Gegen den Zeitgeist: Der Weg zur VELKD als lutherischer Bekenntniskirche 9783666557491, 9783525557495

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Gegen den Zeitgeist: Der Weg zur VELKD als lutherischer Bekenntniskirche
 9783666557491, 9783525557495

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Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Siegfried Hermle und Harry Oelke

Reihe B: Darstellungen Band 49

Vandenhoeck & Ruprecht

Thomas Martin Schneider

Gegen den Zeitgeist Der Weg zur VELKD als lutherischer Bekenntniskirche

Vandenhoeck & Ruprecht

Für Johannes, Jakob und Benjamin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-55749-5

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

© 2008, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen. Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Daniela Weiland, Göttingen Druck und Bindung: b Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Allgemeine Vorüberlegungen (Thema, Aufbau, Methode) . . . . . . 1.2 Zur Quellen- und Literaturlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Zum Begriff Luthertum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Zur Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Lutherische Einigungsbestrebungen zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft (1933 bis 1936) . . . . . . . . . . . . 2.1 Der „Lutherische Zweig innerhalb der werdenden Deutschen Evangelischen Kirche“ (1933) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Der lutherische Anteil an der Barmer Theologischen Erklärung und der Lutherische Konvent der Barmer Reichsbekenntnissynode (Mai 1934) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Gründung des Lutherischen Rates (August bis November 1934) 2.4 Der Lutherische Pakt (Februar 1935) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Die theologischen Gutachten des Lutherischen Rates vom Frühjahr 1935 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Der Lutherische Tag in Hannover (2. bis 5. Juli 1935) . . . . . . . . . 2.7 Die Herausforderung durch die Einsetzung des Reichskirchenministers und der Kirchenausschüsse: Der Fortsetzungsausschuss des Lutherischen Tages (Juli bis Dezember 1935) und die Tagung des Lutherischen Rates am 17. Dezember 1935 . . . . . . . . . . . . . .

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3. Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) von 1936 bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3.1 Die Gründung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (des sogenannten Lutherrats) (Februar / März 1936) 129

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Inhalt

3.2 Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands in der Zeit der Kirchenausschüsse (1936 bis 1937) . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Das Verhältnis zur Vorläufigen Kirchenleitung (VKL II) . . 3.2.2 Das Verhältnis zum Reichskirchenausschuss (RKA) . . . . . . 3.2.3 Das Verhältnis zum nationalsozialistischen Staat . . . . . . . . 3.2.4 Anschlüsse an den Lutherrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Zur theologischen Arbeit und zu den Verlautbarungen des Lutherrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6 Die Grundbestimmungen des Lutherrates . . . . . . . . . . . . . 3.3 Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands vom Ende der Ära der Kirchenausschüsse bis zum Rücktritt des Vorsitzenden Thomas Breit (1937 bis 1938) . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Zwischen offensiven Strategien nach dem Scheitern der Ausschusspolitik und defensiven Reaktionen auf den Wahlerlass Hitlers vom Februar 1937 . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Synodenpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Der Vorschlag eines „Simultaneums“ für die Deutsche Evangelische Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Meinzolts Gesetzesentwurf „zur Bildung der Lutherischen Kirche Deutschlands“ und die Bevollmächtigung von Breit, Marahrens und Wurm Anfang 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Wachsender Druck von Seiten des nationalsozialistischen Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.6 „Treuebekundungen“ des Lutherrates gegenüber dem Führer und dessen Außenpolitik 1938. . . . . . . . . . . . . 3.3.7 Die Reaktion auf die Gebetsliturgie der VKL II vom September 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.8 Breits Rücktritt Ende Oktober 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands am Vorabend und während des Zweiten Weltkrieges (1939 bis 1945) 4. Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) von 1945 bis 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die Arbeit an der Verfassung der Vereinigten EvangelischLutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Württemberg und die werdende VELKD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Das Fernhalten und Fernbleiben Oldenburgs . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Zum Verhältnis der werdenden VELKD zur werdenden EKD . . .

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Inhalt

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4.5 Weitere Probleme der werdenden VELKD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Allgemeine Probleme der frühen Nachkriegszeit . . . . . . . . 4.5.2 Das Vermittlungsproblem in der Öffentlichkeit . . . . . . . . . 4.5.3 Das Fortbestehen des Unionsluthertums . . . . . . . . . . . . . . 4.5.4 Die ablehnende Haltung des Reformierten Bundes . . . . . . 4.5.5 Der Bruch mit den Altlutheranern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.6 Das Verhältnis zur Ökumene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Ertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Voraussetzungen und Anfänge: Abwehr von Liberalismus, Unionismus und staatlicher Reglementierung und Rückbesinnung auf das konfessionelle Proprium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Identitätsklärung zwischen Illusion und Selbstverteidigung, Suche nach Bündnispartnern und Unabhängigkeitsbestreben . . . 5.3 Der Lutherrat als Teil der Bekennenden Kirche . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Der Lutherrat im Prozess der Neuordnung des deutschen Protestantismus nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Personenregister / Biogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301

Vorwort

Eine lutherische Kirche auf klarer Bekenntnisgrundlage auch institutionell und überregional zu etablieren, das war das Anliegen der Verfechter der lutherischen Vereinigungsbestrebungen seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts. Man wollte auf diese Weise den rasch wechselnden Moden und den möglichen Verirrungen des jeweiligen Zeitgeistes widerstehen und christlich-kirchliche Identität nachhaltig sichern und zukunftsfähig machen. Einen enormen Schub erfuhren diese Bestrebungen insbesondere durch die Herausforderungen des sogenannten „Dritten Reiches“ und führten 1948 schließlich zur Gründung der VELKD, der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Von Anfang an stießen die lutherischen Vereinigungsbestrebungen auf heftige Widerstände unterschiedlicher Art. Sie wurden aus politischen Gründen bekämpft, so etwa vom preußischen König, der nicht zuletzt aus Gründen der Herrschaftsstabilisierung die Union wollte, oder etwa von den Nationalsozialisten, die die evangelische Kirche gleichschalten wollten. Sie waren gleichermaßen Pietisten und Rationalisten, die eine starke Tendenz zur Relativierung der Bekenntnisse miteinander verband, ein Dorn im Auge. Die „Deutschen Christen“, die eine überkonfessionelle Nationalkirche anstrebten, lehnten sie ab, ebenso aber auch maßgebliche Teile des sogenannten „dahlemitischen“ Flügels der Bekennenden Kirche, die in der Barmer Theologischen Erklärung ein neues Unionsbekenntnis sahen. Die ablehnende Haltung dauert bis heute an. Sie nimmt angesichts der aktuellen Strukturdebatte in der EKD, deren Kompetenzzuwachs auch auf Kosten der VELKD unübersehbar ist, sogar wohl wieder an Intensität zu. Ich habe erlebt, wie auf einem rheinischen Pfarrkonvent allein die ganz beiläufige Erwähnung der fünf Buchstaben VELKD schon Buhrufe provozierte. In einer zunehmend entkirchlichten, säkularisierten und individualisierten Gesellschaft sind konfessionelle Besonderheiten und Unterschiede offenbar kaum noch zu ertragen bzw. zu vermitteln. Auch eine bestimmte Form von Ökumene und interreligiösem Dialog, bei der die Suche nach dem Gemeinsamen dominiert, zeigt sich erstaunlich unsensibel für solche Eigentümlichkeiten und Differenzen, die oft allzu schnell relativiert und eingeebnet werden. Widerstände gab und gibt es, das soll nicht verschwiegen werden, nicht zuletzt in den eigenen Reihen. Auch Lutheraner waren und sind nicht gefeit vor

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Vorwort

Anpassung und Anbiederung an den Zeitgeist. Nahezu sämtliche Vorbehalte wurden auch von Lutheranern selbst vorgetragen. Die grundsätzlich konservative Rückbesinnung auf die Bekenntnisgrundlagen konnte auch zu konfessionalistischer Enge und Erstarrung sowie zu politischer Blindheit und einseitiger Parteinahme führen. Dennoch, bei allen Vorbehalten und Widerständen, man kann fragen, ob der Grundgedanke wirklich so absurd und rückwärtsgewandt ist, wie er vielen erscheint. Der Protestantismus steckt gegenwärtig in einer Krise, weil er häufig als profil- und konturenlos erscheint, weil sich das latent immer schon vorhandene Pluralisierungsproblem verschärft hat, weil bei vielen der Eindruck entstanden ist, Fragen der political correctness würden in der Kirche mitunter wichtiger genommen als ihr ureigenes Credo. Vielleicht kann man den Weg der Lutheraner auch als einen – zweifellos mit vielen Fehlern behafteten – Versuch begreifen, den schmalen Grat zwischen Verbindlichkeit und Freiheit, zwischen autoritärem Lehramt nach römisch-katholischem Muster und Beliebigkeit, zwischen Traditionsverbundenheit und „Zeitgeistsurfen“, zwischen kirchlicher Selbstüberhöhung und Selbstsäkularisierung bzw. -banalisierung, zwischen Klerikalismus und Laizismus zu beschreiten. Lutheraner sahen sich stets als die Konfession der Mitte; – das hängt freilich davon ab, wo man jeweils die Koordinaten ansetzt. Die vorliegende Arbeit wurde von der Evangelisch-theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Sommersemester 2006 als Habilitationsschrift angenommen und für den Druck geringfügig überarbeitet. Sehr herzlich danke ich zunächst und vor allem Herrn Prof. Dr. Wolf-Dieter Hauschild, der nicht nur diese Arbeit anregte und ihr Entstehen stets außerordentlich intensiv und engagiert begleitete, sondern der mich darüber hinaus auch seit etwa zwei Jahrzehnten gefördert und gefordert hat, also maßgeblichen Anteil an meinem akademischen Werdegang hat und mein theologisches Denken maßgeblich mit geprägt hat. Ich bin froh und dankbar, sein Schüler sein zu dürfen! Herr Prof. Dr. Albrecht Beutel übernahm freundlicherweise das Zweitgutachten. Auch ihm sei sehr herzlich gedankt. Herrn Leitenden Archivdirektor PD Dr. Hans Otte und seinem Team danke ich für die Gastfreundschaft im Landeskirchlichen Archiv Hannover sowie für vielfältige Unterstützung und wertvolle Tipps. Mit meinem „väterlichen“ Freund Prof. Dr. Wilhelm Holtmann habe ich häufig über die Inhalte der Arbeit diskutiert. Er hat auch sorgfältig Korrektur gelesen. Gerade als dezidiert reformierter Theologe hatte er viel Verständnis für die behandelten Probleme und war stets ein anregender Gesprächspartner.

Vorwort

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Danke, Wilhelm! Meinen katholischen Kollegen und Freunden Dr. Helmut Müller und JProf. Dr. Jörg Seiler danke ich ebenfalls für zahlreiche inspirierende Diskussionen. Der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte und stellvertretend den Vorsitzenden Prof. Dr. Harry Oelke und Prof. Dr. Siegfried Hermle danke ich sehr für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte. Herrn Hermle danke ich zudem für seine überaus sorgfältige Durchsicht des Manuskriptes. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) danke ich für einen namhaften Druckkostenzuschuss. Die VELKD hat die Edition der Lutherratsprotokolle 1945–1948 gefördert, die eine wichtige Quellenbasis dieser Arbeit ist und die, ebenfalls dank Druckkostenzuschuss der DFG, demnächst in der Reihe A der Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte erscheinen wird. Frau Claudia Paulus-Welzel half dankenswerterweise bei der Erstellung des druckfertigen Manuskriptes. Herrn Daniel Sander M.A. danke ich für die redaktionelle Betreuung von Seiten des Verlages. Meiner Familie danke ich dafür, dass sie über einen langen Zeitraum hinweg einen mitunter gestressten Ehemann und Vater ertragen hat, der aus der Universität kommend gleich wieder im häuslichen Arbeitszimmer verschwand. Zwei Familienmitglieder, die stets interessiert Anteil genommen haben, starben plötzlich kurz nach Abschluss der Habilitation: Magdalene Rensinghoff, meine Schwiegermutter, und Margarete Böcker, meine Patentante. Ihrer sei auch an dieser Stelle in herzlicher Verbundenheit und Dankbarkeit gedacht. Ich widme diese Arbeit unseren drei Söhnen, Johannes, Jakob und Benjamin, in der Hoffnung, dass sie fröhliche Christenmenschen bleiben und dass ihnen der Begriff „evangelisch-lutherisch“ später einmal nicht nur im Museum begegnet. Koblenz, am Erntedankfest 2007

Thomas Martin Schneider

1. Einleitung

1.1 Allgemeine Vorüberlegungen (Thema, Aufbau, Methode) Die vorliegende Arbeit soll einen vornehmlich institutionsgeschichtlichen Beitrag zur Erforschung der Kirchlichen Zeitgeschichte1 leisten. Anders als zu anderen evangelisch-kirchlichen Institutionen des 20. Jahrhunderts fehlt bislang, wie Kurt Meier bereits 1976 konstatierte, „eine umfassende Arbeit über die lutherischen Zusammenschlüsse“2. Meier begründete ein entsprechendes Forschungsdesiderat auch damit, dass die lutherischen Zusammenschlüsse in der Forschung bislang vornehmlich in anderen Zusammenhängen, also nicht als eigenständiges Thema, und in einseitig-kritischer Perspektive wahrgenommen worden seien3, und regte deswegen an, „auch das interne Verhandlungsmaterial von lutherischer Seite“ zu sichten4. In seinem Forschungs- und Literaturbericht von 1981 konstatierte Meier: 1 Zum Begriff „Kirchliche Zeitgeschichte“ vgl. Hauschild, Konfliktgemeinschaft, 15–72. Zur kontroversen Methodendiskussion vgl. auch Doering-Manteuffel / Nowak, Kirchliche Zeitgeschichte. 2 Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 407, Anm. 132. Vgl. etwa die Arbeiten über die „Deutschen Christen“ (Meier, Deutsche Christen), die „Jungreformatorische Bewegung“ (Neumann, Jungreformatorische Bewegung), die Reichsbekenntnissynoden (Niemöller, Erste Bekenntnissynode, Bd. 1 u. 2; Niemöller, Zweite Bekenntnissynode; ders., Dritte Bekenntnissynode; ders., Vierte Bekenntnissynode), das Reichskirchenministerium (Kreutzer, Reichskirchenministerium), den „Geistlichen Vertrauensrat“ (Melzer, Geistlicher Vertrauensrat), die Diakonie im „Dritten Reich“ (Strohm / Thierfelder, Diakonie), das „Kirchliche Einigungswerk“ (Thierfelder, Kirchliches Einigungswerk), das „Evangelische Hilfswerk“ (Wischnath, Kirche in Aktion), die Evangelische Kirche der altpreußischen Union (Niesel, Kirche; Lessing, Bekenntnis), die theologischen Fakultäten (vgl. hierzu die Forschungs- und Literaturübersicht bei Meier, Kirchliche Zeitgeschichte, 153–165). Vgl. ferner die Arbeiten bzw. Quelleneditionen zur Gründungsgeschichte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): Smith-von Osten, Treysa; Nicolaisen / Schulze, Protokolle, Bd. 1 u. 2. Vgl. insgesamt die in der Theologischen Rundschau / Neue Folge erschienenen ausführlichen Forschungs- und Literaturberichte von Meier, Der Kirchenkampf im Dritten Reich und seine Erforschung (1968); ders., Kirchenkampfgeschichtsschreibung (1981); ders., Literatur (1989 u. 1990); ders., Kirchliche Zeitgeschichte (1999). 3 Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 407, Anm. 132 bezog sich auf die Informationen über den „Lutherischen Rat“ (1934–1936) bei Niemöller, Erste Bekenntnissynode, Bd. 1, 204–229. Niemöller habe, so Meier, „vor allem die dahlemkritische konfessionelle Haltung des Lutherischen Rates durch Belege“ unterstrichen. 4 Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 407, Anm. 132.

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Einleitung „Ganz gewiß herrschte in der Bekennenden Kirche dahlemitischer Observanz von Anfang an − und bei einzelnen ihrer Vertreter gelegentlich bis zum heutigen Tage − die Meinung vor, daß der Kirchenkampf legitim nur im Sinne der maßstabsetzenden Bekenntnissynoden von Barmen und Dahlem geschrieben werden könne […]“5

Die „trotz allem auch vorhandene Geschichtsschreibung der intakten Landeskirchen“, also der lutherischen Kirchen von Bayern, Hannover und Württemberg, die sich 1935 zum Lutherischen Pakt zusammenschlossen und maßgebliche Träger der lutherischen Vereinigungsbemühungen waren, sei „als ‚Apologetik‘ des ‚lutherischen Sonderweges‘ kritisch beargwöhnt“ worden6. Eine einseitige und stark wertende Haltung zu den lutherischen Vereinigungsbestrebungen findet sich auch noch in Gerhard Besiers im Jahre 2001 erschienener − den Zeitraum von 1934 bis 1937 berücksichtigender − Fortsetzung der Gesamtdarstellung Klaus Scholders über „Die Kirchen und das Dritte Reich“7. Bezeichnend ist schon das verwendete Vokabular. Die lutherischen Vereinigungsbestrebungen wurden fast ausschließlich als „Sprengsatz“8 für die Bekennende Kirche und die altpreußische Unionskirche aufgefasst. Die Ende 1934 im Reichsbruderrat vertretene Haltung des bayerischen Landesbischofs Hans Meiser, der zweifellos führenden Gestalt der lutherischen Vereinigungsbestrebungen in Deutschland ab 1933, wurde wie folgt kommentiert: „Gnadenloser konnte man das volkskirchliche Seziermesser nicht mehr führen. Meiser hatte mit einem Schlag alles, was die Bekennende Kirche seit Frühjahr 1934 theologisch auf die Beine gestellt hatte, für null und nichtig erklärt.“9 Und im Blick auf die Aktivitäten der Lutheraner ab dem Sommer 1935 hieß es beispielsweise zusammenfassend: „[…] die Lutheraner [arbeiteten] auch nach ‚Augsburg‘ [sc. der dritten Reichsbekenntnissynode Anfang Juni 1935] unbeirrt am Zusammenschluß des deutschen Luthertums weiter, obwohl deutlich sein mußte, daß sie damit die Evangelische Kirche der Altpreußischen Union und den Bestand der Bekennenden Kirche gefährdeten.“10 5 Meier, Kirchenkampfgeschichtsschreibung, 29. Vgl. auch ders., Literatur (1989), 153; dort sprach Meier davon, dass die „luth. Bekenntnisformierung […] mit dem in der Nachkriegshistoriographie kursierendem [sic!] Diktum vom ‚lutherischen Sonderweg‘ diskreditiert“ worden sei. 6 Meier, Kirchenkampfgeschichtsschreibung, 29. 7 Besier, Kirchen. 8 Ebd., 34 u. 108. 9 Ebd., 35. Meiser hatte sich gegen die u. a. von Martin Niemöller vertretene exklusive Meinung ausgesprochen, dass allein die Bekenntnissynode Kirche sei, und dementsprechend die Frage aufgeworfen, „ob die Bekenntnisgemeinschaft ohne Ausschluß den Anspruch erheben darf, die allein rechtmäßige Leitung der DEK zu sein“ (zitiert nach ebd.). Ferner hatte er sich gegen einen Zwang zur Unterschrift unter die Barmer Theologische Erklärung gewandt. 10 Ebd., 100.

Einleitung

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Es fragt sich, inwieweit solche pauschalen Urteile nicht vor allem ein bestimmtes kirchenpolitisches und geschichtstheologisch-ekklesiologisches Vorverständnis des Autors widerspiegeln11. Jedenfalls stehen sie im diametralen Gegensatz zum Selbstverständnis der Vertreter der lutherischen Zusammenschlüsse ab 1934, die sich ausdrücklich als Bekennende Kirche verstanden, wenn auch als Bekennende Kirche lutherischer Konfession. Im Blick auf den untersuchten Gegenstand hat Wolf-Dieter Hauschild die Schwierigkeiten einer angemessenen historischen Darstellung wie folgt auf den Punkt gebracht: „Wer unter Berufung auf die neuzeitliche Christentumsgeschichte (insbesondere das Prinzip der religiösen Subjektivität) die alten Konfessionsunterschiede für obsolet hält und irgendeine Form von Unionskirche befürwortet, wird vielleicht von vornherein ein positionell-distanziertes Verhältnis zur Geschichte der VELKD haben und dafür eine passende historiographische Begründung liefern können. Wer dagegen die EKD für einen ekklesiologisch problematisch begründeten Kirchenbund hält, wird womöglich die beträchtlichen Divergenzen innerhalb der EKD hinsichtlich nahezu aller theologischen, ethischen, religiösen und politischen Grundfragen vom Kirchenverständnis her (in Verbindung mit dem Bekenntnisproblem) zu begründen suchen. Beidemal dürfte es sich erweisen, wie schwierig es jeweils ist, die real existierende Kirche − in diesem Fall: konkurrierende Zusammenschlüsse der Landeskirchen − historiographisch adäquat zu erfassen, weil ekklesiologische Positionen, wenn sie denn angemessen artikuliert sind, die Beurteilung und damit die historische Darstellung beeinflussen.“12

Es kann also nicht darum gehen, einer vermeintlich parteilichen Sichtweise eine vermeintlich objektive gegenüberzustellen. Vielmehr sollen die lutherischen Zusammenschlüsse ab 1933 zum einen erstmals im Zusammenhang und als eigenständiges Thema anhand der verfügbaren Quellen behandelt werden, und zum anderen soll der bisherigen kritischen Wahrnehmung eine Darstellung aus der Perspektive des Luthertums − nicht von einem dogmatisch-lutherischen Parteistandpunkt aus − gegenübergestellt werden, die durch andere Perspektiven zu ergänzen und gegebenenfalls auch zu korrigieren ist13. Eine besondere Aktualität des Themas − deswegen aber auch eine besondere Problematik − ergibt sich auf Grund der gegenwärtigen Strukturdebatte im deutschen Protestantismus, die sich nicht nur auf das Verhältnis von EKD und VELKD bezieht, sondern bei der generell der Sinn und Zweck konfessio-

11 Zur Kritik an Besiers Ansatz vgl. u. a. Nowak, Allgemeine Zeitgeschichte; Doering-Manteuffel, Griff; und Hauschild, Konfliktgemeinschaft, 31–34. 12 Ebd., 41 f. 13 Vgl. hierzu grundsätzlich Mommsen, Perspektivischer Charakter.

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Einleitung

neller Zusammenschlüsse wie der VELKD in Frage gestellt worden ist14. Diese Diskussion, die zu Beginn meiner Forschungsarbeit in der Form noch nicht abzusehen war, zeigt in ganz unmittelbarer Weise, dass für unser Thema aus dem Bereich der Kirchlichen Zeitgeschichte die „Realitätserfahrung der ‚Mitlebenden‘“ bzw. die Kategorie der „Gleichzeitigkeit“ von besonderer Relevanz ist15. Womöglich ist die Diskussion über den Sinn und Zweck konfessioneller Zusammenschlüsse innerhalb des deutschen Protestantismus, um deren Genese es hier geht, paradigmatisch für die weiterreichende Diskussion über den Sinn und Zweck von Konfessionen überhaupt, wie sie etwa im religionspädagogischen Bereich seit einiger Zeit geführt wird16. Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht die gut zwölfjährige Geschichte des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (RELKD), des sogenannten Lutherrates, 1936 bis 1948 (Kapitel 3 und 4). Der Lutherrat war der bis dahin weitestreichende lutherische Zusammenschluss in Deutschland; aus ihm ging 1948 unmittelbar die VELKD hervor17. Ein guter Teil seiner Geschichte fällt in eine Zeit, die bislang generell kaum erforscht ist, nämlich die Situation der Kirche am Vorabend und während des Zweiten Weltkrieges von 1938 bis 194518. Trotz verschiedener struktureller Kontinuitäten vor und nach 194519 war der Lutherrat doch eine der ganz wenigen − vor allem evangelischkirchlichen − Institutionen in Deutschland, für die das Epochenjahr 1945 − von einigen, insbesondere personellen Veränderungen abgesehen − keinen Bruch bedeutete, die sich vielmehr − bei geänderten Rahmenbedingungen − kontinuierlich weiterentwickeln konnten. Der Lutherrat war personell, organisatorisch und inhaltlich eng verzahnt mit bzw. ging seinerseits unmittelbar hervor aus verschiedenen Vorläuferorganisationen seit 1933, ohne deren Kenntnis seine Gründung nicht verständlich ist (Kapitel 2). Es waren dies der „Lutherische Zweig innerhalb der werdenden Deutschen Evangelischen Kirche“ (1933), der Lutherische Konvent der Reichsbekenntnissynode (1934), der Lutherische Rat (1934–1936) (nicht zu verwech14 Vgl. hierzu u. a. Hauschild, Diskussion, 345–347; und Wendebourg, Schatten, 422 u. 463 f. 15 Vgl. hierzu Hauschild, Konfliktgemeinschaft, 24–26. 16 Vgl. die Kontroverse um „ökumenischen“ bzw. „interreligiösen“ Religionsunterricht, etwa: Doedens / Weisse, Religionsunterricht für alle. − versus: Nipkow, Religionsunterricht für alle? 17 An einer Geschichte der VELKD (ab 1948) arbeitet der ehemalige Präsident des Lutherischen Kirchenamtes der VELKD Friedrich-Otto Scharbau (Schreiben an Verf. vom 6. 11. 2003). Als Vorarbeit dazu vgl.: Scharbau, Kleine Geschichte der VELKD. 18 Vgl. Hauschild, Konfliktgemeinschaft, 69, Anm. 172. Vgl. auch Meier, Kirchliche Zeitgeschichte, 61. 19 Zur Diskussion über das Epochenjahr 1945 als Zäsur deutscher Geschichte vgl. schon 1979: Kocka, 1945: Neubeginn oder Restauration?

Einleitung

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seln mit dem Lutherrat), der Lutherische Pakt (ab 1935) sowie der Lutherische Tag in Hannover und dessen Fortsetzungsausschuss (Juli bis Ende 1935). Die Vorläuferorganisationen des Lutherrates seit 1933 hatten ihrerseits eine Vorgeschichte, wenn auch das Jahr 1933 eine deutliche Zäsur der lutherischen Vereinigungsbestrebungen darstellte – mit deutlichen organisatorischen, personellen und inhaltlichen Änderungen. Diese − mittelbare − Vorgeschichte des Lutherrates reicht, wie es für Themen der Kirchlichen Zeitgeschichte durchaus typisch ist, bis ins 19. Jahrhundert zurück. Sie wird auf der Grundlage von Sekundärliteratur und einigen veröffentlichten Quellen nur kurz abgehandelt (1.4). Gründe dafür sind die oben genannte andere Schwerpunktsetzung und die sachliche Relevanz, ferner die schwierige Lage der unveröffentlichten Quellen und schließlich der Umstand, dass einschlägige, wenn auch meist ältere Sekundärliteratur durchaus vorhanden ist. Ein eigener Abschnitt soll der Klärung der Frage dienen, was im Zusammenhang unserer Thematik unter dem Begriff Luthertum zu verstehen ist (1.3). Der eingangs zitierten Anregung Kurt Meiers entsprechend, wird in den Kapiteln 2 bis 4 der Arbeit zunächst und vor allem das − veröffentlichte und unveröffentlichte − „interne Verhandlungsmaterial“ der lutherischen Zusammenschlüsse und Vereinigungsbemühungen ausgewertet. Es handelt sich dabei in erster Linie um offizielle Verhandlungsniederschriften und dazugehörige Protokolle, die gegebenenfalls ergänzt werden durch Aufzeichnungen einzelner Beteiligter und weitere Quellen. Für die Zeit von 1945 bis 1948 werden die − von Ausnahmen abgesehen bislang unveröffentlichten − wesentlichen Quellen in Form einer kommentierten Edition als Anhang zu dieser Arbeit vorgelegt20. Komplementär berücksichtigt und, wo sich Kontroversfragen ergeben, diskutiert werden Darstellungen in der einschlägigen Sekundärliteratur. Sofern Randgebiete tangiert sind, wird teilweise lediglich auf bereits vorhandene Spezialuntersuchungen verwiesen (zur Quellen- und Literaturlage insgesamt vgl. 1.2). Die Arbeit ist grundsätzlich chronologisch aufgebaut. In den Kapiteln 3 und 4 werden einzelne Fragestellungen aber auch in systematischer Weise erörtert. Wertungen und Versuche, größere Zusammenhänge aufzuzeigen, treten in der Darstellung zunächst hinter der Analyse und dem historischen Sachurteil zurück. In einem abschließenden Kapitel (Kapitel 5) wird dann thesenartig ein zusammenfassender Ertrag formuliert. Erkenntnisleitende Fragestellungen sind:

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Vgl. Schneider, Protokolle.

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– zunächst die Frage nach dem Selbstverständnis, den Motiven und Zielen der lutherischen Vereinigungsbestrebungen, einschließlich der Frage nach den Verbindungen des Lutherrates zu seinen Vorläufern; – die Frage nach den praktischen Konsequenzen des Selbstverständnisses, vor allem im Hinblick auf Fragen der Kirchenordnung; – die Frage nach dem Verhältnis zu anderen kirchlichen bzw. kirchenpolitischen Gruppen (Deutsche Christen, radikale Bekennende Kirche, Kirchenausschüsse, Neutrale); – die Frage nach dem Verhältnis zu den anderen protestantischen Konfessionen: zu den Unierten, besonders in Preußen, zu den Reformierten sowie auch zu den altlutherischen Freikirchen; – die Frage nach dem Verhältnis zum nationalsozialistischen Staat; – die Frage nach den Konsequenzen der Erfahrungen in der Zeit des Nationalsozialismus nach 1945; – die Frage nach dem Verhältnis zum weltweiten Luthertum und zur Ökumene allgemein; – die Frage nach dem Binnenverhältnis der Vertreter bzw. Mitglieder der lutherischen Vereinigungsbestrebungen untereinander. Ein besonderer − durchgängig relevanter − Problembereich, zu dem aber bereits Spezialuntersuchungen vorliegen, ist die Rezeption der Barmer Theologischen Erklärung. Theologiegeschichtliche Aspekte werden im Übrigen dann berücksichtigt, wenn sie in den Quellen ausdrücklich zur Sprache kommen. Dasselbe gilt für Stellungnahmen zu politischen Ereignissen. Zu den aus heutiger Sicht höchst relevanten Problemkomplexen Judenverfolgung, Euthanasie, Zwangsarbeit, Krieg und Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung, Entnazifizierung etc. fehlen nahezu völlig Aussagen in den Quellen. Es wäre ein Anachronismus zu meinen, heutige Fragestellungen deckten sich mit denjenigen der damaligen Protagonisten. Zudem werden aber auch taktische Erwägungen, etwa die Sorge vor staatspolizeilichen Ermittlungen, für das Schweigen der Quellen verantwortlich sein. Längere Zitate, die optisch durch kleineren Druck vom übrigen Text abgesetzt sind, sollen die Argumentation belegen und zugleich die lutherische Perspektive möglichst authentisch veranschaulichen.

1.2 Zur Quellen- und Literaturlage Im Folgenden wird eine Übersicht geboten über die besonders relevante Sekundärliteratur sowie die zur Verfügung stehenden veröffentlichten und unver-

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öffentlichten Quellen. Die Arbeiten und Dokumente sind zunächst nach systematischen Gesichtspunkten – Art der Texte und Themen – zusammengefasst worden und dann, innerhalb der jeweiligen Abschnitte, nach chronologischen. Damit wird zugleich ein Überblick über die Lage der Forschung, ihre Interessen und Fragestellungen sowie ihre Entwicklungsgeschichte, ermöglicht. Das nach Archiven und Signaturen aufgelistete bzw. alphabetische Quellen- und Literaturverzeichnis (6.1 und 6.2) wird hier nicht einfach wiederholt, sondern aus der Fülle der dortigen Titel werden die einschlägigen herausgefiltert und in der beschriebenen Weise geordnet und kurz vorgestellt und beschrieben. Es handelt sich freilich nicht um eine Sammelrezension. Auf eine kritische Stellungnahme vorweg wird bewusst verzichtet. Grundlegende gedruckte Arbeiten und Dokumentationen Der ehemalige geistliche Vizepräsident der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und stellvertretende Vorsitzende des Rates der EvangelischLutherischen Kirche Deutschlands (des sogenannten Lutherrats) Paul Fleisch veröffentlichte 1956 eine „Geschichte der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz“ von 1866 bis zum Anfang der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts21. Fünf Jahre zuvor hatte Fleisch bereits einen Aufsatz über „Das Werden der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und ihrer Verfassung“22 veröffentlicht. Dokumente zur Vorgeschichte der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands aus der Zeit von 1933 bis 1948 enthält der Anhang zu dem erst 1956 erschienenen offiziellen Bericht über die Tagung der verfassunggebenden Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands 1948 in Eisenach23. Der 1976 erschienene erste Band der von der Historischen Kommission des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes herausgegebenen Reihe „Die Lutherische Kirche, Geschichte und Gestalten“ enthält Beiträge zum Thema „Wege zur Einheit der Kirche im Luthertum“; allerdings ist nur der Zeitraum bis 1923 berücksichtigt24. In der kirchenjuristischen Habilitationsschrift von Siegfried Grundmann über Grundlagen, Herkunft und Aufbau des Lutherischen Weltbundes aus dem Jahre 1957 findet sich ein historischer Abriss über die kirchlichen Vereinigungsbestrebungen im deutschen Luthertum von der Reformationszeit bis zur Anfangsphase (1948 21 22 23 24

Fleisch, Kirche. Fleisch, Werden. Vgl. dazu fünf Dokumente: ders., Werden. Urkundensammlung. Lutherische Generalsynode 1948, 201–246. Kahle / Klapper / Maurer / Schmidt, Wege.

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bis etwa 1955) der VELKD25. Der Kirchenhistoriker Kurt Dietrich Schmidt, der selbst aktiv an dem lutherischen Vereinigungsprozess beteiligt war, gab eine 1964 / 1965 erschienene Dokumentensammlung zum „Kirchenkampf“ 1935 bis 1937 heraus, in der auch die Gründung des „Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands“ berücksichtigt ist26. In seiner dreibändigen Gesamtdarstellung der Geschichte des „Evangelischen Kirchenkampfes“ 1933 bis 1945 hat Kurt Meier sich in zwei Exkursen mit der „Formierung des Luthertums“ bis 1935 bzw. mit der Geschichte des „Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands“ von 1936 bis 1945 beschäftigt27, wobei er sich jedoch vor allem auf die oben genannten Beiträge von Paul Fleisch bezieht28. 1988 und 1995 erschienen zwei Aufsätze von Wolf-Dieter Hauschild zur Gründungsgeschichte der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands29. Von den Aufzeichnungen und stenographischen Mitschriften des bayerischen Landesbischofs, Vorsitzenden des Lutherrates und ersten Leitenden Bischofs der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands Hans Meiser wurden bislang zwei – den Zeitraum von 1933 bis 1937 umfassende – Bände, bearbeitet von Carsten Nicolaisen und Hannelore Braun, 1985 bzw. 1993 ediert30. Postum veröffentlicht wurden auch (weitere) Ansprachen, Berichte etc. Meisers31. Gerhard Besier veröffentlichte 1995 in einem von ihm gemeinsam mit Hartmut Ludwig und Jörg Thierfelder herausgegebenen Band zur Entstehung der Evangelischen Kirche in Deutschland 1945 einen Beitrag über die erste Nachkriegssitzung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands32. In demselben Band finden sich auch Protokolle und weitere Dokumente zu dieser ersten Nachkriegssitzung des Lutherrates33. Besier hat ferner in seiner schon erwähnten Monographie aus dem Jahre 2001 zur Kirchengeschichte im „Dritten Reich“ von 1934 bis 193734 im Zusammenhang mit dem Scheitern der staatlichen Kirchenausschusspolitik unter dem Reichsminister für die

25

Grundmann, Lutherischer Weltbund, 113–186. Schmidt, Dokumente II/1–2. 27 Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 108–115; Bd. 3, 564–575. 28 Vgl. ebd., Bd. 2, 406 f., Anm. 128 und Bd. 3, 700, Anm. 1587. 29 Hauschild, Konfessionelles Selbstbewußtsein; ders., „Lutherrat“. Beide Aufsätze sind in überarbeiteter Fassung auch veröffentlicht in: ders., Konfliktgemeinschaft, 366–393 und 394–411. 30 Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1 und Bd. 2. 31 Meiser, Kirche. 32 Besier, Weg. 33 Besier / Ludwig / Thierfelder, Kompromiß, 179–211. 34 Besier, Kirchen. 26

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kirchlichen Angelegenheiten Hanns Kerrl die Gründungsphase des Lutherrates behandelt35. Ebenfalls im Jahre 2001 veröffentlichte die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte in München eine Übersicht über „Organe, Einrichtungen und Personal der deutschen evangelischen Kirchen 1918/19– 1949“, die auch ein Kapitel über „Lutherische Vereinigungen und Zusammenschlüsse“ enthält36. Im Jahre 2003 wurden vor dem Hintergrund der Debatte über eine Strukturreform des deutschen Protestantismus und der Infragestellung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands drei Aufsätze zu deren Geschichte veröffentlicht: In der Zeitschrift für Theologie und Kirche erschienen ein Vortrag von Wolf-Dieter Hauschild zur „Diskussion um die Notwendigkeit konfessioneller Strukturen bei der Gründung der Vereinigten EvangelischLutherischen Kirche Deutschlands“37 sowie ein Vortrag von Dorothea Wendebourg zur „kirchlichen Neuordnung im deutschen Protestantismus nach 1945“38, dessen „Hauptaugenmerk“ dem Zusammenschluss der lutherischen Kirchen galt39; der ehemalige Präsident des Lutherischen Kirchenamtes der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands Friedrich-Otto Scharbau schließlich veröffentlichte eine „Kleine Geschichte der VELKD“40, in der er, u. a. unter Rückgriff auf unveröffentlichte Vorarbeiten zu der hier vorgelegten Arbeit41, auch kurz auf deren Vorgeschichte einging. Zeitschriften und Periodika Vor allem die folgenden zeitgenössischen Zeitschriften bzw. Periodika stehen als Quellen zur Verfügung: – die von der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz ab 1868 herausgegebene „Allgemeine evangelisch-lutherische Kirchenzeitung“ (AELKZ);

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Ebd., 431–655. Boberach / Braun / Nicolaisen, Organe, 105–124. 37 Hauschild, Diskussion. Es handelt sich um den auf dem Studientag der Historischen Kommission des Deutschen Nationalkomitees des Lutherisches Weltbundes zu dem Thema „Konfessionelle Kontinuität im Neuaufbruch – Zur Gründungsgeschichte der VELKD“ am 24. 2. 2003 in Hannover gehaltenen Vortrag (vgl. ebd., 325, Anm. 1). 38 Wendebourg, Schatten. Es handelt sich um eine leicht überarbeitete Fassung der am 4. 6. 2003 gehaltenen Antrittsvorlesung an der Theologischen Fakultät der Berliner HumboldtUniversität (vgl. ebd., 420, Anm. 1). 39 Vgl. ebd., 425. 40 Scharbau, Kleine Geschichte. Vgl. auch den TRE-Artikel: ders., VELKD. 41 Vgl. Scharbau, Kleine Geschichte, 209. 36

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– deren Nachfolgerin nach dem Zweiten Weltkrieg, die „Evangelisch-lutherische Kirchenzeitung“ (ELKZ); – der unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg erschienene, zunächst nur in hektographierter Form verbreitete „Informationsdienst der EvangelischLutherischen Kirche“ bzw. „der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche“; – das „Kirchliche Jahrbuch“ (KJ); – die „Nachrichten für die Evangelisch-Lutherischen Geistlichen in Bayern“; – das in englischer und deutscher Sprache in Genf erschienene Organ des Lutherischen Weltbundes „News Bulletin“. Zum Verhältnis zur Evangelischen Kirche in Deutschland In ihrer Monographie zur Gründungs- und Verfassungsgeschichte der Evangelischen Kirche in Deutschland aus dem Jahre 1980 widmete Annemarie Smithvon Osten einige Kapitel bzw. Abschnitte der Haltung der sich formierenden Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands bzw. ihrer Vertreter zur Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer geplanten Grundordnung42. Wichtige Quellen für das für beide Seiten bedeutsame, nicht spannungs- und konkurrenzfreie Verhältnis zwischen dem Lutherrat und der sich in Gründung befindenden Evangelischen Kirche in Deutschland sind die 1995 und 1997 in der Bearbeitung von Carsten Nicolaisen und Nora Andrea Schulze herausgegebenen Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland43. Zum Verhältnis zum internationalen Luthertum Was die internationalen Beziehungen des nach Vereinigung strebenden deutschen Luthertums angeht, so ist außer auf die schon erwähnte Monographie von Siegfried Grundmann44 auf die thematisch verwandte Darstellung von Kurt Schmidt-Clausen aus dem Jahre 197645 sowie auf den 1997 von Jens Holger Schjørring, Prasanna Kumari und Norman Hjelm herausgegebenen Sammelband46, dessen Schwerpunkt freilich die Geschichte des Lutherischen Weltbundes in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist, zu verweisen. In 42 Smith-von Osten, Treysa, besonders 92–101, 123 f., 149–153, 173–224, 228 f., 265–268, 287–291, 300–308, 312–319, 323–326, 335–341, 356–363. 43 Nicolaisen / Schulze, Protokolle, Bd. 1 und Bd. 2. 44 Grundmann, Lutherischer Weltbund. 45 Schmidt-Clausen, Lutherischer Weltkonvent. 46 Schjørring / Kumari / Hjelm, Federation; deutsche Fassung: dies., Weltbund.

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englischer und deutscher Sprache liegen auch die Berichte und Dokumente der konstituierenden Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes 1947 in Lund vor47. Zum Verhältnis zur Barmer Theologischen Erklärung Den lutherischen Anteil an der Entstehung der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 und die ambivalente Rezeption dieser Erklärung durch die lutherischen Kirchen, u. a. den Lutherrat und seine Vertreter, beleuchtet und erörtert der 1984 von Wolf-Dieter Hauschild, Georg Kretschmar und Carsten Nicolaisen herausgegebene Aufsatzband, der auf ein von der Historischen Kommission des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes gemeinsam mit der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte veranstaltetes internationales Symposium zurückgeht48. Ebenfalls im Jubiläumsjahr 1984 erschien das Sammelbändchen „Barmen und das Luthertum“49, u. a. mit einem Beitrag von Wolf-Dieter Hauschild zur Haltung des Lutherrates zur Barmer Theologischen Erklärung50. Autobiographische und biographische Arbeiten Zu einigen der maßgeblichen Repräsentanten des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands bzw. zu einigen in den Entstehungsprozess der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands Involvierten liegen autobiographische und biographische Arbeiten vor. Autobiographien, deren historischer Quellenwert grundsätzlich nicht unproblematisch ist51, verfassten: – der schon erwähnte Paul Fleisch52, der zeitweilig auch im Sekretariat des Lutherrates in Berlin gearbeitet hatte, – der württembergische Landesbischof und erste Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Theophil Wurm53, dessen Landeskirche zwar dem Lutherrat angehört hatte, aber der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands fern blieb,

47 48 49 50 51 52 53

Proceedings; Meiser, Lutherischer Weltbund. Hauschild / Kretschmar / Nicolaisen, Lutherische Kirchen. Nowak / Hübner / Hauschild / Peters, Barmen. Hauschild, Barmer Theologische Erklärung. Vgl. Staats, Theologenautobiographie. Fleisch, Erlebte Kirchengeschichte. Wurm, Erinnerungen.

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– der als Repräsentant einer lutherischen Landeskirche in kritischer Distanz zum Lutherrat verbliebene oldenburgische Bischof Wilhelm Stählin54, – der Landesbischof von Sachsen Hugo Hahn55, – der Landesbischof von Hannover Hanns Lilje56, – der Erlanger Professor für Systematische Theologie Walter Künneth57. In dem von Wolf-Dieter Hauschild 1998 herausgegebenen biographischen Sammelwerk „Profile des Luthertums“58 finden sich außer zu Meiser59, Wurm60, Stählin61, Hahn62 und Lilje63 Beiträge u. a. zu dem hannoverschen Landesbischof August Marahrens64 und zu den Erlanger Theologieprofessoren Paul Althaus65, Werner Elert66 und Hermann Sasse67, die u. a. beratend und gutachterlich für den Lutherrat tätig waren. Umfangreichere wissenschaftliche biographische Arbeiten liegen u. a. vor zu Marahrens68, zu Lilje69 und zu Georg Merz70, der als Rektor des Pastoralkollegs bzw. der Augustana-Hochschule Neuendettelsau ebenfalls Berater und Gutachter des Lutherrates war, sowie zu Künneth71.

54

Stählin, Via Vitae. Hahn, Kämpfer. 56 Lilje, Memorabilia. Vgl. auch ders., Im finstern Tal. 57 Künneth, Lebensführungen. 58 Hauschild, Profile. 59 Braun, Meiser. Zu Meiser vgl. auch den 2006 erschienenen Sammelband Herold / Nicolaisen, Meiser. 60 Thierfelder, Wurm. 61 Meyer-Blanck, Stählin. 62 Nicolaisen, Hahn. 63 Oelke, Lilje. 64 Otte, Marahrens. 65 Sparn, Althaus. Zu Althaus, zu dessen theologischem Werk es eine Fülle von Spezialuntersuchungen gibt, vgl. u. a. auch Grass, Althaus; Ericksen, Theologen, Kap. 3; und Meiser, Althaus. 66 Sparn, Elert. Zu Elert, zu dessen theologischem Werk es wie bei Althaus eine Fülle von Spezialuntersuchungen gibt, vgl. u. a. auch Peters, Elert; und den kritischen Aufsatz von Hamm, Elert. 67 Schild, Sasse. Zu Sasse vgl. auch die postum veröffentlichten Predigten und Vorträge: Sasse, Zeugnisse. 68 Klügel, Lutherische Landeskirche, Bd. 1 und Bd. 2; Besier, „Selbstreinigung“; SchmidtClausen, Marahrens; Goldbach, Protagonisten. Vgl. ferner den Aufsatz von Mager, Marahrens. 69 Oelke, Lilje; Uden, Lilje; Siegmund, Bischof. 70 Lichtenfeld, Merz. 71 Maaser, Theologische Ethik. 55

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Archivarische Quellen Die Akten des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands bzw. der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands sowie von deren Vorläuferorganisationen werden als Depositum im Landeskirchlichen Archiv der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers in Hannover verwahrt72. Weil die Akten nicht in einer geschlossenen, systematisch geordneten Überlieferung verfügbar sind, ist eine umfangreiche Rekonstruktionsarbeit notwendig. Lücken sind durch Recherchen bei der Gegenüberlieferung aufzufüllen, die in der Regel in den landeskirchlichen Archiven der dem Lutherrat bzw. der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands angeschlossenen Landeskirchen zu suchen ist. Für die Protokolle und dazugehörigen Dokumente des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands von der Gründung 1936 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 wird diese Rekonstruktionsarbeit gegenwärtig unter der Leitung des Direktors des Landeskirchlichen Archivs Hannover Hans Otte geleistet; – die Vorarbeiten zu der Edition 1936–1945 konnten im Rahmen dieser Arbeit ausgewertet werden. Für den Zeitraum vom Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 bis zur Gründung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands 1948 wird eine kommentierte Edition der Protokolle des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und der dazugehörigen Protokolle im unmittelbaren Anschluss an die Veröffentlichung dieser Arbeit vorgelegt73. Diese Edition komplettiert die bereits erwähnte Edition der Nachkriegs-Kirchenleitungsprotokolle der Evangelischen Kirche in Deutschland74 und die geplante Edition der Nachkriegs-Kirchenleitungsprotokolle der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union75. Die neuerdings ebenfalls im Landeskirchlichen Archiv Hannover verwahrten Akten der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz bzw. des Lutherischen Einigungswerkes76 sind wegen des extrem schlechten Erhaltungszustandes bis auf Weiteres nicht benutzbar77; sie konnten deswegen nicht ausgewertet werden.

72

LKA Hannover, D 15. Vgl. Schneider, Protokolle. 74 Nicolaisen / Schulze, Protokolle, Bd. 1 und Bd. 2. An den editorischen Standards dieser Dokumentation (vgl. die dortigen „Editorischen Vorbemerkungen“) orientieren sich auch die RELKD-Protokolle 1945–48 (Schneider, Protokolle). 75 Vgl. hierzu Besier, Kirche, 71. 76 LKA Hannover, D 15 XIII. 77 Freundliche Auskunft von Herrn Leitenden Archivdirektor PD Dr. Hans Otte, Hannover, am 31. 3. 2003. 73

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1.3 Zum Begriff Luthertum Luthertum als eine einheitliche Größe hat es nie gegeben, Pluriformität ist vielmehr stets sein Kennzeichen gewesen78. Hans Meiser etwa benutzte in seiner Eröffnungsrede auf dem Deutschen Lutherischen Tag in Hannover 1935 den Plural und sprach von „allerlei Luthertümer[n]“79. Der Begriff wird u. a. in einem allgemeinen historischen, in einem dogmengeschichtlich-konfessionellen und in einem idealtypisch-ideellen Sinn verwandt80. So kann er pauschal die gesamte von Wittenberg ausgehende reformatorische Bewegung und hierauf gründende Entwicklung des Protestantismus bezeichnen. Ferner können konkret die auf den lutherischen Bekenntnisschriften basierenden Kirchen gemeint sein, wobei dort die Zahl der als verbindlich anerkannten Bekenntnisschriften wiederum differiert. Schließlich nehmen unterschiedliche theologische und andere Einstellungen für sich selbst den Begriff in Anspruch. Besonders solche Selbstprädikationen zeigen, wie diffus der Begriff Luthertum werden kann. Das Bedeutungsspektrum umfasst beispielsweise auch einen weiter nicht reflektierten Personenkult Luthers oder die nationalistische Inanspruchnahme eines „deutschen Luther“, wie sie nicht nur in deutsch-christlichen Kreisen verbreitet war81. Als lutherisch verstanden sich bzw. mit dem Luthertum in Verbindung gebracht wurden und werden dementsprechend ganz unterschiedliche, ja geradezu gegensätzliche Persönlichkeiten, wie zum Beispiel Hans Asmussen, Emanuel Hirsch, Hans Joachim Iwand, Georg Merz und Hermann Sasse. Luthertum begegnet in ganz unterschiedlich geprägten Regionen wie Hamburg und Württemberg, in Landeskirchen wie Bayern, die der VELKD beitraten, und solchen wie Oldenburg, die nicht der VELKD beitraten, in unierten Landeskirchen und – altlutherischen – Freikirchen. Von den Verfechtern jener lutherischen Einigungsbestrebungen, um die es hier geht, hat sich Hermann Sasse frühzeitig um eine Begriffsklärung bemüht. Auf Initiative des Christian Kaiser-Verlages, München, veröffentlichte er im Sommer 1934 eine Schrift mit dem Titel: „Was heißt lutherisch?“, die 1936 in erweiterter Fassung in zweiter Auflage erschien82. Sasse arbeitete im Lutherrat bzw. in dessen Vorläuferorganisationen als ordentliches Mitglied, Referent und 78 Eine grundlegende begriffsgeschichtliche Untersuchung fehlt bislang. Auch in der TRE (wie schon in der RE) sucht man einen entsprechenden Artikel vergeblich. Zum Folgenden insgesamt vgl. aber die Artikel in: EKL3 und RGG4 (Hauschild, Luthertum; Schubert, Luthertum). 79 Eröffnungsrede Meisers am 3. 7. 1935 (LKA Hannover, D 15 V 2/3); vgl. unten 2.6, 90 f. 80 Vgl. Hauschild, Luthertum, 220. 81 Vgl. Müller, Luther und die Deutschen. 82 Sasse, Was heißt lutherisch? Im Folgenden wird die zweite Auflage zitiert. Gleichzeitig mit Sasses Schrift erschien im selben Verlag als „Gegenstück“ von Niesel, Was heißt reformiert?

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Gutachter sehr aktiv mit. Er hat den Weg zur VELKD an verschiedenen wichtigen Stellen nicht nur begleitet, sondern auch mit geprägt. So gehen etwa die Leitsätze des Lutherischen Rates vom April 1935 auf ihn zurück, und so war sein im Sommer 1945 vorgelegter Verfassungsentwurf für die Verfassungsgeschichte der VELKD höchst bedeutsam83. Sasse scheint auch das besondere Vertrauen Meisers, der führenden Gestalt der lutherischen Einigungsbestrebungen, genossen zu haben. Auf ausdrücklichen Wunsch Meisers sollte er etwa dem Redaktionsausschuss für die Barmer Theologische Erklärung angehören – konnte dann allerdings aus Krankheitsgründen doch nicht mitarbeiten84. Freilich war, wie sich etwa schon auf dem Lutherischen Tag 1935 zeigte, Sasses kompromisslose konservative Haltung keineswegs immer mehrheits-, geschweige denn konsensfähig85. Auch die Verfechter der lutherischen Einigungsbestrebungen waren keinesfalls eine homogene Gruppe – als eine solche erschienen sie mitunter allenfalls in der Außenperspektive. Sasses Position war vielmehr eine unter mehreren anderen. Am Ende konnte er sich nicht durchsetzen und wandte sich – auch von Meiser persönlich enttäuscht – ab86. Gleichwohl scheint es gerechtfertigt, Sasses oben genannte Schrift bei dem Versuch einer Klärung dessen, was im Rahmen unserer Thematik unter Luthertum zu verstehen ist bzw. was die Akteure darunter verstanden, zugrunde zu legen. Sasse hat sich in kirchenpolitisch turbulenter Zeit um gründliche theologische Reflexion bemüht. Anders als etwa sein Erlanger Fakultätskollege Werner Elert war Sasse zum Zeitpunkt der Abfassung seiner Schrift unter den Verfechtern der lutherischen Einigungsbestrebungen nicht umstritten87. Die erwähnte Nominierung für den Redaktionsausschuss für die Barmer Theologische Erklärung im Frühjahr 1934 und die ebenfalls erwähnte Urheberschaft der Richtlinien des Lutherischen Rates vom April 1935, die Meiser übrigens ausdrücklich als „unveräußerliche Grundsätze“ bezeichnete88, deuten im Gegenteil darauf hin, dass Sasse im Sommer 1934 den Kurs der lutherischen Vereinigungsbestrebungen maßgeblich mit gestaltete. Der radikale Bruch, den Sasse schließlich Ende 1948 durch die Aufgabe seines Erlanger Lehrstuhls, seinen Austritt aus der Landeskirche und seine Auswanderung nach Australien vollzog, hatte seine Ursache wohl weniger in einem grundsätzlichen Richtungsstreit als vielmehr darin, dass Sasse – nicht zu83 Vgl. unten 2.5, 78; und 4.1, 216. Sasses Verfassungsentwurf in: Schneider, Protokolle, 1 E 1 (mit Anm. 22). 84 Vgl. unten 2.2, 55. 85 Vgl. unten 2.6, 99 f. 86 Vgl. unten 4.5.5, 261. 87 Zur Kritik an Elert vgl. unten 2.2, 60; und 2.3, 65 f. Elert hatte 1931/32 seine „Morphologie des Luthertums“ veröffentlicht. 88 Vgl. unten 2.5, 78.

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letzt aus Gründen wissenschaftlicher Redlichkeit – nicht bereit war, den pragmatischen Kompromisskurs des Kirchenpolitikers Meiser mit zu vollziehen. Sasse stellte in seiner Schrift klar, dass „das Wort ‚lutherisch‘ im Sinne der Selbstbezeichnung einer Kirche“, und nicht „als Konfessionsbezeichnung für Individuen“ zu verstehen sei89. Wenn er mit Nachdruck betonte, letzteres interessiere „gar nicht“90, so stand für ihn dahinter die Sorge vor subjektiver Willkür und die notwendige Suche nach „eine[r] feste[n] Grundlage für eine Verständigung“: „Das Wort ‚lutherisch‘ ist […] gegen keinen Mißbrauch geschützt. Nur in einem Falle ist sein Sinn ganz eindeutig zu ermitteln, nämlich dann, wenn wir nach der lutherischen Kirche fragen.“91 Lutherische Kirche wiederum war nach Sasse eindeutig zu bestimmen als die „Kirche Ungeänderter Augsburgischer Konfession“92. Sasse ließ keinen Zweifel daran, dass er selbst sämtliche lutherischen Bekenntnisschriften, also das gesamte Konkordienwerk, für verbindlich hielt. Ausdrücklich bezog er sich neben der Confessio Augustana auf Luthers Kleinen und Großen Katechismus, auf die Schmalkaldischen Artikel und auf die Konkordienformel93. Mindestens jedoch verlangte er die verbindliche Anerkennung der Confessio Augustana invariata als der grundlegenden Bekenntnisschrift der lutherischen Kirche. Das bedeutete für Sasse zunächst eine Grenzziehung nach außen. Zum einen gegen die Reformierten: „Man kann ja die lutherische Kirchenlehre nie darstellen, ohne ihren Gegensatz gegen die reformierte Lehre aufzuzeigen, weil die lutherische Kirchenlehre ihre letzte Ausprägung in der Auseinandersetzung mit dem Calvinismus erhalten hat.“94 Zum anderen aber genauso gegen die Unierten: „[…] eine Kirche [hat] aufgehört, lutherische Kirche zu sein, in der neben dem lutherischen Bekenntnis noch ein anderes, und noch dazu ein von der lutherischen Kirchenlehre ausdrücklich als Irrlehre verworfenes Bekenntnis als berechtigt anerkannt wird und in Geltung steht.“95 Zwar gelte in der preußischen Unionskirche rechtlich im Grunde entweder das lutherische oder das reformierte Bekenntnis, faktisch sei aber, „vor allem durch das Kirchenregiment, das konfessionelle Bewußtsein fast zerstört“ worden96. Ein eindeutig

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Sasse, Was heißt lutherisch?, 11. Ebd. 91 Ebd., 13. An anderer Stelle sprach Sasse dementsprechend von „den großen objektiven Gegebenheiten des kirchlichen Lebens“ (ebd., 4) bzw. kontrastierte er den „stummen Begriff“ oder die „Idee“ Luthertum mit der lutherischen Kirche als einer „Realität“ (ebd., 12). 92 Ebd., 24; vgl. auch 14. 93 Vgl. ebd., 14, 45, 56–58 u. 81. 94 Ebd., 5. 95 Ebd., 14 f. 96 Ebd., 16, Anm. 2. 90

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bekenntnisgebundenes Kirchenregiment war für Sasse also unverzichtbar. Die Grenzziehung gegenüber Reformierten und Unierten galt nach Sasse unbeschadet der notwendigen „Solidarität“ mit diesen, die „trotz der Aufhebung der äußeren Kirchengemeinschaft“ dennoch auch Teil „der sichtbaren christlichen Kirche“ seien97. Nach Sasse existierte die lutherische Kirche als Rechtssubjekt in Deutschland im Grunde nicht mehr. Nach der „Gleichschaltung“ der Länder im Frühjahr 1933 sei bereits fraglich gewesen, „ob das erneuerte Reich nun seinerseits den Rechtsschutz der evangelisch-lutherischen Kirche, den die Länder zu leisten nicht mehr imstande waren, übernehmen würde“98. Die Gründung der Reichskirche im Sommer 1933 habe die Augsburgische Konfession „als Rechtsgrundlage für den Bestand einer evangelisch-lutherischen Kirche in Deutschland“ vollends außer Kraft gesetzt, da Kircheneinheit nach der Confessio Augustana die volle Übereinstimmung in der Lehre des Evangeliums und in der Sakramentsverwaltung voraussetze99. Von einer solchen Übereinstimmung könne aber gar keine Rede sein. Eine Lutheraner und Reformierte gemeinsam umfassende evangelische Kirche sei bloße „Fiktion“100. Mit seiner grundsätzlichen Ablehnung der Reichskirche ging Sasse über die Forderungen der meisten Vertreter der Bekennenden Kirche, auch aus deren lutherischen Teil, hinaus, die angesichts der deutsch-christlichen Gewaltmaßnahmen und Irrlehren häufig gerade eine Rückkehr zu den Rechtsgrundlagen der reichskirchlichen Verfassung vom Juli 1933 verlangten. Ausführlich setzte sich Sasse mit nach seiner Meinung verbreiteten „schweren Mißverständnissen“101 der lutherischen Reformation auseinander. Heftig polemisierte er zunächst gegen eine „heroische Deutung der Reformation“102: „Je mehr die Lehre Luthers aus dem Bewußtsein seiner Kirche schwindet, umso törichter wird der Kultus seiner Person getrieben. Und je mehr man dem evangelischen Volk in schwülstigen, verlogenen Festreden den ‚Helden von Worms‘, den ‚Landsknecht Gottes‘ und wie die übrigen Gestalten und Symbole aus der Schreckenskammer der Lutherjubiläen heißen, vorsetzte, umso mehr entfremdete man es der Reformation.“103

Sodann wandte sich Sasse mit Nachdruck gegen eine „kulturgeschichtliche Deutung der Reformation“ im Sinne von Fortschrittlichkeit, Aufklärung, Emanzi97 98 99 100 101 102 103

Ebd., 7. Ebd., 23. Ebd., 23 f. Ebd., 26. Ebd., 31. Ebd., 31–36. Ebd., 36.

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pation, Modernisierung etc.104 Er wies in diesem Zusammenhang vor allem auf die Sündenlehre Luthers hin, die keineswegs, wie der „moderne Mensch“ meine, zu den für die Reformation eigentlich unwesentlichen mittelalterlichen „Restbeständen“ in Luthers Denken gehöre, sondern vielmehr zum Wesen der Reformation. Ohne die Lehre von der Erbsünde könne auch der − nach den Schmalkaldischen Artikeln zentrale − Rechtfertigungsartikel keinen Bestand haben105. Schließlich lehnte Sasse eine „nationale Deutung der Reformation“ entschieden ab106: „Was ist denn an der Lehre der lutherischen Reformation eigentlich ‚deutsch‘? Etwa die Trinitätslehre von Nicaea oder die Christologie des Chalcedonense? […] Wenn sie [sc. die lutherische Reformation] der Protest des deutschen Menschen gegen eine fremde Religiosität, gegen ein südliches, von der antiken Kultur her bestimmtes Christentum sein soll, dann ist sie mißglückt. Sie hat die Germanisierung oder Verdeutschung der Kirche nicht nur nicht gebracht, sondern vielleicht verhindert oder wenigstens verzögert.“107

Sasse verstand die Reformation als „ein kirchengeschichtliches Ereignis im strengen Sinne des Wortes“, als „Ereignis, das die Kirche Christi in ihrer Geschichte erlebt hat“108, als „die Wiederentdeckung des Evangeliums“109. Das sogenannte Formalprinzip „sola scriptura“ allein genügte Sasse nicht, da es in der Geschichte zur Begründung ganz unterschiedlicher Kirchentümer in Anspruch genommen worden sei. Notwendig hinzukommen müsse das sogenannte Materialprinzip „sola fide“, ohne das die Gefahr drohe, das Evangelium „als eine Morallehre oder als eine religiös-metaphysische Theorie“ misszuverstehen110. Scharf wandte Sasse sich − und in diesem Zusammenhang bezog er sich ausdrücklich auf Vertreter der sogenannten „Luther-Renaissance“ − gegen eine Gleichsetzung der lutherischen Lehre mit der Lehre Luthers: Gäbe es eine Identität beider, so wäre die lutherische Kirche im Grunde eine „Luther-Sekte“ und ihre Lehre gemäß dem jeweiligen Stand der Lutherforschung einer ständigen Revision bedürftig111. Das Bekenntnis der lutherischen Kirche beginne nicht mit „Lutherus docet“, sondern mit: „Ecclesiae magno consensu apud nos docent“112. 104 105 106 107 108 109 110 111 112

Ebd., 36–48. Ebd., 43. Vgl. BSLK 415 f. Sasse, Was heißt lutherisch?, 49–60. Ebd., 59. Ebd., 60. Ebd., 69. Ebd., 67–69; Zitat: 69. Ebd., 78–81. Zur sogenannten „Lutherrenaissance“ vgl. unten 1.4, 45. Sasse, Was heißt lutherisch?, 99. Vgl. CA 1 (BSLK 50, 1 f.).

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Die lutherische Kirche gründete nach Sasse also auf dem gemeinsamen Konsens des Glaubens und Bekennens, wie er in der Confessio Augustana von 1530 niedergelegt ist. Nur insofern, als man sich dort auf Luthers Verständnis des Evangeliums beziehe und in diesem das Evangelium Jesu Christi in seiner Reinheit wiedererkenne, sei die Lehre Luthers für die lutherische Kirche relevant113. Auch das landesherrliche Kirchenregiment habe mit der Lehre der lutherischen Kirche nichts zu tun. Es stehe vielmehr im Widerspruch zur Trennung von geistlicher und weltlicher Gewalt, wie sie die Confessio Augustana ausdrücklich fordere114. Sasse betonte die Identität der lutherischen Kirche „mit der rechtgläubigen katholischen Kirche aller Zeiten“. Anders als die reformierte, die eine andere Kirche sein wolle, stehe die lutherische Kirche in der Kontinuität der mittelalterlich-katholischen Kirche. Allerdings habe die lutherische Kirche „gewisse Irrlehren und Mißbräuche“ abgetan. Auch erkenne sie in der „Kirche des Tridentinums und des Vatikanums“ nicht „die legitime Fortsetzung der mittelalterlich-katholischen Kirche“115. Reformierte und lutherische Kirchen verband nach Sasse vor allem das gemeinsame Bekenntnis zum Formal- und Materialprinzip116. Zur vollen Kircheneinheit war für ihn indes gemäß Artikel 7 der Confessio Augustana ein umfassender Konsens über die Lehre erforderlich. Einen solchen vermochte er aber, wie schon erwähnt, zwischen Reformierten und Lutheranern nicht zu erkennen. Ausführlich wies er im Gegenteil auf die nach wie vor bestehenden Lehrunterschiede zwischen lutherischem und reformiertem Bekenntnis hin, u. a. auf die Unterschiede im Verständnis des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium, der Glaubensgewissheit und der Prädestination, des Abendmahls, der Christologie und der politischen Ethik117. Ausdrücklich lehnte Sasse es − auch hier CA 7 folgend − ab, aus der Frage nach der Kirchenverfassung eine Bekenntnisfrage zu machen: „Wir sind nicht in der Lage, die Verfassungsprinzipien Calvins für ‚schriftgemäß‘ zu halten oder auch nur zuzugeben, daß sie relativ ‚schriftgemäßer‘ seien als die des römischen Katholizismus. Die Verfassung, die Calvin in der Urkirche zu finden glaubte, hat in der Wirklichkeit der Geschichte niemals existiert. Und selbst wenn sie existiert hätte, wäre noch nicht gesagt, daß sie für alle Zeiten normativ sein müßte.“118

113 114 115 116 117 118

Sasse, Was heißt lutherisch?, 80 f. Ebd., 101 mit Anm. 17. Vgl. CA 28 (BSLK 120). Sasse, Was heißt lutherisch?, 109 f.; Zitate: 110. Ebd., 105. Ebd., 117–162. Ebd., 141–145 u. 168 f.; Zitat: 143.

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Sasse schlussfolgerte, dass die Grenzziehung auch gegenüber den reformierten Kirchen zum Wesen der lutherischen Kirche gehöre, dass die Verwerfungsformeln − Katholiken wie Reformierten (wie anderen) gegenüber − „unaufgebbarer Bestandteil“ der lutherischen Bekenntnisse seien119. Dies galt für Sasse unbeschadet „der Anerkennung, daß auch in anderen Partikularkirchen die wahre Kirche sei“ und unbeschadet des ausdrücklichen Verzichts der lutherischen „Mission unter andersgläubigen Christen“120: „So bestehen die beiden Sätze nebeneinander, daß die ihrem Bekenntnis treue lutherische Kirche wahrhaft Kirche Jesu Christi ist, und daß die Kirche Jesu Christi auch jenseits der Grenzen der lutherischen Konfession ist. Beide Sätze gehören in der lutherischen Lehre von der Kirche untrennbar zusammen.“121

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Sasse definierte Luthertum in traditioneller Weise als Kirche im Sinne der ungeänderten Augsburgischen Konfession. Trotz mancher Gemeinsamkeiten mit der – vorreformatorischen – katholischen Kirche und vor allem den reformierten und unierten Kirchen war für ihn das entscheidende − und unterscheidende − Wesensmerkmal der lutherischen Kirche die auf einem echten Konsens beruhende Übereinstimmung in der Lehre, das „consentire de doctrina“ gemäß CA 7, das ein bekenntnisgebundenes Kirchenregiment zwingend erforderte. Theologiegeschichtlich grenzte er das Luthertum gegen kultur- und nationalprotestantische Tendenzen ebenso ab wie gegen biblizistische. Auch von der sogenannten „Lutherrenaissance“ distanzierte er sich; gegenüber Luther als Person bekundete er geradezu demonstratives Desinteresse. Sasses Begriffsklärung dürfte für die lutherischen Vereinigungsbestrebungen, die schließlich in die VELKD einmündeten, weithin programmatisch gewesen sein. Angesichts der Heterogenität der Meinungen und Interessen auch innerhalb der Gruppe der Verfechter der lutherischen Einigung sowie angesichts der kirchenpolitischen Rahmenbedingungen muss freilich stets zwischen Theorie und Praxis, zwischen Programmatik und Pragmatik, differenziert werden. Sasse selbst, der Programmatiker, konnte diese Spannung schließlich nicht mehr ertragen.

119 120 121

Ebd., 167; vgl. 113. Ebd., 165. Ebd., 167.

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1.4 Zur Vorgeschichte Lutherisches Kirchentum war von jeher Landeskirchentum122. Im Augsburger Religionsfrieden von 1555 wurde die Augsburgische Konfession von 1530 reichsrechtlich anerkannt; den weltlichen Reichsständen war es nunmehr auch offiziell gestattet, sich zu dieser zu bekennen. Im Westfälischen Frieden von 1648 wurde dies bestätigt, nunmehr auch unter Duldung der wenigen Reichsstände reformierten Bekenntnisses. Die von den lutherischen Landesherren und Stadtobrigkeiten in Auftrag gegebenen und erlassenen Kirchenordnungen und Katechismen verliehen der lutherischen Reformationsbewegung erst eigentlich konkretes kirchliches Profil. So entwickelte sich im Luthertum das – von Luther nur als Provisorium gedachte, dann aber bis ins 20. Jahrhundert und in Skandinavien teilweise sogar bis heute fortbestehende – landesherrliche Kirchenregiment, der Summepiskopat des Landesherrn; die Landesherren und Stadtobrigkeiten leiteten als oberste Bischöfe die lutherischen Kirchen ihrer Territorien123. Anders als in den konfessionell homogenen Ländern Skandinaviens, in denen die lutherischen Landeskirchen jeweils den Gesamtstaat und dessen gesamte Bevölkerung umfassten, blieb Deutschland nicht nur auf Dauer in verschiedene Konfessionen gespalten, sondern es gelang hier wegen der zahlreichen reichsständischen Partikulargewalten und wegen der föderativen Strukturen auch nicht, ein territoriumsübergreifendes, reichsweites lutherisches Kirchentum zu etablieren. Wohl gab es im 16. und 17. Jahrhundert verschiedene Zusammenschlüsse und Bündnisse lutherischer Fürsten, jedoch wurden damit fast ausschließlich politische und militärische Zwecke verfolgt124. Ein Ende des Systems konfessioneller Einheit in den Territorien zeichnete sich ab, seit die bis dahin lutherischen Landesherren von Brandenburg nach dem Übertritt von Kurfürst Johann Sigismund im Jahre 1613 dem reformierten Bekenntnis angehörten. Da Johann Sigismund auf das ius reformandi verzichten musste, war Brandenburg hinfort ein bikonfessionelles Territorium. Zu kirchenpolitischen Konflikten kam es hier in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als der „Große Kurfürst“ Friedrich Wilhelm versuchte, den lutherischen Bekenntnisstand abzuschwächen, und die Reformierten auf verschiedene Weise begünstigte Es zeigten sich bereits deutlich die Unionstendenzen, 122 Zum Folgenden vgl. insgesamt Grundmann, Lutherischer Weltbund, 113–150; Kahle, Fragen; und Jacobs, Entstehung. 123 Vgl. hierzu Krumwiede, Kirchenregiment; und ders., Entstehung. 124 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang der 1531 geschlossene Schmalkaldische Bund, dessen Bundesurkunde die Confessio Augustana von 1530 war, die im Jahre 1607 gebildete protestantische Union und das ab dem Jahre 1653 auf dem Reichstag zusammentretende Corpus Evangelicorum.

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die dann im 19. Jahrhundert in die Gründung der preußischen Unionskirche einmündeten125. Die eigentliche Vorgeschichte der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands begann im 19. Jahrhundert126. Im Gefolge der französischen Revolution, der napoleonischen Expansion und der Befreiungskriege kam es zu einschneidenden Änderungen, die die Kirchen unmittelbar betrafen. Die Säkularisation auf Grund des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803, die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahre 1806 und die Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress mit der Gründung des Deutschen Bundes 1815 bedeuteten das Ende der reichsrechtlichen Regelungen, die die Religionsfrage in den Bestimmungen des Augsburger Religions- bzw. des Westfälischen Friedens gefunden hatte. Konfessionell einheitliche Länder waren hinfort die große Ausnahme. Trotz fortbestehender enger Bindungen der Kirche an den einzelnen Territorialstaat und dessen Obrigkeit ging der Staat allmählich auf Distanz zur Kirche und wurde konfessionell indifferenter. Die Religionsparteien wurden schließlich zu öffentlichen Korporationen umgestaltet und konnten so als eigenständige Subjekte mit eigenen Organen agieren. Dies ermöglichte territoriumsübergreifende Aktivitäten der Kirchen. Vor diesem Hintergrund waren für das Aufkommen lutherischer Einigungsbestrebungen in Deutschland vor allem zwei Motive, die eng miteinander korrelierten, ausschlaggebend: zum einen die Opposition gegen die am Reformationstag 1817 initiierte Union in Preußen127, der weitere Unionsbildungen und -bestrebungen folgten bzw. unmittelbar vorangingen, und zum anderen die aus dem sogenannten „Neuluthertum“ heraus erwachsenen Impulse. Nach Peter Brunner war es geradezu ein „Grundgesetz der neueren deutschen Kirchengeschichte“, dass „[a]uf einen impulsiven Vorstoß der Unionsgruppe […] regelmäßig die abschirmende Reaktion der Lutheraner“ erfolgte128. Gottfried Hornig bezeichnete das „Wiedererwachen des konfessionellen Selbstbewußtseins“ im 125 Zur kirchenpolitischen Entwicklung in Brandenburg vgl. Gericke, Glaubenszeugnisse; Lackner, Kirchenpolitik; und Deppermann, Kirchenpolitik. 126 Vgl. schon 1951 Fleisch, Werden, 15: „Die Vorgeschichte der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) reicht ein Jahrhundert zurück.“ Vgl. ferner Hauschild, Konfessionelles Selbstbewußtsein, 20: „Der Gedanke, alle lutherischen Kirchen in Deutschland sollten sich zusammenschließen, ist ein typisches Produkt des 19. Jahrhunderts.“ Zum Folgenden insgesamt vgl. Cochlovius, Bekenntnis, 87–139. 127 Vgl. hierzu Goeters / Rogge, Geschichte, Bd. 1, 88–269. Zur Frage der Union und ihrem Verhältnis zum lutherischen Bekenntnis allgemein vgl. Brunner, Union; ders., Lutherisches Bekenntnis; und Hauschild, Deutsches Luthertum. Zum lutherischen Widerstand gegen die Einführung der Union, besonders in Schlesien, vgl. Nixdorf, Lutherische Separation, zur Ausbildung (alt-)lutherischer Freikirchen Klän, Altlutherische Kirchenbildung. 128 Brunner, Eisenach, 128 f., Anm. 5, zitiert bei: Grundmann, Lutherischer Weltbund, 125.

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sogenannten „Neuluthertum“ des 19. Jahrhunderts, das auch im Zusammenhang mit der Romantik, von Teilen der Erweckungsbewegung und der Abwehr des theologischen „Rationalismus“ gesehen werden muss129, als „die Keimzelle für die Idee einer geeinten lutherischen Kirche, die in Deutschland zunächst als Vereinigung verschiedener lutherischer Landeskirchen erstrebt wurde“130. Grundmann wies noch auf eine weitere – dritte – Entwicklung hin, nämlich die „gemeinevangelische Zusammenschlußbewegung“, die sich vor dem Hintergrund des im 19. Jahrhundert mächtig anwachsenden Nationalstaatsgedankens entwickelte131. Diese Bewegung stand nicht notwendigerweise im Gegensatz zu den lutherischen Bestrebungen. Auf dem sogenannten „Wittenberger Kirchentag“ von 1848 wurde eine „die konfessionellen Kirchen aufhebende Union“ ausdrücklich abgelehnt und statt dessen eine „kirchliche Konföderation“ von unabhängigen, bekenntnisbestimmten – lutherischen, reformierten, unierten, herrnhutischen – Landeskirchen bzw. „Kirchengemeinschaften“ gefordert, die „in bezug auf die Anordnung ihres Verhältnisses zum Staate, ihres Regiments und ihrer inneren Angelegenheiten, in Lehre, Kultus und Verfassung selbständig“ bleiben sollten132. Realisiert wurden solche Pläne zwar nicht, aber seit der Konstituierung der „Eisenacher Konferenz deutscher evangelischer Kirchenregierungen“ im Jahre 1852 gab es immerhin regelmäßige Konsultationen der Kirchenleitungen. Weiterreichende Kompetenzen hatte diese Konferenz nicht, jedoch war sie unter dem Aspekt der lutherischen Vereinigungsbestrebungen eben auch, wenngleich im Nebeneffekt, ein erstes Forum der Zusammenarbeit der Leitungen lutherischer Landeskirchen133. Anders als die „gemeinevangelische Zusammenschlußbewegung“ war das „Neuluthertum“ kaum mit dem Nationalstaatsgedanken verbunden. Es löste vielmehr internationale Impulse aus, indem es über Deutschland hinaus vor allem auch in Skandinavien und Nordamerika das auf dem gleichen Bekenntnis beruhende Zusammengehörigkeitsgefühl stärkte und eine internationale lutherische Einheitsbewegung hervorbrachte134. Allmählich nur nahmen die lutherischen Vereinigungsbestrebungen im 19. Jahrhundert institutionelle Formen an. Seit 1842 gab es in der hannoverschen Landeskirche die von Ludwig Adolf Petri geleitete jährliche „Pfingstkonferenz“, 129

Vgl. hierzu Schmidt, Ringen. Hornig, Lehre und Bekenntnis, 188. 131 Vgl. Grundmann, Lutherischer Weltbund, 130: „Der Sehnsucht auf politischem Gebiet nach einem in sich geschlossenen deutschen Staat entsprach im kirchlichen Bereich der Wunsch nach einer alle evangelischen Deutschen umfassenden Nationalkirche […]“ Vgl. zum Folgenden insgesamt auch Cochlovius, Bekenntnis, 140–188. 132 Zitiert nach Grundmann, Lutherischer Weltbund, 131. 133 Zur „Eisenacher Konferenz“ vgl. Goltz, Konferenz. 134 Grundmann, Lutherischer Weltbund, 188. 130

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die Kontakt zu verschiedenen lutherischen Landeskirchen sowie zu den preußischen Altlutheranern aufnahm, um lutherische Prediger in den amerikanischen Westen zu entsenden. Auf Einladung des Leipziger Theologieprofessors und späteren Präsidenten des Oberkonsistoriums der bayerischen Landeskirche Adolf von Harleß trafen sich 1848 – in Abgrenzung zu dem unionistischer Tendenzen verdächtigten „Wittenberger Kirchentag“ – Vertreter der Landeskirchen Bayern, Hannover und Sachsen sowie preußische Lutheraner innerhalb und außerhalb der Landeskirche auf der „Leipziger Konferenz von Gliedern und Freunden der evangelisch-lutherischen Kirche“, die bereits 1843 gegründet worden war135. Die Konferenz von 1848 stellte sich auf den Boden sämtlicher lutherischer Bekenntnisschriften, einschließlich der Konkordienformel, und beklagte den „Mangel eines über die jedesmalige Landesgrenze hinausreichenden Kirchenregiments“136. Sie strebte also – in dieser Form offenbar erstmalig – einen organisatorischen Zusammenschluss der lutherischen Landeskirchen auf nationaler Ebene an. Sehr deutlich war man sich freilich selbst des noch ganz unverbindlichen Charakters und des fehlenden Mandats der Konferenz bewusst137. Anders als die „Leipziger Konferenz“ war die von 1852 bis 1862 zusammentretende liturgisch-lutherische Konferenz eine amtliche Einrichtung der lutherischen Kirchenleitungen von Hannover, Mecklenburg-Schwerin und -Strelitz, Sachsen, Württemberg und – nach der Umformung der bayerischen Landeskirche in eine eindeutig evangelischlutherische im Jahr 1853 – auch von Bayern. Beiden Konferenzen blieb freilich ein nachhaltiger Erfolg versagt. Bedeutender waren die lutherischen Zusammenschlüsse auf dem Gebiet der Auswandererfürsorge und Diasporaarbeit, der lutherische „Gotteskasten“ in Hannover (seit 1853), Mecklenburg (seit 1854), Sachsen (seit 1854), Bayern (seit 1860) und – getragen von sogenannten „Vereinslutheranern“138 – in Preußen (seit 1864). Auf dem Gebiet der Äußeren Mission sind zu nennen die von den Landeskirchen Bayerns, Hannovers, Mecklenburgs und Sachsens getragene Leipziger Missionsanstalt (seit 1848)139, die Hermannsburger Mission (seit 1849), das Neuendettelsauer Missionsseminar (seit 1853) und die Schleswig-Holsteinische Mission in Breklum (seit 1876). Nach der Annexion Hannovers, Schleswig-Holsteins, Lauenburgs, Frankfurts, Nassaus und Kurhessens durch Preußen im Jahre 1866 befürchteten Lu135 Vgl. hierzu Cochlovius, Bekenntnis, 108–113. Cochlovius bezeichnete die Leipziger lutherische Konferenz von 1848 als einen „Markstein in den Einigungsbemühungen des deutschen Luthertums“ (ebd., 112). 136 Zitiert nach Grundmann, Lutherischer Weltbund, 137. 137 So Fleisch, Werden, 16. 138 Vgl. hierzu Kahle, Zielsetzung. 139 Vgl. hierzu Moritzen, Werkzeug. Vorläufereinrichtungen der Missionsanstalt in Dresden gab es bereits seit 1819.

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theraner in den annektierten Gebieten die Eingliederung ihrer Kirchengebiete in die preußische Unionskirche140. Die annektierten Gebiete wurden dann per Erlass vom 3. November 1867 kirchlich doch nicht dem Evangelischen Oberkirchenrat der preußischen Unionskirche, sondern unmittelbar dem Kultusminister unterstellt, und der preußische König Wilhelm I. anerkannte etwa ausdrücklich die Selbständigkeit der hannoverschen Landeskirche, aber der Berliner Oberkirchenrat hatte in einer Denkschrift für die Ausdehnung seiner Kompetenz plädiert, und auch Wilhelm I. gab der Hoffnung Ausdruck, dass die Kirchen der neuen Territorien einst zur Union finden würden141. Die Sorge vor einer Ausweitung der Union auf ganz Preußen war also nicht unbegründet. Sie war der Anstoß für die Gründung der Allgemeinen (Evangelisch-)Lutherischen Konferenz142, die nach Vorverhandlungen und einer Vorkonferenz 1867 im Jahre 1868 in Hannover zum ersten Mal – mit etwa 1.500 Teilnehmern – tagte. In der u. a. von Harleß, der von 1868 bis zu seinem Tod 1879 den Konferenzvorsitz inne hatte, unterzeichneten Einladung hieß es: „§ 1. Die Allgemeine Evang.-luther. Konferenz tritt auf dem Grunde der Bekenntnisse der lutherischen Kirche zusammen und erkennt in denselben die Norm für ihre Verhandlungen.“143 Bei der Konferenz, die von einer „Engeren Konferenz“ geleitet wurde und deren Zweck es sein sollte, „die Glieder der verschiedenen lutherischen Kirchengebiete Deutschlands zur Pflege ihrer Gemeinschaft und zur Verständigung über ihre gemeinsamen Interessen einander zu nähern“, handelte es sich nicht um einen Zusammenschluss von Kirchen, sondern vielmehr von einzelnen Personen, Geistlichen wie Nicht-Geistlichen, ohne amtliches Mandat. „Zur aktiven Teilnahme […] ist jeder Lutheraner berechtigt“, der mit den Grundsätzen der Konferenz übereinstimmt, so hieß es ausdrücklich im zweiten Paragraphen der Einladung144. Der Hauptvortrag der ersten Konferenz, den der führende 140 Zum Folgenden grundlegend: Besier, Preußische Kirchenpolitik, 43–254; vgl. dazu die Dokumente in: ders., Preußischer Staat; und ders., Neulutherische Kirchenpolitik. Vgl. ferner Kahle, Wege, besonders 158–171; Fleisch, Kirche, 5–30; und Grundmann, Lutherischer Weltbund, 141–150. Grundmann stützte sich bei seiner Darstellung im Wesentlichen auf die Arbeit von Fleisch und urteilte über diese: „In dieser Abhandlung hat die Konferenz die ihr gebührende geschichtliche Würdigung gefunden.“ (ebd., 141, Anm. 82). Ein Mangel der Arbeit von Fleisch ist es freilich, dass exakte Herkunftsnachweise der zahlreichen, teilweise sehr ausführlich zitierten Dokumente fehlen. 141 Vgl. ebd., 142 f. 142 Vgl. hierzu Besier, Preußische Kirchenpolitik, 199–246. Die Bezeichnung lautete zunächst „Allgemeine lutherische Konferenz“ und erst später „Allgemeine Evangelisch-Lutherische Konferenz“. 143 Zitiert nach Fleisch, Kirche, 5. 144 Zitiert nach ebd., 5 f.

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Vertreter des Neuluthertums und Oberkirchenrat in Mecklenburg-Schwerin Theodor Kliefoth, Konferenzvorsitzender von 1879 bis 1890145, über Artikel 7 der Confessio Augustana hielt, machte deutlich, wie stark die Abwehr von Unionsbestrebungen bei der Gründung der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz eine Rolle spielte. Kliefoth kam in seinem Vortrag zu dem Ergebnis, dem dann die Versammelten einmütig zustimmten: „Daher ist [es] unzulässig, Kirchen durch ein gemeinsames Kirchenregiment ohne Übereinstimmung in der Lehre und Sakramentsverwaltung zu vereinigen. Weshalb auch […] einem Landesherrn nicht das Recht beigemessen werden darf, ihm zufallende Kirchengebiete ohne Rücksicht auf ihre Lehre und Sakramentsverwaltung in das Ganze einer Landeskirche so aufzulösen, daß solche Kirchen darin nur als einzelne Gemeinden mit ihrer privaten Lehre und Sakramentsverwaltung fortbestünden.“146

Auch mit der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz wurde der große Durchbruch auf dem Weg zu einer einheitlichen evangelisch-lutherischen Kirche noch nicht erreicht. Es fehlte ein amtlicher Auftrag von Seiten der Kirchenleitungen der lutherischen Landeskirchen. Die Ziele der Konferenz waren eher defensiv und bescheiden. So betonte Harleß in der Eröffnungsrede der ersten Konferenz, man wolle zwar ein Neues, aber nichts „Neues machen“147. Von Anfang an überschattete der „fast permanente Streit um das echte, reine, unverfälschte, unverkürzte Luthertum“148, vor allem zwischen freikirchlichen („Alt-“)Lutheranern und landeskirchlichen („Vereins-“)Lutheranern aus Altpreußen, die Arbeit der Konferenz. Sehr nüchtern fällt dementsprechend die Bilanz über die Organisationsgeschichte und Wirkung der Konferenz bis zur Jahrhundertwende von Paul Fleisch aus: „[…] die Organisation der Konferenz […] [wurde] nicht weiter ausgebaut. Ihre Ausschüsse traten kaum einmal an die Öffentlichkeit. Man zog sich […] vielmehr ganz auf das Konferenzdasein zurück. Wohl wurden auf den Konferenzen aktuelle Fragen gründlich, z. T. auch geistvoll behandelt, aber vor und nach den Konferenzen erfuhr die Öffentlichkeit kaum etwas von diesem Zusammenschluß der Lutheraner. Dazu kam, daß immer mehr Tagungen und Kongresse aller Art entstanden, von denen die, noch dazu unregelmäßig tagende Allgemeine Lutherische eben nur eine war.“149

145

Vgl. Holtz, Kliefoth. Zu Kliefoths Vortrag vgl. Besier, Preußische Kirchenpolitik, 219–224. Zitiert nach Fleisch, Kirche, 6. 147 Zitiert nach ebd. Zu Harleß’ Eröffnungsansprache vgl. Besier, Preußische Kirchenpolitik, 218 f. 148 Hauschild, Konfessionelles Selbstbewußtsein, 24. 149 Fleisch, Kirche, 23. Nicht minder nüchtern fiel das Urteil von Grundmann, Lutherischer Weltbund, 147 aus, demzufolge die Allgemeine Evangelisch-Lutherische Konferenz in den ersten drei Jahrzehnten „keine herausragenden Ereignisse von wirklich geschichtlichem Rang“ zeigte. 146

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Immerhin war mit der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz auf Dauer ein länderübergreifendes Forum lutherischer Interessen geschaffen worden, das von Anfang an auch ein regelmäßiges eigenes Publikationsorgan, die „Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung“150, herausgab und bis zur Jahrhundertwende neunmal zu großen Tagungen zusammenkam151. Thematisch ging es dabei um Ekklesiologie und Kirchenverfassung, Rechtfertigung, Ehe, Sonntagsheiligung, die Schulfrage, die theologischen Fakultäten, das Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche, die soziale Frage, den Apostolikumstreit, das Bibelverständnis, Abendmahl, Taufe und Seelsorge. In den Vorträgen und Resolutionen wurde grundsätzlich eine konservative, streng bekenntnisund bibelorientierte, auch antikatholische Position bezogen. Rationalistische, liberale und sozialdemokratische, aber auch nationalistische Tendenzen wurden ausdrücklich, teilweise scharf verworfen. Als prägnante Zusammenfassung dieser Haltung kann wohl das folgende Zitat aus der Predigt des Schweriner Oberkirchenrats Paul Bard bei der Eröffnung der neunten Tagung der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz 1898 in Braunschweig gelten: „Wir stehen und fallen mit dem lutherischen Bekenntnis. Wir haben an unserem Bekenntnis den sicheren Führer zur Seligkeit, zur Heiligung und zur Wahrheit.“152 Freilich gab es auch andere Töne, die nicht ohne Weiteres zu der Grundmelodie eines engen Konfessionalismus und Konservativismus passten. In dem Hauptvortrag auf der zweiten Tagung der Konferenz 1870 in Leipzig übte der Leipziger Theologieprofessor und Begründer der „Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Kirchenzeitung“ Christoph Ernst Luthardt deutlich Kritik am Summepiskopat, der nicht im Wesen der Kirche begründet, sondern allenfalls mit ihm verträglich sei, während er die Synodalverfassung grundsätzlich anerkannte, sofern die Synodalen sich nicht über das Bekenntnis stellten153. 1879 wurde auf der dritten Tagung der Konferenz in Nürnberg festgehalten, dass das landesherrliche Kirchenregiment „von vornherein nicht frei von Abnormitäten“ gewesen sei, dass aber das „Vorkommen falscher Lehre und die Mannigfaltigkeit der Lehrzucht in den Landeskirchen“ nicht zur Separation nötige, „solange die lutherische doctrina pub-

Hauschild, Konfessionelles Selbstbewußtsein, 24 stellte heraus, dass es Harleß zunächst auch nur um Bewusstseinsbildung gegangen sei. 150 Vgl. oben 1.2, 21. 151 Erste Tagung: 1868 in Hannover (vgl. dazu oben im Text), zweite Tagung: 1870 in Leipzig, dritte Tagung: 1879 in Nürnberg, vierte Tagung: 1882 in Schwerin, fünfte Tagung: 1887 in Hamburg, sechste Tagung: 1890 in Hannover, siebte Tagung: 1893 in Dresden, achte Tagung: 1895 in Schwerin, neunte Tagung: 1898 in Braunschweig. Vgl. zu den einzelnen Tagungen Fleisch, Kirche, 6–30; und Grundmann, Lutherischer Weltbund, 145 f. mit Anm. 91. 152 Zitiert nach Fleisch, Kirche, 30. 153 Vgl. ebd., 9; und Besier, Preußische Kirchenpolitik, 237 f.

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lica feststeht“154. In den auf der vierten Tagung der Konferenz 1882 in Schwerin angenommenen Thesen hieß es, die Zugehörigkeit der theologischen Fakultäten zu einer bestimmten Kirche und ihr kirchlicher Charakter stünden „nicht im Widerspruch mit dem wissenschaftlichen Charakter der Theologie“, dem „möglichst freie Bewegung“ gewährt werden müsse155. Auf der fünften Tagung der Konferenz 1887 in Hamburg formulierte Luthardt als langfristiges Ziel der Konferenz: „Ein Bund der lutherischen Kirchen zur Erfüllung unserer Aufgaben, das ist das Ziel der Zukunft. Aber es liegen noch viele Steine auf diesem Wege.“156 Bemerkenswert war, dass Luthardt auf Nachfrage ausdrücklich erklärte, er habe nicht einen Bund der deutschen lutherischen Kirchen, sondern einen Bund der lutherischen Kirchen überhaupt im Sinn. In seinem Vortrag hatte Luthardt vorher bereits Kritik am Evangelischen Bund geübt, weil dort vielfach der nationale Gedanke an die Stelle des kirchlichen gesetzt werde157. Sehr frühzeitig zeigte sich also eine deutliche internationale Ausrichtung der lutherischen Vereinigungsbestrebungen in Deutschland. Bereits an der zweiten Tagung der Konferenz 1870 in Leipzig hatten Vertreter aus den Vereinigten Staaten von Amerika, Skandinavien und Frankreich teilgenommen, und es waren Grußworte aus dem Ausland verlesen und ins Ausland gesandt worden158. Der Versuch des Konferenzvorsitzenden Harleß, durch eine Eingabe an den künftigen Reichskanzler Otto von Bismarck vom 25. November 1870 anlässlich der bevorstehenden Reichsgründung eine rechtliche Verankerung der evangelisch-lutherischen Kirche in der neuen Reichsverfassung zu erreichen, blieb Episode, da staatskirchenrechtliche Angelegenheiten in der Hoheit der Länder verblieben; Bismarck antwortete nicht einmal159. Seit 1870 waren mit den Vollversammlungen Spezialtagungen – vor allem zu den Bereichen Mission, Diakonie und Diasporafürsorge – verbunden. Auf diese Weise wurde die Allgemeine Evangelisch-Lutherische Konferenz zu einer „Verbindungs- und Vermittlungsstelle der kirchlichen Verbände und Vereine“, deren Vertreter sich zum Meinungs- und Erfahrungsaustausch trafen und ihre Arbeit aufeinander abstimmten und vereinheitlichten160. Dies war wohl der

154

Zitiert nach Fleisch, Kirche, 15. Zitiert nach ebd., 19. 156 Zitiert nach ebd., 25. 157 Vgl. ebd. 158 Vgl. ebd., 12. 159 Die Eingabe mit Begleitschreiben ist abgedruckt bei Heckel, Harleß, 482–491; sowie bei Besier, Neulutherische Kirchenpolitik, 58–64. Vgl. ders., Preußische Kirchenpolitik, 241–246; Fleisch, Kirche, 12–14; und Grundmann, Lutherischer Weltbund, 146 f. 160 Ebd., 148. Vgl. zu den Spezialkonferenzen auch Fleisch, Kirche, 11, 18 f., 21–23, 25, 27 und 30. 155

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größte praktische Erfolg der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz in den ersten drei Jahrzehnten ihres Bestehens. Ein weiteres konkretes Ergebnis der Tätigkeit der Allgemeinen EvangelischLutherischen Konferenz war die Herausgabe eines „Haus- und Kirchenbuches für evangelisch-lutherische Christen“ im Jahre 1883, das bis 1928 immerhin sechs Auflagen erreichte161. Es enthielt neben Gebeten und Liedern für die alltägliche häusliche Andacht u. a. einen Abriss der Reformationsgeschichte sowie die Confessio Augustana und Luthers Kleinen Katechismus. Die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert brachte insofern auch eine Wende in der Geschichte der lutherischen Einigungsbestrebungen mit sich, als die Allgemeine Evangelisch-Lutherische Konferenz jetzt den Schritt über die Grenzen des Deutschen Reiches hinaus tat162. 1900 beschloss die „Engere Konferenz“ einstimmig, die zehnte Tagung 1901 erstmalig im Ausland abzuhalten und eine Einladung ins schwedische Lund anzunehmen. Das vielbeachtete Grußwort des schwedischen Königs Oskar II. verlieh der Tagung einen offiziellen Charakter163. Auch die dreizehnte und die achtzehnte Tagung der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz fanden im Ausland statt, 1911 in Uppsala und 1925 in Oslo. 1902 nahm die Allgemeine Evangelisch-Lutherische Konferenz neue „Grundbestimmungen“ an, in denen die internationale Öffnung der Konferenz dadurch zum Ausdruck kam, dass als „Zweck der Konferenz“ nunmehr allgemein „die Stärkung der evangelisch-lutherischen Gesamtkirche in allen ihren Gliedern, Ämtern und Werken“ festgesetzt wurde, während bislang lediglich von einer Annäherung der „Glieder der verschiedenen lutherischen Kirchengebiete Deutschlands“ die Rede gewesen war164. Wohl nicht selbstverständlich war es, dass die internationale Orientierung auch durch den Ersten Weltkrieg und seine Ergebnisse sowie den in dieser Zeit 161 Allgemeines Gebetbuch. Ein Haus- und Kirchenbuch für evangelisch-lutherische Christen, hg. im Auftrag der Allgemeinen Lutherischen Konferenz. Leipzig 1883; 6., völlig neubearbeitete Aufl. 1928. Vgl. hierzu auch Fleisch, Kirche, 23. 162 Zum Folgenden insgesamt vgl. ebd., 30–108; Grundmann, Lutherischer Weltbund, 150–163; und Kahle, Wege, besonders 171–179. 163 Zur zehnten Tagung der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz vgl. AELKZ 34, 1901, 625 (Programm); und ebd., 891–1016 (Bericht, Teile I–VI) sowie den Bericht in CW 1901, 313–316. Der Bischof von Visby / Gotland Knut Henning Gezelius von Schéele, seit 1898 zweiter Vorsitzender der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz, hatte auf deren neunter Tagung 1898 in Braunschweig die Einladung nach Lund ausgesprochen und damit auch einem Wunsch des schwedischen Königs entsprochen (vgl. AELKZ 34, 1901, 891). 164 Vgl. Grundmann, Lutherischer Weltbund, 154 f. Die „Grundbestimmungen“ von 1902 sind abgedruckt in: Fleisch, Kirche, 37–40. Zum bisherigen Zweck der Konferenz vgl. auch oben im Text.

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in Deutschland dominanten Chauvinismus nicht aufgehalten werden konnte. Nur fünf Jahre nach Kriegsende wurde in Eisenach der Lutherische Weltkonvent gegründet, aus dem dann zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges der Lutherische Weltbund hervorgehen sollte165. Mit der internationalen Öffnung der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz ging eine theologische Öffnung einher. Auf der Tagung in Lund 1901 sorgte das Referat des als liberal geltenden Osloer Pfarrers Thorwald Klaveneß für Aufregung. Klaveneß bezeichnete zentrale lutherische Lehrinhalte wie die „Trinitäts-, Zweinaturen-, Satisfaktions- und Inspirationsdogmen“ als für modern denkende Menschen unverständliche „Gedankenmonstra“ und forderte eine zeitgemäße Verkündigung166. 1907 beschloss die „Engere Konferenz“ die Aufnahme der preußischen „Vereinslutheraner“ als stimmberechtigte Mitglieder und entschied damit den jahrzehntelangen Streit zwischen landeskirchlichen „Vereins-“ und freikirchlichen Altlutheranern zugunsten der „Vereinslutheraner“. Auch dies kann sicherlich als ein Zeichen von Öffnung gewertet werden, hatte aber den Preis, dass die freikirchlichen Altlutheraner und auch einige landeskirchliche Mitglieder die Konferenz verließen und sich eigenständig organisierten167. Der Konferenzvorsitzende Woldemar Graf Vitzthum von Eckstädt war bereits 1906 aus Protest gegen eine Vollaufnahme der „Vereinslutheraner“ zurückgetreten168. Zu Vitzthums Nachfolger wurde 1907 Ludwig Ihmels gewählt169. Unter seiner Leitung erlebte die Allgemeine Evangelisch-Lutherische Konferenz „die wohl größte Zeit ihrer Geschichte“170. Wegen seiner vielfältigen kirchlichen, akademischen und organisatorisch-leitenden Begabungen, Aufgabenfelder und Kontakte war Ihmels in besonderer Weise dazu geeignet, die lutherischen Vereinigungsbestrebungen voranzutreiben. Im Laufe seines Lebens wirkte der im Rufe eines begnadeten Predigers Stehende als Pfarrer, Predigerseminardirektor, Universitätsprofessor und Landesbischof in insgesamt drei verschiedenen großen lutherischen Landeskirchen: Hannover, Bayern und Sachsen. Die internationale Gemeinschaft der Lutheraner war ihm eine Herzensangelegenheit171. 165 Zur Gründung des Lutherischen Weltkonventes vgl. Grundmann, Lutherischer Weltbund, 335–363; Schmidt-Clausen, Lutherischer Weltkonvent, 11–41; und Schjørring / Kumari / Hjelm, Weltbund, 16–48. 166 Zu dem Referat von Klaveneß vgl. den Bericht in AELKZ 34, 1901, 924; vgl. hierzu auch Fleisch, Kirche, 32–35; und Kahle, Wege, 173 f. Zu Klaveneß vgl. Erikstein, Klaveneß. 167 Vgl. Fleisch, Kirche, 55–57; Grundmann, Lutherischer Weltbund, 156 f.; und Kahle, Wege, besonders 174. 168 Vgl. Fleisch, Kirche, 55. 169 Zu Ihmels vgl. Rieske-Braun, Ihmels. 170 So Grundmann, Lutherischer Weltbund, 157. 171 Vgl. hierzu etwa Ihmels, Kirche Gottes, passim.

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Uwe Rieske-Braun hat Ihmels’ Lebenswerk zusammenfassend als „Beispiel für ein erfolgreiches engagiertes, weltoffenes und im besten Sinne liberales Luthertum in der Moderne“ charakterisiert172. Anders als viele andere Theologen und Kirchenleute seiner Zeit trauerte Ihmels nach 1918 der untergegangenen Monarchie in Deutschland nicht nach. In dem ersten Beitrag des 1920 erstmals erschienenen Lutherischen Jahrbuchs, in dem er grundsätzliche Überlegungen zur „gegenwärtigen kirchlichen Lage“ anstellte173, zeigte sich Ihmels vielmehr sogar geradezu erleichtert über das Ende des landesherrlichen Kirchenregiments und sah darin die Chance für eine tiefgreifende Umwälzung der kirchlichen Ordnung aus dem Wesen der Kirche heraus: „[…] der Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments [zwingt] die Kirche zu einer Selbstbesinnung darauf, daß die Kirche selbst allein Inhaberin der Kirchengewalt sein kann.“174 Überraschend war, dass Ihmels bei der kirchlichen Neuordnung vor allem auf das Synodalprinzip setzte: „Besitzt aber die Kirche allein an der Landessynode eine von ihr selbst geschaffene Vertretung, so wird näher diese als Trägerin des Kirchenregimentes zu gelten haben. Damit gewinnt sie eine völlig andere Bedeutung als bisher. Aus einer beratenden und bei der Gesetzgebung beteiligten Körperschaft wird sie die grundsätzliche Trägerin der Kirchengewalt.“175

Bemerkenswert war Ihmels’ Plädoyer für das Synodalprinzip vor allem auch deshalb, weil er selbst sich nicht sicher war, „ob das gelegentlich von lutherischer Seite erhobene Bedenken [nicht] zu Recht besteht, daß hier doch ein stärkerer reformierter Einschlag vorliege, der dem eigentlichen Grundgedanken des Luthertums fremder sei“176. Zwar fanden sich bei Ihmels auch Sätze, in denen die Bedeutung des geistlichen Amtes hervorgehoben wurde. Dieses müsse „in allem, was seine Substanz ausmacht, schlechterdings von der Gemeinde unabhängig sein“177. Auch der „anstaltliche Charakter“ der Kirche müsse „zu seinem Rechte kommen“178. „Urwahlen“ zu den Synoden lehnte Ihmels strikt ab179. Jedoch standen solche Sätze im unmittelbaren Zusammenhang mit anderen, in denen es etwa hieß, 172 Rieske-Braun, Ihmels, 366. „Liberal“ ist hier sicherlich nicht im Sinne eines theologischen Liberalismus zu verstehen (vgl. dazu auch unten im Text). 173 Ihmels, Kirchliche Lage. 174 Ebd., 6. 175 Ebd., 7. 176 Ebd., 8. 177 Ebd., 14. 178 Ebd., 12. 179 Ebd., 20.

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„daß das Amt aus der Gemeinde erwächst und in jedem einzelnen Falle seine Besetzung sich irgendwie durch die Berufung der Gemeinde vermittelt“180, dass neben dem geistlichen Amt „auch die übrigen Gaben und Funktionen in der Gemeinde“ zu ihrem Recht kommen müssten181, dass das „Laienelement“ verstärkt werden müsse182, dass die Kirche ihrem Wesen nach unsichtbare Kirche sei183, dass kirchliche Würden und Titel „[v]öllig sekundär“ seien und selbstverständlich „alle katholisierenden und hochkirchlichen Gedanken ausgeschlossen sein müssen“184. Ihmels wollte offenkundig zwischen dem streng konfessionalistischen, orthodoxen und dem moderaten Lager im Neuluthertum vermitteln. Der Akzent lag bei ihm aber auf der Gemeinde bzw. der sogenannten Übertragungstheorie, wonach das geistliche Amt eine vom allgemeinen Priestertum der Gläubigen übertragene Einrichtung ist. Allerdings wollte er sicherlich die Relevanz des geistlichen Amtes und der sichtbaren Kirche nicht relativiert wissen. Zweimal nur sprach Ihmels in seinem Grundsatzaufsatz den Gedanken eines übergreifenden organisatorischen Zusammenschlusses lutherischer Kirchengebiete an. Er bezeichnete es einmal als „sehr begreiflich, wenn sogleich mit dem Aufhören des landesherrlichen Kirchenregiments auch die Forderung eines engeren Zusammenschlusses speziell gerade auch der lutherischen Kirchengebiete erhoben wurde“185. Ihmels schloss sodann später seine Analyse wie folgt: „Es gehört daher zu den hoffnungsreichsten Zeichen der Zeit, daß von den verschiedensten Seiten der Ruf nach einem Zusammenschluß derer laut wird, die innerlich zusammengehören. An diesem Zusammenschluß mitzuarbeiten, ist einer der bedeutsamsten Dienste, die heute der einzelne, der eben damit aufhört, dieser einzelne zu sein, seiner Kirche leisten kann. Möglich freilich, daß gerade so diese Zeit der Entscheidung zugleich zu einer Zeit der Scheidung wird. Diese Sorge dürfen wir dem Herrn der Kirche überlassen. Unsere Aufgabe ist die Sammlung.“186

Der Gedanke eines lutherischen Zusammenschlusses wurde also nur sehr verhalten artikuliert. Auffallend häufig betonte Ihmels die Differenz zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche und die Zweitrangigkeit von Fragen der äußeren Ordnung der Kirche: „Ist es nicht etwa lutherischer Grundsatz, daß das Wesen der Kirche von ihrer Verfassung ganz unabhängig ist? Unzweifelhaft sind nach lutherischer Anschauung die Fragen der Verfassung der Kirche

180 181 182 183 184 185 186

Ebd., 14. Ebd. Ebd., 20. Ebd., 12. Ebd., 21. Ebd., 17. Ebd., 25.

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durchaus sekundär.“187 Dahinter stand die theologische Grundüberzeugung, „daß schließlich alle Arbeit in der Kirche nur an der Entstehung persönlichen Glaubens ihr Ziel haben kann. Hier werden dann freilich die Schranken, die aller Verfassung gezogen sind, besonders deutlich. Niemals kann die äußere Ordnung der Kirche selbst Glauben erzeugen.“188 Ihmels ging also von der „Weckung persönlichen Glaubens“ der einzelnen aus189. Konkretere Überlegungen zur Kirchenreform stellte er dann lediglich für die Ebene der Gemeinden und Landeskirchen an; darüber hinaus blieben seine Vorstellungen noch sehr vage. Es fällt auch auf, dass Ihmels in seinem Grundsatzaufsatz die lutherischen Bekenntnisschriften nicht erwähnte. Theologiegeschichtlich ist Ihmels wohl der vor allem mit dem Namen des Berliner Kirchenhistorikers Karl Holl verbundenen sogenannten „Lutherrenaissance“ zuzuordnen, die sich auf das Rechtfertigungserlebnis des jungen Luther berief. Sie galt in der Zeit der ersten deutschen Demokratie als der „andere Aufbruch“ neben der dialektischen Theologie190. Ähnlich wie im 19. Jahrhundert das Neuluthertum hat die „Lutherrenaissance“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Abgrenzung zum theologischen Liberalismus viele deutsche Lutheraner nachhaltig beeinflusst. Die Wirkung der „Lutherrenaissance“ auf den organisatorischen Zusammenschluss der deutschen Lutheraner war vermutlich eher gering bzw. indirekt. Immerhin lässt sich aber ein direkter Zusammenhang zwischen der „Lutherrenaissance“ und der 1932 als Fortführung des Apologetischen Seminars gegründeten Luther-Akademie nachweisen, deren Arbeitsschwerpunkte − in enger Kooperation mit den skandinavischen Lutheranern − die Durchführung von Studientagungen und die Herausgabe von Schriften waren und deren erster Vorsitzender Ihmels war191. Ihmels bezog erstmals die lutherischen Kirchenleitungen in die Arbeit der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz mit ein. Am 11. Januar 1927 traten auf seine Einladung hin in Erlangen − anlässlich einer Tagung der „Engeren Konferenz“ − die Bischöfe und Kirchenpräsidenten der deutschen lutherischen Landeskirchen zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen192. Dies 187

Ebd., 11. Ebd., 16. 189 Ebd. 190 Zur „Lutherrenaissance“ sowie zur Problematik von Begriff und Phänomen vgl. Assel, Aufbruch; ders., Lutherrenaissance. 191 Vgl. Schneider, Luther-Akademie. 192 Vgl. Grundmann, Lutherischer Weltbund, 162 f. Die Darstellung von Kahle, Wege, 176, die „Engere Konferenz“ habe sich bereits 1912 erstmalig „mit einem Wort an die Leitungen der deutschen lutherischen Landeskirchen“ gewandt, trifft nicht zu. Vielmehr wandte sich die Konferenz „an die ‚Evangelischen Landeskirchen‘ […], nicht bloß an die Lutheraner“ (vgl. Fleisch, Kirche, 71). 188

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war die Gründung der sogenannten lutherischen „Bischofskonferenz“, die freilich noch einen inoffiziellen und unverbindlichen Charakter hatte und bis zum Ende der „Weimarer Republik“ und der „Ära Ihmels“ keine größere kirchenpolitische oder theologische Bedeutung mehr erlangte. Auf der nächsten, der neunzehnten Tagung im September 1927 in Marburg änderte die Allgemeine Evangelisch-Lutherische Konferenz bezeichnenderweise ihren Namen in: „Lutherisches Einigungswerk (Allgemeine Evangelisch-Lutherische Konferenz)“193. Die hinter der Namensänderung stehende Programmatik war eindeutig: Man wollte über bloßes Konferieren hinauskommen und ans „Werk“ gehen sowie das Ziel der „lutherischen Einigung“ klar herausstellen. Aber im Unterschied zu den gesamtprotestantischen Vereinigungsbestrebungen, die mit der Gründung des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes 1922 − unter Beteiligung der lutherischen Landeskirchen − ein Ergebnis präsentieren konnten, waren die lutherischen Vereinigungsbestrebungen über bloße Programmatik bislang kaum hinausgekommen. Dies änderte sich erst unter den geänderten Bedingungen der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft.

193

Vgl. AELKZ LX, 1927, 817 u. 945 f.; Grundmann, Lutherischer Weltbund, 163.

2. Lutherische Einigungsbestrebungen zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft (1933 bis 1936)

2.1 Der „Lutherische Zweig innerhalb der werdenden Deutschen Evangelischen Kirche“ (1933) Im Jahre 1933 erfuhren die lutherischen Einigungsbestrebungen einen kräftigen Schub. Dies lag zum einen an den neuen politischen Verhältnissen nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, zum anderen daran, dass es dem am 4. Mai 1933 neu gewählten bayerischen Landesbischof Hans Meiser1, der mit unvergleichlicher Energie und Hartnäckigkeit die Idee einer geeinten lutherischen Kirche vorantrieb, binnen weniger Wochen gelang, der anerkannte Sprecher der lutherischen Kirchen Deutschlands zu werden. Anfang 1933 erwartete man, dass der neue nationalsozialistische Staat auch das Verhältnis zur Kirche grundlegend neu regeln wolle, und in der Kirche selbst sahen große Teile, allen voran die nationalsozialistische Kirchenpartei der Deutschen Christen2, die Chance und den rechten Zeitpunkt für die Verwirklichung durchgreifender Strukturreformen gekommen. Auch die Kirchenführer glaubten, sich den – bereits seit längerem erhobenen und durchaus populären – Umgestaltungsforderungen nicht verschließen zu können, da sie fürchten mussten, ansonsten von der nationalsozialistischen „Revolution“ bzw. von den die Führung in der Kirche beanspruchenden Deutschen Christen gleichsam überrollt zu werden. Ja, mehr noch, man wollte sich, um die Kirchenreform steuern und das Gesetz des Handelns in der Hand behalten zu können, gewissermaßen an die Spitze der Reformbewegung stellen und begann unverzüglich, Maßnahmen zur kirchlichen Neuordnung einzuleiten. Besonders brisant wurde die Situation durch die am 5. März 1933 begonnene Gleichschaltung der Länder. Da bisher die Länder die Kulturhoheit innegehabt hatten, waren die staatskirchenrechtlichen Regelungen, einschließlich des Schutzes und der Förderung der Kirchen durch den Staat, unmittelbar betroffen. Wegen des äußeren Drucks und der dadurch gebotenen Eile meinte man mitunter auch kirchlicherseits, 1 Zu Meisers Vita vgl. Braun, Meiser; Simon, Meiser; und Herold / Nicolaisen, Meiser. Vgl. auch unten im Text, 49. 2 Vgl. Meier, Deutsche Christen.

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sich über Rechtsbedenken hinwegsetzen zu können bzw. zu müssen. So war schon die Einsetzung des Verfassungsausschusses, des sogenannten „Dreimännerausschusses“, zur Neuordnung des deutschen Protestantismus durch den Präsidenten des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses Hermann Kapler nicht ganz unproblematisch, auch wenn diese Einsetzung nachträglich durch die Organe des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes bestätigt wurde. Erst recht fragwürdig war es, dass der am 25. April 1933 von Adolf Hitler zu seinem persönlichen „Bevollmächtigten für die Fragen der evangelischen Kirche“ ernannte Deutsche Christ Ludwig Müller3 an Beratungen des Verfassungsausschusses teilnehmen durfte, obwohl ihm eine Bevollmächtigung oder Beauftragung von kirchlicher Seite fehlte. In dieser Umbruchsituation hegten die Vertreter des konfessionellen Luthertums einerseits die Hoffnung, bei der kirchlichen Neuordnung stärker zum Zuge kommen und der neu zu gründenden Deutschen Evangelischen Kirche einen lutherischen Stempel aufdrücken zu können, andererseits befürchteten sie, dass die neue einheitliche Kirche unionistisch geprägt sein könnte bzw. dass konfessionelle Besonderheiten hinter politischen und kirchenpolitischen Bestrebungen zurücktreten oder gar ganz verschwinden könnten. Beides, Hoffnungen wie Befürchtungen, waren starke Motive, die lutherischen Einigungsbestrebungen nunmehr kräftig voranzutreiben. Ausgerechnet ein Lutheraner aus der preußischen Union, der ehemalige westfälische Generalsuperintendent Wilhelm Zoellner4, der von 1935 bis 1937 als Vorsitzender des Reichskirchenausschusses noch einmal eine zentrale kirchenpolitische Rolle spielen sollte, wandte sich am Gründonnerstag, dem 13. April 1933, mit einem „Aufruf zur Sammlung der Lutheraner. Die Kirche im Aufbruch der Nation“5 an die Öffentlichkeit und fand damit große Beachtung. Zoellner, der „die nationale Revolution“ als „eine Wende deutschen Lebens“ bezeichnete, argumentierte, die „Kirchen der Reformation“ würden durch diese „Zeitwende unserer Tage“ zu einer grundlegenden Verfassungsreform aufgefordert, wenn auch die „Kirche als Gemeinde des Glaubens“ von den Zeitereignissen „unberührt“ bleibe. Er gab die Parole aus: „Keine Nachahmung staatlicher Formen!“, bezog dies jedoch offenkundig ausschließlich auf die „falsche Angleichung an das demokratische Prinzip des Staates von Weimar“ in der Gestalt „synodaler Körperschaften“. Statt „Kirchenparlamenten“ forderte er „Bischöfe“ als „entschlußkräftige Führung“. Dass hierbei die Gefahr einer gewissen Nachahmung des nationalsozialistischen Führerprinzips drohte, reflektierte er 3 4 5

Zu Müller vgl. Schneider, Reichsbischof. Vgl. Philipps, Zoellner. Der Aufruf ist abgedruckt ebd., 115 f.

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in seinem Aufruf nicht. Sein Ziel fasste Zoellner wie folgt zusammen: „Die Bekenntnisgrundlage der verschiedenen evangelischen Kirchen ist unantastbar. […] Darum ersehnen wir die Bildung einer evangelischen Kirche deutscher Nation auf klarer Bekenntnisgrundlage.“ Nur elf Tage später, am 24. April 1933, formulierte die „Konferenz der Führer der lutherischen Landeskirchen“, die sogenannte „Bischofskonferenz“, in einer Presseerklärung6 fast wortgleich: „Die in Berlin versammelten geistlichen Führer der deutschen evangelisch-lutherischen Kirchen erkannten als erstrebenswertes Ziel eine starke evangelische Kirche deutscher Nation unter Wahrung des Bekenntnisstandes.“ Über Zoellners Vorstoß hinaus – und dabei das Problem der Lutheraner in den Unionskirchen, das ja auch Zoellners Problem war, ausklammernd – ging der in der Presseerklärung ferner mitgeteilte Beschluss der lutherischen „Bischofskonferenz“, „als ersten Schritt […] den festen Zusammenschluss ihrer evangelisch-lutherischen Kirchen als lutherischen Zweig der kommenden Kirche tatkräftig zu betreiben.“ Noch weiter ging der Vorstand des „Lutherischen Einigungswerkes“, der am 12. Mai 1933 eine Erklärung7 verabschiedete, in der es u. a. heißt: „Wir erwarten daher von den Männern, die jetzt in verantwortungsvoller Stelle am Bau einer deutschen evangelischen Reichskirche arbeiten, […] daß sie die deutsche Reichskirche – unbeschadet der Rechte der Evangelischen anderen Bekenntnisses – als lutherische Kirche mit lutherischer Leitung bauen.“

Meiser war es, der den Erklärungen Taten folgen ließ. Obwohl er erst vor wenigen Tagen von der bayerischen Landessynode zum Kirchenpräsidenten gewählt worden war − dieselbe Synode hatte das Amt dann gleich in das eines Landesbischofs umgewandelt −, obwohl nach wie vor Ihmels Vorsitzender des „Lutherischen Einigungswerkes“ und als solcher auch der sogenannten lutherischen „Bischofskonferenz“ war und obwohl der hannoversche Landesbischof August Marahrens der lutherische Vertreter in dem von Kapler einberufenen Verfassungsausschuss, dem sogenannten „Dreimännerausschuß“, war, lud Meiser für den 14. Mai 1933 die lutherischen Kirchenführer zu einer Besprechung nach Würzburg ein. Meiser, dessen Vorstoß „nicht frei von usurpatorischen Zügen“ war8, hatte sowohl Sorge vor den Machtansprüchen der Deutschen Christen, von denen er eine „Wiederaufrichtung des Summepiskopats“ befürchtete, als auch vor unionistischen Tendenzen bei der Errichtung einer Deutschen Evangelischen Kirche – etwa durch die Schaffung eines neuen, zeitgemäßen, über6 7 8

Die Presseerklärung ist abgedruckt bei Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, XXV. Die Erklärung ist abgedruckt ebd., XXVI. So das Urteil Hannelore Brauns und Carsten Nicolaisens in ebd., XXVIII.

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konfessionellen Bekenntnisses9. In Würzburg formulierte Meiser deshalb die Aufgabe der lutherischen Kirchenführer wie folgt10: „1. Der Zusammenschluß der Lutherischen Kirchen muß noch fester werden. 2. Um Marahrens [sc. bei seiner Tätigkeit im Verfassungsausschuß] zu stärken, ist erforderlich, in irgendeiner Weise auszusprechen: a. daß die neu werdende Kirche nach unserem Willen und nach unserer Forderung l u t h e r i s c h e s Gepräge erhalten muß, ohne daß die anderen Bekenntnisse hinausgedrängt sein sollen […]; b. daß wir die Kirche nicht auf ein Bekenntnis aufbauen können, das man erst sucht; c. daß die persönliche Spitze der Kirche ein lutherischer Geistlicher sein muß, der nicht durch Urwahlen gewählt werden dürfe; d. daß die Kirche sich nicht einfach auf das Bekenntnis der Väter zurückziehen kann, sondern daß sie das, was die Christenheit jetzt bewegt, in lehrhafter Form ausdrücken muß; das ist aber eine Aufgabe, die nicht in 8 Tagen erledigt werden kann.“

Meiser versuchte, zwei unterschiedliche Ziele miteinander in Einklang zu bringen. Zum einen verfolgte er das alte Anliegen einer engen Zusammenfassung der lutherischen Kirchen (vgl. Punkt 1.). Zum anderen aber wollte er sich den populären Forderungen nach einer Vereinheitlichung des gesamten deutschen Protestantismus und nach einem neuen, zeitgemäßen Bekenntnis sowie der – ja auch vom „Lutherischen Einigungswerk“ gehegten – Hoffnung, dass dem deutschen Gesamtprotestantismus ein „l u t h e r i s c h e s Gepräge“ verliehen werden könne, grundsätzlich nicht verschließen. Die Ablehnung von „Urwahlen“ zur Besetzung des leitenden Amtes der geplanten Deutschen Evangelischen Kirche zeugte wohl einerseits von einem gewissen Ressentiment gegenüber demokratischen Strukturen in der Kirche, wie es etwa auch im Aufruf Zoellners zu finden war, andererseits von der Sorge, die nationale Begeisterung und revolutionäre Stimmung könnten im Raum der Kirche kurzfristig unerwünschte Fakten schaffen. Diese Sorge stand sicherlich auch hinter der Warnung vor einem unausgereiften, da nur aus der ganz aktuellen Umbruchsituation heraus geborenen, neuen Bekenntnis. Fraglich ist, ob Meiser Marahrens tatsächlich nur „stärken“ oder auch auf Kurs bringen oder zumindest halten wollte. Jedenfalls reklamierte Meiser durch die von ihm initiierte und bestimmte Würzburger Veranstaltung ohne Zweifel für sich einen gewissen Führungsanspruch im deutschen Luthertum. Das Ergebnis11 der Würzburger Veranstaltung bekräftigte 9

Vgl. ebd., XXVII. Vgl. den Protokollauszug, abgedruckt ebd. 11 Vgl. ebd., XXVIII (hiernach auch die folgenden Zitate). Das „Statut des lutherischen Zweiges innerhalb der werdenden Deutschen Evangelischen Kirche vom 14. Mai 1933 in Würzburg“ ist u. a. abgedruckt in: Lutherische Generalsynode 1948, 203 f. 10

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diesen Führungsanspruch. Zur „Wahrung und Vertretung ihres gemeinsamen lutherischen Bekenntnisses und zur Förderung der daraus sich ergebenden gemeinsamen Aufgaben“ schlossen sich in Würzburg die lutherischen Landeskirchen Bayern, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Braunschweig, Hamburg, Lübeck, Eutin, Reuß ältere Linie und Schaumburg-Lippe „zu einem lutherischen Zweig innerhalb der werdenden Deutschen Evangelischen Kirche zusammen, unter Vorbehalt der Zuständigkeit der einzelnen Kirchen im übrigen“; die übrigen lutherischen Landeskirchen folgten in den darauffolgenden Tagen. In einer „Kundgebung“ forderten die in Würzburg „versammelten Bischöfe der Vereinigten Lutherischen Kirchen Deutschlands“: „[…] daß in der werdenden Deutschen Evangelischen Kirche der Glaube Luthers und das Bekenntnis der Väter freien Raum erhalten und zu voller Wirkung kommen; daß diese Kirche unter der [sic!] Führung eines lutherischen Reichsbischofs gestellt wird; daß sie nach ihren eigenen Gesetzen gestaltet und dabei alles ihrer Art Fremde, an vergangene parlamentarische Formen Erinnernde ausgeschaltet wird.“

Ein sechsköpfiges Direktorium, „bestehend aus je zwei Vertretern der süddeutschen, der mitteldeutschen und der niederdeutschen lutherischen Landeskirchen“, wurde unter Meisers Vorsitz mit der Leitung des neuen lutherischen Zusammenschlusses beauftragt. Nachdem Ihmels am 7. Juni 1933, drei Wochen vor seinem geplanten Rücktritt, gestorben war12, übernahm Meiser auch den Vorsitz der sogenannten lutherischen „Bischofskonferenz“, „die nach Würzburg wie nie zuvor als Vertretung des deutschen Luthertums auftrat“13. Noch im Mai, unmittelbar nach der Würzburger Tagung, versuchte Meiser, im lutherischen Sinne auf die kirchenpolitischen Entwicklungen im Reich aktiv Einfluss zu nehmen. Dabei wurde er mit der Tatsache konfrontiert, dass die Personalfrage, wer die angestrebte Deutsche Evangelische Kirche als Reichsbischof leiten sollte, inzwischen alle anderen Fragen – nach grundlegenden Verfassungs- und Strukturveränderungen – überlagert bzw. verdrängt hatte und dass sogar bereits zwei Kandidaten öffentlich präsentiert worden waren, Friedrich von Bodelschwingh, der angesehene Leiter der Betheler Anstalten, als Kandidat der „Jungreformatorischen Bewegung“14, und Ludwig Müller, der Vertrauensmann Hitlers und Kandidat der Deutschen Christen. Beide waren sicher keine Vertreter eines konfessionellen Luther-

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Vgl. Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 6, Anm. 1. So Hannelore Braun und Carsten Nicolaisen in ebd., XXIX. Sitzungen fanden statt am 22., 23. und 27. 6., am 19. 7. und am 22. und 26. 9. 1933. Die Sitzungsprotokolle sind abgedruckt in: ebd., 6–24, 39, 55 f., 77 f. u. 94–115. 14 Vgl. hierzu Neumann, Jungreformatorische Bewegung. 13

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tums15. Besonders vor diesem Hintergrund war es folgerichtig, wenn die lutherische „Bischofskonferenz“ am 26. und am 27. Mai 1933 vor der Lösung der Personalfrage zunächst auf eine Fertigstellung der Kirchenverfassung drängte. Nur vor dem Hintergrund der politischen Situation war zu verstehen, dass sich gleichwohl die Mehrzahl der lutherischen Kirchenführer für den DC-Kandidaten Müller aussprach, dass die lutherischen Kirchenführer keinen eigenen Reichsbischofskandidaten zu präsentieren vermochten, dass sie mit Ausnahme der Vertreter Hamburgs, Mecklenburg-Schwerins und Württembergs dann doch – einem Appell Meisers zur Geschlossenheit und dem Votum von Marahrens folgend – Bodelschwingh wählten, dem sie freilich schon nach vier Wochen mehrheitlich die Unterstützung wieder entzogen, und dass die – mittlerweile zum Teil neu ins Amt gekommenen – lutherischen Kirchenführer schließlich am 27. September 1933 einmütig Müller zum Reichsbischof mitwählten. In der unter staatlichem Druck rasch fertig gestellten Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 11. Juli 193316 war von einem „lutherischen Gepräge“, wie es die lutherischen Kirchenführer angestrebt hatten, nur wenig zu merken. Die Artikel 1 und 2 (Absatz 3) enthielten eine sehr allgemein gehaltene Garantie der reformatorischen Bekenntnisse und der Selbständigkeit der Landeskirchen „in Bekenntnis und Kultus“. Ferner sollte dem Reichsbischof „ein Geistliches Ministerium zur Seite“ treten (Artikel 5, Absatz 1), dessen theologische Mitglieder „das in der Deutschen Evangelischen Kirche lebendige Bekenntnisgepräge“ repräsentieren und „die Gemeinschaft unter den Angehörigen gleichen Bekenntnisses und deren Vertrauensverhältnis zu den übrigen Gliedern der Deutschen Evangelischen Kirche […] festigen“ sollten (Artikel 7, Absatz 2 und 3). Schließlich war, einer Forderung von lutherischer Seite entsprechend, von dem „an der Spitze der Kirche“ stehenden „lutherischen Reichsbischof“ die Rede (Artikel 5, Absatz 1). Der Reichsbischof erhielt das Recht, die Mitglieder des Geistlichen Ministeriums zu ernennen; den Führern der Landeskirchen verblieb ein Vorschlagsrecht für die theologischen Mitglieder dieses Gremiums (Artikel 7, Absatz 4). Bestimmungen über eine mögliche Abwahl oder Absetzung des Reichsbischofs enthielt die Verfassung nicht. Die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche war also – entsprechend dem Führerprinzip – weitgehend auf die Person des Reichsbischofs zugeschnitten. Dass aber Ludwig Müllers „lutherische“ Gesinnung, falls überhaupt von

15 Zu Bodelschwinghs Verhältnis zum Luthertum vgl. Schneider, Bodelschwingh, besonders 47–49 u. 57–62, zu Müllers theologischer Position vgl. ders., Reichsbischof, besonders 57–75 u. 284–294. 16 Die Verfassung ist u. a. abgedruckt in: KJ 1933–442, 27–29; und Nicolaisen, Dokumente, Bd. 1, 185–190.

Der „Lutherische Zweig“

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einer solchen die Rede sein kann, allenfalls vorgetäuscht war, war schon bald für jedermann offensichtlich. Immerhin gelang es Müller zunächst, sich mit einem Beraterkreis zu umgeben, dem auch namhafte, sich selbst als lutherisch verstehende Theologen wie Hirsch und Karl Fezer angehörten, die Mitglieder der Glaubensbewegung Deutsche Christen oder zumindest deren Sympathisanten waren17. Die ereignisreichen Entwicklungen im Sommer und Herbst 193318 zeigten zum einen, dass sich im deutschen Protestantismus alles auf die Frontstellung pro und contra Deutsche Christen zuspitzte, und zwar quer durch die Konfessionen, zum anderen, dass der Reichsbischof mit seiner kirchenleitenden Aufgabe, zumal angesichts dieser Frontstellung, völlig überfordert war. Da nach den staatlich angeordneten Kirchenwahlen am 23. Juli 1933 in einer Reihe von lutherischen Landeskirchen Deutsche Christen ins kirchenleitende Amt gekommen waren, wurde auch die sogenannte lutherische „Bischofskonferenz“ in ihrer Arbeit durch den Gegensatz zwischen Deutschen Christen und nicht zu diesem Lager Gehörenden paralysiert. So wurde in den Sitzungen am 22. und 26. September 1933 – den letzten ihrer Art – vor allem über die Einführung des „Arierparagraphen“ in der Kirche und darüber, ob der sächsische DC-Landesbischof Friedrich Coch oder der unabhängige hamburgische Landesbischof Simon Schöffel dem Reichsbischof als lutherischer Vertreter im „Geistlichen Ministerium“ vorgeschlagen werden sollte, gestritten19. Nach der letzten Sitzung trafen sich, am Abend desselben Tages, sogar die lutherischen Kirchenführer, die nicht zu den Deutschen Christen gehörten, noch einmal zu einer besonderen Sitzung. In dieser Sitzung ging es um die Befürchtung, dass die Einführung des „Arierparagraphen“ einen Bruch mit den Kirchen im Ausland, insbesondere in Skandinavien, zur Folge hätte, ferner um die Sorge, dass die gewaltsame Zusammenlegung von Landeskirchen zu einer „Zerbrechung des Luthertums“ führen würde20. Zwar gelang es Meiser, Schöffel als lutherischen „Kirchenminister“ durchzusetzen, aber das „Geistliche Ministerium“ kam kaum je zu ernsthafter, produktiver Arbeit; schon Ende des Jahres 1933 brach es auseinander21. 17 Zu dem Beraterkreis Müllers vgl. Schneider, Reichsbischof, 108 f. Zu Hirschs „Luthertum“ vgl. u. a. Herms, Hirsch, besonders 317–320. 18 Zu den Einzelheiten vgl. Scholder, Kirchen, Bd. 1, 422–700; Meier, Kirchenkampf, Bd. 1, 90–116. 19 Vgl. die Sitzungsprotokolle, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 77 f. u. 94–108. Zu Schöffel vgl. Hering, Bischöfe. 20 Vgl. die Aufzeichnungen Meisers, in denen ein Bericht Schöffels wiedergegeben wird, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 108–115. 21 Vgl. u. a. Scholder, Kirchen, Bd. 1, 701–742; Meier, Kirchenkampf, Bd. 1, 122–145.

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Lutherische Einigungsbestrebungen 1933–1936

Die Erwartungen, die man von Seiten des konfessionellen Luthertums mit der neuen Reichskirche verbunden hatte, waren schon nach wenigen Monaten restlos zerstört. Weder war es gelungen, ein „deutsches Corpus Lutheranorum“22 zu etablieren, noch war es gelungen, der neuen Deutschen Evangelischen Kirche ein „lutherisches Gepräge“ zu verleihen, geschweige denn deren Leitungsamt mit einem profilierten Lutheraner zu besetzen. Die nationalsozialistische Kirchenpartei der Deutschen Christen, die 1933 auch zahlreiche lutherische Landeskirchen erobert hatte, hatte – ungeachtet aller Differenzen, die es auch innerhalb dieser Gruppierung gab – weder Interesse noch Verständnis für die Anliegen des konfessionellen Luthertums, allenfalls an der im nationalistischen Sinne verklärten Gestalt Martin Luthers23. Ansonsten beherrschten politischideologische und kirchenpolitische Ziele und Inhalte weithin das Denken der Deutschen Christen, vor allem auch das Streben nach einer undogmatischen und überkonfessionellen Reichskirche nach dem Motto: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer – ein Glaube!“24

2.2 Der lutherische Anteil an der Barmer Theologischen Erklärung und der Lutherische Konvent der Barmer Reichsbekenntnissynode (Mai 1934) Die kirchenpolitischen Machtbestrebungen und die Irrlehren der Deutschen Christen ließen die Vertreter eines konfessionellen Luthertums, allen voran die im kirchenleitenden Amt verbliebenen Bischöfe der drei sogenannten „intakten“ Landeskirchen Bayern, Württemberg und Hannover, Meiser, Wurm und Marahrens, nolens volens in der entstehenden Bekennenden Kirche an die Seite der zum Teil aus ganz anderen Lagern stammenden Opposition gegen das DC-Kirchenregiment Müllers rücken. Der Formierungsprozess der Bekennenden Kirche25 mündete in die erste Reichsbekenntnissynode, die vom

22

Vgl. Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, XXXII. Vgl. den von einem deutsch-christlichen Arbeitsausschuss mit großem Aufwand organisierten „Deutschen Luthertag 1933“ anlässlich des 450. Geburtstages des Reformators, der zu einem „Triumph des völkischen Luther“ werden sollte, dann aber wegen der Volksabstimmung über den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund kurzfristig vom 10. auf den 19. 11. 1933 verschoben werden musste und deswegen keine größere öffentliche Aufmerksamkeit mehr fand. Vgl. Scholder, Kirchen, Bd. 1, 696 f. 24 Zum Denken der Deutschen Christen vgl. vor allem Sonne, Politische Theologie; und Tilgner, Volksnomostheologie. 25 Zu den Einzelheiten vgl. Nicolaisen, Weg, 1–27; sowie Scholder, Kirchen, Bd. 1 u. 2. 23

Der lutherische Anteil an der Barmer Erklärung

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29. bis 31. Mai 1934 in Barmen tagte; die dort verabschiedete Theologische Erklärung gilt als die Magna Charta der Bekennenden Kirche. Aus Sicht der Lutheraner26 bargen eine gemeinsame Synodaltagung und erst recht die Etablierung einer konfessionsübergreifenden Bekennenden Kirche sowie eine gemeinsame Theologische Erklärung wiederum die Gefahr des Unionismus in sich. Nach einem viel zitierten Wort von Karl Barth hat „die lutherische Kirche“ bei der Entstehung der ersten Fassung der Barmer Theologischen Erklärung sogar „geschlafen und die reformierte Kirche hat gewacht.“27 Dem entsprach auf lutherischer Seite das Diktum des Erlanger Theologieprofessors Paul Althaus von der „Preisgabe des Luthertums an Karl Barth“28. Einer genaueren Betrachtung halten die wohl eher anekdotenhafte Bemerkung Barths und die wohl eher polemische Äußerung von Althaus nicht stand. Dem Redaktionsausschuss für die Theologische Erklärung gehörten außer Barth zwei Lutheraner an, der amtsenthobene Altonaer Pfarrer Asmussen und der bayerische Oberkirchenrat Thomas Breit, der Stellvertreter Meisers als Landesbischof. Ursprünglich war auf Bitten Meisers mit dem Erlanger Theologieprofessor Sasse, der schon vor 1933 den Nationalsozialismus scharf kritisiert hatte, ein weiterer profilierter Lutheraner als Mitglied des Redaktionsausschusses vorgesehen gewesen; aus Krankheitsgründen konnte dieser in dem Ausschuss dann freilich nicht mitarbeiten29. Zwar stammte der erste Entwurf der Barmer Erklärung, wie auch die Entwürfe für die Ergänzungen, im wesentlichen von Barth, jedoch beteiligten sich vor allem Asmussen, aber auch Breit intensiv und konstruktiv an dem mühevollen und langwierigen Redaktionsprozess, der zwischen der ersten Textfassung und der schließlich verabschiedeten Version lag30. Dennoch wurden von bayerisch-lutherischer Seite, nämlich von Meiser, Sasse und Althaus, erhebliche und grundsätzliche Bedenken gegen den von Asmussen, Barth und Breit gemeinsam verantworteten Entwurf, die sogenannte „Frankfurter Konkordie“, erhoben, und es wurden alternative Entwürfe erstellt31. Zur Diskussion stand dann in Barmen doch ausschließlich die „Frank26

Zum Folgenden insgesamt vgl. Nicolaisen, Lutherischer Beitrag. Zitiert nach Busch, Lebenslauf, 258; vgl. Nicolaisen, Weg, 29. 28 Althaus, Bedenken, zitiert nach Nicolaisen, Weg, 38. 29 Zu Sasses Haltung zur Barmer Reichsbekenntnissynode und zur Barmer Theologischen Erklärung vgl. Wittenberg, Sasse und „Barmen“. Zu Sasses Kritik am Nationalsozialismus schon vor 1933 vgl. KJ 1932, 58–77; und Scholder, Kirchen, Bd. 1, 179 f. 30 Vgl. Nicolaisen, Weg, 35 f. Die Entwürfe der Barmer Theologischen Erklärung sind abgedruckt ebd., 161–192, I–III. Asmussen ging nach „Barmen“ allerdings den Weg der Verfechter der lutherischen Einigung nicht mit (vgl. dazu unten 4.1, 224). 31 Vgl. ebd., 36–46. Die drei alternativen lutherischen Entwürfe, erstens von Asmussen und Sasse („Erlanger Entwurf“), zweitens von Breit und drittens von Stoll, sind abgedruckt ebd., 161–192, IV–VI. 27

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Lutherische Einigungsbestrebungen 1933–1936

furter Konkordie“, allerdings in einer von Asmussen und Barth am 26. Mai 1933 in Bonn leicht revidierten Fassung32. Dies lag auch daran, dass keineswegs alle Lutheraner die Bedenken der bayerischen Lutheraner teilten33 und dass einer schon seit längerem gestellten Bedingung Meisers entsprochen wurde, dass nämlich gemäß den Bestimmungen der DEK-Verfassung vor einer Beschlussfassung im Plenum in nach Konfessionen getrennten Konventen – itio in partes – über die Theologische Erklärung befunden werden sollte. Auf einer anderen, nämlich der synodalen Ebene sollte jetzt offenbar der „Lutherische Konvent innerhalb der werdenden Bekennenden Kirche“ an die Stelle des – gescheiterten – „Lutherischen Zweiges innerhalb der werdenden Deutschen Evangelischen Kirche“ treten. Bereits am 29. Mai 1933 kamen lutherische Synodale zu intensiven Besprechungen über den Entwurf der Theologischen Erklärung zusammen34. Am 30. Mai 1933 fand dann eine Sitzung des Lutherischen Konventes statt35, nachdem zuvor Asmussen in einem Referat im Plenum den „Bonner Entwurf“ vorgestellt und ausführlich erläutert hatte36. Der Lutherische Konvent bestimmte nach langwierigen Verhandlungen einen kleineren theologischen Arbeitsausschuss zur gründlichen Beratung der Synodalvorlage37. Dieser konnte – ebenfalls nach langwierigen Verhandlungen – keine grundsätzlichen Widersprüche der Synodalvorlage zum lutherischen Bekenntnis erkennen38, knüpfte aber die Zustimmung an drei Bedingungen39: 32

Dieser „Bonner Entwurf“ ist abgedruckt ebd., 161–192, VII. Vgl. ebd., 49. 34 Vgl. die Protokolle Gabriels und Kloppenburgs über die Besprechungen lutherischer Synodaler am 29. 5. 1933, abgedruckt ebd., 101–103 u. 104–107; sowie das Protokoll Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 453. 35 Vgl. die Mitschrift Kloppenburgs, abgedruckt in: Nicolaisen, Weg, 140; sowie das Protokoll Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 285. 36 Vgl. die stenographische Mitschrift Bodes und die Druckfassung, abgedruckt in: Nicolaisen, Weg, 110–139; sowie das Protokoll Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 280–285. 37 Vgl. die Mitschrift Kloppenburgs, abgedruckt in: Nicolaisen, Weg, 141. Vgl. auch ebd., 54–56. Zur Zusammensetzung des kleineren theologischen Arbeitsausschusses der Lutheraner vgl. Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 285, Anm. 1. 38 Zur Beurteilung der Barmer Theologischen Erklärung aus der Sicht lutherischer Dogmatik vgl. Peters, Theologische Erklärung. Peters wies im Einzelnen nach, dass die wesentlichen Aussagen der Barmer Theologischen Erklärung aus lutherischer Sicht schrift- und bekenntnisgemäß sind. Nur an wenigen Punkten setzte er ein Fragezeichen. So vermochte er „in dem positiven Satz der These IV […] keinen Sinn zu entdecken.“ (ebd., 358). Vgl. auch das Urteil von Kretschmar / Hauschild, Lutherische Kirchen, 464: „Daß die Aussagen der Barmer Theologischen Erklärung nicht das lutherische Bekenntnis bestreiten, ist längst festgestellt, ebenso daß es auch Spannungen gibt (so besonders in These 2).“ Kretschmar / Hauschild stimmten dem Einwand von Peters gegen These 4 im Übrigen nicht zu (vgl. ebd., 463 u. 466). 39 Zitiert nach Nicolaisen, Weg, 56. 33

Der lutherische Anteil an der Barmer Erklärung

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„1. Die Erklärung ist nur im Zusammenhang mit dem Referat von Asmussen zu verstehen. 2. Die Synode hält die Erklärung für ein Zeugnis, das sie auf ihre Verantwortung nimmt und bei dem sie auf weitere noch zu leistende theologische Arbeit hinausschaut. 3. Die Erklärung hat nicht den Charakter eines Bekenntnisses im Sinn des Heidelberger Katechismus und des Augsburger Bekenntnisses.“

Schließlich wurde der Text noch einmal von einer interkonfessionellen „Schlußberatungskommission“ Satz für Satz geprüft40. Die von lutherischer Seite vorgebrachten Anliegen wurden nahezu vollständig berücksichtigt. Insbesondere formulierte Barth, um den Lutheranern entgegenzukommen, in einer Verhandlungspause die fünfte These um. Lediglich Sasse sah sich nicht in der Lage zuzustimmen, allerdings nicht aus inhaltlichen, sondern vielmehr aus formalen Gründen, weil er eine interkonfessionelle Synode nicht für berechtigt hielt, über Lehre und Irrlehre zu entscheiden. Er reiste, um die Einstimmigkeit des Synodalbeschlusses nicht zu gefährden, vorzeitig ab41. Die zuletzt von der „Schlußberatungskommission“ redigierte Fassung des „Bonner Entwurfs“ wurde dann am 31. Mai 1933 einstimmig angenommen, in Verbindung freilich mit den folgenden Zusatzbeschlüssen, die den Bedingungen des lutherischen Arbeitsausschusses entsprachen: „1. Synode erkennt die Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche im Zusammenhang mit dem Vortrag von Pastor Asmussen als christliches, biblisch-reformatorisches Zeugnis an und nimmt sie auf ihre Verantwortung. 2. Synode übergibt diese Erklärung den Bekenntniskonventen zur Erarbeitung verantwortlicher Auslegung von ihren Bekenntnissen aus.“ 42

Jeder Eindruck des Plans oder der Tendenz zu einer Unionskirche wurde in dem „Aufruf an die evangelischen Gemeinden und Christen in Deutschland“ explizit abgewiesen. Darin hieß es u. a.43: „Glieder lutherischer, reformierter und unierter Kirchen haben aus der Treue zu ihrem Bekenntnis heraus ein gemeinsames Wort zur Not und Anfechtung der Kirchen

40 Vgl. die Mitschrift und die Notizen Asmussens sowie die Notizen Barths, abgedruckt ebd., 142–146. Vgl. auch ebd., 56–58. 41 Zu Sasses Bedenken vgl. ebd., 83–85; Sasse, In Statu, 280 f.; Loewenich, Erlebte Theologie, 132–136; Scholder, Kirchen, Bd. 2, 186 f.; und Wittenberg, Sasse und „Barmen“, besonders 92–98. 42 Zitiert nach Nicolaisen, Weg, 56; vgl. Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 453, Anm. 1; und KJ 1933–442, 70. 43 Zitiert nach ebd., 69 f.

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Lutherische Einigungsbestrebungen 1933–1936 in unseren Tagen gesucht. Mit Dank gegen Gott glauben sie gewiß, daß ihnen das gemeinsame Wort in den Mund gelegt worden ist. Sie wollten weder eine neue Kirche gründen, noch eine Union schaffen. Denn nichts lag ihnen ferner als die Aufhebung des Bekenntnisstandes unserer Kirchen. Vielmehr war ihr Wille, der Zerstörung des Bekenntnisses und damit der Evangelischen Kirche in Deutschland im Glauben und in der Einmütigkeit zu widerstehen.“

In der Theologischen Erklärung selbst wurde die Deutsche Evangelische Kirche mehrmals als ein „Bund der Bekenntniskirchen“ bzw. als ein „Bund der aus der Reformation erwachsenen, gleichberechtigt nebeneinanderstehenden Bekenntniskirchen“ bezeichnet, und es wurde die gegenwärtige und zukünftige Treue zu „unseren verschiedenen Bekenntnissen“ betont44. Und in der ebenfalls in Barmen beschlossenen „Erklärung zur Rechtslage der Deutschen Evangelischen Kirche“ wurde unter Punkt 5. u. a. ausgeführt45: „Ihre echte kirchliche Einheit kann die Deutsche Evangelische Kirche nur auf dem Wege gewinnen, daß sie a) die reformatorischen Bekenntnisse wahrt und einen organischen Zusammenschluß der Landeskirchen und Gemeinden auf der Grundlage ihres Bekenntnisstandes fördert […]“

Die Theologische Erklärung, die sechs Thesen mit den jeweils vorangestellten Schriftworten und den jeweils anschließenden Verwerfungen, wurde eingeleitet mit den Worten: „Wir bekennen uns […] zu folgenden evangelischen Wahrheiten: […]“ Wie dieses gemeinsame Bekennen zu interpretieren sein sollte, also die von dem lutherischen theologischen Arbeitsausschuss aufgeworfene Frage nach dem Bekenntnischarakter der Theologischen Erklärung, wurde bewusst offen gelassen bzw. gemäß den oben zitierten Zusatzbeschlüssen „den Bekenntniskonventen“ überlassen. Ansonsten war in den in Barmen beschlossenen Texten nur von einem „gemeinsamen Wort“ die Rede. Explizit offen gelassen wurde auch die Frage nach den möglichen Auswirkungen der gemeinsamen Theologischen Erklärung „für das Verhältnis der Bekenntniskirchen untereinander“46. Der lutherische Anteil an der Barmer Theologischen Erklärung lässt sich zusammenfassend wie folgt beschreiben:

44 Zitiert nach Nicolaisen, Weg, 164, 168, 172 u. 192 (jeweils VIII); vgl. Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 450 f. u. 453; und KJ 1933–442, 70–72. 45 Zitiert nach ebd., 73. 46 Zitiert nach Nicolaisen, Weg, 172, VIII; vgl. Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 451; und KJ 1933–442, 71.

Der lutherische Anteil an der Barmer Erklärung

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1. An der Entstehung der Barmer Theologischen Erklärung waren „von der ersten Planungsphase an bis zur Verabschiedung der letzten Fassung auf der Synode lutherische Theologen verantwortlich und maßgeblich beteiligt“47. 2. Auch „vom Inhalt her“ ist die Barmer Theologische Erklärung durchaus „auch ein lutherisches Dokument“48. Zwar ist „Karl Barths hervorragender Anteil an Struktur und Wortlaut der Erklärung“ nicht zu bestreiten, jedoch zeigt vor allem „Barths Neuformulierung der 5. These auf der Synode mit ihren Zugeständnissen an lutherische Wünsche und Vorstellungen […], daß es auch Barth um einen Konsens mit den Lutheranern ging und nicht um die Durchsetzung seiner Theologie als Norm für die Bekennende Kirche.“49 3. Die Barmer Theologische Erklärung wurde nur „im Zusammenhang“ mit dem sie interpretierenden Referat des Lutheraners Asmussen angenommen, der sich allerdings später von den Verfechtern der lutherischen Einigung trennte. 4. Die Beschlüsse der ersten Reichsbekenntnissynode konnten die Lutheraner als Bestätigung ihres Kurses auffassen, die lutherischen Landeskirchen in Deutschland enger zusammenzuschließen und die einheitliche evangelische Reichskirche lediglich als einen „Bund der Bekenntniskirchen“ zu verstehen. Wenn in der „Erklärung zur Rechtslage“ gar von der Förderung eines „organischen Zusammenschlusses der Landeskirchen und Gemeinden [sic!] auf der Grundlage ihres Bekenntnisstandes“ die Rede war, so konnte man womöglich langfristig sogar an eine Angliederung einzelner lutherischer Gemeinden von (verwaltungs-)unierten Landeskirchen an den lutherischen Zusammenschluss denken. 5. Nach dem Scheitern des „Lutherischen Zweiges innerhalb der werdenden Deutschen Evangelischen Kirche“ wurde mit dem Lutherischen Konvent auf anderer, nämlich synodaler, Ebene so etwas wie eine neue institutionelle Plattform für die lutherischen Vereinigungsbestrebungen in Deutschland geschaffen. Freilich darf zweierlei nicht verschwiegen werden: Zum einen ist, wie Carsten Nicolaisen es formuliert hat, in der Barmer Theologischen Erklärung selbst bereits eine „Doppelgesichtigkeit“ angelegt50. Zum anderen muss konstatiert 47

Nicolaisen, Lutherischer Beitrag, 37. Kretschmar / Hauschild, Lutherische Kirchen, 461. 49 Nicolaisen, Lutherischer Beitrag, 37 f. 50 Ebd., 38: „Sie [sc. die Barmer Theologische Erklärung] ruft zurück zu den Bekenntnissen der Reformationszeit und gleichzeitig nach vorwärts zu neuer Bekenntnisgemeinschaft. Vielleicht liegt gerade in dieser Doppelgesichtigkeit die bleibende Bedeutung der Barmer Theologischen Erklärung, die damit auch eine Verpflichtung für die lutherischen Kirchen bleibt.“ 48

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werden, dass auch im Lager der nicht zu den Deutschen Christen gehörenden Lutheraner die Haltung zu „Barmen“ keineswegs einmütig war. Während auf der einen Seite etwa Asmussen und Breit zumindest ursprünglich „ein ‚Mehr‘ an Kirchengemeinschaft“ und wohl auch ein „Mehr“ an gemeinsamem Bekennen erreichen wollten51, hielten einige „bedeutende Lehrer der lutherischen Kirche […] gerade unter Berufung auf das Bekenntnis der Reformation oder reformatorische Grundeinsichten“52, namentlich die Erlanger Theologieprofessoren Sasse, Althaus und Elert, an ihren grundsätzlichen Bedenken gegenüber der Barmer Theologischen Erklärung fest53. Allerdings sind auch bei den Kritikern bedeutsame Unterschiede nicht zu übersehen. Während Sasse ja vor allem Kritik am Verfahren übte54, erhoben Althaus und Elert in zum Teil sehr polemischer Weise Einwände gegen den Inhalt der Barmer Theologischen Erklärung, vor allem gegen die Verwerfung der „natürlichen Theologie“ in der ersten Barmer These55. Nach Georg Merz war in Barmen der kleinere theologische Arbeitsausschuss vor allem auch deswegen eingesetzt worden, weil der Lutherische Konvent sich nicht als arbeitsfähig erwiesen hatte. Die „Beratung im lutherischen Konvent“ hatte, so Merz, „keine rechte Möglichkeit, zu einem Ergebnis zu kommen, weil zuviel Leute da waren und zu tumultuarisch geredet wurde.“56 Die genaue Zusammensetzung des Lutherischen Konventes in Barmen ist unklar; da es in Barmen keinen eigenen unierten Konvent gab, durften auch Lutheraner aus der Union an ihm teilnehmen57. Für eine ordnungsgemäße, eigentliche „Konstituierung des der Synode angegliederten lutherischen Konvents“ war auf der Barmer Reichsbekenntnissynode selbst keine Zeit mehr gewesen; deswegen wurde Meiser in der abschließenden Sitzung der Synode damit beauftragt, eine solche Konstituierung vorzunehmen58. Meiser wollte „zunächst nur lutherische Theologen“, also keine „Laien“, im Konvent haben und dabei auch auf solche Theologen zurückgreifen, „die in Barmen nicht anwesend waren“, da, so Meiser, „die Synode […] ja nur einen mehr oder weniger zufälligen Ausschnitt aus den zu 51

Ebd. Kretschmar / Hauschild, Lutherische Kirchen, 461. 53 Vgl. hierzu Meier, „Barmen“, besonders 265–268. 54 Vgl. oben im Text mit Anm. 41. 55 Vgl. Elert, Confessio Barmensis; und den von Althaus und Elert mit unterzeichneten „Ansbacher Ratschlag“ zur Barmer Theologischen Erklärung vom 11. 6. 1934, abgedruckt u. a. in: Schmidt, Bekenntnisse 1934, 102–104; Baier, Deutsche Christen, 384–386; und in: Norden u. a., Wir verwerfen, 80–82. 56 So Merz in einem Brief an Meiser vom 8. 7. 1936, abgedruckt in: Nicolaisen, Weg, 154–157, hier: 156. Zu Merz’ Haltung zum Lutherischen Konvent vgl. Lichtenfeld, Merz, 498–511. 57 Vgl. Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 285, Anm. 1. 58 Vgl. Niemöller, Erste Bekenntnissynode, Bd. 2, 159. 52

Die Gründung des Lutherischen Rates

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uns gehörigen Kreisen dar[stellte].“59 Für den 13. Juli 1934 lud Meiser eine Reihe von lutherischen Theologen zu einer Sitzung nach Würzburg ein, um über die Gründung des Lutherischen Konventes zu beraten. Dabei einigte man sich zwar schließlich auf eine Reihe von Namen, jedoch wurden auch gewichtige inhaltliche Differenzen in der Beurteilung von „Barmen“ deutlich sichtbar, die den lutherischen Vereinigungsprozess hinfort immer wieder belasten sollten. Während Meiser die Wiederbelebung des konfessionellen lutherischen Bewusstseins in der Tradition der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz und unter Rückgriff auf die Kompetenz der lutherischen Dogmatiker der Universitäten betonte, forderten Asmussen und der bayerische juristische Oberkirchenrat Hans Meinzolt, „die Linie von Barmen und die Absicht der Bekenntnisgemeinschaft streng einzuhalten“, worunter wohl eher aktuelles und konfessionsübergreifendes bzw. die alten Konfessionsgrenzen zumindest außer Acht lassendes Bekennen angesichts der deutsch-christlichen Irrlehren zu verstehen war. Meisers führende Rolle wurde noch einmal bekräftigt. Er sollte nicht nur der Vorsitzende des Lutherischen Konventes sein, sondern als solchem sollte es ihm „freistehen“, die einzelnen Mitglieder des Konventes „zu befragen oder sie in Gruppen zusammenzurufen“; „es sollte nicht so sein, daß alle gleichzeitig einberufen werden sollten.“ Mit dieser Regelung, die wiederum ein grundsätzliches Misstrauen Meisers gegenüber synodalen Strukturen und möglichen unionistischen Tendenzen offenbarte, sollte jedes Mitglied sich „von vornherein […] einverstanden erklären“60.

2.3 Die Gründung des Lutherischen Rates (August bis November 1934) Die Vorbehalte gegenüber einer bestimmten weiterführenden Interpretation von „Barmen“, wie sie auch von Lutheranern wie Asmussen vertreten wurde, sowie gegenüber einem ganz in die Strukturen der werdenden Bekennenden Kirche eingebundenen Lutherischen Konvent, dessen Kurs und Einflussmöglichkeiten trotz der Vorsorge Meisers wenig kalkulierbar schienen, waren bei einer Reihe von Vertretern des konfessionellen Luthertums groß. Andererseits nahm im Laufe des Jahres 1934 der Druck von Seiten der deutsch-christlichen Reichskirchenführung, die eine Politik der völligen Gleichschaltung der Lan59 Meiser an Merz, 6. 6. 1934, zitiert nach: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 299 f., Anm. 8. 60 Vgl. die Aufzeichnungen von Merz über die Würzburger Zusammenkunft am 13. 7. 1934, zitiert bzw. wiedergegeben in: ebd. Vgl. auch ebd., XXXV.

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Lutherische Einigungsbestrebungen 1933–1936

deskirchen betrieb, kontinuierlich zu; dies galt namentlich für die lutherischen Bischöfe der drei sogenannten „intakten Landeskirchen“ von Bayern, Hannover und Württemberg, Meiser, Marahrens und Wurm. Marahrens war es jetzt, der als Präsident des Lutherischen Einigungswerkes (Allgemeine Evangelisch-Lutherische Konferenz) die Initiative ergriff und für den 24. und 25. August 1934 lutherische Kirchenführer, lutherische Theologieprofessoren, Vertreter großer lutherischer Organisationen und „Einzelpersönlichkeiten“ zu einer Besprechung nach Hannover einlud61, um „einen stärkeren aktiven Einsatz des Luthertums innerhalb der Bekenntnisfront vorzutreiben“62. Diese Besprechung wurde zur Gründungsversammlung des Lutherischen Rates. Es scheint so, als hätte Marahrens bei seiner Einladung Meiser zunächst übergangen63; dieser erschien auch erst am zweiten Verhandlungstag64. Womöglich meinte Marahrens, nach dem Scheitern des „Lutherischen Zweigs innerhalb der werdenden Deutschen Evangelischen Kirche“ und angesichts der sehr unterschiedlichen lutherischen Rezeption der Barmer Theologischen Erklärung und der Unklarheiten im Hinblick auf den Lutherischen Konvent die Zügel nunmehr selbst in die Hand nehmen zu müssen. Vielleicht spielte auch ein gewisser Konkurrenzgedanke zu Meiser und dessen Aktivitäten eine Rolle. Es war dann allerdings offenbar rasch klar und unumstritten, dass Meiser auch die Leitung des Lutherischen Rates übernehmen sollte65, vielleicht auch deswegen, weil Marahrens im Herbst 1934 u. a. wegen seiner angeblich zu wohlwollenden Haltung dem ehemaligen DC-Bischof und „Vikar der DEK“ Heinrich Oberheid gegenüber in Bekenntniskreisen zunehmend auf Kritik stieß66. Der schlesische Bischof Otto Zänker, Althaus und Zoellner sprachen während der Gründungsversammlung des Lutherischen Rates klar aus, weshalb 61 Die achtzehn Teilnehmer sind aufgelistet in: ebd., 322. Ebd., 322–328 sind auch die Aufzeichnungen Meisers über die Besprechung am 25. 8. 1934 abgedruckt. 62 So der Bericht Kloppenburgs, zitiert in: ebd., 322, Anm. 1. 63 So Meier, Kirchenkampf, Bd. 1, 518. 64 Vgl. Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 322, Anm. 1. 65 Vgl. die Ergebnisse der Sitzung des „Arbeitsausschusses“ des Lutherischen Rates am 18. 9. 1934 in Würzburg (vgl. unten im Text). Vgl. auch die Liste der zunächst als Mitglieder des Lutherischen Rates in Aussicht genommenen Personen, s. d. (LKA Hannover, D 15 V 1/1), in der es heißt: „Den Vorsitz im Lutherischen Rat führt Landesbischof D. Meiser – München […]“ In den Aufzeichnungen Meisers über die Hannoveraner Gründungsversammlung des Lutherischen Rates am 25. 8. 1934 (abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 322–328) ist das Thema Vorsitz des Lutherischen Rates nicht erwähnt. 66 Hintergrund der Kritik an Marahrens waren dessen Äußerungen gegenüber Vertretern der Marburger theologischen Fakultät, die in bekenntniskirchlichen Kreisen als Empfehlung für Oberheid aufgefasst wurden, der auf eine Professur berufen werden sollte. Vgl. hierzu Faulenbach, Weg, 146–150; zur Kritik an Marahrens ferner: Meier, Kirchenkampf, Bd. 1, 518 u. 628, Anm. 1744.

Die Gründung des Lutherischen Rates

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„Barmen“ und der Lutherische Konvent als insuffizient angesehen wurden. Zänker hatte vor allem die große Gruppe der kirchenpolitisch Neutralen im Blick, von denen zu befürchten war, dass sie „Barmen“ als das Unternehmen einer bestimmten kirchenpolitischen Partei ablehnen würden. Er schlug deshalb eine gewisse Arbeitsteilung zwischen Lutherischem Konvent und dem zu gründenden Lutherischen Rat vor67: „Der Convent sollte eine besondere Aufgabe erfüllen, die der Bekenntnisfront zugutekommen sollte. Was wir [sc. mit der Gründung des Lutherischen Rates] vorhaben, ist etwas anderes. Wir wollen nicht bloß von der Bekenntnisfront aus etwas gründen, sondern wir wollen die größte der drei Gruppen, die ‚Neutralen‘ gewinnen […]“

Wenn Zänker dann hinzufügte: „Wir wollen so objektiv wie möglich die Bekenntnisfrage herausstellen“68, so war das wohl so zu verstehen, dass er einen Brückenschlag zwischen Lutheranern innerhalb der „Bekenntnisfront“ und Lutheranern innerhalb der Gruppe der „Neutralen“ durch einen konsequenten Rückbezug auf die lutherischen Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts intendierte. Althaus und Zoellner machten beide deutlich, dass sie „Barmen“ für eine theologische Engführung hielten: „Das Luthertum ist breiter, als in Barmen hervorgetreten“69; „Wir brauchen die Basis weiter als in Barmen“70. Gleichzeitig beschworen beide das Feindbild der Union. Während Zoellner kategorisch erklärte: „Die Union wollen wir nicht.“; sie habe bereits „zu viele Verwüstungen angerichtet“, gab Althaus sich energisch entschlossen, „das Problem der Union nicht mehr zur Ruhe kommen zu lassen“71. Althaus forderte überdies eine sofortige Stellungnahme zu „Barmen“ und übte deutliche Kritik an der „Zusammensetzung des lutherischen Konventes der Barmer Synode“72. Asmussen, der jetzt in dem von dem westfälischen Präses Karl Koch geleiteten Büro der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche in Oeynhausen tätig und in Hannover nicht anwesend und wohl auch nicht eingeladen war, fasste die Gründung des Lutherischen Rates zunächst als ein Konkurrenzunternehmen zum Lutherischen Konvent auf, befürchtete gar die Errichtung einer „dritten Front“ und war entsprechend verärgert73.

67 Zitiert nach den Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 322–328, hier: 324 f. 68 Zitiert nach ebd., 325. 69 Zitiert nach ebd. 70 Zitiert nach ebd., 326. 71 Zitiert nach ebd. 72 Zitiert nach ebd., 324. 73 Vgl. ebd., 324, Anm. 13.

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Meiser hatte durchaus Verständnis für solche Besorgnisse; in gewissem Maße scheint er sie sogar selbst geteilt zu haben. Noch während der Besprechung versuchte er – freilich vergeblich – telefonisch das nachzuholen, was im Vorfeld seiner Meinung nach versäumt worden war, nämlich einen Kontakt mit dem Präsidium der Reichsbekenntnissynode bzw. mit dem Reichsbruderrat herzustellen, um den Anschein eines Alleinganges oder gar eines Konkurrenzunternehmens zu „Barmen“ zu vermeiden74. Mit großem Nachdruck betonte er die Notwendigkeit einer „unbedingte[n] Verbundenheit“ bzw. eines „Einklang[s] mit Oeynhausen“. Meiser forderte auch, die Öffentlichkeit über den neuerlichen lutherischen Zusammenschluss erst dann zu informieren, wenn das Einverständnis von Koch vorliege. Wenn er dann laut Protokoll fortfuhr: „Die Arbeit des lutherischen Konventes wird sich mit der des Rates gut verbinden“, so war dies sicher eher als Mahnung und Warnung zu verstehen75. Es zeigte sich dann allerdings in der Hannoveraner Besprechung, dass ein sehr weitgehender Konsens darüber herrschte, dass man nicht in Konkurrenz zur Bekenntnisfront treten wollte, sondern vielmehr an einer guten Kooperation interessiert war. So äußerte etwa Marahrens gleich zu Beginn der Sitzung am 25. August76: „Enge Fühlung mit Oeynhausen. Kein Zerbrechen der Front! Es muß gemeinsam gehandelt werden!“ Selbst der Rostocker Theologieprofessor Helmuth Schreiner, der in der Sitzung heftig gegen Asmussen polemisierte – „Asmussen entwickelt sich zu Karlstadt“ – und davor warnte, sich „im Interesse der Solidarität so unter Barmen [zu] beugen, daß uns Barmen alles zumuten kann“, erklärte, dass das, „was wir wollen, […] eine Ergänzung von Oeynhausen sein [muß].“77 Von einer nötigen „Ergänzung zu Barmen“ sprach auch Zoellner, allerdings äußerte dieser auch zweideutig: „Wir müssen alles vermeiden, was nach außen Bruch bedeutet. Wir dürfen aber unsere Schritte nicht abhängig machen von Verhandlungen mit Oeynhausen.“78 Eine Zusammenarbeit mit den Deutschen Christen lehnte Zoellner dagegen kategorisch ab, und an dieser Haltung bestand auch bei den übrigen Besprechungsteilnehmern kein Zweifel. Trotz aller Unterschiede in der Beurteilung von „Barmen“ zeichnete sich bei der Hannoveraner Besprechung zusammenfassend der folgende, durchaus ambivalente Konsens ab:

74 75 76 77 78

Vgl. ebd., 322, Anm. 4. Zitiert nach dem Bericht Kloppenburgs, auszugsweise abgedruckt in: ebd., 324, Anm. 13. Zitiert nach den Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: ebd., 322–328, hier: 322. Zitiert nach ebd., 325. Zitiert nach ebd., 326 u. 325.

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1. „Barmen“ ist aus lutherischer Sicht unzureichend und birgt die Gefahr einer unionistischen (Weiter-)Interpretation in sich. 2. Ein Bruch mit der Bekenntnissynode und dem Reichsbruderrat ist aber unbedingt zu vermeiden, vielmehr ist eine gute Kooperation anzustreben. 3. Eine Zusammenarbeit mit „neutralen“ Lutheranern auf der Grundlage des lutherischen Bekenntnisses ist durchaus anzustreben, eine Zusammenarbeit mit Deutschen Christen ist dagegen ausgeschlossen. Das konkrete Ergebnis der Hannoveraner Besprechung fasste die Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung wie folgt zusammen: „Es wurde beschlossen, sofort einen ‚Lutherischen Rat‘ zu gründen, der die Sache des lutherischen Kirchentums im neuen Deutschland kraftvoll zu vertreten habe. Es soll an weitere lutherische Männer und Führer, vor allem aus der jüngeren Generation herangetreten werden; insbesondere wird mit der jungen Pfarrerschaft des Luthertums gerechnet.“ 79

Noch während der Gründungsversammlung des Lutherischen Rates wurde eine Liste von Namen, untergliedert nach „Bischöfen“, „Fakultäten“, „Organisationen“ und „Einzelpersönlichkeiten“, zusammengestellt, die als Mitglieder des Lutherischen Rates in Aussicht genommen wurden80. Umstritten war der

79 AELKZ 1934, 858. Der Artikel ist abgedruckt in: Lutherische Generalsynode 1948, 204 f. 80 Nach den Aufzeichnungen Meisers (abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 322–328, hier: 327) waren folgende Personen als Mitglieder des Lutherischen Rates vorgesehen: a) Bischöfe: Meiser, Wurm, Marahrens, Zänker; b) Fakultäten: Althaus, Schreiner, Brunstäd, Sommerlath, der Göttinger Systematiker und wissenschaftliche Leiter der Luther-Akademie Carl Stange, der Breslauer Systematiker Friedrich Gogarten, Elert (mit Fragezeichen − vgl. dazu unten im Text), der Königsberger Neutestamentler Julius Schniewind, Kurt Dietrich Schmidt, der Königsberger Historiker Rudolf Craemer; c) Organisationen: für den Martin-Luther-Bund Ulmer, der Direktor der Leipziger Mission Carl Ihmels, Zoellner, Kloppenburg; d) Einzelpersönlichkeiten: Merz, Künneth, der Dortmunder Pfarrer Martin Stallmann, Stoll, Gloege, Fleisch, Laible, der Soltauer Superintendent Wilfried Wolters, der mecklenburgische Pfarrer Heinz Pflugk, Hopf, Herntrich, Niemann, Ahlhorn, Meinzolt. Vgl. auch die etwas abweichende Liste der als Mitglieder des Lutherischen Rates in Aussicht genommenen Personen, s. d. (LKA Hannover, D 15 V 1/1). In einem Schreiben an Marahrens vom 27. 8. 1934 schlug Zoellner noch das Vorstandsmitglied der Evangelisch-Lutherischen Vereinigung in Altpreußen Arnim-Kröchlendorff und den Göttinger Verleger Günther Ruprecht vor (vgl. Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 326, Anm. 25). Tatsächlich gehörten nach dem Mitgliederverzeichnis des Lutherischen Rates (LKA Hannover, D 15 V 1/1) dann von den oben Genannten Stange, Gogarten, Craemer und Herntrich nicht dem Lutherischen Rat an, dafür aber neben Arnim-Kröchlendorff noch Sasse, der Rektor des Henriettenstifts Hannover Meyer, Hahn, der Berliner Pfarrer Erich Klamroth, Lilje, Metzger, Richard Otto, Reuter, Schöffel, Wilhelm Ferdinand Schmidt, der Rostocker Kirchenhistoriker Johannes von Walter, der Würzburger Studienprofessor Johannes Bergdolt und für die preußischen Alt-

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Name Elerts, dessen Mitwirken „nur nach klarer Absage an seine bisherige kirchenpolitische Linie möglich sei“81. Ebenfalls noch während der Gründungsversammlung des Lutherischen Rates wurde – „aus Verantwortung für die deutsche lutherische Kirche“ – eine maßgeblich von Althaus verfasste „Kundgebung zur Not der kirchlichen Lage“ verabschiedet, in der das rechtsbrecherische Handeln der Reichskirchenregierung und der von ihr eigenmächtig umgebildeten Nationalsynode angeprangert wurde82. Insbesondere wandte man sich gegen eine Eingliederung der lutherischen Kirchen in die Reichskirche, da man darin „eine Verletzung ihres Charakters“ sah, sowie gegen den von der Reichskirchenregierung geforderten Eid. Deutlich wurde in der Kundgebung zwischen der scharf kritisierten DCReichskirche und dem NS-Staat, dem man seine Loyalität beteuerte, unterschieden; man wollte offenkundig jeden Anschein politischer Unzuverlässigkeit vermeiden. Die Kundgebung vom 25. August 1934 lautete: „Die Verantwortung für die deutsche lutherische Kirche zwingt uns, unsere ernste Besorgnis über die kirchliche Lage auszusprechen. Die Erklärungen der Reichskirchenregierung und die Beschlüsse der Nationalsynode erwecken den Anschein, als sei der Weg zum kirchlichen Frieden geebnet. In Wirklichkeit sind die Gegensätze nur noch verschärft. Statt beim Aufbau der DEK zu gesetzmäßigem Handeln zurückzukehren, hat die Reichskirchenregierung die Nationalsynode dem Sinn und Wortlaut der Verfassung zuwider umgebildet und von der so umgebildeten Nationalsynode sich die Ermächtigung geben lassen, offenkundige Rechtsverletzungen rückwirkend für rechtsgültig zu erklären. Statt auf die immer wieder vom lutherischen Bekenntnis her erhobenen Bedenken einzugehen, hat man die Einfügung der lutherischen Kirchen in die DEK in einer Weise weitergebildet, in der wir nach wie vor eine Verletzung ihres Charakters als lutherische Kirchen erkennen müssen. Statt die Gewissensnot weiter Kreise der Pfarrerschaft zu achten, legt man den Pfarrern eine Eidesformel auf, die diese Not noch verstärkt. Einen Huldigungseid auf den Führer unseres Volkes wird auf Anfordern des Staates jeder lutherische Pfarlutheraner Nagel. (Zu den beruflichen Funktionen, die hier nicht aufgeführt sind, vgl. unten im Text.) 81 Vgl. den Bericht Kloppenburgs, zitiert in: ebd., 327, Anm. 26. Offenbar gelang es Elert, die Bedenken auszuräumen; er wurde Mitglied (vgl. unten 2.5, 77). 82 Die Nationalsynode war auf Anordnung des Reichsbischofs am 9. 8. 1934 zusammengetreten, nachdem vorher auf Grund eines Kirchengesetzes vom 7. 7. 1934 (Gesetzblatt der DEK 1934, 85 f.) alle missliebigen Mitglieder durch linientreue ersetzt worden waren. Die Synode beschloss eine neue Geschäftsordnung, die dem Reichsbischof unbeschränkte Leitungsbefugnisse zuwies, sowie eine Reihe von Kirchengesetzen, mit denen die bisherigen Maßnahmen zur Eingliederung der Landeskirchen und zur Errichtung einer „Reichsbischofsdiktatur“ nachträglich legalisiert und z. T. noch ausgeweitet werden sollten. Vgl. zur Nationalsynode den detaillierten Bericht von Breit, Nationalsynode.

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rer freudig leisten. Aber die Eidesformel der Reichskirchenregierung verkoppelt mit dem Huldigungseid in unsachlicher Weise einen in seinen Bindungen nicht klar umgrenzten kirchlichen Diensteid; dieser verpflichtet die Pfarrer eidlich auf Ordnungen, deren Gültigkeit völlig umstritten ist, und unterwirft sie allen gegenwärtigen und zukünftigen Weisungen einer Kirchenregierung, der gegenüber die selbstverständliche Voraussetzung des Vertrauens fehlt. Eine Beseitigung des für Kirche und Volk schädlichen Zwiespaltes in der Kirche ist nach unserer festen Überzeugung nur dann möglich, wenn die Reichskirchenregierung in letzter Stunde auf den Weg klarer Gesetzmäßigkeit zurückkehrt, den Gewissensbedenken der lutherischen Kirchen vollauf Rechnung trägt und der inneren Not der Pfarrerschaft vor allem in Sachen des Eides ein Ende macht. Nur dann kann die Kirche endlich ungehemmt ihre ganze Kraft einsetzen, unser Volk mit ihrer Verkündigung zu durchdringen, um zu helfen, daß das Reich unseres Herrn Jesu Christi zu uns komme.“83

Am 18. September 1934 kam in Würzburg der Arbeitsausschuss des Lutherischen Rates zusammen. Diesem gehörten, wie bei der Gründungsversammlung in Hannover vereinbart, an: der damalige theologische Hilfsreferent beim Landeskirchenrat in München Christian Stoll, der u. a. durch eine scharfe Kritik an Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ hervorgetreten war84, der als Pfarrer amtsenthobene Leiter der Bekennenden Kirche in Oldenburg Heinz Kloppenburg, der juristische Hannoveraner Oberlandeskirchenrat Gerhard Niemann, der bei der Würzburger Sitzung allerdings verhindert war, ferner Althaus85. Die Ergebnisse der Würzburger Ausschusssitzung wurden von Stoll protokolliert86. Danach wurde festgelegt, dass der Lutherische Rat „von den lutherischen Bischöfen unter dem Vorsitz D. Meisers“ geführt wird. Als

83 Zitiert nach: Lutherische Generalsynode 1948, 205. Die Kundgebung wurde zuerst in der AELKZ 1934, 821 veröffentlicht. Zum Anteil Althaus’ an der Abfassung vgl. Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 324, Anm. 12. 84 Stoll, Mythus. In dieser zuerst in der Karwoche 1934 erschienenen Schrift hieß es, die Verwerfung der natürlichen Theologie in der ersten These der Barmer Theologischen Erklärung in gewisser Weise vorwegnehmend: „Die Offenbarung gehört mit der Heiligen Schrift zusammen. Außerhalb der Heiligen Schrift wird Gott in seiner Gottheit nicht erkannt und seine Offenbarung in der Welt mißdeutet, verdunkelt und verkehrt. Die sog. allgemeine Offenbarung in der Natur, in der Geschichte, im Gewissen und im Lebensschicksal führt nicht zum lebendigen Gott.“ (ebd., 20). 85 Vgl. die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 322–328, hier: 327 mit Anm. 27. Vgl. auch das Mitgliederverzeichnis des Lutherischen Rates, s. d. (LKA Hannover, D 15 V 1/1), in der die Mitglieder des Arbeitsausschusses extra aufgeführt sind. 86 Hsl. Original in: ebd., D 15 V 1/2. Eine vermutlich für Kloppenburg bestimmte Ausfertigung des Protokolls ist auch abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 327 f., Anm. 27.

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zentrale Aufgabe wurde die Sammlung des deutschen Luthertums, „das klar an die lutherischen Bekenntnisse gebunden ist“, formuliert. Man grenzte sich ab „gegen alle, die das Bekenntnis fälschen und verwirren“ und stellte sich „in kirchenpolitischer Hinsicht“ klar auf die Seite der Bekenntnisfront. Bestimmt wurde das Verhältnis zur Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz und zum Lutherischen Konvent der Barmer Reichsbekenntnissynode. Die Allgemeine Evangelisch-Lutherischen Konferenz, die „im Jahre 1933/34 bestimmend nicht hervorgetreten“ sei und der es gegenwärtig an „eindeutige[r] Bekenntnishaltung im Handeln“ mangele, habe „insofern andere Aufgaben, als sie international verbunden ist“. Der Lutherische Konvent der Barmer Synode habe „zunächst ein begrenztes Arbeitsgebiet“; die Aufgabe des Lutherischen Rates, dem eine Reihe von Mitgliedern des Konventes angehöre, sei demgegenüber „umfassender und weiter“. Die „Barmer Situation“ dürfe „nicht statisch werden, da die Teilnahme des Luthertums an der Barmer Synode keine endgültige Abgrenzung des lutherischen bekenntnistreuen Kreises bedeuten konnte.“ Schließlich wurden in der Ausschusssitzung Spannungen offen angesprochen. Zwischen Althaus und Asmussen wollte man eine „persönliche Aussprache“ herbeiführen. Den Befürchtungen „im norddeutschen Luthertum“ vor einer zu großen Dominanz Hannovers begegnete man durch die Versicherung: „Alle Lutherischen Kirchen des Gesamtgebietes werden vertreten sein.“ Mitglieder des Lutherischen Rates sollten auch zukünftig „1. Kirchenführer 2. Universitäten 3. Organisationen 4. Einzelne“ sein. Der Arbeitsausschuss sollte „unter den Bischöfen und mit ständiger Fühlungnahme mit ihnen“ tätig sein. Die nächsten Ziele sollten die Abfassung einer „Kundgebung zur Frage der Eingliederung lutherischer Landeskirchen“ sowie die theologische Aufarbeitung der Problemfelder „Amt und Gemeinde“, „die Obrigkeit und die Kirche“ und „die Frage der Offenbarung“ sein. Vor dem Hintergrund der verschärften Entwicklung des „Kirchenkampfes“ auf Grund der reichsbischöflichen Bestrebungen einer gewaltsamen „Eingliederung“ auch der württembergischen und der bayerischen Landeskirche, die sogar zur staatlichen Arretierung von Wurm und Meiser am 6. bzw. 12. Oktober 1934 führten87, lud Meiser mit Schreiben vom 2. Oktober 193488 zu einer Tagung des Lutherischen Rates am 5. Oktober 1934 nach Würzburg ein. In dem Schreiben wurden noch einmal die wesentlichen Punkte des in der Würzburger Arbeitsausschusssitzung Festgelegten aufgeführt. Deutlicher noch wurde jetzt erklärt, die Allgemeine Evangelisch-Lutherische Konferenz könne nicht hinreichend für die lutherischen Anliegen eintreten, da in ihr „auch 87 88

Vgl. hierzu Helmreich, Arrest. LKA Hannover, D 15 V 1/2.

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Anhänger und Beförderer der Deutschen Christen vertreten“ seien. Es gehe jetzt „um den Fortbestand der lutherischen Kirche. Darum muss ein schlagkräftiger Kreis bekenntnistreuer Lutheraner vorhanden sein, der der kämpfenden lutherischen Kirche beratend und fördernd zur Verfügung steht und seinerseits alle lutherischen Kreise sammelt, die willens sind, im Glauben der Väter fest an der lutherischen Kirche festzuhalten.“

Wie wenig gefestigt der neue lutherische Zusammenschluss noch war, zeigte sich daran, dass in der Einladung nach der Bereitschaft, „unter den geschilderten Voraussetzungen im Lutherischen Rat tatkräftig mitzuarbeiten“, gefragt wurde und von den noch zu regelnden „finanziellen Fragen“ die Rede war. Entsprechend den Ergebnissen der Würzburger Arbeitsausschusssitzung wurde auf der Würzburger Tagung des Lutherischen Rates am 5. Oktober 193489 die Kundgebung „Der Lutherische Rat zur Eingliederung lutherischer Landeskirchen“90 verabschiedet und von den Bischöfen Marahrens, Meiser, Wurm und Zänker, den Erlanger Theologieprofessoren Althaus und Friedrich Ulmer – von letzterem wohl vor allem auch als dem Bundesleiter des MartinLuther-Bundes91 – sowie von Zoellner, Fleisch, dem Leipziger Pfarrer und Herausgeber der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Kirchenzeitung Wilhelm Laible, Kloppenburg und Stoll unterzeichnet92. In ihr wurde die Rechtswid89

Ebd. das hsl. stenographische Protokoll der Sitzung von Stoll. Ebd., D 15 V 1/1. 91 Zu Ulmer vgl. Engel, Ulmer. 92 Laut Protokoll von Stoll (LKA Hannover, D 15 V 1/2) waren Marahrens, Wurm, Zänker, Zoellner und Laible in der Würzburger Sitzung am 5. 10. 1934 nicht anwesend, müssen also nachträglich unterzeichnet oder etwa fernmündlich ihre Zustimmung erteilt haben. Umgekehrt nahmen an der Sitzung weitere Personen teil, die die Kundgebung offenbar nicht unterzeichneten: die sächsischen BK-Pfarrer Karl Fischer und Richard Otto sowie Niemann, Wolters und Carl Ihmels. In den Akten des Lutherischen Rates findet sich freilich auch eine „in Würzburg zustandegekommene Erklärung des Lutherischen Rates“ vom 5. 10. 1934, die von Meiser, Ihmels, Fleisch, Wolters, Fischer, Kloppenburg und Stoll unterzeichnet ist (ebd., D 15 V 1/1). In dieser Erklärung wurde vor allem Aufklärung darüber verlangt, weshalb es in den amtlichen Mitteilungen der Deutschen Evangelischen Kirche heiße, der Reichsbischof habe bei seiner offiziellen Amtseinführung erklärt, er sei willens, „das Amt des lutherischen Reichsbischofs der DEK dem heiligen Evangelium gemäss zu führen, wie Dr. Martin Luther es uns gedeutet hat und wie es uns die Bekenntnisschriften unserer Kirche vor Augen halten […]“, während diese Willenserklärung durch die Presse in einer Form wiedergegeben sei, in der die Worte „und wie es uns die Bekenntnisschriften unserer Kirche vor Augen halten“ fehlten. Eventuell handelt es sich bei der Kundgebung um eine schärfere Fassung dieser Erklärung. Die unterschiedlichen Namen unter der Kundgebung und der Erklärung könnten darauf hindeuten, dass es bei den Vertretern des Lutherischen Rates unterschiedliche Meinungen dazu gab, wie scharf oder wie moderat man formulieren sollte. 90

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rigkeit der „Eingliederung“ der lutherischen Landeskirchen ganz formal, unter Berufung auf die Confessio Augustana, begründet; Hinweise auf die Irrlehren der Deutschen Christen und die Gewaltmaßnahmen der Reichskirchenführung fehlten: „Diese ‚Eingliederung‘ nimmt den Landeskirchen die Kirchengewalt und überträgt sie einem nicht durch das Bekenntnis gebundenen Kirchenregiment. Kirchengewalt und Bekenntnis gehören zusammen. In den lutherischen Kirchen ist das Bekenntnis bestimmend und verpflichtend für die gesamte Kirchenordnung. Werden darum durch die Eingliederung die Landeskirchen ihres eigenen Kirchenregimentes beraubt, dann hört die lutherische Kirche in Deutschland auf Kirche im Sinne ihres eigenen Bekenntnisses zu sein (Art.7 des Augsburger Bekenntnisses).“

Der Hinweis auf den „lutherischen Reichsbischof“ an der Spitze der Deutschen Evangelischen Kirche genüge nicht, da der Bestand der lutherischen Kirche erst dann gesichert sei, „wenn das Kirchenregiment sich verfassungsmäßig ausdrücklich an das lutherische Bekenntnis bindet. Denn das Bekenntnis ist nicht die Stimme eines einzelnen Mannes, sondern die Stimme der Kirche.“ Bemerkenswert an der Kundgebung ist aber vor allem wohl zweierlei. Zum einen wurde offen ausgesprochen, dass man sich bei der Gründung der Reichskirche längere Zeit der Illusion hingegeben habe, man könne dem deutschen Gesamtprotestantismus eine klare lutherische Prägung verleihen: „Es war zu hoffen, daß die Deutsche Evangelische Kirche doch noch durch die Annahme des lutherischen Bekenntnisses zu einer lutherischen Kirche Deutschlands würde, umso mehr als die überwiegende Mehrheit der Gemeinden in dem Gebiet der altpreußischen Union für das Luthertum in Anspruch genommen werden darf.“

Zum anderen wurde offen der jetzige bzw. jetzt wieder aktuelle Plan einer einheitlichen lutherischen Kirche Deutschlands auf eindeutiger Bekenntnisgrundlage dargelegt: „Durch die Eingliederung der lutherischen Landeskirchen wird […] die Einigung des gesamten deutschen Luthertums in einer großen Kirche seines Bekenntnisses verhindert […] Eine deutsche lutherische Kirche könnte im oekumenischen Luthertum zu einer Weltgeltung gelangen, die ein nicht unwichtiger Dienst auch am deutschen Volke sein würde. Eine deutsche Unionskirche aber ist keiner lutherischen Kirche der Welt gegenüber bündnisfähig. […] Wir sind gewillt, mit allen Kräften für eine große lutherische Kirche der deutschen Nation zu kämpfen.“

In sachlich-theologisch sicher nicht unproblematischer, politisch aber durchaus nicht ungeschickter Weise wurden in der Kundgebung letztlich die Probleme mit der deutsch-christlichen Reichskirchenführung und ihren Machtbestrebungen auf das Problem des Unionismus zurückgeführt.

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Am 22. November 1934 war in Leipzig auf Einladung Meisers93 der Lutherische Rat, wie es im Protokoll heißt94, „zum erstenmal fast vollzählig versammelt“ – „30 Mitglieder des Luther[ischen] Rates“, die namentlich nicht genannt waren, „ausserdem zwei Gäste aus der Kirche der Altpreussischen Union“. Diese Tagung stand unter dem Eindruck der zweiten Reichsbekenntnissynode, die auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die württembergische und die bayerische Landeskirche und ihre Bischöfe am 19. und 20. Oktober 1934 in Berlin-Dahlem zusammengetreten war95, das kirchliche Notrecht ausgerufen und beschlossen hatte, den deutsch-christlichen Kirchenleitungen auf allen Ebenen bekenntniskirchliche Leitungsorgane entgegenzustellen. Die Repräsentanten des konfessionellen Luthertums, allen voran Althaus und Sasse als bayerische Vertreter, sorgten maßgeblich dafür, dass nach der „Botschaft“ der Dahlemer Synode die Leitungsorgane der „Deutschen Evangelischen Kirche als eines Bundes bekenntnisbestimmter Kirchen“ „den Bekenntnissen entsprechend zusammengesetzt und gegliedert“ sein sollten96, − ein Beschluss, der an die Beschlüsse der Barmer Reichsbekenntnissynode anknüpfte. Ebenfalls am 22. November 1934, also am selben Tage wie die Leipziger Tagung des Lutherischen Rates, erfolgte die in Dahlem beschlossene Einsetzung der ersten Vorläufigen Kirchenleitung (VKL I) mit Marahrens als Vorsitzendem, Breit als Vertreter der Lutheraner, Koch als Vertreter der Unierten, dem Barmer Pfarrer und Bundeswart des Westdeutschen Jungmännerbundes Paul Humburg als Vertreter der Reformierten sowie dem Reichsgerichtsrat Wilhelm Flor97. Auf Grund des Protokolls98 ergibt sich wiederum ein ambivalentes Bild der Leipziger Tagung des Lutherischen Rates am 22. November 1934. Einerseits betonte Meiser in seinem einleitenden Bericht die „enge[.] Kampfgemeinschaft mit der ganzen bekennenden Kirche Deutschlands“; deshalb sei man auch in Barmen und Dahlem vertreten gewesen und wolle auch die Vorläufige Kirchenleitung unterstützen. Meiser erklärte laut Protokoll sogar: „Es soll unvergessen sein, was für den ganzen deutschen Protestantismus, auch für die deutschen lu-

93

Vgl. das Einladungsschreiben vom 15. 11. 1934 (ebd., D 15 V 1/2). „Niederschrift über die Tagung des Lutherischen Rates in Leipzig am 22. 11. 1934“, masch. (ebd.). Wer die Niederschrift anfertigte, ist nicht ersichtlich. Vermutlich war Stoll der Verfasser. 95 Vgl. hierzu u. a. Niemöller, Zweite Bekenntnissynode; sowie Meier, Kirchenkampf, Bd. 1, 221–260; und Scholder, Kirchen, Bd. 2, 335–348. 96 Die „Botschaft“ ist u. a. auch abgedruckt in: KJ 1933–442, 82 f. 97 Vgl. hierzu Meier, Kirchenkampf, Bd. 1, 501–526. Wegen staatlichen Verbots der Amtsausübung wurde Flor ständig durch den Leipziger Rechtsanwalt Eberhard Fiedler vertreten. 98 Vgl. „Niederschrift über die Tagung des Lutherischen Rates in Leipzig am 22. 11. 1934“, masch. (LKA Hannover, D 15 V 1/2); vgl. hierzu Anm. 94. 94

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therischen Kirchen der Pfarrernotbund und die Bruderräte gekämpft, gelitten und geleistet haben.“ Andererseits hieß es in dem Protokoll im unmittelbaren Anschluss an den Bericht Meisers: „Die anschließende Aussprache […] zeigte, wie stark das Problem der Union im gegenwärtigen Augenblick beachtet werden muss. Es erscheint, dass die Stunde gekommen ist, um die Union zu liquidieren.“ Und später hieß es sogar: „Die Frage der Ausrufung einer deutschen lutherischen Kirche wurde sehr ernstlich erwogen.“ Der unmittelbare Anlass für die ambivalenten Positionen dürften widersprüchliche Meldungen über den Stand der schwierigen Verhandlungen über die Bildung der Vorläufigen Kirchenleitung gewesen sein, namentlich über die Bereitschaft der Reformierten zur Mitarbeit99. Aber die ambivalenten Positionen offenbarten doch wohl auch grundsätzliche Differenzen im Lager des konfessionellen Luthertums. Einstimmig wurden drei Beschlüsse gefasst100: 1. Zu der oben bereits zitierten Passage aus der Dahlemer „Botschaft“, die bekenntnismäßige Zusammensetzung und Gliederung der bekenntniskirchlichen Leitungsorgane betreffend, wurde bekräftigend festgestellt: „Der Lutherische Rat verpflichtet seine Mitglieder, diese in Dahlem beschlossene ‚Gliederung entsprechend den Bekenntnissen‘ für a l l e Organe der kirchlichen Leitung a l l e n t h a l b e n durchzuführen und ihre Durchführung zu fordern und zu fördern.“ 2. Es wurde deutlich gemacht, dass man auf die Lutheraner in den verwaltungsunierten Kirchen nicht verzichten bzw. – je nach Perspektive – diese nicht im Stich lassen wollte. Der für die Vorläufige Kirchenleitung vorgesehene „lutherische Kirchenminister“ sollte jedenfalls „nicht nur de[r] Beauftragte[…] der lutherischen Landeskirchen, sondern auch de[r] für die Geltung des Bekenntnisses verantwortliche[…] Anwalt der lutherischen Gemeinden in den föderativen Unionen [sein], da sich in diesen Gemeinden ebenfalls die evang.-luth. Kirche Deutschlands darstellt. Er [sc. der Lutherische Rat] bittet den lutherischen Kirchenminister, sich dieser Aufgabe mit entschiedener Fürsorge anzunehmen, damit eine Verbindung der evang.-luth. Landeskirchen im Gebiete der ganzen DEK. entsprechend den Bestimmungen der Verfassung vom 11. 7. 1933 möglich wird.“

99 Im Protokoll (ebd.) findet sich zunächst der Satz: „Während noch darüber verhandelt wurde, kam aus Berlin die Mitteilung, dass die Reformierten sich weiterhin der Teilnahme an der neuen Kirchenregierung entzögen“; später dann hieß es: „Während dieser Beratungen traf eine neue Nachricht von Berlin ein: D. Humburg ist bereit, das reformierte Ministerium zu übernehmen! Dadurch ist es möglich geworden, eine legale vorläufige Reichskirchenregierung zu bilden.“ 100 Vgl. die masch. Zusammenstellung der Beschlüsse vom 22. 11. 1934 (ebd., D 15 V 1/1). Diese Zusammenstellung ist auch abgedruckt in: ZevKR 1 (1951), 406; sowie in: Lutherische Generalsynode 1948, 207 f. Vgl. schließlich auch das Protokoll (LKA Hannover, D 15 V 1/2; vgl. Anm. 94).

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3. Die Landesbischöfe der sogenannten „intakten“ Landeskirchen von Bayern, Hannover und Württemberg wurden ausdrücklich gebeten, den „lutherischen Zweig innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche“ fortzuführen; sie wurden beauftragt, „die Beschlüsse des luth[erischen] Zweiges der DEK. vom 14. Mai 1933 wieder aufzunehmen und ihn bei Wahrung der etwa notwendigen Selbständigkeit der angeschlossenen Landeskirchen möglichst umgehend auszubauen, mit dem Ziel der lutherischen Kirche Deutschlands innerhalb der DEK.“

Bei allen Wirren des sogenannten „Kirchenkampfes“ wurde damit die Kontinuität der lutherischen Vereinigungsbestrebungen unterstrichen, auch wenn gegenwärtig nur noch drei lutherische Landeskirchen dafür zur Verfügung standen. Am 22. November 1934 wurden schließlich auch Richtlinien des Lutherischen Rates verabschiedet101, in denen das bisher Festgelegte noch einmal in drei Punkten prägnant formuliert wurde: Punkt 1 der Richtlinien wiederholte die alte Forderung nach Sammlung des deutschen Luthertums auf klarer Bekenntnisgrundlage, zunächst innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche, dann aber auch mit dem (Fern-)Ziel einer einheitlichen „Lutherischen Kirche deutscher Nation“: „Der Lutherische Rat weiß sich verantwortlich für die Lutherische Kirche in Deutschland. Er tritt ein für die Anerkennung und Geltung des lutherischen Bekenntnisses in der Deutschen Evangelischen Kirche und fordert die Lutherische Kirche deutscher Nation. Er sammelt alle diesen Zielen dienenden Kräfte, um sie zu entschlossenem Einsatz zu bringen.“

Punkt 2 betonte die Unterstützung für die Bischöfe der sogenannten „intakten“ Landeskirchen, „die den Kampf um die Reinheit der Lehre und die bekenntnismäßige Ordnung der Kirche führen“; sowie die Solidarität mit der gesamten Bekennenden Kirche, die „brüderliche[…] Kampfgemeinschaft mit allen denen, die in den Kirchen der Reformation gegen Irrlehre, gegen Lüge, Rechtsbruch und Gewalt streiten“. Im Punkt 3 hieß es, der Lutherische Rat, der sich durch Zuwahl ergänze und dessen laufende Geschäfte ein Arbeitsausschuss führe, umfasse: 101 Die „Richtlinien für den Lutherischen Rat“ (masch. LKA Hannover, D 15 V 1/1) sind abgedruckt in: AELKZ 1934, 1114 f.; Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 61; und in Lutherische Generalsynode 1948, 206. In dem Protokoll der Sitzung des Lutherischen Rates vom 22. 11. 1934 (LKA Hannover, D 15 V 1/2; vgl. Anm. 94) wurden die Richtlinien allenfalls in einem Nebensatz kurz erwähnt: „Nachdem noch einige geschäftliche Fragen erledigt sind, […]“

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„I. Lutherische Bischöfe II. Mitglieder lutherischer Fakultäten III. Persönlichkeiten, die in verantwortlicher kirchlicher Arbeit stehen.“

Vertreter von lutherischen Organisationen waren jetzt also nicht mehr als eigenständige Gruppe vorgesehen. Offenbar hatte es unter dem Titel „Satzung des Lutherischen Rates“102 einen Vorentwurf zu den tatsächlich angenommenen und in der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Kirchenzeitung veröffentlichten „Richtlinien“ gegeben, der mit acht Punkten ausführlicher und an einigen Stellen auch präziser als diese war, aber auch mehrere wörtliche Übereinstimmungen an zentralen Stellen aufwies. Anders als in dem Vorentwurf war in den „Richtlinien“ ausdrücklich von der Gemeinschaft mit den bekenntniskirchlichen Kräften „in den Kirchen der Reformation“, also auch in den reformierten und unierten Landeskirchen, die Rede. Die Präzisierungen in dem Vorentwurf, vor allem im Hinblick auf die Zusammensetzung und die Kompetenzen des geschäftsführenden Arbeitsausschusses, könnten wohl angesichts der unklaren kirchenpolitischen Situation103 als möglicherweise einengend und nicht in größerem Maße konsensfähig gestrichen worden sein. Mit der Verabschiedung der „Richtlinien“ war der beinahe ein Vierteljahr lang andauernde Gründungsprozess des Lutherischen Rates abgeschlossen. Der Lutherische Rat war kein offizielles kirchenleitendes Gremium, keine kirchenrechtlich unmittelbar relevante Größe, er fasste aber doch den lutherischen Bekenntnisschriften verpflichtete Kirchen, Theologieprofessoren, Gemeinden und Institutionen zusammen und konnte in gewissem Sinne als deren repräsentative Vertretung gelten104. Gezielt wurden bestimmte Theologen aufgefordert, „unter den in den Richtlinien genannten Voraussetzungen“ aktives Mitglied des Lutherischen Rates zu werden. Ausdrücklich hinzugefügt wurde: „Ein Mitglied des Lutherischen Rates kann niemals der ‚Glaubensbewegung‘ Deutscher Christen angehören.“ Außerdem war von „dem unerhörten Eingriff in die lutherische Landeskirche Bayerns“ und merkwürdigerweise nicht von dem entsprechenden in Württemberg die Rede, der „die Existenz der lutherischen Kirche als K i r c h e in Deutschland“ in Frage stelle105. 102 Undatiert und ohne Herkunftsnachweis, abgedruckt in: Lutherische Generalsynode 1948, 206 f. 103 Vgl. oben im Text mit Anm. 99. 104 Vgl. Fleisch, Werden, 25; und Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 111. 105 Vgl. den entsprechenden Briefentwurf und die Liste der Mitglieder des Lutherischen Rates und der zur Mitgliedschaft aufzufordernden Herren, s. d. – LKA Hannover, D 15 V 1/1. Ebd., D 15 V 1/2 auch die Beitrittserklärung von Hanns Lilje, in der er seine „volle Zustimmung“ zu den Richtlinien und seine Nicht-Zugehörigkeit zu den Deutschen Christen versicherte. Da diese

Der Lutherische Pakt

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2.4 Der Lutherische Pakt (Februar 1935) Der dritte Beschluss des Lutherischen Rates vom 22. November 1934, wonach die Landesbischöfe von Bayern, Hannover und Württemberg gebeten wurden, „die Beschlüsse des luth[erischen] Zweiges der DEK. vom 14. Mai 1933 wieder aufzunehmen“, wurde am 12. Februar 1935 durch die Schaffung des Lutherischen Paktes der drei genannten Landeskirchen in die Tat umgesetzt. In der Pakturkunde, der „Vereinbarung zwischen den lutherischen Landeskirchen Hannover, Württemberg und Bayern“106, bekannten sich Marahrens, Wurm und Meiser zunächst ausdrücklich zu der einheitlichen deutschen evangelischen Reichskirche und ihrer Verfassung vom 11. Juli 1933, auf deren „fortdauernde Geltung“ man „entscheidenden Wert“ lege, sowie zur Vorläufigen Kirchenleitung, die „den Gedanken der Reichskirche aus dem Zusammenbruch gerettet“ habe und bestrebt sei, geordnete, verfassungsmäßige Zustände in der Reichskirche wiederherzustellen. Da die historisch gewachsenen Bekenntnisse aber durch die Verfassung gar nicht tangiert werden könnten, „müßte“ sie, so formulierte man etwas umständlich, „die Vereinheitlichung gerade auf solchen Gebieten, die für die Pflege des kirchlichen Lebens im engeren Sinne, insbesondere des gottesdienstlichen Lebens, bedeutsam sind, aus ihrem Aufgabenkreis ausscheiden. Auf diesen Gebieten, deren einheitliche Gestaltung vor allem geeignet erscheint, den Gemeindegliedern die Einheit der Kirche sichtbar werden zu lassen, liegen die besonderen Möglichkeiten und Zuständigkeiten der Landeskirchen gleichen Bekenntnisses.“

Man habe sich deshalb entschlossen, sich „innerhalb der DEK zu einer engeren Zusammenarbeit zu vereinigen“. Immer noch hatte man die Hoffnung nicht aufgegeben, auch der Gesamtkirche eine lutherische Prägung verleihen zu können: „Wir wollen […] die Kräfte des lutherischen Bekenntnisses zu verstärktem Einsatz bringen in der Überzeugung, daß gerade diese Kräfte Form und Inhalt der erneuerten DEK maßgebend werden bestimmen müssen.“ Selbstbewusst wurde der Anspruch erhoben, „damit auch dem Verlangen und Anliegen aller evangelischen Deutschen und insbesondere aller lutherischen Kirchenglieder zu entsprechen.“ Es fragt sich, ob dies den tatsächlichen Verhältnissen entsprach oder ob nicht auch damals schon in der Bevölkerung eine weitgehende IndiffeBeitrittserklärung das Datum des 23. 10. 1934 trug, wurden die Aufforderungen zum Beitritt zumindest zum Teil offenbar schon vor der Tagung des Lutherischen Rates am 22. 11. 1934 und also vor der offiziellen Verabschiedung der „Richtlinien“ versandt. Womöglich war den Aufforderungsschreiben auch der Vorentwurf der „Richtlinien“ beigefügt (vgl. oben im Text mit Anm. 102). 106 Die Vereinbarung ist abgedruckt in: JK 1935, 213; und in: Lutherische Generalsynode 1948, 208–211.

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renz gegenüber konfessionellen Besonderheiten und eine konfessionsübergreifende Tendenz vorherrschend waren. Auch in der Pakturkunde meinten die drei Bischöfe, ihre politische Zuverlässigkeit unter Beweis stellen zu müssen, wobei allerdings wohl wieder taktische Überlegungen eine Rolle gespielt haben werden. Dem möglichen Einwand, die lutherische Opposition gegen das DC-Kirchenregiment widerspreche dem Gedanken der nationalen Einheit, begegnete man offensiv mit der Beteuerung: „Zugleich dienen wir damit [sc. mit dem Lutherischen Pakt] dem Gedanken der von dem Führer und Kanzler angestrebten und fortschreitend verwirklichten Einheit des Deutschen Volkes, der durch die Rückkehr des Saargebietes zum Reiche ein weiterer Baustein eingefügt worden ist.“ Konkret vereinbarte man eine enge Abstimmung bzw. Vereinheitlichung auf vier Gebieten: 1. auf dem Gebiet der Verwaltung, namentlich im Hinblick auf Fragen der Kirchenmitgliedschaft und der kirchlichen Lebensordnung, Haushaltspläne, die Aus- und Weiterbildung der Pfarrer, die Führung der Kirchenbücher, das Pressewesen, die Dienstverhältnisse der kirchlichen Beamten und Angestellten sowie bestimmte einheitliche Kollekten; 2. auf dem Gebiet der „der Verkündigung dienenden Ordnungen“, namentlich im Hinblick auf die Gestaltung des Kirchenjahres und der Gottesdienste, den Religionsunterricht sowie die Volksmission und die Jugendarbeit; 3. auf dem Gebiet der theologischen Prüfungsordnungen und der Gültigkeit der Ordination; 4. auf dem Gebiet der kirchlichen Gesetzgebung. Mit der „Leitung der gemeinsamen Angelegenheiten“ wurde „bis auf weiteres“ Marahrens beauftragt. Der letzte Punkt der Vereinbarung macht deutlich, dass der Dreierpakt auf Wachstum hin angelegt war: „Der Beitritt zu dieser […] Vereinbarung steht weiteren Landeskirchen frei, soweit sie in ihrem Bekenntnisstand und ihrer bekenntnismäßigen Haltung entsprechende Gewähr bieten.“ Tatsächlich trat keine weitere Landeskirche dem Pakt bei, und auch in den drei Paktkirchen konnten die Vereinbarungen kaum umgesetzt werden. Dies lag vor allem daran, dass die hannoversche Landeskirche im Laufe des Jahres 1935 zunächst eine staatliche Finanzabteilung und dann – im Rahmen der Ausschusspolitik des staatlichen Reichskirchenministers Hanns Kerrl107 – eine neue „Kirchenregierung“ mit DC-Beteiligung erhielt, die die Realisierung der Paktvereinbarungen

107

Vgl. hierzu Kreutzer, Reichskirchenministerium.

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außer im liturgischen Bereich, an dem die Finanzabteilung nicht weiter interessiert war, vereitelten108.

2.5 Die theologischen Gutachten des Lutherischen Rates vom Frühjahr 1935 Nach längerer Pause kam der Lutherische Rat am 9. April 1935 in Halle an der Saale wieder zu einer Tagung zusammen, an der außer den Bischöfen Meiser, Wurm und Zänker einundzwanzig weitere Theologen teilnahmen109. Im Mittelpunkt der Tagung standen theologische Leitsätze bzw. Gutachten zum Kirchenregiment und zum Verhältnis von Kirche und Staat. Dies entsprach dem während der Tagung des Lutherischen Rates am 22. November 1934 gefassten Beschluss, „durch besondere Arbeitsgruppen die vordringlichen Fragen, die den lutherischen Kirchen heute gestellt sind, bearbeiten zu lassen: 1. Kirche und Staat (ein Wort der Kirche an den Staat). 2. Lutherisches Kirchenregiment (geistliche Leitung der Kirche).“110

Aber auch schon vor der Tagung am 22. November war man sich darüber im Klaren gewesen, dass eine theologische Aufarbeitung aktuell relevanter Problemfelder notwendig war. So erwähnte etwa Althaus in einem – auch im Auftrage der übrigen Erlanger Mitglieder des Lutherischen Rates Elert, Sasse und Ulmer verfassten – Brief an Meiser vom 9. November 1934111 den Plan Kloppenburgs für eine entsprechende lutherische Arbeitstagung Anfang Dezember in Erfurt. Althaus und seine Kollegen lehnten zwar den Plan Kloppenburgs wegen der „vorgeschlagenen Themen“ und der „Auswahl der Personen“ ab, unterbreiteten aber ihrerseits einen detaillierten Vorschlag, wie man unter maßgeblicher Beteiligung der „zuverlässigen l u t h e r i s c h e n F a k u l t ä t e n sowie einige[r] Vertreter des Kirchenrechts und im Kirchenregimente bewährte[r] 108

Vgl. Fleisch, Werden, 26; und Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 112 f. Vgl. zu der Tagung 1. die hsl. Anwesenheitsliste, 2. die masch. Niederschrift Stolls vom 15. 4. 1935 („gez. D. Meiser“ und „gez. Stoll“ – es handelt sich also offenbar um das offizielle Protokoll) sowie 3. eine stenographische Mitschrift vermutlich Stolls (offenbar als Grundlage für das offizielle Protokoll), übertragen von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte, München – sämtlich: LKA Hannover, D 15 V 1/2. 110 Protokoll der Sitzung des Lutherischen Rates vom 22. 11. 1934 (ebd.; vgl. Anm. 94). Es wurde noch ein dritter Themenkreis, „Fragen des kirchlichen Gesamtlebens (z. B. die Frage nach dem Verhältnis der lutherischen Kirche zur reformierten u[nd] unierten; Fragen des Gemeindeaufbaues usw.[)]“, beschlossen, der aber offenbar zunächst nicht bearbeitet wurde. 111 Masch. Originalbrief mit Eingangsvermerk vom 11. 11. 1934: LKA Hannover, D 15 V 1/2. 109

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Männer“ zu einer theologisch fundierten „Willenskundgebung des lutherischen Rates“ kommen solle. Thematisch laufe, so die Meinung der Erlanger, alles auf die – zunächst „in ihre Unterfragen zu spezialisieren[de]“ – Frage hinaus: „Was fordert das lutherische Bekenntnis hinsichtlich der Verfassung der lutherischen Kirche?“ Die Erlanger Theologieprofessoren wollten eine einheitliche lutherische Kirche in Deutschland, und sie wollten deren theologischen Kurs maßgeblich mit bestimmen. Im Anschluss an die Tagung des Lutherischen Rates am 22. November 1934 wurden entsprechend dem oben wiedergegebenen Beschluss Arbeitspläne112 erstellt, die den Erlanger Professoren tatsächlich die federführende Rolle bei der theologischen Arbeit des Lutherischen Rates zuwiesen, konkret: Elert und Althaus für den Themenbereich „Kirche und Staat“ und Sasse und Ulmer für den Themenbereich „Die geistliche Leitung der Kirche (Aufbau und Ausbau des lutherischen Kirchenregiments)“. Auf der Tagung des Lutherischen Rates am 9. April 1935 in Halle referierte zunächst Sasse „Ueber die Rechte und Pflichten der weltlichen Obrigkeit gegenüber der Kirche nach lutherischer Lehre (mit besonderer Berücksichtigung des landesherrlichen Summepiskopats)“113. Dieses Referat, das ausführlich diskutiert wurde, fand, so das Protokoll, „in allen grundsätzlichen Fragen die Zustimmung des Rates“. Sasse wurde gebeten, seinen Vortrag unter Berücksichtigung der Diskussionsergebnisse in Leitsätzen zusammenzufassen, „die dann als die Meinung des Lutherischen Rates an die massgebenden Stellen im Staate weitergeleitet werden sollten“. Sasse konnte die Leitsätze bereits am Ende der Sitzung vorlegen. Nach einer nochmaligen Überarbeitung durch einen Redaktionsausschuss wurden sie am 11. April 1935 als das erste Gutachten des Lutherischen Rates mit dem Titel „Das Kirchenregiment nach dem Bekenntnis der Evang[elisch]-Luth[erischen] Kirche“ an die Mitglieder des Lutherischen Rates versandt, und zwar, so Meiser in seinem Begleitschreiben, als „unveräußerliche Grundsätze […], die dem Bekenntnis unserer lutherischen Kirche entsprechen“114. 112 „Arbeitsplan I. Kirche und Staat“ und „Arbeitsplan II. Die geistliche Leitung der Kirche“ mit einem Anschreiben Stolls (i. A. des Lutherischen Rates) an Ulmer, Kurt Dietrich Schmidt, Zänker, Zoellner, Niemann, Kloppenburg und Pflugk vom 26. 11. 1934 (Konzept): ebd., D 15 V 1/1. 113 Vgl. die masch. Niederschrift Stolls über die Tagung des Lutherischen Rates in Halle am 9. 4. 1935 vom 15. 4. 1935 (ebd., D 15 V 1/2). Zu Sasses Referat vgl. Sasse, Kirchenregiment. Entgegen der Planung (vgl. oben im Text) war Ulmer offenbar an dem Referat nicht beteiligt. Wohl aber hatte Sasse nach eigener Auskunft sein Referat mit dem Erlanger Kirchenrechtler Hans Liermann „durchgesprochen“ (vgl. die stenographische Mitschrift vermutlich Stolls, übertragen von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte, München – LKA Hannover, D 15 V 1/2). 114 Das masch. Gutachten (datiert: „Halle, am 9. April 1935“; mit Unterschrift Meisers als des Vorsitzenden des Lutherischen Rates) mit Anschreiben Meisers vom 11. 4. 1935 in: ebd., D 15 V 1/1

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Nach dem Ende 1934 offenkundig gewordenen Scheitern der DC-Reichskirchenführung unter Müller erwartete bzw. befürchtete man, der NS-Staat könne nunmehr (verstärkt) kirchenregimentliche Befugnisse an sich ziehen und womöglich sogar das landesherrliche Kirchenregiment und den Summepiskopat wieder aufrichten115. Dagegen wandte sich das von Sasse stammende Gutachten unter Berufung auf Artikel 28 der Confessio Augustana strikt gegen eine Vermischung der Aufgaben der weltlichen Obrigkeit einerseits und des kirchlichen Amtes andererseits116. Weder dürfe die Kirche – wie im Mittelalter – versuchen den Staat zu beherrschen noch umgekehrt der Staat die Kirche. Das nach der Reformation entstandene landesherrliche Kirchenregiment mit seinen „unseligen Folgen“ sei allein aus der politischen und sozialen Entwicklung heraus zu erklären, aber nicht theologisch zu begründen: „D i e L e h r e d e r lutherischen Bekenntnisse kennt das landesherrliche K i r c h e n r e g i m e n t n i c h t […]“ Das landesherrliche Kirchenregiment, mit dem man sich „als einem historischen Schicksal“ habe abfinden müssen, habe in Deutschland mit dem Sturz der Monarchien ein natürliches Ende gefunden. Sein Wiederaufleben sei nicht möglich, da es auf reichsrechtlichen Befugnissen des alten Territorialfürstentums beruht habe, die erloschen seien, und da der moderne, konfessionell nicht mehr einheitliche Großstaat nicht mehr den Typus des christlichen Herrschers kenne, der sich als hervorragendes Glied seiner Kirche versteht und sich deren Bekenntnis verpflichtet weiß. Das Kirchenregiment, und zwar nicht nur die Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung, sondern auch „die äußere Regierung der Kirche durch Erlaß von Kirchengesetzen usw.“, „steht nach den lutherischen Bekenntnissen allein der Kirche als ganzer zu und wird von dem kirchlichen Amt unter Mitwirkung der Gemeinde in der Verantwortung vor der Gesamtkirche ausgeübt. […] Ein Anteil des Staates am Kirchenregiment oder gar die Regierung der Kirche durch den Staat würde nach der Anschauung des Bekenntnisses nicht nur dem Wesen der Kirche, sondern auch dem des Staates widersprechen.“

Der Staat verfüge nicht über die reine Lehre der Kirche, könne „seinem Wesen nach“ also niemals die Verantwortung dafür tragen. Allerdings habe die weltliche Obrigkeit „R e c h t e der Kirche gegenüber“: „Anspruch auf den Gehor(hier auch die folgenden Zitate). Das Gutachten ist auch abgedruckt in: Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 61–64. 115 Vgl. hierzu Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 38–40. 116 In CA 28 heißt es u. a.: „Darumb soll man die zwei Regiment, das geistlich und weltlich, nicht in einander mengen und werfen. / Non igitur commiscendae sunt potestates ecclesiastica et civilis.“ (BSLK 122, 21–23 / 12).

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sam, die Treue, die Ehrerbietung der Glieder der Kirche, die ihre Untertanen sind“, Anspruch auf Fürbitte im Gottesdienst sowie das Aufsichtsrecht „über die Externa der Kirche als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts“. Den Kompetenzen der Obrigkeit sei aber dort eine klare Grenze gesetzt, wo es um Fragen der Lehre und der geistlichen Regierung gehe. In deutlicher Weise distanzierte sich der Lutherische Rat mit einer klaren theologischen Begründung von der jahrhundertelangen Tradition des landesherrlichen Kirchenregiments, das manche fast schon als ein Wesensmerkmal evangelischen Kirchentums angesehen hatten, und wies jegliche Ein- und Übergriffe des Staates in den Bereich der kirchlichen Lehre und auch der kirchlichen Verwaltung zurück. Der theologischen Grundlegung folgte noch während der Tagung am 9. April 1935 sozusagen eine konkrete Anwendung. Auf Anregung des Leiters der Apologetischen Zentrale in Berlin Walter Künneth wurden dieser und der bei der Vorläufigen Kirchenleitung tätige bayerische Pfarrer Lic. Wilhelm Ferdinand Schmidt beauftragt, ein Telegramm an den „Führer“ zu entwerfen, in dem man gegen die Verhaftung einiger Pfarrer117 protestieren bzw. sich für sie verwenden wollte. Trotz zunächst geäußerter Bedenken von Seiten einiger Professoren, die offenbar Sanktionen wegen ihrer Stellung als Staatsbeamte befürchteten, wurde der Telegrammentwurf Künneths und Schmidts „nach kleinen Aenderungen allseits gutgeheissen“; allerdings ist im Protokoll vermerkt, dass das Telegramm „keine öffentliche Kundgebung und auch kein Gutachten“ sei118. Der beschlossene Text des Telegramms lautete119: „Telegramm an den Führer. Der lutherische Rat der D.E.K. weiss sich in brüderlicher Verbundenheit eins mit den ins Konzentrationslager verbrachten und in Haft genommenen Pfarrern aus Nassau-Hessen und Sachsen, die getreu ihrer Ordination ihre kirchliche Pflicht erfüllten120. Er bittet ehrerbietigst den Führer und Reichskanzler um Beseitigung des geschehenen Unrechts und der damit der ganzen evangelischen Kirche zugefügten Schmach. Dieses Anliegen ist um so dringlicher, da selbst Herr Landesbischof D.

117

Vgl. Anm. 120 u. 121 und unten im Text. Masch. Niederschrift Stolls über die Tagung des Lutherischen Rates in Halle am 9. 4. 1935 vom 15. 4. 1935 (LKA Hannover, D 15 V 1/2). 119 Anlage (masch.) zu ebd. 120 In der nassau-hessischen Kirche war der „Kirchenkampf“ Anfang 1935 eskaliert. Nach der Verlesung einer Erklärung der Vorläufigen Kirchenleitung wurde eine Reihe von Pfarrern verhaftet, fünf davon wurden – erstmalig im Reichsgebiet – ins Konzentrationslager (Dachau) eingeliefert. In Sachsen wurden einige BK-Pfarrer, die u. a. eine Fürbitte für die verhafteten Kollegen aus NassauHessen verlesen wollten, unter Hausarrest gestellt bzw. ins „Schutzhaftlager“ Sachsenburg eingewiesen. Vgl. Lueken, Kampf, 51; und Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 304 u. 350. 118

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Marahrens, der Vorsitzende der Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche und Vizepräsident des lutherischen Weltkonvents, inhaftiert und über die hessische Grenze abgeschoben wurde121, wodurch die Würde der Kirche aufs schwerste verletzt ist. gez. D. Meiser.“

Die Formulierungen „Unrecht“, „Schmach“, „verletzte Würde“ zeigen, dass man auf Grund der Entwicklungen jetzt durchaus auf eine gewisse Distanz zum NS-Staat ging, auch wenn etwa Meiser immer noch selbst interne Schreiben mit „Heil Hitler!“ unterzeichnen konnte122. Der zweite Entwurf für ein Gutachten, der auf der Tagung des Lutherischen Rates am 9. April 1935 in Halle verhandelt wurde, stammte von Elert und Althaus und trug den Titel: „Kirche und Staat nach lutherischer Lehre“123. In einem Schreiben an Stoll vom 2. Januar 1935124 erläuterte Althaus die Arbeitsteilung mit Elert bei der Abfassung des Entwurfs: „W. Elert und ich hatten uns über den Entwurf verständigt. Elert sollte die Grundlegung und die Abwehr theokratischen Verständnisses der Kirche verfassen; ich dann die Abwehr totalistischer [sic!] Tendenzen des Staates und die konkreten Ausführungen über Verkündigung und Weltanschauung, den Eid, die Frage der Jugend.“

Obwohl er anschließend beteuerte, dass Elert und er sich „sachlich ganz einig“ seien – „[…] er stimmt meinen Sätzen, ich den seinen zu.“ –, verhehlte er doch nicht erhebliche inhaltliche Akzentunterschiede – „[…] ein Unterschied[,] sagen wir der Stimmung, der Tendenz […]“: „[…] D. Elert [bringt] etwa im Geiste des Ansbacher Ratschlages125 die lutherische Zuversicht zum Staate stark zum Ausdruck […] und [zeigt] mehr der Kirche ihre Grenzen […]; während bei mir die Sorgen und Fragen der Kirche dem Staate gegenüber zum Ausdruck kommen. Bei mir klingt also stärker als bei ihm durch, daß wir nicht ohne Sorge sind.“

121 Marahrens, der als Vorsitzender der Vorläufigen Kirchenleitung in Nassau-Hessen predigen wollte, wurde vorübergehend verhaftet und über die hessische Grenze abgeschoben. Vgl. Lueken, Kampf, 51; und Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 304. 122 Vgl. etwa das Schreiben Meisers an die Mitglieder des Lutherischen Rates vom 11. 4. 1935 (LKA Hannover, D 15 V 1/1). Mehr und länger noch als Meiser unterzeichnete Marahrens im innerkirchlichen Schriftverkehr mit „Heil Hitler!“ (vgl. etwa ebd., D 15 I 18). 123 Masch.: ebd., D 15 V 1/1. Vgl. auch den Vortrag von Althaus zu demselben Thema auf dem Lutherischen Tag in Hannover am 4. 7. 1935 (vgl. dazu unten 2.6). 124 Masch. Original: LKA Hannover, D 15 V 1/2. Das Schreiben trägt das Datum: „2. Januar 1934“; der Inhalt des Briefes lässt aber keinen Zweifel daran, dass es sich bei der Jahreszahl um einen – am Jahresanfang ja nicht unüblichen – Irrtum handelte. 125 Vgl. Anm. 55.

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Die von Althaus angesprochenen Unterschiede waren in dem Gutachtenentwurf 126 klar erkennbar. In dem maßgeblich wohl von Elert stammenden ersten Teil, „Grundlegendes“ überschrieben, hieß es unter Berufung auf Römer 13, die Staatsgewalt habe „ihren Auftrag unmittelbar von Gott“. Die Kirche habe „kein Aufsichtsrecht über die Staatsordnung“. Überhaupt widerspreche „Ausübung politischer Gewalt […] ihrem Wesen“; deswegen sei die Kirche „auch nicht befugt, […] in die politische Entwicklung einzugreifen.“ Im Hinblick auf den NS-Staat wurde am Ende des ersten Teils festgestellt: „[…] alle Glieder der Kirche [werden] insbesondere den im Staat Adolf Hitlers geltenden Forderungen der unterschiedslosen Liebe zu allen Volksgenossen, der Zurückstellung aller egoistischen Privatinteressen hinter das Wohl des ganzen Volkes und des opferbereiten Dienstes aus Gehorsam gegen Gott und in Bewährung ihres christlichen Glaubens folgeleisten [sic!].“

Die einzige etwas kritische Bemerkung im ersten Teil ist die Einschränkung – unter Berufung auf Acta 5, 29 und Artikel 16 der Confessio Augustana –, dass die Gehorsamspflicht gegenüber der Obrigkeit nicht gelte, „wenn ihre Erfüllung ein Gottesgebot verletzen würde“. In dem wahrscheinlich vor allem von Althaus stammenden zweiten Teil des Gutachtenentwurfs, „Besondere Fragen der Gegenwart“, war deutlich kritischer als im ersten Teil von der „Grenze“ des staatlichen Amtes die Rede, die „vor allem durch die Freiheit des Glaubens und die Freiheit der Kirche zur Verkündigung ihrer Botschaft“ bezeichnet werde. Außerdem enthielt dieser Teil eine klare Absage an die nationalsozialistische „Blut- und Bodenideologie“: „Ein grundsätzlicher Konflikt zwischen der Verkündigung der Kirche und der nationalsozialistischen Weltanschauung würde dann bestehen, wenn diese das gleiche wäre wie der ‚Mythus des Blutes‘, d. h. das Bekenntnis zur Rasse als Grund und Maß aller Normen und Werte. Dieser Mythus bedeutet die Vergöttlichung einer Schöpfung und Ordnung Gottes. Er ist eine Religion, die den christlichen Glauben an die Offenbarung und Erlösung allein durch Jesus Christus verneint und ersetzen will.“

Der Gebrauch des Konjunktivs deutete freilich die Erwartung an, dass sich der Nationalsozialismus selbst von der „Blut- und Bodenideologie“ distanziere. Hinter diesem Zweckoptimismus steckte offenkundig eine Position, die auf eine Christianisierung – und damit gewissermaßen auch auf eine „Domestizierung“ – der nationalen bzw. nationalsozialistischen Bewegung abzielte. Es war dies u. a. das Programm der von 1930 bis 1933 wirkenden „Christlichdeutschen Bewegung“ – deren Mitglied Althaus gewesen war –, die zwar für 126 „Kirche und Staat nach lutherischer Lehre“ (masch.): LKA Hannover, D 15 V 1/1 (hier auch die folgenden Zitate).

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eine enge Verbindung von christlichem Glauben und deutscher Nation eintrat, aber dem Christentum die Priorität einräumte und vor einer religiösen Überhöhung nationaler Gedanken warnte127. Ganz in diesem Sinne, und wohl auch an Hitlers Regierungserklärung vom 23. März 1933 erinnernd128, hieß es in dem Gutachtenentwurf: „Aber der nationalsozialistische Staat hat sich ausdrücklich zu der christlichen Grundlage deutschen Volkstums bekannt, die Bedeutung der christlichen Kirchen für das deutsche Volk anerkannt und ihre Stellung im Volksleben feierlich gewährleistet. Damit hat er maßgeblich das Verständnis der nationalsozialistischen Weltanschauung als einer neuen Religion der Rasse abgelehnt.“

Unter diesem „Vorzeichen“ einer Christianisierung und Entideologisierung des neuen Staates waren wohl auch verschiedene diesem gegenüber freundlich-loyale Äußerungen im zweiten Teil des Gutachtenentwurfs zu verstehen. Den „vom Staate erforderten Treu- und Gehorsamseid auf den Führer und die Gesetze“ könnten Glieder der lutherischen Kirche „guten Gewissens“ leisten; da der Eid bei Gott geschworen werde, schließe die Forderung und Leistung des Eides „ein Handeln wider Gottes Gebote durch sich selbst aus“. Zwischen nationalsozialistischem Wollen und der kirchlichen Verkündigung könne kein Gegensatz bestehen, sofern nationalsozialistische Weltanschauung lediglich „das doppelte Bekenntnis erstens zur Nation, d. h. zum Volkstum als Grundlage des Staates, zweitens zum Sozialismus, d. h. zur Volksgemeinschaft, als höchsten Normen politischer Verantwortlichkeit“ bedeute. Was die Kirchenverfassung anbetrifft, so habe der Staat durchaus „kraft seines Auftrages als Ordnungsmacht Recht und Pflicht der Aufsicht, wie über alle andere rechtliche Ordnung“, die Kirche sei bisweilen sogar auch „auf die Hilfe der staatlichen Obrigkeit angewiesen“, aber bei der Erfüllung ihres ureigenen – „von allen politischen Gesichtspunkten klar unterschiedenen“ – Auftrags der reinen Evangeliumsverkündigung und der stiftungsgemäßen Sakramentsverwaltung sei die Kirche allein verantwortlich, ihre Selbständigkeit unbedingt zu wahren. Auf dem Gebiet der Erziehung der Jugend müssten Staat und Kirche eng zusammenarbeiten, allerdings könne dies nur arbeitsteilig geschehen: „Die staatspolitische Erziehung wird […] nicht 127 Vgl. Weiling, „Christlich-deutsche Bewegung“; ebd., 333–336 deren „Richtlinien“ und ebd., 339–345 deren Mitgliederliste mit dem Namen von Althaus. Vgl. auch Althaus’ Vortrag über „Kirche und Volkstum“ auf dem Königsberger Kirchentag 1927 sowie die daraus hervorgegangene „Vaterländische Kundgebung“ des Kirchentages (beide Texte sind u. a. abgedruckt in: Krumwiede, Evangelische Kirche, 187–208). 128 Abgedruckt u. a. in: Nicolaisen, Dokumente, Bd. 1, 23 f. In der Erklärung hieß es u. a.: „Die nationale Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen wichtigste Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums. Sie wird die zwischen ihnen und den Ländern abgeschlossenen Verträge respektieren; ihre Rechte sollen nicht angetastet werden.“

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davon absehen können, daß deutsches Volkstum auf dem Grunde des Christentums gewachsen ist und wächst; sie wird also um ihrer selbst willen ernste Erziehung der Jugend im Christentum wünschen und für sie Raum lassen.“ In klarem Gegensatz zum Offenbarungsverständnis der Barmer Theologischen Erklärung standen Sätze wie der folgende, die einer Theologie der Schöpfungsordnungen entsprachen, wie Althaus sie bereits im Jahre 1934 systematisch dargestellt hatte129: „Die Verkündigung der Kirche lehrt als Predigt des Gesetzes Gottes, Volkstum und Volksgemeinschaft als göttliche Ordnungen [zu] verstehen[,] und gibt damit der staatlichen Inanspruchnahme für sie ihren Ernst und ihr Maß.“ Anders als die von Sasse stammenden Leitsätze erlangte das Gutachten von Elert und Althaus, die in Halle auch nicht anwesend waren, nicht den Rang einer offiziellen Erklärung des Lutherischen Rates. Es sollte laut Protokoll130 nach „endgültiger Redaktion“ lediglich „den Mitgliedern – nicht zur Veröffentlichung! – zugeleitet werden“. Es mag sein, dass der Gutachtenentwurf von Elert und Althaus namentlich im Vergleich zu den Sätzen von Sasse als zu unkritisch und staatsfreundlich empfunden wurde; darüber schweigen die Protokolle. Aber es wurde auch allgemein Kritik am „Weg der Gutachten“ geübt131; womöglich schwangen dabei auch Befürchtungen vor einer zu großen Dominanz der Erlanger Theologen mit. Stattdessen plädierte man für „kurze Arbeitstagungen“, auf denen die theologische Arbeit des Lutherischen Rates geleistet werden solle132, und vor allem wurde von verschiedenen Seiten der Ruf nach einer „lutherischen Synode“ laut133. Ganz offensichtlich hatte man das Bedürfnis, mit größerer Legitimation und Vollmacht und stärker öffentlich auftreten zu können. Noch gab es keine genaueren Vorstellungen über die angestrebte lutherische Synode. Der württembergische Pfarrer und Geschäftsführer des Calwer Verlagsvereins Wolfgang Metzger und Zänker etwa meinten offenbar, der Lutherische

129 Althaus, Theologie der Ordnungen. Zu Althaus’ Position vgl. auch Ericksen, Theologen, Kap. 3. Zur Diskussion von Staat, Nation und Volk in der lutherischen Theologie des 20. Jahrhunderts insgesamt vgl. u. a. Edelmann / Hasselmann, Nation. 130 Masch. Niederschrift Stolls über die Tagung des Lutherischen Rates in Halle am 9. 4. 1935 vom 15. 4. 1935 (LKA Hannover, D 15 V 1/2). 131 Stenographische Mitschrift, übertragen von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte, München (ebd.). 132 Masch. Niederschrift Stolls über die Tagung des Lutherischen Rates in Halle am 9. 4. 1935 vom 15. 4. 1935 (ebd.). 133 Stenographische Mitschrift, übertragen von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte, München (ebd.). Vgl. die Wortbeiträge von Metzger, Zänker, Meiser, Künneth, Fleisch, Klamroth und Laible.

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Rat könne sich selbst bereits zur Synode erklären134. Meiser erklärte, auf das Wort Synode komme es nicht an135; auch ein „Kirchentag“ wurde erwogen136. Wurm äußerte auf Grund der besonderen Tradition der württembergischen Landeskirche das – von anderen wiederum als „grundlos“ bezeichnete – Bedenken: „ob wir nicht mit einem starken Hervortreten des Luthertums den Prozeß stören zu einer Konsolidierung der Bekennenden Kirche.“137 Wurm ließ sich dann aber wohl doch von dem Plan einer Synode überzeugen. Jedenfalls wurde „festgestellt“138: „Eine lutherische Reichssynode ist von den Bischöfen D. Meiser, D. Marahrens, D. Wurm, D. Zänker, den Bruderräten der luth[erischen] Kirchen und Provinzialkirchen (Preussen) im Benehmen mit dem Lutherischen Rat einzuberufen.“ Die Vorbereitung sollte der Arbeitsausschuss des Lutherischen Rates übernehmen. Während der Ort noch unbestimmt blieb, wurde als Zeitpunkt „die Woche nach Exaudi“ in Aussicht genommen. Zwei Tage lang wollte man „verhandeln und beschliessen über a) Stellung der Luth[erischen] Synode in der Bekennenden Kirche Deutschlands; b) Bekenntnis und Bekennen[;] c) Volkskirche[;] d) Die Frage nach einem luth[erischen] Kirchenrecht.“

Wie sehr noch immer die Sorge vor der Union vorhanden war, zeigte die Reaktion der Hallenser Tagung des Lutherischen Rates auf den Beschluss der 134 Nach ebd. äußerte Metzger: „Wir vertreten heute eine lutherische Synode“ und Zänker: „Wir können heute nicht schweigen. Wir sind die lutherische Synode.“ 135 Ebd. 136 Masch. Niederschrift Stolls über die Tagung des Lutherischen Rates in Halle am 9. 4. 1935 vom 15. 4. 1935 (ebd.). Den Vorschlag, „sobald als möglich eine zu einem lutherischen Kirchentage erweiterte Tagung des lutherischen Rates einzuberufen“, hatte Althaus im Namen der „Erlanger Mitglieder des lutherischen Rates“ bereits in seinem Schreiben an Meiser vom 9. 11. 1934 (ebd.; vgl. auch oben im Text) gemacht. Er führte dazu u. a. folgendes aus: „Dieser Kirchentag hat die Aufgabe, zum ersten Male nach der kirchlichen Umwälzung die Führer des g e s a m t e n deutschen Luthertums zusammenzuführen, vor der Öffentlichkeit den Willen zu einer lutherischen Kirche Deutschlands zu bekunden und eine enge Zusammenarbeit aller lutherischen Kirchen und Kreise zu begründen. Zu diesem Kirchentage müßten auch solche Gruppen, die bisher im lutherischen Rate nicht vertreten sind, also z. B. die [Alt-]Lutherische Kirche in Preußen […], eingeladen werden. Eine Erweiterung über den lutherischen Rat hinaus ist nötig, um auch Laien in dem erwünschten Maße an dem Aufbau der lutherischen Kirche Deutschlands zu beteiligen.“ 137 Stenographische Mitschrift, übertragen von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte, München (ebd.). Zu der Reaktion auf Wurms Votum vgl. die masch. Niederschrift Stolls über die Tagung des Lutherischen Rates in Halle am 9. 4. 1935 vom 15. 4. 1935 (ebd.): „Bedenken gegen den ‚Konfessionalismus‘, die von württembergischer Seite geäussert wurden, werden als grundlos bezeichnet […]“ 138 Ebd.

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zweiten Freien Reformierten Synode in Siegen zur Errichtung einer „Kirchlichen Hochschule für reformatorische Theologie“ vom 28. März 1935139. Man bemängelte nicht nur die fehlende Verständigung mit dem Lutherischen Rat, sondern beschloss auch, „die Angelegenheit einer luth[erischen] Hochschule im Auge zu behalten“, freilich „ohne vorläufig weiter zu gehen“. Meiser war es, der hier offenbar bremste, weil er eine Konkurrenz zur Erlanger Theologischen Fakultät befürchtete140. Durch die Beschlüsse der Anfang Juni 1935 in Augsburg tagenden dritten Reichsbekenntnissynode konnte sich der Lutherische Rat im Prinzip noch einmal bestätigt fühlen. In Augsburg wurde u. a. einmütig entschieden, dass die Beschlüsse der Bekenntnissynoden „hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit den Bekenntnissen an die vorherige Zustimmung der zuständigen Konvente gebunden [sind]“141. Freilich zeigten die Beratungen in Augsburg, dass die konfessionelle Aufgliederung der Synode in Konvente und also insgesamt die konfessionelle Frage innerhalb der Bekennenden Kirche durchaus umstritten waren142.

2.6 Der Lutherische Tag in Hannover (2. bis 5. Juli 1935) Zur Vorbereitung der geplanten Synode traf sich vereinbarungsgemäß am 6. Mai 1935 der Arbeitsausschuss des Lutherischen Rates in Nürnberg143. Auch Meiser und Breit nahmen an dieser Sitzung teil. Als Zeitraum für die Synode wurden jetzt der 17. bis 19. Juni 1935, als Ort Hannover festgelegt. Die Themengebiete wurden auf drei reduziert und auch inhaltlich modifiziert: „I) Die konfessionspolitische Lage innerhalb der D.E.K. II) Bekenntnis (Bekenntnisstand) und Bekennen III) Kirche und Staat nach lutherischer Auffassung.“

139

Vgl. hierzu Norden, Kirchliche Hochschule, 278 f. Masch. Niederschrift Stolls über die Tagung des Lutherischen Rates in Halle am 9. 4. 1935 vom 15. 4. 1935 (LKA Hannover, D 15 V 1/2). Über Meisers Reaktion hieß es: „D. Meiser bedankt die Erlanger Theol[ogische] Fakultät für ihre seit Jahrzehnten geleistete vorzügliche Vorbildung der bayerischen Pfarrer und mahnt ernst: ‚Halte, was du hast‘.“ Vgl. auch unten 2.7. 141 Zitiert nach Niemöller, Dritte Bekenntnissynode, 75. 142 Vgl. hierzu und zur dritten Reichsbekenntnissynode 1935 in Augsburg allgemein u. a. auch Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 44–60, besonders 55; und Besier, Kirchen, 82–96, besonders 89–91. 143 Vgl. zu dieser Sitzung das masch. Protokoll Stolls vom 8. 5. 1935 (LKA Hannover, D 15 V 1/1); sowie die stenographische Mitschrift, übertragen von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte, München (ebd., D 15 V 1/2). Die folgenden Zitate aus dem masch. Protokoll Stolls. 140

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Darüber hinaus sollte ein „Gemeindeabend“ stattfinden, „in dessen Mittelpunkt ein Vortrag über: Christus – Antichristus“ stehen sollte. Anspruch und Vollmacht der Synode wurden wie folgt definiert: „Die Synode ist eine Veranstaltung der bekennenden lutherischen Kirche in Deutschland, die sich der Vorläufigen Leitung der D.E.K. unterstellt hat.“ Tatsächlich fand die in Halle beschlossene „lutherische Synode“ als „Lutherischer Tag“ vom 2. bis 5. Juli 1935 in Hannover statt144. Das Einladungsschreiben war unterzeichnet worden von dem „Direktorium des Deutschen Lutherischen Tages“, nämlich den vier Bischöfen Marahrens, Meiser, Wurm und Zänker, ferner von Breit – als dem lutherischen Vertreter der Vorläufigen Kirchenleitung – sowie von Althaus, Kloppenburg, Niemann und Stoll – für den Arbeitsausschuss des Lutherischen Rates145. Über den Zweck der Veranstaltung hieß es darin: „Im Ringen um die Neugestaltung der Deutschen Evangelischen Kirche auf der Grundlage der Heiligen Schrift und eines klaren Bekenntnisses ist die lutherische Kirche gerufen in Einmütigkeit des Bekennens die ihr anvertrauten Gaben und Güter dienstbereit einzusetzen. Der Besinnung über diesen Dienst und über den gemeinsamen Weg des deutschen Luthertums soll der Lutherische Tag dienen […]“

Gezielt eingeladen wurden: „Vertreter aller lutherischen Kirchen, Kirchengebiete, Bruderräte und der lutherischen Werke der Inneren und Äußeren Mis144 Die Quellenlage zu dem in der Forschung bislang offenbar kaum näher berücksichtigten Lutherischen Tag ist günstig. Marahrens’ Sohn, cand. theol. Adolf Marahrens, fertigte gemeinsam mit einem ansonsten unbekannten Herrn Feldmann eine stenographische Mitschrift an; hinzu kamen eigenhändige Niederschriften verschiedener Verhandlungsredner (einzelne Stücke in: ebd., D 15 V 2/1). Auf dieser Grundlage wurde ein masch. Protokoll erstellt (ebd., D 15 V 2/3), das wiederum die Grundlage für den ausführlichen, gedruckten Tagungsbericht Stolls war, der auch mit einem Dokumentenanhang versehen ist: Stoll, Deutscher Lutherischer Tag (masch. Manuskript hiervon: LKA Hannover, D 15 V 3/1). Vgl. auch die stenographischen Aufzeichnungen von Hans Meiser zum Lutherischen Tag, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 403–410. Die drei Vorträge des Lutherischen Tages wurden jeweils separat veröffentlicht: Lilje, Bekenntnis; Merz, Evangelisch-lutherische Kirche; sowie Althaus, Kirche und Staat; der Vortrag von Althaus darüber hinaus auch noch in der AELKZ 32, 1935, 746–754 u. 33, 1935, 770–778, der von Lilje in JK 1935, 681–684. Die AELKZ berichtete ausführlich über den Lutherischen Tag (AELKZ 28, 1935, 657–664) und druckte die Predigten von Marahrens und Meiser im Eröffnungs- bzw. Schlussgottesdienst ab: Marahrens, Fürchte dich nicht!; sowie Meiser, Wort. Vgl. auch den Zeitungsbericht über den Lutherischen Tag von Hopf, Deutscher Lutherischer Tag; sowie die Hinweise zum Lutherischen Tag bei: Lichtenfeld, Merz, 522–528; Klügel, Lutherische Landeskirche, Bd. 1, 259–263; Reese, Bekenntnis, 442 f.; Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 113 u. 408, Anm. 135; und Besier, Kirchen, 104 f. u. 107–109. 145 Masch. Original, s. d.: LKA Hannover, D 15 V 2/4, auszugsweise abgedruckt in: Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 11. Ebd., 10 f. mit Anm. 9 werden die genannten Personen und dazu Merz als das „Direktorium des Deutschen Lutherischen Tages“ bezeichnet. Kloppenburg war sowohl an der Vorbereitung als auch an der Teilnahme des Lutherischen Tages verhindert.

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sion […], die gewillt sind eine bekennende lutherische Kirche Deutschlands zu bilden.“ Vorausgesetzt wurde die Anerkennung der Confessio Augustana invariata und des Großen und Kleinen Katechismus’ Martin Luthers als „die Lehrbekenntnisse der lutherischen Kirche“ sowie auch der „Richtlinien des Lutherischen Rates“. Der Teilnehmerliste146 zufolge nahmen von 121 Eingeladenen147 insgesamt 104 Männer, Theologen und Nicht-Theologen, an dem Lutherischen Tag teil; Frauen waren nicht anwesend. Als erster Teilnehmer war Breit als das lutherische Mitglied der Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche aufgeführt, als zweiter Bodelschwingh als Ehrengast, der dann allerdings kurzfristig verhindert war148. Der Name von Marahrens, des Leiters der Vorläufigen Leitung, erschien erst unter der Nummer 13 als erster von dreizehn Vertretern seiner Landeskirche. Auf der Liste standen ferner die Bischöfe und jeweils weitere Vertreter der drei Paktkirchen, Landessuperintendent Wilhelm Henke als der Leitende Geistliche der lutherischen Landeskirche von SchaumburgLippe, Vertreter der Bruderräte der sogenannten „zerstörten“, d. h. mit einem deutsch-christlichen Kirchenregiment versehenen lutherischen Landeskirchen von Sachsen, Thüringen, Schleswig-Holstein, Hamburg, Lübeck, Oldenburg, Mecklenburg und Braunschweig – darunter der 1934 abgesetzte hamburgische Landesbischof Schöffel und die nach 1945 zu Bischöfen von Sachsen, Holstein und Schleswig gewählten Pfarrer Hugo Hahn, Wilhelm Halfmann und Reinhard Wester –, zwei Vertreter altlutherischer Freikirchen aus Preußen und Hessen, je ein bis acht Vertreter von sieben der acht Kirchenprovinzen149 der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union – darunter der schlesische Bischof Zänker, der 1954 zum oldenburgischen Bischof gewählte Berliner Pfarrer Gerhard Jacobi und der 1958 zum Präses der rheinischen Kirche gewählte Düsseldorfer Pfarrer Joachim Beckmann –, zwei Vertreter lutherischer Gemeinden der badischen Landeskirche, acht Vertreter des Lutherischen Rates – darunter der Leitende Geistliche der seit 1934 in die Thüringer Landeskirche eingegliederten Landeskirche Reuß ältere Linie Titus Reuter, Zoellner und der Leipziger Dogmatik-Professor Ernst Sommerlath – sowie schließlich drei nicht weiter zugeordnete Pfarrer aus Bremen, Berlin und Marburg. Die Teilnehmer aus den Provinzialkirchen der altpreußischen Union waren, da es dort weder „intakte“ lutherische Kirchenregimente noch lutherische Bruderräte gab, von dem für

146 Masch. Original, s. d.: LKA Hannover, D 15 V 2/2; abgedruckt in: Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 52–56. 147 Vgl. ebd., 11. 148 Vgl. ebd., 13. 149 Nicht vertreten war die Kirchenprovinz Grenzmark-Posen-Westpreußen.

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die jeweilige „Provinzialkirche zuständigen Mitglied des Lutherischen Rates im Benehmen mit dem Provinzialbruderrat und den allenfalls bestehenden lutherischen Vereinigungen“ nominiert worden150. Einzelne Veranstaltungen, wie die Vorträge und natürlich die Gottesdienste, waren öffentlich. Teilnehmer an diesen Veranstaltungen waren u. a. die Kandidaten der drei hannoverschen Predigerseminare und des Nürnberger Predigerseminars151. Der „Tagungsplan“152 machte noch einmal den engen Zusammenhang zwischen dem Lutherischen Tag und dem Lutherischen Rat deutlich. Am Anfang des Lutherischen Tages stand nämlich eine vorbereitende „Geschlossene Sitzung des Lutherischen Rates“ im Vereinshaus in der Prinzenstraße. Den eigentlichen Auftakt bildete dann ein Eröffnungsgottesdienst am Abend des 2. Juli in der Marktkirche, in dem Marahrens predigte. In der Marktkirche fanden auch an den folgenden Tagen die Andachten und Gottesdienste statt. Ansprachen bzw. Predigten wurden gehalten von Henke, Wurm, Breit und – im Schlussgottesdienst – von Meiser. Ort der übrigen Veranstaltungen – es waren dies: Sitzungen im Plenum bzw. in Ausschüssen sowie die drei Vorträge von Lilje, Merz und Althaus – war das der Marktkirche gegenüberliegende Alte Rathaus, also erstaunlicherweise ein städtisches Gebäude. Marahrens’ Predigt153 über Jesaja 43, 1 im Eröffnungsgottesdienst des Lutherischen Tages enthielt weitgehend traditionelle, auf die Kirche übertragene lutherische bzw. allgemein reformatorische Rechtfertigungsrhetorik: Die „Kirche der Reformation“ – diese Formulierung fand sich mehrmals in der Predigt, nur ein Mal war von der „Kirche Luthers“ die Rede –, „die Gottes Wort hört und bewahrt und Gottes Sakramente im Gehorsam und voll Dank verwaltet“, „wandelt […] ohne Furcht. Nichts kann uns von Gott trennen: ‚Ich vertilge deine Missetat wie eine Wolke und deine Sünde wie den Nebel.‘ Weil alles auf Gottes Tun steht, weil Er uns erwählt hat und nicht wir Ihn, weil Gott von sich aus Gemeinschaft zwischen sich und den Menschen setzte, deshalb ist ein ‚Wandel ohne Furcht‘ möglich. Im Vertrauen auf Gottes Zusage: ‚Du bist mein‘ wandelt die Kirche der Reformation ohne Furcht.“

Weil aktuelle – kirchenpolitische oder politische oder auch sonstige – Bezugnahmen fehlten, fällt die folgende Loyalitätsbekundung gegenüber dem „Führer“ besonders auf: „Sie [sc. „die Kirche der Reformation“] selbst hat den Wunsch, 150

Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 10. Vgl. die Rede Meisers zur Eröffnung der ersten Sitzung des Deutschen Lutherischen Tages, masch. (LKA Hannover, D 15 V 2/3). 152 Masch. Original, s. d.: ebd., D 15 V 2/2; abgedruckt in: Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 56 f. 153 Marahrens, Fürchte dich nicht! Die nachfolgenden Zitate ebd., 673 f. 151

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mit allem, was ihr geschenkt ist, unserem Volk zu dienen und dem großen Werk seines Führers zu helfen.“ Weniger staatsloyal zeigte sich Meiser in seiner Ansprache154 zur Eröffnung der ersten regulären – nicht-öffentlichen – Sitzung des Lutherischen Tages. Meiser begrüßte ausdrücklich „die Vertreter der Geheimen Staatspolizei, die zu unserer Tagung abgeordnet sind“, womit er gleich kundtat, dass der NS-Staat den Lutherischen Tag misstrauisch bespitzelte155. Meiser machte im Übrigen sehr deutlich156, dass man keinesfalls in Konkurrenz zur Vorläufigen Kirchenleitung treten wolle; er versicherte im Gegenteil sogar: „Es ist uns eine Selbstverständlichkeit, dass wir unser Werk im engsten Zusammenwirken mit der Vorläufigen Kirchenleitung und in ihrer treuen Gefolgschaft tun.“ Auch „mit all den anderen Kreisen der bekennenden Kirche“ befinde man sich „in engster Kampfgemeinschaft“. Wer meine, dass es darum gehe, „in die bestehende Kampffront einen Keil hinein[zu]treiben“, der habe die Einladung zum Lutherischen Tag „falsch verstanden“. Meiser wies dann auf die Kontinuität zu den lutherischen Einigungsbestrebungen seit dem 19. Jahrhundert, insbesondere auch zu den Würzburger Vereinbarungen vom Mai 1933 und zum Lutherischen Pakt vom Februar 1935, hin. In Frageform zeigte Meiser das Ziel auf: „Ist nun endlich die große Stunde der lutherischen Kirche in Deutschland gekommen und haben wir uns hier zu einer Tagung zusammengefunden, der in der Geschichte der D.E.K. später kirchengeschichtliche Bedeutung zukommen wird? […] Es ist […] eine Tragik, dass alle diese Versuche zur Darstellung einer einheitlichen lutherischen Kirche in Deutschland nicht über die Ansätze hinausgekommen sind. Es kam wohl zu einer Angleichung, zur Fühlungnahme, zu gegenseitiger Verständigung, aber zu keiner verfassungsrechtlichen Zusammenfassung. Ob uns solches jetzt geschenkt wird? Ob wir endlich zu der lutherischen Kirche Deutschlands innerhalb der D.E.K. gelangen? Ob nach soviel mißlungenen Versuchen die Verhältnisse heute reif dazu geworden sind?“

Meiser warnte auffallend deutlich und häufig vor allzu großen Hoffnungen und Erwartungen und plädierte für Bescheidenheit. Die lutherische Kirche, 154 Rede Meisers zur Eröffnung der ersten Sitzung des Deutschen Lutherischen Tages, masch. (LKA Hannover, D 15 V 2/3). 155 Die Behörde des Oberpräsidenten der Provinz Hannover erstattete dem Reichserziehungsministerium mit Schreiben vom 27. 7. 1935 über den Lutherischen Tag einen Bericht (vgl. hierzu Besier, Kirchen, 108 f.). Das Resümee dieses Berichts lautete: „Als Gesamteindruck kann eine positive Einstellung zum Führer und seinem Staat, zuversichtliches Vertrauen auf die innere Berechtigung des eigenen Wollens und eine unbedingte Absage einerseits an die ‚Deutschen Christen‘, andererseits an die ‚Deutsche Glaubensbewegung‘ verzeichnet werden.“ (zitiert nach: ebd., 109). 156 Rede Meisers zur Eröffnung der ersten Sitzung des Deutschen Lutherischen Tages, masch. (LKA Hannover, D 15 V 2/3). Hier auch die folgenden Zitate. Auszüge der Rede sind abgedruckt in: Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 13–15.

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die „noch mitten im Kampf“ stehe, sei „wohl stark […] in der Lehre und im Bekenntnis, aber schwach in den Fragen der Organisation und der Aufrichtung einer ihrem Bekenntnis entsprechenden Neuordnung“. Der Lutherische Tag könne „darum auch nur ein erster Schritt sein“. Da es in den „zerstörten oder in den Unionskirchen“ kein geordnetes lutherisches Kirchenregiment gebe, könnten die Vertretungen dieser Kirchengebiete nur vorläufige sein. Deswegen habe man auf den „hohen Namen einer Synode“ verzichten müssen: „Wir glaubten den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun zu sollen und möchten deshalb die gegenwärtige Tagung nur als eine, die Bildung einer lutherischen Synode vorbereitende, ansehen.“ Die drei Hauptthemen des Lutherischen Tages, die in den Vorträgen von Lilje, Merz und Althaus behandelt werden sollten, begründete Meiser wie folgt: 1. Zunächst sei eine „Selbstbesinnung über die Frage […], was wir unter ‚lutherisch‘ verstehen“ nötig. Es gebe „allerlei Luthertümer innerhalb der D.E.K.“, deshalb müsse man „zuerst eine Art Bestandsaufnahme machen, um festzustellen, was sich mit Recht unter dem Namen ‚lutherisch‘ zusammenfassen lässt“. 2. Nach der „Selbstbesinnung“ gehe es um die praktische „Frage der Neugestaltung der lutherischen Kirche“ bzw. um die Frage einer entsprechenden „weiteren Gestaltung der Verfassung der D.E.K.“. 3. Schließlich müsse man aus Sicht der lutherischen Kirche „zu der unsere Zeit so schwer bedrängenden Frage von Kirche und Staat“ Stellung nehmen. Im Anschluss an die Rede Meisers wurde eine detaillierte Geschäftsordnung angenommen157. Der Vorsitzende des Lutherischen Rates, also Meiser, übernahm danach als Präsident die Leitung des Lutherischen Tages. Eine Reihe von Verfahrensregeln sollte einen geordneten Verlauf gewährleisten; womöglich waren solche Regeln auch aus Sorge vor Veranstaltungsstörungen etwa durch radikale Anhänger der Deutschen Christen für nötig erachtet worden. Ein Indiz dafür, dass Meisers Führungsposition als Präsident des Lutherischen Tages nicht ganz unumstritten war, könnte die Tatsache sein, dass vereinbarungsgemäß die Leitung der Sitzungen wechselte158. Die zweite – öffentliche – Sitzung des Lutherischen Tages, in der Lilje vortrug, nutzte Marahrens, der jetzt die Sitzungsleitung innehatte, zunächst ebenfalls zu einer Eröffnungsrede159. Indem er Grüße

157 Masch. Original in: LKA Hannover, D 15 V 2/4, abgedruckt in: Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 57–59. 158 Vgl. ebd., 15. 159 Rede von Marahrens, masch., in: LKA Hannover, D 15 V 2/3. Hier auch die folgenden Zitate. Auszüge der Rede sind abgedruckt in: Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 15–17.

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der Vorläufigen Kirchenleitung, des Lutherischen Weltkonventes, des Lutherischen Einigungswerkes und der hannoverschen Landeskirche übermittelte, stellte er gleichzeitig seine führende Position auf den verschiedenen Ebenen heraus. Wie Meiser betonte auch Marahrens bei aller Treue zum Evangelium und zum Bekenntnis die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit mit der Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche: „Alles, was der Geschlossenheit in der DEK dient und auf dem Boden des Evangeliums wie des Bekenntnisses steht, wird von der Vorläufigen Leitung mit dankbarster Freude begrüßt.“ Darüber hinaus stellte Marahrens sich noch einmal ausdrücklich auf den Boden der DEK-Verfassung vom Juli 1933. Deutlicher noch als in seiner Predigt bekundete er wiederholt die Loyalität dem „Volk“ und „Vaterland“, der „weltlichen Obrigkeit“ und dem „Führer unseres Volkes“ gegenüber. Hatten bislang im Lutherischen Rat die Erlanger Theologen völlig dominiert, so wurden auf dem Lutherischen Tag mit den ersten beiden Vorträgen von Lilje und Merz neue theologische Akzente gesetzt. Ähnlich wie Meiser warnte Lilje in seinem Vortrag über „Bekenntnis und Bekennen“160 zunächst vor falschen Illusionen, ja mehr noch, er forderte sogar dazu auf, „den Mut zur Illusionslosigkeit [zu] besitzen“. Er begründete dies wie folgt: „Wir sprechen ja nicht von einer längst entschiedenen Angelegenheit, von einem unbestrittenen Besitz, wenn wir vom Bekenntnis unserer Kirche reden; sondern wir nehmen damit jene umfassende Gesamtfrage auf, die aus den kirchlichen Kämpfen der Gegenwart an unsere Kirche gerichtet wird.“161

Den Sinn des Lutherischen Tages sah Lilje vor allem in einer Art öffentlicher Demonstration: „Die Kirche, die sich zur Reformation Martin Luthers bekennt und der der größere Teil unserer protestantischen Volksgenossen durch eine lange und reiche Geschichte verbunden ist, bezeugt damit vor allem Volk, daß sie willens ist, ihre aus einer reichen Glaubenstradition von den Vätern überkommene Botschaft auch in der Gegenwart zu verkündigen.“162

160 Lilje, Bekenntnis. Ebd., 29–31 auch die den Zuhörern vor dem Vortrag ausgehändigten „Leitsätze“. Zu Liljes Vortrag vgl. auch Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 17–19; und Oelke, Lilje, 281 f. 161 Lilje, Bekenntnis, 4. 162 Ebd. Vgl. auch die Einschätzung von W.-D. Hauschild über den Lutherischen Tag: „Das war zwar nur eine informelle Großdemonstration, aber sie hatte erhebliche Bedeutung für die allgemeine Bewußtseinsbildung; denn nun wurde manifestiert, welche praxisgestaltende Kraft das lutherische Bekenntnis für die bedrängte Kirche in einer Zeit der allseitigen Bedrohung besaß.“ (Hauschild, Konfessionelles Selbstbewußtsein, 30).

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Lilje wollte mit seinen Thesen offenkundig aus der zunehmend verhärteten Frontstellung zwischen denen, die ein aktuelles Bekennen wie in Barmen befürworteten, und denen, die ausschließlich eine Rückbesinnung auf die Bekenntnisse der Väter für den richtigen Weg hielten, aus der Frontstellung also etwa zwischen Asmussen einerseits und den Erlanger Theologen andererseits, herausführen. Dazu stellte er zunächst die Auseinandersetzung ausdrücklich in einen weiteren Kontext: „[…] wir [stehen] im Endstadium des säkularistischen Zeitalters, nämlich da, wo es wieder in Religion umschlägt.“ Man stehe einem „wogenden Meer von Religionsbildungen“ gegenüber, die die Kirche nötigten, „ihre bekenntnismäßigen Grundlagen aufs neue zu klären und aus der ursprünglichen Gestalt der ihr anvertrauten Botschaft die Antwort zu finden, die sie der Gegenwart schuldig ist.“163 Mit Nachdruck lehnte Lilje die Meinung ab, „als entspränge unser erneutes Reden und Denken über das Bekenntnis lediglich innerkirchlichen Schwierigkeiten, die uns innerhalb der Bekennenden Kirche zu schaffen machten. So oft das auch seit Barmen vermutet oder behauptet ist, so wenig trifft es tatsächlich zu.“164 Das Bekenntnis der Kirche werde, so Lilje, nicht nur „von außen“ durch „Gewalttat und Rechtsbruch“ sowie durch „außerchristliche und antichristliche Lehrbildungen“, sondern auch „von innen her“ durch „offenkundigen Rechtsbruch in der Kirche“ bedroht. Bei der deshalb notwendigen Neubesinnung auf das Bekenntnis sah Lilje zwei Gefahren: 1. die Gefahr, das Bekenntnis „zur toten Größe der Vergangenheit [zu] machen“165, die Gefahr einer unfruchtbaren bloßen „Restauration und Repristination“ der fixierten Bekenntnisse bzw. Bekenntnisschriften aus der Zeit der Alten Kirche und der Reformationszeit166, die Gefahr der „Erstarrung in Scholastik“167, die Gefahr der „Verabsolutierung der Bekenntnisschriften“168; 2. die Gefahr der Subjektivierung, die Gefahr der „individualistischen Leugnung des Bekenntnisses, die an seine Stelle die mehr oder minder willkürliche persönliche Überzeugung, das individualistische Gewissen rücken will“169, die Gefahr der „Relativierung der Bekenntnisschriften“170.

163 164 165 166 167 168 169 170

Lilje, Bekenntnis, 8. Ebd., 7. Zu Liljes Haltung zu „Barmen“ vgl. auch unten im Text, 94 f. Ebd., 8. Ebd., 11. Ebd., 12. Ebd., 22. Ebd., 10. Ebd., 22.

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Es lag wohl an der Gruppe der Zuhörer und wohl auch an der Sorge vor einer zu starken Dominanz der Erlanger Theologen, von der verschiedentlich schon die Rede war, dass Lilje vor allem die erste Gefahr besonders hervorhob: „[…] für das lebendige Verständnis in der Kirche [ist] ein historisiertes Bekenntnis wertlos geworden […]; es bleibt zwangsläufig die Angelegenheit eines kleinen Kreises von Kundigen, denen das nicht unbeträchtliche historische Wissen um die Dogmengeschichte der Reformation zur Verfügung steht, das Voraussetzung für ein volles Verständnis unserer Bekenntnisschriften ist. […] hier [liegt] eine schwere dogmatische Versäumnis; es wird die Wirklichkeit des Heiligen Geistes geleugnet, der – ubi et quando visum est deo – wirkt, wo er will, und ohne dessen Gegenwart keine lebendige Kirche sein kann.“171

Das geschichtliche Bekenntnis bzw. die fixierten Bekenntnisschriften einerseits und das persönliche aktuelle Bekennen andererseits sah Lilje im Übrigen „in einem unaufhebbaren lebendigen Wechselverhältnis zueinander“172: „Bekennen ohne Bekenntnis ist blind; […] Bekenntnis ohne Bekennen ist tot.“173 Ausdrücklich bekannte Lilje sich in diesem Zusammenhang zu dem „geschichtlichen Recht der in Barmen durch die Deutsche Evangelische Bekenntnissynode aufgenommenen Linie“174: „Es kann gar kein Zweifel daran sein, daß es eine kirchengeschichtliche Führung ersten Ranges ist, daß sich in ihr die Männer der bekennenden Haltung und die Männer der bekenntnisgebundenen Kirchen unter dem Gewicht einer schwerwiegenden kirchengeschichtlichen Nötigung zusammengefunden haben. Es sind dadurch unter der Führung Gottes zwei Linien wieder zusammengebunden worden, die in einer lebendigen lutherischen Kirche niemals ohne einander sein dürfen.“

Die Entscheidungen von Barmen und Dahlem könnten zwar keinen „unmittelbar reformationsgeschichtlichen Rang“ beanspruchen, aber der Kirche sei doch unzweifelhaft „ein Zeugnis geschenkt worden […], das über den durchschnittlichen Rang normaler kirchlicher Lehrbildung weit hinausragt.“ Wie wichtig für Lilje dieser Gedanke war, der ja eine – im Vergleich zu der Einschätzung der Erlanger Theologen – überaus positive Würdigung von „Barmen“ beinhaltete, zeigte die Tatsache, dass er ihn am Ende seines Vortrages unter der Fragestellung des Bekenntnischarakters der Barmer Theologischen Erklärung noch einmal wiederholte und in gewisser Weise sogar überbot: 171

Ebd., 11 f. Ebd., 12. Vgl. auch ebd., 25: „Zwischen Bekennen und Bekenntnis muß ein lebendiges Wechselverhältnis bestehen, das den beiden Brennpunkten einer Ellipse gleich ist.“ 173 Ebd., 15. 174 Ebd., 16. Hier auch die folgenden Zitate. Zu Liljes Haltung zu „Barmen“ vgl. auch Oelke, Lilje, 235–247. 172

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„Die Beschlüsse der Barmer Synode und die der späteren Synoden haben den Rang eines Bekenntnisses im vollen Sinne gar nicht in Anspruch nehmen wollen und können. Man sollte infolgedessen unnötige Polemik vermeiden. Dagegen sollte man nicht vergessen, daß hier wirklich gemeinsame Glaubensanliegen ausgesprochen sind, und daß aus solchem gemeinsamen Bekenntnisakt in der Tat Bekenntnisbildung im kirchengeschichtlichen Sinne entstehen kann. Es ist nicht geraten, hier in falsche Polemik zu verfallen, wo im Gegenteil mit Ernst auf die Echtheit dieser bekenntnisbildenden Vorgänge geblickt werden muß. Vor allem aber bedarf die lutherische Kirche in Deutschland der Aufgeschlossenheit für die Möglichkeit neuer Bekenntnisbildung. Jedenfalls besteht die Möglichkeit, daß unsere Generation noch in der umfassendsten Weise zur Interpretation der Schriftwahrheit gegenüber einer geschlossenen großen Häresie aufgefordert sein würde.“175

Aber nicht nur in der Einschätzung von „Barmen“ unterschied Lilje sich deutlich von den Erlanger Theologen, sondern auch in der theologischen Beurteilung des Volkstums, das ja Elert und Althaus in ihrem am 9. April 1935 in Halle verhandelten Gutachten für den Lutherischen Rat als göttliche Schöpfungsordnung bezeichnet hatten: „Es schadet wirklich auch nichts, wenn bei diesem Anlaß noch einmal deutlich wird, daß eine recht verstandene lutherische Kirche zu einem bestimmten Mißverständnis des Gedankens der Volkskirche in schärfstem Gegensatz steht. […] Nachdem […] der Gedanke der Volkskirche ausschließlich oder überwiegend im Sinn des Volkstums gedacht wurde, das in den lutherischen Bekenntnissen niemals kirchengründende Bedeutung hat, und nachdem dieser Gedanke überdies von jener gewaltigen Woge völkischer Mystik überschwemmt war, die uns heute in Deutschland entgegenschlägt, wurde die Katastrophe offenkundig, zu der das halbe und ungenügende und darum das Bekenntnis verletzende Denken führen mußte.“176

Vollends deutlich wurde der Gegensatz zwischen Lilje und den Erlanger Theologen dadurch, dass Lilje sich zumindest in der Druckfassung seines Vortrages bei seinen Ausführungen zum Verhältnis von Bekenntnis und Bekennen ausdrücklich auf einen Vortrag aus dem Jahre 1930 des dialektischen Theologen und damaligen Barth-Weggefährten Friedrich Gogarten berief 177. 175

Lilje, Bekenntnis, 27. Ebd., 17. 177 Ebd., 8, Anm. 1 u. 14, Anm. 2, wo es heißt: „Zum ganzen vergleiche die wundervolle Schilderung, die F. Gogarten […] gibt. Es ist dort in einer Klarheit und Durchschlagskraft, die in der neueren Theologie nicht gerade häufig sind, von dem Kern des Bekenntnisses geredet.“ Lilje bezog sich auf Gogarten, Bekenntnis (Druckfassung eines in Nürnberg 1930 gehaltenen Vortrags). Freilich äußerte Lilje sich auch kritisch zu einigen Ausführungen Gogartens: „Ich möchte freilich ausdrücklich hinzufügen, daß mir die Gedanken, die Gogarten im ersten Teil dieser Schrift vorträgt, seine eigenen theologischen Voraussetzungen […] in bedenklicher und gefährlicher Weise zu 176

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Am Nachmittag des 3. Juli 1935 hielt Georg Merz den zweiten Hauptvortrag über: „Evangelisch-lutherische Kirche Deutschlands“178. Schon die Tatsache, dass die Aussprache über Liljes und Merz’ Vortrag dann anschließend gemeinsam erfolgte, wies auf den inhaltlichen Zusammenhang beider Vorträge hin. Merz griff zum Teil unmittelbar die Argumentation von Lilje auf und bestätigte sie ausdrücklich: „Die Warnung, um des gegenwärtigen Bekennens willen die Bekenntnisschriften nicht zu überschätzen, ist deshalb so ernst zu nehmen, weil sie ein Zeugnis sein will für die lebendige Gegenwart Christi in seiner Gemeinde.“179 Wie Lilje auf Gogarten, so berief Merz sich – in differenzierter, abwägender Weise – auf Karl Barth: „[…] uns [ist] weithin der reformierte Theologe Karl Barth ein Lehrer zu Luther und zur lutherischen Kirche geworden.“180 Wie Lilje stellte Merz sich klar hinter „Barmen“ und „Dahlem“ und würdigte die dortigen Entscheidungen sogar als „Akt des Bekennens“, der die Kirche ausmache: „Nur in dem Akt des Bekennens, wie er sich z. B. in Barmen und Dahlem dargestellt hat, ist Kirche.“181 Verschiedentlich spielte er auf die erste These der Barmer Theologischen Erklärung und deren Verwerfung an, warnte etwa vor der „Irrlehre, die neben der heiligen Schrift noch andere Quellen der christlichen Verkündigung kennt“182, bzw. davor, „nicht nur das Wort der Offenbarung bestimmend sein zu lassen, sondern die in der Geschichte erlebte Schicksalsgemeinschaft“183. Damit erteilte er – mit Barth – jeglicher (natürlichen) Theologie der Schöpfungsordnungen eine Absage. Nachdrücklich plädierte Merz für ein neues, positives Verhältnis der Lutheraner „zu den Brüdern in den reformierten und unierten Kirchen“. Auf Grund der durch die gemeinsame Abwehr der Deutschen Christen entstandenen veränderten Situation könnten die Lutheraner nicht einfach an ihre Traditionen aus dem 19. Jahrhundert anknüpfen. Auch hier gelte der reformatorische

verlassen scheinen.“ Gogarten hatte sich 1933 den Deutschen Christen angeschlossen, was zum Bruch mit Karl Barth geführt hatte. 178 Merz, Evangelisch-lutherische Kirche. Laut Programm lautete der Titel: „Die Evang.-Luth. Kirche Deutschlands“ (vgl. Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 56), laut Stolls Bericht: „Die evangelisch-lutherische Kirche in Deutschland“ (ebd., 19). Zu Merz’ Vortrag vgl. auch Lichtenfeld, Merz, 526–529. 179 Merz, Evangelisch-lutherische Kirche, 22. 180 Ebd., 11. Ähnlich wie auch Lilje sich zugleich kritisch von Gogarten abgegrenzt hatte (vgl. Anm. 177), so warnte freilich auch Merz in diesem Zusammenhang vor allzu enthusiastischen Erwartungen: „Es ist sicher so, daß, überwältigt von den Erleuchtungen, die ihnen die Theologie Karl Barths brachte, viele der kühnen Zuversicht sind, sie dürften über die Bekenntnisschriften der Väter hinaus einem neuen Bekenntnis entgegenschreiten.“ 181 Ebd., 24. 182 Ebd., 6. 183 Ebd., 15.

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Grundsatz, „der Gehorsam gegen das Wort“ müsse führen, „nicht die Pietät gegenüber einer Tradition“184. Selbstkritisch und unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die gescheiterten kirchenpolitischen Bestrebungen der Lutheraner im Sommer 1933 erklärte er sogar: „Das aus der Geschichte des deutschen Luthertums entnommene Bild einer deutschen evangelisch-lutherischen Kirche hat uns nicht geholfen, Bekenntnis zu wahren und Kirche zu ordnen.“185. Merz forderte dazu auf, die Stellung zu den reformierten und unierten Kirchen neu zu durchdenken; eine konfessionalistische Haltung im strengen Sinne komme nicht mehr in Betracht. Dabei unterschied Merz zwischen den grundsätzlich als Bündnispartnern zu akzeptierenden (bekenntnis-)„unierten“ Kirchen einerseits, „die durch eine öffentliche Erklärung ein bestimmtes Bekenntnis als für ihre Ordnung verbindlich bezeichnen, so wie es die Kirche der Pfalz mit der Augustana variata tut“, und den „Kirchen der ‚Union‘“ andererseits, die „die bindende Bedeutung des Bekenntnisses grundsätzlich gering“ achteten und „es den privaten Entscheidungen des Predigers“ überließen, „an welches Bekenntnis er sich gebunden wisse“. Im zweiten Fall werde „die Kirche ihrer Bindung an Schrift und Bekenntnis beraubt und Verkündigung oder Ordnung oder beides zugleich dem Belieben des Einzelnen oder der Herrschaft einer kirchenfremden Macht überlassen“; hier habe „die deutsch-christliche Irrlehre von der Trennung von Verkündigung und Ordnung ihren tatsächlichen Ursprung“186. Die beiden Extreme, die Merz ablehnte, waren also – mit seinen Worten – einerseits „die ‚konfessionalistische‘ Erstarrung“ und andererseits „die ‚unionistische‘ Verwirrung“ – für die er Pietismus und Rationalismus gleichermaßen verantwortlich machte187. Trotz der geforderten Öffnung gegenüber Barths theologischen Erkenntnissen, gegenüber „Barmen“ und „Dahlem“ sowie gegenüber Reformierten und „echten“ Unierten ließ Merz keinen Zweifel daran, dass er an den „Bekenntnissen der Väter“, also an den lutherischen Bekenntnisschriften, unbedingt festhalten wollte188, wobei er sich entschieden gegen eine bloß historische Bedeutung der Bekenntnisschriften wandte, ihnen vielmehr ganz aktuelle Relevanz beimaß: „Bringt die heilige Schrift als geschriebenes Wort zum Ausdruck, daß wir keine Offenbarung haben außer der in Jesus Christus, von dem sie zum Glauben rufend be-

184

Ebd., 12. Ebd., 9. 186 Ebd., 13 f. 187 Ebd., 18. 188 Ebd., 20. Vgl. auch ebd., 29: „Wir müssen beim evangelisch-lutherischen Bekenntnis bleiben!“ 185

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richtet, so bringen die Bekenntnisschriften zum Ausdruck, daß dieser in dieser Schrift verkündigte Herr in seiner Kirche durch den Geist lebendig ist und daß darum die Kirche immer wieder von dieser Herrschaft Zeugnis ablegen kann und muß.“189

Die „Erfahrung des Kirchenkampfes“ zeige ganz konkret, dass „schier vergessene Stücke der Bekenntnisschriften lehrreiche Führung und lichtvolle Belehrung geschenkt“ hätten: „Das gilt von den Aussagen der Schmalkaldischen Artikel über Kirche und Amt, von der Lehre des 28. Artikels der Augsburgischen Konfession über die Gewalt der Bischöfe; es gilt von den grundlegenden Sätzen des 5. Artikels der Augsburgischen Konfession über Wort und Geist, Amt und Sakrament; es gilt von den ebenso maßgeblichen Sätzen, die dort im 7. und 8. Artikel über die Kirche stehen. Indem wir Schüler des Bekenntnisses wurden, wurden wir gerufen zum bekennenden Erkennen. Was uns in einzelnen Fragen geschah, geschah uns erst recht in den entscheidenden Erkenntnissen. Daß Jesus Christus der Herr der Kirche ist, und außer ihm kein Herr ein legitimes Recht über sein Volk hat, das ist uns in den Kämpfen dieser Jahre groß geworden. Wir haben aber gerade für diese Wahrheit keinen schöneren und würdigeren Ausdruck als die Aussagen der Katechismen Luthers. Was dort zum ersten Gebot und zum zweiten Artikel gesagt ist, gilt heute nicht weniger denn vor 400 Jahren. Was aber in der Auslegung des dritten Artikels über den Weg zu diesem Herrn gesagt ist, faßt treu dem Worte Gottes und unerschöpflich in seiner Fülle all die Antworten in sich, die wir heute den Irrlehren unserer Tage entgegenhalten müssen.“190

Es gelte, gerade „nicht über Luther hinaus, sondern in ihn hinein“ zu denken191. Wie brachte nun Merz sein Plädoyer für Öffnung einerseits und seine Ermahnung zur Rückbesinnung auf die lutherischen Bekenntnisschriften und zum treuen Festhalten an ihnen andererseits miteinander in Einklang? Er tat dies, indem er unter ausdrücklicher Berufung auf die Beschlüsse der drei Reichsbekenntnissynoden in Barmen, Dahlem und Augsburg 1934 und 1935 mit großem Nachdruck betonte, dass die Deutsche Evangelische Kirche ein „Bund von Bekenntniskirchen“ und keinesfalls eine „Unions“-Kirche sei192. Konsequenterweise forderte er, dass es überall „ein wirklich bekenntnisgebundenes Kirchenregiment“ und nicht bloß „ein lediglich rechtlich-organisatorisches Konsistorium“ geben müsse193. Bekenntnisgebundenheit war für Merz also die notwendige Voraussetzung sowohl für ein konfessionsübergreifendes Bündnis 189 190 191 192 193

Ebd., 22. Ebd., 28 f. Ebd., 30. Ebd., 14. Vgl. auch ebd., 19 f. Ebd., 19.

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als auch für die Abwehr deutsch-christlicher Irrlehren. Keine kirchliche Gemeinschaft, so Merz, könne „der festen Überzeugung entbehren“, ansonsten trete „die jeweilig stärkste geistige Macht als beherrschende Macht an diese leergebliebene Stelle“. Diese Macht könne dann „der preußische Staatsgedanke“ oder „der liberale Kulturgedanke“ oder auch „der Gedanke des Volkstums“ sein; das Ergebnis sei Ideologie, je nachdem: die der Deutschen Christen, die des religiösen Liberalismus oder auch die des religiösen Sozialismus194. Merz’ Vortrag beinhaltete nicht nur Kritik an den Deutschen Christen, sondern – wenngleich vorsichtig – auch am Nationalsozialismus bzw. an der nationalsozialistischen Weltanschauung selbst. Unter Verweis auf den eschatologischen Vorbehalt der christlichen Botschaft äußerte er etwa über den säkularisierten nationalsozialistischen „Chiliasmus“: „[…] wir können nicht sagen, ob 1933 das tausendjährige Reich anbrach oder ob es zu Ende ging. Wir schauen solchen Träumen befremdet zu […]“195 Auch die Bemerkungen: „Wir haben keine Helden […]“ und „Wir […] verkündigen sein [sc. Gottes] Heil allem Volke, dankbar für die Freiheit, die in Christus geschenkt ist […]“196 konnten wohl als Kritik am Führerkult und an der nationalsozialistischen Rassenlehre verstanden werden. Bemerkenswert ist, dass Merz in seinem Vortrag die Erlanger Theologen in der Gestalt von Hermann Sasse direkt attackierte. Zwar hob er „das tapfere und entschiedene Wort“ hervor, „mit dem Hermann Sasse im Kirchlichen Jahrbuch 1932 als erster auf die heraufziehende Gefahr hinwies“197. Auch die von Sasse im Sommer 1933 erhobenen „kritischen Bedenken“ gegen die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche, die sich dann die Reichsbekenntnissynoden von Barmen und Dahlem zu Eigen gemacht hätten198, würdigte er. Jedoch äußerte er zu den Bedenken gegenüber einer konfessionsübergreifenden Zusammenarbeit mit bekenntnisbestimmten reformierten und unierten Kirchen − „heute von Hermann Sasse, in den Unionskämpfen des 19. Jahrhunderts von Friedrich Julius Stahl erhoben“ −, diese verrieten „wohl kirchliche Gewissenhaftigkeit“, erinnerten aber „an eigentümlich mittelalterliches Denken“199. 194

Ebd., 15 f. Ebd., 30. 196 Ebd. 197 Ebd., 7. Vgl. KJ 1932, 65–67; dazu: Scholder, Kirchen, Bd. 1, 179 f. 198 Merz, Evangelisch-lutherische Kirche, 12. 199 Ebd., 17. Der ja durchaus nicht unerhebliche Vorwurf des Rückfalls bzw. des Verhaftet-Seins in „mittelalterliches Denken“ wird freilich im weiteren Verlauf des Vortrags dadurch etwas relativiert, dass Merz im Zusammenhang mit seiner Ermahnung, treu an den Bekenntnisschriften festzuhalten, zu dem „Mut a n a chronisch zu leben“ aufrief: „Wer dem ‚Chronos‘ traut, verfällt zu leicht seinem Gesetz, wer ‚anachronisch‘ zu denken sich getraut, wird wach für den Ruf der ‚Re‘formation.“ (Ebd., 25.) 195

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Es konnte nicht verwundern, dass der so Angegriffene sich in der Aussprache über die Vorträge von Lilje und Merz als erster zu Wort meldete200. Zunächst dankte er höflich und stellte das Gemeinsame, Unstrittige heraus: Lilje und Merz hätten sich beide unmissverständlich „zur evangelisch-lutherischen Kirche bekannt, d. h. zu der Kirche Augsburgischen Bekenntnisses“, beide hätten auch den Gedanken „einer über den Konfessionen stehenden evangelischen Kirche“ verworfen. Anschließend bekannte Sasse sich durchaus offensiv zu einem „lutherischen Konfessionalismus“, wenngleich nicht zu einem „verhärteten und erstarrten Konfessionalismus“, für den er gleichwohl aus Gründen historischer Erfahrungen Verständnis aufbrachte. Sasse führte u. a. aus: „[…] daß dieser Tag [sc. der Lutherische Tag] überhaupt gekommen ist; und daß die lutherische Kirche wieder in neue [sic!] Besinnung auf ihr Wesen und auf ihren Auftrag sich befindet, verdanken wir der Tatsache, daß es einen lutherischen Konfessionalismus gegeben hat. […] Die Gefahr eines verhärteten und erstarrten Konfessionalismus ist unendlich viel geringer als die Gefahr des Gegenteils. […] Man muß verstehen, wie es zu dieser Erstarrung gekommen ist.“

Das Bekenntnis der Kirche, so Sasse, sei „das Ja zu Gottes Offenbarung“. Die Bekenntnisbildung gehe auf Jesus Christus selbst zurück; er habe sie gefordert, deswegen gehöre sie zum Wesen der Kirche. Die vor allem von Lilje vorgenommene Unterscheidung zwischen aktuellem Bekennen und der Zustimmung zu den Bekenntnisschriften vermochte er „nicht zu begreifen“. Alles Bekennen beginne „immer wieder mit dem Rückgang auf das Bekenntnis, das schon da war.“ Sasse beendete seine Ausführungen mit vier Fragen bzw. Forderungen: 1. Es müsse definitiv geklärt werden, ob die Deutsche Evangelische Kirche eine Kirche oder – wie es Sasses Auffassung entsprach – lediglich ein Kirchenbund sei. Die DEK-Verfassung müsse so umgestaltet werden, dass sie bekenntniskonform sei. 2. Eine lutherische Kirche könne „nur durch ein lutherisches Kirchenregiment regiert werden“, für die Reformierten gelte Entsprechendes. 3. Die „bloße Vorschrift einer itio in partes in bestimmten Einzelfällen“, wie sie die altpreußische Unionskirche und auch die Reichsbekenntnissynoden vorsahen, lehne er als völlig unzureichend ab. 4. Die Frage nach der Zukunft des deutschen Luthertums werde in Preußen entschieden, und sie müsse, so forderte Sasse, bald entschieden werden. Auch das Kirchenvolk fordere „eine Kirche, die unzweideutig das verkündet, 200 Sasses Votum (masch.) in: LKA Hannover, D 15 V 2/3. Hier auch die folgenden Zitate. Vgl. auch Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 21–25; sowie die stenographische Mitschrift Meisers, der Sasses Ausführungen als „Korreferat“ bezeichnete, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 404–408.

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was sie glaubt“. Sasse wollte also die preußische Union wieder in einen lutherischen und einen reformierten Teil aufspalten. Der Vertreter der preußischen Altlutheraner, der Breslauer Oberkirchenrat Gottfried Nagel, bekräftigte verständlicherweise diese Forderung Sasses und appellierte an die „Brüder in der Union“201: „[…] sorgen Sie dafür, daß Sie endlich durch Unterstellung unter ein rein lutherisches Kirchenregiment werden, was Sie noch nicht sind: lutherische Kirche!“ Von einer anderen, nämlich pietistischen Warte aus meldete der württembergische Pfarrer Metzger „grundsätzliche Bedenken an die Herren Referenten“ und konsequenterweise ausdrücklich auch „an Herrn Professor Sasse“ an202. Metzger äußerte die Befürchtung, dass durch eine allzu starke Betonung der Bekenntnisschriften der Vorrang der Heiligen Schrift und vor allem der persönlichen lebendigen Christusbeziehung verdrängt werden könnte: „Das lutherische Bekenntnis weist uns an die Heilige Schrift. Diese weist uns an den Herrn Christus. Und dieser ist ein Lebendiger. Der Herr Christus wird verdrängt durch ein Bekenntnis zum lutherischen Bekenntnis. Das ist die große Sorge, die uns bewegt. Wird hier nicht ein Erstes mit einem Zweiten vertauscht? Es geht nicht um Wahrung eines lutherischen Bekenntnisses, es geht um Christus, und es geht um seine Kirche, über die er Herr ist.“

Das Problem der Deutschen Christen sah Metzger dementsprechend nicht so sehr in deren Abkehr von den Bekenntnisschriften als vielmehr im Fehlen einer lebendigen, bibelorientierten Christusbeziehung. Metzger ließ keinen Zweifel daran, dass ihm die positive Würdigung der Barmer Theologischen Erklärung durch Lilje und Merz noch nicht genügte. Er warf den Referenten vielmehr vor: „Es wird mit allen Mitteln versucht zu verhindern, daß Barmen in den Rang einer Bekenntnishandlung rücke.“ Ähnlich unzufrieden war Metzger mit der signalisierten Kooperationsbereitschaft gegenüber den Reformierten. Hier gebe es „nur ein schlichtes Entweder – Oder“: Entweder müsse man konstatieren, dass die Reformierten einen anderen Gott und einen anderen Christus hätten, dann könne man ehrlicherweise überhaupt nicht mit ihnen kooperieren, sondern müsse sie vielmehr bekämpfen, oder aber man müsse – wie Metzger es offensichtlich selbst tat – konstatieren, dass die Reformierten „bei verschiedener Sicht […] denselben 201 Zu Nagels Votum vgl. Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 25–27. Das nachfolgende Zitat: ebd., 27. 202 Metzgers Votum (masch.) in: LKA Hannover, D 15 V 2/3. Hier auch die folgenden Zitate. Vgl. auch Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 28 f.; sowie die stenographische Mitschrift Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 409 f.

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Christus“ hätten, dann müsse konsequenterweise die Kooperation sehr viel weiter gehen: „[…] dann folgt daraus die Abendmahlsgemeinschaft.“ Selbst der Union konnte Metzger – obwohl er beteuerte, keineswegs für die Altpreußische Union reden zu wollen – noch etwas Positives abgewinnen, denn auch in ihr habe Gott segensreich gewirkt. Die „Väter“, die die Union auferlegt bekommen hätten, hätten sie „im Gehorsam gegen ihre Obrigkeit“ auf sich genommen, und dieser Gehorsam sei von Gott gesegnet worden. Er schloss mit dem Appell – und dabei beanspruchte er gleichsam nicht nur für sich selbst, sondern für die württembergische Kirche zu sprechen –: „Wir müßten uns der Bibel mit ganzem Ernst zuwenden[,] wie das anderwärts vor lauter Bekenntnis nicht mehr möglich wurde. Das sind unsere Fragen und unsere Bedenken, die wir von Württemberg anmelden möchten. Christus ist größer als unser Herz.“ Gegen die Meinung Metzgers, die Unionsgründung sei gleichsam eine göttliche Führung, wenn auch eine Führung unter dem Kreuz, gewesen, erhob sofort im Anschluss an die Ausführungen Metzgers Merz heftigen Protest203: „Denn auf genau dieselbe Weise wollen heute die pietistisch Gesinnten unter den Deutschen Christen den Angriff einer kirchlichen Gewaltpolitik erträglich machen.“204 Wegen der vielen Wortmeldungen wurde die Aussprache über die Vorträge von Lilje und Merz am nächsten Tag, dem 4. Juli fortgesetzt. Zunächst sekundierte der Tübinger Neutestamentler Gerhard Kittel205 seinem Landsmann Metzger206. Kittel wies darauf hin, dass die württembergische Landeskirche selbst eigentlich gar kein eindeutiges schriftlich fixiertes Bekenntnis habe207, trotzdem habe Gott sie „als wirkliche Kirche bewahrt“. Die Bekenntnisgebundenheit der württembergischen Kirche sei eine andere als etwa die der bayerischen und hannoverschen Landeskirche, es könne aber keine Rede davon sein, dass die württembergische Kirche keine bekenntnisgebundene Kirche sei. Im Blick auf die Frage der Union bekräftigte Kittel die Meinung Metzgers, „daß Gott auf dem Boden der Union Segen hat wirken lassen und Kirche hat 203

Vgl. Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 29 f. So gab Christian Stoll mit eigenen Worten den Einwand Merz’ wieder: ebd., 29. 205 Zu Kittel und seiner umstrittenen Rolle im „Dritten Reich“, insbesondere zu seinem Antijudaismus, vgl. u. a. Ericksen, Theologian; Friedrich / Friedrich, Kittel; Rese, Antisemitismus; und Siegele-Wenschkewitz, Evangelisch-theologische Fakultät Tübingen. 206 Kittels Votum (masch.) in: LKA Hannover, D 15 V 2/3. Hier auch die folgenden Zitate. Bei Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 30 wird der Diskussionsbeitrag Kittels nur kurz erwähnt. 207 Im § 1 der Verfassung der württembergischen Landeskirche von 1920 hieß es: „Die evangelisch-lutherische Kirche in Württemberg, getreu dem Erbe der Väter, steht auf dem in der Heiligen Schrift gegebenen, in den Bekenntnissen der Reformation bezeugten Evangelium von Jesus Christus, unserm Herrn. Dieses Evangelium ist für die Arbeit und Gemeinschaft der Kirche unantastbare Grundlage.“ (Zitiert nach: Haering, Württemberg, 1826.) 204

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sein lassen.“ Energisch wandte er sich dagegen, „heute so zu tun und so zu sagen, als ob die Union das Grundübel sei, der Teufel sei, die Front sei[,] gegen die man zu kämpfen habe“. Lilje schaltete sich in die Debatte ein208, um seine Position zwischen derjenigen Sasses und derjenigen der Württemberger noch einmal zu verdeutlichen. Gegen Sasse gerichtet, den er namentlich nannte, – und hier sichtlich bemüht, die Bedenken der Württemberger zu zerstreuen, – wandte er sich gegen eine „Verabsolutierung der Bekenntnisse“, gegen jegliche „Form von Lehrgesetz oder Glaubensgesetz“. Lilje schloss in diesem Zusammenhang auch ein neues Bekenntnis grundsätzlich nicht aus, gab aber zu bedenken, dass nach seiner Einschätzung „eine Häresie vom Range der römischen Kirche“ (gegen die sich die Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts richteten) noch nicht wieder aufgetreten sei; freilich fügte er hinzu: „Eine ähnliche Form [sc. von Häresie] könnte in Form einer Staatsverabsolutierung eintreten.“ Lilje räumte auch ein, dass man das Verhältnis zu den Reformierten ernsthaft überdenken müsse und dass man es sich von lutherischer Seite aus mit dem Pietismus zu leicht gemacht habe. Offensichtlich gegen die Württemberger und deren Betonung der persönlichen bibelorientierten Christusbeziehung gerichtet waren dagegen die Bemerkungen: „Aber da wir immer die Frage haben: Blinkt nicht das Schwärmertum von ferne? Das ist darin begründet, daß das Verständnis der Schrift, der Schlüssel der Schrift – alles Ausdrücke unserer Bekenntnisse – uns dargereicht ist von der justificatio peccatoris. Nur von hier aus haben wir den Schlüssel zum Verständnis der Schrift.“

Es gelte, so Lilje abschließend, „die uns geschenkte Gabe in den Bekenntnissen besser [zu] sehen“. Der Berliner Missionsdirektor Siegfried Knak fühlte sich genötigt, „aus dem Raum der preußischen Union heraus“ die Meinung der Württemberger zu unterstützen209. Die Aussage Metzgers, dass die in der Union Gebliebenen im Gehorsam gegen Gott gehandelt hätten und dass Gott diesen Gehorsam gesegnet habe, unterschreibe auch er: „Die Unionskirche ist eine geschichtlich greifbare Kirche wie die anderen Kirchen. Die Kirche Christi in der Unionskirche hat uns, ähnlich wie es in den Konfessionskirchen geschieht[,] zu Bibel und Bekenntnis geführt. Also gibt es nicht nur lauter Verkehrtes in der Union.“ Für Knak konnte auch kein Zweifel daran bestehen, „dass die Reformierten auch unsere Brüder sind.“ 208 Liljes Votum (masch.) in: LKA Hannover, D 15 V 2/3. Hier auch die folgenden Zitate. Bei Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 30 wird der Diskussionsbeitrag Liljes nur kurz erwähnt. 209 Knaks Votum (masch.) in: LKA Hannover, D 15 V 2/3. Hier auch die folgenden Zitate. Bei Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 30 wird der Diskussionsbeitrag Knaks nur kurz erwähnt.

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Der nächste Redner war wieder ein Württemberger. Der Geschäftführer des Evangelischen Gemeindedienstes Stuttgart, Pfarrer Theodor Dipper, demonstrierte gleichsam, wie geschlossen die württembergische Front auf dem Lutherischen Tag war210. Dipper warf die Frage auf, ob die Bekenntnisse der Väter „in jeder Hinsicht zu treffenden Aussagen geführt haben“ oder ob es nicht „andere Lehrausprägungen daneben“ gebe, „die aber auch denselben Herren meinen“. Bekenntnismäßige kirchliche Ordnungen schützten letztlich nicht vor „Einbrüchen, die das Bekenntnis zerstören“. Nur „von der lebendigen Gemeinde“ könnten die Probleme gelöst werden. Wie schon Metzger, Kittel und Knak bezeichnete Dipper den Weg der „Brüder in der Union“ auch als einen „Segensweg“. Höchst problematisch – und sicher auch nicht der Meinung aller Vertreter aus Württemberg entsprechend – war in diesem Zusammenhang Dippers Vergleich mit den Deutschen Christen: „Sie [sc. „die Brüder in der Union“] haben vor Gottes Angesicht gerungen wie auch die Männer bei den Deutschen Christen. Ich bin überzeugt, daß sie objektiv nicht richtig gegangen sind. Und doch wird der Herr ihnen auf ihrem Wege seinen Segen geben.“ Nach Beiträgen des Kieler Kirchenhistorikers Kurt Dietrich Schmidt, der schon vorher in einem Ausschussbericht auf die Debatte vom Vortage Bezug genommen und dabei das Verhältnis zwischen Schrift und Bekenntnis als „eine dialektische Wechselwirkung“ beschrieben hatte211, sowie des oldenburgischen Vikars Edo Osterloh212 ergriff abschließend Zänker, der am zweiten Tag die Aussprache geleitet hatte, das Wort213. Zänker meinte zunächst, Knak in „das richtigere Licht rücken“ zu sollen. Knak gelte als „Führer des Luthertums in der Unionskirche“ und habe „nur zu zeigen versucht, wie schwierig die Dinge für die Unionisten liegen“. Dann mahnte er: „Wir sind nur dann mit Recht Lutheraner, wenn wir die Frage beantworten können, worin und warum wir die lutherische Kirche in Zukunft deutlicher ausprägen wollen.“

210 Dippers Votum (masch.) in: LKA Hannover, D 15 V 2/3. Hier auch die folgenden Zitate. Bei Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 30 wird der Diskussionsbeitrag Dippers nur kurz erwähnt. 211 Bericht K. D. Schmidts „über die Arbeit der theologischen Kommissionen [sic!]“ vom 4. 7. 1935 (masch.) in: LKA Hannover, D 15 V 2/3. 212 Vgl. den kurzen Hinweis auf die Diskussionsbeiträge Schmidts und Osterlohs bei Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 30. Zum Inhalt der Beiträge finden sich weder dort noch in den einschlägigen Akten im LKA Hannover noch in den stenographischen Aufzeichnungen Meisers über den Lutherischen Tag (abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 403–410) Informationen. Zu Osterloh vgl. Zocher, Osterloh. 213 Zänkers Votum (masch.) in: LKA Hannover, D 15 V 2/3. Hier auch die folgenden Zitate. Vgl. auch den kurzen Hinweis bei Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 30 f.

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Am Nachmittag des 4. Juli 1935 hielt Althaus den dritten – und letzten – Hauptvortrag des Lutherischen Tages über „Kirche und Staat nach lutherischer Lehre“. Althaus hatte diesen Vortrag bereits wenige Tage zuvor auf einer Tagung in Hamburg gehalten, die von den deutsch-christlichen Bischöfen der lutherischen Landeskirchen von Hamburg, Schleswig-Holstein und Braunschweig, Franz Tügel, Adalbert Paulsen und Helmuth Johnsen, einberufen worden war, die sich wegen des seit der DC-Sportpalastkundgebung vom November 1933 offenkundigen Niedergangs der deutsch-christlichen Bewegung214 und wegen des Scheiterns des DC-Reichskirchenregiments unter Müller Ende 1934 bzw. Anfang 1935 von den Deutschen Christen getrennt hatten und sich unter Herausstellung ihres „Luthertums“ neu zu formieren bzw. zu legitimieren versuchten und dabei auch um eine Zusammenarbeit mit dem Lutherischen Rat, womöglich sogar um einen Anschluss hieran buhlten215. Meiser machte freilich eine Kooperation von der Unterstellung unter die Vorläufige Kirchenleitung abhängig, was zumindest Johnsen strikt ablehnte216. Althaus entfaltete in seinem Vortrag217 die Thesen, die er schon in dem gemeinsam mit Elert verfassten Gutachten für den Lutherischen Rat mit demselben Titel formuliert hatte. Er führte u. a. aus, dass zwar das Amt der Kirche von dem des Staates unterschieden werden müsse218 und dass in der Verschiedenheit ihres Auftrages Staat und Kirche „Freiheit voneinander“ hätten219, dass aber Staat und Kirche sich „nicht als zwei Lager“ gegenüberlägen, sondern vielmehr eng aufeinander bezogen seien und zusammengehörten: „[…] wir, die Glieder der lutherischen Kirche, sind alle auch ein Stück deutschen Staates, und die Männer unseres Staates reden wir auch als Getaufte an, also als Kirche, mit dem Worte, das uns und sie bindet.“220 Der Staat sei „Werkzeug“ Gottes, und zwar nicht nur im – negativen, abwehrenden – Sinne einer „Erhaltungsordnung“, um die Welt vor dem Chaos zu bewahren, sondern er diene auch – im positiven, gestaltenden Sinne – „dem Schöpferwillen Gottes, der durch ihn ein Volk zu dem machen will, was es sein kann und soll“221. Damit wandte er sich explizit, unter Berufung auf Luther, gegen die fünfte These der Barmer 214

Vgl. hierzu u. a. Scholder, Kirchen, Bd. 1, 701–742. Vgl. hierzu Besier, Kirchen, 105–107. Zu Tügel vgl. Hering, Bischöfe; sowie die Autobiographie: Tügel, Weg. Zu Johnsen vgl. die biographische Studie von Kuessner, Landesbischof. 216 Vgl. Besier, Kirchen, 106 f. 217 Althaus, Kirche und Staat. Vgl. auch das Protokoll über den Vortrag bei: Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 31–35. Teile der Vortragsmitschrift finden sich in der Akte: LKA Hannover, D 15 V 2/3. 218 Vgl. Althaus, Kirche und Staat, 14–17. 219 Ebd., 17–21. 220 Ebd., 5. 221 Ebd., 8 f. 215

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Theologischen Erklärung222. Der Staat bedürfe der Kirche, die ihm das Gesetz Gottes zu verkündigen habe, ohne das er dem Volk nicht dienen könne223. Alles irdische Recht habe seine Autorität vom Gesetz Gottes her und an ihm auch seinen festen Maßstab. Gottes Gesetz, das er „in seiner geschichtlichen Offenbarung kundgetan“ habe, sei das „Gesetz der Heiligkeit des Lebens und der Ordnungen, die Mensch und Mensch zur Gemeinschaft, zum Dienste am Leben einander zuordnen, das Gesetz der Ehe, der Bruderschaft, der Vaterschaft und Kindschaft, der Verantwortung der Menschen und Völker für ihren Nächsten“224.

Von diesem Gesetz Gottes her müsse die Kirche unter Umständen auch Kritik an der staatlichen Rechtsbildung üben. Althaus schwächte diesen Gedanken allerdings sogleich wieder deutlich ab: „Die Kritik liegt in erster Linie den Gliedern der Kirche ob, die im Staate Verantwortung tragen, die als Sachverständige zum Rate und zum Handeln auf dem besonderen Lebensgebiete berufen sind. Diese Kritik wird meist gar nicht öffentlich hörbar werden, sie vollzieht sich als positive kritische Mitarbeit der Christen im Staate, nach ihrem Berufe.“225

Das nationale Ethos war für Althaus nur in der Rückbindung an die christliche Gottesfurcht vorstellbar: „Die Herzkammer unseres nationalen Ethos ist und bleibt die Furcht Gottes, des Gottes der Bibel, den unsere Väter gefürchtet haben.“226 Ausdrücklich rechtfertigte er in diesem Zusammenhang die Todesstrafe, die nicht nur „der Abschreckung und Sicherung“ diene, sondern insbesondere den Zweck habe, „den Bruch unbedingter Ordnung zu sühnen“227, und wandte sich gegen Ehescheidung und Empfängnisverhütung228. Um ihren Dienst öffentlich verrichten zu können, sei die Kirche – umgekehrt – auf den Staat angewiesen. Als Beispiele nannte Althaus den Schutz kirchlicher Feiertage, den Religionsunterricht, die Heeres-, Anstalts- und Gefängnisseelsorge sowie die theologischen Fakultäten229. Wieder, wie schon in seinem Gutachten für den Lutherischen Rat, betonte Althaus die Notwendigkeit einer arbeits222 Vgl. ebd.: „Für Luther geht das Amt des Staates durchaus nicht darin auf, daß er – mit der theologischen Erklärung der Barmer Bekenntnis-Synode von 1934 zu reden – ‚unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen‘ hat.“ 223 Ebd., 21. 224 Ebd., 22. 225 Ebd., 23. 226 Ebd., 24. 227 Ebd., 24 f. 228 Ebd., 26. 229 Ebd., 26 f.

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teiligen Zusammenarbeit von Kirche und Staat bei der Erziehung der Jugend230. Wieder gab er sich überzeugt, dass der NS-Staat sich von deutschgläubiger Ideologie distanziert und ausdrücklich „zu der christlichen Grundlage deutschen Volkstums“ bekannt habe231. Einem ähnlichen Zweckoptimismus entsprang wohl auch die von Althaus gemachte Unterscheidung zwischen „Totalität“ und „Absolutismus“: Während der absolute Staat Selbstzweck sei und „als der alles regelnde Staat zum alles verschlingenden Staate“ werde, habe der NSStaat mit seinem Totalitätsanspruch „seinen Sinn ganz und gar nicht in sich selbst“, sondern vielmehr im Dienst am Volk232. Freilich sprach Althaus auch von Spannungen im Verhältnis von Staat und Kirche und äußerte die Bitte, „unsere staatstreue christliche Jugend vor einem für die Zukunft des deutschen Volkes lebensgefährlichen Konflikte zwischen Glauben und Disziplin zu bewahren“233. Althaus’ Haltung zum Nationalsozialismus war auch sonst ambivalent. Einerseits sprach er von „echter Bruderschaft aller Blutsbrüder“ und erklärte: „Wir Christen wissen uns durch Gottes Willen gebunden an die Forderung des nationalen Sozialismus […]“234 Andererseits betonte er, dass die Kirche über die Grenze des Volkes hinausgewiesen sei – „Auch die Fernsten werden ihr Nächste.“235 –, und warnte vor den Gefahren einer den Nationalsozialismus möglicherweise dominierenden „Deutschgläubigkeit“236 und davor, „den Anbruch des Dritten Reiches zur Heilsgeschichte“ zu machen, wie es die Thüringer Deutschen Christen täten237. Insgesamt jedoch war der Tenor von Althaus’ Vortrag – trotz gewisser Besorgnisse – dem NS-Staat gegenüber loyal-freundlich. Mehr noch als in seinem Gutachten für den Lutherischen Rat stellte er die positive Bedeutung der Ordnungen heraus238 und gelangte dadurch in die Nähe zu der hauptsächlich von

230

Ebd., 28. Ebd., 30. 232 Ebd., 9. 233 Ebd., 30. 234 Ebd., 29. 235 Ebd., 6. 236 Ebd., 30. 237 Ebd., 14. 238 Vgl. hierzu auch Althaus, Theologie der Ordnungen. Althaus maß den Ordnungen hier nicht nur einen usus politicus – zur Abwehr des Chaos im Sinne bürgerlicher Gerechtigkeit – und einen usus paedagogicus, der auf den radikalen Sinn der Liebe hinweise, den die bürgerliche Gerechtigkeit niemals erfüllen könne, zu, sondern auch einen usus symbolicus: Die Ordnungen seien trotz ihres Andersseins Gleichnisse und Andeutungen für die Verfassung des Reiches Gottes, das eben auch Reich und Herrschaft sei; die Hoffnung auf das Reich Gottes werde an politischer Hoffnung gelernt. 231

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den Deutschen Christen rezipierten Volksnomoslehre239. Wohl nur mit seiner nationalistischen Grundhaltung ist die – aus heutiger Sicht – so erstaunliche Naivität zu erklären, mit der er sich hinsichtlich des Charakters des nationalsozialistischen Totalitarismus, der nationalsozialistischen Ideologie und der nationalsozialistischen Erziehungsziele offensichtlich Illusionen hingab. Nach dem Vortrag von Althaus ergriff der Rostocker Systematiker Friedrich Brunstäd das Wort, stimmte, so der offizielle Bericht von Stoll, den Ausführungen von Althaus grundsätzlich zu und brachte noch „wertvolle Ergänzungen“240. Anders als nach den Vorträgen von Lilje und Merz fand eine regel239 Vgl. hierzu Tilgner, Volksnomostheologie. In einer Fußnote (Althaus, Kirche und Staat, 21, Anm. 1) distanzierte Althaus sich allerdings ausdrücklich von Wilhelm Stapel, der als Begründer der Volksnomoslehre gilt. 240 Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 35. Außer diesen kurzen Hinweisen bei Stoll finden sich keine Hinweise auf die Ausführungen von Brunstäd. Stoll verwies aber in einer Anmerkung (ebd.) auf zwei Veröffentlichungen von Brunstäd: Brunstäd, Offenbarung; und ders., Kirche. Stoll bezeichnete Brunstäd als „Korreferent“ (Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 35). Es ist aber wohl unwahrscheinlich, dass Brunstäd ein regelrechtes Korreferat im Sinne eines vorher ausgearbeiteten Vortrags hielt. Das Programm (vgl. ebd., 57) sah dies ja auch nicht vor. Meiser hatte etwa das – aus dem Stegreif gesprochene – Votum von Sasse am Vortage (vgl. oben im Text) ebenfalls als „Korreferat“ bezeichnet (vgl. Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 404; vgl. auch Anm. 200). Immerhin setzte der Fortsetzungsausschuss des Lutherischen Tages am 15. 7. 1935 in Würzburg (vgl. dazu unten 2.7) fest, dass Brunstäd „über seine Auslagen gefragt werden“ sollte (masch. Protokoll Stolls: „1. Sitzung des Fortsetzungsausschusses des Deutschen L[utherischen] Tages in Würzburg am 15. 7. 1935“ [LKA Hannover, D 15 V 1/2]). Althaus hatte sich in seinem Vortrag ausdrücklich auf Brunstäd bezogen (Althaus, Kirche und Staat, 10 u. 20). In der Zeit der „Weimarer Republik“ hatte Brunstäd als eine Art Vordenker der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) gegolten (vgl. Brunstäd, Weltanschauung). Brunstäds Position zur Thematik des Vortrags von Althaus lässt sich vor allem aus seiner Schrift „Die Kirche und ihr Recht“ von 1935, auf die Stoll in seinem Bericht verwies (vgl. oben), klar erschließen, da sie ein eigenes Kapitel „Kirche und Staat“ enthielt (Brunstäd, Kirche, 38–46). Brunstäd wandte sich einerseits, indem er sich ausdrücklich auf die Bekennende Kirche berief, gegen eine staatlich-völkische Vereinnahmung bzw. Uminterpretation des Christentums als „artgemäße Höchstform religiöser Bewegtheit“ sowie der Kirche als „Organisation des Volkes zur Erfüllung seiner religiösen Aufgabe“, definierte vielmehr Christentum als „Glaube an das Evangelium“ als „handelnde Offenbarung des lebendigen Gottes in Christo“ und Kirche als „die Gemeinde des Herrn“. Andererseits betonte er, dass dies keineswegs („Nicht im mindesten!“) eine Auflehnung gegen den „totalen Staat der Nationwerdung“ bedeute. (Ebd., 39.) Es gehe „nur um Abwehr der Verkürzung und Verkehrung der evangelischen Wahrheit“. Brunstäd war sogar der Auffassung, dass dies ganz im Sinne des nationalsozialistischen Staates sein müsse: „Der totale Staat, der mit allem, was aus der Weltanschauung der Aufklärung und des Liberalismus stammt, aufräumt, wird nicht an dieser Stelle festhalten wollen, was von dort her noch in die Gegenwart hereinwirkt.“ Aus dem Bekenntnis heraus aber sei die Kirche dem totalen Staat gegenüber „ein verpflichtendes Ja“ schuldig. (Ebd., 40.) Nach Brunstäds Auffassung dient der Staat in theologischer Hinsicht nicht nur der „Abwehr des Bösen“ und der allgemeinen „Erhaltung des Lebens“, sondern darüber hinaus auch dem Volkstum als Gottes gnädiger Schöpfung, in das Gott alles „hineingelegt hat, was dem Volke als Sollen und Echtheit eingeboren ist“, und in dem wir „unser

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rechte Aussprache zu Althaus’ Vortrag nicht statt241; eine solche war auch im Programm nicht vorgesehen gewesen242. Allerdings vermerkte Stoll in seinem Bericht, dass sowohl über Althaus’ Vortrag als auch über die Ergänzungen von Brunstäd „volle Einmütigkeit […] nicht bestand“243. Die weitere Bearbeitung des Themas „Kirche und Staat“ wurde einem Ausschuss, unter der Leitung Knaks, zugewiesen244, der dann in der abschließenden Vollversammlung am 5. Juli 1935 einen durchaus ambivalenten Beschlussantrag stellte, der offenbar auch so angenommen wurde: Zum einen sollte der Vortrag von Althaus den lutherischen „Pfarrern […] als Anregung […] zugänglich gemacht werden“, zum anderen sollte „in Fühlung mit der Vorläufigen Kirchenleitung eine Abordnung geeigneter Männer“ beauftragt werden, „an der zuständigen [staatlichen] Stelle über die lutherische Grundhaltung zu Volk und Staat Bericht zu erstatten und dabei die angedeuteten Sorgen in Freimut und mit Nachdruck aussprechen“245. Die Leitung der abschließenden Vollsitzung246 übernahm wieder Meiser. Zunächst gab er bekannt, dass das Direktorium ein Grußtelegramm an den „Führer“ beschlossen habe. Während der Verlesung des Wortlautes erhoben sich die Versammlungsteilnehmer von ihren Plätzen und bekundeten damit ihre Zustimmung. Es wäre wohl zu kurz gegriffen, wenn man dieses Telegramm nur als „ehrerbietigen Gruß“ an den „Führer und Kanzler des Reiches“, so hieß es zu Beginn, also bloß als devote Loyalitätsbekundung dem Staatsoberhaupt und nicht unbedingt Hitler als Person (!) gegenüber, interpretierte – was es sicher auch war. Vor allem wollte man offensichtlich, durchaus selbstbewusst, Menschentum vor Gott leben“ sollen. Zwar dürfe der Mensch nicht sein Herz an Kreatürliches hängen, jedoch stelle die „Freiheit von der Welt für Gott“ den Glaubenden wieder „in Bindung an die Welt aus Gott“. Da auch die Kirche Gottes Schöpfungswillen zu dienen habe, träfen Staat und Kirche im gemeinsamen Dienst am Volkstum zusammen. (Ebd., 41.) „Der totale Staat, der vom Volkstum in seiner Wachstümlichkeit ausgeht und auf Nationwerdung drängt, ist in dem Willen zur Echtheit eine große Frage nach dem lebendigen Gott, der in der Schöpfung waltet und Herr der Geschichte ist.“ Wie Althaus unterschied auch Brunstäd scharf zwischen dem dem Volkstum dienenden totalen Staat und dem selbstherrlichen und sich selbst genügenden absoluten Staat. Kirche und totaler Staat gehörten zusammen. Entsprechenden deutsch-christlichen Thesen konnte er in diesem Zusammenhang ausdrücklich zustimmen. (Ebd., 42.) Zu Brunstäd vgl. auch Assel, Brunstäd. 241 Vgl. Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 35. 242 Vgl. ebd., 57. 243 Ebd., 35. 244 Ebd. 245 Zitiert nach: ebd., 37. Ebd. auch ein Auszug aus dem Bericht Knaks in der Schlusssitzung. 246 Vgl. hierzu das auf Grund der stenographischen Mitschrift angefertigte masch. Protokoll der Redebeiträge in: LKA Hannover, D 15 V 2/3. Vgl. auch den Bericht von Stoll: Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 36–48.

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das Anliegen der deutschen Lutheraner – wie selbstverständlich sprach man von der „Lutherischen Kirche in Deutschland“ – vortragen, sich angesichts der unklaren kirchlichen Lage als kirchenpolitischer Faktor ins Spiel bringen bzw. in Erinnerung rufen. Die zentralen Sätze des Telegramms lauteten: „Wir haben in ernsten Beratungen uns erneut des Auftrages Gottes erinnert, den er der Lutherischen Kirche in Deutschland zum Heil von Volk und Staat gestellt hat. Wir bitten Gott, daß er den Dienst unserer Kirche an unserem Volk segnen wolle […]“ Das abschließende fürbittende Gedenken für den „Führer“ in dem Telegramm hatte nicht nur eine lange Tradition in der gottesdienstlichen Fürbitte für die Obrigkeit, sondern – je nach Betonung – konnte es so, wie es formuliert war, auch als Ermahnung aufgefasst werden: „[…] wir bitten für unseren Führer, daß ihn Gott täglich mit neuer Kraft ausrüste, das Volk nach göttlichem Wohlgefallen zu regieren, und daß seine Arbeit mit Segen gekrönt werde.“ Ferner wurde, auf eine entsprechende Bitte eines Vertreters der Diaspora hin, den – zweifellos – „bedrängten lutherischen Brüdern in Russland“ ein Gruß entsandt247; der unmittelbare Zusammenhang mit dem Gruß an den „Führer“ konnte natürlich auch als dankbare Zustimmung zu dem antibolschewistischen Kurs der Nationalsozialisten verstanden werden. Meiser machte unmissverständlich klar, dass der Lutherische Tag bloß der Auftakt für Weiteres sein sollte. Es gehe darum, die „Linien“, die während des Lutherischen Tages aufgezeichnet worden seien, fortzuführen248. Zu diesem Zweck wurde ein Fortsetzungsausschuss eingesetzt, der „bis zu einer endgültigen Neuregelung der Verhältnisse die Verbindung zwischen dem Lutherischen Rat und dem Lutherischen Tag aufrechterhalten“ sollte. Diesem Ausschuss sollten angehören: außer Meiser, Marahrens, Breit, Stoll und Merz, die bereits Direktoriumsmitglieder des Lutherischen Tages waren, der ehemalige oldenburgische juristische Oberkirchenrat Gustav Ahlhorn, der Stadtpfarrer von Heimsheim in Württemberg, Heinrich Fausel, Hahn, der brandenburgisch-preußische Gutsbesitzer und ehemalige Offizier Detlev von Arnim-Kröchlendorff sowie Sasse249. Wie schon bei dem Telegramm an den Führer verkündete Meiser recht autoritär einen entsprechenden Beschluss des Direktoriums; der Versammlung blieb nur noch die Zustimmung. In einem Schreiben vom 8. Juli 1935 bat Meiser auch die Mitglieder des Lutherischen Rates, dem Vorschlag zur Besetzung des Fortsetzungsausschusses – „wenn nicht ganz gewichtige Gründe ent247 Vgl. das Protokoll der abschließenden Vollsitzung am 5. 7. 1935 (LKA Hannover, D 15 V 2/3); und Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 36. Zu der massiven Verfolgung der Lutheraner in Russland in der Stalin-Zeit vgl. u. a. Kretschmar, Kirche in Rußland, 558. 248 Protokoll der abschließenden Vollsitzung am 5. 7. 1935 (LKA Hannover, D 15 V 2/3). Hier auch die folgenden Zitate. Vgl. auch Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 36. 249 Zur tatsächlichen Zusammensetzung des Fortsetzungsausschusses vgl. unten 2.7, 116.

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gegenstehen“ – schriftlich zuzustimmen. Dieser Ausschuss solle, so Meiser in dem Schreiben, „zugleich die Aufgaben des bisherigen Arbeitsausschusses des Lutherischen Rates“ mit übernehmen250. In der Schlusssitzung berichteten die Vorsitzenden der Ausschüsse über deren Arbeit und stellten Anträge. Neben dem Ausschuss „Kirche und Staat“ unter dem Vorsitz Knaks hatte es einen Ausschuss der Hochschullehrer unter dem Vorsitz Kurt Dietrich Schmidts gegeben, ferner einen „Ausschuß für das niedersächsische Luthertum“ – Hintergrund waren Planungen für einen Zusammenschluss von Landeskirchen, wobei der Begriff Niedersachsen damals u. a. auch Mecklenburg und Schleswig-Holstein umfasste, – sodann einen Ausschuss der Lutheraner der altpreußischen Union unter dem Vorsitz Arnim-Kröchlendorffs und schließlich einen theologischen Ausschuss zu den Vorträgen von Lilje und Merz251. Für den Hochschullehrerausschuss beantragte Schmidt: 1. die Herausgabe einer „volkstümlichen Schrift […], die den Gemeinden den Inhalt der Bekenntnisschriften nahebringt“, und 2. bei der Vorläufigen Kirchenleitung der Deutschen Evangelischen Kirche die Einsetzung eines Arbeitsausschusses zur Erarbeitung von Normen für die Pfarrerausbildung zu erwirken252. Die Anträge, die ohne Debatte einstimmig angenommen wurden, hatten offenkundig den Zweck, der wohl auch damals schon weit verbreiteten Unkenntnis und Gleichgültigkeit in den Gemeinden sowie den nationalsozialistischen Gleichschaltungsversuchen der theologischen Fakultäten und dem Eindringen deutsch-christlicher Irrlehre in diese sowie auch in verschiedene Predigerseminare entgegenzusteuern. Bemerkenswert ist, dass der Hochschullehrerausschuss den zweiten Antrag, der den wichtigen Bereich der Pfarrerausbildung betraf, im Grunde an die Vorläufige Kirchenleitung richtete, sich hier also de facto gegen einen Alleingang der Lutheraner, wie er von der Sache her durchaus nahe gelegen hätte, wandte.

250 Schreiben Meisers an die Mitglieder des Lutherischen Rates, 8. 7. 1935 (LKA Hannover, D 15 V 3/3). 251 Zur Konstituierung der fünf Ausschüsse vgl. Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 31. 252 Vgl. ebd., 37; sowie das masch. Protokoll der abschließenden Vollsitzung am 5. 7. 1935 (LKA Hannover, D 15 V 2/3). Für die Herausgabe der Schrift (vgl. den ersten Antrag) wurden der Nürnberger Oberkirchenrat Julius Schieder, der hannoversche Pfarrer Friedrich Duensing und Johannes von Walter bestimmt; die beiden zuletzt Genannten waren Teilnehmer des Lutherischen Tages. Duensing hatte sich wohl durch seine kleine Schrift von 1934 über: „Das Luthertum und die Deutsche Evangelische Kirche“ (Duensing, Luthertum) empfohlen. Offenbar wurde das Buchprojekt nicht realisiert.

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Als Sprecher der Lutheraner in der preußischen Unionskirche verwies Arnim-Kröchlendorff 253 zunächst zustimmend auf die verbreitete Meinung, dass sich das Schicksal des deutschen Luthertums am Schicksal der altpreußischen Lutheraner entscheide. Angesichts der bevorstehenden „Kämpfe schwerster Art“ in der Kirche brauche man „festen Grund unter den Füßen“. Deshalb sei „die Union auf die Dauer weder erwünscht noch tragbar“. Brisant war der Antrag des Ausschusses der preußischen Lutheraner, „die Erörterung über die Frage der Abendmahlsgemeinschaft mit größter Entschiedenheit zu fördern und zu klären“. Über diesen Antrag kam es zu einer „längeren Aussprache“. Schließlich wurde ein wohl eher als diplomatisch zu bezeichnender Beschluss gefasst, mit dem das Problem erst einmal vertagt wurde: Der Lutherische Tag nahm den Antrag zur Kenntnis und übergab ihn dem Fortsetzungsausschuss. Ein weiterer Antrag der altpreußischen Lutheraner, der von den sächsischen Vertretern ausdrücklich unterstützt wurde, bezog sich auf das Selbstverständnis des Lutherischen Tages. Entgegen entsprechenden Diffamierungsversuchen des unmittelbar vor der endgültigen faktischen Entmachtung stehenden Reichsbischofs254 sollte festgestellt werden, „daß der Deutsche Lutherische Tag und die aus ihm erwachsende lutherische Synode ebensowenig wie die Bekennende Kirche eine Privatorganisation ist. […] Der Lutherische Tag ist im Sinne der Beschlüsse der drei Bekenntnissynoden die Zusammenfassung der lutherischen Kirche in Deutschland.“

Auch dieser Antrag wurde von der Vollversammlung lediglich zur Kenntnis genommen und „dem Fortsetzungsausschuß zu weiterer Behandlung übergeben“. Offenbar schreckte man noch davor zurück, sich bereits öffentlich zu sehr auf die zweifellos geplante lutherische Synode festzulegen. Zuletzt berichtete Merz über die Arbeit des theologischen Ausschusses und erläuterte den von diesem Ausschuss bzw. einem kleinen Unterausschuss erarbeiteten Entwurf einer Erklärung des Lutherischen Tages zu „Lehre, Gestalt und Ordnung der Evangelisch-Lutherischen Kirche“, der dann auch – in geringfügig sprachlich überarbeiteter Form – angenommen wurde255. Nicht ohne 253 Arnims Bericht und die im Anschluss daran verhandelten Anträge sind, teilweise wörtlich, wiedergegeben in: Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 38 f. Hier auch die folgenden Zitate. 254 Vgl. das „Wort des Reichsbischofs an die Pfarrer“ vom 26. 6. 1935, in: Gesetzblatt der DEK 1935, 71–74. Mit scharfen Worten hatte Müller ausdrücklich auch die Aktivitäten des „Lutherischen Rates“ und seines Vorsitzenden Meiser kritisiert (ebd., 71 f.). 255 Diese angenommene Endfassung der Erklärung ist abgedruckt in: Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 45–47; sowie in: Merz, Evangelisch-lutherische Kirche, 3 f. Merz’ Bericht mit den Erläuterungen zu dem Erklärungsentwurf ist wörtlich abgedruckt in: Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 39–45. Dem Unterausschuss gehörten neben Merz, Sasse und Stoll Fausel, Jacobi und Forck an (vgl. ebd., 42).

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Polemik ging Merz zunächst noch einmal auf die Einwände der Württemberger während der Aussprache nach seinem Vortrag ein: „Leider sehen uns die Brüder aus Württemberg […] so an, als ob wir im 17. Jahrhundert stünden, wir stehen aber im 20. Jahrhundert und müßten eher sie fragen, ob sie nicht im 19. Jahrhundert stehen geblieben sind.“ Das theologische Gespräch sei, so Merz, „nur von einem ganz bestimmten Standort“ aus sinnvoll zu führen: „[…] gerade dort, wo man weiß, von woher man redet, [ist] ein Gespräch zwischen Lutheranern und Reformierten möglich […]“256 Die Erklärung „Lehre, Gestalt und Ordnung der Evangelisch-Lutherischen Kirche“ bestand aus einer Präambel und vier Punkten. In der Präambel wurde gleich zwei Mal betont, dass die lutherischen Bekenntnisschriften nicht nur für die Lehre, sondern auch für die Gestalt und Ordnung der EvangelischLutherischen Kirche bestimmend seien. Punkt I. verwies noch einmal auf die Beschlüsse der Reichsbekenntnissynoden in Dahlem und Augsburg, wonach die Deutsche Evangelische Kirche ein „Bund bekenntnisbestimmter Kirchen“ sei und wonach deren Organe „den Bekenntnissen entsprechend“ zusammenzusetzen bzw. zu untergliedern seien, und forderte von der Bekenntnissynode und der Vorläufigen Kirchenleitung diese Beschlüsse „geltend zu machen“ 257 – Merz erläuterte hierzu: „Niemand soll vergewaltigt werden. Darum ist nur von ‚geltend machen‘ gesprochen. Damit die Kirchen wissen, was wir wollen und die bekenntnisgebundenen Kirchenregimente sich danach richten.“258 Unter Punkt II. wurde für die neue „Gemeinschaft des Bekennens“ auch „mit unseren reformierten Brüdern“ gedankt. Die Barmer Theologische Erklärung wurde zwar nicht ausdrücklich genannt; dass sie aber gemeint war, wurde spätestens klar, wenn man den letzten Satz des zweiten Punktes der Erklärung las, der ein beinahe wörtliches Zitat aus der Präambel der Barmer Erklärung war, worauf Merz auch ausdrücklich hinwies. Dieser Satz lautete: „Wir befehlen es seiner [sc. Gottes] Gnade und Führung, was das für das Verhältnis der Bekenntniskirchen untereinander zu bedeuten hat.“259 Im Punkt III. war von der „Treue“ zu „unseren Bekenntnissen“ die Rede. Ausdrücklich genannt wurden die Confessio Augustana von 1530, also die 256

Zitiert nach: ebd. Zitiert nach: ebd., 45 bzw. nach: Merz, Evangelisch-lutherische Kirche, 3. 258 Zitiert nach: Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 43. 259 Zitiert nach: ebd., 46 bzw. nach: Merz, Evangelisch-lutherische Kirche, 4. In der Präambel der Barmer Theologischen Erklärung heißt es: „Wir befehlen es Gott, was dies für das Verhältnis der Bekenntniskirchen untereinander bedeuten mag.“ (Zitiert nach: KJ 1933–442, 71.) Vgl. hierzu auch oben 2.2. Zu dem erläuternden Hinweis von Merz vgl. Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 44. 257

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invariata, sowie die Katechismen und Schmalkaldischen Artikel Luthers. Das Fehlen der übrigen lutherischen Bekenntnisschriften, namentlich der Konkordienformel, begründete Merz mit den unterschiedlichen Traditionen in den verschiedenen lutherischen Kirchengebieten. Äußerste Zurückhaltung wurde in der Erklärung gegenüber einer möglichen Überwindung und Neuformulierung der Bekenntnisse geübt: „Nur eine der Kirche neugeschenkte und von ihr einmütig bekannte biblische Erkenntnis würde uns über die verbindliche Kraft unserer Bekenntnisschriften hinausführen.“ Damit war nicht nur das Verständnis der Barmer Theologischen Erklärung als neues Bekenntnis abgewehrt, sondern auch, wie im folgenden Satz erläutert wurde, einer historisierenden Relativierung der Bekenntnisse – ein Irrtum, dem die Deutschen Christen erlegen seien – eine klare Absage erteilt. Merz erläuterte hierzu unmissverständlich: „Diese Zeugnisse [sc. die oben genannten Bekenntnisschriften] sind verbindlich. Ich kann mich als Lehrer der Kirche nicht über sie hinwegsetzen. Ich kann auch aus meiner privaten Erkenntnis heraus sie nicht verbessern wollen […]“260 Gegen die deutsch-christlichen Kirchenregime wandte sich der vierte und letzte Punkt. Wenn sie auch beteuerten, die Bekenntnisse „unangetastet“ zu lassen, so seien sie dennoch zu verwerfen, da sie sich in ihrem „kirchlichen Handeln von anderen Rücksichten und außerkirchlichen Einflüssen bestimmen“ ließen261. Merz erläuterte: „Nicht ‚unangetastet‘ sollen wir das Bekenntnis lassen, wir sollen das Bekenntnis vielmehr angreifen, damit wir von ihm ergriffen werden.“262 Die Erklärung wurde, wie schon erwähnt, mit geringfügigen redaktionellen Änderungen angenommen, und zwar einstimmig, also auch von den württembergischen Vertretern. Diese gaben freilich – gemeinsam mit den sich ihnen anschließenden badischen Vertretern – Folgendes zu Protokoll: Punkt I. der Entschließung dürfe nicht „als schematisch durchzuführendes Gesetz verstanden“ werden; es müsse vielmehr der Grundsatz Luthers gewahrt bleiben, „nach dem eine kirchliche Ordnung nicht eher aufgerichtet werden darf, als wenn der tatsächliche Zustand einer Kirche ihre Durchführung ermöglicht und sie also vom Gewissen der Beteiligten ertragen und bejaht werden kann.“263 Auch beantragten die Württemberger, „der Vorläufigen Kirchenleitung der Deutschen 260 Punkt III. der Erklärung zitiert nach: ebd., 46 f. bzw. nach: Merz, Evangelisch-lutherische Kirche, 4. Merz’ Erläuterungen hierzu zitiert nach Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 44. 261 Punkt IV. der Erklärung zitiert nach: ebd., 47 bzw. nach: Merz, Evangelisch-lutherische Kirche, 4. 262 Zitiert nach Stoll, Deutscher Lutherischer Tag, 45. 263 Zitiert nach ebd., 47.

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Evangelischen Kirche Dank, Gruß und Treuegelöbnis auszusprechen“, was allseits Zustimmung fand264. Eine Reihe von Mitgliedern der Bruderräte verschiedener „zerstörter“ lutherischer Kirchen und Kirchengebiete (Kurhessen-Waldeck, Mecklenburg, Lübeck, Schleswig-Holstein und Hamburg) beantragte schließlich: „die Aufstellung von Richtlinien, die eine g e i s t l i c h e Zusammenfassung und Leitung der lutherischen Kirchengebiete durch ein bekenntnisgebundenes Kirchenregiment anbahnen und Wege weisen zur inneren Zusammenordnung auf allen den Gebieten, auf denen es unbeschadet der gegenwärtigen Rechtslage schon möglich ist.“265

Zu diesem Antrag, den u. a. die Pfarrer Heinz Pflugk (Mecklenburg), Bernhard Heinrich Forck (Hamburg) und Karl Bernhard Ritter (Marburg) eingebracht hatten266, wurde ein förmlicher Beschluss nicht gefasst. Der Lutherische Tag war eine öffentliche Präsentation der „bekennenden lutherischen Kirche in Deutschland“ in statu nascendi. Diese sah sich nicht als Konkurrenzunternehmen zur übrigen Bekennenden Kirche, vielmehr als konsequente Fortführung dessen, was auf der Linie der Reichsbekenntnissynoden und auch der DEK-Verfassung von 1933 lag. Die Rückbesinnung auf das eigene Bekenntnis sollte zugleich gegen Irrlehre immunisieren und die Grundlage für eine ehrliche Kooperation in Gestalt eines Bundes mit anderen bekenntnisgebundenen evangelischen Kirchen sein, mit denen man im gemeinsamen Abwehrkampf stand. Bei zum Teil erheblichen Unterschieden in der theologischen Position und in der Einstellung zum NS-Staat verband die Teilnehmer schließlich die verbindliche Anerkennung nicht nur der Confessio Augustana von 1530 und der Katechismen Luthers von 1529, sondern auch der Schmalkaldischen Artikel von 1537. Zwischen einer konservativen Position der strikten Orientierung an den lutherischen Bekenntnisschriften, wie sie Sasse vertrat, einer württembergisch-pietistischen Position, die die Bekenntnisbindung zugunsten einer konfessionsübergreifenden subjektiven Christus- und Schriftbindung relativierte, und einer dem NS-Staat gegenüber aufgeschlossenen, die Barmer Theologische Erklärung ablehnenden politisch-nationalistischen Position auf der Grundlage einer Theologie der Schöpfungsordnungen, für die Althaus stand, setzte sich eine mittlere Position, vorgetragen von Lilje 264

Zitiert nach ebd., 48. Zitiert nach ebd., 47 f. Vgl. hierzu unten 2.7. 266 Vgl. das masch. Protokoll Stolls: „1. Sitzung des Fortsetzungsausschusses des Deutschen L[utherischen] Tages in Würzburg am 15. 7. 1935“ (LKA Hannover, D 15 V 1/2). Vgl. auch unten 2.7. 265

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und Merz, durch. Diese Position, die der Barmer Erklärung positiv gegenüberstand, versuchte die Balance zu wahren zwischen konfessioneller Identitätswahrung und vorsichtiger ökumenischer Öffnung, zwischen Rückbesinnung auf die Bekenntnisse des 16. Jahrhunderts und aktuellem Bekennen. Trotz grundsätzlichen Loyalitätserklärungen dem Staat gegenüber herrschte weithin Einigkeit in der Ablehnung von staatlichen Gewaltmaßnahmen sowie einer religiös verklärten NS-Rassenideologie.

2.7 Die Herausforderung durch die Einsetzung des Reichskirchenministers und der Kirchenausschüsse: Der Fortsetzungsausschuss des Lutherischen Tages (Juli bis Dezember 1935) und die Tagung des Lutherischen Rates am 17. Dezember 1935 Bereits am 15. Juli 1935 kam in Würzburg der Fortsetzungsausschuss des Deutschen Lutherischen Tages zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen267. Meiser gab zunächst die „endgültige Liste“ der ständigen Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder bekannt. Mitglieder waren danach: Meiser, Marahrens, Breit, der württembergische Oberkirchenrat Wilhelm Pressel, der wahrscheinlich den ursprünglich als Vollmitglied vorgesehenen Pfarrer Fausel ersetzte268, Hahn, Arnim-Kröchlendorff, Merz, Sasse, Ahlhorn und Stoll. Stellvertreter waren: Zänker, Duensing, Künneth, Fausel, der thüringische Pfarrer Ernst Otto, Knak, der Betheler Dozent Volkmar Herntrich, Althaus, Meinzolt und Lilje. Die Bischöfe Meiser, Marahrens und Zänker sowie Breit als das lutherische Mitglied der Vorläufigen Kirchenleitung wurden vermutlich zu einem kleinen Führungsgremium des Fortsetzungsausschusses bestimmt269, Zänker wohl als Stellvertreter. An der Sitzung nahmen außer Marahrens und Ahlhorn alle genannten ständigen Mitglieder teil. Die Ausschusssitzung stand noch ganz unter dem Eindruck des Lutherischen Tages. Meiser und besonders Merz war 267 Masch. Protokoll Stolls: „1. Sitzung des Fortsetzungsausschusses des Deutschen L[utherischen] Tages in Würzburg am 15. 7. 1935“ (LKA Hannover, D 15 V 1/2); vgl. auch die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 410–416. 268 Vgl. oben 2.6. In den Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 411 (vgl. ebenso Boberach / Braun / Nicolaisen, Organe, 115) wird zwar entgegen dem Protokoll Stolls (LKA Hannover, D 15 V 1/2) weiterhin Fausel als ständiges Mitglied und Pressel lediglich als stellvertretendes Mitglied aufgeführt, jedoch ist dem Protokoll Stolls wohl der Vorzug zu geben, da auch in dem Protokoll der folgenden Sitzung des Fortsetzungsausschusses am 30. 9. 1935 (ebd.) Pressel als – wenn auch verhindertes – Mitglied aufgeführt wird. 269 Das legen zumindest die Aufzeichnungen Meisers, in denen die vier Namen noch einmal extra aufgeführt sind, nahe (vgl. Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 411 mit Anm. 2).

Die Herausforderung durch die Einsetzung der Kirchenausschüsse

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offenbar vor allem an einer Verständigung zwischen den Lutheranern und der übrigen Bekennenden Kirche gelegen. Meiser hob als „Hauptergebnis“ die einstimmige Annahme der Erklärung270 hervor, der auch solche „Abgeordneten, die in einer gewissen Distanz zu Barmen und Dahlem“ stünden, „willig“ zugestimmt hätten. Die Forderung des altpreußischen Bruderrates, „dass in Zukunft doch die Bruderräte massgebend sein sollten für die Abordnungen zu Lutherischen Tagen bezw. Synoden“, bezeichnete er als „selbstverständlich“, sobald nur die Hannoveraner Erklärung „angenommen und durchgeführt“ sei271. Damit zielte Meiser zweifellos auf die bekenntnismäßige Zusammensetzung und Gliederung aller bekenntniskirchlichen Organe einschließlich des altpreußischen Bruderrates ab, wie es die Hannoveraner Erklärung ausdrücklich forderte272. Meiser war wohl der Meinung, dass die Lutheraner auf die übrige Bekennende Kirche zugegangen seien und dass diese – allen voran der Reichsbruderrat – nunmehr umgekehrt in der Pflicht sei, ihrerseits auf die Lutheraner zuzugehen: „Es muß gleich hier die Frage erwogen werden, wie machen wir es, daß die Verhandlungen über die Hannoversche Erklärung im Reichsbruderrat an dringlicher Stelle geschieht, so daß unser Beschluß dort zur Geltung kommt.“273 Konkret bezeichneten es sowohl Meiser als auch Pressel als dringende Notwendigkeit, eine Synodalordnung zu schaffen, die die konfessionelle Zusammensetzung und Gliederung der synodalen Organe verbindlich regelt. Auch Merz forderte eine enge Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen Lutheranern einerseits und Bruderräten und Bekenntnissynoden andererseits. Er pflichtete Meiser ausdrücklich bei, dass im Reichsbruderrat jetzt die Verhandlungen über den Lutherischen Tag „an vordringlicher Stelle“ geführt werden müssten; „die in Hannover beteiligten Mitglieder des Reichsbruderrates“ hätten sich dafür einzusetzen274 bzw. einen entsprechenden „Antrag“ einzubringen275. Merz wies in diesem Zusammenhang auf die nicht geringen personellen Überschneidungen zwischen dem Lutherischen Tag und den Bekenntnissynoden hin: Etwa 40 Teilnehmer des Lutherischen Tages, d. h. also knapp 40 %,

270

Vgl. oben 2.6, 114. Masch. Protokoll Stolls: „1. Sitzung des Fortsetzungsausschusses des Deutschen L[utherischen] Tages in Würzburg am 15. 7. 1935“ (LKA Hannover, D 15 V 1/2). 272 Vgl. oben 2.6, 113. 273 Vgl. die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 411. 274 Masch. Protokoll Stolls: „1. Sitzung des Fortsetzungsausschusses des Deutschen L[utherischen] Tages in Würzburg am 15. 7. 1935“ (LKA Hannover, D 15 V 1/2). 275 Vgl. die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 1, 411. 271

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seien Mitglieder von Bekenntnissynoden gewesen. Für Merz war das deutsche Luthertum offensichtlich unmissverständlich und endgültig auf den Kurs von „Barmen“ und „Dahlem“ eingeschwenkt: Mit der Erklärung sei, so das Votum von Merz laut Protokoll, „eine Stellung zu Barmen und Dahlem bezogen worden, die nicht mehr anzuzweifeln sei“.276 Breit war offenkundig mit den ihm als lutherischem Mitglied der Vorläufigen Kirchenleitung zur Verfügung stehenden Möglichkeiten unzufrieden. Er forderte „eine wirksame Förderung der Arbeit des lutherischen Mitgliedes in der VKL“, insbesondere personelle Unterstützung, und stellte auch die Frage nach einem möglichen Nachfolger, was auf eine gewisse Amtsverdrossenheit hindeuten könnte. Meiser wies darauf hin, dass Breit als lutherischer Vertreter der Vorläufigen Kirchenleitung geborenes Mitglied des Fortsetzungsausschusses des Lutherischen Tages sei; die übrigen Fragen könnten „hier nicht so rasch gelöst werden“. Ansonsten ging es in der Würzburger Sitzung des Fortsetzungsausschusses neben einigen „geschäftlichen Dingen“ – vor allem „Geldfragen“, für die Duensing zuständig sein sollte, – um die weitere „Bearbeitung der Beschlüsse von Hannover“. Eine solche war nötig, da eine rasche, einfache Ausführung kaum möglich war. Zu dem Antrag des Hochschullehrerausschusses, die Regelung der Pfarrerausbildung betreffend277, wurde beschlossen, den entsprechenden Ausschuss der drei Paktkirchen durch die drei Mitglieder des Lutherischen Rates Merz, Sasse und Kloppenburg sowie Vikar Osterloh als „Vertreter der Studentenschaft bezw. der ihr noch nahestehenden Vikare“ zu ergänzen. Von besonderer Brisanz war der auf dem Lutherischen Tag u. a. von Pflugk, Forck und Ritter eingebrachte Antrag, „Richtlinien für eine geistliche Leitung der zerstörten lutherischen Kirchen und Kirchengebiete“ aufzustellen278. Laut Protokoll lagen ähnliche Anträge auch aus Sachsen und den niedersächsischen Gebieten außerhalb der hannoverschen Kirche vor. Merz schlug vor, „die verschiedenen Gebiete je einer intakten Landeskirche zuzuweisen, bezw. in diese Gebiete Visitatoren abzuordnen.“ Damit standen nicht nur grundsätzlich – oder zumindest tendenziell – die landeskirchlichen Grenzen zur Disposition, sondern es deutete sich womöglich auch eine lutherische Einigung unter Einschluss lutherischer „Kirchengebiete“ in bisher unierten Landeskirchen

276 Masch. Protokoll Stolls: „1. Sitzung des Fortsetzungsausschusses des Deutschen L[utherischen] Tages in Würzburg am 15. 7. 1935“ (LKA Hannover, D 15 V 1/2). Ebd. auch die nachfolgenden Angaben und Zitate. 277 Vgl. oben 2.6, 111. 278 Vgl. ebd., 115.

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an. Dass man sich der Brisanz solcher Überlegungen bewusst war, zeigte sich zunächst daran, dass erst jetzt ein förmlicher Beschluss zu dem Antrag von Pflugk, Forck, Ritter u. a. gefasst wurde, sodann auch in der – von Merz vorgeschlagenen – vorsichtigen und differenzierten Formulierung dieses Beschlusses, die abermals deutlich machte, dass man auch in dieser heiklen Angelegenheit eine Kooperation mit der Vorläufigen Kirchenleitung anstrebte und jedenfalls einen Konflikt unbedingt vermeiden wollte. Die sieben Punkte des Beschlusses lauteten: „1) Der Antrag ist der VKL zur Kenntnis zu bringen; 2) der VKL ist vorzuschlagen, dass sie innerhalb ihres Personenbestandes eine Persönlichkeit herausstellt, die die Verbindung mit den zerstörten lutherischen Gebieten besonders pflegt; 3) der VKL wird anheimgegeben, ob sie nicht der Frage nähertreten würde, die lutherischen Gebiete im einzelnen durch intakte Kirchen zu betreuen und zu visitieren, 4) ferner eine bestimmte Angliederung der lutherischen zerstörten Gebiete durchzuführen, 5) ein personeller Ausschuss wird eingesetzt, der der VKL empfohlen wird, 6) D. Meiser soll persönlich mit den beteiligten Kirchenleitungen über die Frage einer gewissen Angliederung verhandeln, 7) den Antragstellern ist mitzuteilen, wie ihr Antrag behandelt wurde.“

Der Fortsetzungsausschuss erkannte den Ausschuss der Lutheraner aus der altpreußischen Unionskirche in der Zusammensetzung, wie er sich in Hannover unter dem Vorsitz Arnim-Kröchlendorffs gebildet hatte, ergänzt durch die nachträglich durch Arnim berufenen rheinischen bzw. ostpreußischen Pfarrer Beckmann und Theodor Kuessner, ausdrücklich an. Diesem Ausschuss wurde „anheimgegeben, an den Rat der altpreussischen Union heranzutreten und die Auffassung des Fortsetzungsausschusses geltend zu machen, wonach a) der lutherische Vertreter in der VKL als Vertreter der Lutheraner in ganz Deutschland, also auch der Lutheraner in Altpreussen anzusehen ist und b) im Rat der altpreussischen Union ein lutherischer Vertreter als Verbindungsmann zum lutherischen Mitglied der VKL aufgestellt werden soll.“

Zu dem Antrag des unter der Leitung Knaks tagenden Ausschusses „Kirche und Staat“ wurde beschlossen, sich mit dem Anliegen, „den massgebenden Stellen des Reiches die lutherische Staatsauffassung und die gegenwärtigen Besorgnisse der Kirche“ vorzutragen279, vor allem an die Partei zu wenden, da bei ihr die Führung im Staate liege. Zu einer entsprechenden Abordnung sollten neben

279

Vgl. ebd., 109.

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Althaus und Knak ein Bischof und „einige jüngere Vertreter der Kirche“ gehören. Althaus und Meinzolt sollten zudem „ein Wort“ an den Staat vorbereiten. Wenn es in dem Sitzungsprotokoll280 hieß: „D. Sasse wird beauftragt, an D. Althaus zu berichten, und zwar auch über die geäusserten Bedenken (Vortrag). Vor der Endredaktion des Wortes an den Staat sollen Breit und Pressel sich darüber beraten, erst danach soll die Abordnung abgesandt werden.“ – so wurde erneut deutlich, dass Althaus’ dem NS-Staat gegenüber grundsätzlich loyale Position durchaus auf Vorbehalte stieß. Freilich meinte man offensichtlich nicht, ihn übergehen zu können, vielmehr wollte man ihn wohl gewissermaßen einbinden. Ein entsprechendes „Wort an die Gemeinden“ sollte „durch das lutherische Mitglied der VKL in geeigneter Form und im geeigneten Zeitpunkt erfolgen“. Am 30. September 1935, also erst zweieinhalb Monate nach der konstituierenden Sitzung, trat der Fortsetzungsausschuss des Lutherischen Tages, wiederum in Würzburg, erneut zusammen. Von den ständigen Mitgliedern nahmen nur die drei bayerischen Vertreter Meiser, Sasse und Stoll sowie – der ja ebenfalls aus Bayern stammende – Merz teil. Marahrens und Hahn wurden durch Duensing bzw. den sächsischen BK-Pfarrer Richard Otto vertreten. Die übrigen Mitglieder und auch die Stellvertreter fehlten. Das Ergebnisprotokoll Stolls281 zeigte, dass man in den wesentlichen Punkten nicht weitergekommen war. Nach der optimistischen Aufbruchsstimmung des Lutherischen Tages schien der lutherische Formierungsprozess ins Stocken geraten zu sein. Ohne Zweifel hat dies damit zu tun, dass nur einen Tag nach der konstituierenden Sitzung des Fortsetzungsausschusses des Lutherischen Tages, nämlich am 16. Juli 1935, der Reichsminister ohne Geschäftsbereich Kerrl von Hitler mit den „Kirchenangelegenheiten“ beauftragt worden war282. Mit dieser Beauftragung, aus 280 Masch. Protokoll Stolls: „1. Sitzung des Fortsetzungsausschusses des Deutschen L[utherischen] Tages in Würzburg am 15. 7. 1935“ (LKA Hannover, D 15 V 1/2). 281 Masch. Protokoll Stolls: „Sitzung des Fortsetzungsausschusses des Lutherischen Tages in Würzburg am 30. September 1935“ (LKA Hannover, D 15 V 1/2). Vgl. auch die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 28–31. Da Meiser zum Teil „sehr unvollständig mitgeschrieben [hat]“, so schon die Einschätzung von Hannelore Braun und Carsten Nicolaisen (vgl. ebd., 30, Anm. 12), ist dem Protokoll Stolls insgesamt der Vorzug zu geben. 282 Vgl. den vom Führer und Reichskanzler, vom Reichsminister des Innern, vom Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung sowie vom Preußischen Ministerpräsidenten unterzeichneten „Erlaß über die Zusammenfassung der Zuständigkeiten des Reichs und Preußens in Kirchenangelegenheiten“ vom 16. 7. 1935, u. a. abgedruckt in: Grünzinger / Nicolaisen, Dokumente, Bd. 3, 1. Zur Entstehung des Reichskirchenministeriums und seiner Zuständigkeit vgl. Kreutzer, Reichskirchenministerium, besonders 75–98; Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 66–78; Besier, Kirchen, 287–336; sowie Grünzinger, Frage.

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der Kerrl eigenmächtig, wenn auch ohne Widerspruch Hitlers, die Errichtung eines neuen Fachministeriums ableitete, indem er als „Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten“ firmierte, war nicht nur im Verhältnis zwischen Staat und Kirche, sondern auch innerkirchlich eine neue Situation geschaffen worden. Die bisherigen lutherischen Pläne schienen jetzt jäh durchkreuzt zu werden; zumindest war an eine rasche Ausführung vorerst nicht zu denken. Eine gespannt-abwartende Haltung herrschte nunmehr vor. So hielt der Ausschuss insbesondere den „Antrag des Lutherischen Tages[,] ein Wort an den Staat zu richten und eine Abordnung an die maßgebenden Stellen zu senden[,]“ für „überholt durch die Begegnung der Vertreter der Bekenntnisgemeinschaft mit dem Reichsminister Kerrl“; auch Althaus sei bei Kerrl gewesen283. Im Mittelpunkt der Sitzung des Fortsetzungsausschusses am 30. September 1935 stand ein Referat Sasses zu dem Thema: „Wie kann in der Evangelischen Kirche der altpreuß[ischen] Union ein bekenntnisgebundenes Kirchenregiment wieder aufgerichtet werden?“ Entscheidend sei, so Sasse, „die rechte lutherische Ordination“. Dazu sei es nötig, „das Amt des Ordinators und des Visitators“ zu erneuern. Bemerkenswerterweise sah Sasse hier keinerlei Probleme. Die von den altpreußischen Bruderräten als den rechtmäßigen kirchenregimentlichen Organen „herausgestellten Ordinatoren“ seien, so Sasse, „von den rechtmäßigen lutherischen Bischöfen anzuerkennen“; dies könne „heute schon geschehen“284. Merz und Meiser stimmten den Ausführungen Sasses ausdrücklich zu. Merz ergänzte u. a., dass deutlich zum Ausdruck gebracht werden müsse, „daß ein zum Ordinator und Visitator berufener Pfarrer wirklich Bischof ist“; dieser müsse „Pfarrer einer Gemeinde“ sein. Die bekenntniskirchlichen lutherischen Landesbischöfe handelten, so Merz, „nicht mehr […] allein für ihre Landeskirche, sondern für die lutherische Kirche Deutschlands.“285 Ein weiteres Thema der Sitzung des Fortsetzungsausschusses am 30. September 1935 waren die theologischen Fakultäten und die Frage nach eventuell notwendigen Alternativen. Hintergrund waren einerseits die mit großer Sorge wahrgenommene zunehmende Gängelung und Gleichschaltung der Fakultäten

283 Masch. Protokoll Stolls: „Sitzung des Fortsetzungsausschusses des Lutherischen Tages in Würzburg am 30. September 1935“ (LKA Hannover, D 15 V 1/2). Über den Termin bzw. die Termine und den Inhalt der Gespräche ist im Protokoll nichts vermerkt. Vgl. aber die Aufzeichnungen Meisers über eine Besprechung mit Kerrl am 23. 8. 1935 (abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 1–11), an der neben Vertretern der Bekennenden Kirche (u. a. Bodelschwingh, Hahn, Karl Koch, Marahrens, Meiser, Martin Niemöller, Wurm und Zänker) auch Vertreter der neutralen Mitte teilnahmen. 284 Masch. Protokoll Stolls: „Sitzung des Fortsetzungsausschusses des Lutherischen Tages in Würzburg am 30. September 1935“ (LKA Hannover, D 15 V 1/2). 285 Ebd.

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durch den NS-Staat und die „Deutschen Christen“ und andererseits die im August 1935 als Reaktion darauf erfolgte Gründung der Kirchlichen Hochschulen in Berlin und Wuppertal-Elberfeld durch den altpreußischen Bruderrat, die auf lutherischer Seite wiederum wegen der unklaren Bekenntnisgrundlage Anlass zu Einwänden gab286. Merz, der heftige Kritik an der politisch-ideologischen Kontrolle der Universitäten durch den nationalsozialistischen Staat übte287, plädierte „für die Ergänzung, nicht für einen Ersatz der Fakultäten“. Vor allem auch „für die zerstörten lutherischen Gebiete“ müssten „ein Predigerseminar und damit zugleich eine theologische Schule“ geschaffen werden. Sasse sah einen engen Zusammenhang zwischen dem „Schicksal der Fakultäten“ und „dem Schicksal des Religionsunterrichts an allen Schulen“288. War für die Sitzung des Fortsetzungsausschusses am 30. September 1935 eine abwartende Haltung kennzeichnend, so kam es in der nächsten Sitzung am 16. Dezember 1935 in Berlin, nach der Einsetzung des Reichskirchenausschusses sowie des Landeskirchenausschusses und der Provinzialkirchenausschüsse in der altpreußischen Unionskirche durch den Reichskirchenminister289, über die Bewertung dieser Ausschüsse zu einer, wie es im Protokoll hieß, „sehr bewegten Aussprache, an der sich alle Anwesenden beteiligten“290. Meiser 286 Zu den theologischen Fakultäten insgesamt vgl. Siegele-Wenschkewitz / Nicolaisen, Theologische Fakultäten; und Meier, Theologische Fakultäten, zu den lutherischen Einwänden gegen die neuen Kirchlichen Hochschulen vgl. Besier, Geschichte, 254 f.; und oben 2.5, 85 f. 287 Vgl. die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 28–31, hier: 30 f. Merz sagte danach u. a.: „Wir sind über das 16. Jahrhundert zurückgekehrt ins Mittelalter, wo die Universitäten päpstliche Institute waren. Der Staat verlangt, daß die Universitäten unter seiner politischen Kontrolle stehen und gleichzeitig die politische Weltanschauung propagieren.“ 288 Masch. Protokoll Stolls: „Sitzung des Fortsetzungsausschusses des Lutherischen Tages in Würzburg am 30. September 1935“ (LKA Hannover, D 15 V 1/2). 289 Rechtsgrundlage für die Einsetzung der Kirchenausschüsse auf Reichs-, Landes- und (in der altpreußischen Unionskirche) Provinzialkirchenebene überall dort, wo die Rechtslage zweifelhaft erschien (also etwa nicht in den sogenannten „intakten“ Landeskirchen), war das von Hitler und Kerrl unterzeichnete „Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche“ vom 24. 9. 1935 (abgedruckt u. a. in: KJ 1933–442, 105 f.), in dessen einzigem Paragraphen es hieß: „Der Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten wird zur Wiederherstellung geordneter Zustände in der Deutschen Evangelischen Kirche und in den Evangelischen Landeskirchen ermächtigt, Verordnungen mit rechtsverbindlicher Kraft zu erlassen.“ Am 3. 10. 1935 erließ Kerrl eine „Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche“ (abgedruckt u. a. in: ebd., 106 f.), mit der er die Kirchenausschüsse bildete. Am 17. 10. 1935 wandten sich der von Zoellner geleitete Reichskirchenausschuss und der Landeskirchenausschuss der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union mit einem gemeinsamen Aufruf (abgedruckt u. a. in: ebd., 108) erstmals an die Öffentlichkeit. 290 Masch. Protokoll Stolls: „Tagung des Fortsetzungsausschusses des Deutschen Luther[ischen] Tages und des Lutherischen Rates am 16. und 17. Dezember 1935 in Berlin“ (LKA Hannover,

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stellte zu Beginn der Sitzung, an der sieben der zehn Vollmitglieder, zwei Stellvertreter sowie wohl als Vertreter des Lutherischen Rates Wilhelm Ferdinand Schmidt und Wurm als einziger Vertreter Württembergs teilnahmen291, die zwei Fragen: „1.) Können die Ausschüsse im Blick auf unsere bisherige Stellungnahme (Halle292, Hannover293) als Kirchenregiment anerkannt werden? 2.) Ist dieses ‚Kirchenregiment‘ nicht viel stärker unionistisch[,] als es die sog. Reichskirchenregierung war?“

Für ein klares Festhalten an dem bisherigen Kurs des Lutherischen Rates und des Lutherischen Tages und für eine klare Ablehnung der Ausschüsse als Kirchenregiment sprachen sich Merz, Sasse, Stoll und Arnim-Kröchlendorff aus. Merz übte vor allem scharfe Kritik an der hannoverschen Landeskirche, deren Vorläufige Kirchenregierung mit Marahrens an der Spitze die „Zielsetzung“ des Reichskirchenausschusses ausdrücklich begrüßt und diesem – unter der Voraussetzung der „Treue gegen Schrift und Bekenntnis“ – „ihre Bereitschaft zu tatkräftiger Mitarbeit“ versichert hatte294. Merz ging so weit, Hannover nicht mehr zu den „intakten“ lutherischen Landeskirchen zu zählen, „die handeln können und zugleich die Verantwortung für die lutherische Kirche in Deutschland“ zu tragen vermögen; es habe sich „von der Erklärung des Deutschen LuD 15 V 1/2). Vgl. auch die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 131–135; sowie Besier, Kirchen, 399 f. 291 Stoll erwähnte in seinem Protokoll („Tagung des Fortsetzungsausschusses des Deutschen Luther[ischen] Tages und des Lutherischen Rates am 16. und 17. Dezember 1935 in Berlin“ [LKA Hannover, D 15 V 1/2]) als Tagungsteilnehmer zunächst nur summarisch „11 Mitglieder bezw. Stellvertreter und Gäste“. Namentlich erwähnt wurden dann in dem Protokoll die Vollmitglieder Meiser, Merz, Sasse, Breit, Hahn, Stoll und Arnim-Kröchlendorff, die Stellvertreter Herntrich und Duensing sowie Lic. Schmidt und Wurm. Vgl. auch die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 131–135. 292 Zur Tagung des Lutherischen Rates am 9. 4. 1935 in Halle, auf der u. a. beschlossen worden war, selbst „die äußere Regierung der Kirche“ stehe „allein der Kirche als ganzer“ zu, vgl. oben 2.5, 78 f. 293 Vgl. oben 2.6, 113–115. 294 Vgl. das von Marahrens unterzeichnete Schreiben der Vorläufigen Kirchenregierung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover an den Reichskirchenausschuss vom 6. 12. 1935, abgedruckt in: Schmidt, Bekenntnisse 1935, 324. Vgl. hierzu auch: Klügel, Lutherische Landeskirche, 201–212. In einem Schreiben vom 15. 2. 1936 widerrief die Vorläufige Kirchenregierung Hannovers diese Erklärung. Man habe sich zur Mitarbeit bereit erklärt „in der Hoffnung […], daß die weitere Entwicklung unsere Haltung rechtfertigt und daß die Freiheit von staatlicher Einflußnahme so ersichtlich werden würde, daß unsere Stellungnahme auch außerhalb unserer Landeskirche immer stärkerem Verständnis begegnen werde.“ Leider sehe man sich in diesen Erwartungen enttäuscht. Der Reichskirchenausschuss habe nicht die Macht bewiesen, „kirchenfremdem Handeln staatlicher Stellen zu wehren, insbesondere solchem Handeln öffentlich entgegenzutreten“. (Zitiert nach: Schmidt, Dokumente II/1, 107, Anm. 50.)

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therischen Tages losgesagt“295. Grundsätzlich für eine Zusammenarbeit mit den Ausschüssen votierten Schmidt, Hahn und Duensing. Alle drei äußerten freilich auch mehr oder minder starke Bedenken, verwiesen auf Sachzwänge und argumentierten vor allem pragmatisch. Eine eher ambivalente bzw. differenzierte, tendenziell aber wohl doch auch eher positive Haltung nahmen Breit, Meiser und Wurm ein. Breit sprach von einem „kurzen Zwischenzustand“, in dem die von ihm als krank bezeichnete Kirche „nicht wie ein Gesunder behandelt werden könne“; „ein geistliches Kirchenregiment im Vollsinn“ könnten die Ausschüsse, so Breit, indessen nicht sein. Ähnlich wie Breit äußerte sich auch Meiser: Was jetzt geschehe, könne man „nur als einen Notzustand in der Kirche hinnehmen“, aber gleichwohl müsse „das neue ‚Kirchenregiment‘ […] toleriert werden.“ Not bereite „die ungeklärte Frage, wieweit der Ausschuß kirchlich frei handeln könne“; gegebenenfalls müsse man „einem bekenntniswidrigen Handeln des Ausschusses“ genauso entschieden entgegentreten „wie seinerzeit dem Kirchenregiment Müller“. Während Meiser „an Hannover [sc. dem Lutherischen Tag und seinen Ergebnissen]“ im Prinzip festhalten wollte, rückte er von den Beschlüssen der Dahlemer Reichsbekenntnissynode ab. Wörtlich erklärte er: „[…] in Dahlem haben wir uns übernommen.“ Man müsse leidvoll eingestehen, „daß wir unser Prinzip nicht haben durchführen können.“ Wurm gab – ein wenig gewunden – zu bedenken, „ob wir uns nicht nach der Seite hin übernommen haben, daß wir über die Bekenntnisse des 16. Jahrhunderts hinaus die Einwirkung des Staates auf die kirchliche Ordnung zu radikal ablehnten.“ Es bleibe freilich den Ausschüssen gegenüber „die Pflicht des κήρυγμα“. Als Ergebnis der Sitzung wurde festgehalten: „Man ist einig in der Überzeugung, daß die Ausschüsse Kirchenregiment im Sinne des lutherischen Bekenntnisses nicht sind noch sein können, man ist nicht einig in den sich hieraus ergebenden Folgerungen und in der Beurteilung der gegenwärtigen und zukünftigen Lage der Lutherischen Kirche in Deutschland. Zu einem Antrag an den Lutherischen Rat kommt es nicht.“296

Die Uneinigkeit über die Einschätzung der Kirchenausschüsse, die bereits in der Sitzung des Fortsetzungsausschusses am 16. Dezember 1935 offen zu Tage trat und diesen Ausschuss, der eigentlich die Sitzung des Lutherischen Rates am folgenden Tage vorbereiten sollte, im Grunde handlungsunfähig machte, spitzte sich in ebendieser Sitzung des Lutherischen Rates noch erheblich zu. 295 Masch. Protokoll Stolls: „Tagung des Fortsetzungsausschusses des Deutschen Luther[ischen] Tages und des Lutherischen Rates am 16. und 17. Dezember 1935 in Berlin“ (LKA Hannover, D 15 V 1/2). 296 Ebd.

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Meiser als dem Vorsitzenden blieb am Ende der Sitzung nichts anderes übrig, als „den bitteren Dissensus“ festzustellen, der „im Laufe des Tages immer deutlicher hervorgetreten sei“; nicht einmal „ein gemeinsames Wort“ sei möglich, „so schmerzlich das auch wäre“297. Zu Beginn der Sitzung des Lutherischen Rates am 17. Dezember 1935 hatte Meiser noch einmal seine pragmatische Position dargelegt. Einerseits bezeichnete er den Reichskirchenausschuss als ein „halbstaatliches“ und „durchaus unionistisch[es]“ Kirchenregiment, das man „in seine Verantwortung vor dem Bekenntnis zu rufen“ habe, das sich von „außerkirchlichen Einflüssen“ befreien müsse und das den verfassungsmäßigen Anspruch der Lutherischen Kirche in Deutschland, „zu ihrem Recht“ zu kommen, keinesfalls obsolet mache. Andererseits erklärte er, dass man den „Anspruch von Dahlem“ nicht habe aufrecht erhalten können, dass man für eine radikale Ablehnung der Ausschüsse „in unseren Gemeinden schwerlich die erforderliche Gefolgschaft“ finden würde und man „mit den Ausschüssen als einem Faktum einfach zu rechnen“ habe. Selbstkritisch konstatierte er „die Tatsache, daß wir selbst nicht fähig waren[,] ein eigenes Kirchenregiment zu schaffen. […] Selbst wenn es uns gelungen wäre, ein lutherisches Kirchenregiment aufzustellen, so ist doch festzustellen, daß wir damit nicht die Operationen hätten vollziehen können, die nötig sind, wenn wieder Recht und Ordnung in der Kirche herrschen soll.“

Sasse und Merz vertraten demgegenüber offensiv ihre die Kirchenausschüsse kompromisslos ablehnende Position, indem sie den folgenden förmlichen Antrag einbrachten: „Der Lutherische Rat wolle beschließen: Der Lutherische Rat begrüßt jeden ernsthaften, im Einklang mit dem Bekenntnis der Evangelisch-lutherischen Kirche unternommenen Versuch, den zerstörten Frieden innerhalb des deutschen evangelischen Kirchentums wiederherzustellen und der Deutschen Evangelischen Kirche ein echtes Kirchenregiment zu geben. 297 Ebd. Vgl. auch die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 136–151; sowie die stenographische Mitschrift vermutlich Stolls (offenbar als Grundlage für das offizielle Protokoll), übertragen von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte, München, und die Anwesenheitsliste mit den eigenhändigen Eintragungen der Teilnehmer (beide: LKA Hannover, D 15 V 1/2). Teilnehmer der Sitzung des Lutherischen Rates am 17. 12. 1935 waren außer den elf Teilnehmern der Sitzung des Fortsetzungsausschusses vom Vortag (vgl. oben Anm. 291) Bergdolt, Brunstäd, Elert, Fleisch, Gloege, Hopf, Klamroth, Knak, Künneth, Laible, Marahrens, Meinzolt, Niemann, Richard Otto, Pflugk, Reuter, Kurt-Dietrich Schmidt, Stallmann, Johannes von Walter und Wolters. Später hinzu kam als Gast der Vorsitzende des Reichskirchenausschusses Zoellner (vgl. dazu unten im Text). Vgl. zu der Sitzung des Lutherischen Rates am 17. 12. 1935 auch Besier, Kirchen, 400 f.

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Nach der Lehre der Augsburgischen Konfession kann eine Kirchenregierung nur dann als geordnetes und rechtmäßiges Kirchenregiment anerkannt werden, wenn sie in ihrem Lehren und Handeln an das Bekenntnis der Evangelisch-lutherischen Kirche gebunden ist. Dazu gehört auch, daß sie von der Kirche selbst, die die Inhaberin der potestas ecclesiastica ist, Auftrag und Vollmacht empfangen hat. Der Reichskirchenausschuß, der vom Staat zur Befriedung der Deutschen Evangelischen Kirche eingesetzt worden ist, kann nach seiner jetzigen Zusammensetzung, Geschäftsordnung und Praxis von den lutherischen Landeskirchen, Gemeinden und Pfarrern als legitimes K i r c h e n r e g i m e n t nicht anerkannt werden, weil er weder der Forderung der Bekenntnisgebundenheit noch der der Beauftragung durch die Kirche als der Inhaberin der potestas ecclesiastica Genüge tut. Der Gehorsam zu den kirchenregimentlichen Anordnungen der Ausschüsse kann daher nicht gefordert werden. Indem der Lutherische Rat dies feststellt, gibt er der Hoffnung Ausdruck, daß die Herstellung eines echten Kirchenregiments möglich ist. Er ist bereit, an jedem Versuch der Aufrichtung einer an Schrift und Bekenntnis gebundenen Regierung der Deutschen Evangelischen Kirche nach Kräften mitzuwirken.“298

Der Versuch Stolls, diesen Antrag sogleich zur Abstimmung zu bringen, scheiterte299. Wie sehr Sasse und Merz sich für ihre Haltung persönlich einsetzten, zeigte die Tatsache, dass beide für den Fall einer Anerkennung der Kirchenausschüsse ihr Ausscheiden „aus der aktiven Mitarbeit im Lutherischen Rat“ ankündigten. Sasse nannte überdies den Weg Zoellners eine „Verleugnung des 7. Artikels der Augsburger Konfession“300. Die durch die Schaffung des staatlichen Reichskirchenministeriums und die von diesem eingesetzten Kirchenausschüsse entstandene neue Situation stellte also nicht nur die Bekennende Kirche insgesamt, sondern auch deren lutherischen Flügel vor die Zerreißprobe. Im diametralen Gegensatz zu Sasse und Merz warb der Vorsitzende des Reichskirchenausschusses Zoellner, der während der Sitzung erschien, in einer offenbar mehr als einstündigen301 und durchaus leidenschaftlichen Rede um 298

Zitiert nach Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 142, Anm. 17. Vgl. das masch. Protokoll Stolls: „Tagung des Fortsetzungsausschusses des Deutschen Luther[ischen] Tages und des Lutherischen Rates am 16. und 17. Dezember 1935 in Berlin“ (LKA Hannover, D 15 V 1/2): „Stoll schlägt vor, zur Vereinfachung der Debatte festzustellen, wer dem Antrag [sc. von Sasse und Merz] zustimmen könne. Für sich persönlich erklärt er[,] das tun zu können. – Das wird abgelehnt.“ Vgl. auch die stenographische Mitschrift vermutlich Stolls (offenbar als Grundlage für das offizielle Protokoll), übertragen von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte, München (ebd.): „Stoll: Antrag, sofort die Mitglieder festzustellen, die dem Antrag zustimmen. – Wird abgelehnt.“ 300 Masch. Protokoll Stolls: „Tagung des Fortsetzungsausschusses des Deutschen Luther[ischen] Tages und des Lutherischen Rates am 16. und 17. Dezember 1935 in Berlin“ (ebd.). 301 Vgl. die Erinnerung von Friedrich Wilhelm Hopf: „Der alte Vater Zoellner ließ kaum eine Diskussion aufkommen, sondern redete stundenlang zur Werbung für sein Unternehmen. Der lan299

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Vertrauen für den Reichskirchenausschuss und möglichst auch um eine enge Zusammenarbeit. Zoellner räumte unumwunden ein, „daß der [Reichskirchen-]Ausschuß keine kirchliche Legitimation habe“ und auch „kein genuines Kirchenregiment“ sei. Die Mitglieder des Reichskirchenausschusses seien aber „Männer der Kirche, die sich als Treuhänder betrachten, die auf eine Kirche hinwollen“: „Wir haben nichts weiter zu tun[,] als der Kirche die Wege zu bahnen, daß sie selbst sich die Wege schaffe.“ Von den Gedanken der radikalen Thüringer Deutschen Christen grenzte Zoellner sich klar ab, indem er sie als „Irrlehre“ brandmarkte. „Mißtrauen gegen den Staat, insbesondere gegen Minister Kerrl“, bezeichnete er dagegen als „unangebracht“302. Aus den Quellen geht nicht hervor, ob Zoellner auf besondere Einladung (Meisers?) hin oder von selbst gekommen war. Immerhin hatte er ja gleich zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft die Initiative für einen engeren Zusammenschluss der Lutheraner ergriffen, war an der Gründung des Lutherischen Rates beteiligt gewesen, hatte im Lutherischen Rat aktiv mitgearbeitet und war auch Teilnehmer des Lutherischen Tages in Hannover gewesen. Zoellner war also aus Sicht der Lutheraner einer der Ihren und keineswegs neutral. Dies betonte er selbst auch ausdrücklich. „Liebe, ja Leidenschaft für die lutherische Kirche“ hätten ihn bewogen, den Vorsitz im Reichskirchenausschuss zu übernehmen. Der Bekenntnisbewegung stehe er „innerlich nahe“, wenn er auch nicht anerkennen könne, „daß die bekennende Kirche […] in Deutschland das einzige ist, was auf den Namen Kirche Anspruch machen kann.“303 Heftig polemisierte er gegen die altpreußische Union, die er als „das Hemmnis auf dem Wege zu einer bekenntnisgebundenen lutherischen Kirche“ bezeichnete, und kaum minder heftig auch gegen deren Bruderräte, die man fragen müsse, „wo denn ihr Bekenntnis sei“. Es verwundert nicht, dass Zoellners Ausführungen eine positive Wirkung erzielten, so etwa bei Brunstäd, Elert, Fleisch, Knak und Wurm und wohl auch bei Meiser und Breit. Wieder, wie schon am Vortage, argumentierten diejenigen, die eine Anerkennung der Kirchenausschüsse grundsätzlich befürworteten und eine Zusammenarbeit mit diesen nicht ausschlossen, durchweg pragmatisch. Eine begeisterte Zustimmung wurde nicht erkennbar, vielmehr betonte man etwa den provisorischen Charakter der Ausschüsse, so Knak, oder die notgen Rede kurzer Sinn war: Nach mir kommt nichts mehr, es ist der letzte Versuch des Staates […]“ (Briefliche Mitteilung an Werner Philipps vom 4. 2. 1980, zitiert in: Philipps, Zoellner, 142 f. mit Anm. 23). Vgl. ferner Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 137, Anm. 3. 302 Masch. Protokoll Stolls: „Tagung des Fortsetzungsausschusses des Deutschen Luther[ischen] Tages und des Lutherischen Rates am 16. und 17. Dezember 1935 in Berlin“ (LKA Hannover, D 15 V 1/2). 303 Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 137 f.

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Lutherische Einigungsbestrebungen 1933–1936

wendige Aufgabe des Lutherischen Rates, „das Gewissen des Reichskirchenausschusses zu sein“, so Fleisch. Eher schon kann verwundern, dass trotz des massiven Werbens des (bisherigen) Mitstreiters Zoellner Sasse und Merz in ihrer konsequent ablehnenden Haltung verharrten und dass sich ihnen eine Reihe von Mitgliedern des Lutherischen Rates anschloss: Der Aschaffenburger Stadtvikar Friedrich Wilhelm Hopf etwa sah den status confessionis gegeben; er hatte ein entsprechendes Gutachten verfasst, das allen Mitgliedern des Lutherischen Rates als Vorlage für die Sitzung zugänglich gemacht worden war304. Kurt Dietrich Schmidt erklärte, man müsse „den Kampf […] führen, wenn er uns gewissensmäßig aufgezwungen sei“, auch wenn die derzeitige „Kampfessituation […] ungünstig“ sei. Arnim-Kröchlendorff war um die Glaubwürdigkeit der Lutheraner besorgt. Künneth bezeichnete namentlich den altpreußischen Landeskirchenausschuss als „eine Restituierung der alten Union, die wir überwunden hatten“, und der Studiendirektor des Naumburger Predigerseminars Gerhard Gloege nannte den Reichskirchenausschuss einen „getarnten Summepiskopat“. Diese Einsprüche waren so massiv, dass am Ende der Sitzung Meiser, wie oben schon erwähnt, als Ergebnis nur „den bitteren Dissensus“ konstatieren konnte und dass Zoellner lediglich noch defensiv appellierte, die Kirchenausschüsse wenigstens nicht zu bekämpfen305.

304 Hopfs Gutachten mit dem Titel „Die neue Rechtslage der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland“ vom 18. 10. 1935 ist abgedruckt in: Schmidt, Bekenntnisse 1935, 279–281. Vgl. dazu auch die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 144 mit Anm. 22 und 73 mit Anm. 54 f.; sowie Philipps, Zoellner, 142 f. 305 Masch. Protokoll Stolls: „Tagung des Fortsetzungsausschusses des Deutschen Luther[ischen] Tages und des Lutherischen Rates am 16. und 17. Dezember 1935 in Berlin“ (LKA Hannover, D 15 V 1/2).

3. Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) von 1936 bis 1945

3.1 Die Gründung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (des sogenannten Lutherrats) (Februar / März 1936) Das Scheitern der ersten Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche (VKL I) und die Spaltung der Bekennenden Kirche im Zusammenhang mit der vierten Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche, die vom 17. bis 22. Februar 1936 in Bad Oeynhausen tagte, sind ausführlich dokumentiert, beschrieben und erörtert worden1. Vor allem bei der Frage nach der Stellung zu den Kirchenausschüssen zeigten sich tiefgreifende, unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten. Meiser und andere Lutheraner sahen sich durch den auf der Synode neu gewählten Reichsbruderrat und durch die von diesem wiederum neu gewählte Vorläufige Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche (VKL II) nicht mehr repräsentiert. Anders als bei der VKL I war die Wahl der VKL II ohne Abstimmung mit den drei lutherischen Bischöfen der sogenannten „intakten“ Kirchen erfolgt. Indessen wäre es viel zu undifferenziert, wenn man den einen der beiden auseinanderbrechenden Teile der Bekennenden Kirche mit den Etiketten „bruderrätlich“, „dahlemitisch“, „contra Kirchenausschüsse“ und den anderen mit den Etiketten „bischöflich“, „intakte Landeskirchen“, „pro Kirchenausschüsse“ versähe2. Dem sich dann im Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) zusammenschließenden Teil der Bekennenden Kirche gehörten nämlich auch verschiedene Bruderräte aus sogenannten „zerstörten“ lutherischen Landeskirchen an; die von den Lutheranern auch wieder zu Beginn der Oeynhausener Synode so beharrlich geforderte Gliederung der kirchlichen Organe nach den Bekenntnissen3 entsprach ausdrücklich den Beschlüssen der Dahlemer Reichsbekenntnissynode, und die Sitzungen des Fortsetzungsausschusses des Lutherischen Tages und des Lutherischen Rates am 16. und 17. Dezember 1935 hatten gezeigt, 1 Zu der Reichsbekenntnissynode in Bad Oeynhausen vgl. vor allem Niemöller, Vierte Bekenntnissynode; Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 101–108; und Besier, Kirchen, 423–429. 2 Vgl. auch die Einschätzung von Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 114. 3 Vgl. Niemöller, Vierte Bekenntnissynode, 142–146; vgl. auch ebd., 49.

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dass auch im lutherischen Lager keineswegs Einmütigkeit über die Stellung zu den Kirchenausschüssen bestand. Eher zutreffen dürfte die Charakterisierung des einen – vom Reichsbruderrat und der VKL II geleiteten – Teils der Bekennenden Kirche als vom altpreußischen Bruderrat dominiert, tendenziell unionistisch und im Verhältnis zum Staat radikaler bzw. kompromissloser und die des anderen Teils als konfessionell lutherisch, von den Bischöfen der sogenannten „intakten“ lutherischen Landeskirchen dominiert und im Verhältnis zum Staat grundsätzlich gemäßigter und kompromissbereiter. Die eigentliche Gründung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, des sogenannten Lutherrates, erfolgte recht unspektakulär. Die konkrete Idee dazu wurde offenbar erstmals fünf Tage nach dem Ende der Bad Oeynhausener Bekenntnissynode, am 27. Februar 1936, geäußert, als sich im Würzburger Bahnhof-Hotel Meiser und Stoll mit den Vertretern der Bruderräte von Mecklenburg, Niklot Beste, Sachsen, Hahn, und Thüringen, Gerhard Bauer, sowie den Dozenten Herntrich und Künneth trafen4. Beste war es, der, nachdrücklich unterstützt von Künneth, gleich zu Beginn den Gedanken einer ständigen Vertretung des deutschen Luthertums in Berlin aufbrachte. Einig war man sich in der Ablehnung der als allzu positiv empfundenen – mittlerweile freilich revidierten – Haltung der hannoverschen Kirchenregierung zu den Kirchenausschüssen5 – Beste sprach in diesem Zusammenhang von „Versagen“6 – und der Zustimmung zu der kritischeren bzw. differenzierteren Kundgebung des bayerischen Landesbischofs und Landeskirchenrates vom 10. Februar 1936, in der es hieß, dem Staat könne zwar ein gewisses Aufsichtsrecht nicht abgesprochen werden, echtes Kirchenregiment könne aber nur von der Kirche selbst berufen werden und müsse bekenntnisgebunden sein7. Künneth erklärte einerseits, man dürfe „den Reichskirchenausschuß nicht im Stich lassen“, andererseits, man brauche eine lutherische Interessenvertretung „gegenüber dem Reichskirchenausschuß“. In diesem Zusammenhang schlug er eine Beauftragung Liljes vor. Die „Bundesgemeinschaft mit der Bekennenden Kirche“ wollte Künneth dabei keinesfalls preisgeben; allerdings war er der Meinung, dass es auch „gegenüber der Dahlemer Leitung“ einer lutherischen Interessenvertretung bedürfe8. Man kam überein, weiterhin Vertreter zu den Sitzungen des neu gewählten Reichsbruderrates zu entsenden9. Meiser schlug eine Ausdehnung 4 Vgl. die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 187–192. Vgl. auch Besier, Kirchen, 427 f. 5 Vgl. oben 2.7, 123 mit Anm. 294. 6 Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 192. 7 Die Kundgebung ist abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/1, 347–358. 8 Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 191. 9 Vgl. ebd., 195, Anm. 2.

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des Lutherischen Paktes auf alle lutherischen Gebiete vor, was allgemein Zustimmung fand10. Am folgenden Tag traf sich Meiser in Frankfurt am Main zunächst mit den Bischofskollegen Marahrens, Wurm und Julius Kühlewein von der badischen – bekenntnisunierten – Landeskirche, anschließend noch mit dem braunschweigischen Landesbischof Johnsen. Es ist zu vermuten, dass Meiser seine Gesprächspartner von den neuen Plänen unterrichtete. Am 3. März 1936 ließ Meiser den Vorsitzenden der VKL II, den Dahlemer Pfarrer Friedrich Müller, wissen, dass Bayern und Württemberg sich nicht mehr durch die VKL, „sondern durch den zu erweiternden lutherischen Pakt“ vertreten lassen wollten11. Am 5. März 1936 lud Meiser schließlich Vertreter lutherischer Kirchengebiete, Gemeinden und Werke zu einer Besprechung am 11. März 1936 nach Frankfurt am Main ein12. Diese Besprechung war die eigentliche Geburtsstunde des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Teilnehmer waren mit Ausnahme von Bauer und Herntrich, die zwar eingeladen, aber nicht erschienen waren, alle Anwesenden der Würzburger Vorbesprechung vom 27. Februar 1936 sowie Breit, Fleisch, der juristische Mitarbeiter bei der VKL I Martin Gauger, der hannoversche Pfarrer Eberhard Klügel, Lilje, Marahrens, Meinzolt, Merz, Ernst Otto, der Superintendent der lutherischen Klasse der lippischen Landeskirche Hermann Peters, Pressel, Wurm und Zänker. Eingeladen, aber nicht anwesend war der schaumburg-lippische Landessuperintendent Wilhelm Henke. Als Gast nahm Kühlewein an der Besprechung teil. Forck kritisierte später, dass weder Schöffel als Mitglied des Lutherischen Rates noch die Vorsitzenden der Bruderräte der lutherischen Kirchen in Hamburg, Oldenburg und Schleswig-Holstein „überhaupt nur eine Nachricht von der Versammlung erhielten“13. Diese Kritik war nur teilweise berechtigt. Forck stand unter dem Eindruck der Absage an die VKL II, deren Mitglied er war. Tatsächlich war bei der Versammlung Herntrich aus Hamburg eingeladen14 und Beste aus Mecklenburg zugegen. Dass keine weiteren Vertreter der niederdeutschen lutherischen Kirchen eingeladen worden waren, erklärt sich wahrscheinlich daraus, dass sich am 7. Oktober 1935 in Lüneburg die Bruderratsvertreter der Bekenntnisgemeinschaften aus den lutherischen Landeskirchen Braunschweig, Hamburg, Hannover, Lübeck, Mecklenburg, Oldenburg und 10

Vgl. ebd., 192, Anm. 34. Vgl. ebd., 195, Anm. 1. 12 Vgl. hierzu die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: ebd., 195–204. Vgl. auch Besier, Kirchen, 428 f. 13 Schreiben Forcks an Pressel vom 4. 5. 1936, zitiert nach: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 195, Anm. 1. 14 Vgl. ebd. 11

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Schleswig-Holstein zu einem Ausschuss unter der Leitung von Marahrens zusammengeschlossen hatten. Man hatte eine Entschließung verabschiedet, in der es u. a. hieß: „Die Bruderräte der niederdeutschen lutherischen Landeskirchen berufen als geistliche Leitung einen Ausschuß. Er steht unter der Leitung von Landesbischof D. Marahrens. Dieser Ausschuß übernimmt die Verantwortung für die lutherische Kirche im niederdeutschen Raume in ihrer Gesamtheit und in allen ihren Teilen. Die Bruderräte werden in ihrer Landeskirche nur Lösungen der Kirchenfrage zustimmen, die die Zustimmung dieser geistlichen Leitung gefunden haben.“15

Dass Mecklenburg durch Beste doch extra vertreten war und sich nicht durch Marahrens vertreten ließ, könnte damit zusammenhängen, dass Beste während der Vorbesprechung am 27. Februar 1936 in Würzburg offenbar zu den Initiatoren des Lutherrates gehört hatte. In begrenzterem Umfang entsprach die Konzeption des „Lüneburger Paktes“ im Grunde derjenigen einer Ausdehnung des Lutherischen Paktes auf alle lutherischen Gebiete, wie Meiser sie für ganz Deutschland am 27. Februar 1936 in Würzburg angeregt hatte und wie es etwa dem Vorschlag von Merz in der Sitzung des Fortsetzungsausschusses des Deutschen Lutherischen Tages am 15. Juli 1935 in Würzburg entsprach, „zerstörte“ lutherische Kirchen und Kirchengebiete jeweils einer „intakten“ Landeskirche zuzuweisen. Unmittelbar vertreten waren bei der Frankfurter Besprechung am 11. März 1936 außer den drei sogenannten „intakten“ lutherischen Landeskirchen bzw. „Paktkirchen“ die Bruderräte von Mecklenburg, Sachsen und Thüringen, die lutherische Klasse in Lippe-Detmold und in der Person des schlesischen Bischofs Zänker in gewisser Weise auch die Lutheraner aus der altpreußischen Union, ferner durch Merz und Lilje die Hochschultheologie und die Studentenschaft und durch Künneth die Apologetische Zentrale im Centralausschuß für Innere Mission. Wenn Marahrens tatsächlich die im „Lüneburger Pakt“ zusammengeschlossenen niederdeutschen lutherischen Kirchen bzw. Bruderräte repräsentierte, dann fehlten lediglich Vertreter der kleinen lutherischen Kirchen Eutin und Schaumburg-Lippe, wobei, wie schon erwähnt, der Leitende Geistliche der letzteren sogar eingeladen worden war. In der insgesamt zehneinhalb Stunden dauernden Sitzung16 wurde zunächst noch einmal sehr grundsätzlich und allgemein diskutiert. Dabei zeigte sich eine 15 Zitiert nach: ebd., 39, Anm. 26. Zu dem Lüneburger Arbeitskreis und seinen regelmäßigen Arbeitstagungen vgl. Klügel, Lutherische Landeskirche, 263–266; sowie auch die einschlägigen Akten in: LKA Hannover, D 15 I 18 u. 19. 16 Vgl. Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 195. Danach dauerte die Sitzung von 9.30– 13.00 Uhr, von 14.30–21.00 Uhr und von 22.00–22.30 Uhr.

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sehr weitgehende Einigkeit in vier Punkten: Erstens wurde Unmut geäußert über den als „tumultuarisch“ – so Hahn17 – empfundenen Verlauf der Bad Oeynhausener Reichsbekenntnissynode. Breit erklärte, in Bad Oeynhausen habe man die Linie der Barmer Theologischen Erklärung, „daß die Deutsche Evangelische Kirche ein Bund bekenntnisbestimmter Kirchen ist“, „aufgegeben“18. Zänker bemängelte, in Bad Oeynhausen habe man „den bischöflichen Einfluß in den Landeskirchen kleinhalten oder ausschalten“ wollen: „In Oeynhausen hat das s y n o d a l e Prinzip gesiegt.“19 Zweitens war man sich darin einig, dass ein neuer allgemeiner, noch engerer lutherischer Zusammenschluss notwendig sei. Drittens herrschte Konsens darüber, dass dieser Zusammenschluss innerhalb der Bekennenden Kirche zu stehen kommen müsse, dass es keinesfalls zu einem völligen Bruch kommen dürfe und man etwa auch im Reichsbruderrat weiter mitarbeiten wolle20. Viertens erkannte man, dass zumindest gegenwärtig der am 27. Februar 1936 in Würzburg favorisierte Plan einer bloßen Ausdehnung des Lutherischen Paktes auf Schwierigkeiten stoßen würde. Marahrens etwa befürwortete aus diesem Grunde eine „Verfolgung des Weges des Deutschen L u t h e r i s c h e n Ta g e s “. Merz, der nochmals die Haltung der hannoverschen Kirchenregierung zu den Kirchenausschüssen kritisierte21 und zu grundsätzlicher Selbstkritik angesichts der ernüchternden Ergebnisse der bisherigen lutherischen Einigungsbemühungen aufrief 22, meinte, es könne noch nicht um ein „juristisches Kirchenregiment“ gehen, vielmehr müsse zunächst „eine gründliche geistliche Leitung“ hergestellt werden; „eine Sonderstellung der Pakt-Kirchen“ innerhalb des intendierten neuen Zusammenschlusses, den er als „Bund“ bezeichnete, werde „bestehen bleiben“23. Für Fleisch allerdings war dies offensichtlich zu wenig. Er forderte: „Wir wollen 17

Vgl. die Aufzeichnungen Meisers, in: ebd., 198. Ebd., 196. 19 Ebd., 196 f. 20 Zu den letzten beiden Punkten vgl. vor allem das Votum von Künneth – nach den Aufzeichnungen Meisers: „Darum notwendig: allgemeiner lutherischer Zusammenschluß und zwar innerhalb der bekennenden Kirche. Die Funktionen unserer Vertreter im Reichsbruderrat werden entscheidend beeinflußt durch die Art unseres Zusammenschlusses. […] Der Deutsche Lutherische Tag in Hannover hat nicht zu einer Sprengung der bekennenden Kirche geführt, ebensowenig muß es ein noch engerer Zusammenschluß tun.“ (Zitiert nach: ebd., 199 f.) 21 Vgl. ebd., 198 f. 22 Merz sagte u. a. – nach den Aufzeichnungen Meisers: „Die Geschichte des Lutherischen Rates hat gezeigt, daß die konsequente Praktizierung der gemeinsamen Grundsätze in der Zwischenzeit fallengelassen worden ist.“ An die Stelle „eines aktuellen Hörens auf das Wort Gottes“ trete „zu ungesichert eine verfügbare geschichtliche Größe“, die als Luthertum bezeichnet werde. Wo man „Konsequenzen aus dem geprägten Luthertum“ hätte ziehen müssen, sei dies unterblieben. (Zitiert nach: ebd., 201.) 23 Ebd., 202. 18

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mehr als geistliche Leitung. Wir wollen eine Stelle, die Vertretungsbefugnis hat, die im entscheidenden Augenblick sprechen kann. […] Die Stelle soll etwas Offizielles werden.“24 Erst am späten Abend des 11. März 1936 wurde ein kurzer, drei Punkte umfassender Beschluss gefasst, mit dem der – erst später so bezeichnete – Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) ins Leben gerufen wurde. Dieser Beschluss lautete: „1. Wir bestellen eine gemeinsame geistliche Leitung für die lutherischen Kirchen und Gemeinden der Bekennenden Kirche. 2. Die Landesbischöfe von Hannover, Württemberg und Bayern werden gebeten, die Ordnung für die gemeinsame geistliche Leitung aufzustellen. 3. Bis zur endgültigen Ordnung wird eine Geschäftsstelle in Berlin unter Leitung von Dr. Lilje eingerichtet.“25

Um an der am nächsten Tag in Berlin stattfindenden ersten Sitzung des neuen Reichsbruderrates teilnehmen zu können, waren Beste, Hahn und Stoll als Mitglieder dieses Rates ebenso wie Merz bereits vor dieser Beschlussfassung abgereist26. Es kann jedoch wohl kein Zweifel daran bestehen, dass alle vier diesen Beschluss, der ganz auf der Linie dessen lag, was vorher und schon am 27. Februar 1936 in Würzburg einvernehmlich besprochen worden war, mittrugen27. Der Beschluss selbst ist jedenfalls auch mit den Namen von Beste und Hahn sowie – mit dem Zusatz „war vor der Beschlußfassung bereits abgereist, wäre aber zweifellos mit dem Beschluß einverstanden gewesen“ – dem von Merz versehen28. Stoll, dessen Name fehlte, war einer der entschiedensten Befürworter des lutherischen Vereinigungsprozesses und einer der engagiertesten Vertreter des Lutherrates, so dass man auch von seiner – und also einer einhelligen – Zustimmung ausgehen kann. Die Aussprache am 11. März 1936 zeigte lediglich, dass wohl einige längerfristig mehr anstrebten bzw. für realistisch hielten als andere. Bevor der neu gegründete lutherische Zusammenschluss seine reguläre Arbeit aufnehmen konnte, wurde noch eine weitere vorbereitende Sitzung, am 18. März 24

Ebd., 204. Der Beschluss ist abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/1, 479. 26 Vgl. Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 195, Anm. 2. 27 Wenn es ebd., 204, Anm. 43 heißt, „weder die vorzeitig abgereisten Mitglieder des Reichsbruderrates noch Merz“ hätten von der Beschlussfassung gewusst, so könnte der Eindruck entstehen, der Beschluss sei ohne oder gar gegen die Einwilligung der Abgereisten erfolgt. Diesen Eindruck vermittelt wohl Besier, Kirchen, 429: „Ohne Wissen der bereits abgereisten ReichsbruderratsMitglieder Beste, Hahn und Stoll wurde am späten Abend des 11. März die Gründung des neuen Leitungsgremiums ‚für die lutherischen Kirchen und Gemeinden der Bekennenden Kirche‘ beschlossen […]“ 28 Schmidt, Dokumente II/1, 479. 25

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1936 in Leipzig, für notwendig erachtet29 – vermutlich, da man aus Zeitgründen am 11. März 1936 nur einige wenige Eckpunkte hatte festlegen können. Zunächst wurde wegen der bevorstehenden Reichstagswahl eine Art Hirtenbrief der drei Bischöfe der „Paktkirchen“ beschlossen, in dem „die Gewissensnöte, in welche viele Glieder der Kirche durch die bevorstehende Wahl gebracht sind“, thematisiert werden sollten30. Erst danach wandte man sich grundsätzlichen und praktischen Fragen im Zusammenhang mit dem neuen lutherischen Zusammenschluss zu. Breit erklärte, man müsse sich darüber im Klaren sein, „daß in dem Maße, in dem der neue Zusammenschluß stark wird, der organisatorische Zerfall der Bekennenden Kirche [sc. in ihrer bisherigen Struktur] fortschreiten wird“31. Eine Erklärung wurde verabschiedet, mit der man „Gründung, Aufgabe und Zusammensetzung“ des neuen Zusammenschlusses bekannt gab32. In dieser Erklärung berief man sich ausdrücklich auf die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche vom Juli 1933, auf die Beschlüsse der Reichsbekenntnissynoden von Barmen, Dahlem und Augsburg von 1934 und 1935, in denen die Deutsche Evangelische Kirche als „ein Bund bekenntnisbestimmter Kirchen“ definiert worden sei, sowie auf den Deutschen Lutherischen Tag von Hannover und den Lutherischen Pakt von 1935. Es wurde festgelegt, den neuerlichen lutherischen Zusammenschluss als „Rat der Evangelischen [sic!] Lutherischen Kirche Deutschlands“ zu bezeichnen. Die Gründung dieses Rates, der dann durchweg „Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands“ bzw. abgekürzt, wie schon erwähnt, Lutherrat genannt wurde, wurde wie folgt begründet:

29 Das offizielle, von Meiser unterzeichnete Protokoll dieser Sitzung ist abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 207–210. Eine vervielfältigte Kurzfassung, die offenbar für die Öffentlichkeit bestimmt war, ist abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/1, 503 f.; sowie in: Klügel, Lutherische Landeskirche – Dokumente, 116 f. Besier, Kirchen, 429 hat diese Sitzung bereits als die „erste Sitzung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands“ bezeichnet (vgl. auch die Überschrift bei Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 207: „Sitzung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands [Lutherrat]“). 30 Zitiert nach den Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: ebd. Bei der Reichstagswahl am 29. 3. 1936 ging es Hitler um die Zustimmung des Volkes zum Einmarsch deutscher Truppen in das Rheinland, das gemäß den Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages entmilitarisierte Zone war (vgl. ebd., 207, Anm. 2; Thamer, Verführung, 534–543, besonders 539 f.). Vgl. die Rundschreiben Wurms und des bayerischen Landeskirchenrates, jeweils vom 20. 3. 1936, abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/1, 507 f.; bzw. in: Baier / Henn, Chronologie, 147. Neben einer grundsätzlichen Befürwortung der Außen- und Sicherheitspolitik Hitlers wurden in diesen Rundschreiben Besorgnisse über die Kirchen- und Religionspolitik im Nationalsozialismus geäußert. Einen gemeinsamen „Hirtenbrief“ hat es offenbar nicht gegeben. 31 Zitiert nach den Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 208. 32 Die Erklärung ist abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/1, 504 f.; sowie in: Klügel, Lutherische Landeskirche – Dokumente, 117 f.

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„Es erweist sich aber als notwendig, darüber hinaus [sc. über den Lutherischen Pakt hinaus] die Kraft und Bedeutung des evangelisch-lutherischen Bekenntnisses in der gesamten Deutschen Evangelischen Kirche zur Wirkung gelangen und den Zusammenschluß der lutherischen Kirchen innerhalb der DEK auch nach außen sichtbar werden zu lassen.“

Zu den Aufgaben und Zielen hieß es in der Erklärung: „Er nimmt die gemeinsame geistliche Leitung für die lutherischen Kirchen und Werke wahr, die sich der Bekennenden Kirche zugeordnet halten. Der Rat der Evangelischen Lutherischen Kirche Deutschlands hat in Ausübung der geistlichen Leitung darüber zu wachen, daß das lutherische Bekenntnis entsprechend der unzertrennlichen Verbindung von Bekenntnis und Ordnung in allen Einrichtungen und Maßnahmen der lutherischen Kirchen zur Darstellung kommt. Er soll allen Kirchen, Gemeinden und Werken der Bekennenden Kirche Deutschlands dienen, die das lutherische Bekenntnis als verbindlich für Lehre und Ordnung anerkennen und in ihrem Bereich verwirklichen. Insbesondere wird er seine Fürsorge den lutherischen Kirchengemeinden zuwenden, die der Leitung durch ein geordnetes, zu der Bekennenden Kirche gehörendes Kirchenregiment entbehren.“

Schließlich wurden in der Erklärung auch die personelle Zusammensetzung und die Organisationsstruktur des Lutherrates bekannt gegeben: „Der Rat der Evangelischen Lutherischen Kirche Deutschlands besteht aus den lutherischen Landesbischöfen D. Marahrens, D. Wurm, D. Meiser, sowie Oberkirchenrat Breit, Superintendent Hahn (Dresden), Dr. Lilje (Berlin), Dr. Beste (Neubuckow, Mecklenburg), Dr. E. Otto (Eisenach). – Er wird ständig vertreten durch Oberkirchenrat Breit (als Vorsitzenden), Pastor Dr. Lilje (Berlin), Pastor Dr. Beste (Neubuckow, Mecklenburg). Zur Führung der Geschäfte wird ein Sekretariat in Berlin errichtet. Es wird sich angelegen sein lassen, die Belange der lutherischen Kirche in Deutschland allseits wahrzunehmen. Es soll die gemeinsamen bekenntnismäßigen Anliegen in ständiger Fühlungnahme mit den anderen Organen der Bekennenden Kirche Deutschlands vertreten.“33

Der Lutherrat verstand sich klar als Teil der Bekennenden Kirche und beanspruchte für sich, den Weg der ersten drei Reichsbekenntnissynoden konsequent fortzusetzen. Er wollte zunächst bekenntnistreue „geistliche Leitung“ sein. Wenn man aber die „unzertrennliche Verbindung von Bekenntnis und Ordnung“ betonte, so wurde damit zumindest der Anspruch deutlich, gegebenenfalls auch Kirchenregiment in juristischem Sinne zu sein; jedenfalls wollte man in dieser Hinsicht eine Wächterfunktion ausüben. 33

Zitiert nach Schmidt, Dokumente II/1, 505.

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Interpretationsbedürftig war – bzw. Konfliktstoff in sich barg – sicherlich die Passage, die sich auf die „Fürsorge den lutherischen Kirchengemeinden“ gegenüber bezog, „die der Leitung durch ein geordnetes, zu der Bekennenden Kirche gehörendes Kirchenregiment entbehren“. Waren die altpreußischen Bruderräte, war die VKL II im Sinne des lutherischen Bekenntnisses ein „geordnetes“ Kirchenregiment? In jedem Falle wurde ein nationaler Vertretungsanspruch erhoben – auch für lutherische Kirchengemeinden in den sogenannten „zerstörten“ Landeskirchen. Gleichwohl hielt man an einer organisatorischen Verbindung des deutschen Gesamtprotestantismus fest. Der Lutherrat sah sich als die lutherische Säule der bekenntniskirchlichen Deutschen Evangelischen Kirche. Was die personelle Zusammensetzung des Lutherrates angeht, so fällt im Vergleich zu den Vorbesprechungen auf, dass Zänker34 und die Lutheraner aus der altpreußischen Union, die Hochschultheologie und die lutherischen Werke35 nicht mehr vertreten waren. Auch Vertreter der beiden kleinen lippischen Landeskirchen fehlten jetzt. Übrig geblieben waren die drei „Paktkirchen“ Bayern, Hannover und Württemberg sowie die Bruderräte der drei Landeskirchen Mecklenburg, Sachsen und Thüringen. Inwieweit Marahrens als der Vorsitzende des „Lüneburger Paktes“ andere norddeutsche lutherische Landeskirchen bzw. deren Bruderräte mitvertrat, ist nicht ersichtlich. In der Leipziger Sitzung am 18. März 1936 wurde auch beschlossen, Gauger, der bislang juristischer Mitarbeiter bei der VKL I gewesen war, als Justitiar in das neue Berliner Sekretariat des Lutherrates zu übernehmen36. Dies ist insofern bemerkenswert, als Gauger eine ausgesprochen kritische Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Staat einnahm37. Ferner wurde der Frage nach 34 Die Bekennende Kirche und der Bruderrat der schlesischen Provinzialkirche waren Ende 1935 / Anfang 1936 wegen der Frage der Stellung zu den Kirchenausschüssen in sich völlig zerstritten. Zänker selbst war zu einer Zusammenarbeit mit dem Provinzialkirchenausschuss bereit, was zu heftigen Widerständen im Provinzialbruderrat führte. Es kam zur Spaltung der schlesischen Bekennenden Kirche in zwei Synoden, zum einen die Schlesische Synode der Bekennenden Kirche, die sogenannte „Christophori-Synode“, die sich hinter Zänker stellte, und zweitens die Schlesische Bekenntnissynode, die sogenannte „Naumburger Synode“, die nur die von ihr bestimmte und vom altpreußischen Bruderrat bestätigte Kirchenleitung anerkannte. Vor diesem Hintergrund war an einen förmlichen Beitritt der schlesischen Provinzialkirche nicht zu denken – zumal, da die schlesische Kirche ja Teil der altpreußischen Unionskirche war. Zur Situation in der schlesischen Provinzialkirche Ende 1935 / Anfang 1936 vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 206 f. u. 424, Anm. 450; Ehrenforth, Schlesische Kirche, 73–82; und Hornig, Bekennende Kirche, 18–24. Vgl. auch unten 3.4, 204 f. 35 Da Lilje als Geschäftsführer des Lutherrates vorgesehen war, wird man ihn wohl kaum als Vertreter der Studentenschaft ansehen können. 36 Vgl. die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 209. 37 Gauger war 1934 wegen seiner Weigerung, den Eid auf Hitler zu leisten, aus dem Staatsdienst entlassen worden. Im Mai 1940 floh er als Kriegsdienstverweigerer vor seiner Einberufung in die

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einer möglichen Zukunft des Lutherischen Rates nachgegangen. Offensichtlich war dieser mit der Gründung des Lutherrates in seiner bisherigen Funktion überflüssig geworden. Meiser wurde bevollmächtigt, den Lutherischen Rat entweder „ohne weiteres aufzulösen“ oder ihn, mit neuen Aufgaben versehen, dem Lutherrat anzugliedern. Nachdem der Fortsetzungsausschuss des Deutschen Lutherischen Tages, in dem der Arbeitsausschuss des Lutherischen Rates ja bereits aufgegangen war, sich am 1. April 1936 noch einmal in Halle traf und die Überführung des Lutherischen Rates in den Lutherrat beschloss, löste Meiser den Lutherischen Rat am 17. Juni 1936 auf 38. Schließlich wurde bekräftigt, dass man mit der VKL II in „ständiger Fühlungnahme“ bleiben wolle. Allerdings gab man sich „keinen großen Hoffnungen darüber hin[…], daß es zu einer wirklich verständnisvollen Zusammenarbeit kommen wird.“39 Wegen des Problems der altpreußischen Lutheraner wollte man in Kontakt zu Iwand, damals Direktor des bekenntniskirchlichen Predigerseminars in Ostpreußen, treten und ihn um „seine tätige Mitarbeit“ ersuchen40.

3.2 Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands in der Zeit der Kirchenausschüsse (1936 bis 1937) In der Zeit der Kirchenausschüsse bis Mitte Februar 1937 trat der neu gegründete Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands durchschnittlich jeden Monat zu Vollsitzungen zusammen. Insgesamt tagte er in diesem Zeitraum zwölf Mal, davon sechs Mal in Berlin, zwei Mal in Bayern, in Würzburg und Bad Kissingen, zwei Mal in Sachsen, in Dresden und Leipzig, und je ein Mal in Braunschweig und Bückeburg. Die Sitzungen in Dresden, Braunschweig und Bückeburg standen im Zusammenhang mit den Feiern anlässlich des Anschlusses der Landeskirchen Sachsen, Braunschweig und Schaumburg-Lippe an den Rat41. Niederlande, wurde aber nach der Besetzung der Niederlande verhaftet und dabei durch Beinschuss verletzt. Er wurde ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht, dort im Rahmen der „Euthanasie“-Aktion „14 f 13“ als „lebensunwertes Leben“ ausgesondert und im Juli 1941 (vermutlich am 15. 7.) in der Tötungsanstalt Sonnenstein bei Pirna vergast. Vgl. ebd., 657; Steinbach / Tuchel, Lexikon, 64; Stein, Konzentrationslager, 124–126 u. 297; sowie Ludwig, Gauger. Zum Schicksal Gaugers vgl. auch unten 3.4, 203. 38 Vgl. die Aufzeichnungen Meisers, in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 209 f. mit Anm. 14. Der Auflösungsbescheid Meisers an die Mitglieder des Lutherischen Rates vom 17. 7. 1936 ist abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/2, 891 f. 39 Vgl. Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 210. 40 Vgl. ebd. Zu Iwand vgl. die Biographie von Seim, Iwand; sowie unten 4.1, 224–226. 41 Die Vollsitzungen des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands bis zum Ende der Ära der Kirchenausschüsse im Einzelnen: 1.) 6. 4. 1936, Berlin; 2.) 9. 5. 1936, Würzburg;

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Gleich zu Beginn der ersten regulären Sitzung und abermals zu Beginn der zweiten Sitzung machte der Vorsitzende Breit unmissverständlich deutlich, welches der Zweck des neuen Zusammenschlusses war: „die Vorbereitung eines lutherischen Kirchenregiments in Deutschland“42. Dabei war man sich einig, dass es sich beim Lutherrat nicht um eine weitere „vereinsmäßige Gründung, sondern um die Darstellung der deutschen lutherischen Kirche“43 handele, dass es neben der geistlichen Leitung auch um einen „äußeren rechtlichen Zusammenschluß“44 gehe. Klar bedacht wurden die weitreichenden Konsequenzen, die sich aus dieser Zielvorstellung einer „lutherischen Reichskirche“45 ergaben: die Notwendigkeit der Schaffung einer neuen Kirchenverfassung für das gesamte evangelische Deutschland – einschließlich einer Neuordnung des kirchlichen Wahlrechtes und einer Neuregelung der Kirchensteuerfragen46, „ein grundsätzliches Aufgeben der bisherigen territorialen Form der Landeskirchen“47, eine Überwindung der Union, namentlich in Preußen48, und eine Kooperation mit einem „Rat der reformierten Kirche Deutschlands“49. 3.) 28. 5. 1936, Dresden; 4.) 8. 6. 1936, Leipzig; 5.) 6. 7. 1936, Bad Kissingen; 6.) 7. 8. 1936, Berlin; 7.) 18. 9. 1936, Berlin; 8.) 5. 11. 1936, Berlin; 9.) 25./26. 11. 1936, Berlin; 10.) 6. 1. 1937, Braunschweig; 11.) 2./3. 2. 1937, Bückeburg; 12.) 11. 2. 1937, Berlin. Die offiziellen Protokolle dieser Sitzungen in: LKA Hannover, D 15 III 13. Zu den Sitzungen 1.–3. und 6.–12. vgl. auch die Aufzeichnungen Meisers in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 210–233; 241–285; 314–340; 367–389; 466–476 u. 514–534. Vgl. darüber hinaus die Aufzeichnungen Meisers über eine weitere Sitzung am 10. 12. 1936 in München (ebd., 423–428), die aber nach den offiziellen Protokollen nicht als reguläre Vollsitzung gezählt wurde. 42 Zitiert nach dem Protokoll der 1. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). 43 So Breit nach dem Protokoll der 2. Lutherratssitzung (ebd.). 44 So Meiser nach dem Protokoll der 2. Lutherratssitzung (ebd.). 45 Vgl. das Protokoll der 8. Lutherratssitzung (ebd.). 46 Vgl. das Protokoll der 1. Lutherratssitzung (ebd.). 47 So Breit nach dem Protokoll der 2. Lutherratssitzung (ebd.). 48 Vgl. etwa das Votum von Marahrens nach dem Protokoll der 2. Lutherratssitzung (ebd.), „die Union in Preußen [sei] nicht zu halten“. 49 Vgl. die Protokolle der 5. und 10. Lutherratssitzung (ebd.). Gemeint ist der am 3. 7. 1936 gegründete Arbeitsausschuss der reformierten Kirchen Deutschlands, dem die verfassten reformierten Kirchen Deutschlands (Hannover und Lippe-Detmold), die Synode Freier reformierter Gemeinden und einzelne reformierte Gemeinden aus der Union angehörten (vgl. die Gründungserklärung, abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/2, 808). Anders als der Reformierte Bund für Deutschland, der Coetus reformierter Prediger Deutschlands und die Bekenntnisgemeinschaft der Reformierten Kirche Hannovers stellte sich der Arbeitsausschuss grundsätzlich positiv zum RKA (vgl. die Briefe des Arbeitsausschusses vom September und Oktober 1936, abgedruckt in: ebd., 1045–1050). In der 11. Sitzung des Lutherrates (vgl. das Protokoll: LKA Hannover, D 15 III 13) wurde eine bereits am 16. 1. 1937 von Breit unterzeichnete „Erklärung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und des Arbeitsausschusses der Reformierten Kirchen Deutschlands über eine Zusammenarbeit“ (abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/2, 1295 f.)

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Angesichts der politischen und kirchenpolitischen Lage gestaltete sich eine Realisierung solcher Pläne als schwierig. Zwar gab man sich von Anfang an keinen Illusionen hin, war sich etwa darüber im Klaren, dass an eine Anerkennung des Lutherrates als eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes und eine Auflösung der Landeskirchen vorerst nicht zu denken war50, gleichwohl machte sich aber auch im Lutherrat bzw. in seiner Anhängerschaft zunehmend Enttäuschung breit, weil man meinte, dem angestrebten Ziel nicht oder nicht schnell genug näher zu kommen. So übte Künneth, der die Gründung des Rates sehr begrüßt und auch – etwa durch die Abfassung des Entwurfs zu dessen erster Verlautbarung51 – unterstützt hatte, bereits im Herbst 1936 in einem Zeitschriftenartikel heftige Kritik an dem Mangel an sichtbaren Erfolgen: Weder sei man, so Künneth, in der Unionsfrage weitergekommen, noch habe man es bislang bewerkstelligt, regelmäßig und ausreichend Informationen herauszugeben, noch habe man es verstanden, – besonders der jungen Pfarrerschaft gegenüber – die Vorzüge des Rates im Vergleich zur VKL II plausibel zu machen52. Die angedeuteten Schwierigkeiten waren zunächst organisatorischer Art. Ein ursprünglich als Leitungsgremium vorgesehener „Engerer Rat“, bestehend aus Beste, Hahn und wohl auch Breit als Vorsitzendem, erwies sich – vermutlich auf Grund von kommunikations- und verkehrstechnischen Problemen – als nicht arbeitsfähig, so dass dieser bereits in der siebten Sitzung am 18. September 1936 mit Einverständnis der Beteiligten wieder abgeschafft wurde. Auch im Berliner Sekretariat, der ständigen Vertretung des Lutherrates, kam es schon bald zu personellen Veränderungen. Lilje wurde wegen eines Auslandsaufenthaltes bzw., da ihm andere Aufgaben übertragen werden sollten, ab September 1936 durch Fleisch vertreten53. Einen Monat später wurde Fleisch stellvertretender Vorsitzender des Sekretariats und zugleich des Lutherrates und einstimmig angenommen. In dieser Erklärung, in der der Weg der Unionen ausdrücklich verworfen wurde, hieß es u. a.: „Wir sind der Überzeugung, daß die Erhaltung und Erneuerung der Kirche Jesu Christi und ihres Lebens […] nur auf der festen Grundlage der Bekenntnisse unserer Kirchen geschehen kann […]“ Zu einer „Überwindung der Lehrunterschiede“ könne es nur „auf Grund der Heiligen Schrift, somit von innen her und rein kirchlich“, kommen. 50 Vgl. das Protokoll der 5. bzw. der 2. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). Letzterem zufolge wies Breit darauf hin, „daß selbstverständlich die Landeskirchen als das Gerüst erhalten werden müßten, solange gebaut werde.“ 51 „Wort des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands an die Gemeinden“, Passionszeit 1936, abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/1, 552–554. Vgl hierzu auch unten 3.2.5, 160–162. 52 Künneth, Lutherische Neubesinnung. Vgl. auch die Aufzeichnungen Meisers zur 8. Lutherratssitzung, in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 317 f. 53 Vgl. das Protokoll der 7. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13) und die Aufzeichnungen Meisers zur 7. Lutherratssitzung, in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 283. Zu Liljes Auslandsaufenthalt vgl. auch unten 3.2.5, 168 f.

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führte seitdem verantwortlich die Verwaltungsgeschäfte des Lutherrates54. Ab November 1936 arbeitete der Marbacher Dekan Heinrich Pfisterer als württembergischer Vertreter im Sekretariat des Lutherrates mit55. 1938 wurde er durch seinen Weikersheimer Dekanskollegen Friedrich Keppler abgelöst56. Die in der vorbereitenden Leipziger Sitzung am 18. März 1936 beschlossene Anstellung Gaugers als Justitiar im Sekretariat des Lutherrates erwies sich als schwierig; sie war Anfang 1937 noch immer nicht formal vollzogen57. Bayrischer Vertreter im Sekretariat war zunächst seit Mai 1936 Stoll und dann ab Sommer 1938 der Münchener Pfarrer Ernst Kinder. Als Vertreter der mecklenburgischen Bekenntnisgemeinschaft war vorübergehend Kandidat Dieter Behm im Sekretariat tätig. Für die Öffentlichkeitsarbeit des Sekretariats war ab Oktober 1936 der ehemalige Redakteur der Greifswalder Zeitung und des Reichsboten Hannsludwig Geiger zuständig. Bis zu fünf Bürokräfte unterstützten die Sekretariatsmitglieder bei ihrer Arbeit58. Zu einer Übertragung der Kompetenzen des Lutherischen Paktes auf den Lutherrat, wie sie insbesondere Breit anstrebte, bzw. zu einer Ausdehnung des Paktes auf alle dem Lutherrat angeschlossenen Kirchen59 kam es nicht.

3.2.1 Das Verhältnis zur Vorläufigen Kirchenleitung (VKL II) Das Verhältnis zur VKL II war vor allem gekennzeichnet durch zunehmende Entfremdung und Konkurrenz60. Die Briefwechsel und Gespräche61 zeugen 54 Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 572. Hintergrund für die Beauftragung Fleischs war die USAReise Meisers (vgl. dazu unten 3.2.5, 169), die es erforderlich machte, dass Breit Meiser als Landesbischof in München vertrat. 55 Vgl. das Protokoll der 7. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13); und die Aufzeichnungen Meisers zur 7. Lutherratssitzung, in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 283. 56 Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 572. 57 Vgl. die Protokolle der 8. und der 10. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). Während Breit, Lilje, Fleisch und Pfisterer von ihrer jeweiligen Landeskirche abgeordnet und weiterhin bezahlt wurden, musste Gauger, der in keinem Dienstverhältnis zu einer der dem Rat angeschlossenen Kirchen stand, vom Lutherrat selbst angestellt und aus dessen eigenem Etat bezahlt werden. Dies war offensichtlich vor allem deswegen nicht unproblematisch, weil der rechtliche Status des Lutherrates als Anstellungsträger unklar war. 58 Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 572. 59 Vgl. das Protokoll der 8. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13); vgl. auch oben 3.1, 130 f.; und unten 3.2.4, 151 (Plan einer Ausdehnung des Lutherisches Paktes auf Sachsen). 60 Zu dem gespannten Verhältnis Lutherrat – VKL II vgl. insgesamt Besier, Kirchen, 529–543. 61 Vgl. den Briefwechsel zwischen dem Lutherrat und der VKL II vom 17. bis 28. 7. 1936 sowie die Schreiben des Lutherrates an die VKL II vom 8. 8., 7. und 30. 11. 1936 (abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/2, 892–911, 947, 1143 u. 1199 f.). Zu Aussprachen zwischen Vertretern

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teilweise aber durchaus auch von dem Bemühen um eine Beilegung der Differenzen und um Kooperation oder zumindest um friedliche Koexistenz. Der Lutherrat wiederholte mit Nachdruck das Argument, dass die Deutsche Evangelische Kirche gerade auch gemäß den Beschlüssen der Bekenntnissynoden von Barmen und Dahlem „ein Bund von bekenntnisbestimmten Kirchen“ bzw. „ein Bund von bekennenden Bekenntniskirchen“ sei und dass dementsprechend die kirchlichen Organe den Bekenntnissen gemäß zu gliedern seien, was auch in der bisherigen Bekennenden Kirche tatsächlich niemals ernsthaft durchgeführt worden sei62. Ferner bestritt der Lutherrat die „Rechtmäßigkeit“ der VKL II als Kirchenleitung der Deutschen Evangelischen Kirche, und zwar sowohl im theologischen Sinne – eben wegen der fehlenden Bekenntnisbestimmtheit – als auch im verfassungsrechtlichen Sinne, da sie von den im Lutherrat zusammengeschlossenen Kirchen nicht mit berufen und bestätigt worden sei63. Umgekehrt warf die VKL II dem Lutherrat u. a. vor, für die Spaltung der Bekennenden Kirche verantwortlich zu sein64 und „durch sein enges Zusammenwirken mit dem Reichskirchenausschuß“65 das Ziel der Bekennenden Kirche, „möglichst bald der Kirche ihre Eigenständigkeit und ihr Eigenrecht wiederzugeben und auf Grund eines kirchlichen Wahlrechtes einen kirchlichen Aufbau zu tätigen“66, preisgegeben zu haben. Es müsse, so die VKL II, „für die gesamte Bekennende Kirche verpflichtend sein, daß die Kirchenausschüsse niemals Kirchenleitung sein können und daß dem von ihnen erhobenen Anspruch auf Leitung und Vertretung der DEK ein klarer Widerstand entgegengesetzt werden muß, und zwar nicht nur insgeheim, sondern vor der Gemeinde.“67

Besonders belastet wurde das Verhältnis zwischen der VKL II und dem Lutherrat durch die Affäre um die vorzeitig im Ausland bekannt gemachte kritische Denkschrift der VKL II an Hitler vom 28. Mai 1936, die u. a. zur Verhaftung und Ermordung des juristischen Mitarbeiters bei der VKL II Friedrich Weißler

der VKL II und des Lutherrates kam es u. a. am 16. 7. 1936 (vgl. hierzu ebd., 892 u. 895 f.; sowie das Protokoll von Breit: LKA Hannover, D 15 III 13), am 22. 12. 1936 sowie am 20. 1. 1937 (vgl. hierzu die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 456–465 u. 492–513). 62 Schreiben des Lutherrates an die VKL II vom 17. 7. 1936, abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/2, 892–895, hier: 892. 63 Ebd., 893. 64 Schreiben der VKL II an den Lutherrat vom 28. 7. 1936, abgedruckt in: ebd., 903–911, hier: 907: „Die Verantwortung für die Spaltung der Bekennenden Kirche müssen wir […] dem Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche zuweisen.“ 65 Ebd., 909. 66 Ebd., 907. 67 Ebd., 908.

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führte68. In einem Schreiben vom 7. November 1936 teilte Breit der VKL II mit, „bis zur restlosen Klärung dieser Angelegenheit“ würden „die uns angeschlossenen Kirchenregierungen und Landesbruderräte, soweit sie bisher in einem Verhältnis zur VKL gestanden haben, dieses Verhältnis als ruhend betrachten“69. Es ist deutlich, dass der Lutherrat jeden Anschein grundsätzlicher politischer Illoyalität vermeiden wollte. Die zunehmenden Verwerfungen zwischen dem Lutherrat und der VKL II hatten auch unmittelbare Auswirkungen auf das Verhältnis des Lutherrates zum Reichsbruderrat, von dem man erwartete, dass er den Lutherrat neben der VKL II als Kirchenleitung, nämlich als „geistliche Spitze“ der ihm angeschlossenen Kirchen anerkenne70. In der sechsten Sitzung des Lutherrates am 7. August 1936 erklärte der Vorsitzende Breit: „Wir sind auf unserem Wege schon zu weit vorangeschritten, um uns noch einmal auf einer Synode mit denen zu vereinen, die unsere schwersten Bedenken in den Wind geschlagen haben.“71 Und in der darauffolgenden Sitzung des Lutherrates am 18. September 1936 äußerte er: „Nachdem die dem Lutherrat angeschlossenen Kirchen ihre Vertretung gegenüber der Vorläufigen Kirchenleitung II dem Lutherrat anvertraut haben72, kann nicht eine zweite Vertretung der Landeskirchen im Reichsbruderrat aufrechterhalten werden. Es kommt dazu, daß unsere Mitglieder im Reichbruderrat ständig überstimmt werden. Die aus den Lutherratskirchen entsandten Mitglieder sollten ihre Ämter vorläufig ruhen lassen.“73

Unter dem Eindruck zunehmender Behinderungen der kirchlichen Arbeit durch Staat und Partei war man aber auch im Lutherrat sich dessen bewusst und entschlossen, dass „von unserer Seite alles getan werden [muß], um die schwachen Fäden, die zwischen uns und den übrigen Kreisen der bekennenden Kirche noch laufen, nicht gar abreißen zu lassen“74. 68 Die Denkschrift samt Anlagen ist abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/1, 695–719. Zu dieser Denkschrift und der Affäre um ihre Lancierung ins Ausland vgl. u. a. Niemöller, Bekennende Kirche; Greschat, Widerspruch; und Besier, Kirchen, 482–510. Zum Schicksal Weißlers, der jüdischer Herkunft war, vgl. Greschat, Weißler. 69 Schmidt, Dokumente II/2, 1143. 70 Vgl. Besier, Kirchen, 536. 71 Zitiert nach den Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 245 f. 72 Vgl. das Protokoll der 7. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13): „Es wird beschlossen, daß der Verkehr mit der VKL ausschließlich über das Sekretariat geleitet werden soll.“ 73 Zitiert nach den Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 274. 74 So Meiser in einem Schreiben an Breit und Wurm vom 15. 12. 1936, zitiert nach: ebd., 456, Anm. 4.

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Der unter dem Eindruck staatlicher Redeverbote formulierte dringende Appell von Referenten der Deutschen Evangelischen Woche in Stuttgart Ende Juli 1936 (u. a. Wurm und Bodelschwingh) an alle Teile der Bekennenden Kirche, „alle nur möglichen Schritte zur Überwindung der gegenwärtigen Zertrennung zu tun“75, hatte offenbar seine Wirkung nicht gänzlich verfehlt. Zwar blieben ein grundsätzlicher Dissens, auch Misstrauen und persönliche emotionale Spannungen, jedoch setzte sich wohl insgesamt eine pragmatische Linie der „Arbeitsteilung“ durch, wie Stoll sie in einer Thesenreihe vom 20. Oktober 1936 so formulierte: „Die Vertreter der im Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands vereinigten Kirchen können die Vorläufige Leitung nur als die vorläufige Leitung der bekennenden Kirchen und Gemeinden ansehen, die sich dieser Leitung zugeordnet haben.“76

In seiner Denkschrift „Unsere Zugehörigkeit zur Bekennenden Kirche“ vom März 1938 bekräftigte der Lutherrat diese Position: Man betrachte, so hieß es dort, die VKL II als „Spitze eines Teils der Bekennenden Kirche“, der sich ihr (der VKL II) unterstellt hätte, vor allem der Bekenntnisgemeinschaften der altpreußischen Union, Bremens, Nassau-Hessens und Oldenburgs77. Dass es nach wie vor durchaus große inhaltliche Übereinstimmungen zwischen VKL II und Lutherrat, vor allem im Hinblick auf die Einschätzung der Behinderung kirchlicher Arbeit im nationalsozialistischen Staat, gab, zeigte sich etwa darin, dass die Lutheraner mit der Kanzelabkündigung der VKL II vom 23. August 193678 grundsätzlich einverstanden waren79. In dieser Kanzelabkündigung bekannte sich die VKL II öffentlich zu der umstrittenen Denkschrift vom Mai, distanzierte sich aber gleichzeitig von der Art und Weise ihrer Veröffentlichung im Ausland. Gleichwohl beschloss der Lutherrat, dass die Abkündigung in den ihm angeschlossenen Kirchen nicht verlesen werden sollte, weil zunächst „der Erfolg der von D. Zoellner unternommenen Schritte abgewartet werden“ sollte80. Teilweise führte die oben beschriebene „Arbeitsteilung“ gewissermaßen zur Ausbildung von Parallelstrukturen. Auf die Aufforderung der VKL II zur Aus-

75 Die „Stuttgarter Erklärung an die Vorläufige Leitung, den Lutherischen Rat und den Reichsbruderrat“ vom 29. 7. 1936 ist abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/2, 938 f., Zitat: 938. 76 Die Thesenreihe von Stoll „Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und der Reichsbruderrat“ ist abgedruckt in: ebd., 1089 f., Zitat: 1089. 77 Zitiert nach Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 567. (Original-Text nicht ermittelt.) 78 Die Kanzelabkündigung ist abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/2, 984–989. 79 Vgl. Besier, Kirchen, 536 f. 80 Protokoll der 6. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13).

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schreibung einer Kollekte für die zerstörten Kirchengebiete und die Anregung der VKL II zu einer einheitlichen Ausgestaltung des Buß- und Bettages 1936 etwa reagierte der Lutherrat so, dass er eine eigene Kollekte für die „dem Rat angeschlossenen zerstörten Kirchengebiete“ ausschrieb und ein eigenes „Wort an die Gemeinden zum Bußtag“ ausgehen ließ81. Und als Martin Niemöller sich darüber beklagte, „daß die Mehrzahl der [Pfarrer-]Notbundbeiträge aus dem Raume der altpreussischen Union aufgebracht würden, um sie dann in die zerstörten lutherischen Kirchengebiete weiterzuleiten“, die dem Lutherrat angehörten, regte Breit an, eine eigene Hilfsaktion des Lutherrates aufzubauen82. In Schlesien konnte auch der pragmatische Kurs der „Arbeitsteilung“ Konflikte zwischen der VKL II und dem Lutherrat nicht verhindern, weil in dieser altpreußischen Provinzialkirche die Bekennende Kirche selbst völlig gespalten war in einen Teil um Bischof Zänker, der zum Lutherrat tendierte, und einen anderen Teil, der sich zur VKL II hielt83.

3.2.2 Das Verhältnis zum Reichskirchenausschuss (RKA) Das Verhältnis des Lutherrates zum Reichskirchenausschuss (RKA) war keineswegs so eng kooperativ, wie es etwa die VKL II behauptete. Die Sitzungsprotokolle des Lutherrates vermitteln eher den Eindruck, als habe sich der Lutherrat – nicht zuletzt, um das eigene Profil zu schärfen und die eigene Bedeutung zu stärken bzw. hervorzuheben – um Äquidistanz zur VKL II einerseits und zum RKA andererseits bemüht. Wie gegenüber der VKL II, so sollte der Lutherrat gemäß förmlichem Beschluss vom 18. September 1936 auch gegenüber dem RKA die gemeinsame Interessenvertretung der angeschlossenen lutherischen Kirchen sein; der Verkehr sollte stets über das Berliner Sekretariat abgewickelt werden84. Beim RKA stieß die Gründung des Lutherrates zunächst auf „verschiedene Bedenken“85. In einem Schreiben vom 23. April 1936 übermittelte der RKA81 Protokoll der 7. Lutherratssitzung (ebd.). Das „Wort des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands an die Gemeinden zum Bußtag“ ist abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/2, 1151 f. Vgl. dazu unten 3.2.5, 165 f. 82 Protokoll der 10. Lutherratssitzung; vgl. auch das Protokoll der 11. Lutherratssitzung (beide: LKA Hannover, D 15 III 13). Vgl. auch unten 3.3.1, 178. 83 Vgl. das Protokoll der 11. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). Zur Situation in der schlesischen Kirchenprovinz vgl. oben 137, Anm. 34. 84 Vgl. das Protokoll der 7. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). In der 8. Lutherratssitzung am 5. 11. 1936 mahnte Breit allerdings, dass „die Vertretungsbefugnis gegenüber dem RKA bisher noch nicht von allen Landeskirchen abgegeben worden ist“ (vgl. das Protokoll: ebd.). 85 Protokoll der Sitzung des RKA vom 17. 4. 1936, zitiert nach: Besier, Kirchen, 481.

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Vorsitzende Zoellner dem Lutherrat eine Reihe von Fragen, „um über Zweck und Ziel der neuen Gründung klar zu sehen“86. In seinem Antwortschreiben vom 4. Juni 193687 bezeichnete der Lutherratsvorsitzende Breit den Versuch des Reichskirchenministers, per Verordnung „ein kirchlich begründetes Notkirchenregiment zu beseitigen […], ohne eine kirchlich tragbare Neuordnung einzuleiten, als ungeeignet zu einer wirklichen Befriedung der kirchlichen Verhältnisse“; dies könne „aus dem Bekenntnis der Kirche nicht gerechtfertigt werden“. Der Lutherrat wisse sich „in der Gemeinschaft der Bekennenden Kirche insoweit, als das lutherische Bekenntnis voll geehrt und bekannt wird.“88 Zu den Aufgaben und Zielen des Lutherrates hieß es in dem Schreiben: „Er [sc. der Lutherrat] arbeitet […] daran, über die organisierte Bekennende Kirche hinaus die Lutherische Kirche in Deutschland zu sammeln, die gewillt ist, bekennende lutherische Kirche zu sein, und er ist bestrebt, ein künftiges lutherisches Kirchenregiment für eine geeinte und erneuerte deutsche Lutherische Kirche vorzubereiten. Seine ‚geistliche Leitung‘ versteht der Rat in dem Sinn, daß er durch seine gesamte Arbeit die Lutherische Kirche an ihr Bekenntnis mahnt und zum Bekennen aufruft, ihrer Gemeinschaft über die Landeskirchen hinaus bewußt machen will, der Ausbildung und Fortbildung der Diener der Lutherischen Kirche seine besondere Fürsorge zuwendet und das Wächteramt in der Lutherischen Kirche ausübt, das durch das Bekenntnis geboten ist.“89

Zum Verhältnis zu den Kirchenausschüssen führte Breit aus, man wisse sich mit diesen „in der Sorge um die Vorbereitung der künftigen Neuordnung der Deutschen Evangelischen Kirche verbunden“ und werde „auch weiterhin aufrichtig bereit und bemüht sein, mit den Ausschüssen die Widerstände gegen die Herbeiführung einer Ordnung zu bekämpfen, die der Kirche ermöglicht, in voller Freiheit und Ruhe ihre Glaubens- und Bekenntnisfragen selbst zu regeln.“90

Am 23. Juni 1936 fand in Berlin eine Besprechung zwischen Vertretern des Lutherrates und des RKA statt91. Zoellner bemühte sich dabei sehr nachdrück-

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Das Schreiben ist abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/1, 618 f.; Zitat: 618. Abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/2, 747–749. 88 Ebd., 748. 89 Ebd., 749. 90 Ebd. 91 Vgl. hierzu das Protokoll (LKA Hannover, D 15 III 13). Vgl. auch die von Seiten des Lutherrates der Besprechung zu Grunde gelegten „Sätze des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands über seine Arbeit“ vom 23. 6. 1936, abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/2, 779 f. 87

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lich um eine Beilegung von Differenzen92 und warb intensiv um eine aktive Unterstützung des Lutherrates. Er sagte u. a.: „Wir (RKA und L[uther-]R[at]) können uns einen Zank untereinander nicht leisten. Wir müssen enger zusammenarbeiten.“ Zoellner verstieg sich sogar – halb beschwörend, halb drohend – zu der Behauptung, dass ein Bruch zwischen Lutherrat und RKA zu einem Untergang beider führen müsse: „Gehen der RKA und der Rat der ev.-luth. Kirche Deutschlands (L[uther-]R[at]) jetzt auseinander, dann sind wir kaputt, Sie aber auch.“ In sehr geschickter, aber wohl auch sehr durchsichtiger Weise stellte Zoellner gemeinsame Interessen heraus. Zunächst verwies er auf seine eigene Herkunft aus dem Luthertum: „Sie brauchen ja zunächst in mir nicht nur den Ausschuß zu sehen, sondern doch auch einmal den alten Zoellner. […] Wir sind auch Lutheraner […]“. Dann erklärte er, der RKA unterstütze das Anliegen des Lutherrates: „Wir wollen Ihnen ja helfen! Sie sind das Organ, das in Verbindung mit uns das Corpus Lutheranorum in Deutschland vorzubereiten hat.“ Sodann versuchte Zoellner, mittels der Unionsfrage den Lutherrat gegen die VKL II bzw. die sogenannten „Dahlemer“ auszuspielen: „Die Frage der altpreußischen Union muß von innen her, von der Union selbst, gelöst werden. Die dortigen Lutheraner brauchen eine Führung. Diese Führung müssen Sie darstellen. Sie werden darum mit den Dahlemern aneinandergeraten, denn Dahlem hat sich auf die Union festgelegt. Es ist geradezu ein Kardinalpunkt für sie.“

Schließlich betonte Zoellner, dass man in gemeinsamer Front gegen die radikalen Thüringer Deutschen Christen und gegen das „Neuheidentum“ stehe: „Darüber lassen wir ja gar keinen Zweifel, daß wir mit dem jetzigen Kirchenregiment von Thüringen und Mecklenburg gar keine Gemeinschaft haben. […] Gegen das Neuheidentum müssen wir alle miteinander Front machen.“ Die Lutherratsvertreter reagierten auf das Werben Zoellners betont reserviert. Breit hob die Wichtigkeit des „Distanzhaltens“ gegenüber dem RKA und die Notwendigkeit der „Unabhängigkeit [des Lutherrates] von der Billigung des Staates, auch von der Billigung des RKA“ hervor; der Lutherrat müsse „selbständig aus Bekenntnis und Kultus heraus handeln“. Breit bezweifelte sogar, dass „der Staat überhaupt eine Befriedung der Kirche will“. Lilje und Stoll solidarisierten sich geradezu demonstrativ mit den „Dahlemern“. Lilje sagte: „Es würde mir als Untreue vorkommen, wollten wir aus der Gemeinschaft austreten, in die wir hinein gehören und deren Ziele wir durchaus bejahen, wenn wir auch

92 Der Lutherrat hatte vor allem Anstoß genommen an dem im Gesetzblatt der DEK Nr. 17, 1936 veröffentlichten „Aufruf des Reichskirchenausschusses betr. die Weltkirchenkonferenzen 1937“ vom 15. 6. 1936 (abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/2, 768 f.), in dem der RKA sich „als das Organ der Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche“ bezeichnet hatte (ebd., 769).

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andere Methoden für richtig halten als unsere Dahlemer Freunde. […] Ich möchte es mit möglichster Klarheit hier nochmals aussprechen: Wir wollten das Ziel der B[ekennenden] K[irche] nicht weniger als unsere Dahlemer Freunde, sondern wirksamer.“

Und Stoll sekundierte: „Wir können Dahlem nicht einfach sich selbst überlassen. Dazu sind uns diese Brüder, mit denen wir zusammengestanden haben, zu wertvoll.“ Lilje äußerte zudem die Befürchtung, „daß der RKA zu nahe an den Staat herangerückt ist, als daß er in allen Punkten die notwendige Freiheit ihm gegenüber sich bewahrte“93. In den folgenden Monaten ermahnte der Lutherrat den RKA bzw. dessen Vorsitzenden Zoellner immer wieder, wegen der Behinderungen kirchlicher Arbeit beim Staat und bei Hitler vorstellig zu werden94. Darüber hinaus reagierte der Lutherrat auch immer dann geradezu allergisch, wenn er den Eindruck hatte, dass der RKA seine Kompetenzen überschritt und sich in solche Belange einmischte, die das Bekenntnis und die geistliche Leitung der Kirche berührten. Selbst eine konfessionelle Gliederung des RKA, wie Zoellner sie offenbar plante und wie sie auf den ersten Blick den stets wiederholten Forderungen der Lutheraner nach konfessioneller Gliederung sämtlicher kirchlichen Organe zu entsprechen schien, lehnte der Lutherrat als eine solche Kompetenzüberschreitung ab. Ja, mehr noch, man war sich im Lutherrat einig, dass durch eine konfessionelle Gliederung des RKA sich die Spannungen zwischen Lutherrat und RKA verschärfen würden95. Die Aufforderung des RKA, „geeignete Persönlichkeiten für Auslandsdeutsche Arbeit und für die Arbeit an Religionslehrplänen zu nennen“, lehnte der Lutherrat ab, „da der RKA dafür nicht zuständig ist“96. Zum Ende der Tätigkeit des RKA hin scheint die Kritik des Lutherrates am RKA noch gewachsen zu sein. In der zehnten Lutherratssitzung am 6. Januar 1937 in Braunschweig warf Breit Zoellner – laut Protokoll – vor, dieser „habe den Rahmen der ihm und seiner Arbeit zugemessenen Ermächtigung über das beabsichtigte Mass [sic!] in propagandistischer Weise ausgedehnt. Die Ermächtigung sei ausgesprochen worden unter dem Eindruck eines bestimmten und akuten Notstandes und unter der deutlichen Voraussetzung, daß der RKA willens sei, kirchlich zu handeln. Diese Tatsache werde auf die verschiedenste Weise belastet.“97

93 Sämtliche Zitate aus: Protokoll der Besprechung zwischen Vertretern des RKA und dem Sekretariat des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands am 23. 6. 1936 (LKA Hannover, D 15 III 13). 94 Vgl. besonders die Protokolle der 5., 6., 9. und 10. Lutherratssitzung (ebd.). 95 Vgl. das Protokoll der 5. Lutherratssitzung (ebd.). 96 Zitiert nach dem Protokoll der 7. Lutherratssitzung (ebd.). 97 Zitiert nach dem Protokoll der 10. Lutherratssitzung (ebd.).

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Und im Protokoll der darauffolgenden Sitzung ist u. a. vermerkt: „Eindeutige Eingriffe des RKA in Lehre und Kultus […] veranlassen zu lebhaften Klagen.“98 Das mangelnde Durchsetzungsvermögen und Lavieren gegenüber dem Staat und dem Reichskirchenministerium im Besonderen und die Erfolglosigkeit der Bemühungen um eine Neuregelung der Kirchenleitungen in den sogenannten „zerstörten“ Landeskirchen wurden beklagt99. Insgesamt wird man die Haltung des Lutherrates zur Kirchenausschusspolitik Zoellners mit Paul Fleisch als die einer „bedingten Mitarbeit“ charakterisieren können100.

3.2.3 Das Verhältnis zum nationalsozialistischen Staat Das Verhältnis des Lutherrates zum nationalsozialistischen Staat, vor allem auch zum Reichskirchenministerium, war von Anfang an gespannt und verschlechterte sich noch zunehmend. Anders als der Reichskirchenausschuss erkannte das Reichskirchenministerium den Lutherrat nicht an, protestierte vielmehr sogar gegen dessen Gründung101. Insbesondere gegen den Anspruch, die „Evangelisch-lutherische Kirche Deutschlands“ zu repräsentieren (bzw. schon gegen den Namen) und geistliche Leitung auszuüben, erhob das Reichskirchenministerium Einspruch102. Umgekehrt löste vor allem die im November 1936 erfolgte Berufung von Hermann Muhs zum ständigen Vertreter Kerrls im Lutherrat Besorgnis aus103. Muhs, der zuvor Regierungspräsident in Hildesheim gewesen und erst anlässlich seiner Berufung wieder in die Kirche eingetreten war, galt wegen seiner kirchenfeindlichen Haltung als völlig inakzeptabel. In der neunten Lutherratssitzung am 25./26. November 1936 in Berlin wandte Marahrens sich mit ungewöhnlich scharfen Worten gegen Muhs’ Berufung: Ein Vertrauensverhältnis zu Muhs sei schlechterdings unmöglich; er habe dem Reichskirchenminister telegraphisch mitgeteilt, dass Muhs’ Berufung die „Zerstörung des Befriedungswerkes in der Deutschen Evangelischen Kirche“ bedeute104. Auch was das Verhältnis zum nationalsozialistischen Staat und seiner Partei allgemein angeht, zeugen die Protokolle von Schwierigkeiten und Distanz. Immer wieder wurden von Lutherratsmitgliedern Behinderungen der kirchlichen 98

Zitiert nach dem Protokoll der 11. Lutherratssitzung (ebd.). Vgl. ebd. 100 Fleisch, Werden, 33; vgl. auch Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 566. 101 Vgl. das Protokoll der 2. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). 102 Vgl. das Protokoll der 4. Lutherratssitzung (ebd.). 103 Vgl. die Protokolle der 9. und 10. Lutherratssitzung (ebd.). 104 Vgl. die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 370 f. 99

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Arbeit, Zwangsmaßnahmen gegen kirchliche Mitarbeiter sowie kirchenfeindliche Propaganda von Staats- und Parteivertretern beklagt105. Breit betonte in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit der Unabhängigkeit des Lutherrates vom Staat; es komme darauf an, „daß der Rat [der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands] in eigener Existenz dem Staat gegenüberstehe“106. Breit gab sich nicht der Illusion hin, dass es sich um Übergriffe einzelner radikaler Nationalsozialisten handelte, sondern sprach vielmehr von „einer kirchenpolitischen Linie der Partei […], die das dogmatisch geprägte Christentum für eine überwundene Grösse ansehe“107. Zwar versuchte man verschiedentlich, direkt bei Hitler vorstellig zu werden und von diesem auch zu einem Gespräch empfangen zu werden108, jedoch rechnete man schon mit der Möglichkeit, „daß der Empfang verweigert wird oder daß er zu keinem Ergebnis für die Kirche führt“109.

3.2.4 Anschlüsse an den Lutherrat Die „intakten“ Landeskirchen Bayern und Württemberg konnten den Beitritt zum Lutherrat auch formal ohne Schwierigkeiten vollziehen. Aber schon in der dritten „Paktkirche“, Hannover, war dies nicht ohne weiteres möglich. Der im Rahmen der Kirchenpolitik Kerrls am 17. März 1936 neu geschaffenen hannoverschen Kirchenregierung, deren Geschäftsordnung die Einmütigkeit von Beschlüssen vorsah, gehörte auch ein Mitglied der Deutschen Christen an, das die Zustimmung zum Anschluss verweigerte. Es blieb deshalb zumindest unklar, ob der Anschluss Hannovers an den Lutherrat rechtsgültig vollzogen war110. In der achten Lutherratssitzung am 5./6. November 1936 erklärte Marahrens zwar, die förmliche Anschlusserklärung Hannovers liege vor111, jedoch unterblieb deren Veröffentlichung im hannoverschen Kirchlichen Amtsblatt, wie sie eigentlich – auch auf Grund eines entsprechenden ausdrücklichen Beschlusses des Lutherrates112 – erforderlich gewesen wäre.

105 Vgl. besonders die Protokolle der 1., 2., 4., 5., 8., 9., 10. und 11. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). 106 Zitiert nach dem Protokoll der 4. Lutherratssitzung (ebd.). 107 Zitiert nach dem Protokoll der 5. Lutherratssitzung (ebd.). 108 Vgl. die Protokolle der 1., 9. und 10. Lutherratssitzung (ebd.). 109 Zitiert nach dem Protokoll der 9. Lutherratssitzung (ebd.). 110 Vgl. hierzu Klügel, Lutherische Landeskirche, 274–276. 111 Vgl. das Protokoll der 8. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). 112 Vgl. das ausführliche Verlaufsprotokoll Gaugers der 6. Lutherratssitzung am 7. 8. 1936 in Berlin (ebd.). Dort heißt es: „O K R B r e i t : verliest einen von Dr. Gauger gefertigten Entwurf einer

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Bereits in der ersten regulären Sitzung des Lutherrates wies Wurm darauf hin, dass die Existenz, das Selbstverständnis und die Zielsetzung des Lutherrates in seiner Landeskirche nicht unumstritten waren. Dem Protokoll zufolge führte er u. a. aus: „In Württemberg wird der Widerspruch gegen unseren Weg [sc. den Weg des Lutherrates] immer daran einsetzen, daß man sagt, die Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche seien nun einmal nicht die letzten möglichen Erkenntnisse. Man könne darüber doch auch hinaus. Der Biblizismus von Bengel bis Beck113 hat eben die württembergische Kirche geprägt.“114

Wenn Württemberg nach 1945 den Weg zur Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands nicht mitging, dann zeichnete sich dies – so kann man es zumindest ex post sagen – bereits am Beginn der Geschichte des Lutherrates ab. Nachdem der sächsische Bruderrat bereits zu den Gründungsmitgliedern des Lutherrates gehört hatte, schloss sich am 19. Mai 1936 auch der offiziell die ganze Landeskirche repräsentierende Landeskirchenausschuss – gegen Widerstände des Reichskirchenministeriums, aber mit Zustimmung des Reichskirchenausschusses – dem Lutherrat an. Am 27. Mai 1936 fand in der Dresdner Frauenkirche eine gottesdienstliche Anschlussfeier statt, an der auch Zoellner mitwirkte115. Erwogen wurde jetzt sogar eine Ausdehnung des Lutherischen Paktes auf Sachsen116. V e r ö f f e n t l i c h u n g im Amtsblatt, in der der Anschluß an den Rat kundgemacht werden soll: ‚V e r ö f f e n t l i c h u n g i m A m t s b l a t t . Betr.: Anschluß der … Kirche an den Rat der evang.-luth. Kirche Deutschlands. Der (Oberkirchenrat, die Kirchenregierung, der Landeskirchenausschuß, das Landeskirchenamt) … hat den von Landesbischof … bereits am 18. März 1936 für die … Landeskirche erklärten Anschluß an den Rat der evang.-luth. Kirche Deutschlands zur Kenntnis genommen und einmütig gebilligt. Der Anschluß ist in Übereinstimmung mit den Zielen und Aufgaben des Rates der evang.-luth. Kirche Deutschlands geschehen, wie sie in dessen ‚Wort an die Gemeinden‘ aus der Passionszeit 1936 [abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/1, 552–554 – vgl. dazu unten 3.2.5, 160–162] niedergelegt sind. Dieses Wort haben wir bereits in Nr. … unseres Amtsblatts zur Kenntnis gebracht. Die verfassungsmäßigen Beziehungen unserer Landeskirche zum Reichskirchenausschuß und der Deutschen Evangelischen Kirche werden durch den Anschluß nicht berührt.‘ Der Entwurf wird a n g e n o m m e n . “ 113 Johann Albrecht Bengel und Johann Tobias Beck waren bedeutende Vertreter des schwäbischen Pietismus. Vgl. Brecht, Bengel; und Wolf, Beck. 114 Protokoll der 1. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). Vgl. auch die Protokolle der 2. und 8. Lutherratssitzung (ebd.). 115 Zum Anschluss des sächsischen Landeskirchenausschusses vgl. die Protokolle der 2. und 3. Lutherratssitzung (ebd.); sowie die Dokumentensammlung in: Schmidt, Dokumente II/1, 682–691. Vgl. auch Lindemann, Landeskirche, 218–220. 116 Vgl. das Protokoll der 3. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13).

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Wegen der starken Position der radikalen deutsch-christlichen Kirchenleitungen war Vergleichbares in Mecklenburg, Thüringen und Lübeck nicht möglich. Hier blieb es beim Anschluss lediglich der Bekenntnisgemeinschaften, wobei Lübeck sich durch Mecklenburg mit vertreten ließ117. Der Lutherrat verlangte vom RKA und seinem Vorsitzenden Zoellner, dass die Verhältnisse in diesen Kirchen „unbedingt in einer dem Anliegen der dortigen BK gerecht werdenden Weise geregelt werden müssen“118. Der jeweilige Bruderrat sollte „in vollem Umfang als Kirchenleitung“ anerkannt werden119. Die Teilnahme an Kirchenführerkonferenzen des RKA machte der Lutherrat davon abhängig, dass auch die Bruderratsvorsitzenden aus Mecklenburg und Thüringen, Beste und Ernst Otto, eingeladen würden120. Seinen eigenen Kirchenleitungsanspruch unterstrich der Lutherrat in diesem Zusammenhang u. a. durch folgende Beschlüsse: 1. Der Bruderrat von Thüringen wurde aufgefordert, „seine oberhirtliche Betätigung nunmehr auch auf die Ordinationen zu erstrecken“121. 2. Dem RKA wurde mitgeteilt, die dem Lutherrat angeschlossenen Kirchen würden „von mecklenburgischen Pfarrern seit 1935 vollzogene Taufen nur noch anerkennen können, wenn vom Landesbruderrat bezeugt wird, daß der betr. Pfarrer die Taufe rite vollzieht“122. 3. Der Lutherrat beauftragte auswärtige Pfarrer mit der Betreuung (bekenntniskirchlicher) Lübecker Gemeinden123. Breit regte sogar an, wegen der Notsituation auf Grund der deutsch-christlichen Kirchenleitungen „Notbischöfe, autorisiert durch die Bischöfe des Lutherrates“, einzusetzen124. Titus Reuter, Oberpfarrer des Kirchenkreises Greiz, der das Gebiet der bis März 1934 selbständigen und dann der Thüringer Landeskirche eingegliederten kleinen Landeskirche Reuß ältere Linie umfasste, bemühte sich früh117 Vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 565. Zu Lübeck vermerkte das Protokoll der ersten Lutherratssitzung am 6. 4. 1936 in Berlin (LKA Hannover, D 15 III 13): „Es wird festgestellt, daß Lübeck von Mecklenburg mit vertreten wird und sich dem Rat unterstellt.“ Der offizielle Anschluss der Bekennenden Kirche Lübecks an den Lutherrat erfolgte mit Schreiben vom 25. 4. 1936 (abgedruckt in: Reimers, Lübeck, 184 f.) 118 Protokoll der 8. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). Das Lutherratssekretariat sollte einen entsprechenden Beschluss Zoellner mündlich erläutern. 119 Protokoll der 10. Lutherratssitzung (ebd.). 120 Protokoll der 8. Lutherratssitzung (ebd.). 121 Protokoll der 7. Lutherratssitzung (ebd.). 122 Protokoll der 8. Lutherratssitzung (ebd.). 123 Vgl. die Protokolle der 10. und 11. Lutherratssitzung (ebd.). 124 LKA Nürnberg, Tagebuch Bogner III, 21.

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zeitig um einen direkten Anschluss seines Kirchengebietes an den Lutherrat125. Die Eingliederung von Reuß ältere Linie in die Thüringer Kirche war auf erheblichen politischen Druck hin erfolgt, und die im Eingliederungsvertrag zugesicherte Wahrung des lutherischen Bekenntnisstandes wurde durch die radikale deutsch-christliche Thüringer Kirchenregierung natürlich nicht respektiert. Dadurch, dass Reuter sein Kirchengebiet nicht durch den Thüringer Landesbruderrat mitvertreten lassen wollte, sondern vielmehr einen separaten Anschluss an den Lutherrat anstrebte, wollte er offenkundig die Eingliederung rückgängig machen126. Reuters Bemühungen blieben erfolglos. Weder gelang eine Wiederherstellung der Selbständigkeit von Reuß ältere Linie noch kam es zu einem separaten Anschluss an den Lutherrat. Obwohl der Landeskirchenausschuss Schleswig-Hosteins den Beschluss fasste, mit dem Lutherrat über eine Aufnahme zu verhandeln127, und obwohl solche Verhandlungen auch bereits im Frühjahr 1936 geführt wurden128, scheiterten diese Verhandlungen sehr bald an den internen Zwistigkeiten des Landeskirchenausschusses. Ähnlich sah es zunächst auch auf der bekenntniskirchlichen Seite in Schleswig-Holstein aus. Hier neigte ein Teil der VKL II zu, während diese von einem anderen Teil strikt abgelehnt wurde. Erst nach dem Scheitern der Ausschüsse beantragte der schleswig-holsteinische Landesbruderrat für sich den Anschluss an den Lutherrat, der formell am 14. Mai 1937 vollzogen wurde129. Wie Mecklenburg, Thüringen und Lübeck war also auch Schleswig-Holstein nur durch den Bruderrat im Lutherrat vertreten. Die Verhandlungen des Lutherrates mit der im Rahmen der Befriedungsbzw. Ausschusspolitik Kerrls bestellten Kirchenregierung von Braunschweig unter dem ehemals deutsch-christlichen Landesbischof Johnsen zogen sich über einen längeren Zeitraum hin130. Analog zu Sachsen knüpfte der Lutherrat die 125

Vgl. Protokoll der 1. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). Vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 1, 469 u. 617 f. 127 Vgl. Protokoll der 5. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). 128 Vgl. Protokoll der 2. Lutherratssitzung (ebd.). 129 Vgl. die von Breit am 14. 5. 1937 und von Halfmann am 3. 6. 1937 unterzeichnete „Urkunde über den Anschluß des Bruderrats der Bekennenden lutherischen Kirche in Schleswig-Holstein an den Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands“ (LKA Hannover, D 15 I 94). Vgl. auch Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 261–267. Zur Situation in Schleswig-Holstein insgesamt vgl. Bielefeldt, Kirchenkampf, 51–147. 130 Bereits im Juli 1935 war es zu Gesprächen zwischen dem sich von den Deutschen Christen distanzierenden und kirchenpolitisch neu orientierenden Johnsen und dem Lutherischen Rat gekommen, die aber an der fehlenden Bereitschaft Johnsens, sich der VKL (I) zu unterstellen, gescheitert waren (vgl. hierzu oben 2.6, 105). Nach dem Scheitern der VKL I und dem Entschluss der Lutheraner, sich an der VKL II nicht mehr zu beteiligen, waren diese Gespräche im Februar 1936 wieder aufgenommen worden (vgl. hierzu oben 3.1, 131). Am 2. 7. 1936 sprach Lilje im Auftrage des Lutherrates mit Johnsen über die Aufnahme von Verhandlungen über einen Anschluss 126

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Aufnahme der braunschweigischen Landeskirche an die Bedingung, dass gleichzeitig daneben gleichberechtigt der braunschweigische Landesbruderrat aufgenommen wird131. Damit stellte der Lutherrat nicht nur abermals sehr klar seine Verbundenheit mit der Bekennenden Kirche heraus, sondern er wollte wohl auch die Ernsthaftigkeit des Gesinnungswandels Johnsens auf die Probe stellen. Dieser musste freilich um seine Autorität als Landesbischof von Braunschweig fürchten und lehnte deshalb die Bedingung des Lutherrates zunächst ab132. An der neunten Lutherratssitzung am 25./26. November 1936133 nahmen dann erstmals Vertreter Braunschweigs teil, und zwar sowohl Johnsen als Vertreter der braunschweigischen Kirchenregierung als auch Pfarrer Hans-Eduard Seebaß als Vertreter des braunschweigischen Landesbruderrates, der – dem Wunsch des Lutherrates gemäß134 – als Oberkirchenrat in das braunschweigische Landeskirchenamt berufen worden war. In dieser Sitzung wurde, vorbehaltlich „der zu erwartenden Beschlußfassung der braunschweigischen Kirchenregierung“, „die Aufnahme Braunschweigs in den Rat“ beschlossen135. Dieser wurde in einem feierlichen Gottesdienst in Braunschweig am Epiphaniastag 1937 vollzogen. In der Anwesenheitsliste der elften Lutherratssitzung am 2./3. Februar 1937 in Bückeburg wurden die Landesbruderratsvertreter aus Sachsen und Braunschweig, Hahn und der Vorsitzende des braunschweigischen Pfarrernotbundes Heinrich Lachmund, dann lediglich als „nichtstimmberechtigte Teilnehmer“ geführt136. War dies der Kompromiss, der Johnsen den Beitritt zum Lutherrat ermöglichte? Einen förmlichen Anschluss an den Lutherrat vollzogen auch die Lutheraner der beiden lippischen Landeskirchen137. In seiner achten Sitzung am 5./6. Noder braunschweigischen Landeskirche an den Lutherrat. Solche Verhandlungen fanden statt am 17. 7. und am 30. 9. 1936. (Protokolle der drei Verhandlungen im Juli und September 1936 in: LKA Hannover, D 15 I 65.) Zum Anschluss Braunschweigs an den Lutherrat vgl. Kuessner, Geschichte, 82; Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 296–298; und ders., Kirchenkampf, Bd. 3, 565. 131 Vgl. das Protokoll über die Besprechung zwischen Lutherrat, braunschweigischer Kirchenregierung und braunschweigischem Landesbruderrat vom 30. 9. 1936 (LKA Hannover, D 15 I 65). Ein förmlicher Beschluss des Lutherrates zur Aufnahme des braunschweigischen Landesbruderrates erfolgte bereits in der dritten Lutherratssitzung am 28. 5. 1936 in Dresden (Protokoll: ebd., D 15 III 13). 132 Vgl. das Schreiben Johnsens an den Lutherrat vom 30. 10. 1936 (ebd.). 133 Protokoll der 9. Lutherratssitzung (ebd.). 134 In dem Protokoll der 5. Lutherratssitzung (ebd.) hieß es u. a.: „Landesbischof D. Marahrens nimmt zu dem Anschluss Braunschweigs […] Stellung: […] ein Mitglied des Landesbruderrates [müsse] ins braunschweigische Landeskirchenamt gesetzt werden (Seebass). Dieser müsse aber nicht auf ein Nebengleis gedrängt werden dürfen.“ 135 Protokoll der 9. Lutherratssitzung (ebd.). 136 Anwesenheitsliste zum Protokoll der 11. Lutherratssitzung (ebd.). 137 Vgl. JK 4, 1937, 158.

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vember 1936 beschloss der Lutherrat, einen Anschluss der nur vier Gemeinden umfassenden Lutherischen Klasse der lippischen Landeskirche anzunehmen138. Am 27. November 1936 beschloss die Synode der Lutherischen Klasse der lippischen Landeskirche dann einstimmig einen solchen Anschluss139. In seiner zehnten Sitzung am 6. Januar 1937 in Braunschweig stimmte der Lutherrat dem Anschluss der schaumburg-lippischen Landeskirche zu; dieser wurde in einem Festgottesdienst am 3. Februar 1937 in Bückeburg, in dem Meiser die Predigt hielt, offiziell vollzogen140. Die Bemühungen um eine Aufnahme Hamburgs und Oldenburgs in den Lutherrat141 scheiterten, und zwar sowohl im Hinblick auf die jeweilige „offizielle“ Landeskirche als auch im Hinblick auf die jeweilige Bekennende Kirche. Der oldenburgische Landesbischof Johannes Volkers kam wegen seiner radikalen deutsch-christlichen Haltung als Verhandlungspartner nicht in Frage, und die oldenburgische Bekennende Kirche unter der Leitung Kloppenburgs war stark „dahlemitisch“ geprägt und hielt sich zur VKL II142. Verhandlungen mit dem hamburgischen Landesbischof Tügel, der wie Johnsen bei den Deutschen Christen ausgetreten war, schienen zunächst erfolgversprechend zu sein, auf Grund der veränderten kirchenpolitischen Situation nach dem Rücktritt des Reichskirchenausschusses distanzierte sich Tügel aber wieder von der Idee eines Anschlusses Hamburgs an den Lutherrat, erklärte vielmehr sogar, ein solcher Anschluss sei „nie aktuell“ gewesen. Der Lutherrat hatte darauf gedrungen, dass die hamburgischen Kirchenvorstände dem Anschluss zustimmten; die Zustimmung Tügels allein genügte ihm nicht. Dies hatte die Anschlussverhandlungen verzögert143. Die Ursache für den Meinungsumschwung Tügels war aber vermutlich sein Parteiausschluss nach einer Pastorenversammlung am 13. Januar 1937, in der er die nationalsozialistische Religionspolitik scharf kritisiert und versucht hatte, die Hamburger Pastorenschaft für einen Anschluss 138 Protokoll der 8. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). Der von Fleisch eingebrachte und dann angenommene Beschluss lautete: „Der Rat der ev.-luth. Kirche Deutschlands nimmt den Anschluß der lippischen lutherischen Klasse an, wenn er von den bevollmächtigten Kirchenvorständen und dem Klassenvorstand bzw. der Klassenversammlung beschlossen wird.“ 139 Beschluss der Synode der Lutherischen Klasse der lippischen Landeskirche über den Anschluss an den Lutherrat vom 27. 11. 1936 (LKA Hannover, D 15 I 76). Der paritätisch besetzte Landeskirchenrat der mehrheitlich reformierten lippischen Landeskirche hatte dem Anschluss ausdrücklich zugestimmt (vgl. Fleisch, Werden, 32). 140 Vgl. die Protokolle der 10. und 11. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). 141 Vgl. das Protokoll der 12. Lutherratssitzung (ebd.), in dem es hieß: „Das Sekretariat wird ermächtigt, die Aufnahme von Hamburg, Schleswig-Holstein [vgl. dazu oben im Text] und etwa Oldenburg vorzubreiten und durchzuführen.“ 142 Vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 2. 143 Vgl. Fleisch, Werden, 33; und Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 565 f.

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an den Lutherrat zu gewinnen. Tügel erreichte, dass der Parteiausschluss wieder rückgängig gemacht wurde, vermied hinfort aber alles, was die Partei und den NS-Staat hätte provozieren können144. Auch ein Anschluss der hamburgischen Bekennenden Kirche an den Lutherrat kam nicht zustande. Diese war in sich zerstritten, und maßgebliche Teile waren wie in Oldenburg „dahlemitisch“ geprägt und hielten sich zur VKL II; Forck war sogar deren Mitglied145. Oldenburg und Hamburg waren neben dem kleinen Eutin die einzigen lutherischen Landeskirchen, die im Lutherrat überhaupt nicht, also auch nicht durch bekenntniskirchliche Repräsentanten, vertreten waren. Im Falle Oldenburgs sollte das auch nach 1945 so bleiben. Das in Breslau ansässige Oberkirchenkollegium der Evangelisch-lutherischen Kirche Altpreußens, also das Leitungsgremium der altlutherischen preußischen Freikirche, beschloss am 29. Oktober 1936 die „Angliederung“ an den Lutherrat. In einer entsprechenden Entschließung146 hieß es, man begrüße „warm das Endziel des Rates: die Herbeiführung einer Evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands unter einem einheitlichen lutherischen Kirchenregiment“. Da man die Deutsche Evangelische Kirche nicht als Kirche im Sinne des Artikels 7 der Confessio Augustana anerkenne, könne die lutherische Kirche Altpreußens aus Gründen der Unabhängigkeit und „vollen Selbständigkeit“ allerdings „nicht wie die übrigen Mitglieder des Rates die volle Mitgliedschaft durch eine organisatorische Eingliederung in den Rat erwerben“: „Sie wünscht jedoch den Anschluß an den Lutherischen Rat [sic!] in Form einer Angliederung, d. h. sie möchte gern an den Aufgaben des Rates überall da mitarbeiten, wo diese Mitarbeit ohne Bindung an die DEK und ohne Unterordnung unter deren kirchenregimentliche Organe möglich ist.“

Der Lutherrat nahm diese Entschließung in seiner achten Sitzung am 6. November 1936 „mit aufrichtiger Freude und Zustimmung“ zur Kenntnis147. Bis zum Ende des „Dritten Reiches“ blieben die preußischen Altlutheraner dem 144 Vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 273. Zur Situation in Hamburg insgesamt vgl. Wilhelmi, Hamburger Kirche. Zur Geschichte der Hamburger Kirche im „Dritten Reich“ und zu deren unbefriedigender Erforschung vgl. jetzt auch Hering, Bischofskirche. Die Beziehungen Hamburgs zum Lutherrat erwähnt Hering nur ein Mal kurz in einem Nebensatz (ebd., 37). 145 Vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 565 f. 146 Die „Entschließung des Oberkirchenkollegiums der Evangelisch-lutherischen Kirche Altpreußens zur Angliederung an den Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands“ vom 29. 10. 1936 ist abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/2, 1153 f. 147 Protokoll der 8. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). Eine ganz ähnliche Formulierung findet sich auch noch einmal im Protokoll der 9. Lutherratssitzung (ebd.): „Die Angliederung der evang.-luth. Kirche in Preußen (Breslau) wird zur Kenntnis genommen und lebhaft willkommen geheißen.“

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Lutherrat in loser Form verbunden. Oberkirchenrat Gottfried Nagel, der auch Vorsitzender der Vereinigung evangelisch-lutherischer Freikirchen in Deutschland war, nahm mit beratender Stimme an den Lutherratssitzungen teil. Anders als etwa der Lutherische Rat war der Lutherrat in erster Linie ein Zusammenschluss lutherischer Landeskirchen bzw., wenn man die assoziierte preußische lutherische Freikirche hinzunimmt, lutherischer Kirchen. Einzelne Gemeinden und Personen konnten sich nicht anschließen148. Dies galt insbesondere auch für lutherische Gemeinden und Personen aus der altpreußischen Unionskirche. Ein entgegengesetzter Vorschlag Stolls in der siebten Lutherratssitzung am 18. September 1936 fand „nach längeren Erörterungen […] keine Billigung“. Man setzte stattdessen auf eine Reform der unierten Landeskirchen von innen heraus und wollte hier allenfalls durch „inoffizielle Beratung“ eingreifen149. Damit vermied man einen Konfrontationskurs mit den Unierten, insbesondere in Preußen, und zugleich natürlich auch mit der VKL II. Mit einer gewissen Reserve und Vorsicht stand der Lutherrat zunächst offenbar Verbänden und Werken und deren Wünschen nach engerer Kooperation gegenüber. In der siebten Sitzung des Lutherrates am 18. September 1936 in Berlin wurden etwa ein Kollektenwunsch des Martin-Luther-Bundes und eine Anregung zur Gründung eines lutherischen Korrespondenzbüros abgelehnt, eine weitere Anregung des Bundes „betr. Russlandarbeit“ wurde lediglich „zur Kenntnis genommen“. Zu einem Antrag der Michaelsbruderschaft, sie kirchlich anzuerkennen, wurde in derselben Sitzung „festgestellt, daß eine solche Anerkennung lediglich in dem Sinne gegeben werden kann, daß die Michaelsbruderschaft keine anderen als kirchliche Ziele verfolgen will“, und im Hinblick auf das Verhältnis zur Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz konstatierte man, „dass sich in den ihr angeschlossenen Verbänden noch DC, in Thüringen auch Thüringer DC, befinden“150. In der folgenden, ebenfalls in Berlin stattfindenden Sitzung am 5./6. November 1936 wurde eine „Formel“ für den Anschluss von Verbänden festgelegt. Diese lautete: „a. Der […] erkennt für sich den Rat der ev.-luth. Kirche Deutschlands als die für ihn in Betracht kommende kirchliche Leitung an, unbeschadet seines etwaigen Verhältnisses zu der Leitung einer einzelnen Landeskirche und seiner bisherigen Selbständig148 Die Grundbestimmungen des Lutherrates vom 25./26. 11. 1936 (abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/2, 1167–1169; vgl. dazu auch unten 3.2.6, 171) sahen dies nicht vor (vgl. auch Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 566). Offenbar war die Möglichkeit des Beitritts einzelner Gemeinden und Personen zunächst durchaus erwogen worden (vgl. das Protokoll der 5. Lutherratssitzung [LKA Hannover, D 15 III 13]). 149 Protokoll der 7. Lutherratssitzung (ebd.). 150 Ebd. Vgl. auch die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 284 f.

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keit, sowie vorbehaltlich einer späteren grundsätzlichen Regelung des Verhältnisses von Kirche und äußerer Mission (innerer Mission, Diasporapflege) überhaupt. b. Der Sachbearbeiter für Äußere und Innere Mission sowie Diasporapflege im Sekretariat wird ermächtigt, zur Beratung heranzuziehen Missionsdirektor D. Dr. Ihmels, Professor Ulmer und einen Vertreter der Inneren Mission, der noch zu bestimmen ist. c. Es ist zu erstreben, daß die lutherischen Bevollmächtigten der Inneren Mission bei C[entral-]A[usschuß]-Tagungen vorher vom Rat versammelt werden. d. Das Sekretariat wird beauftragt, eine übereinstimmende grundsätzliche Besinnung über die Haltung der Kirche in der Frage der Inneren Mission etwa in der Richtung der vorgelegten Thesen151 weiterzuführen.“152

Der Textentwurf zeigte deutlich die noch bestehenden Unklarheiten, Unsicherheiten und Besorgnisse im Hinblick auf die Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen dem Lutherrat und den einzelnen Landeskirchen, indirekt wohl auch im Hinblick auf das Verhältnis von Staat und Kirche, besonders auf dem sozialen Sektor, und schließlich im Hinblick auf das mögliche Eindringen unerwünschter Kräfte und Ideen in den lutherischen Zusammenschluss. Fleisch konstatierte in der Sitzung, dass von den Verbänden und Werken bisher lediglich die 1853 in Neuendettelsau gegründete Gesellschaft für Innere und Äußere Mission im Sinne der lutherischen Kirche e. V. und der Martin-LutherBund dem Lutherrat angeschlossen seien; die Leipziger Mission wolle mit dem Lutherrat „gerne in Zusammenhang kommen“, während man mit der Inneren Mission „noch nicht vorwärtsgekommen“ sei153. Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet eine konsensusunierte Landeskirche, nämlich die badische, eine engere Verbindung zum Lutherrat suchte. Der badische Landesbischof Kühlewein154 hatte sich Ende 1934 von der DC-Reichs151

Nicht ermittelt. Protokoll der 8. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). 153 Vgl. die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 322 mit Anm. 39–42. Die Gesellschaft für Innere und Äußere Mission im Sinne der lutherischen Kirche e. V. hatte den Lutherrat mit Schreiben vom 5. 9. 1936 (LKA Hannover, D 15 I 51) um „entsprechende Eingliederung“ gebeten. Für die Leipziger Mission hatte Ihmels in einem Schreiben an Fleisch vom 20. 10. 1936 (ebd., D 15 I 17) erklärt, dass diese sich dem Lutherrat weder unterstellen noch eingliedern könne. In seinem Antwortschreiben vom 9. 11. 1936 (ebd.) hatte Fleisch eine „Formel“ analog zu Punkt a.) der oben im Text zitierten vorgeschlagen (vgl. hierzu auch das Protokoll der 8. Lutherratssitzung [ebd., D 15 III 13]). Förmlich vollzogen waren offenbar auch die Anschlüsse der Gesellschaft für Innere und Äußere Mission im Sinne der lutherischen Kirche e. V. und des Martin-Luther-Bundes nicht. 154 Kühlewein war führendes Mitglied der 1920 gegründeten Kirchlich-Positiven Vereinigung in Baden, deren Zweck die Erhaltung des biblischen Glaubens und der reformatorischen Bekennt152

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kirchenregierung losgesagt und sich der VKL I unterstellt. Nach dem Ende der VKL I bemühte Kühlewein sich um einen Anschluss an den Lutherrat und fand in diesem Bemühen offenbar die Zustimmung und Unterstützung großer Teile seiner Landeskirche, einschließlich von Teilen der badischen Bekenntnisgemeinschaft155. Dabei strebte man zweifellos eine Überprüfung und Änderung des Bekenntnisstandes der badischen Kirche an. Eine solche Änderung des Bekenntnisstandes machte Breit als Vorsitzender des Lutherrates verständlicherweise zur Bedingung für eine volle Aufnahme Badens in den Lutherrat. Bis dahin sollte, so Breit, Folgendes gelten: „1. Es wird festgestellt, daß in der Landeskirche Badens Kräfte vorhanden sind, die in der Richtung der konfessionellen Klärung der Landeskirche tätig sind. 2. Kühlewein will diese Kräfte klären und stärken und erblickt ein Mittel dazu im Anschluß an Landeskirchen mit klarem Bekenntnisstand. 3. Schaffung eines Arbeitsverhältnisses. Formaler Anschluß erst dann, wenn der lutherische Charakter Badens geklärt ist.“156

Obwohl sowohl Stoll als auch Marahrens als auch Otto Bedenken gegen diese drei Sätze äußerten157, wurde wohl im Wesentlichen danach verfahren. Baden galt hinfort als dem Lutherrat in loser Form zugeordnet und leistete sogar regelmäßig Zahlungen an den Lutherrat, bis zu deren zwangsweisen Einstellung durch die im Frühjahr 1938 eingesetzte badische Finanzabteilung158. Kühlewein wurde zu den Lutherratssitzungen als Gast eingeladen159.

nisse als Grund der badischen Landeskirche war. Trotz seiner schwankenden Haltung in der Frage der Eingliederung der Landeskirchen in die Reichskirche 1934 galt er als theologisch und kirchlich integer. Vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 1, 612 f. 155 Vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 319 f. Auf der vierten Reichsbekenntnissynode in Bad Oeynhausen hatten Vertreter der badischen Landeskirche ihre Verbundenheit mit der lutherischen Konfession durch ihre Teilnahme am lutherischen Konvent zum Ausdruck gebracht (vgl. Niemöller, Vierte Bekenntnissynode, 206). 156 Zitiert nach den Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 252. 157 Vgl. ebd. Stoll meinte, es müsse „für sämtliche Lutheraner in den Unionskirchen ein gleiches Verhältnis zum Lutherrat hergestellt werden“, Marahrens fürchtete allgemein eine Schwächung „unserer Position“, und Otto wandte sich „gegen die Formulierung des dritten Satzes“ und schlug vor, „jetzt nichts zu formulieren“. Eine offizielle Erklärung des Lutherrates zu Baden erfolgte der Anregung Ottos gemäß offenbar nicht. 158 Vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 566. 159 Vgl. das Protokoll der 6. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). Vgl. eine entsprechende Anregung Ottos (vgl. die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 252); sowie das Einladungsschreiben Gaugers an Kühlewein zur sechsten Lutherratssitzung vom 4. 9. 1936 (LKA Nürnberg, Personen XXXVI, 79; vgl. hierzu: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 253, Anm. 1).

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Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche 1936–1945

3.2.5 Zur theologischen Arbeit und zu den Verlautbarungen des Lutherrates In der ersten Lutherratssitzung am 6. April 1936 in Berlin forderte Lilje eine theologische Neubesinnung: Der „lutherische Beitrag zu den uns aufliegenden Fragen“ müsse „in einer theologisch einwandfreien Weise“ herausgearbeitet werden; konkret nannte er die Punkte: „Stellung zur Geschichte, zum Staat (,Oberkeit‘ [sic!]), zur Offenbarung“160. Breit dämpfte freilich sofort allzu große Hoffnungen und Erwartungen: Zwar müsse man sich „theologisch präsentieren“, aber man dürfe „davon nicht allzu viel erwarten“. Er verwies in diesem Zusammenhang auf „die Ergebnislosigkeit des [bisherigen] theologischen Gesprächs“161. Man verständigte sich darauf, insbesondere Vertreter der „jüngeren Theologengeneration“ zu einem „theologischen Gespräch“ einzuladen162; daraus sollte dann offenbar ein „theologischer Beirat“ des Lutherrates hervorgehen163. Vorgeschlagen wurden laut Protokoll164: Iwand, der Greifswalder Systematiker Rudolf Hermann, Künneth, Merz, Stoll, der Weimarer BK-Pfarrer Wolfgang Schanze, Pflugk, Pressel, der Direktor des Evangelischen Reichsverbandes weiblicher Jugend und Vorsteher des Burckhardthauses in BerlinDahlem Otto Riethmüller, der Tübinger Kirchenhistoriker Hanns Rückert, der Hallenser Neutestamentler Julius Schniewind, Sasse, Fischer sowie von der Betheler Dozentenschaft Edmund Schlink oder Herntrich; nach den Aufzeichnungen Meisers165 zudem: Schreiner und Lilje. Eine Einbeziehung von Althaus oder gar Elert wurde offensichtlich nicht mehr erwogen. In der ersten Lutherratssitzung wurde auch ein von Künneth entworfenes „Wort an die Gemeinden“ beraten und grundsätzlich gebilligt, das dann in einer von Lilje sprachlich überarbeiteten Fassung die erste offizielle Verlautbarung des Lutherrates, datiert mit: „Passionszeit 1936“, wurde166 und offen160

Zitiert nach dem Protokoll der 1. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). Zitiert nach ebd. Breit bezog sich auf den Zeitschriftenartikel von Künneth, Lutherische Neubesinnung. Vgl. dazu auch oben im Text. 162 Protokoll der 1. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). Das Gespräch kam so, wie geplant, nicht zustande. Am 22. und 23. 5. 1936 traf sich aber in Bethel ein kleiner Kreis, bestehend aus Breit, dem vom RKA berufenen Oberkonsistorialrat in der DEK-Kirchenkanzlei in Berlin Heinz Brunotte, Fischer, Herntrich, Iwand, Merz und Stoll (vgl. dazu den Kurzbericht Breits nach den Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 232; vgl. auch ebd., 230, Anm. 61; stenographische Mitschrift Stolls: LKA Nürnberg, Personen LXXXVIII, 8). 163 So die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 214. 164 Protokoll der 1. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). 165 Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 214. 166 „Wort des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands an die Gemeinden“, Passionszeit 1936, abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/1, 552–554. Vgl hierzu auch oben 3.2, 140. 161

Der Lutherrat in der Zeit der Kirchenausschüsse

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bar bis zu den – vorläufigen – „Grundbestimmungen“ des Lutherrates vom November 1936 die Funktion grundlegender Richtlinien übernahm. So erfolgte der Anschluss der sächsischen Landeskirche an den Lutherrat im Mai 1936 ausdrücklich auf der Grundlage dieses „Wortes an die Gemeinden“167. In diesem „Wort“168 erhob der Lutherrat den Anspruch, die „einheitliche geistliche Leitung aller lutherischen Kirchen, Gemeinden und Werke innerhalb der Bekennenden Kirche“ und der Repräsentant und Sprecher der „Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands“ zu sein. Der Rat verpflichtete sich und die Pfarrer und Gemeindeglieder auf ein Doppeltes: zum einen auf „das lutherische Bekenntnis unserer Väter“, einschließlich des Gehorsams gegenüber dem Zeugnis der Heiligen Schrift, zum anderen auf „den kirchlichen Aufbruch der letzten Jahre“. Diese zuletzt zitierte recht unklare Formulierung wurde präzisiert einerseits durch den Verweis auf den Lutherischen Rat und den Deutschen Lutherischen Tag von Hannover vom Juli 1935 sowie auf deren Kundgebungen und Erklärungen, in deren Kontinuität man das vorliegende „Wort“ offensichtlich sah, andererseits durch die Bezugnahme auf den „Kampf für die Reinheit und Freiheit der Verkündigung der biblischen Botschaft und für eine dem Evangelium und Bekenntnis gemäße Neuordnung der Kirche“, den Kampf „gegen jeden Einbruch der Irrlehre und die Gefahr einer Hörigkeit der Kirche gegenüber kirchenfremden Mächten“, den Kampf gegen „neuheidnische Angriffe auf den christlichen Glauben“. Bemerkenswerterweise interpretierten Hahn und der sächsische Bruderrat das „Wort an die Gemeinden“ so, dass sie „den kirchlichen Aufbruch der letzten Jahre“ direkt auf die Barmer Theologische Erklärung bezogen. Vor dem Anschluss der sächsischen Landeskirche an den Lutherrat verlangten sie nämlich von dem sächsischen Landeskir167 Vgl. die „Niederschrift vom 7. Mai 1936“ zum Anschluss der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens an den Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/1, 680), in der es unter Punkt 2. hieß: „Er [sc. der Landeskirchenausschuß für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens] erklärt damit seine Übereinstimmung mit den Zielen und Aufgaben des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, wie sie in dessen ‚Wort an die Gemeinden‘ aus der Passionszeit 1936 niedergelegt sind.“ Diese Erklärung ermöglichte es wiederum dem sächsischen Landesbruderrat, dem geplanten Abkommen zwischen dem sächsischen Landeskirchenausschuss und dem Lutherrat zuzustimmen. Vgl. hierzu den „Beschluß des Landesbruderrates vom 11. Mai 1936“ (abgedruckt in: ebd., 681 f.), in dem es gleich zu Anfang hieß: „Der Landesbruderrat spricht seine Zustimmung zu dem zwischen dem Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und dem Landeskirchenausschuß für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens beabsichtigten Abkommen aus, nachdem er davon Kenntnis genommen hat, daß das ‚Wort an die Gemeinden‘ des Rates der EvangelischLutherischen Kirche Deutschlands aus der Passionszeit 1936 von dem Landeskirchenausschuß als Grundlage des Anschlusses anerkannt ist und von ihm im ‚Kirchlichen Gesetz- und Verordnungsblatt‘ veröffentlicht werden soll […]“ Vgl. auch oben, 150 f., Anm. 112. 168 Im Folgenden zitiert nach: Schmidt, Dokumente II/1, 552 f.

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chenausschuss eine Bestätigung, dass dessen Anerkennung des „Wortes an die Gemeinden“ „nichts anderes bedeutet als die Ablehnung der Irrlehren unserer Zeit[,] wie sie in der Erklärung von Barmen ausgesprochen ist“ – eine Bestätigung, die auch Hahn gegenüber zumindest in mündlicher Form abgegeben wurde169. Das „Wort an die Gemeinden“ betonte weiterhin die besondere Verantwortung des Lutherrates für diejenigen „lutherischen Kirchengebiete und Gemeinden, die durch den Kirchenkampf in Erschütterung geraten sind und eines bekenntnismäßig geordneten Kirchenregiments entbehren“. Es gelte, diesen „Fürsorge, geistliche Beratung und Unterstützung angedeihen zu lassen“. Hervorgehoben wurde schließlich die Notwendigkeit „ständiger Fühlungnahme mit den anderen Organen der Bekennenden Kirche“. Die Kirchenausschüsse wollte man dementsprechend unter der Bedingung unterstützen, dass deren Arbeit „zu einem Ergebnis führt, das dem Anliegen der Bekennenden Kirche entspricht“, bzw. man wollte „sich darum bemühen und nichts unversucht lassen“, die Ausschüsse auf einen solchen Kurs zu bringen und darin zu unterstützen170. Vor dem Hintergrund der zunehmenden nationalsozialistischen Gleichschaltungsmaßnahmen im Bereich von Schule und Jugendarbeit171 rief der Lutherrat am 9. Juni 1936 die Schulreferenten der angeschlossenen Kirchen, am 29. September 1936 die Landesjugendpfarrer und am 8. Oktober 1936 die Landesjugendpfarrer, Jugend- und Schulreferenten zu Besprechungen zusammen172. Das Ergebnis der ersten Zusammenkunft am 9. Juni 1936 waren vier „Sätze des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zur Schulfrage“173. Ganz im Sinne der religionspädagogischen Konzeption der Evangelischen Unterweisung174 wurde darin der Religionsunterricht als „kirchliche Unterweisung im Auftrag der Kirche“ bezeichnet und die Notwendigkeit einer besonderen Bevollmächtigung der Religionslehrkräfte durch die Kirche betont. Ein „nur geschichtlich orientiert[er]“ Religionsunterricht wurde abgelehnt175 und das Aufsichtsrecht der Kirche hervorgehoben, die Bekenntnismäßigkeit der Inhalte

169 „Beschluß des Landesbruderrates vom 11. Mai 1936“, abgedruckt in: ebd., 681 f., hier: 681 mit Anm. 63. 170 Zitiert nach: ebd., 553. 171 Vgl. hierzu u. a. Rickers, Kreuz und Hakenkreuz; Priepke, Evangelische Jugend; und Riedel, Kampf. 172 Vgl. die Protokolle der 2. und 8. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13); sowie den „Tätigkeitsbericht des Rates der Ev.-Luth. Kirche Deutschlands“ vom 23. 10. 1936 (ebd., S 1 E II 124). 173 Abgedruckt in: AELKZ 69, 1936, 665; und in: Schmidt, Dokumente II/2, 761 f. 174 Vgl. hierzu Stoodt, Evangelische Unterweisung. 175 Zitiert nach: Schmidt, Dokumente II/2, 761.

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des Religionsunterrichtes zu überprüfen176. Die Bekenntnisschule wurde als die geeignetste Schulform angesehen; falls die Voraussetzungen dafür zerstört seien, müsse „die Kirche fordern, daß der christliche Charakter der Gemeinschaftsschule reichsgesetzlich festgelegt und deutlich umschrieben wird“177. Auch im Bereich der Jugendarbeit vertrat der Lutherrat dem Tätigkeitsbericht vom 23. Oktober 1936178 zufolge einvernehmlich eine klare bekenntnismäßige Linie. Wenn es in dem Bericht dann weiter hieß, man werde „dem hier vorliegenden Gebiet weiter seine besondere Aufmerksamkeit zuteil werden lassen und die eingeleiteten Arbeiten mit Nachdruck fördern“, so zeigte das einerseits sicher durchaus, dass der Lutherrat die große und nachhaltige Gefahr der nationalsozialistischen Jugend- und Erziehungspolitik für die kirchliche Jugendarbeit und den Religionsunterricht klar erkannte, andererseits wurde aber wohl auch eine gewisse Hilflosigkeit offenbar. Man musste damit rechnen, dass das NS-Regime am allerwenigsten in diesem sensiblen Bereich zu Zugeständnissen an die Kirche bereit war. Immerhin wurde in der achten Lutherratssitzung am 5. November 1936 in Berlin beschlossen, „in der Richtung der […] Thesen“ zur Schulfrage weiterzuarbeiten und den „Versuch“ zu machen, „Richtlinien für ein allgemeines kirchliches Jugendgesetz (Konfirmandengesetz) aufzustellen“179. In Zusammenarbeit mit dem RKA wurde die Erstellung eines „einheitlichen Religionslehrplanes für das gesamte Reichsgebiet“ angestrebt, wobei man sich der großen Schwierigkeiten hierbei, u. a. auf Grund der „Verschiedenheiten des bisherigen Rechts- und Sachstandes“, durchaus bewusst war180. Vor dem Hintergrund der Situation in Thüringen erklärte Ernst Otto, ein solcher Lehrplan sei „gegebenenfalls […] die einzige Gewähr für [die] Erhaltung des christlichen Religionsunterrichts“181. Am 13. August 1936 wandte sich der Lutherrat in einem besonderen – von Pressel und Künneth entworfenen182 – Wort „An die Geistlichen“183. Anlass 176 Vgl. die Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung vom 11. 8. 1919. Dort hieß es in Artikel 149: „Der Religionsunterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates erteilt.“ Diese Formulierung wurde fast wörtlich ins Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland von 1949 übernommen (Artikel 7, 3). 177 Zitiert nach: Schmidt, Dokumente II/2, 762. 178 „Tätigkeitsbericht des Rates der Ev.-Luth. Kirche Deutschlands“ vom 23. 10. 1936 (LKA Hannover, S 1 E II 124). 179 Protokoll der 8. Lutherratssitzung (ebd., D 15 III 13). 180 Protokoll der 11. Lutherratssitzung (ebd.). Vgl. auch das Protokoll der 10. Lutherratssitzung (ebd.); dort wurde die Zusammenarbeit mit dem RKA in dieser Frage als fruchtbar bezeichnet. 181 Protokoll der 11. Lutherratssitzung (ebd.). 182 Vgl. hierzu das Protokoll der 6. Lutherratssitzung (ebd.). 183 Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands an die Geistlichen, Berlin, 13. 8. 1936, abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/2, 960 f. Hier auch die folgenden Zitate. Wurm gab dieses Wort in Württemberg in Verbindung mit einem besonderen „Seelsorgerlichen

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waren „die vielfachen Schwierigkeiten, Bedrängnisse und Sorgen, mit denen die Amtsbrüder zu ringen haben“, die man zusammenfassend als „Verschärfung“ des der „Kirche aufgezwungene[n] Kampf[es] um die Freiheit der Verkündigung des biblischen Wortes und um die Betätigung des christlichen Glaubens im Lebensraum unseres Volkes“ interpretierte. Angesichts der „schweren Heimsuchung und Anfechtung der Kirche“ bekannte der Lutherrat sich zu „seiner Verantwortung in der Erfüllung des kirchlichen Wächteramts“. Dem Reichskirchenausschuss und seinem Vorsitzenden Zoellner habe man wiederholt „dringend nahegelegt, energisch alle Kräfte bei den staatlichen und parteiamtlichen Stellen einzusetzen, damit diesem auf die Dauer unerträglichen Zustand der Gefährdung und Einengung kirchlichen Lebens ein Ende gemacht wird“. Die Pfarrer forderte man zu „erhöhter kirchlicher Geschlossenheit“ „hinter ihrer bekenntnisgemäßen kirchlichen Leitung“ sowie zu „treuer Hingabe an den Dienst der Verkündigung und der Seelsorge“ auf. Im Interesse des gemeinsamen kirchlichen Zieles müssten nicht nur Einzelmeinungen zurückgestellt werden, man müsse es vielmehr „auch ertragen, wenn uns heute die Lösung vieler ernster theologischer Fragen noch versagt bleibt“. Vom 22. bis 25. Oktober 1936 veranstaltete der Lutherrat in Bethel eine Tagung zur Barmer Theologischen Erklärung, auf der Merz, Sasse, Iwand, Althaus und Hopf vortrugen. Die Barmer Erklärung sollte noch einmal sorgfältig vom lutherischen Bekenntnis her geprüft werden. Die Tagung endete im Grunde ergebnislos. Dem Protokoll zufolge herrschte zwar Einigkeit darüber, „daß die in Barmen gefällte Entscheidung gegen die falschen Lehren der DC klar aufrecht erhalten werden müsse“, man sah sich darüber hinaus aber weder im Stande „in ausgeführten Sätzen eine einhellige Auslegung der Barmer Erklärung zu geben, noch über einige wichtige Vorfragen zu eindeutigen gemeinsamen Auffassungen zu kommen“184. Ebenfalls im Oktober 1936 erarbeitete das Sekretariat des Lutherrates Richtlinien für den Umgang mit radikalen deutsch-christlichen Pfarrern der Thüringer Richtung185. Darin wurde deren „Lehre und Verkündigung“ unmissver-

Wort des württembergischen Landesbischofs an die Pfarrer“ vom 20. 8. 1936 (abgedruckt in: ebd., 979–982; sowie in: AELKZ 69, 1936, 855–857) weiter, in dem er auf die konkrete Situation, auch auf Einzelfälle, im Bereich seiner Landeskirche einging. 184 Protokoll Stolls vom 21. 11. 1936 (LKA Hannover, S 1 E I 831, 7); vgl. Klügel, Lutherische Landeskirche, 169 f., Anm. 17. 185 Die „Richtlinien zum Verfahren gegen Pfarrer, die der Volkskirchenbewegung DC angehören oder nahestehen“ sind abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/2, 1050–1052. Solche Richtlinien waren schon gleich nach der Gründung des Lutherrates für notwendig erachtet worden. Der Textentwurf stammte offenbar im wesentlichen von Stoll. Vgl. zu den Richtlinien die Protokolle der 3., 7., 8. und 11. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13); im Protokoll der 11. Lutherrats-

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ständlich für unvereinbar „mit der Heiligen Schrift und den Bekenntnissen der evangelischen Kirche“ erklärt, da sie „den christlichen Glauben mit völkischer Begeisterung“ verwechsle186. Die Gemeinden sollten „vor der Verfälschung des Evangeliums durch die Thüringer DC […] gewarnt“ werden187. Gegen Pfarrer, die den Thüringer DC anhingen, sollte ein Lehrzuchtverfahren mit dem Ziel der Ausscheidung aus dem Kirchendienst angestrengt werden, wobei ausdrücklich erklärt wurde, dass die Tatsache einer Mitgliedschaft bereits ausreiche. Die Richtlinien nahmen auch Pfarrer gemäßigterer deutsch-christlicher Richtungen und „nichtorganisierte Pfarrer, die deutschchristliche Lehren vertreten“, in den Blick; hier müsse „von Fall zu Fall entschieden werden“188. In der elften Lutherratssitzung am 2./3. Februar 1937 in Bückeburg wurde freilich konstatiert, dass die Richtlinien ihren ursprünglichen Zweck einer einheitlichen Behandlung (radikaler) DC-Pfarrer in den dem Lutherrat angeschlossenen Kirchen nicht erfüllten. Eine Umfrage des Sekretariats habe vielmehr, so hieß es in dem Protokoll, ergeben, „daß die […] Richtlinien in den einzelnen Landeskirchen verschieden weitgehend befolgt worden sind“189. Am Buß- und Bettag, dem 12. November 1936 richtete der Lutherrat noch einmal ein „Wort an die Gemeinden“. In der siebten Lutherratssitzung am 18. September 1936 in Berlin hatte man sich darauf verständigt, „daß der diesjährige Buss- und Bettag zu einem Bussruf an die Kirche ausgenutzt werden soll“, und Hahn war mit der Ausarbeitung eines Entwurfes beauftragt worden190. Der erste Abschnitt des „Wortes zum Bußtag“191 war ganz loyal dem NS-Staat und seiner Führung gegenüber formuliert. Die Bedrohung des Christentums durch den Bolschewismus wurde beschworen und dem Führer dafür gedankt, dass „in unserem Vaterland […] ein Schutzwall gegen diese Mächte der Zerstörung aufgerichtet [ist]“. Der zweite Abschnitt machte freilich sofort deutlich, dass die Intention des „Wortes“ eine ganz andere war, denn dem „Schrecken des Bolschewismus“ wurden nunmehr „noch andere Sturmzeichen, unter denen unsere Kirche steht“, gegenübergestellt: „Aus unserem eigenen Volk heraus bricht Welle auf Welle des Widerspruchs, ja des Hasses gegen die Kirche und gegen die Botschaft von Jesus Christus, die sie aus der sitzung (ebd.) auch der Hinweis darauf, dass die Richtlinien „im Oktober“ 1936 erarbeitet wurden (bei Schmidt, Dokumente II/2, 1050 heißt es: „Etwa September/Oktober 1936.“). 186 Zitiert nach ebd. 187 Zitiert nach ebd., 1050 f. 188 Zitiert nach ebd., 1052. 189 Protokoll der 11. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). 190 Protokoll der 7. Lutherratssitzung (ebd.). 191 Das Wort des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands an die Gemeinden zum Bußtag vom 12. 11. 1936 ist abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/2, 1151 f.

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Heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes schöpft. Die Kirche hat zu allen Zeiten in der Anfechtung von der Welt her gestanden. Wir wissen es daher nicht anders, als daß die Botschaft von Jesus Christus immer neuen Angriffen ausgesetzt ist. Was aber heute unternommen wird, um das Zeugnis von Christus planmäßig zu entmächtigen, und das ganze Volk, vor allem aber unsere Jugend im widerchristlichen Sinn zu beeinflussen, das bedrückt im besonderen Maß uns als Christen und Glieder unseres Volkes im Gewissen. Dabei ist uns die Möglichkeit zu freier geistiger Auseinandersetzung und zu öffentlicher Gegenwehr weithin genommen.“192

Man konnte das „Wort zum Bußtag“ so verstehen, dass die Bedrohung des Christentums durch den Bolschewismus zumindest tendenziell mit derjenigen durch bestimmte antikirchliche, antichristliche, sogenannte neuheidnische, völkisch-religiöse Bestrebungen im nationalsozialistischen Deutschland gleichzusetzen ist. Wenn von „planmäßig[em] […] [E]ntmächtigen“ und weitgehender Behinderung „zu freier geistiger Auseinandersetzung und zu öffentlicher Gegenwehr“ die Rede war, so beinhaltete das indirekt wohl sogar auch Kritik an der Staatsführung, zumindest im Sinne einer Vorhaltung, die Kirche nicht wirksam zu schützen. Vor einer direkten Anklage der nationalsozialistischen Staatsführung schreckte man indes offensichtlich zurück. Im dritten Teil des „Wortes zum Bußtag“ fand sich stattdessen ein Bußruf vor allem an die eigene Adresse: „Es ist unsere Sünde, daß wir immer wieder das Wort unseres Herrn nicht wirklich ernst nehmen, ja uns zum Richter über dieses Wort machen. Wie können wir aber für das Wort des Herrn eintreten, wenn wir selber es nicht mehr ernst nehmen?“ Man habe Gottes „Gnadengabe oft in falschem Eifer entstellt und durch Lauheit und mangelnde Zeugniswilligkeit gefährdet“. Niemand dürfe sich dem Ruf Gottes zur Umkehr ungestraft entziehen, da alle vor sein Gericht gefordert würden: „Daher hängt das Heil und das Verderben der einzelnen und der Völker daran, ob sie diesem Rufe folgen oder nicht. Und es ist der Auftrag der Kirche, von dem sie keine Macht der Welt entbinden kann, daß sie treu und unbeirrt diesen Ruf verkündigt.“ Am Ende des „Wortes zum Bußtag“ stand die ausdrückliche Warnung: „Wer diesem Amt der Kirche in den Arm fällt, [sic!] und die Gemeinde Christi zerstört, wird an dem ewigen Felsen zerschellen!“ 193 Der Lutherrat hatte einerseits zwar erkannt, dass die bloße Rückbesinnung auf die Bekenntnisse der Väter, also die lutherischen Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts, angesichts der aktuellen Herausforderungen nicht ausreichte, 192 193

44.

Zitiert nach ebd., 1151. Zitiert nach ebd., 1152. Die letzte Formulierung war womöglich eine Anspielung auf Mt 21,

Der Lutherrat in der Zeit der Kirchenausschüsse

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andererseits aber scheute man gerade wegen dieser Herausforderungen das Risiko neuer theologischer Festlegungen. In diesem Dilemma verschanzte man sich gleichsam hinter Schrift und Bekenntnis und nahm eine abwartende Haltung ein. Darüber hinaus scheint, wie auch das Beispiel Hahns und des sächsischen Bruderrats zeigte, die Barmer Theologische Erklärung wieder stärker in den Blick gerückt zu sein – wenn auch nicht als gleichwertige Ergänzung oder gar Ersatz der Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts, so aber doch als Abwehr aktueller Irrlehren. Ganz dem entsprechend betonte Breit laut Protokoll in der zehnten Lutherratssitzung am 6. Januar 1937 in Braunschweig „die Notwendigkeit, das Verständnis von Barmen in seinem vollen Gehalt wichtig zu nehmen. Man könne Barmen nicht gewaltsam dogmatisieren, müsse sich aber der Kraft und Pflicht bewußt bleiben, die von Barmen ausgegangen ist“194. In der darauffolgenden elften Sitzung des Lutherrates am 2. und 3. Februar 1937 in Bückeburg wurde eine vom Sekretariat gefertigte Vorlage „Zur theologischen Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen 1934“ beraten195. Dem Textentwurf war am 20. Januar 1937 in Frankfurt am Main eine Besprechung von Lutherratsvertretern mit Vertretern der VKL II vorausgegangen, in der diese deutlich zum Ausdruck gebracht hatten, dass sie eine klare positive Stellungnahme des Lutherrates zur Barmer Theologischen Erklärung erwarteten196. Die Stellungnahme des Lutherrates zur Barmer Theologischen Erklärung sollte also offenkundig auch der Verständigung mit dem durch die VKL II repräsentierten sogenannten „bruderrätlichen“ Flügel der Bekennenden Kirche dienen. In der zwölften Lutherratssitzung am 11. Februar 1937 in Berlin wurde der überarbeitete Entwurf als „die lutherische Deutung der Barmer theologischen Erklärung“ „einmütig angenommen“197 und anschließend mit dem Datum vom 17. Februar 1937 veröffentlicht198. Die Stellungnahme enthielt im Wesentlichen zwei Aussagen: zum einen die klare Zustimmung zur Barmer Erklärung, zum anderen die ebenso klare Absage einer Interpretation der Barmer Erklärung im Sinne einer Überbietung oder Relativierung oder gar Ersetzung der Bekenntnisse. Im Sinne des ersten Aspektes wurde u. a. betont, dass auf der 194

Protokoll der 10. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). Protokoll der 11. Lutherratssitzung (ebd.). 196 Zu der Besprechung am 20. 1. 1937 in Frankfurt am Main vgl. die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 492–513. Breit brachte danach die Erwartung der VKL II-Vertreter an den Lutherrat wie folgt auf den Punkt: „Das Mißtrauen gegen uns setzt ein in dem Augenblick, in dem das erwartete Wort ‚Barmen‘ nicht kommt.“ (zitiert nach: ebd., 504 f.). 197 Protokoll der 12. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). 198 Die Stellungnahme des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zur Theologischen Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen 1934 vom 17. 2. 1937 ist abgedruckt in: JK 5, 1937, 231 f.; sowie in: Klügel, Lutherische Landeskirche. Dokumente, 132. 195

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Barmer Reichsbekenntnissynode „auch Vertreter evangelisch-lutherischer Kirchen“ der Theologischen Erklärung zugestimmt hätten, dass die Erklärung „das Evangelium von Jesus Christus […] gegen die in allen Kirchen der Reformation mächtig gewordenen Lehren der Deutschen Christen neu bezeugt“ und dass man sie auch weiterhin als „wegweisend“ anerkennen wolle. Im Sinne des zweiten Aspektes hieß es u. a., dass die Barmer Erklärung selbst die Kirchen aufrufe, „ihre Bekenntnisse in den Entscheidungen unserer Zeit ernst zu nehmen“ und „die Barmer Sätze an ihrem Bekenntnis zu prüfen und durch das Bekenntnis auszulegen“. Vor allem dieser zweite Aspekt wurde dann abschließend noch einmal nachdrücklich unterstrichen: „Da die Barmer Sätze bewußt keine Entscheidung über die Wahrheit des lutherischen oder des reformierten Bekenntnisses treffen und auch weder das eine noch das andere Bekenntnis bestätigend aufgreifen, sind sie selbst einer maßgeblichen Auslegung aufgrund der Bekenntnisse der Kirchen bedürftig. So lehnen wir es ab, aus der Tatsache, daß Lutheraner, Reformierte und Unierte die Theologische Erklärung gemeinsam abgefaßt haben, zu folgern, daß hierdurch ein neues Bekenntnis als Grundlage einer neuen Kirche entstanden sei. Mit Dank aber stellen wir fest, daß durch die Theologische Erklärung auch jede Kirche der lutherischen Reformation daran gemahnt ist, daß sie ihr Bekenntnis nur dann wirklich ernst nimmt, wenn sie sich [,]in ihrer Lehre, ihrer Gestalt und ihrer Ordnung von der Heiligen Schrift und den lutherischen Bekenntnisschriften bestimmen läßt und damit bezeugt, daß sie durch ihr Bekenntnis allezeit zum Bekennen aufgerufen ist[‘]. (Erklärung des Deutschen Lutherischen Tages von Hannover 1935.)“199

Konkrete, aber zunächst nicht realisierbare Pläne des Lutherrates waren die Durchführung eines zweiten Lutherischen Tages200, die Errichtung eines Predigerseminars201 und die Herausgabe eines eigenen Informationsdienstes202. Intensiv bemühte sich der Lutherrat um ein Einvernehmen mit dem Weltluthertum. Seit 1935 waren Marahrens Präsident und Lilje Generalsekretär des 199 Zitiert nach ebd. Der letzte Satz war im Sinne des zweiten Aspektes geändert worden. Im Entwurf hatte er wie folgt gelautet: „Mit Dank aber stellen wir fest, daß durch die Theologische Erklärung eine kirchliche Entscheidung gefällt ist, zu der jede Kirche der lutherischen Reformation um ihres Bekenntnisses willen verpflichtet ist.“ (LKA Hannover, S 1 E II 125). 200 Vgl. die Protokolle der 1., 5. und 10. Lutherratssitzung (ebd., D 15 III 13). Der zweite Lutherische Tag wurde danach zunächst für das Frühjahr 1937, dann für den Herbst 1937 geplant. 201 Vgl. die Protokolle der 1., 3., 5., 7. und 8. Lutherratssitzung (ebd.). Es gab bereits konkrete Pläne für ein solches Predigerseminar in Augsburg (vgl. das Protokoll der 3. Lutherratssitzung), für das allerdings nur die bayerische Landeskirche Geld zur Verfügung stellen konnte (vgl. das Protokoll der 5. Lutherratssitzung). Offenbar wurde auch ein „gesamtlutherisches Prüfungsamt“ erwogen, wogegen aber rechtliche Bedenken geltend gemacht wurden (vgl. die Protokolle der 7. und 8. Lutherratssitzung). 202 Vgl. die Protokolle der 1., 5. und 6. Lutherratssitzung (ebd.).

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Lutherischen Weltkonventes203. Lilje wurde zum – nebenamtlichen – „Referenten für ökumenische Fragen“ im Sekretariat des Lutherrates bestimmt204. An der dritten Vollversammlung des Weltkonventes in Paris 1935 hatte offenbar auch Breit teilgenommen205. Zu der Tagung des Exekutivkomitees des Weltkonventes vom 29. September bis zum 6. Oktober 1936 war außer Marahrens und Lilje auch Meiser nach New York gereist206. In der achten Lutherratssitzung am 5. November 1936 in Berlin wurde beschlossen, die Anerkennung des Lutherrates als die für den Lutherischen Weltkonvent „zuständige Vertretung der lutherischen Kirche in Deutschland“ zu erreichen207. Für Pfingsten 1937 wurden „Kollekten zur Förderung der ökumenischen Arbeit des deutschen Luthertums ausgeschrieben“208. Ganz anders als beim Weltluthertum gab es im Lutherrat offensichtlich teilweise erhebliche Vorbehalte gegenüber den konfessionsübergreifenden ökumenischen Bestrebungen von „Life and Work“ sowie „Faith and Order“209. Es wurde schließlich sogar beschlossen, den RKA zu bitten, „daß beide Weltkonferenzen [in Oxford und Edinburgh 1937] […] von den deutschen Kirchen nicht beschickt werden“210. Dabei spielte auch die Ablehnung des sich der NS-Kirchenpolitik anpassenden Bischofs Theodor Heckel als Leiter des Kirchlichen Außenamtes in Berlin eine wichtige Rolle211.

203 Zur Tätigkeit von Marahrens und Lilje im Lutherischen Weltkonvent vgl. Schjørring / Kumari / Hjelm, Weltbund, 30–32 u. 379–385. 204 Vgl. die Protokolle der 8. und der 10. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). 205 Vgl. das Protokoll der 5. Lutherratssitzung (ebd.). 206 Vgl. die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 285–313. Zu der Tagung des Exekutivkomitees des Lutherischen Weltkonventes in New York vom 29. 9. bis zum 6. 10. 1936 vgl. auch Schmidt-Clausen, Lutherischer Weltkonvent, 201 f. In der 10. Sitzung des Lutherrates am 6. 1. 1937 in Braunschweig gab Marahrens laut Protokoll (LKA Hannover, D 15 III 13) bekannt, „dass das Auswärtige Amt den beiden Bischöfen für ihre Haltung während ihrer Amerikareise einen besonderen Dank übermittelt habe. Dies stehe im Gegensatz zu den Angriffen, die von politischen Stellen aufgrund der Amerikareise gegen die lutherischen Bischöfe in der Öffentlichkeit berichtet wurden.“ Vgl. das Schreiben des Auswärtigen Amtes an Marahrens vom 7. 12. 1936 (PolA Bonn, Kult VI A, Evangelische Angelegenheiten, Bd. 10 – vgl. Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 481 mit Anm. 21). 207 Protokoll der 8. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). 208 Protokoll der 10. Lutherratssitzung (ebd.). 209 Vgl. die Protokolle der 5. und 10. Lutherratssitzung (ebd.). 210 Protokoll der 11. Lutherratssitzung (ebd.). 211 Vgl. die Protokolle der 5. und 10. Lutherratssitzung (ebd.). Zoellner sollte aufgefordert werden, Heckel die Vertrauensfrage zu stellen (vgl. das Protokoll der 10. Lutherratssitzung). Zu Heckel und seiner Rolle im „Dritten Reich“ vgl. Kunze, Heckel; und Maiwald, Biographische Notiz.

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Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche 1936–1945

3.2.6 Die Grundbestimmungen des Lutherrates In der neunten Lutherratssitzung am 25./26. November 1936 in Berlin legte Fleisch „einen Entwurf von Grundbestimmungen für den Lutherrat“ vor, der „nach eingehender Erörterung“ und „nach Vornahme gewisser Änderungen einmütige Zustimmung“ fand212. Eine „endgültige Beschlußfassung“ wurde freilich „von der Ratifikation der einzelnen in den Landeskirchen zuständigen Gremien“ abhängig gemacht213; die von den anwesenden Ratsmitgliedern am 26. November 1936 paraphierten214 Grundbestimmungen galten deswegen als vorläufig beschlossen. Marahrens hatte es in der Ratssitzung am 26. November 1936 als „die Grundfrage“ bezeichnet, „ob man einen Bund will oder ob man auf eine Kirche losgehen will“215. Marahrens hielt das Landeskirchentum offensichtlich grundsätzlich für überholt und erklärte, das Wagnis einer „lutherischen Kirche Deutschlands […] wäre die größte Tat, die wir tun könnten“216. Breit und Beste sekundierten – Breit aus der Perspektive des Sekretariats, das mehr sein müsse „als […] nur ein Büro […], dessen man sich nach Gefallen bedient“217, Beste aus der der „zerstörten Kirchen“, denen daran gelegen sei, „daß das Ziel einer einheitlichen Kirche möglichst bald erreicht wird“218. Auch Johnsen, Pfisterer, Gauger und Fleisch tendierten mehr oder minder stark zu einer einheitlichen Kirche219. Die Gegenposition vertraten Wurm, Meiser und Ficker. Während aber Meiser und Ficker pragmatisch argumentierten – Meiser wies „auf die verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten hin, schon jetzt die lutherische Kirche Deutschlands zu schaffen“220, und Ficker erklärte, „daß wir uns vorläufig mit dem Nahziel begnügen müssen (Bund)“221 –, hob Wurm ganz im Gegensatz zu Marahrens die bleibende Bedeutung des Landeskirchentums hervor: 212 Protokoll der 9. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). Die „Grundbestimmungen des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands“ vom 25./26. 11. 1936 sind abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/2, 1167–1169. Zu der Diskussion und den Änderungen vgl. die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 387 f. Zum ganzen Abschnitt vgl. auch Fleisch, Werden, 30–32. 213 Protokoll der 9. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). 214 Die Grundbestimmungen vom 26. 11. 1936 trugen die Unterschriften von Marahrens, Meiser, Wurm, Johnsen, Ficker, Hahn, Beste und Ernst Otto (vgl. Schmidt, Dokumente II/2, 1169). 215 Zitiert nach den Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 387. 216 Zitiert nach ebd. 217 Zitiert nach ebd. 218 Zitiert nach ebd., 388. 219 Vgl. ebd. 220 Zitiert nach ebd., 387. 221 Zitiert nach ebd., 388.

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„Die Landeskirchen sind die kirchlichen Dialekte von Deutschland. Es würde eine Verarmung der evangelischen Kirche in Deutschland geben, wenn die Landeskirchen nicht ihre besondere Note hätten und nicht die Möglichkeit besäßen, gewisse Überlieferungen weiterzuführen.“222

Man einigte sich auf einen Kompromiss, indem man zwar in dem einleitenden Satz der Grundbestimmungen von einem Zusammenschluss „zu einem Bunde der lutherischen Landeskirchen innerhalb der DEK“ sprach, in Absatz 1 des Paragraphen 1 der Grundbestimmungen aber sogleich hinzufügte: „Das Ziel des Zusammenschlusses ist die Ausgestaltung des Bundes zur evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands.“ Im zweiten Absatz desselben Paragraphen wurde dieses Ziel dann wiederum unter Berücksichtigung des Anliegens Wurms präzisiert und in gewisser Weise wohl auch relativiert: „Die zusammengeschlossenen Kirchen sind willens, unter der Gewährleistung der Erhaltung ihrer Eigenart sich künftig der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands als Sprengel einzufügen.“223 Vor allem um die Formulierung dieses Satzes war in der Lutherratssitzung am 26. November 1936 gerungen worden224. Im Paragraphen 2 wurden die Voraussetzungen für eine Aufnahme in den Lutherrat aufgeführt. Ausdrücklich war von „deutschen lutherischen Landeskirchen“ die Rede; einzelne Gemeinden oder Personen, etwa aus unierten Landeskirchen, waren also nicht beitrittsberechtigt. Drei Bedingungen wurden an die Aufnahme einer Landeskirche geknüpft: 1. das Bekenntnis „zu der grundsätzlichen Haltung […], welche die im Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zusammengeschlossenen Kirchenleitungen und Bruderräte in den von der Kirche geforderten Entscheidungen der letzten Jahre eingenommen haben“ – diese umständliche, die Vokabel „Barmen“ offenbar bewusst vermeidende Formulierung zielte zweifellos auf eine DC-kritische, bekenntniskirchliche Linie; 2. die Anerkennung der Grundbestimmungen, insbesondere des § 1, „als für sich verbindlich“; 3. die Bereitschaft, sich gemäß den Möglichkeiten „an den Umlagen für die Zwecke des Bundes zu beteiligen“. Es fällt auf, dass die lutherischen Bekenntnisschriften im Zusammenhang der Aufnahmevoraussetzungen gar nicht erwähnt wurden, und zwar weder einzeln noch summarisch. 222

Zitiert nach ebd., 387. Zitiert nach: Schmidt, Dokumente II/2, 1167. 224 Vgl. die Aufzeichnungen Meisers, abgedruckt in: Braun / Nicolaisen, Verantwortung, Bd. 2, 387 f. 223

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Paragraph 3 der Grundbestimmungen legte fest, dass „deutsche lutherische Freikirchen […] in loser Form dem Bunde angeschlossen werden [können]“ und dass lutherische Werke „in ein in jedem einzelnen Falle zu vereinbarenden [sic!] Verhältnis zu der Vertretung des Bundes treten [können]“225. Die Paragraphen 4 und 5 regelten einen möglichen Austritt bzw. Ausschluss aus dem Lutherrat wegen mangelnder Bekenntnistreue des Lutherrates bzw. der Mitgliedskirche226. Paragraph 6 bestimmte den Rat und das Sekretariat (mit ständigem Sitz in Berlin) zu den Organen des Bundes227. Paragraph 7 definierte die Aufgabe des Rates wie folgt: „Die Aufgabe des Rates ist es, eine einheitliche gemeinsame Willensbildung der angeschlossenen Kirchen herbeizuführen. Die Kirchen verpflichten sich, seine Beschlüsse auszuführen.“228 Die folgenden Paragraphen 8 bis 16 regelten – im weiteren Sinne – Verfahrensfragen. Aus Rücksichtnahme auf die jeweilige „geschichtliche Eigenart“ der einzelnen Landeskirchen wurde festgelegt, dass es nach einem entsprechenden Einspruch einer Landeskirche statt der sonst ausreichenden einfachen einer /Mehrheit aller möglichen Stimmen bedurfte, um diese Landeskirche gleichwohl anzuhalten, einen Beschluss auszuführen (§ 8). Teilnahmeberechtigt an den Ratssitzungen sollten sein: erstens je ein Vertreter der angeschlossenen Kirchen, zweitens aus den Kirchen – wie Sachsen und Braunschweig –, „für die neben der Kirchenregierung (Kirchenausschuß) ein Bruderrat der bekennenden Kirche angeschlossen ist, außerdem ein Vertreter des Bruderrats“ und drittens die Mitglieder des Sekretariats (§ 11)229. Aus Gründen des Proporzes sollten größere Landeskirchen über ein oder gegebenenfalls auch zwei weitere stimmberechtigte Ratsmitglieder verfügen, kleine Landeskirchen sollten sich eine Stimme teilen. Mit Ausnahme des Vorsitzenden und des stellvertretenden Vorsitzenden des Sekretariats sowie des Vertreters des Weltluthertums im Sekretariat sollten die Sekretariatsmitglieder nur für ihr jeweiliges Fachgebiet stimmberechtigt sein (§ 12)230. In dem Zeitraum vom 2. Dezember 1936 bis zum 7. Januar 1937 wurden die Grundbestimmungen vom 26. November 1936 von den Kirchenregierungen von Hannover, Württemberg und Bayern, von den Bruderräten von Mecklenburg und Thüringen sowie vom sächsischen Landeskirchenausschuss ratifiziert und, obwohl die Ratifikationen von Braunschweig und den beiden

225 226 227 228 229 230

Zitiert nach: Schmidt, Dokumente II/2, 1167. Vgl. ebd., 1167 f. Vgl. ebd., 1168. Zitiert nach: ebd. Zitiert nach bzw. vgl. ebd. Vgl. ebd., 1168 f.

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lippischen Kirchen noch ausstanden, mit Schreiben vom 10. Februar 1937 an die angeschlossenen Kirchen versandt231. Die drei „Paktkirchen“ Hannover, Bayern und Württemberg stimmten allerdings nur unter ausdrücklichen Vorbehalten zu232. Darin machten sie übereinstimmend geltend, dass bestehende Rechtsverhältnisse unberührt bleiben müssten233, dass es sich lediglich um vorläufige und also noch zu überarbeitende Grundbestimmungen handele und dass man deswegen von einer Veröffentlichung vorerst absehen wolle234. Württemberg machte darüber hinaus eine endgültige Zustimmung von einem entsprechenden Votum der Synode abhängig und betonte noch einmal die „Eigenart der württembergischen Landeskirche, insbesondere ihre Auffassung des lutherischen Bekenntnisses“, die „durch die Annahme der Grundbestimmungen nicht angetastet werden [soll]“. Das Ziel einer einheitlichen lutherischen Kirche auf Reichsebene könne „nur auf dem Weg einer organischen Weiterentwicklung“ unter ausdrücklicher „Zustimmung der beteiligten Landeskirchen“ verfolgt werden. Bei einem Austritt aus dem Lutherrat dürfe es ausschließlich auf die „eigene gewissensmäßige Entscheidung“ der betreffenden Kirche ankommen235. Konkrete Abänderungsvorschläge unterbreiteten die Bruderräte von Mecklenburg und Thüringen sowie in umfangreicher Weise Württemberg236. Während sich die Vorschläge Mecklenburgs und Thüringens nur auf missverständliche Formulierungen bezogen, betrafen diejenigen Württembergs auch den Inhalt der Grundbestimmungen. Wiederum strebte Württemberg eine noch stärkere Betonung der Eigenart und des Eigenrechts der einzelnen Landeskirchen an. So sollte ohne ausdrückliche Zustimmung kein Beschluss für eine Landeskirche bindend sein, und so sollte für wesentliche Änderungen der Grundbestimmungen Einstimmigkeit erforderlich sein. Offensichtlich auf die badische Nachbarkirche bezog sich der folgende Vorschlag Württembergs: „Kirchen, für die bisher das lutherische Bekenntnis nicht verbindlich war, die aber nun den Willen zur evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands bekunden, können ebenfalls in loser Form dem Bunde angeschlossen werden.“237 Faktisch zeichnete sich abermals – neben der Unterstützung der badischen Landeskirche, die

231

Vgl. ebd., 1169 f. u. 1167. Die Vorbehalte sind abgedruckt in: ebd., 1170 f. 233 Hier handelte es sich wohl um eine Vorsichtsmaßnahme aus Sorge vor möglichen Staatseingriffen. So auch die Einschätzung von Fleisch, Werden, 31. 234 Vgl. Schmidt, Dokumente II/2, 1170 f. 235 Zitiert nach ebd., 1170. 236 Die Abänderungsvorschläge sind abgedruckt in: ebd., 1171 f. 237 Zitiert nach ebd., 1172. 232

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einen losen Bund wollte – eine deutliche Reserve Württembergs gegenüber den lutherischen Vereinigungsbestrebungen ab. Auf Grund von Verhandlungen mit den Verwaltungsbehörden vor allem der sogenannten „intakten“ Landeskirchen wurden die Grundbestimmungen vom 26. November 1936 überarbeitet und in der geänderten Form am 21. Oktober 1937 angenommen238. Dabei kam man im Wesentlichen den Wünschen der württembergischen Kirche entgegen, deren Abänderungsvorschläge teilweise wörtlich übernommen wurden239. Fleisch hat die Art der vorgenommenen Änderungen, die nichts grundlegend Neues brachten, bereits zutreffend charakterisiert: „Ein wenig klingt hier wieder die Neigung an, die Wirksamkeit nach der Richtung der geistlichen Leitung etwas einzudämmen und mehr allgemein programmatisch zu reden. […] die Gewährleistung der Eigenart [der einzelnen Landeskirchen] […] wurde […] noch stärker betont.“240

Wirklich neu waren die Bestimmungen über eine deutsche lutherische Synode, die neben dem Rat und dem Sekretariat das dritte Organ des Bundes, im Wesentlichen mit beratender Funktion, sein sollte241. Eine solche Synode kam freilich niemals zustande242. Drei Punkte, die ebenfalls wohl vor allem württembergischen Wünschen Rechnung trugen, wurden in einem Schlussprotokoll zu den Grundbestimmungen festgehalten, das, wie es in dem Schlussprotokoll hieß, „mit diesen gleiche Rechtskraft haben“ sollte243:

238 Protokoll der 22. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). Vgl. Fleisch, Werden, 30 f. Die geänderten Grundbestimmungen vom 21. 10. 1937 sind abgedruckt in: Fleisch, Werden. Urkundensammlung, 406–409. 239 Vgl. insbesondere den Vorspruch und den Paragraphen 1 der geänderten Grundbestimmungen (ebd., 406 f. – vgl. die entsprechenden Abänderungsvorschläge Württembergs, abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II/2, 1171 f.). 240 Fleisch, Werden, 31. 241 Vgl. die Paragraphen 3, 8 und 10 der geänderten Grundbestimmungen (abgedruckt in: Fleisch, Werden. Urkundensammlung, 407–409). Der Synode, die vom Rat einberufen werden sollte, sollten 60 von den Kirchen entsandte und fünf vom Rat berufene Mitglieder angehören. 242 Vgl. Fleisch, Werden, 31. 243 Das Schlussprotokoll ist abgedruckt in: Fleisch, Werden. Urkundensammlung, 409 f. Ebd. auch die nachfolgenden Zitate. Bereits in der 18. Lutherratssitzung am 14. 6. 1937 in München war das Vorgehen wie folgt beschlossen worden: „Die Grundbestimmungen werden grundsätzlich angenommen. Das Sekretariat wird ermächtigt, Änderungen, die von Kirchenregierungen verlangt werden, in einem Schlußprotokoll zu berücksichtigen, das mit den Grundbestimmungen gleiche Rechtskraft haben soll. Ferner wird das Sekretariat ermächtigt, den endgültigen Text der Grundbestimmungen festzustellen und den Landeskirchen demnächst zuzuleiten.“ (Protokoll der 18. Lutherratssitzung – LKA Hannover, D 15 III 13).

Der Lutherrat bis zum Rücktritt Thomas Breits

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1. Die Mitarbeit an Werken, die auch von anderen evangelischen Konfessionen mitgetragen werden, sollte weiterhin möglich sein. 2. Es wurde festgestellt, dass Vereinbarungen mit den reformierten Kirchen und der unierten badischen Kirche „dem Ziel des Bundes“ entsprächen, „die deutsche Lutherische Kirche im Rahmen der DEK zu bauen“. Kirchen mit bisher nicht eindeutig lutherischem Bekenntnisstand, die sich nicht mit anderen unierten Kirchen zusammenschließen wollten, sollte die Möglichkeit „einer losen Angliederung in einem Gastverhältnis“ ermöglicht werden. 3. Für Gemeinden und Einzelpersonen sollte ein Anschluss an den Lutherrat zwar nicht möglich sein, jedoch sollte „das Sekretariat ihnen zur Erhaltung ihres Bekenntnisstandes und zur Förderung ihrer lutherischen Eigenart behilflich sein“. Auch die geänderten Grundbestimmungen vom 21. Oktober 1937 wurden mit Rücksicht auf die besondere kirchenpolitische Situation in der hannoverschen Landeskirche nur „grundsätzlich“ angenommen244.

3.3 Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands vom Ende der Ära der Kirchenausschüsse bis zum Rücktritt des Vorsitzenden Thomas Breit (1937 bis 1938) 3.3.1 Zwischen offensiven Strategien nach dem Scheitern der Ausschusspolitik und defensiven Reaktionen auf den Wahlerlass Hitlers vom Februar 1937 Es stand für die Vertreter des Lutherrates außer Frage, dass der Rücktritt des Reichskirchenausschusses unter Zoellner im Februar 1937 und das damit verbundene Scheitern der Kirchenausschüsse245 die Existenz des Lutherrates grundsätzlich nicht tangierte. Man wollte im Gegenteil jetzt in die Offensive gehen. „Nur ein energisches Weiterverfolgen des einmal beschrittenen Weges“ könne, so der Vorsitzende Breit nach dem Protokoll der sechzehnten Lutherratssitzung am 22. April 1937246, „Aussicht auf Erfolg bieten“. Was damit gemeint war, ging aus der anschließenden Diskussion hervor, in der von der „entschlossenen Schaffung neuer Tatsachen“ die Rede war. Konkret wurden genannt:

244 245 246

Vgl. hierzu das Protokoll der 20. Lutherratssitzung (ebd.). Vgl. auch oben 3.2.4, 150. Vgl. dazu Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 142–147; und Besier, Kirchen, 631–637. Protokoll der 16. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13).

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Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche 1936–1945

1. 2. 3. 4. 5.

die „Schaffung einer lutherischen Kirche Deutschlands“, die „Einberufung einer lutherischen Synode“, die „Bestellung eines Primas der lutherischen Kirche Deutschlands“, der Entwurf für eine Verfassung der lutherischen Kirche, der – gemeinsam mit dem Arbeitsausschuss Reformierter Kirchen Deutschlands zu erarbeitende – Entwurf für eine neue DEK-Verfassung, 6. „die Lösung des altpreußischen Problems“, offensichtlich im Zuge der geplanten Neuordnung, und 7. bis zu dieser Neuordnung „Kirchenleitungsbefugnisse“ der „Vollsitzung des Rates gegenüber den angeschlossenen Kirchen“. Angesichts solcher überaus ehrgeizigen Pläne konnten Bedenken nicht ausbleiben. Diese nahmen sich dem Protokoll zufolge allerdings erstaunlicherweise nur sehr bescheiden aus: In der Diskussion habe „andererseits […] die Notwendigkeit, auch die Reste der noch vorhandenen reichskirchlichen Legalität zu erhalten, nachdrücklichen Ausdruck“ gefunden. Bereits eine Woche nach der eben erwähnten sechzehnten Lutherratssitzung fand im Lutherratssekretariat in Berlin eine Besprechung mit Vertretern des Arbeitsausschusses der reformierten Kirche Deutschlands „über die Fragen einer Erneuerung des Verfassungsbaues der Deutschen Evangelischen Kirche“ statt, bei der „Übereinstimmung darüber erzielt“ wurde, „daß die ‚Dreisäulentheorie‘ für den Verfassungsaufbau der DEK maßgebend sein muß“247. Bemerkenswert ist, dass der Reformierte Arbeitsausschuss sich sogar, wenn auch wohl eher mit einem symbolischen Betrag – 150 Mark pro Jahr –, an der Finanzierung des Lutherrates beteiligte248. Die offensive Haltung des Lutherrates unmittelbar nach dem Ende der Ära der Kirchenausschüsse hatte einen geradezu symbolischen Ausdruck in neuen, weitaus größeren Räumlichkeiten gefunden; das Berliner Sekretariat war zum 1. April 1937 aus der Lennéstraße 6 in die Großadmiral-Prinz-Heinrich-Straße 14 umgezogen249. Bereits am 3. März 1937 war es zu einer neuerlichen Annäherung zwischen dem Lutherrat und der VKL II gekommen. Man schloss sich zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen, um „ein einheitliches Handeln der gesamten Bekennenden Kirche Deutschlands“ zu gewährleisten250. Am 5./6. Juli 1937

247

Protokoll der Besprechung am 29. 4. 1937 in: ebd., D 15 II 16. Vgl. den „Geschäftsbericht für das zweite Geschäftsjahr des Rates der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands“ vom 31. 3. 1938 (ebd., D 15 III 13). 249 Vgl. das Protokoll der 15. Lutherratssitzung (ebd.). 250 Vgl. AELKZ 1937, 259 u. 282 f. Vgl. auch Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 152. 248

Der Lutherrat bis zum Rücktritt Thomas Breits

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wurde diese Arbeitsgemeinschaft noch erweitert. Der Lutherrat, die VKL II und die Kirchenführerkonferenz der nicht-deutsch-christlichen Kirchenführer schlossen sich im sogenannten „Kasseler Gremium“ zusammen251. Bei näherer Betrachtung waren diese Zusammenschlüsse, die „Episode“ blieben252, freilich weniger Ausdruck der Offensive als vielmehr der Defensive. Sie waren unmittelbare Reaktionen auf den von Hitler nach dem Scheitern der Kirchenausschusspolitik verfügten Wahlerlass vom 15. Februar 1937253. Nach den Erfahrungen des bisherigen „Kirchenkampfes“, insbesondere nach den Erfahrungen mit den staatlich angeordneten Kirchenwahlen vom 23. Juli 1933254, sahen die Lutherratsvertreter in der angekündigten Wahl, die dann niemals stattfand, wohl weniger eine neuerliche Chance als vielmehr eine neuerliche Bedrohung. In der eigens wegen des Wahlerlasses einberufenen255 dreizehnten Lutherratssitzung am 26. Februar 1937 wies Breit nachdrücklich auf die mit der angekündigten Wahl verbundenen Probleme hin. Er sprach u. a. von der „Ungewißheit über […] die Bestrebungen der jetzt beim Staat Verantwortlichen“, warnte, die „Erfahrungen des Jahres 1933“ nicht zu vergessen, und erwog die Möglichkeit der Propagierung von „Wahlenthaltung“ durch die Kirche256. In der folgenden Lutherratssitzung am 11. März 1937 regte Wurm an, „gegen die Nichtbeteiligung der Kirchen an der Wahlvorbereitung […] Einspruch“ zu erheben257. Dass es weiterhin erhebliche Spannungen zwischen den beiden Teilen der Bekennenden Kirche, namentlich zwischen dem Lutherrat und dem altpreußischen Bruderrat, gab, zeigte die Reaktion des Lutherrates auf die Beschlüsse der preußischen Bekenntnissynode in Halle vom Mai 1937258. In einer in der achtzehnten Lutherratssitzung am 14. Juni 1937 einmütig verabschiedeten Er251

Vgl. dazu ebd., 153; und ders., Kirchenkampf, Bd. 3, 26–33. Vgl. die Kapitelüberschrift von Kurt Meier ebd., 26. 253 Der von Adolf Hitler als Führer und Reichskanzler am 15. 2. 1937 in Berchtesgaden unterzeichnete Wahlerlass (u. a. abgedruckt in: Grünzinger / Nicolaisen, Dokumente, Bd. 3, 321) lautete: „Nachdem es dem Reichskirchenausschuß nicht gelungen ist, eine Einigung der kirchlichen Gruppen der Deutschen Evangelischen Kirche herbeizuführen, soll nunmehr die Kirche in voller Freiheit nach eigener Bestimmung des Kirchenvolkes sich selbst die neue Verfassung und damit eine neue Ordnung geben. Ich ermächtige daher den Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten, zu diesem Zwecke die Wahl einer Generalsynode vorzubereiten und die dazu erforderlichen Maßnahmen zu treffen.“ 254 Vgl. hierzu Scholder, Kirchen, Bd. 1, 560–570; Meier, Kirchenkampf, Bd. 1, 103–106. 255 Vgl. das Einladungsschreiben Breits an die Ratsmitglieder vom 20. 2. 1937 mit der Tagesordnung für die 13. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 II 26). 256 Protokoll der 13. Lutherratssitzung (ebd., D 15 III 13). 257 Protokoll der 14. Lutherratssitzung (ebd.). 258 Zu der zweiten Tagung der vierten Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union vom 10. bis 13. 5. 1937 in Halle a. d. Saale und deren Beschlüssen vgl. Niemöller, Synode zu Halle; und Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 171–173. 252

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klärung259, die auch in der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Kirchenzeitung und in der „Jungen Kirche“ veröffentlicht wurde260, begrüßte der Lutherrat zwar „den Versuch […], den Bekenntnisstand der Gemeinden innerhalb der evangelischen Kirche der altpreußischen Union zu klären und neu festzustellen“, kritisierte aber zugleich „das Bestreben, die bisher in Altpreussen bestehende Verwaltungs- und Leitungsunion durch eine Bekenntnisunion zu vollenden“. Insbesondere wandte man sich dagegen, der Barmer Theologischen Erklärung eine „regulative Bedeutung […] für alle in der altpreußischen Union geltenden Bekenntnisse“ zuzuerkennen und sie „in die schriftliche Lehrverpflichtung vor der Ordination“ aufzunehmen; auf diese Weise sei die Barmer Erklärung zu einem „alle in gleicher Weise bindenden Unionsbekenntnis“ geworden. Ebenso könne die Ermöglichung der Abendmahlsgemeinschaft „die an Schrift und Bekenntnis gebundenen Gewissen“ keinesfalls entlasten; die altpreußische Union werde dadurch „als Kirche bezeugt und bestätigt“, und die Bekenntnisunterschiede würden relativiert. Ebenfalls wohl eher Zeichen der Defensive als der Offensive waren die engere Kooperation des Lutherrates mit der Apologetischen Zentrale in BerlinSpandau261 und die Einrichtung der schon länger geplanten262 „lutherischen Hilfskasse“ bzw. des „Hilfsvereins der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands“263, der für den Bereich der dem Lutherrat angeschlossenen Kirchen die Aufgaben des Pfarrernotbundes übernehmen sollte.

259 Protokoll der 18. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). Text der Erklärung mit Begleitschreiben Breits an den Rat der evangelischen Kirche der altpreußischen Union: ebd., S 1 E II 125. Hier auch die folgenden Zitate. Vgl. zu der Lutherratserklärung vom Juni 1937 Hauschild, Barmer Theologische Erklärung, besonders 74–81. 260 AELKZ 1937, 624–626; JK 1937, 595–597. 261 Vgl. die Protokolle der 15. und der 16. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13); sowie das Schreiben Stolls an die dem Lutherrat angeschlossenen Kirchenleitungen mit dem Betreff „Apologetische Zentrale in Berlin-Spandau“ vom 12. 4. 1937 (ebd., D 15 I 17). 262 Vgl. oben 3.2.1, 145. 263 Vgl. das Protokoll der Besprechung über die Organisation einer lutherischen Hilfskasse am 6. 4. 1937 im Sekretariat des Lutherrates in Berlin, das Protokoll der ersten Sitzung des Hilfsvereins der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands am 3. 8. 1937, ebenfalls im Berliner Lutherratssekretariat, (beide: LKA Hannover, D 5 – 22 I), die Statuten des Hilfsvereins (s. d., vermutlich vom Oktober 1937) sowie das Protokoll der offenkundig zweiten Sitzung am 15. 2. 1938 (ohne Ortsangabe) (beide: ebd., D 15 III 13). Vgl. auch die Protokolle der 15., 20. und 22. Lutherratssitzung (ebd.).

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3.3.2 Synodenpläne Um den lutherischen Vereinigungsprozess voranzutreiben bzw. sogar abzuschließen, wurde recht intensiv der Gedanke einer nationalen lutherischen Synode verfolgt, die noch vor Weihnachten 1937 in Nürnberg einberufen werden sollte und eine Verfassung beraten und möglichst auch beschließen sollte264. In der achtzehnten Lutherratssitzung am 14. Juni 1937 in München wurde eine Kundgebung „Von der Synode“ verabschiedet265. Darin wurde zunächst betont, dass die lutherische Kirche nur ein Amt, nämlich das Predigtamt kenne. Seit apostolischer Zeit träten aber neben dieses Amt Synoden oder Kirchenversammlungen „zur Bezeugung des gemeinsamen Glaubens, zur Bestätigung schriftgemäßer Lehre, zur Abwehr schriftwidriger Lehre, zur Behebung gesamtkirchlicher Notstände, zur Durchführung christlicher Zucht, zur Ordnung äusserer Angelegenheiten und […] zur Mithilfe in der Leitung der Gemeinden und der Gesamtkirche“.

Die rechtmäßige Synode stehe immer, also „auch in den äusseren Angelegenheiten“, „unter der Heiligen Schrift“ und sei „an das schriftgemäße Bekenntnis der Kirche gebunden“. Sie könne deswegen „nur die Synode e i n e r Kirche sein, in der alle Amtsträger auf dasselbe Bekenntnis verpflichtet sind“, und „keine neuen Artikel des Glaubens aufstellen“. Zwar wurde dem Staat die Möglichkeit einer gewissen „Rechtshilfe“ eingeräumt, dieser wurden jedoch zeitlich und inhaltlich enge Grenzen gesetzt; sie wurde beschränkt auf „Zeiten eines kirchlichen Notstandes“ und auf die bloße – äußere – Gewährleistung der „geordneten Berufung und Durchführung einer Synode“. Alles andere, namentlich „die Art der Berufung […], die Voraussetzungen einer kirchlichen Wahl, die Wählbarkeit“, könne dagegen „allein die Kirche durch ihr Kirchenregiment oder Notkirchenregiment bestimmen“, die „dabei ausschliesslich an ihr Bekenntnis und die geltende kirchliche Ordnung gebunden“ sei. Ausdrücklich verworfen wurde jeder Versuch: „1. […] durch eine Abstimmung des ‚Kirchenvolkes‘ die Bekenntnisgrundlage der Kirche und die darauf sich gründenden Rechte und Stiftungen zu ändern, zu verfälschen oder aufzuheben […] 2. […] eine Synode politischen Erwartungen und Zwecken dienstbar zu machen […] 3. […] unter Absehung vom Bekenntnis eine Einheit der Kirche in Ordnung, Verfassung und Kirchenregiment zu schaffen […]“

264

Vgl. die Protokolle der 17., 21., 22. und 25. Lutherratssitzung (ebd.). „Kundgebung des Rates der Evang.-luth. Kirche Deutschlands. Von der Synode“, s. d. (masch., 4 Seiten) (ebd., D 15 I 59). Dort auch die folgenden Zitate. 265

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Mehr noch als die Kundgebung selbst machte das offenbar nachträglich vom Lutherratssekretariat hinzugefügte266 Vorwort „Zur Kundgebung ‚Von der Synode‘“267 deutlich, dass auch das intensive Nachdenken über bzw. Bemühen um eine lutherische Synode durch Hitlers Wahlerlass veranlasst worden war. Es gehe darum, so hieß es in dem Vorwort, „den maßgebenden Stellen die Voraussetzungen vorzutragen, unter denen eine durch den Eingriff des Staates in die Wege geleitete Wahl kirchlich verantwortet werden kann“. Bislang sei „auf die pflichtgemäß erhobenen Vorstellungen der Kirche zur Frage der Wahl […] eine Antwort nicht erfolgt.“ Der Aufbau einer Synode müsse unbedingt „den Regeln von Schrift und Bekenntnis“ entsprechen. Die „vom Führer zugesicherte Freiheit der Wahl“ müsse „voll gewährleistet“ werden, „die Wahlordnung kirchlich und bekenntnismäßig ertragen werden“ können. Es müsse eindeutig feststehen, dass das auf Grund des staatlichen Wahlerlasses zustandegekommene „Organ die Rechte und Funktionen einer kirchlichen Synode […] nicht für sich auch nur beanspruchen darf“. Die Aufgabe eines solchen Organs müsse „auf die Feststellung der bestehenden Scheidung in der bisherigen DEK. und auf die Einleitung der dadurch notwendig gewordenen Abwicklungsverhandlungen begrenzt“ werden.

3.3.3 Der Vorschlag eines „Simultaneums“ für die Deutsche Evangelische Kirche In dieselbe Richtung ging auch der Vorschlag eines „Simultaneums“ für die Deutsche Evangelische Kirche, den der Vorsitzende Breit namens des Lutherrates dem Reichskirchenminister Anfang 1938 unterbreitete, als klar war, dass es zu den von Hitler angeordneten kirchlichen Wahlen nicht mehr kommen würde268. Am 6. Mai 1938 versandte Fleisch an die dem Lutherrat „angeschlossenen und befreundeten Stellen“ einen ausgearbeiteten Entwurf mit „Maßnahmen zur vorläufigen Befriedung im Raum der Kirche“269. Darin wurde davon 266 Vgl. das Schreiben Breits an „die mit dem Rat der evang.-luth. Kirche Deutschlands befreundeten und verbundenen Stellen“ vom 23. 6. 1937 (ebd., D 5 – 22 I). 267 „Zur Kundgebung ‚Von der Synode‘“, s. d. (masch., 2 Seiten) (ebd.). Dort auch die folgenden Zitate. 268 Vgl. das Protokoll der 25. Lutherratssitzung am 27./28. 1. 1938 in Berlin (ebd., D 15 III 13). 269 Entwurf „Maßnahmen zur vorläufigen Befriedung im Raum der Kirche“ vom 6. 5. 1938 (ebd., D 5 – 22 II; hier auch die folgenden Zitate) mit einem Anschreiben Fleischs an „die dem Rat der evang.-luth. Kirche Deutschlands angeschlossenen und befreundeten Stellen“ ebenfalls vom 6. 5. 1938 (ebd.). Dem Anschreiben zufolge war der Entwurf von Fleisch gemeinsam mit dem Kirchenjuristen im Evangelischen Oberkirchenrat Stuttgart Direktor Hermann Müller und dem

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ausgegangen, dass wegen der fundamentalen Differenzen sowohl in Glaubensfragen als auch in Fragen des „organisatorischen Aufbaus“ „die Fortdauer oder Wiederherstellung einer vollen kirchlichen Gemeinschaft“ zwischen der Bekennenden Kirche und den Deutschen Christen, namentlich derjenigen Thüringer Provenienz, „nicht mehr möglich“ war, und gefordert, „die nötigen rechtlichen Folgerungen zu ziehen“: „Das bisherige kirchliche Gemeinschaftsverhältnis zwischen beiden Gruppen kann also fernerhin höchstens in der Form einer losen Verwaltungsgemeinschaft aufrecht erhalten bleiben.“ Für alle – detailliert aufgeführten – Fragen der geistlichen Leitung sollte jeweils eine „Minderheitenleitung“ neben „der bestehenden Leitung der Landeskirche“ geschaffen bzw. offiziell anerkannt werden. Ein „Schlichtungsausschuß“, bestehend aus Mitgliedern beider Seiten, – „zur Vermeidung und Entscheidung von Streitigkeiten“, vor allem in Angelegenheiten „des kirchlichen Eigentums, insbesondere der kirchlichen Gebäude“, – sollte „vom Reichskirchenministerium bestellt werden“. Um solche Pläne einer geordneten Trennung einer Realisierung entgegenzuführen, traf Breit am 10. Juni 1938 in Weimar sogar zu einer Unterredung mit den Begründern und Führern der radikalen Thüringer Deutschen Christen Siegfried Leffler270 und Julius Leutheuser zu einer zweistündigen Unterredung zusammen, die aber zu keinem konkreten Ergebnis führte271.

3.3.4 Meinzolts Gesetzesentwurf „zur Bildung der Lutherischen Kirche Deutschlands“ und die Bevollmächtigung von Breit, Marahrens und Wurm Anfang 1938 Offensiv ging Meinzolt die Frage einer weiteren „Vereinheitlichung der lutherischen Kirchen Deutschlands“ an. In der fünfundzwanzigsten Lutherratssitzung am 27./28. Januar 1938 legte er einen entsprechenden Entwurf vor, der

reformierten lippischen Theologen Kasimir Ewerbeck – auf Grund von Vorarbeiten von Meinzolt, Müller und dem Göttinger Professor für reformierte Theologie Otto Weber – ausgearbeitet worden. 270 Zu Leffler vgl. Rinnen, Kirchenmann. 271 Vgl. das Protokoll der Unterredung (LKA Hannover, N 125 Nr. 056). Breit betonte danach, dass mit den Thüringer Deutschen Christen keinerlei Kirchengemeinschaft mehr möglich sei, und forderte deswegen eine klare Trennung. Leffler und Leutheuser, die selbstbewusst darauf verwiesen, dass ihre Bewegung „im Aufstieg begriffen“ sei, warfen Breit demgegenüber Intoleranz vor. Man einigte sich lediglich darauf, das Gespräch fortzusetzen, „sodaß [sic!] später vielleicht ein faßbares Ergebnis herausgearbeitet werden kann“. Zu einer Fortsetzung des Gespräches kam es dann aber offensichtlich nicht mehr.

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ausführlich diskutiert wurde272. Auch in seiner siebenundzwanzigsten Sitzung am 19. Mai 1938 beschäftigte sich der Lutherrat noch einmal mit Meinzolts weiterführender Konzeption273, die jetzt sogar die Gestalt eines regelrechten Gesetzentwurfes „zur Bildung der Lutherischen Kirche Deutschlands“ angenommen hatte274. Danach sollten sich die lutherischen Landeskirchen „innerhalb der Verfassung der DEK vom 11. Juli 1933 zur ‚Lutherischen Kirche Deutschlands‘ zusammen[schließen]“. An der Spitze der Lutherischen Kirche Deutschlands sollte der „Lutherische Rat“ stehen als gemeinsame Vertretung gegenüber dem Reich und gegenüber der Deutschen Evangelischen Kirche sowie mit Weisungsrecht gegenüber den Landeskirchenleitungen, wobei diese ein Einspruchsrecht erhalten sollten, das allerdings durch einstimmigen Beschluss des „Lutherischen Rates“ wieder außer Kraft gesetzt werden können sollte. Die Geschäfte sollte die „Lutherische Kirchenkanzlei“ führen. „Nach Bedarf“ sollte die „Lutherische Synode“ zusammentreten, die auch „baldigst“ über eine Verfassung beschließen sollte. Die Verwaltung der angeschlossenen Kirchen und überhaupt deren Leben und Ordnung sollten vereinheitlicht bzw. untereinander angeglichen werden. Gemeinden aus den sogenannten „zerstörten“ Landeskirchen sollten sich dem „Lutherischen Rat“ direkt unterstellen können. Bereits in der fünfundzwanzigsten Lutherratssitzung im Januar 1938 zeichnete sich deutlich ab, dass die Vorstellungen Meinzolts unter den damaligen Umständen als zu weitreichend und radikal empfunden wurden, dass, wie Breit es in einem Schreiben an die dem Lutherrat „angeschlossenen und befreundeten Stellen“ vom 28. Februar 1938 formulierte, „die Lage in einzelnen Landeskirchen noch nicht reif dafür ist, schon jetzt die Lutherische Kirche Deutschlands förmlich zu bilden“275. Stattdessen setzte sich Fleisch mit einem „Ermächtigungsentwurf“276 durch: Der Lutherratsvorsitzende Breit und dazu Marahrens und Wurm wurden bevollmächtigt,

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Protokoll der 25. Lutherratssitzung am 27./28. 1. 1938 in Berlin (ebd., D 15 III 13). Protokoll der 27. Lutherratssitzung am 19. 5. 1938 (ohne Ortsangabe) (ebd.). 274 Meinzolt: „Entwurf eines Gesetzes zur Bildung der Lutherischen Kirche Deutschlands“, s. d., mit Änderungs- und Ergänzungsvorschlägen des hannoverschen (juristischen) Präsidenten des Landeskirchenamtes Friedrich Schnelle sowie des braunschweigischen (juristischen) Oberkirchenrates Friedrich Lambrecht (ebd.). Dort auch die folgenden Zitate. 275 Schreiben Breits an die dem Lutherrat angeschlossenen und befreundeten Stellen vom 28. 2. 1938 (ebd., D 5 – 22 II). 276 So wörtlich in einer masch. und hsl. mit dem Datum vom 21. 4. 1938 versehenen Aufzeichnung (von Fleisch?) „Zur Situation des Lutherrats“ (ebd., N 125 Nr. 013). Der vertrauliche Entwurf von Fleisch „Vorlage für die 25. Vollsitzung des Rates der Evang.-luth. Kirche Deutschlands“, s. d., in: ebd., D 15 III 13. Vgl. hierzu ferner das Protokoll der 25. Lutherratssitzung am 27./28. 1. 1938 in Berlin (ebd.); sowie das Schreiben Breits an die dem Lutherrat angeschlossenen 273

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„die Befugnisse des Rates und des Sekretariats als der Vertretung des Bundes [= Lutherrat] nach eigenem gewissenhaften Ermessen wahrzunehmen […] und möglichst in stetem Benehmen mit dem Sekretariat für den Rat nach eigenem Ermessen zu handeln. Die Kirchen haben sich verpflichtet, die Beschlüsse der drei Herren durchzuführen. Das Sekretariat untersteht deren Weisungen.“277

Das gemäß den Grundbestimmungen den Landeskirchen zustehende Einspruchsrecht278 wurde für die Dauer der Geltung der Vollmacht, die mit dem 17. Februar 1938 in Kraft trat, zunächst auf drei Monate befristet war und sich automatisch um jeweils drei Monate verlängerte, sofern der Lutherrat vorher in einer Vollsitzung nicht ausdrücklich etwas anderes beschließen sollte, kurzerhand suspendiert279. Laut Protokoll sollten die drei Bevollmächtigten „der lutherischen Synode baldigst den Entwurf einer Verfassung der lutherischen Kirchen Deutschlands innerhalb der DEK vor[…]legen“280. Faktisch war die Bevollmächtigung von Breit, Marahrens und Wurm zunächst eine Intensivierung des Lutherischen Paktes der sogenannten „intakten“ Landeskirchen. Die drei Paktkirchen sollten die lutherische Einigung vorantreiben, wie es ja bereits bei der Gründung des Lutherrates verschiedentlich vorgeschlagen worden war281.

3.3.5 Wachsender Druck von Seiten des nationalsozialistischen Staates Dass Württemberg, das stets geradezu eifersüchtig auf die Wahrung seiner landeskirchlichen Eigenarten und Rechte geachtet hatte282, jetzt der Abgabe von Souveränität an ein übergeordnetes Gremium zustimmte, lag zum einen sicher daran, dass Wurm einer der Bevollmächtigten wurde, zum anderen aber wohl auch an dem wachsenden Druck von Seiten des nationalsozialistischen Staates. Immer wieder waren zum Teil massive Eingriffe des Staates in kirchliche Belange Thema der Lutherratssitzungen: von dem dubiosen Wahlerlass Hitlers über den „Schulkampf“ um die Konfessionsschulen und den konfessionellen Religionsunterricht, der häufig zur Sprache kam und dem der Lutherrat im Juli 1939 und befreundeten Stellen vom 28. 2. 1938 (ebd., D 5 – 22 II), in dem er den Beschluss mitteilte und erläuterte. 277 Ebd. 278 Vgl. oben 3.2.6, 172. 279 Vgl. das Schreiben Breits an die dem Lutherrat angeschlossenen und befreundeten Stellen vom 28. 2. 1938 (LKA Hannover, D 5 – 22 II). 280 Protokoll der 25. Lutherratssitzung am 27./28. 1. 1938 in Berlin (ebd., D 15 III 13). 281 Vgl. oben 3.1, 133. 282 Vgl. oben 3.2.6, 173 f.

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sogar eine besondere Denkschrift widmete283, und über Verbote, wie das der mit dem Lutherrat eng verbundenen Apologetischen Zentrale in Berlin-Spandau284, bis hin zu Verhaftungen wie derjenigen Martin Niemöllers. Ungeachtet aller Reserven gegenüber der Person und deren kirchenpolitischem Wollen und Wirken alarmierte dessen Schicksal offenkundig auch den Lutherrat und veranlasste ihn dazu, den Vorschlag für eine besondere gottesdienstliche Fürbitte zu unterbreiten285. Am 5. Juli 1938 beschlagnahmte die Staatspolizei unter Berufung auf die sogenannte „Reichstagsbrandverordnung“ ein Rundschreiben des Lutherrates. Gauger musste sich einem Verhör bei der Staatspolizei unterziehen und die schriftliche Versicherung abgeben, „in Zukunft kein Rundschreiben mit Ausführungen zu verbreiten, die geeignet sind, das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben oder den öffentlichen Frieden zu stören“286. Besonders bedrohlich für den Lutherrat und die ihm angeschlossenen Kirchen waren Eingriffe der staatlichen Finanzabteilungen287. Es bestand die akute Gefahr, dass dem Lutherrat schlicht die Gelder gesperrt werden würden bzw. dass 283 Der Begriff „Schulkampf“ wörtlich im Protokoll der 16. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). Vgl. hierzu auch die Protokolle der 15., 17., 18., 21. und 22. Sitzung (ebd.). Zum Plan einer Denkschrift vgl. das Protokoll der 24. Sitzung (ebd.). Die „Denkschrift über den gegenwärtigen Stand des Religionsunterrichts in der Schule“ vom 21. 7. 1939 in: LKA Stuttgart, Altreg. Gen. 203 V. Zum Inhalt vgl. Hermle, Bekennende Kirche, 258 f. Hermle würdigte die Denkschrift als „eine umfassende Zustandsbeschreibung“, die „auch die weitere Entwicklung in bemerkenswerter Schärfe“ erfasst habe (ebd., 259). 284 Vgl. das Protokoll der 25. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). 285 Vgl. das Protokoll der 23. Lutherratssitzung (ebd.), in der das „Schicksal der im Gesamtgebiet der DEK verhafteten Geistlichen und Laien […] zum Gegenstand einer eingehenden Aussprache gemacht“ wurde; sowie das Protokoll der 25. Lutherratssitzung (ebd.), in der der Fall Niemöller erörtert wurde. Der Entwurf einer gottesdienstlichen Fürbitte für Niemöller mit einem Anschreiben an die dem Lutherrat angeschlossenen Kirchenleitungen und Bruderräte vom 31. 1. 1938 in: ebd., D 5 – 22 II. Der Fürbittenentwurf lautete: „Wir gedenken in Fürbitte unseres Bruders Niemöller, und befehlen ihn, seine Gemeinde und sein Haus in Deine Hand. Führe Du selber alles zur Verherrlichung Deines Namens hinaus und stärke und bewahre uns alle im rechten Glauben und Gehorsam.“ Niemöller war am 1. 7. 1937 verhaftet und ins Untersuchungsgefängnis Moabit überführt worden. Am 2. 3. 1938 wurde er von einem Berliner Gericht quasi freigesprochen, aber noch am selben Tage als „persönlicher Gefangener des Führers“ ins Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert. Vgl. zum Fall Niemöller u. a. Schreiber, Niemöller, 78–85. 286 Vgl. den hsl. Vermerk Gaugers vom 5. 7. 1938 (LKA Hannover, N 125 Nr. 04). Das beanstandete Rundschreiben, dessen Inhalt nicht ermittelt werden konnte, betraf nach Gauger den Tod des 1933 zwangsversetzten Schweriner Landessuperintendenten Julius Sieden, der 1935 Teilnehmer des Lutherischen Tages in Hannover gewesen war. Gauger war bereits am 3. 2. 1938 über den „Lutherischen Hilfsverein“ von der Staatspolizei verhört worden (vgl. dazu Gaugers Schreiben an Kriminalsekretär Kümmel vom 4. 2. 1938, Abschrift: ebd., D 15 II 37). 287 Vgl. insbesondere die Protokolle der 15., 19., 21. und 26. Lutherratssitzung (ebd., D 15 III 13).

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eine Mitgliedskirche nach der anderen durch die Finanzabteilungen zum Austritt aus dem Lutherrat genötigt werden würde. Bereits am 3. September 1937 – nach dem erzwungenen Abtritt des sächsischen Landeskirchenausschusses – dekretierte der Leiter der sächsischen Finanzabteilung Willy Kretzschmar gemeinsam mit dem neuen Leiter des Dresdner Landeskirchenamtes Johannes Klotsche unter Berufung auf die ausdrückliche Zustimmung des Reichskirchenministers die Einstellung der Zahlungen der sächsischen Landeskirche an den Lutherrat und den Austritt aus dem Lutherrat; Sachsen war fortan nur noch durch den Landesbruderrat im Lutherrat vertreten288. Die im Frühjahr 1938 eingesetzte badische Finanzabteilung zwang die in loser Arbeitsgemeinschaft mit dem Lutherrat verbundene badische Landeskirche, ihre Zahlungen an den Lutherrat zu beenden. Mitte 1939 verließ auch die braunschweigische Landeskirche, u. a. auf Grund des Drucks ihrer Finanzabteilung, den Lutherrat, und wie im Fall Sachsen gehörte dann nur noch ihre Bekenntnisgemeinschaft dem Lutherrat an289. Selbst die hannoversche Landeskirche musste auf Druck ihrer Finanzabteilung offiziell die Zahlungen an den Lutherrat einstellen, hielt aber die Mitgliedschaft im Lutherrat aufrecht und kompensierte die wegfallenden Zahlungen durch entsprechende Leistungen ihrer Bekenntnisgemeinschaft, die eng mit Marahrens zusammenarbeitete. Auch wurde Fleisch als hannoverscher Vertreter im Berliner Sekretariat des Lutherrates belassen290. Zwar konnten die finanziellen Ausfälle durch Nachtragsumlagen der anderen Kirchen zunächst ausgeglichen werden291, jedoch schlossen die Lutherratsvertreter unter dem Eindruck der Eingriffe des Staates die Möglichkeit einer „Schließung“ bzw. „Liquidation“ des Lutherrates bzw. seines Berliner Sekretariates nicht mehr aus und erörterten, was in einem solchen Fall zu tun sei292. Um Finanzfragen ging es auch schon bei dem Treffen Breits mit Kerrl am 2. Dezember 1937293. Kerrl kündigte ganz unverhohlen an, die bisher nicht 288 Vgl. Fleisch, Werden, 35. Ebd. ist auch der Wortlaut der Austrittserklärung abgedruckt. Zu den Entwicklungen in der sächsischen Landeskirche nach dem Rücktritt des Reichskirchenausschusses vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 357; und Lindemann, Landeskirche, 221–234. 289 Vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 566. Zum Austritt der braunschweigischen Landeskirche aus dem Lutherrat vgl. auch unten 3.4, 199. 290 Fleisch wurde deswegen von der hannoverschen Finanzabteilung ein Teil seines Gehaltes gesperrt. Vgl. hierzu und zu den Eingriffen der hannoverschen Finanzabteilung insgesamt Fleisch, Werden, 41. 291 Vgl. den „Geschäftsbericht für das zweite Geschäftsjahr des Rates der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands“ vom 31. 3. 1938 (LKA Hannover, D 15 III 13). 292 Vgl. ebd. und das Protokoll der 19. Lutherratssitzung (ebd.). 293 Protokoll der Besprechung (Abschrift) in: ebd., D 15 I 123. Hier auch die folgenden Zitate. An der Besprechung, die im Reichskirchenministerium stattfand, nahmen auch Kerrls Staatssekretär Muhs sowie der Ministerialrat im Reichskirchenministerium Julius Stahn teil. Nach dem

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erreichte Befriedung der Kirche nunmehr konsequent auf finanziellem Wege erreichen zu wollen. Konkret drohte er mit der „Lockerung der finanziellen Beziehungen zwischen Kirche und Staat“, dem Wegfall der Staatsdotationen und der Aussetzung bzw. Beendigung der Beitreibung der Kirchensteuern durch den Staat. Er erklärte, er wolle „die äußere und innere Gestalt der Hauptkirchen“ derjenigen der Freikirchen „annähern“, die „ausschließlich aus Gliedern bestehen, die ihren Beitritt erklärt haben“. Dies hätte eine Umwandlung des Rechtsstatus’ der Volkskirchen von Körperschaften des öffentlichen Rechts in Vereine und einen ganz exorbitanten finanziellen Aderlass bedeutet. Wie ernst die Lage eingeschätzt wurde, zeigten auch drei Denkschriften des Lutherrates von Anfang Juni bzw. Anfang Juli 1938. Am 2. Juni 1938 trafen sich in Stuttgart die drei Bevollmächtigten des Lutherrates mit den lutherischen Bischöfen und anderen hochrangigen lutherischen Kirchenvertretern, um ein offenbar von Wurm entworfenes Memorandum „an Göring betr. Einrichtung von Finanzabteilungen in den süddeutschen Landeskirchen“ zu verabschieden294. Darin wurde u. a. gegen „Gewaltmaßnahmen“ der Nationalkirchler und gegen „die Einrichtung von Finanzabteilungen in den geordneten, bekenntnismäßig geleiteten Kirchen“ protestiert. Letzteres wurde als „neuer Unterdrückungsversuch“ gewertet, der „eine große Beunruhigung“ erzeuge. Die Reichsregierung wurde „um ihr sofortiges Eingreifen“ gebeten. Dass man sich an Hermann Göring wandte, lag, wie aus den einleitenden Bemerkungen hervorging, daran, dass man ihn für einen vergleichsweise kirchenfreundlichen NSPolitiker hielt. Einen Tag später, am 3. Juni 1938, wandte sich Breit in einem Schreiben, dem er eine entsprechende Denkschrift beifügte, an Hitler selbst und bat ihn, gegen die Gewaltmaßnahmen der radikalen Deutschen Christen in Sachsen vorzugehen, „der Gewissensnot in der evangelisch-lutherischen Kirche Sachsens zu steuern und eine Regelung zu treffen, die dem Bekenntnis der Kirche und ihrem verbrieften Recht entspricht“295. Dieses Schreiben wurde Protokoll hielt Kerrl lange Monologe, in denen er seine religiösen Vorstellungen darlegte, etwa, dass es „durchaus möglich und wahrscheinlich [sei], daß die Gestalt des Führers eine legendarische Bedeutung bekommen würde“. Kerrl rechtfertigte ausdrücklich und mit Emphase die Verhaftung von Kirchenvertretern, deren Verbrechen „ebenso schlimm“ wie diejenigen „anderer Insassen von Konzentrationslagern“ seien. Wenn es nach ihm ginge, müssten etwa auch der zwangspensionierte kurmärkische Generalsuperintendent und führende preußische Bruderratsvertreter Otto Dibelius sowie die drei Richter, die Dibelius freigesprochen hätten, ins Konzentrationslager geschickt werden. Vgl. zu der Besprechung mit Kerrl auch Schneider, Kollaboration, 307, Anm. 13. 294 Protokoll der Sitzung am 2. 6. 1938 in Stuttgart in LKA Hannover, N 125 Nr. 013; das Memorandum an Göring, ebenfalls vom 2. 6. 1938 in ebd., S 1 E II 113. Hier auch die folgenden Zitate. 295 Schreiben Breits an Hitler vom 3. 6. 1938 mit der dreiseitigen undatierten masch. Denkschrift ohne Überschrift und Verfasserangabe (ebd., D 15 I 2).

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dann offenbar freilich doch nicht abgeschickt296. Am 3. Juli 1938 schließlich legte Keppler eine für Kerrl bestimmte Denkschrift297 vor, in der er sich gegen die „wiederholten, sich verschärfenden Angriffe seitens des Reichs- und Preußischen Ministeriums für die kirchlichen Angelegenheiten“ verwahrte. Insbesondere protestierte Keppler gegen den „Vorwurf: der ‚sogenannte Lutherische Rat [sic!]‘ sei in seiner Entstehung und Wirksamkeit illegal“, sowie gegen die finanziellen Zwangsmaßnahmen, deren klar erkennbares Ziel die „völlige Auflösung des Rats der Evang.-Luth. Kirche Deutschlands“ sei.

3.3.6 „Treuebekundungen“ des Lutherrates gegenüber dem Führer und dessen Außenpolitik 1938 Vor dem Hintergrund der stark zunehmenden staatlichen Repression fallen die verschiedenen „Treuebekundungen“ des Lutherrates gegenüber dem Führer und dessen Außenpolitik aus dem Jahre 1938 auf. Am 30. März 1938 erließ der Lutherrat eine „Erklärung“ zum sogenannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich298, in der es hieß: „Am kommenden Sonntag vereinen wir uns mit allen Deutschen, um unsere Treue zum neugeschaffenen großdeutschen Reich und seinem Führer zu bekunden.“ Wie schon bei früheren Gelegenheiten299 verband man die Loyalitätsbekundung mit der deutlichen Artikulierung des eigenen Auftrags bzw. Selbstverständnisses: „Wir bezeugen zugleich unsere Entschlossenheit, unablässig daran zu arbeiten, daß Christus dem Deutschen Volk gepredigt werde.“ Dies konnte wohl auch so verstanden werden, dass die Christuspredigt in Deutschland Behinderungen und Gefährdungen ausgesetzt war. Umrahmt wurden die beiden zitierten zentralen Aussagen der Erklärung durch einen besonderen Gruß – „in glaubensbrüderlicher Verbundenheit“ – an „die Evangelische Kirche der ins Reich heimgekehrten deutschen Ostmark“ sowie einen Aufruf zur Fürbitte um „Frieden und Einigkeit“. Die Erklärung wurde außer von den Lutherratsmitgliedern von dem mit dem Lutherrat verbundenen badischen Landesbischof Kühlewein, den Vertretern des mit dem Lutherrat kooperierenden „Arbeitsausschusses der reformierten Kirchen Deutschlands“ sowie dem Vorsitzenden des Landeskir296 Vgl. den hsl. Vermerk auf dem offenbar bereits ausgefertigten und unterschriebenen Original: „Wurde nicht versandt!“ (ebd.). 297 Denkschrift Kepplers vom 3. 7. 1938 (ebd., S 1 E II 120). Hier auch die folgenden Zitate. Ob Kerrl diese Denkschrift erreichte, ist nicht bekannt. 298 Erklärung des Lutherrates vom 30. 3. 1938 (ebd.). Hier auch die folgenden Zitate. 299 Vgl. etwa das Telegramm des Lutherischen Tages 1935 in Hannover an den „Führer“ – vgl. oben 2.6, 109 f.

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chenausschusses der unierten Landeskirche Kurhessen-Waldeck Friedrich Happich, der sich wie Kühlewein um eine Zusammenarbeit mit dem Lutherrat bemühte300, und auch von dem lavierenden301 hamburgischen Bischof Tügel unterzeichnet. Breit sandte die Erklärung mit einem Begleitschreiben an Hitler, in dem er erläuterte, die Kundgebung werde in den Sonntagsgottesdiensten verlesen werden, und namens der Unterzeichner versicherte, die hinter der Kundgebung stehenden Kirchen würden „alles […] tun, was die innere Einigung aller Deutschen fördert und wozu sie die Erfüllung ihres kirchlichen Auftrags verpflichtet“302. Für Sonntag, den 10. April 1938, den „Wahltag“ zum Anschluss Österreichs303, beschloss der Lutherrat einmütig die folgende „Einfügung in das Kirchengebet“: „Wir danken Dir dafür, daß wir uns als deutsche Brüder haben zusammenfinden dürfen. Halte Du Deine Hand über dem Geschehen dieses Tages und gib, daß unserem Volke Segen daraus erwachse zur Ehre Deines Namens.“304 Am 19. Mai 1938 verabschiedete der Lutherrat ebenfalls einmütig eine Erklärung zum „Treueid auf den Führer“305. Die angeschlossenen Kirchenregierungen und Bruderräte hätten „die Leistung des Treueides auf den Führer“ angeordnet und teilweise schon durchgeführt. Wiederum verknüpfte man die Loyalitätsbekundung mit der Betonung des eigenen Anliegens: Mit dem Treueid bringe man die „innere Verbundenheit mit dem Führer zum Ausdruck“ und erinnere zugleich die Geistlichen „an die im Ordinationsgelübde übernommenen Amtspflichten, die sie im Dienst an unserem Volk an Schrift und Bekenntnis binden“. Scharf wandte man sich gegen Versuche deutsch-christlicher Kreise, den Treueid „zur Befestigung und Erweiterung unkirchlich erworbener Macht in einzelnen Landeskirchen“ zu missbrauchen; dies sei ein „neuer verhängnisvoller Grund zu weiterer Beunruhigung, Gewissensnot und Zerstörung der Kirche“. Auch zur „Sudetenkrise“ und zum Münchener Abkommen306 meldete sich der Lutherrat 1938 zu Wort, diesmal freilich nicht in Form einer öffentlichen Erklärung nach einem entsprechenden Beschluss einer Vollsitzung des Luther-

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Vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 566. Vgl. oben 3.2.4, 155 f. 302 Schreiben Breits an Hitler vom 30. 3. 1938, Reinkonzept (LKA Hannover, D 15 I 2). 303 Vgl. zu der Volksabstimmung u. a. Thamer, Verführung, 578, zum sogenannten Anschluss Österreichs insgesamt ebd., 570–580. 304 Schreiben des Lutherrates (Stoll) an die angeschlossenen Kirchen vom 2. 4. 1938 (LKA Hannover, D 15 I 2). 305 Ebd. Hier auch die folgenden Zitate. Zur „Treueidkampagne“ 1938 insgesamt vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 43–53. 306 Vgl. hierzu u. a. Thamer, Verführung, 580–600. 301

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rates, sondern in Form eines nur von den drei Bevollmächtigten Breit, Marahrens und Wurm verantworteten Telegramms. Es fehlte diesmal auch eine ausdrückliche Bezugnahme auf eigene Interessen des Lutherrates. Der Text des Telegramms lautete: „Gott sei Dank, der unserem Volk durch den Führer ehrenvollen Frieden bewahrt hat. Mit den befreiten Brüdern erflehen wir göttlichen Segen für das verheißungsvolle Friedenswerk. Heil dem Führer!“307 Ohne Zweifel verfehlten die außenpolitischen – scheinbar friedlich herbeigeführten und scheinbar der Friedenssicherung dienenden – Erfolge Hitlers, die ihm ein außerordentlich hohes Maß an Zustimmung in der gesamten Bevölkerung einbrachten308, ihre Wirkung auch bei den Lutherratsmitgliedern nicht. Dennoch ist es wohl nicht übertrieben, die Loyalitätsbekundungen gegenüber Hitler auch als taktisch motiviert zu interpretieren. Angesichts der sich verschärfenden Bedrückung und des enger werdenden Handlungsspielraums wollte der Lutherrat seine grundsätzliche staatspolitische Zuverlässigkeit unter Beweis stellen. Man wollte nicht in den Geruch der Illegalität und Subversion kommen, sondern vielmehr als ernstzunehmender gesellschaftlicher Faktor anerkannt werden, nicht zuletzt, um sich gegenüber der Kirchenpolitik des Reichskirchenministeriums und der Deutschen Christen besser behaupten zu können und der Obrigkeit gegebenenfalls durch die Predigt des „usus politicus legis“ ihr Unrecht vorhalten zu können309. 3.3.7 Die Reaktion auf die Gebetsliturgie der VKL II vom September 1938 Das ohnehin schwierige Verhältnis zwischen Lutherrat und VKL II wurde nachhaltig erschüttert durch die Distanzierung der Bischöfe der Paktkirchen und Badens von der Gebetsliturgie der VKL II anlässlich der drohenden Kriegsgefahr während der „Sudetenkrise“310. Nach einer mehrstündigen Unterredung mit Kerrl unterschrieben Marahrens, Meiser, Wurm und Kühlewein am 29. Oktober 1938, nachdem sie zunächst eine noch schärfere Formulierung zurückgewiesen hatten, die folgende Erklärung: „Wir stellen fest, daß das von der ‚Vorläufigen Leitung‘ am 27. September 1938 herausgegebene Rundschreiben betreffend Abhaltung von Gebetsgottesdiensten anläßlich bevorstehender Kriegsgefahr von uns aus religiösen und vaterländischen Gründen 307 Breit teilte den dem Lutherrat angeschlossenen Kirchen den Wortlaut des Telegramms in einem Schreiben vom 30. 9. 1938 (LKA Hannover, D 15 I 3) mit. 308 Vgl. Thamer, Verführung, 578 u. 598. 309 Vgl. die Beurteilung von Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 50. 310 Zum ganzen Vorgang vgl. ebd., 53–62. Die Gebetsliturgie ist u. a. abgedruckt in KJ 1933–442, 256–258; sowie in Brakelmann, Kirche, 49 f.

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mißbilligt und für unsere Kirchen abgelehnt worden ist. Wir verurteilen die darin zum Ausdruck gekommene Haltung auf das schärfste und trennen uns von den für diese Kundgebung verantwortlichen Persönlichkeiten.“311

Sechs Tage später unterzeichneten auch Happich, Johnsen, Henke sowie – in Vertretung des erkrankten Bischofs Tügel – der Hamburger Oberkirchenrat Adolf Drechsler die Erklärung, nachdem sie zu diesem Zweck ins Reichskirchenministerium zitiert worden waren. Kerrl war es gelungen, einen Keil in die „Bekenntnisfront“ zu treiben. Deutsch-christliche Kreise der extremen nationalkirchlichen Richtung versuchten, die Erklärung propagandistisch für sich auszuschlachten, indem sie sie als nachträgliche Rechtfertigung ihres jahrelangen Kampfes interpretierten312. Umgekehrt wurde auch innerhalb der dem Lutherrat angeschlossenen Kirchen Kritik an der Erklärung laut und eine Solidarisierung mit der unter Druck geratenen VKL II verlangt, so etwa von Seiten der Kirchlich-theologischen Sozietät in Württemberg und von Seiten des sächsischen Landesbruderrates313. Marahrens, Meiser und Wurm sahen sich genötigt, sich für ihr Verhalten zu rechtfertigen und sich des Vertrauens des Lutherrates zu versichern. In seiner zweiunddreißigsten Vollsitzung am 18. November 1938 fasste dieser den folgenden förmlichen Beschluss: „Nachdem die Herren Landesbischöfe D. Marahrens, D. Meiser und D. Wurm heute der Vollsitzung des Lutherrates Bericht erstattet haben über ihre Erklärung gegenüber dem Herrn Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten vom 29. Oktober 1938, die Vorgeschichte, die Begleitumstände dieser Erklärung, die mit dem Herrn Reichsminister geführten Verhandlungen und über die Stellungnahme der Bischöfe zu den amtlichen Veröffentlichungen über diese Vorgänge, hat die Vollsitzung einmütig den Herren Landesbischöfen ihren Dank für das in schwierigster Lage eingenommene mannhafte Verhalten ausgesprochen und sie ihres weiteren vollen Vertrauens versichert.“314

Die ausdrücklichen Hinweise auf „die Vorgeschichte“, „die Begleitumstände“ und „die mit dem Herrn Reichsminister geführten Verhandlungen“ zeigten, dass die Unterzeichner wohl unter erheblichem Druck handelten315. 311

Zitiert nach Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 57; Brakelmann, Kirche, 54. Vgl. ebd., 59. 313 Vgl. ebd., 58. Die Stellungnahme der Sozietät ist abgedruckt in KJ 1933–442, 261 f. 314 „Beschluss der Vollsitzung des Lutherrates vom 18. November 1938“, „gez. Hannsludwig Geiger, als Protokollführer“ (LKA Hannover, D 15 III 13). Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 60 hat nur einen Teil des letzten Gliedsatzes des Beschlusses zitiert, wodurch der Eindruck einer völlig unkritisch-undifferenzierten, geradezu enthusiastischen Zustimmung zu der Erklärung vom 29. 10. 1938 entsteht. 315 Kurt Meier (ebd., 56 f.) hat auf den Zusammenhang mit der Affäre um den von der Presse veröffentlichten Brief Karl Barths an den Prager Theologieprofessor Josef Hromádka vom 19. 9. 1938 312

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In der Lutherratssitzung am 18. November 1938 wurde auch ein Schreiben der drei „Paktkirchen“-Bischöfe an Kerrl gebilligt und zur vertraulichen Versendung an die „angeschlossenen und befreundeten Stellen“ bestimmt, mit dem man „schwere Mißverständnisse“ klarstellen wollte316. Der oben zitierte Beschluss und das Schreiben an Kerrl müssen offensichtlich in engem Zusammenhang gesehen werden. Die Erklärung vom 29. Oktober 1938 dürfe, so hieß es zu Beginn des Schreibens, keinesfalls „so aufgefaßt werden, als ob die Landesbischöfe sich die Beschuldigung einer staatsverräterischen Handlung gegen die bisherigen Mitglieder der VKL. zueigen gemacht und sich in eine kirchliche Einheitsfront mit den Nationalkirchlern begeben hätten.“ Sodann wurde ausgeführt: „Wir brauchen nicht zu wiederholen, daß wir nach wie vor die Herausgabe jener liturgischen Ordnung für einen schweren Mißgriff halten, den wir nicht mit verantworten können. Sie werden sich aber erinnern, Herr Reichsminister, daß wir in der Unterredung vom 29. Oktober die Persönlichkeiten, die für die Herausgabe jener Ordnung verantwortlich sind, gegen den Vorwurf staatsverräterischen Verhaltens ausdrücklich in Schutz genommen haben, besonders auch mit dem Hinweis darauf, daß sie schon vor Wochen und dann noch einmal anläßlich des Bekanntwerdens des Briefes von Karl Barth an Professor Hromádka einen klaren Trennungsstrich zwischen sich und diesem ihnen bisher nahestehenden Theologen gezogen haben317. Wir haben es aus diesem Grunde auch abgelehnt, den uns vorgelegten Entwurf, der die Beschuldigung einer volks- und staatsverräterischen Haltung enthielt, zu unterzeichnen, und eine Formulierung gewählt, die diese Beschuldigung vermied. Ebenso stellten wir fest, daß wir ausdrücklich und absichtlich mehrfach betont haben, daß wir mit den kirchlichen Kreisen, die in der VKL. ihre Vertretung sehen, verbunden sind in dem Bestreben, eine Neuordnung der DEK. zu erreichen, die ihrer in Art. 1 der Verfassung vom 11. Juli 1933 festgelegten Bekenntnisgrundlage entspricht und eine dem Wesen der Kirche gemäße Verwaltung ermöglicht, wie das ja auch in den Ihnen kürzlich übermittelten Grundsätzen318 ausgesprochen ist. Unsere grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber den nationalkirchlichen Zielen bleibt nach wie vor bestehen. hingewiesen, in dem Barth den militärischen Widerstand gegen die aggressiven Expansionsbestrebungen Hitlers als christlich geboten bezeichnet hatte und von dem sich selbst die VKL II scharf distanziert hatte. 316 Schreiben von Marahrens, Meiser und Wurm an Kerrl vom 18. 11. 1938 (Abschrift) als Anlage eines Schreibens des Lutherrates an die angeschlossenen und befreundeten Stellen vom 21. 11. 1938 (LKA Hannover, D 15 III 13). Das Schreiben an Kerrl trug den Vermerk: „Herrn Landesbischof D. Kühlewein wurde dieses Schreiben zur Unterzeichnung vorgelegt.“ Hier auch die folgenden Zitate. Das Schreiben selbst ist auch abgedruckt in: Brakelmann, Kirche, 54 f. 317 Vgl. Anm. 315. 318 Vermutlich waren die Grundbestimmungen des Lutherrates vom 21. 10. 1937 gemeint. Vgl. oben 3.2.6, 170–175.

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Um der Klarheit und Wahrheit willen glauben wir Ihnen, Herr Reichsminister, diese Erklärung schuldig zu sein und sehen uns auch genötigt, unsere Pfarrerschaft, aus deren Mitte uns zahlreiche Anfragen zugehen, in diesem Sinne zu informieren.“

Es fragt sich, ob dieses Schreiben tatsächlich nur als eine Klarstellung von Missverständnissen oder nicht doch auch als ein gewisses Abrücken von der offenbar unter Druck unterzeichneten Erklärung vom 29. Oktober 1938 verstanden werden musste. In einer Unterredung mit Kerrl am 11. September 1940 distanzierten sich Meiser und Wurm dann ausdrücklich von ihrer umstrittenen Erklärung. Sie fühlten sich daran, so erklärten sie nun, „nicht mehr gebunden“ und nähmen auch „die Beziehung zu den Mitgliedern der ‚Vorläufigen Leitung‘ nach allen Seiten wieder auf[…]“319. Marahrens hat demgegenüber auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch seine Unterschrift unter die Erklärung vom 29. Oktober 1938 zu rechtfertigen versucht320.

3.3.8 Breits Rücktritt Ende Oktober 1938 Der Rücktritt Thomas Breits vom Vorsitz Ende Oktober 1938 war ohne Zweifel eine Zäsur in der Geschichte des Lutherrates. Welches waren die Gründe für diesen Schritt? Angesichts der staatlichen Eingriffe, vor allem im finanziellen Bereich, war Breit ernsthaft um die Fortexistenz des Lutherrates besorgt. In der achtundzwanzigsten Lutherratssitzung am 2. Juni 1938 in Stuttgart, deren erster Tagesordnungspunkt „Weiterexistenz des Lutherrates“ lautete, forderte er deswegen eine Strukturreform des Lutherrates und machte von der Durchsetzung dieser Reform sein Verbleiben im Amte des Vorsitzenden abhängig321. Konkret schlug er vor: „1. das Sekretariat von Zahlungen der Landeskirchen freizumachen; 2. drastische Einsparungen vorzunehmen, indem personelle Verminderungen stattfinden. Die theologischen Referenten würden dann auf die einzelnen Landeskirchen verteilt.“

319 Meiser und Wurm haben sich im Frühjahr 1941 in Erklärungen auch ausdrücklich mit zwei Mitgliedern der VKL II, denen wegen illegaler Prüfungen der Prozess gemacht wurde, solidarisiert. Die Distanzierung von den Verfassern der Gebetsliturgie 1937 habe sich lediglich auf damals aktuelles gemeinsames kirchenpolitisches Handeln bezogen. Die grundsätzliche brüderliche und seelsorgerliche Verbundenheit sei dadurch aber nicht tangiert gewesen. Nach wie vor teile man mit der VKL II das gleiche innere Anliegen bei der Neuordnung der Deutschen Evangelischen Kirche. Vgl. Hermelink, Kirche, 457 f.; Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 62 (dort auch das angegebene Zitat). 320 Vgl. Klügel, Lutherische Landeskirche, 360; Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 62. 321 Protokoll der 28. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13). Hier auch die folgenden Zitate.

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Diese sehr pragmatischen Vorschläge waren wohl vor allem mit dem hohen Pflichtbewusstsein und Dienstethos Breits zu erklären, denn sie standen eigentlich im deutlichen Kontrast zu seiner grundsätzlichen Enttäuschung über das Stagnieren bzw. die Rückschritte beim lutherischen Einigungsprozess und über die Entmachtung des Berliner Lutherratssekretariats, für die er keineswegs nur äußere Faktoren – die Staatseingriffe –, sondern vielmehr auch die Landesbischöfe verantwortlich machte. In seinem an Meiser gerichteten Rücktrittsschreiben vom 27. September 1938322 äußerte er: „Allerdings kann nicht übersehen werden, daß es die einmütige Meinung der Landesbischöfe war, das Sekretariat müsse sich nunmehr auf die geistliche und theologische Beratung der im Lutherrat zusammengeschlossenen Landeskirchen und Bruderräte beschränken. Die bei der Bildung des Lutherrates dem Sekretariat gestellte Aufgabe, das künftige Kirchenregiment der lutherischen Kirche in Deutschland vorzubereiten und die hiefür [sic!] notwendigen verbindlichen Maßnahmen einzuleiten, wurde ausdrücklich zurückgenommen. Mit besonders starkem Nachdruck warnte Herr Landesbischof Wurm vor dem Schein einer kirchenleitenden Funktion des Sekretariats […]“

Vor dem Hintergrund dieser grundsätzlichen Enttäuschung war es verständlich, wenn Breit es verbitterte, dass auf seine oben genannten bescheidenen, pragmatischen Reformvorschläge nur teilweise eingegangen wurde. In der bereits erwähnten Stuttgarter Lutherratssitzung am 2. Juni 1938 wurde hierzu folgender Beschluss gefasst: „1. Im gegenwärtigen Augenblick keine Strukturveränderung des L[uther-]R[at]s. 2. Die Landeskirchen werden sich für die nicht mehr von der Kasse der Landeskirche zu zahlenden Umlagen stark sagen [sic!]. 3. Die Leistungen des Hilfsvereins werden gesenkt werden müssen.“323

Besonders verbitterte Breit, dass Meiser – anders als Marahrens – ihm die Errichtung einer „kleinen Amtsstelle“ mit Kinder als theologischem Referenten und einer Schreibkraft verweigerte, mit der er von München aus die reduzierten Amtsgeschäfte des Lutherrates fortzuführen gedachte; an zwei Tagen der Woche wollte er im Berliner Sekretariat präsent sein. Dies war offensichtlich der letzte Auslöser für die Demission Breits. Bereits am 6. Juli 1938, also vier Tage nach der Stuttgarter Lutherratssitzung, bat Breit – offenbar mündlich – die Bischöfe um die Ermöglichung der Rückkehr in den Dienst der bayerischen Landeskirche. Nach der Sommerpause, am 27. September 1938, wiederholte 322 Schreiben Breits an Meiser, 27. 9. 1938 (LKA Stuttgart, D 1/188). Hier auch das folgende Zitat. 323 Protokoll der 28. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 13).

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er dieses Gesuch, wie schon erwähnt, in einem Schreiben an Meiser. Dieser Brief war im Übrigen ein beredtes Zeugnis für die Resignation Breits und auch für die persönliche Entfremdung zwischen ihm und Meiser, zu dem er als langjährigem Weggefährten immerhin in einem Duzverhältnis stand. Freimütig führte Breit darüber Klage, dass die „Opfer“, die er sich und seiner Familie „vier volle Jahre hindurch […] zugemutet“ habe, zu keinem Erfolg, geschweige denn zu Anerkennung und Dank geführt hätten. Zu den wachsenden Widerständen von Seiten des Reichskirchenministeriums seien die „Gefährdungen der inneren Einheit des Lutherrats“ und die Störmanöver der „Bruderratskirche“ hinzugekommen. Es sei, so resümierte er, nicht gelungen, eine „greifbare und spürbare Entspannung der kirchlichen Gesamtlage herbeizuführen“324. Die persönliche Entfremdung zwischen Breit und Meiser, wie sie in Breits Rücktrittsgesuch deutlich wurde, fand eine gewisse Entsprechung in dem Schreiben vom 11. Oktober 1938, in dem Meiser den Mitgliedern des Lutherrates in dürren Worten „zur Kenntnis“ brachte, dass der Landeskirchenrat in München am 4. Oktober 1938 beschlossen habe, der Bitte Breits um Rückkehr in den Dienst der bayerischen Landeskirche „mit Wirkung vom 1. 11. 1938 an stattzugeben“; ein Wort des Bedauerns über die Demission Breits oder der Anerkennung für die geleistete Arbeit fehlte325. War die persönliche Entfremdung zwischen Breit und Meiser womöglich auch das Resultat eines vielleicht schon länger hinter den Kulissen schwelenden Machtkampfes? War die Bevollmächtigung von Breit, Marahrens und Wurm womöglich der erste Schritt auf dem Weg zu einer Entmachtung Breits gewesen? Sollte Breit jetzt womöglich durch Meiser ersetzt werden, um eine Gleichrangigkeit der Bevollmächtigten herzustellen? Sollte der Lutherische Pakt bzw. sollten die Bischöfe der drei Paktkirchen doch zur eigentlichen Säule des deutschen Luthertums und zur eigentlichen Schaltzentrale der lutherischen Vereinigungsbestrebungen werden? Eine Aussprache zwischen Meiser und Breit am 16. November 1938 führte offenbar wieder zu einer gewissen Verständigung und Annäherung der beiden. In einem Schreiben vom darauffolgenden Tage326 entwickelte Breit auf Meisers ausdrücklichen Wunsch hin seine Vorstellungen über „die Neuordnung des Lutherrates“ und reflektierte dabei auch noch einmal dessen bisherige Geschichte. Die Wahrheit gebiete, so Breit, 324

Vgl. das Schreiben Breits an Meiser, 27. 9. 1938 (LKA Stuttgart, D 1/188). Schreiben Meisers an die „Mitglieder des Lutherischen Rates [sic!]“, 11. 10. 1938 (LKA Hannover, D 15 II 29). 326 Schreiben Breits an Meiser, 17. 11. 1938 (ebd., D 15 I 18). Hier auch die folgenden Zitate. 325

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„daß nicht Ansprüche weiterhin erhoben werden, deren Verwirklichung weder mit voller Entschiedenheit gewollt noch, auf den Widerstand des Staates gesehen, in absehbarer Zeit erreicht wird. Deshalb darf das Fernziel der lutherischen Kirche Deutschlands nicht preisgegeben werden. Doch braucht man sich auch nicht vor der Feststellung zu fürchten, daß dieses Fernziel jetzt nicht und auf lange Zeit hinaus nicht erreichbar ist.“

Konkret regte Breit an, die Grundbestimmungen des Lutherrates327 vorerst ruhen zu lassen und sich stattdessen wieder auf die Kundgebung aus der Passionszeit 1936328 zu beziehen. Der Lutherrat, für den Breit wieder die alte Bezeichnung „Lutherischer Rat“329 vorschlug, solle seine „geistlichen und theologischen Bemühungen“ intensivieren und vor allem den Lutherischen Pakt330 fördern und auszudehnen helfen; der „Pakt der drei lutherischen Kirchen“ müsse „endlich aktiviert werden“. Trotz des insgesamt weitaus weniger resignativen Tons im Vergleich zu seinem Rücktrittsschreiben sprach Breit auch jetzt von der „offenkundigen Erfolglosigkeit des Lutherrats“: „So bedauerlich es ist: die Entwicklung hat uns hinter den Akkord vom März 1936331 zurückgeworfen.“ Von der optimistisch-offensiven Haltung Breits nach dem Scheitern der Kirchenausschüsse Anfang 1937 war gut anderthalb Jahre später fast nichts mehr übrig geblieben. Die lutherischen Vereinigungsbemühungen hatten aus seiner Sicht einen empfindlichen Rückschlag erlitten; das Projekt Lutherrat schien ihm im Grunde gescheitert zu sein. Freilich warnte Breit vor einer gänzlichen „Aufhebung oder Widerrufung“ des mit dem Begriff Lutherrat verbundenen Unternehmens, da sonst die kirchliche Autorität der Bischöfe schweren Schaden nehmen würde und da man insbesondere den zerstörten lutherischen Kirchen gegenüber eine Verpflichtung habe; diese sollten, so Breit, den Paktkirchen „als Schutzgebiete“ zugewiesen werden. Bemerkenswert war, dass Breit als Mitverfasser der Barmer Theologischen Erklärung und als Mitglied der VKL I auf deutliche Distanz zu dem bruderrätlichen Teil der Bekennenden Kirche ging. Er warnte die Bischöfe sogar vor einer relativierenden Interpretation der Erklärung zur Gebetsliturgie vom 29. Oktober 1938. Wörtlich schrieb er dazu u. a.: „Es müssen jetzt unter allen Umständen die Folgerungen aus dieser Erklärung gezogen werden. Eine Verständigung mit der Bruderratskirche kann solange nicht in 327 Bemerkenswerterweise bezog er sich, und zwar gleich zweimal, auf die „vorläufigen Grundbestimmungen vom 26. November 1936“, ignorierte also offenbar deren Neufassung vom 21. 10. 1937. Zu den Grundbestimmungen vgl. oben 3.2.6, 170 –175. 328 Vgl. oben 3.2.5, 160 –162. 329 Vgl. oben 2.3, 61–74. 330 Vgl. oben 2.4, 75–77. 331 Gemeint ist die Gründung des Lutherrates. Vgl. oben 3.1, 129–138.

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Betracht kommen, als dieselbe von den drei Männern verantwortlich vertreten bleibt, die jenes von den Bischöfen öffentlich desavouierte liturgische Formular herausgegeben haben. Wie die Bruderratskirche mit der hier vorliegenden Schwierigkeit fertig wird, bleibt ihre eigene Angelegenheit und Sorge.“

Eine neue, beide Teile der Bekennenden Kirche umfassende Gesamtvertretung lehnte er vorerst kategorisch ab. Es müsse aber „damit ernst gemacht werden, daß jede Beziehung zwischen der Bruderratskirche und den lutherischen Kirchen über die Geschäftsstelle des Lutherrats geleitet wird“.

3.4 Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands am Vorabend und während des Zweiten Weltkrieges (1939 bis 1945) Nach dem Rücktritt Breits blieb der Lutherrat auch während der gesamten Kriegszeit organisatorisch intakt. Freilich waren in ihm zunächst als „offizielle“ Landeskirchen außer den drei „Paktkirchen“ nur noch das kleine SchaumburgLippe und die kleine Lutherische Klasse der Lippischen Landeskirche vertreten. Hinzu kamen die Bruderräte von Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Mecklenburg, Lübeck und Schleswig-Holstein. Auch war der Lutherrat mehr und mehr eher ein Repräsentationsgremium von Persönlichkeiten als ein Bund von Kirchen; das Sekretariat übernahm geschäftsführende, beratende und vermittelnde Funktionen im Sinne einer „Lotsentätigkeit“332. Dennoch ist die Tatsache, dass der Lutherrat nach dem Rücktritt Breits nicht auseinanderbrach, bemerkenswert, weil der Druck von Seiten des Staates zunächst noch zunahm. Der Staatssekretär im Reichskirchenministerium Muhs betrachtete den Lutherrat nunmehr als eine „illegal[e]“ und folglich „rein polizeiliche Angelegenheit“333, weshalb wohl jetzt häufig keine offiziellen Protokolle der Lutherratsvollsitzungen mehr angefertigt und verschickt wurden334. Ferner 332

Vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 569 f. u. 572 (danach auch das Zitat). Zitiert nach ebd., 571. Vgl. auch unten im Text. 334 In dem Zeitraum von Anfang 1939 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, genauer: vom 8. 2. 1939 bis zum 4./5. 7. 1944, fanden insgesamt sechsundzwanzig Vollsitzungen des Lutherrates (34. bis 59. Lutherratssitzung) statt. In den einschlägigen Lutherratsakten finden sich Protokolle lediglich zur 37. Lutherratssitzung am 3. 7. 1939 (LKA Hannover, D 15 III 1), zur 46. Lutherratssitzung am 6. 5. 1941 (ebd., D 15 II 38) sowie zu der außerordentlichen Sitzung am 29. 4. 1940 (ebd., D 15 III 1). Zu den übrigen Sitzungen (am 8. 2. 1939, 8. 3. 1939, 3. 5. 1939, 26. 10. 1939, 29. 11. 1939, 31. 1. 1940, 20. 3. 1940, 3. 7. 1940, 17. 10. 1940, 10. 12. 1940, 3. 3. 1941, [nach 3. 3. / vor 23. 9.] 1941, 23. 9. 1941, 25. 11. 1941, 10. 2. 1942, 21. 4. 1942, 24. 6. 1942, 13. 10. 1942, 21. 1. 1943, 23. 3. 1943, 1. 6. 1943, 28. 9. 1943, 1./2. 2. 1944, 4./5. 7. 1944) finden sich – verstreut – lediglich Einladungsschreiben, in der Regel ohne Tagesordnung, und oder oder hsl. Anwesenheitslisten, teilweise auch besondere Tagesordnungen und kurze Protokollvermerke mit nur ganz 333

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war auch die finanzielle Lage zunächst sehr prekär335. Und schließlich gelang es Kerrl im Frühjahr 1939, einen Keil tief in den Lutherrat hinein – und auch zwischen die drei führenden Bischöfe – zu treiben, nachdem er vorher ja bereits erfolgreich einen Keil zwischen Lutherrat und VKL II getrieben hatte336. Im März / April 1939 veranlasste Kerrl Vertreter der Deutschen Christen sowie der kirchlichen Mitte, eine programmatische Erklärung, die sogenannte „Godesberger Erklärung“, zu verfassen, auf deren Grundlage die evangelische Kirche nach nationalsozialistischen Vorstellungen neugeordnet werden sollte337. Diese „Godesberger Erklärung“ lehnten die Lutherratsvertreter noch einmütig ab. In der sechsunddreißigsten Vollsitzung am 3. Mai 1939, an der alle drei Bischöfe der „Paktkirchen“ teilnahmen338, wurde eine vom Sekretariat erarbeitete Erklärung angenommen, in der die „Godesberger Erklärung“ schroff zurückgewiesen wurde; diese enthalte, so hieß es in der Erklärung u. a., „nicht eine einzige zentrale christliche Aussage“339. Kerrl gab indessen nicht auf. Bereits im Mai 1939 versuchte er erneut, sämtliche Kirchenführer auf eine gemeinsame Erklärung, diesmal die „Grundsätze für eine den Erfordernissen der Gegenwart entsprechende neue Ordnung der Deutschen Evangelischen Kirche“340, zu verpflichten. Danach sollte zur Neuordnung der Kirche die bereits 1937 geplante Kirchenwahl341 nunmehr endlich durchgeführt werden, und u. a. sollten die folgenden drei „Grundsätze“ einer wenigen allgemeinen Sätzen (ebd., D 15 I 19 u. 117; D 15 II 1 u. 37 u. 38; D 15 III 1 u. 13). Dass man sich im Lutherrat tatsächlich Sorgen machte, Schriftstücke könnten in falsche Hände geraten, geht aus einem Schreiben des Lutherratssekretariats an Meiser vom 15. 1. 1941 (ebd., D 15 I 126/2) hervor, in dem es hieß: „Wir tragen Bedenken, […] Schriftsätze mit der Post zu versenden. Wir möchten sie nur von Hand zu Hand geben. Unsere Vorsicht ist in einem neuesten Erlebnis begründet.“ Natürlich ist nicht auszuschließen, dass Protokolle auch nachträglich (etwa nach Ende der NS-Herrschaft) vernichtet wurden. Teilweise lassen sich die Verhandlungen der Lutherratssitzungen anhand des überliefertem Briefwechsels und anderer Dokumente rekonstruieren. 335 Vgl. dazu oben 3.3.5, 184–186. Vgl. auch Gaugers „Geschäftsbericht für das dritte Geschäftsjahr des Lutherrats“ vom 3. 5. 1939 (LKA Hannover, D 15 III 6), in dem die finanzielle Lage des Lutherrates insgesamt als „schwach” bezeichnet wurde und in dem u. a. von der Notwendigkeit einer „drastischen Reduktion der Ausgaben“ die Rede war. Ähnlich auch der folgende, ebenfalls von Gauger stammende „Geschäftsbericht für das vierte Geschäftsjahr des Rates der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands“ (ebd., D 15 I 19), in dem es hieß, die finanzielle Lage sei weiterhin angespannt und ungeklärt. 336 Vgl. dazu oben 3.3.7, 189–192. 337 Die „Godesberger Erklärung“ in ihren unterschiedlichen Fassungen ist dokumentiert bei: Grünzinger / Nicolaisen, Dokumente, Bd. 4, 336–341. 338 Vgl. die hsl. Anwesenheitsliste (LKA Hannover, D 15 III 13). 339 Vgl. das Schreiben Meisers an die dem Lutherrat angeschlossenen und befreundeten Stellen vom 5. 5. 1939 (ebd., D 15 III 4/1). Ebd. auch die Erklärung mit dem Zitat. 340 Dokumentiert bei: Grünzinger / Nicolaisen, Dokumente, Bd. 4, 353–357. 341 Vgl. dazu oben 3.3.1, 177.

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Synthese von NS-Ideologie und Christentum von allen an der Neuordnung Beteiligten anerkannt bzw. der Neuordnung zugrunde gelegt werden: „1. […] Die nationalsozialistische Weltanschauung ist […] auch für den christlichen Deutschen verbindlich. […] 2. […] wahrer christlicher Glaube [kann] sich nur innerhalb des von Gott geschaffenen Volkstums kraftvoll entfalten […] 3. Die nationalsozialistische Weltanschauung bekämpft mit aller Unerbittlichkeit den politischen und geistigen Einfluß der jüdischen Rasse auf unser völkisches Leben. Im Gehorsam gegen die göttliche Schöpfungsordnung bejaht die evangelische Kirche die Verantwortung für die Reinerhaltung unseres Volkstums. […]“ 342

Nach einigem Zögern und Lavieren, vor allem auch gegenüber den anderen Lutherratsvertretern – Gauger hat dies zum Teil detailliert protokolliert343 –, unterzeichnete Marahrens als der Vorsitzende der Konferenz der nicht-deutschchristlichen Landeskirchenführer die „Grundsätze“, wenn auch nicht ohne schriftlichen Kommentar. Das stellte den Lutherrat vor die Zerreißprobe. Bereits vor dem Bekanntwerden von Marahrens’ Unterschrift fasste das Lutherratssekretariat folgenden Beschluss: „Das Sekretariat des Lutherrates hat beschlossen, für den Fall, daß ohne Berücksichtigung der Solidarität des Lutherrates und der Landeskirchenführerkonferenz das am 26. Mai [1939] erstmals vorgelegte Schreiben [gemeint sind die oben genannten „Grundsätze“] unterzeichnet werden sollte, seinen Abschied zu erbitten.“344

In einer Krisensitzung am 3. Juli 1939, der siebenunddreißigsten Lutherratsvollsitzung, wurde der Riss, der durch den Lutherrat ging, offenkundig345. Dem Protokoll zufolge, dessen Formulierungen die Schärfe der Auseinandersetzung erahnen lassen, war der Haupttagesordnungspunkt die Erörterung der „Vorgänge […], die zur Durchbrechung der Solidarität der Kirchenführer 342

Zitiert nach: Grünzinger / Nicolaisen, Dokumente, Bd. 4, 354. Vgl. Gaugers hsl. Notizen über sein Telefongespräch mit Meiser vom 26. 6. 1939 sowie seine umfangreiche „Sachdarstellung“ vom 1. 7. 1939 (beide: LKA Hannover, D 15 I 13). 344 Zitiert nach der „Sachdarstellung“ Gaugers vom 1. 7. 1939 (ebd.). Der Beschluss, der offensichtlich auf eine Initiative Gaugers, des schärfsten Kritikers Marahrens’ im Lutherrat (vgl. auch die Einschätzung von Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 572), zurückging, datierte aus der Zeit zwischen dem 20. 6. 1939 (terminus post quem – vgl. Gaugers Formulierung in seiner „Sachdarstellung“: „Nach Eintreffen des Schreibens des Herrn Landesbischofs D. Marahrens vom 20. Juni [1939] hat das Sekretariat folgenden Beschluß gefaßt: […]“) und dem 1. 7. 1939 (terminus ante quem – vgl. das Abfassungsdatum der „Sachdarstellung“ Gaugers und die Formulierung Gaugers unmittelbar nach der Zitierung des Beschlusses: „Der damals bedingungsweise genannte Fall ist inzwischen eingetreten.“), nach Meier (ebd.) vom 21. 6. 1939. 345 Protokoll der 37. Lutherratssitzung (LKA Hannover, D 15 III 1) – ohne Verfasserangabe. Hier auch die folgenden Zitate. 343

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durch Landesbischof Marahrens geführt haben“. Weiter hieß es im Protokoll: Außer den anwesenden Vertretern Hannovers, die Marahrens „sekundieren resp[ektive] sich darauf beschränken, ihm in seinen Entschließungen keine Opposition zu machen“, „[äußern] die übrigen Teilnehmer an der 37. Vollsitzung, die fast sämtlich zu Wort kommen, […] lebhafte Bedenken gegen den Schritt des Landesbischofs D. Marahrens“. Es sei eine „Vertrauenskrise“ entstanden. Durch den „offenbar gewordenen Dissensus der drei lutherischen Bischöfe“ seien vor allem die „zerstörten Kirchengebiete“ und insbesondere „die Leitung der Pfarrervereine“ in Not geraten. Der Eindruck, den das Protokoll erweckte, dass nämlich Marahrens – abgesehen von einigen hannoverschen Mitstreitern – im Lutherrat bzw. unter den nicht-deutsch-christlichen Kirchenführern gänzlich isoliert war, traf indes nicht ganz zu, denn auch der in der Sitzung anwesende braunschweigische Landesbischof Johnsen sowie der nicht anwesende Vorsitzende des kurhessischen Landeskirchenausschusses Happich, der ja dem Lutherrat nahe stand346, gehörten zu den Unterzeichnern der „Grundsätze“347. Dem Protokoll zufolge scheint Johnsen sich in der Sitzung freilich völlig zurückgehalten zu haben. Jedoch war offenbar die heftige Kritik, die in der Sitzung an der Unterzeichnung der „Grundsätze“ geübt wurde, der Anlass für Johnsen, den Austritt der braunschweigischen Landeskirche aus dem Lutherrat zu erklären. So jedenfalls ging es aus einem Schreiben des Lutherratssekretariats vom 16. September 1939 hervor, mit dem es eine entsprechende Anfrage eines braunschweigischen BKPfarrers beantwortete348. In diesem Schreiben hieß es: „Die Gründe, die zum Ausscheiden der Braunschweigischen Landeskirche aus dem Rat der Ev.-Luth. Kirche Deutschlands führten, können wir nur raten. Dr. Johnsen hat sich in seinem Schreiben an das Sekretariat darüber nicht ausgesprochen. Entscheidend war aber ohne Zweifel der Eindruck der Aussprache am 3 . J u l i [Hervorhebung im Original].“

Obwohl die Krisensitzung am 3. Juli 1939 „ohne greifbares Ergebnis“ endete349 und obwohl Marahrens anders als Johnsen offenbar überhaupt nicht daran dachte, aus dem Lutherrat auszuscheiden350, brach der Lutherrat nicht ausein346

Vgl. oben 3.3.6, 187 f. Vgl. KJ 1933–442, 292. 348 Anfrage von Pfarrer Heinrich Lachmund, Blankenburg / Harz, an den Lutherrat vom 14. 9. 1939; Antwortschreiben des Sekretariats (Keppler) vom 16. 9. 1939 (beide Schreiben: LKA Hannover, D 15 I 66). Aus dem Antwortschreiben auch das folgende Zitat. 349 So das Protokoll der 37. Lutherratssitzung (ebd., D 15 III 1). 350 So die Darstellung in dem oben zitierten Antwortschreiben des Sekretariats (Keppler) an Lachmund vom 16. 9. 1939 (ebd., D 15 I 66), in dem es wörtlich hieß: „Hannover denkt nicht daran, aus dem Lutherrat zu scheiden.“ 347

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ander. Dies lag vor allem an dem offenbar auch seelsorgerlichen Bemühen des neuen Vorsitzenden Meiser351, der den Lutherrat auf jeden Fall – also auch ungeachtet des entstandenen Risses, der nicht mehr zu leugnen und zu kitten war – erhalten wollte. Im Protokoll hieß es dazu: „Das Abschiedsangebot des Sekretariats wird nicht beschieden; vielmehr erklärt Landesbischof D. Meiser den Referenten in persönlicher Aussprache, daß er als Vorsitzender des Lutherrates dieses Abschiedsgesuch nicht annehmen könne; er sei dagegen der Meinung, daß der Lutherrat und sein Sekretariat auch erhalten bleiben müßten für den Fall, daß Hannover sich nicht zu einem befriedigenden Arrangement bereitfinden lasse.“352

Wenn auch das Ende des Lutherrates abgewendet werden konnte, so bleibt doch festzuhalten, dass die Krise um Marahrens’ Unterschrift unter die „Grundsätze“ Kerrls abermals eine tiefe Zäsur in der Geschichte der lutherischen Vereinigungsbestrebungen in Deutschland bedeutete. Nicht nur war das Verhältnis zu Marahrens nachhaltig, auch über das Ende des Krieges und des Nationalsozialismus hinaus, gestört353, vielmehr verlor der Lutherrat jetzt seine kirchenpolitische Schlagkraft. Er verkümmerte zu jenem mehr beratenden Repräsentationsgremium, von dem zu Beginn dieses Abschnitts (3.4) schon die Rede war. So allerdings konnte er gleichsam „überwintern“ – und dann 1945 kirchenpolitisch neu aktiv werden. Meiser hatte wohl erkannt, dass eine völlige Auflösung des Lutherrates auch seinem und Wurms Ansehen geschadet hätte und dass das übergeordnete kirchenpolitische Anliegen der Vereinigung des deutschen Luthertums gründlich desavouiert worden wäre. Andererseits musste er in Kauf nehmen, dass ein führendes Lutherratsmitglied einer Synthese von Christentum und NS-Ideologie zugestimmt hatte und dass damit das Anliegen der Lutheraner theologisch gründlich in Misskredit gebracht wurde. In der achtunddreißigsten Lutherratssitzung am 26. Oktober 1939 sorgte das Verhalten von Marahrens, diesmal seine Mitarbeit im „Geistlichen Vertrauensrat“354, dem u. a. auch der mecklenburgische DC-Landesbischof Walther Schultz angehörte355, erneut für Diskussionen. Es gelang Marahrens allerdings offensichtlich, die Bedenken rasch zu zerstreuen. Man ging davon aus, 351 Meiser war offiziell wohl in der 34. Lutherratssitzung am 8. 2. 1939, an der er selbst wegen Krankheit nicht teilnehmen konnte, zum neuen Vorsitzenden des Lutherrates bestimmt worden. Vgl. die Aktennotiz Geigers vom 15. 2. 1939 (ebd., D 15 II 17), in der von der „Tatsache“ die Rede war, „daß der bayerische Landesbischof nunmehr Vorsitzender des Rates ist“. 352 Protokoll der 37. Lutherratssitzung (ebd., D 15 III 1). 353 Marahrens hat nach 1945 allerdings eingeräumt, dass die Unterzeichnung der „Grundsätze“ Kerrls ein Irrtum gewesen sei (vgl. Mager, Marahrens, 129). 354 Vgl. dazu Melzer, Geistlicher Vertrauensrat. 355 Zu Schultz vgl. ebd., 59–62.

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„daß der Vertrauensrat keine Gesinnungseinheit sein will, sondern nur die Darstellung der verschiedenen Kräfte und Gruppen in der Deutschen Evangelischen Kirche, deren Exponenten nun einmal in persönlichem Gedankenaustausch den Versuch unternehmen sollen, die Dinge zu bereinigen, die im Zeichen des Krieges auf alle Fälle bereinigt werden müssen.“356

Auf dieser Grundlage und vor dem Hintergrund des allgemeinen „Burgfriedens“357 während des Krieges akzeptierte der Lutherrat nolens volens Marahrens’ Mitarbeit im „Geistlichen Vertrauensrat“ und kam überein, „D. Marahrens als Glied des Vertrauensrates so weit zu stärken, daß er in der Lage ist, immer wieder auf die Beseitigung der dringendsten Schäden hinzuwirken.“358 Dass die Kritik, die im Lutherrat am „Geistlichen Vertrauensrat“ bzw. an der Mitarbeit von Marahrens laut geworden war, nicht gänzlich verstummte, zeigte das kurze Protokoll der neununddreißigsten Lutherratssitzung am 29. November 1939, in dem es hieß, gegen die „Entwicklung“ des Vertrauensrates seien „Bedenken geltend gemacht“ worden359. Um die Jahreswende 1940/41 unterstützte ein Teil des Lutherrates den letzten – bald gescheiterten – Kircheneinigungsversuch innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche, der in den sogenannten „Wiener Entwürfen“ seinen Niederschlag fand360. Durch Konvente, die sich an die Mitglieder des „Geistlichen Vertrauensrates“ anlehnen sollten, sollte die Entstehung eines echten Simultaneums ermöglicht werden. Einige Mitglieder des Lutherrates sahen die Chance, einen lutherischen Konvent in der Deutschen Evangelischen Kirche – hinter dem Vertrauensratsmitglied Marahrens – zu etablieren und dadurch dem Ziel einer einheitlichen lutherischen Kirche in ganz Deutschland näher zu kommen361.

356 Schreiben des Lutherratssekretariats an Behm vom 7. 11. 1939 (LKA Hannover, D 15 I 120). In diesem Schreiben wurde ausführlich über die 38. Lutherratssitzung berichtet, von der im Übrigen nur ein aus vier kurzen Sätzen bestehender Protokollvermerk (ebd., D 15 III 1) vorliegt. 357 Zum Begriff „Burgfrieden“ und seiner unterschiedlichen Interpretation im kirchlichen Kontext vgl. Melzer, Geistlicher Vertrauensrat, 82–90. 358 Zitiert nach dem Schreiben des Lutherratssekretariats an Behm vom 7. 11. 1939 (LKA Hannover, D 15 I 120). 359 Protokoll der 39. Lutherratssitzung (ebd., D 15 III 1). 360 Vgl. dazu Brunotte, Kirchenpolitischer Kurs, 129–131; Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 108 f. Nach Kurt Meier (ebd., 573) war der Kircheneinigungsversuch „vom Lutherrat begrüßt worden“. Nach Fleisch dagegen, auf den Meier sich vor allem berief (vgl. ebd., 700, Anm. 1587), war die Ansicht im Rat „geteilt“; namentlich in „Süddeutschland hatte man Bedenken“ (vgl. Fleischs Bericht: „Sieben Jahre Rat der Evang.-Luth. Kirche Deutschlands“ vom April 1943 [LKA Hannover, D 15 I 19]). 361 Vgl. ebd.

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Fleisch machte sich Anfang 1941 an Vorarbeiten für einen Verfassungsentwurf für eine „Lutherische Kirche Großdeutschlands“362, an die er offenbar nach Ende des „Dritten Reiches“ anknüpfte363. Danach sollten „die DC. ausgeklammert“ und die Unionskirchen der Deutschen Evangelischen Kirche konfessionell aufgegliedert werden. Die reformierten Gemeinden sollten sich in einer der „Lutherischen Kirche Großdeutschlands“ anzugliedernden „Deutschen Reformierten Kirche“ sammeln. An der Spitze sollte – anstelle des „Geistlichen Vertrauensrates“ und der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei – ein lutherischer „Erzbischof“ mit einer lutherischen Kanzlei stehen364. Wie der Umzug des Lutherratssekretariats zum 1. April 1937 in größere Räumlichkeiten gleichsam symbolischer Ausdruck für eine offensivere Haltung des Lutherrates gewesen war365, so war der neuerliche Umzug zu Beginn des Zweiten Weltkrieges in bescheidenere Räumlichkeiten – die neue Adresse war: Holsteiner Ufer 16 in Berlin – ebenfalls gleichsam symbolischer Ausdruck für die nunmehr reduzierte Bedeutung und Funktion des Lutherrates366. Zu den räumlichen Einschränkungen kamen personelle hinzu367. Kinder wurde gleich zu Kriegsbeginn eingezogen. Geiger kehrte im Herbst 1940 in seinen alten Beruf als Journalist zurück. Keppler nahm 1941 seine Tätigkeit als Dekan von Reutlingen wieder auf, wurde allerdings zunächst für mehrere Monate durch seinen Dekanskollegen Pfisterer, der ja bereits sein Vorgänger als württembergischer Vertreter im Lutherrat gewesen war, und anschließend – bis zu dessen Einberufung im September 1943 – durch den Geschäftsfüh362 Vgl. das Schreiben des Lutherratssekretariats an Meiser vom 15. 1. 1941 sowie den vermutlich von Fleisch stammenden dreiseitigen Entwurf: „Wie könnte die Umgestaltung der DEK. zu einer Lutherischen Kirche Großdeutschlands, der eine Deutsche Reformierte Kirche angegliedert wäre, geschehen“ vom Januar 1941 (beide: ebd., D 15 I 126/2). Vgl. zu Fleischs Verfassungsentwurf von 1941 auch A. Boyens, Kirchenkampf, 260. 363 Vgl. unten 4.1, 216. 364 Entwurf vermutlich von Fleisch: „Wie könnte die Umgestaltung der DEK. zu einer Lutherischen Kirche Großdeutschlands, der eine Deutsche Reformierte Kirche angegliedert wäre, geschehen“ vom Januar 1941 (LKA Hannover, D 15 I 126/2). Vgl. A. Boyens, Kirchenkampf, 260. 365 Vgl. oben 3.3.1, 176. 366 Auf Grund einer Bereichserklärung des Generalbauinspektors mussten die bisherigen Räume des Lutherratssekretariats in der Großadmiral-Prinz-Heinrich-Straße 14 in Berlin zum 1. 10. 1939 geräumt werden (vgl. Protokoll der 37. Lutherratssitzung: LKA Hannover, D 15 III 1). Das Haus sollte „im Zuge der Neugestaltung Berlins zugunsten der Neubauten für das Oberkommando der Wehrmacht“ abgerissen werden (zitiert nach Gaugers „Geschäftsbericht für das dritte Geschäftsjahr des Lutherrats“ vom 3. 5. 1939: ebd., D 15 III 6). Ende September 1939, also gleich nach Kriegsbeginn, erfolgte der Umzug in die neuen Diensträume am Holsteiner Ufer 16 in Berlin (vgl. das Antwortschreiben des Sekretariats [Keppler] an Lachmund vom 16. 9. 1939: ebd., D 15 I 66). 367 Vgl. hierzu insgesamt Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 573. Meiers Darstellung stützte sich im Wesentlichen auf Fleischs Bericht: „Sieben Jahre Rat der Evang.-Luth. Kirche Deutschlands“ vom April 1943 (LKA Hannover, D 15 I 19).

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rer beim Evangelischen Preßverband Württembergs Kurt Hutten ersetzt. Als Kriegsdienstverweigerer aus christlichen Gewissensgründen floh Gauger, um seiner unmittelbar bevorstehenden Einberufung zu entgehen, im April 1940 unter Lebensgefahr in die Niederlande. Dem Lutherrat hatte er zuvor brieflich mitgeteilt, er werde aus dem Leben scheiden368. Im Lutherrat war man deshalb davon überzeugt, Gauger sei nicht mehr am Leben369. In einer eilig einberufenen außerordentlichen Lutherratssitzung am 29. April 1940 wurde „der Trauerfall Gauger, der bei den Versammelten starke Anteilnahme auslöst, erörtert“370. Tatsächlich war Gauger die Flucht in die Niederlande zunächst gelungen, er geriet aber bald nach dem deutschen Einmarsch in die Niederlande in die Hände der Geheimen Staatspolizei und wurde im Juli 1941 im Konzentrationslager als „lebensunwertes Leben“ ausgesondert und ermordet. Gauger hatte aus Gewissensgründen 1934 bereits den Eid auf Hitler verweigert und war deshalb aus dem Staatsdienst entlassen worden371. Die im Lutherrat Verantwortlichen brachten für Gaugers „Fahnenflucht“ kaum Verständnis auf und fürchteten überdies, dass das Ansehen des gesamten Lutherrates Schaden nehme. Sie bemühten sich daher, Gaugers Verhalten mit einem Anfall von „geistiger Verwirrung“ zu erklären372. Außer Gauger war auch Lilje persönlich massiv von Repressalien des NSStaates betroffen. Nachdem er bereits zuvor mehrfach mit der Geheimen Staatspolizei in Konflikt geraten war und mehrmals Ausweisungen sowie Reise- und Redeverbote über ihn verhängt worden waren, wurde er im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 verhaftet und wegen des Verdachts der Mitwisserschaft und Landesverrats zu vier Jahren Haft verurteilt373. 368 Vgl. den Lutherrats-Tagesbericht vom 25. 4. 1940 (ebd., D 15 III 1): „Gauger zur Musterung geladen. Er ist während des ganzen Tages abwesend“; sowie den Lutherrats-Tagesbericht vom 26. 4. 1940 (ebd.): „Um 11 Uhr trifft ein Schreiben Gaugers ein, in dem er seinen Entschluß mitteilt, aus dem Leben zu scheiden.“ 369 Vgl. den Lutherrats-Tagesbericht vom 27. 4. 1940 (ebd.): „Im Laufe des Sonnabendvormittag verständigt Geiger Keppler fernmündlich […] über den Trauerfall [Gauger].“ 370 Protokoll der außerordentlichen Lutherratssitzung am 29. 4. 1940 (ebd.). 371 Vgl. oben, 137 f., Anm. 37. 372 Vgl. Fleischs Bericht: „Sieben Jahre Rat der Evang.-Luth. Kirche Deutschlands“ vom April 1943 (LKA Hannover, D 15 I 19); und Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 573. Auch nach 1945 tat der Lutherrat sich offensichtlich schwer mit dem Fall Gauger. Als in der siebten Nachkriegslutherratssitzung am 16. 10. 1947 in Fulda mögliche Versorgungsansprüche der Mutter Gaugers erörtert wurden, kam der Lutherrat zu dem Ergebnis, dass eine „Rechtsverpflichtung“ des Rates nicht bestehe, allenfalls ein „Billigkeitsanspruch“. Gauger wurde in dem Protokoll lediglich als „verstorbenes ehemaliges zeitweiliges Mitglied des Berlin[er] Sekretariats des Lutherrats“ – und nicht etwa als von den Nationalsozialisten ermordeter Justitiar des Lutherrates – bezeichnet (Schneider, Protokolle, 7B2). 373 Vgl. Liljes Bericht über seine Haftzeit: Lilje, Im finstern Tal.

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Nach der erfolgten Einberufung Huttens bestand das Berliner Lutherratssekretariat nur noch aus Fleisch und der sehr engagierten Sekretärin Ursula Henkel (später verheiratete Gley). Gegen Ende des Krieges wurde das Büro ausgebombt und nach Stendal verlegt374. Insgesamt ließ der staatliche Druck auf den geschwächten Lutherrat seit Kriegsbeginn deutlich nach, wie auch insgesamt die Aktivitäten des bereits mehrfach gescheiterten Reichskirchenministers deutlich nachließen. Als Kerrl im Dezember 1941 starb, wurde kein Nachfolger mehr bestimmt; Muhs übernahm die Leitung des „kirchlichen Geschäftsbereichs“, ohne jemals in den Rang eines Reichsministers aufzusteigen375. Hinzu kam, dass die Kriegssituation generell einen kirchenpolitischen „Burgfrieden“ mit sich brachte376. Ein Beleg für die vergleichsweise entspannte Lage des Lutherrates zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war die Entwicklung der Finanzen. In Fleischs „Geschäftsbericht für das fünfte Geschäftsjahr“ vom 1. April 1941 hieß es gleich zu Anfang: „Die Einnahmen haben sich im Geschäftsjahr günstig gestellt. Die Umlagezahlungen sind im allgemeinen stetig und vollzählig eingegangen.“377 Und der ebenfalls von Fleisch stammende Geschäftsbericht des folgenden Geschäftsjahres begann mit den Worten: „Die Einnahmen sind fast genau denen des Vorjahres gleich. Die Umlagen sind regelmäßig eingegangen.“378 Nach den Austritten der sächsischen und der braunschweigischen Landeskirche hatte der Lutherrat jetzt auch wieder einen Beitritt zu verzeichnen. Mit Schreiben vom 22. April 1941 beantragte der Präsident der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche des Elsaß die Aufnahme seiner Kirche in den Lutherrat379. In der sechsundvierzigsten Lutherratssitzung am 6. Mai 1941 wurde dieses Aufnahmegesuch „einstimmig und freudig gutgeheißen“380. Damit hatte der Lutherrat gleichzeitig indirekt die deutsche Annexion Elsaß-Lothringens akzeptiert. Mit Schreiben vom 24. September 1941 beantragte auch die hinter Bischof Zänker stehende Schlesische Synode der Bekennenden Kirche, die sogenannte

374

Vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 574. Vgl. Kreutzer, Reichskirchenministerium, 300. 376 Vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 571. Vgl. auch oben, 201, Anm. 357. 377 Fleischs „Geschäftsbericht für das fünfte Geschäftsjahr des Rates der evang.-luth. Kirche Deutschlands“ vom 1. 4. 1941 (LKA Hannover, D 15 I 19). 378 Fleischs „Geschäftsbericht für das sechste Geschäftsjahr des Rates der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands“ vom 1. 4. 1942 (ebd.). 379 Schreiben Maurers an Meiser, 22. 4. 1941 (ebd.). 380 Protokoll der 46. Lutherratssitzung (ebd., D 15 II 38). Vgl. auch das Schreiben Meisers an Maurer vom 12. 6. 1941 (Abdruck: ebd., D 15 I 19), in dem der Beschluss mitgeteilt wurde; sowie das Dankschreiben Maurers vom 18. 6. 1941 (Abschrift: ebd.). 375

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„Christophori-Synode“,381 die Aufnahme in den Lutherrat382. Der Aufnahmeantrag wurde begründet mit der ganz überwiegend lutherischen Tradition des evangelischen Schlesien sowie mit der „jahrelangen Amtsbehinderung“ Bischof Zänkers, durch die man in Schlesien „einer eigentlichen geistlichen Leitung beraubt“ sei. Obwohl die Synode sich darüber im Klaren war, dass eine Vollmitgliedschaft vorläufig nicht in Frage kam („[…] da wir nicht Vertreter einer Landeskirche oder eines lutherischen landeskirchlichen Bruderrates sind.“), und man sich zunächst mit einem festeren und dauerhafteren „Gastverhältnis“ bzw. der Aufnahme „als eine ‚befreundete Stelle‘“ begnügen wollte, war der Antrag aus der Sicht Meisers von einiger Brisanz, da er, wie Meiser es in einem Schreiben an das Sekretariat vom 30. September 1941 formulierte, „das nicht ganz leichte Problem der Stellung des Lutherrates zu den Provinzialkirchen der Altpreußischen Union auf[rollt]“383. Allerdings fügte er sogleich sehr offensiv hinzu: „[…] aber einmal muß dieses Problem angepackt werden. Dazu gibt der Antrag willkommenen Anlaß.“ Bereits am 24. Oktober 1939 hatte es im Berliner Lutherratssekretariat ein Gespräch mit einem Vertreter der schlesischen „Christophori-Synode“ gegeben, in dem dieser erklärt hatte, seine Synode erstrebe „eine engere Verbindung mit gleichgestellten Bekenntnisgruppen in den übrigen altpreußischen Provinzen mit dem Ziel einer konfessionellen Neubegründung der altpreußischen Kirche“384. Vom Lutherrat erwartete die Synode, dass er sie dabei unterstützte. Zu einer grundsätzlichen Klärung des Problems der Lutheraner in der Union ist es zwar bis zum Kriegsende nicht mehr gekommen, immerhin nahm seit dem förmlichen Aufnahmeantrag vom September 1941 an jeder Lutherratssitzung mindestens ein Vertreter Schlesiens, meist Zänker selbst, teil385. Ein gewisser Höhepunkt auf dem Weg der Entspannung war ohne Zweifel das Treffen Meisers und Wurms mit Muhs am 23. Juni 1942. In der am darauffolgenden Tage stattgefundenen zweiundfünfzigsten Lutherratssitzung erstattete Meiser Bericht, den Hutten wiederum in einem Schreiben an den

381 Zur Situation in der schlesischen Provinzialkirche, in der die Bekennende Kirche gespalten war, vgl. oben, 137, Anm. 34. 382 Schreiben Lehmanns an Meiser vom 24. 9. 1941 (LKA Hannover, D 15 I 19). Dort auch die folgenden Zitate. 383 Schreiben Meisers an das Lutherratssekretariat vom 30. 9. 1941 (ebd.). Dort auch das folgende Zitat. 384 Protokollvermerk über das Gespräch „Dienstag, den 24. Oktober 1939“ (ebd., D 15 III 1). 385 Vgl. die hsl. Anwesenheitslisten der 49. bis 59. Lutherratssitzung (ebd., D 15 II 38). Zänker hatte auch schon an der 36. Lutherratssitzung am 3. 5. 1939 teilgenommen (vgl. die hsl. Anwesenheitsliste ebd., D 15 II 37).

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Präsidenten der elsässischen Landeskirche zusammenfasste386. Danach „verlief alles in erfreulichen Formen“, und Muhs erklärte sich zu weiteren Aussprachen mit den beiden Bischöfen „gerne“ bereit. Meiser sprach auch Muhs’ Einschätzung des Lutherrates als illegale Organisation an, die Muhs jetzt – zumindest indirekt – zurücknahm. In Huttens Bericht hieß es dazu: „Der Staatssekretär [Muhs] sagte ihm [Meiser], daß heute seine Einstellung in dieser Angelegenheit [sc. in der Frage, ob der Lutherrat vom Reichskirchenministerium als illegal angesehen werde] folgende sei: Der Zusammenschluß der lutherischen Kirchen innerhalb der DEK sei eine innerkirchliche Angelegenheit, für die sich das RKM [= Reichskirchenministerium] nicht interessiere. […] Landesbischof D. Meiser […] stellte dann abschließend ohne Widerspruch seitens des Herrn Staatssekretärs fest, daß dann also der Lutherrat nicht mehr als illegale Organisation vom RKM angesehen werde.“

Das Gespräch nahm insgesamt also einen aus Sicht des Lutherrates positiven Verlauf. Gleichwohl resümierte Hutten auch sehr nüchtern: „Greifbare Ergebnisse ergaben sich natürlich nicht.“ Es war eben die Zeit des „Burgfriedens“ während des Krieges387. In welche Richtung die Pläne der NS-Führung für die Zeit nach dem Kriege gingen, zeigte sich in dem 1939 neugeschaffenen „Reichsgau Wartheland“, wo modellhaft eine ausgesprochen kirchenfeindliche Politik durchgesetzt wurde, die über den Zwischenschritt einer Herabstufung der Kirchen zu Vereinen im Grunde auf deren Liquidierung abzielte388. Meiser hat diese Pläne und Entwicklungen sehr deutlich wahrgenommen und mit Sorge verfolgt. In seinem oben schon erwähnten Schreiben an das Sekretariat vom 30. September 1941 hieß es dazu: „Angesichts der Neuordnung im Warthegau ist die Frage zu überlegen, ob nicht durch den Lutherrat ein theologisches Gutachten führender lutherischer Theologen über die Frage erstellt werden soll, welche Voraussetzungen die Zugehörigkeit zu einer Kirche konstituieren und ob es denkbar und tragbar ist, daß diese Voraussetzungen durch staatliche Verordnung festgesetzt werden.“389

Die Pläne des Lutherrats für die Nachkriegszeit sind dem Protokoll einer Aussprache der drei Bischöfe der „Paktkirchen“ am 18./19. Juni 1941 in Fulda zu entnehmen390. Lilje hatte offenbar die Zusammenkunft arrangiert, um nach der 386 Schreiben Huttens an Maurer, 18. 7. 1942 (ebd., D 15 I 121). Dort auch die folgenden Zitate. Ein Protokoll der 52. Lutherratssitzung konnte nicht ermittelt werden (vgl. oben, 196 f., Anm. 334). 387 Vgl. oben, 201, Anm. 357. 388 Vgl. dazu Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 114–133. 389 Schreiben Meisers an das Lutherratssekretariat vom 30. 9. 1941 (LKA Hannover, D 15 I 19). 390 Ebd., S 1 H II 314. Dort auch die folgenden Zitate.

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Krise des Sommers 1939 „die Erneuerung der Verbindung zwischen den drei Kirchen“ zu erreichen. Der entstandene „Riß“ sei, so hieß es in dem Protokoll, „ganz grundsätzlich und schwer gewesen“ und sei „auch heute noch keineswegs als ausgeheilt und überwunden anzusehen“. Dennoch einigte man sich – zukunftsorientiert – auf folgendes „Fernziel“: „Fernziel bleibt die lutherische Kirche deutscher Nation, die sich irgendeine Form geben möge und zur Darstellung komme. Damit sie werde, muß das, was heute noch in Deutschland klar lutherische Kirche ist, eng zusammenrücken.“ Es war dies natürlich nichts anderes als das seit mehr als hundert Jahren verfolgte Ziel der lutherischen Einheitsbemühungen, hinter das die aktuellen politischen und kirchenpolitischen Auseinandersetzungen zurücktreten sollten. Wenn sich – ungeachtet bleibender Differenzen – über das „Fernziel“ einer einheitlichen lutherischen Kirche Deutschlands ein gewisser Ausgleich mit Marahrens abzeichnete, so war es ausgerechnet im Grunde dieses „Fernziel“, das jetzt zu einer Entfremdung zwischen dem Lutherrat und seinem Vorsitzenden Meiser einerseits und Wurm andererseits führte. Dessen zum Jahreswechsel 1941/1942 begonnenes „Kirchliches Einigungswerk“391 drohte zumindest indirekt – und in von Wurm wohl zunächst nicht beabsichtigter, aber dann doch mehr oder weniger in Kauf genommener Weise392 – die lutherischen Einigungsbestrebungen zu konterkarieren. In der zweiundfünfzigsten Lutherratssitzung am 24. Juni 1942, also nur wenige Tage nach der Aussprache der drei Bischöfe, berichtete Wurm über den Stand des Einigungswerkes, legte „Sätze“ eines gemeinsamen kirchlichen Aktionsprogramms vor und bat um Zustimmung und Unterschrift393. Daraufhin erhob sich heftiger Widerspruch, über den Hutten wie folgt berichtete: „Es wurde […] dagegen geltend gemacht, daß diese Sätze394 […] grundsätzliche Aussagen über das Wesen der Kirche enthalten und darum leicht in die Gefahr kommen, 391

Vgl. Thierfelder, Kirchliches Einigungswerk. Vgl. die Einschätzung von Jörg Thierfelder (ebd., 161): „Man wird Wurm in keiner Weise unterstellen können, daß er sein Einigungswerk im Gegensatz zu den Bemühungen um eine deutsche lutherische Kirche konzipiert hat. Daß aber beim Einigungswerk die Tendenz, zu einer deutschen evangelischen Kirche zu kommen, stärker war als die Absicht, eine gemeinsame deutsche lutherische Kirche zu verwirklichen, dürfte ebenso deutlich sein. Daß deshalb lutherische Kreise das Einigungswerk von Anfang an mißtrauisch betrachteten, ist verständlich.“ 393 So der Bericht Huttens über die 52. Lutherratssitzung in seinem Schreiben an Maurer vom 18. 7. 1942 (LKA Hannover, D 15 I 121). Mit den „Sätzen“ waren, auch wenn in Huttens Schreiben von „14 Sätzen“ die Rede war, zweifellos „Die 13 Sätze ‚Auftrag und Dienst der Kirche‘“ gemeint, deren endgültige Fassung u. a. bei Thierfelder, Kirchliches Einigungswerk, 267–269 abgedruckt ist. Zur Entstehungsgeschichte der „13 Sätze“ und den unterschiedlichen Textfassungen vgl. ebd., 94–109. Zu der in der Lutherratssitzung vorgelegten Textfassung vgl. ebd., 97. 394 Vgl. Anm. 393. 392

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als ‚Bekenntnis‘ verstanden zu werden. Dann aber ist die Möglichkeit gegeben, daß sich die alte Not, wie sie mit den Barmer Sätzen entstanden ist, von neuem wiederholt. Kurz: Es wurde befürchtet, daß diese Sätze zu einem neuen unionistischen Bekenntnis umgedeutet werden können.“395

Namentlich Fleisch, Meiser und Marahrens meldeten sich kritisch zu Wort396. Meiser und Marahrens hatten Wurm gegenüber bereits vorher ihre Bedenken vorgetragen397. Nicht zuletzt auf Grund der Kritik des Lutherrates wurden die „Sätze“ noch einmal stark überarbeitet398. Meiser und Marahrens rangen sich dann, anders als Fleisch, schließlich doch noch zu einer Unterschrift durch, freilich nicht ohne schriftlich formulierte Vorbehalte399. Das Misstrauen der Lutheraner um Meiser gegen das Einigungswerk blieb indes bestehen. Umgekehrt blieb Wurm zwar dem Lutherrat verbunden, sein Engagement galt aber je länger je mehr seinem konfessionsübergreifenden Einigungswerk. Erst nach dem Kriege kam es zum offenen Konflikt; während des Krieges herrschte auch hier so etwas wie „Burgfrieden“400. Inhaltlich-theologisch beschäftigte sich der Lutherrat in der Zeit des Zweiten Weltkrieges u. a. intensiv mit der Diskriminierung sogenannter „Nichtarier“ evangelischen Bekenntnisses. Anlass war das generelle Verbot der thüringischen Kirchenleitung vom 10. Februar 1939, „Amtshandlungen an Nichtariern vorzunehmen“ 401. Mit Schreiben vom 23. Januar 1939 hatte das Lutherratssekretariat die dem Lutherrat „angeschlossenen und befreundeten Stellen“ bereits von der bevorstehenden thüringischen Verfügung in Kenntnis gesetzt, mit Schreiben vom 18. Februar 1939 wurde der Wortlaut der Verfügung mitgeteilt, und mit Schreiben vom 27. Februar 1939 wurde über ähnliche Verfügungen bzw. ent395

Schreiben Huttens an Maurer, 18. 7. 1942 (LKA Hannover, D 15 I 121). Vgl. ebd. 397 Vgl. Thierfelder, Kirchliches Einigungswerk, 157 f. Zu den „Bedenken des konfessionellen Luthertums“ insgesamt vgl. ebd., 157–161. 398 Vgl. ebd., 97 f. 399 Vgl. ebd., 158. Meiser ließ sich, wie Thierfelder (ebd.) aufgezeigt hat, bei seiner Unterschrift von der positiven Einschätzung der „Sätze“ durch Althaus leiten. Zu der ablehnenden Haltung Fleischs vgl. auch dessen Manuskript „Sieben Jahre Rat der Evang.-Luth. Kirche Deutschlands“ vom April 1943 (LKA Hannover, D 15 I 19). 400 Vgl. auch die Einschätzung von Thierfelder, Kirchliches Einigungswerk, 161. 401 Vgl. das Schreiben Gaugers an Henke vom 10. 2. 1939 (LKA Hannover, D 15 II 37). Zu dem Verbot von Amtshandlungen an „nicht-arischen“ Kirchengliedern seitens der thüringischen und anderer deutsch-christlicher Kirchenleitungen vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 476 u. 681, Anm. 1336; Röhm / Thierfelder, Juden, 15–25; und Hermle, Bischöfe, 298 f. Auf die Verdrängung auch judenchristlicher Kinder aus den öffentlichen Schulen ab dem Sommer 1937 hatten die Lutherratskirchen wegen der sehr geringen Zahl der Betroffenen noch mit Zurückhaltung reagiert; „die grundsätzliche Bedeutung dieser Herausforderung konnten – oder wollten – sie nicht wahrnehmen“ (vgl. Hermle, Bekennende Kirche, 253; dort auch das Zitat). 396

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sprechende Bestrebungen in Mecklenburg, Sachsen und Anhalt informiert402. Bereits in der vierunddreißigsten Lutherratssitzung am 8. Februar 1939 wurde das Problem „mit großer Eindringlichkeit“ erörtert und Einmütigkeit darüber erzielt, dass „den Thüringern […] mit Entschiedenheit entgegenzutreten sein [wird]“403. In der folgenden fünfunddreißigsten Lutherratssitzung am 8. März 1939, für die ein entsprechendes Gutachten erarbeitet worden war404, waren die die sogenannten „Nichtarier“ in der evangelischen Kirche diskriminierenden kirchlichen Verordnungen und Gesetze Haupttagesordnungspunkt. Das Ergebnis dieser Sitzung formulierte Meiser in einem Schreiben an Kühlewein vom 10. März 1939 wie folgt: „Die Ablehnung der vorliegenden Gesetzgebung war aus rechtlichen und theologischen Gründen allgemein und vollständig.“405 Auch in der fünfzigsten Sitzung am 10. Februar 1942 befasste sich der Lutherrat noch einmal mit den „nicht arischen Evangelischen“406. Anders als die Diskriminierung evangelischer „Nichtarier“ durch DCKirchenleitungen hat der Lutherrat die Diskriminierung nicht-evangelischer „Nichtarier“ durch den nationalsozialistischen Staat offenkundig nicht thematisiert geschweige denn problematisiert. In der oben erwähnten ablehnenden Stellungnahme des Lutherrates vom Mai 1939 zur „Godesberger Erklärung“ wurde dementsprechend zwar einerseits scharf die Meinung zurückgewiesen, „daß es Rassen geben soll, deren Angehörige Christus nicht erlösen kann“, andererseits wurde aber der religiöse Gegensatz zwischen dem Christentum und der „jüdisch-talmudischen Religion“ betont und der Kampf „gegen den jüdisch-pharisäischen Geist“ unter ausdrücklicher Berufung auf die reformatorische Rechtfertigungslehre gerechtfertigt407. In welchem Maße man sich über die wahren Absichten der staatlichen Rassenpolitik noch nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 Illusionen hingab, zeigte das folgende Argument, mit dem Gauger die Zurückweisung der diskriminierenden Verordnung der thüringischen Landeskirche u. a. begründete:

402 Vgl. das Schreiben des Lutherratssekretariats an die „angeschlossenen und befreundeten Stellen“ vom 27. 2. 1939 (LKA Hannover, D 15 II 17); dort auch der Hinweis auf die früheren Schreiben. 403 Bericht Gaugers über die 34. Lutherratssitzung in seinem Schreiben an Henke vom 10. 2. 1939 (ebd., D 15 II 37). 404 Text des Gutachtens nicht ermittelt. Der Hinweis auf das in der Lutherratssitzung vorgelegte „Gutachten über die Judengesetze in den Landeskirchen Mecklenburg und Thüringen“ in dem Schreiben Kottes an Gauger vom 17. 3. 1939 (ebd., D 15 I 120). 405 Schreiben Meisers an Kühlewein vom 10. 3. 1939 (ebd., D 15 II 37). 406 Schreiben Lachmunds an Hutten vom 25. 2. 1942 (ebd., D 15 I 121). 407 Stellungnahme des Lutherrates vom 5. 5. 1939 zur „Godesberger Erklärung“ (ebd., D 15 III 4/1). Zur „Godesberger Erklärung“ vgl. Röhm / Thierfelder, Juden, 26–43.

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Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche 1936–1945

„[…] würden dieselben Grundsätze, die der Thüringer Landeskirchenrat gegen die evangelischen Nichtarier anwendet, vom Staat gegen die Nichtarier angewendet, so könnte kein Jude vor Gericht mehr Recht nehmen, könnte kein Jude mehr eine Gewerbekonzession bekommen, könnte, mit einem Wort, kein Jude mehr in Deutschland leben.“408

Nicht minder scharf wie gegen die – intolerante – Diskriminierung sogenannter „nicht-arischer“ evangelischer Gemeindeglieder durch die DC-Kirchenleitung Thüringens wandte sich der Lutherrat auch gegen die nach längerer Vorbereitung am 15. Juli 1944 erlassene neue – sich besonders tolerant gebende – Thüringer Kirchenordnung, die u. a. nicht-trinitarische Taufen ermöglichte409.

408

Schreiben Gaugers an Henke vom 10. 2. 1939 (ebd., D 15 II 37). Vgl. die Lutherratsrundschreiben vom 7. 5. 1941 (hier der Hinweis auf eine mit Schreiben vom 19. 12. 1940 versandte entsprechende Denkschrift), vom 25. 6. 1942 (beide Schreiben: ebd., D 15 I 32) und vom 22. 9. 1944 (ebd., D 15 I 121). Zu der Thüringer Kirchenordnung und der Kritik des Lutherrates vgl. auch Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 489 f. u. 574; sowie Fleischs Bericht: „Sieben Jahre Rat der Evang.-Luth. Kirche Deutschlands“ vom April 1943 (LKA Hannover, D 15 I 19). 409

4. Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) von 1945 bis 1948

4.1 Die Arbeit an der Verfassung der Vereinigten EvangelischLutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) Vor dem Hintergrund der jahrzehntelangen Vereinigungsbemühungen im deutschen Luthertum war es nur allzu verständlich und folgerichtig, wenn maßgebliche Vertreter des Lutherrates sich unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft intensiv daran machten, die so lange angestrebte einheitliche evangelisch-lutherische Kirche Deutschlands nunmehr endlich zu realisieren. Namentlich die Bayern Stoll und Meiser sowie die Hannoveraner Fleisch und Marahrens wurden sofort nach der Kapitulation des Deutschen Reiches initiativ, wobei Marahrens wegen seiner Nähe zum NS-Staat im Grunde von Anfang an zumindest als führende und aktiv gestaltende Persönlichkeit ausfiel1. Die Umstände waren in verschiedener Hinsicht günstig: Der Druck von Seiten der Nationalsozialisten war vorbei, ihre Ideologie war gründlichst desavouiert. Auch die Deutschen Christen und die Reichskirche waren am Ende. Preußen hatte aufgehört zu existieren, sein ehemaliges Territorium war am stärksten von der Besatzung und der Teilung Deutschlands betroffen. Auch die altpreußische Unionskirche löste sich auf; ihre ehemaligen Provinzen Rheinland und Westfalen verselbständigten sich gleich nach dem Kriege und wurden 1 Vgl. Smith-von Osten, Treysa, 93–96; und Besier, Weg, 23 f. Zu Marahrens’ Nähe zum NS-Staat und zum „Fall Marahrens“ vgl. u. a. oben 3.3.6, 188 f.; 3.3.7, 192; und 3.4, 198–200; sowie Nicolaisen / Schulze, Protokolle, Bd. 1, 165–172 u. Bd. 2, 347; Klügel, Lutherische Landeskirche; Smith-von Osten, Treysa, 103–105; Besier, „Selbstreinigung“, 111–158 u. 363 f.; Schmidt-Clausen, Marahrens (in deutlich apologetischer Absicht); Mager, Marahrens; Schjørring / Kumari / Hjelm, Weltbund, 30–32; Otte, Marahrens; und Goldbach, Protagonisten. Marahrens musste, weil er als politisch belastet galt, noch 1945 sein Amt als Präsident des Lutherischen Weltkonventes aufgeben und wurde darüber hinaus auch aus dem Exekutivkomitee des Lutherischen Weltkonventes ausgeschlossen. Während der Kirchenführerkonferenz vom 27.–31. 8. 1945 in Treysa erklärte er nach heftiger Kritik an seinem Verhalten im „Dritten Reich“, er werde sein Amt als Landesbischof von Hannover der ersten neu gewählten, ordentlichen Landessynode zur Verfügung stellen. So geschah es dann auch 1947.

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Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands 1945–1948

autonome Landeskirchen2. Die alliierten Besatzungsmächte standen den Kirchen bzw. den nicht-deutsch-christlichen Kirchenvertretern zunächst durchweg positiv, zumindest nicht ablehnend gegenüber. Die Freiheit der Religionsausübung wurde zugesichert, und man gestand den Kirchen einen in Deutschland damals einzigartigen Freiraum zu, Vorstellungen zu entwickeln und ihre Institutionen neu zu organisieren3. Das Schicksal Preußens schwächte auch den radikalen, sogenannten „dahlemitischen“ Flügel der Bekennenden Kirche hinter der VKL II, deren Vorsitzender Friedrich Müller – genannt Müller-Dahlem – zudem 1942 als Soldat in Russland gefallen war. Eine wirkliche Konkurrenz zu den lutherischen Vereinigungsplänen stellte zunächst lediglich das „Kirchliche Einigungswerk“ dar, dessen unbestrittener Führer, Wurm, ja aber auch Lutherratsmitglied war4. Unmittelbar vor der von Wurm einberufenen Konferenz der evangelischen Kirchenführer vom 27. bis 31. August 1945 in Treysa5 tagte am selben Ort – erstmals seit mehr als einem Jahr und erstmals nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ – der Lutherrat6. Insbesondere der stellvertretende Lutherratsvorsitzende Fleisch wollte möglichst rasch vollendete Tatsachen schaffen – nicht zuletzt wohl aus der Sorge heraus, dass die von Wurm einberufene Konferenz möglicherweise die nunmehr in greifbare Nähe gerückte lutherische Kirchenvereinigung, für die die Bedingungen so günstig wie nie erschienen, verzögern oder verhindern könnte. Bereits während der „Vorberatung“ am 25. August 19457 legte Fleisch den Entwurf einer „Vorläufigen Ordnung“8 und einen Verfassungsentwurf für eine

2 Vgl. Wendebourg, Schatten, 442 f. Die Hoffnung von VELKD-Verfechtern wie Meiser und Fleisch, damit sei auch das unierte Selbstverständnis am Ende, erfüllte sich freilich nicht. Es musste für sie eine Enttäuschung sein, dass sich 1950 die altpreußische Union gewissermaßen in Gestalt der Evangelischen Kirche der Union (EKU) neu konstituierte (vgl. ebd., 450 f.). Zur Geschichte der altpreußischen Unionskirche nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vgl. Goeters / Rogge, Geschichte, Bd. 3; darin insbesondere: Kampmann, Neuorientierung; und Kampmann, Äußere und innere Probleme. 3 Zum „Kalkül der Besatzungsmächte“ im Hinblick auf die Kirchen vgl. Greschat, Evangelische Christenheit, 30–52. 4 Vgl. oben 3.4, 207 f. 5 Vgl. hierzu Söhlmann, Treysa; Hauschild, Kirchenversammlung; Smith-von Osten, Treysa, 102–114; Thierfelder, Kirchenkonferenz; und Besier / Ludwig / Thierfelder, Kompromiß, 212–328. 6 Vgl. zu dieser ersten Lutherratssitzung nach Kriegsende insgesamt auch Besier, Weg; und die Dokumentation Besier / Ludwig / Thierfelder, Kompromiß, 179–211. 7 Zur Datierung der Vorberatung, die wohl schon am 24. 8. 1945 abends begann, vgl. Schneider, Protokolle, 1, Anm. 7 u. 8. 8 Ebd., 1C1a.

Die Arbeit an der Verfassung der VELKD

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„Deutsche lutherische Kirche“9 vor. Der Entwurf der „Vorläufigen Ordnung“ wurde dem Ergebnisprotokoll Fleischs10 zufolge von den Anwesenden mit einigen – geringfügigen – Änderungen und Ergänzungen11, der Verfassungsentwurf „grundsätzlich gebilligt“. Dies hätte bereits die Geburtsstunde der vereinigten evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands sein können, denn die „Vorläufige Ordnung“, die bis zur formellen Verabschiedung einer endgültigen Verfassung eine solche provisorisch ersetzen sollte, konstituierte diese Kirche. Allerdings waren auf Grund von Missverständnissen bei der Einladung12 bei der „Vorberatung“ lediglich Vertreter Hannovers, der beiden lippischen Kirchen, Lübecks13 sowie als württembergischer Vertreter Pressel anwesend, so dass es sich eben nur um eine informelle Vorberatung und nicht um eine beschlussfähige Lutherratsvollsitzung handelte. Eine solche kam erst am 26. und 27. August 1945 zustande, nachdem auch Vertreter Bayerns, Braunschweigs und Hamburgs, das endlich seinen Beitritt erklärte14, sowie weitere Vertreter Württembergs, u. a. Wurm, eingetroffen waren15. Es zeigte sich, dass der Vorstoß des stellvertretenden Lutherratsvorsitzenden Fleisch kein eigenmächtiger Alleingang war, sondern vielmehr ganz offensichtlich mit dem Vorsitzenden Meiser abgestimmt worden war. Dieser erklärte nämlich in der Sitzung, „die Zeit für die Organisation der deutschen luth[erischen] Kirche sei gekommen“, und etwas später stellte er dann ausdrücklich „die Frage […], ob man jetzt bereit sei, die Vereinigte deutsche luth[erische] Kirche zu schaffen“16. Anschließend wurde die „Vorläufige Ordnung“ in der Fassung, wie sie in der „Vorberatung“ gebilligt worden war, vorgelegt.

9

Ebd., 1C2. Ebd., 1B. 11 Ebd., 1C1b. 12 Es gab zwei unterschiedliche Einladungsschreiben mit unterschiedlichen Terminangaben (vgl. dazu ebd., 1A1 u. 2 mit Anm. 7). 13 Aus Lübeck kam auch je ein Vertreter für Danzig und für Posen (vgl. ebd., 1). Danzig und Posen spielten wegen der neuen geopolitischen Situation keine Rolle mehr für die Geschichte des Lutherrates. 14 Zum bisherigen Verhältnis Hamburgs zum Lutherrat vgl. oben 3.2.4, 155 f. 15 Schneider, Protokolle, 1B. 16 Ebd. Vgl. auch das Protokoll Mahners: „Meiser: […] Sind Vertreter der hier versammelten Kirchen bereit und entschlossen, den Zusammenschluß herbeizuführen? […] Meiser: Entscheidender Schritt muß heute getan werden. […]“ (zitiert nach: Besier / Ludwig / Thierfelder, Kompromiß, 192 f.). Vgl. auch das entsprechende Votum Liljes: „Luth[erischer] Zusammenschluß müßte heute getätigt werden.“ (Protokoll Mahners, zitiert nach ebd., 191). 10

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Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands 1945–1948

Die Aussprache während der ersten17 Lutherratssitzung nach dem Kriege zeigte, dass für die Lutherratsvertreter um Meiser und Fleisch drei Motive eine Rolle spielten. Zwei davon wurden bereits genannt, nämlich: 1. endlich den seit Jahrzehnten angestrebten lutherischen Zusammenschluss zu bewerkstelligen und 2. durch eigenes entschlossenes, zuvorkommendes Handeln zu verhindern, dass die Konferenz der evangelischen Kirchenführer aus Sicht der Lutheraner unliebsame Fakten schuf. 3. kam das folgende Motiv hinzu18: Man fürchtete eine zu starke Einflussnahme des Reichsbruderrates sowie insbesondere Karl Barths auf die künftige Entwicklung des deutschen Protestantismus. Die Frontstellung Reichsbruderrat – Lutherrat hatte den großen Umbruch 1945 offenbar nahtlos überdauert19. Meiser warnte davor, sich „einem Diktat der Bruderräte [zu] beugen“20, Lilje forderte zum „entschlossenen Widerstand gegen [den] Reichsbruderrat“ auf 21, und Schöffel bejahte zwar ein „Gespräch mit den Bruderräten“, lehnte aber ausdrücklich eine „Diktatur vor allem der schwarmgeistigen Prägung“ ab22. Mit Barth wollte Meiser möglichst überhaupt gar nicht verhandeln: „Sollten wir nicht erklären, daß wir nicht an Verhandlungen teilnehmen, bei denen Barth anwesend ist?“23 Die rasche Proklamierung einer einheitlichen lutherischen Kirche in Deutschland in der ersten Lutherratssitzung scheiterte am Einspruch Württembergs. Die sich seit längerem abzeichnende und befürchtete Konkurrenz der Pläne Wurms zu den lutherischen Vereinigungsbestrebungen wurde nunmehr offenbar. Es begann ein Konflikt über die rechte Neuordnung des deutschen Protestantismus, der sich fast genau drei Jahre lang hinzog und die von Fleisch und Meiser erhoffte zügige Weiterentwicklung des Lutherrates vereitelte. Auf Grund des Einspruchs der württembergischen Vertreter mussten sowohl die (überarbeitete) „Vorläufige Ordnung“ als auch der Verfassungsentwurf Fleischs zurück17 Die Zählung der Lutherratsvollsitzungen bezieht sich im Folgenden, auch wenn dies nicht ausdrücklich erwähnt wird, auf die Sitzungen nach dem Ende des „Dritten Reiches“ und des Zweiten Weltkrieges. 18 Vgl. auch Besier, Weg, 25–28. 19 Vgl. Hauschild, Diskussion, 334. 20 Protokoll Mahners, zitiert nach: Besier / Ludwig / Thierfelder, Kompromiß, 190. 21 Zitiert nach ebd., 191. 22 Zitiert nach ebd., 192. 23 Zitiert nach ebd., 189. Vgl. auch die Voten von Merz („Barth aber lehnt luth. Kirche als Quelle des Nationalsozialismus ab. Wir tun Barth nur einen Dienst, wenn wir ihn nur zu ökumen. Gespräch […]“) und Schöffel („Wir müßten zum Fall Barth Stellung nehmen. Unmöglich, daß er als offizieller Delegierter teilnimmt.“) (zitiert nach ebd., 190 f.).

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gezogen werden. Die Möglichkeit, die vereinigte lutherische Kirche (zunächst) ohne Württemberg auszurufen, wurde zwar angedacht, aber sogleich einhellig verworfen24. Man einigte sich in einer für die Öffentlichkeit bestimmten „Entschließung“25 lediglich auf die Willenserklärung, „bei der Neuordnung der DEK die Lutherische Kirche Deutschlands zur Darstellung zu bringen“ und sich an die Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs für die Lutherische Kirche zu machen. Fleisch konnte sich mit seinem Vorschlag, in den Text der „Entschließung“ den Satz aufzunehmen, ein solcher Verfassungsentwurf solle bereits „bei der nächsten Sitzung beraten und angenommen werden“, nicht durchsetzen26. Dies zeigte, dass Wurm ein Fait accompli vermeiden und Zeit für seine gesamtprotestantischen Vereinigungsbestrebungen gewinnen wollte, in die dann gegebenenfalls die lutherischen Vereinigungsbestrebungen zu integrieren wären. Das aber war wohl so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was Fleisch und Meiser wollten. Anstatt die Grundzüge einer (neuen) Verfassung festzulegen, stellte die erste Lutherratsvollsitzung fest, dass nach wie vor die (alten) „Grundbestimmungen“ vom 26. November 1936 gültig seien27. Wurm hat selbst das noch relativiert, indem er auf die mittlerweile vergangenen neun Jahre, die ihre Spuren hinterlassen hätten, verwies; das lutherische Bewusstsein sei in dieser Zeit „in Kirche u[nd] Pfarrerschaft nicht gewachsen, sondern im Gegenteil“28. Dieses Ergebnis der ersten Lutherratsvollsitzung bedeutete wohl für den Vorsitzenden und seinen Stellvertreter eher Stagnation, wenn nicht gar Rückschritt, jedenfalls noch nicht den lange ersehnten Durchbruch. Das Ziel der einheitlichen lutherischen Kirche war Fleisch und Meiser vermutlich schon zum Greifen nahe erschienen; jetzt befand man sich gewissermaßen wieder am Start – da, wo die Geschichte des Lutherrates begonnen hatte. 24 Vgl. das Votum Schöffels: „Alles wird schwierig, wenn Württ[emberg] ausbricht. […] Wenn Württ[emberg] ausbricht, ist mit einer solchen luth[erischen] Kirche nichts anzufangen.“ (zitiert nach ebd., 195). 25 Schneider, Protokolle, 1C3b. Vor allem auch Meiser hatte auf solch eine Entschließung gedrängt, nachdem er hatte erkennen müssen, dass eine Gründung der vereinigten lutherischen Kirche wegen der ablehnenden Haltung Württembergs vorerst nicht möglich war. Vgl. das Protokoll Mahners: „Meiser: Wir können luth[erische] Kirche im Rechtssinn noch nicht kreieren, aber wir müssen über den gegenwärtigen Zustand einen Schritt hinaus. Wir müssen unsere Absicht auch proklamieren.“ (Protokoll Mahners, zitiert nach: Besier / Ludwig / Thierfelder, Kompromiß, 194). 26 Schneider, Protokolle, 1C3a (Entwurf der „Entschließung“ von Fleisch); vgl. dazu die endgültige Fassung der „Entschließung“ (ebd., 1C3b). 27 Ebd., 1B. Zu den „Grundbestimmungen“ vgl. oben 3.2.6, 170 –175. 28 Protokoll Mahners, zitiert nach: Besier / Ludwig / Thierfelder, Kompromiß, 194 f. Vgl. ebd., 194 auch das Votum des stellvertretenden württembergischen Landesbischofs Theodor Schlatter: „Unterschied, ob vor 9 Jahren das Ziel als wünschens- oder erstrebenswert hingestellt oder ob hier der entscheidende Beschluß gefaßt wird.“

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Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands 1945–1948

Fleisch hatte mit seinem in der ersten Lutherratssitzung nach dem Kriege vorgelegten Verfassungsentwurf an seine Vorüberlegungen von 194129 angeknüpft. Nach der Sitzung überarbeitete er seinen Entwurf und lehnte sich dabei nach eigenen Angaben stark an den in etwa parallel zu seinem eigenen Entwurf erarbeiteten Entwurf von Hermann Sasse vom Juli 1945 an30. Auch Sasses Entwurf wurde überarbeitet. Am 18./19. März 1946 tagte dann in Neuendettelsau ein Verfassungsausschuss, der auf der Grundlage der Entwürfe von Fleisch und Sasse einen weiteren Verfassungsentwurf 31 erstellte, der auf der zweiten Nachkriegssitzung des Lutherrates am 30. April 1946, wiederum in Treysa, mit geringfügigen Änderungen32 als interner Entwurf des Lutherrates gebilligt und, mit einer Begründung33 von Fleisch versehen, an die angeschlossenen Kirchen mit der Bitte um Stellungnahme gesandt wurde. Am 6. September 1946 wurde der Text des Verfassungsentwurfes abermals überarbeitet und auf der dritten Lutherratssitzung am 12. September 1946 in Göttingen mit nur ganz wenigen, inhaltlich unerheblichen Änderungen beschlossen34 und, wiederum mit einer Begründung35 versehen, an die angeschlossenen Kirchen versandt. Meiser stellte in der Göttinger Sitzung fest: „[…] der Entwurf ist nun endgültig festgestellt.“36 Und in dem Schreiben Meisers an die angeschlossenen Kirchen vom 7. Oktober 1946, das dem Verfassungsentwurf beigefügt war, hieß es: „Dabei ist Einverständnis darüber erzielt, daß Änderungen am Text nicht mehr vorgenommen werden.“37 Offensichtlich war vorgesehen, dass von den Mitgliedskirchen und von einer gemeinsamen Synode über den beschlossenen Text nur noch als ganzen beschlossen werden sollte38. Von den genannten Verfassungsentwürfen ging der von Fleisch in der ersten Lutherratssitzung im August 1945 vorgelegte39 am weitesten. Fleisch strebte – vermutlich nach skandinavischem Vorbild – unter dem Namen „Deutsche

29

Vgl. dazu oben 3.4, 202. Zur Arbeit an der VELKD-Verfassung insgesamt vgl. Hauschild, „Lutherrat“; sowie Schneider, Protokolle, 1, Anm. 22. Der Entwurf von Sasse vom Juli 1945: ebd., 1E1. 31 Ebd., 2C1a. 32 Ebd., 2C1b. 33 Ebd., 2C2. 34 Text des Verfassungsentwurfes vom 12. 9. 1946: Lutherische Generalsynode 1948, 152–187, Spalte 1 (= Schneider, Protokolle, 3C9); zu den geringfügigen Abweichungen des Vorentwurfes vom 6. 9. 1946 vgl. die Anmerkungen zu ebd., 3C9. 35 Ebd., 3C10. 36 Zitiert nach dem offiziellen Verlaufsprotokoll Stolls: ebd., 3B1. 37 Ebd., 3C11. 38 Vgl. ebd., 3B1 und 3C11. 39 Ebd., 1C2. Dort auch die folgenden Zitate. Zu dem Entwurf von Fleisch vgl. auch Wendebourg, Schatten, 430–432. 30

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lutherische Kirche“ (Art. I) im Grunde eine relativ zentralistisch geführte lutherische Einheitskirche deutscher Nation unter einem „lutherischen Erzbischof“ (Art. V u. VI) mit eigenen direkten Einnahmen (Art. IX, 12) – neben einer gegebenenfalls erforderlichen Umlage der Gliedkirchen (Art. IX, 14) – an. Was das Verhältnis zu anderen Kirchen betraf, so berücksichtigte Fleischs Entwurf lediglich das internationale Luthertum; der „Erzbischof“ sollte die „Deutsche lutherische Kirche“ im Lutherischen Weltkonvent vertreten (Art. VI, 1). Zwar ging der Entwurf auf das Problem der Lutheraner in der Union, insbesondere in Altpreußen, nicht direkt ein, jedoch sah er ausdrücklich die Möglichkeit des Beitritts der „östlichen Kirchenprovinzen der bisherigen Evang. Kirche der Ap.U“ (Art. VII, 2 u. IX, 2) vor, d. h.: Fleisch rechnete also nach dem Ende Preußens und der altpreußischen Unionskirche mit dem Anschluss ganzer traditionell lutherisch geprägter Provinzen wie Schlesien an die neue „Deutsche lutherische Kirche“. Der Entwurf Fleischs beinhaltete durchaus auch Elemente der Dezentralisierung und Gewaltenteilung: Die Landeskirchen sollten, wenn auch in verminderter Zahl (Art. III), als Untergliederungen der „Deutschen lutherischen Kirche“ fortbestehen (Art. II), und neben einem starken „lutherischen Erzbischof“ waren weitere Verfassungsorgane vorgesehen (Art. V), die dem „Erzbischof“ gegenübertreten konnten bzw. mit denen er kooperieren musste: der „Rat der lutherischen Kirche“ als Vertretung der Landeskirchen (Art. VII), die „lutherische Kirchenkanzlei“ als zentrale Verwaltungseinrichtung (Art. VIII) sowie die vor allem mit legislativen Vollmachten ausgestattete „Deutsche lutherische Synode“ (Art. IX). Insgesamt war jedoch unverkennbar, dass das vorherrschende Strukturprinzip des Verfassungsentwurfs von Fleisch das der Einheitlichkeit war. Die Verfassungsentwürfe von Sasse40 und die in der zweiten und dritten Lutherratssitzung beschlossenen Entwürfe samt deren Vorentwürfen41 stimmten – trotz mancher Unterschiede in den Formulierungen und in einzelnen Detailfragen, insbesondere im Blick auf den Entwurf von Sasse, – in ihren Grundzügen weitgehend überein. Mit dem Entwurf von Fleisch verband sie neben dem grundlegenden Verbindlichmachen des Evangeliums Jesu Christi und der lutherischen Bekenntnisse bzw. Bekenntnisschriften42 das Nebeneinander bzw. Gegenüber episkopaler und synodaler Elemente43, die Schaffung eines Gremiums der obersten Repräsentanten der Landeskirchen (Rat bzw. Bischofs-

40

Schneider, Protokolle, 1E1. Ebd., 2C1a u. b sowie 3C9 (mit Anmerkungen). Hierauf sowie auf den Entwurf von Sasse (ebd., 1E1) beziehen sich auch die folgenden Ausführungen. 42 Vgl. ebd., 1C2, Art. I; 1E1, Präambel; 2C1a u. b, Art. 1, 1; sowie 3C9, Art. 1, 1. 43 Vgl. ebd., 1C2, Art. V; 1E1, Art. 7; 2C1a u. b, Art. 6; sowie 3C9, Art. 6. 41

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Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands 1945–1948

konferenz)44 und einer Kanzlei bzw. eines Oberkonsistoriums als oberste Verwaltungseinrichtung45 sowie die Anbindung an das internationale Luthertum46. Die – oft in einer engen Wechselbeziehung zueinander stehenden – Unterschiede im Vergleich zu dem Entwurf von Fleisch lassen sich wie folgt benennen: 1. Die Grundlage wurde durch die ausdrückliche Bezugnahme auf die Heilige Schrift Alten und Neuen Testamentes sowie durch die ausdrückliche Nennung und damit Heraushebung der Confessio Augustana (in Sasses Entwurf der Confessio Augustana invariata) – neben den bloß summarisch aufgeführten übrigen lutherischen Bekenntnisschriften – präzisiert47. 2. Als weiteres – fünftes – Verfassungsorgan war ein auch zwischen den Tagungen amtierender Vorstand bzw. ständiger Ausschuss der Synode vorgesehen48 – zweifellos eine Stärkung des synodalen Elementes. 3. Die Einheitlichkeit der neuen lutherischen Kirche Deutschlands wurde nicht wie bei Fleisch mit der Gründung gleichsam vorausgesetzt, sondern mit der Gründung wurde vielmehr erst ein Entwicklungsprozess in Gang gesetzt, dessen Ziel am Ende eine weitgehend einheitliche Kirche war49, wobei ausdrücklich Raum für traditionelle landeskirchliche Besonderheiten eingeräumt wurde50. Die bleibende Bedeutung und die Selbständigkeit der 44

Vgl. ebd., 1C2, Art. VII; 1E1, Art. 8; 2C1a u. b, Art. 7; sowie 3C9, Art. 7. Vgl. ebd., 1C2, Art. VIII; 1E1, Art. 11; 2C1a u. b, Art. 11; sowie 3C9, Art. 11. 46 Vgl. ebd., 1C2, Art. VI, 1; 1E1, Art. 6, 9; 2C1a u. b, Art. 5, 9; sowie 3C9, Art. 5, 9. 47 Vgl. ebd., 1E1, Präambel; 2C1a u. b, Art. 1, 1; sowie 3C9, Art. 1, 1. Vgl. hierzu auch den ausdrücklichen Beschluss der 7. Lutherratssitzung vom 15./16. 10. 1947: „2.) Confessio Augustana Invariata. In der seit einiger Zeit schon von mehreren Seiten angeschnittenen Frage, ob mit der Augsburgischen Konfession in Art.1,1 des Verfassungsentwurfes der VELKD [ebd., 3C9] die Confessio Augustana invariata gemeint sei oder nicht, wurde vom Lutherrat eindeutig festgestellt, daß etwas anderes nie infrage [sic!] gekommen sei, und daß im endgültigen Text der Verfassung der VELKD auf jeden Fall die C.A. invariata von 1530 ausdrücklich genannt werden müsse.“ (zitiert nach ebd., 7C2). Vgl. auch ebd., 7B2, TOP 11m; 7C2, Punkt 2; sowie 7D7. In der im Juli 1948 verabschiedeten VELKD-Verfassung hieß es in Art. 1, 1: „Die Grundlage der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche ist das Evangelium von Jesus Christus, wie es in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments gegeben und in den Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche, vornehmlich in der ungeänderten Augsburgischen Konfession von 1530 und im Kleinen Katechismus Martin Luthers bezeugt ist.“ (Zitiert nach: KJ 1945–1948, 149). 48 Vgl. ebd., 1E1, Art. 9, 5 (bei Sasse noch nicht ausdrücklich als weiteres Verfassungsorgan hervorgehoben – vgl. Art. 7); 2C1a u. b, Art. 6; sowie 3C9, Art. 6. 49 In allen Entwürfen fanden sich wortidentisch die Formulierung: „Ziel einer allmählich zu erreichenden Rechtsgleichheit“ (ebd., 1E1, Art. 5, 2; 2C1a u. b, Art. 4, 2; sowie 3C9, Art. 4, 2) und beinahe wortgleich die Formulierung: „Ziel einer einheitlichen Gottesdienstordnung“ (ebd., 1E1, Art. 4, 2) bzw. einer „einheitlichen Agende und eines einheitlichen Gesangbuchs“ (ebd., 2C1a u. b; sowie 3C9, jeweils Art. 3, 2). 50 Vgl. ebd., 1E1, Art. 3: „1.) Jede Teilkirche hat das Recht, diejenigen Bekenntnisse der evangelisch-lutherischen Kirche festzustellen, die dem Herkommen und dem geltenden Recht zufolge 45

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Landeskirchen wurden also wesentlich stärker betont51. Das kam auch darin zum Ausdruck, dass die Finanzierung der neuen Kirche ausschließlich über Umlagen der Landeskirchen erfolgen sollte52, und nicht zuletzt in dem neuen Namen: „Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche in Deutschland bzw. Deutschlands“53 – statt wie in Fleischs Entwurf: „Deutsche lutherische Kirche“. 4. Dementsprechend verschob sich die Kompetenz- bzw. Machtfülle des obersten Geistlichen klar zugunsten der Bischofskonferenz; der oberste Geistliche war jetzt nur mehr „primus inter pares“54. Sehr deutlich wurde dies daran erkennbar, dass der oberste Geistliche bei der Aufzählung der Verfassungsorgane an die zweite bzw. sogar an die dritte Stelle rückte55. Sasses Entwurf sah noch einen besonderen Titel für den obersten Geistlichen vor – „Primas“, „Magnifizenz“, „Erzbischof“ bzw. „Leitender [Großschreibung!] Bischof“ – und stellte ihn in die Tradition der „alten Dresdner Oberhofprediger“ hinein56. Er eröffnete auch ausdrücklich die Möglichkeit, das Amt des obersten Geistlichen – wie in Skandinavien – „dauernd mit dem bischöflichen Amt einer bestimmten Teilkirche“ zu verknüpfen57. Letzteres fehlte in den späteren Entwürfen völlig, und während in den Entwürfen der zweiten Sitzung sowie in dem Vorentwurf der dritten Sitzung immerhin noch von dem neben der Confessio Augustana Invariata in ihr Geltung haben. Ist statt des Kleinen Katechismus Luthers bisher ein anderer Katechismus unzweifelhaft lutherischer Lehre in Gebrauch gewesen, so steht es frei, ihn auch ferner zu benutzen. […] 3.) Es bleibt jeder Teilkirche unbenommen, bestimmte theologische Überlieferungen zu pflegen, die ihr im Laufe ihrer Geschichte ein besonderes Gepräge gegeben haben. […]“ Vgl. fast wortgleich zu dem eben zitierten dritten Absatz auch 2C1a u. b; sowie 3C9, jeweils Art. 3, 1. 51 Vgl. den fast wortgleichen Art. 2 der Entwürfe (ebd., 1E1; 2C1a u. b; sowie 3C9), wonach die Teil- bzw. Gliedkirchen „ihre Selbständigkeit in Lehre, Kultus, Verfassung und Verwaltung“ (Sasse) bzw. „in Kultus und Verfassung, Gesetzgebung und Verwaltung“ behalten. Wendebourg, Schatten, 431 sah, was die (verminderte) Bedeutung der Landeskirchen betraf, in den Entwürfen von Sasse und Fleisch (Schneider, Protokolle, 1C2) prinzipiell keinen Unterschied; Sasse habe in seinem Verfassungsentwurf mit dem Begriff „Teilkirchen“ „heraus[…]stellen“ wollen, „daß es sich um unselbständige Teile eines größeren Ganzen handeln soll“. Dagegen spricht aber der oben zitierte Art. 2 in Sasses Entwurf. 52 Vgl. ebd., 1E1; 2C1a u. b; sowie 3C9, jeweils Art. 15. 53 Vgl. ebd., 1E1; 2C1a u. b; sowie 3C9, jeweils Präambel. Um den Namen für den neuen lutherischen Zusammenschluss wurde im Übrigen bis zuletzt gerungen. Auf der verfassunggebenden Generalsynode der VELKD im Juli 1948 setzte sich u. a. Meiser für den Namen „EvangelischLutherische Kirche Deutschlands“ ein, konnte sich aber nicht durchsetzen. Vgl. Lutherische Generalsynode 1948, 89 u. 98; vgl. hierzu auch Hauschild, Diskussion, 342; und Wendebourg, Schatten, 446 mit Anm. 95. 54 So ausdrücklich Schneider, Protokolle, 1E1, Art. 10; 2C1a u. b, Art. 8, 1; sowie 3C9, Art. 8, 1. 55 Vgl. ebd., 1E1, Art. 7; 2C1a u. b, Art. 6; sowie 3C9, Art. 6. 56 Ebd., 1E1, Art. 10, 1. 57 Ebd., 1E1, Art. 10, 2.

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„Primas“ die Rede war58, beschloss der Lutherrat in der dritten Sitzung am 12. September 1946 die Streichung auch dieses Begriffes59; der in dieser Sitzung verabschiedete Entwurf sah nur das Amt des „leitenden [Kleinschreibung!] Bischofs“ vor60. 5. Die Aufnahme von Kirchengemeinden oder -gebieten, die bereits einem anderen Kirchenregiment unterstanden, wurde ausdrücklich ausgeschlossen61. Damit wurde die Integrität unierter Kirchen, wie derjenigen Altpreußens, grundsätzlich respektiert. In einem Gespräch mit Vertretern des Reichsbruderrates am 18. Dezember 1946 in Neuendettelsau sprach Meiser es ganz offen aus, dass der Verzicht auf die Unionslutheraner aus rein pragmatischen Erwägungen heraus erfolgte: „Wie gern würden wir den ‚groß-lutherischen‘ Weg bis in die Union hinein beschreiten! Wir haben ihn aber ganz bewußt aus Rücksicht auf die anderen vermieden, um dem Verdacht der Aufspaltung zu entgehen. Was wäre dann für ein Sturm losgebrochen, wenn wir in die Union hineingewirkt hätten. Dann hätte man uns erst recht als ‚Zerstörer der Einheit‘ hingestellt. Darum haben wir uns sorgfältig jeder Einwirkung in die Union hinein enthalten.“62

6. Die besondere Gemeinschaft mit den reformierten und unierten Kirchen in Deutschland wurde hervorgehoben und ausdrücklich die Bereitschaft zur Mitarbeit an den gemeinsamen Aufgaben erklärt. Man sperrte sich also nicht gegen, befürwortete vielmehr sogar eine gesamtprotestantische Gemeinschaft und Zusammenarbeit in Deutschland, und zwar wohl in Gestalt eines Bundes von Lutheranern, Reformierten und Unierten gemäß der sogenannten „Drei-Säulen-Theorie“63. 58

Vgl. ebd., 2C1a u. b, Art. 6–8; sowie 3C9, Anm. 206. Vgl. ebd., 3B1. 60 Vgl. ebd., 3C9, Art. 6 u. 8. 61 Vgl. ebd., 1E1, Art. 1, 2; 2C1a u. b, Art. 1, 4; sowie 3C9, Art. 1, 4. 62 Zitiert nach dem Protokoll Kinders (ebd., 4E2). 63 Vgl. ebd., 1E1, Art. 6: „Die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche in Deutschland hat folgende Aufgaben: […] 8.) in enger Gemeinschaft mit der Evangelisch-Reformierten und der Evangelisch-Unierten Kirche in Deutschland im ‚Rat der Evangelischen Kirchen in Deutschland‘ die geschichtlich gewordene Lebensgemeinschaft aller deutschen evangelischen Kirchen zu pflegen, an den gemeinsamen Aufgaben auf den Gebieten des Rechtslebens, der Schule und Erziehung, der Liebestätigkeit und sonstiger sozialer Arbeit und des bekenntnismäßig nicht gebundenen Vereinswesens mitzuarbeiten, sowie die gemeinsamen Interessen des deutschen Gesamtprotestantismus vertreten zu helfen“. Vgl. auch ebd., 2C1a u. b, Art. 5, 8: „Sie pflegt mit den Evang.-reform. und Evang.unierten Kirchen in Deutschland die ihr im Kampf um das Bekenntnis geschenkte Gemeinschaft aller deutschen evangelischen Kirchen und arbeitet an den gemeinsamen Aufgaben mit.“ Ebd., 3C9, Art. 5, 8 fügte zu diesem – ansonsten identischen – Text noch einen ausdrücklichen Hinweis auf die „in der Erklärung von Treysa bestätigte Gemeinschaft“ hinzu, bekannte sich also zu den Ergebnissen der Kirchenführerversammlung vom 27.–31. 8. 1945 (vgl. auch ebd., 3C9, Anm. 203). 59

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7. Darüber hinaus wurde dementsprechend die Bereitschaft zur Mitarbeit „an der ökumenischen Arbeit der gesamten Christenheit“ erklärt64. 8. Neu war die Einrichtung eines kirchlichen Gerichtshofes für Rechtsfragen, die sich aus der Verfassung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands ergaben, und für Disziplinarfälle von unmittelbar bei der Vereinigten Kirche Beschäftigten sowie als mögliche Berufungsinstanz für landeskirchliche Disziplinarfälle65. Darüber hinaus war ein Kirchliches Spruchkollegium für Streitigkeiten in Lehrfragen vorgesehen, das auch von den Gliedkirchen in Anspruch genommen werden konnte66. Entgegen der Planung blieb es nicht bei dem in der dritten Lutherratssitzung am 12. September 1946 verabschiedeten Verfassungsentwurf. Auch in den darauffolgenden sechs Vollsitzungen67 beschäftigte sich der Lutherrat intensiv mit der Verfassung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, deren Gründung sich folglich noch um fast zwei weitere Jahre verzögerte. Dabei stimmte der endgültige Verfassungstext, wie er schließlich auf der vom 6. bis 8. Juli 1948 tagenden verfassunggebenden Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands einstimmig verabschiedet wurde68, in weiten Teilen des Aufrisses, des Inhaltes und selbst des Wortlautes mit dem Entwurf vom 12. September 1946 überein69. Es liegt deshalb nahe anzunehmen, dass weniger um bestimmte Punkte und Formulierungen der VELKD-Verfassung als vielmehr um die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands an sich bzw. den rechten Zeitpunkt ihrer Ausrufung gerungen wurde. Vor allem stand das Problem des Verhältnisses der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zur ge64

So wortidentisch ebd., 1E1, Art. 6, 9; 2C1a u. b, Art. 5, 9; sowie 3C9, Art. 5, 9. Ebd., 1E1, Art. 13; 2C1a u. b, Art. 12; sowie 3C9, Art. 12. 66 Ebd., 1E1, Art. 14; 2C1a u. b, Art. 13; sowie 3C9, Art. 13. 67 Vgl. ebd., 4B, 5B, 6B, 7B, 8B u. 9B. 68 Die Verfassung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, wie sie am 8. 7. 1948 auf der Generalsynode in Eisenach einstimmig verabschiedet wurde, ist abgedruckt in: KJ 1945–1948, 149–157; sowie in: Ordnungen und Kundgebungen der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, 9–18. Zu der verfassunggebenden Generalsynode in Eisenach vgl. vor allem: Lutherische Generalsynode 1948. 69 Die synoptische Gegenüberstellung des Verfassungsentwurfes vom 12. 9. 1946 und des der verfassunggebenden Generalsynode zur Annahme vorgelegten Verfassungsentwurfes, der auf der Synode nur noch sehr geringfügig geändert wurde, zeigt dies sehr deutlich (ebd., 152–187, Spalten 1 u. 4; in der Spalte 2 wurde irrtümlich ebenfalls der Lutherratsentwurf vom 12. 9. 1946 und nicht, wie angegeben, der Entwurf der bayerischen Landessynode abgedruckt; der bayerische VELKDVerfassungsentwurf in: Druckschrift: „Beitritt der Evang.-Luth. Kirche in Bayern zur Vereinigten Evang.-Luth. Kirche Deutschlands.“ München, s. d. [LKA Hannover, D 15 V 14]; = Schneider, Protokolle, 9D1). Vgl. auch unten im Text. 65

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samtprotestantischen Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ungelöst im Raum70. Zwar befand sich auch die EKD, an deren Verfassung ebenfalls noch gearbeitet wurde, gewissermaßen noch in statu nascendi, jedoch wurde sie in der Öffentlichkeit weithin bereits als Repräsentation des deutschen Protestantismus angesehen und anerkannt. Wurm, als Landesbischof einer der drei „Paktkirchen“ führendes Mitglied des Lutherrates (dessen Gewicht wegen der schon erwähnten Kritik an der Person von Marahrens zugenommen hatte), war inzwischen EKD-Ratsvorsitzender geworden; seine bereits vorher – im Rahmen seines Engagements für das „Einigungswerk“ – zu beobachtende Distanzierung gegenüber den lutherischen Vereinigungsbestrebungen wurde dadurch gesteigert. Hinzu kamen die traditionellen biblizistischen Vorbehalte in Württemberg gegen eine allzu starke Betonung der lutherischen Konfession71. Jedoch kamen die Vorbehalte aus den eigenen Reihen gegen die VELKD bzw. gegen eine zu starke, zu selbständige und zu rasch proklamierte VELKD keineswegs nur aus Württemberg. So berichtete der braunschweigische Oberkirchenrat Seebaß in der vierten Lutherratssitzung am 20. Januar 1947 in Hannover, in seiner Landeskirche gebe es starke Kräfte sowohl aus dem sogenannten „dahlemitischen“ Lager als auch aus dem Lager der „Mitte“, die übereinstimmend betonten, „erst kommt die EKD, dann die Lutherische Kirche“72. Und Kirchenrat Adolf Ohnesorg konstatierte in derselben Sitzung für die Lutheraner in Lippe-Detmold: „Die Lutherische Klasse in Lippe ist sich über die Stellungnahme [zur VELKD und deren Verfassung] nicht ganz einig.“73 Bereits im Protokoll der dritten Lutherratssitzung am 12./13. September 1946 in Göttingen waren neben völliger Ablehnung von Seiten Württembergs „starke Bedenken“ in Sachsen, „starke Zurückhaltung“ in Schleswig-Holstein, „bedeutende Widerstände“ in Lübeck und eine zumindest abwartende Haltung in Thüringen vermerkt74. Vor allem für die Vertreter Sachsens, aber wohl auch Thüringens hatte auf Grund der geopolitischen Situation die Zusammenarbeit und Solidarität sämtlicher evangelischen Kirchen des Ostens, einschließlich der ehemaligen altpreußischen Kirchenprovinzen, absolute Priorität vor dem lutherischen Zusammenschluss. Ja, mehr noch, man fürchtete, ein solcher lutherischer Zusammenschluss sei insofern kontraproduktiv, als er die früheren altpreußischen Provinzen geradezu daran hindern könnte, sich auf 70 Vgl. zu diesem Problemkomplex vor allem Smith-von Osten, Treysa, besonders Kap. 7, 8, 11, 13–17 u. 21; sowie unten 4.4, 248–256. 71 Zur württembergischen Landeskirche und deren Verhältnis zum Lutherrat vgl. unten 4.2, 235–243. 72 Schneider, Protokolle, 4B. 73 Ebd. 74 Ebd., 3B1 (Verlaufsprotokoll Stolls). Vgl. auch ebd., 3B1, Anm. 7 u. 8.

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ihr lutherisches Erbe zu besinnen75. Dem genannten Protokoll der dritten Sitzung zufolge standen lediglich Hannover, Bayern, Mecklenburg und das kleine Schaumburg-Lippe vorbehaltlos zur VELKD und ihrer Verfassung76. Aber selbst in den beiden „Paktkirchen“ Hannover und Bayern, die die lutherische Vereinigung zweifellos am intensivsten vorantrieben, gelang es erst im April 1947 (Hannover)77 bzw. im Oktober 1947 (Bayern)78 einen positiven Beschluss einer ordentlichen Landessynode zur VELKD und ihrer Verfassung herbeizuführen. Fleisch drückte in der fünften Lutherratssitzung am 25. April 1947 in Hannover deutlich seinen Unmut darüber aus, „daß Bayern so spät kommt. Sonst wäre die VELKD jetzt ausgerufen.“79 Der hannoversche Beschluss war zwar ein halbes Jahr früher als der bayerische erfolgt, dafür aber enthielt er die beiden einschränkenden Zusätze bzw. Vorbehalte: „Die Zugehörigkeit der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers zur EKiD bleibt durch den Beitritt zur VELK unberührt. Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannover steht nach wie vor zu der Theologischen Erklärung und zu der Rechtserklärung von Barmen.“80

75 Zur Haltung Sachsens vgl. das Schreiben des vorläufigen geistlichen Leiters der sächsischen Landeskirche Franz Lau an Meiser vom 7. 8. 1946 (LKA Hannover, D 15 IV 3). Darin hieß es: „Aus sehr triftigen Gründen ist es nötig, daß alle im Ostraum [sich] befindlichen Kirchen, also die lutherische ‚Kirche‘ und die altpreußischen Provinzen, die alle lutherische Tradition haben, ganz eng zusammenarbeiten und ja nicht nach außen hin den Schein einer Spaltung bieten. Es könnten sonst gefährliche Folgen eintreten. Eine dieser Folgen könnte die sein, daß die altpreußischen Provinzen nun nicht, was man an sich hoffen müßte, und in der östlichen Zone auch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erwarten kann, sich immer stärker auf ihre lutherische Vergangenheit besinnen, sondern im Gegensatz zu dem lutherischen Kirchengebilde im Ostraum sich in ganz anderer Richtung entwickeln. So bitten wir Sie denn, gütigerweise Verständnis dafür zu haben, daß wir es fürs nächste bewenden lassen bei einer engen Zusammenarbeit der lutherischen Kirche des Ostens und bei der Absicht, auch mit den lutherischen Kirchen des Westraumes die Verbindung zu halten, die zurzeit möglich ist, daß wir aber auf einen rechtlichen Zusammenschluß mit anderen lutherischen Kirchen vorerst verzichten.“ Lau fügte in dem Schreiben hinzu, man habe auf Grund von Gesprächen den Eindruck gewonnen, „als ob jedenfalls die Thüringische Landeskirche die Dinge ganz genau so sähe, wie wir“. Dies bestätigte auch Beste in einem Schreiben an Meiser vom 17. 7. 1946 (LKA Hannover, D 15 V 27/2). Vgl. Schneider, Protokolle, 3B1, Anm. 7. 76 Ebd., 3B1 (Verlaufsprotokoll Stolls). Zur Haltung Mecklenburgs und Schaumburg-Lippes vgl. auch ebd., 3B1, Anm. 10 u. 11, zur Haltung Hannovers und Bayerns vgl. unten im Text. 77 Vgl. Protokolle der 14. Ordentlichen Landessynode (Hannover). 78 Vgl. die Druckschrift: „Beitritt der Evang.-Luth. Kirche in Bayern zur Vereinigten Evang.Luth. Kirche Deutschlands.“ München, s. d. (LKA Hannover, D 15 V 14); = Schneider, Protokolle, 9D1. 79 Ebd., 5B. Vgl. auch den förmlichen Beschluss der fünften Lutherratssitzung: „Kein Ausrufen der VELKD ohne Bayern. Auf Bayern warten. Bitte an Bayern, vorwärtszutreiben.“ (ebd.). 80 Zitiert nach: Protokolle der 14. Ordentlichen Landessynode. Vgl. auch Schneider, Protokolle, 5B, Anm. 3.

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Grundsätzliche Kritik an dem ganzen Vorhaben VELKD wurde schließlich von einzelnen prominenten Theologen wie Asmussen, seit 1945 der erste Präsident der EKD-Kanzlei in Schwäbisch-Gmünd, und Iwand, seit 1945 Professor für Systematische Theologie in Göttingen, geäußert, die sich selbst durchaus als lutherisch verstanden. Asmussen, der nach der Barmer Reichsbekenntnissynode den Weg der lutherischen Vereinigungsbestrebungen nicht mitgegangen war und sich zu den Bruderräten gehalten hatte, kritisierte die lutherischen Vereinigungsbestrebungen, setzte sich statt dessen engagiert für den Weg der EKD ein und betonte – im direkten Gegensatz zur Position des Lutherrates – deren auch geistlich-theologischen Charakter81. Iwand, dessen Rat der Lutherrat noch selbst am Beginn seiner Geschichte gesucht hatte82, suchte die offene theologische Konfrontation mit Stoll, der in einem offiziösen Zeitschriftenartikel die lutherische Position dargelegt hatte83. Stoll hatte sich auf die Erfahrungen der Bekennenden Kirche in den „Kirchenwirren“ ab 1933 berufen: „Wir alle griffen zu den Bekenntnisschriften, aber die einen, um darin ihre kirchliche Verpflichtung neu zu finden, die anderen, um daraus Waffen zu schmieden zur Abwehr der Irrlehre, ohne sie als Kirchenbildend [sic!] zu erkennen.“84 Stolls These war, die Geschichte habe gezeigt, dass eine Rückbesinnung auf die Bekenntnisse lediglich zur Abwehr von Irrlehre keineswegs ausreiche. Ebenso reiche die bloße Zusicherung, das Bekenntnis unangetastet zu lassen, keineswegs aus. Vielmehr müsse das Bekenntnis – positiv – sowohl die gesamte Lehre als auch die gesamte Ordnung als auch das gesamte Handeln der Kirche bestimmen. Auch die Barmer Theologische Erklärung sei „vom Bekenntnis her zu interpretieren“85. Erstmals seit der Reformation seien äußere Hemmungen und Bindungen weggefallen und die „occasio“ bzw. der „kairos“ sei da, den deutschen Protestantismus kirchlich

81 Vgl. Hauschild, „Lutherrat“, 459. Siemens, Asmussen, 28 fasste Asmussens Haltung zum Luthertum wie folgt zusammen: „[…] Luthers Theologie [kann] nicht repristiniert werden. Was zu sagen und zu bekennen ist, das will heute, mit eigenen Worten und auf eigene Verantwortung hin gesagt und bekannt werden.“ 82 Vgl. oben 3.1, 138. Graf, Iwand, 389 charakterisierte Iwands theologische Position zusammenfassend „als ein barthianisch modifiziertes antikonfessionalistisches Neuluthertum“. 83 Die Kontroverse Stoll – Iwand ist dokumentiert in: EKiD oder nicht? Stolls Aufsatz „Die Lage der Lutherischen Kirche innerhalb des deutschen Gesamtprotestantismus“ erschien zuerst in: Nachrichten für die Evangelisch-Lutherischen Geistlichen in Bayern 3, 1946, 11–13. Zu der Kontroverse insgesamt vgl. Smith-von Osten, Treysa, 181–188, 193 f.; Nicolaisen / Schulze, Protokolle, Bd. 1, 583 f.; sowie Hauschild, „Lutherrat“, 459 f. Vgl. auch Schneider, Protokolle, 3B1, Anm. 14. 84 Stoll, Lage, 4. 85 Ebd.

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und verfassungsrechtlich vom Bekenntnis her neu zu ordnen86, und zwar in Gestalt der „drei Säulen“: lutherische Kirche, reformierte Kirche und konsensusunierte Kirche, die sich wiederum zu einer „Föderation“ – nicht zu einer Kirche! – zusammenschließen. Stoll hielt eine bischöfliche Verfassung für die lutherische Kirche für am angemessensten, trat aber auch für ein „gutes Nebeneinander von episkopalem und synodalem Element“ ein87. Wegen der ungeklärten Abendmahlsfrage betonte er die nach wie vor bestehende Kirchentrennung zwischen Reformierten und Lutheranern88. Die Union machte er für den Verfall des Luthertums verantwortlich89. In seiner teilweise außerordentlich polemischen Entgegnung bezeichnete Iwand den „Konfessionalismus“ Stolls als den „Todesstoß für die Bekennende Kirche“. Kircheneinheit liege nach reformatorischem Verständnis „noch nicht im Kirchenregiment, sondern im Wort, im Evangelium“90; sie könne „nicht kirchenpolitisch […], nicht theologisch-lehrhaft, sozusagen ‚satzungsgemäß‘“ konstruiert werden, sondern sie wolle „allererst geglaubt sein und in solchem Glauben bewahrt sein“. Die Kirche als die geeinte Bekennende Kirche sei größer als die Konfession; Kircheneinheit sei ein Glaubensartikel, nicht bloß ein Lehrartikel91. „Es genügt, wenn wir danach trachten, daß heute, heute und jetzt, die Gottesherrschaft und die Predigt vom Evangelium unsere erste und einzige Sorge sei. Das andere ‚überlassen wir Gott‘.“92 Man sage ein deutliches Nein zu den „im letzten Grunde leeren und hohlen Bildern von der Kirche Macht und Herrlichkeit, vom Primas für Deutschland und vom Oberkonsistorium“. Die faktisch längst bestehende Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland dürfe nicht preisgegeben werden. Die lutherische Theologie des 19. Jahrhunderts, insbesondere die Lehre vom Staat, von den zwei Reichen, von den Schöpfungsordnungen und Ständen, sei verhängnisvoll gewesen93. Weit mehr als die reformierte Theologie sei sie anfällig gegenüber der NS-Ideologie gewesen94. „Merkt Stoll denn gar nicht, daß seine Planung uns anmutet wie die Reichs-Kirchenpläne der DC von 1933?“95 Stoll orientiere sich nicht am Inhalt der lutherischen Lehre, sondern an deren „Morphologie“96 – offensicht86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96

Ebd., 5. Ebd., 6. Ebd. Ebd., 3. Iwand, Ende der EKiD? 8. Ebd., 9. Ebd., 10. Ebd. Ebd., 10 f. Ebd., 10. Ebd., 11.

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lich eine Anspielung auf den umstrittenen Werner Elert97. Auch Pfarrer in der altpreußischen Unionskirche würden auf die lutherischen Bekenntnisschriften ordiniert. Die lutherischen Kirchen hätten niemals als Gesamtheit mit dem Nationalsozialismus gebrochen; die lutherische Kirche gehe nicht als Einheit aus dem Kampf gegen den Nationalsozialismus hervor. Stoll übersehe „die tiefe und einschneidende Wirkung, die durch den Kampf der Bekennenden Kirche theologisch, liturgisch, kirchlich, ordnungs- und gemeindemäßig innerhalb der Union zu verzeichnen ist“98. Ausdrücklich wandte sich Iwand gegen die Preisgabe der Abendmahlsgemeinschaft mit den Reformierten und gegen eine Aufspaltung der Evangelischen Kirche in Deutschland in drei Kirchen99. Die Positionen von Stoll und Iwand markierten deutlich die beiden Frontlinien, zwischen denen die theologisch-ekklesiologische Auseinandersetzung um die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands außerhalb, aber auch innerhalb des deutschen Luthertums stattfand. Der tragische Unfalltod Stolls im Dezember 1946, das sei an dieser Stelle kurz angemerkt, raubte der werdenden VELKD in für sie schwieriger Situation nicht nur einen engagierten Kirchenpolitiker, sondern auch einen theologischen Kopf. Die Diskussionen um die VELKD und deren Verfassung spitzten sich – außerhalb wie innerhalb des Lutherrates und seiner Mitgliedskirchen – auf folgende Fragestellungen und Problemfelder bzw. Kritikpunkte zu: 1. im Zusammenhang mit der grundsätzlichen Frage nach dem Verhältnis von VELKD und EKD die Frage nach der Reihenfolge der Verabschiedung der jeweiligen Verfassung und damit der jeweiligen offiziellen Gründung sowie die Frage, ob die lutherischen Kirchen als geschlossener Block oder als einzelne Landeskirchen zur EKD gehören sollten100; 2. die Frage nach dem Verhältnis der VELKD zur Barmer Theologischen Erklärung, konkret die Erwartung, dass die VELKD sich auch schon in ihrer Verfassung positiv zu dieser Erklärung stellen werde101; 3. die Frage nach dem angemessenen Verhältnis von episkopalen und synodalen Elementen in der Verfassung der VELKD bzw. die Kritik an einer möglicherweise zu großen Machtfülle des obersten Bischofs102; 97 Vgl. Elert, Morphologie des Luthertums. Zu Elert und seiner umstrittenen Rolle im „Dritten Reich“ vgl. Sparn, Elert, besonders 161–163 u. 172–176; und Hamm, Elert. 98 Iwand, Ende der EKiD? 12. 99 Ebd., 13. 100 Vgl. u. a. die auf der sechsten Lutherratssitzung am 4. 6. 1947 beschlossene „Entschließung zu dem Entwurf der Verfassung der VELKD vom 12. September 1946“ (Schneider, Protokolle, 6C1), in der unter Punkt 1 auf entsprechende häufige Beanstandungen eingegangen wurde. 101 Vgl. u. a. ebd., unter Punkt 2. 102 Dieser Vorwurf wurde etwa von dem Dresdner Landessuperintendenten Lau (vgl. ebd., 6B)

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4. die Frage nach einer möglichen wechselseitigen Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft in der EKD über die konfessionellen Grenzen hinaus103. Diese Punkte trugen offenkundig nicht nur zur Verzögerung der Verabschiedung der VELKD-Verfassung bei, sondern sie führten wohl auch maßgeblich mit dazu, dass die bayerische Landessynode im Oktober 1947 und die sächsische Landeskirche im Mai 1948 alternative VELKD-Verfassungsentwürfe104 vorlegten, die sich zwar im Ganzen eng an den Entwurf vom 12. September 1946105 anlehnten und der sächsische Entwurf überdies auch an den bayerischen, aber eben zu den genannten kritischen Punkten zumindest deutlich andere Akzente boten. Der bayerische VELKD-Verfassungsentwurf enthielt einen völlig neuen Artikel 2, in dem es – gleich zu Beginn der Verfassung – um Klärung des Verhältnisses zur EKD und zu „Barmen“ ging. Er lautete: „Die Vereinigte Kirche, mit den anderen evangelischen Kirchen in Deutschland in einem Bund bekenntnisbestimmter Kirchen zusammengeschlossen, wahrt und fördert die im Kampf um das Bekenntnis geschenkte, auf der Bekenntnissynode von Barmen 1934 bezeugte Gemeinschaft.“106 Gemäß der „Drei-Säulen-Theorie“ wurde die EKD als „Bund bekenntnisbestimmter Kirchen“ angesehen, der die lutherischen Kirchen wohl eher als Block, denn als einzelne Landeskirchen angehören sollten. Das Stichwort „Barmen“ wurde zwar positiv aufgenommen, aber eine Äußerung zur Barmer Theologischen Erklärung vermieden, so dass die Formulierung sehr allgemein und vage blieb. Der sächsische Entwurf nahm diesen Artikel 2 des bayerischen Entwurfs auf, änderte ihn aber an zwei entscheidenden Stellen: 1. Statt von der „Vereinigten Kirche“ als ganzer, die mit anderen evangelischen Kirchen „in einem Bund bekenntnisbestimmter Kirchen zusammengeschlossen“ ist, war nun von der „Vereinigten Kirche in ihren Gliedkirchen“ die Rede. Damit wurde die Bedeutung der VELKD zugunsten der Selbständigkeit der einzelnen Landeskirchen und zugunsten der EKD deutlich abgeschwächt. sowie vom Moderamen des Reformierten Bundes (Entschließung: „Zum Entwurf der Verfassung der VELKD“ vom 14. 3. 1947, abgedruckt in: ebd., 5C1) vorgebracht. 103 Vgl. u. a. Punkt 3 der „Entschließung“ des Lutherrats „zu dem Entwurf der Verfassung der VELKD vom 12. September 1946“ vom 4. 6. 1947 (ebd., 6C1). 104 Der sächsische Verfassungsentwurf ist abgedruckt in: Lutherische Generalsynode 1948, 152–187, Spalte 3; der bayerische Verfassungsentwurf in: Schneider, Protokolle, 9D1. Vgl. auch oben, 221, Anm. 69. 105 Schneider, Protokolle, 3C9. 106 Ebd., 9D1, Art. 2.

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2. Über die sehr allgemeine Bejahung der „auf der Bekenntnissynode von Barmen 1934 bezeugten Gemeinschaft“ hinaus hieß es ergänzend, die VELKD „bejaht die dort gewonnenen Erkenntnisse“. Die Barmer Theologische Erklärung wurde zwar immer noch nicht ausdrücklich erwähnt, sie war aber zweifellos mit eingeschlossen107. Bis zur Verabschiedung der VELKD-Verfassung auf der verfassunggebenden Generalsynode im Juli 1948 wurde um diese Formulierungen gerungen. Während die Vorlage für die Synodalen den exakten Wortlaut des bayerischen Entwurfes enthielt108, wurde in dem dann angenommenen Verfassungstext die Formulierung des sächsischen Entwurfs „Vereinigte Kirche in ihren Gliedkirchen“ übernommen und ähnlich wie im sächsischen Entwurf eine Ergänzung zu Barmen vorgenommen. Diese lautete jetzt: „Die dort [auf der Bekenntnissynode von Barmen 1934] ausgesprochenen Verwerfungen bleiben in der Auslegung durch das lutherische Bekenntnis für ihr [das der Vereinigten Kirche] kirchliches Handeln maßgebend.“109 Die Bezugnahme auf die Barmer Theologische Erklärung war nunmehr unmissverständlich, auch wenn sie immer noch nicht explizit genannt wurde. Freilich beschränkte man sich auf die „Verwerfungen“ in ihrer lutherischen Interpretation, was man durchaus als Relativierung der Bedeutung der Barmer Theologischen Erklärung begreifen konnte. Man war sehr darum bemüht, jeden Anschein zu vermeiden, der Barmer Erklärung so etwas wie den Rang eines Bekenntnisses einzuräumen. Dementsprechend protestierte der Lutherrat heftig gegen den Beschluss der westfälischen Provinzialsynode vom 18. Juli 1946, die Barmer Theologische Erklärung in die Ordinationsverpflichtung der Pfarrer aufzunehmen110. Vor allem der sächsische Verfassungsentwurf war deutlich bestrebt, den Eindruck bzw. Vorwurf eines möglicherweise zu starken Episkopalismus zu entkräften und das synodale Element zu stärken111. Anders als der Verfassungsentwurf vom 12. September 1946, als der bayerische Verfassungsentwurf und der auf der verfassunggebenden Generalsynode vorgelegte Verfassungsentwurf führte der sächsische Entwurf den „Leitenden Bischof“ gar nicht mehr als besonderes Verfassungsorgan auf, sah statt dessen eine kollegiale „Kirchenleitung“ vor, der 107

Lutherische Generalsynode 1948, 155 u. 157, Spalte 3. Die Synodalvorlage ist abgedruckt: ebd., 152–187, Spalte 4; der Art. 2 ebd., 155 u. 157, Spalte 4. 109 Zitiert nach KJ 1945–1948, 150. 110 Vgl. hierzu Schneider, Protokolle, 5C5 mit Anm. 56; 8B2, TOP 8; und 8C2 (mit Anm.). 111 Vgl. das Votum des sächsischen Synodalen Oberlandeskirchenrat Gottfried Noth auf der verfassunggebenden Generalsynode am 6. 7. 1948: „Lesen Sie unsere Entwürfe und Sie werden bemerken, daß wir versuchen, allerdings auch das synodale Element stark zur Geltung zu bringen.“ (zitiert nach: Lutherische Generalsynode 1948, 66). 108

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neben dem „Leitenden Bischof“ u. a. auch der „Präses der Generalsynode“ angehören sollte112. Offensichtlich um jede Assoziation mit früheren autoritären Konsistorialordnungen zu vermeiden, sah der sächsische Verfassungsentwurf statt einer „Lutherischen Kirchenkanzlei“ als oberste Exekutive des „Leitenden Bischofs“ ein „Lutherisches Kirchenamt“ als allgemeine Geschäftsstelle mit ausdrücklich kollegialistischer Beschlussfassung vor113. Man strebte gewissermaßen eine Gewaltenteilung von episkopalem, synodalem und konsistorialem Element an, nicht zuletzt, um wirkungsvoll der „Gefahr der Bürokratisierung“ begegnen zu können114. Die Bestimmungen über die Kirchenleitung und das Kirchenamt wurden weitgehend in den im Juli 1948 angenommenen Verfassungstext übernommen115. Allerdings wurde das Kirchenamt anders als im sächsischen Entwurf nicht unter den Verfassungsorganen aufgeführt, dafür aber wieder der „leitende [jetzt wieder in Kleinschreibung] Bischof“, jedoch im selben Punkt mit und in der Reihenfolge hinter der Bischofskonferenz116. Ebenfalls auf den sächsischen Verfassungsentwurf zurück ging die in die VELKD-Verfassung vom Juli 1948 aufgenommene Bestimmung, dass die Generalsynode nicht nur, wie es in den anderen Entwürfen vorgesehen war, alle zwei Jahre, sondern „einmal im Jahr zu einer ordentlichen Tagung zusammen[tritt]“117 – wiederum eine Stärkung des synodalen Elements. Im Sinne einer Stärkung des Synodalprinzips war es schließlich, wenn in dem im Juli 1948 verabschiedeten Verfassungstext die in allen Vorentwürfen enthaltene Bestimmung über das Zustimmungsrecht der Generalsynode zur Wahl des „Leitenden Bischofs“118 durch die Bischofs112

Vgl. Art. 8, 11 u. 12 des sächsischen Verfassungsentwurfs (ebd, 165, 171 u. 173, Spalte 3). Vgl. Art. 8 u. 13 des sächsischen Verfassungsentwurfs (ebd., 165, 173 u. 175, Spalte 3). Auch im Art. 8 des bayerischen Verfassungsentwurfes fehlte die „Kirchenkanzlei“. Nach der Aufzählung der Verfassungsorgane hieß es dort lapidar: „Der Leitende Bischof verfügt über die erforderlichen Verwaltungseinrichtungen.“ (Schneider, Protokolle, 9D1). Dieser Satz wurde in der Vorlage für die verfassunggebende Generalsynode wie folgt geändert: „Zur Wahrnehmung der Geschäfte wird das Lutherische Kirchenamt eingerichtet.“ Allerdings wurde dazu in dieser Vorlage später (Art. 10, 6) ausgeführt: „Dem Leitenden Bischof untersteht das Lutherische Kirchenamt.“ (Lutherische Generalsynode 1948, 165 u. 173, Spalte 4). 114 Vgl. das Votum des sächsischen Synodalen Noth auf der verfassunggebenden Generalsynode (ebd., 66 f.). 115 Vgl. Art. 8, 12 u. 13 der VELKD-Verfassung vom Juli 1948 (KJ 1945–1948, 152 u. 154 f.). 116 Art. 8 der VELKD-Verfassung vom Juli 1948 (ebd., 152). 117 Art. 11 der VELKD-Verfassung vom Juli 1948 (ebd., 153); vgl. Art. 14, 2 des sächsischen Verfassungsentwurfs (Lutherische Generalsynode 1948, 175, Spalte 3). Im Verfassungsentwurf vom 12. 9. 1946, im bayerischen Entwurf und in dem der verfassunggebenden Generalsynode vorgelegten Entwurf hieß es demgegenüber übereinstimmend: „Sie [die Generalsynode] soll regelmäßig alle zwei Jahre tagen.“ (ebd., 174 f., Spalten 1 [Art. 9, 2] u. 4 [Art. 11, 2]; Schneider, Protokolle, 3C9, Art. 9, 2 u. 9D1, Art. 11, 2). 118 Die entsprechende Bestimmung im Verfassungsentwurf vom 12. 9. 1946, im bayerischen Entwurf, im sächsischen Entwurf und in der Vorlage für die verfassunggebende Generalsynode lautete 113

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konferenz wie folgt in ein aktives Wahlrecht geändert wurde: „Für das Amt des leitenden Bischofs schlägt die Bischofskonferenz aus ihrer Mitte der Generalsynode einen Bischof vor. Die Wahl erfolgt durch die Generalsynode mit einfacher Mehrheit. […]“119 In der für das Vorhandensein unterschiedlicher protestantischer Konfessionen zentralen Frage nach einer möglichen wechselseitigen Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft in der EKD, auch über die konfessionellen Grenzen hinaus, war in den verschiedenen VELKD-Verfassungsentwürfen keine Bewegung zu erkennen. Dieses Problem wurde erst durch die 1974/75 erfolgte Annahme der Leuenberger „Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa“ von 1973 gelöst120. Wenn die im Juli 1948 angenommene VELKD-Verfassung ausdrücklich die Möglichkeit vorsah, dass Bischöfe und Synodale von der VELKD nicht angehörenden lutherischen Kirchen in Deutschland gastweise und mit beratender Stimme an Sitzungen der Bischofskonferenz bzw. der Generalsynode teilnehmen können121, so war dies der Versuch eines Brückenschlags zu den lutherischen Landeskirchen von Württemberg und Oldenburg sowie zu den altlutherischen Freikirchen, die aus unterschiedlichen Gründen in kritischer Distanz zur VELKD verblieben und sich ihr bis heute nicht angeschlossen haben122. Das Problem der zeitlichen Reihenfolge der Verabschiedung der Verfassung bzw. Grundordnung und damit der offiziellen Ausrufung von VELKD und EKD wurde so gelöst, dass beides in engem Zusammenhang, noch dazu am selben Ort, geschah. Auf die lutherische Generalsynode vom 6. bis 8. Juli 1948 in Eisenach, auf der die VELKD-Verfassung verabschiedet wurde123, folgte vom 9. bis 13. Juli 1948 die Kirchenversammlung der EKD, ebenfalls in der symbolträchtigen Lutherstadt am Fuße der Wartburg, auf der die EKD-Grundordnung angenommen wurde124. Trotz aller Zugeständnisse, die die beschriebene Entwicklung der VELKD-Verfassung von den Vorentwürfen bis zum verabschiedeten Text aufwies, hatte sich das konfessionelle deutsche Luthertum mit

übereinstimmend, die Wahl des „Leitenden Bischofs“ durch die Bischofskonferenz aus deren Mitte heraus „bedarf der Zustimmung der Generalsynode“ (ebd., 3C9, Art. 8, 2 u. 9D1, Art. 10, 1; Lutherische Generalsynode 1948, 168 f., Spalte 1 [Art. 8, 2], 3 [Art. 10, 1] u. 4 [Art. 10, 1]). 119 Art. 10, 1 der VELKD-Verfassung vom Juli 1948 (KJ 1945–1948, 153). 120 Der Text der sogenannten „Leuenberger Konkordie“ ist u. a. abgedruckt in: KJ 1973, 19–23. 121 Vgl. Art. 9, 2 u. 11, 5 der VELKD-Verfassung vom Juli 1948 (KJ 1945–1948, 152 u. 154). 122 Auch Lübeck schloss sich zunächst der VELKD nicht an, trat ihr aber ein knappes Jahr später, nämlich am 30. 6. 1949 bei (vgl. Hauschild, „Lutherrat“, 469, Anm. 59). 123 Vgl. hierzu Lutherische Generalsynode 1948. 124 Vgl. hierzu u. a. Smith-von Osten, Treysa, 364–381.

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seiner seit eh und je vertretenen grundsätzlichen Verhältnisbestimmung durchgesetzt: hier Kirche gemäß dem „fundamentalen ekklesiologischen Prinzip der Bekenntnisbestimmtheit“ (VELKD) – dort Bund von bekenntnisbestimmten Kirchen (EKD)125. Vielleicht auch ein Zugeständnis an diejenigen Vertreter des deutschen konfessionellen Luthertums, denen – zumal nach den zahlreichen Änderungen – die Bestimmungen der VELKD-Verfassung nicht weit genug gingen, war die in der neunten Lutherratssitzung am 12. März 1948 in Darmstadt beschlossene Neuformulierung der Präambel126. Nach einem Vorschlag Sommerlaths127 wurde in der im Juli 1948 verabschiedeten VELKD-Verfassung die Präambel folgendermaßen ergänzt: „Sie [die zur VELKD zusammengeschlossenen Kirchen] hoffen, damit allen lutherischen Kirchen und Gemeinden in Deutschland den Weg zum Zusammenschluß zu eröffnen. […]“128 Damit wurde, wenn auch sehr vage, eine Perspektive aufgezeigt, die weit über den auf Kompromissen beruhenden eigentlichen Verfassungstext hinausging. Der zitierte Satz aus der Präambel, der ja auch auf die Unionslutheraner bezogen werden konnte, stand allerdings in nicht zu übersehender Spannung zu Artikel 1, Absatz 4 der Verfassung, in dem es hieß, lutherische Kirchen und Gemeinden könnten in die VELKD aufgenommen werden, „falls sie nicht einem anderen Kirchenregiment unterstehen“129. Damit erhielt das Misstrauen unierter Kreise neue Nahrung, die die werdende VELKD von Anfang an verdächtigt hatten, sie strebe eine Aufspaltung der Unionskirchen an130 – ein Misstrauen, das sich freilich ex post als unbegründet erwiesen hat, weil das konfessionelle Profil der lutherischen Gemeinden in den verwaltungs- bzw. kultusunierten Landeskirchen insgesamt wohl keineswegs zu-, sondern vielmehr stark abgenommen hat. Bemerkenswerterweise traten die Vertreter der sächsischen Kirche, die ja zunächst der Arbeit an der VELKD-Verfassung recht kritisch gegenübergestanden hatte, für eine Stärkung der Kompetenzen der VELKD auf Kosten der Landeskirchen ein und forderten von diesen sogar, für die Einheit der VELKD „ganz besondere Opfer zu bringen“131, konnten aber im Grunde nur entsprechende 125

Vgl. Hauschild, „Lutherrat“, 466 f. Vgl. Schneider, Protokolle, 9B2. 127 Vgl. ebd., 9E1; und Lutherische Generalsynode 1948, 191. Sommerlath hatte einen entsprechenden Auftrag des Lutherrates erhalten. 128 Zitiert nach: KJ 1945–1948, 149. 129 Zitiert nach: ebd., 150. Vgl. hierzu auch oben im Text. 130 Vgl. hierzu Hauschild, „Lutherrat“, 465 f. 131 So der sächsische Synodale Noth auf der verfassunggebenden Generalsynode (Lutherische Generalsynode 1948, 64). 126

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Willenserklärungen durchsetzen132. Artikel 4, Absatz 2 der angenommenen VELKD-Verfassung ging auf den sächsischen Verfassungsentwurf zurück: „Durch den Zusammenschluß bekunden sie [die VELKD-Gliedkirchen] den Willen, zu einer größeren Einheitlichkeit ihrer Ordnungen zu kommen.“133 Mehr als eine Willenserklärung war die Bestimmung in Artikel 6, 1, die auf eine Initiative Fleischs zurückging: „Die Gesetze und Rechtsverordnungen der Vereinigten Kirche gehn [sic!] den Gesetzen und Gliedkirchen vor.“134 Wolf-Dieter Hauschild hat darauf hingewiesen, dass mit der Annahme der VELKD-Verfassung auf der verfassunggebenden Generalsynode in Eisenach am 8. Juli 1948 – bzw. mit deren In-Kraft-Treten am 31. Dezember 1948 (nach erfolgter Ratifizierung durch die Mitgliedskirchen) – die Geschichte des Lutherrates automatisch und ohne Weiteres endete bzw. nahtlos in die der damit gegründeten VELKD überging: „Eine förmliche Auflösung des Lutherrats brauchte deswegen nicht beschlossen zu werden, weil nach den Grundbestimmungen von 1936 sein ‚Ziel‘ – die Ausgestaltung des damaligen Bundes zur lutherischen Kirche Deutschlands – nunmehr erreicht war und weil Württemberg als einzige nicht ‚übergeleitete‘ Mitgliedskirche von der in der Verfassung (Art. 9,2; 11,5) gegebenen Möglichkeit Gebrauch machte, an der Generalsynode und der Bischofskonferenz mit Gaststatus teilzunehmen.“135

Auf der vom 25. bis 28. Januar 1949 in Leipzig tagenden ersten ordentlichen Generalsynode der VELKD wurde der bisherige Lutherratsvorsitzende Meiser, der seit fast sechzehn Jahren unermüdlich auf die lutherische Vereinigung hingearbeitet hatte, zum ersten leitenden Bischof der VELKD gewählt136. Dorothea Wendebourg hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es ein grundsätzliches und folgenreiches Strukturproblem, gleichsam ein Geburtsfehler der lutherischen Vereinigung bzw. der VELKD-Verfassung gewesen sei, dass es nicht gelang, die Landeskirchen als die entscheidenden Faktoren im deutschen Protestantismus, und sogar innerhalb der lutherischen Vereinigung selbst, zu überwinden137. Das Festhalten an dem aus der Zeit des landesherrlichen Kirchenregiments stammenden Landeskirchenprinzip habe, so Wendebourg, ferner auch die Aufnahme lutherischer Gemeinden aus unierten Landeskirchen in die VELKD und von Flüchtlingen lutherischer Konfession, die in Gebieten 132

Vgl. Hauschild, Diskussion, 342; und Wendebourg, Schatten, 459 f. Zitiert nach KJ 1945–1948, 150; vgl. fast wortgleich den sächsischen Entwurf (Lutherische Generalsynode 1948, 157, Spalte 3). Vgl. Wendebourg, Schatten, 459 f. mit Anm. 140 u. 142. 134 Zitiert nach KJ 1945–1948, 151; vgl. Wendebourg, Schatten, 460 mit Anm. 143. 135 Hauschild, „Lutherrat“, 469. 136 Lutherische Generalsynode 1949, 104. 137 Wendebourg, Schatten, passim. 133

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unierter Landeskirchen Aufnahme fanden, sowie schließlich den Anschluss altlutherischer Freikirchen verhindert138. Die „treibenden Kräfte“ des Lutherrats hätten demgegenüber eine grundsätzliche Überwindung der landeskirchlichen Strukturen geplant, seien aber an äußeren und zum Teil auch inneren Widerständen gescheitert139. Es ist freilich zu bedenken, dass es allenfalls einzelne Lutherratsvertreter wie Fleisch waren, die tatsächlich die überkommenen landeskirchlichen Strukturen revidieren wollten. Grundsätzlich hat aber selbst Fleisch die Landeskirchen nicht in Frage gestellt140. Erst recht gilt dies für Sasse, der sogar die „Selbständigkeit“ der Landeskirchen betonte141. Man wird wohl davon ausgehen müssen, dass eine prinzipielle Revision der landeskirchlichen Strukturen auch im Lutherrat selbst bzw. bei den angeschlossenen Kirchen nicht mehrheitsfähig, geschweige denn konsensfähig war. Es fragt sich, ob selbst in den beiden „tonangebenden“ ehemaligen „Paktkirchen“ Bayern und Hannover eine Preisgabe von landeskirchlichen Institutionen und von landeskirchlicher Autonomie in größerem Umfang vermittelbar gewesen wäre. Im „Kirchenkampf“ hatte man angesichts der reichskirchlichen Gleichschaltungsbestrebungen schließlich außer auf das Bekenntnis immer wieder auf die Rechte und die Integrität der Landeskirchen gepocht. Meiser selbst wandte sich in der sechsten Lutherratssitzung ausdrücklich gegen eine „stärkere Zentralisierung“ der VELKD und erklärte: „[S]tatt dessen wollen wir eine wirkliche Bundeskirche!“142 Hinzu kommt, dass, wie oben schon erwähnt, nahezu alle Argumente, die von außen gegen den lutherischen Zusammenschluss vorgebracht wurden, auch im deutschen Luthertum selbst, einschließlich des Lutherrates bzw. der ihm angeschlossenen Kirchen, artikuliert wurden. Wendebourg ist zuzustimmen, dass in mancher Hinsicht „für die Vertreter der VELKD die Distanz zur Unionskirche denn doch nicht so groß war“. Das habe ihnen, so Wendebourg, konsequenterweise den Vorwurf eingetragen, „selbst vom unionistischen Bazillus angekränkelt zu sein“143.

138

Ebd., 446–457. Ebd., 430 u. 443–445. 140 Vgl. schon Art. 2 des Verfassungsentwurfs von Fleisch: „Die Deutsche lutherische Kirche gliedert sich in Kirchen (Landeskirchen).“ (Schneider, Protokolle, 1C2). Vgl. ferner oben im Text. 141 Vgl. oben im Text, besonders auch 219, Anm. 51. 142 Zitiert nach dem Verlaufsprotokoll (Schneider, Protokolle, 6B). 143 Wendebourg, Schatten, 456 f. Vgl. auch ebd., 457: „[…] die Achtung vor dem landeskirchlichen Bestand auf Kosten der eigentlich verfochtenen Konsequenzen des Bekenntnisses für die Ordnung der Kirche, die sich im Verhältnis zu den Unionskirchen nach außen gezeigt hatte, prägte – und prägt – in hohem Maße auch die Binnenverhältnisse, die Strukturen innerhalb der VELKD.“ Vgl. ähnlich auch ebd., 463: Die VELKD-Kirchen seien denen, die das landeskirchliche Prinzip weiterhin durchgesetzt hätten, „selber zu Hilfe“ gekommen. 139

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Auf ein weiteres grundsätzliches Problem bei der Gründung der VELKD haben Wolf-Dieter Hauschild und Dorothea Wendebourg übereinstimmend aufmerksam gemacht, nämlich auf die mangelnde theologische Tiefe. Wendebourg wies darauf hin, dass auf den einzelnen Bestimmungen der verschiedenen VELKD-Verfassungsentwürfe „kein besonderes, theologisches Gewicht“ liege, weshalb man diese Bestimmungen – etwa die über den „Primas“ – „auch ohne viel Aufhebens“ wieder hätte verändern oder gar streichen können144. Die ständig wiederholte „Forderung nach Bekenntnisgemäßheit der kirchlichen Ordnung“ ziele, so Wendebourg, weniger „auf eine bestimmte, feststehende Kirchenstruktur“, sondern es gehe vor allem „um eine Verfahrensregel“: „die Regel, daß alle Entscheidungen ebenso wie die Ausbildung aller strukturellen Elemente der Kirche an ihrem Bekenntnis zu messen sind.“ Voraussetzung dafür sei eine Kirche, in der die folgenden drei Punkte gesichert seien: 1. die Festschreibung einiger weniger „invarianter Vorgaben, die vom Bekenntnis aufgrund der Schrift für die Ordnung der Kirche gemacht sind, z. B. die Grundelemente des Gottesdienstes einschließlich des Sakramentsvollzugs oder das Gegenüber von Amt und Gemeinde“; 2. das Verbindlichmachen der lutherischen Bekenntnisschriften, mindestens der Confessio Augustana invariata, in Verfassung und Ordinationsgelöbnis und die Verpflichtung aller Funktionsträger auf diese Normen; 3. die Ordnung des Verhältnisses der lutherischen Kirchen zueinander auf der Grundlage desselben gemeinsamen Bekenntnisses (gemäß dem „consentire de doctrina“ nach Artikel 7 der Augsburger Konfession)145. Hauschild urteilte noch drastischer: An der Diskussion über die „konfessionelle Frage“ von 1945 bis 1948 „fällt im Rückblick auf, wie gering die theologische Substanz war. Man wiederholte die alten Positionen, die seit 1934 einander entgegenstanden, mit erstarrten Formeln.“146 Exemplarisch wies Hauschild auf das „inhaltlich magere“ Referat Meisers während der Grundsatzdiskussion im Rat der EKD am 30. Januar 1946 in Frankfurt hin147. Meiser habe außer der nicht weiter begründeten Behauptung, „daß die institutionelle Verbindung der ‚bekenntnisgebundenen lutherischen Kirchen‘ […] einer Grunderkenntnis des Kirchenkampfes entspräche: nämlich des Zusammenhangs von ‚Lehre und Ordnung‘ der Kirche“, sowie der These, das Bekenntnis bzw. die Bekennt144

Ebd., 437 f. Ebd., 439 f. 146 Hauschild, Diskussion, 337. 147 Das Referat Meisers mit dem Titel „Die konfessionelle Frage innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland“ ist abgedruckt in: Nicolaisen / Schulze, Protokolle, Bd. 1, 366–370; vgl. Hauschild, Diskussion, 337 mit Anm. 29. 145

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nisbindung in der Ordination, Visitation und Katechismusunterweisung sei notwendig gegenüber den Gefahren des Schwärmertums, der Irrlehre und der Beliebigkeit, im Grunde nichts weiter über den Sinn konfessionell-lutherischer Strukturen gesagt148. Der Mangel an theologischer Reflexion wurde vom Lutherrat selbst bereits als Problem erkannt. Man berief einen theologischen Beirat mit insgesamt mehr als zwei Dutzend namhaften Theologen, vor allem Universitätsprofessoren, der allerdings in der Gründungsphase der VELKD nicht mehr weiter in Erscheinung trat149. Die Verabschiedung der Verfassung der VELKD bzw. die Gründung der VELKD beruhte auf Kompromissen, und zwar nicht nur auf Kompromissen gegenüber Außenstehenden, sondern auch auf solchen im eigenen Lager, und sie beruhte, theologisch gesehen, auf einem recht kleinen gemeinsamen Nenner.

4.2 Württemberg und die werdende VELKD Wenn es, wie eben aufgezeigt, auch keineswegs die Einwände und Bedenken Württembergs und seines für die EKD engagierten Landesbischofs Wurm allein waren, die das Werden der VELKD hinauszögerten und sozusagen verkomplizierten, so hat Württemberg doch für die Geschichte des Lutherrates in den Jahren 1945 bis 1948 eine einzigartige und den Lauf der Ereignisse ganz maßgeblich beeinflussende Rolle gespielt. Dies lag, wie schon erwähnt, vor allem an der Größe und dem Gewicht der ehemaligen „Paktkirche“ sowie der kirchenpolitischen Bedeutung und nicht zuletzt der – auch international angesehenen – Persönlichkeit ihres Landesbischofs150. Ohne den Einspruch Württembergs wäre die VELKD vermutlich schon 1945 aus der Taufe gehoben worden; die kirchenpolitischen Konstellationen und Entwicklungen der folgenden Jahre wären vermutlich grundlegend anders gewesen, die Einwände anderer lutherischer Kirchen womöglich so nicht erfolgt oder vielleicht ganz unterblieben. Wie alle dem Lutherrat angeschlossenen Kirchen hatte Meiser mit Schreiben vom 20. Mai 1946151 auch Württemberg aufgefordert, zu dem VELKD-Verfassungsentwurf, wie er in der zweiten Lutherratssitzung am 30. April 1946 in Treysa gebilligt worden war152, Stellung zu beziehen. Meiser drängte in dem 148 149 150 151 152

Ebd., 337. Vgl. Schneider, Protokolle, 7B2 und 7C6; vgl. auch ebd., 7C12. Vgl. zu Wurm u. a. Thierfelder, Wurm. Schneider, Protokolle, 2C5. Ebd., 2C1b.

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Schreiben zur Eile und wollte Änderungen am Text nur noch in Ausnahmefällen akzeptieren: „Wir müssen deshalb […] um die Vollmacht bitten, auf Grund der gesendeten Äußerungen die Verfassung endgültig fertigzustellen und dabei Änderungen, die etwa von der überwiegenden Mehrzahl gleicherweise vorgeschlagen wurden, und überzeugend einleuchtende Verbesserungen noch aufzunehmen, andere Vorschläge dagegen unberücksichtigt zu lassen.“153

In seiner von Wurm unterzeichneten Stellungnahme vom 10. Juli 1946154 machte der Stuttgarter Evangelische Oberkirchenrat unmissverständlich klar, dass es ihm nicht um einzelne Verbesserungen an dem Verfassungsentwurf ging, sondern dass er vielmehr den eingeschlagenen Weg grundsätzlich in Frage stellte: „Der Oberkirchenrat kann auf dem in dem Entwurf betretenen Weg nicht mitgehen und deshalb auch keine ‚überzeugend einleuchtende[n] Verbesserungen‘ geben.“ Zur Begründung verwies der württembergische Oberkirchenrat gleich zu Beginn der Stellungnahme auf zwei Aspekte: 1. auf „die Besonderheit der geschichtlichen Führung unserer Landeskirche“, also die konfessionsrelativierende pietistisch-biblizistische Tradition155, und 2. auf die „besondere Verantwortung“ für „die Einheit der ganzen deutschen evangelischen Kirche (jetzt der Evang. Kirche in Deutschland)“; durch die geplante VELKD würde, so der Oberkirchenrat, „die gesunde Entwicklung einer Evangelischen Kirche in Deutschland gefährdet werden“. Der Oberkirchenrat wollte sich nicht generell einer engeren Zusammenarbeit der lutherischen Landeskirchen in Deutschland, insbesondere auch mit der bayerischen Nachbarkirche, verweigern, sah hierfür jedoch nur die Möglichkeit einer „Arbeitsgemeinschaft“; der Preis für die Errichtung eines „stattlichen lutherischen Doms in Deutschland“ sei dagegen viel zu hoch. Angesichts der Zerrissenheit des deutschen Volkes müsse „alles vermieden werden, was zu einer neuen Aufspaltung der Kirche führen könnte“. Die Flüchtlingsströme verunmöglichten überdies „eine auch nur einigermaßen reinliche, konfessionelle Scheidung in den einzelnen Kirchengebieten“: „Es gibt nur noch Evan153

Ebd., 2C5. Ebd., 3C1. Hier auch die folgenden Zitate. Vgl. hierzu auch Hauschild, Diskussion, 339. 155 Wurm hatte in der 1. Lutherratssitzung darauf hingewiesen, dass die württembergische Kirche zwar einen „luth[erischen] Grundcharakter“ habe, dass aber der „Gottesdienst in Württ[emberg] nicht lutherisch“ sei und „der Pfarrerschaft u[nd] insbes[ondere] der Tübinger Fakultät“ ein „luth[erisches] Bewußtsein“ „immer gefehlt“ habe (Protokoll Mahners, zitiert nach: Besier / Ludwig / Thierfelder, Kompromiß, 195). 154

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gelische Kirche, in der die Glieder aus lutherischen, reformierten und unierten Kirchen ihre geistliche Heimat finden können.“ Man verwies ferner auf das gemeinsame Erbe der drei Reichsbekenntnissynoden in Barmen, Dahlem und Augsburg sowie auf die jüngsten Entwicklungen in der Ökumene. In Barmen sei es zum ersten Mal seit der Reformation zu einem „gemeinsamen Bekennen“ der verschiedenen protestantischen Kirchen gekommen. In der Ökumene nehme man die deutschen Vertreter als Vertreter der EKD, und nicht als Vertreter einer bestimmten Konfession wahr. Ausdrücklich erklärte man, an gemeinsamen Abendmahlsfeiern zwischen Lutheranern, Reformierten und Unierten gemäß den Beschlüssen der altpreußischen Bekenntnissynode in Halle 1937 festhalten zu wollen. Schließlich wurde vor einer möglichen Aufspaltung der unierten Kirchen gewarnt und betont, der VELKD-Verfassungsentwurf stoße in der gesamten württembergischen Landeskirche auf breite Ablehnung. Immer wieder begegneten in der württembergischen Stellungnahme das pragmatische Argument, „daß die Gründung einer konfessionell lutherischen Kirche in Deutschland an der Wirklichkeit der Lage der evangelischen Christenheit vorbeigeht“, und das theologische Argument, dass die VELKD „eine Gefährdung der biblischen Unität“ bedeute, „die wir als ein wertvolles Erbe unserer Geschichte schätzen“. Der später noch viel diskutierte Begriff „biblische Unität“ wurde offenbar von Wurm selbst geprägt156, allerdings wohl im Rückgriff bzw. in Anspielung auf Traditionen der (Herrnhuter) Brüdergemeine mit ihrer konfessionsübergreifenden Tendenz157. Obwohl eine klare Definition des Begriffes nicht erfolgte158, war doch deutlich, dass Württemberg gemäß seinem pietistisch-biblizistischen Erbe zugunsten der Autorität, Mittelpunktstellung und Priorität der Bibel und zugunsten der unmittelbaren Christusbeziehung des Einzelnen die Relevanz der Konfession bzw. der Bekenntnisschriften erheblich relativierte. Ganz dementsprechend hieß es in der abschließenden zusammenfassenden „Feststellung“ der württembergischen Stellungnahme zu dem VELKD-Verfassungsentwurf: „Die Frage, um die es in Deutschland heute geht, ist nicht die konfessionelle Frage. Es geht vielmehr um das schlichte EntwederOder. Für Christus oder wider Christus.“159 Es konnte nicht ausbleiben, dass die ablehnende Stellungnahme des württembergischen Evangelischen Oberkirchenrats bei den Verfechtern des Gedan-

156 Vgl. Smith-von Osten, Treysa, 231. Zum Begriff „biblische Unität“ insgesamt vgl. ebd., 229–233. 157 Vgl. Schneider, Protokolle, 3B1, besonders auch Anm. 33. 158 So auch Smith-von Osten, Treysa, 231. 159 Schneider, Protokolle, 3C1.

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kens der VELKD auf Unverständnis und scharfe Kritik stieß. Meiser machte in der dritten Lutherratssitzung am 12. und 13. September 1946 in Göttingen aus seiner Enttäuschung und seinem Unmut über die Haltung Württembergs keinen Hehl. Laut Protokoll äußerte er u. a.: „Was an dem Württemberger Gutachten so schmerzlich berührt, ist, daß es auf einer grundsätzlich anderen Basis steht, als was bisher im Lutherrat Geltung hatte. Was mit dem Begriff der biblischen Unität bezeichnet ist, das ist diametral verschieden von dem, was bisher der Lutherrat als erstrebenswert bezeichnet hat. Mit dem Begriff der biblischen Unität ist der Begriff der Bekenntnisbestimmtheit aufgehoben. Der ist entweder darin überhöht oder untergegangen. Wir sollen dabei von einer klaren bewährten Grundlage wegtreten auf einen Boden, der erst gebaut werden muß, ein erst zu legendes Fundament. Eine solche Situationstheologie sollte uns in den Jahren des Bekenntniskampfes vergangen sein. […] Die lutherische Kirche muß erhalten bleiben. Wir können es mit unserem Gewissen nicht vereinbaren, daß im Lande Luthers die lutherische Kirche zu Grabe getragen wird.“160

Bereits in dieser dritten Lutherratssitzung konnte Meiser gleich drei Gutachten renommierter lutherischer Universitätstheologen, nämlich von Sasse, Elert und Merz, präsentieren, die allesamt die Stellungnahme des Stuttgarter Oberkirchenrates einer deutlichen theologischen Kritik unterzogen161. Sasses Gutachten162 begann mit einem Verweis auf Artikel 7 der Confessio Augustana. Bei der Ausarbeitung einer Verfassung für eine Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands gehe es, so Sasse, nicht, wie der Stuttgarter Oberkirchenrat meine, um den Bau eines „stattlichen lutherischen Domes“, sondern um die leitende Frage: „Was kann geschehen und was haben wir zu tun, damit auch in Zukunft in Deutschland die Verkündigung des reinen Evangeliums und die schriftgemäße Verwaltung der Sakramente gesichert sei, soweit die äußere Ordnung der Kirche, die, wie wir wohl wissen, ein menschliches Werk ist, diesem Ziele dienen kann?“

Da auf Grund der politischen Grenzveränderungen das alte Territorialkirchentum keine Zukunft habe, gebe es keine Alternative zu einem „allmählichen organischen Zusammenschluss der bisherigen lutherischen Landeskirchen zu einem Kirchenkörper“. Zwar bekannte sich auch Sasse zu der besonderen Verantwortung den Flüchtlingen gegenüber, jedoch dürfe die Kirche „nichts von der schriftgemäßen Lehre ihres Bekenntnisses preisgeben, um eine nationale 160 Zitiert nach ebd., 3B1 (Verlaufsprotokoll Stolls); vgl. ähnlich auch ebd., 3B2 (Verlaufsprotokoll Mahners). 161 Ebd., 3C6–8. Vgl. hierzu auch Hauschild, Diskussion, 339 f. 162 Ebd., 3C8. Hier auch die folgenden Zitate.

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Aufgabe an den evangelischen Volksgenossen zu erfüllen, wenn anders sie nicht in die Irrlehren der ‚Deutschen Christen‘ verfallen wollte“: „Nur der Aufbau bekenntnisgebundener Kirchen, die neben sich den religiösen Minderheiten Raum und Freiheit zur Entfaltung ihres eigenen Lebens lassen, kann den heimatlosen Menschen unseres Volkes die geistliche Heimat schaffen, die sie heute zum Leben brauchen.“ Zudem kämen die Flüchtlinge ganz überwiegend aus Kirchen lutherischen Bekenntnisses. Sasse warf dem württembergischen Oberkirchenrat vor, er wolle „die Union in erneuerter Gestalt auf das ganze deutsche evangelische Kirchentum aus[…]dehnen“, wobei das grundlegende gemeinsame Bekenntnis einer solchen EKD „erst von der Zukunft“ erwartet werde. Damit gebe der Oberkirchenrat den reformatorischen Bekenntnisbegriff auf zugunsten eines neuen Bekenntnisbegriffs, der „einer das Schwärmertum mindestens streifenden modernen theologischen Schule angehört“. Der „Kirchenkampf“ habe „die unaufgebbare Erkenntnis gebracht […], daß das Kirchenregiment an das Bekenntnis gebunden sein muß“. Zu dem Ökumene-Argument der württembergischen Stellungnahme führte Sasse u. a. aus: „Was hülfe es der Christenheit, wenn in jedem Lande eine bekennende Kirche zu einem gemeinsamen ‚evangelischen Bekennen‘ sich zusammenfände? Der Inhalt dieses Bekennens wäre ja in jedem Lande je nach konfessioneller Zusammensetzung ganz verschieden. […] Aber in der Begegnung der großen bekenntnisgebundenen Kirchen der Erde, der großen Konfessionen, die nun einmal mächtige Realitäten der Kirchengeschichte sind, da entscheidet sich das irdische Schicksal der Christenheit. Darum kann die deutsche Christenheit in das ökumenische Gespräch nicht anders eingreifen, als daß die Lutheraner magno consensu für die lutherische Kirche, die Reformierten für die Reformierte [sic!], die Unierten für die unierte Kirche reden.“

Die für die Württemberger zentrale „Frage für oder wider Christus“ sei „immer eine dogmatische, eine konfessionelle Frage“. Elert163 argumentierte, die Berufung der Württemberger auf die aktuelle „Lage“ berge die Gefahr in sich, „den Aufbau der Kirche der menschlichen Willkür“ preiszugeben; auch die Deutschen Christen beispielsweise hätten mit dem Hinweis auf die Lage kirchliche Entscheidungen zu begründen versucht. Zum Flüchtlingsproblem meinte er genau wie Sasse, es handele sich bei den aus den Ostgebieten „evakuierten“ Protestanten (bemerkenswerterweise sprach Elert nicht von Vertriebenen) fast ausschließlich um Gemeindeglieder, die nach dem lutherischen Katechismus unterrichtet worden seien. Zur Frage der Ökumene führte Elert u. a. aus, die lutherischen Kirchen dürften nicht genötigt wer-

163

Ebd., 3C6. Hier auch die folgenden Zitate.

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den, „ihrer Bekenntnispflicht vor der Weltöffentlichkeit nur durch den Mund einer unierten Kirchenleitung zu genügen“; vielmehr müssten sie „umgekehrt fordern, daß sie gerade als lutherische Kirchen unmittelbar zur Ökumene reden können“. Elert warf dem Stuttgarter Oberkirchenrat vor, er strebe „tatsächlich eine Übertragung der Ordnung und des Bekenntnisstandes der bisherigen Kirche der altpreußischen Union auf die Gesamtheit der EKiD und damit auch auf die bisher nicht unierten Kirchen“ an; ja, mehr noch, der Begriff der „biblischen Unität“ könne sogar eigentlich nur „im Sinne der Konsensusunion verstanden werden“. Nun habe aber, so Elert, die Bekennende Kirche im „Kirchenkampf“ angesichts der reichskirchlichen Gleichschaltungsversuche zu Recht damit argumentiert, dass bekenntnisbestimmte Kirchen nur einem entsprechend bekenntnisbestimmten Kirchenregiment unterstellt werden dürften. Elert konstatierte sodann „eine in die letzten Tiefen hinabreichende theologische Differenz“ zwischen Lutherrat und Stuttgarter Oberkirchenrat. Während der Lutherrat gemäß der lutherischen Christologie und Ekklesiologie, wonach die Kirche Leib Christi im Sinne des inkarnierten Logos sei, die „Einheit der Kirche unter voller Bejahung der Dogmengeschichte“ fordere, erstrebe der Stuttgarter Oberkirchenrat Kircheneinheit „unter Negation der Dogmengeschichte“, folge also im Grunde einer calvinistischen Christologie und Ekklesiologie, die „eine Leiblichkeit der Kirche Christi“ verneine. Die Gemeinschaft mit den Vätern im Glauben, „mit den Heiligen aller Zeiten“, dürfe nicht preisgegeben werden; „einer Abrogation der alten Bekenntnisse“ dürfe die Kirche „nur dann zustimmen, wenn ihre Irrtümlichkeit erwiesen ist“. Schließlich wandte Elert sich gegen die vom württembergischen Oberkirchenrat befürwortete Abendmahlsgemeinschaft, die tatsächlich nicht der Einigkeit der Kirchen diene, sondern sie vielmehr zerschneide: „Wird sie [die Abendmahlsgemeinschaft] ohne volle Einheit in der Lehre gewährt, so wird damit entweder die Lehre vergleichgültigt oder das heilige Abendmahl zu einer bloßen Zeremonie entwürdigt.“ In diesem Zusammenhang warf Elert die Frage auf, ob gegenüber Pfarrern und Gemeinden, die aus Gewissensgründen gemeinsame Abendmahlsfeiern verweigerten, „ein kirchliches Nötigungsrecht beabsichtigt“ sei. Merz verwies in seinem Gutachten164 zunächst darauf, dass die Reichsbekenntnissynoden von Barmen, Dahlem und Augsburg, auf die der württembergische Oberkirchenrat sich berief, „nur von ihrem eigenen Selbstverständnis her richtig gewürdigt werden“ könnten. Diese Bekenntnissynoden hätten aber gerade „die ‚Bekenntnisse der Reformation‘ als Grundlage ihrer Lehre und ihres Handelns“ und die Deutsche Evangelische Kirche ausdrücklich als einen „Bund bekenntnisbestimmter Kirchen“ bezeichnet. Sodann hielt er dem württember164

Ebd., 3C7. Hier auch die folgenden Zitate.

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gischen Oberkirchenrat vor, er verstehe „unter ‚lutherisch‘ eine eigentümliche Haltung, die sich in der Frömmigkeitsübung oder in der kirchenregimentlichen Methode darstellt und deren Herkunft geschichtlich, psychologisch oder morphologisch zu erklären ist“. Es gehe aber, so Merz, nicht um einen bestimmten Frömmigkeitstyp, sondern um eine bestimmte Lehre. Dementsprechend habe man „im Kirchenkampf an allen Orten […] auf Grund der Bekenntnisschriften vor der Öffentlichkeit die Lehre der Kirche unter Verwerfung der Irrlehre begründet“. Genau wie Elert argumentierte Merz ferner, dass bei kirchlichen Entscheidungen niemals „die Lage maßgebend“ sein dürfe, „sondern das am Zeugnis der Schrift gewonnene und geprüfte Bekenntnis“, sonst drohe die Gefahr, dass „das Evangelium durch kirchenfremde Einflüsse überfremdet“ werde. Auch angesichts des Flüchtlingsproblems in Deutschland gelte der Grundsatz: „In chaotischen Verhältnissen kann Kirche nur ordnen, wer einer klaren Lehre und einer darauf gegründeten Regel gewiß ist.“ Schließlich warf Merz dem Stuttgarter Oberkirchenrat vor, er bestreite „überhaupt die Notwendigkeit einer klaren Lehre als Grundlage des kirchlichen Handelns“. Die württembergische Kirche müsse sich fragen, „ob für ihr Handeln – im Einklang mit dem Eingang ihrer Verfassung – wirklich das evangelisch-lutherische Bekenntnis der Reformation maßgebend sei, oder das pietistische Erlebnis der Erweckungen des 18. und 19. Jahrhunderts“. Auf Beschluss des Lutherrates übersandte Meiser die drei Gutachten, zunächst in anonymisierter Form165, dem Stuttgarter Oberkirchenrat: „mit dem Ersuchen […], seine Stellungnahme anhand dieser Gutachten zu überprüfen und das Ergebnis dieser Überprüfung dem Rate mitzuteilen, damit das Verhältnis der Württembergischen Landeskirche zu den im Rate verbundenen Kirchen geklärt werden kann.“ Meiser schloss sein Begleitschreiben mit der Hoffnung, dass die bewährte Zusammenarbeit mit Württemberg nicht nur erhalten, sondern vertieft werden könne, und zwar „nicht nur zum Wohle der lutherischen Kirche, sondern im wohlverstandenen Interesse einer endgültigen Ordnung der Evangelischen Kirchen in Deutschland“166. Wurm bzw. die württembergische Kirchenleitung reagierte auf die Übersendung der Gutachten mit insgesamt gleich drei Schreiben: einer vorläufigen kurzen und einer ausführlicheren offiziellen Antwort167 Wurms, jeweils im Namen des Stuttgarter Evangelischen Oberkirchenrats, sowie einem privaten 165 Wurm bat mit Schreiben vom 1. 10. 1946 (ebd., 3E3) um Mitteilung der Namen der Verfasser der Gutachten, die „offenbar versehentlich“ weggelassen worden seien. Stoll fragte daraufhin bei den Gutachtern an, ob sie mit der Bekanntgabe ihrer Namen einverstanden seien, was diese bejahten (vgl. ebd., 3E3, Anm. 237). 166 Schreiben Meisers vom 19. 9. 1946: ebd., 3C12. 167 Schreiben vom 1. 10. bzw. 23. 11. 1946: ebd., 3E3 u. 4E1.

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Schreiben Wurms an Meiser168. In dem erstgenannten Schreiben wurde beteuert, dass der Oberkirchenrat es nach wie vor für seine „Pflicht“ halte, „in möglichst enger Zusammenarbeit mit den anderen lutherischen Kirchen Deutschlands zu bleiben“. Der EKD wurde aber eindeutig Priorität vor der VELKD eingeräumt: Man halte einen Zusammenschluss der lutherischen Kirchen in der geplanten straffen Form so lange für nicht möglich, bis „die EKD eine endgültige Gestalt gewonnen hat“. Neu war der Gedanke, dass „das Wesen der EKD im ganzen durchaus durch das lutherische Bekenntnis geprägt sein muß“169. Dieser Gedanke war bereits in dem von Württemberg in Auftrag gegebenen EKD-Verfassungsentwurf des Tübinger Juristen Hans Erich Feine vom September 1946170 enthalten, der auch schon in der dritten Lutherratssitzung am 12. und 13. September 1946 in Göttingen zur Sprache gekommen war171. In diesem Entwurf, der im Übrigen eine „Bundeskirche“ vorsah172, hieß es: „Die Evang. Kirche in Deutschland trägt, dem Ursprung und Werdegang des deutschen evangelischen Kirchentums entsprechend, lutherisches Gepräge.“173 Auch in seinem Privatbrief an Meiser, in dem er im Übrigen sichtlich darum bemüht war, das angeschlagene freundschaftlich-persönliche Verhältnis der beiden Bischofskollegen wiederherzustellen, betonte Wurm den lutherischen Charakter der gesamten EKD. Wurm benutzte das aus der deutschlandpolitischen Diskussion des 19. Jahrhunderts stammende Bild von der „großdeutschen“ bzw. „kleindeutschen Lösung“ und führte u. a. aus: „Ich bin für jede Lösung des Konfessionsproblems innerhalb der EKD, die der Tatsache der lutherischen Prägung von 9/10 des evangelischen Kirchentums in Deutschland Rechnung trägt, aber die Glaubens- und Arbeitsgemeinschaft besonders in den gemischten Gebieten nicht gefährdet.“174

Ganz ähnlich lautete schließlich ein zentraler Satz der ausführlicheren offiziellen württembergischen Antwort: „Dabei ist es […] durchaus unsere Überzeugung, dass der Charakter des Kirchenregimentes [der EKD] und der EKD im ganzen lutherisch sein muss, entsprechend der 168

Schreiben von Anfang Oktober 1946: ebd., 3E4. Ebd., 3E3. 170 Ebd., 3C5. 171 Dem Verlaufsprotokoll Stolls zufolge (ebd., 3B1) hatte Württemberg den EKD-Verfassungsentwurf „übergeben“, dem Verlaufsprotokoll Mahners zufolge (ebd., 3B2) teilte Metzger in der Sitzung mit: „Professor Feine-Tübingen ist mit der Ausarbeitung eines Entwurfes [für eine Verfassung der EKD] beauftragt.“ Beide Protokolle stimmten darin überein, dass der Hauptgedanke des Entwurfs Feines in der Sitzung bereits diskutiert wurde. 172 Ebd., 3C5, Art. 2, I. 173 Ebd., 3C5, Art. 1, II. 174 Ebd., 3E4. 169

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Tatsache, dass die Geschichte der deutschen evangelischen Christenheit im wesentlichen durch Martin Luthers Lebenswerk bestimmt ist.“

Die bereits vorhandene „Gemeinsamkeit zwischen lutherischen und reformierten und konsensus-unierten bekennenden Kirchen“ lasse es möglich erscheinen, „miteinander eine evangelische Kirche [zu] bilden, die in ihrem Gesamtgepräge lutherisch bestimmt ist (mit eben jenem Grundbekenntnis, das für die VELKD vorgesehen ist), unter lutherischer Führung steht und doch die Reformierten und Konsensus-Unierten (soweit diese nicht ein solches lutherisches Bekenntnis übernehmen wollten) an einer wirklichen kirchlichen Gemeinschaft teil haben lässt.“

Diese ausführlichere Antwort wandte sich im Übrigen gegen vermeintliche Missverständnisse und Missdeutungen in den drei Gutachten, brachte ansonsten aber keine neuen Argumente. Man warnte vor einem „Abweichen von der Linie des Neuen Testaments“ und der „Gefahr der Orthodoxie“, „wenn die Einheit der Kirche wesentlich in der Einheitlichkeit von Lehrformulierungen gesucht wird“175. Die wesentlichen Argumente des Lutherrates und der württembergischen Kirchenleitung waren ausgetauscht; eine Annäherung der Positionen war nicht erkennbar. Auch der württembergische Vorschlag, die EKD nicht als „Bund bekenntnisbestimmter Kirchen“, sondern vielmehr als echte Kirchengemeinschaft auf der Grundlage sozusagen eines „Unionsluthertums“ oder, wie Meiser es nannte, „milden Luthertums“176 zu konstituieren, musste bei den Verfechtern der VELKD auf heftige Ablehnung stoßen, denn ihnen war ja gerade an einem eindeutigen bekenntnismäßigen Profil mit entsprechend scharfen lehrmäßigen Konturen gelegen und jeder Versuch von Aufweichung, Verwässerung oder eben auch Abmilderung zutiefst verdächtig. Auch der Reformierte Bund lehnte − aus verständlichen Gründen − den württembergischen Vorschlag eines, wenn auch „milden“, lutherischen Gepräges der gesamten EKD strikt ab177.

175 176

Ebd., 4E1. Zitiert nach dem Protokoll der vierten Lutherratssitzung am 20. 1. 1947 in Hannover: ebd.,

4B. 177 Vgl. die Entschließungen des Moderamens des Reformierten Bundes vom 14. 3. 1947 (ebd., 5C1), in denen es u. a. hieß: „Die Augsburgische Konfession jetzt zu einer gemeinverbindlichen Bekenntnisschrift nachträglich zu erheben, wie uns nahe gelegt [sic!] wird, ist den reformierten Gemeinden nicht nur wegen ihrer bekenntnismässigen Abweichung von der C.A., sondern auch wegen der ihrem Wesen durch ihre Entstehungsgeschichte von vorne herein [sic!] gezogenen Grenzen nicht möglich.“

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4.3 Das Fernhalten und Fernbleiben Oldenburgs Anders als die württembergische Landeskirche hatte die oldenburgische Landeskirche niemals dem Lutherrat angehört. Dies war wegen des radikalen deutschchristlichen Kirchenregiments Oldenburgs nicht verwunderlich. Aber auch die Bekennende Kirche in Oldenburg unter Kloppenburg war dem Lutherrat ferngeblieben und hatte sich zur VKL II gehalten178. 1945 wurde Stählin, ehemaliger bayerischer Pfarrer und seit 1926 Professor für Praktische Theologie in Münster, Mitglied der liturgischen Berneuchener Erneuerungsbewegung und Begründer und Ältester der Michaelsbruderschaft, oldenburgischer Bischof 179. Stählin und Kloppenburg beklagten sich bereits im September 1945 in zwei Briefen an Meiser darüber, dass Vertreter der oldenburgischen Kirche nicht zu den Besprechungen bzw. Sitzungen des Lutherrates eingeladen worden seien180. In persönlichen Briefen an den „Bundesbruder“ Fleisch wurde Stählin deutlicher181. Er warf den Lutherratsvertretern vor, dass man ihn nicht nur nicht zur Mitarbeit „aufgefordert“, sondern sogar „ferngehalten“ habe182. Gleichzeitig machte er aber auch inhaltliche Bedenken gegen den Lutherrat und die sich formierende VELKD geltend. Er sei, so Stählin, „bisher immer der Meinung“ gewesen, dass der Lutherrat nicht so sehr theologische, sondern „im Wesentlichen bestimmte kirchenpolitische Zwecke […] verfolge“. Außerdem dürfe man „bei den Plänen einer lutherischen Kirche in Deutschland […] die starken lutherischen Kräfte innerhalb der preussischen Union“ nicht übergehen. Schließlich gab Stählin sich als Verfechter des Wurmschen Einigungswerkes zu erkennen183, das er durch die Bestrebungen des Lutherrates gefährdet sah: „Irgend eine Kirchenpolitik, die im Namen eines lutherischen Konfessionalismus das mühsame Einigungswerk wieder aufspalten und die höchst üble Situation von Treysa184, wo sich Lutherrat und Bruderrat wie zwei feindliche Parteien gegenüberstanden, verewigen wollte, wäre nach meiner und meiner hiesigen Freunde Überzeugung verkehrt und verderblich.“

178 Vgl. oben 3.2.4, 155. Zur Geschichte der Landeskirche Oldenburg im „Dritten Reich“ vgl. Rittner, Intakte oder zerstörte Kirche; und Sommer, Bekenntnisgemeinschaft. 179 Zu Stählin vgl. Meyer-Blanck, Stählin; sowie die Autobiographie Stählin, Via Vitae. 180 Stählin an Meiser, 14. 9. 1945 und Kloppenburg an Meiser, 17. 9. 1945 (Abschriften – LKA Hannover, D 15 IV 3). 181 Informeller Briefwechsel zwischen Fleisch und Stählin aus dem Zeitraum vom 24. 10. 1945 bis zum 13. 1. 1946 (Durchschriften von Fleisch und Originale von Stählin: ebd). 182 Schreiben vom 7. 11. 1945 (ebd.). Hier auch die folgenden Zitate. 183 Vgl. hierzu auch Stählin, Via Vitae, 501. 184 Vgl. Hauschild, Kirchenversammlung.

Das Fernhalten und Fernbleiben Oldenburgs

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In der Leitung der oldenburgischen Kirche seien, so Stählin, „die ‚landeskirchliche‘ und die ‚bruderrätliche‘ Linie lutherischen Kirchentums in engster Zusammenarbeit vereint“185. Tatsächlich war der Vorwurf der Oldenburger, der Lutherrat habe sie nach dem Ende des „Dritten Reiches“ eher fernhalten wollen, nicht unbegründet, wie das Protokoll der zweiten Lutherratssitzung am 30. April 1946 in Treysa zeigte. Als ein Ergebnis der Sitzung wurde festgehalten: „Eine offizielle Aufforderung an Oldenburg sich anzuschließen soll zur Zeit nicht ausgesprochen werden.“186 Auf Grund von anhaltender Kritik an der ablehnenden Haltung Oldenburgs zur VELKD sah sich der oldenburgische Oberkirchenrat187 1947 genötigt, eine umfassende Erklärung abzugeben188. In ihr verwahrte er sich zunächst gegen die Vorwürfe der „Eigenbrötelei“ und „unionistischer Neigungen“189. Der Oberkirchenrat bekannte sich sodann zu seiner „gesamtkirchlichen (ökumenischen) Verantwortung“ „innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland“. In den „Erfahrungen des Kirchenkampfes“ sei den Protestanten in Deutschland eine über einen bloßen „Kirchenbund weit hinausgehende Einheit des Glaubens und Bekennens tatsächlich geschenkt worden“. Die Landeskirchen als politische Gebilde hätten ihr Daseinsrecht verloren190; die „landeskirchliche Aufspaltung“ müsse „zugunsten einer wirksamen Einheit“ überwunden werden191. Dabei sei es durchaus „eine wesentliche Aufgabe der gegenwärtigen Stunde, […] sich auf den besonderen Charakter und die gesamtkirchliche Verantwortung der lutherischen Reformation zu besinnen.“ In dieser Hinsicht unterstütze man auch „die Bildung einer gemeinsamen lutherischen Kirche […], in der sich das lutherische Erbe ohne ständige Rücksichten und Kompromisse charaktervoll entfalten kann.“ Die „verfassungsmäßige Bindung einer Landeskirche an das lutherische Bekenntnis“ allein gewährleiste noch nicht, dass „auf dem Boden dieser Kirche in den einzelnen Gemeinden gemäß dem lutherischen Bekenntnis gepredigt und die Sakramente […] gefeiert werden.“ Umgekehrt habe „vielfach […] auf dem Boden von Unions-Kirchen eine ernste Besinnung eingesetzt […]

185

Schreiben vom 28. 11. 1945 (LKA Hannover, D 15 IV 3). Zitiert nach Schneider, Protokolle, 2B. 187 Dem oldenburgischen Oberkirchenrat gehörten neben Stählin und Kloppenburg der Jurist Hermann Ehlers (vgl. hierzu Meier, Ehlers) sowie der Theologe Osterloh (vgl. hierzu Zocher, Osterloh) an. 188 Zur Frage der „Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands“, vgl. hierzu auch Stählin, Via Vitae, 509–511. 189 Zur Frage der „Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands“, 3. 190 Ebd., 3 f. 191 Ebd., 6. 186

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auf das lutherische […] Erbe“192. Manche konfessionellen Unterschiede seien inzwischen historisch überholt, dagegen zögen sich andere „heute als stark empfundene Unterschiede quer durch die geschichtlichen Konfessions-Kirchen“ hindurch. In allen Konfessionen gelte es, „der spiritualistischen Entleerung und Auflösung“ des „biblischen Realismus“ zu wehren. Das habe nichts „mit einer unionistischen Abschleifung wirklicher Gegensätze des Glaubens und der Lehre“ zu tun: „Das genaue Gegenteil ist der Fall. Die Einheit der Kirche wird durch nichts so sehr bedroht wie durch unechte und bloß traditionell verteidigte Fronten […]“193 Eine „,klein-lutherische‘ Lösung“ – ohne das Luthertum in den Unionskirchen – entspreche weder der tatsächlichen konfessionellen Lage noch dem lutherischen Verständnis von Kirche: „Eine lutherische Kirche, die nicht den wirklichen Konfessionsstand der Gemeinde, sondern die geographische Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kirchengebiet zum Maßstab macht, ist gerade in der Art dieser ihrer Entstehung nicht wirklich lutherisch.“194 Die Barmer Theologische Erklärung markiere „eine geschichtliche Entwicklung, hinter die zurückzugehen von vielen mit großem Ernst als ein Ungehorsam gegen Gott empfunden würde.“195 Entsprechendes machte der oldenburgische Oberkirchenrat im Blick auf die Abendmahlsgemeinschaft zwischen Lutheranern und Reformierten für die altpreußische Bekenntnissynode von Halle 1937196 geltend: „Die Bekenntnissynode von Halle (1937) hat sich gründlich mit der Frage befaßt, wie sich die Abendmahlsgemeinschaft zwischen Lutheranern und Reformierten mit einer bewußten Treue zu dem besonderen Erbe der beiden Konfessionen vereinigen lasse. Diese Frage ist nicht mehr zur Ruhe gekommen und darf nicht mehr zur Ruhe kommen. […] Ist es nicht möglich, daß wir auch mit Menschen, deren Theologie wir für falsch halten, und denen wir darum ernsthaft widersprechen müssen, trotzdem, weil wir nicht an sie und ihre Theologie, sondern an den einen Herrn glauben, gemeinsam am Altar stehen […]?“197

Nach der Überzeugung des oldenburgischen Oberkirchenrates gab es „für die ‚konfessionelle‘ Gestalt der Evangelischen Kirche in Deutschland eine einzige Lösung: […] Es darf kein Zweifel darüber bestehen, daß die Evangelisch-Lutherische Kirche in Deutschland alle Kirchen und Gemeinden umfaßt, die lutherisch sind und 192 193 194 195 196 197

Ebd., 7. Ebd., 8. Ebd., 9. Ebd., 10. Vgl. hierzu Niemöller, Synode zu Halle. Zur Frage der „Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands“, 11.

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lutherisch sein wollen, und daß diese lutherische Kirche ihren reformierten Brüdern, die ihr für bestimmte gemeinsame Aufgaben angegliedert sind, die volle Gemeinschaft der Kanzel und des Altars gewährt. […] Es wird die nicht ganz unberechtigte Sorge abgewehrt, als solle hier von oben, von den konfessionell bestimmten Kirchenleitungen her, etwas gemacht oder doch vorweggenommen werden, was nur in dem Glauben, Beten, Hören und Feiern der Gemeinden werden und wachsen kann. Es wird nicht eine aus der Vergangenheit überkommene Front verfestigt, sondern ein Rahmen geschaffen, innerhalb dessen sich das geistliche Leben und die kirchliche Gestaltungskraft vom lutherischen Bekenntnis her entfalten und bewähren kann. Wir werden mit Freuden jeder solchen Vereinigten Lutherischen Kirche angehören, in der diese unaufgebbaren Anliegen gewahrt sind.“198

Die Argumentationen des württembergischen und des oldenburgischen Evangelischen Oberkirchenrates waren in weiten Teilen sehr ähnlich, wenn nicht identisch: Priorität der gesamtprotestantischen EKD, Festhalten an der (Kirchen-)Gemeinschaft mit Reformierten und Unierten, einschließlich der vollen wechselseitigen Abendmahlsgemeinschaft, Rückbesinnung auf die gemeinsamen Erfahrungen der Bekennenden Kirche, vor allem auf die ersten drei Reichsbekenntnissynoden, und auf das Wurmsche Einigungswerk, positives Aufgreifen und Weiterführen dieser Erfahrungen. Womöglich hatten Württemberg und Oldenburg sich verständigt und abgestimmt. Dies galt offenbar vor allem für das gemeinsame Ziel einer sozusagen „milden“ lutherischen Prägung der gesamten EKD bzw. – umgekehrt – der Abwehr einer „kleindeutschen“ (so Wurm) oder „klein-lutherischen“ (so Stählin) Lösung, denn dieses Ziel fand sich in der ersten württembergischen Stellungnahme noch nicht, während es später sowohl von württembergischer als auch von oldenburgischer Seite in nahezu gleichlautender Weise stark hervorgehoben wurde. Mit diesem Ziel stießen Oldenburg und Württemberg auf die gemeinsame Abwehrfront von VELKD-Verfechtern und Reformiertem Bund199. Neben den Gemeinsamkeiten waren natürlich auch Unterschiede in den Argumentationsgängen des württembergischen und des oldenburgischen Oberkirchenrates nicht zu übersehen, die vor allem mit der besonderen pietistisch-biblizistischen Tradition Württembergs einerseits und dem besonderen spirituellen und liturgischen Anliegen Stählins andererseits zusammenhingen. Dennoch überwogen die Gemeinsamkeiten. Von daher war es verständlich, dass die Verfechter der VELKD der oldenburgischen Kirche gegenüber auf Distanz blieben: Es galt, eine Koalition Württemberg – Oldenburg im Lutherrat zu verhindern. Die ehemalige „Paktkirche“ Württemberg, Gründungsmitglied des 198 199

Ebd., 14 f. Vgl. oben 4.2, 242 f.; und oben im Text dieses Abschnitts (4.3).

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Lutherrates, musste als kritisches Lutherratsmitglied nach 1945 nolens volens weiterhin akzeptiert werden; Vertreter Württembergs nahmen an allen neun Lutherratssitzung nach dem Kriege teil200. Die oldenburgische Kirche dagegen konnte keine älteren Rechte geltend machen, und so zogen es die Repräsentanten des Lutherrates vor, sie nicht einzubinden. Dabei spielte ohne Zweifel das persönliche Urteil Meisers über Stählins theologische Position und Bekenntnistreue eine wichtige Rolle. Meiser, der den einstigen „Starprediger“ an der Nürnberger Lorenzkirche201 aus seiner Zeit als Direktor des Nürnberger Predigerseminars202 sicher sehr gut kannte, war der Überzeugung: „Stählins Stellung zum Luthertum ist schon seit langem gebrochen.“203 Der schon bald nach Stählins Bischofswahl im Herbst 1945 in der eigenen Landeskirche gegen ihn laut werdende Vorwurf „katholisierender Neigungen“ wird die VELKD-Verfechter in ihrer ablehnenden Haltung noch bestärkt haben. Auch der schon frühzeitig sich abzeichnende Machtkampf zwischen Stählin und Kloppenburg wird daran nichts geändert haben, denn Kloppenburg galt ja als Vertreter des radikalen „dahlemitischen“ Flügels der Bekennenden Kirche204. Im November 1947 forderte Meiser die oldenburgische Kirchenleitung allerdings zum Beitritt zum Lutherischen Weltbund auf und fragte bei ihr an, ob sie sich nicht dem Deutschen Nationalkomitee anschließen wolle205. Dies war insofern bemerkenswert, als damals der Lutherrat selbst sich als Vertretung des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes ansah206. Oldenburg trat indes erst zehn Jahre später dem Lutherischen Weltbund bei207.

4.4 Zum Verhältnis der werdenden VELKD zur werdenden EKD Die Entwicklung der VELKD und die Entwicklung der EKD in den Jahren 1945 bis 1948 vollzogen sich in einem engen Interdependenzverhältnis208. In den Überlegungen der VELKD-Verfechter spielte die grundsätzliche Alternative 200

Vgl. die Teilnehmerverzeichnisse Schneider, Protokolle, 1–9. Vgl. hierzu Meyer-Blanck, Stählin, 679 f. 202 Vgl. hierzu Braun, Meiser, 529. 203 Zitiert nach dem Protokoll der vierten Lutherratssitzung am 20. 1. 1947 in Hannover (Schneider, Protokolle, 4B). 204 Vgl. Meyer-Blanck, Stählin, 681. 205 Meiser an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Oldenburg, 6. 11. 1947 (Reinkonzept mit Ausfertigungsvermerk vom 10. 11. 1947 − LKA Hannover, D 15 V 14). Vgl. hierzu auch unten 4.5.6, 262. 206 Vgl. ebd. 207 Vgl. Schjørring u. a., Weltbund, 477. 208 Vgl. oben 4.1, 211–235. Gewisse Redundanzen lassen sich deswegen nicht völlig vermeiden. 201

Zum Verhältnis der werdenden VELKD zur werdenden EKD

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VELKD – EKD wohl allenfalls vor und zu Beginn der ersten Lutherratssitzung im August 1945 eine Rolle209. Spätestens nach dieser Sitzung war höchstwahrscheinlich allen Lutherratsmitgliedern klar, dass ein lutherischer Zusammenschluss ohne eine klare – und auch institutionalisierte – gesamtprotestantische Perspektive undenkbar war, dass es neben und mit der VELKD auch zu einer EKD kommen würde. Meiser brachte in der siebten Lutherratssitzung am 16. Oktober 1947 in Fulda das geradezu dialektische Verhältnis zwischen den VELKD- und den EKD-Verfechtern aus der Sicht des Lutherrates wie folgt auf den Punkt: „Wir können nicht g a n z miteinander gehen, aber auch nicht o h n e einander.“210 Bereits am 4. Juni 1947 hatte der Lutherrat auf seiner sechsten Vollsitzung in Treysa eine Entschließung verabschiedet, in der das Verhältnis von VELKD und EKD wie folgt beschrieben wurde: „Die VELKD will innerhalb der EKD in brüderlicher Gemeinschaft mit den übrigen evangelischen Kirchen in Deutschland bleiben. Sie fühlt sich mitverantwortlich für das gesamte evangelische Kirchentum in Deutschland und würde es als einen Schaden und Unsegen für alle Teile ansehen, wenn die von Gott geschenkte, uns gegenseitig bereichernde Gemeinschaft zerbrechen würde.“

Es blieben, so hieß es in der Entschließung dann weiter, „verschiedene Möglichkeiten offen“, wie die EKD „im Sinne eines Bundes von Bekenntniskirchen“ geordnet werden könne; einzig eine „unionistische Einheitskirche“ sei ausgeschlossen211. Umgekehrt war sich der Rat der werdenden EKD rasch darüber im Klaren, dass ein besonderer lutherischer Zusammenschluss nicht zu verhindern und grundsätzlich durchaus mit der EKD vereinbar war. Am 31. Januar 1946 fasste der Rat der EKD den folgenden Doppelbeschluss: „Das Recht der Landeskirchen, sich untereinander enger zusammenzuschließen, bleibt unbestritten. […] Es besteht Einmütigkeit darüber, daß durch solche Zusammenschlüsse die Einheit der EKD nicht preisgegeben werden soll.“212

Die am 5. und 6. Juni 1947 in Treysa tagende EKD-Kirchenversammlung hat diesen Kompromiss in einer Entschließung, in der ausdrücklich und „mit 209

Vgl. oben 4.1, 211–215. Zitiert nach dem Verlaufsprotokoll von Hagen Katterfeld (Schneider, Protokolle, 7B2). 211 Zitiert nach ebd., 6C1, Punkt 1. 212 Entschließungen des Rates der EKD in seiner Sitzung am 30. und 31. 1. 1946, 2. Zur Konfessionsfrage, Ziffern 2 u. 3, zitiert nach: Nicolaisen / Schulze, Protokolle, Bd. 1, 323. Vgl. hierzu Hauschild, Diskussion, 338. 210

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Dank“ auf die oben zitierte Passage der Entschließung des Lutherrates Bezug genommen wurde, noch einmal bestätigt213. Sogar die dem Lutherrat besonders kritisch gegenüberstehenden Vertreter des Reichsbruderrates erkannten bei einem Treffen mit Lutherratsvertretern am 25. Juni 1946 in Neuendettelsau in einer gemeinsamen Erklärung das Recht der lutherischen Kirchen auf einen Zusammenschluss an, sofern die Einheit der EKD nicht gefährdet werde214. Es konnte also eigentlich nur noch um Fragen der Macht- und Kompetenzverteilung, der Verhältnisbestimmung sowie der theologisch-ekklesiologischen Einordnung, Abgrenzung und Bewertung von VELKD und EKD gehen, nicht mehr jedoch um die grundsätzliche Frage nach der Existenzberechtigung von VELKD und EKD. Konkret spitzte sich die Diskussion vor allem auf die folgenden vier Problemfelder bzw. Fragen zu; − es waren dies zum Teil exakt dieselben Fragen, die auch beim Ringen um die VELKD-Verfassung eine Rolle spielten215: 1. Sollten die VELKD-Mitgliedskirchen als geschlossener Block oder sollte jede einzelne Landeskirche unmittelbar und direkt der EKD angehören? 2. Sollte wechselseitige Abendmahlsgemeinschaft innerhalb der EKD möglich sein oder nicht? 3. Sollte die EKD ein loser Bund von Kirchen oder selbst – auch in einem theologisch-ekklesiologischen, und nicht nur in einem organisatorisch-soziologischen Sinne – Kirche sein? 4. Sollte die EKD die Repräsentantin des deutschen Protestantismus gegenüber der Ökumene sein, oder sollte gerade auch in der Ökumene das konfessionelle Gliederungsprinzip über dem nationalstaatlichen stehen? Was die drei letzten Fragen anging, so wiesen die Lutherratsprotokolle und die dazugehörigen Dokumente im Grundsätzlichen zunächst eine weitgehend übereinstimmende Haltung der Lutherratsmitglieder – mit Ausnahme der Ver213 Die Entschließung „Zur innerkirchlichen Lage“ der EKD-Kirchenversammlung in Treysa vom 5./6. 6. 1947 („Treysa II“) ist u. a. abgedruckt in: KJ 1945–48, 84 f. Zu der Kirchenversammlung vgl. Smith-von Osten, Treysa, 277–293, zu der Entschließung ebd., 291–293. 214 Vgl. Nicolaisen / Schulze, Protokolle, Bd. 1, 728, Anm. 27. Ein zweites Gespräch zwischen Reichsbruderrats- und Lutherratsvertretern fand am 18. 12. 1946 ebenfalls in Neuendettelsau statt. Dieses Gespräch hatte allerdings einen informellen Charakter, da nur zwei Reichsbruderratsvertreter, Dipper und Schlink, daran teilnehmen konnten. Schlink erklärte, dass die EKD lediglich ein Bund sein könne, „innerhalb dessen eine Gliederung nach Bekenntnissen stattfindet“, und fügte dann sogleich hinzu: „Aber dies darf keine Spaltung bedeuten!“ (zitiert nach dem Protokoll Kinders: Schneider, Protokolle, 4E2). 215 Vgl. oben 4.1, 226 f. Zu den folgenden ersten drei Punkten vgl. ferner auch Hauschild, Diskussion, 343 f.

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treter Württembergs – auf. Es handelte sich dabei um eine in sich geschlossene, stringente, traditionelle Argumentation auf der Grundlage des „Kirchenartikels“ 7 der Confessio Augustana: Voraussetzung für Kircheneinheit ist die Einheit der Lehre (consentire de doctrina), wie sie in den jeweils geltenden Bekenntnisschriften festgelegt ist. Irgendwelche Ersatzgrundlagen für Kircheneinheit, wie z. B. das gemeinsame Kampferlebnis ab 1933 oder die Barmer Theologische Erklärung, werden abgelehnt216. Die EKD kann folglich nicht Kirche im eigentlichen, d. h. im theologisch-ekklesiologischen Sinne, sein. Sie kann deshalb weder Lehrbefugnisse noch wirklich kirchenleitende Kompetenzen innehaben217. Volle Abendmahlsgemeinschaft setzt eine gemeinsame Abendmahlslehre, einschließlich einer gemeinsamen Kirchenzucht, sowie Kirchengemeinschaft voraus. Konsequenterweise kann es grundsätzlich keine wechselseitige Abendmahlsgemeinschaft in der EKD geben218. Auch in der Ökumene muss es in erster Linie eine konfessionelle – und nicht eine geographische – Gliederung geben, wenn das Bekenntnis und die Ordnung der Kirche in einem untrennbaren Zusammenhang stehen219. Ernst Kinder, mittlerweile Professor für Systematische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Neuendettelsau, hat die Argumente systematisch prägnant zusammengefasst und auf der EKD-Kirchenversammlung in Treysa am 5. Juni 1947 in rhetorisch geschickter, werbender Weise vorgetragen220. Kinder 216 Vgl. etwa das Votum von Seebass in der 7. Lutherratssitzung am 16. 10. 1947 in Fulda (zitiert nach: Schneider, Protokolle, 7B2): „[…] eine einige Evangelische Kirche müsste die Einheit der Lehre zur Voraussetzung haben. […] Ersatzgrundlagen der EKD müssen klar abgewehrt werden, auch das vieldeutige ‚Erlebnis der Kirche‘.“ Vgl. insbesondere auch die Stellungnahme der bayerischen Landeskirche zum EKD-Grundordnungsentwurf vom 29. 8. 1947 (ebd., 8D1). 217 Vgl. etwa das Votum von Elert in der 7. Lutherratssitzung am 16. 10. 1947 in Fulda (zitiert nach: ebd.): „[…] keine kirchenregimentlichen und Lehrbefugnisse der EKD […]“ 218 Vgl. etwa das Votum von Meiser in der 6. Lutherratssitzung am 4. 6. 1947 in Treysa (zitiert nach: ebd., 6B). Meiser unterschied „zwischen gastweiser Teilnahme am Hl. Abendmahl (die keiner ablehnt) u. demonstrativer Gemeinschaft (vor der gewarnt werden muß!)“. In der in derselben Lutherratssitzung verabschiedeten Entschließung wurde auf das Problem der Kirchenzucht hingewiesen: „[…] die grundsätzliche Gewährung der Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft etwa an alle Amtsträger der in der EKD zusammengeschlossenen Kirchen [kann] so lange von uns aus nicht ausgesprochen werden, solange nicht zu sehen ist, wie weit in der EKD eine Lehrzucht ausgeübt werden wird.“ (zitiert nach: ebd., 6C1, Punkt 3). Vgl. auch die Diskussion zum Abendmahl in der 9. Lutherratssitzung am 11./12. 3. 1948 in Darmstadt (ebd., 9B1). 219 Vgl. etwa das Votum von Lilje in der 3. Lutherratssitzung am 12. 9. 1946 in Göttingen (zitiert nach: ebd., 3B1): „[…] in Zukunft soll der Weltrat der Kirchen konfessionell, nicht geographisch aufgebaut werden.“ Vgl. auch unten 4.5.6, 262 f. 220 Ernst Kinder: Kurzreferat zur „konfessionellen Frage“ auf der Kirchenversammlung der EKD in Treysa am 5. 6. 1947 (Schneider, Protokolle, 6E). Hier auch die folgenden Zitate. Zu Kinders Referat vgl. auch Smith-von Osten, Treysa, 285–287. Die Argumente der VELKD-Verfechter

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stellte das Werden der VELKD in den weiten historischen Kontext der „Einigungsbestrebungen des deutschen Luthertums aus dem vorigen [19.] Jahrhundert“ hinein und betonte zugleich die „Herkunft aus dem Kirchenkampf“. Als „eine der wichtigsten Erkenntnisse“ dieses Kirchenkampfes bezeichnete es Kinder, „daß Bekenntnis und Ordnung der Kirche nicht auseinandergerissen werden dürfen, sondern daß die Ordnung der Kirche, soll sie wirklich ihrem Wesen gemäß und eigenständig sein, bis in die Kirchenleitung hinein von ihrem Bekenntnis her bestimmt sein muß.“ Kinder warnte dann davor, (subjektives) „aktuelles Bekennen“ oder auch die unmittelbare Berufung auf die Heilige Schrift gegen das (objektive) Bekenntnis auszuspielen: „Gegenüber der ständigen Gefahr der Erweichung und Entleerung, der Umdeutung und Verweltlichung der Botschaft der Schrift will unsere Bindung an das Bekenntnis in klaren Sätzen die Verkündigung der zentralen Schriftwahrheiten: Das Evangelium vom Kreuz Christi, die Predigt von Sünde und Gnade und vom Reich, die Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnade in der rechten Zuordnung von Gesetz und Evangelium und die Spendung der Hl. Sakramente nach Christi Einsetzung um des Heils der uns anbefohlenen Seelen willen als ständige Aufgabe der Kirche verbindlich machen […]“

Kircheneinheit unter Relativierung der Wahrheitsfrage sei unmöglich; Kircheneinheit müsse „sich von der Lehre […] her erweisen, oder sie ist nicht!“ Ansonsten drohe stets die „Gefahr, daß […] außerkirchliche Motive sich einschleichen und bestimmend werden“. Kinder war dann sichtlich darum bemüht, dem Eindruck eines rückwärts gewandten Konfessionalismus, einer bloßen Repristination des lutherischen Bekenntnisses entgegenzutreten und eine positive gesamtprotestantische Perspektive aufzuzeigen. Er bezeichnete das Prinzip der „Bekenntnisbestimmtheit“ „auch als Dienst und Hilfe für die Ordnung der Gesamt-EKD“. Er konzedierte dann – und grenzte sich damit ausdrücklich von den lutherischen Freikirchen ab221 –, dass es in der werdenden EKD bereits eine „echte, positive, geistlich begründete Gemeinschaft, von den Erweckungsbewegungen und den gemeinsamen kirchlichen Werken an über den Kirchenkampf bis zum Stuttgarter Schuldbekenntnis“ gebe. Die EKD sei auch schon mehr als der Deutsche Evangelische Kirchenbund von 1922. Freilich fehle der EKD noch „die Einheit sind auch zusammengefasst in der Stellungnahme der bayerischen Landeskirche zum EKD-Grundordnungsentwurf vom 29. 8. 1947 (Schneider, Protokolle, 8D1), in der Stellungnahme des Lutherrates vom 12. 3. 1948 zur EKD-Grundordnung (ebd., 9C4) sowie in dem Schreiben Meisers an die EKD-Kanzlei vom 18. 3. 1948 (ebd., 9C5). 221 Vgl. dazu auch unten 4.5.5, 260–262.

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der Lehre“; davor dürfe man „die Augen nicht verschließen“: „[…] Zusammengehörigkeitsbewußtsein allein genügt noch nicht.“ Auch durch die Barmer Theologische Erklärung seien die bestehenden Konfessionsunterschiede nicht aufgehoben; dies zu meinen sei „eine gefahrvolle Selbsttäuschung“. Kinder beeilte sich dann allerdings sogleich, „Barmen“ positiv zu würdigen. Auch die Lutheraner beriefen sich auf die Barmer Theologische Erklärung und die Erklärung zur Rechtslage sowie auch auf die Beschlüsse der Dahlemer Reichsbekenntnissynode. Überall werde „zum erneuten Ernstnehmen des vorhandenen Bekenntnisses“, zu einem „Bund von Bekenntniskirchen“ und also zur konfessionellen Gliederung aufgerufen. Kinder spielte damit auf das Problem der Äquivokation222 des Begriffs „Bekenntnis“ im Zusammenhang mit „Barmen“ an: Ist „Barmen“ angesichts der deutsch-christlichen Irrlehren als neues Bekenntnis oder – so die immer wieder vorgetragene lutherische Sicht – als Ermahnung zur Rückkehr zu den bestehenden Bekenntnissen zu verstehen? Man dürfe, so Kinder, bei der kirchlichen Neuordnung „zwar nicht von der EKD a u s [gehen], sondern von der Aktivierung des kirchlichen Bekenntnisses“, aber auch die Lutheraner wollten „damit doch durchaus und bewußt in Verantwortung und Hilfe a u f die EKD a b z i e l e n “. Wie er das Bekenntnis nicht gegen aktuelles Bekennen und unmittelbare Berufung auf die Schrift ausgespielt sehen wollte, so auch nicht gegen die Forderung nach Einheit: „Wir müssen zusammenbleiben! Es darf aus den beiden Grundforderungen des Kirchenkampfes, der nach Confessio und der nach Unio[,] nicht ein sich ausschließender Gegensatz gemacht werden.“ Der Möglichkeit, die Einheit der EKD auf dem Wege „einer allgemeinen Union des deutschen Protestantismus“ zu erreichen, erteilte Kinder eine klare Absage. Die „Ordnung nach der Konfession“ wolle man „nicht aus negativen Gründen“ der Abgrenzung, „sondern aus positiven: weil die Kirche nicht ohne ein Bekenntnis der Wahrheit sein kann.“ Man wolle „nun aber wirklich auch innerlich miteinander weiterkommen“. Dazu sah Kinder nur den Weg über „klare und ehrliche Lehrgespräche über die Wahrheitsfrage“, an deren Ende „ein wirklich neues, echt kirchliches Bekenntnis“ stehe. Ein solches neues Bekenntnis könne aber nicht von Menschen gemacht werden, sondern es könne nur durch Gottes Gnade wachsen; es werde „nie an dem bisherigen Bekenntnis vorbei, sondern nur durch das [bisherige Bekenntnis] hindurchgehen“. Was die erste der oben genannten Fragen anging, ob die VELKD-Mitgliedskirchen als geschlossener Block oder ob die einzelnen Landeskirchen unmittelbar und direkt der EKD angehören sollten, so sah der EKD-Verfassungsent222

Vgl. hierzu Hauschild, Diskussion, 334.

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wurf, den Fleisch in der dritten Lutherratssitzung am 12. September 1946 in Göttingen vorlegte223 und den Meiser bereits in der vierten EKD-Ratssitzung Ende Januar 1946 in Frankfurt am Main angekündigt hatte224, eine „Blocklösung“ im Sinne der „Drei-Säulen-Theorie“ vor. Der Artikel 1 dieses EKDVerfassungsentwurfes lautete: „Die EKD ist ein Bund bekenntnisbestimmter Kirchen (Bekenntniskirchen). Ihr gehören an die VELK, die deutsche reformierte Kirche und die deutsche unierte Kirche, sowie solche deutschen evangelischen Kirchen (Landeskirchen), die einer der drei genannten Kirchen nicht angeschlossen sind.“225

Bei den dem Lutherrat angeschlossenen Kirchen fand eine solche „Blocklösung“ indessen keine Mehrheit226. Das landeskirchliche Eigeninteresse war stärker als der Gedanke der konfessionellen Zusammengehörigkeit. Die lutherische Generalsynode 1948 in Eisenach verständigte sich lediglich darauf, eine „Gesamtvertretung innerhalb der EKD“ als Ziel der VELKD anzustreben227. Nach Hauschild war dies „ein kardinaler Fehler, der zu einer langfristigen Aushöhlung der VELKD führen mußte. Denn solch eine Gesamtvertretung kam später natürlich nicht zustande.“228 Auf den übrigen drei Problemfeldern − Abendmahlsgemeinschaft, Kirchenund Ökumeneverständnis (vgl. oben die Fragen 2–4) − konnten die Lutheraner sich zunächst gegenüber denjenigen, die eine stärkere EKD im Sinne einer echten Kirche mit voller wechselseitiger Abendmahlsgemeinschaft und im Sinne einer Repräsentantin des deutschen Protestantismus gegenüber der Ökumene wollten, durchsetzen. Die Lutheraner gestanden lediglich verbindliche Lehrgespräche über die strittige Abendmahlsfrage zu229. Tatsächlich − und mehr noch in der öffentlichen Wahrnehmung − entwickelte sich die EKD aber genau in die von den VELKD-Begründern ursprünglich gerade nicht gewollte Richtung, wie sie schließlich in der geänderten EKD-Grundordnung von 1983 zum Ausdruck gekommen ist, nach der die EKD nicht mehr nur ein (loser) 223 Vgl. Schneider, Protokolle, 3E1 (EKD-Verfassungsentwurf von Fleisch) und 3B2. Fleischs Verfassungsentwurf war auch eine Reaktion auf den württembergischen EKD-Verfassungsentwurf von Feine (vgl. dazu oben 4.2, 242). 224 Vgl. Nicolaisen / Schulze, Protokolle, Bd. 1, 370. 225 Schneider, Protokolle, 3E1. 226 Vgl. etwa auch die Voten Halfmanns und Künneths in der 8. Lutherratssitzung in Darmstadt am 28. 1. 1948: „Halfmann: Es muß klar heraustreten, die Landeskirchen müssen als Konstituanten [der EKD] auftreten. […] D. Künneth: […] Wichtig ist: wer ist Rechtsträger der neuen EKD? Nur die Landeskirchen, da gibt es keine Kompromisse.“ (zitiert nach: ebd., 8B2). 227 Lutherische Generalsynode 1948, 101. Vgl. hierzu Hauschild, Diskussion, 343. 228 Ebd. 229 Vgl. ebd., 340.

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Kirchenbund, sondern eine „Kirchengemeinschaft“ mit „Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft“ ist230. Wie die Verabschiedung der VELKD-Verfassung auf pragmatischen Kompromissen beruhte, so war auch das Verhältnis der werdenden VELKD zur werdenden EKD letztlich durch Pragmatismus und Kompromissbereitschaft gekennzeichnet. Die folgenden Beispiele verdeutlichen dies: In einem Sonderprotokoll231 zur achten Lutherratssitzung am 28. Januar 1948 in Darmstadt wurde festgehalten, dass sich der Lutherrat zwar darüber einig war, „daß die EKD r e c h t l i c h nur die Form des Kirchenbundes haben kann“, sich aber zugleich mit der knappen Mehrheit von sechs zu vier Stimmen dagegen entschied, eine Änderung des Namens „Evangelische Kirche in Deutschland“ in „Evangelischer Kirchenbund in Deutschland“ zu fordern, wie Meiser es konsequenterweise tat232. Während einige ihre Entscheidung für die Beibehaltung der bereits gebräuchlichen Bezeichnung „Kirche“ lediglich mit der Rücksichtnahme auf die „Brüder“ begründeten233, beurteilten andere bemerkenswerterweise „die EKD als in der Mitte stehend zwischen Kirchenbund und Kirche“ und lehnten deswegen eine Namensänderung ab234. Ein Teil des Lutherrates sah in der EKD also bereits 1948 mehr als einen bloßen Kirchenbund. Der als Gast anwesende Peter Brunner verknüpfte in der achten Lutherratssitzung den Gedanken, dass die EKD bereits mehr als ein bloßer Kirchenbund sei, auch noch mit dem hochsensiblen Thema „Barmen“: „An einer Stelle sind wir über den bloßen Kirchenbund hinausgeführt: in Barmen kam eine gemeinsame Substanz reformatorischen Glaubens ans Licht.“235 230 Vgl. ebd., 344 mit Anm. 55. Die wichtigsten Stationen dahin waren die „Arnoldshainer Abendmahlsthesen“ von 1957 (abgedruckt in: Greschat / Krumwiede, Zeitalter, 233–236) und die „Leuenberger Konkordie“ von 1973 (abgedruckt in: KJ 1973, 19–23). 231 Schneider, Protokolle, 8B3. Hier auch die folgenden Zitate. 232 Vgl. Meisers Referat „Die konfessionelle Frage innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland“, das er während der 4. EKD-Ratssitzung in Frankfurt/Main am 30./31. 1. 1946 hielt (abgedruckt in: Nicolaisen / Schulze, Protokolle, Bd. 1, 366–370). Meiser gab in diesem Referat zu bedenken, „ob der Name ‚Evangelische Kirche in Deutschland‘ theologisch, bekenntnismäßig, sachlich richtig ist“ (zitiert nach: ebd., 369). Vgl. auch die Stellungnahme der bayerischen Landeskirche zum EKD-Grundordnungsentwurf vom 29. 8. 1947 (Schneider, Protokolle, 8D1), in der es hieß: „Schon der Name [Evangelische Kirche in Deutschland] macht Bedenken“, sowie das Schreiben Meisers an die EKD-Kanzlei vom 18. 3. 1948 (ebd., 9C5). 233 Vgl. auch das Votum Bestes in der 8. Lutherratssitzung: „Um der Brüder willen könnte man die Bezeichnung ‚Evang. Kirche in Deutschland‘ belassen.“ (zitiert nach: Schneider, Protokolle, 8B2). 234 Vgl. auch das Votum Herntrichs in der 8. Lutherratssitzung: „Die EKD steht zwischen Kirchenbund und Kirche.“ (Zitiert nach: ebd.) Über den Namen „Evangelische Kirche in Deutschland“ wurde auch in der 9. (letzten) Lutherratssitzung noch einmal diskutiert (vgl. ebd., 9B1). 235 Zitiert nach: ebd., 8B2.

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Wie die EKD für Teile des Lutherrates mehr als ein Kirchenbund war, so war „Barmen“ für Teile des Lutherrates offenbar doch mehr als ein bloßer Ruf zur Rückbesinnung auf die alten Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts. Im Lutherrat bestand sogar Einmütigkeit „darüber, daß ‚Barmen‘ in irgendeiner Form in der Grundordnung [der EKD] genannt werden muß“, wenn auch − um den Anschein eines neuen Unionsbekenntnisses zu vermeiden − „nicht in Zusammenhang mit den Bekenntnissen der alten Kirche und der Reformation“236. In einem Antwortentwurf Meisers auf eine Anfrage des EKD-Ratsvorsitzenden Wurm nach einer gemeinsamen evangelischen Jugend-, Männer-, Frauenund Volksmissionsarbeit hieß es: „Hier kann und muß selbstverständlich mit ‚Ja‘ geantwortet werden; denn wir wollen und können nicht zurückschrauben, was kirchengeschichtliche Realität geworden ist.“237 Hier wurde nicht mit dem Bekenntnis, sondern mit der „Realität“ bzw. der „Lage“ argumentiert − ein Argument, das man in der Auseinandersetzung mit Württemberg ausdrücklich abgelehnt hatte238. Es wurde in dem Antwortentwurf lediglich einschränkend hinzugefügt: „Ebenso aber bleibt auch in diesem Bereich des kirchlichen Lebens und Handel[n]s doch in gewissen Punkten die Forderung nach einem lehrmäßigen Ernstnehmen der Wahrheitsfrage bestehen […]“ Diese Einschränkung wurde freilich sofort, bemerkenswerterweise vor allem durch den Hinweis auf landeskirchliche Kompetenzen, wie folgt relativiert: „[…] natürlich [bleibt] jeder Zweig dieser Werke nach seiner Landeskirche bestimmt […] Das hat nichts Alarmierendes an sich, sondern ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Die Möglichkeit zu gemeinsamem Wirken der kirchlichen Werke im Segen wird damit nicht infragegestellt [sic!], sondern vertieft und belebt.“239

Ähnlich pragmatisch wie bei der Jugend-, Männer-, Frauen- und Volksmissionsarbeit verhielt sich der Lutherrat etwa auch bei der Frage nach dem Verhältnis des Lutherratssekretariats in Berlin zur „Dienststelle Ost“ der EKD-Kirchenkanzlei. Selbst Meiser sprach sich in der siebten Lutherratssitzung am 16. Oktober 1947 in Fulda für eine enge organisatorische Zusammenarbeit aus240. 236 Zitiert nach: ebd., 8B3. Mit knapper Mehrheit von 6:4 Stimmen wurde der Vorschlag angenommen, „die Theol. Erklärung n i c h t expressis verbis, wohl aber in anderer Weise zu nennen“ (ebd.). 237 Ebd., 6C4, „Zur 6. Frage“. Meiser hatte den Entwurf mit Schreiben vom 23. 6. 1947 (ebd., 6C3) an die angeschlossenen Kirchen gesandt. Die Fragen des EKD-Ratsvorsitzenden sind abgedruckt in: ABlEKD 5, 1947, 9–12. Eine offizielle Beantwortung der Fragen erfolgte nicht (vgl. den entsprechenden Beschluss der 7. Lutherratssitzung am 16. 10. 1947 in Fulda − Schneider, Protokolle, 7B2). 238 Vgl. oben 4.2, 239 u. 241. 239 Schneider, Protokolle, 6C4, „Zur 6. Frage“. 240 Ebd., 7B2, Tagesordnungspunkt 3.

Weitere Probleme der werdenden VELKD

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4.5 Weitere Probleme der werdenden VELKD 4.5.1 Allgemeine Probleme der frühen Nachkriegszeit Weitere Probleme der werdenden VELKD ergaben sich auf Grund der allgemein schwierigen Lage im Deutschland der Nachkriegs- und Besatzungszeit, vom Papiermangel241 bis hin zu den Reise- und Kommunikationsschwierigkeiten242. Ob die in ihren Auswirkungen immer deutlicher spürbare Teilung Deutschlands den Lutheranern mehr als anderen schadete, ist schwer zu entscheiden. Auch die ehemalige altpreußische Union und die werdende EKD waren ja davon betroffen. Jedenfalls wurden die großflächigen und auch mitgliederstarken lutherischen Landeskirchen Sachsen, Thüringen und Mecklenburg zunehmend daran gehindert, eine aktive, gestaltende Rolle bei der Neuordnung des deutschen Protestantismus zu spielen. Am 1. April und am 15. November 1946 sowie am 11. Mai 1947 fanden eigene ostzonale Sitzungen des Lutherrates statt243. An den beiden zuletzt genannten nahm auch Meiser teil. In der Sitzung im Mai 1947 fehlten Vertreter Sachsens und Thüringens. Laut Protokoll der Sitzung im November 1946 in Berlin-Spandau anerkannte Meiser ausdrücklich „die Notwendigkeit […], daß alle evangelischen Kirchen der Ostzone zusammenarbeiten“. Er warnte allerdings in diesem Zusammenhang „vor einem sublimen Unionismus, daß nicht facta geschaffen werden, aus denen man dann Prinzipien macht, so wie aus der Tatsache des gemeinsamen Bekennens in Barmen nun weitgehende Forderungen abgeleitet werden.“244 4.5.2 Das Vermittlungsproblem in der Öffentlichkeit Frühzeitig mussten die VELKD-Verfechter erkennen, dass sie mit ihrem − in sich ja ohne Zweifel schlüssigen − konfessionellen Ansatz in weiten Teilen der (kirchlichen) Öffentlichkeit ein Vermittlungsproblem hatten. Mangelnde Kenntnis und mangelndes Verständnis für bekenntnismäßige Eigentümlichkeiten und Unterschiede sowie die Dominanz des nationalen und des allgemein evangelischen, vielleicht auch schon ansatzweise des allgemein christlichen, Zusammengehörigkeitsgefühls über das konfessionelle waren vermutlich die Hauptursachen dafür, dass die Idee einer einheitlichen evangelischen Kirche im 241 242 243 244

Dieses Problem kam in der 4. Lutherratssitzung eigens zur Sprache (vgl. ebd., 4B). Vgl. ebd., 8D6. Vgl. ebd., Gesamtanhang. Ebd., Gesamtanhang, 2.

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Vollsinne in weiten Kreisen offenbar populärer war als die lutherischen Pläne. Immer wieder findet sich in den Dokumenten die Klage darüber, dass gegen die werdende VELKD „Stimmung“ gemacht werde245, und man überlegte, was man öffentlichkeitswirksam zur Verbesserung des „Images“ tun könne, etwa durch die Veranstaltung von „Schulungskursen für den Gedanken der VELKD“246, durch die erneute Abhaltung eines Lutherischen Tages247 sowie durch die Herausgabe einer Evangelisch-Lutherischen Kirchenzeitung (ELKZ) − in der Nachfolge der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Kirchenzeitung (AELKZ)248. 4.5.3 Das Fortbestehen des Unionsluthertums Geschwächt wurde die Position der VELKD-Verfechter ohne Zweifel durch das Fortbestehen des Unionsluthertums. Nicht nur hatte man aus pragmatischen Gründen selbst auf eine Ausweitung der VELKD in den Raum der Unionskirchen verzichtet, vielmehr musste man es auch hinnehmen, dass die im „Detmolder Kreis“ sich zusammenschließenden Unionslutheraner auf nationaler Ebene als eine − dogmatisch offenere und organisatorisch lockerere − lutherische Alternative zur VELKD wahrgenommen werden konnten, der sich zudem noch die lutherischen Landeskirchen von Württemberg und Oldenburg sowie die Kirchenprovinz Sachsen, deren Synode sich im Herbst 1947 auf den lutherischen Bekenntnisstand festlegte, anschlossen249. Der „Detmolder Kreis“ betonte auf seiner auf Initiative Wurms stattgefundenen Gründungsversammlung am 9. und 10. April 1947 u. a. die Verbundenheit der evangelischen Konfessionskirchen, die „einander näher gerückt“ seien, und hielt es für geboten, „den Tisch des Herrn für Angehörige aller evangelischen Bekenntnisse offenzuhalten“. Das Protokoll dieser Tagung endete dann wie folgt:

245 So z. B. Meiser in der 3. Lutherratssitzung in Göttingen am 12. 9. 1946 gemäß dem Verlaufsprotokoll Stolls (ebd., 3B1). 246 So der Vorschlag Meisers in der 4. Lutherratssitzung in Hannover am 20. 1. 1947 gemäß dem Verlaufsprotokoll Mahners (ebd., 4B). 247 Ein solcher Lutherischer Tag war für den 5.–7. 11. 1946 wiederum (wie schon 1935; vgl. oben 2.6, 86–116) in Hannover geplant, konnte dann aber nicht durchgeführt werden (vgl. Schneider, Protokolle, 3B1 mit Anm. 67). 248 Die erste Nummer der ELKZ erschien als Organ des Lutherrates mit einem Geleitwort Meisers am 10. 5. 1947 in München, die im Auftrage des Lutherrates von Kinder herausgegebene Doppelnummer 2/3 am 15. 11. 1947. 249 Zum „Detmolder Kreis“ vgl. Smith-von Osten, Treysa, 341–353.

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„Es erschien den versammelten Brüdern nicht richtig, in diesem Augenblick dem Zusammenschluß in einer VELKD einen Zusammenschluß der dort nicht vertretenen lutherischen Kirchen und Gemeinden in einem Bunde evangelischer Kirchen und Gemeinden Augsburgischen Bekenntnisses gegenüberzustellen, vielmehr wurde der Vorsitzende des Rates der EKD gebeten, zunächst diese lutherischen Kirchen und Gemeinden durch verantwortliche Vertreter in einem Arbeitsausschuß zusammenzufassen, der die den deutschen lutherischen Kirchen in der Gegenwart gestellten Aufgaben in theologischer Besinnung und kirchlich verantwortlicher Prüfung aufgreift. Dieser Beschluß ist getragen von der Hoffnung, damit der gemeinsamen Verantwortung der lutherischen Kirchen in der EKD näherzukommen[,] und von dem Wunsche, auch mit den Kirchen der VELKD in einer fruchtbaren wechselseitigen Gemeinschaft arbeiten zu können.“250

Dies konnte man wohl einerseits als werbendes Angebot an die sich formierende VELKD interpretieren, zu einer Zusammenarbeit aller Lutheraner auf nationaler Ebene, einschließlich der Lutheraner in den Unionskirchen sowie Württembergs und Oldenburgs, zu gelangen − allerdings um den Preis einer weniger festen organisatorischen und bekenntnismäßigen Bindung; andererseits als eine indirekte Drohung, gegebenenfalls doch als eine festere lutherische Organisation mit größerer bekenntnismäßiger Offenheit, vor allem in der Abendmahlsfrage, in direkte Konkurrenz zur VELKD zu treten. Am 24. Oktober 1947 wandte sich der „Detmolder Kreis“ in einer Entschließung direkt an den Lutherrat. Man äußerte zwar grundsätzlich Verständnis für das Anliegen des Lutherrates, fragte aber zugleich kritisch an: „ob die lutherische Kirche in Deutschland nicht größer ist[,] als Ihr sie seht. Wir fragen Euch, ob die lutherische Kirche nicht von Anfang an eine ökumenische Kirche hat sein wollen. Müßt Ihr nicht darum wollen, daß Ihr mit uns und auch mit anderen in einem Organismus lebt, in welchem in einem Leibe verschiedene Glieder, jedes an seinem Ort, ihren Dienst tun?“251

Abschließend lud man den Lutherrat zu einem brüderlichen Gespräch ein. Dieses fand am 8. April 1948 in Bad Hersfeld statt252. Hier kam es einerseits zu einer Annäherung des „Detmolder Kreises“ an den Lutherrat. Man einigte sich darauf, Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft zunächst nur unter den Kirchen und Gemeinden lutherischen Bekenntnisses anzustreben. Zur Frage einer darüber hinausgehenden Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft innerhalb der EKD hieß es in einer informellen Punktation zurückhaltend: „Es bedarf der verantwortlichen Feststellung, inwieweit die Kirchen innerhalb der EKD sich 250 251 252

Protokoll der „Detmolder Tagung“ am 9./10. 4. 1947 (Schneider, Protokolle, 5C6). Vgl. Smith-von Osten, Treysa, 342 f.; Zitat: 343. Vgl. hierzu ebd., 344–347.

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Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft gewähren dürfen und sollen.“253 Andererseits vereinbarte man, am Bestand und der Selbständigkeit auch der unierten Landeskirchen festzuhalten, und der „Detmolder Kreis“ bekräftigte seinen Anspruch, das Luthertum auf nationaler und internationaler Ebene mitzuvertreten und mit zu gestalten254.

4.5.4 Die ablehnende Haltung des Reformierten Bundes Enttäuschend musste es für die VELKD-Verfechter sein, dass der Reformierte Bund keinen dem Kurs des Lutherrates analogen konfessionellen Kurs einschlug und statt dessen in einer Entschließung vom 14. März 1947 „die Einheit der EKD auf der ‚unumgänglichen theologischen Grundlage‘ der Barmer Erklärung“ betonte255. Lediglich in der Abwehr der „großlutherischen“ Pläne, wie Württemberg und Oldenburg sie verfolgten, waren sich die VELKD-Verfechter und der Reformierte Bund einig256. Ohne die Zustimmung und aktive Mitwirkung der Reformierten war eine konsequente konfessionelle Gliederung kirchlicher Einrichtungen kaum zu verwirklichen.

4.5.5 Der Bruch mit den Altlutheranern Im Herbst 1947 beschloss die Generalsynode der (freikirchlichen) EvangelischLutherischen Kirche Altpreußens, die dem Lutherrat seit 1936 angegliedert war257, die Kirchengemeinschaft mit den Kirchen des Lutherrats aufzuheben258. Offensichtlich war den Altlutheranern die Kompromissbereitschaft der werdenden VELKD gegenüber der werdenden EKD zu weit gegangen. Womöglich wollte man auch ein Signal setzen, um dadurch mit darauf hinzuwirken, dass in dem ja noch nicht abgeschlossenen Neuformierungsprozess des deutschen Protestantismus noch eine Kurskorrektur vorgenommen wurde. Der Beschluss der preußischen Altlutheraner bedeutete nicht nur den bloßen Bruch zwischen lutherischem Landes- und Freikirchentum, vielmehr stand jetzt auch zu be-

253

Zitiert nach ebd., 346, Anm. 32. Vgl. ebd., 346 f. 255 Entschließung des Moderamens des Reformierten Bundes zum Entwurf der Verfassung der VELKD vom 14. 3. 1947 (Schneider, Protokolle, 5C1). 256 Vgl. oben 4.2, 242 f.; und 4.3, 246. 257 Vgl. oben 3.2.4, 156 f. 258 Vgl. ELKZ 2, 1948, 89. Vgl. hierzu auch Wendebourg, Schatten, 446–448. 254

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fürchten, dass die Altlutheraner sich in den Raum der lutherischen Landeskirchen hinein ausbreiten könnten. Diese Gefahr war umso größer, als es in den lutherischen Landeskirchen durchaus Sympathien für die kritische Haltung der Altlutheraner gab. So erklärte etwa der „Schwabacher Konvent im Lutherischen Einigungswerk“, eine bayerische Pfarrervereinigung, in einem Memorandum 1948 das Verhältnis zwischen lutherischen Landes- und Freikirchen zum „Prüfstein“ für die „Echtheit der Bekenntnisstellung“ und forderte, dass die VELKD nicht auf Kosten der Gemeinschaft mit den lutherischen Freikirchen gestaltet werden dürfe259. Einer der Prominentesten unter denen, die im Bereich des landeskirchlichen Luthertums die Bedenken der Altlutheraner teilten, war ohne Zweifel Hermann Sasse, der ja den Weg zur Vereinigung des deutschen Luthertums über viele und schwere Jahre hinweg aktiv mitgestaltet hatte. Nach der Gründung von VELKD und EKD gab Sasse voll Verbitterung seine Erlanger Professur auf, trat von der Landeskirche in die Freikirche über und wanderte nach Australien aus260. Meiser wertete den Schritt der Evangelisch-Lutherischen Kirche Altpreußens, der sich bereits seit längerem abgezeichnet hatte, in der neunten Lutherratssitzung am 11. März 1948 in Darmstadt wohl nicht ganz zu Unrecht als den „Preis, den die luth. Landeskirchen für die Gemeinschaft mit den anderen Kirchen in der EKD gezahlt haben“261. Gegenüber weiterreichenden Forderungen von EKD-Verfechtern konnte der Lutherrat nun immerhin darauf verweisen, dass man für die EKD Opfer gebracht habe und dass die Kompromissmöglichkeiten endgültig ausgeschöpft seien. In einer recht scharf formulierten Sekretariatsvorlage nahm Fleisch zu der Aufhebung der Kirchengemeinschaft durch die preußischen Altlutheraner Stellung. Zum einen verwies er darauf, dass die Grundordnung der EKD noch nicht fertig sei, dass die EKD kein festeres Band darstelle als die DEK und dass es keine wechselseitige Abendmahlsgemeinschaft in der EKD geben werde. Zum anderen drohte er, umgekehrt die Zusammenarbeit mit den Altlutheranern in Organisationen und Werken wie der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz, der Leipziger Mission und dem Martin-Luther-Bund aufzukündigen262. Einem entsprechenden Beschluss des Lutherrates gemäß263 wiederholte 259

Vgl. ebd., 448 f., Anm. 103. Vgl. Schild, Sasse, 595. Vgl. auch Sasses offenen Brief an Meiser, s. d. [Ende 1948] (LKA Hannover, D 15 V 18/1). Vgl. ferner oben 1.3, 27. 261 Zitiert nach dem Verlaufsprotokoll Katterfelds (Schneider, Protokolle, 9B1). Vgl. auch das Schreiben Meisers an die EKD-Kanzlei vom 18. 3. 1948 (ebd., 9C5). 262 Ebd., 9D3. 263 Ebd., 9B1. 260

262

Der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands 1945–1948

Meiser diese Drohung in einem Schreiben an das Oberkirchenkollegium der Evangelisch-Lutherischen Kirche Altpreußens vom 12. März 1948264 nicht − der Ton dieses Schreibens ist ausgesprochen freundlich-verbindlich −; er bat vielmehr um eine „brüderliche Aussprache“. Eine solche fand am 13. April 1948 im Berliner Lutherratssekretariat statt, führte aber im Grunde zu keinem Ergebnis265.

4.5.6 Das Verhältnis zur Ökumene Was das Verhältnis der VELKD zur weltweiten Ökumene anbetraf, so wiederholten sich hier auf anderer Ebene die bekannten Frage- und Problemstellungen und auch die Positionen des Lutherrates bzw. der VELKD-Verfechter. Mit großem Engagement unterstützte der Lutherrat − trotz der Affäre um den als belastet geltenden früheren Präsidenten des Lutherischen Weltkonventes Marahrens − die Weiterentwicklung des Weltkonventes zum Lutherischen Weltbund, wie er dann 1947 in Lund in Schweden gegründet wurde266. In seiner siebten Vollsitzung am 16. Oktober 1947 in Fulda beschloss der Lutherrat, bis zur Konstituierung der VELKD selbst die Rechte des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes wahrzunehmen267. Freilich war man sich dessen bewusst, dass man für die im Lutherrat nicht vertretene oldenburgische Landeskirche gegebenenfalls eine Sonderregelung finden müsse268. Sogar an der Vorbereitung einer für den Sommer 1948 in Bad Boll geplanten „großangelegten Theologentagung“ der konservativ-freikirchlichen amerikanischen Missourisynode beteiligte sich der Lutherrat bzw. dessen Vorsitzender Meiser aktiv269. Für den im Aufbau befindlichen Ökumenischen Rat der Kirchen bestand der Lutherrat konsequenterweise auf der „Notwendigkeit der konfessionellen 264

Ebd., 9C6. Vgl. den „Bericht über die Aussprache zwischen Vertretern der lutherischen Freikirche und Vertretern der lutherischen Landeskirchen im Sekretariat des Lutherrats, Berlin, am 13. 4. 1948, 16–18.45 Uhr“ (LKA Hannover, D 15 V 26 a). Vgl. auch Schneider, Protokolle, 9C6, Anm. 84. 266 Vgl. hierzu Schjørring, Lutherische Kirchen. Wie sich die preußischen Altlutheraner von der VELKD distanzierten (vgl. oben 4.5.5, 260–262), so hielten sich auf internationaler Ebene die sich um die nordamerikanische „Missouri-Synode“ (vgl. hierzu Schneider, Protokolle, 5B, Anm. 22) sammelnden lutherischen Kirchen vom Lutherischen Weltkonvent bzw. -bund fern. 267 Vgl. ebd., 7B1 und 2 sowie 7C4. 268 Ebd., 7B1 und 2 sowie 7C2. Vgl. hierzu oben 4.3, 248. 269 Vgl. Schneider, Protokolle, 8B2, TOP 6 mit Anm. 40. Zur Missourisynode vgl. ebd., 5B, Anm. 22. 265

Weitere Probleme der werdenden VELKD

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Gliederung und Vertretung“270. Den von der EKD verfolgten Plan der Gründung einer „Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland“ lehnte der Lutherrat zunächst ab, da er darin eine „Kompetenzüberschreitung“ der EKD sah und grundsätzlich eine „Relativierung der Lehre und der Wahrheit“ befürchtete271.

270 So Lilje laut Protokoll in der 7. Lutherratssitzung (ebd., 7B2). Vgl. schon das Ergebnisprotokoll Fleischs der 2. Lutherratssitzung am 30. 4. 1946 in Treysa (ebd., 2B): „Eine eigene Vertretung der deutschen lutherischen Kirchen in Genf soll gefordert werden.“ 271 Vgl. ebd., 8B2 und 8D4.

5. Ertrag

5.1 Voraussetzungen und Anfänge: Abwehr von Liberalismus, Unionismus und staatlicher Reglementierung und Rückbesinnung auf das konfessionelle Proprium Faktoren, die ein Hervortreten lutherischer Vereinigungsbestrebungen vor dem 19. Jahrhundert verhinderten, behinderten diese auch nach ihrem erstmaligen Hervortreten, und zwar vielfach andauernd. Es waren dies: 1. die dem allgemeinen territorialen Partikularismus entsprechenden und bis heute im wesentlichen unverändert und stark gebliebenen landeskirchlichen Strukturen und Eigeninteressen; 2. eine Römer 13 und der Wirkungsgeschichte von Luthers „Zwei-Regimenten-Lehre“ entsprechende grundsätzliche Loyalität gegenüber der jeweiligen weltlichen Obrigkeit und deren Anordnungen und die Tradition des − auch von Luther bereits, wenn auch nur als vorübergehendes Provisorium, akzeptierten − landesherrlichen Kirchenregiments; die Fürsten verfolgten aber vor allem machtpolitische und weniger konfessionelle Interessen und standen deshalb auch territoriumsübergreifenden Tendenzen grundsätzlich misstrauisch bzw. ablehnend gegenüber; 3. eine schon in Artikel 7 der Confessio Augustana von 1530 angelegte gewisse Indifferenz gegenüber der Kirche als Institution gemäß der Unterscheidung zwischen der eigentlichen „unsichtbaren Kirche“ als der entscheidenden geistlichen Größe und der uneigentlichen „sichtbaren Kirche“; − eine solche Haltung findet sich beispielsweise sogar bei dem führenden Vertreter der lutherischen Einigungsbewegung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, Ludwig Ihmels; 4. das im Zeitalter der lutherischen Orthodoxie verstärkte und auch später vielfach vorherrschende – reduzierte – Verständnis der Kirchengemeinschaft als bloße Lehrgemeinschaft; 5. aber auch die bekenntnisrelativierende Wirkung der dezidiert antiorthodoxen Strömungen des Pietismus und der Aufklärung sowie ihrer späteren „Renaissanceerscheinungen“, wie Erweckungsbewegung, Neupietismus, evangelikale Bewegung, liberale und politische theologische Strömungen, die gerade auch weite Teile des Luthertums erfassten;

Voraussetzungen und Anfänge

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6. die Pluralität der Auffassungen und Interessen innerhalb des − auf ein oberstes Lehramt ja bewusst verzichtenden − Luthertums: zwischen den selbst oft sehr heterogenen Gruppierungen Kirchenleitungen, Pfarrerschaft und Kirchenvolk, zwischen Kirchenbehörden und Verbänden / Vereinen, zwischen Kirche und Universitätstheologie, zwischen verschiedenen Kirchenleitungen mit besonderen regionalen und theologischen Prägungen und Interessen etc. Voraussetzung für den Beginn lutherischer Vereinigungsbestrebungen waren die einschneidenden Änderungen im Gefolge der napoleonischen Kriege, die auch religionspolitische Auswirkungen hatten. Die engen Bindungen der Kirche an den jeweiligen Territorialstaat und seine Obrigkeit wurden gelockert, auch weil es hinfort kaum noch konfessionell homogene Territorien gab. Unmittelbarer Anstoß für die lutherischen Vereinigungsbestrebungen war die Einführung der Union vor allem in Preußen, die wohl einerseits staatspolitisch als herrschaftsstabilisierender Rückkehrversuch zum alten Prinzip konfessioneller Homogenität gewertet werden kann, andererseits sowohl aufklärerisch-rationalistischem als auch pietistisch-erwecklichem Zeitgeist entsprach. Gegen die Union bzw. mehr noch gegen deren wohl zu erwartende Expansion − entsprechend der Expansion Preußens − formierten sich − zunächst informell, auf privater und Verbandsebene − bekenntnistreue lutherische Kreise. Auch später hat der Kampf gegen die Union bzw. gegen neue Unionsbestrebungen die lutherischen Einigungsbestrebungen geprägt oder ihnen neuen Auftrieb verliehen. Freilich hat die Union die lutherischen Vereinigungsbestrebungen nicht nur angestoßen, sondern ihnen bei ihrer Entstehung bereits zugleich auch nachhaltig geschadet, insofern sie in einer Reihe von bis dahin lutherischen Kirchengebieten erfolgreich eingeführt wurde, dort auf Zustimmung oder jedenfalls keinen nennenswerten Widerstand stieß und lutherisches Profil dauerhaft schwächte oder sogar im Laufe der Zeit mehr oder weniger endgültig auslöschte. Zudem kamen seit Einführung der Union zu den bereits genannten Binnendifferenzen und Konflikten im Luthertum diejenigen zwischen lutherischen Landeskirchen, Unionslutheranern und lutherischen Freikirchen noch hinzu, die in besonderer Weise die lutherischen Vereinigungsbestrebungen belasten sollten, und zwar ebenfalls dauerhaft. Ohne ein Wiedererwachen des konfessionellen Selbstbewusstseins im sogenannten Neuluthertum, wobei Vergleichbares zeitgleich etwa auch im Katholizismus zu beobachten war, hätte der Widerstand gegen die Union wohl kaum größeren Anhang gefunden. Die Kontroversen innerhalb des Neuluthertums − im Übrigen ebenfalls Zeichen für Heterogenität −, insbesondere die über die Suffizienz oder die Interpretierbarkeit und Fortbildungsfähigkeit der lutherischen Bekenntnisschriften und über die Bedeutung des Amtes als gleichsam

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Ertrag

göttliche Stiftung (Institutionstheorie) oder aber als von der Gemeinde als dem allgemeinen Priestertum der Gläubigen übertragene Einrichtung (Übertragungstheorie), bestimmten die Diskussionen auch im weiteren Verlauf der Entwicklung mit. Trotz aller Differenzen hat es von Beginn der lutherischen Vereinigungsbestrebungen im 19. Jahrhundert an eine deutliche Kontinuität in deren Zielsetzung gegeben: Die Kirche soll auch in ihrer äußeren Form, also auch deren Kirchenordnung bzw. -verfassung, vom Bekenntnis her gebaut werden, und zwar auf der Grundlage der lutherischen Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts, mindestens der Confessio Augustana invariata von 1530. Bleibt dieser andauernde „Cantus firmus“ lutherischer Kirchenpolitik unberücksichtigt, so wird man zumindest dem Selbstverständnis der lutherischen Vereinigungsbestrebungen nicht gerecht, deren maßgebliche Vertreter auf die genannte Kontinuitätslinie immer wieder ausdrücklich hinwiesen. Dies gilt insbesondere dann, wenn man die Geschichte des Lutherrates ab 1936 nur im Zusammenhang der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen jener Jahre, also im Zusammenhang mit der Spaltung der Bekennenden Kirche nach der vierten Reichsbekenntnissynode in Bad Oeynhausen im Februar 1936 und der kontroversen Beurteilung der Kirchenausschüsse, wahr nimmt, also ohne den weiteren Kontext, einschließlich der Vorgeschichte seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts und der Nachgeschichte der VELKD bis heute. Eine große Kontinuität gab es auch bei der theologischen Begründung der oben genannten Zielsetzung: Neben der unmittelbaren Berufung auf Artikel 7 der Confessio Augustana wurde mit der Notwendigkeit der Abwehr des theologischen Liberalismus und des Unionismus argumentiert; − beide, Liberalismus und Unionismus, wurden dabei als das Bekenntnis, den Glauben, die theologische Substanz der Kirche relativierend bzw. unterminierend beurteilt und also verworfen. Zwischen den unterschiedlichen „Spielarten“ der Union – Verwaltungs-, Kultus-, Konsensus- und Bekenntnisunion – wurde offenbar kaum unterschieden; vermutlich sah man hier eine logische und zwangsläufige Fortentwicklung von einer zur anderen Stufe, so dass man sich gleichermaßen gegen jede Form von Union bzw. gegen die Union schlechthin wandte. Bei grundsätzlich unbestreitbar konservativ-konfessioneller Grundhaltung wandten sich die lutherischen Vereinigungsbestrebungen gegen eine Fremdbestimmung der bekenntnisbestimmten Kirche, sei es durch eine vorschnelle Akkomodation der kirchlichen Lehre an allgemeine Geistesströmungen bzw. den jeweils vorherrschenden Zeitgeist, sei es durch den Staat, wie man es zunächst vor allem in Gestalt des landesherrlichen Kirchenregimentes in Preußen vor Augen hatte, wo der König als summus episcopus aus lutherischer Sicht das klare Bekenntnisprofil zugunsten der bekenntnisindifferenten Union preisge-

Identitätsklärung zwischen Illusion und Selbstverteidigung

267

geben hatte; − dies kann man wohl durchaus auch als Bestreben der Kirche um Emanzipation von obrigkeitsstaatlicher Bevormundung interpretieren. Bereits frühzeitig waren internationale Impulse erkennbar. Die konfessionellen Einigungsbestrebungen der Lutheraner standen zumindest teilweise quer zu den nationalen Einigungsbestrebungen, da sie sich einerseits immer nur auf einen, nämlich den lutherischen Teil der Nation beziehen konnten und da andererseits ab etwa 1900 die Grenzen der Nationalstaates mit dem Ziel einer gleichsam „lutherischen Internationale“ überschritten wurden. An der gesamtprotestantischen Zusammenschlussbewegung haben sich lutherische Kirchenvertreter von Anfang an aktiv beteiligt. Diese stand einerseits quer zu den lutherischen Vereinigungsbemühungen, andererseits hat sie sie aber auch gefördert, insofern sie erstmals unterschiedliche lutherische Kirchenführer zusammenführte und insofern sie den Plan eines gesamtevangelischen Zusammenschlusses in der Form eines Kirchenbundes auf der Grundlage der verschiedenen evangelischen Konfessionskirchen als dessen „Säulen“ („Säulentheorie“) verfolgte. Nur sehr allmählich nahmen die lutherischen Vereinigungsbestrebungen festere institutionelle Formen an und ließen den Eindruck einer eher privaten und lediglich von Verbänden und Vereinen getragenen Unternehmung hinter sich. Auch die 1868 gegründete Allgemeine Evangelisch-Lutherische Konferenz hatte kein amtliches Mandat und eher den Charakter eines Forums. Erst nach fast fünfzig Jahren, unter dem Vorsitz von Ihmels, gelang es, die offiziellen lutherischen Kirchenleitungen mit einzubeziehen und regelmäßige lutherische Bischofskonferenzen zu initiieren. Aus der Konferenz wurde auch nominell ein Lutherisches Einigungswerk, das freilich in der Zeit der ersten deutschen Demokratie über bloße Programmatik nicht mehr hinausgelangte. Ihmels kam es vor allem − hier wohl von der „Lutherrenaissance“ beeinflusst − auf den persönlichen Glauben des Einzelnen an. Organisatorische, die „sichtbare Kirche“ betreffende Fragen waren für ihn dagegen sekundär. Bemerkenswert ist seine Betonung des synodalen Prinzips, das nach seiner Ansicht die Unabhängigkeit der Kirche am besten gewährleistete.

5.2 Identitätsklärung zwischen Illusion und Selbstverteidigung, Suche nach Bündnispartnern und Unabhängigkeitsbestreben Das Jahr 1933 bedeutete auch für die lutherischen Vereinigungsbestrebungen eine tiefgreifende Zäsur. Anstelle von Ihmels, der im Juni 1933 starb, wurde der neue bayerische Landesbischof Hans Meiser zur führenden Gestalt im deutschen Luthertum, wenn er auch nicht Vorsitzender der Allgemeinen Evan-

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Ertrag

gelisch-Lutherischen Konferenz wurde, die jedoch hinfort für die lutherische Einigung kaum noch von Bedeutung war. Anders als für Ihmels waren für Meiser Fragen der Kirchenordnung stets von außerordentlicher Relevanz. Dies hängt auch damit zusammen, dass im Zuge der Umbruchstimmung 1933 die Frage einer grundlegenden Strukturreform des deutschen Protestantismus allgemein auf der Tagesordnung war. Für die Verfechter der lutherischen Einigung wie Meiser war dies gleichermaßen mit Hoffnungen und Befürchtungen verbunden: – Hoffnungen, dass nunmehr endlich ein Zusammenschluss der Lutheraner auf nationaler Ebene realisiert werden und womöglich auch die angestrebte evangelische Reichskirche als ganze ein deutlich lutherisches Gepräge erhalten könnte; – Befürchtungen, dass unionistische Tendenzen sich durchsetzen könnten − insbesondere auch durch die Schaffung eines neuen, ganz auf den aktuellen Zeitgeist gegründeten Einheitsbekenntnisses − und dass der neue Staat wieder stärker − und ohne Rücksichtnahme auf lutherische Bekenntnisinteressen − in kirchliche Belange eingreifen könnte. Nach einem entsprechenden Anstoß des ehemaligen westfälischen Generalsuperintendenten Wilhelm Zoellner gründete Meiser im Mai 1933 den „Lutherischen Zweig innerhalb der werdenden Deutschen Evangelischen Kirche“, dem sich alle lutherischen Landeskirchen anschlossen, und übernahm die Führung sowohl dieses neuen lutherischen Zusammenschlusses als auch der sogenannten lutherischen „Bischofskonferenz“. Das deutsche Luthertum hatte sich also bald nach der nationalsozialistischen Machtübernahme neu formiert, um die kirchenpolitische Entwicklung aktiv mitgestalten zu können. Zwar erwiesen sich die oben genannten Hoffnungen sehr rasch als Illusion und der „Lutherische Zweig innerhalb der werdenden Deutschen Evangelischen Kirche“ war bald am Ende, jedoch war er nur der erste einer ganzen Reihe von eng miteinander verzahnten lutherischen Zusammenschlüssen – Lutherischer Zweig, Lutherischer Konvent, Lutherischer Rat, Lutherischer Pakt, Lutherischer Tag und dessen Fortsetzungsausschuss –, an deren Ende der Lutherrat stand, der schließlich immerhin so gefestigt war, dass er das „Dritte Reich“ überdauerte. Die lutherischen Zusammenschlüsse ab 1933 zeigen vor allem, wie hartnäckig und unter Ausloten unterschiedlicher Möglichkeiten die alte Idee eines lutherischen Zusammenschlusses auch im „Dritten Reich“ − mit all seinen Behinderungen und Bedrohungen, aber auch seinen Verlockungen und Verführungen − verfolgt wurde. Der „Lutherische Zweig“ scheiterte vor allem deshalb, weil die gesamte innerkirchliche Diskussion sich auf die Reichsbischofsfrage und die Frontstellung pro und contra Deutsche Christen zuspitzte. Die Hoffnungen auf eine luthe-

Identitätsklärung zwischen Illusion und Selbstverteidigung

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rische Prägung der neuen evangelischen Reichskirche durch einen lutherischen Reichsbischof erwiesen sich − nicht zuletzt wegen der Person dessen, der schließlich das Amt bekleidete − bereits nach wenigen Wochen als gefährliche Schimäre. Gerade auch viele Verfechter der lutherischen Einigung und allen voran Meiser mussten in einem schmerzlichen, wenn auch relativ kurzen Lernprozess erkennen, dass sie sich sowohl in den Möglichkeiten und Konsequenzen der neuen Reichskirchenverfassung unter den Bedingungen des „Dritten Reiches“ als auch in der Persönlichkeit des Reichsbischofs geirrt hatten. Dass die Ziele und Methoden der Deutschen Christen mit den Anliegen der konfessionellen Lutheraner grundsätzlich nicht vereinbar waren, war ebenfalls rasch klar, auch wenn jene sich immer wieder auf die − freilich völkisch verbrämte − Gestalt Martin Luthers beriefen. Die Opposition gegen die Kirchenpolitik und die Lehren der Deutschen Christen und gegen die deutsch-christlich dominierte Reichskirche führten die konfessionellen Lutheraner hinein in die breite Bekenntnisfront, die sich Anfang 1934 formierte. An den ersten Reichsbekenntnissynoden haben sie sich aktiv beteiligt. Die Barmer Theologische Erklärung, die Magna Charta der Bekennenden Kirche, war zweifellos auch ein lutherisches Dokument. Dies gilt für ihre Entstehung, an der lutherische Theologen beteiligt waren, für ihren Inhalt, bei dem auf lutherische Anliegen deutlich Rücksicht genommen wurde, und für ihre Verabschiedung in Verbindung mit dem Referat des Lutheraners Hans Asmussen als deren gültige Interpretation. Zu Recht konnten die Lutheraner die Barmer Beschlüsse als eine Ermahnung zur Rückbesinnung auf die alten Bekenntnisschriften und als Bestätigung ihrer Forderung nach konfessioneller Gliederung der lediglich als Kirchenbund angesehenen Deutschen Evangelischen Kirche verstehen. Freilich war „Barmen“ darüber hinaus noch mehr: aktuelles gemeinsames Bekennen angesichts der Herausforderungen der Zeit. Während Teile der Bekennenden Kirche, u. a. auch Lutheraner wie Asmussen, vor allem dieses Mehr betonten, hatten gerade damit viele Lutheraner, vor allem die Erlanger Theologen, die zum Teil auch inhaltliche Einwände gegen die Barmer Thesen hatten, ihre Schwierigkeiten, und zwar in dem Maße zunehmend, wie „Barmen“ auf der anderen Seite im Sinne eines neuen gemeinsamen Bekenntnisses rezipiert wurde. Hier drohte aus Sicht vieler Lutheraner nun von bekenntniskirchlicher Seite aus, nach jener von deutsch-christlicher aus, eine unionistische Verwischung der konfessionellen Profile. Das konfessionelle Profil zu schärfen und jeder möglichen Schwächung schon im Ansatz zu wehren, war aber ja gerade das seit Jahrzehnten verfolgte Grundanliegen. Dem gescheiterten Versuch des „Lutherischen Zweiges innerhalb der werdenden Deutschen Evangelischen Kirche“ entsprach auf bekenntniskirchlicher, synodaler Ebene der Versuch der Etablierung eines Lutherischen Konventes der

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Ertrag

Reichsbekenntnissynode. Auch dieser Versuch scheiterte, zum einen an der unterschiedlichen Rezeption der Barmer Theologischen Erklärung, zum anderen an der unklaren Zusammensetzung des Konventes, vor allem auch im Hinblick auf die Unionslutheraner. Die Konsequenz war die Gründung des Lutherischen Rates im Spätsommer / Herbst 1934. Weil die Beschlüsse der Barmer Reichsbekenntnissynode bzw. eine bestimmte Interpretation dieser Beschlüsse für eine gewisse Engführung gehalten wurden, weil der Lutherische Konvent schon von seiner Zusammensetzung her wenig kalkulierbar erschien, wollte man dem Anliegen einer Einigung des deutschen Luthertums auf klarer Bekenntnisgrundlage eine institutionell unabhängige neue Basis verschaffen. Gleichzeitig sah man − bei strikter Abgrenzung von den Deutschen Christen − die Chance, an das lutherische Bekenntnis gebundene Teile der zahlenmäßig größten kirchlichen Gruppe, der neutralen „Mitte“ zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, sowie auch „geläuterte“ ehemalige Deutsche Christen hinzugewinnen zu können. Bei der Gründung des Lutherischen Rates war man bestrebt, nicht den Eindruck eines Konkurrenzunternehmens zu „Barmen“ zu erwecken − ein Eindruck, der gleichwohl, etwa auch bei Asmussen, und im Hinblick auf Teile des Lutherischen Rates sicher auch nicht zu Unrecht entstand. Jedenfalls betonte man die enge Verbundenheit mit der Reichsbekenntnissynode und die Kooperationsbereitschaft, beteiligte sich auch aktiv an der ersten Vorläufigen Kirchenleitung, der mit August Marahrens als Vorsitzendem und Thomas Breit als lutherischem Vertreter zwei profilierte Lutheraner angehörten. Bemerkenswert ist, dass der Lutherische Rat die Ambitionen des „Lutherischen Zweiges“ in Richtung einer lutherischen Prägung der gesamten Reichskirche als Fehler verwarf. Dies war die Lehre, die man u. a. aus den Erfahrungen mit dem angeblich lutherischen Reichsbischof gezogen hatte. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, wenn der Lutherrat nach 1945 ähnliche Vorschläge Württembergs und Oldenburgs ablehnte. Der Lutherische Rat war kein offizielles kirchenleitendes Gremium, kann aber doch als repräsentative Vertretung von den lutherischen Bekenntnisschriften verpflichteten Kirchen, Einzelpersonen und Verbänden gelten. Seine Gründung, die sich in kirchenpolitisch turbulenter Zeit über ein Vierteljahr lang hinzog, zeigt beides zugleich: die immer noch vorhandene institutionelle Schwäche des deutschen Luthertums und den in der Bedrängnissituation eher noch gestärkten Willen, zu einer in Lehre und Ordnung klar an das lutherische Bekenntnis gebundenen Kircheneinheit zu kommen. Anders als der Lutherische Rat hatte der im Februar 1935 geschlossene Lutherische Pakt der drei sogenannten „intakten Landeskirchen“ Bayern, Hannover und Württemberg offiziellen Charakter. Ausdrücklich knüpfte man, wenn auch

Identitätsklärung zwischen Illusion und Selbstverteidigung

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notgedrungen in reduzierter Form, da viele lutherische Landeskirchen durch deutsch-christliche Machtübernahme „zerstört“ waren, an die Ziele des „Lutherischen Zweiges“ an, hoffte − wenn auch vergeblich − auf weitere Anschlüsse und auch wieder auf eine von dem Pakt ausgehende lutherische Prägung der gesamten Deutschen Evangelischen Kirche. Die konkreten Vereinbarungen zur Vereinheitlichung der Verwaltungen, der gottesdienstlichen Ordnungen, der theologischen Prüfungsordnungen und der kirchlichen Gesetzgebung etc. konnten wegen staatlicher Eingriffe und Verbote kaum realisiert werden. Der Lutherische Rat widmete sich im Frühjahr 1935 der theologischen Aufarbeitung der aktuell relevanten Problemfelder Staat-Kirche-Verhältnis und Kirchenregiment. Die Erlanger Universitätstheologen sahen hier die Chance, den Kurs des Lutherischen Rates mitzubestimmen. Während der Lutherische Rat sich die Thesen Hermann Sasses, der dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstand, offiziell zu eigen machte, reagierte er auf einen Gutachtenentwurf von Werner Elert und Paul Althaus zurückhaltend. Sasse wandte sich gegen staatliche Eingriffe in kirchliche Belange und erklärte, auch die äußere Regierung der Kirche stehe allein dieser zu. In einem Telegramm an Hitler protestierte der Lutherische Rat dementsprechend gegen der Kirche zugefügtes Unrecht. Althaus und vor allem Elert, dessen Mitarbeit im Lutherischen Rat von Anfang an umstritten war, nahmen dagegen eine grundsätzlich positive Haltung zum NS-Staat ein und meinten, eine grundsätzliche Gemeinsamkeit zwischen nationalsozialistischem Wollen, sofern es sich von der Rassenideologie distanziere, und der kirchlichen Verkündigung erkennen zu können. Der Versuch, die Lutheraner mittels einer Theologie der Schöpfungsordnungen auf einen „Barmen“-kritischen Kurs zu bringen, scheiterte. Um mit größerer Legitimation und Vollmacht auftreten zu können und um die lutherische Vereinigung voranzutreiben, strebte der Lutherische Rat eine lutherische Reichssynode an. Im Juli 1935 fand dann zwar keine lutherische Reichssynode, aber ein Lutherischer Tag in Hannover statt, an dem die Bischöfe der Paktkirchen, Vertreter der Bruderräte der „zerstörten“ lutherischen Landeskirchen, der Altlutheraner und fast aller altpreußischen Kirchenprovinzen sowie des Lutherischen Rates teilnahmen. Vorausgesetzt worden war die Anerkennung der Confessio Augustana invariata, der Katechismen Luthers und der Richtlinien des Lutherischen Rates sowie die Bereitschaft zur Bildung einer bekennenden lutherischen Kirche Deutschlands als Fernziel. Auf den Begriff und Anspruch einer Synode verzichtete man vor allem wegen der unklaren Legitimation der Vertreter der altpreußischen Unionskirche. Im Mittelpunkt des Lutherischen Tages standen drei Vorträge von Hanns Lilje, Georg Merz und Paul Althaus. Lilje und Merz setzten gegenüber den bislang tonangebenden Erlanger Theologen deutlich neue Akzente, plädierten für

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Ertrag

eine größere Öffnung gegenüber „Barmen“ und gegenüber den anderen protestantischen Konfessionen. Lilje wandte sich gegen eine bloße „Restauration und Repristination“ des Bekenntnisses im Sinne der lutherischen Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts und für eine fruchtbare Wechselbeziehung zwischen diesem Bekenntnis und aktuellem Bekennen wie in der Barmer Theologischen Erklärung. Merz sprach sich für ein neues positives Verhältnis zu den Reformierten und Bekenntnisunierten aus − freilich jeweils von einer klaren Bekenntnisbindung ausgehend. Wie breit das Spektrum auf dem Lutherischen Tag in Hannover war, zeigten die Reaktionen einerseits von Sasse, der sich strikt gegen eine Öffnung und durchaus offensiv für einen „lutherischen Konfessionalismus“ zu Wort meldete, und andererseits von Vertretern Württembergs, denen die intendierte Öffnung nicht weit genug ging, die in pietistischer Tradition statt der Bekenntnisbindung die persönliche Christusbeziehung und die unmittelbare Berufung auf die Heilige Schrift betonten und auf der Grundlage der Barmer Theologischen Erklärung eine Abendmahlsgemeinschaft mit den Reformierten befürworteten. Althaus versuchte in seinem Vortrag abermals, auf der Grundlage seiner Theologie der Schöpfungsordnungen die Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und dem dem deutschen Volkstum verpflichteten Staat herauszustellen. Wie Althaus äußerte sich auch Marahrens positiv zum NS-Staat und seiner Führung, während vor allem von Merz, aber auch von Meiser, der im Übrigen die Notwenigkeit der Zusammenarbeit mit den anderen Teilen der Bekennenden Kirche hervorhob, kritische Töne zu hören waren. Insgesamt wollte der Lutherische Tag an seiner grundsätzlich staatsloyalen Haltung freilich keinen Zweifel aufkommen lassen. Das einigende Band war in negativer Hinsicht die strikte Ablehnung der deutsch-christlichen Irrlehren und Gewaltmaßnahmen sowie auch einer religiös überhöhten NS-Rassenideologie, in positiver Hinsicht die Berufung auf die lutherischen Bekenntnisschriften. Die Art und Weise der Rezeption der lutherischen Bekenntnisschriften war allerdings schon wieder, wie erwähnt, sehr unterschiedlich: Während Sasse sie in reiner Form möglichst unangetastet lassen wollte, wollten Lilje und Merz eine Weiterentwicklung bzw. Öffnung in Richtung auf „Barmen“ und innerprotestantische Ökumene, Althaus dagegen in Richtung auf die völkisch-nationale Idee; die Württemberger schließlich verstanden das lutherische Bekenntnis im pietistischen Sinne vor allem als Ruf zur Rückbesinnung auf die Heilige Schrift und die unmittelbare Christusbeziehung. Die vom Lutherischen Tag verabschiedete Erklärung zeigt, dass sich dort − trotz aller genannten Differenzen − vor allem Lilje und Merz mit ihren Thesen durchsetzen konnten. Ein Fortsetzungsausschuss, der die Aufgaben des Arbeitsausschusses des Lutherischen Rates mit übernahm, sollte die Impulse des Lutherischen Tages

Der Lutherrat als Teil der Bekennenden Kirche

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aufgreifen und weiterführen. Man war überzeugt, dass die Erklärung von Hannover eine gute Basis für eine Zusammenarbeit mit den übrigen Teilen der Bekennenden Kirche war, da man sich nunmehr klar zum Kurs von „Barmen“ und „Dahlem“ bekannt habe. Nunmehr wollte man sich daran machen, die konfessionelle Zusammensetzung und Gliederung der kirchlichen Organe verbindlich zu regeln und konsequent durchzuführen. Dabei hatte man gerade auch die sogenannten „zerstörten“ lutherischen Kirchen und Kirchengebiete, vor allem in der altpreußischen Union, im Blick, plante − in Abstimmung mit der Vorläufigen Kirchenleitung − eine Betreuung und Visitation solcher lutherischen Gebiete durch die sogenannten „intakten“ Kirchen, gegebenenfalls sogar eine Angliederung. Erneut wurden Vorbehalte gegenüber der „nationallutherischen“ Haltung von Althaus, der lediglich stellvertretendes Mitglied des Fortsetzungsausschusses war, laut. Die 1935 erfolgte Beauftragung des Reichsministers Hanns Kerrl mit den „kirchlichen Angelegenheiten“ und die von ihm vorgenommene Einsetzung der Kirchenausschüsse bedeuteten für die lutherischen Einigungsbestrebungen eine deutliche Zäsur. Sowohl der Fortsetzungsausschuss als auch der Lutherische Rat waren in der Frage einer möglichen Zusammenarbeit mit den Kirchenausschüssen völlig uneins. Beide Gremien standen vor der Zerreißprobe.

5.3 Der Lutherrat als Teil der Bekennenden Kirche In der Frage einer möglichen Zusammenarbeit mit den Kirchenausschüssen setzte sich schließlich ein pragmatischer Kurs bedingter Zusammenarbeit durch. Gründe hierfür waren: 1. die Person des Reichskirchenausschussvorsitzenden Zoellner, der sich als überzeugter Lutheraner aktiv an den lutherischen Vereinigungsbestrebungen beteiligt hatte und deswegen einen gewissen Vertrauensvorschuss genoss; 2. Frustration und Enttäuschung über das Nicht-Erreichen der konfessionellen Gliederung der bekenntniskirchlichen Organe; 3. die Meinung, sich dem staatlichen Befriedungsversuch zumindest nicht von vornherein verweigern zu dürfen; 4. die − damit zusammenhängende − zunehmende Entfremdung vom radikalen Teil der Bekennenden Kirche, wie sie vor allem auf der Reichsbekenntnissynode in Bad Oeynhausen offen zutage trat. In diesem Zusammenhang ist die Gründung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) zu sehen, in den im März 1936 der Lutherische Rat und der Fortsetzungsausschuss des Lutherischen Tages über-

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Ertrag

führt wurden. Der Lutherrat verstand sich − unter Berufung auf die Barmer und Dahlemer Beschlüsse über das konfessionelle Gliederungsprinzip − als der lutherische Teil der Bekennenden Kirche und beanspruchte, geistliche Leitung für die lutherischen Kirchen und Werke zu sein. Ein auch äußerliches lutherisches Kirchenregiment in Deutschland sollte vorbereitet werden. Konsequenterweise ergaben sich als Fernziele die Schaffung einer neuen Kirchenverfassung für das gesamte evangelische Deutschland sowie die Überwindung sowohl der landeskirchlichen Strukturen als auch der Union, vor allem in Preußen. Den Vorsitz des Lutherrates hatten bis 1938 Breit und anschließend Meiser inne. Geschäftsführender Leiter des Berliner Sekretariats war zunächst für ein halbes Jahr Lilje und dann Paul Fleisch. Außer den drei „Paktkirchen“ gehörten die Bruderräte der drei östlichen lutherischen Flächenkirchen Mecklenburg, Sachsen und Thüringen zu den Gründungsmitgliedern des Lutherrates. Die Bezeichnung „bruderrätlicher Flügel“ für den durch die zweite Vorläufige Kirchenleitung (VKL II) repräsentierten Teil der Bekennenden Kirche ist deshalb unpassend, ebenso wie die Gegenüberstellung von Etikettierungen wie „bischöflich“ und „intakt“ einerseits und „dahlemitisch“ andererseits. Außer dem kleinen Eutin sowie Oldenburg und Hamburg, wo die bekenntniskirchlichen Teile sich zur VKL II hielten, schlossen sich schließlich alle lutherischen Landeskirchen entweder „offiziell“ oder zumindest durch die Bruderräte dem Lutherrat an. Sachsen und Braunschweig waren zeitweilig sowohl durch die offizielle, im Rahmen der Ausschusspolitik neu formierte Kirchenregierung als auch durch die Bruderräte im Lutherrat vertreten. Damit wollte der Lutherrat sicherstellen, dass die Abkehr der Kirchenleitungen von den Deutschen Christen endgültig war. Assoziierte Mitglieder wurden die altlutherische Kirche Preußens und die badische Landeskirche unter ihrem Bischof Julius Kühlewein, der offenbar eine Revision des konsensusunierten Bekenntnisstandes in Baden anstrebte. Einzelne Gemeinden und Personen nahm der Lutherrat nicht auf und vermied damit eine Konfrontation mit den Unierten und der VKL II. Aus Gründen rechtlicher Unklarheiten und wohl auch aus der Sorge vor einer möglichen Verwässerung des theologischen Profils heraus stand der Lutherrat einem engeren Anschluss von Verbänden reserviert gegenüber. Anders als die Vorläuferorganisationen war der Lutherrat somit fast ausschließlich ein Zusammenschluss von Landeskirchen. Bemerkenswert ist, dass auch der Reformierte Arbeitsausschuss ab 1937 eng mit dem Lutherrat kooperierte und sogar einen, wenn auch geringen, regelmäßigen finanziellen Beitrag leistete. Das Verhältnis zwischen Lutherrat und VKL II war gekennzeichnet durch zunehmende Entfremdung und Konkurrenz, aber durchaus auch durch das Bemühen um Beilegung der Differenzen und um Kooperation. Theologischer

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Hintergrund der Entfremdung war die unterschiedliche Rezeption der Barmer Theologischen Erklärung. Der Lutherrat hat die Basis von „Barmen“ nicht verlassen, sondern nur anders interpretiert als der durch die VKL II repräsentierte Teil der Bekennenden Kirche. Die alte Furcht vor (liberalem) Indifferentismus und Unionismus − beides machte man letztlich auch für die deutsch-christlichen Irrlehren verantwortlich – verhinderte, dass der Lutherrat in der Barmer Theologischen Erklärung auch ein neues gemeinsames Bekenntnis sehen konnte; − gegen ein gemeinsames Bekenntnis hatte man sich schließlich bereits im Zusammenhang der deutsch-christlichen Machtergreifung 1933 gewehrt. Der Lutherrat beharrte darauf, dass die Deutsche Evangelische Kirche nur ein Bund bekenntnisbestimmter Kirchen sein könne, und bestritt dementsprechend den Gesamtvertretungsanspruch der VKL II, da ihr eben die Bekenntnisbestimmtheit fehle und sie kein Mandat der Lutherratskirchen habe. Besonders belastet wurde das Verhältnis zwischen Lutherrat und VKL II durch die Affäre um die vorzeitig im Ausland bekannt gemachte Denkschrift der VKL II an Hitler. Um jeden Anschein staatspolitischer Illoyalität zu vermeiden, distanzierte sich der Lutherrat von der VKL II und ihrer Denkschrift. Gleichwohl war der Lutherrat bestrebt, die Verbindung nicht gänzlich abreißen zu lassen, und schlug einen pragmatischen Kurs der Arbeitsteilung ein, wonach Lutherrat und VKL II jeweils die ihnen unterstehenden Kirchengebiete repräsentieren und leiten sollten. Dieser Kurs führte zur Ausbildung von Parallelstrukturen. So rief der Lutherrat eine eigene Hilfsaktion − parallel zum Pfarrernotbund − ins Leben. Die Zusammenarbeit zwischen dem Lutherrat und den Kirchenausschüssen war insofern nur eine bedingte, als der Lutherrat trotz des Werbens des früheren Weggefährten Zoellner die Notwendigkeit des Distanzhaltens betonte und jedenfalls die Kirchenausschüsse keinesfalls als ein übergeordnetes kirchenleitendes Organ akzeptierte. Geradezu eifersüchtig wachte man darüber, dass die Ausschüsse sich keine kirchenleitenden Kompetenzen anmaßten, die ihnen nach Meinung des Lutherrates nicht zustanden. Man erwartete von ihnen vielmehr, dass sie bei Konflikten mit dem Staat als eine Art Anwalt fungierten und vermittelten, und forderte dies immer wieder nachdrücklich ein. Die theologische Arbeit bzw. Neubesinnung des Lutherrates, wie etwa Lilje und auch Walter Künneth sie forderten, gelangte über Ansätze nicht hinaus. Ein theologischer Beirat, für den jüngere − kaum mehr nationalprotestantisch geprägte − Theologen und eben nicht Althaus und Elert vorgesehen waren, hat sich offensichtlich gar nicht erst richtig konstituiert. Gründe für die Zurückhaltung bei der theologischen Arbeit waren eine vor allem auch beim Lutherratsvorsitzenden Breit festzustellende Skepsis angesichts der Ergebnislosigkeit bisheriger theologischer Diskussionen, die Scheu vor dem Risiko neuer theologischer Festlegungen angesichts der aktuellen Herausforderungen und auch

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Ertrag

das Bemühen um eine Verständigung mit den anderen Teilen der Bekennenden Kirche. Gelegentliche Stellungnahmen hatten jeweils einen aktuellen Anlass, etwa die Gefährdung des konfessionellen Religionsunterrichtes durch die nationalsozialistische Schulpolitik. Dabei betonte man einerseits die Bindung an Schrift und Bekenntnis, aber auch die Verpflichtung gegenüber dem bekenntniskirchlichen Aufbruch der vergangenen Jahre, ausdrücklich auch gegenüber den Ergebnissen von „Barmen“, deren Interpretation im Sinne einer Überbietung, Relativierung oder gar Ersetzung der bisherigen Bekenntnisse man allerdings eine definitive, klare Absage erteilte. Intensiv war die aktive Mitarbeit des Lutherrates im Lutherischen Weltkonvent, während man gegenüber der konfessionsübergreifenden Ökumene Vorbehalte hatte. Im November 1936 und − in überarbeiteter Form − im Oktober 1937 wurden „Grundbestimmungen“ des Lutherrates verabschiedet, wenn auch mit Rücksicht auf die Situation in Hannover, wo gemäß den Weisungen Kerrls ein Deutscher Christ mit Vetorecht Mitglied der Kirchenleitung war, nur vorläufig. Inhaltlich sind die „Grundbestimmungen“ ein − vor allem auch aus pragmatischen Gründen formulierter − Kompromiss zwischen denen, die wie Marahrens eine lutherische Einheitskirche Deutschlands realisieren wollten, und denen, die wie Wurm das landeskirchliche Element betonten und lediglich einen Bund lutherischer Landeskirchen für möglich hielten: Der Zusammenschluss wurde als Bund bezeichnet, die Einheitskirche lediglich als Ziel in Aussicht gestellt. Neben dem Rat und dem Sekretariat in Berlin sahen die „Grundbestimmungen“ als drittes Organ des Lutherrates eine Synode vor. Das Scheitern der Kirchenausschüsse stärkte das Selbstbewusstsein des Lutherrates. Offensiv wollte man sich nunmehr an den Bau einer einheitlichen lutherischen Kirche in Deutschland machen, vor allem durch die Einberufung einer nationalen lutherischen Synode, die freilich nicht zustande kam. Der Erlass der Reichsregierung über die Abhaltung einer Kirchenwahl vom Februar 1937 brachte den Lutherrat jedoch auch in die Defensive und führte vorübergehend zu einer Annäherung von Lutherrat und VKL II in einer Arbeitsgemeinschaft. Belastet wurde das Verhältnis zwischen beiden Flügeln der Bekennenden Kirche allerdings schon bald wieder durch die Beschlüsse der preußischen Bekenntnissynode zu Halle im Mai 1937, die der Lutherrat wohl nicht zu Unrecht als den − von ihm natürlich scharf abgelehnten − Versuch einer Weiterentwicklung der preußischen Union zu einer echten Bekenntnisunion wertete. Als klar war, dass es zu der von Hitler angeordneten Kirchenwahl nicht mehr kommen würde, strebte Breit eine geordnete Trennung von den Deutschen Christen an und schlug dem Reichskirchenminister ein „Simultaneum“ für die Deutsche Evangelische Kirche vor.

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Anfang 1938 unterbreitete Hans Meinzolt dem Lutherrat einen regelrechten Gesetzentwurf zur Gründung einer Lutherischen Kirche Deutschlands, der freilich als zu weitreichend und radikal empfunden wurde. Stattdessen setzte sich Fleisch mit einem Entwurf zur Ermächtigung von Breit, Marahrens und Wurm durch, die besondere Vollmachten erhielten und einer lutherischen Synode den Entwurf für eine Verfassung der lutherischen Kirchen innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche vorlegen sollten. Faktisch bedeutete die Bevollmächtigung eine Intensivierung des Lutherischen Paktes. Hintergrund der Ermächtigung von Breit, Marahrens und Wurm war der wachsende Druck von Seiten des nationalsozialistischen Staates, der den Lutherrat nicht anerkannte. Es kam zu verschiedenen Behinderungen und Zwangsmaßnahmen durch die Geheimpolizei. So wurde ein Lutherratsrundschreiben beschlagnahmt und der Justitiar des Lutherrates verhört. Die staatlichen Finanzabteilungen drohten, dem Lutherrat die Geldmittel zu sperren. Drei Denkschriften bzw. Denkschriftenentwürfe an Göring, Hitler und Kerrl vom Juni und Juli 1938 zeugen vom Aufbegehren des Lutherrates gegen die staatliche Repression, hinter der Breit schon frühzeitig einen auf die Überwindung des dogmatisch geprägten Christentums abzielenden kirchenpolitischen Kurs der Partei und nicht die Übergriffe Einzelner sah. Im Kontext des wachsenden Drucks von Seiten des Staates sind verschiedene „Treuebekundungen“ des Lutherrates gegenüber dem Führer im Jahre 1938 zu sehen. Die vermeintlichen außen- und friedenspolitischen Erfolge Hitlers verfehlten offensichtlich auch bei vielen Lutherratsmitgliedern ihre Wirkung nicht. Der Lutherrat wollte seine grundsätzliche Loyalität dem Staat gegenüber unter Beweis stellen, nutzte die „Treuebekundungen“ aber gleichzeitig, um auf sein bedrohtes kirchliches Anliegen aufmerksam zu machen. In dieser Situation gelang es Kerrl, einen tiefen Keil zwischen Lutherrat und VKL II, also in die „Bekenntnisfront“ hinein, zu treiben, indem er die Bischöfe der Paktkirchen und Kühlewein dazu brachte und wohl auch nötigte, sich von der als defätistisch empfundenen Gebetsliturgie der VKL II anlässlich der drohenden Kriegsgefahr zu distanzieren. Innerhalb der dem Lutherrat angeschlossenen Kirchen wurde freilich Kritik an der Erklärung der Bischöfe laut und eine Solidarisierung mit der unter Druck geratenen VKL II verlangt. Die Bischöfe mussten sich im Lutherrat für ihr Verhalten rechtfertigen. In einem Schreiben an Kerrl revidierten sie insofern ihre Erklärung, als sie die VKL II nicht nur vor dem Vorwurf staatsverräterischen Handelns ausdrücklich in Schutz nahmen, sondern darüber hinaus ihre grundsätzliche Verbundenheit mit der VKL II zum Ausdruck brachten. Im September 1940 distanzierten sich Meiser und Wurm, anders als Marahrens, vollends von der Erklärung.

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Ertrag

Die Enttäuschung über das Stagnieren bzw. die Rückschritte beim lutherischen Vereinigungsprozess, für die er nicht nur äußere Behinderungen, sondern auch interne Meinungsverschiedenheiten verantwortlich machte, war die Ursache für den Rücktritt Breits als Lutherratsvorsitzender im Oktober 1938. Hinzu kam die Enttäuschung über die andauernden Verständigungsprobleme mit dem durch die VKL II repräsentierten Teil der Bekennenden Kirche. Unmittelbarer Auslöser für den Rücktritt Breits war die Ablehnung seiner pragmatischen Reformvorschläge, die der tatsächlichen Bedeutung des Lutherrates entsprechend zu einer Reduzierung der Aufgaben des Lutherrates führen sollten. In diesem Zusammenhang kam es wohl auch zu einer persönlichen Entfremdung zwischen Breit und Meiser. Unter dem neuen Vorsitzenden Meiser blieb der Lutherrat organisatorisch auch während der gesamten Kriegszeit intakt, entwickelte sich jedoch wieder mehr zu einem Repräsentationsgremium einzelner Persönlichkeiten. Unmittelbar vor Kriegsbeginn nahm der staatliche Druck auf den Lutherrat noch zu. Vor allem gelang es Kerrl jetzt auch, einen Keil tief in den Lutherrat selbst hinein zu treiben. Er konnte Marahrens dazu bewegen, dass dieser – wenn auch nicht vorbehaltlos – seine „Grundsätze“ unterschrieb, die eine verbindliche Anerkennung der nationalsozialistischen Weltanschauung beinhalteten. Dies stellte den Lutherrat vor die Zerreißprobe; das Sekretariat hatte bereits geschlossen seinen Rücktritt beschlossen. Der entstandene Riss konnte nie wieder ganz beseitigt werden, auch wenn der Lutherrat Marahrens’ Mitarbeit im „Geistlichen Vertrauensrat“ grundsätzlich akzeptierte. Der staatliche Druck ließ im Kriege im Rahmen des „Burgfriedens“ spürbar nach. Der Lutherrat konnte sich nicht nur finanziell erholen, sondern hatte nach dem Austritt der sächsischen und braunschweigischen Landeskirche auch wieder einen Beitritt zu verzeichnen: Nach der Annexion Elsaß-Lothringens trat die elsässische lutherische Kirche dem Lutherrat bei. Auch die hinter Bischof Otto Zänker stehende Synode der gespaltenen schlesischen Bekennenden Kirche beantragte die Aufnahme, was aber wegen des ungeklärten Problems der Lutheraner in der Union auf Schwierigkeiten stieß. Die kirchenfeindlichen Entwicklungen im „Modellgau“ Wartheland nahm man mit Sorge zur Kenntnis. Demgegenüber hielt der Lutherrat am Fernziel der lutherischen Kirche deutscher Nation fest. Fleisch machte sich an Vorarbeiten für eine Verfassung, an die er nach Kriegsende anknüpfte. Das „Kirchliche Einigungswerk“ Wurms stieß zunächst wegen des befürchteten Unionismus auf heftigen Widerspruch. Nicht ohne Vorbehalte rangen sich Meiser und Marahrens schließlich doch zu einer Mitarbeit durch; das Misstrauen blieb indes. Spätestens hier begannen sich die Wege Württembergs und der später die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands mit-

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tragenden Kirchen zu trennen; − eine Trennung, die sich im Übrigen schon seit längerem, etwa beim Lutherischen Tag in Hannover 1935, abgezeichnet hatte. Die Diskriminierung evangelischer „Nicht-Arier“ und die Tolerierung nichttrinitarischer Taufen durch die von radikalen Deutschen Christen regierte thüringische Landeskirche verwarf der Lutherrat klar als Irrlehre. Zur Diskriminierung nicht-evangelischer „Nicht-Arier“ hat der Lutherrat sich offenbar nicht geäußert. Antijudaistisches Gedankengut findet sich auch in Lutherratsdokumenten. Teilweise gab man sich hinsichtlich der Konsequenzen der nationalsozialistischen Rassenideologie offensichtlich auch Illusionen hin. Das Spektrum der Einstellungen zum Nationalsozialismus innerhalb des Lutherrates reichte im Übrigen von Marahrens, der sich immer wieder zu Erklärungen für den NS-Staat bewegen ließ, einerseits bis zu dem Justitiar des Lutherrates Martin Gauger andererseits, der wegen Kriegsdienstverweigerung von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Beide waren mit ihren Einstellungen im Lutherrat isoliert und handelten letztlich als Einzelpersonen. Neben einer gewissen, immer auch taktisch motivierten Anpassung bestand das konservativ-traditionale Resistenzpotential des Lutherrates in der Konzentration auf die Bewahrung des Bekenntnisses und der Freiheit der Kirche. Unter schwierigen Bedingungen konnte der Gleichschaltungsversuch der Nationalsozialisten weitgehend erfolgreich abgewehrt werden. Das hat sicher auch zur weiteren Identitätsklärung beigetragen. Andere − politische oder theologische − Fragen hatte man dagegen kaum im Blick; − wohl auch eine Wirkung der sogenannten „Zwei-Reiche-Lehre“ in der Form, wie sie über eine lange Zeit hinweg rezipiert worden war, sowie eines auch in lutherischen Kreisen weit verbreiteten latenten Nationalprotestantismus. Angesichts der permanenten kirchenpolitischen Herausforderungen und Bedrückungen fehlte schlicht die Zeit für tiefergehende Reflexionen; hier kam man über erste Ansätze nicht hinaus. Beim Vergleich der beiden Teile der Bekennenden Kirche ist zu bedenken, dass das Legalitätsprinzip für den hauptsächlich von den sogenannten „intakten“ Landeskirchen getragenen Lutherrat eine andere Rolle spielte als für den durch die VKL II repräsentierten Teil der Bekennenden Kirche. Die Differenzen beruhten letztlich auf unterschiedlichen ekklesiologischen Grundentscheidungen und auf der unterschiedlichen Rezeption der Barmer Theologischen Erklärung. Auch in schwierigen Situationen wahrte der Lutherrat doch ein Mindestmaß an Solidarität mit der VKL II, regte etwa Fürbitten für Martin Niemöller an.

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Ertrag

5.4 Der Lutherrat im Prozess der Neuordnung des deutschen Protestantismus nach 1945 Nach dem Ende nicht nur des „Dritten Reiches“ und des Krieges, sondern auch der Deutschen Christen, der Reichskirche und der altpreußischen Unionskirche schien − bei grundsätzlichem Wohlwollen der Alliierten den Kirchen gegenüber − die Gelegenheit günstig wie nie, den seit Generationen verfolgten Plan einer einheitlichen evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands endlich zu realisieren. Die Ziele und Aktivitäten des Lutherrates nach 1945 sind keinesfalls allein aus der kirchenpolitischen Frontstellung 1936 oder dem Ringen um kirchenpolitische Einflussnahme auf die Neuordnung des deutschen Protestantismus nach der sogenannten „Stunde Null“ heraus erklärbar, vielmehr sah der Lutherrat sich selbst als Erbe einer langen Tradition, die über die lutherischen Aufbrüche im 19. Jahrhundert hinaus letztlich bis zur Confessio Augustana von 1530 und bis zu Luther selbst zurückreichte. Der Versuch, namentlich von Fleisch und Meiser, bereits im August 1945 vollendete Tatsachen zu schaffen und die lutherische Kirche Deutschlands auszurufen, scheiterte am Einspruch Württembergs und seines Landesbischofs Wurm. Die sich seit längerem abzeichnende kirchenpolitische und theologische Divergenz wurde offenbar. Intensiv arbeitete der Lutherrat an der Ausarbeitung einer Verfassung für eine einheitliche lutherische Kirche. Nicht nur wegen äußerer Widerstände und wegen der konkurrierenden Aktivitäten Wurms, der als zunächst provisorischer Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) den Plan einer konfessionsübergreifenden evangelischen Kirche vorantrieb, sondern auch wegen interner Diskussionen und Widerstände – keineswegs nur von Seiten Württembergs – zog sich die Arbeit über drei Jahre lang hin. Mehrere Vorentwürfe, u. a. von Fleisch und Sasse, wurden angefertigt, zwei davon sogar im April 1946 bereits im Lutherrat grundsätzlich gebilligt bzw. im September 1946 beschlossen, ehe im Juli 1948 die verfassunggebende Generalsynode der VELKD den endgültigen Verfassungstext verabschiedete. Trotz mancher Unterschiede stimmten die Verfassungsentwürfe in wesentlichen Punkten überein. Diese waren: das Verbindlichmachen von Schrift und Bekenntnis, das Nebeneinander episkopaler und synodaler Elemente, die Einrichtung einer „Landeskirchenkammer“ und eines obersten Verwaltungsorgans sowie die Anbindung an das internationale Luthertum. Am weitesten ging im Übrigen der Verfassungsentwurf von Fleisch vom August 1945, der eine relativ zentralistisch von einem „Erzbischof“ geführte Einheitskirche mit direkten Einnahmen und ausdrücklich die Möglichkeit des Beitritts ehemals altpreußischer Kirchengebiete vorsah; die Landeskirchen sollten Untergliederungen der Einheitskirche werden. Die anderen Entwürfe

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unterschieden sich von diesem Entwurf vor allem dadurch, dass sie die Einheitlichkeit der neuen Kirche nicht statisch mit ihrer Gründung gleichsam voraussetzten, sondern vielmehr dynamisch als Ziel eines mit der Gründung angestoßenen Entwicklungsprozesses erst anstrebten. Ferner wurden die bleibende Bedeutung und die Selbständigkeit der Landeskirchen betont und das episkopale Element zugunsten kollegialer und synodaler Elemente abgeschwächt. Schließlich schloss man eine Angliederung lutherischer Kirchengebiete in unierten Landeskirchen aus, betonte die Gemeinschaft mit Reformierten und Unierten und erklärte die Bereitschaft zur Mitarbeit in der Ökumene. Insgesamt wurde − innerhalb wie außerhalb des Lutherrates und seiner Mitglieder − weniger um bestimmte Punkte und Formulierungen als vielmehr um das Vorhaben VELKD an sich und den rechten Zeitpunkt ihrer Ausrufung gerungen. Auch prominente lutherische Theologen wie Hans Asmussen, der als zunächst provisorischer Präsident der EKD-Kanzlei die EKD zu einer echten Kirche ausbauen wollte, und Hans-Joachim Iwand lehnten die Pläne des Lutherrates ab. Die Kontroverse zwischen Christian Stoll und Iwand hatte paradigmatischen Charakter. Für Stoll war es eine Lehre des „Kirchenkampfes“, dass das Bekenntnis Lehre, Ordnung und Handeln der Kirche positiv bestimmen müsse. Iwand bezeichnete dagegen in seiner polemischen Entgegnung den Konfessionalismus als den „Todesstoß“ für die Bekennende Kirche. Kircheneinheit dürfe, so Iwand, nicht künstlich konstruiert werden, sie sei faktisch in der EKD bereits vorhanden; auch die Abendmahlsgemeinschaft mit den Reformierten dürfe man nicht mehr preisgeben. Zwischen diesen beiden Frontlinien verlief die theologischekklesiologische Auseinandersetzung. Bayern, die flächenmäßig größte lutherische Landeskirche, und Sachsen, die damals mitgliederstärkste lutherische Landeskirche, versuchten bis zuletzt, Änderungen − teilweise mit unterschiedlichen Zielsetzungen bzw. Akzenten − am Text der VELKD-Verfassung zu erreichen. Eine Kompetenzverlagerung zulasten der Landeskirchen und zugunsten der VELKD fand keine Zustimmung; hier blieb es bei einer bloßen Willenserklärung. Die Barmer Theologische Erklärung wurde deutlicher positiv gewürdigt. Allerdings bezog man sich lediglich auf deren „Verwerfungen“ in ihrer lutherischen Interpretation, um jedem Anschein eines Bekenntnisranges der Barmer Erklärung von vornherein zu wehren; deshalb protestierte man auch gegen die Aufnahme der Barmer Erklärung in die Ordinationsverpflichtung der westfälischen Pfarrer. Das synodale Element wurde noch gestärkt. Keine Bewegung gab es in der Frage der wechselseitigen Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft innerhalb der EKD und in der Frage der Anerkennung der EKD als Kirche; in beiden Fragen setzte sich eine ablehnende Haltung durch. Das Einräumen der Möglichkeit der

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Ertrag

gastweisen Teilnahme mit beratender Stimme an VELKD-Sitzungen war der Versuch eines Brückenschlags zu den fernbleibenden lutherischen Landeskirchen von Württemberg und Oldenburg. Eine entsprechende Ergänzung der Präambel eröffnete den Unionslutheranern eine gewisse Perspektive eines möglichen Zusammenschlusses mit der VELKD in fernerer Zukunft. Sie stand aber einerseits in einer nicht zu übersehenden Spannung zu der Verfassungsbestimmung, dass in der VELKD nur Kirchengebiete aufgenommen werden können, die nicht einem anderen Kirchenregiment unterstehen, und sorgte andererseits in dem Lutherrat kritisch gegenüberstehenden Kreisen für neuerliche Irritationen. Der Lutherrat hatte mit der Gründung der VELKD sein satzungsmäßiges Ziel erreicht und ging in der VELKD auf, deren erster leitender Bischof Meiser wurde. Das Festhalten an den landeskirchlichen Strukturen erwies sich auf Dauer als das grundlegende Strukturproblem der VELKD. Eine prinzipielle Revision der landeskirchlichen Strukturen war aber auch im Lutherrat selbst bzw. bei den angeschlossenen Kirchen offenbar zu keinem Zeitpunkt mehrheitsfähig, geschweige denn konsensfähig gewesen. Dies hängt wohl auch mit dem schon vor 1945 zu konstatierenden Mangel an theologischer Reflexion zusammen, der freilich vom Lutherrat selbst schon als Problem erkannt wurde und vermutlich zu einem Gutteil den zeit- und kraftaufwändigen kirchenpolitischen Auseinandersetzungen geschuldet war. Die Gründung der VELKD beruhte auf Kompromissen nach außen und innen und auf einem kleinen gemeinsamen theologischen Nenner. Die württembergische Landeskirche und ihr Landesbischof Wurm begründeten ihre ablehnende Haltung zur werdenden VELKD einerseits mit der konfessionsrelativierenden pietistisch-biblizistischen Tradition Württembergs, andererseits mit der Verantwortung für die Einheit der gesamten deutschen evangelischen Kirche. Wurm, der auch gemeinsame Abendmahlsfeiern ausdrücklich rechtfertigte, brachte in diesem Zusammenhang den aus der Brüdergemeinde stammenden Begriff der „biblischen Unität“ ins Spiel. Durch gleich drei theologische Gutachten, von Sasse, Elert und Merz, versuchte Meiser die Württemberger zu widerlegen und umzustimmen. Die Argumente waren im Grunde nicht neu: Die Notwendigkeit eines bekenntnisbestimmten Kirchenregiments und die Gefahren des Unionismus, einer kontextuellen Theologie und des Schwärmertums wurden beschworen. Die Württemberger reagierten auf die Gutachten mit einem neuen Argument: Man strebe ein lutherisches Gepräge für die gesamte EKD an; ein Argument, das bei den Verfechtern der VELKD und auch beim Reformierten Bund erst recht auf Ablehnung stoßen musste, da man eine Aufweichung des konfessionellen Profils befürchtete.

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Anders als Württemberg hatte Oldenburg niemals dem Lutherrat angehört, auch nicht die dortige Bekennende Kirche, die sich zur VKL II gehalten hatte. Nach 1945 blieb Oldenburg unter Bischof Wilhelm Stählin aus ganz ähnlichen Gründen wie Württemberg der werdenden VELKD fern. Beide Kirchen verband vor allem das Ziel einer sozusagen „milden“ lutherischen Prägung der gesamten EKD, das auf die gemeinsame Abwehrfront von Lutherrat und Reformiertem Bund stieß und sich im Übrigen nicht realisieren ließ. Anders als Württemberg, das ja von Anfang an Mitglied des Lutherrates gewesen war, wurde Oldenburg indes auch bewusst vom Lutherrat ferngehalten, da man offensichtlich eine unliebsame Koalition Württemberg − Oldenburg im Lutherrat vermeiden wollte. Sowohl für die EKD- als auch für die VELKD-Verfechter stand frühzeitig fest, dass es nicht um die grundsätzliche Alternative entweder EKD oder VELKD, sondern lediglich um Fragen der Macht- und Kompetenzverteilung und der Verhältnisbestimmung gehen konnte. Der Versuch, die VELKD-Kirchen als geschlossenen Block der EKD anzugliedern – ein Weg, der den Einfluss der VELKD zweifellos enorm gestärkt hätte –, scheiterte ebenso, wie bei der Gründung der VELKD die Überwindung der landeskirchlichen Strukturen gescheitert war: Hierfür fand sich auch unter den Lutheranern keine Mehrheit. Auch wenn der Lutherrat in der Frage der wechselseitigen Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft und der Frage der Anerkennung der EKD als Kirche im Vollsinne grundsätzlich kompromisslos blieb, so zeichnete sich letztlich doch, wie verschiedene Beispiele, etwa die Akzeptanz des Namens Evangelische Kirche in Deutschland, zeigten, das Verhältnis der werdenden VELKD zur werdenden EKD durch Pragmatismus und Kompromissbereitschaft aus. Weitere Probleme der werdenden VELKD ergaben sich aus der allgemein schwierigen Lage im Nachkriegsdeutschland heraus, vor allem wegen der immer deutlicher zu spürenden deutschen Teilung, ferner auf Grund der Tatsache, dass die Idee einer einheitlichen EKD als Kirche im Vollsinne offenbar weithin populärer war als die lutherischen Pläne − man hatte also ein Vermittlungsproblem in der Öffentlichkeit −, und schließlich durch das Fortbestehen des Unionsluthertums, das sich im April 1947 gemeinsam mit Württemberg und Oldenburg im „Detmolder Kreis“ neu formierte und in eine gewisse Konkurrenz zur VELKD trat. Enttäuschend für die VELKD-Verfechter war es, dass der Reformierte Bund keinen dem eigenen Kurs analogen konfessionellen Kurs einschlug und dass die Altlutheraner, denen die Kompromissbereitschaft der werdenden VELKD gegenüber der werdenden EKD zu weit gegangen war, die Kirchengemeinschaft mit den Lutherratskirchen aufkündigten. Auch Sasse distanzierte sich vom Kurs der VELKD und wanderte schließlich − nicht ohne Verbitterung − nach Australien aus.

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Ertrag

Auf der Ebene der Ökumene hielt sich der Lutherrat zum Lutherischen Weltkonvent bzw. Weltbund. Der konfessionsübergreifenden Ökumene stand er dagegen weiterhin mit einer gewissen Distanz gegenüber und bestand auf der Notwendigkeit konfessioneller Gliederung und Vertretung. Mit großer Beharrlichkeit haben Lutheraner seit dem 19. Jahrhundert auf eine auf den lutherischen Bekenntnisschriften basierende Vereinigung lutherischer Kirchengebiete in Deutschland hingearbeitet. Faktisch stand die defensive Tendenz dieser Bemühungen im Vordergrund: die Abwehr von Relativismus, Indifferentismus, Liberalismus, Unionismus, Einflüssen des jeweiligen Zeitgeistes sowie nicht zuletzt auch von staatlichen Eingriffen. Die produktive theologische Arbeit kam angesichts ständiger Abwehrkämpfe wohl vielfach zu kurz. Dies verhinderte zunächst etwa auch eine Rezeption der Barmer Theologischen Erklärung über die Zustimmung zu den „Verwerfungen“ und über die Interpretation als Ruf zur Rückbesinnung auf die alten Bekenntnisse hinaus. Andererseits lag paradoxerweise gerade in der konservativ-traditionalen, teilweise orthodox anmutenden Rückbesinnung das Resistenzpotential der Lutheraner, etwa gegen die deutsch-christlichen Irrlehren. Keineswegs nur an äußeren Widerständen, sondern mindestens ebenso sehr an inneren Differenzen und an dem Problem der Vermittelbarkeit lag es, dass der lutherische Vereinigungsprozess so lange dauerte, dass die Gründung der VELKD schließlich auf allerhand Kompromissen beruhte und, womöglich auch, dass die Existenzberechtigung der VELKD auch heute, sechzig Jahre nach ihrer Gründung, wieder in Frage gestellt worden ist. Eine wirklich konsequente Umsetzung des Gedankens, Kirche von den jeweils geltenden Bekenntnisschriften her zu bauen, ist im deutschen Protestantismus bislang nicht versucht worden. Eine solche Reform erschiene vermutlich auch den radikalsten unter den Reformern in der gegenwärtigen Strukturdebatte der EKD als zu radikal, denn sie stellte die Existenzberechtigung der mehr historisch als theologisch zu legitimierenden Landeskirchen mit ihren mannigfachen Parallelstrukturen in Frage. Über die theologische Berechtigung der „lutherischen Kirchenreform“ ist damit freilich noch nicht entschieden.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Unveröffentlichte Quellen 1) Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers (LKA Hannover) Bestand LKA Hannover, D 15: Depositum Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD) D 15 I: Geistliche Abteilung D 15 I 2: Verkehr mit Reichs- und Staatsbehörden: 1. 2. 1938–30. 6. 1938 D 15 I 3: Verkehr mit Reichs- und Staatsbehörden: 30. 9. 1938–29. 2. 1948 D 15 I 13: Deutsche Evangelische Kirche – Kirchenführer Konferenz: 11. 10. 1938– 19. 12. 1939 D 15 I 17: Sonderakte – Lutherische Einigungsorganisation: 14. 3. 1936–30. 6. 1937 D 15 I 18: Sonderakte – Lutherische Einigungsorganisation: 1. 7. 1937–30. 6. 1938 D 15 I 19: Sonderakte – Lutherische Einigungsorganisation: 24. 1. 1939–4. 1. 1945 D 15 I 32: Theologie – Gottesdienst und Liturgie: 21. 7. 1938–10. 11. 1943 D 15 I 51: Erziehung – Missionarische und Diakonische Verbände: 11. 2. 1936–21. 6. 1938 D 15 I 59: Landeskirchen – Altpreußen: 6. 12. 1936–23. 6. 1938 D 15 I 65: Landeskirchen – Braunschweig: 4. 3. 1935–20. 4. 1937 D 15 I 66: Landeskirchen – Braunschweig: 23. 7. 1937–9. 8. 1944 D 15 I 76: Landeskirchen – Lippe-Detmold: 14. 11. 1936–14. 11. 1944 D 15 I 94: Landeskirchen – Schleswig-Holstein: 18. 4. 1936–19. 6. 1937 D 15 I 120: Archiv – Verschiedenes, u. a. Gratulations-, Kondolations- und Anerkennungsschreiben; Laienbestrebungen: 25. 7. 1938–25. 4. 1940 D 15 I 121: Archiv – Verschiedenes, u. a. Gratulations-, Kondolations- und Anerkennungsschreiben; Laienbestrebungen: 1. 5. 1940–3. 10. 1947 D 15 I 123: Verkehr mit Reichs- und Staatsbehörden D 15 I 126/2: Offizielle DEK, Band 4,2 D 15 II: Weltliche Abteilung D 15 II 1: Rechtssachen – Rechtspraxis – Verwaltungs- und Strafrecht: 20. 3. 1936– 30. 9. 1936 D 15 II 16: Rechtssachen – Rechtspraxis – Verfassungsfragen: 7. 12. 1936–14. 5. 1938 D 15 II 17: Rechtssachen – Rechtspraxis – Verfassungsfragen: 14. 7. 1938–20. 12. 1940 D 15 II 26: Wahlerlasse 15. 2. 1937: 1. 2. 1937–23. 10. 1937

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Quellen- und Literaturverzeichnis

D 15 II 29: Verwaltungssachen – Personalakten: 27. 11. 1937–17. 11. 1949 D 15 II 37: Verwaltungssachen – Reisen und Vorträge: 19. 5. 1938–10. 12. 1940 D 15 II 38: Verwaltungssachen – Reisen und Vorträge: 4. 1. 1941–10. 2. 1946 D 15 III: Sonstiges D 15 III 1: Tagesberichte: 8. 6. 1939–28. 4. 1941 D 15 III 4/1: Einzelstücke sämtlicher Vervielfältigungen: 5. 1. 1938–28. 7. 1939 D 15 III 6: Doppelte Durchschläge: 31. 5. 1939–31. 7. 1939 D 15 III 13: Sammlung Protokolle des Lutherrates 1936–1938: 18. 3. 1936–2. 6. 1938 D 15 IV: Sekretariat Hannover des Rates des Evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands (D. Fleisch) D 15 IV 3: Sekretariat Hannover (enthält speziell Entstehung der Verfassung der VELKD): 1945–1948 D 15 V: Lutherrat München. Sekretariat Meiser (Archiv Meiser, Rat der Evangelisch- lutherischen Kirche) D 15 V 1/1: Aus den Anfangszeiten des Lutherrates (enthält 31 Akten des Pfarrers Christian Stoll): 1934–1935, Teil 1 D 15 V 1/2: Aus den Anfangszeiten des Lutherrates (enthält 31 Akten des Pfarrers Christian Stoll): 1934–1935, Teil 2 D 15 V 2/1: Lutherischer Tag, Hannover I – Einladung, Vorverhandlungen, Briefwechsel: 1935 D 15 V 2/2: Lutherischer Tag, Hannover I – Geschäftsordnung, Geschäftsstelle, Teilnehmerlisten: 1935 D 15 V 2/3: Lutherischer Tag, Hannover I – Verhandlungen, Anträge: 1935 D 15 V 2/4: Lutherischer Tag, Hannover I – Drucksachen, Vervielfältigungen: 1935 D 15 V 3/1: Lutherischer Tag, Hannover II – Tagungsberichte: 1935 D 15 V 3/3: Lutherischer Tag, Hannover II – Fortsetzungsausschuß: 1935 D 15 V 14: Lutherrat: 1934–1947 D 15 V 27/2: Pressearbeit: 1946–1949 D 15 XIII: Allgemeine Evangelisch-Lutherische Konferenz / Lutherisches Einigungswerk (nicht benutzbar / nicht zugänglich) Bestand LKA Hannover, D 5: Landeskirchenamt Bückeburg D 5 – 22 I: Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirchen Deutschlands (Rundschreiben) D 5 – 22 II: Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirchen Deutschlands (Rundschreiben) Bestand LKA Hannover, N 125: Dr. Martin Gauger N 125 Nr. 04: Reichsbruderrat 1935–1938 N 125 Nr. 013: Lutherischer Weltkonvent N 125 Nr. 056: Verschiedenes, u. a. Gratulations- und Anerkennungsschreiben Bestand LKA Hannover, S 1: Repertorium der Kirchenkampfdokumentation S 1 E I 831: Bildung des Rates der Lutherischen Kirche Deutschlands

Quellen- und Literaturverzeichnis

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S 1 E II 113: Kirchensteuer und Finanzabteilung S 1 E II 120: Rat der Evangelisch-lutherischen Kirche (allgemein) S 1 E II 124: Rat der Evangelisch-lutherischen Kirche – Tätigkeitsberichte (Mai – September 1936) S 1 E II 125: Rat der Evangelisch-lutherischen Kirche – Informationen und Lageberichte 1936–1939 S 1 H II 314: Differenzen mit der Göttinger Gruppe

2) Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (LKA Nürnberg) Personen XXXVI (Nachlass Landesbischof D. Hans Meiser), 79: Rat der EvangelischLutherischen Kirche Deutschlands 1936; Anschluss Sachsens an den Rat Personen LXXXVIII (Nachlass Oberkirchenrat Christian Stoll), 8: Sitzungsprotokolle (außerbayerische) 1933–1938 Familienarchiv Bogner, Nachlass Wilhelm Bogner: Tagebuch, Bd. III, 4. September– 9. Dezember 1935

3) Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (LKA Stuttgart) Altregistratur Generalia 203 V: Religionsunterricht. Allgemeines und Volksschule Bestand D 1: Nachlass Landesbischof D. Theophil Wurm D 1/188: Lutherischer Rat

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Abkürzungen nach: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG). Bearb. von Siegfried Schwertner. Berlin / New York 21992 oder verstehen sich von selbst.

Personenregister / Biogramme

Den überwiegenden Teil der biographischen Angaben verdankt der Verfasser den Recherchen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte in München (vgl. die Anhänge der AKiZ-Reihe), insbesondere dem Personenlexikon zum deutschen Protestantismus –. Zusammengestellt und bearbeitet von Hannelore Braun und Gertraud Grünzinger (AKiZ. A 12). Göttingen 2006 (vgl. die Verweise für weitere Informationen). Ahlhorn, Gustav, Jurist, Oberlandeskirchenrat, Kirchenpräsident 65, 110, 116 geb. 23 .8. 1886 Oldenburg, gest. 11. 1. 1971 Bad Sooden-Allendorf [Personenlexikon 18] Althaus, Paul, Universitätslehrer 24, 55, 60, 62 f., 65–69, 71, 77 f., 81–85, 87, 89, 91, 95, 105–109, 115 f., 120 f., 160, 164, 208, 271–273, 275 geb. 4. 2. 1888 Obershagen bei Celle, gest. 18. 5. 1966 Erlangen [Personenlexikon 20] Arnim-Kröchlendorff, Detlev von, Offizier, Gutsbesitzer, Vorsitzender der Lutherischen Vereinigung in der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union 65, 110–112, 116, 119, 123, 128 geb. 15. 9. 1878 Berlin, gest. 1. 2. 1947 Berlin [Personenlexikon 21] Asmussen, Hans, Pfarrer, Präsident der EKD-Kirchenkanzlei 26, 55–57, 59–61, 63 f., 68, 93, 224, 269 f., 281 geb. 21. 8. 1898 Flensburg, gest. 30. 12. 1968 Speyer [Personenlexikon 22 f.] Bard, Paul Heinrich Wilhelm Karl, Oberkirchenrat 39 geb. 25. 3. 1839 Dömitz/Elbe, gest. 17. 4. 1927 Schwerin Superintendent und Mitglied des Oberkirchenrates Schwerin 1876, Jerusalemreise zur Einweihung der Erlöserkirche 1898, Geheimer Oberkirchenrat Schwerin 1902, Ruhestand 1909 — Theol. Ehrenpromotion: D. Barth, Karl, Universitätslehrer 55–57, 59, 95–97, 190 f., 214 geb. 10. 5. 1886 Basel, gest. 10. 12. 1968 Basel [Personenlexikon 27] Bauer, Gerhard, Superintendent 130 f. geb. 25. 6. 1896 Roda bei Ilmenau, gest. 28. 11. 1958 Zeitz [Personenlexikon 28] Beck, Johann Tobias, Theologe, Universitätslehrer 151

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Personenregister / Biogramme

geb. 22. 2. 1804 Balingen, gest. 28. 12. 1878 Tübingen Schwäbischer Pietist — seit 1836 Prof. in Basel, seit 1843 Prof. (ST) und Hauptprediger an der Stiftskirche in Tübingen. Beckmann, Joachim, Präses 88, 119 geb. 18. 7. 1901 Wanne-Eickel, gest. 18. 1. 1987 Düsseldorf [Personenlexikon 31] Bengel, Johann Albrecht, Prälat, Konsistorialrat 151 geb. 24. 6. 1687 Winnenden (Württemberg), gest. 2. 11. 1752 Stuttgart Führender Vertreter des schwäbischen Pietismus — seit 1741 Prälat Herbrechtingen, seit 1749 Prälat Alpirsbach und Konsistorialrat Stuttgart — Textkritiker und Ausleger des NT — Schriften zur Heilsgeschichte (mit Datierung der Parusie Christi und des Anbruchs des Tausendjährigen Reiches auf 1836). Bergdolt, Johannes, Pfarrer und Gymnasiallehrer 65, 125 geb. 12. 10. 1884 Ansbach, gest. 21. 11. 1957 Pfarrer Affalterthal, Windsheim und Würzburg 1913–1923, Gymnasiallehrer Würzburg 1923, Studienprofessor 1927, Amtsaushilfe als Pfarrer Mönchsondheim 1945 — Mitglied des Lutherischen Rates 1934, Teilnehmer des Deutschen Lutherischen Tages Hannover 1935. Beste, Niklot, Landesbischof 130–132, 134, 136, 140, 152, 170, 223, 255 geb. 30. 6. 1901 Ilow Kr. Wismar, gest. 24. 5. 1987 (Unfall) Gießen [Personenlexikon 36] Bismarck, Otto Fürst von, Reichskanzler 40 geb. 1. 4. 1815 Schönhausen a. d. Elbe, gest. 30. 7. 1898 Friedrichsruh Seit 1862 preußischer Ministerpräsident, 1871–1890 zugleich Kanzler des neu gegründeten Deutschen Reiches. Bodelschwingh, Friedrich von, Pfarrer, Anstaltsleiter, designierter Reichsbischof 51 f., 88, 121, 144 geb. 14. 8. 1877 Bethel, gest. 4. 1. 1946 Bethel [Personenlexikon 39] Breit, Thomas, Oberkirchenrat 6, 55, 60, 66, 71, 86–89, 110, 116, 118, 120, 123 f., 127, 131, 133, 135 f., 139–143, 145–148, 150, 152 f., 159 f., 167, 169 f., 175, 177– 183, 185–189, 191–196, 270, 274–278 geb. 16. 3. 1880 Ansbach, gest. 20. 11. 1966 Augsburg [Personenlexikon 45] Brunotte, Heinz, Pfarrer, Präsident der EKD-Kirchenkanzlei 160, 201 geb. 11. 6. 1896 Hannover, gest. 2. 2. 1984 Hannover [Personenlexikon 46 f.] Brunstäd, Friedrich, Universitätslehrer 65, 108 f., 125, 127 geb. 22. 7. 1883 Hannover, gest. 2. 11. 1944 Willershagen bei Gelbensande (Mecklenburg) [Personenlexikon 47] Coch, Friedrich, DC-Landesbischof 53 geb. 11. 12. 1887 Eisenach, gest. 9. 9. 1945 Hersbruck (Bayern) [Personenlexikon 52]

Personenregister / Biogramme

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Dibelius, Otto, Bischof 186 geb. 15. 5. 1880 Berlin, gest. 31. 1. 1967 Berlin [Personenlexikon 58] Dipper, Theodor, Pfarrer 104, 250 geb. 20. 1. 1903 Unterheinriet bei Heilbronn, gest. 20. 8. 1969 Imperia (Italien) [Personenlexikon 61 f.] Drechsler, Adolf, Oberkirchenrat 190 geb. 8. 11. 1889 Picher (Mecklenburg), gest. 26. 2. 1970 Hamburg [Personenlexikon 64] Duensing, Friedrich, Pfarrer 111, 116, 118, 120, 123 f. geb. 4. 7. 1898 Fürstenwalde, gest. 25. 7. 1944 (gefallen) Dünaburg (Lettland) [Personenlexikon 65] Ehlers, Hermann, Jurist, Politiker 245 geb. 1. 10. 1904 Schöneberg, gest. 29. 10. 1954 Oldenburg [Personenlexikon 67 f.] Elert, Werner, altlutherischer Theologe, Universitätslehrer 24, 27, 60, 65 f., 77 f., 81 f., 84, 95, 105, 125, 127, 160, 226, 238–241, 251, 271, 275, 282 geb. 19. 8. 1885 Heldrungen (Provinz Sachsen), gest. 27. 11. 1954 Erlangen [Personenlexikon 69 f.] Ewerbeck, Kasimir, Landessuperintendent 181 geb. 12. 5. 1891 Bösingfeld, gest. 4. 4. 1973 Brake (Lippe) [Personenlexikon 72] Fausel, Heinrich, Pfarrer 110, 112, 116 geb. 15. 11. 1900 Reutlingen, gest. 5. 2. 1967 Tübingen 1927 Stadtpfarrer Heimsheim (Württemberg), 1946 Ephorus Evangelisch-theologisches Seminar Maulbronn, 1963 Honorarprofessor Tübingen — führendes Mitglied der Kirchlich-Theologischen Sozietät — Theol. Ehrenpromotion: D. Feine, Hans Erich, Jurist, Universitätslehrer 242, 254 geb. 21. 3. 1890 Göttingen, gest. 6. 3. 1965 Tübingen [Personenlexikon 74] Fezer, Karl, Universitätslehrer 53 geb. 18. 4. 1891 Geislingen (Steige), gest. 13. 1. 1960 Stuttgart [Personenlexikon 75] Fischer, Karl, Pfarrer 69, 160 geb. 22. 3. 1896 Chemnitz, gest. 15. 9. 1941 Dresden [Personenlexikon 76] Fiedler, Eberhard, Jurist 71 geb. 19. 1. 1898 Köstritz, gest. 29. 5. 1947 Ronneburg [Personenlexikon 76] Fleisch, Paul, geistlicher Vizepräsident 19 f., 23, 34, 36–42, 45, 65, 69, 74, 77, 84, 125, 127 f., 131, 133, 140 f., 149, 155, 158, 170, 173 f., 180, 182, 185, 201–204, 208, 210–219, 223, 232 f., 244, 254, 261, 263, 274, 277 f., 280 geb. 11. 2. 1878 Hamburg, gest. 11. 3. 1962 Loccum [Personenlexikon 77]

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Personenregister / Biogramme

Flor, Wilhelm, Jurist 71 geb. 23. 5. 1882 Oldenburg, gest. 19. 11. 1938 Leipzig [Personenlexikon 78] Forck, Bernhard Heinrich, Superintendent 112, 115, 118 f., 131, 156 geb. 28. 8. 1893 Seehausen bei Bremen, gest. 27. 3. 1963 Luckenwalde (Brandenburg) [Personenlexikon 78] Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg 33 geb. 16. 2. 1620 Berlin, gest. 9. 5. 1688 Potsdam Genannt „Großer Kurfürst“; regierte von 1640–1688. Gauger, Martin, Jurist 131, 137 f., 141, 150, 159, 170, 184, 197 f., 202 f., 208–210, 279 geb. 4. 8. 1905 Elberfeld, gest. 15. 7. 1941 Sonnenstein bei Pirna (ermordet) [Personenlexikon 84] Geiger, Hannsludwig, (Pseudonym: Gottfried Sartorius), Journalist, Schriftsteller 141, 190, 200, 202 f. geb. 27. 8. 1902 Stettin, gest. 8. 12. 1980 Seeheim an der Bergstraße [Personenlexikon 85] Gloege, Gerhard, Universitätslehrer 65, 125, 128 geb. 24. 12. 1901 Crossen/Oder, gest. 15. 4. 1970 Bonn [Personenlexikon 88] Göring, Hermann, NS-Politiker 186, 277 geb. 12. 1. 1893 Rosenheim, gest. 15. 10. 1946 Nürnberg (Selbstmord) Seit 1922 Mitglied der NSDAP, seit 1933 preußischer Ministerpräsident und zugleich Reichsminister der Luftfahrt, 1934 maßgeblich an der Niederwerfung des „Röhm-Putsches“ beteiligt, 1935 Oberbefehlshaber der Luftwaffe, 1936 Beauftragter für den Vierjahresplan, 1940 Reichsmarschall. Gogarten, Friedrich, Universitätslehrer 65, 95 f. geb. 13. 1. 1887 Dortmund, gest. 16. 10. 1967 Göttingen [Personenlexikon 90] Hahn, Hugo, Landesbischof 24, 65, 88, 110, 116, 120 f., 123 f., 130, 133 f., 136, 140, 154, 161 f., 165, 167, 170 geb. 22. 9. 1886 Reval, gest. 5. 11. 1957 Dresden [Personenlexikon 97] Halfmann, Wilhelm, Bischof 88, 153, 254 geb. 12. 5. 1896 Wittenberg, gest. 8. 1. 1964 Kiel [Personenlexikon 97] Happich, Friedrich, Pfarrer, Anstaltsleiter 188, 190, 199 geb. 14. 8. 1883 Speckswinkel (Marburg), gest. 4. 4. 1951 Hephata bei Treysa [Personenlexikon 98 f.] Harless, Adolf Gottlieb Christoph von, Universitätslehrer, Oberhofprediger Dresden, Präsident des Oberkonsistoriums München 36–40 geb. 21. 11. 1806 Nürnberg, gest. 5. 9. 1879 München 1836 oProf. (ST) und Universitätsprediger Erlangen, 1845 Konsistorialrat Bayreuth,

Personenregister / Biogramme

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1845 Prof. Leipzig, 1850 Oberhofprediger Dresden, 1852 Präsident des Oberkonsistoriums München. Heckel, Theodor, Bischof 40, 169 geb. 15. 4. 1894 Kammerstein (Mittelfranken), gest. 24. 6. 1967 München [Personenlexikon 102] Henke, Wilhelm, Kirchenamtspräsident, Landesbischof 88 f., 131, 190, 204, 208– 210 geb. 23. 6. 1897 Bevern bei Holzminden, gest. 3. 9. 1981 Bückeburg [Personenlexikon 107] Hermann, Rudolf, Universitätslehrer 160 geb. 3. 10. 1887 Barmen, gest. 2.(10.) 6. 1962 Berlin-Mahlsdorf [Personenlexikon 108] Herntrich, Volkmar, Landesbischof 65, 116, 123, 130 f., 160, 255 geb. 8. 12. 1908 Flensburg, gest. 14. 9. 1958 Lietzow bei Nauen (verunglückt) [Personenlexikon 109] Hirsch, Emanuel, Universitätslehrer 26, 53 geb. 14. 6. 1888 Bentwisch/Westprignitz (Brandenburg), gest. 17. 7. 1972 Göttingen [Personenlexikon 113 f.] Hitler, Adolf, NSDAP-Parteichef, „Führer und Reichskanzler“ des Deutschen Reiches 48, 51, 81–83, 109, 120, 122, 135, 137, 142, 148, 150, 175, 177, 180, 183, 186, 188 f., 191, 203, 271, 275–277 geb. 20. 4. 1889 Braunau am Inn, gest. 30. 4. 1945 Berlin (Selbstmord) Holl, Karl, Universitätslehrer 45 geb. 15. 5. 1866 Tübingen, gest. 23. 5. 1926 Berlin [Personenlexikon 114] Hopf, Friedrich Wilhelm, Missionsdirektor 65, 87, 125 f., 128, 164 geb. 31. 5. 1910 Melsungen, gest. 19. 7. 1982 Hermannsburg [Personenlexikon 115 f.] Hromádka, Josef L., Universitätslehrer 190 f. geb. 8. 6. 1889 Hodslavice, gest. 26. 12. 1969 Pfarrer der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder, 1920–1939 und 1947– 1950 Prof. (ST) Johann Hus-Fakultät Prag, 1939–1947 Gast-Prof. für Apologetik und christliche Ethik Theol. Seminar Princeton, 1950–1969 Prof. und Dekan Johann Amos Comenius-Fakultät Prag — aktive Mitarbeit in der Ökumenischen Bewegung (1948 Mitglied des Zentralausschusses, 1954 auch des Exekutivausschusses des ÖRK), im Reformierten Weltbund (Vizepräsident), in der Christlichen Friedenskonferenz (1958 Präsident) und im Weltfriedensrat. Humburg, Paul, Pfarrer, Präses Bekenntnissynode Rheinland 71 f. geb. 22. 4. 1878 Mülheim/Ruhr, gest. 21. 5. 1945 Detmold [Personenlexikon 118] Hutten, Kurt, Pfarrer, Publizist 203–209 geb. 6. 3. 1901 Langenburg, gest. 17. 8. 1979 Ludwigsburg [Personenlexikon 119] Ihmels, Carl, Missionsdirektor, Universitätslehrer 65, 69, 158

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Personenregister / Biogramme

geb. 24. 10. 1888 Detern (Ostfriesland), gest. 10. 4. 1967 Dresden [Personenlexikon 120] Ihmels, Ludwig, Landesbischof 42–46, 49, 51, 264, 267 f. geb. 29. 6. 1858 Middels (Ostfriesland), gest. 7. 6. 1933 Leipzig [Personenlexikon 120 f.] Iwand, Hans Joachim, Universitätslehrer 26, 138, 160, 164, 224–226, 281 geb. 11. 7. 1899 Schreibendorf (Schlesien), gest. 2. 5. 1960 Bonn (bestattet Beienrode bei Königslutter) [Personenlexikon 121] Jacobi, Gerhard, Pfarrer, Bischof 88, 112 geb. 25. 11. 1891 Bremen, gest. 12. 7. 1971 Oldenburg [Personenlexikon 122] Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg 33 geb. 8. 11. 1572, gest. 23. 12. 1619 Regierte seit 1608; trat 1613 von der lutherischen zur reformierten Kirche über. Johnsen, Helmuth, DC-Landesbischof 105, 131, 153–155, 170, 190, 199 geb. 29. 11. 1891 Neustadt bei Coburg, gest. 2. 9. 1947 (erschossen) Zrenjanin (Jugoslawien) [Personenlexikon 125] Kapler, Hermann, Jurist, Präsident Evangelischer Oberkirchenrat Berlin 48 f. geb. 2. 12. 1876 Oels (Schlesien), gest. 2. 5. 1941 Berlin [Personenlexikon 129] Kerrl, Hanns, NS-Politiker 21, 76, 120–122, 127, 149 f., 153, 185–187, 189–192, 197, 200, 204, 273, 276–278 geb. 11. 12. 1887 Fallersleben, gest. 14. 12. 1941 Paris 1925 Eintritt in die NSDAP, 1928 Mitglied des preußischen Landtags, 1932 Präsident ebd., März 1933 Reichskommissar für die preußische Justizverwaltung, April 1933 bis Juni 1934 preußischer Justizminister, danach Reichsminister ohne Geschäftsbereich, seit 16. Juli 1935 mit den kirchlichen Angelegenheiten betraut, nannte sich „Reichs- und Preußischer Minister für die kirchlichen Angelegenheiten“. Kinder, Ernst, Theologe, Hochschullehrer 141, 193, 202, 220, 250–253, 258 geb. 11. 5. 1910 Barmen, gest. 2. 12. 1970 Münster 1938 theol. Hilfsreferent beim Lutherrat Berlin, 1939–1946 Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft, 1947 Prof. (ST) Neuendettelsau, 1953 Münster — 1947 berufenes Mitglied der Kirchenversammlung in Treysa, 1948 stellv. Mitglied der Kirchenversammlung in Eisenach, 1949 stellv. Mitglied der Synode der EKD — Theol. Promotion: Lic. Kittel, Gerhard, Universitätslehrer 102, 104 geb. 23. 9. 1888 Breslau, gest. 11. 7. 1948 Tübingen [Personenlexikon 134] Klamroth, Erich, Pfarrer 65, 84, 125 geb. 18. 7. 1888 Osterode/Ostpreußen, gest. 22. 3. 1970 Berlin Pfarrer Blösien bei Merseburg 1913, Kriegsdienst 1914–1917, Pfarrer, Religionslehrer und Inspektor der Waisenanstalt Halle/Saale 1923, Pfarrer Berlin-Neukölln 1927, Ber-

Personenregister / Biogramme

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lin-Steglitz 1933–1958 — Mitglied des Hauptvorstandes der Evangelisch-Lutherischen Vereinigung in Altpreußen, des Lutherischen Rates 1934 — Theol. Promotion: Lic. Klaveness, Thorwald, norwegischer Pfarrer 42 geb. 1844, gest. 1915 Seit 1892 Pfarrer Oslo — liberaler Theologe, 1894 Mitbegründer der Zeitschrift „Kirke og Kultur“. Kliefoth, Theodor Friedrich Dethlof, Oberkirchenrat Schwerin 38 geb. 18. 1. 1810 Körchow, gest. 26. 1. 1895 Schwerin 1833 Instructor des Prinzen Wilhelm von Mecklenburg am Hof von Ludwigslust, 1840 Pfarrer Ludwigslust, 1844 Superintendent Schwerin, seit 1848 Mitglied Kirchenleitung Schwerin, 1886 Oberkirchenratspräsident, 1894 Ruhestand — 1879– 1890 Vorsitzender Allgemeine Evangelisch-Lutherische Konferenz. Kloppenburg, Heinz, Oberkirchenrat 56, 62, 64–67, 69, 77 f., 87, 118, 155, 244 f., 248 geb. 10. 5. 1903 Elsfleth/Wesermarsch, gest. 18. 2. 1986 Bremen [Personenlexikon 137] Klotsche, Johannes, Kirchenamtspräsident 185 geb. 11. 5. 1895 Leipzig, gest. 24. 2. 1965 Stadt Wehlen/Elbe [Personenlexikon 137 f.] Klügel, Eberhard, Landessuperintendent 24, 87, 123, 131 f., 135, 150, 164, 167, 192, 211 geb. 11. 11. 1901 Hannover, gest. 30. 9. 1966 Hannover [Personenlexikon 138] Knak, Siegfried, Missionsdirektor 103 f., 109, 111, 116, 119 f., 125, 127 geb. 12. 5. 1875 Zedlitz (Schlesien), gest. 22. 5. 1955 Berlin [Personenlexikon 138] Koch, Karl, Präses 63 f., 71, 121 geb. 6. 10. 1876 Witten, gest. 28. 10. 1951 Bielefeld [Personenlexikon 140] Kühlewein, Julius, Landesbischof 131, 158 f., 187–189, 191, 209, 274, 277 geb. 18. 1. 1873 Neunstetten (Baden), gest. 2. 8. 1948 Karlsruhe [Personenlexikon 147 f.] Künneth, Walter, Universitätslehrer 24, 65, 80, 84, 116, 125, 128, 130, 132 f., 140, 160, 163, 254, 275 geb. 1. 1. 1901 Etzelwang (Oberpfalz), gest. 26. 10. 1997 Erlangen [Personenlexikon 148] Kuessner, Theodor, Pfarrer, Mutterhausvorsteher 119 geb. 19. 12. 1896 Schaaken Kr. Königsberg, gest. 29. 12. 1984 Osnabrück [Personenlexikon 148] Lachmund, Heinrich, Pfarrer 154, 199, 202, 209 geb. 6. 9. 1875 Wolfenbüttel, gest. 4. 3. 1952 Wolfenbüttel [Personenlexikon 150] Laible, Wilhelm, Pfarrer, Redakteur 65, 69, 84, 125 geb. 13. 9. 1856 Nördlingen, gest. 18. 10. 1943 Leipzig [Personenlexikon 151]

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Personenregister / Biogramme

Lambrecht, Friedrich, juristischer Oberkirchenrat 182 geb. 11. 4. 1898 Klein Biewende, gest. 6. 5. 1982 Braunschweig Jurist in der braunschweigischen Landeskirche 1924, Oberkirchenrat und stellvertretendes Mitglied der Kirchenregierung 1934, Mitglied und Vorsitzender der Finanzabteilung der braunschweigischen Landeskirche 1936–1938, Übertritt in den Staatsdienst. Lau, Franz, Landessuperintendent 223, 226 geb. 18. 2. 1907 Leipzig, gest. 6. 6. 1973 Leipzig [Personenlexikon 153] Leffler, Siegfried, Pfarrer, Oberregierungsrat 181 geb. 21. 11. 1900 Azendorf (Oberfranken), gest. 10. 11. 1983 Hengersberg (Niederbayern) [Personenlexikon 154] Leutheuser, Julius, Pfarrer 181 geb. 9. 12. 1900 Bayreuth, gest. 24. 11. 1942 (gefallen) bei Stalingrad [Personenlexikon 156] Liermann, Hans, Jurist, Universitätslehrer 78 geb. 23. 4. 1893 Frankfurt/Main, gest. 22. 2. 1976 Erlangen [Personenlexikon 157] Lilje, Hanns, Landesbischof 24, 65, 74, 87, 89, 91–96, 100–103, 108, 111, 115 f., 130– 132, 134, 136, 140 f., 147 f., 153, 160, 168 f., 203, 206, 213 f., 251, 263, 271 f., 274 f. geb. 20. 8. 1899 Hannover, gest. 6. 1. 1977 Hannover [Personenlexikon 157 f.] Luthardt, Christoph Ernst, Universitätslehrer 39 f. geb. 22. 3. 1823, gest. 21. 9. 1902 1856 Prof. (ST u. NT) Leipzig, 1866 Mitbegründer der Allgemeinen EvangelischLutherischen Konferenz, 1868 Mitbegründer der AELKZ. Marahrens, August, Landesbischof 6, 24, 49 f., 52, 54, 62, 64 f., 69, 71, 75 f., 80 f., 85, 87–89, 91 f., 110, 116, 120 f., 123, 125, 131–133, 136 f., 139, 149 f., 154, 159, 168– 170, 181–183, 185, 189–194, 198–201, 207 f., 211, 222, 262, 270, 272, 276–279 geb. 11. 10. 1875 Hannover, gest. 3. 5. 1950 Loccum 1925–1947 hannoverscher Landesbischof, 1936 Gründungsmitglied des Lutherrates, 1937–1945 Vorsitzender der (Landes-)Kirchenführerkonferenz und 1939–1945 des Geistlichen Vertrauensrates der DEK — 1933 Vizepräsident des Lutherischen Weltkonvents, 1935–1945 dessen Präsident — Theol. Ehrenpromotion: D. Meinzolt, Hans, Jurist, Oberkirchenrat, Staatssekretär 6, 61, 65, 116, 120, 125, 131, 181 f., 277 geb. 27. 10. 1887 Bächingen an der Brenz, gest. 20. 4. 1967 Weßling (Oberbayern) [Personenlexikon 169] Meiser, Hans, Landesbischof 14, 20, 23 f., 26–28, 47, 49–56, 60–65, 67–69, 71 f., 75, 77 f., 81, 84–87, 89–92, 100 f., 104 f., 108–112, 116–125, 127–133, 135–143, 149, 155, 157–160, 167, 169–171, 189–194, 197 f., 200, 202, 204–209, 211–216, 219 f., 223, 232–235, 238, 241–244, 248 f., 251 f., 254–258, 261 f., 267–269, 272, 274, 277 f., 280, 282

Personenregister / Biogramme

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geb. 16. 2. 1881 Nürnberg, gest. 8. 6. 1956 München [Personenlexikon 169 f.] Metzger, Wolfgang, Oberkirchenrat 65, 84 f., 101–104, 242 geb. 6. 10. 1899 Grab/Oberamt Backnang (Württemberg), gest. 9. 6. 1992 Stuttgart Seit 1925 Pfarrer Bronnweiler, 1934 Geschäftsführer des Calwer Verlagsvereins, 1946 Oberkirchenrat Stuttgart, 1955 Prälat — Theol. Ehrenpromotion: D. Müller, Hermann, Jurist, Direktor Evangelischer Oberkirchenrat Stuttgart 180 f. geb. 5. 1. 1878 Herrenberg (Württemberg), gest. 29. 3. 1945 Stetten/Rems [Personenlexikon 179] Müller, Ludwig, DC-Reichsbischof 48, 51–54, 79, 105, 112, 124 geb. 23. 6. 1883 Gütersloh, gest. 31. 7. 1945 (Selbstmord nicht erwiesen) Berlin [Personenlexikon 180] Müller-Dahlem, Friedrich, Pfarrer 131, 212 geb. 11. 3. 1889 Berlin, gest. 20. 9. 1942 gefallen (vermutlich vergiftet) Szolty (Leningrad) [Personenlexikon 181] Muhs, Hermann, Jurist, NS-Politiker 149, 180 f., 185, 196, 204–206 geb. 16. 5. 1894 Barlissen Kr. Hannoversch Münden, gest. 13. 4. 1962 Göttingen 1914–1918 Kriegsfreiwilliger (zuletzt Flieger), bis 1920 in französischer Gefangenschaft, Jurastudium Göttingen, Berlin und Königsberg, Promotion zum Dr. jur., Staatsdienst, 1927 Rechtsanwalt Göttingen, später Notar, 1929 Mitglied der NSDAP und Vorsitzender der Göttinger Stadtratsfraktion, 1930/31 Mitglied des preußischen Landtags und stellv. Gauleiter Göttingen, 1931 Eintritt in die SS (1938 Standartenführer), 1932 Gauleiter Hannover, April 1933 Regierungspräsident Hildesheim, 1933 Mitglied des hannoverschen Kirchensenats, 10. 11. 1936 Austritt aus der Kirche und Wiedereintritt 16.(17.) 11. 1936, 19.(23.) 11. 1936 von Reichskirchenminister Kerrl zu seinem ständigen Vertreter bestimmt, 20. 4. 1937 Staatssekretär und ständiger Vertreter des Ministers im Reichskirchenministerium, 1938 Leiter der Zentralabteilung, 1941 Wehrdienst, 16. 1. 1942 nach Kerrls Tod mit der Führung der Geschäfte des Ministers beauftragt. Nagel, Gottfried, altlutherischer Kirchenpräsident 65, 101, 157 geb. 24. 6. 1876 Strehlen (Schlesien), gest. 31. 5. 1944 Guben (Brandenburg) [Personenlexikon 184] Niemann, Gerhard, Jurist, Oberlandeskirchenrat 65, 67, 69, 78, 87, 125 geb. 13. 2. 1892 Clausthal-Zellerfeld, gest. 5. 10. 1962 Hannover 1923 juristischer Hilfsreferent im Konsistorium Hannover, 1924 Assessor, 1926 Landeskirchenrat, 1933–1957 Oberlandeskirchenrat im LKA Hannover. Niemöller, Martin, Pfarrer, Kirchenpräsident 14, 121, 145, 184, 279 geb. 14. 1. 1892 Lippstadt (Westfalen), gest. 6. 3. 1984 (Wiesbaden) [Personenlexikon 185] Noth, Gottfried, Landesbischof 228 f., 231 geb. 26. 1. 1905 Dresden, gest. 9. 5. 1971 Dresden 1932 Pfarrer Zethau, 1936/37 theol. Hilfsarbeiter Landeskirchenamt Dresden, 1942 Pfarrer ebd., 1944 Wehrdienst, 1945 nach Kriegsgefangenschaft Oberlandeskirchen-

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Personenregister / Biogramme

rat Dresden, 1953–1971 sächsischer Landesbischof — 1955–1968 Mitglied des Rates der EKD, leitende Mitarbeit in der Konferenz (ab 1968: im Bund) der Evangelischen Kirchen in der DDR und in der VELKD, 1954 Mitglied des Zentralausschusses des ÖRK. Oberheid, Heinrich, DC-Bischof 62 geb. 7. 2. 1895 Mülheim/Ruhr, gest. 17. 11. 1977 Düsseldorf [Personenlexikon 188] Ohnesorg, Erich Karl Adolf, Pfarrer, Kirchenrat 222 geb. 21. 2. 1883 Wittlohe (Kreis Verden), gest. 13. 8. 1967 Gerolsgrün (Bayern) Pfarrer Meyenburg (Kreis Osterholz) und Rothenburg (bei Hannover), 1942–1953 Pfarrer Lemgo (St. Marien), ab 1943 zugleich Kirchenrat im Nebenamt, stellvertretender Superintendent der lutherischen Klasse der lippischen Landeskirche, 1953 Ruhestand. Osterloh, Edo, Pfarrer, Kultusminister 104, 118, 245 geb. 2. 4. 1909 Rotenhahn (Oldenburg), gest. 25. 2. 1964 Kiel [Personenlexikon 190 f.] Oskar II., König von Schweden und Norwegen 41 geb. 21. 1. 1829 Stockholm, gest. 8. 12. 1907 Regierte von 1872–1907; seit der Aufhebung der Union mit Norwegen 1905 nur noch König von Schweden. Otto, Ernst, Pfarrer 116, 131, 136, 152, 159, 163, 170 geb. 12. 9. 1891 Schmölln (Thüringen), gest. 17. 2. 1941 Hohegrete bei Au an der Sieg (Rheinland) [Personenlexikon 191] Otto, Richard, Kirchenrat 65, 69, 120, 125 geb. 16. 6. 1876 Edwalden/Kurland, gest. 29. 8. 1967 Leipzig 1902 Ordination und Hilfsgeistlicher bzw. Vikar Oelsnitz/Sachsen, 1904 Vikar Karbitz/Böhmen, 1907 Pfarrer Obercrinitz, 1912 Diakon Leipzig, 1916 Stiftsprediger Eisenach, Kirchenrat und hauptamtliches Mitglied des Landeskirchenrats Eisenach, 1931 Stellvertreter des Landesoberpfarrers in geistlichen Angelegenheiten, 16. 9. 1933 Wartestandsversetzung, 1. 1. 1945 Ruhestandsversetzung — 1934 Mitglied des Lutherischen Rates, 1935 Teilnehmer des Deutschen Lutherischen Tages in Hannover. Paulsen, Adalbert, Landesbischof 105 geb. 5. 5. 1889 Kropp, gest. 9. 1. 1974 Hamburg [Personenlexikon 192] Peters, Hermann, Superintendent 131 geb. 29. 4. 1867 Bippen/Bezirk Osnabrück, gest. 28. 12. 1946 Bad Salzuflen Pfarrer Bad Salzuflen 1901–1938, Superintendent der lutherischen Klasse der lippischen Landeskirche seit 1910, Mitglied des Landeskirchenrates Detmold seit 1918, Ruhestandsversetzung 1938. Petri, Ludwig Adolf, Pfarrer 35 geb. 1803, gest. 1873 Seit 1837 Pfarrer in Hannover — Leiter der „Pfingstkonferenz“. Pfisterer, Heinrich, Dekan Marbach (Württemberg) 141, 170, 202 geb. 6. 5. 1877 Basel, gest. 5. 11. 1947 Marbach

Personenregister / Biogramme

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Stadtpfarrer Weinsberg 1907, Geschäftsführer des Evangelischen Preßverbandes Stuttgart 1922, des Evangelischen Volksbundes Stuttgart 1927, Dekan Marbach 1933–1947, ab November 1936 württembergischer Vertreter im Sekretariat des Lutherrates Berlin. Pflugk, Heinz, Pfarrer, Landessuperintendent 65, 78, 115, 118 f., 125, 160 geb. 28. 6. 1903 Rostock, gest. 1989 Pfarrer Dreveskirchen/Mecklenburg 1930, Landessuperintendent Rostock 1947–1970 — Mitglied des Lutherischen Rates 1934, Teilnehmer des Deutschen Lutherischen Tages in Hannover 1935. Pressel, Wilhelm, Oberkirchenrat 116 f., 120, 131, 160, 163, 213 geb. 22. 1. 1895 Creglingen/Tauber, gest. 24. 5. 1986 Tübingen [Personenlexikon 197] Reuter, Titus, Oberpfarrer 65, 88, 125, 152 f. geb. 9. 1. 1879 Elterlein (Sachsen), 21. 10. 1944 Dresden [Personenlexikon 205 f.] Riethmüller, Otto, Pfarrer, Verbandsdirektor 160 geb. 26. 2. 1889 Cannstadt, gest. 19. 11. 1938 Berlin [Personenlexikon 207] Ritter, Karl Bernhard, Pfarrer, Schriftsteller 115, 118 f. geb. 17. 3. 1890 Hessisch Lichtenau, gest. 15. 8. 1968 Königstein im Taunus [Personenlexikon 208 f.] Rückert, Hanns, Universitätslehrer 160 geb. 18. 9. 1901 Fürstenwalde/Spree, gest. 3. 11. 1947 Tübingen [Personenlexikon 210 f.] Ruprecht, Günther, Verleger 65 geb. 17. 2. 1898 Göttingen, gest. 17. 3. 2001 Göttingen [Personenlexikon 211 f.] Sasse, Hermann, Universitätslehrer 24, 26–32, 55, 57, 60, 65, 71, 77–79, 84, 99–101, 103, 108, 110, 112, 115 f., 118, 120–123, 125 f., 128, 160, 164, 216–219, 233, 238 f., 261, 271 f., 280, 282 f. geb. 17. 7. 1895 Sonnewalde Kr. Lennep (Brandenburg), gest. 8. 8. 1976 North Adelaide (Südaustralien) [Personenlexikon 212 f.] Schanze, Wolfgang, Oberkirchenrat 160 geb. 28. 5. 1897 Leipzig, gest. 2. 8. 1972 Weimar [Personenlexikon 214] Schieder, Julius, Pfarrer, Oberkirchenrat 111 geb. 17. 7. 1888 Weißenburg, gest. 29. 7. 1964 München Feldgeistlicher 1914, Pfarrer Augsburg 1915, Direktor des Predigerseminars Nürnberg 1928, Oberkirchenrat und Kreisdekan Nürnberg 1935–1958 — Mitglied des Reichsbruderrates 1935, Teilnehmer der Reichsbekenntnissynoden der DEK in Barmen 1934, Berlin-Dahlem 1934, Augsburg 1935, Bad Oeynhausen 1936. Schlatter, Theodor, kirchlicher Dozent, Prälat, Stellvertreter des württembergischen Landesbischofs 215

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Personenregister / Biogramme

geb. 2. 6. 1885 Bern, gest. 13. 1. 1971 Ludwigsburg [Personenlexikon 217] Schlink, Edmund, Universitätslehrer 160, 250 geb. 6. 3. 1903 Darmstadt, gest. 20. 5. 1984 Heidelberg [Personenlexikon 218 f.] Schmidt, Kurt Dietrich, Universitätslehrer 20, 65, 78, 104, 111, 123, 125, 128 geb. 25. 10. 1896 Uthlede Kr. Cuxhaven, gest. 27. 7. 1964 Hamburg [Personenlexikon 222] Schmidt, Wilhelm Ferdinand, Pfarrer, Oberkirchenrat 65, 80, 123 f. geb. 7. 5. 1899 Merkendorf/Mittelfranken, gest. 2. 6. 1980 München Pfarrer Wechingen 1927, München 1933, Beurlaubung zur Dienstleistung bei der VKL I 1. 2. 1935, theologischer Hilfsreferent Landeskirchenrat München 1936, Dekan Regensburg 1945, Oberkirchenrat, Leiter der Theologischen Ausbildung Landeskirchenrat München 1946, Ruhestand 1969 — Mitglied des Lutherischen Rates 1934 — Theol. Promotion: Lic. Schnelle, Friedrich, Jurist, Landeskirchenamtspräsident 182 geb. 22. 10. 1881 Bevensen, gest. 4. 3. 1966 Taetendorf (Bevensen) [Personenlexikon 224] Schniewind, Julius, Universitätslehrer 65, 160 geb. 28. 5. 1883 Elberfeld, gest. 7. 9. 1948 Halle [Personenlexikon 224 f.] Schöffel, Simon, Landesbischof 53, 65, 88, 131, 214 f. geb. 22. 10. 1880 Nürnberg, gest. 28. 5. 1959 Hamburg [Personenlexikon 225] Schreiner, Helmuth, Universitätslehrer 64 f., 160 geb. 2. 3. 1893 Dillenburg (Nassau), gest. 28. 4. 1962 Münster [Personenlexikon 228] Schultz, Walther, DC-Landesbischof 200 geb. 20. 8. 1900 Hof Tressow bei Grevesmühlen (Mecklenburg), gest. 26. 6. 1957 Schnackenburg/Elbe [Personenlexikon 231] Seebass, Hans Eduard, Pfarrer, Oberkirchenrat 154, 222 geb. 21. 1. 1894 Hehlen/Weser, gest. 25. 4. 1957 Braunschweig 1920 Pfarrer Groß Dahlem, 1925 Schöppenstedt, 1930–1957 Diakonissenanstalt Marienstift Braunschweig, Oberkirchenrat im Nebenamt (Referat für Jugendhilfe) im Landeskirchenamt Wolfenbüttel. Sieden, Julius, Landessuperintendent 184 geb. 1884, gest. 30. 4. 1938 Landessuperintendent Schwerin 1927, Mitglied des Oberkirchenrates, Zwangsversetzung nach Malchin 1933 — Teilnehmer Deutscher Lutherischer Tag in Hannover 1935 — Theol. Ehrenpromotion: D. Sommerlath, Ernst, Universitätslehrer 65, 88, 231 geb. 23. 1. 1889 Hannover, gest. 4. 3. 1983 Leipzig [Personenlexikon 241]

Personenregister / Biogramme

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Stählin, Wilhelm, Universitätslehrer, Bischof 24, 244 f., 247 f., 283 geb. 24. 9. 1883 Gunzenhausen (Bayern), gest. 16. 12. 1975 Prien am Chiemsee [Personenlexikon 243] Stahn, Julius, Jurist, Ministerialbeamter 185 geb. 1898, gest. 1945 Jurist im Dienst der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union, 1932 Hilfsreferent Geistliche Abteilung preußisches Kultusministerium, 1934 Ministerialrat, 1937 Ministerialdirigent Reichskirchenministerium. Stallmann, Martin, Pfarrer, Universitätslehrer 65, 125 geb. 13. 8. 1903 Börninghausen (Westfalen), gest. 29. 1. 1980 Göttingen [Personenlexikon 244] Stange, Carl, Universitätslehrer 65 geb. 7. 3. 1870, gest. 5. 12. 1959 1904 Prof. für Dogmatik, Ethik und Religionsphilosophie Greifswald, 1912–1937 Göttingen, seit 1932 erster Leiter der Luther-Akademie Sondershausen. Stapel, Wilhelm, Publizist 108 geb. 27. 10. 1887 Calbe an der Milde (Altmark), gest. 1. 6. 1954 Hamburg [Personenlexikon 245] Stoll, Christian, Oberkirchenrat 55, 65, 67, 69, 71, 73, 77–81, 84–92, 96, 100–105, 108–118, 120–128, 130, 134, 141, 144, 147 f., 157, 159 f., 164, 178, 188, 211, 216, 222–226, 238, 241 f., 258, 281 geb. 13. 7. 1903 Neustadt/Aisch, gest. 6. 12. 1946 (Autounfall) zwischen Babenhausen und Aschaffenburg [Personenlexikon 250] Tügel, Franz, DC-Landesbischof 105, 155 f., 188, 190 geb. 16. 7. 1888 Hamburg, gest. 15. 12. 1946 Hamburg [Personenlexikon 262] Ulmer, Friedrich, Universitätslehrer 65, 69, 77 f., 158 geb. 15. 3. 1877 München, gest. 18. 8. 1946 Erlangen [Personenlexikon 262] Vitzthum von Eckstaedt, Woldemar Graf, Generalleutnant, Vorsitzender der Engeren Evangelisch-lutherischen Konferenz, Synodalpräsident Sachsen 42 geb. 7. 9. 1863 Coburg, gest. 26. 11. 1936 Dresden [Personenlexikon 264] Volkers, Johannes, DC-Bischof 155 geb. 5. 10. 1878 Oldenbrok über Brake, gest. 25. 6. 1944 Oldenburg [Personenlexikon 266] Walter, Johannes von, Universitätslehrer 65, 111, 125 geb. 8. 11. 1876 St. Petersburg, gest. 5. 11. 1940 Bad Nauheim [Personenlexikon 267] Weber, Otto, Universitätslehrer 181 geb. 4. 6. 1902 Köln, gest. 19. 10. 1966 St. Moritz (Schweiz) [Personenlexikon 269] Weissler, Friedrich, Jurist 142 f.

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Personenregister / Biogramme

geb. 28. 4. 1891 Königshütte (Oberschlesien), gest. 19. 2. 1937 (ermordet) Konzentrationslager Sachsenhausen [Personenlexikon 272] Wester, Reinhard, Bischof 88 geb. 2. 6. 1902 Wuppertal-Elberfeld, gest. 16. 6. 1975 Fissau bei Eutin [Personenlexikon 274] Wilhelm I., König von Preußen und deutscher Kaiser 37 geb. 22. 3. 1797 Berlin, gest. 9. 3. 1888 Berlin Seit 1861 König von Preußen, seit 1871 zugleich deutscher Kaiser. Wurm, Theophil, Landesbischof, EKD-Ratsvorsitzender 6, 23 f., 54, 62, 65, 68 f., 75, 77, 85, 87, 89, 121, 123 f., 127, 131, 135 f., 143 f., 151, 163, 170 f., 177, 181–183, 186, 189–194, 200, 205, 207 f., 212–215, 222, 235–237, 241 f., 244, 247, 256, 258, 276–278, 280, 282 geb. 7. 12. 1868 Basel, gest. 28. 1. 1953 Stuttgart [Personenlexikon 280] Zänker, Otto, Bischof 62 f., 65, 69, 77 f., 84 f., 87 f., 104, 116, 121, 131–133, 137, 145, 204 f., 278 geb. 29. 6. 1876 Herzkamp (Westfalen), gest. 30. 1. 1960 Bielefeld [Personenlexikon 281] Zoellner, Wilhelm, Generalsuperintendent, Vorsitzender des Reichskirchenausschusses 48–50, 62–65, 69, 78, 88, 122, 125–128, 144, 146–149, 151 f., 164, 169, 175, 268, 273, 275 geb. 30. 1. 1860 Minden, gest. 16. 7. 1937 Düsseldorf-Oberkassel [Personenlexikon 284]

Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte Reihe B: Darstellungen

48: Peter Zocher

43: Jens Bulisch

Edo Osterloh – Vom Theologen zum christlichen Politiker

Evangelische Presse in der DDR

Eine Fallstudie zum Verhältnis von Theologie und Politik im 20. Jahrhundert

2006. 496 Seiten mit mit 2 Abbildungen und 3 Grafiken, gebunden ISBN 978-3-525-55744-0

2007. 728 Seiten mit 1 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-55750-1

47: Siegfried Hermle / Claudia Lepp / Harry Oelke (Hg.)

»Die Zeichen der Zeit« (1947–1990)

42: Claudia Lepp

Tabu der Einheit?

Umbrüche

Die Ost-West-Gemeinschaft der evangelischen Christen und die deutsche Teilung (1945-1969)

Protestantismus und soziale Bewegungen in den 1960er und 70er Jahren

2005. 1.028 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55743-3

2006. 408 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55748-8

41: Uta Gerdes

46: Katharina Kunter

Ökumenische Solidarität mit christlichen und jüdischen Verfolgten

Erfüllte Hoffnungen und zerbrochene Träume Evangelische Kirchen in Deutschland im Spannungsfeld von Demokratie und Sozialismus (1980–1993) 2006. 346 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55745-7

45: Anke Silomon

Anspruch und Wirklichkeit der »besonderen Gemeinschaft«

Die CIMADE in Vichy-Frankreich 1940–1944 2005. 380 Seiten mit 1 Karte, gebunden ISBN 978-3-525-55741-9

40: Wolf-Dieter Hauschild

Konfliktgemeinschaft Kirche Aufsätze zur Geschichte der Evangelischen Kirche in Deutschland 2004. 426 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55740-2

Der Ost-West-Dialog der deutschen evangelischen Kirchen 1969–1991

39: Georg Wilhelm

2006. 764 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55747-1

Die Diktaturen und die evangelische Kirche

44: Karoline Rittberger-Klas

Totaler Machtanspruch und kirchliche Antwort am Beispiel Leipzigs 1933–1958

Kirchenpartnerschaften im geteilten Deutschland

2004. 576 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-557439-6

Am Beispiel der Landeskirchen Württemberg und Thüringen 2006. 368 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55746-4

Weitere Titel unter Informationen zu unserem Gesamtprogramm finden Sie unter www.v-r.de

»Ariernachweise« vom Pfarrer!

Manfred Gailus (Hg.) Kirchliche Amtshilfe Die Kirche und die Judenverfolgung im »Dritten Reich«

2008. 223 Seiten mit 15 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-55340-4

Mit der einsetzenden nationalsozialistischen Rassenpolitik fiel den Kirchen eine neue Bedeutung zu: sie verwalteten mit den Kirchenbüchern wesentliche bevölkerungsgeschichtliche Personendaten, die für die nationalsozialistische Unterscheidung zwischen »Ariern« und »Nichtariern« relevant waren. Staatsund Parteistellen verlangten »Amtshilfe«: die Auslieferung dieser Daten. Und die Kirchen kamen dieser Forderung – meist sehr bereitwillig – nach. In vielen Fällen leisteten kirchliche Mitarbeiter (Pfarrer, Kirchenbeamte u.a.) aktive Beiträge zur NS-Sippenforschung. Nicht selten entstanden besondere Kirchenbuchstellen, die rassistisch motivierte Forschung betrieben und die Resultate an staatliche Behörden und Parteistellen weiter reichten. In sechs Regionalstudien berichtet dieser Band über unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit von evangelischen Landeskirchen und Dienststellen von NS-Staat und NSDAP auf dem Gebiet der Urkundenausstellung für den »Ariernachweis«. Zugleich wird gezeigt, wie mit diesem brisanten Thema in der Nachkriegszeit verfahren wurde. Beiträger Manfred Gailus (Berlin)/ Stephan Linck (Kiel) / Hans Otte (Hannover) / Hannelore Schneider (Eisenach) / Johann Peter Wurm (Schwerin).