Gerichtliche Entscheidungen als Vermögensverfügung im Sinne des Betrugstatbestandes [1 ed.] 9783428503414, 9783428103416

Der Autor sucht nach Möglichkeiten, die Betrugsstrafbarkeit für Täuschungen des Richters durch an gerichtlichen Verfahre

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Gerichtliche Entscheidungen als Vermögensverfügung im Sinne des Betrugstatbestandes [1 ed.]
 9783428503414, 9783428103416

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HARALD JÄNICKE

Gerichtliche Entscheidungen als Vermögensverfügung im Sinne des Betrugstatbestandes

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Sehnlidhäuser em. ord. Professor der Rechte an der Universität Harnburg

und Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder ord. Professor der Rechte an der Universität Regensburg

in Zusanunenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 136

Gerichtliche Entscheidungen als Vermögensverfügung im Sinne des Betrugstatbestandes

Von

Harald Jänicke

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Justus Krümpelmann, Mainz

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Jänicke, Harald: Gerichtliche Entscheidungen als Vermögensverfügung im Sinne des Betrugstatbestandes I Harald Jänicke.- Berlin: Duncker und Humblot, 2001 (Strafrechtliche Abhandlungen; N.F., Bd. 136) Zug!.: Mainz, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10341-6

Alle Rechte vorbehalten

© 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-10341-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 0

Meinen Eltern in Dankbarkeit

Vorwort Der Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat die Arbeit im Jahre 2000 als Dissertation angenommen. Besonderen Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. Justus Krümpelmann, der das Thema angeregt und die Ausarbeitung stets verständnisvoll gefördert hat. Ebenfalls herzlich danken möchte ich Herrn Prof. Dr. Walter Perron, der das Zweitgutachten gefertigt hat und an dessen Lehrstuhl ich während der Entstehung der Arbeit tätig sein durfte. Zu Dank verpflichtet bin ich ferner der Lang-Hinrichsen-Stiftung für ihre großzügige Förderung. Weiterhin bin ich Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. FriedrichChristian Schroeder und dem Verlag Duncker & Humblot für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der "Strafrechtlichen Abhandlungen" verbunden. Mainz, im August 2000

Harald Jänicke

Inhaltsverzeichnis Einleitung . .. . . . . . . . .. .. . . .. . .. . . . . . .. . . . .. . . . .. . .. .. . . . . . . .. . . .. . .. . . .. . . . . . . . . . . .. .. .

25

1. Teil

Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen für die Einordnung der Probleme in der gegenwärtigen Dogmatik

29

1. Abschnitt

Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes bis zu § 241 PrStGB A. Das römische Recht

29 32

I. Das falsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

II. Die Bewältigung von anderen Betrugsfallen im heutigen Sinne vor Schaffung des stellionatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

Ill. Der stellionatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

B. Die germanischen Volksrechte . . . . . . . . . .. . . . .. . . .. . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

C. Die Doktrin des italienischen Mittelalters - Fortentwicklung des römischen Rechtes

43

D. Das deutsche Recht nach der Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

I. Das "valsch" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

II. Die Constitutio Crirninalis Carolina . . .. .. . .. . . . . . .. . .. . . .. . .. . .. .. .. . . . . . . . . . .

47

III. Die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

10

Inhaltsverzeichnis

E. Die Doktrin

50

I. Die Autoren vor Carpzov . . . . . .. . . . . .. . . .. . . . . . . . . . .. .. . .. . . . .. .. .. . . . .. . . . . . .

50

II. Die ,,Practica Nova" Carpzovs von 1635 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

111. Die Epoche nach Carpzov . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

F. Die frühe Partikulargesetzgebung . . .. .. .. . . .. .. .. .. . . . . . . .. . . .. .. . . . . . .. .. .. .. .. . . . .

54

I. Der Codex Ioris Bavarici Criminalis von 1751 . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

55

II. Die Constitutio Criminalis Theresiana von 1768 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

111. Die Constitutio Criminalis Josephina von 1787 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

IV. Das Preußische Allgemeine Landrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

G. Die Entwicklung im 19. Jahrhundert.................... . ..................... . .....

65

I. Die Literatur des 19. Jahrhunderts . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . .. . .. .. . . . .. . .. . .. . .. . .

67

II. Die Entwicklung der preußischen Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

2. Abschnitt

Die Positionen der Literatur zum ProzeRbetrug im 19. Jahrhundert vor lokrafttreten des Reichsstrafgesetzbuches von 1871

100

3. Abschnitt

Die Rechtsprechung des Preußischen Ober-Tribunals, insbesondere zum ProzeRbetrug im Zivilrechtsstreit

l11

A. Das kontradiktorische Verfahren . . . . .. .. . . . .. . .. .. . . . . . . . .. .. . .. . . . .. . . .. . . . . .. . . .. . 112 B. Die richterliche Tätigkeit im Zwangsvollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 C. Der fingierte Rechtsstreit . .. . . . . . . . .. . . .. . .. . .. .. .. . .. .. .. . . . .. . . . .. . .. .. . .. . . . . .. . . 115 D. Arrest und einstweilige Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 E. Die vorübergehende Abweichung in der späten Rechtsprechung des Ober-Tribunals 116

Inhaltsverzeichnis

11

4. Abschnitt Die Entwicklung der reichsgerichtliehen Rechtsprechung

121

A. Die Rechtsprechung des Reichsgerichtes bis zum Jahre 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

I. Das kontradiktorische Verfahren als Normalfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 II. Die richterliche Tätigkeit im Zwangsvollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 III. Versäumnisurteile, Zahlungs- und Vollstreckungsbefehle, Anerkenntnisurteile . 138 IV. Der fingierte Rechtsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 V. Arrest, einstweilige Verfügung und sonstige Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 VI. Das Verfahren auf Bewilligung des Armenrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 B. Die reichsgerichtliche Rechtsprechung nach 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 I. Kontradiktorisches Verfahren und Zwangsvollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . 145 II. Versäumnisurteile, Zahlungs- und Vollstreckungsbefehle, Anerkenntnisurteile . 149 III. Das Armenrechtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

5. Abschnitt Zusammenfassung und Bewertung der besonderen Behandlung des Prozeßbetruges durch die Rechtsprechung im Lichte der historischen Entwicklung

151

6. Abschnitt Die Literatur zum Prozeßbetrug von 1871 bis zum Ende der reichsgerichtliehen Tatigkeit

157

A. Autoren, die dem Reichsgericht in seiner alten Rechtsprechung folgten . . . . . . . . . . . . . 159 B. Autoren, die das Reichsgericht unter Zugrundelegung der Äquivalenztheorie wegen seiner alten Rechtsprechung kritisierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 C. Autoren, die andere gegen die Betrugsstrafbarkeit verwendbare Gründe als das Reichsgericht vorbrachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

12

Inhaltsverzeichnis I. Parteivortrag als Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

Il. Die richterliche Entscheidungstindung als unkontrollierbarer Akt . . . . . . . . . . . . . 166 III. Das durch unredliches Parteiverhalten verletzte Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 IV. Die Anwendbarkeit des Betrugstatbestandes bei öffentlich-rechtlichem Einschlag ...................... .. ................... . ...................... . .... . 169 V. Das Tatbestandsmerkmal Vermögensverfügung und die dahin führende Zurechnungsstufe . . . .. . . . . . . . . . .. . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 VI. Die Adäquanztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 VII. Rechtspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 VIII. Zusammenfassung . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . 180

7. Abschnitt Die Entwicklung des Tatbestandsmerkmales der Vermögensverfugung

181

8. Abschnitt Perspektive

193

2. Teil

Die Berücksichtigung des Opfermitverschuldens und ihre Einordnung in der Dogmatik seit 1945

197

1. Abschnitt Die einzelnen Einordnungsvorschläge und ihre Würdigung

199

A. Die Lehre von der Sozialadäquanz und der Subsidiaritätsgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

B. Die subjektiv-historische Auslegung des Betrugstatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 C. Adäquanzkausalität zwischen Täuschung und Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 D. Der Ansatz beim Irrtumsmerkmal ........................................... . ...... 212

Inhaltsverzeichnis

13

I. Die Anfänge dieser Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 II. Die Heranziehung von Zweifeln des Getäuschten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 I. Giehring und Amelung ... . . .. . .. .. . . . . . ..... . .. . . .. . . .. . ... .. . ........ .... . 215

2. R. Hassemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 III. Kausalitäts- und Schutzbereichserwägungen im Zusammenhang mit dem lrrturnsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 E. Mitverschulden des Opfers und objektive Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 I. Ist über die Risikoverteilung (vor allem unter dem Aspekt der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung) schon durch die Tatsache entschieden, daß es zu einer Täuschung und einem Irrturn kam? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 II. Macht der Zurechnungstopos der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung unzulässigerweise aus einer Mitverantwortung eine alleinige Verantwortung? . . . . 254 III. Handelt es sich um eine teleologische Reduktion und würde dies ein unüberwindliches Hindernis darstellen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 IV. Dürfen überhaupt Institute des Allgerneinen Teils zur Berücksichtigung des Opfermitverschuldens herangezogen werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 V. Hat sich nicht auch hier eine rechtlich mißbilligte Gefahr realisiert, so daß die Zurechnung in jedem Falle zu bejahen ist? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 VI. Handelt es sich um eine (versteckte) besondere Behandlung des Betruges im Vergleich zu anderen Tatbeständen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

F. Das schutzwürdige Vertrauen als Voraussetzung für den strafrechtlichen Schutz im Sinne einer Auslegung oder teleologischen Reduktion auf der Ebene der Täuschung oder im Sinne einer allgerneinen teleologischen Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 G. Betrug als Verletzung eines "Wahrheitsanspruches" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 H. Das Opfermitverschulden als Strafzurnessungskriteriurn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

2. Abschnitt

Das Ergebnis der Analyse

286

A. Ist § 263 StGB den Zurechnungstopoi vorn Schutzzweck und von der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung überhaupt zugänglich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

14

Inhaltsverzeichnis I. Sind die Topoi der objektiven Zurechnung grundsätzlich auf Vorsatzdelikte anwendbar? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 II. Sind Fragen der objektiven Zurechnung auch bei Delikten wie § 263 StGB einschlägig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288

B. Welches ist die richtige Stufe im Tatbestandsaufbau, um die genannten Topoi zu prüfen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 C. Inhalt und Tragweite der beiden Topoi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . .. . 294

3. Teil

Die Behandlung der als betrugsrelevant denkbaren Fälle von Täuschungen im Strafverfahren - Gleichzustellende Konstellationen

318

1. Abschnitt

Die Erschleichung von Haft

318

A. Spezifizierung der Fallgruppe der Hafterschleichung und Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur .. . ... . .......... . . .......... .. .. . . ......... .. ...... . . .. . ... 318 B. Zur Subsurnierbarkeit unter§ 263 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. . 321

I. Die Subsurnierbarkeit unter Außerachtlassung von Zurechnungsproblemen und der herrschenden Ansicht zur Geldstrafenvermeidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 1. Täuschung, Irrtum und Vermögensverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322

a) Der Verfügungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 b) Die Voraussetzungen des Dreiecksbetruges . .. . .......... , . . . . . . . . . . . . . . 322 2. Der Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 a) Schadenskompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 b) Die Problematik der bewußten Selbstschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 3. Der subjektive Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . .. . . 346 4. Die Strukturparallele zur mittelbaren Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 II. Bedenken gegen die Betrugsstrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 III. Liegt eine Vermögensverfügung vor? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352

Inhaltsverzeichnis

15

I. Ist die Zielsetzung des Richters ausschlaggebend? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 2. Ist die subjektive Zielsetzung des Täters entscheidend? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 3. Fehlt es objektiv am wirtschaftlichen Bezug? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354

2. Abschnitt Die Vermeidung von Maßnahmen, die auf das Vermögen wirken und dem Staat zugutekommen

363

A. Spezifizierung dererfaßten Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363

B. Überblick über den Meinungsstand

364

I. Die Rechtsprechung des Preußischen Ober-Tribunals, beziehungsweise des Ober-Appellations-Gerichts und des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 l. Ober-Appellations-Gericht und Preußisches Ober-Tribunal ... . . . . . ...... . . . 364

2. Das Reichsgericht . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 366 II. Die Literatur bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 III. Die Entwicklung nach 1945 . . . . . .. .. . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . .. . . . .. . . . . . . . .. .. . . 378 I. Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 2. Die Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 C. Verbindungen zur im I. Teil dargestellten besonderen Behandlung des Prozeßbetruges im Zivilprozeß durch die Rechtsprechung bis 1933 und durch Teile der Literatur vor 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 D. Subsumierbarkeit unter § 263 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 I. Täuschung, Irrtum und Vermögensverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 l. Der Verfügungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388

2. Die Vermögenszugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 3. Die Voraussetzungen des Dreiecksbetruges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 II. Der Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 III. Der subjektive Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 l. Vorsatz und Absicht . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395

16

Inhaltsverzeichnis 2. Stoffgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397

3. Abschnitt

Die Topoi der objektiven Zurechnung

398

A. Strafhafterschleichung und Vermeidung von Geldstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 I. Wirkungen der Rechtsnatur der Strafe auf Schutzbereichserwägungen . . . . . . . . . 402 1. Kriterien bei der Auswahl der Strafart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 2. Die Reform der Geldstrafe, namentlich die Einführung des Tagessatzsystems ................. . .. . . .................. . .. .. .................. . ... . .. 404 3. Die Problematik der sogenannten Streuwirkung der Geldstrafe . . . . . . . . . . . . . 405 4. Die Frage der Übernahme der Geldstrafenlast durch Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 5. Die Entwicklung der Ansichten über die Natur der Geldstrafe . . . . . . . . . . . . . . 412 6. Das Problem der für die Geldstrafe geltenden Vollstreckungsvorschriften . . . 415 7. Die Herkunft der modernen Auseinandersetzung um die Natur der Geldstrafe ................. . .......... .. .......... . . . . . .................. . .... . . 417 8. Rückschlüsse aus der Existenz der Ersatzfreiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 9. Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 II. Wirkungen der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung des Strafverfahrens auf die Risikozuständigkeit im Hinblick auf die Tatsachenermittlung unter Beriicksichtigung des Gedankens der eigenverantwortlichen Selbstgefahrdung . . . . . . . 419 1. Die Prozeßmaximen ... . .. . ................... . .. . .... . ....... .. . ... . . .... . 419 2. Risikozuschreibung an den Risikonutznießer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 3. Die fehlende Wahrheitspflicht des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 III. (Sonstige) rechtspolitische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 1. Die wünschenswerte Reichweite der Wiederaufnahmeregelungen . . . . . . . . . . 429 2. Das Argument der "Kampfsituation" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 3. Drohende Unstimmigkeiten und Brüche in der (Straf)Rechtsordnung . . . . . . . 431 4. Das bei der Hafterschleichung in Wirklichkeit beeinträchtigte Rechtsgut . . . 432 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433

Inhaltsverzeichnis B. Ist Untersuchungshaft insoweit wie Strafhaft zu behandeln?

17 434

C. Auf welche anderen auf das Vermögen wirkenden Maßnahmen ist die für die Vermeidung von Geldstrafen getroffene Entscheidung übertragbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 I. Die Vermögensstrafe nach § 43 a) StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 II. Einziehung und Verfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 III. Geldbuße und Verwarnungsgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 1. Die Rechtsnatur von Geldbuße und Verwarnungsgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441

2. Die aus der Verfahrensgestaltung abgeleiteten Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 3. Die als rechtspolitisch zu bezeichnenden Ansatzpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 IV. Die Sicherheitsleistung nach § 116 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450

V. Die Verfahrenskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 VI. Die Erschleichung überhöhter Leistungen nach dem StrEG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 D. Verbleibt eine Versuchsstrafbarkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 E. Verbleibt eine Strafbarkeit wegen anderer Delikte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464

4. Teil

Der Prozeßbetrug im Zivilverfahren

471

1. Abschnitt

Der Meinungsstand nach 1945

472

A. Die Rechtsprechung .. . ... . ........... ... ....... .. ..... . . .... . .. . ... .. .... .. . . ... . . . 472 I. Das kontradiktorische Verfahren . .. . . . .. . . . .. . .. .. . . .. . . .. . . . . . . . . .. . . .. .. . . .. 472

II. Versäurnnisurteile, Zahlungs- und Vollstreckungsbefehle, beziehungsweise Mahn- und Vollstreckungsbescheide, Anerkenntnisurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 III. Sonstige Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 B. Die Literatur . . . .... . .. . .. ........ . .. .. ... . .. . . . . .. . .. ... . . . . .. . .. . ... .. .. . ... . . . . .. 476 2 Jänicke

18

Inhaltsverzeichnis I. Das kontradiktorische Verfahren . . .. . . .. . . . .. . . . . . . .. . . . .. . . . .. . . . .. .. . . .. .. . . 480

1. Die Entscheidung außerhalb der "Non-liquet-Situation" als Normalfall . . . . . 480 2. Die Non-liquet-Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 3. Exkurs: Begriff und Tragweite der Figur der sogenannten "ignorantia facti"

489

4. Die Schadenskonstruktion .. . . .. . . .. . . . .. . . . . . . . .. . . . .. . . .. . . .. .. .. . .. . . . .. 490 II. Mahnverfahren, Versäumnis- und Anerkenntnisurteil, Geständnis . . . . . . . . . . . . . 491 I. Das Mahnverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491

a) Das nicht automatisierte Mahnverfahren . . .. . . . .. . . . . . . . .. . . .. . .. .. . .. . . 491 b) Das automatisierte Mahnverfahren . . .. . . .. .. . .. . . . .. . . .. . . .. .. .. . .. . . . .. 495 c) Die Schadenskonstruktion .... . .............. ... ..... . .......... . .... .. . 496 2. Das Säumnisverfahren . . . .. . . .. . . .. . . . . .. . . . . . . .. . . . .. . . .. . . . .. .. . . .. . . . . .. 497 3. Das Anerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 4. Das Geständnis und das fingierte Geständnis sowie unstreitiges Vorbringen

499

III. Weitere besondere Verfahrensarten . . . . .. . . . .. .. . . .. . .. .. . .. . . .. . .. .. .. . . . . .. . . 500 1. Die "formell-ähnlichen" Verfahren . . . .. . . . . . . . .. . . . .. . . .. . . .. .. . . .. . . . . . .. . 501

2. Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 3. Das Adhäsionsverfahren .. . ........... . .... .. ........................ . .. .. . 502

2. Abschnitt

Rechtsvergleichender Exkurs zur Lage in Österreich und in der Schweiz

503

A. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 B. Die Schweiz . . . . . . .............. . .. .. .. . ............... . .................. . ... .. .. .. 509

3. Abschnitt

Die Subsumierbarkeit unter § 263 StGB

512

A. Das kontradiktorische Verfahren . . .. . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . .. . . . .. .. . . .. . . . .. . 513

I. Der objektive Tatbestand .. .. . . . .. .. . ... .. .. ... . . .... ...... . ......... .. .. . . .. . . 514 1. Parteivortrag als Willenserklärung .. . . . .. .. . . .. .. .. . . . . . . . .. . . .. .. .. .. .. . . . 515

Inhaltsverzeichnis

19

2. Die richterliche Entscheidungsfindung als unkontrollierbarer Akt

516

3. Das durch das unredliche Parteiverhalten verletzte Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 4. Das Tatbestandsmerkmal Vermögensverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 5. Die Voraussetzungen des Dreiecksbetruges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519

6. Die Argumentation des Reichsgerichtes bis 1933 . . .. ................ . . ... . . 519 II. Der subjektive Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 III. Die Strukturparallele zur mittelbaren Taterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523

B. Die Situation des non liquet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523

C. Das Säumnisverfahren und das Geständnis, beziehungsweise das fingierte Geständnis (§ 138 II1 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 I. Der objektive Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 II. Der subjektive Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535

D. Das Mahnverfahren, Verzicht und Anerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 I. Das Mahnverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539

II. Das automatisierte Mahnverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 III. Die Schadenskonstruktion und subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 IV. Das Anerkenntnis (§ 307 ZPO) .

00

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00 . . . . . . . .

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546

V. Der Verzicht(§ 306 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550

E. Weitere besondere Verfahrensgestaltungen, namentlich das PKH-Verfahren . .. . . . . .. 551

F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 2*

20

Inhaltsverzeichnis 4. Abschnitt Die objektive Zurechnung

556

A. Ist ein Prozeßbetrug im Zivilverfahren ähnlich wie im Strafverfahren grundsätzlich durch normative Erwägungen gehindert? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559

I. Die Rechtsnatur der Ansprüche, die Gegenstand von Zivilurteilen sind . . . . . . . . 559 II. Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung und ihre Wirkungen auf die Risikozuständigkeit hinsichtlich der Tatsachenermittlung unter Berücksichtigung des Gedankens der eigenverantwortlichen Selbstgefahrdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 1. Die Prozeßmaximen . . .. .. . . .. . . .. . . . .. . . . . . . . .. . . . .. .. . . .. . . .. . . . . . .. .. . . . 561

2. Risikozuschreibung an den Risikonutznießer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564 3. Die Wahrheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 111. Sonstige rechtspolitische Erwägungen . . . . .. . . .. . . .. .. . . .. . . . .. . . .. . .. . . .. . . .. 566 1. Die wünschenswerte Reichweite von Wiederaufnahmegründen . . . . . . . . . . . . . 566 2. Das Argument des Zivilprozesses als "Kampfsituation" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568 3. Das primär beeinträchtigte Rechtsgut . . .. . . . . . . .. .. . . .. . . . . .. . .. . . . . . .. . . .. 569 B. Kann hinsichtlich der Betrugsstrafbarkeit zwischen einfachem Parteivortrag und solchem, für den Beweis erhoben wurde, differenziert werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 C. Sonstige Beschränkungen der Möglichkeit eines Prozeßbetruges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 I. Die Ermittlung der einschlägigen Rechtssätze und deren Anwendung . . . . . . . . . 578 II. Die Grenzen der Wahrheitspflicht, Wirkungen des Nemo-tenetur-Satzes, Bedeutung des Adhäsionsverfahrens .. . . .. . . . .. . . .. . . . . . .. . . .. . . . .. . . . . . . . . . . .. . . 596 111. Die Verfahrenskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 IV. Ordnungs- und Zwangsmittel in der ZPO und im GVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611 V. Anerkenntnis, Verzicht und Mahnverfahren - Zurechnung trotz Schlüssigkeitsprüfung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614 VI. Normative Hindernisse für die Betrugsstrafbarkeit im PKH-Verfahren oder in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620

Inhaltsverzeichnis 1. Das Verfahren auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe

21

620

2. Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622 D. Verbleibt in den Fällen, in denen hier die Zurechenbarkeit verneint wurde, eine Versuchsstrafbarkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623

5. Teil Betrug vor dem Bundesverfassungsgericht?

625

1. Abschnitt Der Ausgangsfall

625

2. Abschnitt Zur Subsumierbarkeit unter § 263 StGB

626

3. Abschnitt Die objektive Zurechnung

629

A. Der Entscheidungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630 B. Die Verfahrensgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632 I. Die Prozeßmaximen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632

li. "Risikozuschreibung an den Risikonutznießer" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 III. Die Wahrheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634 C. (Sonstige) rechtspolitische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 Sachwort- und Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 676

Abkürzungsverzeichnis a.Anf.

amAnfang

a.E.

amEnde

Anm.

Anmerkung

Art.

Artikel

Bd. BGB

Band Bürgerliches Gesetzbuch

BGE

Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts, amtliche Sammlung

BOHR

BGH-Rechtsprechung, Strafsachen

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

BGHZ BtMG

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln

B.v.

Beschluß vom

c.c.c.

Constitutio Criminalis Carolina

Diss.

Dissertation

DJZ

Deutsche Juristen-Zeitung

DStR DStRZ

Deutsches Strafrecht Deutsche Strafrechtszeitung

E.v.

Entscheidung vom

EvBl

Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen (ÖJZ) (zit.: Jahr I Nummer)

EzSt f.

Entscheidungssammlung zum Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht folgende

ff.

fortfolgende

FN

Fußnote

FS

Festschrift

GA

Goltdammers Archiv

GBO GS GS (mit Namen)

Grundbuchordnung Der Gerichtssaal Gedächtnisschrift

HabiL-Schrift

Habilitationsschrift

HRR

Höchstrichterliche Rechtsprechung

JA JBl

Juristische Arbeitsblätter Juristische Blätter (zit.: Jahr, Seite)

JK

Jura-Kartei

Abkürzungsverzeichnis JR Jura JuS

23

JW

Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift

JZ KG LH L/M MDR

Juristenzeitung Kammergericht Lehrheft LindenmaierI Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes Monatsschrift für deutsches Recht

MschrKrim

Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform nach Christus Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht, Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht

n. Chr. Nr. NStZ NStZ-RR NZV OAG OGHSSt

Ober-Apellations-Gericht Entscheidungen des Österreichischen Obersten Gerichtshofes in Strafsachen und Disziplinarangelegenheiten (zit.: Bandzahlt Nummer)

ÖJZ OLGR

Österreichische Juristenzeitung OLG-Report Koblenz, Saarbriicken, Zweibriicken

OLGSt

Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht Die Rechtsprechung des Königlichen Ober-Tribunals und des Königlichen Ober-Appellations-Gerichts in Strafsachen, herausgegeben von Oppenhoff österreichisches Strafgesetzbuch

Oppenhoff

öStGB o.V. öZPO PrAGO PrALR PrObTrib PrStGB RGBI. RGRspr RGSt RhZZP RMG

Rnr ROHGE Rpfl RStGB

ohne Vornamen Österreichische Zivilprozeßordnung Preußische Allgemeine Gerichts-Ordnung Preußisches Allgemeines Landrecht Preußisches Ober-Tribunal Preußisches Strafgesetzbuch Reichsgesetzblatt Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichtes in Strafsachen, herausgegeben von den Mitgliedern der Reichsanwaltschaft Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozeßrecht Entscheidungen des Reichsmilitärgerichts Randnummer Entscheidungen des Reichs-Oberhandelsgerichts Der Deutsche Rechtspfleger Reichs-Strafgesetzbuch

24 RuG RVO

s.

Sch!HA SchweizJZ SchweizZStrR SJZ Sp. StOB U.v. V. Chr. VerwArch vgl. VRS wistra ZAkDR ZffiR ZHR zit. ZMR ZPO ZRP

zs

ZStW ZVG ZZP

Abkürzungsverzeichnis Recht und Gesellschaft Reichsversicherungsordnung Seite Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schweizerische Juristen-Zeitung Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Süddeutsche Juristenzeitung Spalte Strafgesetzbuch Urteil vom vor Christus Verwaltungsarchiv vergleiche Verkehrsrechtssammlung Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht zitiert Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zwangsversteigerungsgesetz Zeitschrift für Zivilprozeß, beziehungsweise zuvor: Busch: Zeitschrift für deutschen Zivilprozeß und das Verfahren in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, beziehungsweise: Zeitschrift für Deutschen Zivilprozeß

Einleitung Heute wird ganz allgemein angenommen, daß ein Prozeßbetrug im Zivilverfahren grundsätzlich möglich ist, mithin ein Betrug zu Lasten des Prozeßgegners durch Täuschung des daraufhin irrenden und verfügenden Richters. Uneinigkeit besteht lediglich darüber, ob dies auch bei besonderen Verfahrensgestaltungen gilt. Namentlich ist es fraglich beim non liquet, wenn der Richter nach der Beweislast entscheiden muß, bei Nichtbestreiten, Geständnis oder Säumnis des Gegners, wenn nur noch die Schlüssigkeit des zugrundezulegenden einseitigen Vortrages zu prüfen ist, und im Mahnverfahren oder bei Anerkenntnis und Verzicht, wenn selbst diese Schlüssigkeitsprüfung entfällt. Auch vor dem Strafrichter wird ein Betrug für möglich gehalten. So soll nach nahezu einhelliger Ansicht ein Wohnsitzloser, der sich durch Vortäuschung kleinerer Straftaten ein beheiztes Quartier und Verpflegung für den Winter in Untersuchungshaft beschafft, diesen Tatbestand verwirklicht haben. Umgekehrt soll indes die Vermeidung einer Geldstrafe oder Geldbuße, eines Verwarnungsgeldes sowie von Einziehung oder Verfall durch falsche Angaben im Strafverfahren nicht unter § 263 StGB fallen. Sogar bei Täuschungen vor dem Bundesverfassungsgericht wird ein Betrug erwogen. So geschehen im Hinblick auf die Verhandlung über Verfassungsbeschwerden gegen den Restitutionsausschluß für besatzungshoheitliche Enteignungen zwischen 1945 und 1949 im Gebiet der ehemaligen DDR, der damaligen sowjetischen Besatzungszone. Ein Staatssekretär im Auswärtigen Amt hatte dort- möglicherweise bewußt wahrheitswidrig - angegeben, die UdSSR habe diesen Restitutionsausschluß zur Bedingung für ihre Zustimmung zur Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands gemacht, und so möglicherweise die Enteigneten auf dem Umweg über den Mißerfolg ihrer Verfassungsbeschwerden geschädigt. Blickt man in die jüngere Strafrechtsgeschichte und die anderen Rechtsordnungen des deutschen Sprachraumes, so ist dieser Befund, daß nahezu jede Täuschung eines Richters (oder Rechtspflegers) zur Betrugsstrafbarkeit führen kann, durchaus ungewöhnlich. Bis 1933 gab es in Deutschland eine lebhafte Debatte über die grundsätzliche Möglichkeit eines Betruges unter Vermittlung des Richters als Verfügendem. Die Rechtsprechung wollte im Zivilverfahren zumindest zwischen straflosem einfachen Parteivorbringen und solchem (strafbaren) unterscheiden, für das manipulierte oder sonst materiell unrichtige Beweise erhoben worden sind. Hierzulande endete die Debatte mit der Einführung des § 138 I ZPO im Jahre 1933 abrupt. In Österreich und der Schweiz hat sich diese Diffe-

26

Einleitung

renzierung im Zivilverfahren bis zum heutigen Tage erhalten. Das schweizerische Bundesgericht hielt bis vor kurzem einen Prozeßbetrug sogar für gänzlich ausgeschlossen. Diese besondere Behandlung des Prozeßbetruges läßt sich letztlich bis auf die römisch-rechtlichen Ursprunge der Betrugs- und Fälschungsdelikte und auf deren zeitweise vollständige Verquickung im gemeinen Recht zuriickführen. Solche historischen Zusammenhänge herauszuarbeiten, ist zunächst Ziel des 1. Teiles der Arbeit. Unmittelbar daran anknüpfend stellt sich die Frage, ob aus den in der historischen Auseinandersetzung gewonnenen Argumenten auch aus heutiger Sicht Gewinn gezogen werden kann. lnbesondere, ob die geschilderte nahezu uferlose Anwendung des Betrugstatbestandes auf unwahre Angaben vor Gericht mit ihrer Hilfe auf ein sinnvolles Maß zuriickgenommen werden kann. Um dies zu beurteilen, muß ermittelt werden, an welcher Stelle im Verbrechensaufbau diese historischen Ansätze zur Begrenzung der Betrugsstrafbarkeit nach dem heutigen Stand der Dogmatik einzuordnen sind. Von ihren Urhebern wurden sie vor allem im Umfeld der Kausalität und in der subjektiven Zurechnung angesiedelt, einzelne Äußerungen antizipieren bereits - ohne dies so zu nennen - die damals im Strafrecht noch nicht ausgeformte Kategorie der objektiven Zurechnung. Einer der historischen Ansätze hat unter veränderten Vorzeichen den Weg in die Betrugsdogmatik der Nachkriegszeit gefunden: Die Rechtsprechung begründete ihre differenzierende Vorgehensweise bis 1933 mit der angeblichen Pflichtwidrigkeit eines Richters, der unbelegtem Parteivorbringen Glauben schenkt. Damit knüpfte sie an ein (Mit)Verschulden des Opfers an, das nach 1945 Gegenstand zahlreicher Untersuchungen zum Betrugstatbestand war, ohne daß jedoch dabei der Prozeßbetrug als Ausgangspunkt gewählt worden wäre. Diese Untersuchungen eröffnen aber das Spektrum von Möglichkeiten, derartige Bedenken aus heutiger Sicht dogmatisch zu erfassen. Ihre Darstellung und Bewertung ist Gegenstand des 2. Teiles der Arbeit. Als Ergebnis dieser Betrachtungen stellt sich heraus, was bei der Erarbeitung der einzelnen historischen Argumentationsansätze schon vermutet werden konnte. Der nach der gegenwärtigen Dogmatik zutreffende Standort für solche Restriktionen der Betrugsstrafbarkeit sind die Topoi der objektiven Zurechnung. Alle historischen Ansatzpunkte lassen sich in derartige Topoi übertragen. Namentlich geht es um die Bildung von Risikobereichen unter dem Gesichtspunkt des Schutzbereiches und der eigenverantwortlichen Selbstgefahrdung auf der Zurechnungsstufe vor der Vermögensverfügung. Dementsprechend kann sich der letzte Teil der Arbeit der Anwendung dieser Erkenntnisse auf die eingangs dargelegten Fallgruppen widmen. Die Ausfüllung der Zurechnungstopoi macht dabei keine Schwierigkeiten. Es kann auf die aus der historischen Auseinandersetzung bekannten Argumente nun als Zurechnungskriterien zuriickgegriffen werden. Sie führen zur Beriicksichtigung öffentlich-rechtli-

Einleitung

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eher Einflüsse. Solche Einflüsse ergeben sich zunächst aus der Rechtsnatur der vom Richter anzuordnenden Rechtsfolge, etwa der Strafe und ihrer öffentlichrechtlichen Ausgestaltung, sodann aus der jeweiligen Verfahrensordnung und schließlich aus weiteren, rechtspolitisch zu nennenden Erwägungen, die sich aus den historischen Vorbildern ableiten lassen. Dabei stellt sich heraus, daß die Entscheidung des Strafrichters in keinem Falle dem Täuschenden zugerechnet werden und mithin der eingangs angesprochene Wohnsitzlose entgegen der ganz überwiegenden Ansicht nicht aus § 263 StGB bestraft werden kann. Dies bedeutet zugleich, daß die Betrugsstrafbarkeit bei Vermeidung von Geldstrafen und dergleichen ebenso wie von Ordnungs- und Zwangsmitteln nach GVG und ZPO ebenfalls entgegen der herrschenden Meinung bereits auf der Zurechnungsebene vor der Verfügung ausscheidet. Für Täuschungen im Zivilverfahren ergibt sich zunächst, daß die verfügbaren Argumentationsansätze unter Zurechnungsaspekten weder in der Lage sind, einen grundsätzlichen Ausschluß des Prozeßbetruges zu tragen, noch die Differenzierung der Rechtsprechung bis 1933 zu begründen vermögen. Wohllassen sich aber andere Restriktionen der Betrugsstrafbarkeit für solche Täuschungen begründen. Zuerst kann der unübersichtliche, von Vorwertungen bestimmte und letztlich stets ergebnisoffene Versuch der herrschenden Meinung überwunden werden, die Straflosigkeit oder Strafbarkeit von falschen Rechtsbehauptungen mit Hilfe der Abgrenzung zwischen Tatsachen und Werturteilen zu begründen. Der Richter hat im von § 550 ZPO (unter Außerachtlassung des§ 549 ZPO) bestimmten Umfang die alleinige Risikozuständigkeit für die Ermittlung und Anwendung von Rechtsnormen. Eine Ausnahme gilt allein wegen § 293 ZPO für die Ermittlung ausländischen, Gewohnheits- und Satzungsrechts. Im Bereich der so bestimmten Rechtsfragen kann seine Verfügung dem Täuschenden mithin niemals zugerechnet werden. Die zweite Grenze folgt aus dem Nemo-tenetur-Satz und der Parallele zum Adhäsionsverfahren. Sie erlauben der Partei, über von ihr begangene Straftaten zu schweigen, sie auf gegnerischen Vortrag zu bestreiten und dieses Bestreiten nötigenfalls zu substantiieren. Schließlich hindert die gesetzgebensehe Risikozuschreibung an den Gegner bei Anerkenntnis und Verzicht sowie im Mahnverfahren die Zurechnung der richterlichen Verfügung (respektive der des Rechtspflegers) an den Täuschenden. Vor Straf- wie vor Zivilgerichten muß zudem gelten, daß aus der Vermeidung von Verfahrenskosten keine Betrugsstrafbarkeit hergeleitet werden kann. Vor dem Bundesverfassungsgericht scheidet eine im Sinne des § 263 StGB einem Täuschenden zurechenbare Verfügung aus primär rechtspolitischen Gründen generell aus. Sie leiten sich aus dem verstärkten Geltungsanspruch bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen infolge der Befriedungsfunktion der Verfassungsgerichtsbarkeit her. Es verbleibt somit bei sorgfältiger Anwendung der normativen Einschränkungsmöglichkeiten nurmehr ein überschaubarer Bereich von Täuschungen vor den Zi-

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Einleitung

vilgerichten als Anwendungsbereich für den Betrugstatbestand auf gerichtliche Entscheidungen. Nach dem weitgehenden Abschluß der Ausarbeitung wurde mir die Arbeit von Xenia Piech zugänglich, 1 die ich nur noch an einigen Stellen in den Anmerkungen beriicksichtigen konnte.

t Der Prozeßbetrug im Zivilprozeß, Frankfurt/Main 1998, zugleich Diss., Kiel 1998, nachgewiesen in Heft 3 der KJB 1999.

l.Teil

Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen für die Einordnung der Probleme in der gegenwärtigen Dogmatik 1. Abschnitt

Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes bis zu § 241 PrStGB Der folgende historische Abriß erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und will nicht mit monographischen Äußerungen zu dem Thema konkurrieren. Es sollen lediglich die groben Linien nachgezeichnet werden, um Aspekte aufzuzeigen, die der besonderen Beurteilung des Prozeßbetruges im 19. und frühen 20. Jahrhundert zugrundeliegen können. Ferner soll im Rahmen der Entstehung des modernen Betrugstatbestandes das Augenmerk auf das bis heute ungeschriebene Merkmal der Vermögensverfügung gerichtet werden. Seine Entwicklung und sein historischer dogmatischer Inhalt spielen für die Beurteilung seiner heutigen Leistungsfähigkeit als eigenständiges Tatbestandsmerkmal eine Rolle. Es geht dabei namentlich um die Erarbeitung der richtigen Einordnung der mit den hier zu untersuchenden Fallgruppen verbundenen Problematik innerhalb des Betrugstatbestandes beziehungsweise des Verbrechensaufbaus allgemein. Die Verfügung zieht schon deshalb zuerst das Augenmerk auf sich, weil hier die Besonderheit dieser Fälle liegt: Ein Richter verfügt kraft öffentlich-rechtlicher Ermächtigung anstelle eines Privaten. Der Befund wird dadurch erhärtet, daß es sich um Dreiecksbetrugskonstellationen handelt, bei denen die Verfügung den Dreh- und Angelpunkt bildet, verbindet sie doch erst den Irrtum des einen mit dem Schaden des anderen Betroffenen. Schließlich wird sich im Ergebnis der zutreffende dogmatische Ansatzpunkt für die Lösung ebenfalls im Zusammenhang mit der Verfügung finden. Es wird dann um die Frage gehen, wie weit der Schutzbereich des § 263 StGB reicht und wer das Risiko trägt, daß es zu einer irrtumsbedingten Verfügung konunt, mithin um die Problematik der Verantwortungsbereiche auf der Zurechnungsstufe vor der Verfügung. Die Leistungsfähigkeit des Tatbestandsmerkmales "Verfügung" ist somit eine entscheidende Vorfrage bei

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

der Lösung der öffentlich-rechtlich beeinflußten Fälle der richterlichen Verfügung. Die Antwort liegt - wie bei der Suche nach Argumenten für die besondere Behandlung des Prozeßbetruges im Zivilverfahren - nicht zuletzt in der historischen Entwicklung. Da diese auf das Verfügungsmerkmal bezogenen Gesichtspunkte erst Bedeutung erlangen, wenn die historischen Argumente zum Prozeßbetrug erschlossen sind und deren Übertragung in die gegenwärtige Dogmatik ansteht, werden sie in einem gesonderten Abschnitt am Ende dieses Teiles dargestellt. 2 Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des modernen Betrugstatbestandes ist verknüpft mit den Delikten desfalsumund stellionatus,3 deren bis ins 19. Jahrhundert kaum gelungene Trennung entscheidende Auswirkungen auf das Verständnis des Betruges hatte. Auf die römisch-rechtliche calumnia, die die wissentlich unbegründete Klageerhebung mit zivilrechtliehen Folgen versah, muß im einzelnen nicht weiter eingegangen werden. Ihre Existenz ist hier dennoch festzuhalten. Die Tatsache, daß römisch-rechtliche Quellen außerstrafrechtliche Sanktionen (also Zivil- und Verfahrensstrafen) auch für falsches Vorbringen im Prozeß vorsahen,4 hat mittelbar zur besonderen Behandlung des Prozeßbetruges beigetragen. Man konnte diesen Umstand argumentativ wie folgt verwerten: Wenn außerstrafrechtliche Sanktionen vorhanden sind, kann dies bereits den Bedarf einer strafrechtlichen Verfolgung hindem. Vor allem können sie aber abschließend gemeint sein und so selbst die Verfolgung aus nominell erfüllten Straftatbeständen ausschließen. Solche Argumentationsansätze gab es tatsächlich. 5 Möglicherweise steht man hier am Ursprung des Gedankens, die Täuschung im Prozeß abweichend von anderen Irreführungen zu behandeln. Er hätte sich aber nach dem Wegfall von solchen Verfahrensstrafen in den Zivilverfahrensordnungen nicht so lange halten können, wenn nicht andere Gründe hinzugetreten wären. Diese Gründe finden sich in der Entwicklung des Betrugstatbestandes ausgehend von den römisch-rechtlichen Delikten des falsum und des stellionatus, die daher hier verfolgt werden soll. Vgl. den 7. Abschnitt. Michel, S. 1; Hupe, S. 1; Reese, S. 3; vgl. auch Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 153 f.; Kempermann, ZStW 57 (1938), 126 f. 4 Vgl. zu solchen Sanktionen beispielsweise Glück, S. 182 ff., der Kostentragungspflicht, doppelten Ersatz, Verlust einer Rechtswohltat und Beweisführungslast mit den jeweiligen Fallgruppen aufführt und als Bedingung der aktuellen Anwendbarkeit dieser Regeln vor allem für vorausgesetzt ansieht, daß der Täter vorsätzlich die Unwahrheit gesagt hat (vgl. S. 186 unter Nr. 3); siehe auch noch ßlichter, S. 236 Anm. 9 b): Besitzverlust bei Lügen des Beklagten im Herausgabeverfahren, S. 237 Anm. 9 c): Zahlung des Doppelten bei Leugnen zum Beispiel der Echtheit einer Unterschrift durch den Beklagten einer Leistungsklage, wenn die Echtheit danach bewiesen wird, und so weiter, vgl. die dort folgenden Anmerkungen. Auch in frühen Korliftkationen gab es noch solche vom Zivilrichter zu verhängenden Sanktionen, etwa für mutwiiiiges Prozessieren (vgl. etwa eine Entscheidung des KG in GA 1 (1853), 232). Zur Praxis in Preußen vgl. auch Goltdammer, GA 2 (1854), 792 und allgemein auch Goltdammer, GA 3 (1855), 605, 606. 5 Vgl. in diesem Abschnitt unter G. zur Literatur des 19. Jahrhunderts. 2

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l. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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Das Ende der reichsgerichtliehen Tätigkeit markiert den Zeitpunkt, zu dem der Streit um den Prozeßbetrug in Deutschland im wesentlichen abgeschlossen war und den Autoren demgemäß der bewertende Blick auf die gesamte historische Entwicklung möglich war, ohne selbst in dem Streit Stellung beziehen zu müssen. Aus der Zeit nach 1945 lag bislang - soweit ersichtlich - nur eine umfangreichere Arbeit zu Fragen der strafrechtlichen Würdigung von Täuschungen des Gerichts vor, die Dissertation von Lenckner aus dem Jahre 1957. Er beschränkt sich indes- vor allem für den Zeitraum vor 1871 - auf eine knappe historische Einführung mit der Beschreibung einiger Ansätze zur Behandlung des Prozeßbetruges. Es fehlt die Frage nach den vor allem in der allgemeinen Entwicklung des Betrugstatbestandes zu suchenden Ursprüngen der Argumentationsmuster, die bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts die Diskussion beherrschten. Die 1998 erschienene Arbeit von Piech geht auf diesen Zeitraum überhaupt nicht ein. In der Entwicklung dieses Streites liegt aber das gesamte Argumentationsmaterial, das Rechtsprechung und Lehre für die Behandlung der richterlichen Entscheidung im Rahmen des Betrugstatbestandes hervorgebracht haben. Hier ist mithin das Reservoir von Ansätzen zur Klärung des Einflusses öffentlich-rechtlicher Bezüge auf die Betrugsstrafbarkeit zu suchen, also sowohl für den Prozeßbetrug im Zivilverfahren als auch für alle anderen richterlichen Entscheidungen. Für die Zeit bis zur Carolina verbietet sich ein eigenes Quellenstudium im Rahmen der vorliegenden Arbeit, deren Schwerpunkt nicht die Rechtsgeschichte jener Epoche sein soll. Sie soll daher über die Darstellungen anderer Autoren erschlossen werden, vor allem durch die in neuerer Zeit einzig dastehenden und allgemein zu diesem Thema herangezogenen Monographien von Hupe und Kausch sowie durch die zum Teil ausführlichen rechtshistorischen Abschnitte in den den Betrug betreffenden Arbeiten namhafter Autoren, wie etwa Naucke und Ellmer. Einen sehr kurzen Abriß auf ähnlicher Grundlage wie hier findet man im übrigen bei Schütz. 6 Dieser ist indes für den hier verfolgten Zweck zu knapp gehalten und unterliegt zum römischen Recht zu sehr der im 19. Jahrhundert üblichen Sichtweise, die den Stellionat als direkten Ahnen des heutigen Betrugstatbestandes ansah.7 Schütz macht damit die im folgenden zu belegende Tatsache zu wenig deutlich, daß schon im römischen Recht durch die Zuordnung der heutigen Betrugskonstellationen zu verschiedenen Delikten die in der Zeit nach Carpzov vollendete Vermischung von Fälschung und Betrug angelegt war. Jene Vermischung hat zu der schwierigen Abgrenzungsdiskussion im 19. Jahrhundert geführt und in dem Streit um die Behandlung des Prozeßbetruges ihre längste Fortsetzung gefunden. Unter diesem Aspekt soll hier ein ausführlicherer Abriß folgen, der diese Entwicklungslinie besonders berücksichtigt.

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Schütz, S. 1-7. Vgl. Schütz, S. 4.

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l. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

A. Das römische Recht Nach heutiger Ansicht fehlte es dem römischen Recht an einer geschlossenen dogmatischen Einheit mit abstrakten Deliktsbegriffen, vielmehr wurden einzelne Verhaltensweisen durch oft ineinander übergehende Tatbestände pönalisiert. 8 Als strafwürdig erkannte Verhaltensweisen konnten einem naheliegenden Delikt zugeordnet und ihm bei der späteren Schaffung eines neuen Tatbestandes wieder entzogen werden oder dann auch bei ihm verbleiben. Es ist also möglich, daß zwei scheinbar vergleichbare Handlungen zufällig durch die unsystematische historische Entwicklung zwei verschiedenen Tatbeständen unterfallen. Somit können auch Delikte existieren, die, wenn man aus den ihnen zugeordneten Fällen abstrakte Merkmale bildet, weitestgehende Übereinstimmung aufweisen. All dies gilt für falsum und stellionatus in exemplarischer Weise, wie in den folgenden Abschnitten gezeigt werden soll. Das deutlichste Beispiel für die zufällige Zuordnung vergleichbarer Verhaltensweisen zu verschiedenen Tatbeständen sei hier vorweg genannt: Das römische Recht kannte keinen gutgläubigen Erwerb, wohl aber ein besitzloses Pfandrecht. Wer eine Sache mehrmals verkaufte, verwirklichte (schon) den Tatbestand des Falsum. Wer die Sache indes mehrfach unter Verschweigen schon existierender Rechte verpfändete, wurde aus dem später geschaffenen Stellionat bestraft. Eine gradlinige Zurückführung des Betruges auf den stellionatus, die von den Autoren des 19. Jahrhunderts zum Teil vorgenommen wurde, 9 wird von der heute wohl herrschenden Ansicht zu Recht aus den eben genannten Gründen nicht ohne weiteres gebilligt. Einige Autoren erblicken hingegen auch heute in den anfangs dem stellionatus zugeordneten Fällen durchaus abstrakte Merkmale mit Parallelen zum modernen Betrugstatbestand und erkennen im stellionatus die eigentliche Betrugsvorschrift des römischen Rechtes. 10 I. Das falsum Erste Normierungen von in den interessierenden Bereich fallenden Phänomenen finden sich im Zwölftafelgesetz. Es stellte die falsche Zeugenaussage vor Gericht, die Annahme von Bestechungen durch den Richter sowie die fraus patroni unter Strafe. Letztere bezeichnet Treuwidrigkeiten des patronus im Rahmen eines besons Hupe, S. 4, 12 f., 13 f.; Kausch, S. 5; vgl. auch schon Mittermaier, GS lO (1858), 122, 135 FN 32: "Es beschränkte sich auf Untersuchungen über den römischen Stellionat und sein Verhältnis zum falsum mit dem vergeblichen Bemühen, ein Prinzip in einem Rechte zu finden, das in dieser Lehre keines hatte oder nicht mehr zu erforschen war." 9 Vgl. in diesem Abschnitt unter G. 10 Vgl. zu beiden Positionen Hupe, S. 49 ff., 12 f., 62; siehe auch schon Mittermaier bei Feuerbach, S. 566 Note I.; Temme, LB, S. 970.

1. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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deren Schutzverhältnisses, das zwischen einem Vollbürger (dem patronus) und einem beschränkt Rechtsfähigen vereinbart werden konnte. 11 Die fraus patroni ist eine betrugsähnliche Ausformung, da offenbar ein Vermögensschaden als Erfolg vorausgesetzt wurde, hat aber auch Elemente der Untreue. 12 Die herrschende Lehre will einen strikten Gegensatz zwischen der fraus patroni im Sinne von Betrug und den beiden anderen genannten Erscheinungsformen im Sinne von Fälschungsdelikten offenbar nicht anerkennen, wohingegen einige Autoren hier den eigentlichen Ursprung der Betrugsstrafbarkeit sehen wollen. 13 Der nächste größere Schritt war in der Zeit der römischen Republik um das Jahr 80 v. Chr. die Lex Comelia testamentaria nummaria (oder numeria), wo sich erstmals eine klare Umschreibung dessen findet, was als crirnina falsi zu bezeichnen ist. 14 Später bezeichnet man dieses- dann erweiterte -Gesetz auch als Lex ComeIia de falsis oder nur als Lex Comelia. 15 Enthalten waren ursprünglich die Testaments- und Münzfalschung sowie die Rechtspflegedelikte der aktiven und passiven Richter- und Zeugenbestechung. 16 Weitaus mehr Verhaltensweisen werden den crirnina falsi in der Kaiserzeit durch Erlasse und Auslegung zugeschlagen, die schon vorhandenen Anwendungsgebiete werden erweitert und neue kommen hinzu. Beispielhaft können aufgezählt werden: die Unterschlagung und Unterdrückung von Testamenten als Erweiterung, das Hinzukommen der allgemeinen Urkundenfalschung und -Unterschlagung und der Grenzverrückung, die Verfalschung von Edelmetallen als Erweiterung der Münzfälschung, das Hinzutreten von Unterstützungshandlungen und Nichtanzeigen als eigene Straftaten, die neue Pönalisierung der Maß- und Gewichtsfälschung sowie die Schaffung neuer Rechtspflegedelikte (Rechtsbeugung, Falschaussage et cetera). 17 Bemerkenswert im Sinne der Entwicklung des Betruges ist nun, daß auch Täuschungshandlungen allgemein (also ohne Vermögensschaden als Folge)- etwa die Vorspiegelung, öffentliche Ämter innezuhaben - sowie Fälle, die heute eindeutig dem Betrugstatbestand unterfielen, als crimina falsi beurteilt wurden. So etwa das Erschleichen begünstigender Verwaltungsakte und der mehrmalige Verkauf einer Sache, der, weil die Rechtsordnung keinen gutgläubigen Erwerb kannte, den letzten Käufer schädigte. 18 Eine dogmatische Begründung für die Einordnung dieser Hupe, S. 14 f.; vgl. auch Kausch, S. 5; Schlüchter; S. 574 f. Hupe, S. 15 f.; Schlüchter; S. 575. 13 Vgl. Hupe, S. 56 f. unter Berufung auf ältere Autoren; vgl. auch Schlüchter; S. 575. 14 Mittermaier in Feuerbach, S. 566 Note I.; Temme, LB, S. 969; Hupe, S. 17; Kausch, S. 6; Schlüchter; S. 576; Bettendorf, S. 24; vgl. auch Kempermann, ZStW 57 (1938), 126, 127. 15 Hupe, S. 17; Bettendorf, S. 24 f. 16 Hupe, S. 17 f.; Schaffstein, FS Wieacker, S. 281, 286; Schlüchter; S. 575 f. 17 Vgl. im einzelnen Temme, LB, S. 969 f.; Hupe, S. 18 ff.; Kausch, S. 6 ff.; Schlüchter; S. 575 f. 18 Hupe, S. 27 ff.; Kausch, S. 14; vgl. auch Hugo Meyer; LB, S. 579 mit FN 5. II

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3 Jänicke

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Erscheinungsformen in den Bereich des falsum läßt sich nicht finden, obwohl im 19. Jahrhundert im Rahmen der Bemühungen, Fälschung und Betrug aus römischrechtlichen Quellen zu entwickeln, lebhaft danach gesucht und darüber diskutiert wurde. Es wurde wohl das Strafbedürfnis gesehen, eine nur zivilrechtliche Ahndung genügte offenbar nicht. Ein anderer Tatbestand fehlte, der stellionatus existierte noch nicht, so daß man die Phänomene beim nächstgelegenen Tatbestand einordnete. 19 In diesen betrugsähnlichen Fällen lassen sich ein Täuschungselement und eine Vermögensbeschädigung als Gemeinsamkeit feststellen, selbst Vorsatz und Bereicherungsabsicht lassen sich herauslesen. 20 Ein allgemeiner Fälschungs- oder Betrugsbegriff ist indes aus der oben angedeuteten Liste nicht zu entnehmen, nicht einmal eine vollendete Täuschung wird stets vorausgesetzt. 21 Vielmehr liegt in der Aufnahme von im heutigen Sinne eindeutigen Betrugsfällen in den Bereich desfalsumdie Wurzel der Verquickung von falsum und stellionatus. Die soeben genannten Gemeinsamkeiten der dem falsum zugerechneten Betrugsfälle entsprechen den sogleich zu erläuternden Gemeinsamkeiten der ursprungliehen Fälle des stellionatus. 22 Ganz wesentlich für das Verständnis der besonderen Entwicklung des Prozeßbetruges erscheint eine weitere, aus der bisherigen Aufzählung nicht klar hervorgehende Tatsache. Schon die zuletzt genannte Gruppe von Betrügereien im Wirtschaftsverkehr, die wohl mangels anderer geeigneter Tatbestände im falsum erlaßt wurden, weist auf die Verknüpfung von Fälschung und Betrug im modernen Sinne hin. Noch viel deutlicher wird dies aber bei derjenigen Gruppe von crimina falsi, die Betriigereien mitbestrafen, die in Tateinheit mit einem Fälschungsdelikt auftreten, ohne daß die Betrugshandlung selbständig hervortritt: zum Beispiel der Urkunden- und Münzbetrug und eben auch der Prozeßbetrug. 23 Hier werden die gefälschten Gegenstände in Vorteilsabsicht zur Täuschung und Vermögensbeschädigung eingesetzt, was vom jeweiligen Fälschungstatbestand ohne weiteres mitbestraft wird. Dies bedeutet aber - auf den Prozeßbetrug gewendet - eine Einheit von Beweismittelfälschung und anschließender Verwendung des Beweismittels im Prozeß, also eine Straftat, die beide Elemente umfaßt. Letztlich dürfte hier die Quelle der bis ins 20. Jahrhundert reichenden Verbindung dieser beiden Handlungen durch die Rechtsprechung liegen, die einen Betrug im Prozeß nicht ohne Beweismittelmanipulation und den Einsatz des entsprechenden Beweismittels im Verfahren anerkennen wollte. Vgl. dazu Hupe, S. 28; Kausch, S. 12 f. Hupe, S. 29. 21 Mittermaier in Feuerbach, S. 566 Note 1.; Temme, LB, S. 970; Dohna, S. 480; Hupe, S. 30 f. und 33; Kausch, S. 12 und 13; vgl. auch Kempermann, ZStW 57 (1938), 126, 127 f. ; Foltis, S. 130. 22 V gl. unter III. 23 Vgl. dazu Hupe, S. 60 f. und Kausch, S. 11 f. 19

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l. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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Die Analyse der crimina falsi führt auch sogleich zu der argumentativen Grundlage- zumindest zu deren erstem Schritt-, mit der die Autoren des 19. Jahrhunderts ihre Ansicht zum Prozeßbetrug belegen: Die Analyse ergibt nämlich, daß es kein allgemeines Recht auf Wahrheit gibt, daß also die einfache Lüge nicht strafbar ist. 24 Hier liegt die Wurzel der Verquickung des Streites über die Strafbarkeit des Prozeßbetruges mit dem über die Existenz einer Wahrheitspflicht im Zivilprozeß, der bis zur Einführung des jetzigen § 138 I ZPO schwelte. Die Argumentation basiert im 19. Jahrhundert, wie noch zu zeigen sein wird, auf zwei aus der Analyse des römisch-rechtlichen falsum hervorgegangenen Gedanken: Die Lüge kann nur in zwei Fällen strafbar sein. Entweder wenn eine gesetzliche Wahrheitspflicht besteht - eine solche fehlt nach überwiegender Meinung im Zivilverfahren vor Einführung des heutigen § 138 I ZPO. Oder wenn ein über das sittliche - nicht rechtliche - Gebot nicht zu lügen hinausgehender Schaden verursacht wird. 25 Die erste Variante wird in dem Gedanken verwertet, es bestehe im Zivilverfahren mangels allgemeiner Wahrheitspflicht ein Recht zum wahrheitswidrigen Vortragen und Leugnen, um der Beweislast zum Durchbruch zu verhelfen. Diese Argumentation wird nicht konsequent und systematisch geltendgemacht Sie dürfte aber - negativ gewendet - letztlich die besondere Behandlung des Prozeßbetruges getragen haben. Etwa im Sinne eines Strafbarkeitshindernisses, das darin besteht, daß bei einer Betrugsstrafbarkeit für einfaches Parteivorbringen indirekt doch eine Wahrheitspflicht statuiert würde. 26 Bei der zweiten Linie - Verursachung eines Vermögensschadens im Sinne von § 263 StGB - setzt dann die von der Rechtsprechung herausgestellte und entsprechend diskutierte komplizierte Kausalitätsargumentation an, die wegen der angeblichen Pflichtwidrigkeit des Richters, der unbewiesenen Behauptungen Glauben schenkt, die Kausalität der Täuschung für den Schaden schlicht verneint.Z7

II. Die Bewältigung von anderen Betrugsfallen im heutigen Sinne vor Schaffung des stellionatus Die weite Fassung des Diebstahlstatbestandes (furtum) als Auffangtatbestand bis zur Kaiserzeit erlaubte die Ahndung von Betrugsfällen mit der actio furti, namentlich die unredliche Entgegennahme einer Leistung ohne entsprechenden Anspruch sowie die betrügerische Unterschiebung einer minderwertigen Pfandsache. 28 Neben den von furtum und falsum erfaßten Fällen gab es zunächst keine Betrugsahndung. Eine Ausnahme bildete die actio de dolo, eine (subsidiäre) außerordent24 25

Hupe, S. 31 f. unter Berufung auf die Autoren des 19. Jahrhunderts. Vgl. Hupe, S. 31.

Vgl. die zusammenfassende Bewertung im 5. Abschnitt. Vgl. im 3. und 4. Abschnitt die Ansicht des Preußischen Ober-Tribunals und des Reichsgerichtes sowie im 2. Abschnitt die der Literatur des 19. Jahrhunderts. 28 Hupe, S. 35 und 58 26

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

liehe zivilrechtliche Ergänzungsklage, die 66 v. Chr. als allgemeiner Rechtsbehelf gegen bewußte arglistige und betrügerische Vermögensbeschädigung aus einem Minderjährigenschutzgesetz29 hervorgegangen ist. Sie ermöglichte, neben der exceptio doli die Herausgabe des ertragenen Vorteiles beziehungsweise Schadensersatz zu verlangen. Hierunter fielen auch die betrügerische Prozeßführung und die Schädigung durch Falschaussagen bestochener Zeugen?0 Zunächst setzte diese Klage eine für einen Vermögensschaden kausale Täuschung sowie entsprechende Absicht voraus, bevor sie kurz nach der Zeitenwende zur allgemeinen Arglistklage-unabhängig von einer Täuschung- wurde? 1 In der friihen Form könnte in ihr ein erster selbständiger - zivilrechtlicher - Betrugstatbestand erblickt werden. 32 Sie weist auch Übereinstimmung mit der Struktur der oben dargestellten, vom falsum erfaßten Betrugskonstellationen auf, könnte jenen also als Vorbild gedient haben. 33

111. Der stellionatus Der stellionatus entstand um 200 n. Chr. als crimen extraordinarium, also ohne gesetzliche Grundlage im Wege der Rechtsfortbildung durch Wissenschaft und Rechtsprechung. 34 Die crimina extraordinaria entwickelten sich in der späteren Kaiserzeit als Reaktion auf Umwälzungen des wirtschaftlichen Lebens. Diese Umwälzungen brachten Erscheinungsformen betrügerischen Verhaltens hervor, die mit den starren Tatbeständen des falsum nicht erfaßt und auch nicht mit der zivilrechtliehen actio de dolo bekämpft werden konnten, deren Rechtsfolgen für eine wirksame Prävention nicht genügten. 35 Schon jener Charakter des stellionatus als "Auffangtatbestand" bedingt eine ungenaue Umschreibung der darunter zu fassenden Erscheinungsformen.36 Seine Hauptanwendungsfälle lagen anfangs im Rahmen der Pfanddelikte, aber auch im Kaufrecht sowie bei jeder sonst nicht tatbestandlieh erfaßten Arglist. Beispiele waren die Benachteiligung des Pfandgläubigers durch Verschweigen schon bestehender Rechte an der Sache, was wegen der Möglichkeit eines besitzlosen Pfandrechtes und infolge des fehlenden Rechtsinstituts des gutgläubigen Erwerbes 29

Lex Plaetoria de circumscriptione adolescentium etwa aus dem Jahre 192 vor Christus.

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Hupe, S. 36 ff.; Schlüchter, S. 576. Hupe, S. 39 f. und 59 f. Hupe, S. 59 f. Hupe, S. 62. Dohna, S. 480; Naucke, S. 63; Hupe, S. 40 f.; Reese, S. 4; Ellmer, S. 22; Schlüchter,

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s. 576.

Hupe, S. 40; Kausch, S. 19. Mittermaier in Feuerbach, S. 566 Note 1.; Michel, S. 2; Dohna, S. 480; Hupe, S. 41 ; Kausch, S. 19; Schaffstein, FS Wieacker, S. 281, 284; Ellmer, S. 23; Schlüchter, S. 576; vgl. auch Kempermann, ZStW 57 (1938), 126, 129. 35

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leicht möglich war, oder die Hingabe eines minderwertigen Pfandes. Im Kaufrecht ging es etwa um die zweimalige Entgegennahme einer nur einmal geschuldeten Leistung. Die sonstige Arglist meinte offenbar häufiger vorkommende Betrügereien, insbesondere den Besitzbetrug, also das Ableugnen des Besitzes gegenüber einem Herausgabeberechtigten. 37 Der eingangs erwähnte, in der rechtshistorischen Literatur vorhandene Streit über die Möglichkeit, allgemeine Begriffsmerkmale des Stellionatstatbestandes zu abstrahieren, soll hier nicht entschieden werden. Jedoch sind bei diesen friihen Beispielen einige Gemeinsamkeiten herausgreifbar, die in der Tat dem modernen Betrugstatbestand ähneln: Es geht in der Regel um eine Täuschung im weiteren Sinne, oft durch Verschweigen, die auch einen Irrtum begrundet oder aufrechterhält, ohne daß letzterer als Tatbestandsmerkmal genannt ist. Das so bewirkte Tun des Getäuschten ist nach heutigem Verständnis auch eine Vermögensverfügung, die in jedem der genannten Fälle zu einem Vermögensschaden führt. Ein - im einzelnen in der Ausdehnung unklarer - dolus wird ebenso erforderlich sein wie das Bereicherungsziel, das nicht erreicht werden muß?8 Eine Definition39 könnte etwa lauten: Stellionatus ist eine widerrechtliche, vorsätzliche Vermögensbeschädigung durch Täuschung in Bereicherungsabsicht, die nicht als crimen ordinarium strafbar ist.40 Dies legt als Vorbild die alte actio de dolo nahe.41 Es findet sich auch eine entsprechende Digestenstelle, die besagt, daß die Verfolgung des Stellionats unter den Verbrechen das sei, was unter den Privatklagen die Klage wegen Arglist ist. 42 Ob diese Definition als Abstraktion zu weit geht oder nicht, kann hier wie gesagt dahinstehen. Eine Grundlinie von Täuschung und Vermögensschaden, mithin eine entfernte Verwandtschaft mit dem heutigen Betrugsbegriff ist wohl sichtbar.43 Dies Vgl. im einzelnen Hupe, S. 42 ff. und 45 ff.; auch Kausch, S. 20. Näher dazu vgl. Hupe, S. 49 ff. 39 So Hupe, S. 54; Kausch, S. 20 f.; vgl. auch Temme, LB, S. 970; Reese, S. 3 und Schlüchter, S. 576; hinsichtlich der Vermögensbeschädigung auch Kempermann, ZStW 57 (1938), 126, 129. 40 Zur Frage, inwieweit nach herrschender Meinung dariiberhinaus eine besondere Arglist beziehungsweise eine besonders raffinierte Tauschung erforderlich war, insbesondere zur im 19. Jahrhundert so wichtigen Formel von der "magna et evidens calliditas", die die Entwicklung der heutigen Betrugsdogmatik erschwerte, vgl. Mittermaier in Feuerbach, S. 566 Note 1.; Mittermaier, GS 10 (1858), 122, 131; Ortloff, GS 12 (1860), 56, 71 ; Merket, S. lO unter Nr. 14; Liszt, 25. Aufl., S. 666; Ellmer, S. 23; zu den besagten Wirkungen siehe sogleich im Text; vgl. allgemein auch Goltdammer, GA 3 (1855), 605, 606. 41 Temme, LB, S. 970; Naucke, S. 63; Hupe, S. 62; Schlüchter, S. 576. 42 D. 47.20.3.1: ( ... ) quod enim in privatis iudiciis est de dolo actio, hoc in criminibus stellionatus persecutio ( . . . ). 43 Vgl. zum Beispiel Schaffstein, FS Wieacker, S. 281,283 und 285, der die Vermögensbeschädigung nicht als Merkmal des stellionatus anerkennen möchte. Er konzediert aber, daß die Verhaltensweisen heute als Vermögensdelikte strafbar wären. 37

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

ändert aber nichts an der Tatsache, daß die betrugsähnlichen Erscheinungen, die demfalsumzugeschlagen werden, dieselben Gemeinsamkeiten aufweisen. 44 Auffallend ist auch die Ähnlichkeit zweier genannter Erscheinungsformen des stellionatus (Unterschiebung eines minderwertigen Pfandes und zweimalige Entgegennahme einer Leistung) mit den Fällen, die früher unter das furtum gezogen wurden.45 Diese Gruppen schieden mit der Begrenzung des furtum auf echte Zueignungshandlungen aus diesem Deliktskreis aus. Dieser Befund verstärkt noch den Eindruck, daß eine lineare Zurückführung des modernen Betrugstatbestandes auf römische Begriffe unmöglich ist. Der Streit kann dahinstehen, unstreitig ist die nahezu unauflösliche Verschränkung der beiden Delikte (falsum und stellionatus), die später zusammenwachsen und ineinander aufgehen46 und die bis ins 19. Jahrhundert nicht voneinander gelöst werden. Mithin ist es weniger einer der römischen Begriffe, der direkt dem Betrug zugrundeliegt. Vielmehr ist es die Verquickung von römisch-rechtlichen Kategorien - namentlich die von falsum und stellionatus -, die den schwierigen Erkenntnisprozeß erklärt, der zu den modernen Tatbeständen führte: Es mußten Verhaltensweisen aus verschiedenen römisch-rechtlichen Kategorien herausgelöst und neuen Delikten zugeordnet werden, die sich vor allem am angegriffenen Rechtsgut orientierten, nämlich dem Betrug als Delikt gegen das Vermögen und der Urkundenfälschung, die sich gegen die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs wendet. 47 Diese Rechtsgutsorientierung ist den römischen Begriffen falsum und stellionatus nach wohl richtiger Ansicht und in Anbetracht der in der bisherigen Darstellung vorgestellten Beispiele für beide Deliktsgruppen nicht beizulegen; auch wenn die gemeinrechtliche Literatur zum Teil dem ersteren den Schutz des öffentlichen Glaubens und dem letzteren den der Privatsphäre zuordnen und damit ein dem modernen Verständnis entsprechendes systematisches Verhältnis zwischen den römischen Delikten herstellen wollte. 48 Die besondere Behandlung des Prozeßbetruges ist demnach eine Folge jener Verquickung der beiden Deliktsgruppen beziehungsweise deren noch nicht vollständig gelungener Trennung, sie ist also gewissermaßen eine Fortwirkung der historischen Verschränkung zwischen beiden. Daß diese Verschränkung zwischen Stellionat und Falsum einmal existierte, mag den Ursprung der langanhaltenden Zusammenschau von Fälschung und Betrug im modernen Sinne bilden. Ihre bloße Feststellung erklärt aber noch nicht die außerordentliche Haltbarkeit dieser Sicht44 Vgl. Dohna, S. 480, der von einem unvermeidlichen Übergreifen des stellionatus in Regionen spricht, die bis dahin dem falsum zugehörten. 45 Vgl. oben unter A.II. 46 So auch Hupe, S. 56; Reese, S. 4. 47 Herrschende Meinung, vgl. nur Tröndle/Fischer-Fischer, § 263 Rnr I a), § 267 Rnr 1; Bettendorf, S. 43 ff. 48 Hupe, S. 33 Nr. 5; vgl. auch Kausch, S. 21, der diese Ansicht teilt, was seinem Befund von S. 12 f. und 14 f. zu widersprechen scheint, sowie Schlüchter, S. 576 f.

1. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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weise, die letztlich sogar noch den heutigen Standort der Fälschungsdelikte im StGB erklären dürfte. 49 Man hätte mit der Zuordnung von verschiedenen geschützten Rechtsgütern zu den Verhaltensweisen im Laufe des 19. Jahrhunderts davon ausgehen können, daß die historische Verbindung zwischen Fälschung und Betrug gänzlich aufgelöst wird. Daß dies nicht der Fall war, erklärt sich aus einem bislang unerörterten Umstand: Nach überwiegender Ansicht läßt sich aus der geschilderten Vorbildfunktion der actio de dolo für den stellionatus ein zusätzliches Tatbestandserfordernis herleiten. Es soll eine qualifizierte Täuschungshandlung erforderlich sein, etwa in dem Sinne, daß die Täuschung mit besonderem Raffinement ins Werk gesetzt worden sein muß. In der Regel wurde insoweit auf die lateinische Formulierung "magna et evidens calliditas" zurückgegriffen.50 Zum Beleg konnten folgende Digestenstellen herangezogen werden51 : • D. 2.14.7.9: Dolo malo ait praetor pactum se non servaturum. dolus malusfit

calliditate et fallacia ( . .. ). - Eine arglistig getroffene Vereinbarung, sagt der Prätor, werde er nicht anerkennen. Arglist geschieht durch Hinterlist und Uiuschung. ( . .. ).

• D. 4.3.1.3: Non fuit autem contentus praetor dolum dicere, sed adiecit malum

( ... ). -Der Prätor hat sich aber nicht damit begnügt, von List zu sprechen, sondern hat das Wort "arg" hinzugefügt ( ... ).

• D. 4.3.7.10: ( . .. ): nam nisi ex magna et evidenti calliditate non debet de dolo

actio dari. -Denn nur bei großer und offensichtlicher Hinterlist darf die Klage wegen Arglist erteilt werden.

Daraus ergibt sich, daß neben dem von vornherein objektiven Ansatz über die Qualifikation der Täuschung auch der Weg über das Erfordernis einer besonderen Arglist beim Täter offenstand. Ansatzpunkt war dann der lateinische Begriff "dolus malus", unter dem man neben Vorsatz auch Arglist verstand. Diese ließ man in eine objektive und eine subjektive Komponente zerfallen. Die objektive bedeutete wiederum das gewisse Maß an Raffiniertheit, mit der der Täter zu Werke gegangen sein mußte. 52 Diese Konstruktionen führten mithin zu dem Gedanken, eine einfache Täuschung, die den Erfolg vermeidbar erscheinen ließ, nicht genügen zu lassen. Die Formulierung beinhaltet schon die beiden denkbaren Ausformungen dieses Ansatzes, die sich gewissermaßen als zwei Seiten derselben Medaille zeigen: Die (objektive) Qualifikation der Täuschung und das (subjektive) Mitverschulden des OpKausch, S. 149 FN 6, S. 208 f.; Bettendorf, S. 44 FN 75. Vgl. Ellmer, S. 23; Kurth, S. 14 FN 4; Liszt, 25. Aufl., S. 666; Merkel, S. 10 unter Nr. 14; Merke/, S. 312, wo er dieses gesetzliche Merkmal auf die römisch-rechtliche Formulierung zurückführt; Mittermaier in Feuerbach, S. 566 Note I.; Mittermaier, OS 10 (1858), 122, 131; Ortloff, GS 12 (1860), 56, 71. 51 Die Zitate und Übersetzungen sind Behrends I Knütel I Kupisch I Seiler entnommen. 52 Ellmer, S. 74 f. 49

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

fers, das die deutsche Rechtsprechung bis 1933 im Gewande der angeblichen Pflichtverletzung des Richters, der unbewiesenem Vorbringen glaubt, ins Feld führte. Diese Sichtweise des Stellionats dürfte auch die Wurzel für die bis heute nicht verstummte Diskussion bilden, inwieweit ein Opfermitverschulden bei der Betrugsstrafbarkeit eine Rolle spielt. Namentlich ob die Tatsache, daß sich ein Opfer leichtfertig oder in öffentlichen Ämtern gar pflichtwidrig hat täuschen lassen, auf der Tatbestands- oder wenigstens auf der Rechtsfolgenseite berücksichtigt werden soll. Die Stellungnahme der heutigen Literatur zu solchen Fragen soll im 2. Teil die Ausgangsbasis für die Lösung der interessierenden Fallgruppen auf dem Boden der gegenwärtigen Dogmatik bilden. Unbedenklich war der Weg über die Arglist übrigens schon nach römischem Recht nicht, da der dolus malus durchaus als Schutz auch und gerade für geistig weniger Bemittelte gedacht war. 53 Ein gewisser Konflikt mit dem Gedanken der "magna et evidens calliditas", die gegenüber geistig Schwachen gerade nicht gebraucht wird, war also denkbar. Zumindest aber erscheint eine allzu gradlinige Zurückführung der Berücksichtigung der Opfermitverantwortung auf römische Quellen nicht unbedenklich. Damit wird auch deutlich, warum dieses Erfordernis einer qualifizierten Täuschung (oder- als subjektives Spiegelbild- eines nicht zu großen Mitverschuldeus des Opfers) zur Perpetuierung der Verschränkung von Betrug und Fälschung beitrug. Denn was könnte die Täuschung eindeutiger qualifizieren als eine zu ihrer Unterstützung begangene Fälschung und damit dem Erfordernis der "magna et evidens calliditas" Rechnung tragen? Die deutsche Rechtsprechung zum Prozeßbetrug bis 1933 kann als letzte Reminiszenz dieses Gedankens angesehen werden. Sie bestrafte erst dann aus Betrug, wenn manipulierte (oder sonst materiell unrichtige) Beweise zugunsten des unwahren Vorbeingens erhoben worden waren. Der Weg in die völlige Gleichsetzung von falsum und stellionatus und die schwerfällige Trennung in die modernen Betrugs- und Fälschungstatbestände war also nicht nur durch die beschriebene Überschneidung der römisch-rechtlichen Institute vorgezeichnet, sondern auch ganz wesentlich durch das dem stellionatus unterstellte Erfordernis einer qualifizierten Täuschung. IV. Zusammenfassung

Es konnten damit bereits im römischen Recht mehrere Anhaltspunkte gefunden werden, die den Ursprung der besonderen Behandlung des Prozeßbetruges (im Zivilverfahren) bis in unser Jahrhundert bilden dürften: 53

Vgl. Ellmer; S. 75 mit der entsprechenden Digestenstelle.

1. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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• Das römische Recht kannte zivil- und verfahrensrechtliche Folgen für falsche Angaben im Prozeß, die den Schluß ermöglichten, daß eine strafrechtliche Verfolgung nicht erforderlich, nicht gewollt oder gar unzulässig war. Dies könnte der eigentliche Ausgangspunkt einer strafrechtlichen Privilegierung der Tauschung im Verfahren sein. • Das römisch-rechtliche falsum und der römisch-rechtliche stellionatus erfaßten von Beginn ihrer unsystematischen Entstehung an vergleichbare Lebenssachverhalte, die heute dem Betrug unterfielen. Dies ermöglichte zunächst das vollständige Ineinanderaufgehen der Begriffe gegen Ende der gemeinen Strafrechtsdoktrin in Deutschland und erschwerte dem 19. Jahrhundert die Trennung in die modernen Fälschungs- und Betrugstatbestände. • Schon im römischen Recht wurden Lebenssachverhalte als einheitliches Delikt unter dem Begriff des falsum erfaßt, die sowohl eine Betrugskomponente als auch einen Fälschungsanteil enthielten, also durch Fälschungen qualifizierte Täuschungen. Das römische Recht verband also nicht nur seine eigenen Begriffe stellionatus und falsum durch geringe Trennschärfe im Sinne der beschriebenen Überlappung der erfaßten Lebenssachverhalte. Auch die modernen Kategorien Fälschung und Betrug wurden durch solche als ein Delikt erfaßte zweiaktige Lebenssachverhalte zu einer Einheit. Dieser Umstand bildet gewissermaßen die zweite Dimension der erschwerten Trennung der modernen Begriffe im 19. Jahrhundert. Nicht nur, daß die römisch-rechtlichen Kategorien stellionatus und falsum, auf die man Betrug und Fälschung gerne zurückgeführt hätte, diese Trennung richtigerweise nicht leisten konnten. Auch wenn man sich auf eine davon unabhängige, neue und rechtsgutsorientierte Einteilung verständigte, stellte sich heraus, daß das römische Recht beide neuen Komponenten - Fälschung und Betrug - als ein Delikt erfaßt hatte. In diesen Kombinationsdelikten findet sich schließlich auch die aus der besonderen Behandlung des Prozeßbetruges bekannte Trennungslinie zwischen einfacher und durch Fälschung qualifizierter Täuschung angelegt. • Daß diese Scheidelinie so bedeutsam wurde und sich für den Prozeßbetrug bis ins 20. Jahrhundert halten konnte, erklärt sich ebenfalls schon aus dem römischen Recht: Nach überwiegender Meinung erforderte der der actio de dolo nachgebildete stellionatus eine besonders raffinierte, also irgendwie qualifizierte Täuschung. Als man im 19. Jahrhundert bemüht war, einen durch römisch-rechtliche Vorbilder legitimierten Betrugstatbestand zu entwickeln, besann man sich auf dieses Erfordernis. Das französische Recht entschied sich für feststehende "manreuvres frauduleuses", in deutschsprachigen Kodifikationen finden sich Begriffe wie Arglist. 54 Kaum hatte man den Betrug also in der Sache von römisch-rechtlichen Vorbildern und dogmatischen Unklarheiten gelöst, verband er sich doch wieder mit der Fälschung. Denn nichts konnte die Täuschung eindeutiger in diesem Sinne qualifizieren als die zu ihrer Unterstützung begangene Fäl54

Vgl. dazu in den folgenden Abschnitten.

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l. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

schung. Die - ursprünglich als falsum erfaßte - Kombination von Täuschung und Fälschung wird damit zu einer Voraussetzung der Betrugsstrafbarkeit. Das im stellionatus nach überwiegender Ansicht angelegte Erfordernis einer besonders raffinierten Täuschung zementiert mithin die Verbindung von Fälschung und Betrug und damit auch die im Rahmen des Prozeßbetruges besonders langlebige Scheidelinie zwischen einfacher und durch Fälschung qualifizierter Täuschung. • Schließlich konnten bereits Anhaltspunkte für die im 19. Jahrhundert bedeutsam werdende Frage nach der Verletzung einer Wahrheitspflicht sowie für die bis heute diskutierte Problematik der Berücksichtigung eines (Mit)Verschuldens des Opfers gefunden werden. Die damit angedeuteten Entwicklungen (und damit auch ihre historischen Ursprünge) zu belegen und weiterzuverfolgen, ist das Ziel der folgenden Abschnitte.

B. Die germanischen Volksrechte Die Behandlung der Fälschungs- und der Betrugsdelikte in den germanischen Volksrechten erscheint wenig geklärt.55 Auch suchte das 19. Jahrhundert, das den modernen Betrugsbegriff und die besondere Behandlung des Prozeßbetruges hervorgebracht hat, nach einer Verwurzelung im römischen Recht, 56 so daß erst die Entwicklung ab dessen Rezeption wieder von größerem Interesse ist. Eine umfassende Darstellung verbietet sich ohnehin aus Raumgründen. Festzuhalten sind allerdings einige gesicherte Aspekte, die die im römischen Recht angelegten Entwicklungslinien fortführen: So ensteht in der Lex Romana Visigothorum mit dem Begriff "fraus" ein dem heutigen Betrugstatbestand ähnliches Delikt. Zugleich verstärkt sich eine beim falsum des römischen Rechtes schon angedeutete Tendenz: Betrugsfalle werden überwiegend auf Fälschungsdelikte bezogen, bilden mit diesen also als Fälschungsbetrug eine Einheit, wie später der Prozeßbetrug mit der Herstellung und Einführung manipulierter Beweismittel in das Verfahren. 57 Diese Tendenz setzt sich in der Lex Visigothorum fort58 und ist in Ansätzen auch in den Leges Langobardorum festzustellen, die ebenfalls eine Verschmelzung von Fälschungsdelikten und Betrug zu einer Rechtsfigur kennen. 59 Auch die Lex Romana Raetica Curiensis geht diesen Weg. Hier werden Rechtspflegedelikte, Urkundenfälschung und Betrug zum Prozeßbetrug und Urkundenbetrug zusammengefaßt. 60 Die oben 55 56 57

58 59

Hupe, S. 63 f. und vor allem S. 67 f.; Schlüchter, S. 577 II. Hupe, S. 4. Zu beidem vgl. Hupe, S. 75 f. und S. 77 Nr. 3; Kausch, S. 35. Hupe, S. 84 ff. und 88 ff.; Schlüchter, S. 579 mit FN 55. Hupe, S. 105.

1. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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angedeutete Relevanz dieser schon beim römischenfalsumerkennbaren Entwicklung für die spätere Behandlung des Prozeßbetruges wird dadurch besonders augenfallig. Es läßt sich aus diesen Einzelbeobachtungen eine Tendenz feststellen, das Tatbestandsmerkmal des Vermögensschadens in die Fälschungsdelikte aufzunehmen und somit - aus moderner Sicht - qualifizierte Betrugstatbestände zu schaffen, die Fälschung und Betrug vereinen und als Fälschungsbetrug bezeichnet werden können.61 Es handelt sich quasi um eine Auflösung des Betruges in der Fälschung, nur zum Teil lassen sich unter den Begriffen "dolus malus" und "fraus" strukturelle Gemeinsamkeiten erkennen, die dem modernen Betrug ähneln. 62 Im Gegenzug verschwindet die Bezeichnung "stellionatus", die im falsum und stellionatus sonst erfaßten Betrugskonstellationen werden nur noch - unsystematisch - zivilrechtlich geahndet. 63 Besonders anschaulich im hier interessierenden Zusammenhang ist der "dolus malus" der Lex Romana Raetica Curiensis. Dort wird eine qualifizierte Täuschung verlangt, die zum Vermögensschaden führt. Die Qualifikation kann in einer Zeugenaussage oder dem Gebrauch einer falschen Urkunde bestehen. Es handelt sich also genau um die Voraussetzungen, die die Rechtsprechung bis in die 30er Jahre unseres Jahrhunderts für einen Prozeßbetrug verlangte.

C. Die Doktrin des italienischen Mittelalters Fortentwicklung des römischen Rechtes An der Wende zum 12. Jahrhundert begann in Norditalien ausgehend von Bologna das Studium und in der Folge die Rezeption des römischen Rechtes anband des Corpus iuris civilis Justinians und damit die Anpassung und Verwandlung des römischen Rechtes, mithin seine Fortentwicklung.64 Die Art des Studiums bedeutete eine Besinnung auf römische Rationalität. Es stellte nicht auf die Erschöpfung des Stoffes, sondern auf das Erlernen eines methodischen Vorgehens ab, das in der fachmännischen Auslegung bestand. Die Autorität und Wahrheit der vorgefundenen Digesten selbst wurden indes nicht Gegenstand kritischen Hinterfragens, sie wurden vielmehr als gegeben vorausgesetzt. Die Texte waren nur auf dieser Basis Gegenstand rationeller Erwägungen. 65 Hupe, S. 122 f. Nr. 2. Vgl. dazu Köstlin, S. 129; Hupe, S. 124 f.; Schlüchter; S. 578. 62 Vgl. Hupe, S. 125-129. 63 Hupe, S. 125 f. 64 Vgl. nur Ebel/Thielmann, Rnr 263 ff.; Gmür/Roth, Rnr 126 ff. ; Hattenhauer, S. 248 ff.; Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen, S. 24. 65 Vgl. Gmür/Roth, Rnr 129; Hattenhauer; S. 252,254 f . 60 61

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l. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

In Deutschland wurde später das römische Recht in der Gestalt rezipiert, die ihm die italienische Doktrin gegeben hatte. 66 Diese Doktrin des italienischen Mittelalters bildet mithin die Basis des gemeinen deutschen Strafrechtes. Am Endpunkt seiner Entwicklung nehmen die Autoren des 19. Jahrhunderts die Auseinandersetzung um das Verhältnis vonfalsumund stellionatus wieder auf. 67 Auch hier ist eine umfassende Darstellung weder möglich noch dienlich. Herausgegriffen werden sollen wiederum Grundlinien, die bisher schon dargestellte Tendenzen fortführen und zur Erklärung der hier interessierenden Behandlung des Prozeßbetruges dienlich sein können. Zentrale Bedeutung erfuhr eine Stelle aus den Sententiae des Paulus: Pauli Sententiae 5.25.3: Falsum est quidquid in veritate non est, sed pro vero adseveratur. 68 Dieser Ausspruch von Paulus ist nach heute einhelliger Ansicht untechnisch gemeint. Er sollte im Sinne einer Worterklärung erläutern, wann etwas falsch oder gefälscht sei. Nämlich dann, wenn es in Wahrheit nicht so ist, aber als wahr versichert wird. Keinesfalls sollte er eine Deliktsgruppe charakterisieren oder einen Tatbestand darstellen. 69 Dennoch wurde er von Azo in diesem Sinne technisch verstanden und übernommen. Auf seiner Grundlage entstand damit - wohl einem der neuen Art des Studiums entspringenden Systematisierungsbestreben folgend- erstmals eine einheitliche Lehre vom crimen falsi. Es existierte also nun ein einheitlicher Oberbegriff für die crimina falsi, die damit zu einem einzigen Delikt werden, eben dem crimen falsi. 70 Diese Auffassung mit der grundlegenden Anknüpfung an die Wahrheitsentstellung ("immutatio veritatis") wirkte bis ins 19. Jahrhundert fort. Hinzu trat aber ein weiteres Merkmal: Schon bei dem Glossator Albertus Gandinus findet sich die Tendenz, bei fehlendem Schaden nicht zu bestrafen. 71 Ebenso bei den Postglossatoren: Bartolus de Saxoferrato läßt ebenfalls bei fehlendem Schaden die Falsum-Strafe entfallen, Angelus Aretinus erklärt den Schaden zur Strafbarkeitsvoraussetzung beim falsum und Angelus de Ubaldis nimmt das Merkmal Vermögensschaden in den Falsum-Begriff auf.72 Eine Entwicklung, die in den Practica Criminalis des Julius Clarus endet, der jede vermögensschädigende arglistige Täuschungshandlung als falsum bezeichnet. 73 Schaffstein, Die allgerneinen Lehren vorn Verbrechen, S. 24. Hupe, S. 176 f.; Kausch, S. 26. 68 Das Zitat stammt aus: Pauli Sententiae, Testo e interpretatio, a cura di Maria Bianchi Fossati Vanzetti, Padua 1995. 69 Hupe, S. 133; Kausch, S. 4 f.; Schaffstein, FS Wieacker, S. 281, 286; Schaffstein, Studien, S. !53; Schaffstein, Abhandlungen, S. 99. 70 Hupe, S. 177; Schlüchter, S. 579 f. 71 Hupe, S. 133 f. 72 Hupe, S. 134 ff. 66

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l. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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Dies ist also der objektive Begriff des Falsum, den das italienische Mittelalter hinterläßt: Die Veränderung der Wahrheit zum Nachteil eines andern - immutatio veritatis in praeiudicium alterius facta. 74 Damit wird das Betrugsmerkmal Vermögensschaden zu einem Teil des FalsumBegriffes.75 Fälschung und Betrug sind darin weder begrifflich noch nach der Allgriffsrichtung trennbar. Sie bilden ein einheitliches Rechtsinstitut76, das ohne weiteres auch den Prozeßbetrug erfaßt, allerdings wohl nur, wenn er mit Hilfe eines manipulierten Beweismittels durchgeführt wird. 77 Dieses Ergebnis - das crimen falsi - ist weiter als der moderne Betrugstatbestand, da es jede arglistige Vermögensschädigung erfaßt und dem modernen Betrug als Vermögensverschiebungsdelikt nicht entspricht. Gleichzeitig ist es aber enger als die modernen Fälschungsdelikte, da es einen Vermögensschaden voraussetzt. 78 Die Leichtgläubigkeit des Opfers und damit indirekt die Vermeidbarkeit des Irrtums, also die Durchschaubarkeil der Lüge spielen in dieser Zeit keine Rolle. 79 Der stellionatus als Auffangtatbestand verliert entsprechend der weitgehenden Erfassung von Betrugskonstellationen durch das crimen falsi an Bedeutung,80 zumal auch im italienischen Mittelalter eventuell vom falsum nicht erfaßte Betrugskonstellationen vom Diebstahlstatbestand aufgefangen werden konnten.s' Der Anwendungsbereich des stellionatus bleibt nach Ansicht der Mehrzahl der Juristen auf die verbliebenen in den römischen Quellen genannten Beispiele beschränkt.82 Damit entfallt auch die Chance, mit dem stellionatus ein im Ursprung dem modernen Betrug ähnelndes Delikt dogmatisch zu festigen und fortzuentwickeln. Was sich durchsetzt, ist vielmehr die Vermengung von Fälschung und Betrug im geschilderten Sinne,83 die letztlich dadurch möglich wurde, daß die Doktrin als übergeordnetes Merkmal der crimina falsi die Wahrheitsentstellung ansah, die auch den im römischen Recht vom stellionatus erfaßten Fällen eigen ist. 84 Hupe, S. 136 und Kausch, S. 34. Vgl. zur Formulierung Schaffstein, FS Wieacker, S. 281, 286 unter III.; Schilling, S. 38. 75 Kritisch zu dieser Sichtweise Schilling, S. 37- 39; Schlüchter; S. 580. 76 V gl. auch Hupe, S. 145 I. und 177: "( ... ) zu einer vagen Deliktsfigur zusammengewachsen ( ... )"; Kausch, S. 28 f. und 34: "( ... )Unterschied ( ... ) vollständig verwischt". 77 Vgl. etwa Hupe, S. 155 oder Kausch, S. 31 FN 2. 78 Hupe, S. 178 f. 79 Kausch, S. 110. 80 Kempennann, ZStW 57 (1938), 126, 131. 81 Hupe, S. 158 ff. und 167 f. Im einzelnen blieb dies str., vgl. hierzu auch Kausch, S. 29 FNl. 82 Hupe, S. 160 f. und 163 ff.; Schaffstein, FS Wieacker, S. 281 , 286. 83 V gl. dazu auch Hupe, S. 161: Tiberius Decianus will sogar die verbliebenen Fälle des stellionatus nur bestrafen, wenn sie als falsitas auftreten. 84 Hupe, S. 174; Schlüchter; S. 581 f. 73

74

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Diese Entwicklung führt unweigerlich zum nächsten Schritt, der vollkommenen Gleichsetzung von falsumund stellionatus. Angelegt ist dies also schon im italienischen Mittelalter, vor allem dadurch, daß der stellionatus so eng als subsidiärer Tatbestand zu dem weiten, in den Mittelpunkt gerückten falsum verstanden wird und nur eingreift, wenn aus formalen Gründen eine Fälschungsstrafbarkeit entfallt. Dies führt dazu, daß der stellionatus als Quasi-falsum eingesetzt wird, und begründet letztlich den allmählich einsetzenden synonymen Gebrauch beider Begriffe. 85 Die zentrale Rolle der Wahrheitsentstellung für das auf der Basis der PaulusStelle neu entwickelte crimen falsi erklärt verstärkt den auch dem römischen Recht schon entnehmbaren Gedanken des 19. Jahrhunderts, daß durch die Tat ein Recht auf Wahrheit verletzt wird, dessen Existenz dann auch Voraussetzung für die Verwirklichung des Deliktes sein muß. Auch dieser Ansatz wird in der Auseinandersetzung um die besondere Behandlung des Prozeßbetruges in Deutschland zumindest bis 1933 fortgeführt, indem diese Diskussion mit dem Streit um die Existenz einer Wahrheitspflicht im Zivilprozeß verknüpft wird. Die fehlende Wahrheitspflicht als Hindernis für die Betrugsstrafbarkeit wird also noch zu einer Zeit ins Feld geführt, als das Recht auf Wahrheit als Schutzgut des Betruges längst nicht mehr diskutiert wird. Dies ist eine Reminiszenz der zentralen Bedeutung der Wahrheitsentstellung spätestens seit dem italienischen Mittelalter und der entsprechenden Erwägungen zum Schutzgut des Betruges im 19. Jahrhundert. Dieser Aspekt kann sogar aus heutiger Sicht im Rahmen normativer Erwägungen fruchtbar gemacht werden, wie sich im 3. Teil herausstellen wird.

D. Das deutsche Recht nach der Rezeption I. Das "valsch" In Deutschland erfolgte die Rezeption des römischen Rechtes in der Gestalt, die ihm das italienische Recht inzwischen gegeben hatte,86 in stärkerem Maße erst mit der Gründung von Rechtsfakultäten im 14. Jahrhundert und deren intensiverer Beschäftigung mit dem Zivilrecht ab Mitte des 15. Jahrhunderts sowie schließlich mit der Schaffung der Reichskarnmergerichtsordnung. 87 Das späte Mittelalter in Deutschland rezipiert das römisch-rechtliche falsum als "valsch", also Falsch. 88 Eine dogmatisch exakte Bezeichnung ist dies nicht. Vielmehr werden allerlei Phänomene darunter gefaßt, die mit Wahrheitsentstellungen zu tun haben. 89 Dennoch sehen einige Autoren hier eine gewisse Abgrenzung zwi85 86 87

88 89

Hupe, S. 180. Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen, S. 24. Ebel/Thielmann, Rnr 280 ff.; Gmür/Roth, Rnr 135,296. Kausch, S. 39. Kausch, S. 39.

I. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

47

sehen Fälschung und Betrug. Die betrügerische Verwendung des gefalschten Gegenstandes werde tendenziell getrennt vom Fälschungsakt, der sich gegen den öffentlichen Treu und Glauben richte, also als eigenständiger Angriff gegen das private Vermögen verstanden. Dies istjedoch selbst im 19. Jahrhundert umstritten. 90 Letztlich ist eine Systematisierung wohl kaum möglich, da alle in Frage stehenden Verhaltensweisen teils als ,.valsch", teils mit Begriffen bezeichnet werden, die etymologisch dem Wort ,.Betrug" zugrundeliegen. 91 Dennoch wird an der Behauptung einer Abgrenzungsleistung des deutschen Spätmittelalters teilweise festgehalten.92 II. Die Constitutio Criminalis Carolina Die Constitutio Criminalis Carolina93 fußt auf der Bambergiensis von 1507. Inwieweit letztere in Verbindung zur Nürnberger und Wormser Reformation (1479 und 1496) und zum Klagspiegel vom Ende des 15. Jahrhunderts steht, ist umstritten und kann hier dahinstehen.94 Der Einfluß des römischen Rechtes und der italienischen Doktrin ist jedenfalls vorhanden, auch wenn altdeutsche Gewohnheit und lokale Satzung berücksichtigt wurden. 95 Ein abstrakter Begriff des Falsum wird nicht bestimmt, vielmehr werden einzelne Tatbestände normiert. Es sind die Artikel 136- 140 der Bambergiensis, die den Arikeln 111- 115 C.C.C. zugrundeliegen, 96 welche die Münz-, Urkunden-, Maß- und Gewichtsfälschung, die Grenzverriickung und die Prävarikation enthalten97: Art. 111 C.C.C.: Straff der müntl,{elscher vnd auch dero so on habend freiheyt müntzen

lll. Jtem inn dreierlei weiß würd die müntz gefelscht, Erstlieh wann eyner betrieglicher weiß eyns andem zeichen darauff schlecht, Zum andem wann eyner vnrecht metall darzu setzt, Zum dritten, so eyner der müntz jre rechte schwere geuerlich benimbt, solche müntzfelscher sollen nachuolgender massen gestrafft werden, Nernlich welche falsch müntz machen, zeichen, oder die selbigen falsch müntz ausswechßlet oder sunst zu sich bringt, vnnd widerumb geuerlich vnd boßhafftiglich dem nechsten zu nachtheyl wissentlich außgibt, die sollen nach gewonheyt auch satzung der recht mit dem fewer vom leben zum todt gestrafft werden, die jre heuser darzu wissentlich leihen, die selben heuser sollen sie da mit verwürckt haben. Welcher aber der müntz jre rechte schwere, geuerlicher weiß benimbt, 90

91 92 93

94 95

96 97

Vgl. Kausch, S. 40 mit FN 5. Kausch, S. 41; Reese, S. 4 f. Kausch, S. 42. Die Peinliche Gerichtsordnung Karls V. von 1532. Vgl. dazu Kausch, S. 43 ff. Schaffstein, ZStW 52 (1932), 781 , 783; Kausch, S. 46. Kausch, S. 46. Temme, LB, S. 972; Kausch, S. 48 f.; Foltis, S. 129.

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l. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen oder auch on habende freiheyt müntzte, der soll gefengklich eingelegt vnd nach radt an Ieib oder gut, nach gestalt der sachen gestrafft werden, Wo aber jrgent eyner eyns andern müntz vmbreget, oder widerumb inn tiegel bregt vnd geringe müntz darauß mecht, der soll am Ieib oder gut nach gestalt der sachen, gestrafft werden, So aber mit der herrschafft willen vnnd wissen solchs geschehe, so soll die selbig herrschafft sein müntz freyheit verwürckt vnd verloren haben. Art. 112 C.C.C.: Straff der jhenen so falsch sieget, brieff, vrbar, renth oder zinßbücher oderregistermachen 112. Jtem welche falsch siegel, brieff, instrument, vrbar, renth oder zinßbücher, oder register machen, die sollen an Ieib und leben, nach dem die felschung vil oder wenig boßhafftig vnd schedlich geschieht, nach radt der rechtuerstendigen, oder sunst als zu ende diser ordnung vermeldet, peinlich gestrafft werden. Art. 113 C.C.C.: Straff der jätscher mit maß, wag vnnd l«luffmannschafft 113. Jtem welcher böSlicher vnnd geuerlicher weiß, maß, wag, gewicht, specerey oder ander kauffmannschafft felscht, vnd die für gerecht gebraucht vnd auSgibt, der soll zu peinlicher straff angenommen, jm das land verbotten, oder an seinem Ieib als mit ruten außhawen oder dergleichen, nach gelegenheyt vnd gestalt der überfarung, gestrafft werden, vnnd es möcht solcher falsch als offt gröBlich vnd boßhafftig geschehen, daß der thätter zum todt gestrafft werden soll, alles nach radt wie zu ende diser vnser ordnung vermeldet. Art. 114 C.C.C.: Straff der jhenen felschiich vnd betrieglich vndermarckung, reynung, mal, oder marcksteyn verrucken 114. Jtem welcher böSlicher vnd geuerlicher weiß, eyn vndermarckung, reynung, mal oder marcksteyn verruckt abhawet, abthut, oder verendert, der soll darumb peinlich am Ieib nach geuerlicheyt groß gestalt vnnd gelegenheyt der sachen vnd der person, nach radt gestrafft werden. Art. 115 C.C.C.: Straff der procurator so jren partheien zu nachtheyl geuerlicher fürsetzlieher weiß den widertheylen zu gut handeln 115. Jtem so eyn procurator fürsetzlieber geuerlicher weiß seiner parthei, inn burgerliehen oder peinlichen sachen zu nachtheyl, vnd dem widertheyl zu gut handelte, vnd solcher übelthat überwunden würd, der soll zuvörderst seinem theyl, nach allem vermögen seinen schaden so er solcher sachen halb entpfecht, widerlegen, vnnd darzu inn pranger oder halBeisen gestelt, mit ruten außgehawen, des Iands verbotten, oder sunst nach gelegenheyt der mißhandlung inn andere weg gestrafft werden. 98

Ob dies insgesamt ein Fortschritt, eine anerkennenswerte Leistung oder ein Rückschritt gegenüber der italienischen Doktrin ist, wird unterschiedlich beurteilt. 99 98 Die Zitate stammen aus dem Textbuch zur Strafrechtsgeschichte der Neuzeit von Arno Buschmann, München 1998. 99 V gl. Schaffstein, ZStW 52 ( 1932), 781, 795: "( . . . ) den uferlosen Begriff des falsum nicht übernommen ( .. . )"; Schaffstein, Abhandlungen, S 99: ,Zeichen bemerkenswerter ge-

1. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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Der Stellionat als Auffangtatbestand ist unbekannt. 100 Eine Trennung zwischen Fälschungs- und Vermögensstraftaten fehlt, Fälschung und Betrug sind miteinander verschmolzen. 101 Wie aus diesem Befund "Ansätze zu einer Abgrenzung zwischen Fälschung und Betrug" entnommen werden sollen, 102 bleibt unklar. So enthält der Münzfalschungstatbestand (Art. lll C.C.C.) auch das Ausgeben zum Nachteil eines anderen, 103 soll aber dennoch nicht Vermögens-, sondern allein Fälschungsdelikt sein, was streitig bleibt. 104 Richtigerweise wird man wohl mit Hupe von der Verschmelzung beider Delikte ausgehen und eine eindeutige Zuordnung der einzelnen Tatbestände zu einem von ihnen ablehnen müssen. Auch die Urkundenfälschung (Art. ll2 C.C.C.) berücksichtigt zumindest bei der Strafzumessung den verursachten Schaden. 105 Hinsichtlich des Artikels ll3 C.C.C. ist bis ins 19. Jahrhundert umstritten, ob für die Vollendung nur die Fälschung, auch der Gebrauch oder sogar ein Schaden beziehungsweise Vorteil erforderlich ist und ob aus dem jeweiligen Befund Rückschlüsse auf die anderen Fälschungsdelikte zu ziehen sind. 106 Letztlich kann dies dahinstehen. Hier interessiert nur, daß jedenfalls auch der betrügerische Einsatz des gefalschten Gegenstandes vom Tatbestand erlaßt war, ebenso wie die ganze Warenfälschung, die sich allein gegen das private Vermögen und nicht gegen öffentlichen Treu und Glauben richtet, so daß eine eigentliche Trennung von Fälschung und Betrug fehlt. 107

111. Die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577 Diese Reichspolizeiordnungen sind die einzigen größeren legislatorischen Aktivitäten im interessierenden Bereich bis zum Beginn der Partikulargesetzgebungen. Sie sollten den an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit auftretenden Umwälzungen Rechnung tragen und die Carolina ergänzen, soweit diese jene neuen Phänomene nicht berücksichtigte. 108 Den Reichspolizeiordnungen ist keinerlei dogmatischer Fortschritt zu entnehmen. Vielmehr bleiben Falsch und Betrug austauschbare Begriffe, die in der Regel setzgebenscher Weisheit"; Kausch, S. 46: ,.einheitliches Ganzes" und S. 49: ..( ... ) nicht den verschwommenen und uferlosen Falsum-Begriff der italienischen Doktrin übernommen ( ... )"und Hupe, S. 181: ,.( ... )das abstraktefalsumwieder in eine betrugsähnliche Fälschungskasuistik aufgelöst ( .. . )"; auch Bettendorf, S. 25. 100 Kausch, S. 49. 101 Hupe, S. 181; Kausch, S. 50; vgl. auch Köstlin, S. 129 mit FN 3 -5; Schlüchter, S. 581. 102 So Kausch, S. 50. 103 Kausch, S. 55 f. 104 Kausch, S. 58 f. 105 Kausch, S. 62. 106 Köstlin, S. 160 f. ; Kausch, S. 66 f. 107 Vgl. auch Kausch, S. 69; Günter Merkel, S. II . 108 Mattes I, S. 52 f. 4 Jänicke

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Fälle umfassen, die heute dem Betrugstatbestand unterfielen. 109 Dies ist angesichts des Schutzgutes der Tatbestände auch nicht verwunderlich: Ziel war der "gemeine Nutzen", für die im Wirtschaftsbereich wirksamen Delikte also die Gesamtwirtschaft, mithin stets überindividuelle Schutzgüter.uo Auf dieser Basis konnte sich kein Bewußtsein für den Unterschied zwischen dem Vermögensangriff durch Täuschung und der Fälschung ergeben. Auch in anderen Reichsgesetzen ist eine Unterscheidung zwischen falsum und Betrug nicht nachweisbar. lll

E. Die Doktrin I. Die Autoren vor Carpzov Die Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts blieb dem crimen falsi der italienischen Doktrin verhaftet und wandte sich - zumindest zunächst - gar nicht der Carolina zu, ließ vielmehr deren tatbestandliehe Differenzierung ganz unbeachtet. 112 Auch wenn man die kasuistische Aufspaltung der Carolina berücksichtigte, war es kein Problem, zu einem einheitlichen- naheliegenderweise dem römisch-italienischen- Begriff zurückzukehren. Denn auch dieser wurde aus den römisch-rechtlichen Einzeltatbeständen abstrahiert, was nun ebensogut aus den in der Carolina genannten Fällen geschehen konnte. 113 Basis bleibt also der oben genannte Begriff der italienischen Doktrin, mithin die arglistige Veränderung der Wahrheit zum Nachteil eines anderen. 114 Der Stellionat taucht ebenfalls auf, obwohl ihn die Carolina nicht mehr kennt, er bleibt wie im italienischen Mittelalter eng begrenzt. us Der Prozeßbetrug war wiederum vom falsum erfaßt. 116

II. Die "Practica Nova" Carpzovs von 1635 Ausgangspunkt ist auch bei Carpzov der von der italienischen Doktrin entwikkelte Falsum-Begriff, also eine arglistige Wahrheitsentstellung zum Schaden eines 109 Kausch, S. 82; Segal, S. 167 unter§ 24; vgl. auch Köstlin, S. 137; deutlich wird dies an den Beispielen bei Mattes I, S. 54 mit FN 14 und Foltis, S. 129, die den Verkauf verfälschter oder sonst minderwertiger Waren anführen. 110 Mattes I, S. 54 und 56. 111 Kausch, S. 83; Segall, S. 167 unter§ 24. 112 Schaffstein, ZStW 52 (1932), 781, 795; Scha.ffstein, Abhandlungen, S. 99; Kausch, S. 85; vgl. auch Köstlin, S. 138 mit FN 2. 113 Schaffstein, ZStW 52 (1932), 781, 795; Schaffstein, Abhandlungen, S. 99; Schilling, s. 39. 114 Kausch, S. 86; vgl. auch Bettendorf, S. 25 mit FN 4. 115 Kausch, S. 98. 116 Vgl. Kausch, S. 91-93 und 98 f.

1. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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anderen. Die von einigen italienischen Autoren geprägte Unterteilung in falsum largissime, falsum large und falsum stricte lehnt er hingegen ab 117: Rectius puto falsum hoc loco definiri dolosam veritatis immutationem in alterius praejudicium factam ( . .. ). - Richtiger, so meine ich, läßt sich das Falsum bestimmen als arglistig geschehene Veränderung der Wahrheit zum Nachteil eines anderen. 118

Das Anwendungsfeld wird noch weiter, weil er die bis dahin in der Regel verlangte Eingrenzung auf die in den ursprünglichen römischen Normen erfaßten Fälle aufgibt. 119 Dabei differenziert er zwischen tatsächlich eingetretenem Schaden und bloßer Vermögensgefahrdung als Versuch mit geringerer Strafe. 120 Der Tatbestand enthält also das moderne Betrugsmerkmal des Schadens wiederum ganz selbstverständlich und bezieht auch den Prozeßbetrug ohne weiteres mit ein. 121 Auch bei Carpzov spielt- behandelt bei der mündlichen Lüge- die Unterscheidung zwischen strafloser einfacher Lüge ("nudum mendacium") und strafbarem falsum in Schädigungsabsicht unter Berufung auf die Lex Comelia eine Rolle. 122 Die Bedeutung dieser Unterscheidung für die im 19. Jahrhundert aufkommende Tendenz, die Verletzung eines Rechtes auf Wahrheit vorauszusetzen, wurde schon beim römisch-rechtlichen falsum angesprochen. Dieser Ansatz findet seine Fortwirkung in der Diskussion des 19. und 20. Jahrhunderts über die besondere Behandlung des Prozeßbetruges. Besonders deutlich wird die Einheit von Fälschungs- und Betrugstatbestand im heutigen Sinne im übrigen wiederum bei den Urkundenfälschungen, die nach heutigem Verständnis stets einen Betrug enthalten würden. 123 Den entsprechend unbedeutenden Stellionat erwähnt Carpzov als nun allgemeinen Aushilfstatbestand (gleichgesetzt mit dem crimen extraordinarium) eher beiläufig, grenzt ihn aber zumindest noch ab. 124 Er wurde wegen der Erweiterung des falsum als konkreter Auffangtatbestand im hier interessierenden Bereich nicht mehr gebraucht. Die Tendenz, den Anwendungsbereich des Stellionats zu minimieren und auch Fälle ohne jeden Bezug zum öffentlichen Treu und Glauben, also Hupe, S. 181; Kausch, S. 109 f. Carpzov, Practica nova, Pars II, quaest. 93 not. 5; die Übersetzung folgt Kausch, S. 110. 119 Carpzov, Practica nova, Pars II, quaest. 93 not. 14, 15; dazu Schaffstein, FS Wieacker, 281,286 f. 12o Carpzov, Practica nova, Pars II, quaest. 93 not. 12, 13; dazu Kausch, S. 111. 121 Vgl. Carpzov, Practica nova, Pars II, quaest. 93 not. 12 a.E.; dazu Kausch, S. 111 FN 2. 122 Carpzov, Practica nova, Pars II, quaest. 93 not. 45; dazu Kausch, S. 119, vgl. auch 122. 123 Carpzov, Practica nova, Pars II, quaest. 93 not. 62; dazu Kausch, S. 125. 124 Carpzov, Practica nova, Pars 111, quaest. 133 not. 2, 3; dazu Hupe, S. 181; Kausch, S. 178; Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen, S. 40; Schaffstein, FS Wieakker, S. 281, 287 f., der von einem "allgemeinen Schuftereitatbestand" spricht: Der stellionatus spielt für Vermögensdelikte keine Rolle mehr. Er wird zum allgemeinen Auffangtatbestand, weil man den überlieferten Begriff halten und irgendwie besetzen will. V gl. dazu auch Foltis, S. 131. 117

118

s.

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

mit alleiniger Verletzung privater Vermögensinteressen zum falsum zu ziehen, ist demnach ganz deutlich. 125 Der aus dem römischen Recht überkommene Begriff des "stellionatus" mußte in irgendeiner Weise im System untergebracht werden, nachdem er angesichts des allumfassenden falsum jede eigenständige Bedeutung in seinem ursprungliehen Anwendungsbereich verloren hatte. Carpzov wählt den beschriebenen Weg, ihn mit dem crimen extraordinarium zu identifizieren. Die Alternative wäre gewesen, ihn mit dem falsum gleichzusetzen und damit die im römischen Recht angelegte Überschneidung beider Begriffe zu vollenden, indem sie deckungsgleich werden. 126 Dafür entschieden sich späterBöhmerund Leyser. Festzuhalten bleibt noch, daß bei Carpzov die sofortige leichte Entdeckbarkeil der Lüge für die Falsum-Strafbarkeit eine gewisse Bedeutung hat. 127 Dies kann als weiterer Ausgangspunkt für den Gedanken einer Beriicksichtigung des Opfer(mit)verschuldens angesehen werden.

111. Die Epoche nach Carpzov Das Naturrecht spielt für die Falsum-Doktrin keine Rolle, es gehörte zunächst nicht dem positiven Recht zu, das allein Gegenstand der gemeinrechtlichen Falsum-Lehre war. 128 Die Autoren der Zeit blieben zunächst Carpzov verhaftet, neue dogmatische Erkenntnisse fehlen. 129 Die oben wiedergegebene Definition bleibt grundlegend, eine Unterscheidung zwischen Fälschung und Betrug im heutigen Sinne findet nicht statt. 130 Bei Leyser und Böhmer vollendet sich die angedeutete Entwicklung der römisch-rechtlichen Begriffe schließlich auch dogmatisch. Der stellionatus geht endgültig im falsum auf, zwischen beiden besteht kein Unterschied mehr. 131 Am deutlichsten formuliert letzteres Leyser: Inter stellionatum et falsum nullum est verum discrimen. 132 Leyser erweitert den Anwendungsbereich des falsum nochmals, indem er auch Fälle ohne WahrheitsentVgl. Kausch, S. i77 ff.; Schaffstein, FS Wieacker, S. 281, 287 f. Vgl. Schaffstein, FS Wieacker, S. 281,287. 121 Kausch, S. 110. 128 Kausch, S. 130 f. 129 Schaffstein, ZStW 52 (1932), 781,789, 791; Kausch, S. 130 ff. 130 Köstlin, S. 138 und 139; Kausch, S. 133 f. 131 Böhmer, Elementa, Sect. II, Cap. 31 § 323 a.E.; Böhmer, Meditationes, Art. 112 § 2; dazu Schaffs rein, ZStW 52 (1932), 781, 796; Hupe, S. 181; Kausch, S. 177 f. und 182; Schaffstein, FS Wieacker, S. 281, 284, 287, 289 f.; Schlüchter, S. 582; vgl. auch Kempermann, ZStW 57 (1938), 126, 131; Foltis, S. 131. 132 Leyser, Vol. 8, spec. 557 pag. 413; vgl. dazu auch Leyser, Vol. 9, spec. 614 n. 1-5 a.E. 125

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l. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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stellung und ohne Schaden hinzunimmt. 133 Der Prozeßbetrug bleibt vom falsum erfaßt.134 Die Frage der Abgrenzung zur straflosen Lüge, die für die spätere Argumentation zum Prozeßbetrug die oben beschriebene Bedeutung erlangt, wird auch von diesen Autoren gestellt. Erstmals geschieht dies systematisch, und es entstehen verschiedene Ansichten. 135 Festzuhalten ist dabei der Umstand, daß nun - wohl erstmals - im Rahmen des falsum ausdrücklich über eine Wahrheitspflicht nachgedacht wird und daß die Besonderheit der Situation des Täters gegenüber Richter und Prozeßgegner im Zivilverfahren für die Strafbarkeit des Prozeßbetruges aus dem Falsum-Tatbestand von Böhmer ausdrücklich hervorgehoben wird. 136 Dies ist - soweit ersichtlich - die erste ausdrücklich formulierte Privilegierung des Prozeßbetruges in der Doktrin. Böhmer spricht dort im übrigen auch von der besonderen Situation gegenüber dem Vertragspartner und deutet damit schon eine weitere Fallgruppe an, der das 19. Jahrhundert teilweise eine besondere Behandlung hinsichtlich der Betrugsstrafbarkeit zukommen lassen wollte. Hier bestätigt sich also, daß jenes Bemühen um die Abgrenzung des falsum von der straflosen Lüge den Ursprung der Verquickung der Frage nach der Strafbarkeit des Parteivortrages als Prozeßbetrug mit der Frage nach dem Bestehen einer Wahrheitspflicht im Zivilverfahren bildet. Bei Leyser findet sich ein interessanter Anhaltspunkt für die Berücksichtigung eines Opfer(mit)verschuldens. Er räumt diesem zumindest zivilrechtliche Bedeutung ein. So sollen diejenigen, welchen durch Sorglosigkeit, Untätigkeit oder Leichtgläubigkeit Sachen abgetrogen wurden, diese wegen ihres Mitverschuldeos nicht bei denen vindizieren können, die sie nun gutgläubig besitzen, an die der Täter sie also verkauft oder versetzt hat (gutgläubiger Erwerb ist demnach nicht eingetreten). 137 Letztlich dürfte in dieser Periode auch der Keim der Trennung von Fälschung und Betrug im modernen Sinne liegen, weil man beginnt, Wahrheit und Echtheit zu unterscheiden. 138 Ebenso wie sich in der Kommentierung der Urkundenfälschung der Carolina wegen der zunehmenden Differenzierung der Begehungsmodalitäten die Grundlagen für eine Unterscheidung der reinen Verfälschungstaten gegen den 133 Leyser, Vol. 9, spec. 615 n. 6, 7: "Falsum aliquando sine veritatis immutatione commititur." ,,Falsum sine damno esse potest." Bezüglich der Wahrheitsveränderung anderer Ansicht: Böhmer, Meditationes, Art. 112 § 1; Kleinschrod, Arch. d. Criminalrechts, 2. Band (1800), 1. Stück (1799), S. 113, 125 f. Dazu vgl. Schaffstein, FS Wieacker, S. 281, 289 f.; Schilling, S. 40 vor§ 4; auch Kempermann, ZStW 57 (1938), 126, 131. 134 Vgl. etwa Kausch, S. 165 f. flir Grenzstreitigkeiten. 135 Vgl. im einzelnen Kausch, S. 136 ff. 136 Böhmer, Elementa, Sect. II, Cap. 31 § 226; Kausch, S. 139. 137 Leyser, Vol. 9, spec. 614 n. 31 mit den angeführten Beispielsfällen: "Nam, qui per socordiam et desidiam aut credulitatem nimiam a falsario decipitur; ac rebus suis spoliatur, rei vindicationem contra bonae fidei possessores non habet." 138 Vgl. Kausch, S. 141 f.

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

öffentlichen Glauben und der Verwendung des verfalschten Gegenstandes zum Angriff gegen privates Vermögen andeuten, ohne daß eine solche Trennung schon durchgeführt würde. Vielmehr verbleibt alles Genannte beim falsum. 139 Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die dogmatische Entwicklung des gemeinen Rechtes zu einem alle Fälschungs- und Betrugskonstellationen im heutigen Sinne umfassenden Falsum-Begriff führt, der dadurch sehr weit ist und den zur Begründung des modernen Betrugstatbestandes später oft herangezogenen Stellionat aus der theoretischen Erörterung verschwinden läßt, ihn zumindest aber jeder eigenständigen Charakteristik beraubt. 140 Dies ist die Ausgangsbasis, die die beginnende Partikulargesetzgebung und die Literatur des späten 18. Jahrhunderts vorfindet.

F. Die frühe Partikulargesetzgebung Mit der Entwicklung des Betrugstatbestandes in der Partikulargesetzgebung von 1751 bis 1851 befaßt sich ausführlich die Arbeit von Schütz. Da sie natürlich von den Korliftkationen ausgehen muß, kann sie weniger den hier vor allem interessierenden dynamischen Prozeß der Ablösung von den gemeinrechtlichen Vorgaben darstellen, wie er sich in der Literatur jener Zeit, vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts abspielt. Sie ist an die jeweilige Gesetzesfassung gebunden, die von Zufallen politischer Art, vom Einfluß eines Wissenschaftlers auf das jeweilige partikularstaatliche Gesetzgebungsverfahren 141 und dergleichen abhängt. Zwar ist auch in den unterschiedlichen Gesetzesfassungen gewiß der hier interessierende Streit um die Überwindung überkommener Begriffe und die Bildung eines neuen Systems ablesbar, was Schütz auch darstellt, aber eben nicht in jener Unmittelbarkeit und jenem Aufeinanderbezogensein, wie sie die literarische Auseinandersetzung prägen. Auch Schütz spricht Stellungnahmen der hier ausgewerteten Autoren an, aber eben jeweils in Bezug auf eine Kodifikation und weniger chronologisch und in Relation zu anderen literarischen Stellungnahmen, so daß der Prozeß des Umschwunges der Ansichten im Schrifttum mit seinen Fortschritten und Redundanzen nicht voll erlaßt wird. 142 Vielmehr kommt es eher beiläufig zur Besprechung der zentralen Fragen- Wandlung in der Auffassung vom geschützten Rechtsgut, Abgrenzung zwischen strafbarem und nur zivilrechtlich zu ahndendem Betrug et cetera. 143 Auch betont Schütz zu wenig die Tatsache, daß die von ihr herausgearVgl. dazu Kausch, S. 147 ff. Zusanunenfassend Kausch, S. 182 f. und 203. 141 Vgl. etwa den Entwurf Feuerbachs für Bayern: Schütz, S. 48 ff. 142 Soweit Schütz dabei hier interessierende Aspekte berührt, wird dies in den Belegen mit aufgeführt. 143 Besonders deutlich wird dies beispielsweise bei Schütz aufS. 85-90 hinsichtlich des Rechtes auf Wahrheit und des Gedankens einer qualifizierten Täuschung. Die Literatur wird nur angesichts einer entsprechenden Regelung knapp aufgeführt. 139

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l. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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beiteten und auch hier hervorzuhebenden Gedanken letztlich aus der Vermischung von Fälschung und Betrug im modernen Sinne und der mühsamen Aufhebung dieser Vermischung entstanden sind. (Gemeint sind damit das Verlangen einer qualifizierten Täuschung oder umgekehrt die Privilegierung der Vertragsverhältnisse, in deren Tradition auch heutige Bestrebungen, das Opfermitverschulden zu berücksichtigen, gesehen werden müssen. 144) Sie macht zu wenig klar, daß die Überwindung des, wie sie formuliert, "vagen Betrugsbegriffes" der frühen gemeinrechtlichen Lehre primär eine Aussonderung der Fälschungselemente bedeutet, auch wenn sie dies im Einzelfall zutreffend anspricht. Die Tendenzen, beim modernen Betrug eine Qualifikation der Täuschung im weitesten Sinne zu verlangen, stellen sich als Rudimente dieser Fälschungselemente dar. Die hier folgende Darstellung der allgemeinen Entwicklung des Betrugstatbestandes soll daher diese Aspekte besonders verfolgen und in der Betrachtung der Literaturentwicklung gewissermaßen komplementär zu der gründlichen Untersuchung der Gesetzgebungsgeschichte durch Schütz angelegt sein. Die Kodifikationen sollen nur als Eckpunkte dienen, zwischen denen die eigentlich interessierende literarische Debatte stattgefunden hat. Selbstverständlich waren die ersten Partikulargesetze von der zuvor beschriebenen Entwicklung der gemeinrechtlichen Doktrin beeinflußt. Sie bilden daher den Ausgangspunkt und sollen zunächst knapp dargestellt werden, wobei eine Begrenzung auf die hier interessierenden Aspekte erfolgt. Den Abschluß der Entwicklung bildet das preußische StGB von 1851, auf dessen Betrugsfassung der heutige Tatbestand unmittelbar zurückgeht. Seine Entwicklung und Endfassung soll daher im Anschluß an die Darlegung der literarischen Auseinandersetzung kurz vorgestellt werden. Deren zusammenhängende Darstellung - konzentriert auf die hier herausgearbeitete Ausgangsbasis (das vollständige Ineinanderaufgehen von Stellionat und Falsum) - soll den Eingang zur Betrachtung des 19. Jahrhunderts bilden. I. Der Codex Ioris Bavarici Criminalis von 1751 1. Theil9. Capitul § 2: Die Verfalschung, zu Latein Falsum, wodurch die Warheit der Sach theils mit Worten, theils mit Wercken und Schrifften auf eine gefahrlich- und anderen zu Schaden gereichende Art verdrehet wird, kan zwar gar unterschiedlicher Weis verübt werden. Am meisten aber pflegen folgende Gattungen vorzukommen. ( ... ) den Richter durch Unwarheiten zu ungerechten Urtheil ( . .. ) verleitet ( ... ). 145 144 Dies sieht übrigens auch Schütz, S. 200-210 so, die dort in einem knappen Überblick diese heutigen Bestrebungen, die hier im 2. Teil besprochen werden sollen, ihrer Arbeit anfügt und sie mit jenen aus dem 19. Jahrhundert bekannten Argumentationstopoi in Verbindung bringt. 145 Der Text ist dem Textbuch zur Strafrechtsgeschichte der Neuzeit von Amo Buschmann, München 1998, entnommen.

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Hier zeigen sich die Wirkungen der Carolina und der Entwicklung des gemeinen deutschen Strafrechts. 146 Die Trennung zwischen falsum und stellionatus bleibt aufgehoben, und der Schaden bleibt Merkmal des falsum, Fälschung und Betrug sind nicht unterscheidbar 147 • Der Prozeßbetrug im heutigen Sinne wird als falsum bestraft. 148 II. Die Constitutio Criminalis Theresiana von 1768

Ähnlich ist das Bild in der Constitutio Criminalis Theresiana von 1768. 149 Art. 72: Von denen, die allerhand Falsch begehen. § 1. Das Laster des Falsches, wodurch der Nebenmensch hinterlistig übervortheilet, und beschädiget wird, hat in meisten Fällen mit dem Diebstahl eine sehr nahe Anverwandschaft, und ist eigentlich eine gefährliche dem Dritten zu Schaden abgesehene Verdrehund Verkehrung der Wahrheit. Dieses Laster enthaltet in seinem weiten Umfang allerhand zu Hintergeh- und Betrügung des Nächsten abzielende böse Vortheile, List, Ränk, und Parthitereyen; von deren einigen ( ... ) in dieser peinlichen Gerichtsordnung absonderlich gehandlet, andere aber, und zwar die gemeinere hier angefiihret; die übrige hingegen, denen man wegen Verschiedenheit solch-schalkhaft-betrüglicher Handlungen fast keinen eigenen Namen geben kann, unter der Allgemeinheit des Falsch einbegriffen werden. Gleichwie nun dieß Laster auf unterschiedliche Weis verübet werden kann, so pflegen doch nach der leidigen Erfahrung am meisten folgende Gattungen des Falsch vorzukommen; und zwar

§ 2. Derenjenigen, welche Maaß, Waag, Gewicht, Ellen, Specereyen, oder andere verkäuffliche Waaren, und Sachen boshaft, und gefährlicher Weise verfälschen, sich falschen, oder verfälschten Maaß, und Gewichts im Handel, und Wandel wissentlich gebrauchen, falsche, oder verfälschte Waaren für gerecht ausgeben, verkauffen, verhandeln, und den Nebenmenschen mit solch-falschen, oder verfälschten Maaß, Gewicht, oder Feilschaften vorsetzlieh betrügen. § 3. Dann deren, so falsche Sigel, Schild, Helm etc. oder auch falsche Briefe, Urkunden, Quittungen, Rent- oder Zinnsbücher, und dergleichen wissentlich machen; oder richtige briefliche Urkunden gefährlich auskratzen, radiren, änderen, und verfälschen; oder sich derley falscher, oder verfälschten Briefschaften, und Urkunden boshaft- und betrüglicher Weise einem anderen zum Nachtheil in- oder ausser Gerichts gebrauchen, oder dieselbe einem anderen zu solchem Ende ertheilen. ( ... )

§ 6. Und endlich deren, welche einen besonders hinterlistigen Betrug, den auch sonst ver-

ständige Leute nicht wohl fürsehen, und verhüten können, und derley schalkhafte Parthiten, und Schelmenstück wissentlich, und vorsetzlieh begehen, als da wäre zum Beyspiel: 146 147 148 149

Kausch, S. 185. Kausch, S. 186; Schütz, S. 10 f. mit FN 11; Foltis, S. 133. Vgl. Kausch, S. 186; Foltis, S. 133. Kausch, S. 188; vgl. auch Foltis, S. 134.

1. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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( ... )

Durch falsche Vorspieglung den Richter zu einen ungerechten Urtheil, oder Jemanden zur falschen Zeugniß verleitet. ( ... )

Und was mehr dergleichen arglistig- und schädliche Betrügereyen, und Falschbegehungen mögen ausgeübet werden. 150

Der weite Falsum-Begriff mit dem Vermögensschaden als festem Merkmal findet sich auch hier, eine Abgrenzung zwischen Fälschung und Betrug nach den verletzten Rechtsgütern im heutigen Sinne fehlt. 151 Der Prozeßbetrug ist in § 3 (mit Urkunden) und§ 6 erlaßt. Interessant ist die hier kodifizierte Unterscheidung zwischen "einfachen" Betrugsformen und (in § 6) solchen, die besonders "hinterlistig" und auch von verständigen Opfern nicht vorhersehbar und vermeidbar sind. Kausch meint sogar, die Theresiana verstehe unter den in § 6 normierten Fällen den Stellionat, weil die Vorschrift an eine entsprechende aus der Ferdinandea angelehnt sei, die "zu Latein stellionatus" anfügte. 152 Diese Anlehnung an die Ferdinandea ist umstritten. Man könnte zudem das Fehlen des Zusatzes auch als Abkehr von jener Ansicht verstehen. Beides kann hier dahinstehen. Als bemerkenswert festzuhalten bleibt, daß eine solche Differenzierung zwischen einfachen und schwer durchschaubaren Tauschungen überhaupt vorgenommen wird. Eine derartige Differenzierung findet sich- teilweise subjektiv gewendet- auch in späteren Kodifikationen gelegentlich wieder. Etwa im Strafgesetzbuch für das Königreich Württemberg von 1839, im Strafgesetzbuch für das Großherzogtum Hessen von 1841 und in jenem für das Herzogtum Nassau von 1849, wo bei den Vertragsverhältnissen jeweils eine besondere Arglist die Scheidelinie zwischen nur zivilrechtlich und schon strafrechtlich zu verfolgendem Betrug bildete. 153 Für die späteren Österreichischen Korliftkationen von 1803 und 1852, die das Adjektiv "listig" verwenden, ist die Auslegung umstritten. Die überwiegende Meinung verstand auch dies im obigen Sinne, also als Erfordernis einer verschlagenen, schwer durchschaubaren Täuschung. 154 Die mögliche Verankerung solcher Unterscheidungen im römischen Recht wurde dort und bei der Fortentwicklung des falsum durch die deutsche gemeinrechtliche Doktrin bereits herausgestellt. Eine gewisse Beriicksichtigung des OpfermitDer Text ist abkopiert bei Schütz, S. 216 f. Kausch, S. 190; Schütz, S. 16. 152 Kausch, S. 190. 153 Kunh, S. 14 und 16 f.; Ellmer, S. 58, 60, 63; Schütz, S. 110 f . (für Württemberg) und S. 141 (für Hessen); zu den preußischen Gesetzen vgl. im einzelnen unten. 154 Vgl. Kurth, S. 18 FN 4. 150 151

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

verschuldens hat ihren Ursprung wohl schon im Bereich des falsum, wo es galt, einfache, folgenlose Lügen von den strafwürdigen abzugrenzen. 155 Dies deutet bereits auf die Scheidelinien, die im 19. Jahrhundert so wichtig werden. Auch dort diskutiert man die Abgrenzung von rechtswidrigen und ganz folgenlosen Täuschungen und von nur zivilrechtlich zu ahndendem und strafrechtlich zu verfolgendem Betrug. Viel griffiger und wohl von größerem Einfluß ist in diesem Sinne aber der im römischen Recht angelegte Rückgriff auf die aus der dogmatischen Verwandtschaft zwischen stellionatus und actio de dolo abgeleiteten Erfordernisse einer besonderen Arglist oder "magna et evidens calliditas". Beides läuft auf das Verlangen einer qualifizierten Täuschung hinaus. Diese (objektive) Qualifikation und die Berücksichtigung des Opfermitverschuldens, dies wurde ebenfalls schon gesagt, sind Ausfluß desselben Gedankens. Auf die Formulierung "magna et evidens calliditas" führt die Literatur solche Differenzierungen zwischen einfachen und schwer durchschaubaren Täuschungen in der Regel auch zurück. 156 Im Hinblick auf die besondere Behandlung des Prozeßbetruges ist diese Entwicklung von großem Interesse. In diesem Ansatz liegt der Ursprung des oben schon angedeuteten zweiten Argumentationsstranges in der besonderen Behandlung des Prozeßbetruges im 19. und frühen 20. Jahrhundert, nämlich der Berücksichtigung der Pflichtwidrigkeit des Richters, der unbewiesenen Behauptungen Glauben schenkt (ausgestaltet als Kausalitätsargumentation). Hier trifft der Täter mangels Beweisantrittes eben nicht die besonderen Vorkehrungen, die die Täuschung unterstützen und daher unvermeidlich machen. Vielmehr glaubt der Richter dem Vortrag, ohne die ihm zu Gebote stehenden Erkenntnismöglichkeiten auszuschöpfen. Im StGB für die Thüringischen Staaten von 1850 ist sogar ausdrücklich eine Ausnahme von der Betrugsstrafbarkeit normiert, wenn der Irrtum des Opfers auf seiner eigenen Nachlässigkeit und Unvorsichtigkeit beruht, so daß die spätere Argumentation bei der besonderen Behandlung des Prozeßbetruges sogar im Hinblick auf die Kausalitätsunterbrechungskonstruktion vorweggenommen wird. Allerdings geht diese Normierung nicht ganz so weit, da der Täter sich bezüglich des Irrtums passiv verhalten haben muß, ihn also wohl nicht aktiv hervorgerufen haben darf157 Den Schritt, die erschwerte Durchschaubarkeit der Täuschung von ihrer Unterstützung durch Fälschungen im modernen Sinne abhängig zu machen, tut die Theresiana noch nicht. Die Fälschungen sind vielmehr zuvor abgehandelt. Sie konnte es auch nicht, weil die dogmatischen Voraussetzungen - eine begriffliche Tren155 Vgl. die Hinweise auf die Berücksichtigung des Opfennitverschuldens bei Carpzov undLeyser. 156 Merke/, S. 312, wo er dieses gesetzliche Merkmal auf die römisch-rechtliche Formulierung zurückführt; Ellmer, S. 23; Kurth, S. 14 FN 4; vgl. auch Mittermaier, GS 10 (1858), 122, 131, wo er eine entsprechende Regelung des italienischen Rechtes direkt auf diese Formel zurückführt. 157 Vgl. zum Ganzen Kurth, S. 17 f.; Ellmer, S. 63 f.

1. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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nung von Vermögensangriffen durch Täuschung und Fälschung von Urkunden et cetera - noch fehlten. Es wurde bereits erwähnt, daß es unter anderem das Verlangen einer qualifizierten Täuschung war, das dazu führte, daß die später getrennten Delikte des Betruges und der Fälschung sich weiter verbanden. Man sah in der Fälschung und dem Einsatz gefälschter Gegenstände das naheliegendste Mittel zur erforderlichen Qualifikation der Täuschung. Schließlich liegt in der hier wohl erstmals kodifizierten Berücksichtigung des Opfermitverschuldens letztlich auch der Ursprung der bis heute anhaltenden Debatte über die Bedeutung, die einem solchen Mitverschulden im Rahmen des Betrugstatbestandes zukommen soll. Diese Auseinandersetzung läßt sich also - wie dort bereits angedeutet - bis auf römisch-rechtliche Gegebenheiten zurückführen. Sie wird im 2. Teil den Ausgangspunkt für die Suche nach der richtigen dogmatischen Einordnung der für die Lösung der hier interessierenden Fallgruppen bedeutsamen Probleme bilden.

111. Die Constitutio Criminalis Josephina von 1787 § 148: Die Verbrechen, welche auf das Vermögen, und Rechte Beziehung nehmen, sind a) Trug (stellionatus, falsum) b) Diebstahl, c) Raub, d) Brandlegung, e) zweyfache Ehe.

§ 149: Im allgemeinen macht sich des Trugs schuldig jeder, der durch was immer für Ränke, und List Fremdes Eigenthum an sich zu ziehen, oder jemanden aus böser Absicht an Vermögen, Ehre, Freyheit, oder seinen Rechten zu schaden sucht, ohne Rücksicht auf die Mittel, deren sich der Betrüger bedienet, und ohne darauf zu sehen, ob er seine Absicht wirklich erreichet habe oder nicht. § 150: Insbesondere aber ist des Trugs schuldig,

a) der Urkunden erfindet, mit, oder ohne Nachahmung fremder Hand die Unterschriften der Partbeyen ohne ihr Wissen entweder selbst beysetzet, oder durch andere beysetzen läßt, oder der bey schon verfertigten ächten Urkunden ohne Vorwissen und Einwilligung der Theilnehmenden, und zu ihrem Nachtheile an dem Innhalte Aenderungen macht ( ... ), der also in was immer für einer Art unächte Urkunden als ächte geltend zu machen sucht, oder den Sinn, und Innhalt ächter Urkunden flilschet. § 151: b) Diejenigen, welche in eigener, oder fremden Sache falsches Zeugniß vor Gericht ablegen ( ... ), der gesuchte Endzweck mag erreichet seyn, oder nicht. ( ... )

§ 155: ( ... ) Zu verschärfen ist die Strafe, ( ... ) wenn die gebrauchte List von solcher Art war, daß sich dagegen vorzusehen oder sie zu verhindern, nicht wohl möglich gewesen; ( ... ).158

tss Der Text ist dem Textbuch zur Strafrechtsgeschichte der Neuzeit von Amo Buschmann, München 1998, entnommen.

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Die stärker von aufklärerischen Ideen beeinflußte Constitutio Criminalis Josephina von 1787 faßt den von ihr geregelten "Trug" mithin als Oberbegriff für Stellionat und falsum auf, 159 was die weiterbestehende Deckungsgleichheit der römischen Begriffe aus Sicht des Gesetzgebers deutlich macht. Durch die vage Tathandlung (was immer für Ränke und List), die Vielzahl der geschützten Rechtsgüter und die Abkoppelung der Strafbarkeit vom tatsächlichen Schadenseintritt erscheint die Definition außerordentlich weit. 160 Enthalten sind unter dem Begriff "Trug (stellionatus, falsum)" wie im gemeinen Recht sowohl reine Fälschungs- als auch reine Betrugshandlungen im modernen Sinne, besonders anschaulich durch die Aufnahme der Fälschung und Verfälschung von Urkunden in§ 150. Die aus der Theresiana bekannte und in ihrer Bedeutung dort soeben hervorgehobene Abgrenzung zwischen einfachen und schwer zu durchschauenden Täuschungen kehrt hier als Strafzumessungsvorschrift in§ 155 wieder. Der zugrundeliegende Gedanke ist derselbe. Bemerkenswert bleibt, daß weder die Theresiana noch die Josephina die Qualifikation der Täuschung zur Strafbarkeitsvoraussetzung machen.

IV. Das Preußische Allgemeine Landrecht Auch das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 leistet, obwohl es eigentlich nach Rechtsgütern gliedert, noch nicht die Trennung von Fälschung und Betrug nach heutigem Verständnis, da es beim Betrug diese Gliederung nicht durchhält.I6I § 1256 Jede vorsätzliche Veranlassung eines Irrthums, wodurch jemand an seinem Rechte gekränkt werden soll, ist ein strafbarer Betrug. ( ... )

li. Gemeiner Betrug § 1325 Wegen der Folgen des gemeinen Betrugs, der in Contracten, oder sonst im Handel und Wandel verübt worden, hat es bey den Vorschriften der bürgerlichen Gesetze sein Bewenden.

§ 1326 Wird bey einem über dergleichen Geschäfte entstandenen Rechtsstreite ein grober Betrug vollständig ausgemittelt: so soll in dem Urtel über die Hauptsache, zugleich auf verhältnißmäßige Geld- oder GefängniSstrafe gegen den Betrüger erkannt werden. ( ... ) § 1327 Gesetzwidrige Handlungen, welche in der Absicht unternommen worden, um einen Andem wider sein Wissen und Willen um das Seinige zu bringen, werden dem Betruge gleich geachtet. 159 160 161

Kausch, S 194; Vormbaum, S. 16; Foltis, S. 142 f.; vgl. auch Dohna, S. 478. Kausch, S. 194; Vormbaum, S. 16 FN 33; Schütz, S. 18; Foltis, S. 142. Kausch, S. 196 f.

1. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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Qualificirter § 1328 Ein unter erschwerenden Umständen verübter Betrug soll von Amts wegen unter-

sucht, und der Regel nach mit einer dem doppelten Betrage des gesuchten Gewinns gleichkommenden Geldstrafe belegt werden. ( ... ) A. Untreue ( ... )

B. Verfälschungen § 1377 Gegen Betrügereyen, welche auf eine vorzüglich listige und schwer zu entdeckende Weise verübt worden, soll die ordinaire Strafe jedesmal geschärft werden. § 1378 Betrügereyen, wodurch gewissen Personen oder Sachen Merkmale von Eigenschaften, welche ihnen nicht zukommen, zu Bevortheilung Anderer beygelegt, oder wodurch wirklich vorhandene Eigenschaften in gleicher Absicht verheimlicht worden, sind als Verfälschungen mit geschärfter Strafe zu ahnden. § 1379 Auch der macht sich dieses Verbrechens schuldig, der sich der von Andem gemachten Verfälschungen, wissentlich, zum Nachtheile eines Dritten bedient.

1) der Urkunden § 1380 Wer zur Ausübung eines Betrugs falsche schriftliche Urkunden verfertigt, oder richtige verfälscht, der soll, außer der ordinairen Ahndung des qualificirten Betrugs (§ 1328), zugleich verhältnißmäßige Leibes- oder Ehrenstrafe leiden. ( ... )

§ 1384 Wer aus eigennützigen Absichten eine Verfälschung oder Nachmachung gerichtlicher oder andrer öffentlicher Urkunden begeht, soll, außer der ordinairen Ahndung (§ 1328) mit der Strafe eines unter erschwerenden Umständen begangenen Diebstahls belegt werden. ( ... )

§ 1386 Wer in der Absicht, Andere zu bevortheilen falsche Wechsel oder andere Privatschriften macht, oder darin etwas verfälscht, gegen den soll auf sechsmonatbliche bis zweyjährige Zuchthausstrafe erkannt werden. ( ... )

§ 1389 Ist durch die falsche Urkunde noch niemand wirklich betrogen worden: so findet die halbe Strafe der Verfälschung ( ... ) statt. ( ... )

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l. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

C. Betrug mit Verletzung andrer Pflichten 1) Meineid und Lügen vor Gericht

§ 1404 Wenn mit einem Betruge, außer der Beleidigung des Betrogenen, zugleich die Verletzung andrer Pflichten verbunden ist: so findet allemal Schärfung der ordinairen Strafe statt. § 1405 Wer im Prozesse, als Partey oder Zeuge, einen falschen Eid wissentlich leistet: der wird aller Aemter, Würden, bürgerlichen Ehre und Gewerbe, für immer verlustig ( ... ). § 1406 Ist der Meineid um Gewinns oder Vortheils willen begangen worden: so wird der Verbrecher noch über alles dieses, um den vierfachen Betrag des gesuchten Vortheils bestraft. ( ... )

§ 1408 Es macht in dieser Strafe keinen Unterschied: ob der geforderte Eid von einer Partey oder einem Zeugen abgeleistet worden. ( ... )

§ 1412 Wer in einer Criminalsache durch ein falsches eidliches Zeugniß dazu beygetragen hat, daß ein Unschuldiger gestraft worden, gegen den wird die ordinaire Strafe des Meineides verhältnißmäßig, allenfalls bis zur Todesstrafe, geschärft. ( ... )

§ 1422 Wie diejenigen bestraft werden sollen, welche in Prozessen Unwahrheiten gerichtlich, obschon nicht eidlich, behaupten, oder die Wahrheit dem Richter vorsätzlich verheelen, ist in der Prozeßordnung vorgeschrieben.

D. Betrug des Publici

§ 1441 Auf Betrügereyen, welche nicht bloß zur Vervortheilung gewisser bestimmter Personen, sondern des Publici überhaupt abzielen, muß die ordinaire Strafe des qualificirten Betruges allemal geschärft werden. ( ... ). § 1442 Wer die zum Verkaufe bestimmten Lebensmittel, oder andre Waaren, mit fremden Materialien vermengt oder versetzt, um dadurch ihr Maaß und Gewicht, oder ihre scheinbare Güte. betrüglicher Weise zu vermehren, gegen den wird die Strafe des qualificirten Betruges (§ 1328) um die Hälfte geschärft. 162

Das falsum als selbständiger Generaltatbestand wird zwar nicht mehr benutzt, jedoch taucht die alte Definition unter dem neuen programmatischen Oberbegriff Betrug in § 1256 wieder auf. 163 Unter den in dieser Vorschrift angesprochenen Rechten sind Vermögensrechte im weitesten Sinne zu verstehen. 164 Die eigentliche 162 Der Gesetzestext ist dem Textbuch zur Strafrechtsgeschichte der Neuzeit von Amo Buschmann, München 1998, entnommen. 163 Mittermaier in Feuerbach, S. 568 Note IV.; Naucke, S. 66 und 68; Kausch, S. 197 f.; Kurth, S. 9; Vonnbaum, S. 14.

l. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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tatbestandliehe Fassung erfolgt erst ab § 1269 für den verbotenen Eigennutz und ab§ 1325 für den Betrug. Die Unterscheidung zwischen gemeinem(§ 1325), grobem (§ 1326) und qualifiziertem Betrug (§§ 1328 ff.) ist kompliziert und wenig übersichtlich. 165 Letztlich weisen die dort angeführten Einzeltatbestände 166 genau dieselbe Bandbreite auf wie der alte gemeinrechtliche Falsum-Begriff, der damit faktisch noch fortlebt. 167 Besonders anschaulich machen dies die §§ 1377 ff., 1380 ff., die Fälschungen vor allem von Urkunden zur Unterstützung der Täuschung zum Betrug ziehen und, wie aus § 1389 hervorgeht, den Schaden als konstitutives Merkmal auch dieser auf die Fälschung abstellenden Delikte ansehen. Einen gewissen Fortschritt in der Dogmatik läßt allenfalls die Einteilung der qualifizierten Betrugstatbestände in Gruppen erkennen, von denen drei das private Vermögen und die letzte öffentliche Interessen als verletztes Rechtsgut erkennen lassen. 168 Dies kann als Vorstufe zu der modernen Deliktseinteilung in Fälschung und Betrug angesehen werden. Im hier vornehmlich interessierenden Sinne ist festzuhalten, daß die Betrugsfälle im heutigen Sinne im Bereich des qualifizierten Betruges nur eine Nebenrolle spielten, also fast ausschließlich im gemeinen und groben Betrug erlaßt waren. Beim gemeinen Betrug erschöpfte sich die Ahndung indes in zivilrechtliehen Folgen. Eigentlich strafbar war mithin nur der grobe Betrug, worunter nach herrschender Meinung der mit listigen und feinen Mitteln begangene, mit gewöhnlicher Aufmerksamkeit nicht zu vermeidende Betrug zu verstehen ist. 169 Ferner war für Betrügereien, die "auf eine vorzüglich listige und schwer zu entdeckende Weise verübt worden," 170 im Rahmen des qualifizierten Betruges eine Strafschärfung Vgl. Dohna, S. 481; Naucke, S. 66 FN 6; Kurth, S. 9 FN 2. Mittennaier in Feuerbach, S. 569 Note IV.; Kausch, S. 198 f.; Reese, S. 5; Kurth, S. 10; Ellmer, S. 54; Vormbaum S. 14; eine graphische Übersicht bietet Schütz, S. 32. 166 Vgl. dazu im einzelnen Mittennaier in Feuerbach, S. 569 Note IV.; Temme, LB, S. 974 f.; Kausch, S. 199 ff. ; Schütz, S. 29 ff. 167 So auch Kausch, S. 202; vgl. auch Köstlin, S. 140 f. mit FN 7; Vormbaum, S. 14; Foltis, S. 144; Schütz, S. 33. 168 Vgl. Kausch, S. 199 ff., Bewertung aufS. 197; auch Schütz, S. 43 und 47; scheinbar kritisch zu einer solchen Trennung Mattes I, S. 77: Er führt an, daß der Schutz des Individuums und seiner Rechtsgüter nicht Ziel des ALR war, das vielmehr Ruhe und Sicherheit des Gemeinwesens wahren wollte. Dies dürfte indes den genannten Befund nicht ändern: Das Gemeinwesen ist in den genannten Gruppen dann eben durch den Eingriff in individuelle Güter gestört, was eine stärkere Beeinträchtigung sein kann als eine abstrakte Gemeingefährdung. Diese von Mattes I, S. 77 angedeutete Sichtweise erklärt auch die von ihm diagnostizierte Unsicherheit bei der Abgrenzung zwischen Kriminal- und Polizeidelikten: Dort wurde der Schaden an sich als Voraussetzung für ein Polizeidelikt angesehen, gerade bei Fälschungen ohne betrügerische Absicht (im heutigen Sinne) waren die Entscheidungen aber inkonsequent. 169 Naucke, S. 68 f.; Kurth, S. 10 f.; Ellmer, S. 55; Schütz, S. 34; im einzelnen streitig (vgl. Ellmer, FN 205: Er will- mit der wohl überwiegenden Meinung- bei grobem Betrug erfordern, daß er bei ungewöhnlicher Sorgfalt nicht vermeidbar ist. Dies kann dahinstehen. Festzuhalten ist nur die Differenzierung nach der Vermeidbarkeil an sich.) 164 165

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

vorgesehen. Beides deutet wiederum auf die von der Pflichtwidrigkeit des Richters und damit von der Vermeidbarkeit des Irrtums ausgehende Argumentationslinie beim Prozeßbetrug hin. Hier wird dies allerdings noch viel deutlicher, weil im ALR die Strafbarkeit der Handlung an sich (beim groben im Gegensatz zum gemeinen Betrug) von der besonderen Qualität der Tauschung abhängig gemacht wird, so wie später die Strafbarkeit des Prozeßbetruges von der Beweiserhebung abhängen soll. Beides stellt sich als Berücksichtigung des Opfermitverschuldens dar.I7I Das ALR behandelt auch den Prozeßbetrug selbst und bietet dabei interessante Anhaltspunkte. §§ 1404, 1405, 1406, 1408 sehen für die Tat, die man heute als Prozeßbetrug im Zivilverfahren bezeichnen würde, eine erhöhte Strafe vor, sofern die Partei einen Eid leistet. Der Prozeßbetrug ist also von dem weiten Konstrukt des Betruges im Sinne des ALR grundsätzlich erlaßt. § 1422 macht nun aber deutlich, daß bei fehlendem Eid, also bei einfachem falschen Vortrag, nur die im Verfahrensrecht vorgesehenen Folgen eintreten. Dies deutet die bis 1933 in der deutschen Rechtsprechung vorherrschende Scheidelinie zwischen straflosem einfachen Parteivorbringen und solchem (strafbaren), für das manipulierte oder sonst materiell unrichtige Beweise erhoben wurden, bereits an. Es handelt sich hier um die wohl erste und einzige in einer Kodifikation zumindest mittelbar ausgedrückte Privilegierung falschen Vorbeingens im Prozeß. Sie scheint auf der schon im römischen Recht verankerbaren und bereits dort angedeuteten Ansicht zu beruhen, daß zumindest für den einfachen falschen Vortrag die im Verfahrens- und Zivilrecht vorgesehenen Rechtsfolgen genügen oder diese gar eine Strafe ausschließen. Interessant ist ferner, daß in § 1412 strukturell auch im Strafverfahren die Herbeiführung eines materiell unberechtigten Erfolges durch den rechtmäßig handelnden (weil getäuschten) Richter ohne weiteres für möglich gehalten wird. Dies ist ein Problemfeld, das die Dogmatik im Bereich der mittelbaren Taterschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts intensiv beschäftigt hat. Es wird bei der Subsumtion der hier interessierenden Fallgruppen noch zu würdigen sein. Die in§ 1325 ausgedrückte Privilegierung von Tauschungen in Vertragsverhältnissen sowie in "Handel und Wandel" durch eine Beschränkung auf zivilrechtliche Folgen ist ein Ausgangspunkt für die in der Literatur des 19. Jahrhunderts einsetzende Diskussion um die Grenze zwischen strafbarem und nur mit zivilrechtliehen Folgen zu belegendem Betrug. Diese Entwicklung der literarischen Auseinandersetzung des 19. Jahrhunderts soll nunmehr verfolgt werden.

170 Zitiert nach Mittermaier in Feuerbach, S. 569 Note IV.; Kausch, S. 200; Foltis, S. 145; vgl. auch Kurth, S. 11 FN 2. 171 Ellmer, S. 56.

1. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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G. Die Entwicklung im 19. Jahrhundert Der heutige Betrugstatbestand ist ein Produkt der Forschungen des 19. Jahrhunderts, die sich im wesentlichen auf römische Quellen stützten und daher die crimina falsi, den stellionatus und zum Teil die actio de dolo heranzogen. 172 Daß dabei die Systematisierungs- und Rückführungsversuche aus heutiger Sicht die Quellenlage weit überstrapazierten, 173 wurde schon angedeutet und ergibt sich auch aus der bisherigen Darstellung der unsystematischen Zuordnung von Betrugshandlungen zu unterschiedlichen Deliktsgruppen in der römischen Zeit und danach. 174 Dennoch wäre die Herausbildung der modernen Systematik kaum möglich gewesen, wenn nicht die Trennung der römisch-rechtlichen Begriffe falsum und stellionatus versucht worden wäre. 175 Der Blick soll aus den unter F. einleitend genannten Gründen hier auf die entscheidenden Entwicklungsschritte in der Literatur gelenkt werden und hinsichtlich der Gesetzgebung zur Wahrung der Übersichtlichkeit im wesentlichen auf die preußische beschränkt bleiben, die in das Reichsstrafgesetzbuch mündete. Festgehalten werden sollen einerseits die Schritte hin zum heutigen Deliktssystem von Fälschung und Betrug, also zur Trennung der im weiten Falsum-Begriff enthaltenen Delikte. Dies führt zu der - aus heutiger Sicht entscheidenden - Frage, wann eine Täuschung rechtswidrig sein soll und wie dies tatbestandlieh zu fassen ist. 176 Ferner sollen aber auch dogmatische Phänomene und Differenzierungsversuche dargestellt werden, die zur Erklärung der späteren besonderen Behandlung des Prozeßbetruges von Bedeutung sind. Dies führt zu der zweiten, im 19. Jahrhundert völlig dominierenden Frage, welche rechtswidrigen Täuschungen nur zivilrechtlich und welche strafrechtlich zu ahnden sein sollen. 177 Sie war die notwendige Folge einer allgemein verbreiteten Auffassung, nach der das Strafrecht gegenüber dem Zivilrecht als subsidiär angesehen wurde. 178 Es lassen sich für die Unterscheidung von strafbaren und nur zivilrechtlich relevanten Täuschungen drei schon mehrfach in ihren historischen Ursprüngen angedeutete Argumentationsansätze finden: Die Berücksichtigung des Verschuldeos 172 Dohna, S. 481; Naucke, S. 62; Hupe, S. 1; Kausch, S. 209; Schaffstein, FS Wieacker, S. 281, 281; Ellmer, S. 24 und 74. 173 Vgl. dazu Hupe, S. 4 f. und 13; Ellmer, S. 74. 174 Vgl. Schaffstein, FS Wieacker, S. 281, 281 , der aus diesen Gründen ebenfalls eine direkte Zurückführung auf einen der römisch-rechtlichen Begriffe ablehnt. Insbesondere Merkeis Rückgriff auf den stellionatus kritisiert er, indem er ihn zwar sachlich als wegweisend anerkennt, aber in der historischen und wissenschaftlichen Situation des 19. Jahrhunderts begründet sieht und nicht in einer auf römisch-rechtlichen Begriffen ruhenden historischen Systematik. 175 Schaffstein, FS Wieacker, S. 281, 291 f. 176 Vgl. zur Formulierung Köstlin, ZS, S. 336 f.; Kausch, S. 205; Ellmer, S. 25. 177 Köstlin, ZS, S. 336 f .; Ellmer, S. 25; Schütz. S. 190 ff. 178 Ellmer, S. 25 mit FN 26.

5 Jänicke

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

des Getäuschten, das Erfordernis einer besonderen Qualifikation der Täuschung, namentlich der Einsatz von manipulierten Täuschungsmitteln, und das Erfordernis einer besonderen Arglist beim Täuschenden. Letztere läßt sich aber wieder allein auf die Qualifikation der Täuschungsbemühungen zurückführen, gibt dieses Erfordernis also nur in subjektiver Wendung wieder, so daß am Ende doch nur zwei Argumentationsstränge vorliegen. Die später gängige Argumentation zum Prozeßbetrug vereinigt beide, indem sie von einer Berücksichtigung der Pflichtwidrigkeit des Richters ausgeht, diese jedoch - vorgeblich wegen seiner Bindung an das Prozeßrecht - starr an die Qualifikation der Täuschungshandlung durch Einsatz von falschen Beweismitteln koppelt. 179 Daß bei den Täuschungsdelikten im Gegensatz zu anderen Deliktsgruppen überhaupt die Frage nach dem Opfermitverschulden gestellt wurde, erklärt sich auch aus einer generellen Privilegierung der geistigen Einwirkung des Täters gegenüber einem rein körperlichen Angriff, die weitgehend einhellig angenommen wurde. 180 Der Einsatz körperlicher "Gewalt" war unstreitig rechtswidrig und strafwürdig, der psychische Angriff eben nicht. 181 Der Grund für diese Haltung dürfte nicht zuletzt darin zu finden sein, daß das Rechtsgut, das man seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als die Bemühungen um die Herauslösung eines eigenen Betrugstatbestandes aus dem Falsum-Komplex begannen, als geschützt ansah, das "Recht auf Wahrheit" war. 182 Folge dieses Ansatzes war eine sehr weite Strafbarkeit. Der Weg zum heutigen Betrugstatbestand ist daher primär gekennzeichnet durch den Wandel in der Auffassung vom geschützten Rechtsgut Es sollen die wesentlichen Stufen dieser Entwicklung aufgezeigt werden, da mit der Bestimmung des geschützten Rechtsgutes zwangsläufig die eingangs genannte erste Frage beantwortet wird, welche Täuschungen rechtswidrig sein sollen. Eine vollständige Wiedergabe aller im 19. Jahrhundert auftauchenden Ansätze zu diesem Punkt ist indes nicht möglich. 183 179 Zu den römisch-rechtlichen Herleitungen und deren Unstirrmtigkeiten vgl. schon oben bei der Constitutio Criminalis Theresiana. 180 Vgl. Merkel, S. 251 ; Ellmer; S. 30. 181 Zum Beispiel Cucumus, S. 40: "Wo physische Kraft angewendet wurde, da ist kein Zweifel mehr an der Verbrechensqualität der Rechtsverletzung; solche erheben sich da, wo diese das Produkt der Anwendung geistiger Kräfte ist ( ... )."; vgl. dazu auch etwa Schütz, s. 152. 182 Ellmer; S. 45; zur Verwurzelung dieses Begriffes einerseits und des Schadenserfordernisses andererseits in der Moralphilosophie vgl. Ellmer; S. 50 ff.; zur Relevanz des Schutzgutes vgl. auch Köstlin, ZS, S. 337. 183 Vgl. zum Beispiel zu den Versuchen, die publica fides zum Schutzgut zu erklären, Ellmer; S. 46. Dies hätte eine Gleichstellung des Rechtsgutes mit dem der Fälschungsdelikte, zumindest aber ein Fesmalten arn Recht auf Walrrheit bedeutet. Ganz unbedeutend war dieses Kriterium im übrigen auch für die Autoren nicht, die es nicht als Schutzgut anerkannten: Das Maß des wünschenswerten beziehungsweise nicht schützenswerten Vertrauens im Rechtsverkehr spielte für sie im Rahmen der Abgrenzung von strafbarem und nur zivilrechtlich relevantem Betrug eine wichtige Rolle (vgl. Ellmer; S. 47 und sogleich im Text). Die Publicafides-Lehre spielte allerdings auf dem Weg zur Herausarbeitung des von den Fälschungsde-

1. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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Ein weiterer Ausgangspunkt für die deutschen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts ist die Fassung des Betrugstatbestandes im Art. 405 des französischen Code penal von 1810. Hierin hatte sowohl die Literatur als auch die Gesetzgebung ein Modell, das seinen Einfluß nicht verfehlte. 184 405. Quiconque, soit en faisant usage de faux noms ou de fausses qualites, soit en employant des manreuvres frauduleuses pour persuader l'existence de fausses entreprises, d'un pouvoir ou d'un credit imaginaire, ou pour faire naitre l'esperance ou Ia crainte d'un succes, d'un accident ou de tout autre evenement chimerique, se sera fait remettre ou delivrer des fonds, des meubles ou des obligations, dispositions, billets, promesses, quittances ou decharges, et aura, par un de ces moyens, escroque ou tente d'escroquer Ia totalite ou partie de Ia fortune d'autrui, sera puni d'un emprisonnement ( ... ); et d'une amende

( ... ).

a

Le coupable pourra etre, en outre, compter du jour ou il aura subi sa peine, interdit, pendant cinq ans au moins et dix ans au plus, des droits mentionnes en I' article 42 du present Code: letout sauf les peines plus graves, s'il y a crime de faux. 185

Die französische Kodifikation war fortschrittlich, indem sie den Betrug als Vermögensverschiebungsdelikt ausgestaltete, was sich in Deutschland letztlich durchsetzte. Zugleich war sie aus heutiger deutscher Sicht rückwärtsgewandt, da sie kasuistisch bestimmte Täuschungshandlungen aufführte, die allein die Betrugsstrafbarkeit auslösen konnten. Auch das französische Vorbild wirkte damit in die Richtung des im Rahmen der Abgrenzung zwischen strafbarem und nur zivilrechtlich zu ahndendem Betrug genannten Argumentationsansatzes, eine (objektive) Qualifikation der Täuschungshandlung zu verlangen. Aus der Sicht des gemeinen Rechtes mit dem weiten Falsum-Begriff war letzteres eher geeignet, die Trennung von Fälschung und Betrug zu behindern. Denn das falsum vereinigte beide gerade dadurch, daß es in der durch Fälschung qualifizierten Täuschung und deren vermögensschädigendem Erfolg ein einziges Delikt sah. Insgesamt wirkte der französische Einfluß aber fortschrittlich, indem das Vorbild des Vermögensverschiebungsdeliktes Eingang in die Gesetzgebung und allmählich auch in die Literatur fand. 186 I. Die Literatur des 19. Jahrhunderts

Einen ersten Schritt weg von dem umfassenden Falsum-Begriff, den das gemeine Recht bis dahin hervorgebracht hat, unternimmt um die Jahrhundertwende

likten geschützten Rechtsgutes eine wichtige Rolle (vgl. dazu unten und bei Bettendorf, s. 35 f.) 184 Vgl. etwa Kausch, S. 208; Reese, S. 6 f.; Schlüchter, S. 588. 185 Der Text findet sich abkopiert bei Schütz, S. 225. 186 Schaffstein, FS Wieacker, S. 281,294. 5*

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Kleinschrod. Seine Ausführungen greifen die in der vorstehenden Einleitung skizzierten Fragen auf.

Er geht von einem allgemeinen Begriff der Verfälschung im Gleichlauf mit dem bürgerlich-rechtlichen "Dolus" aus, der mit dem bislang als zu jener Zeit herrschend herausgearbeiteten Falsum- Begriff übereinstimmt: Der Täter bediene sich, um einem anderen zu schaden, falscher Vorstellungen. Er gebe also eine Wahrheit vor und erwecke im Opfer die Meinung, diese Wahrheit sei gegeben, was in Wirklichkeit nicht der Fall sei. Eine solche Tat führt aber nach Kleinschrod zunächst nur zu einer Schadensersatzpflicht, er bestimmt bislang also (nur) die Rechtswidrigkeit der Täuschung. Welche von diesen Verfälschungen Verbrechen, also strafbar sind, sei damit nicht gesagt. 187 Er bekennt sich sodann zu der in der Einleitung ebenfalls schon herausgestellten Ansicht, der Staat dürfe nicht bei jeder Verletzung der Rechte eines einzelnen (strafend) eingreifen, vielmehr müsse es in der Regel bei einem Schadensersatzanspruch bewenden. 188 Aufgrund dieser Erwägungen kommt er zu einer einschränkenden Bestimmung des Verbrechens der Verfälschung, also der strafbaren Verfälschung. Grundsätzlich hält Kleinschrod an der Unterdrückung oder Veränderung der Wahrheit als Hauptcharakteristikum dieses Verbrechens ausdrücklich fest, scheint also eine Art Recht auf Wahrheit als (primär) verletztes Rechtsgut anzusehen. 189 Auf dieser Basis nimmt er "Treulosigkeit" (gemeint sind Amtspflichtverletzungen im Sinne von Geheimnisverrat und Parteiverrat), Verletzungen des Briefgeheimnisses sowie ,,Bankerouteurs und listige Schuldner" mit der Begründung aus dem Verfälschungsbegriff heraus, daß dort die Wahrheit nicht (zwangsläufig) unterdrückt oder verändert werde. 190 Seine eigentliche Einschränkungsbestrebung basiert aber auf einem neuen Gedanken. Er meint, Verfälschungen richteten sich (zumeist) auf den Schaden am Eigentum eines Dritten, seien also gegen das "Eigenthum" gerichtet. 191 Strafbar sollen sie nun entsprechend der von ihm angenommenen Subsidiarität des Strafrechtes nur dann sein, wenn mit der Verletzung des Eigentums des einzelnen die Gefahr der Unsicherheit des Eigentums aller Mitglieder des Staates verbunden ist. Dann wirke die Verletzung aufs Ganze und werde Sache des Staates. 192 Kleinschrod, Arch. d. Crirninalrechts, 2. Band (1800), I. Stück (1799), S. 113 f., 116 f. Kleinschrod, Arch. d. Crirninalrechts, 2. Band (1800), I. Stück (1799), S. 113, 117 unter§ 3. 189 Kleinschrod, Arch. d. Crirninalrechts, 2. Band (1800), I. Stück (1799), S. 113, 118, 124 § 8, 127 f. ("Hauptcharakter"). 190 Kleinschrod, Arch. d. Crirninalrechts, 2. Band (1800), I. Stück (1799), S. 113, 120-122 §§ 5, 6. 19 1 Kleinschrod, Arch. d. Crirninalrechts, 2. Band (1800), I. Stück (1799), S. 113, 118, 128. 192 Kleinschrod, Arch. d. Crirninalrechts, 2. Band (1800), I. Stück (1799), S. 113, 118; dazu Kausch, S. 204 FN 1; Kurth, S. 37; Naucke, S. 64; Schütz, S. 87; zur Grundlegung dieser 187 188

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Mit dem Eigentum könnte man vermögensrechtliche Positionen im weitesten Sinne angesprochen sehen 193 und damit einen ersten Hinweis auf das Schutzgut des Betruges im heutigen Sinne annehmen, wiewohl Kleinschrod es nur bezugslos neben die seiner Ansicht nach eigentlich geschützte Wahrheit stellt. Schon dies ist indes gewagt, wie sich aus den Spezifizierungen seines Einschränkungskriteriums durch Kleinschrod selbst ergibt. Bei der Auflistung der von ihm noch zum Verbrechen der Verfälschung gezählten Fallgruppen nimmt er ohne weiteres auch die Fälschung und Verfälschung von Urkunden hinzu und begrundet die Strafbarkeit mit der Gefahr für die "Wahrheit und Glaubwürdigkeit der Urkunden im allgemeinen".194 Allenfalls ein erster, nicht recht eindeutiger Hinweis auf vermögensrechtliche Positionen als Schutzgut ist also festzuhalten. Hinsichtlich der Urkunden klingt eher schon der Gedanke des zu schützenden öffentlichen Vertrauens durch. Im übrigen ist und bleibt auch nach Kleinschrod der Schaden Bestandteil des Fälschungsverbrechens. Kleinschrod setzt einen tatsächlich eingetretenen Schaden voraus und bestraft demnach etwa eine Urkundenfälschung im modernen Sinne ohne Gebrauchmachen von der Urkunde als Versuch der Verfälschung. 195 Diese schon bei Carpzov angelegte genauere Betrachtung der Vollendung bedeutet einen ersten kleinen Schritt in Richtung auf eine Trennung von Fälschung und Einsatz der gefälschten Gegenstände. Insgesamt aber führten die bei Kleinschrod vorgenommenen Einschränkungen nicht etwa zu einer Abgrenzung von Fälschung und Betrug oder gar zu deren Definition nach heutigem Verständnis. 196 Vielmehr entwickelt er damit ein Kriterium, nach dem sowieso fast alle Betrugsfälle aus dem falsum ausscheiden, und verringert so die Zahl der strafbaren Fälle. Im Bereich des heutigen Betrugstatbestandes verblieben allenfalls einige schwerere Fälle als falsum strafbar, alle anderen schieden aus der Strafbarkeit insgesamt aus. 197 Denn für den einfachen Betrug sah Kleinschrod im Gegensatz zu anderen ausgeschiedenen Phänomenen, wie Parteiverrat et cetera, keine Strafbarkeit unter anderen Tatbeständen vor. 198 Bemerkenswert ist schließlich, daß Kleinschrod in seinem Gesetzesentwurf eine ähnliche Privilegierung der Vertragsverhältnisse vorsieht wie das PrALR, indem er auf Betriigereien in diesem Bereich nur die bürgerlichen und Polizeigesetze anIdee bei Kant (1797) vgl. Ellmer, S. 51 f.; ausführlich dazu Foltis, S. 146 f. und 150 f.; zur späteren Dreiteilung durch Heget und dessen Einfluß auf die Lehre des 19. Jahrhunderts vgl. Ellmer, S. 52 ff. 193 Vgl. dazu Foltis, S. 151 FN 750. 194 Kleinschrod, Entwurf, § 1137; Kleinschrod, Arch. d. Criminalrechts, 2. Band (1800), l. Stück (1799), S. 113, 119 f. § 4. 195 Kleinschrod, Entwurf, § 1154; Kleinschrod, Arch. d. Criminalrechts, 2. Band (1800), l. Stück (1799), S. 113, 128. 196 Naucke, S. 65 FN 25; Kausch, S. 203; Foltis, S. 141 f. 197 Im Ansatz kritisch zu dieser Deutung Foltis, S. 153 FN 758. 198 Kleinschrod, Arch. d. Criminalrechts, 2. Band (1800), l. Stück (1799), S. 113, 120-122 §§ 5, 6; dazu Naucke, S. 65; vgl. auch Foltis, S. 152.

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wenden will. 199 Eine entsprechende Privilegierung der einfachen falschen Parteibehauptungen vor Gericht hingegen fehlt. Sie dürften von § 1140 erfaßt sein und werden von § 1175 bei Hinzutreten eines Parteieides nur schärfer bestraft. § 1176 enthält eine Vorschrift, die dem Tauschenden- wie die entsprechende Norm des PrALR - den Erfolg zurechnet, den er durch Täuschung des (Straf)Richters zum Nachteil eines Dritten erreicht. 200 Das Interesse solcher Nonnen für die hier zu behandelnden Fallgruppen wurde beim PrALR schon erläutert. Kleinschrod leistete insgesamt also weniger für die spätere Abgrenzung zwischen Fälschung und Betrug im heutigen Sinne, aber viel für ihre Motivation, indem er erstmals die eingangs angesprochene Frage nach der Grenze zwischen strafbarem und nur zivilrechtlich zu verfolgendem Betrug stellte. 201 Feuerbach kritisierte wenig später (1804) den Entwurf von Kleinschrod heftig. Auch er will noch nicht Betrug und Fälschung trennen, sondern bleibt bei einem unscharfen einheitlichen Begriff. Die Worte Betrug und Fälschung verwendet er abwechselnd als völlig gleichbedeutend. 202 Fälschung im engeren Sinne bedeutet ihm Täuschung durch Veränderung einer Sache, Betrug im engeren Sinne Täuschung ohne eine solche Veränderung. 203 Eine begriffliche Differenzierung findet also allenfalls über die Begehungsweise des einheitlichen Fälschungsdeliktes (im weiteren Sinne) statt, nicht nach den modernen Kriterien. Den Einsatz des gefälschten Gegenstandes zur Täuschung verlangt er- im Gegensatz zum Schaden - zwingend für die Vollendung des Deliktes. 204 Ist diese Voraussetzung erfüllt, spricht er von einer rechtswidrigen und offenbar automatisch strafbaren Tat, 205 will unter den rechtswidrigen Taten also nicht wie Kleinschrod zwischen strafbaren und straflosen differenzieren. Wohl aber lenkt Feuerbach den Blick auf das Rechtsgut, das durch den Tatbestand geschützt werden soll. Bei ihm findet sich erstmals eine solche Rechtsgutsorientierung im eigentlichen Sinne- er spricht von "Rechtsverletzung". Von ihm wird nun das falsum eindeutig und ausschließlich als Delikt gegen ein Recht auf Wahrheit verstanden. 206 Während Kleinschrod auch von der Verletzung des "Eigentums" ausging, also das Rechtsgut andeutete, das später dem Betrug zugewiesen wurde, und auch erst bei Schadenseintritt eine Deliktsvollendung anVgl. Kleinschrod, Entwurf,§ 1135. Vgl. Kleinschrod, Entwurf,§§ 1176, 1178. 201 Vgl. Foltis, S. 150-154. 202 Feuerbach, Kritik III, S. 92-100; vgl. auch Feuerbach (1. Aufl.), wo er unter § 450 das Verbrechen des Betruges als Fälschung im weiteren Sinne bezeichnet und sich in § 445 mit FN auf die von Paulus übernommene weite Definition beruft, die die Doktrin des italienischen Mittelalters ebenfalls zugrundegelegt hatte (vgl. dort), und § 446 sowie § 447, wo er die objektiven Tatbestandsmerkmale aufzählt; dazu Hupe, S. 6; Kausch, S. 204. 203 Feuerbach (1. Aufl.), § 450. 204 Feuerbach, Kritik III, S. 94 f.; Feuerbach (1. Aufl.), § 447, wo er den Schadenseintritt für unerheblich erklärt, und § 449, wo er die Vollendung unabhängig vorn Schaden definiert. 205 Feuerbach, Kritik III, S. 94 und 95; ausdrücklich Feuerbach (1. Aufl.), § 451. 206 Feuerbach, Kritik III, S. 94; dazu Foltis, S. 156 f. 199

200

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nahm, lehnt Feuerbach dies strikt ab. Er betont ausdrücklich, daß kein Schaden (am Vermögen) eintreten müsse, und kommt daher wie gezeigt schon bei vollbrachter Fälschung zur Vollendungsstrafbarkeit 207 Kleinschrod wirft er eine "Verwechslung zwischen Rechtsverletzung und Vermögensbeschädigung" vor. 208 Seine Betrachtungen zum Schutzgut gehen noch weiter, wenn er anschließend betont, Betrügereien könnten den Verkehr und das wechselseitige Vertrauen sowie bei Manipulationen öffentlicher Urkunden gar das Vertrauen in die öffentliche Ordnung stören und so die Grundfesten des Staates untergraben. 209 Insoweit gehen seine Erwägungen in Richtung auf die publica fides als Schutzgut, die später bei der dogmatischen Festigung der Fälschungsdelikte im modernen Sinne eine erhebliche Rolle spielen. Die Folge der sich nun durchsetzenden Erkenntnis, daß der Fälschungstatbestand keinen Schaden erfordere, war das weitere Hervortreten der Frage nach dem geschützten Rechtsgut Man sah sich gezwungen, die allgemein straflose Lüge vom strafbaren Bereich abzugrenzen.Z 10 Mit der Diskussion um die geschützten Rechtsgüter begann letztlich auch die Trennung von Fälschung und Betrug im eigentlichen Sinne,211 obwohl das Verständnis des falsum als Wahrheitsverletzung zunächst eine Ausdehnung beziehungsweise eine Erhaltung des alten, weiten gemeinrechtlichen Begriffes nahelegte. 212 Klien ging (1816 11817) ebenfalls wieder dazu über, die Strafbarkeit auf jede Täuschung auszudehnen, also die zivil- und strafrechtliche Ahndung völlig dekkungsgleich zu machen. 213 Er trennte indes erstmals wirklich zwischen Fälschung und Betrug. Betrug besteht nach Klien wesentlich darin, daß ein Mensch getäuscht wird, eine Fälschung darin, daß eine Sache ge-oder verfälscht wird. 214 Er erkennt 207 Feuerbach, Kritik III, S. 94; vgl. auch Feuerbach, S. 576, § 412 Anm. a), wo er den Schadenseintritt für unerheblich erklärt, sowie S. 580, § 414, wo er die Vollendung unabhängig vom Schaden definiert; dazu Kausch, S. 204; zum von Feuerbach inspirierten bayerischen StGB von 1813 vgl. Kausch, S. 207; Schütz, S. 69; zu Inkonsequenzen bei Feuerbach vgl. Wächter, S. 225. 208 Feuerbach, Kritik III, S. 95. 209 Feuerbach, Kritik III, S. 96 f. 210 Vgl. bei Feuerbach selbst S. 576, § 412 Nr. 2 und Feuerbach, Kritik III, S. 94, wo er selbst diese Abgrenzung dadurch andeutet, daß er für die Strafbarkeit die Verletzung des "vollkommenen Rechtes eines anderen auf Unterlassung der Täuschungshandlung" voraussetzt, was Mittermaier (vgl. dessen Note I. aufS. 577) als Ausformung der Lehre vom Recht auf Wahrheit begreift. Wobei ein allgemeines Recht auf Wahrheit von Feuerbach womöglich nicht gemeint war, was Mittermaier in seiner Note auch nicht unterstellt. Er nimmt es nur zum Anlaß zu allgemeiner Kritik an dieser Lehre. 211 Vgl. Kausch, S. 205; Foltis, etwaS. 158. 212 Foltis, S. 157. m Klien, Neues Arch. d. Crirninalrechts, 1. Band (1817), 1. Stück (1816), S. 124, 158 f. (ausdrücklich auch gegen Kleinschrods Eingrenzungsansatz); dazu Hupe, S. 6; Kunh, S. 38; Schütz, S. 85 f. 214 Klien, Neues Arch. d. Crirninalrechts, 1. Band (1817), 1. Stück (1816), S. 124, 127, 130 f. und 133.

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

auch durchaus, daß damit die Fälschung im Gegensatz zum Betrug schon vollendet ist, wenn noch niemand mit ihrer Hilfe getäuscht wurde. 215 Damit arbeitete er die Grundlage der bis heute gültigen Fälschungstatbestände heraus und legte zugleich eine Basis für die davon abgesonderte Behandlung des Betruges. 216 Dennoch zeigen seine Ausführungen, daß die an sich klar angelegte Trennung noch nicht recht zu Ende gedacht ist. So sieht er den Betrug gegebenenfalls durch die Fälschung schon begonnen und durch den Einsatz des Gegenstandes zur Täuschung beendet.217 Die Verbindung zwischen beiden bleibt also in gewissem Maße bestehen.218 Im Hinblick auf das verletzte Rechtsgut bringen Kliens Bemühungen keinen Fortschritt. Er geht von der Verletzung eines Rechtes auf Wahrheit aus. Wo ein solches - vor allem öffentlich-rechtlich - begründet ist, hat er keine Bedenken gegen die Strafbarkeit. An einem allgemeinen Recht auf Wahrheit fehle es indes. Daher kommt er zu dem Schluß, eine Täuschung sei dann rechtswidrig, wenn durch sie andere Rechtsgüter verletzt würden. 219 Dies entspricht den schon beim römischen Recht angedeuteten Ansätzen zur Abgrenzung rechtswidriger und rechtlich indifferenter Täuschungen. Klien beruft sich auch in diesem Sinne auf systematische Folgerungen aus dem römischen Recht. 220 Einen Schaden an einem solchen Rechtsgut setzt er daher zumindest für den Betrug voraus. Es kann sich nicht nur um Schäden an Eigentum oder Vermögen, sondern auch an Leben, Gesundheit oder Ehre handeln.Z21 Interessant ist, daß auch Klien eine gewisse Privilegierung von Handel und Wandel vorsieht. Allerdings nicht in dem Maße, wie andere es tun. Vielmehr entspricht seine Einschränkung recht exakt derjenigen, die man heute über den Tatsachenbegriff erreicht, wenn man marktschreierische Anpreisungen und dergleichen aus dem Tatbestand herausnimmt. 222 Grolmann führt den Aufsatz von Klien in der kurz darauf (1818) erscheinenden dritten Auflage seiner Grundsätze der Criminalrechtswissenschaft zwar an. 223 Jedoch hält er unter Berufung auf Feuerbach an einer gleichbedeutenden Verwendung der Begriffe Fälschung und Betrug fest: "Fälschung und Betrug im Allgemei215

242 f.

Klien, Neues Arch. d. Crirninalrechts, 1. Band (1817), 2. Stück (1816), S. 218, 231,

Hupe, S. 5; Kausch, S. 205. Klien, Neues Arch. d. Crirninalrechts, 1. Band (1817), 2. Stück (1816), S. 218, 242 f. 21s Vgl. Hupe, S. 5; Schlüchter, S. 588 mit FN 124. 219 Klien, Neues Arch. d. Criminalrechts, 1. Band (1817), 1. Stück (1816), S. 124, 138 ff.; Klien, Neues Arch. d. Crirninalrechts, 1. Band (1817), 2. Stück (1816), S. 218, 231 ff. 22o Klien, Neues Arch. d. Crirninalrechts, 1. Band (1817), 1. Stück (1816), S. 124, 144 ff. 221 Klien, Neues Arch. d. Crirninalrechts, 1. Band (1817), 2. Stück (1816), S. 218, 231233. Es spricht einiges dafür, daß Klien das Schadenserfordernis auch auf die Fälschung bezog, was seiner Trennung zwischen Betrug und Fälschung an sich widerspricht, vgl. S. 232 a.E. und 219 nach 2. 222 Klien, Neues Arch. d. Crirninalrechts, 1. Band (1817), 1. Stück (1816), S. 124, 154 f. 223 Grolmann, vor § 288. 216 217

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nen ist jede, eine Rechtsverletzung bewirkende Tauschung Anderer. " 224 Wird sie durch Veränderung der Merkmale einer Sache bewirkt, nennt er sie "Fälschung im engeren Sinne (falsum)", ansonsten "Betrug im engeren Sinne (stellionatus)". 225 Als beeinträchtigtes Rechtsgut kommen für ihn Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und Ehre in Betracht. 226 Einen tatsächlich eingetretenen Schaden setzt er mit Kleinschrod für die Erfüllung des Tatbestandes voraus?27 Erst Cucumus (1820) berücksichtigt aber wieder die Trennung Kleinschrods in Fälle, die zivilrechtlich zu regeln sind, und solche, die Strafe erfordern. 228 Er geht davon aus, daß Betrug "im allgemeinen" jede Tauschung durch Unwahrheit sei. 229 Überhaupt rechtlich zu berücksichtigen soll eine Tauschung nur sein, wenn sie mit der Schädigung eines anderen verbunden ist. Dann sei die actio de dolo einschlägig.230 Ob damit aber auch eine Strafbarkeit eintrete, hänge von weiteren Voraussetzungen ab, dies müsse also nicht stets so sein. 231 Zur Abgrenzung der strafbaren Taten entwickelt Cucumus nun das Differentialdiagnostikum auf der Ebene der Tathandlung (zumindest für eine Gruppe von falsa232), auf das die spätere besondere Behandlung des Prozeßbetruges direkt zurückzuführen sein dürfte: Er unterscheidet Tauschungen durch bloße Aussagen, denen man beliebig Glauben schenken könne, und solche durch Vorbringen äußerlich existierender Gründe, von denen auf das Behauptete als auf etwas notwendig Seiendes geschlossen werden müsse. 233 Dem entspricht exakt die spätere Unterscheidung beim Prozeßbetrug nach dem Umstand, ob Beweis für die falsche Behauptung erhoben wurde oder nicht. Einen tatsächlich eingetretenen Schaden will Cucumus nicht erfordern. 234 Zu beachten ist, daß er damit zunächst keineswegs eine Trennung von Fälschung und Betrug im heutigen Sinne kennt oder anstrebt. Allerdings will er zwischen dem römisch-rechtlichen falsum und stellionatus differenziert sehen?35 Das von Grolmann, § 288. Grolmann, § 288. 226 Grolmann, § 290. 227 Grolmann, § 290. 228 Ausdrücklich Cucumus, S. 69; vgl. hierzu auch Kurth, S. 38; Schütz, S. 23; Foltis, s. 159. 229 Cucumus, S. 1. 230 Ccucmus, S. 2 f. 231 Cucumus, S. 4 ff. 232 Foltis, S. 166. 233 Cucumus, S. 75 ff. ; dazu Kurth, S. 38 f.; vgl. auch Hupe, S. 78 f., der dieselbe Unterscheidung bei Zirkler (1840) nachweist; Foltis, S. 158-162. 234 Cucumus, S. 86 unter 4; aufrechterhalten bei Cucumus, Neues Arch. d. Criminalrechts, 10. Band (1829), 3. Stück (1828), S. 513, 516 f. und 520. 235 Cucumus, S. 90-100, 120 ff.; Cucumus, Neues Arch. d. Criminalrechts, 10. Band (1829), 3. Stück (1828), S. 513, 520. 224 225

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ihm mit dem Erfordernis des Vorbringens äußerlich existierender Gründe gekennzeichnete "Verbrechen des Betruges" will er auf das römisch-rechtliche falsum zurückführen. 236 Er ist damit der erste, der auf eine Trennung von falsum und stellionatus hinwirkt, während die wichtigen Lehrbücher noch der auf Leyser zurückgehenden einheitlichen Betrachtung anhängen. 237 Cucumus sah das falsum als Verbrechen gegen das Recht auf Wahrheit an und den stellionatus als durch Täuschung bewirkte Beschädigung.238 Dies war der erste Schritt hin zur heutigen Unterscheidung. 239 Den von ihm herausgelösten stellionatus versteht er allerdings zunächst keineswegs als Vermögensdelikt, sondern hält ihn - in wohl richtiger Deutung der römischen Quellen240 - für einen Auffangtatbestand für allerlei unredliche Rechtsverletzungen. 241 In der darauffolgenden Zeit ist zunächst kein wesentlicher Fortschritt erkennbar. Gönner (1825) wollte den Betrug weitgehend straflos lassen. Er meinte, Übervorteilungen dieser Art gehörten allenfalls vor das Zivilgericht. Dabei prägte er den häufig zitierten Ausspruch, es sei "eine starke Zumuthung an das Strafgesetz, wenn man eine Strafe verlangt, weil - ein leichtgläubiger oder gutmüthiger Mensch sich - überlisten oder täuschen ließ, oder wenn man von der Obrigkeit verlangt, sie solle den Champion für jeden Einfältigen machen. " 242 Wächter in seinem Lehrbuch von 1826 verwendet die Begriffe Fälschung und Betrug gleichbedeutend für eine vorsätzliche Verletzung des Rechtes auf Wahrheit. 243 Er befindet sich im Grundsatz auf dem Boden der alten Ansicht, die zwischen falsumund stellionatus keinen praktischen Unterschied sieht und die er als herrschend bezeichnet. 244 Etwas genauer will er aber vorgehen und eine gewisse Unterscheidung vornehmen: Den stellionatus sieht er als umfassendes "Aushülfsverbrechen" an, das bei dolus eingreift, wenn kein anderes Delikt einschlägig ist. 245 So werden nicht nur Fälle aus dem Bereich von "Fälschung und Betrug" (in seinem Sinne gleichbedeutend verstanden) vom stellionatus erlaßt, wenn sie nicht den die falsi und quasi-falsi regelnden Normen unterfallen, sondern auch andere dolose HandCucumus, S. 99 ff. und S. 119 unter§ 12. Hupe, S. 6; Schaffstein, FS Wieacker, S. 281, 293. 238 Cucumus, S. 91-134; Cucumus, Neues Arch. d. Crirninalrechts, 10. Band (1829), 3. Stück (1828), S. 513, 526; dazu Kausch, S. 206; Schaffstein, FS Wieacker, S. 281 , 293 f.; Schlüchter; S. 588 mit FN 124. 239 Zum Verdienst Cucumus' vgl. Kausch, S. 206 f. 240 Zu diesem Streit vgl. schon oben unter A. 241 Cucumus, S. 119 ff.; dazu Schaffstein, FS Wieacker, S. 281, 293 f. 242 Gönner; Neues Arch. d. Crirninalrechts, 7. Band (1825), 3. Stück (1825), S. 459, 468; dazu Kurth, S. 40 f.; Ellmer; S. 29. 243 Hfichter; S. 204 Anm. 91, S. 212 Anm. 97 und 98, S. 214, S. 220, S. 240 Anm. 11. 244 Hfichter; S. 206 Anm. 95. 245 Hfichter; S. 208 f. 236 237

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Iungen (wie Treulosigkeiten). 246 Aus seinen Abgrenzungsbemühungen geht hervor, daß er dem stellionatus nur Fälle zuordnen will, die einen liquidierbaren, also irgendwie materiellen Schaden zur Folge haben. 247 Die moderne Trennung in Fälschung und Betrug (im engeren Sinne, wie michter es nennt), hält er dennoch aus den römischen Begriffen nicht für begriindbar, da das falsum viele der modernen Betrugsfälle urnfasse. 248 Damit entspricht er durchaus der heute wohl herrschenden Meinung, zieht aber daraus - im Gegensatz zu den Autoren der folgenden Jahrzehnte - auch für das gemeine Recht den Schluß, eine solche moderne Trennung von Fälschung und Betrug sei unzulässig.249 Eine Begrenzung der Falsum-Strafbarkeit auf Fälle der Eigentumsverletzung oder gar im Sinne Kleinschrods auf die Fälle der Gefährdung des allgemeinen Eigentumsrechtes lehnt er ab?50 Auch Cucumus' Differenzierung nach äußerlich existierenden Griinden, die das Erkenntnisvermögen angreifen, findet keine Zustimmung. 251 michter will allein das bloße unwahre Ableugnen von der Strafbarkeit ausnehmen. 252 Cucumus meldet sich 1829 erneut zu Wort. Er hält seine Ansichten zu den römisch-rechtlichen Begriffen aufrecht, ändert aber die Zuordnung der deutschen Termini. Es soll nun das, was er 1820 als Verbrechen des Betruges herausgearbeitet und mit dem falsum gleichgesetzt hatte, Fälschung heißen. Das dem römischrechtlichen stellionatus entsprechende Verbrechen soll jetzt die Bezeichnung Betrug tragen. 253 Dabei soll dieser deutsche Begriff insofern enger als der römischrechtliche stellionatus verstanden werden, als er nur Schadenszufügungen durch Tauschungen meint (im Gegensatz zu sonstigen Treulosigkeiten und heimlichen Schädigungen, die der stellionatus auch urnfaßt).254 Mit dieser Unterscheidung zwischen stellionatus und falsum und der Zuordnung der deutschen Begriffe ist die Basis auch für deren Trennung geschaffen.

Bei Heffter findet sich 1833 zunächst noch eine Wiedergabe der alten Ergebnisse der gemeinrechtlichen Doktrin: Er gibt als Oberbegriff die Fälschung im weiteren Sinne, also die Paulus-Definition an, die seit dem italienischen Mittelalter zugrundeliegt. 255 Sodann grenzt er aber die Strafbarkeit danach ein, ob der Fall unter die römischen Normen zum falsum (crimen falsi im engeren Sinne) oder stelliona246 247 248

Wächter, S. 209 unter b). Wächter, S. 209 unter b), S. 220 unter 3), S. 224 unter c). Wächter, S. 209.

So ausdrücklich Wächter, S. 212 f., vgl. auch S. 223 f. Wächter, S. 214 f. 251 Wächter, S. 215 ff. 252 Wächter, S. 218; vgl. dazu hinten bei der Privi1egierung des Prozeßbetruges. 253 Cucumus, Neues Arch. d. Criminalrechts, 10. Band (1829), 3. Stück (1828), S. 513, 531 ff. 254 Cucumus, Neues Arch. d. Criminalrechts, 10. Band (1829), 4. Stück (1829), S. 681, 683f. 255 Heffter, S. 402, § 381 Anm. 1; zur Pau1us-Definition vgl. in diesem Abschnitt unter C. 249

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tus zu bringen ist, 256 die er getrennt behandelt. Verletztes Rechtsgut ist beim crimen falsi im engeren Sinne nach seiner Ansicht das Recht auf Wahrheit, eine Verletzung weiterer Rechte (Vermögen et cetera) setzt er nicht voraus. 257 Hingegen wird der stellionatus, den er in Anlehnung an das römische Recht ebenfalls als Auffangtatbestand versteht, durch den Eintritt eines Schadens gekennzeichnet, der allerdings nicht notwendig das Vermögen betreffen muß.Z58 Einen weiteren Schritt zur Trennung von Fälschungs- und Betrugstatbestand macht Bauer (1833) auf der Grundlage des Rechtes auf Wahrheit als geschütztem Rechtsgut. 259 Er bezeichnet als Fälschung "die aus einer Verletzung des Rechtes auf Wahrheit entspringende Gefahr einer schädlichen Täuschung" und als Betrug die durch "wirkliche Tauschung verursachte Beschädigung."260 Dies deutet die heutige tatbestandliehe Fassung schon an. Das crimen falsi soll auf das beschränkt werden, was heute die Fälschungsdelikte sind, der Betrug wird ausdrücklich bereits auf Vermögensrechte anderer bezogen. 261 Die historische Verquickung mit dem Betrug ist damit wohl bereits beendet. Letztlich stellt sich dies mithin als Verdienst der Lehre dar, die das Recht auf Wahrheit als geschütztes Rechtsgut zugrundelegte, das durch die Fälschung verletzt wird. Auf dieser Grundlage konnte man im nächsten Schritt schließen, daß die Verwendung des gefalschten Gegenstandes selbständig zu beurteilen ist und ein anderes Rechtsgut - namentlich das Vermögen - verletzt. 262 Auch der Gedanke, Tauschungen im Bezug auf Vertragsverhältnisse abweichend von sonstigen zu behandeln, wird in dieser Phase dogmatisch aufbereitet. Es stellt Heffter, S. 402, § 381 Anm. 2 und§ 383. Vgl. bei Heffter die Überschrift zum 4. Buch aufS. 40: "Verbrechen gegen die Rechtspflichten zur Wahrheit und zur Redlichkeit" und S. 404, § 383 Anm. 2, S. 406, § 385 mit Anm.l. 258 Heffter, S. 414 f. mit FN 4 aufS. 416. 259 Bauer; § 269. 260 Bauer, § 272; dazu Bettendorf, S. 31 . 261 Bauer, §§ 271, 272, 273 und 278. 262 Dazu Bettendorf, S. 31 ff.; vgl. dort auch zu dem Problem der Lehre vom Recht auf Wahrheit: Das Recht kann und will nicht jede Lüge bestrafen. Es ist also schwierig, auf der Grundlage dieser Lehre zu begründen, warum gerade die Fälschung von Urkunden unabhängig von der Beschädigung sonstiger Rechtsgüter strafbar sein soll. Die Antwort auf dieses Problem versucht (und erreicht ansatzweise) die unter anderem von Merke/ und Hälschner vertretene Publica-fides-Lehre, die in dem besonderen Vertrauen, das Urkunden im Rechtsverkehr genießen, das geschützte Rechtsgut fand (b. Bettendorf, S. 33 ff.) Die Grundlage für diesen Gedanken läßt sich wohl schon auf die von Cucumus herausgearbeitete besondere Wirkung von gefälschten Gegenständen zuriickführen. (Bei Bauer finden sich hingegen lediglich in §§ 297 ff. Verbrechen wider öffentliche Treue und Glauben, die auch Betrug und Fälschung mit Gegenständen des Verkehrs umfassen.) Die Publica-fides-Lehre hat damit ebenfalls bedeutenden Anteil an der Entwicklung beziehungsweise Festigung der Trennung von Fälschung und Betrug, da sie die Gruppe der Fälschungen stabilisierte, indem sie ihr ein Rechtsgut der Allgemeinheit als Schutzgut zuwies (dazu Bettendorf, S. 35 f.). 256 257

1. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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sich die Frage, ob und inwieweit das durch eine Täuschung verletzte Recht auf Wahrheit auch bei Abschluß und Abwicklung von Vertragsverhältnissen gilt und ob es nicht umgekehrt sogar durch ein solches Verhältnis begründet oder verstärkt werden könnte.263 Das 1836 erscheinende Lehrbuch von Abegg bleibt weit hinter Bauers Erkenntnissen zurück, obwohl auch Abegg ein Recht auf Wahrheit voraussetzt. 264 Er stellt die allgemeine Wendung von Paulus voran265 und findet unter dem "Betrug als Gattungsbegriff' die "widerrechtliche absichtliche Entstellung der Wahrheit" erfaßt.266 Innerhalb dieses Begriffes unterscheidet er Fälschung im engeren Sinne und Betrug im engeren Sinne ähnlich wie Grolmann, der sich seinerseits wiederum auf Feuerbach berufen kann. 267 Bauers aus heutiger Sicht fortschrittliche Ablösung von den römisch-rechtlichen Unklarheiten kritisiert Abegg nun gerade unter Berufung auf dieses römische Recht: Sie werde "nicht durchgängig durch die Quellen unterstützt". 268 Ohne Konsequenz blieb zunächst die von Cucumus entwickelte Differenzierung nach einfachen Aussagen und solchen, die durch Vorbringen äußerlich existierender Gründe bestärkt werden. Sofern man nicht die bei Feuerbach, Gralmann und Abegg vorgenommenen begrifflichen Unterscheidungen zwischen Fälschung und Betrug "im engeren Sinne" als Ausformungen jener Gedanken sehen will. Denn sie unterscheiden damit ebenfalls zwischen bloßen Täuschungen und solchen durch Veränderungen eines äußeren Gegenstandes. Erst Mittermaier (1838/ 1840) griff Cucumus' Unterscheidung eigentlich wieder auf. Er läßt zivilrechtliehen Schutz bei bloß wörtlichen Lügen genügen und will angelehnt an den französischen Code penal- nur bestrafen, wenn besondere Veranstaltungen hinzutreten, die auch einen Vorsichtigen zu täuschen geeignet sind, oder wenn schon der Vorspiegelung selbst diese Eignung innewohnt. 269 "Es kann dem Gesetzgeber nicht einfallen, jeden Albernen, Leichtgläubigen oder Schwachen durch Strafgesetze zu schützen.•mo Dies kommt auch in der Ausnahme zum Ausdruck, nach der Strafbarkeit in Verhältnissen stets eintritt, in denen das Opfer dem Täter zu vertrauen genötigt ist, weil es keine Überprüfungsmöglichkeiten 263 Vgl. die Erwägungen bei Cucumus, Arch. d. Criminalrechts N.F., Jahrgang 1837, S. 431 ff. und 520 ff., die in allen ihren Differenzierungen und Stellungnahmen zu Partikulargesetzen hier nicht im einzelnen nachvollzogen werden können. 264 Abegg, § 192 a.E. 265 Abegg, § 192. 266 Abegg, § 197. 267 Abegg, § 197. 268 Abegg, § 197. 269 Mittermaier in Feuerbach, S. 577 Note III.; Mittermaier, Annalen, S. 18; vgl. auch Mittermaier in Feuerbach, S. 573 f. Note I und III: "hinterlistige Veranstaltung" und ,.bloße Vorspiegelung" und S. 575 Note IV, wo er die französische Rechtsprechung zitiert, die seiner Meinung entspricht; dazu Kurth, S. 42 ff.; Ellmer, S. 29 f. 270 Mittermaier, Annalen, S. 17.

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hat. 271 Hier kommt die Differenzierung also derjenigen, die sich später beim Prozeßbetrug findet, noch näher, weil nun auf die Sicht des Opfers abgestellt und gefragt wird, ob es sich - pflichtgemäßerweise - hätte täuschen lassen dürfen oder nicht. Auch die Formulierung liegt ganz auf dieser Ebene: "( ... ) da diese einseitige Versicherung doch keinen Zwang für das Erkenntnisvermögen des Anderen enthält."272 Bei der Entwicklung seines Kriteriums beruft sich Mittermaier auch ausdrücklich auf die oben schon erwähnte römisch-rechtliche Wendung von der "magna et evidens calliditas". 273 Es klingt neben dem eben genannten Differenzierungsansatz auch die später von Merket zum entscheidenden Kriterium gemachte Auffassung an, daß die Absicht entscheidet, dem Opfer die Erlangung von Ersatz zu erschweren oder unmöglich zu machen. 274 Auch die Privilegierung von Täuschungen in Bezug auf Vertragsverhältnisse hinsichtlich einer ansonsten befürchteten Behinderung des Rechtsverkehrs wird von Mittermaier befürwortet. 275 Als beschädigtes Recht ließ er ursprunglieh neben dem Vermögen auch Familie und Ehe zu. Er war also zunächst noch weit davon entfernt, ein Vermögensverschiebungsdelikt zu konstruieren, 276 wiewohl er dem römisch-rechtlichen stellionatus wie später Merket- allein die Vermögensbeschädigung als tatbestandliehen Erfolg zuordnen zu können glaubte. 277 Dies wollte er nicht direkt übernehmen, führte es aber als Argument gegen eine zu weite Betrugsauffassung ins Feld. Ihm lag zumindest an der Begrenzung auf ein irgendwie bestimmtes Recht oder materielles Gut. 278 Auch betrachtet er zunächst die Fälschung begrifflich als besonders schwer zu bestrafende Form des Betruges.279 Es zeigt sich hier sehr deutlich der schon mehrfach angesprochene Effekt, daß bei Beriicksichtigung des Opfer(mit)verschuldens beziehungsweise beim Verlangen einer qualifizierten Täuschung die Manipulation von Gegenständen (mithin die Fälschung) fast zwangsläufig zum Musterfall für die Erfüllung dieses Zusatzerfordernisses wird. So geht auch Mittermaier davon aus, daß die Fälschung ein Opfer(mit)verschulden ausschließt, 280 und gelangt auf diesem Wege zu einer erneuten Verbindung von Fälschung und Betrug. Dennoch zählte Mittermaier in der Folge wohl zu denen, die der Trennung zwischen dem stellionatus als Vermögensdelikt und dem falsum als Delikt gegen die publica fides Mittermaier in Feuerbach, S. 574 Note III. Mittermaier in Feuerbach, S. 577 Note II.; auch Mittermaier; Annalen, S. 17; vgl. dazu auch Schütz, S. 146. 273 Mittermaier; Annalen, S. 4, 19; dazu Kurth, S. 44. 274 Mittermaier; Annalen, S. 21 f. 275 Mittermaier; Annalen, S. 22 f. 276 Mittermaier; Annalen, S. 9; dazu Köstlin, S. 123 FN 2; Dohna, S. 483; Schütz, S. 80 f. 277 Mittermaier in Feuerbach, S. 573 Note II. und S. 579 Note I.; vgl. auch Mittermaier; Annalen, S. 4, 8; zu den Bedenken gegen diese Deutung des römisch-rechtlichen stellionatus als Vermögensdelikt vgl. schon oben unter A. 278 Vgl. Mittermaier in Feuerbach, S. 573 Note II und S. 579 Note I. 279 Mittermaier; Annalen, S. 28 ff. 280 Mittermaier; Annalen, S. 28 f. 271

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zum Durchbruch verhalfen. 281 Die Lehre vom Recht auf Wahrheit bekämpfte er vor allem mit dem Argument, dieses Recht gehe, wenn man es allgemein zugrundelege, viel zu weit und habe, sobald man es zu begrenzen suche, keinerlei scharfe Konturen.282 Er war zudem als rechtsvergleichend Tatiger (wenn nicht als Begründer der Rechtsvergleichung im Strafrecht überhaupt) vom französischen Vorbild beeinflußt, das die erwähnte Trennung schon seit 1810 vollbracht hatte. 283 Einfluß gewannen seine Erkenntnisse vor allem über die von ihm herausgegebenen und mit Anmerkungen versehenen Auflagen des Lehrbuches von Feuerbach. 284 Die Forderung nach säuberlicher Trennung von Fälschung und Betrug stellte er auch programmatisch auf, indem er eine entsprechende Gesetzgebung forderte. 285 Die Bedeutung der Frage nach der Vollendung des Deliktes, wie sie oben bei Feuerbach noch für seinen alten, einheitlichen Falsum-Begriff auftaucht, manifestiert sich auch in den Ausführungen Mittermaiers: Er beantwortet sie mit der Trennung von Fälschung und Betrug und kommt damit zwanglos zu dem Ergebnis, daß Betrug zur Vollendung einen Schaden erfordert, die Fälschung hingegen nicht. Für sie verlangt er je nach Objekt die Verfalschung oder das Gebrauchmachen. 286 Hingegen lehnt Günther (1840) im Grundsatz jede Berücksichtigung des Opfermitverschuldeos und jede qualifizierte Anforderung an die Tauschung ab. 287 Auch eine Privilegierung von Vertragsverhältnissen ist ihm fremd. 288 Er geht also in diesem Bereich in die Richtung der heute herrschenden Meinung, die gerade den besonders leicht zu Tauschenden für schutzwürdig hält. Ansonsten nehmen seine Anschauungen eine merkwürdige Zwischenposition ein. Sein Betrugsbegriff ist unübersichtlich und im einzelnen hier nicht von Interesse. 289 Die Grundstruktur einer Kette von lrrtumserregung, Irrtum, Handlung des 281 Mittermaier in Feuerbach, S. 567, wo er dem römisch-rechtlichen falsum die publica fides als Schutzgut zuordnet, und S. 568 Note III. sowie Mittermaier, Annalen, S. 11, wo er das Recht auf Wahrheit als Schutzgut des Betruges bekämpft; Schaffstein, FS Wieacker, s. 281,294. 282 Mittermaier in Feuerbach, S. 577 Note I. 283 Mittermaier in Feuerbach, S. 567 Note Il. und S. 569 f. Note IV, wo er auf die Trennung zwischen Fälschung und Betrug im französischen, aber auch im italienischen und englischen Recht hinweist; vgl. auch Mittermaier, Annalen, S. 16. 284 Vgl. Schaffstein, FS Wieacker, S. 281, 294 mit FN 44, wo er besonders auf die Auflage von 1840 verweist, die auch den hier verwendeten Zitaten zugrundeliegt 285 Mittermaier in Feuerbach, S. 568 Note III. 286 Mittermaier in Feuerbach, S. 580 f. Note I. Letzteres verlangt er namentlich bei der Urkundenfälschung, was den späteren gesetzlichen Tatbestand, der so bis 1943 galt, schon vorwegnimmt und als gewisse Nachwirkung der alten Verquickung von falsum und Betrug verstanden werden kann. 287 Günther, in Weiskes Rechtslexikon, Bd. 2, S. 81 f. und 84; Kunh, S. 47. 288 Vgl. dazu Günther, in Weiskes Rechtslexikon, Bd. 2, S. 86. 289 Vgl. dazu bei der Geschichte des Merkmals Vermögensverfügung und bei der Analyse der Literatur des 19. Jahrhunderts zum Prozeßbetrug.

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Getäuschten und Schaden ist schon erkannt. 290 Eine Begrenzung auf das Vermögen als betroffenes Rechtsgut ist Günther indes fremd, er rechnet jedes öffentliche oder private geschädigte Rechtsgut zum Betrugstatbestand. 291 Er versteht den Betrug im übrigen insgesamt nicht als rechtsgutsorientiert, sondern als "formelles Verbrechen", das also nur der Begehungsweise nach charakterisiert ist. 292 Dies bestätigt sich auch darin, daß er neben dem "Betrug als Mittel, ein Verbrechen zu begehen", also einen Schaden an irgendeinem Rechtsgut zu verursachen, auch den "an und für selbst" strafbaren Betrug anerkennt. Dieser ist schon in der Verletzung einer Wahrheitspflicht begründet, wobei keine allgemeine solche Pflicht, sondern eine aus konkreten Situationen erwachsende angenommen wird.293 Eine Trennung des Betruges von den Fälschungshandlungen, die sich gegen den öffentlichen Treu und Glauben richten, ist Günther bereits gelungen. Er hält zum Beispiel die Urkundenfälschung aus diesen Erwägungen heraus für isoliert strafbar und sieht, daß ein Betrug durch den Einsatz des gefälschten Gegenstandes getrennt zu betrachten ist. 294 Dennoch wirken alte Vorstellungen nach, was vor allem an der Heranziehung des Rechtes auf Wahrheit liegt. Etwa wenn er erklärt, das Vermarkten verfälschter Ware oder Geldstücke sei auch Betrug, wenn gar kein Schaden entstehe. 295 Der alte, weite Oberbegriff der Fälschung lebt fort, wenn Günther annimmt, alle Wahrheitspflichtverletzungen nenne man Fälschung und die (Ver-)Fälschung von Gegenständen sei Fälschung im engeren Sinne.296 Es entsteht dadurch ein eigentümliches Begriffssystem: Fälschung im weiteren Sinne und Betrug als sich überschneidende Oberbegriffe mit dem Betrug als Wahrheitspflichtverletzung ohne Schaden in der Schnittmenge und dem Betrug infolge Schadensverursachung und der Fälschung im engeren Sinne in den jeweiligen Restmengen. Dies macht ganz deutlich, daß es sich hier um ein Übergangsstadium handelt, das teils schon von neuen, teils noch von alten Vorstellungen beherrscht wird. 297 Die Strafbarkeit will Günther im übrigen von einer gewissen Erheblichkeit des Schadens abhängigmachen. 298 Auch der Gedanke Merkels, die Ersetzbarkeit des Schadens als Kriterium heranzuziehen, klingt bereits hier an. 299 Günther, in Weiskes Rechtslexikon, Bd. 2, S. 75 f. Günther, in Weiskes Rechtslexikon, Bd. 2, S. 76 und 85 f., wo er selbst die "Keuschheit" als geeignetes Angriffsgut bezeichnet. 292 Günther, in Weiskes Rechtslexikon, Bd. 2, S. 85 FN 5. 293 Günther, in Weiskes Rechtslexikon, Bd. 2, S. 86 f. 294 Günther, in Weiskes Rechtslexikon, Bd. 2, S. 88 ff. 295 Günther, in Weiskes Rechtslexikon, Bd. 2, S. 88. 2% Günther, in Weiskes Rechtslexikon, Bd. 2, S. 89. 297 Vgl. dazu auch Günther, in Weiskes Rechtslexikon, Bd. 2, S. 96 f., wo er den römischrechtlichen stellionatus als Teilmenge seines Betrugsbegriffes erklärt, da im römischen Recht allein die Beschädigung fremden Vermögens darunter gefallen sei (zum Streit über diese Ansicht vgl. schon oben). 298 Günther, in Weiskes Rechtslexikon, Bd. 2, S. 91. 299 Günther, in Weiskes Rechtslexikon, Bd. 2, S. 91 f. 290 291

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Escher ( 1840) greift sodann die Trennung zwischen zivilrechtlicher und strafrechtlicher Verfolgbarkeil wieder auf. Als Betrug im weiteren Sinne gilt ihm jede Tauschung zur Schädigung eines anderen beziehungsweise zur Erlangung eines unrechtmäßigen Vorteiles. Auf diese Weise will er den rechtswidrigen vom erlaubten Betrug abgrenzen. 300 Innerhalb des unerlaubten Betruges unterscheidet er sodann den strafbaren vom nicht strafbaren. 301

Dabei geht er davon aus, daß zivilrechtliche Mittel nicht genügen, wenn besondere betrügerische Mittel im Sinne der mana:uvres frauduleuses des französischen Rechtes eingesetzt werden und dadurch auch eine Person von hinreichender Klugheit und Aufmerksamkeit der Tauschung nicht entgehen konnte. 302 Er benutzt also die objektive Qualifikation der Tauschung zur Abgrenzung, argumentiert aber eigentlich mit der Leichtgläubigkeit, also mit dem Mitverschulden des Opfers?03 Es genügte neben der planmäßigen, arglistigen, durch künstliche Mittel hervorgebrachten Tauschung auch eine mit Umständen ausgemalte und auf listige Weise glaubhaft dargestellte Lüge. Bei dieser vom Maß der Pflichtwidrigkeit des Opfers herkommenden Argumentation fallt auf, daß dies eigentlich eine starre Festlegung auf bestimmte Täuschungsmittel - wie später beim Prozeßbetrug auf Beweismittel - nicht nahelegt Vielmehr erscheint die Glaubwürdigkeit generell entscheidend, weshalb sich Escher auch nicht auf den Einsatz manipulierter Gegenstände festlegt. Es ist dies ein Punkt, an dem gerade die spätere Rechtsprechung zum Prozeßbetrug krankt. Denn der Richter wird im Rahmen der freien Beweiswürdigung durchaus auch einmal einen Umstand glauben dürfen, für den unmittelbar kein Beleg beigebracht wurde. 304 Als verletztes Schutzgut wollte Escher das Recht auf Wahrheit nicht anerkennen. 305 Er trennt falsum und Betrug im Sinne der bei Klien angedeuteten Differenzierung zwischen Sachen, die gefeilscht, und Menschen, die betrogen werden. 306 Im Gegensatz zu Klien gelingt ihm die Trennung auch tatsächlich, da er als Schutzgut des falsum die publica fides und als das des Betruges bereits das Vermögen ansieht. 307 Diese Erkenntnisse führt er auf den römisch-rechtlichen stellionatus zurück, dem er einen Vermögensschaden als Tatbestandsmerkmal sowie das Erfordernis einer planmäßigen, arglistigen, durch künstliche Mittel hervorgebrachten Tauschung zuschreibt. 308 Ebenso stützt er sie auf das römisch-rechtliche falsum, 300 301 302 303 304

Escher, S. 53 - 57. Escher, S. 57 ff., aufS. 65 f. ausdrücklich anknüpfend an Cucumus. Escher; S. 66, 158 ff., 165 ff.; dazu Kurth, S. 48 f.; Ellmer, S. 31. Escher, S. 66; dazu Grünhut, S. 63. Vgl. dazu die Zusammenfassung im 5. Abschnitt.

Escher, S. 55, 84 ff., 96 ff., 140,318 f.; dazu Ellmer, S. 45 mit FN 143. Escher; S. 145 f., ausdrücklich S. 313; dazu Hupe, S. 7. 307 Escher; S. 84 ff., 96 ff., 140, ausdrücklich 146, 149 f., ausdrücklich 319 ff.; dazu Hupe, S. 7; Ellmer, S. 46 mit FN 149. 305

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dessen Wesen er in der täuschenden Nachahmung oder Veränderung von Gegenständen sieht, welche als Grundlage der öffentlichen Treue dienen. 309 Vollendet ist die Fälschung mit der Hervorbringung der gefahrdenden Sache.310 Die Loslösung der Fälschungsdelikte vom Schadenseintritt ist damit gelungen. Ein wesentliches Hindernis auf dem Weg zum heutigen Verständnis von Betrug und Fälschung ist überwunden. Es finden sich bei Escher also bereits die Grundlagen, auf denen Köstlin und Merke/ dann aufbauen. Auch Geib (1840) trennt zivilrechtlich und strafrechtlich zu verfolgenden Betrug.311 Er geht dabei von der bei Mittermaier gesehenen Differenzierung aus. 312 Wo nach allgemeiner Anschauung ("nach Maßgabe der jedesmal herrschenden Volksansichten") nicht mit einer Täuschung zu rechnen ist, will er jede Täuschung bestrafen. Wo hingegen eine Tauschung naheliegt, soll sie nur strafbar sein, wenn das individuelle Opfer nach seinen geistigen Fähigkeiten nicht in der Lage war, sie zu durchschauen. 313 Dies ist eine konsequente Weiterentwicklung der Berücksichtigung der Pflichtwidrigkeit des Opfers, da nun der Verschuldensmaßstab individualisiert wird und so auch Schwache ausreichend geschützt werden. Diese Tiefe der Differenzierung hat aber keinen Einfluß auf die spätere Behandlung des Prozeßbetruges, da an den Richter stets höchste Anforderungen bei der Wahrheitstindung gestellt werden. (Geib will die individuelle Prüfung der Geisteskräfte des Opfers zwar für den Regelfall durch Einführung eines gewissen Mindestdurchschnittsmaßstabes vermeiden. 314 Dies erscheint mit seinem theoretischen Ansatz aber schwer vereinbar.) Daß sein Ansatz die Privilegierung von Täuschungen in Bezug auf Vertragsverhältnisse schlüssig zu begründen vermag, liegt auf der Hand und wird von Geibauch angeführt? 15 Als geschütztes Rechtsgut betrachtet er - gegenüber dem Recht auf Wahrheit sehr einschränkend, aber noch nicht auf Vermögensverschiebungen im heutigen Sinne beschränkt - jede einzelne, bestimmt nachweisbare Rechtsposition, sofern sie mit Zwang durchsetzbar, mithin vollstreckbar ist.316 Er will sich dabei durchaus nicht auf Vermögensrechte beschränken und zum Beispiel auch Kindesunterschiebungen oder Eheerschleichungen, also Betrügereien bezüglich des Familienstandes Escher; S. 84 ff., 96 ff., 140, ausdrücklich 147, 163; dazu Hupe, S. 7. Escher; S. 316 und zum BeispielS. 327, 329, 337. 310 Escher; S. 350-352. 311 Geib, Arch. d. Criminalrechts N.F., Jahrgang 1840, S. 97, 98 ff. 312 Geib, Arch. d. Criminalrechts N.F., Jahrgang 1840, S. 97, 108 ff., 116 ff. 313 Geib, Arch. d. Criminalrechts N.F., Jahrgang 1840, S. 97, 122, 125, 195; dazu Merket, S. 329 f.; Hupe, S. 10; Kurth, S. 50 f.; Ellmer; S. 32 und 48; Schütz, S. 519. 314 Geib, Arch. d. Criminalrechts N.F., Jahrgang 1840, S. 195, 196 f.; dazu Kurth, S. 51 mit FN 3; Ellmer; S. 32 f. 315 Geib, Arch. d. Criminalrechts N.F., Jahrgang 1840, S. 195, 203 ff. 316 Geib, Arch. d. Criminalrechts N.F., Jahrgang 1840, S. 97, 110 ff.; dazu Ellmer; S. 46 mit FN 147. 308

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und dergleichen, erfaßt sehen. 317 Es handelt sich hier also um eine Zwischenstufe auf dem Weg vom Schutz des Rechtes auf Wahrheit hin zum heutigen - viel engeren - Betrugsbegriff und um einen Rückschritt gegenüber jenen Autoren, die bereits das Vermögen als Schutzgut anerkannt hatten und von denen sich Geib ausdriicklich absetzt. 318 Temme (1841) verlangt ebenfalls, daß die Täuschungsmittel ungewöhnliche sein müssen, durch die die meisten getäuscht werden können. Hingegen habe sich gegen Vorspiegelungen, die mit gewöhnlichen Geisteskräften unter gehöriger Anspannung durchschaubar seien, jeder selbst zu schützen? 19 Lüge, List und Täuschung hält er im Gegensatz zu Escher zwar stets für unerlaubt, aber eben nicht stets für strafbar. 320 Das Recht auf Wahrheit als entscheidendes Rechtsgut sieht er als überwunden an?21 Es sorge zwar dafür, daß jede Lüge und Täuschung nach dem Sittengesetz unerlaubt sei. Rechtlich hingegen müsse es für den Betrug um die Verletzung eines erzwingbaren Rechtes gehen, das nicht in einem allgemeinen Recht auf Wahrheit gesehen werde könne. 322 Er distanziert sich an anderer Stelle auch ausdrücklich von der "sonderbar zusammengesetzten Lehre von Betrug und Fälschung" der älteren gemeinrechtlichen Doktrin. 323 Die Grundlagen für die Trennung im modernen Sinne sind also anerkannt. Friedreich (1841) lehnt im Gegensatz zu Temme jede Differenzierung zwischen strafbarem und nur zivilrechtlich zu verfolgendem Betrug und damit auch Unterscheidungen nach Täuschungsmitteln oder Opfermitverschulden ab. 324 Er empfindet die Schlußfolgerung aus der römisch-rechtlichen Formulierung "magna et evidens calliditas" als überzogen und will zudem auch und gerade die Schwächeren schützen. 325 Er kehrt das Argument seiner Gegner um, die zu weite Betrugsstrafbarkeit könnte den Geschäftsverkehr behindern. Eine Behinderung desselben drohe eher durch das allgemeine Mißtrauen, das entstehen müsse, wenn jedermann stets damit rechnen müsse, von seinem Gegenüber straflos betrogen zu werden. 326 Das Recht auf Wahrheit als Schutzgut des Betruges will Friedreich übrigens nicht mehr anerkennen. 327 Der Betrug gilt ihm in Anlehnung an Eseher als "Verbrechen gegen fremdes Eigenthum". 328 317 Geib, Arch. d. Criminalrechts N.F., Jahrgang 1840, S. 97, 113 ff.; dazu Dohna, S. 483; Schütz, S. 80 f.; vgl. auch Hupe, S. 10. 318 Geib, Arch. d. Criminalrechts N.F., Jahrgang 1840, S. 97, 113. 319 Temme, S. 49 ff., 55 ff.; dazu Kurth, S. 53 f.; Schütz, S. 34 f. 320 Temme, S. 29. 321 Temme, LB, S. 974 mit FN 2. 322 Temme, S. 29 f. und 33. 323 Temme, LB, S. 972. 324 325 326 327

6*

Friedreich, Annalen, S. 317 ff. Friedreich, Annalen, S. 318 und 327; dazu Kurth, S. 54 f.; Ellmer, S. 34. Friedreich, Annalen, S. 326 f., 332 ff.; dazu Ellmer, S. 34. Friedreich, Annalen, S. 306-310.

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Von Jagemann hingegen greift 1846 für Täuschungen im Hinblick auf Vertragsverhältnisse die individualisierende Betrachtung wieder auf. Er will nach den augewandten Kunstgriffen und den Intelligenzverhältnissen zwischen Täter und Opfer abwägen, im Zweifel aber gegen eine Strafbarkeit entscheiden.329 Hinsichtlich der Trennung von Fälschung und Betrug im heutigen Sinne bedeuten seine Ausführungen einen gewissen Rückschritt. Zwar erkennt er an, daß Fälschungen an Sachen verübt werden und nur der Betrug einen Schaden voraussetzt. Jedoch will er als Oberbegriff "Falschheit" mit der Gemeinsamkeit einer rechtswidrigen Entstellung der Wahrheit setzen. 330 Bemerkenswert bleibt, daß er die mögliche Herausnahme von Täuschungen bei Vertragsverhältnissen aus der Betrugsstrafbarkeit mit dem römisch-rechtlichen Erfordernis einer "magna et evidens calliditas" begründet.331 Goltdammer lehnt das Recht auf Wahrheit als Schutzgut des Betruges kategorisch ab, das nun wohl in der Diskussion keine Rolle mehr spielt. Es sei lediglich das durch die Täuschung im Ergebnis verletzte Rechtsgut geschützt. 332 Er muß 1852 zur preußischen Gesetzgebung anerkennen, daß die Vermeidbarkeit des Irrtums ohne Bedeutung ist, vielmehr jede ursächliche Täuschung genügt. 333

Auch Temme trägt dieser legislatorischen Entwicklung 1853 Rechnung und rückt vom Erfordernis der besonderen Arglist ab? 34 Er referiert nun auch den preußischen § 241 StGB, bei dem ihm die Beschränkung auf Vermögensbeschädigungen im Vergleich zu seinem gemeinrechtlichen Betrugsbegriff erwähnenswert scheint, 335 ohne daß er den letzteren zu ändern Veranlassung sieht. Wie schwer das Aufgreifen der modernen Begrifflichkeit nach Erlaß des § 241 PrStGB fiel, belegt eine seiner Bemerkungen. Das PrStGB habe letztlich die Einteilung des ALR übernommen und enthalte damit, obwohl der "Betrug im weiteren Sinne" (also der die Fälschung umfassende) nicht mehr vorkomme, diese Idee (vom Betrug im weiteren Sinne) dennoch weiter? 36 Die aus heutiger Sicht hervorragende Leistung des PrStGB, diese ungenaue Begrifflichkeit endgültig überwunden zu haben, wird also nicht recht anerkannt. Auch die Tatsache, daß der Betrug dort nun als Vermögensverschiebungsdelikt ausgestaltet ist, wird lediglich als - womöglich mißbilligenswerte - "Herübernahme mancher Grundsätze aus dem französischen Recht" gewürdigt. 337 Friedreich, Annalen, S. 313 ff. Jagemann, Arch. d. Criminalrechts N.F., Jahrgang 1846, S. 206, 211-213; dazu Kunh, S. 56; Ellmer; S. 39 f. 330 Jagemann, Arch. d. Criminalrechts N.F., Jahrgang 1846, S. 206 ff. 331 Jagemann, Arch. d. Criminalrechts N.F., Jahrgang 1846, S. 206, 212 mit FN 20. 332 Goltdammer; GA 3 (1855), 605,610. 333 Dazu Kurth, S. 57 f. 328

329

334 335 336 337

Vgl. bei Temme, LB, S. 978 mit FN 2; dazu Kurth, S. 58. Temme, LB, S. 977,979 FN 2. Temme, LB, S. 975. Temme, LB, S. 975.

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Bemerkenswert im Sinne der Fortwirkung alter Anschauungen ist eine Äußerung Goltdammers aus dem Jahre 1857 auf dem Boden der preußischen Gesetzgebung. Er bemerkt, das Gesetz habe Betrug und Fälschung zwar getrennt, deren "innere Verwandtschaft" werde dadurch aber nicht beseitigt. 338 Zu referieren sind nun noch die heute in der Regel als für die moderne Betrugsdogmatik grundlegend betrachteten Äußerungen von Köstlin und Merke/ sowie einige andere bedeutendere Veröffentlichungen aus jener Zeit. Köstlin (1857 /58) sieht den zivilrechtliehen und strafrechtlichen Betrug zunächst deckungsgleich, will aber die Strafbarkeit doch zuriicknehmen. 339 Sein Ansatz ist grundsätzlich der, den schon Kleinschrod vorgegeben hat: Störungen auf individueller Ebene könne das Privatrecht regeln, der sie tragende Wille sei kein strafrechtlicher dolus. Dieser liege erst vor, wenn eine "prinzipielle Verletzung des Rechtes" verursacht werde, hier also der Eigentums- und Vermögensrechte. 340 (Das Recht auf Wahrheit als Schutzgut lag ihm also völlig fern, 341 er verwendete vielmehr schon einen Vermögensbegriff im heutigen, engeren Sinne.342) Er will nicht quantitativ nach Höhe des Schadens, sondern qualitativ unterscheiden. 343 In Vertragsverhältnissen soll das Strafrecht demnach unanwendbar bleiben. 344 Eine Trennung nach der römisch-rechtlichen "magna et evidens calliditas" lehnt er ebenso ab wie eine Beriicksichtigung der Vermeidbarkeit des Irrtums (mit Ausnahme völlig offenkundiger Täuschungen)?45 Insoweit befindet er sich auf der Linie der heute herrschenden Meinung, indem er für eine konsequente Anwendung der Äquivalenztheorie eintritt. Seine Trennung je nachdem, ob der Betrug in Vertragsverhältnissen stattfindet oder nicht, hält er nicht konsequent durch. So schleicht Goltdammer, GA 5 (1857), 751, 759. Köstlin, ZS, S. 345 f., 364, 394 f.; Naucke, S. 93; Kurth, S. 50; vgl. auch Ellmer, S. 24 f. und 38 ff. 340 Köstlin, ZS, S. 397; Naucke, S. 94; Kurth, S. 59 f. Der Gedanke fußt auf einer theoretischen Anschauung von Recht und Rechtsverletzung, deren Darlegung hier zu weit ginge. Vgl. dazu etwa Mattes I, S. 123: Köstlin sah im Verbrechen mehr als die Verletzung einer vereinzelten Berechtigung, nämlich die Verletzung aller ähnlichen Berechtigungen. 341 Ellmer, S. 45 mit FN 143; siehe dazu im einzelnen sogleich unten. 342 Ellmer, S. 46 mit FN 149; siehe dazu im einzelnen sogleich unten. 343 Köstlin, ZS, S. 369, 392 f., 398; Kurth, S. 60. 344 Köstlin, ZS, S. 409. Bemerkenswert ist, daß hier eine Formulierung auftaucht, die den Zusammenhang zwischen der Haltung Köstlins zum Prozeßbetrug und seiner Idee der Privilegierung von Vertragsverhältnissen belegt (S. 409): Bei Vertragsverhältnissen "ist im Zweifel anzunehmen, daß der den Anderen Übervortheilende sich mit dem Rechtsgesetze, wenn auch auf äußerster Grenzlinie, noch zu conforrnieren wünsche." Wer sich also gewissen rechtlich eröffneten Verfahrensweisen - sei es auch unter äußerster Ausnutzung ihrer Möglichkeiten - unterwirft, soll nicht strafbar sein. Köstlin, S. 157 unter b); Naucke, S. 93 f.; Kurth, S. 60; vgl. auch Ellmer, S. 27 mit der allgemeinen Zurückführung auf die "naturalis licentia decipiendi" und Ellmer, S. 44. Vgl. zur Bedeutung dieses Gedar!kens- Privilegierung von Vertragsverhältnissen - beispielhaft in der bayerischen Gesetzgebungsgeschichte (beeinflußt von Kleinschrod und Feuerbach) die Darstellung bei Schütz, S. 60 ff. 345 Köstlin, ZS, S. 340 f. und 351 f., 393 f., 406 f.; Köstlin, S. 148 bei FN 6; Kurth, S. 61 f. 338

339

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

sich etwa die alte Anschauung vom Fälschungsbetrug doch wieder ein, wenn er bei Einsatz manipulierter Gegenstände - also einer Fälschung - auch bei von ihm für grundsätzlich straflos gehaltenen Konstellationen in Vertragsverhältnissen für die Strafbarkeit plädiert. 346 Hinsichtlich der dogmatischen Trennung von Betrug und Fälschung zählt Köstlin dennoch - neben Merke/ - zu den eigentlichen Wegbereitern. 347 Die Einord-

nung des Betruges als Vermögensdelikt im heutigen Sinne ist bei ihm bereits gelungen, die dogmatische Struktur ist also erkannt. Auch der Aufbau des Betrugstatbestandes im übrigen ist auf dem heutigen Stand angekommen. Insoweit bildet Köstlin zusammen mit Merke/ den Abschluß der Entwicklung in der Literatur vor Erlaß des Reichsstrafgesetzbuches. Köstlin bekämpft die alte Verquickung von Fälschung und Betrug schon in der Einleitung des entsprechenden Abschnittes. 348 Die von dem historischen weiten Fälschungsbegriff ausgehenden Darstellungen erscheinen ihm rückständig, selbst wenn sie das falsum im engeren Sinne und den stellionatus - wenn auch als Unterbegriffe des falsum im weiteren Sinne - dann unterscheiden.349 Ein allgemeines Recht auf Wahrheit erkennt er nicht an. 350 Vielmehr sieht er als Schutzgut der Fälschung die publica fides und als das des Betruges das Vermögen der Person an. 351 Dabei begrenzt er das Vermögen durchaus schon im modernen Sinne. Er kritisiert etwa Mittermaiers soeben vorgestellte Ansicht, nach der auch Ehe und Familie zum Schutzgut des Betruges gezählt wurden? 52

Seinen Betrugsbegriff sieht er wie Merke/ - trotz des Anerkenntnisses, daß die begriffliche Schärfe und die Abrenzung zum falsum zu wünschen übrig ließen im römisch-rechtlichen stellionatus begründet, dem er eine Vermögensbenachteiligung als notwendigen Taterfolg zuschreibt. 353 Er beruft sich gegenüber dem unübersichtlichen und oft dem alten Denken verhafteten Stand der Doktrin auch auf das französische Vorbild im Code penal. Wobei er den fortschrittlichen Charakter des dortigen Betrugstatbestandes nur generell anerkennt, ohne aber die Ausführung im einzelnen zu loben, womit er wohl die kasuistische Fassung der Täuschungshandlungen kritisieren will. 354 Den Tatbestand des Betruges beschreibt er als Erzeugung eines Irrtums durch Entstellung der Wahrheit, durch die der andere zu einer seinen Vermögensrechten 346 347 348 349 350 351 352 353 354

Köstlin, ZS, S. 426, ausdrücklich S. 236; Köstlin, S. 157 unter b); Kurth, S. 63. Naucke, S. 92. Köstlin, S. 118 mit FN l. Köstlin, S. 124 mit FN 2. Köstlin, ZS, S. 339 f., 356, 401; Köstlin, S. 119 und 120 unter l. Köstlin, S. 120 und 121 unter 1. und S. 124. Köstlin, S. 123 FN 2. Vgl. Köstlin, S. 125 ff. Köstlin, S. 141 mit FN l.

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nachteiligen Handlung bestimmt wird. 355 Den Vermögensbegriff füllt er genauer aus, indem er alle gegenwärtigen Vermögensrechte und solche zukünftigen darunter zählt, deren Übertragung bereits möglich ist. 356 Den Fiskus hält er generell für ein geeignetes Betrugsopfer, bezieht dies allerdings allein auf Steuerhinterziehungen, so daß andere öffentlich-rechtliche Einschläge nicht beleuchtet werden. 357 Durch die Hervorhebung des Verhaltens des Getäuschten358 ist der Charakter des Betruges im modernen Sinne als Vermögensverschiebungsdelikt erkannt und die dogmatische Struktur des heutigen Tatbestandes erstmals vollständig vorhanden.

Mittermaier meldet sich 1858 erneut zu Wort und will die Grenze der Strafbarkeit nunmehr dort ziehen, wo jeder verständige Mann noch in der Lage ist, die Tauschung, sei sie auch durch schlaue Veranstaltungen verdeckt, zu durchschauen?59 Es ist dies letztlich dieselbe Definition, die er 1838 gab, nur anders gewendet, indem er damals die Voraussetzungen der Strafbarkeit angab und nunmehr die der Straflosigkeit bestimmt. Den preußischen Tatbestand (§ 241 PrStGB) hält er im übrigen, was die Grenzen der Strafbarkeit betrifft, für mißlungen. 360 Ortlaff ( 1860 /62) ist gegen jede Beriicksichtigung der Leichtgläubigkeit, sei es im Verkehr mit Privatleuten oder mit Behörden.361 Dies ist insoweit bemerkenswert, als hier einmal ausdriicklich angesprochen wird, daß bei öffentlich-rechtlichem Einschlag, wenn also der Getäuschte kraft hoheitlicher Befugnisse handelt, eine besondere Beurteilung angezeigt sein könnte, auch wenn dies im Ergebnis abgelehnt wird. Letztlich dürfte die systemwidrige Beriicksichtigung der Pflichtwidrigkeit des Richters beim Prozeßbetrug auch darin wurzeln, daß man an ihn im Rahmen seiner verfahrensrechtlich festgelegten Stellung und Tatigkeit maximale Anforderungen stellt- nämlich (zumindest) dem Verfahrensrecht stets und bedingungslos Genüge zu tun. Solche Anforderungen will man im privatrechtliehen Verkehr gerade nicht stellen, um Schwache und leicht zu Tauschende nicht noch durch Wegfall des strafrechtlichen Schutzes zusätzlich zu benachteiligen. Was das von Fälschung und Betrug geschützte Rechtsgut anbelangt, bedeuten Ortloffs Ausführungen einen gewissen Rückschritt. Allerdings erkennt auch er ein Köstlin, ZS, S. 340; Köstlin, S. 141 § 9 und S. 149. Vgl. im einzelnen Köstlin, S. 142 f. 357 Köstlin, S. 144 f. 358 Vgl. vor allem Köstlin, S. 149 FN 1. 359 Mittermaier, GS 10 (1858), 122, 139; Kurth, S. 64; Ellmer, S. 35. Auch hier findet sich wieder eine besonders deutliche Parallele zur besonderen Behandlung des Prozeßbetruges, die deren Verwurzelung in der Berücksichtigung des Opferrnitverschuldens belegt: Mittermaier nimmt keinen Betrug an, wenn nur solche Vorspiegelungen angewandt wurden, auf die bei Geschäften der konkreten Art jeder verständige Mann gefaßt sein muß und sich daher nicht durch sie bestimmen läßt (S. 139). Dies ist genau die Argumentation, die die Rechtsprechung auf den Prozeßrichter bezüglich einfachen Parteivorbringens anwendet. 360 Mittermaier, GS 10 (1858), 122, 137. 361 Vgl. Ortloff, GS 12 (1860), 56, 86 f.; Kurth, S. 65; siehe aber auch Ortloff, GS 12 (1860), 56, 781, wo er die "magna et evidens calliditas" als Grenze des stellionatus ansieht. 355

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

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Recht auf Wahrheit nicht an. 362 Er weist dem falsum, das keinen Schaden voraussetze, als Schutzgut Treu und Glauben im Rechtsverkehr zu, steht also insoweit der Publica-fides-Lehre nahe, und dem stellionatus (Betrug) den Schutz von privaten Vermögensrechten?63 Auch er sieht eine lineare Verbindung zum römischrechtlichen stellionatus, den er als Vermögensschädigungsdelikt begreift. 364 Die Fälschung ist nach ihm eine Echtheitsverstellung bei Sachen. 365 Der Betrug hingegen ist auf eine Benachteiligung der Rechte einzelner Personen gerichtet. 366 Trotz der erwähnten Auffassung vom stellionatus will Ortloft den Betrug nicht ausschließlich gegen das Vermögen gerichtet sehen. Die Kodifikationen, die dies tun, sieht er im Widerspruch zur Natur der Sache und zur "Volksanschauung"?67 Die Definitionen sind unpräzise, aber immerhin werden Fälschung und Betrug prinzipiell unterschieden. Auch sonst bleiben Spuren des alten Denkens, wenn Ortloft angibt, der Betrug unter Verwendung gefalschter Sachen sei ein qualifizierter Betrug, das in der Fälschung selbst liegende Verbrechen trete in diesem Falle zurück. 368 Betrug ohne Fälschung hingegen sei "einfacher Betrug". 369 Auch will Ortloft strafbaren "Lug und Trug" neben Fälschung und Betrug konstruieren, der in der Verletzung der gegenüber dem Staate allgemein angenommenen Wahrheitspflicht bestehen soll.370 Dies bedeutet eine partielle Wiedereinführung des Rechtes auf Wahrheit und erkärt die eingangs festgestellte besondere Berücksichtigung öffentlich-rechtlicher Verhältnisse. "Lug und Trug" im Privatverkehr sei straflos und werde nur zusammen mit dem Ziele der Schädigung einzelner Personen zum "einfachen Betrug".371 Indem er bei der Strafwürdigkeit des falsum über die Folgen eines unsicheren Rechtsverkehrs für den Staat nachdenkt, kommt Ortloft übrigens der modernen Auffassung von der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs nahe. 372 Insgesamt handelt es sich aber um ein erhebliches Zurückbleiben hinter den Erkenntnissen, die Köstlin schon herausgearbeitet hatte. Schwarze ist 1866 generell einer Berücksichtigung des Opfermitverschuldens abgeneigt. Er hält sie an sich für unstatthaft, weil die Lebenserfahrung zeige, daß selbst Kenntnis infolge vielfacher Warnung und Erfahrung den Erfolg von Betrügereien nicht hindere. Auch erkennt er an, daß eine solche Berücksichtigung der Ort/off. GS Ort/off. GS 364 Ort/off. GS 365 Ort/off. GS 366 Ort/off. GS 367 Ortloff. GS 368 Ort/off, GS 369 Ort/off, GS 370 Ort/off. GS m Ort/off, GS 372 Ort/off. GS 362 363

12 (1860), 56, 68 f., 107 f.; Hupe, S. 8. 12 (1860), 56, 69 f., 71, 85, 103, 115; Hupe, S. 9. 12 (1860), 56,70 f. ; Hupe, S. 9. 12 (1860), 56, 112 und 113. 12 (1860), 56, 115 und 119. 12 (1860), 56, 118 f. unter§ 19 und S. 121 ; vgl. auch Schütz, S. 157. 12 (1860), 56, 115. 12 (1860), 56, 117. 12 (1860), 56, 115 ff. unter§ 17. 12 ( 1860), 56, 118. 12 (1860), 56, 69, 108 f., 113, 114; Hupe, S. 9.

1. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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Leichtgläubigkeit des Opfers den (meisten) Partikulargesetzen fremd sei. 373 Dann argumentiert er aber doch mit einer angeblich erforderlichen "magna et evidens calliditas" im Rahmen seiner Darlegungen zum Prozeßbetruge, wobei nicht recht deutlich wird, ob er die Qualifikation der Täuschung stets voraussetzen will oder nur in der besonderen Situation des Zivilprozesses?74 Es deutet aber alles darauf hin, daß er darin ein allgemeines Erfordernis des Betrugstatbestandes sieht. Auch Merke! (1867) bekämpft hinsichtlich der Abgrenzung des strafbaren Betruges jedes Qualifikationserfordernis beim Täuschungsmittel sowie jede Berücksichtigung des Opfermitverschuldens,375 zumal er eine Bestimmung der individuellen geistigen Fähigkeiten für völlig unpraktikabel hält. 376 Auch er kann sich aber der überlieferten Frage nach einer Abgrenzung zwischen zivilrechtlich und strafrechtlich zu verfolgendem Betrug nicht entziehen. Allerdings lehnt er die Unterscheidung zwischen strafrechtlichem und zivilrechtlichem Unrecht ab.377 Dieser absolute Gleichlauf von strafrechtlichem und zivilrechtlichem Unrecht gilt zunächst uneingeschränkt für Täuschungen im Rahmen der auf den Abschluß eines Rechtsgeschäftes gerichteten Verhandlungen und Willenserklärungen. Das Unrecht definiert er hier mit einer bemerkenswerten Argumentation, in der sich letztlich diejenigen Kriterien wiederfinden, die den bisherigen Autoren als Abgrenzungskriterien zwischen zivilrechtlich zu verfolgendem und strafbarem Betrug gedient haben. So will er die in den Vertragsverhandlungen üblichen interessengeleiteten Aussagen nicht erfassen, sofern sie üblich und als solche erkennbar sind, sondern nur solche Behauptungen, die bei der rechtsverbindlichen Vertragsgestaltung Aufnahme unter die integrierenden Bestandteile des Rechtsgeschäftes gefunden haben. 378 Anders nur, wenn die im Grunde straflosen Aussagen nicht ohne weiteres als solche im Interesse des Gegners zu erkennen sind?79 Merke! berücksichtigt das Parteiverschulden also bei der Begründung von Unrecht (zivilrechtlichem und strafrechtlichem) überhaupt, er beruft sich dabei auch ausdrücklich auf den Satz "vigilantibus iura sunt scripta". 380 Die Listigkeit von Täuschungsmitteln et cetera, also eine Qualifikation der Täuschung, soll hierbei übrigens keine Rolle spielen.381 Schwarze, GS 18 (1866), 105, 117. Schwarze, GS 18 (1866), 105, 119 f. 375 Merke/, S. 168, 190 f ., 227; Kurth, S. 66; Ellmer, S. 36, vgl. auch Dohna, S. 486. 376 Merke/, S. 263; Kurth, S. 67. 377 Merke/, S. 265 f.; Naucke, S. 94. 378 Merke/, S. 257. 379 Merke/, S. 257 f. unter b) unter ausdriicklicher Berufung auf eine "naturalis 1icentia decipiendi". 380 Merke/, S. 253 f. 381 Merke/, S. 258, obwohl er sich aufS. 259 f. unter 2) zum Beleg seiner Ansicht auf die Formulierung von der "magna calliditas" beruft, die sonst Grundlage solcher Qualifikationserfordernisse ist. 373

374

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Merket analysiert dabei genau: Er erkennt, daß die von ihm folgenlos gelassenen Aussagen nicht etwa wegen fehlender Kausalität für Irrtum oder Verfügung ausscheiden.382 Damit räumt er erstmals ein, daß es sich um rein normative Erwägungen handelt. Auch eine tatbestandsausschließende Wirkung des Mitverschuldens des Opfers ist dem Zivil- wie dem Strafrecht fremd, was er ebenfalls anerkennt. 383 Er konstruiert die rechtliche Bedeutungslosigkeit der allgemein üblichen Täuschungen im oben genannten Sinne nun folgendermaßen: Aus dem Schuldvorwurf, den man dem Opfer mache, das sich durch solches Vorbringen täuschen lasse, folge die Regel, daß das Verhalten des Täters erlaubt sei. 384 Diese allgemeine Fassung entbindet zugleich von der Pflicht, jeden Einzelfall individuell auf Geisteskraft des Opfers zu prüfen. 385 Merke/ konstruiert hier also eine normative Korrektur, die heute etwa dem objektiven Zurechnungstopos der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung entspräche.

Die vorstehende Analyse ist für die Beurteilung der besonderen Behandlung des Prozeßbetruges von größter Bedeutung, denn auch dort ist das Opfermitverschulden Dreh- und Angelpunkt: Es wird hier schon im 19. Jahrhundert erstmals klar, daß es sich dabei um eine rein normative, nicht im Verbrechensaufbau dogmatisch zwingend verankerte Erwägung handelt. Das Verhalten bei der Erfüllung (also nicht bei der Eingehung) zivilrechtlicher Verpflichtungen erfährt nun bei Merke/ eine abweichende Beurteilung. 386 Ausgangspunkt ist auch hier der Satz "vigilantibus iura sunt scripta". 387 Das Unrecht soll wohl wieder ein einheitliches sein, er will aber nun nach der Rechtsfolge des einheitlichen -Unrechtes differenzieren?88 Soweit der Beschädigte die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt, bleibt es beim oben genannten Prinzip und beim Gleichlauf von Zivilrecht und Strafrecht, das Verhalten des Schädigers ist in beiderlei Hinsicht irrelevant. Erfüllt hingegen der Benachteiligte alle an ihn gestellten Sorgfaltsanforderungen, ist zu differenzieren. Eventuelle zivilrechtliche Folgen, die in dem zu erfüllenden Rechtsverhältnis begründet sein können, führen dann nicht automatisch zur Strafbarkeit. 389 Vereinfachend läßt sich sagen, daß Merke/ die zivilrechtliche Verfolgung genügen läßt, wenn durch die Entschädigung das Unrecht aufzuheben ist. Strafrecht will er anwenden, wenn die Schädigung unwiederbringlich ist, wenn die Allgemeinheit gestört ist (was bei Kleinschrod schon anklang)?90 Die Grenzlinie, die er

388

Merke/, S. 260 f. Merke/, S. 261. Merke/, S. 262. Merkel, S. 263. Merke/, S. 269 ff. Merke/, S. 269. Zur Analyse der theoretischen Grundlagen von Merkeis Differenzierung vgl. Naucke,

389

Merket, S. 270 f. unter 2) und S. 273 unter b).

382 383 384 385 386 387

s. 94f.

1. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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zu ziehen versucht, orientiert sich demnach in gewisser Weise an der Schwere der Folge - also des Schadens - für den Betroffenen. Er verankert sie nur scheinbar subjektiv, indem er eine entsprechende Richtung des dolus und zugleich eine Tätigkeit fordert, die darauf gehen, die zivilrechtliche Wiederherstellung des status quo ante zu vereiteln. Er nennt dies "Gewinnsucht" und sagt, es müsse ein besonderes "Requisit" vorliegen. Dies nimmt er an, wenn die Täuschung derart undurchschaubar ist, daß sie die Zivilverfolgung unmöglich macht, oder wenn diese sonst vereitelt wird, etwa durch falsche persönliche Angaben et cetera?91 So entscheiden letztlich doch objektive Merkmale, nämlich Aktivität oder Passivität des Schädigenden.392 Diese Ausruhrungen lassen sich - entgegen Merkeis Ausgangspunkt - doch wieder in Richtung auf eine Berücksichtigung der besonderen Listigkeit der Täuschung deuten, was der Autor so wohl nicht wollte.393 Der Streit darüber kann dahinstehen. Er belegt aber, wie hartnäckig die einmal eingeschlagenen, auf alten dogmatischen Entwicklungen beruhenden Argumentationsmuster selbst bei denjenigen Autoren (und ihrer Rezeption) fortlebten, die entscheidend zu ihrer Überwindung beitragen wollten und beigetragen haben. Merket kommt jedoch zumindest das Verdienst zu, diese Fragen aus dem (engeren) Betrugstatbestand verbannt zu haben. 394 Merket zieht seine Erkenntnisse indes am Ende zusammen, was dazu führt, daß er auch die bei Eingebung zivilrechtlicher Verbindlichkeiten begangenen Täuschungen nur bestrafen will, wenn sie die beim Erfüllungsbetrug gestellten Anforderungen erfüllen, also die Realisierung des Anspruches behindernde Aktivitäten vorliegen. 395 Ein Betrug erfordert nach Merke/ mithin allgemein l. eine Täuschung, die nach zivilrechtliehen Grundsätzen eine Haftung auslöst, was sich nach den oben genannten Kriterien richtet, und 2. eine subjektive Richtung und eine entsprechende Tätigkeit, die auf Vereitelung der Realisierung der zivilrechtliehen Ansprüche gerichtet ist, soweit sie die Verkehrsanschauung nicht entschuldigt.396

Auch im Rahmen der Trennung von Fälschung und Betrug sind seine Ausführungen wegweisend. Er ordnet den Fälschungsdelikten - wie andere vor ihm - die publica fides als Schutzgut zu, betrachtet den Betrug aber - wie vor ihm in ähnliNaucke, S. 95. Merke/, S. 272 f., 275 f., Beispiele auf S. 276 f., abstrakt aufS. 280; Kurth, S. 67 f.; Ellmer; S. 36 f. 392 Merke/, S. 271 f. unter a); Naucke, S. 95. 393 Merke/, S. 273, wo er Fälschungsaktivitäten ausdrücklich als geeignet ansieht, die von ihm geforderte Aktivität des Schuldners zu begründen, zumal im Zusammenhang mit der auf S. 273 unter b) aufgestellten Behauptung, daß es darauf ankomme, ob die Aktivitäten vom Gegner mit der im Verkehr üblichen Aufmerksamkeit zu überwinden sind; vgl. dazu Kurth, S. 68 mit FN 3 und S. 69; Ellmer; S. 37 f. 394 Vgl. Ellmer; S. 36. 395 Merkel, S. 278 ff. unter 111. 396 Merkel, S. 280. 390

391

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

eher Deutlichkeit nur Köstlin - als reines Vermögensdelikt, so daß die heutige Trennung von Fälschung und Betrug in selbständige Delikte endgültig erreicht ist. 397 Die Urkundenfälschung korrespondiert mit der Unechtheit und der Betrug mit der Unwahrheit als entscheidender Voraussetzung.398 Daß Merke[ dabei dem römisch-rechtlichen stellionatus in Überstrapazierung der Quellenlage auch schon das Vermögen als Schutzgut zuordnet, wie oben schon angedeutet, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen. 399 Den weiten, auf die Paulus-Definition gegründeten Fälschungsbegriff erkennt er jedenfalls als Mißverständnis und lehnt ihn als unhaltbar ab. 400 Hier ist auch die Bedeutung und Wechselwirkung des preußischen StGB und damit der partikularstaatlichen Kodifikationen überhaupt in Beziehung zur in der Literatur vorherrschenden Auffassung ganz deutlich. Merke! beruft sich ausdrücklich auch darauf, daß in den Kodifikationen eine Bewegung in Richtung auf das Verständnis des Betruges als Vermögensdelikt zu beobachten ist und das gemeine Recht angesichts flächendeckender neuer Gesetze allmählich an Bedeutung verliert.40J Die objektiven Tatbestandsmerkmale werden bei Merke! erstmals im heutigen Sinne ausgeführt und umfassend analysiert. Die Tauschung ("ein auf Irreleitung eines Andem angelegtes wahrheitswidriges Verhalten") bildet den Ausgangspunkt.402 Diese muß einen Einfluß auf die Vorstellung und die Willensbestimmung des anderen haben, mithin einen Irrtum bei jenem verursachen. 403 Hierbei wird die Kausalität für die Handlung des Irrenden schon miterfaßt, also schon auf der Stufe des Irrtums die Relevanz desselben für das in Frage stehende Verhalten des Irrenden untersucht. 404 Das Verhalten des Getäuschten ist als eigenständiges Tatbestandsmerkmal hervorgehoben. Merke! verlangt "eine Handlung ( ... ), durch welche der Gegenstand ( ... ) in die Herrschaft des Betrügers übertragen wird. "405 Er definiert dann den Vermögensschaden durch einen Vergleich des Wertes vor und nach der Tat. 406 Allerdings geht er offenbar davon aus, daß ein rechtswidriger Vorteil nicht nur beabsichtigt, sondern tatsächlich erreicht werden müsse.407 Äußerst 397 Merkel, S. 99, 101 et cetera; Schaffstein, FS Wieacker, S. 281, 281; vgl. auch Hupe, S. 11; Schlüchter, S. 588 mit FN 126. 398 Kausch, S. 208. 399 Merkel, S. 2 ff., S. 16 unter 9), S. 19, wo er zut Begründung das historische vom dogmatischen Verständnis trennt, vgl. auch S. 48; zur Kontroverse um die Quellenlage vgl. Schaffstein, FS Wieacker, S. 281 , 285; siehe auch Hupe, S. ll ff. 400 Merke/, S. 20. 401 Merke/, S. 62 f. 402 Merke/, S. 137, 165. 403 Merke/, S. 174 ff. 404 Merke/, S. 182 ff. 405 Merke/, S. 192 unter 2). 406 Merke/, S. 107. 407 Merke/, S. 115 ff.

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modern ist dabei, daß er Stoffgleichheit von Schaden und Vorteil verlangt, indem er fordert, "daß die Objekte von Nachteil und Gewinn identisch sein müssen."408 Auch die Struktur des Betrugstatbestandes ist also vollständig erfaßt. Wie Köstlin fordert Merkel die Bewirkung eines Irrtums durch die Täuschung.409 Beide sind auch darin einig, daß auf diesem Irrtum eine Handlung beruhen muß, die das Vermögen des Getäuschten beschädigt. 410 Diese Handlung ist es, die heute als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung bezeichnet wird, es handelt sich also gewissermaßen um eine Vorstufe dieses Merkmales. 411 Beide Autoren gehen schließlich vom Vermögen als verletztem Rechtsgut aus, Köstlin eher im Sinne eines juristischen Vermögensbegriffes, Merkel in Richtung auf einen ökonomischen oder juristisch-ökonomischen Vermögensbegriff. 412 Der Betrug als Vermögensverschiebungsdelikt ist mithin voll entwickelt, wobei Merke/ dies deutlicher im Sinne dieses Wortes faßt. 413 Im Bereich der Fälschungsdelikte spricht Merkel- wohl zuerst- die Beweiskraft des Tatobjektes als zentrales Moment für die Rechtsgutsbestimmung an und entfernt sich damit endgültig von dem Gedanken der enttäuschten Wahrheitserwartung.414 Damit ist der Weg frei zur heute herrschenden Meinung, die die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs als Schutzgut betrachtet und somit auch die Trennung von Fälschung und Betrug dogmatisch absichert, insbesondere die Begrenzung der Fälschungsstrafbarkeit auf Urkunden begriinden kann. 415 Auch Hälschner (1868) lehnt jede Differenzierung nach Arglist des Täters oder Verschulden des Opfers ab. Er zieht daraus die letzte Konsequenz und verneint die Existenz eines "straflosen Betruges". Damit kommt er bei der heutigen Sichtweise an, indem er die - an sich selbstverständliche - Erkenntnis formuliert, daß jede den normierten Betrugsbegriff erfüllende Handlung auch der Betrugsstrafbarkeit allheimfalle und zusätzliche Kriterien für den Tatbestand nicht zu suchen seien. Straflosigkeit kann demnach nur noch eintreten, wenn - vor allem subjektive Tatbestandsmerkmale dem Täter nicht nachzuweisen sind.416 Ähnlich äußert sich Gryziecky (1870), der ebenfalls allein der Äquivalenzkausalität das Wort redet und jede Beriicksichtigung der Art des Täuschungsmittels, der Listigkeit des Vorgehens oder des Verschuldens des Opfers ablehnt. 417 Er befindet 408

409 410

Merkel, S. 118. Naucke, S. 96; vgl. soeben im Text. Naucke, S. 96.

Zur Entwicklung des Verfügungsmerkmales vgl. im einzelnen im 7. Abschnitt. Naucke, S. 96 f. mit FN 43. 413 Naucke, S. 97. 414 Vgl. Merke/, S. 17 f.; Bettendorf, S. 42 f. mit FN 67 auch mit weiteren Nachweisen. 415 Dazu Bettendorf, S. 42 ff. mit FN 68. 416 Hälschner, Das Preußische Strafrecht III, S. 364 ff., namentlich S. 368-371 mit Ergebnis aufS. 371 vor§ 60; dazu Kurth, S. 70. 411

41 2

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

sich damit argumentativ auf der Linie der heute herrschenden Meinung, indem er bemängelt, anderenfalls würden gerade diejenigen des Schutzes durch das Strafrecht beraubt, die ihn am dringendsten benötigten, und gerade diejenigen Täter privilegiert, die besonders schamlos vorgingen.418 Auch eine Privilegierung von Übervorteilungen in Vertragsverhältnissen lehnt er ab. 419 Er befaßt sich im übrigen nochmals mit der systematischen Stellung von Betrug und Fälschung. Ein Recht auf Wahrheit lehnt er ab420 und ordnet der Fälschung die publica fides sowie dem Betrug das Vermögen als Schutzgut zu.421 Diese Abfolge von in der Lehre vertretenen Ansichten belegt eindrucksvoll den Kampf um die Trennung von Fälschung und Betrug im heutigen Verständnis und die Wechselfalle von Fortschritt und Rückschritt in dieser Entwicklung. Die Berücksichtigung der Täuschungsmodalitäten im Sinne einer besonderen Qualifikation der Täuschungshandlung ist ein Nebenschauplatz dieses Ringens. Denn diese Qualifikation kann in der Regel darin gefunden werden, daß Fälschungsaktivitäten die Täuschung unterstützt haben, so daß diese Berücksichtigung der Täuschungsqualifikation letztlich die historische Verbindung von Fälschung und Betrug zementiert. Sie beschert ihr zusammen mit der römisch-rechtlichen Formulierung von der .,magna et evidens calliditas" und dem aus dem dolus malus gezogenen Arglistgedanken, die beim stellionatus von der überwiegenden Ansicht für einschlägig gehalten werden,422 eine Fortwirkung bis weit ins 19. Jahrhundert. Hier lassen sich also die historischen Wurzeln der späteren Behandlung des Prozeßbetruges aufdecken, die davon ausgeht, daß der Richter bei Täuschungen ohne Beweiserhebung pflichtwidrig handelt und daher die Kausalität zwischen Täuschung und Irrtum fehlt. Mit der Forderung nach einer Qualifikation der Täuschung, die sich aus den eben genannten Wurzeln erklärt, korrespondiert - wie eingangs schon angedeutet die Berücksichtigung des Opfermitverschuldens: Wenn sich das Opfer von einer nicht qualifizierten Täuschung in Irrtum versetzen läßt, handelt es pflichtwidrig. Es erweist sich in der Argumentation, daß die Verschmelzung des objektiven Kriteriums der Qualifikation des Täuschungsmittels und des individuellen Kriteriums des Opferrnitverschuldens schon vonjeher bestand. 423 Die spätere ArgumenGryziecki, S. 65 ff., 125 ff.; dazu Kurth, S. 70 f. Gryziecki, S. 70; dazu Kurth, S. 70 f. 419 Gryziecki, S. 143 ff.; dazu Kurth, S. 71. 420 Gryziecki, S. 26 mit FN. 421 Gryziecki, S. 29 ff. 422 Vgl. Ellmer; S. 23 und 24 mit FN 17 und S. 74 f. 423 Vgl. dazu Kurth, S. 74 f.; Ellmer; S. 28 FN 48: Er betrachtet die römischen Formulierungen "naturalis licentia decipiendi" und "vigilantibus iura sunt scripta" als Ursprung der beiden Gedanken, daß gewöhnliche Lügen nicht strafbar seien - also nur qualifizierte Strafe verdienten - und das Opfermitverschulden eine Rolle spiele, und findet das erwähnte Zusammenspiel der beiden Ideen ebenfalls in der gesamten Diskussion des 19. Jahrhunderts (.,Kor417 418

1. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

95

tation bezüglich der besonderen Behandlung des Prozeßbetruges ist also nicht originell, indem sie die angeblich entscheidende Pflichtwidrigkeit des Richters allein von der Tatsache abhängig macht, daß kein Beweis angetreten wurde, sie befindet sich vielmehr in dieser Tradition. Neu war nur die dogmatische Anknüpfung an die Kausalität zwischen Täuschung und Irrtum, die in der alten Diskussion nicht oder kaum vorkam.424 Sie ist also offenbar das Ergebnis der Bemühung, die gewollte Differenzierung in dem gefestigten dogmatischen Gefüge der neuen Kodifikationen unterzubringen. Die Äquivalenztheorie setzte sich nach der Mitte des 19. Jahrhunderts durch425 und wurde von den Gegnern der genannten Differenzierung als Hauptargument ins Feld geführt. Wollte man also an der Unterscheidung festhalten, mußte man die Kausalität bestreiten. Ferner wird in der Betrachtung der Entwicklung der Lehre im 19. Jahrhundert deutlich, daß die preußische Gesetzgebungsgeschichte - wiewohl sie von Zufällen und wenig systematischen Vorbereitungen gekennzeichnet ist - den Wendepunkt für die literarische dogmatische Betrachtung gesetzt hat: Vor 1851 dominierte deutlich die alte Ansicht, die die Qualifikation der Täuschungshandlung forderte, nach 1851 wurde vom Boden des PrStGB aus argumentiert. Es gewann die heute herrschende Ansicht die Oberhand, die dies ablehnt. 426 Schließlich weist die ausführliche Diskussion um die Trennung von strafrechtlichem Betrug und solchen Fällen, die allein zivilrechtlicher Regelung überlassen bleiben können, in der oft das Opfer(mit)verschulden eine wesentliche Rolle spielte, auch schon auf die Behandlung der Probleme in der gegenwärtigen Dogmatik. Die Erkenntnis, daß es sich dabei letztlich um normative Korrekturen handelt, wurde bei Merket schon angedeutet. Die Berücksichtigung des Opfermitverschuldens wird auch heute diskutiert, und es ergibt sich eine Tendenz, diese Fragen -ihrer normativen Natur entsprechend- in der objektiven Zurechnung einzuordnen.427

II. Die Entwicklung der preußischen Gesetzgebung

Die Entwicklung der preußischen Gesetzgebung spiegelt eine Reihe der in der vorstehenden Literaturanalyse angesprochenen Aspekte wieder. respondenzverhältnis"). Dies manifestiert sich auch darin, daß die Autoren, die eine Unterscheidung ablehnen, stets beide Kriterien - Opfermitverschulden und Qualifikation der Täuschungshandlung - verwerfen, sie also angesichts der üblichen komplexen, beide Aspekte behandelnden Betrachtungsweisen als gleichbedeutend erachten (dazu Ellmer, S. 34). 424 Kurth, S. 75. 425 Näher zum Herkommen und der Entwicklung der Äquivalenztheorie Ling, S. 19 ff. und auch 50 ff.; vgl. auch Kurth, S. 77. 426 Vgl. zu dieser Bewertung Kurth, S. 73. 427 Dazu im einzelnen im 2. Teil.

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Der Entwurf von 1828 geht noch von dem weiten Betrugsbegriff aus, der grundsätzlich jede Täuschung erlaßt, weil er das Recht auf Wahrheit als Angriffsobjekt betrachtet.428 Hieran knüpft sich die Erkenntnis, daß dies zu weit geht und die Täuschung nur als Mittel zu einer anderen Rechtsverletzung strafbar sein kann,429 wobei Kleinschrods Gedanken herangezogen werden. 430 Das Ergebnis ist indes kein allgemeiner Betrugsbegriff, sondern - unter dem Einfluß des französischen Code penal - die Umschreibung einzelner Täuschungshandlungen, deren gemeinsame Folge aber ein Vermögensschaden ist.431 Dieses Konzept behauptet sich allerdings nicht. Schon im Entwurf von 1830 ist ein allgemeiner Betrugstatbestand vorgesehen. Wobei im Ausgangspunkt der Vermögensschaden noch gar nicht als eigentliches Tatbestandsmerkmal betrachtet wird,432 dann aber dennoch begrenzend in die Norm aufgenommen wird. 433 Festzuhalten ist, daß aus der ergänzenden, die Vollendung des Deliktes erst bei Erlangung des erstrebten (Vermögens-)Rechtes festlegenden Vorschrift des § 398 hervorgeht, daß hier zum ersten Mal der Charakter des Betruges als Vermögensverschiebungsdelikt zugrundegelegt wird. 434 Mit der dafür erforderlichen Erlangung des Besitzes der Sache oder Einräumung des Rechtes riickt erstmals, wenn auch nicht tatbestandlieh gefaßt, die Handlung des Getäuschten ins Blickfeld, aus der später das bis heute ungeschriebene Merkmal der Vermögensverfügung wird. 435 § 398 des Entwurfes von 1830 lautet: "Das Verbrechen des Betruges ist vollendet, sobald der Betrüger zum beabsichtigten Besitz der Sache gelangt, oder ihm das beabsichtigte Recht eingeräumt wird, wenn auch der gesuchte Vortheil noch nicht erreicht ist. "436

Hinter diese Erkenntnis fallen indes die Entwürfe von 1833 und 1836 wieder zuriick, indem sie auch andere Rechtsverletzungen einbeziehen und die Vollendung der Vermögensverschiebung nicht mehr voraussetzen.437 Hier taucht indes zuerst der Irrtum des Getäuschten als positives Tatbestandsmerkmal auf.438 Die zentrale Norm lautet in beiden Entwürfen (§ 484 beziehungsweise § 608): "Wer mit der Absicht, sich oder Dritten einen Vermögens- oder andem Vortheil zu verschaffen oder auch nur einemAndem zu schaden, unter Veranlassung oder Be428 429 430 431 432 433 434 435 436 437 438

Naucke, S. 71 f.; Ellmer; S. 64 f. Naucke, S. 72; Schilling, S. 57; vgl. auch Kurth, S. 20. Naucke, S. 72; Schütz. S. 164 f. Temme, LB, S. 982 Anm. I; Naucke, S. 73; Ellmer; S. 64; Schütz. S. 165. Naucke, S. 74; Ellmer, S. 65. Naucke, S. 75; Schütz, S. 168; vgl. auch Kempermann, ZStW 57 (1938), 126, 133 f. Naucke, S. 75.

Zu dessen Entwicklung im einzelnen im 7. Abschnitt. Abkopiert ist die Vorschrift bei Schütz, S. 249. Naucke, S. 75 f.; Kurth, S. 22; Ellmer; S. 65 f., 169 und 171; Schilling, S. 59 f. Naucke, S. 76.

1. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

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nutzung eines lrrthums des letztem, eine Handlung begeht, wodurch die Rechte desselben gekränkt werden sollen, macht sich, auch wenn daraus kein Schaden wirklich entstanden ist, des Betruges schuldig. "439 Die nun folgenden Entwürfe engen diese sehr weite Auffassung des Betruges wieder ein. Der Entwurf von 1843 erfordert erneut, daß der Schaden eingetreten ist, beläßt es aber dabei, daß nicht nur Vermögensrechte in Betracht kommen. 440 Bemerkenswert ist, daß Arglist, also eine besondere Vorsatzform verlangt wird. 441 Dies gibt dem Richter ein gewisses Ermessen und dürfte darauf hinauslaufen, daß - lediglich subjektiv gewendet- eine besondere Qualifikation im Sinne von Verschlagenheit oder dergleichen gefordert wird. Es weist damit in eine ähnliche Richtung wie die oben gelegentlich angesprochenen objektiven Qualifikationen der Tauschung als listig oder schwer durchschaubar. § 448 des Entwurfes von 1843 lautet: "Wer zum Nachtheil der Rechte eines Andem, es mag dabei ein Vortheil beabsichtigt seyn oder nicht, Jemanden arglistigerweise in einen Irrthum versetzt und dadurch in Schaden bringt, begeht einen Betrug. u442

Die Revision von 1845 beschränkt dann den Erfolg wieder auf eine "Schadenszufügung", womit allein ein Vermögensschaden gemeint ist.443 Das Arglisterfordernis fallt wieder weg, vor allem, weil man es für zu unbestimmt hielt und um den effektiven Schutz leichtgläubiger Betrugsopfer fürchtete: Es war also ein Schritt in die Richtung der heute herrschenden Meinung, das Mitverschulden des Opfers nicht zu beriicksichtigen.444 Diese Argumentation belegt zugleich, daß die besonderen Anforderungen an die Tauschungshandlung den Ursprung der Diskussion um die Beriicksichtigung des Opferrnitverschuldens bilden und daß das Abstellen auf die Pflichtwidrigkeit des Richters beim Prozeßbetrug durchaus auch in diesen Anschauungen verwurzelt sein dürfte. Eine zuvor noch enthaltene Privilegierung des Betruges in Vertragsverhältnissen (durch Ausgestaltung als Antragsdelikt) fallt weg.445 Seit dem Entwurf von 1847, der im § 241 des PrStGB von 1851 unverändert übernommen wird, kommt die Beschränkung auf das Vermögen auch im Text zum Ausdruck, der dem heutigen bereits entspricht, sieht man von der Fassung der beAbkopiert ist die Vorschrift bei Schütz, S. 251. Temme, LB, S. 982 f.; Naucke, S. 76 f.; Ellmer, S. 66; Schütz, S. 174 f. und 177. 441 Naucke, S. 77; Kurth, S. 22; Ellmer, S. 66; Schütz, S. 175 f.; vgl. auch Kempermann, ZStW 57 (1938), 126, 133. 442 Die Norm ist abkopiert bei Schütz, S. 253. 443 Naucke, S. 79; vgl. auch Kempermann, ZStW 57 (1938), 126, 134; a.A. Schütz, S. 178, die glaubt, auch andere Güter seien gemeint gewesen. 444 s. dazu Kurth, S. 23; Ellmer; S. 66. 445 Ellmer, S. 68. 439

440

7 Jänicke

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I. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

sonderen Absicht ab. 446 Geschütztes Rechtsgut ist also endgültig nur noch das Vermögen.447 § 293 des Entwurfs von 1847: ., Wer in gewinnsüchtiger Absicht das Vermögen eines Anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorbringen falscher oder durch Entstellen oder Unterdrücken wahrer Thatsachen einen Irrthum erregt, begeht einen Betrug und ist ( . .. ) zu bestrafen. " Nunmehr richtet sich in den zum heutigen Betrugstatbestand führenden preußischen Gesetzgebungsbemühungen der Blick erstmals ausdrücklich auf das - ungeschriebene - Merkmal, das das Verhalten des Getäuschten umschreibt. Daß der Getäuschte zum Schaden durch sein Tun beitragen muß, also etwas aus seinem Vermögen hinausreichen muß, entnimmt man dem Wort "beschädigen". Benannt wird dieses Tun als "Weggeben", was enger als unser Verfügungsbegriff ist. Es umfaßt zum Beispiel das Eingehen eines Vertrages nicht, was in der Folge auch für das PrStGB zunächst so gesehen wird.448 Darin findet sich also- zumindest für die Gesetzgebungsgeschichte des Betruges in Preußen - der Urvater des Verfügungsbegriffes. Hier zeichnet sich auch bereits dessen stiefmütterliche Behandlung durch den Gesetzgeber ab, die die Unschärfe dieses Merkmales-trotz seiner für das Ergebnis in der Normanwendung großen Bedeutung- bis heute bedingt. 449 Es ist nun auch nicht mehr erforderlich, daß der Geschädigte selbst getäuscht wird, so daß ein Dreiecksbetrug möglich wird.450 Der Betrugstatbestand des PrStGB von 1851 entspricht dann vollständig dem letzten Entwurf. § 219 des Entwurfs von 1851 und§ 241 des PrStGB von 1851:., Wer in gewinnsüchtiger Absicht das Vermögen eines Anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorbringen falscher oder durch Entstellen oder Unterdrücken wahrer Thatsachen einen lrrthum erregt, begeht einen Betrug. " Eine Berücksichtigung des Opfermitverschuldens wurde nun einhellig abgelehnt, es fand sich keinerlei entsprechender Anhalt mehr im Gesetz.451 Bemerkenswert ist, daß ein Tatbestand mit qualifizierten Betrugsformen angehängt wird, dem deutlich der Einfluß des ALR und des gemeinen Rechtes anzumerken ist und in dem eine gewisse Verquickung mit Fä1schungstatbeständen systemwidrig fortbesteht.452 446 447 448

Naucke, S. 80 ff.; Kunh, S. 24; Ellmer, S. 67; Schütz. S. 183. Ellmer, S. 67; Schilling, S. 60. Vgl. zum Ganzen Naucke, S. 81 ; auch Schütz, S. 187 f.; näher zur Entwicklung des

Verfügungsmerkmales im 7. Abschnitt. 449 Naucke, S. 81 FN 67. 450 Ellmer, S. 67; Schütz, S. 188. 451 Ellmer, S. 70 FN 276. 452 Temme, LB, S. 980; Naucke, S. 83; Ellmer, S. 71 FN 283, der auch den an sich ausgeschalteten Gedanken dort wiederfindet, daß schwer zu entdeckende Täuschungen strafwürdi-

1. Abschn.: Abriß der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes

99

§ 243 PrStGB: "Mit ( ... )wird bestraft:

1) wer sich wissentlich unrichtiger, zum Messen oder Wiegen bestimmter Werkzeuge zum Nachtheile eines Andern bedient; 2) wer einen Ankäufer von Gold oder Silber ( ... )hintergeht, indem er ihm geringhaltigeres Gold und Silber für vollhaltigeres verkauft; 3) wer ächte ( ... ) Metallgeldstücke ( ... ) verringert, und als vollgültig ausgiehr ( ... ); 4) ( ... )

5) ( ... ) 6) wer Grenzsteine ( ... ) zum Nachtheil eines Andern wegnimmt, vernichtet ( ... );

7) wer Urkunden ( .. . ) zum Nachtheile eines Andern vernichtet, beschädigt oder unterdrückt." Dies mag belegen, wie hartnäckig sich diese historische Vermengung bis in die neueste Zeit ausgewirkt hat453 und daß die Zurückführung der Behandlung des Prozeßbetruges auf diese historischen Umstände keineswegs konstruiert erscheint. Ebenso wie die Findung des Tatbestandes durch den Gesetzgeber ist auch dessen Anwendung noch von den Nachwirkungen des vagen Fälschungsbegriffes des gemeinen Rechtes beeinflußt,454 was sich auch in der Rechtsprechung des Preußischen Ober-Tribunals zum Prozeßbetrug niederschlägt. Der grundsätzliche Schritt zur Aufhebung der historischen Vermengung von Fälschungs- und Betrugstatbeständen ist jedoch getan, der heutige Stand ist erreicht. 455 g(er) seien. Das StGB für den Norddeutschen Bund und das RStGB übernehmen den Qualifikationstatbestand übrigens nicht, so daß im Gesetz dann die letzten Rudimente der Fälschung aus dem Betrugsbereich entfernt sind (vgl. Naucke, S. 99). 453 Vgl. etwa auch Bettendorf, S. 26 ff., die dies aus der Perspektive der Urkundendelikte untersucht und feststellt, daß noch im 20. Jahrhundert die Ansicht vertreten wurde, die Urkundendelikte hätten kein eigenes Schutzgut. Vielmehr qualifiziere die Fälschung nur den Angriff auf ein anderes Rechtsgut, könne also nur in diesem Rahmen die Strafe schärfen. Erklärlich ist ihr das ebenfalls nur aus der historischen Verschränkung von Fälschung und Betrug. Ebenso verhält es sich mit der Auffassung, die Urkundendelikte schützten in Wirklichkeit das Vermögen. Die Tatbestände des StGB rechtfertigen diese Sichtweise keineswegs, die Urkundenfalschung erfordert keinen Vermögensschaden und keine Vermögensgeflihrdung. Erklärlich ist sie nur aus historischen Denkmustern, die auch auf der kriminologischen Erfahrung fußen mögen, daß sehr oft Vermögensangriffe das Ziel der Fälschungen sind (vgl. Bettendorf, S. 30). Vgl. ebenso Dohna S. 478 f., der diesen Schluß ebenfalls aus dem (damals noch geltenden) Erfordernis eines Gebrauchmachens im Fälschungstatbestand zieht. Die Rückbildung des Fälschungstatbestandes erreicht erst mit der Novelle des § 267 StGB von 1943 ihre Vollendung, als erstmals das Fälschen an sich unter Strafe gestellt wird, ein Gebrauchmachen also nicht mehr erforderlich ist. Erst hier hört der alte Gedanke der Verbindung der Fälschung mit der konkreten Schädigung eines anderen Rechtsgutes ganz auf zu wirken (vgl. bei Bettendorf, S. 28 und 45). 454 So ausdrücklich auch Naucke, S. 86, vgl. auch S. 90 f. 7*

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l. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Eine dogmatische oder allgemein systematische Erwägung über die nun erfolgte Abgrenzung des Betruges von den Fälschungsdelikten ist in den Beratungen im übrigen nicht angestellt worden. Die Grenze ergibt sich nur als Befund aus der jeweils gewählten Ausgestaltung der Tatbestände und ist - wie der oben erwähnte Qualifikationstatbestand zeigt - auch am Ende der preußischen Entwicklung noch nicht ganz ins Bewußtsein der Handelnden gerückt. 456 Die Dominanz der Tauschungshandlung als ursprüngliches Tatbestandsmerkmal ist noch erkennbar. Die übrigen Merkmale sind in einem mühsamen Ringen hinzugekommen, wobei stets die Frage nach der noch erfaßten Kasuistik und der erforderlichen Einengung mitgedacht wurde. 457 Diese Entwicklung im preußischen Strafgesetzbuch ist zugleich diejenige, die den § 263 RStGB hervorgebracht hat: Denn der § 241 PrStGB wurde - lediglich erweitert um die Drittbereicherungsabsicht und das Unterhalten eines Irrtumes zum § 263 des StGB für den Norddeutschen Bund und dieser wiederum zum § 263 RStGB von 1871.458 Eine eigene Erörterung des Betrugsbegriffes fand gar nicht mehr statt, man verwies auf die preußische Norm und deren Gesetzgebungsgeschichte.459 § 263 StGB für den Norddeutschen Bund und § 263 RStGB (in modernisierter Rechtschreibung, wie er bis heute gilt): "Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird ( . .. ) bestraft. "

2. Abschnitt

Die Positionen der Literatur zum Prozeßbetrug im 19. Jahrhundert vor Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 Das Problem des Prozeßbetruges wurde nicht virulent, soweit der Dreiecksbetrug schlechthin für unzulässig gehalten wurde, ein derartiges Verhalten also von vomherein den Tatbestand nicht erfüllen konnte. 460 Ansonsten wird aber die jewei455 456 457 458 459

460

maier.

Bettendorf, S. 25. Vgl. dazu Naucke, S. 84 mit FN 79. Naucke, S. 84 f. Naucke, S. 98 ff.; Reese, S. 13; Ellmer, S. 73; Schlüchter S. 589. Naucke, S. 98; Ellmer, S. 74. So für§ 241 PrStGB Temme, LB, S. 978 und 979 mit FN I unter Berufung auf Mitter-

2. Abschn.: Die Positionen der Literatur zum Prozeßbetrug im 19. Jahrhundert

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lige Meinung über die Betrugsmerkmale und die Grenzen der Strafbarkeit auch für den Prozeßbetrug umgesetzt und im Zusammenhang mit jenen Situationen dargestellt, die hier interessieren. Damit werden die bislang gegebenen Hinweise auf die in der historischen Verquickung von falsum und modernem Betrug und der Geschichte ihrer Auflösung liegenden Ursprünge der besonderen Behandlung des Prozeßbetruges belegt. Interessant sind die Äußerungen der Literatur vor allem ab dem Zeitpunkt, zu dem der Betrugstatbestand im heutigen Sinne als Vermögensverschiebungsdelikt anerkannt war.461 Der Kleinschrodische Entwurf dürfte in § 1140 die einfache Parteibehauptung erfaßt haben und droht in § 1175 für den Fall eines falschen (Partei-)Eides und bei Vermögensschaden eine verschärfte Bestrafung an. Ein Argumentationsansatz gegen die Strafbarkeit findet sich dann bereits in der dem alten gemeinen Recht verpflichteten Literatur. So sagt ~chter in seinem Lehrbuch von 1826, bloßes rechtswidriges Ableugnen ziehe nach römischem Recht nur Privatstrafen nach sich, sei also der Kriminalstrafe aus dem falsum nicht zugänglich. Anders soll dies sein, wenn ein Zeuge eingesetzt wird.462 Dieser Ansatz kann - wie beim römischen Recht schon angedeutet- als Keimzelle der Privilegierung des einfachen Vortrages angesehen werden. Auch die seltener vertretene Gegenansicht, die jeden falschen Vortrag bestrafen will, findet sich zu dieser Zeit, etwa 1817 bei Klien. Er setzt ebenfalls bei den Privatstrafen an, kommt aber zum gegenteiligen Ergebnis, weil diese Privatstrafen bereits außer Gebrauch gekommen waren. 463 Bei Klien zeigt sich auch der schon mehrfach angedeutete Ursprung der Verknüpfung der Wahrheitspflicht im Verfahren mit der Strafbarkeit falschen Parteivorbringens in der Auffassung, der Betrug schütze ein Recht auf Wahrheit. So soll die Stellung des Richters - mithin letztlich das Verfahrensrecht - zumindest im Strafverfahren ein solches Recht auf Wahrheit begründen, womit es auf die Verletzung eines anderen Rechtes gar nicht ankomme. 461 Vgl. Lenckner; S. 7 unter II, der ebenfalls feststellt, daß zuvor, als über den Betrugsbegriff noch keine Klarheit bestand, eine übertragbare Stellungnahme nicht zu erwarten sei. Befremdlich ist, daß er dann (S. 7 f.) Autoren, die von ganz unterschiedlichen Begriffen und Rechtsgütern ausgehen, ohne entsprechende Differenzierung gegenüberstellt und daraus drei Meinungen zum "Prozeßbetrug" entnimmt. Die von ihm dort entdeckten Ansätze sind zwar die, die sich auch in der späteren Diskussion wiederfinden. Sie können jedoch mangels einheitlicher Begriffe und Ausgangspunkte nicht einfach aufeinander bezogen werden, sondern allenfalls als Quellen der späteren Argumentationsmuster bezüglich des modernen Betrugstatbestandes aufgefaßt werden. Lenckner führt aufS. 8 und 9 die Argumente vieler Autoren schlicht aneinandergereiht auf, ohne deren Herkunft und historische Verankerung offenzulegen. Zur differenzierten Analyse verschiedener Vertreter der von Lenckner herausgestellten Ansichten vgl. sogleich im Text. Derselbe Vorwurf wie Lenckner trifft insoweit Vogels, S. 22 f. Auch er greift Ansichten heraus, die auf ganz unterschiedlichen Begrifflichk.eiten und Schutzgutvorstellungen beruhen. 462 Wächter; S. 218. 463 Klien, Neues Arch. d. Criminalrechts, I. Band (1817), I. Stück (1816), S. 124, 149; dazu Michel, S. 5, der diese Ansicht auch bei Leyser und Puchta findet.

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l. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Für den Zivilprozeß hingegen stellt Klien offenbar (schon) auf die Verletzung des Rechtes des Gegners ab. 464 Im Jahre 1833 lenkt Heffter den Blick wieder auf die Täuschungen im Zivilverfahren. Heffter behandelt die Täuschung im Zivilprozeß nun in seinem gegen das Recht auf Wahrheit gerichteten - crimen falsi im engeren Sinne. Er nimmt die Täuschung im Prozeß - im Gegensatz zu anderen Täuschungen gegenüber Behörden und Gerichten - von der Strafbarkeit aus. Den falschen Urkundenund Zeugenbeweis hingegen hält er für strafbar, obwohl er ansonsten für sein crimen falsi im engeren Sinne keinerlei Qualifikation der Tauschung verlangt, vielmehr bloßes Vorbringen genügen läßt. 465 Er spricht dabei selbst von einer Privilegierung des Prozesses, ohne diese weiter zu begründen. 466 Hier ist mithin zu fragen, warum die für den normalen Betrug später endgültig überwundene Forderung nach einer qualifizierten Täuschung gerade beim Prozeßbetrug weitergeführt wurde, worin also die Privilegierung desselben wurzelt. Das Schweigen Heffters deutet zunächst auf die später auch bei der reichsgerichtliehen Ansicht anklingende Idee hin, daß die Besonderheiten des Zivilverfahrens in irgendeiner Weise die Begründung für diese Privilegierung abgeben könnten. 467 Er nennt indes im Nachsatz wiederum den Ansatz, der oben als eigentliche Wurzel dieser Privilegierung bezeichnet wurde: Für das falsche Vorbringen im Prozeß sahen römisch-rechtliche Quellen Zivil- beziehungsweise Verfahrensstrafen vor, also außerstrafrechtliche Sanktionen, die offenbar zum Teil für abschließend gehalten wurden, so daß das Strafrecht keine Anwendung finden durfte. 468 Was zunächst nur für das Leugnen gelten sollte, ist nun für alle Äußerungen im Prozeß anwendbar. Auf der Basis des dort fehlenden Rechtes auf Wahrheit nimmt auch Bauer 1833 zumindest das wahrheitswidrige Leugnen im Zivilprozeß aus dem Bereich der Strafbarkeit heraus.469 Bei ihm findet sich noch eindrücklicher als bei Klien der

466

Klien, Neues Arch. d. Criminalrechts, l. Band (1817), I. Stück (1816), S. 124, 150. Heffter, S. 403, § 382 bei FN 3, S. 404 f., § 384. Heffter, S. 404 f., § 384 mit Anm. 2.

467

Vgl. im einzelnen bei der Darstellung der Rechtsprechung des Reichsgerichtes.

464

465

Heffter, S. 405, § 384 Anm. 2: "( ... ) oder werden doch auf andere Weise geahndet ( ... )"; vgl. zu diesen Sanktionen beispielsweise Glück, S. 182 ff., der Kostentragungspflicht, 468

doppelten Ersatz, Verlust einer Rechtswohltat und Beweisführungslast mit den jeweiligen Fallgruppen aufführt und als Bedingung der aktuellen Anwendbarkeit dieser Regeln vor allem für vorausgesetzt ansieht, daß der Täter vorsätzlich die Unwahrheit gesagt hat (vgl. S. 186 unter Nr. 3); siehe auch noch Wächter, S. 236 Anm. 9 b): Besitzverlust bei Lügen des Beklagten im Herausgabeverfahren, S. 237 Anm. 9 c): Zahlung des Doppelten bei Leugnen zum Beispiel der Echtheit einer Unterschrift durch den Beklagten einer Leistungsklage, wenn die Echtheit danach bewiesen wird, und so weiter, vgl. die dort folgenden Anmerkungen. Auch in frühen Kodifikationen gab es noch solche vom Zivilrichter zu verhängenden Sanktionen etwa für mutwilliges Prozessieren (vgl. etwa eine Entscheidung des KG in GA I (1853), 232). Zur Praxis in Preußen vgl. auch Goltdammer, GA 2 (1854), 792 und allgemein auch Goltdammer, GA 3 (1855), 605, 606.

2. Abschn.: Die Positionen der Literatur zum Prozeßbetrug im 19. Jahrhundert

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Beleg für den dogmatischen Ursprung der Verbindung zwischen den Fragen nach der Existenz einer Wahrheitspflicht im Prozeß und nach der Beurteilung falscher Behauptungen als Betrug in der Lehre vom Recht auf Wahrheit als Schutzgut Bauer gibt Quellen der Pflicht zur Wahrhaftigkeit als Grundlage des zu verletzenden Rechtes auf Wahrheit an. Bei den besonderen Privatrechtsverhältnissen nimmt er das Prozeßrechtsverhältnis von den wahrheitspflichtbegründenden Konstellationen aus.470 Günther spricht sich 1840 ebenfalls gegen eine Betrugsstrafbarkeit für einfache falsche Prozeßbehauptungen aus.471 Er behandelt dies nicht unter dem Betrug, der auf Erzeugung eines Schadens gerichtet ist, sondern unter dem an und für sich wegen einer Wahrheitspflichtverletzung strafbaren Betrug. Eine solche Wahrheitspflicht hält er im Grundsatz im Verhältnis zwischen Bürger und hoheitlich Handelnden für gegeben. Er will aber wiederum eine Ausnahme für den Prozeßbetrug machen, obwohl er eine Berücksichtigung des Opferverschuldens oder das Erfordernis einer Täuschungsqualifikation sonst ablehnt. 472 Die Argumentation ist die später gängige, nach der der Richter dem einfachen Vorbringen nicht glaube und erst dem Beweis (namentlich dem Eide) Bedeutung zumesse. 473 Genauere dogmatische Angaben, welches tatbestandliehe Erfordernis aus diesem Grunde wegfallen soll, werden nicht gemacht. Letztlich kann es nur als Kausalitätsproblem verstanden werden. Es erweist sich damit bei Günther wie schon bei Heffter, daß der spätere Argumentationsduktus der Rechtsprechung schon bei den Autoren angelegt ist, die noch von dem alten Recht auf Wahrheit ausgehen. Dieser Duktus ist also gar nicht auf den modernen Betrugsbegriff zugeschnitten, sondern nur - aus noch zu analysierenden Gründen - auf ihn übertragen worden.

Unausgesprochen ergibt sich wiederum deutlich die Verbindung mit der fehlenden Wahrheitspflicht im Prozeß: Ist nach Hälschner und Günther das einschlägige Delikt eine Verletzung des Rechtes auf Wahrheit, kann es in einem Verfahren, in dem keine Wahrheitspflicht existiert, auch nicht verwirklicht werden. Dies könnte der eigentliche, hinter der sonst eher unmotiviert wirkenden Idee der Privilegierung des Prozesses stehende Gedanke sein, der letztlich bis ins römische Recht zurückgreift. Damit bestätigt sich der schon bei Bauer und Klien anklingende Befund, daß die Verbindung dieser Idee mit der Frage nach der Wahrheitspflicht letztlich auf derselben Stufe basiert, die das Recht auf Wahrheit als Schutzgut der einschlägigen Delikte betrachtete. Diese Argumentation wurde unter der Geltung des modernen Bauer, § 269 not. c). Bauer, § 269. 471 Günther, in Weiskes Rechtslexikon, Bd. 2, S. 87. 472 Günther, in Weiskes Rechtslexikon, Bd. 2, S. 87; zur Relevanz des Schutzgutes für diesen Ansatz vgl. die Bemerkung in der Einleitung zur Literatur des 19. Jahrhunderts über die Bedeutung der Wahrheitspflicht als geschütztes Rechtsgut in diesem Abschnitt unter G. 473 Günther, in Weiskes Rechtslexikon, Bd. 2, S. 87. 469

470

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Betrugsbegriffes dahingehend "umgekehrt", daß die fehlende Wahrheitspflicht als normatives Hindernis für den an sich einschlägigen modernen Betrugstatbestand verstanden wurde. 474 Eigentlich grundlegend für die Ansicht der Rechtsprechung dürfte dann Escher (1840) sein, da er bereits recht eindeutig vom Vermögen als Schutzgut des Betruges ausgeht. Er gibt die später vom Reichsgericht verwendeten Formulierungen bereits wieder. Die bloße Behauptung einer Partei sei nicht entscheidend, sei noch gar keine Täuschung. Vielmehr gehe es dem Richter um Beweismittel, die vorzubringen im übrigen den Parteien in deren Interesse obliege.475 Auch das Argument, andernfalls könne jeder Zivilrechtsstreit willkürlich dem Untersuchungsgrundsatz unterstellt werden, führt er bereits an.476 Auch er stellt also noch nicht ausdriicklich die Kausalitätsargumentation dar, gibt deren Substanz aber vor, ohne sie auszuformulieren. Indes stellt er die Verbindung der Gedanken von der Subsidiarität des Strafrechtes und der Beriicksichtigung eines Mitverschuldeus des Opfers in seiner Herleitung musterhaft dar: Das Strafrecht dürfe nur eingreifen, wo sonstige (vor allem zivilrechtliche) Mittel nicht hinreichen. Im Zivilprozeßrecht seien die Parteien aber in der Lage, durch Beweise und prozessuale Mittel selbst ihre Rechte zu wahren. Der Richter urteile dann auch nur aufgrund dieser Beweise und nicht aufgrund einfachen Vorbringens.477 Die Verbindung der besonderen Behandlung des Prozeßbetruges mit zahlreichen aus der historischen Entwicklung des Betrugstatbestandes bekannten und aus diesem Grunde hier dargestellten Argumentationssträngen wird dadurch deutlich belegt. Geib spricht sich aufgrund eines allgemeinen Abgrenzungsansatzes gegen eine Betrugsstrafbarkeit aus. Im Zivilprozeß müsse jeder mit unwahren Angaben rechnen. Die römisch-rechtlichen Folgen auf dem Gebiet des Privatrechtes sieht er als Argument gegen eine Strafbarkeit an. 478 Auch Temme will1841 Lügen vor Gericht straflos lassen. Die Lehre vom Recht auf Wahrheit lehnt er ab.479 Im übrigen argumentiert er ähnlich wie Escherund Geib: Der Richter brauche den unbelegten Angaben nicht zu glauben. Es fehle ferner an der erforderlichen besonderen List.480 Hier wird wiederum die Verbindung der besonderen Behandlung des Prozeßbetruges mit dem Erfordernis einer qualifizierten Täuschung ganz deutlich, das sich wiederum auf die gezeigten römisch-rechtlichen Ursprunge zurliekführen läßt. Daß Temme offenbar grundsätzlich keinen Dreiecksbetrug anerkennen will,481 ist weniger von Interesse. Bemerkenswert ist hingegen, daß er bereits die Vermeidung 474 475 476 477 478 479 480 481

Vgl. unten bei der Analyse der Rechtsprechung.

Escher; S. 208 ff. Escher; S. 209 f. unter b). Escher; S. 208 f. Geib, Arch. d. Criminalrechts N.F., Jahrgang 1840, S. 195, 201-203. Temme, S. 33. Temme, S. 60 vor § 10. Temme, S. 60 vor§ 10 und S. 89.

2. Abschn.: Die Positionen der Literatur zum Prozeßbetrug im 19. Jahrhundert

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von Kosten in Verfahren ohne sonstigen Vennögensbezug als Anknüpfungspunkt für eine Betrugsstrafbarkeit entdeckt. 482 Goltdammer hält das wahrheitswidrige Ableugnen oder Geltendmachen einer Forderung im Zivilprozeß nicht für gemeinrechtlichen Betrug.483 Dabei will er entgegen den meisten anderen Vertretern dieser Ansicht - weniger auf die aus der römisch-rechtlichen "magna et evidens calliditas" ableitbare Forderung nach einer Qualifikation der Täuschungshandlung abstellen, sondern hält wiederum die Existenz von ProzeSstrafen und -nachteilen für derartiges Verhalten für entscheidend, deren Übung er als noch nicht erloschen ansieht. 484 Für das preußische Recht, das bereits § 241 PrStGB kennt, soll dasselbe gelten. Es seien dort zahlreiche als ProzeSstrafen zu verstehende Rechtsfolgen vorgesehen. 485

Er wendet sich sodann dagegen, aus einer unter Umständen zivilprozessual normierten Wahrheitspflicht der Parteien auf die Betrugsstrafbarkeit zu schließen, da dieser Tatbestand nicht ein Recht auf Wahrheit schütze.486 Er erkennt also, was in der späteren Diskussion oft nicht herausgearbeitet wird, daß nämlich die Existenz einer Wahrheitspflicht für die Betrugsstrafbarkeit an sich nichts aussagt. Allenfalls kann ihr Fehlen als nonnatives Argument gegen die Anwendung des nominell erfüllten Betrugstatbestandes herangezogen werden, worauf die deutsche Rechtsprechung bis I 933 letztlich beruhen dürfte. Das eigentlich Bemerkenswerte ist nun aber, daß Goltdammer die später beim Reichsgericht anzutreffende Argumentation zur besonderen Behandlung des Prozeßbetruges vollständig und klar ausfonnuliert. Er bestreitet ausdrucklieh den Kausalzusammenhang zwischen einfacher Parteibehauptung und Täuschung (gemeint ist offenbar der Täuschungserfolg, also der Irrtum) des Richters. Dieser glaube einfachem Vortrag nicht, sondern entscheide aufgrund des Beweisergebnisses, so daß der Vortrag lediglich der Beweisprovokation diene. 487 Kästtin hält den Betrugstatbestand im Hinblick auf unredliches Prozeßverhalten grundsätzlich für unanwendbar. Dabei kommt er im ersten Ansatz der reichsgerichtliehen Argumentation ganz nahe. Er geht aber dariiber hinaus und entlarvt dabei die Inkonsequenz der reichsgerichtliehen Ansicht und deren Verhaftung im alten Denken, indem sie die Qualifikation der Täuschung durch Fälschungshandlungen (im alten Sinne) erfordert.

In seinem ersten, das bloße Parteivorbringen betreffenden Argumentationsstrang setzt Kästtin wie später das Reichsgericht (und zu seiner Zeit das Preußische OberTribunal) bei der Kausalität an. Er geht zwar von der Kausalität zwischen Irrtum 482

Temme, S. 69.

483

Goltdammer; GA 3 (1855), 605 f.

486

Goltdammer; GA 3 (1855), 605, 606. Goltdammer; GA 3 (1855), 605, 607. Goltdammer; GA 3 (1855), 605, 610.

487

Goltdammer; GA 3 (1855), 605, 610 f.

484 485

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

und Entscheidung des Richters aus. Seine Argumente betreffen aber - wie die der Rechtsprechung - schon die erste Kausalitätsstufe, nämlich die zwischen dem Parteivortrag und dem Irrtum des Richters. Denn abgestellt wird bereits auf dessen diesbezügliche Pflichtwidrigkeit, indem Köstlin sagt, der Richter dürfe Unbewiesenes nicht glauben. Sein Ansetzen bei der nächsten Kausalitätsstufe (zwischen Irrtum und Entscheidung) erklärt sich dadurch, daß er seine Darlegungen von der Überlegung aus entwickelt, daß nicht das unbewiesene Vorbringen, sondern das Beweisergebnis die Entscheidung motiviert. 488 Das Reichsgericht mußte diese Gedanken Köstlins also nur zu Ende denken, um die Kausalität zwischen Vortrag und Irrtum mit dem Argument abzulehnen, die Pflichtwidrigkeit des Richters sei kausal und nicht das Vorbringen der Partei. Auch das beim Reichsgericht gelegentlich anklingende Argument, der Vortrag diene nur zur Beweisprovokation, klingt hier schon an.489 Dies wäre für das Reichsgericht der einzige Ansatz für eine tragfähige Begründung der besonderen Behandlung des Prozeßbetruges aus den Besonderheiten des Zivilverfahrens gewesen, den es aber nicht wahrnimmt. Die Unstimmigkeit seiner Argumentation in Bezug auf die Äquivalenztheorie ist damit hier schon angelegt. Köstlin formuliert seine Anknüpfung an die Besonderheiten des Zivilverfahrens dahingehend, daß "ein dolus, der sich noch dem gesetzlichen Formengange des Prozesses unterwirft, noch nicht den kriminellen Typus hat. "490 Dies läßt sich in der neueren Dogmatik im kodifizierten Betrugstatbestand nicht mehr sagen. Der objektive Tatbestand ist erfüllt und Betrugsvorsatz ist vorhanden. Es handelt sich um ein wertendes, rechtspolitisches Argument, das das Reichsgericht (und vor ihm das Preußische Ober-Tribunal) zwar nicht - zumindest nicht offen - ausspricht, das aber in dem von Köstlin hier angesprochenen Gedanken wurzelt. Auch der schon mehrfach festgestellte Ansatz, daß für das unredliche Verhalten im Prozeß Privatstrafen vorgesehen und abschließend gemeint seien, kehrt bei Köstlin wieder.491

Das Bemerkenswerte an seinen Ausführungen ist aber, daß er im Gegensatz zur Rechtsprechung aus seiner Erkenntnis viel weiterreichende Konsequenzen zieht. Er macht nicht den ,,Fehler" des Reichsgerichtes, die Ablehnung der Betrugsstrafbarkeit aufzugeben, sobald falsche oder materiell unrichtige Beweismittel einge488 Vgl. zum Ganzen Köstlin, ZS, S. 342 f.; Köstlin, S. 149. Die Verankerung an dieser Stufe ist ihm durchaus ernst, wie die weiteren, als gleichartig herangezogenen Fallgruppen aufS. 151 f. zeigen. 489 Köstlin, S. 149. 490 Köstlin, ZS, S. 344 f.; Köstlin, S. 150; zum Zusammenhang dieser Idee mit der von Köstlin vorgesehenen Privilegierung von Vertragsverhältnissen vgl. dort. 491 Köstlin, ZS, S. 343 bei FN 3; Köstlin, S. 150. Die Argumentation mit den Privatstrafen ist durchaus ambivalent. Sie können sowohl im angedeuteten Sinne dahingehend vorgebracht werden, daß sie abschließend seien und keine Kriminalstrafe neben ihnen möglich sei. Andererseits läßt sich ebensogut argumentieren, daß ihre Existenz die Ahndungswürdigkeit des fraglichen Verhaltens gerade belege und daher für eine Strafbarkeit spreche.

2. Abschn.: Die Positionen der Literatur zum Prozeßbetrug im 19. Jahrhundert

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bracht wurden. Er will vielmehr auch dann nicht aus Betrug, sondern nur aus den unter Umständen verwirklichten Fälschungstatbeständen bestrafen. 492 Hier ist also die Trennung von Fälschung und Betrug erstmals ganz konsequent durchgeführt, worauf sich Köstlin auch ausdrücklich stützt. 493 Was die Rechtsprechung dann bis in die 30er Jahre unseres Jahrhunderts verfolgt, ist demnach, wie schon mehrfach angedeutet, eine Nachwirkung der alten Verquickung von Fälschung und Betrug.494 Schwarze bezeichnet es 1866 ähnlich wie Hälschner 1868 als übereinstimmende Ansicht von Theorie und Praxis, daß falsches Parteivorbringen, für das keine Beweise erbracht wurden, nicht der Betrugsstrafbarkeit unterfällt. 495 Zur Begründung bringt er zunächst das Argument, daß eine Wahrheitspflicht nicht existiere. Dies ist für den Betrugstatbestand, von dem er ausgeht, an sich gleichgültig, zeigt aber die schon mehrfach beschriebenen Spuren alter Ideen, hier eben der alten Lehre vom Recht auf Wahrheit als Schutzgut Auch der Hinweis auf prozessuale Strafen und Nachteile als ausschließliche Folgen falschen Parteivorbringens fehlt nicht. Sodann folgt die übliche Darlegung der Rechtsprechung, daß der Richter nur aufgrund der Beweismittel, nicht aufgrund von Behauptungen entscheide und deshalb gar keine Täuschung vorliege. 496 Gemeint muß nach seiner Herleitung sein, daß der Richter nicht in einen Irrtum versetzt werde, er impliziert also bei der Verneinung der Täuschung deren fehlenden Erfolg. 497 Auch das später gelegentlich auftauchende Argument, andernfalls könne jedes Zivilverfahren unter dem Vorwand, der Gegner habe gelogen, in ein von der Inquisitionsmaxime beherrschtes Strafverfahren übergeleitet werden, führt er an. 498

Hinsichtlich der Argumentation mit der Wahrheitspflicht hat sich hier also die oben schon angedeutete Umkehrung vollzogen: Ihr Vorliegen ist nicht mehr erforderlich für den Betrugstatbestand, ihr Fehlen kann aber als (normatives) Argument gegen sein Eingreifen verstanden werden. 499 Köstlin, ZS, S. 342 FN 3; Köstlin, S. 150 f. Vgl. Köstlin, S. 150 FN 6; auch S. 158 ff. und 186 Note 1). 494 Köstlin ist mit seiner Absicht völlig konsequent, indem er sie auch auf den "Exekutionsprozeß", also die gerichtlichen Entscheidungen im Zwangsvollstreckungsverfahren anwendet (vgl. S. 150 f.). Er lehnt im übrigen den Dreiecksbetrug für das gemeine Recht insgesamt ab (vgl. S. 153 unter c)). 495 Schwarze, GS 18 (1866), 105 und 107; ähnlich Hälschner, Das Preußische Strafrecht 111, S. 372 mit FN 2. 496 Schwarze, GS 18 (1866), 105, 107; ähnlich Hälschner, Das Preußische Strafrecht III, S. 372 mit FN 2. 497 Vgl. zum Beleg Schwarze, GS 18 (1866), 105, 107: "Der Behauptende ruft die Hilfe des Richters an, indem er sich zum Beweise erbietet,- der Gegner Jäugnet die Behauptung, indem er den Beweis erwartet. Der, welcher hierbei eine Unwahrheit vorbringt, begeht ein Unrecht, aber noch nicht eine Täuschung, weil die Behauptung, bez. die Verschweigung es nicht ist, welcher Glauben beigemessen wird, sondern erst den Beweisen, welche hierfür beigebracht werden." 498 Schwarze, GS 18 (1866), 105, 108. 492 493

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Bemerkenswert ist, daß Schwarze die Straflosigkeit auf Konstellationen ausdehnt, in denen das Reichsgericht unter Umständen bestraft hätte: So soll Straflosigkeit eintreten, wenn der Kläger eine echte, aber materiell unrichtige Urkunde zur Klagebegründung vorlegt, der Beklagte das Entstehen der Schuld dann zugesteht, die Einrede erhebt, auf der die Unrichtigkeit der Urkunde beruht, damit aber mangels Beweises nicht durchdringt. 500 Auch hier habe der Richter nicht geirrt, er habe das Zugestandene zugrundezulegen und mangels Beweises der Einrede zu verurteilen. Weder Vortrag noch Beweismittel des Klägers haben demnach zu einem Irrtum bei ihm geführt. 501 Das Reichsgericht behilft sich in solchen Fällen teilweise damit, daß es in den Besitz der unrichtigen Urkunde und deren Vorlegen eine Aussage über das Fehlen von Einwendungen hineinliest (vor allem bei Wechseln). Wo dies nicht gelingt, kommt es in Argumentationsschwierigkeiten. Schwarze führt diese Ansicht also insoweit konsequenter durch. Zur Betrugsstrafbarkeit kommt er indes, wenn die vorgelegten Beweismittel gefälscht oder vorsätzlich als inhaltlich unwahr hervorgebracht wurden. 502 Dabei will er unterscheiden zwischen Zeugenbeweisen et cetera, bei denen die Reaktion des Gegners unerheblich ist, und Urkundenbeweisen, bei denen der Gegner nach dem von ihm zugrundegelegten alten (sächsischen) Verfahrensrecht Stellung nimmt, worauf sich dann der Richter stützt.503 Noch keine Fälschung, sondern Straflosigkeit bewirkende Zugehörigkeit zu der zuerst genannten Gruppe will er annehmen, wenn etwa aus einem nicht valutierten Darlehensvertrag geklagt wird. Die Argumentation gleicht der zuerst genannten. 504 Selbst bei vorsätzlich mit falschem Inhalt entstandenen oder ganz gefälschten Urkunden läßt Schwarze nur die betrügerische Täuschung des Gegners zu, wenn dieser ausnahmsweise die inhaltliche Falschheit oder die Unechtheit nicht kennt. Der Richter kann nach seiner Ansicht hier wieder nicht getäuscht werden, weil er nur aufgrund der Reaktion des Gegners ("Recognition" oder nicht) entscheidet. 505 Erst bei falschen Zeugenaussagen kommt er zum Betrug durch Täuschung des Richters. Allerdings soll dieses Delikt in einem Meineid (Aussagedelikt) des Zeugen beziehungsweise der Anstiftung dazu durch die interessierte Partei aufgehen.506 Ebenso soll es sein, wenn der Beklagte wahrheitswidrig eine gegen ihn vor499 Vgl. im einzelnen dazu bei der Rechtsprechungsanalyse und deren Zusammenfassung im 5. Abschnitt. 500 Schwarze, GS 18 (1866), 105, 110 f. 501 Schwarze, GS 18 (1866), 105, 111. 502 Schwarze, GS 18 (1866), 105, 112 noch unter§ 2. 503 Schwarze, GS 18 (1866), 105, 112 noch unter§ 2 und S. 113. Der Gegner erkannte die Echtheit der Urkunde dort entweder mit prozessualen Folgen an ("Recognition") oder bestritt sie. Im einzelnen kann diese Besonderheit dahinstehen. 504 Schwarze, GS 18 (1866), 105, 113 f. 505 Schwarze, GS 18 (1866), 105, 115 f., 119. 506 Schwarze, GS 18 (1866), 105, 120.

2. Abschn.: Die Positionen der Literatur zum Prozeßbetrug im 19. Jahrhundert

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gebrachte Urkunde "dissitiert" (das Gegenteil der "Recognition"), das heißt ihre Unrichtigkeit beeidet. 507 Von Interesse ist eine weitere Fallgruppe, die Schwarze sodrum betrachtet: Er konstruiert nach sächsischem Verfahrensrecht einen Fall, in dem der Richter unabhängig von seiner Überzeugung hinsichtlich der wahren Tatsachenlage eine bestimmte Entscheidung treffen muß und verneint den Betrug.508 Er unterscheidet also ähnlich wie das Reichsgericht später bei Versäunmisurteilen und dergleichen, auch wenn er die verschiedenen Kausalitätsstufen nicht sprachlich erfaßt, indem er auch hier wieder die Täuschung leugnet. 509 Einen strafbaren Betrug durch Täuschung des Richters hält Schwarze nur für möglich, wenn eine Exekutionseinstellung oder -aufschiebung (nach preußischem, nicht sächsischem Verfahrensrecht) durch Vorlage falscher Zahlungsbelege beziehungsweise Postscheine erreicht wird.510 Oder wenn es sich um einfaches falsches Vorbringen in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt, in dem der Richter freies Ermessen hat, insbesondere nicht an Erklärungen des Gegners zu Urkunden gebunden ist. 511 Bei letzterem beruft er sich zur Begrundung seiner Meinung zum Prozeßbetrug im Zivilverfahren auf die Besonderheiten des kontradiktorischen Verfahrens. 5 12 Dies tut das Reichsgericht zuweilen auch, meint damit aber etwas ganz anderes. Denn Schwarze bezieht sich hier auf die oben angedeuteten prozessualen Besonderheiten. In solchen Literaturstellen griindet aber sicher auch der vom Reichsgericht mitgetragene, wenn auch nicht voll ausformulierte Gedanke, die Besonderheiten des Zivilverfahrens erforderten eine besondere Behandlung des Prozeßbetruges. Merke! fundiert seine Ansicht dann schon im römischen Recht, indem er das "dolose Läugnen im Prozesse" nicht dem stellionatus zuschlagen will. 513 In seiner modernen Betrugsdogmatik verankert er die Ablehnung der Betrugsstrafbarkeit für lügenhafte Angaben im Zivilprozeß bei der Relevanz des Irrtums für die Entscheidung des Richters, also wie Köstlin bei der Kausalitätsstufe zwischen Irrtum und Verfügung. 514 Dies liegt bei Merke! näher als bei Köstlin, weil er die Relevanz des Irrtums für das Verhalten des Irrenden schon beim Irrtumsmerkmal selbst priift.

Neben den im römischen Recht angedrohten Privatstrafen beruft er sich auf dieselbe Argumentation: Der Richter werde durch bloßes Parteivorbringen nicht be507 Schwarze, GS 18 (1866), 105, 120 f. Auch dies ist wegen der überholten prozessualen Grundlage nicht weiter von Interesse. 508 Schwarze, GS 18 (1866), 105, 121 ff. unter§ 6. 509 Schwarze, GS 18 (1866), 105, 123. 510 Schwarze, GS 18 (1866), 105, 127 ff., vor allem 129. 511 Schwarze, GS 18 (1866), 105, 132 f. unter§ 8. 512 Schwarze, GS 18 (1866), 105, 132 und 133. m Merket, S. 10, 186 mit FN 17. Bemerkenswert scheint, daß er dies nicht wegen, sonderntrotzder unter Umständen vorgesehenen Privatstrafe des Duplum (oder Triplum) vertreten will, was die schon angesprochene Ambivalenz dieses Argumentes bestätigt.

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

stimmt. 515 Auch hier läßt sich also schon die spätere Argumentation der Rechtsprechung erkennen, die lediglich einen Schritt weiter denkt und schon die Kausalität des Vorbeingens für den Irrtum des Richters verneint. 516 Auch die beim Reichsgericht ansatzweise vorhandene Argumentation, das falsche Vorbringen beziehungsweise Leugnen bringe nur die Beweislastverteilung zur Wirkung, klingt an. 517 Merket kommt nun bemerkenswerterweise unter konsequenter Anwendung seiner Prämissen zu einem Ergebnis, das gewissermaßen auf halbem Wege zwischen der Ansicht Kästtins und der späteren des Reichsgerichtes liegt: An der Idee der fehlenden Kausalität für die Entscheidung des Richters hält er auch dann fest, wenn inhaltlich unrichtig gewordene, aber weder gefälschte noch vorsätzlich mit falschem Inhalt hervorgebrachte Beweismittel vorgelegt werden. Etwa wenn aus einem getilgten Wechsel, einem nicht liquidierten Darlehen et cetera geklagt wird. In diesen Fällen verurteilt das Reichsgericht später. Merket hingegen führt an, auch hier sei es nur die Beweislastverteilung, der zum Durchbruch verholfen werde. 518 Er betrachtet es formal: Nicht der Glaube des Richters an das Vorbringen entscheide, sondern die Beweislage. Erklärlich ist dies nur mit seinem besonderen Erfordernis, der unredlich Handelnde müsse besondere Vorkehrungen zur Anspruchsvereitelung getroffen haben, an dem es hier fehlt. Ihmzufolge darf die Partei alle redlich in ihre Hand geratenen Beweismittel ausnutzen. Dies geht über seine Kausalitätsargumentation hinaus. Der Richter wird hier durch Vorlage des Wechsels et cetera zur Entscheidung im Sinne des Parteivorbringens bestimmt. Daß dieses Vorbringen der Partei nicht kausal werde, läßt sich also nicht mehr sagen. Merket ist hier ungenau. Er weist nicht auf sein besonderes "Requisit" der Vereitelungsaktivität hin, sondern behauptet, das Parteivorbringen werde deshalb nicht kausal, weil die Entscheidung von der Überzeugung des Richters unabhängig sei, vielmehr jener aufgrund des Beweises so entscheiden müsse. 519 Dies widerspricht dem oben genannten Ansatz, daß die Überzeugung des Richters durch die Beweise gebildet werde. Die hier angesprochene Kausalitätsstufe ist vielmehr diejenige zwischen Irrtum und Entscheidung. An ihr kann es fehlen, wenn der Richter unabhängig von seiner Überzeugung entscheiden muß (bei Versäumnisurteilen et cetera), was in den vorliegenden Fällen aber gerade nicht der Fall ist.

Einen strafbaren Prozeßbetrug nimmt Merket erst dann an, wenn gefälschte Beweismittel (namentlich Urkunden) und vorsätzlich als inhaltlich falsch konstituierte Beweise eingebracht werden (Meineide, falsche Zeugnisse). Hierher zählt er auch Exekutionsahwendungen unter Vorlage gefälschter Bescheinigungen. An der Kausalität des Vorbeingens hat er dann keine Zweifel. Im Grunde ist die Unter514 515 516 517

518 519

Merkel, S. 185 f. Merkel, S. 186 mit FN 16. Vgl. soeben bei Köstlin. Merkel, S. 186. Merkel, S. 283 ff. FN 8. Merkel, S. 283 f. FN 8.

3. Abschn.: Die Rechtsprechung des Preußischen Ober-Tribunals

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scheidung aber- wie gezeigt - auf sein besonderes Erfordernis eines anspruchsvereitelnden Verhaltens zurückzuführen. (Zugestanden wird dies von ihm übrigens bei der Tauschung des Prozeßgegners, die erst mit Einsatz objektiver Erkenntnisgründe (Beweismittel), nicht schon bei bloßer Lüge möglich sein soll.520 Dies deutet auch wieder auf eine Privilegierung von "Kampfsituationen" hin, die im Prozeß offenbar noch mehr als im Rechtsverkehr angenommen werden.) Bemerkenswert ist ferner, daß Merke/ sich des Charakters des Prozeßbetruges als Mißbrauch des Verfahrens im Sinne eines von der Rechtsordnung dem einzelnen eingeräumten Rechtes bewußt ist. Er spricht auch die später oft herangezogene Gefahr an, ein Zivilrechtsstreit könnte allzu leicht in das von der Inquisitionsmaxime beherrschte Strafverfahren überführt werden. 521 Auch bei Gryziecki findet sich 1870 zur Begründung der fehlenden Strafbarkeit für unwahre Behauptungen, Leugnen oder Verschweigen im Zivilverfahren das später vor allem in der Literatur verbreitete und schon bekannte Argument: Eine Tauschung des Richters sei, solange kein Beweis erhoben werde, gar nicht bezweckt. Vielmehr solle nur der Beweislast zur Wirkung verholfen werden. Für die Annahme eines Betruges genügen ihm - wie der Rechtsprechung - neben gefalschten auch nur materiell-inhaltlich unrichtige Beweismittel. 522 Festzuhalten bleibt, daß die überwiegende Meinung gegen Ende der gemeinrechtlichen Doktrin dahin ging, einen ,,Mittelweg" zu suchen. Man wollte also nicht jede unwahre Behauptung im Zivilprozeß als Betrug bestrafen, das Verhalten der Parteien aber auch nicht völlig von der Betrugsstrafbarkeit ausnehmen. 523 3. Abschnitt

Die Rechtsprechung des Preußischen Ober-Tribunals, insbesondere zum Prozeßbetrug im Zivilrechtsstreit Von den Partikularrechtsordnungen hat für das Strafrecht die preußische den stärksten Einfluß auf die Situation nach 1871 ausgeübt. Das preußische Strafgesetzbuch von 1851 diente - zumal im Hinblick auf den Betrugstatbestand - als Vorbild für das Reichsstrafgesetzbuch.524 Auch ist die Rechtsprechung des OberTribunals in Goltdarnrners Archiv und bei Oppenhoff dokumentiert und hat angesichts der angedeuteten historischen Entwicklung das Reichsgericht auch am ehe520

Merke[, S. 286 f. FN 8 unter 3).

521

Merke[, S. 285 FN 8 noch unter 1). Vgl. zum Ganzen Gryziecki, S. 77- 81. Ähnliche Schlußfolgerung bei Lenckner, S. 10. Naucke, S. 69.

522 523 524

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

sten beeinflußt. Diese Rechtsprechung soll daher als einzige partikularstaatliche näher dargestellt werden. Sie ist den Materialien zum PrStGB sehr verpflichtet. Fortwirkungen der aus dem gemeinen Recht stammenden Begriffsverwirrung und ihrer mühsamen Entflechtung lassen sich - wie oben schon angedeutet - auffinden. 525 Wie stark der Einfluß der gemeinrechtlichen Erörterungen auf die partikularrechtliehen Anfänge gewesen ist, sei beispielhaft mit einer Äußerung von Voitus (der zuweilen als Boitus zitiert wird) zu § 241 PrStGB belegt. 526 Er lehnt dort eine Strafbarkeit wegen Täuschung eines Richters unter anderem deshalb ab, weil in der PrAGO Geldbußen für unredliches Parteivorbringen vorgesehen sind, die er als abschließend ansieht. Im einzelnen soll nun die Rechtsprechung zu Fragen des Prozeßbetruges im Zivilprozeß dargestellt werden, die später auch das Reichsgericht beschäftigen.

A. Das kontradiktorische Verfahren Das Preußische Ober-Tribunal ging davon aus, daß die einseitige Behauptung einer Partei im Prozeß nicht von Einfluß auf die richterliche Entscheidung sei. Sie werde also nicht kausal für dessen Überzeugung, wenn sie nicht durch den erforderlichen Beweis unterstützt werde. 527 Eine genaue argumentative Grundlage fehlt, läßt sich aber aus abgrenzenden Entscheidungen herauslesen. So wird Betrug bejaht, wenn der Richter aufgrund eines Beleges auf die vorgetragenen Tatsachen "Rücksicht nehmen ( ... )" kann,528 wenn er mit anderen Worten den Tatsachen Glauben schenken darf, ohne eine Pflichtwidrigkeit zu begehen. Sicher formuliert ist dieser Begründungsansatz indes nicht immer. Es wird etwa auch angeführt, daß der einseitige Vortrag für den Richter nicht "bindend" beziehungsweise "bestimmend" sei,529 obwohl nach dem oben genannten Duktus gemeint sein muß, daß der Vgl. Naucke, S. 68 und 90 f. Voitus, GA 1 (1853), 488,491 ff. 527 PrObTrib bei Goltdammer, GA 3 (1855), 605, 611 f.; PrObTrib GA 8, 283, 284, wo aus einem manipulierten Wechsel geklagt wurde; PrObTrib GA 11, 502 f.; PrObTrib GA 13, 70, 71; PrObTrib Oppenhoff 6, 233, 234. 528 PrObTrib GA 11, 502, 503 (vgl. zu dieser Entscheidung im einzelnen unten bei der richterlichen Tatigkeit im Zwangsvollstreckungsverfahren). 529 PrObTrib bei Goltdammer, GA 3 (1855), 605, 611, 612; PrObTrib GA 11, 502, 503; vgl. auch PrObTrib GA 11, 641, 642 betreffend eine Urkundenfalschung gemäß § 247 PrStGB. Die zuerst genannte Entscheidung ist besonders unsicher formuliert. Dort hat der Tater nicht nur die seinen Anspruch vernichtende Einrede verschwiegen, sondern die Tatsache auf Vorbringen des Beklagten auch geleugnet. Dennoch wird gesagt, es fehle an einer von § 241 PrStGB geforderten - positiven Handlung, vielmehr liege ein bloßes Verschweigen vor. Was gemeint ist, erschließt sich aus der beiläufigen Bemerkung, es fehlten "anderweitige positive Veranstaltungen". Es wird also offenbar auf die übliche Qualifikationsforderung für die Tauschung abgestellt, so daß bloße Falschaussagen frir eine Irrtumserregung nicht genügen sollen. 525

526

3. Abschn.: Die Rechtsprechung des Preußischen Ober-Tribunals

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Richter ihm nicht ohne weiteres glauben darf. Gebunden ist er auch bei Beweisantritt nicht, vielmehr würde eine Bindung unter Umständen sogar die Kausalität der Überzeugung des Richters für seine Entscheidung in Frage stellen. An anderer Stelle taucht aber auch schon die dann beim Reichsgericht gängige Argumentation ausformuliert auf: Es könne nicht zu einer Irrtumserregung kommen, da der Richter nicht schon dem Vortrag glauben dürfe, sondern allein das Beweisergebnis zugrundelegen müsse. 530 Diese letzte Entscheidung ist auch sonst sehr aufschlußreich. Sie läßt erkennen, daß das Preußische Ober-Tribunal den Grundsatz, dem einfachen Vortrag sei nicht zu glauben und er könne nicht für einen Irrtum kausal werden, nicht schematisch anwendet. Vielmehr überprüft es tatsächlich die Pflichtwidrigkeit des Richters in der einzelnen Prozeßsituation und legt damit -ohne dies zu problematisieren - auch die Schwäche dieser Argumentation bloß: In jenem Falle hatte der Angeklagte eine Forderung eingeklagt, obwohl er sie zuvor an einen Dritten abgetreten hatte. Von einer Abtretung war im Verfahren nie die Rede, es wurde demnach auch kein Beweis bezüglich des Vorliegens oder Nichtvorliegens einer solchen angetreten. Das Ober-Tribunal kommt dennoch zur Betrugsstrafbarkeit, da der Richter eine solche Abtretung keineswegs zu prüfen habe, wenn keinerlei entsprechender Vortrag vom Kläger oder Beklagten vorliege, mithin auch keine Pflichtwidrigkeit begangen haben könne. 531

B. Die richterliche Tätigkeit im Zwangsvollstreckungsverfahren Auch hier differenziert das Preußische Ober-Tribunal in der gleichen Weise wie im kontradiktorischen Verfahren. Es hatte einen Fall zu beurteilen, in dem durch Erhebung der Drittwiderspruchsklage unter Vorlage eines antedatierten Kaufvertrages über die öffentlich zu veräußernden Gegenstände die Aussetzung des Verkaufstermines, also die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung erreicht wurde. Es beruft sich zunächst auf die oben genannte Rechtsprechung, nach der die Kausalität bei bloßem falschen Parteivortrag fehle, bejaht dann aber die Ursächlichkeil für diesen Fall. Denn der Richter hatte hier den Kaufvertrag als Bescheinigung vorgelegt bekommen und durfte damit den Vertrag nach der damals einschlägigen Vorschrift532 als für die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung genügend belegt ansehen. 533 Interessanterweise hatte das Ober-Tribunal im Gegensatz zum Reichsgericht keine Probleme hinsichtlich der Strafbarkeit von Täuschungen des GerichtsvollPrObTrib Oppenhoff 6, 233, 234. PrübTrib Oppenhoff 6, 233, 235. Auch das RG kommt mit dieser Konfliktlinie später in Berührung (siehe unten bei RGSt. 32, I und RGRspr. 8, 506), es kommt aber dabei- soweit ersichtlich -nie zu einer Konstellation, wo- wie hier- die Entscheidung wirklich davon abhängt. 532 § 77 Teil I Titel 24 der preußischen Allgemeinen Gerichts-Ordnung. 533 PrObTrib GA 11, 502 f. 530

531

8 Jänicke

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I. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

ziehers mit Hilfe inhaltlich falscher Postscheine, die die erfolgte Zahlung belegen sollen. Denn das PrStGB hielt dafür seit 1856 in§ 243 Nr. 6 einen eigens gefaßten Tatbestand bereit. 534 Eine mögliche Pflichtwidrigkeit des Gerichtsvollziehers wurde hier nicht für hinderlich erachtet, sondern der Täter ohne weiteres bestraft. 535 Dies ist umso erstaunlicher, als der Tatbestand als normierter Sonderfall des Betruges galt und dessen Voraussetzungen stets erfüllt sein mußten. 536 Man behalf sich insoweit dadurch, daß man davon ausging, die Voraussetzungen des allgemeinen Betrugstatbestandes (§ 241 PrStGB) müßten nicht ausdriicklich festgestellt werden, sofern der Wortlaut des § 243 Nr. 6 erfüllt sei.537 Möglicherweise ist es dieser Umstand, der das Reichsgerichttrotz seiner sonstigen Bereitschaft zur großzügigen Ausdehnung der besonderen Behandlung des Prozeßbetruges dazu bewog, beim Gerichtsvollzieher zumindest teilweise Zurliekhaltung walten zu lassen. Schon das Ober-Tribunal hat diese Entwicklungslinie nach lokrafttreten des RStGB vorgegeben. Es subsumierte den Sachverhalt ohne weiteres unter den neuen § 263, sofern der nun ausdrucklieh festzustellende Schaden vorlag. 538 Gegenüber der Argumentation eines Rechtsmittelführers, der auf eine Parallele zur (friiheren) Beurteilung des Prozeßbetruges gedrungen hatte, führte es mit großer Selbstverständlichkeit aus: Eine Vermeidbarkeit des erregten Irrtumes oder eine Pflichtwidrigkeit des Getäuschten könne die nun einmal gegebene Kausalität der Täuschung für den Irrtum keinesfalls hindern. 539 Diese Entwicklung nach Erlaß des RStGB ist insofern konsequent, als das Ober-Tribunal zu dieser Zeit auch für andere Prozeßbetrugskonstellationen die alte Rechtsprechung aufgegeben hatte und die Äquivalenztheorie konsequent anwandte.540 An diesem allgemeinen Sinneswandel hält es indes ebenso wie später das Reichsgericht - nicht fest, wie sogleich unter E. zu zeigen sein wird.

534 Dieser Tatbestand war offenbar geschaffen worden, um diesbezügliche Unsicherheiten zu beenden, die zuvor bestanden hatten: vgl. Voitus, GA 1 (1853), 488, 490 ff., der zuweilen als Boitus zitiert wird. 535 Vgl. PrObTrib Oppenhoff2, 206; 3, 383; 3, 535; 4, 65; 6, 78; 8, 428; 10,11; auch PrObTrib Oppenhoff 7, 519 und die weitergehende Entscheidung in Oppenhoff 10, 307, wo der Gerichtsvollzieher von der materiellen Unrichtigkeit des Postscheines gewußt und mit dem Schuldner zusammengewirkt hatte, so daß er nicht nur pflichtwidrig gehandelt, sondern sich auch in gar keinem Irrtum befunden hatte. Dennoch will das Ober-Tribunal aus § 243 Nr. 6 PrStGB verurteilen, weil die Verwendung des falschen Beleges gegenüber dem Gericht unabhängig von der Pflichtwidrigkeit des vor Ort befindlichen Gerichtsvollziehers stattgefunden habe. Auf einen Irrtum der vor Ort befindlichen Person komme es nicht an. Letzteres geht über den Umfang der Strafbarkeit nach Erlaß des § 263 RStGB hinaus, in dessen Rahmen nur noch auf die Irrtumserregung beim Gerichtsvollzieher und dessen Absehen von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen abgestellt werden konnte. 536 PrübTrib Oppenhoff 3, 372; 6, 78. 537 PrObTrib Oppenhoff 3, 372 f.; auch PrObTrib Oppenhoff 6, 78; 10, 11. 538 PrObTrib Oppenhoff 12, 235; 13, 40,41 f.; 13, 331; 13, 568; 15, 478; 17, 443; 19,230. 539 PrübTrib Oppenhoff 13, 568, 571 ; ebenso noch in PrObTrib Oppenhoff 17,443. 540 Vgl. unten bei E.

3. Abschn.: Die Rechtsprechung des Preußischen Ober-Tribunals

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C. Der tingierte Rechtsstreit Gemeint sind Fälle, in denen die Parteien sich verbunden haben, um eine Verurteilung aus einer in Wirklichkeit nicht bestehenden Forderung herbeizuführen und dadurch beziehungsweise durch die anschließende Zwangsvollstreckung einen Dritten - in der Regel die zu scheidende Ehefrau des angeblichen Schuldners - zu schädigen. Hier erkennt das Ober-Tribunal auch ohne Beweisantritt auf Betrug.541 Eine exakte Begründung für diese Beurteilung gibt es nicht an. Es führt lediglich aus, eine derartige Veranstaltung eines Prozesses in gewinnsüchtiger Absicht weiche von dem bloßen unrichtigen Vorbringen einer Tatsache wesentlich ab und werde kausal für die Entscheidung und damit für die Vermögensbeschädigung. 542 Diese Ansicht behält das Ober-Tribunal auch nach Erlaß des Reichsstrafgesetzbuches bei.543 Die Begründung ist dann etwas exakter und näher an der später vom Reichsgericht gegebenen. Es wird die Kausalität zwischen Irrtum und Vermögensschaden benannt, welche gegeben ist, obwohl Versäumnisurteil ergangen war. Dies deutet darauf hin, daß nicht die Tauschung über das nicht vorhandene Schuldverhältnis, sondern die einvernehmliche Irreführung darüber im Mittelpunkt steht, daß das Verfahren insgesamt simuliert ist. Deshalb besteht gar kein Rechtsschutzbedürfnis, wodurch auch ein Versäumnisurteil nicht ergehen darf. 544

D. Arrest und einstweilige Verfügung Auch in diesem Bereich deutet sich schon die spätere Behandlung durch das Reichsgericht an. Die Regel, daß die Pflichtwidrigkeit des Richters im kontradiktorischen Verfahren die Kausalität unterbricht, wird vorausgesetzt. 545 Indes führt sie hier nicht zur Straflosigkeit, da der Richter aufgrund einseitigen Vorbringens entscheiden darf, ohne die gegnerische Partei zu hören. 546 Gemeint ist, daß der Richter hier nicht pflichtwidrig handelt, wenn er ohne Beweiserhebung einem Vortrag glaubt. Die die Pflichtwidrigkeit betreffende Regel wird also angewandt und kommt wegen der nicht dem kontradiktorischen Verfahren entsprechenden Konstellation zu einem anderen Ergebnis. Dennoch wird diese Regel nicht als ein Bestandteil des kontradiktorischen Verfahrens begriffen, womit das Vorgehen des PrObTrib GA 9, 710. PrObTrib GA 9, 710 und 711. 543 PrObTrib Oppenhoff 19,460 f. unter Berufung auf das zuvor genannte Urteil. 544 Vgl. zu diesem Aspekt unten bei der Rechtsprechung des Reichsgerichtes, bei der dies deutlicher wird. 545 PrObTrib Oppenhoff 8, 171, 173. 546 PrObTrib Oppenhoff 8, 171, 173 für den Fall, daß für einen vorgetäuschten Vergleich, mit dem der Schuldner das Ende des persönlichen Arrestes erreichte, Beweis zwar angeboten, aber nicht angetreten wurde. 541

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Reichsgerichtes in dieser Hinsicht ebenfalls vorweggenommen wird. Bemerkenswert an der zuletzt genannten Entscheidung ist ferner, daß sie eine später vom Reichsgericht in anderen Konstellationen (Versäumnisurteil und dergleichen) angewandte Argumentation andeutet, aber aus logisch nicht recht zwingenden Grunden verwirft: Nach einer für den den Arrest aufhebenden Richter geltenden Vorschrift des damaligen preußischen Rechtes (§ 6 der Verordnung vom 4. März 1834) genügte es für die Aufhebung, daß der Schuldner einen entsprechenden Einwand substantiiert vorbringt und sofort verfügbaren Beweis anbietet, was im vorliegenden Falle geschehen war. Daran könnte sich, wie das Ober-Tribunal zutreffend bemerkt, 547 die Erwägung knüpfen, daß die Überzeugung des Richters gar keine Rolle spielt. Er muß vielmehr bei Vorliegen dieser Voraussetzungen unabhängig von seiner Überzeugung die dem Schuldner günstige Entscheidung fällen, so daß die Kausalität zwischen seinem Irrtum und der Entscheidung fehlt. Die Argumente des Ober-Tribunals gegen diese Sichtweise sind (nur) rechtspolitisch. Interessant ist allenfalls, daß man eine angeblich bestehende Pflicht zur Wahrhaftigkeit trotz der bestehenden konstruktiven Bedenken strafrechtlich schützen zu müssen glaubte. Damit wird die Existenz einer Wahrheitspflicht zwar nicht als Voraussetzung für die Strafbarkeit, zumindest aber als Argument zugunsten der Strafbarkeit verstanden. Das Reichsgericht entscheidet später zugunsten des Täters bei Versäumnisurteilen, Mahn- und Vollstreckungsbescheiden. Der Unterschied besteht gegebenenfalls darin, daß das in der erwähnten untergesetzlichen preußischen Norm erforderte Beweisangebot hier doch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den vorgetragenen Sachverhalt begrundet und begrunden soll. In den vom Reichsgericht angesprochenen Fällen hingegen abstrahiert das Prozeßrecht davon völlig. Festzuhalten bleibt, daß die Differenzierung zwischen der Kausalität der Täuschung für den Irrtum und derjenigen des Irrtums für die Verfügung beziehungsweise den Schaden in der Rechtsprechung des Ober-Tribunals nun gelungen ist.

E. Die vorübergehende Abweichung in der späten Rechtsprechung des Ober-Tribunals Im Jahre 1865 finden sich zwei Entscheidungen, die von der bislang herausgearbeiteten Linie abweichen. Sie wollen offenbar auch die Täuschung des Richters im Zivilverfahren den allgemeinen Kausalitätsregeln unterwerfen und auch bei einfachem Parteivorbringen wegen Betruges bestrafen. Die erste Entscheidung548 betrifft die Geltendmachung überhöhter Aufwendungen bei der Kostenliquidation. Das Gericht verurteilt aus § 241 PrStGB. Es hätte auch nach seiner bisherigen Rechtsprechung zu diesem Ergebnis kommen können, etwa indem es argumentiert, der Richter dürfe hier unbelegten Parteiangaben aus547 548

PrObTribOppenhoff8, 171,173. PrObTrib GA 13, 226.

3. Abschn.: Die Rechtsprechung des Preußischen Ober-Tribunals

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nahmsweise glauben. Zumindest hätte es über die ausnahmsweise Nichtanwendung seiner auf den Beweisantritt abstellenden Differenzierung etwa mit der Begründung, die Situation entspreche nicht dem kontradiktorischen Verfahren, zum Ziel gelangen können. Es stellt aber offenbar ganz bewußt die Parallele zum Vortrag im eigentlichen Zivilverfahren heraus und stellt seine bisherige Rechtsprechung in Frage: Ein Verhalten, das außerhalb des Gerichtsverfahrens ohne weiteres Betrug wäre, könne nicht dadurch straflos werden, daß die Entscheidung dem Richter und der Widerspruch dem Gegner im Verfahren überlassen werde.549 Genau dies ist aber die Begründung für die früher abweichende Beurteilung gewesen, die sich auf die besondere Position des Richters im Zivilverfahren stützte, der unter Umständen pflichtwidrig handelt, wenn er sich täuschen läßt. Die zweite Entscheidung550 ist noch deutlicher. Dort hatte der Angeklagte aus einem blanko indossierten Wechsel geklagt. Dabei behauptete er, Eigentümer desselben zu sein, obwohl er nur von dem wirklichen Eigentümer mit der Einklagung beauftragt war. Über diese falsche Behauptung der Aktivlegitimation hat er keinen Beweis angetreten, aus dem Wechsel als einzig vorgelegter Urkunde ging daraus nichts hervor. Dennoch hält das Gericht die Verurteilung aus Betrug aufrecht. Es begründet dies wiederum damit, daß ein dem Betrugstatbestand unterfallendes Verhalten nicht dadurch straflos werde, daß es vor dem Zivilrichter stattfinde, vielmehr sei "der Betrug im Civilprozesse von den allgemeinen Regeln des kriminell strafbaren Betruges an und für sich nicht ausgeschlossen."551 Das Preußische Ober-Tribunal bleibt dann bei dieser Ansicht, die sich auch 1867 in einem eine Interventionsklage betreffenden Verfahren spiegeln dürfte. Dort wird § 241 PrStGB für anwendbar gehalten, obwohl offenbar lediglich unwahres Vorbringen ohne Beweisantritt vorlag. 552 1871, in einer noch den § 241 PrStGB betreffenden Entscheidung,553 scheint zunächst ein Rückfall in die alte Rechtsprechung zu liegen, da entsprechende Erwägungen des Vorderrichters grundsätzlich für richtig befunden werden. 554 Der Befund ist indes nicht eindeutig, denn es wurde ein Beweismittel benutzt, das allerdings formell echt und nur materiell unrichtig war. Die Formulierungen im Rest der Entscheidung sind so gehalten, daß sie auch so verstanden werden kann, daß dies selbst nach der alten Rechtsprechung genüge und über die neue daher nicht zu befinden sei.555 PrObTrib GA 13, 226. PrObTrib GA 13, 805, 806. 551 PrObTrib GA 13, 805, 806. 552 PrObTrib GA 15, 210 f. Ganz deutlich wird die Entscheidung - namentlich der Sachverhalt- aus der knappen Wiedergabe indes nicht. 553 PrObTrib Oppenhoff 12, 137. 554 PrObTrib Oppenhoff 12, 137, 138. 555 Vgl. PrObTrib Oppenhoff 12, 137, 138 f.: "zumindest", "nicht schon ( ... ) ausgeschlossen", "( ... ) da die Unvermeidlichkeit des Irrtums nicht zum Begriff des Betruges gehört." 549

550

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Auch nach der Einführung des Reichsstrafgesetzbuches blieb das Preußische Ober-Tribunal zunächst bei der 1865 begründeten neuen Auffassung. Dies wird zuerst in einer dem unter B. geschilderten Fall entsprechenden Entscheidung deutlich. 556 Der Vollstreckungsschuldner hatte mit dem Ziel, die Zwangsvollstreckung zu verzögern, eine gefälschte Drittwiderspruchsklage eingereicht. Der Richter setzte daraufhin den Termin tatsächlich aus, ohne daß es zur Vorlage entsprechender Bescheinigungen oder zur Vernehmung des benannten Zeugen gekommen war. Das Preußische Ober-Tribunal hält die Verurteilung aus § 263 StGB aufrecht, obwohl es diesmal eine Pflichtwidrigkeit des Richters im Sinne eines Verstoßes gegen § 71 Teil I Titel 24 PrAGO anerkennt. Denn der Richter hätte die Voraussetzungen für eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht für genügend bescheinigt erachten dürfen. Es argumentiert, der Angeklagte bleibe für seine Tathandlung dennoch verantwortlich. Eine Kausalitätsunterbrechung wird also nicht mehr angenommen. 557 Wenig später bestätigt sich diese Sichtweise. 558 Die Angeklagten hatten durch Vorlage gefälschter Verträge den Richter getäuscht und dadurch die Einleitung einer Sequestration verhindert. Dennoch handelte der Richter aber pflichtwidrig. Denn nach der einschlägigen Norm der PrAG0559 hätte die Sequestration auch dann vorgenommen werden müssen, wenn die Verträge echt, der vorgetäuschte Zustand der Verpachtung also wahr gewesen wäre. Die Verurteilung aus § 263 StGB wird aufrechterhalten. Zur Begründung ist angeführt, die Vermeidbarkeil der falschen Entscheidung durch den Richter habe auf die Erfüllung des Betrugstatbestandes keinen Einfluß, wenn nur ein Schaden entstanden sei. Die Äquivalenztheorie wird also konsequent angewandt. 560 Die Abweichung dieses Falles von den üblichen Prozeßbetrugskonstellationen wird vom Gericht offenbar nicht bemerkt, vielmehr wird sie sprachlich verdeckt. Hier bestand die Pflichtwidrigkeit des Richters nicht wie üblich darin, daß er sich unsorgfältigerweise täuschen ließ. Die Bedingungen der früheren Rechtsprechung für diesen Kausalzusammenhang waren vielmehr erfüllt. Denn die Täter hatten Beweis angetreten, indem sie die gefälschten Vertragsurkunden vorlegten, der Irrtum war so gesehen nicht vermeidbar. Die Pflichtwidrigkeit des Richters betrifft hier vielmehr die Kausalität zwischen diesem Irrtum und der Verfügung. Denn der Richter hat falsche rechtliche Schlüsse aus der ihm vorgetäuschten tatsächlichen Lage gezogen. Die Entscheidung geht daher auch viel weiter als die vorherige, indem sie die Täter für die rechtliche Würdigung des Falles verantwortlich macht und nicht - wie sonst - allein für die falsche tatsächliche Grundlage. Diese allein hätte hier nicht zu der falschen Entscheidung führen dürfen. Äquivalenzkausalität ist sicher gegeben, aber ob - modern ge556 551 558 559

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PrObTrib Oppenhoff 13, 413. PrObTrib Oppenhoff 13, 413, 414. PrObTrib GA 20, 556. § 129 Teil I Titel 24. PrObTrib GA 20, 556, 557.

3. Abschn.: Die Rechtsprechung des Preußischen Ober-Tribunals

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sprochen - hier eine Zurechnung erfolgen darf, ist ungleich problematischer als bei den "normalen" Prozeßbetrugsfallen. Dies bedarf indes keiner Vertiefung, zumal das Gericht diesen Unterschied offenkundig nicht bemerkt oder nicht zum Tragen kommen lassen will. Allerdings kehrt das Ober-Tribunal bald darauf wieder zu seiner alten Sichtweise zurück. In einer Entscheidung von 1876 wendet es wie selbstverständlich seine alte Formulierung an: Die bloße Parteibehauptung habe für den Richter keinen Wert und sei daher ungeeignet, einen Irrtum hervorzurufen. Dies könne vielmehr nur mit Hilfe von "Beweisdokumenten" geschehen. 561 Es bestätigt diese erneute Änderung seiner Rechtsprechung mit weiteren Entscheidungen in den folgenden Jahren. 562 Angekündigt hatte sich diese Entwicklung schon 1875. Das Ober-Tribunal hatte in jenem Jahr zweimal unter größerem Begründungsaufwand die Eignung einer inhaltlich unrichtigen, aber an sich echten, als Beweisurkunde eingebrachten Quittung zur Irrtumserregung beim Richter dargelegt, 563 obwohl nach seiner zuvorigen Rechtsprechung das bloße wahrheitswidrige Behaupten der Tilgung zum Prozeßbetrug genügt hätte. Schon hier war das Gericht also wohl wieder auf der später vom Reichsgericht aufgenommenen Linie angelangt. Der erneute Wandel in der Auffassung des Ober-Tribunals manifestiert sich auch in einer späteren, die Täuschung eines Exekutors betreffenden Entscheidung.564 Die Angeklagte hatte den die Hilfsvollstreckung vornehmenden Gerichtsvogt durch die Behauptung getäuscht, gewisse zu pfandende Sachen derzeit nicht in Besitz zu haben, woraufhin dieser von der Pfändung absah. Auch hier taucht die klassische Argumentation wieder auf: Eine Pflicht zu Angaben über zu pfandende Gegenstände oder deren Verbleib treffe die Angeklagte nicht. Eine Wahrheitspflicht wird also abgelehnt. Der Erfolg des Nichtzustandekommens der Pfändung beruhe nun aber nicht auf dem Verhalten der Angeklagten, sondern auf dem des Exekutors. Es wird also eine Kausalitätsunterbrechung zwischen Täuschung und lrrrtum wegen einer Pflichtwidrigkeit des Exekutors angenommen. Denn dieser hätte nach den einschlägigen Vorschriften der bürgerlichen Prozeßordnung für Hannover den Angaben der Angeklagten nicht ohne weiteres glauben dürfen, sondern wäre verpflichtet gewesen, selbst nach den in Frage stehenden und in Wahrheit in der Wohnung der Angeklagten befindlichen Pfandobjekten zu suchen.565 56! PrObTrib Oppenhoff 17, 752, 753 f. Die gelegentlich in der Literatur anzutreffende Bemerkung, es sei mit seinem neuerlichen Sinneswandel dem Reichsgericht gefolgt, ist damit widerlegt. Das Reichsgericht nahm seine Tätigkeit erst später auf, die in diesem Zusammenhang auftauchende Entscheidung des Reichsoberhandelsgerichtes hatte sich nicht verbindlich zu diesem Problem geäußert (vgl. unten). 562 PrObTrib Oppenhoff 17, 823; 18, 36. 563 PrObTrib Oppenhoff 16, 271 ff.; 16, 237 f. An der ersten Entscheidung ist bemerkenswert, daß das Ober-Tribunal - wie später das Reichsgericht - annimmt, der Wechsel beziehungsweise dessen Inhaberschaft sage auch aus, daß die Schuld noch nicht getilgt sei, es handele sich also auch um einen Beweis bezüglich dieser Einrede. 564 PrObTrib Oppenhoff20, 319.

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Nachzutragen bleibt schließlich eine prozessual interessante Entscheidung,566 die ebenfalls von dem alten, wieder aufgegriffenen Grundsatz des Ober-Tribunals ausgeht, ohne dies allerdings anzusprechen. Es war dem Sohn des Vollstreckungsschuldners gelungen, durch die bloße Behauptung gegenüber dem Richter, die Pfandsache gehöre ihm und nicht seinem Vater, die Zwangsversteigerung abzuwenden. Der Richter handelte deshalb nicht pflichtwidrig, weil nach dem einschlägigen nassauischen Recht ein Beleg oder Beweisantritt nicht vorgesehen war. (Es handelte sich um ein Einspruchsverfahren, nicht um die vertraute Interventionsklage). Vielmehr war die Zwangsvollstreckung auf bloßes Vorbringen ohne Anhörung des Gegners aufzuheben, 567 was die Situation der unter D. geschilderten bei Erlaß von Arresten und einstweiligen Verfügungen ähnlich macht. Eine Kausalität zwischen Täuschung und Irrtum war also gegeben. Problematisch war eher diejenige zwischen Irrtum und Schaden, da unter Umständen der Richter ohne Rücksicht auf seine Überzeugung den Gegenstand freigeben mußte. Hier behilft sich das OberTribunal mit der Konstruktion, daß der Richter bei erkennbarem wissentlichen Mißbrauch dem Einspruch nicht Folge geben dürfe, also bei Vortäuschung der ernstlichen Rechtsverfolgung diesbezüglich getäuscht und durch seinen Irrtum zur Entscheidung bewogen wurde. 568 Die frühe und ganz späte Rechtsprechung des Preußischen Ober-Tribunals zum Prozeßbetrug steht mithin- ebenso wie später die des Reichsgerichtes- im Widerspruch zu seiner sonst konstant vertretenen Auffassung, 569 daß weder eine besondere Qualifikation der Täuschungshandlung zu fordern noch ein (Mit)Verschulden des Opfers zu berücksichtigen sei.

PrObTrib Oppenhoff 20, 319 f. PrObTrib Oppenhoff 20, 78. 567 PrObTrib Oppenhoff 20, 78, 80. 568 PrObTrib Oppenhoff 20, 78, 80 f. Diese Argumentation findet sich in den 30er Jahren beim Reichsgericht in ganz ähnlicher Weise, wenn es die Betrugsstrafbarkeit bei durch wahrheitswidrigen Tatsachenvortrag erschlichenen Versäumnisurteilen et cetera - also in Situationen, in denen der Richter nicht sachlich prüft, mithin seine Überzeugung unerheblich scheint -damit begründet, daß der Richter, wenn er positiv von der Tauschung wüßte, zumindest seit Einführung des§ 138 I ZPO das Versäumnisurteil (et cetera) nicht erlassen dürfe. 569 Vgl. Kurth, S. 80 f. Das Preußische Ober-Tribunal hat auch in der Phase, in der es zu seiner alten Sichtweise zurückkehrte, in anderem Zusammenhang immer wieder betont, es komme auf eine Vermeidbarkeil des Irrtums nicht an: PrObTrib Oppenhoff 14, 181; PrObTrib Oppenhoff 18, 18; PrObTrib Oppenhoff 19,425, 426. 565

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4. Abschn.: Die Entwicklung der reichsgerichtliehen Rechtsprechung

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4. Abschnitt

Die Entwicklung der reichsgerichtliehen Rechtsprechung A. Die Rechtsprechung des Reichsgerichtes bis zum Jahre 1933 I. Das kontradiktorische Verfahren als Normalfall Das Reichsgericht vertrat vom Beginn seiner Tatigkeit570 bis in die dreißiger Jahre durchgehend die Ansicht, durch unwahre Parteibehauptungen könne kein Prozeßbetrug begangen werden. 571 Zur Begründung führte es an, die bloße Behauptung einer Partei könne keinen Irrtum beim Richter hervorrufen. Denn dieser sei nicht berechtigt, dem Vortrag einer Partei ohne weiteres Glauben zu schenken, wenn er nicht bewiesen oder vom Gegner zugestanden sei.572 Bestritten wurde also die Kausalität der unwahren Parteibehauptung für die Zugrundelegung unrichtiger Tatsachen durch den Richter, mithin für dessen Irrtum. Wenn der Richter der unbewiesenen Behauptung glaube, geschehe dies pflichtwidrig. So sei nicht das Vorbringen der Partei dafür ursächlich, sondern die Pflichtwidrigkeit des Richters, der die ihm obliegende Funktion nicht ordnungsgemäß ausgeübt habe. 573 Allerdings hatte das Reichsgericht durchaus keine grundsätzlichen Bedenken, den Betrugstatbestand auf die Prozeßsituation beziehungsweise auf richterliche Handlungen als Verfügungen anzuwenden. 574 Es nahm dann einen Betrug an, wenn für die vorgetragene Behauptung auch Beweis angetreten wurde. 575 Unter Beweis570 Das Reichsoberhandelsgericht hatte dies noch offengelassen, aber wohl für richtig gehalten: ROHG E 21, 120, 123 f. 571 RGSt 2, 91; RGSt 5, 321, 322; RGSt 20, 391, 392; RGSt 26, 28, 30; RGSt 29, 291, 292; RGSt 36, 86; RGSt 36, l14, 118; RG JW 31, 1814 Nr. 25; RGSt 65, 33, 34 f.; RG JW 31, 3557 Nr. 21, 3558 (jeweils als obiter dieturn hinsichtlich des kontradiktorischen Verfahrens); RGSt 16, 193, 195 (für unwahres Bestreiten des Beklagten); RGSt 32, I, 3 (für unwahre Behauptungen des Klägers); RGRspr. 2, 421, 423; RGSt 40, 9; RGSt 50, 95, 97; RG LZ 26, Sp. 939 Nr. 4, 941; vgl. auch RGRspr. I, 479, 480 f.; RGRspr. 9, 441, 442 ff.; RG GA 55, 323. 572 RGSt 2, 91; RGSt 16, 193, 195; RGSt 20, 391, 392; RGSt 29, 291, 292; RGSt 32, 1, 3; RGSt 36, l14, l18; RGSt 40, 9; RGSt 50, 95, 97; RGSt 65, 33, 34 f.; RG JW 31, 3557 Nr. 21, 3558. 573 RGSt 16, 193, 195; RGRspr. 9, 241, 242 ff.; RGSt 26, 28, 30; RGSt 29, 291, 292; RGSt 36, 86; RGSt 36, l14, l18; RGSt 50, 95, 97. 574 So ausdrücklich RGSt 16, 193, 194 f. 575 RGRspr. 2, 421, 423; RGSt 3, 169, 170; RGSt 16, 193, 195; RGSt 20, 391, 392; RGSt 26, 28, 30; RGSt 29, 291, 292; RGSt 36, 86; RGSt 36, l14, l18; RG JW 05, 234 Nr. 16; RG LZ 26, Sp. 939 Nr. 4, 941; RG JW 31, 3557 Nr. 21, 3558; vgl. auch RGSt 5, 430, 432 sowie RGSt 58, 295, wo die Möglichkeit eines Betruges zugunsten der Partei durch einen bewußt falsch aussagenden Zeugen selbstverständlich vorausgesetzt wird.

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antritt ist dabei die Erhebung des Beweises zu verstehen, nicht etwa das Beweisangebot im Schriftsatz, wie es dem Sprachgebrauch entsprechen könnte.576 Auch in RGSt 40, 9 ist offenbar die Beweiserhebung gemeint. Die abweichende Auffassung Wurzers577 beruht wohl auf einem Mißverständnis des Wortes "Beweisantritt". Im Leitsatz der amtlichen Sammlung wird die "Benennung des Zeugen" als Betrugsversuchshandlung bezeichnet. Aus der Entscheidung578 geht sodann jedoch hervor, daß die Zeugenaussage auch tatsächlich herbeigeführt wurde und darin der entscheidende und als "Beweisantritt" zu verstehende Umstand zu sehen ist. 579 Ein Bruch der Rechtsprechung ist in dieser Entscheidung mithin nicht zu erblicken. Auch aus einer ganz frühen Entscheidung kann wohl nichts anderes entnommen werden. 580 Dort hat das Reichsgericht es genügen lassen, daß zum Beleg der falschen Behauptung im Schriftsatz auf eine Beurkundung Bezug genommen wurde, die sich in den dem Gericht zugänglichen Grundakten befand.581 Diese Konstellation ist schon insoweit eine besondere, als nicht die vortragende Partei das Beweisstück (die Urkunde) beibringen mußte und konnte, sondern das Gericht sie aus eigenem Antrieb einsehen konnte. Dies stünde aber dennoch in einem gewissen Widerspruch zu der späteren Rechtsprechung, die erst die Erhebung des Beweises, also die tatsächliche Einsichtnahme, genügen lassen würde. Zumal als vergleichbarer Fall denkbar ist, daß eine Partei die Urkunde der Klageschrift im Original beilegt. Erklärlich wird die Entscheidung wohl dadurch, daß eine prozessuale Besonderheit vorlag: Der Kläger wollte den Erlaß eines "Mandats" nach damaligem preußischen Prozeßrecht erwirken, sein Plan erstreckte sich also nicht auf ein normales kontradiktorisches Verfahren. Darauf legt die Entscheidung selbst erhebliches Gewicht, und so erklärt auch das Reichsgericht später diese Entscheidung. 582 Bei dieser nach dem Beweisantritt differenzierenden Rechtsprechung kam es im übrigen nicht darauf an, ob die Beweismittel gefälscht oder an sich echt und ordnungsgemäß, also nur dem materiellen Inhalt nach unrichtig waren. 583 Auch war 576 RGSt 32, 1 f., wo dem Vorderrichter vorgeworfen wird, er habe schon die Bezeichnung der Beweismittel in der Klageschrift genügen lassen, die keinerlei Beweiskraft habe und keine Beweisantretung darstelle; RGSt 5, 321, 323, wo diese Rechtsprechung auf die Glaubhaftmachung übertragen und ausführlich dargelegt wird; RGSt 16, 193, 196, wo unterstrichen wird, daß die in Frage stehende Urkunde nicht nur in der Klageschrift bezeichnet, sondern dem Gericht zum Beweis vorgelegt wurde; ausdrücklich so in RG LZ 1915 Spalte 1028 Nr. 52, wo nur die Beweisführung durch Vorlage der Urkunde, nicht aber eine Bezugnahme auf die Urkunde im vorbereitenden Schriftsatz für betrugsrelevant gehalten wurde. 577 Wurzer ZZP 48 (1920), 463, 504 f . 578 RGSt 40, 9, 10. 579 RGSt 40, 9, 10: "( ... ) die abgegebene Zeugenaussage ist deshalb nicht minder ein von der Partei vorgebrachtes Beweisstück als die vorgelegte Urkunde" und: "Im vorliegenden Falle war bewußt eine falsche Aussage geplant und herbeigeführt ( ... )." 580 RGRspr. I, 479. 581 RGRspr. I, 479, 480 582 RGSt. 32, 1, 4.

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es gleichgültig, ob das Beweismittel auf Initiative des Tauschenden in das Verfahren eingeführt wurde oder auf Betreiben des Gegners. Letzteres geschah in dem Fall eines rasierten Frachtbriefes, den der wahrheitswidrig die eingeklagten höheren Frachtkosten leugnende Beklagte hinsichtlich des Frachtgewichtes manipuliert hatte. Der Frachtbrief wurde erst auf Antrag der klagenden und beweisbelasteten Reichsbahn zum Urkundenbeweis herangezogen. Sie beantragte, dem Beklagten die Vorlage der Urkunde aufzugeben, was das Gericht auch tat. 584 In einem Falle585 ging das Reichsgericht noch weiter und kam damit in einen gewissen Konflikt mit seiner eigenen Prämisse: Es will dort Betrug einer Partei annehmen, die ihr unwahres Vorbringen zwar nicht mit einer verabredeten Falschaussage eines Zeugen, wohl aber mit der verabredeten Zeugnisverweigerung desselben gestützt hatte. Der auf Kindesunterhalt Verklagte benannte seinen verheirateten Freund als Zeugen für den Mehrverkehrseinwand. Zur Stützung seiner Behauptung überredete er den Zeugen, die Aussage auf diesbezügliches Befragen unter Hinweis auf die Gefahr seiner eigenen Strafverfolgung zu verweigern. Dies geschah, und der Richter schloß daraus plangemäß, daß der Zeuge mit der Kindesmutter verkehrt hatte. Er wies die Unterhaltsklage ab. Das Reichsgericht wendet § 263 StOB mit der üblichen Begrundung an und argumentiert, bei der Zeugnisverweigerung handele es sich um ein "einem Beweismittel in seiner prozessualen Wirkung nahekommendes TäuschungsmitteL " 586 Dies ist insoweit bedenklich, als es zuvor in derselben Entscheidung festgestellt hat, der Zeuge habe durchaus ein Zeugnisverweigerungsrecht gehabt. In dessen Ausübung könne daher keine Täuschungshandlung liegen. Der ursprunglieh ins Auge gefaßte Betrug seitens des Zeugen schied daher aus. Auch für den nunmehr in Rede stehenden Betrug des Angeklagten, an dem der Freund mittäterschaftlieh oder als Gehilfe beteiligt sein könnte, hat diese erste Feststellung aber wohl eine vom Reichsgericht übersehene Wirkung: Der Richter durfte aus der Zeugnisverweigerung keine Schlüsse hinsichtlich der tatsächlichen Lage ziehen. In der Verweigerung war keineswegs das Eingeständnis des Verkehrs zu sehen.587 Die Schlußfolgerung des Richters geschah deshalb rechtsirrtümlich. 588 Der Richter beging eine Pflichtwidrigkeit, so daß nach den Grundsätzen des Reichsgerichtes eigentlich die Kausalität als unterbrochen anzusehen wäre. Diesen Schluß zieht das Reichsgericht wohl deshalb nicht, weil der Richter nicht - wie sonst - die Prufung der streitigen Tatsachen anhand der Beweismittel an sich unterlassen hat. Vielmehr beging er lediglich bei dieser Priifung einen Fehler, der im rechtlichen Bereich lag. Damit sieht das Reichsgericht den Unterschied, den das Preußische Ober-Tribunal589 verkannt hatte. Schlußfolgerun583 RGSt 16, 193, 196; RGSt 36, 114, 118; RG JW 31, 1814 Nr. 25; RGRspr. 1, 479, 480; vgl. auch RGRspr. 9, 232, 233. 584 RGSt 3, 169, 171 f. 585 RGSt 32, 114. 586 RGSt 36, 114, 118 f. 587 So ausdrücklich RGSt 36, 114, 116 f. 588 Vgl. RGSt 36, 114, 119: "irriger Schluß".

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

gen dahingehend, daß eine falsche Rechtsanwendung durch den Richter die "Zurechnung" an den Tater eher hindern könnte als eine falsche Überzeugungsbildung hinsichtlich der Tatsachen, stellt es jedoch ebensowenig an. Solche Überlegungen werden indes bei der Lösung der interessierenden Fallgruppen aus heutiger Sicht eine Rolle spielen.590 Tragend für die Differenzierung des Reichsgerichtes waren jedenfalls die eingangs dargelegten Kausalitätserwägungen, die Pflichtwidrigkeit des Richters sollte die Ursächlichkeit des falschen Parteivortrages hindern. Nur gelegentlich wird die bei dieser Wertung gegebenenfalls vorauszusetzende Auffassung angesprochen, daß im Zivilverfahren das tatsächliche Vorbringen der Parteien lediglich den Beweis des Gegners provozieren soll, also- legitimerweise-die Beweisbedürftigkeit herstellt. 591 Dieser Ansatz könnte sogar dahin gewendet werden, daß die Partei gar nicht behaupten wolle, ihr Vortrag sei wahrheitsgemäß erfolgt, so daß eine Vorspiegelung falscher Tatsachen schon an sich wegfiele. 592 Jedoch ist für die Auslösung der Beweisbedürftigkeit gerade die Behauptung erforderlich, eine bestimmte tatsächliche Lage sei gegeben. So sieht das offenbar auch das Reichsgericht: Wenn zuweilen der Satz auftaucht, es fehle an der Vorspiegelung einer falschen Tatsache im Sinne des § 263 StGB, wird dennoch die Ablehnung des Prozeßbetruges sodann mit der genannten Kausalitätsargumentation begründet, nicht etwa schon mit dem Fehlen des Tatbestandsmerkmales der Tauschung. 593

PrObTribOA 20, 556. Vgl. dazu im 3. Teil. 591 ROSt 23, 244, 245 (in anderem Zusammenhang als obiter dictum); vgl. auch RGRspr. 9, 232, 233. Dieser Ansatz wurde von der Literatur zum Teil als entscheidend angesehen, so zum Beispiel wohl von Koffka, ZStW 54 (1935), 45, die schreibt, die Verhandlungsmaxime und die Beweislastregelung seien maßgebend; vgl. auch Keunecke, S. 95. 592 In extremer Konsequenz tat dies jene Ansicht, die in dem Parteivorbringen ausschließlich eine Willenserklärung dahingehend sah, der vorgebrachte Stoff möge zum Gegenstand des Verfahrens werden. Danach sollte es an einer "Wissenserklärung" völlig fehlen. 593 ROSt 20, 391, 392; ROSt 36, 86; ROSt 26, 28, 30; vgl. auch ROSt 5, 321, wo auf S. 322 die reichsgerichtliche Ansicht zunächst verkürzt und auf das Fehlen der Vorspiegelung beschränkt wiedergegeben wird, dann aber auf S. 324 bei der Subsumtion doch die übliche Kausalitätsargumentation herangezogen wird. Abweichende Angaben in der Literatur sind daher nicht zutreffend. Sie isolieren einzelne Äußerungen des Reichsgerichtes von ihrem Zusammenhang und den durchgehend als tragend angesehenen Argumenten. Verfehlt erscheint daher auch die von Lenckner aufS. 14 vorgenommene Unterteilung in frühe und spätere Entscheidungen. Er behauptet, in den früheren sei das Vorliegen der Täuschung verneint worden und erst in den späteren die eben genannte Kausalitätsargumentation ausgeführt worden. Das Reichsgericht sagt jedoch von Anfang an zur Begründung, der Richter glaube dem einfachen Vortrag nicht. Wenn es daraus folgert, er werde nicht getäuscht, es fehle also an der Täuschung, so ist dies nur so zu verstehen, daß mit "Täuschung" bereits deren Erfolg, also der Irrtum beziehungsweise die Kausalität zwischen Täuschung und Irrtum gemeint ist (zu dieser Terminologie vgl. etwa Olshausen, S. 1371 Nr. 2.a), der ebenso definiert). Es handelt sich demnach von Anfang an um dieselbe Kausalitätsargumentation, die später allenfalls genauer ausformuliert wird. Demselben Mißverständnis wie Lenckner scheint insoweit Brinkmann, 589

590

4. Abschn.: Die Entwicklung der reichsgerichtliehen Rechtsprechung

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Zu unterscheiden ist dieses Problem von der feinsinnigen Bemerkung des Reichsgerichtes in RGSt 32, l, 3, wonach mit dem Klageantrag selbst gar keine Tatsachen vorgetragen werden. Vielmehr pflegten erst zur Begründung des Klageantrages, also des behaupteten Rechtsanspruches, Tatsachen vorgetragen zu werden. Dies ist selbstverständlich und für die zu untersuchende Frage ohne Belang. Auch in dieser Entscheidung taucht aber anschließend wieder die soeben angesprochene Wendung auf: Selbst bei unwahrem Tatsachenvortrag handele es sich nicht um eine "Vorspiegelung unwahrer Tatsachen" im Sinne von § 263 StGB, "da der Prozeßrichter einseitigen Parteibehauptungen nicht ohne weiteres Glauben schenken darf." Man könnte auch hier zunächst glauben, das Tatbestandsmerkmal der Täuschung solle bereits verneint werden, was angesichts der zuvor im selben Satz festgestellten Anführung unwahrer Tatsachen schwer denkbar ist. In Wirklichkeit wird aber wiederum auf die bekannte Kausalitätsargumentation mit der Pflichtwidrigkeit des Richters abgestellt. Möglich erscheint - wie gesagt -, daß das Reichsgericht in dem Merkmal "Vorspiegelung" schon einen Täuschungserfolg im Sinne eines Irrtumes gesehen hat594 und dadurch zu der gezeigten begrifflichen Ungenauigkeit kam. Keinesfalls kann aber die Ablehnung der Täuschung gemeint gewesen sein. Sonst wäre der Argumentationsaufwand im Kausalitätsbereich, der so oft von der Literatur angegriffen wurde, überflüssig und unverständlich. Die dort konstruierte fehlende Kausalität der Täuschung setzt deren Vorliegen gerade voraus. Würde die Täuschung mit der "Vorspiegelung" also fehlen, wäre die gesamte Argumentation hinfällig. Über diesen Ansatz des Reichsgerichtes bei der berechtigten "Beweisprovokation" läßt sich die gelegentlich anklingende Verknüpfung der Diskussion über den Prozeßbetrug mit der Frage des Bestehens einer Wahrheitspflicht im Zivilprozeß erklären. Bislang konnten lediglich die historischen Wurzeln dieser Verbindung S. 70 zu unterliegen. Er führt zum Beleg noch weiter an, daß das Reichsgericht noch nicht einmal einen Betrugsversuch angenommen habe. Dies sagt jedoch noch nichts darüber aus, ob es eine Täuschungshandlung angenommen hat oder nicht. Einen Betrugsversuch hat das Reichsgericht auch in denjenigen Entscheidungen nicht angenommen, in denen es vom Vorliegen einer Täuschungshandlung ohne weiteres ausgegangen ist. Und ein Betrugsversuch wäre auch dann noch konstruierbar, wenn es an der Täuschungshandlung fehlte. Dasselbe gilt für Vogels, S. 15. Die Tatsache, daß das Reichsgericht in den Konstellationen, die es nicht als vollendeten Betrug ansehen wollte, keine Versuchsstrafbarkeit erwogen hat, ist mit seiner sonstigen Rechtsprechung zum (untauglichen) Versuch sowieso schwer vereinbar (vgl. dazu etwa Wurzer, ZZP 48 (1920), 463, 502). Daß es die zum Irrtum führende Stufe war und nicht die zwischen Irrtum und Verfügung, wie es in der Literatur gelegentlich anklingt, hebt Keunecke, S. 59 ff. hervor. Allerdings konstruiert er dabei zwingend, daß ein Irrtum nicht vorgelegen haben könne, was nicht zutreffen dürfte. Dies basiert auf dem grundsätzlichen Mißverständnis Keuneckes, nach dem der Richter, der an den Vortrag der Partei gebunden ist oder sich gebunden glaubt, ebenso wie der nach Beweislastregeln entscheidende Richter keinem Irrtum über die Wahrheit des Vortrages unterliegen können soll (vgl. dazu auch bei den formalen Verfahren). 594 Vgl. in den vorausgehenden Fußnoten. Olshausen, S. 1371 Nr. 2.a) definiert hier genauso.

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

aufgezeigt werden, hier sieht man ihre denkbare konstruktiv-dogmatische Relevanz unter der Herrschaft des § 263 StGB. Eine solche Wahrheitspflicht war vor Einführung des heutigen § 138 I ZPO im Dritten Reich höchst umstritten. Ihr (mögliches) Fehlen dürfte für die Rechtsprechung des Reichsgerichtes bis 1933 letztlich den wahren Ausschlag gegeben haben. 595 Ausdriicklich beruft sich das Reichsgericht zuweilen darauf, daß keine Pflicht bestehe, im Zivilprozeß ungünstige Tatsachen anzuerkennen beziehungsweise vorzutragen. Vielmehr habe jeder das Recht, auf Beweis zu bestehen und zunächst zu leugnen. 596 In der Literatur wurde eine Diskussion um Inhalt und Natur des Parteivorbringens geführt, die sich in der angedeuteten Weise mit dem Streit um die Betrugsstrafbarkeit verbinden könnte: Wenn das Parteivorbringen nur den Willen ausdrückt, der Vortrag möge zum Gegenstand des Verfahrens werden, fehlt es an der Tatsachenbehauptung. Das Reichsgericht hat sich diesen Ansatz wie gezeigt nicht zu eigen gemacht. In der Literatur wurde er indes zuweilen angesprochen. 597 Drei Ansichten wurden im Verfahrensrecht vertreten: Einige wollten das Vorbringen der Parteien als reine Wissenserklärung verstehen, also deren Inhalt als Tatsachenvorbringen bewerten. Andere sahen darin eine reine Willenserklärung, mit der die Parteien lediglich ihren Willen manifestieren, den vorgetragenen Sachverhalt zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Schließlich gab es eine vermittelnde Ansicht, die beides anerkannte. Dieser Streit hatte wiederum eine Schnittstelle zu dem um die Wahrheitspflicht. Solche Autoren, die eine Wahrheitspflicht bejahten, neigten der ersten Ansicht zu, solche, die sie verneinten, der zweiten. Die Schlußfolgerung, daß gar keine Täuschungshandlung vorliegt, wie sie oben angedeutet wurde, beziehungsweise daß diese zumindest nicht relevant wird, läßt sich also aus dieser Verbindung mit zivilprozessualen Lehrmeinungen herleiten. 598 Die Verbindung der Argumentation aus dem Recht auf Beweisprovokation mit der aus der Wahrheitspflicht und der Natur des Parteivorbringens wird so verständlich. Das Reichsgericht selbst verbindet sie indes nie zu einer dogmatisch haltbaren Einheit. Es bleibt bei unsystematischen Andeutungen, das Tatbestandsmerkmal der Täuschungshandlung wird in Wirklichkeit nie verneint. Im Zusammenhang mit einem Prozeßbetrug sind solche Gesichtspunkte - soweit ersichtlich - nur einmal in einer frühen Entscheidung herangezogen worden, und zwar für einen Fall des non liquet. 599 Diese Entscheidung zeigt zugleich sehr deutlich die Schwäche der vom Reichsgericht sonst vorgenommenen Differenzierung nach dem Beweisantritt Der Kläger hatte eine (zum Teil) getilgte Forderung ein595 Vgl. dazu unten bei der abschließenden Analyse der Rechtsprechung im 5. Abschnitt. Hier geht es zunächst nur um die Darstellung der vom Reichsgericht ausdriicklich aufgenommenen Ansätze. 596 RGSt 23, 244, 245; RGSt 32, 1, 3. 597 Dazu im Überblick Welzel, S. 21 f.; Brinknumn, S. 71 f. und 87; vgl. im einzelnen unten bei den Literaturansichten zum Prozeßbetrug. 598 Vgl. auch Brinkmann, S. 71 f. 599 RGRspr. 8, 506.

4. Abschn.: Die Entwicklung der reichsgerichtliehen Rechtsprechung

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geklagt, ohne Beweis dafür anzutreten, aber auch ohne die Tilgung zu erwähnen. Das ursprüngliche Bestehen der Forderung wurde im Verfahren offenbar unstreitig gestellt. Die Verurteilung erfolgte nach Beweislastregeln, weil der Beklagte die Tilgung nicht genügend nachweisen konnte. Im Falle einer Klage aus getilgtem Wechsel unter Vorlage desselben wandte das Reichsgericht seine übliche Argumentation noch an. Es sei Beweis für eine unberechtigte Forderung angetreten worden. Dem Besitz des Wechsels wurde zugleich eine Aussage über das Fehlen von Einwendungen, namentlich der Tilgung, beigelegt.600 Bei anderen Urkunden, die eine eigentlich schon getilgte Schuld belegen, ist eine Aussage des Beweismittels über die Tatsache der Nichttilgung hingegen nicht zu konstruieren. 601 Dort (in RGSt 32, 1) kam dieser Umstand deshalb nicht zum Tragen, weil es schon am Beweisantritt fehlte und die Entscheidung daher sowieso auf Freispruch zielte. Vorliegend (in RGRspr. 8, 506) war das ursprüngliche Bestehen der Forderung sogar (wahrheitsgemäß) zugestanden worden. Hinsichtlich dieser Tatsache war also die Anwendung der Regeln über die Kausalität des Vortrages für die Vorstellung des Richters abhängig vom Beweisantritt ausgeschlossen. Es konnte nur um die Tilgungseinrede gehen. Das Reichsgericht stellt nun zunächst darauf ab, ob in der Nichterwähnung der Tatsache der Tilgung durch den Kläger ein Unterdrücken wahrer Tatsachen liegt, und läßt dies offen.602 In RGSt 32, 1 wird dagegen richtigerweise ausdrücklich festgehalten, daß allein der Beklagte für den Tilgungseinwand anführungs- und beweispflichtig sei.603 Verbleibt also in der vorliegenden Entscheidung (RGRspr. 8, 506) nur das Bestreiten des vom Beklagten vorgebrachten Zahlungseinwandes durch den Kläger. Auch hierauf paßt die Differenzierung des Reichsgerichts nicht, weil der Kläger nicht beweisbelastet ist, insoweit also auch keinen Beweis antreten kann und wird. Das Reichsgericht spricht diesen Aspekt daher auch gar nicht an. Es stützt den Freispruch schließlich auf die Besonderheiten des Zivilverfahrens. Es bestreitet zwar nicht die fehlende Kausalität des Vortrages des Klägers für den Irrtum des Richters. (Dies ist wegen der beschriebenen Konstellation, in der der Irrtum sich auf die Einwendungstatsachen bezieht, aus den genannten Gründen nicht möglich.) Jedoch bestreitet es die Kausalität des Irrtums für die Entscheidung: Nicht der Irrtum sei ursächlich, sondern die Beweislastregeln des Zivilverfahrens, also der Umstand, daß beim non liquet der Beweisbelastete von Gesetzes wegen 600 RGRspr. 9, 441, 443: ,,Der Besitz des unquittierten Wechsels in der Hand des Gläubigers spricht daher gegen erfolgte Bezahlung ( ... )."; beiläufig auch in RGSt 16, 193, 196; ausrucklieh so erläutert in RGSt 32, 1, 4. Schon dies war zweifelhaft, vgl. etwa Vogels, S. 17. Das Reichsoberhandelsgericht hatte ebenso argumentiert: ROHG E 21 , 120, 123. Zur Problematik schon dieser Argumentation vgl. Philipsbom, FS Liszt, S. 188, 201 f., das PrObTrib hatte dies wohl teilweise auch anders gesehen (vgl. PrObTrib GA 13, 805, wo aus dem Besitz des Wechsels nichts geschlossen wurde, im Gegensatz allerdings zu PrObTrib Oppenhoff 16, 271 ff.). 601 Zugestanden in RGSt 32, 1, 2. 602 RGRspr. 8, 506. 603 RGSt 32, 1, 2.

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l. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

unterliegt. 604 Diese Argumentation geht wiederum in die Richtung der unten behandelten Fälle des Versäumnisurteiles und des Zahlungs- beziehungsweise Vollstreckungsbefehles, wo der Richter gegebenenfalls ohne Rücksicht auf seine Überzeugung eine Entscheidung von Gesetzes wegen treffen muß. Jene Fälle sind dem non liquet indessen wohl nicht vergleichbar. Dieses zeichnet sich dadurch aus, daß es dem Beweisbelasteten nicht gelungen ist, den Richter von seinem Vortrag zu überzeugen. Die Entscheidung hängt also sehr wohl vom Vorstellungsbild des Richters ab, das durch den falschen Vortrag des Tauschenden - vom non liquet Profitierenden - (mit)verursacht worden ist. Ohne das Bestreiten des Zahlungseinwandes wäre es etwa in der soeben besprochenen Entscheidung nicht dazu gekommen, daß der Richter mangels gegenteiligen Beweises von der Nichttilgung ausgegangen ist. 605 Das sieht offenbar auch das Reichsgericht: Es formuliert daher dahingehend, daß der falsche Vortrag des Klägers nicht "lediglich oder doch hauptsächlich" ursächlich geworden sei.606 Damit trennt es im Ergebnis nicht als kausal gewertete "Nebenursachen" von den "Hauptursachen", was eine Anspielung auf die gelegentlich so genannte "Theorie von der wirksamsten Bedingung" sein könnte. Die Unvereinbarkeit dieser Vorgehensweise mit der Äquivalenztheorie liegt auf der Hand. 607 Den beiden zuletzt genannten Aspekten (Recht zur Beweisprovokation und fehlende Wahrheitspflicht) kann ohnehin bei der reichsgerichtliehen Ablehnung des Prozeßbetruges durch einfaches Parteivorbringen keine tragende Bedeutung zugemessen werden. Sie werden nicht wie die Kausalitätsargumentation stetig durchgehalten, so daß eine Bindung der ablehnenden Ansicht an die Besonderheiten des Zivilverfahrens zweifelhaft erscheint, auch wenn sie in den genannten Entscheidungen gelegentlich anklingt. Daß der Gedanke der fehlenden Wahrheitspflicht dennoch indirekt entscheidungserheblich gewesen sein könnte, wurde schon angedeutet. Er soll unten bei der Analyse der tatsächlichen Griinde für diese Rechtsprechung behandelt werden. 608 Der Eindruck, es seien die Besonderheiten des Zivilverfahrens, die die Differenzierung nach der Pflichtwidrigkeit des Getäuschten erzwängen, ist also unrichtig. RGRspr. 8, 506, 507. Ähnlich Kojjka, ZStW 54 (1935), 45, 48-50, die davon spricht, der Richter habe sich eben doch ein falsches Möglichkeitsurteil gebildet und eine Verfügung erlassen, die bei Kenntnis der wahren Sachlage nicht ergangen wäre, und auch Cleric, SchweizJZ ll (1914), 141, 142. 606 RGRspr. 8, 506,507. 607 Wurzer, ZZP 48 (1920), 463, 501 ; Ganske, S. ll, der auch den Ursprung der Theorie von der wirksamsten Bedingung bei Binding und Birkmeyer beleuchtet; auch Traeger, S. 88 ff., der die Theorie Birkmeyers näher darstellt; vgl. auch Keunecke, S. 87, der bei einer Entscheidung nach Beweislastregeln einen Irrtum mit dem Argument verneinen will, daß der Richter sich über die Nichterweislich.keit der Wahrheit bewußt bleibe, und damit die Entscheidung des Reichsgerichtes im Ergebnis stützt, was nach dem eben Gesagten wohl nicht haltbar ist (im einzelnen zu seiner Ansicht unten bei der Literaturanalyse). 608 Vgl. im 5. Abschnitt. 604 605

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Eine solche Notwendigkeit aus der Natur des Zivilverfahrens zu begründen, gelingt, wie oben bereits angedeutet, in Wirklichkeit nirgends. Vielmehr ist es logisch umgekehrt: Der Satz, daß die Pflichtwidrigkeit des Getäuschten die Kausalität der Täuschung für den Irrtum hindert, wird vorausgesetzt. Er wird nicht schlüssig begründet. Lediglich seine Anwendung auf die einzelnen Konstellationen wird dann geprüft, indem gefragt wird, ob der Getäuschte pflichtwidrig handelte, als er sich täuschen ließ. Im kontradiktorischen Verfahren sind streitige Behauptungen beweisbedürftig. Deshalb handelt der Richter pflichtwidrig, wenn er sie unbewiesen glaubt. Dies ist eine Anwendung der abstrakt vorausgesetzten Regel, aber keine Begründung derselben, zumal nicht eine in den Besonderheiten des Zivilverfahrens verankerte. Eine solche Begründung könnte an der fehlenden Wahrheitspflicht und dem Recht zur Beweisprovokation ansetzen. Man könnte etwa sagen, der Vortrag im kontradiktorischen Verfahren solle zunächst frei vom Risiko der Strafe sein, jeder solle zunächst alles bestreiten und für sich günstig darlegen können. Das Ziel sei es also zu ermitteln, wie die Beweislage sich darstellt, und so den Beweislastregeln zum Durchbruch zu verhelfen. Erst mit dem Eintritt in die Beweisaufnahme solle die Bindung an die materielle Wahrheit entstehen und damit das Risiko der Betrugsstrafbarkeit eintreten. So ließe sich eine Ausnahme von den sonst geltenden Kausalitätsregeln für den engen Fall des kontradiktorischen Verfahrens begründen. Das Reichsgericht argumentiert indes nirgends systematisch in diesem Sinne, es bleibt bei den genannten Andeutungen. Ansonsten wird die Ausnahmeregel lediglich als gegeben vorausgesetzt und je nach Lage angewandt. Dies führt dazu, daß sie auch für ganz andere Konstellationen wirksam wird, wo die genannte mögliche Begründung für diese Ausnahmeregel gar nicht eingreifen würde. Die fehlende systematische Anhindung an die Besonderheiten des kontradiktorischen Verfahrens führt dann dazu, daß die Unstimmigkeit der allgemeinen Anwendung dieser Regel auch auf ganz andere Fälle gar nicht bemerkt wird. Vielmehr wird häufig, wenn auch keineswegs immer, bei Betrugsfallen nach der Pflichtwidrigkeit des Getäuschten gefragt. Somit geht jede Konsequenz in der Kausalitätsdogmatik verloren. Eine zwingende Bindung der eingangs genannten besonderen Kausalitätsregel an die Eigenheiten des Zivilverfahrens kann der Rechtsprechung demnach nicht entnommen werden. Dies soll die folgende Analyse einschlägiger Entscheidungen nun im einzelnen belegen. Autoren, die eine schlüssige Differenzierung nach der Dispositions- und Inquisitionsmaxime beziehungsweise nach der Beteiligung staatlicher Interessen erkennen wollen,609 irren mithin insoweit. Es handelt sich um von diesen Autoren entwickelte Ideen, die für die hier interessierenden Fragen durchaus von Wert sind und die daher unten auch analysiert werden sollen. Eine Interpretation der reichsgerichtliehen Rechtsprechung in diesem Sinne ist aber verfehlt. Bestätigt werden könnte eine solche Bindung an die Verfahrensregeln durch Entscheidungen, die die Übertragung der Differenzierung nach dem Beweisantritt auf 609

Zum Beispiel Ganske, S. 153 ff. und 163 ff.

9 Jäniclce

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

andere Konstellationen als das Zivilverfahren ablehnen. Dies ist indes - soweit ersichtlich - nur einmal wirklich geschehen: So lehnt das Reichsgericht die Übertragung dieser Grundsätze auf eine Pflichtwidrigkeit des Gerichtsvollziehers im Zwangsvollstreckungsverfahren ab. (Er ließ sich über die Tilgung des zu vollstrekkenden Anspruches durch den Schuldner pflichtwidrig täuschen.) Dabei wird ausdriicklich betont, daß es keinen allgemeinen Satz gebe, nach dem die Täuschung bei Pflichtwidrigkeit des Getäuschten nicht kausal werde, weder für Beamte noch für sonstige Personen.610 Dies ist die einzige ersichtliche Entscheidung, wo der allein vertretbar erscheinende Ansatz zur Sprache kommt, daß es sich bei der Regel der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs durch Pflichtwidrigkeit des Getäuschten um eine durch die Besonderheiten des Zivilverfahrens bedingte Ausnahme handelt. Eine Begrundung mit den Besonderheiten des Zivilprozesses fehlt indes. Auch steht die Entscheidung im Widerspruch zu anderen, wo die Existenz eines allgemeinen Satzes nahegelegt wird. 611 Nicht ganz klar ist, ob diese Entscheidung von einer anderen gestützt wird, auf die sie sich beruft. 612 Dort wird der Angeklagte aus§ 263 StGB verurteilt, weil er dem Gerichtsvollzieher Postbelege nach§ 775 Nr. 5 ZPO vorgelegt hat, die er aber teilweise ohne tatsächliche Zahlung erlangt hatte, die also materiell falsch waren. Daraufhin sah der Gerichtsvollzieher von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ab. Einerseits sind die Belege eingesetzt worden, so daß auch der Rechtsprechung zum kontradiktorischen Verfahren Genüge getan wäre. Andererseits verwendet das Reichsgericht den Satz, es komme nicht darauf an, "ob der Exekutor seinen Dienstvorschriften vollkommen entsprechend gehandelt" habe. Dies kann einerseits heißen, daß es die Differenzierung nach der Pflichtwidrigkeit gar nicht anwenden will, wie es RG GA 53, 174 versteht. Es kann aber wohl auch ein Hinweis auf den auch sonst zuweilen feststellbaren Ansatz sein, daß eine kausalitätsunterbrechende Pflichtwidrigkeit nur vorliegt, wenn der Getäuschte seiner Priifungspflicht überhaupt nicht nachkommt, nicht hingegen schon, wenn ihm bei der Priifung ein Fehler unterläuft. 613 In einer anderen Entscheidung wird die Übertragung der für das kontradiktorische Verfahren entwickelten Grundsätze auf die Erschleichung einer Unfallrente von einer genossenschaftlichen Versicherung auf Gegenseitigkeit abgelehnt. 614 Zur Begrundung wird aber lediglich ausgeführt, das entscheidende Gremium verletze keine Rechtspflicht, wenn es unbewiesenen und unbescheinigten Angaben des Antragstellers Glauben schenke. Die Argumentation betrifft mithin allein die Anwendung der vorausgesetzten Sonderregel über die Kausalitätsunterbrechung. Eine Stellungnahme zu den diese Regel eventuell begrundenden Aspekten der Beweis6to 611

612 613

614

RG GA 53, 174. Siehe sogleich unten. RGRspr. 1, 499. Vgl. oben RGSt 36, 114. RGSt 29, 291, 292 f.

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provokation und der fehlenden Wahrheitspflicht ist ihr nicht zu entnehmen. Eine zwingende Anhindung der Lösung an die zivilprozessualen Besonderheiten fehlt also wiederum. Es handelt sich damit im Ergebnis gar nicht um eine Ablehnung der Übertragung der für das kontradiktorische Verfahren geltenden Regeln, sondern um deren Anwendung: Die Betrugsstrafbarkeit tritt nur mangels Pflichtwidrigkeit ein. Dasselbe gilt für die Entscheidungen, in denen das Reichsgericht die Anwendung der für das kontradiktorische Verfahren geltenden Grundsätze auf die Tauschung des Konkursverwalters bei seiner Entscheidung über die Anerkennung von Ansprüchen ablehnt. 615 Es begründet dies wiederum nur damit, daß der Konkursverwalter keine Pflichtwidrigkeit begehe, wenn er ohne Beweis den Angaben der Gläubiger vertraue. Ebenso stellt sich die vom Reichsgericht in einer Entscheidung über die betrügerische Ersparnis von Kosten bei einer Grundbucheintragung durch falsche Beurkundung eines niedrigeren Kaufpreises gegebene Begründung der Kausalität dar: Die Behörde müsse den Wert nicht selbst ermitteln, sie dürfe vielmehr den im Kaufvertrag gemachten Angaben über die Höhe der Kaufpreissumme Glauben schenken. 616 Dies wiederholt sich auch in einer reichsgerichtliehen Entscheidung, die eine durch falsche Angaben erschlichene überhöhte Haftentschädigung behandelt: Die Justizbehörde sei zur Überprüfung der Angaben zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet, dürfe sie also ihrer Entscheidung ohne weiteres zugrundelegen.617 Genauso verfährt übrigens das Kammergericht in einer Entscheidung, die die Erschleichung von Entschädigung für Untersuchungshaft betrifft, obwohl der behauptete Schaden gar nicht entstanden ist. Die entscheidende Justizbehörde sei zur Prüfung berechtigt, aber nicht verpflichtet, könne also ohne Pflichtverletzung unbelegtes Vorbringen glauben. 618 Dasselbe gilt für das OLG Naumburg. Es begründet die Betrugsstrafbarkeit im Falle der Geltendmachung von nicht entstandenem Verdienstausfall durch die obsiegende Partei eines Zivilprozesses damit, daß der Gerichtsschreiber wegen der Selbständigkeit des Taters ohne Pflichtwidrigkeit von der Richtigkeit seinerunbelegten Angaben ausgehen durfte. 61 9 Im Vordergrund steht also stets die Anwendung der vorgegebenen Kausalitätsargumentation. Die Besonderheiten des Zivilprozesses, die diese Kausalitätsargumentation allenfalls begründen könnten und damit auch ihre Übertragung auf andere Fälle hindern würden, werden nicht herangezogen, um die Anwendung der für den Prozeßbetrug entwickelten Grundsätze für andere Konstellationen abzulehnen. Verstärkt wird dieser Eindruck noch dadurch, daß in einigen Fällen ohne wei615 616 617 618 619

9*

RGSt 26, 28, 30; RGSt 36, 86. RGSt 10, 48, 50 f. RG GA 53, 285, 286. KG GA 53, 185 f. OLG Naumburg JR 1925, Sp. 762 f. Nr. 1080.

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tere Problematisierung die für das kontradiktorische Zivilverfahren entwickelten Prinzipien mit dem Ergebnis der Straflosigkeit offen auf ganz andere Konstellationen übertragen wurden, in denen die genannten Besonderheiten des Zivilprozesses nicht gelten. So hat das Reichsgericht in einer frühen Entscheidung620 die Kausalität der Täuschungshandlung eines Angestellten verneint, der wissentlich unberechtigte Ansprüche gegen seine Anstellungsgesellschaft liquidiert hatte. Der Grund lag darin, daß vor der Auszahlung ein Vorgesetzter diese Ansprüche zu prüfen und gegenzuzeichnen hatte, sie also nicht ohne weiteres glauben durfte, und dabei seine Prüfungspflicht verletzt hatte. Auch auf die Täuschung des Gerichtsvollziehers wendet das Reichsgericht- entgegen der oben angeführten Entscheidung621 - an anderer Stelle die für das kontradiktorische Verfahren entwickelten Grundsätze an. In einem Falle wurde der Gerichtsvollzieher von der Mobiliarpfändung dadurch abgehalten, daß der Schuldner wahrheitswidrig bestritt, mit dem Titelschuldner identisch zu sein. Das Reichsgericht wendet den § 263 StGB mit dem Hinweis an, der Gerichtsvollzieher habe nicht pflichtwidrig gehandelt, weil der Schuldner seine Behauptung "durch Hinweisung auf bestimmte Umstände näher begründet und glaubhaft gemacht" habe.622 Daneben klingt auch an, der Gerichtsvollzieher dürfe unter Umständen auch dem unbelegten Vorbringen des Schuldners glauben, der seine Identität bestreitet. 623 Dies läuft ebenfalls auf eine Übertragung der auf die Pflichtwidrigkeit abstellenden Kausalitätsregel hinaus, denn dann begeht er keine Pflichtwidrigkeit. Letzterer Aspekt ist wohl zivilverfahrensrechtlich allein vertretbar. Eine Glaubhaftmachung würde voraussetzen, daß der Schuldner hier etwas darzulegen und nachzuweisen hätte. Dies ist hinsichtlich seiner Identität aber nicht der Fall. Vielmehr hat der Gerichtsvollzieher dieselbe von Amts wegen zu prüfen. Bei Zweifeln darf er keine Maßnahmen treffen, der Gläubiger ist dann auf eine Erinnerung nach § 766 II ZPO verwiesen. 624 Daß der Gerichtsvollzieher, der von Amts wegen ermittelt, auch Unbewiesenes glauben darf, mithin dabei nicht pflichtwidrig handelt, ist aus Sicht des Reichsgerichtes eine zutreffende Argumentation. Sie stellt aber wie gesagt - eine Anwendung der auf Pflichtwidrigkeit abstellenden Regel auf diese dem kontradiktorischen Verfahren nicht entsprechende Situation dar. In einem anderen Falle sollte der Gerichtsvollzieher durch eine falsche Urkunde davon überzeugt werden, daß der zu pfändende Gegenstand nicht dem Schuldner gehört. Das Reichsgericht kommt offenbar in Anwendung der auf die Pflichtwidrigkeit abstellenden Regel zu einem Betrugsversuch. 625 Dies ist insofern fragwürdig, als der Gerichtsvollzieher die Behauptung des Schuldners, der Gegenstand ge620 621 622 623 624 625

RG GA 46, 31. RG GA 53, 174. RGSt 39, 143, 145. RGSt 39, 143, 145. Statt vieler: Th/P, vor§ 50 Rdnr. 8, § 750 Rdnr. 3; Zöller-Stöber, § 750 Rdnr. 2. RG LZ 16, Sp. 68 Nr 27.

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höre einem Dritten, normalerweise gar nicht beachtet. Der Dritte ist auf§ 771 ZPO verwiesen, 626 so daß an der Kausalität des eventuellen Irrtums für das Verhalten des Gerichtsvollziehers Zweifel bestehen. Allerdings darf der Gerichtsvollzieher bei offenkundigem Dritteigentum nicht pfanden,627 so daß die Kausalität eines diesbezüglichen Irrtumes zumindest nicht völlig ausgeschlossen ist. Zudem handelte es sich um einen Fall des Versuches, so daß letztlich die Vorstellung des Schuldners herangezogen werden muß. Die Entscheidung ist also - die Rechtsprechung des Reichsgerichtes vorausgesetzt - haltbar. Sie stellt aber wiederum eine Übertragung der nach dem Beweisantritt differenzierenden Rechtsprechung auf eine dem kontradiktorischen Verfahren nicht entsprechende Situation dar. Dasselbe tut erneut das Kammergericht in einem Fall des § 137 StGB, wenn es die Entziehung der behördlichen Verfügungsgewalt durch Tauschung nur für Fälle anerkennt, in denen der Vollziehungsbeamte trotz pflichtgemäßen Vorgehens der Täuschung unterlegen ist. 628 In diesem Sinne ist wohl auch eine ganz frühe Entscheidung des Reichsgerichtes zu verstehen. Dort führt es aus, das bloße Leugnen des Besitzes gegenüber einem mit einer Einziehungsexekution beauftragten Beamten sei ungeeignet, das Recht des Staates zu gefährden. 629 Auch in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Erteilung eines Erbscheines hat das Reichsgericht offenbar seine Differenzierung angewandt: Es hält die Vortäuschung der Universalerbeneigenschaft aufgrund letztwilliger Verfügung deshalb für kausal, weil eben diese letztwillige Verfügung - ein gefalschtes Testament - dem Richter vorgelegt wurde. 630 Diese Entscheidung ist insoweit nicht sehr ausführlich, eine weiterreichende Aussagekraft kann ihr nicht entnommen werden. Das Verfahren auf Erteilung eines Erbscheines nimmt hinsichtlich der hier interessierenden Aspekte gewissermaßen eine Zwischenstellung ein. Es wäre also zur Positionsbestimmung geeignet gewesen. Es handelt sich einerseits um ein vom Amtsermittlungsgrundsatz beherrschtes Verfahren (§ 2358 I BGB), das der Disposition der Beteiligten weitgehend entzogen ist (vgl. § 2359 BGB). Andererseits enthält es gerade für den vorliegenden Fall einer behaupteten Erbenstellung kraft letztwilliger Verfügung eine Beweislastregel, die normalerweise zur Beweisführung durch Urkunden führt (§§ 2355, 2356 I 2 BGB), und damit eine Situation, die der förmlichen Beweisaufnahme im kontradiktorischen Verfahren entspricht. (Obwohl es ansonsten dem Nachlaßgericht freisteht, formlose Ermittlungen im Freibeweisverfahren durchzuführen.) Das Reichsgericht hat es aber unterlassen, sich zu diesem Fall näher zu äußern. Es ist nicht einmal mit absoluter Sicherheit zu entnehmen, ob die Vorlage der Urkunde tatsächlich als ausschlaggebend angesehen wurde. Der Duktus der Entscheidung legt dies allerdings nahe. 626 627 628 629 630

Th/P, § 808 Rdnr. 9; BLAH-Hartmann, § 808 Rdnr. 6; Zöller-Stöber, § 808 Rdnr. 3. Th/P, § 808 Rdnr. 9; BLAH-Hartmann, § 808 Rdnr. 6; Zöller-Stöber, § 808 Rdnr. 3. KG JW 32, 678 Nr. 33. RG Rspr. 1, 744 f. RGSt 53, 261

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Verstärkt werden die Zweifel durch eine andere Entscheidung,631 die den umgekehrten Fall betrifft. Dort hat also ein Beteiligter den Richter derart getäuscht, daß er dem Berechtigten den Erbschein versagt hat. Das Reichsgericht setzt dort Täuschung und kausalen Irrtum voraus, ohne seine differenzierende Kausalitätsbetrachtung überhaupt zu erwähnen, so daß deren Anwendung zweifelhaft erscheint. Allerdings scheint die Entscheidung auch lediglich sagen zu wollen, daß ein Prozeßbetrug in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit überhaupt möglich ist, die Verfügung des Richters also geeignet ist, den Kausalnexus zwischen Irrtum und Schaden herzustellen. Die übrigen Voraussetzungen werden schon als gegeben erachtet, so daß eine Äußerung über die Anwendbarkeit der nach der Pflichtwidrigkeit differenzierenden Regel wohl nicht vorliegt. Im Ergebnis sind die die freiwillige Gerichtsbarkeit betreffenden Entscheidungen mithin wenig aussagekräftig und daher zu vernachlässigen. Wenig aufschlußreich sind in dieser Hinsicht auch diejenigen Fälle, in denen das Reichsgericht zur Abgrenzung gegen andere Konstellationen einmal ausdrucklieh auf die Besonderheiten des Zivilprozesses zu sprechen konunt. 632 In dem zitierten Fall hält das Reichsgericht die Kausalität der falschen Angaben für möglich. Es stellt zunächst (vermeintlich) seine Rechtsprechung zum Prozeßbetrug im Zivilverfahren dar. Dabei ist auch von einem fehlenden Kausalzusammenhang die Rede. Sodann will das Gericht diesen fehlenden Zusammenhang mit den das Zivilverfahren beherrschenden Grundsätzen erklären und verfällt dabei in terminologische wie denkgesetzliche Ungereimtheiten: Zunächst stellt es den "Parteibetrieb", unter dessen Herrschaft der "Prozeßbetrug" straflos sei, und den "Amtsbetrieb", der Betrug durch Parteivorbringen ermögliche, gegenüber. Gemeint ist - aus den übrigen Äußerungen ersichtlich - die Dispositionsmaxime und der Amtsermittlungsgrundsatz. Aber auch diese Korrektur vorausgesetzt, verläßt das Gericht dann ganz seine sonstige Argumentation: Bestritten wird hier für den Prozeßbetrug im Zivilverfahren nicht mehr die Ursächlichkeit des falschen Parteivorbringens für die Fehlvorstellung des Richters, sondern vielmehr die Kausalität dieser Fehlvorstellung für die richterliche Entscheidung. Gemeint zu sein scheinen also eher die unten behandelten Fälle, in denen der Richter unabhängig von seiner Überzeugung hinsichtlich der tatsächlichen Lage eine bestimmte Entscheidung von Gesetzes wegen zu fällen gezwungen ist. 633 Diese eigentümliche Argumentation klingt auch in einer weiteren - knapperen - Abgrenzung unter Heranziehung des Amtsermittlungsgrundsatzes an. 634 RG GA 63, 429. Zum Beispiel ROSt 63, 391 f. für falsche Angaben bei einer "Unfalluntersuchung" nach §§ 1559 ff. RVO. 633 Keunecke, S. 66 meint, es liege klar, daß das Reichsgericht hier an das Versäumnisverfahren gedacht habe, was aber nichts an der folgenden Analyse ändert. 634 Zum Beispiel ROSt 66, 371, 373 für falsche Angaben gegenüber dem die Auflassangsvoraussetzungen von Amts wegen prüfenden Grundbuchrichter: "Der Grundbuchrichter war - anders als in der Regel der Richter im bürgerlichen Rechtsstreit - nicht an die Erklärung 63 t

632

4. Abschn.: Die Entwicklung der reichsgerichtliehen Rechtsprechung

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Es hätte sich hier die Chance geboten, die Argumentation mit der kausalitätsunterbrechenden Wirkung der Pflichtwidrigkeit an die Dispositionsmaxime und mithin an das kontradiktorische Verfahren zu koppeln. Das Reichsgericht nimmt sie aber nicht wahr. Nicht einmal die Darstellung der eigenen Rechtsprechung zum Prozeßbetrug und die übliche Anwendung des auf die Pflichtwidrigkeit abstellenden Grundsatzes gelingt. Man hätte hier - wie in der oben erwähnten Entscheidung bezüglich des von Amts wegen ennittelnden Gerichtsvollziehers - zumindest argumentieren können, der Richter handele unter der Herrschaft des Amtsennittlungsgrundsatzes nicht pflichtwidrig, wenn er Unbewiesenes glaube. Denn er müsse nicht mit unwahren Angaben mit dem Ziel der Beweisprovokation rechnen. Diesen Weg geht das Reichsgericht indes hier nicht. Mithin verbleibt als konstanter Bestandteil der nach dem Beweisantritt differenzierenden Rechtsprechung lediglich die eingangs dargelegte Kausalitätsargumentation unter Berufung auf die Pflichtwidrigkeit des Richters. Die gelegentlich zu ihrer Begründung anklingenden Aspekte des Rechtes zur Beweisprovokation und der fehlenden Wahrheitspflicht werden nicht konsequent durchgehalten. Eine zwingende Bindung der dargelegten differenzierenden Rechtsprechung an die Situation des Zivilverfahrens ist mithin abzulehnen. Der Gedanke der Kausalitätsunterbrechung scheint allgemein gehalten und bei jeder Pflichtverletzung des Verfügenden anwendbar zu sein. Dies macht die Argumentation des Reichsgerichtes besonders angreifbar, da der Widerspruch zu der sonst vertretenen Äquivalenzkausalität auf der Hand liegt. 635 Wenn sich die Differenzierung nicht in den Besonderheiten des Zivilprozesses verankern läßt, ist ihre Legitimation kaum ersichtlich. Dieser Eindruck bestätigt sich bei der Betrachtung der Rechtsprechung zu besonderen prozessualen Konstellationen. II. Die richterliche Tatigkeit im Zwangsvollstreckungsverfahren

Hier wendet das Reichsgericht die zum kontradiktorischen Verfahren entwickelten Grundsätze an, auch wenn die Situation nicht vollkommen derjenigen im Zivilverfahren entspricht. Dies bestätigt das soeben gefundene Ergebnis. der Parteien gebunden; er hatte vielmehr von Amts wegen die Befugnis der Parteien ( . .. ) zu prüfen." 635 Besonders bemerkenswert scheint ein Satz des Reichsgerichtes in RGRspr. 9, 441, 444: Der Angeklagte, der Beweismittel vorgelegt hatte und daher wegen Prozeßbetruges verurteilt worden war, hatte sich darauf berufen, sein Täuschungsmanöver sei leicht zu durchschauen gewesen. Das Reichsgericht hält ihm, ohne offenbar Zweifel hinsichtlich seiner sonstigen Argumentation zu bekommen, entgegen: "Dem Täter ist kein Recht gegeben, sich darauf zu berufen, daß der Getäuschte sich nicht hätte täuschen lassen sollen oder dürfen. Er hat jeden ( . . . ) Täuschungserfolg zu vertreten."

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

So lehnt es in einer frühen Entscheidung636 die Anwendung des Betrugstatbestandes auf einen Fall ab, in dem der Angeklagte in seinem "Exekutionsgesuch" unwahre Kostenpositionen mitgeltendgemacht hatte. Dabei hatte der Richter auf die entsprechenden Bescheinigungen verzichtet. Zur Begründung wird die oben genannte Kausalitätsargumentation vollständig wiedergegeben: 637 Der Richter dürfe ohne Bescheinigung die verlangten Kosten nicht anerkennen. Tue er dies doch, sei die Nichtausübung seiner Funktion und nicht die Tauschung durch den Angeklagten dafür kausal. Auch für den Fall, daß aus einem Titel beim Richter ein Exekutionsantrag gestellt wird, obwohl der Anspruch materiell schon befriedigt ist, wendet das Reichsgericht diese Kausalitätsargumentation an. Zur Vemeinung der Pflichtwidrigkeit beruft es sich auf den Umstand, daß der Gläubiger auf den Titel Bezug genommen habe und mithin sein Vorbringen durch Urkunden unterstützt habe.638 Die Entscheidung begegnet Bedenken im Hinblick auf verschiedene in anderen Urteilen getroffene Wertungen. Es ist schon fraglich, ob in der Bezugnahme auf den Titel eine Äußerung hinsichtlich der noch nicht erfolgten Befriedigung des Anspruches gesehen werden kann, ob also über diese als entscheidend angesehene Tatsache überhaupt Urkunden vorgelegt wurden.639 Hier ließe sich allerdings wie bei der Klage aus einem Wechsel argumentieren, der Besitz des Titels spreche gegen die Tilgung.64° Ferner ist aber zweifelhaft, ob die Entscheidung mit der reichsgerichtliehen Rechtsprechung hinsichtlich der Tatigkeit des Gerichtsvollziehers vereinbar ist. Nach ihr ist über die erfolgte Tilgung allenfalls im Rahmen des § 767 ZPO zu entscheiden, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfolgen also unabhängig von der Überzeugung des Anordnenden hinsichtlich der Tilgung. 641 Schließlich wird die Differenzierung aufgrund der Pflichtwidrigkeit nach dieser Entscheidung zumindest für das Zwangsvollstreckungsverfahren zu einer Scheindifferenzierung: Der Gläubiger muß hier stets auf den Titel Bezug nehmen, so daß immer Betrug vorliegt. Indes kann die Richtigkeit und Konsequenz der Entscheidung dahinstehen. Sie belegt jedenfalls die Anwendung der Kausalitätsargumentation abhängig von der Pflichtwidrigkeit im Zwangsvollstreckungsverfahren. Genauso verfährt das Reichsgericht in einer anderen Entscheidung, wo der Interventionskläger zugleich einen Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung gestellt hatte, der heute den§§ 771 III, 769 ZPO unterfiele. 642 Der Richter entsprach diesem Antrag, eine Glaubhaftmachung nach § 769 I 2 ZPO beziehungsweise der entsprechenden damaligen Vorschrift fand nicht statt. Das Reichs636 637 638 639

640 641 642

RGSt 1, 227. RGSt 1, 227,228. RGRspr. 1, 808, 809 f. Vgl. RGSt 32, 1, 2. Vgl. RGRspr. 9, 441, 443. Vgl. RGSt 23, 286, 287 f. RGSt 5, 321.

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gericht wendet seine oben genannten Grundsätze an und spricht frei, obwohl es sich nicht um die Entscheidung der kontradiktorisch ausgestalteten Interventionsklage handelt: Der Richter sei nicht befugt, ohne Glaubhaftmachung die Zwangsvollstreckung einzustellen. Die bloße Bezeichnung von Beweismitteln im Schriftsatz ändere daran nichts, die Schädigung beruhe nicht auf der Tauschung, sondern auf der Unterlassung der vorgeschriebenen Prüfung durch den Richter.643 Konsequent verurteilt es daher wegen Betruges in einem Fall, wo der vom Interventionskläger gestellte Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung Erfolg hatte, weil er falsche Beweisurkunden vorgelegt hat. 644 In einer anderen Entscheidung entscheidet es ebenso. Sie beruht vennutlich auf derselben zivilprozessualen Situation (im einzelnen ist das nicht ersichtlich, die Erhebung der Drittwiderspruchsklage ist nicht erwähnt, liegt aber nahe). Der Grund lag darin, daß die Einstellung der Zwangsvollstreckung durch Vorlage materiell unrichtiger Quittungen, die das Eigentum des Dritten belegten, erreicht wurde. 645 Diese Linie wird bestätigt durch eine weitere Entscheidung.646 Auch hier geht es um die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung, diesmal nach Einlegung der Berufung gegen ein vorläufig vollstreckbares Urteil, also gemäß den heutigen§§ 719 I 1, 707 ZPO. Der Angeklagte hatte eine unwahre Versicherung zweier Zeugen zum Beleg der in § 707 ZPO genannten Voraussetzungen vorgelegt und damit die Einstellung erreicht. Das Reichsgericht geht in der Zuriickverweisung davon aus, daß dies einen Betrug darstellen könne, da die Versicherung zur Glaubhaftmachung geeignet gewesen sei.647 Auch für die Entscheidung über die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung hält das Reichsgericht an den für das kontradiktorische Verfahren entwickelten Grundsätzen fest. So hat es in einem Fall den § 263 StOB angewandt, in dem der Schuldner in der Anhörung nach § 730 ZPO seine Identität mit dem Titelschuldner bestritt:648 Es fehle an einer pflichtwidrig unterlassenen Priifung, da der Schuldner seine Behauptung glaubhaft gemacht habe und dieselbe daher für den Irrtum des Richters kausal geworden sei.649 Diese oben schon bezüglich des ebenfalls getäuschten Gerichtsvollziehers angeführte Entscheidung ist, soweit sie den Richter betrifft, zivilprozessual bedenklich. Zwar ist die bloße Parteibehauptung ebenso wie die Bezugnahme auf die dem Gericht vorliegenden Akten, auf die die Tatsache der Glaubhaftmachung hier gestützt ist, in der Tat taugliches Mittel einer Glaubhaftmachung. 650 643 644

645 646 647 648 649 650

ROSt 5, 321, 322 ff. RG JW 31, 1814 Nr. 25. RG GA 54, 298. ROSt 15, 126; RG GA 54, 298. RGSt 15, 126, 132. ROSt 39, 143. ROSt 39, 143, 144 f. BLAH-Hartmann, § 294 Rdnr. 5; Zöller-Greger, § 294 Rdnr. 5.

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Jedoch fehlt es wohl an einer Situation, in der der Schuldner zur Darlegung und Glaubhaftmachung verpflichtet war. Vielmehr muß auch der Richter die Identität der Partei in jedem Verfahrensstadium von Amts wegen prüfen. 651 Mithin wäre die im Sinne des Reichsgerichtes richtige Argumentation gewesen, daß es um Amtsermittlung ging und der Richter schon deshalb nicht pflichtwidrig handelte, weil er auch Unbelegtes glauben durfte. Indes ändert dies nichts an dem Befund, daß die Differenzierung nach der Pflichtwidrigkeit hier angewandt wurde. Auch lassen sich die Ausführungen des Reichsgerichtes unter Umständen als a fortiori-Argumentation verstehen: Selbst wenn der Richter nichts Unbelegtes glauben durfte, handelte er nicht pflichtwidrig. Denn die Voraussetzungen einer Glaubhaftmachung sind gegeben. In einer letzten Entscheidung wird nicht recht deutlich, ob auf die Pflichtwidrigkeit abgestellt wurde. Ein noch eingetragener, aber nicht mehr berechtigter Hypothekengläubiger hatte die Auszahlung seines Anteiles bei der Zwangsversteigerung des Grundstückes durch den Richter erwirkt. 652 Angesichts der Bezugnahme des Gläubigers auf das Grundbuch, was den erforderlichen Beleg darstellen könnte, liegt ein Abstellen auf die (fehlende) Pflichtwidrigkeit jedoch nahe. 111. Versäumnisurteile, Zahlungs- und Vollstreckungsbefehle, Anerkenntnisurteile

Diese Entscheidungen erscheinen zunächst für den Betrug geeignet, weil der Richter schon auf einseitiges Vorbringen ohne Gehör des Gegners verfügen kann, also keine Pflichtwidrigkeit begehen würde. Hier lehnt das Reichsgericht die Betrugsstrafbarkeit aus einer anderen Kausalitätserwägung heraus ab: Nicht die Überzeugung des Richters verursache die Verfügung und damit den Schaden, sondern die gesetzliche Vorschrift, in einer bestimmten prozessualen Situation (Anerkenntnis, Säumnis, ordnungsgemäßer Antrag auf Zahlungsbefehl, Antrag auf Vollstrekkungsbefehl und kein Widerspruch des Schuldners) eine vorgegebene Entscheidung zu erlassen. 653 Gemeint ist also die fehlende Kausalität zwischen dem Vorstellungsbild des Richters - also einem eventuellen Irrtum - und der Verfügung und dem Schaden.654 Indes wird zuweilen im Nachsatz schon die Irrtumserregung Th/P, vor§ 50 Rdnr. 8. RGRspr. 2, 577, 578. 653 Für den Zahlungsbefehl, den Vollstreckungsbefehl und das Versäumnisurteil: ROSt 20, 391, 393; für den Vollstreckungsbefehl und inzidente den Zahlungsbefehl bestätigt in ROSt 23, 286, 288; beide Entscheidungen werden in anderem Zusammenhang aufgegriffen in ROSt 26, 305, 306 f.; zum Zahlungs- und Vollstreckungsbefehl ausführlich ROSt 42, 410; diese Entscheidung wird wiederum aufgegriffen in ROSt 59, 104, 105 f. und ROSt 65, 33, 34 f.; für das Versäumnisurteil: RG JW 05, 234 Nr. 16; für das Anerkenntnisurteil: RG GA 47, 432,433. 654 So ausdrücklich klargestellt in ROSt 42, 410, 411 ; deutlich auch in RG GA 47, 432, 433. 651

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vemeint, 655 was nach der vorausgegangenen Argumentation nicht einsichtig ist. Nach ihr kommt es für die Entscheidung lediglich nicht darauf an, ob der Richter von der vorgetäuschten Lage überzeugt war. Es scheidet also selbst bei Vorliegen eines Irrtums ein Betrug mangels Kausalität desselben für die Verfügung aus. Hinter der gelegentlich nachgestellten Bemerkung des Reichsgerichtes, es fehle schon am Irrtum, ist eine andere Erwägung zu vermuten: Namentlich diejenige, daß der Richter sich angesichts der ihm gesetzlich vorgeschriebenen Entscheidung gar keine Gedanken über die Wahrheit des Vortrages mache und somit ein unwahres Vorbringen auch keine Fehlvorstellungen und mithin keinen Irrtum in ihm verursachen könne, zumindest aber nicht müsse.656 Zu beachten ist bei dieser Fallgruppe, daß die Kausalität des Parteivorbringens nur fehlt, soweit es um die anspruchsbegriindenden Tatsachen geht, die das Gericht infolge der besonderen prozessualen Situation nicht zu prüfen hat. Geht es hingegen um andere Voraussetzungen für den Erlaß der gewünschten Entscheidungen, muß das Gericht insoweit in eine Prüfung eintreten und kann dabei auch nach allgemeinen Grundsätzen getäuscht werden. Dies betrifft etwa die beim Erlaß des Vollstreckungsbefehls zu beachtende Frist ab der Zustellung des Zahlungsbefehls oder den fehlenden Widerspruch des Schuldners.657 Im Rahmen von Versäumnisurteilen wird zum Teil auf die oft vorangegangene Erschleichung der öffentlichen Zustellung zurückgegriffen, um eventuell doch noch eine Verurteilung aus Betrug zu ermöglichen.658 Dort will das Reichsgericht offenbar die für das kontradiktorische Verfahren geltenden Regeln anwenden und nur Betrug annehmen, wenn die Partei Belege beigebracht und das Gericht daraufhin angenommen hat, der Aufenthalt des Beklagten sei unbekannt. 659 Der Gedanke der fehlenden Kausalität einer Fehlvorstellung gilt auch im umgekehrten Falle. Wenn der Schuldner etwa seinen Widerspruch gegen den Zahlungsbefehl mit unwahren Angaben begründet, hat dies ebenfalls keinen Einfluß auf den 655 RGSt 20, 391, 393. Eine Differenzierung zwischen dieser Entscheidung und RGSt 42, 410, wie sie von Lenckner aufS. 16 vorgenommen wird, scheint deshalb verfehlt. Auch im 20. Bande wird eigentlich auf die Kausalität zwischen Irrtum und Verfügung abgestellt. Zur Erklärung des (zusätzlichen) Abstellens auf den Irrtum vgl. sogleich im Text. 656 Insoweit beruht die Diskussion in der Literatur wohl auf Mißverständnissen. Man griff sich jeweils eine Formulierung heraus, um sie zu kritisieren. Auch Keunecke, der solche Mißverständnisse anprangert, ist in diesem Punkt nicht frei von ihnen (vgl. S. 52 ff.). Er, der sonst scharfsinnig analysiert, bestreitet hier den Irrtum und stützt sich auf die entsprechende Formulierung des Reichsgerichtes, um seine Lösung zu untermauem (dazu im einzelnen unten bei der Literaturanalyse). 657 RGSt42,410,41l. 658 RG JW 05,234 Nr. 16; vgl. auch den Sachverhalt bei Rehbein, DJZ 05, 1109. 659 Vgl. dazu Jellinek, S. 140 und Kitzinger, ZZP 52 (1927), 1, 3 ff., die dies ebenso entwickeln und gutheißen; auch Bresch, Grünhuts ZS 38, 645, 702 f., der die Reichsgerichtsentscheidung aber wohl anders versteht, im Ergebnis allerdings die genannte Ansicht für richtig hält.

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Fortgang des Verfahrens. Denn auch ein Widerspruch ohne jede Begründung löst dieselbe Rechtswirkung aus, ein kausaler Irrtum liegt nicht vor. 660 Das Reichsgericht verallgemeinert im übrigen den Gedanken der fehlenden Kausalität des Irrtums bei unabhängig von der Überzeugung des Verfügenden vorgegebener Entscheidung auch für andere Konstellationen. So lehnt es die Betrugsstrafbarkeit in einem Falle ab, in dem der Gerichtsvollzieher mit der Exekution von Vollstreckungsbefehlen beauftragt wurde, obwohl zwischenzeitlich eine Teilleistung des Schuldners erfolgt war. 661 Zur Begründung führt es an, ein eventueller Irrtum des Gerichtsvollziehers sei jedenfalls nicht kausal für Verfügung und Schaden. Der Gerichtsvollzieher müsse - abgesehen von den Fällen des heutigen § 775 Nr. 4 und 5 ZPO, für deren Herbeiführung der Schuldner zuständig sei - unabhängig von seiner Überzeugung über das Fortbestehen des materiellen Anspruches die Zwangsvollstreckung fortsetzen. Der Schuldner sei auf die Vollstreckungsabwehrklage nach dem heutigen§ 767 ZPO verwiesen. 662 Auch hat das Reichsgericht die Kausalität der bei der Auflassungserldärung unterlassenen Mitteilung eines beiden Beteiligten bekannten, mit einem Dritten existierenden Kaufvertrages gegenüber dem Grundbuchrichter verneint: Nach der preußischen GBO habe der Richter allein Form und Inhalt der Auflassung zu prüfen und hätte daher auch bei Kenntnis von dem Vertrag nicht anders entscheiden können. 663 Diese Argumentation liefert im übrigen einen Ansatz, in dem die Pflichtwidrigkeit des Richters im normalen kontradiktorischen Verfahren wirklich einmal die Betrugsstrafbarkeit hindem könnte, den das Reichsgericht aber - soweit ersichtlich - nie benutzt hat: Der Richter könnte im kontradiktorischen Verfahren irrtümlich glauben, er sei an das Parteivorbringen ähnlich wie etwa beim Versäumnisurteil gebunden, habe es also nicht zu prüfen, und es daraufhin seiner Entscheidung zugrundelegen. Dann würde es zumindest an der Kausalität eines möglichen Irrtums für die Verfügung fehlen. 664 IV. Der fingierte Rechtsstreit Es handelt sich hierbei, wie schon oben bei der Rechtsprechung des Preußischen Ober-Tribunals angedeutet, um Fälle, die das Reichsgericht auch als "simulierte RGSt 50, 95, 96. RGSt 23, 286. 662 RGSt 23, 286, 287 f. 663 RG GA 37, 196, 197. 664 Ähnlich gesehen von Koffka, ZStW 54 (1935), 45, 52 f. Auch die Argumentation Keuneckes (vgl. unten bei den Literaturansichten) basiert wohl auf solchen Erwägungen. Die vom Reichsgericht gemeinten Fälle liegen indes anders. Dort hat der Richter sich pflichtwidrig aus unbewiesenem Vorbringen eine Meinung über die Tatsachen gebildet, nicht aber pflichtwidrig geglaubt, er sei an den Vortrag gebunden. 660

66 1

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Prozesse" bezeichnet. In ihnen verabreden sich die Parteien, im Verfahren die Verurteilung aus einer nicht existierenden Forderung zu bewirken, um mit Hilfe der Entscheidung einen Dritten zu schädigen. In der Regel handelt es sich bei dem zu schädigenden Dritten angesichts einer bevorstehenden Scheidung um die Ehefrau des Beklagten, da mit der Vollstreckung des erwirkten Urteils das gütergemeinschaftliche Vermögen der Eheleute gemindert wird oder werden soll. Gelegentlich geht es auch um die Benachteiligung anderer (wirklicher) Gläubiger. Das Reichsgericht verurteilt hier stets aus Betrug, obwohl es nicht zwingend zum Beweisantritt kommen muß. Denn der zu Verurteilende kann den Anspruch auch anerkennen, sich durch Säumnis verurteilen lassen oder Vollstreckungsbefehl gegen sich ergehen lassen. Es hält formal an den für das kontradiktorische Verfahren dargestellten Grundsätzen fest: Die Grenze des bloß einseitigen, unbewiesenen Parteivorbringens sei dadurch überschritten, daß die Parteien das Verfahren verabredungsgemäß zum Schein geführt hätten. Es stellt also die Täuschung über die Tatsache, daß der Rechtsstreit nur zum Schein geführt wird, in den Mittelpunkt, nicht etwa die über die der fingierten Forderung zugrundeliegenden Tatsachen.665 Das Zusammenwirken der Parteien zur Vortäuschung eines Streites, der in Wahrheit gar nicht besteht, genügt also zur Begrundung der sonst bei unbewiesenen Behauptungen als fehlend angesehenen Kausalität der Täuschungshandlungen für einen Irrtum des Richters. 666 Die eigentlich nach der Ansicht des Reichsgerichtes zutreffende Argumentation dürfte indes wie folgt lauten: Das Vorspiegeln eines ernsthaften Rechtsstreites ist eine Täuschung über das Rechtsschutzbedürfnis. Dieses unterliegt aber nicht der Disposition der Parteien und auch nicht der Beweislast Vielmehr ist es von Amts wegen zu priifen und im Freibeweisverfahren zu würdigen, so daß der Richter unbelegtem Vorbringen glauben darf und daher nicht pflichtwidrig handelt. Formuliert wird dies aber vom Reichsgericht nirgends. Interessanterweise wird die weitere Kausalität zwischen Irrtum und Verfügung auch dann nicht bezweifelt, wenn der Beklagte Versäumnisurteil oder Vollstrekkungsbefehl gegen sich ergehen läßt oder anerkennt. 667 Darin liegt scheinbar ein Widerspruch zu der sonst für diese Fälle vertretenen Argumentation. Erklärlich wird dies durch den eben hervorgehobenen Umstand, daß es hier entscheidend um den Irrtum über die Tatsache geht, daß der Prozeß fingiert ist. Dieser Irrtum bleibt auch beim Anerkenntnisurteil, Versäumnisurteil oder Zahlungs- und Vollstrekkungsbefehl kausal. Denn bei Kenntnis von der Simulation hätten auch diese Ent665 Dies sieht im Ansatz schon Koffka, ZStW 54 ( 1935), 45, 46, wenn sie schreibt, der Richter irre hier nicht über die Wahrheit der vorgebrachten Tatsachen, sondern darüber, daß die Parteien keinen ernsthaften Rechtsstreit führen. Richtiger ist es, wenn man feststellt, der Richter irre zwar unter Umständen auch über vorgebrachte Tatsachen, es aber für die Betrugsstrafbarkeit auf die Täuschung über das Rechtsschutzbedürfnis ankommen läßt. 666 ROSt 2, 436, 437 f.; bestätigt (ohne Wiederholung der ausführlichen Begründung) in ROSt 7, 133, 135 und 137; ROSt 59, 104, 105 f. 667 ROSt 2, 436 und 437; ROSt 59, 104, 105 f.; RG GA 47,432,433.

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scheidungennicht ergehen dürfen, 668 es fehlt am Rechtsschutzbedürfnis. Vielmehr liegt ein Mißbrauch des Verfahrens vor. Hingegen bezieht sich der entscheidende Irrtum sonst auf die dem eingeklagten Anspruch zUgrundeliegenden Tatsachen. Nur die diesbezügliche Überzeugung des Richters ist beim Erlaß der genannten Entscheidungen - nach der dargestellten Auffassung des Reichsgerichtes - nicht kausal, weil er von Gesetzes wegen gegen den Säumigen, den Anerkennenden oder den nicht Widersprechenden entscheiden muß. V. Arrest, einstweilige Verfügung und sonstige Besonderheiten Beim Arrest geht das Reichsgericht stets von einer möglichen Betrugsstrafbarkeit aus. Zwar ist dies aus den beurteilten Konstellationen nicht eindeutig ersichtlich, weil in den verfügbaren Entscheidungen stets Bescheinigungen vorgelegt wurden. Auch nach den für das kontradiktorische Verfahren geltenden Grundsätzen würde also die Pflichtwidrigkeit fehlen, und es wäre Betrug anzunehmen. Jedoch legt das Reichsgericht, wo es Begrundungen abgibt, Wert darauf, daß es sich hier nicht um die Situation des normalen Zivilverfahrens handele. Der Richter dürfe hier vielmehr auch einseitiges Vorbringen ohne Gehör des Gegners - mithin ohne Rücksicht auf die Beweislastverteilung - glauben, und die Pflichtwidrigkeit fehle aus diesem Grunde. 669 Auch wo keine Begrundung abgegeben wird, ist der Argumentationsduktus so zu verstehen. Das Reichsgericht hält dort den Betrug allein aufgrund der Täuschung für möglich, von Beweisantritt ist nicht die Rede. 670 Die dagegen dem Wortlaut nach anführbare Stelle im 16. Bande671 ist bei richtigem Verständnis nicht einschlägig. Dort ging es dem Reichsgericht darum zu zeigen, daß bei angetretenem Beweis der Richter auch im kontradiktorischen Verfahren getäuscht werden kann. Eine Aussage dazu, wie es im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu beurteilen ist, wenn kein Beweis und keine Glaubhaftmachung vorliegt, ist dem Satz nicht zu entnehmen. Er reagiert im übrigen offenbar lediglich auf eine Behauptung aus der Revisionsbegrundung. Daß weitergehende Ableitungen aus dieser Bemerkung verfehlt wären, ergibt sich auch daraus, daß die dolose Erwirkung eines Zahlungsbefehls als Betrugsfall aufgeführt ist, obwohl es nach der damaligen Recht668 Klingt in RGSt 2, 436, 437 unten an; in RGSt 59, 104, 106 ist es ausdrücklich so begründet. 669 RGSt 2, 91. 670 Zum Beispiel RGSt 15, 148, 151. 671 RGSt 16, 193, 195: "Daß hierbei ein prinzipieller Unterschied zu machen sei zwischen solchen Fällen, in welchen der Richter in der Lage ist, auf die einseitige dolose Bescheinigung einer Partei hin zu verfügen (wie bei Erlaß von Zahlungsbefehlen, Kostenfestsetzungen, Arrest oder Vollstreckungsverfügungen et cetera), und zwischen Entscheidungen, welche erst nach erfolgtem Gehör der Gegenpartei zu erlassen sind, wie die Urteile in ordentlichen Prozessen, daß insbesondere in letzterer Richtung niemals Betrug begangen werden könne, ist nicht zuzugeben."

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sprechung des Reichsgerichtes dabei an der Kausalität des Irrtums für die Verfügung fehlte. Es ist davon auszugehen, daß das Reichsgericht bei Arrest und einstweiliger Verfügung weder die Kausalität der Tauschung für den Irrtum des Richters noch die des Irrtums für die Verfügung in Zweifel zieht. Er darf auch einseitigem Vortrag glauben und ist nicht zu einer Verfügung unabhängig von seiner Überzeugung gezwungen. Auch hier fallt die Anknüpfung (allein) an die vorausgesetzte Kausalitätsargumentation mit der Pflichtwidrigkeit des Richters ins Auge. Eine Erwähnung der Besonderheiten des Zivilverfahrens (namentlich der Fragen nach Wahrheitspflicht oder Recht zur Beweisprovokation) zur Begründung dieser Regel beziehungsweise zu ihrer Ablehnung in der vorliegenden Konstellation unterbleibt. Allenfalls die Beweisproblematik wird gestreift, weil das Recht zur Entscheidung ohne Gehör des Gegners betont wird. Dieselbe Argumentation wendet das Reichsgericht auf eine prozessuale Besonderheit an: Im Ersten Weltkrieg existierte ein Gesetz, 672 das die Unterbrechung des Verfahrens auf Antrag ermöglichte, wenn eine Partei kriegsbedingt an der Wahrnehmung ihrer Rechte gehindert war. Wurde diese Hinderung nur vorgetäuscht, kam das Reichsgericht ohne weiteres zum Betrug. Denn weder dieses Gesetz noch die ZPO verlange einen Beweis oder eine Glaubhaftmachung für diese Tatsache, vielmehr dürfe der Richter ohne Pflichtwidrigkeit dem einseitigen Vorbringen Glauben schenken.673 (Diese Konstellation liegt verfahrensrechtlich zwischen Amtsermittlungs- und kontradiktorischem Verfahren: Zwar muß ein entsprechender Antrag gestellt werden, das Gericht ermittelt die Tatsachen also nicht von Amts wegen. Jedoch genügt der Vortrag, jeder Beleg ist überflüssig.) Die Regel, daß Pflichtwidrigkeiten des Getäuschten die Kausalität unterbrechen, wird wieder vorausgesetzt. Lediglich diese Pflichtwidrigkeit fallt mangels Beweisbedürftigkeit weg. Eine Argumentation, die die Regel selbst legitimiert oder an die Situation des kontradiktorischen Verfahrens knüpft, fehlt auch hier. Die oben getroffenen Feststellungen werden mithin bestätigt, es deutet sich eine Verallgemeinerung des Grundsatzes an, daß bei Pflichtwidrigkeit des Getäuschten die Kausalität fehlt. Allenfalls das Vorliegen dieser Pflichtwidrigkeit wird mit den Eigenheiten des kontradiktorischen Verfahrens begründet beziehungsweise abgelehnt, wie in den zuletzt besprochenen Entscheidungen mit dem Fehlen der Beweisbedürftigkeit Jedoch werden auch ganz anders begründete Pflichtwidrigkeiten zur Kausalitätsunterbrechung herangezogen, wie etwa der oben beschriebene Fall des einen Anspruch eines Angestellten prüfenden Vorgesetzten zeigt. Mithin ist die Differenzierung der Kausalität nach der Pflichtwidrigkeit des Getäuschten kein den Besonderheiten des kontradiktorischen Verfahrens entnommenes spezielles Phänomen. Vielmehr ist es bereits abstrakt vorausgesetzt und auf das kontradiktorische Verfah672 Gesetz vom 4. August 1914 betreffend den Schutz der infolge des Krieges an Wahrnehmung ihrer Rechte behinderten Personen (RGBI. S. 328). 673 RGSt 50, 95, 96 f.

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l. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

ren wie auf andere Fallgruppen anzuwenden. Die Besonderheiten der einzelnen prozessualen Konstellationen dienen nur zur Begründung der Pflichtwidrigkeit beziehungsweise zu deren Ablehnung. VI. Das Verfahren auf Bewilligung des Armenrechtes

Eine Besonderheit im Zusammenhang mit der Rechtsprechung zum Prozeßbetrug bildet das Armenrechtsverfahren. Das Reichsgericht hat seine Rechtsprechung zum kontradiktorischen Verfahren auch auf den Vortrag im Armenrechtsverfahren angewandt, dabei aber wie folgt differenziert: Soweit der Antragsteller über die Voraussetzungen des von ihm verfolgten Anspruches, also über die in Frage stehende Rechtsstreitigkeit Angaben zu machen hat, übernimmt es die zum kontradiktorischen Verfahren entwickelten Grundsätze. Der Richter dürfe hier dem Parteivorbringen mangels- Beweises ebensowenig Glauben schenken wie dort. 674 Die Begründung wirkt kunstvoll: Der Richter dürfe zwar gegebenenfalls ohne Beweiserhebung, also nur aufgrund seines Eindruckes das Armenrecht bewilligen, um nicht die vollständige Beweisaufnahme in das Armenrechtsverfahren zu verlagern. Jedoch dürfe er dies eben nicht im Vertrauen auf die Wahrheit des Vortrages tun, sondern müsse sich der möglichen Unwahrheit bewußt bleiben. Daher werde der Vortrag für die Überzeugung des Richters nicht kausal. Wenn er es aber doch werde, dann durch eine Pflichtwidrigkeit des Richters, der nicht darauf vertrauen dürfe, was wiederum nach der Rechtsprechung des Reichsgerichtes die Kausalität hindere.675 Lediglich im Falle des erfolgten Beleges mit Beweismitteln ist also ein Betrug möglich. Anders hingegen, wenn der Antragsteller über seine Einkommensverhältnisse oder Vermögenslage, also über die übrigen Voraussetzungen der Armenrechtsbewilligung täuscht. In diesem Falle hat das Reichsgericht keine Zweifel an der Kausalität der Täuschung für die den Justizfiskus und eventuell den bestellten Anwalt schädigende Entscheidung des Gerichtes. 676 Ob dieses Ergebnis darauf beruht, daß lediglich die Pflichtwidrigkeit des Richters verneint wurde, oder darauf, daß die Differenzierung nach der Pflichtwidrigkeit gar nicht angewandt werden sollte, geht aus den Entscheidungen nicht eindeutig hervor. Nach dem Argumentationsduktus liegt aber ersteres näher.

Vgl. etwa RG JW 31,3557 Nr. 21 , 3558. RG JW 31 , 3557 Nr. 21 , 3558. 676 RG JW 31, 3557 Nr. 21, 3558 arn Anfang und am Ende der Seite; RG Das Recht 1921 (25.Jg.), Sp. 170 Nr. 1234. 674 675

4. Abschn.: Die Entwicklung der reichsgerichtliehen Rechtsprechung

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B. Die reichsgerichtliche Rechtsprechung nach 1933 I. Kontradiktorisches Verfahren und Zwangsvollstreckungsverfahren

Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung und der kurz darauf erfolgten Schaffung des heutigen § 138 I ZPO, der die Parteien bei ihrem Tatsachenvortrag zu Vollständigkeit und Wahrheit verpflichtet, nahm das Reichsgericht schrittweise Abstand von der gezeigten, bis dahin konstanten Rechtsprechung zum Prozeßbetrug im Zivilverfahren. Die Distanzierung von der alten Rechtsprechung beginnt mit zwei Entscheidungen, die eigentlich andere Sachverhalte betreffen. Sie rücken aber wegen der oben dargelegten Ausdehnung der an die Pflichtwidrigkeit angeknüpften Differenzierung auf andere, nicht der Parteibehauptung im kontradiktorischen Verfahren entsprechende Konstellationen dennoch auch die Beurteilung des Prozeßbetruges ins Blickfeld. In einem durch diese Entscheidungen repräsentierten ersten Schritt wird jene Ausdehnung auf andere Konstellationen für unzulässig befunden. Schon in diesen ersten Entscheidungen klingen die wesentlichen Aspekte an, mit denen die umfassende Änderung der Rechtsprechung in der Folge begründet wird. In einem Fall677 ging es um die Erschleichung überhöhter Abschlagszahlungen von einem Kreisbauamt durch den Angestellten einer Baufirma, der den Umfang der erbrachten Leistungen zu hoch ansetzte. Die Zahlungen erfolgten deshalb pflichtwidrig, weil auf der eingereichten Bescheinigung die Unterschrift eines Kreisbauamtsangestellten fehlte, ohne die die Zahlung eigentlich nicht hätte erfolgen dürfen. Das Reichsgericht stellt fest, daß diese Pflichtwidrigkeit lediglich eine Mitursache im Sinne der Äquivalenztheorie ist, die den Ursachenzusammenhang mit der Täuschung durch den Angestellten nicht zu unterbrechen vermag. Sodann läßt es aber trotz diesbezüglicher Zweifel dahingestellt, ob die bisherige Rechtsprechung zum Prozeßbetrug mit der Bedingungstheorie vereinbar ist.678 Auch die später häufig in diesem Zusammenhang erfolgte Anführung des § 138 I ZPO, der eine Überprüfung der alten Rechtsprechung erzwinge, taucht hier bereits auf. 679 Bemerkenswerter ist aber, daß das Reichsgericht die alte Rechtsprechung ausdrücklich als rechtspolitisch motiviert bezeichnet. 680 Eine Ausdehnung dieser Rechtsprechung auf andere Konstellationen, "die mit gesetzlichen Verfahrensvorschriften nichts zu tun haben", wird hier nunmehr ausdrücklich abgelehnt. 681 Dies ermöglicht es, zum Prozeßbetrug selbst nicht abschließend Stellung zu nehmen. Im zweiten Fall682 handelte es sich um die Zeugenaussage einer Kindesmutter im Un677

678 679 680 681 682

RG JW 34, 1853. RG JW 34, 1853, 1854. RG JW 34, 1853, 1854. RG JW 34, 1853, 1854. RG JW 34, 1853, 1854. RGSt 69, 44.

10 Jänicke

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

terhaltsverfahren gegen den angeblichen Vater, die den Mehrverkehr bewußt wahrheitswidrig leugnete und damit der Unterhaltsklage zum Erfolg verhalf. Pflichtwidrig handelte der Richter hier, weil er die Aussage unter Verletzung verfahrensrechtlicher Normen verwertete. Es ist offenbar in dubio pro reo davon auszugehen, daß die Belehrung der Mutter über ihr Zeugnisverweigerungsrecht unterblieben war. Das Reichsgericht führt wiederum aus, daß nach der Bedingungstheorie Zwischen- oder Mitursachen, selbst wenn sie sich als "Hauptursachen" darstellen, den Kausalnexus zu den übrigen bestimmenden Faktoren nicht zu unterbrechen vermögen.683 So sei es auch im vorliegenden Falle unerheblich, daß der Richter pflichtwidrig gehandelt habe, die Täuschung wirke dennoch fort.684 Da aber Betrug durch Zeugenaussagen auch nach der alten Rechtsprechung möglich war und der Parteivortrag hier als Täuschungshandlung nicht in Frage steht, nimmt das Reichsgericht auch diesmal noch nicht zur Frage des Prozeßbetruges Stellung (und ruft auch nicht die vereinigten Strafsenate an). Es erneuert aber seine Zweifel an der Vereinbarkeit der alten Rechtsprechung mit der Bedingungstheorie und erkennt an, daß seine Ausführungen zu dieser Theorie eigentlich auch den Prozeßbetrug betreffen.685 Interessant ist an der Entscheidung zum einen ferner, daß zunächst an der oben geschilderten Argumentation bezüglich des Mahn- und Vollstreckungs- sowie des Versäumnisverfahrens keinerlei Zweifel bestehen, nach der die Überzeugung des Richters dort ohne Belang ist und daher die Kausalität eines eventuellen Irrtums fehlt. 686 Zum anderen wird die oben als unhaltbar gekennzeichnete Argumentation aus dem 63. Bande687 unkritisch wiedergegeben. Damit klingt wohl ein gewisses Bestreben an, die alte Rechtsprechung zum Prozeßbetrug an die Dispositionsmaxime und damit an die Besonderheiten des kontradiktorischen Verfahrens zu binden.688 Dies gelingt indes hier aus denselben Gründen wie im 63. Bande nicht. Schließlich taucht auch § 138 ZPO als Begründung für die nunmehrigen Zweifel an der alten Rechtsprechung wieder auf. 689 Letzterer ist wohl auch der Grund für das angesprochene Bemühen, eine tragfähige Anhindung der alten Rechtsprechung an die Dispositionsmaxime nachzuschieben: Ließe sich die alte Rechtsprechung als Ausnahme von der sonst vertretenen Bedingungstheorie an die Dispositionsmaxime und damit an das kontradiktorische Verfahren koppeln, könnte man die Abweichung von dieser Rechtsprechung mit dem neuen § 138 I ZPO begründen. Man könnte sagen, dieser schränke die Dispositionsmaxime ein, so daß eine auf sie gestützte Ausnahme nicht mehr zu rechtfertigen sei. 683 684 685 686 687 688 689

RGSt 69, 44, 47. RGSt 69, 44, 48. RGSt 69, 44, 47 und 48. RGSt 69, 44, 49; vgl. zur weiteren Entwicklung unten li. Vgl. oben RGSt 63, 391. RGSt 69, 44, 49. RGSt 69, 44, 49.

4. Abschn.: Die Entwicklung der reichsgerichtliehen Rechtsprechung

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Eine stichhaltige Begründung für die Ausnahme wird indes nirgends gegeben. Festzuhalten wird daher nur der zweite, in den genannten Entscheidungen ebenfalls schon aufgefundene Ansatz sein: Die alte Rechtsprechung stand stets im Widerspruch zur Äquivalenztheorie, mit der neuen kehrt man zur uneingeschränkten Anwendung dieser Theorie zurück. Das Reichsgericht hat diesen Widerspruch mit Sicherheit auch bemerkt. Es ist undenkbar, daß er ihm verborgen geblieben sein könnte, zumal die Literatur immer wieder darauf hingewiesen hat. Dennoch hat es die alte Rechtsprechung aus rechtspolitischen, sprich normativen Erwägungen lange Zeit aufrechterhalten. Daß § 138 I ZPO Einfluß auf solche normativen Erwägungen hatte, ist indes nicht auszuschließen. 690 Die folgenden Entscheidungen in der Distanzierungsbewegung zur alten Rechtsprechung bestätigen diesen Eindruck. Die - soweit ersichtlich - nächstfolgende Entscheidung, die den Komplex des Prozeßbetruges anspricht, 691 ist für die Analyse allerdings völlig unbrauchbar. Dort hatte ein Sparkassenleiter in einem Zwangsvollstreckungsverfahren nach ZVG Rechtsverfolgungskosten zu Verteilungsplänen angemeldet, die in Wirklichkeit nicht entstanden waren, und sie nach Auskehrung für sich behalten. Das Reichsgericht prüft die Kausalität der falschen Angaben für die Entscheidung des Richters. Es kommt zu dem Ergebnis, daß diese gegeben sei, da eine nicht bestehende Forderung auch nicht in den Teilungsplan aufgenommen worden wäre. 692 Eine Unterbrechung der Kausalität nach den alten für den Prozeßbetrug geltenden Grundsätzen lehnt es ab, ohne daß daraus Erkenntnisse zu seiner grundsätzlichen Haltung zu ziehen wären. Es scheint prinzipiell bereit, die alte Rechtsprechung noch anzuwenden. Lediglich im konkreten Fall hält es sie für nicht einschlägig.693 Insoweit paßt die Entscheidung noch in die Reihe der zuvor genannten. Den Grund für die Unanwendbarkeit der alten Regel im vorliegenden Falle findet es dann aber leider in der oben analysierten mißglückten Argumentation aus dem 63. Bande694, in die es sich vollkommen verstrickt: Dort wird unter Berufung auf den "Parteibetrieb" (gemeint ist die Dispositionsmaxime) die Kausalität der Überzeugung des Richters für seine Entscheidung infolge gesetzlicher Bindungen verneint. Eine solche gesetzliche Vorgabe fehle indes hier. 695 Dies ist zwar zutreffend, die Begründung geht indes - wie oben gezeigt - völlig an der sonst beim Prozeßbetrug problematisierten Kausalitätserwägung vorbei. Offenbar ohne diese Verwirrung zu bemerken, nimmt das Reichsgericht dann doch noch zu seiner üblichen Kausalitätsargumentation Stellung. Es führt am Ende der Entscheidung aus, auf eine mögliche Pflichtwidrigkeit des Richters komme es 690 691 692 693 694 695

10*

Vgl. im 5. Abschnitt. RGSt 69, 101. RGSt 69, 101, 102 f. RGSt 69, 101, 103 f. Vgl. oben RGSt 63, 391. RGSt 69, 104 f.

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

nicht an, sie könne den Kausalverlauf nicht unterbrechen. 696 Ob dies auf einer Ablehnung der alten Rechtsprechung oder auf der zuvor festgestellten Andersartigkeit der Situation gegenüber dem kontradiktorischen Verfahren beruht oder tatsächlich infolge der aus dem 63. Bande übernommenen logischen Verwirrung gar nicht bewußt als Stellungnahme zum Problem gemeint ist, bleibt unklar. Schlußfolgerungen aus dieser völlig mißglückten Entscheidung zu ziehen, ist daher - wie gesagt nicht angezeigt. Auch die nächste Entscheidung697 nimmt noch nicht eindeutig Stellung, sondern äußert nur Zweifel, ob angesichts von § 138 I ZPO die alte Rechtsprechung bestehen kann. Sie kann dies offenlassen, weil der Angeklagte hier als Partei vernommen wurde. Dies stellt nach den neuen §§ 445 ff. ZPO eine Beweiserhebung dar, so daß Prozeßbetrug auch nach der alten Rechtsprechung gegeben wäre. 698 Die ausdrückliche Abkehr von der alten Rechtsprechung folgt aber kurz darau~99 unter ausdrücklicher Berufung auf die Erwägungen im 69. Bande.700 Das Reichsgericht geht von nun an davon aus, daß im kontradiktorischen Verfahren Prozeßbetrug begangen werden kann, auch wenn kein Beweis angetreten ist, sofern die Ursächlichkeit nach allgemeinen Regeln gegeben ist. Zur Begründung verweisen beide Senate auf eine folgerichtige Anwendung der Bedingungstheorie und damit auf den oben als zutreffend bezeichneten Begründungsstrang. Der 5. Senat erwähnt den § 138 I ZPO lediglich im Rahmen einer a-fortiori-Argumentation. Er sagt, wenn schon vor der Änderung der ZPO die unbewiesene Parteibehauptung genügt habe, müsse dies erst recht mit Einführung der Wahrheitspflicht gelten. Eine tragende Funktion wird diesem Ansatz also nicht zugesprochen. (Eine Anrufung der vereinigten Strafsenate war im übrigen zu keinem Zeitpunkt mehr erforderlich, da inzwischen durch ein nationalsozialistisches Gesetz701 jede Bindung an die frühere Rechtsprechung abgeschafft worden war.) Das Reichsgericht überträgt diese neue Ansicht in der Folge auch auf Konstellationen, auf die es seine alte Rechtsprechung zum Prozeßbetrug - wie oben dargelegt - ebenfalls angewandt hat. Ein Beispiel ist eine Drittwiderspruchsklage, in der der Interventionskläger bewußt wahrheitswidrig behauptet hatte, die Forderung sei an ihn abgetreten worden. 702 Bemerkenswert auch an dieser zuletzt angesprocheRGSt 69, 101, 105. RGSt 69, 191. 698 RGSt69, 191 , 192. 699 RG JW 36, 196 Nr. 19 (I. Senat); RG JW 37, 2391 Nr. 58, 2392 (5. Senat schließt sich in einer die Armenrechtserschleichung betreffenden Entscheidung allgemein an). 700 Vgl. oben RGSt 69, 44, 48 f. 701 Art. 2 des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften des Strafverfahrens und des GVG vom 28. Juni 1935. 702 RGSt 72, 150 f. (mit ausführlicherem Sachverhalt abgedruckt in JW 38, 1711). Die dazwischenliegende Entscheidung RGSt 71, 303, in der ein "Prozeßbetrug" durch falsche Zeugenaussagen der Kindesmutter im Unterhaltsverfahren des Kindes für möglich gehalten wird, ist ohne Aussagekraft, da die Zeugenaussage eine Beweiserhebung darstellt und daher auch 696

691

4. Abschn.: Die Entwicklung der reichsgerichtliehen Rechtsprechung

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nen Entscheidung ist, daß das Reichsgericht erneut betont, die neue Rechtsprechung sei auch schon vor dem Erlaß des § 138 ZPO zutreffend gewesen?03 Es stützt damit wiederum die eingangs aufgestellte Hypothese, daß die Änderung der Rechtsprechung nicht dogmatisch zwingend mit der Einführung dieser Norm begriindet werden kann und die alte Rechtsprechung nicht in der angesprochenen Weise mit der Dispositionsmaxime verknüpft werden kann. Im weiteren ist die Entscheidung nicht von Interesse. Sie legt einen Betrug durch Unterlassen nahe, obwohl offenbar die Begehung beziehungsweise der Versuch durch den falschen Vortrag gemeint ist. Die neue Linie der Rechtsprechung wird nun ohne weitere Problematisierung ständig aufrechterhalten, sie wird in den späteren Entscheidungen einfach vorausgesetzt.704

II. Versäumnisurteile, Zahlungs- und Vollstreckungsbefehle, Anerkenntnisurteile Am Beginn der Distanzierungsbewegung von der alten Rechtsprechung hatte das Reichsgericht noch an seiner bisherigen Ansicht zu dieser Fallgruppe festgehalten.705 In einem letzten Schritt706 läßt es nun auch diese Kausalitätserwägung fallen und bestraft auch hier aus Betrug. Es argumentiert dahingehend, daß der Richter nach dem neuen Verfahrensrecht (gemeint ist offenbar§ 138 I ZPO) nicht mehr unabhängig von seiner Überzeugung in bestimmten prozessualen Situationen eine vorgegebene Entscheidung erlassen müsse. Vielmehr habe er die Entscheidung zu verweigern, wenn er das Vorbringen für bewußt falsch halte, so daß seine Überzeugung durchaus kausal für seine Verfügung werde. 707 Diese Änderung der nach der alten Rechtsprechung zum Betrug führen könnte. Das gleiche gilt für die ähnlich gelagerten späteren Entscheidungen RG DR 39,921 Nr. 2; RGSt 77, 9; RGSt 77,219. 703 RGSt 72, 150. 704 So etwa RGSt 72, 113, 115 (ausdrücklich); RG JW 38, 2001 f., wo dem Kontext nach offenbar von der Möglichkeit des Betruges unabhängig vom Beweisantritt ausgegangen wird; RG JW 38, 855 Nr. 5, wo der 2. Senat sich auf die genannten Grundsatzentscheidungen des 1. und 5. Senates beruft; RG JW 38, 1316 Nr. 10, wo der 2. Senat schon den den Gebührenvorschuß und dessen Verbrauch auslösenden Beweisbeschluß als Verfügung ansieht, aber unproblematisch einfaches Vorbringen genügen ließ (den Beweis hatte ja offenbar der Gegner angetreten, der den Vorschuß zahlen mußte); RG JW 38, 1515 (ausdrücklich); RG HRR 40 Nr. 580, wo das bloße Verschweigen einer Abtretung als Betrugshandlung gewertet wird; RGSt 75, 225, 227: "Der Betrugsversuch, der in dem Vortragen falscher Parteibehauptungen vor Gericht liegt, ( ... )" und RGSt 75, 399, wo sowohl die Aufstellung falscher Behauptungen durch die Partei als auch die falsche Aussage in der Parteivernehmung als Betrugshandlung gekennzeichnet werden. 10s RGSt 69, 44, 48 f. 706 RGSt 72, 113. Der Sachverhalt ist im einzelnen nicht von Interesse, da die Darlegungen abstrakt erfolgen und dem Untergericht die weitere Sachverhaltsaufkläung aufgegeben wird.

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Rechtsprechung kann im Gegensatz zu der den Prozeßbetrug im allgemeinen betreffenden wohl tatsächlich mit der Einführung des § 138 I ZPO begründet werden. 7os

111. Das Armenrechtsverfahren

Auch für dieses Verfahren, soweit es den Vortrag zu den Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung betrifft, wird die neue Rechtsprechung übernommen. Der 1. Senat bezieht sich in einem seiner grundsätzlichen Entscheidung709 kurz nachfolgenden Verfahren bezüglich eines Armenrechtsantrages710 auf seine neue Rechtsprechung zum Prozeßbetrug, obwohl in dem konkreten Fall sogar eine Urkunde als Beweismittel für die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung vorgelegt worden war. In dieser Entscheidung äußert er sich hinsichtlich der Begründung seiner neuen Ansicht indes nicht abschließend. Die zu beurteilenden Vorgänge lagen vor der Einführung des § 138 I ZPO. Und obwohl der Senat seine Rechtsprechungsänderung zum Prozeßbetrug allein mit einer konsequenten Anwendung der Bedingungstheorie begründet hatte,711 will er sich hier auf eine klare Stellungnahme, wie sie der 5. Senat712 und später auch der 2. Senat713 abgeben, nicht einlassen. Er muß dies auch nicht, zum einen infolge des vorgelegten Beweismittels, was auch nach der alten Rechtsprechung einen Betrug ermöglicht hätte, zum anderen aber 707 RGSt 72, 113, 115 f. betreffend das Versäurnnisverfahren; Lenckner versteht dies auf S. 20 so, daß bei unwahrem Vorbringen in diesem Verfahren das Rechtsschutzbedürfnis ("Anspruch auf Rechtsschutz") wegfalle. Es ist also weniger die Täuschung über Tatsachen, die relevant wird, sondern die Täuschung über die Täuschung über Tatsachen. Ob das Reichsgericht tatsächlich diese subjektive Wendung für entscheidend hielt - der Richter darf kein Versäurnnisuneil erlassen, wenn er die Lüge der Panei erkennt - (so verstanden zum Beispiel von Sclulffstein, JW 38, 1386, 1387), an die sich etwa die Kritik von Keunecke, S. 108 ff. knüpft, ist nicht sicher. Es wäre damit ein Irnum über die subjektive Wahrhaftigkeit der Partei, der zum Betrug führte. Es kann aber auch objektiv gemeint, also nur unglücklich formulien sein. Denn wenn der Richter die Lüge erkennt, muß er auch die objektive Unwahrheit des Vorbringens erkannt haben. Auch daran könnte man die Unbeachtlichkeit für den Richter knüpfen, was sich allerdings nicht direkt mit § 138 I ZPO begründen ließe, wohl aber unter Umständen aus dem dahinterstehenden Gedanken (vgl. Keunecke, S. 142 ff. und 162 f. und unten bei der Rechtsprechungsanalyse). Dies wäre auch die logischere Variante. Andernfalls müßte der Richter gegebenenfalls auch in der Überzeugung von seiner Unwahrheit formuliertes Vorbringen unbeachtet lassen, das sich ihm als objektiv wahr darstellt (vgl. etwa Keunekke, S. 115). Dazu näher im 3. Teil bei der Lösung aus heutiger Sicht. Richtigerweise wird man zivilprozessual sagen können, der Richter müsse (nur) als zugleich objektiv und subjektiv unwahr(haftig) erkanntes Vorbringen unberücksichtigt lassen. 708 Vgl. dazu im einzelnen im 5. Abschnitt. 709 RG JW 36, 196 Nr. 19. 11o RG JW 36, 1376 Nr. 22. 711 Vgl. oben bei RG JW 36, 196 Nr. 19. 712 Vgl. bei RG JW 37,2391 Nr. 58. 713 Vgl. bei RGSt 72, 150.

5. Abschn.: Zusammenfassung und Bewertung

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auch wegen einer anderen - neuen - Beurteilung der Position des Richters im Armenrechtsverfahren: Nach nunmehriger Ansicht des l. Senates war der bloße Parteivortrag - unabhängig von § 138 ZPO - im Armenrechtsverfahren schon immer geeignet, die Überzeugung des Richters zu beeinflussen. Denn eine Beweisführung sei gar nicht vorgesehen, und eine Glaubhaftmachung erfolge nur auf Verlangen des Gerichtes, so daß der Richter ohne jede Pflichtwidrigkeit Unbewiesenes glauben dürfe. 714 Der 5. Senat hatte schon in seiner erwähnten Grundsatzentscheidung715 Gelegenheit, zu einem Armenrechtsfall Stellung zu nehmen. Er verwirft die alte Rechtsprechung grundsätzlich auch für die Zeit vor Einführung des § 138 I ZPO, insoweit kann nach oben verwiesen werden. Auch in dieser Fallgruppe hält das Reichsgericht in der Folge ohne weiteres an der neuen Rechtsprechung fest. 716

5. Abschnitt

Zusammenfassung und Bewertung der besonderen Behandlung des Prozeßbetruges durch die Rechtsprechung im Lichte der historischen Entwicklung Die friihe reichsgerichtliche Rechtsprechung stellt sich als Fortsetzung der vom Preußischen Ober-Tribunal entwickelten Grundsätze dar,717 sieht man von der aufgezeigten Unterbrechung in der preußischen Rechtsprechung ab, in der jede besondere Behandlung des Prozeßbetruges abgelehnt wurde. 718 Die Argumentationslinie für die abweichende Behandlung entspringt, wie im einzelnen belegt werden konnte, der historischen Verquickung von Betrug und Fälschung im modernen Sinne, aus der der Gedanke einer qualifizierten Täuschung und der Beriicksichtigung der Opfermitverantwortung erwuchs.719 Für die normalen, also nicht im Zivilverfahren stattfindenden Betrugsfälle sind diese Wirkungen der alten Anschauungen überwunden worden,720 im Prozeßbetrug hingegen leben sie fort. Von ent714 RG JW 36, 1376 Nr. 22 unter ausdrücklicher Aufgabe der gegenteiligen Ansicht aus RG JW 31,3557 Nr. 21,3558. 715 Vgl. RG JW 37,2391 Nr. 58,2392 f. 716 So beruft sich der 2. Senat in RG DR 39, 921 Nr. 2, 922 auf die Entscheidung des 1. Senates JW 36, 1376 Nr. 22. 717 Ein allgemeines Anknüpfen der Praxis zum § 263 StGB an die Sichtweisen des Preußischen Ober-Tribunales zu§ 241 PrStGB stellt auch Naucke, S. 101 fest; zur Rechtsprechung des Ober-Tribunals vgl. den 3. Abschnitt. 718 Dazu im 3. Abschnitt unterE. 719 Diesen Zusammenhang stellt Dohna, S. 486 ausdrücklich ebenso her; zur historischen Entwicklung vgl. den 1. Abschnitt. no Auch dort wirkten die alten Ideen außerordentlich lange fort (vgl. etwa Wachenfeld in seinem Lehrbuch von 1814, der bloße unwahre Behauptungen generell als Betrugshandlung

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

scheidendem Interesse ist daher die Begründung, die für diese Besonderheit angegeben wird. Die eigentliche Keimzelle der abweichenden Behandlung, nämlich die im römischen Recht vorgesehenen Privat- beziehungsweise Verfahrensstrafen für unwahre Behauptungen im Prozeß,721 konnte mit der Einführung der modernen Verfahrensordnungen und Zivilgesetzbücher argumentativ nicht durchgehalten werden. Ihre praktische Grundlage brach weg, als jene Privatstrafen und Verfahrensfolgen in der geltenden Rechtsordnung nicht mehr vorgesehen waren. Man stand also vor dem Problem, eine existierende und offenbar gewünschte Rechtsfolge auf neue argumentative Grundlagen stellen zu müssen. Die im 19. Jahrhundert gängige Argumentation, 722 im Wirtschaftsverkehr sei ein gewisses Maß an Tauschung im Sinne einer von beiden Seiten anerkannten "Kampfstellung" akzeptabel, mag Ausgangspunkt der Übertragung dieser Ideen auf den Prozeßbetrug gewesen sein. Sie wurde zum Verlangen einer qualifizierten Tauschung im Bemühen um die Abgrenzung des strafbaren Betruges herangezogen und lag auch zugrunde, wenn Vertragsverhältnisse privilegiert werden sollten oder voraussehbare und damit vermeidbare Tauschungen nicht für strafbar gehalten wurden. Die Prozeßsituation ist, wenn man so will, in noch stärkerem Maße eine anerkannte "Kampfsituation". 723 Auch die Begründungstopoi, die das Reichsgericht sonst anbietet, sind schon recht früh in der Literatur des 19. Jahrhunderts anzutreffen. So etwa der Gedanke, der Richter glaube Unbewiesenes nicht, also die Berücksichtigung der prozeßrechtlich normierten Sonderbeziehungen zwischen den Beteiligten im weitesten Sinne.724 Eine dogmatisch tragflihige Begründung für seine Ansicht (etwa in Anknüpfung an die Besonderheiten des Zivilverfahrens) findet das Reichsgericht indes nicht, nicht genügen lassen will, sondern Manipulationen verlangt, aus denen der Schein der Wahrheit sich ergeben soll, selbst wenn diese lediglich in einer Bekräftigung oder Bestätigung der unwahren Behauptung liegen (S. 406); weitere Nachweise zu derartigen Sonderpositionen unter der Geltung des § 263 StGB bei R. Frank, S. 582). 721 In der Literatur des 19. Jahrhunderts als Ausgangspunkt für eine Privilegierung des Prozeßbetruges schon früh aufgegriffen etwa von Heffter (vgl. dazu im einzelnen oben bei der Darstellung der Entwicklung der Literatur). 722 Zum 19. Jahrhundert vgl. den 1. Abschnitt unter G. und den 2. Abschnitt. 723 Vgl. zu diesen Gedanken Merket, S. 255 f., der diesen Zusammenhang ausdrücklich herstellt, indem er die dem Vertragsschluß vorausgehenden Verhandlungen der Situation des Prozeßbetruges gleichachtet und als ein Streitverhältnis bezeichnet, das einen gewissen Spielraum eröffnet; ebenso Keunecke, S. 126, der meint, für die alte Rechtsprechung sei die Vorstellung maßgebend gewesen, es handele sich um einen Kampf ums Recht; Dohna, S. 486; Lenckner, S. 127, der ausdrücklich die Vorstellung vom "Kampf' heranzieht; siehe zu dieser Terminologie und ihrer Relevanz im Streit um die Strafbarkeit der Lüge im Prozeß etwa auch die Wortwahl bei Wurzer, ZZP 48 (1920), 463, 486 f.; mit ähnlicher Argumentation auch Cleric, SchweizJZ 11 (1914), 141, 143 f., der statt "Kampf' das Wort "Streit" betont. 724 Vgl. im 1. Abschnitt unter G. und im 2. Abschnitt.

5. Abschn.: Zusammenfassung und Bewertung

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wie belegt werden konnte. 725 Die Vemeinung der Kausalität zwischen Täuschung und Irrtum widerspricht offenkundig der sonst vertretenen Äquivalenztheorie. Daß dies dem Reichsgericht selbst verborgen geblieben sein sollte, ist nicht anzunehmen.726 Die dabei immer wieder eine Rolle spielende angebliche Pflichtwidrigkeit des Richters läßt sich auch kaum halten. Das Reichsgericht hat in Zivilsachen einige Male ausgesprochen, daß § 286 ZPO dem Richter durchaus gestatte, neben den Beweisergebnissen auch sonstigen Prozeßstoff zur Bildung einer Überzeugung heranzuziehen, etwa das Prozeßverhalten der Parteien727 und ihre Erklärungen728 , insbesondere auch eine bestrittene Behauptung ohne Beweisaufnahme für wahr zu erachten729. Vielmehr bestätigt sich aus den beiden Befunden - der historischen Verwurzelung und der offenbar bewußt in Kauf genommenen fehlenden dogmatischen Verankerung der besonderen Behandlung -, daß es sich um rein rechtspolitische, mithin normative Erwägungen gehandelt haben muß. 730 Es sollte die Freiheit des Kampfes im Zivilverfahren erhalten bleiben, um der Beweislastverteilung zum Durchbruch zu verhelfen. 731 Als diese liberale rechtspolitische Haltung im Dritten Reich nicht mehr gewünscht war, brach auch die so motivierte - unsystematische Ausnahme von der Bedingungstheorie weg. 732 So gesehen hat die Einführung des 725 Vgl. auch Keunecke, S. 95, der die alte Rechtsprechung des Reichsgerichtes stützt: Nach ihm lag es "am Verhandlungsgrundsatz und an den Beweisgrundsätzen", daß das einfache Vorbringen für einen Irrtum nicht kausal werden konnte. Daß das Reichsgericht eine insoweit konsequente Anwendung und Begründung nicht erreichte, ist oben ausführlich dargelegt. Dazu, daß Keuneckes Argumentation als dogmatische Untermauerung der alten Rechtsprechung nicht trägt, vgl. unten bei der Darlegung seiner Ansicht. Zur reichsgerichtliehen Argumentation vgl. im 4. Abschnitt unter A. 726 Das Reichsgericht spricht in anderen Entscheidungen regelmäßig ausdrücklich davon, daß das schuldhafte Dazwischentreten eines Dritten oder des Opfers den Kausalzusammenhang nicht zu unterbrechen vermöge: RGSt 1, 373, 374 f.; RGSt 6, 249, 250; RGSt 29, 218, 219 f.; RGSt 56, 343, 348; RGSt 58, 130, 131; RGSt 58, 366, 368; RGSt 61 , 318, 320; RGSt 63, 382, 387; RGSt 64, 316, 318 f.; RGSt 64, 370, 372 f. 127 RG HRR 30 Nr. 172; RG LZ 25,772 Nr. 7. 128 RG JW 1891,486 f. Nr. 4. 729 So ausdrücklich RG HRR 28 Nr. 1651; auch RG LZ 25,772 Nr. 7. 730 V gl. die soeben bei Dohna betonten Wurzeln. 731 Ebenso Keunecke, S. 77 f.; Lenckner, S. 9: "Im Hintergrund dieser die Anwendung des Betrugstatbestandes stark einschränkenden Auffassung standen prozeß- und kriminalpolitische Erwägungen." S. 17: "( ... ) liegt es nahe, daß die dogmatische Begründung einen in Wirklichkeit maßgebenden teleologischen Gesichtspunkt verbarg", was wiederum ein Zitat aus Grünhut, SchweizZStR 51 (1937), 43, 69 ist; Eisenberg, FS Saiger, S. 15, 21 FN 41; vgl. auch Erik Wolf, JW 38, 1921, der ebenfalls rechtspolitische Motive diagnostiziert, aber glaubt, daß der eigentliche Grund ftir das Bestreben des Reichsgerichtes, die Strafbarkeit möglichst eng zu halten, nicht festzustellen sei, wobei er zur Anknüpfung an die Pflichtwidrigkeit des Richters neigt. 732 Man war sich dieses Zusammenhanges übrigens durchaus bewußt. Vgl. etwa Brinkrrumn, der zwar zunächst versucht, die alte Rechtsprechung mit den Besonderheiten des Zivilverfahrens zu erklären, dann aber die wahre Natur des Einflusses des § 138 I ZPO offenlegt,

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

§ 138 I ZPO tatsächlich eine Rolle gespielt, allerdings nicht die angeblich dogmatisch zwingende, die in einigen Entscheidungen anklingt. 733 Die angebliche Relevanz der Wahrheitspflicht für die Betrugsstrafbarkeit ist eine Reminiszenz aus der Zeit, als das Recht auf Wahrheit als Schutzgut gehandelt wurde. 734 Die Entscheidung, daß Täuschungen, die eine Vermögensverfügung und einen Schaden zur Folge haben, strafbar sein sollen, war mit § 263 StGB längst gefallen. Auf eine (allgemeine) Wahrheitspflicht kam es zur Bestimmung des strafbaren Betruges nicht mehr an?35 Positiv gewendet - als Erfordernis ftir das Betrugsunrecht - spielte indem er schreibt: S. 20: "In der Zeit der Entstehung unserer Zivilprozeßordnung herrschte der Liberalismus." S. 26: ,,Der weltanschauliche Umschwung des Jahres 1933 schuf die ideologischen Voraussetzungen einer gesetzlichen Umgestaltung des Verfahrens, wie sie in der Novelle vom 27. Oktober 1933 Wirklichkeit wurde." S. 36: "( ... )Richter gleichsam als Beauftragter der Volksgemeinschaft"; ähnlich S. 87; ferner Vogels, S. 32 f., der Liberalismus und Nationalsozialismus gegenüberstellt, wobei letzterer höhere Anforderungen an das Verhalten der Parteien stelle; deutlich bei Fr. Schejjler, DStR 39, 204, 205 f., der eine "neue Wertung" diagnostiziert, die in der Zivilprozeßnovelle nur einen, teilweisen Ausdruck gefunden habe, und der mit der ausführlichen Verwendung nationalsozialistischer Phrasen deutlich zeigt, was er damit meint (zum Beispiel sieht er das Ende der "Überbewertung des Einzelinteresses" durch die "Wiedergeburt des Deutschen Rechtes" gekommen (S. 206)); ähnlich Schönwiese, der bemerkt, mit § 138 I ZPO sei die "liberalistische Auffassung" gefallen und es seien "Belange der Volksgemeinschaft" an ihre Stelle getreten; schließlich auch Keunecke, der auf S. 68 beiläufig bemerkt, für die Zurliekhaltung des Reichsgerichtes seien (auch) rechtspolitische Erwägungen maßgeblich gewesen, die mit der Neufassung des § 138 ZPO ihre Bedeutung verloren hätten; vgl. dazu Rietzsch, DStR 34, 9, 10-12, der unter ausufernder Verwendung von unsachlichem nationalsozialistischen Pathos die Abkehr vom Liberalismus durch die Zivilprozeßnovelle preist, er spricht aufS. 11 von der "politischen Vernichtung des Liberalismus"; für die Bedeutung des § 138 I ZPO im angesprochenen Sinne wohl auch Rietzsch, DStR 34, 9, 13, wo er meint, die Unvereinbarkeit von Wahrheitspflicht und Verhandlungsmaxime sei "ein verfehltes Axiom des Liberalismus"; kritisch zu solchen Erwägungen Keunecke, S. 114 FN 334, der damit die entsprechende Argumentation zu dieser Zeit aber reflektiert und damit als bestimmend anerkennt. 733 Vgl. etwa Seier, ZStW 102 (1990), 563, 567 noch unter II., wo er davon spricht, die Neufassung des § 138 ZPO sei lediglich der äußere Anlaß ftir die neue Rechtsprechung gewesen. Die Literatur war ansonsten uneins über die Bedeutung der Einführung des § 138 I ZPO für die Behandlung des Prozeßbetruges. Die Ansichten schwankten je nachdem, welche Grundlagen die Autoren der alten Rechtsprechung zudachten und wie sie ihre eigene Ansicht motivierten (vgl. dazu die in diesem und im nächsten Abschnitt angeführten Belege zu den einzelnen Argumentationssträngen). Einen Einfluß der Neuregelung bejahten grundsätzlich Rietzsch, DStR 34, 9, 15 f.; F. Brüggemann, S. 34; Erik Wolf, JW 38, 1921, 1922, der aber aufS. 1923 ebenfalls anerkennt, daß es nicht die tatbestandliehen oder dogmatischen Grundlagen sind, die sich geändert haben, sondern allenfalls der Umfang der "Strafwürdigkeit" der Richtertäuschung. Grundsätzlich abgelehnt wurde ein solcher Einfluß von Benkendorff, JW 33, 2818; Koffka, ZStW 54 (1935), 45, die aber nach prozessualen Stadien differenziert, was hier nicht im einzelnen dargestellt werden kann (vgl. unten bei der Literaturanalyse); Rosenberg, ZZP 58 (1934), 283, 292; Keunecke, S. 94 und 123 f.; vgl. auch Dietze, JW 34, 1853, 1854; Boldt, ZAkDR 38,441,442. 734 Ebenso Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 128; ähnlich Lenckner, S. 42 unter II bei FN 9. Zu dieser Phase vgl. im I. Abschnitt unter G. 735 Ähnlich Lenckner, S. 42 unter II; schon erkannt und gut begriindet von Philipsborn, FS Liszt, S. 188, 196; vgl. auch schon Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127 ff., der deshalb für eine

5. Abschn.: Zusammenfassung und Bewertung

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eine Wahrheitspflicht also keine Rolle. 736 Dies anerkennen auch jene Entscheidungen, die zugeben, daß richtigerweise der Prozeßbetrug auch vor 1933 unter § 263 StGB zu subsumieren gewesen wäre. Die Einführung des § 138 I ZPO ist aber dennoch zu Recht als Argument gegen die alte Rechtsprechung wahrgenommen worden. Sie hat die schon angedeutete Distanzierung der Politik von liberalen Werten zum Ausdruck gebracht und eine engere Bindung an die materielle Wahrheit proklamiert. Die Grundlagen der alten, rechtspolitisch motivierten Ausnahme von der allgemein anerkannten Äquivalenztheorie waren damit weggefallen, der Wechsel in der Rechtsprechung war konsequent. Nur in diesem Zusammenhang- also negativ gewendet- ist die Verknüpfung des Streites mit dem um die Wahrheitspflicht sinnvoll und verständlich: Ein denkbares Argument gegen die Strafbarkeit einfachen Parteivorbringens könnte demnach gelautet haben, andernfalls werde auf Umwegen über das Strafrecht eben doch eine Wahrheitspflicht im Zivilprozeß statuiert, die der ZPO oder dem Zivilprozeß, wie er abstrakt gedacht wurde, fremd sei?37 Die Wahrheitspflicht konnte also nur als normatives Hindernis einer Betrugsstratbarkeit verstanden werden. Der Ursprung dieses Hindernisses war die Verbindung zum öffentlichen Recht, nämlich die Ausgestaltung des Zivilprozesses?38 völlige Trennung der Frage nach der Wahrheitspflicht von der nach der Betrugsstrafbarkeit eintritt. 736 So etwa auch Keunecke, S. 77 und 95. Auch Görres, ZZP 34 (1905), 1, 37 ff. geht davon aus, daß die Wahrheitspflicht nicht Voraussetzung der Betrugsstrafbarkeit ist. Er argumentiert (allerdings unhaltbar) damit, daß § 823 II BGB den § 263 StGB als Schutzgesetz nicht umfasse, mithin ein Schadensersatzanspruch nur erreicht werden könne, wenn das Recht auf Wahrheit als sonstiges Recht im Sinne von § 823 I BGB konstruiert werde. Daraus folgt umgekehrt, daß die Betrugsstrafbarkeit vom Recht auf Wahrheit nicht abhängt. Allerdings könnten seine Äußerungen aufS. 41 ff. auch entgegengesetzt verstanden werden, wo er den Begriff der "prozessual verwerflichen Lüge" nach seinem Konzept von den Prozeßpflichten der Parteien definiert und stets sogleich auf die Betrugsstrafbarkeit bezieht. Vgl. auch Kojfka, ZStW 54 (1935), 45, die schreibt: "Das Problem des Prozeßbetruges ist durch die Einführung der Wahrheitspflicht nicht gelöst." 737 Vgl. Grünhut, SchweizZStR 51 (1937), 43, 65, 69; Boldt, ZAkDR 38,441,442, der die alte Rechtsprechung als "Umgehung einer Stellungnahme zur Frage der Wahrheitspflicht" verstehen will; ganz ausdrücklich im genannten Sinne Schaffstein, JW 38, 1386; Lenckner; S. 9 bei FN 16 und S. 17 f. und S. 41 f.; siehe auch Keunecke S. 51, 78 ff., wo er von einem zu Unrecht geleugneten Zusammenhang spricht, und S. 94, wo er eine "psychologische" und tatsächliche Verknüpfung feststellt; Vogels, S. 39: "( ... ) zivilprozessual statthaftes Handeln ist ( ... ) als Täuschungshandlung nicht möglich ( . .. )". Insoweit greift Grünhut in einer früheren Veröffentlichung zunächst zu kurz, wo er darlegt, für die Existenz eines Lügenverbotes sei aus der Strafbarkeit des Prozeßbetruges nichts herzuleiten (ebensowenig wie vice versa): RhZZP 13 (1924), 127, 130. Dies ist zwar richtig, jedoch kann eine Strafe für die Lüge im Prozeßsei es auch über das Vermögen als Schutzgut - faktisch die Wirkung eines Lügenverbotes haben. Immerhin erkennt er dies dort als "psychologischen Zusammenhang" an und gibt damit wohl recht exakt die tatsächlichen Wirkungszusammenhänge wieder. Vgl. schließlich auch S. 138, wo er gegen eine Strafbarkeit aus Betrugsversuch flir jede Prozeßlüge dieselben Bedenken wie gegen die Statuierung einer Wahrheitspflicht erhebt, den negativen Zusammenhang also doch herstellt. Zur Frage, ob die Wahrheitspflicht dem Zivilverfahren beziehungsweise der Dispositionsmaxime wirklich fremd ist, vgl. Trutter; S. 74 f.; Goldschmidt, S. 128 f.

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Wirkliche Relevanz konnte § 138 I ZPO nur für diejenigen Fälle haben, in denen zuvor die Kausalität der Überzeugung des Richters für seine Entscheidung fehlte. Nimmt man nun wegen der veränderten Ausgestaltung des Zivilverfahrens an (was nicht unumstritten war739), der Richter dürfe die gesetzlich vorgeschriebene Entscheidung nicht fallen, wenn er von der objektiven oder subjektiven Unwahrheit des Vorbringens überzeugt ist,740 so wird das Vorbringen möglicherweise kausal für die positive Entscheidung. 741 Möglicherweise eröffnet § 138 I ZPO hier auch noch eine andere Kausalitätskonstruktion. Man könnte etwa sagen, der Richter dürfe davon ausgehen, daß die Partei subjektiv die Wahrheit sage, und werde im Falle einer Lüge insoweit getäuscht. 742 Auch für das Verschweigen ungünstiger Tatsachen war eine Neuorientierung wegen § 138 I ZPO denkbar, wenn und soweit man daraus eine weiterreichende Verpflichtung zu deren Offenlegung ableiten wollte, was ebenfalls umstritten war. 743 (Wie diese Fragen nach dem heutigen Stand der zivilverfahrensrechtlichen Dogmatik zu beurteilen sind, wird bei der Subsumtion im 3. Teil anzusprechen sein.) Der wahre Grund für die Einschränkung der Betrugsstrafbarkeit war also rechtspolitischer Natur. Er wurde wider besseres Wissen an die Kausalität angeknüpft, weil eine Kategorie im strafrechtlichen Tatbestand, die eine solche normative Einschränkung hätte tragen können, noch fehlte. An der genannten Bewertung ändert sich übrigens nichts Wesentliches, wenn man der besonderen Behandlung des Prozeßbetruges nicht die soeben dargestellte, wohl tatsächlich maßgebende Argumentation zugrundelegt Man könnte stattdessen etwa davon ausgehen, das Reichsgericht habe so entschieden, weil es wirklich die Pflichtwidrigkeit des Richters als Hindernis ansah, das Ergebnis - die Verfügung - der falsch vortragenden Partei anzulasten. Ob in diesen Fällen stets eine Pflichtwidrigkeit des Richters anzunehmen ist, sei dahingestellt. 744 Mit der sonsti738 In diese Richtung geht etwa Wach, Grundfragen, S. 33, wenn er die Pflichtwidrigkeit des Richters vor Einführung des § 138 I ZPO vor allem mit der fehlenden Wahrheitspflicht begründet; Otto Meyer, DRZ 34, 203, 205; Rietzsch, DStR 34, 9, 19; Goedel, JW 37, 1760, 1761, die ausdrücklich so argumentieren. 739 Krit. zu in diese Richtung gehenden Ansätzen zum Beispiel Lorenz, JW 34, 875. 740 Vgl. zu diesen Varianten schon oben bei der Rechtsprechung des Reichsgerichtes nach 1933 im 4. Abschnitt unter II. mit den dortigen Anmerkungen. 741 So ausdrücklich Benkendorff, DRZ 34, 205, 206; Rietzsch, DStR 34, 9, 13 und 19 f. mit betont nationalsozialistischer Rhetorik; vgl. auch Vogels, S. 44; Schönke, 1. Aufl., § 263

V. 6. b).

742 Vgl. Keunecke, S. 99 ff., der dies im Ergebnis aber bestreitet: S. 101, 105; zum Ansatz bei der subjektiven Wahrhaftigkeit vgl. schon Görres, ZZP 34 (1905), 1, 56 ff. mit seiner Kritik an Trutter; Kojjka, ZStW 54 (1935), 45, 56 f. mit ihrer Kritik an Rietzsch; vertreten offenbar von Lorenz, JW 34, 875, 876; Jonas, ZPO, vor§ 128 Nr. IV.3.a). 743 Vgl. etwa Rietzsch, DStR 34, 9, 16 ff.; Vogels, S. 40 f. 744 Einige Autoren bezweifelten das unter Verweis auf § 286 ZPO (wohl zu Recht): Hellwig, LB, S. 46 f. mit FN 27; Wurzer. ZZP 48 (1920), 463, 498 f.; Dietze, JW 34, 1853, 1854, der sich im übrigen dabei nationalsozialistischer Begriffe und Anschauungen bedient;

6. Abschn.: Die Literatur zum Prozeßbetrug von 1871 bis 1945

157

gen Rechtsprechung des Reichsgerichtes in Zivilsachen ist diese Annahme jedenfalls unvereinbar, wie zu Beginn dieses zusammenfassenden Abschnittes bereits dargelegt wurde. 745 Statuiert werden die Pflichtwidrigkeiten des Richters durch die öffentlich-rechtlichen Normen, die das Zivilverfahren gestalten. Insoweit könnte man aus§ 138 I ZPO auch schließen, der Richter dürfe nun im Rahmen des§ 286 ZPO dem einfachen Parteivorbringen mehr Gewicht beilegen und Unbewiesenes unter der Herrschaft des Wahrheitsgebotes eher oder in größerem Umfange glauben.746 Auch dies wäre eine rechtspolitische, auf öffentlich-rechtlichen Einflüssen beruhende normative Erwägung, was Autoren, die sie zugrundelegen, auch zugestehen.747 Hier läßt sich sogar deutlicher das Bestreben herauslesen, Verantwortungsbereiche abzugrenzen, also etwa den des Richters von dem der Parteien zu scheiden. Dies ist ein Topos der modernen Zurechnungslehre. Das Reichsgericht hätte diese Erwägungen wiederum748 lediglich deshalb in die Kausalität verlagert, weil der aus heutiger Sicht selbstverständliche Standort- die objektive Zurechnung- in der Strafrechtsdogmatik noch nicht Fuß gefaßt hatte. Die Frage nach dem eigentlichen Grund für diese besondere Behandlung führt demnach von selbst zur Klärung der Einordnung solcher Probleme in der gegenwärtigen Dogmatik. Welche Stufen im Betrugsaufbau der geeignete Ort hierfür sind, sollen die folgenden Betrachtungen und sodann der darauf beruhende 2. Teil der Arbeit im einzelnen ergeben.

6. Abschnitt

Die Literatur zum Prozeßbetrug von 1871 bis zum Ende der reichsgerichtliehen Tatigkeit Die Äußerungen sind hier danach geordnet, wie sie zur alten Rechtsprechung des Reichsgerichtes Stellung nehmen. Die Beurteilung der Lage nach Einführung Otto Meyer, DRZ 34, 203, 204, der sich ebenfalls nationalsozialistischer Begriffe bedient und sich zum "Willensstrafrecht" bekennt; Benkendorff, DRZ 34, 205, 206; Welzel, S. 20; vgl. auch Jellinek, S. 141; Philipsbom, FS Liszt, S. 188, 197 f.; Heim, S. 283; Olshausen, S. 1406 unter I.b). 745 Vgl. RG JW 1891, 486 f. Nr. 4; RG LZ 25, 772 Nr. 7; RG HRR 28 Nr. 1651; RG HRR 30 Nr. 172. 746 In diese Richtung geht etwa Wach, Grundfragen, S. 33, wenn er die Pflichtwidrigkeit des Richters vor Einführung des § 138 I ZPO vor allem mit der fehlenden Wahrheitspflicht begründet; Otto Meyer, DRZ 34, 203, 205; Rietzsch, DStR 34, 9, 19; Goedel, JW 37, 1760, 1761, die ausdrücklich so argumentieren. 747 Zum Beispiel Erik Wolf, JW 38, 1921; Vogels, S. 16. 748 Ebenso wie etwa Wach, Grundfragen, S. 33 als ihm folgender Autor.

158

1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

des § 138 I ZPO hängt damit eng zusammen, auch sind Rückschlüsse daraus auf die Haltung zur alten Rechtsprechung möglich. Auf eine Trennung zwischen der Zeit vor und nach 1933 wurde verzichtet. Die Beurteilung der Relevanz der neu geschaffenen Wahrheitspflicht für die Betrugsstrafbarkeit durch die einzelnen Autoren wurde bereits oben in der Analyse der reichsgerichtliehen Rechtsprechung angeführt. In der Literatur gab es Stimmen, die der alten Ansicht des Reichsgerichtes zuneigten und seine Argumentation guthießen. Insoweit ist sie von wenig Interesse. Den Autoren, die die Schwäche der reichsgerichtliehen Argumentation offenlegten und als Konsequenz eine mehr oder minder umfassende Betrugsstrafbarkeit der unredlichen Partei im Zivilprozeß forderten, kommt das Verdienst zu, einer Lösung auf dem Boden der heutigen Dogmatik- ausgehend von der Äquivalenzkausalität - den Weg geebnet zu haben. Die Unvereinbarkeit der reichsgerichtliehen Argumentation mit der allgemein anerkannten Äquivalenztheorie lag allerdings offen zutage, so daß ein Erkenntnisgewinn aus ihrer bloßen Aufdeckung nicht zu erwarten ist. Von Interesse für die Problematik aus heutiger Sicht sind vor allem jene Äußerungen, die Zweifel an der Betrugsstrafbarkeit hatten - unabhängig davon, ob diese im Ergebnis durchschlugen - und dies auf anderem Wege zu begründen versuchten als das Reichsgericht. In dieser Gruppe lassen sich wiederkehrende Argumentationsstrukturen herausarbeiten, die dann auf ihre Einordenbarkeit in heutige dogmatische Begriffe untersucht werden können. Aus dieser Analyse wird sich im 2. Teil der Standort solcher Fragen in der Lösung der hier interessierenden Fallgruppen aus heutiger Sicht ergeben. Inhaltlich werden diese historischen Ansatzpunkte bei der Lösung selbst im 3. Teil Bedeutung erlangen. Innerhalb der einzelnen Gruppen sollen gleichgerichtete Äußerungen chronologisch wiedergegeben werden, ansonsten ist aber die Darstellung nach den Hauptvertretern der jeweiligen Ansicht beziehungsweise nach argumentativen Zusammenhängen und Beriihrungspunkten geordnet. 749

749 Ausgeschlossen ist dabei eine ausführliche Wiedergabe aller Äußerungen aus diesem Bereich in allen Verästelungen und zivilprozessualen Differenzierungen der gezogenen Konsequenzen. Es ist im Verlaufe des Jahrzehnte währenden Streites um die besondere Behandlung des Prozeßbetruges eine kaum überschaubare Vielzahl von Veröffentlichungen erschienen, nicht zuletzt auch Dissertationen, die kaum Eingang in die übrige Literatur gefunden haben und nicht leicht zugänglich sind. Erfaßt werden sollen daher vor allem solche Ansichten, die in den gängigen einschlägigen Darstellungen aufgegriffen und besprochen wurden. Dabei muß sich die Wiedergabe auf den jeweiligen Ansatzpunkt beschränken, der den Zweifeln an der Betrugsstrafbarkeit zugrundelag. Aus den so gewonnenen dogmatischen Ansatzpunkten soll die moderne Lösung entwickelt und gegenwärtige Ansichten überprüft werden. Die historischen Ergebnisse für einzelne Fallgruppen, die auf einer anderen dogmatischen Grundlage beziehungsweise auf einer ganz fehlenden dogmatischen Verankerung beruhen, sind dafür von geringerem Interesse.

6. Abschn.: Die Literatur zum Prozeßbetrug von 1871 bis 1945

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A. Autoren, die dem Reichsgericht in seiner alten Rechtsprechung folgten Hierher gehört etwa Michel, der die Grundlagen der reichsgerichtliehen Argumentation an sich gutheißt, also davon ausgeht, daß der Richter Unbewiesenes normalerweise nicht glaubt. Er vermeidet allerdings die Unstimmigkeiten im Kausalitätsbereich, die beim Reichsgericht entstehen, wenn es die Pflichtwidrigkeit des Richters als kausalitätsunterbrechend ansieht. Michel erkennt die Kausalität in den Ausnahmefallen an, in denen der Richter Unbewiesenes glaubt, und löst sie im Rahmen des Vorsatzes. Er behauptet, die Partei werde an diese Möglichkeit in der Regel nicht gedacht haben. Strafbarkeit tritt also nur ein, wenn die Partei diesen Verlauf (ausnahmsweise) in ihren Vorsatz aufgenommen hatte. 75° Ferner verfeinert er die reichsgerichtliche Argumentation: Der Richter könne unter Umständen ohne Pflichtverletzung aus zugestandenen oder ihrerseits bewiesenen Behauptungen auf die Wahrheit einer unbewiesenen schließen. 751 In einer Hinsicht geht er sogar über die Ansicht der Rechtsprechung hinaus. Er will auch den "simulierten Prozeß" für straflos halten. 752 Dies allerdings offenbar in Verkennung der reichsgerichtliehen Ansicht, daß die Tauschung über das Rechtsschutzbedürfnis entscheidend sei (und nicht die über die anspruchsbegrundenden Tatsachen), das im Gegensatz zu jenen nicht für den Richter bindend zugestanden werden kann. Festgehalten werden kann insofern, daß Michel eine Lösung unter anderem im Bereich der subjektiven Zurechnung sucht, daß also offenbar ein Zurechnungsproblem im weitesten Sinne vorliegt. Heute werden viele Aspekte, die man seinerzeit der subjektiven Zurechnung zugeschlagen hat, schon in der objektiven Zurechnung erlaßt, so daß sich diese als Träger einer modernen Lösung schon hier grundsätzlich anbietet. 753 Görres verfolgt eine Argumentation, die der des Reichsgerichtes nahezu entspricht: Nach ihm kann auf den Vorstellungsinhalt des Richters erst eingewirkt werden, wenn Beweis angeboten wird.754 Die einzige Abweichung besteht also darin, daß das Reichsgericht die Beweiserhebung erfordert, Görres aber das Beweisangebot genügen läßt. Oben wurde bereits ausgeführt, daß das Reichsgericht zum Teil in diesem Sinne mißverstanden wurde. Auch Görres unterliegt offenbar 750 Michel, S. 16 ff., namentlich 17 und 37-41. Inwieweit dies haltbar ist, sei dahingestellt, zum damit angeschnittenen Streit um die objektive oder subjektive Bestimmung des Beginns der Ausführungshandlung und damit des Versuches und zu Reaktionen in der späteren Literatur vgl. Ganske, S. 14 f. 751 Michel, S. 18 FN 1. 752 Michel, S. 23 und 37 a.E. 753 Vgl. dazu näher unter C. 754 Görres, ZZP 34 (1905), 1, 49; vgl. auch Görres, Recht 02, 40, wo er die reichsgerichtliehe Rechtsprechung zustimmend wiedergibt.

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

diesem lntum, wenn er seine Meinung im Einklang mit der alten Rechtsprechung des Reichsgerichtes wähnt. 755 Er lehnt übrigens die Argumentation des Reichsgerichtes, die auf der grundsätzlichen Annahme einer Pflichtwidrigkeit des Richters basiert, ab756 und begründet seine Übereinstimmung mit den Ergebnissen der alten Rechtsprechung allein mit dem oben genannten Argument. Damit ist er wohl nah an Keuneckes Vorgehensweise, der ebenfalls glaubt, die Ergebnisse des Reichsgerichtes ohne dessen argumentative Schwächen halten zu können.757 Bezüglich der Verfahren (vor allem Säumnisverfahren und Mahnverfahren), in denen das Reichsgericht die Kausalität zwischen Irrtum und Verfügung verneint, folgt er ihm nicht. Er will im Richter keinen Automaten sehen, dieser müsse vielmehr unsittliche und perplexe Tatsachen auch hier ausscheiden. 758 (Die Bedeutung der zivilverfahrensrechtlichen Position des Richters wird bis heute in den strafrechtlichen Stellungnahmen zum Prozeßbetrug nicht hinreichend gewürdigt. Darauf wird im 3. Teil einzugehen sein.) Pagenstecher gibt eine der alten Rechtsprechung zugehörige Entscheidung ebenfalls mit zustimmender Bemerkung wieder. 759 Auch Jellinek referiert die alten Entscheidungen des Reichsgerichtes ohne Kritik. Er will lediglich im Gegensatz zum Reichsgericht die ausnahmsweise Möglichkeit festhalten, daß eine zulässige Überzeugungsbildung ohne Beweiserhebung erfolgt. 760 Auch Wach stimmt der alten Rechtsprechung des Reichsgerichtes zu. Er vollzieht dessen grundsätzlich eine allein für die Verfügung kausale Pflichtwidrigkeit des Richters unterstellende Argumentation nach. 761 Cleric stellt sich ebenfalls zustimmend zu den Ergebnissen der alten Rechtsprechung einschließlich der mangelnden Relevanz des einfachen Vorbringens für den Richter. Wobei seine Argumentation etwas anders akzentuiert ist, weil er "Treu und Glauben" als Schutzgut des Betruges betrachtet. 762 Rosenberg gibt indirekt zu erkennen, daß er die alte Argumentation des Reichsgerichtes gutheißt. Nach Einführung des§ 138 I ZPO meint er, an der Natur des Parteivorbringens als Behauptung, die der Richter nicht ungeprüft seinem Urteil zugrundelegen dürfe, ändere sich dadurch nichts. 763 Dasselbe gilt für Benkendorff, der- mit Einschränkungenebenso argumentiert. 764

755 756 757 758 759 760

761 762 763 764

Görres, ZZP 34 (1905), 1, 50. Görres, ZZP 34 (1905), 1, 51 f. Zu Keunecke siehe sogleich unten. Görres, ZZP 34 (1905), 1, 51. Pagenstecher, S. 355 FN 840. Jellinek, S. 140 f. Wach, Grundfragen, S. 33. Cleric, SchweizJZ 11 (1914), 141, 144 ff. Rosenberg, ZZP 58 (1934), 283, 292. Benkendorff, JW 33, 2818 und DRZ 34, 205,206.

6. Abschn.: Die Literatur zum Prozeßbetrug von 1871 bis 1945

161

Zu diesem Abschnitt ist im Ansatz auch Keunecke zu zählen, der die alte reichsgerichtliche Rechtsprechung - zumindest unter den vom Reichsgericht zugrundegelegten Voraussetzungen - für richtig hält. 765 Seine umfassende Argumentation, die sich häufig wiederholt und sehr unübersichtlich gestaltet ist, läßt sich hier nicht wiedergeben. Sie bringt auch keine im interessierenden Sinne verwertbaren Gesichtspunkte. Soweit seine Arbeit Äußerungen über die hier zu behandelnden Fragen enthält, ist sie an der jeweiligen Stelle angeführt. Festgehalten werden kann, daß seine Darlegungen im wesentlichen auf einer Abweichung von der üblichen Auffassung beruhen: Er geht davon aus, daß der Richter, der an das Parteivorbringen (etwa im formalen Verfahren) gebunden ist oder sich (in sonstigen Verfahren) irrtümlich (pflichtwidrig) daran gebunden hält, nie einem Irrtum unterliegen könne/66 ebensowenig wie bei einer Entscheidung nach Beweislastregeln (non liquet). 767 Er will also nicht die Pflichtwidrigkeit des Richters kausalitätsunterbrechend wirken lassen. Vielmehr argumentiert er für den Fall des einfachen Vorbringens im kontradiktorischen Verfahren folgendermaßen: Wenn kein Richter Unbewiesenes glaube, könne er eben auch nicht dadurch getäuscht werden, so daß ein Irrtum fehlen müsse. 768 Abhilfe im Sinne der von ihm im Ergebnis gebilligten neuen Rechtsprechung scheint ihm durch eine abweichende Fassung des Irrtumsbegriffes möglich. 769 Seine Kritik an vielen prominenten Stimmen der Literatur, sie hätten die alte Rechtsprechung mißverstanden und behauptet, das Reichsgericht habe die Kausalität zwischen Irrtum und Verfügung auch beim kontradiktorischen Verfahren als fehlend und damit entscheidend für die Straflosigkeit angesehen, ist wohl im behaupteten Umfang nicht zutreffend. 770 In der Lehrbuchliteratur waren mit der alten Rechtsprechung offenbar einverstanden: Hälschner, der das Vorbringen nicht, Beweismittel aber wohl für geeignet hält, den Richter in einen Irrtum zu versetzen; 771 Merket, auf dessen früher geäußerten Gedanken die Rechtsprechung nicht zuletzt beruhte;772 Wachenfeld, der diese als allgemeine Meinung angibt, die sich mit seiner Sonderposition, nach der Manipulationen, aus denen sich der Schein der Wahrheit der Behauptung ergeben Keunecke, S. 58 und 162 f. Vgl. oben in den Fußnoten zur Rechtsprechung des Reichsgerichtes zum kontradiktorischen und zum formellen Verfahren und bei Keunecke etwaS. 52 ff. und 63, 64 f. mit FN 193 und S. 75. 767 Zum Beispiel Keunecke, S. 58 f., 87 und 130 f. 768 Am deutlichsten Keunecke, S. 68 f. vor allem mit FN 204 und S. 71, 87 f. sowie S. 103. Nach seiner Konstruktion ist die die neue Rechtsprechung eröffnende Entscheidung RG JW 36, 196 Nr. 19 noch eine Fortsetzung der alten Rechtsprechung (vgl. Keunecke, S. 81 ff.). Er faßt seine genannte Argumentation zusanJmen aufS. 120 f. 769 Zum Ergebnis seiner Erwägungen zum Irrtumsbegriff vgl. S. 145 nach § 2 a.E. und auch S. 162 f. 770 Keunecke, S. 63 ff., 70 ff. 771 Hälschner, S. 267 f. § 71. 772 Merke I, LB, S. 328 unter b ). 765

766

II Jänicke

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

soll, zum Betrug erforderlich sind, begründen läßt; 773 Liszt, der die Rechtsprechung inhaltlich wiedergibt, ohne eine abweichende Meinung zu formulieren; 774 Hippel, der die alte Rechtsprechung kritiklos zitiert; 775 Gerland, der nur diese Rechtsprechung zitiert, ohne sonst auf den Prozeßbetrug einzugehen. 776 Von den Kommentierungen ist jene von Olshausen hervorzuheben, der die Rechtsprechung ohne Bedenken wiedergibt. Seine einzige Einschränkung ist eine etwas stärkere Betonung des § 286 ZPO bei der Beurteilung der Pflichtwidrigkeit des Richters, was ihn aber nicht zur Kritik an einer der reichsgerichtliehen Entscheidungen veranlaßt. 777 Schon Schwarze, der sich 1871 auf eine reichsgerichtliehe Praxis noch nicht stützen konnte, nahm die der alten Rechtsprechung entsprechende Differenzierung in seiner Kommentierung vor.778

B. Autoren, die das Reichsgericht unter Zugrundelegung der Äquivalenztheorie wegen seiner alten Rechtsprechung kritisierten Den Widerspruch der Rechtsprechung des Reichsgerichtes zur Äquivalenztheorie haben zahlreiche Autoren mit unterschiedlichen Schlußfolgerungen aufgedeckt. 779 Zum Teil ging die Kritik auch über die Aufdeckung dieses Widerspruches hinaus, was für die hier interessierende Problematik zunächst weniger interessant zu sein scheint. Da diese Kritik sich jedoch auf dem Boden der Äquivalenztheorie bewegt, ist sie für eine Lösung aus heutiger Sicht doch insofern von Belang, als sie die Bandbreite der denkbaren Ansichten und Argumente andeutet. Sie soll daher kurz angerissen werden. Nur der Kuriosität halber sei Eckstein erwähnt, dem die Unvereinbarkeit der reichsgerichtliehen Argumentation mit der Äquivalenztheorie nicht genügt. Er argumentiert vielmehr umgekehrt: Die Pflichtwidrigkeit des Richters werde gar nicht kausal, da sie nicht Ursache, sondern nur "Voraussetzung" für das Wirken der eiWachenfeld, S. 408 mit FN 4, S. 406. Liszt, 20. Aufl., S. 481 mit FN 10; 23. Aufl., S. 491 mit FN 11; 25. Aufl. S. 672 mit FN 15. m Hippe/, AT, S. 472 FN 3; Hippe/, S. 258 FN 4. 776 Gerland, S. 636 FN 3. 777 Olshausen, S. 1405 ff. unter Nr. 40 A. und B. 778 Schwarze, S. 585. 779 Rommel, S. 55 ff., 59 f.; Binding, LB 1, S. 350 mit FN 2; Philipsborn, FS Liszt, S. 188, 197 ff.; Wurzer, ZZP 48 (1920), 463, 500 ff.; Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 142 f.; Ganske, S. 12, 46; Rietzsch, DStR 43, 9, 19; Otto Meyer, DRZ 34, 203 f.; Weh, JW 35, 956, 957; Goedel, JW 37, 1760; Welzel, S. 19 f.; Grünhut, SchweizZStR 51 (1937), 43, 68; Düringer, S. 85; Schaffstein, JW 38, 1386; Erik Wolf, JW 38, 1921; Fr. Scheffler, DStR 39, 204 f.; Schönwiese, S. 66; vgl. auch Cleric, SchweizJZ 11 (1914), 141 f.; Knoller, S. 76 f.; Kojjka, ZStW 54 (1935), 45, 52; wohl auch Hugo Meyer, LB, S. 583. 773

774

6. Abschn.: Die Literatur zum Prozeßbetrug von 1871 bis 1945

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gentliehen Ursache- des Parteivorbringens- sei.780 Von "Ursache" will er nur reden, wenn der betreffende Umstand "für sich den Erfolg herbeiführen kann."781 Dies ist nun seinerseits mit der Äquivalenztheorie mit ihrem Postulat der Gleichwertigkeit der Bedingungen unvereinbar. Es geht gegebenenfalls in die Richtung der oben schon einmal angedeuteten Theorie von der wirksamsten Bedingung. Wurzer will etwa auch die Kausalitätsargumentation des Reichsgerichtes im Mahn- und Versäumnisverfahren nicht anerkennen, die auf den Ursachenzusammenhang zwischen Irrtum und Verfügung abstellt: Weil der Richter die vorgetragenen Tatsachen auf Schlüssigkeit zu priifen habe, müsse er sie auch für wahr halten, so daß er irre und dies kausal für die Entscheidung werde. 782

Dies verkennt indes die Argumentation des Reichsgerichtes. Der Richter kann die vorgebrachten Tatsachen wohl auf ihre Schlüssigkeit hinsichtlich des Anspruches priifen, ohne sich Vorstellungen über ihre Wahrheit zu machen. Auch wenn er sie glaubt, also irrt, ist dies aber nach dem Reichsgericht nicht kausal für seine Entscheidung. Denn er hätte ebenso entscheiden müssen, wenn er sie nicht geglaubt hätte. Das Argument Wurzers, daß er bei Vortrag von Tatsachen, die den Anspruch hindern, hemmen oder vernichten, anders entschieden hätte und daher der Irrtum kausal geworden sei,783 verkennt diese Logik des Reichsgerichtes. Der Richter hätte dann anders entschieden, weil es an der Schlüssigkeit gefehlt hätte, in beiden Fällen hätte er aber nicht wegen seiner Vorstellung über Wahrheit oder Vollständigkeit der Angaben entschieden, sondern jeweils nur unter Zugrundelegung der eben vorhandenen Angaben. Hierher gehört auch der von der sonst üblichen Konstruktion abweichende Gedanke Wurzers, eine zu Unrecht leugnende Partei begehe jedenfalls Betrug, weil sie die Beweisbedürftigkeit der Tatsache vorspiegele und damit beim Gegner eine Pflicht zur Leistung von Gebühren und Auslagenvorschüssen verursache. 784 Ob durch falsche Angaben zur Sache vermiedene oder verursachte Kosten tatsächlich geeignet sind, eine Betrugsstrafbarkeit auszulösen, wird im 3. Teil ebenfalls aus heutiger dogmatischer Sicht zu beurteilen sein. Koffka, die sich nach der Einführung des § 138 I ZPO äußert und die- wie angedeutet - grundsätzlich von der Äquivalenztheorie aus zu einer weiteren Betrugsstrafbarkeit kommt, differenziert sorgfältig. So gesteht sie in genauerer Betrachtung des prozessualen Ablaufes zu, daß das Vorbringen einer Partei vor der Äußerung des Gegners tatsächlich beim Richter keinen Irrtum hervorrufen könne, da er dies (noch) nicht zu priifen habe. Erst ein Beharren nach dem Bestreiten durch den Eckstein, GS 78 (1911), 137, 145 f. Eckstein, GS 78 (1911), 137, 145. Mit seinen Ausführungen aufS. 148, wo er mehrere Ursachen als möglich anerkennt und für deren Gleichwertigkeit eintritt, ist dies wohl nicht vereinbar. Zumindest ist seine Differenzierung nicht recht nachvollziehbar. 782 Wurzer. ZZP 48 (1920), 463, 493 ff. 783 Wurzer. ZZP 48 (1920), 463, 494 f. 784 Wurzer. ZZP 48 (1920), 463, 503. 780 781

11 *

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Gegner führe zur Prüfungspflicht, dies sei dann in jedem Falle kausal. 785 Auch versteht sie die Verhandlungsmaxime so, daß das Einklagen einer einredebehafteten Forderung kein Betrug sei, da der Richter sich über die Einrede vor dem entsprechenden Vortrag des Gegners keine Gedanken zu machen habe.786 Anders beim unredlichen Bestreiten einer Einwendung, dies sei wegen § 138 I ZPO als Wahrheitsbehauptung anzusehen. 787 Auch bei richterlicher Entscheidung aufgrund summarischer Priifung einseitigen Vortrages soll § 138 I ZPO dazu führen, daß jedes falsche Vorbringen die Betrugsstrafbarkeit auslöst. 788 Auch hier deutet sich schon an, daß die zivilprozeßrechtliche Position des Richters im jeweiligen Verfahren Bedeutung für die Lösung der Fallgruppen hat. Dies wird im 3. Teil jeweils näher anzusprechen sein.

C. Autoren, die andere gegen die Betrugsstrafbarkeit verwendbare Gründe als das Reichsgericht hervorbrachten Nicht hier aufgeführt sind solche Autoren, die die alte Rechtsprechung im Grunde gutheißen und lediglich geringfügige Modifikationen in der Argumentation des Reichsgerichtes anbringen. Sie wurden oben als Anhänger dieser Rechtsprechung erfaßt. Wohl hierher kann man aber schon diejenigen zählen, die diese Rechtsprechung zwar im Ergebnis stützen, aber nicht wie das Reichsgericht die Lösung in der (objektiven) Kausalität suchen, sondern den Vorsatz als Korrektiv heranziehen. Sie sagen etwa, es komme darauf an, ob die unredliche Partei sich vorgestellt habe, der Richter werde (gegebenenfalls pflichtwidrig) dem unbewiesenen Vorbringen glauben, oder nicht. 789 Aus dieser Argumentation läßt sich aber, wie oben bei Michel schon angesprochen, ein zutreffender Ansatz entnehmen, namentlich daß es sich um Zurechnungsfragen handelt. Daß die subjektive Zurechnung herangezogen wurde, liegt daran, daß die objektive ihren Platz in der Strafrechtsdogmatik noch nicht gefunden hatte. Nach moderner Dogmatik wären also derartige Gedanken unter Umständen im Rahmen der objektiven Zurechnung einzuordnen (etwa unter dem Aspekt des atypischen Kausalverlaufes). Auch daß es sich um die Teilung von Verantwortung Koffka, ZStW 54 (1935), 45, 53 f. und 56. Koffka, ZStW 54 (1935), 45, 55. 787 Koffka, ZStW 54 (1935), 45, 56. 788 Koffka, ZStW 54 (1935), 45, 57. 789 Zum Beispiel R. Frank, S. 593 f.; Schönwiese, S. 74 ff., vor allem 80 f. sowie 105 ff. (für die Glaubhaftmachung). Auch Michel benutzt diese Wendung. Allerdings beschränkt er sie dadurch stark, daß er die Pflichtwidrigkeit des Richters, also diesen Verlauf schlechthin als sehr unwahrscheinlich darstellt und damit näher an der Argumentation des Reichsgerichtes liegt als an einer umfassenden subjektiven Differenzierung. Er wurde daher oben unter A. erfaßt. 785 786

6. Abschn.: Die Literatur zum Prozeßbetrug von 1871 bis 1945

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zwischen Tauschendem und Richter handelt, klingt damit schon an. Es scheinen sich also die oben bei der Rechtsprechungsanalyse gewonnenen Ansatzpunkte auch bei der Auswertung der Literatur wiederzufinden. Ob sich dieser Eindruck bestätigt und welche Zurechnungstopoi in Betracht kommen könnten, soll die nachfolgende Auswertung der verschiedenen in der Literatur geäußerten Ansätze ergeben. I. Parteivortrag als Willenserklärung Nur eine Ansicht konnte tatsächlich ein Tatbestandsmerkmal des Betruges ablehnen, nämlich die Tauschungshandlung. Es handelte sich um eine zivilprozessuale Argumentation: Mangels Wahrheitspflicht habe die Erklärung der Partei nur den Charakter einer Willenserklärung, den vorgebrachten Stoff zum Verfahrensgegenstand zu machen, sie sei aber keine Wissenserklärung. 790 Das Reichsgericht hat sie sich indes nie zu eigen gemacht, wie oben in der Darstellung der Rechtsprechungsentwicklung belegt werden konnte, ebensowenig die überwiegende Meinung in der Literatur. Für diese Ansicht konnte die Einführung der Wahrheitspflicht tatsächlich entscheidende Bedeutung erlangen. Anerkennt die Zivilprozeßordnung eine solche Wahrheitspflicht, fallen ihre Argumente weg.791 Dann liegt eine "Wissenserklärung" (zumindest auch) vor. Allerdings war diese Schlußfolgerung nicht zwingend. Jonas hielt an seiner Charakterisierung als bloße Willenserklärung fest. 792 Festgehalten werden kann von dieser besonderen Ansicht nur, daß es sich um die Auswirkungen von öffentlich-rechtlichen Normen - der Ausgestaltung der ZPO - auf das Strafrecht handelt, was ebenfalls schon als Ergebnis der Rechtsprechungsanalyse dargelegt wurde. Der Einfluß des öffentlichen Rechtes wird es auch sein, der die folgenden konkreteren Ansätze und die moderne Lösung trägt. 790 Zu diesem Streit vgl. schon oben bei der Rechtsprechungsanalyse im 4. Abschnitt unter A.I. Im Überblick: Welzel, S. 21 f. ; Brinkmann, S. 71 f. und 87; Keunecke, S. 95 ff., der im Ergebnis davon ausgeht, das Vorbringen sei zugleich Wissens- und Willenserklärung; zur Verbindung mit dem Streit um den Prozeßbetrug vgl. Stein, ZZP 41 (1911), 417, 422 f., der aus dem Umstand, daß die Partei den Willen äußert, die vorgetragenen Tatsachen mögen zum Verfahrensgegenstand werden, schließt, daß keine Betrugshandlungen vorlägen; Rietzsch, DStR 34, 9, 13 ff. und F. Brüggemann, S. 34 f., die aus§ 138 I ZPO schließen, es läge nun in jedem Falle eine Wissenserklärung vor, der der Richer glauben dürfe, Betrug sei also möglich; interessant Jonas, ZPO, vor § 128 Nr. IV. 3. a), der den Zusammenhang mit dem Betrug ebenfalls herstellt und nach Einführung des § 138 I ZPO an der Charakterisierung als Willenserklärung festhält, aber dennoch Betrug für möglich hält, was er über die subjektive Wahrhaftigkeit konstruiert. 791 Vgl. etwa LK(lO. Aufl.)-Lackner, § 263 Rnr 307 a.E., wo er erklärt, "spätestens mit der Einführung der Wahrheitspflicht nach § 138 I ZPO" entbehre die Betrachtung der Parteieinlassung als (bloße) Willenserklärung jeder Grundlage; siehe auch Welzel, S. 21 f. 792 Vgl. Jonas, ZPO, vor§ 128 Nr. IV. 3. a).

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

II. Die richterliche Entscheidungstindung als unkontrollierbarer Akt

Es gab eine Argumentationslinie, die darauf abstellte, daß der Entscheidungsakt eines Richters und die ihn bestimmenden Faktoren sich einer einfachen Kausalitätsbetrachtung entzögen. Ihr Hauptvertreter ist Kahler, der von unkontrollierbaren "Intellectual-Functionen" spricht, auf denen die Entscheidung beruhe. Im Rahmen der auf dem Gesamteindruck beruhenden freien Beweiswürdigung scheide eine mathematische Zurückführung auf einzelne Behauptungen oder Beweismittel aus. 793 Er verwurzelt diese Ansicht offenbar darin, daß ein öffentlich-rechtlicher Einfluß besteht, was seine Äußerungen besonders für die hier interessierenden Konstellationen einschlägig erscheinen läßt. Der Bezug auf das öffentliche Recht wird darin deutlich, daß er eingangs die besonderen Mittel des Richters aufführt, die diesem zur Erforschung der Wahrheit im Gegensatz zu einem Privaten zur Verfugung stehen. Denselben Ansatz wählt er zuvor, als er den Betrugstatbestand im Verhältnis zum Staat für unanwendbar erklärt.794 An anderer Stelle spricht Kahler gar vom "Heiligtum der die Überzeugung bildenden Tätigkeit", in das niemand eindringen dürfe. 795 Er spricht davon im Zusammenhang mit der Frage der Rechtsbeugung und beschwört die Gefahren, die entstünden, wenn die richterliche Überzeugungsbildung in zu großem Umfange staatsanwaltschaftliehen Überprüfungen unterworfen würde. Damit stellt er eine Verbindung seiner Bedenken mit den unten angesprochenen, die Wahrung der Rechtskraft betreffenden her.796 Ähnlich wie Kahler sagt Brückmann, es gebe stets "unbeschriebene und unbeschreibliche Bestimmungs- und Anschauungsgründe", die in einer nachträglichen Beurteilung nicht nachvollziehbar seien.797 Auf einer solchen Linie liegt ansatzweise auch Wurzer, auch wenn er dem im Ergebnis keine betrugsstrafbarkeitshindernde Relevanz beimißt Er hält bei der freien Beweiswürdigung "Empfindungen, die noch unter der Schwelle des Bewußtseins ruhen", für bedeutsam. 798 Auch Grünhut ist dieser Gedanke nicht fremd, wiewohl er ihn letztlich nicht für durchschlagend hält. Er spricht davon, daß die freie Beweiswürdigung ein intuitives Bewerten, eine einheitliche Zusammenschau mannigfacher bewußter und unbewußter Wahrnehmungen verlange. 799 Cleric argumentiert ebenfalls in diese Richtung, hebt aber lediglich praktische Beweisschwierigkeiten hervor. 800 793 794

Kohler, S. 51. Kohler, S. 47.

Kohler, DJZ 04, 613, 614 f. Vgl. in diesem Abschnitt unter VIII. 797 Brückmann, JW 04, 83, 84. 798 Wurzer, ZZP 48 (1920), 463,499 f.: "( ... )in dem Grunde der Seele, wo die verschlungenen Wurzeln aller Gefühle und Gedanken sich bergen ( ... )". 799 Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 143. 800 Cleric, SchweizJZ 11 (1914), 141, 144. 795

796

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Aus heutiger Sicht, auf dem Boden der Äquivalenzkausalität, wird ein Hindernis für den Ursachenzusammenhang aus diesen Argumenten nicht zu konstruieren sein. Eine mathematische Zurückführung auf bestimmte Ereignisse ist gar nicht erforderlich. Es genügt, daß feststeht, daß das Vorbringen mitursächlich für die Entscheidung geworden ist. 801 Etwaige Beweisprobleme ändern an der dogmatisch möglichen Kausalität nichts. Die genannten Äußerungen zielen indes offenkundig auf die Verteilung von Verantwortungsbereichen, mithin auf Aspekte der objektiven Zurechnung, namentlich auf den Topos der Eigenverantwortlichkeit beziehungsweise der eigenverantwortlichen Selbstgefahrdung. Die richterliche Entscheidung stellt sich durch den öffentlich-rechtlichen Einschlag, die zivilverfahrensrechtliche Befugnis des Richters zur freien Beweiswürdigung, als autonomer (öffentlich-rechtlicher) Akt dar, der einer Beurteilung nach dem Betrugstatbestand nicht zugänglich ist. 802 Daß sich eine Einordnung auf der Zurechnungsstufe zwischen Irrtum und Verfügung anbietet, wird noch deutlicher durch eine eher beiläufige Bemerkung Kohlers: Es handele sich gar nicht um eine Willenserregung, sondern eben um die reine "lntellectualerregung", die oben angesprochen wurde.803 Dies deutet direkt auf das Tatbestandsmerkmal Verfügung, an dem selbst es fehlen könnte. Diese Konsequenz zieht tatsächlich Ramm: Die rechtliche Beurteilung der Lage durch den Richter sei gar kein Willensakt, mithin keine Verfügung, sondern eben nur ein falsches Urteil, wie das eines Privaten über einen Dritten. 804 Das Abstellen auf die Mittel des Richters als Abgrenzungskriterium und die Unterscheidung danach, ob vermögensrechtliche Interessen des Staates oder Privater betroffen sind, deutet im übrigen auf eine Scheidelinie, die in der Lösung der hier interessierenden Konstellationen mit modernen dogmatischen Mitteln ebenfalls eine Rolle spielen könnte: Dem Richter beziehungsweise dem am Verfahren interessierten Staat wird eher unter der Herrschaft der Inquisitionsmaxime als unter der den Zivilprozeß beherrschenden Dispositionsmaxime die alleinige Verantwortung für das Ergebnis im Sinne der objektiven Zurechnung des Verfügungserfolges angelastet werden können. Dieses Ergebnis und die Differenzierung nach den Verfahrensgrundsätzen deutet bereits Michel in seiner Besprechung der von Kohler entwickelten Argumente an. 805 Ferner wird eine solche Zurechnung allein an den Ge801

59.

So bereits Michel, S. 13; Ganske S. 6; Lenckner, S. 83; Schönwiese, S. 56 ff., vor allem

802 Nur angedeutet werden soll hier die auf dieser Linie noch weitergehende Ansicht, nach der Hoheitsakte generell keine Straftatbestände verwirklichen können, vielmehr auf einem ganz eigenen "Achsensystem" beruhen et cetera. Derartige Äußerungen faßt Knaller, S. 7 f. zusammen. Sie beziehen sich weniger auf den Prozeßbetrug als auf solche Fälle, in denen der Richter von einem mittelbaren Täter als Werkzeug zur Freiheitsberaubung et cetera mißbraucht wird (vgl. dazu im 3. Teil bei der Subsumtion aus heutiger Sicht). 803 Kahler, S. 51. 804 Hamm, DJZ 1908, Sp. 1020, 1021 (vgl. dazu sogleich unten). 805 Michel, S. 12.

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

schädigten eher in dem im Interesse des Staates stattfindenden Strafverfahren als in einem Zivilverfahren möglich sein, in dem sich gleichgeordnete Privatrechtssubjekte gegenüberstehen. 111. Das durch unredliches Parteiverhalten verletzte Gut

Eine weitere Gruppe von Autoren stützte sich vor allem auf die Betrachtung des durch die unredliche Parteihandlung beeinträchtigten Rechtsgutes. Dabei läßt sich - unabhängig von den daraus im einzelnen gezogenen Schlußfolgerungen - ein gemeinsames Ergebnis feststellen: Die Partei mißbraucht durch ihr unwahres Vorbringen die Rechtspflegeeinrichtung, die der Staat zu ihrem Schutz geschaffen hat. Es handelt sich also zumindest auch - nach Ansicht einiger Autoren ausschließlich oder vorwiegend - um einen Angriff gegen den Staat. 806 Binding formuliert das sehr drastisch: Er sieht in dem Verhalten "zunächst ein schamloses Attentat gegen die Rechtspflegegewalt", das er einem eigenen Tatbestand im Rahmen der Prozeßverbrechen unterstellt sehen wi11. 807 Ganske schließt sich ihm hinsichtlich der Charakterisierung als "schamlos" an. 808 In ganz anderem Zusammenhang erkennt auch Wach an, daß die Organe des Staates durch "frivoles Streiten der Parteien gemißbraucht" würden. 809 Auch Trutter, der das unredliche Parteiverhalten in einer Äußerung im Streit um die Existenz einer Wahrheitspflicht anspricht, sieht in ihm einen Mißbrauch der rechtlichen Institution des Prozesses beziehungsweise einen unverschämten Mißbrauch des Dispositionsrechtes. 810 Allerdings erst in zweiter Linie, in erster sieht er das Verhältnis der Parteien betroffen.8ll In diese Richtung tendieren auch Äußerungen von Görres. Er befürwortet eine Verschärfung der Parteipflichten deshalb, weil deren Behauptung "in der öffentlichen Basilika des Justizpalastes erschallt", mithin "innerhalb der Schranken der öffentlichen Gewalt des Gerichtes". 812 Ähnlich meint Schön wiese, der Mißbrauch staatlicher Einrichtungen lasse die Tat als "besonders frivol" erscheinen813 . Auch Goldschmidt geht in diese Richtung, wenn er von ,justizpolizeilichen Pflichten" staatsrechtlicher Natur spricht. 814

806 Mit derartiger Formulierung etwa Wurzer, ZZP 48 (1920), 463, 483 und 504, wo er es als Argument im Streit um die Betrugsstrafbarkeit einsetzt. 807 Binding, DJZ 1909, Sp. 161, 165 f. 808 Ganske, S. 64. 809 810

811 812 813 814

Wach, Grünhuts ZS 6 (1879), 515, 548; ähnlich Fürst, JW 13, 825, 827. Trutter, S. 77. Trutter, S. 61 f. Görres, ZZP 34 (1905), 1, 39 und 40. Schönwiese, S. 60. Goldschmidt, S. 130 f.

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Unter nationalsozialistischen Vorzeichen- es ging um die im 3. Reich geplanten Strafrechtsänderungen, das "kommende deutsche Strafrecht" - erwägt Dahm die Herausnahme des unredlichen Parteiverhaltens aus dem Betrugskomplex durch Schaffung eines eigenen Tatbestandes. Er sah das Wesen dieser Handlungen darin, daß der Täter Recht und Staat für seine Zwecke mißbrauche. 815 Auch Erik Wolf sieht den "maßgeblichen" Unrechtsgehalt der unredlichen Parteihandlung im "Mißbrauch der Rechtspflegeorgane", weshalb er auch einen neuen Tatbestand fordert, der dies zum Ausdruck bringt. 816 Ähnlich Schänke, der zumindest Zweifel anmeldet, ob die richtigere Lösung nicht die Schaffung eines Deliktes wäre, das den Mißbrauch respektive die Nichtachtung des Gerichtes zum Gegenstand hat, 817 sowie Dohna818 • Solche Erwägungen werden von Autoren mit starker nationalsozialistischer Färbung bevorzugt aufgegriffen und übersteigert, was hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt sein soll.819 Daß durchaus unverdächtige Stimmen diese Gedanken seriös behandelten, wurde vorstehend gezeigt. Bezeichnend ist, daß die nationalsozialistischen Autoren daraus Forderungen nach stärkerer strafrechtlicher Ahndung ableiteten, während bei seriöser Betrachtung vor allem die Strafbarkeit aus dem Betrugstatbestand eher bezweifelt wurde. Hier wird die Relevanz des öffentlich-rechtlichen Einschlages besonders deutlich: Es sind öffentliche Interessen berührt, was die Frage aufwirft, ob diese vom Schutzbereich des Betruges überhaupt erlaßt sind. Mit dem Gedanken des Schutzbereiches ist ein zweiter möglicherweise einschlägiger Zurechnungstopos benannt. IV. Die Anwendbarkeit des Betrugstatbestandes bei öffentlich-rechtlichem Einschlag Einige Autoren ziehen direkt aus dem öffentlich-rechtlichen Einschlag Konsequenzen. Sie fragen schon im Grundsatz nach der Anwendbarkeit des Betrugstatbestandes im Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Dies zielt vor allem auf die Fälle, in denen das Verfahren im Interesse des Staates veranstaltet wird, wurde aber 815

Dahm, bei Günner, S. 357; Dahm, bei Gürmer, 2. Aufl., S. 472 f.

816

Erik Wolf, JW 38, 1921, 1923, der zu diesem Zeitpunkt den nationalsozialistischen Ein-

wirkungen auf das Strafrecht noch unkritisch gegenübersteht. Er äußert sich im Hinblick auf das "neue" (nationalsozialistische) StGB und akzeptiert die "Willensstrafrechtsidee" ebenso ohne Kritik (vgl. S. 1921 und 1923) wie die stärker gewordene Betonung des Schutzes der Staatsorgane, auf der letztlich seine hier zitierte Ansicht beruhen dürfte. 817 Schönke, I. Aufl., § 263 V. 6. 818 Dohna, S. 486. 819 Hierher gehört etwa Fr. Schejjler, DStR 39, 204, 205 f., der einen neuen Tatbestand geschaffen sehen will (S. 206, 208), der noch über die vorgesehene "Erschleichung von Amtshandlungen" hinausgehen soll.

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

auch für den Fall der Täuschung im Zivilverfahren angesprochen. Dadurch kommt die Argumentation der unter III. behandelten nahe. Daß dies bei Kohler so ist, wurde oben schon an seiner die Kausalität und die Natur des richterlichen Entscheidungsaktes betreffenden Argumentation gezeigt. Neben diesem - auf den Topos der Eigenverantwortlichkeit zielenden - Aspekt spricht er aber auch einen übergeordneten, den Schutzzweck der Norm betreffenden an, der hier vor allem interessiert: Er betont, der Tatbestand sei auf Verkehrstreibende (man kann hinzufügen: auf dem Boden des Zivilrechtes) und nicht auf das Verhältnis des einzelnen zum Staat zugeschnitten.820 Will man dies nicht als allgemeine teleologische Reduktion verwerten, die erst als letztes Mittel eingreift, wenn im Deliktsaufbau sonst kein Hindernis gegeben ist, so ist die Einordnung wie angedeutet- in der objektiven Zurechnung im Rahmen des Topos "Schutzbereich der Norm" beziehungsweise "Schutzzweckzusammenhang" angezeigt. Daß die einschlägige Zurechnungsstufe diejenige zwischen Intum und Verfügung ist, ergibt sich aus den obigen, auf das Richterverhalten abstellenden Ansichten. Soweit man den Schutzzweck mit dem Vermögensbegriff in Zusammenhang bringen muß, gilt dies ebenfalls. Insoweit sei auf die Ausführungen zum Vermögensverfügungsbegriff verwiesen. Mit dem Schutzzweckzusammenhang ist hier erneut ein zentraler Topos für die Lösung der Fallgruppen unter aktuellen dogmatischen Voraussetzungen angesprochen. V. Das Tatbestandsmerkmal Vermögensverfügung und die dahin führende Zurechnungsstufe Nur wenige Autoren setzen unmittelbar beim Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung an und weisen dadurch direkt auf die Einordnung der angeschnittenen Probleme im Tatbestandsaufbau. Hierher gehört zunächst Hamm mit seiner oben schon angedeuteten Ansicht, bei der Entscheidung des Richters könne es sich nicht um eine Verfügung handeln, weil sie kein Willensakt sei. Vielmehr handele es sich um eine Beurteilung, wie sie auch ein Privater über einen anderen abgeben könne. 821 Diese Ansicht verkennt den offenkundigen Unterschied zwischen dem belanglosen Urteil eines Privaten und der Entscheidung des Richters. Letzterer bewirkt - im Gegensatz zu dem Privaten - durchaus eine vermögensrechtliche Folge. Der von ihm Verurteilte kann gezwungen werden, den Anspruch zu erfüllen. Auch Gestaltungs- und Feststellungsurteilen wohnt eine Macht inne, die ein Privater nicht hat. Es ist also stets eine öffentlich-rechtliche Ermächtigung im Spiele, über die der Private nicht verfügt. 822 Kohler; S. 47. Hamm, DJZ 1908, Sp. 1020, 1021. 822 So schon Ganske, S. 7; Keunecke, S. 8; vgl. auch Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 148; zur zivilprozessualen Beurteilung zum Beispiel Wach, Grünhuts ZS 6 (1879), 515, 536: 820 821

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Ernsthafter zu überprüfen ist die Ansicht Grünhuts, der sich im Ausgangspunkt auf Ramm beruft, bei dem aber gerade das von Ramm verkannte Moment der staatlichen Autorität der richterlichen Entscheidung bedeutsam wird. Auch Grünhut geht zunächst vom Begriff der Vermögensverfügung aus. Ob seine Argumentation tatsächlich zu diesem Tatbestandsmerkmal selbst gehört, sei zunächst dahingestellt, es wird sich im Laufe der Darstellung klären. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, daß Grünhut eine Reihe von Argumenten hervorbringt, die sich letztlich auf Aspekte der objektiven Zurechnung zurückführen lassen. Er knüpft sie aber an andere Tatbestandselemente, weil die Strafrechtsdoktrin jener Zeit den Begriff der objektiven Zurechnung noch nicht verwandte. Man gewinnt den Eindruck, daß Grünhut um einen solchen Ausdruck ringt. Er versucht, mit den ihm zur Verfügung stehenden sprachlichen und dogmatischen Mitteln das zu umschreiben, was sich heute zwanglos der objektiven Zurechnung zuordnen läßt. Daraus erklärt sich wohl auch die Tatsache, daß seine Erwägungen - soweit ersichtlich - in der damaligen Diskussion kaum einmal umfassend wiedergegeben und gewürdigt worden sind. Man beschränkte sich darauf, einzelne Ansatzpunkte herauszugreifen und zu widerlegen. Dies fiel nicht schwer, weil die Anknüpfung seiner Gedanken an andere Tatbestandsmerkmale im einzelnen nicht recht stimmig sein konnte. Es handelte sich um Gedanken, die gerade noch keinen Ort in der Strafrechtsdogmatik gefunden hatten. Sein am häufigsten aufgegriffener und kritisierter Ansatzpunkt ist der bei den Voraussetzungen des Dreiecksbetruges, also bei der Verfügung selbst. In einer frühen Äußerung bezieht sich Grünhut vor allem auf Ramm und verneint die Verfügungsqualität der richterlichen Entscheidung, weil sie keine Willenshandlung sei. 823 Schon im zweiten Teil dieses Satzes kommt aber seine eigentliche Argumentation zur Sprache, die er in dem vorangegangenen Kapitel entwickelt hat und hier zusammenfaßt Nach Grünhut soll es an einer Verfügung im Falle des unredlichen Parteiverhaltens im Zivilprozeß fehlen, weil das Erfordernis der ,,relativen Identität" zwischen Verfügendem und Geschädigtem nicht erfüllt sei. Genauer bezeichnet er die Verfügung und die relative Identität einmal als "verwandte Erfordernisse". Er benutzt sie aber faktisch als ein Tatbestandsmerkmal: Eine Verfügung liege nur vor, wenn der Schaden als eigenes Werk des Getäuschten erscheine. 824 Voraussetzung dafür soll nach Grünhut das Vorliegen eines Vertre,,Die ( .. . ) Leistungspflicht des Beklagten wird zum Inhalt eines speciellen Imperativs des staatlichen Rechtspflegeorganes." Noch deutlicher Wach, Vorträge, S. 74 f., wo er ausdrücklich von Verfügung spricht und dies damit begriindet, daß der Richter nicht nur erkennt, sondern zugleich gebietet, also Wollen äußert, das autoritativ ist, weil es von der Staatsgewalt getragen wird. Aus Sicht der Nachkriegszeit spricht sich Lenckner, S. 24 f. unter II. im genannten Sinne aus. 823 Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 151 noch unter IV. 824 Grünhut, S. 124; Grünhut, JW 26, 1498; vgl. auch Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 149 und Grünhut, JW 27, 905, 906.

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

tungsverhältnisses im zivilrechtliehen Sinne sein. 825 Dies ist bei der richterlichen Entscheidung im Verhältnis zur geschädigten Partei nicht der Fall. Insoweit fallt die Kritik leicht, zumal aus heutiger Sicht. Denn derzeit wird eine derartig enge Voraussetzung für den Dreiecksbetrug von niemandem vertreten. Sie steht wohl auch in der historischen Entwicklung weitgehend allein. 826 Binding etwa, bei dem das Erfordernis der relativen Identität ebenfalls auftaucht und auf den Grünhut sich unter anderem beruft,827 läßt eine öffentlich-rechtliche Ermächtigung als Grundlage für den Dreiecksbetrug genügen. 828 Festhalten läßt sich insoweit also nur, daß die Verfügung als Dreh- und Angelpunkt des Dreiecksbetruges den Sitz der Problematik andeutet, eine grobe Einordnung damit also auch für die heutige Lösung angesprochen ist. Aus den diesbezüglichen Erwägungen Grünhuts spricht aber noch ein ganz anderes Anliegen. Dies deutet er auch in seiner Wortwahl an. So finden sich in den tragenden Sätzen Worte wie ,juristische Beurteilung" und "Zurechnung", also rein normative Erwägungen.829 Zusammen mit seinen sonstigen Argumentationsansätzen ergibt sich daher eine weitergehende Aussage. 830 Zentraler Ausgangspunkt ist dabei die Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Stellung des Richters. 83 1 Grünhuts Bedenken beruhen also darauf, daß ein staatlicher Akt kraft hoheitlicher Gewalt die vermögensrechtliche Wirkung herbeiführt, mithin die eben genannte öffentlich-rechtliche Stellung des Richters existiert. 832 Der Betrug sei auf den privaten wirtschaftlichen Vermögensverkehr zugeschnitten. 833 Dies entspricht der soeben unter III. dargestellten Argumentation. Ferner betont Grünhut, daß der Betrugstatbestand daher nicht auf den Mißbrauch staatliGrünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 151; Grünhut, JW 26, 1498. Ähnlich äußert sich in der historischen Auseinandersetzung wohl nur Voitus, GA 1 (1853), 488,491 zum§ 241 PrStGB, der Dreiecksbetrug mit Hilfe des Prozeßrichters ablehnt, weil dieser "nicht als Mandatar des zu Benachtheiligenden zu betrachten ist, sondern außerhalb der Parteien stehend die Rechte beider wahrzunehmen hat." Er lehnt offenbar einen Dreiecksbetrug nach heutigem Verständnis im Rahmen des§ 241 PrStGB ganz ab und fordert daher eine solche Einheit von Getäuschtem und Geschädigtem. 827 Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 147. 828 Binding, Normen, S. 1077 FN 20; vgl. auch Ganske, S. 58-60; Lenckner, S. 23, der ausdrücklich sagt, Grünhut habe sich zu Unrecht auf Binding berufen, was insofern fehlgeht, als Grünhut erkannte, daß Binding die richterliche Ermächtigung genügen ließ: Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 147. 829 Vgl. Grünhut, S. 124; Grünhut, JW 32, 678. 830 Dies ahnt auch schon Ganske, S. 61 ff. 831 Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 149; Grünhut, SchweizZStR 51 (1937), 43, 72. 832 Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 148 f., wo er betont, daß die Partei selbst dergleichen niemals hervorbringen könnte, und S. 155; Grünhut, JW 27, 905, 906; Grünhut, JW 31, 3557, 3558. 833 Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 155; Grünhut, SchweizZStR 51 (1937), 43, 72. 825

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eher Rechtspflegeeinrichtungen passe.834 Dies ist der soeben unter II. herausgearbeitete Ansatzpunkt. Daß und wie diese Aspekte heute der objektiven Zurechnung zuzuordnen sind, wurde dort schon herausgestellt. Grünhut deutet aber im Gegensatz zu den anderen Autoren diese dogmatische Einordnung schon selbst an. Er spricht von einer "Verschiebung der juristischen Perspektive", 835 was auf eine rein normative Betrachtung deutet. Vor allem aber bezweifelt er das "Beruhen" des Schadens auf der Handlung der Partei,836 erkennt also auch bereits, daß nicht ein Tatbestandsmerkmal des Betruges, sondern die Verknüpfung zwischen ihnen die Lösung trägt. Daß er dort die Kausalität anspricht, liegt daran, daß andere Begriffe in der Strafrechtsdogmatik noch fehlten. Daß die Kausalität nicht paßt, erkennt er, indem er "beruhen" in Anführungszeichen setzt und davon spricht, die Wirkungskraft des Urteiles spotte einer kausalen Zurückführung auf das Parteiverhalten. 837 Er weiß, "man sollte hier nicht von einer ( ... ) Unterbrechung des Kausalzusammenhanges in dem üblichen Sinn dieses unglücklichen Wortes sprechen". 838

Bemerkenswert ist schließlich, daß Grünhut zum Abschluß seiner normativen Erwägungen zu einem dem Reichsgericht in seiner alten Rechtsprechung ganz nabestehenden Ergebnis kommt: Er will durch einen eigenen Tatbestand nur das "simulierte Verfahren" zu Lasten Dritter und Fälle, in denen die Beweisgrundlage gefälscht wurde, bestrafen. 839 Dies mag als weiterer Beleg dafür dienen, daß die reichsgerichtliche Ansicht eigentlich eine normativ begründete war. Nicht verschwiegen werden soll eine Unstimmigkeit in der Argumentation Grünhuts. Er will seine Bedenken gegen die Betrugsstrafbarkeit bei der Erschleichung des Armenrechtes - der heutigen Prozeßkostenhilfe - nicht durchgreifen lassen. Hier werde der Fiskus durch Täuschung des "Beamten" "unmittelbar geschädigt". Das Erschleichen von Vorteilen auf Kosten der Staatskasse sei stets Betrug. 840 Dies ist mit seinen oben genannten Argumenten kaum vereinbar. Der Richter, der über das Armenrechtsgesuch entscheidet (dies war auch in den 30er Jahren der Fall), ist erst recht in einer öffentlich-rechtlich dominierten Lage. Auch geht es hier um die Verletzung von Interessen des Staates, so daß die Annahme einer Eigenverantwortlichkeit oder eines fehlenden Schutzzweckzusammenhanges eher nähergelegen hätte. Grünhut versteht seine öffentlich-rechtlich motivierten Bedenken beim Prozeßbetrug also ganz eng auf den Fall bezogen, daß eine (private) ParGrünhut, SchweizZStR 51 (1937), 43, 72, vgl. auch 74 a.E. Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 149; Grünhut, SchweizZStR 51 (1937), 43, 72. 836 Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 148; Grünhut, JW 27, 905, 906; Grünhut, SchweizZStR 51 (1937), 43, 72. 837 Grünhut, SchweizZStR 51 (1937), 43, 72. 838 Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 149. 839 Grünhut, SchweizZStR 51 (1937), 43,72 ff.; Grünhut, JW 26, 1498 f. 840 Grünhut, JW 31, 3557, 3558. 834

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tei einer anderen durch Vermittlung des mit öffentlicher Macht ausgestatteten Richters Schaden zufügt. Dies ändert aber nichts daran, daß diesem Gedankengang die oben genannten Ansatzpunkte für die heutige Lösung im Rahmen der objektiven Zurechnung entnommen werden können. Auch für das Ergebnis dieser Lösung, das damit schon angedeutet werden kann, ist die Ansicht Grünhuts kein Hindernis. Bei der Arrnenrechtserschleichung ist - wie bei der sonstigen Erschleichung von begünstigenden Verwaltungsakten et cetera - Betrug ebenso wie im Prozeß heute möglich. Die Bedenken greifen nur bei Verfahren durch, die im Interesse des Staates stattfinden (also vor allem Strafverfahren). Das Armenrechtsverfahren hingegen findet natürlich im Interesse des Bürgers statt. Damit ist ein wesentliches Unterscheidungskriterium für die moderne Lösung schon angedeutet. Im einzelnen sei dazu in den 3. Teil verwiesen. Daß die Gedanken Grünhuts, die im wesentlichen darauf beruhen, daß der Richter eine öffentlich-rechtliche Sonderstellung hat, auf allgemeine Zurechnungsfragen deuten, wurde in der Rezeption seiner Veröffentlichungen teilweise erkannt. So benutzt etwa auch Knaller in diesem Zusarnrnenhang das Wort ,,Zurechnung".841 Seine Ausführungen zielen aber auf die Gestaltung, daß ein böswilliger Bürger den Strafrichter mißbraucht, um einen anderen seiner Freiheit zu berauben. Er ordnet sein Zurechnungsproblem daher der Konstruktion der mittelbaren Täterschaft zu. Damit ist hier schon darauf verwiesen, daß der Dreiecksbetrug möglicherweise ein tatbestandlieh vertypter Fall der mittelbaren Täterschaft ist. Daher wird es notwendig sein, die Fallgruppen zu betrachten, in denen dasselbe Dreiecksverhältnis existiert, aber der Tatbestand dies nicht selbst erlaßt, so daß die Figur der mittelbaren Täterschaft herangezogen werden muß. Auch Äußerungen zu diesen Fällen können also verwertbare Aspekte für die hier interessierenden Konstellationen ergeben und sollen daher im 2. und 3. Teil angesprochen werden. Knaller kommt das Verdienst zu, diesen Zusarnrnenhang offengelegt zu haben. Die Frage stellt sich bei diesen in mittelbarer Täterschaft begangenen Delikten unter anderem wie folgt: Kann ein rechtmäßig handelndes Staatsorgan Werkzeug im Sinne der mittelbaren Täterschaft sein, kann also - allgemeiner formuliert - der Tatmittler rechtmäßig handeln?842 Darauf soll im 3. Teil bei der Lösung der Hafterschleichungsfälle eingegangen werden. Hier sei es nur deshalb erwähnt, weil auch diese Betrachtung eine rein normative ist. Sie berücksichtigt den öffentlich-rechtlichen Einschlag und läßt sich den Topoi der objektiven Zurechnung zuordnen. Schließlich handelt es sich um die Frage nach Verantwortungsbereichen, also danach, wem die Rechtsgutsverletzung zurechenbar ist. 843 841 Knoller; S. 77. 842 Vgl. für alle Knoller; S. 83; auch Hegler; Mittelbare Täterschaft. 843 Vgl. Knoller; S. 83 f., wo er auch ausdrücklich von "Verantwortlichkeit" spricht.

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Daraus ergibt sich eine zweite Frage, nämlich ob die Zurechnung zum Hintermann mit der Feststellung des beim Vordermann erzeugten Irrtumes nicht schon entschieden ist. 844 Für die alte Rechtsprechung des Reichsgerichtes ist die Ansicht, nach der ein rechtmäßig handelnder Tatmittler undenkbar ist, nebenbei bemerkt keine Stütze. Sie würde vielmehr zum umgekehrten Ergebnis führen: Der Richter handelt bei unbelegtem falschen Parteivorbringen pflicht-, also rechtswidrig, wäre also geeignetes Werkzeug. Bei Beweisantritt hingegen handelt er rechtmäßig, wäre dann also als Werkzeug ungeeignet. Eine direkte Übertragung solcher Erwägungen auf den Betrugstatbestand kann sowieso nicht ohne weiteres erfolgen, die dort geäußerten Gedanken sind aber aufzugreifen und zu den hier interessierenden Konstellationen abzugrenzen. Knaller führt sie selbst zu einer abstrakten Betrachtung weiter: Er fragt, ob die durch die öffentlich-rechtliche Ermächtigung gegebene Übermacht des hoheitlich Handelnden die Zurechnung des Erfolges an den die hoheitliche Maßnahme auslösenden Bürger grundsätzlich hindere. 845 Dies verneint er und lehnt mittelbare Täterschaft nur bei eigentlichen Amtsdelikten ab. Er stellt damit aber Grünhuts Ansatz genau in den zutreffenden Zusammenhang, nämlich in den der Verteilung der Verantwortung, mithin der Bildung von Verantwortungsbereichen und damit aus heutiger Sicht der Frage der objektiven Zurechnung.846

VI. Die Adäquanztheorie Es gab auch Autoren, die sich der Problematik des Prozeßbetruges unter dem Gesichtspunkt der Adäquanztheorie annahmen. Ihr hervorragendster Vertreter ist Ganske. Statt einer Korrektur im Vorsatzbereich, wie sie etwa Michel oder R. Frank auf der Grundlage der Äquivalenztheorie vorschlagen, will Ganske im Rahmen der Kausalität schon objektive Grenzen einziehen, indem er nur adäquate Kausalverläufe zuläßt. 847 Bemerkenswert ist, daß er unter Anwendung dieses Grundsatzes die alte Rechtsprechung des Reichsgerichtes zu stützen vermag, er kommt zu den selben Ergebnissen.848 Da die Adäquanztheorie aus heutiger Sicht nichts anderes als eine Zurechnungslehre ist,849 belegt dieses Ergebnis eindrucksvoll, daß die alte Auffassung des Reichsgerichtes eine von normativen GesichtsVgl. dazu im 2. Teil die Besprechung von Kurths Einordnungsvorschlag. Knaller, S. 107 ff. 846 Vgl. etwa Knaller. S. 109 a.E., wo er ausdrücklich danach fragt, wer der "allein Verantwortliche" sei, und S. ll2, wo er im Rahmen der eigentlichen Amtsdelikte sagt, man dürfe nicht in den Fehler verfallen, aus der Kausalität auf die Täterschaft zu schließen. 847 Ganske, S. 2 f. 848 Ganske, S. 3 f. 849 Vgl. nur Ling, S. 39, wo er betont, daß die Einordnung der Adäquanztheorie in den Kreis der objektiven Zurechnung heute unangezweifelt sei. 844

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punkten getragene war und die entsprechenden Fragen heute im Rahmen der objektiven Zurechnung zu behandeln sind. Ganske wählt als Ausgangspunkt die allgemein im Rahmen der Adäquanztheorie anzutreffenden Formulierungen. Er fragt nach der Lebenserfahrung, dem normalen, typischen Lauf der Dinge, nach dem bei objektivem Wahrscheinlichkeitsurteil das Verhalten geeignet sein muß, den Erfolg herbeizuführen. 850 Da der Richter nun (angeblich) normalerweise Unbewiesenes nicht glaubt und nicht glauben darf, 851 ist es grundsätzlich ein atypischer Verlauf, wenn er es pflichtwidrig doch einmal tut. Nach diesem Prinzip erklärt Ganske alle reichsgerichtliehen Entscheidungen samt der Differenzierung zwischen Richter und Gerichtsvollzieher und der Versuchsproblematik, er billigt die alte Rechtsprechung insgesamt.852 Beim formellen Verfahren schließt er sich der Kausalitätsargumentation des Reichsgerichtes an, hier kommt es auf Adäquanz nicht an. 853 Was die Irrtumserregung betrifft, läßt er im übrigen auch eine gewisse Korrektur beim Vorsatz zu. Neben dem objektiv adäquat kausalen Verlauf muß der Partei also auch bewußt gewesen sein, daß der Richter sich irren könnte. Daran soll es fehlen, wenn sie etwa nur an eine Beweisprovokation gedacht hat. 854

Der grundlegende Anhaltspunkt Ganskes ist also die Beherrschbarkeit, die bei atypischen Kausalverläufen fehlt, namentlich wenn der Richter pflichtwidrig gehandelt hat. Diese Begriffe verwendet man heute in der objektiven Zurechnung. Eine Norm existiert nicht um der ganz atypischen Verläufe willen. Der einschlägige Topos könnte also wiederum der Schutzzweckzusammenhang sein. Indem er die Pflichtwidrigkeit betont, stellt er auf die Verantwortlichkeit des Richters ab, bildet also Verantwortungsbereiche, was auf den Topos der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung hinweist. Ganske deutet in seinen weiteren Ausführungen ebenfalls die oben schon einmal angesprochene Scheidelinie an: Er macht einen Unterschied zwischen vom Dispositionsgrundsatz und von der Inquisitionsmaxime beherrschten Verfahren sowie zwischen Verfahren, in denen sich Interessen gleichgeordneter Privater gegenüberstehen, und solchen, in denen das Interesse des Staates involviert ist.855 In diesen Zusammenhang gehört auch seine Bemerkung, daß es sich beim Strafprozeß um die Aufgabe handelt, öffentliche Interessen zu wahren. 856

Auch Grünhut bringt die alte reichsgerichtliche Rechtsprechung zum Prozeßbetrug und zur Täuschung des Gerichtsvollziehers in einer seiner Äußerungen in ZuZum Beispiel Ganske, S. 44, 48, 49. Zu den Zweifeln an dieser Prämisse vgl. die Nachweise aus der zivilverfalrrensrechtlichen Rechtsprechung im 5. Abschnitt. 852 Ganske, S. 49 ff. 853 Ganske, S. 64 ff. 854 Ganske, S. 84. 855 Ganske, S. 153 ff. und 163 ff. 856 Ganske, S. 155. 850 851

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sammenhang mit der Adäquanztheorie. Auch er hält sie für mit dieser Theorie erklärbar, 857 der er an dieser Stelle generell eine gewisse Sympathie entgegenzubringen scheint. Er macht den Bezug dieser normativen Aspekte zur objektiven Zurechnung im heutigen Sinne besonders augenfällig, indem er dort formuliert, ein adäquat verursachter Erfolg sei dem Tauschenden nicht "zuzurechnen". Auch Otto Meyer diagnostiziert hier, das Reichsgericht vermenge Gedanken der Adäquanz mit der angeblich auf der Äquivalenztheorie beruhenden Kausalitätsprüfung. 858 Bei Erik Wolfklingt die Erklärung der alten reichsgerichtliehen Rechtsprechung über Adäquanzgedanken ebenfalls an: Der Gedanke der Unterbrechung des Kausalzusammenhanges solle hier das leisten, "was sonst die Korrektur der Bedingungstheorie durch den Adäquanzgedanken leistet."859 Auch Erik Wolfs eigene Lösung basiert auf Adäquanzgedanken, auch wenn er Ansätze beim Vorsatz beziehungsweise allgemein bei der Schuld miteinbezieht Im wesentlichen läuft sie auf eine Strafbarkeilsbegrenzung durch die objektive Frage nach dem typischen, der Lebenserfahrung entsprechenden Verlauf und durch die subjektive nach der Vorhersehbarkeit und Planung durch den Täter hinaus. 860 Schließlich sieht auch Boldt das Problem in Erwägungen eingeordnet, deren "tatbestandlichen Sitz" er der Adäquanz zuschlagen will. 861 Daß er dabei auf die Tätigkeit des Richters abstellt, auf die die Parteien- anders als im privaten Verkehr- im Sinne eines gewissen Schutzes vor Übervorteilung vertrauen dürfen, macht deutlich, daß es ihm um die Einteilung von Verantwortungsbereichen geht. 862 Im Zusammenhang mit dem Mißbrauch der Strafrechtspflege etwa zur Freiheitsberaubung mit dem Strafrichter als Werkzeug - also in einem Fall, in dem die oben angedeutete Parallele zur mittelbaren Täterschaft augenfällig wird - erwähnt Knaller eine ganz ähnliche auf Adäquanzgedanken wie die bisher gezeigten gestützte Differenzierung. Danach soll eine bloße falsche Anzeige nicht adäquat kausal für den Freiheitsberaubungserfolg sein, wohl aber eine falsche Zeugenaussage im Strafverfahren.863 Unabhängig von der Rechtsprechung zum Prozeßbetrug, aber wegen des frühen Veröffentlichungszeitpunktes (1904) bemerkenswert sind die Äußerungen Traegers. Er will allgemein die unter dem Stichwort "Unterbrechung des Kausalzusammenhangs" diskutierten Fallgruppen - namentlich auch die des schuldhaft dazwischentretenden Dritten - unter Adäquanzgesichtspunkten lösen.864 857 858 859 860

861

Grünhut, JW 32, 678. Otto Meyer, DRZ 34, 203, 204. Erik Wolf, JW 38, 1921. Vgl. im einzelnen Erik Wolf, JW 38, 1921, 1923. Boldt, ZAkDR 38,441,442.

862 Keunecke, S. 124 f. schließt sich Boldt in dieser Einschätzung der unterschiedlichen Schutzwürdigkeit an. 863 Knoller, S. 66 f. 864 Traeger, S. 179 und 186 f.

12 Jänicke

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VU. Rechtspolitik

Ganz offen normativ-wertend sind schließlich jene Äußerungen, die sich auf allgemeine rechtspolitische Zielsetzungen berufen. Solche Autoren, die nur kriminalpolitische Argumente insoweit vorbringen, als sie Strafbarkeitslücken, also Straflosigkeit für Fälle befürchten, die sie für strafwürdig halten, sollen unberücksichtigt bleiben. 865 Als rechtspolitisch motiviert anzuführen sind aber solche Äußerungen, die den oben schon angesprochenen Konnex mit der umstrittenen Wahrheitspflicht herstellen. 866 Sie argumentieren etwa, jede Sanktion des unredlichen Parteiverhaltens könne eine Einführung der Wahrheitspflicht auf Umwegen sein. Wach, einer der herausragenden Bekämpfer einer solchen Wahrheitspflicht,867 geht noch weiter. Er befürchtet nicht nur- wie es andere tun 868 -,daß mit einer möglichen Strafverfolgung der Zivilrechtsstreit in ein von der Inquisitionsmaxime beherrschtes Strafverfahren übergeleitet werden könnte. Er sieht vielmehr schon in der - gegebenenfalls indirekten - Wahrheitspflicht die Gefahr, daß damit inquisitorische Elemente in den Zivilprozeß eingeführt werden könnten. Denn der Richter, dem gegenüber diese Pflicht (auch) gelten würde, hätte ihre Einhaltung zu überwachen. 869 Jede Sanktion für Lügen der Parteien ist ihm aus dieser Erwägung suspekt, auch wenn er den Prozeßbetrug hier gar nicht erwähnt. Die Neutralität, das fehlende Interesse des Staates am Streit der Parteien, das er offenbar als dem Zivilverfahren wesentlich innewohnend betrachtet, wäre dann gefährdet. 870 Konrad Schneider wendet sich aus Gründen gegen Sanktionen für unredliches Parteiverhalten, die oben als der alten Rechtsprechung des Reichsgerichtes tatsächlich zugrundeliegend und indirekt mit dem Streit um die Wahrheitspflicht verknüpft herausgestellt wurden. Er betont den Charakter des Zivilrechtsstreites als Kampfsituation und erfordert daher eine gewisse Freiheit im Aufstellen und Ableugnen von Behauptungen. 871 In diese Richtung (also die der von Konrad Schneider und Wach vorgetragenen Bedenken) geht auch R. Schmidt: Der Richter könne nicht nach möglichen Lügen forschen, ohne die Parteien in ihrer Bewegungsfreiheit zu behindern. 872 Auch Görres stellt eine enge Verbindung zwischen seinen Vorstellungen über die Pflichten der Parteien im Prozeß und der BetrugsstrafbarEtwa Ganske, S. 63 f. Vgl. im 5. Abschnitt. 867 Wach, FS Binding, S. 1, 20. 868 Dazu sogleich unten. 869 Ähnliches klingt auch in dem Streit zwischen Hellwig und Neumann an (vgl. Hellwig, JW 08, 665, 666 f. und Neumann, JW 08, 667). 870 Vgl. Wach, Grünhuts ZS 6 (1879), 515, 546-648. Es gab dagegen auch Stimmen, die genau umgekehrt eine weite Betrugsstrafbarkeit forderten, um die (neuen) Pflichten der Parteien strafrechtlich zu stützen, so etwa Weh, JW 35, 956, 957. 871 Konrad Schneider; RhZZP 1 (1909), 393, 397 und 408. 872 R. Schmidt, DJZ 09, 39, 42 f. 865

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keit her. Er schließt aus seiner Konstruktion der "prozessual verwerflichen Lüge" direkt auf die Betrugsstrafbarkeit 873 Damit soll die Gruppe von Autoren erfaßt sein, die aus einer allgemeinen (prozeß)rechtspolitischen Ansicht Rückschlüsse auf die Sanktionen für unredliches Parteiverhalten ziehen. Es gibt aber auch solche, die weiterblickende rechtspolitische Gedanken äußem. 874 So will zum Beispiel Wurzer875 die Strafbarkeit in seinem Sinne erweitert sehen, um mit einer entsprechend weiten Anwendung des § 580 Nr. 4 ZPO als Wiederaufnahmegrund und unter Ausschaltung des § 826 BGB nach der Rechtskraft einen Einklang zwischen den Rechtsgebieten herzustellen.876 Dasselbe Ziel verfolgt Hellwig, der dem Reichsgericht vorwirft, es enge durch seine restriktive (alte) Rechtsprechung zum Prozeßbetrug den Anwendungsbereich des § 580 Nr. 4 ZPO zu weit ein. Dies suche es dann durch eine Rechtskraftdurchbrechung auf anderem Wege zu kompensieren.877 Umgekehrt warnt Grünhut vor einer solchen Erwägung. Er sieht vielmehr sowohl durch § 826 BGB als auch durch eine Strafbarkeit des Prozeßbetruges in Verbindung mit § 580 Nr. 4 ZPO die Rechtsschutzfunktion des Zivilprozesses gefahrdet. 878 Indem er aus seiner vom öffentlich-rechtlichen Einschlag dominierten Argumentation zum Prozeßbetrug für einen weitreichenden Schutz der Rechtskraft plädiert, stellt auch er die Verbindung mit solchen allgemeinen rechtspolitischen Gedanken her. 879 Hierher gehören auch die wiederholt vorgebrachten, aus der historischen Debatte bekannten Argumente. Sie fürchteten, mit einer zu weit gefaßten Betrugsstrafbarkeit entstehe die Gefahr, daß jeder Zivilprozeß unter dem Vorwand der Lüge in ein von der Inquisitionsmaxime beherrschtes Strafverfahren übergeleitet werden könnte. 880 Diese Argumente weisen auf ein grundsätzliches Problem. Es steht immer im Raume, wenn man nach dem (rechtskräftigen) Abschluß eines VerfahGörres, ZZP 34 (1905), 1, 41 ff., vor allem FN 73, 87. Hier wurden, um das Argumentationsspektrum voll zu erfassen, auch solche Autoren aufgenommen, die die Betrugsstrafbarkeit nicht eingegrenzt, sondern möglichst weitreichend sehen wollten. 875 Wurzer. ZZP 48 (1920), 463, 507. 876 Ganz ähnlich unter extrem hervorgekehrten nationalsozialistischen Vorzeichen später Rietzsch, DStR 34, 9, 20 und Fr. Scheffler. DStR 39, 204, 209. 877 Hellwig, LB, S. 46 f. mit FN 26 und 27; zu dieser Rechtskraftdurchbrechung mit Hilfe des§ 826 BGB durch das Reichsgericht vgl. Rehbein, DJZ 05, 1109, 1110; Heim, S. 284; Bresch, Grünhuts ZS 38, 645, zum Beispiel 647, 649 f., 651 f. und die anschließende Kritik und eigene Lösung. 878 Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 150 f.; vgl. auch Grünhut, JW 27, 905,906. 879 Vgl. dazu Keunecke, S. 10, der ihm sogar vorwirft, damit denselben Fehler zu machen, den er eigentlich rügt. 880 Michel, S. 15; Cleric, SchweizJZ 11 (1914), 141; Dietze, JW 34, 1853, 1854, der nationalsozialistische Begriffe benutzt, aber in diesem Punkt klar äußert, daß es um die Gefahr geht, daß Parteien den Stoff von der Staatsanwaltschaft neu aufrollen lassen, und daß dies so ausdrücklich - rechtspolitische Bedenken hervorruft. 873

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l. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

rens die Möglichkeit eröffnet, das gefundene Ergebnis in einem weiteren Verfahren in irgendeiner Weise zu überprüfen, also die Tatsachen, die einmal festgestellt und mit Rechtsfolgen belegt worden sind, erneut anzuzweifeln. Dies bedeutet einen Angriff auf die Rechtskraft, eine Schmälerung der befriedenden Wirkung des ersten Verfahrens. 881 Keunecke stellt diese Frage nach dem Konflikt zwischen Wahrung des Rechtsfriedens und materieller Gerechtigkeit an den Beginn seiner Ausführungen zum Prozeßbetrug. 882 Fürst warnt vor einer "Verewigung der Prozesse", wenn man mit der bloßen Behauptung, das gegnerische Vorbringen sei lügenhaft gewesen, gegen das einmal gesprochene Urteil durchdringen kann. 883 Auch dieser teleologische Aspekt könnte heute im Rahmen des Schutzbereiches des Betrugstatbestandes unter dem Aspekt der objektiven Zurechnung angesprochen werden. Die Behauptung früherer Kritiker solcher Erwägungen, für sie sei im Rahmen der Anwendung des Betrugstatbestandes kein Raum, 884 ist aus heutiger Sicht unzutreffend. Eine Bindung des Strafrichters an Zivilurteile - soweit es sich nicht um Gestaltungsurteile handelt - ist nach einhelliger Ansicht sowieso nicht anzunehmen. 885 Es geht also allein um die angesprochene normative Korrektur im Sinne der objektiven Zurechnung. VIU. Zusammenfassung

Die in diesem Abschnitt herausgearbeiteten Schlußfolgerungen sollen der Übersichtlichkeit halber nochmals zusammengefaßt werden: 881 So ausdrücklich Konrad Schneider, RhZZP 1 (1909), 392, 396. Daß es auch den Autoren zuvor um solche Fragen ging, belegt eine andere Äußerung Wurzers über die Anwendung des § 826 BGB nach Rechtskraft einer erschlichenen Entscheidung: Wurzer, Iherings Jahrbücher 65 (1915), 335 ff., wo er den Erhalt der Rechtskraft ausdrücklich in den Vordergrund stellt. Diese Frage wurde im übrigen nicht nur im Zusammenhang mit § 263 StGB gestellt. Zum Teil wurde § 138 I ZPO direkt als Schutzgesetz im Sinne von § 823 II BGB angesehen und behauptet, die Rechtskraft des Zivilurteiles stehe der Geltendmachung des Schadensersatzanspruches nicht entgegen (so zum Beispiel Benkendorff, DRZ 34, 205, 207 f., der die genannten Streitpunkte anspricht; krit. Lorenz, JW 34, 875, 876 f.). 882 Keunecke, S. 2 f. 883 Fürst, JW 13, 825, 826. 884 Ganske, S. 13; Keunecke, S. 10 a.E. 885 Für alle: Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 262 Rnr 3 f.; vgl. auch Keunecke, S. 2 f., wo deutlich wird, daß dies auch in den 30er Jahren schon so war. Allerdings stellt Keunecke die Frage eingangs allgemeiner, im hier genannten Sinne und argumentiert auch in entsprechender Weise. Aus der Rechtsprechung: RGSt 14, 364, 374 f. ausdrücklich für nicht konstitutive Zivilurteile auch nach Rechtskraft; RGSt 32, 330, 332 f., wonach über Strafsachen allein das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden hat (Anlaß war eine mögliche Bindung an Ansichten einer Verwaltungsbehörde, bezogen ist die Aussage aber aufS. 334 auch auf Gerichte untereinander); RGSt 34, 279, 282 f., wonach das Strafgericht trotz rechtskräftiger Ausurteilung eines Anspruches durch das Zivilgericht vom Gegenteil ausgehen und einen Schaden beziehungsweise einen rechtswidrigen Vorteil annehmen kann.

7. Abschn.: Die Entwicklung des Tatbestandsmerkmales der Vermögensverfügung 181

Es hat sich zunächst gezeigt, daß sich die Argumente zwar in der vorstehenden Weise gliedern und unterscheiden lassen, daß sie aber dennoch eng miteinander verbunden sind. Dies wurde zum Beispiel bei den Äußerungen von Grünhut und Kohler deutlich. Dieser Befund indiziert bereits, daß alle genannten Erwägungen letztlich dieselbe Ursache haben und damit auch zu denselben Schlußfolgerungen für die heutige dogmatische Beurteilung führen könnten. Als gemeinsame Ursache konnte der öffentlich-rechtliche Einschlag festgehalten werden. Allen Argumentationslinien ist gemeinsam, daß sie auf der öffentlichrechtlichen Gestaltung des Verfahrens beziehungsweise des Entscheidungsaktes oder auf berührten öffentlichen Interessen fußten. Auch die denkbare dogmatische Einordnung aus heutiger Sicht glich sich bei näherer Betrachtung an. Es handelt sich um eine Zurechnungsproblematik, die nach dem gegenwärtigen Stand also der objektiven Zurechnung zuzuordnen ist. Als möglicherweise geeignete Zurechnungsstufe konnte im ersten Ansatz diejenige zwischen Irrtum und Verfügung benannt werden. Die anzusprechenden Zurechnungstopoi sind die der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung (beziehungsweise abstrakter der Bildung von Verantwortungsbereichen) und des Schutzzweckzusammenhanges (beziehungsweise des Schutzzweckes der Norm). Der erste Topos erlaubt einen Ausblick auf parallele Gestaltungen bei anderen Tatbeständen mit Hilfe der Figur der mittelbaren Täterschaft. Der zweite gestattet die Einbeziehung allgemeiner rechtspolitischer Erwägungen, namentlich der Frage nach dem Schutz der Rechtskraft et cetera. Als Differentialdiagnostikum bei der Beantwortung der Fragen im Bereich der objektiven Zurechnung bieten sich bereits aus der historischen Auseinandersetzung zwei Ansatzpunkte an: die Verfahrensmaximen (Inquisitions- im Gegensatz zur Dispositionsmaxime) und das Interesse, in dem das Verfahren stattfindet (öffentliches Interesse im Gegensatz zum Interesse Privater).

7. Abschnitt

Die Entwicklung des Tatbestandsmerkmales der Vermögensverfügung Der Ansatz, ein solches Merkmal überhaupt zu bedenken, konnte erst entstehen, als der Betrug zum Vermögensverschiebungsdelikt ausgestaltet war. Dies war zum einen beim preußischen § 241 PrStGB gegeben. Dort war in den Beratungen von einem "Weggeben" die Rede, ohne daß dies als Tatbestandsmerkmal mit strafbarkeitsbegrenzender Funktion aufgefaßt worden zu sein scheint. Darauf wurde bei der Darstellung der Entwicklung der preußischen Gesetzgebung schon hingewiesen. Das "Weggeben" wurde offenbar enger verstanden als die Verfü-

182

1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

gung heute. Ein Vertragsschluß fiel zum Beispiel nicht darunter. Temme verlangt in seiner Wiedergabe des § 241 PrStGB, daß der Getäuschte durch den erregten Irrtum zu einer sein Vermögen schädigenden Handlung oder Unterlassung veranlaßt worden ist.886 Zuvor ist zwar bei einigen Autoren eine Kausalkette von Täuschung, Irrtum, Handlung des Getäuschten und Schaden schon erkennbar. Es kann aber natürlich keine Vermögensverfügung verlangt werden, solange das Vermögen als alleiniges Schutzgut nicht anerkannt ist. Beispielhaft sei hier Günther (1840) genannt, der die Verletzung irgendeines privaten oder öffentlichen Rechtes genügen läßt und dementsprechend nur verlangt, daß der Betrogene etwas getan, unterlassen oder geduldet hat, was er sonst nicht getan, unterlassen oder geduldet haben würde. 887 Derartige Formulierungen sind also der Urvater des Merkmales Vermögensverfügung. Aus ihnen ist aber mangels Vermögensbezuges noch nichts über den späteren Inhalt des Merkmales abzuleiten. Escher äußert sich im selben Jahr auf dem Boden seines fortschrittlichen Betrugsverständnisses. Er spricht bereits von einem "Weggeben" als Handlung des Getäuschten.888 Temme entwickelte kurz darauf ( 1841) eine präzise und davon abweichende Vorstellung vom Verhalten des Getäuschten. Auch er geht vom Vermögen als Schutzgut des Betruges aus, steht also zumindest insoweit auf der Grundlage des modernen Betrugsbegriffes. "Der Betrug besteht", so führt er aus, "in einer vermittelst Täuschung bewirkten Veranlassung eines Menschen zu einem ihm nachtheiligen Rechtsgeschäfte."889 Er meint damit Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäfte: "Entweder es veräußert Jemand etwas von seinem Vermögen ( . . . );oder er übernimmt Lasten (obligationes) darauf." 890 Rein tatsächliche Handlungen schließt er damit offenbar aus. Temme nimmt hier also eine vorobergehend auch unter der Herrschaft des § 263 StGB zu beobachtende Beschränkung auf rechtsgeschäftliches Handeln vorweg. Es ist dies die gegenteilige Position zu der bei Escher und später in Preußen zu beobachtenden Beschränkung auf das "Weggeben", das wohl zumindest Verpflichtungsgeschäfte ausschloß. Temme distanziert sich insoweit auch ausdriicklich von Escher. 891

Die wohl erste Erwähnung des Wortes "Verfügung" weist Schütz in einer Äußerung zum Württembergischen Strafgesetzbuch von 1839 nach, das den Betrug als reines Vermögensdelikt verstand.892 Das Badische StGB von 1845 spricht in sei-

886 887 888

Temme, LB, S. 979. Günther, in Weiskes Rechtslexikon, Bd. 2, S. 75 und 80. Escher, S. 360.

Temme, S. 76. Temme, S. 75 f ., 142 f. 891 Temme, S. 76. sn Vgl. Schütz, S. 104 und 106. 889

890

7. Abschn.: Die Entwicklung des Tatbestandsmerkmales der Vermögensverfügung 183

nem Erpressungstatbestand von der Nötigung zu einer Handlung, die "nachtheilige Verfügungen über Vermögensrechte enthält". 893 Im Vorentwurf zum ersten Deutschen Einheitsstrafrecht von 1848 und im Entwurf eines Deutschen Einheitsstrafrechts von 1849 findet sich eine kasuistische Umschreibung des Verhaltens des Getäuschten: Der Betrüger müsse bewirken, daß ihm "zum Nachtheil des Getäuschten oder eines Dritten Gelder oder Sachen verabfolgt, oder verpflichtende oder befreiende Urkunden ausgestellt oder übergeben werden." 894 In einer frühen Äußerung von Goltdammer taucht dann mehrmals das Verb "verfügen" als Umschreibung für das Handeln des Getäuschten auf.895 Eine genauere Definition gibt er indes nicht. Goltdammer äußert sich aber 1857 und 1867 eingehender zu dem Problem im Rahmen des § 241 PrStGB.896 Er spricht von einer "Handlung des Getäuschten", in der sich der Erfolg des erregten Irrtums nach außen manifestieren müsse und die den Schaden hervorrufen müsse. 897 Eine Vertragseingehung, allgemeiner also die Übernahme einer Verpflichtung, will er nicht allein genügen lassen. Es müsse der Schaden hinzutreten, der erst aus der Erfüllung der fraglichen Verbindlichkeit erwachse. 898 Die Verminderung des Vermögens könne nur durch den Verlust von Geld, Sachen oder Rechten entstehen, also im Sinne "materieller" Vermögensminderung (im Gegensatz zu einem "formellen" Begriff, bei dem auch die Eingebung einer Verbindlichkeit mindernd wirken könne, der aber hier nicht gemeint sei). 899 Goltdammer hält damit am "Weggeben" - dem in den Beratungen auftauchenden Begriff- fest, den er auch ausdrücklich benutzt.900 Die Handlung des Getäuschten ist eine konkret-gegenständliche, der Abstraktionsgrad dieses "Tatbestandsmerkmales", das im eigentlichen Sinne noch gar nicht als solches geführt wird, ist sehr gering. Von einer Verfügung im heutigen Verständnis kann nicht die Rede sein. Immerhin wird aber eine Fallgruppe - Eingebung einer Verpflichtung von der Betrugsstrafbarkeit ausgeschlossen, so daß die unrechtsbegründende und damit auch unrechtsbegrenzende Funktion der Fragestellung im Ansatz erkannt ist. Angeknüpft wird dies tatbestandlieh aber noch am - angeblich bei der Eingebung einer Verbindlichkeit fehlenden - Vermögensschaden. Die Handlung des Getäuschten wird zwar zur Erörterung herangezogen, aber letztlich nur über den am Schaden orientierten Vermögensbegriff definiert. Sie ist also gewissermaßen nur Reflex desselben ohne eigene Qualität als TatbestandsmerkmaL Hingegen ist 1868 bei 893 894 895 896

897 898

899 900

Abgedruckt bei Tausch, S. 57. Abkopiert ist die Stelle bei Schütz, S. 257 f. Goltdammer, GA 3 (1855), 605, 608 und 610. Goltdammer, GA 5 (1857}, 751 und GA 13 (1865), 770. Goltdammer, GA 5 (1857), 751,756-758,760. Goltdammer; GA 5 (1857), 751, 758, 760 und GA 13 (1865}, 770. Goltdammer; GA 5 (1857), 751,758 f. und GA 13 (1865), 770,771. Goltdammer, GA 13 (1865}, 770, 771.

184

I. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Hälschner ausdrücklich verlangt, "daß die durch den lrrthum veranlaßte Handlung

des Getäuschten in einer Verfügung bestand, mitteist deren ein Vermögenswerth auf den Betrüger übertragen wurde."901 Auch das Merkmal der Stoffgleichheit formuliert er der Sache nach schon aus. 902 In der (gemeinrechtlichen) Literatur rückt die Handlung des Getäuschten bei

Köstlin und vor allem bei Merke/ wieder ins Blickfeld. Hier ändert sich die Be-

trachtungsweise.

Köstlin formuliert, der Irrende müsse zu einem seinen Vermögensrechten nachteiligen Tun oder Unterlassen bewogen werden. 903 Er bezeichnet dies als "höchst wesentliche(s) Erfordernis", das "gewöhnlich ignoriert oder nur höchst indirekt erwähnt" werde. 904 Er nennt diese von ihm geforderte Handlung auch schon ausdrücklich Vermögensverfügung.905

Damit ist das Verhalten des Getäuschten als Tatbestandsmerkmal im Grunde erkannt. Es bleibt aber noch lange bei der von Köstlin beklagten Situation, daß es als solches nicht wahrgenommen, oft nur als unbenannte Kausalitätsstufe angesprochen und für die Begrenzung der Strafbarkeit nicht für entscheidend gehalten wird. Merke/ formuliert ähnlich dem in den preußischen Gesetzgebungsberatungen aufgetauchten Begriff vom "Weggeben". Er verlangt eine Handlung, durch die der Gegenstand des Verbrechens in die Herrschaft des Betrügers übertragen wird. 906 Gewicht legt er darauf, daß dies die einzige Kausalitätsstufe zwischen Irrtum und Schaden sein muß, 907 was durchaus auf Zurechnungsgesichtspunkte im modernen Sinne hinweisen könnte. Auch der Begriff der Freiwilligkeit taucht zur Abgrenzung gegen die Erpressung bereits auf. 908 Genauer bestimmt Merke/ die Handlung, indem er sie als Disposition bezeichnet, die sich als Veräußerung von Vermögensobjekten, -rechten oder -werten darstellt. 909

In der danach einsetzenden Entwicklung wurde der Begriff "Verfügung"- entsprechend der immer weiteren Ausdehnung des Schadens - immer umfassender verstanden. 910 Erste Konflikte mit dem "Weggeben" hatte schon das Preußische Ober-Tribunal, als es den Eingehungsbetrug unter§ 241 PrSGB faßte. Neue Im901

Hälschner; Das Preußische Strafrecht III, S. 372 unter§ 61.

902

Hälschner; Das Preußische Strafrecht III, S. 374. Köstlin, ZS, S. 354; Köstlin, S. 141 § 9 und S. 149.

903

904 Köstlin, S. 149 FN 1; vgl. auch Köstlin, ZS, S. 354: "der eigentliche Nerv der Sache", "die Quintessenz des Begriffes". 905 Köstlin, S. 152 unter b). Ihm genügtjede "Leistung" , also auch eine Vertragseingehung oder Nutzungseinräumung et cetera (vgl. S. 157 f.). 906 Merke/, S. 192 unter 2); Naucke, S. 114 mit FN 87. 907 Merke/, S. 195 unter 2). 908 Merke/, S. 195 unter 2), S. 207 unter 2). 909 Merke/, S. 207. 910 Vgl. zur gesamten Entwicklung die Zusammenfassung von Naucke, S. 114 f.

7. Abschn.: Die Entwicklung des Tatbestandsmerkmales der Vermögensverfügung 185

pulse für die Entwicklung des Verfügungsbegriffes finden sich zunächst in seiner Rechtsprechung nicht, vielmehr bleibt der Vermögensbegriff an sich letztlich auf dem Stand des ALR. Es bleibt für die Handlung des Getäuschten beim Weggeben eines Wertes. 911 Daß nicht etwa ein allgemeines Recht auf Wahrheit geschützt war, sondern nur Tauschongen als Mittel der Vermögensbeschädigung erfaßt werden sollten, war allerdings anerkannt. 912 Eine Erweiterung gegenüber den Motiven in Richtung auf den heutigen Verfügungsbegriff ist dann die Einbeziehung des Eingehungsbetruges. Man argumentiert vom Schaden her: Eine Verbindlichkeit belaste das Vermögen, eine Belastung sei eine Minderung. Dabei wußte man wohl, daß ein "Weggeben" in der Eingehung einer Verbindlichkeit eigentlich nicht gesehen werden kann. 913 Dies belegt letztlich, daß das "Weggeben" gerade noch nicht als eigentliches Tatbestandsmerkmal angesehen wurde, an dem die Betrugsstrafbarkeit in einem konkreten Falle scheitern kann. In der Ausdehnung auf den Eingehungsbetrug liegt also schon eine erste Erweiterung, eine Entfernung von dem ursprunglieh engen Verständnis. 914 Die Abhängigkeit vom (Vermögens-) Schadensbegriff ist dabei ganz deutlich, sie bleibt notwendig stets bestehen: Was als Verfügung gilt, hängt davon ab, was man als Schaden geltenlassen will. 915 Betrachtet man eine Verbindlichkeit als Schaden, läßt man die Eingehung derselben auch als Verfügung zu. 916 Hier zeigt sich bereits die begrenzte Autonomie des Tatbestandsmerkmales der Verfügung. Der alles entscheidende Vermögensbegri~ 17 wird in der Regel im Zusammenhang mit dem Schaden besprochen, was die Darstellungen bis in die Gegenwart prägt. Im Tatbestandsaufbau logisch vorrangig ist aber die Vermögensverfügung, bei ihr ist bereits über den Vermögensbegriff zu entscheiden. Auch Autoren, die dies anerkennen, 918 belassen es aber- unter Berufung auf die Übersichtlichkeit- bei der alten Darstellungsweise.919 Naucke, S. 90. Ausdrücklich so PrObTrib Oppenhoff 12, 227, 228 (bereits zu § 263 RStGB); vgl. auch Goltdammer, GA 13 (1865), 770. 913 Naucke, S. 91; PrObTrib bei Goltdammer, GA 5 (1857), 751, 760 f.; PrObTrib GA 9, 141, 142 a.E.; PrObTrib GA 15, 559, 560; PrObTrib Oppenhoff 9, 31, 33 und 34; PrObTrib Oppenhoff 10, 268 f. Interessanterweise war das Ober-Tribunal auch zum§ 263 RStGB noch genötigt, dies ausdrücklich zu entscheiden: vgl. PrObTrib Oppenhoff 14, 34 und 17, 382. Auch dort ist von einer Verfügung des Geschädigten nicht die Rede, sondern nur vom Schaden. Vgl. dazu auch Goltdammer, GA 13 ( 1865), 770. 914 Ebenso Naucke, S. 114. 915 Ebenso Naucke, S. 114. 916 Vgl. etwa Lenckner, S. 106: "Denn letzten Endes ist es der Vermögensschaden, der die Spannweite der "Verfügung" bestimmt." 917 Vgl. zum Beispiel Keunecke, S. 5: "Der Begriff der Vermögensverfügung steht in unmittelbarem Zusantmenhang mit dem Begriff des durch § 263 StGB geschützten Vermögens." 918 Zum Beispiel Samson, JA 78, 564, 565; LK(10. Aufi.)-Lackner, § 263 Rnr 96. 919 Ebenso Hansen, Jura 90, 510, 511 f. ; zum Beispiel Rengier, BT 1, § 13 Rnr 28 f. 91 1 912

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Mit der Erkenntnis, daß die Verfügung als Tatbestandsmerkmal tatsächliche Konstellationen von der Betrugsstrafbarkeit ausnehmen kann, die man unter Umständen erfaßt sehen möchte, wächst wiederum das Bedürfnis, das Merkmal nicht zu eng zu fassen, sondern ihm nur diejenige Schärfe zu verleihen, die erforderlich ist, um die von ihm verlangte Abgrenzungsfunktion zu erzielen. 920 Gryziecki zeichnet den Weg zur Erfassung der Handlung des Getäuschten als Tatbestandsmerkmal 1870 noch einmal anschaulich nach. Er führt an, eine Rechtsverletzung durch Täuschung könne nur geschehen, indem der Getäuschte sich durch den Irrtum zu einem ihm nachteiligen Tun oder Unterlassen bestimmt sehe. 921 Der Ursprung dieses Merkmals als unbenanntes Glied in der Kausalkette ist also noch ganz deutlich.

Auch nach der Einführung des § 263 RStGB war es trotz der von Köstlin und Merket herausgearbeiteten dogmatischen Grundlagen noch nicht durchweg üblich,

die Verfügung als Tatbestandsmerkmal aufzuführen. Es war häufig nur von Kausalität zwischen Irrtum und Schaden die Rede. So erwähnt Rubo 1877 in seiner Kommentierung ebenso wie Hahn im selben Jahre die Vermögensverfügung mit keinem Wort. 922 Auch Schwarze nimmt sie 1871 nicht unter die von ihm besprochenen Tatbestandsmerkmale auf. Wohl aber erwähnt er verschiedentlich, daß eine solche Handlung des Getäuschten als Folge der Täuschung stattgefunden haben müsse. Er ist dabei noch ganz nah an der Idee des "Weggebens" und spricht nur etwas abstrakter von der Übertragung des Vermögensrechtes auf den Tater.923

Hätschner hingegen spricht 1884 bereits von einer Disposition über das Vermögen mit der Folge einer Wertminderung desselben, die auf dem Irrtum ursächlich beruhen und eine unfreiwillige (unbewußte) sein müsse. 924 Genauer verlangt er ein "Thun oder Lassen", eine Verfügung, mittels derer ein Vermögenswert auf den Betrüger übertragen wird. 925 Die Entfernung vom "Weggeben" ist hier also schon größer,926 eine erste Zwischenstufe zum heutigen Begriff ist erreicht. Merket verwendet in seinem Lehrbuch von 1889 wiederum eine Formulierung, die dem Begriff des "Weggebens" entspricht: "eine freiwillige Handlung des Getäuschten, welche den Gegenstand des Deliktes in die Herrschaft des Tauschenden bringt. "927 920 Vgl. heute etwa LK(IO- Aufi.)-Lackner, § 263 Rnr 95 a.E.: "Allgemein sei noch bemerkt, daß die begrenzende Wirkung der im Gesetz überhaupt nicht erwähnten Vermögensvetfügung keinesfalls in einer Weise überspannt werden darf, daß kriminalpolitisch unvertretbare Strafbarkeilslücken entstehen." 921 Gryziecki, S. 75. 922 Rubo, S. 870-876; Hahn, S. 347-359, der allein einen Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Schaden verlangt (S. 349 Nr. 4) und lediglich indirekt die Handlung des Getäuschten einmal andeutet, wenn er auf S. 348 Nr. 2 den ,,Empfang einer Leistung" durch den Täter fordert. 923 Vgl. Schwarze, S. 577,582,586. 924 Hälschner, S. 249, 250, 267 f., 275. 925 Hälschner S. 267 f . §§ 71, 72. 926 Vgl. Hälschner selbst in Anm. 1 aufS. 275.

7. Abschn.: Die Entwicklung des Tatbestandsmerkmales der Vermögensverfügung 187

1895 beklagt Hugo Meyer, 928 daß die Begriffsbestimmung des Betruges bezüglich des Täuschungsmerkmales völlig überladen sei, wohingegen das schädigende Verhalten des Getäuschten gar nicht erwähnt werde, was er als fehlerhaft bezeichnet. Eine nähere Bestimmung als das "ihn selbst (den Getäuschten) oder einen Dritten benachteiligende Verhalten", das ein Tun oder Unterlassen sein könne, gibt er nicht. 929 Die fehlende Erwähnung im Tatbestand spiegelt sich in der Darstellung des Handeins des Getäuschten in vielen Veröffentlichungen wieder. Es wird in der Regel vom Kausalzusammenhang zwischen Irrtum und Schaden gesprochen und eher beiläufig erwähnt, dieser müsse durch ein nachteiliges Tun beziehungsweise eine Disposition des Getäuschten vermittelt werden. 930 Es ist dann ein Verdienst Bindings, die Handlung des Getäuschten als Charakteristikum des Betrugstatbestandes hervorgehoben zu haben.931 Er nennt die Verfügung eine "Handlung mit vermögensrechtlicher Wirkung"932 und fordert einen Kausalzusammenhang derselben mit dem lrrtum933 sowie Unmittelbarkeit der damit verbundenen Vermögensbeschädigung,934 welche dem Verfügenden im übrigen verborgen geblieben sein müsse. 935 Genauer erfordert er sodann eine "nachteilige Veräußerung von Rechten (nicht auch von "Werten") oder Nichtgeltendmachung derselben oder Belastung mit Pflichten". 936 Die Formulierung ,jede ungünstigere Gestaltung der Vermögenslage" hält er für völlig fehlgehend, 937 eine Folge seines juristischen Schadensbegriffes.938 Der Besitz als Verfügungsobjekt ist ihm zweifelhaft. 939 Bereits voll ausgeformt ist bei Binding das Erfordernis der Stoffgleichheit von "Schaden und Nutzen". 940 Hamm spricht 1908 schon von einer "in Theorie und Praxis feststehenden Auffassung", die eine Vermögensdisposition beziehungsweise-verfügungdes Irrenden verlange. Dies ist umso bemerkenswerter, als er diesem Tatbestandsmerkmal ernsthaft unrechtsbegrenzende Funktion beimißt, indem er den von ihm dort besprochenen Fall straflos lassen wi11. 941 Wachenfeld verlangt in seinem Lehrbuch von 1914 927 928 929 930 931 932 933 934 935 936 937 938 939 940

Merke/, LB, S. 329 unter f). Hugo Meyer; LB, S. 578 f. mit FN 2. Hugo Meyer; LB, S. 583. Zum Beispiel Michel, S. 16. Binding, LB 1, S. 344 f. Nr. 2 und 3; vgl. dazu Naucke, S. 114. Binding, LB 1, S. 351 Nr. 4 Binding, LB 1, S. 351 Nr. 4 und 5. Binding, LB 1, S. 352 Nr. 5. Binding, LB I, S. 352 ff. Nr. 5. Binding, LB l, S. 353 f. Binding, LB l , S. 354 FN l. Binding, LB 1, S. 356 unter c). Binding, LB 1, S. 354 f. mit FN l aufS. 355. Binding, LB 1, S. 364 noch unter c).

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I. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

eine bewußte oder unbewußte Vermögensdisposition, durch die sich der Betrüger einen Vermögensvorteil geben lassen will, worunter er jede Vermehrung des Vermögens versteht. 942 Im Spiegel des Vorteils findet sich damit die heutige Auffassung wiedergegeben, die durch die Verfügung eine beliebige Vermögensminderung im wirtschaftlichen Sinne verlangt. Regler faßt 1915/16 die Charakteristik des Betruges ganz im heutigen Sinne als Vermögensverschiebung auf. Die Disposition des Getäuschten müsse ein Gebeakt im weitesten Sinne, eine auf Vermögensverschiebung, Übertragung von Vermögensbestandteilen gerichtete Vermögensdisposition sein.943 Auch daß Vorteil und Nachteil unmittelbar durch die Disposition verursacht sein müssen, setzt er voraus. 944 Diese Sichtweise geht also kaum noch von der ursprünglichen Formulierung des "Weggebens" aus, abstrahiert weitgehend und befindet sich schon nahe an der heutigen Fassung. Die Rechtsprechung (des Reichsgerichtes) geht alsbald dazu über, die Vermögensverfügung als normales Tatbestandsmerkmal des § 263 StOB zu behandeln, ohne dessen Entwicklung und Stellung als ungeschriebenes Merkmal zu erwähnen. In den Jahren 1883 und 1887 geht es ganz selbstverständlich davon aus, daß der Betrogene durch die Irrtumserregung zu einer sein Vermögen betreffenden Verfügung (Disposition) bestimmt werden müsse. 945 Vermögen denkt es dabei als Gesamtheit der vermögensrechtlichen Beziehungen einer Person, deren Gesamtwert in Geld durch die Verfügung vermindert werden müsse.946 Die Eingebung einer Verbindlichkeit läßt es darunter fallen, eine Beziehung auf einzelne Vermögensrechte oder Vermögensbestandteile lehnt es demnach ab. 947 Diese Sichtweise des Preußischen Ober-Tribunals wird also vom Reichsgericht ohne weiteres beibehalten. Damit ist es insgesamt der heutigen Auffassung schon nahe. Es wiederholt seine Ansicht 1895, als es von einer "eine Disposition über Vermögensrechte enthaltenden Handlung des Getäuschten" spricht, die den Schaden vermitteln und auf der Tauschung beruhen müsse. 948 Dies hebt den Charakter jenes Merkmales als nachträglich benannte Kausalitätsstufe hervor. In späteren Entscheidungen wird diese Ansicht gelegentlich wiederholt, kann also als ständige Rechtsprechung bezeichnet werden. Die heute übliche Formulierung von der Verfügung als ungeschriebenem Tatbestandsmerkmal findet sich etwa in zwei Entscheidungen aus den Jahren 1913 I 14 mit dem Hinweis, nur diese Verfügung könne den Kausalzusammenhang zwischen Tauschung und Schaden her941 Hamm, DJZ 1908, Spalte 1020, 1021 (zu Einzelheiten seiner Auffassung vgl. die Wiedergabe der Literaturansichten zum Prozeßbetrug im 2. Abschnitt). 942 Wachenfeld, S. 408 f . 943 Hegler. Archiv, S. 376. 944 Hegler. Archiv, S. 375 f. 945 RGSt 8, 12, 13 und 15; RGSt 16, I, 2. 946 RGSt 1, 3, 5 f.; vgl. dagegen RGSt 8, 12, 13, wo von "Vermögensrechten" die Rede ist. 947 RGSt 16, 1, 3 und 10. 948 RGSt 28, 144.

7. Abschn.: Die Entwicklung des Tatbestandsmerkmales der Vermögensverfügung 189

stellen.949 Später wird all dies ohnehin vorausgesetzt und nur noch von der durch Irrtum veranlaßten und zum Schaden führenden Verfügung gesprochen. 950 Gerrauer wird die Betrachtung von deren Wirkung. So erfordert auch das Reichsgericht ausdrucklich, daß die Verfügung unmittelbar in die Vermögenslage des Geschädigten eingreifen müsse. 951 Eine der heute herrschenden ähnliche Formulierung (jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen, das eine Vermögensminderung im wirtschaftlichen Sinne herbeiführt), ist 1926 zu finden. 952 Bemerkenswert ist, daß die letzte der zuvor genannten Entscheidungen des Reichsgerichtes 953 allein von rechtsgeschäftlichem Handeln als Verfügung spricht. Auch wenn dies, wie soeben in der Fußnote ausgeführt, möglicherweise nicht als Mindestanforderung gemeint ist, wirft es doch ein Schlaglicht auf die Ansicht, die nur rechtsgeschäftliche Verfügungen im Sinne des Zivilrechtes als solche des § 263 StGB anerkennen wollte. Eine Grundlage in der Entstehungsgeschichte des Merkmales findet sich dafür bei Escher. Diese Ansicht, die heute nicht mehr vertreten wird, stellt ein interessantes Durchgangsstadium - bezogen auf die Ursprunge bei Köstlin und Merket und die heutige Auffassung- dar. 954 So wie die heutige Definition weit über die ursprungliehe ("Weggeben") hinausgeht, engte die ein Rechtsgeschäft erfordernde Auffassung den Begriff gegenüber dem ursprungliehen erheblich ein. Ihre Überwindung war einerseits eine Rückkehr zu den Grundlagen der Entstehungsgeschichte, ermöglichte aber andererseits eben auch die immer weitere Ausdehnung gegenüber dem ursprungliehen Begriff.955 In der Lehre ist die Verfügung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in den 20er und 30er Jahren fest verankert. 956 Auch die Kausalitätsbetrachtung nach allRGSt47, 151, 152 f.; RGSt49, 16, 19 f. RGSt 51, 204, 206; RGSt 53, 134; RGSt 58, 215, 216; RG JW 26, 586; RGSt 64, 226, 228. Dort ist sogar von einem ,,rechtsgeschäftlichen Handeln" die Rede (vgl. dazu sogleich im Text), was aus der Entscheidung übrigens nicht notwendig als Mindestvoraussetzung verstanden werden muß, sondern im Rahmen des zu entscheidenden Sachverhaltes zu sehen sein dürfte, wo ein Rechtsgeschäft eindeutig vorlag, dessen Verfügungsqualität lediglich bestätigt werden sollte. Die Argumentation ging also dahin, daß ein Rechtsgeschäft Gedenfalls) eine Verfügung darstelle. 951 RGSt 58, 215, 216. 952 RG JW 26, 586. 953 RGSt 64, 226. 954 Vgl. Naucke, S. 115 FN 89. 955 Vgl. Naucke, S. 115 FN 89. 956 Vgl. etwa Liszt, 25. Aufl., S. 667 unter II, wo er die schädigende Verfügung im Text voranstellt, und S. 669 f. unter 3. sowie S. 669 wörtlich: "Weggabe von Vermögenswerten"; Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 137; Olshausen, S. 1398 unter Nr. 27: "Verfügung über Vermögenswerte"; Grünhut, S. 123 f.; R. Frank, S. 586 f. unter IV, der es als herrschende Lehre bezeichnet, daß das schädigende Verhalten des Getäuschten eine "Vermögensverfügung" sein 949 950

190

1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

gemeinen Regeln und das Unmittelbarkeitserfordernis zwischen Verfügung und Schaden sind unstreitig. 957 Die Herkunft des ungeschriebenen Merkmals als von der Doktrin nachträglich benannte, ursprünglich nicht eigenständig erfaßte, für den Betrugstatbestand charakteristische Kausalitätsstufe ist zum Teil in den Darstellungen noch recht deutlich, etwa wenn zunächst der Vermögensschaden und dessen unmittelbare Verursachung durch den Irrtum verlangt werden und dann erst die Verfügung als Benennung für diese Kausalitätsstufe nachgeschoben wird. 958 Bewußtsein oder Vollgültigkeit werden nicht für erforderlich gehalten. Vielmehr soll es genügen, wenn nach außen hin zunächst die Wirkung einer Vermögensdisposition erzielt wird. 959 Der Streit um das Erfordernis einer unbewußten Selbstschädigung besteht ebenfalls schon.960 Über Besitzübertragungen als Vermögensverfügung wird (noch) gestritten.961 Der heute herrschende Begriff ist aber bereits anzutreffen: Verfügung ist jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen, das eine Vermögensminderung im wirtschaftlichen Sinne bewirkt.962 Damit ist der heutige Stand praktisch erreicht, lediglich die dogmatische Differenzierung ist in Einzelheiten genauer geworden. Die genannte Definition ändert sich bis in die Gegenwart nicht mehr, sie wird nach 1945 nahtlos übernommen. 963 In der Literatur geht die ganz herrschende Meinung heute davon aus, daß jede Handlung, Duldung oder Unterlassung genügt, die, was betont wird, unmittelbar zu einer Vermögensminderung führt. 964 Rechtsgeschäftliche Wirksamkeit wird müsse; Hippe[, S. 255 f., 258 Nr. 4: "Verfügung (also Vermögensdisposition)"; Gerland S. 632, 635 f.: "vermögensrechtliche Disposition"; Dahm, bei Gürtner, S. 348; Brinkmann, S. 61; Vogels, S. 3; Schänke, 1. Aufl., § 263 V.; vgl. auch Keunecke, S. 6 f. 957 Grünhut, RhZZP 13 (1924), 127, 137; R. Frank, S. 587 noch unter IV.; Hippe/, S. 256 noch unter 1.; Gerland, S. 632; Schänke, 1. Aufl., § 263 V. 958 Vgl. den Darstellungsgang bei Olshausen, S. 1382 Nr. 17, S. 1398 unter c); bei Liszt, 25. Aufl., S. 671 unter 3.; bei Gerland, S. 632. 959 Olshausen, S. 1398 f. ; R. Frank, S. 587 noch unter IV. 960 Liszt, 25. Aufl., S. 667 unter II; R. Frank, S. 593 f. unter VI. 1.; Gerland, S. 636 Nr. 4 a). 961 Olshausen, S. 1400 Nr. 29; R. Frank, S. 587 noch unter IV. 962 Olshausen, S. 1399 unter c); vgl. auch Hippe[, S. 256 mit FN 1, S. 258 Nr. 4 und 5 mit FN 6 und 7; Gerland, S. 636 Nr. 3 b). 963 Für alle Schänke, 4. Aufl., § 263 V 1; Schwarz, § 263 Nr. 4; zu einzelnen Formulierungsvorschlägen vgl. Naucke, S. 115 noch unter VI.; im Laufe der Zeit zum Beispiel Hansen, MDR 75, 533, der betont, es bestehe Einigkeit über diese Definition; Samson, JA 78, 564; See/mann, JuS 82, 268, 270; Ranft, JA 84, 723, 726 (,,nach allgemein anerkannter Definition"); Otto, JZ 85, 69, 71; Hellmann, JA 88, 73, 74; Ranft, Jura 92, 66, 68 ("Rechtsprechung und Schrifttum bestimmen den Begriff ( . . . ) weitgehend übereinstimmend"); Otto, JZ 93, 652, 655. 964 Lacknerl Kühl, § 263 Rnr 21 f., 25; LK(lO. Aufl.)-Lackner, § 263 Rnr 95 und 99; SKSamson/Günther; § 263 Rnr 66, 73, 79; S/S-Cramer, § 263 Rnr 54 f., 61; Tröndle/FischerFischer; § 263 RNr 23 f.; Arzt/Weber, BT, LH 3, Rnr 420; Blei, BT, 12. Aufl., S. 227 unter IV.l.; Brodag, BT, 15. Teil Rnr 16; Gössel, BT 2, § 21 Rnr 125; Haft, BT, S. 208; Hauf, BT 1,

7. Abschn.: Die Entwicklung des Tatbestandsmerkmales der Vermögensverfügung 191

nach wie vor nicht gefordert. 965 Die erforderliche Vermögensminderung wird im Gegensatz zu früher sorgfaltig vom aus der Saldierung zu berechnenden Vermögensschaden als nächstfolgendem Tatbestandsmerkmal geschieden.966 Die Tatbestandsstruktur ist in den Darstellungen also einheitlicher und übersichtlicher geworden. Uneinigkeit besteht nach wie vor über das Erfordernis des Verfügungsbewußtseins, das die herrschende Meinung zumindest beim Forderungsbetrug für überflüssig hält. 967 Unstreitig enthalten ist heute die Erschleichung des Besitzes- insofern ist eine zusätzliche Erweiterung vorgenommen worden -, was zu Abgrenzungsschwierigkeiten gegenüber dem Diebstahl in mittelbarer Titerschaft führt. 968 Dies ist die eigentliche Ursache dafür, daß die wohl herrschende Meinung beim Sachbetrug ein Verfügungsbewußtsein fordert, um die Abgrenzung zur Wegnahme zu gewährleisten. Beim Forderungsbetrug läßt sie hingegen auch unbewußte Verfügungen genügen, um möglichst wenige unerwünschte Lücken in der Strafbarkeit entstehen zu lassen. Dies führt faktisch zu zwei verschiedenen Verfügungsbegriffen.969 S. 122 a.Anf.; Krey, BT 2, Rnr 385; Otto, Grundkurs BT, S. 218; Rengier, BT 1, § 13 Rnr 23; Schmidhäuser, BT, 11. Kap. Rnr 13; Wessels, BT 2, Rnr 502; Geiger, JuS 92, 834, 835; HansWalter Mayer, Jura 92, 238, 242 unter III.1. 965 Lackner/ Kühl, § 263 Rnr 23; LK(lO. Auf!.)-Lackner, § 263 Rnr 96; SK-Samson/Günther, § 263 Rnr 73; SIS-Cramer, § 263 Rnr 55; Tröndle/Fischer-Fischer, § 263 Rnr 24. Die gelegentlich gegenteilig verstandene (vgl. nur Oexmann NJW 74, 2296 f.) Entscheidung des OLG Düsseldorf NJW 74, 1833, 1834 enthält in Wirklichkeit keine derartige Aussage. Das OLG hat lediglich eine Willenserklärung geprüft, weil dies die einzige in Betracht kommende Verfügung in jenem Falle darstellte. Die Formulierung ist nur etwas mißglückt und kann daher im genannten Sinne mißverstanden werden. 966 Hellmann, JA 88, 73, 74; Lackner/Kühl, § 263 Rnr 22, 54; SK-Samson/Günther, § 263 Rnr 77. Insofern ist die übliche Forderung nach Kausalität zwischen Verfügung und Schaden genauer zu formulieren, da die Minderung des Vermögens schon zum Verfügungsbegriff gehört (vgl. LacknerI Kühl, § 263 Rnr 54; ausführlich dazu Schmidhäuser, FS Tröndle, S. 305, der aber zu der wohl allein stehenden und extremen Konsequenz kommt, den Schaden als eigenständiges Tatbestandsmerkmal nicht mehr anzuerkennen, sondern seinen gesamten Inhalt in das Verfügungsmerkmal zu ziehen, den objektiven Tatbestand des Betruges also nur noch dreigliedrig aufzubauen). 967 Lackner/Kühl, § 263 Rnr 24; SK-Günther, § 263 Rnr 83 ff.; S/S-Cramer, § 263 Rnr 60; Tröndle/Fischer-Fischer, § 263 Rnr 24; Blei, BT, 12. Auf!., S. 228; Gössel, BT 2, § 21 Rnr 133 ff.; Krey, BT 2, Rnr 386; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 41 Rnr 73; Otto, Grundkurs BT, S. 218; Rengier, BT 1, § 13 Rnr 24; Schmidhäuser, BT, 11. Kapitel Rnr 14 ff.; Wessels, BT 2, Rnr 502; Geiger, JuS 92, 834, 835 unter V. 968 Lackner/Kühl, § 263 Rnr 23, 26, 34; LK(IO. Auf!.)-Lackner, § 263 Rnr 96; SK-Samson/Günther, § 263 Rnr 73, 89 ff.; S/S-Cramer, § 263 Rnr 55, 63 ff.; Tröndle/Fischer-Fischer, § 263 Rnr 24, 45; vgl. dazu auch Naucke, S. 114 f. FN 88, der dies als Beispiel für die "Aufweichung" des Verfügungsbegriffes darstellt, die über ein immer weiteres Verständnis des Schadens in Rückwirkung auf das Merkmal Verfügung auftritt. Bei Merke/ und Köstlin, so führt Naucke dort an, sei die Besitzablistung unproblematisch keine Verfügung gewesen, ein Abgrenzungsproblem zum Diebstahl sei also erst durch eine derartige Erweiterung des Verfügungsbegriffes entstanden.

192

1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Letztes Rudiment der ursprünglichen Auffassung ist das Adjektiv "unmittelbar" in der genannten Definition.970 Festzuhalten bleibt demnach viererlei: • Die Verfügung als Tatbestandsmerkmal ist erst spät entwickelt worden, namentlich als sich die Dogmatik des Betruges im Sinne eines Vermögens(verschiebungs)deliktes gefestigt hatte. • Die Handlung des Getäuschten blickt dabei auf eine wechselvolle Geschichte zurück: Zunächst war sie eine unbenannte Kausalitätsstufe, die keinerlei griffige Konturen hatte und zur Unrechtsbegründung und -begrenzung nichts Selbständiges beitragen konnte. • Als sie dann als eigenständiges Tatbestandsmerkmal anerkannt und gefaßt war, war sie zunächst sehr plastisch, wurde aber - zumindest von der Rechtsprechung - insoweit nicht sehr ernst genommen. Seither hat sie an Griffigkeit und Schärfe durch ständige Ausweitung des (Vermögens-)Schadensbegriffes und in Rückwirkung desselben auch des Verfügungsbegriffes verloren. Eine einengende Bewegung gab es nur durch die überwundene Ansicht, die eine rechtsgeschäftliche Verfügung im Sinne des Zivilrechtes verlangen wollte. Praktisch herangezogen wird das Merkmal der Verfügung vor allem bei der Frage nach der Abgrenzung zum Diebstahl in mittelbarer Täterschaft. Ausgerechnet dieses Problem, das erst in der Folge der immer weiter reichenden Ausdehnung des Verfügungsbegriffes entstanden ist, soll also nun durch dessen unrechtsbegrenzende Leistung gelöst werden. 971 Hier entsteht der Verdacht, daß im Interesse des Dogmas von der Exklusivität von Wegnahme und Verfügung etwas hineingedeutet wird, was das Merkmal in seiner heutigen Form kaum zu tragen vermag. • Dennoch ist hier die korrekte tatbestandliehe Einordnung des Vermögensbegriffes - auch wenn dieser oft im Bezug auf den Schaden besprochen und definiert wurde. Daher muß die Verfügung, selbst wenn man sie so weit versteht, wie dies heute allgemeine Meinung ist, zumindest im Vermögensbezug ihre Grenze finden. Hierin ist ihre unrechtsbegrenzende Leistungsfähigkeit zu suchen, sei es auch letztlich nur in Ausstrahlung auf Erwägungen im Rahmen der objektiven Zurechnung.

969 Vgl. Hansen, MDR 75, 533, 534; Samson, JA 78, 564, 565 f. unter d); krit. zu den Vorstehenden LK(lO. Aufl.)-Lackner, § 263 Rnr 98. 970 Vgl. Naucke, S. 115 FN 90. 971 Auch Joecks, S. 32 unter 11.1. sieht die Funktion des Verfügungsmerkmales auf diese Abgrenzung beschränkt und sieht ansonsten nur strafbarkeitserweiternde Tendenzen. Ähnlich äußert sich Samson, JA 78, 564 unter III.l. ("( ... )hat die Funktion, den Betrug von den Eigentumsdelikten ( ... )abzugrenzen") und S. 566 vor 3.

8. Abschn.: Perspektive

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8. Abschnitt

Perspektive Aus der Zusammenschau der verfolgten Entwicklungen- des Betrugstatbestandes, des (Vermögens-)Verfügungsbegriffes und der besonderen Behandlung des Prozeßbetruges - ergibt sich ein Ausblick auf die Einordnung der hier interessierenden Fragen in der gegenwärtigen Dogmatik. Es konnte der historischen Auseinandersetzung eine ganze Reihe von normativen Gesichtspunkten entnommen werden, die auch aus heutiger Sicht für die Lösung der interessierenden Fallgruppen Bedeutung erlangen könnten. Festzustellen bleibt, auf welcher dogmatischen Ebene sie Berücksichtigung finden können. Unmittelbarer Ansatzpunkt könnte der Vermögensbezug und damit das Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung sein. Auf dieser Ebene begriindet die herrschende Ansicht tatsächlich die fehlende Betrugsstrafbarkeit bei Tauschungen, die zur Vermeidung von Strafen, Bußen oder Verwarnungsgeldem unternommen werden. Nach den Erkenntnissen des 7. Abschnittes deutet sich insoweit ein Ergebnis bereits an: Das Merkmal der Vermögensverfügung selbst, dem der Vermögensbezug richtigerweise zuzuordnen ist, hat eine eher gering zu veranschlagende unrechtsbegrenzende Wirksamkeit. Die genannten normativen Erwägungen liegen im ,,rechtlichen Umfeld" des jeweils betroffenen Vermögens. Das Tatbestandsmerkmal Vermögensverfügung selbst scheint also nicht in der Lage, diese "rechtliche Umgebung" des betroffenen Vermögens zu berücksichtigen. Nicht zuletzt wegen der weiten Fassung in Rückwirkung des heutigen Verständnisses vom Vermögensschaden ist im Rahmen dieses Tatbestandsmerkmales selbst keine Differenzierung nach öffentlich-rechtlichen Einflüssen möglich: Vermögen und eine Verfügung darüber liegen wohl auch vor, wenn der Verfügungsakt hoheitlicher Natur ist und sich womöglich sogar zugleich als Zufügung eines Strafübels darstellt. Die Einbettung in einen öffentlich-rechtlichen Rahmen - sowohl im Hinblick auf die Herkunft der Macht zur Verfügung als auch im Hinblick auf die Natur und Wirkung der Verfügung (Strafausspruch, Absehen von Strafe et cetera im Gegensatz zum Zivilurteil und dergleichen) - findet keine Berücksichtigung: Technisch ist dem Wortlaut des Tatbestandsmerkmales wohl genügt, über Vermögenswerte wurde disponiert. Dies ist im 3. Teil noch im einzelnen zu untersuchen und zu belegen. Der Befund liegt jedoch bereits nach den hier gewonnenen Ergebnissen nahe. Die Erkenntnis, daß die entscheidenden normativen Kriterien sich aus der "rechtlichen Umgebung" des Vermögens ergeben, lenkt den Blick zwangsläufig auf die oben schon herauspräparierte Stufe vor der Vermögensverfügung, nämlich auf den Kausal- und eben vor allem den Zurechnungszusammenhang zwischen Irrtum und Vermögensverfügung. Hier können wohl die aus der historischen Debatte gewonnenen Ansatzpunkte eingebracht werden. Die objektive Zurechnung erlaubt die Berücksichtigung dieser öffentlich-rechtlichen Besonderheiten. Das Argumen13 Jänicke

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1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

tationsmaterial für die normative Abwägung ist damit ebenfalls schon erschlossen. Die öffentlich-rechtlichen Besonderheiten sind nun mit den speziellen Tatbestandsmerkmalen, zwischen denen der Zurechnungszusammenhang gepriift werden soll, zu koppeln. Daraus ergeben sich bereits zwanglos die zu stellenden Fragen: Wie weit reicht der Schutz des Vermögens durch den Betrugstatbestand, mithin der Schutzbereich der Norm? Ab wann ist der Täuschende für die Verfügung nicht mehr verantwortlich, handelt es sich mithin um eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung (vor allem des Geschädigten)? Die Argumentation der alten Rechtsprechung zielte, indem sie auf die Pflichtwidrigkeit des Richters abstellte, nach heutigen Begriffen möglicherweise auch auf die Frage des Dazwischentretens eines schuldhaft handelnden Dritten. Auch dies ist die Frage nach Verantwortungsbereichen, würde also an der Problemstellung nichts Wesentliches ändern. Sie fragte allenfalls eher nach der öffentlich-rechtlichen Herkunft der Verfügungsbefugnis und nicht nach Art und Wirkung der Verfügung. Der Topos der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erscheint indes treffender und ergiebiger. Nicht nur, weil die Konstruktion einer Pflichtwidrigkeit des Richters kaum haltbar sein dürfte,972 sondern weil der Richter der Täuschung als der Tathandlung des Betruges ausgesetzt ist und damit in die Rolle des Irrenden, mithin eines Opfers kommt, auch wenn er strukturell Werkzeug des Täters ist. Auch dies könnte man also schon unter den Aspekt der Selbstgefährdung bringen. Hinzu kommt, daß die Bildung von Verantwortungsbereichen - wie gesagt - speziell infolge des öffentlich-rechtlichen Einschlages gepriift werden soll. Dieser betrifft aber eben nicht nur den Richter als Verfügenden, sondern - vor allem in den Fällen, in denen er im Ergebnis die Betrugsstrafbarkeit tatsächlich hindem könnte973 - auch den Geschädigten, in jenen Fällen namentlich den Staat. Die alte Rechtsprechung hat also das richtige normative Problem gesehen, aber wegen der Verengung auf die Fälle des Prozeßbetruges im Zivilverfahren allein auf den Verfügenden abgestellt und damit eine für andere Konstellationen wesentliche Dimension nicht angesprochen. Der öffentlich-rechtliche Einschlag kann bei entsprechender Einbettung (zum Beispiel bei einem Strafausspruch) auf die gesamte Konstellation durchschlagen. Verfügender und Geschädigter bilden unter Umständen dabei eine (normative) Einheit gegenüber dem Täuschenden, der sich der hoheitlichen Gewalt etwa in Gestalt des Strafrichters gegenübersieht Der Topos der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erscheint daher passender. Die Übertragung der in der historischen Auseinandersetzung aufgefundenen Fragestellungen in Topoi der objektiven Zurechnung liegt insgesamt also nahe. Eben diese Topoi sieht übrigens auch Kurth in der Diskussion des 19. Jahrhun972 973

Vgl. dazu im 5. Abschnitt. Vgl. dazu im 3. Teil.

8. Abschn.: Perspektive

195

derts angesprochen, die hier hergestellten Verbindungen bestätigt er insoweit. 974 Diese Vorgehensweise muß indes zunächst abgesichert werden. In einem Punkt treffen sich die historischen Ansätze durchaus mit gegenwärtigen Streitigkeiten in der Lehre. Auch heute befassen sich Autoren etwa mit der Frage, welche Rolle ein (Mit)Verschulden des Opfers im Betrugstatbestand haben kann. Auch Autoren, die diese Frage so nicht stellen oder zumindest ihre Beriicksichtigung auf der Tabestandsseite nicht befürworten wollen, diskutieren unter vergleichbaren Gesichtspunkten die Streitfrage, ob bei einem gewissen Grad von Zweifeln des Opfers an der Wahrheit der ihm vorgetäuschten Tatsachenlage noch Betrugsstrafbarkeit eintreten soll. Beides stellt sich, wie oben schon angedeutet, als direkte Fortsetzung der Frage nach der Trennung von strafbarem und nur zivilrechtlich zu behandelndem Betrug dar, die in der Entstehung des modernen Betrugstatbestandes im 19. Jahrhundert eine zentrale Rolle gespielt hat und bei der auch in der historischen Entwicklung das Verschulden des Opfers oft im Mittelpunkt stand. Die Verbindung dieser historischen Debatte mit ihren Ausformungen in der Privilegierung von Vertragsverhältnissen und dem Gedanken der qualifizierten Täuschung als Betrugsvoraussetzung mit dem Eigenverantwortlichkeitsprinzip und den heutigen Bestrebungen einer Einschränkung der Betrugsstrafbarkeit unter Beriicksichtigung des Opfermitverschuldens wird auch von Schütz am Ende ihrer Untersuchung der Gesetzgebungsgeschichte von 1751 bis 1851 ausdriicklich hergestellt. 975 Sie sieht sich dadurch sogar veranlaßt, im Annex einen knappen Überblick über die hier im 2. Teil analysierten Ansichten zu geben. 976 Es finden sich seit 1945 zahlreiche Einordnungsvorschläge zur dogmatischen Fundierung einer solchen Beriicksichtigung des Opfermitverschuldens. In jüngster Zeit begegnet man nun der Tendenz, die genannten Fragen, indem sie als normative Korrektur (an)erkannt werden, eben im Rahmen der objektiven Zurechnung anzusiedeln und mit den gebräuchlichen Topoi vom Schutzzweck der Norm oder der eigenverantwortlichen Selbstgefahrdung zu lösen. 977 Die Überpriifung der dogmatischen Einordnung dieser Probleme in den Deliktsaufbau soll Gegenstand des 2. Teiles sein. Die vorhandenen Vorschläge sollen zu diesem Zwecke dargestellt und kritisch gewürdigt werden. Die entsprechende Lösung der hier interessierenden Fallgruppen mit den modernen dogmatischen Mitteln unter Beriicksichtigung der eben aufgeworfenen Fragen soll im 3. Teil versucht werden. Deren besondere Relevanz für richterliche Entscheidungen konnte am Beispiel der Debatte um die besondere Behandlung des 974

Kurth, S. 75 f.

Schütz. S. 193 a.Anf., 197 a.Anf., 203. 976 Schütz. S. 200-210. 977 Vgl. zunächst nur Manzano, Madrid-Symposium, S. 213 ff., der auf die meisten einschlägigen Veröffentlichungen verweist. Im einzelnen dazu im nächsten Teil. 975

13*

196

1. Teil: Analyse der historischen Grundlagen und erste Schlußfolgerungen

Prozeßbetruges nachgewiesen werden. Dieser Debatte wird wiederum der Kanon der in diesem Zusammenhang einschlägigen Argumente auch im Rahmen einer modernen dogmatischen Einordnung zu entnehmen sein.

2. Te i I

Die Berücksichtigung des Opfermitverschuldens und ihre Einordnung in der Dogmatik seit 1945 Obwohl die Praxis ihr jede Relevanz versagt, 1 hat die in der historischen Entwicklung so wichtige Frage nach der Berücksichtigung des Opfermitverschuldens beim Betrug als einziger der historischen Ansatzpunkte auch in jüngerer Zeit zahlreiche Autoren beschäftigt. Zwar spielte dabei der hier vor allem interessierende öffentlich-rechtliche Einschlag keine Rolle, jedoch finden sich Anhaltspunkte, wo solche Aspekte im Betrugstatbestand einzuordnen sein könnten. Mit dieser Frage mußten sich die Autoren zwangsläufig auseinandersetzen, so daß aus ihren Stellungnahmen Argumentationsmaterial für die Lösung des Problems zu entnehmen ist. Daher sollen die verschiedenen Ansätze dargestellt und jeweils auf die Parallelen untereinander und zu den historischen Gedanken untersucht werden. Dabei wird zu belegen sein, daß diese Ansätze sich tatsächlich auf die im 1. Teil herausgearbeiteten historischen Wurzeln zurückführen lassen und ihnen allen trotz der scheinbaren dogmatischen Gegensätzlichkeit eine ganz ähnliche materielle Wertung zugrundeliegt Insgesamt kommt es weniger darauf an, das von den einzelnen Autoren vertretene Ergebnis hinsichtlich des Umfanges der Einschränkung der Betrugsstrafbarkeit zu erfassen und zu bewerten. Hier kann es bei einer knappen Zusammenfassung bleiben. Vielmehr soll das Hauptgewicht auf der Frage der dogmatischen Einordnung und Absicherung liegen. Es findet sich ein breites Spektrum von Vorschlägen. Sie reichen von der Berücksichtigung des Opfermitverschuldens ausschließlich auf der Rechtsfolgenseite über eine Berücksichtigung bei bestimmten Merkmalen des Besonderen Teils unter verschiedenen Auslegungsgesichtspunkten und eine Heranziehung von Kriterien aus dem Allgemeinen Teil auf verschiedenen Stufen zwischen den Tatbestandsmerkmalen bis hin zu einer allgemeinen oder auf einzelne Merkmale bezogenen teleologischen Reduktion des Betrugstatbestandes. Das Ziel der Untersuchung ist nach den am Ende des 1. Teiles zusamrnengefaßten Erkenntnissen schon deutlich. Es soll gezeigt werden, daß die Topoi der objekI Schon PrObTrib Oppenhoff 9, 211 ; PrObTrib Oppenhoff 14, 181; RGSt 4, 352 f.; RGSt 68, 212, 213; RG HRR 40 Nr. 474; BGH bei Dallinger, MDR 72, 387; BGHSt 34, 199, 201 f.; BGH wistra 90, 305 unter 1.; BGH wistra 92, 95, 97 unter 3.b); BGH NJW 95, 1844, 1845; OLG Harnburg NJW 56, 392.

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2. Teil: Die Berücksichtigung des Opferrnitverschuldens seit 1945

tiven Zurechnung am besten geeignet sind, eine Berücksichtigung des Opfermitverschuldens und damit aller aus der historischen Debatte bekannten Wertungsansätze beim Betrug zu tragen. Die übrigen Vorschläge zur dogmatischen Einordnung des Problems müssen also auch auf ihre Nachteile und auf Schwächen in ihrer Begründung untersucht werden. Sodann ist zu prüfen, ob die objektive Zurechnung diese Schwächen und Nachteile zu vermeiden vermag und ihnen deshalb überlegen ist. Vorschläge aus der Literatur, die das Opfermitverschulden im Rahmen der objektiven Zurechnung berücksichtigen wollen (namentlich der von Kurth) müssen dementsprechend ausführlicher diskutiert werden. An sie knüpfen sich die wesentlichen kritischen Stellungnahmen, mit denen man sich auseinandersetzen muß, wenn man die Zurechnungstopoi für die eigene Lösung fruchtbar machen will. Dort werden zunächst grundsätzliche Fragen zu beantworten sein, etwa ob die Heranziehung von Instituten des Allgemeinen Teils zur Lösung des Problems des Opfermitverschuldens und ähnlicher Fragestellungen grundsätzlich zulässig ist und ob es sich dogmatisch um eine teleologische Reduktion handelt und dies ein unüberwindliches Hindernis darstellen würde. Ferner müssen methodische Grundsatzfragen hinsichtlich der Vorgehensweise bei der Prüfung der objektiven Zurechnung beziehungsweise ihrer Topoi geklärt werden. Es stellt sich etwa die Frage, ob über die Risikoverteilung schon durch die Tatsache entschieden ist, daß es zu einer Täuschung und zu einem Irrtum kam. Es könnte sich bereits eine rechtlich mißbilligte Gefahr realisiert haben und die Zurechnung damit ohnehin zu bejahen sein. Ferner ist problematisch, ob auf dem Weg über den Zurechnungstopos der Eigenverantwortlichkeit unzulässigerweise aus einer Mitverantwortung eine Alleinverantwortung gemacht wird. Hier werden also die Grundlagen für die Lösung der interessierenden Fallgruppen unter Verwendung von Zurechnungserwägungen im 3. Teil gelegt. 2 Erwähnt sei noch, daß es zwischen 1871 und 1945 ebenfalls Stellungnahmen gab, die eine Berücksichtigung des Opfer(rnit)verschuldens beziehungsweise der Qualifikation der Täuschung auf der Tatbestandsseite diskutierten. Sie blieben aber ganz vereinzelt und führten nicht zu einer breiten Diskussion, wie sie heute vor allem durch die Thesen Nauckes und der "Viktimologen" wieder stattfindet. Immerhin wird dadurch deutlich, daß diese "neuen" Ansätze nicht ganz ohne Vorbild aus der Zeit der Geltung des § 263 StOB sind. Die älteren Ansätze sind indes für die Frage nach der gegenwärtig zutreffenden dogmatischen Einordnung solcher Probleme ohne Gewinn, zumal sie sich zum Teil im Rahmen von Reformversuchen abspielten, also nicht de lege lata gedacht waren. Für jene Zeit kann daher etwa auf die Darstellungen von Kurthund Ellmer verwiesen werden. 3 Auf das Lehrbuch von Wachenfeld wurde im I. Teil schon hingewiesen. Er zog aus der Fassung des § 251 PrStGB beziehungsweise § 263 StOB - wohl in dieser Form als einziger 2

3

Vgl. dazu unter E.I.-VI. Vgl. Kurth, S. 82 - 94; Ellmer, S. 79 - 86.

1. Abschn.: Die einzelnen Einordnungsvorschläge und ihre Würdigung

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nicht die Konsequenz, de lege lata keine Qualifikation der Tauschung zu verlangen. Zur Tenninologie sei angemerkt, daß üblicherweise die Bezeichnung "viktimologisch" im Zusammenhang mit dem Betrug für diejenigen Autoren gebraucht wird, die mit Rücksicht auf die Rolle des Opfers bei der Tat eine Restriktion der Strafbarkeit im Bereich des Tatbestandes des Besonderen Teils - vor allem beim Irrtumsbegriff- verankern wollen. Diesem Sprachgebrauch soll hier gefolgt werden. Gleichwohl könnte man ebenso diejenigen dazu zählen, die aus vergleichbaren Beweggründen eine Einschränkung auf der Zurechnungsebene oder sonst im Allgemeinen Teil suchen. Dies ist ebenfalls gelegentlich zu lesen. 1. Abschnitt

Die einzelnen Einordnungsvorschläge und ihre Würdigung A. Die Lehre von der Sozialadäquanz und der Subsidiaritätsgedanke Aufgegriffen wurden Fragen des Opfer(rnit)verschuldens zunächst von der Lehre von der Sozialadäquanz. Sie geht auf Welzel zurück, der sie bereits Ende der 30er Jahre entwickelte. 4 Sozialadäquat sollen Handlungen sein, die sich völlig im Rahmen der normalen, geschichtlich gewordenen sozialethischen Ordnung des Gemeinschaftslebens bewegen.5 In der Rezeption stellte sich vor allem die Frage nach der Einordnung dieser Lehre in Tatbestand oder Rechtswidrigkeit und das damit verbundene Problem der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen.6 Welzel ordnete sie ursprünglich dem Tatbestand, dann der Rechtswidrigkeit als gewohnheitsrechtliehen Rechtfertigungsgrund zu, um sie dann doch wieder (am Ende ausschließlich) bei der Auslegung von Tatbestandsmerkmalen zu berücksichtigen.7 In der Literatur wurden alle diese Ansichten vertreten, auch eine Differenzierung nach tatbestandsausschließender und rechtfertigender Sozialadäquanz wurde erwogen.8 4 Vgl. Welzel, ZStW 54 (1935), 491 , 516 f. mit FN 38; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78; Roxin, FS Klug, S. 303. s Welzel, LB, S. 55 f.; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 79. 6 Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 79. Im einzelnen interessiert die Diskussion hier nicht, insoweit sei auf diese Zusammenfassung bei Hirsch verwiesen. 7 Welzel, ZStW 54 (1935), 491, 517; We[zel, LB, S. 57 f.; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 79 f. Welzel schließt sich arn Ende insoweit den Ergebnissen von Hirsch an. s Vgl. Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 79-87; Roxin, FS Klug, S. 303 f.; vgl. auch Zipf, ZStW 82 (1979), 633, 650, der die Sozialadäquanz "im Anschluß an die Tatbestandsprüfung" untersuchen will und ihr eine die Unrechtsindizierung ausschließende Wirkung zuschreibt,

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2. Teil: Die Berücksichtigung des Opfermitverschuldens seit 1945

Im Hinblick auf den Betrug zog man die Fallgruppe der übertriebenen, marktschreierischen Reklame und unverbindlichen Redewendungen, auf die im Verkehr kein Wert gelegt zu werden pflegt, unter die Sozialadäquanz.9 Sie wird hier als Auslegungsregel für Tatbestandsmerkmale benutzt. In den genannten Fällen soll daher das Merkmal "Tatsache" beziehungsweise "Tauschung" fehlen. 10 Daß dies eine Ausformung der Beriicksichtigung des Opfer(mit)verschuldens ist, wird vollends deutlich, wenn zur Begrundung angeführt wird, durch das Verbot des Betruges sollten nicht die Törichten und Lebensfremden geschützt werden. 11 Es handelte sich hinsichtlich des Betruges also nur nach außen um eine objektivierende Betrachtung, die nach der Qualität der Täuschung und nicht nach dem subjektiv-individuellen Verschulden des Opfers fragt. Diese beiden Vorgehensweisen wurden im 1. Teil bereits als Ausformungen desselben Gedankens charakterisiert. 12 Festzuhalten bleibt, daß es sich um einen Ansatz handelt, der den dem Wortlaut nach möglicherweise erfüllten Tatbestand nicht zur Anwendung zu bringen bestrebt ist. 13 Dies geschieht aufgrund der vorstehenden Wertung, die letztlich nach dem Telos der Norm fragt. Es handelt sich um eine Korrektur des "Kausaldogmas", die in der Folgezeitangesichts anderer dogmatischer Errungenschaften zum Teil schon wieder für überflüssig gehalten wird. 14 Die Verwertung der Lehre von der Sozialadäquanz im Rahmen der Auslegung von Tatbestandsmerkmalen wird damit in die Nähe der teleologischen Reduktion gebracht. 15 Mit dem Subsidiaritätsgedanken findet sich in den 60er Jahren ein weiterer Ansatzpunkt, der unmittelbar an die im 19. Jahrhundert so wichtige Frage nach der Unterscheidung zwischen strafrechtlichem und nur zivilrechtlich zu ahndendem Unrecht anknüpft. 16 Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, daß eine zu weitreichende und Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369, 393 unter IV., der offenläßt, ob es sich um eine Einschränkung des Indiztatbestandes oder um einen generellen gewohnheitsrechtliehen Unrechtsausschluß handelt. 9 Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 89. In der zweiten und damit neuesten Auflage ihres Lehrheftes bekunden Arzt/Weber Zustimmung zur Herausnahme "sozialadäquater Täuschungen" aus der Betrugsstrafbarkeit: Arzt/Weber, BT, LH 3, Rnr 399 f. 10 Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 129 f., grundsätzlich S. 132. 11 Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 130. Arzt/Weber, BT, LH 3, Rnr 399 f. bringen dies ausdrücklich in Zusammenhang mit dem Gedanken der Opfermitverantwortung und der aus der historischen Auseinandersetzung bekannten Idee, daß jeder Teilnehmer am Rechtsverkehr sein Orientierungsrisiko zunächst selbst zu tragen habe. Diese Idee war es, die im 19. Jahrhundert dazu führte, daß man Vertragsverhältnisse generell privilegieren wollte. 12 Vgl. im 1. Teil 1. Abschnitt A.III. 13 So ausdrücklich Welzel, LB, S. 57; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 132; vgl. auch Roxin, FS Klug, S. 303. 14 Vgl. Welzel, LB, S. 57; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 133 f. We/zel, hält an der grundsätzlichen Bedeutung fest, Hirsch nicht. 15 Hirsch, ZStW 74 (1962), 78, 133 f. 16 Den Bezug zu dieser Zeit stellt Peters, FS Eb. Schmidt, S. 488,492 FN 12 ausdrücklich her.

l. Abschn.: Die einzelnen Einordnungsvorschläge und ihre Würdigung

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Anwendung des Strafrechtes den Ernst des sozialethischen Vorwurfes der Strafe gefährdet. 17 Ziel war es, das Strafrecht von Vorgängen ohne ernsthaften sozialethischen und kriminologischen Hintergrund zu befreien, bei denen es lediglich um vermögensrechtliche Auseinandersetzungen geht. 18 Der Gesetzgeber, so wird vorausgeschickt, könne eine entsprechende Abschichtung nicht immer leisten. Er müsse, um alles echte kriminelle Unrecht in dem Tatbestand zu erfassen, oft auch unechtes mit hereinnehmen beziehungsweise dessen Hereinnahme durch Auslegung zulassen. 19 Namentlich beim Betrug liege dies so. 20 Abhilfe habe die Rechtsanwendung im Wege einer Auslegung zu schaffen, die (auch) sozialethisch und kriminologisch zu sein habe? 1 So seien unter anderem die vorwiegend zivilrechtliehen Streitigkeiten auszusondern, wenn und weil es anderweitig genügenden Rechtsschutz gebe. 22 Eine weitere Kontrollfrage soll lauten: Entspricht die Tat dem dem Tatbestand zugrundeliegenden Vorstellungsbild? Dieses Vorstellungsbild soll einen über die Summe der Merkmale hinausgehenden Inhalt haben. 23 In der Anwendung dieser Prinzipien auf den Betrug tauchen die aus dem 19. Jahrhundert bekannten Gruppen und Argumentationsmuster wieder auf. Im Rahmen der Täuschung sollen wiederum die übertriebenen Reklame- und Überredungsfloskeln ausscheiden, 24 was auf eine versteckte Berücksichtigung des Opfer(mit)verschuldens hinausläuft. Noch deutlicher wird dieser Bezug, wenn vor allem Abzahlungsgeschäfte aus der Betrugsstrafbarkeit herausfallen sollen.25 Zur Begründung wird angeführt: "Wer Verträge abschließt, sollte die Augen aufmachen und sich selbst in der Hand haben." Damit wird die aus dem 19. Jahrhundert bekannte Privilegierung von Vertragsverhältnissen wiederum aufgegriffen. Beide Gedanken - Sozialadäquanz und Subsidiarität- bedürfen wohl aus heutiger Sicht keiner eigenen kritischen Würdigung mehr. Beide greifen im Wege der teleologischen Reduktion Ansätze auf, die heute anerkannten Prinzipien der objektiven Zurechnung entsprechen. Darauf hat auch Roxin hingewiesen, der die "soziale Adäquanz" in neuerer Zeit analysierte. Er erkennt darin letztlich ein Prinzip, um den Deliktstypus des jeweiligen Tatbestandes scharf herauszuarbeiten und ihn entsprechend einzuschränken?6 Für diese Einschränkung soll es jedoch nach seiner Ansicht heute genauere Kategorien geben, namentlich die Zurechnungstopoi 17

18 19 20

21 22

23 24

2s 26

Peters, FS Eb. Schmidt, S. 488. Peters, FS Eb. Schmidt, S. 488,491. Peters, FS Eb. Schmidt, S. 488, 494. Peters, FS Eb. Schmidt, S. 488, 494 FN 17. Peters, FS Eb. Schmidt, S. 488, 496. Peters, FS Eb. Schmidt, S. 488, 495 und 498. Peters, FS Eb. Schmidt, S. 488, 498 FN 28. Peters, FS Eb. Schrnidt, S. 488,495 FN 21. Peters, FS Eb. Schmidt, S. 488, 496 f. FN 22. Roxin, FS Klug, S. 303, 305 f ., 310.

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2. Teil: Die Berücksichtigung des Opfennitverschuldens seit 1945

des erlaubten Risikos und des Schutzbereiches. 27 Damit erkennt Roxin zutreffend, daß es sich bei der Lehre von der Sozialadäquanz um Ideen handelte, die heute als Zurechnungstopoi allgemein anerkannt sind?8 Eine offene teleologische Reduktion hinsichtlich des gesamten Tatbestandes oder hinsichtlich eines Tatbestandsmerkmales ist erst denkbar, wenn man nicht schon im Rahmen der Zurechnung zu einer Verneinung der Strafbarkeit kommt. 29 Für den Subsidiaritätsgedanken gilt ganz Ähnliches. Es handelt sich wieder um eine teleologische Reduktion, die ganz bestimmte normative Erwägungen anstellt, um den an sich dem Wortlaut nach erfüllten Tatbestand nicht anwenden zu müssen. Interessant erscheint die dahinterstehende Wertung. Dem Opfer wird gesagt, es solle bei Vertragsverhältnissen die Augen offen halten, anderenfalls sei es auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Dies ist letztlich das, was dem Zurechnungstopos der eigenverantwortlichen Selbstgefahrdung zugrundeliegt Wenn nach dem über die Summe der Tatbestandsmerkmale hinausgehenden Vorstellungsbild gefragt wird, das dem Tatbestand zugrundeliegt, ist dies nichts anderes als eine Umschreibung des Zurechnungstopos vom Schutzbereich der Norm. Hier wird noch deutlicher als bei der Lehre von der Sozialadäquanz, daß es sich in Wirklichkeit um die Bildung von Verantwortungsbereichen handelt. Das Risiko für eine bestimmte Entwicklung wird, obwohl nominell eine Täuschung vorlag, dem scheinbaren "Opfer" zugerechnet. 30 Es dürfte sich also wiederum um Fragen handeln, die in den entsprechenden Topoi der objektiven Zurechnung unterzubringen sind. Eine Beriicksichtigung dieser Gedanken als Basis einer offenen allgemeinen teleologischen Reduktion ist deshalb nicht weiter zu priifen. Diese Einordnung der - schon historisch zu nennenden - Gedanken der Lehre von der Sozialadäquanz und von der Subsidiarität in die Kategorien der modernen Zurechnungslehre deutet die zutreffende Stellung aller hier interessierenden Probleme schon an. Daß Roxin auch die hier als einschlägig herausgestellten Topoi (Schutzzweck und Risikosphären) benennt, macht dies besonders deutlich. Die von Naucke gegen diese beiden historischen Ansätze vorgebrachte Kritik31 beruht auf seiner von der herrschenden Meinung abweichenden Auslegungsmethode und seinem grundsätzlich anderen Verständnis des Bestimmtheitsgebotes aus Art. 103 II GG. Naucke überpriift dort die aus der Lehre von der Sozialadäquanz für den Betrug gezogenen Schlußfolgerungen und kommt zu dem Ergebnis, hier Roxin, FS Klug, S. 303, 310 ff. Ähnlich äußert sich Roxin beiläufig auch in FS Honig, S. 133, 139. 29 V gl. dazu E.III. 30 Besonders deutlich wird dies bei Peters, FS Eb. Schmidt, S. 488, 496 f. FN 22. Dort wird dem Abzahlungsverkäufer das Risiko eines Irrtums über die Zahlungsfähigkeit des Käufers mit dem Argument allein zugerechnet, daß ihm wegen der üblichen Kalkulation von Finanzierungsaufschlägen et cetera kein ernsthafter Verlust drohe, so daß das Risiko abgedeckt sei. Dort ist auch von "Verantwortungsbewußtsein" die Rede, es werden also deutlich Verantwortungsbereiche statuiert. 31 Vgl. zur Sozialadäquanz Naucke, S. 166 ff. 27 28

l. Abschn.: Die einzelnen Einordnungsvorschläge und ihre Würdigung

203

handele es sich lediglich um Entscheidungen über das Vorliegen beziehungsweise Fehlen von Tatbestandsmerkmalen, namentlich des Tatsachenbegriffes. Daraus sei unzulässigerweise eine allgemeine kriminalpolitische Stellungnahme außerhalb des Tatbestandes gemacht worden. 32 Die Voraussetzung für die Anwendung des Grundsatzes der Sozialadäquanz, also die eigentlich vorliegende Erfüllung des Betrugstatbestandes, sei nicht gegeben. 33 Diese Kritik Nauckes trifft nur zu, wenn man mit ihm anerkennt, daß die Tatbestandsmerkmale bei "normaler" Auslegung (also ohne Heranziehung des Sozialadäquanzgedankens) einen Ausschluß der Strafbarkeit in den problematischen Fällen tragen. Dies ist nur der Fall, wenn man seine historisch-subjektive Auslegungsmethode im Gegensatz zur herrschenden Meinung zugrundelegt Thm soll insoweit jedoch nicht gefolgt werden, vielmehr soll eine Lösung auf dem Boden der herrschenden Meinung gefunden werden. Der zweite Kritikpunkt Nauckes betrifft die angeblich mangelnde Klarheit und Sicherheit solcher Einschränkungsbemühungen. Ihre Anwendung über die oben genannten, im allgemeinen herangezogenen Fälle hinaus würde nach seiner Ansicht zu einer unerträglichen Unklarheit führen, da keinerlei verbindliche Wertung zu erzielen sei?4 Auch durch "Übersetzungen" des allgemeinen Prinzips auf den Betrugstatbestand in eine abstrakte, aber eben nur auf den Betrug zugeschnittene Formel sieht er keine Abhilfe?5 Das Ergebnis sei zu unsicher und mit Art. 103 II GG unvereinbar. 36 Fehlende Voraussehbarkeit der Ergebnisse, ein "Tasten von Fall zu Fall" vertrage sich nicht mit der "gesetzlichen Bestimmtheit der Tatbestände". 37 Dies betrifft ein Grundsatzproblem: Es geht um das grundlegende Verständnis des Bestimmtheitsgebotes. Nauckes Ansicht ist vor dem Hintergrund derjenigen seines Lehrers Hellmuth Mayer zu betrachten, der aus Art. 103 II GG engere Anforderungen als die herrschende Ansicht an die Eindeutigkeit der Beschreibung des in Frage kommenden Lebenssachverhaltes durch das Gesetz ableitete. 38 Der Rechtsanwender ist nach herrschender Meinung bei normativen Entscheidungen zwangsläufig auf höchstpersönliche Erwägungen angewiesen. Dieser Umstand läßt sich dann nicht für oder gegen eine gewisse dogmatische Einordnung anführen. Naucke, S. 167-169und 171 f. Naucke, S. 169. Die Lehre von der Sozialadäquanz bestreitet im übrigen nicht, daß das Tatbestandsmerkmal im Ergebnis fehlt, sieht dies aber als Resultat der von der Sozialadäquanz bestimmten Auslegung. Dieser Ansatz ist es, den Naucke kritisiert. Er will das Tatbestandsmerkmal ohnehin - im Ergebnis wegen der von ihm vertretenen historischen Auslegung - ablehnen und bestreitet das Erfordernis einer Wertung außerhalb des Tatbestandes. 34 Naucke, S. 169 f. 35 Naucke, S. 170 f. 36 Naucke, S. 175 ff. 37 Naucke, S. 170 FN 16 und S. 172 mit FN 22. 38 H. Mayer, Gutachten, S. 271 unter 3., S. 272 vor V., S. 276 unter 2. a.E. im Gegensatz etwa zu Maria-Katlulrina Meyer, S. 195 FN 197 im Sinne der herrschenden Meinung. 32 33

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2. Teil: Die Berücksichtigung des Opfermitverschuldens seit 1945

B. Die subjektiv-historische Auslegung des Betrugstatbestandes Naucke sucht in seiner Habilitationsschrift aus dem Jahre 1964 nach Möglichkeiten der Einschränkung des Betrugstatbestandes. Seine Ausgangsposition ist die Diagnose einer zu weiten Strafbarkeit, eines zu weitgehenden Schutzes von Vermögen und - wie er behauptet - Dispositionsfreiheit 39 Am Ursprung dieses Zustandes sieht er die Tatsache, daß statt logisch-begrifflicher Erwägungen ein "übertrieben teleologisches Element" im Vordergrund stehe.40 Er erstrebt eine begrifflich-dogmatische, also nicht wertende Möglichkeit, den Tatbestand weitgehend einzuschränken, um "auf den Inhalt des positiven Rechts zurückzugehen". 41 Den Ansatz beim Bestimmtheitsgebot legt Naucke nun ausführlich dar. Sein Ausgangspunkt muß noch einmal festgehalten werden: Er meint, man könne nach objektiven Kriterien bei § 263 StOB sowohl zu einer Ausweitung der Strafbarkeit (wie die Rechtsprechung) als auch zu einer Einschränkung (wie einige Autoren) kommen. Hier setzt die Betrachtung des Art. 103 II GG an. Er nähert sich jener Norm nicht mit der üblichen objektiven Auslegungsmethode, sondern mit der historischen. Dies ist dieselbe, mit der er auch den Betrugstatbestand in seinem Sinne auslegen will. Er folgert nun aus der historischen Rückführung des Art. 103 II GG auf den § 2 PrStGB, der das Prinzip aus dem Art. 4 des französischen Code penal übernommen hatte, daß dieser ein allgemeines positives Erfordernis der Tatbestandsbestimmtheit enthalte. Dem könne nur mit einer strikt subjektiv-historischen Auslegung der Tatbestände Rechnung getragen werden, was seinerzeit auch so gesehen worden sei. 42 Teleologische und systematische Erwägungen hält er für unzulässig,43 eine Abgrenzung derselben von der Analogie für unrnöglich.44 Die herrschende Meinung hält solche objektiven Auslegungsmethoden hingegen für zulässig. Der objektive teleologische Aspekt gilt ihr als zentrales Auslegungskriterium. Eine Unvereinbarkeit mit Art. 103 II GG sieht sie dabei nicht, insbesondere keine Analogiebildung. Naucke kritisiert dann, daß die objektive, "weite" Auslegungsmethode der heute herrschenden Meinung auf die Auslegung des Art. 103 II GG zurückwirke, indem behauptet werde, dieser erfordere gar nicht mehr Bestimmtheit als diese herrschende Auslegungsmethode biete. 45 Er bezeichnet seine Argumentation selbst als "so 39

40

41 42 43 44 45

Naucke, S. 163. Zusammenfassend Naucke, S. 163, vgl. etwa auch S. 126. Naucke, S. 164 f. Naucke, S. 184 f. vor allem mit FN 15 und S. 189 mit FN 34. Naucke, S. 186 in Verbindung mit 192 f. Naucke, S. 195. Naucke, S. 193 f. und 195 f.

1. Abschn.: Die einzelnen Einordnungsvorschläge und ihre Würdigung

205

unzeitgemäß",46 daß er nach weiteren Rechtfertigungen für sein Ergebnis sucht. Dazu setzt er kriminalpolitisch an und kommt damit zu der hier interessierenden Argumentation: Nach seiner Ansicht sind die Ergebnisse der herrschenden Meinung zu weitreichend. Sie bestraften nicht nur "unerträgliche" Betrügereien, sondern erfaßten ohne jedes rational durchgebildete kriminalpolitische Korrektiv alles, "was nach Betrug aussieht". 47 Seine Auslegungsmethode hält er deshalb auch für kriminalpolitisch überlegen. 48 Daß er mit dieser Argumentation ganz nah an die der Subsidiaritätslehre kommt, liegt offen zutage. Er will aber keineswegs seinen Ansatz verlassen, daß kriminalpolitische Erwägungen als Auslegungshilfen unzulässig sind.49 Die Koinzidenz seiner kriminalpolitischen Vorstellungen mit dem Ergebnis der historischen Auslegung bezeichnet er als zufällig.50 Diese Zufalligkeit kann man bezweifeln. So wie sein Verständnis des Art. 103 II GG dem seines Lehrers entgegenkommt, stimmt auch sein Ergebnis hinsichtlich der Betrugsauslegung mit dessen Vorstellungen überein. H. Mayer hatte sich gerade auch im Bezug auf den Betrugstatbestand unter Zugrundelegung seiner Anforderungen an die Bestimmtheit von Tatbeständen gegen eine zu weite Auslegung gewandt. 5 1 Das Ergebnis, das Naucke für § 263 StGB herausarbeitet, ist nach seinem historischen Ansatz voraussehbar: Er will auf die Gesetzgebungsgeschichte des § 251 PrStGB zurückgehen und den so festgestellten Inhalt des Tatbestandes unverändert übernehmen: • Tauschungshandlung kann nur ein positives Tun sein; • Absichten sind keine Tatsachen; • Anpreisungen, marktschreierische Äußerungen, Werturteile ebensowenig; • Nichtwissen, lückenhaftes Wissen, allgemeine Vorstellungen begründen keinen Irrtum; • Vermögensverfügung bedeutet Weggeben (eine Handlung); • Schaden ist allein der materielle Verlust an Geld, Sachen oder Rechten, entscheidend ist, ob ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch entsteht.5 2 Für die interessierende Frage des Opfer(rnit)verschuldens bleibt festzuhalten: Naucke will die Fälle, die auch die Lehre von der Sozialadäquanz und die Subsidiaritätslehre aus der Betrugsstrafbarkeit herausnehmen wollten, schon durch das Fehlen von Tatbestandsmerkmalen dem historisch gedeuteten Wortlaut nach aus46 47

149. 48 49

50

SI 52

Naucke, S. 203 noch unter I. Naucke, S. 203-205, vgl. für Einzelfälle vor allem im Abzahlungsbereich auch S. 145Naucke, S. 207. Naucke, S. 218 f. Naucke, S. 218. Vgl. H. Mayer, Gutachten, S. 260, auch 264 f. Zu allem vgl. Naucke, S. 214 f. und 245 ff.

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2. Teil: Die Berücksichtigung des Opfennitverschu1dens seit 1945

scheiden. 53 Er stellt sich damit gegen jede normative Erwägung und verlangt eine strikte Anwendung der subjektiv-historischen Vorgaben, womit er zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt. Er geht mithin davon aus, daß die Frage nach der Grenze zwischen strafbaren und nur zivilrechtlich zu ahndenden Fällen in der Fassung des § 263 StGB ihre Beantwortung gefunden hat. 54 Daß die Behandlung der von ihm hinsichtlich ihrer Strafbarkeit diskutierten Fallgruppen eine Fortwirkung jener historischen Frage ist, erkennt er damit an. 55 Naucke begründet die (angeblich) zwingende enge historische Auslegung des Betrugstatbestandes mit einer ebenfalls besonderen historischen Auslegung des Art. 103 II GG. Dies ist zwar kein Zirkelschluß im eigentlichen Sinne. Es macht aber deutlich, daß sein gesamtes Ergebnis auf einer methodischen Besonderheit beruht, für die selbst er keine durchgreifende Begründung liefert. Mit dem Ergebnis seiner historischen Auslegung des Art. 103 GG begibt er sich in bewußten Gegensatz zum heute herrschenden Verständnis des nullum-crimen-Satzes. 56 Er findet in dem (seinerseits historisch ausgelegten) Art. 103 II GG die Anordnung der historischen Auslegungsmethode für den § 263 StGB, während die heute ganz herrschende Meinung eine solche Verbindung nicht anerkennt und die sogenannte "objektive Auslegungsmethode" als zulässig und erforderlich anerkennt. 57 Seine Kritik an der herrschenden Meinung dürfte logisch nicht durchgreifen: Sie lasse ihre "weite" (objektive) Auslegungsmethode, die sie für die Straftatbestände anwende, auf Art. 103 GG zurückwirken. Nur so könne sie behaupten, dieser verlange gar nicht mehr Bestimmtheit, als die objektive Auslegung für die Tatbestände biete. Hier wird die angedeutete Kritik an Nauckes Gedanken klarer: Naucke setzt, wenn er von Art. 103 II GG ausgeht, eine Auslegungsmethode für denselben (die historische) voraus. Die herrschende Meinung setzt ihre Methode für die Tatbestände des StGB voraus. Naucke schließt dann auf das StGB und die ,,richtige" historische Auslegung, die herrschende Meinung "schließt" (so unterstellt Naucke) auf den Umfang der Bestimmtheitsgarantie. Beide Vorgehensweisen sind, selbst wenn man Naucke insoweit folgt, denselben Vorwürfen ausgesetzt. Der Vorteil, daß Naucke von der vorrangigen Verfassungsnorm auf die Behandlung des StGB schließt, erweist sich damit als ein nur scheinbarer. Nicht die Verfassungsnorm ist der Ausgangspunkt, sondern die Methode zur Erfassung ihres Inhaltes. Letztlich zeigt sich, daß die herrschende Meinung sowohl die Tatbestände des StGB als auch den nullum-crimen-Satz nach objektiven Gesichtspunkten auslegt und damit zu in sich stimmigen Ergebnissen kommt. Naucke legt beides subjektiv-historisch aus und erreicht damit ebenfalls ein geschlossenes System.5 8 Ein logischer Vorrang einer der beiden Ansichten ist nicht ersichtlich. 53 54 55

56 57

Naucke, S. 215. Naucke, S. 215 a.E. Naucke, S. 215, vgl. auch S. 145. Naucke, S. 188 und 192 ff. Naucke, S. 192 f. und 202 f.

1. Abschn.: Die einzelnen Einordnungsvorschläge und ihre Würdigung

207

Mithin besteht kein Anlaß, die Lösung der hier interessierenden Fragen auf dem Boden von Nauckes Mindermeinung zu suchen, deren diesbezügliche Leistungsfähigkeit daher auch dahinstehen kann. Vielmehr soll weiter nach der zutreffenden Einordnung auf der Grundlage der herrschenden Meinung gesucht werden.

C. Adäquanzkausalität zwischen 1äuschung und Irrtum Naucke entwickelt später einen von seiner Habilitationsschrift völlig abweichenden Ansatz. Ausgangspunkt ist wieder (diesmal ausschließlich) das Bestreben, verschieden intensive Täuschungen auf der Tatbestandsseite auch verschieden behandeln zu können. 59 Seine Kritik setzt an dem Umstand an, daß die herrschende Meinung den Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum nach der Äquivalenztheorie beurteilt und damit eine Abschichtung von schwachen, leicht zu bewerkstelligenden und einfach zu entdeckenden Täuschungen unmöglich macht. Dies bedeutet nach Naucke eine Verwischung des Unterschiedes zwischen den Kern- und den Randfällen des Betruges.60 Diese Verdrängung funktioniere nicht, die Unterscheidung nach der Täuschungsintensität breche sich an anderer Stelle wieder Bahn. Zum Beleg führt er unter anderem die schon bekannten Beispiele der Lehre von der Sozialadäquanz und der Subsidiaritätslehre an. Ferner verweist er darauf, daß auf der Rechtsfolgenseite die leichtgemachte Täuschung durchaus strafmildernde Berücksichtigung finde. 61 Die Verbindung zu den historischen Ideen, eine qualifizierte Täuschung zu verlangen, spricht Naucke ausdrücklich an. 62 Daß es im Kern um die Berücksichtigung des Opfer(rnit)verschuldens geht, macht er diesmal ebenfalls ausdrücklich selbst deutlich. Er greift den Satz der herrschenden Meinung an, auf ein Mitverschulden des Opfers komme es nicht an, und bezeichnet ihn als zweifelhafteste Konsequenz aus der Anwendung der Bedingungstheorie an dieser Stelle.63 58 Ganz deutlich wird dies bei der Kritik an Sax: Naucke, S. 196 ff., vor allem S. 198. Festzuhalten ist, daß Sax über die herrschende Meinung hinausgeht, indem er den Wortlaut als äußerste Grenze der Auslegung zur Analogie fallenläßt (bei Naucke, S. 199). Wenn Naucke auf S. 200 behauptet, Sax gebe die herrschende Meinung wieder, ist dies insoweit unzutreffend und auch mit seinen eigenen Ausführungen zuvor unvereinbar: AufS. 194 referiert er selbst ausdriicklich, daß der Wortlaut nach der herrschenden Meinung die Grenze der Auslegung bildet. Dies kann er als unpraktikabel kritisieren, aber nicht leugnen. 59 Vgl. Naucke, FS Peters, S. 109, 112 f. 60 Naucke, FS Peters, S. 109, 111. 61 Naucke, FS Peters, S. 109, 112 unter a) und b) und S. 113 unter h) sowie S. ll3 f. unter

IV. a).

62 Naucke, FS Peters, S. 109, 116 f. unter b). Sie sind auch angedeutet bei Ellmer, S. 145 noch unter 1. 63 Naucke, FS Peters, S. 109, 112 f. unter f).

208

2. Teil: Die Berücksichtigung des Opfennitverschuldens seit 1945

Hier setzt nun sein kriminalpolitisches Programm an: Die Bedingungstheorie angewandt auf den Kausalzusammenhang zwischen Tauschung und Irrtum - führe zu einem zu umfassenden Schutz des Vermögens vor Täuschungen. Dies sei ein "luxusartiger Dienst durch das Strafrecht", der die "mangelnde intellektuelle Übung" und die "mangelnde Übung im täglichen Geschäftsverkehr" der leicht zu Tauschenden hinnehme und festschreibe und deren "Anhänglichkeit und Bequemlichkeit" begünstige.64 Von seinem Konzept aus der Habilitationsschrift ist nicht mehr die Rede. Er will nun aber den leicht vermeidbaren Irrtum aus den für die Betrugsstrafbarkeit ausreichenden Voraussetzungen ausscheiden. 65 Dies soll durch eine Änderung der Formel für den Kausalzusammenhang zwischen Tauschung und Irrtum erreicht werden, die er einer Änderung im Verständnis der Tatbestandsmerkmale selbst vorzieht. 66 Dies habe den Vorteil, den Tauschenden und sein potentielles Opfer zugleich betrachten zu können. 67 Naucke verlangt daher einen adäquaten Zusammenhang zwischen Tauschung und Irrtum, so daß die Tauschung allgemein geeignet sein muß, den Irrtum herbeizuführen. 68 Eine gewisse Unsicherheit bezüglich des Ergebnisses will er dabei in Kauf nehmen, 69 was seinen Ideen aus der Habilitationsschrift ebenfalls zuwiderläuft. 70

Naucke, FS Peters, S. 109, 114 f. Naucke, FS Peters, S. 109, 117 a.E. 66 Naucke, FS Peters, S. 109, 118. 67 Naucke, FS Peters, S. 109, 118. 68 Naucke, FS Peters, S. 109, 118. 69 Naucke, FS Peters, S. 109, 119. 70 Einen völlig dem Ansatz_von Naucke entsprechenden Gedaoken hat Sauer; System, S. 81 im Jahre 1954 dargestellt, ihn allerdings nur in einem Satz erwähnt. Auch Sauer sprach von der "generellen Eignung der Handlung zur Irrtumserregung", ohne die es an der adäquaten Kausalität fehle. Blei entwickelt zur Erreichung eines ähnlichen Ergebnisses wie Naucke zwei durchaus interessante systematische Ansätze: Er weist zunächst auf den parallel strukturierten Erpressungstatbestand hin, bei dem man ganz selbstverständlich davon ausgeht, daß die Drohung geeignet sein muß, einen besonnenen Menschen zu dem erstrebten Verhalten zu bewegen (Blei, JA 74, 681, 685). Später bekundet er Sympathie für die Differenzierung Amelungs (vgl. schon Blei, JA 77, 91 f., zu Amelung vgl. unter D.III.l.). Er will aber nicht die Auslegung des Irrtumsbegriffes zu einem solchen Ergebnis führen - dort sieht er keine zwingende Beschränkung im Sinne Amelungs - , sondern die darauffolgende Stufe- die Kausalität zwischen Irrtum und Verfügung - fruchtbar machen. Dort soll eine "tatbestandsrelevante Kausalität" (ähnlich also wieder der Adäquanz im Sinne von Naucke) in den von Amelung aus dem Irrtum geschiedenen Fällen fehlen, in denen der Zweifel dem Verfügenden Gelegenheit gegeben hätte, sich vor Schaden selbst zu bewahren: Blei, BT, 12. Auf!., S. 227 noch unter III. Bleis Vorschläge sind denselben Einwänden ausgesetzt wie diejenigen, an die er anknüpft, müssen also nicht gesondert besprochen werden. Mit seinem zweiten Vorschlag lenkt er indes - soweit ersichtlich als einziger - den Blick auf die Stufe, die solche Erwägungen richtigerweise zu tragen in der Lage ist. Er macht sich also frei von der historischen Bindung an die Stufe zwischen Täuschung und Irrtum, die im Mittelpunkt stand, als man noch über reine Kausalitätserwägungen zur Lösung kommen wollte und sich den normativen Charakter der Entscheidung nicht eingestand. 64

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1. Abschn.: Die einzelnen Einordnungsvorschläge und ihre Würdigung

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Die Kritik dieser Konzeption geht oft von den Ergebnissen und sozialpolitischen Vorstellungen Nauckes aus. So wird bemängelt, Naucke gebe die Hilflosen faktisch zur Schädigung frei und seine kriminalpolitischen Hoffnungen in sozialpolitische Erziehungsmöglichkeiten seien eher weltfremd. 71 Auch andere kritisieren letztlich nur Nauckes Ergebnisse und nicht seine Vorgehensweise: Das Mitverschulden des Opfers hindere die Adäquanz keineswegs, die Eignung plumper Tauschungen stehe angesichts ihrer hohen Erfolgsquote außer Frage72 . Dieser Vorwurf, der Erfolg zahlreicher plumper Tauschungen mache diesen Ablauf zu einem adäquaten, kann Naucke wohl nicht treffen. Er bestimmt die Adäquanz eben anders: nicht im Sinne eines empirischen Wahrscheinlichkeitsurteiles aus der Sicht des Täters, sondern mit einer normativen Komponente in Gestalt des fiktiven, idealisierten (informierten und umsichtigen) Opfers?3 Damit wird der geringe Abstand Nauckes zu (rein normativen) Zurechnungserwägungen im Sinne von Verantwortungsbereichsbildung oder Schutzbereichserwägungen besonders deutlich. Nauckes Ansatz ist also weniger eine Ausformung der herkömmlichen Adäquanztheorie als eine Zurechnungserwägung im angedeuteten Sinne. Soweit die Kritik sich ferner auf das von Naucke in Bezug genommene Regreßverbot stützt,74 geht sie wohl fehl. Nauckes Berufung auf diese Lehre ist eher unglücklich und trägt seine Gedanken nicht. Die Regreßverbotslehre hat für Konstellationen, in denen ein vorsätzlicher Angriff fahrlässig erleichtert wird, wohl keine starre Geltung beansprucht. Dies erkennt übrigens Rillenkamp an anderer Stelle selbst an. 75 Naucke meint vielmehr einen den modernen nach Verantwortungsbereichen fragenden Zurechnungstopoi entsprechenden Ansatz, der mit einem - womöglich starren - Regreßverbot nichts zu tun hat. Solche Kritik an der Methode geht daher ins Leere. Substantiierter erscheint ein Einwand, der sich in einem interessanten Ansatz gegen die kriminalpolitisch-praktische Eignung von Nauckes Kriterien wendet: Der Tater werde die Intensität seiner Überlistungsbemühungen stets auch an der Abwehrbereitschaft des Opfers ausrichten, so daß generell sozialadäquate Tauschungen schwer zu bezeichnen seien.76 Interessant sind aber vor allem Stellungnahmen, die sich mit dem Problem der zutreffenden Position im Deliktsaufbau befassen. Wenig Substanz bieten Kritiker, die ohne weiteren Beleg ihre Einordnung voraussetzen und andere deshalb angreifen, weil sie dem nicht folgen. Rillenkamp etwa bringt auch hier sein - sichtlich vom gewünschten Ergebnis beeinflußtes - Argument, es würden Strafmilderungs71 Vgl. zum Beispiel Blei, JA 74, 681, 684 f.; Krack, S. 64 ff.; wiedergegeben sind solche Äußerungen etwa bei Kurth, S. 156 ff. 72 Zum Beispiel Hillenkamp, S. 86; vgl. auch Kurth, S. 164 f. 73 So verstanden auch von Ellmer, S. 157. 74 Vgl. Hillenkamp, S. 86. 75 Vgl. Hillenkamp, S. 181. 76 Kirulhäuser, ZStW 103 (1991), 398,405 f.

14 Jänicke

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2. Teil: Die Berücksichtigung des Opfennitverschuldens seit 1945

gründe zu "Tatbestandskorrektiven" aufgewertet. 77 Damit werden Wertungen ohne Begründung vorausgesetzt, eine wirkliche Auseinandersetzung mit den anderen Einordnungsmöglichkeiten unterbleibt. 78 Auch über ein Verständnis, das die Einstellung auf der Kausalitätsstufe nicht ernst nimmt, sondern Nauckes Vorgehen als Einschränkung von Tatbestandsmerkmalen begreift, kann hier hinweggegangen werden. 79 Das damit eventuell angesprochene Problem, daß auch normative Beschränkungen im Rahmen des Allgemeinen Teils (etwa über Zurechnungstopoi) eine teleologische Reduktion darstellen könnten, soll nicht ausgeblendet werden. Es wird bei der Besprechung der objektiven Zurechnung behandelt. 80 Es würde sich dann aber um eine Reduktion des Tatbestandes an sich, nicht um ein Vorgehen über bestimmte Tatbestandsmerkmale handeln. Ernstzunehmen ist die Kritik, die bemängelt, daß Naucke sein Adäquanzerfordernis ausschließlich für den Betrugstatbestand entwickelt. Sie wendet sich gegen die Konstruktion einer besonderen Adäquanz- oder Relevanzlehre nur für den Betrugstatbestand unter Festhalten an der Äquivalenztheorie für alle übrigen. Man dürfe keine deliktsspezifischen Kausalitätserfordernisse konstruieren, sondern habe die Kausalität stets gleich zu prüfen.81 Indes läßt sich dieser Vorwurf leicht durch die schon angedeutete Einstellung der Gedanken Nauckes in die - für alle Tatbestände geltenden82 - Zurechnungstopoi vermeiden. So läßt sich das Verdienst Nauckes voll nutzbar machen. Es besteht darin, daß er nicht ein Tatbestandsmerkmal isoliert betrachtet, sondern in einer komplexen Betrachtungsweise Täter- und Opferperspektive gleichermaßen ins Blickfeld rückt. 83 Schließlich ist noch ein Kritikpunkt gesondert abzuhandeln, den Hillenkamp vorbringt und der schon eine für die objektive Zurechnung wichtige Frage anspricht. Hilfenkamp will Naucke vorwerfen, dieser setze eigene Strafwürdigkeitserwägungen an die Stelle der vom Gesetzgeber gewollten. Insbesondere habe der Gesetzgeber von 1851 oder 1871 nicht den später entwickelten Adäquanzgedanken im Auge gehabt. 84 Diese Argumentation ist schon insoweit bedenklich, als man sie auf die Auslegung von Merkmalen des Besonderen Teils anwenden Billenkamp, S. 89 unter d) und Billenkamp, Opferverhalten, S. 13. Vgl. dazu auch bei der Besprechung Billenkamps unter H. 79 Krad