Georg Beseler: Leben und Werk [1 ed.] 9783428452095, 9783428052097

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Georg Beseler: Leben und Werk [1 ed.]
 9783428452095, 9783428052097

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BERND-RüDIGER KERN

Georg Beseler - Leben und Werk

Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 26

Karl Georg Christoph Beseler 1846

GEORG BESELER Leben und Werk Von

Dr. Bernd -Rüdiger Kern

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1932 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany

© 1982 Duncker

rSE",," 3 428 05209 9

Meiner Frau

"Ich bin Einer von Denjenigen, die gesucht haben, in der deutschen Wissenschaft etwas zu wirken, nicht bloß für die Wissenschaft, obgleich auch sie ihre selbstständige Würde und Bedeutung hat, sondern durch die Wissenschaft für die Nation." Georg BeseLer (Ff.- Verh. VII, S. 5497)

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1980 von der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung habe ich sie nur geringfügig geändert. Die neuere Literatur habe ich verwertet, soweit sie eigene Gedanken entwickelte. Auf zusätzliche Belege schon besprochener Gegenstände habe ich verzichtet. Die Biographie als rechtsgeschichtliche Dissertation hat noch keine lange Geschichte. Nur aus der jüngeren Zeit liegen einige Beispiele dafür vor. Dabei liegt es doch nahe, zunächst die Lebensbeschreibung als Arbeitsfeld zu wählen, um die Bausteine zu einer exakten, über allgemeine Aussagen hinausgehenden Strukturgeschichte zu erhalten. Diese Funktion kann eine solche Arbeit nur erfüllen, wenn das ungedruckte Material weitgehend herangezogen wird. Von diesem Grundsatz habe ich mich bei meiner Arbeit leiten lassen. Leider war es mir - von geringen Ausnahmen abgesehen - nicht möglich, die mitteldeutschen Archive zu besuchen, die gerade für Beselers Lebensbeschreibung von Wichtigkeit gewesen wären. Darüber hinaus ist Goethe recht zu geben, der der Biographie einen eigenen Wert merkennt: "Die Biographie sollte sich einen großen Vorrang vor der Geschichte erwerben, indem sie das Individuum lebendig darstellt und zugleich das Jahrhundert wie auch dieses lebendig auf jenes einwirkt. Die Lebensbeschreibung soll das Leben darstellen, wie es an und für sich und um seiner selbst willen da ist." An anderer Stelle beschreibt Goethe die Aufgabe des Biographen zutreffend dahin, "den Menschen in seinen Zeitverhältnissen darzustellen und zu zeigen, inwiefern ihm das Ganze widerstrebt, inwiefern es ihn begünstigt, wie er sich eine Welt- und Menschenansicht daraus gebildet, und wie er sie, wenn er Künstler, Dichter, Schriftsteller ist, wieder nach außen abgespiegelt".

2

Vorwort

Daß die vorliegende Arbeit das Leben Georg Beselers zum Gegenstand hat, beruht zum einen auf meinem besonderen Interesse an der historischen Rechtsschule, das die Heidelberger Vorlesung im WS 1970171 von Professor Dr. Adolf Laufs in mir geweckt hat. Mein damals gefaßter, aber zunächst nicht ausgeführter Entschluß, mich mit Beseler zu beschäftigen, insbesondere sein Werk über "Volksrecht und Juristenrecht" zu studieren, fand in dieser Arbeit eine späte Erfüllung. Zum anderen führte wiederum eine Anregung meines akademischen Lehrers ?ou Beseler, dieses Mal aber zu dem Politiker Beseler. Die rechtsstaatliche Kontinuität im Deutschland des 19. Jahrhunderts sollte an den Parlamentariern, die sowohl der Paulskirche als auch dem kaiserlichen Reichstag angehörten, aufgezeigt werden. Rasch erwies sich, daß eine personelle Identität nur in geringem Maße vorhanden war, daß also die geistige Übereinstimmung nur an einzelnen Persönlichkeiten aufzuzeigen wäre. Zu meinem Erstaunen fand ich dann das Leben des wohl bedeutendsten dieser Parlamentarier, Georg Beseler, noch nicht umfassend dargestellt und entschloß mich, dazu beizutragen, diese Lücke zu schließen. Aus einer zunächst verfassungsgeschichtlich konzipierten Arbeit wurde somit wieder eine stärker rechtsgeschichtlich, zum Teil auch wissenschaftsgeschichtlich orientierte Darstellung. Professor Laufs schulde ich nicht nur Dank für die Anregungen zu dieser Dissertation, sondern auch für seine Anteilnahme an deren Fortgang und Vollendung, die nicht zuletzt dadurch möglich wurde, daß er mich als wissenschaftlichen Mitarbeiter an das Heidelberger Institut für geschichtliche Rechtswissenschaft gezogen hat. Herrn Professor Dr. Pirmin Spieß danke ich für die Zweitbegutachtung, meiner Kollegin Frau Weber-Will für ihre ständige Gesprächsbereitschaft und manchen wertvollen Hinweis. Weiterhin möchte ich allen Mitarbeitern der von mir besuchten Archive und Bibliotheken für ihre freundliche und unentbehrliche Unterstützung danken. Bei der Beschaffung der amerikanischen Archivalien war mir meine Kusine Ute-Ingrid White behilflich. Frau Dipl.-Bibl. Viola Wilhelm und Fräulein cand. iur. Ursula Göbel unterstützten mich freundlicherweise bei den Korrekturarbeiten. Insbesondere gilt mein Dank noch meiner Frau Bettina für ihre nie versagende Geduld und Gesprächsbereitschaft, mit denen sie meine Arbeit begleitet hat, sowie für ihre tätige Mithilfe bei Korrektur- und Schreibarbeiten und der Beschaffung schwer zugänglicher gedruckter Quellen. Dem Rektor und der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg danke ich für wohlwollend geleistete Druckkostenbeihilfe. Schließlich danke ich Herrn Professor Dr. Johannes Broermann für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe "Schriften zur Rechtsgeschichte". Heidelberg, im September 1982

Bernd-Rüdiger Kern

Inhaltsverzeichnis Teil 1

Das Leben Georg Beselers 1. Kapitel: Kindheit und Schule ......................................

11

2. Kapitel: Studium in Kiel und München ............................

16

3. Kapitel: Kiel 1831 - 1833 ............................................

29

4. Kapitel: Göttingen 1833 - 1834 ......................................

35

5. Kapitel: Heidelberg 1834 - 1835 ....................................

42

6. Kapitel: Basel 1835 - 1837 ..........................................

47

7. Kapitel: Rostock 1837 - 1842 ........................................

56

8. Kapitel: Greifswald 1842 - 1848

67

9. Kapitel: Germanistentage in Frankfurt am Main 1846 und in Lübeck 1847 ...................................................... 79 10. Kapitel: Frankfurt 1848 - 1849 ......................................

91

1. Erste Fühlungnahme .................................. 2. Bis zu den Grundrechten im Plenum .................. 3. Die Grundrechte ...................................... a) Beselers Grundrechtsverständnis .................... b) Die Ausschußsitzungen ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Die Grundrechte im Plenum ........................ 4. Die Debatten über politische Tagesfragen während der Grundrechtsberatung im Plenum ...................... 5. Beseler als Parteüührer ..............................

91 92 93 93 106 110 120 122

6. Beselers Verfassungsverständnis ...................... 127 7. Die Reichsverfassung im Ausschuß .................... 129 a) Die große Linie .................................... 129 b) Die Einzelbestimmungen ............................ 133 8. Die Reichsverfassung im Plenum ......... " ........... 140 9. Debatten außerhalb der Reichsverfassung nach dem 19. Oktober 1848 ...................................... 146

Inhaltsverzeichnis

4

10. Das Wahlgesetz ...................................... 147 a) Das Wahlgesetz im Ausschuß. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 147 b) Das Wahlgesetz im Plenum ........................ 148 11. Die weitere Behandlung der Grundrechte im Ausschuß 150 12. Die zweite Lesung der Grundrechte im Plenum ...... 152 13. Die Kaiserdeputation .................................. 154 14. Das Ende der Nationalversammlung .................. 155 11. Kapitel: Gotha, Berlin, Erfurt 1849 - 1852 .......................... 160

1. Gotha 1849 ............................................ 160 2. Berlin 1849/50 3. 4. 5. 6.

........................................ 162

Erfurt 1850 Berlin 1850/51 Berlin 1851/52 ........................................ Gesellschaftlicher Verkehr und Rückzug aus der Politik

170 175 184 192

12. Kapitel: Greifswald 1852 - 1859 .................................... 196 13. Kapitel: Berlin 1859 - 1888

205

14. Kapitel: Politik in Berlin

225

1. Politische Aktivitäten vor der Reichsgründung .. . . . . . . .. 225 2. Im Reichstag 1874 - 1881 .............................. 236 3. Im Herrenhaus 1875 - 1888 ............................ 262 15. Kapitel: Das Ende

294

Te il 2 Das Werk Georg Beselers 16. Kapitel: Frühe Schriften 1832 - 1833 ................................ 295 17. Kapitel: Die Lehre von den Erbverträgen 1835, 1837, 1840 .......... 304 18. Kapitel: Heidelberg, Basel 1835 - 1837 .............................. 335 19. Kapitel: Rostock 1837 - 1842 ........................................ 344 20. Kapitel: Volksrecht und Juristenrecht 1843 ........................ 371 21. Kapitel: Die Runde-Rezension 1844 und Beselers Mitarbeit an der

Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft (ZDR) 1845 - 1861 .................................. 422

22. Kapitel: System des gemeinen deutschen Privatrechts 1847, 1853, 1855 445 23. Kapitel: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen

Staaten von 1851 und andere strafrechtliche Arbeiten ...... 489

Inhaltsverzeichnis

5

24. Kapitel: Rechtsgeschichtliche Arbeiten .............................. 498 25. Kapitel: Biographische Arbeiten .................................... 515 26. Kapitel: Späte zivilrechtliche Arbeiten .............................. 520 27. Kapitel: Die öffentlich-rechtlichen Arbeiten .... . ........... . ....... 532 28. Kapitel: Die völkerrechtlichen Arbeiten ............................ 546 29,. Kapitel: Rechtsgutachten über die Frage: ob in Privat-Injurien-

Klagen gegen deutsche Standesherren diesen das Recht auf Austräge zusteht .......................................... 551

30. Kapitel: Die politischen Schriften .................................. 552

Teil 3

ScltJ.uß

554

Quellen- und Literaturverzeicbnis 1. Schriften Georg Beselers .......................................... 558

2. Quellen ............................................................ a) Ungedruckte Quellen ............................................ b) Gedruckte Quellen .............................................. 3. Rezensionen zu Arbeiten Beselers .................................. 4. Schriften über Beseler ............................................ 5. Literatur ..........................................................

562 562 564 567 569 570

Personen- und Sachregister 1. Personenregister ............................ . . . ............. . ...... 590

2. Sachregister .................... . ........... . . . .................... 597

Abkürzungsverzeichnis

a.F. ALR, pr. ALR ALZ angef. Anm. Art. Aufl. Autogr.

anderer Ansicht Augsburger Allgemeine Zeitung Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Abgeordnetenhaus-Verhandlungen Absatz Abt(h)eilung Archiv für die civilistische Praxis Allgemeine Deutsche Biographie Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch Allgemeine Deutsche Wechselordnung alte Fassung Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Allgemeine Literatur-Zeitung angeführt Anmerkung Artikel Auflage Autograph

BA-Ffm. Bay. Bd. Bde. BGB BLZ bürgerl.

Bundesarchiv Frankfurt am Main Bayerisch Band Bände Bürgerliches Gesetzbuch Berliner Literarische Zeitung bürgerlich

c Cap. CMBC

codex Caput Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis

D

Digesten der, den Deutsche Biographische Jahrbücher das heißt Deutsches Handelsgesetzbuch Dissertation des Jahres Deutsche Revue

a. A., A. A. AAZ ABGB Abgh.-Verh. Abs. Abt., Abth. AcP ADB

ADHGB ADWO

d.

DBJ d.h. DHGB Diss. d. J. DR

e. EG EGBGB EGGVG Epr.OVG ersch.

eines Einführungsgesetz Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Entscheidungen des preußischen Oberverwaltungsgerichts erschienen

Abkürzungsverzeichnis

8

EuE EV.-Luth.

Erlebtes und und Erstrebtes Evangelisch -Lutherisch

f. f. ff.

Ff.-Verh.

für die folgende Seite die folgenden 2 Seiten Frankfurter Verhandlungen

Geh. GGA GVG

Geheim Göttingische Gelehrte Anzeigen Gerichtsverfassungsgesetz

H.

Heft

Hall. Jb., Hall. Jahrbücher HALZ HD Hd.Jb. HGB Hh.-Verh. H.Hs. Hist. Archiv h.L. h.M. HRG hRS Hrsg. hrsg. HZ

Hallische Jahrbücher Hallische Allgemeine Literatur-Zeitung Heidelberg Heidelbergische Jahrbücher Handelsgesetzbuch Herrenhaus-Verhandlungen Heidelberger Handschriften Historisches Archiv herrschende Lehre herrschende Meinung Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte historische Rechtsschule Herausgeber herausgegeben Historische Zeitschrift

I i. S. d.

Institutionen im Sinne des

Jahrg., Jg. JALZ JLZ Jur., jur. JuS

Jahrgang Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung Jenaische Literatur-Zeitung juristisch Juristische Schulung

Kgl. Kr. Jb., Krit. Jb.

Königlich Kritische Jahrbücher

LAS LB LBW leg. LLZ

Landesarchiv Schleswig Landesbibliothek Landesbibliothek Wiesbaden leges Leipziger Literatur-Zeitung

maschinenschr. M.E. MGH m.w.N.

maschinenschriftlich Meines Erachtens Monumenta Germaniae Historica mit weiteren Nachweisen

ND NDB

Neudruck Neue Deutsche Biographie

Abkürzungsverzeichnis N.F. n.F. NJALZ NJW NL No. NPZ Nr.

neue Folge neue Fassung Neue Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung Neue juristische Wochenschrift Nachlaß Numero Neue Preußische Zeitung Nummer

OAG, Oberappel.-Gericht OHG o. J. OLG OVG

Oberappellationsgerichts Offene Handelsgesellschaft ohne Jahr(esangabe) Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht

pag phil. pp. pr., preuß. preuß. JB, Pr. Jb., preuß. Jb. Prof. pr. Verf.

pagina Philosophisch perge, perge (fahre fort; und so weiter) preußisch

Rez. RGZ ROHG Rt.-Verh. Rthl. RV

Rezension Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Reichsoberhandelsgerich t Reichstagsverhandlungen Reichstaler Reichsverfassung

S.

SS

StAB St.-Arch. St.-B. StGB Stpo St. und UniB.

Seite Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Seufferts Archiv sogenannt Akten des Sprachkollegiums Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschland Sommersemester Staatsarchiv Basel Staatsarchiv Staatsbibliothek Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung Staats- und Universitätsbibliothek

T.

Teil

u.

und unter anderem und ähnliches Universitätsarchiv Universitätsbibliothek Vereinigte Staaten von Amerika und so weiter

SBPK Seuff. Arch. S.g. S.K.-Akten Sp. SPD

u.a. u.ä. U.-Arch. UB USA usw.

preußische Jahrbücher Professor preußische Verfassung

9

10

Abkürzungsverzeichnis

v.

Verbindgg. Verf. Vertr. vgl. Vh.-Verh.

von Verbindung Verfasser Vertrag vergleiche Volkshaus-Verhandlungen (Erfurt)

Wissenschaftl. WO WS Württ. LB. Stuttg.

wissenschaftlich Wechsel ordnung Wintersemester Württembergische Landesbibliothek S1.uttgart

z.B. ZDR

zum Beispiel Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtsgeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung Zeitschrift für volksthümliches Recht

ZfgR

ZPO

ZRG ZRGGA ZvR

Teil 1

Das Leben Georg Beselers 1

2

1. Kapitel

Kindheit und Schule Beselers Vorfahren stammen vermutlich aus Flandern3 • "In den Tuchhallen von Ypern waren die protestantischen Beselaere Mitglieder der stolzen Zunft gewesen 4." Im sechzehnten Jahrhundert wanderte die Familie infolge der Religionsverfolg.ungen durch Herzog Alba nach Deutschland aus5 , einer Familientradition gemäß nach Hamburg, wo es zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch v. Beseler gab6 • Beselers Urgroßvater verlor zu Anfang des 18. Jahrhunderts nahezu sein ganzes Vermögen bei der Zerstörung der Stadt Altona durch den General Steenbock und verzog daraufhin nach Dithmarschen, legte den bis zu dieser 1 Der Taufname Beselers lautet nur Carl Cristoph (Taufregister für Mildstedt, pag. 502; EV.-Luth. Kirchenkreis Husum-Bredstedt, Kirchenkreisamt). 1827 unterschrieb Beseler noch mit Carl (Hagenah II, S. 397), die Immatrikulation in München erfolgte unter dem Namen Carl Christoph, auch das Examen legte er 1831 unter diesem Namen ab (LAS, Abt. 65.2 Nr. 182 I). Wann genau und warum Beseler den Rufnamen Georg gewählt hat, ist nicht ersichtlich. Aus Göttingen bittet er den Bruder, von den Taufpaten die Bestätigung einzuholen, er sei auch Georg getauft, und diesen Namen in das Taufzeugnis zu den anderen eintragen zu lassen: "Es kann mir sehr leicht Unannehmlichkeiten machen, daß ich ganz allgemein Georg genannt werde, und mich nicht so legitimiren kann. Ablegen will ich diesen Namen nicht." (Brief Beselers an den Bruder Wilhelm aus Göttingen vom 19. April 1834, BA-Ffm, FN 3, 48R.) Alberti führt ihn in seinem Lexikon noch 1867 unter dem Namen Karl August Christoph. Der Name August taucht sonst allerdings nie auf. 2 Das "von", das ihm verschiedene Schriftsteller (Herzfeld II, S. 662; Dickopf, S. 96; Wolf, S. 206; Döhring, Geschichte seit 1500, S. 347; Schultz, Professoren, S. 70) zuschreiben, hat Beseler nie als Namensbestandteil geführt. Von Geburt bürgerlich ist er nie geadelt worden. Beselers Söhne wurden 1904 (Hans) und 1917 (Max) geadelt. 3 Einer anderen Familienüberlieferung nach sollen die Vorfahren "während der Zeit der Hugenottenverfolgung unter Catharina von Medici aus der Normandie in Frankreich geflüchtet sein", Hoff, S. 10 f. 4 Rogge, S. 370. 5 Huber, DBJ III, S. 19. 6 Eu E, S. 1.

12

Teil 1: Das Leben Georg Beselers

Zeit geführten Adel ab 7 und ergriff einen bürgerlichen BerufS, vermutlich den des Färbers9 • Sein Sohn, Beselers Großvater Barthold Beseler wurde am 13. Oktober 1721 in Bramstedt im Kreis Segeburg geboren10. Barthold Beseler ließ sich spätestens 1745 in Rendsb.urg nieder, wo er bei der Artillerie diente und sich im Geschützguß übte. Am 29. August 1748 erteilte die Stadt Rendsburg ihm das Bürgerrecht. Nachdem ihm 1757 das dänische Privileg zum Gießen von Geschützen und Glocken erteilt worden war, hat er am 19. Mai 1758 seine erste Glocke für Wilster gegossen. Die von ihm begründete Glockengießerwerkstatt blieb immer im Familienbesitz und erfreute sich 114 Jahre lang reger Blüte8 • 10• Am 6. November 1765 11 w.urde in Rendsburg Beselers Vater Cay Hartwig geboren12. Er studierte in Kiel Rechtswissenschaft, Mathematik und Deichwissenschaft. Nach Beendigung des Studiums bereiste er die Herzogtümer, Ostfriesland und Holland. In seinen Reiseberichten übte er Kritik an der Deichverfassung der Inseln Nordstrand und Pellworm. 1793 wurde er Deichkommissar von Husum, im folgenden Jahr entwarf er den Plan für die Erneuerung der von Sturmfluten zerstörten Deiche von Pellworm. Er heiratete die am 4. März 1768 in Flensburg geborene Sophie Magdalena Jahn. Ihr Vater war ein aus Chemnitz eingewanderter Chirurg; ihr Bruder Jacob Jahn w.urde Syndikus der schleswigholsteinischen Ritterschaft. Von März 1796 bis zum Jahre 1807 bekleidete Cay H. Beseler das Amt des Deichrichters und Amtmannes in der Vogtei Rüstringen und für die Ckmeinden Heppens, Neuende, Sande und Schortens in Ostfriesland. 1807 wurde er dänischer Kammerrat und staatlicher Deichinspektor für das Herzogtum Schleswig. Im selben Jahre zog er mit seiner Familie von Jever nach Rödemis bei Husum, wo er ein ländliches Anwesen erwarb. Hier wurden die drei jüngeren von sechs Kindern geboren: Sophie, Ernst und am 2. November 1809 Carl (Georg) Christoph Beseler. In Rödemis erlebte Georg Beseler unbeschwerte Kindheitstage, "mehr im Freien als im Zimmer"13. Den ersten Unterricht im Lesen erteilte ihm die Mutter, den im Schreiben und Rechnen ein alter Dorfschullehrer. Wenn man seiner Lebensbeschreib.ung Glauben schenken darf, 7 Der Hamburger Zweig der Familie führte den Adel noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts. 8 Hoff, S. 11. U Beelte, S. 55. 10 Familienbeschreibung bei Beelte. 11 Nach Schmeißer, S. 280, am 5. November 1767. 12 Das folgende nach Petersen, S. 56, 57. Eine kurze Charakteristik des Vaters findet sich in E u E, S. 1. 13 Eu E, S. 2.

1. Kap.: Kindheit und Schule

13

war Beseler nicht gerade ein Musterschüler, sondern durchaus zu Streichen aufgelegt1 4 • Von seinen Geschwistern stand ihm der um drei Jahre ältere Bruder Wilhelm Hartwig15 bis an dessen Lebensende am nächsten13 ,16. Als der Bruder 1884 starb, empfand Beseler das als eine letzte Verwaisung. Die unbeschwerten Kindheitstage fanden ein jähes und allzu frühes Ende durch den Tod der Eltern. Schon am 1. Juli 1818 starb der Vater an "einem im Dienst zugezogenen Leiden", vermutlich infolge eines Schlaganfalles17, nur wenig später die Mutter am 5. März 1820 an Typhus. Die Kinder der Familie fanden bei den Verwandten der Mutter Aufnahme und Unterstützung. Der Kontakt zu der Familie des Vaters scheint niemals sehr gut gewesen zu sein. Beseler erwähnt 1847 in einem Brief an seine Frau beiläufig, daß er in Husum zufällig den Glockengießer Beseler aus Rendsburg getroffen habe, einen Vetter, den er seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte 18. Der junge Georg Beseler kam zu einem Lehrer der Husumer Lateinschule in Pension und verlebte bei ihm "nicht immer eben frohe Knabenjahre"19. Die Lateinschule in Husum befand sich in keinem guten Zustande. Hier wurde Beseler zu bloß mechanischem Fleiße angehalten. In diesen Jahren las Beseler alles Erreichbare, mit besonderer Vorliebe aber Geschichtswerke. Sein Lieblingsbuch wurde die Gottfriedsche Weltchronik20 mit Kupferdrucken von Merian, ein damals weit verbreitetes und bekanntes Werk21 , das Beseler noch im Alter in seinem Besitz hatte22. In den Ferien besuchte Beseler zuweilen die Tante Jürgensen in Flensburg, eine Schwester der Mutter, bei der die beiden jüngsten Ge14

E u E, S. 2 f.

Vgl.: Dtto Beseler. U Dtto Beseler, S. 111, der Sohn Wilhelms, weiß nur von einer Auseinandersetzung zwischen den Brüdern zu berichten. Als Wilhelm Beseler in den 80er Jahren seinem Enkel einen Drachen bastelte, den Georg Beseler kritisierte, erwiderte Wilhelm: "Ich brauch Deine Hilfe nicht, Du hast ja niemals einen richtig gehenden Drachen zustande gebracht!" 17 Schmeißer, S. 280, spricht von einem Unfall während einer Inspektionsreise. 18 Brief Beselers an seine Frau aus Schleswig vom 22. September 1847, in: Fünfzig Jahre, S. 96. tu Brief Beselers an den Bruder Wilhelm aus München vom 10. März 1830, BA-Ffm, FN 3, 25. !O Vermutlich: Joh. Ludwig Gottfried "Historische Chronica oder Beschreibung der Geschichte vom Anfange der Welt bis auf das Jahr 1619", möglicherweise aber auch desselben Autors "Theatrum Europaeum". 21 Vgl. auch Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, 8. Buch, 6. Kapitel, und Dichtung und Wahrheit, Erster Teil, Erstes Buch. 22 Eu E, S. 3. 15

14

Teil 1: Das Leben Georg Beselers

schwister Sophie und Ernst lebten. Hier verbrachte er die schönsten Tage seiner Jugend23 • Der W.unsch der Tante war es, der junge Beseler möge Pastor werden: "Ach Georg, ick wull di so geern up de Kanzel sehen24 ." Auch Onkel Jahn, der Vormund Beselers, ein Bruder der Mutter, wurde in Kiel besucht. Bei ihm lebte die Schwester J.ulie. Anläßlich von Besuchen bei der auf Pellworm verheirateten Schwester Katharine lernte Beseler segeln. Nach der Konfirmation übersiedelte Beseler 1824 nach Schleswig, wo er, bei guten Bürgersleuten untergebracht, die Domschule besuchte. Wie schon zuvor der Bruder Wilhelm lebte er hier ganz auf sich gestellt. Die Domschule war zwar zu diesem Zeitp.unkt die vornehmste Schule des Herzogtums, befand sich aber dennoch in einem Zustande "grenzenloser Verwahrlosung"25. Die Schüler wurden durch Professor Schumacher in die deutsche Literatur und durch Professor Olshausen in die alten Sprachen eingeführt. Der Lehrstoff umfaßte unter anderem Sokrates, Horaz, Homer, Ciceros "de oratore", Euripides und Livius 26 • Der Schulunterricht wurde durch die Hauslektüre der Odyssee, der Rede "pro milone"27 und der Tusculanen28 ergänzt. Gegen das Erlernen der dänischen Sprache wehrten sich die Schüler aus einem keimenden Nationalgefühle heraus29 • Beseler beschreibt die Disziplin in der Schule als lax30 , den Lehrstoff als dürftig im Verhältnis zu den Anforderungen der preußischen Gymnasien der 8Der Jahre des letzten Jahrhunderts. Dabei hat er wohl das von seinem Sohn Hans besuchte Kgl. Wilhelmsgymnasium in Berlin vor Augen, das aber wegen seiner hohen Ansprüche auch für die damalige Zeit kein allgemeingültiger Maßstab ist31 , geschweige denn für heute. Aber er findet auch lobende Worte für seine alte Schule: "Eins aber hatten jene Anstalten voraus: sie lie23 Brief Beselers an den Bruder Wilhelm aus München vom 10. März 1830, BA-Ffm, FN 3, 25. 24 Fünfzig Jahre, S. 6. 25 Paulsen, S. 176. 28 Brief Beselers an den Bruder Wilhelm aus Schleswig vom 26. Juni 1825, in: Fünfzig Jahre, S. 8. 27 Cicero, Rede für T. Annius Milo. 28 Cicero, Gespräche in Tusculum. 29 Eu E, S.4. Achelis, S. 239, bestreitet Beselers Ansicht, "die oft recht hämischen Verspottungen seien ,ein Zeichen des schon keimenden nationalen Gegensatzes' ". Seine Beschreibung des Dänischlehrers Boysen als eines fanatischen Verehrers der dänischen Sprache, der diese in bezug auf Klangschönheit und Ausdrucksstärke über alle anderen modernen Sprachen stellte, scheint mir aber eher für Beselers Ansicht zu sprechen. 30 Achelis teilt S. 238 Anm. 41 ein sehr drastisches Beispiel für die Disziplinlosigkeit an dieser Schule mit. Der Vorfall spielte sich kurz nach Beselers Abgang von der Schule, im Februar 1828, ab. 31 Rogge, S. 371, berichtet, der Anspruch dieser Schule sei sehr hoch gewesen.

1. Kap.: Kindheit und Schule

15

ßen der individuellen Neigung und Begabung freien Spielraum und wenn sie die Charakterbildung auch: nicht unmittelbar förderten, so hemmten sie dieselbe doch nicht32 ." Von der Schule erhielt Beseler beim Abgang "ein sehr empfehlendes Zeugniß seiner Reife als würdig (II a)"33, ein Abitur im heutigen Sinne gab es noch nicht. Das von der philosophischen Fakultät der Universität Kiel abgenommene Konviktsexamen bestand Beseler ohne große Mühe34 mit dem Charakter "würdig". Seine Leistungen zeigten aber erstaunliche Unterschiede: "Sein lateinisches Specimen war ziemlich gut, der deutsche Aufsatz gut. Die historischen Fragen beantwortete er sehr gut, die geographischen im Ganzen recht gut, die rhetoris.chen ungenügend, die mathematischen ungenügend. Bei der mündlichen Prüfung bestand er im Lateinischen gut, im Griechischen ziemlich gut"33. Dieses Examen eröffnete ihm die Möglichkeit des Hochschulstudiums an der Universität Kiel, an der er zu Michaelis 1827 das Studium der Rechtswissenschaft aufnahm 35 .

32

38

Eu E, S. 5.

LAS Abt. 47.7, Nr. 35.

Brief Beselers an den Bruder Wilhelm aus Schleswig vom 13. September 1827, in: Fünfzig Jahre, S. 9. 35 Matrikelnummer 9 199 vom 19. Oktober 1827. 84

2. Kapitel

Studium in Kiel und München In Kiel fand Beseler Aufnahme in dem gastfreien Hause seines Onkels, des Syndikus' der schleswig-holsteinischen Ritterschaft Jacob Jahn1 • Hier hatte auch der Bruder Wilhelm während seines Kieler Studi.ums gewohnt, und seine Schwester Julie wohnte noch immer dort. Das Jahnsche Haus war bekannt als ein Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens der Stadt Kiel. earl Maria von Weber und der junge Felix Mendelssohn-Bartholdy zählten zu seinen Gästen. Außer Beseler und seiner Schwester lebten noch Basen und Vettern im Hause des Onkels, unter anderen Otto Jahn, der 1813 geboren, später ein bedeutender Musikwissenschaftier und Archäologe wurde 2 • Aber das Jahnsche Haus beherbergte auch noch andere junge Leute, die entweder zur entfernten Verwandtschaft gehörten, wie F. A. Trendei enbu rg, der spätere Berliner Philosoph, oder sich doch zur Familie gehörig betrachteten, wie Justus Olshausen und der spätere Romanist Johann Friedrich Kierulff3. Mit allen schloß Beseler enge Freundschaft. In der Fremde fehlte ihm das freundliche Zuhause der Jahnschen Familie sehrt. Allerdings blieben auch Differenzen mit dem Onkel nicht aus, was dazu führte, daß Beseler 1828 von dem Onkel bei der Familie Molitor eingemietet wurde 5 • Durch äußere Gründe bestimm~, studierte Beseler Rechtswissenschaften, obwohl seine Neigungen ihn zur Geschichte zogen. Diese Interessenverteilung bestimmte zunächst auch den Verlauf des Studiums. 1

6. 1. 1770 - 18.2. 1844.

Vgl. Privat, m. w. N. 3 Bülck, Kieler Studententurn, S. 105; Michaelis, S. 2; über ihn vgl. Kleinheyer / Schröder, S. 329, m. w. N. « Vgl. den Brief Beselers an seinen Bruder WiIhelm aus München vom 7. November 1829, in: Fünfzig Jahre, S. 11: "Anfangs hatte ich eine Art Heimweh nach Euch und Eurem Thee und Butterbrod. Ich war in Kiel zu sehr an ein schmarozendes Familienleben gewöhnt ... " 5 Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelm aus Kiel vom 26. Februar 1828, BA-Ffm, FN 3, 12. e Beseler teilt diese Gründe leider nicht mit, so daß wir auf Vermutungen angewiesen sind. Wahrscheinlich drängte der Vormund, Onkel Jahn, der selber Jurist war, zu diesem Studium. Vermutlich spielten auch finanzielle Erwägungen eine Rolle. !

2. Kap.: Studium in Kiel und München

17

Während er den juristischen Vorlesungen nicht viel abgewinnen konnte, hörte er mit Vorliebe die Vorlesungen Dahlmanns7 • Um welche Vorlesungen es sich genau handelt, ist nicht bekannt. Während Beselers Studienzeit in Kiel las Dahlmann Vaterländische Geschichte (WS 1827/28, 1828/29), Geschichte der neue ren Zeit (WS 1827/28, 1828/29), Universalhistorie des Altertums (WS 1827/28, 1828/29), Einige wichtige Abschnitte der Geschichte des Altertums (WS 1827/28), Deutsche Geschichte (SS 1828, 1829), Europäische Staatengeschichte (SS 1828), Geschichte von Dithmarschen (WS 1828/29), Römische Geschichte (SS 1829) und über Politik (SS 1829)8. Die letzte Vorlesung arbeitete Dahlmann in Göttingen auf Beselers Anregung hin zu dem berühmten Buch gleichen Titels aus. Gerade in bezug auf diese Vorlesung wäre es interessant, zu wissen, ob Beseler sie gehört hat. Seine Einstellung dem Studienfache gegenüber zeigt deutlich ein Brief Beselers an den Bruder Wilhelm vom Februar 1829, der zugleich ein gutes Beispiel für Beselers Briefstil ist: "Jemehr ich mich der Jurisprudenz mit Ernst widme, desto dichterischer wird mein Sinn; es liegt wahrlich eine hohe Poesie in ihr begraben; und brausen auch keine Dithyramben im corpus iuris, so wird das Herz doch durch das Studium elegisch gestimmt, und herrlicha Satyren kommen darin vor auf das Menschengeschlecht. Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage, Weh Dir, daß Du ein Enkel bist! Vom Rechte, daß (sie!) mit Dir geboren ist, Von dem ist leider nie die Frage. Dies Goethianum tönt mir fast immer wie Rabengekrächz in die Ohren, und verfolgt mich auf allen Lustwandlungen, die ich vornehme in dem Garten unserer Wissenschaft. Aber ich halte es dann für einen bösen Spuck (sie!), schlage ein Kreuz und rufe alle Ulpiane, Papiniane und wie die ianes mehr heißen mögen, zu meinem Schutz an, stelle mich an mein Pult und repetire fleißig die Pandekten. Zuweilen will es mich dann fast bedünken, daß ich Interesse bekomme für meine Lehre, und daß, wenn auch mehr der Verstand in derselben vorherrschend ist, als der Geist, für Beide doch reichlich Nahrung darin zu finden ist. Was ist aber würdiger, als grade ohne alles schwankende Gefühl den Verstand zum richtigen Verstehen der Lebensverhältnisse ausbilden zu können'." EuE, S. 6. Diese Angaben und die weiteren zitierten Kieler Vorlesungen entstammen den Verzeichnissen wirklich gehaltener Vorlesungen an der Universität Kiel, LAS Abt. 65.2 Nr. 531. 9 Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelm aus Kiel vom Februar 1829, in: Fünfzig Jahre, S. 9. 7

8

2 Kern

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Teil 1: Das Leben Georg Beselers

Noch in München ist Beseler sich nicht sicher, mit der Rechtswissenschaft das für ihn richtige Studienfach erwählt zu haben10 • Zu seinen Kieler juristischen Lehrern gehörten Nikolaus Falckl l , Burchardi und Rathjen. Falcks "Encyclopädie", ein seinerzeit berühmtes und vielverwendetes Einführungslehrbuch in die gesamte Rechtswissenschaft, nach dem Falck auch gelesen hat, erschien Beseler als ungeeignet für den Anfänger, da es seiner Meinung nacht eine gewisse Reife voraussetzte und besser gegen Ende des Studiums gehört werden sollte 12 • So lernte er Falck als bedeutenden Lehrer erst später schätzen. Ein bedeutender Einfluß Falcks auf Beseler läßt sich nicht feststellen13 • Falck kann nur mit Vorbehalten der historischen Schule zugerechnet werden, da seine Vorstellungen noch stark naturrechtlich geprägt waren14 • In der Bewertung der Geltung des römischen Rechts stand er zwar im Gegensatz zu v. Savigny und lehrte entsprechend der schon früher in der Kieler Fakultät herrschend gewesenen Auffassung, daß nur die Teile des Corpus iuris als rezipiert angesehen werden könnten, die mit der gesunden Vernunft in Einklang zu bringen seien. Aber auch soweit die römischrechtlichen Bestimmungen bei Anlegung eines strengen Maßstabes dieser Bedingung entsprachen, wollte er ihnen nicht den Charakter einer bindenden gesetzlichen Regel zuerkennen, sondern sie nur als ratio scripta ansehen, deren Geltungskraft lediglich auf ihrer sachlichen Angemessenheit beruht. Er war mithin der Ansicht, daß ein großer Teil der römischtrechtlichen Bestimmungen, die die herrschende Meinung für verbindlich hielt, ohne Geltungskraft sei und daß das römische Recht daher von der Praxis in viel zu weitem Umfang angewandt werde15 • Hierin mag eine Quelle für Beselers spä10 Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelm aus München vom 10. Januar 1830, in: Fünfzig Jahre, S. 11 f., in dem es heißt: "Oft will es mich freilich be dünken, ich sei nicht auf dem rechten Wege, die Geschichte sei meine arena; denn wie ich schon als Bube, Du weißt es, am liebsten in alten Chroniken las, und mein Herz die Erzählungen in der Beschreibung der heiligen Römischen Monarchey deutscher Nation wie ein Liebchen umschloß, so fuhr dieser Trieb fort zu keimen und zu gedeihen, von Dahlmann neu belebt und gelenkt. Wäre ich in Kiel nicht im lauten Treiben des Studentenlebens befangen gewesen, vielleicht hätte ich umschlagen und würdig das geschichtliche Studium beginnen mögen. Jetzt ist es, wenigstens fürs Erste, zu spät." 11 über ihn vgl. Volk; Kleinheyer / Schröder, S. 323, m. w. N. 12 Eu E, S. 6. 13 So auch Volk, S. 82, gegen Wieacker, der Falck als Lehrer Beselers nennt (Privatrechtsgeschichte, S. 408): "Andererseits hat er (Falck, der Verf.), der als Lehrer Beselers bezeichnet wird, mit seiner Rechtslehre den späteren germanistischen Positionen nationalhistorischer Prägung (vor allem auch der Beselers) in allenfalls geringem Maße vorgearbeitet. Die Differenzen sind bemerkenswert." (Bezüglich der Rolle der Gesetzgebung.) 14 Döhring, Universität Kiel, S. 111 f.

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tere Ansicht zu finden sein, das römische Recht sei nicht in complexu rezipiert worden. Falck kritisierte die Rezeption, weil sie für ihn mit der Zerstörung der Volksgerichte verbunden war16 , erkannte sie aber noch 1845 als "Factum" an 17 und betonte den Bildungswert des römischen Rechtes18 • Wie stark Beselers Ansichten von denen Falcks abweichen, hat Volk sehr schön am Beispiel von "Volksrecht und Juristenrecht" nachgewiesen 19 • Direkten Einfluß auf Beseler mag allenfalls Falcks Forderung nach Volksgerichten gehabt haben, deren Sinn er aber noch ganz anders beurteilt hat als später BeselerQ • Deutlich wird der Unterschied auch in der Frage der Existenz eines deutschen Privatrechts, die Falck gegen Beseler verneinte2 1• In Kiel war die antiromanistische Tendenz aber auch sonst und stärker als bei Falck vertreten. So geht Punkt 14 des Vorschlags der Kieler Burschenschaft zum Wartburgfest auf Hegewisch zurück, in dessen Hause Beseler oft verkehrte. Dieser Punkt 14 lautet: "Wir erkennen, daß die Gerechtigkeit nicht gebannt ist, noch gebannt werden kann in ein anderes deutsches Buch; aber auch, daß sie nicht gebannt ist in ein älteres Buch, welches entsprang bei einem Volk, das den besseren Zeiten der Mehrzahl nach aus Sklaven bestand und in der späteren Zeit gänzlich. Wir bekennen die Meinung, das sicherste Mittel zur Förderung des einheimischen Rechts möchte ein Verbot sein, das römische Recht vor Gericht zu zitieren22 ." Kein Interesse vermochten die "gediegenen"23 Vorlesungen Burchardis und Rathjens über römisches Recht in Beseler zu wecken. Welche Vorlesungen er im einzelnen gehört hat, ist auch hier nicht nachweisbar. In der Kieler Studienzeit Beselers las Falck Vaterländische Rechtsgeschichte (WS 1827/28, 1828/29, 1830/31), Deutsches Privatrecht (WS 1827/28, 1828/29, 1830/31), Kirchenrecht (WS 1827/28, 1828/29, 1830/31), Eherecht (WS 1827/28, 1828/29), Criminalprozeß (WS 1827/28, 1830/31), Ueber vaterländische Gerichtsverfassung (SS 1828, 1831), Ueber Criminalrecht und Prozeß (SS 1828, 1829, 1831) und Ueber juristische Encyclopädie (SS 1828, 1829, 1831). Burchardi las über das vierte 15 Döhring, Universität Kiel, S. 111 f. Er beruft sich dazu auf die Kieler Blätter, 1819, S. 60 ff. 16 Wohlhaupter, Falck, S. 405. 17 Einige allgemeine juristische Betrachtungen, S. 217; vgl. dazu auch Volk, S.86. 1B Wohlhaupter, Falck, S. 409. 19 Volk, S. 83 - 86. 20 Die Volksgerichte sollen seiner Meinung nach die Wissenschaft bei der Sichtung des römischen Rechtes unterstützen (Volk, S. 87). 21 Sehr instruktiv dazu: Beseler, System I 1 S. 35 Anm. 6. 22 Wohlhaupter, Kieler Juristenfakultät, S. 171. 23 Döhring, Universität Kiel, S. 107.

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Buch von Gaius (WS 1827/28), über Institutionen und Rechtsgeschichte (WS 1827/28, 1828/29, 1830/31), über die ersten Bücher des Gaius (SS 1828), Pandekten (SS 1828, 1829, 1831), über die restitutio in integrum (WS 1828/29), Erbrecht (WS 1828/29), Familienrecht (WS 1830/31) und über Klagen und Einreden (WS 1830/31). Die letzte Vorlesung gehört zum deutschen Recht. Rathjen las Institutionen (WS 1827/28), Pandekten (WS 1827/28, 1828/29, SS 1829, 1831) und Römisches Recht (SS 1828). Andere Kieler Dozenten werden von Beseler nicht erwähnt. Tönsen las Schleswig-holsteinisches Privat- und Prozeßrecht, Brinkmann Strafrecht, Römisches Recht und Prozeßrecht mit starkem praktischen Einschlag, Paulsen Enzyklopädie, Schleswig-holsteinisches Privat-, Prozeßund Handelsrecht, Dänisches Recht, Nordische Rechtsgeschichte und Staatsrecht, Steffens Strafrecht, Zivil- und Strafprozeß und Naturrecht, Niemann Kameralistik und Cramer die Lehre von der Gerichtsbarkeit und Pandekten8 •

In Kiel ließ Beseler es in starkem Maße an Fleiß fehlen. Selbst das berühmte Repetitorium bei dem Advokaten Preusser gefiel ihm nicht. Thibauts Pandektenlehrbuch, nach dem Preusser lehrte, war Beseler "ein Gräuel"2i. Weitere Vorlesungen hörte Beseler bei dem Philosophen Twesten. Bei ihm hat er zumindest Logik gehört2li, die Twesten im WS 1827/28, 1828/29, 1830/31 und im SS 1831 gelesen hat. Die weiteren Vorlesungen Twestens, Pädagogik im SS 1831 und Didaktik und Religionsphilosophie im SS 1828 dürfte Beseler kaum gehört haben. Weder bei ihm, noch: bei Falck und Dahlmann wurde Beseler mit den Gedanken Hegels bekannt26 , die demzufolge auch in dem ersten Jahrzehnt seiner Tätigkeit keinen Einfluß auf ihn ausübten, wohl aber auch später nicht. Weit stärker als das Studium nahm das studentische Leben Beselers Zeit in Anspruch12, obwohl Kiel als Arbeitsuniversität bekannt war2 7• Beseler wurde Mitglied der damals verbotenen und in Kiel zuletzt 1826 aufgelösten28 Burschenschaft "Germania"29, einer ihrer Sprecher und ein "renommirter Schläger"24. Beseler erscheint allein 1828 insgesamt fünfmal als Paukant und muß ein hervoragender Fechter gewe-

24 25

28

Eu E, S. 7. Eu E, S. 11. Rückert, S. 48, m. w. N.

Bülck, Kieler Studententum, S. 75. Donat, S. 82. 29 Die Germania war entschiedener als die Arminia (Huber, Verfassungsgeschidlte II, S. 164). Huber sieht darin eine Ausprägung des den bürgerlichen Liberalismus spaltenden Gegensatzes zwischen Gemäßigten und Radikalen. 27 28

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sen sein30 • Noch 1829 bedauert er: "Geholzt haben wir noch nicht mit unsern Commilitonen: seit einer von ihnen einen andern erschlagen hat, sind sie verdammt still geworden31 ." Im Sommer boten die Umgebung Kiels genügende Zerstreuung, im Winter die Geselligkeiten der Stadt. Dieses leichtlebige Dasein, in dem auch das Spiel nicht fehlte, führte Beseler zwei Jahre hindurch. Die Schwester Julie mußte "dem flotten Studenten manchen Schilling" opfern, "wofür er geduldig ihre Klagen anhörte und ihre Thränen trocknete. Sie aber war sehr stolz auf den schönen jungen Bruder und schilderte gern, welchen Eindruck er in ganz Kiel gemacht, als er bei einer studentischen Feier seine erste öffentliche Rede auf dem Markte gehalten32 ." Aber nicht nur die Schwester mußte immer wieder mit Geld aushelfen. Nahezu jeder Brief Beselers an den Bruder Wilhelm enthielt eine Bitte um Geld33 • Die Eltern scheinen den Kindern kein Vermögen hinterlassen zu haben. Der Vormund, Syndikus Jahn, konnte gemäß eines verordnungsmäßigen Dürftigkeitszeugnisses "ihm außer Kost, Logis und Kleidungsstücke sonst keine Unterstützung geben und hat er auch keine anderweitige an Stipendien oder von Angehörigen zu genießen"34. Daher zum einen rührt Beselers ewige Geldknappheit, die ihn dazu veranlaßte, von allen Bekannten und Verwandten Geld zu leihen, dessen Rückzahlung seine Ausgaben noch auf Jahre belastete35 • Zu dieser finanziellen Bedürftigkeit kam noch ein gewisser Leichtsinn, oder gar eine Verschwendungssucht hinzu. Seinem Bruder schrieb Beseler aus München, wo er recht haushälterisch gelebt zu haben scheint: "Mußte Julchen auf ausdrücklichen Befehl mir ernstlich das Unmoralische und die bösen Folgen des Schuldenmachens vorhalten"3ß, und: "Aber nur keinen Rüffel wegen meiner Leichtfertigkeit. Daran habe ich schon genug mit mir selbst zu thun37 ." An anderer Stelle berichtete er dem Bruder von einem guten Verdienst als Hauslehrer: "Dies verkünde ich dir darum so ausführlich, weil ich mein Gewissen beruhigen muß, welches mir daraus Vorwürfe macht, daß ich gestern mehr Geld als billig im Spiele verloren habe38." Koch, S. 309 Anm. 16. Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelm aus Kiel vom 25. August 1829, BA-Ffm, FN 3, 19. 32 Fünfzig Jahre, S. 7. 33 Briefe Beselers an seinen Bruder Wilhelm aus Kiel vom 20. Juni 1828, BA-Ffrn, FN 3,14 R; und vom 25. August 1829, BA-FIrn, FN 3,19. 34 LAS, Abt. 47.7 Nr. 35. 35 So sandte er noch 1840 12 Louis d'or an Preusser (Brief Beselers an Preusser aus Rostock vom 5. September 1840, SBPK, 2 h 1843 (9). 36 Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelrn aus München vom 5. Juni 1830, BA-Ffrn, FN 3, 28R. 37 Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelm aus München vom 6. August 1830, BA-Ffrn, FN 3, 31. 38 Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelrn aus Kiel ohne Datum (Ende 30

31

22

Teil 1: Das Leben Georg Beselers

Daß er bei diesem Leben nicht den Halt verloren hat, führte er selbst zum einen auf das Jahnsche Familienleben zurück, zum andern auf die Burschenschaft, deren Leben und Ideale er noch im Alter hoch schätzte39 • Hier fand auch seine nationale Einstellung ihre Festigung und Stärkung. Nach zwei Jahren entschloß sich Beseler zu ernsthafter Arbeit und zu einem Wechsel des Studienortes. Da Beseler zu diesem Zeitpunkt noch ein Vorurteil gegen alles Preußische hatte, kam für ihn Berlin nicht in Betracht4°. Auf Anraten seines Bmders Wilhelm und des Freundes Kierulff, der soeben von dort zurückgekommen war, fiel die Wahl - nicht ohne den Widerstand des Onkels, der Göttingen vorschlug - auf München. Anfang September 1829 legte er ein Examen ab41 • Bevor er seine Reise antrat, besuchte Beseler noch den Bruder Wilhelm in Schleswig und die Tante in Flenshurg. Die Fahrt zum neuen Studienort führte ihn über Hamburg, Göttingen, Kassel, Marburg, Frankfurt nach Heidelberg, von dem Beseler tief beeindruckt wurde, und weiter über Stuttgart und Augsburg nach München, das er im Oktober 1829 erreichte. In München verbrachte Beseler ein für seine Zukunft entscheidendes Jahr. Er widmete sich hier wirklich dem Studium - "aus einem Faullenz er (ward) ein fleißiger Jurist"42 -, was sicherlich dadurch erleichtert wurde, daß "das eigentliche Studentenleben hier ohne Interesse und Bedeutung" war43. Dem heimwehkranken'" Beseler machte dieser Umstand die übersiedlung aber wohl kaum leichter. Zunächst wohnte er bei einem Handwerker, dessen Kinder er als Hauslehrer zu erziehen hatte. 1832?), BA-Ffm, FN 3, 35. Das Spielen scheint er noch lange Zeit nicht aufgegeben zu haben. Aus Frankfurt beruhigte er seine Frau über den Zweck eines Ausfluges nach Homburg: "Nicht um dort mein Geld zu verspielen" (Brief Beselers an seine Frau aus Frankfurt vom 9. Juli 1848, in: H. v. Beseler, S. 237). 3D Eu E, S. 8. 40 Eu E, S. 9. 41 Außer zwei nichtssagenden Briefstellen (Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelm aus Kiel vom 25. August 1829, in: Fünfzig Jahre, S. 10) konnte ich keine Unterlagen über dieses Examen finden. Möglicherweise hängt es mit der Verpflichtung der schleswig-holsteinischen Landeskinder zusammen, mindestens zwei Jahre in Kiel zu studieren. Diese zwei Jahre waren für Beseler gerade abgelaufen. 42 Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelm aus Kiel vom 12. Juli 1832, in: Fünfzig Jahre, S. 16. o Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelm aus München vom 7. November 1829, BA-Ffm, FN 3, 21R. 44 Vgl. dazu den Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelm aus München vom 7. November 1829, in: Fünfzig Jahre, S. 11: "Jetzt heule ich nur zuweilen abends, wenn ich zu Bette gehe und dann an Schleswig-Holstein denke."

2. Kap.: Studium in Kiel und München

23

Da seine Kenntnisse in verschiedenen Bereichen beträchtliche Lücken aufwiesen, mußte er diese zum Teil durch Selbststudien auffüllen, eine Arbeitsweise, die ihm eigentlich gar nicht lag. Schon am frühen Morgen begann die Arbeit mit der Lektüre von Mühlenbruchs "doctrina pandectarum", die ihm die nötigen Kenntnisse im corpus iuris vermittelte 4o• Erbrecht lernte er nach Hasses Diktaten. D.urch die Vorlesungen Bayers, der nach Martin las, erhielt Beseler gute Kenntnisse im Zivilprozeß. Bei Georg Ludwig Maurer 45 hörte er Deutsches Recht, bei Friedrich Julius Stahl eine Pandektenexegese verhunden mit Vorlesungen über System und Methode des Römischen Rechts und bei Professor Schorn neueres Staatsrecht. Weit stärker als Falck muß Maurer als der eigentliche Lehrer Beselers angesehen werden. Ihm verdankt Beseler das Interesse für Deutsches Recht und wohl auch einen guten Teil seiner späteren politischen Einstellung. Wie Dahlmann und dann Beseler selbst gehörte Maurer zu den von England beeinflußten (norddeutschen) Altliberalen46 • Falck hatte Beseler ein Empfehlungsschreiben an Maurer mitgegeben, der den jungen Norddeutschen daraufhin sofort in seine Familie einführte. Im WS 1829/30 hörte Beseler bei ihm deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte47, im SS 1830 Deutsches Privatrecht48 • Stärker als Falck war Maurer in der Tendenz gegen das römische Recht eingestellt, dessen Verdienste er aber gleichfalls anerkannte, und das er nicht aus dem deutschen Rechtskreis ausscheiden wollte 49 • Hier mag eine Wurzel von Beselers Einheitstheorie liegen; ebenso liegt vermutlich in den Vorträgen Maurers über den genossenschaftlichen Aufbau des germanischen Lebens eine Wurzel für Beselers Genossenschaftstheorie50 , die als solche aber noch nich,t von Maurer, sondern erst von Beseler in die Rechtsentwicklung eingeführt wurde 51 • Auch mit dem Werk Mösers wurde Beseler vermutlich bei Maurer bekannt gemacht, der ihn ebenso schätzte wie sein Schüler5 2 • Justus Möser war der erste, der die Genossenschaft in eine zentrale Stellung seiner Betrachtung rückte 53 • Dickopf, Maurer; Kleinheyer / Schröder, S. 332, m. w. N. Leiser, S. 20, 24. 47 Maurer, Deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte (Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelm aus München vom 7. November 1829, BA-Ffm, FN 3, 22). 48 Maurer, Deutsches Privatrecht. 49 Dickopf, S. 106: "Germanistische Einseitigkeit in der Beurteilung der romanistischen Gelehrsamkeit und eine übertriebene Lobpreisung ,teutscher Einfachheit' sind bereits vorhanden." 50 Dickopf, S. 261. 51 So auch Dickopf, S. 260. 52 Maurer (Gerichtsverfahren, S. 253) nannte Möser "eine der größten Zierden Deutschlands". Beseler, Schlesier-Rez., Sp. 594; Justizgesetzgebung, S. 159; Rektoratsrede 1880, Eu E, Anlage 4, S. 136. Vgl. auch Leiser, S. 22. über 45

45

Teil 1: Das Leben Georg Beselers

24

Der persönliche Verkehr mit Maurer erweiterte Beselers Blickfeld beträchtlich: "Besonders hat Maurer mein Urtheil geleitet; er ist einer der ausgezeichnetsten und liebenswürdigsten Männer, die ich kenne, in mancher Beziehung Dahlmann ähnlich, nur ist der mehr antik gebildet, Maurer mehr modern. Du glaubst nicht, wie umfassend seine Kenntnisse im Recht und der Geschichte sind, und wie frey und rein seine Gesinnung ist. Obgleich vor einiger Zeit zum Staatsrath ernannt, ein Posten, der hier fast einem Ministerium gleichsteht, da die Minister nur Staatsräthe mit Portefeuille sind, und außerdem Liebling des Königs, huldigt er freymüthig und laut den liberalsten Ideen. Mir ist es immer ein großer Genuß, wenn ich bey ihm bin; sein interessantes Leben, er war lange in Paris und Brüssel und später Staatsprocurator in Frankenthal, machen seine Unterhaltung noch anziehender, da er gerne Erfahrungen daraus mittheilt. Und wenn er mir zeigt, wie Preußen und Bayern stark müssen (?) in Deutschland, weil sie mit der Zeit gingen, Oestreich aber sein System ändern oder sinken müsse, weil der Zeitgeist sich nicht bändigen lasse und seine Völker schon unruhig würden, ... wie Deutschland gewiß näher vereint würde, wohin schon die Zollverbände zweckten und wirkten, gegen welche Metternich vergebens intrigirt habe; wenn er mich tröstet wegen unserer Heimath: "Auch Ihnen wird Gott das Gute nicht verweigern" - wie schwelge ich dann im Genuß des Empfangenen, das noch vermehrt wird durch einige freye Ausdrücke von meiner Seite, welche er gerne hört und berichtigt54." Beseler, der, aus einem "thörichten Vorurtheile"40 gegen alles Preußische, sein Studium nicht in Berlin fortsetzen wollte, wurde nun in München unter Maurers Anleitung zu einem Anhänger Preußens und der Zollvereinspolitik, z.u einem Kleindeutschen. Die französische Revolution von 1830, die ihm den Glauben an die Freiheit zurückgab, begeisterte den jungen Beseler und machte ihn, aber nur vorübergehend, zu einem Anhänger des französischen Liberalismus'55, auch die Polenbegeisterung seiner Zeit teilte er58 • Auf Beselers juristische Entwicklung nahm auch Stahl einen gewissen Einfluß. Er nahm Beseler das beängstigende Gefühl, das der juristische Formalismus in ihm geweckt hatte. Hier lernte er, wie sich bei den römischen Juristen Kenntnis des Rechts mit Kenntnis der LebensverBedeutung Mösers als Vertreter des Historismus vgl. Schrnidt-Aßrnann, S.

124 -129.

Möser, Osnabrückische Geschichte, 2. Aufl. 1780. Vgl. dazu Leiser, S. 22. Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelrn aus München vom 10. Januar 1830, BA-Ffrn, FN 3, 24, 24R. 55 Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelrn aus München vom 6. August 1830, BA-Ffrn, FN 3, 31R. 53 54

56

E u E, S. 14.

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hältnisse verband, wie sich ius .und factum durchdrangen57 . Dieser Hinweis auf die Bedeutung der Lebensverhältnisse dürfte die erste Begegnung Beselers mit diesem Gedanken sein, den er später immer wieder aufgenommen hat, insbesondere in seinem bekanntesten Werk "Volksrecht und Juristenrecht". Neben den Fachvorlesungen hörte Beseler bei Oken Naturphilosophie und Schellings System der Weltalter, "eine Art Philosophie der Geschichte"58 mit großem Gewinn. Einer Empfehlung von Schellings Sch,wägerin, der Frau des Kieler Professors Wiedemann, der Schwester Caroline Schellings, verdankte Beseler den persönlichen Verkehr mit dem Philosophen. Nachdem Beseler ihn zunächst als kalt empfunden hatte59 , zeigte er sich zu Ende des Münchener Jahres begeistert von Schelling: "Wenn Schelling persönlich über Natur, Leben und Geschichte spricht und über das Verhältnis der Menschen zu ihnen, so wird man ganz geblendet von der Kraft und Erhabenheit der Gedanken und der Rede. Wie ist das anders, als wenn mir Gaye von Hegels eisernem Notwendigkeitssystem erzählt, wovon Schelling immer nur mit Hohn und Entrüstung spricht60 • " Wieweit Beselers organisches Staatsdenken von Schelling beeinflußt ist, vermag ich nicht festzustellen, da hier leider jede Vorarbeit fehlt, und eine ~naue Untersuchung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Die historische Schule übernahm von Schelling61 den Begriff der "inneren Notwendigkeit"62, ein Attribut des Quietismus der Romanisten. Als Reizwort kommt es bei Beseler selten vor63, so daß ein dahingehender Einfluß Schellings auf Beseler nicht gegeben ist. Beseler wandte sich ja gerade gegen diesen Quietismus, indem er die gesetzgeberische Tat bejahte. Im Hause Schellings fand Beseler Gelegenheit, die bedeutendsten Künstler der bayrischen Hauptstadt, Thorwaldsen, Cornelius, die Brüder Eoisseree und Ringseis persönlich kennenzulernen. Ihre Werke hatte er schon zuvor bei Spaziergängen durch die Stadt und bei Besuchen der großen Ausstellungen kennen und schätzen gelernt. Auch 57 E u E, S. 10. ss Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelm aus München vom 7. November 1829, BA-Ffm, FN 3, 22. 59 Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelm aus München vom 7. November 1829, BA-Ffm, FN 3, 22. M Das Unbehagen, das Beseler im Alter schon immer über Schellings Polemik gegen Hegel empfunden haben will (E u E, S. 11), findet sich hier nicht. Der Passus in E u E scheint mir eher in Hinblick auf den Freund earl Hegel, den Sohn des Philosophen, verfaßt zu sein. Vgl. auch Fußnote 55. 81 Zum Einfluß Schellings auf Savigny und Puchta vgl. Hollerbach. 82 Rückert, S. 220, 317. 83 Etwa Erbverträge II 2, S. 196, 280.

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das Theater besuchte Beseler in München oft und gerne 64 • Puchta mag er in diesem Kreise persönlich kennengelernt haben65 • Eine angenehme Unterbrechung fand das Münchener Jahr durch eine fünfwöchige Reise zu Floß auf Isar und Donau nach Wien. Die Rückreise zu Fuß führte durch die Steiermark und das Salzkammergut68 • Eine geplante Reise über Innsbruck nach Mailand und zurück durch die Schweiz mußte unterbleiben, da der Bruder Wilhelm ihm das dazu nötige Geld nicht beschaffen konnte. Im Herbst 1830 kehrte Beseler nach Kiel zurück und widmete sich den Vorbereitungen für das Staatsexamen. Gemeinschaftlich mit drei Freunden wurde gearbeitet. Ganz so unpolitisch, wie Beseler seine Studentenzeit im Alter sah67 , war sie nicht. Von der Lornsen-Bewegung wurde auch Beseler lebhaft erfaßt und hielt sich keineswegs von ihr entfernt68 • Lornsen versuchte 1830, die Kieler zu einer Petition der Schleswig-Holsteiner mit folgenden Forderungen zu bewegen: 1. Die Verlegung sämtlicher Behörden, die schleswig-holsteinische

Angelegenheiten bearbeiteten, in die Herzogtümer,

2. Die Berufung einer verfassungsgebenden Ständeversammlung, 3. Die Errichtung eines obersten Staatsrats zur Verwaltung der Her-

zogtümer,

und 4. Die Trennung von Justiz und Verwaltung und die Errichtung eines

gemeinsamen obersten Gerichtshofes für beide Herzogtümer.

Lornsens Forderungen enthalten eine für die Zeit typische Mischung von nationalen und liberalen Elementen, wie ja überhaupt in dieser Zeit national und freiheitlich nahezu identisch in ihrer Bedeutung sind, ein Umstand, der heute nur allzuleicht übersehen wird. Beseler gehörte zu den 109 Studenten, die eine Bittschrift an das Konsistorium der Universität Kiel unterschrieben, dieses möge sich für 64 M

Eu E, S. 11. Dieser verkehrte im Hause Schellings. Vgl. dazu Bohnert, Beiträge,

S. 234 f.

E u E, S. 12. Eu E, S. 14; dem folgend Holm, S. 1. 68 Im Gegensatz zu seiner Darstellung (E u E, S. 14), wo es heißt: "Selbst von der durch Lornsen in Schieswig-Hoistein hervorgerufenen Agitation, an der mein Freund Hanssen sich unmittelbar betheiligte, hielt ich mich fern." Die unmittelbare Beteiligung Hanssens bestand vor allem darin, daß er die Petition, die auch Beseler unterzeichnete, an erster Stelle unterschrieben hatte. 86

67

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die Lornsenschen Forderungen einsetzen69 • Dieses Unternehmen, an dem sich rund ein Drittel der Kieler Studentenschaft beteiligte, scheint von der Burschenschaft Germania ausgegangen zu sein, der auch Beseler angehörte 70 • Nach einer anderen Quelle hatte sich die Burschenschaft Germania allerdings 1829 aufgelöst71 • Jens Uwe Lornsen72 gehörte auch bald zu Beselers engsten Freunden. über Beseler urteilte Lornsen zu dieser Zeit: "Zwei gute Männer hat uns die Universität geliefert, Hansen73 und Beseler und ich erwarte viel von beiden. Beseler muß nur vor Allem das constitutionelle Staatsrecht studiren und lesen74 ." Lornsen vertrat auch schon erstaunlich früh, in den Jahren 1830/31, das Ziel eines vereinten deutschen Kaiserreiches unter preußischer Führung75 • Diese Freundschaft hielt bis zu dem tragischen Freitod Lornsens 1837, den Beseler nicht verhindern konnte. Auf Wunsch Lornsens hat Beseler schweren Herzens einen aufschlußreichen Briefwechsel beider vernichtet76 • Zu Michaelis 1831 bestand Beseler auf Gottorff bei Schleswig das Staatsexamen mit dem zweiten Charakter mit sehr rühmlicher Auszeichnung77 • Ob auch er zu den Prüflingen gehörte, die eine erstaunliche Unkenntnis auf dem Gebiet der juristischen Literaturgeschichte zeigten 78, ist nicht überliefert77 • Von den übrigen 14 Kandidaten erreichte nur noch einer einen gleich guten Charakter79 • Der erste Charakter wurde nur sehr selten vergeben, so etwa 1829 an Kierulff. Da dieses Amtsexamen, an dem keine Universitätslehrer teilnahmen, das einzige Examen war, dem auch kein Vorbereitungsdienst folgte, waren die Ansprüche sehr hochso. Nicht nur die juristischen Kenntnisse wurden geprüft, sondern auch die philosophische und geschichtliche Scharff, Vermächtnis, S. 324. Hagenah, Kieler Student, S. 25. 71 Heer, S. 94. Im LAS gibt es keinerlei Akten über die Burschenschaft Germania. 72 Scharff, Lornsen, m. w. N. Sehr lesenswert ist auch die Darstellung AInors, eine kurze und knappe Lebensbeschreibung, die nicht dem schleswigholsteinischen Partikularismus verpflichtet ist, wie nahezu alle anderen älteren Biographien Lornsens. 8V

70

73

V gl. Anm. 68.

Pauls, Lornsens Briefe, S. 208. Scharff, Lornsen, S. 189. 78 E u E, S. 19. 77 Die Examensunterlagen enthalten keine Einzelbewertungen, sondern nur stereotype Bewertungsformeln, die den heutigen gleichen, LAS, Abt. 65.2 Nr. 182 I. 78 Döhring, Universität Kiel, S. 133 Anm. 88. 7V Kieler Correspondenzblatt für die Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, 2. Jahrgang 1831, No. 85, S. 372. 80 Döhring, Universität Kiel, S. 133. 74

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Bildung der Kandidaten wurde erprobt, nicht nur durch schriftliche Klausuraufgaben, sondern auch durch eine einstündige mündliche prüfung81.

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Döhring, Universität Kiel, S. 132.

3. Kapitel

Kiel 1831-1833 Nach bestandener Prüfung beabsichtigte Beseler, sich als Advokat in Kiel niederzulassenl • Nachdem er ein entsprechendes Gesuch gestellt hatte, bereitete er sich in Kiel auf seinen Beruf vor und hielt Repetitorien für Examenskandidaten ab. Mit der Benachrichtigung über die Ausfertigung seiner Bestallung als Advokat wurde Beseler ein Formular des Homagialeides zugeschickt, den die Advokaten des Landes wie die Beamten zu leisten hatten. Das Eidesformular enthält die Anerkennung der absoluten Herrschaft (absolutum Dominium)2 des dänischen Königs über Schleswig-Holstein. Diese angemaßte absolute Herrschaft des dänischen Königs stand im Gegensatz zu den Verfassungsrechten der Herzogtümer'l. Nach reiflicher überlegung entschloß sich Beseler, diesen Eid nicht zu leisten, da er es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte, durch die Eidesleistung die lex regia auch für Sch:leswig anzuerkennen4• Die Konsequenzen dieser Verweigerung waren Beseler vollkommen bewußt. Alle seine Freunde, insbesondere Lornsen und Dahlmanns Schwager, der Arzt Franz Hermann Hegewisch, an den Beseler sich in dieser Zeit fester anschloß5, in dessen Hause er, auch mit der Familie, oft und gerne verkehrte6 , rieten ihm von der Eidesverweigerung ab7 • Sie befürchteten - wie die Zukunft zeigte zu Recht -, daß Beseler nicht würde im Lande bleiben können. Und beide wollten den jungen Mann, der zu den besten Hoffnungen Anlaß bot, der engeren Heimat erhalten8 • Der Advokat und spätere Kieler Bürgermeister Balemann bot allen Einfluß auf, um Beseler die Bestallung ohne die unannehmbare Auflage zu erwirken, aber vergeblich. Beseler selbst hatte daran auch jedes Eu E, S.14. Eu E, Anlage 1, S. 117. 3 So auch Holm, S. 1 f. 4 Eu E, S. 21. 5 L. Hegewisch, S. 65. 8 L. Hegewisch, S. 72. Die Tochter des Arztes teilt eine amüsante Anekdote über Beseler mit. 7 Scharff, Lornsens Vermächtnis, S. 325. 8 E u E, S. 22. Vgl. dazu die Briefe Lornsens bei Pauls, Lornsens Briefe, S. 212 ff. 1

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Interesse verloren, da er mittlerweile fest entschlossen war, die akademische Laufbahn einzuschlagen9• Daraufhin unterbreitete ihm die Schleswig-Holsteinisch-Lauenburgische Kanzlei den Kompromißvorschlag, stillschweigend auf die Advokatur zu verzichten und eines der großen Reisestipendien zu beantragen, die in Kopenhagen zur Verfügung standen. Infolgedessen hätte man seine Bestallung zum Advokaten dem König nicht zur Kassierung vorgelegt. Aber Beseler blieb konsequent und lehnte auch diesen Vorschlag ab lo , woraufhin ihm die Bestallung entzogen wurde. Damit hatte sich in der schon lange schwelenden Eidesfrage in Schleswig-Holsteinl l endlich ein Mutiger gefunden, der den Eid wirklich verweigerte, was der Diskussion neue Nahrung gab. In der Eidesverweigerung Beselers ist daher eine bewußte politische Herausforderung der dänischen Herrschaft zu sehenl2 • Auch Treitsch:ke schreibt Beselers Eidesverweigerung und dessen Folgen Signalwirkung für die Bewußtseinsbildung der Deutschen in den Herzogtümern ZU I3 • Im Kieler Correspondenzblatt erschien dann schon am 11. September 1833 ein Bericht unter dem Titel "Politische Eide", in dem sie ganz abgelehnt werden, gleich welchen Inhalt sie haben14 • Dieses Ereignis bezeichnete Beseler selbst als den eigentlichen Wendepunkt seines Lebens l5 • Denn er faßte nun, 1832, den Entschluß, sich der akademischen Laufbahn zuzuwenden. Den Vorschlag der befreundeten Advokaten Balemann und Preusser, unter ihrem Namen zu praktizieren, lehnte Beseler ab l6 • Seine Entscheidung für die akademische Laufbahn wurde nicht zuletzt durch das Gerücht bestärkt, Falck würde in das zu begründende Oberappellationsgericht Kiel treten und sein Lehrstuhl vakant werden l7 • Zunächst setzte Beseler die Repetitorien 9 Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelm aus Kiel vom 12. Juli 1832, in: Fünfzig Jahre, S. 15. 10 E u E, S. 22. 11 Vgl. dazu den Brief des Landgrafen Karl von Hessen an Höpp aus Schleswig vom 24. Januar 1831 (also vor Beselers Eidesverweigerung), in: Jansen, Lornsensche Bewegung, S. 219: "Ueberdem ist es wie angenommen, daß der Eid an der Souveränität eine verjährte Form ist. Professors und Advokaten sagten es mir herzlich lächelnd ins Gesicht." 12 Beseler, Eu E, S. 21, schätzte die Eidesverweigerung selbst auch so ein: "Ich verkannte nicht ... , wie großen Anstoß es erregen werde, wenn ich zuerst mit einer solchen Erklärung hervortrete. Allein Einer mußte doch den Anfang machen und ich war dazu entschlossen." 13 Treitschke, Geschichte IV, S. 177. 14 Kieler Correspondenzblatt, 1833, No. 73, S. 334 f. Auch Beseler betrachtete den politischen Eid an und für sich voller Mißtrauen. Möglicherweise ist er der Verfasser dieses Artikels. 15 E u E, S. 14. 16 Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelm aus Kiel vom 12. Juli 1832, BA-Ffm, FN 3, 33. 17 Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelm aus Kiel vom 12. Juli 1832, BAFfm, FN 3, 33R.

3. Kap.: Kiel 1831 - 1833

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in größerem Umfange fort und begann germanistische Studien, insbesondere Quellenstudien des nordischen und schleswig-holsteinischen Rechts18 • In dieser Zeit verfaßte Beseler auch einzelne Artikel, die im Kieler Correspondenzblatt erschienen. Für einen Gelehrten der Zeit war das durchaus ungewöhnlich, denn die meisten Wissenschaftler hielten es für unter ihrer Würde, für Zeitungen zu schreiben. Zu den wenigen Ausnahmen gehörte etwa Dahlmann19 • Anfang April 1833 wurde in Kiel die Schleswig-Holstein-Lauenburgische Gesellschaft für vaterländische Geschichte gegründet, zu deren Gründungsmitgliedern Beseler zählte. Er wurde neben Professor Michelsen und dem Advokaten Schiff in deren Komitee zur Herausgabe der Regesten .und der Sammlung ungedruck:ter Urkunden gewählt20 • Der Kieler Magistrat genehmigte ihm den Zutritt zum Stadtarchiv2 t, in dem er in der Folgezeit auch arbeitete. Als er seines Umzuges wegen am 6. November 1833 seinen Austritt aus dem Urkunden-Komitee anzeigte, konnte er mehrere Kieler städtische Urkunden abliefern, "theils mit den Urschriften von ihm verglichen, theils aus den Originalien abgeschJrieben"22. Zur Vorbereitung der Promotion besuchte Beseler nahezu täglich lateinische Sprachübungen23 • Zunächst regte Falck eine Dissertation unter dem Titel "observationibus iuris SIesv. Holsatici" an, "Betrachtungen über allerley Kleinigkeiten, die ich unter den Bibliotheksmanuscripten fand"2'. Beseler half zu dieser Zeit dem Bibliothekar Henning Rat jen der Universitätsbibliothek Kiel dabei, die Handschriften der Bibliothek auf Zetteln zu verzeichnen25 • Er promovierte dann aber über den Eid mit Eideshelfern. 1833 vollendete Beseler seine Dissertation "De iuramento partium cum consacramentalibus in Slesvico-Holsatia abrogato", die auch im Druck erschien. Am 27. Januar 1833 reichte er das Gesuch um Zulassung zur Doktorprüfung mit einem curriculum vitae und der Inauguraldissertation bei der Kieler Juristischen Fakultät ein26 . Professor Burchardi als De18 19

E u E, S. 23. Heigel, S. 63.

Kieler Correspondenzblatt, 1833, No. 28, S. 132; Vorbericht I, S. XI. Vorbericht I, S. XII. 22 Vorbericht H, S. XI. 23 Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelm aus Kiel ohne Datum, in: Fünfzig Jahre, S. 16. 24 Brief Beselers an seinen Bruder Wilhelm aus Kiel und ohne Datum (Ende 1832?), BA-Ffm, FN 3, 35. 25 Bülck, Universitätsbibliothek, S. 246. 26 Pappenheim, Beseler, S. 2. 20

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kan urteilte über Beselers Arbeit: "Die Dissertation scheint mir eine fleißige Arbeit, welche von Quellenstudium und Urtheil zeugt. Aber die Sprache ist sehr unbehülflich, .und wenn man auch eine Anzahl Schnitzer für bloße Unachtsamkeiten und Schreibfehler ansehen will, so scheint mir doch eine durchgehende Revision des Stils nöthig." Burchardi empfahl den Kollegen, dem Kandidaten Beseler eine sprachliche überarbeitung des Werkes aufzugeben, "damit das Ganze etwas mehr Eleganz bekomme"27. Neben der Dissertation fertigte Beseler noch folgende Quelleninterpretationen an 28 : § 7 Institutionen, de fideieommissariis hereditatibus 29 , De leg. 29 § 2 D de pignoribus eum leg. 44 § 1 D de damno infecto eomparata:ro, lex 30 C de jure dotium31 und Cap. 5 X de eo, qui duxit quam polluit32. Auf Grund dieser Arbeiten, der "rühmlich bestandenen"33 mündlichen Prüfung und der öffentlichen Disputation über die von der Fakultät genehmigten Thesen, erteilte ihm die Fakultät die juristische Doktorwürde "magna eum laude"34. Durch ein Schreiben der Fakultät vom 26. Februar 1833 wurde bei der Schleswig-Hoisteinisch-Lauenburgischen Kanzlei ein Gesuch um Erwirkung der königlichen Bestätigung eingereicht35 , damit verbunden die Bitte um Gestattung der nachträglichen Einrückung seiner Vorlesungsankündigung in das Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester. Obwohl diese Genehmigung nicht eintraf, wurde Beselers Ankündigung in das Vorlesungsverzeichnis aufgenommen und ihm auch, wenn schon nicht ohne Bedenken, die Erlaubnis erteilt, die Vorlesung anzukündigen34• Beseler nahm daraufhin im Sommersemester 1833, das am 29. April begann, als Privatdozent36 seine Vorlesung über schleswig-holsteinisches Privatrecht auf37 • 27 Gutachten Burchardis, Kiel, den 29. Januar 1833, LAS, Abt. 47.5 Nr. 2. 28 LAS, Abt. 47.5 Nr. 2. Dabei handelt es sich um je eine Interpretation aus den Institutionen, aus den Digesten, dem Codex und dem Corpus iurus canonici. 2U

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1. 2. 23. 7. D. 20. 1. 29. 2.; D. 39. 2. 44. 1. C. 5. 12. 30.

32 Cap. 5 X. 33 Schreiben der Juristischen Fakultät an die Kanzlei aus Kiel vom 26. Februar 1833, LAS, Abt. 47.5 Nr. 2. 34 Pappenheim, Beseler, S. 2. S5 Vgl. die Anm. 28 und 34. S8 Volbehr und Weyl führen Beseler nicht als Privatdozenten, vgl. Volbehr / Weyl, Pappenheim, Beseler, S. 2 f., schreibt nichts über eine besondere Habilitation. Die Befugnis, in Kiel zu lesen, war vermutlich mit der dort erworbenen Doktorwürde verbunden. Vgl. Pappenheim, Beseler, S. 8. 37 Eu E, S. 23. Schieswig-Hoisteinisches Privatrecht, fünfstündig, neben Falck, der es sechsstündig las, in: Vorlesungen, welche im Sommer 1833 auf der Kieler Universität gehalten werden sollen, in: Kieler Correspondenzblatt,

3. Kap.: Kiel 1831 - 1833

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D.urch ein Kanzleischreiben des Kanzlers Brockdorff vom 7. Mai 18333