wichtiger werdenden »Begriffs« s. HALVOR EIFRING (Hg.): Love and Emotions in Traditional Chinese Literature, Leiden: Brill

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man »die natürliche Ordnung« (tianli), das ist die geistige Ordnung von Himmel und Erde, in sich zu etablieren. Im vorliegenden Fall jedoch deutet sich bereits an, was erst sehr viel später allmählich zu einer Befreiung und Bejahung der menschlichen Emotionalität führen sollte, die letzten Endes vollends erst mit der Bewegung vom 4. Mai 1919 erreicht ist. Daher soll dieser Aspekt unten an geeigneterem Ort abgehandelt werden. Gleichwohl ist eine kritische Betrachtung der Liebestollheit unseres Kaisers nicht auszuschlagen. Alfred Forkes Sicht der Dinge gibt hierzu reichlich Anlaß. Doch dazu später. Mitten in die »Traumwelt« (mengjing) des Kaisers platzt die Nachricht von dem Tatarenfürsten, der die Wang Zhaojun als Gemahlin verlangt. Er hatte zuvor das von Ma Yanshou wohl richtiggestellte Porträt gesehen. Seine Forderung besteht keinesfalls zu Unrecht. Die Han-Dynastie betrieb eine Heiratspolitik, um die Hunnen zu beschwichtigen. Man nannte dies heqin, was man mit »Frieden durch Heirat« übersetzen kann. Der Kaiser bringt das Dilemma seiner Zeit auf den Punkt, wenn er sagt: »Niemand wagt zu kämpfen. Soll eine Frau den Frieden erkaufen?«209 Er sieht in seiner Umgebung nicht mehr die Recken, die einst tollkühn um das Reich gerungen haben, er sieht nur noch verweichlichte Untertanen. Aber auch er selbst wird nicht tätig, worauf noch einzugehen sein wird. Er scheint bereits an dem zu leiden, was man in der Moderne mit dem Begriff der »Handlungshemmung« bezeichnet. Das ist ein Leiden an der Innerlichkeit, die wesentlich von einer unwiederbringlichen Vergangenheit her geprägt ist. Wir sahen dies bereits oben bei dem Drama Ein Wutong-Baum im Regen, in welchem der Kaiser Xuanzong kummervoll seiner toten Liebe nachhing. Ähnliches wird im vorliegenden Fall bald im vierten Akt erfolgen, wenn sich Wang Zhaojun, um der Ehe zu entgehen, nach dem Abschied vom Kaiser das Leben genommen haben wird. Es war oben gesagt worden, daß in einem Drama der Yuan-Zeit nur eine einzige Person singen darf. Das bedeutet natürlich auch, daß damit der Plot auf diese einzige Person zugeschnitten ist. Allerdings sind Ausnahmen möglich: Im sogenannten Keil können auch andere Personen als die Hauptperson singen, und während des gesamten Singspiels ist mitunter unterschiedlichen Rollen durchaus die Möglichkeit zum Gesang gegeben, allerdings singt dann nur ein und derselbe Schauspieler, der vielleicht aus Mangel an anderen Schauspielern in einem Spiel verschiedene Rollen übernehmen muß. Der Plot (guanmu) ist stets denkbar einfach. Es gibt drei Möglichkeiten, die allesamt von dem Muster »Aktion ruft Gegenaktion hervor« geprägt sind. Da ist zunächst der Typ A: Konflikt von subjektivem Impuls und öffentlicher Moral. Dieser

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2004 (= Sinica Leidensia; LXIII). Wie die Beiträger ausarbeiten, verändert sich die Bedeutung von qing von Fakten über Gefühl und Intimität zu Liebe. Im Sinne von Liebe kann das Wort seit der Tang-Zeit aufgefaßt werden. FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 81; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 18f., Sp. 3 u. 1.

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hat immer etwas mit der Liebe zu tun. Jemand folgt gegen die Etikette der Gesellschaft seinem Verlangen und vernachlässigt seine Pflichten. Dies ist bei dem Drama Herbst im Han-Palast ganz und gar der Fall. Typ B gehört zur Welt der Gerichtsbarkeit: Jemandem ist Unrecht widerfahren, er sinnt auf Gerechtigkeit oder Rache. Man faßt im Chinesischen Handlungsabläufe dieser Art unter den Fachterminus gong’an, das heißt soviel wie »öffentlicher Fall«, meist ein hochkomplizierter Fall, der nur durch einen besonders gewitzten Richter, meist Richter Bao, gelöst werden kann. Hier ließe sich als Beispiel Dou E geschieht Unrecht anführen. Typ C gestaltet den Konflikt von gut und böse. Es ist dies ein Konflikt, der eher von außen her kommt als von innen. Verallgemeinernd läßt sich sagen, daß es einen inneren Konflikt auf der chinesischen Bühne kaum gibt, daß vielmehr ein äußerliches Geschehen den einzelnen zwingt, seiner Rolle gerecht zu werden oder nicht. Ein Aufstand gegen das Schicksal wie im griechischen Theater ist wenig denkbar. Es ist eben dieser Umstand, auf welchen Alfred Forke, der Übersetzer von Herbst im Han-Palast, aufmerksam macht. Dazu kommen wir gleich. Zunächst muß das Stück inhaltlich zu Ende gebracht werden. Dies kann einfach und schnell erfolgen. Was in den ersten beiden Akten angelegt ist, spitzt sich im dritten Akt zu: Wohl oder übel hat der Kaiser die »Gemahlin« Wang Zhaojun ziehen zu lassen, die sich darüber vollkommen im klaren ist, daß auch eine Weigerung ihrerseits den Untergang des Reiches bedeuten würde. Er begleitet sie zur Brücke namens Baling in Chang’an, wo man damals von Freunden, Verwandten etc. Abschied zu nehmen pflegte. In dieser Begleitung haben wir ihn wohl eher als Menschen denn als Kaiser zu sehen. So verbittet er sich auch die Einwände seiner Umgebung, er möge doch von zuviel Schmerz absehen wollen. Er verlangt dagegen sein Recht auf seinen Schmerz. Der dritte Akt widmet sich überwiegend dem Abschiedsweh des Kaisers. Dem eigentlich tragischen Geschehen nach der Trennung wird wenig Raum zugestanden. Kaum tritt der Tatarenfürst auf, schon geht Wang Zhaojun mit einem Trankopfer ins Wasser. Der Hunne ist jedoch kein Unmensch. Er versteht die Zeichen und verlangt die Bestrafung des Mao Yanshou, auch versichert er der Han-Dynastie seine weiteren Dienste, so daß der Freitod für beide Seiten nicht umsonst gewesen ist. Wang Zhaojun hat sich letzten Endes um des Friedens willen geopfert. Der vierte Akt endet im Vergleich zu den ersten drei Akten etwas abrupt. Der hinterhältige Hofmaler wird ganz zum Schluß hingerichtet, so daß eine gewisse Gerechtigkeit wieder hergestellt zu sein scheint. Zuvor quält sich der Kaiser durch die Herbstnächte. Seine Qual wird verstärkt durch das Bildnis der Wang Zhaojun, von deren Schicksal er noch nichts weiß. Sie sucht ihn heim wie eine Lebende, doch der Zuschauer bzw. Leser weiß, es kann sich nur um eine arme Seele, das heißt um eine Tote, handeln. Vor allem ist es der Ruf der Wildgans, der dem Herrscher zu Herzen geht. Die Wildgans gilt seit alters als Liebesbotin. Hier malt sich der Kaiser aus, daß sie sich auf dem Weg zu Wang Zhaojun befindet, die er

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freilich noch am Leben wähnt. Alfred Hoffmann schreibt zur Symbolik der Wildgans in der chinesischen Literatur:210 Wildgänse haben ihre Brutplätze jenseits der Großen Mauer im Norden (Mongolei, Mandschurei etc.), in Gebieten, mit denen sich in der chinesischen Vorstellung seit alters her die Unwirtlichkeit und Einöde, Hunger, Elend, Kälte und Tod verbinden. Wildgans steht hier zudem für guyan »einsame Wildgans«, welche die Schar ihrer Zuggefährtinnen verloren hat, zu der sie als geselliges Wesen eigentlich gehört, nun aber einsam, fremd, verlassen umherirrt und den Weg zu ihren Genossinnen nicht mehr findet, ein Thema, das auch in der Malerei unzählige Male dargestellt worden ist. So verbindet sich also mit dem bedeutsamen Ausdruck saiyan (»Grenzwildgans«) die Vorstellung eines Wesens, das seine Gefährten verloren hat und fremd in unwirtlichen, fernen Gegenden umherirrt: dies ist das Sinnbild des verlorenen menschlichen Gefährten.

Alfred Forke hat eine selten klare Einschätzung der Liebeskrankheit des Kaisers.211 Er ist damit nicht nur seiner Zeit, sondern auch manch heutigen Interpreten weit voraus. Er schreibt:212 Wang Guowei hält es [das Drama] für eine Tragödie, aber eine Tragödie in unserm Sinne ist es nicht. Wegen des traurigen Ausgangs könnte man es wohl ein Trauerspiel nennen, darf aber nicht unsern Begriff eines Trauerspiels damit verbinden. Ein solches hat der Dichter gar nicht schreiben wollen, fähig dazu wäre er vielleicht gewesen. Er legt das Hauptgewicht auf das Nachspiel, in welchem der Kaiser seiner verlorenen Geliebten nachtrauert. Sie erscheint ihm im Traum, aber er wird durch den Schrei einer Wildgans aus seinen Träumen aufgeschreckt. Die Wildgans ist die Liebesbotin in der chinesischen Lyrik, und das ganze Drama ist nicht tragisch, sondern lyrisch. Unsere Tragödie verlangt kräftige Charaktere im großen Kampf mit starken Seelenbewegungen, den der Held gegen das Schicksal führt. Ein Held ist gar nicht vorhanden. Der Kaiser ist kein Held, denn er handelt nicht, sondern er leidet nur; und die Prinzessin ist auch keine tragische Heldin, denn sie nimmt sich zwar aus edlen Motiven das Leben, aber wir erfahren nichts von ihren seelischen Kämpfen. Wir haben ein Liebesdrama auf historischem Grund, erfüllt mit den Liebesklagen des Helden, der sich zu keiner Tat aufrafft. Stoff für eine Tragödie war reichlich vorhanden, und ein europäischer Dichter würde ihn benutzt haben. Bei ihm würde der Kaiser nicht so leicht auf seine Geliebte verzichtet, sondern im Gegenteil alles getan haben, um die Forderungen der Hunnen zurückzuweisen und sich die Zhaojun zu erhalten. Er wäre viel210 211 212

Unter Angleichung an heutige phonetische Bedürfnisse etc. nach HOFFMANN: Die Lieder des Li Yü, S. 66. Die Deutung findet sich bei FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 594–596. Ebd., S. 594f. (unter Verwendung der heutigen Umschrift).

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DAS THEATER DER YUAN-ZEIT leicht im Kampf schwer verwundet worden. Die Hunnen hätten seine Geliebte geraubt, und diese hätte sich, nachdem ihr Versuch zu entfliehen mißglückt war, schließlich in der Verzweiflung selbst den Tod gegeben. Wir dürfen also nicht dieses Drama als eine mißglückte Tragödie betrachten, sondern als ein Liebesgedicht in dramatischer Form. Als solches weist es manche Schönheiten auf.

Alfred Forke gelingt mit dem Hinweis auf die lyrische Seite des Dramas ein wichtiger Hinweis. Der Dialog, der die Handlung in den ersten drei Akten noch in gewisser Hinsicht vorantreiben mag, wird im vierten Akt schließlich zum Monolog, der einer Stimmung gerecht wird, aber nicht mehr einem Geschehen. Haben wir es also hier schon mit einem lyrischen Drama zu tun, welches die Stimmung und nichts anderes in den Mittelpunkt rückt, mit einem lyrischen Drama, das Peter Szondi aus der Krise des traditionellen europäischen Theaters erwachsen läßt?213 Wir wollen hier nicht zu weit greifen. Tatsache ist jedoch, daß zu guter Letzt an die Stelle der Tat das Sentiment getreten ist, daß der Dialog an Gewicht verliert, daß die Erinnerung einen Verzicht auf Gegenwart zur Folge hat und daß schließlich die Einheit des Stückes nicht in der Einheit der Handlung, sondern in der einheitlichen Gestalt des Kaisers zu suchen ist. Letzteres wird übrigens verstärkt durch die übliche Konzentrierung des Gesanges auf den wichtigsten Protagonisten des Stückes, auf den Herrscher. Um es auf die Formel von Peter Szondi zu bringen: 1. Die Vergangenheit ersetzt hier die Gegenwart, 2. die »Innerlichkeit« des einzelnen tritt an die Stelle einer Auseinandersetzung zwischen zwei Personen oder mit zwei Anschauungen, 3. eine Handlungshemmung macht jedes Geschehen unmöglich.214 Wir können aber noch in einer anderen Richtung weiterdenken. Das Unglück des Kaisers ist selbstverschuldet. Dieser wirft zwar zu recht seinen Militärs und Ministern ein Hasenherz vor – man wage nicht einmal zu husten215 –, aber er selbst geht auch nicht mit gutem Beispiel voran!216 Während sich die Hunnen des »Kampfes« brüsten, schwärmt unser Held, für den es »kein Morgen« (xiu wen mingzhao hua) gibt, von der Beobachtung des Schminktischchens seiner Liebsten. 217 Besser läßt sich die Verweichlichung des »Chinesen« kaum veranschaulichen!218 213 214 215 216 217 218

PETER SZONDI: Theorie des modernen Dramas (1880–1950), Frankfurt: Suhrkamp 1963 (= es; 27), S. 81f. Vgl. ebd., S. 14f., 19, 28, 32, 36, 43f., 47, 74. FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 84; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 19, Sp. 1. Vgl. hierzu die gute Interpretation bei SHIH: The Golden Age of Chinese Drama, S. 137– 143. Vgl. FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 62, 75, 80; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 17, Sp. 3; S. 18, Sp. 1; S. 18, Sp. 3. Der Gerechtigkeit halber sei angemerkt, daß FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der YüanDynastie, S. 1–59 (ZANG [(Hg.):] Yuanqu xuan, S. 578–586) verdienstvollerweise unter seinen Übersetzungen auch ein Stück anführt, das einen völlig anderen Eindruck hinterläßt. Der Zorn

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Der einstige Stolz auf ein Reich, da ihm, dem Kaiser, alles zu Gebote stehe, sein anfänglicher Humor bei der Begegnung mit Wang Zhaojun, beides muß notwendigerweise gebrochen werden bzw. abhanden kommen. Die traurige Welt, die statt dessen Einzug im Palast hält, ist nur die seine und nicht auch die seiner Untertanen. Jedenfalls ist das die Empfindung des Zuschauers bzw. Lesers, denn all das, was neben der Wildgans noch von einem Verlustgefühl kündet, wie Zikade, fallende Blätter, ein leeres Bett und kalte Verandastufen, verdankt sich einzig der Sehweise unseres Protagonisten.219 Gleichwohl sollte die Bedeutung des Dramas nicht auf die Trauer einer einzelnen Person reduziert werden. Auch wenn der Herrscher nicht über seinen Schmerz hinausdenkend zu reflektieren in der Lage ist, so scheint der Autor doch mehr im Sinne gehabt zu haben. Nicht wenige Interpreten sehen in der Anlage des Werkes eine Kritik an der damaligen Gegenwart. Wang Zhaojun, die sich »um des Reiches willen« (wei guojia)220 opfert, avancierte so gesehen zum Symbol Chinas: Es ist die Schwäche des Reiches, die zum Nachgeben gegenüber den Hunnen einst und den Mongolen jetzt zwingt. Wang Zhaojun hat sich daher einem fremden Willen so zu unterwerfen wie früher das Han-Reich und kürzlich die Song-Dynastie. Die Sache mit dem Frauenopfer221 läßt sich aber noch weiter ausdeuten: Der chinesische Mann ist kein Held mehr, er ist zum Schwächling geworden. Er kann das Erbe nicht verwalten, und in Zeiten des Verlustes ist er nur zur Erinnerung befähigt. Alles obliegt nun der Frau. Sie erweist sich als Heldin und demonstriert damit die Stärke, die dem Mannsvolk abgeht. Nicht zufällig wünscht der Kaiser die Zeiten der Kaiserin Lü (reg. 187– 180) zurück, deren Machtwort sich niemand zu widersetzen wagte!222 Wir haben uns etwas länger als bisher bei einem Theaterstück aufgehalten. Das erscheint aber gerechtfertigt, wenn man bedenkt, daß unser Spiel Herbst im HanPalast in der Sammlung Yuanqu xuan an erster Stelle steht, dem Drama also schon früh eine prominente Stellung zugewiesen wurde. Wir haben auch gesehen, wie es unser (scheinbar) gesichertes Wissen von der Entwicklung des Theaters,

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des Ying Pu [d.i. Bu]« (Qi Ying Bu) schildert gemäß Übersetzer homerisch anmutend (S. 592f.) den Kampf um das chinesische Reich vor der Gründung der Han-Dynastie. Hier begegnen uns in der Tat wackere Kämpfer. Das Stück kennt übrigens keinen Verfasser. Konservative chinesische Interpretationen sprechen allerdings von der nationalen Not als dem eigentlichen Thema und unterstellen dem Verfasser eher politische Motive, s. LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 2, S. 280f.; ähnlich ZHOU: Zhongguo xiqu fazhan shi gangyao, S. 164–169. FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 86, 89; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 19, Sp. 2 u. 3. Vgl. hierzu HAN-LIANG CHANG [d.i. Zhang Hanliang]: »Mimetic Desire/Dramatic Structure: Racine’s Phaedra and Ma Chih-yüan’s [d.i. Ma Zhiyuan] Han-kung ch’iu [d.i. Hangong qiu]«, in: LUK (Hg.): Studies in Chinese-Western Comparative Drama, S. 106–111. – Der Autor versteht das Stück übrigens als »closet play«. Seine Ausführungen zum Vorbild des Vaters in Sachen Harem und zur Kunst als Mittel der Täuschung sind bedenkenswert! FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 85; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 19, Sp. 2.

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von der Geschichte der Melancholie in Ost und West verunsichert. Hier kann noch kein endgültiges Urteil gefällt werden. Doch soviel sei gesagt, daß sich da etwas ankündigt, das später im Einzelfall223 weiterverfolgt werden kann, ehe es im 20. Jahrhundert zu einem Grundgefühl von Autor und Protagonist wird. Gleichwohl läßt sich der folgenschwere Einwand gegen die obige »moderne« Sicht einbringen, und das führt uns zu einem weiteren Charakteristikum des chinesischen Theaters nicht nur zur Mongolenzeit: Nach Sigmund Freud (1856– 1939) ist zwischen der Traurigkeit und der Schwermut des Menschen zu unterscheiden. Die Traurigkeit bezieht sich immer auf einen konkreten Verlust, während die Schwermut an sich und grundsätzlich herrscht, also unabhängig von einem tatsächlich erfahrenen Verlust. Ersterer Fall ließe sich eher für die Tradition, letzterer eher für die Moderne ansetzen. In jedem Fall hat die Gefühlswelt des einzelnen etwas mit dem Problem der Individualität zu tun. Nun ist die Individualität, wie sie heute im deutschen Sprachraum verstanden wird, eine Sache der Moderne und nicht der Tradition. Und das bedeutet, daß im vorliegenden Fall der Kaiser um mehr als nur um seine Konkubine hätte trauern müssen. Vereinfacht gesagt: Wäre sie nicht in den Tod gegangen bzw. nicht zu den Hunnen geschickt worden oder könnte sie gar wiederkommen bzw. auferstehen, so würde seine Traurigkeit alsbald verfliegen bzw. hätte sich gar nicht erst eingestellt. Wir können daher nicht von einer Melancholie im modernen Sinne ausgehen, die eine totale Lösung von den Trostversprechungen der Tradition voraussetzt und das Leben des einzelnen allein auf das eigene Vermögen gründet. Von einem solchen Projekt der »Selbstverwirklichung«, die immer einer Selbstüberschätzung gleichkommt, kann selbstverständlich im China vor 1911 keine Rede sein, vielmehr müssen wir wie im Falle der klassischen chinesischen Dichtung ebenso von einer archetypischen Geste224 ausgehen, welche dem chinesischen Theater grundsätzlich eignet. Archetypische Geste meint, daß jede Figur auf der Bühne eine Handlung stellvertretend für andere durchführt, eine Handlung, die schon immer gegolten hat und auch immer gelten wird. Es geht also um die Präsentation des Universalen. Wenn etwas an jedem Ort und zu jeder Zeit gültig ist, läuft der Gang einer theatralischen Handlung selbstverständlich auf das Typische hinaus. Warum tut sich aber die chinesische Tradition mit der Individualisierung, deren Entwicklung sich in Europa seit dem Ende des 18. Jahrhunderts abzuzeichnen beginnt, so schwer? Man muß hier nicht wie üblich auf den Allgemeinplatz eines kollektiven Denkens hier und eines individuellen Denkens da zurückgreifen. Im konkreten Falle mögen überkommene Praktiken auf der chinesischen Bühne ebenso wirksam gewesen 223

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S. hierzu meinen Aufsatz: »Von des Lebens Schmacklosigkeit. Bemerkungen zu Nalan Xingde [1655–1685]«, in: LUTZ BIEG, ERLING VON MENDE u. MARTINA SIEBERT (Hg.): Ad Seres et Tungusos. Festschrift für Martin Gimm, Wiesbaden: Harrassowitz 2000 (= opera sinologica; 11), S. 267–274. S. hierzu meine Geschichte Die chinesische Dichtkunst., S. xxivf.

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sein. Autoren liebten nämlich eine Art Remake bzw. Rewrite225, das heißt, man erweckte gern ein und denselben fiktiven Protagonisten aus dem Schrifttum vergangener Zeiten zu einem neuen Leben im Schauspiel, oder wenn nicht, dann bemühte man berühmte Persönlichkeiten der geschichtlichen Überlieferung, ob sie nun tatsächlich gelebt haben mögen oder nicht, also vor allem edle Ritter, aufrechte Konfuzianer, furchtlose Märtyrer(innen) und immer wieder gern große Liebende, insbesondere Frauen. Der dabei vom Stückeschreiber vermittelte ethische Aspekt wirkte sich stets als Bindeglied aus: im jeweils einzelnen Stück, aber auch unter den verschiedenen Stücken und vor allem als Belehrung für die Gesellschaft. Es war dies eine allgemeinverbindliche Moral. Wer dagegen verstieß, hatte auf der Bühne beispielhaft bestraft zu werden. Daher begegnen uns ein ums andere Mal Typen von loyalen Beamten, pietätvollen Söhnen, keuschen Witwen, selbstlosen Freunden, gütigen Herrschern, liebevollen Eltern, opferbereiten Kindern. Es ist immer wieder darauf aufmerksam gemacht worden, daß die Stückeschreiber auf »ein gemeinsames Repertoire der Historie, der Legende und der Belletristik« zurückgriffen und, da das öffentliche Theater offen für alle war, somit eine Art »Massenmedium«226 spätestens seit Mitte der Ming-Zeit geschaffen haben, ein Medium, welches Geschichtskenntnisse und moralische Werte an Hinz und Kunz vermittelte. Lin Yutang (1895–1976) hat in seinem berühmten Buch Mein Land und mein Volk diese Dinge 1935 folgendermaßen niedergelegt:227 Durch seine ungeheure Volkstümlichkeit hat das Theater im Leben des chinesischen Volkes eine Stellung eingenommen, wie man sie sich in einem utopischen Staatswesen [ideal republic] kaum beherrschender vorstellen könnte. Davon abgesehen, daß es eine leidenschaftliche Liebe zur Musik zur Folge gehabt hat, hat es in unserem, zu neunzig Prozent doch völlig unwissenden Volk eine wahrhaft erstaunliche Geschichtskenntnis entwickelt, indem es gewissermaßen die gesamte Volkskunde und historisch-literarische Überlieferung in Schauspielen kristallisierte, die mit ihrer Gestaltenfülle Herz und Phantasie der einfachsten Leute gewannen. So hat denn jedes Kindermädchen in China von Helden der Geschichte […] aus der genauen Kenntnis der Theaterstücke eine viel lebhaftere Vorstellung als beispielsweise ich, der ich in meiner Jugend als Zögling einer Missionsschule vom Besuch der Theater abgehalten wurde und alles brockenweise aus den nüchternen Seiten des Geschichtsbuches lernen mußte. […] 225

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Ähnliches läßt sich übrigens im Falle von Johann Nestroy (1801–1862) auch für die Wiener Bühne des 19. Jahrhunderts sagen, s. FISCHER-LICHTE: Kurze Geschichte des deutschen Theaters, S. 184f. Zu den beiden Zitaten s. WARD: »Regional Operas and Their Audiences«, S. 172. Vgl. in diesem Zusammenhang auch COLIN MACKERRAS: »Theater and the Masses«, in: DERS. (Hg.): Chinese Theater, S. 145–183. Der Autor behandelt hauptsächlich die (maoistischen) Jahre zwischen 1949 und 1979 in der VR China. LIN YUTANG: Mein Land und mein Volk. Aus dem Amerikanischen übertragen von W.E. SÜSKIND, Stuttgart, Berlin: DVA 1936, S. 323f.

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DAS THEATER DER YUAN-ZEIT Neben der Aufgabe, Geschichte und Musik beim Volk bekanntzumachen, hat das Theater noch eine weitere, nicht minder bedeutende Kulturfunktion erfüllt: es hat unserem Volk all seine Vorstellungen von Gut und Böse vermittelt. Fast alle sprichwörtlich gewordenen Beispiele von treuen Ministern und pietätvollen Söhnen, von tapferen Kriegern und beständigen Frauen, von keuschen Mädchen und intriganten Kammerkätzchen haben ihr Gegenstück in Gestalten der landläufigen chinesischen Dramenliteratur. In eine Handlung eingebaut, von liebensund hassenswerten Menschengestalten verkörpert, prägen sich diese Beispiele des Guten und Bösen unserem sittlichen Bewußtsein unauslöschlich ein.

Wer mit dem auf der Bühne und im Leben geforderten sozialen Verhaltenskodex nicht vertraut ist, wird ein chinesisches Drama natürlich weder verstehen noch goutieren können. Dies gilt insbesondere für das ausgeprägte Rollensystem der Schauspieler, das im Einzelfall den Gang der jeweiligen Handlung erahnen läßt. Da die Rolle wichtiger war als die einzelne Person, steht deren Bezeichnung beim ersten Auftritt des Protagonisten auch folglich vor dem persönlichen Namen. Also: der (sympathische) Hauptdarsteller (zhengmo) XYZ, die (sympathische) Hauptdarstellerin (zhengdan) ABC, der (elende) Schurke Soundso (jing) etc. Es liegt auf der Hand, daß ein Theater, welches lediglich mehr oder minder schematischen Vorgaben folgt, auf Dauer kein Publikum an sich binden kann. Es muß daher auch Ausnahmen von der Regel der Stereotype geben. Und diese finden sich durchaus. Sehen wir einmal vom individuellen Spiel ab, das dem Schauspieler die Möglichkeit einräumt, von den Vorgaben des Autors abzusehen, so trifft man vor allem in den Stücken, die heute noch in Erinnerung sind und gespielt werden, auf Gestalten, die über ihre Rolle hinausgehend eher als Persönlichkeiten entworfen zu sein scheinen. Denken wir zum Beispiel an die bereits oben vorgestellte Gestalt der Dou E, der Unrecht widerfuhr, oder an die kühne Liebende Yingying, die noch unser Thema sein wird. Es sind auch nicht selten die Kurtisanen, die ihr Los unbeschönigend und mit kritischer Einstellung gegenüber dem Mann ergreifend vortragen. Es sind also vor allem die Frauen, die das Theaterspiel durch ihre außergewöhnliche Charakterisierung beleben und in der Gestalt der Ehevermittlerin (hongniang)228 schließlich eine so humorvolle wie gewitzte Seite gewinnen. Zugegebenermaßen vermag damit selbst die bekannteste und womöglich nicht wirklich als so individuell einzustufende Gestalt des Bao Zheng, des gerechten Richters, kaum mitzuhalten. Natürlich ist in allen genannten Fällen die einzelne Figur auf ihre Rolle festgelegt und kann somit unmöglich die Individualität gewinnen, wie sie, um im Bild des Richters zu bleiben, später Der zerbrochene Krug (1808) bei Heinrich von Kleist (1777–1811) oder Der gute Mensch von Sezuan (1943) bei Bertolt Brecht zeichnet. 228

S. hierzu MONIKA MOTSCH: »Die Kupplerin Hongnian im Xixiangji, erotisch-komparatistisch betrachtet«, in: R.D. FINDEISEN u. R.H. GASSMANN (Hg.): Autumn Floods. Essays in Honour of Marián Gálik, Bern u.a.: Peter Lang 1998 (= Schweizer Asiatische Studien; 30), S. 491– 503.

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Teil III Das Drama der Yuan-Zeit in Einzeldarstellungen

Wir hatten oben bereits darauf verwiesen, daß die chinesische Literaturwissenschaft den Beginn einer »bürgerlichen« Literatur (shimin wenxue) mit den Anfängen der Unterhaltungskultur zur Song-Dynastie ansetzt und dabei dem Theater eine bestimmte Rolle zubilligt.229 Wenn man auch dem Begriff »bürgerliche Literatur« aus europäischer Perspektive skeptisch gegenüberstehen mag, so ist gleichwohl zu konstatieren, daß mit dem Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit und das heißt mit der Ablösung der Aristokratie durch die Bürokratie eine andere Kultur und ein anderer Geist in China aufkommen, die sich vornehmlich über das Theater und die Erzählkunst zu artikulieren anschicken. 230 Hier äußert sich keinesfalls mehr eine Elite ausschließlich gegenüber ihresgleichen, hier formuliert sich vielmehr der Zeitgeist bzw. ein Bewußtsein, welches wir unabhängig von der Schichtenzugehörigkeit des einzelnen gern als den allgemeinverbindlichen chinesischen Geist bezeichnen. Will man also wissen, was »der« Chinese zu unterschiedlichen Zeiten dachte, so schaue man u.a. aufs Theater. Das mag im Einzelfall mit Vergleich zur Hochkultur zwar recht ernüchternd sein, doch der andere »Wind«, der hier »weht«, macht auch deutlich, daß die hohe Kultur der Antike und des Mittelalters nicht für die Neuzeit verallgemeinert werden darf. Man ist gleichsam näher am »Volk«, als dies bislang der Fall sein konnte.

1. Ji Junxiang (?–?): Die Waise von Zhao Unter den hundert überlieferten Yuan-Dramen befinden sich einige Stücke, die sich eher in Europa als in China großer Beliebtheit erfreuen. Dazu gehört u.a. Die Waise von Zhao (Zhaoshi gu’er), verfaßt von einem nicht näher verifizierbaren Stückeschreiber namens Ji Junxiang, der zur Yuan-Zeit im heutigen Peking gelebt haben muß.231 229 230 231

XIE: Zhongguo shimin wenxue shi, S. 52–69, 151–164, 320–346. Vgl. hierzu LÜ WEIFEN: »Das Yuan-Drama und seine Beziehung zum nachklassischen Lied«, in: minima sinica 2/2006, S. 150–155. Der gesamte Titel lautet eigentlich Zhaoshi gu’er da baochou [Die Waise von Zhao übt große Rache]. Zum Original s. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 664–674. Zu einer neuerlichen englischen Übersetzung und Kommentierung s. LIU: Six Yüan Plays, S. 41–81, 21–25. Diese Übersetzung stellt eher eine Art Synopse dar, auch ist aus dem Herzog Ling von Jin ein Kaiser geworden. Vollständig dagegen ist die Übertragung von PI-TWAN H. WANG [d.i. Huang Biduan]: »The Revenge of the Orphan of Chao«, in: Renditions 9 (1978), S. 103–131. Auf S. 102 ist übrigens eine Übersicht zu Übersetzungen und Bearbeitungen gegeben. Auszüge des Stückes auf deutsch finden sich bei GRUBE: Geschichte der chinesischen Litteratur, S. 370–379. Zur Sprache des Dramas s. PERNG: Double Jeopardy, S. 30–35.

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Der Grund für diese Beliebtheit ist in der wohl eher zufälligen Tatsache einer frühen Übersetzung ins Französische (1735) zu suchen.232 Seitdem ist es zu vielfachen Zweitübersetzungen und Bearbeitungen in anderen Sprachen gekommen. Am bekanntesten ist der Fall von Voltaire (1694–1778), dessen Werk L’ Orphelin de la Chine (1755) auch heute noch dem literarischen Kanon des Abendlandes zugerechnet wird.233 Selbst die nichtchinesische Literaturwissenschaft hat sich der lang anhaltenden Rezeption in Europa gern angenommen.234 Die größere Beliebtheit des Stoffes im Abendland als in China läßt sich wohl nur von einer unterschiedlichen Sicht der Dinge her erklären. Während im Original der Gedanke der Vergeltung zu dominieren scheint, haben Übersetzer und Bearbeiter wohl eher ein ethisches Problem im Auge gehabt. Es ist dies die Frage, ob das eigene Kind oder das eines anderen in einer extremen Lebenssituation wichtiger sei. Im Gegensatz zu den sonst üblichen vier Akten hat Die Waise fünf Akte. Sie wird durch ein Vorspiel (xiezi) eingeleitet. Thema ist die Intrige des Generalissimus (wu) Tu’an Gu. In einem Monolog spricht er von seinen einst fehlgeschlagenen Versuchen, den Vertreter der Zivilbehörde (wen), Zhao Dun, zu beseitigen. Zu guter Letzt hat er aber sein Ziel mit Hilfe des Herzogs erreicht, und sein Gegner ist mitsamt dem ganzen Clan ohne Gewährung eines Familiengrabes ausradiert. Mit einer Ausnahme: die Fürstentochter darf am Leben bleiben. Ihr Mann, Zhao Shuo, empfiehlt ihr vor seinem vom Herrscher verfügten Selbstmord, das Kind, das sie während ihres Hausarrestes austragen wird, im Falle eines Sohnes mit dem (Milch-) Namen (xiaoming) »die Waise« (gu’er) zu benennen:235 Prinzessin, vernimm meinen letzten Willen. Du bist jetzt guter Hoffnung. Wenn du mit einem Mädchen niederkommst, so ist darüber kein Wort weiter zu verlieren; für den Fall jedoch, daß es ein Knabe sein sollte, will ich ihm schon jetzt, da er noch im Mutterleibe ruht, den Namen Zhaoshi gu’er (die Waise aus dem Geschlechte Zhao) geben, auf daß er zum Mann herangewachsen, seine Eltern räche.

Der Name wird also bereits im Vorspiel zum Programm und kann erst im fünften Akt abgelegt und durch den Vornamen Wu (Der Kriegerische) ersetzt werden. Bis 232

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Zur Übersetzung von PATER JOSEPH HENRY PREMARE (1666–1736) s. JEAN-BAPTISTE DU HALDE: Description Géographique, Historique, Chronologique, Politique, et Physique de l’Empire de la Chine et de la Tartarie Chinoise, Bd. 3, A la Haye (Den Haag): Chez Henri Scheurleer 1736, S. 339–378. Das Datum wird in anderen Quellen auch mit 1730 bzw. 1736 angegeben. So z.B. in Kindlers Literaturlexikon mit einem eigenen Eintrag! Zur Rezeption hat neben ADRIAN HSIA (s. Anm. 19) auch A. OWEN ALDRIDGE: »The First Chinese Drama in English Translation«, in: LUK (Hg.): Studies in Chinese-Western Comparative Drama, S. 185–209, geschrieben. Zitiert unter Verwendung der heutigen Umschrift nach GRUBE: Geschichte der chinesischen Litteratur, S. 373; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 664, Sp. 3.

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dahin wird das Kind jedoch im Stück nach dem Ziehvater Cheng Ying offiziell Cheng Bo geheißen. Das Thema lautet also Rache. Nach chinesischer Vorstellung hat alles Unrecht gesühnt zu werden, weil sonst der Geist der Verstorbenen Unheil anrichten wird. Daher hat die gesellschaftliche Ordnung Vorrang vor dem eigenen Interesse. Insofern ist Vergeltung in China seit alters mit dem Übersetzer des Stückes, Li Jung-en, gar als »religiöser Kult« zu bezeichnen.236 Auf diese Weise ließe sich auch das Opfer des Cheng Ying erklären, der bereit ist, seinen eigenen gerade geborenen Sohn an Stelle der Waise zu opfern. Weniger der Gedanke der Rache als vielmehr die Ankündigung von deren rigider Ausführung im fünften Akt muß aus christlicher Sicht als besonders grausam erscheinen. 237 Warum soll der ganze Clan des Tu’an Gu mitbüßen, warum soll der Unhold langsam sterben und keinen schnellen Tod, um den er bittet, erwarten dürfen? Erbarmen scheint ein Fremdwort zu sein.238 Überdies muß merkwürdig anmuten, daß der Waisenjunge, vom Generalissimus unwissentlich als Adoptivsohn angenommen und gut behandelt, nach der Aufdeckung des wahren Sachverhaltes in keinen inneren Konflikt gerät. 236

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LIU: Six Yüan Plays, S. 21. Die Verbindung von Rache und religiösem Kult findet sich beispielhaft im letzten Akt des Stückes Ku Cunxiao von GUAN HANQING zum Ausdruck gebracht, s. SUI (Hg.): Yuanqu xuan waibian, Bd. 1, S. 42–57, englisch »Death of the WingedTiger General«, in: YANG u. YANG (Übers.): Selected Plays of Kuan Han-ching, S. 205– 237. Zum Thema Rache s. allgemein ROLAND ALTENBURGER: »The Avenger’s Coldness: On the Emotional Condition of Revenge as Represented in Pre-Modern Chinese Fictional Narrative«, in: PAOLO SANTANGELO u. DONATELLA GUIDA: Love, Hatred, and Other Passions. Questions and Themes on Emotions in Chinese Civilization, Leiden u.·Boston: Brill 2006, S. 356–369. Zum Gedanken der Vergeltung im weiteren Sinne s. LIEN-SHENG YANG: »The Concept of ›Pao‹ [d.i. Bao] as a Basis for Social Relations in China«, in: JOHN K. FAIRBANK (Hg.): Chinese Thought & Institutions, Chicago u. London: University of Chicago Press 1957, S. 291–309. Wenn auch seit dem Kirchenvater Tertullian (ca. 155 – ca. 220), der übrigens in seiner Schrift »De spectaculis« Theater als Tummelplatz für Dämonen bezeichnet hat, dem Racheverzicht im Christentum das Wort geredet worden ist, so lassen sich Spuren von Rachegelüsten doch immer wieder in der abendländischen (Geistes-)Geschichte aufweisen. So stirbt z.B. Medea in Georg Friedrich Händels (1685–1759) Oper Teseo (1712) mit den Worten: »Ich werde sterben, aber gerächt«. Es sei an dieser Stelle auch noch auf die Novelle »Der Findling« (1811) von Heinrich von Kleist (1777–1811) verwiesen. Der Erzähler entwirft mit der Gestalt des Antonio Piachi ein ungewöhnliches, absolutes Rachegelüst bis über den Tod hinaus. Man mag in diesem Zusammenhang ebenfalls an das Drama »Die Hermannsschlacht« (1808) desselben Autors denken. Hier sagt nämlich der Protagonist: »Ich will die höhnische Dämonenbrut nicht lieben! / So lang sie in Germanien trotzt, / Ist Haß mein Amt und meine Tugend Rache!« S. HEINRICH VON KLEIST: Dramen. Dritter Teil, München: dtv Gesamtausgabe 21969, Bd. 3, S. 179. Dieses Drama mit seinem »Römerhaß«, sprich Haß auf die Franzosen, ließe sich übrigens gut mit den historischen Spielen Ende der Ming, Anfang der Qing vergleichen. Dies gilt allerdings nicht für das Stück Der Traum bei gelber Hirse von MA ZHIYUAN, s. Anm. 137. Hier kommt es wiederholt zum Verzicht auf Rache bzw. auf die Ausführung des verordneten Rechts.

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Ihm stellt sich nicht einmal die Frage, ob er der Forderung seines Ziehvaters nach Rache nachgeben soll oder ob er sich nicht vielmehr dankbar für die Wohltaten des Adoptivvaters zu erweisen habe. Das Blut scheint ohne jedes Bedenken wichtiger und mächtiger zu sein. Andererseits ließe sich argumentieren, daß der Racheakt und sein Erfolg nur durch die Ausübung der Tugenden Loyalität (zhong), Fürsorglichkeit (yi) und Aufrichtigkeit (zheng) möglich sind. Und somit liegt auch für die chinesische Literaturkritik der Schwerpunkt des Bühnenautors auf einer moralischen Sicht der Angelegenheit, nämlich auf dem Konflikt von zivilen (wen) und militärischen (wu) Werten, von Altruismus und Arglist, von Gerechtigkeit (zhengyi) und Ungerechtigkeit, kurz, es geht um die Frage nach der redlichen Persönlichkeit (yishi).239 Wir haben mit dem holländischen Sinologen und Spezialisten für das chinesische Theater Wilt Idema anzunehmen, daß selbst die Edition des Stückes durch Zang Maoxun zur Ming-Zeit schon eine Entschärfung des ursprünglichen Rachegedankens dank nunmehriger Betonung der (kindlichen) Pietät darstellt. 240 Ähnliches gilt für moderne Adaptionen in der Volksrepublik China.241 Allerdings bleibt nach wie vor wenig nachvollziehbar, warum diese »Geschichte von Rache, Loyalität und falscher Identität« sich von selber nach Frankreich »als Tragödie« empfohlen haben soll.242 Zu einer Tragödie gehört ein Konflikt, ein Konflikt liegt im Bewußtsein der Protagonisten jedoch nicht vor. Diese kennen keinerlei zögerliches Schwanken, sondern nur ungetrübte Entschlossenheit: Sie wissen, was sie schuldig sind. Ähnliches läßt sich für das Stück Der Schmetterlingstraum (Hudie meng)243 von Guan Hanqing sagen, das ebenfalls ganz dem Gedanken der Rache verpflichtet ist. Auch hier ist jemand, nämlich Mutter Wang (Wang Popo), bereit, ohne großes Nachdenken allein um der Pietät gegenüber dem Mann willen den eigenen Sohn (Wang San) zu opfern, um die beiden älteren Stiefsöhne Wang Da und Wang Er vor der Hinrichtung zu retten. Richter Bao weiß jedoch den Racheakt positiv als loyales Verhalten zu deuten: Ge Biao, ein Angehöriger des Kaiserhauses, habe kein Recht, den unbescholtenen Wang Laohan auf der Straße mir 239 240

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242 243

LI: Yuan zaju shi, S. 163f.; LIAO u. LIU: Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 2, S. 346–349. WILT IDEMA: »The Orphan of Zhao: Self-Sacrifice, Tragic Choice and Revenge and the Confuzianization of Mongol Drama at the Ming Court«, in: Cina 21 (1988), S. 177–179. Zum Rachegedanken in ähnlich gelagerten Stücken s. ebd., S. 166–168. Vgl. hierzu den kurzen Verweis auf den bedeutenden Regisseur Lin Zhaohua bei Sieber, S. 176, 178. Nach der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 3.2.2004, S. 40, läßt die Neuinszenierung in Peking, die auf Voltaire zurückgreift, den Gedanken der Rache fallen und den Adoptivsohn weiterhin Dienst für den einstigen Mörder seiner Familie tun. SIEBER: Theaters of Desire, S. 9. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 295–301; YANG u. YANG (Übers.): Selected Plays of Kuan Han-ching, S. 79–105 (The Butterfly Dream). Zur Kritik an der Yang’schen Übersetzung von GUAN HANQING als oberflächlich und zweifelhaft s. OBERSTENFELD: Chinas bedeutendster Dramatiker der Mongolenzeit (1280–1368), S. 103. Der Verfasser war Schüler von Alfred Hoffmann.

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nichts, dir nichts im Suff zu töten. Eine Amnestie für die aufgebrachten Söhne, die den Tod des Vaters ohne großes Federlesen durch Totschlag vergalten, scheint ihm ganz angebracht. Es versteht sich von selbst, daß das oft derbe, oft humorvolle Drama trotz aller direkten und indirekten Kritik an der Justiz der damaligen Zeit und an der Willkür der Machthaber versöhnlich mit dem Dank an den Himmel und an den Kaiser endet. Gleichwohl ist die, wie oben kurz angedeutet, abendländische Literatur nicht gänzlich frei vom Gedanken der Rache und findet erst relativ spät zur Vorstellung der Versöhnung. Davon geben einschlägige Nachschlagewerke hinreichend Auskunft.244 Ja, es läßt sich gar sagen, daß an ihrem Anfang eine verwandte Haltung steht, der Zorn nämlich.245 Statt von Rache spricht man eher von Blutrache. Bekannte Beispiele wie Das Nibelungenlied (um 1200) kennen ebenfalls einen zeitlich lang angelegten Rachefeldzug und die Auslöschung ganzer Geschlechter.246 Die Waise von Zhao besteht wie gesagt aus fünf Akten nebst einem Vorspiel. Das Vorspiel nimmt eine historische Begebenheit des 7. Jahrhunderts v.Chr. auf, welche im antiken Geschichtswerk Zuozhuan berichtet wird und vom Shiji, von den Historischen Aufzeichnungen des Sima Qian (145–86), sowie von anderen überlieferten Werken weiterverarbeitet worden ist.247 Es hat die Ermordung der Familie Zhao zum Thema und hilft den Titel des Stückes klären. Dies wurde bereits oben ausgeführt. Der erste Akt bringt die Sache der Vergeltung insofern erst voran, als die Mutter nach der Geburt der »Waise« Selbstmord begeht, um so den ihr freundschaftlich verbundenen Arzt Cheng Ying zur Rettung des Kindes zu bewegen. Die erste Aktion zur Rettung erfolgt auch sogleich, indem das Kind durch besagten Arzt an der Wache des Generals Han Jue vorbei aus dem Palast geschmuggelt wird. Um die Sache theatralisch zu beschleunigen, wählt der seinem Herrn unbotmäßige Haudegen den Freitod mit der Bitte, »das Kind müsse zur Rache erzogen werden, und seine Güte solle nicht vergessen werden« (bi jiao baochou, xiu wang liao wo zhe da’enren)248. 244

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Vgl. z.B. ELISABETH FRENZEL: Motive der Weltliteratur, Stuttgart: Kröner 21980, S. 65–80 (Blutrache); HORST S. u. INGRID DAEMMRICH: Themen und Motive in der Literatur, Tübingen: Francke 1987, S. 257–260 (Rache). Hier lassen sich manche Parallelen und Interpretationsansätze entdecken, die weiter zu verfolgen wären. S. hierzu PETER SLOTERDIJK: Zorn und Zeit. Politisch-psychologischer Versuch, Frankfurt: Suhrkamp 2006. Zur Einführung empfiehlt sich das überarbeitete Standardwerk von JOACHIM HEINZLE: Die Nibelungen. Lied und Sage, Darmstadt: Wiss. Buchges. 2005. Zu einer neuerlichen Ausgabe des Liedes s. URSULA SCHULZE (Hg.): Das Nibelungenlied. Zweisprachige Ausgabe. Mittelhochdeutsch / neuhochdeutsch, Darmstadt: Wiss. Buchges. 2005. Zur Übersetzung der Begebenheit aus dem Zuozhuan (VII.2.4) s. ERNST SCHWARZ (Übers.): Der Ruf der Phönixflöte, Bd. 1, Berlin: Rütten & Loening 31984 (Neuauflage von 1976), S. 121–126. Zur anekdotenhaften Ausschmückung im Shiji s. Bd. 6 (Kap. 43) der Zhonghua Shuju-Ausgabe (Hongkong 1969), S. 1779–1833. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 667, Sp. 1; LIU: Six Yüan Plays, S. 55; WANG: The Revenge of the Orphan, S. 111.

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Das Theaterstück entbehrt nicht einer gewissen Aktualität. Von dem chinesischsprachigen Gegenwartsdichter Bei Dao (geb. 1949) ist der berühmte Doppelvers »Infam lautet das Paßwort der Infamen, / Erhaben ist das Epitaph der Ehrwürdigen«249 immer wieder seit dem Pekinger Frühling (1978–1980) zur Kritik an den Zuständen in der Volksrepublik China politisch instrumentalisiert worden. Einen vergleichbaren Doppelvers hören wir aus dem Munde des Generals Han Jue bei seinem ersten Auftritt: »Die Lauteren [zhongxiao] werden auf den Märkten geköpft, / Die Heuchler halten sich warm in den Hauptquartieren.«250 Ein starker Satz, und wie gültig auch sehr viel später noch, nicht nur zu Zeiten der Kulturrevolution! Wir wissen, daß es dank der Pax Mongolica bereits christliche Missionare im heutigen Peking gegeben hat. Der im zweiten Akt angekündigte Kindsmord mag also durchaus auf den Kindermord von Bethlehem, wie ihn das Neue Testament überliefert, zurückgehen. Damit nicht alle Neugeborenen sterben müssen251, beschließen Cheng Ying und der siebzigjährige einstige Ratgeber Gongsun Chujiu einen Kindertausch: Der unschuldige Alte, Gongsun Chujiu, der eigentlich seinen Lebensabend in einem Dorf genießen möchte, soll zum Sündenbock gemacht werden, indem ihm die Waise, tatsächlich aber das Neugeborene des Freundes, untergeschoben wird. Damit Tu’an Gu das falsche Kind töten und wider sein Erwarten dem richtigen das Leben schenken wird, hat »die Zunge« des Freundes, wie es so treffend heißt, dem Freund »zum Messer zu werden«.252 Er wird den wahren »Schuldigen«, Cheng Ying, mitsamt vermeintlichem Sohn an den Hof einladen, wo dieser seine Rachepläne reifen lassen wird. Triebfeder für den Arzt und den einstigen Ratgeber ist das Gefühl der Verpflichtung gegenüber der Familie Zhao: Die Familie Zhao darf nicht vollends zugrunde gehen, es muß jemanden geben, der den Gemeuchelten Recht widerfahren läßt. Es muß ein Gedächtnis (ji) geben. Daher beschwört Zhao Shuo seine Frau, die Prinzessin, vor seinem Selbstmord in der folgenden Szene wie folgt:253

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BEI DAO: Notizen vom Sonnenstaat. Gedichte, aus dem Chinesischen und mit einem Nachwort von WOLFGANG KUBIN, München: Hanser 1991, S. 10 (»Die Antwort«); Bei Dao shixuan [Ausgewählte Gedichte von Bei Dao], Kanton: Xin Shiji 1986, S. 25 (»Huida«). Wenn nicht anders angegeben, erfolgt hier und unten meine Übersetzung nach ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 666, Sp. 1; LIU: Six Yüan Plays, S. 51; Wang: The Revenge of the Orphan, S. 108. Der Wunsch des Cheng Ying, »alle Kinder im Staate Jin zu retten« (s. ZANG [Hg.]: Yuanqu xuan, S. 670, Sp. 3; LIU: Six Yüan Plays, S. 63; Wang: The Revenge of the Orphan, S. 121b), erinnert an die letzten Worte »Rettet die Kinder …« in Lu Xuns Erzählung »Das Tagebuch des Verrückten« (Kuangren riji, 1918), s. LU XUN: Werke in sechs Bänden, Bd. 1 (»Applaus«), S. 32. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 669, Sp. 3; WANG: The Revenge of the Orphan, S. 118a. Zitiert unter Benutzung der heutigen Umschrift nach GRUBE: Geschichte der chinesischen Litteratur, S. 374; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 665, Sp. 1.

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Ji Junxiang: Die Waise von Zhao Die Prinzessin. O Himmel, erbarme dich! Unser ganzes Haus ist vernichtet, und die Toten haben keine Stätte, da sie begraben werden können! Zhao Shuo. Prinzessin, bewahre, was ich dir geboten, treu im Gedächtnis [ji]! Die Prinzessin. Ich habe dich verstanden.

Nicht wenige Interpreten haben in dieser Betonung des Angedenkens einen Zusammenhang mit der von den Mongolen gestürzten Song-Dynastie gesehen, denn deren Begründer trug ebenfalls den Familiennamen Zhao. Letzten Endes könnte es sich im vorliegenden Fall also um ein Theater des Widerstandes gegen eine tyrannische Herrschaft handeln.254 Anlaß zu einer solchen Vermutung gibt auch die Prophezeiung des Gongsun Chujiu, der singt:255 Gestützt auf die Familie Zhao, wenn ihre Nachkommenschaft ewig währt, werden die Lande des Reiches Jin über viele Helden verfügen. Die Waise wird sich als Recke erweisen, das Heer anführen und die Lehensstaaten unterwerfen.

Dies mag man wie eine Aufforderung zum Kampf gegen die Mongolen lesen. Neben der Ehre spielt auch der »Name«, den ein rechtschaffener Mensch in der Geschichte hinterläßt, eine entscheidende Rolle. Der Verfasser kann da auf überlieferte Fakten vertrauen, denn seit der Song-Zeit sind den historischen Helden Schreine zu Zwecken des Andenkens und der Fürbitte errichtet worden.256 So ist in der Tat, wie die Protagonisten nicht müde werden zu betonen, der Tod keinesfalls zu fürchten, schließlich überlebt der rechte Mann mit seinem Namen. Die Erfüllung einer moralischen Verpflichtung (lide) ist einer der drei Wege zur Unsterblichkeit, welche die chinesische Geistesgeschichte neben der großen Tat (ligong) und dem geschriebenen Wort (liyan) seit alters kennt. Die Suche nach der im Dorfe Taiping versteckten Waise, welche Thema des zweiten Aktes ist, geht für beide Seiten im dritten Akt auf unterschiedliche Art »erfolgreich« aus. Die falsche Waise und ihr vermeintlicher Mentor kommen ums Leben. Cheng Ying wird Bediensteter am Hofe und die wahre Waise zum rechtmäßigen Erben von Tu’an Gu erklärt. Dem vierten Akt fällt daher nach einem Zeitsprung von zwanzig Jahren die Aufgabe der Aufklärung zu. Diese erfolgt als kognitiver Prozeß im Rahmen einer mystery story. Cheng Ying hat in der Stille Bildnisse rechtschaffener Minister und Feldherren, die sämtlich eines unwürdigen Todes gestorben waren, angefertigt und zu einem Buche vereinigt. Diese Bilder zeigt er nun dem Jüngling und lüftet so den Schleier, der ihm bisher die Geschichte seines Hauses verhüllt hatte.257 254 255 256 257

LIU: Six Yüan Plays, S. 24. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 669, Sp. 1; WANG: Revenge of the Orphan, S. 116b. So zu lesen bei SIEBER: Theaters of Desire. GRUBE: Geschichte der chinesischen Litteratur, S. 378.

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Die Waise, vom Generalissimus als Nachfolger im militärischen, aber auch zivilen Bereich voll ausgebildet, soll in dieser Situation von zwei Seiten in Anspruch genommen werden. Tu’an Gu hegt mit ihrer Hilfe Umsturzpläne, Cheng Ying will mit ihrer Hilfe seine Racheversprechen in die Tat umsetzen. Die Waise muß daher ihre alte Identität verlieren und eine neue annehmen, vom wohlausgebildeten Sohn bewußtseinsmäßig zu einer wirklichen Waise werden. Diese Verwandlung gelingt dem Cheng Ying durch besagte Bildrolle, welche die Geschicke der Vergangenheit so festhält, daß sich die Waise zu Fragen nach der vergangenen Geschichte genötigt sieht. Es sind die Fragen und die Antworten, welche einen Pietätwechsel bewirken. Aus dem wohlgesonnenen Adoptivsohn wird im fünften Akt die rachsüchtige Waise. Wie andere Yuan-Dramen auch endet dieses Stück mit dem »Blick zur grenzenlosen Tugend des Herrschers« (zhanyang zhu de wujiang).258 Ein solcher Schluß wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Paßt er überhaupt zur Theorie eines antimongolischen Widerstandsstückes? Stellt er nicht vielmehr eine Ergebenheitsadresse an die herrschende Dynastie dar? Entdramatisiert er nicht das Drama? Fragen wie diese geben uns Anlaß, auf Bemerkungen anderer Art einzugehen. Es geht dem Stückeschreiber nicht um eine Katharsis des Zuschauers259, sondern um die Bestätigung der bestehenden Ordnung. Auch wenn diese, wie der Gang der Handlung darlegt, gestört worden ist, so ist dies nur kurzfristig der Fall gewesen. Die Ordnung der Dinge ist grundsätzlich in der »Tugend« (de) des Kaisers angelegt, sie muß vielleicht nur deswegen theatralisch außer Kraft gesetzt werden, um das grundsätzliche Charisma der Herrschaft zu bestätigen. Man nennt dies literaturwissenschaftlich die Wiederherstellung der »Einheit« (tuanyuan) bzw. der »großen Einheit« (da tuanyuan). Was ideologisch zur Einheit gebracht werden soll, ist der Gedanke von absoluter Herrschaft und absoluter Zuversicht: Was immer unten fehlgehen mag, es wird oben gerichtet. Dies würde vielleicht verständlich machen, warum das chinesische Theater nicht, wie Jean-Baptiste du Halde als erster Europäer feststellt, eine Trennung von Tragödie und Komödie, von narrativen und dramatischen Formen vornimmt. Bevor sich etwas dramatisch wirklich zuspitzen kann, wird dem einzelnen auf der Bühne die Möglichkeit gegeben, mitten in der Handlung innezuhalten und sich in Form von Liedern oder Gedichten zu »entladen«. Das Theater wird in einem solchen Falle zu einer Art Ventil und gewinnt damit den Stellenwert einer Bebilderung. Was ist mit dem Wort Bebilderung gemeint? Im Moment des Gesanges bzw. der Rezitation erstarrt der Schauspieler zum Bild, die Zeit hält inne. Akteur und Zuschauer treten aus dem Geschehen heraus. Es ist just dies, was jemanden wie du Halde so »geschockt« hat. Er schreibt:260 258 259 260

ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 674, Sp. 2; LIU: Six Yüan Plays, S. 81; WANG: The Revenge of the Orphan, S. 130b. Zur Problematik dieses Begriffes gibt es eine bündige Darstellung bei VON WILPERT: Sachwörterbuch der Literatur, S. 401f. Übersetzt nach dem bei ADRIAN HSIA: Chinesia. The European Construction of China in the

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Ji Junxiang: Die Waise von Zhao Tragödien in China sind mit Liedern vermengt. Diese Lieder werden oft genug wegen einer Deklamation von ein, zwei Sätzen in gewöhnlichem Ton unterbrochen. Wir sind schockiert, daß ein Schauspieler mitten im Dialog zu singen beginnt. Doch man muß beachten, daß unter den Chinesen das Lied ein Mittel ist, um eine tiefe Bewegung der Seele zum Ausdruck zu bringen, wie etwa Freude, Schmerz, Zorn, Verzweiflung. So singt zum Beispiel jemand, der über einen Bösewicht indigniert ist, ein anderer, wenn er auf Rache sinnt, ein weiterer vor seinem Selbstmord.

Ein solcher »Schock« ist durchaus im Sinne einer grundsätzlichen Kritik zu verstehen: Man hielt damals die Unterbrechung eines Theaterspiels durch Gesang für einen ästhetischen Mangel und sparte nicht mit entsprechend abfälligen Worten. Dies soll uns hier jedoch nicht weiter beschäftigen. Wir kommen zu einer grundsätzlicheren Kritik.

Literature of the 17th and 18th Centuries, Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1998 (= Communicatio; 16), S. 80, angeführten französischen Zitat.

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2. Li Xingdao (13. Jh.): Der Kreidekreis Wilhelm Grube hat das Stück Der Kreidekreis (Huilan ji) von Li Xingdao (13. Jh.) zum Anlaß von grundsätzlicheren Bedenken gegenüber dem chinesischen Theater genommen. Bevor darauf jedoch eingegangen werden kann, ist das Stück zunächst einmal selber vorzustellen. Wie im Falle der Waise von Zhao auch erfreut sich dieses Schauspiel vom Kaiserlichen Rat Bao, der listig mit Hilfe eines Kreidekreises die Wahrheit findet (Bao daizhi zhizuan huilan ji zaju)261 – so der Langtitel – in Europa größerer Beliebtheit als im Reich der Mitte. Es haben sich vor allem im deutschen Sprachraum vielfach Übersetzer, Literaten und Künstler seiner angenommen bzw. immer wieder sein Motiv auf mannigfaltigste Art und Weise verarbeitet.262 Allerdings scheint bislang eine eigentliche literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung in der Sinologie noch auszustehen. Dies ist nicht verwunderlich, da die Erforschung des traditionellen chinesischen Theaters bislang kaum über das Grundsätzliche hinausgekommen ist und immer noch die Grundlagen erst einmal zu sichern hat. In ihrer Einschätzung des Kreidekreises sprechen Wilhelm Grube und Adrian Hsia von einem bürgerlichen Schauspiel bzw. von einem Sozialdrama. Beide Charakterisierungen sind natürlich modernen und westlichen Zuschnitts. Läßt sich trotzdem mit ihnen arbeiten? Zunächst sei die Frage erlaubt, warum Der Kreidekreis eine so warme Aufnahme in Deutschland gefunden hat. Manche führen dies auf die Urteilsfindung im Stück zurück: Richter Bao sei der chinesische Salomon, und das Motiv sei während der Pax Mongolica durch christliche Missionare, von Rom entsandt, bis nach Dadu, in das heutige Peking, gedrungen. Gegen 261

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ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 501–512; deutsch von ALFRED FORKE: Hui-lan ki [d.i. Huilan ji]. Der Kreidekreis. Schauspiel, Leipzig: Reclam [1927]. Die chinesische Ausgabe führt den Titel wie üblich am Ende nochmals an, ersetzt das Zeichen zuan (im Sinne von zuan ren etwa: »jemanden betuppen«) allerdings durch kan (genau untersuchen). Zur positiven Würdigung der deutschen Übersetzung mit vielen nützlichen Anmerkungen und Kommentaren durch den ansonsten überstrengen Übersetzer von Zach s. HARTMUT WALRAVENS (Hg.): Erwin Ritter von Zach (1872–1942): Gesammelte Rezensionen. Chinesische Sprache und Literatur in der Kritik, Wiesbaden: Harrassowitz 2006 (= Asien- und Afrika-Studien; 26), S. 53–54. Zur sprachlichen Gestaltung des Dramas s. PERNG: Double Jeopardy, S. 61–67. Zur Rezeption s. ADRIAN HSIA: »Eindeutschung des Kreidekreismotivs«, in: INGRID NOHL (Hg.): Ein Theatermann, Theorie und Praxis. Festschrift zum 70. Geburtstag von Rolf Badenhausen, München 1977, S. 131–142; s. auch die bibliographische Notiz zu Übersetzungen, Adaptionen, Verarbeitungen von KUBIN: »Das Motiv des Kreidekreises«, S. 512–516. Bei beiden fehlt der Hinweis auf Alexander Zemlinskys (1871–1942) in Wien am 14.10.1933 uraufgeführte Oper Der Kreidekreis. Übrigens nach der Version (1925) von Klabund (1890–1928) und nicht nach der von Bertolt Brecht (Der kaukasische Kreidekreis), wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.10.2003, S. 35, anläßlich einer Wiederaufführung schreibt.

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Li Xingdao: Der Kreidekreis

eine Übernahme aus dem Alten Testament (1. Könige, 3, 16-28) sprechen jedoch zwei Gründe: König Salomon findet Recht mit der Hilfe eines Schwertes. Zwei Frauen, die sich um ein Kind streiten, werden aufgefordert, das Kind zu teilen, damit jede ihren Anteil erhält. Bei Li Xingdao dagegen ist das Mittel der Rechtsfindung ein »Kalkstrich« (huilan). Ein solcher steht im Mittelpunkt einer Geschichte, welche die buddhistische Schrift Jataka überliefert hat. Eine Übersetzung dieses aus Indien stammenden Werkes ins Chinesische ist seit etwa 300 n.Chr. nachweisbar. Die Sache mit dem Kalkstrich, über den ein Kind zu ziehen ist, muß sich aber im Laufe der Rezeption gewandelt haben, denn Bebilderungen des Dramas geben spätestens seit 1616 eindeutig einen Kreis mit einem Kind in der Mitte zu erkennen.263 Vermag allein das Wandern eines Motivs die so große Beliebtheit eines Stückes außerhalb seines Kulturkreises zu erklären? Seit 1832 in einer französischen Übersetzung und seit 1876 in einer ersten deutschen Adaption zugänglich, ist Der Kreidekreis aus der deutschen Kulturgeschichte gar nicht mehr wegzudenken. Wir kommen daher zu obigen Einschätzungen zurück. Grube scheint zwar besagtes Stück als »Verhöhnung des Richter- und Beamtenstandes«264 zu goutieren, er macht jedoch keinen Hehl daraus, daß er in den Mongolendramen allgemein Mängel sieht, und zwar bei der Charakterzeichnung von Protagonisten. Hsia hebt dagegen im Falle des Kreidekreises besonders das soziale Moment, »die korrumpierende Macht des Geldes«265 , als gelungenes Gestaltungsmittel hervor. Folgt man den Ausführungen des letzteren, so handelt es sich bei dem Stück um »das Resultat eines kollektiven Wunsches sozial schwacher Gesellschaftsschichten«266. Kurz, um gutes Theater. Kann dem zugestimmt werden? Gehen wir also zunächst auf das Geschehen ein. Der Kreidekreis besteht aus vier Akten nebst einem Vorspiel. Die Handlung trägt sich bis zum dritten Akt zunächst in Zhengzhou, dann in Kaifeng zu. Im Mittelpunkt steht die Kurtisane Zhang Haitang, die eigentlich aus guter Familie stammt, aber sich durch die verwitwete Mutter und durch einen Nichtsnutz von Bruder zum »Verkauf ihres Lächelns« gezwungen sieht. Unter ihren Liebhabern befindet sich ein »Hofrat« (yuanwai) namens Ma Junqing, der sie gern zu seiner Nebenfrau machen möchte und ihr im Falle der Geburt eines Sohnes hoffnungsvolle materielle Versprechungen macht. Offensichtlich galt eine solch offizielle Liaison damals nicht als ehrenrührig. Wir können aber dem Vorspiel mit seinen Hochzeitsvorbereitungen bereits den möglichen Konfliktstoff zwischen Hauptfrau und Nebenfrau, zwischen einer Frau ohne Sohn und einer mit Sohn entnehmen. Entsprechend spitzt sich die Auseinandersetzung zwischen den beiden Frauen im 263 264 265 266

Vgl. hierzu auch die Ausführungen von ALFRED FORKE in: Hui-lan ki. Der Kreidekreis, S. 12, 84. GRUBE: Geschichte der chinesischen Litteratur, S. 381. HSIA: Eindeutschung des Kreidekreismotivs, S. 131. Ebd., S. 132.

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ersten Akt zu. Die Handlung nimmt fünf Jahre später ihren Lauf. Frau Ma hat einen Liebhaber und möchte ihren Mann loswerden, dessen Erbe aber an sich reißen. Deswegen muß sie den von Haitang geborenen Knaben, d.h. den künftigen Erben, als ihr Kind ausweisen und der wahren Mutter den Giftanschlag zuschieben. Der erste Akt steht also ganz im Zeichen der Ränke: Frau Ma entfremdet Bruder und Schwester, Ehemann und Nebenfrau einander und mischt schließlich Gift ins Essen des Hofrates. Haitang hat für ein solches ungebührliches Verhalten eine plausible Erklärung. Sie singt:267 Es streben wohl alle Frauen auf Erden, Alleinige Herrscherin zu werden, Doch wann sah man ein Weib je wie diese hier, Im Herzen ein Wolf, in Gesinnung ein Tier, Das Innere zerfressen von Würmern des Neids, des Hasses, der Gier?

Aktualität gewinnt das Stück mit dem zweiten Akt, der so unmißverständlich Rechtsprechung und Korruption in einen unmittelbaren Zusammenhang bringt. Das Geld ist der nervus rerum, der aus Unrecht Recht werden läßt. Viele der damaligen Richter waren Fremde (semuren), die über keinerlei Chinesischkenntnisse verfügten und auf ihre Umgebung angewiesen waren. Willkür und Form der Strafen haben erstaunliche Parallelen zur Rechtsprechung der Volksrepublik China zwischen 1949 und 1979. Das Bild des Richters in den Dramen der damaligen Zeit ist daher eher negativ.268 So rezitiert der Präfekt (taishou) von Zhengzhou namens Su Shun gleichsam stellvertretend für seine Zunft wie folgt zu Beginn des zweiten Aktes:269 Ich bin hier zwar Beamter, Doch kenne das Recht ich schlecht. Gibt man mir gutes Silber, Kommt alles schon zurecht. 267 268

269

FORKE: Hui-lan ki. Der Kreidekreis, S. 37; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 504, Sp. 3. Vgl. hierzu ERNST WOLFF: »Law Court Scenes in the Yüan [d.i. Yuan] Dramas«, in: Monumenta Serica 29 (1970/71), S. 193–205. Der Kreidekreis wird auf den S. 203f. behandelt. Zum Bild der Käuflichkeit von damaligen Richtern s. auch HOLGER HÖKE: Die Puppe (Mo-ho-lo) [d.i. Moheluo]. Ein Singspiel der Yüan [d.i. Yuan]-Zeit, Wiesbaden: Harrassowitz 1980 (= Veröffentlichungen des Ostasien-Institutes der Ruhr-Universität Bochum; 26). Zur Rezension dieser Dissertation durch WILT L. IDEMA s. T’oung Pao LXVII (1981), S. 120–122. Zum Original des fraglichen Stückes von MENG HANQING (fl. 1279) s. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 616–625 (Moheluo). Eine englische Übersetzung, allerdings ohne ausführlichen Kommentar wie bei Höke, bietet CRUMP: Chinese Theater in the Days of Kublai Khan, S. 311–392, kurz kommentiert S. 195f. Die deutsche und amerikanische Vorliebe für dieses eher mittelmäßige Stück erscheint mir wenig nachvollziehbar. Beide Übersetzer stellen übrigens nicht die Wertfrage! Zur sprachlichen Würdigung von Moheluo s. PERNG: Double Jeopardy, S. 36–42, zur weiteren Deutung s. LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 2, S. 307–312. FORKE: Hui-lan ki. Der Kreidekreis, S. 46; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 506, Sp. 1.

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Haitang wird in seinem Amt, wo auch der Liebhaber der Frau Ma als Amtssekretär tätig ist, zur Leidtragenden. Sie weiß, daß ihr Unglück lediglich eine Folge fehlenden Geldes ist. So singt sie gegen Ende des zweiten Aktes:270 Wer Geld hat, dem ist alles leicht, Ohne Geld man im Leben nichts erreicht.

Das Geld hat selbst die Macht des Himmels außer Kraft gesetzt. Daher klagt sie in ihrem folgenden Gesang:271 Wie seid ihr Richter in allen Stücken So voller Ränke, voller Tücken, Des Volkes Kinder zu bedrücken! Wie Falken stürzet nieder ihr, Und Ihr entreißt auf dem Papier Ein falsches Schuldgeständnis mir. Ich flehe unter heißen Zähren Den Himmel an, mich zu erhören, Allein der Himmel, der ist weit. Wird kommen nochmals je die Zeit, Wo endlich mir Gerechtigkeit Ein edler Richter wird gewähren?

»Allein der Himmel, der ist weit.« (tian you gao) So einfach! Und so nimmt das böse Schicksal seinen Lauf. Der dritte Akt zeigt die Protagonistin, begleitet von zwei Bütteln, auf ihrem Weg durch Kälte und Schnee von Zhengzhou nach Kaifeng, wo durch den »Staatsrat« (daizhi) Bao das endgültige (Todes-)Urteil gesprochen werden soll. Wunderbarerweise ist inzwischen ihr Bruder zu einem Gehilfen des »gerechten Richters« Bao avanciert. Bao war übrigens ursprünglich eine historische Person, die dann im Theater und in der Erzählkunst zum Sinnbild der Gerechtigkeit und auch zum Ahnherrn des chinesischen Detektivs wurde. Oftmals fällt ihr die Rolle eines deus ex machina zu, die sich wunderbarerweise auch über kaiserliche Bestimmungen hinwegzusetzen wagt. 272 Bao Zheng, so der volle Name, stammte aus Hefei und lebte von 999 bis 1062.273 Die wunderbare Begegnung 270 271 272

273

FORKE: Hui-lan ki. Der Kreidekreis, S. 58; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 507, Sp. 3, S. 508, S. 1. FORKE: Hui-lan ki. Der Kreidekreis, S. 60; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 508, Sp. 1. So z.B. in Guan Hanqings Stück Lu Zhailang. Der Titel ist der Name eines Bösewichts, der den Mitbürgern die Ehefrauen ausspannt. Durch Manipulation von Schriftzeichen gelingt es Bao, den Befehl des Kaisers außer Kraft zu setzen und den Roué seiner gerechten Strafe zuzuführen. Englisch erschienen als »The Wife-Snatcher« in: YANG u. YANG (Übers.): Selected Plays of Kuan Han-ching, S. 48–78; zum Original s. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 387–394. Zu seiner Person s. HERBERT FRANKE (Hg.): Sung Biographies, Bd. 2, Wiesbaden: Steiner 1976 (= Münchener Ostasiatische Studien; 16), S. 823–832 (S. 831 erwähnt seine Rolle im

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von Bruder und Schwester unterwegs führt natürlich auch zu einer Aussprache und zur schließlichen Versöhnung der beiden. Der vierte Akt kann nun ganz im Zeichen der Rechtsfindung stehen und der offensichtlichen Wiederherstellung der Ordnung dienen. Bao Zheng verfügt während der Gerichtsverhandlung:274 In dieser Sache hilft nur noch ein Mittel. Ruft Zhang Lin her. (Er macht Zhang Lin mit dem Arm ein Zeichen, worauf dieser hinausgeht.) Zhang Qian, hole ein Stück Kalk und ziehe damit unterhalb der Stufen einen Kreis. Laß das Kind in den Kreis treten und die beiden Frauen es aus dem Kreidekreis herausziehen. Diejenige, welche die leibliche Mutter des Knaben ist, vermag ihn herauszuziehen, diejenige, welche es nicht ist, ist nicht dazu imstande.

Der Ausgang ist bekannt, die wahre Mutter zerrt das Kind nicht aus dem Kreis heraus, sondern ist bereit, es der Konkurrentin zu überlassen. Dem Sohn sollen die leiblichen Schmerzen erspart bleiben. Bao Zheng bezeichnet sein Verfahren mit Rückgriff auf Konfuzius (Lunyu II.10) wie folgt:275 Der Sinn des Gesetzes mag oft fern liegen und schwer zu verstehen sein, aber die Gefühle eines Menschen lassen sich durch Schlüsse erkennen. Ein Alter hat gesagt: »Sieh, was ein Mensch treibt, prüfe seine Motive und erforsche die Dinge, worin er sich wohlfühlt. Wie könnte er dann verborgen bleiben?« Seht die gewaltige Kraft, welche in diesem Kreidekreis verborgen lag.

Er singt:276 Durch den Kreidekreis hab’ ich das Dunkel erhellt Und alles ins rechte Licht gestellt.

Was bleibt da Haitang anderes zu tun übrig, als das Stück mit einem Segenswunsch enden zu lassen?277

274 275 276 277

Drama, Roman etc.); BERND SCHMOLLER: Bao Zheng (999–1062) als Beamter und Staatsmann, Bochum: Brockmeyer 1982 (= Chinathemen; 6). Zu seiner Verarbeitung in der kriminalistischen Erzählkunst s. WOLFGANG BAUER (Übers., Hg.): Die Leiche im Strom. Die seltsamen Kriminalfälle des Meisters Bao, Freiburg u.a.: Herder 1992. Zu seiner Legende in der Literatur s. GEORGE A. HAYDEN: »The Legend of Judge Pao [d.i. Bao]: From the Beginnings Through the Yüan [d.i. Yuan] Drama«, in: LAWRENCE G. THOMPSON (Hg.): Studia Asiatica, San Francisco: Chinese Materials Center 1975, S. 339–355, s. auch DERS.: Crime and Punishment, S. 16–27. Nach heutiger Umschrift und bei Korrektur der Namensverwechslung zitiert nach FORKE: Hui-lan ki. Der Kreidekreis, S. 84; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 511, Sp. 1 u. 2. FORKE: Hui-lan ki. Der Kreidekreis, S. 86; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 511, Sp. 2. FORKE: Hui-lan ki. Der Kreidekreis, S. 90; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 512, Sp. 1. FORKE: Hui-lan ki. Der Kreidekreis, S. 91; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 512, Sp. 1.

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Li Xingdao: Der Kreidekreis O Herr, vom Kreidekreis die Märe, Sie möge dringen bis an die vier Meere, Daß jeder im ganzen Reich sie höre.

Nun, dieser Wunsch ist zumindest für das Abendland in Erfüllung gegangen. Dies ist nicht selbstverständlich, denn Grube nimmt das Stück zum Anlaß, um Grundsätzliches zum Wesen des chinesischen Theaters kritisch vorzubringen:278 Durch die witzige Satire auf den Beamtenstand bildet dieses Schauspiel [Der Kreidekreis] zugleich einen Übergang zur Gattung der Charakterkomödie. Der Richter und sein Schreiber sind Charakterfiguren von echt chinesischem Gepräge, nicht nur durch den aus dem Leben gegriffenen Realismus, der ihnen zu Grunde liegt, sondern auch durch die Art, wie sie ins Burleske verzerrt werden. Der Chinese hat es in der Kunst zu charakterisieren ziemlich weit gebracht, aber dennoch sind dieser Kunst enge Grenzen gesteckt, die sie bisher nicht zu überschreiten vermochte; das, was wir unter Charakterentwicklung verstehen, wird man im chinesischen Drama vergeblich suchen, – über die Charakterschilderung geht es nicht hinaus. Überdies werden die im Mittelpunkte der Handlung stehenden Typen der Charakterkomödie oft mit allen erdenklichen Schwächen und Lächerlichkeiten, sei es ihres Standes, sei es einer ausgeprägten individuellen Eigenschaft, derart überhäuft, daß die ursprünglich menschlichen Züge wie in dem Bilde eines Hohlspiegels zu fratzenhafter Karikatur entstellt erscheinen. Neben einer ausgesprochenen Vorliebe für Satire und médisance ist dem Chinesen auch der Hang zum Grotesken zu eigen: man denke nur an die zu den abenteuerlichsten Formen künstlich verkrüppelten Bäumchen, die seine Gärten und Häuser zieren, an die bizarren Schnörkel seiner Arabesken, an die phantastische Art der Gesichtsbemalung, die das chinesische Theater für die traditionellen Charaktermasken vorschreibt, an die ungeheuerlichen Götterfiguren, welche die Altäre in den Tempeln schmücken, und man wird begreifen, daß dieser Hang zu einseitiger Übertreibung erst recht in der Charakterkomödie zu förmlichen Exzessen führen mußte. Bald ist es die sprichwörtliche Käuflichkeit und Gewissenlosigkeit des Beamtentums, die hier schonungslos gegeißelt wird, bald der allem Menschenverstande Hohn sprechende Wunderglaube der Taoisten, bald wieder das buddhistische Asketentum, durch dessen Auswüchse das Oberste zu unterst gekehrt wird. Kein Wunder also, daß gerade die Charakterkomödie in besonderer Gunst steht, und es ist nur zu bedauern, dass die Erzeugnisse dieser Gattung in der Regel ein so unerquickliches Gemisch von wirklich gesundem Humor einerseits und kindischer Sucht nach geschmacklosen Übertreibungen andererseits darbieten, dass uns die Stücke selbst oft lächerlicher erscheinen müssen als die in ihnen persiflierten Typen.

Auch wenn viele der obigen Vorurteile als nicht mehr gängige Meinung betrachtet werden können, so darf man Worte wie diese gleichwohl nicht einfach in 278

GRUBE: Geschichte der chinesischen Litteratur, S. 385f.

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Bausch und Bogen als unhaltbar abtun, denn Grube hat auf seiner Ostasienreise (1897/98) Peking besucht, die dortige Theaterszene beobachtet und manch wertvolle Bemerkungen gemacht. Zum anderen haben sich in der Vergangenheit nicht wenige Chinesen unter dem Einfluß der Kommunistischen Partei Chinas ebenso abfällig über die traditionelle chinesische Kultur an sich geäußert wie er. Gleichwohl gilt es, sich auf die spezifischen Äußerungen zum Theater zu beschränken. Und da stellt sich zunächst die Frage, lobt oder tadelt Grube den Kreidekreis? Er scheint dem Stück als Charakterschilderung durchaus etwas abgewinnen zu können. Wie Adrian Hsia betont er die gelungene Kritik der (auch heute noch als korrupt geltenden) chinesischen Beamtenschaft, die lebendige Darstellung von einzelnen Protagonisten wie dem Richter. Andererseits geht das Schauspiel hie und da doch ins Derbe, weshalb sich Forke bei seiner Übersetzung zu Auslassungen gezwungen sah. Wir sind es gewohnt, von einem literarischen Werk die Entwicklung eines Charakters erwarten zu dürfen. Jedenfalls gilt dies gemeinhin für die bürgerliche Literatur des Abendlandes zwischen der Goethezeit und den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit der Postmoderne verflüchtigt sich jedoch der Anspruch der Moderne auf eine besondere Individualität des einzelnen. Die Handlungsfreiheit des Individuums wird immer mehr in Frage gestellt. Ein Anspruch auf Herausbildung oder Selbstbildung eines Menschen, ob in den Künsten oder in der Gesellschaft, kann nicht mehr unbedingt erhoben werden. Nun ist jedoch die Frage zu stellen, ob es dem chinesischen Geist in der Vergangenheit denn überhaupt darauf angekommen ist, eine unverwechselbare Persönlichkeit auf die Bühne zu bringen. Hier läßt sich nur wiederholen, was oben bereits angeschnitten worden ist: Es geht dem Theatermann nicht um das einzelne Geschehen, sondern um die allgemeine Ordnung. Der heimliche Held ist das Tao. In seinem »Spiel« kann es keine Entwicklung einer Persönlichkeit geben, denn der jeweilige Protagonist ist lediglich eines seiner Teile. Die Ordnung des Tao ist zu bestätigen, und innerhalb dieser Ordnung spielt der einzelne ausschließlich die ihm zugewiesene Rolle als Guter oder Böser. Um ihn darin erkennen zu können, hat er sich unmißverständlich dem Publikum anzutragen. Insofern kann sich eigentlich immer nur dasselbe mit kleinen Abweichungen ereignen, um überhaupt ein neues Stück möglich zu machen. Die Frage ist allerdings, warum dann dem Derben, auf das Grube zu Recht hinweist, überhaupt soviel Bedeutung zukommt. Nun, wir haben es hier überwiegend nicht mit einer Elitekultur, sondern mit einer Volkskultur zu tun, die andere Maßstäbe setzt. Die chinesische Sekundärliteratur wird daher nicht müde, auf die Angleichung von hoher und niederer Literatur zur damaligen Zeit hinzuweisen. 279 Das soll hier jedoch nicht weiter ausgeführt werden.

279

Vgl. z.B. LI: Yuan zaju shi, S. 67–74.

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3. Wang Shifu (13. Jh.): Das Westzimmer und die Folgen der Passion (Guan Hanqing u.a.)

Eine Eigenart des chinesischen Theaters hat mit einer Erscheinung zu tun, die man eigentlich eher von der Moderne her zu kennen meint: das Remake bzw. Rewrite. Etwas, das schon einmal geschrieben worden ist und Erfolg gehabt hat, wird nochmals aufgelegt und dabei umgeschrieben oder erweitert. Eines der berühmten Beispiele in dieser Hinsicht ist das Stück Das Westzimmer (Xixiang ji) von Wang Shifu (13. Jh.). Es hat mindestens zwei berühmte Vorläufer in zwei anderen Genres. Zum einen die vielfach übersetzte Novelle »Goldamsel« (Yingying zhuan)280 und zum anderen die »Ballade vom Westzimmer« (Xixiang ji zhugongdiao)281. In beiden Fällen sind uns die Verfasser bekannt. Yuan Zhen (779–831) heißt der Meister der auch »Begegnung mit einer Unsterblichen« (Hui zhen ji) genannten Erzählung. Der Name des Barden lautet Dong Jieyuan. Er lebte um 1200. Was in der Umschrift wie sein Vorname erscheint, ist in Wirklichkeit sein Titel (der erste im Bakkalaureat) bzw. eine höfliche Anrede (»Meister«). Sein eigentlicher Vorname ist unbekannt. Während die Novelle nicht nur die Umgebung des Protagonisten, sondern auch die Leserschaft in ein Erstaunen über den treulosen Liebhaber entläßt, sorgt die Ballade für ein Happyend. Damit verschiebt sich das Sujet in seiner Anlage grundsätzlich.282 Aus dem einst treulosen, vielkritisierten Helden wird mit einem Mal ein hingebungsvoller Liebhaber, der zum Publikumsliebling avanciert. Zhang Sheng entwickelt sich dank Dong Jieyuans Bearbeitung zum Archetypen des »talentierten Scholaren« (caizi), aber auch zum besten Beispiel eines durch die Liebe zu Stimmungsschwankungen verführten jungen Mannes. 280

281

282

Es liegen auf deutsch mindestens drei Übersetzungen der Erzählung vor, einmal von VINCENZ HUNDHAUSEN als Anhang zu seiner Übersetzung: Das Westzimmer, Eisenach: Erich Köth 1926, S. 343–356 (»Die Geschichte der Ying-Ying«), zum zweiten von WOLFGANG BAUER u. HERBERT FRANKE: Die goldene Truhe. Chinesische Novellen aus zwei Jahrtausenden, München: Hanser 1968, S. 78–89 (»Goldamsel«) und schließlich von MARTIN GIMM: Das schöne Mädchen Yingying. Erotische Novellen aus China, Zürich: Manesse 2001, 60–93 (Die Geschichte von der schönen Yingying oder Begegnung mit einem Feenmädchen). Englisch von CH’EN LI-LI: Master Tung’s Western Chamber Romance, Cambridge u.a.: Cambridge UP 1976. Zu einem Auszug nebst Kommentar auf englisch s. auch DOLBY: A History of Chinese Drama, S. 36–38; SHIAO-LING YU [d.i. Yu Xiaoling] (Übers.): »The Romance of the Western Chamber«, in: Renditions 7 (1977), S. 115–131. Zum Original s. DONG JIEYUAN: »Xixiang ji zhugongdiao«, in: HSMC 286, Taipeh: Shijie Shuju 1961. S. hierzu C.T. HSIA: »A Critical Introduction«, in: S.I. HSIANG (Übers.): The Romance of the Western Chamber, New York: Columbia UP 1968, S. XV–XXI; KIN BUNKYŌ: »Elapse of Time and Seasons in Dongjieyuan Xixiangji«, in: PAOLO SANTANGELO u. DONATELLA GUIDA (Hg.): Love, Hatred, and Other Passions, S. 229–240.

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DAS DRAMA DER YUAN-ZEIT IN EINZELDARSTELLUNGEN

Seine Liebeskrankheit zeigt die uns heute geläufigen, damals sicherlich noch nicht selbstverständlichen Symptome: mal manisch, mal depressiv, mal schlaflos, mal ohne Appetit. Interessanterweise schafft Dong Jieyuan auch eine äußere Umklammerung der Liebenden, nämlich durch Herkunft, Bildung und Jahreszeiten. Der Verlobte der Heldin wird gesellschaftlich herabgestuft. Große Liebe scheint daher nur bei entsprechend hohem sozialem Familienhintergrund möglich zu sein. Überdies erlaubt es die gute Bildung, daß die beiden sich auf der Stelle gegen alle gesellschaftliche Norm mit Hilfe von Gedichten über ihre Frühlingsgefühle verständigen und diese in den Gang der Jahreszeiten einbetten. Eine solche gegenseitige Werbung bedarf eines bestimmten Raumes: Daheim wäre dergleichen undenkbar gewesen. Ein Mädchen aus gutem Hause hätte bei Nadelarbeit die Verheiratung mit einem Unbekannten geduldig zu erwarten gehabt. Und ein Studiosus konnte bestenfalls eine Kurtisane in einem Etablissement umwerben. Wie dem auch sei, hier wird also in einer anderen Räumlichkeit, nämlich in der Anlage eines Tempels, ein traditioneller Ritus zeitweise außer Kraft gesetzt, der später durch ein glänzendes Doktorat und durch die Heirat wieder bestätigt zu werden hat: Was immer sich ereignet haben mag, der Scholar gibt letztlich eine glänzende Partie ab. Dieser für ein chinesisches Publikum eher befriedigende Schluß mit Happyend ist von der Ballade für die Theaterfassung auch übernommen worden. Der Stoff hat sich damit in seiner Ausrichtung verschoben: Yuan Zhen problematisiert die unbedingte Suche eines jungen Mannes nach der wahren Liebe,283 Wang Shifu dagegen rückt den vermeintlichen Konflikt von gesellschaftlicher Vernunft (li) und individuellem Empfinden (qing) in den Mittelpunkt. Wenn wir vom Westzimmer reden und von Wang Shifu als seinem Autor, so reden wir von einem Bild, denn es gibt nicht eine allgemein verbindliche Edition, sondern viele Editionen, und auch die Autorschaft ist nicht eindeutig geklärt. Nach wie vor wird die These vertreten, daß das Happyend im später hinzugefügten fünften Spiel (ben) nicht von Wang Shifu, sondern von Guan Hanqing stamme. Ich möchte im folgenden von einem einzigen Autor ausgehen und stütze mich dabei, aber auch ansonsten auf die kommentierte Standardausgabe des Spezialisten Wang Jisi.284 Zwei weitere Spezialisten, Wilt L. Idema und Stephen H. West, haben auf 283

284

Zur Deutung dieser nicht einfachen Erzählung s. STEPHEN OWEN: The End of the Chinese »Middle Ages«. Essays in Mid-Tang Literary Culture, Stanford: Stanford UP 1996, S. 149– 173; JAMES R. HIGHTOWER: »Yüan Chen [d.i. Yuan Zhen] and ›The Story of Ying-ying‹«, in: HJAS 33 (1973), S. 90–123; MANLING LUO: »The Seduction of Authentity: The Story of Yingying«, in: Nan Nü. Men, Women and Gender in China 7.1 (2005), S. 40–70; J.S. LIN [d.i. Lin Zhenshan]: »The Art of Discourse in ›The Story of Ying-Ying [d.i. Yingying]‹«, in: Tamkang Review XIX.1–4 (1988/89), S. 735–754. Xixiang ji, kommentiert von WANG JISI, Schanghai: Shanghai Guji 1978. Nachdruck der reich annotierten und punktierten Ausgabe von 1963. Im Anhang Notizen zur Autorschaft und zur Ausgabe von 1955. Zur Frage der Autorschaft s. auch JOHN CHING-YU WANG: Chin Sheng-t’an [d.i. Jin Shengtan], New York: Twayne 1972 (= TWAS; 230), S. 101–104. Vgl.

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Wang Shifu: Das Westzimmer und die Folgen der Passion

der Basis einer anderen Edition, der sogenannten Hongzhi-Edition, eine englische Neuübersetzung mit ausführlicher Einführung und Kommentierung vorgenommen.285 Die bisherigen englischen Übertragungen sind damit im weiteren Verlauf unserer Ausführungen nicht weiter zu berücksichtigen. 286 Die drei genannten Ausgaben in englischer Sprache stellen jedoch keinesfalls die ersten Übersetzungen dar. Allen ging der französische Sprachwissenschaftler Stanislas Julien (1797– 1873) voran, der noch vor seinem Lebensende 1872 in einer Zeitschrift seine Erstübersetzung in eine westliche Sprache überhaupt herausbringen konnte.287 Die deutsche Übertragung von Vincenz Hundhausen (1878–1955) Das Westzimmer288 soll gemäß den Aussagen des Bonner Sinologen Erich Schmitt (1893–1955) auf dieser französischen Fassung beruhen. Darüber war es zu einem Rechtsstreit gekommen. 289 Wie dem auch sei, 290 Tatsache ist, daß Hundhausen, der 1923 als Anwalt nach Peking kam und nach unterschiedlichsten Tätigkeiten erst 1954 heimkehrte, des Chinesischen kaum mächtig war. Der ehemalige Konsul von

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in diesem Zusammenhang ebenfalls JEN JUANITA MAYR: Jin Shengtan und die »Bücher der Begabten«, Phil. Diss. Hamburg 1984, S. 94–97. – Dieses Stück findet sich merkwürdigerweise nicht in ZANG MAOXUN (Hg.): Yuanqu xuan. Eine Ergänzung der von Zang Maoxun nicht aufgenommenen bzw. später wiederentdeckten Stücke findet sich bei SUI (Hg.): Yuanqu xuan waibian. Das Westzimmer ist mit Punktation in Bd. 1, S. 259–323, abgedruckt. WANG SHIFU: The Moon and the Zither. The Story of the Western Wing. Edited and Translated with an Introduction by STEPHEN H. WEST and WILT L. IDEMA. With a Study of its Woodblock Illustrations by YAO DAJUIN [sic!], Berkeley: University of California Press 1991. The Romance of the Western Chamber (Hsi Hsiang Chi [d.i. Xixiang ji]). Translated by S.I. HSIUNG [d.i. Xiong Shiyi], New York u. London: Columbia UP 1968 [Nachdruck, Vorwort 1935]; The West Chamber. A Medieval Dream. Translated from the Original Chinese with Notes by HENRY H. HART, Stanford: Stanford UP 1936. SI-SIANG-Ki [d.i. Xixiang ji]: »Ou, L’historie du pavillon d’occident, comédie en seize actes«, in: Atsume Gusa. Eine Buchausgabe folgte 1880. Die diesbezüglichen bibliographischen Angaben sind übrigens überall ungenau! Das Westzimmer. Ein chinesisches Singspiel aus dem dreizehnten Jahrhundert. In deutscher Nachdichtung nach den chinesischen Urtexten des WANG SCHE-FU [d.i. Wang Shifu] u. GUAN HAN-TSCHING [d.i. Guan Hanqing] von VINCENZ HUNDHAUSEN, Eisenach: Köth 1926. Diese Ausgabe wurde übrigens, mit Nachwort und Anmerkungen versehen, von ERNST SCHWARZ im Insel-Verlag Leipzig 1978 wiederaufgelegt. Zu diesem Streit s. HARTMUT WALRAVENS: Vincenz Hundhausen (1878–1955). Nachdichtungen chinesischer Lyrik, die Pekinger Bühnenspiele und die zeitgenössische Kritik, Wiesbaden: Harrassowitz 2000 (= Orientalistik Bibliographien und Dokumentationen; 8), S. 70– 87. Zu Erich Schmitt s. S. 147–183. Für den Kölner Sinologen Lutz Bieg, der eine hohe Achtung vor der Übersetzungsleistung des Vincenz Hundhausen hat und diesen als »Pionier« bezeichnet, besteht keinerlei Abhängigkeit der deutschen von der französischen Version, s. den äußerst informativen Aufsatz: »Literary Translations of the Classical Lyric and Drama of China in the First Half of the 20th Century. The ›Case‹ of Vincenz Hundhausen (1878–1955)«, in: VIVIANE ALLETON u. MICHAEL LACKNER (Hg.): De l’un au multiple. Traductions du Chinois vers les Langues Européennes, Paris: Éditions de La Maison 1999, S. 63–83.

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DAS DRAMA DER YUAN-ZEIT IN EINZELDARSTELLUNGEN

Schanghai (1929–1933) Walter Fuchs (1888–1966) charakterisiert dessen Arbeitsmethode in seinem Nachruf wie folgt:291 Den Anwalt hatte er bereits vor Jahr und Tag an den Nagel gehängt; über den Professor lächelte er selbst sein unvergesslich gewinnendes Lächeln, und den Übersetzer lehnte er in seinen Fehden mit den zukünftigen Sinologen für seine Person ab; die wörtlichen Übersetzungen der chinesischen Schriftwerke lieferten ihm seine Schüler und Gehilfen; er selbst dichtete dann das chinesische Kunstwerk nach – dichten im besten Sinne des Wortes –; er übertrug es, mit einem genialen Einfühlungsvermögen in chinesisches Wesen, und vermittelte uns so nicht nur die Kenntnis der Fabeln, sondern auch die ganze köstliche «ambiance», wie sie in den Werken klassischer Literatur lebt – in Prosa, Poesie und Drama.

Dieser Verweis schien mir notwendig, da die Nachdichtungen von Hundhausen nicht unbedingt weit vom Original entfernt sein müssen und mit Blick auf den Urtext hie und da durchaus zitiert werden können. Worum geht es im Stück? Die Handlung setzt Ende Februar 801 ein. Der verwaiste Studiosus Zhang Junrui kommt auf seinem Weg zur Hauptstadt, wo er das Examen ablegen will, an einem buddhistischen Tempel in Hezhongfu, dem heutigen Yongjixian in Shanxi, vorbei. Er legt eine Rast ein, da er in der Umgebung einen alten Freund besuchen möchte. Gleichzeitig trifft die Witwe Cui mit ihren beiden Kindern ein. Sie will eigentlich nach Boling, dem heutigen Dingxian in Hebei, um dort ihren verstorbenen Mann, einen ehemaligen Premierminister, zu beerdigen. Ihre Tochter Cui Yingying ist zwar einem anderen versprochen, aber die beiden jungen Leute verlieben sich sogleich bei der ersten Begegnung ineinander. Für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich, kommt es zu einer Revolte des örtlichen Militärgouverneurs. Die Mutter fürchtet um das Wohl ihrer Familie und verspricht demjenigen die Tochter zur Frau, der Rettung bringt. Studiosus Zhang gelingt es, mit Hilfe des Freundes, eines mächtigen Generals, alle aus der mißlichen Situation zu befreien. Doch kaum daß die Lage geklärt ist, widerruft die Witwe auch schon ihre Zusage. Es ist nun an Zhang Junrui, um die Tochter zu werben. Er sucht, sie durch Verse zu verführen, wird aber abgewiesen. Daraufhin verfällt er der »Liebeskrankheit«, so daß sich Hongniang zum Eingreifen veranlaßt sieht. Sie führt ihre Herrin dem Studiosus zu, so daß nach Kenntnisnahme des unstandesgemäßen Treffens sich die Mutter doch zu einer Einwilligung in die Ehe gezwungen sieht, allerdings unter einer Bedingung: Der angehende Scholar hat in der Hauptstadt ein glänzendes Examen abzulegen. Unterwegs erscheint Goldamsel ihm im Traum, während sie selbst sich im Tempel vor Sehnsucht nach ihm verzehrt. Bei seiner Rückkehr nach bestandener Prüfung muß Zhang Junrui feststellen, daß die Mutter es sich schon wieder anders überlegt hat. Doch der Verlobte, der bereits im Tempel weilt, gelangt nicht an das Ziel der Wünsche. Der befreundete General weiß alles zugunsten der beiden Liebenden zu drehen und zu wenden. 291

WALRAVENS: Vincenz Hundhausen. Leben und Werk, S. 47.

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Wang Shifu: Das Westzimmer und die Folgen der Passion

Dieses hinlänglich bekannte Geschehen verteilt sich nun nicht etwa über vier Akte, sondern ist von Wang Shifu auf fünf Spiele (ben) zu jeweils vier Akten (zhe) mit je eigenem Vorspiel (xiezi) und je eigenem Titel erweitert worden. Im Detail sieht das wie folgt aus: Das erste Spiel trägt den sprechenden Namen »Zhang Junrui bringt das Totenamt durcheinander« (Zhang Junrui nao daochang). Es signalisiert einen Gegensatz von heiligem und weltlichem Bereich, von Ritus und Verlangen, von Konvention und Verstoß. Das Binom daochang meint eine buddhistische Handlung, um die Seele eines Verstorbenen zu erlösen. Das Verbum nao, »stören«, zielt humorvoll auf jugendlichen Überschwang. Der Studiosus hatte in dem Tempel Pujiu Si, dem »Tempel der umfassenden Rettung«, Goldamsel erblickt und seinen Gefühlen, statt sie dem Orte angemessen zu bändigen, freien Lauf gelassen. Sein Umzug von der Herberge ins Heiligtum, um seiner Liebe ganz nahe zu sein, läuft naturgemäß auf eine gewisse Entweihung hinaus. Ihn treibt letzten Endes ein weltliches Verlangen. Zwar will auch er eine Art Totenamt für seine Eltern durchführen, doch ist das heilige Geschehen nur willkommene Gelegenheit, um auf Goldamsel einen Blick zu werfen und unverblümt der Hongniang, der Dienerin und Botin, seinen ungebundenen Familienstand mitzuteilen. Somit tut sich hier auch der Gegensatz von Tod und Leben, von Sterben und Zeugen, von Alleinsein und Gemeinschaft auf. Ähnlich ergeht es aber auch Goldamsel. Sie kann genauso wenig an sich halten. Nur durch eine Wand getrennt, rezitiert sie so wie er Gedichte, und zwar gleichzeitig. Dies ist nicht anders zu verstehen als der alte Werbegesang umeinander, der seit alters aus dem Buch der Lieder bekannt ist. Das weltliche Geschehen bricht aber auch ansonsten in das klösterliche Refugium ein. Dies zeigt das zweite Spiel. Als ob die gegenseitige Nähe, die Schönheit und Gefahr von jeher notwendigerweise einzugehen scheinen, einmal mehr bebildert werden sollte, tritt gleich nach der Ankunft der Schönen ein Militär auf den Plan, der mit seiner Soldateska den Tempel umzingelt. Es ist dies der alte Kampf des Mannes um die Frau. Aber es ist dies lediglich ein äußerlicher Kampf, der sich der reinen Gewalt und nicht der List, der Verführung, der Werbung etc. bedient. Dieser Machtkampf um Goldamsel kann zwar nur mit der Hilfe des mit dem Studiosus befreundeten Generals Du Que entschieden werden, aber den inneren Kampf hat Zhang Junrui längst für sich gewonnen. Dies impliziert der Titel des zweiten Spiels: »Goldamsel hört nächtens das Spiel der Zither«. Es ist der Studiosus, der mit Hilfe der Musik seine Zuneigung erklärt. Beide erleben daher nahezu gleichzeitig das Wunder der Liebe als Frucht ihrer Werbung umeinander. Gleichwohl gilt es, ein weiteres Hindernis zu überwinden, welches viel gravierender ist als das der militärischen Bedrohung, nämlich das durch die sozialen Gepflogenheiten aufgebaute Hindernis. Goldamsel ist wie gesagt bereits einem anderen versprochen, so daß die Mutter ihre Tochter nicht als Lohn an den Studiosus, sondern als Pflichtgabe an den Verlobten abtreten möchte. Die eingegangene gesellschaftliche Verpflichtung wiegt also schwerer als ein Versprechen. Aus der Rücknahme der Zusage entsteht für die Mutter keinerlei Konfliktsituation. Auch

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für die Liebenden und für die Hongniang, die sich der Sache der Liebenden auf geschickte Weise annimmt, stellt sich weder die Frage nach der kindlichen Verpflichtung der Mutter gegenüber noch nach den von der Gesellschaft geringer veranschlagten Bedürfnissen des einzelnen. Eine mögliche Tragödie wäre zwar immer noch denkbar, doch nicht in Form eines inneren Konfliktes. Gleichwohl ist der Einspruch der Mutter aus dramatischen Gründen notwendig, denn sonst hätte das Stück bereits nach dem zweiten Spiel beendet werden müssen. Zu Zwecken der Suspension durfte die alte Frau Cui gar nicht anders verfahren. Man kann den Aufbau eines Yuan-Dramas mit dem Aufbau eines klassischen chinesischen Gedichtes vergleichen.292 Ein Vers bzw. ein Doppelvers entspräche dann einem Akt bzw. einem Spiel. Auf die Exposition, auf das »Anschlagen eines Themas« (1) hat die »Fortführung des Themas« (2) zu folgen. Die nächste Stufe wäre dann die Wende (3), bevor zu guter Letzt (4) Exposition und Wende miteinander formal und inhaltlich zu »versöhnen« wären. Wir tun uns mit einer solchen Sicht hier vielleicht etwas schwer. Natürlich ließen sich die Militäraktion und die Weigerung der Mutter im zweiten Spiel schon als Wende verstehen, aber derlei Dinge sind in die Ausgangssituation des Stückes eingebunden. Beide Spiele handeln ja vom Ungemach der Familie Cui. Dieses ist vor allem ein äußerliches. Das dritte Spiel vollzieht daher eine Wende nach innen. Das zeigt sich schon im Titel: »Zhang Junrui leidet an Liebessehnsucht« (Zhang Junrui hai xiangsi). Aufgrund der Unmöglichkeit, sein Liebesverlangen an Ort und Stelle zu stillen, erkrankt der Studiosus. Goldamsel, die durch ihre Dienerin nach ihm schauen läßt, erfährt durch eine überbrachte Botschaft von dessen anzüglichem Ansinnen. Ihr Zorn weicht jedoch schon bald der Bereitschaft zu einem nächtlichen Stelldichein, nachdem sie den Schmerz ihres künftigen Liebhabers durch eine Hinhaltetaktik weiter vertieft hat. Da die Krankheit von innen kommt und auf Gefühlen basiert, die ein angehender Gelehrter bzw. Beamter eigentlich zu kontrollieren hatte, stellt die »Wende« eine Art Höhepunkt des dramatischen Geschehens dar. Auf den neuen Aspekt des hier auch humorvoll veranschaulichten Gefühlslebens wird noch einzugehen sein. Zuvor ist die Frage zu stellen, wie denn nun die Liebesangelegenheit weitergehen soll. Nach obigen Ausführungen müßte sich ja im vierten Akt eine Lösung anbahnen, die Ausgangsposition und Kehre miteinander versöhnt. Dem ist aber noch nicht so. Unter dem Titel »In einer Herberge an der Strohbrücke von Yingying träumen« (Caoqiao dian293 meng Yingying) führt der Verfasser die beiden Liebenden gegen alle gesellschaftliche Konvention im »Westzimmer« (Xixiang) zunächst zu einem ersten und heimlichen Stelldichein zusammen. Als die Mutter unmittelbar danach Yingying in einem tranceartigen Zustand vorfindet, wird die Hongniang 292 293

So sah das bereits erstaunlicherweise der Dichter Huang Tingjian (1045–1105) voraus, s. DOLBY: A History of Chinese Drama, S. 18. Nach der Punktierung der angeführten chinesischen Ausgabe handelt es sich bei Caoqiao um einen Ort und bei dian um eine Herberge. WANG: The Moon and the Zither, S. 358, zieht die drei Zeichen jedoch zu »Strawbridge Inn« zusammen.

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von ihr hochnotpeinlich befragt. Sie erfährt zwar die Wahrheit, muß sich aber Vorhaltungen wegen Wortbruchs gefallen lassen. So oder so sieht sie sich nun zur Handlung gezwungen. Sie legt dem Scholaren nahe, sich in die Hauptstadt zur Prüfung zu begeben und erst wiederzukehren, wenn denn Rang und Würden gesichert seien. Sie läßt ihm ein Abschiedsbankett ausrichten. Auf seinem Weg nächtigt Studiosus Zhang in einer Herberge, wo ihm Yingying schmerzhaft im Traume erscheint. Auf Grund der Forderung der Mutter wird also aus einer inneren wiederum eine äußere Prüfung, die nur der Scholar bestehen kann. Insofern setzt das vierte Spiel zwar das Moment der Innerlichkeit fort, ja, steigert es sogar noch, doch sorgt es auch schon für die im letzten Spiel zu erwartende Lösung. Man kann daher das dritte und das vierte Spiel inhaltlich als ein Spiel auffassen und als doppelte Wende verstehen: als Wende nach innen und von dort als Wende nach außen. Das Happyend (tuanyuan) kündigt sich im Titel des fünften Spieles an: »Zhang Junrui feiert Wiedersehen« (Zhang Junrui qing tuanyuan). Wie die künftige Schwiegermutter gefordert hat, gelingt es dem jungen Helden tatsächlich, als bester das Staatsexamen zu bestehen. Er setzt davon durch einen Brief Yingying in Kunde, die ihm ein Liebespfand zukommen läßt. Doch nun tritt der Gegenspieler, der eigentliche Verlobte, auf den Plan. Im Tempel Pujiu berichtet er fälschlich, Zhang Sheng sei längst zum Schwiegersohn des Ministers Wei erkoren worden, so daß Yingying erneut dem Zheng Heng versprochen wird. Da kehrt jedoch der Scholar als Präfekt von Hezhengfu zurück, und sein Freund, der General Du Que, sichert den Ort militärisch. Die Wahrheit tritt nun an den Tag. Infolgedessen wählt Zhang Heng den Tod, während das Paar Hochzeit feiert. Dieser Handlungsablauf verdeutlicht, wie sehr jetzt die eigentlich innerlich konzipierte Anlage des Stückes ins Äußerliche fällt. Wer wünscht schon dem ehedem rechtmäßig Verlobten den Tod? Wozu bedarf es militärischer Macht? Müssen große Liebende Examensbeste sein? Fragen wie diese mögen als Fragen aus einer europäischen bzw. modernen Perspektive erscheinen, doch hat ein gutes Theaterstück Raum und Zeit zu überdauern. In seinem immer noch lesenswerten Nachwort zur Wiederauflage der Hundhausenschen Übertragung betont der österreichische Schriftsteller und Sinologe Ernst Schwarz (1916–2003)294 den Normenverstoß, der Das Westzimmer so einzigartig nicht nur in der chinesischen Literatur, sondern im chinesischen Schrifttum überhaupt mache. Er hebt dabei zur Veranschaulichung den grundsätzlich kultischen Charakter der chinesischen (Geistes-)Geschichte hervor, dem alles sich unterzuordnen habe.295 Kaiser, Vater und Mann sind dessen typische Verkörperungen. Eine gewisse Umwertung der traditionellen Werte stellt daher Das Westzimmer zunächst in zweifacher Hinsicht dar: 1. Die Protagonistin Cui Yingying stammt aus hohem Hause. Es schickt sich für sie ganz und gar nicht, sich vor der 294

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Zu ihm und seinen zahlreichen sprachlich schönen Übersetzungen von Werken der chinesischen Literatur s. BERNHARD FÜHRER: Vergessen und verloren. Die Geschichte der österreichischen Chinastudien, Bochum: projekt 2001 (= cathay; 42), S. 267–276. WANG SCHE-FU: Das Westzimmer (1978), S. 345–366, bes. 348f., 355, 358, 360.

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Hochzeit mit einem Mann einzulassen und dazu noch mit jemandem, der ihr nicht von der Familie, das heißt vom Familienoberhaupt, bestimmt worden ist. Ihr eigenmächtiges Handeln bedeutet eine Untergrabung der seit alters gültigen Gesellschaftsordnung. Selbst eine Umwerbung ihrer Person, wie sie im Tempel ihren Ausgang nimmt, ist eigentlich ebenfalls unstatthaft. Umwerben ließ sich nur eine Kurtisane, und Cui Yingying ist keine Kurtisane. 2. Die dramatische Stimme des Stückes hätte das Unbotmäßige der beiden Liebenden anzuprangern und den verübten Frevel anzuklagen gehabt. Statt dessen steht sie auf der Seite der Subversion und der kleinen Leute, also nicht auf der Seite der absolut Vorrang genießenden Pietät und der Norm gebenden, Norm verkörpernden Gentry. Der Ausbruch der jungen Leute aus den zugewiesenen Rollen, aus dem heiligen, eigentlich unverletzbaren Ritus wird im Stück nicht geahndet. Statt dessen vernehmen wir gegen Ende des Spiels aus dem Munde der Frischvermählten die folgenden berühmten Worte: »Wenn doch nur alle, die einander lieben [youqingde], in dieser Welt auch Eheleute würden!«296 Hier wird lange vor dem Trend der Zeit dem Phänomen »Gefühl« (qing) das Wort geredet, das konträr zum staatstragenden neokonfuzianischen Prinzip der »Vernunft« (li) steht und von der Hongniang befürwortet wird. Die Mutter als Verkörperung besagter Normen, die zweimal damit scheitert, den vorbestimmten Schwiegersohn in einem Ehebündnis durchzusetzen, hat damit ausgespielt. Das Stück läuft also auf eine Dezimierung ihrer hohen sozialen und moralischen Stellung hinaus. Gleichwohl sollte diese Sicht der Dinge nicht überzogen werden. Die Umwertung der überkommenen Werte wird nämlich nicht konsequent durchgehalten. Es erfolgt zu guter Letzt eine Sanktionierung der Eheschließung durch den Kaiser, so daß öffentliche Vernunft (li) und private Empfindungswelt (qing) schließlich keine Gegensätze mehr bilden, sondern miteinander versöhnt werden. Wir sehen dies deutlich im Kontext der gerade zuvor erwähnten Worte über alle Liebenden in der Welt. Vor dem gemeinsamen Lobgesang auf den Kaiser und die Macht der Gefühle trifft ein »Handschreiben« vom Hofe ein. Auf dieses reagiert der einst unbotmäßige Scholar ganz botmäßig wie folgt:297 Dir huldigen die Länder Inmitten der Meere; Sie geben die Ehre Dem huldreichen Spender Der glücklichen Zeit. 296

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Deutsch zitiert nach SCHWARZ (Nachwort zu WANG SCHE-FU: Das Westzimmer, ebd.), S. 348. HUNDHAUSEN übersetzt S. 330: »Oh, daß sich überall solch Glück erneue, / Wo Herzen sind von gleicher Glut und Treue!« Zum Original s. Xixiang ji, S. 193 (V.4). Vgl. auch WANG: The Moon and the Zither, S. 412. WANG SCHE-FU: Das Westzimmer (1978), S. 329; WANG JISI (Komm.): Xixiang ji (1978), S. 193.

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Wang Shifu: Das Westzimmer und die Folgen der Passion Sie grüßen und preisen Den Milden und Weisen, Der stets nur bedacht, Ungeschwächt zu erhalten, Gerecht zu verwalten Die göttliche Macht. Kein Herrscher der alten Geschlechter erreicht Den Glanz deiner Taten. Es reifen die Saaten Zum satten Genusse. Klar strömen die hellen, Beruhigten Wellen Im Gelben Flusse, Durch tausend Meilen Zum Meere zu eilen. Deine Ratgeber kennen Die Größe der Pflichten, Zu raten, zu richten, Zu scheiden, zu schlichten. Die Untertanen Bestellen zufrieden Die Äcker der Ahnen. Die Berge erklingen Von Jubelrufen. Das Einhorn kehrt wieder; Der Kaiserphönix Entfaltet die Schwingen Und läßt auf die Stufen Des Thrones sich nieder!

Wenige Zeilen zuvor hat sich Zheng Heng, der Konkurrent um die Hand der Cui Yingying, das Leben genommen. Mit ihm als rechtmäßigem Verlobten ist streng gesehen auch die Norm gestorben, die nun mit obigem Herrscherlob wieder bestätigt wird. Das heißt, die Norm wird solange außer Kraft gesetzt, wie es der Plot des Spieles verlangt, um ein theatralisches Geschehen überhaupt möglich zu machen. Bei dem reinen Normenverstoß darf es keinesfalls bleiben, denn das erst wäre eine wahre Rebellion. Andererseits darf dieser auch nicht gänzlich außer Kraft gesetzt werden. Daher muß er im Abspann nochmals bestätigt werden. Und so endet das Stück folgerichtig mit den folgenden Worten des Bühnenmeisters:298 Ihr lernt daraus, daß Liebe edler Art, Wie Zhangs und Yingyings Liebe, die sich zart 298

WANG SCHE-FU: Das Westzimmer (1978), S. 330.

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DAS DRAMA DER YUAN-ZEIT IN EINZELDARSTELLUNGEN Und treu und innig um die Herzen schlingt, Gar viel vermag und allen Hindernissen Und allem Weh zum Trotz den Sieg erringt.

Was hier vom Übersetzer als abschließende Worte des »Bühnenmeisters« blumig und frei wiedergegeben worden ist, wäre nach dem mir vorliegenden Original lediglich als nüchterne Zusammenfassung des Stückes, nämlich als »offizieller Titel« (zhengming) und als »Thema« (timu), zu übertragen gewesen. Besagte Worte zur Macht der Liebe finden sich also so nicht in meiner Standardausgabe. Habe ich damit wie auch Vincenz Hundhausen die Leserschaft an der Nase herumgeführt? Nein, ganz und gar nicht. Es gibt nämlich kein Original! Statt dessen existieren vom Westzimmer sechzig verschiedene Fassungen, die zunächst nach kommerziellen, dann nach literarischen und schließlich ab 1610 nach beiden Gesichtspunkten ediert wurden. Das heißt, es bestand ein ausgesprochenes Lesebedürfnis nach diesem Theaterstück! Die früheste erhaltene Fassung ist die bereits erwähnte Hongzhi-Ausgabe von 1498.299 Überdies hat Patricia Sieber sehr überzeugend am Beispiel von Zang Maoxun und seiner so beliebten wie einflußreichen Anthologie Yuanqu xuan nachgewiesen, daß Herausgeberschaft immer auch Autorschaft bedeutet hat und daß diese Autorschaft nicht nur Ruhm, sondern auch einen finanziellen Gewinn einbringen konnte.300 Es gibt also kein heiliges Original, weil es kein Bewußtsein für die Einzigartigkeit eines Textes gab.301 Der Herausgeber, der viele der Arien selber verfaßt hat, verfolgt mit seiner Edition immer ein bestimmtes Ziel. Es geht ihm nicht um eine Rekonstruktion des Vergangenen, um die Frage etwa, was der Autor gemeint haben könnte, es geht ihm vielmehr um die Gegenwart, um eine Einflußnahme auf die Dinge, die ihm am Herzen liegen.302 Und dazu gehörte im Falle von Zang Maoxun die Sache mit den Emotionen. Doch nicht nur die Editoren nahmen Änderungen vor. Es waren auch die Schauspieler, Angehörige des Hofes, die aus praktischen oder auch ideologischen Gründen Texte umschrieben.303 Ein übriges haben im Laufe der Zeit Verbot und Zensur getan.304 Kurzum, wir halten niemals die Urfassung eines Yuan-Dramas in Händen, 299 300 301

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Hierzu und zur Geschichte der Edition s. SIEBER: Theaters of Desire, S. 123–161. SIEBER: Theaters of Desire, S. 27, 42f., 88f., 101–119; LINK: Geschichte von den Goldmünzen, S. 51. Das macht beispielhaft und eindringlich klar STEPHEN H. WEST: »A Study in Approbiation: Zang Maoxun’s Injustice to Dou E«, in: Journal of the American Oriental Society 111/1 (1991), S. 283–302. Zur philologischen Einschätzung von ZANG (Hg.): Yuanqu xuan s. LINK: Die Geschichte von den Goldmünzen, S. 49–54, und HÖKE: Die Puppe (Mo-ho-lo), S. 19–23. STEPHEN H. WEST: »Text and Ideology: Ming Editors and Northern Drama«, in: HUA WEI u. WANG AILING (Hg.): Ming-Qing xiqu guoji yantaohui lunwenji, Taipeh: Zhongyang Yanjiusuo 1998, Bd. 1, S. 237–283. Zu anschaulichen Beispielen s. DOLBY: A History of Chinese Drama, S. 68f. Die Angelegenheit muß als in sich widersprüchlich erscheinen, da es je nach den Zeitläuften neben Verboten auch Unterstützung gab, s. CRUMP: Chinese Theater in the Days of Kublai Khan, S. 16f., 23.

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sondern immer nur die Bearbeitung durch Zweite oder gar Dritte aus späterer Zeit. Alles ist nach Maßgabe eines anderen auf uns gekommen.305 Vincenz Hundhausen hat sich daher als Übersetzer nicht weniger korrekt verhalten als die jeweiligen chinesischen Herausgeber. So wie diese ihr Verständnis durch ihre Edition demonstrieren, so bringt er sein Verständnis durch seine Übertragung zum Ausdruck. Edieren wird somit wie Übersetzen zu einer Angelegenheit der Interpretation. In beiden Fällen sollte man daher nicht von einer Verfälschung des Originals reden, zumal dieses so gut wie nie bekannt geworden ist.306 Nun hat Zang Maoxun trotz seiner Vorliebe für die Sache der Leidenschaft das Westzimmer überraschenderweise gar nicht in seine Anthologie aufgenommen, also auch nicht bearbeitet. Aber in anderen berichteten Fällen können wir leicht fündig werden. So weist etwa C.T. Hsia auf den Umstand einer Eliminierung burlesker und als obszön geltender Dinge in der äußerst einflußreichen Ausgabe (1656) von Jin Shengtan (1607–1661)307 hin, Dinge, die hier nicht eigens ausgeführt sein sollen, auch wenn die teils massiven Eingriffe sehr zu denken geben.308 Der Normverstoß des Westzimmers hat in China bis ins letzte Jahrhundert hinein für moralische Bedenken gesorgt. Selbst ein so ikonoklastisch gesonnener Rebell wie Guo Moruo (1892–1978) hat völlig abwegig gemeint, vom Stück auf die perverse Haltung des Autors schließen zu müssen.309 Auch dies soll uns hier nicht weiter interessieren. Uns liegen hinreichend gute Interpretationen vor, die über das Moralische hinwegsehen können und in die Tiefe des Textes einzudringen vermögen. Die vielleicht beste stammt von Wilt L. Idema und Stephen H. West.310 Es gelingt den beiden meisterlich, die enge Verwobenheit der Sprechakte untereinander aufzuzeigen. Nehmen wir den Gelben Fluß zum Beispiel. Während im Vorspiel die Ankunft von Mutter und Tochter geschildert wird, befindet sich der Scholar noch auf dem Weg. Er erreicht schließlich den Gelben

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Zu einer vergleichbaren »Theaterpolizei« im Wien des 19. Jahrhunderts s. FISCHER-LICHTE: Kurze Geschichte des deutschen Theaters, S. 170–173. HUNG: Ming Drama, S. 4, deutet an, daß die Editionspraxis der Ming-Zeit auch Teil der damaligen Sammelleidenschaft gewesen sein mag. Zur seinerzeitigen Kultur der Muße und der häuslichen Sammlungen s. CRAIG CLUNAS: Superfluous Things. Material Culture and Social Status in Early Modern China, Urbana u. Chicago: University of Illinois Press 1991. Diese vorzügliche Studie kommt auch wiederholt auf das Theater zu sprechen. Es sei hier nebenbei noch angemerkt, daß sich das heutige, u.a. von Peter Zadek (geb. 1926) erfundene Regietheater in Deutschland noch nie der »wörtlichen« Umsetzung eines Stückes verpflichtet gefühlt hat. Die notwendig erscheinende Entstaubung und Aktualisierung gibt einem Regisseur völlig freie Hand, ohne daß ein Kritiker das Recht sähe, eine Inszenierung im ursprünglichen Sinne einzufordern. Zu seiner Rolle als Herausgeber und Kommentator des Westzimmers s. WANG: Chin Shengt’an, S. 82–104. Zu seinem Verständnis s. SALLY K. CHURCH: »Beyond the Words: Jin Shengtan’s Perception of Hidden Meanings in Xixiang ji«, in: HJAS 59.1 (1999), S. 5–77. The Romance of the Western Chamber, S. xxvii–xxxi. SIEBER: Theaters of Desire, S. 123f. WANG: The Moon and the Zither, S. 77–153.

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Fluß. Dieser gewinnt alsbald über seine rein geographische eine mehrfache übertragene Bedeutung. Als Verkörperung des Elementes Wasser ist er einerseits Teil der weiblichen Welt des Yin, in welche der Studiosus auf seinem Weg zur Hauptstadt bald eintauchen wird, andererseits steht er auch für dessen männliche Kraft. Hundhausen überträgt sehr frei:311 Nirgendwo die Welle braust, Nirgendwo der Sturmwind saust, Wie an dieser einzigen Stelle, Wo des Stromes breite Welle Stürmisch drängend, jäh und wild Neun gewaltige Betten füllt. Mächtiger Gelber Strom! Du Band Zwischen West und Meeresstrand! Hast den Schutzwall deiner Wogen Zwischen Nord und Süd gezogen, Hütest Yu-Lings Frieden gut Vor der Feinde Übermut. Deine dumpfe Brandung grollt, Wenn im Herbst die Wolke rollt; An den Tauen auf und nieder Tanzen dann die Brückenglieder, Dunkle Drachen sind erwacht In des tiefsten Grundes Nacht. Hundert Brüder nimmst du auf Brüderlich in deinen Lauf. Wie die Schiffe talwärts jagen, Von der jähen Flut getragen! Hui! Du siehst sie, und schon sind Sie entschwunden, pfeilgeschwind!

Ganz gleich, wie man zu dieser freien Übertragung stehen mag, sie gibt dennoch das Drängende des jungen Mannes, der mit »Buch und Schwert« (shu jian) unterwegs ist, gut zu erkennen. Große Dinge schweben ihm vor: das Examen und eine Heirat. Davor sind Hindernisse gesetzt, und für diese steht der Gelbe Fluß. Gleichzeitig ist das, was dieser in der Geschichte getrennt hat, nämlich die in der Übersetzung nicht namentlich genannten Vasallenreiche der Antike, Qin und Jin, auch in der Geschichte durch eine Heiratspolitik vereint worden. 311

WANG SCHE-FU: Das Westzimmer (1978), S. 14; WANG JISI (Komm.): Xixiang ji (1978), S. 6. Was der Übersetzer hier mit »Yu-Ling« (heute: You-ling) meint, muß auch dem Kommentator ERNST SCHWARZ, der die Stelle einfach übergeht, unklar geblieben sein. Im Original (1978) finden sich neben Qin und Jin noch die Ortsangaben Qi und Liang, You und Yan, die Hundhausen vielleicht zu You-ling zusammengezogen haben mag.

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Die zahlreichen Anspielungen und Wortspiele, die für das chinesische Theater so typisch sind, einem westlichen Publikum das tiefe Verständnis aber auch entsprechend erschweren, gehen auf ein kosmologisches Denken zurück, das sich bereits während des gesamten Mittelalters mit Hilfe von Poesie zum Ausdruck gebracht hat. Die Bühne hat diese Tendenz fortgesetzt und die überkommenen Bilder gleichsam inventarisiert und popularisiert. Ihr innovativer Beitrag liegt weniger in der Kreation neuer sprachlicher Figuren als vielmehr in der geschickten Verarbeitung eines lange erprobten Traditionsgutes. Wer die klassischen Gedichte (shi) des Mittelalters und die klassischen Lieder (ci) der frühen Neuzeit kennt, wird im Einzelfall wenig Neues finden, ja unter Umständen auf Grund der vielen Stereotypen gar enttäuscht sein. Wer jedoch die weiten Bögen, welche die gesprochenen und gesungenen Partien schlagen, Bögen, die in einer Übersetzung oft verloren gehen müssen, aufmerksam zu verfolgen in der Lage ist, wird über die Dichte des Textes erstaunt sein. Dies kann im gerade angesprochenen Falle des Gelben Flusses besonders beobachtet werden. Der Huang He ist nicht nur Bild der Mühe, der Trennung und Vereinigung, sondern er impliziert auch eine sexuelle Anspielung. Nach chinesischer Sexualkunde steht der Gelbe Fluß nämlich für die Energie des Mannes, die beim Samenerguß ihren Weg über das Rückgrat nimmt. Hier spielen auch andere Bilder mit hinein, vornehmlich die des Drachen. Dies sind nun alles weltliche Aspekte. Es tritt aber weiter noch ein himmlisches Moment hinzu, weswegen Idema und West von einer Liebeskomödie irdischen und himmlischen Ausmaßes sprechen. Pendant des Gelben Flusses im Stück ist nämlich die Milchstraße. Beide werden über das aus der Mythologie verbürgte Floß in eins gesetzt. Da die Milchstraße für die Trennung der Liebenden namens Hirt und Weberin steht, die sich nur einmal im Jahr treffen können, deutet der mythologische Bezug auf die weite Reise des Scholaren in die Hauptstadt und die notwendige Ferne von der Geliebten voraus. Hundhausen drückt diese Verbindung und auch die sexuelle Implikation durch das Bild vom »Wolkenschoß« sehr gekonnt aus:312 Der Wolkenschoß ist seine Quelle, Sein Ziel des Ostmeers tiefer Schoß, Zu Mond und Sonne trägt die Welle Das seiner Flut vertraute Floß.

Zur Welt des Yin und der Dunkelheit sind neben dem Element des Wassers auch der Mond und das Kloster zu zählen. Ob nun Natur oder heiliger Raum, der Autor läßt sich keine Möglichkeit entgehen, alles, was möglich erscheint, entsprechend sexuell aufzuladen. Naheliegend sind Wind und Mond, sie stehen bekanntlich seit 312

WANG SCHE-FU: Das Westzimmer (1978), S. 14f.; WANG JISI (Komm.): Xixiang ji (1978), S. 6; WANG: The Moon and the Zither, S. 81–83, 174.

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alters für das Liebesspiel. Was weniger bekannt sein dürfte, ist der Umstand, daß auch das Sakrosankte nicht gefeit ist gegen Unterstellungen erotischer Art: Als Ort der Verborgenheit symbolisiert ein Kloster das weibliche Geschlecht, und die Glatze eines Mönchs vertritt das erigierte männliche Glied. Das Westzimmer liest sich daher im Subtext wie ein Erotikon. Es ist durchwaltet von der Sprache des Sexus, die um das Zeichen für Blume, Blüte (hua) kreist und auch hierzulande mitunter noch als obszön gelten kann.313 Wir haben uns bisher etwas lang beim Westzimmer aufgehalten. Dies schien jedoch auf Grund der Bekanntheit des Stückes geboten. Es ließe sich noch sehr viel mehr sagen, doch müssen wir hier zu unserer eigentlichen Geschichte des Theaters zurückkehren, nicht ohne vorher auf ein Phänomen eingegangen zu sein, welches wie oben schon angedeutet als recht ungewöhnlich erscheinen muß. Das ist die Sache mit den Gefühlen. Wir sind es gewohnt, von ihr dank inzwischen reicher Sekundärliteratur eher im Kontext der Ming- und Qing-Zeit zu hören, sie aber nicht schon für die vorhergehenden Jahrhunderte so pointiert hervorgehoben zu finden. Was hat es nun damit auf sich? Die Literaturwissenschaft pflegt für die letzten gut 500 Jahre der ausgehenden Kaiserzeit inzwischen einen »Kult der Gefühle« (qing) im Bereich von Theater und Erzählkunst anzusetzen.314 Bekanntlich hatte sich der Neokonfuzianismus unter dem Einfluß des Buddhismus gegen die Trieb- (yu) und Gefühlswelt (qing) des Menschen ausgesprochen, weil er in ihr eine Gefährdung der »himmlischen Ordnung« (tianli) sah. Dies mag zwar die Hauptströmung der chinesischen Geistesgeschichte gewesen sein, doch hat sich daneben auf der Bühne und dann auch in der Prosa als den beiden Orten zum zwanglosen Ausdruck menschlicher Empfindsamkeit eine Gegenströmung etablieren können. Man macht die Rehabilitierung der Gefühlswelt an dem Denker Luo Qinshun (1465–1547) fest.315 Seitdem hat unter den Literaten eine große Diskussion zum genannten Thema eingesetzt, welche das Fühlen zu einem hohen Wert erklärte. Nicht nur daß Sinnlichkeit als wahre Freude deklariert wurde, daß verschmähte Amtsanwärter, also Literati, sich mit (unglückseligen) Kurtisanen identifizierten oder daß die Liebe als Qingshi (nach 1628) bei Feng Menglong (1754–1646) auch ihre eigene Geschichte bekam,316 313 314

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Zum erotischen Vokabular nebst Liste s. WANG: The Moon and the Zither, S. 141–153. ANDRÉ LEVY: »Ramblings around the So-called Cult of Qing«, in: CHIU LING-YEONG u. DONATELLA GUIDA (Hg.): A Passion for China. Essays in Honour of Paolo Santangelo for his 60th Birthday, Leiden: Brill 2006, S. 197–202, macht zu Recht auf den Umstand aufmerksam, daß mit qing im Chinesischen eine weite Palette unterschiedlicher Dinge gemeint sein kann. S. hierzu und zum folgenden MARTIN W. HUANG: Desire and Fictional Narrative in Late Imperial China, Cambridge, Mass., u. London: Harvard UP 2001, S. 1–56. Vgl. hierzu THILO DIEFENBACH: »Wahrnehmung und Gestaltung: Zu den ideengeschichtlichen Hintergründen des Qingshi von Feng Menglong«, in: ANTJE RICHTER u. HELMOLT VITTINGHOFF (Hg.): China und die Wahrnehmung der Welt, Wiesbaden: Harrassowitz 2007, S. 129–143.

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das »wahre Gefühl« (zhen qing) wurde nun gar als bewegende Kraft der Geschichte, des Lebens, ja der Moral gefeiert. Gleichwohl kann diese Umwertung bisheriger Wertungen doch nicht so tragend geworden sein, denn sonst hätte der Essayist Liang Shiqiu (1903–1987) nicht den berühmten Ausspruch vom Sentiment als einem erst zur Zeit des 4. Mai (1919) freigelassenen wilden Tiger tun können.317 Wie dem auch sei, die Entwicklung auf der Bühne gäbe hinreichend Anlaß, meine seinerzeit apodiktisch geäußerten Thesen zur Rolle von Vernunft (li) und Gefühl (qing) in der chinesischen Geistesgeschichte zu hinterfragen.318 Doch dazu ist hier nicht der Ort. Gleichwohl sei kurz angemerkt, daß ein Happyend von Kaisers Gnaden, wie es viele Theaterstücke mit der Versammlung aller dramatis personae vorsehen,319 immer als Wiederherstellung der »himmlischen Ordnung« zu verstehen ist.320 Was einmal als Abweichung von der Ordnung gelten mußte und von konservativer Seite als unmoralisch verurteilt wurde,321 kehrt schließlich wieder in die Ordnung zurück, und dies ist, wie unten gleich angedeutet wird, die Ordnung der Reproduktion.322 Da die Yuan-Zeit keine besondere Zeit für »Gefühle« war, ist anzunehmen, daß die im Westzimmer sich abzeichnende Betonung emotionaler Regungen von späteren Editoren entweder eigens hervorgekehrt oder gar hineingetragen worden ist. Dies läßt sich nun nicht mehr nachprüfen. Wir können das Stück nur als das nehmen, als was es auf uns gekommen ist. Kehren wir also zurück, und zwar zur 317 318

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S. hierzu WOLFGANG KUBIN: Die chinesische Literatur im 20. Jahrhundert, Bd. 7 der Geschichte der chinesischen Literatur, hg. von Wolfgang Kubin, München: Saur 2005, S. 78f. »Der unstete Affe: Zum Problem des Selbst im Konfuzianismus«, in: SILKE KRIEGER u. ROLF TRAUZETTEL (Hg.): Konfuzianismus und die Modernisierung Chinas, Mainz: v. Hase 1990, S. 80–113. Zur Kunst des Abschlusses im chinesischen Theater s. CRUMP: Chinese Theater in the Days of Kublai Khan, S. 131, 173, 184. Daß bei aller positiven Erkenntnis von qing als wichtigem Bestandteil einer Persönlichkeit am Ende der Ming-Zeit die Leidenschaft doch ein Problem blieb, zeigt KATHERINE CARLITZ: »Passion and Personhood in Yingying Zhuan, Xixiang Ji, and Jiao Hong Ji«, in: SANTANGELO u. GUIDA (Hg.): Love, Hatred, and Other Passions, S. 273–284. Zum geistigen Umfeld von Liebe (qing) und Vernunft (li), von »klugem Mann und schöner Frau« (caizi jiaren) sowie von einer »sinnlichen« (fengliu) Persönlichkeit in der damaligen Zeit s. WANG AILING: Xiqu zhi shenmei gousi yu qi yishu chengxian [Die ästhetische Konzeption von Theater (Ende Ming, Anfang Qing) und ihr künstlerischer Ausdruck], Taipeh: Academia Sinica 2005. Vgl. WANG: Chin Sheng-t’an, S. 84–86. In diesem Zusammenhang ist HELGA WERLE-BURGER: »Frauenrollen auf der chinesischen Opernbühne. Bedeutung der Oper in China«, in: CHENG YING [d.i. Zheng Ying] u.a. (Hg.): Frauenstudien. Beiträge der Berliner China-Tagung 1991, München: Saur 1992 (= Berliner China-Studien; 20), S. 93–113, zu überdenken. Der Aufsatz verfährt zwar unhistorisch und etwas schematisch, liefert aber eine interessante These zum Stichwort Happyend: Das Happyend entstamme dem Sanskrit-Drama und übe eine magische Funktion gegenüber den auf der Bühne zum Ausdruck gebrachten Schrecken aus. Insofern seien nicht wenige Stücke als Tragödie zu verstehen, hätten aber getarnt werden müssen. Der Beitrag betont ansonsten sehr stark die Macht und Allmacht der Frauen, widerspricht somit dem auch im Text angeführten Idealbild des zerbrechlichen weiblichen Typus.

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konkreten Frage der Gefühle im Westzimmer. Diese hat etwas mit dem bereits erwähnten Thema der Liebeskrankheit zu tun, und dieses steht wiederum in Zusammenhang mit Schönheit. Es ist die Schönheit der Yingying, welche den Gang der Geschichte in Bewegung bringt.323 Interessanterweise wird besagte Angelegenheit trotz aller Bedrohung durch die Soldateska bzw. Gefährdung durch die Mutter nicht mit dem erwartbaren Ernst, sondern mit einem gehörigen Schuß Humor abgehandelt. Dies hat mit der Dienerin, mit der Hongniang zu tun. Ihr Name ist Programm: Rotes (hong) Mädchen (niang). Das chinesische Zeichen für Mädchen (niang) ist erst seit dem frühen Mittelalter, seit den Liedern der Zi Ye (4./5. Jh. n.Chr.), im chinesischen Schrifttum gebräuchlich. Und das Binom hongniang geht als Name einer Person, nämlich der Dienerin von Cui Yingying, auf besagte Erzählung von Yuan Zhen zurück. Es wird dann in der Folge dank des großen Einflusses von dem Stück Das Westzimmer zum Synonym für die Heiratsvermittlerin schlechthin. Die Farbe Rot steht in der chinesischen Kultur gemeinhin für Frühling, Freude, festliche Stimmung, Jugend, kurz für das pralle, pulsierende Leben. Über die »Botschaft«, die hinter dem Zeichen für »Mädchen« steckt, braucht an dieser Stelle nicht eigens ausführlich die Rede zu sein. Wenn auch in einem anderen Kontext, so hat dennoch Klaus Theweleit (geb. 1942) die Dinge exemplarisch auf den Punkt gebracht.324 Daher sei an dieser Stelle nur noch kurz angemerkt, daß sich das gesamte chinesische Denken seit der Antike um die Reproduktion des Lebens, des Lebendigen dreht: sheng, das ist gebären, zeugen, leben in einem. Und da die Frau seit alters als der Beginn des Lebens angesehen wurde,325 handelt auch Das Westzimmer von nichts anderem als von der idealen Reproduktion des Lebens, deren Behinderung Verfasser und Protagonisten im Spiel beispielhaft aus dem Wege zu räumen haben. Verallgemeinert gesagt: Das chinesische Theater handelt überwiegend und beispielhaft vom Ringen des Mannes um die Frau und damit vom Kampf ums (Über-)Leben. Die Hongniang führt zwar die Liebenden zusammen, verzichtet aber nicht darauf, deren Leiden aneinander auf dem Hintergrund der Zeit spöttisch zu betrachten. Sie, die sich nichts sehnlicher wünscht, als die Zweitfrau des Scholaren zu werden, verkörpert die praktische Seite der Liebesangelegenheiten. Deswegen redet sie auch so unumwunden von schlüpfrigen Dingen, ja, erweist sich als so kenntnisreich, daß sie mit der Su Nü, mit der Ahnherrin sexueller Kunde, verglichen werden kann. Wir kennen das große Wort von Rainer Maria Rilke (1875–1926), daß alles 323 324

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In der populären Kultur ist dieses Phänomen unter »Pretty girl rules the world« (DAVID LINDLEY: Official Bootleg, 1985) bekannt geworden. KLAUS THEWELEIT: Buch der Könige, Frankfurt: Stroemfeld/Roter Stern 1988ff. Die Besprechung des ersten Bandes (Orpheus und Eurydice) durch MATHIAS BRÖCKERS in der Tageszeitung vom 1.10.1988, S. 18f., trug die bezeichnende Überschrift »The Mädchen is Message«. So das etymologische »Lexikon« Shuowen Iiezi, welches das Zeichen für Beginn (shi) dank seines Radikals »Frau« versteht als »die Frau ist das, was am Beginn [der Schöpfung] steht«.

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Schöne der Beginn des Schrecklichen sei. Im vorliegenden Fall ist eine ähnliche Erschütterung von Leib und Seele gemeint. Beim ersten Anblick der Schönheit von Yingying ist der Scholar »wie vom Donner gerührt« (dianbula). Vincenz Hundhausen übersetzt mit Anklängen an Richard Wagners (1813–1883) Oper Tristan und Isolde:326 Welch Wunder enthüllt sich? Welch Sehnen erfüllt sich? O du, kaum erschaut! Und mir schon vertraut! Mir ewig verbunden Und endlich gefunden!

Was Hundhausen hier vornehm mit Wunder übersetzt, stellt sich im Original als ein Registerwechsel dar: Mitten in seine pedantische Rede über die Architektur der Tempelanlage hinein entwischt dem Scholaren, der gerade noch von den »Göttern« gesprochen hatte, unwillkürlich ein umgangssprachliches »Potztausend« (dianbula). Im folgenden ergibt sich ein raffiniertes Spiel auf mehreren Ebenen, das auch anderen die Möglichkeit zu einer humorvollen Reaktion auf die »Liebesverrücktheit« (fengmo) des Studiosus bietet. Während dieser nach ihrem Anblick von Göttin (Guanyin), von Fee (shenxian), von seinem Tod (wo si ye), von einer Schönheit spricht, die alles, ob Mensch (yima xinyuan) oder Staat (tianzi guose), in Unruhe versetzt, macht sich der Clown (identisch mit dem Mönch namens Schlau) über den Liebeskranken (xiangsi bingran) lustig. Er befragt ihn prosaisch nach der Sache mit den zierlichen Füßen seiner Angebeteten:327 Ihr standet hier, und sie stand dort drüben, weit von euch entfernt. Ihr langes Gewand verhüllte ihre Füße. Wie konntet ihr ihre Zierlichkeit erkennen?

Die poetische Antwort lautet: Seht, wie die gefallenen Blüten Treu der Füßchen Spuren hüten! O, sie schwebte wohl ganz zart, Nur ein Hauch ist ihre Spur, Und die weichen Blüten nur Haben diese Spur bewahrt. Doch die süßen Spuren zeigen Mehr mir mit beredtem Schweigen: 326 327

WANG SCHE-FU: Das Westzimmer (1926), S. 23; WANG JISI (Komm.): Xixiang ji (1978), S. 7. Zitiert mit der heutigen Umschrift nach: WANG SCHE-FU: Das Westzimmer (1926) S. 20; WANG JISI (Komm.): Xixiang ji (1978), S. 8.

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DAS DRAMA DER YUAN-ZEIT IN EINZELDARSTELLUNGEN Zögernd ging sie, Schritt für Schritt. Zwar der Weg war winzig klein, Aber schon der Liebe Pein Schleppte sie im Herzen mit. Mußte langsam, stockend gehen, Einmal noch das Köpfchen drehen; Und der Blick, ihm zugedacht, Als im Tore sie verschwand, Hat um Ruhe und Verstand Ganz den armen Zhang gebracht. Wie die Göttinnen entschweben [sic!] Entschwand sie meinem Blick! Sie ließ mir nichts zurück Als das geheime Weben Des Blütenstaubs der Weide, Der süßen Füßchen Spur Und Vogelzwitschern nur Von Liebeslust und -leide!

Die Liebe scheint also die Erkenntnisfähigkeit eines Liebenden bis zu detektivischem Scharfsinn zu steigern. In jeder Hinsicht stellen sich die Dinge auf den Kopf. Wie sehr die bisherige Ordnung außer Kraft gesetzt wird, zeigen zwei weitere Äußerungen des Scholaren: Statt in die Hauptstadt zur Prüfung zu gehen, will er sich nun im Tempel einmieten, und statt den Himmel zu ehren, was seine Pflicht gewesen wäre, beginnt er ihn zu »hassen« (hen tian), da dieser ihm nicht willfährig sei. Von daher gesehen bedarf er der späteren Ermahnung durch die Mutter, denn Mann und Frau leben bekanntlich nicht von der Luft allein. Unser Ausgangspunkt war eigentlich der Humor gewesen, nun sind wir bei dem Krankenstand der Liebe angelangt. Jeder Anblick von Schönheit, so lernen wir, läßt einen Betrachter außer sich geraten, läßt ihn für sich absterben und führt schließlich über den einzelnen hinaus zu einer ernsthaften Gefährdung von Staat wie Gesellschaft. Dahinter steckt eine männliche Erfahrung, die des Leidenden und die des Verfassers, der großenteils der literarischen Überlieferung ähnlich gelagerter Fälle folgt. Für die Hongniang, die in dem Scholaren liebevoll ein »Dummerchen« (shajiao) bzw. einen »Sauertopf« (suanji weng) sieht, stellt sich die Angelegenheit allerdings weniger dramatisch dar. Als wenn sie um das männliche Leiden an den schönen Frauen aus der Geschichte wüßte, unterzieht sie ihren künftigen Herrn, aber auch ihre Herrin folgender Kritik:328 328

Gemäß heutiger Umschrift zitiert nach: WANG SCHE-FU: Das Westzimmer (1926), S. 100– 102; WANG JISI (Komm.): Xixiang ji (1978), S. 96. Vgl. auch WANG: The Moon and the Zither, S. 121–122, 281–282. Pan Yue war ein Dichter und Beamter des 4. Jahrhunderts

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Wang Shifu: Das Westzimmer und die Folgen der Passion Ihm, der schöner, klüger war Als Pan Yue, vor seinem Leide Welkt die Wange, bleicht das Haar Schon zu weißer Seide. Ihr, die hold wie Du Weiniang Aufgeblüht, vor ihrem Leide, Schwand in Seufzern, sterbensbang, Alle Lebensfreude. Beider Kummer lastet schwer: Ihm verwehrt er zu studieren, Sie kann nicht zur Arbeit mehr Ihre Hände rühren. Er läßt seiner Sehnsucht Pein Aus der Harfe Saiten klingen, Sie läßt Verse süß und rein Ihre Qualen singen. Sehnsucht nach dem gleichen Ziel Strömt aus beiden Herzen wieder, Formt sich ihm in Harfenspiel, Ihr in zarte Lieder. Ich kann es jetzt verstehen, Was alles muß geschehen, Wenn Dichter schönen Frauen Zu tief ins Auge schauen Und ohne Hoffen sind. Das rast im Herzen drinnen Und bringt sie schier von Sinnen Und macht sie krank und blind. Zu zärtlich sind die beiden In ihrer Liebesnot: Müßt ich das alles leiden, Ich wäre längst schon tot.

Das Leiden der Liebenden folgt den Konventionen der Mustererzählung von »schöner Frau und klugem Mann« (caizi jiaren) seit der Tang-Zeit. Es steht also in einer langen Kette. Man mag eine solche literarisch nennen. Was Hongniang in dieser Hinsicht so spöttisch betrachtet, ist die von den Liebenden selbstgewählte n.Chr., der sprichwörtlich für seine Schönheit war. Du Weiniang war eine musikalisch begabte Schönheit der Tang-Dynastie.

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Pose eines immer wieder variierten und nie ermüdenden Schemas. Andererseits entbehrt der Gegenstand ihrer Kritik nicht auch der universalen Wahrheit: Liebe kann tatsächlich so wehtun, Mann und Frau so sehr um den Verstand bringen. Nicht nur das Stück als solches, ebenso die Worte der Hongniang lassen sich daher auf zwei Ebenen lesen. Selbst die leicht kritisierbare Mutter hat auf einer zweiten Ebene ihre Art von Wahrheit: Der Scholar erscheint mit seinem Verzicht auf ein Examen um der Liebe willen wie ein deutscher Romantiker, der nach Erreichen des Dachbodens mit seiner Allerliebsten sogleich die Leiter hinter sich umstürzen läßt. Die exzessive Behandlung des Themas Liebe im Xixiang ji hat für die Mongolenzeit als Zeit der Abfassung Zweifel aufkommen lassen. Liegt hier nicht eine Manipulation späterer Herausgeber der Ming-Dynastie vor? Das mag durchaus so sein, doch gibt ein Blick auf das nachklassische Lied (qu) der Yuan-Zeit und auf die vita einzelner Stückeschreiber ein ähnlich intensives Bild von dem Leiden an unerfüllter Sehnsucht zu erkennen. Am bekanntesten ist das Beispiel von Guan Hanqing, dem besagten »Vater des Yuan-Dramas« (W. Dolby). Er galt als Lebemann (langzi). Die Kurtisanenkultur, auf die unten noch einmal einzugehen sein wird, stand in einem hohen Ansehen. 329 Guan Hanqing wird die berühmte Suite »Dem Alter keinen Tribut zollen« (Bu fu lao)330 zugeschrieben, die mit dem Vers »Ich pflücke jede Blüte [d.h. Kurtisane] von der Wand« beginnt und mit »Ich bin der oberste Lebemann [langjun] im ganzen Reich« fortfährt.331 Das chinesische Binom langzi, welches hier mit »Lebemann« wiedergegeben wurde, diente ursprünglich pejorativen Zwecken. Mit der Yuan-Zeit avancierte es dann zum Markenzeichen eines jungen, schmucken Herrn. Der amerikanische Sinologe Stephen Owen (geb. 1946) trägt diesem Wertewandel Rechnung, wenn er seine Übersetzung der Suite von Guan Hanqing mit den folgenden Worten einleitet:332 329

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Vgl. hierzu LI: Yuan zaju shi, S. 68–70. Zu Kurtisanen als Schauspielerinnen und umgekehrt s. die lebendige Beschreibung bei DOLBY: A History of Chinese Drama, S. 61–63. Der Verfasser greift hier auf XIA TINGZHI (ca. 1316 – nach 1368): Qinglou ji [frei: Von Schauspielerinnen und Kurtisanen] zurück. Zu Übersetzungen in Auszügen s. ARTHUR WALEY: The Secret History of the Mongols and Other Pieces, London: Allen & Unwin 1963, S. 89–107; IDEMA, WEST: Chinese Theater 1100–1450, S. 147–149, 161–167. Das Qinglou ji, das seit 1355 gedruckt vorliegt, berichtet von 110 Schauspielerinnen und von 30 Schauspielern. Das Original findet sich nachgedruckt in: Zhongguo gudian xiqu lunzhu jicheng, Bd. 2, Peking: Zhongguo xiju 1959, S. 1–84. Zur Kurtisane als »künstlerisch ausgebildeter Gesellschafterin und Unterhalterin« (zur Tang-Zeit) s. THILO: Chang’an, S. 67–71. Zum Verhältnis von Kurtisanen und Gebildeten s. BEVERLY BOSSLER: »Shifting Identities: Courtesans and Literati in Song China«, in: HJAS 62.1 (2002), S. 5–37. Zum Original und zur Deutung der Suite als bürgerlicher Literatur s. HE (Hg.): Yuanqu jianshang cidian, S. 173–176. Zur Übersetzung und Deutung s. SIEBER: Theaters of Desire, S. 63–68. Die Verfasserin zweifelt übrigens die Authentizität an. Übersetzt nach STEPHEN OWEN (Hg.): An Anthology of Chinese Literature. Beginnings to 1911, New York u. London: Norton 1996, S. 728. Zur Übersetzung der Suite s. S. 729–731.

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Wang Shifu: Das Westzimmer und die Folgen der Passion Seine berühmteste Suite zum Thema »Dem Alter keinen Tribut zollen« spricht mit der Stimme eines alten Lüstlings, der das Leben in den Vergnügungsvierteln der [Haupt-]Stadt [Dadu] feiert: Trinken, Spielen und vor allem Spaß an den Kurtisanen, an den »Blumen« und »Weiden«, wie sie in der Suite beschrieben werden. Eine solche Suite sollte nicht als ein »realistisches« Porträt von Guan Hanqing oder sonst jemandem angesehen werden, sondern als die Präsentation eines neuen Katalogs von Werten im Liedgut, eines Anti-Helden, der nicht wegen der Qualitäten bewundert wird, die er zu besitzen vorgibt, sondern wegen der Art und Weise, wie er Qualitäten beansprucht, welche die Gesellschaft ablehnt. Er bezeichnet sich selbst als Trotzkopf, als Schlauberger, als Überlebenskünstler. Die konventionellen Werte, über die er die Nase rümpft, sind nicht nur die rein konfuzianischen Gesellschaftsformen, er verspottet auch die konventionellen Werte der Vergnügungsviertel und die sich dort abspielenden Liebesaffären. Guan Hanqing ist nicht der Sänger der Song-Dynastie, der voll unschlüssiger Sehnsucht vor dem Haus der Geliebten steht. Vielmehr sagt er uns von Anfang an, daß er die Damen alle genossen hat.

Eine ähnlich positive Sicht vom Lebemann (langzi) vertritt die Dienerin Meixiang333 bei Zheng Guangzu (ca. 1260 – ca. 1320) in dem Stück Eine schöne Seele verläßt ihren Leib (Qiannü li hun). Sie vertritt gegenüber ihrer Herrin, für die sie übrigens eine notwendige Gesprächspartnerin ist, die folgende Auffassung:334 Herrin, der Magister Wang ist eine ungewöhnliche Persönlichkeit, ein stattlicher Herr [langzi]. Ganz nach der Art von Euch, Herrin.

Dieses Stück eines niederen Beamten, der aus Pingyang (Shanxi) stammte und in Hangzhou tätig war, bietet uns auch die Möglichkeit, die Liebesthematik aus anderer Perspektive erneut aufzugreifen. Der Autor, der mit dem Anredenamen Dehui hieß und deswegen in der Sekundärliteratur oft gern als Zheng Dehui geführt wird, wird neben Guan Hanqing, Ma Zhiyuan und Bai Pu zu den vier großen Meistern des Yuan-Dramas gezählt. Er greift mit seinem Stück auf eine ältere Erzählung der Tang-Zeit zurück, die wiederum drei Vorbilder hat. Ein gewisser Chen Xuanyou (8. Jh.), von dem nichts weiter bekannt ist, hat mit seiner Aufzeichnung einer Seelenwanderung (Lihun ji) Theatergeschichte gemacht. Er hat nämlich nicht nur besagten Zheng Guangzu beeinflußt, sondern auch Tang Xianzu (1550–1617) und dessen Päonienlaube (Mudan ting), wo die vom Leib abgetrennte Seele zur Metapher für eine nicht mehr zu unterdrückende Leidenschaft wird. Doch darüber später.335 333

334 335

Fast alle Dienerinnen heißen auf der Bühne so, weshalb JAMES I. CRUMP: »The Elements of Yüan [d.i. Yuan] Opera«, in: The Journal of Asian Studies XVII.3 (1958), S. 419, vorschlägt, den Namen wie Mary Smith als Allerweltsnamen zu verstehen. Hier und im folgenden übersetzt nach ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 328, Sp. 3; LIU: Six Yüan Plays, S. 91. An dieser Stelle sei jedoch auf das Stück Li mit der eisernen Krücke (Tieguai Li) von YUE BOCHUAN verwiesen, wo das Motiv der Seelenwanderung anders verarbeitet wird: Die zu früh

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Im Gegensatz zum Abendland, wo die Seele zwar keine einheitliche Definition kennt, doch mit ihrem Bezug auf Gott bzw. das Göttliche als etwas Einiges, als ein Ganzes verstanden wird,336 teilt sich die chinesische Seite seit alters in eine sogenannte Körperseele (po) und eine Hauchseele (hun). Während erstere nach dem Tode mit dem Leib untergeht, kann sich letztere im Sterben aufschwingen und je nach Stand der Selbstvervollkommnung ihres Trägers zu Lebzeiten (lange) überleben.337 Die Aufzeichnung setzt mit dem Jahr 692 ein. Monika Motsch übersetzt den Titel (eig. »Bericht von einer Seele, die ihren Leib verlassen hat«) sehr schön mit »Das geteilte Mädchen«.338 Im Mittelpunkt des Geschehens steht eine junge Frau namens Qianniang (schönes Mädchen), die ihrer Rolle als zu Verheiratende entgehen und ihrem Wunsch einer freien Gattenwahl nachgehen möchte. So spaltet sie sich in einen Leib, der krank daheim bleibt und das Bett zu hüten hat, und in eine Seele, die ihrem Liebsten folgt. Diese Seele hat jedoch auch ihre körperliche Seite. Der Gatte weiß nicht, daß er eine Erscheinung vor sich hat, zumal der Nachwuchs nicht lange auf sich warten läßt. Der kranke Leib daheim läßt sich als die unerfüllte soziale Pflicht interpretieren und die wandernde Seele in der Ferne als erfüllte Neigung einer zunächst auf sich selbst bedachten Person. Es ist jedoch die Pietät, die den Widerspruch lösen hilft. Die Schöne besinnt sich der Eltern: Ihre

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von der Gattin verbrannte Leiche eines Beamten sucht sich aus Gründen der Ruhelosigkeit einen Ersatzleib. Ruhelosigkeit und schließliche Erlösung durch den Taoismus rücken das ansonsten unspektakuläre Drama einer Seele in die Nähe des Motivs vom Fliegenden Holländer. Zur deutschen Übersetzung und Kommentierung s. FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 297–364, 607f. Zum Original s. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 233–242. Vgl. hierzu GERD JÜTTEMANN, MICHAEL SONNTAG u. CHRISTOPH WULF (Hg.): Die Seele. Ihre Geschichte im Abendland, Köln: Parkland 2000. Vgl. hierzu GUDULA LINCK: Yin und Yang. Die Suche nach Ganzheit im chinesischen Denken, München: Beck 2000, S. 82–93; DIES.: Leib und Körper. Zum Selbstverständnis im vormodernen China, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2001, S. 60–69; HANS STEININGER: Hauchund Körperseele und der Dämon bei Kuan Yin-tze, Leipzig: Harrassowitz, 1953, S. 17–26. MONIKA MOTSCH: Die chinesische Erzählung, Bd. 3 der Geschichte der chinesischen Literatur, hg. von WOLFGANG KUBIN, München: Saur 2003, S. 116f. Zum Original der Novelle s. Tangren xiaoshuo [Novellen der Tang-Zeit], Hongkong: Zhonghua Shuju 1965, S. 49– 51. Es liegen mehrere Übersetzungen im Englischen vor, u.a. von KARL S. KAO (Hg.): Classical Chinese Tales of the Supernatural and the Fantastic. Selections from the Third to the Tenth Century, Bloomington: Indiana UP 1985, S. 184–186; von H.C. CHANG: Tales of the Supernatural, Edinburgh: UP 1983, S. 57f. (Einleitung), 59–61. Zu einer frühen deutschen Fassung s. SCHWARZ: Der Ruf der Phönixflöte, Bd. 1, S. 291–295. Zur Auseinandersetzung mit Monika Motschs Sicht vom Doppelgängermotiv in besagter Erzählung s. ROLF TRAUZETTEL: »›Du Doppelgänger, du bleicher Geselle‹. Eine komparatistische Untersuchung der symbolischen Bedeutung des literarischen Doppelgänger-Motivs«, in: minima sinica 2/1996, S. 8–10. Der Autor schlägt auch die Übersetzung Hauchseele statt Seele vor! – Zum Topos des geteilten Mädchens s. weiter MONIKA MOTSCH: Mit Bambusrohr und Ahle. Von Qian Zhongshus Guanzhuibian zu einer Neubetrachtung Du Fus, Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 1994, S. 156–160.

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Heimkehr mit Ehemann und Kindern läßt sie wieder ein gesunder Leib und eine gesunde Seele werden. Die Gesundung ist als sichtbares Zeichen zu verstehen: Die Gesellschaft ist wieder in Ordnung gekommen, auch wenn die Familie über die ganze Angelegenheit ob der Peinlichkeit vor den anderen eher schweigt. Der anonyme Erzähler einer frühen Version dieser ungeheuerlichen Begebenheit hat eine Erklärung für die Spaltung eines um seine innere Erfüllung betrogenen Mädchens: »Werden nämlich Geist und Herz entfacht, dann tritt die Seele auf dunkle Weise in ihre Erscheinung.« (Fu jingqing suo gan, linghun wei zhi ming zhu.)339 Eine solche Sicht der Dinge läßt sich möglicherweise mit der Theorie von der Resonanz (ganying) aller Dinge340 in Verbindung bringen. Bekanntlich geht nach chinesischer Vorstellung allem Fühlen eine »Erschütterung« (gan) voraus. Im genannten Fall war die Erschütterung durch den Anblick eines Mannes ausgelöst worden und war nicht mehr dem Ritus gemäß zu kontrollieren gewesen. Der Verstoß gegen den guten Ton ist nun das eigentliche Thema des Theaterstücks Eine schöne Seele verläßt ihren Leib. Die Übersetzer ins Englische belassen es gemeinhin bei der Umschrift Qiannü, um die Heldin zu benennen.341 Dieses Binom ist jedoch Programm: Es heißt »das schöne Mädchen«. Der Schönheit wohnt nicht nur die Anziehung, sondern auch die Kraft der Verwandlung inne. Es ist jedoch merkwürdigerweise in diesem Fall nicht so sehr der Mann, der verwandelt wird, sondern die Frau, ja, es tut sich zwischen dem Scholaren Wang als Hüter der Ordnung und dem Schönen Mädchen als Verletzerin der Ordnung eine moralische Kluft auf. Die Schönheit bzw. die Verwandlung hat also zwei Gesichter: Es ist die Schöne, die sich im Anblick des Mannes wandelt und dem Wort von Liebe auf den ersten Blick alle Ehre macht. Es ist ihr Leib, der daheim liebeskrank daniederliegt. Sein beklagenswerter Zustand ist wohl im ursprünglich längeren Titel mit den Worten »verwirrt in feinen Gemächern« (mi qingsuo) eingefangen. Es ist auch die in Qiannü verkörperte Schönheit, die ihr Recht verlangt. Die Dienerin deutet dieses an, wenn sie – ihrer Herrin nicht unähnlich – den jungen, schmucken Herrn als Pendant, gleichsam als Ebenbild, kurz, als die richtige Partie bezeichnet. Alles andere wäre eine Mesalliance geworden. Man kann das Stück als eine Apotheose des Gefühls beschreiben. Wer die Vorlagen kennt, kann am Gang der Geschichte kein Interesse mehr haben. Das Drama 339

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LI FANG (Hg.): Taiping guangji, Bd. 8, Peking: Zhonghua Shuju 1981, S. 2830 (j. 358.1, »Pang A«). Die Geschichte aus dem wohl von LIU YIQING (403–444) zusammengestellten Youming lu [Berichte über die Toten und die Lebenden] findet sich übersetzt bei KAO: Classical Chinese Tales, S. 145f. Diese Theorie formiert sich am Ende der Antike, s. hierzu JOHN B. HENDERSON: The Development and Decline of Chinese Cosmology, New York: Columbia UP 1984, S. 22–28. Vgl. in diesem Zusammenhang auch ROLF ELBERFELD: »Resonanz als Grundmotiv ostasiatischer Ethik«, in: minima sinica 1/1999, S. 25–38. LIU: Six Yüan Plays, S. 83–113 (The Soul of Ch’ien-nü Leaves Her Body); YANG: Four Plays of the Yuan Drama, S. 143–177 (Chien-nu’s [sic!] Soul Left Her Body). Zum Original s. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 328–333.

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lebt von der Rebellion der Protagonistin. Die Liebenden, seit Kindheit einander versprochen, sehen einander schließlich – und das heißt ungebührlich – vor der Eheschließung, als der inzwischen verwaiste Scholar auf seinem Weg zur Prüfung in der Hauptstadt am Haus seiner Kindsbraut vorbeikommt und der Schwiegermutter in spe seine Aufwartung machen möchte. Diese erwartet von ihm selbstverständlich trotz aller Versprechungen zunächst ein gutes Examen. Und so kommt es zur Bewährungsprobe. Aus (historisch begründbarer) Angst, er könne nach glänzendem Examen den Heiratsangeboten hoher Familien nicht gut schicklich widerstehen, reist sie ihm als Seele nach. Er wehrt sich gegen ihre Sittenlosigkeit zornig mit den Worten:342 Die Alten sagen: Wer sich verheiraten läßt, wird Ehefrau. Wer mit jemandem davonläuft, wird Konkubine. Deine Mutter hat die Hochzeit zugesagt. Warte, bis ich als Beamter zurückkehre und beiden Familien sich alles zum Guten wendet. Unserem Ruf würde das guttun. Nun bist du aus freien Stücken hergelaufen. Du befleckst die gute Sitte. Was soll das für Recht sein?

Unmittelbar zuvor hatte sich die Kritisierte auf eine, wie sie es darstellt, herkömmliche Redeweise bezogen, die da lautet: »Was immer du tust, fürchte nichts.« (Zuozhe bu pa) Starke Worte, die so gar nicht zum herkömmlichen Bild der folgsamen, unterdrückten chinesischen Frau passen wollen. Ihr Wille ist so stark, daß unser Studiosus schließlich klein beigibt und sie wider alle Etikette ein Paar werden. Ungewöhnlich ist hier nicht nur die Entschlossenheit der Qiannü, sondern auch ihre Leidensfähigkeit. Hat es zu vergleichbarer Zeit schon im Abendland eine Frau gegeben, der eine solch verzehrende und vielfache Liebesklage in den Mund gelegt worden ist? Für sie ist Liebe eine Krankheit, die schlimmste Krankheit von allen Krankheiten, denn gegen sie hilft keine Medizin, und sie vermag gar zu töten. Dies legt den alten platonischen Gedanken, wie er im σύμβολον gefaßt ist,343 nahe, daß der Mensch nur durch den anderen, den Partner, wieder ein Ganzes zu werden vermag. Die immer wieder erwähnte Liebeskrankheit (xiangsibing)344 ist daher positiv gedacht die Möglichkeit zum Absterben des bisherigen, unvollkommenen Ich und zur Verwandlung in eine vollendete, harmonische Person. Das Leiden des allein, das heißt ohne Partner, daheim verbliebenen Leibes (dritter Akt) endet erst in dem Moment, da die erfüllte Seele heimkehrt und sich mit ihrem Gegenstück, dem Körper, vereinigt (vierter Akt). Ihr Leiden beschreibt die Verlassene, zunächst in Prosa, dann in Versen, ergreifend wie folgt: 342 343 344

ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 330, Sp. 2; LIU: Six Yüan Plays, S. 99. HANS-GEORG GADAMER: Die Aktualität des Schönen, Stuttgart: Reclam 1998, S. 41–52. Zu dieser dann für die Ming-Zeit so wichtig werdenden Vorstellung s. die Beiträge bei PAOLO SANTANGELO (Hg.) in Zusammenarbeit mit ULRIKE MIDDENDORF: From Skin to Heart. Perceptions of Emotions and Bodily Sensations in Traditional Chinese Culture, Wiesbaden: Harrassowitz 2006 (=Lun Wen; 11), bes. die Seiten 131ff. (weibliche Krankheit), S. 183ff. (Haut, Lust und Liebe), S. 235ff. (qing im Xixiang ji und im Mudan ting).

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Wang Shifu: Das Westzimmer und die Folgen der Passion Seit der Bakkalaureus Wang gegangen ist, liege ich und erhebe mich nicht. Schließe ich die Augen, bin ich mit ihm zusammen. Und so kommt es, daß die Liebeskrankheit mich zu töten beginnt. (Sie singt:)345 Seit wir [zum Abschied] die Hände hielten, am Scheideweg standen, ist mir verblieben nur noch Harm. Am bittersten im Leben ist Abschiednehmen. Das Sprechen fällt mir schwer, das Schlafen gelingt mir nicht. Essen und Trinken sind ohne Geschmack, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, wie ich mich auch mühe, ich nehme Tag für Tag ab. Umsonst schlucke ich Medizin, keine Heilung. Ich weiß, wann diese dunkle Krankheit begann. Soll es mir gutgehen, habe ich auf ihn zu warten. Denn nur ihm habe ich diese Krankheit zu verdanken. Mal ist alles verschwommen, ja, habe die Seele verloren, mal ist mir alles klar, ja, daß ich nur eine leibliche Hülle bin, mal bin ich durcheinander, kann nicht scheiden Himmel noch Erde.

So und ähnlich lesen sich die Klagen einer Frau, die in ihrem Schmerz alle anderen Mitspieler zu Wesen zweiten Ranges zu machen scheint. Diese Profilierung auf Kosten anderer hängt nicht nur mit der Tiefe des bekundeten Schmerzes zusammen, sondern auch mit der wortreichen Fülle geäußerter Verzweiflung. Im einzelnen mag das offenkundige Eingeständnis eines die Persönlichkeit verändernden Liebesschmerzes bis zur Tang-Zeit zurückführbar sein, aber was dort eher als Sentenz zum Ausdruck kommt, veranschaulicht sich hier in nicht enden wollenden Ausbrüchen. Auch wenn besagtes Liebesleid von einem Mann einer Frau in den Mund gelegt worden ist, sollte dennoch nicht an der Möglichkeit einer gleichfalls im Leben ähnlich erfahrbaren Empfindung gezweifelt werden. Es ist deswegen auf diesen Umstand aufmerksam zu machen, weil unsere Bilder von China mitunter zu stereotypen Schemen geworden sind. Die Worte und Taten dieser chinesischen »Mädchenseele«346 passen zu keinem herkömmlichen Frauenbild im Reich der Mitte. Übrigens ist es auch bezeichnend, daß ihr Partner von ihrer Wandlung 345 346

ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 331, Sp. 2; LIU: Six Yüan Plays, S. 102 (wohl andere Textvorlage). Zu einer Parallele in der deutschen Romantik s. das Gedicht »Mädchenseele« von JOSEPH VON EICHENDORFF (1788–1857): Gedichte. Ausgewählt von Marie Luise Kaschnitz, Frankfurt a.M.: Fischer (Bücherei 962) 1969, S. 73.

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nichts weiß und diese gar nicht versteht. Leicht ließe sich daraus die moderne These von dem grundsätzlichen Unverständnis des Mannes für die (eigene) Frau ableiten. Dies ist hier jedoch nicht weiter auszuführen. Natürlich ist der Gegenstand der Rede ein Stück Literatur und damit fiktiv, aber selbst als Fiktion ist das Drama in vielfacher Hinsicht ein Affront, über den man sich nicht genug wundern kann. In diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache bemerkenswert, daß die Protagonisten des Mongolendramas oft Frauen sind. Insbesondere gilt dies für Guan Hanqing.347 Über die Gründe mag man streiten. Oben war von der Frau als symbolhafter Reproduktion des Lebens die Rede gewesen. Wie dem auch sei, auffällig ist in den Stücken der Yuan-Zeit gleichfalls der hohe Anteil an nahezu unkontrollierter Emotionalität, so daß sich der chinesisch-amerikanische Sinologe James J.Y. Liu (Liu Ruoyu, 1926–1986) bereits vor fünfzig Jahren in einer immer noch lesenswerten kleinen Schrift zu der Aussage gezwungen sah, im Mittelpunkt des damaligen Theaters stehe vorrangig das Gefühl, das nach einem bildhaften Ausdruck verlange. 348 Dabei zitiert er als Beispiel auch unser Qiannü li hun. Die Schöne klagt im dritten Akt als ein von der Seele verlassener Leib:349 Lang sind die Tage, länger ist meine Trauer, Spärlich sind die roten Blüten, spärlicher sind seine Briefe.

In der Tat, eindringlicher und knapper geht es kaum noch: ri chang ye, chou geng chang, hong xi ye, xin geng xi. Nach konfuzianischer Lehre war der Mensch gehalten, keine Gefühle zu zeigen. Er hatte sich zu beherrschen in Freud und Leid. Deswegen spielte das Gesicht eine so große Rolle, welches sichtbarer Ort innerer Beherrschung war. Die Kontrolle des Gefühls war eigentlich auch Sache der Frauen, aber anscheinend nicht unbedingt auf der Bühne. Wie wir oben bereits gesehen haben, konnte selbst der chinesische Kaiser seinen Schmerz angesichts von Trennung und Tod beklagen. Was schließen wir daraus? Die Bühne war vielleicht nicht nur zur Yuan-Zeit, sondern auch später noch eine Art Ventil für den sich im täglichen Leben und Schreiben gezwungenermaßen mäßigenden Beamten, Literaten etc. Dabei fiel den Frauen als Identifikationsfiguren ein besonders großer Anteil zu, vielleicht weil sie naturgemäß als emotionaler galten, vielleicht aber auch, weil die Literaten über die Jahrhunderte gelernt hatten, sich mit einer verlassenen Frau zu identifizieren, um so ihr Ausgeschlossensein vom Hof und vom Kaiser zu verarbeiten. Man mag in der fraglichen Angelegenheit vielleicht sogar noch einen Schritt weitergehen. Entpuppt sich das eine oder andere Stück nicht auch als Kritik am 347 348 349

OBERSTENFELD: Chinas bedeutendster Dramatiker der Mongolenzeit (1280–1368), S. 115f. JAMES LIU: Elizabethan and Yuan. A Brief Comparison of Some Conventions in Poetic Drama, London: The China Society 1955 (= China Society Occasional Papers; 8), S. 1. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 331, Sp. 2; LIU: Six Yüan Plays, S. 103; LIU: Elizabethan and Yuan, S. 3.

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Mann? Diese Frage stellt sich bei nicht wenigen Arbeiten des Guan Hanqing. Nicht selten stammen die Protagonisten aus den unteren Schichten, nicht selten sind die hohen Herren Gegenstand erst der Kritik durch das »einfache Volk« und dann der Verurteilung vor Gericht. Bei vielen dieser Stücke, die einen starken Gegensatz zwischen unten und oben konstruieren, ist das Bindeglied der einzelnen Akte so wenig ausgearbeitet, daß sie förmlich auseinanderzufallen drohen. Was sie rettet, sind meisterliche Gesänge, so daß mitunter der Eindruck entstehen mag, nicht wenige Stücke sind im Grunde genommen um die Arien herum nachträglich angelegt worden. Was aus heutiger Sicht diese Lieder so interessant macht, ist ihre unkonventionelle und unbeschönigende Sicht. Manchmal meint man einen Vorgriff auf die moderne chinesische Literatur zu verspüren.350 Die chinesische Literaturkritik spricht hier gern von Realismus. Da ist zum Beispiel das Stück Der Jadespiegelständer (Yujing tai) von Guan Hanqing, das auf eine Begebenheit in der Anekdotensammlung Die Reden der Welt, neu erzählt (Shishuo xinyu, um 430) zurückgeht.351 Kein großes Theater fürwahr, doch entwirft es meisterlich das Los der Scholaren, das Glück der Ehe, die männliche Sicht von der Frau als reiner Leib.352 Dies alles hat allerdings hinter einem Ehestreit zurückzustehen, was wiederum einen Präfekten Wang auf den Plan rufen muß, um den Konflikt zwischen Mann und Frau zu lösen. Die jungvermählte Liu Qianying weigert sich nämlich, die Ehe zu vollziehen! Und das bereits seit zwei Monaten! Da nutzt es auch nichts, daß Wen Qiao – eine historische Gestalt (288–329) übrigens – sich bereit erklärt, ihre »Haussklavin« sein (wei nubi), ihr gehorchen, ja sich von ihr gar schlagen sowie beschimpfen lassen zu wollen. Doch seine »Göttin« (so seine Worte) hat für ihn nur Verachtung übrig!353 Beispiele für eine solche Unterwürfigkeit des Mannes unter die Frau, der vor ihr zu knien hat,354 finden sich im Werk des Guan Hanqing immer wieder.355 Man fühlt sich unfreiwillig an Erzählungen von Yu Dafu (1896–1945) erinnert. 350

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So scheint GUAN HANQINGS Stück »Lu Zhailang«, s. Anm. 272, Lu Xuns These (1918) vom sozialen Rollenspiel der Chinesen als Hase, Fuchs oder Löwe schon im Vorgriff bebildert zu haben. Vgl. YANG u. YANG (Übers.): Selected Plays of Kuan Han-ching, S. 56, nach heftiger (Selbst?-)Kritik der Beamtenschaft (S. 54f); ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 388, Sp. 3. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 53–58; englisch in: YANG u. YANG (Übers.): Selected Plays of Kuan Han-ching, S. 153–177 (The Jade-Mirror Stand). Zur Vorgeschichte der Handlung s. LIU I-CH’ING [d.i. Liu Yiqing, 403–444]: A New Account of Tales of the World, übers. von RICHARD B. MATHER, Minneapolis: University of Michigan Press 1976, S. 445f. (XXVII.9: Wen Qiao). YANG u. YANG (Übers.): Selected Plays of Kuan Han-ching, S. 157, 159, 160f., 163 (Leib); 154f. (Scholar); 165 (Ehe); ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 54, Sp. 2; S. 54, Sp. 3; S. 55, Sp. 1; S. 55, Sp. 3 (Leib); S. 53, Sp. 3 (Scholar); S. 56, Sp. 1 (Ehe). ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 57, Sp. 1 u. 2; YANG u. YANG (Übers.): Selected Plays of Kuan Han-ching, S. 168f., 170, 174f. Vgl. OBERSTENFELD: Chinas bedeutendster Dramatiker der Mongolenzeit (1280–1368), S. 50. Im weitesten Sinne gilt dies auch für das Stück Mutter Chen unterweist ihre Söhne (Chen mu jiao zi). Um ihren Kindern Demut beizubringen, läßt sich besagte Mutter von ihnen in der

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Der Geschlechterkampf ist auf alle Ebenen ausgeweitet, er findet nicht nur in der Ehe statt, sondern auch bei poetischen Treffen356 und besonders drastisch in der Gesellschaft. So will die Witwe Tan Ji’er zum Beispiel in dem Stück Der Pavillon am Fluß (Wangjiang ting) den Lüstling Yang aus höchsten Gesellschaftskreisen (Yanei, daher sein Name Yang Yanei) wie ein Opferschaf (shenyang) zum Kotau zwingen.357 Ihr künftiger zweiter Mann preist sie daher als »ein Bannerheer auf dem Weg in die Schlacht« (jingjieqi).358 Eine Frau hat also ihren »Mann« zu stehen. Und es ist immer wieder weibliche List, die dem Mann ein Schnippchen schlägt. So gesehen ist nicht nur das Los einer Kurtisane sehr hart, sondern auch die Ehe kann für eine Frau eigentlich nur Unglück bedeuten. Von dieser Sicht der Dinge aus weiblichem Mund gibt Guan Hanqing hinreichend in seinem Stück Die Rettung der Kurtisane (Jiu fengchen)359 Kunde. Die Interpretation dieses Spiels als vehemente Kritik des Mannes ist allerdings nur möglich, wenn man die simple theatralische Anlage außer Kraft setzt und die Logik männlichen Verhaltens nicht weiter hinterfragt. Die Kurtisane Song Yinzhang ist auf Grund zweier Versprechen innerlich und äußerlich zerrissen, und zwar zwischen dem so bösen wie reichen Kaufmann Zhou She und dem allseits eher angemessen erscheinenden Scholaren An Xiushi.360 Erstaunlich ist jedoch die Tatsache der Ambivalenz, die das Stück vielleicht einzigartig macht und so gar nicht zum Schema der Anlage paßt. So kritisiert zum Beispiel Zhao Pan’er ihre Kollegin Song, die sie aus den Fängen des Zhou She retten

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Sänfte tragen, obwohl sie gerade zuvor das beste Examen gemacht haben. Zum Original s. SUI (Hg.): Yuanqu xuan waibian, Bd. 1, S. 91–107. Zur Diskussion dieses Stückes als einer Farce s. JEROME P. SEATON: »Mother Ch’en Instructs Her Sons: A Yüan [d.i. Yuan] Farce and Its Implications«, in: WILLIAM H. NIENHAUSER (Hg.): Critical Essays on Chinese Literature, Hong Kong: Chinese University 1976, S. 147–165. So in GUAN HANQINGS Stück Xie Tianxiang, so der Name einer Kurtisane, die über profunde literarische Kenntnisse verfügt. Zum Original s. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 78–84. Zum Versuch einer deutschen Übertragung s. Altchinesische Liebeskomödien. Ausgewählt u. übertragen von HANS RUDELSBERGER, Zürich: Manesse 1988 [Nachdruck von 1923], S. 63–87. Diese Ausgabe enthält ansonsten weitere Auszüge aus drei Stücken der Yuan-Zeit, welche von ALFRED FORKE zur Gänze übersetzt worden sind. YANG u. YANG (Übers.): Selected Plays of Kuan Han-ching, S. 141; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 748, Sp. 1. Ebd., die letzten Worte des zweiten Aktes. ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 101–106; YANG u. YANG (Übers.): Selected Plays of Kuan Han-ching, S. 106–129. Zu einer neuerlichen und kommentierten Übersetzung von GEORGE KAO s. Renditions 49 (1998), S. 7–41 (A Sister Courtesan Comes to the Rescue). Eine Parallele hat diese Konstellation in dem Stück Die Mandarinenten-Decke (Yuanyang bei) eines unbekannten Autoren, s. FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 500–548 (Übersetzung), S. 611–612 (Kommentar); ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 40–47. Interessanter ist hier vielleicht, daß sich die Heldin mehr oder minder ihren Mann selber sucht. Das Motiv der Decke (hier als Liebespfand) läßt sich übrigens bis in die chinesische Gegenwartsliteratur hineinverfolgen, s. KUBIN: Die chinesische Literatur im 20. Jahrhundert, S. 297–298.

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wird. Und besagter Kaufmann hat mit seiner so kritischen wie witzigen Sicht seiner neuen Nebenfrau anscheinend auch nicht ganz unrecht. Überdies macht Pan’er nicht nur der Kollegin, sondern vielleicht allen Leserinnen hinreichend klar, daß gute Ehemänner nicht unbedingt gute Liebhaber sind und umgekehrt. Sentenzen dieser Art finden sich in Hülle und Fülle. Ein Beispiel für die kritische Sicht der Dinge mag an dieser Stelle genügen. Nachdem Song Yinzhang ihren künftigen Mann Zhou She als äußerst hingebungsvoll gepriesen hat, weiß Zhao Pan’er die Sache geschickt durch den Kakao zu ziehen und auf das drohende Unheil nach der Hochzeit mit dem Kaufmann hinzuweisen. Sie singt:361 (Nach der Melodie Shangmajiao) Ich vernehme deine Rede und verstehe, was dich bewegt. Ich kann mich kaum halten vor Lachen. Du sagst, im Sommer fächelt er dich in den Schlaf. Im Winter macht er das Stövchen an, um dir die Hände zu wärmen. Ganz zu schweigen von der Kälte in deinen wattierten Kleidern [die er dir verscheucht]. (Nach der Melodie Yousimen) Bei Tisch nimmt er den Löffel, um Haut und Knorpel [aus deinem Fleischgericht] zu entfernen. Und wenn du ausgehst, richtet er dir Kragen und Gewand, gibt Schmuck in dein Haar und ordnet die Kämme. All das ist immer nur eitel. Eine jede Frau geht da auf den Leim. (Nach der Melodie Shenghulu) Du sagst, die Gefühle deines Liebhabers sind honigsüß, aber bist du nach der Hochzeit erst einmal bei ihm daheim, da verwirft er dich nach wenigen Monaten. Er wird vor Wut die Zähne fletschen. Er wird dich treten, er wird dich schlagen, bis du weinst. (Nach der Melodie Mepian) Wenn dann das Boot mitten im Strome treibt, ist es zu spät, das Leck zu stopfen. Wem willst du da Vorwürfe machen? So überlege zuerst, bevor du später bereust. Ich rate dir, tue es nicht. Ich bin bereit, eines Tages dich zu retten.

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Übersetzt nach ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 102, Sp. 2f.; YANG u. YANG (Übers.): Selected Plays of Kuan Han-ching, S. 111f.

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Kommen wir abschließend auf einen bereits geäußerten Grundgedanken zurück: Die Dramen der Yuan-Zeit stellen vielfach unsere festgefügten Ansichten von China in Frage. Dies gilt insbesondere für die Frauen. Selbst ein so wenig befriedigendes Stück um einen Scheintoten wie »Die Geschichte vom zurückgelassenen Schuh« (Liuxie ji)362 von Zeng Ruiqing hat der neuen Sicht von Mann und Frau noch etwas draufzusetzen. Die Heldin, die wie ihresgleichen nach dem Anblick ihres künftigen Gemahles an der Liebeskrankheit leidet, ergreift in jeder Hinsicht die Initiative. Die Heirat ist ihr in die Hand gegeben, sie trifft die Entscheidung. Niemand sonst. Ihre Mutter nimmt gar zu Beginn mit den ersten Worten des Stückes eine Umwertung der Werte vor, die bis heute so bestimmend zu sein scheinen: Geburt der Knaben ist kein Grund zur Freude, Geburt der Mädchen nicht zum Leide, denn auch die Mädchen können nützen, das Haus gleich einem Balken stützen.

Nehmen wir zu guter Letzt einen weiteren Gedanken von oben wieder auf. Auch wenn Guan Hanqing als großer nationaler Theatermacher in der Volksrepublik China auf besondere Art und Weise gefeiert wird, so kommt man dennoch nicht um die Erkenntnis herum, daß nicht alle Stücke seinem großen Namen gerecht werden. Sie zerfallen nicht selten in schöne Bestandteile. Man mag dann das eine oder andere Lied goutieren, das Spiel selbst aber erscheint einem eher fad. Und vielleicht liegt hier auch der Grund verborgen, warum es im Reich der Mitte üblich ist, statt eines ganzen Stückes lieber viele einzelne Teile wie ein Potpourri aufzuführen! Dies berührt natürlich die Wertfrage, an die sich meines Wissens niemand so recht herantraut. Wie obigen Ausführungen zu entnehmen ist, kann das Drama der Mongolenzeit durchaus mit hervorragenden Beispielen aufwarten, und wenn nicht mit hervorragenden, dann immerhin mit bedenkenswerten. Aber es gibt auch einzelne Dramen, die aus hiesiger Perspektive jeglicher Logik oder Spannung zu entbehren scheinen. Dies gilt insbesondere für das taoistische Theater, das ganz auf Erlösung abgestellt ist. Der Söller von Yueyang (Yueyang lou)363 von Ma Zhiyuan, der dem religiösen Taoismus, der Quanzhen-Lehre, nahestand, wird eine hiesige Leserschaft eher verwirren als begeistern. All das Geisterschwirren in diesem Stück dient nur dem einen Zweck, den Protagonisten zur Erleuchtung zu führen, einer Erleuchtung, deren Ergebnis dem Leser schon vorher klar ist. Als besonders fremd mag das Mittel des Paradoxons erscheinen, das dem Helden unentwegt die Tötung der eigenen Frau nahelegt, um sich gänzlich von der Welt befreien zu können. 362

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FORKE (Übers.): Chinesische Dramen der Yüan-Dynastie, S. 549–591 (Übersetzung), 612– 613 (Kommentar); ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 571–577. Das Vorspiel ist später anonym zu dem Libretto (im Pekinger Spiel) Der Schminkeverkauf (Mai yanzhi) verarbeitet worden, s. FORKe (Übers.): Elf chinesische Singspieltexte aus neuerer Zeit, S. 177–190, S. 450f. (Kommentar), 487–488 (Original). ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 287–294; YANG (Ü.): Four Plays of the Yuan Drama, S. 47–95.

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Ein letztes Beispiel mag genügen, um die Sache mit der Wertfrage zu einem Abschluß zu bringen. Oben war bereits des öfteren und längeren die Rede von dem Rachegedanken in der chinesischen Kultur gewesen. Das einem Freund von Guan Hanqing, nämlich Yang Xianzhi (fl. 1246), zugeschriebene Stück Regen in Hunan (Xiao-Xiang yu)364 läßt eine junge Frau auf eine nicht nachvollziehbare Weise Rache üben. Durch widrige Naturumstände werden Vater und Tochter voneinander getrennt. Die Tochter findet Aufnahme bei einem alten Fischer als Adoptivkind und wird dessen Neffen als Frau versprochen. Der Neffe jedoch heiratet nach seinem Examen eine andere und läßt seine Braut schwer mißhandeln, nachdem diese ihn aufgefunden hat. Von einem Schergen in die Verbannung, das heißt in den Tod, abgeführt, trifft sie auf ihrem Weg durch den Regen an einer Poststation wunderbarerweise auf ihren Vater, dem alle richterliche Gewalt vom Hof gegeben ist, und auch auf ihren Adoptivvater, so daß die Sache für sie ein gutes Ende nimmt. Ihr ehemaliger Bräutigam ist nun des Todes, wird aber von ihr schließlich als Ehemann akzeptiert, um nicht allein sein zu müssen. Die Bedingung, die sie stellt, läuft auf eine Versklavung der bisherigen Ehefrau hinaus. Was dem Stück fehlt, ist eine innere Logik: Warum sollte ein Mann sich gegenüber einer Braut nach deren Verstoßung so grausam verhalten? Und wie kann eine Frau sich einen solchen Mann dennoch zum Gatten wünschen? Schließlich: Die bisherige Ehefrau, die zu begütigen versucht, ist unschuldig. Gleichwohl hat es andere Stimmen gegeben, die das Drama als großes Meisterstück preisen.365 Neben der vermeintlich kompakten Struktur werden vor allem die anrührenden Lieder und Dialoge hervorgehoben. In der Tat, die Klagegesänge mit ihren emphatischen, ja expressionistisch anmutenden Reduplikationen können sich sehen lassen: »Ich, ich, ich« (Wo, wo, wo). Und wenn die Zhang Cuiluan dem Himmel zürnt und auf Rache sinnt, um ihren Bräutigam kalten Auges wie eine Krabbe (pangxie) behandeln zu können, das heißt, im Kochtopf enden zu lassen, kurz, wenn sie seinen Kopf fordert366, dann mag sie einer rachesüchtigen Medea nahekommen. Auch anderes will bedenkenswert erscheinen: so die Suche der Heldin nach ihrem Bräutigam, welche die Bewegungsfreiheit einer Frau und eine große Furchtlosigkeit voraussetzt. So auch die lange, innige Sehnsucht des Vaters nach der verlorenen Tochter, welche das Klischee von der Bevorzugung männlichen Nachwuchses außer Kraft setzt. All dies vielleicht gänzlich Neue rechtfertigt aber nicht den unbefriedigenden Schluß des Dramas, der letzten Endes auf der weiblichen Einsicht in die fragwürdige Sentenz beruht, ein Ehemann sei der Himmel einer Frau, und somit mache eine Ehe das ganze Leben einer Frau aus. 364 365 366

ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 125–133; CRUMP: Chinese Theater, S. 246–309 (Rain on the Hsiao-Hsiang); s. auch Renditions 4 (1975), S. 49–70. So bei NIENHAUSER (Hg.): The Indiana Companion to Traditional Chinese Literature, S. 911; CRUMP: Chinese Theater, S. 193–195; LI: Yuan zaju shi, S. 157–158. CRUMP: Chinese Theater in the Days of Kublai Khan, S. 301f., 305f.; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 131, Sp. 3; S. 132, Sp. 2.

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4. Das Spiel des Südens (nanxi): Shi Junbao (1192–1272) u.a. Nach dem bisher Dargestellten mag man vielleicht den Eindruck gewonnen haben, daß das chinesische Theater im Vergleich zum europäischen so gänzlich anders ist. Ein Blick in eine Geschichte des deutschen Theaters zum Beispiel belehrt jedoch eines Besseren.367 Die Unterschiede müssen historisch gesehen nicht immer sehr groß gewesen sein, sie erscheinen uns oftmals nur deshalb so riesig, weil wir eher von der Vorstellung eines Schauspiels ausgehen, das sich – im deutschen Sprachraum etwa – langsam erst seit der Weimarer Klassik (1786–1805) herausgebildet hat. Zuvor können wir durchaus vergleichbare Phänomene auf der deutschsprachigen Bühne beobachten. Auch das deutsche Theater, das sich der städtischen Festkultur und den religiösen Feiern verdankt, kannte Aufführungen als Gottesspiel. Seine Thematik konnte ebenso wie ein taoistisch inspiriertes Stück oftmals um die Problematik von Schein und Vergänglichkeit der irdischen Welt kreisen. Ans Ende des Geschehens wurde nicht selten eine Verherrlichung des Herrschers, der beim Spiel persönlich zugegen war, gestellt. Man nennt dieses in der Fachsprache eine Schlußapotheose. Die Schauspieler waren ebenfalls auf Rollen, Typen, bestimmte Gesten festgelegt. Und selbstverständlich wurden Stücke aus moralischen Gründen so bearbeitet, daß sie kaum wiederzuerkennen waren. Von Verboten braucht selbstverständlich gar nicht erst die Rede zu sein, noch weniger vom stark unterhaltsamen Charakter, der Vor- und Nachspiele vorsah, musikalische Einlagen und etwas, was man als Tierhatz bezeichnete. Es sollte daher auch nicht weiter verwundern, daß der Wert damaliger Stücke aus heutiger Sicht nicht selten nur noch von historischem Interesse ist, ja, daß im Einzelfall das chinesische Theater sehr viel früher als das europäische des Mittelalters bzw. der Neuzeit sowohl formal wie inhaltlich mannigfach weiter entwickelt war. Wie oben bereits ausgeführt, unterscheidet man in der chinesischen Theaterwissenschaft das Theater des Nordens von dem des Südens. Da sich mit der Vertreibung der Mongolen der Schwerpunkt der Dramatik geographisch verschob, sei der Gang der Dinge noch einmal kurz zusammengefaßt.368 Was über die Anfänge und die Entwicklung des chinesischen Theaters bekannt geworden ist, verdankt sich oftmals lediglich den Erinnerungen und den spärlichen Notizen von wenigen Zeitgenossen sowie Nachgeborenen. Vieles muß daher unwiederbringlich im 367

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Ich stütze mich im folgenden auf FISCHER-LICHTE: Kurze Geschichte des deutschen Theaters. Eine ähnliche Auffassung wie ich vertritt DOLBY: A History of Chinese Drama, S. 14, für England! Ein Leitfaden war hierbei für mich: Eight Chinese Plays. From the 13th Century to the Present. Translated with an Introduction by WILLIAM DOLBY, London: Elek 1978.

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Das Spiel des Südens (nanxi): Shi Junbao u.a.

Laufe der Geschichte als verloren gelten. Die meisten Forscher sind heute der Auffassung, daß das eigentliche chinesische Theater erst mit der Yuan-Zeit begann. Und dies vielleicht auch nur deshalb, weil alle Werke dieser Jahre zwar nicht im Original, aber doch in einer späteren Bearbeitung vorliegen. Wir haben also möglicherweise unser liebgewonnenes Bild von der plötzlichen Entstehung des Mongolendramas den Editionen einer nachfolgenden Dynastie zu verdanken. Wie dem auch sei, die Tang-Zeit und die Fünf Dynastien (907–960) kannten ein Bühnenspiel nur in Form einer Slapstick-Einlage, nämlich des sogenannten Adjutantenspiels, aus welchem sich zur Song-Zeit die »gemischten Spiele« (zaju) bzw. die »gemischten Spiele mit offiziellem Text« (guanben zaju) und zur Jin-Zeit »die Texte für Unterhaltungszwecke bzw. für Singmädchen« (yuanben) entwickelten. Auch die letzteren beiden Spielformen konnten ihre Herkunft nicht verleugnen, was ihre Thematik, Form und Struktur anging. Es handelte sich in diesen Fällen eher um lapidare Farcen denn um ein ausgearbeitetes Theater. Zwar ist kein Beispiel aus den damaligen Zeitläufen direkt überliefert, aber man kann sich dennoch ein Bild von ihnen machen. In späteren Werken sind nämlich Sketche enthalten, die den damaligen yuanben zumindest nahekommen. So findet sich zum Beispiel eingestreut in das Stück Cai Shun überreicht Mutter Maulbeeren (Jiang sangshen Cai Shun feng mu) von Liu Tangqing (um 1300) die Satire »Die streitenden Quacksalber«, die sich über zwei Ärzte lustig macht und dabei verbale wie physische Auseinandersetzungen bevorzugt. 369 Eine offensichtliche Unterscheidung zwischen den Spielen des Nordens und des Südens hat es nicht erst seit dem Abzug der Mongolen aus dem Reich der Mitte gegeben. Was den genauen Zeitpunkt angeht, so differieren die Meinungen. Für die einen gab es schon zur Song-Zeit während der Jahre 1119 und 1125 Vorformen des späteren Theaters im Süden, für die anderen setzte dieser Trend erst nach der Eroberung von Nordchina durch die Jin und nach der Flucht des Song-Hofes nach Süden, also 1127, ein. Für letzteres spricht die Tatsache, daß sich die Südliche Song-Dynastie zunächst in Wenzhou niederließ und dort ihren Ahnentempel baute. Es ist jedoch nicht nur die Stadt Wenzhou bzw. die nahezu identische Region von Yongjia, wo im Jangtse-Becken ein »gemischtes Spiel« aufgekommen ist, das unter den besagten geographischen Namen bis heute – verwirrend genug – als Wenzhou zaju bzw. Yongjia zaju bekannt geblieben ist, sondern ebenso fanden im heutigen Hangzhou sowie an anderen Orten ähnliche Entwicklungen statt. Auch wenn mit der Vereinigung von ganz China unter der Yuan-Dynastie das Theater des Nordens (zaju) zur dominierenden Bühnenform geworden war, so wurde im Süden dennoch der einheimische Stil weitergepflegt, der sich dann um 1400 unter dem Einfluß des Mongolendramas zu dem entwickelte, was nunmehr als nanxi, als Spiel des Südens, bzw. als xiwen, als »Theatertext«, bzw. als nanqu 369

DOLBY: Eight Chinese Plays, S. 21–29; SUI (Hg.): Yuanqu waibian, Bd. 2, S. 428–431 (Sketch), 416–447 (das gesamte Stück).

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DAS DRAMA DER YUAN-ZEIT IN EINZELDARSTELLUNGEN

xiwen, als »Bühnenspiel des Südens«, bezeichnet wird. Wenn auch in den Dingen von Nomenklatur und Daten keine letzte Klarheit zu gewinnen ist, sollte man von einer gleichzeitigen Entwicklung und gegenseitigen Beeinflussung des Theaters im Norden wie im Süden vor und nach 1127 ausgehen. Als Definitionsformel für das nanxi empfiehlt sich nach einem Standardwerk die folgende:370 Das Theater des Südens [nanxi] ist als Bühnenstück [xiqu] auf der Basis des gemischten Spiels [zaju] der Nördlichen Song-Zeit entstanden, indem es nach und nach die Balladenform [zhugongdiao], die Erzählung [changzhuan] sowie lokale Lieder und Tänze in sich aufgenommen hat.

Hieraus hat sich wiederum als dominierende, in gewisser Hinsicht als nationale Form während der Ming-Zeit das entwickelt, was heute als das »wunderbare Spiel«, nämlich das chuanqi, bekannt ist, oft auch mit »Romanze« wiedergegeben. 170 Spiele des Genres nanxi sind heute namentlich bekannt, aber oft nur fragmentarisch überliefert. Lediglich drei Beispiele sind zur Gänze erhalten.371 Eines der frühesten ist das anonyme Stück in vierzehn Aufzügen (chu) Der Sohn eines Herrn geht den falschen Weg (Huanmen zidi cuo lishen)372 um 1320–1340. Dieses Stück mit der zu guter Letzt wunderbaren, sprich aufgesetzt wirkenden (deus ex machina) Vereinigung eines jungen Dschurdschen aus angesehenem Haus mit einer Schauspielerin, sprich Kurtisane, ist heute aus dreierlei Dingen immer noch von Interesse: Es stellt eine beliebige Szenenfolge dar, die zwar strukturell keinen so kunstvollen Aufbau wie ein Yuan-Drama zu erkennen gibt, dafür aber in einer dem Süden verpflichteten Prosodie mehreren Personen die Möglichkeit zum Gesang einräumt. Es zeigt zum zweiten die Erziehung – es ließe sich auch von Abrichtung sprechen – eines jungen Herrn, der um der Liebe willen alles aufgibt, nur um den Schauspielberuf zu erlernen. Und zum dritten benennt es eine Fülle von Stücken, die damals zum Repertoire der ziehenden Truppen gehörten. Der englische Spezialist für das chinesische Theater William Dolby setzt den Beginn des Yuan-Dramas exakt mit dem Jahr 1234 an, als die Mongolen die JinDynastie unterworfen hatten. Seine Festlegung mag etwas hergeholt erscheinen, doch weist er nicht zu Unrecht darauf hin, daß viele Theatermacher der damaligen Zeit Dschurdschen waren, die sich auch nach dem Fall ihrer Dynastie dem ehemaligen Herrscherhaus verpflichtet fühlten und daher einen geistigen Ausweg im 370 371

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LI: Yuan zaju shi, S. 326. Herausgegeben und kommentiert von QIAN NANYANG (Hg.): Yongle dadian xiwen san zhong jiaozhu, Peking: Zhonghua Shuju 1979. Zu den drei erhaltenen Beispielen s. die lange Rezension einer mir nicht vorliegenden Dissertation durch DONALD HOLZMAN: »Tadeusz Zbikowski: Early Nan-hsi [d.i. nanxi] Plays of the Southern Sung [d.i. Song] Period, Warschau: Wydawnictwa Uniwersytetu Warszawskiego 1974«, in: T’oung Pao 64 (1978), S. 312–331. DOLBY: Eight Chinese Plays, S. 30–52; QIAN (Hg.): Yongle dadian xiwen san zhong jiaozhu, S. 219–255. Zu einer Deutung s. LI: Yuan zaju shi, S. 324–325.

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Das Spiel des Südens (nanxi): Shi Junbao u.a.

Theaterwesen suchten. Zu ihnen gehörte – so sein chinesischer Name – Shi Junbao (1192–1276)373, als Dschurdsche unter dem Namen Shizhan Junbao bzw. Shizhan Deyu bekannt.374 Er war auch Maler und ein Mann des Militärs. Auf ihn geht die Überlieferung eines der frühesten Yuan-Dramen zurück. Es lautet Qiu Hu versucht, seine Frau zu verführen (Qiu Hu xi qi).375 Das Stück basiert auf einer alten, vielfach bearbeiteten Vorlage. Unser Theatermann hat die Begebenheit, von der der große Gelehrte Liu Xiang (77 v.Chr. – 6 v.Chr.)376 berichtet, jedoch wesentlich verändert, was sein Stück erheblich schwächt. Der höchst dramatische und sehr starke dritte Akt führt in letzter Konsequenz nicht zum Selbstmord der Frau377, wie ihn die Überlieferung will, sondern zu einem Happyend. Der Protagonist, nach zehn Jahren Abwesenheit von Daheim und reichlich geehrt aus dem Krieg entlassen, erkennt auf dem Heimweg seine Frau in den Feldern nicht als seine Frau, sondern sieht in ihr nur ein willkommenes Liebchen. Es entspinnt sich zwischen beiden ein heftiger Kampf, den sie physisch und verbal gewinnt. Ihre Loyalität bezeugt die Gattin in wüsten Verwünschungen seiner Ahnen. Die Tragödie, die hier angelegt ist, spitzt der Autor im vierten Akt nicht zu. Er verweigert sich einem starken Abgang, der in einem Selbstmord angelegt gewesen wäre. Ein Selbstmord hätte zweierlei signalisiert: die Treue der Gattin und die Ruchlosigkeit des Gatten, der sich in den vergangenen zehn Jahren wohl überall ähnlich verhalten haben muß. Die innere Verzweiflung der Frau wäre leicht vorstellbar gewesen. Da sich ein solches Stück jedoch auch politisch lesen ließe, hatte der Verfasser 373

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Zu seiner Adaption der bekannten Tang-Novelle Die Dame in der Hauptstadt (so übersetzen WOLFGANG BAUER und HERBERT FRANKE Li Wa zhuan) von BAI XINGJIAN (775–826) s. WILT L. IDEMA: »Shih Chün-pao’s [d.i. Shi Junbao] and Chu Yu-tun’s [d.i. Zhu Youdun] Ch’ü-chiang-ch’ih [d.i. Qujiangchi]. The Variety of Mode within Form«, in: T’oung Pao LXVI (1980), S. 222–240. Zum dschurdschischen Einfluß auf das Theater der damaligen Zeit s. STEPHEN H. WEST: »Jurchen Elements in the Northern Drama Hu-t’ou-p’ai [d.i. Hutoupai]«, in: T’oung Pao LXIII (1977), S. 273–295. Zum Bild der Dschurdschen als Krieger auf der chinesischen Bühne s. WOLFRAM EBERHARD: »Die Chin [d.i. Jin] im chinesischen Theater,« in: WOLFGANG BAUER (Hg.): Studia Sino-Mongolica. Festschrift für Herbert Franke, Wiesbaden: Steiner 1979 (= Münchener ostasiatische Studien; 25), S. 345–352. DOLBY: Eight Chinese Plays, S. 53–85; ZANG (Hg.): Yuanqu xuan, S. 255–262. Zu dem Autor und seinem Werk s. LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, S. 342–344. ALBERT O’HARA: The Position of Woman in Early China. According to the Lieh Nü Chuan [d.i. Lienüzhuan]. The Biographies of Chinese Women, Taipeh: Mei Ya 21978, S. 141–143. Zu einer späteren Adaption und zu Ausführungen zu unserem Thema s. FORKE: Elf chinesische Singspieltexte aus neuerer Zeit, S. 9, 63–93 (Übersetzung), 447f. (Kommentar), 473– 475 (Original). Zum Freitod von Frauen in der chinesischen Geschichte und Literatur ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden, vor allem in der Zeitschrift Nan Nü. Men, Woman and Gender in Early and Imperial China. Zu einem frühen Standardaufsatz, der allerdings den Mann auch miteinbezieht, s. JOSEPH S. M. LAU [d.i. Liu Shaoming]: »The Courage to Be: Suicide as Self-fulfilment in Chinese History and Literature«, in: Tamkang Review XIX.1–4 (1988/89), S. 715–734.

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vielleicht nicht den Mut gehabt, das Geschehen dramatisch enden zu lassen. Gleichwohl bietet der dritte Akt soviel an innerer Spannung, daß wir es im vorliegenden Fall nicht nur mit einem der frühesten, sondern auch einem der besten Yuan-Dramen zu tun haben.

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5. Gao Ming (ca. 1305 – ca. 1370): Die Laute Den Übergang vom Spiel des Nordens zu dem des Südens sollten wir uns nicht abrupt vorstellen. Beide theatralischen Formen haben, wie gesagt, einander auch beeinflußt, und zwar sowohl formal wie inhaltlich. Dennoch lassen sie sich grob auseinanderhalten. Die offensichtliche Stärke des Yuan zaju liegt in seinem kompakten und geschlossenen Aufbau, die des nanxi in seiner virtuosen sprachlichen und, sofern das heute noch zu beurteilen ist, auch in seiner musikalischen Ausgestaltung, selbst wenn kritische Stimmen nicht müde werden, auf die große Nähe zum gemeinen Volk und damit zum Vulgären hinzuweisen.378 Nun will es die Überlieferung, daß uns mit dem bereits seit 1841 mehrfach in westliche Sprachen übersetzten und am meisten anthologisierten Stück, dem Meisterwerk Die Laute (Pipa ji)379 von Gao Ming (ca. 1305–1370), ein Beispiel für besagten Übergangsstil gegeben ist. Vom Autor, der für einige Kritiker eigentlich nur der Herausgeber eines bereits früher überlieferten volkstümlichen Spieles ist, ist immerhin bekannt, daß er aus einer gebildeten Familie im heutigen Zhejiang stammte und 1344 das Doktorat erwarb. Er diente unter den Mongolen nur etwa zehn Jahre als Beamter. 1356 zog er sich aus dem öffentlichen Leben aufs Land in die Gegend des heutigen Ningbo zurück, um besagtes Stück zu schreiben bzw. (1367) zu edieren. 380 Sieht man einmal von den zahlreichen Wiederholungen ab, die vielleicht als Zusammenfassung des bisherigen theatralischen Geschehens notwendig waren, um entsprechend einzelne Szenen getrennt vom Ganzen spielen zu können, und akzeptiert man die nicht selten tränenreiche Emotionalität, die sich leicht kultureller Differenz zuschreiben läßt, dann haben wir es mit einem frühen Beispiel großer Theaterkunst zu tun, das künstlerisch überwiegend eine Einheit bildet und 1946 seinen Weg gar als Musical an den Broadway von New York fand.381 Der spätere Hollywood-Star Yul Brynner (1920–1985) spielte damals die Rolle des Cai Bojie. Seine Partnerin war die ebenfalls später sehr bekannte Filmschauspielerin Mary Martin (1913–1990). Eine solche Starbesetzung sollte vielleicht 378 379

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Vgl. hierzu und zu den Unterschieden DOLBY: A History of Chinese Drama, S. 74–76. An Übersetzungen liegen vor: ANTOINE PIERRE LOUIS BAZIN: Le Pi-pa-ki [d.i. Pipa ji] ou l’Histoire de Luth, Paris: Imprimerie Royale 1841; GAU [d.i. Gao] MING: Die Laute, übers. von VINCENZ HUNDHAUSEN (s. Anm. 82); JEAN MULLIGAN: The Lute. Kao Ming’s P’ip’a chi [d.i. Pipa ji], New York: Columbia UP 1980. Letztgenannte Übersetzung bietet eine gute Einleitung und einen guten Anhang, Beidem bin ich sehr verpflichtet, ohne dies im folgenden eigens per Anmerkung anzuführen. Zum Original und zur besten Edition s. QIAN NANYANG (Hg.): Pipa ji, Schanghai: Zhonghua Shuju 1960. Zur Vita s. L. CARRINGTON GOODRICH u. CHAOYING FANG (Hg.): Dictionary of Ming Biography 1368–1644, Bd. 1, New York u. London: Columbia UP 1976, S. 699–701. Unter dem Titel Lute Song adaptiert von dem Theatermann Sidney Howard (1891–1939) und auf die Bühne gebracht von dem Autor Will Irwin (1873–1948). Beide waren Amerikaner.

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insofern gar nicht mal so sehr überraschen, als der deutsche Übersetzer Vincenz Hundhausen, der mit dem bedeutenden Germanisten und Dichter Feng Zhi (1905– 1993) zusammengearbeitet hat, bereits 1934 in Peking und Tientsin vor einem nichtchinesischen Publikum seine Nachdichtung durch nichtchinesische (Laien-) Schauspieler hat aufführen lassen. Die damaligen immer noch lesenswerten Reaktionen382 sind deswegen so interessant, weil sie die übliche Kritik an dem (Nach-) Dichter Hundhausen relativieren helfen. 383 So merkt zum Beispiel gleichsam stellvertretend für ihre Zunft die amerikanische Übersetzerin zur deutschen Übertragung an: »A complete translation into German, this poetic rendition sacrifices accuracy for literary effectiveness.«384 Interessanterweise äußerte sich der renommierte deutsch-amerikanische Sinologe Hellmut Wilhelm (1905–1990) im Anschluß an die Aufführung, die unter dem Titel »Die beiden Gattinnen« lief, wie folgt:385 Die Einzigartigkeit und Bedeutung dieses Ereignisses [nämlich der Aufführung] möchte ich namentlich in zwei Punkten erblicken. Der erste ist der Beweis, daß die chinesische dramatische Dichtung und auch die chinesische Tragödie durchaus nicht an die Übungen und Herkömmlichkeiten der chinesischen Bühne gebunden ist, daß sie in der einfühlenden Nachdichtung Hundhausens ihre Schönheiten auch nicht nur dem lesenden Verstande offenbart, daß vielmehr ihr eigentliches Wesen und ihre künstlerische Kraft sich in der dramatischen Wucht des gesprochenen Wortes entfaltet. Es ist dies eine Entdeckung, die wohl der Eroberung des griechischen Dramas für die deutsche Bühne gleichgestellt werden kann. […] In der bedeutsamen Auseinandersetzung über das Wesen des Dramatischen schreibt Schiller in einem Brief an Goethe am 4. April 1797: »Es ist mir aufgefallen, daß die Charaktere des griechischen Trauerspiels mehr oder weniger idealische Masken und keine eigentlichen Individuen sind, wie ich sie in Shakespeare’s oder auch in Ihren Stücken finde … Man kommt mit solchen Charakteren offenbar viel besser aus, sie exponieren sich geschwinder, und ihre Züge sind permanenter und besser. Die Wahrheit leidet dadurch nichts, weil sie bloßen logischen Wesen ebenso entgegengesetzt sind als bloßen Individuen.« Es berührt merkwürdig, in wie weit höherem Grade noch die chinesische dramatische Dichtung dieser Bemerkung Schillers gerecht wird, und daß sie damit ein dramatisches Formprinzip in einer Vollendung erfüllt, wie sie unser dramatisches Schaffen nur selten erreicht hat. Durch fast völligen Wegfall der Exposition und ihrer teilweisen Ersetzung durch Prolog und Vorspiel enthüllt sich dieses Formprinzip sofort. Dadurch wird nun nicht nur eine permanentere und festere Zeichnung der einzelnen Charaktere erleichtert, es ist dadurch auch […] die Be382 383

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WALRAVENS: Vincenz Hundhausen (1878–1955). Nachdichtungen, S. 112–123, 126–128. Es sei an dieser Stelle nachgetragen, daß mein Lehrer Alfred Hoffmann im Unterricht an der Ruhr-Universität Bochum Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts voller Verachtung von Vincenz Hundhausen sprach. MULLIGAN: The Lute, S. 313. Zitiert nach WALRAVENS: Vincenz Hundhausen (1878–1955). Nachdichtungen, S. 117f.

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Gao Ming: Die Laute freiung der einzelnen Szene von allem überflüssigem Beiwerk und ihre Gestaltung zu einer geschlossenen höchst wirksamen Einheit ermöglicht. Es bildet jede Szene ein abgerundetes Ganzes, das sich bildhaft unmittelbar einprägt. […] Auf diese Weise ist dem chinesischen Dramatiker eine größere Freiheit zuteil, die aber anderseits eine sublimere Knüpfung der Gesamtkomposition notwendig macht, wie sie uns Europäern nur etwa aus den großen symphonischen Musikwerken bekannt ist. Es ergibt sich von selbst, daß in den nach diesem Prinzip geformten Dramen die Sprache, das eigentliche Werkzeug des Dichters, der dramatischen Aktion gegenüber weitaus in den Vordergrund tritt. Und das ist die Bedeutung der Hundhausenschen Nachdichtungen, daß er diesen Punkt wirklich erfaßt und die Sprache der dramatischen Kunstschöpfungen in adäquater Form nachgebildet hat. So erweist sich, daß dieses Tätigkeitsgebiet stets dem Dichter vorbehalten bleiben muß, den die Kritik des Sinologen nie erreichen kann.

Wir dürfen vielleicht davon ausgehen, daß Feng Zhi die Rohübersetzung und Hundhausen auf dieser sicherlich zuverlässigen Basis die Nachdichtung besorgt hat. Letzterer, der in einer Art Vorwort (ohne Überschrift und Seitenzahl) fünf Textausgaben mit chinesischen Zeichen als Quellen seiner Arbeit anführt, kommentiert die eigene Übersetzungsmethode wie folgt:386 Die vorliegende Nachdichtung ist vollständig und folgt dem Original Wort für Wort. Sie folgt ihm auch da, wo der Dichter fast allzu naiv erscheint oder ganze Abschnitte als nebensächliche Verbindungswege zu den Höhen seelischer Anteilnahme nachlässig behandelt. Bei den zahlreichen Wortspielen des Originals mußte der Grundsatz der Wörtlichkeit hinter den Versuch zurücktreten, den Wortwitz einer deutschen Wendung zu finden.

Ohne es ahnen zu können, widerlegt Hellmut Wilhelm mit seinen Worten die spätere, unter Sinologen in der Argumentation so repräsentative Kritik von Jean Mulligan. Auch heute nach bald achtzig Jahren liest sich die Übertragung gut und hält den Blick ins Original aus. Dies ist nicht selbstverständlich, da Übersetzungen bekanntlich zu altern pflegen und oftmals durch neue zu ersetzen sind. Schauen wir uns einmal den Beginn des ersten Aufzuges an, eine Art Prolog, der die Aufgabe hatte, gleichsam »die Moral von der Geschichte« unmißverständlich und von vornherein zum Ausdruck zu bringen. Eine männliche Nebenrolle (fumo), von Hundhausen als Bühnenmeister bezeichnet, eröffnet das Stück so:387 Im Herbste, wenn der Schein der Lampe Auf den smaragdnen Vorhang fällt, 386 387

GAU MING: Die Laute [S. III]. GAU MING: Die Laute, S. 1; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 107; vgl. auch MULLIGAN: The Lute, S. 31.

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DAS DRAMA DER YUAN-ZEIT IN EINZELDARSTELLUNGEN Wird aus dem Myrrheduft der Bücher Lebendig eine bunte Welt Von Göttern, Geistern, schönen Frauen, Von Jünglingen mit hohem Mut. Ihr seid ergötzt. Was ihr gelesen, Es war so schön! Doch war es gut? Romantik läßt die Vielen schwärmen, Die nur die bunte Schale sehn. Wir wenden uns nur an die Edlen Und fordern tieferes Verstehn. Ihr liebt der Lieder strenge Ordnung? Ihr hört die Possenreisser gern? Beurteilt nicht die äussere Hülle Und achtet auf des Spieles Kern! Des Sohns Gehorsam [zi xiao] und die Tugend Der Tochter [qi xian] zeigt euch unser Spiel. Vorüber an den schlechten Rossen Rennt stets das edle Ross durchs Ziel.

Der Blick ins Original ergibt, daß Hundhausen sprachliche Umstellungen vorgenommen hat. Er folgt obigen Versen eines klassischen Liedes nach der Melodie Shuidiao getou nicht sklavisch, sondern er rafft, greift vor bzw. holt nach. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Der Übersetzer setzt auf Reim und Rhythmus, er bedient sich eines angemessenen Vokabulars und bringt inhaltlich rüber, worum es in dem Stück geht. Eine Stimme hat nach der damaligen deutschen Aufführung in Peking den Gegenstand des Dramas einprägsam auf den Punkt gebracht:388 Es kann kein Zweifel darüber aufkommen, welcher Konfession der Autor Kao Ming [d.i. Gao Ming] anhing. Er war ein Anhänger Kung Fu Tse’s [d.i. Konfuzius]. Nur er, Konfuzius, war in seiner Lehre und seinen Schriften so sehr darauf bedacht, die Pflichten der Kinder gegenüber den Eltern und Ahnen festzulegen. So ist denn »Die Laute« eine Art Kanon der Kindespflichten, ein Gesetzbuch, das das Verhalten des Einzelnen gegenüber seiner Familie und seiner Sippe, aber auch dem Staatsoberhaupt gegenüber, predigt und regelt und das den Traditionssinn pflanzt und zu ihm erzieht. […] Der moralische Gehalt dieses Singspiels erreicht vielleicht nur den Chinaliebhaber, aber er reicht eigentlich über die ganze Welt, und die Kehre [sic; Lehre?] der »Laute« hätte Gültigkeit für alle Zeiten und Völker. Das Spiel liest sich fast wie ein dramatisiertes Märchen, und die Bildhaftigkeit und Klangfülle der Sprache, ihr klarer Fluß und fugenloser Fall, ist für unser Auge und Ohr neu, anders, 388

Zitiert nach WALRAVENS: Vincenz Hundhausen (1878–1955). Nachdichtungen, S. 114.

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Gao Ming: Die Laute nicht vergriffen. Wir hören von Sitten und Gebräuchen, die Jahrtausende alt sind und deren ethischer Wert über alle Europäisierung erhaben ist, deren grundsätzliche Geltung auch dann noch gilt, wenn jene Sitten und Gebräuche im modernen Morast versunken sind.

Die Stimmen der damaligen Zeit erscheinen mir deswegen so wichtig, weil sie Dinge anschneiden, welche die sinologische Zunft bei ihrer Bekrittelung von Übersetzungen dieser Art so gern unterschlägt, nämlich den »Ort im Leben«, das heißt, die Stellung, die ein Original einmal im Leben gehabt hat und die es nun als Übertragung im Leben einer anderen Kultur einnehmen soll. Vincenz Hundhausen hat mit seiner Nachdichtung ein strategisches Ziel verfolgt, über das er auch gesprochen hat. Eine weitere deutschsprachige Stimme der damaligen Zeit trägt diese Dinge vor, nachdem sie darauf hingewiesen hat, daß Konzessionen an das Auge des Publikums auf Kosten des Ohres nicht Zweck der Übertragung bzw. Aufführung gewesen sind.389 Ich erinnere mich hierbei einiger Worte, die Hundhausen mir einmal während einer Unterhaltung über das chinesische Drama sagte, und die ich nicht vergessen habe, weil ich sie im Banne dieses Themas für sehr bedeutend halte: »Die Lyrik ist im chinesischen Drama die Trägerin der dramatischen Dynamik und zu dieser Aufgabe bestimmt.« Er [Hundhausen bzw. der Übersetzer, W.K.] muß also, nachdem er das erkannt hat, streng darauf achten, der Lyrik bei der Aufführung den Platz zuzuteilen, der ihr – ihrer Bedeutung entsprechend – zukommt. Daher muß er sie alleine wirken lassen, wird auch das so Vielen unverständliche Aufführungsverbot, mit dem er seine Stücke in die Heimat begleiten ließ, eindeutig klar. Hundhausen ist ein Mensch, der sich ganz an das chinesische Drama verloren hat, nachdem er dessen Wert erkannte, und der um nichts in der Welt sich verleiten ließe, diese Werte zu verwässern. […] Lyrik aus ihrer Wirkungsstelle herausnehmen oder durch Weglassen die Nachbarstellen zu isolieren, bedeutet, die dramatische Aufgabe der Lyrik im chinesischen Drama übersehen und Ausschalten [sic!]. Das Gesamtdrama [Die Laute] ist in Wahrheit nur eine episch verbundene Kette von beliebig vielen, immer in sich geschlossenen und gestalteten Szenen. Daher auch bringt Hundhausen uns die einzelnen losen Szenen aneinandergereiht, ohne jedoch einer dieser Szenen auch nur die geringste Gewalt anzutun. Die Ehrfurcht vor dem chinesischen Dichtwerk ist für ihn maßgebend, so dürfen den verschiedenen Einstellungen des Publikums keine zu weit gehenden Konzessionen gemacht werden, so darf man nicht den Textfluß zerstückeln, um in eine Szenenfolge die ganze Handlung des langen Spiels zusammengedrängt wirken zu lassen, so muß man von einer Ausschmückung des äußerlichen Bühnenbildes Abstand nehmen, um den Zuschauer zu zwingen, alle Aufmerksamkeit auf das Wort des Dichters, vollendet gebracht durch des Schauspielers Kunst, zu richten. 389

Zitiert nach WALRAVENS: Vincenz Hundhausen (1878–1955). Nachdichtungen, S. 121.

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Was Hundhausen unter allen Umständen seinen Nachdichtungen ersparen wollte, waren »Schaustücke« im Stile eines Kreidekreises. Daher rührt sein vielen unbegreifliches Aufführungsverbot für Deutschland. Bei allem Verständnis für seine Ernsthaftigkeit hat er dennoch seinen Übertragungen und damit dem chinesischen Theater keinen großen Gefallen getan. Während Der Kreidekreis bis heute nichts an Wirkung eingebüßt hat und allgemein bekannt sein dürfte, sind sowohl Das Westzimmer als auch Die Laute trotz seiner übersetzerischen Bemühungen ohne jeden Einfluß im deutschen Sprachraum geblieben, und dies trotz ihrer überragenden Bedeutung und ihrer guten, ja mitunter atemberaubenden Lesbarkeit! Selbst Fachleute scheinen eher zu den sachlichen Übersetzungen ihrer Kollegen als zu den poetischen Nachdichtungen von Hundhausen zu greifen. So sind viele gute Chancen frühzeitig und unwiderbringlich vertan worden. Kommen wir auf Hellmut Wilhelm zurück. Er wirft mehr auf als nur die Frage nach der Möglichkeit einer angemessenen Übertragung. Mit Rückgriff auf Schiller stellt er die Nähe des chinesischen Theaters zum griechischen Drama zur Debatte. In der Regel wird dies von streng denkenden Sinologen nicht zu Unrecht abgelehnt. Doch Hellmut Wilhelm schränkt seinen Vergleich ein. Er unterscheidet »idealische Masken« und »wirkliche Individuen«. Wirkliche Individuen, wie wir sie erst seit der Goethezeit kennen, kann es natürlich weder im alten Griechenland noch im China der frühen Neuzeit gegeben haben. Dennoch verbleibt das Problem, ob mit den idealischen Masken in beiden Kulturen tatsächlich einmal dasselbe gemeint gewesen sein mag. Es ist hier nicht der Ort, dem nachzugehen, statt dessen sind aber die Konsequenzen in die Erinnerung zurückzurufen, die Hellmut Wilhelm aus seinen Beobachtungen zieht. Er spricht von der Einheit, dem Ganzen, dem Bild und der Sublimität des Stückes Die Laute, Dinge, welche die Sprache als das wichtigste Organon in den Vordergrund treten lassen. Nun will es der Zufall, daß Hellmut Wilhelm zwar der erste, aber nicht der einzige war, der auf der Basis des altgriechischen Theaters über das chinesische Schauspiel Die Laute nachgedacht hat. Wir sind oben bereits kurz auf die Frage nach der (Un-)Möglichkeit einer Tragödie in China eingegangen. Nun ist just für Die Laute konkret der Anspruch des Tragischen im aristotelischen Sinne erhoben worden.390 Thesen dieser Art haben so viele Fürsprecher wie Gegner.391 Wie dem 390

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JOHN Y.H. HU [d.i. Hu Yaoheng]: »The Lute Song Reconsidered: A Confucian Tragedy in Aristotelean Dress«, in: Tamkang Review VI.2 / VII.1 (1975/76), S. 449–463. Der Autor betrachtet seinen Beitrag als Wiederbetrachtung, weil er sich mit dem Gegenstand bereits einmal beschäftigt hat: »The Lute Song: An Aristotelean Tragedy in Confucian Dress«, in: Tamkang Review II.2&III.1 (1971/72), S. 345–358. In dieser bemerkenswerten Deutung versucht er, anhand des Konfliktes von Loyalität (zhong) und Pietät (xiao) eine Tragödie im aristotelischen Sinne nachzuweisen. Das mag ihm zwar mißlungen sein, doch sind seine Überlegungen immer noch äußerst lesenswert. Contra: YAO YI-WEI [d.i. Yao Yiwei]: »An Initial Exploration of the Tragic View in Yuan Drama«, in: Tamkang Review VI.2 / VII.1 (1975/76), S. 441–447. Der Verfasser sieht in seinem bedenkenswerten Beitrag bestenfalls Ansätze bei Dou E und der Waise von Zhao, aber

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Gao Ming: Die Laute

auch sei, der ehemalige Professor für Drama, Emeritus der University of Hawaii, John Y.H. Hu sieht in dem Protagonisten des Stückes, in Cai Bojie, einen tragischen Helden, da dieser in der »metaphysischen Spannung« von Loyalität gegenüber dem Kaiser (zhong) und Pietät (xiao) gegenüber den Eltern stehe. Und der Fachmann für das Theater der Ming-Zeit Cyril Birch (geb. 1925), Emeritus der University of California in Berkeley, kommt ohne erklärten Rückgriff auf die griechische bzw. englische Tradition zu einem ähnlichen Ergebnis: Den Helden kennzeichne eine »tragische Gespaltenheit«.392 Keine Frage, »das dreifache Gebot« – Hundhausen übersetzt u.a. »die drei Unterwerfungen« (san bucong) –, nämlich wider Willen ein Examen zu machen, gezwungenermaßen im Amt zu verbleiben und schließlich gegen alle Absicht eine zweite Ehe einzugehen, kurz, der dreifache Verstoß gegen die Pietät (san buxiao) stürzt den Protagonisten in einen tiefen inneren Konflikt, wie unten gleich auszuführen sein wird. Aber der Held geht an diesem Konflikt nicht zugrunde, wie in einer echten Tragödie zu erwarten gewesen wäre, ja, er begehrt, von einem kurzen Moment abgesehen, grundsätzlich nicht einmal auf, weil er keine Vorstellung von seiner eigenen möglichen (Willens-)Freiheit zu entwickeln in der Lage ist. Statt letztlich nach eigenem Gutdünken zu handeln und sich in der Auseinandersetzung mit der Obrigkeit seiner selbst zu vergewissern, entzieht er sich nach vergeblich bei Hof eingereichter Bittschrift jeglicher Aktion und läßt alles mit sich geschehen: Hochzeit, Beamtenkarriere, Daueraufenthalt in der Hauptstadt Luoyang. Er leidet an Handlungshemmung und verfällt dem Trübsinn.393 Wären da nicht seine zwei Frauen, die schließlich das Heft in die Hand nehmen, so hätte sich sein Konflikt merklich vertieft, statt einer Lösung zuzustreben. Auch das von oben verordnete Happyend, das alle Seiten versöhnt, widerspricht dem Charakter einer Tragödie. So heißt es bei dem Züricher Germanisten Emil Staiger (1908–1987): »Das Tragische ereignet sich, wenn das, worum es in einem letzten umfassenden Sinne geht, worauf ein menschliches Dasein ankommt, zerbricht.« 394 Die gesellschaftliche Ordnung, wie sie Gao Ming entwirft, geht dagegen, ohne dauerhaft in Frage ge-

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dies auch nur bei Aufweichung des Begriffs der Tragödie. Pro: MEI-SHU HWANG [d.i. Huang Meixu]: »Is there Tragedy in Chinese Drama? An Experimental Look at an Old Problem«, in: Tamkang Review X (1979), S. 211–226. Die Verfasserin argumentiert auf äußerst dürftiger theoretischer Basis. CYRIL BIRCH: »Tragedy and Melodrama in Early Ch’uan-ch’i [d.i. chuanqi] Plays: ›Lute Song‹ and ›Thorn Hairpin‹ Compared«, in: Bulletin of the School of Oriental and African Studies XXXVI (1973), S. 228–247, hier S. 244. Zu dieser Problematik s. auch LI-LING HSIAO [d.i. Xiao Liling]: »Political Loyalty and Filial Piety: A Case Study in the Relational Dynamics of Text, Commentary, and Illustrations in Pipa Ji«, in: Ming Studies 48 (2003), S. 9–64. HUNG: Ming Drama, S. 91, verweist auf die absolute Macht des Kaisers. Eine (weitere) Weigerung hätte eine Hinrichtung zur Folge gehabt. Und: ohne das unbefriedigende Happyend hätte der Verfasser mit Verbannung oder Gefängnis rechnen müssen! Zitiert nach VON WILPERT (Hg.): Sachwörterbuch der Literatur, S. 841a.

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stellt zu werden, zu guter Letzt gestärkt aus dem Zwiespalt des jungen Mannes hervor. Es ist lediglich die zweite Gattin, Niu Xiaojie, die es wagt, gegen den Vater, den Minister Niu, aufzubegehren.395 Da sich dieser jedoch schließlich überraschender, ja auch anrührenderweise einsichtig zeigt und in Folge den Kaiser umzustimmen vermag, ist dem Stück die Möglichkeit zu einer wahren Tragödie und damit zu seiner aus hiesiger Sicht erhofften Brisanz völlig genommen. Weitgehend ließe sich eher von einem Trauerspiel denn von einer Tragödie sprechen. 396 Was patriotisch eingestellte Literaturwissenschaftler aus dem chinesischen Commonwealth, die auf Grund nationaler Eitelkeit unbedingt den Nachweis einer Tragödie für das Reich der Mitte erbringen wollen, leicht übersehen, ist die Tatsache, daß es im europäischen Mittelalter gar keine Tragödie gab, ja nicht einmal geben konnte, da die christliche Heilslehre keinen Gedanken der Tragik erlaubte und jeglicher Untergang eines Helden, so sehr er auch traurig stimmen mochte, doch durch die christliche Erlösung im Jenseits gemildert schien. Überdies setzt nach neueren Erkenntnissen alles Tragische eine »melancholische Selbstentzweiung«397 voraus, so daß Melancholie und Tragödie untrennbar miteinander verbunden sind. Davon kann aber weder im europäischen Mittelalter noch auf der chinesischen Bühne generaliter die Rede sein. So gesehen war nur ein Trauerspiel, nicht aber eine Tragödie möglich. Ein letztes in dieser Angelegenheit: Unverzichtbare Voraussetzung jeglicher Tragik sind Dinge wie Charaktergröße und Widerstand, die Aufhebung eines Wertes durch einen anderen gleichberechtigten Wert, der Widerspruch von Freiheit und Notwendigkeit etc. Kurz, der Held muß in seinem Wertekonflikt scheitern. Von all dem kann beim Spiel von der Laute nicht die Rede sein, denn die beiden Werte, um die es geht, werden in den letzten Szenen miteinander versöhnt, so daß sich der Konflikt letzten Endes nicht als ein wirklicher, sondern lediglich als ein scheinbarer entpuppt. Um dieses zu verdeutlichen, ist es nun aber notwendig, zum Stück selbst zu kommen. Äußerlich sticht der Unterschied der »Romanze« (chuanqi) Die Laute zum üblichen Mongolendrama (zaju) unmittelbar ins Auge: 42 mitunter kurze, manchmal auch überflüssig erscheinende Szenen lösen einander in rascher Reihenfolge ab. Man könnte durchaus mit Huang Yihuang von einer Perlenkette spre395

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Es sei hier die folgende persönliche Meinung gestattet: Auch wenn es sich im Stück nur um Frauenbilder, Männerbilder handeln mag, so scheint mir der Autor doch repräsentativ den chinesischen »Mann« und die chinesische »Frau« entworfen zu haben. Gerade China nach 1949 bietet ein reiches Anschauungsmaterial für den »typischen« schwachen chinesischen Mann und die »typische« starke chinesische Frau. Wie ein Blick in herkömmliche Nachschlagewerke zur Literaturwissenschaft zeigt, unterscheidet man im Deutschen nicht nur zwischen einer Tragödie und einem Trauerspiel, sondern auch zwischen tragisch und traurig. Die letzten beiden Adjektive werden jedoch sowohl im Deutschen wie auch im Englischen oft willkürlich durcheinandergeworfen. Etwas Tragisches mag zwar traurig anmuten, aber etwas Trauriges ist niemals tragischer Natur! BETTINA NÜSSE: Melancholie und Tragödie. Genealogische Kulturtheorie I, München: Fink 2008, S. 284.

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Gao Ming: Die Laute

chen.398 Gleichwohl hat es die Leserschaft nicht mit einer Fülle identisch aussehender Schmuckstücke zu tun, sondern es herrscht meist das Prinzip eines Wechsels von Szenerie und Protagonisten vor: Spielort sowie Personal werden getauscht, so daß oftmals zum jeweils vorhergehenden Bild ein Kontrast hergestellt wird. Bei der Fülle von »Akten« drängt sich selbstverständlich die kritische Frage auf, ob denn die jeweiligen Ausschnitte überhaupt zum Gang der Handlung beitragen oder nicht jeweils lediglich Bebilderungen von Dingen darstellen, die schon durch die Überlieferung bekannt sind bzw. durch die Rollenspiele erahnbar werden. Dieser Frage soll hier jedoch nicht weiter nachgegangen werden, da sie eher aus der Gegenwart gestellt zu sein scheint und wenig der Geschichte gerecht zu werden vermag. Ein ähnlich gut konzipiertes Theater für die Bühne anderer Kulturen dürfte nämlich zur damaligen Zeit wohl kaum sonst wo nachweisbar sein. Die Fülle der Szenen bedeutet natürlich eine langsamere Entfaltung des Plots, als dies in einem Yuan zaju der Fall ist. Ähnliches gilt für den Gesang, der nun nicht mehr auf eine Person konzentriert ist. Da die Handlung weniger auf den (längst bekannten) Plot ausgerichtet ist, erfolgt eine Verinnerlichung des Geschehens. An dieser Verinnerlichung haben viele Sänger teil, die gleichsam retardierend ihren Schmerz bzw. ihren Konflikt zum Ausdruck bringen. Die Musik wirkt daher langsamer und getragener, nicht mehr so unmittelbar und äußerlich wie im Yuan-Drama. Worum geht es? Im Gegensatz zur landläufigen Kritik an dem Protagonisten Cai Bojie und damit im Unterschied zu einer allzu simplifizierenden Sicht des Stückes gehe ich von einem grundsätzlich ernst zu nehmenden Konflikt auf allen Seiten aus. Insofern ist der Übersetzerin Jean Mulligan zuzustimmen, daß Die Laute keinen eigentlichen Bösewicht kennt und daß selbst der Minister Niu, der zunächst durch seine unnachgiebige Haltung alles Unglück heraufbeschwört, zu Einsicht und Wandel fähig ist, so daß das Stück auch inhaltlich überzeugend ein gutes Ende finden kann. Die immer noch anhaltende, mir aber unberechtigt erscheinende Kritik an dem Scholaren Cai läßt sich mit dem bereits oben erwähnten amerikanischen Sinologen und Fachmann Cyril Birch, der selber zu den Kritikern gehört, wie folgt zusammenfassen: Cai Bojie ist ein zwar reuiger, aber treuloser Ehemann, ein junger Karrierist, der durch Einheirat in eine sozial höher stehende Familie seinen eigenen Vorteil sucht, darüber seine eigene (erste) Frau vergißt, ja, diese gar öffentlich leugnet. Folglich läge das Ziel des Verfassers darin, den herzlosen Ehemann vor aller Augen anzuprangern.399 Eine genaue Lektüre erlaubt jedoch keine solche Sicht, und eine solche hat mit dem ersten Aufzug anzusetzen, der mit dem Preis des Helden als »gänzlich loyal, gänzlich pietätvoll« (quan zhong, quan xiao) endet. Cai Bojie ist kein Mann ohne Herz, ganz das Gegenteil, er ist eine in Ansätzen tragische Figur, der man keine Schuld vorwerfen kann, eine Figur, die in Machenschaften verstrickt wird und sich trotz anfänglicher Bemühun398 399

HUANG: The Impact of Traditional Philosophy, S. 23. BIRCH: Scenes for Madarins, S. 16.

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gen letztlich nicht selbst daraus befreien kann, sondern dazu der Hilfe hauptsächlich der zweiten Ehefrau bedarf. Das Problem bei all der Kritik an Cai Bojie liegt wahrscheinlich in dem Umstand begriffen, daß die Kritiker nicht hinreichend zwischen der historischen Gestalt, die zwischen 133 und 192 zur Zeit der Späteren Han-Dynastie tatsächlich gelebt hat, und der literarischen Kunstfigur als einem beliebten Sujet vieler volkstümlicher Werke unterscheiden.400 Der geschichtliche Mensch darf uns hier nicht interessieren. Es geht um ein Bild, um ein Vorbild, welches der Verfasser beispielhaft für seine Zeit entwerfen möchte. Daß ihm dies gelungen ist, und zwar über seine Zeit hinaus, zeigen die Reaktionen späterer Bewunderer, wozu auch das Kaiserhaus der Ming-Dynastie gehörte:401 Die fünf Klassiker und die vier heiligen Bücher sind das tägliche Brot für das Volk, diese Oper gleicht einem auserlesenen Gericht für reiche Leute.

Zunächst zum Titel: Mit der Laute ist ein traditionelles chinesisches Musikinstrument namens Pipa gemeint. Dieses kann heute noch auch solo gespielt werden. Die Laute dient im Stück der Heldin Zhao Wuniang, der ersten Frau von Cai Bojie, als Mittel, in der Öffentlichkeit ihr bitteres Los zu klagen und eine Wende des 400

401

Zum historischen Cai Bojie (Cai Yong) und zur literarischen Ausgestaltung s. CHI-FANG LEE [d.i. Li Qifang]: »Ts’ai Yung [d.i. Cai Yong] and the Protagonist in the P’i-p’a chi [d.i. Pipa ji]«, in: CHOW (Hg.): Wen-lin, Bd. II, S. 154–174. Eine kürzere Version findet sich in: Tamkang Review IX.2 (1978), S. 141–158. Zitiert nach GAU MING: Die Laute [S. III]. Die Übersetzung geht auf den damaligen Lektor der Universität Bonn (seit 1932) Wang Guangqi (1892–1936) zurück. Sie muß sich in Sinica III (1928), S. 119ff finden. Diese Ausgabe, in welcher der Übersetzer auch das Pipa ji abhandelt, stand mir leider nicht zur Verfügung. Übrigens bespricht WANG GUANG KI [d.i. Wang Guangqi]: »Über die chinesische Poetik«, in: Sinica V (1930), S. 260, auch kurz die Metrik unseres Stückes. Der Autor ist an der Universität Bonn 1934 mit einer Dissertation Über die klassische chinesische Oper (1530–1860 n.Chr.) promoviert worden. Seine Ausführungen, die auch das Pipa ji miteinschließen, finden sich abgedruckt in der Zeitschrift Orient et Occident 1 (1934), und zwar in den Heften I, S. 9–21; II, S. 16–33; III, S. 13–29. Sein Name ist hier mit Kwang-chi Wang transkribiert. Zu diesem bedeutenden Vertreter des Jungen China s. THOMAS HARNISCH: Chinesische Studenten in Deutschland. Geschichte und Wirkung ihrer Studienaufenthalte in den Jahren von 1860 bis 1945, Hamburg: Institut für Asienkunde 1999 (= Mitteilungen; 300), bes. S. 213–226. Zum Original der oben zitierten Worte von Zhu Yuanzhang (Kaiser Taizu, reg. 1368–1398), dem Begründer der Ming-Dynastie, s. XU WEI: »Nanci xulu [Zum Theater des Südens, 1559]«, in: Zhongguo gudian xiqu lunzhu jicheng [Sammlung von Beiträgen zum chinesischen Theater], Bd. 3, Peking: Zhongguo Xiju 21980, S. 240; s. auch K.C. LEUNG: Hsu Wei [d.i. Xu Wei] as Drama Critic: An Annotated Translation of the Nan-tz’u hsü-lu [d.i. Nanci xulu], o.O.: University of Oregon 1988 (= Asian Studies Program; 9), S. 63. Eine Seite zuvor vertritt Xu Wei übrigens ebenfalls die Auffassung, daß Gao Ming mit seinem Stück eine Rehabilitierung von Cai Bojie verfolgte. Mit dem Nanci xulu, welches 1559 verfaßt wurde, beginnt übrigens erst unter den Literaten eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Spiel des Südens (nanxi), s. hierzu LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 3, S. 432– 434.

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Gao Ming: Die Laute

Geschehens zu ihren Gunsten herbeizuführen. Dem Instrument scheint keine übertragene Bedeutung zuzukommen. Das Zeichen ji im chinesischen Titel verweist auf eine Aufzeichnung, die historischen Charakter zu haben vorgibt. In der Tat ging es dem Verfasser möglicherweise darum, mit Hilfe seines Stückes besagtes historisches Vorbild namens Cai Yong, der den Anredenamen Bojie trug, vom Vorwurf der Unmoral freizusprechen. In diesem Zusammenhang immer wieder gern zitiert wird der klassische siebensilbige Vierzeiler »Mit dem Nachen ins Dorf, ohne Nachen zu Fuß zurück« (Xiao zhou jin cun, she zhou bu gui) von Lu You (1125–1210).402 Zwar ist hier schlicht vom »Hofbeamten Cai« (Cai Zhonglang) die Rede, wobei der Titel gleichsam zum Vornamen avanciert, doch sind sich die Kommentatoren darin einig, daß der Dichter auf eine gleichnamige literarische Gestalt in den damaligen Volkssagen anspielt und damit den historischen Cai Yong meint. Wissenschaftlich mag das zwar nicht ganz nachweisbar erscheinen, doch verleiht eine solche Sicht dem Gedicht mehr Tiefe. Für den im folgenden erwähnten Bänkelsang wird übrigens eigens »ein Platz bereitet« (Hundhausen: »auf dem Platze«). Wir haben die Wendung zuo chang bereits oben kennengelernt. Sonnenuntergang auf der alten Straße im Dorfe der Familie Liu: Ein blinder Alter sang zur Trommel auf dem Platze. Ein Toter kann sich um seinen Nachruf nicht mehr kümmern. Jetzt singt das ganze Dorf vom Hofbeamten Cai.

Wenn auch die Übersetzung in den ersten beiden Versen nicht ganz korrekt ist, so trifft sie mit dem letzten Verspaar den Nagel dennoch auf den Kopf. Gao Ming – so will es die Überlieferung – soll durch dieses Gedicht, das die Fama eines Menschen – typisch für die Song-Zeit – gedanklich verhandelt, zu seiner Komposition angeregt worden sein. So oder so haben wir es im vorliegenden Fall mit einem doppelten rewrite zu tun: Eine bereits überlieferte und mehrfach (nach-) erzählte Geschichte wird erneut erzählt, und im Laufe dieser Erzählung wird eine historische Umwertung vorgenommen. Sprachlich arbeitet das Stück auf drei Ebenen: Es bietet Komik in der gesprochenen Sprache, die oft dem hohen Ernst der Verse (Gedichte und Lieder) zuwiderläuft. Das lyrische Moment scheint nicht selten um seiner selbst willen in die Szenen eingestreut zu sein, denn es bringt die Handlung nicht immer wirklich voran. Dies gilt insbesondere für die Huldigungsszenen. Als drittes Element ist die Form der Parallelprosa (pianwen) 403 zu benennen, die zur hymnischen Beschreibung 402

403

Unter Verwendung der heutigen Umschrift zitiert nach GAU MING: Die Laute [S. II]. Zum Original s. Lu You ji [Die gesammelten Werke des Lu You], Peking: Zhonghua Shuju 1976, Bd. 2, S. 870 (das vierte des gleichnamigen Zyklus). Zu einer akkuraten Übersetzung und Kommentierung im Englischen s. LEE: Ts’ai Yung, S. 165. Zu diesem höfischen Genre, welches die parallele Gestaltung von Prosa formal wie inhaltlich favorisiert, s. meine Ausführungen in MARION EGGERT, WOLFGANG KUBIN, ROLF TRAUZETTEL

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von Palästen, Tempeln, Landschaften dient. Hier sind Vincenz Hundhausen ganz besonders gute Eindeutschungen gelungen. So zum Beispiel im sechzehnten Aufzug (»Das Bittgesuch«). Bevor Cai Bojie erfolglos seine Petition präsentiert, wird der kaiserliche Palast als Ort der Morgenaudienzen von einem »Obereunuchen« besungen. Auf diese Weise wird das immense Ungleichgewicht von Macht und Ohnmacht auf Seiten des Herrschers und des Untertanen versinnbildlicht. Im Preisgesang gewinnt der Palast kosmologische Dimensionen, die am Schluß des Stückes durch die Verklärung des Kaisers als »heiliger Herrscher« (shengzhu)404 verstärkt werden. Zitiert seien auszugsweise Anfang und Ende, die Universum und Audienzhalle miteinander verbinden.405 Blasser wird des Silberflusses breite Bahn und seicht und fern; Nur der grosse Bär noch flimmert und noch hier und da ein Stern. Durch der Wächter Hörner sind die anderen Sterne schon verjagt, Dreimal haben Trommelwirbel schon verkündet, dass es tagt. In dem Frieden der neun Tore [des Palastes] hört man noch die Wassertropfen Um die Silberpfeile in die kalten Kupferkammern klopfen. [Gemeint: eine Wasseruhr] Horcht! Zehntausend Morgenglocken heben an mit zagem Tone, Immer kühner fließt ihr Klingen auf Altane und Balkone. Seht, wie mit der Morgenröte die orangenen Sonnenstrahlen Ihre Farbenspiele auf die Dächer und Terrassen malen! Seht, wie Nebel, Nebel fliegen, schwebend, schwebend, schwingend, schwingend’ [sic!] Glückverheissend durch die Gärten ihre grünen Schleier schlingend! Hoch, ganz hoch sechshundert Klafter über dem noch dunklen Tale Glänzt der Tau der Nacht am Rande der erhabenen Jadeschale. Weit, ganz weit, zehntausend Meilen weit ist noch der Mond zu sehen; Eben will die weiße Scheibe seines Lichtes untergehen. […] Wer zu grüßen hat, der grüßt; wer zu knien hat, der kniet. Wer wagte, Seite an Seite zu drängen, zu schwatzen? Wer hinaufzuschreiten hat, der schreitet hinauf; wer hinabzuschreiten hat, der schreitet hinab. Alle, alle, ehrerbietig, ehrerbietig, aufmerksam, aufmerksam: nach dem erhabenen Ritual!

404 405

u. THOMAS ZIMMER: Die klassische chinesische Prosa. Essay, Reisebericht, Skizze, Brief. Vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Bd. 4 der Geschichte der chinesischen Literatur, hg. von WOLFGANG KUBIN, München: Saur 2004, S. 11–14. Dieses Binom ist in China seit der ausgehenden Antike nachzuweisen. Zitiert unter Verwendung der heutigen Umschrift nach GAU MING: Die Laute, S. 162–166; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 150; vgl. auch MULLIGAN: The Lute (15. Aufzug!), S. 118–120.

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Gao Ming: Die Laute O, daß ich immer schauen dürfte dieses göttliche Schauspiel, schauen dürfte täglich erneut, täglich vermehrt, täglich erhöht den Glanz der kaiserlichen Tugend! Mit den anderen Beamten will ich beten [bai], daß dem erhabenen Himmelsantlitze beschert sei ein langes kaiserliches Leben: Tausend Jahre, zehntausend Jahre, hundertausend Jahre, zehntausend mal hundertausend Jahre! Wenn ich bis heute noch an der Göttlichkeit des Rituals Shusun’s [Tong, um 200 v.Chr.] gezweifelt hätte: jetzt hat es mir die ewige Majestät des Himmelssohnes offenbart.

Das Original lebt von Reduplikationen und von (quasi) religiösen Wendungen zur Verherrlichung des Kaisers. Das hat der Übersetzer bei aller Freiheit gut nachvollzogen. In einer Szene wie dieser findet sich eine Verbindung von imperialer Machtdemonstration, von Politik und Religion, die formal auch am Beginn des altgriechischen Dramas steht. 406 Natürlich bleiben die Unterschiede gleichwohl beträchtlich. Athen betonte den Aspekt der Gewalt, dem die Versöhnung versagt bleibt, das chinesische Singspiel weiß um das Leid des einzelnen, entläßt aber weder Protagonist noch Zuschauer grundsätzlich unversöhnt. Zu guter Letzt noch ein Übersetzungsbeispiel, welches die im Stück angelegte Sozialkritik veranschaulichen soll. Mag es dem Verfasser auch noch so sehr nach außen hin um Panegyrik gegangen sein, so war er dennoch nicht blind für die Nöte der Zeit. In der Rolle des Clowns tritt ein korrupter »Gemeindevorsteher« (lizheng) bzw. »Polizeichef« (duguan) auf und macht keinen Hehl aus seinen bösen Absichten. Hundhausens Übertragung gewinnt Brechtsche Dimensionen. Der Polizeichef singt bzw. rezitiert:407 Ich bin der vielgeplagte Ortsvorstand, Die Lasten meines Amtes sind kolossal: Bei Tag und Nacht heißt’s hin und her gerannt! Und niemand rettet mich vor dem Skandal Der Reisverteilung, wenn der Mandarin Den Speicher öffnet. – Heute kommt er schon. Er sieht den Speicher, doch kein Korn darin, Und mit dem Bambus krieg ich meinen Lohn! Er rezitiert Als Polizeichef auch bin ich hier eingesetzt. Und ihr seht meiner Würde entsprechend Hut, Schuhe und Kleider zerfetzt. Im Kreisamt, da katzenbuckle ich und schmeichle devot, 406 407

Ich verdanke diesen Gedanken der Religionswissenschaftlerin Susanne Gödde von der FU Berlin. GAU MING: Die Laute, S. 177f.; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 154; MULLIGAN: The Lute, S. 128f.

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DAS DRAMA DER YUAN-ZEIT IN EINZELDARSTELLUNGEN Hier aber trage ich die Nase sehr hoch und bin ein Despot. Beim Reisempfang brauche ich ein Scheffelmaß, das elf Zehntel mißt, Aber beim Verkaufe des Schmuggelsalzes wiegt meine Wage [sic!] nur neun Zehntel von dem, was auf ihr ist. Hebe ich zum Heeresdienst meine Untertanen aus, Dann hole ich die Armen und die Reichen lasse ich zu Haus. Die Schwachen müssen Alles zweifach und dreifach verzollen, Die Starken geben mir das, was sie wollen. Die Leute quälen und schikanieren ist so recht mein Beruf, Für den mich der Himmel in seinem dunklen Ratschlusse erschuf. Der Himmel bestimmt überhaupt Alles nach seinem Belieben: Soviel ich vergeude, kann ich niemals erpressen, ergaunern, erschieben. Mein letztes Geld ist schon lange verschwendet, Mein Haus, mein Garten und mein Feld sind verkauft oder verpfändet. Darum plagt mich der Mandarin und läßt kein gutes Haar an mir dran, Weil ich nichts mehr habe, womit ich seinen Zorn besänftigen kann. Schon mehr als ein Mal hat er mir den zerrissenen Amtshut abgenommen Und mich verprügeln lassen, daß ich kaum mit dem Leben davongekommen. Ich wollte es mir schon freiwillig nehmen, so ist es mir zum Verdrusse, Ich konnte mich nur nicht entscheiden, ob am Stricke oder im Flusse. Wenn der Mandarin heute den leeren Speicher entdeckt, Und ich liege am Boden und sehe, wie der Büttel den Arm mit dem Bambus reckt, Dann werde ich schreien: »Halt ein, du heller Spiegel der Gerechtigkeit! Der Falsche wird ja geprügelt! Nicht der Dorfschulze liegt am Boden und schreit, Nicht der Dorfschulze, für den das Geprügeltwerden sich geziemt, …« Eine Stimme hinter der Bühne ruft Na, wer denn sonst? Der Gemeindevorsteher rezitiert weiter Der Komiker, der den Dorfschulzen mimt!

Wir sehen, wie hier die Sozialkritik ins Burleske übergeht und dabei gesellschaftliche und theatralische Ebene miteinander vermischt. Im Mittelpunkt unseres Dramas steht die Pietät. Söhne hatten nach damaliger Auffassung den Eltern ergeben zu sein (xiao) und (Schwieger-)Töchter tugendhaft (xian). Der Verfasser legt die Vorstellung von Pietät doppelbödig aus und schafft damit eine Konfliktsituation. Der Sohn gerät, ohne daß er es will, in eine Zwickmühle: Er hat einerseits den Eltern zu gehorchen, und das heißt, auf besonderen Wunsch des Vaters sich kurz nach der Hochzeit Richtung Luoyang, der damaligen Hauptstadt, zur Staatsprüfung zu begeben. Er hat andererseits die Pflicht der Fürsorge, er hat also die betagten Eltern zu versorgen und sollte daher von daheim weder zu weit weggehen

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Gao Ming: Die Laute

noch zu lang wegbleiben. Der Zwiespalt wird verstärkt durch das Ansinnen des Kaisers, Cai Bojie nach glänzendem Examen in der Hauptstadt als hohen Beamten zu behalten. Dafür gibt es gute Argumente: Um des Wohles des Reiches willen bedarf der Hof der besten Kräfte. Eine wirkliche und dauerhafte Bindung scheint nur durch eine Heirat mit der flüggen Tochter des Ministers Niu möglich. Cai Bojie steht also in einem doppelten Konflikt von Pflicht und Neigung. Er möchte den Eltern dienen, aber dem Kaiser ist Vorrang zu geben, er möchte zur Ehefrau zurück, hat aber seine Sehnsüchte hinter die Belange des Staates zurückzustellen. Seine Eingabe bei Hofe bewirkt nichts, er hat zu gehorchen. Und so ergibt er sich lustlos seinem Schicksal. Wir erleben daher Cai Bojie nur larmoyant, gleichsam als einen frühen Vertreter dessen, was oben mit Handlungshemmung bezeichnet worden ist. Umgangssprachlich würde man sagen, er kann aus seiner Haut nicht heraus. Im vierten Aufzug (»Das Gebot des Vaters«) kommt es zu einem interessanten Dialog zwischen Vater und Sohn über die Kindespflicht. In der Unterscheidung von kleiner und großer Pietät (xiao xiao, da xiao), welche der betagte Vater Cai trifft, liegt das kommende Unglück des Sprößlings begriffen. Wir lesen:408 Höre doch Vater! Es steht geschrieben: Alle Männer, die Söhne sind, müssen im Winter für Feuer sorgen, im Sommer für Kühlung; in der Nacht müssen sie wachsam sein, am Morgen die Eltern begrüßen und fragen, wie es geht, ob alles recht ist, nicht zu warm, nicht zu kalt; sie müssen sie kratzen, wo es sie juckt, und sie stützen bei ihrem Eingang und Ausgang. Besorgt müssen sie die Eltern fragen, was sie begehren, und alles, was sie wünschen, müssen sie aufmerksam besorgen. Deshalb darf der Sohn nicht zu weit von Hause fort, so lange die Eltern leben, und wenn er reist, so müssen Ziel und Rückkehr bestimmt sein. Wird uns so nicht Sohnespflicht gelehrt? […] Mein Sohn, das, was du aufzählst, das ist alles die kleine Sohnespflicht [xiao jie], aber von der großen Sohnespflicht [da xiao] hast du gar nicht gesprochen. […] Höre auf mich, mein Sohn! Im Anfange der Sohnespflicht steht: für die Eltern sorgen [shi qin], in ihrer Mitte: dem Kaiser dienen [shi jun], und an ihrem Ende: einen großen Namen erwerben [li shen]. Dein eigen Haut und Haar, die Du von Deinen Eltern hast, zu hüten, ist auch Sohnespflicht, steht aber in ihrem Anfange. Ein guter Mensch werden und Tugend üben und so sich selbst Nachruhm und den Eltern Ehre gewinnen, das steht am Ende der Sohnespflicht. Wenn also die Eltern arm sind und alt und der Sohn darum nicht zur Hauptstadt will, so übt er 408

GAU MING: Die Laute, S. 38f.; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 118; vgl. auch MULLIGAN: The Lute, S. 54f.

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DAS DRAMA DER YUAN-ZEIT IN EINZELDARSTELLUNGEN nicht die große Sohnespflicht [bu xiao]. Wenn du aber Beamter wirst, dann werden deine Eltern in dir geehrt, und du übst die große Sohnespflicht.

Wir sehen also, daß die Pietät nach diesen Aussagen dreifacher und gesteigerter Art ist. Eltern und Kaiserhaus sind nicht zu trennen. Der Kaiser ist das Bindeglied zwischen körperlicher Fürsorge und seelisch so wichtigem Nachruhm für Vater und Mutter. Nur der Dienst bei Hofe sichert der Nachwelt den eigenen Namen. Angst vor dem Vergessenwerden scheint auf eine versteckte Angst vor dem Tod hinauszulaufen. Die Rolle, welche Gedächtnis und Erinnerung in diesem Zusammenhang spielen, ist bereits hinreichend beschrieben worden und braucht hier nicht mehr eigens ausgeführt zu werden.409 Wie erfolgt nun die Lösung des recht komplexen Konfliktes? Der Autor hat wohltuenderweise auf das übliche Schema der Vergeltung, der Rache etc. verzichtet und damit einer Prononcierung der Frauenrollen vorgearbeitet. Es sind die beiden Ehefrauen, welche die für den Ehemann völlig verfahrene Situation klären. Dem eigentlich Schuldigen, dem Minister Niu, bleibt die Schmach der Bloßstellung erspart. Er avanciert nicht etwa zum Bösewicht des Stückes, sondern zeigt sich, in der Auseinandersetzung mit der Tochter unterlegen, als einsichtig und erwirkt so den Segen des Kaisers für die Ehe zu dritt und für die Heimkehr zu den Gräbern der inzwischen verhungerten Eltern. Damit es aber zu dieser Wandlung bei den beiden mächtigsten Vertretern des Reiches kommen kann, hat sich Zhao Wuniang gegen alle Etikette auf den Weg zu machen und nach ihrem Mann zu suchen. Dieser ungeheuerliche Akt wird in seinem vollen Ausmaß erst verständlich, wenn man bedenkt, daß der Minister von seiner Tochter fordert, die Zofen auf keinen Fall auch nur in den Garten des umfriedeten Anwesens zu ihrer Kurzweil gehen zu lassen. Natürlich wird der Aufbruch der ersten Gattin durch objektive Umstände ermöglicht bzw. erwirkt. Die Schwiegereltern sind verhungert, und auch sie selbst hat nichts zu essen. Doch nach damaliger Vorstellung wäre es ihre Pflicht gewesen, daheim zu bleiben und um des guten Namens willen zu verhungern! So sahen das auch spätere Zuschauer bzw. Leser. Selbst als Zhao Wuniang zuvor um der noch lebenden Schwiegereltern wegen um Reis betteln geht, wird ihr unmißverständlich vom zuständigen Beamten gesagt, sie wäre besser daheim geblieben.410 Die günstigen Umstände, die zu einem zufälligen Zusammentreffen erst im Tempel, dann im Anwesen führen, sollen hier nicht zur Sprache gebracht werden, sie fallen zu sehr in das genannte Schema deus ex machina. Überzeugender dagegen ist der geschickte Gebrauch von Leitmotiven. Darunter ist das bekannteste der Vergleich des Mannes mit einem Reiskorn und der der (Ehe-)Frau mit einer 409

410

Vgl. z.B. HANS-GEORG MÖLLER: »Erinnern und Vergessen. Gegensätzliche Strukturen in Europa und China«, in: Saeculum 50 (1999), S. 235–246. Auf S. 239–241 behandelt der Autor auch die Frage der Ahnen. Vgl. GAU MING: Die Laute, S. 188f.; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 157; MULLIGAN: The Lute, S. 135.

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Gao Ming: Die Laute

Reishülse. Während Cai Bojie in der Hauptstadt gut zu essen hat, kann Zhao Wuniang sich nur von dem ernähren, was die Schwiegereltern ohne ihr Wissen als Reste hinterlassen. Und so lesen wir denn in dem 21. Aufzug unter dem deutschen Titel »Die Spreugattin« und unter dem chinesischen Titel »Zaokang zi yan« (eig. sich persönlich an Spreu sattessen) die folgende Klage:411 Sie sagt zu dem Reisabfall in der Schüssel O du Reisspreu, ich muß dich essen… […] Sie singt Ich brachte auf der Eltern Tisch Das letzte Reisgericht. Ich eilte, Gemüse zu kaufen und Fisch Und hatte die Mittel doch nicht! Die Mutter grämte zu Tode sich Und hat sich bitter beklagt. Ich besorge ganz im Geheimen für mich Etwas Besseres, hat sie gesagt. O, könnte sie diese Schüssel sehn[,] Ihr Haß würde Mitleid und Schmerz! Doch des Elends Wahrheit ihr einzugestehn, Ich bringe es nicht übers Herz! Sie sagt O, du Reisspreu, wie kann ich dich hinunterwürgen? Sie versucht zu essen, spuckt aber die Speise wieder aus. Sie singt Ob der Hunger auch quält, Ich kann dich, o, Spreu, Nie und nimmer genießen! Wie zugeschnürt ist Die Kehle mir. Die Tränen fließen Ungezählt, Immer neu! 411

Unter Verwendung der heutigen Umschrift zitiert nach GAU MING: Die Laute, S. 227–229; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 166–168; MULLIGAN: The Lute, S. 156– 159.

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DAS DRAMA DER YUAN-ZEIT IN EINZELDARSTELLUNGEN Du Spreu, du bist Gemartert wie ich: Man hat dich gerieben Zwischen harten Steinen, Man warf dich beim Sieben In Schmutz und Staub. Du wurdest zum Raub Unzähliger Plagen. Mein Los ist nicht besser. In gleicher Weise Wie du bin ich Getreten, geschlagen! Ach, bitter die Speise Und bitter der Esser! Darum zwinge ich mich, Will den Ekel vergessen, Damit ich dich schlinge… Doch, wie ich mich zwinge … Ich kann dich nicht essen! Vater Cai und Mutter Cai treten heimlich auf und beobachten Wuniang. Wuniang singt Sie waren vereint vom Ursprung her, Das Korn und die Spreu; sie sind es nicht mehr. Das grausame Sieb, das kein Mitleiden kennt, Hat die Spreu von dem kostbaren Korne getrennt. Die Spreu ist die Gattin, gering, nichts wert, Das Korn der Gemahl, der nicht wiederkehrt! Sie sagt Ja, mein Gemahl, du bist das Reiskorn….. Sie singt Man bewahrte das Korn an besonderem Ort….. Sie sagt Ja, ich bin die Spreu….. Sie singt Man bewahrte das Korn, und die Spreu warf man fort. Wie vermöchte die Spreu auch, den Hunger zu stillen, Wie die Tochter, des Sohnes Pflicht zu erfüllen! […]

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Gao Ming: Die Laute Vater und Mutter, zweifelt nicht! Ich bin In Wahrheit Eures Sohnes Spreugattin! [zaokang qishi]

Der Übersetzer scheint hier zum Teil etwas eigenwillig gezeilt zu haben. Er wird aber damit der Sache durchaus gerecht. Zhao Wuniang spricht aus ihrer Not. Ihre Rede hat etwas Gedrängtes. Dem trägt Hundhausen durch eine stakkatohaft wirkende Zeilung Rechnung. Der Verfasser erhebt die konkrete Beziehung von (Ehe-) Mann und (Ehe-)Frau zu etwas Zeichenhaftem. Dadurch gewinnen Reis und Spreu eine übertragene Bedeutung. Ursprünglich eine Einheit, werden sie durch Mühle und Sieb voneinander getrennt und werden auf diese Art neu bzw. anders gewertet. Die einstige Gleichheit wird aufgehoben: Die Schale, die das Korn zu schützen hat, ist nun nichts mehr wert. Die Frau ohne Mann ist von der Außenwelt abgeschnitten und zum Elend verurteilt. »Früher war Reis die Speise der Vornehmen.« So bringt der deutsch-amerikanische Sinologe und Soziologe Wolfram Eberhard (1909–1989) die Bedeutung dieser Nutzpflanze auf den Punkt.412 Falls wir für die damalige Zeit auch von einem ähnlichen Tatbestand ausgehen dürfen, wird verständlich, warum Cai Bojie in vornehmen Hause Reis genießen darf und warum Zhao Wuniang nicht. Somit ergibt sich mit Hilfe des materiellen und bildlichen Vergleichs nicht nur eine geschlechtsspezifische, sondern auch eine soziale Unterscheidung von Mann und Frau. Das wirkungsmächtige Bild des Reises hat übrigens auch noch ein chinesischer Gegenwartsautor in jüngster Zeit zu verwenden gewußt, um die Geschlechterbeziehung drastisch zu veranschaulichen.413 Wir haben – so scheint es – uns etwas über Gebühr bei der Interpretation unseres Theaterstückes aufgehalten. Und trotzdem ist noch nicht alles gesagt. Zu verweisen wäre noch auf einige Dinge, die einer eingehenderen Betrachtung würdig wären. Da ist zum Beispiel die Hilfe, die der eigentlich als mitleidlos verschrieene Himmel (cangtian bu xiang lian)414 durch die Entsendung eines »Schutzgeistes des Berges« (shanshen) gewährt, um Wuniang bei der mühseligen Bestattung der Schwiegereltern erfolgreich zur Seite zu stehen.415 Die Interaktion (ganying zhi li) zwischen Diesseits und Jenseits ist natürlich nur möglich, weil sich die Protagonistin hinreichend durch eine Tugend ausgezeichnet hat, welche ein »Geisterheer« (yinbing) auf den Plan zu rufen vermag und ihr dank einer Offenbarung Einsicht in ihr künftig notwendiges Tun gewährt. Aus religiöser Sicht ist besonders der letzte Aspekt von höchstem Interesse, liegt doch hier möglicherweise ein 412 413 414 415

WOLFRAM EBERHARD: Lexikon chinesischer Symbole, Köln: Diederichs 1983, S. 240. SU TONG (geb. 1963): Reis [Mi]. Deutsch von PETER WEBER-SCHÄFER, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1998. GAU MING: Die Laute, S. 128; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 140; MULLIGAN: The Lute, S. 97. GAU MING: Die Laute, S. 289–300; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 181– 186; MULLIGAN: The Lute, S. 194–199.

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DAS DRAMA DER YUAN-ZEIT IN EINZELDARSTELLUNGEN

christlicher Einfluß vor. Nachdem sie die Gunst des Himmels erfahren hat, räsoniert Wuniang nur ein wenig später wie folgt:416 Wenn auch Götter und Geister nicht begriffen werden können [guishen zhi dao, sui ze nan ming], ihr Walten zwingt uns, an sie zu glauben [zhi li, weichang bu xin, eig. es kann kein Zweifel an einer Interaktion bestehen]. Als ich gestern allein in den Bergen das Grab meiner Eltern bauen wollte und müde einschlief, da erschien mir im Traum ein Geist [shenren]. Er sagte, er sei der Schutzgeist des Berges [dangshan tudi]; er habe seine Geisterscharen [yinbing] aufgeboten, um mir zu helfen. Und er gebot mir, zur Hauptstadt zu reisen und meinen Gatten zu suchen.

Einen möglichen christlichen Einfluß hier anzusetzen, ist deswegen nicht ganz so abwegig, weil die Pax Mongolica nach Jahrhunderten der natürlichen Abgeschlossenheit wieder Kontakte mit Rom erlaubt hatte. Wie dem auch sei, das Religiöse spielt gleichfalls in diesem Stück keine untergeordnete Rolle, ja, es macht den Fortgang der Handlung erst möglich, so daß sich vom Himmel vielleicht gar als Leitmotiv reden ließe. Unter den vielen Leitmotiven wäre weiter das Leitmotiv der Musik zu nennen. Auf der Hand liegt die Sache mit der Laute, die Wuniang ermöglicht, in der weiten Welt ihr Leid zu klagen und nach ihrem Mann zu suchen. Doch künstlerisch überzeugender ist die Episode mit dem »Harfenspiel« (qin, eig. Zither) unseres Protagonisten. Cai Bojie leidet in der neuen Ehe an Ennui, die sich in reiche Ausdrücke der Melancholie kleidet. Auch hier hat Hundhausen vorzüglich eingedeutscht.417 Mit Hilfe einer Langbrettzither verschafft sich der Held zusätzlich Linderung. Er verspielt sich jedoch vor Heimweh ständig, so daß die neue Gattin bald merkt, daß mit ihrem Gemahl etwas nicht stimmen kann. Als ginge es darum, eine mystery story zu entwirren, dringt sie durch Fragen solange in ihn, bis sie seine »innersten Gefühle« (zhongqing) erkannt hat. 418 Hier gelingen dem Verfasser ergreifende Momente: auf der einen Seite ein depressiver (men) Ehemann, auf der anderen Seite eine geduldige Ehefrau, die ohne Ängstlichkeit den Dingen auf den Grund gehen möchte, um so nicht nur die Situation verstehen, sondern um auch dem Partner helfen zu können. Obwohl nur ein Stück Literatur, so läßt sich dennoch einmal mehr auch hier ein Beleg für die deutliche Überlegenheit der chinesischen Frau gegenüber dem chinesischen Mann finden. Die Frau steht ihren Mann, wie man so schön im Deutschen sagt, und in diesem Zusammenhang von vielleicht 416

GAU MING: Die Laute, S. 312; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 189; MULLI-

GAN: The Lute, S. 206. 417 GAU MING: Die Laute, S.

237; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 170; MULLI-

GAN: The Lute, S. 163. 418 GAU MING: Die Laute,

S. 323–333; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 192– 194; MULLIGAN: The Lute, S. 213–218.

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Gao Ming: Die Laute

epochaler Bedeutung ist die Kritik, welche nicht nur die Tochter, sondern auch eine Dienerin am Verhalten des Ministers Niu wagt, so daß dieser sich zur Einsicht gezwungen sieht!419 Ein Dialog, wie zwischen Madame (xiaojie) Niu und Cai Bojie geführt, dürfte nicht nur in der chinesischen Literaturgeschichte eine Ausnahme darstellen, sondern auch in Europa erst sehr spät mit einer solchen Intensität und mit einer solch psychologischen Raffinesse nachweisbar sein. Hundhausen hat dieses dreißigste Kapitel unter die merkwürdige Überschrift »Das Forschen der Liebe« gestellt. »Xianxun zhongqing« bedeutet soviel wie jemanden genau beobachten und befragen, so daß zutage tritt, was er auf dem Herzen hat. Im deutschen Titel schwingt jedoch etwas mit, was nicht unterschätzt werden sollte: die Liebe und das Verständnis einer Frau gegenüber einem in Verlegenheit befindlichen Mann. Es ist deshalb so wichtig darauf hinzuweisen, weil durch diese Erkenntnis die einst vom Vater aus Vernunftgründen geschlossene Ehe plötzlich zu einer echten Liebesangelegenheit wird und dadurch dem herkömmlichen Bild widerspricht, daß Paare in der chinesischen Tradition nur als Produzenten von Nachwuchs anzusehen waren. Mit Verweisen wie den obigen, zu denen auch noch die symbolträchtige Sache mit dem Haaropfer420 gehören würde, gerieten wir leicht in die Gefahr, eine Monographie über Die Laute statt allgemein eine Geschichte über das chinesische Drama zu schreiben. Die ausführliche Deutung war aber exemplarisch notwendig, da nur auf diesem Wege gezeigt werden konnte, wie tiefsinnig ein Bühnenspiel in China auch als rein literarischer Lesetext zu sein vermag. Hier, denke ich, liegt noch ein großer Nachholbedarf vor.

419

420

Vgl. GAU MING: Die Laute, S. 155ff., 335ff., 348, 436, 438; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 148f., 195ff., 200, 221; MULLLIGAN: The Lute, S. 115ff., 220ff., 228f., 272ff. GAU MING: Die Laute, S. 271ff.; WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 179ff.; MULLIGAN: The Lute, S. 184ff.

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Teil IV Die Romanze der Ming-Zeit (1368–1644): chuanqi und Kunqu

Die Laute wird allgemein als ein Theater des Übergangs von der Yuan- zur MingZeit, vom zaju zum chuanqi hingestellt, doch was das Charakteristikum Übergang konkret bedeuten soll, verrät die Sekundärliteratur weniger. Gleichwohl ging von diesem Stück damals noch keine unmittelbare Signalwirkung aus. Das hätte auch gar nicht der Fall sein können. Wir dürfen uns nämlich nicht vorstellen, daß mit dem Beginn einer neuen Dynastie unverzüglich keine »Mongolendramen« mehr und nur noch »Romanzen« geschrieben wurden. Der Entwicklungsprozeß verlief durch die Geschichte bedingt sehr viel langsamer. Aus historischen Gründen gab es nämlich für die Entwicklung des Theaters einen herben Rückschlag. 421 Die Vertreibung der Mongolen, die Errichtung von Garnisonen im Norden, die Umsiedlung von Bevölkerungsteilen, die Resinisierung der neuen Dynastie nach dem Vorbild der Song-Dynastie, all dies hatte entsprechend auch zu wirtschaftlichen und finanziellen Einbußen geführt. Es ging des weiteren vornehmlich um die Stärkung der konfuzianischen Moral, um die Absicherung der Staatsexamina und nicht so sehr um etwaige Unterhaltung. Überdies ließ ein Verbot von Begegnungen der Beamtenschaft mit Schauspielerinnen, erlassen im Jahre 1428, das Abfassen von Dramen wenig angelegen erscheinen. Die Situation sollte sich erst um 1500 zum Besseren wenden. Es ist nicht vor dieser Zeit, daß das Südliche Spiel auf der Bühne im Süden die Führung übernahm und das nördliche Spiel im Norden im wahrsten Sinne des Wortes von der Bühne abtrat und nur noch als literarische, das heißt schriftliche Form, vielleicht als eine Art Übung oder Zeitvertreib, weitergepflegt wurde. Seine letztliche Überlieferung war nicht selten ganz in die Hände von reichen Beamten wie Li Kaixian (1501–1568) gegeben, die ihr Geld und ihre Zeit für den Erwerb von Mongolendramen einsetzten, diese redigierten und publizierten.422 421

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Kurz und bündig hierzu WILT L. IDEMA: »Stage and Court in China: The Case of Hung-wu’s [d.i. Hongwu] Imperial Theatre«, in: Oriens Extremus 23 (1976), S. 177f. Auch im folgenden beziehe ich mich auf diesen Aufsatz, ohne das eigens anzuführen. Li Kaixian, jinshi von 1529, der ein eigenes Theaterensemble unterhielt, hat unter dem Einfluß des zaju auch drei Romanzen geschrieben, von denen Das Wunderschwert (Baojian ji, 1547) mit seiner Szene »Flucht bei Nacht« noch heute gern aufgeführt wird. Das repräsentative Stück, welches als die erste realistische Romanze der Ming-Zeit angesehen wird, ist dem Roman Die Räuber vom Liang Schan Moor (Shuihu zhuan) nachgeschrieben und neben vielen anderen Theaterstücken immer wieder gern in dem Roman Kin Ping Meh (Jin Ping Mei, 1617) verarbeitet, s. KATHERINE CARLITZ: The Rhetoric of Chin p’ing mei., Bloomington: Indiana UP 1986, S. 95–127. Zum dramatischen Werk des Li Kaixian s. HUNG: Ming Drama, S. 128–132; LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 3, S. 248–253. Zu kommentierten Auszügen aus seinem Werk s. JIANG XINGYU u.a. (Hg.): Ming-Qing chuanqi jianshang cidian [Vademecum zur Romanze der Ming- und Qing-Zeit], Bd. 1, Schanghai: Shanghai Guji 2004, S. 174–190. Zu seiner Herausgeberschaft von Yuan zaju s. IWAKI HIDEO: »Genealogy of Yüan-ch’ü [d.i. Yuanqu = Yuan Drama] Admirers in the Ming Play World – Classic Consciousness of Li K’ai-hsien [d.i. Li Kaixian], Hsü Wei [d.i. Xu Wei], T’ang Hsien-tsu [d.i. Tang Xianzu] and Tsang Mao-hsün [d.i. Zang Maoxun]«, in: Acta Asiatica 32 (1977), S. 14–33.

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DIE ROMANZE DER MING-ZEIT: CHUANQI UND KUNQU

Eine solche Nachzeichnung des historischen Verlaufes dürfte im großen und ganzen ihre Richtigkeit haben, doch wäre ein solcher Verlauf zu vereinfacht erfaßt, wenn es nicht den einen oder anderen Umstand geben würde, der zunächst widersprüchlich wirken mag, ohne letztlich widersprüchlich sein zu müssen. Wir hatten oben schon von der Vorliebe des Dynastiegründers zur Laute gehört. Also kann das Theater bis zu dem genannten Zeitpunkt einer neuen Blüte nicht ganz aus der Welt gewesen sein. Und so ist es denn auch bei genauer Hinsicht, wobei sich einige Neuerungen andeuten, die wesentlich mit der Kontrolle der Unterhaltungsbranche zu tun haben. Im 14. Jahrhundert gab es bei Hofe noch keine stehende Bühne, dafür aber in jeder (größeren) Stadt und sogar auf dem Lande. Bespielt wurden sie mal von festen Truppen, so in den Großstädten, mal von Wandertruppen, die Familienunternehmen waren, so daß auch Kinder zu den Schauspielern zählten. War man nicht ansässig, so zog man gleichsam von Fest zu Fest und verweilte länger nur in stehenden Häusern. Diese Wandertruppen waren auch privat einzuladen, sei es in Restaurants oder nach Hause, sei es zu den Banketten von Beamten.423 Das heißt, es gab damals noch keine festen privaten Theaterensembles weder bei Hofe noch bei den Reichen. Diese kamen erst unter den Kaisern der Ming-Dynastie auf, weshalb sich das Schauspiel zunächst ans Herrscherhaus zu verlagern begann. Dort scheint es allerdings keine Vormachtstellung innegehabt zu haben, denn es gab auch in der damaligen Haupstadt Nanking ein öffentliches Kaiserliches Theater (Yugoulan), in welchem der Kaiser seinen festen Sitzplatz hatte. Dies galt zumindest für die Ära Hongwu (1368–1398).424 Erst mit der Verlegung der Hauptstadt nach Peking verschwand diese von Soldaten bewachte und vom Kaiserlichen Amt für Aufführungswesen (Jiaofangsi, seit 1367) überwachte Einrichtung, sie kam nicht vor dem Ende des 17. Jahrhunderts unter den Mand423

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TANAKA ISSEI: »The Social and Historical Context of Ming-Ch’ing [d.i. Qing] Local Drama«, in: JOHNSON u.a. (Hg.): Popular Culture in Late Imperial China, S. 143–160, unterscheidet schematisch für die Ming- und Qing-Zeit drei Truppen für Aufführungen an drei Orten: 1. Auf den Tempelmärkten, von Geheimgesellschaften dominiert, wirkten die heshi yueren, »die [ziehenden] Musiker von den Strömen und den Märkten«, die Ritter- und Liebesgeschichten aufführten. 2. Auf dem Lande, von Gentry und Volk gefördert, waren die bendiban gefragt, die halbfesten »Lokaltruppen«. 3. In den Ahnenhallen der Clans waren nach 1600 die in der Stadt fest ansässigen waijiangban, »die auswärtigen Truppen«, anzutreffen, die zur Hebung der Moral in der Familie beizutragen und für die Götter zu spielen hatten. Ich führe diesen sehr lesenswerten Beitrag (z.B. These von Spielen zur Bekräftigung der Schwurgemeinschaft oder These zum Einfluß der Sponsoren, baotouren, auf die Gestaltung der Spiele) nur deswegen in der Fußnote an, da ich inhaltlich meine Zweifel habe, Zweifel, die geteilt werden von WILT L. IDEMA: »The Ideological Manipulation of Traditional Drama in Ming Times. Some Comments on the Work of Tanaka Issei«, in: CHUN-CHIEH HUANG u. ERIK ZÜRCHER (Hg.): Norms and the State in China, Leiden u.a.: Brill 1993 (= Sinica Leidensia; XXVIII), S. 50–70. Zur Geschichte und zum Hintergrund dieses ersten öffentlichen Theaters in China s. IDEMA: »Stage and Court in China.«, S. 175–189. Manche der hiesigen Erkenntnisse wiederholen sich in späteren Arbeiten des Autors!

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schuren wieder auf. Besagtes Amt für Aufführungswesen hatte damals in Nanking die gesamte Unterhaltung zu leiten, und das heißt auch, zu kontrollieren. Nicht nur zur Überwachung, sondern ebenso zur Auffüllung der Staatskassen scheint die Errichtung einer Unterkunft für Schauspieler namens Fuleyuan (frei: Hort der Fülle und Freude) gedacht gewesen zu sein. Hier hatten nämlich nur reiche Kaufleute Zutritt, die sich unter den Schauspielern ihre Liebchen gesucht haben dürften. Für die Beamten dagegen gab es zur Vergnügung und Zerstreuung die staatlichen sogenannten sechzehn Weinhäuser, die ebenfalls unter besagter Obhut standen. Die oben angedeutete Widersprüchlichkeit läßt sich also folgendermaßen ausräumen: Das Theater als Teil des Vergnügungssektors hatte durch staatliche Maßnahmen gelenkt werden müssen, um zum einen bei der allgemeinen großen Nachfrage entsprechende Aufführungen für den Hof sicherzustellen und um zum anderen die Beamtenschaft besser auf eine moralische Lebensführung verpflichten zu können.

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1. Zhu Youdun (1379–1439) Aus all den genannten Gründen nimmt es nicht wunder, daß der wichtigste Dramatiker der damaligen Zeit selber Angehöriger des Herrscherhauses war: Zhu Youdun (1379–1439) war kein geringerer als der Enkel des Dynastiegründers und der Neffe des Theatermannes Zhu Quan425 (1378–1448). Er war also nicht nur Dramatiker, sondern auch ein Prinz, ja, ein Militär, er, der mit seinen 31 zwischen 1404 und 1422 bzw. zwischen 1429 und 1439 verfaßten Stücken auch die Bedürfnisse des Hofes nach theatralischen Dingen zu befriedigen hatte. Das für uns zunächst Interessante und Wichtige ist die Tatsache, daß er nicht etwa »Romanzen«, sondern ausschließlich »Mongolendramen« verfaßt und dabei eine große Vorliebe für ein Remake alter – in seinen Augen oftmals verbesserungsbedürftiger – Vorlagen gezeigt hat. Wiewohl zu ihm inzwischen eine reiche Sekundärliteratur vorliegt, so ist er dennoch kaum eigenständig übersetzt oder literaturwissenschaftlich analysiert worden.426 Und das hat einen einfachen Grund. Trotz seines großen Erfolges während der gesamten Ming-Zeit, der auf der guten Spielbarkeit seiner Werke beruhte, war er kein besonders origineller Theatermann. Das Interesse an ihm verdankt sich daher anderen Umständen. Er ließ nämlich alle Stücke bereits zu Lebzeiten drucken und verfaßte zu 22 von ihnen ein Vorwort mit Datum, um den Anlaß der jeweiligen Abfassung deutlich zu machen. Er ist somit der erste Dramatiker in China, dessen künstlerischer Entwicklungsweg klar nachvollzogen werden kann, und der erste, der auch ein nachdenkliches Verhältnis zum Theaterschaffen gehabt hat und dementsprechend als erster über einzelne überkommene Werke hat reflektieren können. Überdies hat er als erster die in Prosa zu haltenden 425

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Da es zu ihm als Theatermacher kein zusammenhängendes Material in westlicher Sprache zu geben scheint, sei abermals auf NIENHAUSER (Hg.): The Indiana Companion to Traditional Chinese Literature, S. 329f., verwiesen. Dieses Kompendium hat auch ansonsten in Sachen Theater viel zu bieten. – Zur Theatertheorie des Zhu Quan s. FEI (Hg.): Chinese Theories of Theater and Performance, S. 42–45. Zu einer kurzen Würdigung s. HUNG: Ming Drama, S. 86, 93f. Zu Zhu Quan als Militär s. KAI FILIPIAK: Krieg, Staat und Militär in der MingZeit (1368–1644). Auswirkungen militärischer und bewaffneter Konflikte auf Machtpolitik und Herrschaftsapparat der Ming-Dynastie, Wiesbaden: Harrassowitz 2008 (= opera sinologica; 22), S. 102–107. So vor allem WILT L. IDEMA: The Dramatic Oeuvre of Chu Yu-tun [d.i. Zhu Youdun], Leiden: Brill 1985 (= Sinica Leidensia; XVI); IDEMA u. WEST: Chinese Theater 1100–1450, S. 340–425. Einzig in letzterem Titel finden sich auch Übersetzungen, auf die noch verwiesen werden wird. Viele der weiteren, hier nicht anzuführenden Beiträge von IDEMA, wie z.B.: »Emulation through Readaptation in Yüan [d.i. Yuan] and Early Ming Tsa-chü [d.i. zaju]«, in: Asia Major Third Series 3 (1990), S. 100–128, sind oftmals repetitiv. Aus verständlichen Gründen zieht der Verfasser die Nacherzählung einer literaturwissenschaftlichen Analyse und Bewertung der Stücke vor. Zu einem Abriß nebst Textauszügen s. HUNG: Ming Drama, S. 58–66.

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Dialoge fast komplett ausgeführt und nicht den Schauspielern zur Improvisation überlassen. Darüber hinaus finden sich in seinen Stücken auch noch seine eigenen Regieanweisungen. 427 Die für den weiteren Verlauf des chinesischen Theaters vielleicht wichtigste Verschiebung, die mit dem Namen unseres Stückeschreibers verbunden werden kann, ist vom Fachmann Wilt L. Idema folgendermaßen auf den Punkt gebracht worden:428 Das umfassende dramatische Werk des Zhu Youdun kann als der unvermeidliche Kulminationspunkt einer Entwicklung verstanden werden, welche das zaju vom volkstümlichen Drama zur höfischen Unterhaltung führte.

Das chinesische Theater wurde demgemäß also erst mit unserem Autor im eigentlichen Sinne des Wortes hoffähig! Und weiter wichtig: Als zaju wurde es durch ihn und durch seinen Onkel künstlerisch zu einem Abschluß gebracht. Nur noch dem bereits oben erwähnten und gut hundert Jahre später auftretenden Gesamtkünstler Xu Wei 429 wird eine vergleichsweise hohe Meisterschaft in Sachen »Mongolendrama« nachgesagt. Die Innovationen in seinen vier unter dem Titel Die vier Rufe des Affen (Si sheng yuan)430 zusammengefaßten Stücken, die im 16. Jahrhundert sehr beliebt waren, später aber nicht mehr, gehen jedoch so weit, daß sich eigentlich nicht mehr in jedem Fall streng von einem zaju reden läßt. Drei der Spiele haben nämlich nur einen einzigen Akt bzw. nur zwei Akte. Xu Wei, der 427

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Zu diesen genannten Dingen s. WILT IDEMA: »Zhu Youdun’s Dramatic Prefaces and Traditional Fiction«, in: Ming Studies 10 (1980), S. 17–37; 11 (1980), S. 45; DERS.: »Chu Yu-tun [d.i. Zhu Youdun] as a Theorist of Drama«, in: KRAMERS (Hg.): China: Continuity and Change, S. 223–263. Unter Verwendung der heutigen Umschrift übersetzt nach IDEMA: The Dramatic Oevre of Chu Yu-tun, S. 32. Zur Biographie dieses Literaten, der es in seinem unglücklichen Leben nur bis zum Bakkalaureus (xiucai) gebracht hat, s. CARRINGTON u. FANG (Hg.): Dictionary of Ming Biography, Bd. 1, S. 609–612. Trotz seiner Bedeutung fällt die Sekundärliteratur zu Xu Wei merkwürdig blaß aus. Enttäuschend ist z.B. der doch recht umfangreich angelegte Eintrag zu seinem theatralischen Schaffen bei XU ZIFANG: Ming zaju shi [Geschichte des Mongolendramas zur Ming-Zeit], Peking: Zhonghua Shuju 2003, S. 248–268. Ähnliches gilt für HUNG: Ming Drama, S. 74–79. Einzig WILT L. IDEMA: »Female Talent and Female Virtue: Xu Wei’s Nü Zhuangyuan and Meng Chengshun’s Zhenwen ji«, in: HUA WEI u. WANG AILING (Hg.): Ming-Qing xiqu guoji yantaohui lunwenji, Bd. 2, S. 551–571, kommt uneingeschränkt zu einer positiven Wertung! Daselbst findet sich neben vielen Details mancher Hinweis auf weitere Sekundärliteratur. Zwei seiner Stücke finden sich abgedruckt in der wohlfeilen Ausgabe GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 2, S. 541–551 (Kuang guli, Der verrückte Trommler), S. 553–562 (Ci Mulan, Das Mädchen Mulan). Zur Übersetzung des ersten Stückes s. JEANETTE FAUROT: »Hsü Wei’s [d.i. Xu Wei] ›Mi Heng‹: A Sixteenth-Century Tsa-chü [zaju]«, in: Literature East & West 17 (1973), S. 282–304. Zur Deutung des Titels Die vier Schreie s. HUNG: Ming Drama, S. 76. Zu kommentierten Auszügen aus den Stücken des Xu Wei s. SUO JUNCAI (Hg.): Zhongguo gudian xiqu mingzhu shiping [Das klassische chinesische Theater: Kommentar zu berühmten Stücken], Hohhot: Neimenggu Daxue 2006, S. 255–273.

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sich durch sein Bühnenwerk insbesondere für die Rechte der Frauen stark machte, ja, sie sogar als den Männern überlegen hinstellte, sah den herkömmlichen Vierakter nebst Prolog nicht mehr als zeitgemäß an. Man spricht daher in seinem Fall vom südlichen »Mongolendrama« (Nan zaju). Südlich u.a. deshalb, weil er aus Shaoxing stammte und dort auch wirkte. Heute befindet sich daselbst immer noch seine bescheidene Bleibe, die nun als Gedenkstätte hergerichtet ist. Er selbst hat sich übrigens aus didaktischen Gründen für ein Theater ausgesprochen, das allen, einschließlich »Sklaven und Frauen«, verständlich war!431 Man unterteilt das dramatische Werk des Zhu Youdun gemeinhin in zwei große Gruppen. Da sind einmal die Kostümstücke, und da sind zum anderen die »Staatsstücke«; das eine diente der Unterhaltung, das andere der Unterweisung. Insofern ließe sich der Weg des Zhu Youdun als ein Weg vom Vergnügen zur Moral beschreiben. Besagte Kostümstücke wurden anläßlich von höfischen Festen geschrieben und kamen dem nahe, was wir heute unter einer Revue verstehen. Sie dienten neben Blütenschaun und Zeremonien vor allem zur Feier von Geburtstagen432, bei denen auch um langes Leben gebetet wurde. Diese Gelegenheitsarbeiten, auch Palaststücke genannt, haben oftmals einen religiösen Hintergrund, der mal taoistischer, mal buddhistischer, mal exorzistischer (Nuo) Natur sein konnte. Ihr literarischer Wert wird heute als gering angesehen, da das eulogische Element – nämlich das Lob des Kaiserhauses – das ästhetische klar überlagert. Wir haben es hier – der Tendenz der Zeit entsprechend – oftmals mit einer Propaganda zu tun, welche die Bühne, über eine moralische Anstalt hinausgehend, zu einem Propagandaapparat macht.433 Gleichzeitig wären sie eine Fundgrube für Religionswissenschaftler. Ihr Verfasser war nämlich praktizierender Vertreter der taoistischen Alchemie und bevölkerte seine Stücke, die von Erlösung und Unsterblichkeit handeln, so sehr mit Göttergestalten, daß die Schauspieler zu Göttern wurden und das Theaterspiel einem religiösen Ritus gleichkam. Zu denken wäre hier zum Beispiel an das auch von der Sekundärliteratur gut aufgenommene Spiel »Die Granatapfelfee« (Haitangxian) von 1439.434 Dies ist das letzte Stück des Verfassers. Ein Jahr zuvor hatte er mehr als dreißig Granatapfelbäume vom Taihang-Gebirge in das Anwesen des Palastes verpflanzen lassen. Zum Preis der Blüten verfaßte er dieses taoistische Märchen. Es handelt von dem Umzug einer personifizierten Blüte vom Land in 431 432

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HUNG: Ming Drama, S. 97f. IDEMA: The Dramatic Oeuvre of Chu Yu-tun, S. 68, weist auch darauf hin, daß seit der HanZeit Theatralisches die Begräbnisse zu begleiten pflegte, um die Seele von Verstorbenen heimzuführen! Zensur und Propaganda haben, so Colin Mackerras, s. MACKERRAS (Hg.): Chinese Theater, S. 5, das chinesische Theater zu allen Zeiten bestimmt. MANFRED PORKERT: »Das chinesische Theater und sein Publikum«, S. 184, spricht ähnlich von einem »Gebrauchstheater« mit »Gebrauchs- bzw. Programmusik«. Zur Inhaltsangabe s. IDEMA: The Dramatic Oeuvre of Chu Yu-tun, S. 105–108. Zum Original, für das es bisher keine Übersetzung gibt, s. Guben Yuan-Ming zaju, Taipeh: Taiwan Shangwu 1971, Bd. 4, 9 S. ohne durchgehende Paginierung und ohne das Vorwort.

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den Kaiserpalast und von ihrer Heirat mit der personifizierten Unsterblichkeit höchstpersönlich, so daß sie ebenfalls zu einem unsterblichen Wesen bzw. zu einer Fee (xian) avanciert. Für den Verfasser war eine Blüte jedoch mehr als ein schönes Geschenk der Natur, sie war ein Zeichen des Friedens in großer Zeit, die einzig eine wahre Gartenschau erlaube, und sie stand beispielhaft für die hohe Tugend bzw. für den edlen Menschen. Zhu Youdun glaubte übrigens tief und fest an unsterbliche Wesen! Im Gegensatz zu den Kostümstücken verdanken sich die »Staatsstücke« keinesfalls äußeren Anlässen, sondern dem künstlerischen Bemühen, Loyalität bei Hofe und in der Öffentlichkeit als hohe und allgemein verpflichtende Tugend in Szene zu setzen. Hierzu war auch ansonsten die Bühne in der damaligen Zeit der bevorzugte Ort.435 Ich nenne Spiele wie diese deswegen staatstragende Stücke, weil sie nicht dem Augenschmaus dienten, sondern beispielhaft das vermitteln sollten, was als die Grundlage einer jeder guten Staatsordnung angesehen wurde. Da die Ming-Dynastie als die despotischste Dynastie des gesamten chinesischen Kaisertums angesehen wird, kann man sich leicht ausmalen, daß die vom Kaiser eingeforderte Loyalität eine Sache auf Leben und Tod war. Auf die Politik der verbrannten Bücher und der Auslöschung ganzer Familien haben wir oben schon hingewiesen.436 Dem Ernst angemessen wurde dementsprechend von Zhu Youdun auf drei Dinge besonders sorgfältig geachtet, auf den Plot, auf den Dialog und auf eine Aufführbarkeit, die keiner besonderen äußerlichen Ausstattung bedurfte. Überraschenderweise wird die Loyalität hauptsächlich durch Kurtisanen bzw. Konkubinen vertreten, die in ihrer offen bekundeten Liebe zu einem Mann keine Pflicht, sondern eine Wahlmöglichkeit sehen. 437 Zhu Youdun war nämlich der Ansicht, daß die hohe Moral von ihnen bestens gepflegt wurde! Er ließ sich dabei immer wieder von historischen Fakten leiten, die er der Literatur, der Geschichte oder aber auch der Gegenwart entnahm. Diese übernahm er nicht etwa unbesehen, sondern geprüft, um so seine vorbehaltlose Bewunderung und sein didaktisches Anliegen untermauern zu können. Als Erklärung für ein solches Verfahren bieten sich zwei Thesen an: Intrigen und Ränken waren seinerzeit am Hofe gang und gäbe. Viele Menschen fielen damals selbst innerhalb der kaiserlichen Familie den Machtgelüsten der eigenen Verwandtschaft zum Opfer. Zhu Youdun scheint daher 435

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Vgl. hierzu KIMBERLY BESIO: »Zhuge Liang and Zhang Fei: Bowang shao tun and Competing Masculine Ideals within the Development of the Three Kingdoms Story Cycle«, in: KIMBERLY BESIO u. CONSTANTINE TUNG (Hg.): Three Kingdoms and Chinese Culture, Albany: State University of New York Press, S. 73–86. Zu den entscheidenden Daten und Taten von 1373 und 1412 macht JOHN Y.H. HU [d.i. Hu Yaoheng]: »Ming Dynasty Drama«, in: Colin MACKERRAS (Hg.): Chinese Theater. From Its Origins to the Present Day, Honolulu: University of Hawaii Press 1983, S. 61f., gute und knappe Ausführungen. PORKERT: »Das chinesische Theater und sein Publikum«, S. 193, verallgemeinert diesen Tatbestand zu seiner erstaunlichen These, daß auf der chinesischen Bühne die Frauen eher als tugendhaft und die Männer eher als lasterhaft dargestellt werden.

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bewußt den Weg der Kunst statt den der Politik gewählt zu haben. Und da an den Verschwörungen eher Männer beteiligt waren, bot sich das Ideal der Märtyrerin als Gegenbild und Vorbild für Rechtschaffenheit und Loyalität geradezu an. Loyalität (zhong) war eine der fünf konfuzianischen Tugenden, die besonders mit dem Neokonfuzianismus an Gewicht gewann. Wir dürfen hinter diesem Trend nicht nur den Versuch sehen, den Hofbeamten enger an das Kaiserhaus zu binden, sondern auch das Bemühen, die Frauen sittsamer zu machen, beginnt doch mit der Song-Zeit nicht nur ein neues Verständnis des Konfuzianismus, sondern auch die Praxis der Verstümmelung von weiblichen Füßen, um Gattin wie Konkubine erotischer erscheinen zu lassen und sie gleichzeitig strikter ins Haus zu verbannen.438 Über die Rigorosität dieses Verfahrens konnte schon oben im Spiel von der Laute Auskunft eingeholt werden. Da im Werk des Zhu Youdun der General Guan Yu (160–219) ebenfalls eine wichtige Rolle spielt, läßt sich von einem Einfluß der sogenannten Kultur der Drei Reiche sprechen.439 Mit Die Drei Reiche (Sanguo yanyi, 1522) ist der Titel eines Romans von Luo Guanzhong (fl. 1364) gemeint, welcher der Verherrlichung von drei loyalen Schwurbrüdern, u.a. von Guan Yu, dient. Im Falle einer Frau wird das Prinzip der Loyalität auch mit dem Zeichen für Keuschheit (zhen) bezeichnet, doch ist Keuschheit hier umfassender zu verstehen. Es geht nicht nur um körperliche Treue über den Tod hinaus, sondern um das Unabdingbare einer inneren Haltung zu einer einmal über sich als »Herrn« anerkannten Person. Da kann und darf es kein Schwanken geben. Das höchste Gut ist nicht das Leben, das Leben ist nur ein Pfand, welches bedingungslosen Einsatz verlangt. Zhu Youdun hat insgesamt sechs Stücke über sogenannte Sängerinnen geschrieben. Wir könnten auch von Kurtisanen sprechen. Da sie notwendigerweise als Schönheiten darzustellen waren, gehörten sie ebenfalls in das Schema einer Begegnung von »talentiertem jungem Mann mit einer schönen jungen Frau« (caizi jiaren). Im Kontext von Zhu Youduns Werk jedoch gewinnt eine Schöne (jiaren) als Muster der Loyalität einen gänzlich anderen Charakter. Wichtiger noch als ihre Schönheit scheint ihr unbeugsames Wesen zu sein. Mag sich auch Schönheit von selbst verstanden haben, Treue bis in den Tod jedoch nicht. Dies macht der Autor eindringlich in seinem Stück von der »Frau, die erneut jedermanns Liebchen 438 439

S. hierzu die exzellente Studie von S. LEVY: Chinese Footbinding, New York: Walton Rawes 1966. Vgl. hierzu BESIO u. TUNG (Hg.): Three Kingdoms and Chinese Culture, S. vii–xiv. In einer Art Vorwort bringt hier Moss Roberts die Tugend der Loyalität und deren ethisches Umfeld kurz und bündig auf den Punkt. IDEMA: The Dramatic Oeuvre of Chu Yu-tun, S. 111ff, unterscheidet ebenso stringent die Tugenden der Loyalität und Pietät voneinander. Die Drei Reiche liegen seit langem in der deutschen, immer wieder aufgelegten Übersetzung von Franz Kuhn vor. Zur Deutung s. THOMAS ZIMMER: Der chinesische Roman der ausgehenden Kaiserzeit, Bd. 2/1 der Geschichte der chinesischen Literatur, hg. von WOLFGANG KUBIN, München: Saur 2002, S. 74ff.

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wird« (Fu luochang, 1433)440 klar, in welchem die ehemalige Kurtisane Liu Jin’er jeden Mann um des lieben Geldes wieder verläßt und schließlich dem alten Gewerbe nachgeht. Eindringlich klingt ihr Lied nach der Melodie Hunjianglong über das Los derer, die im Unterhaltungsgewerbe tätig sind. Wir verstehen so, wie schwierig es damals gewesen sein mag, sich nur einem einzigen Mann ganz und für immer zu widmen. Wir lesen fast zu Beginn des ersten Aktes:441 Sie tragen den Rang einer Frau als ihre Last, heißen neue Gäste willkommen, geleiten alte zur Tür, um der Kleidung, der Speise willen. Immer auf dem Weg ins Teehaus, ins Gasthaus, um den Herren gelegen zu sein. Sie umgarnen neue Lebemänner auf wackeligen Beinen wie Hase oder Lamm, sie führen Bankette aus mit Fladen und Lammrücken. Täglich sitzen sie in Reih und Glied im Theater, spielen Zither, schlagen Elfenbeinrasseln. Sie heißen Beamte willkommen, Gesandte, sie rühren die Trommel, spielen die Langflöte. Sie treffen Salzhändler, Teehändler, dienen ihnen mit ganzem Herzen. Sie erfüllen ihre Pflichten, singen, wenn gerufen, hingebungsvoll ihre Lieder. Falsche Eide, leere Versprechen gehören zu ihrem Stand. Sie heucheln Mitleid, geben sich unterwürfig, ihr Mund sagt ja, das Herz meint nein. In einer Frauenrolle haben sie ein güldenes Gewand zu tragen. Als Tänzerin kleiden sie sich bunt nach der Zeit. Als Spaßmacher mimen sie den Beamten mit ihren Stiefeln und Hüten. Als Clowns hoffen sie auf Gelächter, schmieren sich mit Erde, mit Staub ein. Heute beim Umtrunk bitten sie die Muskelmänner, schöne Gaben auszuteilen. Morgen setzen sie an der Hauptstraße bunt den Titel eines neuen Spieles auf. Wer uns als äffisches Inventar gesehen hat, wird zum Leopard, macht uns zur Beute.

Nun mag Loyalität aus westlicher oder feministischer Sicht nicht jedermanns Sache sein. Leicht ließe sich aus historischem Anlaß das Stichwort Nibelungentreue anführen oder auf Absurditäten der chinesischen (Geistes-)Geschichte verweisen, 440 441

IDEMA, WEST: Chinese Theater 1100–1450, S. 351–354 (Synopse), 358–387 (Gesamtübersetzung); IDEMA: The Dramatic Oeuvre of Chu Yu-tun, S. 153–158. Übersetzt nach ZHU YOUDUN: »Xuanpingxiang Liu Jin’er fu luochang [Liu Jin’er aus Xuanpingxiang wird wieder Kurtisane]«, in: YANG KELUO (Hg.): Quan Ming zaju, Bd. 3, Taipeh: Dingwen Shuju 1979, S. 1232. Von großer Hilfe war mir IDEMA u. WEST: Chinese Theater 1100–1450, S. 359f.

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etwa wenn Frauen in Not aufgefordert wurden, lieber zu sterben, als sich von einem unbescholtenen Mann retten zu lassen.442 Formen einer solchen Selbstverleugung um fragwürdiger Tugenden willen fallen heute schnell berechtigter Kritik anheim. Glücklicherweise läßt sich den Dramen des Zhu Youdun auch aus einer anderen Warte immer noch ein großes Interesse abgewinnen. Doch dazu später. Zunächst das Beispiel »Von Duftbeutel und Liebeskummer« (Xiangnang yuan, 1434).443 Hier geht es um zwei Liebende, die im Leben nicht zusammenkommen können. Zunächst begegnet uns das Theaterpersonal als das bekannte Arrangement festgelegter Typen. Da ist die schöne Kurtisane, da ist der talentierte junge Mann, da ist die geldgierige (Puff-)Mutter, da ist der strenge Vater. Halten wir für einen Moment inne und betrachten, was die Heldin zum Thema Geld nach der Melodie Hunjianglong zu sagen hat:444 Du behandelst Geld wie einen Verwandten. Kaum hast du ein paar Münzen gesehen, schon seid ihr die besten Bekannten. Geld ist deine große und kleine Schwester, Geld ist deine Schwägerin. Du ermutigst die geldgierigen Affen, die Festungen zu stürmen, Du pflegst die Geldsäcke zur Ergebung zu zwingen. Du fürchtest nicht, das viele Geld könne dir schaden. Du wartest, bis das Geld aufgebraucht ist, dann gehst du. Stets liebst du Reichtümer, Stets häufst du Schätze. Bist du einen Tag ohne Geld, so klagst du ohne Unterlaß. Ohne Geld wirst du gewitzt, mit Geld ist es gleich, ob du Affe bist oder Barbar.

Der Lauf der Dinge ist vorgezeichnet. Die Mutter, an welche diese Rede gerichtet war, will die Tochter an einen reichen Mann bringen, und der Vater will, daß der Sohn dem zweifelhaften Milieu abschwört. Schließlich begeht die Schöne, um ihre Treue zu beweisen, Selbstmord. Als sie eingeäschert wird, verbrennt einzig ihr Täschchen mit seinen schriftlichen Liebesbekundungen nicht. Dies mag wenig aufregend erscheinen. Doch es geht um mehr als nur Treue, es geht um die Idee 442

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Zu dem Extrem von Loyalität und Kannibalismus s. BARBARA MITTLER: »›My Older Brother is a Man-Eater‹. Cannibalism Before and After May Fourth«, 1919, in: HERMANN u. SCHWERMANN (Hg.): Zurück zur Freude, S. 643. IDEMA u. WEST: Chinese Theater 1100–1450, S. 354–356 (Synopse), 386–423 (Gesamtübersetzung); IDEMA: The Dramatic Oeuvre of Chu Yu-tun, S. 164–171. Übersetzt nach ZHU YOUDUN: »Liu Panchun shouzhi xiannang yuan [Liu Panchun hält die Treue oder Von Duftbeutel und Liebeskummer]«, in: YANG JIALUO (Hg.): Quan Ming, Bd. 3, S. 1186. Von großer Hilfe war mir erneut IDEMA u. WEST: Chinese Theater 1100–1450, S. 389f.

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Zhu Youdun

von der Unzerstörbarkeit der Liebe, um die Priorität von Loyalität gegenüber der Pietät. Kurtisanen waren damals oftmals Ernährer der Familie. Ihr Leben konnte daher doppelt bitter sein, einmal in ihrem Milieu, zum anderen daheim. Über die schlechte Behandlung durch die Kundschaft klagt unsere Heldin wie folgt nach der Melodie Gunxiuqiu:445 Lehnen wir uns nach vorn, schelten uns die Beamten, wir seien zu leichtlebig, Lehnen wir uns nach hinten, schmähen uns die Herren, wir seien nicht hingebungsvoll. Sind wir lauter, heißt es direkt, wir braven Schluffen entsprächen nicht ihrer Zuneigung. Sind wir entgegenkommend, sagen sie, sie könnten an uns Dirnen nichts finden. In mittleren Jahren gelten wir als gierige Sänger, In jungen Jahren als kleine Dämonen. In hohen Jahren heißt man uns alte Schachteln, die Ränke schmieden. Doch haben wir Geld, so sagt man, das stecken wir den Zuhältern zu. Ich denke, selbst einem Maultier gibt man an der Krippe zusätzlich Heu. Selbst Schwein oder Hund gesteht man einen Funken Leben zu. Nur wir, die wir unterhalten sollen, haben so viele Schwierigkeiten auf unseren Wegen.

Wenn sich die Tochter, der Existenz einer Kurtisane überdrüssig, nicht dem Willen der Mutter beugt, dann wird es über kurz oder lang mit den häuslichen Verhältnissen nicht zum besten stehen. Im Gegensatz zur Loyalität kennt die Pietät ein festes Gegenüber, welches mit der Geburt gegeben ist. Die Protagonistin verletzt also ihre Verpflichtung gegenüber der Familie, um ihrer Liebe treu zu bleiben. Ja, es läßt sich sagen, daß sie gar die freie Gattenwahl verlangt. Sie will weder einen reichen noch einen unbekannten Mann, sie will jemanden, den sie bereits kennengelernt und dem sie schon ihre Gunst gewährt hat. Die Kritik der Tochter an der Mutter verstößt wie in der Laute gegen die verlangte Hörigkeit des Kindes. Und hier liegt die Besonderheit des Stückes, das ein ganz anderes Bild von der chinesischen Frau zu entwerfen scheint, als die feministischen Lektüren der Vergangenheit bislang nahegelegt haben. Zhu Youdun griff hiermit, so sagt er in seinem Vorwort, auf einen wirklichen Fall zurück, der sich 1432 in Kaifeng ereignet haben soll. Damit verlöre das Drama seinen rein literarischen Charakter und erlaubte gar soziale Aussagen. In diesem Zusammenhang ist auch auf den Schluß des Stückes hinzuweisen: Kein Kaiser als deus ex machina schafft den Liebenden Recht, kein Preis wird auf den Kaiser als Herrscher einer der Harmonie verpflichteten Welt angestimmt, statt dessen erklingt lediglich das Loblied auf die Loyalität einer Frau, einer einfachen Frau. 445

Übersetzt nach ZHU YOUDUN: »Xiangnang yuan«, in: YANG JIALUO (Hg.): Quan Ming zaju, Bd. 3, S. 1201f.

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DIE ROMANZE DER MING-ZEIT: CHUANQI UND KUNQU

Die Umwertung der Werte, wie sie uns im Werk des Zhu Youdun in einer gewissen Hinsicht begegnet, läßt sich ebenfalls bei dem oben bereits kurz erwähnten Zeitgenossen Jia Zhongming446 nachweisen. Hier begegnen uns Männer, die lieber der Patron einer Kurtisane sein möchten als Beamter bei Hofe, die der Keuschheit das Wort reden und eine Frau nur aus gefühlter Verpflichtung heiraten. Uns begegnen weiter Frauen aus bestem Hause, die ihre männlichen Lustobjekte selber suchen und sich ihnen anbieten, die ihren Müttern darüber den Tod wünschen, um nicht durch die Last der Pietät am Vollzug ihrer Begierde gehindert zu werden etc. Kommt all dem nur ein Quentchen Wahrheit auch im damaligen Alltag zu, dann können die bisherigen Bilder von der unterdrückten chinesischen Frau und dem dominierenden chinesischen Mann in ihrer Absolutheit nicht mehr aufrechterhalten werden!

446

Zu ihm und seinem Werk s. IDEMA: The Dramatic Oeuvre of Chu Yu-tun, S. 215–233.

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2. Kang Hai (1475–1541), Wang Jiusi (1468–1551) u.a. Die Sekundärliteratur wird nicht müde, für den Übergang des Theaters von der Yuan- zur Ming-Zeit, vom Genre des zaju zum Genre des chuanqi, Personen und Werke zu benennen, die sie in ihrer Bedeutung jedoch nicht selten selber relativiert. Unsere Geschichte soll kein Nachschlagewerk für die Fachgelehrten werden. Unter den 520 überlieferten Gemischten Spielen von 100 Autoren447 aus der Ming-Zeit gilt es, sich auf die wenigen großen Beispiele zu beschränken. Es seien daher kurz zwei Werke erwähnt, die wie im obigen Fall von Jia Zhongming einige interessante Aspekte bieten. Zunächst sind da die Freunde Kang Hai (1475–1541) und Wang Jiusi (1468–1551)448 zu nennen, die mit demselben Stoff aufwarten. Beide haben mit Rückgriff auf frühere Quellen die Begebenheit von dem »Herrn des Ostwalls, der fälschlich den Wolf vom Zentralmassiv rettet« (Dongguo xiansheng wu jiu Zhongshan lang) als »Mongolendrama« umgesetzt. Während ersterer aus der »Geschichte vom Wolf aus dem Zentralmassiv« (Zhongshan lang zhuan) des Xie Liang (aus der Song-Zeit)449 ein volles Stück in vier Akten450 macht, zog es letzterer vor, die Sache in einem einzigen Akt zusammenzuziehen, so daß in der Sekundärliteratur auch unzutreffenderweise von einem Sketch (yuanben) die Rede ist.451 Unzutreffend deshalb, weil Wang Jiusi gleichsam ein zaju in einem einzigen Akt äußerst gelungen zusammengefaßt hat. Ob kurz oder lang, beide Autoren behandeln das Problem von Gutmütigkeit und Herzlosigkeit auf hohem Niveau. Der Plot ist, variiert, auch ansonsten aus der Weltliteratur, allerdings durch einen 447 448

449

450 451

So HU: »Ming Dynasty Drama«, S. 77, 82. Zu deren beider Werk s. KATHERINE CARLITZ: »The Daughter, the Singing-Girl, and the Seduction of Suicide«, in: Nan Nü. Men, Women and Gender in Early and Imperial China 3.1 (2001), S. 22–46. Auch wenn die Erzählung durch Ma Zhongxi (1446–1512) in der Sammlung seiner Geschichten (Dongtian wenji 3) vielfach Xie Liang zugeschrieben wird, so ist die Autorschaft der seit 1580 erst gesichert überlieferten Erzählung alles andere als klar, s. hierzu WANG CHAOHONG: Ming-Qing qujia kao [Studien zu den Dramatikern der Ming- und Qing-Zeit], Peking: Zhongguo Shehui Kexue 2006, S. 124–127. Die Geschichte ist übrigens in der Ming-Zeit von anderen weiter fortgeschrieben worden. Der Ort Zhongshan wird von Übersetzern mitunter auch als konkrete Ortsangabe aufgefaßt. Zu seiner Fassung s. GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 2, S. 525–540. WANG JIUSI: »Zhongshan lang yuanben«, in: ZHOU YIBAI (Hg.): Mingren zaju xuan, Peking: Renmin Wenxue 1958, S. 261–268. Zu Übersetzungen ins Englische s. DOLBY: Eight Chinese Plays, S. 93–102; J.I. CRUMP: »The Wolf of Chung-shan [d.i. Zhongshan]«, in: Renditions 7 (1977), S. 29–38 (Übersetzung, Einführung, Bebilderung), 164–166 (chinesischer Text). Was die Gattungsbezeichnung yuanben angeht, so ist allerdings ein gehöriges Maß an Konfusion zu konstatieren, wenn wie J.I. CRUMP: »Yüan-pen [d.i. yuanben], Yüan [d.i. Yuan] Drama’s Rowdy Ancestor«, in: Literature in East & West XIV.4 (1970), S. 473–490, ausführt, wurde besagtes Binom zur Ming- und Qing-Zeit für die Bezeichnung jedweden Theaters benutzt!

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Fuchs vertreten, bekannt.452 Ein Wolf läßt sich von einem Gelehrten vor seinen Verfolgern retten und will nach seiner Rettung seinen Helfer vor lauter Hunger auffressen. Zur Debatte steht hier das theoretische Prinzip der »allgemeinen Menschenliebe« (jian’ai), wie es einst von dem Philosophen Mo Zi (um 470 – um 381) verkündet worden ist, und einer in der Lebenspraxis als unzuverlässig erfahrenen Welt. Chinesische Literaturkritiker lesen die beiden Stücke gern auf dem politischen Hintergrund der damaligen Zeit, und das heißt biographisch. Beide wären auf Grund ihrer nördlichen Herkunft und ihres innovativen Stils Opfer von höfischen Machenschaften geworden. Die Biographien453 geben in der Tat eine solche Deutung her. Das Theater der Ming-Zeit wird damit zur Kunst der kurz gefaßten Satire.454 Was uns hier jedoch eher zu interessieren hat, ist die formale Gestaltung. In beiden Fällen haben wir es mit einer Gesellschaftssatire in Form einer Fabel zu tun. Zum zweiten Mal begegnet uns nach der Yuan-Zeit auf der chinesischen Bühne eine Vermenschlichung von Pflanze und Tier. Der Herr vom Ostwall nämlich bittet den Wolf, drei Gestalten als Richter über dessen Forderung befinden zu lassen. Sowohl ein Aprikosenbaum als auch ein Rind vertreten nach der Befragung die Auffassung, der Wolf dürfe ruhig seinen Retter auffressen. Ihre jeweilige Begründung sagt spitzfindig etwas über das Gesetz der Welt und die Undankbarkeit der Gesellschaft aus. Als etwas unbefriedigend erweist sich dagegen die Lösung des Konflikts. Ganz nach dem Mechanismus des deus ex machina tritt plötzlich eine lokale Gottheit in der Verkleidung eines alten Mannes auf und vermag, kaum nach seiner Meinung befragt, schon durch einen Trick den Wolf in den Büchersack zurückzubitten, wo dieser zuvor Schutz gefunden hatte. Das Tier ist gefangen, der Mensch gerettet. »Der Wolf vom Zentralmassiv« und »Der Herr vom Ostwall« sind heute geflügelte Worte in China, mit denen man zum Himmel schreiende Undankbarkeit und falsches Mitleid kritisiert. Obwohl in den letzten achtzig Jahren der Ming-Dynastie von achtzig Autoren noch zweihundert Gemischte Spiele geschrieben wurden, so haben dennoch Kang Hai und Wang Jiusi mit ihren Versionen vom naiven Gelehrten und dem verschlagenen Tier die Geschichte des zaju als hohe Kunstform meisterhaft abgeschlossen. Auch ihnen selbst ist nichts besseres mehr gelungen. Lediglich im Sujet läßt sich noch hie und da Bemerkenswertes ausmachen. So zum Beispiel in dem Stück Die treue Witwe Wang Lanqing (Wang Lanqing fuxin mingzhen lie; auch: Wang Lanqing 452 453

454

So z.B. in dem Gedicht »Lütt Matten de Haas« von Klaus Groth (1819–1899): Reineke Fuchs fordert den Hasen Lütt Matten zum Tanz auf und verspeist ihn anschließend. GOODRICH u. FANG (Hg.): Dictionary of Ming Biography 1368–1644, Bd. 1, S. 692–694 (Kang Hai); Bd. 2, S. 1366–1367 (Wang Jiusi). Ähnlich NIENHAUSER: The Indiana Companion to Traditional Chinese Literature, S. 466–468 (Kang Hai), 860–862 (Wang Jiusi). HUNG: Ming Drama, S. 69–74.

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Kang Hai, Wang Jiusi u.a.

zhenlie zhuan)455. Hier erhöht Kang Hai eine Dirne in den Status einer Fee (xianren). Grund: Nach dem frühen Tod des Ehemannes weigert sich die ehemalige Prostituierte Wang Lanqing, sich auf eine neue Beziehung einzulassen, und sieht sich zum Selbstmord gezwungen. Bei der anschließenden von den Freunden der Familie für sie veranstalteten Opferfeier fährt sie auf einer Wolke gen Himmel. Selbst diesem Stück läßt sich also entnehmen, wie wenig gesellschaftliche Vorbehalte gegenüber dem käuflichen Gewerbe damals – zumindest in der Literatur – bestanden und wie wenig soziale Schranken einen Menschen für immer auf sein einstiges Geschick im Bewußtsein der Umwelt festgelegt zu haben scheinen.

455

In: Guben Yuan-Ming zaju, Bd. 4, S. 1–10 (ohne zusammenhängende Paginierung).

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3. Die Romanze (chuanqi) Trotz aller anfänglichen und zeitbedingten Rückschläge für das Theaterwesen muß die Ming-Zeit als ein Höhepunkt, vielleicht sogar als der Höhepunkt des traditionellen chinesischen Bühnenspiels angesehen werden. Zum einen werden nun die besten Stücke geschrieben, zum anderen entwickelt sich in dieser Zeit eine Form von Begeisterung, ja Besessenheit, so daß sich im Einzelfall von Spleen (pi) reden läßt. Wir sehen dies beispielhaft an dem Literatus Zhang Dai (1597–1679), dessen betuchte Familie gar über sechs Schauspielensembles verfügte. In höheren Kreisen wie diesen war es üblich, daß die Herrschaften die Schauspieler höchstpersönlich unterrichteten und mit ihnen auch intime Beziehungen pflegten.456 Dabei sah man sich zu keinerlei Rücksichtnahme auf die Umgebung gezwungen. Wir können all dies sehr schön einer der Pinselaufzeichnungen des Zhang Dai entnehmen, die dieser unter dem Titel Nächtliches Theaterspiel am Goldberg-Tempel (Jin Shan yexi) publiziert hat:457 Als ich im Jahre 1629 nach Yanzhou reiste, passierte ich am Tag nach dem Mittherbstfest die Stadt Zhenjiang. Am späten Nachmittag erreichten wir die Nördliche Feste und gingen dort nahe dem Ufer vor Anker. […] Als ich das Boot den Goldberg-Tempel ansteuern hieß, war es bereits die Zeit der zweiten Nachtwache, und wie ich die Drachenkönigshalle durchschritt und in das große Hauptgebäude trat, lag alles pechschwarz und still. Durch die Bäume sickerte das Mondlicht und bildete auf dem Boden Flecken wie die Reste von Schnee. Ich rief einen Diener und schickte ihn nach den Theaterrequisiten. Mit reichlich Laternen leuchteten wir die große Halle aus und führten dann Stücke auf wie Han Shizhong am Goldberg und Schlacht am Großen Strom. Die Gongs und Trommeln ergaben ein großes Getöse, und alle aus dem Tempel erhoben sich und kamen schauen. Darunter waren alte Mönche, die sich mit dem Handrücken die entzündeten Augen rieben, geräuschvoll die Luft durch den geöffneten Mund einsogen, gähnten, lachten und niesten. Geruhsam beobachteten sie das bunte Treiben, ohne daß jedoch einer zu fragen gewagt hätte, wer wir denn überhaupt seien, noch was wir im Schilde führten und wann wir aufgetaucht waren. Als die Aufführung beendet war und schon bald der Morgen anbrach, lösten wir die Halteseile unseres Bootes und traten die Weiterfahrt an. Die Mönche 456

457

Vgl. hierzu KLÖPSCH: Zhang Dais Pinselnotizen, S. 216–234. Zu einer kleinen Geschichte des Spleens (pi) in China s. JUDITH T. ZEITLIN: Historian of the Strange. Pu Songling and the Chinese Classical Tale, Stanford: Stanford UP 1993, S. 61–97. Unter Auslassung der chinesischen Zeichen und Anmerkungsziffern zitiert nach KLÖPSCH: Zhang Dais Pinselnotizen, S. 226f.; zum Original s. ZHANG DAI: »Tao’an mengyi [Traumhafte Erinnerungen]«, in: WANG YUNWU (Hg.): Congshu jicheng I, 736, j. 1, S. 4.

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Die Romanze (chuanqi) waren mit bis zum Fuße des Berges gekommen. Eine ganze Weile verfolgten sie uns noch mit dem Auge, offensichtlich nicht sicher, ob sie es nun mit Menschen, Geistern oder Dämonen zu tun gehabt hatten.

Erstaunen erregen hier drei Dinge: 1. Angehörigen der Oberschicht stehen anscheinend Tempel zu eigenmächtiger Nutzung offen. 2. Auf Reisen führen Theaterliebhaber nicht nur ihre Schauspieler, sondern auch die notwendigen Requisiten mit sich. 3. Weder Raum noch Zeit sind für theatralische Darbietungen von vornherein festgelegt. Wann immer das Theaterfieber einen Freund der Bühne unterwegs überkommt, wird gespielt. Anscheinend ist das Faible bei allen so groß, daß niemand des Schlafes und der Nahrung bedarf! Von 400 Autoren der Ming-Zeit sind 1500 Spiele überliefert. Mehr als ein Drittel davon gehört zum Genre der Gemischten Spiele. Von wenigen Ausnahmen abgesehen fallen diese jedoch nicht weiter ins Gewicht. Die Ming-Zeit steht für die »Romanze« (chuanqi), die für einen Außenstehenden nicht so ohne weiteres vom Spiel des Südens (nanxi) zu unterscheiden ist. Doch was macht das Wesen der ersteren Gattung aus? Selbst einem Fachmann wie Cyril Birch schien einmal die Antwort auf eine solche Frage durchaus schwergefallen zu sein. In einem frühen Standardaufsatz458 sagt er nicht viel zu diesen Dingen. Seine einzige These kulminiert in dem Satz:459 Ich schlage daher vor, daß das naturalistische Detail, das Zusammenspiel der Charaktere und eine komplexere Sinnstruktur zumindest drei der neuen Beiträge der Form des chuanqi darstellen und daß all diese auf eine Symbiose des Dramas mit der Novelle zu verweisen scheinen.

Der bereits oben erwähnte Theaterwissenschaftler John Hu geht in seinem Abriß des Theaters der Ming-Dynastie dagegen auf die Unterschiede genauer und gut nachvollziehbar ein.460 Er macht dabei auf einen verwirrenden Umstand aufmerksam: Den Erfordernissen der Zeit gemäß konnte es durchaus sein, daß ein Südliches Spiel wie Die Laute solange standardisiert wurde, bis es zur »Romanze« avancieren konnte. Wir sehen dies deutlich bei der populären Sammelbezeichnung Die vier großen Romanzen (Sida chuanqi) 461 , zu denen überraschenderweise auch Gao Mings Paradestück gezählt wurde!462 Standardisieren bedeutet, das ehemals Form458

459 460 461 462

CYRIL BIRCH: »Some Concerns and Methods of the Ming Ch’uan-ch’i Drama«, in: DERS. (Hg.): Studies in Chinese Literary Genres, S. 220–258. Der Aufsatz erweckt übrigens den Eindruck von Lesefrüchten! Übersetzt nach ebd., S. 229. HU: »Ming Dynasty Drama«, bes. S. 62–66. Eine gute Übersicht bietet NIENHAUSER (Hg.): The Indiana Companion to Traditional Chinese Literature, S. 725–727. Die Verwirrung, ob Die Laute nun ein Südliches Spiel oder eine »Romanze« ist, ist allgemein. So spricht HELGA WERLE-BURGER: Die Chao-Oper. Untersuchung einer chinesischen Lokal-

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lose zur festen Form zu erheben. Das Südliche Spiel stand dem Volke nahe und war dementsprechend weniger gestaltet: keine offensichtliche Einteilung in Szenen, oft ungelenke Verse, selten gelungene Plots. Die Freiheit zeigt sich auch in der Beliebigkeit der Sänger: Jeder kann singen, sogar das Publikum kann in den Chor (jenseits der Bühne) mit einstimmen. So besehen wäre Die Laute mit ihren zahlreichen Leitmotiven und unerwarteten Konfliktsituationen eher eine »Romanze« denn ein Südliches Spiel. Doch zu einem solchen Urteil kann nur kommen, wer wie der Autor Gao Ming mehr Wert auf den Inhalt als auf die Form legt. Es war ja gerade die weniger perfektionierte prosodische und musikalische Seite, welche der Nachwelt Anlaß zur Kritik gab. Lieder hatten nach dem Pipa ji in größeren Zusammenhängen arrangiert zu werden, so daß sie nicht nur semantisch, sondern auch formal Perfektion erreichten. Aus einer solchen Kritik läßt sich der Schluß ziehen, daß eine Evolution vom Südlichen Spiel zur »Romanze« stattgefunden haben könnte. Die »Romanze« wäre so gesehen die Vollendung der im Südlichen Spiel angelegten neuen Tendenzen. Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die zwischen beiden Genres bestehen, sind außerhalb eines chinesischen Kontextes schwer nachvollziehbar. Um es vereinfacht auszudrücken: eine »Romanze« kannte eine klare Einteilung in Szenen, einen klaren Aufbau und einen klaren Beginn. Ein Südliches Spiel dagegen nicht; es war frei, Vorgaben zu folgen oder auch nicht. Was unter den Vier großen Romanzen zusammengefaßt wird, sind Spiele rein moralischer Natur. Im Mittelpunkt steht gleichwohl die Liebe von Mann und Frau und damit einmal mehr die Loyalität. Eines der Stücke, Die Geschichte von der Dornenhaarnadel (Jingchai ji), zeigt in Thema und Plot überaus deutlich seine Abhängigkeit von Gao Mings Die Laute463 und soll deswegen hier weiter nicht interessieren.

463

oper in Ost-Guangdong, Phil. Diss. Universität Bochum 1985, S. 44f., mal von dem einen, mal von dem anderen, und COLIN MACKERRAS: »The Growth of Chinese Regional Drama in the Ming and Ch’ing [d.i. Qing]«, in: Journal of Oriental Studies 9 (1971), S. 72, spricht von einem chuanqi. Selbst der Fachmann für das Theater der Ming-Zeit BIRCH: Scenes for Mandarins, S. 18, 21, setzt das Südliche Spiel mit der Romanze gleich! Wo ein penibler Geist versucht, Ordnung in die Begriffsgeschichte zu bringen, scheint sich alles der sinologischen Forschung nur zu verwirren. Vgl. hierzu BIRCH: Tragedy and Melodrama in Early Ch’uan-ch’i [d.i. chuanqi] Plays, s. Anm. 392. Zum Original von »Jingchai ji« s. MAO JIN (Hg., 1599–1659): Liushi zhong qu, Peking: Zhonghua Shuju ²1982, Bd. 1, S. 1–142 (keine fortlaufende Paginierung). Birch schreibt »Die Geschichte von der Dornenhaarnadel« Zhu Quan zu. Mao Jin wie auch andere einschlägige Quellen führen jedoch Ke Danqiu an, über den nichs weiter bekannt ist.

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4. Der weiße Hase Cyril Birch hat sich unter den besagten »Vier Romanzen« besonders des populären und auch für das Fernsehen adaptierten Spiels Der weiße Hase (Baitu ji) angenommen.464 Das urspüngliche Spiel hat 33 Szenen und weist gewisse Ähnlichkeiten mit dem Pipa jiauf. Es wurde zunächst von dem Schreibclub aus Yongjia (Yongjia shuhui) verfaßt und dann über die Jahrhunderte immer wieder von anderen bearbeitet.465 Gleichwohl gibt es auch hier eine historische Figur, und zwar den Gründer der Späteren Han-Dynastie (947–950) Liu Zhiyuan (895–948).466 Dieser – so unser Stück – findet zu seiner Frau Li Sanniang (»Li, die Dritte«) nach sechzehn Jahren wieder zurück. Er hatte sie schwanger im Stich gelassen, um, wie man heute sagen würde, Karriere zu machen. Während er in der großen Welt seinen Ambitionen erfolgreich nachgeht und zur Hochzeit mit der Tochter seines Vorgesetzten gezwungen wird, wird sie daheim Opfer der Schwiegermutter. Das Kind, das sie unter großen Schwierigkeiten zur Welt bringt, läßt sie dem Vater zukommen, so daß dessen zweite Frau den Knaben großzieht, ohne daß dieser von seiner wahren Mutter weiß. Ein weißer Hase führt den Sohn eines Tages während einer Jagd zu seiner leiblichen Mutter, die ihm ihr Leid klagt, ein Leid, das sie ihrer Loyalität zu ihrem Mann verdankt. Zwar wissen beide nicht voneinander, doch der Vater, zu Ehren gekommen, vermag nach dem Bericht des Sohnes die Dinge so zu deuten, daß die eigentlichen Eheleute wieder zueinanderfinden und eine Ehe zu dritt zu aller Wohlgefallen ihren Weg nimmt. Vieles ist hier wieder aufgenommen, was uns bereits aus vergangenen Werken bekannt ist. Das Motiv des Hasen, der dem Helden bei seiner Suche hilft, entstammt der volkstümlichen Literatur und läßt sich vielmals nachweisen. Das Motiv der verlassenen, aber tugendhaften Frau ist seit der Antike durch die Dichtkunst über464

465

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BIRCH: Scenes for Mandarins, S. 16f., 20–60. Zum um 1630 gedruckten Original s. MAO (Hg.): Liushi zhong qu, Bd. 11, S. 1–90 (keine fortlaufende Paginierung). Zur kurzen Würdigung s. auch HUNG: Ming Drama, S. 86, 94f. Ich folge hier NIENHAUSER (Hg.): The Indiana Companion to Traditional Chinese Literature, S. 726. BIRCH: Scenes for Mandarins, S. 46, führt dagegen Xie Tianyou (fl. 1596) als Autor an. Dies ist insofern nicht falsch, als Xie Tianyou eine überarbeitete Fassung mit 39 statt 33 Szenen vorgelegt hat und dabei bemüht gewesen ist, den Helden in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Nach Auffassung der chinesischen Geschichtsschreiber darf ein Dynastiegründer nicht negativ dargestellt sein. Auf die Geschichte der vielen verschiedenen Fassungen (von Bühnenfassung zu Lesefassung, von der Komik zum Ernst etc.) geht Birch ausführlich ein. Zum Bild dieser Gestalt in der Literatur s. J.I. CRUMP, JR.: »Liu Chih-yuan [d.i. Liu Zhiyuan] in the Chinese ›Epic‹, Ballad and Drama«, in: Literature East and West 14.2 (1970), S. 154– 171. Zu einer Verarbeitung in Balladenform s. M[ilena] DOLEŽELOVÁ-VELINGEROVÁ u. J.I. CRUMP (Übers.): Ballad of the Hidden Dragon (Liu Chih-yüan chu-kung-tiao [d.i. Liu Zhiyuan zhugongdiao]), Clarendon Press: Oxford 1971.

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liefert und durch Zhao Wuniang in Gao Mings Spiel Die Laute verewigt worden. Und auch die bekannteste Szene, die Geburt des Sohnes am Mühlstein, ist durchsetzt mit Anklagen gegen den Himmel, die wir schon im Werk des Guan Hanqing vernommen haben. Schauen wir einmal in die berühmteste, immer wieder gespielte Szene von der Geburt am Mühlstein hinein. Li Sanniang tritt auf und singt:467 (Nach der Melodie Yufeile) Da ist kein Plan, meine Sorgenfalten zu glätten, den bösen Feinden möchte ich entkommen, doch wie nur? Ich zürne den Eltern, sie haben mir Unheil heraufbeschworen. Ich bin wie ein Holzfisch, der von einem Balken herabhängt und ohne Ende geschlagen wird. Ich bin wie ein stummes Wesen, das Bitterkraut ißt. Ich habe einen Mund, aber mit wem kann ich sprechen? Seit mein Mann ging, haben mein Bruder und seine Frau mich zur Wiederheirat zwingen wollen, aber ich habe nicht zugestimmt. Nun bestrafen sie mich damit, daß ich täglich Wasser zu holen habe und in der Nacht den Mühlstein bewegen muß. Ich zürne ihnen nicht, ich zürne auch nicht den Eltern und schon gar nicht meinem Mann. Es ist nur, daß ich im zehnten Monat bin. Das Gehen fällt mir schwer. Wie kann ich da noch den Mühlstein drehen? (Nach der Melodie Wugengzhuan) Ich hadere mit meinem Geschick, das mir Pein schickte. Wissen meine Eltern um meine Bitterkeit? Bruder und Schwägerin, ihr habt euch entschieden, den Liu Zhiyuan zu vertreiben und mich zu versklaven, damit ich den Mühlstein bewege. Ich rufe den Himmel, er antwortet nicht. Die Erde hört mich nicht. Wie soll es weitergehen? Eine Sklavin wie ich, wie könnte sie, Wie könnte sie wissen, wie man einen Mühlstein bewegt, Wasser trägt unter großen Mühen? Das alles wegen Liu Zhiyuan. (Nach derselben Melodie) Vor der Mühle zieh’ ich traurig die Stirn in Falten. Ich muß so schuften, und keine Hilfe ist in Sicht. 467

Übersetzt nach MAO (Hg.): Liushi zhong qu, Bd. 11 (Baitu ji Szene 19f., S. 56: aimo [den Mühlstein drehen]); hilfreich: BIRCH: Scenes for Mandarins, S. 23f. Aufgrund von »Auslassungen« bzw. »Ergänzungen« hat Birch vielleicht doch eine andere Version von Mao Jin benutzt als ich.

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Der weiße Hase Zu Lebzeiten betrachteten mich die Eltern als Blume. Seit ihrem Tod erniedrigen mich Bruder und Schägerin. Vater und Mutter tot. Ich bin einsam. Wie soll es weitergehen? (Nach derselben Melodie) Ich drehe den Mühlstein mit den Schultern, mir wird schwindelig. Der Bauch schmerzt, die Beine brennen. Mein Gemüt ist ohne Kraft, ich kann nicht weiterdrehen. Ich möchte mich in der Mühle erhängen. Ich befürchte aber, mich dadurch meinem Mann zu entziehen [dan’ge?]. Mir gehen die Gedanken durch den Kopf, Tränen füllen die Wangen. Wie soll es weitergehen?

Der Vergleich mit dem Holzfisch (muyu) bedarf der Erläuterung: In buddhistischen Tempeln gibt es eine Trommel in Form eines Holzfisches. Der Vergleich der Heldin mit dem Holzfisch kann auf verschiedenen Ebenen gesehen werden. Cyril Birch rechnet ihn eher dem Burlesken zu, das er auch in weiteren Anspielungen auf den Buddhismus sieht. Mir scheint dahinter jedoch mehr zu stecken als die reine Verbildlichung und humoreske Überspitzung der körperlichen Züchtigung. Nach dem Abschied des Ehemannes muß sich Li Sanniang, im Gegensatz zum Gatten zur Keuschheit gezwungen, ja fortan wie eine buddhistische Nonne vorkommen. Überdies hat der Fisch in der chinesischen Kulturgeschichte auch eine eindeutig sexuelle Konnotation: Es heißt nämlich u.a., daß ein Ehepaar gemeinsam die Freuden von Fisch und Wasser genießen würde. Diese Freude bleibt ihr nun für lange Zeit vorbehalten. Ihre Einsamkeit gewinnt jedoch überdies eine kosmische Dimension: Nach dem Verlust der Eltern durch den Tod und des Ehemannes an die große Politik fehlt ihr, wie man so schön in Wien sagt, die Ansprache: Von den Menschen mal abgesehen sind es ebenfalls Himmel und Erde, die sich ihrer sprachlich nicht annehmen (wollen). Dies ist ihr Schicksal, dem sie eigentlich durch Selbstmord entgehen möchte, was sie aber aus Loyalität nicht zu tun wagt: Denn dadurch würde ihr Mann, wenn er wiederkäme, etwas »versäumen« (dan’ge). So erträgt sie schließlich doch alles, erstaunlicherweise ohne in einen Groll (yuan) gegenüber ihren Peinigern zu verfallen. Das Spiel vom Weißen Hasen gibt uns zu guter Letzt Gelegenheit, auf das Muster einer Eröffnung (jiamen) von einer »Romanze« einzugehen.468 Wilt L. Idema faßt dieses verallgemeinernd wie folgt zusammen:469 468

BIRCH: Scenes for Mandarins, S. 42–44. Zur Kunst des Beginns (jiamen) s. weiter WILT L. IDEMA: »The Wen-ching yüan-yang hui [d.i. Wenjing yuanyang hui] and the chia-men [d.i. jiamen] of Yüan-Ming [d.i. Yuan-Ming] ch’uan-ch’i [d.i. chuanqi]«, in: T’oung Pao LXVII

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DIE ROMANZE DER MING-ZEIT: CHUANQI UND KUNQU Wenn man einen Blick auf die Standardausgaben von »Romanzen« zur späten Ming-Zeit wie das Liushi zhong qu [Sechzig Theaterstücke] von Mao Jin (1599– 1659) oder das Mohanzhai dingben chuanqi [Romanze, zusammengestellt im Studio zur verrückten Tusche] von Feng Menglong (1574–1645) wirft, dann entdeckt man, daß diese Eröffnungen eine sehr rigide und einfache Form aufweisen. Der einzige Schauspieler, der erscheint, ist der (fu)mo. Er beginnt mit der Rezitierung eines klassischen Liedes (ci) […]. Dabei reflektiert er auf die Flüchtigkeit des menschlichen Lebens und die Notwendigkeit, dieses zu genießen, solange man kann. Er kann auch detaillierte Auskünfte darüber geben, wie ein Verfasser über der Geschichte gebrütet hat und wie er zu seinem Stück gekommen ist. Im Anschluß daran wird er die Leute hinter der Bühne fragen, was auf dem Spielplan steht. Nach ihrer Antwort kündigt er an, daß er einen Abriß geben wolle, und verfährt entsprechend, indem er ein weiteres klassisches Lied rezitiert, das Aufschluß über den Plot gibt. Daran schließt sich ein vierzeiliges Gedicht an, welches ebenfalls eine kurze und prägnante Zusammenfassung bietet. Danach verläßt der (fu-)mo die Bühne, und die Handlung des Spiels setzt mit der zweiten Szene an, indem der sheng, die männliche Hauptrolle, auftritt. Da die Eröffnung so hochkonventionell ist, ist der Dialog zwischen dem (fu-)mo und den Leuten hinter der Bühne oftmals schriftlich nicht niedergelegt, aber durch die Bühnenanweisung »Frage und Antwort wie üblich« angedeutet. In vielen Fällen fehlen sogar diese einfache Anweisung und das Eröffnungslied, mit dem Ergebnis, daß nur das letzte Lied mit seiner Zusammenfassung und das vierzeilige Gedicht als Abschluß angeführt sind.

Einen weniger formalen Aspekt hebt Cyril Birch hervor. Sein Inhalt paßt gut in den immer wieder angesprochenen Zusammenhang von Theater und Religion. Eine der vielen Fassungen des »Baitu ji«, die sogenannte Mandarin- bzw. ChenghuaVersion, beginnt nämlich mit einem Segen für den Hausherrn, mit der Austreibung der bösen Geister und der Anrufung der Götter. Das heißt, Spiel und in diesem Fall ein Bankett oder eine Familienrunde sind untrennbar, und das Spiel hat der jeweiligen Umgebung Rechnung zu tragen. Die Ankündigung von Titel und Inhalt jeweils zu Beginn einer »Romanze« – sicherlich nicht nach dem Geschmack eines modernen westlichen Pubikums – läßt sich auch aus der allgemein üblichen Praxis der Bühne erklären: Es sollte natürlich das Interesse des zahlenden Publikums geweckt werden. So wird auch das Selbstlob verständlich, das der erste Sprecher auf der Bühne über das Stück und die Aufführung verbreitet, bevor noch das eigentliche Spiel einsetzt.

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(1981), S. 96–106. Hier ist auch vom »Baitu ji«, S. 101f., die Rede! Übersetzt nach IDEMA: »The Wen-ching yüan-yang hui«, S. 96f.

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5. Das Kunqu Formal gesehen ließen sich das Gemischte Spiel und das Südliche Spiel bzw. die »Romanze« als regionale Stile des Nordens bzw. des Südens einstufen. Während jedoch im Norden noch keine besondere Diversikation auftrat, bildete sich im Süden eine Reihe von lokalen Sonderstilen470 heraus, die hier nicht einzeln aufgezählt werden sollen. Unter diesen hat sich im Laufe der Zeit das Kunqu471 überregional und im ganzen Lande gleichsam als Nationalstil durchzusetzen vermocht. Diese aus Kunshan nahe Suzhou stammende Variante wird oft mit der »Romanze« gleichgesetzt, so daß in Folge oftmals eher von Kunqu als von chuanqi die Rede ist bzw. die beiden Bezeichnungen wie Kraut und Rüben durcheinandergeworfen werden, obwohl Kunqu streng gesehen eigentlich nur einer von ehemals vielen Teilen des Oberbegriffs »Romanze« ist. Im Gegensatz zu chuanqi hat sich das Binom Kunqu mehr oder minder auch im Deutschen eingebürgert, so daß es nicht mehr in Anführungszeichen oder kursiv gesetzt zu werden braucht. Man kann die komplizierten Dinge aber auch vereinfachend wie folgt sehen: Kunqu heißt »Singspiel aus Kunshan«, und da es nach den Melodien aus Kunshan (kunqiang bzw. kunshanqiang) gesungen zu werden pflegte, können wir auch sagen: Kunqu ist eine »Romanze«, die musikalisch nach den Gepflogenheiten besagten Ortes zur Aufführung kam. Kunshan Shi, so der offizielle Name, ist heute eine Millionenstadt, die jüngst erst ein Kunqu-Museum errichtet hat. Obwohl seit dem 19. Jahrhundert im Niedergang begriffen und im Laufe des 20. Jahrhunderts zeitweise nahezu dem Vergessen anheimgegeben, hat das Kunqu doch überleben können. Dazu hat auch wesentlich 2001 der Eintrag in die UNESCO-Liste beigetragen, eine Liste, welche das mündlich überlieferte und das immaterielle Erbe der Welt bewahren helfen soll. Gleichwohl dürfen wir uns das Kunqu nicht als eine »reine« Musikform vorstellen. Ihr eigentlicher Schöpfer, der Musiker Wei Liangfu (ca. 1522 – ca. 1573)472, 470

471 472

Diese, da zu reichhaltig – man zählt etwa 300! –, können im folgenden nicht Gegenstand unserer Geschichte sein, doch sollte zumindest auf die einschlägige Sekundärliteratur hingewiesen werden: TANAKA ISSEI: »A Study on P’i-p’a-chi [d.i. Pipa ji] in Hui-chou [d.i. Huizhou] Drama: Formation of Local Plays in Ming and Ch’ing [d.i. Qing] Eras and Hsin-an [d.i. Xin’an] Merchants«, in: Acta Asiatica 32 (1977), S. 34–72; COLIN MACKERRAS: »Regional Theatre in South China during the Ming«, in: Hanxue yanjiu 6 (1988), S. 645–672; DERS.: The Chinese Theatre in Modern Times. From 1840 to the Present Day, London: Thames u. Hudson 1975, S. 94–162; WERLE-BURGER: Die Chao-Oper (s. Anm. 462); KUNQIN SHAN: Das lokale Musiktheater in Anhui (Luju). Historische, literarische und gesellschaftliche Dimensionen, Berlin: LIT 2007 (= Bunka – Wenhua; 16). Einen guten Überblick bieten NIENHAUSER (Hg.): The Indiana Companion to Traditional Chinese Literature, S. 514–516, und HUNG: Ming Drama, S. 101ff. Zu seinem Wirken s. HUNG: Ming Drama, S. 107–110.

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DIE ROMANZE DER MING-ZEIT: CHUANQI UND KUNQU

hat sich auch von anderen Lokalstilen und Vorbildern der Vergangenheit leiten lassen, so daß verständlich wird, warum sich eine regionale Variante langfristig und landesweit als die chinesische Theaterform hat durchsetzen können. Es läßt sich der Sachverhalt weitergehend sogar so vereinfachen, daß man Kunqu in gewisser Hinsicht als die Symbiose der heptatonischen Musik des Nordens und der pentatonischen Musik des Südens ansehen kann, wobei aber letztere Himmelsrichtung dominant bleibt. Zwar findet ein Instrumenten- und Stimmungswechsel statt, doch geht das Erbe des Nordens nicht zur Gänze verloren. Die Querflöte (qudi) übernimmt zusammen mit der Mundorgel (sheng) und der Langflöte) die Führung, die eher schrilleren Instrumente werden verbannt, und das Zupfinstrument mit den drei Saiten (sanxian), die Laute (pipa) sowie die Mondlaute (yueqin) treten in den Hintergrund. Da im Süden das Theater die Liebe in das Zentrum stellt, eignen sich für die Begegnung von Mann und Frau eher die südlichen Weisen. Das Nordische dagegen steht für das Heroische, seine Weise ist immer dann verlangt, wenn Zwistigkeiten zarte Seelen bedrohen. Was nun die Komposition von Liedtexten angeht, so verlangte das Kunqu eine strengere Einhaltung der musikalischen Vorgaben als seine Vorläufer. Der Terminus technicus heißt qupai, was sich mit Liedsatz übersetzen ließe. Es gab einen festen Satz von Liedern, die in der Regel sklavisch mit lyrischen Worten bzw. Silben aufzufüllen waren. Zur Ming-Zeit sind um die 900 Kunqu von etwa 330 Autoren verfaßt worden. Die meisten davon stellen Adaptionen mit obligatorischem Happyend dar. Und da eher die Form und weniger der Inhalt zählte, kommt ihr Kritiker John Hu zu der Auffassung, daß von den wenigen noch zu besprechenden Ausnahmen abgesehen die Mehrzahl der künstlich wirkenden Stücke lediglich die damals um sich greifende Dekadenz der Zeit und den Niedergang der Dynastie widerspiegele. Dementsprechend sei vieles heute vergessen.473

473

HU: »Ming Dynasty Drama«, S. 75–77.

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6. Liang Chenyu (ca. 1519 – ca. 1591): Die Geschichte von der Seide, die gewaschen wurde

Als erstes Kunqu wird das Stück Die Geschichte von der Seide, die gewaschen wurde (Huansha ji)474 von Liang Chenyu (ca. 1519 – ca. 1591) angesehen, der aus Kunshan stammte und Wei Liangfus Reformbemühungen dramatisch umsetzte. Vom Verfasser ist nur soviel bekannt, daß er kein Mann des Amtes und der Karriere war, sondern ein Wanderleben führte und sich dabei mit Schauspielern zusammentat. Gedichte, Lieder und drei weitere Dramen (zaju) sind von ihm überliefert. Alles in allem ein schmales Werk. Jedoch hat der Autor ein hochberühmtes Stück hinterlassen, nämlich besagte Geschichte von der Seide, die gewaschen wurde. Dieses ist um 1570 entstanden und war damals sehr populär. Es besteht aus 45 Szenen, deren ästhetischer Zusammenhalt durch die Kunst der Kontraste und des Parallelismus gewährleistet ist, so daß sich von einem harmonischen Ganzen sprechen läßt.475 Das geschickte Arrangement einer symmetrischen Abfolge von Yin und Yang beweist einmal mehr, wie sehr die Künste in China auch noch zur Neuzeit kosmologisch gebunden sind. Das Stück erzählt einen alten Stoff neu: Wu und Yue, zwei Staaten der Antike, befinden sich im 5. Jahrhundert v.Chr. im Krieg. Die erste Schlacht hatte der König von Wu, Fu Chai (gest. 473 v.Chr.), gewonnen. Daraufhin sinnt der König von Yue, Gou Jian (Thronbesteigung 496 v.Chr.), auf Rache. Fan Li, Minister in Yue, weiß die schöne Xi Shi für seine Ränke einzusetzen. Er hat sie – so das Theaterstück – auf seinen Wegen unterwegs kennen und lieben gelernt. Sie soll nun als Köder fungieren, um den Herrscher von Wu durch sexuelle Exzesse zu erschöpfen. Dies gelingt ihr auch. Wu wird von Yue annektiert. Danach kommen die Liebenden wieder zusammen, um miteinander glücklich zu sein. Wir erleben hier einmal mehr, wie sehr ein Kampf unter Männern und zwischen Staaten gleichsam auf dem Leib einer Frau ausgefochten wird. Die geschilderte Ausgangskonstellation wäre ein leichtes Spiel für die feministische Kritik, die seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts an Beispielen wie diesen geübt worden ist, aber anscheinend ist diese günstige Gelegenheit im vorliegenden Fall noch nicht ergriffen worden. 474

475

In Auszügen ins Englische übersetzt und analysiert von BIRCH: Scenes for Mandarins, S. 17f, 61–105; DOLBY: Eight Chinese Plays, S. 13, 84–92. Zum Original s. GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 3, S. 117–247. Zu einer chinesischen Deutung s. CHENG YUN u.a. (Hg.): Zhongguo xiqu, Wuhan: Hubei Meishu 2005, S. 101–106. Vgl. hierzu K.C. LEUNG: »Balance and Symmetry in the Huan Sha Chi [d.i. Huansha ji]«, in: Tsing Hua Journal of Chinese Studies XVI (1984), S. 179–201. Zu einer gänzlich anderen Auffassung gelangt HUNG: Ming Drama, S. 111–120: Die Autorin spricht von einem losen Plot und von einer blassen Charakterdarstellung.

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DIE ROMANZE DER MING-ZEIT: CHUANQI UND KUNQU

Der besagte König von Wu residierte im heutigen Suzhou. In der Nähe zeigt man dort heute noch gern einen Tempel, wo die Xi Shi – die Gunst des Westens, wie Cyril Birch den Namen übersetzt, andere sprechen von der Westlichen Shi – ihre Fänge ausgelegt haben soll. Sie stammte aus Yue. Die Geschichte, die mit ihrem Namen verbunden ist, ist oft und immer wieder anders erzählt worden. Historische Eindeutigkeit ist da nicht zu gewinnen. Sie soll von der Seidenwäscherei gelebt haben. So hat Fan Li sie einmal an einem Fluß waschend angetroffen. Ein Stück Seide ist daher das Unterpfand, das sie ihm nach der ersten Begegnung mit auf den Weg gibt. Im Zuge der kriegerischen Ereignisse ist er schließlich drei Jahre Gefangener von Wu, als er seinen Herrn in die Geiselhaft zu begleiten hat. Die zweite Begegnung, auf die unsere Schöne loyal ergeben wartet, findet in ihrem Heimatort auf dem Lande statt. Sie dürfte sein Heiratsangebot erwartet haben. Er dagegen bietet ihr gleichsam die Rolle einer Mata Hari an. Statt in seinen Armen wieder zu versinken, soll sie ihr Heiligstes in den Dienst eines Staates stellen, mit dessen Machenschaften sie sich kaum identifiziert haben dürfte. Zwar stammt der Vorschlag, sie als Tributgeschenk für den lüsternen Fu Chai nach Yue zu schicken, nicht von Fan Li höchstpersönlich, sondern aus seinem Umkreis, aber er ist es, der sie letztlich als Angebot unterbreitet, nachdem keine andere für würdig genug befunden worden ist! So jedenfalls unser Stück. Statt ihr seine Heiratsabsichten zu eröffnen, schlägt er ihr eine erotische Aufgabe mit einem anderen vor. Nun war die Überlassung von Tänzerinnen, Sängern und Musikern an Freund und Feind zur freien Verfügung im traditionellen China gängige Praxis, doch wir dürfen davon ausgehen, daß dabei persönliche Gefühle nicht (besonders) involviert waren. Zumindest bis zum Ende der Tang-Zeit waren Frauen Dinge, die man so verschenkte oder sich schenken ließ wie Pferde. Was uns der Autor jedoch bietet, ist ein für die Ming-Literatur typisches und neues Bild einer – so wirkt sie – fast schon gleichberechtigten Beziehung von Mann und Frau. Um so ungeheuerlicher muß das Unterfangen des Fan Li erscheinen, seine Liebste der Staatsräson zu opfern, ohne dabei in den tiefen inneren Konflikt zu geraten, den wir Heutigen erwarten würden. Was sich dennoch einem Konflikt nahe kommend zwischen Liebe und Pflicht zuspitzt, wird in folgendem Monolog zu Beginn der 23. Szene deutlich:476 Mein Herr will eine Schöne küren und an den König von Wu schicken. Er hat im ganzen Land suchen lassen, ohne fündig zu werden. Bedenke ich, wie schwer diese Staatsangelegenheit wiegt, wie geziemt es sich da, allzu sehr an einer einzigen Frau zu hängen? Ich habe Sie daher längst ehrfürchtig meinem Herrn empfohlen, der mich hier in die Berge geschickt hat, um Sie zu holen. Das jedoch geht zu Lasten meiner jungen und tapferen Schönen, und noch mehr verstößt es gegen unseren alten Bund. Mir ist schwer ums Herz, was wäre am besten zu tun? 476

Übersetzt nach GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 3, S. 182; BIRCH: Scenes for Mandarins, S. 70.

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Liang Chenyu: Die Geschichte von der Seide, die gewaschen wurde

»Das Muster der Selbstaufopferung aus patriotischen Gründen« sei die zentrale Botschaft des Stückes, meint der Interpret Cyril Birch.477 Sehen wir einmal davon ab, daß es damals noch keinen Patriotismus im heutigen Sinne gegeben hat und daß ein solcher angesichts der falschen Staatsführung durch den Herrscher auch sehr fragwürdig wäre, kommt in einer Hinsicht die Deutung dem Sachverhalt sehr nahe: Es geht um ein Opfer für jemanden, den man über sich als das anerkennt, was nicht überstiegen werden kann und darf. Und eben dies war der (absolute) Herrscher, der sein Pendant im (Ehe-)Mann fand. Insofern kommentiert Cyril Birch zu Recht, daß auf der konfuzianischen Werteskala »eine einzelne Frau« nichts zählte, auch wenn dies aus moderner westlicher (nicht nur feministischer) Sicht gehörig Kritik verdiente. Der Verzicht auf eigenes Glück um des vermeintlich Großen und Ganzen willen ist dem chinesischen Geist großenteils bis heute eigen. Allerdings sind vergleichbare Fälle wie die der Xi Shi in späteren Zeiten auf moralische Mißachtung gestoßen, wie das Werk der Ding Ling (1904–1986) für das sozialistische China zeigt.478 Wenn wir das Happyend kritisch betrachten, hat die Wiedervereinigung und der Aufbruch der Liebenden auch einen politischen Hintergrund, denn Fan Li befürchtet, seine große Liebe vermöge ebenso seinen Herrn und dessen Reich zugrunde zu richten. So besehen wäre seine Liebe gleichfalls als Aufopferung für den Staat zu verstehen, den er mit ihr zu verlassen hat. Er verzichtet auf das Amt und die Karriere. Zu seiner Entschuldigung ist lediglich zu sagen, daß er trotz seiner Loyalität gegenüber dem Herrscher, der seinen Rat verworfen und die Niederlage verschuldet hat, ihr nicht einfach befiehlt, sich als Lockvogel zu verdingen, sondern ihr das Problem anträgt und sie es selber ahnend lösen läßt. Dabei wählt sie seinen männlichen Standpunkt bzw. dieser wird ihr von der dramatischen Stimme des Stückes zugewiesen. Wir hören sie zunächst die folgende Antwort auf seine Entschuldigung für die lange Abwesenheit geben:479 Nun, da ich alles weiß, mein Herr, von Euren Banden, sage ich: Staatsangelegenheiten sind von größter Bedeutung, eine Heirat dagegen ist das Unwichtigste von allem. Wie können Sie die Hoffnungen aller wegen einer einzigen Frau, der keine Bedeutung zukommt, enttäuschen?

Ermutigt durch ihre Selbstlosigkeit, trägt er ihr nun die gesamte Angelegenheit vor:480 Fan Li: Fräulein, ich habe etwas frei zu sagen. Xi Shi: Nur heraus damit. 477 478 479 480

BIRCH: Scenes for Mandarins, S. 70. KUBIN: Die chinesische Literatur im 20. Jahrhundert, S. 209–211. GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 3, S. 183; BIRCH: Scenes for Mandarins, S. 71. GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 3, S. 183f.; BIRCH: Scenes for Mandarins, S. 71f.

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DIE ROMANZE DER MING-ZEIT: CHUANQI UND KUNQU Fan Li: Es war meine Absicht, unser beider Namen, das Fräulein und mich, freudvoll zu verbinden, auf immer und ewig für die nächsten hundert Jahre. Wie hätte ich ahnen können, daß Heim und Staat zugrunde gehen, der Herrscher in Banden liegen und ich, sein Minister in Gefangenschaft geraten würden? Glücklicherweise verstand ich mich auf eine List, so daß er in sein Reich zurückkehren konnte. Nun trifft es sich, daß der König von Wu der Lust nachhängt ohne Maß, dem Trunk ergeben ist und Unzucht treibt. Mein Herr sucht eine Schöne, die sein Verlangen stärkt. Wir haben schon überall im Reich gesucht, ohne eine solche Person ausmachen zu können. Da fiel mir ein, daß einzig Sie, mein Fräulein, das rechte Aussehen haben. Und es wollte der Zufall, daß ich diese Vorzüge zu preisen Gelegenheit hatte. Der Herrscher ist nun geneigt, Sie zu bitten, aber noch weiß ich nicht, ob das Fräulein zustimmen wird. Das ist der Grund, warum ich eigens zu Ihrer Pforte komme, um mich zu erkundigen. Fräulein, was meinen Sie?

Sie bittet ihn zunächst, das Problem anders zu lösen, um ihre Loyalität bewahren und nur einem Herrn dienen zu können, doch er weist vielleicht gar nicht einmal zu Unrecht darauf hin, daß der drohende Untergang von Yue auch ihrer beider Tod bedeute. Doch merkwürdig, ist der mögliche Tod der beiden Liebenden nach damaliger Einstellung überhaupt einer Erwähnung wert? Cyril Birch macht in seiner gelungenen Interpretation auf einen Umstand aufmerksam, der noch mehr Fragen aufwirft: In ihre Hand sei die politische Erfüllung von dessen Leben, ja dessen Karriere gegeben. Fan Lis hohen Ambitionen sind abhängig von ihr, ja, das Geschick des gesamten Landes stehe und falle mit ihrem Einverständnis. Dies ist eine Sicht, welche der König teilt. Bei der ersten Begegnung mit Xi Shi geht dieser gar noch einen Schritt weiter: Auch der Bestand und die Fortsetzung der tausendjährigen königlichen Linie hänge einzig und allein davon ab, ob sie in der Lage sei, »den morschen Baumstamm« Fu Chai wieder zur Lust zu erwecken. All dies kommt nicht nur einer Aufwertung der Frau als Retterin der »Nation« gleich, sondern drängt auch die Frage auf, warum ein männlicher Erfolg und ein »nationaler« Sieg, der ja nur der Sieg des Königs ist, soviel mehr bedeuten soll als ein gemeinsames Scheitern. Wir wollen dies hier nicht weiter fortspinnen, weil bei unserer Problematisierung unterschiedliche Wertesysteme aus unterschiedlichen Gesellschaften und Zeiten zusammentreffen. Andererseits sollte (gutes) Theater über Raum und Zeit hinausreichend auch aktuell sein, denn sonst verkäme Geschichte zu einer Geschichte für Fachleute. Wir haben uns mit diesem ersten Kunqu vor allem inhaltlich, ja, man kann auch sagen, ideologisch auseinandergesetzt. Konnte so sein eigentliches Wesen überhaupt zur Sprache gebracht werden? Nun ist die besondere, das heißt die besonders innige Beziehung von Mann und Frau ein auffälliges Kennzeichen des Kunqu. Es geht immer um die Archetypen von Begegnung (he), Trennung (li), Wiederbegegnung (tuanyuan) und um die unstillbare Sehnsucht nacheinander. Diese wiederum verlangt eine feinfühlige Poesie mit einem ausgeklügelten Voka-

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Liang Chenyu: Die Geschichte von der Seide, die gewaschen wurde

bular und einer auf Parallelismus sowie Kosmologie basierenden Ästhetik. In Anlehnung an den Übergang des Volkstheaters zum bürgerlichen Theater im Wien des 19. Jahrhunderts ließe sich daher vielleicht auch für die chinesische Bühne der Übergang des zaju über das chuanqi zum Kunqu als ein Wechsel von der Geste zum Wort andeuten: Das Primat des (derben) Spieles weicht dem Primat der (zarten) Lyrik. Das Sinnliche steht im Mittelpunkt eines Kunqu. Dieses zeigt sich im vorliegenden Stück besonders in der Ausbildung der Xi Shi zur Tänzerin und Sängerin durch die Königin höchstpersönlich, um die Lüste eines Mannes von Stand erwecken zu lernen. Auch wenn unsere Verführerin später in der Begegnung mit dem feindlichen König ihr Begehren und ihre Lust nur mimen mag, so ist jedes Wort erotisch wohlgesetzt. Wir kennen aus der Weltkultur ähnliche Geschichten von Tanz und Verderben. Sie werden seit dem Alten Testament bis heute immer wieder neu, aber vergleichbar erzählt. Da ist zum Beispiel der Schleiertanz der Salome, die den Herodes so bezirzt, daß er in die Erfüllung jeglichen Wunsches einwilligt. Es wird in Folge der Kopf von Johannes dem Täufer gefordert und schließlich auch der rachsüchtigen Mutter Herodias dargebracht. Oder da ist die Oper Die Tote Stadt (1920) von Erich Wolfgang Korngold (1897–1957). Die Tänzerin Marietta versucht, Paul von seiner Sehnsucht nach seiner verstorbenen Frau Marie abzubringen, und stürzt ihn dadurch nur in noch größere innere Konflikte. Ein Beispiel wie das letzte vermag auch die Aktualität des chinesischen Bühnenstoffes unter Beweis zu stellen. Der genannte Paul und der oben erwähnte Kaiser Xuanzong in dem Stück Ein Wutong-Baum im Regen teilen dieselbe unverwüstliche Sehnsucht nach einer Verstorbenen. Es sind Parallelen wie diese, welche es erlauben, das chinesische Theater über Zeit und Raum hinweg zu bedenken. Zu den interessantesten Motiven, die sich in Europa und China gemeinsam nachweisen lassen, zählt die Gabe eines hochempfindlichen menschlichen Wesens, sich in ein gemaltes und nur geschautes Porträt zu verlieben. Bekannt ist in dieser Hinsicht Taminos Arie aus Wolfgang Amadeus Mozarts (1756–1791) Oper Die Zauberflöte (1791). Sie beginnt mit den Worten: Dies Bildnis ist bezaubernd schön, Wie noch kein Auge je geseh’n!

Es ist hierzulande wenig bekannt, daß lange vor Mozarts Zeit sich das Kunqu bereits eines solchen Motivs in viel raffinierterer Weise angenommen hat, um den Plot eines Stückes darauf zu gründen oder zumindest zu dessen wesentlichem Bestandteil zu machen. Dieses findet in dem bereits oben erwähnten Rahmen eines Gefühlskultes statt. Als besonders repräsentativ ist hier Tang Xianzu und sein Päonienpavillon zu nennen. Dieses vielleicht berühmteste, erfolgreichste und einflußreichste chinesische Drama, welches auf deutsch dank Vincenz Hundhausen

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DIE ROMANZE DER MING-ZEIT: CHUANQI UND KUNQU

unter dem Titel Die Rückkehr der Seele (1937)481 erschien, stellt gleichsam die Matrix ähnlich gelagerter kommender Stücke dar. Da die Auseinandersetzung mit dem Urwerk umfangreich auszufallen hat, sollen zwei Epigonen mit ihrem Werk zunächst vorgezogen und behandelt werden.

481

Vincenz Hundhausen hat dieses Drama mit vielfacher chinesischer Hilfe übertragen und unter vielen verschiedenen Namen auszugsweise und schließlich in drei Bänden zusammengefaßt unter besagtem Titel herausgebracht. Die Gesamtausgabe ist sehr selten, da die Bände 2 und 3 vom Übersetzer in Peking selber verlegt worden sind. Zur Edition s. WALRAVENS: Vincenz Hundhausen. Leben und Werk, S. 112f. (Nr. 233). Davor und danach finden sich die Angaben für die Veröffentlichungen in Auszügen.

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7. Wu Bing (1595–1647): Die grüne Päonie Da ist zum einen Wu Bing (1595–1647), der aus Yixing stammte und 1619 das Doktorat erwarb. Er war zeitlebens als Beamter in gehobener Position tätig und soll aus Frustration über das korrupte Prüfungswesen seine Stücke als Mittel der Kritik eingesetzt haben. Im Gegensatz zu dem gleich weiter unten zu besprechenden Ruan Dacheng (1587–1645) war er der Ming-Dynastie auch noch nach der Eroberung Chinas durch die Mandschuren loyal ergeben. Als diese ihn 1646 ergriffen und gefangenhielten, verweigerte er die Nahrungsaufnahme und starb gut zehn Tage später.482 Seine fünf überlieferten Kunqu kreisen im großen und ganzen um ein und dasselbe Thema. Oberflächlich würde man sagen, es ist das Thema von Liebe und Ehe, von Mann und Frau. Doch da der Autor dem Gefühl, man kann auch sagen, der Liebe (qing) eine besondere Rolle als verwandelnder Kraft zuwachsen läßt, lassen sich Stücke wie »Die Schöne im Bild« (Hua zhong ren) auch philosophisch deuten. So heißt es zum Beispiel im fünften Aufzug (Shihuan):483 Unter den Menschen auf Erden, da dreht sich alles um ein einziges Zeichen. Dies ist das Zeichen für Liebe [qing]. Wenn die Liebe echt ist, können Getrennte wieder zusammenfinden, Tote wieder zum Leben erweckt werden.

Das Stück Die grüne Päonie selbst geht über Wunder wie diese gar noch weit hinaus. Wir kennen aus der Bibel die große Zusage an den Menschen »Das Wort ward Fleisch«. Hier ließe sich ein solcher Zuspruch umformulieren in «Das Bild wird Fleisch«. Der Studiosus Yu Qi malt das Idealbild einer schönen Frau nach seiner Vorstellung und hängt das Porträt an die Wand seiner Klause. Täglich erweist er der Schönen seine Ehrerbietung und ruft sie an. Wir kennen aus dem Alten Testament die Aussage »Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, du bist jetzt mein« (Jesaja, 43.1). Und wir kennen auch von Martin Buber (1878–1965) die These von Menschsein als Angeredetwerden. Nur wer angesprochen wird, kann ein menschliches Wesen sein oder werden. Es sind Ritus und Anrede, welche im vorliegenden Stück die Verwandlung der Materie, des Bildes in eine lebendige Gestalt erlauben. Dies ist unsere Sicht, aber folgt der Autor ihr auch wirklich? 482

483

Zu seinem Leben und Werk s. LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 3, S. 390– 397. Im Gegensatz zu manch anderer, nicht selten nichtssagender Ausführung (HUNG: Ming Drama, S. 177–179) brillieren hier die beiden Verfasser bei der Deutung, die der von BIRCH: Scenes for Mandarins, S. 183–217, nahekommt. Bei letzterem findet sich übrigens auch eine Teilübersetzung von dem Stück Die grüne Päonie (Lü mudan). Zum Original s. WANG JISI (Hg.): Zhongguo shi da gudian xiju ji [Chinas zehn große Komödien], Ji’nan: Qi-Lu Shushe 2006, S. 533–658. Übersetzt nach LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 3, S. 391.

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Nun, die Dinge werden von ihm nicht auf solch philosophische Art geklärt, sondern nach einem traditionellen Verständnis, das uns schon oben bekannt geworden ist. Die Anrufung unseres Studiosus verführt nämlich die Seele eines anderweitig befindlichen schönen Mädchens, die Gestalt des Porträts anzunehmen, von der Wand herniederzusteigen und sich mit Yu Qi zu vermählen. Derweil ist ihr Leib als reine Hülle in einem Tempel verblieben, kann aber durch den Liebenden wieder zum Leben erweckt werden. Wie kommt es, daß sich ein Mann so sehr nach einer Frau seiner Vorstellung sehnt? Erschafft er sich seine Partnerin selbst, so wie wir das aus dem PygmalionMythos von Ovid (43. v.Chr. – ca. 18 n.Chr.) kennen? Offenbar ja. Die Parallelen sind jedenfalls erstaunlich. Gleichwohl paßt Wu Bings Werk nicht zur gängigen feministischen Kritik, die sich in den letzten Jahrzehnten vor allem an dem allbekannten Spruch »Nur eine Frau ohne Talent ist eine Frau von Tugend« (Nüzi wu cai, bian shi de) festgemacht hat. Der Autor nimmt nämlich eine Umwertung der Werte vor. Eheleute lernen sich nicht nur vor der Ehe kennen, ihre Vermählung wird nicht auf der Basis von Besitz und Herkunft arrangiert, sondern die Beziehung der Geschlechter bekommt eine völlig neue Grundlage: das Herz und das Gedicht bzw. ein Herz, das sich lyrisch so auszudrücken weiß, daß sich der oder die Lesende nach dem Verfasser bzw. der Verfasserin zu sehnen beginnt. Damit werden alte Modelle des Erzählens und des Bühnenpiels zerbrochen! Eine Frau, die Gedichte schreibt, muß notwendigerweise gebildet sein, sie würde sonst weder ein Poem perfekt beenden noch mit einem gelungenen Vers den richtigen Mann locken und für sich gewinnen können. Sie muß also unbedingt Talent haben. Schönheit allein reicht nicht mehr aus. Und auch der Mann muß entsprechend umdenken gelernt haben: Ein Bühnenheld erschreckt nun keinesfalls vor dem himmlischen Zauber einer jungen Fee (jingyan), sondern nur noch vor der Poesie einer zarten Hand. Caizi jiaren, dieses Muster von »klugem Mann und schöner Frau«, hat hier deswegen ausgedient, weil der Wert eines Menschen sich fortan nicht mehr im Äußeren (se) zeigt, sondern sich nur noch im Gedicht offenbart. Und da das Gedicht der Ort der Gefühle ist, spricht das Herz des einen zum Herz des anderen bzw. umgekehrt durch die Lyrik. Ja, wir können sogar so weit gehen anzunehmen, daß der kluge Mann in der klugen Frau bzw. die kluge Frau im klugen Mann einen echten Gesprächspartner sucht und auch findet. Anders als bei Tang Xianzu erleben Mann und Frau bei Wu Bing nicht Frühlingsgefühle aufgrund ihrer natürlichen körperlichen Entwicklung, sondern auf der Basis ihrer Gestimmtheit und ihrer Geistigkeit. Nicht das geschlechtliche Verlangen gibt den Ausschlag, sondern der Geist, ein Geist, der in der Lage ist, durch Poesie selbst Tier und Ding zum Leben zu erwecken. Daher liegt der tiefere Sinn des Dichtens in der Beseelung der Welt. Shen Zhong, der Vater der Schönen, singt nach der Melodie Liangzhouxu:484 484

Übersetzt nach WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian xiqu ji, S. 555; BIRCH: Scenes for Mandarins, S. 201f.

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Wu Bing: Die grüne Päonie Der Wehmut ein Bild zu malen und die Rohrsänger weinen machen, das Schöne zum Thema machen und die Blumen erwecken. Das ist naturgemäß die Art der Dichter. Diese kratzen sich den Kopf und befragen den blauen Himmel, ein guter Vers soll her, genug, um alles aufhorchen zu lassen.

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8. Ruan Dacheng (1587–1645): Der Brief der Schwalbe Wu Bing teilt mit dem Zeitgenossen Ruan Dacheng die dramatische Technik, die für den Aufbau eines Bühnenstückes notwendig ist: Verwechslung dank eines Mißverständnisses und Fortuna dank plötzlicher Gegebenheiten treiben eine Handlung voran. Nochmals: Verwechslung, das heißt, Dinge geraten in die »falschen« Hände, Personen erkennen einander nicht etc. Fortuna, das heißt, der Zufall hilft kräftig mit, die richtigen Personen zusammenzubringen, die Verwicklungen zu lösen etc. Eine Technik wie diese läßt sich selbstverständlich als ein fixes Schema kritisieren, ein Schema, welches eher einen guten Stil als einen tiefen Inhalt befördern hilft. Entsprechend Kritisches findet sich in der chinesischen Sekundärliteratur zu unseren beiden Autoren. Im Falle von Ruan Dacheng, der einer politisch mächtigen Familie entstammte, sein Doktorat 1616 abschloß und in hohe Ämter aufstieg, kommt erschwerend noch dessen unbotmäßiger Lebensstil hinzu. Er hängte seinen Mantel nach dem Wind, diente allen und jedem. Dabei hat er sich Mittel bedient, die seinen Ruf bis heute beschädigt haben. »Minister« und »Verräter« (jianchen) schien und scheint in seinem Fall synonym zu sein.485 Unter dieser traditionellen Sicht in China hat auch bislang die Deutung seines Werkes zu leiden gehabt. Wir sind es in deutschen Landen gewohnt, Leben und Werk eines Literaten zu trennen; ein politisch fragwürdiger Literat kann also durchaus ein überragendes Werk hinterlassen haben. Dafür bietet die deutsche Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts hinreichend Beispiele an. Andererseits kann aber auch die chinesische Vorliebe für eine Ineinssetzung von Werk und Existenz zu gewissen Erkenntnissen führen. Wenn also zum Beispiel die Plots der vier von elf erhaltenen Kunqu des Ruan Dacheng von der Lebenshaltung des Verfassers her auf einen dreifachen Nenner gebracht werden,486 so ist einer solchen Deutung nicht von vornherein ein gewisser Erkenntniswert abzusprechen. Die Biographie unseres Autors legt nämlich die Vermutung nahe, daß es diesem mit seinem Hang zur Karriere um nichts anderes als um Macht gegangen ist. Ideale – lassen wir vielleicht einmal seine dramatischen Aktivitäten als Leiter einer privaten Theatertruppe, als Dramaturg und Schauspieler außer acht – scheinen ihm fremd gewesen zu sein. Und so bringt denn eine chinesische Stimme die Plots all seiner bekannten Stücke auf die folgenden dreifachen Nenner. 1. Ruan Dachengs Maxime »Besser ein Leben lang ohne Sohn als ohne Amt!« schlage sich in seinen Bühnengestalten nieder, die kein anderes Lebensziel kennen als den Erfolg im staatlichen Examen 485

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Zu seiner Biographie und zu seinen Machenschaften s. ATHUR W. HUMMEL (Hg.): Eminent Chinese of the Ch’ing [d.i. Qing] Period, Bd. 1, Taipeh: Ch’eng Wen Publishing Company, Repr. 1975, S. 398f. Zu seinem Leben und Werk s. auch HUNG: Ming Drama, S. 174–177. So von LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 3, S. 403–411.

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Ruan Dacheng: Der Brief der Schwalbe

und im kaiserlichen Dienst. 2. Die Nöte, auf welche diese anfangs träfen, würden sie hinnehmen, statt dagegen anzugehen. Flucht, Ergebung und Groll seien daher Kennzeichen eines jeden Charakters. 3. Die Protagonisten seien verliebt in die Macht. Statt sich auf die eigene Kraft zu verlassen, auf lautere Beamte etwa oder auf einen klärenden Gerichtsprozeß, suchten sie bei Konflikten ihr Heil in eigenen oder fremden Machtpositionen. Wie dem auch sei, der Fachmann Cyril Birch, der die unschönen Seiten des Autors nicht verschweigt, hat sich dennoch in die Lage eines objektiven Urteils über die zwischen 1629 und 1644 hauptsächlich zurückgezogen in Nanking verfaßten Komödien gesetzt. Er spricht von der Komödie Der Brief der Schwalbe (Yanzi jian, Vorwort 1642), die 1644 (ur)aufgeführt wurde, als einer hohen Kunst.487 Das Stück der Irrungen und Wirrungen in Momenten des Krieges hat 42 Aufzüge. Es spielt zur Zeit des oben bereits erwähnten Aufstandes von An Lushan, also zur Tang-Zeit. Auch hier begegnen wir der talentierten und schönen Frau, auch hier verliebt sich ein Mensch in ein Porträt bzw. in den unbekannten Verfasser von Versen. Der Held Huo Duliang, der zur Ablegung des Examens nach Chang’an, der damaligen Hauptstadt, gekommen ist, malt ein Bild von sich und seiner Kurtisane (Hua) Xingyun (Treibende Wolke). Als er dieses zum Rahmen weggibt, kommt es zur Vertauschung mit dem Bild eines weiblichen Bodhisattwa. Eine andere Schöne namens (Li) Feiyun (Fliegende Wolke) erhält das falsche Gemälde und verliebt sich in das Bild des jungen Scholaren, den sie weder kennt noch jemals zu Gesicht bekommen hat. Ihrer Zuneigung gibt sie in einem Gedicht Ausdruck, den eine Schwalbe wie einen Brief – daher der Titel – an den unbekannten Geliebten übermittelt. Dieser wird nach der Lektüre sogleich liebeskrank. Das Wunderbare ist, daß beide Frauen nicht nur einander sehr ähneln, also einander Spiegelbilder sind, sondern daß sie auch der vertauschten Bodhisattwa gleichkommen. Unser Held, der wiederum den beiden Schönen sehr ähnlich sieht, bringt dem Porträt Opfer dar. Da Fliegende Wolke sein Konterfei für das eines Unsterblichen (xianren) hält, schwingen also auf beiden Seiten der gegenseitigen Verehrung religiöse Untertöne mit. Aber noch verwunderlicher ist, daß die Tochter eines hohen Ministers hier alles andere als ihrem Stand gemäß handelt. Nicht nur daß sie den Mann einer anderen begehrt, daß sie überhaupt begehrt, statt auf die standesgemäße Fügung der Familie zu warten, stellt einen Verstoß gegen die damalige Ordnung dar, die einer gebildeten Tochter aus gutem Hause eigentlich besonders streng auferlegt war. Die Geschichte eines Mannes und zweier Frauen also, die beide von ihm nicht lassen wollen! Kommt es darüber zu einem Konflikt? 487

BIRCH: Scenes for Mandarins, S. 219–247. Er behandelt und übersetzt hier in Auszügen und exemplarisch besagte Komödie. Als Original lag mir die Ausgabe aus Schanghai: Xin Wenhua 1931 in zwei Bänden sowie die japanische Übersetzung Enshisen, in: Kokuyaku kambun taiseī, Reihe 1, Bd. 37, Tokio: Kokumin Bunko 1926, keine durchgehende Paginierung, vor. Zur Interpretation s. auch RICHARD E. STRASSBERG: »The Authentic Self in 17th Century Drama«, in: Tamkang Review 8.2 (Oktober 1977), S. 78–81, S. 98 (S. 61–100).

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DIE ROMANZE DER MING-ZEIT: CHUANQI UND KUNQU

Nein, denn die Kurtisane wird als Tochter adoptiert, so daß unser Held zwei Ehefrauen hat und nicht eine Ehefrau nebst Konkubine. Und eben dies, auf keine der beiden verzichten zu müssen, ist just, was er als Ziel das ganze Stück hindurch verfolgt. Wir wollen, bevor wir uns der eigentlichen Modellvorgabe dieses Stückes widmen, nämlich der Rückkehr der Seele, eine Passage aus der Komödie übersetzen, die das Erwachen von Liebe und Lust im Angesicht eines männlichen Porträts zum Thema hat. Hier das Zwiegespräch von Heldin Feiyun (Fliegende Wolke) und Zofe Meixiang (Prunusduft):488 Feiyun: Meixiang! In den letzten beiden Tagen war ich unpäßlich. Gerade war ich in einem Traum. Es war alles verschwommen. Mir war, als schlüge ich unter blühenden Bäumen nach Schmetterlingen. Da spürte ich den Dorn einer Rose im Gewand. Ich suchte auf der Hut zu sein, da war ich schon erwacht. Meixiang: Das ist es, das ist es! Das Porträt nämlich, das neulich fälschlich geliefert wurde. Es bietet diese Szene. Kaum hat das Fräulein es erblickt, schon mochte das Herz nichts andres wägen. Daher dieser Traum. Und suchte dich da nicht der junge Mann im roten Gewand auf? Feiyun: Unsinn. Bring mir das Bild. Ich will einmal genauer schauen. Meixiang: Mach’ ich. (Sie holt das Bild.) Fräulein, hier ist es. Feiyun (nimmt das Bild und betrachtet es genauer. Sie singt nach der Melodie Huangying’er) Herzensangelegenheiten kennen keinen besonderen Grund, Frühlingssehnsucht wurde durch dies Gemälde geweckt. Ja! Bei einem Gemälde läßt sich nicht fragen, ob wahr oder fiktiv. Es mag zwar Zufall sein, doch wie kommt soviel Ähnlichkeit zustande? Meixiang, hol den Spiegel! (Meixiang holt den Spiegel.) (Feiyun betrachtet sich nun im Spiegel und schaut wieder auf das Porträt, sie lacht:) Das Mädchen auf dem Bild sieht aus wie ich, lediglich auf den Wangen ist ein roter Tupfer zuviel. (Sie singt nach der Melodie Yingtixu:) Zuviel, oh, zuviel, ein Pfirsichrot auf weißen Wangen aufgelöst, und wenn ich mich erbarmte, dem Bild Odem eingäbe, sie flöge herab und stände an meiner Seite. 488

Übersetzt nach RUAN: Yanzi jian, Bd. 1, S. 75–83; hilfreich bei der Übersetzung war mir BIRCH: Scenes for Mandarins, S. 226–229. Allerdings scheint Birch eine andere chinesische Fassung vorgelegen zu haben. In einzelnen Fällen war ich mir bei der Übersetzung unsicher.

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Ruan Dacheng: Der Brief der Schwalbe Meixiang: Schau, wie lebendig, der Pirol und das Paar weiße Schmetterlinge. (Sie singt:) Der Pirol scheint am Ohr zu flöten, die Schmetterlinge rühren mit ihren Flügeln sacht einen Duft auf. In die Blüte tritt dieser junge Herr, gepudert und mit duftendem Gewand. Fräulein, diese beiden auf dem Bild, sind sie ein Paar? Oder hat sich da jemand die Gunst eines Liebchens verschafft? Wenn es ehrenwerte Personen sind, sollten sie nicht so affktiert sein; wenn sie zum ersten Mal beieinander sind, dann sollten sie nicht so vertraut miteinander sein. (Sie singt nach der Melodie Jixianbin:) Wenn sie nicht wie Taube und Täuberich in einem Nest sind, warum sind sie dann so ohne jede Scham? Oder sind sie ein Entenpaar, das wild sich paart in wasserreichem Teich? Fräulein, dieser Herr auf dem Bild! (Sie singt:) Schau, schwarz ist seine Seidenbedeckung, mandelrot sein Gewand, mit ihr zur Seite steht er lächelnd unter Blüten, man mag ihm ohne Scham Früchte zuwerfen in seinen duftenden Wagen. Feiyun: (Sie singt:) Eine Frau wie sie, wie tut sie so heimisch und vertraut, so lebendig gezeichnet; einfach so verfänglich bei einem Stelldichein. Das Bild ist unterschrieben mit dem Namen Huo Duliang, die Striche sind noch frisch. Der Maler muß also noch in der Gegend sein. (Sie singt:) Bedenke ich es im Herzen, so ist klar, daß jemand namens Huo Frauen zu malen beliebt, denen das Haar wolkengleich steht. Betrachte ich dies Bild, so ist es halb erdacht, halb real. Es hat einen Inhalt und doch auch nicht. Im Herzen finde ich es schwierig, seine Zuverlässigkeit zu entscheiden. Wie es der Zufall erfreulicherweise will, finden sich auf dem Tisch die vier Schätze der Studierstube. Da kann ich nicht anders, als ein Gedicht zu verfassen, um mal meinen geheimen Kummer niederzuschreiben. (Sie reibt Tusche, nimmt Papier und Pinsel, schreibt, singt nach der Melodie Tiying’er:) Ein Stück Papier schwarz und Gold, ein Frühlingsherz bedrängt von Ungemach. Kein brokatenes Palindrom, keine all der feurigen Palastklagen. Ich schreibe über meine Empfindungen, ein Blatt Leidenschaft.

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DIE ROMANZE DER MING-ZEIT: CHUANQI UND KUNQU Naiv fahre ich mir über die Augen, augenblicklich erfüllt, dann niedergeschlagen. (Sie schaut auf) Ich höre in den Balken die Frühlingsschwalben unaufhörlich zwitschern. (Sie hat das Gedicht beendet, nimmt das Blatt und liest den Text für sich laut. Nach der Melodie Zuitaoyuan:) Der Wind bläst, der Regen geht, die Blüten fallen, im Frauengemach erkalten die Frühlingsträume. Ich erhebe mich, kraftlos lehne ich am Geländer, ich betrachte das Bild vor Augen, grüne Ärmel aufgebauscht, ein rotes Gewand dabei. Die Oriolen so anmutig, die Schmetterlinge so natürlich. Wann werde ich ihn auf dem Zauberberg treffen können? Das Gesicht gemalt, als wären wir von gleichem Alter. Verfaßt von Feiyun aus Weiqu. Mein Gedicht kommt dem Gemälde gleich. (Sie legt es auf den Tisch.) Meixiang (schaut über das Blatt Papier hinweg nach oben und nach unten.) Komisch! Die Schwalbe vom Dachbalken fliegt hin und her, anders als früher am Spiegeltisch. (Sie schlägt nach ihr.) Sie hat die Schatulle ganz dreckig gemacht! Oh! Wieso hat sie das Gedicht der Herrin im Schnabel fortgetragen? Schwalbe! Kehr um! Gib das Gedicht des Fräuleins zurück! Feiyun (lacht) Dummes Ding! Seit wann können Schwalben Menschen verstehen? Laß sie einfach. (Sie singt nach der Melodie Maoerzhui:) Flieg, Schwalbe, flieg, an deinem Schwanz ein Haarpfeil; im Schnabel ein Liebesbrief, wer wird der Glückliche deiner wohlduftenden Last sein? Meixiang (singt nach der Melodie Maoerzhui:) Himmel, oh, Himmel! Niemand anders als ein dunkler Vogel macht den hohen Vermittler, um zwei vom Schicksal Bestimmte zusammenzubringen? Der Hof verdeckt die Birnenblüten. (Sie zeigt auf ein Schwalbennest.) Schwalbe! Schwalbe! (Sie singt die Koda:) Du mußt zu deinem Nest zurückkehren; ich werde dich mit einem roten Faden binden und dir auftragen, mir den Brief auszuhändigen.

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Ruan Dacheng: Der Brief der Schwalbe Fräulein, ich bringe die Schreibutensilien in Ordnung und gehe erst hinein. Sie können sich dann in der Kammer ausruhen. […] (Sie geht hinaus.) Feiyun (Sie schielt ihr hinterher, bis sie im Haus verschwunden ist.) Oh! Solange dieses Kindchen bei mir war, konnte ich nicht über meine Gefühle sprechen. (Sie lacht.) Dieser junge Mann im roten Gewand auf dem Bild, wer ist das nun eigentlich? (Sie singt nach der Melodie Sijihua:) Ein Unsterblicher ist’s im Bild, am Rande der Brauen, im Wangengrübchen sehe ich soviel Eleganz, soviel Natürlichkeit. […]

Der Auszug spricht für sich. Wir können ihm, verfaßt von einem Epigonen, nicht viel Tiefes entnehmen. Fahren wir also dort fort, wo die eigentliche Quelle anzutreffen ist.

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9. Tang Xianzu (1550–1617): Die Rückkehr der Seele Es ist bereits mehrfach oben die Rede von einem Stück gewesen, das als philosophisches Modell Schule gemacht hat. Auch hier begegnet uns das Motiv der Liebe zu einem gemalten Bild wieder. Im englischen Sprachraum ist es unter dem Namen The Peony Pavilion489 bekannt und übersetzt worden, im deutschen unter dem Titel Die Rückkehr der Seele490. Beide Bezeichnungen gehen auf das Original zurück, welches in der Langform Mudanting huanhun ji lautet und zur Gänze mit »Aufzeichnung von der Rückkehr einer (schönen) Seele am Päonienpavillon« wiederzugeben wäre. Der Titel ist nicht nur außerweltlich als Seelenwanderung, sondern auch erotisch zu verstehen, denn die Päonie steht in der chinesischen Symbolwelt für eine schöne Frau, für ein spät Erfüllung findendes Mädchen und für die Vagina.491 Obwohl früh ins Deutsche und vergleichsweise spät ins Englische übersetzt, ist dieses berühmteste aller chinesischen Bühnenspiele dennoch erst jüngst einem allgemeinen Publikum im Westen bekannt geworden, allerdings auch unrühmlich. Für den Spätfrühling 1998 hatte nämlich der seit 1987 in Amerika lebende Regisseur Chen Shizheng (geb. 1963) eine Welttournee mit der Aufführung dieses Stückes durch das Schanghaier Kunqu Ensemble in New York, Paris, Sydney und Hongkong geplant. Doch die Kulturbehörde von Schanghai untersagte nach einer öffentlichen Hauptprobe die Ausreise der Künstler. Der Inszenierung wurden Porno489

490

491

TANG XIANZU: The Peony Pavilion (Mudan Ting). Translated by CYRIL BIRCH, Bloomington: Indiana UP 1980. Diese Übersetzung enthält auch eine kurze Einleitung. Zu einer ersten, wenn auch kurzen, doch anregenden Übersicht über den Gang und die Deutung des Stückes s. LIU: Essentials of Chinese Literary Art, S. 102–106. Zur Reaktion der weiblichen Leserschaft auf dieses Drama s. ELLEN WIDMER: »Xiaoqing’s Literary Legacy and the Place of the Woman Writer in Late Imperial China«, in: Late Imperial China 13.1 (1992), S. 111–115; JUDITH T. ZEITLIN: »Shared Dreams: The Story of the Three Wives’ Company on The Peony Pavilion«, in: HJAS 54.1 (1994), S. 127–179. TANG HSIÄN DSU [d.i. Tang Xianzu]: Die Rückkehr der Seele. Ein romantisches Drama. In deutscher Sprache von VINCENZ HUNDHAUSEN. Mit vierzig Wiedergaben chinesischer Holzschnitte eines unbekannten Meisters der Mingzeit, 3 Bde., Zürich/Leipzig: Rascher 1937. Die drei Bände sind einzeln betitelt: Traum und Tod (Bd. 1), Die Auferstehung (Bd. 2), Im neuen Leben (Bd. 3). Hundhausen führt namentlich die sechs chinesischen Gelehrten auf, die ihm bei der Übertragung behilflich waren. Zu deren Identität s. BIEG: »Literary Translations of the Classical Lyric and Drama of China in the First Half of the 20th Century« (s. Anm. 290). Zu den Prinzipien seiner Übersetzung spricht Hundhausen in Bd. 1, S. xiv, xviii. Zum Bild und zur Geschichte der Päonie in der chinesischen Literatur seit der Tang-Zeit s. RONALD EGAN: The Problem of Beauty. Aesthetic Thought and Pursuits in Northern Song Dynasty China, Cambridge (Mass.) u. London 2006, S. 109–161. Zu dieser »Nationalblume«, im Deutschen auch Pfingstrose geheißen, und ihrer 2000jährigen Züchtungsgeschichte s. auch den informativen Beitrag von JULIA KOSPACH: »Und 20 Köpfe wenden sich. […] die Päonie – eine Reise zu Chinas Pfingstrosen«, in: Die Presse 26.5.2007, S. V (Spectrum).

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graphie, Feudalismus und Aberglaube vorgeworfen. 492 Zuvor war es aber dem amerikanischen Theaterregisseur Peter Sellars (geb. 1957) bei den Wiener Festwochen gelungen, in einer Neuvertonung von Tan Dun (geb. 1957) diese Weise von der Allmacht der Liebe mit überwältigendem Erfolg einer hiesigen Zuschauerschaft nahezubringen. Bei der begeisterten Aufnahme mögen Anspielungen auf das europäische Theater mit ausschlaggebend gewesen sein.493 Das Stück, das von Tang Xianzu 1598 verfaßt wurde und unter seinen insgesamt fünf überlieferten Werken494 das einzige weltliche ist, hat 55 Aufzüge. Im Mittelpunkt steht die Protagonistin Du Liniang, die einmal mit dem Käthchen von Heilbronn verglichen wurde. 495 Das Geschehen läßt sich, wie das auch Vincenz Hundhausen bei seiner Eindeutschung gemacht hat, in drei Teile gliedern: 1. Die Heldin erfährt im Traum die Liebe und verzehrt sich daraufhin aus Sehnsucht nach ihrem phantastischen Geliebten (Szenen 2–20). 2. Sie wird aus der Welt der Toten entlassen und erlebt die Auferstehung (Szenen 21–37). 3. Es erfolgt schließlich die Versöhnung der unterschiedlichen Prinzipien, die mit einem Happyend zum Abschluß kommt (Szenen 38–55).496 In jedem dieser drei Teile waltet ein anderes Gesetz. Am Anfang steht die Macht der Liebe (renqing), es folgt dann die Auseinandersetzung mit der »natürlichen Vernunft« (tianli), das heißt mit den neokonfuzianischen Vorstellungen einer vom Himmel verliehenen Struktur des Seienden. Zu guter Letzt werden die sich eigentlich gegenseitig ausschließenden Prinzipien unter das »Landesgesetz« (guofa) gestellt und ihres Gegensatzes beraubt. Trotz der Fülle der Aufzüge bietet das Stück eine innere Einheit.497 Auch wenn keine Szene aus der vorhergehenden folgt, ist der Ablauf kein beliebiger. Es geht um eine Art dichtes Seelengewebe, das in die Jahreszeiten eingebettet ist498. Es lohnt, in diesem Zusammenhang noch einmal auf Vincenz Hundhausen zu hören, 492 493 494

495 496 497

498

Vgl. hierzu South China Morning Post vom 6. Juli 1998, S. 12 und die Frankfurter Allgemeine Zeitung (?) vom 27./28. Juni 1998, S. 34. Vgl. hierzu die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. Mai 1998, S. 43. Zur Ausgabe seiner fünf Bühnenwerke s. QIAN NANYANG (Komm.): Tang Xianzu xiqu ji [Die gesammelten Theaterstücke des Tang Xianzu], 2 Bde., Schanghai: Shanghai Guji 1978. Zu einer neuerlichen ausführlich kommentierten Ausgabe s. XU SHUOFANG (Komm.): Tang Xianzu quanji [Sämtliche Werke des Tang Xianzu], 3 Bde., Beijing: Guji 1999. Unser Stück findet sich in Bd. 3, S. 2059–2278. MARION EGGERT: »Du Liniang, das Käthchen von Heilbronn und die Lust des Träumens – ein Versuch«, in: minima sinica 1/1992, S. 37–56. Ich folge hier JOHN Y.H. HU [d.i. Hu Yaoheng]: »Through Hades to Humanity: A Structural Interpretation of The Peony Pavilion«, in: Tamkang Review X.3+4 (1980), S. 591–608. Ich folge hier CYRIL BIRCH: »The Architecture of the Peony Pavilion«, in: Tamkang Review X.3+4 (1980), S. 609–640. Die von ihm daselbst aufgeführten Strukturmerkmale sollen an dieser Stelle nicht zusammengefaßt werden, da hierzu zu sehr auf das der überwiegenden Leserschaft unbekannte chinesische Original zurückgegriffen werden müßte. S. hierzu ROBERT SHANMU CHEN: A Comparative Study of Chinese and Western Cyclic Myths, New York u.a.: Peter Lang 1992 (= Asian Thought and Culture; VIII), S. 90–98. Daselbst findet sich auf den S. 98–101 auch noch eine Interpretation von Tang Xianzus Aufzeichnung von einem Traum in Handan (Handan meng ji, 1601).

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der zwar allgemein, aber doch auch für Mudan ting beispielhaft das folgende zu sagen hat:499 Im chinesischen Drama aber […] dient [die Lyrik] zur poetischen Entwicklung und Ausmalung der seelischen Zustände, die sich im Laufe des äußeren Geschehens ergeben. Wie dies äußere Geschehen fortgeführt wird, (eine Aufgabe, der die Hauptarbeit unserer Dramatiker gewidmet ist,) ist dem chinesischen Dramatiker nebensächlich. Die einzelnen Szenen sind nur lose, in epischer Folge aneinandergereiht. Das ganze Drama ist nicht nach strengen Gesetzen durch Verwicklungen und Entwicklungen gestaltet, nicht über Steigerung, Höhe, Katastrophe und Ausklang zu Ende geführt. […] In der Gestaltung der einzelnen Szene, in der Gestaltung und Ausmalung ihrer seelischen Zustände gipfeln der Gestaltungswille und die künstlerische Leistung des chinesischen Dramatikers.

Tang Xianzu, der aus Linchuan in Jiangxi stammte und 1583 das Doktorat erwarb, brachte es aufgrund seiner Redlichkeit zu keiner besonderen Beamtenkarriere.500 1598 zog er sich aus dem öffentlichen Leben zurück und widmete sich dem Theater. Von seinen fünf Stücken ist das oben angeführte das bekannteste, es wird manchmal mit drei anderen katalogartig unter dem Titel Die vier Träume aus Linchuan (Linchuan si meng)501 zusammengefaßt. Die Sekundärliteratur hebt gern den Umstand hervor, daß es die hohe literarische Meisterschaft unseres Kunqu gewesen sei, welche den Niedergang der Theaterkunst zur Ming-Zeit eingeleitet habe. Sein Verfasser habe über die Sprache und das Geistige hinaus zu sehr den musikalischen, also den Bühnencharakter, vernachlässigt. Tang Xianzu spielt nicht nur sprachlich, sondern auch thematisch auf zwei überlieferte Stücke an, die oben schon unser Gegenstand gewesen sind, nämlich Das Westzimmer und Eine schöne Seele verläßt ihren Leib. In diesen beiden Dramen geht es ebenfalls um die verwandelnde Kraft der menschlichen Empfindung. Doch Tang Xianzu geht einen Schritt weiter. Er, der der Empfindung (qing) den Vorrang vor der Vernunft (li) eingeräumt hat, erhebt die Liebe (qing) gleichsam in einen philosophischen Rang, auch wenn er gleich zu Beginn des Vorspiels von der Schwierigkeit seines Unterfangens berichten läßt: »Nichts auf Erden ist so hart wie die Rede von der Liebe« (Shijian zhi you qing nansu). Einer Liebe, die, wie es wenig später heißt, schmerzt (qingshang).502 499 500 501

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TANG: Die Rückkehr der Seele, Bd. 1, S. xiii. Seine Biographie findet sich merkwürdigerweise nicht in dem Dictionary of Ming Biography, sondern bei HUMMEL (Hg.): Eminent Chinese of the Ch’ing Period, Bd. II, S. 708–709. Neben dem Mudan ting ist aus dieser Sammlung einzig noch Die Aufzeichnung von Handan (Handan ji) in eine westliche Sprache übersetzt, s. TANG XIANZU: L’Oreiller magique. Traduit du chinois par ANDRE LEVY. [Paris?] Éditions MF 2007. Zum Original s. QIAN (Komm.): Tang Xianzu xiqu ji, Bd. 2, S. 699–854. Zum unterschiedlichen Gebrauch (mal Hochsprache, mal Vulgärsprache) von qin in genanntem Stück s. WAI-YEE LI: »Languages of Love and Parameters of Culture in The Peony

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Tang Xianzu: Die Rückkehr der Seele

Die Handlung spielt etwa zwanig Jahre nach der Spaltung des Song-Reiches in einen nördlichen Teil unter der Jin-Dynastie und in einen südlichen Teil, welcher China nach 1127 verblieben ist. Die Heldin Du Liniang (die schöne Maid Du) ist, im sechzehnten Lebensjahr (sui) stehend, noch ohne Aussicht auf eine Ehe, da ihre Familie es bislang nicht eilig hat, in dieser Hinsicht entsprechende Arragements zu treffen. Sie lebt in Nan’an im heutigen Kiangsi (Jiangxi), wo ihr Vater als Präfekt (taishou) wirkt. Ein Scholar namens Liu (Weide) hat von ihr, der Unbekannten, geträumt und sich daher wunderbarerweise den Beinamen Mengmei (»Mir träumte von der Prunusblüte«) zugelegt. Vom Hauslehrer Chen Zuiliang wird sie in die Klassiker eingewiesen, damit sie später – so der Wunsch der Eltern – eine gute Partie abgibt, das heißt, als gebildete Gattin einem gelehrten Ehemann die rechte Gesprächspartnerin ist. Wir schließen daraus, daß Frauen damals nicht immer so unterdrückt waren, wie es uns Politik und Forschung so lange und so gern weismachen wollten. Bei der Lektüre des Buches der Lieder entwickelt unsere Schöne zum ersten Mal Frühlingsgefühle (chunqing)503.. Sie träumt daraufhin im verbotenen Garten von besagtem Unbekannten, der sie nahebei im Päonienpavillon zu ihrer höchsten Seligkeit in die Wonnen ihres Leibes einführt. Man würde einen Traum wie diesen heute einen »wet dream« nennen. Ihre nach dem Erwachen anhaltende große Sehnsucht nach einer Wiederholung des Geträumten im wirklichen Leben gibt ihr eine Todesahnung ein, so daß sie verfügt, unter dem Prunus504 alsbald begraben zu werden. Sie malt nun, um ihre Schönheit zu verewigen, ein Bild von sich (14. Auf-

503

504

Pavilion and The Story of the Stone«, in: EIFRING (Hg.): Love and Emotions, S. 239–255. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die weiteren Ausführungen der Autorin zu Tang Xianzu in ihrem Buch: Enchantment and Disenchantment. Love and Illusion in Chinese Literature, Princeton: Princeton UP 1993, S. 50–64. Zum selben Thema s. weiter DOROTHY KO: Teachers of the Inner Chambers. Women and Culture in Seventeenth-Century China, Stanford: Stanford UP 1994, S. 68–112 (»The Enchantment of Love in ›The Peony Pavilion‹«). Das »Frühlingserwachen« junger Frauen war auch gern Thema der chinesischen Malerei, s. BRIGITTE SALMEN (Hg.): Chinesische Bilder. Volkskunst – Inspiration für den »Blauen Reiter«, Murnau: Schloßmuseum 2007, S. 52 (Nr. 61). Zum Bild der (lesenden) schönen Frau als lebendes Kunstwerk, als Kunstfigur bzw. als Göttermädchen in der chinesischen Geistesgeschichte s. FRIEDERIKE GABRIELE WAPPENSCHMIDT: Das Bild der schönen Frau in der chinesischen Malerei, Phil. Diss. Universität Bonn 1978. Aus dieser Dissertation entstanden die drei augenfällig bebilderten Aufsätze: »Tugend, Schönheit und Erotik. Das Bild der schönen Frau in der chinesischen Malerei«, in: KLAUS FISCHER, VOLKER THEWALT: Ars et Amor. Aufsätze für Herrn Prof. Dr. Heinz Hunger zum 85. Geburtstag, Heidelberg: Thewalt 1992, S. 9–41; »Museum der Augenlust. Kunst in den Gemächern vornehmer Chinesinnen«, in: Weltkunst 6/1997, S. 564–565; »Schöne Frauen und Göttermädchen. Schönheitsideale in der chinesischen Malerei«, in: Weltkunst 15/1988, S. 2126–2132. Für die Symbolik (Päonie) etc. des Mudan ting finden sich hier die schönsten Belege aus den Künsten! Zum Topos der göttlichen Schönen in der chinesischen Literaturgeschichte s. LI: Enchantment and Disenchantment, S. 23–46. Das Zeichen mei wird mal als chinesische Essigpflaume, mal als japanische Aprikose aufgefaßt. Es handelt sich hier neutral gesprochen um Prunus mume.

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DIE ROMANZE DER MING-ZEIT: CHUANQI UND KUNQU

zug), das im Falle ihres Sterbens nahe dem Pavillon beerdigt werden soll. Sie stirbt tatsächlich ein halbes Jahr später an Liebesweh bzw. an ihrem Traum, wie es auch so schön heißt (23. Aufzug). Es wird für sie ein Schrein505 errichtet, der Prunusschrein (Meihua anguan), um den sich ihr hausbackener Hauslehrer und eine taoistische Nonne namens Stein zu kümmern haben, also zwei Gestalten, die von blühenden Gärten und der Liebe nichts wissen (wollen). Liu Mengmei trifft auf seinem Weg zum Examen wunderbarerweise in der nach dem Tod der Tochter inzwischen von der Familie verlassenen Residenz ein. Der Vater unserer Schönen, Du Bao, hatte in die Präfektur (fu) Yangzhou zu gehen, um von dort aus Verteidigungsmaßnahmen gegen bedrohliche Angriffe aus dem feindlichen Norden vorzunehmen. Am verlassenen Ort nun findet unser Kandidat für das höchste Staatsexamen das Bild unter den Steinen in einem Kästchen und verehrt die auf ihm Abgebildete wie die Göttin der Barmherzigkeit. Du Liniang, die nach ihrem Tod die Unterwelt aufgesucht und gegen den dortigen auf Lustkontrolle bedachten Richter Hu ihre Liebe verteidigt hat, darf daraufhin als Geist das Höllengericht verlassen und ihren menschlichen Liebhaber als Schattenwesen ein zweites Mal zu ihrer höchsten Befriedigung körperlich lieben. Danach hilft sie ihm, ihren drei Jahre zuvor beerdigten Leib wieder auszugraben, so daß sie als Einheit von Körper und Seele in die Welt des Tages zurückkehren kann. Hier heiratet sie ihn dank Vollziehung der Ehe als Jungfrau gleichsam ein drittes Mal und geht mit ihm zu den Examina, die er, wie sich das in der chinesischen Literatur bekanntermaßen gehört, entsprechend glänzend als bester besteht. Vor dem allseitig nun anstehenden Glück sind jedoch noch eine heroische Tat und eine Überzeugungsarbeit zu leisten. Dem in Kriegsnöten befindlichen (Schwieger-)Vater steht Liu Mengmei indirekt durch seine Examensarbeit, die dem Krieg gegen den Norden das Wort redet, bei. Er sucht ihn trotz aller Gefahr durch Räuberbanden auf, um ihm, dem konservativen ungläubigen Geist, ein wenig später die Tatsache von der Auferstehung506 der Tochter dank der Kraft der Liebe zu eröffnen. Doch Du Bao will weder ihm noch der leibhaftig vor ihn hintretenden Tochter die Erweckung und Auferstehung glauben. So nimmt es nicht wunder, daß die Lösung des immer größere Ausmaße annehmenden Konflikts und die Segnung der Liebenden durch ein kaiserliches Gebot zu erfolgen haben. Du Bao beruft sich nämlich in seiner Ablehnung des Wunders so sehr auf die Prinzipien der Vernunft, daß man als Leser bzw. Zuhörer wirklich Angst um die Liebenden bekommen muß. All die Dramatik, welche Du heraufbeschwörst, bedarf einer allerhöchsten Lösung. 505

506

Der Gelehrte Lu Qi (1614–?) hat übrigens 1666 bei seinem Besuch von Nan’an zum Gedenken an Du Liniang einen Schrein entworfen und darüber einen Essay geschrieben. Der Kritik, man dürfe einer unkeuschen Frau keinen Schrein errichten, antwortet er mit dem Hinweis, daß sie alles nur geträumt habe. Vgl. hierzu WANG: Ming-Qing qujia kao, S. 320– 322. Der Gedanke der Auferstehung scheint vielleicht im Theater der Ming-Zeit allgemein verbreitet gewesen zu sein, vgl. HUNG: Ming Drama, S. 83.

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Tang Xianzu: Die Rückkehr der Seele

Es kann niemand anders als der Kaiser sein, der ob seiner (unergründlichen) Weisheit schlichtend eingreift, so daß sich folglich alle bisherigen Widersprüche zwischen Liebe (qing) und Vernunft (li), zwischen Jugend und Alter, zwischen Leben und Tod, zwischen Traum und Alltag in reinem, erwartbarem Wohlgefallen auflösen. Eine viel schönere und ausführlichere Zusammenfassung als diese prosaisch kurze bietet das Vorspiel des Stückes, welches in der deutschen Übersetzung einmal mehr Zeugnis von der großen Übertragungskunst des Vincenz Hundhausen ablegt:507 In des Präfekten Du Bao edlem Hause Blüht Liniang auf, der Eltern einziges Kind. Noch weiß sie nicht, was Liebeswonnen sind, Da lockt ein Frühlingstag sie in sein Licht, Und träumend darf sie den Geliebten schauen, der einen Zweig der Weide für sie bricht. Der Traum verweht. Die Sehnsucht aber bleibt, die neu und neu sie zu der Stätte treibt, der, seit sie träumte, ihre Sehnsucht gilt. Verwundet, krank welkt sie dem Tod entgegen Und malt der eigenen, flüchtigen Schönheit Bild, Bevor die Eltern unter Pflaumenblüten, Dort, wo sie träumte, sie zu Grabe legen. … Leer sind die Hallen, Gras wächst auf den Wegen. Drei Jahre gehn. Liu Mengmei, ein Student, Der zum Examen in die Hauptstadt zieht, Kommt zu dem Grabe Liniangs. Er erkennt, Als er das Bildnis bei dem Grabe sieht, Sofort das Mädchen, dem er einst im Traume Begegnen durfte. Seiner Sehnsucht Flehn Läßt die so heiß Geliebte auferstehn Und sich im neuen Leben ihm verbinden. Er schreitet durch der Prüfungshalle Tor, Um für Talent und Fleiß den Lohn zu finden. Inzwischen kommt der Tochter böse Kunde Von Du Bao, ihrem Vater. Hart und schwer Bedrängt den Tapferen ein Rebellenheer. Der Tochter Herz erbebt. In Hoffen, Bangen Wünscht sie, gewisse Kunde zu erlangen. Und Liu bricht auf. Als er vor Du Bao steht, 507

Nach der heutigen Umschrift und unter Korrektur offensichtlicher Druckfehler zitiert nach: TANG: Die Rückkehr der Seele, Bd. 1, S. 1f. Zum Vergleich s. The Peony Pavilion, S. 1f.; GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 3, S. 255.

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DIE ROMANZE DER MING-ZEIT: CHUANQI UND KUNQU Nennt dieser ihn Betrüger, glaubt ihm nicht Das kaum glaubhafte Schicksal, hält Gericht, Gebietet, jähen Zornes, ihn zu schlagen. … Da trägt ein Kaiserbrief des Jünglings Namen, Des Ersten Preisgekrönten im Examen.

Was hier in geraffter Form thematisiert wird, ist, wie oben schon gesagt, ein philosophisches Programm. Die Gefühlswelt (qing) der Jugend, vor allem der jungen Frau, verlangt ihr Recht, ja verlangt gar ein Vorrecht gegenüber dem patriarchalischen Prinzip der Vernunft (li), die im Drama nicht nur durch den Vater und den Hauslehrer verkörpert wird, sondern auch durch die Mutter. Die Riten seien für eine Frau wichtiger als die Gespräche des Konfuzius (3. Aufzug), so kommentiert sie das Studium ihrer Tochter, die in der Kammer zu bleiben (11. Aufzug) und nicht nach draußen in den Frühlingsgarten zu gehen habe (9. Aufzug). »Die menschlichen Begierden auslöschen und die himmlischen Prinzipien einsetzen« (Mie renyu, cun tianli) – so lautete eine bekannte Forderung des frühen Neokonfuzianismus (Song-Zeit), der durch den späteren Neokonfuzianismus (MingZeit) allerdings aufgeweicht wurde. 508 Die Vorbehalte, welche der orthodoxe Neokonfuzianismus gegenüber der Allmacht der Empfindungen hatte, wird durch den Gang der dramatischen Ereignisse in der Rückkehr der Seele auf das eindringlichste bestätigt. Die Heldin, die sich in einen Liebeswahn steigert, zerbricht schließlich, indem sie sich von ihrer Liebessehnsucht verzehren läßt. Im weitesten Sinne kann man ihre Trauer im Sinne von Romano Guardini (1885–1968) als die »Sehnsucht nach Liebe« und in gewisser Hinsicht vielleicht auch als ein Vorstadium der »Krankheit zum Tode« bezeichnen, denn sie will nicht »diese« Person nach den Gesetzen der Gesellschaft sein, sondern »jene« Person nach ihren Gefühlen und gerät damit in den Zwiespalt, der zur Verzweiflung führt.509 Als eine »andere« Person, die sie sein möchte, gerät sie in einen Konflikt mit der herrschenden Norm, auf die sie vorbereitet werden soll. Deswegen geht das Liebesempfinden hier weit über Aspekte der freien Partnerwahl oder der Liebesglut hinaus. Trotz ihrer alles verzehrenden Kraft vermag die Liebe auch das Leben zu befördern, denn sie ist es, die Du Liniang wieder ins Leben zurückkehren und damit im wahrsten Sinne des Wortes auferstehen läßt. Vielleicht darf man unter diesem Gesichtspunkt den Tod gar als eine verwandelnde Kraft bezeichnen? Denn durch den Akt des Sterbens wird ja die Heldin erst zu der großen Liebenden. Sie stirbt in eine andere Existenz hinüber, wo sie geistig, seelisch und körperlich eine neue Person wird. Und nur so scheint sie sich überhaupt vollenden zu können! 508 509

Ich habe mich mit dem Gegensatz von qing und kritisch beschäftigt in meinem Aufsatz: »Der unstete Affe«. ROMANO GUARDINI: Vom Sinn der Schwermut, Mainz: Matthias-Grünewald 41991 (= Topos TB; 130), S. 44. Zur »Krankheit zum Tode« s. S. 64ff.

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Tang Xianzu: Die Rückkehr der Seele

Tang Xianzu folgt mit seinem Stück im guten Sinne dem Geist der Zeit. Wang Yangming (1472–1529)510 und Wang Gen (1483–1541)511 hatten die Theorie von der Kultivierung des Herzens (xin) entwickelt. Aber mehr noch ist unser Autor ein Schüler des Luo Rufang (1515–1588)512, der die Idee einer »ständigen Erneuerung des Lebens« (sheng sheng) auf die Ethik der konfuzianischen Schriften »Die große Lehre« (Daxue) und »Maß und Mitte« (Zhongyong) übertragen hatte.513 Bei diesem nimmt das Lebendige (sheng) die Stelle des Herzens (xin) ein. Die (gute) Vitalität des Lebensprozesses setzt er mit Menschsein (ren) gleich. Zum Leben begabt zu sein heißt zur Menschlichkeit (ren) begabt zu sein. Denn schon allein die Geburt bedeutet, daß der Mensch an der Freude der Kreativität teilhaben kann. Dieser Gedanke der Vitalität kommt bei Tang Xianzu vor allem in der Rückkehr der Seele zum Ausdruck.514 Die »Wertschätzung des Lebens« (gui sheng) impliziert die Wertschätzung von sich selbst und von allem Seienden. Es ist nun nicht mehr die Vernunft (li) oder das (geistige) Herz (xin), es ist nun das Empfinden, die Liebe (qing), welche den Menschen aus dem allgemeinen Reproduktionsprozeß des Kosmos heraushebt.515 Und vergessen wir nicht, daß nach altchinesischer Auffassung die Ehe nichts anderes war als eine Institution zur Sicherung des ersehnten Nachwuchses, ein Gedanke, der bis weit ins 20. Jahrhundert hinein anhielt! Insofern ließe sich auch für die Rückkehr der Seele konstatieren, was oben unter »Mädchen lautet die Botschaft« gefaßt worden ist, eine Botschaft, deren Weben und Streben Vincenz Hundhausen mit Anklängen an Richard Wagner rhythmisch und gereimt so genial umzusetzen versteht. In seinem Vorwort zur Rückkehr der Seele entwickelt Tang Xianzu anhand von vier Kernbegriffen seine Philosophie der Liebe als einer totalen Hingabe. Es sind dies Leben (sheng), Empfinden (qing), Träumen (meng) und Sterben (si). Dabei dreht sich alles, wie gesagt, um die Vorstellung vom Lebendigen, welches an die Stelle des Herzens (xin) zu treten vermag und mit der konfuzianischen Tugend der 510 511 512

513

514 515

Vgl. hierzu JULIA CHING: To Aquire Wisdom. The Way of Wang Yang-ming, New York u. London: Columbia UP 1976, bes. S. 52–74. Vgl. hierzu MONIKA ÜBELHÖR: Wang Gen (1483–1541) und seine Lehre. Eine kritische Position im späten Konfuzianismus, Berlin: Reimer 1986. Zu seiner Biographie s. HUANG TSUNG-HSI: The Record of Ming Scholars. A Selected Translation edited by JULIA CHING with the Collaboration of CHAOYING FANG, Honolulu: University of Hawaii Press 1987, S. 185–194. Vgl. hierzu und zum folgenden C.T. HSIA: »Time and the Human Condition. The Plays of T’ang Hsien-tsu [d.i. Tang Xianzu]«, in: WM. THEODORE DE BARY: Self and Society in Ming Thought, New York u. London: Columbia UP 1970, S. 249–290. Vgl. hierzu LI: Enchantment and Disenchantment, S. 50–64. Es sei hier darauf hingewiesen, daß WANG AILING: »Lun Tang Xianzu xizuo yu xilun zhong zhi qing, li, shi [Zu Liebe, Vernunft und Macht im theatralischen Werk von Tang Xianzu]«, in: HUA WEI (Hg.): Tang Xianzu yu Mudan ting [Tang Xianzu und Die Rückkehr der Seele], Bd. 1, Taipeh: Academia Sinica 2005, S. 171–213, shi (Macht im Sinne der gegebenen Umstände) neben qing und li als drittes ästhetisches Prinzip in der Rückkehr der Seele begreift.

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DIE ROMANZE DER MING-ZEIT: CHUANQI UND KUNQU

Mitmenschlichkeit (ren) gleichgesetzt wird. Während Tang Xianzu in Du Liniang das für ihn richtige Leben verkörpert, entwirft er mit der taoistischen Nonne das Gegenmodell, die Verhärtung in einem falschen Leben. Diese verfügt über einen sprechenden Namen. Er lautet Shinü, Steinmädchen bzw. Mädchen aus Stein. Damit wird gesagt, daß sein Hymen so undurchdringlich ist wie ein Stein.516 Wir lesen im Vorwort:517 Gibt es auf Erden ein Mädchen, das, von der Liebe (qing) besessen, mit jemandem wie Du Liniang vergleichbar wäre? Sie träumt von einem [geliebten] Mann, und schon wird sie krank. Kaum krank, verschlimmert sich alles nur noch mehr. Nun malt sie eigenhändig ihr Porträt, um es der Welt zu hinterlassen. Daraufhin stirbt sie. Drei Jahre nach ihrem Tod ist sie immer noch in die Lage gesetzt, in der Unterwelt nach demjenigen zu suchen, von dem ihr einst träumte, und so ins Leben zurückzukehren. Jemand wie Du Liniang kann wahrhaft als große Liebende (youqingren) bezeichnet werden. Man kennt den Ursprung der Liebe nicht, kaum ist diese da, schon vertieft sie sich. Die Lebenden können an ihr sterben, die Toten vermögen um ihretwillen ins Leben zurückzukehren. Wer als Lebender nicht für sie in den Tod zu gehen bereit ist, wer als Toter um ihretwillen nicht wiedererweckt werden kann, hat nie die höchste Liebe erfahren. Wie sollte da eine Liebe, die im Traum erfahren wird, nicht wirklich sein? Und wie viele Träumer gibt es doch auf Erden! Wenn jemand es aber nötig hat, sich einem Kissen anzuvertrauen, um einem anderen ganz nahe zu sein, oder sich dem Amt zu entziehen, bevor er tiefer empfinden kann, so fällt das alles unter die Kategorie reiner Leiblichkeit. Was die Dinge mit dem Präfekten Du Bao angeht, so gibt es Parallelen zu Geschichten, die man sich zur Jin-Zeit [265-420] von den Kindern des Präfekten Li Zhongwen aus Wudu und des Präfekten Feng Xiaojiang aus Kanton erzählte. Ich habe das eine oder andere geändert bzw. weiter ausgeführt. Die Auspeitschung des Liu Mengmei durch Du Bao kommt nahe an die Züchtigung des Studiosus Han durch den Prinzen von Suiyang zur Han-Zeit heran. Ach, die Dinge in der menschlichen Welt können vom Menschen in der Welt niemals ausgeschöpft werden. Ich bin alles andere als ein universeller Geist, daher bemühe ich stets die »Vernunft« (li), um auf den »Begriff« (xiang ge) zu kommen. Ich mag zwar hier etwas zur Sprache gebracht haben, was der »Vernunft« 516

517

Die Geschichte dieses Steinmädchens – von ihm selber vorgetragen – gehört zu den besten Partien der deutschen Übersetzung. Sie, auf die hier leider nicht weiter eingegangen werden kann, könnte im Grunde genommen für sich stehen! S. TANG: Rückkehr der Seele, Bd. 1, S. 143–147. Zum Vergleich s. GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 3, S. 292–295; TANG: The Peony Pavilion, S. 79–86. Andere höchst gelungene Eindeutschungen finden sich bei Hundhausen in Bd. 1, S. 136, 138, 139; Bd. 2, S. 54, 82f., 88, 163; Bd. 3, S. 212. Gänzlich übersetzt nach der von XU SHUOFANG, YANG XIAOMEI kommentierten Ausgabe Peking: Renmin Wenxue 1963, S. 1; von großer Hilfe war TANG: The Peony Pavilion, S. IX; BIRCH: »Some Concerns and Methods of Ming Ch’uan-ch’i Drama«, S. 237, 242. Wenn auch verstreut, so liegt das bedeutende Vorwort dennoch zur Gänze auf englisch vor!

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Tang Xianzu: Die Rückkehr der Seele (li) verborgen ist, doch wie nur können wir wissen, daß die Liebe (qing) es [wirklich zur Gänze] hat? Qingyuan Daoren [d.i. Tang Xianzu] im Herbst des 26. Jahres der Ära Wanli [1598]

Zunächst: Auf die Vorlagen des Stückes, welche der Autor oben kurz erwähnt, soll an dieser Stelle deswegen nicht eigens eingegangen werden, da dieses schon andernorts hinreichend geschehen ist und auch nicht weiter zum besonderen Verständnis beiträgt.518 Überdies geht Tang Xianzu auch ansonsten völlig neue Wege, selbst wenn man ihm ein »Rewrite« unterstellen sollte. Auf den ersten Blick scheint Die Rückkehr der Seele zu den hinlänglich bekannten Geschichten von der Schönen und dem jungen Mann (caizi jiaren) zu gehören. Doch diesen eignet nie eine moralische oder gar philosophische Dimension, welche im vorliegenden Fall so sehr zum Tragen kommt. Die fremdsprachige Sekundärliteratur unterschlägt bei ihrer Diskussion und (Teil-)Übersetzung sehr gern den letzten verwirrenden Passus. Wie kann, so mag man sich fragen, Tang Xianzu, der selbsternannte »Botschafter der Liebe« (wei qing zuo shi) 519 , der mit dem mächtigsten Kritiker des li, mit Li Zhi (1527– 1602)520, befreundet war, plötzlich die »Vernunft« beschwören und die Liebe in gewisse Zweifel ziehen, nachdem er sich zuvor so leidenschaftlich und anrührend für die Passion ausgesprochen hat? Überdies scheint sich doch das gesamte Stück gegen die »Rationalität« eines Du Bao auszusprechen und für die Wunschvorstellung der Jugend Partei zu ergreifen! Nun, vielleicht kommen wir im folgenden doch noch zu einer befriedigenden Erklärung? Was der Autor in seinem Vorwort ansonsten zu predigen scheint, ist eine voraussetzungslose und bedingungslose Liebe, eine, die Raum und Zeit sprengt und die sich die herkömmliche Sicht der Dinge überhaupt nicht zu eigen macht. Also keine »nights in white satin«, keine äußere Muße sind notwendige Gegebenheiten, um die Liebe in ihrer Fülle zur Gänze empfinden zu können. Das mag mit ihrem als unbekannt eingestuften Ursprung zu tun haben. Die Gefühle überkommen einen aus dem Nichts, und, statt sich zu verflüchtigen, wenn ihnen nicht eine gesunde Grundlage geschenkt wird, vertiefen sie sich aus freien Stücken. Nach dem herkömmlichen Menschenverstand ist eine solche Passion nicht lebbar. Dies muß unser Autor auch irgendwie geahnt haben, denn sonst hätte er wohl nicht seine 518 519 520

BIRCH: »Some Concerns and Methods of Ming Ch’uan-ch’i«, S. 237–240; C.T. HSIA: »Time and the Human Condition in the Plays of T’ang Hsien-tsu«, S. 286f. Tang Xianzu shiwen ji [Gesammelte Lyrik und Prosa des Tang Xianzu], Schanghai: Shanghai Guji 1982, Bd. 2, S. 1160. Vgl. hierzu WILFRIED SPAAR: Die kritische Philosophie des Li Zhi (1527–1602) und ihre politische Rezeption in der Volksrepublik China, Wiesbaden: Harrassowitz 1984 (= VOB; 30). Auf den Seiten 148–153 findet sich hier dessen wichtige und einflußreiche Theorie des »unbefleckten Herzens« (Tongxin shuo) in ihrem Bezug zum Theater, vor allem Das Westzimmer, aufgeführt.

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DIE ROMANZE DER MING-ZEIT: CHUANQI UND KUNQU

Heldin nach der Wiederauferstehung von ihrem Herzensgefährten eine richtige Hochzeit mit allem Drum und Dran verlangen lassen. Er hätte des weiteren kaum seinen Protagonisten durch so viele Mühsalen geschickt, um ihn für das Leben abzuhärten. Gleichwohl hat Tang Xianzu ein Programm entworfen, das weit über seine Zeit hinausgeht und vielleicht erst in der deutschen Romantik bzw. im 20. Jahrhundert ihresgleichen findet. Was oben wie gemeinhin als »Vernunft« übersetzt wurde, wird von Cyril Birch in diesem Kontext sehr gelungen wie folgt eingeschätzt:521 Der Konflikt ist zwischen qing (Gefühle, Liebe oder gar Leidenschaft) und li gegeben. Ich habe li als »Vernunft« (reason) übersetzt, doch ich meine, es ist in diesem Kontext zu verstehen als »die Prinzipien, welche die Angemessenheit menschlichen Verhaltens bestimmen« und noch eher als eine Rationalität im engeren Sinne, welche die Spontaneität menschlicher Affekte verbietet: auf die Welt der Frauen angewandt, steht li für den restriktiven Kodex, welcher diesen die Initiative in der Liebe untersagt. Das Vorwort ist daher auf dem Hintergrund der traurig stimmenden Statistik der Geschichte der Ming-Dynastie [Mingshi] zu lesen, welche ein Vierfaches an Biographien von »Keuschen Frauen und tugendhaften Töchtern« enthält als irgendein früheres Standardwerk der chinesischen Geschichte.

Im folgenden sollen nun exemplarisch die wichtigsten Szenen vorgestellt werden. Es sind selbstverständlich diejenigen, die auch immer wieder zur Aufführung kommen. So zum Beispiel Nr. 10 mit der Überschrift »Jing meng«, »Die Begegnung im Traum«, so Vincenz Hundhausen, genauer wäre von dem Aufschrecken aus einem (Liebes-)Traum zu reden. Mit dieser Überschrift ist ein Muster gesetzt, das uns oben schon begegnet ist. Der Traum steht für eine andere Welt, welche die volle Erfüllung bietet, aber nicht auf Dauer angelegt ist. In dem Roman Der Traum der roten Kammer wird diese Sicht der Dinge später zum Programm. Unsere Heldin darf also nur erahnen, was ihr noch zu ihrem ganzen Dasein fehlt. Danach hat sie in ihre alte Existenz des Alltages zurückzukehren, sie vermag aber nicht, sich in dieser in die alte Person zurückzuverwandeln. Hierzu fehlen ihr der erklärte Wille und auch die freilich nicht zu erwartende Absicht. Es sind nicht nur die berühmten ersten vier Verse aus dem Buch der Lieder und die spaßigen Erläuterungen des nie an »Frühlingskummer« (shangchun, 9. Aufzug) leidenden Hauslehrers, welche das Zeichen qiu (sammeln) als »paaren« fassen und somit in Du Liniang erotische Sehnsüchte freisetzen (8. Aufzug), nämlich die »Jünglingskrankheit« (junzi de bing, 18. Aufzug), wie Chen Zuiliang so treffend kommentiert. Es ist ebenso die Natur, die das ihre dazu beiträgt. Darum gilt, wie gesagt, der Garten auch als verbotenes Terrain für eine junge Frau. Die Erregung 521

Unter Verwendung der heutigen Umschrift übersetzt nach BIRCH: »Some Concerns and Methods of Ming Ch’uan-ch’i Drama«, in: DERS.: Studies in Chinese Literary Genres, S. 242f.

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Tang Xianzu: Die Rückkehr der Seele

von Gefühlen durch den Frühling steht vollkommen in Übereinstimmung mit der Lehre (ganying) des ausgehenden Altertums, die besagt, daß die Jahreszeiten im Menschen jeweils unterschiedliche Gefühle wachrufen.522 Dies muß auch unsere Schöne nach der Schullektüre schließlich in der Praxis ihres Lebens erkennen:523 O Himmel, wer hätte geglaubt, daß der Glanz des Frühlings den Menschen so ergreifen könnte! Ich las bei den Dichtern und Weisen, daß der Frühling in den Herzen der Mädchen die Sehnsucht wecke [yin chun gan qing], wie der Herbst den Groll [yu qiu cheng hen]. Jetzt weiß ich, daß es wahr ist.

Es gibt hier noch einen anderen traditionellen Aspekt. Wie ist es möglich, daß sich die Liebenden im Traum begegnen und das Gefühl haben, einander schon einmal begegnet zu sein? Sie sind nichts anderes als einander durch das Karma vorherbestimmt! Selbst in dieser etwas mechanisch wirkenden Verflechtung zweier Leben ließe sich eine Macht sehen, welche gegen die patriarchalische Verfügung der arrangierten Ehe steht. Die interpretierende Übersetzung der ersten großen Liebesklage in unserem Stück durch Vincenz Hundhausen deutet dies an:524 Muß in ungelöster Wirrnis das Empfinden Dieses Frühlings tragen, Ungetröstet fragen: Wo verweilt mein Tröster? Mich so schön und zart, Bis die Eltern einen Jüngling für mich wählen Standesgleicher Art? Ach, sie werden keinen Auf der Erde finden Und nur grausam meinen Lebensfrühling töten! Darf ich solchen Nöten Hingegeben klagen, Ohne zu erröten? Darf ich gar in süßen Träumen mir zur Seite Einen Jüngling grüßen, Holden Wahnes Beute, 522 523 524

Ich habe hierüber mehrfach geschrieben, s. u.a.: Die chinesische Dichtkunst, S. xxif. TANG: Die Rückkehr der Seele, Bd. 1, S. 81. Zum Vergleich s. GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 3, S. 275; TANG: The Peony Pavilion, S. 46. TANG: Die Rückkehr der Seele, Bd. 1, S. 82f. Zum Vergleich s. GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 3, S. 275; TANG: The Peony Pavilion, S. 46f. Ich muß gestehen, daß mir die englische Übersetzung hier unverständlich geblieben ist!

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DIE ROMANZE DER MING-ZEIT: CHUANQI UND KUNQU Bis Gestalt und Züge In dem Frühlingslichte Rings umher zerfließen? Hinter Schein und Lüge Muß ich gramzerrissen Meinen Gram verschließen, Und mein Schicksal darf Nur der Himmel wissen!

In dem nicht einfach zu verstehenden Original kommt zwei Binomen eine zentrale Bedeutung zu: chunqing und youyuan. Das erste kennen wir schon. Es entspricht wunderbarerweise sprachlich und inhaltlich dem deutschen Wort »Frühlingsgefühl«. Das zweite ist uns oben in einem anderen Zusammenhang als »Ungemach« begegnet. Es geht hier um ein stilles Ungemach im Angesicht der webenden Natur, die dank der Blumengeister (huashen) gar beseelt zu sein scheint. Diese besingen die männliche Kraft (yang), welche unsere Schöne bedrängt:525 Rauschende Brandung drängt: Heischender Wille. Kosender Hauch umfängt: Dankbare Stille. Lust, die zuerst nur scheu Raupengleich tastet, Bis sie geschürt und frei Lodert und hastet. Zärtliche Seelen glühn Ewigkeitstrunken, Bis sie im Frühlingsgrün Völlig versunken. Schicksalsgewalten stehn Leuchtend enthüllt. Heimlicher Sehnsucht Flehn Wurde erfüllt.

Wenn Schwermut die Sehnsucht nach Liebe ist, dann ist die Erinnerung an ein einmaliges Geschehen als der Wunsch nach einer Wiederholung des Wunderbaren526 525 526

TANG: Die Rückkehr der Seele, Bd. 1, S. 87f. Zum Vergleich s. GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 3, S. 276; TANG: The Peony Pavilion, S. 49. Der Verweis auf die Psyche der Nora in dem Stück Ein Puppenheim (1879) von HENRIK IBSEN (1828–1906) und deren Sehnsucht nach dem Ereignis des Wunderbaren mag hergeholt erscheinen, sollte vielleicht aber dennoch einen Gedanken wert sein!?

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Tang Xianzu: Die Rückkehr der Seele

zu verstehen. Die liebesverlorene Liniang muß also ihren Traum in eben dem von der Mutter verbotenen Garten suchen gehen (xun meng). Dieses tut sie im zwölften Aufzug. Ihre Zofe Frühlingsduft (Chunxiang), die manchen Schabernack treibt, hat einen guten Blick für die Nöte ihrer jungen Herrin:527 Meine Herrin ist seit diesem Unglücksschlummer Für sich und die Mitwelt nur Plage und Kummer; Will dies und will das in beständiger Erregung Und hält mich bei Tag und bei Nacht in Bewegung. Sie ruft mich zur Morgentoilette Vor Morgengrauen schon aus dem Bette, Und indem sie nur mit sich selber spricht, Sieht sie mich und den Kamm und das Wasser nicht, Bis die Sonne am Himmel ganz hoch gestiegen Und die Schatten der Blumen im Fenster liegen.

Und wie spricht die Leidende selbst?528 Endlich ist Chunxiang gegangen. Jetzt kann ich ungestört meinen verlorenen Traum suchen. Sie geht suchend und singt War es nicht hier am felsigen Weiherrand? … War es nicht hier bei dieser kleinen Laube [Mudan ting]? … War es nicht hier mitten im reichen Blühn Und [in den] Knospen der Päonien? … O, ich glaube, Auf diese Brüstung stützte ich die Hand! … Hat diese Weide nicht ihr seidnes Grün Um uns gesenkt, damit es uns behüte? … Stand diese breite Ulme nicht in Blüte? Jetzt reiht sie ihre Samenblättchen auf … So reiht man Münzen auf für einen Kauf: Doch kauft sie jemals sich damit das Glück Des ersten, jungen Frühlingstraums zurück?

Dinge wie diese ließen sich endlos zitieren. Du Liniang lebt ganz in der Vergangenheit und in der Erinnerung. Während um sie herum alles webt und strebt und der Autor in den folgenden Versen immer wieder das Zeichen sheng (Leben) in ihre Rede einflicht, verzichtet sie nicht nur auf das Essen, das ihr zu schwer fällt, son527 528

TANG: Die Rückkehr der Seele, Bd. 1, S. 98. Zum Vergleich s. GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 3, S. 279; TANG: The Peony Pavilion, S. 55. Unter Verwendung der heutigen Umschrift zitiert nach: TANG: Die Rückkehr der Seele, Bd. 1, S. 104f. Zum Vergleich s. GUO (Hg.): Zhonggo xiqu jingdian, Bd. 3, S. 281; TANG: The Peony Pavilion, S. 58f.

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DIE ROMANZE DER MING-ZEIT: CHUANQI UND KUNQU

dern denkt auch bereits ans Sterben. Im Anblick des Prunus (da meishu), das heißt im Anblick von dessen Natur gewordener Gestalt, erwacht ihr Todeswunsch:529 O, welch schöner großer Pflaumenbaum [da meishu] hier in dieser Einsamkeit! Wie lieblich seine unzähligen kleinen Früchte schimmern! Du lieber Baum, … Sie singt Wie dein Duft das Herz befreit Mit gelindem Trost, Der mit scheuer Heimlichkeit Zärtlich mich umkost! Wölbt mir nicht Dein Blätterdach Einen Schirm ganz dicht, Der vor jedem Ungemach Sichre Hut verspricht? Milder Regen ließ dich blühn, Wurde Mark und Saft; In der Blätter sattem Grün Leuchtet stille Kraft. Zwar der Bitterkeiten Pein Blieb auch dir nicht fern, Doch du schlossest fest sie ein In der Früchte Kern. Deckt dein Schatten, lieber Baum, Meine Sehnsucht zu, Träumt sie ihren Frühlingstraum Stark und still wie du. Sie sagt Wirklich dieses Pflaumenbaumes stille Pracht muß man lieben. Wenn ich, Du Liniang, einmal sterbe, dann soll hier mein Grab sein; hier werde ich zufrieden ruhn. Sie singt Von geheimnisvoller Macht Fühlt mein Herz sich hier gebunden. Reicher blüht der Blumen Pracht, Die hier still, nicht traurig macht. Herbes kann nicht mehr verwunden. 529

Unter Verwendung der heutigen Umschrift zitiert nach: TANG: Die Rückkehr der Seele, Bd. 1, S. 108–110. Zum Vergleich s. GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 3, S. 282; TANG: The Peony Pavilion, S. 60f.

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Tang Xianzu: Die Rückkehr der Seele Alles drängt sich zu verweben Freundlich ohne Widerstreben: Blühn und Welken, Tod und Leben. Sie singt Wenn du in einer neuen Frühlingszeit Zu neuem Blühn und Grünen dich bereitest, Wird dich darin vielleicht die Zärtlichkeit Der Seelen zweier Liebenden umwehn: Sie fanden endlich dort ein Wiedersehn, Wo du die starken, treuen Wurzeln breitest. Sie legt sich müde im Schatten des Baumes zur Ruhe.

Wir wollen für einen Moment innehalten: Tang Xianzu bedient sich immer wieder des Stilmittels der Iteration, um Auskunft über die innere Befindlichkeit der Liebenden und der Leidenden zu geben. So lautete es oben in der deutschen Übersetzung zweifach »War es nicht hier …?« (Na yi da … zhe yi da). Dies gibt nur einen kleinen Vorgeschmack auf das, was mithilfe der Wiederholung verstärkt zum Ausdruck kommen wird: der Verlust in Raum und Zeit. Nach dem Tod von Du Liniang lautet die Klage der Zofe folgendermaßen:530 Sie singt Sie sagt nicht mehr: »Die Jadeherzen Der Weihrauchbecken werden leer!« »Nimm schnell die Tränen von den Kerzen Der Ampel ab!« sagt sie nicht mehr. Sie sagt nicht mehr: »Rasch in den Garten Durch alle Blumen kreuz und quer!« »Wie lang wir auf die Amsel warten, Du locke sie!« sagt sie nicht mehr. Sie sagt nicht mehr: »Den Spiegelkasten Rück’ etwas rechts und näher her!« »Wie schnell die Lippen heut’ verblaßten! Leg Schminke nach!« sagt sie nicht mehr. Nicht mehr: »Das Sticken ist zu Ende. Die Lider werden mir zu schwer.« »Schon heller Tag! Hol mir behände Mein Malgerät!« sagt sie nicht mehr. 530

TANG: Die Rückkehr der Seele, Bd. 1, S. 179f. Zum Vergleich s. GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 3, S. 302f.; TANG: The Peony Pavilion, S. 104f.

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Die chinesische Wendung für »sagt sie nicht mehr« lautet entsprechend: zai bu jiao. Was die Zofe beklagt, wird anschließend durch die Nonne Steinmädchen unter Verwendung ähnlicher Ausdrücke (zai bu he, zai bu yao) trotz der ernsten Situation zur Überraschung des Lesers ins leicht Spöttische verzerrt, indem diese an den Nachttopf der Du Liniang erinnert. Die Rückkehr der Seele liest sich jedoch tatsächlich vielerorts wie eine Komödie, was unten noch durch ein besonders treffliches Beispiel zu zeigen sein wird. Es sind unscheinbare Formeln wie die bereits erwähnten, welche durch ihre Wiederaufnahme dem Text eine machtvolle Kraft verleihen. Dies hat Vincenz Hundhausen erkannt und entsprechend im Deutschen nachvollzogen. Ein letztes Beispiel mag genügen. Liu Mengmei schildert dem ungläubigen Du Bao im 53. Aufzug, wie es ihm dank seiner Liebe gelungen sei, die Tote zum Leben zu erwecken. Dabei bedient er sich der Formel »sie war’s« (wo wei ta, eig. ich um ihretwillen):531 Sie war’s, vor deren Frühlingsbilde Ich aller Sehnsucht Qual empfand, Doch auch des ersten Trostes milde Beseligende Gnade fand. Sie war’s, um die ich mich erbarmte Und Trutz so Tod wie Teufel bot, Als ihre Seele mich umarmte: – Da schmiegte Leben sich an Tod. Sie war’s, für die ich Weihrauch brannte, Als ich ihr Grab zu öffnen kam Und mich zu einer Tat bekannte, Die fern doch schien von Zucht und Scham. Sie war’s, die treu ich ohne gleichen Behutsam aus dem Sarge hob, Der die Arznei ich durch die bleichen, Noch widerspenstigen Lippen schob. Sie war’s, der ich mit mildem Kosen Die müden, schlaffen Glieder rieb, Bis neu das Blut in ihrem losen, Verdursteten Geäder trieb. Sie war’s, der ich mit duftiger Welle Den Leib gebadet und besprengt, Bis ich den Hauch der dunklen Quelle Durch frischen Lebenshauch verdrängt. 531

TANG: Die Rückkehr der Seele, Bd. 3, S. 197f. Zum Vergleich s. GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 3, S. 398; TANG: The Peony Pavilion, S. 311. Birch bezieht übrigens ta auf die Liebe (qing), nicht auf Du Liniang: um der Liebe willen!

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Tang Xianzu: Die Rückkehr der Seele Sie war’s, die ich mit sanftem Trösten Ermutigte, bis unbewußt Sich langsam die Gefühle lösten In neuerwachter Frühlingslust. Sie war’s, der ich die Lenden stählte, Die allzulang entspannt geruht. Sie war es, der ich mich vermählte Und meine Stärke lieh und Glut. Sie war die Blume, die ich tränkte, Bis ihre Blüte sich erschloß Und sich dem Frühlingsfalter schenkte, Der von Entzücken überfloß. Jetzt darf sie leben, wirklich leben, Ein echtes, frohes Menschenkind, Und Liebe finden, Liebe geben … Und ist gefeit vor Mond und Wind.

Es war im traditionellen China üblich, die Toten durch Anrufung ins Leben zurückzuholen. Deswegen ist auch im ersten Vers von dem »Ruf« (jiao) die Rede, den der deutsche, nicht aber der amerikanische Übersetzer unterschlägt. Der Sprache liegt also etwas Heilendes zugrunde. Wir könnten hier leicht erneut einen Bogen zu Martin Buber schlagen, wollen dies aber nicht weiter tun, um die Angelegenheit nicht über die Maßen zu strapazieren. Betrachten wir die Sache mit dem Ruf von den Aufzügen 27 und 36 her, so ist der Ruf nur deshalb so erfolgreich, weil er die Liebe zu seiner Grundlage hat. Und eine solche Liebe bedeutet grundsätzlich Neuwerdung. Dies gilt übrigens auch für Liu Mengmei, der seine Neuwerdung als Tod begreift und daher wörtlich sagt: »Mädchen, Mädchen, du tötest mich!«532 Zwischen Tod und Neuwerdung steht eine zeitliche Spannung. Das Bindeglied ist, wie gesagt, die Liebe, und diese erlaubt nicht nur die Auferstehung, sondern auch die Überwindung der Zeit, da ihr etwas Zeitloses zueigen ist. Insofern interpretiert C.T. Hsia, der Du Liniang so treffend als »Sleeping Beauty« bezeichnet, das gesamte Stück als einen Kampf gegen die Macht der Zeit, um Unsterblichkeit zu gewinnen. So gesehen geht es bei Tang Xianzu um die großen Fragen der menschlichen Existenz. Seit der Song-Zeit haben Literaten immer wieder und immer mehr das Leben als Traum empfunden und zum Thema ihres Schreibens gemacht. 533 Dahinter steckt die Erkenntnis von der Kürze und Unbestimmtheit 532 533

TANG: Die Rückkehr der Seele, Bd. 2, S. 89. Zum Vergleich s. GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 3, S. 326; TANG: The Peony Pavilion, S. 156. Vgl. MICHAEL LACKNER: Der chinesische Traumwald. Traditionelle Theorien des Traumes und seiner Deutung im Spiegel der ming-zeitlichen Anthologie Meng-lin hsüan-chieh, Frankfurt u.a.: Peter Lang 1985; MARION EGGERT: Rede vom Traum. Traumauffassungen der Lite-

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DIE ROMANZE DER MING-ZEIT: CHUANQI UND KUNQU

des irdischen Daseins. Die Rückkehr der Seele paßt in dieses geistige Umfeld, das sich auch für das europäische Denken fast zeitgleich nachweisen läßt.534 Es geht also um ernste und große Dinge. Wie passen dann aber vulgäre Späße wie in Aufzug 47 (»Der Abzug der Räuber«, Weishi)535 oder Jungmädchenspiele wie in Aufzug 8 (»Der Unterricht«, Guishu, hier Aufzug 7!)? Die Frage ließe sich theoretisch leicht mit Rückgriff auf die oben bereits angesprochene chinesische Ästhetik beantworten, welche die Schlangenlinie favorisiert, das heißt, das Auf und Ab, das Hin und Her, kurz den steten Wechsel zwischen Yin und Yang, dem Hohen und Niederen, dem Heiligen und dem Profanen. C.T. Hsia vertritt gar die Auffassung, daß das Stück nicht etwa in Teilen, sondern zur Gänze als Komödie aufzufassen sei. Man habe sich bislang zu sehr auf einige wenige Aufzüge konzentriert. Nun, es ist nicht unsere Aufgabe, hier zu einer letztlichen Entscheidung zu kommen, wohl aber ein gelungenes Beispiel für das Komödiententum anführen. Wir finden dies in besagtem Aufzug zum Thema »Unterricht«. Nachdem Hauslehrer Chen Das Buch der Lieder erklärt und auf »Ruhm« (ming) sowie »Tat« (gong) als Ziel aller Bildung hingewiesen hat, fordert er die Zofe auf, »die vier Kostbarkeiten des Schreibtisches« herbeizuholen, um das Schreiben geziemend zu üben. Doch diese befindet, daß die genannten Tugenden den Männern vorbehalten seien, während das Begehren (yu) Sache der Frauen sei. Und so bringt sie denn die Dinge auf ihre weibliche Art für die Leserschaft höchst vergnüglich und aufschlußreich durcheinander. Wir lesen daher weiter:536 Chunxiang tritt ab und tritt wieder auf mit Gerät für die Damentoilette, das sie vor dem Lehrer auf den Tisch legt. Chunxiang sagt So, hier ist Papier, Tusche, Pinsel und Reibstein! Lehrer Chen sagt, die Tusche untersuchend Was ist das für Tusche?

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ratenschicht im späten kaiserlichen China, Stuttgart: Franz Steiner 1993. Die Autorin behandelt übrigens unser Stück auf den Seiten 180 bis 198. Vgl. zum Beispiel La Vida es sueño (1634/35) von PEDRO CALDERÓN DE LA BARCA (1600– 1681). China kann allerdings mit einer längeren Geschichte dieses Motivs aufwarten. Im Falle von Träumen auf einem Kopfkissen schon seit der Jin-Zeit (265–420) s. WANG I-CHÜN [d.i. Wang Yijun]: »Life-Is-A-Dream Theme: Pillow/Dream in Chinese and Japanese Drama«, in: Tamkang Review XVIII.1–4 (1987/88), S. 277–286. Dieses Kapitel ist aus übersetzungswissenschaftlicher Sicht hochinteressant, da das Gespräch zwischen den chinesischen Abgesandten und dem fremdstämmigen Räuber Li Quan gedolmetscht werden muß. Der Autor scheint die Gelegenheit willentlich zu allerhand Schabernack zu benutzen! Unter Verwendung der heutigen Umschrift zitiert nach: TANG: Die Rückkehr der Seele, Bd. 1, S. 56–58. Zum Vergleich s. GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 3, S. 266–267; TANG: The Peony Pavilion, S. 26–27. In den letzeren beiden Fällen als 7., nicht als 8. Aufzug wie bei Hundhausen aufgeführt.

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Tang Xianzu: Die Rückkehr der Seele Liniang sagt Ach, das Mädchen hat sich geirrt. Das ist ja Persisch-Schwarz zum Brauenmalen! Lehrer Chen sagt, den Pinsel untersuchend Und was für ein Pinsel ist das? Liniang sagt Wahrhaftig, das ist ja mein Pinselchen zum Nachziehen der Augenbrauen! Lehrer Chen sagt Ich habe derartige Dinge noch niemals gesehen! Nimm sie weg, Chunxiang, nimm sie weg! Was ist das für Papier? Liniang sagt O, das sind ja meine Pfirsichblütenblätter für zärtliche Botschaften! Lehrer Chen sagt Nimm sie weg, nimm wie weg, Chunxiang! Wir brauchen Schulpapier. Und das hier soll ein Tuschereibstein sein? Ist es überhaupt ein Stein oder sind es zwei Steine? Liniang sagt Das ist ja wahrhaftig mein Mandarinenentenpärchen zum Duftstreuen! Lehrer Chen sagt Und wozu sind die vielen Augen? Liniang sagt Zum Weinen, zum vielen, vielen Weinen! Lehrer Chen sagt Was brauchen sie zu weinen? Das soll auch weg.

So wird zu guter Letzt aus dem Gegensatz von Lehrer und Schülerin, von Mann und Frau, von Alter und Jugend, von Pedanterie und Schabernack doch ein tiefer Ernst, der auf den weiteren Gang des Stückes verweist: Du Liniang wird zu leiden haben, bevor sich ihr das ganze Dasein als Fülle und Dauer eröffnen mag. Bis dahin wird sie in die allgemeine Klage gegen den Himmel (hen tian) gern einstimmen.

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Teil V Vom Literarischen zum Performativen. Die Qing-Zeit (1644–1911)

1. Wu Weiye (1609–1672), Chen Yujiao (1544–1611) u.a. Wir haben bislang das chinesische Singspiel als Literatur behandelt und konnten dies aus gutem Grunde auch tun. Denn da die Musik den Umständen entsprechend frei gestaltet werden konnte, wurde sie nicht unbedingt aufgezeichnet und ging mit dem natürlichen Abschied der Sänger von der Bühne einfach verloren. Neue Sänger traten mit neuen Interpretationen an ihre Stelle. Unsere reine Literaturbetrachtung wird aber um so mehr auf Schwierigkeiten stoßen, je weiter wir uns dem Jahr 1790 nähern. Und je mehr wir dies tun, desto weniger bekommen wir es mit einem Theater zu tun, das weiterhin »literaturfähig«537 wäre. Dies hat seinen Grund in dem allmählichen Aufkommen eines Phänomens, das unter dem Namen Pekinger Oper (jingju) bekannt geworden ist und – wiederholt gesagt – heute gleichsam als die chinesische Oper, ja Nationaloper schlechthin gilt. Doch dazu später. Gleichwohl läßt sich schon jetzt konstatieren, daß das 17. Jahrhundert als eine Art Abgesang des literaturfähigen klassischen chinesischen Theaters betrachtet werden kann und daß an die Stelle des (auch) Literarischen das (eher) Performative tritt. Was uns also namentlich im folgenden beschäftigen wird, werden daher nur wenige Personen und Stücke sein können, denn alles Performative ist an eine konkrete Aufführung gebunden, die auch aus einem unscheinbaren literarischen, ja ideologisch fragwürdigen Text dank lebendiger Bühne und artistischem Spiel viel herausholen kann. Bestes Beispiel in dieser Hinsicht sind die acht revolutionären Modellopern (yangbanxi)538 der Kulturrevolution (1966–1976), die sich, als Pekinger Opern heute immer noch aufgeführt, einer gewissen Beliebtheit erfreuen und dank ihrer fulminanten Performanz formal vielleicht selbst im Westen weiterhin zu überzeugen vermögen, auch wenn aus hiesiger Sicht eine gewisse Nähe zum Kitsch nicht in Abrede zu stellen ist. Doch all dies kann hier nicht unser Gegenstand sein, zumal das 20. Jahrhundert mit seinem Theater von mir schon anderweitig abgehandelt worden ist.539 Mein begrenztes und eingeschränktes Verfahren steht also bewußt in einem Gegensatz zur herkömmlichen Sekundärliteratur. Diese erwähnt bei ihrer Behand537

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Hierauf macht MARTIN GIMM: »Das chinesische klassische Singspiel«, S. 37b, erneut unzweideutig aufmerksam. Zu demselben Urteil war er schon sehr viel früher gekommen, s. MARTIN GIMM: »Das chinesische Theater«, in: GÜNTHER DEBON: Ostasiatische Literaturen, Wiesbaden: AULA 23 (= Neues Handbuch der Literaturwissenschaft; 23), S. 119. BARBARA MITTLER: »Musik und Macht: Die Kulturrevolution und der chinesische Diskurs um den ›nationalen Stil‹«, in: MICHAELA G. GROCHULSKY, OLIVER KAUTNY u. HELMKE JAN KEDEN (Hg.).: Musik in Diktaturen des 20. Jahrhunderts, Mainz: Are Edition 2006, S. 277– 302; DIES.: »Musik und Identität: Die Kulturrevolution und das ›Ende chinesischer Kultur‹«, in: MICHAEL LACKNER (Hg.): Zwischen Selbstbestimmung und Selbstbehauptung. Ostasiatische Diskurse des 20. und 21. Jahrhunderts, Baden-Baden: 2008, S. 260–289. KUBIN: Die chinesische Literatur im 20. Jahrhundert, passim.

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VOM LITERARISCHEN ZUM PERFORMATIVEN. DIE QING-ZEIT

lung des Theaters der ausgehenden Kaiserzeit oft nur Namen von Autoren und Stücken. Statt literaturwissenschaftlicher Deutung werden vornehmlich biographische, philologische und bibliographische Fakten vermittelt. Man nennt ein solches Verfahren auf neudeutsch Namedropping, das weniger zum Lesen als vielmehr zum Nachschlagen geeignet ist.540 Man hat nämlich bei der Lektüre der einschlägigen Literatur nicht selten den Eindruck, die Stücke sind gar nicht bzw. nicht richtig gelesen worden. 541 Die Charakterisierungen klingen meist gleich und gleichbleibend nichtssagend. Mitunter werden Urteile von anderen blind übernommen und nicht durch das Original abgesichert. Die hohe Meinung, die Dietrich Tschanz, Sinologe an der Rutgers University (New Brunswick), zum Beispiel vom Theater des Wu Weiye (1609–1672)542 hat, wird nicht in einen Kontext eingebracht, der die Neubewertung verständlich machen würde bzw. abgesichert hätte. Dieser eher als geschätzter Dichter bekannte Autor543 findet in den beiden Bänden des Indiana Companion to Traditional Chinese Literature und in den fünf Bänden von Klassische Stücke des chinesischen Theaters (Zhongguo xiqu jingdian) als Verfasser von zwei zaju und einem chuanqi noch nicht einmal eine Erwähnung!544 Überdies gibt die Lektüre der drei Historienspiele keine besonders auffällige Innovation zu erkennen. Das »gemischte Spiel« (zaju) in vier Akten, Der Pavillon 540

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Dies gilt leider auch für das immer wieder gern angeführte Werk HUNG: Ming Drama. Man muß des weiteren betrüblich konstatieren, daß diese bislang unverzichtbare und daher einmalige Studie durch eine steigende Zahl von Druck- und Umschriftfehlern soviel an Glaubwürdigkeit verliert, daß die Lektüre mitunter zur Qual wird. Repräsentativ in diesem Sinne ist LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 4, S. 277– 282, die den gleich unten zu besprechenden Literaten Wu Weiye z.B. auf seine Biographie und seinen Loyalismus gegenüber der Ming-Zeit beschränken und so gut wie nichts Konkretes zu seinen drei Theaterstücken sagen. Ihre These von dessen Dramen als Ort eines unbedingten, aber unerfüllten Loyalismus liest sich wie angelesen. Vermutlich haben die beiden Verfasser die Originale nie in Händen gehalten! DIETRICH TSCHANZ: Early Qing Drama and the Dramatic Works of Wu Weiye (1609–1672), Phil. Diss. Princeton University 2002. KUBIN: Die chinesische Dichtkunst, S. 364–366. Etwas ähnliches läßt sich von dem bekannten Literaten Yang Shen (1488–1559) sagen, der in besagten Hilfsmitteln gar nicht bzw. nur als Dichter oder Gelehrter Erwähnung findet, vgl. HUNG: Ming Drama, S. 79, und ADAM SCHORR: »Connoisseurship and the Defense Against Vulgarity: Yang Shen (1488–1559) and his Work«, in: Monumenta Serica 41 (1993), S. 89–128. Dasselbe gilt auch für den berühmteren Literatus Wang Shizhen (1527– 1590), s. HUNG: Ming Drama, S. 124–126. Zu seiner Biographie, die ihn als Theatermann überhaupt nicht erwähnt (!), s. BARBARA KRAFFT: »Wang Shih-chen [d.i. Wang Shizhen] (1526–1590). Abriß seines Lebens«, in: Oriens Extremus 5 (1958), S. 169–201. Zur Deutung des ihm zugeschriebenen Stückes Der Ruf des Phönix (Mingfeng ji, 1565) s. auch LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 3, S. 253–258, sowie DIETRICH TSCHANZ: »History and Meaning in the Late Ming Drama MING FENG JI«, in: Ming Studies 35 (1995), S. 1–31. Die Romanze (Kunqu) behandelt gegen den Trend der Zeit das rein Politische, nämlich den Machtkampf bei Hofe (1547–1565), dem der Vater zum Opfer gefallen war. Es ist damit das erste Werk, das sich mit der Tagespolitik der Ming-Dynastie befaßt und die »Sorge um Land und Volk« (youguo, youmin) in den Mittelpunkt stellt.

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Wu Weiye, Chen Yujiao u.a.

des nahenden Frühlings (Linchun ge, verfaßt zwischen 1645 und 1647)545 zum Beispiel, welches seine Betonung auf das Phänomen der starken Frau als Amazone legt, mag zwar dem Stereotyp der schwachen Frau bzw. dem Vorurteil von staatsgefährdender weiblicher Schönheit widersprechen, entspricht aber ganz und gar dem Zeitgeist. Es ist dies ein Zeitgeist, der die Niederlage gegen die Mandschuren, den Untergang der Ming-Dynastie und die erneute Fremdherrschaft eines zahlenmäßig kleinen Volkes über eine vielfache Mehrheit von Han-Chinesen am Beispiel früherer untergegangener Reiche zu bedenken versucht und dabei versteckt einen Loyalismus gegenüber den vergangenen Herrschern sowie eine Abneigung gegenüber den neuen Machthabern thematisiert.546 Der (chinesische) Mann scheint versagt zu haben, nun wird alle Hoffnung auf die (chinesische) Frau gesetzt, eine Hoffnung, die letztlich erst mit dem 20. Jahrhundert mehr oder weniger im praktischen Leben beispielhaft aufgeht. Bis dahin werden manche so heldenhafte wie absurde Geschichten über weibliche Schicksale erzählt. So zum Beispiel von dem bei Hofe gern gesehenen Zheng Ruoyong (ca. 1480 – ca. 1565), der in seiner Aufzeichnung vom zerbrochenen Jadering (Yujue ji), einer Romanze in 36 Akten, zum Preis weiblicher Treue willkürlich Geschehnisse aus der Zeit der Eroberung Chinas durch die Dschurdschen zusammenkonstruiert.547 Hier nun wäre es, leicht nachvollziehbar, eigentlich die Aufgabe des deutschen Verfassers gewesen, all die inzwischen ausgegrabenen und in die sinologische Diskussion eingebrachten, wenn auch nicht übersetzten und nicht bewerteten Stücke selber zu lesen und entsprechend zu analysieren. Doch dieser hatte zwei Befürchtungen: Es würde ihn Jahre kosten, und schlimmer noch, das erwartbar negative Ergebnis würde diese Jahre nicht einmal rechtfertigen, sondern als vergeudet einstufen lassen. Er hatte es hier also mit einem grundsätzlichen methodischen Problem zu tun. Denn je näher er der Qing-Zeit bzw. dem Stichdatum 1790 kam, um so eher hatte er das Gefühl, hier wiederhole sich immer wieder neu nur sattsam Bekanntes, und die Sinologie drücke sich einmal mehr um die Wertfrage herum. Remake bzw. Rewrite scheint das Gebot der Stunde gewesen zu sein, ganz so, als habe sich der chinesische Geist theatralisch erschöpft und könne nur noch Dutzendware als Massenartikel anbieten.548 545 546

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Ausführlich besprochen von TSCHANZ: Early Qing Drama, S. 19–112. Zum Original s. LI XUEYING (Hg.): Wu Meicun quanji, Bd. 3, Schanghai: Shanghai Guji 1990, S. 1362–1387. Vgl. hierzu WAI-YEE LI: »Heroic Transformation: Women and National Trauma in Early Qing Literature«, in: HJAS 59.2 (1999), S. 363–443. Die Autorin, die besagtes Stück von Wu Weiye auf den Seiten 378–393 abhandelt, wartet zwar mit einem beeindruckenden Fußnotenapparat auf, weiß aber ansonsten zur Qualität der Dramatik nichts zu sagen. HUNG: Ming Drama, S. 120–124. Zum Stück selber s. MAO (Hg.). Liushi zhong qu, Bd. 9, S. 1–116 (keine fortlaufende Paginierung). Zur kritischen Einschätzung dieses von der Bühne längst verschwundenen Stückes als Wegbereiter des Formalismus s. LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 3, S. 258–261. Es würde mich nicht wundern, wenn die geniale Theorie von LOTHAR LEDDEROSE: Ten Thousand Things: Module and Mass Production in Chinese Art, Princeton: Princeton UP

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VOM LITERARISCHEN ZUM PERFORMATIVEN. DIE QING-ZEIT

Als so positive wie nachvollziehbare Gründe für die ab dem 17. Jahrhundert zu beobachtende stete Wiederaufnahme und Umschreibung der immer selben Stoffe ließe sich u.a. vielleicht auch eine gewisse Verunsicherung auf Seiten der Verfasser anführen. Wir hatten oben schon die Erzählung »Goldamsel« von Yuan Zhen als Vorlage für Das Westzimmer angeführt. Die seitdem auf der Bühne immer wieder zu beobachtende Neu-, vielleicht gar Weiterschreibung dieses Stoffes, die auf ein Happyend hinzielt, mag die übliche und am Ende eines theatralischen Geschehens erwartbare Heirat der Liebenden nicht allein aus Gründen der oben erwähnten Philosophie der Reproduktion (sheng sheng) nahegelegen erscheinen lassen. Der amerikanische Sinologe Daniel Hsieh hat nämlich jüngst gezeigt, wie schwer sich chinesische Literati mit dem beängstigenden Schluß von Yuan Zhens Erzählung taten und wie sehr sie sowohl den Protagonisten als auch den Erzähler für den unbefriedigenden Ausgang der Handlung kritisierten.549 Die ungeheuerlichen Dinge schienen über die Jahrhunderte immer wieder durch neue Versionen ins rechte Lot gerückt werden zu müssen. Ein weiterer Rettungsversuch für das Theater der damaligen Zeit wäre das Unterfangen, im modernen Sinne jede Wiederaufnahme eines überkommenen Motivs als einen neuen Text über alte Texte verstehen zu wollen und damit als eine aktive Auseinandersetzung mit der Tradition anzusehen. Wir hätten es also in vielen Fällen, bildlich gesprochen, mit einer Art Palimpsest zu tun, wo ein neuer Text einen alten überlagert, aber diesen noch zu erkennen gibt bzw. durchscheinen läßt! Das so beliebte Thema der Auferstehung z.B. wäre dann nicht einfach auf Tang Xianzu oder auf mögliche Einflüsse des Christentums zur Ming-Zeit zurückzuführen, sondern viel weiter noch in die Vergangenheit zurückzutragen.550 Für Daniel Hsieh steht die oben besprochene »Aufzeichnung einer Seelenwanderung« aus dem 5. bzw. 8. Jahrhundert nicht nur am Beginn des besagten Motivs, sondern gar am Anfang der für das Theater der Ming so wichtigen »Empfindsamkeit« (qing).551 Bei einer solchen Ausweitung des literaturgeschichtlichen Raumes sollte jedoch nicht außer acht bleiben, daß all das, was sich als Vorläufer schon im Mittelalter nachweisen läßt, eher eine Einzelerscheinung gewesen ist und erst viele Jahrhunderte später zum Trend werden konnte, als nämlich immer mehr Literaten sich eines noch unkonventionellen Phänomens anzunehmen bereit waren, das dann, über sie hinauswachsend, fast schon zur Konvention wurde. Eine Neuschreibung mag aber auch ganz praktische Gründe gehabt haben. Die Rückkehr der Seele wurde nämlich vielfach allein wegen der mangelnden Form

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2000, über die Massenproduktion in der chinesischen Kunst und im chinesischen Kunsthandwerk auch auf das chinesische Theater anwendbar wäre! DANIEL HSIEH: Love and Women in Early Chinese Fiction, Hongkong: The Chinese UP 2008, S. 202–211. Su Dongpo schrieb z.B. einen Bericht von der Auferstehung eines jungen Mädchens, s. LIN YUTANG: The Gay Genius. The Life and Times of Su Tungpo [d.i. Su Dongpo], Melbourne u.a.: Heinemann 1948, S. 330f. HSIEH: Love and Women in Early Chinese Fiction, S. 156–161.

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Wu Weiye, Chen Yujiao u.a.

kritisiert.552 Sein Autor, Tang Xianzu, gilt zwar gemeinhin als Verfasser von Kunqu, schrieb aber auf Grund fehlenden Bewußtseins für Rhythmus und Metrum sowie auf Grund seiner Bevorzung des Heimatdialektes vor der verfeinerten Sprache von Jiangsu strenggesehen keine echten Kunqu! Das brachte nach dem Erfolg der Linchuan-Schule unseres Tang Xianzu eine zweite Schule auf den Plan, nämlich die sogenannte Schule von Wujiang, die besonderen Wert auf eine mustergültige Form legte. Ihren Namen verdankt sie ihrem geheimen Gründer Shen Jing (1553– 1610)553, der aus Wujiang nahe dem heutigen Suzhou stammte. Sein familiärer Hintergrund und sein Status als Beamter (Doktorat von 1574) erlaubten ihm nach frühzeitigem Rückzug aus den Ämtern 1589 (?) eine lange Beschäftigung mit dem Theater. Er unterhielt seine eigene Schauspieltruppe und verfaßte 17 Spiele, die fast ausnahmslos Bekanntes neu in Szene setzten. Seinen Ruf, einer der profiliertesten Dramatiker seiner Zeit zu sein, verdankt er keiner Innovation, sondern einer Perfektionierung der Form. Er und seinesgleichen wie z.B. Lü Tiancheng (1580 – ca. 1619)554 oder gar der große Erzähler Feng Menglong (1574–1646)555 schrieben Die Rückkehr der Seele nach ihren strengen Anschauungen von Rhythmus, Tonhöhen, Wortwahl um, vernachlässigten aber um der Musikalität und Sangbarkeit willen dramatische und inhaltliche Aspekte. So ist es nicht verwunderlich, daß es zwischen Shen Jing und Tang Xianzu zu einem Streit wegen der Bearbeitung des Mudan ting gekommen ist.556 Es ist müßig, hier die Frage danach zu stellen, wer von den beiden denn Recht hatte. Beide haben nämlich einen völlig verschiedenen Ausgangspunkt. Während Tang Xianzu in erster Linie an ein Lesepublikum gedacht hat, hat Shen Jing eine reine Bühnenaufführung vor Augen gehabt. Wie dem auch sei, der Schule von Wujiang wird jedenfalls angelastet, schon während der Blüte (1593–1661) des Theaters zur Ming-Zeit den Niedergang des Kunqu gleichsam vorprogrammiert zu haben. Die Betonung des rein Formalen und die ständige Neufassung überkommener Texte erlaubte nämlich immer mehr weniger wichtigen Autoren mit immer mehr Massenprodukten an die Öffentlichkeit zu treten. 552 553

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S. hierzu und zum folgenden HUNG: Ming Drama, S. 132ff. Eine Deutung des Mudan ting und weiterer Werke von TANG XIANZU findet sich auf S. 134–174. HUNG: Ming Drama, S. 182–195; GOODRICH u. FANG (Hg.): Dictionary of Ming Biography, Bd. 2, S. 1172–1173. Zu seinem erhaltenen Werk s. XU SHUOFANG (Hg.): Shen Jing ji [Gesammelte Werke des Shen Jing], Schanghai: Shanghai Guji 1991. HUNG: Ming Drama, S. 195–196. LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 3, S. 437– 439. S. CATHERINE SWATEK: »Plum and Portrait: Feng Meng-lung’s Revision of The Peony Pavilion«, in: Asia Major 3d series, 6/1 (1993), S. 127–160. Die Verfasserin weist nach, daß die Eingriffe nicht nur formal, sondern auch inhaltlicher Natur gewesen sind! LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 3, S. 441–449. Die Verfasser erwähnen übrigens in ihrem Werk Shen Jing nur als Theoretiker, keinesfalls als Dramatiker! Dagegen findet sich bei NIENHAUSER (Hg.): The Indiana Companion to Traditional Chinese Literature, S. 675–677, eine lange Würdigung von dessen Gesamtwerk, zu welchem auch 17 Dramen (chuanqi, zaju) gehören. Zu seinem Gesamtwerk s. XU (Hg.): Shen Jing ji.

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VOM LITERARISCHEN ZUM PERFORMATIVEN. DIE QING-ZEIT

Nun wird zugegebenermaßen die literarische Bearbeitung eines jedermann bekannten Stoffes in China niemals scheel angesehen. Besonders die Ming-Zeit legte im Rahmen ihres Archaismus557 eine Orientierung am Vorbild der Vergangenheit nahe. Dies gilt sprachlich auch für Shen Jing, der sich nach der Bühne der Songund Yuan-Zeit richtete. Als Außenstehenden ist uns heute keine sonderlich tolerante Einstellung in diesen Dingen zueigen. Uns befallen auch im Anblick der chinesischen Gegenwartsliteratur mit ihren zahllosen Wiederholungen arge Zweifel. Wir verlangen nach dem Neuen und goutieren keinen wiederholten Aufguß. Daher rührt ebenfalls mein Verdacht, daß der seit der Ming-Zeit verstärkt zu beobachtende Trend zum Remake ein wesentlicher Grund dafür sein kann, warum plötzlich das Theater besagter Dynastie der Sinologie als Quelle für soziologische Erkenntnisse herhalten kann. So bedient sich die amerikanische Sinologin Katherine Carlitz des Stückes Die Papageieninsel (Yingwuzhou, um 1600) 558 von Chen Yujiao (1544–1611) lediglich, um die Rolle der Frau, insbesondere der Kurtisane, zu untersuchen.559 Dabei kommt sie, auch wenn sie immer mehr einem schematischen Feminismus verfällt, allerdings zu guten und brauchbaren Einsichten. Man wird jedoch das Gefühl nicht los, daß das Bühnenspiel von ihr gar nicht richtig im Sinne der Literaturwissenschaft gelesen worden ist, zumal kaum daraus übersetzt, ja kaum zitiert wird. Die Ideologie der politischen Korrektheit, die mit Überinterpretation und Spekulation einhergeht, läßt in vorliegendem Fall das literarische Werk zur Nebensache werden und degradiert es zu soziologischem Material herab. Derlei ist in der Sinologie zwischen 1978 und 1989 schon einmal passiert, als man meinte, die Literatur der Volksrepublik China lediglich als Mittel zur Erkenntnis gesellschaftlicher Zustände zu Rate ziehen zu können. Chen Yujiao560, der einer reichen Salzhändlerfamilie aus Haining in der heutigen Provinz Zhejiang entstammte und es als Beamter (Doktorat von 1574) zu ver557

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S. hierzu KARL HEINZ POHL: Ästhetik und Literaturtheorie in China. Von der Tradition bis zur Moderne, Bd. 5 der Geschichte der chinesischen Literatur, hg. von WOLFGANG KUBIN, München: Saur 2007, S. 297ff. Zu einem kommentierten Textauszug des in der schwerlich auffindbaren Ausgabe Guben xiqu congkan II, Schanghai 1955, befindlichen Stückes s. JIANG u.a. (Hg.): Ming-Qing chuanqi jianshang cidian, Bd. 1, S. 489–494. KATHERINE CARLITZ: »Desire and Writing in the Late Ming Play ›Parrot Island‹«, in: ELLEN WIDMER u. KANG-I SUN CHANG (Hg.): Writing Women in Late Imperial China, Stanford: Stanford UP 1997, S. 101–130. Das genannte Werk bietet viel zum Thema Kurtisane der Kaiserzeit. Zur Kurtisane in der (Vor-)Moderne s. CATHERINE VANCE YEH: Shanghai Love. Courtesans, Intellectuals, & Entertainment Culture, 1850–1910, Seattle u. London: University of Washington Press 2006. Zu seiner Biographie s. CARLITZ: »Desire and Writing in the Late Ming Play ›Parrrot Island‹«, S. 111–113; GOODRICH u. FANG (Hg.): Dictionary of Ming Biography 1368–1644, Bd. 1, S. 188–190. Während HUNG: Ming Drama seine Person und sein Werk verschweigt, findet sich bei NIENHAUSER (Hg.): The Indiana Companion to Traditional Chinese Literature, S. 239–241, ein brauchbarer Eintrag. Auch LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 3, S. 376–378, halten in ihrem kurzen Abriß zu Leben und Werk des Autors Die Papageieninsel keiner besonderen Erwähnung für wert!

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Wu Weiye, Chen Yujiao u.a.

schiedenen Ministerposten (1588, 1590) brachte, war Gelehrter und Dramatiker. Die Papageieninsel gehört zu seinen vier erhaltenen chuanqi, die nach dem vorzeitigen Ruhestand, einem Ruhestand in Luxus, zwischen 1592 und 1605 verfaßt worden sind. Sie stellen ausnahmslos Neuauflagen bekannter Werke dar. So ist auch Die Papageieninsel vornehmlich ein Text über viele Texte seit der TangZeit, dem selbstverständlich die Sache mit der Erweckung einer Schönen durch die Liebe nicht fehlen darf! Was diesem Stück gemäß Katherine Carlitz zu entnehmen ist und hier kurz angerissen werden soll, weil es den sich wandelnden Geist der Zeit verständlich macht, ist der sich abzeichnende Kult um die (edle) Kurtisane. Dank der vermehrten Betonung von Empfinden (qing) als wesentlichem und gemeinsamem Zug von Mann und Frau ergibt sich ein neues Frauenbild: Eine Schöne ist nun nicht mehr der Dämon, der Männer zu Tode bringt oder ganze Reiche stürzt, sie ist nun vielmehr die große Empfindsame, die zu hohen Taten animiert, die als Gebildete zur Lehrerin in Sachen Poesie, Schach, Kalligraphie, Malerei und Musik avanciert, die Treue kennt, die gleichsam eine (heilige) Gegenwelt zur schnöden Alltagswelt (des Mannes) bildet.561 Man kann das Ganze auch modern wie folgt zuspitzen: Die Drangsale, die ein Mann unter der Last von Erziehung und Amt verspürt, heben sich im Anblick einer Kurtisane auf, denn ihr scheint leichtzufallen, was ihm nur mit Mühe gelingen mag, nämlich der Ausgleich von Pflicht und Neigung. Es sei an dieser Stelle vergleichend angemerkt, daß mit der Betonung ihrer Treue die chinesische Kurtisane sich wesentlich von der griechischen Hetäre unterscheidet. Letztere, »bewundert viel und viel gescholten«, bot das »Urbild einer wegen ihrer Schönheit der Versuchung zur Untreue ausgesetzten Frau«562. Die Bezeichnung Hetäre wäre übrigens auch für die chinesische Seite die bessere Wortwahl als der allgemein bevorzugte Ausdruck Kurtisane. Kurtisane meint nämlich eigentlich die Geliebte eines Adligen an einem Fürstenhofe o.ä. Eine Hetäre dagegen im ursprünglichen Sinn einer Gefährtin war an keine gesellschaftliche Schicht gebunden. Überdies waren Hetären ebenso wie ihre chinesischen Schwestern äußerst gebildet und in den Künsten ausgebildet, so daß sie als »wahre Lichtgestalten der Eleganz, Schönheit und Klugheit«563 galten. Sie teilen gleichsam denselben Mythos:564 Ihr Mythos besteht darin, daß es sich um elegante, selbständige, überlegene, unabhängige, natürlich sehr schöne Frauen gehandelt habe, die Glanz verbreiteten und die all dieser Eigenschaften wegen bewundert wurden. 561

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Das Leben einer damaligen Kurtisane findet sich nacherzählt von LIN YUTANG: Die Kurtisane. Eine Geschichte von der Liebe. Aus dem Englischen von LEONORE SCHLAICH, München: Goldmann 1966 (= Goldmanns gelbe Taschenbücher; 1717). WOLFGANG SCHULLER: Die Welt der Hetären. Berühmte Frauen zwischen Legende und Wirklichkeit, Stuttgart: Klett-Cotta 2008, S. 13. Ebd., S. 18. Ebd., S. 28.

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2. Hong Sheng (1645–1704): Der Palast des langen Lebens Gegen die zeitliche Abfolge soll aus methodischen Gründen zunächst auf ein Werk der Qing-Zeit vorgegriffen werden, das es uns erlaubt, nochmals die Sache mit dem Schwenk zum Performativen, zum Ästhetischen zu bedenken. Es handelt sich um das Kunqu-Stück Der Palast des langen Lebens (Changsheng dian, 1688) 565 von Hong Sheng (1645–1704). Trotz der Wiederaufwärmung eines längst hinlänglich bekannten Stoffes gilt es der Sekundärliteratur nicht nur als eines der wenigen großen Dramen der Qing-Zeit, sondern des chinesischen Theaters überhaupt. Dies mag vielleicht mit seinem versteckt politischen Charakter zu tun haben, der sofort nach der Erstaufführung 1689 zum Verbot und zur Bestrafung von Autor und Verantwortlichen führte. Der ansonsten hoch angesehene KangxiKaiser (reg. 1662–1722) schaltete sich höchstpersönlich in die Angelegenheit ein. Er las das Stück und befand es für regimekritisch. Seine Lektüre legte natürlich eine übertragene Lesart zugrunde: Die Kritik an dem oben bereits erwähnten Rebellen An Lushan, einem Heerführer mit nichtchinesischem Hintergrund, und an dem korrupten Kanzler Yang Guozhong (?–756), einem Cousin der Yang Guifei, sowie das Lob für den General Guo Ziyi (697–781), der den damaligen Aufstand566 niederwarf, konnte als Anklage gegen die Mandschuren und gegen die chinesischen Kollaborateure interpretiert werden. 567 Hong Sheng, der 1666 aus seiner Heimatstadt nach Peking gezogen war, um dort an der Kaiserlichen Universität (Guozijian) seinen Studien nachzugehen, wurde der Hochschule verwiesen und verbrachte den Rest seines Lebens zurückgezogen und verarmt am Westsee. Bei 565

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Als beste Ausgabe gilt die von Xu Shuofang erstmals 1958 in Peking publizierte Edition. Mir lag ein Nachdruck des Verlages Renmin Wenxue aus dem Jahre 1983 vor. Als Übersetzung in eine europäische Sprache scheint bislang nur vorzuliegen HUNG SHENG [d.i. Hong Sheng]: The Palace of Eternal Youth. Aus dem Chinesischen von YANG HSIEN-YI u. GLADYS YANG, Peking: Foreign Languages Press 1955. Das chinesische Original und die englische Übersetzung stimmen, streng philologisch betrachtet, oft nicht überein. Der chinesische Titel führt verwirrend genug die Gattungsbezeichnung chuanqi an. Autor und Publikum scheinen also damals nicht eigens zwischen chuanqi und Kunqu unterschieden zu haben! Zu einem Vergleich des Protagonisten, der Kaisers Xuanzong, mit König Lear s. JOSEPHINE HUANG HUNG: »On Some of the Characters in The Palace of Eternal Youth and King Lear«, in: Tamkang Review III.2 (1972), S. 73–102. Zum historischen Hintergrund sei nachgetragen die Quelle DENIS TWITCHETT (Hg.): The Cambridge History of China, Bd. 3 (Sui and T’ang, 589–906, Part 1), S. 333ff. Ich folge hier raffend der herkömmlichen Auffassung, wie sie auch das Nachwort der englischen Ausgabe, S. 313–322, bietet. Zu einer anderen, aber nicht verläßlicheren Einschätzung kommen dagegen HUMMEL (Hg.): Eminent Chinese of the Ch’ing Period, Bd. 1, S. 375, und COLIN P. MACKERRAS: The Rise of the Peking Opera 1770–1870. Social Aspects of the Theatre in Manchu China, Oxford: Clarendon Press 1972, S. 215f.

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Hong Sheng: Der Palast des langen Lebens

einem Umtrunk auf einem Boot soll er unterwegs von Nanking nach Hangzhou ins Wasser gefallen und ertrunken sein. Trotz seines großen Namens hat das Liebesdrama, das in Peking dreifach (um-) geschrieben wurde, bislang nicht die Aufmerksamkeit der westlichen Sekundärliteratur finden können. Darf man den beiden gewichtigen Bänden des Indiana Companion to Traditional Chinese Literature Glauben schenken, so gibt es nicht einmal einen einzigen Aufsatz auf englisch, deutsch oder französisch zu unserem Gegenstand. Woran mag dieses offenkundige Desinteresse liegen? Der Autor, von dessen zwölf verfaßten Stücken nur zwei zur Gänze überliefert sind, hat aus westlicher Sicht vielleicht doch kein Meisterwerk geschaffen? Auch wenn Hong Sheng mit seinem Remake eine Umwertung vorgenommen haben mag,568 indem er den Kaiser Xuanzong und seine Konkubine Yang Guifei als große Liebende und herzzerreißend Leidende sehr menschlich zeichnet, so hat er dennoch trotz aller politischen Deutung der damaligen und der späteren Zeit den Stoff weitgehend entpolitisiert. Dies mag durchaus schon für die oben besprochene Version von Bai Pu gelten. Wir wissen nämlich aus den Anfängen der Ming-Zeit, daß der erste Herrscher die Gründungssage der Han-Dynastie auf der Bühne nicht thematisiert haben wollte. Das Verbot von 1397, das 1411 ausgeweitet wurde, erstreckte sich auch auf das Theater der Yuan-Zeit, so daß viele Stücke umgeschrieben, durch andere ersetzt oder gar vernichtet werden mußten.569 So wie später die Mandschus Parallelen zwischen sich und der Tang-Dynastie sahen, so fürchete Zhu Yuanzhang ähnlich gelagerte Dinge bei sich und Liu Bang, der als Han Gaozu von 206 bis 195 regierte. Besagte Verbote galten übrigens auch für die Dramatisierung von bekannten Ministern, Helden und Weisen der Han-Zeit, ja, noch nicht einmal Erwähnung durften die damaligen Ereignisse finden, ganz so wie heute bestimmte Daten und Personennamen für die Presse und Wissenschaft auf dem Festland tabu sind. Menschen wie du und ich, also treue Frauen z.B., hatten die Bühne zu bevölkern. Sollte nicht von daher auch aus politischen Gründen verständlich werden, warum mit der Ming-Zeit eine Ablösung des Nördlichen Spiels durch die (Liebes-) Romanze des Südens erfolgt? Die sich in diesem Übergang abzeichnende Entpolitisierung des chinesischen Theaters dürfte sich mit der literarischen Zensur zur Qing-Zeit noch vertieft haben.570 Unter dem Qianlong-Kaiser (reg. 1736–1795) wurde 1777 eine Inquisition durchgeführt, bei welcher tausend Dramen auf unbotmäßige Äußerungen hin untersucht wurden. Aber auch vor und nach ihm hatte 568 569

570

So LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 4, S. 301–323. W.L. IDEMA: »The Founding of the Han Dynasty in Early Drama: The Autocratic Suppression of Popular Debunking«, in: DERS. u. E. ZÜRCHER (Hg.): Thought and Law in Qin and Han China. Studies dedicated to Anthony Hulsewé, Leiden u.a.: Brill 1990, S. 183–207. MACKERRAS: The Rise of the Peking Opera 1770–1870, S. 33–40, 211–218. Zum gesamten Komplex s. die frühe (1933), aber noch nicht überholte Studie von LUTHER CARRINGTON GOODRICH: The Literary Inquisition of Ch’ien-lung [d.i. Qianlong], 2. Aufl., New York: Paragon 1966.

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es immer wieder den Versuch gegeben, das Bühnenwesen einer Kontrolle zu unterwerfen, um nicht Beamte und Militärs zur »Unzucht« zu ermutigen. Kurz, der Grund, warum das Bühnenspiel in China zu guter Letzt so stark performativen Charakter annimmt, sollte ebenfalls in der politischen Entwicklung der ausgehenden Neuzeit gesehen werden. Der Palast des langen Lebens gehört zu den Rührstücken, die nur hier und da, wenn das Volk sich zu Worte meldet, eine politische Dimension gewinnen. Es ist kaum denkbar, daß die eigentliche Absicht des Autors wirklich in den kritischen Stimmen von Bauern und Sängern zu suchen ist. Zum einen, weil ihnen wenig Raum geboten wird, zum anderen, weil sie konventionell daherkommen, und zum dritten, weil die gesamte Anlage auf eine Übersteigerung der Vorlagen hinausgeht. Es wird nämlich noch mehr geweint und geklagt als bei Bai Pu! Dadurch wird die Lektüre oftmals unerträglich. In der folgenden Deutung werde ich mich auf das Wesentliche beschränken und zu einer gemäßigten Stellungnahme zwingen. Der Titel geht auf einen Palast der kaiserlichen Residenz zurück, in welchem sich die beiden Liebenden am 7. Tag des 7. Monats 751 ewige Liebe geschworen haben sollen. Der fragliche Tag, der dem Mondkalender folgt und nach dem Sonnenkalender einem Tag im August entspräche, gewährt einmal im Jahr die Gelegenheit zu einem Stelldichein der Sterne Hirt und Weberin, die ansonsten durch die Milchstraße getrennt sind. Den Schwur hat Bai Juyi in die folgenden berühmten Verse gefaßt. Sie lauten in der Übersetzung von Andreas Donath:571 Der Abschied kam. Und sie erinnerte den Kaiser an ein Versprechen, das sie sich im Schloß um Mitternacht am siebten Tag des siebten Monats gaben: Sie wollten immerzu im Himmel als zwei Vögel die Schwingen ineinandertauchen und auf der Erde als zwei Bäume zu einem Stamm zusammenwachsen.

In seinem kurzen Vorwort (zixu, 1679) zum genannten Stück beruft sich Hong Sheng als erstes Vorbild neben Bai Pu auf Bai Juyis »Lied vom langen Leid«.572 Er gibt dort auch eine Art Interpretationshilfe, wenn er konstatiert, daß das menschliche Leben, immer wenn es die höchste Freude erfahre, den Kummer unmittelbar zu gewärtigen habe (le ji ai lai). Es ist dies eine archetypische Struktur, die auf das kosmologische Denken in Yin und Yang zurückgeht: Alles, was seinen 571 572

Zu den Quellen und zur Deutung s.o. Anm. 189. Abgedruckt nach dem langen Vorwort von XU SHUOFANG in der genannten Ausgabe.

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Hong Sheng: Der Palast des langen Lebens

Höhepunkt erreicht hat, muß notwendigerweise in sein Gegenteil umschlagen, ein Gegenteil, das in allen Dingen enthalten ist, weswegen man besser von Kontrast bzw. Korrelat sprechen würde.573 Dieses Umschlagen von höchstem Lebensgenuß zu tiefster Not und Verzweiflung erfolgt im vorliegenden Falle mit dem Akt 25 (englische Zählung: 24), gleichsam in der Mitte also, denn insgesamt liegen 50 Akte vor. 574 Wie hinlänglich bekannt, hatte der Kaiser mit seinem Hofstaat von Chang’an nach Chengdu zu fliehen. An der Poststation Mawei kam es zur Meuterei der Soldateska, die nicht nur den Tod des theatralisch entworfenen Verräters Yang Guozhong, sondern auch von dessen Verwandter Yang Guifei forderte. Statt sich gegen dieses Ansinnen couragiert zu stellen bzw. mit seiner Liebsten gemeinsam in den Tod zu gehen, gibt er den Meuterern nach. In dieser Situation erweist nur sie sich als edel und heldenmütig. Denn sie stimmt um des Kaisers und des Reiches willen ihrem Freitod aus vollem Herzen zu. Es ist dieses Frauenopfer, welches auch als Teil der Umwertungsstrategie des Autors verstanden werden kann. Im Vergleich zu ihr erweist sich der Mann, hier in der Gestalt des Kaisers, als der reinste Schwächling. Er wird nicht nur in dieser Szene, sondern er wird immerzu Tränen vergießen, so daß man ihn salopp als Heulsuse bezeichnen kann. Gleichwohl darf man sein »weibisches« Verhalten auch fortschrittlich deuten: Seine Liebe ist echt, sie ist ebenso eine geistige und seelische Angelegenheit, was für die Geschichte des männlichen Geistes in China nicht selbstverständlich ist. Überdies ist der Herrscher nicht von der Untugend vieler heutiger chinesischer Zeitgenossen geprägt, die sich in vergleichbaren Fällen gern von dem Gedanken »Vorbei ist vorbei« trösten lassen. Nach dem Tode der Yang Guifei ist für den Kaiser gar nichts vorbei. Er ist zwar kein Kämpfer, und die schlußendliche Wiedervereinigung im Jenseits geht eher auf das unablässige Wirken seiner Partnerin zurück, aber auch er weiß zu Mitteln zu greifen, um sie wiederzusehen: Er beauftragt nämlich einen Nekromanten, der dann nach langem Suchen schließlich entsprechend fündig wird. (Kap. 46 bzw. 45) Ganz gleich ob in der Geschichtsschreibung oder in der hohen Literatur, Yang Guifei hing, bis Hong Sheng sie rehabilitierte, der Ruch des Verdorbenen an. Selbst bei den gemäßigten Vertretern wie Bai Juyi und Bai Pu finden sich noch Spuren ihrer vermeintlich staatsgefährdenden Schönheit. Unser Autor dreht dagegen bildlich gesprochen den Spieß um: Nicht eine einzelne Frau stürzt das Reich ins Unglück, sondern der Mann an sich, konkret sind es drei Männer, nämlich der Kaiser durch willentliche Vernachlässigung der Staatsgeschäfte, der Kanzler Yang Guozhong durch Machtsucht und Verrat, An Lushan durch Eigensucht und Selbstüberschätzung. Zu einer möglichen Rettung bzw. Konsolidierung des Vaterlandes 573 574

Vgl. hierzu ANDREW H. P LAKS: Archetype and Allegory in the Dream of the Red Chamber, Princeton: Princeton UP 1976, bes. S. 43–53, 54–83. Die englische Übertragung führt zwar nur 49 Akte an, aber lediglich deshalb, weil sie den ersten Akt als Prolog ausgibt.

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tragen diese drei Gestalten nichts bei. Ganz das Gegenteil, sie leben ihren Interessen, der Liebe oder Macht, ohne Verzicht tun zu wollen. Sieht Hong Shengs Entwurf der Yang Guifei dagegen heroischen Opfermut nur auf der Seite von Frauen? Nein, er sieht ihn auch auf der Seite der Menschen wie du und ich vor, beim einfachen Volk also, das die Kritik am prekären Zustand des Staatswesens wagt und dafür in den Tod zu gehen bereit ist. Es sind die Bauern, welche den Kaiser in seiner Not nähren und ihm als Lehrer dienen. (Kap. 26 bzw. 25) Die Aufwertung der Yang Guifei geht gar so weit, daß sie zu einer Unsterblichen erklärt bzw. erhoben wird: Eigentlich sei sie eine Penglai yufei, eine Fee von der Insel der Seligen, die zur Mondfahrt begabt war.575 Als solche ist es ihr auch im Verlauf des Stückes möglich, einen Besuch im Reich der Mondgöttin abzustatten, wo sie zu der bekannten Weise vom »Regenbogenkleid« (Nishang yuyi) inspiriert wird (Kap. 11 bzw. 10) und diese flugs auf Erden niederschreibt (Kap. 12 bzw. 11), eine Weise, die eigentlich aus Tibet stammt und vom Kaiser Xuanzong bearbeitet worden sein soll. Es ist daher ganz natürlich, daß das Wiedersehen der Liebenden im Reich der Mondgöttin stattfindet, ja gleichsam stattfinden muß. Zuvor tun aber zwei Dinge not: Der Kaiser muß ebenso außerweltlichen Ursprungs sein. Der Nachweis hierfür wird im letzten Akt gegeben. Er war nämlich urtümlich ein zhenren, ein (taoistischer) Heiliger. Und wichtiger noch: Die Tote muß von den Toten auferstanden sein. Dieses Wunder ereignet sich ihr im 37. (bzw. 36.) Akt dank ihrer Liebe. Sie feiert Auferstehung als Elfe im Götterreich. Ihre Seele vereinigt sich daraufhin mit ihrem Leib. Gleichwohl tritt sie ihre Reisen durch diese und jene Welt nur als Seele an. Ihre Sehnsucht nach dem Liebsten rührt die Gottheiten, die ihr nun beistehen, obwohl eine Elfe sich nicht ans Irdische binden sollte, auch nicht durch ein Höchstmaß an Liebe. So geschehen denn Wunder über Wunder: Sie beklagt ihre Sünden in ihrem früheren Leben, er gesteht seine Schuld, denn er hätte sie niemals aufgeben dürfen; ihr Porträt, das er traurig immer wieder anschaut, vergießt Tränen (Akt 32 bzw. 31), und ihr Grab, das er zur Umbettung öffnen läßt, ist leer (Akt 42 bzw. 41) Dürfen wir in diesen beiden letzten Fällen einen Einfluß des Christentums vermuten? Die weinende Mutter Gottes, das leere Grab von Jesus? Mag sein! Merkwürdig mahnt auch die Sache mit ihrer Socke an, die wie eine Reliquie verehrt wird. (Akt 36 bzw. 35) Wie dem auch sei, das Happyend kann nur im Jenseits stattfinden. Sollten wir dieses als einen Jüngsten Tag nach chinesischer Manier auffassen? Beiden sind in der Götterwelt ihre Sünden vergeben. Sie haben nun dort das Recht, Mann und Frau zu sein, wo der irdische Aspekt der Liebe eigentlich fehl am Platze zu sein hat. Doch es ist die Tiefe der gegenseitigen Zuneigung, die beide adelt. Von dieser Liebe ist gleich zu Beginn des Stückes, nämlich im ersten Akt bzw. im Prolog, 575

HONG SHENG: Changsheng dian, hg. von XU SHUOFANG, Peking: Renmin Wenxue 1983, S. 53 (Kap. 11); HUNG: The Palace of Eternal Youth , S. 64 (Kap. 10). Andere Bezeichnungen für ihre heilige Herkunft sind »arme Seele« (gui), »Fee« (shen), »Unsterbliche« (xianzi).

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die Rede, und zwar gleichsam programmatisch: Ein Schauspieler (mo) singt nach der Melodie Manjianghong:576 Wer unter den Liebenden seit alters hat schon ein reines Herz bis zum Schluß bewahrt? Nur wer loyal ist und sich nicht verliert, kommt schließlich zusammen. Auch bei einer Trennung auf zehntausend Meilen, was scheren Nord und Süd, was kümmern zwei Herzen Leben und Tod? Wer unter den Menschen ihr Ungemach verlacht, weiß nichts von der Liebe [qing]. Wahre Liebe bewegt Metall und Stein, bringt Himmel und Erde zum Klingen. Sie scheint wie die lichte Sonne, sie geht in die Annalen der Geschichte ein. Schau, loyale Untertanen, pietätvolle Söhne waren stets große Liebende. Kein Konfuzius hat Das Buch der Lieder um die Liebesweisen gekürzt, so wollen wir denn ein Stück aufführen. Neu besungen sei die inoffizielle Geschichte der Yang Guifei, und die Liebe sei das höchste.

Wir meinen, dies alles eigentlich schon irgendwie zu kennen. Vielleicht ist für das Theater dennoch neu der offen vorgetragene Anspruch einer Neubewertung der Geschichte, denn es ist oben ausdrücklich von einer inoffiziellen Biographie (waizhuan) die Rede, die selbstverständlich im Gegensatz zur offiziellen Historiographie stehen muß. Und der Grund für die Neubewertung ist allein die Liebe. Wir wollen hier nicht die Frage danach stellen, ob man so der Geschichte gerecht wird, aber wohl darauf verweisen, daß die Protagonisten nicht selten verklärt werden. Das fängt bei der Liebe an, wenn zu Beginn des zweiten Aktes etwa ein Chor dreimal sein Hoch auf die Liebe singt: »Erfüllt sei sie, die Liebe, / die Erde währe ewig und der Himmel lang.« (Enqing meiman, / di jiu tian chang.) Das fährt fort mit einer spezifischen Sicht der Schönheit von Yang Guifei: Ihre Haut soll so zart gewesen sein, daß ein Hauch sie hätte verletzten können, und ihre Füße galten als so leicht, daß ein Gang über das Wasser möglich erschien.577 Und das endet, um es kurz zu machen, mit dem Dekret des Jadekaisers (Yudi) im Himmel, die Liebenden selig im Jenseits ihre volle Erfüllung finden zu lassen, nachdem kurz zuvor die Göttin des Mondes nach der Melodie Jianershui folgende Verse gesungen hat:578 576 577 578

Übersetzt nach HONG SHENG: Changsheng dian, S. 1; hilfreich HUNG: The Palace of Eternal Youth, S. 7. HONG: Changsheng dian, S. 17; HUNG: The Palace of Eternal Youth, S. 24. HONG : Changsheng dian S. 254; hilfreich HUNG: The Palace of Eternal Youth, S. 307.

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VOM LITERARISCHEN ZUM PERFORMATIVEN. DIE QING-ZEIT Nichts fürchten wir mehr als einen Mangel an Liebe, Wer liebt, braucht keine Trennung zu fürchten. Die beiden, ja, sie haben Trennung, Leben und Tod als Prüfung erfahren und alles überwunden, was die Liebe hinderte, um so die Wahrheit zu finden.

Die im Stück vielfach angesprochene Konstanz der Liebe (qing zhong bu bian)579 wird zum entscheidenden Charakteristikum der Liebenden. Man kann gleichsam sagen, daß diese Liebe die beiden adelt und vergessen macht, was sie in der Geschichte falsch gemacht bzw. unterlassen haben. So gesehen geht das Ideal der Liebe weit über die Realitäten der Historie hinaus. Hören wir uns zu guter Letzt an, was der Nekromant, der dem Kaiser die arme Seele der Yang Guifei suchen hilft (mi hun, Akt 46 bzw. 45) über den wahren Liebenden zu sagen hat:580 Unser Kaiser, ja, er war ihr ergeben über all die Jahre, seine unaussprechliche Sehnsucht nach ihr findet nie, niemals ein Ende. All die Tage hält er ihr zartes Bild im Grunde des Herzens eingeschlossen, führt täglich ihren hehren Namen im Mund. Er hört die letzten Glockenschläge in den Bergen, empfindet weh den herbstlichen Regen auf den Wutong-Bäumen, stiller Schmerz zerwühlt seine Brust, er bedauert die Trennung von Seele, Körper und Schatten allüberall. Im Anblick ihres Duftbeutels, ach, wie ist ihm gram, ihre Seidenstrümpfe im Arm, ach, wie vergeblich rinnen ihm die Tränen, beim Spiel der Jadeflöte, ach, wie ist er eingedenk alten Ungemachs, beim Schlagen der Laute, ach, wie erinnert er gerissene Saiten. Er sitzt apathisch herum, er sehnt sich ohne Regel und Maß, er findet keinen Schlaf, sein Traum ist wirr. Sein ganzes Herz ist so einfältig, so ohne Sinneswandel muß es bald erkranken ohne Aussicht auf Heilung. Wie er leidet, daß die zarte Blüte nicht mehr nahen kann, wie sehnt er sich, daß ihre edle Seele vor ihm sei.

Große Gefühle fürwahr, aber auch große Literatur? Wer die klassische Lyrik der Tang-Zeit und das klassische Lied der Song-Zeit hinreichend kennt, wird hier wenig Neues finden. Apathie, Krankheit, Narrentum (chi), Handlungshemmung, das Leiden der Zeit, all das ist längst bekannt. Vielleicht ist nur die Sache mit der Socke, die ein Leitmotiv des Stückes ist und reliquienartigen Charakter annimmt, 579 580

HONG: Changsheng dian, S. 250; HUNG: The Palace of Eternal Youth, S. 302. HONG: Changsheng dian, S. 234f.; hilfreich HUNG: The Palace of Eternal Youth, S. 285f.

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Hong Sheng: Der Palast des langen Lebens

so (intensiv) noch nicht in die Literatur eingebracht worden. Doch vermag uns das zu rühren? Eine Socke für ein Kaiserreich? Ich will mich hier weiterer Kommentare enthalten und lieber auf ein grundlegenderes Problem zu sprechen kommen. Zwischen den beiden Liebenden besteht keinesfalls von Anfang an die vielgepriesene Tiefe der Zuneigung. Wir werden in den ersten Akten (6–9 bzw. 5–8) Zeugen eines »Zickenkrieges«, unter welchem der Kaiser so sehr leidet, daß er kaum noch handlungsfähig ist. Man gewinnt da den Eindruck, daß Frauen alles in der Hand haben und der Kaiser nur eine Marionette ist, dazu verdammt, der Angebeteten jeden Wunsch zu erfüllen, auch den nach frischen Lichee aus dem fernen Süden (Akt 15 bzw. 14). Oder will uns der Autor sagen, daß all die 3000 Schönen im Palast nach dem Ende des »Zickenkrieges« den Herrscher nicht mehr reizen können und dieser, später nur noch in der Erinnerung und loyal lebend, überhaupt ein Recht hat, die Zeit zu überkommen, um so als großer Liebender in die (Literatur-) Geschichte einzugehen? Trotz seiner Einstufung als eines von zwei überragenden Bühnenspielen der Qing-Zeit vermag Der Palast des langen Lebens vielleicht doch keine westliche Leserschaft letztlich zu überzeugen. Dagegen kann die Einschätzung der beiden Protagonisten durchaus positiver ausfallen. Wie oben schon angedeutet, haben wir es hier mit Vorformen der in Europa erst seit der Romantik aufkommenden Liebesüberforderung, mit einer Überspanntheit zu tun, die alles so unwichtig werden läßt, daß selbst das Leben, dem die Liebe ja dienen sollte, zur unaufhörlichen Bürde wird. Literarisch gestaltete Figuren wie Xuanzong und Yang Guifei begegnen uns vergleichbar erst bei Richard Wagner, Henrik Ibsen oder Anton Tschechow (1860–1904).

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3. Kong Shangren (1648–1718): Der Pfirsichblütenfächer Ein ähnlich gelagertes Problem stellt sich uns bei dem nächsten hier zu diskutierenden Stück. Der Pfirsichblütenfächer (1699) von Kong Shangren (1648–1718)581 gilt seit seiner Erstaufführung im Jahre 1699 – die Drucklegung erfolgte erst 1708 – ebenfalls als ganz großes Theater. Und wenn man von der Bühne der Qing-Zeit spricht, so bekommt man nur dieses Spiel bzw. den Palast des langen Lebens genannt. Die (fremdsprachige) Sekundärliteraturlage sieht in diesem Fall zwar besser aus, aber die Sinologie vermag das Werk eher als Historienspiel denn als literarisches Ereignis interessant zu machen.582 Dabei fällt der Heldin, der Kurtisane Li Xiangjun, eine besondere Rolle zu. Ihre Loyalität gegenüber ihrem Liebhaber, man kann auch sagen, Mann, da sie nur einem und nicht wie in ihrem Gewerbe üblich vielen zugetan war, und ihre Unbeugsamkeit im Angesicht der Macht haben sie zum Vorbild im tatsächlichen Leben werden lassen. So trug der große Essayist und nicht unbedeutende Erzähler Lin Yutang bei seinen vielen Umzügen von Kontinent zu Kontinent immer ein Porträt dieser jungen Frau bei sich, auf das er auch ein eigenes Lobgedicht geschrieben hatte.583 Vom Stück selbst scheint er in seinem äußerst umfangreichen Werk weniger zu sprechen. Und so schleicht sich der leise Verdacht ein, daß es die Übermacht des Bildes von der Protagonistin ist, welches sich ihm und der Nachwelt so sehr eingeprägt hat, ein Bild, das neben erotischen584 auch längst politische Dimensionen angenommen hat. Im alten Ver581

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K’UNG SHANG-JEN [d.i. Kong Shangren]: The Peach Blossom Fan. Translated from the Chinese by CHEN SHIH-HSIANG [d.i. Chen Shixiang] and HAROLD ACTON. With the collaboration of CYRIL BIRCH, Berkeley u.a.: University of California Press 1976. Zum Original s. GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 4, S. 263–437. Die Standardausgabe des Taohua shan ist natürlich die von WANG JISI 1959 besorgte und (nebst SU HUANZHONG, YANG DEPING) kommentierte. Sie wurde inzwischen wieder aufgelegt: KONG SHANGREN: Taohua shan, Peking: Renmin Wenxue 2005. Der guten Lesbarkeit halber habe ich jedoch die Zitierung nach GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian vorgezogen! Zu Leben und Werk des Autors s. RICHARD E. STRASSBERG: The World of K’ung Shang-jen. A World of Letters in Early Ch’ing China, New York: Columbia 1983. Letzterem sprachlich auf höchstem Niveau verfaßten Werk verdanke ich viele Anregungen, die im einzelnen nicht immer angeführt sein mögen. Zu einer kurzen Deutung unseres Stückes durch besagten Verfasser s. den bereits zitierten Aufsatz: »The Authentic Self in 17th Century Drama«, S. 86–91. Repräsentativ sind in dieser Hinsicht LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 4, S. 324–344, die so gut wie nichts zum Stück, aber viel zur Biographie und zum politischen Hintergrund zu sagen haben. LIN TAIYI: Lin Yutang zhuan [Biographie des Lin Yutang], Taipeh: Lianjing 182004, S. 218f. Das Gedicht findet sich ansonsten am Ende des Essays »Sadismus und Konfuziusverehrung« (»Shadisimu yu zong Kong«), in: Yutang wenji, Bd. 1, Taipeh: Taiwan Kaiming 1978, S. 164. Zur eigentlichen Begründung des Kurtisanenkultes durch Li Xiangjun s. KANG-I SUN-CHANG: The Late-Ming Poet Ch’en Tzu-lung [d.i. Chen Zilong]. Crises of Love and Loyalism, New Haven u. London: Yale University Press 1991, S. 9ff.

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Kong Shangren: Der Pfirsichblütenfächer

gnügungsviertel von Nanking, Qinhuai geheißen, wo sie zu Hause gewesen sein soll, ist nämlich 1989 eine Gedenkstätte für Li Xiangjun eröffnet worden, die selbst von höchster politischer Seite aufgesucht worden ist. Kurz, da sich Der Pfirsichblütenfächer auch als politische Parabel lesen läßt, nämlich als Erzählung von unbedingter Treue gegenüber den alten Mächten und von beherztem Widerstand gegen die Verlockungen der neuen, aber finsteren Mächte, scheint dem Stück in der Beurteilung durch die Nachwelt eine kritische, streng literaturwissenschaftliche Dimension abzugehen. Denn was der Autor bzw. die theatralische Stimme zu bieten hat, ist eine Vielfalt von Stereotypen, ohne daß dieses jemand zur Sprache zu bringen wagt. Natürlich ist unsere Heldin schön, natürlich ist sie jung585, natürlich begehrt sie jeder, natürlich gilt sie als Gefahr für das Reich. Kong Shangren läßt kein Klischee aus. Und doch schafft er einen anderen als den eigentlich erwartbaren Schluß seines Spiels: Es gibt nämlich am Ende des dramatischen Geschehens kein herkömmliches Happyend nach altbekanntem Muster. Das Stück läßt die Liebenden nach langer Trennung zwar wieder zusammenkommen, aber sie haben ihrer Liebe in dieser Welt zu entsagen und als Taoisten das Diesseits zu verlassen, das heißt eine Gesellschaft, wo sich der Wandel von einer alten zu einer neuen Dynastie, von einer chinesischen zu einer fremden Herrschaft vollzogen hat. Es wäre von der Anlage des Dramas undenkbar, daß die beiden Protagonisten mit dem neuen Regime gemeinsame Sache machten. Sie wären zum Untergang verurteilt. In der Wirklichkeit mag das jedoch anders ausgesehen haben.586 Als der eigentliche Grund für den überraschenden Schluß, für die Liebesentsagung, mag jedoch die kritische Auseinandersetzung mit dem Geist der Zeit, nämlich mit der Liebe, ausschlaggebend gewesen sein. Doch dazu später. Kong Shangren stammte aus Qufu, wo er heute auch noch auf dem großen Friedhof des Clans der Kong begraben liegt. Er wird der 64. Generation nach Konfuzius (Kong Zi) zugerechnet. 1685 ging er als Hofbeamter nach Peking. Obwohl er zumindest anfänglich auf gutem Fuße mit dem Kangxi-Kaiser stand – nicht zufällig beginnt daher das Stück mit einer Eulogie auf ihn! –, hat er 1700 all seine Ämter aufgegeben und ab 1703 in Qufu gelebt, ohne ein weiteres Drama zu schreiben. Dies hat bis heute zu der Spekulation Anlaß gegeben, daß er mit seinem Rücktritt einer Entlassung zuvorkommen wollte, die im Zusammenhang mit der Aufführung seines berühmtesten Werkes zu sehen sei. Der Pfirsichblütenfächer weist jedoch nirgendwo die Zeichen ming (licht) und qing (klar) auf, die als Dynastie585 586

Hier drängt sich einmal mehr auf, was durch die Popkultur zu einem geflügelten Wort geworden ist: »She was only sixteen, / You know what I mean«. Zur Diskussion von historischen Fakten und von fiktiven Elementen s. LYNN A. STRUVE: »The Peach Blossom Fan as Historical Drama«, in: Renditions 8 (1977), S. 99–114. Auch in der Biographie des Hou Fangyu bei HUMMEL (Hg.): Eminent Chinese of the Ch’ing Period, Bd. 1, S. 291f., steht zu lesen, daß unser Held im wirklichen Leben durchaus die Seiten zu wechseln wußte!

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bezeichnungen hätten umgedeutet werden können.587 Überdies vertrat der KangxiKaiser, der das Stück gesehen hatte, dieselbe Auffassung in Sachen Niedergang der Südlichen Ming-Dynastie wie die im Spiel zum Ausdruck kommende Stimme. Wenn auch in eine Romanze (chuanqi) gekleidet, so stellt Der Pfirsichblütenfächer als Historienspiel keine reine Liebesgeschichte dar, sondern bietet eher eine politische Auseinandersetzung mit der vielgestellten Frage der Zeit: Wie konnte die Ming-Dynastie nach dreihundert Jahren untergehen? Auf dem Hintergrund der bekannten Schemata 588 lihe-beihuan, das heißt Trennung und Vereinigung, Leid und Freude, und xingwang, das heißt Aufstieg und Fall eines Reiches, geht es vornehmlich um die Werte von Herrschertugend und Beamtenloyalität, also wieder einmal um eine Veranschaulichung des kosmologischen Modells von Yin und Yang, diesmal am Beispiel von Liebe und Politik festgemacht. Dabei werden einmal mehr die (dreißig) Personen im Spiel als Kontrast und Komplement zu Paaren zusammengestellt, so zum Beispiel zu dem Pärchen des bösen letzten Ministers Ruan Dacheng und des loyalen Ministers Shi Kefa (gest. 1645). 589 Selbstverständlich waltet dahinter letztlich auch das traditionelle Modell der chinesischen Geschichtsschreibung.590 Um die Antwort auf obige Frage vorwegzunehmen: Das Stück gibt den eigensüchtigen Interessen (si) der jeweils verantwortlichen Kreise die Schuld, die sich gegenseitig an Egoismus und Verschlagenheit übertreffen, allen voran der Bösewicht Ruan Dacheng, der uns im vorhergehenden Kapitel bereits als Theatermacher begegnet ist. Er war einst ein Gefolgsmann des Eunuchen Wei Zhongxian (1568– 1627), eines Mannes also, der, wie es die Geschichtsschreibung will, seinerzeit alle Macht in Händen hielt und gegen seine Gegner hart vorging. Der Pfirsichblütenfächer bietet jedoch keine Schwarzweißmalerei an, wie vielleicht bei der Konstellation unbeugsame Schöne versus menschlich heruntergekommener Künstler zu erwarten gewesen wäre. Bis auf die Protagonistin, die sich stets treu bleibt und sich nichts zuschulden kommen läßt, sind alle anderen dreißig Hauptcharaktere vielschichtig gezeichnet.591 So wie die treulosen Beamten und Generäle eine Pyramide von kleiner Gemeinheit zu großer Gemeinheit bilden, so 587

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C.H. WANG [d.i. Wang Jiaxin]: »The Double Plot of T’ao-hua-shan [d.i. Taohua shan]«, in: LUK (Hg.): Studies in Chinese-Western Comparative Drama, S. 76f, sieht jedoch indirekte, ja kritische Anspielungen auf die Mandschus! Zu dieser Doppelstruktur s. C.H. WANG: »The Double Plot of T’ao-hua-shan«, in: LUK (Hg.): Studies in Chinese-Western Comparative Drama, S. 61–79. Vgl. hierzu LYNN A. STRUVE: »History and The Peach Blossom Fan«, in: CLEAR 2.1 (1980), S. 55–72. Zur Biographie des Ming-Generals Shi Kefa s. HUMMEL (Hg.): Eminent Chinese of the Ch’ing Period, Bd. 2, S. 651–652. S. hierzu u.a. CORNELIA MORPER: Ch’ien Wei-yen [d.i. Qian Weiyan] (977–1034) und Feng Ching [d.i. Feng Jing] (1021–1094) als Prototypen eines ehrgeizigen, korrupten und eines bescheidenen, korrekten Ministers der Nördlichen Sung [d.i. Song]-Dynastie, Bern, Frankfurt: Lang 1975 (= Würzburger Sino-Japonica; 4). Vgl. hierzu STRASSBERG: The World of K’ung Shang-jen, S. 270f.

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Kong Shangren: Der Pfirsichblütenfächer

sind die loyalen Geister, ebenfalls abgestuft und in ihrer Ergebenheit einander überbietend, noch loyaler, als zu erhoffen gewesen wäre. Man meint manchmal bei der Lektüre, es formal mit einem Vorgriff auf die Ästhetik der Kulturrevolution zu tun zu haben, die mit ihrem Prinzip der drei Hervorhebungen (san tuchu)592 die Welt des Guten in ihrem Kampf gegen das absolut Böse stufenmäßig einteilte. Dieses Verfahren der Abstufung, und zwar auch der Seite des Bösen, erlaubt es Kong Shangren als Autor jedoch, überraschenderweise ambivalente Gestalten auf die Bühne zu bringen, und dies vielleicht zum ersten Mal nicht nur in der Geschichte des chinesischen Theaters, sondern in der Geschichte der chinesischen Literatur überhaupt. Hou Fangyu zum Beispiel, dem dank seiner alles dominierenden Liebe eine Mitschuld an dem Scheitern der Restaurationsbemühungen gegeben wird, ist anfänglich durchaus bereit, sich finanziell von Ruan Dacheng unter die Arme greifen zu lassen, und der Maler Yang Wencong (1597–1646) treibt auf allen Seiten sein Spiel nach Belieben. Da unser Stück viel Theater im Theater593 bietet und Ruan Dachengs Brief einer Schwalbe viel Raum zur Aufführung und Diskussion geboten wird, dürfen wir davon ausgehen, daß der Autor bzw. die theatralische Stimme sehr wohl zwischen dem Menschen und dem Künstler zu unterscheiden wußte. Nur so wird erklärlich, warum die Anhänger der Erneuerungsgesellschaft (Fushe)594, die den Menschen Ruan partout nicht in ihren Reihen haben wollen, keinerlei Bedenken haben, sich vom Künstler Ruan die private Schauspieltruppe auszuleihen und sich dessen erfolgreichstes Werk vorführen zu lassen. Der Ausgangspunkt unseres Bühnenspiels ist die damalige konkrete historische Lage: Der aufständische Bauernführer Li Zicheng (1606–1644) hatte 1644 Peking erobert, woraufhin sich der letzte Herrscher der Ming-Dynastie, den man namentlich mit seiner Ära Chongzhen (reg. 1627–1644) gleichsetzt, auf dem dortigen sogenannten Kohlehügel (Jingshan) an einem Baum erhängt hat, so jedenfalls die Überlieferung und auch unser Stück. Teile des Hofstaates flohen nun nach Nanking, um dort besagte Dynastie zu restaurieren. Zu diesem Zweck wurde der Prinz Fu als Hongguang-Kaiser ausgerufen. Inzwischen hatte aber der General Wu Sangui (1612–1678) die Truppen des Li Zicheng mit Hilfe der herbeigerufenen Mandschuren geschlagen. Diese übernahmen in der Folge die Regierung und die Herrschaft über ganz China, was die Restaurationsbemühungen im Süden schon 592 593

594

KUBIN: Die Geschichte der chinesischen Literatur im 20. Jahrhundert, S. 316. S. hierzu WAI-YEE LI: »The Representation of History in The Peach Blossom Fan«, in: Journal of the American Oriental Society 115.3 (1995), S. 421–433. Der interpretatorisch sehr reiche Beitrag behandelt auch den religiösen Aspekt (Himmelfahrt der Toten), das Phänomen von Geschichte als Performanz, die Ambiguität von Theater als Ort der historischen Lehre und der Dekadenz. Zur Bedeutung und zum Hintergrund s. WILLIAM S. ATWELL: »From Education to Politics: The Fu-she«, in: WILLIAM THEODORE DE BARY (Hg.): The Unfoulding of the NeoConfucianism, New York: Columbia UP Press 1975, S. 333–368.

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VOM LITERARISCHEN ZUM PERFORMATIVEN. DIE QING-ZEIT

1645, also nach nur wenigen Monaten, beendete, auch wenn die Kämpfe noch bis 1662 weitergingen. Der Pfirsichblütenfächer umfaßt neben dem Prolog von 1684 und dem Epilog von 1648 – so die Datierungen – insgesamt vierzig Szenen (chu). Als Historienspiel basiert das Stück auf der eigenhändigen Quellenarbeit des Autors zur Hongguang-Ära (Juni 1644 bis Juni 1645) der kurzlebigen Südlichen Ming-Dynastie (Nan-Ming).595 Einem jeden einzelnen Akt ist ein konkretes historisches Datum mit Angabe von Jahr und Monat vorangestellt. Die Handlung trägt sich demnach zwischen dem zweiten Monat des Jahres 1643 und dem siebten Monat des Jahres 1645 zu. Insofern können die Protagonisten keine Erfindung des Autors darstellen, sondern es muß sich bei ihnen ausnahmslos um tatsächliche historische Personen handeln, die damals wirklich gelebt und gewirkt haben. Auch die Liebesgeschichte zwischen dem Scholaren Hou Fangyu und der Kurtisane Li Xiangjun ist belegt.596 Wir lesen also keine einfache Neuauflage des hinlänglich bekannten Stoffes von der Schönen und dem Studiosus. Diese Liebesgeschichte ist Teil eines Machtkampfes zwischen den lauteren Beamten der Erneuerungsgesellschaft und den Karrieristen um Ruan Dacheng. Der Fächer, um den es im Stück ganz wesentlich geht, ist ein Liebespfand, den die Schöne vom Scholaren nebst Liebesgedicht empfangen hat. Er ist gleichzeitig Leitmotiv. Dasselbe gilt auch für die Pfirsichblüten, die immer wieder Erwähnung finden. Hou Fangyu möchte Li Xiangjun freien, die zur Kurtisane ausgebildet worden ist, das heißt in diesem Fall, er möchte sie von ihrer »Mutter« freikaufen. Ihm fehlen aber die Mittel, die ihm daraufhin Ruan Dacheng zukommen läßt, um so an Einfluß in der Erneuerungsgesellschaft zu gewinnen. Als während der Vermählung Li Xiangjun die Wahrheit erfährt, lehnt sie jegliche Unterstützung durch den Unhold ab. Dies alles trägt sich in Nanking zu, wo Ruan Dacheng durch Inthronisation eines neuen Kaisers (im 4. Monat des Jahres 1644, so das Stück) die Südliche Ming-Dynastie etablieren helfen möchte. Während Hou Fangyu, um Nachstellungen zu entgehen, lange Zeit fern der neuen Hauptstadt bei den Militärs 595

596

Zum historischen Hintergrund s. LYNN A. STRUVE: »The Southern Ming, 1644–1662«, in: FREDERICK W. MOTE u. DENIS TWITCHETT (Hg.): The Ming Dynasty, 1368–1644, Part 1 (DENIS TWITCHETT u. JOHN K. FAIRBANK [Hg.]: The Cambridge History of China, Bd. 7), Cambridge: Cambridge UP 1988, S. 641–725. Zur Jahreszahl 1662: Es gab auch nach dem Hongguang-Kaiser weitere Restaurationsbemühungen! Der historische Hou Fangyu wurde damals den sogenannten »Vier Prinzen« (si gongzi) zugerechnet. Hierzu zählte auch Mao Xiang (1611–1693), der mit seinen Erinnerungen an seine Konkubine Dong Xiaowan (1625–1651) ein ergreifendes Stück Literatur hinterlassen hat, s. die zweisprachige Ausgabe MAO P’I-CHIANG [d.i. Mao Pijiang = Mao Xiang]: The Reminiscences of Tung Hsiao-wan [d.i. Dong Xiaowan]. Translated into English by PAN TZE-YEN [d.i. Pan Ziyan = Z.Q. Parker], Schanghai: Commercial Press 1931. Der Essay macht hinreichend klar, daß die große Liebe zwischen einem Scholaren und einer berühmten Kurtisane nicht nur eine Sache der Bühne war, sondern auch ein Faktum des tatsächlichen Lebens sein konnte.

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Kong Shangren: Der Pfirsichblütenfächer

Schutz sucht, sinnt sein Gegner auf Rache. Ruan Dacheng möchte Li Xiangjun mit Gewalt an seinesgleichen verheiraten. Bei ihrer Gegenwehr schlägt sie sich den Kopf blutig, so daß Blutstropfen auf den Fächer fallen. Der Maler Yang Wencong gestaltet daraufhin das Liebespfand zum sogenannten Pfirsichblütenfächer aus. In Ermangelung von Nachrichten aus dem Kriegsgebiet – es ist unerfindlich, warum Hou Fangyu nicht schreiben sollte –, wird der Fächer nun selber zum Brief, zur Botschaft. Nach vielen Schwierigkeiten erreicht er den erfolglosen Liebhaber, dem auf diese Weise klar wird, wie tapfer und ergeben seine Partnerin auf ihn wartet. Und wie es der Zufall will, finden sich die beiden Liebenden auf einem Berg wieder, wo ihnen durch den Taoisten Zhang Wei (= Zhang Yi, 1608–1695) die Einsicht in ihre Schuld als Liebende in Zeiten des Krieges und in die Pflicht einer angemessenen und damit wahren Lebenshaltung zuteil wird. In Folge wird der Pfirsichblütenfächer als Zeichen einer falschen Einstellung durch den Meister höchstpersönlich zerstört. Der Autor verfolgt bei seiner Geschichtssicht wie ein traditioneller Historiker das Prinzip von Lob und Tadel (baobian). So auch der Bühnenmeister im Prolog, der sich auf die Anfänge der chinesischen Historie beruft.597 Dabei wird die herkömmliche Ansicht vertreten, jeder, also auch eine Frau, habe gegenüber Staat und Gesellschaft seine bzw. ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Wie der noch zu zitierenden Kritik des Taoisten zu entnehmen ist, ist diesen auch Hou Fangyu nicht einmal hinreichend nachgekommen. Unserem Helden wird also indirekt der Vorwurf gemacht, den Sturz der Südlichen Ming-Dynastie mitverantwortet zu haben. Damit bricht das Stück aus dem engen und vorausdeutbaren Rahmen einer Romanze aus. Die hochgepriesene Liebe wird dem Politischen geopfert, um das Öffentliche wenigstens im Nachhinein über das Private triumphieren zu lassen. Nach dem amerikanischen Sinologen Richard E. Strassberg (geb. 1948) offenbart sich in dem Konflikt von jugendlichem Helden und der Politik, kurz, in dem Fall des »romantischen Genius« der chinesische Sinn des Tragischen.598 Wenn auch die Nomenklatur »romantisch« und »tragisch« aus europäischer Sicht nicht ganz angemessen erscheinen mag, so ist seine Deutung durchaus beherzigenswert. In besagtem Konflikt sieht er das eigentliche Anliegen des Autors. Kong Shangren bzw. die im Stück angelegte kritische Stimme nähme also zurück, was die MingZeit als das Recht der Liebe erstritten hat. Die Liebe ist nun nicht mehr die Voraussetzung zu großen Taten, der Mann erfüllt sich letzten Endes nicht mehr durch die wahre Frau, große Liebende kommen nun nicht mehr in Paaren, sie haben einander vielmehr zu entsagen. Wir dürfen wohl die Stimme von Autor, Bühnenmeister und Taoist gleichsetzen. Hören wir einmal hinein in das, was Zhang Wei der Jugend, die den Zeitgeist ver597 598

K’UNG SHANG-JEN: The Peach Blossom Fan, S. 2; GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 4, S. 270. STRASSBERG: The World of K’ung Shang-jen, S. 258–265.

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tritt, zu sagen hat. Seine Worte stehen nahezu am Ende des letzten Aktes. Hintergrund sind die Opferfeierlichkeiten für den Chongzhen-Kaiser und für dessen loyale Diener, die ebenfalls ums Leben gekommen waren. Die Zeremonien sind für den fünfzehnten Tag des siebten Monats angesetzt, wo ohnehin nach traditioneller chinesischer Auffassung die armen Seelen durch Gaben zu besänftigen sind, da diese sonst vor Hunger den Lebenden Unheil bringen.599 Die beiden Liebenden haben sich nun anläßlich dieser Feierlichkeiten, wie gesagt zufällig, wiedergefunden und verhalten sich ob ihrer Freude ganz natürlich, indem sie miteinander zu turteln beginnen und sich der Botschaft des Fächers vergewissern. Um den ersten Einwand, »man darf sich nicht« an diesem heiligen Ort »allein der Liebe widmen« (bu ke zhigu su qing), scheren sie sich nicht. So hat der Priester vom Altar herabzusteigen und die beiden zu ermahnen:600 Zhang: Was sind das für zwei Dinger, die es wagen, hier miteinander zu tändeln [tiaoqing]? (Er eilt den Altar herab, tritt auf Hou und Li zu, reißt ihnen den Fächer aus den Händen und wirft diesen zu Boden.) Dies ist ein heiliger Ort. Wie könnte man ihn einem Lüstling und einer Dirne zum Techtelmechtel überlassen? […] Zhang: Was soll all dies Geplapper? Was redet ihr da? Himmel und Erde haben sich umgekehrt, und ihr überlaßt euch eurem Liebesverlangen. Lächerlich! Hou: Diese Worte werden uns nicht gerecht. Die Gemeinschaft von Mann und Frau macht alle menschliche Beziehung aus. Trennung und Vereinigung, Leid und Freude [lehe-beihuan], all dies ist, was die Liebe bringt. Wie sehen Sie das, Meister? Zhang (zornig): Ihr beiden Liebeswanzen. Sag mir, wo ist das Reich, wo ist ein Heim, wo ist der Herrscher, wo ist ein Vater? Ist der Liebelei nicht aller Boden entzogen? (singt nach der Melodie Beishui xianzi) Wie müßte ich euch nicht beseufzen in eurer Verzärtelung, ohne Sorge für die Welt im Wandel. Schöne Worte, laszives Gerede, alles ein großes Geplapper, haben vor Augen eine prächtige Zukunft, zupfen sich am Kleid, halten Händchen und führen das Wort hier vor den Geistern [shen]. Wißt ihr nicht, daß längst getilgt sind alle vom Himmel bestimmten Ehen? Die Flügel der Mandarinenten entwirren sich nach dem Erwachen aus den Träumen, zerstoben ist alles, das Glück der Liebenden [tuanyuan], der edle Spiegel blieb nicht heil. 599 600

Es dürfte sich um das Ullambana-Fest handeln, welches heute auf chinesisch gemeinhin Zhongyuan pudu genannt wird. Es dient zur Befreiung der armen Seelen von ihren Qualen. Übersetzt nach GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 4, S. 429f.; hilfreich K’UNG SHANG-JEN: The Peach Blossom Fan, S. 295–298.

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Kong Shangren: Der Pfirsichblütenfächer Schämt euch der Worte, euer Spiel hat euch zum Affen gemacht, zum Gespött der Umgebung. Laßt euch erleuchten vom großen Weg, ich rate euch, eilt schnell und flieht. […] Zhang (singt nach der Melodie Beiweisheng): Schau, die beiden gehen auseinander, ohne einander anzuschauen. Glücklich kann ich nun den Pfirsichblütenfächer Stück für Stück zerreißen, damit nicht wieder Liebeswanzen ins Garn der Verstrickungen gehen.

Die Worte des Taoisten sind im Original nicht immer leicht nachvollziehbar, und vielleicht sind es aus heutiger Sicht auch dessen Taten nicht. Die Entsagung ist nämlich nicht nur hier, sondern auch oftmals in der chinesischen Dichtung, Erzählkunst und Essayistik ein beliebtes Mittel, um einem Konflikt aus dem Weg zu gehen. All das Intrigenspiel, welches unser Stück durchzieht, ist nur möglich in einer Gesellschaft, die nicht auf Demokratie setzt, sondern auf den Glauben vom rechten Mann am rechten Platz. Ob nun in der Literatur oder im tatsächlichen Leben, selten war es dem Weisen gegeben, sich auf Dauer durchzusetzen. Der Gegner oder das Mittelmaß haben viel eher das Feld beherrscht. Statt den Konflikt auszuhalten, statt sich ihm zu stellen und ihn so oder so zu einem Ende zu bringen, hat der chinesische Geist besonders seit dem Ende der Ming-Dynastie es vorgezogen, sich zu entziehen bzw. sich dem Schicksal zu überantworten und sich auf das Karma zu berufen. Dies steht in gewisser Hinsicht im Gegensatz zu einer Botschaft des Stückes, daß nämlich der einzelne, wenn er denn der richtige ist und Verantwortung übernimmt, ein Reich wesentlich (mit)gestalten kann. Doch der Selbstmord des letzten Ming-Kaisers ist kein Einzelfall. Statt zu kämpfen, zieht einer nach dem anderen im Angesicht der drohenden Niederlage einen tränenreichen Freitod vor und läßt sich von der Nachwelt schön beweinen. Insofern entbehrt das Stück eines echt tragischen Momentes im griechischen Sinne: Helden haben kämpfend zwischen zwei Mächten umzukommen und dem Feind nicht die Arbeit abzunehmen. So aber bleibt der Nachwelt nur die Alternative, es den Toten gleichzutun oder aber den Rückzug in die Religion und in die Einsiedelei anzutreten. Unter großem Gelächter natürlich. Schlüsse dieser Art sind Dutzendware, und fast möchte man die Liebenden gegen die Zerstörung des Fächers in Schutz nehmen, denn natürlich hat Hou Fangyu recht, wenn er in der Begegnung von Mann und Frau die Grundlage aller Existenz sieht. War es wirklich notwendig, die beiden jungen Leute durch soviel Not und Elend zu schicken, um sie am Ende zu einer Einsicht zu gelangen zu lassen, welche in der antiken Philosophie und in der mittelalterlichen Dichtung Chinas schon eindringlicher zum Ausdruck gebracht worden ist? Und dann noch das traurige Schicksal der armen »Mutter«, die sich zunächst aus Edelmut an Stelle der Li Xiangjun verdingt und schließlich von einem Mann zum anderen wandert.

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Es ist notwendig, angesichts der hohen Bedeutung, die diesem Stück beigemessen wird, eine kritische Haltung einzunehmen, aber man sollte diese nicht überziehen. Es gibt manch Neues hervorzuheben. Da war auf der einen Seite die Sache mit der Ambivalenz601, die es selbst den Bösewichtern erlaubt, treffende Bemerkungen zum Stand der Dinge zu machen. So singen zum Beispiel der Unhold Ma Shiying (1591–1646) und der halbseidene Yang Wencong gemeinsam nach der Melodie Putianle die folgenden Verse:602 Alt sind Ströme und Berge, neu ist ihr Bild, am Frühlingsende zieht Dunst übers Land, wie ist allen so wohl. Wir verlassen die Städte, Maulbeer und Hanf füllen die Felder. Warum den alten Herrscher beweinen, der lange tot ist, alles verlangt nach einem Frühlingsausflug.

Dies findet sich zu Beginn des 32. Aktes (baitan), der die Trauerfeierlichkeiten im dritten Monat 1645 behandelt. Es sind Maßnahmen getroffen worden, um des letzten Ming-Kaisers zu gedenken, der ein Jahr zuvor aus dem Leben geschieden war. Natürlich geben die Verse kein klares Subjekt zu erkennen, so daß man verständlicherweise die beiden Sänger einzig als Sprecher und damit als pietätlos einstufen könnte, doch ist unsere Vermutung vielleicht nicht ganz abwegig, hier neben einem allgemein gültigen Frühlingsbild einen allgemein gültigen Gesellschaftszustand ansetzen zu dürfen. Die beiden Sänger machten damit eine wichtige Aussage zum Stand der Dinge: Wo lieber Frühlingsfreuden genossen als Staatsangelegenheiten verhandelt werden, läßt der Niedergang nicht lange auf sich warten. Ambivalenzen wie diese können wir wohl auch für die Schlußszene veranschlagen, denn aus der Sicht des Taoisten muß ja selbst Li Xiangjun einen fragwürdigen Wesenszug an sich haben. Überdies gibt der Verzicht auf die übliche Vereinigungsszene am Ende, wo eine erst fragmentierte Gemeinschaft unter dem Segen des Kaisers wieder ins Lot gerückt wird, klar zu erkennen, daß der Autor bzw. dessen theatralische Stimme die bisherigen Grundfesten der irdischen Welt für so erschüttert hielt, daß eine höhere Ordnung nur noch durch den »Eingang in das Tao« (ru Dao) – so der Titel des 40. Aktes – geistig wie seelisch erlangt werden konnte. Die vielfach aufgeworfene Frage an den Himmel (wen cangtian), wie konnte all dies geschehen, bleibt für die Protagonisten ohne Antwort. Was das Stück zeichnet, sind vielfach hilflose Gestalten, die, am Alten hängend, keinen neuen gangbaren Weg mehr sehen. Den Lebenden bleibt nur noch, die Toten zu begraben, sich dem 601 602

LIU: Essentials of Chinese Literary Art, S. 106–110, hat hierzu und zum Stück zwar knappe, aber bedenkenswerte Ausführungen anzubieten. GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 4, S. 397; hilfreich bei der Übersetzung K’UNG SHANG-JEN: The Peach Blossom Fan, S. 237.

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Kong Shangren: Der Pfirsichblütenfächer

Zugriff der neuen Staatsmacht zu entziehen und eine alte Welt in Trümmern zu betrauern, wie dies im Epilog lang und breit lamentierend der Fall ist. Auch hier ließe sich in die Klagen ein Vorgriff auf die Moderne hineininterpretieren, was aber an dieser Stelle unterbleiben soll. Es gibt nämlich noch einen anderen neuen Aspekt, der viel eher Überraschendes zu versprechen scheint. Ich habe bereits oben darauf hingewiesen, daß das Theaterspiel in unserem Stück immer wieder zum Thema gemacht wird. Diejenigen, die spielen, schauen selber anderen beim Spielen zu! Das galt selbst für die oben gerade angeführte Schlußszene, denn der Taoist fragt ja die beiden, was sie sich dabei dächten, vor anderen den Affen zu machen, eigentlich »die Rolle des Clowns zu übernehmen« (nong chou). Li Xiangjun spielt nicht nur hier ein Spiel im Spiel. Sie hatte auch am Hofe in Nanking zu spielen und dabei ihren Fächer zum Einsatz zu bringen. Ein solches Theaterspiel im Theaterspiel ermöglicht selbstverständlich ebenfalls auch eine Reflexion über die Macht und Rolle des Theaters. Das Schauspiel wird als gefährlich eingestuft, da es Charaktere schafft, welche als festgesetzte Bilder die Zeiten überdauern.603 Dieses gilt insbesondere für all diejenigen Gestalten, die verzerrt auf die Bühne gebracht werden, allen voran in vorliegendem Fall natürlich Ruan Dacheng. Wir dürfen vielleicht sogar noch einen Schritt weitergehen: Es ist ja der Kaiser der Südlichen Ming-Dynastie, der sich höchstpersönlich an Stücken wie Die Rückkehr der Seele, Das Westzimmer oder Der Brief der Schwalbe erfreut und dabei persönlich mitzuwirken scheint. Er trinkt und rezitiert Verse, um sich von seinem Gram zu befreien. Wer so den sinnlichen Freuden von »Wein, Weib und Gesang« ergeben ist, kann einen Staat weder halten noch retten. Der Herrscher wie sein Reich sind notwendigerweise zum Unheil verdammt. Und hier mag die moralische, die konfuzianische Botschaft unseres Stückes liegen. Der aufmerksamen Leserschaft wird nicht entgangen sein, daß der Verfasser dieser Theatergeschichte kein besonders großer Freund des vorliegenden Stückes ist. Vielfach scheint hier einmal mehr im herkömmlichen Gewande von Liebe, Krieg und Komik der Kampf ums Weib, der Streit unter Männern auf dem Leib einer Frau ausgefochten zu werden. Feministisch ließe sich dies weiter zuspitzen, doch möchte ich nicht in altes Fahrwasser geraten. Wir wollen lieber mit einem Gedanken schließen, der dazu verhelfen mag, die Interpretation des Stückes neu und gewinnbringend aufzunehmen. Wie gesagt ist der Fächer ein Leitmotiv, und zwar ein vielschichtiges. Befragt, warum der Fächer, der in Szene 23 offen neben der schlafenden Li Xiangjun liegt, mit Blut bespritzt sei, antwortet der Maler Yang Wencong auf die Frage ihres Gesanglehrers Su Kunsheng und eröffnet somit in der Schlüsselszene das folgende Gespräch:604 603 604

Vgl. K’UNG SHANG-JEN: The Peach Blossom Fan, S. 181; GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 4, S. 364. Es handelt sich hier um Szene 24. GUO (Hg.): Zhongguo xiqu jingdian, Bd. 4, S. 359; K’UNG SHANG-JEN: The Peach Blossom Fan, S. 171.

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VOM LITERARISCHEN ZUM PERFORMATIVEN. DIE QING-ZEIT Yang: Dies ist das Vermählungsgeschenk von Bruder Hou. Sie hütete es stets wie einen Schatz und war unwillig, es anderen zu zeigen. Sie dachte wohl, da die Oberseite mit Blut befleckt sei, es in ihrer Kammer trocknen zu müssen. (Er betrachtet den Fächer) Die Blutspuren sind außergewöhnlich rot. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als Zweige und Blätter dazuzugeben, um ihn so verzierend zu vollenden. (Er denkt nach) Mir fehlt Grün, ohne Grün ist er unfertig. Su: Warte, ich zapfe die Pflanzen im Topf an. Nimm den frischen Saft, behandele ihn provisorisch als Farbe. Yang: Wunderbar! (Su holt den Saft, Yang malt das Bild.) Die Blätter leihen ihr Grün von blühenden Pflanzen, die Blüten haben ihr Rot von der Schönen. (Yang malt, Su schaut erfreut das Bild.) Su: Wunderbar! Mit ein paar Pinselstrichen entwirfst du Zweige und Pfirsich blüten. Yang (erfreut auf ihn weisend): Das ist ein wahrer Pfirsichblütenfächer.

Die Pfirsichblüten verweisen natürlich, wie im Stück auch angelegt, auf die Utopie des Pfirsichblütenquells (Taohuayun ji)605, wie sie Tao Yuanming (365–427) geschaffen hat. Sie stehen also für die Sehnsüchte des Menschen nach voller Erfüllung. Das Blut dagegen verdankt sich den Kämpfen und Intrigen des Alltags, also der schnöden Realität. So kommt auf dem Fächer ein Gegensatzpaar zusammen, welches gleichfalls den Gang der Gesellschaft repräsentiert. Der Alltag bleibt Sieger, die Träume platzen. Die schließliche Vernichtung des Fächers durch den Taoisten ist ein symbolischer Akt: Der Mensch kann besagten Gegensatz weder aushalten noch eingreifend gestalten. Er hat sich ihm zu entziehen, um an ihm nicht vorzeitig zu scheitern. Mag auch diese Botschaft aus heutiger Sicht altvorder wirken, sie zeigt dennoch die Vielschichtigkeit eines Leitmotives auf, welches eine größere Studie verdienen würde. Kong Shangren hat sich trotz seiner Vielseitigkeit – er war ebenfalls Dichter, Essayist, Gelehrter und Kunstfreund – nur mit diesem Stück einen unsterblichen Namen in der Geschichte der chinesischen Literatur gemacht. Nahezu vergessen sind seine weiteren, zeitlich vorangehenden Versuche zur Romanze. 606 Kong 605 606

Vgl. KARL-HEINZ POHL (Hg.): Tao Yuanming. Der Pfirsichblütenquell. Gesammelte Gedichte, Köln: Diederichs 1985, S. 202–208. STRASSBERG: The World of K’ung Shang-jen, behandelt die einzigen beiden weiteren Historienspiele Kleine Laute (Xiao hulei, Erstaufführung 1696, Druckfassung 1698) und Große Laute (Da hulei, Daten unbekannt) auf den Seiten 225–242 bzw. 243–244. Zur Deutung des ansonsten wenig diskutierten Stückes Xiao hulei s. auch XU PEIJUN u. FAN MINSHENG (Hg.): Sanbai zhong gudian mingju xinshang [300 berühmte klassische Stücke. Ein Vademecum], Schanghai: Shanghai Cishu 2005, S. 723–728.

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Kong Shangren: Der Pfirsichblütenfächer

Shangren war eigentlich kein Theatermann, er besaß keinerlei Vorbildung in Sachen Drama und unterhielt auch keine eigene Schauspieltruppe. Das sieht bei dem im Vergleich zu ihm und Hong Sheng vielleicht letztlich doch gewichtigeren Vertreter Li Yu gänzlich anders aus.

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4. Li Yu (Li Liweng, 1611–1680): Die chinesische Komödie607 Das weltweit gebräuchliche Hanyu Pinyin-Umschriftsystem bringt es mit sich, daß mindestens drei verschiedene gewichtige chinesische Literaten in der Fremdsprache denselben Namen zu tragen scheinen, was selbstverständlich im Original nicht der Fall ist. Und zwar sind dies der Dichter klassischer Lieder Li Yu (Li Houzhu, 936–978), der Theatermann Li Yu (1611–1681)608 und der Komödiant Li Yu, von dem hier im folgenden die Rede sein soll. Man spricht daher, um eine allgemeine Verwirrung zu vermeiden, von unserem Allroundtalent eher als Li Liweng (Liweng war sein Anredename). Im Vergleich zu Hong Sheng und Kong Shangren ist zu ihm in der westlichen Sinologie recht viel geschrieben worden. Das hat seinen guten Grund. Er ist nämlich gleichsam alles in einer Person gewesen und hat als bedeutender Essayist609 seinen größten Fürsprecher in dem weltweit einflußreichen Lin Yutang gefunden, dessen erfolgreichste Werke ihm, was die Lebensanschauung angeht, viel zu verdanken haben. Er war u.a. Erzähler610, Romancier611, Gartenarchitekt, Verleger. Seine Bedeutung auch für die chinesische Bühne ist erst in den letzten Jahren deutlicher ins allgemeine Bewußtsein getreten. Hier hat der einstige Bochumer Sinologe Helmut Martin (1940–1999) Pionierarbeit geleistet, andere sind ihm erst sehr viel später gefolgt.612 Um so verwunderlicher, daß die zehn überlieferten Stücke, zusammengefaßt unter dem Titel Liweng shi zhong qu (Die zehn Stücke des Liweng)613, bislang kaum übersetzt worden sind. Li Liweng, 607 608

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Lebensdaten und Geburtsort variieren in der Sekundärliteratur. HUNG: Ming Drama, S. 179–181; LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 4, S. 249–272. Eines seiner dreizehn erhaltenen Stücke, nämlich Unbescholten und ergeben (Qingzhong pu, nach 1644) wird den zehn großen Tragödien Chinas zugerechnet, s. WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 501–603. Zu seinem neuedierten Werk s. Li Yu xiqu ji, 3 Bde., Schanghai: Shanghai Guji 2004. S. hierzu meine Ausführungen in EGGERT u.a.: Die klassische chinesische Prosa, S. 102– 107. Zu seinen Kurzgeschichten s. MOTSCH: Die chinesische Erzählung, S. 218–229. Zum Einfluß des Theaters auf seine Erzählkunst s. STEPHAN POHL: Das lautlose Theater des Li Yu (um 1655). Eine Novellensammlung der frühen Qing-Zeit, Walldorf-Hessen: Verlag für Orientkunde 1994 (= Beiträge zur Sprach- und Kulturgeschichte des Orients; 33). Zu seinen Romanen s. THOMAS ZIMMER: Der chinesische Roman der ausgehenden Kaiserzeit, Bd. 2/2 der Geschichte der chinesischen Literatur, hg. von WOLFGANG KUBIN, München: Saur 2002, S. 473–481. HELMUT MARTIN: Li Li-weng über das Theater [Phil. Diss. Heidelberg 1966], Taipeh: Mei Ya 21968. In Buchform hat an diese bahnbrechende Studie, die sich ausschließlich dem Theatermann Li Liweng widmet, erst ERIC P. HENRY: Chinese Amusement. The Lively Plays of Li Yu, Hamden: Archon Book 1980, angeknüpft! Diese Sammlung findet sich unter dem Titel Liweng chuanqi shi zhong [Die zehn Romanzen des Liweng] in den Bänden 7–11, S. 2805–5030, der in Anm. 614 angeführten Ausgabe.

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Li Yu: Die chinesische Komödie

der als Theatermann Stückeschreiber, Schauspieler, Regisseur, Lehrer, Kritiker und Musiker in einem war, hat auch lange auf eine Gesamtausgabe warten müssen.614 Kann es sein, daß die Sinologie bislang von ihm überfordert ist? Oder daß man ihn eher als großen Essayisten und bedeutenden Belletristen betrachtet? Bei der Lektüre der (westlichen) Sekundärliteratur schleicht sich leicht ein solcher Verdacht ein. Vielleicht hat ein übriges auch der Verzicht des Autors auf die Thematik des Zeitgeistes getan: »Patriotismus«, wie immer man ihn definieren mag, war offensichtlich seine Sache nicht. Die Nöte seines Lebens und die Beobachtung von allen möglichen Greueltaten der Aufständischen und der Mandschus bei und nach der Eroberung von China haben ihn wohl vorsichtig werden lassen.615 Es ist nun just dieses fehlende politische Element, das ihm neben seiner Schicksalsergebenheit und seiner Hinnahme mandschurischer Bräuche von chinesischen Kritikern den Vorwurf der Hörigkeit und der lockeren Lebensweise eingebracht hat.616 Er, der sich von Patronen habe aushalten lassen, habe seinen Vergnügungen nachgehend in den Tag hineingelebt. Vorbehalte, vor allem moralischer Natur, hat es gegen Li Liweng seit seinen Lebzeiten bis heute immer wieder gegeben,617 doch unpolitisch und ohne Moral ist unser Autor nicht. Er nimmt nur einen anderen Blickwinkel als seine Zeitgenossen und die Nachgeborenen ein. Er bedient sich nicht so großer Worte wie Reich oder Welt, was auch heute noch viele Schriftsteller auf dem Festland allzu gerne tun. Seine Aufmerksamkeit richtet sich vielmehr auf die sogenannten kleinen Leute, deren Leiden er sieht und beschreibt, indem er immer wieder Aufständische – in seinen Augen die ruchlosen Banditen des Li Zicheng – zu Wort kommen läßt, die sich ihrer schrecklichen Taten rühmen und Frauen im geschlossenen Sack nach Gewicht verkaufen. Gleichwohl ist die chinesische (oft marxistische) Kritik nicht ganz von der Hand zu weisen, was zum Beispiel die Sache mit der Schicksalsgläubigkeit angeht. In dem Stück Finde dich ab (Naihetian)618 stellt der Autor die Welt auf den Kopf. Er schafft gleichsam eine frühe Form von »die drei Schönen und das 614

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MA HANMAO [d.i. Helmut Martin] (Hg.): Li Yu quanji, Taipeh: Chengwen 1970, 15 Bde. Eine Gesamtausgabe mit demselben Titel erfolgte auf dem Festland durch verschiedene Herausgeber erst 1992 (Hangzhou: Zhejiang Guji)! So die Thesen von CHUN-SHU CHANG [d.i. Zhang Zhunshu?] u. SHELLEY HSUEH-LUN CHANG [d.i. Zhang Xuelun?]: Crisis and Transformation in Seventeenth-Century China. Society, Culture, and Modernity in Li Yü’s [d.i. Li Yu] World, Ann Arbor: University of Michigan Press 1992, S. 193–229. Vgl. z.B. LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 4, S. 289–300. Vgl. hierzu HENRY: Chinese Amusement, S. 157–155. MA (Hg.): Li Yu quanji, Bd. 9, S. 3905–4126, d.i. der gesamte Band! Da es sich hier um eine nicht gut lesbare Faksimile-Ausgabe handelt, sei auch verwiesen auf HUANG TIANJI u. OUYANG GUANG (Hg.): Li Liweng xiju xuan [Ausgewählte Komödien des Li Liweng], Changsha: Yuelu 1984, S. 279–409. Zur Synopse s. HENRY: Chinese Amusement, S. 218– 244, zur Diskussion s. ebd., S. 127–155.

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Biest«. Dem häßlichen und mißgestalteten, aber reichen Helden ist die Rolle des Clowns zugewiesen. Die drei äußerst ansehnlichen Frauen, die er einer nach der anderen heiratet, die ihn aber gleich nach der Hochzeitsnacht eine nach der anderen verlassen, um in der Bibliothek eine klösterliche Frauengemeinschaft miteinander zu bilden, haben der Anlage der Komödie gemäß nicht zu rebellieren, sondern sich ihrer Bestimmung zu ergeben. Wenn wir Li Liweng, den Autor und die theatralische Stimme gleichsetzen dürfen, so verlöre ersterer alles, was ihn uns so eigentlich sympathisch macht, nämlich sein Verständnis für das »Unglück schöner Frauen« (hongyan boming)619, seine Forderung nach Bildung und Erziehung für das weibliche Geschlecht620 etc. Die Leserschaft, die dem Gang der Dinge bis zum dritten Desaster so betroffen wie amüsiert folgt, erwartet eigentlich den Sieg fraulicher List über männliche Tumbheit. Das Gegenteil ist der Fall. Aufgrund einer großzügigen Spende für die kriegerischen Unternehmungen der damaligen Zeit durchläuft unser Held eine Schönheitsoperation dank himmlischer Kräfte und wird anschließend vom Kaiser mit Titeln etc. geehrt. Da auch die drei Schönen von der kaiserlichen Huld profitieren dürfen, kehren sie nur allzu willig aus ihrem selbstgewählten »Frauenhaus« in die Ehe zurück. Folgerichtig lautet die Botschaft des Stückes: Akzeptiere dein Los, wie schlimm es auch sei, und begehre nicht dagegen auf.621 Nicht nur aus feministischer oder marxistischer Sicht ist dies eine unakzeptable, ja reaktionäre Haltung. Zurück zur Laufbahn unseres Autors, der gleichsam als Berufsschriftsteller erst vier Jahre nach 1644, das heißt nach dem Fall der Ming-Dynastie, auf den Plan tritt, so daß sich sein Leben grob in zwei Teile gliedert.622 Li Liweng wächst in einer reichen Familie, in Rugao (Jiangsu) behütet auf und muß schließlich die Vernichtung seines gesamten Besitzes in den Kriegswirren miterleben. Er läßt sich ab 1684 mit der Familie in Hangzhou nieder, wo er zunächst für zehn Jahre weilt und sich sowohl der Belletristik als auch der Dramatik widmet. Nach einem Zwischenaufenthalt in Nanking kehrt er 1676 hierher zurück, wo er um 1680 verstirbt. 619

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Zu Hintergrund und Bedeutung bei Li Liweng s. ZHONG MINGQI: Ming-Qing wenxue sanlun [Dies und das zur Literatur der Ming- und Qing-Zeit], Hefei: Anhui Jiaoyu 2008, S. 80–91. Das Werk enthält ansonsten viel zu Li Liweng und zum Theater der damaligen Zeit. Zur Bildung von Frauen in der ausgehenden Kaiserzeit allgemein s. SUSAN MANN: Precious Records. Women in China’s Long Eighteenth Century, Stanford: Stanford UP 1997; ROBYN HAMILTON: »The Pursuit of Fame: Luo Qilan (1775–1813?) and the Debates about Women and Talent in Eighteenth-Century Jiangnan«, in: Late Imperal China 18.1. (1997), S. 39– 71. Die Ausgabe 13.1 (1992) von Late Imperial China widmet sich übrigens zur Gänze der (literarischen) Bildung von Frauen in China und Europa! Eine ähnliche Botschaft in einer vergleichbaren Erzählung läßt sich übrigens dem Werk des Pu Songling (1640–1715) entnehmen, s. MARLON K. HOM [d.i. Tan Weilun]: »Characterization in Liao-chai chih-i [d.i. Liaozhai zhiyi]«, in: Tsing Hua Journal of Chinese Studies XII (1979), S. 261. Zu seiner Biographie s. NATHAN MAO u. LIU TS’UN-YAN [d.i. Liu Cunyan]: Li Yü, [d.i. Li Yu] Boston: Twayne 1977 (= TWAS; 447), S. 9–30; MARTIN: Li Li-weng über das Theater, S. 220–264.

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Li Liweng, der nur den Grad eines Bakkalaureus (xiucai) um 1635 erwarb und sich nicht weiter durch Examina auf eine Beamtenkarriere vorbereiten wollte, ist vielleicht der erste (große) Literat in China, der vom Schreiben nicht nur lebt, sondern gleichzeitig auch damit eine Familie und eine Schauspieltruppe ernährt.623 Insgesamt hatte er etwa vierzig Personen zu versorgen gehabt. Dies ist ebenfalls ein Grund, warum er sich immer wieder an Patrone mit der Bitte um Unterstützung gewendet hat. Wir dürfen also davon ausgehen, daß er mit seiner Theatertruppe von Patron zu Patron zog, um dort Aufführungen anzubieten. Insofern mag die These von Li Liweng als erstem Berufsschriftsteller vielleicht doch ein wenig zu weit gegriffen sein? Umstände wie diese haben ihn gerade deswegen vielleicht interessanter als seine Stücke erscheinen lassen. Gern berichtet wird in diesem Zusammenhang auch immer wieder, daß seine zwei Konkubinen gleichzeitig seine Schauspielerinnen waren, die es ihm ermöglichten, unmittelbar Geschriebenes auf der Stelle zu erproben. In der Sache betreibt man daher nicht selten ein Ablenkungsmanöver: Statt über seine Stücke zu reden, spricht man über seine Theatertheorie, als läge hier sein wahres Verdienst. Wir wollen am Schluß auf dieses Problem zurückkommen und uns zunächst, dem Trend folgend, vor dem Praktischen dem Theoretischen zuwenden.624 Li Liweng hat seine Ansichten zum Theater in seinem gewichtigen Essayband Beiläufige Bleibe für müßige Gedanken (Xianqing ouji, Vorwort 1671) 625 niedergelegt. Allerdings erkennt man nur auf den zweiten Blick, daß hinter seinen zunächst unsystematisch anmutenden Äußerungen doch letztlich ernsthafte Erkenntnisse stehen, selbst wenn es sich hier um seine Sicht der Dinge und nicht um eine historische Aufarbeitung handelt. Man spricht trotzdem gern von unserem Literaten als dem ersten wahren Theaterkritiker626 des traditionellen China, dem 623

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Natürlich hat es schon vor ihm Theatermacher gegeben, die ihre Stücke verkauft haben. So zum Beispiel Zhang Fengyi (1527–1613), ein Magister (juren) aus dem heutigen Suzhou, dessen bekannteste Romanze Das Mädchen mit dem roten Staubwedel (Hongfo ji, 1545) nichts anderes als das Remake von zwei Tang-Novellen ist. Zu seinem Werk s. HUNG: Ming Drama, S. 126–128; LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 3, S. 279–284. Kommentierte Auszüge aus seinen sieben Romanzen finden sich bei JIANG u.a. (Hg.): Ming-Qing chuanqi jianshang cidian, Bd. 1, S. 291–316. Ich folge hier neben MARTIN: Li Liweng über das Theater auch MAO u. LIU: Li Yü, S. 112– 134 sowie PATRICK HANAN: The Invention of Li Yu, Cambridge, Mass., u. London: Harvard UP 1988, S. 45–58, 138–184. Zu einer wohlfeilen Ausgabe s. diejenige von WANG LIANHAI (Komm.) in zwei Bänden unter dem Titel Xianqing ouji tushuo, Ji’nan: Shandong Huabao 2003. Die Ausführungen zum Theater finden sich in dieser Ausgabe in Bd. 1, S. 17–138, sie wurden übersetzt von MARTIN: Li Li-weng über das Theater, S. 86–218. Zum Charakter des Essaybandes s. ANDREA STOCKEN: Die Kunst der Wahrnehmung. Das Ästhetikkonzept des Li Yu (1610–1680) im Xianqing ouji im Zusammenhang von Leben und Werk, Wiesbaden: Harrassowitz 2005 (= Lun Wen; 6). Die Autorin behandelt kurz das Theater auf den Seiten 132f., 153–155. Zu dem, was andere oft eher philologisch und unsystematisch vor und nach ihm zum Theater geschrieben haben, s. CHI-FANG LEE [d.i. Li Qifang]: »A Bibliography of the Criticism of Chinese Poetic Drama«, in: Tamkang Review XVI.3 (1986), S. 311–322.

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die Beschäftigung mit dem Theater nicht nur persönlich wichtig war, sondern auch als ernsthafte, ja freudvolle, Sorgen lindernde Angelegenheit des Gebildeten erschien. Oftmals angeführt wird in diesem Zusammenhang seine These, daß die Kunst, ein Theaterstück zu schreiben, durchaus der Geschichtsschreibung, dem Dichten, dem Verfassen einer Autobiographie und der Prosaschrift gleichkomme.627 Insofern mag es nicht überraschen, daß er die für die klassische chinesische Dichtkunst so wichtige Ästhetik eines Zusammenspiels von Idee (qing) und Wirklichkeit (jing)628 auch in seinen Stücken zu realisieren suchte, das heißt eine Einheit von Innen und Außen, von Gedachtem und Gesehenem, konkret von dem, was ein Held auf dem Herzen hat (qing) und dem, was eine Bühne (jing) ausmacht. Die Lyrik und die Lieder sind bekanntlich die bevorzugten Genres eines chinesischen Literaten, und so machen sie denn auch das Herzstück des chinesischen Theaters aus, geben dem Schauspiel ein höheres Ansehen als der Erzählkunst, die bis auf den Traum der roten Kammer auf (große) Verse nahezu verzichten kann. Ihrer Natur gemäß wurden sie aber nicht selten gleichsam am Schreibtisch verfaßt, also ohne Hinblick auf eine Aufführung und deren Besonderheiten. Und so verstanden die Schauspieler mitunter überhaupt nicht, was sie vor der Öffentlichkeit sangen.629 Da aber auch Li Liweng mit seinen Komödien nicht nur unterhalten, sondern ebenso »zum Guten erziehen und vor dem Bösen warnen« (quan shan zheng e)630 wollte, hatte nach seiner Auffassung ein Stückeschreiber von der Bühne und deren Erfordernissen her zu denken. Für ihn war daher die Dichtung nichts Absolutes mehr, ja, man kann sogar so weit gehen, wie es die Sekundärliteratur tut, und von einer praktischen Abwertung des Lyrischen bei gleichzeitiger praktischer Aufwertung des Narrativen sprechen. Li Liweng ist der erste in der chinesischen Theaterwelt, der auf das tatsächlich bestehende Mißverhältnis von gesungenen und gesprochenen Partien aufmerksam macht und die Anerkennung einer Gleichwertigkeit beider Sprachformen fordert.631 Er ist es, der, um das Prosaische zu stärken, die »narrative Szene« einführt, die mit den Worten »So höret denn und laßt euch sagen« (ting, wo daolai) anzuheben pflegt und so lang wie breit über 627 628 629 630

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MARTIN: Li Li-weng über das Theater, S. 88; WANG (Hg.): Li Yu: Xianqing ouji tushuo, Bd. 1, S. 19. MARTIN: Li Li-weng über das Theater, S. 123; WANG (Hg.): Li Yu: Xianqing ouji tushuo, Bd. 1, S. 43. MARTIN: Li Li-weng über das Theater, S. 139, 191f.; WANG (Hg.): Li Yu: Xianqing ouji tushuo, Bd. 1, S. 68f., 118. MARTIN: Li Li-weng über das Theater, S. 47, 95f., 109 (Theater als moralische Anstalt); WANG (Hg.): Li Yu: Xianqing ouji tushuo, Bd. 1, S. 24, 34. Hier findet sich auch die berühmte Ausführung zum Pinsel als Messer, das tötet: Ein Stückeschreiber solle sich davor hüten, das Theater als Waffe zu mißbrauchen! MARTIN: Li Li-weng über das Theater, S. 133, 138, 202ff.; WANG (Hg.): Li Yu: Xianqing ouji tushuo, Bd. 1, S. 64, 68, 129ff.

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Geschehnisse berichtet bzw. kommentiert. Inwiefern es ihm selber gelungen ist, diese Einheit von hoher und niederer Sprache zu erzielen, diese Frage soll uns nach Darlegung seiner Theorie das Beispiel seines bekanntesten Stückes beantworten helfen. Es war oben bereits darauf hingewiesen worden, daß sich mit der Romanze die strenge Form des chinesischen Theaters aufzulösen beginnt. Dies hat natürlich unmittelbar Auswirkungen auf den Plot. Der Plot eines Mongolendramas ist klar gestaltet, der einer Romanze nicht (unbedingt). Li Liweng sprach vom Theater seiner Zeit als einer Perlenkette mit durchschnittenem Faden. Dies ist ein schönes Bild unter vielen schönen Bildern, die er immer wieder geschickt in seine Theorie einzubringen weiß: Die einzelne Szene mag in sich perfekt sein, doch bildet sie mit einer anderen perfekten Szene nicht unbedingt eine feste Einheit. Der Grund, warum Autor, aber auch Publikum wenig auf den Zusammenhalt der theatralischen Dinge seit der Ming-Zeit achteten, ist denkbar einfach: Es wurde ja sowieso mehr oder minder nur auf die Bühne gebracht, was ohnehin längst bekannt war. Man war mit dem Gang der Dinge vertraut bzw. man konnte ihn im Laufe des Spiels erahnen. Li Liweng geht auch auf das Problem eines schwach entwickelten Plots ein. Um den Ablauf der Handlung zu stärken, stellt er die Formel »eine Person, eine Handlung« (yi ren yi shi) auf.632 Damit ist die Wichtigkeit der Protagonisten gemeint, auf die alles bezogen werden soll, also wie üblich Freude und Leid, Begegnung und Trennung, um das wesentliche Ereignis, um das es geht, eigens hervorzuheben. Das heißt, der einzelne Held, die einzelne Heldin ist wichtig, alle anderen Gestalten wandern ab ins zweite Glied. Was sich Li Liweng hierdurch theoretisch erhoffte, war ein Text so dicht gewoben wie das Produkt einer feinen Nadelarbeit.633 Helmut Martin schreibt hierzu:634 Eine Handlung soll sich durch ein Stück ziehen, der sich kleinere Nebenhandlungen organisch unterzuordnen haben. Nebenpersonen sollen sich um die Zentralfigur herumgruppieren[,] ohne den Blick des Zuschauers von ihr abzulenken oder sie zu verstellen. Auch die übersichtlich geführte Handlung von wenigen Personen hat so die dramatische Einheit wahren zu helfen und einen Ausweg aus der Überfrachtung und unnötigen Verwickeltheit mancher zeitgenössischer Stücke zu weisen. Die Beschränkung auf wenige Personen begründet Li neben der Übersichtlichkeit noch aus der nur begrenzten Anzahl von Schauspielern, die in Stücken mit vielen Rollen mehrere Figuren verkörpern müßten, worunter die Einzeldarstellung leidet.

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MARTIN: Li Li-weng, S. 100–102; WANG (Hg.): Li Yu: Xianqing ouji tushuo, Bd. 1, S. 26. MARTIN: Li Li-weng, S. 104; WANG (Hg.): Li Yu: Xianqing ouji tushuo, Bd. 1, S. 30. MARTIN: Li Li-weng, S. 69. Zu Li Liwengs eigenen Ausführungen, welche eine grundlegende Kritik an dem Stück Die Laute miteinschließen, s. ebd., S. 104–107. Zum Original s. WANG (Hg.): Li Yu: Xianqing ouji tushuo, Bd. 1, S. 30.

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Man hat der Theorie des Li Liweng gern das Wörtchen »neu« angehängt. Er habe dem Neuen das Wort geredet. Schauen wir einmal hinein in die vielzitierte Aussage und hören, was er zum Thema zu sagen hat:635 Die Menschen streben nur dem Alten, die Natur [strebt] nur dem Neuen nach. Neu zu sein ist eine herrliche Auszeichnung für die Dinge dieser Welt. Für die Literatur gilt das im Vergleich zu anderen Dingen nur umso mehr. Das Wort: »Die alten Phrasen müssen weg. Wie schwer fällt das!«636 Für das Verfassen von Liedern gilt das im Vergleich zu Gedichten, Oden und Guwen Literatur noch in viel größerem Maße. Nicht nur, was frühere Autoren verfaßt haben, ist heute alt, selbst bei dem, was ich mit eigener Hand geschrieben habe, macht sich ein Unterschied bemerkbar, wenn ich heute Werke von gestern betrachte. Das Gestrige nämlich ist mir schon bekannt, das Heutige noch nicht; wenn ich weiß, daß das noch Unbekannte das Neue ist, dann sehe ich auch, daß das Bekannte das Alte wurde. Die Früheren nannten Theaterstücke ursprünglich Chuanqi, weil deren Handlung etwas Besonderes (qi) enthielt, das noch kein Mensch kannte und auf diese Weise mitgeteilt (chuan) wurde. Daher kommt der Name. Daraus ersieht man, daß nicht mitgeteilt wurde, was nichts Besonderes enthielt. Etwas Neues ist aber eine andere Bezeichnung für etwas Besonderes. Wenn eine derartige Handlung schon auf der Bühne zu sehen war, dann haben Tausende und Abertausende sie gleichermaßen betrachtet und es gibt absolut nichts Besonderes mehr daran, was muß man sie dann noch mitteilen? Darum sollte ein Dichter, der Lieder verfaßt, sich bemühen das Wort Chuanqi zu verstehen. Will er ein solches Theaterstück schreiben, sollte er zunächst die alten und neuen Dramenbücher befragen, ob sich in ihnen schon eine solche Handlung findet oder nicht. Wenn sie sich nirgends findet, schreibe er sie schleunigst nieder. […] Prüfe ich die neuen Theaterstücke von heute, so sind das gar keine neuen Stücke, sie wirken alle wie der zerrissene und geflickte Rock eines alten Buddhistenmönchs […]. Man greift einfach nach all den Theaterstücken, die man zur Hand hat, hackt mal hier, mal dort ein Stück heraus, packt’s zusammen und macht ein Ganzes daraus. Bei einem solchen Theaterstück gibt es dann nur Namen, die man noch nie gehört hat, aber überhaupt keine Ereignisse, welche man nicht schon gesehen hätte.

Mag Li Liweng hier auch die Worte »neu« (xin) und »alt« (jiu) verwenden, ja sogar gegeneinander ausspielen, so dürfen diese wohl kaum im Sinne bzw. im Lichte der Bewegung vom 4. Mai (1919) zu verstehen sein, als mit diesen modischen Schlagworten alles aus dem Westen begrüßt und alles aus China verdammt 635

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Unter Benutzung der heutigen Umschrift und Verbesserung der offensichtlichen Druckfehler zitiert nach MARTIN: Li Li-weng, S. 102f.; WANG (Hg.): Li Yu: Xianqing ouji tushuo, Bd. 1, S. 28. Martin verweist hier in einer Anmerkung auf einen Brief von Han Yu (768–824) als Quelle.

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wurde.637 Er ist kein Bilderstürmer, er bleibt, wenn auch innovativ, im bekannten Rahmen, er schafft die Romanze nicht etwa ab, er will sie vielmehr stärken und zwar durch neue Handlungsstränge. Deswegen greift er im folgenden auch so gern auf das konventionelle Zeichen qi (Wunder) zurück. Wenn er also sinngemäß gesagt hat, daß ein Spiel, das tausendmal aufgeführt sei, nichts Neues (qi) mehr zu übermitteln (chuan) habe,638 dann wird übersehen, wie sehr er sich weiterhin noch im herkömmlichen Rahmen der Konventionen bewegt. Am deutlichsten wird dies an seinem Entwurf der Protagonisten deutlich, die nach wie vor der »Typenlehre« verpflichtet sind und auf eine Subjektivität, auf eine Innerlichkeit, kurz, auf eine Individualisierung nicht hoffen dürfen. Seine Bühnengestalten bewegen uns nicht wirklich tief im Herzen. Es ist natürlich richtig zu behaupten, daß Li Liweng gegen den Trend der Zeit kein Nostalgiker war, der etwa den Kurtisanen des alten Viertels Qinhuai von Nanking nachgetrauert hätte, eines Viertels übrigens, das heute vor Ort wieder nachgestellt worden ist. Er hat auch ganz bewußt keine Historienspiele geschrieben, denn für ihn galten nur erfundene Stoffe als unterhaltsam, weswegen Geschichtliches und Fiktives nicht miteinander vermischt werden sollten.639 Aber aus alledem auf einen Ikonoklasmus schließen zu wollen, verkennt nur das Wesen des Ikonoklasmus an sich und den grundlegenden Charakter des chinesischen Geistes vor 1911, der bestenfalls systemimmanent kritisch vorgehen konnte. Die Technik der Inversion also, das heißt ein Stereotyp, eine herkömmliche Meinung umzudrehen, mag zwar gern als Mittel der Erneuerung des Theaters angesehen werden, doch ist diese längst seit der Song-Zeit in der Dichtkunst als fan, als »Auf-denKopf-Stellen« bekannt. So mag zwar ein Clown gegen alle bisherige Praxis zum Helden avancieren wie in dem bereits erwähnten Stück Finde dich ab, das macht ihn als Figur aber nicht sympathischer, will sagen, die Leserschaft wird in ihm kaum einen interessanten Underdog erkennen, ganz das Gegenteil, der Widerwille verstärkt sich bei der Lektüre von Szene zu Szene. In den Komödien des Li Liweng, die trotz ihres unterhaltsamen Charakters hohe Ansprüche stellen, geht es immer wieder um die Fragen von Liebe und Lust, von Puritanismus und Libertinismus, von Askese und Sinnlichkeit, von hoher Gesittung (daoxue) und Leidenschaft (fengliu). Diese offensichtlichen Gegensätze fallen für den Komödianten jedoch in sich zusammen, wenn jemand in der Lage ist, als der 637

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Was übereifrige Sinologen immer wieder gern übersehen, ist die Tatsache, daß sich mit der Neuzeit der Begriff des Neuen ändert! Vgl. hierzu NORBERT BOLZ: »Der Prothesengott. Über die Legitimität der Innovation«, in: Merkur 712/713 (9/10 2008: Sonderheft: »Neugier«), S. 754: »Im Kult des Neuen geht es um den Bruch mit der Vergangenheit, weil sie vergangen ist. Alles Neue beginnt mit einer Entkoppelung. Die Neuzeit proklamiert also nicht nur einen neuen Zeitbegriff, sondern auch einen Begriff des Neuen.« MARTIN: Li Li-weng über das Theater, S. 102f.; WANG (Hg.): Li Yu: Xianqing ouji tushuo, Bd. 1, S. 28. MARTIN: Li Li-weng über das Theater, S. 112–115; WANG (Hg.): Li Yu: Xianqing ouji tushuo, Bd. 1, S. 35.

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rechte Mensch beiden Prinzipien zu leben und sich von ihnen wesenhaft erfüllen zu lassen. Die Liebe wird so gesehen zu einem Feld eigener Interessen und nicht zu einer Sache, wo jemand Opfer zu bringen hat. Tragen wir nach und fassen wir zusammen: Li Liweng setzt in seinen Stücken den Geist der späten Ming-Zeit fort. Das ist ein Geist, der auf Lebensgenuß erpicht ist. Zu diesem Genuß gehören selbstverständlich schöne Frauen. Das Muster der theatralischen Anlage sieht daher oft ähnlich aus: Ein gutaussehender Mann hat mehrere gutaussehende Frauen. Sie haben ihren Alltag zu bewältigen. Am Ende desselben steht immer ein Happyend. Auch wenn die Liebe (qing) im Kern das Anliegen der Komödien und den Plot eines jeden Stückes ausmacht, so besteht nach der Auffassung von Li Liweng die Aufgabe des Theaters doch ebenso ganz wesentlich in der Hebung der Moral (zhong, xiao, jie, yi; Loyalität, Pietät, Zucht, Rechtschaffenheit) und in der Ergötzung des Publikums.640 Insofern spricht der Autor – und dieses Paradox ist typisch für ihn – in diesem Zusammenhang von den Tränen im Lachen. Eine Komödie hat also nicht nur Spaß zu bereiten, sie hat auch Ernstes zu bieten, indem sie vom Menschen und den allgemeinen ihn betreffenden Dingen spricht. Natürlich gab es schon vor Li Liweng Autoren, die über das Theater nachgedacht haben. Aber diese haben eher Kataloge kompiliert, die Stücke klassifiziert und Regeln aufgestellt. Davon abweichend ging es Li Liweng um einen Perspektivenwechsel. Er wollte die Betrachtung von der Bühne her, denn ihm war aufgegangen, daß die Schauspieler nicht nur Probleme mit der gebundenen Sprache hatten, sondern auch die ungebundenen Partien mitunter nur sehr schlecht vortrugen. Den Grund hierfür sah er in zweierlei, nämlich in der mangelhaften Ausbildung und in den Mängeln auch sehr bekannter Stücke, die er immer wieder einer kritischen Betrachtung unterzieht. Wir hatten oben bei der Diskussion von Kong Shangren auf das Phänomen eines Theaterspiels im Theaterspiel verwiesen. Dies ist weder für den chinesischen noch für den europäischen Kulturraum etwas gänzlich Neues. Das Theater in Ost und West hat sich immer wieder gern zu einer Reflexion über sich selbst bereit gefunden, um seinen Gegenstand, die Welt, selbst zum Theater zu erklären. In China ging den Adepten zumindest Li Liweng voraus. Beispielhaft ist hier sein Stück Die Schollen (Bimuyu), das bereits seit 1890 in Europa bekannt ist.641 Das Vorwort stammt von der Künstlerin Wang Duanshu aus dem Jahre 1661. Li Liweng, 640 641

MARTIN: Li Li-weng über das Theater, S. 48, 54, 120; WANG (Hg.): Li Yu: Xianqing ouji tushuo, Bd. 1, S. 42. Zum Original s. MA (Hg.): Li Yu quanji, Bd. 10, S. 4127–4358. Die Hangzhouer Ausgabe (s. Anm. 614) bietet den Text in Bd. 5, S. 107–211. Zur vollständigen Übersetzung, wohl der einzigen in einer westlichen Sprache, s. FORKE (Übers.): Zwei chinesische Singspiele der Qing-Dynastie, S. 27–393. Die ausgezeichnete Übertragung ist reich kommentiert, das Stück kurz gedeutet, S. 496–498. Zu den Quellen und weiteren Verarbeitungen des Stückes s. den Kommentar von GIMM, ebd.. S. 15f. Zur Synopse und zur weiteren Deutung s. HENRY: Chinese Amusement, S. 177–185 bzw. 19–57.

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der gern künstlerisch veranlagte Frauen um Geleitworte bat, muß sein Werk also in Nanking geschrieben haben. Es hat 32 Auftritte, wie Alfred Forke, der bislang wohl einzige Übersetzer im »Westen«, so schön formuliert. Mit der Einsicht, Spiel im Spiel642 zu sein – so auch sein anderer chinesischer Titel (Xi zhong xi) –, hebt das Stück wie folgt an:643 Seit Jahren halt’ ich in freier Zeit Meinen Pinsel für Aufzeichnungen bereit. Nach wunderbaren Begebenheiten [qiji] Forsch’ ich in alten und neuen Zeiten. Ein Bühnenspiel in einem Bühnenspiel [zai xi zhong xi] Noch niemals mir in die Augen fiel. Vergebens durchsucht man die Literatur, Man findet darin keine Spur.

Der Sprecher nimmt also im Namen des Autors in Anspruch, etwas Niedagewesenes – zumindest für den chinesischen Sprachraum – auf die Bühne zu bringen. Dieses Spiel im Spiel wird jedoch nur bis zum 15. Auftritt durchgehalten. Danach ereignen sich Wunder über Wunder, welche es den Liebenden erlauben, das zu sein, was sie bis dahin nur auf der Bühne sein konnten, nämlich ein glückliches Ehepaar im tatsächlichen Leben. Das heißt, unsere Romanze hat es in etwa zu gleichen Teilen mit dem Leben als Spiel und dem Spiel als Leben zu tun. Zwischen die beiden Teile sind die himmlischen Mächte gesetzt, welche es als ihre Aufgabe ansehen, diejenigen ins Leben zurückzubringen, die sich im Spiel um ihrer Liebe willen zu opfern haben, in einem Spiel, das eigentlich ihnen zu Ehren aufgeführt wurde und entsprechend positiv zu enden hatte. Die Liebenden stürzen sich während des Bühnengeschehens in die Wellen, in denen die Gottheit ihrer besonderen Verehrung waltet, nämlich der Flußgott mit dem sprechenden Namen Wogenglätter Fürst Yan (Pinglang hou Yan). So gesehen ist die Romanze in der Romanze eigentlich als ein religiöses Spiel angesetzt, zumal sie als solche später wiederholt wird, doch sie hat ebenso dem weltlichen Genre zu gehorchen, also mußte neben der Liebesgeschichte auch noch eine Militärgeschichte eingebracht werden, welche den Gang der Dinge vielleicht für die damaligen Zuschauer spannend machte, aber für die heutigen Leser auf Grund schematischer Behandlung weniger überzeugend wirkt. Und damit sind wir bei dem Problem von Theorie und Praxis. Li Liweng fordert in seiner gedanklich superben, sprachlich überwältigenden Theorie des Theaters 642

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Zu einer Theorie des Spiels im Spiel s. MANFRED PFISTER: Das Drama, München: Fink 11 2001 (= UTB; 580), S. 299–307. Vgl. davor auch die Theorie zur »Traumeinlage«, S. 295–298! FORKE (Übers.): Zwei chinesische Singspiele der Qing-Dynastie, S. 31; MA (Hg.): Li Yu quanji, Bd. 10, S. 4139.

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für das Bühnenspiel etwas vollkommen Neues, doch er selbst schafft dieses nur bedingt. Seine Gestalten sind Typen644, keine Individuen, denen wir gerne nachhängen würden. Wir entdecken in ihnen keine Spuren, die auf die ausgehende Neuzeit, auf eine sich irgendwie ankündigende Moderne verweisen würden. Der Plot in diesem Stück erregt unsere Neugierde heute nur bis zu dem Moment, da der Flußgott als deus ex machina auftritt, um das schreiende Unrecht ins Lot zu bringen. Mit dem wunderbaren Geschehen flacht die vielleicht zunächst innovative Handlung ab, weil das Spiel im Spiel von bekannten Strängen übernommen wird. Gerechterweise muß gesagt werden, dies war im deutschen Theater der damaligen Zeit auch nicht viel anders. Die seinerzeitigen Schuldramen und Jesuitendramen reizen uns heute mit Ausnahme von Hans Sachs (1494–1576), der übrigens das Kreidekreismotiv bereits kannte, wenig.645 Was ist also das Geschehen auf der Bühne, und was sind aus heutiger Sicht die Einwände, die natürlich nur zu erheben sind, weil sich Li Liweng so sehr dank seiner Forderungen zur Erneuerung des chinesischen Theaters angreifbar gemacht hat? Der Autor bzw. seine Stimme bringt die sattsam bekannte archetypische Weise von der jungen Schönen und dem jungen Scholaren auf die Bühne und läßt sie vorerst in Sanqu, in der heutigen Provinz Zhejiang, spielen. Liu Miaogu – so der Name unserer Heldin – steht im 14. Lebensjahr (sui), geht also auf die Fünfzehn zu, und ist als junge Frau wie als angehende Schauspielerin auf ihre Ehre bedacht. Weder im Spiel noch im Leben möchte sie etwas Ungeziemendes bieten müssen. Damit steht sie im krassen Gegensatz zu ihrer Mutter, die in ihrer Person das einschlägige Gewerbe mit dem Theater zu verbinden weiß, ja, zwischen beidem eine große Gemeinsamkeit sieht, auf die noch einzugehen sein wird. Unser mittelloser und verwaister Scholar, der sein Geld mit Schreibarbeiten verdient, sieht die Tochter zusammen mit fachsimpelnden Freunden bei einer Aufführung und entbrennt ob ihrer Schönheit sogleich in Liebe zu ihr. Auch sie hegt nach seinem Anblick Frühlingsgefühle. Wodurch diese Liebe bei beiden auf den ersten Blick möglich wird, bleibt im Unklaren. Die Dinge sind einfach so, wie sie sind. Ein Scholar hat im Theatergewerbe eigentlich nichts zu suchen, doch die einzige Möglichkeit, der Braut in spe nahezukommen, ist sein Beitritt zur Schauspieltruppe. Von einem ähnlichen Fall haben wir bereits oben gehört. Unter Schauspielern herrschen jedoch strenge Regeln: Die Geschlechter haben auf eine strikte Trennung von Mann und Frau zu achten. Die beiden Verliebten können sich daher nur durch Gesten untereinander verständlich machen. Als die Mutter, die von alldem nichts mitbekommen hat, die Tochter aus finanziellen Gründen ihrem ehemaligen 644 645

S. hierzu SHEN, JING: »Role Types in The Paired Fish, a Chuanqi Play«, in: Asian Theatre Journal 20.2 (Fall 2003), S. 226–236. Eine einfache Übersicht bieten ERNST u. ERIKA VON BORRIES: Deutsche Literaturgeschichte, Bd. 1: Mittelalter, Humanismus, Reformationszeit, Barock, München: dtv 1991, S. 386–405.

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Liebhaber als Konkubine gleichsam verkaufen will, bahnt sich die Katastrophe an. Vor aller Augen wirft sich die rebellische Liu Miaogu bei der letzten Aufführung in den wirklichen Fluß hinter der Bühne und nicht etwa in einen imaginären Strom. Bestürzt folgt ihr der Geliebte in den Tod. Die aufgebrachte Menge rächt sich an dem Reichen mit dem sprechenden Namen »Geld wie Heu« (Qian Wanguan), indem sie ihn vor Gericht bringt. Keine große Geschichte, fürwahr, wenn auch mit einigen bemerkenswerten Dialogen. Vielleicht hätte sie mit dem Freitod der Liebenden nach europäischem Muster besser als Tragödie geendet. Doch unser Verfasser entschied sich für eine Nachgeschichte und damit für ein Happyend. Die himmlischen Mächte, im Wasser daheim, haben bekanntlich der Inszenierung beigewohnt, die Jahr um Jahr gleichsam als »Gottesdienst« aufzuführen war. Sie fühlen sich zur Wiederherstellung der »Liebesordnung« verpflichtet. Bei all den Gottheiten, von denen es in diesem Stück nur so wimmelt, wäre Schutzpatron vielleicht die angemessenere Bezeichnung für sie, zumal die Schauspieler ihren ganz eigenen Schutzheiligen haben, den sie immer wieder anrufen, nämlich den Erlang, der auch über die Geschlechterordnung wacht. Die Macht der himmlischen Heerscharen ist also beschränkt und geht wie bei den Heiligen in der katholischen Kirche nicht über ihren zuständigen Bereich hinaus. Dies als Nachbemerkung zu dem etwas verwirrenden Komplex des Religiösen in China, das eher im Volksglauben und in der ihm nahestehenden Welt von Theater und Roman zum Ausdruck kommt. Wir kennen das Motiv der Auferstehung inzwischen aus dem Gang unserer Theatergeschichte zur Genüge. Li Liweng nimmt sich seiner ebenfalls an, um das Stück weiterschreiben zu können. Richtig ist, daß er sich etwas Neues einfallen läßt, nämlich die Verwandlung der Toten in zwei Schollen, die in der Einsiedelei eines Eremiten mit Hilfe eines Netzes – ebenfalls ein Leitmotiv – aus dem Wasser gezogen werden und sich daraufhin in zwei lebendige Wesen verwandeln. Den Rest kann man sich leicht denken: Es wird heilige Hochzeit gefeiert, an welcher die Natur und die Gottheiten teilnehmen, der Scholar wird ein glänzendes Examen bestehen, der Eremit wird, da er früher einmal als Beamter auch gleichsam ein General war, dem jungen Mann Instruktionen zur Niederwerfung der Banditen zukommen lassen. Nur eine einzige Sache scheint das sich anbahnende grenzenlose Glück zu stören: Das ist das Intrigenspiel der Räuber, die durch einen falschen Eremiten die kaiserliche Armee zur Aufgabe zwingen. Die Schwierigkeiten, die aus diesem hinlänglich bekannten Verwechslungsspiel resultieren, werden jedoch leicht gemeistert. Der junge Mann zwingt die Aufständischen zunächst in die Knie und sieht sich dann gehalten, den Eremiten finden und bestrafen zu lassen. Statt des falschen erwischt er, wie man sich leicht denken kann, den echten und steht nun in dem Konflikt von Loyalität gegenüber dem Kaiser und Pietät gegenüber seinem Retter. Die Loyalität verlangt die Bestrafung, das ist die Hinrichtung, die Pietät verlangt Begnadigung. Die Dinge lösen sich schließlich, wie sie sich gemäß Erwartung der Zuschauer lösen lassen müssen. Die Schuldigen gestehen

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alsbald ihre Schuld, der Verdächtige darf weiter Eremit sein, und das Stück endet mit der Moral von der Geschichte wie folgt:646 Im Theater hört man nur wenig Von Pflicht in neuerer Zeit. Sehr breit dagegen behandelt Man leider die Unsittlichkeit. Ich wollt’ auf die Bühne bringen Gerechtigkeit nur und Pflicht [jieyi]. Die Aufgabe zu erfüllen, Mißlang mir, hoffe ich, nicht.

Im Gegensatz zu dem Stück Finde dich ab läßt der Autor der Schönen ihre Widerborstigkeit durchgehen. Die widerspenstige Tochter hat sich nicht »abzufinden«, sie darf ihrem Liebesglück vertrauen. Das Spiel im Spiel dokumentiert diese Erfüllung, und zwar auf mehreren Ebenen. Da ist zunächst die Mutter, die auf der Basis ihrer Lebenserfahrung Theaterspielen und das käufliche Gewerbe gleichsetzt. Sie versucht, ihre Tochter auf folgende Weise für ihre Sicht der Dinge zu gewinnen. Zuvor richtet sie sich aber mit einer ähnlichen Mitteilung an die Zuhörerschaft. Wir lesen zu Beginn des dritten Auftritts (Zusammenstellung der Schauspielertruppe, Lian ban):647 (Frau Liu Jiangxian tritt auf.) Frau Liu (singt): Die Bühne bringt uns Ruhm und Glanz Durch unseren Gesang und unsern Tanz, Auch haben wir mancherlei Gewinste Durch unsere vielen andern Künste. Ich wette, in den Vergnügungslokalen [yanlou] Wird unsere Tochter noch mehr gefallen, Wenn sie nur besser verstände schon Die alte Familientradition. […] Das Spiel, das ich spiele, ist anders als das der meisten. Wenn ich die Bekanntschaft eines soliden Herrn machte, so wurde er durch mich leichtsinnig, und wenn ich einen Geizhals traf, so machte ich ihn zum Verschwender. Ich wählte mir einige Herren aus, die Geld auszugeben verstanden, mit denen ich eine Zeit646 647

FORKE (Übers.): Zwei chinesische Singspiele der Qing-Dynastie, S. 393; MA (Hg.): Li Yu quanji, Bd. 10, S. 4358. Zitiert nach FORKE (Übers.): Zwei chinesische Singspiele der Qing-Dynastie, S. 45–49; zum Original s. MA (Hg.): Lu Yu quanji, Bd. 10, S. 4148–4152.

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Li Yu: Die chinesische Komödie lang zusammenlebte. Im günstigsten Falle ging die Hälfte des Vermögens auf mich über, und ich erhielt wenigstens ihre Einkünfte einige Jahre lang. Auf diese Weise erwarb ich in nicht mehr als zehn Jahren ein nicht unbeträchtliches Vermögen, das wohl ausreichen dürfte. Ich habe eine Tochter, sie heißt MIAOGU und ist vierzehn Jahre alt. Sie besitzt noch größere Schönheit und ein besseres Gedächtnis als ich selbst. Ich habe sie bis jetzt nur studieren lassen, und sie hat die Schauspielkunst noch nicht erlernt. In allen Zweigen der Literatur, Kalligraphie und Malerei ist sie erfahren. Man weiß noch nicht, wie viel sie verdienen wird, wenn sie erst zu spielen beginnt. Da ich heute nichts vorhabe, so will ich sie rufen, um ihr die geheime Kunst beizubringen, Geld zu verdienen.

Was Alfred Forke hier mehr oder minder auf einer so einfachen wie klaren Sprachebene widergibt, die Lyrik und die Prosa, findet sich auch so simpel im Original. Li Liweng nähert also tatsächlich zwei unterschiedliche Genres sprachlich einander an und gleicht den Unterschied von Hochsprache und »Umgangssprache« aus. Das ist insofern erstaunlich, als er sich in seinen Essays einer Schriftsprache bedient, die, um schön sein zu wollen, klassisch bzw. klassizistisch und voller Anspielungen zu sein hat. Bei der Lektüre des Originals von Bimuyu gewinnt man nicht selten den Eindruck, es sprachlich bereits mit Vorformen der heutigen Gemeinsprache zu tun zu haben! Kommen wir zum dritten Auftritt zurück. Die Tochter, von der Mutter Liu Jiangxian gerufen, teilt dem werten Publikum ihr gänzlich anderes Lebensprogramm mit. Sie singt: Der Ruf meines Hauses ist wenig fein, Ich kann nur tief beschämt dadurch sein. Ich denke hin und denke her, Einen Ausweg zu finden ist gar schwer. Widm’ ich mich auch dem Bühnenspiel, Doch ein sittliches Leben ich führen will. Dann schämt vielleicht sich mein Gesicht, Im Herzen brauch’ ich zu schämen mich nicht.

Es entspinnt sich nun das folgende Gespräch zwischen Mutter und Tochter, durch welches die Mutter auf den Typ der bösen Mutter und die Tochter auf den Typ der keuschen bzw. der loyalen Frau festgelegt wird: Frau Liu: Meine Tochter, du bist jetzt vierzehn Jahre alt und kein Kind mehr. Der Vater will eine besondere, kleine Truppe zusammenbringen, die zusammen mit dir die Schauspielkunst erlernen soll. Ich habe keine Angst, daß du Gesang, Pantomime und Tanz nicht wirst lernen können. Aber eine Schauspielerin hat noch eine andere Methode, Geld zu verdienen, wovon nichts in den Spielbüchern steht und welche man von klein auf zu verstehen lernen muß.

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VOM LITERARISCHEN ZUM PERFORMATIVEN. DIE QING-ZEIT Liu Miaogu: Mutter, ein Mädchen braucht nur etwas Frauenarbeit wie Nähen und desgleichen zu lernen, um durchs Leben zu kommen. Das Schauspiel ist kein Beruf für Frauen, und ich möchte ihn nicht erlernen. […] Frau Liu: Dein Vater und deine Mutter wollen mit deiner Person ein großes Vermögen verdienen, du aber benimmst dich so weltfremd. Was kümmern sich Frauen wie wir um guten Ruf und Sitte, und was machen wir uns aus Ehrbarkeit? Man muß sich nur dazu entschließen, wenn man ein Verhältnis zu einem Mann hat, dieses auch nur als ein Spiel zu betrachten. Jener nimmt die Sache ernst, ich aber sehe es nur als Schwindel an. […] Kann die Besucher der Opiumhöllen Man sich als ernst zu nehmen vorstellen? Man tauscht einen schwachen Liebesschein Für echtes Gold und wahre Liebe ein. Und noch ein anderer Vergleich Erläutert diesen Geschäftsbereich. Die Decken mit Mandarinenten und Blüten648 Sind nichts anderes als Theaterrequisiten [xichang]. […]

Die Mutter stellt hier die Welt des (Liebes-)Scheins (xu, jia) der Welt des (materiell) Echten (zhen) gegenüber. Die drei geheimen Regeln, welche sie der Tochter vermitteln will, dienen zum Schutz der weiblichen Person und zum Mittel der Herrschaft über den Mann. Sie haben mit der alten chinesischen Philosophie die Termini Name (ming) und Realität (shi) gemeinsam. Was sind nun diese Regeln, und was haben sie mit dem Theater zu tun? Frau Liu: Sie lauten: Man gebe etwas nur zum Anschauen, aber lasse nicht zu, daß es verzehrt wird. Man reiche etwas dem Namen nach her, aber nicht in Wirklichkeit. Man lasse Pläne zu, aber nicht ihre Realisierung. Liu Miaogu: Was bedeutet, daß man etwas nur zum Anschauen gibt, aber nicht zum Essen? Frau Liu: Beim Schauspiel bleibt dem Menschen kein Teil des Körpers verborgen. Ist man nicht auf der Bühne, so spiele man in ähnlicher Weise mit den Männern und reize sie. Man hält ihnen jedoch nur einen Becher stark duftenden, schweren Weines vor und läßt nicht zu, daß er ihre Lippen netzt. Das heißt zum Anschauen geben, aber nicht zum Genießen. 648

Forke merkt hier an: »Gestickte Bettdecken, die sich Verliebte zu schenken pflegen.«

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Auf diese Weise werden denn alle drei Geheimregeln an die Tochter weitergegeben, die sich jedoch nicht als allzu gelehriges Kind erweist. Allerdings erklärt sie sich zur Aufführung sittsamer Spiele bereit. Und dies ermöglicht ihr, ihren Mann selbst zu wählen und das Muster der Mutter umzukehren. Aufgrund der Zunftordnung wird die Bühne ihr nicht etwa zur Ausbildungsstätte, um Männer ausnehmen zu lernen, sondern zum öffentlichen Ort, um mit dem Mann ihres Herzens heimlich anzubändeln. Denn wenn sie beide ein Liebespaar spielen, dann sind sie auf der Bühne zwar dem Namen, aber auch ihrer Wunschwirklichkeit nach Mann und Frau. So gesteht denn Liu Miaogu dem Publikum im 14. Auftritt (Zwang durch Geld, Li bi):649 Die übrigen Schauspieler fürchten aufzutreten und freuen sich, wenn sie von der Bühne herunter sind, denn auf der Bühne müssen sie sich anstrengen und nach dem Abgang können sie sich zurückziehen und faulenzen. Wir beide sind ganz anders als die anderen. Wir freuen uns aufzutreten und fürchten den Abgang. Nachdem wir abgetreten sind, müssen wir uns in acht nehmen, damit wir keinen Verdacht erregen. Sobald wir aber auf der Bühne erscheinen, können wir uns ganz als Mann und Frau geben. Auf den Brettern spricht er zu mir, als ob ich seine wirkliche Frau wäre, und ich betrachte ihn als meinen wirklichen Mann. Da ist kein Satz, der nicht das Herz durchbohrte und in die Knochen dränge. Die anderen halten das nur für den Text des Dramas. Für uns beide aber ist es Wirklichkeit, und wir betrachten den Text als wirklich.

Daß die Bühne tatsächlich eine wirkliche Ehe gestiftet hat, wird in dem aufschlußreichen Dialog zum Thema Zwangsheirat deutlich, den Mutter und Tochter ein wenig später im selben Auftritt führen:650 Liu Miaogu (sehr erschrocken): Wie kann so etwas Seltsames geschehen? Ich habe einen Gatten, und sittsame Frauen können doch nicht einen Mann mit einem zweiten vertauschen. Wie wäre eine anderweitige Verheiratung möglich? Frau Liu (erschrocken): Was für einen Gatten hast du denn? Du wirst doch nicht ohne Zustimmung deiner Eltern selbstständig eine Entscheidung getroffen und dich mit einem Manne verlobt haben? Liu Miaogu: Wie könnte ich gewagt haben, eigenmächtig zu entscheiden? In dieser Familienangelegenheit haben Vater und Mutter zusammen zugestimmt, aber man darf doch nicht den Abschluß der Ehe bereuen, nur weil jener kein Hochzeitsgeschenk hat. 649 650

FORKE (Übers.): Zwei chinesische Singspiele der Qing-Dynastie, S. 164; MA (Hg.): Li Yu quanji, Bd. 10, S. 4224. FORKE (Übers.): Zwei chinesische Singspiele der Qing-Dynastie, S. 169–173; MA (Hg.): Li Yu quanji, Bd. 10, S. 4227–4230.

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VOM LITERARISCHEN ZUM PERFORMATIVEN. DIE QING-ZEIT Frau Liu (sehr erschrocken): Wie hätte ich bei irgend jemandem zugestimmt? Ich fürchte, du hast Halluzinationen. Wenn es so ist, dann sage doch, bei wem ich zugestimmt hätte! Liu Miaogu: Bei TAN CHUYU, der den »Herrn« spielt. Du kannst es doch nicht vergessen haben? Frau Liu: Das ist sehr seltsam. Wieso hätte ich zugestimmt? Liu Miaogu: Er ist der Sohn einer Beamtenfamilie, ein Literat mit überragenden Talenten, der eine angesehene Stellung im Handumdrehen erlangen kann. Weshalb ist er gekommen, um das Schauspiel zu erlernen? Nur, weil er mich im Auge hatte. Da er mir nicht anders nahekommen konnte, so hat er das Studium der Schauspielkunst als Sprungbrett benutzt. Er fürchtete, daß er als »Maske« mit der Ersten Dame nicht zusammen sein könnte, aus dem Grund wollte er die Rolle des Ersten Herrn übernehmen. Dadurch hat er doch ganz offenbar um mich angehalten. Er konnte es nicht direkt heraussagen, daher hat er allen ein Rätsel aufgegeben. Vater und Mutter haben doch beide auch den Herrn und die Dame gespielt und gehören zum Metier. Wie sollten sie das nicht verstanden haben? Wenn ihr gegen die Heirat wäret, so hättet ihr ihn nicht in die Theaterschule aufnehmen dürfen. Nachdem ihr das getan habt, hättet ihr nicht zugeben dürfen, dass er die Rolle des Charakterspielers mit der des Herrn vertauschte. Da ihr mit beidem einverstanden wart, so habt ihr ganz klar eure Zustimmung gegeben. Weshalb wollt ihr jetzt eure Meinung ändern? Das scheint mir nicht gerecht zu sein. […] Frau Liu: Wer war denn die Heiratsvermittlerin? Liu Miaogu (singt): Die Schrift, die du am hohen Tor Des Theaters nageltest zuvor.651 Drum sage nicht, es sei nur Papier. Zur Heiratsvermittlerin wurde es mir. Frau Liu: Wenn man vor Gericht verklagt wird, dann muß man einen Zeugen haben. Wer ist denn dabei Zeuge gewesen? Liu Miaogu (singt): Der Theaterbesucher tausend Augen, Die dürften wohl als Zeugen taugen. Wer hätte von diesen wohl nicht gedacht, Daß der Himmel die Ehe zustandegebracht? Die besten Zeugen in der Nähe. 651

Alfred Forke merkt an: »Gemeint ist die Bekanntmachung, durch die ein Charakterspieler gesucht wurde.«

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Li Yu: Die chinesische Komödie Frau Liu: Du, mein Kind, bist verrückt und nicht verrückt, überspannt und nicht überspannt. Was du sagst, sind alles Frauenphantasien. Denn wie könnten Mann und Frau auf der Bühne als wirklich gelten? […] Liu Miaogu: Alle Dinge in der Welt lassen sich spielen, nur die Ehe kann nicht gespielt werden. Wenn sie nur nachgeäfft ist, muß sie wahr gemacht werden. Die anderen Schauspielerinnen geben nichts auf Ehrbarkeit und kümmern sich nicht um ihren Ruf. Sie brauchen die Ehe nicht als wahr anzuerkennen. Ich aber bin auf die Ehrbarkeit bedacht und sorge mich um meinen Namen, daher wage ich nicht, die auf der Bühne gespielte Ehe als unwirklich zu betrachten. Ich will meinen Gatten unter allen Umständen heiraten.

Mit falsch (jia) und wahr (zhen) wird oben erneut der Gegensatz von »Realitätsprinzip« und »Lustprinzip« beschworen. Die Schöne wird scheitern, so scheint es, doch sie geht aus der tatsächlichen Niederlage als Siegerin deswegen hervor, weil sie sich für ihren Untergang ein Stück zum Spielen aussucht, welches ihrer Situation gerecht wird, und weil sie sich in eine literarische Figur verwandelt, die schon einmal exemplarisch den Tod um der Liebe willen in Kauf genommen hat. Das Spiel wird damit zu einem dreifachen Spiel im Spiel: Wir schauen geistig gesehen ein Spiel (1), wo Schauspieler Theater als Theater spielen (2). Von diesen spielt eine Gestalt ihr persönliches Spiel, um ihre Nöte zu verdeutlichen und sich einen ehrwürdigen Abgang wählen zu können, der von allen, den Menschen wie den Gottheiten, akzeptiert wird. (3) Von der dramatischen Vorlage, welche Liu Miaogu wählt, haben wir bereits oben gehört. Es ist Das Dornnadeldrama (Jingchai ji)652, so die Übersetzung von Alfred Forke. Seine 26. Szene trägt die Überschrift »Der Sprung in den Fluß« (Tou jiang). Unsere Heldin erweckt im 15. Auftritt (»Gemeinsamer Tod«, Xie wang)653 ihr dramatisches Repertoire zu neuem Leben, und zwar durch Wort und Tat. Sie übernimmt aus besagtem Spiel Arien bzw. bearbeitet diese durch ihren Vortrag, sie verwandelt den Stein, der sie in die Tiefe tragen soll, zu einem lebendigen Gegenstand, der, stellvertretend für den lüsternen Bösewicht, ob ihrer Beschimpfung zu nicken beginnt.654 Was bis zu ihrem Sprung ins Wasser wie Theater wirkt, erweist sich hinterher als der letzte Moment eines ausgereizten Lebens. Aus dem Schein (ming) wird also Wirklichkeit (shi). Unter der Prämisse, daß Theater, Leben und Schein eines sind, läßt sich auch die Scheinhaftigkeit alles Seienden als deren eigentliche Wirklichkeit deklarieren. 652 653 654

Zur Rolle des Stückes im Stück s. JING SHEN: »Ethics and Theater: The Staging of Jingchai ji in Bimuyu«, in: Ming Studies 57 (2008), S. 62–101. Zur Interpretation und zum schön gesetzten Original dieser Schlüsselszene s. JIANG u.a. (Hg.): Ming-Qing chuanqi jianshang cidian, Bd. 2, S. 1118–1123. Am Ende der Ming-Zeit hat sich übrigens eine Literatur herausgebildet, die das Motiv des nickenden Steines (shi dian tou) zu ihrem zentralen Gegenstand hat, s. BARBARA BISETTO: »Perceiving Death: The Representation of Suicide in Ming Vernacular Literature«, in: SANTANGELO u.a.(Hg.): From Skin to Heart, S. 151–163.

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So erklärt der Einsiedler Murong seinen Entscheid, der Welt zu entsagen, durch den folgenden Vergleich von Theater und Amt. Dabei bedient er sich des alten kosmologischen Denkens, nach welchem auf jede Bewegung eine Ruhe folgt und umgekehrt. Sein Rat am Ende des Stückes im 32. Auftritt (»Viele Schrecken«, Hai ju) lautet:655 Solange es den Menschen nach Wunsch geht, sollten sie auch an die Zeit denken, wo dies nicht mehr der Fall ist. Im Theater zum Beispiel werden Gongs und Trommeln nicht unaufhörlich geschlagen und die Kostüme nicht beständig getragen. Da sind der Herr und die Dame, und da sind der Charakterspieler und der Komiker. Hier ist Leben und Bewegung, und dort ist Ruhe und Stille. Der Charakterdarsteller und der Komiker sind die Gegenspieler des Herrn und der Dame, und Ruhe und Stille sind das Endergebnis von Leben und Bewegung. Unter der Beamtenschaft befinden sich viele Charakterdarsteller und Komiker656 und während einer Beamtenlaufbahn kommt leicht die Zeit der Stille auf. 657 Wer die Welt versteht, wird noch während des vollen Betriebes mit Gong- und Paukenschlägen aufhören und nicht erst die Zeit der Stille abwarten, um seine Amtstracht abzulegen. Diese Worte mögen mißfallen, aber sie sind beherzigenswert.

Li Liweng wird den Komödianten zugerechnet und seine Werke werden dementsprechend als Komödien bezeichnet. Aber haben wir es im vorliegenden Fall tatsächlich mit einer Komödie zu tun? Hie und da begegegnen uns sicherlich komödiantische Dinge wie zum Beispiel in dem Kommentar der Zofe beim Anblick der aus dem Wasser gezogenen Schollen (18. Auftritt: »Rückkehr zum Leben«, Hui sheng):658 Oh, beide sind dicht zusammen und gerade bei einem wichtigen Geschäft. Sieh, wie sie gemeinsam mit dem Kopfe wackeln und mit dem Schwanze schlagen. Vor aller Menschen Augen geben sie sich der Wollust hin, so daß mir beim Anblick die Augen brennen. (Sie singt nach der Melodie Xinujiao:) Mir brennen die Augen, und ich muß sagen, Die Eifersucht quält mich, und schwer zu ertragen Ist der Anblick hier von Mann und Weib, Die zusammengefügt zu einem Leib.

655 656 657 658

FORKE (Übers.): Zwei chinesische Singspiele der Qing-Dynastie, S. 389f; MA (Hg.): Li Yu quanji, Bd. 10, S. 4356. Alfred Forke merkt an: »Viele Beamte sind Heuchler und stellen Charaktere dar, die den ihrigen nicht entsprechen, oder sie wirken grotesk.« Alfred Forke merkt an: »Die Entlassung, die auch dem besten Beamten beständig droht«. FORKE: Zwei chinesische Singspiele der Qing-Dynastie, S. 238f.; MA (Hg.): Li Yu quanji, Bd. 10, S. 4267f.

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Li Yu: Die chinesische Komödie Ich kann es nicht mitansehen und will sie auseinanderreißen. (Sie versucht es mit aller Kraft, aber vergeblich). Oh, es ist schwer, sich vorzustellen, daß ihr Den ganzen Tag zusammen könnt sein Und kein Viertelstündchen seid allein. (Sie zeigt ihrem Mann die Fische und spricht): Du unnütze alte Schildkröte [mei yong de wangba]! Du solltest Dir diese zum Muster nehmen Und müsstest dich ganz gründlich schämen, Da Bett und Laken du mit mir teilst Und doch so fern wie die Milchstrasse weilst, Wenn den Freuden du aus dem Wege gehst Und lieber dich auf die Seite drehst.

Man hat sich an einer Definition dessen versucht, was eine Komödie in China bzw. was eine Komödie bei Li Liweng sein könnte, und ist dabei zu einem allgemeinen Ergebnis für den Aufbau einer Romanze in Komödienform gekommen. Dieses sei hier zitiert, zumal es über unseren Autor hinausgeht und gemeinhin Gültigkeit beansprucht:659 Romanzen in Komödienform hatten in China mit der Suche nach Liebe und dem sozialen Stand zu tun. Der erste Akt besteht aus einleitenden Versen, welche einen Abriß der aufzuführenden Geschichte bieten. Diese werden von einem Bühnenmeister gesungen, der die Persona des Autors vertritt. Die zweite Episode führt den Protagonisten ein. Er ist ein junger Mann von großen, aber noch nicht anerkannten Fähigkeiten. Er ist noch nicht verheiratet und schaut sich nach einer idealen Partnerin um. Er ist arm und hat keine Beziehungen. Oftmals ist er gar eine Waise. Die dritte Episode führt die Protagonistin ein, die anmutig und gebildet ist. Sie wird a) die Tochter einer (gewöhnlich gutpositionierten) Beamtenfamilie sein oder b) eine berühmte Kurtisane, deren Gunst von allen jungen Männern der Region (gewöhnlich Jiangsu und Zhejiang, bekannt als das Land Wu) gesucht wird. Als Kurtisane stammt sie oftmals aus guten Verhältnissen, wurde aber durch ein Unglück von ihrer Familie getrennt. Die nun folgenden einzelnen Episoden entwerfen ein Bild des ersten Kontaktes von Held und Heldin. Dieser geschieht stets heimlich und ist von heikler Natur. Typischerweise kommt er durch einen Austausch von Gedichten zustande. Die Protagonistin bewundert den Protagonisten und leidet unter seiner Abwesenheit, was sie poetisch und redegewandt zum Ausdruck bringt. Gleichwohl bleibt sie unerreichbar, entweder auf Grund ihres Prestiges oder des Ansehens ihrer Familie. Oder aber auch, wenn sie eine Kurtisane ist, auf Grund der Gier ihrer professionellen »Stief659

Unter Auslassung der Anmerkungen übersetzt nach HENRY: The Chinese Amusement, S. 9f. Ich muß gestehen, daß mir die Definitionen von Komödie im chinesischen Kontext, die auf den Seiten 3 und 4 zuvor gegeben werden, nicht einsichtig geworden sind.

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VOM LITERARISCHEN ZUM PERFORMATIVEN. DIE QING-ZEIT mutter«, der für die Auslösung eines solch wertvollen Besitzes eine immense Summe geboten werden muß. Die gegenseitige Treue kommt symbolisch durch ein Pfand zum Ausdruck, welches ein Fächer oder ein Armband sein kann, die später als Mittel zur Erkennung dessen dienen, was richtig und was falsch ist. Romanzen entlehnen ihren Titel oftmals Liebeszeichen wie diesen. Zwei Typen von Bösewichtern treten generell während des Erzählvorgangs auf. Der erste ist eine ungehobelte Autoritätsperson (oft ein reicher Kaufmann, manchmal ein verdorbener Beamter), die die Protagonistin zur Konkubine verlangt. Der zweite ist ein ehrgeiziger Bandit oder aufständischer General, der die Dynastie stürzen und sich zum Kaiser machen möchte. Die soziale Unruhe, die durch die militärischen Aktionen heraufbeschworen wird, bringt oftmals Held und Heldin auseinander oder trennt diese von ihren Familien mit der Folge von viel Leid oder manch Abenteuer. Der Rebell, der Verräter oder der Invasor haben als Gegenspieler einen tugendhaften und loyalen General, der mit dem Protagonisten bekannt ist oder dessen Bekanntschaft macht. An einer bestimmten Stelle des Geschehens bricht der Held zur Hauptstadt auf und macht dort die höchste Prüfung, welche er mit Glanz besteht, normalerweise als der beste. Dies veranlaßt oftmals die hohen Beamten der Hauptstadt (typischerweise einschließlich des Premierministers), ihn als Schwiegersohn zu suchen. Dieser lehnt normalerweise aus Treue zur Heldin Angebote dieser Art ab und zieht sich häufig den Haß eines hohen Beamten auf Grund seiner Weigerung zu. Der Beamte rächt sich, indem er den Helden in Schwierigkeiten bringt und ihn entsprechend auf einen gefährlichen oder ungeliebten Posten schickt. Der Protagonist legt Raffinesse oder Tapferkeit an den Tag, so daß er die Nöte durchsteht, und erwirbt dabei oftmals kaiserliche Gunst, indem er zur Niederlage einer für die Dynastie gefährlichen Rebellion oder Invasion (normalerweise durch den Vorschlag militärischer Maßnahmen) beiträgt. Inzwischen hat die Protagonistin auf kluge oder heroische Weise die Absichten der ungehobelten Person, die sie zur Konkubine machen will, durchkreuzt. Oft ist sie zu einem Selbstmordversuch, gewöhnlich durch Ertrinken, gezwungen. Glücklicherweise wird sie aber gerettet, oft durch Nonnen, Priester, Heilige oder durch weise und gute Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten. Ihre Retter emöglichen ihr, ein zweites anonymes Leben zu beginnen, von welchem ihre Familie, ihr Verfolger und ihr Verlobter nichts wissen. Ostmals wissen die Liebenden nicht, daß ihr Partner noch lebt. In Fällen wie diesen zwingen sie die Eltern oder Ersatzeltern zur Heirat. Wobei erst im letzten Moment allen klar wird, daß der jeweilige Heiratspartner niemand anders als die langvermißte versprochene Person ist. Ob auf diese oder andere Weise, es gelingt den Protagonisten, schließlich über ihre Feinde und den elterlichen Widerstand zu triumphieren und zu aller Zustimmung und Freude zu heiraten. Oder aber, falls sich die Schwierigkeiten als unüberwindlich erweisen sollten, werden sich ihre Seelen treffen und sich in ständiger Wonne zu einem Leben danach niederlassen.

Gehen wir von einer herkömmlichen Definition für Komödie aus, wie sie im Abendländischen üblich ist, also von einem Bühnenstück, welches einen nur schein-

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Li Yu: Die chinesische Komödie

baren Konflikt dramatisch gestaltet und diesen nach Entlarvung menschlicher Schwächen heiter löst, so haben wir es im Chinesischen bestenfalls mit Situationskomik, nicht aber mit einem komischen Spiel als ganzem zu tun. Die Schollen betreiben keine Entlarvung von Scheinwerten. Die Werte stehen von Anfang an fest und werden nicht in Zweifel gezogen. Es wird zwar gegen sie verstoßen bzw. zu verstoßen versucht, doch sie werden mitten im Spiel und an dessen Ende unzweideutig bestätigt. Eine Komödie im abendländischen Sinne ist wohl nur dort möglich, wo sich der Geist, ausgesöhnt mit dem Wirklichen, nachsichtig und liebevoll über seinen Gegenstand erhebt. Eine solche Leichtigkeit scheint jedoch dem chinesischen Geist abzugehen, denn selbst im 20. Jahrhundert findet sich nur ein einziger nennenswerter Komödiant!660 Da das, was im obigen Zitat der amerikanische Sinologe Eric Henry (geb. 1943) repräsentativ zu unserem Gegenstand zu sagen hat, auch ein bezeichnendes Licht auf unseren Autor wirft, dürfen wir schließen, daß bei aller Vorliebe, welche Li Liweng zu Recht bei seiner westlichen Leserschaft genießen darf, wir es im Falle der Komödien zwar vielleicht mit Innovationsstücken im chinesischen Kontext zu tun haben, doch nicht mit einem wegweisenden Theater in Richtung Moderne. Seine Dramen haben, wie wir dem nachfolgenden Unterkapitel indirekt entnehmen können, keine Geschichte gemacht und werden sie auch nie machen. Der chinesische Geist der Bühne war nach den großen und folglich nie mehr eingeholten drei Theatermachern, Hong Sheng, Kong Shangren und Li Liweng, eher auf Unterhaltung, auf Konfliktmeidung, auf Popularität eingestellt. Damit hatte wesentlich das Kaiserhaus, die Kaufmannschaft und das öffentlich gesuchte und ermöglichte Vergnügen der Städte zu tun.

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Nämlich Ding Xilin (1893–1974). Zu seinen Stücken s. die zahlreichen Übersetzungen von Marc Hermann in den Ausgaben der minima sinica der letzten Jahre.

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5. Die Pekinger Oper Um den Gang der Dinge nicht allzu sehr einem chronologischen Muster anzupassen, war es notwendig gewesen, hie und da der Entwicklung des chinesischen Theaters zeitlich vorzugreifen. Im folgenden wird also mitunter etwas zur Sprache kommen, was anderswo schon irgendwie angesprochen war, jetzt aber vertieft werden muß. Nun ist es eine Tatsache, daß sich mit der Qing-Dynastie das chinesische Drama vom Lesestoff zur reinen Aufführung zurückentwickelt. Es wird Spektakel und geht über seine eigentliche Verankerung im religiösen Kult der Jahreszeiten hinaus. Es wird in Peking täglich und an festem, öffentlichem Ort aufgeführt, löst sich damit von den Tempeln und Märkten, bringt alle Gesellschaftsschichten gleicherweise zusammen. Ob Kaiser, Gelehrter oder Volk, die starren sozialen Grenzen auf der Suche nach Unterhaltung und Vergnügen beginnen durchlässig zu werden. Die Sprache steht nicht (mehr) im Vordergrund, die Geschichte, die sie zu tragen und zu unterstützen hätte, wird unwichtig. Warum das so ist, darauf werden wir noch zu sprechen kommen. Zunächst seien die Konsequenzen für unsere Geschichtsschreibung aus diesem Fakt gezogen. Wo die Sprache ins zweite Glied tritt, tritt anderes in den Vordergrund. Es sind dies in der Pekinger Oper der eingängige Gesang, die instrumentelle Begleitung durch die Kniegeige, die atemberaubende Akrobatik, die prächtige Kostümierung und Maskierung sowie die mitunter obszöne Gestik. Je nach Schwerpunkt müßte also unsere Theatergeschichte nicht mehr als Literaturgeschichte, sondern als Musikgeschichte etwa fortgeschrieben werden. Das erforderte jedoch ein anderes Spezialistentum und richtete sich folglich auch an ein anderes Publikum. Daher sei, um den historischen Wandel verständlich zu machen, das Wesentliche zusammengefaßt, zumal die Sekundärliteraturlage exzellent ist und kaum etwas Neues hinzuzufügen ist.661 Da der Text an 661

Ich folge hier DOLBY: A History of Chinese Drama, und MACKERRAS: The Rise of the Peking Opera 1770–1870. Beide Werke sind übrigens auch Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen immer noch als Standard zu betrachten! Mackerras, der viel zu konkreten Dingen wie Einkünften, sozialer Status, Homosexualität etc. zu sagen hat, faßt seine Erkenntnisse drei Jahre später in einem neuerlichen Werk zusammen, s. MACKERRAS: The Chinese Theatre in Modern Times, S. 27–49. Zu einer Bibliographie zum Thema s. DANIEL SHIH-P’ENG YANG: An Annotated Bibliography of Materials for the Study of the Peking Theatre, Madison: The University of Wisconsin 1967 (= Wisconsin China Series; 2). Zur Problematik einer Übersetzung von Pekinger Opern s. MEI-SHU HWANG [d.i. Huang Meixu]: »Translating the Verse Passages in Peking Opera: Problems and Possibilities«, in: Tamkang Review VII.2 (1976), S. 93–122, VIII.1 (1977), S. 171–206; DERS.: »Translating the Dialogue of Peking Opera for the Stage: Some Linguistic Aspects«, in: Tamkang Review XII.1 (1981), S. 55–84. Von demselben Verfasser, einem Spezialisten für chinesisches Theater an der Chinese Culture University in Taipeh, stammen auch verschiedentliche Einführungen in die Pekinger Oper: »A Brief Introduction to Peking Opera«, in: Tamkang Review XII.3

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Die Pekinger Oper

sich unwichtig wird, dient die Pekinger Oper der ausgehenden Kaiserzeit nicht wenigen Fachleuten als Möglichkeit, am Beispiel von Schauspielern eher eine Sozialgeschichte zu schreiben oder am Beispiel von praktischen Dingen wie Form der Bühne, Sicherheit des Theaterbaus, Anordnung der Sitzplätze usw. etwas zum konkreten Verständnis des materiellen Unterhaltungswesens beizutragen. Das Jahr 1790 war bereits als Stichdatum verschiedentlich genannt worden. Was hat es nun damit auf sich? Im Zuge der Geburtstagsfeierlichkeiten für Kaiser und Kaiserin, aber ebenso für Konkubinen war es seit 1713 verstärkt zu Paraden und Volksbelustigungen in Peking gekommen, an denen ganz wesentlich auch Schauspieler beteiligt waren. Es kam zu Massenumzügen mit Tausenden von Aktivisten und zum zeitweiligen Aufbau zahlreicher Theater, um die Menschen auf den Straßen in die Feiern miteinzubeziehen. Um das Spektakel am Hofe selbst besser würdigen zu können, bedurfte es nun größerer Bühnen, welche es den überirdischen Mächten erlaubten, auch sichtbar zwischen Himmel und Hölle zu verkehren. So erfand man die Bühne mit drei Stockwerken, von denen sich eine heute noch im Sommerpalast befindet.662 Um das Bedürfnis nach einer immer größeren Zahl von Schauspielern befriedigen zu können, bedurfte es gleichsam aller Kräfte aus den Provinzen, wo man bekanntlich 300 Lokalstile zählte. Dies war insbesondere 1790 der Fall, als der Qianlong-Kaiser bei Anwesenheit von Ausländern seinen Geburtstag ganz besonders prächtig feiern ließ. Unter den anreisenden Schauspieltruppen befanden sich auch vier große Unternehmen aus der Provinz Anhui, deren populärer Musikstil und deren attraktive Schaukunst in Verbindung mit anderen Regionalstilen allmählich zur Ausbildung der Pekinger Oper führten. Man kann sich leicht ausmalen, daß bei dem ständigen Bedürfnis des Hofes nach Selbstrepräsentation als die größte zivile Macht der Welt – übrigens auch gegenüber Delegationen aus dem Ausland663 – die Schauspieler sich in Peking niederzulassen hatten, so daß alle möglichen Künstler vor Ort waren, vor Ort verblieben, sich gegenseitig beeinflußten und in einer Art Gilde organisierten. Dabei konnten

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(1982), S. 315–329; »Peking Opera: Simplicity out of Necessity«, in: Tamkang Review XIII.3 (1983), S. 267–278. In diesem Zusammenhang s. des weiteren Wei Tze-yün [d.i. Wei Ziyun]: »The Treatment of Time and Space on Peking Opera Stage«, in: Tamkang Review XII.3 (1982), S. 285–293. Neuere nützliche Studien zu praktischen Aspekten sind YI BIAN: The Cream of Chinese Culture. Peking Oper, Peking: Foreign Languages Press 2005; YAN QUN (Hg.): The Facial Makeup in Beijing Opera of China, Harbin: Heilongjiang Publishing Group 2000 (zweisprachige Ausgabe). S. hierzu WILT L. IDEMA: »Performances on a Three-tiered Stage Court Theatre During the Qianlong Era«, in: LUTZ BIEG, ERLING VON MENDE u. MARTINA SIEBERT (Hg.): Ad Seres et Tungusos. Festschrift für Martin Gimm, Wiesbaden: Harrassowitz 2000 (= opera sinologica; 11), S. 201–219. Eine mehrstöckige Bühne kannte man in Deutschland übrigens schon seit der Barockzeit! S. hierzu YE XIAOQING: »Ascendant Peace in the Four Seas: Tributary Drama and the Macartney Mission of 1793«, in: Late Imperial China 26.2 (2005), S. 89–113.

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VOM LITERARISCHEN ZUM PERFORMATIVEN. DIE QING-ZEIT

einzelne Sänger durch ihre Massenwirkung zu Stars664, ja sogar reich werden. Die Aufmerksamkeit der zahlreichen Zuschauer sicherten sie sich nicht selten selbst durch Obszönitäten in Wort und Gestik. Schauspiel, Homosexualität und männliche Prostitution665 gingen übrigens Hand in Hand, so daß auch in letzterer Hinsicht sich die Schichten zu mischen begannen. So enstand allmählich im 19. Jahrhundert aus dem Amalgam der Singspiele von Anhui, Hubei, Shanxi und Shaanxi schließlich das, was heute unter dem Namen Pekinger Oper bekannt ist und sich großer Beliebtheit nicht nur beim einfachen Volk, sondern ebenso bei den gelangweilten Aristokraten erfreute. Der Siegeszug wurde begünstigt durch die Errichtung zahlreicher öffentlicher Theater, die, ganztägig spielend, zum Mittelpunkt sozialen Lebens wurden und das theatralische Spiel nach und nach zu säkularisieren begannen. Die Spiele und Paraden hatten, wie schon angedeutet, aber oft noch übernatürliche Züge. Sie basierten auf Geschichten von Göttern und Unsterblichen, Geistern und Ungeheuern. Am beliebtesten war das bereits vielfach erwähnte Spiel von Mulian als Retter seiner Mutter aus der Unterwelt. Eine Aufführung wie diese wurde ideologisch verstanden als ein Kampf gegen die finsteren Mächte, sie wurde damit politisch als der Kampf des Kaisers gegen alle Widerstände in der Welt interpretiert. Dies gilt insbesondere nach der Niederwerfung einer Rebellion für das Jahr 1683. Bei der Siegesfeier wurden selbst lebendige Tiere wie Löwen, Elefanten, Kamele mitgeführt, so daß man von der Dominanz des Performativen über das gesprochene bzw. gesungene Wort ausgehen darf. Obwohl der Hof bis 1908 Geburtstage und Beerdigungen immer wieder durch und auf Bühnen mitfeiern ließ, obwohl ein Kaiser wie Qianlong es an sich gern sah, während seiner sechsmaligen Reisen in den Süden (seit 1751) von den reichen Salzkaufleuten von Yangzhou durch Theaterspiele empfangen zu werden, war den Machthabern in Peking gleichwohl immer die Gefahr bewußt, die mit dem öffentlichen Schauspiel einherging. Auch vor und nach der bereits erwähnten Inquisition (1774–1782) war es zum Verbot von bestimmten Theatern, bestimmten Stilen, bestimmten Stücken666 etc. gekommen. Verallgemeinernd läßt sich sagen, daß der Hof und das Theaterwesen fast während der gesamten Regierungszeit miteinander ein Katz- und Mausspiel trieben. Daß trotz aller Vernichtung von 664

665

666

Vgl. hierzu auch CATHERINE VANCE YEH: »Where is the Center of Cultural Production? The Rise of the Actor of National Stardom and the Beijing / Shanghai Challenge (1860s– 1910s)«, in: Late Imperial China 25.2 (2004), S. 74–118. Zu diesem Thema empfiehlt sich neben MACKERRAS: The Rise of the Peking Opera 1770– 1870 an neuerer Literatur mit zahlreichen Literaturangaben ANDREA S. GOLDMAN: »Actors and Aficionados in Qing Dynasty Texts of Theatrical Connoisseurship«, in: HJAS 68.1 (2008), S. 1–56. Die Autorin behandelt hier vor allem die Blumenspiegel (huapu, eine Art Theaterführer, der auch die Würdigung junger käuflicher Schauspieler miteinschloß. Zum Verbot von Stücken mit dem Thema der wollüstigen Nonne s. ANDREA S. GOLDMAN: »The Nun Who Wouldn’t Be: Representations of Female Desire in Two Performance Genres of ›Si Fan‹«, in: Late Imperial China 22.1 (2001), S. 71–138.

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Die Pekinger Oper

Büchern und der Hinrichtung von Autoren das Schauspiel, welcher Art auch immer, nicht gänzlich zu unterdrücken war, hat einfache Gründe: Sei es, daß Mitglieder des Hofes sich selber nicht immer an die Verbote hielten, sei es, daß das Theater vielfältig Arbeit bot bzw. in seinem Umkreis möglich machte, sei es daß die Künstler Mittel und Wege fanden, Restriktionen zu mildern. Die Schließung eines Hauses bedeutete ebenfalls für andere außerhalb des Gewerbes den Verlust einer guten Einnahmequelle. Die enge Interaktion von Drama und Gesellschaft zeigt das negative Beispiel der letzten Kaiserin. Selbst in Zeiten höchster staatlicher Not konnte sie sich tagelang der Faszination der Pekinger Oper überlassen, statt ihr notwendiges, politisches Geschäft zu betreiben. Der Hof brauchte das Theater zwar zu seiner permanenten Unterhaltung, zu seiner Selbstbestätigung und als Propagandamittel, doch fürchtete er nicht zu Unrecht den Schaden, der vom Umfeld der Bühne ausgehen konnte. Sehen wir einmal von den schon angesprochenen Dingen wie politischer Zensur und Verweichlichung der Soldateska ab, so konnte ein Theaternarr sich finanziell ruinieren oder öffentliche Gelder zur Bezahlung privater Ensembles mißbrauchen. Aufläufe von Tausenden von Menschen blockierten Straßen und boten zwielichtigen Gestalten billige Gelegenheiten. Die gesellschaftliche Ordnung war nicht selten gefährdet. Mann und Frau kamen beim Hören und Sehen von erotischen und vulgären Dingen auf andere als die von ihnen erwarteten züchtigen Gedanken. Auch wenn der Hof eine Stärkung der Moral durch private oder öffentliche Aufführungen erhoffte, das Gegenteil konnte oft eintreten, so daß selbst eine spektakelhafte Inszenierung von Mulians hehrer Rettungstat Opfer eines Verbotes werden konnte. Die Verfolgung von Bühnenautoren mag nur ein Anlaß gewesen sein, warum immer weniger Gebildete bereit waren, ihren Namen als Verfasser kundzugeben. Der Übergang von der Literatur zur Performanz war ebenso ein Übergang von einer hohen Kunst zu einer mitunter fragwürdigen Unterhaltung. Mit Stücken von geringer ästhetischer Spannkraft667 konnte man den eigenen Namen nur ruinieren. Die allmähliche Etablierung der Pekinger Oper bedeutete den langsamen Untergang der Romanze. Letztere verabschiedet sich mit dem Beamten Jiang Shiquan (1725–1785), dessen Stücke als unaufführbar, als altmodisch galten.668 Hiermit vollzieht sich ein entscheidender Wandel: Die hohe innerliche und sprachliche Kunst war nicht mehr gefragt. An die Stelle des Elitären und des immer weniger Verständlichen hatte das Volkstümliche zu treten, das sich in vielen Schaueinlagen 667 668

Zu deren Übersetzung s. FORKE (Übers.): Elf chinesische Singspieltexte aus neuerer Zeit, S. 21ff. Zu diesem Urteil s. LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 4, S. 363. Zuvor wird (ab S. 357) sein Leben (Doktorat von 1757) und sein Werk abgehandelt. Seine Romanze – manche schreiben chuanqi, manche Kunqu, manche zaju – Die bunte Steinbühne (Caishi ji, um 1770), die den Dichter Li Taibai (701–762) zum Thema hat, wurde übersetzt von FORKE (Übers.): Zwei chinesische Singspiele der Qing-Dynastie, S. 395–448.

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VOM LITERARISCHEN ZUM PERFORMATIVEN. DIE QING-ZEIT

gefiel, insbesondere dank seiner Akrobatik. Im Angesicht der aufziehenden Gefahr aus Ost und West wurde plötzlich das Militärische wichtig, welches die Rolle des laosheng, des Alten, des Patrioten, in den Vordergrund treten ließ. Die Pekinger Oper ließ sich für nationale Belange instrumentalisieren. Die Kulturrevolution war ihr unrühmlicher Höhepunkt.

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Ausblick: Zum Problem von Innovation und Konvention

Li Liweng ist nicht müde geworden, dem Mongolendrama den Vorzug vor der Romanze zu geben. Sehen wir einmal von Tang Xianzu ab, so ist sein Urteil nicht einfach von der Hand zu weisen. Besagte Spielform weist einen klaren Aufbau und einen luziden Plot auf. Ihre Sprache genügt oftmals hohen Ansprüchen, sie hat sich noch nicht auf ein festes Repertoire verlegt, welches ständig wiederholt bzw. variiert wird. Mit der ausgehenden Ming- und der beginnenden Qing-Zeit ändert sich das: Es wird fast nur noch längst Bekanntes aufgearbeitet. Zu guter Letzt sind mit der Dominanz der ca. 300 Lokalstile, insbesondere der Pekinger Oper, ebenso die Sprache als Kunst und der Inhalt als ernstliches Anliegen aufgeweicht und veräußerlicht. Dem trägt inzwischen auch die Sinologie Rechnung, welche ihren theatralischen Gegenstand der ausgehenden Kaiserzeit sehr gern zum Anlaß nimmt, um andere Dinge als die rein literarischen zu verhandeln und nicht ohne Grund auf soziologische Fragestellungen auszuweichen.669 Doch wir wollen gerecht sein. Trotz einer inzwischen reichlich angewachsenen Sekundärliteratur zum chinesischen Theater läßt sich eher von einem schwunghaften Beginn als einem baldigen Höhepunkt der wissenschaftlichen Untersuchungen zu unserem Gegenstand sprechen. So hat man immer wieder Überraschendes zu gewärtigen. Behandelt zum Beispiel Josephine Huang Hung in ihrer verdienstvollen Geschichte des Dramas zur Ming-Zeit (Taipeh 1966) einen in Theorie und Praxis ausgewiesenen Theatermann wie Meng Chengshun (1598–1684) überhaupt nicht, ja, erwähnt ihn nicht einmal, so beginnt auf dem Festland seit den 80er Jahren eine schnelle Aufwertung seines Werkes und seiner Person. Diese macht sich vor allem an seiner fünzig Aufzüge umfassenden Romanze Die Aufzeichnung von Wang Jiaoniang und Feihong (Jiao Hong ji), 1636)670 fest. In der Tat finden wir in dieser 669

670

Vgl. in diesem Zusammenhang z.B. SIU LEUNG LI [d.i. Li Xiaolang]: Cross-Dressing in Chinese Opera, Hongkong: Hong Kong UP 2006. Der Autor behandelt Frauen in Männerkleidern bzw. Männer in Frauenkleidern auf der chinesischen Bühne. Oder: QINGYUN WU [d.i. Wu Qingyun] (Hg., Übers.): A Dream of Glory (Fanhua meng): A Chuanqi Play by Wang Yun, Hongkong: Hong Kong UP 2008. Das Werk stellt im Rahmen weiblicher Bühnenkunst die Dramaterikerin Wang Yun (1749–1819) vor. Zum Werk des Wang Yun s. auch PAUL S. ROPP: »Now Cease Painting Eyebrows, Don a Scholar’s Cap and Pin«, in: Ming Studies 40 (1998), S. 86–110. Oder: PIERRE-ÉTIENNE WILL: »La Vertu Administrative au Théâtre. Huang Xieqing (1805–1864) et Le Miroir du Fonctionnaire«, in: Études Chinoises XVIII.1–2 (1999), S. 289–367. Der Verfasser behandelt in dem Kunqu Juguan jian (Der Beamtenspiegel, um 1855) hauptsächlich die Szenen, die mit dem Opium-Krieg (1840–1842) zu tun haben. Zu einem kommentierten Auszug besagten Stückes s. JIANG u.a. (Hg.): Ming-Qing chuanqi jianshang cidian, Bd. 2, S. 1434–1438 (5. Akt). Oder: JUDITH T. ZEITLIN: »Spirit Writing and Performance in the Work of You Tong (1618–1704)«, in: T’oung Pao LXXXIV (1998), S. 102–135. Die Verfasserin beschäftigt sich hier mit einem dramatischen Schaffen im Trance-Zustand. Zu kommentierten Auszügen aus dem Stück Himmelsmusik (Juntian yue, 1657) des You Tong s. JIANG u.a. (Hg.): Ming-Qing chuanqi jianshang cidian, Bd. 2, S. 874–882 (Die Akte 15 und 22). Zum Original s. WANG (Hg.): Zhongguo shi da gudian beiju ji, S. 343–493. Zur Einschätzung des Gesamtwerkes von Meng Chengshun s. den ausführlichen Beitrag von WILT L. IDEMA

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AUSBLICK: ZUM PROBLEM VON INNOVATION UND KONVENTION

Liebestragödie trotz der Adaption früherer Vorlagen und trotz des unvermeidlichen Happyends inhaltlich Neues und auch Erstaunliches. Die Heldin will »einen Mann ihres Herzens« (tongxin zi), und sie will »ihren guten Partner selber suchen« (zi qiu liang’ou). Sie und ihr Liebster, dem übrigens die Heirat wichtiger als die höchste Staatsprüfung ist, möchten beide »ein Herz und eine Seele« (liangliang tongxin) sein. Kurz, es soll das Herz zum Herzen sprechen. Doch wie üblich sind die Umstände gegen sie, so daß sie den Tod suchen und gemeinsam begraben werden. Just an dieser Stelle beginnt die Tragödie, in die Klischees von der Auferstehung und der Himmelfahrt zu den Genien umzuschlagen. Die Liebenden werden nun auf Grund ihrer »übergroßen Liebe« (qing zhi) selber zu Unsterblichen, weil eine solch große Liebe auch zur Einsicht in höhere Welten berechtigen kann. Wollen wir ein solches Umschlagen von Innovation zu Konvention nicht zum Anlaß eines weiteren Unbehagens am möglichen Ungenügen des späten chinesischen Theaters nehmen, so hilft eigentlich nur ein Umweg über die allgemeine Theatergeschichte. Solange wir im Rahmen der chinesischen Theatergeschichte bleiben und nicht von der Weltliteratur her unseren Blick auf ihre Probleme richten, wird unser Urteil kaum objektiv ausfallen können. Es war oben schon immer wieder auf Parallelen zur Geschichte des deutschen Theaters verwiesen worden. Hier sollen nun zu guter Letzt Dinge angesprochen werden, die, weil sie von außen kommen, die sich langsam einschleichende Enttäuschung über die Abnahme literarischer Qualität und Originalität auf der chinesischen Bühne mildern helfen. Es scheint nach Jahrhunderten der Dominanz des chinesischen Theaters auf der Weltbühne sich im 18. Jahrhundert ein Wechsel zu vollziehen: Das chinesische Bühnenspiel tritt literarisch zurück und wird vom europäischen Spiel an weltliterarischer Bedeutung überflügelt. Scheinbar bis heute. In Wahrheit sind die Dinge viel komplexer.671 Das europäische Theater kennt zwei Geburtsstätten und Geburtsstunden: Athen im 5. Jahrhundert v.Chr. und das christliche Mittelalter seit dem 13. Jahrhundert. In beiden Fällen ist sein Ausgangspunkt das Kultische: Zum einen wird für die Götter gespielt, zum anderen wird die Leidensgeschichte von Jesus Christus nachgestellt. Wie im Falle der Qing-Dynastie bereiteten die tagelangen

671

in NIENHAUSER (Hg.): The Indiana Companion to Traditional Chinese Literature, Vol. 2, S. 112–116, sowie LIAO u. LIU (Hg.): Zhongguo xiqu fazhan shi, Bd. 3, S. 397–403. Eine kurze, aber tiefgründige Analyse bietet RICHARD G. WANG: »The Cult of Qing: Romanticism in the Late Ming Period and in the Novel Jiao Hong ji«, in: Ming Studies 33 (1994), S. 26–29. Dagegen fällt die Deutung von drei Schlüsselszenen bei JIANG u.a. (Hg.): MingQing chuanqi jianshang cidian, Bd. 1, S. 681–695, recht enttäuschend aus. Im folgenden verdanke ich meine Kenntnisse, die ich im einzelnen nicht ausweise, ERIKA FISCHER-LICHTE: Kurze Geschichte des deutschen Theaters; DIES.: Geschichte des Dramas 1. Von der Antike bis zur deutschen Klassik; 2. Von der Romantik bis zur Gegenwart, Tübingen u. Basel: Francke 21999; DIES.: Semiotik des Theaters, Bd. 1: Das System der theatralischen Zeichen, Tübingen: Narr 52007; Bd. 2: Vom »künstlichen« zum »natürlichen« Zeichen – Theater des Barock und der Aufklärung, Tübingen: Narr 52007; Bd. 3: Die Aufführung als Text, Tübingen: Narr 41999.

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Ausblick: Zum Problem von Innovation und Konvention

Massenspektakel der kollektiv verfaßten und auf bekannten Stoffen basierenden Oster- bzw. Passionsspiele im 15. und 16. Jahrhundert den Ordnungsmächten große Kopfschmerzen: Wirkliche oder vermeintliche Exzesse bei Aufführungen im Freien führten seit 1570 immer wieder zu Verboten. Aber auch nach der Errichtung eines ersten festen Hauses672 für das Theaterspiel im London des Jahres 1576 nahmen die bedenklichen Stimmen in Europa nicht ab. Man beklagte Sittenlosigkeit und das zwanglose Zusammensein von Mann und Frau. Wir kennen Argumente wie diese aus China, und wer die Geschichte des Theaters im Abendland aufmerksam verfolgt, wird immer wieder auf das Stichwort Verbot stoßen. Verbote hat es zwischen Paris, Wien und Berlin nicht weniger gegeben als in Peking auch. Was uns bei all den Parallelen, die selbstverständlich ebenso die Verherrlichung der Herrschenden durch die Bühne miteinschließen, künftig eher interessieren sollte, ist neben der commedia dell’arte (seit 1545) der Übergang vom Spiel als Sprechakt zum Spiel als Performanz. Die commedia dell’arte kannte wie das Mongolendrama einen festen Satz von Masken und Rollen, ihre Thematik war bekannt, der Improvisation fiel ein guter Teil der Aufführung zu, und auch sie baute auf Gegensätzen auf wie »Herr und Knecht«, wie Alt und Jung, wie Mann und Frau etc. Was nun die Sache mit der Performanz angeht, so hat sich das 20. Jahrhundert unter dem Einfluß des (ost)asiatischen Theaters vom Theater als reiner Sprechbühne verabschiedet und den Körper sowie dessen Gestik, Bewegung, Stimme in den Mittelpunkt gestellt. Das Sprechen ist damit sekundär geworden. Die Grundlagen sind hierfür zwischen 1900 und 1930 gelegt worden, als sich immer mehr die Erkenntnis durchzusetzen begann, daß der bürgerliche Individualismus und mit ihm das bürgerliche Illusionstheater gescheitert waren. Der Mensch handelt nicht mehr, es wird bestenfalls mit ihm gehandelt. Er wird durch das Kollektiv ersetzt. Der Begriff der Handlungshemmung, der für den einzelnen in der Moderne immer mehr an Wichtigkeit gewinnt, signalisiert auch, daß an eine Handlung im eigentlichen Sinne auf einer Bühne nicht mehr zu denken ist. Es ist daher kein Wunder, daß die Erneuerung des europäischen Bühnenspiels über eine (ost)asiatische Kultur erfolgte, deren Ich weniger stark ausgeprägt war, deren kollektive Schicksalsgläubigkeit dagegen um so mehr. Die Entliterarisierung und Retheatralisierung des Theaters hat am Ende des 20. Jahrhunderts zur Folge, daß kaum mehr Theaterstücke im traditionellen Sinne mit Handlung, Plot und ausgefeiltem Dialog geschrieben werden. Vielmehr bereitet man oftmals Bekanntes auf und verfremdet es. Als ein gutes Beispiel wäre hier 672

Natürlich gab es bereits feste Theater im antiken Athen (seit ca. 580 v.Chr.) und im antiken Rom (seit ca. 240 v.Chr.), s. ENNO BURMEISTER: Antike griechische und römische Theater, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006. Auf S. 15 wird hier interessanterweise die kreisrunde Form des Tanzplatzes (orchestra), der sich im Zentrum eines griechischen Tempels befand, auf die Form eines Dreschplatzes zurückgeführt. Von Dreschplatz als einem ersten Ort des chinesischen Theaters war bei uns auch oben die Rede gewesen!

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AUSBLICK: ZUM PROBLEM VON INNOVATION UND KONVENTION

Heiner Müllers (1929–1995) Hamletmaschine (1977)673 anzuführen, welche wie eine Pekinger Oper aus lauter bekannten Versatzstücken besteht und als einzig neu für sich lediglich die pessimistische Weltanschauung des Autors in Anspruch nehmen darf. Großes Sprechtheater im alten Sinne wird hier nicht geboten, ja, es läßt sich gar die »Literaturfähigkeit« in diesem Fall bezweifeln. Selbstverständlich steht außer Frage, daß Aufführungen von Heiner Müllers Stücken dank ihrer in Szene gesetzten Wucht eine tiefe Wirkung bei der Zuschauerschaft erzielen, aber lesen mag oder braucht man diese eigentlich nicht. Die Sprache tritt hinter dem Körper als Zeichen zurück. Wenn überhaupt gesprochen wird, so wird zum Beispiel gestammelt oder gebrüllt. Die Stimme ist nicht mehr Ausdruck eines hohen Geistes, sondern Medium eines geschundenen Leibes, dem mit den einstigen Werten des Abendlandes keinesfalls beizukommen ist. Ein solches Theater ist kaum noch nach der eigenen Tradition zu beurteilen, es bedarf neuer Kriterien. Ähnlich ließe sich auch im Falle von China argumentieren: Was immer die treibenden Kräfte gewesen sein mögen, sie haben seit dem 18. Jahrhundert die Sprache als Träger des chinesischen Geistes in ihrer Bedeutung reduziert und darüber die Körpersprache perfektionieren helfen. In Folge war nicht mehr der Autor bedeutsam, sondern der Schauspieler, der seit dem 18. Jahrhundert als einzigartig immer mehr in den Vordergrund trat und im 20. Jahrhundert in der bereits erwähnten Gestalt des Mei Lanfang kulminierte. Eine rein literarische Sicht der chinesischen Bühne als einziges Kriterium verbietet sich daher. Wie im Falle des abendländischen Theaters im 20. Jahrhundert wäre es nun an der Zeit, die Theorie der Performanz ins Spiel zu bringen und vielleicht unter diesem Gesichtspunkt unser Geschäft einer Geschichte des (späten) chinesischen Theaters neu zu beginnen. Doch dies sei kommenden Generationen vorbehalten.

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In HEINER MÜLLER: Mauser, Berlin: Rotbuch 1978, S. 89–97.

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Literaturverzeichnis Dieses Literaturverzeichnis enthält nur die wichtigsten der oben zitierten Bücher und Aufsätze. Abkürzungen von Zeitschriften und Reihentiteln BJOAF Bochumer Jahrbuch für Ostasienforschung CLEAR Chinese Literature. Essays, Articles, Reviews HJAS

Harvard Journal of Asiatic Studies

HSMC Zhongguo xueshu mingzhu VOB

Veröffentlichungen des Ostasien-Instituts der Ruhr-Universität Bochum

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Index der wichtigsten Namen, Begriffe und Zeichen A

Ballade (s. auch zhugongdiao) 12, 22, 110 Bao Zheng 包拯 (999−1062) 56, 90, 105, 106 Beamte 11, 177, 203, 240, 278 Bei, Dao 北岛 (geb. 1949) 98 beigong 背躬 33 beiqu 北曲 22 Bewegung vom 4. Mai 1919 83 Bianliang (heutiges Kaifeng 开封) 11, 57 bianwen 变文 12, 16 Bibel, s. auch Altes Testament 199 Bild (s. auch xiang) 35, 121, 133, 180, 255 Bilderstürmer 265 binbai 宾白 32, 70 bing 病 81 Birnengarten (s. auch liyuan) 11, 31 Blumengeister (s. auch huashen) 220 Blüte (s. auch hua) 122 Boling, heutiges Dingxian in Hebei 112 Brecht, Bertolt (1898−1956) 6, 23, 90 Der gute Mensch von Sezuan 90 Geschichten vom Herrn Keuner x Buch der Lieder (s. auch Shijing) 113, 218, 226, 243 Buch und Schwert (s. auch shu jian) 120 Buddhismus, buddhistisch 9, 14, 15, 17, 46, 48, 50, 60, 69, 112, 122, 174, 189 Bühne (s. auch wutai) passim Bühnenspiel des Südens (s. auch nanqu xiwen) 142 bürgerliche Literatur (s. auch shimin wenxue) 93, 108 Burleske 189

Adjutantenspiel (s. auch canjunxi) 21 Ahnengeister (s. auch gui) 50 Ahnenhalle (s. auch shendian) 46, 47 Ahnenkult 41, 42, 48 Akrobatik (s. auch zaji) 1, 3, 12, 20, 47, 280, 284 Akt (s. auch zhe) 22, 24, 56, 78, 94, 113, 135, 173, 241 Altar (s. auch tai, tan) 27, 47, 107 Altertum 219 Altes Testament 61, 103, 197, 199 Ambivalenz 136, 254 An Lushan 安禄山 (703−757) 70, 73, 203, 238, 241 Anhui 17, 27, 281 Apathie 244 Aprikosenbaum 182 Araber 69 Archaismus 236 Archetyp, archetypisch 26, 35, 88, 109, 196, 240, 268 arme Seele (s. auch gui) 56, 252 Askese 265 Ästhetik 3, 197, 226, 249, 262 Autobiographie 262

B Bai, Juyi 白居易 (772−846) 72, 73, 240, 241 Chang hen ge (Das Lied vom langen Leid) 72, 73 Bai, Pu 白朴 (1227−1306) 72, 73, 129, 239, 240, 241 Qiangtou mashang (Auf dem Pferd an der Mauer) 72 Wutong yu (Ein Wutong-Baum im Regen) 72, 78 baihua 白话 23 Bakkalaureus (s. auch xiucai) 133, 261

C Cai, Bojie 蔡伯喈 (d.i. Cai Yong 蔡邕) 145, 151, 153, 154, 156, 159, 161, 163, 164, 165

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INDEX dian 殿 47 Diesseits 163, 247 Ding, Ling 丁玲 (1904−1986) 195 dixin fa 地心法 57 Dolby, William 142 Donath, Andreas 240 Dong, Jieyuan 董解元 (ca. 1200) 109, 110 Xixiang ji zhugongdiao (Die Ballade vom Westzimmer) 109 dongdi jingtian 动地惊天 59 dongzuo 动作 32 Doppelvers 77 Dorfplatz (s. auch chang) 9, 33 Drama, Dramatiker, dramatisch passim Dramaturg 37, 202 Dschurdschen (Jin-Dynastie) 65, 69, 142, 233 duguan 督官 157

caizi jiaren 才子佳人 23, 123, 127, 176, 217 caizi 才子 109 canjunxi 参军戏 21 Carlitz, Katherine 236, 237 chang 场 15, 16, 33 Chang’an 长安 78, 84, 203, 241 changci 唱词 70 Chen, Shizheng 陈士铮 (geb. 1963) 208 Chen, Yujiao 陈与郊 (1544−1611) 231, 236 Yingwuzhou (Die Papageieninsel) 236 Chengdu 10, 241 Chorgesang 24 chou 丑 23 Christentum 234, 242 chuanqi 传奇 22, 23, 25, 28, 142, 152, 169, 181, 184, 185, 191, 197, 232, 237, 238, 248 chunqing 春情 211, 220 ci 词 67, 69, 121, 190 communis opinio 69 Cui Yingying 112, 115, 117, 124 daizhi 待制 105

E Eberhard, Wolfram (1909−1989) 163 Ehevermittlerin (s. auch hongniang) 90 einsam 85, 189 Einsiedelei 253, 269 Empfinden (s. auch qing) 110, 215, 219, 237 Entsagung 253 Epigone 198, 207 Epilog 250, 255 erceng kanlou 二层看楼 47 Erdaltar (s. auch she) 15, 16, 48 Erdgott 14, 48, 50 Erlösung 130, 138, 152, 174 Erneuerungsgesellschaft (s. auch fushe) 249, 250 Erzählkunst 59, 68, 81, 93, 105, 122, 253, 262 Essayistik 8, 67, 253 Eulogie, eulogisch 174, 247 Evolution 186 Examen 212, 261 exorzistisch (s. auch nuo) 174

D Dämon 237 Das Töpfchengespenst mit der tönernen Stimme (Dingding dangdang pen’er gui) 56, 58 Daxue 大学 215 Dekadenz 192, 249 Der Schuldner für’s zukünftige Leben (Laisheng zhai) 50, 51 Der Sklave seines Geldes (Kanqian nu) 54 Der Spitzenkandidat Zhang Xie ( Zhang Xie zhangyuan) 66 Der weiße Hase (Baitu ji) 187 deus ex machina 36, 105, 142, 160, 179, 182, 268 Dialog 2, 6, 69, 86, 101, 159, 165, 175, 190, 273, 289

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Index

F

Gefühl (s. auch qing) 61, 82, 106, 116, 122, 123, 134, 137, 164, 194, 200, 207, 217, 218, 219, 225, 244 Gegensatzpaar 256 Geisterrolle (s. auch hundan) 60 Genealogie (s. auch jiapu) 50 Generation 247 Gerechtigkeit (s. auch zhengyi) 35, 61, 84, 96, 105, 158, 270 Gesamtkunstcharakter (s. auch zonghe yishu) 30 Gong wang fu 恭王府 13 gongshi 公尸 41 Götter 18, 43, 44, 45, 47, 164, 170, 190, 288 Götterhimmel 50 Götterreich 242 Göttertempel (s. auch shenmiao) 48 Gottheit 15, 16, 31, 33, 43, 45, 48, 50, 54, 56, 242, 269, 275 Gou Jian 193 goulan 勾栏 47, 48 Gozzi, Carlo (1720−1806) 6 Gram x, 220, 255 griechisch 84, 146, 150, 237, 253 gu’er 孤儿 94 Guan, Hanqing 关汉卿 (ca. 1240 − ca. 1320) 59, 65, 96, 110, 136, 138, 188 Hudie meng (Der Schmetterlingstraum) 96 Jinxianchi (Der Goldfadenteich) 36 Guan, Hanqing 关汉卿(ca. 1240 − ca. 1320) 36, 128, 129, 134, 135, 139 Bu fu lao (Dem Alter keinen Tribut zollen) 128 Dou E yuan (Dou E geschieht Unrecht) 58, 59 Yujing tai (Der Jadespiegelständer) 135 Guan, Yu 关羽 (160−219) 176 guanben zaju 官本杂剧 141 guanmu 关目 83 gui 鬼 50, 56, 57, 60 Guo, Moruo 郭沫若 (1892−1978) 119 Guo, Ziyi 郭子义 (697−781) 238

Fächer 250, 252, 255, 256, 278 Fan Li 193, 194, 195, 196 Fee (s. auch jingyan oder shenxian) 125, 175, 183, 200, 242 Feminismus, feministisch 177, 179, 193, 195, 200, 236, 255, 260 Feng, Menglong 冯梦龙 (1754−1646) 122, 190, 235 Mohanzhai dingben chuanqi (Romanze, zusammengestellt im Studio der verrückten Tusche) 190 Feng, Zhi 冯至 (1905−1993) 146, 147 fengliu 风流 123, 265 fengmo 疯魔 125 feudalistisch 7 Forke, Alfred (1867−1944) viii, 2, 43, 54, 74, 78, 83, 84, 85, 86, 136, 267, 271, 275 Fortuna 202 Freitod (s. auch Selbstmord) 84, 97, 241, 253, 269 Fremde (s. auch Semuren) 57, 67, 69, 104 Fremdherrschaft 65, 233, 247 Freud, Sigmund (1856−1939) 88 Frieden (s. auch heqin) 83, 120, 156 Frühlingsgefühl (s. auch chunqing) 110, 200, 211, 268 Frühlingskummer (s. auch shangchun) 218 Fuchs, Walter (1888−1966) 112 fumo 副末 147 Fünf Dynastien (907−960) 141

G ganying 感应 131 Gao, Ming 高明 (ca. 1305 – ca. 1370) 145, 148, 151, 155, 185, 186, 188 Pipa ji (Die Laute) 24, 145, 186, 187 Gartenarchitekt 258 Gedicht (s. auch shi, ci oder nian) 32, 69, 114

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INDEX guofa 国法 209 guoju 国剧 25 guolu xitai 过路戏台 46 guyan 孤雁 85

Historiographie 243 Historische Aufzeichnungen des Sima Qian (145−86) (s. auch Shiji) 97 Hochsprache 271 Hofbeamter 155, 176, 247 Hoffmann, Alfred (1911−1997) vii, xi, 73, 75, 85 Hofnarren 20 Hofrat (s. auch yuanwai) 103 Holzfisch (s. auch muyu) 188, 189 Homer (8. Jh. v.Chr.) 65 Homosexualität 27, 282 Hong, Sheng 洪昇 (1645−1704) 238, 239, 240, 241, 257, 258, 279 Changsheng dian (Der Palast des langen Lebens) 36, 238, 240, 245, 246 hongniang 红娘 90, 124 Hou, Fangyu 侯方域 (1618−1655) 27, 249, 250, 251, 253 Hsia, Adrian 102, 108 Hsieh, Daniel 234 hua 花 122 huabai 话白 32 Huang, Zuolin 黄佐临 (1906−1994) 35, 37 Huanmen zidi cuo lishen (Der Sohn eines Herrn geht den falschen Weg) 142 huashen 花神 220 Huhanye Chanyu (gest. 31.v.Chr.) 78 huilan 灰兰 103 hun 魂 130 hundan 魂旦 60 Hundhausen, Vincenz (1878−1955) 111, 118, 125, 146, 149, 156, 197, 198, 209, 213, 215, 218, 219, 224 Hunnenführer 78 Hymen 216

H Halle (s. auch dian) 47 Han-Chinesen 67, 233 Handlungshemmung 72, 83, 86, 151, 159, 244, 289 Hangzhou 杭州 12, 22, 23, 25, 129, 141, 239, 260 Happyend (s. auch tuanyuan) 109, 110, 115, 123, 143, 151, 192, 195, 209, 234, 242, 247, 266, 269 Harfenspiel (s. auch qin) 127, 164 Harmonie 179 Hauchseele (s. auch hun) 130 Hauptcharakter 248 Haupthalle (s. auch shenmiao) 46 Hauptperson (s. auch zhengmo) 70, 83 Hegel, Georg Willhelm Friedrich (1770−1831) 15 heilig 116, 154, 252 heldenhaft, heldenmütig 233, 241 Henry, Eric (geb. 1943) 2, 279 heptatonisch 192 heqin 和亲 83 Herodes 197 Herodias 197 Herrschertugend 248 Hetäre 237 Hezhongfu, Provinz Shanxi 112 Himmel (s. auch tian) 47, 50, 59, 60, 61, 62, 83, 97, 105, 126, 133, 139, 158, 163, 164, 182, 183, 188, 189, 201, 206, 209, 219, 220, 221, 240, 243, 252, 274, 281 Himmlische Ordnung (s. auch tianli) 122 Himmlischer Friede, Aufstand. Auch Reich des Himmlischen Friedens Taiping tianguo 太平天国 (1850−1864) 25 Historienspiel 246, 248, 250

I Ibsen, Henrik (1828−1906) 245 Idema, Wilt L. (geb. 1944) viii, 21, 96, 110, 119, 121, 173, 189 Ikonoklasmus 265 Improvisation 30, 173, 289

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Index Wang Lanqing fuxin mingzhen lie (Die treue Witwe Wang Lanqing) 182 Karma 219, 253 Keuschheit 176, 180, 189 Kiangsi (Jiangxi) 211 Kitsch 231 klassizistisch 70, 271 Kleist, Heinrich von (1777−1811) 90, 95 Der zerbrochene Krug 90 Käthchen von Heilbronn 209 Klischee 139, 247 Kniegeige (s. auch huqin) 25, 280 Knittelvers 23 Komik 155, 255 Komödie, Komödianten 100, 203, 204, 224, 226, 260, 265, 266, 276, 277, 278 Konflikt 114, 160 Konfuzianismus, Konfuzianer, konfuzianisch 11, 15, 52, 68, 69, 89, 129, 134, 169, 176, 195, 215 Konfuzius 孔子 (551−479) 17, 42, 48, 106, 148, 214, 243, 247 Kong, Shangren 孔尚任 (1648−1718) 246, 247, 249, 251, 256, 258, 266, 279 Taohua shan (Der Pfirsichblütenfächer) 246, 247, 248, 250 Konkubine 71, 72, 77, 80, 88, 132, 176, 204, 239, 250, 269, 278 Kontrast 3, 22, 153, 241, 248 Korngold, Erich Wolfgang (1897−1957) 197 Die Tote Stadt (1920) 197 Körperseele (s. auch po) 130 Körpersprache 32, 290 Korrelat 241 Kosmologie 197 Kostümierung 3, 280 Kostümstück 175 Krabbe (s. auch pangxie) 139 Krankheit (s. auch bing) 54, 81, 82, 114, 132, 133, 214, 244 Kreidekreismotiv 268 Krieg 143, 193, 212, 255

Individualisierung 88, 265 innerer Monolog 23 Inquisition 239, 282 Inszenierung 1, 119, 208, 269, 283 Inthronisation 250 Intrige 36, 175, 256 Inversion 265 Iraner 69 Iteration 223

J Jataka 103 Jenseits 152, 163, 241, 242, 243 Ji, Junxiang 纪君祥 (Yuan-Zeit) 93 Zhaoshi gu’er (Die Waise von Zhao) 5, 93, 94, 97, 102 jiamen 家门 189 jiamian 假面 34 jian’ai 简爱 182 jianchen 奸臣 202 Jiang, Shiquan 蒋士铨 (1725−1785) 283 Jiangxi 210, 211 Jin, Shengtan 金圣叹 (1607−1661) 119 jing 京 25 jing 净 23, 79, 90 jingju 京剧 24, 25 jingyan 惊艳 200 jitai 祭台 47 ju 剧 25, 30 junzi de bing 君子的病 218 juyuan 剧院 (Theater) 30

K Kaifeng 开封 11, 12, 22, 103, 105, 179 Kaiser Huizong 徽宗 (reg. 1101−1125) 12 Kaiserhaus 13, 154, 160, 176, 279 Kalligraphie 32, 237, 271 Kang, Hai 康海 (1475−1541) 181, 182 Dongguo xiansheng wu jiu Zhongshan lang (Von dem Herrn des Ostwalls, der fälschlich den Wolf vom Zentralmassiv rettet) 181

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INDEX Kult, kultisch 43, 49, 95, 122, 237, 265, 280 Kulturrevolution (1966−1976) 20, 98, 231, 249, 284 Kunqu 昆曲 24, 25, 191, 192, 193, 196, 197, 199, 202, 208, 210, 232, 235, 238 Kunshan 昆山 24, 191, 193 Kurtisane 36, 103, 110, 116, 128, 136, 142, 177, 178, 179, 180, 203, 236, 237, 246, 250, 277

Liang, Chenyu 梁辰鱼 (ca. 1519 − ca. 1591) 193 Huansha ji (Die Geschichte von der Seide, die gewaschen wurde 193 Liang, Shiqiu 梁实秋 (1903−1987) 123 lianpu 脸谱 34 Libertinismus 265 Lichee 245 lide 立德 99 Liebesdrama 85, 239 Liebesklage 132, 219 Liebeskrankheit (s. auch xiangsibing) 85, 110, 112, 124, 132, 133, 138 Liebespfand 115, 136, 250 Liebesverrücktheit (s. auch fengmo) 125 Lied (s. auch ci u. qu) xi, 12, 23, 70, 72, 73, 75, 82, 100, 101, 121, 124, 135, 139, 142, 148, 186, 193, 211, 258, 262, 264 Lied (s. auch ci u.qu) 127, 155, 177, 192 Lied (s. auch qu) 66 Liedsatz (s. auch qupai) 192 ligong 立功 99 lihe-beihuan 离合悲欢 248 Lin, Yutang 林语堂 (1895−1976) 89, 246, 258 Mein Land und mein Volk 89 literaturgeschichtlich 234 literaturwissenschaftlich 232 liu yi 六艺 31 Liu, J.Y. James (1926−1986) 134 Liu, Shipei 刘师培 (1884−1919) 41 Liu, Tangqing 刘唐卿 (ca. 1300) 141 Jiang sangshen Cai Shun feng mu (Cai Shun überreicht Mutter Maulbeeren) 141 Liu, Xiang 刘向(77 v.Chr.− 6 v.Chr.) 143 lizheng 里正 157 Lokalgottheit (s. auch Tin Hou) 4 Loon, van der, Piet (1920−2002) 43 Loyalismus, Loyalität (s. auch zhong) 34, 96, 143, 150, 151, 175, 176, 177, 179, 186, 187, 189, 195, 196, 233, 246, 266, 269

L Langflöte (s. auch xiao) 177 langzi, langjun 浪子, 浪君 128, 129 Lao Langshen, Alter Theatergeist 31 Lao, She 老舍 (1899−1966) 9 Lautmalerei 73 le shen 乐神 45 Lebemann (s. auch langzi bzw.langjun) 59, 128, 129 Leidenschaft (s. auch fengliu) 119, 129, 205, 218, 265 Leitmotiv 73, 164, 244, 250, 255, 269 Lessing, Gotthold Ephraim (1729−1781) 35 Hamburgische Dramaturgie 35 li 理 110, 116, 123, 210, 213, 214, 215, 216, 218 li 离 196 Li, Liweng 李笠翁 (s. auch Li Yu 李渔) (1611−1680) 28, 258, 259, 260, 261, 262, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 269, 271, 276, 277, 279, 287 Li, Xingdao 李行道 (13. Jh.) 102, 103 Huilan ji (Der Kreidekreis) 6, 102, 103, 150 Li, Yu 李渔 (s. auch Li Liweng 李笠翁) (1611−1680) 28, 257, 258 Bimuyu (Die Schollen) 266, 271 Naihetian (Finde dich ab) 259 Xianqing ouji (Beiläufige Bleibe für müßige Gedanken) 261 Li, Yu 李煜 (936−978) 258 Li, Yu 李玉 (1611−1681) 258 Li, Zhi 李贽 (1527−1602) 217

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Index Lü 吕后, Kaiserin (reg. 187−180) 87 Lü, Buwei (吕不韦) ca. 239 v.Chr. Lüshi chunqiu (Frühling und Herbst des Lü Bu We) 18 Lü, Tiancheng 吕天成 (1580 − ca.1619) 235 Lu, Xun 鲁迅 (1881−1936) 13, 16 Wu Chang (Wu Chang, der Geist des vergänglichen Lebens) 16 Zhao hua xi shi (Blumen der Frühe am Abend gelesen) 16 Lu, You 陆游 (1125−1210) 155 Xiao zhou jin cun, she zhou bu gui (Mit dem Nachen ins Dorf, ohne Nachen zu Fuß zurück 155 Luo, Guanzhong 罗贯中 (fl. 1364) 176 Sanguo yanyi (Die Drei Reiche) 176 Luo, Rufang 罗汝芳 (1515−1588) 215 Lustprinzip 275 lutai 露台 47 lutian 露天 47 Lyrik (s. auch shi) 6, 8, 23, 69, 85, 149, 197, 200, 210, 244, 262, 271 lyrisch (s. auch changci) 57, 70, 85, 200

Martin, Mary (1913−1993) 145 marxistisch 15, 260 Maske (s. auch jiamian) 17, 34, 146, 150, 289 maskierte Rolle (s. auch jing) 23 Maskierung 3, 280 Maß und Mitte (s. auch Zhongyong) 215 Mei, Lanfang 梅兰芳(1864−1961) 6, 29, 290 Melancholie (s. auch yumen) 75, 88, 152, 164 men 闷 164 Meng, Chengshun (1598−1684) 287 Jiao Hong ji (Die Aufzeichnung von Wang Jiaoniang und Feihong) 287 Meng, Yuanlao 孟元老 (ca. 1090 − ca. 1155) 12 Dongjing menghua lu (Die Aufzeichnung über die Blüte der Östlichen Hauptstadt […]) 12 mengjing 梦境 83 menshen 门神 57 Mimesis 4 Mo, Zi 墨子 (ca. 470 − ca. 381) 182 Mondaltar (s. auch yuetai) 47 Mondgöttin 242 Mondlaute (s. auch yueqin) 192 Mongolendrama (s. auch zaju) 24, 55, 65, 134, 141, 152, 173, 174, 181, 263, 287, 289 Monolog 69, 86, 94, 194 Moral, moralisch xii, 3, 7, 13, 31, 69, 83, 89, 96, 116, 119, 123, 131, 140, 148, 169, 171, 174, 175, 186, 195, 217, 255, 259, 266, 270, 283 moralische Verpflichtung (s. auch lide) 99 Motiv 103, 130, 197, 234 Motsch, Monika 130 Mulian xi 16 Müller, Heiner (1929−1995) Hamletmaschine 290 Mulligan, Jean 147, 153 Musik und Tanz für die Götter (s. auch yuewu chou shen) 47

M Ma, Shiying 马士英 (1591−1646) 254 Ma, Zhiyuan 马致远 (1260−1325) 51, 77, 78, 129, 138 Hangong qiu (Herbst im Han-Palast) 77, 78, 84 Hangong qiu bzw. Po youmeng guayan Hangong qiu zaju (Eine einsame Wildgans stört den stillen Traum während des Herbstes im HanPalast) 77 Yueyang lou (Der Söllner von Yueyang) 138 Malerei 8, 85, 237, 271 Mao Jin 毛晋 (1599−1659) 190 Liushi zhong qu (Sechzig Theaterstücke) 190 Mao, Dun 茅盾 (1896−1981) 9 Marionettenspiel 20 Martin Buber (1878−1965) 199, 225 Martin, Helmut (1940−1999) 258, 263

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INDEX Musikaltan (s. auch yuelou) 46 Musikaltar (s. auch yuetai) 47 muyu 木鱼 189

Parallelprosa (s. auch pianwen) 155 patriarchalisch 214 Pax Mongolica 98, 102, 164 Peking, ehemals Dadu 22, 66, 69, 102, 129 Pekinger Oper xi, 4, 20, 25, 33, 231, 280, 281, 283, 287, 290 pentatonisch 192 performativ 231 pi 癖 184 pianwen 骈文 155 Pietät (s. auch xiao xiao, da xiao) 52, 96, 116, 130, 150, 151, 158, 159, 160, 179, 180, 266, 269 pietätlos 254 Pingyang, Provinz Shanxi 129 Plot (s. auch guanmu) 6, 21, 30, 36, 51, 69, 75, 83, 117, 153, 175, 181, 186, 190, 197, 263, 266, 268, 287, 289 po 魄 130 Poesie 7, 69, 112, 121, 196, 200, 237 Präsentation (s. auch zuo) 3 Prolog (s. auch huabai, xiezi oder binbai) 32, 59, 146, 147, 174, 242, 250, 251 prosaisch 57, 125, 213 Prostitution 27, 282 Protagonist passim Prunus 211, 222 Prunusschrein 212 Puccini, Giacomo (1858−1924) 6 Puritanismus 265

N Nachspiel (s. auch xiezi) 140 Nanking, Haupstadt von 1368−1403, heutiges Nanjing 南京 24, 27, 170, 203, 239, 247, 249, 250, 255, 260, 265, 267 nanqu xiwen 南曲戏文 142 nanqu 南曲 22 nanxi 南戏 142 nanxi 南戏 23, 65, 140, 141, 142, 145, 185 Nationaloper (s. auch guoju) 25, 231 Nationalstil 191 Nationaltheater (s. auch guoju) 25 Nebenrolle (s. auch fumo) 69, 147 Nekromant 241 Neokonfuzianismus 68, 82, 122, 176, 214 Nestorianismus 62 Neuzeit 93, 121, 140, 150, 193, 240, 265, 268 nian 念 32 Nibelungenlied 97 Ningbo, Provinz Zhejiang 145 Nuo-Spiel (s. auch Nuo xi) 15, 17, 18

O Oberstenfeld, Werner vii, 36 Obszönität, obszön 280, 282 Opfer 11, 18, 44, 49, 59, 60, 95, 175, 182, 187, 195, 203, 232, 266, 283 Opferaltar (s. auch jitai) 46, 47 Opferschaf (s. auch shenyang) 136 Ovid (43 v.Chr. – ca. 18 n.Chr.) 200 Owen, Stephen (geb. 1946) 128

Q qi 奇 264, 265 Qi, Rushan 齐如山 (1875−1961) 28, 29, 30, 31, 34, 35 Guoju de jiben yuanze (Grundprinzipien des chinesischen Nationaltheaters) 31 Liyuan (Birnengarten) 31 Shuo xi (Über das Theater) 29 qiliang 凄凉 75 qin 琴 164

P pangxie 螃蟹 139 Parabel 247 Parallelismus 193, 197

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Index qing 情 82, 83, 110, 116, 122, 199, 210, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 224, 234, 237, 243, 262, 266 Qingzhen, Provinz Zhejiang 9 Qinhuai (in Nanking) 247, 265 qu 曲 2, 12, 23, 28, 65, 66, 128 qudi 曲笛 192 Quemoy (Jinmen) 9 Querflöte (s. auch qudi) 192 qupai 曲牌 192 qushu 氍毹 48

Säkularisierung 18 Sanqu, Provinz Zhejiang 268 Schamanismus 41, 45 Schanghai vii, 112, 208 Schauspieltruppe 27, 235, 249, 257, 261, 268 Schicksal 57, 59, 78, 84, 85, 105, 159, 189, 206, 214, 220, 253 Schiller, Friedrich von (1759−1895) 6, 146, 150 Schmitt, Erich (1893−1955) 111 Schutzpatron 269 Schwarz, Ernst (1916−2003) 115 Schwermut 74, 88, 220 se 色 200 Sechs Kunstfertigkeiten (s. auch liu yi) 31 Sechzehn Reiche der Fünf Barbaren (304−439) 20 Sehnsucht 72, 81, 112, 127, 128, 129, 139, 196, 197, 209, 211, 213, 214, 219, 220, 222, 224, 242, 244 Selbstmord (s. auch Freitod) 94, 97, 98, 101, 143, 178, 183, 189, 253 Sellar, Peter (geb. 1957) 209 Semuren 69 Sentiment 86, 123 shangchun 伤春 218 shanmen xitai 山门戏台 46 Shaoxing, Provinz Zhejiang 174 she 社 15, 16, 48 shen gong xi 神恭戏 44 Shen, Jing 沈璟 (1553−1610) 235, 236 Shen, Zhong 200 shendian 神殿 47 sheng tian 升天 60 sheng 生 124, 190, 215, 221 shenmiao 神庙 46, 48 shenpeng 神棚 44 shenxian 神仙 125 shenyang 神羊 136 shexi 社戏 16 Shi Junbao bzw. Shizhan Deyu 石君宝 (1192−1276) 140, 143

R Rationalität 217, 218 Realität 35, 135 Realitätsprinzip 275 Rebellion 117, 132, 278, 282 Rechtschaffenheit 176, 266 Register (s. auch Tabellatur für Gesichter bzw. lianpu) 34 Religion, religiös 9, 14, 15, 26, 41, 42, 43, 46, 50, 157, 190, 253, 269 Reliquie 242 Remake 78, 89, 109, 172, 233, 236, 239 Repertoire 23, 89, 142, 275, 287 Republik-Zeit (1912−1949) 16, 48 Resonanz (s. auch ganying) 131 Rewrite 89, 109, 217, 233 Rezitation (s. auch nian) 32, 100 Rhythmus 148, 235 Rilke, Rainer Maria (1875−1926) 124 Ringelnatz, Joachim (1883−1934) xii Rite 11, 31, 45, 214 Romanze (s. auch chuanqi) 169, 172, 185, 186, 187, 190, 277 Ruan, Dacheng 阮大铖 (1587−1645) 199, 202, 248, 249, 250, 255 Yanzi jian (Der Brief der Schwalbe) 202, 203, 249

S Said, Edward S. (1935−2003) 5 saiyan 塞雁 85

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INDEX Qiu Hu xi qi (Qiu Hu versucht, seine Frau zu verführen) 143 shi 实 272, 275 shi 尸 41 shi 诗 23, 67, 69, 121 Shiji 史记 97 shimin wenxue 市民文学 21, 93 Shishuo xinyu (Die Reden der Welt, neu erzählt) 135 shu jian 书剑 120 shuixiu 水袖 34 shuochang wenxue 说唱文学 17 shuojing 说经 17 Shuowen Jiezi 说文解字 45 Sieber, Patricia 118 Sozialdrama 102 soziologisch 236, 287 Spiel des Südens, s. auch nanxi 23, 65, 140, 141, 185 Spleen (s. auch pi) 184 Staatsrat=Kaiserlicher Rat (s. auch daizhi) 105 Staiger, Emil (1908−1987) 151 Stereotypen 121, 247 Sujet 8, 78, 109, 154, 182 Sutra (s. auch shuojing) 17 Suzhou, Provinz Zhejiang 24, 191, 194, 235 symbolisch 256 systemimmanent 265 Szondi, Peter (1929−1971) 75, 86

Mudan ting (Die Rückkehr der Seele bzw. Die Päonienlaube) 35, 129, 198, 204, 208, 210, 214, 215, 217, 224, 226, 234, 235, 255 Mudan ting (Die Rückkehr der Seele bzw. Die Päonienlaube) bzw. Mudan ting huanhun ji (Die Rückkehr der Seele) 208 Tao 3, 108 Tao, Yuanming 陶渊明 (365−427) 256 Taohuayuan ji (Der Pfirsichblütenquell) 256 Taoismus, Taoist, taoistisch 9, 46, 48, 50, 69, 107, 130, 138, 174, 216, 242, 247, 251, 253, 254, 256 taoistische Riten (s. auch da jiao) 44 taoqu 套曲 23 taoshu 套数 12, 23 Tempel 14, 44, 49, 110 Theater (s. auch xi), theatralisch passim Theater am Erdaltar (s. auch shexi) 16 Theateraltan (s. auch xilou) 47 Theateraltar (s. auch guolu xitai) 46, 47 Theatergarten (s. auch xiyuan bzw. xiyuanzi) 47 Theaterliebhaber 185 Theatermacher 25, 138, 142, 248 Theaterstück (s. auch wutaiju) 2, 32, 35, 51, 87, 98, 115, 118, 193, 262, 264 tian 天 50 tianguangxi 天光戏 45 Tianjin (Tientsin) 天津 13, 146 tianli 天理 83, 122, 209 tianxin fa 天心法 57 tiao 跳 33 Tibet 242 timu 题目 77, 118 Todeswunsch 222 Tonhöhe 235 Torgott (s. auch menshen) 57 Totenknabe (s. auch shi bzw. gongshi) 41 Tragödie 75, 85, 86, 96, 100, 114, 123, 143, 146, 150, 151, 152, 269, 288 Trauerfeierlichkeit 254

T Tai Shan 台山 9 tai 台 33, 47 Tai’an 9 taishou 太守 104, 211 talentierter Scholar (s. auch caizi) 109 tan 坛 47 Tan, Dun 谭盾(geb. 1957) 209 Tang, Xianzu 汤显祖 (1550−1617) 129, 197, 200, 208, 209, 210, 215, 217, 218, 223, 225, 234, 235, 287

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Index Traum 36, 85, 112, 164, 204, 209, 211, 213, 216, 218, 219, 221, 225, 244 Traumwelt (s. auch mengjing) 83 Trennung (s. auch li) 84, 100, 121, 134, 196, 243, 244, 247, 263, 268 Trennung und Vereinigung (s. auch lihebeihuan) 121, 248, 252 Tschanz, Dietrich 232 Tschechow, Anton (1860−1904) 245 tuanyuan 团圆 100, 115, 196 Tugend (s. auch de) 2, 52, 100, 148, 157, 159, 163, 175, 200, 215 tugendhaft (s. auch xian) 158 Turandot 6

Wang, Guowei 王国维 (1877−1927) 7, 28, 30, 35, 36, 41, 45, 85 Song Yuan xiqu kao (Untersuchungen zum Theater der Song- und YuanZeit 29 Wang, Jiusi 王九思 (1468−1551) 181, 182 Dongguo xiansheng wu jiu Zhongshan lang (Von dem Herrn des Ostwalls, der fälschlich den Wolf vom Zentralmassiv rettet) 181 Wang, Shifu 王实甫 (13. Jh.) 109, 110, 113 Xixiang ji (Das Westzimmer) 36, 109, 110, 114, 115, 118, 119, 122, 123, 128, 150, 210, 234, 255 Wang, Yangming (d.i.Wang Shouren 王 守仁) 王阳明 (1472−1529) 215 Wang, Zhaojun 王昭君 77, 78, 80, 81, 83, 84, 87 washe 瓦舍 10, 13 washi 瓦市 10 wazi 瓦子 10 wei nubi 为奴婢 135 Wei, Liangfu 魏良辅 (ca. 1522 − ca. 1573) 191, 193 wen 文 96 Wen, Qiao (288−329) 135 Wenzhou zaju 温州杂剧 65, 141 Wenzhou, Provinz Zhejiang 65, 141 West, Stephen H. viii, 21, 110, 119 Westsee 238 Wiederauferstehung 218 Wiederbegegnung (s. auch tuanyuan) 196 Wildgans (s. auch saiyan, guyan) 85 Wilhelm, Hellmut (1905−1990) 146, 147, 150 Wilhelm, Richard (1873−1930) 17, 18 Wolf 104, 182 Wortwahl 235, 237 wu 武 96 wu 舞 33 Wu, Bing 吳炳 (1595−1647) 199, 200, 202 Hua zhong ren (Die Schöne im Bilde) 199 Lü Mudan (Die grüne Päonie) 199

U Umgangssprache, umgangssprachlich (s. auch baihua) 15, 70, 271 Unsterblichkeit 99, 174, 225 Unterhaltung 4, 9, 10, 12, 13, 20, 21, 31, 44, 46, 66, 68, 149, 169, 171, 173, 174, 279, 280, 283 Unterhaltungsspiel (s. auch yulexi) 31 Utopie 256

V Varieté, Varietéschau (s. auch zaju bzw. yuanben) 1, 2, 10, 12 Vernunft (s. auch li 理) 110, 116, 123, 209, 210, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218 Verzweiflung 86, 101, 133, 143, 214, 241 Victor H., Mair, (geb. 1943) 17 Volksglaube 17, 48, 50, 61, 269 Volksrepublik China 41, 96, 98, 104, 138, 236 volkstümlich 283 Voltaire, Francois Marie Arouet (1694−1778) 94, 96 Vorspiel 78, 94, 97, 103, 113, 119, 146, 213

W Wahrsagerei 57 Wang, Gen 王艮 (1483−1541) 215

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INDEX Wu, Weiye 吴伟业 (1609−1672) 231, 232, 233 Linchun ge (Der Pavillon des nahenden Frühlings) 233 Wunder (s. auch qi) 60, 62, 107, 113, 125, 199, 242, 265, 267, 289 Wutai Shan 五台山 9 wutai 舞台 32 wutaiju 舞台剧 32 wuting 舞厅 46 wuxi 武戏 33

yi fu 易妇 80 yishi 义士 96 yixiang 意象 35 youyuan 幽怨 220 yu 欲 59, 82, 122, 226 Yu, Dafu 郁达夫 (1896−1945) 135 Yuan, Han-Kaiser (reg. 48−33) 80 Yuan, Zhen 元稹 (779−831) 109, 110, 124, 234 Hui zhen ji (Begegnung mit einer Unsterblichen) 109 Yingying zhuan bzw. Hui zhen ji (Die Goldamsel) 109, 234 yuanben 元本 10, 12, 22, 141, 181 yuanwai 员外 103 yuelou 乐楼 46 yueqin 月琴 192 yuetai 月台 47 yueting 乐厅 47 yuewu chou shen 乐舞筹神 47 yulexi 娱乐戏 31 yumen 郁闷 75

X Xi Shi 193, 194, 195, 196, 197 xi 戏 16, 30, 33, 45 Xiamen (Amoy) 9 xian 仙 175 xian 贤 158 xiang 像 35 xiangsi bing 相思病 125 Xiangyang, Provinz Heilongjiang 51 xiao xiao, da xiao 小孝, 大孝 159 xiao 孝 150, 151, 158, 159 xiaojie 小姐 165 xiaoming 小明 94 xiezi 楔子 22, 59, 78, 94, 113 xilou 戏楼 47 xin 心 215 xin 新 264 xitai 戏台 46, 47 xitian 戏田 49 xiucai 秀才 261 xiyuan 戏园 47 xiyuanzi 戏园子 47 Xu, Wei 徐渭 (1521−1593) 173 Haitangxian (Die Granatapfelfee) 174 Si sheng yuan (Die vier Rufe des Affen) 173

Z zaji 杂技 20 zaju 杂剧 2, 10, 12, 22, 23, 28, 31, 47, 59, 65, 141, 142, 145, 152, 169, 173, 181, 182, 193, 197, 232 Zang, Maoxun 臧懋循 (1550−1620) 50, 96, 118, 119 Yuanqu xuan (Auswahl von hundert Singspielen der Yuan) 50, 87, 118 zaxi 杂戏 31 Zeitgeist 93, 233, 251, 259 Zeng, Ruiqing 曾瑞卿 (? – 1330) 138 Liuxie ji (Die Geschichte vom zurückgelassenen Schuh) 138 Zeremonie 13, 17, 174, 252 Zhang Yimou 张艺谋 (geb. 1951) 6 Zhang, Dai 张岱 (1597−1679) 184 Jin Shan yexi (Nächtliches Theaterspiel am Goldberg-Tempel) 184 Zhao Dun 94

Y Yang, Guifei 杨贵妃 (713−756) 70, 71, 72, 73, 238, 239, 241, 242, 243, 244, 245 Yangzhou, Provinz Jiangsu 212, 282

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Index Zhao, Wuniang 154, 160, 161, 163, 188 zheng 正 96 Zheng, Guangzu 郑光祖 (ca. 1260 − 1320) 129 Qiannü li hun (Eine schöne Seele verläßt ihren Leib) 129, 131, 134 Zheng, Ruoyong 郑若庸 (ca. 1480 − ca. 1565) 233 Yujue ji (Aufzeichnung vom zerbrochenen Jadering) 233 zhengdan 正旦 23, 70, 90 zhengming 正名 77, 118 zhengmo 正末 22, 70, 90 zhengyi 正义 96 zhi qiu 知秋 73 zhong 忠 96, 150, 151, 176 zhongxiao 忠孝 98 Zhongyong 中庸 215

Zhu, Quan 朱权 (1378−1448) 172 Zhu, Youdun 朱有炖(1379−1439) 172, 173, 174, 175, 176, 178, 179, 180 Fu luochang (Die Frau, die erneut jedermanns Liebchen wird) 177 Xiangnang yuan (Von Duftbeutel und Liebeskummer) bzw. Liu Panchun shouzhi xiangnang yuan (Liu Panchun hält die Treue oder von Duftbeutel und Liebeskummer) 178 zhugongdiao 诸宫调 12, 22, 142 zi 子 53 Zi, Ye 子夜 (4./5. Jh.) 124 Zikade 87 zivil (s. auch wen) 96, 100 Zong, Baihua 宗白华 (1897−1986) 15 zonghe yishu 综合艺术 30 Zuozhuan 左传 xii, 97

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