Gerontologie I - Das Altern verstehen: Band 1, Den Blickwinkel erweitern 9783748601807

Altern als Prozess ist Gegenstand gerontologischer Forschungen. So anschaulich wie spannend vermittelt Bettina M. Japser

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Gerontologie I - Das Altern verstehen: Band 1, Den Blickwinkel erweitern
 9783748601807

Table of contents :
Inhalt
VORWORT
GERONTOLOGIE
THEORIE & PRAXIS
MITEINANDER LEBEN
VERHALTEN & ERLEBEN
ANHANG

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Bettina M. Jasper

Gerontologie – das Altern verstehen Den Blickwinkel erweitern

Band 1

VINCENTZ NETWORK

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Sämtliche Angaben und Darstellungen in diesem Buch entsprechen dem aktuellen Stand des Wissens und sind bestmöglich aufbereitet. Der Verlag und die Autorin können jedoch trotzdem keine Haftung für Schäden übernehmen, die im Zusammenhang mit Inhalten dieses Buches entstehen.

© VINCENTZ NETWORK, Hannover 2019 Besuchen Sie uns im Internet: www.altenpflege-online.net Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne Weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um geschützte, eingetragene Warenzeichen. Druck: Gutenberg Beuys Feindruckerei GmbH, Langenhagen Foto Titelseite: Titelbild: AdobeStock_Andrey Popov, _contrastwerkstatt, _Daniel Ernst, _rogerphoto Composing Illustrationen: AdobeStock_DavidArts Satz: Heidrun Herschel, Wunstorf ISBN 978-3-7486-0180-7

Bettina M. Jasper

Gerontologie – das Altern verstehen Den Blickwinkel erweitern

Band 1



Inhalt VORWORT  7 GERONTOLOGIE  9 Lernziele  10 Themenübersicht  11 Entwicklung  12 Aufgaben  14 Teilwissenschaften  17 Forschungsmethoden  21 Bedeutung  29 THEORIE & PRAXIS   33 Lernziele  34 Themenübersicht  35 Wissen  36 Längsschnittstudien der Alternsforschung  39 Theorien & Modelle  42 Überholte Alter(n)stheorien  45 Aktuelle Alter(n)stheorien  50 MITEINANDER LEBEN  57 Lernziele  58 Themenübersicht  60 Soziales Umfeld  61 Grundlagen des Zusammenlebens  63 Sozialisation  69 Gesellschaftliche Rollen  70 Rollenkonflikte  74

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VERHALTEN & ERLEBEN  79 Lernziele  80 Themenübersicht  81 Verhalten steuernde Mechanismen  82 Persönlichkeit  87 Ganzheitlichkeit  91 Tiefenpsychologie  94

Anhang Stichwortverzeichnis  102 Zum Weiterlesen   107 Dank  109 Autorin 

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Gerontologie – das Altern verstehen

VORWORT Es ist geschafft – der erste von vier Bänden liegt nun vor! Mein im Jahr 2002 erschienener Titel  „Gerontologie“ aus der Reihe  „Lehrbuch Altenpflege“ ist inhaltlich und gestalterisch aufgefrischt. Die neue Buchreihe hat nunmehr eine völlig veränderte und ungewöhnliche Gestaltung, deren Grundstruktur sich während meiner langjährigen Unterrichtspraxis an der Altenpflegeschule  „Sancta Maria“ in Bühl entwickelte. Die Publikation richtet sich an Auszubildende und Pflegefachkräfte sowie an Betreuungskräfte und Alltagsbegleiter, die darin viel Hintergrundinformation für ihre Arbeit finden. Gerontologische Inhalte sind aufgeteilt in vier Themenpakete, eines je Band. In jeweils einem kompakten Buch sind Inhalte nach Stichworten mit Querverweisen im Sinn einer Nomenklatur, also eines Fachwörterbuchs, zusammengestellt und in Themenfeldern alphabetisch sortiert. Am Ende des Buchs gibt es eine Rubrik  „Zum Weiterlesen“ mit Literatur-Tipps für alle diejenigen, die tiefer in ein Thema eintauchen möchten. Dieser erste Band der  „GERONTOLOGIE – DAS ALTERN VERSTEHEN. Den Blickwinkel erweitern“ umfasst viel theoretischen Hintergrund, ohne den professionelle Pflege heute nicht mehr auskommt. Bei den folgenden Bänden stehen eher Alltagsthemen wie Biografie, Wohnen, Wahrnehmung, Kommunikation usw. im Mittelpunkt. Ich bin sehr gespannt, wie der so aufbereitete Stoff angenommen wird. Den Leserinnen und Lesern wünsche ich eine gewinnbringende Lektüre – möge dieses Kompendium ein Leitfaden werden und vielen Nutzern brauchbare Anregungen geben, ihre tägliche Arbeit erfolgreich zu bewältigen.

Bettina M. Jasper Januar 2019

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Gerontologie – das Altern verstehen

GERONTOLOGIE Die Wissenschaft vom Altern Wer alte Menschen pflegt und begleitet, entscheidet sich für einen praktischen Beruf. Sich mit Gerontologie, also mit einer Wissenschaft, zu beschäftigen, ist für viele Mitarbeiterinnen in der Altenpflege zunächst eine unangenehme Vorstellung. Doch meist schwindet die Scheu, sobald deutlich wird, dass es bei gerontologischen Themen um sehr lebenspraktische Inhalte geht. Älter werden wir schließlich alle, und das von Geburt an. Sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinanderzusetzen, Verbindungen zum eigenen Lebensumfeld und Arbeitsbereich zu entdecken sowie neue Sichtweisen zu entwickeln, kann spannend und herausfordernd sein. Die Vielfalt der Wissenschaftsbereiche, die unter dem Dach der Gerontologie miteinander verknüpft werden, lässt so manche Mitarbeiter neue Interessen entdecken. Im Mittelpunkt der Betrachtung aus gerontologischer Sicht steht der alte Mensch. Doch in der Auseinandersetzung mit den Themen dieser vergleichsweise noch jungen Wissenschaft wird deutlich, dass die Forschung in diesem Bereich und deren Ergebnisse Menschen aller Generationen ganz persönlich betreffen. Forschungsergebnisse der Gerontologie haben in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Bereichen die Lebensqualität verbessert. Wir werden heute nicht nur insgesamt deutlich älter als unsere Vorgänger-Generationen, sondern wir können die gewonnenen Jahre länger genießen. Ob Medizin oder Pflege, Wohnen oder Verkehr, Bildung oder Technik – die Entwicklungen in all diesen und vielen weiteren Bereichen erleichtern heutigen Senioren-Generationen den Alltag und ermöglichen ihnen ein hohes Maß an Lebensqualität.

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GERONTOLOGIE

Lernziele Wissen, –– welche Bereiche und Teilwissenschaften zur Gerontologie gehören. –– wie diese noch junge Wissenschaft entstanden ist. –– was die Forschungsschwerpunkte der Gerontologie ausmacht. –– was sich im Lauf der Jahrzehnte an Zielen, Aufgaben und Arbeitsweisen in der Gerontologie verändert hat. Verstehen und sich bewusst machen, –– dass die Erkenntnisse der Gerontologie jeden einzelnen Menschen ganz persönlich betreffen. –– wie wichtig es ist, sich Hintergründe für menschliches Verhalten und Erleben erklären zu können. –– welche Bedeutung gerontologische Forschung und deren Erkenntnisse für die Lebensqualität von Menschen im Alter haben. –– dass gerontologische Forschung ganz konkrete Auswirkungen auf die Praxis der Altenpflege hat. Im Arbeitsalltag –– gezielt nach Bezügen zur Gerontologie suchen. Wo hat eine wissenschaftliche Erkenntnis Ihr persönliches Arbeitsverhalten verändert oder erleichtert? –– Anwendungsbereiche gerontologischer Erkenntnisse suchen und erkennen. –– interessante Fragestellungen entwickeln. Was könnte ein spannendes, gerontologisches Forschungsthema sein?

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Wissenschaftsdisziplinen

Multi-, Quer- und Interdisziplinarität

Anwendungsbereiche

Ganzheitlichkeit | Holismus

Teilwissenschaften Teilwissenschaften

Forschungsmethoden Forschungsmethoden

Bedeutung Bedeutung

Gerontologie Gerontologie

Studiengänge

Arbeitsbereiche

Organisationen

AufgabenI |Forschungsschwerpunkte Forschungsschwerpunkte Aufgaben

Entwicklung Entwicklung

Entstehung

Definition

Wissensvermittlung, Technologie

Partizipation

Intervention

Selbstständigkeit

Multimorbidität | Komorbidität

Demografischer Wandel

Themenübersicht

Längsschnitt- u. Querschnittstudien

Beobachtung

Befragung

Experiment

Test

Gesellschaft

Leben alter Menschen

Altenpflege

Gerontologie – das Altern verstehen

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GERONTOLOGIE

Entwicklung

Arbeitsbereiche ● Gerontologinnen und Gerontologen arbeiten heute in vielen unterschiedlichen Bereichen. Sie sind an Universitäten und Forschungseinrichtungen ebenso beschäftigt wie in öffentlichen Einrichtungen, bei Wohlfahrtsverbänden und privaten Trägern, in Bildungseinrichtungen, bei Kommunen in der Sozialplanung und Konzeptentwicklung usw. Definition ● Gerontologie ist die Wissenschaft vom Altern. Dazu gehören Forschung, Lehre und Praxis. Paul B. Baltes & Margret Maria Baltes1 gaben 1992 eine bis heute auf breiter Ebene anerkannte Darstellung: „Gerontologie beschäftigt sich mit der Beschreibung, Erklärung und Modifikation von körperlichen, psychischen, sozialen, historischen und kulturellen Aspekten des Alterns und des Alters, einschließlich der Analyse von alternsrelevanten und alternskonstituierenden Umwelten und sozialen Institutionen.“2 Entstehung ● Die Ursprünge der Gerontologie reichen zurück bis ins Altertum. Schon der römische Autor Marcus Tullius Cicero schrieb bereits vor Christi Geburt  „De Senectute“ (über das Greisenalter). Dabei ging es um einen philosophischen Dialog mit seiner 83-jährigen Hauptfigur Cato, die er Gedanken über das Alter vortragen ließ. Auch Aristoteles und Seneca äußerten einst philosophische Gedanken über das Älterwerden. Der Begriff Gerontologie wurde jedoch erst viel später geprägt. 1929 benutzte ihn der russische Psychologe Nikolaj A. Rybnikov zum ersten Mal. In seinem Werk beschäftigte er sich mit der Psychologie des Alterns.

1 Paul B. BALTES (1939-2006) und Margret Maria BALTES (1939-1999), beide dt. Psychologen und Gerontologen 2 BALTES, Paul B. & BALTES, Margret M.: Gerontologie: Begriff, Herausforderung und Brennpunkte. In: Baltes, Paul B. & Jürgen Mittelstrass (Hrsg.) (1992): Zukunft des Alterns und gesellschaftliche Entwicklung. Berlin, New York: de Gruyter, 1-34

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Gerontologie – das Altern verstehen

In den 1930er-Jahren entwickelte sich die Gerontologie in den USA und in Europa langsam als eigenständiger Wissenschaftszweig. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es für die Wissenschaft jedoch dringendere Aufgaben als die Beschäftigung mit Lebenslauf- und Altersfragen. So ging es erst ab den 1960er- und 1970er-Jahren in der Gerontologie in Deutschland voran. Heute steht die Gerontologie selbstverständlich neben vielen anderen Wissenschaften. Organisationen ● 1938 gründete sich die  „Deutsche Gesellschaft für Altersforschung“, die sich 1939 umbenannte in „  Deutsche Gesellschaft für Alternsforschung“. Entsprechend dem damaligen Interessenschwerpunkt war sie ein Zusammenschluss von Medizinern. Die politischen Entwicklungen in Deutschland führten dazu, dass zeitweise zwei Gesellschaften – eine in der Bundesrepublik und eine in der damaligen DDR – sich gerontologischen Themen widmeten. In den 1970er-Jahren wandelte sich das Bild und Natur- und Geisteswissenschaften widmeten sich gleichermaßen dem Erforschen von Alterungsprozessen. 1991 schlossen sich im Zuge der Deutschen Einheit die beiden wissenschaftlichen Gesellschaften zusammen. Als  „Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG)“ sind sie die Vereinigung der Gerontologinnen und Gerontologen. Parallel existiert seit 1990 die  „Deutsche Gesellschaft für Alternsforschung (DGfA)“, die ihren Forschungs- und Arbeitsschwerpunkt in den biologischen Grundlagen der Alterung setzt. Studiengänge ● Im 21. Jahrhundert gab es eine enorme Zunahme bei den Angeboten gerontologischer Studiengänge. An vielen Hochschulen entstanden eigene Gerontologiestudiengänge. Neuerdings ist jedoch ein Wandel zu beobachten, ein Trend zu Studiengängen, die in anderen Disziplinen verwurzelt sind und deren Inhalte mit gerontologischen Themen kombinieren. So gibt es heute Kombinationen mit Sozialer Arbeit, Soziologie, Psychologie, Sportwissenschaften usw.

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GERONTOLOGIE

Wortherkunft ● Der Begriff Gerontologie kommt aus dem Altgriechischen. Geron = Greis, alter Mensch. Logos = Wort, Lehre, Sinn, Rede, Vernunft. Die Vorsilbe, das so genannte Präfix, -gero-, -gera- oder -ger-, z. B. in Geriatrie oder Geragogik, signalisiert, dass es sich um etwas handelt, das das Altern betrifft.

Aufgaben Demografischer Wandel ● Die Auseinandersetzung mit den Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur, mit dem immer größer werdenden absoluten und relativen Anteil alter Menschen an der Gesamtbevölkerung, ist wichtiger Aufgabenbereich der Gerontologie. Dabei geht es auch um die sich aus dem Wandel ergebenden Folgen, z. B. für die Rentenpolitik, den Wohnungsbau oder die Gesundheitssysteme. Forschungsschwerpunkte ● Ursprünglich standen medizinische und naturwissenschaftliche Fragen im Mittelpunkt gerontologischer Forschung. Anfangs war wesentlicher Schwerpunkt die Frage, ob oder wodurch sich menschliches Leben verlängern lässt. Es ging um Quantität, ein Mehr an Lebensjahren. Mit deutlich zunehmender Lebenserwartung rückte das Interesse an solchen Fragestellungen immer mehr in den Hintergrund. Heute ist das Ziel in erster Linie das Verbessern der Lebenssituation im Alter. Dabei geht es vor allem um Antworten auf die Fragen: –– Was verändert sich wie, wenn Menschen älter werden? (Physisch, psychisch, sozial …) –– Warum treten diese Veränderungen ein? –– Wie lassen sich diese Veränderungen beeinflussen? ► Intervention. So gab es einen Interessenwandel von Quantität hin zur Qualität. Intervention ● (lat. intervenire = dazwischentreten, aufhalten unterbrechen, eingreifen) Dieser Begriff beschreibt jegliche Form des Eingreifens in den Alterungsprozess, also Pflege, Therapie, Aktivierung, Rehabilitation

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Gerontologie – das Altern verstehen

usw. Zu Beginn gerontologischer Forschung wurde Intervention noch als zweitrangig betrachtet. Damals lag der Schwerpunkt mehr auf der Diagnostik, also dem Feststellen und Erkennen von Veränderungen im Rahmen der Alterung. Das Interesse lag eher auf der Frage, was mit zunehmendem Alter abnimmt, was schlechter wird, welche Fähigkeiten nachlassen. Heute haben sich Aufgaben- und Fragestellung geändert. Zahlreiche Erscheinungen, die mit dem Altern auftreten, werden als beeinflussbar betrachtet und nicht mehr als zwingende Begleiterscheinungen des Alterungsprozesses. So wird die Bedeutung von Prävention (lat. praevenire = zuvorkommen, Vorbeugung), Therapie, Aktivierung und Rehabilitation immer höher geschätzt. Insbesondere die Förderung der Bereiche Motorik | Mobilität und Kognition, von Denken und Bewegen, hat aktuell große Bedeutung. Komorbidität ● (lat. co | con = zusammen, mit; morbus = Krankheit) Dieser Begriff bezeichnet eine Begleiterkrankung oder ein Syndrom (Kombination verschiedener Symptome), die zusätzlich zu einem diagnostisch abgrenzbaren Krankheitsbild, einer Grund- oder Haupterkrankung auftreten. ► Multimorbidität. Lehre ● Erkenntnisse, Einsichten und empirische Daten der Alternsforschung finden heute Eingang in beinahe alle Lebensbereiche. Sie geben Impulse zur Verbesserung der Lebenssituation von Menschen im fortgeschrittenen Alter. Ergebnisse gerontologischer Forschung gehören u. a. in die Ausbildungsinhalte von Pflege- und anderen sozialen Berufen. Multimorbidität ● (lat. multi = viele, morbus = Krankheit) Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit für das gleichzeitige Auftreten mehrerer chronischer und fortschreitender Erkrankungen, deren Heilung nicht mehr möglich ist. In der klassischen Medizin steht heute bei alten Menschen daher nicht mehr die Heilung von Erkrankungen im Mittelpunkt, sondern therapeutisches Bemühen um Verbesserung oder Erhalt des aktuellen Zustands. Ziele sind in erster Linie die Funktionsfähigkeit im Alltag, Lebensqualität und Autonomie (Unabhängigkeit, Selbstständigkeit, Willensfreiheit).

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GERONTOLOGIE

Gesundheitsprobleme im Alter sind oft ein komplexes Geschehen, bei dem mehrere Faktoren sich gegenseitig beeinflussen und so eine isolierte Therapie erschweren. Häufig tritt auch so genannte ► Komorbidität auf. Die Aspekte von Ko- und Multimorbidität sind heute wichtige Schwerpunkte gerontologischer Forschung. Partizipation ● (lat. participere = teilen lassen, teilhaben) Gesellschaftliche Teilhabe ist erklärtes Ziel von Maßnahmen für alte Menschen. Es geht um Integration bzw. Inklusion (includere = einlassen, einschließen). Menschen sollen und wollen auch im höheren Alter Teil der Gesellschaft sein, ihre Rolle spielen im Miteinander der Generationen. Forschungsprojekte arbeiten daran herauszufinden, wie es um die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft bestellt ist und wie es möglich ist, alte Menschen in allen Lebensbereichen ausreichend einzubeziehen. Selbstständigkeit ● Eines der Forschungsziele ist, Menschen im Alter möglichst lange die Selbstständigkeit zu erhalten. Selbstbestimmt und ohne oder mit möglichst wenig Unterstützung auszukommen, den eigenen Alltag gestalten zu können – darum geht es. Wie das gelingen kann, welche Maßnahmen dazu beitragen, Kompetenzen zu erhalten oder auszubauen, damit beschäftigt sich die Forschung. Wissensvermittlung ● Politisches Ziel gerontologischer Forschung und Lehre ist u. a., Senioren vermehrt Wissen und Technikkompetenzen zu vermitteln. So werden bundesweit zahlreiche Projekte gefördert, die sich damit beschäftigen älteren Generationen niederschwellige Zugänge zu neuen Medien und Technik zu ermöglichen. Ortsunabhängige und individuelle Wissensvermittlung über elektronische Lernsysteme auf der Basis von Kommunikation per Audio- und Videotechnik sind ebenso Inhalt wie Fragen von Datensicherheit und ethischen Aspekten.

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Gerontologie – das Altern verstehen

Teilwissenschaften Anwendungsbereiche ● Die Gerontologie ist kein Selbstzweck, son-

dern ihr Ziel ist, die Lebensqualität von Menschen, insbesondere im Alter, zu verbessern. Daher müssen die gewonnenen Erkenntnisse im Alltag spürbar werden. Nicht immer ist Betroffenen deutlich, welche Vorteile die Vernetzung der verschiedenen Wissenschaftsbereiche bringt. Doch tatsächlich wirken gerontologische Forschungsergebnisse sich z. B. aus in –– Sport- und Bewegungsangeboten für Senioren, ohne die heute kein Turn- und Sportverein und kein Fitnessstudio mehr auskommt, –– Bildungs- und Freizeitangeboten für Ältere, die in beinahe jedem Veranstaltungskalender entsprechender Einrichtungen zu finden sind, –– Stadtplanung und Architektur mit veränderten Standards und neueren Wohnformen, –– der Touristik mit Reiseangeboten, die zunehmend den Bedürfnissen älterer Menschen entsprechen, –– der Technik, die vermehrt Rücksicht auf alternsbedingte Veränderungen nimmt mit gut erkennbaren und leicht zu handhabenden Bedienelementen an Telefonen, Haushaltsgeräten, Autos usw. –– der Mode mit Kleidungsstücken, die unterschiedlichen körperlichen Einschränkungen entgegenkommen, –– der Rechtslage, die mit dem Betreuungsgesetz seit 1990 bzw. 1992 der Tatsache Rechnung trägt, dass ein Mensch, der einzelne Teilkompetenzen verliert, nicht zwingend seine komplette Handlungskompetenz aufgibt, –– den Rentenreformen und -gesetzen, die auf der Basis von demografischen und volkswirtschaftlichen Entwicklungen erfolgen. Ganzheitlichkeit ● Die Gerontologie als eine vergleichsweise junge Wissenschaft bündelt und vernetzt Erkenntnisse aus unterschiedlichen Bereichen. Sie zeichnet ein ganzheitliches Bild vom Altern und von der Situation alter Menschen. ► Holismus.

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GERONTOLOGIE

Holismus ● Der Holismus oder die Ganzheitslehre ist eine philosophische Denkrichtung. Dabei wird der Mensch aus der Sicht verschiedener Bereiche betrachtet und als ganzheitliches Wesen angesehen.  „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“ So beschrieb einst Aristoteles3 die Auffassung, dass ein System – und damit auch der Mensch – eine Einheit ist, die nicht komplett aus dem Zusammenwirken einzelner Elemente zu verstehen ist. Diese Betrachtungsweise ist gerade in der Altenpflege von Bedeutung. Körper, Geist und Seele stehen in ständiger Wechselbeziehung und bilden eine Einheit im Zusammenwirken mit der Umwelt. Interdisziplinarität ● (lat. inter = zwischen) Die verschiedenen Teilwissenschaften tauschen ihre Erkenntnisse untereinander aus. Unter dem Dach der Gerontologie findet die Vernetzung aller Informationen statt, die das Alter und das Altern betreffen. Die Ausgestaltung immer neuer Wissenschaftsbereiche und die sich ständig ändernden Lebensbedingungen machen eine fortlaufende Zunahme der Interdisziplinarität erforderlich. Immer mehr Teilaspekte entwickeln sich. Dabei profitieren die einzelnen Teilwissenschaften jeweils voneinander. So sind z. B. Erkenntnisse der Sportwissenschaft und der Neurowissenschaften mit dafür verantwortlich, dass die Pflegewissenschaft die Bereiche Motorik bzw. Mobilität und Kognition heute bedeutsamer einschätzt als noch vor einigen Jahren. Das Fördern beider Bereiche gehört in der Altenpflege heute selbstverständlich zum Alltag. Umgekehrt beschäftigen sich Sport und Neurowissenschaften vermehrt mit Fragen des Alterns und nutzen Erkenntnisse der Pflegewissenschaften, z. B. hinsichtlich des Umgangs mit Menschen bei Vorliegen bestimmter Einschränkungen. Multidisziplinarität ● Die Gerontologie hat multidisziplinären Charakter (lat. multi = viele). Das bedeutet, dass viele Wissenschaftsbereiche als Teilwissenschaften in die Forschung einbezogen sind. Sowohl Natur- als auch Sozialwissenschaften liefern Beiträge. Das allein bedeutet jedoch noch nicht zwingend Kooperation, sondern beschreibt zunächst das 3 Griechischer Philosoph (384 – 324 v. Chr.)

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Gerontologie – das Altern verstehen

­ ebeneinander mehrerer Disziplinen ohne die Voraussetzung inhaltliN cher Zusammenarbeit oder Wechselwirkung. Erst die ► Interdisziplinarität schließt eine weitgehend gleichberechtigte Kooperation mehrerer Teilwissenschaften ein. Pflege ● Die Pflege hat sich nicht nur in den letzten Jahrzehnten als eigene Wissenschaft entwickelt, sondern sie profitiert gleichzeitig enorm von Forschungsergebnissen aus anderen Wissenschaftsbereichen. So wird die Arbeit von Pflegenden durch zahlreiche technische Hilfsmittel wie Lifter, vielseitig verstellbare Pflegebetten oder digitale Dokumentationssysteme erleichtert. Die Entwicklung immer neuer Hilfs- und Arzneimittel lässt Menschen mit chronischen Erkrankungen länger leben und dabei ein hohes Maß an Selbstständigkeit erhalten. Intelligente Technik wie moderne Hörhilfen, Notrufsysteme, Herzschrittmacher etc. und Mobilitätshilfen wie Rollatoren und Rollstühle usw. sind aus dem Alltag von Pflegenden und Gepflegten nicht mehr wegzudenken. Querdisziplinarität ● Dieser Begriff beschreibt die Zusammenarbeit verschiedener Teilbereiche, die jedoch vornehmlich von einer Wissenschaftsdisziplin initiiert, bestimmt und koordiniert wird. Leitende Disziplin der Gerontologie kann – je nach Forschungsgegenstand – z. B. die Psychologie, die Soziologie oder die Sportwissenschaft sein. Wissenschaftsdisziplin ● Mit diesem Begriff sind Teil- oder Spezialgebiete eigenständiger Wissenschaften gemeint. So beschäftigen sich Zweige einzelner Wissenschaften mit dem Altern aus der Sicht ihrer jeweiligen Interessengebiete. Häufig wird das verdeutlicht durch Bezeichnungen mit entsprechenden Vorsilben wie  „Gera-“, „  Gero-“ oder  „Geronto-„ usw. Die Geragogik widmet sich z. B. der Bildung im Alter, die Geriatrie der Heilkunde von Alterserkrankungen oder die Gerontosoziologie den Formen des Zusammenlebens im Alter. Die Anzahl der Wissenschaften, die sich speziell mit Aspekten des Alterns auseinandersetzen, wächst stetig. Das Bild, das vom Altern und seinen Ursachen und Bedingungen entsteht, wird daher immer differenzierter, die Palette der Anwendungsbereiche immer breiter. So ist etwa das

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GERONTOLOGIE

Interesse der Sportwissenschaften und der Informatik am Älterwerden später entstanden als das der Medizin. Wie die folgende Abbildung zeigt, erfolgt der Informationsfluss und -austausch in beide Richtungen – aus jeder Wissenschaft in die Gerontologie und von dort in andere Wissenschaften hinein.

Psychologie ???

Soziologie

Rechts­ wissenschaft

Pädagogik

Volks­ wirtschaft

Medizin

Betriebs­ wirtschaft

Psychiatrie

Gerontologie

Biologie

Informatik

Pflege­ wissenschaft

Sport­ wissenschaft

Theologie

Demografie

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Pharmakologie

Gerontologie – das Altern verstehen

Forschungsmethoden Befragung ● Diese Methode wird in der empirischen Sozialforschung

häufig eingesetzt, z. B. um Meinungen und Einstellungen zu ermitteln, Erkenntnisse über Verhalten und Erleben von Menschen zu gewinnen oder um biografische Informationen zu sammeln. Eine Befragung kann mündlich – dann häufig als Interview bezeichnet – oder schriftlich mit einem Fragebogen durchgeführt werden. Dabei werden sowohl objektive als auch subjektive Daten erhoben. Fragen beziehen sich auf Wissen, Erlebnisse und Erfahrungen, Vorurteile, Gefühle, Motive, Wünsche, Interessen, Ansprüche, Zukunftserwartungen usw. Es wird unterschieden zwischen der so genannten ► offenen Befragung und der ► standardisierten Befragung. Es kommen ► offene Fragen und ► geschlossene Fragen zum Einsatz. Häufig werden, auch um Fehler zu vermeiden, beide Formen miteinander kombiniert. In der Altenpflege kommen Befragungen in unterschiedlichen Zusammenhängen vor, insbesondere bei der Aufnahme von Heimbewohnern oder im Erstgespräch mit Kunden eines Pflegedienstes. Häufig wird mit Hilfe von Befragungen die Zufriedenheit ermittelt – mit der Qualität der Pflege, mit den Freizeit- und Beschäftigungsangeboten, mit den Mahlzeiten usw. Ebenso wie bei anderen Methoden, können auch bei der Befragung Fehler die Ergebnisse beeinträchtigen. Die fragende Person kann durch ihre Art die befragte Person beeinflussen. Formulierung und Auswahl der Fragen kann ebenso eine Fehlerquelle sein wie die Auswertung von Antworten und die Interpretation von Ergebnissen. Beobachtung ● Pflegende sind in der Regel gute Beobachter. Ständig beobachten sie z. B. Haut, Gangbild, Sozialverhalten, Freizeitverhalten … der von ihnen gepflegten alten Menschen. Beobachtung ist auch eine Methode wissenschaftlichen Arbeitens. Das Besondere an der Beobachtung ist, dass sie eigenständige Methode, aber gleichzeitig wesentlicher Bestandteil anderer Forschungsmethoden ist. So wird z. B. bei verschiede-

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GERONTOLOGIE

nen Tests oder Experimenten die Ausführung von Aufgaben und Handlungen beobachtet und eingeschätzt. Anders als bei gelegentlicher Alltagsbeobachtung meint die wissenschaftliche Beobachtung die gezielte und planmäßige Wahrnehmung von Verhaltensweisen, Sachverhalten oder Ereignissen. Häufig kommen dabei Medien zum Einsatz wie Videoaufnahmen etc. Die Psychologie unterscheidet zwischen –– ► Selbstbeobachtung und ––



Fremdbeobachtung.

Problem beim Einsatz der Methode Beobachtung ist die Subjektivität der beobachtenden Person. Dabei können sich Wahrnehmungsfehler aufgrund von Vorerfahrungen, Einstellungen, Vorurteilen usw. einschleichen, die die wissenschaftliche Aussagefähigkeit einschränken. Doppelblindstudie ● Bezeichnung für Testreihen, mit denen die Wirksamkeit von Medikamenten überprüft wird. Dabei werden die Teilnehmenden in zwei Gruppen eingeteilt – eine Verumgruppe, der das Präparat mit Wirkstoff verabreicht wird und eine Placebogruppe, die ein Scheinmittel ohne Wirkstoff erhält. Weder Arzt noch Patient wissen, wer was bekommt. Beide sind  „blind“. Nach einiger Zeit werden beide Gruppen getauscht (cross over). So wird die Wirkung nicht durch Glauben beeinflusst, zumal die Gruppeneinteilung zufällig (randomisiert) erfolgt. Empirie ● (gr.-lat. = erfahrungsgemäß, aus der Erfahrung | Beobachtung, dem Experiment entnommen) Gewinnen wissenschaftlicher Erkenntnisse aus Erfahrung. Dabei werden systematisch Daten gesammelt und ausgewertet. Experiment ● Klassische Methode in den Naturwissenschaften wie Biologie, Chemie, Physik. Doch auch in Psychologie und Sozialwissenschaften werden Experimente durchgeführt. Dabei wird ein Geschehen absichtlich und gezielt in Gang gesetzt. Es läuft nach einem konkreten Versuchsplan ab, bei dem gezielt und kontrolliert bestimmte Bedingungen variiert werden. Störfaktoren sind da-

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Gerontologie – das Altern verstehen

bei auszuschalten. Ein Experiment lässt sich nach gleicher Versuchsanordnung wiederholen. Unterschieden werden zwei Arten von Experimenten: –– ► Feldexperiment und ––



Laborexperiment.

Feldexperiment ● Die Versuchspersonen (Probanden) befinden sich in ihrer natürlichen Umgebung und werden dort beobachtet. Diese natürliche Umgebung kann z. B. der Straßenverkehr, ein Einkaufszentrum, eine Wohngemeinschaft oder ein Pflegeheim sein. Die Versuchspersonen wissen nicht, dass sie an einem Experiment teilnehmen und verhalten sich daher unbeeinflusst. Mit Feldstudien wurde und wird z. B. in der Völkerkunde gearbeitet, wenn Naturvölker in ihrem Lebensumfeld beobachtet werden oder in der Verhaltensforschung an Tieren, die in ihrem natürlichen Lebensraum begleitet werden. Ebenso können Bewohner eines Pflegeheims oder eines gerontopsychiatrischen Wohnbereichs im Rahmen eines Feldexperiments in ihrer vertrauten Umgebung wissenschaftlich untersucht werden. Problem ist, dass unter solch natürlichen Bedingungen nicht alle Einflüsse bekannt und Störfaktoren nur begrenzt kontrollierbar sind. Vorteil von Feldexperimenten ist dagegen eine hohe Übertragbarkeit in ähnliche Anwendungssituationen. Fremdbeobachtung ● Methode zur gezielten Wahrnehmung fremden Verhaltens und Erlebens. Die Beobachtung kann systematisch oder frei und unsystematisch stattfinden und beide Formen sind teilnehmend und nicht teilnehmend möglich. Teilnehmend bedeutet, dass die beobachtete Person sich der Beobachtungssituation bewusst ist. Der Beobachter ist aktiv ins Geschehen einbezogen. Kehrt z. B. eine Pflegeheimbewohnerin aus dem Krankenhaus zurück und ist zunächst nicht mehr gehfähig, so kann eine Pflegekraft gemeinsam mit der Bewohnerin regelmäßige Mobilisation und ein Gehtrai-

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GERONTOLOGIE

ning durchführen. Dabei kann sie beobachten, welche Übungen wie ausgeführt werden und welche Veränderungen im Lauf der Zeit auftreten. Nicht teilnehmende Beobachtung ist z. B. sinnvoll im Zusammenhang mit der Aufnahme einer neuen Bewohnerin, die in der ersten Zeit begleitet wird. Sie weiß nicht, dass ihr Verhalten gezielt beobachtet wird, um Interessen, Gewohnheiten, Vorlieben, Unterstützungsbedarf usw. herauszufinden. Ebenfalls nicht teilnehmend wird häufig das Verhalten von Menschen mit Demenz beobachtet, teils mit sehr speziellem und strukturiertem Verfahren.4 Fehler und Probleme gibt es bei der Fremdbeobachtung u. a. durch Subjektivität der Wahrnehmung durch die beobachtende Person, außerdem durch Erinnerungsfehler bei rückwirkender Betrachtung. Bei teilnehmender Beobachtung verfälscht das Wissen um die Situation häufig das Verhalten. Wird z. B. ein Mensch beobachtet im Zusammenhang mit der Einstufung in die Pflegeversicherung, kann es sein, dass er sich völlig anders verhält als gewöhnlich im Alltag. Wissenschaftlich brauchbare Ergebnisse können durch Fremdbeobachtung am besten dann erzielt werden, wenn systematisch und nicht teilnehmend gearbeitet wird, viele Beobachter im Einsatz sind und die Ergebnisse zeitnah dokumentiert werden. Geschlossene Frage ● Es bestehen ausschließlich vorgegebene Möglichkeiten in Form von Antwort-Kategorien, z. B.  „ja“,  „nein“,  „weiß nicht“ usw. Befragte können nur zwischen den vorgesehenen Angaben wählen, Zutreffendes ankreuzen. Laborexperiment ● Bei dieser Form des Experiments werden künstliche Bedingungen geschaffen. Die Untersuchungen müssen keineswegs in geschlossenen Räumen, also nicht in einem klassischen Labor, stattfinden. Aber die Versuchsanordnung ist so gestaltet, dass die Umgebung manipuliert, also künstlich gestaltet wird. Damit werden die Bedingungen 4 Ein solches Verfahren mit speziellen Beobachtungbögen zur Erhebung der Pflege- und Lebensqualität von Menschen mit Demenz ist das  „Dementia Care Mapping (DCM)“.

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Gerontologie – das Altern verstehen

kontrollierbar und sie lassen sich gezielt verändern. Die Teilnehmer wissen, dass sie Probanden in einem Laborexperiment sind. Laborexperimente wurden z. B. im Zusammenhang mit gezieltem Reizentzug durchgeführt. Sie werden auch in der Markt- und Produktforschung angewandt. Vorteil der Methode: Versuchsbedingungen sind klar definiert und problemlos wiederherstellbar, so dass Laborexperimente sich leicht wiederholen lassen. Nachteil ist die Realitätsferne, das durch die künstliche Umgebung beeinflusste Verhalten. Längsschnittstudie ● Im Gegensatz zur ► Querschnittstudie werden bei dieser verhaltens- und sozialwissenschaftlichen Forschungsmethode dieselben Menschen – Einzelpersonen oder Gruppen – über lange Zeiträume mit gleichen Methoden untersucht. So lassen sich Prozesse beobachten. Gerade wenn es ums Älterwerden geht, ist dies bedeutsam. So werden nicht einfach junge und alte Menschen miteinander verglichen, sondern Veränderungen und Entwicklungen bei der Alterung lassen sich verfolgen. Diese Form der Untersuchung ist sehr zeit-, personal- und kostenaufwendig. Schwierig ist oft, die Probanden über lange Zeiträume als Studienteilnehmer zu halten. Offene Befragung ● Dabei sind keine Antworten vorgegeben. Die Befragten können völlig frei antworten. Das Problem bei der offenen Befragung liegt in der Schwierigkeit bei Auswertung und Vergleichbarkeit von Antworten. Den Befragten ist die Möglichkeit einer sehr individuellen und ausführlichen Beantwortung gegeben. So lassen sich später nur schwer Ergebnisse zusammenfassen und zu greifbaren Aussagen bündeln. Fragt z. B. ein Pflegeheim seine Bewohnerinnen und Bewohner nach Wünschen hinsichtlich der Verpflegung, so möchte die eine häufiger Fisch, der nächste öfter Eintöpfe, jemand kein Fleisch, manche mediterrane Kost usw. Da ist es schwierig, Gemeinsamkeiten herauszufinden und den Speiseplan so zusammenzustellen, dass er den Vorstellungen vieler gerecht wird.

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GERONTOLOGIE

Offene Frage ● Lässt der antwortenden Person Spielraum, gibt Gelegenheit zu ausführlicher und individueller Stellungnahme. Proband ● (lat. probandus = zu Untersuchender) Testperson | Versuchsperson, die an einer wissenschaftlichen Untersuchung teilnimmt. Querschnittstudie ● Dabei wird in der Regel eine repräsentative Auswahl von Personen unter einem bestimmten Aspekt betrachtet. Es handelt sich quasi um eine Momentaufnahme zu einer speziellen Thematik, um Stichproben zu einem einzigen Zeitpunkt. Im Gegensatz zur ► Längsschnittstudie ist bei dieser verhaltens- und sozialwissenschaftlichen Forschungsmethode der Aufwand an Zeit und Kosten vergleichsweise gering. Die Aussagekraft von Begründungszusammenhängen hinsichtlich beschriebener Prozesse ist jedoch eingeschränkt. Repräsentativerhebung ● Diese Form der Untersuchung ermöglicht Aussagen über Gruppen von Menschen mit bestimmten Merkmalen, z. B.  „Rentnerinnen und Rentner“,  „Menschen mit einer Einstufung in Pflegegrad 3“, „  Heimbewohner“ usw., ohne dass dafür alle Personen mit diesem Merkmal betrachtet werden müssen. Nach einem Auswahlverfahren wird von allen, für die das jeweilige Merkmal gilt, der so genannten Grundgesamtheit, eine Teilgesamtheit für eine Stichprobe festgelegt. Um z. B. Aussagen zur Lebenssituation der Über-85-Jährigen zu treffen, ist es kaum möglich, alle zu dieser Altersgruppe gehörigen Menschen zu befragen. Daher wird eine Auswahl im Sinn eines Querschnitts aus dieser Bevölkerungsgruppe getroffen hinsichtlich Familienstand, Gesundheit, Bildung, Wohnort, Einkommen usw. Die Ergebnisse aus der Untersuchung dieser Teilgruppe werden übertragen auf die Gesamtheit aller derjenigen, für die die Bedingung gilt. Die Stichprobe braucht bei entsprechender Auswahl nur einen kleinen Teil der jeweiligen Bevölkerungsgruppe zu umfassen. So werden z. B. häufig rund 2.000 Menschen befragt, wenn es darum geht, eine Aussage über  „die Deutschen“, also über rund 80 Millionen Menschen, zu treffen.

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Gerontologie – das Altern verstehen

Repräsentativität ● (lat.-frz. eine [Personen-]Menge nach Beschaffenheit und Zusammensetzung vertretend, stellvertretend) Eine kleine Menge, für die eine Aussage getroffen wird, steht stellvertretend für eine größere Menge mit gleichen oder ähnlichen Merkmalen. Selbstbeobachtung ● Methode zur gezielten Wahrnehmung eigenen Verhaltens und Erlebens. Sie kann gleichzeitig mit einem Handlungsablauf zum Einsatz kommen oder rückwirkend. Die Selbstbeobachtung ist unerlässlich für Pflegende im Umgang mit anderen Menschen. Dabei unterzieht die Pflegekraft immer wieder in verschiedenen Situationen ihr Verhalten einer kritischen Überprüfung. Das kann situationsbedingt unsystematisch und ergebnisoffen erfolgen, einfach zur Selbstkontrolle. Es kann aber ebenso strukturiert, entlang an festgelegten Beobachtungskriterien erfolgen, etwa im Zusammenhang mit dem Nachgespräch bei einer Pflegevisite. Selbstbeobachtung ist außerdem beim alten Menschen selbst gefragt, wenn es z. B. darum geht, Schmerz zu beschreiben oder die Entwicklungen im Rahmen eines Therapieverlaufs. Da bei dieser Form der Beobachtung beobachtende und beobachtete Person identisch sind, kann es leicht zu Fehlern kommen, zumal dabei Gefühle im Spiel sind, die die Wahrnehmung verfälschen können. Standardisierte Befragung ● Dabei sind die Fragen, deren Abfolge und in der Regel die meisten oder alle Antwortvorgaben festgelegt. Variationen sind nicht vorgesehen. Die standardisierte Befragung ist problemlos auszuwerten und zu vergleichen. Die Antwortmöglichkeiten sind stark formalisiert und eingegrenzt, geben keinen Raum für Individualität. Test ● Allgemein handelt es sich um eine durchdachte Methode, eine Untersuchung, einen Versuch, eine Prüfung, ob bestimmte Kriterien erfüllt sind, z. B. bei Warentests oder Funktionstests, klinisch-diagnostischen oder psychologischen Tests – ein wissenschaftliches Routineverfahren zum Erfassen von Merkmalen.

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GERONTOLOGIE

In der Altenpflege kommen Mitarbeitende nicht nur in der Behandlungspflege mit Tests in Berührung, z. B. beim Blutzuckertest, sondern auch wenn es darum geht, Ressourcen zu ermitteln oder Arztberichte zu lesen und Testergebnisse einzuordnen. So geben unterschiedliche Tests Auskunft über kognitive Leistungsfähigkeit, auch im Hinblick auf demenzielle Entwicklungen, und über Persönlichkeitsmerkmale. Andere Tests liefern Informationen über motorische Fähigkeiten wie Kraft, Koordination usw. Mit dem Begriff „ Test“ wird sowohl das Testverfahren bezeichnet als auch das Material und der Vorgang des Testens. Ebenso wie bei anderen Forschungsmethoden, gibt es auch beim Test Fehlerquellen. Diese liegen vor allem in der Art der Durchführung, der Beobachtung und der Einschätzung von Ergebnissen. Damit Tests dennoch möglichst fehlerfrei erfolgen, werden für wissenschaftlich angelegte Verfahren Gütekriterien festgelegt. Dazu gehören –– Standardisierung, u. a. von Testmaterial und Durchführungshinweisen, damit weitgehend gleiche Bedingungen für alle Testungen gelten. –– Normierung, d. h. Einbindung in ein Bezugssystem, das individuelle Testergebnisse mit repräsentativen Stichproben anderer Testpersonen vergleicht und einordnet. –– Gültigkeit, d. h. es muss ein Nachweis erbracht werden, dass getestete und reale Fähigkeiten übereinstimmen. –– Zuverlässigkeit, d. h. mehrmaliger Einsatz desselben Tests muss weitgehend einheitliche bzw. vergleichbare Ergebnisse bringen. –– Einflussmöglichkeiten der testenden Person müssen weitgehend vermieden werden, um ein hohes Maß an Objektivität herzustellen.

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Gerontologie – das Altern verstehen

Bedeutung Altenbericht ● In jeder Legislaturperiode erscheint ein Altenbericht

der Bundesregierung, auch  „Bericht zur Lage der älteren Generation“ betitelt. Ursula Lehr5 gab 1989 den Impuls für diese Maßnahme. So erschien der erste Altenbericht 1993. Seither wird jeweils eine Expertenkommission von der zuständigen Ministerin bzw. dem Minister berufen, die das Werk erarbeitet und dabei thematische Schwerpunkte setzt. Der aktuelle Achte Altenbericht ist dem Thema  „Ältere Menschen und Digitalisierung“ gewidmet, wird von einer zehnköpfigen Fachkommission erarbeitet und soll Ende 2019 erscheinen. Altenpflege ● Die Altenpflege profitiert von gerontologischer Forschung. Sie hat sich – auch als Konsequenz wissenschaftlicher Arbeit – in den letzten Jahrzehnten sehr verändert. Das gilt für die Qualität rein pflegerischer Versorgung durch immer neue Erkenntnisse, z. B. hinsichtlich von Wundversorgung, Lagerung, Förderung von Mobilität und Kognition usw., für die Ausstattung mit Hilfsmitteln, die bauliche Gestaltung. Das gilt ebenso für die innere Struktur – weg von den dreigliedrigen Einrichtungen der 1970er- und den Wohnbereichen der 1990er-Jahre, hin zu Haus- und Wohngemeinschaften, gerontopsychiatrischen Einrichtungen, betreuten Wohnanlagen, ambulanter und teilstationärer Versorgung. Altenplan ● Erstmals 1992 wurde vom damaligen Seniorenministerium ein Bundesaltenplan aufgelegt als ein Förderinstrument der Altenpolitik. Auf der Basis gerontologischer Forschungsergebnisse wird jeweils der aktuelle Bundesaltenplan erstellt. Er setzt inhaltliche Schwerpunkte und gibt Impulse zur Weiterentwicklung der Altenhilfe und Altenarbeit. Gemäß seinen Richtlinien zur Förderung werden im Rahmen des Bundesaltenplans unterschiedliche Projekte unterstützt. Dem Beispiel des Bundes folgend, legen Bundesländer und Landkreise ähnliche Altenpläne auf und regeln so ihre Förderprogramme.

5 Ursula LEHR (*1930), Gerontologin und Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit 1988-1991

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GERONTOLOGIE

Bildung ● Waren noch vor Jahrzehnten Menschen im Rentenalter eher in Seniorenkreisen bei Kaffee und Kuchen zu finden, so nehmen sie heute sehr selbstverständlich Bildungsangebote wahr und nutzen so ihre neuen zeitlichen Kapazitäten nach Ende der Erwerbstätigkeit. Ob in Universitäten oder Volkshochschulen, ob Sprachkurs oder Computerworkshop, Werkstatttheater oder Literaturzirkel, alte Menschen sind eingebunden in die Gesellschaft, beteiligen sich an Bildungs- und Kulturangeboten. Nachdem gerontologische Forschung gezeigt hat, dass Lernen in jedem Alter, also auch für Hochaltrige möglich ist, bereichern entsprechende Angebote den Alltag Älterer und tragen dazu bei, dass sie durch Aktivität Fähigkeiten lange erhalten. Engagement ● Bürgerschaftliches Engagement ist nicht nur für jüngere Menschen möglich, sondern gerade Ältere, die nach Eintritt ins Rentenalter über neue Zeitreserven verfügen, bieten großes Potenzial an personellen Ressourcen. Betroffenen geeignete Tätigkeitsfelder aufzuzeigen und sie bei ehrenamtlichem Einsatz zu begleiten, ist wichtige öffentliche und politische Aufgabe. Die Gerontologie weist immer wieder in Studien nach, dass die Älteren selbst von sozialem Engagement ebenso profitieren wie diejenigen, die es in Anspruch nehmen. Gesundheitswesen ● Das Gesundheitswesen mit seinen Organisationen ist von Ergebnissen gerontologischer Forschung beeinflusst. Die steigende Anzahl älterer Menschen ist ebenso bedeutsam für die Gestaltung des Gesundheitswesens wie deren Lebenssituation und Gesundheitszustand. So erfordert z. B. die Tatsache, dass Menschen immer älter werden entsprechende Maßnahmen der Gesundheitspolitik. Ausreichende Anzahl an geriatrisch ausgebildeten Medizinern ist ebenso erforderlich wie genügend therapeutisches Personal. Krankenhäuser müssen auf geriatrische Patienten vorbereitet sein und Krankenversicherungen auf die finanziellen Erfordernisse, die im Zuge der Langlebigkeit entstehen. Das sind nur einige Beispiele.

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Infrastruktur ● Der zunehmende Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung macht es erforderlich, dass deren Bedürfnisse bei der Gestaltung der Infrastruktur berücksichtigt werden. Das gilt z. B. für den öffentlichen Nahverkehr. Da sollten Busse und Bahnen ohne Schwierigkeiten mit Rollator oder Rollstuhl zu nutzen sein. Sichere Fußgängerwege und längere Ampelphasen werden gebraucht. In Wohnortnähe wird medizinische Versorgung mit Ärzten, Pflegediensten, Therapeuten, Apotheken usw. benötigt. Beratungseinrichtungen wie Pflegestützpunkte gilt es zu unterhalten. Bildungsangebote und Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung müssen vorhanden sein. So stellen z. B. Bibliotheken sich auf ältere Nutzer ein, indem sie E-Book-Reader anschaffen und eine passende Medienauswahl treffen. Die Reihe an Beispielen ließe sich fortsetzen. Lebensqualität ● Das Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Gestaltungsmöglichkeiten im Alter ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Die Ansprüche haben sich verändert. Menschen werden älter und möchten ihre letzte Lebensphase angenehm und aktiv gestalten. Die Gerontologie trägt dazu bei, dass immer mehr Möglichkeiten dazu geschaffen werden durch Beratung, technische Hilfsmittel, medizinische und pflegerische Maßnahmen, Bildungsangebote usw. So können immer mehr Menschen bei guter Lebensqualität ein hohes Alter erreichen. Lebensverlängerung ● War noch vor Jahrzehnten die Frage, wie sich menschliches Leben verlängern lässt, im Mittelpunkt gerontologischer Forschung, so ist dieses Thema heute nachrangig. Im Moment werden Menschen vor dem Hintergrund der Fortschritte in Medizin, Hygiene, Gesundheitsvorsorge etc. ohnehin stetig älter, ohne dass dies ausdrücklich Ziel der Forschung ist. Sozialversicherung ● Ob Renten-, Kranken- oder Pflegeversicherung – die Systeme der sozialen Absicherung in Deutschland müssen langfristig planen und benötigen dazu die Forschungsergebnisse der Gerontologie. Die Kosten für immer mehr alte Menschen müssen finanziert und die Belastungen umverteilt werden, zumal sie von immer weniger Erwerbstätigen zu tragen sind.

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GERONTOLOGIE

Sport ● Nachdem Gerontologie und Sportwissenschaften immer genauer belegen können, wie wichtig Sport und Bewegung im und für das Alter sind, gibt es heute kaum einen Ort oder eine Gemeinde, die keine Seniorensport-Angebote im Programm hat. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Turnverein, ein Fitnessstudio, ein Wohlfahrtsverband, eine Kirchengemeinde oder eine Pflegeeinrichtung als Anbieter auftritt. Wichtig ist, dass überall Möglichkeiten zu körperlicher Betätigung bestehen. Wohnungsbau ● Um dem steigenden Bedarf an Wohnraum für alte Menschen gerecht zu werden, benötigen Stadtplaner und Politik Informationen über deren Bedürfnisse. Barrierefreiheit ist dabei nur ein Aspekt. Wohnungsgrößen, Lage in der Stadt oder auf dem Land, Gemeinschaftsanlagen, Infrastruktur usw. sind weitere Punkte, die im Alter oft andere Bedingungen stellen als in früheren Lebensphasen. Variabilität und Anpassung sind heute Anforderungen, wenn lebensbegleitendes Wohnen möglich werden soll.

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THEORIE & PRAXIS Wissenschaft verändert den (Pflege-)Alltag „Eine Wissenschaft für sich …“ Damit meint der Volksmund in der Regel etwas, das schwierig zu verstehen und zu begreifen ist. Tatsächlich aber bedeutet der Begriff Wissenschaft die Forschung auf einem bestimmten Gebiet, die ein nachvollziehbares Wissen erarbeitet, und die dazugehörige Weitergabe des Wissens durch entsprechende Lehre. Auszubildende in der Altenpflege und deren Anleiter beanstanden immer wieder, dass es an vielen Stellen Unterschiede gibt zwischen „  schulischer Pflege“ und dem „  echten Pflegealltag“. So manche betrachten daher einen großen Teil der Ausbildungsinhalte als überflüssig, weil die „  sowieso nicht umsetzbar“ sind. Zwischen Theorie und Praxis klafft – auch in den Köpfen von Mitarbeitern – vielfach eine große Kluft. Und wenn wissenschaftliche Studien oft nur bestätigen, was Einzelne doch ohnehin schon aus Erfahrung wussten, wird die Forschung in dem Bereich dann überhaupt benötigt? Müssen sich Auszubildende wirklich mit Theorie quälen? Tatsächlich verändern und verbessern wissenschaftliche Erkenntnisse das Leben alter Menschen und den Arbeitsalltag von Mitarbeiterinnen in der Altenpflege enorm. Nur ist diese Tatsache nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Die Zusammenhänge zwischen Theorie und Praxis zu begreifen, ist nicht nur Teil der eigenen Persönlichkeitsentwicklung, sondern auch entscheidend für die Pflegequalität. „Wissen ist Macht“ sagt der Volksmund. Angewandtes Wissen zeugt von Professionalität und Fachkompetenz. Wer Qualitätsansprüchen genügen will, benötigt entsprechendes Hintergrundwissen, kann eigenes Handeln planen, begründen, erklären, fachgerecht ausführen und evaluieren (auswerten). Nur so sind Entwicklung und Fortschritt möglich, auch in der Altenpflege.

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THEORIE & PRAXIS

Lernziele Wissen, –– welche unterschiedlichen, sich teils widersprechenden, Theorien in der Alternsforschung entwickelt wurden. –– wie solche Theorien und Modelle zustande kommen. –– was wissenschaftliches Wissen und Alltagswissen voneinander unterscheidet. –– wie Theorie und Praxis miteinander verknüpft sind. Verstehen und sich bewusst machen, –– dass die Praxis nicht ohne Theorie auskommt, also gute Pflegequalität nicht ohne theoretisches Hintergrundwissen möglich ist. –– dass wissenschaftliche Erkenntnisse manchmal sehr lange brauchen, bis sie im Bewusstsein der Menschheit ankommen. –– dass manche Theorien sich hartnäckig in den Köpfen halten, selbst wenn sie lange überholt sind, als falsch erkannt wurden. –– dass nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist, wenn eine Theorie in der Praxis Auswirkungen zeigt. Im Arbeitsalltag –– gezielt nach Theorien suchen, die handlungsleitend für Ihre Arbeit sind. –– nach Überbleibseln heute veralteter Theorien suchen, die noch in Köpfen von Menschen existieren. –– nach Bezügen zu bekannten, heute aktuellen Theorien der Alternsforschung suchen und dazu Position beziehen, eine persönliche Meinung bilden.

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Begriffe - Definitionen

Inhalt

Alltagsrelevanz

Aktivitätstheorie

Disengagementtheorie

Wissen Wissen Wissenschaft

Alltagswissen

Bedeutung

Alltagsrelevanz

Probleme

Merkmale

Längsschnittstudien Längsschittstudien Alternsforschung derder Alternsforschung

Theorien& & Modelle Modelle Theorien

Theorie Praxis Theorie & Praxis

Überholte Alter(n)stheorien Überholte Alter(n)stheorien

Aktuelle Aktuelle Alter(n)stheorien Alter(n)stheorie

Deutscher Alterssurvey

Bonner Gerontologische Längsschnittstudie

Berliner Altersstudie

Themenübersicht

Kontinuitätstheorie

Defizitmodell

Kompetenzmodell

SOK-Modell

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THEORIE & PRAXIS

Wissen

Alltagswissen ● Jeder Mensch erwirbt im Lauf des Lebens quasi nebenbei Wissen. Gemeint sind solche Inhalte, die nicht in der Schule oder in Kursen erworben werden und von denen der betreffenden Person häufig nicht einmal bewusst ist, dass sie über dieses Wissen verfügt. Das Wissen ist oft versteckt in bestimmten Fähigkeiten. Jemand wendet es an, vollzieht eine Handlung, ohne zu wissen, warum er es so macht oder wann und wo er es gelernt hat. Oft kann es nicht mit Worten beschrieben werden. So hat eine alte Frau bei Erkrankungen immer wieder wirksame Hausmittel parat. Sie hat damit lebenslang gute Erfahrungen gemacht, kann aber überhaupt nicht theoretisch erklären, warum genau das jeweilige Mittel wirkt, was es im Körper auslöst. Oder ein alter Mann repariert immer wieder mit Erfolg unterschiedliche elektrische Geräte, ohne dass er einen entsprechenden Beruf erlernt hat. Er denkt nicht bewusst darüber nach, wie das jeweilige Teil funktioniert, sondern er handelt einfach. Solches Wissen wird auch als ► implizites oder stilles Wissen bezeichnet. Solches Alltagswissen –– wird von Laien gesammelt, gespeichert, genutzt und weitergegeben. –– entsteht unsystematisch und mehr oder weniger zufällig. –– ist nicht überprüfbar. –– beruht auf subjektiven Deutungen. –– ist allgemein und verallgemeinernd. Anpassung ● Alltagswissen ist Teil der Anpassung des Menschen an seine Umwelt. Ohne das benötigte Wissen könnte er in der jeweiligen Umwelt nicht existieren. So wird für ein Leben in der Großstadt teils anderes Wissen benötigt als für ein Leben auf dem Land. Wer auf dem Land in der

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Gerontologie – das Altern verstehen

Natur lebt, muss sich nicht mit U-Bahn-Linien und deren Fahrplänen auskennen, sollte aber Grundwissen über Klima, Pflanzen, Tiere usw. haben. Explizites Wissen ● (lat. explicare = auseinanderlegen, entfalten, erklärten) Damit ist Faktenwissen gemeint, das in Form von Sprache vermittelbar ist, z. B. in Sachbüchern, Anleitungen, Dokumentationen usw. So hat z. B. ein Mykologe (Mykologie = Pilzkunde) genaues Fachwissen über die Spezies Pilze, kann Arten unterscheiden, Merkmale erklären. Er verfügt über explizites Wissen zu diesem Thema. Implizites Wissen ● (lat. implicare = verknüpfen, verbinden) Dieses auch als stilles Wissen bezeichnete Wissen ist eng mit konkreten Handlungen verknüpft, kann in Form von Umsetzung abgerufen, aber meist nicht theoretisch erklärt werden. Ein Pilzsammler, der von Kind auf im Wald Pfifferlinge gesammelt hat, kennt diesen Speisepilz sehr genau, kann ihn von giftigen Pilzen unterscheiden. Er verfügt über implizites Wissen hinsichtlich der Pfifferlinge, ist jedoch deswegen noch kein Experte für Pilze generell. Soziales Wissen ● ist Voraussetzung für das Überleben. Darunter wird im weitesten Sinn alles ► implizit oder ► explizit erworbene Wissen verstanden, das benötigt wird, um in der jeweiligen Umgebung und dem menschlichen Umfeld zurechtzukommen. Solche Kenntnisse werden im Rahmen der ► Sozialisation in ihren verschiedenen Phasen erworben. Dazu gehört die Kenntnis gesellschaftlicher Werte ebenso wie die über den Umgang miteinander. Wer sein gesellschaftliches Umfeld wechselt, z. B. im Zusammenhang mit Migration, muss meist viel neues soziales Wissen erwerben, weil in einem anderen Land, einer anderen Kultur andere Regeln herrschen. In der Altenpflege in Deutschland wird das immer wichtiger, da sowohl unter den Bewohnern als auch unter den Mitarbeiterinnen immer mehr Menschen aus anderen Herkunftsländern mit anderem kulturellem und religiösem Hintergrund zu finden sind.

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THEORIE & PRAXIS

Wissen ● „… umfasst fünf Bereiche beziehungsweise Handlungsmuster, in denen sich die Angemessenheit eines Handelns mit Vorstellungen vom Sachgehalt oder vom Wesen von Objekten zu einem gelingenden Handeln verbinden lässt: die Fähigkeit, eine Sache so aufzufassen, wie sie ist, die Fähigkeit, eine Sache ziel- und sachgerecht zu handhaben, den Zustand einer durch Erfahrung bestätigten Erkenntnis, den Inhalt einer solchen Erkenntnis, die kommunikative Darstellung dieser Erkenntnis beziehungsweise des damit verbundenen Vermögens …“6 Wissenschaft ● „... Inbegriff menschlichen Wissens einer Epoche, das systematisch gesammelt, aufbewahrt, gelehrt und überliefert wird; auch die Erkenntnisarbeit, die zur Gewinnung dieses Wissens führt, sowie ihr institutioneller Rahmen in Forschung und Lehre …“ 7 Die Wissenschaft unterscheidet sich vom Alltagswissen weniger in ihren Inhalten als in ihrem Vorgehen. Die Wissenschaft beschäftigt sich systematisch mit den Inhalten, mit denen sich der einzelne Mensch intuitiv (lat. intueor = ansehen, hinschauen, betrachten = durch unmittelbare Anschauung erkennbar) auseinandersetzt. Die Wissenschaft sammelt Daten und Fakten mit dem Ziel, allgemein gültige Aussagen zu bestimmten Themen treffen zu können. Sie will zum Beispiel menschliches Verhalten, aber ebenso Situationen, Ereignisse, Abläufe und Zusammenhänge –– verstehen, –– erklären, –– vorhersagen und –– beeinflussen bzw. steuern. Wissenschaft entsteht 6 Aus: Brockhaus Online-Enzyklopädie, https://brockhaus.de/ecs/enzy, letzte Abfrage 25.12.2018 7 Aus: Brockhaus Online-Jugendlexikon, https://brockhaus.de/ecs/julex, letzte Abfrage 25.12.2018

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Gerontologie – das Altern verstehen

–– auf der Basis systematischer Arbeit, –– ist Kontrollen unterworfen und daher nachvollziehbar und überprüfbar, –– beruht auf objektiven Verfahren und Methoden, –– ist konkret und erlaubt allgemein gültige Aussagen und Vorhersagen, –– wird von Experten gesammelt, gespeichert, aktualisiert, genutzt und weitergegeben. Aus den Resultaten wissenschaftlicher Forschung ergeben sich ► Theorien und Modelle.

Längsschnittstudien der Alternsforschung Berliner Altersstudie 8 ● (BASE) In dieser deutschen ► multi- und interdisziplinären Altersstudie wurden Menschen im Alter von 70 bis über 100 Jahren untersucht. Alle lebten im damaligen Westteil Berlins. Die 516 ► Probanden, je die Hälfte Männer und Frauen, absolvierten in sechs nach Alter und Geschlecht getrennten Gruppen in der Hauptstudie zwischen 1990 und 19939 ein umfangreiches Untersuchungsprogramm. Dabei ging es um geistige und körperliche Gesundheit, intellektuelle Leistungsfähigkeit, psychische Befindlichkeit, soziale und wirtschaftliche Situation. Ziel war, von alten Menschen Daten über eine weite Spanne von Funktionsbereichen zu erhalten. Die Studie wird als Längsschnittstudie mit den überlebenden Teilnehmern weitergeführt. Weltweit einzigartig in ihrer inhaltlichen Breite, konnte die Studie zahlreiche Vorurteile über das hohe und höchste Alter entkräften und das vorher stark negative Bild vom Altern grundlegend verändern. Seit 2009 werden in Fortsetzung nun als Folgestudie BASE II insgesamt 2.200 Berlinerinnen und Berliner untersucht. Davon sind 1.600 Personen im Alter zwischen 60 und 80 Jahren, eine Vergleichsgruppe von 600 Per8 Weitere Informationen siehe: https://www.base-berlin.mpg.de 9 Eng verknüpft mit Paul B. BALTES (1939-2006), dt. Psychologe und Gerontologe als Mitglied im Leitungsgremium der Studie

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THEORIE & PRAXIS

sonen im Alter zwischen 20 und 35 Jahren. Es handelt sich um eine Weiterentwicklung der ersten Altersstudie, bei der zusätzlich zur Soziologie, Psychologie, Medizin und Bildungsforschung auch Ernährungswissenschaften und Genetik beteiligt sind. Ziel ist herauszufinden, welche körperlichen, geistigen und sozialen Bedingungen erfolgreiches Altern begünstigen. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass viele unterschiedliche Faktoren dazu beitragen, wie jemand altert. Wie und wo ein Mensch wohnt, wie aktiv er lebt, wie er sich ernährt kann ebenso eine Rolle spielen wie erbliche Merkmale. Daher sind viele Forschungseinrichtungen an der Studie beteiligt. Die Studie ist in mehrere Zeitabschnitte unterteilt. Der aktuelle Förderzeitraum reicht bis 2021. Bonner Gerontologische Längsschnittstudie ● (BOLSA) Zählt zu den wegweisenden deutschsprachigen Studien der Alternsforschung. Im Zeitraum von 1965 bis 1984 forschte ein Team um Hans Thomae10 als Initiator und Leiter und seine Ehefrau Ursula Lehr11 in einer Studie mit 222 Teilnehmenden interdisziplinär zu verschiedenen Fragen des Alterungsprozesses. Es ging darum, die psychische, soziale und physische Situation der älteren Bevölkerung zu erfassen. Medizinische Untersuchungen gehörten ebenso dazu wie psychomotorische Belastungstests, Intelligenz- und Persönlichkeitstests. Zu Beginn der Studie waren die Probanden zwischen 60 und 75 Jahre alt. Im Mittelpunkt standen damals die Analyse erfolgreicher Formen des Alterns und Faktoren der Langlebigkeit. Dieser Ansatz war zu der Zeit innovativ. ► Längsschnittstudien wurden bis dahin hauptsächlich mit jungen Menschen durchgeführt. Schon die ersten Ergebnisse nach einem fünfjährigen Zyklus überzeugten damals Wissenschaft und Geldgeber, so dass eine Fortsetzung über weitere 15 Jahre möglich war. Am letzten der acht Untersuchungszyklen nahmen nach 20 Jahren noch 34 Probanden teil. 10 Hans THOMAE (1915-2001), dt. Professor für Psychologe in Erlangen und Bonn 11 Ursula LEHR (*1930), dt. Gerontologin, Psychologin und Politikerin, ehem. Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie

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Gerontologie – das Altern verstehen

Nach breiter Auswertung aller Daten bis in die 1990er-Jahre und dem eigenen Ruhestand vieler beteiligter Wissenschaftler geriet das Material in Vergessenheit. Aktuell wurde das Material jedoch für die Wissenschaft wiederentdeckt. So ist zurzeit das Historische Datenzentrum der Universität HalleWittenberg damit beschäftigt, umfangreiche Akten und Tonbandaufnahmen zu digitalisieren. Damit werden sie für eine andere als die ursprünglich vorgesehene Auswertung nutzbar gemacht und sollen Sprachwissenschaftlern, Historikern etc. zu neuen Forschungsthemen und Einsichten verhelfen. Deutscher Alterssurvey12 ● (DEAS) (engl. survey = Umfrage, Befragung) Seit 1996 läuft diese bundesweit repräsentative Studie an Personen in der zweiten Lebenshälfte. Konkret stehen mehrere Tausend Menschen zwischen 40 und 85 Jahren im Fokus und liefern kontinuierlich Daten, u. a. zu folgenden Themenkomplexen: –– Lebensqualität und Wohlbefinden, –– Gesundheit, –– Unterstützungsbedarf und Pflegebedürftigkeit, –– Einstellungen und Altersbilder, –– Familie und soziale Netzwerke, –– Arbeit und Ruhestand, –– Bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt, –– Wohnen und Mobilität, –– wirtschaftliche Lage. Es geht in der interdisziplinär angelegten Studie darum, langfristige Entwicklungen, zum Wandel der Lebenssituation und Alternsverläufe aufzuzeigen. Initiiert und gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), lag zu Beginn die Federführung bei der Freien Universität Berlin. Seit 2000 koordiniert das Deutsche Zentrum für 12 Weitere Informationen siehe: https://www.dza.de/fdz/deutscher-alterssurvey.html

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THEORIE & PRAXIS

Altersfragen (DZA) in Berlin. Die inzwischen sechste Erhebungswelle des DEAS begann 2017. Neben umfassenden Befragungen zu ihren objektiven und subjektiven Lebensbedingungen absolvieren die Probanden Testverfahren zur körperlichen Gesundheit und zur kognitiven Leistungsfähigkeit.

Theorien & Modelle Alltagsrelevanz ● Die Vernetzung und der ständige Austausch zwischen Theorie und Praxis ist gerade in der (Alten-)Pflege als einem praktischen Tätigkeitsfeld wichtig. Die Altenpflege braucht, ebenso wie andere praktische Handlungsfelder, Wissenschaft und Theorie, um die Pflege alter Menschen weiterzuentwickeln und zeitgemäß, den heutigen Erkenntnissen entsprechend, Fortschritt gestalten zu können. Im Sinn einer gelungenen Vernetzung von Theorie und Praxis sollten Altenpflegerinnen sich zunehmend in die Wissenschaft einmischen. Nur dann kann die Praxis dort genügend Berücksichtigung von kompetenter, praxiserfahrener Seite finden. Das setzt voraus, dass Altenpflegerinnen sich ständig fort- und weiterbilden, sich als Experten für die Pflege alter Menschen verstehen und darstellen. Theorie und Praxis stehen in einer Wechselbeziehung. Sie beeinflussen und verändern sich gegenseitig. Theoretische Erkenntnisse werden auf das Geschehen in der Praxis der Altenpflege übertragen. Umgekehrt wirken Praxis-Erfahrungen auf wissenschaftliche Arbeit – und damit auf die Theorie – ein. ► Modelle und Theorien behandeln jeweils aus ihrer Wissenschaftsdisziplin Fragen wie –– Welche Faktoren bestimmen die Lebenssituation eines Menschen im Alter?

–– Wovon ist es abhängig, ob ein Mensch zufrieden altern kann? usw.

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Gerontologie – das Altern verstehen

Erfolgreiches Altern ● Unter diesem Begriff werden Faktoren zusammengefasst, die subjektiv empfundene Lebenszufriedenheit ausmachen. Dabei geht es um die Einschätzung der eigenen Lebensumstände im Hinblick auf physische, psychische und soziale Aspekte. Gleichzeitig ist die Gesamtheit der Strategien zur Lebensbewältigung Gegenstand der Betrachtung. Wie gehen Menschen mit alternsbedingten Veränderungen um – mit der Aufgabe der Berufstätigkeit, dem Verlust nahestehender Menschen, körperlichen Einschränkungen, Einbußen in der kognitiven Leistungsfähigkeit usw. Ziel aktueller Theorien und Modelle der Alternsforschung ist herauszufinden, was Menschen erfolgreich altern lässt, welche Faktoren dazu beitragen können. Modell ● Modelle stellen, ebenso wie ► Theorien, die Realität des Alltags in abstrakter (lat. wegreißen, trennen, entfernen = vom Dinglichen gelöst, nur gedacht) Form dar. Unter Modellen wird die vereinfachte und bildhafte Darstellung von Theorien verstanden. Sie sollen die Anwendbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse in praktischen Handlungsfeldern, zum Beispiel in der Altenpflege, erleichtern und die Beziehung zwischen Theorie und Praxis verbessern. Praxis ● Im Zusammenhang mit Theorien und Modellen sind alle praktischen Handlungsfelder gemeint, hier konkret die Pflege bzw. die Altenpflege. Probleme ● Praxis bzw. Realität entwickelt sich vieldimensional, d. h. viele Einflussfaktoren werden wirksam. Theorie entwickelt sich eindimensional, d. h. sie bleibt im Bereich des Vorherseh- und Berechenbaren. Mit der Theorie geht die Individualität von Ereignissen verloren. Erfahrungen und Begebenheiten werden gebündelt und nach verschiedenen Kriterien geordnet, um sie beschreibbar und vergleichbar zu machen. Theorie ist nur begrenzt auf Praxis | Realität anwendbar, da Störfaktoren und Unvorhergesehenes eintreten können.

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THEORIE & PRAXIS

Reale Ereignisse sind mehrdimensional, das heißt viele verschiedene Faktoren wirken darauf ein. Die Praxis muss aber – um sie vergleichbar und auswertbar zu machen – für die Theorie stark vereinfacht werden. Das bedeutet, dass die Theorie zwar logisch aufgebaut und wohl durchdacht sein kann und muss, diese aber niemals alle Einflussfaktoren, die in der Praxis wirksam werden können, in vollem Umfang berücksichtigen kann. Theorie ● (gr. = Betrachtung) „  System wissenschaftlich begründeter Aussagen zur Erklärung bestimmter Tatsachen oder Erscheinungen und der ihnen zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten …“ 13 Theorien sind Gedankengebilde, die sich auf einen bestimmten Bereich der Realität, zum Beispiel das Altern oder einen Teilaspekt davon, beziehen. Sie versuchen, diesen unter übergeordneten Gesichtspunkten verständlich zu machen. Dabei wird die Vielfalt von Ereignissen auf die Übersichtlichkeit einer Theorie reduziert, die vereinfacht und übersichtlich ein gemeinsames Prinzip darstellt, das vielen Alltagsereignissen zugrunde liegt. Eine Theorie fasst wissenschaftlich begründete Ergebnisse zusammen. Sie beschränkt sich dabei in ihren Aussagen auf Wichtiges. Sie soll einen hohen Erklärungswert besitzen und in sich stimmig sein. Vorzüge ● Ein großer Vorzug der Theorie gegenüber der Praxis ist, dass sie Ereignissen ihre subjektive Betrachtungsweise und Bewertung nimmt. Sie sammelt individuelle Erfahrungen, bündelt sie nach objektiven Kriterien und macht so objektive Fakten daraus. Die Anwendbarkeit solcher Fakten und Regeln aus wissenschaftlichen Theorien ist jedoch gleichzeitig begrenzt, weil sie einheitliche Aussagen für oft voneinander abweichende spezielle Situationen schaffen.

13 Aus: Brockhaus Online-Jugendlexikon, https://brockhaus.de/ecs/julex, letzte Abfrage 25.12.2018

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Überholte Alter(n)stheorien Aktivitätstheorie ● Diese Theorie, entstanden in den 1950er-Jahren

in den USA und in Deutschland vor allem vertreten von Rudolf Tartler14 (1961), war sozialpsychologisch geprägt. Sie ging davon aus, dass Zufriedenheit im Alter wesentlich vom Grad der Aktivität, von Leistung und dem Gefühl des Gebrauchtwerdens abhängt. Im Umkehrschluss seien Menschen, die keine Funktionen in der Gesellschaft mehr haben, unglücklich und unzufrieden. Ausgangspunkt bei diesen Überlegungen ist die Tatsache, dass in Industriegesellschaften mit zunehmendem Lebensalter die gesellschaftlichen ► Rollen einem Wandel unterliegen, sie in der Regel in ihrer Anzahl weniger werden und sich in ihrer Bedeutung verändern. Die Vorstellung war geprägt von der Idee zunehmender Inaktivität durch Veränderungen der beruflichen und familiären Situation und die damit verbundenen Aufgaben- und Verantwortungsverluste. Damit ginge – so die Aktivitäts­ theoretiker – dem Menschen das Gefühl verloren, gebraucht zu werden und es entstehe ein negatives Selbsterleben. Deshalb sollte der Mensch – quasi als Gegenmaßnahme – Aktivitäten mittlerer Lebensjahre beibehalten und | oder neue Interessen und Aktivitäten im fortgeschrittenen Alter entwickeln. Nützlichkeit und Sinnhaftigkeit der Aktivität waren dabei vor dem Hintergrund der Leistungsorientierung wichtiger Maßstab für sinnvolles Altern. Voraussetzungen für erfolgreiches und zufriedenes Altern im Sinn der Aktivitätstheorie sind daher –– Beibehalten von Interessen aus früheren Lebensphasen, –– Aufnahme neuer Tätigkeiten als Ausgleich für verlorene, –– Pflege bestehender und Aufnahme neuer Kontakte und Beziehungen, –– Übernahme von Funktionen und Verantwortung.

14 Rudolf TARTLER (1921-1964), dt. Soziologe

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Daraus ergab sich die Erkenntnis, dass ein Mensch sich rechtzeitig auf sein Altern vorbereiten und dabei neue Interessen entwickeln sowie alte aufleben lassen und bewusst Kontakte fördern sollte. Die Ergebnisse der­ ► Bonner Gerontologischen Längsschnittstudie unterstützten 1987 diese Theorie. Allerdings fanden sich dort ebenso Belege, die die genau widersprechende Theorie – die so genannte ► Disengagement-Theorie – empirisch stützten. Die Aktivitätstheorie hat in der Altenpflege wesentlich dazu beigetragen, betreuende und versorgende Aspekte in den Hintergrund zu rücken und der Aktivität im Pflegeverständnis einen hohen Stellenwert einzuräumen. Das stark negativ geprägte Bild vom Alter wurde verändert zu der Vorstellung, dass der Mensch auch im fortgeschrittenen Lebensalter noch Interessen pflegen und Fähigkeiten trainieren kann. Gleichzeitig hat sie aber vielerorts zu einem  „Aktivieren um jeden Preis“ geführt. Aus heutiger Sicht ist diese Theorie überholt. Sie pauschalisiert stark und lässt den Faktor Individualität unberücksichtigt. Die aktuellen Angebote der Aktivierung sind jedoch noch von Grundgedanken der Theorie mit geprägt. Defizit-Modell ● Eine psychologische Alternstheorie, die Altern vor allem als einen Abbauprozess im Bereich Intelligenz und kognitiver Leistung beschreibt, stark beeinflusst durch die Intelligenzforschung von David Wechsler15. Dabei wurde davon ausgegangen, dass derartige Veränderungen alle älteren Menschen betreffen und die Gesamtheit geistiger Leistungen. Das Entwickeln von Verfahren zur Messung geistiger Leistungsfähigkeit war wesentliches Tätigkeitsfeld der Psychologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die so entstandenen Intelligenztests wurden in USA auf breiter Ebene immer wieder eingesetzt, um die Entwicklung von Intelligenz bei zunehmendem Lebensalter zu messen. Die Untersuchungen zeigten damals wiederholt ähnliche Ergebnisse: Je älter die Versuchspersonen 15 David WECHSLER (1896-1981), US-amerikanischer Psychologe, vor allem bekannt für seine Intelligenztestungen

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waren, desto schlechter schnitten sie bei den Tests ab. Daraus wurde der Schluss gezogen, dass die geistige Leistungsfähigkeit eines Menschen bis zum 18. Lebensjahr ansteigt, bis zum Beginn des dritten Lebensjahrzehnts auf ihrem einmal erreichten Höhepunkt bleibe und sich ab dann – anfangs langsam, später immer schneller – kontinuierlich verringere. Damit war das heute nicht mehr haltbare Defizit-Modell des Alterns geboren. Die Ergebnisse aus der Intelligenzforschung wurden schnell verallgemeinert, zumal sie das in der Öffentlichkeit verbreitete negative Fremdbild vom alten Menschen zu bestätigen schienen. Es wurden eher die Defizite – was kann eine Person nicht mehr? – gesehen als die Ressourcen – das kann dieselbe Person gut! Es ergab sich ein reduktionistisches Altenbild mit Infantilisierung (lat. infans = kindisch) des alten Menschen, geprägt von Verlust, Mangel, Defizit, Reduktion, Verfall, Bedürftigkeit, Einschränkung ... Später wurde das Modell kritisiert, vor allem –– die angewandte Methode, –– das zugrunde liegende Intelligenzverständnis, –– das Außer-Acht-Lassen biografischer Unterschiede bei jüngeren und älteren Probanden, –– die Aussagekraft von Testintelligenz. Wesentlicher Kritikpunkt war vor allen Dingen die Tatsache, dass ► Querschnittuntersuchungen die Grundlage bildeten. Veränderungen geistiger Leistungsfähigkeit lassen sich aber streng genommen nur durch ► Längsschnittuntersuchungen nachweisen. Weitere Zweifel und Einschränkungen ergaben sich aus den Rahmenbedingungen der Testdurchführung, bei der einige aus heutiger Sicht wichtige Punkte nicht berücksichtigt wurden. In diesem Zusammenhang sind zum Beispiel Zeitfaktor und Trainingszustand zu nennen. Wird älteren Menschen ausreichend Zeit gewährt und sind sie in puncto Denken und Lernen in Übung, sind ihre Testergebnisse weitgehend identisch mit denen jüngerer Menschen. Das Modell gilt heute als völlig veraltet, zumal intellektuelle Leistungen aktuell sehr differenziert betrachtet und beschrieben werden können und sich sehr unterschiedlich verändern.

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Disengagement-Theorie ● Auch als  „Rückzugs-Theorie“ bezeichnet, entstand sie zeitgleich in krassem Gegensatz zur ► Aktivitätstheorie in den USA. Die beiden Wissenschaftler Cumming und Henry16 (1961) vertraten die Auffassung, dass sowohl die gesellschaftliche Umwelt als auch das Individuum selbst mit zunehmendem Alter einen schrittweisen Rückzug aus sozialen ► Rollen und Aufgaben anstreben. Sie entwickelten ihre Gedanken vor dem Hintergrund ihrer Beobachtungen, dass Alternsprobleme und Unzufriedenheit mit der Lebenssituation im Alter sich begründen lassen mit einem Ungleichgewicht zwischen gesellschaftlichen Anforderungen und persönlichen individuellen Bedürfnissen. Dabei hielten sie es für einen natürlichen Prozess, dass bei Menschen ab ca. dem 60./65. Lebensjahr – also im Renten- und Pensionsalter – der Wunsch aufkommt, sich aus bisherigen Lebensbezügen zu lösen und sich auf sich selbst zu besinnen, den Lebens- und Wahrnehmungsraum zu reduzieren. So baute die Disengagement-Theorie eine direkte Gegenposition zur Aktivitätstheorie auf. Dazu gehörten –– Rückzug aus sozialen Rollen und den damit verbundenen Verpflichtungen, –– Abgeben von Verantwortung, –– Rückzug aus sozialen Beziehungen, –– Einschränken von Kontakten, Pflege von Beziehungen vorzugsweise mit Gleichaltrigen, –– Hinwenden zur eigenen Persönlichkeit, –– Einstellen auf Endlichkeit des Lebens und Vorbereiten auf den eigenen Tod. Bei derartigem Verhalten, so Cumming und Henry, fühlen sich alte Menschen regelrecht erleichtert. Nach ihrer Theorie bedeutet erfolgreiche Vor-

16 William E. HENRY (1918-1994), US-amerikanischer Psychologe Elaine CUMMING, Soziologin

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bereitung auf das Altern, sich mit zunehmendem Lebensalter langsam aus dem aktiven Leben zurückzuziehen. Es handelt sich um eine sehr absolute Betrachtungsweise, die Persönlichkeitsstruktur und biografische Aspekte ebenso außer Acht lässt wie die Konsequenzen von Inaktivität für motorische und kognitive Leistungsfähigkeit. Kontinuitätstheorie ● (lat. continuatio = ununterbrochene Reihe, Zusammenhang, Fortsetzung) Bei dieser Theorie steht biografische Beständigkeit im Mittelpunkt. Die ursprüngliche Idee entwickelte Robert C. Atchley17 1989. Später wurden seine Gedanken vielfach verändert und differenziert, so dass mehrere Kontinuitätstheorien entstanden. Zentrales Element ist die Annahme, dass Individualität wichtig ist und der Mensch dann glücklich altert, wenn er seinen in früheren Phasen erworbenen Lebensstil weitgehend beibehält. Voraussetzung dabei ist, dass der Lebensstil selbst gewählt ist und positiv gesehen wird. Selbstbestimmung spielt eine wesentliche Rolle bei der Lebensgestaltung. Die Theorie beruht zu großen Teilen auf dem Entwicklungskonzept von Erikson18, seinem so genannten ►  „Krisenmodell“, einem Stufenmodell psychosozialer Entwicklung. Außerdem wird sie immer wieder in Verbindung gebracht mit der ► Aktivitätstheorie und der ► Disengagementtheorie, da sie sich sehr auf soziale Aktivität bezieht, ohne jedoch pauschal festzulegen, ob viel oder wenig Aktivität zu erfolgreichem Altern führt. Nach diesem Konzept sollte der Mensch im Alter seinen bewährten Lebenslauf fortsetzen und durch innere wie äußere Kontinuität ein Gefühl von Sicherheit und Balance erleben. Es geht ums Bewahren als wichtig empfundener Faktoren im Leben und um einen harmonischen Übergang vom mittleren ins späte Erwachsenenalter. Nach heutigem Verständnis spielt Individualität noch immer eine wesentliche Rolle bei der Lebensgestaltung im Alter. Diese Betrachtung hat also noch immer Gültigkeit. Der Faktor Kontinuität wird dagegen durchaus kri17 Robert C. ATCHLEY (1939-2018), US-amerikanischer Soziologe und Gerontologe 18 Eric H. ERIKSON (1902-1994), deutsch-US-amerikanischer Psychoanalytiker

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tisch gesehen. Veränderung muss nicht zwingend negativ sein. Manchmal erfordern die Umstände Neuanfänge und Umgestaltungen. Diese können durchaus für Vereinfachung und Erleichterung sorgen, Impulse geben und im Alter Neues als positiv erleben lassen.

Aktuelle Alter(n)stheorien Generelle Handlungskompetenz ● Ermöglicht Sinn gebende und -findende Lebensplanung und -gestaltung – selbstbestimmt und selbstverantwortlich. Wer seinen Alltag komplett selbst regelt, Mittel und Wege findet, Probleme zu lösen, Belastungen zu bewältigen und nötige Entscheidungen für das eigene Leben treffen kann, verfügt über generelle Handlungskompetenz. Das bedeutet, es kommt nicht allein darauf an, alles allein und selbst zu können, sondern innere und äußere ► Ressourcen zu erkennen und zu nutzen. Soll eine Einschätzung erfolgen, um festzustellen, ob ein Mensch noch über seine generelle Handlungskompetenz verfügt, darf bei der Untersuchung und Bewertung daher nicht nur die Person allein betrachtet werden, sondern deren Umfeld und Lebensbedingungen sind mit zu berücksichtigen. Das gilt auch bei der Festlegung von Maßnahmen zur Kompetenzförderung im Sinn von ► Prävention und ► Intervention. Intervention ● (lat. intervenire = dazwischentreten, unterbrechen, eingreifen) Im Zusammenhang mit (Alten-)Pflege bedeutet Intervention Maßnahmen wie Therapie, Aktivierung, Rehabilitation. So ist z. B. motorisches oder kognitives Training eine Form der Intervention zum Erhalt oder zum Ausbau von Kompetenzen. Kompensation ● (lat. compensatio = Ausgleichung) Bedeutet Ausgleich für eine Einschränkung oder ein Defizit, z. B. alternsbedingte Veränderungen. Wer nicht mehr gut sieht, benutzt ein Hilfsmittel wie Brille oder Lupe. Funktioniert das Gedächtnis nicht mehr wie früher, werden Strategien in Form von Merkhilfen eingesetzt.

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Kompetenz ● Kompetenzen sind Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse eines Menschen, die ihm ermöglichen, den Anforderungen seiner Umgebung gerecht zu werden (lat. competere = zusammentreffen). In der Pflege-Fachsprache werden solche Fähigkeiten häufig als ► Ressourcen bezeichnet. Allerdings ist der Begriff Kompetenzen enger gefasst und nur auf menschliche Qualitäten begrenzt. „Im weiteren Sinn Sachverstand, Fähigkeit, Zuständigkeit; im engeren Sinn die Fähigkeit eines Menschen, bestimmten Anforderungen gewachsen zu sein. Kompetenz kann sich auf unterschiedliche Bereiche und Aufgabenstellungen beziehen, so etwa auf den zwischenmenschlichen Bereich ► (Sozialkompetenz), die eigene Person (Selbstkompetenz) oder bestimmte Wissensbeziehungsweise Arbeitsgebiete (Fachkompetenz).“19 Zum Begriff der Kompetenz, der bereits seit den 1960er-Jahren in der Psychologie gebräuchlich ist, gibt es mehrere Theorien bzw. Modelle im Zusammenhang mit dem Altern. Kompetenzmodelle sind vielfach Antworten auf das heute als falsch erkannte Defizit-Modell. Kompetenz lässt sich unterteilen in –– eine generelle Handlungskompetenz, –– Teilkompetenzen in verschiedenen Bereichen, –– Kompetenzgefühl. E P M

T

E

N

Selbstverantwortung Selbstbestimmung

O

Z

Teil kompetenzen

Selbstgestaltung

K

Sinngebung/-findung

19 Aus: Brockhaus Online-Enzyklopädie, https://brockhaus.de/ecs/enzy, letzte Abfrage 26.12.2018

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THEORIE & PRAXIS

Es gibt nicht die Kompetenz, sondern in den einzelnen menschlichen Funktionen und Teilkompetenzen finden sich unterschiedliche Kompetenzgrade und Entwicklungsverläufe. Kompetenz wird von alten Menschen benötigt, um –– Anforderungen des Alltags zu bewältigen, –– Selbstständigkeit bestmöglich zu erhalten oder auszubauen, –– Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. Kompetenz-Balance ● Für den alten Menschen ist ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen den Anforderungen der Umwelt und den eigenen Fähigkeiten auf der einen Seite sowie zwischen Sicherheit und Autonomie (gr. Selbstständigkeit, Unabhängigkeit) auf der anderen Seite wichtig – die Kompetenz-Balance.

Anforderungen Umwelt

Sicherheit

Autonomie

Fähigkeiten

Wichtige Aufgabe der Altenpflege ist, den alten Menschen beim Erhalt bzw. bei der Wiederherstellung der Kompetenz-Balance zu unterstützen. Gezielter Einsatz von Maßnahmen zur Kompetenzförderung ist daher

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Gerontologie – das Altern verstehen

wichtig. Das ► Präventionsgesetz (PrävG)20 trägt diesem Umstand Rechnung. Der „  Leitfaden Prävention in stationären Pflegeeinrichtungen nach § 5 SGB XI“21 gibt dafür den Rahmen vor und zeigt Möglichkeiten dazu auf. Kompetenzgefühl ● Hat ein alter pflegebedürftiger Mensch einzelne Fähigkeiten | Kompetenzen zur selbstständigen Bewältigung der Aktivitäten seines täglichen Lebens nicht mehr, so sollte ihm durch entsprechendes Verhalten der Pflegekräfte zumindest die Möglichkeit zum Erhalt eines gewissen Kompetenzgefühls erhalten werden. Das bedeutet, ihn so unauffällig und selbstverständlich zu unterstützen, dass ihm Selbstwertgefühl und Würde erhalten bleiben. Kompetenzmodell(e) ● Hinter den Kompetenztheorien steht die Erkenntnis, dass Funktionen und Fähigkeiten sich beim Älterwerden in unterschiedlicher Weise verändern, in ihrer Summe aber nicht automatisch abnehmen müssen. Kompetenztheorien gehen davon aus, dass der Mensch bis ins hohe Alter entwicklungsfähig und damit in seinem Erleben und Verhalten veränderbar ist. Um erfolgreich und zufrieden zu altern, sollte sich der Mensch als kompetent erleben können. Individualität hat dabei hohen Stellenwert. Nicht alle Menschen müssen das Gleiche können und wollen. Erkenntnisse der Kompetenztheorien finden u. a. ihre konkreten Auswirkungen im Betreuungsgesetz, das genau die Tatsache berücksichtigt, dass dem Menschen nicht die Kompetenz schlechthin verloren geht, sondern einzelne Teilbereiche davon. So kann nach heutiger Rechtslage kein erwachsener Mensch mehr entmündigt werden, sondern er erhält eine gesetzliche Betreuung für bestimmte Bereiche, in denen Teilkompetenzen bzw. die dazu gehörigen Schlüsselqualifikationen nicht (mehr) vorhanden sind. 20 Am 17. Juli 2015 trat in Deutschland das  „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz – PrävG)“ in Kraft. Damit wurden die Pflegekassen verpflichtet, Leistungen zur Prävention in voll- und teilstationären Pflegeeinrichtungen nach § 71 Abs. 2 SGB XI für in der sozialen Pflegeversicherung Versicherte zu erbringen. 21 GKV-Spitzenverband: Leitfaden Prävention in stationären Pflegeeinrichtungen nach § 5 SGB XI, Berlin 2018

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Prävention ● (lat. praevenire = zuvorkommen) Beschreibt allgemein Maßnahmen zur Vorbeugung gegen Entwicklungen. Im Zusammenhang mit Alternstheorien geht es um Maßnahmen, die Fähigkeiten | Kompetenzen erhalten, dem Alterungsprozess vorbeugen bzw. ihn verlangsamen. Das kann z. B. die körperliche Gesundheit betreffen, Motorik und Mobilität, kognitive Fähigkeiten usw. Ressource ● Beschreibt Mittel, die zur Verfügung stehen, um ein Ziel zu verfolgen, eine Handlung auszuführen, Anforderungen zu bewältigen. Ressourcen können materiell oder immateriell sein. Innere Ressourcen oder Kompetenzen eines alten Menschen sind z. B. Motivation, Hoffnung, Zielstrebigkeit, Kreativität, Erfahrung usw. Äußere Ressourcen können unterstützende Bezugspersonen sein, aber auch Geld, Hilfsmittel usw. SOK-Modell ● SOK steht für Selektion, Optimierung und Kompensation. Das Modell wurde 1990 von Baltes & Baltes22 erstmals vorgestellt, später von weiteren Wissenschaftlern mehrmals erweitert und aktualisiert. Kernaussage ist, dass die drei Komponenten in ihrem Zusammenwirken dazu beitragen, dass Menschen im Alter trotz vorhandener Verluste und Einschränkungen gut im Alltag zurechtkommen und sich wohlfühlen können. –– Selektion: Auswahl individuell wichtiger Lebensziele, Handlungsbereiche und Aktivitäten. –– Optimierung: Steigern und Erweitern von Kompetenzen, z. B. durch mehr Training oder Einsatz von Strategien. –– Kompensation: Ausgleich von Funktionsverlusten durch Einsatz vorher ungenutzter Ressourcen und Hilfsmittel oder durch Umweltumgestaltung. Bei gutem Zusammenspiel dieser drei Faktoren wird das subjektive Wohlbefinden stabilisiert oder sogar erhöht.

22 Paul B. BALTES (1939-2006), dt. Psychologe und Gerontologe Margret Maria BALTES (1939-1999), dt. Psychologin und Gerontologin

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Sozialkompetenz ● „Allgemein die Fähigkeit des Menschen, sich in sozialen Situationen angemessen zu verhalten. […] Merkmale von Sozialkompetenz sind u. a. Einfühlungsvermögen, Kommunikations-, Kompromiss- und Konfliktfähigkeit, Toleranz, Vorurteilslosigkeit, Kooperationsbereitschaft und Gemeinschaftsgeist. […] Sozialkompetenz kann auch gezielt in Schulungen oder Trainingsmaßnahmen gefördert werden. In vielen Berufen wird Sozialkompetenz als Schlüsselqualifikation vorausgesetzt.“23 Teilkompetenz ● Die Zusammensetzung, Ausprägung und Kombination der einzelnen Teilkompetenzen ist beim Menschen individuell verschieden. Fähigkeiten, Talente, Stärken und Schwächen sind unterschiedlich verteilt.

Zusammensetzung von Teilkompetenzen

Person B

Person A

Person C

23 Aus: Brockhaus Online-Enzyklopädie, https://brockhaus.de/ecs/enzy, letzte Abfrage 26.12.2018

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Gerontologie – das Altern verstehen

MITEINANDER LEBEN Der Mensch in seinen sozialen Beziehungen Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen. Er braucht andere Menschen, also soziale Beziehungen, um leben zu können. Ein Säugling wäre ohne Erwachsene nicht lebensfähig, und das Kind braucht den Zusammenschluss in einer Gruppe, meist der Familie, um mit seiner Umwelt zurechtzukommen. Aber auch Erwachsene sind auf soziale Beziehungen angewiesen, würden ohne diese nur als Organismus existieren, wären aber in einem psychischen Todeszustand. Seit Urzeiten bot der Zusammenschluss in Gruppen die bessere Überlebenschance. In der Gemeinschaft können Leistungen erbracht werden, zu denen ein Individuum allein nicht fähig wäre. Ob es um die Versorgung mit Nahrung, das Errichten von Bauwerken, das Wahren der Sicherheit geht oder um die Verbesserung der Lebensbedingungen durch gemeinsame Kraftanstrengung, arbeitserleichternde Erfindungen etc., – das Zusammenwirken in der Gruppe war schon immer wichtig, um Problemlösungen zu finden, konkrete Planungen zu erstellen, neue Ideen zu entwickeln und zu vervollkommnen. Die Gemeinschaft wird besonders dann wichtig, wenn das Individuum im Alter in manchen Bereichen Unterstützung benötigt, weil eigene Fähigkeiten sich verändern oder in ihrer Gesamtheit nachlassen. Im Miteinander der Generationen wird dann das Prinzip der Arbeits(umver)teilung wirksam. Eingebunden in soziale Netzwerke, kann der Mensch seinen Alltag bewältigen. Trotz des Bedürfnisses nach Gemeinschaft wünschen sich viele Menschen ab und zu ein bisschen Einsamkeit. Besonders dann, wenn andere Menschen (zu) viele Erwartungen an sie richten, wenn Aufgaben und Belastungen ihnen über den Kopf zu wachsen scheinen. Wer hat nicht schon mal davon geträumt, wie Robinson Crusoe auf einer einsamen Insel zu leben? Aber das Einsiedlerdasein hat nicht nur Licht-, sondern auch eine Reihe von Schattenseiten. Auf die Dauer würden uns die sozialen Bezie-

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hungen, konkret die Menschen um uns herum, fehlen und damit etwas Lebensnotwendiges für unsere Psyche.

Lernziele Wissen, –– dass die Gesellschaft, Kultur und Religion einen Menschen nachhaltig prägen. –– dass der Mensch in verschiedenen Lebensphasen unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt ist, die ihn immer wieder verändern. –– dass es übergeordnete Ziele wie Frieden oder Freiheit gibt, die ein Mensch allein nicht erreichen kann. –– warum eine Gemeinschaft zum Funktionieren Regeln benötigt. –– jeder Mensch in seinem Leben mehrere verschiedene Rollen spielt. Verstehen und sich bewusst machen, –– dass der Mensch ohne andere Menschen nicht überleben kann. –– welche Erwartungen von Handlungspartnern an eigene soziale Rollen geknüpft sind. –– dass auch im hohen Alter noch Prägungs- und Anpassungsprozesse ablaufen. –– unterschiedliche gesellschaftliche Rollen für deren Inhaber manchmal unvereinbar erscheinen und zu Konflikten führen können. –– welche Lösungsmöglichkeiten es für derartige Konflikte gibt –– dass für das Zusammenleben und Zusammenarbeiten Regeln nötig sind.

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Im Arbeitsalltag –– die Erwartungen und Ansprüche an die eigene Arbeitsrolle überdenken. –– beobachten, welche Anpassungsprozesse alte Menschen verarbeiten müssen. –– überlegen, welche Wertvorstellungen im Leitbild der eigenen Einrichtung deutlich werden. –– erkennen, welche Regeln nötig sind, damit Abläufe in der Einrichtung reibungslos funktionieren.

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Wandel

Selbstverständnis

Erwartungen

Geschlechterrollen

Lebensaltersrollen

Definition

Lösungsmöglichkeiten

Interrollenkonflikt

Intrarollenkonflikt

Rollen Rollen

Rollenkonflikte Rollenkonflikte

Miteinander leben Miteinander leben

Kultur

Milieu, Schicht

Sozialisation Sozialisation

Phasen

Instanzen

Definition

Grundlagen des Grundlagen des Zusammenlebens Zusammenlebens

Soziales Umfeld Umfeld Soziales

Gesellschaft

Sanktionen

Normen

Werte

MITEINANDER LEBEN

Themenübersicht

Gerontologie – das Altern verstehen

Soziales Umfeld Gesellschaft ● „Gesamtheit der Menschen, die im staatlichen, wirtschaft-

lichen und geistigen Leben zusammenwirken. Jede Gesellschaft wird durch ihr Wirtschaftssystem und ihre politisch-staatlichen Ordnungsverhältnisse geprägt …“24 Die Wissenschaft, die sich mit der Gesellschaft und mit dem Zusammenleben in einer Gesellschaft beschäftigt, ist die Soziologie. Wir leben nicht in einem menschenleeren Raum, nicht in einem menschlichen Vakuum, sondern wir sind gesellschaftliche Wesen. Dabei spielt es eine wesentliche Rolle, wie die Gesellschaft geprägt ist, in die der einzelne Mensch hineingeboren wird. Die Anpassung an das Leben in einer Industriegesellschaft verläuft anders als in einem wirtschaftlich und technisch wenig entwickelten Land. Kultur ● (lat. cultura = Bearbeitung, Anbau, Ausbildung, Veredelung) Bezeichnet alles, was nicht naturgegeben, sondern vom Menschen geschaffen ist. Dazu gehören Sprache, Traditionen, Rituale, Kunst, Musik, Literatur usw. Der Begriff ist äußerst vieldeutig, kaum konkret zu definieren und wird – je nach Zusammenhang – mit unterschiedlichen Schwerpunkten inhaltlich gefüllt. Bei der Pflege alter Menschen spielen kulturelle Aspekte eine immer größere Rolle. Unsere Gesellschaft wird stetig bunter. Menschen ziehen innerhalb Deutschlands von Nord nach Süd, von Ost nach West und umgekehrt. Schon das erfordert das Anpassen an andere Sitten und Gebräuche. Noch größer sind kulturelle Unterschiede angesichts zunehmender Migration. Das ist eine Bereicherung im Sinn von Vielfalt. So können wir uns heute kaum noch vorstellen, ohne die kulinarischen Beiträge z. B. der italienischen, griechischen oder türkischen Küche unseren Speiseplan zu gestalten. Ähnliches gilt für viele andere Lebensbereiche. Doch gleichzeitig ergeben sich aus kulturellen Unterschieden Probleme, für deren Bewältigung es Toleranz auf allen Seiten braucht. Wer den eigenen Kulturkreis verlässt, benötigt in neuer Umgebung Zeit für An24 Aus: Brockhaus Online-Enzyklopädie, https://brockhaus.de/ecs/enzy, letzte Abfrage 27.12.2018

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passungsprozesse, um störungsfrei mit seiner veränderten Umwelt zurechtzukommen. Zur Kultur eines Volkes gehört auch, wie es mit seinen Alten umgeht – werden sie integriert und versorgt oder allein gelassen, für ihre Leistung und Erfahrung verehrt und respektiert oder ins Abseits geschoben und als Belastung empfunden? Milieu ● (frz. = Mitte, mittendrin) Steht für Umgebung oder Umfeld, auch im übertragenen Sinn, also das gesellschaftliche Umfeld. Das Sinus-Institut25 erforscht seit Jahrzehnten die Lebenswelten der Gesellschaft und definiert Milieus heute unabhängig von formalen Schichteinteilungen und Kriterien wie Schulbildung, beruflicher Position oder Einkommen. Dabei werden Menschen in so genannten Sinus-Milieus® zusammengefasst und als Gruppen beschrieben, deren Mitglieder sich in Lebensweise und -auffassung ähneln. Aktuell wird die Gesellschaft in Deutschland in zehn Sinus-Milieus® unterteilt. Die Grenzen zwischen den Milieus werden fließend gesehen. 26

25 Institut für Markt- und Sozialforschung, https://www.sinus-institut.de 26 Abb. aus: Sinus Markt- und Sozialforschung GmbH: Informationen zu den Sinus-Milieus®, ­Heidelberg 2018, S. 13

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Prekariat ● Ist der aktuelle Begriff für eine soziale Gruppierung mit unsicheren Lebensbedingungen. Entstanden vor allem vor dem Hintergrund sich verändernder und immer unsicherer werdender Arbeitsverhältnisse, beschreibt Prekariat aktuell allgemein prekäres Milieu. Gerade im Alter trifft viele Menschen ein sozialer Abstieg als Folge ungenügender Alterssicherung aufgrund von Teilzeitarbeit, geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, selbstständiger Arbeit usw. Altersarmut trifft nicht nur Menschen aus unteren sozialen Schichten. So müssen zunehmend Menschen im Rentenalter ihr Wohneigentum verkaufen, um eigene Pflege oder die des Partners zu finanzieren. Soziale Schicht ● In jeder Gesellschaft ergeben sich – abhängig von der Gesellschaftsform – Einteilungen in Schichten. Nicht alle Mitglieder, die in einer Gesellschaft heranwachsen und leben, haben dort die gleichen Voraussetzungen und Chancen. Abstammung, Einkommen und Besitz, Bildung und berufliche Position sind nur einige Faktoren, die Unterschiede schaffen, Menschen der einen oder anderen gesellschaftlichen Gruppierung oder Schicht mit jeweils ähnlichen sozialen Merkmalen zuordnen. Davon wird wesentlich auch der Lebensstandard bestimmt. Im deutschen Sprachgebrauch haben sich Begriffe wie Ober-, Mittel- und Unterschicht im Sinn hierarchischen Denkens durchgesetzt. Oft wird zusätzlich unterteilt zwischen gehobener und unterer Mittelschicht. Doch diese Einteilung gerät zunehmend ins Wanken. Die Lebenswelten der Deutschen verändern sich. Die Altenpflege kommt mit Menschen aller sozialen Schichten und Gruppierungen in Berührung.

Grundlagen des Zusammenlebens Altenpflege, Normen ● In der Altenpflege kommen Mitarbeitende mit unterschiedlichen Normen in Berührung, z. B. Altenpflegegesetz, Heimgesetz, Pflegestandards, Hausordnung, Dienstvertrag, Dienstordnung usw. Solche Normen schaffen Verlässlichkeit und ermöglichen, dass sich Kollegen aufeinander einstellen und auch Bewohnerinnen eines Hauses bestimmte Dinge erwarten und als gegeben voraussetzen können. Nur so ist auf Dauer das Zusammenleben und Zusammenarbeiten möglich.

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Funktionelle Norm ● Damit wird eingeschätzt, ob sich ein Mensch in seinen aktuellen Lebensumständen situations- und altersgerecht verhält, also den allgemeinen Erwartungen seines Umfelds entspricht. Normen ● Sind Verhaltensregeln, Erwartungen an die Mitglieder einer Gemeinschaft, nach der sich die gesamte Gemeinschaft richten soll. Sie ordnen bestimmte Verhaltensweisen bestimmten Situationen zu. So geben sie Orientierung und erleichtern Entscheidungsprozesse, regeln, was  „man“ tut oder nicht tut. Es gibt Normen, die in Gesetzen und Ordnungen schriftlich niedergelegt sind und solche, die sich aus rein praktischen Erwägungen ergeben, die so genannten ► Zweckmäßigkeitsnormen. Eine andere Unterscheidungsmöglichkeit zwischen Normen ergibt sich aus den daraus resultierenden Erwartungen, d. h. –– Kann-Vorschriften (soziale Gewohnheiten), –– Soll-Vorschriften (Bräuche), –– Muss-Vorschriften (oft juristisch abgesicherte, gesellschaftliche Sitten). Werte können erst umgesetzt werden, wenn den allgemeinen Werten spezielle Normen zugeordnet werden. Normen dienen der Konkretisierung von Werten. Sie machen Werte greifbarer. Manchmal kann derselbe Wert hinter mehreren verschiedenen Normen stehen. So wird der Wert der Gleichheit zum Beispiel nicht nur durch Artikel 3 des Grundgesetzes konkretisiert, sondern weiterhin durch zahlreiche Frauenförderpläne verschiedener Einrichtungen und andere Regelwerke, die sich an eingeschränkte Zielgruppen und nicht an die gesamte Gesellschaft richten. Normen richten sich immer an bestimmte Empfänger. Dies kann die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit sein, zum Beispiel bei Bundesgesetzen, oder nur ein bestimmter Personenkreis, zum Beispiel die Bevölkerung eines Bundeslandes bei Landesgesetzen. Nicht nur Gesetze sind Normen. Es können auch interne Festlegungen für eine eingegrenzte Gruppe sein. Eine Dienstordnung, die sich an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Pflegeheims richtet, ist eine solche Norm für eine klar umrissene begrenzte Zielgruppe.

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Gerontologie – das Altern verstehen

Normen empfinden Menschen vielfach als Einengung ihrer persönlichen Freiheit. Bis zu einem gewissen Grad bedeuten sie dies tatsächlich. Andererseits aber werden Normen benötigt, um reibungslose Abläufe zu gewährleisten. Normenhierarchie ● Wird in der Rechtswissenschaft auch als Normenpyramide dargestellt. Es geht um das Über- und Unterordnungsverhältnis (Subsidiarität). Normen haben – wie auch die Werte – eine unterschiedliche Wichtigkeit. Sie unterliegen ebenfalls einer Hierarchie. So sind zum Beispiel die im Grundgesetz verbrieften Grundrechte höherwertig als eine Landesverfassung. Das heißt die in der Hierarchie niedriger eingeordnete Norm, das Landesgesetz, kann niemals eine höherwertige, das Bundesgesetz, außer Kraft setzen. Sanktion ● Das Nichtbefolgen von Normen wird in der Regel bestraft. Solche Strafen werden als Sanktionen (lat. sanctio = Strafbestimmung) bezeichnet. Je nach Art und Wertigkeit der Norm unterscheiden sich Stärke und Art der Sanktionen. Sanktionen können bei Nichteinhaltung von staatlichen Gesetzen zum Beispiel in Haft- oder Geldstrafen bestehen. Bei Verstoß gegen Normen einer bestimmten Gruppe kann etwa der Ausschluss aus der Gruppe die Sanktion darstellen. Bei Nichteinhalten einer Zweckmäßigkeitsnorm kann die Meidung der Person, die die Sitten verletzt hat, die Sanktion sein. Soziale Kontrolle ● Mechanismen, mit denen eine Gesellschaft die Einhaltung von Normen sichert, werden als soziale Kontrolle bezeichnet. Sie erfolgt lebenslang auf vielfältige Weise durch verschiedene Institutionen und ► Sozialisationsinstanzen. Soziale Kontrolle soll das Individuum veranlassen, Normen einzuhalten. Bei Verstoß gegen eine Norm erfolgen ► Sanktionen. Statistische Norm ● Beschreibt Durchschnittswerte und ermöglicht den Vergleich von Merkmalen zwischen verschiedenen Personen. Normal, also normgerecht, ist danach, was häufig vorkommt oder dem Durchschnitt

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entspricht. Das gilt für Verhalten, aber ebenso für Messwerte wie Gewicht, Blutdruck oder Blutzucker. Verhaltenserwartung ● Aus den Werten einer Gesellschaft ergeben sich bestimmte Verhaltenserwartungen in Form so genannter ► Normen. Der Wert der Gleichheit führt zum Beispiel zu dem an alle Gesellschaftsmitglieder gerichteten und im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland verankerten Grundrecht, Artikel 3, nach dem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind.27 Nicht alle Verhaltenserwartungen richten sich an alle Mitglieder der Gesellschaft. So stellen Gruppen der Gesellschaft jeweils eigene Regeln auf, die nur für ihre Gemeinschaft gelten. Außerdem hat jedes Individuum Verhaltenserwartungen an sich selbst in verschiedenen gesellschaftlichen ► Rollen. Werte ● Übergeordnete Ziele einer Gesellschaft oder erstrebenswerte Zustände, auch allgemeine Urteilsmaßstäbe, mit deren Hilfe ein Individuum Objekte, Einrichtungen, Handlungen und Ideen einschätzt. Solche Werte können zum Beispiel sein: soziale Sicherung, Gleichheit, Brüderlichkeit, Ordnung und Sauberkeit, Menschenwürde, Nächstenliebe, Versorgung alter Menschen, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Religionsfreiheit ... Aus diesen Beispielen wird bereits deutlich: Werte kann in der Regel ein Individuum allein nicht erreichen. Niemand kann allein für soziale Sicherung sorgen, für Meinungsfreiheit oder Nächstenliebe. Zwar kann jeder Mensch in seinem Umfeld nach diesen Werten leben, sie aber nicht in der gesamten Gesellschaft realisieren. Daher wird diese Aufgabe an Organisationen abgegeben. Wie der einzelne Mensch zu den jeweiligen Werten steht, ist mit abhängig von seiner ► Sozialisation. Die frühkindlichen Prägungen aus der Familie spielen dabei ebenso eine Rolle wie spätere Einflüsse und Informationen durch andere Gruppen und Einrichtungen. Der Mensch wird mehr oder weniger intensiv auf ganz bestimmte Werte hin sozialisiert. Das 27  Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, Artikel 3

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heißt, Werte werden übernommen oder beeinflusst durch die Familie und durch Einrichtungen der Gesellschaft und Personen, die eine Rolle in der Sozialisation des Menschen spielen. So können Wertmaßstäbe nachhaltig geprägt werden von Eltern, Lehrerinnen und Lehrern, Freundinnen und Freunden, Vorbildern usw. Aus den Werten einer Gesellschaft ergeben sich bestimmte Verhaltenserwartungen, die in Form so genannter ► Normen Handlungsmuster festlegen. Wertehierarchie ● Beschreibt die Anordnung von Werten nach deren Bedeutung für das Individuum. Welche Werte dem Einzelnen wichtig sind, ist handlungsleitend für dessen Lebensgestaltung und hat Auswirkungen auf dessen Entscheidungen. Die Rangfolge verändert sich im Lauf des Lebens. So stehen im Alter häufig z. B. Sicherheit und Geborgenheit weit oben auf der Rangliste, dagegen Meinungsfreiheit oder Selbstverwirklichung weiter unten. Die Wertehierarchie steht in engem Zusammenhang mit der ► Bedürfnispyramide. Die wichtigsten Werte eines Menschen zu ermitteln, gehört in der Altenpflege zu den Aufgaben der Biografiearbeit. Die Kenntnis davon erleichtert die Alltagsgestaltung und erhöht für Betroffene die Lebensqualität. Wertesystem ● Eine Gesellschaft verfügt über eine breite Skala an Einschätzungen von Dingen, Sachverhalten und Handlungsmustern. Solch ein Wertesystem bildet die Grundlage für Orientierungs- und Handlungsmaßstäbe, für ► Normen, die das Verfolgen und Erreichen gesetzter Ziele und Werte fördern. Wertewandel ● Gesellschaftliche Werte wandeln sich in Abhängigkeit von –– Veränderung der Lebensgrundlagen wie Herrschaftsverhältnisse und Ideologien, –– Veränderung und Aktualisierung der Wissensbestände, –– Veränderung von Alltagserfahrungen und Bedingungen des Zusammenlebens.

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Zweckmäßigkeitsnormen ● Ergeben sich aus dem, was allgemein üblich ist, z. B. bestimmte Begrüßungsrituale – in Deutschland das Händeschütteln –, sich vor dem Essen die Hände zu waschen oder anzuklopfen vor dem Betreten eines Zimmers.

Sozialisation Erziehung ● Ist ein Teil der Sozialisation. Während ► Sozialisation ganz allgemein Anpassung, Prägung und Einflüsse umfasst, bezeichnet Erziehung konkret beabsichtigte Einflussnahme durch Menschen, einen steuernden Prozess. Erziehung erfolgt in der Regel in der ► Primärsozialisation in der Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. Jugendlichen. Peer Group ● Gruppe von Menschen mit gemeinsamen Merkmalen wie Alter, Interessen, Herkunft, sozialem Status usw., deren Mitglieder miteinander in Beziehung stehen. Der Begriff wird meist in Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen genutzt, hier vor allem Gruppen von Gleichaltrigen. Primärsozialisation ● Sie umfasst den Zeitraum der frühen Kindheit und erfolgt in der Familie und durch enge Bezugspersonen, solange kaum weitere Personen oder Einrichtungen prägend beteiligt sind. Die Grundsteine für soziales Verhalten werden gelegt. Vermittelt werden Vertrauen, Regeln für das Zusammenleben, sprachlicher und nicht-sprachlicher Ausdruck, geschlechtsspezifisches Verhalten usw. Quartärsozialisation ● Diese Prägungsphase erfolgt im Erwachsenenalter, während des Erwerbslebens, am Arbeitsplatz und in der Freizeit. Es geht um Lebensplanung und Bewusstseinsbildung zu Themen wie Familie, Gesundheit, Umwelt. Denk- und Verhaltensmuster werden überprüft und gegebenenfalls verändert. Das bedeutet oft auch familiäre oder berufliche Neu- oder Umorientierung. Quintärsozialisation ● Umfasst die Phase nach Ende der Berufstätigkeit und die Planung der verbleibenden Lebenszeit. Es geht ums Anpas-

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sen an eine neue Lebenssituation, an Einschränkungen und Erkrankungen, den Tod von Bezugspersonen, nötige Änderung der Wohnsituation, Akzeptieren der Endlichkeit des Lebens usw. Instanzen sind neben Bezugspersonen aus der Familie Betreuerinnen, Vereine und Senioreneinrichtungen wie Pflegeheim u. Ä. Vereinzelt wird eine sechste Sozialisationsphase beschrieben, jedoch bisher nirgends als Sextärsozialisation bezeichnet. Ob als gesonderte Phase gesehen und beschrieben oder als Teil der Quintärsozialisation, müssen Menschen im hohen Alter Entwicklungsaufgaben bewältigen. Dabei geht es darum, Aufgabenverluste zu verkraften, neuen Lebenssinn zu finden, Bilanz zu ziehen, mit dem eigenen Leben Frieden zu schließen und schließlich die Endlichkeit des Lebens anzunehmen. Sekundärsozialisation ● Diese Phase beginnt in der Regel mit ca. drei Jahren, sobald Institutionen wie Kindergarten, Vereine oder Freundeskreise Einfluss gewinnen. Neue soziale ► Rollen werden gelernt, Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen aufgebaut und Grundhaltungen wie Leistungsbereitschaft, Kameradschaft, Gewissen usw. entwickelt. Sozialisation ● Ist ein Prozess der Anpassung und Prägung, der lebenslang ständig und weitgehend automatisch abläuft, erst mit dem Tod abgeschlossen ist. Dabei entwickelt sich der Mensch zu einem handlungsfähigen Mitglied der Gesellschaft. Er wächst in sein Umfeld und seine Kultur hinein. Sozialisation umfasst alle Vorgänge, die die Entwicklung eines Menschen beeinflussen, auch die unbeabsichtigten. So genannte ► Sozialisationsinstanzen beeinflussen den Menschen so, dass er Muster für sein Denken, Handeln und Empfinden aus der Gesellschaft übernimmt. Sozialisationsinstanzen ● Sind Gruppen und Einrichtungen der Gesellschaft, die in verschiedenen Lebensabschnitten prägende Einflüsse auf das Individuum ausüben. Dazu gehören Familie und Freundeskreis, Bildungseinrichtungen wie Kindergarten und Schule, betriebliche Einrichtungen, Vereine, Kirchen usw. bis hin zu Pflegeheimen als prägende Instanzen im Alter.

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Die Sozialisationsinstanzen haben Vermittlungs- und Kontrollfunktionen. Sie vermitteln zwischen dem Individuum und der Gesellschaft und überwachen das Einhalten von Normen. Bei Regelverstößen reagieren sie mit ► Sanktionen. Sozialisationsphasen ● Wie die menschliche Entwicklung insgesamt in zeitlichen Abschnitten verläuft, so ist auch die Sozialisation in Phasen aufgeteilt. Je älter wir Menschen werden, desto feiner werden Altersgruppen und Entwicklungsstadien unterteilt. War noch vor Jahrzehnten von drei Stadien – Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter – die Rede, unterscheiden wissenschaftliche Betrachtungen heute vier, fünf oder sechs Phasen. Die einzelnen Phasen werden mit lateinischen Begriffen chronologisch aufgezählt – primäre (lat. primus = der Erste), sekundäre (lat. secundus = der Zweite) usw. Die Grenzen zwischen den einzelnen Phasen sind fließend. Jedem Abschnitt sind bestimmte Merkmale zugeordnet. Es werden jeweils unterschiedliche ► Sozialisationsinstanzen wirksam. Tertiärsozialisation ● Beginnt mit dem Eintritt in die Schule und umfasst den gesamten Zeitraum der Ausbildung, auch der betrieblichen. Schule, Universität, Ausbildungsbetrieb usw. vermitteln als ► Sozialisationsinstanzen neben Fachkenntnissen und Vertiefung von Fähigkeiten im Lesen, Schreiben, Rechnen soziale Fähigkeiten wie Kommunikation, Kooperation, Empathie usw. Außerdem geht es um Aufbau und Übernahme von Werten wie Fleiß, Ordnung, Pünktlichkeit …

Gesellschaftliche Rollen Berufsrolle ● Die Berufsrolle beeinflusst andere Rollen. Aus der Berufsrolle ergeben sich Erwartungen an den Menschen, auch wenn er gerade eine andere Rolle spielt. So kann zum Beispiel die Rolle eines Vereinsmitglieds durchaus von seinem Beruf mit geprägt werden. Wissen wir, dass Vereinsmitglied A eine Bankfiliale leitet, so werden wir womöglich versuchen, es bei den nächsten Vorstandswahlen für die Aufgabe der Kassenführung zu gewinnen. Vereinsmitglied B ist Kellnerin. Natürlich erwarten alle von ihr, dass sie

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sich beim Vereinsfest um das leibliche Wohlergehen der Festgäste kümmert usw. An Menschen, die beruflich in der Altenpflege arbeiten, werden oft ebenso im privaten Bereich Erwartungen gestellt, die sich aus der Erwerbstätigkeit ergeben. Gender ● Bezeichnung für das soziale Geschlecht in Abgrenzung zum biologischen Geschlecht. Geschlechterrolle ● Bei der Geburt eines Menschen wird das Geschlecht – männlich oder weiblich und seit 2019 als dritte Möglichkeit  „divers“ – festgelegt. Während der Sozialisation, vor allem während der ► Primärsozialisation, wird das geschlechtsspezifische Verhalten geprägt. Abhängig davon, welche Einflüsse wirksam werden, entwickelt das Individuum  „typisch männliche“ oder „  typisch weibliche“ Eigenschaften und Verhaltensweisen. Geschlechterrollen sind abhängig u. a. von kulturellen und religiösen Prägungen und einem enormen Wandel durch den Zeitgeist unterworfen. Heute hochaltrige Menschen haben in ihrer Sozialisation meist eine klassische Rollenverteilung erfahren – Männer als Familienoberhaupt und Versorger, Frauen zuständig für häusliche Belange. Diese Verteilung stimmt so nicht mehr, obwohl echte Gleichberechtigung auch nach der Frauenbewegung aus den 1970er-Jahren und trotz des Frauenanteils z. B. bei Bundeswehr oder Polizei noch lange nicht überall realisiert ist. Lebensaltersrolle ● Die Altersstufe, in der wir uns gerade befinden, schreibt uns unsere jeweilige Rolle zu, die wir individuell interpretieren. Diese Lebensaltersrollen haben etwas mit der Sozialisation zu tun. In den einzelnen Sozialisationsphasen schlüpfen wir jeweils in eine neue Lebensaltersrolle, betreten die gesellschaftliche Bühne und beenden eines Tages unseren Auftritt, um in einer neuen Rolle wieder auf die Bühne zurückzukommen. Die Rollendefinitionen der Lebensaltersstufen regeln das Miteinander der Generationen. Sie verändern sich. Sie stehen in engem Zusammenhang mit den ► Werten und unterliegen einem Wandel, sind abhängig vom Zeitgeist.

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MITEINANDER LEBEN

Die Rollendefinition für einen alten Menschen war früher stark geprägt durch Faktoren wie Bescheidenheit, Verzicht, Rückzug, Anpassung.  „Man“ hatte sich im Alter unauffällig zu verhalten und zu kleiden, wenig für sich selbst zu beanspruchen, keine Erlebnisse mehr zu erwarten usw. Diese Rollendefinition hat sich bis heute stark verändert. Alte Menschen sind keineswegs immer still und bescheiden. Sie sind nicht mehr an ausschließlich unauffälliger dunkler Kleidung zu erkennen. Viele genießen den Lebensabschnitt ohne berufliche und familiäre Verpflichtungen und gewinnen ihm neue Lebenserfahrungen und Erlebnisse ab. Position ● Beschreibt die Einordnung in die Hierarchie einer Organisation. Sie ist durch Normen festgeschrieben. Mit einer Position sind für den Inhaber bestimmte Rechte und Pflichten verbunden, die grundsätzlich für alle in gleicher Position gleich sind. Eine Heimleiterin nimmt eine andere – höhere – Position in einem Pflegeheim ein als eine Pflegekraft. Ihre Position erlaubt ihr, Entscheidungen zu treffen und Anweisungen zu geben, die einer Pflegekraft nicht zustehen. Die Position eines Auszubildenden erlaubt das Nachfragen bei Pflegefachkräften, wenn es um die Ausführung einer pflegerischen Handlung geht, während von einer fertig ausgebildeten Pflegefachkraft erwartet wird, dass sie mit entsprechenden Situationen selbständig umzugehen und Entscheidungen zu treffen weiß. Rolle ● Wird immer von Menschen gespielt und bezieht sich immer auf Handlungspartnerinnen und -partner, also auf Menschen. Gesellschaftliche Rollen werden gelernt – so wie Schauspieler eine Theaterrolle trainieren müssen, um sie zu beherrschen. Ein Theaterstück kann bei unterschiedlicher Besetzung der einzelnen Rollen sehr verschiedenen Charakter haben. Das liegt an der Interpretation (lat. interpres = Ausleger) der einzelnen Rollen. Die gesellschaftliche Rolle ist ebenso interpretierbar. Mit jeder Rolle sind bestimmte ► Rollenerwartungen verbunden. Verschiedene Mitarbeiterinnen eines Pflegeheims, z. B. zwei Altenpflegerinnen, bekleiden die gleiche Position, sind also gleichrangig. Aber sie spielen unterschiedliche Rollen, denn sie bringen sich als Persönlichkeiten in ihre Tätigkeit auf verschiedene Weise ein.

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Gerontologie – das Altern verstehen

Rollenerwartung ● Bezeichnet Erwartungen der Gesellschaft an das Verhalten eines Menschen in einer bestimmten Rolle und bestimmte Attribute, die dieser Rolle zugeschrieben werden. Sie betreffen das Handeln, aber auch Persönlichkeit und Erscheinung. So wird von einer Pflegekraft u. a. allgemein erwartet, dass sie ein gepflegtes Erscheinungsbild abgibt. Unsauberes Äußeres und mangelnde Körperhygiene würden einen Bruch mit der Erwartung bedeuten. Ähnliches gilt für andere Rollen, z. B. ist mit der Vaterrolle die Vorstellung verknüpft, dass der Rolleninhaber ein gewisses Maß an Verantwortungsbewusstsein mitbringt. Es gibt auch Erwartungen, die mit der jeweiligen ► Lebensaltersrolle verbunden sind. So wird z. B. von einer 90-Jährigen meist erwartet, dass sie sich mit intakter Bekleidung in die Öffentlichkeit wagt. Würde sie sich mit  „destroyed“ oder  „distressed“ Jeans, also den trendigen Löcherjeans, zeigen, wäre das mindestens so überraschend wie wenn dieselbe Person bei einer Extremsportart beobachtet würde. Rollenverlust ● Im Lauf des Lebens verändern sich Rollen in ihrer Qualität (Beschaffenheit, Art) und Quantität (Menge, Anzahl). Eine alte Frau ist z. B. noch immer Mutter, sofern ihre Kinder noch leben. Aber die Mutterrolle hat sich verändert, als die Kinder erwachsen wurden und selbst Familien gründeten. Dieselbe alte Frau verliert viele Rollen, weil Geschwister und Freunde sterben, sie nicht mehr aktives Vereinsmitglied ist, weil sie jetzt im Pflegeheim lebt und daher nicht mehr Nachbarin ist usw. Gleichzeitig kann sie neue Rollen hinzugewinnen, z. B. als Heimbeirätin, als Leiterin der BridgeGruppe im Pflegeheim usw. Sollen Rollenverluste ausgeglichen werden, erfordert das Eigeninitiative der Rolleninhaber. Es geht darum, neue Beziehungen herzustellen, neue Aufgaben zu übernehmen und so ein neues Rollengefüge zu entwickeln. Erfolgt das nicht, entfallen zunehmend Rollen und die damit verbundenen Aufgaben und Funktionen. Das erleben viele alte Menschen als ein Gefühl des Nicht-mehr-Gebrauchtwerdens. Das Selbstwertgefühl sinkt.

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MITEINANDER LEBEN

Rollenvielfalt ● Jeder Mensch spielt in jedem Lebensstadium mehrere Rollen gleichzeitig in verschiedenen Lebenszusammenhängen und -bezügen. So gibt es u. a. Familienrollen, Berufsrollen, Freizeitrollen usw. Einige sind zugewiesen wie die ► Geschlechterrolle oder die ► Lebensaltersrolle oder Familienrolle, z. B. als Tochter oder Sohn. Andere sind frei wählbar wie die als Freund oder Freundin, als Vereinsmitglied oder Heimbeirätin. Eine Altenpflegerin kann z. B. gleichzeitig die folgenden Rollen innehaben: –– Familie: Frau, Ehefrau, Mutter, Tochter, Schwester … –– Beruf: Pflegefachkraft, Mentorin … –– Privat: Nachbarin, Freundin … –– Freizeit: aktive Handballspielerin, Mannschaftsführerin, Trainerin, Vorstandsmitglied ...

Rollenkonflikte Interrollenkonflikt ● (lat. inter = zwischen) Es bestehen widersprüchliche Erwartungen zwischen verschiedenen Rollen einer Person.

weitere Rollen Mitarbeiterin Handballerin Kollegin Mutter Ehefrau Schwieger­ tochter

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Gerontologie – das Altern verstehen

Beispiel –– Eine Pflegekraft wird von der Pflegedienstleitung aufgefordert, am Wochenende für eine erkrankte Kollegin einzuspringen. (Rolle: Mitarbeiterin) –– Die Kollegen im Pflegeteam erwarten, dass sie sie nicht im Stich lässt. (Rolle: Kollegin) –– Der Ehemann erwartet, dass seine Frau ihn zum 65. Geburtstag seiner Mutter begleitet. (Rolle: Ehefrau) –– Die Schwiegermutter erwartet, dass sie bei der Gästebewirtung hilft. (Rolle: Schwiegertochter) –– Die Kinder erwarten einen schon mehrfach verschobenen Zoo­ besuch. (Rolle: Mutter) –– Ihre Handballmannschaft erwartet, dass sie am Wochenende zu einem Punktspiel mitfährt. (Rolle: Teammitglied) Diese Fülle an Erwartungen, alle für dasselbe Wochenende, ist schwierig unter einen Hut zu bringen. Die Rolleninhaberin muss eine ► Konfliktlösung suchen. Intrarollenkonflikt ● (lat. intra = innerhalb) Die Erwartungen verschiedener Handlungspartner an einen Menschen innerhalb einer einzigen Rolle sind widersprüchlich und nicht miteinander zu vereinbaren. Beispiel einer Altenpflegerin in ihrer Berufsrolle: –– Die Heimleitung erwartet, dass sie in ihrem Verhalten dem guten Ruf des Hauses entspricht und sich mit Engagement einbringt. –– Die Pflegedienstleitung erwartet, dass sie Verständnis für personelle Engpässe zeigt und bereit ist, flexibel damit umzugehen. Außerdem soll sie auf Wirtschaftlichkeit im Umgang mit Materialien achten. –– Die Kollegen erwarten, dass sie sich anpasst und etwas schafft, das heißt nicht zu viel Zeit für die einzelnen Tätigkeiten benötigt. Außerdem soll sie sich im Team kollegial verhalten.

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MITEINANDER LEBEN

–– Die Auszubildende in ihrer Schicht erwartet, dass sie ihr regelmäßig Anleitung gibt. –– Die Bewohner erwarten von ihr vor allen Dingen Zeit. Sie erwarten oft auch, dass sie ihnen viel abnimmt, was sie eigentlich noch selbst könnten. –– Die Angehörigen der Bewohner erwarten, dass sie deren Wünschen im Umgang mit ihren Verwandten entspricht. –– Die Ärztinnen erwarten, dass sie deren medizinischen Anordnungen Folge leistet, gleichgültig ob es in den Zeit- und Arbeitsplan passt. –– Sie selbst möchte allen gerecht werden und ihre Arbeit professionell erledigen.

Heimleitung Rolleninhaberin

Pflegedienstleitung

Altenpflegerin

Ärzte

Angehörige

Kollegen

Schüler Bewohner

Die Altenpflegerin sitzt quasi zwischen den Stühlen. Sie müsste viele Hände haben, um ihre Rolle immer zur vollen Zufriedenheit aller auszufüllen.

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Gerontologie – das Altern verstehen

Konfliktlösungen ● Treten Konflikte nur gelegentlich auf, werden – bewusst oder unbewusst – von den betroffenen Personen unterschiedliche Taktiken praktiziert, z. B. –– Eine Entscheidung aufschieben oder verzögern – Zeit gewinnen. –– Der Erwartung der Person entsprechen, die die höchste Position innehat oder die über die stärksten Druckmittel verfügt. –– Abwechselnd den Erwartungen des einen und eines anderen Rollenpartners entsprechen. –– Versuchen, den Interessen mehrerer Rollenpartner wenigstens zum Teil zu entsprechen – Kompromisse finden. –– Scheinbar mehreren Anforderungen entsprechen und dabei die tatsächliche Handlung vor den jeweils anderen Rollenpartnern verbergen. –– Nach eigenen Vorstellungen handeln und die Erwartungen anderer ignorieren. Entstehen wiederholt Rollenkonflikte, müssen tragfähige Lösungen gesucht werden, z. B. –– Für jede Rolle ein klares ► Rollenselbstbild entwickeln. –– Gespräche mit betroffenen Handlungspartnern suchen. –– Gemeinsame Entscheidungen herbeiführen. –– Verhaltensregeln für alle Beteiligten festlegen und einhalten. –– Bei ständigen Konflikten auch eine Rolle abgeben! Rollendistanz ● Bezeichnet die Fähigkeit eines Individuums, eigene Rollen und die damit verbundenen Erwartungen quasi von außen zu betrachten, zu reflektieren und – falls nötig – neu zu interpretieren. Rollenkonflikt ● Unterschiedliche und nicht miteinander zu vereinbarende ► Rollenerwartungen treffen aufeinander. Eine Person entspricht nicht den Anforderungen ihrer Handlungspartner oder ihren eigenen Vorstellungen.

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MITEINANDER LEBEN

Unterschieden werden zwei Arten von Rollenkonflikten: –– der ► Interrollenkonflikt und –– der ► Intrarollenkonflikt. Rollenselbstbild ● Das Rollenselbstbild eines Menschen bestimmt sein Verhalten und seine Motivation. Es beschreibt die eigenen Erwartungen, die jemand an sich stellt in einer bestimmten Rolle oder in der Gesamtheit seiner Rollen. Ist das Rollenselbstbild geprägt von zu hohen, unrealistischen Erwartungen, etwa perfekt zu sein in einer oder sogar in mehreren Rollen, z. B. perfekte Mutter und gleichzeitig perfekt in der Berufsrolle als Pflegekraft, kommt es zu ► Rollenkonflikten. Betroffene nehmen die Situation häufig als persönliches Versagen wahr. Ein klares Rollenselbstbild, eindeutige Vorstellungen von der eigenen Rolle und entsprechend klares Auftreten gegenüber Handlungspartnern helfen, Konflikte zu vermeiden.

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Gerontologie – das Altern verstehen

VERHALTEN & ERLEBEN Was Menschen antreibt In der zwischenmenschlichen Begegnung taucht immer wieder die Frage nach Beweggründen für Verhalten auf. Was steckt hinter dem Verhalten meines Gegenübers, was will es damit erreichen? Das Beschäftigen mit solchen Fragen erleichtert den Umgang miteinander und schafft Verständnis. Die Frage nach Beweggründen für eigenes Verhalten ist zur Selbstkontrolle und -steuerung ebenfalls notwendig. Der vermutete Beweggrund hinter dem Verhalten eines Gegenübers bestimmt die Reaktion der Mitmenschen. Vermutet zum Beispiel eine Altenpflegerin hinter dem ständigen Fragen einer Bewohnerin nach der Tageszeit Angst, wird die Reaktion auf die wiederkehrenden Fragen anders sein als wenn sich die Pflegekraft das Verhalten mit der Absicht erklärt, sie ärgern zu wollen. Die Entwicklung der Persönlichkeit, des ganz einzigartigen Menschen, vollzieht sich ein Leben lang. Viele unterschiedliche Faktoren haben Anteil an dem, was das Individuum ausmacht. Zu den verschiedenen Theorien, wie der Mensch zu dem wird, was er im hohen Alter ist, dazu gibt dieses Kapitel Informationen. Untersuchungen über das normale menschliche Altern weisen auf eine hohe Beständigkeit wesentlicher Persönlichkeitsmerkmale hin. Außerdem zeigten sich hohe emotionale Stabilität und Aufgeschlossenheit gegenüber der Umwelt, auch bei der Auseinandersetzung mit Alltagsproblemen. Prägende Merkmale verstärken sich häufig mit zunehmendem Alter, andere treten mehr in den Hintergrund. Auf jeden Fall sind nach heutigem Stand der Wissenschaft bei aller Konstanz durchaus Veränderungen der Persönlichkeit in späten Lebensphasen möglich. Starke Veränderungen des Verhaltens und Erlebens sind im Zusammenhang mit demenziellen Entwicklungen möglich.

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VERHALTEN & ERLEBEN

Lernziele Wissen, –– welche Mechanismen menschliches Verhalten steuern. –– dass das Unbewusste eine wesentliche Rolle im menschlichen Leben spielt. –– dass sich auch im hohen Alter die Persönlichkeit noch verändern kann. –– dass der Mensch ein Produkt aus Anlage und Umwelt ist. –– dass menschliches Verhalten nicht nur dem Willen und der rationalen Kontrolle unterliegt. –– dass der Mensch trotz anderer Einflüsse eine aktive Rolle spielt und sein Verhalten beeinflussen kann. Verstehen und sich bewusst machen, –– dass Bedürfnisse sich im Lebenslauf verändern. –– dass der Mensch mehr ist als die Summe seiner einzelnen Merkmale und Einflussfaktoren. –– dass es eine wichtige Aufgabe ist, für alte Menschen Motivationsgeber zu sein. –– dass so manches nicht nachvollziehbare Verhalten eines alten Menschen unbewussten Steuerungsmechanismen unterliegt und nur begrenzt von ihm beeinflusst werden kann. Im Arbeitsalltag –– bewusst auf wiederkehrende Verhaltensmuster achten. –– versuchen, Persönlichkeitsmerkmale bei Bewohnern zu erkennen und herauszufiltern. –– beobachten, welche Antriebe im Verhalten alter Menschen erkennbar sind. –– eigene Bedürfnisse und deren Rangfolge vergleichen mit denen alter Menschen.

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Individuum

Anlagen & Umwelteinflüsse

Holismus

Grundideen

Tiefenpsychologische Ansätze

Krisen-Modell (Erikson)

Instanzenmodell (Freud)

Ganzheitlichkeit Ganzheitlichkeit

Tiefenpsychologie Tiefenpsychologie

Verhalten Verhalten && Erleben Erleben

Persönlichkeit Persönlichkeit

Verhalten Verhaltensteuernde steuernde Mechanismen Mechanismen

Veränderungen im Lebenslauf

Merkmale

Definitionen

Motivation

Instinkt

Trieb

Bedürfnis

Gerontologie – das Altern verstehen

Themenübersicht

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VERHALTEN & ERLEBEN

Verhalten steuernde Mechanismen Antriebs- und Anreizmodelle ● Nach frühen Lerntheoretikern resul-

tiert Verhaltensaktivierung aus einem allgemeinen Trieb, der sich aus physiologischen Einzeltrieben wie Hunger oder Durst zusammensetzt, sowie aus einem vom Zielobjekt wie Nahrung oder Wasser ausgehenden Reiz. Bedürfnis ● Bedarfs- und Mangelzustand, der die Aktivität des Individuums anregt, nach Beseitigung des Mangels, d. h. nach Bedürfnisbefriedigung, zu streben. Es wird unterschieden nach so genannten ► primären und ► sekundären Bedürfnissen. Bedürfnishierarchie ● Abraham Maslow28 ordnete die Bedürfnisse hie­ rarchisch an. Danach steigen die Bedürfnisse von den physischen über die psychischen bis hin zu den geistigen. Die grundlegenden Bedürfnisse müssen befriedigt sein, bevor die Bedürfnisse der nächsthöheren Stufe in den Vordergrund treten. Alternsbedingt verändern sich häufig die Bedürfnisse. Einige verschieben sich in ihrer Bedeutung, erlangen eine andere Stufe in der Hierarchie, einige gehen verloren, wieder andere entstehen neu. So wird z. B. oft beschrieben, dass Durst, Appetit und Schlafbedürfnis nachlassen, vielfach auch der Bewegungsdrang. Gleichzeitig verstärken sich bei vielen Menschen im Alter Bedürfnisse nach Sicherheit, Wärmezufuhr, regelmäßigen Tagesabläufen und Zuwendung. Andere Bedürfnisse mit großer Bedeutung im Lebenslauf bleiben bestehen, werden aber von außen nicht immer gesehen und berücksichtigt, z. B. das Bedürfnis gebraucht zu werden, das nach Gemeinschaft, nach Wahrnehmung als geschlechtliches Wesen oder nach Respekt und Wertschätzung.

28 Abraham Harold MASLOW (1908-1970), US-amerikanischer Psychologe

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Gerontologie – das Altern verstehen

Bedürfnispyramide ● Nach der Maslowschen Bedürfnishierarchie ergibt sich eine Pyramide mit fünf Stufen. Selbstbestimmung Autonomie Wertschätzung Respekt, Anerkennen von Leistung, Kompetenz Zugehörigkeit & Gemeinschaft Vertrauen, Liebe, Zärtlichkeit, Freundschaft … Sicherheit Finanzen, Wohnung, Kleidung, Gefahr, Geborgenheit … Grundbedürfnisse Essen, Trinken, Schlafen, Körperpflege …

Auf einer höheren Stufe stehen ästhetische Bedürfnisse nach Schönheit und Harmonie und die nach Transzendenz, Sinnfindung, Religion … Es treten immer mehrere Bedürfnisse verschiedener Stufen gleichzeitig auf, unterscheiden sich jedoch in ihrer Intensität. Extrinsische Motivation ● Umfasst Handlungsauslöser in Form äußerer Anreize wie Belohnung, Lob, Erfolg, Anerkennung. Die Aussicht auf eine bestimmte Konsequenz wirkt quasi als Verstärkung, um eine Handlung in Gang zu bringen. Das Vermeiden negativer Folgen wie ► Sanktionen kann ebenso als treibende Kraft hinter einer Aktion stehen. Grundbedürfnisse ● Umfassen nach Maslow die physiologischen Voraussetzungen des Lebens wie Essen und Trinken, Schlafen und körperliches Wohlbefinden. In der öffentlichen Diskussion um Armutsgrenzen und Sozialpolitik wird dieser Begriff häufig weiter gefasst im Sinn eines so genannten sozio-ökonomischen Existenzminimums.

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VERHALTEN & ERLEBEN

Instinkt ● (lat. instinctus = Anreiz, Antrieb) Beschreibt die angeborene Fähigkeit von Lebewesen, angepasst auf Reize aus der Umwelt zu reagieren und bestimmten inneren Impulsen zu folgen. Der Begriff ist wissenschaftlich umstritten und wird meist nur in der Umgangssprache verwendet. Instinkt- und Triebmodelle ● Die Entstehung und Steuerung von Verhalten beruht auf internen, also angeborenen, ► Instinkten oder ► Trieben des Organismus. Nach Ansicht bedeutender Verhaltensforscher sind diese Verhaltensmuster durch Lernprozesse praktisch nicht veränderbar. Vertreter der Tiefenpsychologie sehen das menschliche Verhalten von bestimmten Trieben (Selbsterhaltungs-, Sexual-, Aggressions-, Machttrieb) aktiviert und gesteuert. Intrinsische Motivation ● Ist die Gesamtheit der Antriebe, die der Mensch in sich selbst hat wie Neugier, Interesse oder Freude. Jemand unternimmt eine Handlung freiwillig und um ihrer selbst willen, weil er sie einfach gern macht, sie ihn beflügelt oder im positiven Sinn herausfordert. Es braucht im Gegensatz zur ► extrinsischen Motivation keine Anreize von außen. Kognitive Modelle ● Diese neueren Theorien räumen kognitiven (lat. cognoscere = kennenlernen, erkennen) Prozessen eine entscheidende Rolle bei der Motivation ein. Gemeint ist zum Beispiel die gedankliche Vorwegnahme von Handlungsergebnissen, Interpretation von Situationen usw. Motivation ● Beschreibt die Gesamtheit der ► Motive und Prozesse, die das Verhalten eines Menschen bzw. seine Handlungsbereitschaft steuern und als Auslöser hinter seinem Streben nach bestimmten Zielen oder Zielobjekten bzw. der Befriedigung eines ► Bedürfnisses steht. Unterschieden wird so genannte ► intrinsische und ► extrinsische Motivation. Theorien und Modelle zur Erklärung und Systematisierung von Motivationsprozessen lassen sich in vier Hauptgruppen einteilen: ► Instinkt- und Triebmodelle ► Antriebs- und Anreizmodelle

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Gerontologie – das Altern verstehen ► ►

Psychophysiologische Aktivierungsmodelle Kognitive Modelle.

Frühe Motivationstheorien waren wesentlich bestimmt von Gedanken an ► Triebe und Anreize, also stark mechanisch orientiert. Neuere Ansätze und Denkmodelle gehen von einer deutlich aktiveren Rolle des Individuums aus, die durch eigene Entscheidungsvorgänge beeinflusst wird. Motive ● (lat. movere = bewegen, antreiben, Einfluss ausüben) Sind Auslöser für menschliches Verhalten. „Beweggrund für ein Verhalten (auch Antrieb, Trieb, Leitgedanke), der besonders als anregende, richtunggebende und antreibende Zielvorstellung bewusst oder unbewusst wirken und affektiv, gefühls- oder triebhaft wie auch kognitiv bestimmt sein kann.“29 Primäre Bedürfnisse ● Bedürfnisse, die durch biophysische Mangelzustände bedingt sind, werden als primäre oder angeborene Bedürfnisse, auch als Trieb- oder Vitalbedürfnisse, bezeichnet (z. B. Hunger, Durst, Schlaf, Sexualität, Schutz vor Gefahr). Psychophysiologische Aktivierungsmodelle ● Auf der Basis von Erkenntnissen über das Nervensystem ergibt sich die Auffassung, dass der Organismus ein mittleres Aktivierungsniveau anstrebt und dieses sich auch auf ein bestimmtes Verhalten wie Lernen oder Leistung am positivsten auswirkt. Sekundäre Bedürfnisse ● Sekundäre bzw. erworbene Bedürfnisse werden erlernt oder anerzogen. Dies geschieht im Lauf der ► Sozialisation. Zu den sekundären Bedürfnissen gehören zum Beispiel geistig-kulturelle und zivilisatorische Interessen, unter denen der Erwerb von Geld und materiellen Gütern ein typisches ist.

29 Aus: Brockhaus Online-Enzyklopädie, https://brockhaus.de/ecs/enzy, letzte Abfrage 30.12.2018

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VERHALTEN & ERLEBEN

Selbstbestimmung ● Jeder Mensch hat das Bedürfnis, sein Leben betreffende Entscheidungen selbst zu treffen. Das setzt ► generelle Handlungskompetenz voraus. Ist diese im hohen Alter nicht mehr komplett gegeben, bleibt das Streben nach Autonomie dennoch vorhanden. Daher sollten Pflegende im Rahmen des Möglichen immer wieder Entscheidungen erbitten und provozieren, auch wenn es scheinbar banale Alltagsangelegenheiten betrifft wie die Kleiderauswahl oder die Wahl der Marmelade zum Frühstück. Bei mit dem Alter meist zunehmender Abhängigkeit von anderen Menschen lässt sich so wenigstens ein Mindestmaß an Autonomie erhalten. Sicherheitsbedürfnis ● Das Streben nach Sicherheit ist tief im Menschen verwurzelt. Es betrifft sowohl körperliche Sicherheit als auch wirtschaftliche Absicherung und einen geschützten Wohnraum. Gerade im Alter verstärkt sich bei vielen Menschen dieses Bedürfnis und die Bereitschaft, Risiken einzugehen wird niedriger. Das Leben in einer Pflegeeinrichtung vermittelt im Alter in der Regel ein Gefühl von Rundum-versorgtSein und von Sicherheit. Soziale Bedürfnisse ● Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen. Er sucht Geborgenheit, eine menschliche Umgebung, die geprägt ist von gegenseitigem Vertrauen und Verlässlichkeit. Das Verlangen nach Freundschaft, Liebe, Zärtlichkeit besteht lebenslang. Doch leben viele Menschen im Alter isoliert und einsam. Umso wichtiger ist es, gerade in Pflegeeinrichtungen Gelegenheiten zur Pflege von Kontakten und Gemeinschaft zu bieten, die je nach individuellem Bedürfnis wahrgenommen werden können. Trieb ● „Seelischer oder körperlich-seelischer Antrieb, der gefühlsmäßig als dranghaft erlebt wird und ohne Vermittlung des Bewusstseins entstehen kann. Triebe lösen Reizsuche sowie gerichtete Handlungsweisen aus, die eine Aufhebung des psychophysischen Spannungszustandes, d. h. eine Triebbefriedigung, zum Ziel haben. Der Triebbegriff wurde unterschiedlich weit gefasst. Im engeren Sinn werden zu den Trieben beim

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Gerontologie – das Altern verstehen

Menschen die angeborenen, körperlich begründeten [►] Bedürfnisse gerechnet (z. B. Nahrungs-, Sexual- und Selbsterhaltungstrieb). Hier bestehen gewisse Parallelen zu Instinkt und Appetenzverhalten [Trieb] beim Tier. Im weiteren Sinn werden auch Motivationen, Bedürfnisse und Interessen als Triebverhalten bezeichnet, wenngleich diese stark von geistigen und psychischen Impulsen geprägt sind.“30 Es gibt große individuelle Unterschiede in der Trieberregung und -befriedigung. Außerdem werden kulturelle Einflüsse dabei wirksam. Wertschätzung ● Das ► Bedürfnis nach Wertschätzung bleibt lebenslang bestehen. In jedem Lebensalter möchten Menschen im Umgang mit anderen Respekt erfahren, positiv bewertet werden und Anerkennung erleben. In früheren Lebensphasen wird dieses Bedürfnis häufig durch Beruf oder ehrenamtliches Engagement erfüllt. Ist das im hohen Alter nicht mehr gegeben, müssen andere Formen gefunden werden. Das bedeutet für den Pflegealltag, dass alten Menschen regelmäßig Gelegenheiten angeboten werden müssen, um Selbstwertgefühl zu entwickeln. Das kann z. B. durch kognitive oder motorische Herausforderungen im Rahmen der Freizeitangebote oder durch Würdigung von ► Kompetenzen im pflegerischen Alltag passieren. 30 Aus: Brockhaus Online-Enzyklopädie, https://brockhaus.de/ecs/enzy, letzte Abfrage 30.12.2018

Persönlichkeit Big Five ● Unter diesem Titel, auch als  „Fünf-Faktoren-Modell“ bezeichnet, ist ein Persönlichkeitsmodell bekannt, das auf Ansätze aus den 1930erJahren zurückgeht. –– Offenheit – Aufgeschlossenheit, Neugier … –– Gewissenhaftigkeit – Perfektionismus, Pflichtbewusstsein … –– Extraversion – Kontaktfreude, Optimismus … –– Verträglichkeit – Rücksichtnahme, Empathie … –– Neurotizismus – Ängstlichkeit, Zweifel, Labilität …

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VERHALTEN & ERLEBEN

Offenheit

Gewissenhaftigkeit

Neurotizismus

Persönlichkeit

Verträglichkeit

Extraversion

Costa31 und McCrae32 entwickelten auf der Basis dieses Modells Mitte der 1980er-Jahre einen Fragebogen zur Persönlichkeitsbeurteilung und -messung ► NEO-FFI. NEO-FFI ● Messinstrument zur Persönlichkeitsbeurteilung, entwickelt von Costa und McCrae. Erfasst werden in fünf Bereichen nach dem FünfFaktoren-Modell ► Big Five insgesamt 60 Items. Persönlichkeit ● Zu diesem Begriff gibt es eine Vielzahl von Definitionen mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Allgemein umfasst der Begriff alles, was die Individualität eines Menschen ausmacht und über einige Zeit stabil bleibt wie Wertvorstellungen, Denk- und Verhaltensmuster, Emotionen, Fähigkeiten und Neigungen, Ausdrucksformen, äußere Erscheinung usw. In der speziellen Kombination und Ausprägung sind diese Merkmale bei jedem Menschen anders und machen so seine Einzigartigkeit aus. Bedingt erlaubt die Gesamtheit der Faktoren, Vorhersagen für das Verhalten. Die Persönlichkeit kann sich über die gesamte Lebensspanne hinweg verändern, auch im Alter. Jule Specht33 fand heraus, dass Persönlichkeiten im mittleren Erwachsenenalter meist relativ stabil bleiben, sich aber bei 31 Paul COSTA Jr. (*1942), US-amerikanischer Psychologe 32 Robert Roger McCRAE (*1949), US-amerikanischer Psychologe 33 Jule SPECHT (*1986), dt. Psychologin, Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin

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Gerontologie – das Altern verstehen

jedem Vierten um das siebzigste Lebensjahr herum noch einmal grundlegend verändern. Die genauen Gründe dafür sind bisher unklar. In Verbindung mit demenziellen Entwicklungen treten im Alter oft massive Veränderungen der Persönlichkeit auf. Der Begriff Persönlichkeit hat weitgehend den früher üblichen Begriff  „Charakter“ ersetzt. Persönlichkeitsdimensionen ● In vier so genannte Dimensionen teilte Eysenck34 die Persönlichkeit ein von stabil bis labil und von introvertiert (lat. intro = nach innen, innerhalb; vertere = drehen, wenden, kehren; = nach innen gekehrt) bis extrovertiert (lat. extro = nach außen). Aus den Ergebnissen von Persönlichkeitstests leitete er die Dimensionen ab und sah die individuellen Ausprägungen als weitgehend genetisch und biologisch bedingt an. Labil empfindlich unruhig aggressiv reizbar wechselhaft impulsiv optimistisch aktiv

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launisch ängstlich rigide bedrückt pessimistisch zurückhaltend ungesellig schweigsam

Introvertiert

Extrovertiert gesellig aus sich herausgehend gesprächig teilnehmend lässig lebhaft sorglos tonangebend

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passiv sorgsam nachdenklich friedlich beherrscht zuverlässig ausgeglichen ruhig

Stabil 34 Hans-Jürgen EYSENCK (1916-1997), brit. Psychologe deutscher Herkunft

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VERHALTEN & ERLEBEN

Seine Sichtweise überschneidet sich mit der der Antike.



Temperamentenlehre

Persönlichkeitsmerkmale ● Von der Prägung der Persönlichkeit durch unterschiedliche Merkmale oder Wesenszüge ging Guilford35 aus. Nach seiner Vorstellung ergab die individuelle Ausprägung und Kombination in den folgenden sieben Merkmalen das unverwechselbare Individuum: –– Morphologie – biologisch gegebene äußere Erscheinung wie Körpergröße, Haarfarbe, Hautfarbe, Gesichtszüge ... –– Physiologie – biologisch gegebene, nicht unbedingt sichtbare Funktionen wie Stoffwechsel, Pulsschlag ... –– Bedürfnisse – Wünsche nach bestimmten Zuständen ... –– Interessen – Wünsche nach bestimmten Tätigkeiten ... –– Einstellungen – Haltungen und Meinungen zu Sachverhalten und Personen ... –– Fähigkeiten – logisches Denken, Kreativität, Musikalität, Geschicklichkeit ... –– Grundstimmungen – Grundstimmungen des Menschen. Temperamentenlehre ● Persönlichkeitsmodell der Antike und älteste bekannte Persönlichkeitstypologie, die auf Hippokrates36 zurückgeht. Die damalige Vorstellung ging davon aus, dass unterschiedliche Charaktere mit den vier Körpersäften Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle zusammenhingen. Aus den griechischen Wörtern für diese vier Flüssigkeiten leiten sich die Bezeichnungen der damals beschriebenen grundlegenden Wesensarten ab, auch bezeichnet als vier Temperamente: –– Choleriker –– Sanguiniker –– Phlegmatiker –– Melancholiker. 35 Joy Paul GUILFORD (1897-1987), US-amerikanischer Psychologe, Persönlichkeits- und Intelligenzforscher 36 HIPPOKRATES (ca. 460 v. Chr. – ca. 370 v. Chr.), griech. Arzt

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Gerontologie – das Altern verstehen

Ganzheitlichkeit Anlagen ● Aus Sicht der Psychologie ist darunter zur verstehen  „Die in

der Gesamtheit der Chromosomen eines Genoms (Genotyp) festgelegte genetische Information, mit der die biologische, morphologische und psychologische Ausprägung des Phänotyps [Erscheinungsbild] gesteuert wird. Mittlerweile ist der maßgebliche Einfluss der Anlage (Gene) auf alle Bereiche der psychischen Entwicklung gut belegt. Allerdings gilt auch, dass ein ebenso hoher Anteil der individuellen Unterschiedlichkeit der psychologischen Merkmale auf Einflüsse der Umwelt zurückzuführen ist.“37 Das konkrete Verhalten eines Menschen ist nicht durch Anlage vorgegeben. Kein Mensch muss sich in einer ganz bestimmten Art und Weise verhalten. Angeboren sind Neigungen und Tendenzen im Verhalten, bestimmte Verhaltensmöglichkeiten. Die Umsetzung dieser Anlagen in Verhalten bzw. Verhaltensmuster ist abhängig von dem Wechselspiel mit Einflüssen aus Gesellschaft und Kultur. Die Gewichtung von Anlagen und Umwelt mit ihren jeweiligen Anteilen wird innerhalb der Wissenschaften beständig diskutiert, lässt sich jedoch bis heute nicht stabil belegen. Disposition ● (lat. disposition = Anordnung) Umfasst ererbte oder erworbene Anlagen, auch eine relativ dauerhafte Neigung, auf Situationen und Umweltbedingungen in bestimmter Weise zu reagieren. Endogene Faktoren ● (gr. = im Inneren entstehend) Bezogen auf den Prozess der Persönlichkeitsbildung, sind darunter Einflüsse zu verstehen wie Erbfaktoren, Veranlagungen, Verhaltenstendenzen, Lernmöglichkeiten, Reifung usw. Exogene Faktoren ● (gr.-nlat. = außen entstehend, von außen einwirkend) Bezogen auf den Prozess der Persönlichkeitsbildung, umfassen sie Erwartungen und Einflüsse aus Gesellschaft und Kultur, Bildungsmöglichkeiten, insgesamt Einflüsse der ► Sozialisation.

37 Aus: Brockhaus Online-Enzyklopädie, https://brockhaus.de/ecs/enzy, letzte Abfrage 01.01.2019

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VERHALTEN & ERLEBEN

Geist ● Meint das Denken, die Vernunft und das Bewusstsein, das Rationale (lat. ratio = Berechnung, Erwägung, Überlegung), die Kognition. Holismus ● Beschreibt ein Konzept der Ganzheitlichkeit, die Betrachtung des Menschen als ganzheitliches Wesen, in der Pflege als holistische Auffassung bezeichnet. Der Holismus, die Ganzheitslehre, ist eine philosophische Denkrichtung, unter dieser Bezeichnung erstmals erwähnt von Smuts38. Dabei wird der Mensch als ganzheitliches Wesen angesehen mit einem strukturierten und nach außen offenen System, dessen einzelne Teile in wechselseitiger Beziehung zueinander stehen. Konkret bedeutet dies, dass der Mensch als eine Körper-Seele-GeistEinheit in ständiger Wechselbeziehung mit sich selbst und seiner Umwelt steht. Geist und Seele gehören eng zusammen, zumal sich beide auf das Erleben und Empfinden beziehen. Der Geist ist der sachlichere und objektivere Teil, die Seele mehr der subjektive und bewertende. Der Mensch wird geprägt von seinen Beziehungen zu sich selbst und seiner sozialen Umwelt, das heißt zu den Mitmenschen, zur natürlichen und künstlichen Umwelt und zum Übersinnlichen wie Glaube, Religion, Transzendenz (lat. = Überschreiten der Grenzen der Erfahrung, des Bewusstseins, des Diesseits). Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile; es entsteht durch das Zusammenwirken und durch wechselseitige Beeinflussung das Ganze als Einheit. Zum besseren Verstehen der Beschaffenheit und des Funktionierens können die einzelnen Elemente zwar getrennt werden, in der Realität aber gehören die Teile des Systems Mensch untrennbar zusammen. Diese Einheit von Seele, Geist und Körper in ihrer Auseinandersetzung mit der Umwelt macht schließlich die Einmaligkeit, die ► Persönlichkeit des Menschen, aus. Individuum ● (lat. individuus = untrennbar, unteilbar) Einzelwesen, Person, die sich durch ihre jeweilige Besonderheit von anderen unterscheidet. Bereits bei der Geburt besitzt das Individuum eine Reihe von Merk38 Jan Christiaan SMUTS (1870-1950), südafrikanischer Staatsmann und Philosoph

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Gerontologie – das Altern verstehen

malen, die es deutlich von anderen Menschen unterscheiden, z. B. äußere Erscheinung, körperliche Verfassung, Temperament usw. Das heißt, der Mensch kommt keineswegs als unbeschriebenes Blatt auf die Welt. Er hat außerdem physiologische und soziale ► Grundbedürfnisse und verschiedene Verhaltensmöglichkeiten wie sehen, hören, greifen etc. Darüber hinaus ist dem Menschen die vielleicht wichtigste Fähigkeit gegeben: die Fähigkeit zu lernen. Aus dem Prozess des Lernens und Reifens bildet sich die ► Persönlichkeit, die schließlich das Verhalten des Menschen, seine Einstellungen und Haltungen, bestimmt. Hier sind ► endogene und ► exogene Faktoren wirksam. Schon Pestalozzi39 bezeichnete den Menschen als das Werk der Natur, der Gesellschaft und seiner selbst. Körper ● Meint den gesamten Leib und die damit zusammenhängenden Strukturen und Funktionen. Verändert sich der Körper mit dem Alter, so hat das im Sinn des ► Holismus Auswirkungen auf das gesamte System, den gesamten Menschen in allen Bereichen seiner ► Persönlichkeit. Seele ● Meint die Gesamtheit beobachtbarer Vorgänge des Erlebens und Empfindens, die Emotionen. Umwelt ● Umfasst die gesamte Umgebung des Menschen, sowohl den natürlichen Lebensraum als auch den durch menschliche Einflüsse veränderten. Im weiteren Sinn gehören zur natürlichen Umwelt auch die Mitmenschen. Verändert sich im Alter die Umwelt des Menschen, weil er seine Wohnsituation durch Umzug wechselt, so hat das im Sinn des ► Holismus Auswirkungen auf das gesamte System Mensch in allen Bereichen. Der Einzug in ein Pflegeheim bedeutet also viel mehr als nur eine Veränderung der Umgebung.

39 Johann Heinrich PESTALOZZI (1746-1827), schweizerischer Pädagoge

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Tiefenpsychologie Abwehrmechanismen ● Ein Selbstschutzprogramm laut Freud. Es ver-

sucht das ► Ich vor seelischen Konflikten zu schützen, die vor allem aus der Diskrepanz (lat. discrepare = nicht übereinstimmen, verschieden sein, Unstimmigkeit, Missverhältnis) zwischen den Triebwünschen des ► Es und den Forderungen des ► Über-Ich, aber auch aus den Forderungen des Ich selbst entstehen können. Jeder Mensch bedient sich zum Selbstschutz in gewissem Umfang solcher Mechanismen. Bei längerem und intensivem Einsatz solcher Abwehrmechanismen können seelische Störungen (Neurosen) entstehen. Beispiele für Abwehrmechanismen sind: ► Verdrängung, ► Projektion, ► Regression, ► Rationalisierung, ► Verschiebung. Analytische Psychologie ● Im weiteren Sinn alle analytisch vorgehenden Formen der Tiefenpsychologie. Im engeren Sinn die von C. G. Jung begründete Lehre, mit der er sich von der Freudschen ► Psychoanalyse abhob. Jung lehnte Freuds rein triebgesteuerte Auffassung des Unbewussten ab. Nach seinem Verständnis spielten Traum- und Mythenmotive eine wichtige Rolle im Sinn eines kollektiven Unbewussten. Jung entwickelte den Begriff der so genannten Archetypen, die Urbilder des Seienden, und war überzeugt, dass die menschliche Psyche nur zu einem Teil einmalig, subjektiv und persönlich sei. Es ● Ist im Freudschen Schichtenmodell die Bezeichnung für das Unbewusste, die Gesamtheit aller Triebe und Impulse, die das Individuum nicht bewusst kontrollieren kann. Es handelt nach dem Lustprinzip. Impulse aus dem Es können nur indirekt über die Analyse von Träumen, Tagträumen oder freien Assoziationen der bewussten Verarbeitung zugänglich gemacht werden. Beim Neugeborenen wird die menschliche Persönlichkeit zunächst ausschließlich durch das Es und seine Triebimpulse regiert. Erst mit der weiteren Entwicklung und der zunehmenden Auseinandersetzung mit Anforderungen der Umwelt und des sozialen Umfeldes bilden sich die anderen Instanzen der Persönlichkeit heraus.

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Gerontologie – das Altern verstehen

Ich ● Das Ich als zentrale Organisationsinstanz bzw. Schicht des psychischen Apparats im Schichtenmodell nach Freud hat die Aufgabe, eine realitätsbezogene Anpassung an die Umweltbedingungen vorzunehmen. Es versucht, einen Ausgleich zwischen den im ► Über-Ich repräsentierten moralischen Anforderungen einerseits und der sozialen Umgebung andererseits zu finden. Es handelt nach dem Realitätsprinzip. Das funktioniert nicht immer ohne Konflikte und Frustrationen, denn Emotionen, Körper, Verstand und Gesellschaft stellen permanent Ansprüche, die oftmals widersprüchlich sind. Viele Konflikte kann das Ich rational auf der Stufe des Bewusstseins lösen, zum Beispiel durch –– vermehrte Anstrengung, um ein Problem zu bewältigen, –– Verminderung oder Veränderung eines Ziels, –– neue, angepasste Einschätzung einer Situation, –– Unterdrückung. Individualpsychologie ● Im weiteren Verständnis alle Gebiete der Psychologie, die sich mit dem Menschen als Individuum befassen. Im engeren Sinn die von Alfred Adler entwickelte Richtung der Tiefenpsychologie, die in der Auseinandersetzung mit Freuds ► Psychoanalyse entstand. Die Individualpsychologie hatte starke Einflüsse auf die Ausrichtung von Pädagogik und Sozialarbeit. Sie stellt als menschliche Grundantriebe das Streben nach sozialer Anerkennung, nach Macht und Überlegenheit ebenso in dem Mittelpunkt wie das Bedürfnis, Gemeinschaftsgefühl zu entfalten. Nach Jungs Auffassung beginnt der Mensch bereits im Kleinkindalter damit, einen Lebensplan festzulegen. Stößt das Individuum bei der Realisierung dieses Plans auf Widerstände, entwickeln sich Minderwertigkeitsgefühle. Diese können durch besondere Leistungen kompensiert (lat. compensare = ausgleichen) werden oder bei Überkompensation zu ► Neurosen führen.

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Krisen-Modell ● Erikson40 geht in seinem Krisen-Modell davon aus, dass sich der Mensch in Stufen entwickelt. Anders als Freud und andere Tiefenpsychologen sieht Erikson auch im späten Erwachsenenalter noch wesentliche Prozesse der Persönlichkeitsentwicklung. Er unterteilt den Lebenslauf in acht Stadien, in denen der Mensch jeweils bestimmte Themen zu bewältigen hat. Dabei gerät das Individuum durch positive oder negative Erfahrungen in jeweils alterstypische Krisen. Deren Bewältigung ist notwendig und beeinflusst die psychosoziale Entwicklung. Sie ist Voraussetzung für die Lösung der Krisen nachfolgender Entwicklungsstadien. In jedem Stadium stehen zwei gegensätzliche Pole einander gegenüber. In welchem Alter genau die einzelnen Stufen erreicht werden, kann variieren. Die Angaben sind lediglich grobe Orientierung. Urvertrauen ↔ Misstrauen (1. Lebensjahr) Vertrauen entsteht, wenn zwischen dem persönlichen Bedürfnis des Babys und der Umwelt Übereinstimmung herrscht, die Mutter oder eine andere Bezugsperson für das Kind da ist, aber nicht ausschließlich. Autonomie ↔ Scham und Zweifel (2. und 3. Lebensjahr) Das Kind erlebt im positiven Fall wo nötig eine leitende Hand, kann aber gleichzeitig auf Entdeckungsreise gehen und Selbstständigkeit entwickeln. Initiative ↔ Schuldgefühl (4. und 5. Lebensjahr) Das Kind wird selbstständiger, erprobt unterschiedliche Rollen und setzt sich mit seinem Geschlecht auseinander. Werksinn ↔ Minderwertigkeitsgefühl (6. Lebensjahr bis ­Pubertät) Das Kind ist lernbegierig und erfährt Anerkennung für kognitive Leistungen und die Herstellung von Dingen. Jugendliche leisten Nützliches und erfahren Anerkennung. 40 Erik Homburger ERIKSON (1902-1994), US-amerikanischer Entwicklungspsychologe

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Gerontologie – das Altern verstehen

Identitätsfindung ↔ Identitätsdiffusion (Jugendalter bis ca. 18. | 20. Lebensjahr) Es geht darum, körperliche Veränderungen und neue Ansprüche der Umwelt, den Übergang ins Erwachsenenleben, zu verkraften und seine Rollen, eine eigene Position und Identität zu finden. Intimität und Solidarität ↔ Isolation (frühes Erwachsenenalter) Balance finden zwischen Ansprüchen des Lebens in Arbeit und Freizeit und der Intimität einer Paarbeziehung. Generativität ↔ Stagnation (Erwachsenenalter) Werte schaffen und weitergeben, Zukunft gestalten, sich um nachfolgende Generationen kümmern – das sind die Aufgaben in dieser Lebensphase. Ich-Integrität ↔ Verzweiflung (spätes Erwachsenenalter bis Lebensende) Resümee über die eigene Lebenszeit, Bilanz ziehen und die Endlichkeit des Lebens akzeptieren. Neurose ● Sammelbegriff für psychische Störungen mit unterschiedlichen Erscheinungsformen und Ursachen. Projektion ● (lat. = Übertragung) Eigene Unzulänglichkeiten und unmoralische Wünsche werden nicht zugelassen und auf andere Personen übertragen. Beispiel: Jemand kann eigene unmoralische, zum Beispiel sexuelle, Wünsche nicht zulassen und überträgt diese auf eine andere Person. Dies führt häufig zu Verdächtigungen etc. und beeinträchtigt dann nachhaltig die Beziehungen zwischen den betroffenen Personen. Psychoanalyse ● Gesamtheit der von Freud begründeten Theorien und Therapien, die sich mit den Auswirkungen des ► Unbewussten auf Denken, Fühlen und Handeln von Menschen beschäftigen.

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Freud lenkte mit der Entwicklung seiner Psychoanalyse die Aufmerksamkeit vor allen Dingen auf die folgenden Gesichtspunkte, mit denen er sich besondere – auch von seinen Kritikern anerkannte – Verdienste um die Erforschung der menschlichen Entwicklung erwarb: –– Menschliches Verhalten wird auch durch unbewusste und irrationale (lat. ratio = Berechnung, Erwägung, Überlegung) Steuerungsmechanismen angetrieben und ist nicht allein der Kontrolle des Willens unterworfen. –– I st der Mensch seelisch überfordert, können Konflikte vordergründig und nur scheinbar dadurch bewältigt werden, dass einzelne beteiligte Emotionen aus dem Bewusstsein ins Unterbewusste ► verdrängt werden. –– Z um Schutz vor unangenehmen Situationen richten sich Widerstände dagegen, dass Verdrängtes zurück ins Bewusstsein geholt wird. –– T raumdeutung als eine Methode kann Widerstände herabsetzen und Verdrängtes dem Bewusstsein zugänglich und identifizierbar machen. –– B esonders Erfahrungen aus früher Kindheit spielen eine wesentliche Rolle bei der Persönlichkeitsbildung. –– S eelische Vorgänge unterliegen Gesetzmäßigkeiten. Nichts geschieht zufällig, auch wenn Ursachen und Hintergründe nicht immer erkennbar sind. Rationalisierung ● Eigenes Verhalten wird durch scheinbar rationale Argumente erklärt, weil die wahren Begründungszusammenhänge nicht akzeptiert werden können. Beispiel: Jemand weicht einer unangenehmen Situation, etwa dem Gespräch über einen Konflikt mit einer Kollegin, ständig aus und begründet das eigene Verhalten mit der nachvollziehbaren Erklärung, dass aufgrund arbeitsmäßiger Überbelastung keine Zeit für ein Gespräch sei.

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Regression ● (lat. regressus = Rückzug, Rückkehr, Zuflucht, Zurückziehen) Eine Konflikt- oder Stresssituation wird mit Rückzug auf frühere Entwicklungsstufen beantwortet. Es erfolgt eine Flucht in infantile (lat. infans = Kleinkind, kleinkindhaft) Verhaltensweisen oder die Reaktion mit Essstörungen, psychosomatischen Krankheiten o. Ä. Beispiel: Nach dem unfreiwilligen Einzug in ein Heim verliert ein alter Mensch plötzlich ohne erkennbare körperliche oder geistige Beeinträchtigungen Fähigkeiten, die bis zum Zeitpunkt des Heimeintritts noch vorhanden waren. Schichtenmodell ● Auch als  „Instanzenmodell“ bekannt. Ihm liegt die These zugrunde, dass seelisches Geschehen immer individuell und durch vorangegangene Prozesse bestimmt ist. Entscheidende Verhaltensantriebe bleiben meist unbewusst aufgrund bestimmter ► Abwehrmechanismen, kommen aber dennoch in Handlungen, Gedanken, Träumen und Fantasien zum Ausdruck. Nach Freud sind im Individuum zwei Haupttriebe wirksam der Sexualtrieb und der Destruktionstrieb (lat. destruere = zerstören, zugrunde richten, vernichten). Psychische Vorgänge folgen dem Lustprinzip und können unbewusst, vorbewusst oder bewusst sein. Freud entwickelte die Modellannahme, dass sich das Seelenleben des Menschen in drei funktional miteinander verbundene Schichten gliedert das ► Es, das ► Ich und das ► Über-Ich. Tiefenpsychologie ● Wird auch als Schlüssel zur Seele bezeichnet. Versucht Erleben und Verhalten mit unbewussten oder tief-unbewussten Phänomenen zu erklären. Sie gilt als Sammelbezeichnung für die psychologischen Richtungen, nach deren Auffassung der Schlüssel zum Verständnis des Seelenlebens im Unbewussten liegt. Der konkrete Begriff Tiefenpsychologie wurde von Bleuler41 geprägt. Aus verschiedenen tiefenpsychologischen Betrachtungsweisen und Forschungsergebnissen sind verschiedene Modelle zur Entwicklung von

41 Eugen BLEULER (1857-1939), schweizerischer Psychiater

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Persönlichkeitsstrukturen entstanden, darunter das ► Schichtenmodell nach Sigmund Freud und das ► Krisen-Modell nach Erikson42. Über-Ich ● Eine der drei Schichten des Freudschen Schichtenmodells. Es bildet sich etwa ab dem dritten Lebensjahr aus verinnerlichten Ge- und Verboten der Bezugspersonen und gesellschaftlichen Normen. Das ÜberIch repräsentiert das Gewissen, die moralischen Werte der Persönlichkeit. Es enthält auch Vorstellungen, wie das Individuum gern sein möchte, sein Ich-Ideal. Das Über-Ich handelt nach dem Moralitätsprinzip und wehrt solche Triebwünsche des Es ab, die moralisch nicht akzeptabel sind. Verstöße gegen das Über-Ich kommen in Schuld-, Scham- und Minderwertigkeitsgefühlen zum Ausdruck, wenn das Individuum seinem IchIdeal nicht gerecht werden kann. Eine zu strenge und starre Ausprägung des Über-Ichs gilt als eine der Ursachen von ► Neurosen. Unbewusstes ● Die Psychologie des Unbewussten wurde um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert entdeckt. Sigmund Freud43, der Begründer der ► Psychoanalyse, wies als Erster darauf hin, dass das Ich weitgehend abhängig ist von den Kräften biologischer Triebe auf der einen und der Außenwelt auf der anderen Seite. Mit beiden Faktoren muss der Mensch sich quasi einigen. Freuds Schüler und späterer Kollege Alfred Adler44, Begründer der Individualpsychologie, sah die Haupttriebe des Menschen im Streben nach Geltung und Macht sowie nach Gemeinschaftsgefühl, nicht wie Freud im Sexualtrieb. C. G. Jung45, Begründer der Analytischen Psychologie, entwickelten die psychoanalytische Lehre weiter in Richtung der Sozialwissenschaften und in Richtung des kollektiven Unbewussten. 42 Erik Homburger ERIKSON (1902-1994), US-amerikanischer Entwicklungspsychologe, Begründer des Krisen-Modells 43 Sigmund FREUD (1856-1939), österreichischer Neurologe, Begründer der Psychoanalyse 44 Alfred ADLER (1870-1937), österreichscher Arzt und Tiefenpsychologe, Begründer der Individualpsychologie 45 Carl Gustav JUNG (1875-1961), schweizerischer Psychiater und Psychotherapeut, Begründer der analytischen Psychologie

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Verdrängung ● Dies ist ein Prozess, bei dem Konflikte vordergründig gelöst werden, indem nicht akzeptable Wünsche oder Gedanken nicht ins Bewusstsein dringen, also verdrängt werden. Beispiel: Jemand verdrängt das Wissen über die eigene unheilbare Krankheit, weil diese das Ich in seiner Identität erheblich bedroht und Angst auslöst. Verschiebung ● Aufgestaute unangenehme Gefühle werden bei solchen Personen entladen, die die Emotionen nicht ursprünglich verursacht haben, von denen aber weniger Gegenwehr zu erwarten ist als von der Person, die die heftigen Gefühle erregte. Beispiel: Jemand ärgert sich über eine Anordnung eines Vorgesetzten und reagiert diesen Ärger ab durch Vergabe eines unangenehmen Auftrags an eine Auszubildende.

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ANHANG Stichwortverzeichnis A

D

Abwehrmechanismen 94 Aktivitätstheorie 45 Alltagsrelevanz 42 Alltagswissen 36 Altenbericht 29 Altenpflege  29, 63 Altenplan 29 Analytische Psychologie  94 Anlagen 91 Anpassung   36 Antrieb 84 Antriebs- und Anreizmodelle  82 Anwendungsbereiche 17 Arbeitsbereiche 12 Aristoteles 18 Aufgaben 14

Defizit-Modell 46 Demografischer Wandel  14 Deutsche Gesellschaft für Alternsforschung (DGfA)  13 Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG)  13 Deutscher Alterssurvey  41 Disengagement-Theorie 48 Disposition 91 Doppelblindstudie 22

E Endogene Faktoren  91 Erfolgreiches Altern  43 Erziehung 68 Es 94 Exogene Faktoren  91 Explizites Wissen  37 Extrinsische Motivation  83

B Bedürfnis 82 Bedürfnishierarchie 82 Bedürfnispyramide 83 Berliner Altersstudie  39 Berufsrolle 70 Big Five  87 Bonner Gerontologische Längsschnittstudie 40

F Feldexperiment 23 Forschungsmethoden 21 Forschungsschwerpunkte 14 Fremdbeobachtung 23

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Anhang

G

Kompetenz-Balance 52 Kompetenzgefühl 53 Kompetenzmodell 53 Konfliktlösungen 77 Körper 93 Krisenmodell 96 Kultur 61

Geist 92 Generelle Handlungs­ kompetenz 50 Geragogik  14, 19 Geriatrie  14, 19 Geschlechterrolle 71 Geschlossene Frage  24 Gesellschaft 61 Gesundheitswesen 30 Grundbedürfnisse 83

L Laborexperiment 24 Lebensaltersrolle 71 Lebensqualität 31 Lebensverlängerung 31

H Holismus 92

M

I

Milieu 62 Modell 43 Motivation 84 Motive 85 Multidisziplinarität 18 Multimorbidität 15

Ich 95 Implizites Wissen  37 Individualpsychologie 95 Individuum 92 Infrastruktur 31 Instanzenmodell 99 Instinkt 84 Instinkt- und Triebmodelle  84 Interdisziplinarität 18 Interrollenkonflikt 74 Intervention 50 Intrarollenkonflikt 75 Intrinsische Motivation  84

N Normen 64 Normenhierarchie 65

O Offene Befragung  25 Offene Frage  26

P

K

Partizipation 16 Peer Group  68 Persönlichkeit 88

Kognitive Modelle  84 Kompetenz 51

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Gerontologie – das Altern verstehen

Rollenverlust 73 Rollenvielfalt 74

Persönlichkeitsdimensionen 89 Persönlichkeitsmerkmale 90 Pflege 19 Placebo 22 Position 72 Prävention 54 Präventionsgesetz 53 Praxis 43 Prekariat 63 Primäre Bedürfnisse  85 Primärsozialisation 68 Proband 26 Projektion 97 Psychoanalyse 97 Psychophysiologische Aktivierungsmodelle 85

S Sanktionen 65 Schichtenmodell 99 Seele 93 Sekundäre Bedürfnisse  85 Sekundärsozialisation 69 Selbstbeobachtung 27 Selbstbestimmung 86 Selbstständigkeit 18 Sicherheitsbedürfnis 86 Sinus-Milieu® 62 SOK-Modell 54 Soziale Bedürfnisse  86 Soziale Schicht  63 Soziales Wissen  37 Sozialisation 69 Sozialisationsinstanzen 69 Sozialisationsphasen 70 Sozialkompetenz 55 Sozialversicherung 31 Soziologie 61 Sport 32 Standardisierte Befragung  27 Statistische Norm  65 Studiengänge 13

Q Quartärsozialisation 68 Querdisziplinarität 19 Quintärsozialisation 68

R Rationalisierung 98 Regression 99 Repräsentativerhebung 26 Repräsentativität 27 Ressource 54 Rolle 72 Rollendistanz 77 Rollenerwartung 73 Rollenkonflikt 77 Rollenselbstbild 78

T Teilkompetenz 55 Teilwissenschaften 17 Temperamentenlehre 90

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Anhang

Tertiärsozialisation 70 Test 27 Theorie 44 Tiefenpsychologie 99 Trieb 86

U Über-Ich 100 Umwelt 93 Unbewusstes 100

V Verdrängung 101 Verhaltenserwartung 66 Verschiebung 101 Verum 22

W Werte 66 Wertehierarchie 67 Wertesystem 67 Wertewandel 67 Wertschätzung 87 Wissen 38 Wissenschaft 38 Wissenschaftsdisziplin 19 Wissensvermittlung 16 Wohnungsbau 32 Wortherkunft 14

Z Zweckmäßigkeitsnorm 68

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Gerontologie – das Altern verstehen

Zum Weiterlesen Baltes, Paul B.; Mayer, Karl Ulrich; Helmchen, Hanfried; Steinhagen-Thiessen, Elisabeth: Die Berliner Altersstudie (BASE). Überblick und Einführung. In: Die Berliner Altersstudie. Berlin: Akademie Verlag. Becker, Ursula (Hg.) (2017): Altenpflege heute. Lernbereiche I bis IV. Elsevier GmbH, Urban-&-Fischer-Verlag. 3. Auflage. München. Charité Universitätsmedizin Berlin (2015): Berliner Altersstudie II (BASE-II). Abschlussberichte; Berichtszeitraum: 01.12.2011 31.05.2015. Hannover, Berlin. Conzen, Peter (2010): Erik H. Erikson: Grundpositionen seines Werkes. Stuttgart: Kohlhammer. GKV-Spitzenverband (2018): Leitfaden Prävention in stationären Pflegeeinrichtungen nach § 5 SGB XI, Berlin 2018. Berlin. Online verfügbar unter https://www.gkv-spitzenver-band.de/media/dokumente/presse/publikationen/Leitfaden_Pravention_stationar_2018_barrierefrei.pdf, zuletzt geprüft am 02.01.2019. Jasper, Bettina M. (2002): Gerontologie. Hannover: Vincentz (Lehrbuch Altenpflege). Kruse, Andreas (2017): Lebensphase hohes Alter: Verletzlichkeit und Reife. Berlin: Springer. Lehr, Ursula (2007): Psychologie des Alterns. 11., korrigierte Aufl. Wiebelsheim: Quelle & Meyer. Marwedel, Ulrike (2017): Gerontologie und Gerontopsychiatrie. Lernfeldorientiert. 6. aktualisierte Auflage. Haan: Verlag Europa-Lehrmittel Nourney, Vollmer GmbH & Co. KG (Fachwissen Pflege). Seel, Mechthild; Hurling, Elke (2010): Die Pflege des Menschen im Alter. Ressourcenorien-tierte Unterstützung nach den AEDL. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. Simon, Walter (Hg.) (2010): Persönlichkeitsmodelle und Persönlichkeitstests. 15 Persönlichkeitsmodelle für Personalauswahl, Persönlichkeitsentwicklung, Training und Coaching. 2. Aufl. Offenbach: GABAL-Verl. (GABAL professional training). SINUS Markt- und Sozialforschung GmbH (2018): Informationen zu den Sinus-Milieus®. Heidelberg. Online verfügbar unter https://www.sinus-institut.de/fileadmin/ user_data/sinus-institut/Bilder/Sinus-Milieus_092018/2018-09-18_Informationen_zu_ den_Sinus-Milieus.pdf, zuletzt geprüft am 02.01.2019. Specht, Jule (2018): Charakterfrage. Wer wir sind und wie wir uns verändern. 1. Auflage. Reinbek: Rowohlt E-Book. Stanjek, Karl; Hansen, Marita (Hg.) (2017): Altenpflege konkret. Sozialwissenschaften. Unter Mitarbeit von Rainer Beeken, Silke Mahrt, Rüdiger Tietz und Manfred Mürbe. Urban-&-Fischer-Verlag. 6. Auflage. München: Elsevier.

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Anhang

Wahl, Hans-Werner; Tesch-Römer, Clemens; Ziegelmann, Jochen Philipp (2012): Angewandte Gerontologie. Interventionen für ein gutes Altern in 100 Schlüsselbegriffen. Stuttgart. Zuber, Anna (2016): Das sozialökologische Sinus-Milieu. Entstehung, Entwicklung und Eigenschaften. 1. Auflage. München: GRIN Verlag.

Institutionen im Internet Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) http://www.bagso.de Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) https://www.bmfsfj.de Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie e. V. https://www.dggg-online.de Deutsches Zentrum für Altersfragen (DZA) https://www.dza.de Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) https://kda.de

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Gerontologie – das Altern verstehen

Dank Es ist guter Brauch, sich am Ende eines Projekts zu bedanken bei allen, die auf unterschiedliche Weise zur Fertigstellung beigetragen haben. Das zu tun, ist mir ein wichtiges Anliegen, denn außer der Autorin haben eine Reihe weiterer Personen wesentlichen Anteil am Ergebnis einer umfangreichen Arbeit. So gilt mein Dank: –– Dr. Andrea Friese, meiner Autorenkollegin, mit der ich inzwischen freundschaftlich verbunden bin. Danke Andrea, dass du dich so intensiv in mein Buchprojekt vertieft hast! Die vielen persönlichen Gespräche und langen Telefonate gaben mir wichtige Impulse. Die Tipps und Materialien, die du mir zur Verfügung gestellt hast, waren echte Bereicherung. Von deiner Arbeitsdisziplin könnte ich noch viel lernen. Dann wären die Folgebände sicher viel schneller erstellt. –– Bettina Schäfer, meiner langjährigen Lektorin, die immer für alles Verständnis und stets ein offenes Ohr hat, so manche wichtige Anregung gibt und nicht nur mich als Autorin  „pflegt“, sondern auch Highlights für meinen Hund Carlos im Blick hat. Geht es ihm gut, kann ich gut schreiben. Danke, dass Sie nie genervt sind, wenn ich so oft kurz vor Feierabend anrufe! –– Klaus Mencke, dem langjährigen Lektor, der alle Jahre wieder das Risiko eingeht, sich auf meine knappe Zeitplanung einzulassen. Danke, dass Sie immer wieder meinen Projekten und Ideen vertrauen und sie ins Programm aufnehmen. –– Schülerinnen und Schülern der Altenpflegeschule  „Sancta Maria“ in Bühl. In vielen Jahrgängen gab es immer wieder Schülerinnen, die bei der Arbeit mit den  „grünen Büchern“ (das Lehrbuch von 2002) mich zum Verfassen einer Neuauflage ermunterten. Danke für die Beharrlichkeit. –– Rita Zottl, der Grafikerin im Haus Vincentz Network, die das Layout des Buches entwickelt hat.

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Anhang

Autorin Bettina M. Jasper Dipl. Sozialpädagogin Seit 1991 unterrichtet sie an der staatlich anerkannten Fachschule für Altenpflege Sancta Maria in Bühl in den Schwerpunkten Gerontologie, Aktivierung und Rehabilitation sowie Psychiatrie und im Fach Deutsch. Als lizenzierte Gehirntrainerin leitet sie in ihrer Denk-Werkstatt® Kurse, Seminare, Workshops und Therapieeinheiten. Sie ist vielfache Buchund Spieleautorin, freiberuflich tätig als Dozentin für verschiedene Träger in Altenpflege und Sport.

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Gerontologie – das Altern verstehen

Hinweis In dieser Reihe „Gerontologie – Das Altern verstehen“ ist bereits Band 2 „Erfahrungen, die prägen“ erschienen. Bettina M. Jasper arbeitet zurzeit an Band 3 „Altern in der Gesellschaft“ und an Band 4 „Mit alten Menschen arbeiten“. Stand März 2019

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