Tierschutz als Agrarpolitik: Wie das deutsche Tierschutzgesetz der industriellen Tierhaltung den Weg bereitete 9783839433997

For a long time now, demands have been made on politicians to better protect farmed animals. At the same time, legislati

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Tierschutz als Agrarpolitik: Wie das deutsche Tierschutzgesetz der industriellen Tierhaltung den Weg bereitete
 9783839433997

Table of contents :
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
Der staatliche Schutz agrarisch genutzter Tiere
Konsens über den rechtlichen Status quo?
Fragestellung und Aufbau
Methodik
Zur Begriffsklärung in der Arbeit
Quellen zur Konzeption der deutschen Tierschutzpolitik
Teil I: Die Entstehung der aktuellen deutschen Agrartierpolitik
Hintergründe der Gesetzesreform von 1972
Die Tradition des zivilen Engagements für Tiere
Kritik an der Industrialisierung der Tierhaltung
Traditionen des staatlichen Tierschutzes in Deutschland
Zwischenfazit zum Hintergrund der Reform
Erste Reformansätze (1960 – 1966)
Der Diskussionsentwurf des BML vom Juni 1960
Der Gesetzesentwurf vom Dezember 1961 (Drucksache IV/85)
Scheitern des Gesetzesentwurfes IV/85
Ein plötzlicher Vorstoß: Entwurf V/934
Die Bundestagsdebatte vom Oktober 1966
Entwurf V/934 als Vorläufer des neuen Gesetzes
Ausarbeitung im BML (1966 – 1971)
Der Abschlussbericht des Innenausschusses
Schnelle Ausführung
Der finale Entwurf – Drucksache VI/2559
Die Bundestagsdebatte vom September 1971
Zwischenfazit
Auf dem Weg zur Beschließung (1972)
Die öffentliche Anhörung von Sachverständigen
Die letzte Lesung im Bundestag
Zweifel über den vernünftigen Grund – und Beschließung
Akteure der Reform und die einheitliche Zustimmung
Involvierte Abgeordnete
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Positionen zivilgesellschaftlicher und wissenschaftlicher Akteure
Teil II: Kritik der Entscheidungsgrundsätze
Der vorbestimmte Kompromiss
Ausgangspunkt
Die Definition von Tatbeständen
Das Kernstück: Der Aufbau von Sachverständigkeit
Das Erbe aus dem Gesetz von 1933
Vorbild für die europäische Politik
Die Marginalisierung tierlicher Interessen
Zwei denkbare Einwände zur Rechtfertigung des gewählten Ansatzes
Die Ausblendung der tierlichen Subjektivität
Vorbemerkung: Von der Psychologie zur Verhaltensforschung
Mentale Begriffe im Recht
Die Auswahl der sachverständigen Beratung
Eine Kritik ethologischer Grundlagen
Sachlichkeit als Ausblendung der Subjektivität
Emotionale Verdrängung
Was Emotionen sind
Eine Kritik der Verdrängung
Zwischenfazit
Teil III: Resümee
Die Reform von 1972 als historisches Ereignis
These: Blinde Flecken im Tierschutzrecht
Handlungsbedarf und Ausblick
Teil IV: Anhang, Quellen und Literatur
Annex
A. Auswahl deutschsprachiger Gesetze, Entwürfe und Verordnungen 1838 bis 1959
B. Relevante Entwürfe für ein neues Tierschutzgesetz 1960 – 1972
C. Tierschutzgesetz vom 24. Juni 1972
D. Europäisches Übereinkommen zum Schutz von landwirtschaftlichen Tierhaltungen
E. Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006
Quellen und Literatur
Unveröffentlichtes Archivmaterial
Bundesanzeiger Verlag
Literatur

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Philipp von Gall Tierschutz als Agrarpolitik

Human-Animal Studies

Philipp von Gall, geb. 1981, lebt und arbeitet in Berlin und Stuttgart. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften des Agrarbereichs an der Universität Hohenheim.

Philipp von Gall

Tierschutz als Agrarpolitik Wie das deutsche Tierschutzgesetz der industriellen Tierhaltung den Weg bereitete

Dieses Buch wurde als Dissertation an der Lebenswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin im Herbst 2014 eingereicht und im Frühjahr 2015 erfolgreich verteidigt. Der ursprüngliche Titel lautete: ›Sachlicher‹ Tierschutz – ein agrarpolitisches Missverständnis und seine Geschichte in der Reform des Tierschutzgesetzes von 1972. Diese Publikation wurde durch die Schweisfurth Stiftung und die FAZIT Stiftung gefördert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Rembrandt Bugatti, Vache meuglant, 1901, Sladmore Gallery, London Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3399-3 PDF-ISBN978-3-8394-3399-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Abkürzungsverzeichnis | 9 Vorwort | 11 Einleitung | 13 Der staatliche Schutz agrarisch genutzter Tiere | 13 Konsens über den rechtlichen Status quo? | 16 Fragestellung und Aufbau | 21 Methodik | 23 Zur Begriffsklärung in der Arbeit | 24 Quellen zur Konzeption der deutschen Tierschutzpolitik | 26

TEIL I: DIE ENTSTEHUNG DER AKTUELLEN DEUTSCHEN AGRARTIERPOLITIK Hintergründe der Gesetzesreform von 1972 | 31

Die Tradition des zivilen Engagements für Tiere | 31 Kritik an der Industrialisierung der Tierhaltung | 34 Traditionen des staatlichen Tierschutzes in Deutschland | 44 Zwischenfazit zum Hintergrund der Reform | 55 Erste Reformansätze (1960 – 1966) | 57 Der Diskussionsentwurf des BML vom Juni 1960 | 57 Der Gesetzesentwurf vom Dezember 1961 (Drucksache IV/85) | 59 Scheitern des Gesetzesentwurfes IV/85 | 61 Ein plötzlicher Vorstoß: Entwurf V/934 | 62 Die Bundestagsdebatte vom Oktober 1966 | 64 Entwurf V/934 als Vorläufer des neuen Gesetzes | 68 Ausarbeitung im BML (1966 – 1971) | 71

Der Abschlussbericht des Innenausschusses | 71 Schnelle Ausführung | 73 Der finale Entwurf – Drucksache VI/2559 | 74 Die Bundestagsdebatte vom September 1971 | 76 Zwischenfazit | 78

Auf dem Weg zur Beschließung (1972) | 79 Die öffentliche Anhörung von Sachverständigen | 79 Die letzte Lesung im Bundestag | 84 Zweifel über den vernünftigen Grund – und Beschließung | 87 Akteure der Reform und die einheitliche Zustimmung | 89

Involvierte Abgeordnete | 89 Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten | 94 Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten | 97 Positionen zivilgesellschaftlicher und wissenschaftlicher Akteure | 100

TEIL II: KRITIK DER E NTSCHEIDUNGSGRUNDSÄTZE Der vorbestimmte Kompromiss | 113

Ausgangspunkt | 113 Die Definition von Tatbeständen | 113 Das Kernstück: Der Aufbau von Sachverständigkeit | 115 Das Erbe aus dem Gesetz von 1933 | 117 Vorbild für die europäische Politik | 121 Die Marginalisierung tierlicher Interessen | 123 Zwei denkbare Einwände zur Rechtfertigung des gewählten Ansatzes | 130 Die Ausblendung der tierlichen Subjektivität | 133

Vorbemerkung: Von der Psychologie zur Verhaltensforschung | 135 Mentale Begriffe im Recht | 135 Die Auswahl der sachverständigen Beratung | 145 Eine Kritik ethologischer Grundlagen | 168 Sachlichkeit als Ausblendung der Subjektivität | 207 Emotionale Verdrängung | 213

Was Emotionen sind | 215 Eine Kritik der Verdrängung | 224 Zwischenfazit | 256

TEIL III: RESÜMEE Die Reform von 1972 als historisches Ereignis | 261 These: Blinde Flecken im Tierschutzrecht | 263 Handlungsbedarf und Ausblick | 271

TEIL IV: ANHANG, Q UELLEN UND LITERATUR Annex | 279

A. Auswahl deutschsprachiger Gesetze, Entwürfe und Verordnungen 1838 bis 1959 | 279 B. Relevante Entwürfe für ein neues Tierschutzgesetz 1960 – 1972 | 281 C. Tierschutzgesetz vom 24. Juni 1972 | 290 D. Europäisches Übereinkommen zum Schutz von landwirtschaftlichen Tierhaltungen | 294 E. Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 | 296 Quellen und Literatur | 299

Unveröffentlichtes Archivmaterial | 299 Bundesanzeiger Verlag | 299 Literatur | 299

Abkürzungsverzeichnis

Abb. Abbildung ADT: Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tierzüchter Agrarausschuss: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Deutschen Bundestag AV: Anthropomorphismus-Vorwurf BA: Bundesarchiv Koblenz PA: Parlamentsarchiv BGBl: Bundesgesetzblatt BML: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Agrarministerium) BMEL: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Agrarministerium) BMT: Bund gegen den Missbrauch der Tiere BMJ: Bundesjustizministerium BRDS: Drucksache des Deutschen Bundesrates BRD: Bundesrepublik Deutschland BTDS: Drucksache des Deutschen Bundestages CMA: Centrale Marketinggemeinschaft für Deutsche Agrarprodukte DBV: Deutscher Bauernverband DFG: Deutsche Forschungsgemeinschaft DVG: Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft DTSB: Deutscher Tierschutzbund e.V. EG: Europäische Gemeinschaften EÜST: Europäisches Übereinkommen zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen FAL: Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft KTBL: Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft MdB: Mitglied des Bundestages Reform von 1972: Die Reform des deutschen Tierschutzgesetzes von 1972 WWF: World Wide Fund For Nature

Vorwort

Freunde, Bekannte und meine Familie bestärkten mich darin, an dem vorliegenden Buch zu arbeiten. Doch auch kritisches Abraten leistete einen Beitrag. Als ich zu Beginn des Vorhabens einem Bekannten erzählte, eine Arbeit über Tierpolitik im Agrarbereich zu schreiben, meinte er, nachdem er höflich sein Interesse bekundet hatte: Im Grunde sei das Problem der Gerechtigkeit gegenüber anderen Spezies doch unlösbar. Menschen wollten nun mal nicht auf die vielfältigen Leistungen verzichten, die sie Tieren zu niedrigen Kosten und üblen Mitteln abverlangen. Sein Rat war es daher, nicht unnötig Zeit und Energie für ein politisches Problem zu verschwenden, das scheinbar keine greifbare Lösung vorsieht. An diesen ehrlichen Fatalismus musste ich im Laufe der Arbeit häufig denken. Ein Problem als unlösbar zu bezeichnen, ist vielleicht einem hohen Anspruch daran geschuldet. In gewisser Hinsicht trieb mich dieser Satz beim Schreiben an, als sei hier eine Antwort verborgen, die entschlüsselt werden musste. Das Vorhaben wurde in dieser Form ermöglicht durch meine Betreuer FranzTheo Gottwald von der Lebenswissenschaftlichen Fakultät und Kirsten Meyer vom Philosophischen Institut der Humboldt Universität zu Berlin. Franz-Theo Gottwald danke ich insbesondere für seinen verständigen Rat, die Forschung übersichtlich zu gestalten. Kirsten Meyer hat mich als Fachfremden in ihr philosophisches Kolloquium aufgenommen und wichtige Ideen zur Konzeption der Arbeit beigetragen. Markus Wild regte Ergänzungen der finalen Fassung an, seinem Werk verdanke ich auch den Zugang zur Tierphilosophie. Stephan Schmid verdanke ich den Zugang zur Philosophie der menschlichen Emotion. Meine Schwester Caroline Gall war die Rechtsberaterin des Projektes. Mit Alexander Bisaro und Sebastian Peter klärten sich Fragen an die sozialwissenschaftliche Methodologie (nicht alle). Aiyana Rosen und Mara-Daria Cojocaru kommentierten Teile des ersten Skriptes. Das Buch entstand zwischen 2011 und 2014 vorwiegend in den Hallen der Neuen Staatsbibliothek zu Berlin und einige temporäre Mitbewohner dieses Habitats begleiteten wichtige Schritte der Arbeit. Dazu

12 | TIERSCHUTZ ALS A GRARPOLITIK

gehören Maximilian Haas, Elise Bernstorff, Friederike Schmitz, Ulrich Schwerin, Just Boedecker, Leyla Mende und Gilles Bouche. Zu wichtigen Einsichten verhalfen mir auch Alice Crary, Christoph Ammann, Yogi Hale Hendlin und, während meiner Zeit am Messerli Institut in Wien, Samuel Camenzind. Ihnen allen danke ich für den richtungsweisenden Austausch. Der SchweisfurthStiftung, der FAZIT-Stiftung und meinen Eltern Hubertus und Irene Gall danke ich für die finanzielle Unterstützung der Arbeit. Das Vorwort wäre unvollständig, wenn ich nicht jene Gruppe tierlicher Lebewesen erwähnen würde, um die es im Folgenden vor allem geht. Als Subjekte, die nach einem gutem Leben aus sind, hängt ihre zukünftige Situation von unserer politischen Umsicht ab, denn sie selber betreiben keine Politik. Indem sie uns aber ihre Situation vor Augen führen, leisten sie einen Beitrag zu umsichtigen Erwägungen. Es liegt an uns, ihn anzunehmen. Berlin, September 2015

Einleitung Der Tierschutz ist […] im Tierschutzgesetz grundsätzlich geregelt. BUNDESMINISTERIUM FÜR ERNÄHRUNG UND LANDWIRTSCHAFT (BMEL)

1

Nur wenige kennen die Einzelheiten über die gegenwärtige Fleisch- und Fischindustrie in Europa, aber die meisten wissen das Wesentliche – etwas läuft grundlegend falsch. JONATHAN SAFRAN FOER

D ER STAATLICHE S CHUTZ

2

AGRARISCH GENUTZTER

T IERE

Dieses Buch behandelt einen gesellschaftlichen Konflikt, dessen Ergebnis für nicht-menschliche Tiere 3 von unterschiedlichen menschlichen Interessen und Anliegen abhängt. Das erste Eingangszitat zeigt, dass Regierungen in Deutsch-

1

Internetauftritt des Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Rubrik „Tierschutz“, Zugriff 31. Mai 2015, http://www.bmel.de/DE/Tier/tier_node.html

2

Safran Foer (2010, 47).

3

Die Rede von dem Tier oder von den Tieren als definierte Gruppe nicht-menschlicher und nicht-pflanzlicher Lebewesen ist problematisch. Es soll hier nicht versucht werden, diese Problematik durch eine genaue Definition der Grenzen des Tierbegriffes auszuräumen. Der konservative Gebrauch des Begriffes ‚Tier‘ zielt auch auf die Abgrenzung des Menschlichen vom Nichtmenschlichen und das muss für ein hier angestrebtes Verständnis des Tierschutzgesetzes vorausgesetzt werden, schon, weil das Gesetz darauf basiert. Bei agrarisch gehaltenen Tieren in Deutschland handelt es sich vor allem um Paarhufer (Echte Schweine und Hornträger) sowie diverse Vogelarten. Das Thema Fischhaltung wird in dieser Arbeit ausgeklammert.

14 | TIERSCHUTZ ALS A GRARPOLITIK

land für gewöhnlich angeben, Tiere im rechtlichen Sinne zu schützen. Das zweite Zitat spricht den Umstand an, dass zumindest ein Teil der Bevölkerung diese Ansicht nicht teilt bzw. die Logik dieser Art von Schutz nicht nachvollziehen kann. Da offenbar Unklarheiten darüber herrschen, ob der deutsche Staat Tiere ausreichend schützt, ist ein Verständnis dieser Frage nötig und dazu möchte dieses Buch beitragen. Von staatlicher Seite umfasst das Politikfeld Tierschutz alle Maßnahmen, die den menschlichen Zugriff auf das Leben von Tieren begrenzen oder rechtfertigen. Das kann die Verpflichtung zum Angebot tierfreundlicher Lebensmittel in öffentlichen Kantinen sein, das Verbot oder die Erlaubnis von bestimmten Tierversuchen oder die Finanzierung von Aufklärungs- und Bildungsprogrammen. Direkte Auswirkungen haben jene staatlichen Interventionen, Verordnungen und Verbote, die die Haltung, d. h. das permanente, direkte und tiefgreifende Abhängigkeitsverhältnis von Tierindividuen gegenüber ihren ‚Haltern‘ regeln. 4 Ein Zentrum des öffentlichen Interesses bildet seit Langem die Regelung der profitorientierten Tierhaltung im Agrarsektor. Nicht alles, was hier unter Tierschutz fällt, geht zu wirtschaftlichen Lasten der Halter. So betonen Bauernverbände und Veterinäre immer wieder, dass ein bestimmter Grad an Tierschutz für die Tierproduktion unabdingbar ist und sich gut in eine rentable Unternehmensführung integrieren lässt. Paradigmatisch dafür steht der Schutz der Tiere vor Krankheiten. Ab einem bestimmten Level gehen kostenverursachende Maßnahmen des Tierschutzes im Sinne der Verbesserung der Lebenssituation von Tieren aber zulasten der Rentabilität in der Haltung. Gemäß den Grundpfeilern der klassischen Ökonomie werden dann üblicherweise die Anforderungen an den Tierschutz von Seiten der Produzenten zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit zurückgestellt, wenn der Staat nicht interveniert. Es kommt zum Zielkonflikt zwischen Tierschutz als Schutz tierlicher Interessen und Tierschutz als Garant rentabler Tiernutzung. Durch rechtlich festgelegte Anforderungen an die Haltung ist der Staat in der Lage, den verbreiteten Standard in der Haltung zu bestimmen. Rechtliche Mindestanforderungen an bestimmte Haltungsparameter ermöglichen heute die Rentabilität der bekannten agrarischen Tiernutzung von Schweinen, Hornträgern und Vogelarten, auch wenn ihre Einhaltung zuweilen mit Kosten oder Aufwand verbunden ist. Für viele legale Haltungsformen gibt es keine Mindestrichtlinien.

4

Tierhaltung umfasst sämtliche Haltungsformen von Tieren. Allerdings unterscheidet sich die sogenannte Nutztierhaltung in ihrem Wesen erheblich vom Leben mit Tieren im familiären Kontext und so zielt die staatliche Regelung der Tierhaltung auch meist konkret auf die Haltung agrarisch genutzter Tiere, wie im Folgenden deutlich wird.

E INLEITUNG

| 15

Staatliche Mindestanforderungen bestimmen also die Realität von Millionen sogenannter Nutztiere, d. h. agrarisch genutzter Tiere, darunter vor allem Hausschweine, Rinder und Haushühner, aber auch vielen anderen Säugetieren in Deutschland. Die Regelung der Agrartierhaltung5 ist damit ein wichtiger Bereich der Tierschutzpolitik und dieser Bereich wird in diesem Buch kurz ‚Agrartierpolitik‘ genannt. Sie gilt allgemein als politisch ‚sensibel‘ und ist von politischen Interessenlagern umkämpft. Dieser Konflikt ist in Deutschland nicht neu. Eine der ersten tierpolitischen Regelungen, eine Verordnung im frühen 19. Jahrhundert im Königreich Sachsen, untersagte bereits den „Exzess“ in der Tiernutzung, die übermäßige Ausbeutung tierlicher Leistungen.6 Wie noch deutlich werden wird, verstärkte sich der Streit mit der Einführung industrieller, intensiver Tierhaltungsverfahren zur Mitte der 1960er Jahre. Damals gab es von der engagierten Zivilgesellschaft Kritik an der Tierschutzpolitik. Methoden, die unter Verdacht der Tierquälerei oder Misshandlung im Sinne einer exzessiven Ausnutzung der Tiere standen, sollten auf ein Verbot geprüft werden. Von keiner Seite, auch nicht von Seiten der wirtschaftlichen Tiernutzung und -vermarktung, wurde einflussreich die Position vertreten, Tierquälerei, Misshandlung oder mangelnden Tierschutz zu legitimieren, sondern es wurde lediglich bezweifelt, ob der Verdacht auf mangelhaften Tierschutz auch wirklich zutrifft. Es kam 1972 zu einer rechtlichen Neuregelung, wobei über Tierschutz-Mindestrichtlinien der Tierhaltung im Bundestag abgestimmt wurde. Die Regierung setzt seitdem zusammen mit wissenschaftlichen Forschungsrichtungen einen institutionell sowie inhaltlich differenzierten Ansatz zum Tierschutz um, der in der Erstellung von Verordnungen mündet, die einige Haltungsformen legitimiert, andere verbietet. Dieser Ansatz wurde zu einer wichtigen Grundlage der gesellschaftlichen Kontroverse um die Agrartierhaltung. Dennoch gelang es durch die Neuregelung nicht, den Konflikt nachhaltig zu lösen oder zu schwächen, vielmehr hat sich die Ablehnung gängiger Tierhaltungs-Praktiken in der Bevölkerung verfestigt. Seit den späten 1970er Jahren kam es zu einer Spaltung des gesellschaftlichen Engagements für Tiere. Vom konventionellen Tierschutzsektor distanzierte sich die Tierrechtsbewegung und umgekehrt. Letztere baute ihre eigenen media-

5

Das Wort ‚Agrartierhaltung‘ steht in dieser Arbeit kurz für die Haltung agrarisch genutzter Tiere. Davon abgeleitet werden die Begriffe der Agrartierpolitik und des Agrartierschutzes. Vom Begriff des Nutztieres wird Abstand genommen, unter anderem deshalb, weil er sich auch auf andere Nutzungsbereiche wie den Zoo, den Zirkus oder den Reitsport beziehen kann, vor allem aber ist er abwertend konnotiert.

6

Vgl. Annex A1.

16 | TIERSCHUTZ ALS A GRARPOLITIK

len Organe und Institutionen auf. Teile der Tierrechtsbewegung radikalisierten sich zunehmend in Form ihrer Forderungen und den Wegen, diese Forderungen zu erreichen. 7 Bekannt wurde sie durch schockierende und manchmal illegale Protestaktionen gegen den Status quo der Tiernutzung. Die Bewegung war in einem Anliegen nicht erfolgreich, sie führte zu keiner ernsthaft in Betracht gezogenen Rechtsinitiative, die eine grundlegende Änderung der politischen Entscheidungsfindung auch nur zur Aussicht gestellt hätte. Das Gros der Tierschutzvereine, vereinigt im Deutschen Tierschutzbund (DTSB), kooperierte weiterhin mit den tierschutzpolitischen Entscheidungsorganen und mahnte schrittweise Verbesserungen in der Umsetzung der bestehenden Rechtsvorschriften an.

K ONSENS

ÜBER DEN RECHTLICHEN

S TATUS

QUO ?

Eine Motivation der Arbeit besteht darin, einflussreiche Positionen zum staatlichen Tierschutz freizulegen. Dabei wird der Vermutung nachgegangen, dass die Interessengruppen der Tierhaltung einerseits und des Tierschutzes andererseits für unterschiedliche rechtliche Regelungen und Zielstellungen eintreten. In einem ersten Arbeitsschritt der Analyse wurde daher untersucht, für welche unterschiedlichen institutionellen Regelungen sich die Gruppen aktuell einsetzen, wenn sie für eine politische Lösung vorwiegend im Interesse der Tiere oder vorwiegend im Interesse der Tiernutzung eintreten. Überraschenderweise ergab eine Analyse von Positionspapieren des Deutschen Bauernverbandes (DBV) und des DTSB, dass beide die gültigen rechtlichen Rahmenbedingungen offenbar nicht grundsätzlich beanstanden. Es werden lediglich Verbesserungen in der Umsetzung bestehender Paragraphen gefordert; in wenigen Einzelfällen die Veränderung des Wortes in einem Paragraphen. Grundsätzlich im Kontrast zueinander stehende Rechtsauffassungen im Hinblick auf die Nutzung von Tieren waren aber nicht ersichtlich. Den Mangel an einflussreichen, miteinander im Konflikt stehenden Rechtsauffassungen zur Tiernutzung bestätigte die Untersuchung der offiziell als Tierschutzberichte bezeichneten Dokumentationen der Bundesregierungen. Im Jahr 1986 wurde rechtlich geregelt, dass Regierungen solche Berichte erstellen müssen, um die Öffentlichkeit über den „Stand der Entwicklung des Tierschutzes“ zu informieren.8 Die Ausarbeitung übernimmt die zuständige Behörde, heute das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Die Idee der regelmäßigen Veröffentlichung ist es, die Fortschritte im Bereich

7

Vgl. Roscher (2012, 37f.) und Rosen (2011).

8

Vgl. BGBl. 1986 I S. 1319.

E INLEITUNG

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rechtlicher Mindestanforderungen aufzulisten. Außerdem werden relevante Tierschutzaktivitäten der jeweiligen Bundesregierung im Bereich der Tierhaltung beschrieben. Als rechtliche Rahmenbedingung gilt eine bestimmte „Definition des Tierschutzes“, die allen weiteren tierpolitischen Überlegungen und zukünftigen Entwicklungen vorangestellt wird.9 Wenn eine Regierung die Meinung vertritt, dass die etablierte Form der Entscheidungsfindung im Agrartierschutz grundsätzliche Probleme aufweist, weil sie mit einer anerkannten oder zumindest ernsthaft diskutierten Rechtsauffassung im Konflikt steht, müsste diese Meinung in den Berichten zu finden sein. Dies ist jedoch nicht der Fall. 10 Die Berichte lassen sich daher so lesen, als gäbe es einen breiten Konsens über die rechtlichen Grundsätze der Tierschutzregelung im Agrarbereich. Die Existenz eines solchen Konsenses wäre aus folgendem Grund erklärungsbedürftig. Es fällt unweigerlich auf, dass die Resultate der jetzigen Politik, also die Situation, wie agrarisch gehaltene Tiere in Deutschland gehalten werden, bei zumindest Teilen der Bevölkerung auf Missfallen, moralische Kritik oder Empörung stoßen, auch wenn es sich dabei nicht um Resultate illegaler Haltungsformen handelt. Die Rede von der Massentierhaltung wird als Pejorativum verwendet, um damit gängige Zustände zu kritisieren. Häufig ist auch von den Auswüchsen der industriellen Tierhaltung die Rede. Sie gelten in vieler Hinsicht als problematisch, auch unter Tierschutzgesichtspunkten. Eine kritische Stimmung gegenüber dem Status quo im Agrartierschutz zeigt sich an der Regelmäßigkeit entsprechender Artikel und Dokumentationen in den Medien und an der Bekanntheit von Dokumentarfilmen zum Thema wie Food Inc. oder Earthlings und kritischen Büchern, in letzter Zeit unter anderem von Jonathan Safran Foer, Karen Duve oder Hilal Sezgin.11 Kritik der Zivilgesellschaft wird explizit in Form von Demonstrationen oder in Petitionen und Briefen an zustän-

9

BTDS 11/3846, S. 7.

10 Vgl. Tierschutzberichte der Bundesregierung 1989 – 2011, jeweils als Bundestagsdrucksache (BTDS) erhältlich. Die Durchsicht der Berichte war ein Teil der deskriptiven Analyse der Arbeit. Allerdings sollte ein Regierungsvorstoß, der eine neue Rechtsauffassung im Hinblick auf den Agrartierschutz zum Ausdruck gebracht hätte, nicht nur in den Tierschutzberichten zu finden sein. Dort wäre aber wohl der beste Platz für eine detaillierte Darstellung eines solchen Vorstoßes. Es ist selbstverständlich, dass es in den entsprechenden Ministerien oder innerhalb von Parteien und NGOs Überlegungen zu solchen Vorstößen geben kann, die nicht in den Berichten veröffentlicht wurden. Solche Überlegungen können aber nicht als rechtliche Szenarien gelten. 11 Safran-Foer (2010), Duve (2010), Sezgin (2014).

18 | TIERSCHUTZ ALS A GRARPOLITIK

dige Behörden geäußert. Schließlich zeigt sich das Widerstreben auch an der steigenden Popularität des Veganismus und Vegetarismus sowie diversen ökologischen oder Tierschutz-Gütesiegeln, wenn man voraussetzt, dass die steigende Beliebtheit solcher Lebens- und Ernährungsformen zumindest teilweise auf einer Kritik am mangelhaften staatlichen Tierschutz basiert. Die konventionelle Tierhaltung als diejenige, die sich im Tierschutz ausschließlich an den rechtlichen Mindestanforderungen orientiert, steht nicht nur aktuell, sondern bereits seit Jahrzehnten unter öffentlicher Kritik, wie im Laufe der Arbeit noch deutlich werden wird.12 Es lassen sich vereinfacht zwei konträr zueinander stehende Ziele im Politikfeld Tierschutz nennen, die besondere Berücksichtigung von tierlichen Interessen und die besondere Berücksichtigung der Rentabilität in der Tierhaltung. 13 Der gesellschaftlichen Debatte lässt sich entnehmen, dass das Meinungsbild in Deutschland in zwei Lager geteilt ist. Ein Lager vertritt einen Entscheidungsgrundsatz pro Tier und ein Lager einen Entscheidungsgrundsatz pro rentable Tierhaltung. Eine Interessengruppe befürwortet also eine Agrartierpolitik, die tierliche Interessen über wirtschaftliche Interessen stellt und die andere Gruppe eine Politik, die die Rentabilität der Haltung über tierliche Interessen stellt. In

12 Dass die meisten Menschen den Anblick intensiver, massenhafter Haltung von Tieren auf engem Raum nicht als befriedigend im Sinne einer aufrichtigen Freude empfinden, ist hoffentlich so eindeutig, dass es keine empirischen Beweise erfordert. Der geschätzte Anteil von Menschen in Deutschland, die die heutige Regelung nicht kritisieren, dahinter aber ein Dilemma sehen, ist unbekannt, vielleicht auch, weil derartige Fragen eine komplexe Erläuterung erfordern. Auch über die Anzahl der Menschen, die sich nach eingehender Beschäftigung gegen die jetzige und für eine andere Regelung positionieren, existieren keine genauen Schätzungen. Öffentliche Demonstrationen, Petitionen gegen ‚Massentierhaltung‘ und industrielle Formen der Tierhaltung können darüber nur Anhaltspunkte liefern. Eine große Meinungsumfrage der Europäischen Kommission besagt immerhin, dass einer Mehrzahl von Menschen in Deutschland und Europa die Konditionen des Lebens von Tieren sehr wichtig ist. Ein Bedarf nach Aufklärung über die agrarische Tierhaltung wird dabei deutlich. 85% der EU-25 Bürger gibt an, nichts bis wenig über die Lebensumstände agrarisch gehaltener Tiere zu wissen. Vgl. Europäische Kommission (2007, 5ff). 13 Vereinfacht ist diese Gegenüberstellung, da die Anliegen der Tiernutzung vielgestaltiger sind als die Ermöglichung der Profitabilität und z.B. im Erhalt tierlicher und menschlicher Gesundheit oder im Erhalt von Traditionen bestehen können. Dennoch darf die profitable Vermarkung tierlicher Produkte unter heutigen Bedingungen der kapitalistischen Marktordnung als zentrales Anliegen der Tierhaltung gelten.

E INLEITUNG

| 19

Abb. 1 ist das verdeutlicht. Setzt man diese Konstellation einmal voraus, stellt sich die Frage: Warum sollten diese beiden Konfliktparteien über den wichtigsten Teil der politischen Regelung, die Entscheidungsfindung über die Mindestanforderungen in der Tierhaltung, grundlegend übereinstimmen? Es verwundert, dass die Tierschutzberichte zu verstehen geben, dass es keine Konfliktpunkte innerhalb der rechtlichen Definition des Tierschutzes, also keine politische Alternativen gäbe, die sich nicht nur in vereinzelten Formulierungs- und Umsetzungsfragen, sondern in ihrem Entscheidungsgrundsatz unterscheiden. Die Erklärungsbedürftigkeit eines scheinbar breiten Konsenses setzt voraus, dass Alternativen zur jetzigen Tierschutzpolitik vorstellbar sind. Sie setzt nicht voraus, dass bereits ein ausformulierter Entwurf für ein neues Tierschutzgesetz existiert, der offiziell im Bundestag diskutiert und beschlossen werden könnte. Nun ließe sich einwenden, dass es keine relevanten Überlegungen diesbezüglich gäbe. Vielleicht fehlt es den politischen Akteuren14 an Ideen und relevanten Anstößen, insbesondere aus der Theorie der Rechte. Sue Donaldson und Will Kymlicka haben jüngst angemerkt, dass die moderne Theorie der Tierrechte – mit Tom Regan als ihrem bekanntesten Vertreter – bislang meistens auf die Frage beschränkt blieb, ob Tiere bestimmte unverletzbare Rechte haben, die eine Nutzung oder gar Haltung der Tiere gänzlich verbietet.15 Vielleicht meinen die beteiligten Akteure der Tierschutzpolitik in Deutschland, für eine Regelung der Tierhaltung seien diese Theorien unbrauchbar, weil eine Nutzung der Tiere vorausgesetzt werden muss und deshalb die Verantwortlichkeiten innerhalb der politischen Beziehung zwischen Menschen und domestizierten Tieren im Vordergrund stehen. An Vorschlägen darüber mangelt es in der Tierrechtstheorie derzeit, wie Donaldson und Kymlicka anmerken. Sie bezeichnen es entsprechend als „vielleicht überraschend“, dass sie im Jahr 2011 den ersten ernsthaften Versuch vorlegen, das Konzept der Staatsbürgerschaft auf domestizierte Tiere zu übertragen.16 Der Einwand, es gäbe schlicht keine durchdachten Alternativen, hat also seine Berechtigung. Doch auch der Mangel an brauchbaren tierpolitischen Ansätzen ist erklärungsbedürftig. Schließlich stimmen politische Akteure, die die heu-

14 Bei der Beschreibung von Personengruppen und abstrakten sowie fiktiven Personen, bei denen es keine Rolle spielt, ob sie männlich oder weiblich sind, wird in dieser Arbeit mal die weibliche und mal die männliche Form benutzt. Gemeint sind dabei immer Personen beiderlei Geschlechtes. Die Verteilung sollte ungefähr ausgewogen sein. 15 Vgl. Donaldson und Kymlicka (2014) und Donaldson und Kymlicka (2013). 16 Donaldson und Kymlicka (2014, 555).

20 | TIERSCHUTZ ALS A GRARPOLITIK

tige Tierschutzpolitik bejahen, implizit mit diversen Voraussetzungen des Status Quo überein, die bei genauer Betrachtung umstritten scheinen: • •

• • • •

Tiere gelten im rechtlichen Sinn zwar nicht als Sachen, werden aber wie Eigentum behandelt. Die Interessen der Tiere werden nicht von parlamentarischen Repräsentanten, sondern von diversen spendenfinanzierten Nichtregierungsorganisationen mit unterschiedlichen Statuten vertreten. Das zentrale Interesse der Tiere in der Haltung ist die Vermeidung von Leid. Die religiös verankerte, strenge Hierarchie des Menschen über Tiere kommt im Gesetz zum Ausdruck. Die vielfachen Leistungen, die Tiere der Gesellschaft erbringen, müssen nicht entlohnt werden. Tieren sind keine Mitglieder der staatlichen Gemeinschaft.

Dass über diese Voraussetzungen kein gesellschaftlicher Konsens besteht, könnte erklären, warum die öffentliche Kritik an der ‚Massentierhaltung‘ bereits so lange andauert, ohne dass eine konkrete Lösung des Konfliktes greifbar wäre. Alternativlösungen wie die Umstellung auf ‚happy meat‘, artgerechte Haltungsformen oder die ‚Abschaffung‘ der üblichen Agrartierhaltung existieren nur in vager Form. Die Behauptung, es gäbe über solche Alternativen nicht einmal einen Minimalkonsens, um sie überhaupt politisch in Betracht zu ziehen, übersieht, dass sich dieser Konsens erst bilden kann, wenn die zur Verfügung stehenden, grundlegenden Optionen rechtlich ausgearbeitet und im Vergleich entsprechend übersichtlich präsentiert und zur Wahl gestellt werden. Dies ist bislang nicht geschehen. Der Einwand unterschlägt also die vielfältigen Möglichkeiten dessen, was eine Veränderung bzw. Abschaffung der Agrartierhaltung bedeuten kann. Außerdem fehlen Folgeabschätzungen denkbarer, rechtlicher Szenarien. Klarheit darüber ist besonders wichtig, weil die Auswirkungen einzelner rechtlicher Szenarien auf das Leben von Tieren sehr unterschiedlich sein können.

E INLEITUNG

| 21

Abb. 1: Ein Zielkonflikt in der Agrartierpolitik und zwei Interessengruppen Interessengruppe A: Tendiert zu einer

Berücksichtigung der Interessen

Politik der Priorisierung von Ziel A über Ziel B

Ziel A: Weitestgehende agrarisch genutzter Tiere

A B

Ziel B: Möglichst hohe Rentabilität und Produktionsleistung in der

Interessengruppe B: Tendiert zu

Tierhaltung

einer Politik der Priorisierung von Ziel B über Ziel A

Quelle: Eigene Darstellung

F RAGESTELLUNG UND AUFBAU Es ist vor dem Hintergrund der breiten Kritik an der konventionellen Agrartierhaltung erklärungsbedürftig, warum über die rechtlichen Entscheidungsgrundsätze der Tierhaltungsregelung jener Konsens herrschen sollte, der in Darstellungen des staatlichen Tierschutzes oft vorausgesetzt wird. Im Folgenden wird eine Antwort auf die Frage gesucht, warum rechtliche Grundsätze im Tierschutz bis heute nicht im Zentrum der besagten Kritik am Status quo stehen. Eine mögliche Erklärung lautet: Die offizielle Darstellung dieser Grundsätze als ‚Tierschutzpolitik im Agrarbereich‘ riskiert Missverständnisse darüber, ob sie prioritär tierliche oder Tiernutzungsinteressen schützt. Das ist die Ausgangsthese der Arbeit. Untersucht werden soll die These anhand jenes historischen Vorgangs, in dem Kernelemente der heutigen Politik konzipiert und öffentlich beworben wurden, nämlich in der Reform des Tierschutzgesetzes in der Bundesrepublik im Jahr 1972. 17 Die Analyse der Reform und ihrer Vorgeschichte soll klären, wel-

17 Soweit der Kontext dies deutlich macht, wird in dieser Arbeit die Reform des deutschen Tierschutzgesetzes von 1972 auch kurz als ‚die Reform‘ oder ‚die Reform von 1972‘ bezeichnet. Die Rede von der Reform des ‚deutschen‘ Tierschutzgesetzes meint

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cher Ansatz und welche Grundlagen damals genau zur Wahl gestellt wurden und welche Alternativen im Zuge der Abstimmung genannt wurden. Für die Reform wurde gestritten und argumentiert, nicht zuletzt im westdeutschen Bundestag in Bonn. Themen und Fragenkomplexe der historisch-empirischen Aufarbeitung der Reform von 1972 sind: • • • •

Ihre Hintergründe: rechtliche Traditionen des Tierschutzrechts in Deutschland sowie ökonomische und soziale Aspekte der Agrartierhaltung, der Ablauf der entscheidenden Etappen des Reformvorhabens, insbesondere die öffentliche Diskussion alternativer Gesetzesentwürfe, unterschiedliche Positionen der beteiligten politischen Akteure, die inhaltliche Konzeption des durch die Reform vorgesehenen Entscheidungsfindungsprozesses für die rechtliche Regelung der Tierhaltung.

Um dann mögliche Missverständnisse zu eruieren, unternimmt der zweite Untersuchungsteil eine Kritik der Reform von 1972. Dafür wird zunächst der vorgesehene Entscheidungsgrundsatz im Hinblick auf den Kompromiss zwischen tierlichen und Tiernutzungsinteressen rekonstruiert. Anschließend werden Voraussetzungen und Unstimmigkeiten dieses Grundsatzes näher untersucht. Dabei werden zwei zentrale, von den Akteuren der Reform genannte Rechtfertigungsgrundsätze gesondert in den Blick genommen, nämlich die Rolle der Verhaltenswissenschaft und die Rolle menschlicher Emotionen im Entscheidungsprozess des staatlichen Tierschutzes. Entsprechend ist das Buch unterteilt. Teil I rekonstruiert den historischen Prozess der Reform von 1972 sowie seine Hintergründe. Teil II setzt sich kritisch mit den Resultaten der Reform auseinander. Die Kritik in Teil II versteht sich grundsätzlich als extern, da im Rahmen dieser Forschung nicht abschließend geklärt werden kann, welche theoretischen bzw. normativen Annahmen den Akteuren der Reform als Alternativen zur Verfügung standen.18 Einzelne Aspekte der Kritik betreffen zwar Argumente, die damals wie heute für die Beurteilung vorausgesetzt werden können. Dennoch ist eine umfangreiche interne Kritik einer anderen Publikation vorbehalten. Teil III fasst dann die Ergebnisse schlussfolgernd zusammen.

auch, dass seit dem Einigungsvertragsgesetz von 1990 das Tierschutzgesetz der westdeutschen Bundesrepublik für die gesamte Bundesrepublik gilt. 18 Eine übersichtliche Definition externer und interner Kritik sozialer Praktiken liefert Stahl (2013).

E INLEITUNG

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M ETHODIK Diese Arbeit zieht einen integrativen Forschungsansatz heran. Dieser ist typisch für gesellschaftsrelevante Problemstellungen, die im außerwissenschaftlichen Bereich entstehen, und die aufgrund ihrer Vielschichtigkeit die Einbeziehung verschiedener Disziplinen und Methoden erfordern. 19 Ausgangspunkt der Forschung ist eine Frage, die sich aus der Alltagserfahrung heraus entwickelte. Warum gibt es in der Politik des Agrartierschutzes nicht mindestens zwei wählbare Optionen, nämlich einen Entscheidungsgrundsatz ‚pro-Tier‘ und einen Entscheidungsgrundsatz ‚pro-Agrarwirtschaft‘? Warum setzt also das Gros der Vertreterinnen tierlicher Interessen in der Tierschutzpolitik offenbar die gleichen Entscheidungsgrundsätze voraus, wie derjenige Teil der Bevölkerung, der Tierschutz ökonomischen Anforderungen unterordnet? Eine empirische Untersuchung muss dabei zunächst klären, in welcher Art und Weise die Entscheidungsgrundsätze öffentlich kommuniziert und zur Wahl gestellt wurden. Gleichzeitig muss ein theoretisch-philosophisches Verständnis dieser Grundsätze aufgebaut werden. Dieses Verständnis ist notwendig, um eine Kritik daran auszuarbeiten, mit der sich zeigen lässt, dass einige dieser Grundsätze entweder mit den Interessen der Tiere oder mit den Interessen der rentablen Tierhaltung im Widerspruch stehen. Nach Jürgen Mittelstraß ist das transdisziplinäre Forschungsprinzip immer dort wirksam, „wo eine allein fachliche oder disziplinäre Definition von Problemlagen und Problemlösungen nicht möglich ist“.20 Transdisziplinarität als wissenschaftliches Arbeitsprinzip greift zur Klärung einer Frage über Fächer und Disziplinen hinaus. In dieser Arbeit treten zwei Disziplinen besonders hervor, Geschichte und Philosophie. Ziel dieser Zusammenführung ist die Klärung einer angewandten politologischen Frage. Die Entwicklung der Forschungsfragen und Thesen profitierte stark von der sozialwissenschaftlichen Methode der Grounded Theory, einem sozialwissenschaftlichen Forschungsstil. Damit lassen sich qualitative und quantitative Daten erheben und zu Theorien, Postulaten, Hypothesen bzw. Thesen ausbauen.21 Es werden in der Grounded Theory bestimmte Instrumente bzw. Kriterien vorgeschlagen, die das Verstehen und Deuten sozialer Handlungen „systematisieren und kanonifizieren“.22 Ein solches Instrument ist das offene Kodieren von Daten

19 Vgl. Grunwald (2001, 27). 20 Vgl. Mittelstraß (2003, 22). 21 Vgl. Glaser und Strauss (1998). 22 Vgl. Breuer (2009, 49).

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zu einem Thema, das heißt die Suche nach wiederkehrenden Wörtern und Motiven, die sich zu Schlüsselkategorien entwickeln können. Solche Kategorien zeichnen sich durch ein großes Beziehungsgeflecht zu anderen relevanten Konzepten aus. Es ist typisch für Arbeiten der Grounded Theory, dass sich Fragestellungen und der methodische Ansatz im Laufe der Forschung entwickeln. Dies trifft auch auf die hier vorgelegte Forschung zu. Im Fokus der Untersuchung stand zunächst die Gegenüberstellung aktueller Positionen über die Entscheidungsgrundlagen im Agrartierschutz. Folgende Quellen und Literatur wurden im Anfangsstadium der Arbeit zu Hilfe genommen, um einen Überblick über das Thema zu erhalten: • • • • •

Arbeiten zur Tierethik, Positionspapiere agrarischer Interessengruppen und Tierschutzvereine, von der staatlichen Verwaltung herausgegebenen Tierschutzberichte, Kommentare und rechtshistorische Arbeiten zum Tierschutzgesetz, agrarwissenschaftliche Arbeiten zur Nutztierhaltung.

Erst auf Grundlage dieses Überblicks entwickelte sich das historische Interesse an der Reform von 1972, weil damals Entscheidungsgrundsätze und rechtliche Begriffe öffentlich diskutiert werden und zur Wahl standen, die heute vorausgesetzt werden. Die Forschungsfragen und die Thesen der Arbeit wurden angepasst und fanden schließlich ihre oben beschriebene Form.

Z UR B EGRIFFSKLÄRUNG IN

DER

ARBEIT

Im historischen Teil der Arbeit werden Begriffe zitiert, deren Bedeutung damals nicht eindeutig war und bis heute nicht eindeutig ist. Darunter fallen Ausdrücke wie ‚Sachlichkeit‘, ‚Emotion‘, ‚tierliches Leiden‘, ‚Wohlbefinden‘ oder ‚verwerfliches‘ Handeln. Dennoch werden diese Begriffe nicht immer in Anführungszeichen gesetzt. Das hat einerseits ästhetische Gründe, vor allem aber soll damit antizipiert werden, dass in Teil II grundlegende Bedeutungskomponenten der Begriffe aufgefangen und für die Analyse verwendet werden. Ihre Bedeutung hat sich also, wenn überhaupt, nur graduell unterschieden. Dafür müssen sie allerdings im Teil II aus dem Umfeld, in dem sie verwendet wurden, herausgelöst werden. Es ist also durchaus beabsichtigt, dass in Teil I beim Lesen gefragt werden kann, wie die zitierten Äußerungen im Detail zu verstehen sind und sich dies erst im zweiten Teil weiter aufklärt.

E INLEITUNG

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Ein Begriff, der sich im Verlauf der Untersuchung in vieler Hinsicht als zentral herausstellte, ist der Anspruch der Sachlichkeit im Tierschutz. Er wurde von Akteuren der Reform von 1972 oft bekundet. Sachlicher Tierschutz scheint alternative Formen des Tierschutzes auszuschließen und ist damit relevant für den Untersuchungsgegenstand. Der Begriff der Sachlichkeit ist zwar nicht direkt philosophischer oder wissenschaftlicher Natur, er bewirkt aber Assoziationen, die ihn mit Wissenschaft, Objektivität und Vernunft verbinden. Die Befolgung eines sachlichen Ansatzes sorgt, so das wohl verbreitete intuitive Verständnis, für eine begründete, überzeugte und allgemein anerkannte Klärung eines Umstandes. Was macht die etablierte, sachliche Politik im Tierschutz aus? In welcher Verbindung steht Sachlichkeit mit Emotionen und unterschiedlichen, ethischen Überzeugungen? Welche Interessen können sich dahinter verbergen, Sachlichkeit einzufordern? Das sind Fragen, die für das Verständnis der Agrartierpolitik eine Rolle spielen. Anders als in einigen sozialwissenschaftlichen Arbeiten wurde kein begriffliches Glossar erstellt, das zentrale Begriffe im Vorfeld definiert. Dies würde dem Ansatz der Arbeit nicht gerecht werden. Was die in dieser Arbeit unternommene Begriffsklärung betrifft, geht es zunächst darum, zu zeigen, wie bestimmte Begriffe politisch verwendet wurden. Die Frage ist hier insbesondere: Wie passt ihre Verwendung zur Verfolgung politischer Interessen? Erst in einem zweiten Schritt wird vorgeschlagen, wie man die Wörter besser begreifen sollte. Die erst allmähliche Verdichtung zentraler Begriffe zu ihrer Bedeutung ist methodisch notwendig, um ein Bewusstsein für die begriffliche Unklarheit zu erreichen, mit der wir es im gesellschaftlichen Konflikt um den Agrartierschutz zu tun haben, etwa über die Begriffe ‚Tierleid‘, ‚Wohlbefinden‘ oder ‚artgerecht‘. Versuche, den Konflikt durch die starre Definition solch zentraler Begriffe zu lösen, scheiterten häufig, indem bestimmten Definitionen andere Definitionen gegenübergestellt wurden. Es geht im gesellschaftlichen Konflikt auch um den Anspruch auf Deutungshoheit und es ist nicht das Anliegen der Arbeit, diesen Anspruch zu erheben. Es sollen vielmehr Parameter genannt werden, die für ein politisch notwendiges Verständnis zentraler Begriffe im Tierschutz zu bedenken sind. Die Berücksichtigung zweier Disziplinen in einer Arbeit erfordert vom Leser und der Leserin eine gewisse Kooperation. Historisch geht es darum, wie die Begriffe verwendet wurden, philosophisch darum, wie sie verwendet werden sollten. Die gewünschte Kooperation lautet, darauf zu achten, wann das eine, und wann das andere Ziel verfolgt wird. Dafür mag es hilfreich sein, dass die Begriffsklärung sich in einen historischen Teil I (mit dem Fokus, wie die Begriffe verwendet und konzipiert wurden) und in einen philosophischen Teil II (mit

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dem Fokus, was das problematische an dieser Verwendung war) unterteilt. Es gibt jedoch auch Ausnahmefälle, die aber durch den Kontext deutlich gemacht werden.

Q UELLEN ZUR K ONZEPTION DER DEUTSCHEN T IERSCHUTZPOLITIK In aktuellen Debatten um den staatlichen Tierschutz werden dessen Ziele weitgehend als gegeben betrachtet. Der Beschluss des Tierschutzgesetzes vom 24. Juli 1972 war in mehrfacher Weise prägend für all jenes, was in diesem Sinne heute meist nicht hinterfragt wird. Der staatliche Agrartierschutz, der heute in Deutschland 23 praktiziert wird, wurde von Rechtstraditionen beeinflusst und diente auch als Vorbild für europäische Rechtsnormen. § 1 des Gesetzes von 1972 formulierte den bis heute gültigen, wenn auch ergänzten, Grundsatz des staatlichen Tierschutzes; § 2 spezifizierte die ebenfalls bis heute weitgehend identischen Grundlagen der rechtlichen Anforderungen an die Tierhaltung.24 Akteure der Reform entwickelten die Konzepte der artgemäßen und verhaltensgerechten Haltung von Tieren, um einen Beurteilungsrahmen für die Bewegungseinschränkung der Tiere in den neuen intensiven Haltungsformen zu schaffen und eine Verordnungsermächtigung zu legitimieren, die die Mindestanforderungen an die Haltung spezifiziert. Mit staatlichen Mitteln wurde eine akademische Forschungsrichtung aufgebaut, die mit diesen inhaltlichen Fragen vertraut wurde. Die Reform prägte damit den heutigen institutionellen Rahmen staatlicher Tierschutz-Intervention in der Agrartierhaltung.25 Es gab damals öffentliche An-

23 Die Arbeit kann aus Kapazitätsgründen die Situation des staatlichen Agrartierschutzes in der DDR leider nicht beleuchten, obwohl dies sicher ein höchst interessantes Arbeitsfeld ist. Wenn in dieser Arbeit vom deutschen Tierschutzrecht nach 1945 die Rede ist, bezieht sich dies auf die Situation in der Bundesrepublik Deutschland. 24 Der Gesetzestext ist abgedruckt als TSG vom 24. Juni 1972 (BGBl. 1972 I S. 1277) Relevante Auszüge daraus befinden sich in Annex C. 25 Die Reform des Tierhaltungsparagraphen 2 sowie der Verordnungsermächtigung durch die Bekanntmachung des Tierschutzgesetzes vom 18. August 1986 (vgl. BGBl I S. 1319) sah geringe Formulierungsveränderungen im Vergleich zur Fassung von 1972 vor. An zentralen Rechtsbegriffen und an der generellen inhaltlichen Ausrichtung der Verordnungsermächtigung wurde festgehalten. Wie noch deutlich werden soll, galt dies insbesondere für das Gebot der artgemäßen und verhaltensgerechten Haltung mit der Einschränkung, dass Rechtsverordnungen eine ‚unvermeidbare‘ Be-

E INLEITUNG

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hörungen von Sachverständigen, Bundestagsdebatten und Beschlüsse, die die Reform demokratisch legitimierten. Eine historische Analyse des damaligen Vorgangs und seiner Hintergründe bietet insofern die Möglichkeit, die Beziehung zwischen dem öffentlichen Disput und der rechtlichen Regelung des Tierschutzes an einem ihrer zentralen Scheidepunkte zu erklären. Die Reform des Tierschutzgesetzes im Jahr 1972 ist historisch wenig bearbeitet, ebenso wie die bundesdeutsche Agrarinteressenpolitik insgesamt. 26 Die historische Aufarbeitung wurde durch die Einsicht in die Akten des zuständigen Bundesministeriums für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten (BML) nach Ende der 30jährigen Verschlussfrist zu Teilen erst ermöglicht. So steht die Arbeit Julius Pfeiffers zur Geschichte des deutschen Tierrechts von 1945 bis 1972, die maßgeblich auf Recherchen im BML beruht, in ihrem Umfang noch singulär in der historischen Literatur.27 Sie geht aber auf die agrarisch relevanten Regelungen und deren Hintergründe nur am Rande an. Für die Zeit des Tierrechts vor 1945 nimmt die Arbeit von Winfried Eberstein einen vergleichbar singulären Beitrag ein.28 Auch sie hat die agrarische Tierhaltung nicht im Fokus. Christoph Maisack analysiert rechtstheoretisch den Terminus des vernünftigen Grundes im Tierschutzrecht und gibt dabei einen, allerdings knappen, historischen Überblick über die Entstehung des Gesetzes von 1972, allerdings auch ohne Fokus auf ihre Folgen für die Agrartierhaltung.29 Johannes Caspar und Christine Scheffler geben einen juristischen Überblick über die Reform, berühren aber ihre Geschichte nur oberflächlich.30 Eine Abhandlung des Veterinärmediziners Hinrich Sambraus über „die Geschichte des Tierschutzes in Deutschland“ ist einfach gehalten und mit Blick auf die Reform stark ergänzungsbedürftig.31 Auch der Kommentar des Tierschutzgesetzes, der im Jahr der Reform von Klaus Ennulat und Gerhard Zoebe herausgegeben wurde, widmet sich der Historie des Gesetzes nur kaum, und geht vor allem nicht auf Alternativentwürfe und -formulierungen ein.32 Die genannten Arbeiten sagen wenig zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen

schränkung des Bewegungs- und Gemeinschaftsbedürfnisses der Tiere legitimieren können. 26 Eine erhellende Ausnahme ist Kiran Patels Arbeit über die Geschichte der europäischen Agrarintegration, vgl. Patel (2009). 27 Vgl. Pfeiffer (2004). 28 Vgl. Eberstein (1999). 29 Vgl. Maisack (2006). 30 Vgl. Caspar (1999) und Scheffler (1986). 31 Vgl. Sambraus (1997). 32 Vgl. Ennulat und Zoebe (1972).

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der Neuregelung im Hinblick auf die Tierhaltung und keine der Arbeiten geht näher auf die Akteure der Reform und ihre Interessen ein. Da also eine detaillierte historische Arbeit zur Konzeption des Agrar-Tierschutzrechts nicht im gewünschten Umfang existiert, wurde der Stand der Forschung anhand folgender Primärquellen ergänzt: • • • • •

unveröffentlichte Akten des BML im Bundesarchiv (BA) Koblenz, unveröffentlichte Akten aus dem Bundes-Parlamentsarchiv (PA) Berlin, Bundestagsdrucksachen (BTDS), Bundesratsdrucksachen (BRDS), Stenographische Berichte (Sten. Ber.) von Reden vor dem Deutschen Bundestag sowie Zeitungsartikel.

Teil I: Die Entstehung der aktuellen deutschen Agrartierpolitik

Hintergründe der Gesetzesreform von 1972

Am 28. Mai 1971, nur anderthalb Jahre nach Amtsantritt des Bundeslandwirtschaftsministers Joseph Ertl (FDP), legte dieser den gesetzgebenden Organen, politischen Akteuren und Lobbygruppen einen ersten Entwurf für ein neues Tierschutzgesetz vor, der rund ein Jahr später in nur leicht veränderter Form verabschiedet wurde.1 Ertl hatte im Oktober 1969 die Leitung des Ministeriums unter der sozial-liberalen Regierung Willy Brandts von Minister Herrmann Höcherl (CSU) übernommen. In einem Schreiben vom Februar 1971 an das Kanzleramt und die übrigen Minister der Regierung betont Ertl die „fachliche Dringlichkeit“ und „politische Eilbedürftigkeit“ des Vorhabens.2 Bevor der Ablauf der Reform näher beschrieben wird, werden zunächst die relevanten Hintergründe und Voraussetzungen zusammengefasst, die für das umfassende Verständnis der Reform wichtig sind. Sie sind unterteilt in • • •

die Tradition des zivilen Engagements für Tiere, die Kritik an der Industrialisierung der Tierhaltung und die Traditionen des staatlichen Tierschutzes in Deutschland.

D IE T RADITION DES

ZIVILEN

E NGAGEMENTS

FÜR

T IERE

Der rechtliche Schutz von Tieren hat heute im deutschen Sprachraum eine Tradition von rund 200 Jahren. Am Anfang dieser Entwicklung standen gesellschaftliche Initiativen. Die Geschichte solcher Initiativen ist historisch schwer zu bearbeiten, weil es sich dabei anfänglich um nicht institutionalisierte, kaum doku-

1 2

Vgl. Stuttgarter Zeitung vom 19. Juni 1971, BA Koblenz, B116/50089. Vgl. Schreiben des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Josef Ertl an das die Bundesminister und das Bundeskanzleramt, BA Koblenz, B116/50089.

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mentierte Initiativen einzelner Personen oder kleiner Personengruppen gehandelt hat. So fängt die Geschichte sozialer Initiativen für Tiere auch meist mit der Gründung der ersten Tierschutzvereine an, was dem sicher vorhandenen, aber nicht dokumentierten und historisch nicht erschlossenen Engagement vor Entstehung dieser Vereine nicht gerecht wird. Historisch dokumentiert ist der Einsatz für staatliche Maßnahmen gegen die „Thierquälerei“ 3 erstmals zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Meist in größeren Städten, so unter anderem in München, Dresden und Stuttgart, bilden sich erste Tierschutzvereine. Die Mitglieder dieser Vereine entstammen zum Großteil der bildungsnahen Oberschicht.4 1821, in der Entstehungsphase deutscher Partikularstrafrechte, erarbeitete eine juristische Kommission im Sächsischen Königreich den ersten Entwurf für einen Tierschutzparagraphen im deutschen Sprachraum. Darin wurden das „Quälen“ und „Martern“ von Tieren verboten.5 Es gab auch eine rechtliche Verordnung, die die übermäßige Nutzung von Tieren unter Strafe stellte. Bald darauf wurden ähnliche Tierschutzvorgaben, vor allem als Verbote des „Quälens“ und „Misshandelns“ von Tieren, Bestandteil vieler deutscher Gesetze.6 Der politische Druck zur Verbesserung des Tierschutzes wird seit diesen Anfängen maßgeblich über Vereine gesteuert, deren Mitgliederzahlen auch politischen Einfluss repräsentieren. Diese, sowie die Anzahl der Vereine, zeigten seit Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland eine kontinuierlich steigende Tendenz. 1876 existierten bereits 200 Tierschutzvereine in loser Verbindung zueinander und es wurde ein Verbundsystem aufgebaut, aus dem der DTSB hervorging. 1897 waren darin 75.000 Vereinsmitglieder offiziell registriert.7 1930 waren 300 Vereine mit rund 100.000 Mitgliedern im DTSB zusammengeschlossen und 1971 waren 566 Tierschutzvereine in der Bundesrepublik und in WestBerlin angemeldet, von denen ein Großteil im DTSB integriert war. Deren Mitgliederzahl belief sich damals insgesamt auf rund 425.000. 8 Der Trend einer steigenden Anzahl unbezahlt und freiwillig Engagierter zieht sich somit stabil

3

Vgl. Wiedenmann (2009, 318).

4

Vgl. Ebd. und Zerbel (1993, 59).

5

Vgl. Caspar (1999, 263).

6

Eine Auswahl davon ist in Annex A abgedruckt.

7

DTSB (2006, 14-15).

8

Vgl. Stuttgarter Zeitung – Tierschutzgesetz ist ein Kompromiss vom 19. Juni 1971 in BA Koblenz B116/50089. Im Jahr 2006 waren im vereinigten Deutschland 800.000 Mitglieder im DTSB offiziell registriert. Vgl. DTSB (2006).

H INTERGRÜNDE DER G ESETZESREFORM VON 1972

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und scheinbar kaum berührt von den beiden Weltkriegen und der totalitären Herrschaft des Nationalsozialismus durch das 19. und 20. Jahrhundert. Die Arbeit der Tierschutzvereine bestand und besteht darin, auf eine allgemeine Verbesserung des Umgangs mit Tieren hinzuwirken und in diesem Zusammenhang auch eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen zum Schutz von Tieren zu erreichen. 9 Politisch gesehen übernahmen also die Vereine zwar nicht offiziell aber doch informell die Rolle, tierliche Interessen im politischen System zu repräsentieren. Es ist daher eine wichtige, bisher aber historisch unbearbeitete Frage, inwiefern der Anspruch politischen Einflusses „im Namen der Tiere“ von Seiten privater Tierschutzvereine die rechtliche Stellung der Tiere insgesamt beeinflusste. Auch nach dem zweiten Weltkrieg waren die Vereine in Gesetzesreformbestrebungen engagiert. 1955 veröffentlichte der Bund gegen den Missbrauch der Tiere (BMT) einen Entwurf für ein neues Tierschutzgesetz.10 1959 notierte man im BML, „seit Jahren“ erhalte man Aufforderungen aus allen Bevölkerungskreisen, insbesondere von Tierschutzorganisationen, diverse tierpolitische Regelungen zu verschärfen.11 Schon in den 1950er Jahren veröffentlichte der DTSB vereinzelte rechtliche Reformvorschläge, die aber keine Änderungen im Grundsatz mit sich gebracht hätten. Das gilt auch für einen eigenen Reformvorschlag aus dem Jahr 1962, für dessen Umsetzung sich Vertretern des Bundes bis in die Mitte der 1960er Jahren stark machten.12 Bezogen auf den Agrarsektor ging es in dem Entwurf um ein Verbot des betäubungslosen Schlachtens von Schlachtpferden, ein Verbot von Schlachtpferdtransporten sowie die Verbesserung des Schlachtviehverkehrs. Bestandteil des Entwurfes war das Verbot der ‚Legebatterien und ‚tierquälerischer‘ Masttierhaltung. Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tierschutzverbände e.V. legte 1964 den Entwurf für eine Novelle des Tierschutzgesetzes vor.13 Das Engagement für Tierschutz grenzt sich inhaltlich oft vom Natur-, Umwelt- und Artenschutz ab. Viele in den 1960er Jahren populär werdenden Naturund Umweltschutzverbände, wie der World Wide Fund For Nature (WWF), geht

9

Schon im deutschen Kaiserreich und während der Weimarer Republik hatten Vereine die Verschärfung rechtlicher Tierschutzbestimmungen gefordert. Vgl. Eberstein (1999).

10 Vgl. Pfeiffer (2004, 48). 11 Vgl. BA Koblenz, B116/19573. 12 Vgl. Pfeiffer (2004, 111). 13 Vgl. Pfeiffer (2004, 112).

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es eher um den Erhalt wildlebender Arten als Bestandteil natürlich gewachsener Systeme und weniger um das Wohl von Tierindividuen.

K RITIK

AN DER I NDUSTRIALISIERUNG DER

T IERHALTUNG

Die Intensivierung der Agrartierhaltung Die Ausrichtung der Tierhaltung auf effiziente und rentable Leistungsergebnisse ist weder ein neues noch modernes Phänomen. Doch technische und medizinische Möglichkeiten trieben diese Ausrichtung im 20. Jahrhundert in Westeuropa und Nordamerika in neue Extreme. Deutlich wird diese Entwicklung am Beispiel der Käfighaltung für Legehennen. Der Agrarwissenschaftler Harald Ebbell entwickelte 1935 in Zürich erstmals eine Ganzmetalllegebatterie und seine Erfahrungen mit der „Intensiv- und Käfighaltung“ fanden großen Anklang in deutschen Agrar-Fachjournalen. 14 In den 1960er Jahren erfuhr in der ökonomisch prosperierenden Bundesrepublik die Verbreitung von intensiven und technisierten Stallhaltungsformen bei Hühnervögeln den großen Schub. Die Hühnerhaltung in Deutschland hatte sich seit den 1920er und 1930er Jahren aus einer weitgehend bäuerlichen Form hin zu intensiven Haltungsformen in größeren ‚Brütereien‘ entwickelt, in denen die Tiere zu hohen Besatzdichten ständig eingestallt lebten.15 Auf der Suche nach einer ökonomischen Maximierung der Produktionsvorgänge hatte auch die Wissenschaft an der Entwicklung der Hühnerhaltung ihren Anteil. Eine breitflächig, wirtschaftlich nutzbare Käfiganlage für Hennen wurde 1951 aus England nach Deutschland importiert. Üblich war für solche Anlagen eine Käfigfläche von 400 cm² pro Tier.16 Eine ähnliche Form der Intensivtierhaltung verbreitete sich in den 1950er und 1960er Jahren bei der Haltung von Masthühnern, Boviden und Schweinen. 17 Bei Masthühnern verbreiteten sich Dunkelhaltung und hohe Besatzdichten. 18 Kälber wurden früher von ihren Müttern getrennt und in dunklen, einzelnen Boxen, sogenannten ‚Mastkalbboxen‘ gehalten.19 Ganzjährige Anbindungsvorrich-

14 Vgl. Ebbell (1958) und Oester und Fröhlich (2008). 15 Vgl. Oester und Fröhlich (2008). 16 Vgl. Wegener in PA, Akte VI 285-A-Nr. 23, S. 28. 17 Vgl. Harrison (1965) und Stellungnahme von Paul Leyhausen in BA Koblenz, B116/38822. 18 Vgl. Oester und Fröhlich (2008). 19 Vgl. Stellungnahme von Paul Leyhausen in BA Koblenz, B116/38822.

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tungen und Spaltenböden wurden in den 1960er Jahren ebenfalls zum Standard in neu gebauten, meist größeren Ställen für Milchkühe. 20 Kastrierte Jungbullen werden in kleinen Gruppen in dunklen Slots auf Spaltenböden bis zur Schlachtung gemästet. Wenn große Mastställe gebaut wurden, war die Möglichkeit zum Auslauf kaum mehr vorgesehen. Schweine hatten auch in den Ställen alter deutscher Bauernhöfe wenig Platz. Neu war die Konsequenz, mit der in modernen Großanlagen Schweinebuchten für Mastschweine und enge ‚Kastenstände‘ für stillende Muttersauen die Einheitlichkeit der Lebensvoraussetzungen bewirkte. Denn selbst die Möglichkeit auf geringe Abwechslung, zum Beispiel auf unterschiedlichen Weiden oder durch gelegentliche Strohgaben, wurde dadurch vollends unterbunden. Veterinärwesen und Subventionen als Stütze der Intensivierung Für die Intensivierung der Tierhaltung spielte der Aufbau des öffentlichen Veterinärwesens eine entscheidende Rolle. Die Reichstierärzteverordnung aus dem Jahr 1936 verpflichtete Veterinäre in Deutschland dazu, an der Steigerung der Zucht und Leistungsfähigkeit des Tierbestandes mitzuwirken. Seit 1942 gab es in Deutschland eine ‚Reichsforschungsanstalt für Kleintierzucht‘, von deren Nachfolgeorganisation in der Bundesrepublik, die ‚Bundesforschungsanstalt für Kleintierzucht‘, später noch die Rede sein wird. Auch die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Tierpsychologie im Jahr 1936 sollte primär der Leistungssteigerung dienen.21 Der Geschäftsführer, Landwirt und Mitbegründer der Gesellschaft Josef Effertz bemerkte über die Notwendigkeit einer öffentlichen Beratung des Tierhaltungssektors: „Die Einführung von Leistungsprüfungen bei unseren Haustieren, die neben physischem Können auch bevorzugt seelische Fähigkeiten der Tiere berücksichtigen muß, offenbart den großen Mangel tierpsychologischen Wissens um die Fähigkeiten unserer Haustiere.“22

20 Vgl. Harrison (1965). 21 Vgl. von Den Berg (2008). 1933 wurde im Zuge der Gleichschaltungspolitik die seit 1912 bestehende Gesellschaft für Tierpsychologie aufgelöst, deren Arbeit auch von Tierschutzvereinen unterstützt wurde. Von ihr und ihren Methoden distanzierte man sich bei der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Tierpsychologie im Jahr 1936 ausdrücklich, auch personell gab es keine Kontinuität. Vgl. dazu auch Kapitel 0. 22 Effertz zit. nach von den Berg (2008, 140). Effertz war nach dem Krieg in der BRD als Bundestagsabgeordneter und Minister für Ernährung Landwirtschaft und Forsten des Landes Nordrhein-Westfahlen tätig. Er wurde mit der Arbeit Die Wirkung des Le-

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Die Gesellschaft sollte auch die öffentliche Zusammenarbeit von wissenschaftlichen, öffentlichen Institutionen im Veterinärwesen und Agrarsektor fördern. 23 Den Vorsitz der Gesellschaft übernahm 1936 Carl Kronacher, Professor für Tierzucht und Vererbungslehre an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin, der als Begründer der Nutztierzucht-Lehre gilt. Im Beirat der Gesellschaft saßen unter anderem Konrad Lorenz und der Tierarzt Clemens Giese, die im weiteren Verlauf der Arbeit noch eine Rolle spielen werden. Giese schrieb 1937, die Arbeit der Gesellschaft sollte der „Steigerung der verschiedenartigen Leistungen der Tiere im Dienste des Menschen durch sachgemäße Gestaltung ihrer Verwendung beitragen“ und gleichzeitig die „natürliche Grundlage für den Tierschutz“ liefern.24 Der institutionalisierte Verbund aus Veterinärwesen, Biologie, Tierzucht und Agronomie prägte auch das Nachkriegsdeutschland und forcierte die Intensivierung tierlicher Haltungsbedingungen. Staatlich geförderte, landwirtschaftliche Informationsdienste forderten Landwirte in den 1960er Jahren auf, stärker als bisher mit Tierärzten zusammenzuarbeiten, um Leistungssteigerungen zu erreichen.25 Um bei intensiv und unter Stress gehaltenen Tieren in Massenhaltungsformen die Ausbreitung von Zoonosen zu verhindern, wurde die medizinische Prophylaxe etabliert. Antibiotika wurden damals auch in der Tierhaltung erschwinglich.26 In den 1950er und 1960er Jahren wurden von staatlichen Veterinärämtern auch Subventionshilfen für Prophylaxemaßnahmen in der Tierhaltung bezahlt.27 Ein Ministerialrat im BML erklärte dazu 1965, mit diesen Maßnahmen sei die „klischeehafte Vorstellung von der grundsätzlichen Interessengegnerschaft zwischen Landwirtschaft und Veterinärverwaltung“ überwunden worden.28 Im Jahr 1965 wurde auch die Bundestierärzte-Verordnung vom Bundestag beschlossen. Darin wurde definiert, wer die Berufsbezeichnung Tierarzt tragen darf und zu welchen gesellschaftlichen Aufgaben ein solcher berufen ist: Nach § 1 dieser Verordnung hatte ein Tierarzt zur Verhütung von Leiden und Krankheiten von Tieren und der Schaffung eines „leistungsfähigen Tierbestandes beizutragen“ und „auf eine Steigerung der Güte von Lebensmitteln tierischer Herkunft

bensraumes und der Einfluss des Menschen auf die Entwicklung der Tierseele an einer landwirtschaftlichen Hochschule promoviert (vgl. Vierhaus und Herbst (2002a, 166). 23 Vgl. von den Berg (2008, 140f.). 24 Giese zit. nach von den Berg (2008, 143). 25 Vgl. Eckerskorn (1965, 104). 26 Vgl. Schultze-Petzold (1965, 265). 27 Vgl. Eckerskorn (1965, 105). 28 Vgl. Ebd.

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hinzuwirken“. 29 Durch öffentliche Veterinärämter und staatliche Veterinärforschung wurde ein Großteil der Kosten für die Intensivierung der Tierhaltung verstaatlicht. An der veterinärmedizinischen Planung intensiver Haltungssysteme beteiligte sich zunehmend auch die Ethologie oder Verhaltensforschung bei Tieren. Dieser Umstand wird im Laufe der Arbeit aufgegriffen. Das Federpicken, der sogenannte Kannibalismus bei Hühnern, war eines der frühen Beispiele für Verhaltensstörungen, die in der engen Haltung von Tiergruppen mehr als in der großzügigen Freilandhaltung auftreten und zu Verletzungen und damit Leistungsminderungen führen können. Veterinärmedizinisch wurde geforscht, wie sich solche Probleme beheben ließen, so dass sie die ‚Leistungsnutzung tierlicher Ressourcen‘ möglichst nicht gefährden. Nur so lässt sich zum Beispiel verstehen, dass sich damals die Stutzung der empfindlichen und orientierungsstiftenden Schnäbel von Hühnern unter Beteiligung von Veterinären etablierte. Dieser schwere Schaden diente veterinärmedizinisch der Prophylaxe gegen das krankhafte gegenseitige Verletzen unter den Tieren. Der Tierhaltung wurde zu dieser Zeit ein großes Potential für die Einkommenssteigerung landwirtschaftlicher Betriebe beigemessen.30 Ermöglicht wurde dies auch durch wachsende Erträge der subventionierten Landwirtschaft und damit günstigen Futtermittel. Beim Bau neuer intensiver Stallhaltungsverfahren half die staatliche Beratung durch öffentliche Landwirtschaftsämter. Seit der schrittweisen Integration des europäischen Agrarsektors in den 1950er Jahren erfolgte die Finanzierung der staatlichen Subventionierung über einen Agrarfonds der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und später im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft (EG). Ein hoher Anteil europäischer Mittel bewirkte, dass die nationale Politik keine direkte Verantwortung für die Kosten übernehmen musste. In Brüssel trafen die Entscheidungen über diese Hilfen die den landwirtschaftlichen Interessengruppen traditionell nahestehenden Landwirtschaftsminister der Mitgliedsstaaten der EG „ohne starkes institutionelles Gegengewicht“, wie der Historiker Kiran Klaus Patel urteilt.31 Unter der Amtszeit des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Herrmann Höcherl wurde im Juni 1969 die Errichtung eines Absatzfonds für Landwirte als Anstalt öffentlichen Rechts beschlossen. Der Fonds hatte zum Ziel,

29 BGBl. 1965 I, S. 416. 30 Vgl. Eckerskorn (1965, 104). 31 Vgl. Patel (2009, 393).

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„den Absatz und die Verwertung von Erzeugnissen der deutschen Land-, Forst-, und Ernährungswirtschaft […] mit modernen Mitteln und Methoden zentral zu fördern.“32

So wurde über staatlich finanzierte Werbung die verstärkte Nachfrage tierischer Produkte verfolgt, die vom ebenfalls staatlich geförderten Angebot durch neue Tierhaltungsbetriebe befriedigt werden konnte. Industrie- versus Agrararbeitskräfte Ein weiterer Faktor, der die Rationalisierung der Tierhaltung förderte, war die sinkende Attraktivität der Arbeit in der Landwirtschaft im Vergleich zur Industrie. Für den wirtschaftlichen Aufschwung der Bundesrepublik Deutschland (BRD) in den 1960er Jahren wurden Arbeitskräfte in der Industrie dringend benötigt. Auf jeden Arbeitslosen entfielen 1969 vier offene Stellen.33 1964 bemängelte Kanzler Ludwig Ehrhardt in einem Gespräch mit dem kanadischen Ministerpräsidenten Lester Pearson, Deutschland verfüge über eine „übergroße Zahl“ an Landwirten, die dringend in der Industrie gebraucht würden.34 Die Industrie schuf daher höhere Anreize und diese entzogen der Landwirtschaft die Arbeitskräfte. Zwar rechtfertigte die Politik oftmals ihre Subventionsmaßnahmen mit der Vorbeugung gegen das sogenannte Höfesterben. Doch sie zeigte nie ein Interesse, die Abwanderung von agrarischen Arbeitskräften in die Industrie konkret zu unterbinden. Die Förderung der Rationalisierung des Agrarsektors war ein geeignetes Mittel, den Agrarsektor zu stärken und dabei aber die Nachfrage nach agrarischen Arbeitskräften zu senken. Die Mechanisierung und Intensivierung der Agrartierhaltung war dafür besonders geeignet.35 Auch das soziale Ansehen von modernen, mehr technisch ausgerichteten Arbeitsformen hat zu einer sinkenden Attraktivität der Berufe innerhalb der Tierhaltung beigetragen. Patel beschreibt in seiner historischen Einordnung der Agrarpolitik der 1960er Jahre das „zukunftsorientierte Reformklima“36 dieser Zeit, das die soziale Attraktivität von Berufen in der Industrie steigerte. Die industriell anmutende, neue Form der Tierhaltung, die mehr Technik, weniger körperliche Arbeitskraft und weniger

32 BGBl. 1969 I, S. 635. 33 Patel (2009, 394). 34 Vgl. Patel (2009, 281). Ludwig Erhardt schlug Pearson scherzhaft vor, 500.000 deutsche Bauern gegen 500.000 kanadische Facharbeiter tauschen. 35 Zu den Folgen des Arbeitskräftemangels auf die Ausprägung intensiver Formen der Rindermast Sambraus (2008). 36 Patel (2009, 394).

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Kontakt mit Tieren versprach, wurde in diesem Klima auch unter Landwirten beliebt. Angst, Empörung und vage Kritik Eine historische Analyse der Form und des Ausmaßes der Kritik an der neuen, intensiven Form der Agrartierhaltung in den 1950er und 1960er Jahren wurde bislang nicht unternommen. Die Kapazitäten dafür waren in dieser Arbeit begrenzt. Eine wichtige offene Frage ist vor allem, welche Forderungen damit einhergingen, welche gesellschaftlichen Gruppen diese Kritik maßgeblich beförderten und welche Dringlichkeit der Kritik beigemessen wurde. Unbestritten ist allerdings, dass es diese Kritik gab und dass die Politik und der Agrarsektor sie als relevant registrierten. Nicht zuletzt wurde die Reform von 1972 damit offiziell gerechtfertigt. Ende des Jahres 1971 schreibt Hugo Hammans, Mitglied des Bundestages (MdB) für die CDU-Fraktion, an Bundeskanzler Willy Brandt, „immer wieder in der Öffentlichkeit vorgetragene Anliegen“ im Tierschutz forderten die Politik auf, die Rechtslage zu reformieren.37 Wie später noch erläutert wird, sah ein im BML diskutierter Gesetzesentwurf aus dem Jahr 1960 vor, die Batteriehaltung von Hühnern als Tierquälerei zu verbieten. Obwohl er sich nicht durchsetzen konnte, liefert er einen Hinweis darauf, dass eine Abwehrhaltung gegenüber der Intensivtierhaltung aus Tierschutzgründen keine Außenseiterposition war. Der Gesetzesentwurf machte den Anfang eines zwölfjährigen Prozesses, innerhalb dessen mehrere Reformvorschläge für ein neues Gesetz diskutiert wurden, die auch die Agrartierhaltung betrafen. Folgende ausgewählte Szenen sollen beispielhaft das Wesen und Ausmaß des zivilen Engagements für agrarisch gehaltene Tiere im unmittelbaren Vorfeld der Reform erläutern. Die Engländerin Ruth Harrisson erreichte 1964 mit ihrem Buch Animal Machines international und auch in Deutschland große Popularität. Sie beschreibt darin nicht nur einige gängige Haltungsformen im Detail, sondern artikuliert auch die Angst, dass die in ihrer Darstellung grausame Behandlung von Tieren unabsehbare Folgen für die Gesellschaft, etwa in Form von Krankheiten, der schädigenden Wirkung von Hormonen im Fleisch und von Umweltzerstörung haben könnte. Die Wochenzeitschrift Der Spiegel, der einen Teil ihres Buches 1966 veröffentlichte, nennt das plakativ die „Angst vor der biologischen Bombe“.38 In Großbritannien wurde aufgrund der Popularität des Buches eine Kommission einberufen, die Tierschutzfragen in der Tierhaltung klären

37 Hammans in PA, Akte VI 285-A-Nr. 38. 38 Vgl. Der Spiegel (1966).

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sollte.39 Die deutsche Übersetzung unter dem Namen Tiermaschinen – die neuen landwirtschaftlichen Fabrikbetriebe wurde 1965 veröffentlicht, war ebenfalls erfolgreich und löste eine mediale Debatte aus. Ein Vertreter des BML besprach öffentlich das Buch und bemerkte, es erwecke „fast den Eindruck“, dass die gesamte moderne Agrartierhaltung Ziel der provokativen Kritik sei, indem Mitleid mit „der geknechteten Kreatur“ erzeugt und Ekel erregt werde. 40 Es wird deutlich, dass er derartige „Angriffe“ auf den Agrarsektor entschieden ablehnt.41 Die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Buch muss sicherlich auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass seit den 1950er Jahren zahlreiche Publikationen die Ängste innerhalb der Gesellschaft vor unabsehbaren Folgen des technologischen Fortschritts, wie der Atomenergie, zum Ausdruck brachten.42 Unmittelbar nach der Veröffentlichung von Harrissons Tiermaschinen startete ein Hamburger Tierschutzverband 1966 eine Kampagne gegen die Haltung von Kälbern zur Erzeugung sogenannten weißen Fleisches. Auch sie wurde vom Spiegel aufgegriffen. Bei dieser damals nicht untypischen Haltung wurden die Tiere früh von der Mutter getrennt und in engen, verdunkelten Boxen gehalten. Durch die Gabe eisenfreier Nahrung wurde eine Anämie bei den Tieren provoziert, die das damit gewonnen Fleisch weiß aussehen ließ und zu seiner weichen Konsistenz führte. Der Verein unter Leitung des Kaufmanns Otto Kertscher veröffentlichte Fotos über die Haltungsweise und protestierte für ein Verbot auf Grundlage der Tierquälerei bzw. der ersten beiden Paragraphen des damals gültigen Tierschutzgesetzes. Die Haltungsform wurde als Verstoß gegen das damalige Tierschutzgesetz vom BML veterinärmedizinisch geprüft.43 Der Abgeordnete Dietrich Rollmann spricht 1966 vor dem Bundestag von einer „wachsenden Beunruhigung der Öffentlichkeit über Methoden der modernen Intensivhaltung“ und dass die neue Intensivtierhaltung von Kälbern, Schweinen und Geflügel in der Öffentlichkeit „heftig umstritten“ sei.44 Ein weiterer Abgeordneter formulier-

39 Vgl. Sambraus (1997, 10). 40 Vgl. Der Spiegel (1966). 41 Vgl. Ebd. und Harrison (1965). 42 In den 1950er Jahren behandelten populäre Bücher die Risiken des technischen und wissenschaftlichen Fortschritts, etwa durch die Nutzung der Kernspaltung und die Umweltzerstörung, so zum Beispiel bei William Vogts Die Erde rächt sich aus dem Jahr 1950, oder Diether Stolzes Den Göttern gleich - unser Leben von morgen aus dem Jahr 1959. 43 Vgl. Der Spiegel (1966). 44 Vgl. Sten. Ber. 1966, 48. Sitzung, S. 2315 und Sten. Ber. 1966, 64. Sitzung, Band 62, S. 3123.

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te 1971, „Illustrierte und andere Presseorgane“ berichteten „wiederholt Erstaunliches und Erschreckendes“ über die Haltungsformen von Kälbern.45 Viele heute noch kritisierte Aspekte der Tierhaltung wurden damals bereits medial thematisiert, wie das Stutzen der Schnäbel von Vögeln. Der Journalist Haug von Kuenheim reflektiert diese Maßnahme 1966 in der Wochenzeitung die ZEIT und fasst die wachsende Angst und Empörung in der Gesellschaft folgendermaßen zusammen. Unter öffentlichem Rechtfertigungsdruck stünden Landwirte, „die ihre alten Mistkratzer in industrielle Geschöpfe verwandelt haben, die am laufenden Band Eier legen[…]“.46 Die Metapher bleibt zwar vage, aber heute, nach einer großen Welle des Erfolges der ökologischen Landwirtschaft bzw. der Ablehnung sogenannter Massentierhaltung, lässt sich doch erahnen, worum es beim Pejorativ des „industriellen Geschöpfes“ ging. Tiere sollten nicht zu Produktionsfaktoren, sondern wieder zum Bestandteil eines bäuerlichen Idylls werden, das weniger an hoher Rentabilität als an der Notwendigkeit der Tierhaltung ausgerichtet ist. In Verbindung mit Harrissons Erfolg liefert die pejorative Formulierung des industriellen Geschöpfes einen Hinweis darauf, dass Emotionen wie Zukunftsangst, Empörung, Ekel, Mitleid etc. damals zu einer öffentlich merkbaren, aber vagen Kritik zusammenflossen. Das wäre nicht abwegig. Warum sollte ausgerechnet der moralisch richtige Umgang mit Tieren von den jungen, oftmals noch unartikulierten, antimaterialistischen sozialen Tendenzen, die die 1960er Jahre so entscheidend prägten, unbeeinflusst geblieben sein? Kritik als Bedrohung wirtschaftlicher Interessen Die Kritik an bestimmten Formen der agrarischen Tierhaltung war nicht nur für die vom Verbot jener Formen betroffenen Unternehmer, sondern für den Agrarsektor insgesamt politisch brisant. Das lässt die offizielle Stellungnahme aus dem BML zu Harrissons Tiermaschinen erahnen. Landwirtschaft wurde von ihren Interessenvertretungen als traditionelle, Werte generierende Stütze der Gesellschaft dargestellt, auch, um die wachsende Subventionierung des Sektors zu rechtfertigen.47 Patel beschreibt, wie der DBV, der Dachverband aller Landesbauernverbände, in den 1960er Jahren politstrategisch darauf angewiesen war, ein idealisiertes Image der Landwirtschaft zu pflegen. Als „Geschäftsidee“ des Verbandes wirkte danach „eine auf den bäuerlichen Familienbetrieb zentrierte

45 Schäfer in PA, Akte VI 285-A-Nr. 23, S. 31. 46 Vgl. von Kuenheim (1966). 47 Vgl. Patel (2009, 509).

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Gemeinschaftsideologie“.48 Diese Geschäftsidee war durch die Kritik an der industriellen Tierhaltung in Bedrohung geraten. Im BA Koblenz findet sich unter den Unterlagen des BML ein Schreiben des Politikers und einflussreichen Agrarlobbyisten Karl Müller49 an den damaligen Staatssekretär des BML aus dem Jahr 1960. Anlass des Schreibens ist der im BML diskutierte Gesetzesentwurf, nach dem Legebatterien für Hühner verboten werden sollten.50 Müller empfiehlt dem Staatssekretär, den Entwurf „dahingehend abzuändern, oder abändern zu lassen, dass der Paragraph nicht zum Zuge kommt, in dem die modernen Eierproduktionsanlagen verboten werden.“51

Die Batteriehaltung für Legehennen wurde seit den frühen 1960er Jahren in Deutschland und anderen europäischen Ländern sehr erfolgreich. Mitte der 1970er Jahre lagen die Verkaufserlöse aus der Eierproduktion in der BRD bei 2,5 Milliarden Deutsche Mark, mehr als die durch den Verkauf von Weizen. In neu entstehenden Ballungszentren entwickelte sich die Käfighaltung volkswirtschaftlich rasant. In dem Brief von Müller wird deutlich, dass die Agrarindustrie langfristig eine rechtliche Stabilität anstrebte, um dieses ökonomische Potential weiter auszuschöpfen. Deshalb durfte der besagte Paragraph nicht zur Anwendung kommen. Nur dann konnten nämlich „sofort größere Geldmittel in die Eierproduktion fließen“, wie Müller schreibt.52 Für den Agrarsektor stellte die Expansion der rationalisierten Agrartierhaltung bereits seit den 1950er Jahren die Hauptmöglichkeit des Einkommenszuwachses für Landwirte dar. 1971 generierte die Agrartierhaltung rund 80% der Einnahmen aus der gesamten Landwirt-

48 Patel (2010, 395). 49 Obwohl das Schreiben lediglich den Namen erwähnt, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um den CDU-Politiker und MdB Karl Müller handelt. Müller war von 1950 bis 1953 Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Deutschen Bundestag. Von 1953 bis 1957 war er Vorsitzender des Arbeitskreises für Wirtschafts- und Landwirtschaftsfragen der CDU/CSU-Fraktion. Er arbeitete auch im Vorstand der landwirtschaftlichen Interessenvertretung Wirtschaftliche Vereinigung Zucker e.V. Vgl. Vierhaus und Herbst (2002, 585). Karl Müller wird ein großer Einfluss auf die westdeutsche Agrarpolitik der BRD unter Konrad Adenauer zugeschrieben. Vgl. Schumacher (1984). 50 Das Schreiben wird später nochmal aufgegriffen. 51 BA Koblenz, B116 / 19573. 52 BA Koblenz, B116 / 19573.

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schaft.53 Rechtsunsicherheit im Tierschutz stellte vor diesem Hintergrund für den gesamten Agrarsektor ein wirtschaftliches Problem dar. Da die Umstellung in der Tierhaltung größere Investitionen verlangte, war ein Bau der Anlagen nicht möglich, solange ein Verbot der Käfiganlagen oder andere industrieller Haltungsformen „in der Schwebe“ hängt. 54 Denn das bedingt, dass Investoren unter Umständen Kredite verweigern und erschwert auch die staatliche Förderung der Umstellung sowie des Absatzes tierlicher Produkte. Zum Zeitpunkt der Reform regelte der Grundsatzparagraph des damaligen Tierschutzgesetzes die umstrittene Agrartierhaltung noch mit dem Verbot des unnötigen Quälens. Es stellte sich dem Laien die Frage: Führten diese neuen Haltungsformen zu Qualen und war das notwendig? Die öffentliche Kritik deutete damals auf die Bejahung der ersten, und die Verneinung der zweiten Frage hin. Und selbst wenn die Entscheidung damals zugunsten der industriellen Haltung beantwortet worden wäre, war damit noch keine Rechtssicherheit gewährleistet, da Gebäudeinvestitionen eine Abschreibungsdauer bis zu 20 Jahren verlangen können und die Meinung über unnötiges Quälen sich zu jeder Legislaturperiode ändern könnte. Zwar wurde die Veterinärmedizin damals schon rechtlich berücksichtigt, doch verfügte sie für das Beurteilen umstrittener Haltungsformen, solange diese nicht unmittelbar zu Schmerzen, Krankheit oder Tod der Tiere führten und damit eine unumstrittene Quälerei bedeuteten, über keine elaborierte Methodik. Es gab also zwei Ebenen der Bedrohung durch die Kritik. Erstens machten mögliche neue Verbote von Haltungsmaßnahmen Investitionen sehr riskant. Zweitens schädigten Diskussionen über Tierquälerei das öffentlich Bild der Agrarwirtschaft, mit dem der Lebensmittelhandel schließlich die Produkte verkaufen musste und das zudem die Subventionierung des Sektors mit rechtfertigte. Das Verbot der industriellen Hühnerhaltung hätte Landwirte, die bereits solche Anlagen installiert hatten, nicht nur finanziell stark geschädigt, sondern sie auch zu Tierquälern im Sinne von §1 des damals gültigen Gesetzes gemacht. Eine nachhaltige Rechtsicherheit war demnach ein dringendes Interesse der Agrarwirtschaft.

53 Klinker, Sten. Ber. 1971, 137. Sitzung, Band 77, S. 8003. 54 BA Koblenz, B116 / 19573.

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T RADITIONEN DES IN D EUTSCHLAND

STAATLICHEN

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Um ein besseres Verständnis begrifflicher Traditionen im deutschen Tierschutzrecht zu erlangen, wird nun der Kontext der rechtlichen Situation zusammengefasst. Dabei spielt der Begriff des Anthropozentrismus eine wichtige Rolle. Es wird nämlich in der Rechtsgeschichte gesagt, dass im 20. Jahrhundert ein ethischer Schutz um der Tiere selbst willen einen vormodernen, anthropozentrischen Tierschutz ablöste. Diese Sicht wird hier zurückgewiesen. Argumente dafür können zum einen in der Rechtsgeschichte gefunden werden. Außerdem ist unklar, was mit Anthropozentrismus gemeint ist und warum das Tierrecht im 20. Jahrhundert davon frei sein sollte. Für den historischen Teil dieses Abschnittes wird auf den Stand der Forschung zurückgegriffen. Die Rede vom überwundenen Anthropozentrismus Viele frühe Gesetze einzelner Partikularstaaten des Deutschen Bundes im 19. Jahrhundert formulierten in ihren Grundsätzen das Verbot bestimmter Formen des Misshandelns oder Quälens von Tieren. Dabei spielten Eigenschaften der Behandlung von Tieren eine Rolle, deren Zuschreibung auf gesellschaftlichmoralischen Übereinkünften beruhte. Ein Beispiel ist die Regelung im Königreich Sachsen, die ‚exzessive‘ Nutzung von Tieren zu verbieten. In Württemberg wurde seit 1839 bestraft, „wer durch rohe Mißhandlung von Tieren Ärgernis giebt“ und in Sachsen und Thüringen wurde „boshaftes oder mutwilliges Quälen von Tieren“ bestraft. 55 Der heute noch stark verbreitete Vorwurf gegen diese frühen Formen des Tierrechts lautet, dass es dabei vor allem um Menschen und deren „Sittlichkeit“ – und nicht um Tiere – ging. So wird das Wesen des frühen Tierschutzrechts im 19. Jahrhundert von Wilfried Eberstein folgendermaßen charakterisiert. „Zunächst fürchtete man die Verrohung und Abstumpfung des Täters selbst und verwies auf die Tatsache, dass es vom Tierquäler zum Menschenquäler nur ein kleiner Schritt sei. Insofern war die Tierquälerei echtes Rohheitsdelikt. Aber auch die Wirkung auf etwaige Zeugen der Tat war von Bedeutung. Die, deren sittliches Empfinden intakt war, sollten

55 Vgl. Eberstein (1999, 77f.). Ausgewählte Strafrechtsparagraphen von Staaten des Deutschen Bundes sind auch in Annex A1 abgedruckt.

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vor einer Verletzung ihres Mitleidgefühls, des Mitleids, geschützt werden, die anderen vor weiterer Abstumpfung.“56

Dass es sich damals nicht um eigentlichen Tierschutz, sondern primär um den Schutz der menschlichen Sittlichkeit handelte, ergibt sich für Eberstein auch aus dem Umstand, dass das Vergehen gegen Tierquälerei juristisch häufig als Sittlichkeitsdelikt bezeichnet wurde. Es ist in der juristischen Literatur verbreitet, den Schutz menschlicher Empfindungen im Tierschutz als Anthropozentrismus zu bezeichnen, der erst im 20. Jahrhundert überwunden wurde. Im Folgenden werden Aussagen vor allem aus der rechtshistorischen Literatur, zusammengefasst, die den Zusammenhang zwischen Anthropozentrismus, Tierschutz, dem Schutz menschlicher Gefühle und einer Idee der rechtlich-zivilisatorischen Entwicklung beschreiben. •





Johannes Caspar urteilt, erst mit dem Reichstierschutzgesetz von 1933 läge dem Recht eine pathozentrische, auf die Leiden der Tiere gerichtete Konzeption des Tierschutzes zugrunde.57 Das Gesetz bezwecke nicht mehr die in den Gesetzen des 19. Jahrhunderts geforderte „Aufrechterhaltung der […] Sittlichkeit“, sondern übertrage die zu schützende Entität auf „das Tier selbst“.58 Der Legitimationsgrund der Sittlichkeit gilt Caspar zufolge insofern als anthropozentrisch, da er lediglich die kantische „Tugendpflicht des Menschen gegen sich selbst“ widerspiegelt oder, damit einhergehend, in einem pädagogischen Sinn, als bloß für Menschen vorteilhaftes Verhalten verstanden wird.59 Christoph Maisack befindet entsprechend, erst 1933 habe sich der „Übergang“ hin zum „ethischen Tierschutz“, dem Schutz des Tieres um seiner selbst willen, vollzogen.60 Hinrich Sambraus schreibt: „Lange Zeit […] wurde also ein anthropozentrischer Tierschutz betrieben.“ Erst mit dem Gesetz von 1933, so befindet er, „begann der ethische Tierschutz.“61 In seiner Darstellung konstituieren zwei Komponenten den anthropozentrischen Tierschutz: Erstens diene als Maßstab der Bestrafung die Verletzung von menschlichen Gefühlen, was einem

56 Eberstein (1999, 119). 57 Caspar (1999, 271). 58 Caspar (1999, 271f.). 59 Caspar (1999, 100f, 264 und 271). 60 Maisack (2007, 42). 61 Sambraus (1997, 9).

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„ästhetischen Tierschutz“ gleichkäme. Zweitens wären „insgesamt menschliche Interessen stark eingebunden“.62 Julius Ludwig Pfeiffer stützt diese Sicht, wenn er schlussfolgert, das Gesetz von 1933 sei das erste deutsche Gesetz, dass das Tier „um seiner selbst und nicht des Menschen willen“ schütze.63 Der Landgerichtsdirektor, Autor für den DTSB und Co-Autor des Kommentars des Tierschutzgesetzes von 1972 Gerhard Zoebe zeichnet die Idee, die sich hinter dieser behaupteten Fortentwicklung verbürgt, besonders deutlich. Er sieht den Tierschutz als Ausdruck eines sich entwickelnden Zivilisationsgrades: „Mit zunehmender zivilisatorischer und kultureller Entwicklung trat an die Stelle des Primitivtierschutzes der anthropozentrische, menschenbezogene Tierschutz. Er schützt das Tier um des Menschen willen. Dem Menschen soll aus ästhetischen, pädagogischen, moralischen und auch materiellen Gründen jede Tierquälerei erspart werden. Erst der heute weitgehend anerkannte […] ethische Tierschutz schützt das Tier um seiner selbst willen. […] Jetzt und heute ist die ethische Idee vom Tierschutz die beste.“64 Zoebe sieht demnach in Rekursen des frühen deutschen Tierrechts auf menschliche Empfindungen generell ein anthropozentrisches Weltbild verhaftet. In dem von Gerhard Zoebe und Klaus Ennulat herausgegebenen Kommentar zum Tierschutzgesetz von 1972 werden zwei Arten von Tierschutz definiert. Anthropozentrischer Tierschutz ist „menschenbezogen“, ethischer Tierschutz dagegen „moralisch gut“. 65 Das Gesetz von 1972 halte an der erstmals im Tierschutzgesetz von 1933 enthaltenen „Leitidee des altruistischen Tierschutzes, also des Tierschutzes um der Tiere willen“, fest.66

Ihren Eingang in die Rechtsgeschichte fand der Tenor der Fortschrittlichkeit in der propagandistisch gefassten amtlichen Begründung des Reichstierschutzgesetzes von 1933. Der Veterinär Clemens Giese und der Juristen Waldemar Kahler zeichnen sich als hohe Beamte verantwortlich für den Text.67 Darin heißt es:

62 Sambraus (1997, 8). 63 Pfeiffer (2004, 35). 64 Zoebe zit. nach Pfeiffer (2004, 35). 65 Ennulat und Zoebe (1972, 21). 66 Ennulat und Zoebe (1972, 26). 67 Giese und Kahler waren 1933 als Ministerialräte im Reichsjustizministerium an der Bearbeitung des Entwurfs entscheidend involviert. Sie publizierten auch nach dem Krieg noch einen weiteren einflussreichen Kommentar zum ersten Deutschen Tierschutzgesetz in der BRD. Vgl. Giese und Kahler (1951).

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„Durch die neue Vorschrift wurde erreicht, dass nicht mehr wie früher nur die Empfindungen und Gefühle eines Menschen vor dem Anblick der Tierquälerei geschützt werden oder menschlichen Interessen im Vordergrund stehen, sondern dass dem Gedanken Raum gegeben wird, dass das Tier um des Tieres wegen geschützt wird.“68

Man sei nun besser in der Lage, den Tatbestand der Tierquälerei nachzuweisen. Dies ließ sich in eine Propaganda für das NS-Regime und seine Ideologie einbauen. Das Gesetz befinde sich „im Einklang mit dem Kulturstand des deutschen Volkes“.69 Die Ausprägung des neuen staatlichen Tierschutzes sei Ausdruck der „Fortentwicklung des Volkes“, so der offizielle Kommentar zum Gesetz.70 Es sei Ausdruck des „Studiums der Entwicklung des Volkes“, dass die Tierquälerei nicht mehr bestraft werde, weil „das menschliche Empfinden, das sich im Mitgefühl mit dem Tiere äußert“, verletzt würde. Vielmehr werde das Tier nun „als solches“ geschützt.71 Der neue Ansatz erlaube es, im Schutz der Tiere „weit über die bisherigen Bestimmungen“ hinauszugehen.72 Heute muss in solchen Aussagen die Instrumentalisierung des Tierschutzes in der totalitären Herrschaft des Nationalsozialismus mitgelesen werden.73 Auf diesen Umstand wird später noch eingegangen. Die Darstellung, erst im 20. Jahrhundert habe sich ein Tierschutz um der Tiere willen durchgesetzt, wird oft damit begründet, dass bestimmte Staaten lediglich die öffentliche Tierquälerei, und somit nicht die unbemerkte, hinter den eigenen vier Wänden versteckte, verbaten. Gegen die Rede vom Anthropozentrismus im 19. Jahrhundert spricht aber zunächst, dass diese ‚öffentliche‘ Quälerei nicht in allen Grundsatzparagraphen deutscher Tierschutzgesetze zu finden war. In vielen Strafgesetzbüchern, etwa der Stadt Hamburg, im Großherzogtum Hessen-Darmstadt, im Königreich Württemberg und im Fürstentum Schwarzburg-Sonderhausen, war Tierquälerei, ob

68 Skopnik (1934, 11f.). 69 Giese und Kahler (1934, 14). Vgl. Klueting (2003, 86). 70 Vgl. Giese und Kahler (1934, 5ff.). Giese und Kahler schreiben in ihren Kommentar des Reichstierschutzgesetzes von 1933, die nationalsozialistische Reichsregierung habe 1933 bei der Neufassung des Gesetzes „rasche und ganze Arbeit geleistet“ (Giese und Kahler 1934, 13). Das negiert die vielen Vorarbeiten, die bereits während der Weimarer Republik für ein solches Gesetz geleistet wurden. Zur propagandistischen Darstellung des Tierschutzes im Nationalsozialismus vgl. Klueting (2003, 86). 71 Giese und Kahler (1934, 19). 72 Giese und Kahler (1934, 15). 73 Ebd. Die propagandistische Instrumentalisierung des Tierschutzes durch das NSRegime wird auch in Klueting (2003) und Caspar (1999ff.) beschrieben.

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sie nun zu einem öffentlichen Eklat führte oder nicht, generell verboten.74 Ein für das Strafgesetz in Hessen-Darmstadt eingebrachter Entwurf forderte sogar das Verbot der Misshandlung von Tieren „aus Eigennutz“.75 Abgelehnt wurde er vor allem aus Gründen der juristischen Umsetzbarkeit. Es galt zudem als problematisch, dass andere Länder einen solchen Tatbestand nicht kannten und Hessen aus diesem Alleingang Schaden ziehen könne. Obwohl sich der Vorschlag nicht durchsetzen konnte, zeugt er doch von einem ethischen Verständnis dieser Zeit, von dem unklar ist, warum es dem Anthropozentrismus näher stehen sollte als die rechtliche Legitimierung der industriellen Tierhaltung im 20. Jahrhundert. Rainer Wiedenmann kritisiert daher, dass die frühen, ambitionierten Forderungen nach direktem Schutz der Tiere „bisweilen ganz übersehen oder viel zu spät datiert“ wurden.76 Er verweist auch auf Ignaz Bregenzers frühe Analysen zum staatlichen Tierschutz.77 Bregenzer schreibt Ende des 19. Jahrhunderts über die Entstehung des modernen rechtlichen Tierschutzes, dieser sei nie nur als Schutz menschlicher Gefühle, sondern immer auch als direkte Pflicht gegenüber dem als Individuum verstandenen Tier aufgefasst worden. Auch der Legationsrat Heinrich von Ehrenstein, der mit Publikationen die Diskussionen um das sächsische Tierschutzrecht maßgeblich beeinflusste, formulierte früh die „Immoralität“ der Tierquälerei „an sich“ als Grund der Strafbarkeit.78 Ein Verbot der Tierquälerei, das als Ausdruck der oft kritisierten und schwer verständlichen, auf Immanuel Kant zurückgehenden Idee verstanden wird, damit lediglich moralische Empfindungen der Menschen zu schützen, war also lediglich ein Motiv im Tierschutz des 19. Jahrhunderts unter vielen, und nicht das Einzige, wie es bei den oben genannten Zitaten anklingt.79

74 Wiedenmann (1999, 318f.). 75 Eberstein (1999, 98). 76 Wiedenmann kritisiert in Wiedenmann (2009, 319) insbesondere Caspar in Caspar (1999, 264), der zwar zugibt, einige Gesetze im deutschsprachigen Raum schienen den Schutz um der Tiere selbst Willen zu bezwecken, jedoch insgesamt vage urteilt, dass sie in ihrer Gesamtheit auf dem Verständnis des Tierschutzes als Sittlichkeitsdelikt beruhten. 77 Bregenzer (1891, 391). 78 von Ehrenstein (1840, 64). 79 Ohne eine umfangreiche Tierethik entwickelt zu haben, spricht Kant in seiner Metaphysik der Sitten von der Pflicht in Ansehung tierlicher Wesen, die allerdings keine Pflicht gegen diese Wesen beinhalte: „In Ansehung des lebenden, obgleich vernunftlosen Teils der Geschöpfe ist die Pflicht der Enthaltung von gewaltsamer und zugleich grausamer Behandlung der Tiere der Pflicht des Menschen gegen sich selbst weit in-

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Doch es stimmt, dass für die Klärung des Tatbestandes auch die Wirkung beziehungsweise die Empfindungen von Zeugen der Quälerei oder des Misshandelns herangeführt wurden. Aber ist das zwangsläufig ein Ausdruck von Anthropozentrismus? Juristische Begründungen für den Tatbestand der öffentlichen Quälerei, der für diese These vor allem angeführt wird, lesen sich pragmatischer.80 Ein Beispiel ist Preußen. 1851 wurde im preußischen Strafgerichtsbuch die Formulierung durchgesetzt, nach der lediglich die öffentliche Tierquälerei verboten wurde. Zuvor wurde aber ein Vorschlag diskutiert, die boshafte Grausamkeit gegenüber Tieren als Grundsatz zu formulieren. Der Tatbestand der Öffentlichkeit spielte dabei keine Rolle. Eine Kommission befürchtete aber, es könne bei der Klärung legitimer Formen der Tiernutzung zu Problemen kommen. Außerdem wolle man bei der Untersuchung solcher Straftaten „lästiges Eindringen der Behörden in häusliche und Privatverhältnisse“ vermeiden.81 Deshalb wurde vorgeschlagen, Quälerei nur zu bestrafen, wenn sie öffentlich begangen wurde oder ein öffentliches Ärgernis darstellte. Bei der öffentlichen Tierquälerei ist Bestandteil des Tatbestandes, dass die Tat im Beisein dritter geschieht. Der Tatbestand des öffentlichen Ärgernisses muss dies nicht voraussetzen, er erlaubt es auch, ein von Dritten unbeobachtetes Leiden der Tiere zu bestrafen. Schließlich setzte sich der Tatbestand der öffentlichen Quälerei in Preußen und später auch im deutschen Reichsstrafgesetzbuch durch. Doch er hat seine Ursprünge nicht im philosophischen, sondern praktischen, ordnungspolitischen Bereich und war keineswegs unumstritten. Das erkennt auch Caspar. Dennoch geht er nicht soweit, die Behauptung zurückzuweisen, das frühe Tierrecht basiere im Gegensatz zum modernen Tierrecht auf anthropozentrischen Gesichtspunkten. Vielmehr befindet er die Sicht des Strafrechtlers Robert von Hippel aus dem Jahr 1891 „durchaus im Einklang mit der herrschenden Auffassung“ der damaligen Zeit82, dass Verbote der Tierquälerei primär der Abstumpfung des menschlichen Mitleids entgegenwirken sollten. Hippel betonte aber auch, dass der Schutz der Tiere aus rechtspraktischen Gründen mit dem Schutz der Empfindung des Mitleids gleichzusetzen sei:

niglicher entgegengesetzt, weil dadurch das Mitgefühl an ihrem Leiden im Menschen abgestumpft und dadurch eine der Moralität, im Verhältnisse zu anderen Menschen, sehr diensame natürliche Anlage geschwächt und nach und nach ausgetilgt wird“. Vgl. Kant 1911a, § 17, 443. 80 Vgl. Annex A1. 81 Vgl. Eberstein (1999, 103f.). 82 Caspar (1999, 264).

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„Nur dadurch also kommt die Bestrafung der Tierquälerei zustande, dass wir ein vielleicht vorhandenes tierisches Interesse mit vollster Zweifellosigkeit als unser eigenes menschliches Interesse empfinden.“83

Solche Aussagen zeigen, dass die Berücksichtigung von Mitleid, Rohheit, Bosheit oder öffentlichem Ärgernis im Tatbestand nicht per se einen anthropozentrischen Hintergrund haben muss, sondern oftmals eine methodische Funktion einnimmt. Es ist in der Tat schwer, jemandem wegen einer exzessiven Nutzung eines Tiers anzuklagen, wenn diese Ansicht nicht öffentlich geteilt wird und also ein ‚öffentliches Ärgernis erregt‘. In jedem Fall ist es unbegründet, aus solchen Formulierungen zu schließen, dass es den Menschen damals nicht um das Interesse der Tiere gegangen wäre. Ebenso abwegig ist es zu suggerieren, dass sich ihre Einstellung im 20. Jahrhundert grundlegend geändert habe. Das ist sowohl historisch als auch ideengeschichtlich unbegründet. Kant prägte bekanntermaßen die Vorstellung einer indirekten Tierethik, die primär der Schulung des moralischen Gefühls der Achtung dient. Sicherlich könnte ein stark verkürzter Rückschluss aus Kants These lauten: Wir sollten Tiere um unserer selbst, und nicht um ihrer willen schützen. Diese dubiose Position wird in der Tierethik kaum vertreten. Und auch wenn sie das täte, spräche dies nicht gegen den rechtsmethodischen Ansatz, menschliche Empfindungen zur Klärung des Tatbestandes der Quälerei oder Misshandlung heranzuziehen. Haltlos ist auch die Darstellung, mit der Abkehr von dieser Methode sei der Anthropozentrismus überwunden worden. Reformansätze im Kaiserreich und in der Weimarer Republik Wer ein Tier absichtlich quält oder roh misshandelt, wird […] bestraft. ENTWURF GUSTAV RADBRUCH

84

1871 wurde ein Strafrechtsparagraph zum Tierschutz ins neue kaiserliche Gesetzbuch übernommen. Er ist in Annex A2 abgedruckt. Daneben galten aber die Verordnungen der Länder weiter fort. Um diese unklare Lage zu beheben, wurde eine Reform des Tierschutzrechts im Zuge der Strafrechtsreform von 1909 diskutiert. Der Strafrechtler Hippel legte 1909 in seinem Entwurf die Formulierung

83 von Hippel (1898, 125). 84 Entwurf für ein deutsches Tierschutzstrafgesetz von Gustav Radbruch (SPD) zit. nach Eberstein (1999, 290).

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vor: „Wer Tiere boshaft quält oder roh misshandelt, wird mit Gefängnis oder Haft […] bestraft“.85 Hippel wollte das Kriterium der Erregung des Ärgernisses in der Öffentlichkeit aus dem Grundsatz des Gesetzes verbannen. Die inhaltliche Differenzierung der Strafbarkeit in ‚Misshandeln‘ und ‚Quälen‘ war im Zuge früherer Diskussionen um das preußische Strafrecht aufgetreten. Andere Partikularrechte hatten entweder nur das Quälen oder nur das Misshandeln unter Strafe gestellt, wobei zunächst von einer weitgehend synonymen Verwendung der Begriffe ausgegangen werden kann.86 Obwohl Hippel dies erkennt und die Nennung beider Begriffe als Pleonasmus bezeichnet, hielt er doch an dieser Doppelung fest. Er begründet dies damit, dass es sich um volkstümliche Begriffe handele, die dem Volk die Vorschrift anschaulicher machen.87 Hippels Reformansatz kam vor dem Ende des Kaiserreiches nicht mehr zur Umsetzung. In der Weimarer Republik wurde ein erster Entwurf für ein einheitliches Tierschutzstrafrecht von dem sozialdemokratischen Justizminister Gustav Radbruch 1922 eingebracht und im Reichstag diskutiert. Der Wortlaut wurde von Eberstein wieder veröffentlicht und ist in Annex A3 rezitiert.88 1927 wurde diese Formulierung als Reichstagsvorlage von allen Parteien diskutiert. Neben dem Ausmaß der Strafe ging es auch um die zu regelnden Attribute des Umgangs mit Tieren. So wurde in den Sitzungen zur Strafrechtsreform in den Jahren 1930 bis 1932 die Frage diskutiert, ob ‚absichtliches‘, ‚wissentliches‘, ‚boshaftes‘, ‚rohes‘ oder ‚grausames‘ Quälen verboten werden soll.89 Die Diskussionen zur Strafrechtsreform fanden unter dem Vorzeichen der extremen politischen Konfrontation dieser Zeit statt. Seit 1931 waren Vertreter der Deutschen Nationalen Volkspartei und der Nationalsozialistischen Partei Deutschlands den Verhandlungen über die Strafrechtsreform unter dem Vorsitz des parteilosen Wilhelm Kahl ferngeblieben. Dieser starb im Mai 1932 und da im Juli 1932 ein neuer Reichstag gewählt wurde, endete vorerst der Versuch, ein einheitliches Tierschutz-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich zu schaffen.

85 Eberstein (1999, 261). 86 Noch im Jahr 1832 hatte wurde ein Entwurf für das Preußische Gesetzbuch folgendermaßen formuliert: „Wer ein Thier, ohne eine besondere Nothwendigkeit, auf ungewöhnlich grausame Weise misshandelt, macht sich der Tierquälerei schuldig“.Vgl. Eberstein (1999, 100). 87 Vgl. von Hippel (1906). 88 Vgl. Eberstein (1999, 290). 89 Vgl. Eberstein (1999, 307f. und 315).

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Gleichschaltung des Tierschutzes – das Tierschutzgesetz von 1933 Die Verabschiedung des Tierschutzgesetzes im Jahr 1933 stand unter dem Vorzeichen der Gleichschaltung durch das totalitäre, nationalsozialistische Regime. Bereits 1933 bestimmte Innenminister Wilhelm Frick die Neuorganisation und Gleichschaltung der deutschen Tierschutzvereine.90 Offiziell erfolgte die Unterstellung der Vereine unter das Innenministerium im Jahr 1938. Unmittelbar nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten nahm das Reichsjustizministerium, seit 1932 unter Leitung von Franz Gürtner, die Ausarbeitung eines Strafgesetzes zum Tierschutz wieder auf. Nach dem Vorbild des Strafgesetzentwurfes von 1927 wurde im Juni 1933 eine Strafgesetznovelle beschlossen. Wie in der 1927 diskutierten Formulierung wurde danach bestraft ‚wer ein Tier roh misshandelt oder absichtlich quält […]‘.91 Zusätzlich waren seit Mai 1933 Mitarbeiter des Reichsinnenministeriums mit Entwürfen für ein einheitliches Reichstierschutzgesetz beschäftigt, das den Paragraphen im Strafgesetzbuch ablösen sollte. Die Macher des Gesetzes übernahmen dabei weite Teile der Vorarbeiten für die Reform aus der Weimarer Republik.92 Nach Vorlage von vier Entwürfen zwischen August und November 1933 trat am 24. November das neue Gesetz in Kraft. Die für die Tierhaltung wichtigen Formulierungen finden sich in Annex A.4. Die Arbeit im Ministerium brachte zwei neue Aspekte hervor, die den Grundsatz zum Tierschutz wesentlich veränderten und auch für das Reformvorhaben von 1972 relevant wurden: •



Die Einführung des vernünftigen, berechtigten Zweckes, mit der nunmehr Ausnahmen für Verbote leidensverursachender Haltungsformen gerechtfertigt werden konnten und die Definition der traditionellen Begriffe Tierquälerei und des Misshandeln.

Die prompte Willkür, mit der die Reform 1933 umgesetzt wurde, zeigt sich am Einfluss eines führenden Politikers, der mit dem Tierschutz sonst wenig zu tun hatte. Ein erster Entwurf aus dem Ministerium hatte sich auf das traditionelle Verbot der rohen Misshandlung und der unnötigen Qual beschränkt, ohne diese

90 Klueting (2003, 88). 91 Eberstein (1999, 319). 92 Vgl. Schröder (1970).

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Begriffe näher zu fassen.93 Wie Eberstein in seiner umfangreichen Analyse der Entstehung des Gesetzes herausfindet, ist es Reichsminister Hermann Göring, der in einer Stellungnahme auf diesen ersten Entwurf als einziger antwortet und verlangt, „die Begriffe ‚roh zu misshandeln und unnötig quälen‘ im Gesetz selbst genau zu definieren“.94 Der jagdbegeisterte Göring forderte ein rechtliches Instrument, mit dem die Grenzen des Schutzes von Tieren, etwa bezogen auf die Jagd oder die Landwirtschaft, markiert werden konnten und nennt selbst das „Angeln von Fischen“ oder „Kochen von Krebsen“ als Beispiele, die von der Strafbarkeit klarerweise ausgeschlossen werden müssen. 95 Daraufhin schlugen Beamte des Reichsinnenministeriums den Begriff des ‚vernünftigen, berechtigten Zwecks‘96 vor. Dessen Interpretation kann weitgefasster sein als die der unnötigen Quälerei, er kann zum Beispiel auch die Berechtigung von Traditionen, wie etwa Jagd oder Sportfischen, beinhalten. Die neue Formulierung stellt ein rechtliches Instrument dar, die Ausnahmen vom Verbot der Quälerei zu erleichtern. Dementsprechend nennen Kritiker später den vernünftigen Grund im Strafrecht eine Generalklausel, die alle Arten problematischer Handlungen gegenüber Tieren rechtfertigen kann.97 Die Vermutung, das Gesetz von 1933 habe eine nationalsozialistische Prägung, kann also folgendermaßen differenziert werden. Zentrale Formulierungen des Grundsatzes, insbesondere das Verbot des Quälens und Misshandelns, haben eine lange rechtliche Tradition und gehen auf Entwürfe aus der Weimarer Republik zurück, deren Verhandlung von der NSDAP zunächst boykottiert wurde. Auf der anderen Seite spricht viel dafür, dass die Einführung des vernünftigen Grundes, genauer gesagt die Spezifizierung der Quälerei als Zufügung von Leiden ohne vernünftigen Grund auf die Anregung Herrmann Görings zurückgeht. Die Verbindungen zwischen Tierschutz und nationalsozialistischer Ideologie lagen offen im Bereich der Schlachtvorschriften. Sie wurden zwar nicht vom Tierschutzgesetz geregelt, aber doch von der NSDAP propagandistisch genutzt und, entgegen früheren Bestrebungen der SPD um Gustav Radbruch, wieder mit

93 Eberstein (1999, 326): „Nach § 1 Abs. 1 war [im ersten Entwurf des Reichsinnenministeriums vom 17. August 1933] verboten, ein Tier roh zu misshandeln oder unnötig zu quälen. In §1 Abs. 2 wurden sieben Zuwiderhandlungen gegen dieses Verbot exemplarisch aufgezählt, so z.B. die Vernachlässigung und Überanstrengung eines Tieres […]“. 94 Eberstein (1999, 327). 95 Eberstein (1999, 327). 96 Vgl. Eberstein (1999, 325-337). 97 Vgl. Maisack (2007, 74).

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‚Tierschutz‘ in Verbindung gebracht.98 Bereits im April 1933, drei Monate nach der Machtergreifung, wurde das Gesetz über das Schlachten von Tieren verabschiedet, das implizit das koschere Schlachten im Reichsgebiet unter Strafe stellte und damit die jüdische Kultur bedrohte und die Freiheit der Religionsauslebung von Juden in Deutschland beschränkte.99 Wie bereits angesprochen wurde, diente als inhaltliche Begründung der Reform die propagandistische Darstellung, einen althergebrachten, anthropozentrischen Tierschutzes überwunden zu haben, der noch auf menschlichen Empfindungen und Interessen gründete. Stattdessen, so der Tenor, werde nun das „Tier des Tieres wegen“ geschützt.100 Diese vage Darstellung begleitete die Gleichschaltung des zivilgesellschaftlichen Engagements. Sämtliche Tierschutz- und Tierrechtsvereine hatten sich dem ‚Reichsbund für Volkstum und Heimat‘ einzugliedern, die Verleihung einflussreicher Vereinsposten wurde durch die NSDAP kontrolliert und gesteuert. Dadurch wurde Druck ausgeübt, dass diese Gruppen das als Tierschutz anerkannten, was von den Machthabern als solcher klassifiziert wurde. Sicherlich geschah das nicht nur ‚um der Tiere willen‘. Der nunmehr staatlich gelenkte Tierschutzsektor musste auch jene radikalen Tendenzen aufgeben, deren Kritik die NS-Instrumentalisierung einer vorgeblich ‚fortschrittlichen‘ Tierschutz-Politik gefährdet hätte.101 Bereits 1933 beteuert der einflussreiche Kommentator und Co-Autor des Gesetzes Giese, dass die Bestrebungen der Tierschutzvereine seit dem Erlass des Tierschutzgesetzes in „dieselbe Richtung wie die Bestrebungen der zuständigen Behörden“ gingen.102 Das war vom Regime beabsichtigt und es wurden Mittel der Bedrohung genutzt, um Kritik an den staatlichen Entscheidungen einzuschüchtern. Im September 1933 wurde etwa ein Tierrechtsverein, der sich für die Abschaffung von Tierversuchen einsetzte und sich damit implizit auch gegen die im Dezember erlassenen

98

Die Trennung zwischen dem Reichstierschutzgesetz und Regelungen zum Schlachten war bereits in der Weimarer Republik eingeleitet worden. Gustav Radbruch erklärte 1927 dazu, die Frage des Schächtens sei in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Religionsfreiheit und nicht des Tierschutzes zu betrachten. Vgl. Klueting (2003, 80).

99

Vgl. Klueting (2003, 81), Caspar (1999, 278) und Pfeiffer (2004, 39). Nach Kriegsende wurde das Verbot ritueller Schlachtungen unter Berücksichtigung seines antisemitischen Hintergrundes wieder außer Kraft gesetzt.

100 Vgl. Skopnik (1934, 11f.). 101 Dirscherl (2012, 129f.) und Roscher (2012, 36). 102 Giese zit. nach Dirscherl (2012, 130).

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Vorschriften wandte, wegen „Staatsgefährdung“, „pazifistischer Betätigung […] und Ärztefeindlichkeit“ bei der Geheimen Staatspolizei angezeigt.103 Bezogen auf die Agrartierhaltung ließ sich mit einem veterinärmedizinisch begründeten Tierschutz die Leistung der Tierhaltung verbessern und gleichzeitig die Ausgrenzung nicht-regimekonformer Forderungen rechtfertigen, indem ihnen die Wissenschaftlichkeit abgesprochen wurde. So konnten veterinärmedizinische, leistungsfördernde Maßnahmen in der Tierhaltung als ‚Tierschutz‘ gelten, ohne dass dies ethisch hinterfragt wurde, denn Veterinärmedizin war mit ethischen Grundsatzfragen nicht vertraut. Gerechtigkeitsfragen blieben in der Beratung des Gesetzes ebenso ungeklärt wie die Rolle menschlicher Emotionen. Die Abwägung zwischen tierlichen und Tiernutzungsinteressen, die man von einer Tierschutzpolitik erwartet, blieb ungeregelt. Kritik an diesem Vorgehen wäre einer Systemkritik gleichgekommen. Der Alliierte Kontrollrat sprach dem Tierschutzgesetz von 1933 nach dem Zweiten Weltkrieg einen nationalsozialistisch-ideologischen Charakter ab. Der Wortlaut des Reichstierschutzgesetzes vom 24. November 1933 wurde als vorkonstitutionelles Recht über die alliierte Kontrollratsgesetzgebung in das westdeutsche, bundesrepublikanische Recht übernommen. Auch in der Deutschen Demokratischen Republik galt es später fort. Die Gültigkeit des Gesetzes in der Bundesrepublik wurde 1950 vom Oberlandesgericht Hamm bekräftigt.104

Z WISCHENFAZIT

ZUM

H INTERGRUND

DER

R EFORM

Gesellschaftlicher Hintergrund In den 1960er Jahren wirkten im Bereich der Agrartierhaltung die gesellschaftlichen Umwälzungen der Zeit. Medizinischer und technischer Fortschritt forcierten die intensive Tierhaltung und -zucht auf engem Raum unter dem Vorzeichen der effektiveren und rentablen Ausnutzung tierlicher Leistungen. Obwohl dieser Umstand historisch nicht hinlänglich erforscht ist, zeigt eine erste Quellensichtung, dass sich an der Rationalisierung und Industrialisierung des Sektors damals eine gesellschaftliche Kritik ausrichtete, die vor allem von Emotionen wie Empörung, Angst und Mitleid getragen wurde. Die Kritik hatte zwei Seiten der Bedrohung für den agrarischen und angelagerten verarbeitenden Sektor. Sie bedrohte die finanziell lukrativen, neuen Formen der Tierhaltung über rechtliche

103 Dirschl (2012, 129). 104 Vgl. Caspar (1999, 278).

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Verbote, und sie schädigte das positive Image der Landwirtschaft, welches für die Werbung von Produkten und die Rechtfertigung der Subventionierung des Sektors wichtig war. Eine rechtliche Schlichtung des Konfliktes war also nicht nur im Interesse des Tierschutzes, sondern auch in dem der Agrarwirtschaft. Rechtlicher Hintergrund Die Registrierung menschlicher Empfindungen wurde im tierrechtlichen Kontext des 19. Jahrhunderts zur Klärung des Tatbestandes der Tierquälerei herangezogen. Gefragt wurde dabei zum Beispiel, wann eine Handlung ein öffentliches Ärgernis darstellt oder auf andere Menschen boshaft wirkte. Unberechtigt kam dieser Ansatz mit der Kritik in Verbindung, dass Tierschutz nicht bloß den Schutz menschlicher Empfindungen zum Ziel haben sollte. Die bis heute verbreitete juristische Rhetorik, ein sogenannter ethischer Tierschutz um der Tiere willen habe im 20. Jahrhundert einen gefühlsbetonten anthropozentrischen Tierschutz abgelöst, wurde in der propagandistischen Darstellung des Tierschutzgesetzes von 1933 geprägt. Sie ist schon deshalb ungerechtfertigt, weil auch dieses Gesetz Nutzungsinteressen der Menschen gegenüber Tieren legitimierte, die dem Vorwurf des ethischen Anthropozentrismus unterliegen. Ob Tiere im staatlichen Tierschutz um ihrer oder um der Menschen willen geschützt werden sollten, ist bereits deshalb eine unklare Frage, weil sie die Möglichkeit ausschließt, dass beide Optionen zutreffen. Die Berücksichtigung moralischer, ‚sittlicher‘ Gefühle der Menschen kann eine Methode zur Klärung von Tatbeständen sein, ohne dass es dabei ausschließlich um die Interessen von Menschen gehen muss. Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, wenn die besagte Rhetorik von Juristen heute noch unkritisch aufgegriffen wird.

Erste Reformansätze (1960 – 1966)

D ER D ISKUSSIONSENTWURF

DES

BML VOM J UNI 1960

Schon in den frühen 1950er Jahren bearbeitete das BML Anfragen zur Reform des Tierschutzgesetzes. 1 Allerdings war die BML-Leitung lange nicht von der Notwendigkeit einer Reform überzeugt: Im Juli 1959 verkündete das Ministerium, es vertrete „die Auffassung, dass das derzeitige gültige Deutsche Tierschutzgesetz ausreichend sei“ und es beabsichtige nicht, sich mit einem neuen Entwurf des Tierschutzgesetzes zu befassen.2 Dennoch trafen sich im November 1959 Vertreter des Landwirtschafts- und Justizministeriums mit dem Geschäftsführer der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft, Wolfgang Burhenne, sowie mit einem Vertreter des DTSB, um über eine Reform zu beraten.3 Die Arbeitsgemeinschaft plante, einen Initiativantrag aller Fraktionen dazu einzubringen.4 Nach Verständigung mit dieser Arbeitsgemeinschaft im November 1959 begann das BML schließlich mit der Ausarbeitung des Entwurfes.5 Pfeiffer bemerkt, dass „anhand der Unterlagen nur schwer nachzuvollziehen“ sei, woher der „plötzliche Sinneswandel“ des BML kam, sich nun doch für die Tierschutzreform zu engagieren.6 Ein Vermerk aus den Akten des BML vom September

1

Vgl. Pfeiffer (2004, 50ff.). Die Frage, ab wann das BML endgültig die führende Funktion in der Bearbeitung des staatlichen Tierschutz übernommen hat, lässt sich nicht eindeutig klären.

2 3

BA Koblenz, B136/86666. Die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft e.V. hat gemäß ihrem Statut die Aufgabe, die Zusammenarbeit unter Parlamentariern verschiedener Parteien und politischen Institutionen zu fördern.

4

BA Koblenz, B116/19573.

5

Pfeiffer (2004, 60).

6

Ebd.

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1959 bietet eine mögliche Erklärung. Demzufolge waren Führungsbeamte des BML offenbar unsicher, wie sie sich zur Initiative der MdB verhalten sollten. Die geplanten Gesetzesänderungen zur Haltung von Tieren betrafen einen politisch sensiblen Bereich. Insofern bestand Interesse, Einfluss auf den Entwurf auszuüben. Allerdings, so gibt ein hoher Beamter des BML gegenüber dem Staatssekretär zu, dürften in einem solchen Entwurf zahlreiche in seinen Worten „unwesentliche und übertriebene Änderungsvorschläge“ von Tierschützern „aus sachlichen Gründen“ nicht zum Zuge kommen und es müsse deshalb mit „dauernden Angriffen aus der Presse“ gerechnet werden. 7 Dem Staatssekretär wurde daher nahegelegt, die Initiative den Fraktionen zu überlassen und lediglich Formulierungshilfen zu leisten. Der Sinneswandel im BML wäre demnach ein Resultat einer Abwägung zwischen anfänglicher Vorsicht, sich dem politisch sensiblen Thema überhaupt zu widmen und der Einsicht in die Möglichkeit, einen Entwurf im eigenen Sinne beeinflussen zu können. In dem relativ kurzen Zeitraum von November 1959 bis Juni 1960 erarbeitete das BML sechs Entwürfe, deren letzter als Diskussions-Entwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums zu einem Tierschutzgesetz bezeichnet wird, jedoch nicht öffentlich diskutiert wurde und lange unveröffentlicht blieb. Zentrale Formulierungen sind im Annex B1 abgedruckt. Der Entwurf muss als Annäherung an die Entwürfe der Tierschutzvereinigungen gesehen werden.8 § 1 und § 2 unterschieden sich nicht maßgeblich vom dem damals gültigen Gesetz. Die Definition des Verbots des unnötigen Quälens und der Misshandlung erfolgte ähnlich wie beim Gesetz von 1933, als Zufügung von Leiden und Schmerzen ohne berechtigten Zweck bzw. verwerfliches Handelns. Dann wurden Verbote konkreter Haltungsmaßnahmen formuliert. In § 2, Punkt 11 wurde das Verbot formuliert, „Geflügel […] in Legebatterien zu halten“. Damit wurde erstmals von Seiten des BML die Käfighaltung, eine typische Form intensiver Haltungsmethoden, implizit zur unnötigen Quälerei bzw. Misshandlung erklärt. Ein Kuriosum, auf das Pfeiffer in seiner historischen Analyse nicht weiter eingeht. Das bereits erwähnte Schreiben des Lobbyisten Müller nimmt auf den Entwurf Bezug. Es trifft unmittelbar nach dem der Erstellung des Diskussionsentwurfes im Juli 1960 im Ministerium ein. Müllers Aufforderung, den Paragraphen zu verhindern, „in dem die modernen Eierproduktionsanlagen verboten werden“, bezog sich demnach auf §2, Punkt 11 dieses Entwurfes. 9 Die Streichung von

7

Das lässt sich dem Schreiben des Ministerialdirektors Störiko an den damaligen Staatssekretär im BML entnehmen. Vgl. BA Koblenz, B116/19573.

8

Vgl. Pfeiffer (2004, 62).

9

BA Koblenz, B116/19573.

E RSTE REFORMANSÄTZE

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Punkt 11 allein hätte agrarische Anliegen aber nicht vollends befriedigt. Denn damit war keine langfristige Planung von Investitionen möglich. Das Verbot hätte einfach in einer nächsten Legislaturperiode wieder als Vorschlag eingebracht werden können. Auch Verbote anderer Tierhaltungsverfahren hätten unter §2, als Qual, Misshandlung, verwerfliches oder gefühlloses Handeln, ohne weiteres im Bundestag verhandelt werden können.

D ER G ESETZESENTWURF VOM D EZEMBER 1961 (D RUCKSACHE IV/85) Der Diskussionsentwurf wurde an die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft um Burhenne übergeben, die ihn dann im Dezember 1961 als Entwurf Bundesdrucksache IV/85 offiziell einbrachte. Auszüge daraus befinden sich im Annex B2. Erstgenannte Antragsteller waren drei MdB, der Jurist und Verleger Otto Schmidt für die CDU, der Diplomlandwirt und ehemalige Agrarhändler Harri Bading für die SPD, sowie der Kaufmann und ehemalige Getreidegroßhändler Robert Margulies für die FDP.10 Die Drucksache war die erste Vorlage für ein neues Tierschutzgesetz vor dem Deutschen Bundestag nach 1945. In der offiziellen Begründung bekräftigten die Antragsteller zunächst die oben problematisierte Rhetorik des ‚ethischen‘ Tierschutzes aus dem Gesetz von 1933: „Gegenüber den unzulänglichen älteren Strafrechtsvorschriften wurde nicht mehr abgestellt auf die Verletzung menschlicher Empfindungen, die sich im Mitgefühl mit dem Tier äußern, vielmehr wurde von jetzt ab das Tier um seiner selbst willen geschützt.“11

Der Begründung zufolge gäbe es dennoch mit dem gültigen Gesetz bestimmte juristische Unklarheiten. Bezogen auf die strafgerichtliche Praxis sei eine ‚Zurückhaltung‘ im Hinblick auf die Beurteilung des bedingten Vorsatzes zu erkennen. Ein bedingter Vorsatz beschreibt juristisch, wenn ein Täter die Folgen seiner Handlung, die in den Tatbestand münden, zwar nicht zum Ziel hat, vor der Tat aber billigend in Kauf nimmt oder für möglich hält. In der deutschen Rechtsprechung impliziert der bedingte Vorsatz unter Umständen eine Strafbarkeit bzw. eine zivilrechtliche Verantwortung.12 Der bedingte Vorsatz war demnach

10 Vgl. Vierhaus und Herbst (2002a) und Vierhaus und Herbst (2002b). 11 BTDS IV/85, S. 6. Diese Darstellung wurde vom DTSB mitgetragen. Eine nahezu gleiche Wortwahl findet sich in einem Reformvorschlag des DTSB aus den Jahr 1957. 12 Vgl. Kühl (2012).

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auch für die Strafbarkeit von damaligen Haltungsformen in der Landwirtschaft relevant. Die ‚Zurückhaltung‘ könnte auf Unklarheiten hindeuten, wie der bedingte Vorsatz auf Fragen der Tierhaltung angewendet werden soll. Schließlich, so die Begründung, spreche eine „Vertiefung“ des „sittlichen Bewusstseins“ der Deutschen „nach den Erfahrungen seiner jüngsten Geschichte“ für die Reform.13 Was genau das bedeuten sollte, blieb offen. §1 Absatz 1 des Entwurfes formuliert das Verbot der Qual und der Misshandlung von Tieren, jedoch entfallen dabei im Vergleich zum damals gültigen Recht die Attribute des Vorsatzes in Form der Adjektive ‚unnötig‘ und ‚roh‘. Anders als im Gesetz von 1933 erfolgt die Forderung der Abwägung eines ‚vertretbaren Verhältnisses‘ zwischen Mittel und Zweck einer Beanspruchung der Tiere. Die Forderung nach dem vertretbaren Verhältnis ist eine wichtige Komponente der Güter- und Interessenabwägung innerhalb des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Bundesrecht.14 Die umgangssprachlich und moralisch anmutende Formulierung des ‚verwerflichen Handelns‘, die im Diskussionsentwurf noch die Unnötigkeit näher definierte, wird durch den ‚billigenswerten Zweck‘ ersetzt. Der Entwurf sah auch vor, Tierschutz- und Schlachtregelungen zusammenzulegen.15 In zwei Punkten war man zwar den Interessen der Agrarwirtschaft etwas entgegengekommen. Das strafrechtliche Verbot der Batteriehaltung für Hühner, im Diskussionsentwurf noch in §2, Punkt 11, verankert, war zwar im Entwurf nur noch eine Ordnungswidrigkeit. In §7 (2) heißt es: „Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich Geflügel durch Stopfen (Nudeln) zur Futteraufnahme zwingt oder in Legebatterien hält.“

Doch sah der Entwurf vor, dass das BML Rechtsverordnungen über die Haltung von Tieren erlassen und damit die Haltungsbedingungen langfristig stabil definieren konnte. Der Entwurf stand dennoch immer noch im scharfen Gegensatz zu den wirtschaftlichen Interessen von Betreibern der sogenannten ‚Eierproduktionsanlagen‘. Immerhin wurde angedeutet, eine Produktionsweise zu verbieten, die in den folgenden Jahrzehnten zu einem äußerst profitablen Geschäft wurde. Und es drohte immer noch die gleiche Gefahr wie im Diskussionsentwurf, nämlich Bundestagsdebatten über weitere Verbote von industriellen Tierhaltungsverfahren. Die Ermächtigung des BML, dies über Verordnungen zu regeln, war noch nicht konkret genug, um solche Debatten zu verhindern.

13 BTDS IV/85, S. 6 und Maisack (2007, 44). 14 Vgl. Maisack (2007, 45). 15 Vgl. Annex B2.

E RSTE REFORMANSÄTZE

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S CHEITERN DES G ESETZESENTWURFES IV/85 Von Tierschutzverbänden erhielt der Entwurf IV/85 positive Resonanz.16 Er kam aber nicht zu seiner Umsetzung. Als Grund nennt Christoph Maisack „verfassungsrechtliche Bedenken der Länder“.17 Er bezieht sich auf die offizielle Rechtfertigung der Ablehnung durch involvierte Ministerien, dass notwendige Kompetenzen des Bundes damals noch nicht durch das Grundgesetz geregelt waren, sondern den Ländern die Umsetzung des Tierschutzes zukam. 18 In der Rechtfertigung heißt es, dass man sich um eine „fortschrittliche Gestaltung des Tierschutzrechtes bemühe“, aber Gründe der „Gesetzgebungsökonomie“ gegen eine baldige Reform sprächen.19 Auch wenn die Datenlage die Gründe des Scheiterns des Entwurfes nicht vollständig zeigen kann, spricht einiges dafür, dass es zumindest nicht nur formelle Zuständigkeiten waren, die den Reformanlauf scheitern ließen. Hans-Jürgen Weichert, der als Vorsitzender des Bundes der Tierfreunde Hamburg in das Vorhaben involviert war, behauptet im Mai 1964, das BML gehöre zu den „Hauptgegnern“ der Ratifizierung des Entwurfes IV/85 und „torpediere“ es.20 Außerdem zeigen Aussagen in den Bundestagsdebatten, dass nötige Initiativen zur Regelung der Zuständigkeitsfragen von den zuständigen Mitgliedern der Ausschüsse möglicherweise unzureichend entfaltet wurden. MdB Hermann Schmitt-Vockenhausen kritisierte den Abgeordneten Rollmann, sich als Mitglied des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform nicht für eine Bundeskompetenz im Bereich Tierschutz eingesetzt zu haben.21 Der Abgeordnete Rollmann spricht später von einer „unüberwindlichen Mauer“, die sich im Sonderausschuss gegen die Umsetzung des Vorschlages und gegen die Schaffung einer Bundeskompetenz zum Tierschutz aufgebaut habe.22

16 BA Koblenz, B116/50088. 17 Maisack (2007, 45). 18 Vgl. PA, Akte VI-285-B, 36. 19 PA, Akte VI-285-B, 36. Pfeiffer (109, S.109f.) zitiert auch Konrad Adenauer dahingehend, verfassungsrechtliche Bedenken über Zuständigkeitsfragen hätten zum Scheitern des Entwurfes geführt. 20 Vgl. BA Koblenz, B116/19579. 21 Vgl. Schmitt-Vockenhausen in Sten. Ber. 1969, 246. Sitzung, Band 70, S. 13706. Rollmann wurde zu Beginn der fünften Wahlperiode ordentliches Mitglied des Sonderausschusses für die Strafreform und war stellvertretendes Mitglied des Agrarausschusses. Vgl. Vierhaus und Herbst (2002c). 22 Sten. Ber. 1969, 246. Sitzung, S. 13707.

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Es wäre zu einfach, das Scheitern des Entwurfes IV/85 mit verwaltungstechnischen Zuständigkeitsfragen zu erklären. Das ergibt sich vor allem daraus, dass im September 1966 dem Bundestag ein Entwurf vorgelegt wurde, der sich in zentralen Formulierungen und inhaltlichen Auslegungen vom Entwurf IV/85 unterscheidet, ohne dass die Kompetenzfrage des Bundes und der Länder dies erfordert hätte. Vor allem fehlte in den folgenden Entwürfen das Verbot der Batteriehaltung.

E IN PLÖTZLICHER V ORSTOSS : E NTWURF V/934 Zu Beginn der fünften Wahlperiode, im Januar 1966, wurde die Bundesregierung durch einen Initiativantrag der SPD aufgefordert, einen neuen Entwurf für ein Tierschutzgesetz vorzulegen.23 Das Vorhaben wurde von der CDU/CSU und der FDP mitgetragen und als Bundestagsbeschluss einstimmig angenommen. Auf Beschluss des Ältestenrates hin wurde auf eine Debatte im Bundestag dazu verzichtet.24 Dieser Vorstoß fällt genau in die Zeit des Erfolges von Harrissons Tiermaschinen und des oben geschilderten Protests gegen die Intensivmast von Kälbern. Allerdings wird bei der Antragstellung noch nicht explizit auf die agrarische Tierhaltung eingegangen. Fritz Büttner (SPD) erklärt im März 1966 in der Begründung des Initiativantrages, er wolle auf die „Vielschichtigkeit der Problematik“ des alten Gesetzes nicht detailliert eingehen, sondern hoffe vielmehr, dass die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages zustimmen würde, dass dringend ein besseres Tierschutzgesetz erforderlich wäre.25 Er spricht damit implizit alle Bereiche des Gesetzes an, zum Beispiel auch den der Tierversuche. Zum Entwurf IV/85 und den Gründen seines Scheiterns nimmt er keine Stellung. Auch Dietrich Rollmann, der für die CDU die Wortführerschaft übernimmt, deutet in seiner an Büttner anschließenden Rede lediglich an, dass „Erfahrungen“ Anlass dazu gegeben hätten, ein verbessertes Tierschutzgesetz zu verabschieden. 26 Zum Entwurf IV/85 erklärt Rollmann, die Überlastung des Rechtsausschusses habe dessen Verabschiedung in der vierten Legislaturperiode „leider“ verhindert.27 Weiterhin betont er, es habe sich gezeigt, dass „Fragen des Tierschutzes alle Parteien gleichermaßen interessieren“ und es dabei keine Parteidif-

23 BTDS V/182. 24 Sten. Ber. 1966, 27. Sitzung, S. 1231 25 Sten. Ber. 1966, 27. Sitzung, S. 1230. 26 Ebd. 27 Sten. Ber. 1966, 27. Sitzung, S. 1230.

E RSTE REFORMANSÄTZE

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ferenzen gäbe.28 Am Rande einer Anfrage des Hamburger SPD-Abgeordneten Rolf Meinecke im Juni 1966, die den Bundeslandwirtschaftsminister Herrmann Höcherl mit der Kritik an „modernen Mastmethoden“ konfrontierte, stellen Rollmann und Büttner die von ihnen betriebene Reform des Tierschutzgesetzes dann als Möglichkeit dar, der „wachsenden Beunruhigung“ über intensive Haltungsformen entgegenzuwirken.29 Dem Antrag BTDS V/182 wurde entweder vom BMJ oder dem BML entsprochen. Es existiert ein an den Bundestag adressierter Entwurf vom April 1966, der jedoch keine Verfasser nennt. Dieser Entwurf enthielt die gleiche Grundregel wie der Entwurf IV/85: Niemand darf ein Tier unnötig quälen oder roh misshandeln. Daraus konnten dann wie gehabt konkrete Verbote von Tierhaltungsformen abgeleitet und vom Bundestag verabschiedet werden. Die Regelung der Zuständigkeiten der Länder und des Bundes ließ sich mit diesem Grundsatz vereinen. Allerdings wurde dieser Entwurf öffentlich nicht weiter diskutiert. 30 Denn vorher, wann genau ist nicht festzustellen, hatte die Interparlamentarische Arbeitsgruppe um Rollmann und Büttner mit der Ausarbeitung eines eigenen Entwurfes begonnen, diesen im Juli 1966 fertiggestellt und in die Debatte eingebracht. Dieser Entwurf wurde dann dem Bundestag am 22. September 1966 als Drucksache V/934 vorgelegt. Relevante Passagen sind im Annex B3 abgedruckt. Antragsteller bleiben weiterhin die MdB Schmidt und Bading, für die FDP übernahm der Abgeordnete Werner Mertes diese Funktion. Für die CDU erscheint neben Schmidt aber nun auch Dietrich Rollmann, der sich bereits für den Initiativantrag stark gemacht hatte. Er blieb seitdem eng mit dem Reformprozess verbunden. Bereits im März 1966, während die Interparlamentarische Arbeitsgruppe an ihrem Entwurf arbeitete, wird Rollmann zusammen mit dem MdB Fritz Büttner im Hamburger Abendblatt als ‚Wortführer der Tierschützer‘ bezeichnet. Ihr Hauptanliegen an der Reform des Tierschutzgesetzes wird in dem Beitrag mit den Worten Büttners wiedergegeben: „Er [der Begriff der Tierquälerei] muss enger gefasst werden. Die Richter sind zu sehr auf eine subjektive Auslegung angewiesen.“31

28 Sten. Ber. 1966, 27. Sitzung, S. 1231. 29 Sten. Ber. 1966, 48. Sitzung, S. 2315. 30 Vgl. Pfeiffer (2004, 118f). Der Entwurf ähnelte in zentralen Punkten dem gültigen Gesetz. Er ist in den Akten des Bundeslandwirtschaftsministeriums im BA Koblenz erhalten. 31 Hamburger Abendblatt vom 12. März 1966 in BA Koblenz, B 116/19575.

64 | TIERSCHUTZ ALS A GRARPOLITIK

Oben wurde gezeigt, dass dies bereits durch die Definition des Grundsatzes im Gesetz von 1933 versucht wurde. Wie noch deutlich wird, führte der Versuch diesmal dazu, die Begriffe Quälerei und Misshandlung gänzlich aus dem Grundsatz zu verbannen, ebenso wie das Verbot der Legebatteriehaltung.

D IE B UNDESTAGSDEBATTE

VOM

O KTOBER 1966

Anhand der Bundestagsdebatte zum Entwurf V/934 wird nun herausgearbeitet, wie die involvierten MdB den neuen Ansatz rechtfertigten. Der Entwurf wurde nur einmal, in der 64. Sitzung im Oktober 1966, vor dem Bundestag vorgestellt. Er nimmt in vielen Aspekten den 1972 ratifizierten Entwurf vorweg. Die Reden vor dem Bundestag zu dessen Erklärung sind daher von großer Bedeutung für die deutsche Tierschutzpolitik, wurden aber in der Sekundärliteratur bisher nicht näher rezitiert und interpretiert. Dietrich Rollmann präsentierte und verteidigte den Entwurf als erster Redner der Sitzung. Er unterstützt die vom BML offiziell vertretene Darstellung, nach der das Scheitern des Entwurfes IV/85 verwaltungstechnisch bedingt gewesen sei und der präsentierte Entwurf dieses Problem gelöst habe. Auf Formulierungsänderungen und das fehlende Verbot der Batteriehaltung geht er nicht ein. Dann nennt er generelle Gründe für die Notwendigkeit einer Reform, die nunmehr suggerieren, dass sie auch gegen die Formulierungen des Entwurfes IV/85 sprechen. • • •

Eine neue Empfindlichkeit in der Öffentlichkeit gegenüber dem Tierschutz, neue Formen in der Agrartierhaltung, „an die der Gesetzgeber [von 1933] nicht denken konnte“ sowie neue Kenntnisse aus „Wissenschaft und Forschung“ über das Tier.32

Alle diese „Erkenntnisse und Erfahrungen“ mündeten in den Worten Rollmanns in einem neuen Grundsatz zum staatlichen Tierschutz, auf den die einzelnen Paragraphen ausgerichtet sind: „Niemand soll ein Tier ohne vernünftigen Grund töten oder ihm Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“33

32 Rollmann, Sten. Ber. 1966, 64. Sitzung, S. 3122. 33 Ebd.

E RSTE REFORMANSÄTZE

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Dass es sich dabei grundlegend um die 1933 eingebrachte Definition des unnötigen Quälens (s. oben) handelte, sagt er nicht. Rollmann erläutert den neuen Ansatz als Fortschritt für den Tierschutz dahingehend, dass im bisherigen Gesetz nur das Quälen bzw. Misshandeln verboten wurde, „nicht aber auch das Recht auf Leben“.34 Warum vom Begriff der Tierquälerei und dem verwerflichen Handeln Abstand genommen wurde, erklärt Rollmann nicht. Auch was die Abwägung des Leidens- und Tötungsverbotes mit dem vernünftigen Grund für die Agrartierhaltung bedeutet, bleibt unerklärt.35 Der gelernte Werbekaufmann Rollmann nennt es ein ‚Gebot positiver Fürsorge‘, dem Tier nicht nur Schmerzen oder Schäden, sondern auch Leiden zu ersparen. Inwiefern der Schutz vor Leidzufügung eine positive, und nicht wie gewöhnlich eine negative Pflicht ist, erklärt er nicht, und das wird auch nicht nachgefragt. Explizit spricht er die Regelung der „in der Öffentlichkeit so heiß umstrittenen“ neuen Intensivtierhaltung an.36 Die Konflikte hätten die Antragsteller veranlasst, diese Formen der Tierhaltung „persönlich in Augenschein zu nehmen“.37 Auf Grundlage dieses Besuches und des Abgleichs mit zwei wissenschaftlichen Studien38 seien die Antragsteller zum Schluss gekommen, dass die Beurteilung des Verbotes von Haltungsformen an neu zu bestimmende Bedin-

34 Ebd. 35 Rollmann erwähnt den vernünftigen Grund sonst nur noch im Zusammenhang des Tötens von Tieren: „Damit es nicht beim bloßen Gebot [des Rechtes auf Leben] bleibt, schlagen wir vor, dass das ohne vernünftigen Grund erfolgte Töten von Wirbeltieren […] bestraft werden soll“. Vgl. Rollmann, Sten. Ber. 1966, 64. Sitzung, Band 62, S. 3123. 36 Sten. Ber. 1966, 64. Sitzung, S. 3123. 37 Das Deutsche Tierärzteblatt (1966, 256) berichtet von diesem Besuch. Organisiert wurde die Fahrt vom Verband Deutscher Wirtschaftsgeflügelzüchter. Der Besuch muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass Landwirte besonders nach der medienwirksamen Veröffentlichung von Harrissons Tiermaschinen im Jahr 1965 unter Druck standen. Wie das Tierärzteblatt berichtet, hätten während der Diskussion mit Landwirten die Vertreter aller Parteien zum Ausdruck kommen lassen, dass die Diskussion über dieses Thema frei von Emotionen zu führen sei. Es wird deutlich, dass die emotionale Kritik von Landwirten als problematisch befunden wurde. Als Ergebnis der Fahrt hätten die Abgeordneten eingesehen, dass die intensive Batteriehaltung von Hühnern ‚nicht kongruent mit der Tierquälerei‘ sei. 38 Rollmann erwähnt die 1965 im Auftrag der britischen Regierung von Prof. Roger Brambell erstellte Studie, den politisch einflussreichen sogenannten Brambell Report sowie ein Gutachten des Deutschen Veterinärmedizinischen Fakultätentages.

66 | TIERSCHUTZ ALS A GRARPOLITIK

gungen geknüpft werden müsse.39 Die Bedingungen selbst stellte er nicht zur Debatte, weil sie zu viel ‚Fach-und Sachkenntnis‘ erforderten, um darüber im Bundestag zu streiten. Es „überfordere“ den Bundestag, über diese „sehr ins einzelne gehenden Bedingungen“ zu entscheiden.40 Die Regelungen zur Aufzucht und der Mast der Tiere, und vor allem auch das Verbot der Batteriehaltung, sollten nunmehr ausschließlich in den Verwaltungsbereich der Exekutive fallen. Wie mit der moralische Dimension der Beurteilung, die im Begriff ‚verwerflich‘ des alten Entwurfes zum Ausdruck kam, bei der Erarbeitung von Verordnungen umgegangen werden sollte, blieb unklar. Auch dies fällt scheinbar in den Bereich der Detailfragen, über die der Bundestag nicht entscheiden sollte. Als inhaltliche Grundlage für die Verordnungsregelung nennt er lediglich „natürliche Bewegungs- und Gemeinschaftstriebe“. Deren wissenschaftliche Feststellung sollte die Eindeutigkeit der Urteile gewährleisten.41 Abschließend fasst Rollmann die erwünschten Folgen der Reform für die Landwirtschaft zusammen. Tierhalter sollten sich der „neuen Produktionsmethoden bedienen können“, ohne zu befürchten, die durch den Tierschutz definierten Grenzen ihrer Handlungsfreiheit „irrtümlich zu verkennen“.42 Das spielt auf die von der Agrarwirtschaft geforderte Investitionssicherheit und die juristische Frage des bedingten Vorsatzes an. Es äußerten sich drei weitere Redner, von denen zwei als Unterzeichner des Entwurfs für ihre Parteien erscheinen. Ebenso wie Rollmann lässt Fritz Büttner als Wortführer des Vorhabens für die SPD das Parlament nicht wissen, wer genau den Entwurf erarbeitet hat, ob etwa das BML dabei mitgewirkt hatte. Es komme nicht darauf an, „wer sich die meisten Verdienste“ um die neue Konzeptionierung erworben habe.43 Die einzelnen Paragraphen will auch Büttner nicht näher erläutern. Er weist aber darauf hin, dass der Begriff der Tierquälerei im alten Gesetz unklar gewesen sei. Dieser müsse „klargestellt und klar umrissen werden“.44 Dass der Begriff für diese Klarstellung aus dem Grundsatz ganz verschwinden musste, und wie diese Klarstellung ethisch fundiert ist, wird von keinem der Abgeordneten kritisch hinterfragt.

39 Sten. Ber. 1966, 64. Sitzung, S. 3123. 40 Ebd. 41 Vgl. Annex B3. 42 Sten. Ber. 1966, 64. Sitzung, S. 3123. 43 Ebd. 44 Ebd.

E RSTE REFORMANSÄTZE

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Auch Wolfgang Rutschke, der den Entwurf für die FDP unterzeichnet, geht nicht näher auf die genau Konzeption und die Formulierungen des Gesetzes ein, sondern legt seine persönlichen Ansichten zum Mensch-Tier-Verhältnis dar. Die wissenschaftliche Forschung, insbesondere der Verhaltenslehre, habe gezeigt, wie ähnlich Menschen und Tiere einander sind. Konrad Lorenz habe festgestellt, „dass sich beim Tier wie beim Menschen im Wesentlichen dieselben psychologischen Voraussetzungen und Reaktionen finden […]“. 45 Rutschke drückt die Hoffnung aus, dass der Tierschutz „ein Probierstein für die Echtheit und Wahrhaftigkeit“ menschlichen Gefühls und menschlicher Werte werde. Mit anderen Worten: Es werde sich wissenschaftlich zeigen lassen, wie angemessen das Mitgefühl mit Tieren ist. Auch der bereits erwähnte CDU-Abgeordnete Hammans geht nicht näher auf die Beurteilung der Agrartierhaltung ein, sondern beschränkt sich nach eigenen Worten auf etwas „Grundsätzliches, […] ein paar ganz kurze Gedanken zum Verhältnis Mensch und Tier“.46 Die christliche Ethik gegenüber Tieren nennt er eine ‚bindende Aufgabe‘, allerdings habe das Tier danach dem Menschen zu dienen und müsse sich diesem in der Hierarchie unterordnen. Mit dem Entwurf des Tierschutzgesetzes gehe eine positive, „weitere Humanisierung auf rechtlicher Basis“ einher.47 Die Einordnung der Tiere in ihre Hierarchie verlange es, nicht emotional auf die Situation der Tiere zu reagieren. Hammans charakterisiert mit folgender Aussage das neue Konzept, dessen Rhetorik in späteren Rechtfertigungen für die Gesetzesänderung noch Prominenz erlangen wird: „Ein Biologe wird, wie viele andere Mitbürger auch, sicher geboren mit einer großen Liebe im Herzen zum Lebendigen und besonders zu den Tieren. Aber so sehr er auch Freude an Freundschaften mit Tieren hat, die er beobachtet […]: Hier, bei der Beratung des Tierschutzgesetzes, muss das Emotionale, das Gefühlsmäßige zurücktreten gegenüber einer klaren wissenschaftlichen Grundlage, die wir in der Verhaltensforschung und in der Tierpsychologie finden können […]. Die moderne Zoologie zeigt uns Möglichkeiten, dem Tier gerecht zu werden.“48

Hammans weist auf die Rolle der Tierschutzverbände bei der Durchführung staatlicher Maßnahmen hin. Er bittet sie darum,

45 Sten. Ber. 1966, 64. Sitzung, S. 3125. 46 Ebd. 47 Ebd. 48 Sten. Ber. 1966, 64. Sitzung, S. 3126.

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„zu helfen, in der Bevölkerung die sachlich notwendige und unbedingt zu fordernde Objektivität bei der Beobachtung und Beratung des Tierschutzgesetzes zu erhalten.“49

Die Verhaltensforschung könne zeigen, wie häufig dem Tier „durch Unwissenheit Unrecht“ geschehe. 50 Sie mache emotionale Zweifel überflüssig. Die Fähigkeit, Tieren im rechtlichen Sinne gerecht zu werden, scheint für ihn ethische Grundsatzdebatten, die über die Statuierung einer göttlichen Hierarchie hinausgehen, überflüssig zu machen. Nach diesem Beitrag wurde die Debatte geschlossen und der Entwurf zur Beratung an den Innen-, Agrar- und Rechtsauschuss weitergeleitet.

E NTWURF V/934

ALS

V ORLÄUFER

DES NEUEN

G ESETZES

Es fällt insgesamt auf, dass in keiner der Reden im Herbst 1966 inhaltliche Gründe für das Scheitern des Entwurfes IV/85 und des darin befindlichen Verbotes der Käfighaltung genannt werden. Stattdessen werden verwaltungstechnische Umstände angeführt. Offen wurde aber den anwesenden Abgeordneten kommuniziert, dass der Entwurf zumindest auch als Reaktion auf die grassierende „Empfindlichkeit“ in der Bevölkerung gegenüber der neuen Intensivtierhaltung gedacht war. Die Protagonisten des Gesetzesvorhabens, allen voran Dietrich Rollmann, warben bei den Abgeordneten mit dem Hinweis, dass der Politik und dem Recht nun neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Verfügung stünden, mit denen es gelänge, das Problem zu beseitigen. Insgesamt stützen alle Reden die Vorstellung, es gäbe eine neue Methode, mit der sich tierliche und Tiernutzungsinteressen besser abwägen ließen. Es bleibt aber unklar, wie diese Methode im Detail aussieht. Die im Entwurf V/934 vorgestellte Verordnungsregelung enthob den Bundestag von einem Gutteil seines möglichen Einflusses auf die Agrartierhaltung zugunsten der Exekutive. Diese sollte nun Mindestanforderungen festlegen. Die Reden suggerieren, dass die neuen wissenschaftlichen Grundlagen, deren Inhalt den Bundestag ‚überforderten‘ (Rollmann), diesen Vorstoß nötig machten. Dabei fällt unter die die Verordnungsregelung die Beschränkung die Bestimmung der „Beschaffenheit, einschließlich der Bodenbeschaffenheit, Räume, Käfige und andere Behältnisse zur Unterbringung der Tiere“. 51 Der neue sachliche Tier-

49 Sten. Ber. 1966, 64. Sitzung, S. 3127. 50 Ebd. 51 Vgl. Annex B3.

E RSTE REFORMANSÄTZE

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schutz besagt, dass es eine moralisch neutrale Methode gäbe, die klären kann, ob eine laienhafte, anthropozentrisch anmutende moralische Empfindung über Haltungsformen wie Batteriehaltung tatsächlich angemessen ist. 52 Wahrscheinlich mussten deshalb die Begriffe ‚quälen‘, ‚misshandeln‘, ‚verwerflich‘ und ‚gefühllos‘ aus dem Gesetzestext herausfallen. Doch explizit erklärt oder hinterfragt wird diese für den Entwurf maßgebliche Abkehr von Begriffen der öffentlichen Moral nicht. Eine Zusammenfassung der Debatte in der ZEIT bestätigt, dass Zweifel an der angeblichen Fortschrittlichkeit und Tierfreundlichkeit dieses Ansatzes in der Bundestagsdebatte nicht vorkamen. Der Autor Haug von Kuenheim vermutet, dass der industrielle Tierhaltungssektor unzufrieden mit der Reform sein würde, weil er sich nun wissenschaftlich für seine Haltungsformen zu verantworten habe. Dass sich Tierhaltungsunternehmen zum damaligen Zeitpunkt bereits sowohl rechtlich als auch moralisch verantworten mussten, und dass sie damit große Mühen hatten, übersieht er. Die Betonung „der neuen Wissenschaft“ in den Reden lenkt offenbar auch Kuenheim von Nachfragen nach den konkreten Methoden ab, die zur Abwägung tierlicher und Tierhaltungsinteressen herangezogen werden sollen. 53 Er folgt Rollmanns Empfehlung, nicht zu sehr ins Detail zu gehen, also die Bedingungen nicht zu diskutieren, unter denen RegierungsSachbearbeiter beurteilen, ob eine Intensivtierhaltung gegen den Tierschutz verstößt. Auch im offiziellen Entwurf werden diese Bedingungen nicht offengelegt. Stattdessen wird dort allgemein verkündet, ähnlich wie im Kommentar von 1933, dass ein fortschrittlicher Tierschutz um der Tiere selbst willen sie besser schütze und dass dies Aufgabe einer fortschrittlichen Politik sei. Es wird so getan, als habe die Einbeziehung der neuen Wissenschaft für alle Parteien nur positive Folgen: Die moralischen Konflikte ließen sich auflösen und gleichzeitig Tiere besser schützen. Kuenheim mutmaßt wohlwollend über einen neuen ‚Geist‘ in der Konzeption des Gesetzes. Dieser könne in Zukunft die Fragen des Tierschutzes klären. Dass auch in der amtlichen Begründung des Tierschutzgesetzes von 1933 schon vage angekündigt wurde, Tatbestände des Tierschutzes nun ‚besser‘ nachweisen zu können, hätte ihn allerdings skeptisch machen sollen. In der Metapher des neuen Geistes entsteht die Wissenschaft als Heilsbringer für jedermann und dieses Ideal wird von niemandem in der Debatte bezweifelt. Kuenheims Vermutung, dass Tierschützer mit dem neuen Entwurf zufrieden sein müssten, ist daher nachvollziehbar, aber nicht begründet.

52 Rollmann spricht in der Rede von neuen, ‚revolutionären‘ Kenntnissen der Wissenschaft über das Tier, erklärt aber nicht näher, worin sie bestehen. 53 Kuenheim (1966).

Ausarbeitung im BML (1966 – 1971)

D ER ABSCHLUSSBERICHT

DES I NNENAUSSCHUSSES

Die Debatte um Entwurf V/934 im Herbst 1966 fiel in eine politisch turbulente Zeit. Zwei Wochen nach Übergabe des Entwurfes an die Ministerien zog die FDP wegen eines Haushaltsstreites ihre vier Minister aus dem Kabinett von Kanzler Ludwig Ehrhart zurück. Es kam zu einer Regierungskrise, die im Dezember 1966 zur Bildung einer großen Koalition aus CDU/CSU und SPD unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger führte. Das Justizministerium fiel im Dezember 1966 an die CSU, das Innenministerium blieb bei der CDU, wechselte aber im Frühjahr 1968 die Leitung. Lediglich das BML blieb die gesamte fünfte Legislaturperiode stabil unter Leitung des CSU-Ministers Hermann Höcherl. So konnte allein das Agrarministerium ungestört von den Turbulenzen am Tierschutz arbeiten. Am 12. Oktober 1967 tagte der Rechtsausschuss des Bundestages über den Entwurf V/934. Rollmann nahm als Mitglied an der Sitzung teil. Die Verordnungsermächtigung zur Regelung der Tierhaltung, eine Überführung zentraler Entscheidungsgewalt im Tierschutz an das BML, wird als wirkmächtiges „Kernstück“ des Reformentwurfes bezeichnet. 1 Doch Juristen bekunden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorstoßes. MdB Felix von Vietinghoff-Schell bemerkte gemäß Protokoll, dass mehrere Ausschussmitglieder sowie Vertreter des Bundesjustizministeriums keine verfassungsrechtliche Grundlage sähen, der Bundesregierung bzw. einem Bundesministerium derartige exekutive Befugnisse zu übertragen.2 Die Mitglieder des Rechtsausschusses bekundeten aber ihren Willen, sich im Rahmen der Grundgesetzänderung für eine grundlegende Gesetzeskompetenz des Bundes im Tierschutz einzusetzen, um den Entwurf kompatibel zu machen. Wichtig ist aber, dass die Ermächtigung formal, aber nicht inhaltlich

1

Sitzung des Rechtsausschusses am 12. Oktober 1967 in PA, Akte V-1051, Nr. 8.

2

Ebd.

72 | TIERSCHUTZ ALS A GRARPOLITIK

beanstandet wurde. Die Mitglieder des Rechtsauschusses gehen auf die theoretische Fundierung dessen, was einen angemessenen staatlichen Schutz von Tieren ausmacht, nicht weiter ein. Ihnen geht es primär um institutionelle Zuständigkeiten. Im Juni 1969, kurz vor Ende der Wahlperiode, legte der Innenausschuss den Abschlussbericht über Entwurf V/934 vor. Er enthält einen Entschließungsantrag, nach dem das BML beauftragt wird, einen neuen Entwurf auszuarbeiten, der die „Grundgedanken“ des Entwurfes V/934 enthält. 3 Die Begründung des Antrages findet sich im Kurzprotokoll der Sitzung des Innenausschusses im April 1969. Darin wird die gesellschaftliche Relevanz einer rechtlichen Regelung der Tierhaltung bekräftigt und das Problem aus einer bestimmten Sichtweise interpretiert und definiert. Intensive Haltungssysteme würden von einem Teil der Bevölkerung als „Eingriff in die natürliche Lebensform und das tiergemäße Sozialgefüge“ empfunden. Hintergrund dieser Empörung sei der „ideelle Tierschutz“.4 Der Ansatz des Entwurfes V/934 sei in der Lage, die damit verbundenen Konflikte zu lösen. Er garantiere, dass auf der Suche nach tierschutzgerechten und wirtschaftlichen Entscheidungen keine „von der Gefühlswelt des Menschen hergeleitete Empfindungen in die Überlegungen einbezogen“ werden. 5 Tierschutzrelevante Vorgaben ergäben sich aus einer wissenschaftlichen Berücksichtigung „angeborener, lebensnotwendiger Verhaltensweisen“ von Tieren. 6 Erstellt wurde das Protokoll der Sitzung im Auftrag des Innenausschusses durch den damaligen Ministerialdirigenten im BML und Leiter der Abteilung Landwirtschaftliche Erzeugung, Ludwig Pielen.7 Das bezeugt den hohen Einfluss des BML auf die Reform. In der Bundestagsdebatte vom 2. Juli 1969 erklärten Rollmann und Büttner ihr Bedauern darüber, dass das Vorhaben nicht in der fünften Legislaturperiode zur Umsetzung kam, zeigten sich aber dennoch zufrieden mit dem weiteren Verfahren. Der Entschliessungsantrag zur Übernahme der Grundgedanken des Entwurfes in eine neue Version wurde mit den Stimmen der SPD und der CDU/CSU Fraktion angenommen.8 Mitglieder des Agrarausschusses nahmen die

3

BTDS V/4422.

4

Sitzung des Innenausschusses vom 24. April 1969 in BA Koblenz, B116/50088, S. 1.

5

Sitzung des Innenausschusses vom 24. April 1969 in BA Koblenz, B116/50088, S. 2.

6

Ebd.

7

1965 war der Agrarwissenschaftler Prof. Ludwig Pielen der Leiter der Abteilung Landwirtschaftliche Produktion im BML, in deren Aufgabenbereich auch die Agrartierhaltung fiel. Vgl. BA Koblenz, B116/50088.

8

Vgl. Sten. Ber. 1969, 256. Sitzung, S. 13706.

A USARBEITUNG

IM

BML | 73

Entscheidung, die Grundgedanken des Tierschutzes von ihren ministerialen Agrarpartnern im BML ausführen zu lassen, ebenfalls „zustimmend zur Kenntnis“.9

S CHNELLE AUSFÜHRUNG Diese Vorgeschichte erklärt die eingangs erwähnte schnelle Ausarbeitung des schließlich erfolgreichen Gesetzesentwurfes im BML. Bereits im April 1970 lag im BML ein Diskussionsentwurf vor, der in den Akten des BA Koblenz erhalten ist. In § 1 wird gefordert, das Tier als ‚Erscheinungsform des Lebens‘ tierartgemäß und verhaltensgerecht zu ‚bewahren‘. § 2 definiert die Begriffe des Wohlbefindens, der Leiden, der Qual und des Schadens. Entsprechende Stellen sind in Annex B4 abgedruckt. Für die Begriffe der ‚tierartgemäßen‘ und ‚verhaltensgerechten‘ Unterbringung von Tieren kontaktierten Sachbearbeiter des BML einen Verhaltensbiologen des Max-Planck Institutes, der sie befürwortet.10 Innerhalb des darauf folgenden Jahres erfuhr dieser Diskussionsentwurf einige Änderungen. Als offizieller Zweck des Gesetzes wurde der Schutz des ‚Wohlbefindens‘ der Tiere hinzugefügt. Die rechtliche Regelung richtet sich konkret allerdings nicht am Schutz des Wohlbefindens aus, sondern am Verbot der Zufügung von Leiden, Schmerzen und Schäden ohne vernünftigen Grund. Der offizielle Entwurf BRDS 278/71, der von Bundeskanzler Willy Brandt im Mai 1971 an den Bundesrat übersandt wurde, lehnte sich insgesamt stark am Entwurf aus dem Jahr 1966 an. Die im ersten Diskussionsentwurf vom April 1970 noch enthaltenen Kurzdefinitionen des Wohlbefindens, Leidens, der Schmerzen und Schäden entfallen zwar, finden aber sinngemäß Anwendung. Nachzulesen sind relevante Stellen des Entwurfes in Annex B5. Insgesamt fällt auf, dass § 1, Absatz 2 des Gesetzes von 1933 einen prominenten Platz erhielt, während mit zentralen begrifflichen Traditionen des 19. Jahrhunderts, insbesondere der ‚Quälerei‘, gebrochen wurde. Die rechtliche Regelung der Tierhaltung erhält grundlegend jene Form, die sie heute, im Jahr 2015, auch noch hat. Ein eigener § 2 spezifiziert sie und fordert die artgemäße verhaltensgerechte Unterbringung der Tiere und das Verbot der Zufügung ‚vermeidbarer‘ Leiden. Das BML wird ermächtigt, Vorschriften über die Haltung an ‚natürlichen‘ Bedürfnissen der Tier auszurichten. Der Bundesrat beanstandete dies nicht.11 Zum Ver-

9

Sitzung des Agrarausschusses am 12. Juni 1969 in PA, Materialien zur BTDS V/934.

10 Vgl. Brief Nicolai an Schultze-Petzold in BA Koblenz, B116/50089. 11 BTDS VI/2559, S. 14.

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gleich ist eine aktuelle Fassung der relevanten Passagen aus dem Jahr 2014 in Annex E abgedruckt. Auf Grundlage einiger Anmerkungen legte die Regierung am 7. September 1971 einen nur leicht veränderten Entwurf als Drucksache VI/2559 vor, der die Vorlage für die endgültige Version des neuen Gesetzestextes wurde.

D ER FINALE E NTWURF – D RUCKSACHE VI/2559 In der offiziellen Begründung des finalen Entwurfes finden sich zentrale Elemente der Argumentation des Entwurfes V/934. Im allgemeinen Teil der Begründung wird zunächst betont, dass die Reform auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse und gesellschaftliche Veränderungen reagiere und damit ein „neuzeitliches“ Gesetz hervorbringe, wobei am Konzept des Gesetzes von 1933 festgehalten werde.12 Damit entspreche das Gesetz einer sich in einer Fortentwicklung befindlichen ‚Grundeinstellung‘ zum Tier. Die Autoren skizzieren weiterhin das Bild damaliger Veränderungen: Die Entwicklungen der Einstellung zum Tier, der Landwirtschaft sowie der Technik. Daraus ergebe sich eine Situation, in der ethische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Forderungen auseinanderklafften. Hier wird also explizit auf die Kritik und das Unbehagen breiter Bevölkerungskreise über die industrielle Form der neuen Tierhaltungsformen angespielt. Die unterschiedlichen Forderungen würden durch das Gesetz „in Einklang“ miteinander gebracht.13 Wie dies geschehen soll und welche Prioritäten dabei gelten, blieb offen. Interessant ist, dass als Ziel der Reform nicht die ethische Aufklärung der öffentlichen Kritik genannt wird, sondern dass ethische – offenbar bekannte – Forderungen mit wirtschaftlichen Interessen der Tiernutzung abzuwägen seien, also offenbar ein Kompromiss aus entgegenstehenden ethischen und wirtschaftlichen Forderungen erreicht werden soll. Der Begriff des Einklangs suggeriert, es gäbe keine gerechtfertigten Konflikte zwischen Tiernutzung und Tierschutz, die nach der rechtlichen Abwägung weiterbestehen müssten. Das erinnert an die Darstellung des Tierschutzes in der nationalsozialistischen Gleichschaltungspolitik. Für die Beurteilung eines angemessenen Tierschutzes seien, und hier wird die Rhetorik der amtlichen Begründung von 1933 weiterentwickelt, die Empfindungen des Menschen durch „exakte und repräsentative wissenschaftliche Feststellungen über tierartgemäße und

12 BTDS VI/2559, S. 9. 13 Ebd. Bereits Giese und Kahler verwendeten den Begriff des Einklangs. Vgl. Kueting (2003, 86).

A USARBEITUNG

IM

BML | 75

verhaltensgerechte Normen und Erfordernisse“ zu ersetzen. 14 Die Ausprägung von industriellen, „neuzeitlichen Haltungssystemen“ wird als „ökonomisch gegeben“ bezeichnet.15 Im zweiten Teil der Begründung werden die einzelnen Paragraphen näher erläutert. •





§1: Bezogen auf den Begriff Tier wird definiert, dass die Schutzbedürftigkeit dort aufhören solle, wo ein Empfindungsvermögen des Tieres nicht mehr zu erwarten ist. Geschützt werden das Leben und das Wohlbefinden des Tieres. Dies stehe nicht im Widerspruch zur vernünftigen Lebensbeschränkung eines Tieres. §2: Der für ein Verbot notwendige Beweis, dass es sich um keine artgemäße Nahrung und Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung handelt, soll sich nur durch Tierärztinnen, Verhaltensforscher oder andere Naturwissenschaftler als eine ermittelte Störung körperlicher Funktionsweisen und Verhaltensabläufe der Tiere erbringen lassen. Das Wohlbefinden der Tiere beruhe auf einem ungestörten Ablauf der Lebensvorgänge. Hier finden also jene Definitionen Eingang, die im ersten inoffiziellen Diskussionsentwurf von 1970 noch offen in §2 gelistet waren. Es wird schließlich auch die zuvor in den Reden betonte Sachlichkeit und Exaktheit der Ergebnisse leicht relativiert. Die Nichterfüllung artgemäßer Anforderungen an die Haltung werde „nicht immer mit hinreichender Sicherheit“ nachzuweisen sein.16 §13: Welche Folgen die für §2 statuierte Unsicherheit für die Erstellung von rechtsgültigen Verordnungen haben kann, wird nicht diskutiert. Die durch die Verordnungen gestellten Anforderungen werden offiziell „Mindestanforderungen“ genannt und müssen wissenschaftlich gesichert sein.17 Die Verordnungen sollen weiterhin berücksichtigen, dass eine „weltweit begründete Notwendigkeit“ zur Rationalisierung und Intensivierung neuzeitlicher Haltungssysteme geführt habe.18 Zur Erarbeitung der Verordnungen über Mindestrichtlinien wird das BML ermächtigt.

14 BTDS VI/2559, S. 9. 15 Ebd. 16 BTDS VI/2559, S. 10. 17 BTDS VI/2559, S. 11. 18 BTDS VI/2559, S. 12.

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D IE B UNDESTAGSDEBATTE

VOM

S EPTEMBER 1971

Der Entwurf VI/2559 wurde am 29. September 1971 von Bundesminister Josef Ertl und anderen MdB vor dem Deutschen Bundestag vorgestellt. Ertl sieht durch das Gesetz „das Tier um seiner selbst willen“ geschützt.19 Dafür dienten als Beurteilungsmaßstäbe nun repräsentative wissenschaftliche Feststellungen und nicht mehr das Empfinden der Menschen. Er sieht durch das Gesetz einen „allmählichen Interessenausgleich“ greifbar.20 Dietrich Rollmann betont als nächster Redner seinen hohen Anteil an der Ausrichtung des Entwurfes. Er kündigt an, aus vorangegangenen Reden im Bundestag zu zitieren und wiederholt grundlegende Elemente seiner Rede von 1966.21 Den neuen Grundsatz in § 1 begrüßt er „mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben“.22 Welche Konsequenzen er für die aufstrebende industrielle Tierhaltung sieht, bleibt unklar. Anstelle von Fritz Büttner übernimmt für die SPD Karl-Heinz Saxowski die Bewerbung des Vorhabens. Er begrüßt den Entwurf als notwendigen Schritt, das Tierschutzrecht von 1933 durch ein modernes Gesetz zu ersetzen. Bei Tierschutzfragen müsse berücksichtigt werden, dass das Tier nicht nur ‚Freund und Begleiter‘ des Menschen sei, sondern auch wirtschaftlich und wissenschaftlich genutzt werde. Saxowski wünscht sich vor diesem Hintergrund, dass das neue Gesetz einen „gesunden Kompromiss“ für den Menschen und das Tier herbeiführe.23 Der Abgeordnete und Landwirt Wilhelm Helms spricht für die FDP. Er befindet, der Entwurf ermögliche, „Missstände […] in der öffentlichen Diskussion […] zu beseitigen“. 24 Die Novellierung sei dahingehend dringend erforderlich. Außerdem könne durch die Reform die Verhaltensforschung angemessen Berücksichtigung finden. Inwiefern sie dies bislang nicht vermochte, bleibt unklar. Obwohl die Intensivtierhaltung als „ökonomisch zwangsläufig und gegeben“ anzusehen sei, bestünde die Möglichkeit, die „essentiellen Funktionen des arteigenen und angeborenen Verhaltens der Tiere“ aufrechtzuhalten.25

19 Sten. Ber. 1971, 137. Sitzung, S. 7998. 20 Ebd. 21 Sten. Ber. 1971, 137. Sitzung, S. 8000. 22 Ebd. 23 Sten. Ber. 1971, 137. Sitzung, S. 8001. 24 Ebd. 25 Ebd.

A USARBEITUNG

IM

BML | 77

Wie Rollmann benutzt Hammans in seiner Rede zentrale Formulierungen aus seiner Rede vom Oktober 1966. In den Beratungen über das Tierschutzgesetz äußere sich ein „intaktes Verhältnis zum Tier“ in der Weise, dass es darin „keinerlei Emotionen“ geben dürfe. 26 Anstelle von Emotionen sei eine „ruhige Sachlichkeit“ in der Entscheidungsfindung erforderlich, nur dann sei auch ein „guter Kompromiss“ möglich.27 Der veterinärmedizinischen Sacharbeit stellt Hammans eine fehlerhafte öffentliche Debatte gegenüber: Oftmals werde sich zeigen, dass vieles, was in der Öffentlichkeit als Tierquälerei gilt, „in Wirklichkeit“ keine sei.28 Herrmann Spillecke (SPD) beschreibt die bisherige Arbeit am Entwurf als Teamwork, in dem es „keine Parteidifferenzen“ gebe.29 Während der Entwurf versuche, dem ethischen Tierschutz gerecht zu werden, würden in künftigen Tierschutzberatungen „außerordentlich gefühlsbetonte […] Argumente“ den „exakten, nüchternen Ergebnissen der Wissenschaft“ gegenüberstehen. 30 Die durch das Gesetz zu erreichende Kompromissfindung gestaltet sich in den Worten Spilleckes durch die Abwägung der Liebe zum Tier mit der ‚zwangsläufigen Realität‘. Welche Prioritäten bei dieser Abwägung zu gelten haben, bleibt unklar. Auch Hans Jürgen Klinker (CDU) hält das neue Gesetz für einen „gesunden Kompromiss“.31 Er weist auf die hohe ökonomische Bedeutung der Tierhaltung hin, die ihn dazu verpflichte, „ganz nüchtern“ darauf hinzuweisen, dass durch strengere Maßnahmen in der Tierhaltung die Konkurrenzfähigkeit der Landwirte leide. 32 Einheitliche Auflagen müssten auch im europäischen Kontext gelten. Ertl verkündet abschließend, den Entwurf bereits dem Europarat vorgelegt zu haben. Der begrüße diesen und betrachte ihn als „richtungsweisend für seine Arbeit bei den Beratungen“ über eine europäische Tierschutzregelung.33 Abschließend wurde in der Sitzung beschlossen, dass der Agrarausschuss als federführender Ausschuss einen Bericht zu dem Entwurf erstellen sollte, der in einer zweiten und dritten Lesung vorgestellt werden sollte.

26 Sten. Ber. 1971, 137. Sitzung, S. 8002. 27 Ebd. 28 Ebd. 29 Ebd. 30 Ebd. 31 Ebd. 32 Ebd. 33 Ebd.

78 | TIERSCHUTZ ALS A GRARPOLITIK

Z WISCHENFAZIT Die Aussicht, Tierschutz wissenschaftlich, vor allem veterinärmedizinisch zu begründen, überzeugte alle einflussreichen politischen Akteure, auch die Vertreterinnen der großen Tierschutzvereine. Einige von ihnen, wie Clemens Giese, Veterinär und Vizepräsident des Welttierschutzverbandes, hatten einen derart institutionalisierten Tierschutz seit der NS-Zeit mitgeprägt. Die Definitionen der Begriffe des Leides und Wohlbefindens im Diskussionsentwurf des BML spiegeln das Selbstverständnis von Veterinären als maßgebende Experten im Tierschutz wieder. Dass bestimmte Personengruppen über Legitimation und Verbot umstrittener landwirtschaftlicher Praktiken „bestimmen“, wie es noch im Entwurf V/934 formuliert ist, wird nach außen allerdings kaum ersichtlich.34 Entwurf VI/2559 und seine offizielle Rechtfertigung vermittelt die Idee, dass sich die Beurteilung von Tierhaltungsformen als artgemäß und verhaltensgerecht am Verhalten der Tiere ablesen lässt und insofern nicht moralische Verantwortung bzw. ethische Argumentation, sondern bloßes biologisches Wissen vonnöten wäre, um staatliche Mindestanforderungen zu generieren. Außerdem wird in den Bundestagsreden deutlich, dass neben dem Befinden der Tiere auch die Art der Debattenführung selber ein tierschutzpolitisches Anliegen ist. Missständen in der öffentlichen Diskussion (Helms) hoffen die Redner mit nüchternen Ergebnissen (Spillecke), die das neue Gesetz generiere, entgegnen zu können, um den gesunden oder guten Kompromiss (Saxowski, Klinker und Hammans) zu erreichen.

34 Vgl. Annex B3.

Auf dem Weg zur Beschließung (1972)

D IE

ÖFFENTLICHE

ANHÖRUNG VON S ACHVERSTÄNDIGEN

Konzeption der Anhörung Die öffentliche Anhörung im Februar 1972 von Sachverständigen und Verbandsvertretern zum Entwurf VI/2559 war offiziell als gemeinsame Sitzung des Innen- und Agrarausschusses konzipiert. Da eine solche öffentliche Veranstaltung nur einmal im Vorfeld der Reform durchgeführt wurde, kommt ihr neben den Bundestagsdebatten eine wichtige Rolle in der Kommunikation des Vorhabens an die interessierte Öffentlichkeit zu. Die Auswahl der Referenten unterlag dem Agrarausschuss, der die Einladungen mit dem Innenausschuss abstimmte.1 Kontaktperson im Innenausschuss war Herrmann Spillecke. Die vom Agrarausschuss vorgeschlagene Zusammensetzung der Referenten teilt sich in drei Themengebiete: • • •

(I) Mensch und Tier in der Gesellschaft, (II) Tierschutz und Nutztierhaltung einschließlich Fische und (III) Tierschutz und Versuche am lebenden Tier.

Die Aufteilung kennzeichnet die hohe Bedeutung der Agrartierhaltung in der Reform. Redner des Themenkreises I waren zwei Vertreter von großen deutschen Tierschutzverbänden und ein Vertreter der Deutschen Zoologischen Gesellschaft.2

1 2

PA, Akte VI-285A - Nr. 12. Vgl. öffentliche Anhörung von Sachverständigen und Verbänden am 8. Februar 1972, PA Akte VI-285A- Nr. 23.

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Zum Themenkreis II waren zehn Redner als Sachverständige in ihrer Rolle als Mitglieder akademischer Institutionen und Vertreter von Interessenverbänden geladen: ein Verhaltensphysiologe, eine Professorin für Tierzucht und Tierfütterung für die Wissenschaft, sieben Verbandsvertreter der Agrartierhaltung, Hundehaltung und Jagd, die zum Teil an Agrarfakultäten lehrten, sowie ein Staatsanwalt.3 Tierschutzvertreter wurden demnach nicht als sachverständig zu Themenkreis II eingeordnet, ebenso wenig wie Vertreter der Philosophie oder der Theologie. Einführend bat der Vorsitzende die Sachverständigen und übrigen Teilnehmerinnen bei den ihnen zugeordneten Themenschwerpunkten zu bleiben. Das Thema Mensch, Tier und Gesellschaft sollte also nicht mit dem Thema Tierschutz und Nutztierhaltung vermischt werden, das wiederum nicht mit Themenkreis III, usw. 4 Die Sitzung wurde von dem Diplomlandwirt und Mitglied des Agrarausschusses Reinhold Schmidt-Gellersen (SPD) und dem Vorsitzenden des Innenausschuss Friedrich Schäfer geleitet. Vom Agrarausschuss nahmen 19 Mitglieder, vom Innenausschuss sechs und vom Rechtsausschuss ein Mitglied teil. Die Reden wurden als stenographisches Protokoll der Sitzung festgehalten und ergeben insgesamt rund 50 DIN A4 Seiten. Emotionen und Sachverstand In keiner der Reden wird näher dargelegt, wie tierliche und wirtschaftliche Interessen miteinander abzuwägen sind. Dagegen herrscht breiter Konsens darüber, dass in einer solchen Abwägung menschliche Emotionen ausgeklammert werden sollen. 5 Tierschutzvertreter Weichert verteidigt seine eigenen Forderungen dahingehend, diese seien „keineswegs […] zu emotional betont“. 6 Zuvor war er vom CDU-Abgeordneten und Mitglied des DBV Reinhardt kritisiert worden, er vertrete „emotionelle Erwägungen“. Diese Erwägungen drückten sich, so Reinhardt, unter anderem in der von Weichert verwendeten Bezeichnung „Ausbeu-

3

Der Vorsitzende der Sitzung Schmidt-Gellersen bezeichnet sowohl die Wissenschaftlerinnen als auch die Verbandsvertreter des Themenkreises II als Sachverständige. Vgl. Schmidt-Gellersen in PA, Akte VI 285-A-Nr. 23, S. 5.

4

Auch der Abgeordnete und Landwirt Carl Reinhardt (CDU), Mitglied des Agrarausschusses im Bundestag, warnt die Redner des Themenkreises I davor, nicht in den Themenkreis II ‚einzubrechen‘.

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PA, Akte VI 285-A-Nr. 23, S. 13.

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Ebd.

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tungsobjekt“ für agrarisch genutzte Tiere aus.7 Der Vertreter des DTSB fordert als Veterinäroberrat die Deutungshoheit seiner Disziplin im Tierschutz. Das impliziert für ihn auch, dass ein Strafbestand im Tierschutz, etwa die Zufügung erheblicher Leiden, niemals offensichtlich vorliegen kann.8 Er spricht sich auch gegen den Straftatbestand der „erheblichen“ Schmerzen aus, da die Frage der Erheblichkeit „beträchtliche naturwissenschaftliche Schwierigkeiten“ bereite. 9 Ein Vertreter des Bundes gegen den Missbrauch von Tieren verweist auf die Notwendigkeit, „autorisierte Tierschutzsachverständige“ einzusetzen, um eine „von Emotionen freie, konsequente tierschutzethische […] Beweisführung zu gewährleisten“.10 Bezogen auf die Agrartierhaltung könne dies auch durch die Tierpsychologie gewährleistet werden.11 Der Zoologe Hansjochen Autrum von der Deutschen Zoologischen Gesellschaft widerspricht ebenfalls nicht explizit der geforderten Deutungshoheit einer emotionslosen Urteilsgrundlage. Allerdings wählt er eine Formulierung für die angemessene Bestimmung des Tierschutzes, die in gewisser Hinsicht konträr zu einer solchen Forderung steht. Er befindet: „Nur wer Tiere, und zwar alle Arten, mit Liebe, Sorgfalt und Einfühlungsvermögen beobachtet, kann beurteilen, was angemessen ist, was sie leiden lässt und was ihnen Schmerzen bereitet“.12

Das ist nur als Floskel zu verstehen, da Autrum auf Emotionen in der Methodik der Verhaltensforschung nicht weiter eingeht und auch dem Grundsatz der Reform nicht widerspricht, emotionalen durch wissenschaftlichen Tierschutz zu ersetzen. Jedenfalls hält Autrum emotionale Einfühlung in tierliches Leid für problematisch, wenn Laien sie praktizieren. Diese sollten sich „davor hüten“, eigene Empfindungen auf Tiere zu übertragen.13 Als Beispiel für die Gefahr solcher Übertragungen nennt Autrum das Abschneiden der Tasthaare bei Katzen als Äquivalent zum menschlichen Rasieren. „Noch viel schwieriger“ als die Beurteilung von Schmerzen bei Tieren sei die Beurteilung einer „sachgemäßen“ Be-

7

PA, Akte VI 285-A-Nr. 23, S. 14.

8

PA, Akte VI 285-A-Nr. 23, S. 8.

9

Ebd.

10 PA, Akte VI 285-A-Nr. 23, S. 47. 11 Ebd. 12 PA, Akte VI 285-A-Nr. 23, S. 10. 13 Ebd.

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handlung von Tieren.14 Bei der Behandlung von Tieren riskiere der Mensch dem „Fehler zu verfallen“, die Bedingungen, unter denen er sich wohlfühle, auf Tiere zu übertragen.15 Hierfür gibt Autrum das Beispiel eines Polarhundes, der zu einem Sonnenbad gezwungen wird. Die Beispiele dienen dazu, die Notwendigkeit einer biologischen Expertise im Agrartierschutz zu unterstreichen. Die Vertreter der Agrarwirtschaft unterstützen die Vorbehalte gegenüber der Aussagekraft von Empfindungen im Tierschutz. Der Vizepräsident des DBV Carl Dobler bezeichnet die Anwendung „exakter und repräsentativ feststellbarer“ Normen als einzig relevante Beurteilungsmaßstäbe des Tierschutzes.16 Dobler glaubt, wenn einmal gemäß dem neuen Ansatz der Tierschutz nicht mehr „lediglich mit dem bloßen Empfinden des Menschen“ begründet werde, dann müsse entsprechend die Massentierhaltung als ökonomische Gegebenheit anerkannt werden. Ein Vertreter der Arbeitsgemeinschaft deutscher Tierzüchter betont, dass Tierzüchter und Tierproduzenten interessiert daran wären, „sehr klar“ zu fassen, was als „artgemäße Begebenheiten“ bezeichnet werden könne.17 Er fordert, dass eine Intervention des Staates nur auf Basis dessen geschehen dürfe, „was wir genau wissen“; bei Einsichten, die „im Bereich von Glauben und Meinen“ lägen, sei eine Intervention verfrüht oder unangemessen.18 Der Professor für Tierzuchtwissenschaft Siegfried Scholtyssek, Sprecher des Verbandes der Geflügelzüchter, bekräftigt dies. Er meint, dass Tierschutz deshalb eine Expertenfrage sei, weil die Tierzucht verbreitete Annahmen über das Leid der Tiere außer Kraft gesetzt habe. Als Beispiel nennt er die Käfighaltung und die Kritik von Tierschützern, Hühner könnten in den Käfigen keine Brutpflege betreiben. Scholtyssek, der in den 1970er und 1980er Jahren an Studien zur artgemäßen Hühnerhaltung mitwirkte, mutmaßt, dass die Kritik an der Käfighaltung vielleicht irrtümlich sei, da möglicherweise „der Bruttrieb […] längst weggezüchtet wurde“.19 Es lägen damit „keine Beweise vor“, dass die Tiere unter diesem Umstand leiden. 20 Von Sachverständigen-Gremien sei zur Klärung dieser Frage noch intensive Forschung nötig. Da sich die Verhaltensforschung erst wenig mit der Agrartierhaltung beschäftigt habe, könnten erst in Zukunft, „durch Verfeinerung der Meßtechniken“, Erkenntnisse zu Beeinträchtigungen von agrarisch ge-

14 Ebd. 15 Ebd. 16 PA, Akte VI 285-A-Nr. 23, S. 15. 17 PA, Akte VI 285-A-Nr. 23, S. 36. 18 Ebd. 19 PA, Akte VI 285-A-Nr. 23, S. 16. 20 Ebd.

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haltenen Tieren angeführt werden.21 Dietrich Smidt, der wie Scholtyssek zum damaligen Zeitpunkt einen Lehrstuhl für Tierzucht innehatte, geht näher auf die Bestimmung des artgemäßen Bewegungsbedürfnisses ein. Die ‚erhebliche‘ Einschränkung der Bewegung ließe sich in der artgemäßen Tierhaltung nicht vermeiden. Das politische Ziel der artgemäßen Haltung müsse insofern als Kompromiss verstanden werden: „Was nun schließlich das artgemäße Bewegungsbedürfnis angeht, so scheint ein Kompromiss unerlässlich. Die Bewegungsfreiheit der Haustiere ist eingeschränkt seit der Domestikation. Angesichts der Notwendigkeit, Großtiere in Gebäuden zu halten, ist eine erhebliche Reduzierung der Bewegungsmöglichkeiten ebenso unumgänglich wie deren realistische Beurteilung hinsichtlich der im einzelnen zu dieser Gesetzesforderung zu erlassenen Vorschriften.“ 22

In Smidts Rede wird deutlich, dass die rechtlich geforderte Angemessenheit der Bewegungsmöglichkeit – eine Beurteilung, die fortan die Nutztierethologie mit übernehmen sollte – produktionstechnische und ökonomische Vorteile berücksichtigen darf. Unklar bleibt, inwieweit ihnen stattgegeben werden darf. Für die Sachverständigen im BML ist dies ein Freischein für zukünftige Entscheidungen zugunsten der Agrarindustrie. Zukünftige Erkenntnisse Obwohl Entwurf VI/2559 keine Haltungsform explizit verbot, sprachen sich die angehörten Vertreter von Tierschutzorganisationen für den Entwurf aus. Sie hoffen, dass zukünftige Forschung und die vorgesehenen Rechtsverordnungen diese Fragen klärten. Hubert Pieterek vom DTSB findet, dass „konkrete Forderungen“ über die im Entwurf vorgesehenen Verordnungen zur Haltung aufgrund mangelnder Forschungsgrundlagen „verfrüht“ seien.23 Der DTSB setze seine „Hoffnung in die Fachministerien“, auf dass sie die definierten Anforderungen an die Haltung richtig umsetzten.24 Er wünscht sich lediglich, dass Vertreter des Tierschutzes weiterhin ein Mitspracherecht in Agrartierschutzfragen erhalten. Hans Weichert vom BMT meint, dass die Reform die Interessen seines Verbandes in Zukunft befriedigen könne. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass der ethische

21 PA, Akte VI 285-A-Nr. 23, S. 17. 22 PA, Akte VI 285-A-Nr. 23, S. 18. 23 PA, Akte VI 285-A-Nr. 23, S. 9. 24 Ebd.

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Tierschutz entsprechend der vorgeschlagenen Konzeption auch umgesetzt werde. Er betont auf Nachfrage von Hammans, dass Verbesserungen der Lebensbedingungen von Tieren in Zukunft keinen Schaden für die Landwirtschaft beinhalten dürften.25 Eher beiläufig bittet der Abgeordnete Löffler (SPD) den Agrarwissenschaftler Dietrich Smid und Rose-Marie Wegener als Professorin für Tierzucht an der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn, um eine Einschätzung, welche der Allgemeinheit bekannten Tierhaltungsformen durch das Gesetz möglicherweise verboten werden könnten. Smidt meint, keine der bekannten Haltungsmethoden, also nicht einmal die Käfighaltung, verstoße gegen den geplanten §2 des Entwurfes. Auch Wegner, die zuvor die Käfighaltung gegenüber anderen Haltungsverfahren verteidigt hatte, räumt ein, ihr sei keine geläufige Haltungsmethode bekannt, die der art- und verhaltensgerechten Haltung entgegenstehe und daher verboten werden müsse.26

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LETZTE

L ESUNG IM B UNDESTAG

Am 21. Juni 1972 debattierte der Bundestag in der zweiten und dritten Lesung über den Bericht des Agrarausschusses zum Entwurf Drucksache VI/2559. Bereits im offiziellen Bericht, der den Abgeordneten vor der Sitzung vorlag, lobte der Ausschuss die Grundkonzeption des geplanten Gesetzes, wonach anstelle von Empfindungen „exakte und repräsentative wissenschaftliche Feststellungen“ berücksichtigt werden könnten.27 In der Lesung berichtet Franz Vit (SPD) als erster Redner, dass die Sachverständigen und Verbandsvertreter in der öffentlichen Anhörung die Grundkonzeption positiv beurteilten.28 Auch in der Öffentlichkeit habe der Entwurf seit seiner Veröffentlichung breite Zustimmung gefunden.29 Vit meint, dass die Grundlage und Konzeption des Gesetzes ethisch, gleichzeitig aber auch wissenschaftlich fundiert sei. Damit hebe sich der Entwurf deutlich von der Einstellung des aus dem Jahre 1933 stammenden Tierschutzgesetz ab, bei dem „mehr eine gefühls-

25 PA, Akte VI 285-A-Nr. 23, S. 39. 26 PA, Akte VI 285-A-Nr. 23, S. 28. 27 BTDS VI/3556. Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (9.Ausschuss) über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Tierschutzgesetzes. Vgl. auch BTDS VI/2559. 28 Sten. Ber. 1972, 194. Sitzung, S. 11391. 29 Ebd.

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orientierte Ausrichtung“ vorgelegen habe.30 Vit erhofft sich positive Auswirkungen der neuen Grundkonzeption auf das Verhältnis zwischen Menschen und Tieren. Zum dritten Mal nimmt Hammans im Bundestag zum Gesetz Stellung, diesmal als Berichterstatter des Agrarausschusses. Er spricht, wie der Journalist Kuenheim 1966, von einem neuen ‚Geist‘ des Gesetzes, der sich im Entwurf offenbare und trifft in seiner Rede folgende wichtigen Äußerungen, die der aufmerksame Zuhörer bereits aus den vorherigen Ausführungen kannte: • •

• • •



Tierschutz werde die Wettbewerbsbedingungen der Landwirte nicht verschlechtern; die ethische Neuerung des Entwurfes sei es, zusätzlich zur Unversehrtheit der Tiere nun auch deren „Leben […] schlechthin“ zu schützen. Dieser Schutz sei vereinbar mit einer „vernünftigen Lebensbeschränkung“ der Tiere im Rahmen von „Erhaltungsinteressen“ der Menschen; ethische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Anliegen würden miteinander in Einklang gebracht; Bürgerinnen werde eine „vernünftige und den wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechende Mensch-Tier-Beziehung“ vermittelt; bei der Beurteilung der art- bzw. verhaltensgerechten Haltung müsse berücksichtigt werden, dass Tiere in der Domestikation „Instinktreduktionen“ erfahren, die zur Eliminierung angeborener Verhaltensweisen führen; die neue Politik der Tierhaltung generiere Mindestanforderungen, die den „Erhalt der essentiellen Funktionskreise“ der Tiere ermöglichen. 31

Abschließend wird Hammans noch philosophisch. Die logische Basis der Ethik habe gezeigt, dass das „Wesen des Guten und Bösen von rein begrifflichen Prinzipien her“ nicht zu definieren sei.32 Ethik trete daher in Form von Werten und Maßstäben auf, die je nach Anlass und Sichtweise divergieren können. Aufgabe der Politik sei es, die „Überlegenheit“ einzelner Werte über andere zu identifizieren. Da eine Konkretisierung ausbleibt, wird implizit die Priorisierung wirtschaftlicher über tierethische Anliegen nicht ausgeschlossen. Hammans knüpft an diese Vagheit die Forderung, dass Tierschutz nicht auf Empfindungen, sondern wissenschaftlicher Feststellungen beruhen solle. Das schließt implizit auch jene Form der Ethik aus, die sich traditionell mit menschlichen Empfindungen

30 Ebd. 31 Sten. Ber. 1972, 194. Sitzung, S. 11392ff. 32 Sten. Ber. 1972, 194. Sitzung, S. 11392.

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auseinandersetzt. Hammans betont, dass die Verhaltensforschung von Konrad Lorenz die wissenschaftliche Grundlage liefere. Politische Regelungen seien nur dann gültig, wenn sie auf objektive „biologische Wirklichkeiten“ Bezug nähmen.33 In den kürzeren Beitragen von Lothar Löffler (SPD), Walter Peters (FDP) sowie des Staatssekretärs beim BML Fritz Logemann (FDP) wird nicht näher auf die Konzeption des Gesetzes eingegangen, sondern nur Zustimmung ausgedrückt. Logemann bedankt sich bei den Abgeordneten für die „sachliche, zügige“ Beratung und bittet um Zustimmung.34 Die Sitzung endet mit der einstimmigen Beschlussfassung des Tierschutzgesetzes unter Zustimmung aller Parteien. Weiterhin musste nur noch der Bundesrat zustimmen. Auffällig ist, dass sich in den Reden weder Parteidifferenzen noch Kritik am Entwurf äußern. Alle Redner stimmten dem Entwurf VI/2559 zu: Hammans (CDU) und Vit sprechen für den Agrarausschuss, Peters (FDP) und Löffler (SPD) befürworteten den Entwurf im Namen ihrer Partei und der BMLStaatssekretär Logemann bittet um Zustimmung aller Fraktionen. Die allseits beschworene Fortschrittlichkeit des Gesetzes, versinnbildlicht in der Formulierung des neuen Geistes, erlaubte es, etwas Distanz zum Vorläufer von 1933 auszudrücken. Allerdings entspricht die Rede von der Fortschrittlichkeit des Gesetzes exakt der Rhetorik der Macher des Gesetzes von 1933, und auch sie beruhte vor allem auf den gleichen fragwürdigen Grundannahmen (s. oben und im Folgenden). Deutlich wird an der personellen Aufstellung der Redner und der inhaltlichen Ausrichtung der Debatte die Bedeutung der Reform für den Agrarsektor. Vit, Hammans und Löffler weisen darauf hin, dass Wettbewerbsnachteile für Landwirte vermieden werden sollen. Auch wird an das Gesetz der Anspruch getragen, die Mensch-Tier-Beziehung in einer bestimmten, allerdings unklar gelassenen Weise positiv zu beeinflussen.

33 Sten. Ber. 1972, 194. Sitzung, S. 11394. 34 Sten. Ber. 1972, 194. Sitzung, S. 11397.

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Z WEIFEL ÜBER DEN VERNÜNFTIGEN G RUND – UND B ESCHLIESSUNG Bevor das Gesetz in Kraft treten konnte, musste der Bundesrat auf Grundlage der Empfehlungen des Agrar- sowie des Rechtsauschusses dem Gesetz zustimmen. Dessen Rechtsauschuss mahnte einen Aspekt an, der sich zwar direkt nur auf die Strafregelungen bezieht, aber indirekt die Konzeption des Gesetzes betrifft. Er forderte, das Tatbestandsmerkmal des Tötens von Tieren ohne vernünftigen Grund im Strafrechtsparagraphen 17 näher zu konkretisieren. Es stelle sich die Frage, warum neben dem Strafbestandteil der Tierquälerei ein zusätzlicher Straftatbestand, der des Tötens eines Wirbeltieres ohne vernünftigen Grund, geschaffen werden müsse. Der Paragraph erscheine schwer umsetzbar, da der allgemeine und wertoffene Begriff des vernünftigen Grundes nicht hinreichend bestimmt und daher einer Auslegung der Richter bedürfe. Das Problem der Offenheit des Begriffes gilt sicherlich nicht nur für das Verbot des Tötens, sondern auch für die Zufügung von Leid. Bereits in der ersten Stellungnahme des Bundesrates35 hatte dieser gefordert, das Tatbestandsmerkmal des vernünftigen Grundes justiziabel zu machen und die strafwürdigen Fälle, so zum Beispiel eine „Tötung aus […] roher Gesinnung“, zu konkretisieren. Andernfalls würden rechtliche Bedenken gegen den Entwurf geltend gemacht. Auf Druck des Agrarausschusses und des Agrarministers Ertl wurde jedoch auf den angedrohten Vermittlungsausschuss verzichtet und am 7. Juli das Gesetz im Bundesrat beschlossen.36 Das nach dem Tag seiner Verkündigung genannte Tierschutzgesetz vom 24. Juli trat am 1. Oktober 1972 in Kraft. Für diese Arbeit entscheidende Paragraphen finden sich im Annex C.

35 Die Stellungnahme wurde in der Anlage der BTDS VI/2559 veröffentlicht. 36 Pfeiffer (2004, 210f).

Akteure der Reform und die einheitliche Zustimmung

Eine nähere historische Besprechung der treibenden, sowohl personellen als auch institutionellen Kräfte der Reform von 1972 wurde bislang nicht unternommen. Ziel dieses Abschnittes ist es, die beteiligten Akteure auszumachen sowie zentrale Positionen und Meinungen zur Reform des agrarischen Tierschutzrechts wiederzugeben.

I NVOLVIERTE ABGEORDNETE Die Konzeption des Tierschutzgesetzes von 1972 basiert auf Entwürfen der interparlamentarischen Arbeitsgruppe von 1966. Das bestätigen auch die Verfasser des Gesetzeskommentares von 1972, Ennulat und Zoebe, leider ohne die Namen der beteiligten Abgeordneten und den Zeitraum der Erarbeitung zu nennen.1 Das BML hat diese Konzeption seit 1969 weiterentwickelt und nur gering umformuliert und damit dem oben genannten Entschließungsantrag von 1969 entsprochen. Im Vorblatt zum Entwurf VI/2559 befinden sich jene Grundgedanken, die bereits den Entwurf von V/934 prägten. Wenn der Abgeordnete Rollmann dem liberalen Minister Ertl widerspricht, als dieser behauptet hatte, der sozialliberalen Regierung sei das Reformvorhaben zu verdanken, meint er den hohen Einfluss des Entwurfes V/943, an dem die CDU entscheidenden Anteil hatte. 2 Demgegenüber hält er den Beitrag der Koalitionsregierung unter Brandt für gering, eine Aussage, der Ertl in seinem Abschlusskommentar nicht widerspricht,

1

Ennulat und Zoebe (1972, 23).

2

Sten. Ber. 1971, 137. Sitzung, S. 7998.

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sondern mit einem Dank an die erfolgreiche Vorarbeit der Kollegen kommentiert.3 Die interparlamentarische Arbeitsgruppe arbeitete 1966 unter der Regierungskoalition aus CDU und FDP. Eine vollständige Liste der Mitglieder dieser Zeit ist nicht erhalten. Es wäre naheliegend, die Unterzeichner des Antrages V/934 als Mitglieder anzunehmen. Diese Unterschriften sagen jedoch wenig über die individuellen Beiträge, also die Konzeption und Formulierung einzelner Passagen, aus. Einige der Unterzeichner, wie Schmidt (CDU) und Bading (SPD), hatten bereits im Dezember 1961 einen Antrag IV/85 auf Gesetzesänderung gestellt, der sich in zentralen Formulierungen von dem Antrag V/934 unterschied. Erst in Letzterem werden Rollmann und Büttner erwähnt und sie treten in der Bewerbung des Antrages als Wortführer auf. Gegen die Annahme, die Antragsteller seien gleichzeitig auch die Verfasser und Hauptprotagonisten, spricht auch, dass einige nachweislich im Vorhaben engagierte Abgeordnete wie Hammans in der Liste fehlen. Dagegen treten einige Unterzeichner öffentlich gar nicht in Erscheinung. Für die Einschätzung des individuellen Beitrages wird im Folgenden das öffentliche Engagement für die Reform berücksichtigt. Die engagiertesten Befürworter Dietrich Rollmann bewirbt den Entwurf V/934 sehr engagiert und hatte gemäß Pfeiffer zeitweise den Vorsitz über die interparlamentarische Arbeitsgruppe inne. 4 Über seine Wortführerschaft berichten auch Zeitungsberichte der Zeit. 5 Rollmann war in der fünften Wahlperiode in zwei für die Reform relevanten Ausschüssen tätig, nämlich als stellvertretendes Mitglied im Agrarausschuss sowie als ordentliches Mitglied im Sonderausschuss der Strafrechtsreform.6 Er verteidigte den Entwurf V/934 im Oktober 1966 umfangreich und an prominenter erster Stelle der Redenden. Außerdem unterzeichnete er im April 1970 zusam-

3

Sten. Ber. 1971, 137. Sitzung, S. 7998. Schon während der Rede Ertls reagieren Abgeordnete der CDU/CSU mit Heiterkeit und fordern durch Zurufe mehr Zurückhaltung, als dieser von einem bedeutenden Reformvorhaben seiner Regierung spricht.

4 5

Pfeiffer (2004, 120). Das Hamburger Abendblatt vom 12. März 1966 (BA Koblenz Akte 116/19575) erwähnt Rollmann explizit als Wortführer. Auch in Artikeln der Süddeutschen Zeitung und der Stuttgarter Zeitung vom September 1966 (BA Koblenz Akte 116/19575 und BA Koblenz Akte 116/19575) wird Rollmann persönlich mit dem Reformvorhaben in Verbindung gebracht.

6

Vgl. Vierhaus und Herbst (2002b, 701).

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men mit dem Abgeordneten Hammans und Schmidt eine Anfrage an die Regierung, wann die Bundesregierung der „baldigmöglichsten“ Vorlage des Entwurfes eines Tierschutzgesetzes entsprechen wolle.7 Auch im September 1971 spricht Rollmann direkt im Anschluss an die Rede des Ministers Ertl vor dem Bundestag. Er erwähnt als einziger seine Teilnahme an einer Besichtigungsfahrt der interparlamentarischen Arbeitsgruppe auf landwirtschaftliche Betriebe und anschließenden Diskussionen mit Landwirten. Einen professionellen Hintergrund hatte Rollmann weder im Agrarbereich noch im Tierschutz. Er wurde 1932 geboren und studierte Jura, später gründete er eine eigene Werbefirma in Hamburg.8 1953 trat er der CDU Hamburg bei und wurde 1960 Bundestagsabgeordneter. In seiner Funktion als Landesvorsitzender der CDU Hamburg kam es 1971 zu einem parteiinternen Konflikt, worauf 18 Mitglieder der CDU Hamburg, darunter der spätere Politikprofessor Elmar Wiesendahl, die Partei verließen. In dem Begründungsschreiben erklärten diese ihren Austritt mit einer Veränderung der CDU von einer „Partei der Mitte“ zu einer „rechtsdriftigen Industrie-, Agrar- Vertriebenen und Hinterbliebenen Front“, bemängelten „Rechtsbeugung“ und „parakriminelles Milieu“ ihrer Partei. 9 Die Protestler kritisierten explizit Rollmanns intensive Zusammenarbeit mit dem Lobby-Verein zur Förderung des Hamburger Wirtschaftslebens, der die CDU Hamburg maßgeblich finanziert habe. Rollmann trat unerwartet und außergewöhnlich im September 1971, noch während der Wahlperiode, aus dem Agrarausschuss aus und beendet damit auch sein öffentliches Engagement für die Reform. Wie dieser Umstand mit den Spannungen und Vorwürfen aus Hamburg zusammenhängt, kann nicht eindeutig geklärt werden. In den Akten des BA Koblenz und des PA Berlin finden sich dazu keine Hinweise. 1976 erregte Rollmann erneut Aufsehen, als er sich vor der CDU Landesgruppe für die Verwendung von 280.000 Euro Spendengeldern nur unbefriedigend rechtfertigen konnte, worauf er kurz danach die Kandidatur als Bundestagsabgeordneter zurückzog und damit auch die aktive Politik aufgab.10 1977 wurde er Hauptgeschäftsführer der Interessenvertretung Bundesverband der Freien Berufe in Bonn, später war er selbständiger Berater für Kommunikation und Lobbyismus. Er publizierte auch die zwei Ratgeber für erfolgreichen Lobbyismus Zehn Gebote für Lobbyisten und Wie erreiche und überzeuge ich Politiker.11

7

Vgl. BTDS VI/639 und BTDS VI/524.

8

Vgl. Munziger Biographie (2011).

9

Vgl. Der Spiegel (1971).

10 Vgl. Der Spiegel (1976). 11 Vgl. Munziger Biographie (2011).

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Aus der CDU kommt außerdem Hugo Hammans eine wichtige Rolle zu. Er übernahm 1971 Rollmanns Sitz im Agrarausschuss sowie dessen Wortführerschaft in der letzten Bundestagsdebatte.12 Hammans wurde 1965 Bundestagsabgeordneter und bezog im Oktober 1966 zum Entwurf Drucksache V/943 positiv Stellung. Er verteidigte in der ersten und dritten Beratung 1971 und 1972 erneut den Entwurf Drucksache VI/2559 vor dem Bundestag. In der Funktion als neu gewähltes stellvertretendes Mitglied des Agrarausschusses formulierte Hammans später zusammen mit dem MdB Vit (SPD) den schriftlichen Bericht des Agrarausschusses zum Entwurf VI/2559.13 In der öffentlichen Anhörung von Sachverständigen im Februar 1972 ist Hammans aktiv an der Befragung der Vortragenden beteiligt. Außerdem verteidigte er die Reform, wie zuvor Rollmann, in den Medien, wie im Streitgespräch mit dem populären Zoodirektoren und Tierfilmer Bernhard Grzimek. Der 1927 geborene Hammans war promovierter Biologe. Er arbeitete zeitweilig in der Pflanzenschutzabteilung eines Pharmakonzerns und war als Studienrat, katholischer Religionslehrer und CDU-Ratsherr in Tönisberg in Nordrhein-Westfalen tätig.14 Von der SPD bringen sich die Abgeordneten Fritz Büttner, Karl-Heinz Saxowski und Franz Vit durch Beiträge in das Vorhaben ein. Alle drei wurden über die Landesliste Nordrhein-Westfalen in den Bundestag gewählt.15 Büttner wurde 1966 zusammen mit Rollmann als Wortführer des Reformvorhabens bezeichnet16 und war Unterzeichner des Entwurfes V/934.17 Ausgebildet zum kaufmännischen Angestellten, war er vor seiner Zeit als aktiver Politiker Vertreter des Stenographenverbandes, bevor er in der fünften Wahlperiode Mitglied im Bundestag wurde. Er ist von 1957 bis 1969 im Haushaltsausschuss und dem Ausschuss für Sozialpolitik, kurzfristig auch im Ausschuss für Arbeit, engagiert.18 1969 schied er aus dem Bundestag aus. Saxowski nimmt 1971 in einer Rede vor dem Bundestag Stellung, in der er stellvertretend für die Fraktion der SPD empfiehlt, den Entwurf VI/2559 zügig zu verabschieden19. Als langjähriges ordentliches Mitglied des Agrarausschusses von 1963 bis 1980 kann ihm eine agrarpoli-

12 Vgl. Vierhaus und Herbst (2002a, 302). 13 Vgl. BTDS VI/3556 und BTDS VI/2559. 14 Vgl. Vierhaus und Herbst (2002a, 302). 15 Vgl. Vierhaus und Herbst (2002a, 112); Vierhaus und Herbst (2002b, 720) und Vierhaus und Herbst (2002b, 897). 16 BA Koblenz Akte 116/19575. 17 BTDS V/934. 18 Vgl. Vierhaus und Herbst (2002a, 112). 19 Vgl. Saxowski, Sten. Ber. 1971, 137. Sitzung, Band 77, S. 8001.

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UND DIE EINHEITLICHE

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tische Expertise innerhalb der SPD zugeschrieben werden. Saxowski arbeitete als Kreisverwaltungsbeamter, bevor er 1961 in den Bundestag gewählt wurde.20 Vit war von 1969 bis 1976 ordentliches Mitglied im Agrarausschuss.21 In dieser Funktion verfasste er gemeinsam mit Hammans den schriftlichen Bericht des Agrarausschusses zum Entwurf VI/2559 und präsentierte diesen im Juni 1972 vor dem Bundestag. Für die FDP warb Wolfgang Rutschke für den Entwurf V/934. Rutschke war promovierter Jurist und Verwaltungsbeamter. 22 Der Landwirt Wilhelm Helms, verteidigte als Mitglied des Agrarausschusses den Entwurf VI/2559 in der ersten Lesung 1971. Helms trat im April 1972 aus Kritik an der FDP unter der Regierungskoalition Willy Brandts aus der FDP-Fraktion aus. Walter Peters, ebenfalls Landwirt und Mitglied im Agrarausschuss, übernahm für ihn im Juni 1972 die befürwortende Stellungnahme in der dritten Beratung zum Entwurf VI/2559. Mit dem niedersächsischen Landwirt Fritz Logemann kam einem FDPMitglied die Rolle zu, nicht nur in der fünften Wahlperiode als ordentliches Mitglied des Agrarausschusses die Entstehung des Entwurfes V/934 aktiv zu begleiten, sondern auch seit 1969 als parlamentarischer Staatssekretär in Joseph Ertls Landwirtschaftsministerium die Ausformulierung des Entwurfes Drucksache VI/2559 mit verantwortet zu haben.23 Im Juni 1972 hielt er die abschließende Rede vor der Bundestagsabstimmung und fordert darin Abgeordnete über die Parteigrenzen hinweg auf, für den Entwurf zu stimmen. Seit 1928 bewirtschaftete er zusammen mit seiner Frau einen Schweinemast- und Großviehbetrieb, der auch als Muster- und Lehrbetrieb diente.24 Als ehemaliger Bundestagsabgeordneter der rechtskonservativen Deutschen Partei (DP) trat Logemann der FDP bei, als sich erstere 1961 auflöste. 25 Er war nach dem Krieg Vorsitzender des niedersächsischen Landvolk Verbandes sowie Bundesvorsitzender des Vereins für Agrarwirtschaft.26

20 Vgl. Vierhaus und Herbst (2002b, 720). 21 Vgl. Ebd. 22 Vgl. Vierhaus und Herbst (2002b, 512-513). 23 Vgl. Ebd. 24 Vgl. Munzinger Biographie (2011). 25 Vgl. Patel (2009, 413). 26 Vgl. Munziger (2011).

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Zustimmung aller Parteien Der Reformvorschlag wurde schließlich einstimmig angenommen. Eine komplexe institutionelle Konstellation führte zur Zustimmung aller politischen Parteien. Die CDU/CSU übernahm als zentrale agrarpolitische Kraft die Führung innerhalb der interparlamentarischen Gruppe von 1966 und damit in der Ausarbeitung der Konzeption. Diese wurde ab 1969 vom Agrarministerium unter Leitung von FDP-Minister Ertl nur leicht verändert und zu einem Gesetzesentwurf ausgearbeitet. Über die Arbeit im BML war auch die SPD als Regierungspartei von 1969 bis 1972 und Koalitionspartner der FDP in die Erstellung des Entwurfes eingebunden. Inwieweit einzelne Mitglieder von Parteien den Entwurf kritisch beurteilten, ist unklar. Im Bundestag jedenfalls trat kein Abgeordneter, weder aus der Regierung noch aus der Opposition, offiziell als Kritiker des Entwurfes auf. Die engagierten MdB aller Parteien waren ausschließlich männlich.

D ER AUSSCHUSS UND F ORSTEN

FÜR

E RNÄHRUNG , L ANDWIRTSCHAFT

Institutionell und durch das Engagement seiner Mitglieder kommt dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Agrarausschuss) des Bundestages eine besondere Bedeutung im Reformvorhaben zu. Bei ihm lag die Federführung des Reformvorhabens ab September 1971 und die offizielle Berichtspflicht gegenüber dem Bundestagsplenum. Dafür wurde ein Unterausschuss „Tierschutzrecht“ gebildet, der allerdings nur ein einziges Mal, am 18. Juni 1971, kurz nach der Übersendung des ersten Entwurfes an den Bundesrat, tagte.27 In dieser Sitzung wurden verschiedene Änderungsvorschläge am Gesetzestext eingebracht, die aber die Paragraphen zur Agrartierhaltung nicht betrafen.28 Der Agrarausschuss übernahm am 8. Februar 1972 die Organisation der öffentlichen Anhörung zum Gesetzesentwurf, an der vorwiegend dessen Mitglieder teilnahmen. Der Einfluss des Agrarausschusses ergibt sich aber auch aus dem Engagement seiner Mitglieder. Von den insgesamt 12 Rednern, die in den drei Sitzungen 1966, 1971 und 1972 im Bundestag positiv Stellung zum Gesetzesvorhaben bezogen hatten, waren zwei Drittel Mitglieder des Ausschusses. Zwei von vier Unterzeichnern des Entwurfes V/934 waren Mitglieder. Als Rollmann 1971

27 Vgl. BRDS 278/71. 28 Vgl. Pfeiffer (2004, 174 f.).

A KTEURE DER REFORM

UND DIE EINHEITLICHE

ZUSTIMMUNG

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plötzlich aus dem Ausschuss ausscheidet, übernimmt Hammans mit der Mitgliedschaft im Ausschuss auch das leitende Engagement für den Gesetzentwurf VI/2559 seitens der CDU. Seit Beginn der ersten Wahlperiode von 1949 bis Ende der zehnten Wahlperiode 1987 rekrutierte sich die Leitung des Ausschusses aus ausgebildeten oder praktizierenden Landwirten.29 In den für die Prägung der Reform entscheidenden Jahren 1961 bis 1969 teilten sich den Vorsitz im Agrarausschuss Bernhardt Bauknecht (CDU) als Vorsitzender und Martin Schmidt (SPD) als Stellvertreter. Bauknecht war von 1959 bis 1969 Vizepräsident des DBV. Außerdem wirkte er als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Agrarexport, aus der 1970 die Centrale Marketinggemeinschaft für Deutsche Agrarprodukte (CMA) hervorging.30 Martin Schmidt war promovierter Agrarökonom, praktizierender Landwirt und später Vorstandsvorsitzender des Absatzförderungsfonds der Deutschen Landwirtschaft in Bonn. Er löste 1969 Bauknecht als Vorsitzenden ab und behielt diese Position bis 1987. In der fünften Wahlperiode, 1965 bis 1969, waren 13 von 17 ordentlichen Ausschussmitgliedern der CDU ausgebildete oder praktizierende Landwirte oder beides. Rund 80% der ordentlichen Mitglieder waren innerhalb ihrer beruflichen Karriere Vertreter landwirtschaftlicher Interessenverbände oder absatzfördernder Agrarinstitutionen.31 In der sechsten Wahlperiode ergibt sich ein ähnliches Bild, dies ist in Übersicht A dargestellt. Von der FDP waren in der fünften und sechsten Wahlperiode alle ordentlichen Mitglieder ausgebildete Landwirte. 1969 wechselten mit Ertl und Logemann zwei Mitglieder des Ausschusses an die Spitze des BML. In der SPD ist in der fünften Wahlperiode knapp jedes dritte ordentliche Mitglied landwirtschaftlich ausgebildet. In der sechsten Periode sinkt dieser Anteil leicht auf etwas mehr als ein Fünftel. Es befinden sich unter den SPD-Mitgliedern auch Vorstandsmitglieder landwirtschaftlicher Interessenverbände, jedoch deutlich weniger als bei der CDU.

29 Vgl. Vierhaus und Herbst (2002a, 2002b und 2002c). 30 Vgl. Vierhaus und Herbst (2002a, 43). 31 Vgl. Vierhaus und Herbst (2002a, 2002b und 2002c).

96 | TIERSCHUTZ ALS A GRARPOLITIK

Tabelle A: Mitglieder der CDU/CSU Fraktion des Agrarausschusses der sechsten Wahlperiode (1969-1972) und ihr Bezug zur Agrarwirtschaft

MdB

Praktizierende(r)

Leitende Position eines Agrar-

Landwirt(in)

interessenverbandes32

Bewerunge, Karl Bittelmann, Otto Bremm, Klaus

X

Ehnes, Georg Früh, Isidor

X

Kiechle, Ignatz Lensing, Eduard

X

Niegel, Lorenz Orgaß, Gerhard

X

Rainer, Alois

X X

Reinhard, Karl Ritgen, Gerd Ritz, Burkhard Schröder, H. Siemer, J. H. Solke, Emil Sprung, Rudolf

X

X

~ 84%

~ 74%

Struve, Detlef Susset, Egon Anteil Gesamt

Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Vierhaus und Herbst (2002a, 2002b und 2002c)

32 In den meisten Fällen ist das der DBV, in einzelnen Fällen sogenannte Landvolkverbände, agrarisch geprägte Marketing- und Absatzfonds sowie agrarisch geprägte Genossenschaften.

A KTEURE DER REFORM

UND DIE EINHEITLICHE

ZUSTIMMUNG

| 97

Die Vorsitzenden und ordentlichen Mitglieder des Ausschusses in der fünften und sechsten Wahlperiode waren bis auf eine Ausnahme durchweg männlich.

D AS B UNDESMINISTERIUM FÜR E RNÄHRUNG , L ANDWIRTSCHAFT UND F ORSTEN Unter dem Einfluss des BML-Ministers Höcherl (CSU) wurden die Grundgedanken des Gesetzes in der Wahlperiode 1965-1969 eingeführt, allgemein beworben und akzeptiert und im April 1969 dem BML zur finalen Ausarbeitung übertragen. Höcherl war während der nationalsozialistischen Diktatur als Staatsanwalt tätig. Dennoch konnte er auch in der Bundesrepublik dieses Amt bekleiden und war später als Politiker erfolgreich. Von 1961 bis 1965 war er Bundesinnenminister und von 1965 bis 1969 Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Höcherl setzte sich für einen marktwirtschaftlich orientierten Strukturwandel der Landwirtschaft ein.33 Im April 1970 erklärte Ertl: „Im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sind die vorbereitenden Arbeiten für die Neugestaltung des Tierschutzrechtes seit längerem in vollem Gange.“34

Mit Minister Ertl und Staatssekretär Logemann hatten 1969 zwei Vertreter des konservativen Flügels der FDP die Führung des Ministeriums übernommen. Beide hatten sich anfangs gegen eine Koalition mit der SPD ausgesprochen und unterstützten diese erst nach der Aussicht, die Leitung des BML übernehmen zu können.35 Sie waren Teil eines agrarischen Polit-Netzwerkes, das über die Grenze ihrer Partei hinausreichte. Ertl wuchs auf einem elterlichen Betrieb in Bayern auf, studierte nach einer Landwirtschaftslehre Agrarwissenschaften in Weihenstephan und war in den 1950er Jahren im bayerischen Landwirtschaftsministerium tätig. 1953 heiratete er die Tochter des damaligen Ministers im BML Wilhelm Niklas (CSU).36 Als Tierschutzreferent des BML war Herwig Schultze-Petzold seit 1969 für die wissenschaftliche Prägung des Gesetzesvorhabens zuständig. Er ist es, der den Kontakt zu Verhaltensbiologen aufbaut und die rechtlich relevanten etholo-

33 Vgl. Vierhaus und Herbst (2002a, 346f.). 34 Vgl. BTDS VI/639. 35 Vgl. Kroegel (1997, 326). 36 Vgl. Patel (2009, 412).

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gischen Konzepte erarbeitet. 37 Christoph Maisack befindet in seinem historischen Abriss der Reform, Schultze-Petzold sei bei der Ausrichtung der Gesetzesvorgaben maßgeblich beteiligt gewesen. 38 Die Wochenzeitschrift die Zeit nennt ihn 1979 auch „Vater des Tierschutzgesetzes“.39 Schultze-Petzolds Engagement lag besonders in der Einführung des Gebots der art- und verhaltensgerechten Haltung. Er nahm in seiner Funktion als Tierschutzreferent an nutztierethologischen Tagungen teil. In einer Rede auf der Internationalen Arbeitstagung zur angewandten Ethologie bei Nutztieren 1973 begrüßte er nachdrücklich die neue rechtliche Konzeption, durch die „der bis dahin weitgehend gefühlsbetonte Tierschutz über die Angewandte Ethologie durch einen wissenschaftlich ausgerichteten Tierschutz ersetzt“40

worden sei. Schultze-Petzold machte sich 1965, kurz vor seinem Stellenantritt im Ministerium, einen Namen damit, die Kritik an der Verbreitung intensiver Haltungsverfahren aus Sicht eines Veterinärs zurückzuweisen bzw. zu ignorieren. Die 1960er Jahre waren für den Veterinärsektor eine wegweisende Zeit. 1965 war die Bundestierärzte-Verordnung verabschiedet worden, die Veterinären vorschrieb, Leiden von Tieren abzuwenden. Gleichzeitig waren Teile der Öffentlichkeit über die veterinärmedizinisch gestützte, leidverursachende Form der neuen Intensivhaltung empört. Das verursachte einen Konflikt, mit dem der Veterinärsektor auch rechtlich konfrontiert war. In dieser Zeit positionierte sich Schultze-Petzold in einer wichtigen Veterinärzeitschrift klar für eine Kollaboration seiner Zunft mit der neuen Intensivtierhaltung. 41 Der Titel seines Aufrufes gegen grundsätzliche Kritik intensiver Haltungsverfahren lautet Über neuzeitli-

37 BA Koblenz, B116/50089. Dokumentiert ist eine briefliche Korrespondenz zwischen Schultze-Petzold und dem Verhaltensforscher am Max-Planck Institut Jürgen Nicolai. Schultze-Petzold übermittelte ihm den Entwurf des Gesetzes, inklusive des Tierhaltungsparagraphen, der die neuen Gebote der artgemäßen und verhaltensgerechten Haltung formulierte. Nicolai schlug ihm vor, anstelle von ‚tierartgemäßem‘, schlicht von ‚artgemäßem‘ Verhalten zu sprechen. Den Begriff ‚verhaltensgerecht‘ hörte Nicolai im Dezember 1970, gut anderthalb Jahre vor der Umsetzung der Reform, das erste Mal und schreibt: „Ausgezeichnet finde ich die Formulierung ‚verhaltensgerecht‘. Sie ist meines Wissens eine Neuschöpfung.“ 38 Maisack (2007). 39 Vgl. Haaf (1979). 40 Sambraus (1989, 25). 41 Schultze-Petzold (1965).

A KTEURE DER REFORM

UND DIE EINHEITLICHE

ZUSTIMMUNG

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che Aufgabenstellungen bei der Intensivtierhaltung großer Nutztierbestände. Darin beschreibt er, was vom Veterinärsektor zum weiteren Ausbau dieser Haltungsformen gefordert wird. Zur Vorbeugung gegen hochleistungsbedingte Krankheiten der Tiere hält er beispielsweise den Einsatz von Antibiotika für „unentbehrlich“, um die „Ausweitung der tierischen Produktion“ zu erreichen.42 Zur „Massierung von Tieren auf engem Raum“ enthält sich der promovierte Veterinär explizit eines moralischen Urteils, was in der Zeit öffentlicher Kritik einem impliziten Einverständnis gleichkommen muss. Abschließend betont er im agrarwirtschaftlichen Jargon, dass die Zusammenarbeit zwischen Veterinärwesen und Tierproduktion die „beste Voraussetzung […] für rationelle Massenproduktion hygienisch einwandfreier tierischer Veredlungsprodukte“ sei.43 Neben Schultze-Petzold wurde Klaus Zeeb vom BML mit veterinärmedizinischen Sachfragen vertraut. Zeeb promovierte 1959 über das Verhalten von Pferden. Nachdem er rund zehn Jahre am tierhygienischen Institut Freiburg in der Lebensmittelabteilung und der Tierklinik gearbeitet hatte, stellte das BML 1970 dem Freiburger Institut die finanziellen Mittel zur Verfügung, um Klaus Zeeb als externen Vertreter des BML vollberuflich im Bereich Ethologie der Nutztiere arbeiten zu lassen.44 Sambraus behauptet, dass Zeeb dem BML „bei der Formulierung des Tierschutzgesetzes entscheidend zur Seite“ stand.45 Ab 1969 war Zeeb Leiter der Fachgruppe Verhaltensforschung der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft (DVG) und organisierte in dieser Funktion im selben Jahr in Kollaboration mit der Fachgruppe Schweinekrankheiten der Tierärztlichen Hochschule Hannover die erste DVG-Arbeitstagung Angewandte Ethologie bei Nutztieren. Zweck dieser jährlich stattfindenden Tagung am tierhygienischen Institut in Freiburg war es, in den Worten Zeebs, „Antworten auf dringende Fragen der Tierhaltung zu geben“.46 In den kommenden 20 Jahren übernahm Zeeb die Verantwortung für die Auswahl der Vorträge und deren Veröffentlichungen, ein Umstand, der ihm rückblickend den Ruf einer „despotischen“ Handhabung in der Organisation eintrug.47 Die Veröffentlichungen der inhaltlichen Beiträge dieser Fachgruppe wurden vom Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (KTBL) herausgegeben, das wiederum institutionell vom BML gefördert wird.

42 Schultze-Petzold (1965, 263-265). 43 Schultze-Petzold (1965, 272). 44 Sambraus (1989, 20). 45 Sambraus (1989, 19). 46 Zeeb (1989, Vorwort). 47 Van Putten (1989, 55).

100 | TIERSCHUTZ ALS A GRARPOLITIK

P OSITIONEN

ZIVILGESELLSCHAFTLICHER UND WISSENSCHAFTLICHER AKTEURE Im den Archiven in Berlin und Koblenz (PA und BA) finden sich unveröffentlichte Stellungnahmen zur Gesetzesreform zwischen Sommer 1971 und Juli 1972. Sie beziehen sich somit auf den Entwurf Drucksache VI/2559 bzw. dessen informelle Vorgänger aus dem Sommer 1971. In der folgenden Zusammenfassung werden Positionen relevanter zivilgesellschaftlicher und wissenschaftlicher Akteure zur Reform vorgelegt. Der Deutsche Bauernverband Der DBV, die größte landwirtschaftliche Dachorganisation Deutschlands, begrüßte den Grundsatz des Entwurfes VI/2559. 48 Die Position des Verbandes deckt sich in konzeptionellen Fragen mit der Position der genannten politischen Akteure und den offiziellen Begründungen. Die folgende Tabelle zeigt eine Auswahl von Stellen in Reden und Dokumenten, die mit den Formulierungen des Positionspapiers des DBV denkungsgleich sind.

48 Vgl. für sämtliche Zitate dieses Unterpunktes BA Koblenz B116 / 38822. Obwohl der Text undatiert ist, ergibt sich aus dem Inhalt, dass er in der Zeit zwischen dem 7. September 1971 und der Abstimmung im Bundestag am 21. Juni 1972 verfasst wurde.

A KTEURE DER REFORM

UND DIE EINHEITLICHE

ZUSTIMMUNG

Tabelle B: Formulierungen des Deutschen Bauernverbandes in Reden und staatlichen Dokumenten (Hervorhebung durch den Autor)

Identische oder sinngleiche Formu-

DBV zu Entwurf VI/2559

lierungen

Infolge der Entwicklung der modernen Tierhaltung, der Wissenschaft und der Technik stehen sich wirtschaftliche und wissenschaftliche sowie ethische Forderungen auf dem Gebiet des Tierschutzes gegenüber.

Die Deutsche Landwirtschaft teilt die Auffassung der Bundesregierung, daß es Sinn und Zweck neuer gesetzlicher Regelungen sein muss, diese […] Gesichtspunkte mitei-

Begründung VI/2559, S. 9 Ertl, 1971, 137. Sitzung Rollmann, 1966, 64. Sitzung

Begründung des VI/2559, S. 9 Ertl, 1971, 137. Sitzung Rollmann, 1966, 64. Sitzung

nander in Einklang zu bringen.

Diese so schwierige Aufgabe konnte die Bundesregierung nur dadurch lösen, dass sie

als

ethisch

Beurteilungsmaßstab ausgerichteten

für

Tierschutz

einen aus-

schließlich exakte und repräsentative wissenschaftliche Feststellungen über tierartgerechte und verhaltensgerechte Normen und Erfordernisse gewählt hat.

Begründung des VI/2559, S. 9 Hammans, 1966, 64. Sitzung Ertl, 1971, 137. Sitzung Hammans, 1971, 137. Sitzung Bericht des Agrarausschusses, S. 1

Begründung des VI/2559, ,S. 9 Zu Recht begründet der Gesetzentwurf die Verpflichtung zum Schutz der Tiere nicht

Hammans, 1966, 64. Sitzung.

lediglich mit dem bloßen Empfinden des

Ertl, 1971, 137. Sitzung.

Menschen […]. Bericht des Agrarausschusses, S. 1 Vor diesem Hintergrund mußte die Bundesregierung dann auch konsequenterweise die

Begründung des VI/2559,S. 9

Haltung von Tieren in größeren Beständen

Dobler, 1972, öffentliche Hörung

als ökonomische Gegebenheit ansehen.

Quelle: Eigene Darstellung

| 101

102 | TIERSCHUTZ ALS A GRARPOLITIK

Besonders deutlich bekräftigt der Verband den Ansatz, nur diejenigen Urteile in der Entscheidungsfindung über Haltungsformen zu berücksichtigen, die die Nutztierethologie eindeutig bestätigt: „Die deutsche Landwirtschaft ist […] bereit, alle Anforderungen hinzunehmen, die sich aus exakten und repräsentativen wissenschaftlichen Feststellungen über artgemäße und verhaltensgerechte Normen und Erfordernisse herleiten lassen.“

Gelinge dies nicht in „repräsentativer“ Weise, so die Stellungnahme, bestünden keine Gründe, eine Tierschutzforderung ernsthaft zu berücksichtigen. Präsident des DBV war seit 1969 bis 1997 der Landwirt und spätere CDU-Abgeordnete Constantin Heereman von Zuydtwyck. Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft Anlässlich der öffentlichen Anhörung im Februar 1972 in Bonn nahm die DVG zum Entwurf VI/2559 Stellung. 49 Sie stimmte in wesentlichen Punkten dem Gesetzesvorhaben zu. Das Gesetz von 1933 entspreche nicht mehr dem ‚gewandelten Verantwortungsbewusstsein‘ der Gesellschaft für das Tier. Um das ‚ethische Ziel eines effektiven Lebensschutzes‘ zu erreichen, sei es zu begrüßen, moderne Erkenntnisse der Verhaltensforschung als Grundlage des Gesetzes anzuführen. Die DVG wies weiterhin die Kritik zurück, das Tier dürfe rechtlich nicht als Sache gelten. Tiere gehörten zur „Materie“, die den Menschen umgibt. Rechtlich sei der Begriff der Sache angebracht, da Tiere seit jeher vom Menschen verkauft oder vererbt würden. Dieser Sachverhalt schränke aber nicht die Pflicht ein, Schmerzen, Leiden oder Schäden vom Tier abzuwenden, sofern diese nicht „aus vernünftigem, berechtigtem“ Grund im Sinne der „Sittenordnung“ des Menschen dem Tier gegenüber zugemutet werden könnten. Es fällt auf, dass hier – bis auf den Tausch der Wörter ‚Zweck‘ und ‚Grund‘ – exakt die Wortwahl aus § 1, Absatz 2 des Tierschutzgesetzes von 1933 gewählt wurde. Es folgt eine Konkretisierung einer hierarchisch geprägten Sittenordnung in Fallbeispielen, die in leicht abgeändertem Wortlaut auch von Hammans vor dem Bundestag im Juni 1972 genannt wird.50

49 Vgl. für sämtliche Zitate dieses Unterpunktes BA Koblenz B116 / 38822. 50 Die ähnlichen bis wortgleichen Formulierungen aus Hammans, Sten. Ber. Bd. 80, S. 11393 und der Stellungnahme der DVG im BA Koblenz B116/38822 lauten: „Unsere Sittenordnung kennt Anliegen oder Ziele [DVG spricht von ‚Anliegen bzw. Zwecke‘], die denen des Tierschutzes übergeordnet, sittlich gleichwertig oder untergeordnet

A KTEURE DER REFORM

UND DIE EINHEITLICHE

ZUSTIMMUNG

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Abschließend reicht die DVG Änderungsvorschläge für Formulierungen einzelner Kapitel ein, die aber nicht die Konzeption des Entwurfes nicht wesentlich berühren. Hervorzuheben ist allenfalls die Forderung, das Verbot der „unnötigen Tötung“ im ersten Paragraphen zu verankern. Deutsche Forschungsgemeinschaft Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) nahm unmittelbar vor der öffentlichen Sachverständigenanhörung im Februar 1972 Stellung.51 Sie begrüßt den Ansatz des neuen Gesetzes, Tiere nicht nur vor Schmerzen, Leiden und Schäden, sondern auch deren Leben an sich zu schützen. Mit „Genugtuung“ nimmt sie zur Kenntnis, dass die „in ihrem ethischen Gehalt beispielhafte Grundkonzeption“ durch die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse fundiert sei. Welche Rolle die Ethik in den wissenschaftlichen Urteilen der Nutztierethologie genau spielt, wird nicht näher ausgeführt oder nachgefragt. Deutsche Tierärzteschaft Der Geschäftsführer der Deutschen Tierärzteschaft schickte im März 1972 eine Stellungnahme im Namen der Deutschen Tierärzteschaft an den Vorsitzenden des Agrarausschusses MdB Schmidt.52 Darin betont er, dass gemäß Bundestierärzteverordnung Tierärzte dazu berufen sind, Krankheiten der Tiere zu verhüten, zu lindern oder zu vermeiden. Er begrüßt die notwendigen verfassungsrechtli-

sind. Als übergeordnet [DVG schreibt ‚Als übergeordnet bzw. gleichgeordnet‘] müssen die Ernährung des Menschen, Krankheitsbekämpfung [DVG benutzt das Wort ‚Volksgesundheit‘] oder Schädlingsbekämpfung gelten, ebenso wissenschaftliche Forschung über und mit Tieren [letztere im DVG-Text nicht genannt], Volksbildung, Natur- und Jagdschutzausbildung von Tieren [DVG erwähnt ‚Natur- und Jagdschutz‘) gelten. Dem Anliegen des Tierschutzes ist aus öffentlich-rechtlicher Sicht unterzuordnen, was aus modischen, liebhaberischen, sportlichen, artistischen oder künstlerischen Zwecken mit einem Tier geschieht und mit Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden ist.“ [Der DVG erwähnt als zusätzliches, dem Tierschutz übergeordnetes Anliegen auch die ‚Tötung überzähliger Jungtiere“. Dieser Punkt entfällt in Hammans‘ Rede.]. 51 Vgl. für sämtliche Zitate dieses Unterpunktes Stellungnahme der DFG vom 11.1.1972 in PA, Akte VI-285-B-Nr.1. 52 Vgl. für sämtliche Zitate dieses Unterpunktes Stellungnahme der Deutschen Tierärzteschaft vom 23. Mai 1972 an den Vorsitzenden des Agrar-Ausschusses Dr. SchmidtGellersen in PA, VI-285-B, Nr. 64.

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chen Veränderungen, die eine Zersplitterung des Tierschutzes in Zuständigkeitsbereiche der Länder vermieden hätte. Der Entwurf enthalte zudem alle Voraussetzungen, Vorbild für die tierschutzrechtliche Entwicklung im europäischen Raum zu werden. Als Vorlage für das noch zu europäische Abkommen zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere müsse dem Entwurf eine große wirtschaftliche Bedeutung zugemessen werden. Der Vertreter der Vereinigung stellt zusammenfassend fest, dass der Gesetzentwurf in hohem Maß die Erwartungen der Tierärzte erfülle. Er lobt die Macher des Gesetzes für ihr Bemühen um „Wahrhaftigkeit und Praktikabilität“ sowie die „Ausrichtung auf wissenschaftliche Bezüge und Erkenntnisse“, welche er genau meint bleibt unklar. Deutsche Zoologische Gesellschaft Für die Deutsche Zoologische Gesellschaft nimmt Hansjochem Autrum im Januar 1972 schriftlich Stellung, der auch im Hauptsenat der DFG saß.53 Die Gesellschaft befürwortet das Vorhaben, weil es einen ‚sittlich und wissenschaftlich begründeten Tierschutz‘ fördere. Das Gesetz habe zum Ziel, die ‚Selbstverwirklichung der Menschen‘ zu garantieren. Die Grenzen der Selbstverwirklichung existierten dort, wo es notwendig sei, Tiere zu schützen. Auf diese ethische Begründung des Tierschutzes geht Autrum nicht weiter ein. Die wissenschaftliche Begründung setze Fachkenntnisse voraus, die nur „in langjähriger Ausbildung und langjährigem Umgang mit Tieren erworben werden“ könnten. Dieser fachlichen Qualifikation stellt Autrum einen ‚emotionell begründeten Tierschutz‘ entgegen, der menschliche Empfindungen in Tieren lediglich ‚wiederzufinden glaubt‘. Ein solcher emotionaler Zugang könne Tiere in Gefahr bringen und zu Tierquälerei führen. Autrum sieht in Fragen des Tierschutzes den Biologen mit entsprechenden Fachkenntnissen als gleichberechtigten Partner der Tierärzte und Mediziner. Auf die Rolle der Philosophie und der Ethik geht er nicht ein. Paul Leyhausen – Max Planck-Institut für Verhaltensphysiologie Paul Leyhausen arbeitete 1971 für die Außenstelle des Max-Planck-Instituts für Verhaltensphysiologie in Wuppertal, der sogenannten Abteilung Lorenz, und nahm in einem undatierten Schreiben Stellung zum Entwurf VI/2559.54 Die For-

53 Vgl. für sämtliche Zitate dieses Unterpunktes die Stellungnahme der Deutschen Zoologischen Gesellschaft in PA, Akte VI-285-B, Nr. 7. 54 Vgl. für sämtliche Zitate dieses Unterpunktes Stellungnahme von Paul Leyhausen in BA Koblenz, B116/38822. Wie im weiteren Verlauf der Arbeit noch gezeigt wird, ar-

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derungen nach verhaltensgerechter Unterbringung und artgemäßer Bewegungsmöglichkeit befindet er insgesamt als konstruktiv. Er distanziert sich aber von der Vorstellung, damit die intensiven Tierhaltungsformen rechtfertigen zu können und stellt fest, dass „sämtliche moderne Hochintensivhaltungen“ diese Forderungen missachteten und „in keiner Weise mit ihnen auch nur annähernd in Einklang zu bringen“ seien. Solle das Gesetz nicht zu einer „Farce“ werden, seien insbesondere die sogenannte Mastkalbbox, die intensive Schweinehaltung und die Batteriehaltung von Legehennen „ausdrücklich zu verbieten“. Leyhausen sieht Probleme mit der institutionell forcierten Beweislast der Ethologie. „Rücksichtslose Verfechter des Wirtschaftlichkeitsstandpunktes“ würden immer wieder versuchen, den Unterstützern des Tierschutzes die Last des zweifelsfreien Beweises zuzuschieben, ob Tiere unter bestimmten Bedingungen litten bzw. eine Haltungsmethode grausam sei. Leyhausen bemerkt dazu ironisch: „Und solange eben die Gegenseite ‚zweifelt‘, ist also nichts bewiesen…“

Anstelle eines solchen Zugangs stellt Leyhausen eine Rechtsauffassung in Aussicht, nach der ein Landwirt, der Tierhaltungspraktiken einführen möchte, die tierquälerisch sein könnten, nachweisen muss, dass sie nicht tierquälerisch sind. Er führt diese Idee der umgedrehten Beweislast aber nicht weiter aus. Es existiert im BA Koblenz es auch keine dokumentierte Antwort auf seine Position. Streit zwischen Hammans mit Bernhard Grzimek Der damalige Direktor des Frankfurter Zoos und Autor bekannter Dokumentartierfilme, Bernhard Grzimek, war 1972 Naturschutzbeauftragter der Bundesregierung. In dieser Eigenschaft befragte ihn die Deutsche Presseagentur zum finalen Gesetzentwurf. Grzimek forderte in einer am 1. Juli 1972 veröffentlichten Stellungnahme das BML auf, „trotz des Gewichtes einflussreicher Wirtschaftskreise“ mehr für die in „Käfigen und Zwangsständen“ untergebrachten Hühner,

beitete Leyhausen in den frühen 1970er Jahren an einem Forschungsvorhaben mit, welches das Leid der Hennen in der Käfighaltung für entsprechende TierschutzRechtsverordnungen ermitteln sollte. Er beendete 1974 aus Protest gegen die Forschungsbedingungen die Zusammenarbeit mit dem BML, die seiner Meinung nach die Seite der Befürworter der Käfighaltung begünstigte und engagierte sich fortan nicht mehr für den staatlichen Tierschutz.

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Hähne, Kälber, Schweine und Kühe zu tun.55 Obwohl das Gesetz verschiedene Probleme gut gelöst habe, solle die Regelung der Intensivtierhaltung konkreter erfolgen. Der für das Reformvorhaben engagierte Hugo Hammans ließ daraufhin von seinem Pressereferat einen offenen Brief an Grzimek veröffentlichen.56 Er habe Grzimek so verstanden, dass das Gesetz hinsichtlich der Intensivtierhaltung nicht ausreiche und wirft ihn vor, zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen am 8. Februar 1972 in Bonn trotz Einladung nicht erschienen zu sein und die Lesungen im Deutschen Bundestag im Juni 1972 unzureichend zur Kenntnis genommen zu haben. Das Gesetz sehe Mindestforderungen an die Haltung von Tieren vor, die den ‚essentiellen Funktionskreisen des arteigenen angeborenen Verhaltensinventars der Tiere‘ entsprechen. Damit würden die Bedürfnisse der Tiere berücksichtigt. Um diese Mindestforderungen aufzustellen, müssten lediglich die Gutachten von Sachverständigen abgewartet werden. Hammans schließt den offenen Brief mit dem Rekurs auf Emotionen: „Wie wär‘s, Herr Prof. Grzimek, wenn Sie sich, statt in der Öffentlichkeit zu lamentieren und die Emotionen der Massen zu wecken, lieber an die sachliche Lösung der oben angeführten Probleme machen würden […]?“57

Grzimek hatte gegenüber Hammans vorher bereits in einem nicht-öffentlichen Brief beteuert, er habe in der Pressemeldung weder lamentiert, noch Emotionen angesprochen. Er hoffe lediglich, dass die geplanten Verordnungen eine gute Regelung der Situation brächten.58 Zentralverband der Deutschen Geflügelzüchter (ZDG) Im Rahmen der öffentlichen Anhörung im Februar 1972 in Bonn nimmt auch der Verband der Deutschen Geflügelzüchter (DZG) Stellung zum Entwurf VI/2559. 59 Der ZDG weist zunächst auf die hohe Produktivität der modernen Geflügelhaltung hin. 70% der Weltbevölkerung leide an Eiweißdefizit und die Branche könne dieses Problem lindern. Der Verband betont, dass Wissenschaft eine industrielle Geflügelproduktion überhaupt erst ermöglicht habe. Die Verhal-

55 Dpa-Mitteilung vom 1. Juli 1972 in PA, Akte VI 285-A-Nr. 38. 56 Brief Hammans an Grzimek (11.Juli 1972) in PA, Akte VI 285-A-Nr. 38. 57 Ebd. 58 Brief Grzimek an Hammans (6. Juli 1972) in PA, Akte VI 285-A-Nr. 38. 59 Vgl. für sämtliche Zitate dieses Unterpunktes Stellungnahme des ZDG in BA Koblenz, B116/38822.

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tensforschung sei dabei bisher noch wenig eingesetzt worden. Es sei aber nicht auszuschließen, dass eine „Verfeinerung der Meßmethoden“ die Bedeutung der Verhaltensforschung in der Gefügelzucht noch vergrößern werde. Entsprechend der „Sittenordnung“ dürfe nur eine „nachgewiesene Tierquälerei“ Berücksichtigung im Tierschutzrecht finden. Diesen Grundsatz des Gesetzesentwurfes bekräftigte der ZDG. Die Gemeinsame Kommission der Deutschen Tierschutzverbände Im BA Koblenz befindet sich eine undatierte Stellungnahme der Kommission Deutscher Tierschutzverbände zum Entwurf des neuen Tierschutzgesetzes, aus dessen Inhalt hervorgeht, dass es sich um den Entwurf Drucksache VI/2559 handelt.60 Den Vorsitz dieser Kommission hatte der ehemalige Vizepräsident des Bayerischen Obersten Landgerichts Albert Lorz inne. Bei allgemeiner Zustimmung wurde nur ein wesentlicher Vorschlag angebracht, nämlich die Formulierung ohne vernünftigen Grund in § 1 des Entwurfes durch den Rechtsbegriff unnötig zu ersetzen. Eine Abgrenzung von gerechtfertigten und ungerechtfertigten Handlungen könne in anhand des vernünftigen Grundes schwerer gelingen als anhand des Begriffes unnötig. Der vernünftige Grund biete mehr Raum für „stark subjektive Erwägungen“. Ob damit auch die Maßgaben der profitablen Tierhaltung gemeint sind, wird im Schreiben nicht ersichtlich. Bezüglich der weiteren Paragraphen bringt die Kommission eine Anzahl von „wünschenswerten“ Vorschlägen. Die Kommission äußert Zweifel an der zeitnahen Umsetzung der in § 13 geregelten Rechtsverordnungen zur Tierhaltung hinsichtlich des Schutzes des natürlichen Bewegungs- oder Gemeinschaftsbedürfnisses. Es werde von Seiten des Tierschutzes zwar ein „hinreichender Zeitraum zur Sammlung von Unterlagen und zur Anhörung“ bewilligt, das Gesetz solle aber sicherstellen, dass „wirklich etwas in absehbarer Zeit“ geschehe. Über die Rolle von menschlichen Emotionen im Tierschutz findet sich keine Äußerung.

60 Vgl. für sämtliche Zitate dieses Unterpunktes die Stellungnahme der Gemeinsamen Kommission der Deutschen Tierschutzverbände für ein neues Tierschutzgesetz in BA Koblenz, B116/50089, S. 1 - 5. Die einberufene Kommission sprach offiziell für rund 400.000 Mitglieder in 566 Tierschutzvereinen.

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Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tierzüchter (ADT) e.V. Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tierzüchter (ADT) stimmte im Rahmen der öffentlichen Anhörung in Bonn im Februar 1972 der Aussage der Gesetzesbegründung zu.61 Das Gesetz setze richtigerweise bei biologisch-physiologischen Bedürfnissen von Tieren an. In der bäuerlichen Landwirtschaft habe sich über Jahrhunderte eine Bindung zwischen Mensch und Tier ergeben, die weder „rein gefühlsbetont“ noch „ausschließlich zweckgerichtet“ sei. Diese Haltung der Landwirte werde sowohl von einer überhöhten Industrialisierung der Produktion sowie von einer gefühlsbestimmten und vermenschlichenden Sicht auf Tiere gefährdet. Daher begrüße die ADT die Konzeption des neuen Gesetzes, auf verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse zu rekurrieren, um Entscheidungen im Tierschutz zu treffen. Der 4. Deutsche Tierschutzkongress in Wiesbaden Die Stuttgarter Zeitung berichtet am 19. Juni 1971 über den vierten Deutschen Tierschutzkongress in Wiesbaden, an dem Delegierte von 500 Tierschutzvereinen des DTSB teilnahmen. Es wurde dort vor allem über den Regierungsentwurf VI/2559 diskutiert. Im Rahmen der Veranstaltung sollten auch Verhaltenswissenschaftler zu Wort kommen, um „Klarheit über die Wirkung der Massentierhaltung auf das Wohlbefinden der Nutztiere“ zu erhalten. 62 Die Ergebnisse hätten aber gezeigt, dass die Verhaltensforschung die ihr zugedachte Rolle einer „Obergutachterin“ zu jener Zeit noch nicht ausüben könne. Allerdings, bemerkte der Bericht, hätten die Delegierten anerkannt, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse in Zukunft Klarheit bringen können. Daher hätten sie sich „ziemlich zufrieden“ mit dem Entwurf gezeigt. Wie in der schriftlichen Stellungnahme der Gemeinsamen Kommission wurde grundsätzlich nur die Einbringung des vernünftigen Grundes in § 2 kritisiert und gefordert, diesen Begriff durch den Rechtsbegriff unnötig zu ersetzen. Einige Delegierte befürchteten, dass sämtliche leistungsfördernden Haltungsmaßnahmen als vernünftige Gründe interpretiert werden könnten, wenn agrarisch genutzte Tiere als bloße Produktionsmittel behandelt würden. In der Konsequenz wären dann die Interessen der rentablen Tiernutzung im Agrartierschutz ausschlaggebend. Zu einer offenen Ablehnung

61 Vgl. für sämtliche Zitate dieses Unterpunktes die Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tierzüchter in BA Koblenz, B116/38822. 62 Vgl. für sämtliche Zitate dieses Unterpunktes Stuttgarter Zeitung vom 19. Juni 1971 in BA Koblenz B116 /50089.

A KTEURE DER REFORM

UND DIE EINHEITLICHE

ZUSTIMMUNG

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der des vorgelegten Entwurfes führten diese Befürchtungen unter den Delegierten aber nicht. Eine eigene, grundsätzlich alternative Version für ein neues Tierschutzgesetz hatten die Vertreterinnen des Tierschutzes nicht eingebracht.

Teil II: Kritik der Entscheidungsgrundsätze

Der vorbestimmte Kompromiss

AUSGANGSPUNKT Ein wichtiges Ergebnis für untersuchte Fragestellung lautet, dass die 1972 verabschiedete rechtliche Regelung der Agrartierhaltung nicht nur von agrarischen Interessenverbänden, sondern auch von einflussreichen Tierschutzvereinen grundsätzlich Zustimmung fand. Alternativen wurden von keiner der Seiten einflussreich eingebracht oder verhandelt. Wie konnte das sein? Konzeptionell bekräftigt das Gesetz den sogenannten ethischen Tierschutz. Die Repräsentation tierlicher Interessen in den relevanten politischen Institutionen und die mögliche Definition subjektiver Rechte von Tieren sind in dieser Konzeption nicht vorgesehen. Der rechtliche Ansatz wurde offiziell als Kompromiss dargestellt, durch den sich bestehende Zielkonflikte, insbesondere zwischen der Wirtschaftlichkeit der Tiernutzung und dem Schutz des Wohles der Tiere ‚in Einklang‘ bringen lassen. Die Stichhaltigkeit der damit verbundenen Argumentation wird im Folgenden untersucht.

D IE D EFINITION VON T ATBESTÄNDEN Nach rund sechs Jahren der öffentlichen Bewerbung eines wissenschaftlichen Tierschutzes, der moralische Konflikte über die Tierhaltung auflösen sollte, wurde dieser im Herbst 1972 rechtlich einflussreich. Tierhaltungsverordnungen sollten fortan nicht nur die Vermeidbarkeit tierlicher Leiden bei der ‚Beschränkung des natürlichen Bewegungs- und Gemeinschaftsbedürfnisses‘ klären, sondern auch angemessene Tötungsmethoden und die ‚Sachgemäßheit‘ der Zufügung schmerzhafter Eingriffe, wie das Kürzen des Schnabels bei Hühnern oder das Kastrieren von Ferkeln. Damit wurde vornehmlich das BML betraut. Solche Verordnungen sind für die Agrartierhaltung höchst relevant, weil dadurch die

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Risiken einer strafrechtlichen Belangung der Tierhaltung gering werden. Illegal ist zwar generell ein Vergehen gegen den Strafrechtsparagraphen 17, der die Tötung ohne vernünftigen Grund und die Zufügung von Schmerzen und erheblichen und längerfristigen Leiden unter Roheit verbietet.1 Ein Strafverfahren wegen Zufügung erheblicher Leiden kann aber durch Verordnungen des BML abgewendet werden. Sie regeln, wann vom Leid bzw. erheblichem Leid auszugehen ist und ob für ein solches Leid ein ‚vernünftiger‘ Grund vorliegt. Eine Missachtung einer Verordnung stellt lediglich eine Ordnungswidrigkeit dar. Ordnungswidrig handelt auch, wer Tieren bei der Haltung „vorsätzlich“, „ohne vernünftigen Grund“, „offensichtlich erhebliche“ Leiden zufügt.2 Ob ein erhebliches Leid offensichtlich ist, entscheidet die Methodik der Leidzuschreibung, die auch der Verordnungsregelung in der Tierhaltung unterliegt. Für den Erlass von bundesrechtlichen Verordnungen muss Inhalt, Zweck und das Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz festgelegt sein, wie in Artikel 80, Absatz 1, des Grundgesetzes vorgesehen ist. Der Inhalt wurde grob durch biologische und veterinärmedizinische Konzepte abgesteckt. Das ‚natürliche Bewegungs- und Gemeinschaftsbedürfnis‘ der Tiere soll im Rahmen einer rentablen Tierhaltung rechtlich berücksichtigt werden. Der Rekurs auf die Natürlichkeit legt nahe, dass die Auslegung von §13 auch auf veterinärmedizinischen und biologischen Parametern basieren soll. Die Ermöglichung des Bewegungsund Gemeinschaftsbedürfnis darf aber eingeschränkt werden, wenn dies den Produktionsablauf erleichtert oder die Leistungs- bzw. Kostenergebnisse verbessert. Die Sachverständigengruppen setzen sich offiziell aus „Wissenschaft und Praxis“, in aller Regel aus Veterinärmedizinern, Verhaltenswissenschaftlern und Agronomen zusammen. 3 Vertreter geisteswissenschaftlicher Disziplinen sind nicht vorgesehen. Die Gutachten der Sachverständigen bilden die Beurteilungsgrundlage für Entscheidungen über Mindestrichtlinien. Zusätzlich wird vom BML ein Beirat für Tierschutz bestimmt, der die Erstellung der Verordnungen kommentiert, allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ihm gehören neben Vertretern von Agrarverbänden auch Mitglieder von Tierschutzvereinen an. 4 Dem Ministerium obliegt die Auswahl passender Tierschutzvertreterinnen. Der Einfluss des Beirates beschränkt sich auf die Kontrolle, dass die Verordnungen

1

Vgl. Annex C. Dass die Tötung von Tieren zur Fleischgewinnung ein legitim und vernünftig ist, implizieren bereits die Schlachtverordnungen.

2

Vgl. Annex C.

3

BTDS 7/1666.

4

Vgl. BTDS 7/1666.

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VORBESTIMMTE

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im Sinne des Gesetzgebers erlassen werden. Er muss gehört werden, hat aber kein Vetorecht im Falle einer Kontroverse.5 Die im Auftrag des Ministeriums agierenden Sachverständigen werden insofern zu wichtigen Entscheidungsträgern. Sie setzen nicht nur politische Ziele um, sondern definieren auch diejenigen Zustände in der Haltung, die rechtlich eingefordert werden sollen. Der mit dem Entwurf V/934 befasste Bundestagsabgeordnete Vietinghoff-Scheel, Mitglied des Rechtsausschusses im Bundestag, bezeichnete die Verordnungsbemächtigung im Tierschutz daher auch als „höchst ungewöhnliche Rechtsfigur, nämlich […] eine potentielle Strafbestimmung, bei der der Tatbestand im Verordnungswege konkretisiert“ wird.6

D AS K ERNSTÜCK : D ER AUFBAU VON S ACHVERSTÄNDIGKEIT Dass im Entwurf IV/85 von 1961 die Haltung von Hennen in engen Käfigen auch ohne umfangreiche Gutachten als unnötige Tierquälerei verboten wurde, geht als Lehrstück in die Geschichte des Deutschen Tierschutzrechts ein. Denn es dauerte unter den Voraussetzungen des Gesetzes von 1972 rund 40 Jahre, bis das Verbot auf wissenschaftlicher Grundlage neu formuliert und schließlich verabschiedet wurde. Die Rechtfertigung des Leides der Tiere in Legebatterien (§1), die Frage, ob Legebatterien eine artgemäße bzw. verhaltensgerechte Unterkunft und Haltung darstellen (§2) sowie der Beweis, dass Legebatterien eine vermeidbare Einschränkung des Bewegungs- und Gemeinschaftsbedürfnis darstellen (§13), bereitete der 1972 etablierten Sachverständigkeit also offenbar Probleme. Noch heute hat das Nachfolgeministerium des BML, das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), die Federführung über die Ausformulierungen der Mindestrichtlinien im Tierschutz inne. Der Ausschluss der Öffentlichkeit und der Parlamentäre aus diesem für die endgültigen Entscheidungen so wesentlichen Prozess musste in der Reform gerechtfertigt werden. Es musste insbesondere glaubhaft gemacht werden, dass die neuen politischen Entscheidungsinstanzen über eine Expertise verfügen, die eine ausgewogene und ethisch vertretbare Abwägung zwischen Interessen der Tiere und der wirtschaftlichen Tiernutzung ermöglicht. Denn rechtliche Konkretisierungen auf dem Verord-

5 6

BTDS 7/1666. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 12. Oktober 1967 in PA, Akte V-1051, Nr. 8.

116 | TIERSCHUTZ ALS A GRARPOLITIK

nungsweg erfordern eine objektive, unumstrittene Anleitung für das exekutive Handeln, sie müssen sich also gegenüber Minderheitenmeinungen argumentativ durchsetzen. Diese Anleitung galt es im Zuge der Reform auszuformulieren und ihr die nötige Autorität zu verschaffen. Sie war der Anstoß für die von den Akteuren der Reform propagierte Versachlichung des Tierschutzes. Der Begriff der Sachlichkeit hat in der Rechtssprache eine lange Tradition. Etymologisch wird der Begriff Sache auf das germanische Wort sako zurückgeführt, das „Gerichtssache, Streit, Ursache“ bedeutet. 7 Das Adjektiv ‚sachlich‘ wurde auch als Übersetzung des lateinischen causalis, „den Grund angebend“ verwendet und verbreitete sich im 18. Jahrhundert als „in der Sache begründet, objektiv, ohne Vorurteile“. 8 Aus diesem Kontext entstand die Bedeutung der Sachlichkeit als „Nüchternheit in der Betrachtungsweise“ oder schlicht „Objektivität“9, wobei die Eigenschaft der Nüchternheit vor allem fehlende Emotionalität meint. Einen Umstand zu versachlichen bedeutet auch, ihn in klarer, nüchterner Form darzustellen. Im 20. Jahrhundert erweitert sich die Bedeutung noch einmal um die Komponente der fachlichen Expertise oder Routine: als ‚Sachbearbeiter‘ werden Angestellte für einen bestimmten abgegrenzten Arbeitsbereich bezeichnet.10 Die öffentliche Anhörung vom Februar 1972 vermittelt eine Vorahnung, welche Grenzziehung die Akteure der Reform bei der Auswahl des Arbeitsbereiches Tierschutz im Blick hatten. Als Sachverständige des Tierschutzes in der Nutztierhaltung kommen Veterinäre, Verhaltensforscher, Agrarwissenschaftlerinnen und Interessenvertreter des Agrarsektors zu Wort. Der Begriff Nutztier verbindet sich mit einer eigenen Expertise über den Umgang mit agrarisch genutzten Tieren. Im Nutztier-Sachverstand geht es darum, eine rentable, leistungsstarke Tierproduktion zu erreichen. Nicht nur die Begründung von Maßnahmen zum Wohlbefinden der Tiere, sondern auch die Deklaration bestimmter Tierhaltungsformen als ‚artgemäß‘ oder ‚verhaltensgerecht‘ wurde einer veterinärmedizinischen, agronomisch geprägten Forschung übertragen. Da anerkannt wurde, dass neben der körperlichen Gesundheit auch konkrete psychische Parameter eine Rolle im Tierschutz spielen, wird die Veterinärmedizin um eine weitere angewandte biologische Disziplin ergänzt: die Nutztierethologie. Sie soll das artgemäße Bewegungsbedürfnis in Gefangenschaft lebender Tiere untersuchen und so beurteilen, wann eine menschlich bedingte Störung von Lebens- und

7

Kluge (2011, 780).

8

Pfeiffer (1989, 1461).

9

Pfeifer (1989, 1462).

10 Ebd.

D ER

VORBESTIMMTE

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Funktionskreisläufen einer Tierart so gravierend ist, dass sie die Grenzen des Akzeptablen überschreitet. Aussagen über die artgemäße und verhaltensgerechte Tierhaltung kleiden moralische Urteile in ein biologisches Gewand und werden so zum benötigten Sachverstand.

D AS E RBE

AUS DEM

G ESETZ VON 1933

In der Begründung des finalen Entwurfes heißt es, es sei notwendig, das Gesetz von 1933 zu reformieren. 11 Das wird mit der „Weiterentwicklung der moralischen Sensibilität“ im Tierschutz begründet. Doch an der 1933 entwickelten Grundkonzeption, dem sogenannten ethischen Tierschutz, wolle festgehalten werden. Was war gemeint? Was 1933 unter ‚ethischem Tierschutz‘ verstanden wurde und wogegen er sich abgrenzen sollte, steht in der offiziellen Begründung dieses Gesetzes und ergibt sich weiterhin aus den Erläuterungen der Paragraphen.12 Die Übernahme der Konzeption in das Gesetz von 1972 zeigt sich deutlich am Festhalten an zentralen Rechtsbegriffen. Darunter fällt der vernünftige Grund, der implizit jede Kritik an einer rechtlichen Abwägung als unvernünftig disqualifiziert. Des Weiteren fallen darunter die veterinärmedizinisch geprägten Wörter ‚Schmerzen‘ und ‚Leiden‘. Auch vom ‚Wohlbefinden‘ als Schutzgut im Tierschutz ist bereits in den Erläuterungen des Gesetzes von 1933 die Rede.13 Die zentrale Neuerung des Gesetzes von 1933 war die Auslegung des Verbotes der ‚unnötigen‘ Quälerei als Verbot der ‚unvernünftigen‘ bzw. ‚unberechtigten‘ Zufügung von Leid und Schmerz.14 Im Gesetz von 1972 wurde Zweck durch Grund ersetzt und berechtigt gestrichen. Die Auslegung wurde ansonsten nicht nur beibehalten, sondern erhielt sogar einen prominenten Platz, indem man sich vom alten, bereits im 19. Jahrhundert gebräuchlichen Verbot der Quälerei und der Misshandlung im ersten Abschnitt von §1 lossagte.

11 Vgl. BTDS VI 2555. 12 Es erschienen 1934 zwei Publikationen des Gesetzes inklusive des Kommentar, der offiziellen Begründung und sonstigen Anmerkungen. Vgl. Giese und Kahler (1934) und Skopnik (1934). 13 Vgl. Skopnik (1934, 19). Ob die Formulierung im Kommentar den Akteuren der Reform als Vorlage diente oder sich damals bereits in Fachkreisen und der Umgangssprache durchgesetzt hatte, kann nicht geklärt werden. 14 Vgl. Annex A 4.

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Die Abkehr vom Begriff der unnötigen Quälerei in der Reform von 1972 als Konsequenz der Definition in §1 des Gesetzes von 1933 war für den Agrartierschutz kein Fortschritt, denn die Formulierung des vernünftigen, berechtigten Zweckes ist als Einschränkungsklausel tierethischer Forderungen viel vager als das Attribut der Unnötigkeit. Der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit agrarischer Tierhaltung kann etwa ohne Probleme als Grund für die Einschränkung der Lebensqualität von Tieren gelten, sie ist dann aber in vielerlei Hinsicht noch nicht notwendig. Deshalb forderten Tierschutzvereine im Rahmen der Reform von 1972 auch anstelle des vernünftigen Grundes das Verbot der unnötigen Zufügung von Leiden und Schmerzen. Folgt man der offiziellen Rechtfertigung sowohl von 1933 als auch von 1972, stimmt der ethische Tierschutz im Hinblick auf die Leidvermeidung mit dem pathozentrischen Tierschutz in der Hinsicht überein, dass Forderungen nach mehr Tierschutz nicht mit menschlichen Interessen oder Gefühlen gerechtfertigt werden dürfen. Sie dürfen aber im Rahmen des Kompromisses gegen menschliche Interessen an der Tiernutzung zurückgestellt werden. Damit wurden verbreitete moralische Überzeugungen jenseits des pathozentrischen Leidvermeidungsprinzips, wie zum Beispiel die Achtung der tierlichen Würde, für Entscheidungen im staatlichen Tierschutz unerheblich. Die politischen Akteure, die der Reform zustimmten, bekannten sich alle implizit zur Konzeption des Gesetzes von 1933, wenn es in Entwurf VI/2559 heißt: „An der Grundkonzeption eines ethisch ausgerichteten Tierschutzes hält auch dieses Gesetz fest.“15

Wie weiter oben gezeigt wurde, gilt der ethische Tierschutz in der juristischen Terminologie – problematischer Weise – auch heute noch als fortschrittlicher Tierrechtsgrundsatz und Gegenstück zum anthropozentrischen Tierschutz. Der ethische Tierschutz hat zwei inhaltliche Säulen: Die eine Säule ist die Ausrichtung des Schutzes auf das ‚Tier an sich‘. Diese Formulierung wird erst verständlich durch die heute in der Ethik kaum noch verbreitete, auf Kant zurückgehende Darstellung, der Tierschutz diene in erster Linie dem Menschen, indem er unsere moralische Sensibilität gegenüber dem Leid schule. Unverständnis gegenüber dieser sperrigen und bereits von Arthur Schopenhauer als irrig enttarnten Argumentation Kants war wohl nie außergewöhnlich. 1933 dienten Kants schwerfällige tierethische Überlegungen der staatlichen Propaganda, indem sich ein vager Bezug auf diese Rhetorik bestens dazu eignete, jenem Gesetz ein hochtrabendes

15 Vgl. BTDS VI/2559.

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VORBESTIMMTE

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Antlitz zu verleihen, das außer schnöder Veterinärmedizin keinerlei ethischphilosophische Grundlagen besaß. Die Rhetorik der Fortschrittlichkeit des ethischen Tierschutzes sagt daher nichts über den Grad an Schutz aus, der Tieren im Rahmen der rechtlichen Entscheidungsfindung tatsächlich zukam. Eine praktische Implikation bekommt der Schutz des ‚Tieres an sich‘, weil er die Vorstellung eines von Emotionen bereinigten, quasi versachlichten Tieres, und damit eines lediglich wissenschaftlich, insbesondere veterinärmedizinisch ermesslichen Tierleides voraussetzt. Vielfältig geartetes Mitleid mit einem Tier steht danach im Gegensatz zur Konzentration auf das ‚Tier an sich‘. Es tritt in den propagandistischen Kommentaren von 1933 offen zutage, wie der derart versachlichte Tierschutz der Gleichschaltung des Tierschutzes des Weg bereitete: Unter dem Deckmantel der Versachlichung lässt sich eine politisch und ethisch vielfältige Debatte abwürgen und Deutungshoheit erreichen, wenn die Wissenschaft sich unter dem Einfluss der Regierung befindet bzw. grundsätzliche Ansichten der Regierung teilt. Versachlichung und Gleichschaltung gehen dann Hand in Hand. Die zweite Säule ist die Ächtung des Einflusses menschlicher Emotionen im Tierschutz, wie es bereits im deutschen Reichsanzeiger im Dezember 1933 formuliert worden war: Nicht mehr die „Empfindungen und Gefühle eines Menschen“ sollen vor dem „Anblick der Tierquälerei“, sondern das Tier soll „um des Tieres wegen geschützt“ werden.16 Es blieb sowohl 1933 als auch 1972 offen, was es mit dem Problem menschlicher Emotionen in den Entscheidungen eigentlich auf sich hatte. Obwohl in §1 des Gesetzes von 1972 nun explizit vom Schutz des Wohlbefindens die Rede ist, sind es nach wie vor die negativen Pflichten der Leidvermeidung, die sich in den Anforderungen an die Tierhaltung ausdrücken. Wie der rechtliche Schutz der Tiere ethisch begründet wird, bleibt insgesamt offen. Ebenso wie die vage Formulierung des vernünftigen Grundes als Rechtfertigung für die Zufügung von Tierleid war das Desinteresse an einer Tierethik mit Traditionen in der klassischen Philosophie bereits in der Reform des Tierschutzgesetzes von 1933 angelegt. Schon damals setzte man bei der inhaltlichen Klärung der politischen Regelung vor allem auf die Veterinärmedizin. In der amtlichen Begründung heißt es über die Ausarbeitung der einzelnen Vorschriften: „Als sachverständiger Helfer wird dabei in erster Linie der Tierarzt kraft seiner Vorbildung berufen sein; denn er besitzt die erforderliche praktische Erfahrung in Tierschutzfra17

gen und lebt in seinem Berufe ständig die Aufgabe, die Leiden der Tiere zu lindern.“

16 Vgl. Skopnik (1934, 11f.). 17 Vgl. Giese und Kahler (1934, 106f.).

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Vergleicht man den Grundsatz in §1 mit dem genannten Selbstverständnis der Veterinärmedizin, ist die Darstellung eines ‚Helfers‘ hier noch untertrieben: Das Tierschutzrecht ist 1933 zu einer institutionalisierten Form jener Veterinärmedizin geworden, die sich daran orientiert, was ihre Auftraggeber verlangen. In der Tierhaltung ist dies etwa die Kastration, das Schnabelkürzen oder die effiziente Schlachtung. Über die vielfältigen Anliegen am Tierrecht heißt es dagegen knapp, dass sich das „Volk der ethischen Verpflichtung Tieren gegenüber bewusst“ sei.18 Das klingt, als wären die Forderungen und die ethischen Grundlagen des Tierschutzes unumstritten, was jedoch nicht stimmte. Die Kommentatoren des Gesetzes Giese und Kahler zeigten kein Interesse an ethischen Auffassungen, die das Tierrecht unterschiedlich beeinflussen könnten. Dieses Erbe greifen die Akteure der Reform von 1972 auf. Exemplarisch für dieses Desinteresse steht ironischerweise die prominente Stellung des vernünftigen Grundes, der sich 1933 noch im zweiten Absatz versteckte. Das Wesen dieser Tradition besteht in der Ausblendung von Erklärungsvielfalt. Ein totalitäres Regime legt vernünftige oder berechtigte Zwecke nach seinem Gusto aus. Und allgemeine Kriterien der Abwägung tierlicher Interessen mit Tiernutzungsinteressen, sowie die Repräsentation tierlicher Interessen insgesamt, wurden im Gesetz von 1933 nicht einmal angedacht, ein Freischein also für die rechtliche Auslegung zum Schaden der Tiere. Schon deshalb war dieses Gesetz – trotz des üppigen Paragraphenumfangs – nicht gut für Tiere, und auch nicht fortschrittlich. Dass die Treiber der Reform von 1972 sich nicht klar vom Gesetz von 1933er distanzierten und nicht dessen angebliche ‚Fortschrittlichkeit‘ aus Sicht des Tierschutzes‘ hinterfragten, lässt sich damit erklären, dass die euphemistische Rhetorik, inklusive die im Grundsatzparagraphen, beibehalten wurde, dass also weniger neu am Gesetz war, als es die offizielle Begründung suggerierte. Neu war lediglich die Abkehr von begrifflichen Traditionen aus dem 19. Jahrhundert, die 1933 eingeleitet wurde. Perfide war das Vorgehen deshalb, weil die Bekräftigung des Ansatzes von 1933 bloß im Hinblick auf die ‚Konzeption des ethischen Tierschutzes‘ vage gehalten, konkrete begriffliche Zusammenhänge, insbesondere die fragwürdige Rolle des vernünftigen Grundes, in den Reden unerklärt blieben. Damit bekräftigte man indirekt die propagandistische Darstellung von 1933. Das war fatal, denn im Vordergrund stand 1933 die Gleichschaltung und Kontrolle des zivilen Tierschutz-Engagements für politische, allen voran rassistische und antisemitische Zwecke. 19 Ein Bezug auf diesen Umstand

18 Vgl. Skopnik (1934, 11). 19 Vgl. Dirscherl (2012) und Roscher (2012).

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fehlte sowohl in der Anhörung von Sachverständigen als auch in den Bundestagsdebatten zur Reform von 1972 gänzlich. Die Lehre aus der Einführung des Tierschutzgesetzes von 1933 für die Reform von 1972 hätte lauten müssen, dass die Verneinung kritischer und konfliktreicher Annahmen in der inhaltlichen Ausrichtung des Tierschutzes totalitäre Züge trägt. Davon ist aber in der offiziellen Begründung des Gesetzes von 1972 keine Rede. Im Gegenteil wurde die Vereinheitlichung des Tierschutzes weiter ausgebaut. Ein Ausdruck davon ist der Aufbau eines nur scheinbar entpolitisierten Tierschutz-Sachverstandes im Agrarbereich.

V ORBILD

FÜR DIE EUROPÄISCHE

P OLITIK

Nur wenige Jahre nach der Reform, im März 1976, einigten sich die Mitgliedsstaaten des Europarats auf das Europäische Übereinkommen zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen (EÜST).20 Ein Auszug ist in Annex D abgedruckt. Darin äußerten die Staaten den Wunsch, europaweite Bestimmungen zum ‚Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen, insbesondere in modernen Intensivtierhaltungssystemen‘ einzuführen. Es wurde die Aufgabe eines Ständigen Ausschusses, Empfehlungen zur rechtlichen Regelung der Intensivtierhaltung an die Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft zu formulieren. Wenn die Vertragspartner diese Empfehlungen nicht umsetzten, waren sie aufgefordert, dies explizit zu begründen. Für die Ausarbeitung dieser Empfehlungen sieht das Übereinkommen einen sehr ähnlichen Regelungsansatz vor, wie er in Deutschland seit 1972 für das BML galt. Diesen Umstand bekräftigt Ertls Rede aus dem Jahr 1971, in der er betont, dass der deutsche Reformansatz für den Europarat offenbar als richtungsweisend galt. Begrifflich war das Übereinkommen in vielen Fällen mit den Grundsätzen der Reform von 1972 in der Tat deckungsgleich. Die europäischen Mitgliedsstaaten verpflichteten sich gemäß Artikel 3, ihre nationalen Regelungen so umzusetzen, dass ein agrarisch gehaltenes Tier, ganz nach deutschen Vorbild, „unter Berücksichtigung seiner Art und seiner Entwicklungs-, Anpassungs- und Domestikationsstufe, entsprechend seinen physiologischen und ethologischen Bedürfnissen nach

20 BGBl. 1978 II S. 114-119.

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feststehenden Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen untergebracht, ernährt und gepflegt wird“.21

Eine ähnliche Formulierung findet sich im Diskussionsentwurf des BML aus dem Jahr 1970, in dem es heißt: „Zweck dieses Gesetzes ist es, das Tier in seiner Eigenschaft als Erscheinungsform des Lebens […] vor Behandlungen zu bewahren […], die unter Berücksichtigung von Domestikations- oder anderen Adaptionsergebnissen nicht tierartgemäß und nicht verhaltensgerecht sind.“22

In Artikel 4 der europäischen Grundsätze wird die Ausrichtung der Regelungen auf die damals noch junge Nutztierethologie explizit. Konstrukte wie das „artgemäße und durch feststehende Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse belegte Bewegungsbedürfnis eines Tieres“23

sowie das daran geknüpfte Verbot „vermeidbarer“ Leiden und Schäden finden sich im Übereinkommen wieder. Insgesamt hat es einen sperrig-technischen Charakter. Das artgemäße Bewegungsbedürfnis erhält im englischen und französischen Text eine umständliche und philosophisch problematische Formulierung: The freedom of movement appropriate to an animal, having regard to its species und la liberté de mouvement propre à l’animal, compte tenu de son espèce. Die Merkwürdigkeit dieser Formulierungen im Hinblick auf die Tierhaltung ist wohl ein Indiz dafür, dass es sich um eine Übersetzung aus dem Deutschen handelt und entlarvt dabei gleichzeitig den deutschen Fachbegriff als problematisch. Darauf wird später noch eingegangen. Ein zentraler Kniff der Reform von 1972, der in das europäische Übereinkommen übernommen wurde, besteht darin, ‚Bedürfnisse‘ der Tiere so zu definieren, dass sie auch in intensiven Haltungsformen noch befriedigt werden können. Es ist die Formulierung der verhaltensgerechten Tierhaltung, deren vage

21 Annex D, BGBl. 1978 II S. 114. Die englische Übersetzung des Artikels III lautet: Animals shall be housed and provided with food, water and care in a manner which – having regard to their species and to their degree of development, adaptation and domestication – is appropriate to their physiological and ethological needs in accordance with established experience and scientific knowledge. 22 Vgl. Annex B4. 23 Vgl. Annex D. BGBl. 1978 II S. 114.

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Norm sich an der Vermeidung, und nicht etwa an der Unterbindung von Leid, Belastung und Einschränkung ausrichtet. Dies ist eine Aussage des Artikels 4: „Ist ein Tier dauernd oder regelmäßig angebunden, angekettet oder eingesperrt, so ist ihm der seinen physiologischen und ethologischen Bedürfnissen gemäße und den feststehenden Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechende Raum zu gewähren.“24

Die Empfehlungen des Ständigen Ausschusses müssen auf wissenschaftlichen Studien der Nutztierethologie basieren. Die federführende Instanz im Ausschuss übernimmt für Deutschland das BML. Die Anforderungen des europäischen Abkommens bekräftigen und rechtfertigen also die Grundzüge des deutschen Tierrechts und forcierten dabei gleichzeitig ihre Verbreitung in andere europäische Länder. Insbesondere von Vertretern der Agrarwirtschaft und der Tierärzteschaft geäußerte Hoffnungen auf eine europäische Vereinheitlichung wurden erfüllt. Welche Akteure europäischer Vertragspartner das Abkommen letztlich entscheidend geprägt haben, ist eine wichtige historische Frage, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Das BML konnte sich seit 1976 in seinen Entscheidungen über Mindestrichtlinien im Agrartierschutz sowohl auf die Forschungsergebnisse eigens beauftragter Gutachten, als auch auf Empfehlungen des Europäischen Ausschusses beziehen, ohne dass dabei inhaltliche Konflikte zu erwarten waren. Nachfolger des Übereinkommens von 1976 ist die heute geltende Richtlinie 98/58/EG des Rates vom 20. Juli 1998 über den Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere.

D IE M ARGINALISIERUNG TIERLICHER I NTERESSEN Vor diesem historischen Hintergrund entsteht nun eine inhaltliche Kritik. Um mit dem offensichtlichen Problem zu beginnen: die Repräsentation tierlicher Interessen konnte in der geplanten Fassung des Tierschutzes nur eine marginale Geltung erlangen. Tierliche Interessen werden in dem Sinne marginalisiert, dass als art- und verhaltensgemäße Haltungsformen in erster Linie jene basalen Interessen berücksichtigt werden, die eine höchst profitable Tiernutzung zulassen. Als problematisch erweist sich der Einfluss jener Veterinärmedizin, die in erster Linie das tut, was die Ökonomie der Tierhaltung verlangt. In der Obhut eines

24 Vgl. Annex D, BGBl. 1978 II S. 115.

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agrarischen Milieus riskiert die Einforderung tierlicher Anliegen auf ein basales Niveau zu verkümmern. Das wird im Folgenden näher ausgeführt. Der nach außen kommunizierte Kompromiss In zentralen Debatten und Dokumenten der Reform von 1972 wird der Kompromiss zwischen Menschen und Tieren bzw. menschlichen und tierlichen Anliegen als Ziel deutscher Tierschutzpolitik genannt. Er diente der Reform als Rechtfertigung und fand im Bundestag und unter den Akteursgruppen breite Zustimmung. Im Juni 1978 veröffentlichte das Tierschutzreferat des BML eine Abhandlung zu den Grundlagen des staatlichen Agrartierschutzes, welches die Regelungen der fünf Jahre zurückliegenden Reform erklären sollte.25 Im Dokument wird näher erklärt, was im Rahmen dieses Kompromisses abgewogen werden soll. Die Autoren stellen anfangs fest, dass im Tierschutzgesetz eine Reihe unbestimmter Rechtsbegriffe vorkommen: Begriffe mit vagem oder mehrdeutigem Inhalt. Ihre Verwendung sei aber notwendig, um Tierschutz rechtspraktikabel zu machen. Der rechtlich anzustrebende Kompromiss liest sich im Dokument dann folgendermaßen. Auf der einen Seite stehen „Belange“ der Tiere, die sich dem „Bereich des Tatsächlichen“ zuordnen lassen. 26 Diesem Bereich werden Schmerzen, Leiden, Schäden und die artgemäße und verhaltensgerechte Haltung zugerechnet. Sie liefern also keine wertausfüllungsbedürftigen, normativen Tatbestandsmerkmale, sondern sind von deskriptivem Charakter. Darauf bezieht sich das Ziel der Reform, „exakte“ und repräsentative Feststellungen zu berücksichtigen und den Tierschutz zu versachlichen.27 Auf der anderen Seite stehen die Interessen der Menschen als Interessen an der Tiernutzung. Der vernünftige Grund als „Rechtfertigungsgrund“ für das Leid der Tiere wird als normativer Begriff verstanden. 28 In Bezug auf die Agrartierhaltung dient der vernünftige Grund dazu, die „biologisch begründeten“ Ansprüche der Tiere einzuschränken.29 Der Einfluss von Emotionen wird sowohl von der Erfassung tierlicher An-

25 Vgl. BA Koblenz, B116, 68628, S. 2. Der Titel des Papiers lautete vollständig Zu den Grundvorstellungen einer Tierschutzrechtsetzung für Nutztierhaltungen in neuzeitlichen Haltungssystemen unter Zugrundelegung des Tierschutzgesetzes vom 24. Juli 1972 und war als Statement von Ministerialrat Schultze-Petzold und Regierungsrat Cramer beschrieben. 26 BA Koblenz, B116, 68628, S. 2. 27 BTDS VI/2559, S. 9. 28 BA Koblenz, B116, 68628, S. 2. 29 BA Koblenz, B116, 68628, S. 6.

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liegen als auch ihrer Abwägung mit Tiernutzungsinteressen ausgeschlossen. Die Abwägung müsse „möglichst objektiv“ erfolgen.30 Ziel des Gesetzes sei es nicht, das „uneingeschränkte“ Wohlbefinden der Tiere, sondern die Balance zwischen der Einhaltung negativer Pflichten gegenüber Tieren und der Einschränkung dieser Pflichten.31 Ein vernünftiger Grund sei nicht gleichzusetzen mit der bloßen Zweckmäßigkeit einer Maßnahme. Wie der vernünftige Grund im Hinblick auf Ansprüche an die Rentabilität einer Haltungsweise gedeutet werden sollte, ergibt sich im positiven Sinne aber nicht. Die ‚möglichst objektive‘ Abwägung hält für Tiere im besten Fall die ‚volle Verwirklichung‘ einer artgemäßen Ernährung, Pflege und verhaltensgerechten Unterbringung parat, wenn nicht unvermeidbare Maßnahmen dagegen sprechen.32 Das würde bedeuten: Für Menschen bestünde der beste Ausgang des Kompromisses in der möglichst effizienten Ausnutzung tierlicher Ressourcen zu niedrigen Kosten. Das ignoriert den Umstand, dass vielen Menschen das Wohl der Tiere wichtiger ist als die effiziente Ausnutzung tierlicher Ressourcen. Doch ist diese Darstellung des Kompromisses streng genommen die Konsequenz aus dem ‚ethischen‘ Tierschutz, der besagt, dass um der Tiere selbst willen keine menschlichen Interessen oder Anliegen als Rechtfertigung staatlicher Tierschutzmaßnahmen berücksichtigt werden dürfen. Ein Kompromiss zugunsten der Belange von Tieren müsste konsequenterweise menschlichen Interessen im Allgemeinen zuwider laufen. Das ignoriert nicht zuletzt andere menschliche Interessen am Tierschutz wie empathische Mitfreude, Ressourcenschutz, die Verbesserung der öffentliche Gesundheit, Gewässerschutz etc. Ein Beispiel für einen derart konzipierten Kompromiss über eine rechtliche Mindestanforderung im Tierschutz ist die Bewegungsfreiheit von Legehennen. Eine gesetzliche Mindestfläche von 50cm2 pro Käfig und Legehenne würde menschliche Interessen stärker einschränken als eine Mindestfläche von 40cm2. Abb. 2 illustriert dies.

30 Ebd. 31 BA Koblenz, B116, 68628, S. 4. 32 Statement Petzold-Cramer in BA Koblenz, B116, 68628, S. 7.

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Abb. 2: Die deutsche Agrartierpolitik als Kompromiss zwischen tierlichen und menschlichen Interessen in der Darstellung des BML (1978)

Belange von Tieren (deskriptive Ermittlung)

Interessen von Menschen (normative Ermittlung)

Zum Problem der deskriptiven Ermittlung siehe Abb. 3

Objektive Abwägung: Kompromiss (1) Rechtfertigungsgrund Bereich des „Tatsächlichen“: Zwi-

„der vernünftige Grund“:

schen verhaltensgerechter und

wirtschaftliche Forderun-

artgemäßer Haltung und länger

gen; Erhaltungsinteressen

anhaltenden, sich wiederholenden

des Menschen; „möglichst

erheblichen Schmerzen und Lei-

objektive“ Ermittlung

den oder Schäden

Abwehr störender Einflüsse

Empfindungen / anthropozentrische Interessen am Tierschutz / emotional gefärbte Urteile

Quelle: Eigene Darstellung

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Der verdeckte, vorgeprägte Kompromiss Die Darstellung eines Kompromisses, die in Abb. 2 gezeigt wurde, lässt aber eine andere Art von Kompromiss außen vor, der die rechtliche Entscheidungsfindung seit 1972 massiv prägen sollte. Denn auch in Urteilen darüber, was als ‚unvermeidbare‘ Einschränkung des artgemäßen Bewegungsbedürfnisses die artgemäße Tierhaltung bestimmt, werden die Belange der Tiere mit wirtschaftlichen Interessen verhandelt. Eine artgemäße Haltung hat nicht, wie ein Gewicht in einer Waagschale, einen bestimmten Wert, sondern sie ist eine vage Größe, das heißt, sie lässt Grenzfälle zu. Das ist in Abb. 3 dargestellt. Kompromiss (1) in Abb. 2 und Kompromiss (2) in Abb. 3 sind also unklar miteinander verknüpft. Abb. 3: Die artgemäße und verhaltensgerechte Haltung als Kompromiss33

Belange von Tieren

volle chung

Interessen der Tiernutzung

geringe

Verwirklider

chung

artge-

Verwirklider artge-

mäßen und verhal-

mäßen und verhal-

tensgerechten

tensgerechten

Tierhaltung

Tierhaltung (grenzt

Kompromiss (2): Artgemäße / verhaltensgerechte Tierhaltung als rechtliche Mindestanforderung

dicht an die Zufügung von Schmerzen

oder

ohne

Leiden

vernünftigen

Grund)

Quelle: Eigene Darstellung

Die höchstmögliche Erfüllung tierlicher Belange als normaler Ablauf der ‚Lebensvorgänge‘ ist in der Darstellung des BML Papiers gleichbedeutend mit der vollen Verwirklichung der artgemäßen und verhaltensgerechten Haltung. Aber auch eine weniger starke Verwirklichung kann noch als artgemäß bzw. verhal-

33 Vgl. BA Koblenz, B116, 68628, S. 7.

128 | TIERSCHUTZ ALS A GRARPOLITIK

tensgerecht durchgehen. Als Beispiel kann wieder die Mindestfläche eines Käfigs herangezogen werden. 50cm2 Bewegungsfläche für ein Huhn sind ‚verhaltensgerechter‘ als 40cm2, beide Fälle könnten aber theoretisch als verhaltensgerechte Haltungsform klassifiziert werden. Es gibt Gründe, die ein Sachverständiger gegen eine volle Verwirklichung der artgemäßen und verhaltensgerechten Haltung anführen kann. Es spricht rechtlich gesehen nichts dagegen, dass solche Gründe etwa dem arbeitstechnischen, dem tiermedizinischen, dem lebensmittelhygienischen oder produktionsökonomischen Bereich entstammen und dann auch wirtschaftliche Interessen repräsentieren. Grob gesprochen muss die Tierhaltung profitabel und praktikabel sein, sonst gilt die Beschränkung tierlicher Belange als ‚unvermeidbar‘. Das führt zu folgendem Problem. Auch wenn sich das artgemäße Bewegungsbedürfnis eines Tieres am besten in einem großflächigen Wildreservat befriedigen ließe, kommt diese Option für die Sachverständigen, obwohl diese ja die tierlichen Anliegen abbilden sollen, nicht in Betracht. Die Frage ist nun, welche Kriterien der Rentabilität erfüllt sein müssen, um eine Haltungsform als artgemäß oder verhaltensgerecht überhaupt in Betracht zu ziehen. Ob ein Haltungsverfahren eine geringe Verwirklichung der artgemäßen Haltung oder bereits eine Zufügung von Leiden und Schmerzen ohne vernünftigen Grund darstellt, hängt von der Beurteilung eines Sachverständigen ab, der diesen Grenzfall beurteilt. Einige Jahre nach der Reform kam der undefinierte Einfluss ökonomischer Aspekte auf die Urteilsfindung zur artgemäßen Tierhaltung in einem vom BML geleiteten Forschungsvorhaben zum Ausdruck. Es wurde der Frage nachgegangen, ob unter verschiedenen, grob definierten Haltungssystemen gemäß §2 des Tierschutzgesetzes „das artgemäße Verhalten von Hühnern […] ungestört ablaufen kann“. 34 Beurteilt wurde aus ethologischer Sicht die „unnatürliche“ Reizarmut der Umwelt von Legehennen in einem konventionellen KäfigHaltungssystem. 35 Es handelte sich aber hier um keine absolute Reizarmut, sondern um das Verhältnis dieser Reizarmut zu der Reizarmut in anderen Haltungssystemen, nämlich der Auslauf- und Bodenhaltung. An dieser Stelle fließen undefinierte ökonomische Vorannahmen in die Beurteilung mit ein. Die Reizarmut der Auslauf- und Bodenhaltung im Verhältnis zu einer gänzlich anderen Behandlung wurde offenbar deshalb gar nicht erst untersucht, weil nur wettbewerbsfähige Optionen in Betracht gezogen wurden. Auf diese Zusammenhänge wird später noch weiter eingegangen. Es kann aber an dieser Stelle bereits eine Vorein-

34 Dokumentation „Tierschutzgerechte Nutzgeflügelhaltung“ in BA Koblenz, B 116, 68744, S. 9. 35 Ebd.

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genommenheit bei der Eruierung tierlicher Belange festgehalten werden, nämlich deren Ermittlung als mehr oder minder artgemäße Tierhaltung. Rechtlich ergibt sich folgende komplexe Lage: §2 erfordert nicht die Verwirklichung der artgemäßen Haltung, denn sie darf so weit eingeschränkt werden, bis vermeidbare Schmerzen und Schäden bei Tieren erkennbar werden. Allerdings muss eine verhaltensgerechte Unterbringung gewährt werden.36 In der offiziellen Begründung heißt es wiederum, Mindestanforderungen dienten „vor allem“ der „Aufrechterhaltung essentieller Funktionskreise des arteigenen angeborenen Verhaltensinventars“.37 Der Staatssekretär Logemann wählt eine ähnlich unklare Formulierung: Die Mindestanforderungen an den Tierschutz ermöglichten „nicht zuletzt“ in der Aufrechterhaltung essentieller Funktionskreise des arteigenen, angeborenen Verhaltensinventars der betreffenden Tiere.38 Die Wörter ‚vor allem‘ und ‚nicht zuletzt‘ sind Zeugnisse einer verdeckten, normativen Funktion des Tierschutz-Sachverstandes, die im weiteren Verlauf der Arbeit näher untersucht wird. Denn die Frage, in welchen Situationen Tiere leiden oder Bedürfnisse haben, ist zwar auch biologischer und damit deskriptiver Natur. Gleichzeitig soll aber der Sachverstand die Vermeidbarkeit von Leidzufügungen vor dem Hintergrund ökonomischer Anliegen beurteilen. Er wirkt hier normativ, da er nicht bloß als ‚Grundlage‘, was immer das heißen soll, sondern unmittelbar für die Ausformulierung rechtlicher Entscheidungen herangezogen wird. Die Verbindung der normativen und der deskriptiven Funktion des Sachverstandes wird aufgrund zweier Umstände verschleiert. Erstens lässt sich die artgemäße und verhaltensgerechte Haltung mal als indisputable wissenschaftliche Größe, und mal entlang eines Kontinuums zwischen voller und schwacher Umsetzung darstellen. Zweitens lässt sich die normative Forderung nach artgemäßer Haltung in umstrittenen Fällen rechtlich in den Hintergrund rücken und eine Entscheidung mit dem vernünftigen Grund in §1 rechtfertigen. Entsprechend bemerkten die Beamten des BML, die Frage, ob die Käfighaltung bei Hühnern einer artgemäßen Haltung entspreche, rücke bei der Umsetzung des Gesetzes zugunsten des vernünftigen Grundes „in den Hintergrund“.39 Die Kritik an der vorgesehenen Entscheidungsfindung lautet zunächst: Die technisch anmutenden Begriffe und Formulierungen des Tierschutz-Sachverstandes suggerieren Eindeutigkeit, ermöglichen aber weitgehende Flexibilität in der Entscheidungsfindung. Außerdem bleibt die Frage offen, inwiefern

36 Vgl. BA Koblenz, Akte B116, 68628, S. 7. 37 BTDS VI/2559, S. 11. 38 BTDS 7/769, Frage B19. 39 BA Koblenz, Akte B116, 68628, S. 6.

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menschliche Emotionen in der Beurteilung der Vermeidbarkeit von Leid wirklich keine Rolle spielen und außer Acht bleiben sollten. Hier riskiert Versachlichung zu Missverständnissen darüber zu führen, was Tierschutz eigentlich bedeutet. Und wenn unklar bleibt, welche theoretischen Annahmen in der Entscheidungsfindung getroffen werden und welche Alternativen möglich wären, sagt die formale Zustimmung unterschiedlicher Akteure zur Reform wenig über die eigentliche Zustimmung zu denjenigen Entscheidungen, die auf ihrer Grundlage gefällt wurden. Ganz konkret scheint das Problem im 1972 etablierten Agrartierschutz darin zu liegen: Kommen in Tierschutz-Sachgutachten bloß jene tierlichen Interessen überhaupt erst in Betracht, deren Verwirklichung die Rentabilität einer Haltungsform nicht gefährdet? Wenn ja, spricht das gegen die Funktion des Sachverstandes als neutraler Informant des Tierschutzes, die an ihn herangetragen wurde, um gesellschaftliche Konflikte im Tierschutz zu schlichten. Die tatsächlich etablierte Kompromissfindung ist ein verzerrtes Abbild des offiziell kommunizierten Kompromisses zwischen Mensch und Tier. Sie erlaubt es, Profitabilitätsanliegen der Tiernutzung, die über bloße ‚Erhaltungsinteressen‘ der Menschen hinausgehen, als ‚unvermeidbar‘ geltend zu machen. Das Problem ist, dass die Frage der Vermeidbarkeit von Leid im Kern jener anfangs erwähnten gesellschaftlichen Debatte steht, in der sich das Lager ‚pro Tiernutzung‘ und das Lager ‚pro Tier‘ gegenüberstehen, es ist keine Frage der Sachverständigkeit. Im Rahmen sachverständiger Urteile über die artgemäße Tierhaltung wird die Vertretung tierlicher Interessen ausgegrenzt, weil sie durch Agronomie und das agronomisch ausgerichtete Veterinärwesen vorgeprägt sind. Dieser problematische Umstand könnte die Ausgangsthese präzisieren, nach der die offizielle Darstellung der Agrartierpolitik Missverständnisse darüber riskiert, welche Anliegen sie prioritär verfolgt.

Z WEI DENKBARE E INWÄNDE ZUR R ECHTFERTIGUNG DES GEWÄHLTEN ANSATZES Nun ist die eben gebrachte Kritik an der Voreingenommenheit der Kompromissfindung noch sehr oberflächlich. Um sie zu stärken und zu differenzieren, sollen im Folgenden zwei Einwände dagegen untersucht werden, die gleichzeitig zwei zentrale Rechtfertigungsstränge des guten Kompromisses zwischen Menschen und Tieren in den Debatten der Reform darstellten.

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Die Verhaltenswissenschaft repräsentiert tierliche Interessen In den Debatten und den Positionspapieren wurde die Rolle der Verhaltenswissenschaft bzw. Ethologie hervorgehoben. Ein Einwand gegen die Kritik, dass tierliche Interessen im Kompromiss nicht angemessen repräsentiert werden, lautet, dass die Verhaltenswissenschaft diese Aufgabe in der Entscheidungsfindung übernimmt. Als Forschungsrichtung kann die Ethologie objektive Fakten über tierliches Leid bzw. tierliche Interessen beitragen und diese in die Entscheidungsfindung einbringen. Dadurch kann die Seite der politischen Forderungen aus Sicht der Tiere objektiv abgedeckt werden, ohne dem Risiko der Vermenschlichung zu verfallen. Die entscheidungstragende Rolle der seit 1972 etablierten Nutztierethologie, die terminologisch durch die Begriffe ‚artgemäß‘ und ‚verhaltensgerecht‘ in §2 deutlich wird, gewährleistet, so der Einwand, den guten Kompromiss. Ausgrenzung von Emotionen generiert Objektivität Der zweite Einwand lautet, dass die Abkehr von Emotionen im Tierschutz die objektive Abwägung der Interessenlage gewährleistet. Indem sich der etablierte Sachverstand von Emotionen lossagt, generiert er den guten Kompromiss. Nur unter Ausblendung verbreiteter Emotionen kann, so lautet der Einwand, die mögliche Vermeidbarkeit von Tierleid richtig eingeschätzt werden. Zum einen betrifft dies die emotionale Empörung über das Wesen kapitalistischer Tiernutzung. Vielleicht verfügt die urbane, über Medienberichte informierte Bevölkerung ja über keine Vorstellung mehr, welcher Umgang mit Nutztieren im Vergleich zu Haustieren normal ist, bzw. welche politischen Forderungen dem unverständigen Affekt entspringen. Außerdem, so der Einwand weiter, riskierten Emotionen bei der Zuschreibung mentaler Phänomene bei Tieren Fehldeutungen in Form von menschlichen Projektionen. Vieles, was Laien beim Anblick der Tiere empfänden, sei nichts weiter als Mutmaßung. Die in der Reform erwählten Sachverständigen kommen, so der denkbare Einwand, insbesondere durch Ausblendung der Emotion zu belastbaren Aussagen über das Leid der Tiere. Untersuchung der Einwände Die folgenden zwei Kapitel setzen sich ausführlich mit den beiden Einwänden auseinander. Gezeigt wurde bisher, dass 1972 keine inhaltliche Voraussetzung der etablierten Tierschutzregelung im Agrarbereich für so umstritten befunden

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wurde, dass sie offen zur Wahl gestellt wurde. Im Folgenden zeigt sich, dass einige zentrale Annahmen im Abwägungsprozess dennoch – zumindest aus heutiger Sicht – umstritten sind. Wie eingangs erwähnt, ist dieser Schritt als externe Kritik an der Wahl der Entscheidungsgrundsätze durch die Akteure der Reform zu verstehen. Letztlich geht es dabei um die Frage, welche Voraussetzungen den Kompromiss zwischen tierlichen und Tiernutzungsinteressen gewährleisten.

Die Ausblendung der tierlichen Subjektivität Eine Hilfskonstruktion. Ein Stamm, den wir versklaven wollen. Die Regierung und die Wissenschaft geben aus, dass die Leute dieses Stammes keine Seele haben; man könne sie also zu jedem beliebigen Zweck gebrauchen. Natürlich interessiert uns dennoch ihre Sprache; denn wir wollen ihnen ja z. B. Befehle geben und Berichte von ihnen erhalten. […] Auch, was bei ihnen unseren „psychologischen Äußerungen“ entspricht, muß uns interessieren; denn wir wollen sie arbeitsfähig erhalten; darum sind uns ihre Äußerungen des Schmerzes, des Unwohlseins, der Niedergeschlagenheit, der Lebenslust, etc., etc. von Wichtigkeit. LUDWIG WITTGENSTEIN

1

Dieses Kapitel befasst sich mit der Frage, ob der seit 1972 rechtlich einflussreichen Nutztierethologie2 die angemessene Berücksichtigung der tierlichen Subjektivität gelingt, um somit die Forderungen aus Sicht nicht-menschlicher Tiere zu begründen. Um dies zu untersuchen, muss zunächst ein Begriff der Subjektivität gelten. Es muss also auf die theoretisch anspruchsvolle Frage eingegangen

1 2

Vgl. Wittgenstein (2013, 397f.) Wie jede wissenschaftliche Disziplin verändert sich auch die Nutztierethologie und zentrale Konzepte wie die artgemäße Tierhaltung und das Wohlbefinden werden heute anders definiert als noch 1972 und in der Folgezeit der Reform. Für die hier unternommene Kritik soll dennoch die frühe, klassische Fassung der Nutztierethologie in den Blick genommen nehmen, weil die demokratische Wahl der Entscheidungsfindung im Rahmen der Tierhaltungsverordnung auf dieser Fassung basierte.

134 | TIERSCHUTZ ALS A GRARPOLITIK

werden, ob und wie wir Tieren psychische bzw. mentale3 Zustände und Prozesse objektiv zuschreiben können. Wie fühlt sich etwas für Tiere an, was nehmen sie wahr, von welcher Art sind ihre Gedanken? Wer diese Fragen beantwortet, sagt etwas zu subjektiven oder gar bewussten Zuständen von Tieren. Obwohl solche Fragen unzweifelhaft im Zentrum des politischen Engagements für Tiere stehen, wurde in der Reform von 1972 über Methoden der Zuschreibung solcher Zustände wenig gesagt. Zunächst musste daher rekonstruiert werden, welchen Ansatz die Nutztierethologie für die Zuschreibung tierlicher Interessen, in der Terminologie der Reform auch ‚Belange‘ oder ‚Bedürfnisse‘, parat hält. Eng damit verbunden ist die Frage, worauf es den Akteuren der Reform beim staatlichen Tierschutz in erster Linie ankam: Was genau sollte geschützt werden, wenn davon gesprochen wurde, Tiere zu schützen? Das betrifft die Auswahl tierlicher mentaler Zustände im Gesetz. Das Kapitel soll auch zeigen, wie die Beurteilung eines angemessenen Umgangs mit Tieren von der Art der Zuschreibung geistiger Zustände beeinflusst wird. Es gibt eine Reihe von Ansätzen in der Biologie, die die Komplexität von Fragen des tierlichen Bewusstseins dadurch umgehen, dass sie diese aus ihrer Forschung schlicht ausklammern. Sie erscheinen damit intuitiv unverfänglicher als philosophische Arbeiten. Doch eine derartige Unverfänglichkeit ist im tierpolitischen Kontext nicht realisierbar. Es macht einen Unterschied, ob sich Tiere unserer Beschreibung zufolge verhalten oder handeln, ob sich Reaktionsketten in ihnen auslösen oder sie etwas glauben, ob Triebe in ihnen regieren oder ob sich Tiere etwas denken. Das sind nicht zuletzt politisch relevante Unterschiede. Es ist nicht nur wissenschaftlich und entscheidungspolitisch relevant, sondern prägt das menschliche und kulturelle Selbstverständnis, ob Aussagen, dass Tiere ähnlich wie wir denken, wünschen, verstehen, verzweifeln, sich versöhnen oder die Geduld verlieren, wörtlich oder lediglich metaphorisch zu verstehen sind oder ob sie schlicht falsch sind.4

3

Die Begriffe ‚psychische‘, ‚mentale‘, und ‚geistige‘ Zustände werden in dieser Arbeit weitgehend synonym verwendet. Emotionale und schmerzhafte Zustände fallen unter diese Rubriken. Bei einem bestimmten Begriff von Kognition können auch kognitive Zustände eine synonyme Bedeutung erhalten. Vgl. Wild (2012c, 14f.). Es ist jedoch umstritten, ob kognitive Zustände auch subjektiv erfahrbar sein müssen. Vgl. BenzSchwarzburg (2012). Dass sie subjektiv erfahrbar sind, ist aber unumstritten eine zentrale Anforderung an die genannten Begriffe.

4

Ulrich Leinhos-Heinke meint etwa, die Redeweise, höher entwickelte Tiere würden „denken“ oder „verstehen“, sei einem „wissenschaftlich angemessenen Verständnis tierlichen Verhaltens als Teil eines rationalen Welt- und Naturbildes […] nicht för-

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DER TIERLICHEN

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V ORBEMERKUNG : V ON DER P SYCHOLOGIE ZUR V ERHALTENSFORSCHUNG Im frühen 20. Jahrhundert prägte Theodor Lips den Begriff der Einfühlung für die Psychologie. Es ging ihm dabei um eine Form der Wahrnehmung von Emotionen anderer, die aktiviert wird, ohne durch assoziative oder kognitive Prozesse beeinflusst zu werden.5 Trotz einiger Aufmerksamkeit verlor das Konzept im deutschen Sprachraum sowohl in der Biologie und als auch in der Philosophie an Interesse. Erst in jüngerer Zeit erhielt seine Arbeit unter dem Stichwort der Empathie, verstärkt auch im anglo-amerikanischen Raum, zunehmenden akademischen Einfluss. Ähnlich verlief auch die Geschichte der sogenannten Tierpsychologie. Sie war Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eine beachtete wissenschaftliche Disziplin.6 Die Gründerväter der Ethologie, darunter Konrad Lorenz, Nikolas Tinbergen und Otto Köhler, grenzten ihre neue Disziplin aber seit den 1930er Jahren zunehmend von den Methoden der Psychologie im menschlichen Bereich ab und richteten sie an der Physiologie und der Medizin aus, was zu ihrem Fokus auf angeborene Instinkte führte. Der Begriffswechsel von der Psychologie zur Ethologie steht symbolisch für eine die Biologie des Verhaltens lange prägende Unsicherheit im Umgang mit tierlichen subjektiven Empfindungen. Die Reform von 1972 fällt in diese Zeit und wird von der Ethologie im Geist von Konrad Lorenz stark beeinflusst. Erst in jüngerer Zeit gewinnt die Rede vom Geist oder der Psyche von Tieren wieder an philosophischer und biologischer Bedeutung.7

M ENTALE B EGRIFFE

IM

R ECHT

Geistlose Tiermaschinen und öffentliche Moral Als die Akteure der Reform von 1972 die Entwürfe für ein neues Tierschutzgesetz erarbeiteten, waren sie bei der Auswahl von Begriffen, Formulierungen und den methodischen Ansätzen durch nichts eingeschränkt. Worauf konnten sie sich

derlich“. Leinhos-Heinke (2012, 71). Das ist äußerst umstritten. Dennoch bestätigt die Aussage, dass ein persönliches Weltbild von der Frage des tierlichen Geistes betroffen sein kann. 5

Vgl. Preston und de Waal (2002) und Lipps (1903)

6

Vgl. von den Berg (1998)

7

Vgl. Lurz (2009).

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beziehen, welche Anhaltspunkte im Hinblick auf zu schützende mentale Phänomene im Tierschutz standen ihnen zur Verfügung? Aus dem Wortbestandteil ,-schutz‘ lässt sich allein noch wenig schließen. Sicherlich war seit jeher der Schutz vor Schmerzen ein wichtiges Anliegen. Allerdings bezeugt die Aufteilung in die Verbote des Misshandelns und Quälens, dass Tierschutz immer auch über die bloße Abwehr einer Schmerzenszufügung hinausging. Insbesondere der Begriff des Quälens kann sich grundsätzlich auf jede Form der Handlung gegenüber Tieren beziehen, die als unmoralisch bzw. gesellschaftlich inakzeptabel gilt. Beispielsweise wurden seit den Anfängen des historischen Tierschutzes die Überlastung von Zug- und Lasttieren oder der Entzug angenehmer Zustände wie Komfort als tierschutzrelevant erachtet.8 Die Kritik an den intensiven, modernen Formen der Agrartierhaltung in den 1960er Jahren richtete sich auch an der mangelnden Anerkennung einer Eigenschaft der Tiere aus, die im Kontrast steht zu ihrer Eigenschaft als bloße Mittel für ökonomische Zwecke. Im Zuge der Schaffung immer leistungsorientierterer, stark belastender Lebensformen der sogenannten Nutztiere in Käfighaltungen, Batterien und Boxen sowie durch die Beurteilung ihres Lebens unter rein ökonomischen Gesichtspunkten in wirtschaftlichen Kalkulationen richtete sich die Kritik gegen die Verwandlung von Tieren in Maschinen, in bloße Produktionsfaktoren von Fabrikbetrieben. 9 Der Titel Tiermaschinen von Ruth Harrissons populären Buch aus dem Jahr 1965 verweist, wie im Folgenden noch erläutert werden soll, auf eine Metapher für tierliche Subjekte, die ihre Subjektivität als Lebewesen in der menschlichen Wahrnehmung eingebüßt haben oder allmählich einbüßen. Die Metapher ist moralisch geladen, weil sie diesen Umstand nicht nur beschreibt, sondern ihn zu einem Übel erklärt. Sie steht also mit einer Moralvorstellung in Verbindung. Ein Blick auf die Ursprünge der Tiermaschinen-Metapher und ihre frühe Rezeption kann zum Verständnis dieser Moralvorstellung beitragen. Denn Harrison bezieht sich dabei auf ein epochenprägendes Moment in der Philosophie, prominent vertreten durch René Descartes in seinem Discours de la Méthode aus dem Jahr 1637. Descartes’ Begriff der Tiermaschine gründete auf der Idee, dass sich Tiere ausschließlich aufgrund körperlicher Dispositionen verhielten, gleich einem „Uhrwerk“.10 Noch im 18. Jahrhundert, in der sich die Newton’sche Physik und die von John Locke eingeführte empirische Methode etablierte, kam der Metapher großes Interesse entgegen. Gemäß Descartes haben Tiere zwar Empfin-

8

Vgl. Eberstein (1999).

9

Vgl. Harrisson (1965).

10 Descartes (2013, V).

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DER TIERLICHEN

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dungen, aber keinen Geist bzw. keine Seele. Der Philosoph ist sich bewusst über naheliegende, ethische Implikationen seiner Darstellung und formuliert sogar selbst eine: „[U]nd eine Empfindung bestreite ich den Tieren auch nicht, soweit diese von einem körperlichen Organ abhängt. Somit ist diese meine Überzeugung nicht so sehr grausam gegenüber den Tieren als vielmehr etwas, womit ich den Menschen […] den Gefallen tue, indem ich sie von dem Verdacht entlaste, mit dem Verzehr oder dem Töten von Tieren ein Verbrechen zu begehen.“11

Descartes spricht Tieren auch die Fähigkeit ab, sich Menschen gegenüber in einer eigenen Sprache verständlich zu machen. Das war in moralischer Hinsicht eine wichtige Aussage. Denn es ist keine moderne Erkenntnis, dass sich tierliche Schreie und Gesten, etwa bei den bereits zu Descartes‘ Zeiten üblichen Vivisektionen in der Wissenschaft, einfacher ertragen lassen, wenn sie zu Geräuschen und Körperbewegungen werden.12 Die von Descartes im Rahmen seines Methodenentwurfes vertretenen Thesen über den maschinenhaften Tierkörper, von dem sich die menscheneigene Vernunft abhebt, forcierten den philosophischen Rationalismus, durch den besonders das Bildungsbürgertum in Deutschland lange geprägt war. Interessant für die Geschichte der Tierpolitik ist nun, dass sich an der Metapher schon zu Lebzeiten von Descartes Kritik entzündete – sowohl in Form von philosophischer Argumentation als auch in Form spontaner Empörung. Denn im Widerstreben, Tiere als geist- und sprachlose Mechanismen wahrzunehmen, zeigt sich ein wichtiges Motiv des gesellschaftlichen Engagements für Tiere. Unmittelbaren Widerspruch gegen die Maschinen-These erhoben Gelehrte und Autoren aus Descartes‘ Zeit, darunter der Tierfabelautor Jean de la Fontaine, François Bernier, der Abbé Bougeant, der Jesuit Ignace-Gaston Pardies oder Jean Baptiste du Hamel.13 Teile der weiblichen, höfischen Gesellschaft, bei der Haushunde damals sehr beliebt waren, fühlten sich durch Descartes provoziert.14 Ihre Gefährten kamen in Descartes‘ Hierarchie des Lebendigen nicht einmal den „stumpfsinnigsten Menschen“, „dümmsten Kindern“ oder „wenigstens einem Geisteskranken“ gleich. 15 Man kann bei diesen derben Formulierungen davon ausgehen, dass Descartes einer Provokation durch sein Werk nicht aus dem Weg

11 Descartes zit. nach Schütt (1990, 108). 12 Vgl. Böhme und Böhme (1992, 281). 13 Vgl. Busson und Gohin (1950). 14 Vgl. Jauch (1990). 15 Descartes (2013,V).

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gehen wollte. Er qualifizierte alle gleichermaßen nach den Regeln der denkenden Ratio ab: die Kinder, die Dummen, die Kranken, die Tiere – und damit indirekt auch jene Menschen, die eine freundschaftliche Verbindung zu Haustieren unterhielt. Am obersten Teil der Skala stand der vor Vernunft strotzende Philosoph selbst. In den Salons von Paris brach eine hitzige Debatte über das Wesen der Tiere aus, wobei man einerseits Descartes‘ Thesen beipflichtete, andererseits ihnen aber auch vehement widersprach.16 Die These, dass die Kritik an der Darstellung von Tieren als Sachen bzw. instinktgesteuerte Maschinen ein zentrales Motiv des gesellschaftlichen Engagements für Tiere ist, lässt sich durch die Kritik eines heute recht unbekannten, aber seinerzeit populären Autors stützen, Julien Offray de la Mettrie. Der Titel seines zentralen Werkes zum Thema Tiere heißt programmatisch: Les animaux plus que les machines – über Tiere, die mehr sind als Maschinen. In vielen seiner Werke geht es ihm um die Begründung eines ‚brüderlichen‘ Verhältnisses von Menschen und Tieren als Akteure einer Natur. De la Mettrie kritisierte die Abwertung der Tiere gegenüber dem Menschen als ratiozentrierte Metaphysik und säkularisierte Theologie. Ursula Pia Jauch hat jüngst Mettries Werk umfassend rekonstruiert. Ein wiederkehrendes Thema ist bei ihm die Kritik an der Verbreitung der naturwissenschaftlichen Methodik in alle Bereiche des modernen Denkens. Bekannt wurde er mit seinem Werk L’homme machine, die Menschmaschine. Er überspitzt darin Descartes‘ materialistische Tiermaschinen-These, indem er sie, allerdings mehr in Form einer ironischen Metapher als einer biologischen Untersuchung, auf den Menschen überträgt. Er folgt hier Descartes‘ Materialismus im Hinblick auf Tiere und führt ihn ironisch auf Menschen aus: Wenn Tiere schon Maschinen sein sollen, dann bitte doch auch wir! Besonders in seinem Hauptwerk Discours sur le bonheur kritisiert er in post-humanistischer Manier die metaphysische Sonderstellung des Menschen als Vorurteil, das riskiert, die praktischen Lehren zu vergessen, die uns Emotionen bzw. Gefühle erteilen können. Die Tiermaschinen-These von Descartes ist für ihn das augenfälligste Produkt des übertriebenen mathematisch-mechanischen Denkens und der Ignoranz der Wahrnehmung. Diese kann eine bestimmte Beziehung ausdrücken, die durch Vernunft schwer abgebildet werden kann. 17 Dass Descartes mit seiner Tiermaschinen-These offensichtlich dem Alltagsdenken und -fühlen vieler Menschen widerspricht, ist für ihn deshalb ein zentraler Ausgangspunkt seiner Kritik. Der erste Satz von Les animaux plus que les machines lautet insofern:

16 Vgl. Busson und Gohin (1950). 17 Vgl. Jauch (1998) und Jauch (2004).

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„Vor Descartes hat kein Mensch die Tiere jemals als Maschinen angesehen.“18

Die Wahrnehmung von Tieren lässt sich gemäß Mettrie durch eine Theorie wie die von Descartes beeinflussen. Tiere werden dadurch in unserer Wahrnehmung zu Maschinen. Gegen diese Wendung argumentiert er, indem er Analogien im Verhalten und im Körperaufbau zwischen Menschen und Tieren anführt.19 Die menschliche Wahrnehmung des Ausdrucks von tierlichen Gefühlen nennt er eine von Tieren an Menschen gerichtete Sprache. Das führt ihn zu einer moralischen Kritik an der Maschinenmetapher. Eben jene Moralvorstellung zeigt sich in den 1960er Jahren noch im Erfolg von Harrissons Tiermaschinen. Mettrie wendet die Maschinenthese auch, wieder ironisch überspitzt, auf jene Sorte Naturwissenschaftler an, die durch ihre Lebendversuche an Tieren menschliches Mitgefühl vermissen lassen: Der moderne, von Descartes beeinflusste Biologe wird zur eigentlichen ‚Maschine‘, nicht das sezierte Tier. Das ist Tierschutzengagement, wenn auch zunächst nur begriffliches. Jauch zufolge wurde die engagierte Ironie in der Rezension des Buches lange übersehen. 20 De la Mettrie macht sich im Plädoyer für die menschliche Subjektivität als einer, die der Subjektivität von Tieren in nichts nach steht, für die Interessen der Tiere stark. Seine Warnung vor der Tiermaschine ist eine Warnung vor der Menschmaschine. Zeigt sich daran der oben erwähnte anthropozentrische Tierschutz? Jedenfalls spielen Emotionen bei Mettrie eine wichtige Rolle. Ein glückliches, gelungenes Leben sowohl von Menschen als auch von Tieren ist für Mettrie an subjektive, emotionale Vorlieben gebunden, zum Beispiel an das Nichtstun oder an die Herausforderung. „Jedes Individuum, jeder animierte Körper“ ist zu solchen Empfindungen fähig. 21 Deshalb muss auch das tierliche Glück moralisch berücksichtigt werden. Der an Mensch und Tier angemessene „Grad an Gesundheit, Fröhlichkeit, Geist, List, Stärke, Mut, Geschicklichkeit, Zärtlichkeit und gar Menschlichkeit“ macht unterschiedliche Arten des Glückes aus. 22 Im Jahr 1751, mehr als 100 Jahre nach der Veröffentlichung Descartes‘ Maschinenthese, glaubt er:

18 Mettrie zit. nach Jauch (2004, 47). 19 Jauch (1998, 424). 20 Vgl. Jauch (1998, 274-278). 21 Mettrie zit. nach Jauch (1998, 541). 22 Mettrie zit, nach Jauch (1998, 541).

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„Die Zeiten, in denen man empfindungslose Maschinen konstruiert hat, sind endgültig vorbei.“23

Mit der europäischen Industrialisierung der Tierhaltung, rund 200 Jahre später, sollte diese Hoffnung bezweifelt werden. Zeitgleich zu Mettrie betonte David Hume noch, dass Vernunft und Empfindungen der Tiere sich im Alltäglichen zeigten und weder bezweifelt noch verteidigt werden müssten.24 Es ist Kant, der Descartes‘ Maschinenthese wieder aufgreift, wobei er Mitleid mit gequälten Tieren zwar nicht mehr als Hirngespinst darstellt, aber seine moralische Relevanz doch schleierhaft einschränkt: Es ist für ihn nur ‚indirekt‘ nützlich, als Übung für die moralische Achtung des Menschen. Tiere sind für Kant keine Zwecke an sich und nehmen damit den Status von Sachen an. Schopenhauer übt später eine für den Tierschutz einflussreiche Kritik daran und gebraucht dabei einen Gestus, das den empörten Reaktionen auf die Tiermaschinenthese ähnelt. Er findet die von Kant betriebene „Phantomisierung“ der Wahrnehmung tierlicher Subjektivität „empörend und abscheulich“.25 Im Utilitarismus Benthams wird das subjektive Leiden von Tieren zu einem empirischen Kriterium dafür, dass Tiere utilitaristisch zu berücksichtigen sind. Bentham weist Gründe zurück, die dafür sprechen, Tieren einen anderen moralischen Status zuzuweisen als den von Menschen. Der Berechtigung einer Skepsis gegenüber der Subjektivität der Tiere wird bei ihm bereits, anders als bei der spontanen Empörung über Descartes, stattgegeben. Der Empirist Bentham formuliert, wenn auch rhetorisch aufgeladen, als Ausgangsfrage für seine Tierethik: „Können [Tiere] leiden“26? Für ihn mag die Antwort eindeutig gewesen sein. Dennoch liegt in der Frage eine entscheidende Wendung, weil sie einen empirischen Beweis verlangt, dass Tiere Lebewesen mit subjektiven Empfindungen sind. Menschliche spontane Emotionen bei der Wahrnehmung der tierlichen Subjektivität werden dafür irrelevant. An die Naturwissenschaft wurde seitdem häufig herangetragen, Tierleid bzw. tierlichen Geist aus dem Eindeutigen und Messbaren abzuleiten und das brachte ihr nicht zuletzt die entscheidende Rolle im rechtsgültigen ‚ethischen Tierschutz‘ ein. Wie steht nun das Tierschutzgesetz von 1972 zu all dem? Welche Seite nimmt sie ein? Zunächst stellt die Terminologie in § 1 und § 2 zur Aussicht, dass Tiere in der Agrartierhaltung leiden können. Das besagt aber nicht viel. Auch Descartes gestand Tieren Empfindungen zu, obwohl er die These vertrat, Tiere

23 Ebd. 24 Rollin (2013, 16). 25 Vgl. Badura (1999, 50). 26 Bentham (1996, Kapitel 18, Absatz 4).

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seien von ihrem Wesen her mit Mechanismen vergleichbar. Der rechtliche Ansatz von 1972 positionierte sich insofern nicht zur Tiermaschinenthese. Diese war aber zur Zeit der Reform ein wichtiges Motiv im gesellschaftlichen Engagement für Tiere. Die menschliche Wahrnehmung von Tieren als Subjekte, die Menschen grundsätzlich ähneln, stand zur Debatte Zusammenfassen lässt sich folgender philosophischer Hintergrund, mit dem dieses Kapitel in die Frage einsteigt, ob die 1972 etablierte wissenschaftliche Grundlage tatsächlich in der Lage ist, tierliche Interessen angemessen zu vertreten. Noch bevor ein empirisches Interesse an tierlichen Gefühlen im Zuge der Aufklärung erging, um die Frage zu klären, ob Tiere ethisch zu berücksichtigen seien, war es die direkte Wahrnehmung tierlicher Subjektivität, die zur Empörung über die Maschinen-These und ihre moralischen Implikationen führte. Diese Empörung war mit dem zivilen Engagement für tierliche Interessen verknüpft. Descartes selbst war sich über den Beitrag seiner Thesen zur Beruhigung von Schuldgefühlen gegenüber Tieren bewusst. Und bei Mettrie verknüpfen sich die Rückweisung der Maschinenthese mit der Kritik am Rationalismus und Plädoyers für einen besseren Umgang mit Tieren. Die Wahrnehmung tierlicher Subjektivität als Komparse des Schutzes tierlicher Interessen war im Tierschutzgesetz von 1972 nicht vorgesehen. Das galt in den offiziellen Rechtfertigungen als antiquierter, anthropozentrischer Tierschutz. Öffentliche Moral unter Verdacht des Anthropozentrismus Wohlbefinden, Leiden und Schmerzen, die drei für die Reform maßgeblichen mentalen Begriffe, gelten heute allgemein als Begriffe für subjektive, mentale Zustände bzw. Typisierungen solcher Zustände. In der Philosophie des Geistes ist es verbreitet, subjektiven Zuständen einen ontologischen Status zuzuschreiben, sie als Bestandteil der Welt zu verstehen.27 Wenn Hume dem Alltagsdenken zutraut, den Geist der Tiere zu erkennen und Mettrie Tiere dem Wesen nach für ‚mehr als Maschinen‘ hält, schreiben sie Tieren offensichtlich solche mentalen Zustände zu.

27 Dass subjektive Zustände ein Bestandteil der Welt sind, wurde von John Searle prominent argumentiert: If science is supposed to give an account of how the world works and if subjective states of consciousness are part of the world, then we should seek an (epistemically) objective account of an (ontologically) subjective reality, the reality of subjective states of consciousness. Vgl. Searle (2002, 11). Die Rede von subjektiven Zuständen meint hier bewusste, subjektive Zustände. Das beinhaltet nicht, dass subjektive Zustände notwendigerweise bewusst sein müssen.

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Die Konzeption des Gesetzes von 1972 besagte schlicht, dass Begründungen eines Verbotes von Haltungsverfahren aus Tierschutzgründen weder auf menschlichen Emotionen noch auf menschlichen Interessen basieren dürften, da dies anthropozentrisch sei. Für den Tierschutz im Agrarbereich war dies von zentraler Bedeutung. Denn die Empörung über die Rationalisierung der Tierproduktion und Angst vor der neuen Entwicklung beruhte damals kaum auf biologischen Erkenntnissen über die Empfindungswelt der Tiere oder einer elaborierten Tierethik, sondern vor allem auf einer vagen Angst und emotionalen Skepsis bzw. Empörung über die Objektifizierung von Tieren. Diese wurden mit dem Bild beschrieben, dass „alte Mistkratzer sich in industrielle Geschöpfe verwandeln“.28 Die Macher des Gesetzes gaben nun vor, dass die Nutztierethologie diese Kritik aufklären könne. Es wurde nicht mal gefragt, ob es der Öffentlichkeit bei der Kritik an der industriell anmutenden Tierhaltung nur um Leidvermeidung und ethologische Kriterien ging. Dieser Umgang mit öffentlicher Meinung beinhaltete auch, bestimmte ethische Fragen gar nicht erst zu stellen: Warum sollte sich der Staat für Tierschutz einsetzen? Was sind die Gründe dafür, Tiere zu schützen? Welche Bestandteile im Leben eines Tieres gilt es zu schützen? Die einzige praktische Implikation des ‚ethischen Tierschutzes‘ im Hinblick auf die mentalen Zustände von Tieren bestand darin, dass Tiere tatsächlich, und nicht nur in der Öffentlichkeit, vor Leiden geschützt werden sollten. Es ist wichtig zu sehen, mit gedankenlos in der Reform ausgerechnet der Vorwurf ‚Anthropozentrismus‘ dafür benutzt wurde, um unterschiedliche menschliche Anliegen und die menschliche subjektiven Empfindungen im Tierschutz in Abrede zu stellen. Dieses in-Abrede-stellen verlief dem Wesen nach suggestiv, kein wirkliches Argument wurde hier geltend gemacht. Auf dieser Grundlage wurde dann, mit der Einführung der Nutztierethologie als ‚eindeutige‘, ‚exakte‘ Wissenschaft, auch das Problem des Umgangs mit der tierlichen Subjektivität vereinfacht und rechtsterminologisch umgangen, wie im Folgenden gezeigt wird.29

28 Kuenheim (1966). 29 Wie das Verbot des Tötens in die Berücksichtigung der Subjektivität eines Tieres hineinspielt, ist eine wichtige Frage, die ich hier ausklammere. Die Einschränkung des Tötungsverbotes durch den vernünftigen Grund wurde bezogen auf den Agrarbereich bereits mit Inhalt gefüllt. Agrartierschlachtung wurde explizit tierschutzrechtlich geregelt und somit die Vereinbarkeit von Tierschutz und Tiertötung vorausgesetzt.

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Die Umgehung der Subjektivität in der Terminologie Die Umgehung der Subjektivität findet sich zunächst im Begriff des Schadens, der dem Grundsatz neu hinzugefügt wurde. Dieser bezeichnet keinen mentalen, sondern einen mechanischen Zustand. Unter Schäden werden im Tierschutz alle möglichen Beeinflussungen der körperlichen Unversehrtheit gefasst und diese sind in vielen Fällen lebensbedrohlich oder gehen mit unangenehmen Empfindungen einher.30 Doch körperliche Versehrtheit muss nicht auf Dauer schädlich sein. Handelt es sich etwa um die Amputation eines unbrauchbaren oder in Zukunft schädigenden Körperteils, könnte ein vorläufiger Schaden positive Implikationen auf das zukünftige Befinden haben. Da solche Aspekte im Tierschutzgesetz aber nicht erwähnt oder thematisiert werden, muss davon ausgegangen werden, dass Schäden mit dem Auftreten von Schmerzen oder Leiden assoziiert werden. Der im Rahmen der Anhörung von Sachverständigen geladene Biologe Autrum formuliert, bei der wissenschaftlichen Fassung des Tierschutzes ergäben sich zwei Fragen: Was ist schmerzhaft für ein Tier, und was ist eine unsachgemäße Behandlung? 31 Diese Formulierung verdeutlicht zwei Aspekte. Erstens wird die artgemäße, verhaltensgerechte Haltung und Pflege in §2 als ‚sachgemäß‘ für eindeutig objektivierbar gehalten. Das deutet bereits darauf hin, dass der Aspekt der tierlichen Subjektivität hier ausgeblendet wird. Der Anspruch, mit §2 den Grundsatzparagraphen konkreter umsetzen zu können, impliziert gleichzeitig, dass für die Gestaltung artgemäßer Lebensbedingungen Aussagen über Tierleid nötig sind. Ansonsten wäre sie auch im Tierschutzkontext irrelevant. Zweitens deutet Autrum damit an, dass Schmerzen anstelle von Leiden eine Bewusstseinskategorie im Gesetz darstellen, zu der sich die Wissenschaft auch ohne größere Probleme zutraute, Aussagen zu treffen. Schmerzen bilden eine Überkategorie aversiver, sensorischer Erfahrungen eines Schadens oder einer Bedrohung der Integrität von Körperfunktionen.32 Es stellt sich die Frage, warum deren Zuschreibung aus wissenschaftlicher Sicht methodisch anders und unproblematischer ablaufen sollte als die anderer mentaler Zustände. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Schmerzen mit dem mechanischen Prozess der Nozizeption zusammenhängen. Die Nozizeption ist sozusagen der Schmerz ohne die Komponente der subjektiven Wahrnehmung. Sie beschreibt die beim Schmerz ablaufende, reflexartige Stimulation von Nervenendigungen. Dieser

30 Lorz und Metzger (1999). 31 Vgl. Autrum in PA, Akte VI 285-A-Nr. 23, S. 10. 32 Vgl. Monoly und Kent (1997, 266).

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mechanische Aspekt des Schmerzes kann naturwissenschaftlich nachgewiesen werden. Indem die Fähigkeit eines Lebewesens betrachtet wird, für schädliche Reize empfänglich zu sein und auf sie reflexartig zu reagieren, bleibt häufig der Aspekt der phänomenalen Qualität, all das, was über die mechanische Teilerklärung des Schmerzes hinausgeht, unberücksichtigt. 33 Nähme man den subjektiven, qualitativen Charakter des Begriffes der Schmerzen allerdings ernst, wäre die Zuschreibungsmethode ebenso schwer oder ebenso leicht wie bei anderen mentalen Zuständen, etwa Freude, Zuneigung, Neugier oder Angst. Üblicherweise gelten Schmerzen als Unterkategorie des breiter gefassten Begriffes der Leiden. Umgangssprachlich gilt Leiden heute meist als Bezeichnung für unangenehme Erfahrungen. Das können zum Beispiel Isolation, Angst, Panik, Gefühle der Behinderung, Verlust enger Bezugspartner, Orientierungslosigkeit, Unterforderung oder Langeweile sein. Im Utilitarismus bewirkt die Verminderung oder Vermeidung subjektiver Leidenserfahrung, im englischen suffering, die Steigerung einer aggregierten Nützlichkeit. Die westliche Philosophie kennt aber auch die Wertschätzung oder zumindest Akzeptanz des Leidens als wichtigen Bestandteil des Lebens.34 Im Christentum und im Buddhismus hat das Leiden eine zentrale theologische Bedeutung. In den Begriffen Pathos und leidenschaftlich ist eine Fassung des Leidens als Gefühlsregung enthalten, bei der es nicht primär um den Aspekt des Angenehmen oder Unangenehmen geht. Ihnen gemäß ist Leiden eine Überkategorie außerordentlicher Bewusstseinszustände, die in ihrer Außerordentlichkeit zum normalen subjektiven Erleben dazugehören. Wie im Fall der Schmerzen lässt das Verbot der Zufügung von Leiden die biologische Tatsache unberücksichtigt, dass beide lebenswichtige Funktionen einnehmen. Einem Tier etwa ein Leben ohne Angst zu wünschen, würde entweder bedeuten, deren lebensnotwendige Funktion zu unterschätzen oder mit der absurden Verpflichtung einhergehen, das Leben der Tiere gänzlich zu kontrollieren. So gesehen kann es aus der Sicht des Tierschutzes nicht darum gehen, Leid um jeden Preis zu eliminieren. Dennoch ist klar, dass bestimmte Formen von und ein bestimmtes Maß an Leid vermieden werden sollten. Um dem Begriff des Leids einen tierschutzrelevanten Sinn zu verleihen, muss er daher als grober Sammelbegriff für solche Zustände verstanden werden, die schlechte oder schäd-

33 Vgl. Wild (2012c, 56f.). 34 Bei Schopenhauer etwa spielt das Leiden eine läuternde und reinigende Funktion. Fasst man seine Aussage ‚Alles Leben ist Leiden‘ als Identitätsaussage, ist Leiden bei ihm zumindest nicht zwingend etwas, das normativ nicht sein sollte. Vgl. Hallich (1998, 24ff.).

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liche Folgen für ein einzelnes Tier haben. Der Begriff generalisiert also etwas, das in seiner subjektiven Ausformung äußerst vielseitig ist. ‚Leiden‘ ist im Sinne des Tierschutzgesetzes weniger eine konkrete Beschreibung des Mentalen, sondern hat einen normativ-appellativen Sinn: ein Zustand, der schlecht und deshalb zu vermeiden ist.35 Ebenso wie der Begriff ‚schlecht‘ sagt der Begriff des Leidens noch nichts über damit verbundene Inhalte aus, sondern muss mit Inhalt gefüllt werden. Die Zuschreibung von Leiden ist die Zuschreibung von Empfindungen, die nicht sein sollen. Nun kennt das Recht aber auch unvermeidbare Leiden. Für die Erstellung von Verordnungen über die angemessene Beschränkung des artgemäßen Bewegungsbedürfnisses ist definiert, dass die Einschränkung im Rahmen der Haltung nicht der Art sein darf, dass dabei vermeidbare Schmerzen und Leiden entstehen. Das Recht besagt also unklarer Weise, dass bestimmte mentale Zustände von Tieren, die nicht sein sollen, unvermeidbar sind. Die inhärente Norm des Tierleids, nämlich die, dass Tierleid nicht sein soll, lässt sich durch beliebige andere Normen, etwa denen der ökonomisch vorteilhaften Produktion, aushebeln. Diese Abwägung fällt in den Bereich der Beurteilung artgemäßer Haltungsformen. Mit der vielfaltigen Gestalt und Fassung der tierlicher Subjektivität hat das wenig zu tun. Zwischenfazit In der Terminologie des Gesetzes von 1972 wird eine Zurückhaltung im Umgang mit tierlichen mentalen Zuständen deutlich. Im Folgenden zeigt sich, dass diese Zurückhaltung auch in den theoretischen Ansätzen hinter der Nutztierethologie zum Tragen kommt.

D IE AUSWAHL DER SACHVERSTÄNDIGEN B ERATUNG Die Warnung vor dem Anthropomorphismus Für Entscheidungen im Tierschutz muss eruiert werden, wie sich Tiere in zu beurteilenden Situationen fühlen. Theorien der Zuschreibung mentaler Zustände bei Tieren wurden in der Reform von 1972 nicht näher öffentlich diskutiert. Es wurden aber einige für diese Zuschreibung vorgesehene Ansätze und Disziplinen genannt. Ein Kernaspekt im vorgesehenen Rahmen eines „neuzeitlichen“36, wis-

35 Ich danke Judith Benz-Schwarzburg für Anregungen diesbezüglich. 36 Vgl. DS VI/2559.

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senschaftlich geprägten Tierschutzes war die Warnung vor methodischen Fehlern durch den Anthropomorphismus, d. h. durch die Vermenschlichung von Tieren. Die Ethologie von Konrad Lorenz stand Pate für diese Warnung sowie entsprechende Lösungsansätze. Was ist Anthropomorphismus und welche Rolle kommt ihm zu? Zunächst ist es hilfreich, sich eine Gemeinsamkeit mit dem anthropozentrischen Tierschutz vor Augen zu führen. Beide setzen sich dem Vorwurf aus, Sachverhalte fehlerhafterweise aus menschlicher Perspektive zu sehen bzw. zu beschreiben. Beim anthropozentrischen Tierschutz besteht der Vorwurf darin, Tiere nicht um ihrer selbst willen und nicht mit Blick auf tatsächliche Zustände im tierlichen Körper zu schützen. Anthropomorphismus wird manchmal als Tendenz bezeichnet, Tiere als Menschen zu sehen. Das ist sehr vage. Der Vorwurf muss also differenziert werden. Ein Vorschlag wäre: Ein Tier als einen Menschen zu sehen heißt, es mit jenen Zügen ausgestattet zu sehen, die typischerweise Menschen zukommen. Viele kennen dies aus Fabeln oder Geschichten, z. B. jenen über Entenhausen, in denen Tiere sprechen, in Häusern leben, Geld verdienen etc. Das ist anerkanntermaßen vermenschlichend. Schwieriger ist die Frage, ob jemand ein Pferd vermenschlicht, indem er ihm Worte ins Ohr flüstert, um es zu einem bestimmten Verhalten anzuregen. Es ließe sich ihm vorhalten, fälschlicherweise so zu tun, als verstünde das Tier die Wörter. Doch wenn das Flüstern eine praktische und erhoffte Wirkung entfaltet, ist das Problem aus Sicht des Pferdeflüsterers offensichtlich bloß ein spezifisch theoretisches, kein praktisches. In diesem Abschnitt geht es um die Zuschreibung mentaler Zustände. Hierfür sollen zunächst zwei Bedeutungen des Begriffes Anthropomorphismus eingeführt werden, einerseits •



die Beschreibung tierlicher Verhaltensweisen durch ein Vokabular, das paradigmatisch oder zumindest typischerweise auf Menschen angewendet wird, und andererseits der Vorwurf gegenüber Beschreibungen tierlicher Verhaltensweisen, dass dabei ein Vokabular gebraucht wird, das eigentlich dem menschlichen Kontext zuzurechnen wäre.

Es ist die zweite Bedeutung, der Eingang in politische und wissenschaftliche Debatten der Reform von 1972 fand. Beispielhaft dafür steht eine Formulierung eines von Ludwig Pielen gezeichneten BML-Konzeptpapiers an den Innenausschuss des Deutschen Bundestages:

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„Bei den Bemühungen um eine tierart- und tierschutzgerechte Haltung insbesondere bei den sogenannten Massentierhaltungen dürfen aber weder von der Gefühlswelt des Menschen hergeleitete Empfindungen in die Überlegungen einbezogen werden, noch kann die Nutztierhaltung nach den Maßstäben der freien Wildbahn gemessen werden. Die Empfindungswelt der Tiere ist zweifellos eine andere als die des Menschen, was sich aus vielen Beispielen der Verhaltensforschung beim Tier belegen lässt.“37

Der Vorwurf der Vermenschlichung tierlicher Gefühle richtet sich vor allem an Laien und damit an verbreitete Vorstellungen. Pielen sagt nicht: Die Empfindungswelt der Tiere ist eine andere als die des Menschen, wie wir alle seit jeher wissen. Er stellt die Vermenschlichung als einen durch die moderne Wissenschaft entlarvten Fehler dar, der im Alltag häufig unterläuft. Verbunden mit diesem Fehler, so der Tenor vieler ähnlicher Aussagen in der Reform, sind negative Folgen für Mensch oder Tier. So droht der Abgeordnete Hammans 1971 vor dem Bundestag: „Es kann unmenschlich sein, Tiere allzu menschlich zu behandeln.“38

‚Unmenschlich‘ meint hier eine moralisch schlechte Handlung gegenüber dem Tier, ‚menschlich‘ meint, Tiere so wie Menschen zu behandeln. Hammans skizziert also das Bild moralisch problematischer Annahmen, die sich – unbemerkt für den Laien – als Folge eines uninformierten Anthropomorphismus in Forderungen nach Tierschutz einschleichen können. Wissenschaftliche und sachliche Beratungen sollten daher zeigen, dass etwas, das „wie Tierquälerei aussehe“, „in Wirklichkeit“ keine sei.39 Und Spillecke wünscht sich in der gleichen Sitzung, dass die Gesellschaft „im Sinne eines neuen, modernen Selbstverständnisses des Tierschutzgedankens“ bisherige Vorstellungen über „bestimmte Einzelprobleme“ des Tierschutzes überdenken werde.40 Unklar bleibt dabei zwar, um welche Vorstellungen es sich hier handelt, aber das größte Problem der Landwirtschaft war eine von der industriellen Tierhaltung zunehmend entfremdete Stadtbevölkerung. In der Anhörung von Sachverständigen betont auch der Biologe Autrum vor allem die methodischen Probleme der Analogiebildung. Ihr müsse mit Vorsicht

37 Gezeichnet ist es von Ludwig Pielen. Vgl. BA Koblenz B 116, 50088. 38 Hammans, Sten. Ber. 1971, 137. Sitzung, Band 77, 8001. 39 Hammans, Sten. Ber. 1971, 137. Sitzung, Band 77, 8002. 40 Spillecke, Sten. Ber. 1971, 137. Sitzung, Band 77, 8003.

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entsprochen werden, weil Tiere dadurch zu Schaden kommen könnten. 41 Er nennt Beispiele, die alltägliche Analogien der Schmerzzuschreibung bei Menschen und Tieren infrage stellen. Noch viel schwieriger als die Zuschreibung des Schmerzes wäre es, ‚unsachgemäßen Behandlungen‘ von Tieren zu erkennen, womit er auf das rechtliche Verbot der Zufügung von Leiden anspielt. Wiederum nennt Autrum ausschließlich Fälle, in denen Tiere durch alltäglichen Anthropomorphismus zu Schaden kommen können und keinen, in dem sich ein solcher positiv auf den Tierschutz auswirkt. Er schließt mit der Aufforderung, „sich davor zu hüten, die Vorstellungswelt und die seelischen Regungen des Menschen kritiklos auf Tiere zu übertragen und anzunehmen, ihr ‚Seelenleben‘ sei so beschaffen wie das des Menschen.“42

Man kann solche Formulierungen als bloße Warnung abtun, unvorsichtig auf Tiere angewandtes mentales Vokabular riskiere Irrtümer. Aber alle genannten Äußerungen versäumen es, ihren Vorwurf des Anthropomorphismus genauer zu begründen und bleiben vage. Dabei sollen sie die exponierte Rolle der Naturwissenschaften, vor allem der Veterinärmedizin und Nutztierethologie rechtfertigen. Anthropomorphismus wird implizit zum methodischen Problem des Engagements für Tiere erklärt. Denn es liegt nahe, dass ein Gutteil des zivilen Engagements für Tiere darauf basiert, aus der Gefühlswelt des Menschen hergeleitete Empfindungen‘ auf Tiere zu übertragen, wie Pielen es formulierte. Dass auch die medizinische Forschung die Übertragung tierlicher Zustände auf Menschen nutzt oder dass es positive Aspekte der Analogiebildung gibt, wird nicht erwähnt. Hammans‘ Wortspiel geht nicht so weit, zu formulieren, dass es auch unmenschlich sein kann, Tiere allzu unmenschlich zu behandeln; für Spillecke ist der Umstand, dass sich wohl einige Vorstellungen oder Intuitionen der Öffentlichkeit durch den neuen wissenschaftlichen Ansatz auch bestätigen lassen können, nicht erwähnenswert. Das wirft die Frage auf, warum lediglich vor Anthropomorphismus und nicht vor anderen methodischen Verfehlungen gewarnt wird, insbesondere davor, Tiere mechanomorph, als Maschinen, zu beschreiben. Denn das ist, wie gezeigt wurde, ein Grundmotiv im Tierschutz. Entsprechend dem Anthropomorphismus soll Mechanomorphismus hier folgendermaßen definiert werden: Ein Tier als

41 Autrum in PA, Akte VI 285-A-Nr. 23, S. 10. 42 Ebd.

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Maschine zu beschreiben heißt, es mit jenen Zügen ausgestattet zu sehen, die typischerweise Maschinen zukommen.43 Eine Erklärung, warum Mechanomorphismus als Fehlerquelle in Diskussionen um angemessenen Tierschutz unberücksichtigt blieb, kann man in damals einflussreichen Ansätzen der Biologie finden. Morgans Kanon und Konrad Lorenz Für die Umsetzung des Gesetzes wurde davon ausgegangen, dass ein arttypisches Verhalten eines Tieres sein Wohlbefinden anzeigt. Wohlbefinden wiederum wurde grundlegend als Abwesenheit von Leiden und Schmerzen definiert und damit die Ethologie mit der zentralen Frage im Tierschutz vertraut, nämlich, wann ein Tier leidet bzw. erheblich leidet. Weiterhin werden nun Zusammenhänge der Arbeiten von Conwy Lloyd Morgan und Konrad Lorenz mit der durch die Reform institutionalisierten Nutztierethologie analysiert. In der Problematik des Anthropomorphismus fanden beide Forscher ein methodenbestimmendes Paradigma. Morgans Kanon Morgan entwickelte als Zoologe und Psychologe gegen Ende des 19. Jahrhunderts methodische Grundsätze der Tierpsychologie. Verschiedentlich ist ausgearbeitet worden, dass ein von ihm statuiertes methodisches Prinzip unter dem Namen Morgans Kanon einen hohen Einfluss auf die biologische Forschung über Tiere hatte. 44 Ihm wird die Wegbereitung zum Behaviorismus zugesprochen, obwohl unklar ist, inwiefern dies auf einer entsprechenden Lesart seiner Arbeiten beruht.45 Es geht um folgende Aussage aus dem Jahr 1894:

43 Eileen Crist verwendete den englischen Begriff mechanomorphia erstmals in der Debatte um den tierlichen Geist in Crist (2009). Sie beschreibt soziale und wissenschaftliche Strukturen, in denen Tiere mechanomorph, als Maschinen, dargestellt werden und ein Widerwille erkennbar ist, ihnen mit Empathie zu begegnen. Der Begriff der Empathie wird weiter unter noch dargestellt. 44 Vgl. Rollin (1998). Bennett Galef geht in Galef (1996, 9) so weit, ihn als möglicherweise wichtigsten einzelnen Satz in der Geschichte der Erforschung tierlichen Verhaltens zu bezeichnen. 45 Vgl. Rollin (1998, 74ff.). Der Einfluss Morgans auf den Behaviorismus ist in Marx und Hillix (1967) umfassend dargelegt.

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“In no case may we interpret an action as the outcome of the exercise of a higher mental faculty, if it can be interpreted as the exercise of one which stands lower in the psychological scale.”46

Morgan fordert methodisch, tierliches Verhalten stets durch psychische Fähigkeiten zu deuten, die möglichst weit unten auf der ‚psychologischen Skala‘ stehen. Was war gemeint, wie wurde der Satz verstanden? Die MissInterpretationsgeschichte des von Morgan als ‚grundlegendes Prinzip‘ bezeichneten Kanons erhielt in letzter Zeit große Aufmerksamkeit. Lange wurde der Kanon als Ausdruck einer Anforderung an die Einfachheit der wissenschaftlichen Erklärung gesehen, die auch im Prinzip der sparsamsten Erklärung zum Tragen kommt.47 Unklar bleibt bei diesen Interpretationen aber nicht nur, warum ein Prinzip der Einfachheit auch in der Verhaltensbiologie gelten solle, sondern auch, welche Prinzipien von Einfachheit heranzuziehen und gegeneinander abzuwägen sind. Für eine Abwägung kommt nämlich nicht nur die Einfachheit im Sinne des niederen Vermögens in Frage, sondern auch die Einfachheit im Sinne der einheitlichen Erklärung oder die Einfachheit im Sinne der Sparsamkeit postulierter Entitäten. Wenn verschiedene Arten der Einfachheit in dem Prinzip zum Tragen kommen, stellt sich die Frage, in welcher Gewichtung sie dies tun. Hierzu gibt der Kanon und auch Morgans übriges Werk keine Auskunft. Auf diesen Mangel wird in der philosophischen Literatur hingewiesen. 48 In der Biologie wurde häufig vorausgesetzt: die Wahl einer Erklärungsweise durch möglichst ‚niedrige‘ Fähigkeiten der Tiere sei immer auch die einfachste. Es sind Alltagsintuitionen, die diese Unterscheidung zwischen einfachen, mechanischen auf der einen und komplexeren, intelligenzbasierten Prozessen auf der anderen Seite beflügeln: Es ist zum Beispiel einfacher, die Temperatur zu messen, als den Verstand. Die Übertragung dieser Intuition auf die Verhaltensbiologie ist aber problematisch. Denn manchmal erklärt sich Verhalten einfacher über den Rekurs auf Intelligenz, manchmal über den Rekurs auf mechanische Vorgänge. Mit Beispielen aus der Forschung kann dem Axiom, dass die Einfachheit der Erklärung mit dem Rekurs auf ‚niederes‘ geistiges Vermögen gleichzusetzen ist, theoretisch widersprochen werden.49 Es ist schlicht unklar, worauf die Skala von niedrig bis

46 Morgan (1894, 53). 47 Vgl. Thomas (2001). Morgan selbst distanziert sich allerdings von ontologischen Fundierungen seines methodischen Ratschlages. Vgl. Morgan (1894, 54). 48 Vgl. Wild (2012b, 115f.). 49 Simon Fitzpatrick argumentiert, dass Gedankenlesen bei Schimpansen eine einfachere Erklärung für ein Verhalten darstellt als ‚behavior-reading‘. Markus Wild nennt das

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hoch basiert. Auf dieser Grundlage wird der epistemische und ontologische Wert von Morgans Kanon heute aus philosophischer sowie aus naturwissenschaftlicher Sicht als obskur zurückgewiesen.50 Obwohl diese Kritik einschlägig ist, wird dadurch mitunter riskiert, den Kanon zu voreilig „abzutun“ 51 oder einfach umzuformulieren. 52 Dagegen, es bei diesem Abtun bewenden zu lassen, spricht seine maßgebende ideengeschichtliche Relevanz in den letzten 100 Jahren. Gerade aufgrund der relativ unproblematischen theoretischen Widerlegung des Kanons stellt sich die Frage, warum er so einflussreich war. Einen Ausgangspunkt für eine Erklärung liefert die Kenntnis, dass Morgan die Existenz mentaler Fähigkeiten von Tieren nie bestritten hat.53 Wenn die Erklärung von Verhaltensweisen durch mentale, komplexe Phänomene bei Tieren prinzipiell möglich ist, muss die Forderung an die Wissenschaft so verstanden werden, dass im Zweifel, wenn also mindestens zwei Erklärungsformen eines Sachverhaltes gleich stark überzeugen, zu jener Erklärung zu tendieren sei, die niedrigere Prozesse bei Tieren involviert. Im Kanon geht es nach dieser Lesart weniger um Theorie als diese Tendenzen innerhalb des wissenschaftlichen Betriebes und die Frage ist nun, was an dieser so problematisch ist. Morgans Befund gegen Ende des 19. Jahrhunderts lautete, dass vor allem Vertreter des Darwinismus und der komparativen Psychologie „zu voreilig“ gewesen wären, Tieren Vernunft zuzuschreiben.54 Für Morgan war das sehr relevant, da er eine bestimmte Auffassung von Vernunft vertrat, die er gegenüber dem Begriff der kognitiv niedriger anzusiedelnden Intelligenz kategorisch ab-

Beispiel der Honigbienennavigation: Er argumentiert, dass es einfacher ist, die Navigation durch kognitive Karten – einen komplexen Prozess – zu erklären als durch einen ‚niederen‘ Reiz-Reaktions-Mechanismus. Vgl. Wild (2012b, 116) und Fitzpatrick (2009). 50 Vgl. Lurz (2009), Fitzpatrick (2008), Sober (1998), Wild (2012a) und Wild (2012b), Thomas (2001), Rollin (1998) und Glock (2009). 51 Fitzpatrick (2008, 224). 52 Hans-Johann Glock schlägt in Glock (2009, 7) mit etwas Ironie einen Glock’schen Kanon vor, nach dem die Zuschreibung einer mentalen Fähigkeit die ‚beste‘ Erklärung für ein Verhalten darstellen muss. Auch Fitzpatrick schlägt eine Umdeutung des Kanons vor: Diejenige Erklärung tierlichen Verhaltens solle bevorzugt werden, die auf Grundlage bestehender Evidenzen nicht durch eine andere Erklärung ersetzt werden kann. Vgl. Fitzpatrick (2008, 242). 53 Vgl. Rollin (1998, 75). 54 Rollin (1998, 78).

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grenzte. Vernunft kam gemäß dem vorherrschenden, durch Kant und Descartes geprägten rationalistischen Weltbild, nur dem Menschen zu. Eine Durchbrechung dieser Abgrenzung zum Tier entsprach damit nicht nur einer wissenschaftlichen Neuerung, sondern einer Bedrohung des vorherrschenden Weltbildes. Diese Bedrohung mag erklären, warum Morgans Kanon zwar in epistemischer oder ontologischer Hinsicht mangelhaft, aber wissenschaftlich dennoch so einflussreich war. Es spricht viel dafür, dass der Kanon damalige Befürchtungen beruhigte, die Wissenschaft würde die Grenzziehung zwischen menschlicher Vernunft und Naturgesetzen nicht ohne Bedacht, nicht voreilig bzw. nicht unbegründet ins Wanken bringen. Das würde auch erklären, warum der Kanon sich ausschließlich dagegen richtete, Tieren keine vermeintlich menschlichen Fähigkeiten zuzuschreiben, und den Mechanomorphismus als methodische Gefahr gar nicht in Betracht zog. Konrad Lorenz Die Lehre von Konrad Lorenz, der seine Karriere ungefähr ein halbes Jahrhundert nach der Veröffentlichung von Morgans Kanon begann, steht eng mit der Reform von 1972 in Verbindung. Lorenz erhielt 1973 den Nobelpreis für seine Arbeit zum tierlichen Verhalten und galt als Begründer der klassischen Verhaltensforschung bei Tieren in Deutschland. 55 Er war seit den 1960er Jahren ein populärer Autor tierbiologischer Sachbücher. Erst in jüngerer Zeit wurde seine Involvierung in brutale und menschenverachtende Forschung im Dritten Reich deutlicher herausgearbeitet und kritisiert.56 Sein Name wird in den Bundestagsdebatten der Reform mit der neuen, wissenschaftlichen Grundlage des Tierschutzes assoziiert. 57 Vertreter des BML kontaktierten für die Formulierungen des Gesetzestextes Mitarbeiter der sogenannten Abteilung Lorenz am MaxPlanck-Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen. Auch zur öffentlichen Anhörung der Sachverständigen wurde ein Vertreter dieser Abteilung eingeladen. Der nach der Reform in vielen staatlichen Forschungsprogrammen engagierte Verhaltensforscher Hinrich Sambraus, später Inhaber der ersten Professur für Tierhaltung und Verhaltenskunde in München, promovierte unter Konrad Lorenz.

55 1992 machte die Ethologin Hannah Marie Zippelius einen wichtigen Anstoß für eine umfassende Kritik an seiner Instinktlehre, die auch medial Aufmerksamkeit erregte. Vgl. Zippelius (1992). 56 Vgl. Föger und Taschwer (2001). 57 Vgl. Rutschke, Sten. Ber. 1966, 64. Sitzung, Band 62, S. 3125.

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Lorenz hat sich in seinen Arbeiten selbst nicht viel mit der Nutztierhaltung auseinandergesetzt. Die Übertragung seiner Methodik auf die Tierhaltung wurde von anderen Wissenschaftlerinnen unternommen, die oft aus der Veterinärmedizin und der Tierzucht kamen. Doch Lorenz hatte Verbindungen zur Tierhaltungspraxis. 1936 wurde er in den Beirat der Deutschen Gesellschaft für Tierpsychologie berufen. Dort wurde die Ethologie in den Dienst der Agronomie und Tierzucht gestellt und nach außen hin mit Tierschutz in Verbindung gebracht. So gehörte der staatliche Veterinär Clemens Giese, der 1933 das Kommentar zum Tierschutzgesetz geschrieben hat, auch dem Beirat der Gesellschaft an.58 In den 1960er Jahren gab es in der Bundesrepublik Symposien und Publikationen zur angewandten Verhaltensforschung in der intensiven Nutztierhaltung, die noch keinen Tierschutzbezug hatten.59 Erkenntnisse zum Verhalten der Tiere wurden eingesetzt, um Verhaltensstörungen in den engen Haltungsbedingungen zu identifizieren. Das „Leistungsvermögen der Nutztierbestände“ stand im Fokus.60 In einer in der DDR erschienenen Publikation Das Verhalten landwirtschaftlicher Nutztiere, in dem auch auf die Arbeit von Lorenz Bezug genommen wird, heißt es 1969: „Der in der Tierproduktion tätige Landwirt legt […] sein Augenmerk auf das Verhaltensinventar, die Gesetzmäßigkeiten im Verhalten sowie die Beziehungen zwischen Verhalten und Leistung unserer Nutztiere.“61

Während die von Lorenz geprägte Ethologie also seit den frühen 1960er Jahren auch zur „intensiven Ausnutzung […] aller Möglichkeiten der Tierproduktion“ 62 herangezogen wurde, fand sie durch die Reform von 1972 in Westdeutschland Eingang in die Begründung des ethischen Tierschutzes. Für diese merkwürdige

58 Das NS-Regime bedachte die Außenwirkung der Gesellschaft, das belegt die Mitgliedschaft eines Vertreters des Reichministeriums für Volksaufklärung und Propaganda im Beirat. Vgl. von den Berg (2008, 143). 59 In einer Publikation der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft von 1965 wurden Methoden und Ergebnisse angewandter Verhaltensforschung für die Etablierung industrieller Haltungsmethoden noch ohne Tierschutzbezug geltend gemacht. Vgl. Wander (1965). 60 Porzig (1969, 5). 61 Ebd. 62 Tembrock (1969, 13).

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Anwendungsvielfalt ist ihre Distanz zu Fragen des tierlichen Geistes mitverantwortlich. Lorenz definierte die Ethologie als Biologie des Verhaltens. Er fasst sie Mitte der 1960er Jahre als junge naturwissenschaftliche Disziplin. Obwohl er selbst viele epistemologische Aufsätze verfasst hat, grenzt er die Ethologie explizit von der Psychologie und der Philosophie ab.63 Das Charakteristikum der Ethologie Lorenz‘scher Prägung wurde die Hervorhebung des tierlichen, genetisch bedingten Instinktverhaltens, das den Fortbestand der Arten im Überlebenskampf sichert. Lorenz folgt mit in seinen Verhaltenserklärungen dem Morgan zugesprochenen Modus, nicht auf komplexe psychologische Prozesse zu rekurrieren, wenn es doch scheinbar auch mit Instinkten geht. Er benutzt die von Morgan gebrauchte Skala der psychologischen Zustände – von einfach, quasi-mechanisch und dumm bis vernünftig und komplex.64 Der Fokus auf Instinkte entspricht dem von Lorenz betonten naturwissenschaftlichen Charakter. Denn erst die Entdeckung konstanter und stereotyper Merkmale im Verhalten von Tieren ermögliche die biologische Verhaltensforschung. Die Ethologie generiere einen Bauplan von Verhaltensweisen, vergleichbar mit der Anatomie des Körpers. Hier wird deutlich, dass ein Kernelement von Lorenz‘ Lehre gerade darin besteht, Tiere zu beschreiben, ohne zu berücksichtigen, was ihre subjektive Sicht ausmachen könnte. Aus Regelmäßigkeiten der somit ermittelten Daten sollen Biologen auf den Mechanismus des Instinktverhaltens schließen. Lorenz ist hier sehr deutlich: Nur die Beschreibung von instinktiven Mechanismen macht für ihn das Tierverhalten der Biologie überhaupt zugänglich.65 Behavioristen um John B. Watson wurden dafür kritisiert, das Verhalten als Zusammenspiel von Stimulus und Reaktion zu mechanisch und reduktionistisch zu erklären. Auch Lorenz erklärte Verhaltensweisen überwiegend mechanisch, allerdings im Gegenzug zu Watson als angeborene, sogenannte Auslösemechanismen von Verhalten. Der Auslösemechanismus ist eine Metapher für etwas, das im Körper unabhängig vom tierlichen Bewusstsein abläuft. Eine ‚spontane Antriebsenergie‘ treibt das Verhalten von innen heraus an. Was es genau mit dieser instinktiven spontanen Energie auf sich hatte, blieb allerdings offen und das wurde zu einem wichtigen Kritikpunkt.66

63 Vgl. Lorenz (1965f, 11). 64 In einem populärwissenschaftlich geschriebenen Band ordnet Lorenz einzelnen Tierarten bestimmte „geistige Entwicklungshöhen“ zu und grenzt „dümmere“ von „höherstehenden“ Tieren ab. Vgl. Lorenz (1964, 136). 65 Lorenz (1965f, 11). 66 Vgl. Bischof (1985, 151ff.).

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Lorenz trennt zwischen direkt „ererbten Bahnen“ und „individuell erworbenen Bahnen“ des Verhaltens.67 Erstere kennzeichnen Instinktverhalten, letztere unter anderem Verstandeshandlungen. Der Nestbau bei Vögeln ist bei Lorenz zum Beispiel noch keine Verstandeshandlung. Es gibt nämlich individuell veränderliche Verhaltensweisen, die keiner ‚bewussten Einsicht‘ folgen und damit nicht verstandesmäßig sind. Diese folgen einem weiteren Mechanismus, den Lorenz „Dressur“ nennt.68 Eine Dressur ist eine ohne bewusste Einsicht erfolgende, durch erbliche Veranlagung und äußere Reize gesteuerte, passive Form des Lernens. Danach veranlasst eine Antriebsenergie das Tier, Situationen aufzusuchen, in denen ein neutraler Reiz durch wiederholte Assoziationen zu einem konditionierten Reiz wird. Die Selbstdressur kann als eine Form des Lernens mit einer Instinkthandlung „verschränkt“ sein.69 Der Bereich des unverständigen, instinktiven Verhaltens von Tieren wird durch diese Möglichkeit sehr groß. Wenn Kolkraben Material für ihre Nester sammeln, ist das für Lorenz Ausdruck von „Reaktionen“, welche sie „beherrschen“.70 Der Vorgang des Nestbaus, also das Suchen und Auswählen passender Materialgegenstände und der Zusammenbau zu einem Brutplatz, ist bei Lorenz eine „Erbtrieb-Dressurverschränkung“, involviert also keinen Verstand.71 Da Instinkte einerseits Kettenreflexe, gleichzeitig aber zweckgerichtet sind, bezeichnet Lorenz Instinktverhalten als „angestrebten Reflexablauf“.72 Terminologisch ist für den Tierschutz von Bedeutung, dass Lorenz formuliert, Instinkte liefen „um ihrer selbst willen“ ab und würden vom Organismus „angestrebt“.73 Lorenz erkannte das philosophische Problem seiner Verschränkung des Strebens als subjektiver Zustand mit dem physiologischen Begriff des Reflexes. Er bezeichnet dies explizit als philosophisch unbefriedigend, aber notwendig für eine naturwissenschaftliche Beschreibung des Verhaltens.74 Inwiefern Instinktverhalten trotz des Einflusses individueller Lernvorgänge eine bestimmte Form von Reflex ist und der Verstand hier offenbar nicht maßgeblich involviert ist, wurde ein zentraler Aspekt methodischer Auseinandersetzungen in der Ethologie.75

67 Lorenz (1965a, 60). 68 Ebd. 69 Lorenz (1965a, 66). 70 Lorenz (1965c, 238). 71 Lorenz (1965a, 66). 72 Lorenz (1965c, 273). 73 Lorenz (1965d, 314). 74 Lorenz (1965c, 238). 75 Vgl. Burkhardt (2005, 179ff.).

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Der Umgang mit der Theorie des subjektiven Erlebens in den Arbeiten von Lorenz ist philosophisch schwer zugänglich. Deutlich macht er aber an mehreren Stellen seiner Arbeiten, dass über subjektive tierliche Bewusstseinszustände keine wissenschaftlichen Aussagen möglich sind. Das macht er explizit in einem 1963 publizierten Essay, der den Titel Haben Tiere ein subjektives Erleben? trägt. Er gesteht darin zu, dass die Verhaltensforschung an Stellen, an denen sie „mit der Psychologie aufs Engste in Berührung kommt […], geradezu gezwungen ist, mit Begriffen zu arbeiten“, die der Psychologie entstammen.76 Dies führt ihn zur Frage, ob Verhaltensforscher alltägliche Ausdrücke der menschlichen Empathie gegenüber Tieren überhaupt verwenden dürften. Er bejaht dies zwar, allerdings unter der Voraussetzung, dass sie sich bewusst machen, dass diese nicht in das Repertoire des von ihnen ermittelten Wissens gehören. „Wenn […] diese Gans einen leise schnarchenden Warnlaut aus[stößt], dann sage ich vielleicht: „Jetzt ist sie erschrocken.“ Diese subjektive Kurzfassung besagt aber nur, dass ich weiß, die Gans hat einen fluchtauslösenden Reiz empfangen, und nach Gesetzlichkeiten der Reizsummation sind jetzt ihre Schwellenwerte für andere, ebenfalls fluchtauslösende Reizsituationen stark herabgesetzt.“77

Wenn Lorenz in dem Zitat einräumt, ‚vielleicht etwas zu sagen‘, spielt er auf die Empathie an. Der sprachliche Ausdruck von Empathie, die spontane Einfühlung in die Situation der Tiere, gilt für ihn als wissenschaftlich unbrauchbar. Hier trennt Lorenz zwischen Glauben und Wissen. Er gesteht Laien den Glauben an ein subjektives Erleben der Tiere und dessen Tierschutzrelevanz zu, solange sie ihn vom Wissen abgrenzen: „Dass ich sage, sie sei erschrocken, drückt den durchaus eingestandenen Glauben aus, dass sich in dem Vogel subjektive Vorgänge abspielen. Wir alle glauben, dass Tiere ein Erleben haben; schließlich haben wir Tierschutzgesetze und martern Tiere nicht unnötig. Wissenschaft aber ist meine Aussage, dass die Gans […] viel leichter wegfliegen wird als sonst, denn Wissenschaft ist alles, was Dinge vorhersehbar macht […].“78

Unklar ist, was es bedeutet, dass er den Glauben ‚durchaus eingesteht‘. Ermöglicht ihm diesen Richterspruch die Ethologie? Diese kann aber doch offenbar aus

76 Lorenz (1965e, 359). 77 Lorenz (1965e, 360). 78 Ebd.

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methodischen Gründen keine Wissensaussagen über subjektive Zustände machen, wie sollte sie dann Alltagsglauben darüber zugestehen? Die Ambivalenz besteht in diesem Umstand: Eine Ethologin schreibt Tieren als Laie Angst, Panik und andere mentale Zustände bei Tieren zu. Sie darf dies als Wissenschaftlerin aber nicht zum Ausdruck bringen. Dies gesagt, lässt Lorenz Ausnahmen von der Regel zu und fordert lediglich, die Problemhaftigkeit der Ausdrücke subjektiven Erlebens kenntlich zu machen. In Anführungszeichen darf über die Erschrockenheit der Gans sprechen, wer gleichzeitig diese Rede wissenschaftlich disqualifiziert. Beobachter tierlichen Verhaltens sollten deutlich machen, ob eine Beschreibung „mit oder ohne Anführungszeichen gemeint sei“.79 Bernard Rollin bezeichnet den Ansatz von Lorenz insofern als methodologischen Behaviorismus. 80 Populär wurde Lorenz aber nicht als Behaviorist, sondern vielleicht deshalb, weil er rhetorisch geschickt alltägliches Denken aufgreift, es aber mit dem Gestus des Naturwissenschaftlers vorführt und abwertet. Sein Hang zum rhetorischen Manövrieren hängt eng mit dem Vorwurf des Anthropomorphismus zusammen, dem Lorenz sich stets ausgeliefert sah, auf ihn aber keine Antwort fand. Die von ihm begründete Ethologie zielte darauf ab, Tierverhalten zu erforschen, ohne dabei zu vermenschlichen. Doch unter welchen Bedingungen Aussagen über tierliches Verhalten als unangemessen vermenschlichend gelten, bleibt unklar. Manchmal spricht Lorenz von Fällen „falscher“ Vermenschlichung, was impliziert, dass es auch eine richtige gäbe. 81 Dann wieder fühlt er sich gezwungen, für ein „raschere[s] Verständnis“ seiner Leser einen Sachverhalt „etwas“ anthropomorph darzustellen.82 Ein für Lorenz typischer methodischer Ansatz besteht darin: Er wandelt anthropomorph klingende mentale Begriffe in mechanisch klingende Begriffe um. Semantisch gelingt ihm das auch mit dem Wortbestandteil -verhalten. Typischerweise spielt ein Tier bei Lorenz nicht, sondern es zeigt ein Spielverhalten, es flüchtet nicht, sondern zeigt ein Fluchtverhalten etc. Dieser Ansatz soll den Vorwurf des Anthropomorphismus entkräften. Es gab damals aber auch Kritiker, die diese Umgehung der Subjektivität beanstandeten. Im deutschsprachigen Raum ist der Schweizer Biologe Adolf Port-

79 Lorenz (1965b, 104). 80 Ein zentrales Merkmal des methodologischen Behaviorismus ist es, von Aussagen über innere mentale Zustände abzusehen, da sie nicht objektiv überprüfbar seien. Vgl. Rollin (1998, 216). 81 Lorenz (1965b, 166). 82 Diese Formulierung zeigt auch, dass Lorenz den falschen Anthropomorphismus besonders im naiven Laienblick verortet. Vgl. Lorenz (1965e, 621) .

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mann zu nennen. Für ihn ist das tierliche Leben die Erscheinung eines, wenn auch schwer zugänglichen, „Inneren“ im „Äußeren“.83 Portmann kritisierte den akademischen Mainstream der Biologie in den 1950er Jahren dafür, durch die Ausrichtung auf das „faktisch Festgestellte“ und die Ignorierung des Inneren zu einer „Entsinnlichung“ ihrer Ergebnisse beigetragen zu haben.84 Die Beschäftigung mit Qualitäten und Bedeutungen sei der Naturforschung „seit geraumer Zeit“, so schreibt Portmann im Jahr 1953, abhandengekommen.85 Festzuhalten bleibt, dass die bei Morgan noch vorsichtige Warnung vor voreiligem Anthropomorphismus bei Lorenz zur widersprüchlichen Ausblendung des Subjektiven wurde. Das Max-Planck-Institut in Seewiesen, dessen Gründungsdirektor er 1958 wurde, trug den Beinamen ‚für Verhaltensphysiologie‘. Das, so Lorenz, bedeute zwar nicht, dass er und die dortigen Forscherinnen sich nicht für subjektive Vorgänge interessierten.86 Eine befriedigende Antwort auf die Frage, ob Tiere ein subjektives Bewusstsein haben, hielt er dennoch für unmöglich: „Wenn ich darauf antworten könnte, hätte ich das Leib-Seele-Problem gelöst.“87

Die Analogie zum Menschen stünde für die wissenschaftliche Erforschung subjektiver Erlebnisse bei Tieren jedenfalls nicht, oder nur mit erheblichen Einschränkungen, zur Verfügung. Lorenz argumentiert, das Verhältnis zwischen dem physiologisch und über das Verhalten messbaren Äußeren und den psychischen Vorgängen bei Tieren sei „trotz der unleugbaren Parallelen grundsätzlich alogisch“. 88 Und er schließt seine Überlegungen zum subjektiven Erleben bei Tieren mit einem Goethezitat: „Das höchste Glück menschlichen Denkens ist es, das Erforschte erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren.“ 89

Im Angesicht der wichtigen Erkenntnisse der kognitiven Ethologie neuerer Prägung wirkt das heute kaum überzeugend. Und warum wählte man eine derart bescheidene Lehre zum Berater des staatlichen Tierschutzes? Lorenz‘ Einfluss

83 Portmann (1953, 64). 84 Portmann (1953, 364). 85 Ebd. 86 Lorenz (1965e, 617). 87 Ebd. 88 Lorenz (1965e, 628). 89 Ebd.

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stellte den Tierschutz zur Zeit der Reform von 1972 vor folgende Fragen: Wenn sogar Biologen keine Wissensaussagen über subjektive Zustände treffen können, wie zweifelhaft in seiner Aussagekraft ist dann erst ein laienhaftes Mitleid mit Tieren? Ist Instinktverhalten aus Sicht der Tiere überhaupt erstrebenswert? Ist die Auslebung von Instinkten ein Ziel des Tierschutzes? Was sieht Laie im Verhalten der Tiere, das ein Wissenschaftler nicht berücksichtigen darf? Was unterscheidet den Umstand, dass eine Gans ängstlich – ohne Anführungszeichen – von dem Umstand, dass sie „ängstlich“ – mit Anführungszeichen – ist? Das Problem der Nutztierethologie Die Nutztierethologie stand also mit ihrer Scheu vor der Psychologie der Tiere vor einem Problem. Sie wurde von der Regierung finanziert und aufgebaut, um Tierschutzentscheidungen mit Urteilen zu begründen. Doch wie sollte sie über Leiden urteilen, wenn ihr damaliges methodisches Programm doch gerade vorsah, eine mechanische Erklärung des Verhaltens den gemäß Lorenz „unerforschbaren“ subjektiven Zuständen vorzuziehen? Die Antwort darauf fiel schlicht aus. Es wurde die Möglichkeit eingeräumt, zweifelhafte Aussagen über einige rechtlich relevante Zustände, vor allem Leiden und Schmerzen, im Rückschlussverfahren zu treffen. Dieser Rückschluss sollte wiederum auf der Grundlage eines Analogieschlusses aus der Beobachtung des Verhaltens und unter Zuhilfenahme biologischen Wissens über den Tierkörper erfolgen. Dieser Ansatz mag auf den ersten Blick nicht neu erscheinen. Intuitiv ist fraglich, woran sich Zuschreibungen von Leiden oder Schmerzen sonst ausrichten sollten, wenn nicht am Verhalten und am biologischen Wissen. Auf die Frage, Woran erkennst du, dass dieses Tier leidet?

erwartet man die Antwort: Das sehe ich an seinem Verhalten.

Die Frage ist lediglich, welche Form des Verhaltens das ist. Der klassisch ethologische Ansatz unterschied sich in einem Punkt massiv vom alltäglichen Zuschreiben von Tierleid. Er setzt voraus, dass Verhalten als „Bewegungen, Körperhaltungen und Laute“90 beobachtet wird. Erforderlich ist also unbedingt eine Abstraktion beobachteter Empfindungen im Tier in die Form des ‚bloßen‘ Ver-

90 Sambraus (1978, 15).

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haltens, von dem ausgehend erst ein Rückschluss auf Leiden oder dergleichen erfolgt. Dies ist eine sehr komplexe Vorstellung, die im Verlauf dieses Kapitels weiter aufgegriffen wird. Um aus Verhalten tierschutzrelevante Normen abzuleiten, wurde das sogenannte arttypische bzw. Normalverhalten zum Angelpunkt der nutztierethologischen Untersuchung. Da die Ethologie in Abgrenzung zur Psychologie als Naturwissenschaft galt, musste dieses normale Verhalten auch einen natürlichen Aspekt haben und den erhielt es in seiner Eigenschaft als erblich bedingtes Instinktverhalten. Unnormales, gestörtes Verhalten sollte Hinweise dafür liefern, dass Tiere womöglich leiden. Da zum Zeitpunkt der Reform noch keine umfassenden Forschungsergebnisse vorlagen, konnte damals auch nicht gesagt werden, woraus das normale Verhalten von agrarisch genutzten Tierarten grundsätzlich besteht. Die Probleme, die schon Lorenz mir subjektiven Empfindungen hatte, wirkten in der Nutztierethologie dennoch weiter. An entscheidenden Stellen hieß es: „Subjektive Vorgänge sind objektiv nicht fassbar.“91

Um die Aufgabe der Zuschreibung von Tierleid zu übernehmen, gestand man aber zu, dass auf ihre Zuschreibung „nicht verzichtet werden kann“. 92 Diese schlichte Lösung wirkt notgedrungen. In einer 1978 publizierten Einführung in die Nutztieretholgie wird statuiert, es gäbe gegen die Zuschreibung subjektiver Zustände, wohlgemerkt in Form eines Rückschlusses aus der empirischen Forschung, kein „haltbares Gegenargument“. 93 Es wird nicht für nötig befunden, Gründe zu erwähnen, die dafür sprechen. Stattdessen übernahm sie das von Lorenz geprägte begriffliche Hadern, etwa so: „Es besteht in der Tierwelt eine enge Beziehung zwischen ‚Neugier‘ und ‚Angst‘, zwischen Erkundungs- und Fluchtverhalten.“94

Das Muster lautet: Verhaltensbegriffe deuten den Bezug zu subjektiven Empfindungen an, verschleiern ihn jedoch schließlich, um sich Vorwürfen des Anthropomorphismus nicht stellen müssen: Erkundungs- und Fluchtverhalten kennt man bei Menschen nicht, Neugier und Angst dagegen schon.

91 Ebd. 92 Ebd. 93 Wennrich (1978, 25). 94 van Putten (1987, 211).

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Als Konzept mit vagen Verbindungen zu subjektiven Zuständen wird auch das Wort ‚Anpassungsfähigkeit‘ benutzt. Die Anpassung an widrige Umstände wird als natürlicher Prozess begriffen, mit dem körperliche Funktionskreisläufe aufrechterhalten werden. Anpassung drückt sich im Normalverhalten aus. Insofern dabei die Überlebensfähigkeit von Spezies evolutionsbiologisch gesichert wird, sind in der Terminologie der Nutztierethologie normale Verhaltensweisen auch natürliche Verhaltensweisen. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass sich die Umwelt der Tiere auch langfristig ändern kann und dann normales Verhalten zu unnormalem Verhalten wird oder umgekehrt. Dies ist wichtig für den Fall agrarisch genutzter Tiere. In den ersten einflussreichen Lehrbüchern der Nutztierethologie in den 1970er Jahren blieb unklar, wie sich die Anpassungsgrenzen agrarisch gehaltener Tiere objektiv bemessen lassen. Nach Lorenz passt sich eine Tierart an, solange sie ihr Überleben sichert. So gesehen wäre es ein Ziel der Agrartierpolitik nach 1972, die langfristige Überlebensfähigkeit der betroffenen Arten zu erhalten. In der Nutztierethologie offenbart sich die Scheu vor subjektiven Zuständen auch darin, dass dazu nur gesagt wird, worauf im Rahmen des Beratungsauftrages nicht verzichtet werden kann. Es sind somit vor allem die rechtlich relevanten Zustände des Wohlbefindens, Leidens und des Schmerzes, die in ethologischen Einführungen angesprochen werden. Gunter Wennrich von der staatlichen Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft definiert im Lehrbuch Nutztierethologie den Begriff des Wohlbefindens.95 Seine kurzen Ausführungen dazu bezeugen den notgedrungenem Pragmatismus: Wohlbefinden läge dann vor, wenn evidentes Leiden und Verhaltensstörungen ausgeschlossen werden können. Er rekapituliert also lediglich den Ansatz der Reform von 1972. Was ‚evident‘ meint, bleibt offen. Der weitaus größte Teil des Lehrbuches widmet sich der Beschreibung ‚normalen‘ Verhaltens von Tieren in der landwirtschaftlichen Praxis. Das Oberlandesgericht Frankfurt formulierte 1979, dass 1972 in der Tierschutzregelung der Tierhaltung „das Normalverhalten der betreffenden Tierart der Maßstab“ geworden sei.96 Leiden, verstanden als Rückschluss aus dem unnormalen Verhalten, wird zum Platzhalter für behavioristische und mechanistische Konzepte, um die es in der Forschung der Nutztierethologie eigentlich geht. Wohlbefinden in seiner rechtlichen Definition ist die Abwesenheit von Leid und Schmerz und auf Leid lässt sich nur schließen, wenn ein Verhaltensmuster wis-

95 Wennrich (1978, 25). 96 Vgl. Loeper (1997, 899).

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senschaftlich als gestört befunden wurde.97 Das steht hinter dem rechtlichen Ansatz, Wohlbefinden (in §1) als Forderung nach verhaltensgerechter Haltung (in §2) näher zu spezifizieren. Fallbeispiel: Rentabilität der Haltung vs. tierliches Empfinden Um zu veranschaulichen, wie schwer es für Laien fortan wurde, Vorbehalte gegen die industrielle Tierhaltung in den Urteilen der Nutztierethologie berücksichtigt zu sehen, soll hier ein Beispiel gebracht werden, nämlich die rechtliche Prüfung des Verbotes der Käfighaltung kurz nach der Reform. Im Mittelpunkt der Prüfung stand das vom BML finanzierte Forschungsvorhaben Tierschutzgerechte Nutzgefügelhaltung.98 Die öffentliche Kritik zur Zeit der Reform beruhte auf mindestens zwei Aspekten. Erstens sprach man empört von ‚Tiermaschinen‘ und wie oben erwähnt, ging es um die Anerkennung der tierlichen Subjektivität unter industriellen Bedingungen. Der zweite, etwas konkretere Vorwurf lautete, Tieren geschehe in bestimmten Haltungsformen vermeidbares Leid. Das BML-Forschungsvorhaben war mit diesem zweiten Aspekt beschäftigt. Es vollzog sich in Etappen von 1969 bis 1974 und involvierte eine Gruppe von Sachverständigen, darunter Agronomen, Veterinäre und Verhaltenswissenschaftler. Gefragt wurde, ob die Einschränkung des artgemäßen Bewegungsbedürfnisses der Tiere vermeidbar sei. Gemäß der Ermächtigung des §13 können Art und Umfang einer Beschränkung des natürlichen Bewegungs- und Gemeinschaftsbedürfnis festgelegt werden. Inhaltliche Kriterien für die Beschränkung werden nicht genannt. Aus dem BML heißt es 1978, solche Beschränkungen seien rechtlich nur „in besonderen Fällen höheren Interesses“ zulässig und wenn der Strafrechtsparagraph 17 nicht betroffen sei.99 Das Strafrecht wäre involviert, wenn die Ethologie herausfände, dass Tiere ‚erheblich‘ litten. Was mit ‚höherem Interesse‘ gemeint ist, blieb unklar. Die Sachverständigen sollten klären, ob die Käfighaltung, wenn sie denn zu Leiden führt, auch vermeidbar ist. Im Ergebnis teilte sich das Gutachten in zwei Teile. Den Teil I unterzeichneten überwiegend Agronomen, Tierzuchtexperten und Veterinäre und der Teil II wurde von einigen Verhaltensforschern und Verhaltensforscherinnen unterzeichnet. Offen wurde davon gesprochen, durch die Auswahl der Sachverständigen ein möglichst ausgewogenes Verhältnis in der Berücksichtigung ethischer

97 Vgl. Wennrich (1978, 25). 98 Vgl. BA Koblenz, B 116, 68744, S. 9. 99 Vgl. Statement Petzold-Cramer in BA Koblenz, B116, 68628, S. 2.

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und wirtschaftlicher Anliegen zu erreichen. Die Unterzeichner von Teil I kamen zu dem Schluss, dass die „Intensivtierhaltung landwirtschaftlicher Nutztiere, insbesondere von Geflügel […], mit den tierschutzrechtlichen Vorschriften vereinbar ist“.100 Denn selbst die umstrittene Batteriehaltung ermögliche es den Tieren „an allen Stellen des Käfigs aufrecht stehen und ein Mindestmaß an Ortsbewegung ausführen können, wie es zur Aufrechterhaltung physiologischer Funktionen und zum Abreagieren des verhaltensmäßig notwendigen Bewegungstriebes unerlässlich ist.“101

Auch in diesem Teil des Gutachtens wurde also auf Ethologie rekurriert. Ziel war es, die Frage zu klären, ob die Käfighaltung im Vergleich zur Boden und Freilandhaltung die „artspezifischen Lebensbedürfnisse“ von Legehennen befriedigen oder beeinträchtigen. „Qualitative und quantitative“ Untersuchungen sollten zeigen, ob das „Verhalten des Huhnes […] ungestört ablaufen“ kann. 102 Als Störungen galten ausschließlich Triebstörungen, z. B. „Handlungen am Ersatzobjekt, Leerlaufhandlungen, gesteigertes Such- und Fluchtverhalten oder Stereotypien“.103 Im Gründungsprotokoll des Projektes wurde die ethologische Prämisse festgehalten, dass sich Verhaltensstörungen nicht körperlich feststellen lassen mussten. Es musste sich also nicht um Schäden handeln. Das war offenbar zu vage. Denn Teil I des Gutachtens betonte, dass die Verbindung zwischen unterdrückten Trieben auf der einen und Leiden auf der anderen Seite noch weiterer Forschung bedürfe und man sich daher auf physiologisch-klinische Tatbestände beschränken müsse.104 Dabei ging es vor allem um das von Lorenz inspirierte Triebstaumodell. Es war damals im Tierschutz ein vielbeachtetes, allerdings später grundlegend revidiertes Erklärungsmodell für Tierleid:105 Wenn äußere Bedingungen die Auslösung erblich bedingter, stereotyper Verhaltensabläufe verhindern, so das Modell, sei der ‚Triebhaushalt‘ des Organismus gestört. Ein bestimmter Reiz wurde als Bedingung für die Auslösung von triebbedingten Verhaltensweisen angesehen. Beispiele hierfür sind die Brutpflege oder das Sandbaden. Waren entsprechende Reize dem Tier vorenthalten, etwa, weil sich das Tier kaum, und schon gar nicht auf Sand, bewegen kann, reagierte der Kör-

100 Dokumentation (II) Gutachten Käfighaltung in BA Koblenz, B116 / 68622. 101 Ebd. 102 BA Koblenz, B116 /68744. 103 Ebd. 104 BA Koblenz, B116, 68628. 105 Vgl. Stern (1980).

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per, mit Leerlaufhandlungen reagieren, zum Beispiel mit Flügelschlagen. Die Nutztierethologie suchte daher damals besonders nach solchen Verhaltensweisen. Wenn in den Debatten von der Störung „essentieller Funktionskreise“106 gesprochen wurde, bezog sich das vor allem auf die Idee des Triebstaus. Leid ist damit die Unterbrechung eines normalen Ablaufes. Kann Triebstau oder Schmerverhalten nicht hinreichend gezeigt werden, ist vom Wohlbefinden der Tiere auszugehen.107 Viele Verhaltensweisen der Legehennen, wie die das ruhige Verhalten beim Einstallen auf engem Raum, haben sich innerhalb der Domestikation entwickelt. Die meisten wild lebenden Tiere – und wohl auch Wildhühner – würden durch Käfige und dergleichen in Panik versetzt werden. Eigentlich zynisch wurde die zwangsweise Anpassung der Tiere nun zu neu erlernten ‚Trieb‘ erklärt. Die Ergebnisse von Teil I des Gutachtens besagten, dass der ‚Bewegungstrieb‘ auch in den Käfigbatterien abreagiert werden kann. Über weitere Triebe und ihr Verhältnis zum Leid stünden nicht genügend Ergebnisse zur Verfügung, um sie rechtlich anzuführen. Die Kritiker dieses Urteils aus den Reihen der Verhaltensforschung machten dagegen in Teil II des Gutachtens geltend, dass der Teil I ethologische Erkenntnisse gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen nicht genug berücksichtige. Darüber entbrannte ein Streit, der zwar medial Aufmerksamkeit fand, jedoch inhaltlich nie geklärt wurde.108 Ein Großteil von Teil II des Gutachtens beschränkt sich darauf, die Mängel im Ablauf des Forschungsvorhabens zu kritisieren und darauf hinzuweisen, dass nicht „neutral“ genug vorgegangen sei. Der Ethologe Nicolai erklärte 1975 seinen Rücktritt aus der BML-Forschungsgruppe in einem Schreiben an Minister Ertl damit, dass aus Sicht der Ethologie der Standort der Untersuchungen am Institut für Kleintierzucht in Celle kein „neutraler“ Ort sei und die Forschungen in ihrer „Unabhängigkeit“ bedroht seien.109 Bei dem besagten Institut handelte es sich um die Nachfolgeorganisation der 1942 gegründeten Reichsforschungsan-

106 Sten. Ber. 1972, 194. Sitzung, S. 11394. 107 Vgl. BTDS VI/2559, S. 9. 108 Vgl. Stern (1980). 109 Vgl. BA Koblenz, B116 / 68742. Die 1942 gegründete Reichsforschungsanstalt für Kleintierzucht, dessen Arbeit 1950 vom BML übernommen wurden und als Bundesforschungsanstalt für Kleintierzucht mit Sachverständigengutachten des Tierschutzes betraut wurde, ist ein Beispiel für die Kontinuität des veterinärmedizinisch geprägten Tierschutzes nach dem zweiten Weltkrieg.

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stalt für Kleintierzucht. Es war vor allem mit der Leistungssteigerung in der Geflügelhaltung mittels der Veterinärmedizin betraut. Inhaltlich kamen die Ethologinnen in Teil II zu dem Urteil, dass mehrere Verhaltensweisen der Hühner in der Batteriehaltung nicht ungestört bzw. artgemäß ablaufen können. Die ‚Funktionskreise Eiablage-, Sandbade- und Ruheverhalten‘ seien ‚qualitativ‘ beeinträchtigt, d. h. Scharren und Sandbaden müssten im ‚Leerlauf oder als Intentionsbewegungen‘ ausgeführt werden. Die Unterdrückung der Triebe wird als Hinweis für das Vorliegen von Leiden bezeichnet.110 Allerdings waren auch die Ergebnisse in Teil II nicht frei von ökonomischen Erwägungen. Die Käfighaltung wird zwar als tierschutzwidrig gefasst, als Überschreitung der Belastungsgrenze, allerdings bloß im Vergleich zu zwei weiteren Tierhaltungssystemen. Diese wurden nicht beanstandet und der Grund dafür lag in der Ökonomie. Alle gängigen Haltungsformen als nicht artgerecht zu verbieten, war ökonomisch undenkbar und wurde deshalb im Gutachten nicht diskutiert. Dabei sind die Unterschiede im Verhalten der Tiere in der Freiland-, Boden- und Käfighaltung untereinander gering im Vergleich zu jenem Verhalten, das Hühnervögel etwa in einem großen Wildgehege oder in ihrem ursprünglichen Lebensraum, dem Wald, zeigen würden. Dadurch, dass die Kritik an der Käfighaltung an der Referenz der Freilandhaltung ausgerichtet wurde, kamen typische ‚wilde‘ Verhaltensweisen, etwa die selbstbestimmte Paarung, die selbstständige Bildung von Sozialverbänden und die eigene Aufzucht von Jungen gar nicht in Betracht. Der Einfluss ökonomischer Vorannahmen blieb gerade in Teil II des Gutachtens, indem es Neutralität für sich beanspruchte, verschleiert. Die Ergebnisse des Gutachtens Tierschutzgerechte Nutzgefügelhaltung lassen einen transparenten Ansatz darüber vermissen, wie die Abwägung ökonomischer Anforderungen mit ethologischen Ergebnissen ethisch durchzuführen ist. Das gilt auch für die Arbeit der Sachverständigen des Ständigen Ausschusses des EÜST, die seit 1980 an einer Empfehlung für eine EG-weit harmonisierte Regelung der Legehennenhaltung arbeiteten. 1988 wurde die Richtlinie 88/166/EWG erlassen, die die zu diesem Zeitpunkt schon weit verbreitete Käfighaltung europaweit legitimierte. Eine Diskussion zur artgemäßen Tierhaltung im Max-Planck-Institut in Seewiesen im April 1980 wird folgendermaßen zusammengefasst:

110 Vgl. Dokumentation „Tierschutzgerechte Nutzgeflügelhaltung“ in BA Koblenz, B116 / 68744.

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„Zusammenfassend können die Ergebnisse der Diskussionen […] dahingehend interpretiert werden, daß es außerordentlich schwierig sein wird, die im Zusammenhang mit der Tierschutzgesetzgebung entstandenen Begriffe […] mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden auszufüllen und zu definieren. […] Die Festlegung von Kompromissgrößen zwischen ethischen Ansprüchen des Menschen in Bezug auf die Tierhaltung sowie die wirtschaftlichen und Erhaltungsinteressen des Menschen ist […] letztlich eine politische Entscheidung, die nicht vollständig aus der naturwissenschaftlichen Forschung vorgegeben werden kann, durchaus aber durch sie eine Unterstützung im Sinne von Entscheidungshilfen finden mag.“111

Bei der Beschlussfassung des Gesetzes waren es jedoch gerade die naturwissenschaftlichen Methoden, die breitenwirksam überzeugten. Es ist nicht zuletzt im demokratischen Sinne problematisch, dass der naturwissenschaftliche Tenor in der Begründung des Gesetzes nach der Abstimmung zaghaft revidiert wurde.112 Denn das Plädoyer für eindeutige Wissenschaft hatte in den Debatten die Notwendigkeit, sich auf ethische Normen zu einigen, verkannt. Zwei Punkte werden deutlich. Erstens waren ethische und biologische Annahmen in den Urteilen der Nutztierethologie offenbar auf derart undurchschaubare Weise verwoben, dass ihr Zusammenspiel rund zehn Jahre nach der Reform auch bei Sachverständigen noch Fragen aufwarf. Das in der Reform von 1972 vielbeschworene ‚Exakte‘ in der Fundierung des angemessenen Tierschutzes entpuppte sich deshalb als rhetorische Phrase, weil unklar blieb, worauf die Ratschläge, was politisch zu tun sei, genau basieren sollten: Sollten sie auf Grundlage von Trieben Gründe dafür liefern, dass Tiere leiden? Sollten sie klären, ob agrarisch gehaltene Tiere im Vergleich zum Leben in der Freiheit, oder im Vergleich zum Leben in einer anderen Haltungsform leiden? Stets schlägt bei diesem Unterfangen die methodische Anforderung durch, möglichst quantitativ

111 Vgl. Dokumentation „Tierschutzgerechte Nutzgeflügelhaltung“ in BA Koblenz, B116 / 68744. 112 Vier Jahre nach der Reform gibt der oben erwähnte Schultze-Petzold zu: „Ganz sicher stehen wir hier heute noch vor der Aufgabe, die Ethologie im Gebäude der Wissenschaft richtig einzuordnen“. Vgl. Schutze-Petzoldt (1976, 208). Er bezeichnet die Ethologie als eine ‚ergänzende‘ Wissenschaft und erkennt die Relevanz der Frage: „Was sind wissenschaftlich exakt die sogenannten angeborenen Verhaltensmuster und warum sind einige davon essentiell?“. Er fragt schließlich: „ […] [G]leiten wir hier mitunter trotz unserer naturwissenschaftlichen Konzeption nicht in das Ideologische ab?“ Die Voraussetzungen, angeborene Verhaltensmuster „eindeutig“ zu bestimmen, seien nicht gegeben. Vgl. Schutze-Petzoldt (1976, 208).

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messbare Ergebnisse zu liefern. Die Anforderung an die Exaktheit verbietet einen einfachen Weg, nämlich eine pragmatische Lösung der Alltagspsychologie, mit der sich Leidensgrade der Tiere zumindest auf eine nicht exakte Weise diskutieren lassen: Geht es Hühnern in Käfigen gut? Höchstwahrscheinlich nicht! Wenn jemand das Gegenteil beweisen könnte, wäre das sonderbar, usw. Zweitens zeigt das Eingeständnis der Max-Planck-Forscherinnen, dass vor allem die naturwissenschaftliche Information im Tierschutz, die ja eigentlich im Gegensatz zur Ethik methodisch problemlos sein sollte, die eigentlichen Unklarheiten verursachte. Dies hatte offenbar etwas damit zu tun, dass die tierliche Subjektivität, das subjektive Empfinden, nicht direkt beobachtet und beschrieben werden durfte. Subjektives auszublenden hieß vielversprechend, die Sachlage zu objektivieren, zum Beispiel über die Rede von Trieben. Doch damit wurde es schwer, das Empfinden, um das es im Tierschutz ja eigentlich geht, auf dem Umweg des Rückschlusses später doch wieder einzufangen. Zwischenfazit: Vier methodische Voraussetzungen Durch die Reform wurden Begriffe aus der Ethologie entscheidungsrelevant. Die Ethologie sollte klären, welche Haltungsform tierschutzgerecht ist, sie befasste sich also mit tierlichen Belangen bzw. politischen Forderungen aus Sicht der Tiere. Die von Lorenz in den Jahren 1930 bis 1970 geprägte klassische Ethologie basiert auf einer behavioristisch geprägten Philosophie der Biologie. Ihr methodisches Kennzeichen ist der Fokus auf die kausale Erklärung des Verhaltens durch körperliche Mechanismen, paradigmatisch den Trieb. Eine solche „Theorie des Verhaltens lebender Systeme“113 diente auch der Leistungssteigerung in der Tierproduktion, beinhaltet also per se keine Normen angemessener Vertretung tierlicher Interessen. Der Einfluss der Lorenz’schen Ethologie brachte das methodische Problem des Anthropomorphismus mit sich, das nun hinter jeder Frage lauerte, dass Tiere unter bestimmten Umständen leiden. Zusätzlich musste in der Nutztierethologie berücksichtigt werden, dass bestimmte Leidzufügungen und ein bestimmter Grad an Bewegungseinschränkung der Tiere unvermeidbar und durch produktionstechnische, ökonomische oder hygienische Gründe gerechtfertigt ist. Wie aber diese offensichtlich normative Dimension informiert werden sollte, lassen die theoretischen Grundlagen offen. Die Einarbeitung dieser Abwägung erlaubte es zumindest methodisch, der Unklarheit in der Zuschreibung von Leiden zuweilen

113 Tembrock (1969, 13).

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auszuweichen: Immer wenn ein vernünftiger Grund vorliegt, ist es unerheblich, ob die kritisierte Haltungsform tatsächlich Leid verursacht oder nicht. Ein näherer Blick auf die wissenschaftlichen Grundlagen der rechtlichen Regelungen offenbart Schwachstellen, die im ungeklärten Verhältnis zwischen tierlichem Verhalten und tierlicher Subjektivität liegen. Dies ist der Ausgangspunkt für die folgende Kritik, die den Einwand zurückweisen soll, die Nutztierethologie berücksichtige die Forderungen aus Sicht der Tiere in angemessener Form. Die angestrebte Beratungsleistung der Nutztierethologie und der Veterinärmedizin basierte auf vier Voraussetzungen, die es schwer machen, die Interessen der Tiere angemessen zu vertreten: • • • •

A) der dürftige Vorwurf der Vermenschlichung (Anthropomorphismus), B) Unbeholfenheit bei der Zuschreibung tierlichen Geistes (S. 175) C) der Fokus auf ‚bloßes‘ Verhalten (S. 188) und D) die fehlende Berücksichtigung tierlicher Freude (S.202).

Die Punkte werden in der folgenden Kritik ausgeführt.

E INE K RITIK

ETHOLOGISCHER

G RUNDLAGEN

A) Der Trugschluss des Anthropomorphismus-Vorwurfs und der Mechanomorphismus In der klassischen Ethologie hat der Vorbehalt gegen den Anthropomorphismus hohes Gewicht. Eine zur Zeit der Reform nicht abwegige Situation ist folgende: Eine Biologin hat das Ergebnis ihrer Feldforschung formuliert: Bergwachteln, so schreibt sie, wählen ihr Habitat aus einer Reihe von möglichen Optionen aus. Sie wird dafür von einem Kollegen kritisiert: Deine Daten sind interessant, ich würde das Ergebnis aber anderes formulieren. ‚Auswählen‘ klingt sehr anthropomorph. Das, was die Bergwachteln tun, ist doch etwas anderes als das, was wir tun, wenn wir uns etwa eine Wohngegend auswählen.

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Die Biologin ist mit dem Anthropomorphismus-Vorwurf (AV) konfrontiert.114 Sie muss ihn entkräften, will sie sich Gefahr laufen, ihre Reputation zu gefährden. Der Begriff Anthropomorphismus entstand ursprünglich nicht im biologischen Kontext, sondern in der Theologie. Dem Religionskritiker Xenophanes fielen bei griechischen Göttern und Göttinnen typisch menschliche, anthropomorphe Eigenschaften, wie Eifersucht, Wut oder Zorn, negativ auf. Für ihn, der um das fünfte Jahrhundert vor Christus die Existenz eines Gottes vollkommener Gestalt predigte, war dies Ausdruck menschlicher Naivität über das Wesen des Göttlichen. In der christlichen Theologie wird Anthropomorphismus eine Herabwürdigung des transzendentalen Göttlichen, denn, wie im Evangelium des Johannes zu lesen ist, „Gott ist Geist“.115 Auch bei Gottfried Wilhelm Leibniz ist Anthropomorphismus ein gottesverfälschender Fehler.116 Kant unterscheidet einen dogmatischen von einem symbolischen Anthropomorphismus. Beide Formen können bei der menschlichen Analogiebildung zur Näherung an das übersinnlich Göttliche, den Ursprung höchster Vernunft, wirksam sein. Im dogmatischen Anthropomorphismus wird danach das Göttliche so gedacht, dass es Verstand und Willen tatsächlich besäße. 117 Diese Form ist für Kant Quelle des Aberglaubens und inakzeptabel für eine angemessene Ausübung der Religion, da ihr eine Erkenntnis über das Wesen der Welt fehle, zu der Menschen „innerhalb der Welt fähig“ seien.118 Dagegen plädiert Kant für einen symbolischen Anthropomorphismus, also für eine Darstellung der göttlichen Welt, „als ob sie […] einer höchsten Vernunft abstamme“.119 Symbolischer Anthropomorphismus des Göttlichen ist für Kant akzeptabel, er bedingt aber das Eingeständnis, dass keine wirklich existierenden Dinge damit beschrieben werden können. Er geht „in der That nur die Sprache und nicht das Objekt selbst an“. 120 Für die „eigentliche

114 Fisher führt in Fisher (1996, 14) führt berechtigterweise aus, dass es unterschiedliche Arten des Anthropomorphismus gibt. Sprechende Tiere in Kinderbüchern oder Fabeln sind ein Anthropomorphismus, der selten kritisiert wird. Anthropomorphismus im wissenschaftlichen Kontext nimmt dagegen üblicherweise die Form des Vorwurfes ein. 115 Vgl. Lanczkowski (1971, 376). 116 Vgl. Schütte und Fabian (1971, 377). 117 Kant (1911b, § 57). 118 Ebd. 119 Kant (1911b, § 58). 120 Kant (1911b, § 57).

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Wissenschaft“, die Naturwissenschaft, „deren Gewissheit apodictisch“ sein soll, ist der symbolische Anthropomorphismus gemäß Kant unzulässig.121 Wann genau der Begriff Anthropomorphismus in die Biologie der Tiere eingeführt wurde, ist unklar. Kants ambivalenter Anthropomorphismus findet sich jedenfalls bei Konrad Lorenz wieder: Die Fehlerhaftigkeit einer anthropomorphen Redeweise über Gefühle von Tieren kann relativiert werden, indem man sich ihrer bewusst wird. Interessant ist, dass Lorenz mit dem ‚Glauben‘ an das subjektive Erleben von Tieren einen theologisch geläufigen Erfahrungsbegriff gegenüber dem apodiktischen Wissen abgrenzt. Es erinnert stark an Kants symbolischem Anthropomorphismus, dass dieser Glaube für ihn dann legitim wird, wenn man ihn als unwissenschaftlich kennzeichnet.122 Falsche Analogiebildung? Anthropomorphismus dient in der Biologie bis heute als kritische Ermahnung, dass Tieren keine menschlichen Zustände Tieren zugeschrieben werden dürfen. Die Aussage wäre trivial, wenn klar wäre, was menschliche, mentale Zustände im Vergleich zu tierlichen sind. Ist unklar, was rein menschliche Zustände sind, lässt sich der methodische Wert des AV auf den Hinweis ‚Vermeide argumentative Fehler bei der Zuschreibung mentaler Zustände‘ reduzieren, der wiederum trivial ist. Das soll im Folgenden ausgeführt werden. Gibt es typisch menschliche, mentale Zustände, die sicher nicht bei Tieren vorkommen? In der Philosophie des Geistes finden wir Ansätze dafür, welcher Art diese sein könnten: Donald Davidson etwa argumentiert, dass bestimmte Formen des Denkens, darunter Absichten und Überzeugungen, an die menschliche Sprache gebunden seien. Zusammenfassen lässt sich das Argument so: Da Tiere über keinen Begriff der Überzeugung verfügen, weil der Besitz von Begriffen an Sprache gebunden ist, ist die Zuschreibung tierlicher Überzeugungen anthropomorph, im Sinne von falsch:123 „The attribution of intentions and beliefs [to animals] smacks of anthropomorphism.“ 124

121 Kant (1911c, 468). 122 Ähnlich unterscheidet John S. Kennedy in Kennedy (1992) zwischen ‚genuinem‘ (‚genuine‘) und ‚modellhaftem‘ (‚mock‘) Anthropomorphismus. Ersterer ist für ihn von Grund auf problematisch, letzterer bietet eine Möglichkeit, Tieren etwas im Alsob-Modus zuzuschreiben. Dabei müssen aber „unbeweisbare Annahmen“ offengelegt werden (Kennedy 1992, 94). 123 Vgl. Barth (2011). 124 Davidson (1975, 7).

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Ähnlich wird auch argumentiert, die Bedeutung mentaler Begriffe habe sich im menschlichen Kontext entwickelt, also könnten sie nicht auf Tiere angewandt werden. Dieses und Davidsons Argument sind aber sehr umstritten. 125 Unumstritten ist heute, dass bestimmten Tieren, wie Säugetieren und Vögeln, mentale Zustände wie Schmerzen oder Angst zugeschrieben werden kann. Selbst wenn man also an einer kategorialen Eigenart menschlicher mentaler Zustände festhält, wäre Anthropomorphismus kein generelles Problem bei der Zuschreibung tierlicher mentaler Zustände, sondern lediglich ein partikuläres bei der Zuschreibung bestimmter mentaler Zustände, die für Menschen charakteristisch sind. Da es weder in der Biologie noch in der Philosophie des Geistes einen einheitlichen Ansatz gibt, der rein menschliche Zustände definiert, hilft die oben genannte Formel methodisch nicht weiter. Wie soll untersucht werden, welche Zustände tierlich und welche menschlich sind, ohne zumindest während der Untersuchung menschliche Begriffe auf Tiere anzuwenden? Wie Jonathan Bennett argumentierte, ist der Anthropomorphismus methodisch eine petito principii. Er setzt etwas voraus, um das es eigentlich geht, nämlich, dass Menschen nicht wie Tiere fühlen und denken. 126 Zur Beantwortung der Frage, ob Tiere unter bestimmten Umständen ähnlich denken oder fühlen wie wir, kann der AV also methodisch nichts beitragen. Es lässt sich zur Verteidigung des AV dann die radikale Position vertreten, dass die Analogiebildung des Menschlichen auf das Tierliche einen grundsätzlichen Kategorienfehler darstellt. Das Argument könnte lauten: Wir können uns zwar in andere Menschen, auch in jene anderer Zeiten, Kulturen oder des anderen Geschlechts, hineinversetzen. Für die Hineinversetzung in Tiere reiche unser Vorstellungsvermögen aber nicht. Schmerzforschung bei Tieren etwa wäre danach per se unwissenschaftlich. Das Argument kann damit zurückgewiesen werden, dass wir viele biologische, soziale und physische Eigenschaften mit Tieren teilen und dass mentale Zustände sich hier nicht ausnehmen.127 Das gilt zumindest für die Frage, ob Tiere über bewusste Zustände wie Schmerzen verfügen. Die Frage, wie sich das anfühlt, ist generell – auch in Bezug auf andere Menschen – schwieriger zu beantworten. Die radikale Skepsis gegenüber dem tierlichen Geist wird später noch einmal aufgegriffen. Lässt man sich darauf nicht ein, bedarf es wenig Aufwand, um zu zeigen, dass sich der Mehrwert des AV als triviale Ermahnung entpuppt, argumentative Fehler zu vermeiden. Das soll durch zwei Beispiele gestützt werden.

125 Vgl. u.a. Wild (2012a), Glock (2009) und Benz Schwarzburg (2012). 126 Bennett (1964, 9). 127 Das Argument wird zum Beispiel von Fisher (1996) ausgeführt.

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Sie zeigen, dass es kein größeres methodisches Problem darstellt, Analogien zwischen dem menschlichem und dem tierlichen Geist zu bilden, als sie abzustreiten oder zu ignorieren. Zwei Beispiele Erstes Beispiel: Eine Biologin lässt ihrem Mops für Spaziergänge im Park einen bunten Umhang aus einem Baumwollstoff schneidern. Eine mögliche Bewertung wäre: Sie überträgt etwas, was wir aus dem menschlichen Bereich kennen, nämlich das Wärmen des Körpers durch Kleider, auf das Tier. Der Hund trägt nicht den erwarteten Nutzen davon, denn er hat im Gegensatz zum Menschen ein Fell. Sie behandelt den Hund fälschlicherweise wie einen Menschen, für den ein solcher Mantel angemessen wäre. Das leuchtet dann ein, wenn der Hund tatsächlich keinen Mantel braucht. Das Beispiel zeigt aber auch, dass die analoge Übertragung vom Menschen auf das Tier nicht das eigentliche Problem darstellt. Die Anfertigung eines Mantels kann richtig sein: Die Dame erkennt dann in Analogie zum Menschen, dass der Hund etwa aufgrund eines dünn gezüchteten Fells nicht an die winterliche Kälte angepasst ist und daher beim Spazierengehen übermäßig friert. Das ist alles andere als abwegig. Hier zeigt sich, dass der AV zur Klärung der Frage, ob sich ein menschliches Bedürfnis auf Tiere übertragen lässt, nur eine einseitige Warnung beigetragen hat. Denn erklärungsbedürftig war, ob der Hund, wie Menschen, Schimpansen oder andere Tiere auch, bei einem Winterspaziergang friert. Analogieschlüsse motivieren diese Erklärung. Die Bedenken des Anthropomorphismus hätten dagegen ein richtiges Vorgehen verhindern können, indem sie übermäßigen, einseitigen Zweifel sähen. Das zweite Beispiel: Jemand nennt einen Esel ‚wortkarg‘ im Sinne von wenig eloquent. Auf den ersten Blick ist dies ein klares Beispiel für eine naive, problematische Form der Vermenschlichung. Der Vorwurf lautet, fälschlicherweise die menschliche Kommunikationsform auf ein Tier zu projizieren und daraus eine abwertende Zuschreibung abzuleiten, wenn man menschliche Eloquenz als vortreffliche Eigenschaft voraussetzt. Auch hier zeigt sich, dass die analoge Übertragung eines primär im menschlichen Kontext entstandenen Begriffes auf Tiere nicht das eigentliche Problem ist. Denn die Relevanz der Fragen, inwiefern tierliche Kommunikation unserer Sprache ähnelt, ob Esel wie auch andere Tiere also eine „Sprache“ besitzen, wird in der jüngsten wissenschaftlichen und philosophischen Forschung zunehmend ernst genommen.128 Bei der im Grunde wichtigen Analogiebildung zwischen menschlicher Sprache und den Lauten und der Körpersprache von Eseln kann einem aber der argumentative Fehler unterlaufen,

128 Vgl. Benz-Schwarzburg (2012).

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die besondere Kommunikation des Esels vorschnell in den menschlichen Wertekanon um Eloquenz zu integrieren. Es geht bei der Forschung zur Sprache von Eseln nicht darum, ob wir vermenschlichen dürfen, sondern um die richtige Art der Vermenschlichung. Mit dem Vorwurf des Anthropomorphismus konfrontierten Forschern ist daher zu raten, den Ball zurückzuspielen und vor übertriebenen Warnungen vor dem Anthropomorphismus zu warnen. Wichtig ist allein die schlüssige Argumentation in der Analogiebildung. Markus Wild relativiert den AV insofern. Er hält einen reflektierten und kontrollierten Anthropomorphismus für unproblematisch, seine naive Form dagegen für möglicherweise schädlich.129 Obwohl dem zuzustimmen ist, kann das aber zu Missverständnissen führen. Die Analogiebildung ist ein wichtiges, wenn nicht zentrales, methodisches Instrument in der biologischen Disziplin. Darauf hinzuweisen, dass sie reflektiert ablaufen solle, suggeriert, dass dabei tendenziell Fehler passieren. Die Tatsache, dass Analogien fehlgehen können, bedeutet aber nicht, dass sie dies tendenziell oder besonders häufig tun. Die Möglichkeit eines Fehlers wird überwertet, wenn die Übertragung menschlicher Lebensformen auf Tiere unter Generalverdacht gestellt wird und stets nachzufragen ist: Wurde dabei auch genug reflektiert? Denn schließlich kann es stets auch fehlerhaft sein, Analogien auszublenden. Generell ist die Bezeichnung der notwendiger Analogiebildung als ‚Vermenschlichung‘ unpassend. Analogien richten den Fokus auf strukturelle Ähnlichkeiten zwischen Menschen und Tieren und führen nicht zwangsweise zu einer Ignoranz gegenüber Tieren, die anklingt, wenn es heißt Tiere zu vermenschlichen. Durch Wilds Relativierung könnte dem Leser eine wichtige Pointe der Entstehung und gesellschaftlichen Wirkmacht des AV entgehen, nämlich die Behauptung eines besonderen Problems bei der Analogiebildung zwischen Mensch und Tier. Wie gezeigt wurde, gibt es kein spezifisches theoretisches Problem, das über das übliche Problem unreflektierter Mutmaßung hinausgeht. Warum spricht man überhaupt von Anthropomorphismus? So bemerkt auch Wild an anderer Stelle lakonisch, man könne bei längerer Auseinandersetzung mit dem AV leicht vergessen, wo dabei eigentlich das Problem liege.130 Wie man am Beispiel der Reform des Tierschutzgesetzes sehen kann, ist das Problem zumindest auch politischer Natur. Der Vorwurf der Vermenschlichung kann Tierschutz-Kritik, die auf Analogien zwischen menschlichem und tierlichem Leid beruht, in ein zweifelhaftes Licht rücken, indem er fälschlicherweise suggeriert, die Vermeidung von Analogieschlüssen sei unproblematisch.

129 Wild (2012a, 25). 130 Ebd.

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Praktische Bewährtheit? Wenn der AV theoretisch ins Leere läuft, ließe sich noch argumentieren, er habe sich in einem gesellschaftlichen Kontext bewährt. So wird behauptet, die Intuitionen von Menschen in modernen, westlichen Gesellschaften unterlägen der Tendenz, tierliches Verhalten mit menschlichen Zuständen zu erklären. 131 Der Vorwurf des Anthropomorphismus fordere zur kritischen Hinterfragung einer verbreiteten, fehlerhaften Tendenz auf. Das ist historisch unbegründet. Denn die westliche Kulturgeschichte weist eine gegenteilige Tendenz auf, nämlich die dualistische Abgrenzung des Menschen von Tieren und Pflanzen. Frans de Waal prägte im englischen Sprachraum dafür den Begriff anthropodenial. Die großen Religionen, Menschenwürde, Humanismus, Rationalismus und andere für unsere Zeit wichtigen Ideengebäude basieren auf menschlicher Exklusivität. Die akademische Biologie nimmt sich da historisch gesehen nicht aus. Sie hat Tieren lange Zeit Kultur und Vernunft abgesprochen und sie als Natur unklarer Weise von menschlicher Kultur abgegrenzt. Biologinnen haben sich häufig auf mechanische Abläufe und Triebe als Erklärung tierlichen Verhaltens konzentriert und den kulturellen Kontext des Lebens der Tiere sowie ihre Persönlichkeit und Psychologie ausgeblendet. In Gesellschaften westlicher Staaten ist die Staatsangehörigkeit tierlicher Individuen bisher nicht grundsätzlich geregelt. Das wird heute zunehmend kritisiert. Von Jaques Derrida wurde prominent argumentiert, dass der Dualismus zwischen dem Menschen und dem Tier zum Instrument politischer Unterdrückung tierlicher Individuen werden kann.132 Insofern scheint sich eine übergroße Vorsicht vor Analogien zwischen Menschen und Tieren nicht zu bewähren. Dagegen gibt es gute Gründe, vor Mechanomorphismus zu warnen, d. h. vor Fehlern, die im Rahmen der Analogiebildung von mechanischen Abläufen auf Tiere passieren. Descartes‘ Tierbild sowie behavioristische Ansätze der Biologie müssen sich heute diesem Vorwurf stellen. Dass Fischen erst seit jüngster Zeit Schmerzen wissenschaftlich zugeschrieben werden und diese bisher lediglich als Reiz-Reaktions-Schema begriffen wurden, ist – wenn sich diese Auffassung durchsetzt – Ausdruck des Mechanomorphismus gegen nicht-menschliche Wesen, klarerweise aber kein Ausdruck des Anthropomorphismus. Die alleinige Warnung vor dem Anthropomorphismus stellt sich in dem Kontext der Agrartierpolitik als problembehafteter Vorwurf heraus. Praktisch kann er für Tiere sehr gefährlich werden, wenn Beobachtungen von tierlichem Elend dadurch zu

131 Diese Behauptung findet sich bei Nieder (2012, 82) und Troxler (2012, 103). 132 Vgl. Derrida (2010).

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etwas erklärt werden, das stets riskiert, einer menschlichen Täuschung zu unterliegen. B) Die objektive Zuschreibung mentaler Zustände Behaviorismus in den Naturwissenschaften Der Geist der Tiere bereitet der Naturwissenschaft seit jeher große Probleme. Das bezeugt die Verbreitung der Strategie, dieses Thema von vornherein aus der Biologie der Tiere auszublenden. Am besten gelingt dies, indem man Verhalten als ‚Abläufe‘ beschreibt. Das Axiom des Behaviorismus, nach dem zur wissenschaftlichen Erklärung tierlichen Verhaltens nur Ereignisse berücksichtigt werden dürfen, die direkt beobachtet und quantifiziert werden können, galt in den Naturwissenschaften lange als Paradigma. Subjektive Zustände wie Trauer oder Erinnerung bei Tieren konnten über Testverfahren weder bestätigt noch abgestritten werden. Diese Ausblendung gab sich nach außen den Anschein methodischer Präzision und blieb lange unangetastet. Das Paradigma weicht seit einiger Zeit auf. Dazu trug die Überzeugung bei, dass sich bestimmte Verhaltensweisen ohne Rekurs auf bestimmte mentale Phänomene nicht gut erklären lassen. Diesen Ansatz verfolgt heute die kognitive Ethologie. Wenn Raben verschiedene Verstecke einrichten, und auf das dort versteckte Futter in Abhängigkeit von der Umweltsituation zurückgreifen, lässt sich dies weniger plausibel durch physiologische Reiz-Reaktions-Modelle im Vogelhirn erklären, als durch einen altbekannten mentalen Zustand: die Erinnerung. Doch es bleibt das Problem: Mentale Zustände sind subjektiv, Wissenschaften dagegen sollen objektiv sein. Auf welcher Grundlage darf ein Forscher also mentale Zustände, subjektives Bewusstsein oder phänomenale Qualitäten der tierlichen Wahrnehmung analysieren? Zur Klärung solcher Fragen können Arbeiten aus der Philosophie der Wissenschaft beitragen. Ein Klärungsvorschlag Mit Markus Wilds Tierphilosophie soll ein Klärungsvorschlag für Probleme der Zuschreibung tierlichen Geistes vorgestellt werden. Aufmerksamkeit erregte Wild insbesondere mit der Weiterentwicklung neuerer tierphilosophischer Arbeiten, unter anderem der von Ruth Millikan und Fred Dretske, zu einem eigenen teleosemantischen Projekt der Tierphilosophie.133 Sein Anspruch ist es, in die-

133 Für den Zweck dieses Kapitels konzentriere ich mich auf Wilds tierphilosophischen Arbeiten, insbesondere Wild (2012a), Wild (2012b), Wild (2012c), Wild (2008), Wild (2010) Perler und Wild (2005) und Tietz und Wild (2006).

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sem Projekt Philosophie und empirische Wissenschaft voneinander profitieren zu lassen. Aus seinen diversen Abhandlungen zum Thema soll hier ein möglicher Ansatz herausgearbeitet werden, Tieren subjektive, bewusste Zustände zuzuschreiben. Bisher wurde gezeigt, dass zwei Fragen für den staatlichen, auf Wissenschaft basierenden Tierschutz von Bedeutung sind: • •

Ist eine wissenschaftliche Disziplin in der Lage, Tieren mentale Zustände objektiv zuzuschreiben? Wenn ja, wie kann sie dabei vorgehen?

Konrad Lorenz hat die erste Frage bereits prinzipiell verneint. Allerdings verbat er, wie oben gezeigt, streng genommen nicht den Gebrauch mentaler Begriffe, wenn seine Fehlerhaftigkeit zugestanden wird, etwa indem Wissenschaftlerinnen Anführungszeichen um die jeweiligen Begriffe setzen. Dieser Kompromiss wurde von der angewandten Nutztierethologie aufgegriffen. So konnte über ‚Leiden‘ gesprochen werden, ohne ihnen eine Existenz einzuräumen. Dieser pragmatische Ansatz ist einfältig und sicher nicht befriedigend. Die Biologie nimmt allerdings der Umstand in Schutz, dass Fragen zum Bewusstsein philosophisch sehr ambitioniert sind. Die Philosophie des Geistes kennt eine Reihe komplexer Debatten zum Thema Bewusstsein. Allerdings ist nicht jede dieser Debatten für den Tierschutz gleich wichtig. In Debatten um das Bewusstsein von Tieren muss zwischen zwei Ansätzen unterschieden werden: solchen, die mentale Zustände nur dann als bewusst bezeichnen, wenn ein Subjekt übergeordnete Gedanken über einen mentalen Zustand hat und solchen, nach denen mentale Zustände bereits dann als bewusst gelten, wenn ein Subjekt dabei Eigenschaften der externen Umwelt wahrnimmt.134 Wilds Ansatz ist letzteren zuzuordnen. Der Begriff des Bewusstseins kann mehrere Bedeutungen annehmen. Das Vigilanz-Bewusstsein etwa beschreibt die Tatsache, dass ein Tier wach ist und nicht schläft. Er kann auch eine besondere Aufmerksamkeit für etwas bedeuten, im Sinne von ‚sich etwas bewusst machen‘. ‚Selbstbewusstsein‘ geht üblicherweise mit der Fähigkeit zu übergeordneten Gedanken über eigene mentale Zustände einher, kann aber auch die Fähigkeit der Wahrnehmung des eigenen Kör-

134 Robert Lurz unterscheidet in Lurz (2009, 8ff.) entsprechend zwischen dem higherorder-representational approach und dem first-order-representational approach.

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pers zum Ausdruck bringen.135 Diese Formen sind für die Zuschreibung von tierlichen Leiden aber weniger relevant. Die Vielfalt der definitorischen Varianten sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass viele Zuschreibungen bewusster Zustände bei Tieren wenig problematisch sind. Heute steht unter Beweisdruck, wer behauptet, Tiere würden Angst oder Schmerzen nicht bewusst erleben. Säugetiere reagieren in der Regel flexibel und kreativ auf Veränderungen äußerer Umstände und ziehen daraus Lehren für die Zukunft. Dass ein solches Verhalten unbewusst ablaufen soll, ist wenig plausibel, wenn man das Wort nicht von seiner alltäglichen Bedeutung abkoppeln möchte. Bewusstsein lässt sich in eine phänomenale Qualität und eine intentionale Struktur unterteilen. Wild findet beides auch bei Tieren. Die Unterscheidung ist hilfreich für die Frage, welche Aspekte der tierlichen Subjektivität objektiv gefasst werden können. Phänomenales Bewusstsein bei Tieren Das phänomenale Bewusstsein bezeichnet den Aspekt eines subjektiven Zustandes, der sich irgendwie anfühlt, indem er eine phänomenale Qualität zum Ausdruck bringt. Zwei politisch relevante Beschreibungen lauten etwa, dass sich etwas gut oder schlecht anfühlt. Schmerz ist wohl einer der bekanntesten Beispiele für einen phänomenalen Bewusstseinszustand. Daneben gibt es aber eine Vielzahl anderer. Es lassen sich folgende Unterkategorien unterscheiden, wie sich etwas anfühlt: • • • • •

klassische Sinneswahrnehmungen (z. B. Geruch, Geschmack, Aussehen, Klang), Körperempfindungen (z. B. Schmerz, Kitzel oder die Wahrnehmung unterschiedlicher Materialien auf der Haut), Emotionen (z. B. Wut, Einsamkeitsgefühle, Ekel, Trauer), kognitive Aktivitäten (z. B. sich erinnern, argwöhnen, wünschen), Stimmungen (z. B. Niedergeschlagenheit, Aufregung, Vergnügtheit).

Ebenso wie es sich irgendwie anfühlt, in eine grelle Neonröhre zu schauen oder Musik oder Vogelgezwitscher zu hören, fühlt es sich irgendwie an, zu wünschen, sich zu versöhnen oder zu freuen. Alle diese Formen eint, dass sie eine „qualitative Dimension“ des Erlebens aufweisen.136

135 Vgl. DeGracia (2009). 136 Wild (2012c, 85).

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Um sich dem Bewusstsein von Tieren weiter zu nähern, muss differenziert werden, worüber man im Rahmen einer Theorie Aussagen treffen will. Wild unterscheidet hier die Verteilungs- von der Anfühlfrage. Bei ersterer wird gefragt, ob man einem Individuum, als Mitglied einer Spezies, bestimmte bewusste Zustände zuschreiben kann. Es wird etwa allgemein gefragt, ob Fische Schmerzen haben können oder Schimpansen Hoffnungen. Es kann damit auch gefragt werden, unter welchen Umweltumständen sie solche Zustände meistens haben. So kann gezeigt werden, ob ein Rind, das von seiner Herde isoliert wurde, wohl Angst haben wird, ohne sagen zu müssen, wie diese Angst sich genau anfühlt. Konrad Lorenz hatte implizit die Anfühlfrage im Blick, als er sagte, dass subjektive Zustände objektiv nicht fassbar seien. Sein methodisches Problem lautete: Wir können nicht sagen, ob Tiere Schmerzen haben, weil wir nicht wissen, wie es sich genau für sie anfühlt, ob es sich etwa so anfühlt wie für uns Menschen. Ihm fehlte also Wilds Differenzierung. Gegen die Unterscheidung kann nun angeführt werden, dass der phänomenale Gehalt wesentlich für einen Zustand ist und das ‚wie‘ sich deshalb nicht vom ‚ob‘ trennen lasse. Dieses Problem lässt sich aber umgehen, wenn man die Existenz verschiedener Formen eines phänomenalen Bewusstseinszustandes zulässt und zugibt, dass die Verteilungsfrage offen lässt, um welche dieser Formen es sich handelt. Man kann Argumente dafür finden, dass Schmerzen unter bestimmten Bedingungen bei erwachsenen Menschen, bei Kleinkindern, bei alkoholisierten Erwachsenen, bei erwachsenen Hähern oder jungen Füchsen auftreten können und gleichzeitig betonen, dass es sich vielleicht jeweils um andere Formen von Schmerzen handelt. Eine Voraussetzung für eine anerkannte – und in diesem Sinne auch objektive – Zuschreibung ist es, sich gegen einen strikten Skeptizismus gegenüber dem tierlichen Bewusstsein auszusprechen. Danach kann nie zweifelsfrei auf bewusste tierliche Zustände geschlossen werden. Der skeptische Einwand lautet: Könnte es nicht lediglich so aussehen, als hätte ein Tier Bewusstsein, während alles in Wahrheit ganz anders ist? Wilds Ansatz sieht nicht vor, solche Bedenken auszuräumen. Andererseits will er aus ihnen aber auch keine weitreichenden Folgerungen ableiten, da solche Zweifel für ihn eine „Überforderung an den Begriff des Wissens“ darstellen.137 Ziel einer plausiblen Argumentation ist für ihn die Erlangung „zuverlässiger Wahrscheinlichkeiten oder ein […] Schluss auf die beste Erklärung“.138 Für ihn sind dabei Analogien der Schlüssel. Alle Arten von physiologischen Zuständen, Verhaltensweisen und anerkannten mentalen Zuständen bei Menschen und nicht-menschlichen Tieren können miteinander ver-

137 Wild (2012c, 71). 138 Wild (2012c, 72).

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glichen werden. Der Analogieschluss setzt eine Kenntnis der Qualität eines subjektiven Empfindens voraus. Sind genügend Gründe für den Analogieschluss eines bekannten Empfindens auf ein Tier gegeben, muss die Rede vom tierlichen Leid, etwa von Legehennen die in einem Käfig leben, nicht als Metapher oder Als-ob-Modus erfolgen, sondern kann Bestandteil der bestmöglichen Erklärung des Lebens in einem Käfig sein. Wilds Darstellung verteilt die Beweislast neu: Es reicht nicht mehr, Thesen über das tierliche Bewusstsein den eindeutigen Beweis abzuverlangen. Seine Argumentation rückt Behauptungen, nicht zu wissen, ob Tiere über ähnliche bewusste Zustände wie wir Menschen verfügen, unter Verdacht, eine bestmögliche Erklärung zu verhindern bzw. zu hohe Ansprüche an den Wissensbegriff vorauszusetzen. Mit Wild lässt sich das Paradigma der Unerforschbarkeit des subjektiven Bewusstseins zurückweisen. Repräsentationen und Inhalt in der Teleosemantik Wichtig für die Zuschreibung mentaler Zustände ist die Trennung zwischen Gefühls- und Inhaltskomponente einer Wahrnehmung. Diese vollzog sich immer schon in unterschiedlichen philosophischen Begriffen. Kant fragte sich zum Beispiel prominent: „Auf welchem Grunde beruhet die Beziehung desienigen, was man in uns Vorstellung nennt, auf den Gegenstand?“139

Anstelle von Kants Rede von der Vorstellung hat sich heute in der Philosophie das Konzept der mentalen Repräsentation durchgesetzt. Die von Wild vertretene Version der Teleosemantik liefert eine Theorie, „die plausibel erklären kann, was Repräsentationen im Falle nicht-menschlicher Tiere sind […]“.140 Zunächst impliziert der Begriff der Repräsentation, dass etwas als etwas repräsentiert wird. Was hat es damit auf sich? Die Teleosemantik begreift Repräsentationen als etwas, das mit einem Vermögen einhergeht, ein Ziel (telos) zu verfolgen und in diesem Sinne eine Funktion zu erfüllen. In der einfachsten Form bedeutet das: Ein externer Zustand Z wird von einem Wesen durch einen mentalen Zustand Y repräsentiert, wenn Y die Funktion hat, Z anzuzeigen. Das bedeutet, dass ein Wesen den Zustand Z wahrnimmt und flexibel und kreativ reagieren bzw. daraus Lehren für die Zukunft ziehen kann.

139 Kant (1911d, 130). 140 Wild (2012c, 43).

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Ein eingängiges Beispiel für Repräsentationen sind visuelle Wahrnehmungen. Beispielsweise wird ein sich anschleichender Löwe von einem grasenden Zebra entdeckt. Bei dieser Repräsentation kann eine äußere und eine innere Perspektive nachvollzogen werden. Etwas (das repräsentierende Vehikel) handelt von etwas (dem repräsentierten Inhalt). Es geht in der Teleosemantik nicht darum, das innere Vehikel oder in unserem Fall die visuelle Wahrnehmung wiederzugeben, sondern lediglich darum, ihr einen externen Inhalt zuzuschreiben. Der Inhalt ist stets durch ein Objekt gekennzeichnet; in diesem Fall ist der Blick auf den sich anschleichenden Löwen gerichtet. Die Wahrnehmung findet unter einem bestimmten Aspekt statt. Das Zebra wird den anschleichenden Löwen als bedrohlichen Fressfeind wahrnehmen. Die Repräsentation handelt also von etwas als etwas. Sie ermöglicht es dem Zebra, rechtzeitig zu fliehen. Die Tatsache, dass ein Zebra vor einem Löwen flieht, ist also ein wichtiger Ansatzpunkt, dem Zebra eine Repräsentation mit einer bestimmten biologischen Funktion zuzuschreiben. Gemeint ist damit nicht eine wie auch immer geartete subjektive Funktion aus Sicht eines Individuums, sondern eine objektive biologische Funktion, die das Überleben der Art erklären kann. Für die Erkenntnis, dass Zebras sich ihr Überleben durch Flucht sichern, braucht es keine Forschung. Es gibt aber komplexere Verhaltensweisen. „Biologisch“ meint auch den Bezug auf aktuelle Ergebnistendenzen der relevanten naturwissenschaftlichen Forschung, vor allem der Evolutionsbiologie.141 Insofern basiert Wilds Teleosemantik auf einem Naturalismus in der Tradition von Wilfrid Sellars und Ruth Millikan. Naturwissenschaften stellen danach das beste Erkenntnismodell der natürlichen Welt dar, da sie über stets verbesserte, methodisch reflektierte „Problemlösungskapazitäten“ verfügen.142 Sogar die Repräsentation in Sprache oder Sprachformen, zum Beispiel Französisch, Kisuaheli, Nomen, Indikative, Imperative oder Ausrufe, erlangen in der Teleosemantik ihren Inhalt durch Funktionen. Sprachformen sind vor diesem Hintergrund Verhaltensweisen wie andere auch, etwa der Aufschrei eines Tieres unter Schmerzen. Denn sie dienen sozialen, kooperativen Funktionen. Sprechern sowie Hörern hilft Sprache bei gemeinsamen Projekten und Aktivitäten.143 Ebenso wie die Funktion von Repräsentationen bei Menschen einen Grund darstellt, sprachliche Begriffe von etwas zu entwickeln, sind Repräsentationen ein Grund

141 Dabei weist Wild in Wild (2012, 8) den Vorwurf des genetischen Determinismus klar zurück. Dass evolutionäre Vererbungssysteme Funktionen ausgebildet haben, bedeutet nicht, dass die Funktionen rein genetischer Natur sind. 142 Vgl. Wild (2010, 113). 143 Vgl. Wild (2010, 121).

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für nicht-menschliche Tiere, ein sprach-analoges Verhalten zu zeigen, d. h. den Ausdruck eines nicht-sprachlichen Begriffes, wie Angst, Schmerz oder einen Wunsch, zu kommunizieren. Biologische Forschung bietet einen besonders verlässlichen Pool an Möglichkeiten, eine tierliche Repräsentation durch einen Begriff objektiv mit Inhalt zu füllen. Das Problem, dass Tiere ihr Verhalten nicht erklären können, sondern lediglich anwenden, ist nicht unlösbar. Wir Menschen können ihre zweifellos inhaltvollen Repräsentationen erklären und sie ihnen zuschreiben. Dafür müssen aber bestimmte Anwendungsbedingungen erfüllt sein. Es gilt das Problem, dass viele mentale Begriffe, wie ‚überlegen‘, ‚freuen‘, ‚hoffen‘, ‚zweifeln‘, oder ‚wünschen‘, an Unterscheidungen gebunden sind, die Menschen damit treffen: Bedeutungsunterschiede, die an typisch menschliche Verhaltensreaktionen in einer bestimmten Umweltsituation abgestimmt sind. Über Misserfolge im Beruf grämen wir uns, über den Verlust eines Menschen dagegen trauern wir. Doch es gibt viele Fälle explanatorischer Kontinuität zwischen tierlicher und menschlicher Differenzierung. Tiere können Unterscheidungen erlernen und rekombinieren, das bezeugt ihre Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an die Umwelt. Die Beobachtung in freier Wildbahn und in Laboren zeigt, dass Tiere etwa unterscheiden können zwischen unterschiedlichen Farben, Geräuschen, Tonhöhen, Materialien, Mengen, Lebewesen, dem Gesundheitszustand von Lebewesen, etc. Bei der Zuschreibung von Begriffen, über die Tiere verfügen, muss also gefragt werden, welche Unterscheidung relevant ist, um ein Verhalten bestmöglich zu erklären. Dies verringert die Bandbreite möglicher Zuschreibungen im Vergleich zu Menschen, denen dafür sprachliches Vokabular zur Verfügung steht, zwar um ein Vielfaches, das aber bleibt der einzige Unterschied. Eine weitere Grundlage der Zuschreibung betrifft die Eigenschaft von Objekte als ‚distal‘. Wir können Tieren nicht die Repräsentation einer Banane oder eines Handschuhs zuschreiben. Ihr Verhalten kann uns dagegen zeigen, dass sie die Unterscheidung zwischen essbaren und nicht essbaren Gegenständen begreifen können, die wir Bananen und Handschuhe nennen. Die Teleosemantik erklärt das damit, dass diese begriffliche Unterscheidung mit einer überlebenswichtigen Funktion einhergeht, nämlich Essbares von nicht Essbarem zu trennen. Die Begriffe ‚essbar‘ und ‚nicht essbar‘ sind als Inhalte von Repräsentationen Rohformen von Gedanken, die wir Tieren zuschreiben können. Das Argument, die Fähigkeit zu denken verlange die Fähigkeit zu sprechen, wurde unter anderem von Hans-Johann Glock zurückgewiesen.144 Auch gemäß Wilds Teleosemantik darf das Problem der Zuschreibung eines nicht-

144 Vgl. Glock (2013).

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sprachlichen Analogons von gedanklichen Repräsentationen nicht überbewertet werden, sondern liegt lediglich an unserer begrenzten Einsicht in tierliche Begriffe. Diese lässt sich aber durch die profunde Beschäftigung mit dem tierlichen Leben erweitern. Es gibt eindeutigere und schwierigere Fälle der Zuschreibung. Wenn ein Schwein als Folge eines Hornissenstiches aufschreit, kommt das dem menschlichen analogen Sprachverhalten mit zugehörigen Funktionen, z. B. ‚Aua, das tut weh!‘ oder ‚Aïe, ça fait mal!‘ oder ‚Das verursacht Schmerz‘, sehr nahe. Dürfen bei der Zuschreibung auch umgangssprachliche, alltagspsychologische Begriffe verwendet werden? Auch in der wissenschaftsaffinen Teleosemantik ist das vorgesehen, denn selbst die Naturwissenschaften müssen schließlich darauf zurückgreifen, um sich verständlich zu machen. Prinzipiell besteht also kein größeres Problem darin, einem Tier ‚furchtbare‘ Leiden zuzuschreiben als ‚erhebliche‘ Leiden. Umgangssprachliche Begriffe mögen unseriös klingen, methodisch ist ihre Zuschreibung aber nicht anders geartet als die technisch und akademisch anmutende. So bereitet, entgegen der genannten Behauptung in der Sachverständigenanhörung von 1972, entsprechend die Zuschreibung ‚erheblicher Schmerzen‘ keine größeren methodischen Probleme als die von ‚Schmerzen‘. Eine möglichst breite Auswahl zur Verfügung stehender Begriffe ist notwendig, um tierliches Verhalten möglichst angemessen – das heißt z. B. weder zynisch, metaphorisch, tackt-oder gefühllos, grotesk, untertrieben, übertrieben oder absurd – zu erklären. Alltagspsychologische Begriffe und Prinzipien sind für Wild „Bestandteil einer (revidierbaren) deskriptiven […] Theorie des Mentalen“.145

Die theoriebasierte Zuschreibung einer gedanklichen oder emotionalen Repräsentation beinhaltet notwendigerweise, dass sie fehlgehen kann. Wäre der Inhalt einer mentalen Repräsentation stets genau das, was ein Subjekt wahrnimmt, wären alle Möglichkeiten einer objektiven Klärung des Inhalts verstellt. Das ist der Unterschied zwischen einem Lebewesen und einem mechanischen Ablauf. Letzterer ist, vorausgesetzt, er funktioniert, das Resultat eines kausalen Wirkprinzips. Die Zuschreibung mentaler Repräsentationen, ob bei Menschen oder bei Tieren, ist dagegen vor Herausforderungen der Deutung gestellt. Um das Fehlgehen von Repräsentationen begrifflich zu fassen, greift Wild auf das philosophische Konzept der Intentionalität zurück. Ein Beispiel soll als knappe Einführung dienen. Die biologische Funktion des visuellen Systems von Vögeln ist es unter anderem, gefährliche Raubtiere zu identifizieren, um recht-

145 Wild (2012a, 24).

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zeitig vor ihnen zu fliehen. Die Wahrnehmung einer Vogelscheuche als ein ihnen gefährliches Lebewesen schlägt viele Vögel in die Flucht. Dies ist aber lediglich ein menschlicher Trick und schadet ihnen bei der Futtersuche. Die Repräsentation der Vogelscheuche (Objekt) als Raubtier (Aspekt) ist inkorrekt. Intentionales Bewusstsein bei Tieren Um für tierliche Intentionalität argumentieren zu können, muss gelten, dass sich der Inhalt der Repräsentation als etwas, zum Beispiel als Raubtier, objektiv begründen lässt. Dabei muss nicht vorausgesetzt werden, dass Tiere selber über die abstrakte Vorstellung einer vom denkenden oder fühlenden Subjekt unabhängigen Welt verfügen. Zwar können viele Menschen diese Vorstellung im Gegensatz zu Tieren sprachlich zum Ausdruck bringen. Das bedeutet für Wild aber nicht, dass ihr Denken prinzipiell von dem nicht-menschlicher Tiere unterschieden werden muss: Tierliches Denken kann mit „denselben theoretischen Ressourcen“ erklärt werden wie das menschliche.146 Die zentrale Grundeigenschaft menschlichen Denkens, die auch im tierlichen Denken bzw. intelligenten emotionalen Erfahrungen zum Ausdruck kommt, ist der intentionale Inhalt einer Repräsentation, die Eigenschaft von Repräsentationen, sich auf etwas zu beziehen.147 Die Zuschreibung von Schmerzen ist intuitiv einfacher als die von Wünschen oder Gedanken. Der Grund dafür ist, dass Schmerzen „auf den ersten Blick nicht von etwas handeln, sondern wesentlich empfunden werden“.148 Intentionalität sagt also etwas über die Natur geistiger Phänomene aus. Der Begriff geht in der analytischen Philosophie auf Franz Brentano zurück. Er führte ihn als Charakteristikum des Mentalen bzw. als Abgrenzung zum Physischen ein. Intentionalität ist als Beziehung die Richtung eines Gedanken auf ein Objekt. Im Wunsch wird etwas gewünscht, in der Liebe etwas geliebt. Tobias Schlicht definiert die heute gängige Fassung von intentionalen Zuständen als Repräsentationen, die durch einen psychischen Modus, etwa eine Überzeugung, einen Wunsch oder eine Wahrnehmung, und einen inhaltlichen Gehalt ausgezeichnet sind. Ein Objekt, Ereignis oder Sachverhalt wird unter einem bestimmten Aspekt vorgestellt.149 Ein intentionaler Inhalt, bei Menschen wie bei Tieren, kann informativ und motivational gefasst werden. Ein Beispiel für einen informativen Zustand ist der

146 Wild (2012b, 122). 147 Vgl. Wild (2010, 23). 148 Wild (2012a, 22). 149 Vgl. Schlicht (2008, 2ff.).

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Gedanke, für einen motivationalen der Wunsch oder das Bedürfnis. Beide wirken aber zusammen und sind nur in der Theorie trennbar: „Der Wunsch allein wäre blind, er muss informiert werden. Der Gedanke allein wäre lahm, er muss motiviert werden.“150

Möchte man nicht der für viele absurden Idee verfallen, dass alles tierliche Verhalten triebgesteuert abläuft, ähnlich wie eine programmierte Maschine, darf man die Ansprüche daran, was es heißt, wenn Gedanken oder zumindest Rohformen von Gedanken tierliches Verhalten informieren, nicht zu hoch ansetzen. Ein Beispiel für die Zuschreibung eines simplen Gedankens soll das erläutern und gleichzeitig verdeutlichen, wie relevant solche Zuschreibungen von Intelligenz auch für den Tierschutz sein können. Koalas (Phascolarctos cinereus) fressen nahezu ausschließlich Eukalyptus, eine Pflanzengattung mit über 800 Arten. Einige dieser Arten sind mehr und andere weniger bekömmlich für die Tiere, viele wirken toxisch. Nur rund 50 Arten werden von ihnen normalerweise gegessen.151 Zusätzlich können sich innerhalb der bevorzugten Arten die physikalischen Eigenschaften mit der Zeit von guter Verdaulichkeit zur Toxizität verändern. Bevor die Tiere von einem Baum fressen, rütteln und schnüffeln sie an dessen Blättern. Sie können anhand des Geruchs einzelner Arten ihre Eigenschaft als toxisch oder nicht toxisch unterscheiden.152 Die Tiere äußern Präferenzen für bestimmte Arten, die in Abhängigkeit zu ernährungstechnischen Eigenschaften stehen, möglicherweise zum Vorkommen eines einzelnen Öles oder einer Kombination verschiedener Öle.153 Da die Tiere offenbar singuläre, olfaktorische Eigenschaften einzelner Pflanzenarten mit ihren Bekömmlichkeiten kombinieren, lassen sich unterschiedliche Thesen über die Komplexität dieses mentalen Vorgangs untersuchen. Wichtig an dem Beispiel ist zunächst, dass die Tiere nicht lediglich einem Bedürfnis nachgehen, indem sie auf die Reize eines dargebrachten Futters reagieren, sondern auf dem Weg zur Befriedigung des Bedürfnisses einen reflexiven Akt, den Test der Blätter durch Schnüffeln, zwischenschalten. Die Tiere unterscheiden zwischen verschiedenen Erinnerungen an die olfaktorischen Eigenschaften unterschiedlicher

150 Wild (2012a, 30). 151 Vgl. Hanel (2009). 152 Diese kognitive Leistung einer ja/nein Klassifikation von Pflanzen als toxisch beruht auf unterschiedlichen olfaktorischen Eigenschaften der Pflanzen. Vgl. Moore und Foley (2000) 153 Vgl. Zoidis und Markowitz (1992).

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Arten von Eukalyptus. Das Schnüffeln und Rütteln deutet darauf hin, dass sie das Testverfahren gedanklich von der Nahrungsaufnahme trennen. Die biologische Funktion dieses auf Lernvorgängen basierenden Testverfahrens ist offensichtlich: Die Zurückweisung bestimmter, zunächst durch Reize anvisierter Pflanzenarten drückt einen informierenden mentalen Zustand aus, eine Rohform des Denkens. Studien zeigen, dass Koalas häufig richtig in der Auswahl liegen und die toxischen oder schwer verdaulichen Arten in der Tat meiden. Es spricht aber generell nichts dagegen, dass sich ein Tier dabei einmal irrt und zu einer ‚falschen‘, also schlechter verdaulichen Pflanze greift. Gerade dieses Irren, die Fehlrepräsentation, ist für die Teleosematik ein wichtiger Grund, dieses Verhalten von bloßen Reflexen oder Instinkten abzugrenzen und es als einen Ausdruck von Geist anzuerkennen. Der mit der Nahrungsauswahl verbundene intentionale Repräsentationsvorgang ist nicht nur informierend, sondern auch motivierend. Bestimmte Eukalyptusarten werden präferiert oder gemieden. Es gibt einen guten Grund, den Tieren einen intentionalen Zustand der Präferenz bzw. der Meidung zuzuschreiben, der sich angenehm bzw. unangenehm anfühlt. Ein mit dem menschlichen vergleichbares physiologisches System und ein vergleichbares Verhalten liefern die Voraussetzung dafür, Koalas beim Finden und Auswählen der geeigneten Pflanzen angenehme Zustände zuzuschreiben.154 Leben die Tiere in menschlicher Gefangenschaft, ist für den Tierschutz also nicht nur das Bedürfnis der Tiere relevant, ausreichend gesunde Nahrung zu erhalten. Positive Herausforderungen und Erfolgserlebnisse der Futtersuche sowie Geschmack sind Teil der zu berücksichtigenden Subjektivität von Koalas. In der menschlichen Psychologie ist die konstruktive Funktion von Herausforderungen unumstritten. Es müsste argumentiert werden, warum dies für Koalas nicht gelten sollte. Den Tieren kann ein Interesse an Lebensumständen zugeschrieben werden, welche diese Art der Nahrungsfindung und -aufnahme ermöglicht. Die Teleosemantik entmystifiziert die Subjektivität der Tiere auf pragmatische und konstruktive Weise, indem sie Anwendungsprobleme der Intentionalität auf die Frage nach dem tierlichen Geist beseitigt. Die Nutztierethologie hat den Vorstoß in die Philosophie des Geistes lange vermieden und somit auch die Intentionalität bislang nicht fruchtbar machen können. Sowohl die Teleosemantik als auch die Nutztierethologie weisen der korrekten Beschreibung und Erklärung tierlichen Verhaltens eine wichtige Rolle zu. Der Unterschied ist, dass die

154 Die genaue Ausführung dieser Analogie findet sich in Ansätzen auch in den acht Kriterien zur Beurteilung von Schmerzwahrnehmung bei Fischen in Wild (2012c, 68).

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klassische Ethologie trotz ihres Zugeständnisses, Rückschlüsse auf Leiden aus dem unnormalen Verhalten zuzulassen, doch in der Tradition des Behaviorismus steht. Das zeigt sich an solchen begrifflichen Konstruktionen wie derjenigen, dass Tiere in der Beschreibung nicht ‚spielen‘, sondern ‚Spielverhalten zeigen‘. Ohne das theoretische Fundament der Intentionalität bedeutet in der angewandten Ethologie ‚in einem mentalen Zustand zu sein‘ eigentlich, sich in einer bestimmten Weise unter bestimmten Voraussetzungen zu verhalten. Die Rolle der Naturwissenschaften Für die Urteile der teleosemantischen Tierphilosophie ist die Arbeit der Naturwissenschaften, besonders jene der Evolutionsbiologie und der Verhaltensbiologie, sehr relevant. Insofern richtet sich die Kritik am Ansatz der Reform von 1972 aus Sicht einer überzeugenden Tierphilosophie auch nicht gegen den Einfluss der Ethologie und Veterinärmedizin per se, sondern gegen die mangelnde theoretische Einbettung dieser Forschung. Aktuelle naturwissenschaftliche Erkenntnisse stellen für Wilds Teleosemantik einen von mehreren Gründen dar, Tieren Intentionalität zuzuschreiben, eben weil sich das Verhalten vieler Tiere häufig am besten unter Rekurs auf intentionale Zustände erklären lässt.155 Mit ‚der Naturwissenschaft‘ sind keine einzelnen Publikationen gemeint, sondern anerkannte Tendenzen, die sich durchsetzen konnten. Das bedeutet aber auch, dass ohne diese Ergebnisse ein wichtiger Grund für die Zuschreibung fehlen würde. Diese Abhängigkeit der Philosophie von den Naturwissenschaften ist nicht unproblematisch und sie ist sicher auch der stärkste Kritikpunkt an der Teleosemantik. Darauf zu hoffen, dass Philosophie und Naturwissenschaft im Bereich der Tierforschung zusammengehen, ist optimistisch. Dass die Nutztierethologie eine auf sie zugeschnittene Philosophie braucht, sollte deutlich geworden sein. Ihr fehlt ein profundes theoretisches Instrument, um ihre eigenen Ergebnisse bezüglich des Leids der Tiere nicht in ein zweifelhaftes Licht zu ziehen. Auf der anderen Seite ist es die Lehre aus dem von René Descartes entworfenen falschen Bild von Tieren als Maschinen, dass Philosophie biologische Einsichten braucht. Die gegenseitige Abhängigkeit birgt aber auch die Gefahren eines Zirkels: Denn die naturwissenschaftlichen Ergebnisse könnten gerade deshalb nicht

155 Laut Cords (1992) schlichten Makaken Konflikte mit ehemaligen Gegnern; laut Pepperberg (2002) antworten Graupapageien auf Fragen; Beaugrand et al. (1997) fragen, ob Hühner Rückschlüsse aus dem Verhalten anderer ziehen; laut Clayton et al. (2004) verstecken Häher ihre Futterreserven; laut Bugnyar und Heinrich (2005) differenzieren Raben zwischen dem unterschiedlichen Kenntnisstand von Nahrungskonkurrenten; laut Plotnik et al. (2006) erkennen sich Elefanten selbst.

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die nötigen Evidenzen für die Philosophie liefern, weil sie von einem methodischen, philosophischen Paradigma beherrscht sind. Für Vorreiter einer neuen naturwissenschaftlichen Tendenz, die sich gegen einen Mainstream behaupten müssen, bedeutet dies womöglich, wenig Unterstützung von Wilds Teleosemantik zu erhalten. Es sollte daher stets reflektiert werden, dass Etholginnen, die mit der Teleosemantik ihre Ergebnisse stützen wollen, in der Blütezeit des ethologischen Behaviorismus, in den 1960er Jahren, ein wichtiges Argument für die Zuschreibung intentionaler Zustände bei Tieren gefehlt hätte: eben weil der biologische Mainstream damals tierliches Verhalten weitgehend geistlos – in mehrdeutiger Hinsicht – erklärte. Aus heutiger Sicht war die mutige Kritik fortschrittlicher Forscherinnen, die diesem akademischen Mainstream entgegenwirkten, richtig und wichtig. Zusammenfassung des Abschnitts Die neuen wissenschaftlichen Grundlagen des Tierschutzgesetzes von 1972 lieferten für die Bezweiflung tierschutzrelevanter Tatbestände des Leides eine Steilvorlage. Die Unbeholfenheit von Konrad Lorenz und der Nutztierethologie bei der Zuschreibung subjektiver Zustände folgt der Entscheidung, die Forschung eng an der naturwissenschaftlichen Methodik auszurichten. Das jedoch kann nicht als ihr eigentlicher Fehler gelten. Das Problem lag in der Meidung der Philosophie. Die auf Naturwissenschaften basierende philosophische Teleosemantik bietet einen Beurteilungsrahmen, in dem das Paradigma der Unerforschbarkeit des Subjektiven zurückgewiesen werden kann. Dabei wird die phänomenale Qualität des Bewusstseins ausgeklammert und stattdessen der Inhalt von Repräsentationen in Abhängigkeit von ihrer biologischen Funktion objektiv bewertet. Solche Inhalte können auch Leiden und Schmerzen sein. Wenn Wohlbefinden lediglich das Freisein von Leid und Schmerz bedeutet, erübrigt sich die Rede davon. Das Problem ist nun, dass vielfältig formulierbare Inhalte von Repräsentationen, die mit Leiden einhergehen, unterschiedliche Folgen für die Beurteilung einer Haltung als tierschutzgerecht haben. Hier kommt man an der individuell verschiedenen phänomenalen Komponente des Bewusstseins offenbar kaum vorbei. Denn nicht das abstrakte Wissen davon, was Leiden und Schmerz sind und welche Funktionen sie haben, sondern ihre Erfahrung in einer bestimmten Situation macht sie zu etwas, das dringlich oder weniger dringlich zu beseitigen ist. Für den Staat gibt es generell zwei Arten an relevanten Fragen. Erstens: Geraten bestimmte Gruppen von Tieren (Rinder, Kälber, Schweine, Hühner etc.) in der Haltungssituation X tendenziell in einen leidvollen Zustand Y? Darauf lassen

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sich mit Wilds teleosemantischem Ansatz problemlos wissenschaftliche Antworten finden, wenn eine Verhaltensbeschreibung der Tiere vorliegt, die eine Unterscheidung zwischen einem angenehmen Umstand und einem unangenehmen Umstand begründet. Anthropomorphismus stellt kein Problem dafür dar. Zweitens: Inwiefern darf der Staat rechtlich geltend machen, was Laien beim Anblick leidender Tiere befürchten, was wissenschaftlich aber nicht oder schlicht noch nicht bewiesen ist? Diese Frage steht am Anfang des dritten Einwandes gegen den Ansatz der Reform. C) Offensichtlich mehr als ‚bloßes‘ Verhalten Unklarheiten Das zentrale Problem der Nutztierethologie ist ihre methodische Unklarheit, wie sie dem Staat bei der Eruierung von Mindeststandards im Tierschutz helfen kann. Denn ihre vorgebliche Eindeutigkeit hatte zu verantworten, dass alltagspsychologische Befürchtungen über Tierleid durch die Reform zurückgestellt wurden, ersetzt durch und vertröstet auf zukünftige Forschungsergebnisse (s. oben). Die Kritik an durch die Reform stark gemachten Konzepten der artgemäßen und verhaltensgerechten Tierhaltung wird dadurch erschwert, dass in den offiziellen Abhandlungen der Reform selbst, aber auch in entsprechenden akademischen Arbeiten nach der Reform, zwei Aspekte nur sehr oberflächlich umrissen wurden. Der erste Aspekt betrifft die genaue theoretische Verknüpfung zwischen artgemäßem Verhalten und Leiden bzw. Wohlbefinden. 1982, zehn Jahre nach der Reform, bemerkte der für die Reform als Sachverständiger gehörte Agrarwissenschaftler und Ethologe Dietrich Smid im Vorwort zu Marian Dawkins‘ Buch Leiden und Wohlbefinden bei Tieren: „Begriffe wie „Leiden“ und „Wohlbefinden“ bereiten immer wieder Schwierigkeiten hinsichtlich ihrer eindeutigen Definition und zweifelsfreien Interpretation der ihnen zugrundeliegenden Merkmale. In dieser Situation muss ein Werk, welches sich mit allen Bereichen des Leidens von Tieren […] auseinandersetzt, besonders hilfreich erscheinen. Es wird dazu beitragen, sinnvollen Tierschutz auf Grundlage […] sachlicher Diskussion zu praktizieren.“156

In besagtem Werk revidiert Dawkins die zentrale Annahme, mit der die Nutztierethologie 1972 ins Rennen geschickt wurde, Tierschutz wissenschaftlich messbar zu machen. Sie fragt, ob man allein aus der Beobachtung, dass Tiere sich un-

156 Smidt (1982).

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normal verhielten, das heißt „nicht ihr gesamtes artspezifisches Verhaltensrepertoire ausleben können“, folgen könne, dass sie leiden – und verneint dies.157 Artspezifisch sind für sie Verhaltensmuster, die für das Überleben einer Art in der Evolution, über einen sehr langen Zeitraum, wichtig waren. Für Laien vielleicht wenig erstaunlich, widerspricht sie der unbedingten Tierschutzrelevanz solch evolutionärer Merkmale für die Haltung von Tieren in menschlicher Gefangenschaft. Evolutionäre Verhaltensweisen zeigen sich zwar auch bei unseren Haustieren noch. Viele haben aber nur in der Freiheit ihre positive Funktion, etwa das Fluchtverhalten vor ihren Raubfeinden, wie dem homo sapiens. Ausgeprägtes Fluchtverhalten unter Haltungsbedingungen führt klarerweise nicht zur Leidvermeidung. Die Erkennung von Abweichungen im Verhalten gefangengehaltener und wildlebender Tierindividuen derselben Art rechtfertigt, so Dawkins – und dies ist wie gesagt wenig überrauschend – noch keine Leidzuschreibung. Wenn sich aber der Nutztierethologe Smidt zehn Jahre nach der Reform fragt, ob sich aus unnormalem, un-artspezifischen Verhalten tatsächlich auf Leid schließen lässt, ist ebenso fragwürdig, worin die Suche nach eindeutigen Feststellungen, die an die Nutztierethologie politisch herangetragen wurde, eigentlich besteht. Die zweite Unklarheit besteht in der Frage, wie stark nutztierethologische Urteile vom Gebot der Leidvermeidung abweichen dürfen, um agrarische Interessen zu berücksichtigen. Wie am Fallbeispiel oben zu sehen ist, wird diese Abwägung in nutztierethologischen Sachgutachten ja getroffen. Es ist naheliegend, dass die Ergebnisse der Gutachten davon beeinflusst werden, in welcher Art und Weise sich der Subjektivität der Tiere angenommen wird. Die folgende Kritik greift diese unklaren Aspekte auf, indem sie die Annahme zurückweist, dass das artspezifische Normalverhalten der Nutztiere eine wertneutrale, wissenschaftliche Messgröße sei, von der ausgehend sich zentrale Fragen des Agrartierschutzes am besten klären ließen.158 Insofern aber eine Politik auf dieser Annahme basiert, riskiert sie, unbewiesenes, aber doch offensichtliches Tierleid auszublenden und lenkt vom moralischen und infolge dessen auch vom politischen Kontext der Tierhaltung ab. Normalverhalten als Grundlage des staatlichen Tierschutzes Es ist unbestritten, dass Verhaltensbeschreibungen notwendig sind, um die Situation der Tiere in der Agrartierhaltung aus Tierschutzsicht besser zu beurteilen.

157 Dawkins (1982, 49). 158 Diese Annahme betrifft den wissenschaftlichen ‚Beurteilungsmaßstab‘ im Tierschutz, den die Reform rechtlich etablierte.

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Die Frage lautet aber, auf welche Weise sie dies tun. Im letzten Abschnitt wurde mit der Teleosemantik ein Ansatz präsentiert, mit dem Tieren mentale Zustände objektiv im Rahmen eines analogen Rückschlusses und unter Berücksichtigung naturwissenschaftlicher Ergebnisse zugeschrieben werden können, wenn über die Beschreibung ihres Verhaltens keine oder kaum Zweifel bestehen. Nun gibt es bei solchen Beschreibungen aber zuweilen Deutungsschwierigkeiten, die vom Kontext des beschriebenen Verhaltens abhängen. Wir kennen dies aus alltäglichen Beispielen im menschlichen Bereich. Jemand beschreibt eine andere Person auf Grundlage ihres Verhaltens als zurückhaltend. Die widerspricht, man dürfe ihr Verhalten nicht generalisieren, sie sei lediglich zurückhaltend in einem spezifischen Kontext, etwa einem Vorstellungsgespräch. Nun soll der Blick auf die Verhaltensbeschreibung im Kontext der agrarischen Haltung gerichtet werden. Eine zentrale Aufgabe, die von der Politik an die Nutztierethologie herangetragen wurde, besteht in der Beschreibung des Normalverhaltens bzw. normaler Verhaltensmerkmale von agrarischen Nutztieren in Haltungsbedingungen. Der offizielle Grund dafür, normales Verhalten als Maßstab heranzuziehen, besteht in der Annahme, dass ‚ungestörte‘, ‚natürliche‘ Lebensvorgänge als Anzeichen für Wohlbefinden erstrebenswert seien: „Auszugehen ist davon, dass das Wohlbefinden eines Tieres im Wesentlichen auf einem ungestörten, artgemäßen und verhaltensgerechten Ablauf der Lebensvorgänge basiert.“159

Überlebens- und Fortpflanzungsrate wurden zu zentralen Tierschutz-Indikatoren. Normales Verhalten wurde definiert als Verhaltensrepertoire, das Tieren das Überleben und die Fortpflanzung ermöglicht. Es wurde zwar auch die Anpassung der Tiere an ihre Umwelt berücksichtigt, doch auch sie wurde als Streben nach einem natürlichen „Gleichgewichtszustand“ des physiologischen Systems dargestellt, nicht nach dem guten Leben. 160 Es interessierten die Grenzen der Anpassungsfähigkeit, also die Überlebenswahrscheinlichkeit. Diese Vorstellung eines natürlichen Gleichgewichts prägt die akademische Definition der artgemäßen sowie der verhaltensgerechten Tierhaltung. Der in der Anhörung von Sachverständigen geladene Tierzuchtexperte Scholtyssek formulierte 1987:

159 Schultze-Petzold (1984, 375). 160 Wennrich (1978, 26).

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„artgerecht = Die für die biologische Erhaltung einer Tierart erforderlichen Eigenschaften der äußeren Lebensumstände – verhaltensgemäß = die Eigenschaft, die eine zur Erhaltung der Art erforderliche Lebensweise und Lebensform ermöglicht.“161

Und Sambraus definierte 1991: „Verhaltensgerecht ist eine Unterbringung nur dann, wenn in allen Funktionskreisen die essentiellen Verhaltensweisen des Tieres ungehindert ausgeführt werden können.“162

Für die industrielle Tierproduktion war das Augenmerk auf die Fortpflanzungsund Überlebensmöglichkeit im Tierschutz vorteilhaft, da dies gleichzeitig Kriterien für eine rentable, leistungsfähige Haltung sind. Und auch das zweite große Anliegen der Agrarwirtschaft, langfristig stabile Investitionsgrundlagen, ließ sich durch den Ansatz der Nutztierethologie befriedigen. Normales Verhalten gilt als natürliche Norm, die, wenn sie einmal wissenschaftlich entschlüsselt ist, so schnell nicht revidiert wird. 1987, kurz vor Erlassung der Verordnung, die das Halten von Legehennen in engen Käfigen legitimierte, berichtet Scholtyssek: „Die Verbesserungen der Meß- und Auswertungstechnik haben im Laufe der Zeit die wichtigsten Verhaltensmuster beim Huhn gut aufklären helfen. Vor allem sind die Resultate frei von empirischen und emotionalen Einflüssen. Die Merkmale werden behandelt wie andere quantitative Einflüsse.“163

Die Forschungsergebnisse über essentielle Verhaltensmuster bewirkten also nicht das 1972 von Tierschutzseite erhoffte Verbot der konventionellen Käfighaltung. Und es ist in der Tat kaum davon auszugehen, dass durch die Käfighaltung erzwungene Verhaltensweisen den Erhalt der Art Gallus gallus domesticus unmöglich machen. Denn viele sogenannte essentielle Verhaltensweisen wie Essen, Trinken, Ruhen und Brüten werden durch die Käfighaltung nicht unterbunden. Zur Eindeutigkeit von Verhaltensbeschreibungen Gegen Scholtysseks Aussage ist zunächst einzuwenden, dass nicht alles Verhalten quantitativ gemessen werden kann, auch wenn seine Äußerungen hier vage – ‚wie quantitative Einflüsse‘ – bleiben. Er betont, dass die Beschreibung nicht von

161 Scholtyssek (1987, 158). 162 Sambraus (1991, 87). 163 Scholtyssek (1987, 154).

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Emotionen beeinflusst werden soll. Aber kann ein normales Maß, etwa an Furcht, im Ausdruck des Verhaltens quantitativ begutachtet oder vermessen werden? Das wird suggeriert. Und diese Suggestion machte die Attraktivität der Nutztierethologie bei der Abstimmung des Gesetzes von 1972 aus. Immerhin wurde die Reform mit ‚teils revolutionären‘ wissenschaftlichen Neuerungen beworben. Das führt zur Frage, welche Arten von Verhaltensbeschreibungen eindeutig sind. Dazu folgendes Beispiel: „Nach Knapp […] sind 40kg schwere Schweine um 19,3% aktiver als 82kg schwere Tiere. Die jüngeren Schweine benötigen aber 17,6% mehr Zeit zur Futteraufnahme als ihre Vergleichspartner.“164

Derartige Aussagen sind in der Tat eindeutig innerhalb eines bestimmten Beurteilungsrahmens, nämlich dem der messbaren Verhaltensweisen. Andere eindeutige Beispiele sind Beschreibungen wie die Nahrungsaufnahme der Tiere in Kilogramm pflanzlichen Materials, ihre Laufgeschwindigkeit etc. Auch das Vermeidungsverhalten eines Tieres, dem ein bestimmter Schmerzreiz lokal zugefügt wird, lässt sich rein datenbasiert beschreiben. Solchen Aussagen kann nur widersprochen werden, wenn durch eine neue Untersuchung die Messdaten konkret angezweifelt werden. Aber es ist unschwer zu erkennen, dass sich aus solchen Daten nicht alle tierpolitischen Maßnahmen ableiten lassen. Spielen die jungen Schweine, wenn sie sich bewegen oder bewegen sie sich aus Angst vor den Menschen? Je weniger eine Verhaltensbeschreibung darüber aussagt, wie sich ein Tier fühlt, etwa, wenn es 19,3% aktiver ist als andere, desto belastbarer aber gleichzeitig unbrauchbarer für den Tierschutz wird sie. Sicherlich können solch unumstrittene Messungen im Rahmen der Forschung Wichtiges beitragen. Sie können zum Beispiel Vermutungen stützen. Doch die Anforderung der Quantifizierbarkeit an alle Verhaltensbeschreibungen ist unnötig hoch. Vielleicht können einige ‚essentielle‘ Verhaltensmuster wie Trinken und Essen quantifiziert werden, aber die Beschreibung des strapaziösen Anpassungsverhaltens, des sogenannten coping mit den Einschränkungen und Belastungen der Haltung, wird dadurch unnötig erschwert, teilweise bis zur Unmöglichkeit. Typischerweise sind daher jene Verhaltensbeschreibungen, die konkret etwas über das Leid, das Wohlbefinden und die allgemeine Situation der Tiere aussagen sollen, nicht quantitativ messbar. Scholtyssek liefert dafür selbst ein Beispiel:

164 Scheibe (1982, 172).

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„Raummäßige Einschränkungen werden von den Tieren hingenommen, wenn kein Ortswechsel notwendig ist und Aggressionen in kleineren Herden ausbleiben.“165

Sicherlich kann jemand datenbasiert definieren, was ‚hinnehmen‘ heißt. Doch der springende Punkt ist, dass sich im Hinnehmen eine bestimmte subjektive Empfindung ausdrückt. Zumindest wird eine Andeutung über einen subjektiven Zustand gemacht, die einen Rückschluss auf Wohlbefinden bereits maßgeblich vorwegnimmt, insofern den Tieren die Situation offenbar nicht widerstrebt. Deshalb lassen sich solche Formulierungen auch als Grenzfälle zwischen der bloßen Beschreibung des tierlichen Verhaltens und der Zuschreibung eines mentalen Zustandes verstehen. Weitere Beispiele solch grenzwertiger Verhaltensbeschreibungen in der Nutztierethologie, die einen Rückschluss auf Wohlbefinden bereits vorwegnehmen, sind kursiv hervorgehoben. „[…] Ferkel ruhen im Laufe des Tages etwa 16-20 Stunden, wobei die Ruhezeiten bei Saugferkeln stündlich unterbrochen werden. Bei Käfigferkeln sind die Ruheperioden länger, die Tiere benötigen bei der mutterlosen Aufzucht wesentlich weniger Freßzeiten (Marx 1973). Dadurch ruhen diese Ferkel ungestörter und vor allem intensiver.“166 „[…] [Junghennen] bevorzugen versteckt gelegene und dunkle vor offenen Nestern, bei Legebatterien die Nester in der oberen Reihe. […] Ein einmal ausgewähltes Nest benutzen alle Hennen gern wieder.“167 „Das akustische Ausdrucksverhalten […] vermittelt […] dem Tierhalter wichtige Hinweise über [das] Befinden [der Tiere, Anm. d. Verf.]. So kann er aus Lautäußerungen von Rindern entnehmen, ob diese: Noch Hunger oder Durst haben bzw. in sonstiger Hinsicht Unmutsäußerungen von sich geben, Kontaktbedürfnis mit Artgenossen haben, […] erschrocken sind oder Schmerzen empfinden. Neben dem Schmerzbrüllen und -stöhnen ist in wenigen akuten Fällen ein auffallend monotones Brummen in mehrfacher Wiederholung festzustellen, das gelegentlich auch von Zähneknirschen unterbrochen wird.“168

Es geht hier nicht darum, die Äußerungen im Detail zu kritisieren. Dass Forscherinnen solche und ähnliche Formulierungen für Tierschutzzwecke benutzen, ist

165 Scholtyssek (1987, 156). 166 Sambraus (1991, 287f.). 167 Engelmann (1984, 345). 168 Süss und Andrae (1984, 211).

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ein Argument dafür, dass die Anforderung an die Quantifizierbarkeit von Verhaltensbeschreibungen ihre Arbeit unnötig erschwert. Sie dürften dann zum Beispiel Schmerzbrüllen oder den Gesichtsausdruck der Erschrockenheit nicht mehr als unmittelbaren Ausdruck des Verhaltens berücksichtigen. Das Beispiel des Schmerzbrüllens zeigt, dass nicht nur und nicht immer aus dem Verhalten auf mentale Zustände zurückgeschlossen wird, sondern diese sich oftmals direkt offenbaren. Der sprachliche Ausdruck dieser Art von Verhaltensbeschreibungen erfordert Beachtung. Ob ein Tier beim Anblick des Beobachters etwa ‚Unbehagen‘ oder ‚schweres Leid‘ zum Ausdruck bringt, hängt nicht nur von Verhaltensdaten ab, sondern auch von der Wahrnehmung der Situation der Tiere. Diese ist subjektiv und sozial geprägt und kann sprachlich unterschiedlich gefasst werden. Daher ist es eine irreführende Suggestion, quantitativ ermittelbares Normalverhalten könne ein geeigneter Ausgangspunkt im Tierschutz sein. Zur Theorie der direkten Wahrnehmung mentaler Zustände Der Einwand eines Behavioristen gegen die direkte Wahrnehmung mentaler Zustände könnte lauten, dass jemand beim Schmerzbrüllen eigentlich nur Laute hört und diese vielleicht zu Unrecht mit Schmerzen assoziiert. Dies berührt ein altes philosophisches Problem. Es ist nun aber keineswegs so, dass aus diesem Problem folgt, man müsse sich eingestehen, beim Schmerzbrüllen eigentlich nur Lautäußerungen zu hören. Zwei unterschiedliche Zugänge zum tierlichen Geist können hier geltend gemacht werden. Als inferential attribution of mental states, also die Zuschreibung mentaler Zustände auf Grundlage des Rückschlusses, wird eine Übertragungsleistung bezeichnet, die auf Analogie und auf Gründen basiert. 169 Hier wird davon ausgegangen, dass mentale Zustände selbst nicht beobachtbar sind, sondern nur zweifelhaft auf sie zurückgeschlossen werden kann. Daneben kann man eine perceptual attribution of mental states geltend machen. Hier ist die direkte Wahrnehmung eines körperlichen oder akustischen Ausdrucks im Wesentlichen die Wahrnehmung eines mentalen Phänomens. Ein Beispiel dafür ist das Hören von Schmerzbrüllen oder das Sehen von Angst in der Mimik eines gerade gescholtenen Hundes. Beide Formen, der Rückschluss und die Wahrnehmung, stehen also prinzipiell zur Verfügung. Der Rückschluss ist im wissenschaftlichen Kontext einflussreich, die Wahrnehmung eher im alltäglichen Zusammenleben mit Tieren. Die Reform machte den wissenschaftlichen Rückschluss politisch einflussreich, die Wahrnehmung galt dagegen als unwissenschaftlich.

169 Vgl. Jamieson (1998).

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Für den Philosophen Dale Jamieson ist diese rigide Trennung zwischen Verhalten, das sich erkennen lässt, und dem tierlichen Geist, auf den sich lediglich zweifelhaft rückschließen lässt, höchst problematisch: Wenn mentale Zustände, so Jamieson, jenseits des Verhaltens „umherschwirren, können wir nie sicher sein, dass sie existieren“.170 Da uns also beide Formen des Wissenserwerbs zur Verfügung stehen, stellt sich die Frage, wie wir damit in bestimmten Situationen umgehen sollten. Dafür muss zunächst die Frage geklärt werden, was es heißt, dass ein mentales Phänomen, etwa Angst, ‚im‘ Verhalten zum Ausdruck kommt. Einen Klärungsvorschlag haben Joel Krueger und Søren Overgaard dazu gebracht. 171 Sie befassen sich dabei zwar vor allem mit dem Ausdruck menschlicher Emotionen, Absichten oder anderen kognitiven Prozessen bei Menschen. Ihr Ansatz lässt sich aber anhand der von Markus Wild oben begründeten Analogie auf agrarisch genutzte Tiere übertragen. Krueger und Overgaard verteidigen die Möglichkeit einer direkten Wahrnehmung mentaler Phänomene. Was sie aber interessiert, sind Ambiguitäten in der begrifflichen Fassung dieses Vorgangs. Denn es besteht das Risiko, dabei in einen kruden Behaviorismus zurück zu verfallen. Wenn bloß der ‚Ausdruck‘ der Angst und nicht die Angst selbst im Gesicht eines Tieres gesehen werden kann, steht man womöglich dem Credo des RückschlussAnsatzes, dass nur Verhalten, nicht aber mentale Phänomene beobachtet werden können, in nichts nach. Denn das verbindende Element vieler Arten des Behaviorismus ist es, dass „mentale oder psychische Aktivitäten letztlich durch Verhaltensbeschreibungen erklärt werden“.172 Lassen sich also körperliche Ausdrücke mit mentalen Zuständen gleichsetzen? Die Autoren plädieren für eine bestimmte Art und Weise, wie dies zu verstehen ist: Körperliche Ausdrücke können echte Bestandteile von mentalen Zuständen sein. Sie sind dann verkörperte Schmerzen, verkörperte Ängste, etc. Ein körperlicher Aspekt, wie eine Mimik, und ein mentaler Zustand, der damit assoziiert wird, stehen dann nicht bloß kausal miteinander in Beziehung, sondern gehören als ein Objekt zusammen. So wie wir einen Eisberg sehen, wenn wir eigentlich nur die aus dem Wasser ragende Spitze des Eisberges sehen, so hören wir Schmerzen, auch wenn dieses Geräusch nicht alles ist, was Schmerzen ausmacht. Wir haben die Fähigkeit, ein Objekt wahrzunehmen, auch wenn wir nur einen Bestandteil des Objektes wahrnehmen. Diese Darstellung ist radikal, weil sie sich gegen den traditionellen Dualismus stellt, nach dem geistige Prozesse

170 Jamieson (1998, 85). 171 Vgl. Krueger und Overgaard (2012). 172 Krueger und Overgaard (2012, 247).

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entweder gänzlich ‚innerlich‘ oder gänzlich ‚äußerlich‘ erkannt werden müssen. 173 Das Konzept der Verkörperung ermöglicht es, zuzugestehen, dass wir manchmal Bestandteile der Angst eines Anderen direkt sehen, sie manchmal aber auch übersehen. Die Rede von der direkten Wahrnehmung eines Schmerzes bei anderen ergibt so gesehen Sinn. Und man ist nicht zum Eingeständnis gezwungen, dabei eigentlich nur Verhalten, was immer dies sei, zu sehen. Das rückt die alltägliche Sprache und Alltagspsychologie wieder in den Fokus der rechtlich relevanten Untersuchung des Tierleides. Denn ob wir ‚Schmerz‘, ‚erheblichen Schmerz‘ oder ‚Grausamkeit‘ unmittelbar wahrnehmen, ist keine Frage eindeutiger Wissenschaft mehr, sondern eine des sozialen, sprachlichen Übereinkommens. Die sprachliche Fassung des Mentalen ist komplex, ebenso wie die Wahrnehmung, die in Sprache gefasst wird. Jamieson argumentiert, dass die direkte Wahrnehmung mentaler Zustände geschult werden kann. Denn die Skepsis darüber, ob wir Angst, Freude oder Langeweile im Ausdruck des Verhaltens erkennen, hängt auch mit dem Umstand zusammen, dass wir in der direkten Wahrnehmung mentaler Zustände weniger routiniert sind als in der Wahrnehmung von sogenannten Sachobjekten wie Dieselmotoren, Kühlschränken oder Zähnen. Obwohl viele Haustierbesitzer in der Interaktion mit Tieren mentale Zustände mitunter direkt wahrnehmen, herrscht in der Nutztierethologie und in den Debatten der Reform von 1972 die Tendenz vor, dies in Bezug auf Nutztiere als laienhaft und naiv zu problematisieren. Solche Wahrnehmungen rechtlich für Nutztiere einzubringen, wurde durch die Reform von 1972 mit dem Stempel der Unwissenschaftlichkeit versehen. Die Nutztierethologie verbirgt Wahrnehmungen daher hinter Trieben, Reflexen und Funktionskreisläufen bis zur Unkenntlichkeit. Eine Folge könnte sein, dass Laien die Auseinandersetzung mit der direkten Wahrnehmung tierlichen Leides für zwecklos halten. Das wäre fatal. Jamieson weist darauf hin, dass sie nicht nur geschult und bestärkt werden, sondern dass die Fähigkeit dazu auch verloren gehen kann. Das erinnert an Mettries Metapher der Menschmaschine für jene Menschen, die Mitleid im Angesicht eines leidenden Individuums verlieren. Die Beobachtung von lebenden Tieren ist für Jamieson eine Form des Wissens qualitativer Art. Neben dem Wissen über die Situation der Tiere ist dafür ein generelles Wissen über die Verbindung zwischen Verhalten und mentalem Zustand notwendig. Denn wie oben gezeigt wurde, kann mentale Zustände theo-

173 Krueger und Overgaard (2012, 257).

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retisch bezweifeln, wer will.174 Der moralische Umgang mit dieser Skepsis wurde in der Sachverständigenanhörung von 1971 nicht thematisiert. Auch Elisa Aaltola macht die Skepsis gegenüber der Wahrnehmung mentaler Zustände als ein Phänomen aus, welches die gesellschaftliche Mensch-TierBeziehung notwendigerweise beeinflusst und mit dem sich mehr oder weniger konstruktiv umgehen lässt. Unnötige Skepsis kann für Tiere gefährlich werden: Nämlich immer dann, wenn wir Leid oder Dimensionen des Leids ignorieren, die es beim Anblick der Tiere eigentlich zu sehen gibt. Die Risiken übertriebener Befürchtungen sind dagegen oft, und entgegen der Darstellungen im Rahmen der Reform, weitaus harmloser für Tiere. Sie führen selten zur Ausdehnung, sondern eher zur Reduktion menschlicher Gewalt gegenüber Tieren.175 Sie sind höchstens bedrohlich für die rentable Tierhaltung. Der richtige Umgang mit anfallender Skepsis betrifft also auch die Frage, ob die Tierschutzpolitik tierliche Interessen über Tiernutzungsinteressen stellt oder umgekehrt. Zwischenfazit Der Einwand gegen die Methodik der Nutztierethologie lautet, dass sie den Tiernutzungsinteressen mehr als den Interessen der Tiere dient. Denn das Risiko, einen mentalen Zustand im Ausdruck des tierlichen Verhaltens aus übergroßer Skepsis zu übersehen, wird von der Nutztierethologie ignoriert. Die Rede vom tierlichen ‚Normalverhalten‘ als Ausgangsbasis der ethologischen Untersuchung suggeriert, die Verhaltensbeschreibung sei der deskriptive, eindeutige Teil der Untersuchung. Doch sprachliche Fassungen der Wahrnehmung von Tierleid sind nicht eindeutig, sie müssen politisch verhandelt werden. Auch wenn die Beziehung zwischen Verhalten und Leid in die komplexen Gebiete der Philosophie des Geistes reicht, ist ihr politischer Gehalt doch mithilfe der Metapher Jamiesons begreifbar: Wenn mentale Zustände jenseits des Verhaltens „umherschwirren, können wir nie sicher sein, dass sie existieren“. Das ist rechtlich vor allem für Tiere ein Problem.176 Auch offensichtlich: der Gerechtigkeitssinn Wenn unklare Formulierungen wie die, Hennen würden ihre Käfige ‚hinnehmen‘, einen hohen Einfluss auf die Legitimation oder das Verbot einer Haltungsform haben, ohne quantitativ messbar und damit unumstritten zu sein, gerät die demokratische Legitimation des Verordnungsprinzips unter Druck. Ob die Tiere

174 Vgl. Jamieson (1998, 92). 175 Vgl. Aaltola (2014, 315). 176 Jamieson (1998, 85).

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etwas ‚hinnehmen‘ oder ‚erdulden‘ hängt von Alternativen ab. Welche dies sind, ist keine Frage der artgerechten Haltung, sondern eine politische Entscheidung. Die Forschung müsste daher gerade in den Blick rücken, welche besonderen Umstände ein Verhalten zu einem Normalverhalten werden lassen und ob diese Umstände angemessen sind. Dass Käfige, Stacheldraht oder Elektrozäune für normales Verhalten im Sinne einer Akzeptanz der Situation sorgen, ist keine neutrale Ausgangsposition der Tierpolitik, sondern bereits ein Auseinandersetzungspunkt dessen, worum es in der vernünftigen politischen Praxis eigentlich geht. Die entscheidungspolitische Funktion der Klärung, was eine Verhaltensbeschreibung von Tieren in Tierhaltungen alles berücksichtigen muss, hätte es verdient, sie selbst zum Gegenstand einer breiteren politischen Debatte zu machen. Dieser Umstand leitet über zum normativen Wortbestandteil ‚-gerecht‘ im Kompositum verhaltensgerecht und ‚-gemäß‘ im Kompositum artgemäß. 177 Intuitiv denkt man hier vielleicht an Naturgesetze. Für eine Tierschutzpolitik sollten jedoch eigentlich die Kriterien einer vernünftigen politischen Praxis gelten. In westlichen Demokratien ist es anerkannt, dass Gerechtigkeit zum Wesen der vernünftigen politischen Praxis viel beitragen kann. Und dies wird implizit auch von den Akteuren der Reform mit der Formulierung eines guten oder fairen Kompromisses geltend gemacht. Soll Tieren in dem vorgesehenen Entscheidungsprozess tatsächlich Gerechtigkeit zuteilwerden? Einige mögen das intuitiv auch hinter dem Begriff ‚verhaltensgerecht‘ vermuten, als eine Art natürliche Gerechtigkeit. Wie aber gezeigt wurde, geht es der Ethologie nicht um Gerechtigkeit, sondern um Normalität von Verhaltensweisen.178 Warum aber sollte es gut sein, wenn sich Tiere normal verhalten, warum sollte dies für einen gerechten Umgang mit ihnen essentiell sein? Antworten, die man in den Debatten der Reform findet, ergeben am Ende nur Zirkelschlüsse: Weil das Wohlbefinden der Tiere dadurch befördert wird. Wohlbefinden wird letztlich aber am normalen Verhalten der jeweiligen Tierart festgemacht. Heute, rund 40 Jahre nach der Reform, ist anerkannt, dass mit dem alleinigen Rekurs auf die Spezies viele individuelle Bedürfnisse der Tiere aus dem

177 Oftmals werden die Wortbestandteile in Debatten untereinander vertauscht. In der Werbung für Lebensmitteln tierlichen Ursprungs hat sich der Begriff Artgerechtheit durchgesetzt. 178 Die Begriffe artgerecht und verhaltensgerecht sind keine Ausnahmen für Fälle, in denen diese Assoziationen fehlgehen. ‚Kindergerecht‘ oder ‚familiengerecht‘ sind Beispiele, die weniger mit Gerechtigkeit zu tun haben, als es Assoziationen unter Umstände vermuten lassen.

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Blick geraten. 179 Dieses Problem trifft bedingt auch die Teleosemantik. Nicht alle angenehmen oder unangenehmen Erlebnisse agrarisch gehaltener Tiere sind mit biologischen Funktionen erklärbar, die in der Evolution der Art eine Rolle gespielt haben. Um dieses Problem zu umgehen, wird heute auch von der tiergerechten Haltung gesprochen, für die sich folgende Definition durchgesetzt hat, die den Ansatz der Reform von 1972 immer noch widerspiegelt: Im Vergleich zu einer nicht oder weniger tiergerechten Haltung erhöht die tiergerechte Haltung die Voraussetzungen dafür, dass Tieren keine Schmerzen, Leiden und Schäden zugefügt werden und ihr Wohlbefinden bestärkt wird.180 Es gibt zwei Probleme damit: Erstens ist die Erhöhung von Voraussetzungen eine sehr vage Formulierung. Eine Voraussetzung dafür, weniger zu leiden, kann auch in Situationen geschaffen werden, in denen es Tieren schlecht geht. Zweitens wird dabei die große Bedeutung der Anpassungsfähigkeit von Tieren an menschliche Gegebenheiten unterschätzt. Wie bei Menschen, die seit ihrer Geburt mit einer schweren Lebenssituation konfrontiert sind, werden Ausdrücke von Leid im Rahmen der Anpassung an diese Lage zurückgehen. Auch tierliches Leben kann duldsam sein, solange ein Überleben gesichert ist. Das heißt nicht, dass die Situation den Möglichkeiten entsprechend zufriedenstellend wäre, was beim Begriff ‚tiergerecht‘ intuitiv mitschwingt. Die Anpassungsfähigkeit bedingt, dass verallgemeinerbare Voraussetzungen für Leidminderung nicht mehr nur in der Biologie der Tiere zu finden sind. Denn die Grenzen der biologischen Anpassungsfähigkeit markieren meist erst extreme körperliche und psychische Krankheiten. Die Vermeidung von körperlichen und psychischen Krankheiten ist gut, sie ist aber bei Weitem kein ausreichendes Kriterium für ein gutes und gerechtes Zusammenleben. Wenn Tiere sich an unsere Kultur anpassen, werden sie zu Kulturwesen und treten aus der Natur heraus. Die Anpassungsmöglichkeiten der Tiere an die Kultur werden immer unterschätzt, wenn natürliche Normen überhöht werden. Bei der Rede von der tiergerechten Haltung ist diese Tradition des Begriffes kaum noch ersichtlich, weniger als noch beim Begriff ‚artgerecht‘. Nach natürlichen Formen der Agrartierhaltung zu suchen und eine ‚natürlichere‘ Tierhaltung von weniger ‚natürlichen‘ Formen der Tierhaltung abzugrenzen, ist vergleichbar mit dem Versuch, demokratischere von weniger demokratischen Diktaturen zu unterscheiden. Es handelt sich um gegensätzliche Begriffspaare, die einen Großteil ihrer Bedeutung aus dieser Gegensätzlichkeit ziehen. Die natürliche Tierhaltung ist eine contradictio in adieto und daher eignet sich das na-

179 Sundrum (2004). 180 Vgl. Knierim (2001), KTBL (2006) und Sundrum (1998).

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türliche Bedürfnis auch nicht als normgebender Inhalt in der Ermächtigung der Verordnungsregelung. Das bedeutet nicht, dass sich aus dem Verhalten der nahen Verwandten agrarisch genutzter Tiere in Forsten oder Nationalparks nichts über das Leid und das Wohlbefinden der Tiere in der Haltung lernen ließe. Doch die Interaktionen von Tieren und Menschen in einer menschlich geprägten Umwelt fallen eher unter die Sozial- als unter die Naturwissenschaften und benötigen eigene Maßstäbe. Vor allem sind sie ethischer Natur. Wenn im Tierschutz von natürlichem Verhalten als ‚harmonischer‘ Körperkreislauf die Rede ist, werden unbegründete Assoziationen zum guten Leben der Tiere aufgebaut. Dagegen hängen Tiere offensichtlich nicht per se an natürlichen Kreisläufen, sondern suchen unter verschiedenen Voraussetzungen immer ein möglichst gutes und gelungenes Leben. Tierpolitik sollte sich daher nicht daran ausrichten, wie sich Tiere normalerweise verhalten, d. h. welche notwendige Anpassungsleistung sie zeigen, sondern nach dem bestmöglichen Leben der Tiere im Verhältnis zu unserem fragen.181 Bisher wurden von philosophischer Seite noch keine Versuche unternommen, die Verbindungen der Nutztierethologie mit dem Gerechtigkeitsbegriff zu explizieren. Das hängt auch damit zusammen, dass Tiere aus einflussreichen Gerechtigkeitstheorien, wenn nicht explizit ausgeschlossen, dann zumindest implizit ausgeklammert wurden. John Rawls, der einflussreichste Gerechtigkeitsphilosoph des 20. Jahrhunderts, zeigte an der Gerechtigkeit gegenüber Tieren kein Interesse. Dennoch gibt es diverse philosophische und politologische Arbeiten, die Gerechtigkeit gegenüber Tieren thematisieren. Die Moralphilosophin Cora Diamond weist in ihrem Aufsatz Ungerechtigkeit und Tiere auf einen Aspekt hin, der sich für eine Kritik am Konzept der verhaltens- oder tiergerechten Haltung eignet. Sie macht einen Sinn für Gerechtigkeit aus, der unabhängig von bestimmten Theorien, Ideologien, philosophischen Traditionen oder Religionen bei vielen Menschen abrufbar ist. Dieser Sinn zeigt sich im zivilen Engagement für Tiere als eine „Form des Eingehens und Reagierens auf die Verwundbarkeit von Tieren“, die sich im Angesicht der „erbarmungslosen Ausübung menschlicher Macht“ zeigt.182 Es bestehen hier terminologische Verbindungen zur Mitleidsethik oder zur Ethik der Fürsorge als morali-

181 Denn dieses Streben nach einem guten und gelungenen Leben zeigen auch viele tierliche Stadtbewohner in Deutschland, wie Füchse, Mauersegler oder Wildschweine. Sie weichen auf dem Weg nach einem besseren Leben von ihren natürlichen Verhaltensmustern ab. Den normalen Umgang mit der menschlichen Kultur erlernen sie auch neu, zum Beispiel durch den Abbau von Angst gegenüber den Menschen. 182 Diamond (2012a, 152).

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sche Ansätze, mit denen sich eine Fürsorgepflicht begründen lässt. Allerdings geht es Diamond in ihrem Aufsatz nicht um die Verteidigung dieser Ansätze, sondern um den Beitrag der mitfühlenden Anteilnahme zu Fragen der Gerechtigkeit. Ihr Ansatz grenzt sich gegenüber Theorien moralischer Gerechtigkeit im deontologischen Sinn insofern ab, als Diamond daran interessiert ist, wie Menschen ohne die Anleitung einer Theorie Ungerechtigkeit in erster Instanz erkennen bzw. wahrnehmen. Viele beurteilen eine Situation als ungerecht, wenn eine stärkere Seite die schwächere Seite für ihre eigenen Interessen über die Maßen ausnutzt. Im gesellschaftlichen Miteinander sind Menschen heute die Stärkeren und Tiere die Schwächeren. Erstere nutzen die Macht über letztere aus, um ein einfacheres und angenehmeres Leben zu führen. Sie benutzen Tiere, ohne diese in bestehende Gesellschaftsverträge als politische Subjekte zu integrieren. Die Beteuerung, Tierleid wenn möglich zu lindern, sollte von dieser Ungerechtigkeit nicht ablenken. Die Berücksichtigung solcher Wahrnehmungen von Ungerechtigkeit ist weder in der Nutztierethologie oder in der Tierzuchtwissenschaft, noch in der Veterinärmedizin vorgesehen. Diamond unterscheidet das Feststellen einer solchen Ungerechtigkeit klar von der Existenz juridischer oder moralischer Rechte. Die Rede von Rechten zeichnet sich allgemein dadurch aus, dass mitfühlende Anteilnahme hier keine Rolle spielt. Recht steht den Schwächeren unabhängig von einer solchen Anteilnahme zur Verfügung.183 Für den Gerechtigkeitssinn ist Anteilnahme dennoch wichtig. Er ist für Diamond gerade durch die umfassende Wahrnehmung der Situation anderer geprägt und kann auch Mitgefühl beinhalten.184 Sie findet ihn in populären philosophischen, poetischen und literarischen Werken, unter anderem von Simone Weil, D. H. Lawrence, Lev Tolstoi und Czesław Miłosz. Er entspringt nicht zuletzt den Normen des guten oder gelungenen Lebens, das als Zielvorstellung ebenso für Menschen wie für Tiere gilt. Daraus lassen sich Lehren für die Rolle der Wissenschaft in der Tierpolitik ziehen. Der Blick auf die Störungen von Verhaltensmustern ist, ähnlich wie in der menschlichen Psychologie, sicherlich ein Aspekt, mit dem man sich dem guten Leben der Tiere nähern kann. Fehlende Störungen lassen aber nicht auf ein gutes Leben schließen. Es fehlt der Nutztierethologie eine Fundierung ihrer normativen Urteile. Der von Diamond angeführte Sinn für Ungerechtigkeit, der auch die Behandlung von Tieren einschließt, weißt auf diesen Mangel hin. Artgerechtheit bzw. Verhaltensgerechtheit blenden den kulturell geprägten Gerechtigkeitssinn gegenüber Tieren aus. Sie verhindern damit auch eine ver-

183 Diamond (2012a, 173). 184 Ebd.

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nünftige Kritik des guten Lebens von Tieren. Ein erster Ansatz für die Berücksichtigung der Gerechtigkeit gegenüber Tieren liest sich bei Diamond so: „Wir wollen eine Welt, in der wir einander mit Respekt behandeln, und wir wollen die Tiere die Lasten – die vielfältigen Lasten – tragen lassen, die damit einhergehen, dass wir so leben, wie die Menschen nach unserer Auffassung leben sollten. Wir wollen das und wir haben die Macht, es durchzusetzen. Um wahrzunehmen, dass darin eine Ungerechtigkeit liegt, braucht man die Sache nicht aus der Perspektive des Universums zu sehen.“185

D) Auch Freude sollte tierrechtlich relevant sein Nun ließe sich zugestehen, dass es zwar methodische Probleme bei der Eruierung natürlicher Bedürfnisse und normaler Verhaltensweisen gebe, aber zur Verteidigung der Reform einwenden, dass die vorgesehene Bedürfnisbefriedigung doch zumindest ein ethisch unstrittiges Fundament der Politik bzw. des Rechts sei. Auch dieser Einwand kann zurückgewiesen werden. Von Seiten der Nutztierethologie wird suggeriert, der moralische Konflikt um die Agrartierhaltung drehe sich nur um die Abwägung zwischen betriebswirtschaftlichen Anforderungen und Forderungen der Tierschützer, im Namen der Tiere artgerechte Maßnahmen in der Haltung einzuführen. Ziel dieser Maßnahmen seien „optimale Bedingungen für Tiere“ in Form von Wohlbefinden, welches „immer Ausgangs- und unbedingt zu beachtender Endpunkt jeder Planung und aller Maßnahmen“ bleiben müsse.186 Es ist wichtig zu betonen, dass §1 des deutschen Tierschutzgesetzes von 1972 nicht fordert, Tieren angenehme, mentale Zustände zu ermöglichen. Die Zuschreibung von Bedürfnissen wird entsprechend in der angewandten Ethologie negativ aufgezogen. In Fällen, wo keine Störung der Funktionskreise und kein negatives Abweichen vom normalen Verhaltensinventar bewiesen werden kann, heißt es: Die Bedürfnisse sind erfüllt. Dieses Vorgehen kann aber nicht alle ethischen Anliegen widerspiegeln, denn es lässt die tierliche Freude außer Acht, wie nun näher ausgeführt wird. Freude steht paradigmatisch für eine Vielzahl angenehmer Zustände, ebenso wie Leiden paradigmatisch für eine Vielzahl unangenehmer Zustände steht. Ein gewisses Verhältnis zwischen Leid und Freud macht jedes menschliche und wohl unbestritten auch jedes gute menschliche Leben aus. Dass der Schutz freudvoller Zustände durch die Reform ignoriert wird, ist nicht einfach zu erken-

185 Diamond (2012a, 189). 186 Comberg (1984, 5).

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nen, denn immerhin ist ja – erstmals in einem deutschen Gesetz – die Rede davon, das ‚Wohlbefinden‘ der Tiere zu schützen. Aber ist Wohlbefinden gleichzusetzen mit Freude? Oder ist es vielleicht ein dritter zentraler Bestandteil des guten Lebens, besteht ein gutes Leben also aus Leiden, Freude und Wohlbefinden? Die Reform von 1972 machte den Begriff im deutschsprachigen Tierschutz ungemein einflussreich. Heute gilt dauerhaftes Wohlbefinden – prominent im englischen animal welfare – sogar für einige Tierethikerinnen als ideales Ziel der Ethik, etwa vergleichbar dem guten Leben der Tiere.187 Dass die Akteure der Reform nicht das gute Leben für schützenswert erachteten, sondern eben das Wohlbefinden, zeigt sich an dessen definitorischen Ausrichtung am ungestörten Lebensvorgang: „Im Sinne dieses Gesetzes [ist] Wohlbefinden: der ungestörte tierartgemäße und verhaltensgerechte Ablauf der Lebensvorgänge eines Tieres […].“188

Ein durch diese Art von Wohlbefinden geprägtes tierliches Leben ist zwar ökonomisch sehr produktiv, doch hier geht es nicht um Freude. ‚Ungestört‘ soll das Leben allein von krankheitsbedingten Leiden sein. In der Ökologie ist die Störung gleichzusetzen mit der Veränderung eines normierten Systems. Die Störung des körperlichen Systems sagt etwas über Krankheit und Überlebensfähigkeit aus. Streng genommen ist ein übermäßiger Grad an Freude auch eine Form der kurzfristigen Störung des normalen ‚Ablaufs der Lebensvorgänge‘. Das zeigt sich am Lachen oder an hohem Herzschlag vor Freude. Ein bestimmtes Maß an Freude mag zum guten Leben dazugehören – aber ein hohes Maß an Freude entspricht nicht zwangsläufig einem normalen Ablauf des Lebens. Auch wenn heute Wohlbefinden anders definiert und weiter gefasst wird und die Definitionen mitunter in Richtung des guten Lebens gehen, können sie sich, was den Aspekt der Störung betrifft, von der obigen Definition nicht ganz lösen. Wohlbefinden lässt sich auch als verhindertes Leid verstehen, Freude ist definitiv mehr, nämlich eine eigene Emotion.189 Eine Antwort darauf, was Wohlbefinden vom guten Leben unterscheidet und welche Rolle hier die Freude spielt, wurde weder in der offiziellen Begründung

187 Vgl. Wolf (2012, 94). 188 Vgl. Annex B4. 189 Wenn Wohlbefinden heute im Sinne eines guten Lebens weiter gefasst wird als das Freisein von passivem Leid, unter anderem als Befriedigung von Bedürfnissen und Ermöglichung sozialer Interaktion, wird der Begriff der Freude meist ausgeklammert, zum Beispiel bei Ursula Wolf in Wolf (2012, 92f.).

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der Reform, noch in Sachverständigenanhörung oder den Bundestagslesungen gegeben. In später publizierten Arbeiten wird Wohlbefinden als Freisein von Leiden und Schmerzen definiert.190 Es gehört laut den Ausführungen im BML nicht zu den Tatbeständen, die einer normativen oder evaluativen Klärung bedürfen. Ein so verstandenes Wohlbefinden zum idealen Ziel einer Tierpolitik zu machen, führt aber zu einem Dilemma. Entweder können Tiere keine Freude erfahren. Was Menschen als Freude kennen, wäre dann für Tiere schlicht Wohlbefinden. Dann müsste sich das plausibel darlegen lassen. Intuitiv sind Freude und Wohlbefinden aber verschiedene mentale Begriffe. Freude ist anders konnotiert als Wohlbefinden. Man stellt sich eine Befindens-Skala vor, auf der Leid einen negativen Wert, Wohlbefinden einen neutralen Wert und Freude einen positiven Wert annimmt. Dann wäre unklar, warum der Zustand der Freude im staatlichen Tierschutz nicht angestrebt wird. Es gibt also zwei mögliche Annahmen für das Fehlen von Freude im rechtlichen Kontext. • •

DI. Tiere können zwar Wohlbefinden, aber keine Freude erfahren. DII. Tiere können Freude erfahren, allerdings ist dieser Umstand tierpolitisch oder rechtlich irrelevant.

Beide Annahmen lassen sich kritisch hinterfragen und halten Einwänden dagegen nicht stand. Das macht das Ideal des erfüllten Wohlbefindens als tierpolitisches Ziel der Reform zu einem fraglichen Befund, weil damit die Interessen der Tiere nicht einmal idealerweise befriedigt werden können. Die Hinterfragung der Annahme DI gelingt bereits, ohne sich auf komplexe methodische Fragen einzulassen, die im letzten Abschnitt den Rückschluss auf Leid betrafen. Wenn Tiere Leiden und Schmerzen haben, warum sollten sie keine Freude empfinden? Leid und Freud sind das klassische Gegenpaar. Ebenso wie im Fall von Leiden kann das Vorhandensein von Freude mithilfe von konkreten biologischen Funktionen gestützt werden, so etwa der Stärkung von Gruppenverbänden in Form von Zuneigung oder der Belohnung für Exploration und spielerisches Lernen, etwa bei der Futtersuche. Die Explikation solcher Funktionen ist nicht einmal zwingend für die Rückweisung von Annahme DI. Schließlich könnte es sich bei vielen Arten der Freude auch um ein funktionsloses Phänomen jenseits evolutionsbiologischer Notwendigkeit handeln. In jedem Fall müsste sich Annahme DI heute gegenüber einer Reihe einflussreicher, biologischer Literatur rechtfertigen, die da-

190 Statement Schultze-Petzold und Cramer, in BA Koblenz, Akte B116, 68628.

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für spricht, dass Tiere Freude empfinden.191 Diese Forschung war zur Zeit der Reform zwar noch wenig entwickelt. Das rechtfertigt aber nicht die Interesselosigkeit, die dem Phänomen der Freude gegenüber zum Ausdruck gebracht wurde. Denn DI widerstrebt nicht zuletzt alltäglichen Intuitionen. Hundehalter sehen wohl seit jeher in der Begeisterung ihres Hundes beim Spielen nicht die Abwesenheit von Leiden bzw. Wohlbefinden, sondern eine Form positiver Freude. Wenn die Entscheidungsfindung tatsächlich auf der Annahme basieren sollte, dass Tiere keine Freude empfinden können, hätte dies also in der Reform an prominenter Stelle aufgegriffen und verteidigt werden müssen. Keiner der Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung wendet sich aber dem Thema Freude oder vergleichbarer, dezidiert angenehmer mentaler Phänomene überhaupt zu. Nun ließe sich gemäß Annahme DII argumentieren, agrarisch genutzte Tiere seien vielleicht zur Freude fähig, es sei aber abwegig, das tierpolitisch zu berücksichtigen. Ähnlich wie Menschen nicht vom Staat erwarten und einfordern können, dass sie glücklich werden, könnten Tiere nicht erwarten, dass sich der Staat ihrer Freude annimmt. Die Ermöglichung zum Erleben von Freude gilt im menschlichen Kontext als positive oder auch Hilfspflicht. Ihr werden negative Pflichten der Schadensvermeidung gegenübergestellt. Im Sinne Kants gilt aber die verbreitete normative These, dass negative Pflichten verbindlicher sind als positive, bzw. dass die ethische Rechtfertigung positiver Pflichten sehr viel umstrittener ist. Der Idee, diese normative These auf den Fall der Agrartierhaltung zu übertragen, unterliegt aber ein Fehler, der ironischerweise viel damit zu tun hat, was in der Reform an anderer Stelle als Anthropomorphismus vermieden werden sollte. Denn anders als im Fall der Menschen ist der Ausgang des Lebens eines agrarisch gehaltenen Tieres gänzlich vom Recht bestimmt. Das wohl beste Beispiel dafür ist die rechtliche Definition einer Mindestfläche, auf dem sich ein tierliches Leben abspielt. Im Fall der Menschen schützt das liberale Recht lediglich vor Willkür und Leidzufügung und ermöglicht damit Freiheiten, unter anderem die, nach der jeweiligen Art glücklich zu werden. Die Freuden des Lebens werden nicht vom Staat geregelt, sondern dieses Feld der zivilen Gemeinschaft, Freunde, Familie und Individuen, überlassen. Das Tierrecht im Agrarbereich aber regelt zwangsweise auch die Möglichkeiten zur Freude der Tiere. Das hat den Grund, dass Zugeständnisse an die Freude der Tiere meist mit Kosten und Aufwand verbunden sind, und die wettbewerbsfähige Haltung nur in Ausnahme-

191 Vgl. Bekoff (2008), Balcombe (2009). In der englischsprachigen Fachliteratur wird sowohl von joy als auch von pleasure gesprochen. Beide Begriffe lassen sich im Deutschen jedoch mit Freude übersetzen.

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fällen über die Mindestanforderungen hinausgeht. Die rechtlichen Regelungen legen also praktisch nicht nur den Grundstein für ein wie auch immer geartetes Leben, sondern definieren es bis ins kleinste Detail. Während man Menschen und ihren Gemeinschaften aus Sicht des Rechtsstaates zumuten kann, die Erlangung von Freude selbst zu verantworten, wäre es zynisch, dies von einer familiär und sozial isolierten Henne in einer Legebatterie zu tun. Durch die massive Einschränkung ihrer Autonomie fehlt ihr die Voraussetzung dafür. Die rechtliche Ermöglichung von Freude ist daher eine angemessene, dem Tier geschuldete Forderung. Das betrifft nicht nur materielle und räumliche Aspekte, sondern auch die Auswahl der sozialen Gruppe oder den Erhalt der Familienstruktur.192 Freude lässt sich als Interesse der Tiere fassen, welches sie allem Anschein nach verteidigen würden, wenn sie könnten. Die in der Reform gehörten Sachverständigen sprachen von tierlichen Bedürfnissen, die im Tierschutz zu berücksichtigen sind, und weniger von Interessen. Es lässt sich aber jetzt die These vertreten: Wenn wir Tieren ein Interesse zuschreiben können, unter einer Reihe von Umweltvoraussetzungen diejenigen zu wählen, die ihre körperlichen Bedürfnisse befriedigen, spricht nichts dagegen, dass wir ihnen auch ein Interesse an ihrer Freude zuschreiben können. Es könnte noch argumentiert werden, dass im staatlichen Tierschutz der Schutz vor negativen Zuständen vor dem Schutz der Erlangung positiver Zustände bevorzugt werden sollte. Das würde bedeuten, dass Zustände wie Schmerzen, Durst, Hunger oder Krankheiten oder insgesamt Leiden für schützenwerter gehalten werden als Freude und andere positive Zustände.193 Zum einen ist dagegen einzuwenden, dass dies nicht bedeutet, den Schutz bzw. die Ermöglichung von Freude ganz zu vernachlässigen. Denn in vielen Fällen hängen die entsprechenden Maßnahmen eng miteinander zusammen. Der Schutz vor einem geringen Grad an Schmerz kann zum Beispiel mit einer unangemessen hohen Einschränkung tierlicher Freude einhergehen, etwa durch die Einschränkung des Auslaufes. Doch es ist in der Tat möglich, dass der Schutz vor sehr unangenehmen Belastungen ein Interesse darstellt, welches Tieren wichtiger ist als die Ermöglichung von Freude. Das anhand von konkreten Fällen zu zeigen, liegt bei

192 Vgl. de Waal (2011). 193 Die im Tierschutz bekannten sogenannten fünf Freiheiten lauten: Punkt 1: Freiheit von Hunger, Durst und Fehlernährung; Punkt 2: Freiheit vor ungeeigneter Unterbringung; Punkt 3: Freiheit von Schmerzen, Verletzungen und Krankheit; Punkt 4: Freiheit vor unnötiger Belastung; Punkt 5: Freiheit zur Ausübung normalen Verhaltens. Die Skala der Forderungen endet hier in einer nicht näher gefassten Normalität, sie führt aber nicht ins Angenehme oder Wünschenswerte.

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denen, die eine solche These vertreten. Ein Tier tut im Falle starker Schmerzen alles Mögliche dafür, sie zu lindern. Entscheidend ist aber, dass in der Tierhaltung das ganze Leben eines Tieres berücksichtigt werden muss. Ein Leben unter Vermeidung größerer Schmerzen und Leiden muss kein gutes Leben sein. Weiterhin könnte argumentiert werden, Schmerzen und Leiden seien methodisch einfacher zuzuschreiben als andere mentale Zustände, also sollten sie bevorzugt berücksichtigt werden. Wahrscheinlich sind viele Menschen und insbesondere Veterinäre routinierter bei der Zuschreibung von Schmerzen als bei der von Freude. Das mag aber gerade damit zusammenhängen, dass Veterinärmedizin auf die Erkennung und Behandlung von Krankheiten ausgerichtet ist und Freude im Tierschutz vernachlässigt wird. Ein solches Argument unterliegt also einem Zirkularitätsverdacht. Theoretisch folgt die Zuschreibung von Schmerzen dem gleichen Ansatz wie die Zuschreibung anderer mentaler Zustände, inklusive der Freude. Es muss außerdem berücksichtigt werden, dass Schmerzen eine grobe Überkategorie sind. Die Schmerzempfindungen des Stechens einer Nadel, der Verbrennung oder des Beinbruchs sind in ihrer Qualität sehr unterschiedlich. Die Zuschreibungen unterschiedlicher Arten und Grade von Schmerz sind ebenso herausfordernd wie die anderer Zustände. Im Matthäusevangelium der christlichen Bibel spricht Jesus zu einem Versuchenden, der ihn vom Fasten abbringen will: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht. Es gibt auch das Sprichwort: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Das betont, stark verkürzt, den Unterschied zwischen geistigen Bedürfnissen und natürlichen Grundbedürfnissen und suggeriert, nur kulturbegabte Menschen hätten das Anliegen, über das Grundbedürfnis, das leibliche Wohl, hinauszugehen. Immer wenn der tierliche Geist ausgeblendet wird, gilt dabei offenbar als unstrittig, dass Tiere ‚Grundbedürfnisse‘, aber keine Freude beanspruchen können. Das mag die untergeordneten Rolle von Freude im Tierschutz kulturhistorisch erklären, ist aber sicherlich keine gute Rechtfertigung dafür. Die um Wissenschaftlichkeit bemühten Akteure blendeten einen wichtigen Bestandteil der tierlichen Subjektivität ohne guten Grund aus.

S ACHLICHKEIT

ALS

AUSBLENDUNG DER S UBJEKTIVITÄT

Der Einwand, die Nutztierethologie generiere einen guten Kompromiss, indem sie die Forderungen aus Sicht der Tiere auf objektive Weise in die Entscheidungsfindung einbringe, kann auf Grundlage der hier vorgelegten Untersuchung zurückgewiesen werden. Die Ausblendung der tierlichen Subjektivität eignet

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sich nämlich nicht als Ausgangspunkt der Untersuchung tierlicher Empfindung, sondern erschwert diese unbegründet. Die bis heute rechtlich einflussreiche nutztierethologische Norm lautet: Nur wenn Verhalten die massive Schädigung von körperlichen Funktionen messbar macht, das heißt, wenn die Anpassungsfähigkeit der Tiere überschritten wird, kann es in der Entscheidungsfindung wirksam werden. Viele Formen des subjektiven Erlebens der Tiere, nicht zuletzt die Freude, bleiben damit rechtlich außer Acht. Das Erklärungspotential des Verhaltens wird ohne Grund eingeschränkt. Eine Philosophie des Geistes der Tiere hätte hier klärend einspringen können. Doch eine philosophisch fundierte Aussicht, dass es auch ein unangemessen hohes Maß an Skepsis gegenüber tierlichem Geist gibt, hätte das Projekt eines naturwissenschaftlich geprägten Tierschutzes gefährdet. Die vom Biologen Lorenz geprägte, philosophisch anspruchslose Nutztierethologie war politisch flexibel einsetzbar. Sie war genug an der naturwissenschaftlichen Methode ausgerichtet, um als klassische Wissenschaft eine Sachbearbeitung zu begründen und konnte gleichzeitig bestimmte Haltungsformen legitimieren. Es lassen sich folgende Punkte als Kritik an der 1972 etablierten Tierpolitik schlussfolgern. Ethologie generiert keine politische Stimme der Tiere Schützt die artgemäße und verhaltensgerechte Tierhaltung prioritär tierliche Interessen oder die Interessen der Tiernutzung? Das wurde zur zentralen Frage dieses Kapitels. Zunächst einmal erfüllt die ethologische Methodik in folgender Hinsicht nicht den Anspruch an eine ausgewogene Interessenpolitik: Die Strategie, politische Neutralität zu erreichen, indem die Frage der Subjektivität der Tiere ausgeblendet wird und der Fokus auf natürliche Funktionskreisläufe gerichtet wird, muss misslingen. Veterinärmedizin sowie Nutztierethologie können nicht den Anspruch erheben, Tieren eine politische Stimme zu verleihen, die ihre Forderungen im Kompromiss mit menschlichen Interessen umfassend zum Ausdruck bringt. Die Rhetorik des BML, den politischen Kompromiss an messbaren, deskriptiven Belangen der Tiere auszurichten, enttarnt sich als Ignoranz tierlicher Subjektivität. Denn politische Subjekte richten Forderungen an die Gesellschaft, auch wenn diese im Falle der Tiere, wie bei Kleinkindern, von erwachsenen Menschen repräsentiert werden müssen. Derartige Forderungen müssen begründet werden und damit sind sie das Ergebnis einer normativen Debatte. In diesem entscheidenden Punkt bleibt der 1972 institutionalisierte Tierschutz einem differentialistischen Weltbild verhaftet, das tierliche Naturgesetze (Belange) vom menschlichen Geist (vernünftige Gründe) strikt trennt.

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Risiken des Mechanomorphismus nicht unterschätzen In der Nutztierethologie geht es in erster Linie um die Erklärung des tierlichen Körpers als natürlicher Kreislauf. Wenn diese Darstellung des tierlichen Lebens mechanomorphe Züge annimmt, gilt das in der Nutztierethologie aber nicht als methodisches Problem. Verlangt wird methodisch nur, sich dem Vorwurf des Anthropomorphismus zu stellen. Der Vorwurf hinderte Wissenschaftlerinnen zwar nicht daran, über tierliche Leiden zu sprechen, er führte aber dazu, dass darüber nur in Anführungszeichen gesprochen wurde. Als zweifelsfrei galt, was sich jenseits des Mentalen als Körperbewegung und Lautäußerung zeigt. Handlungen, die mit dem Wortbestandteil -verhalten verbunden wurden, wie Spielverhalten, Fluchtverhalten oder Paarungsverhalten, versinnbildlichen aber ein zweideutiges Changieren zwischen abstrakten Bewegungen des Körpers und einer zweifelhaften Ahnung, dass offenbar ein Individuum diese Bewegung aktiv erlebt. Rückschlüsse auf Leiden basieren auf der Definition des Leidens als unnormales Verhalten. Leid, selbst das offensichtliche, muss letztlich mit Verhalten erklärt werden, so will es die rechtliche Regelung. Das aber ist Behaviorismus. Ein Leidensbegriff, der die Risiken der Versachlichung eines Tieres ignoriert, ist nicht politisch neutral, er impliziert eine Positionierung zu einem wichtigen Anliegen der tierfreundlichen Öffentlichkeit, nämlich der angemessenen Berücksichtigung tierlicher Subjektivität. Das Risiko, das durch die Reform von 1972 eingegangen wurde, liegt in der Verselbstständigung des Leidensbegriffes weg von der alltäglichen Wahrnehmung der Bevölkerung hin zu einer bloß theoretischen Größe. Ein solcher Leidensbegriff lässt Laien ratlos darüber, wie sie ihr Mitleid mit agrarisch gehaltenen Tieren verstehen sollen. Er kann die Anliegen der Tiere in öffentlichen Debatten daher nur schlecht repräsentieren. Nicht eindeutig, sondern offensichtlich Die Reform wurde offiziell damit beworben, dass es eine wissenschaftliche Neuerung gäbe, die Tierschutz eindeutiger mache. Es ist sogar von ‚exakten‘ Forschungsergebnissen die Rede. Was damit aber gemeint war, ist folgender Umstand: Es sollte eine akademische Disziplin jene Vermutungen über Tierleid prüfen, die für Kritik sorgten. Bevor Untersuchungen die Zuschreibung eines Zustandes stützen oder entkräften können, müssen aber genau solche Vermutungen zunächst formuliert werden. Dies ist sogar der anspruchsvollste methodische Schritt im ganzen Vorgehen. Eine anerkannte Formulierung gelingt nicht als Privatsprache einzelner Experten, sondern muss die Öffentlichkeit einbinden. Dafür muss es nicht nur einen öffentlichen Zugang zur Situation der Tiere geben, sondern es muss auch die direkte Wahrnehmung mentaler Phänomene als Ausdruck ihres Verhaltens methodisch angeleitet werden. Wer Vermutungen formulieren

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soll, ist seit der Reform, und auch heute noch, unklar. Für die Repräsentation tierlicher Interessen im politischen System ist dies aber von zentraler Bedeutung. Es macht beispielsweise einen Unterschied, ob Ethologinnen die Frage prüfen sollen, ob eine bestimmte Haltungsform ‚mäßige Belastungen‘ verursacht oder die Frage, ob sie ‚schwere Qualen‘ verursacht. Die gleichen Verhaltensmerkmale eines Tieres können sowohl zur Bejahung der ersten, als auch der zweiten Frage herangezogen werden. Es kommt also maßgeblich auf die Fragestellung an und die sollte sich daran ausrichten, was im Querschnitt einer Sprachgemeinschaft für offensichtlich befunden wird. Das beste politische Ergebnis der Tiere im Blick behalten Jede politische Interessenpartei geht mit der Vorstellung eines für sie bestmöglichen Ergebnisses in die Verhandlung eines Kompromisses. So lassen sich in der Verhandlung vielleicht Mindestforderungen erzielen, mit der sich die Partei zumindest zufrieden gibt. Tiere brauchen Vertreter, um diese Forderungen in die Politik einzubringen. In der Folge der Reform wurde das Wohlbefinden, in Form eines überwiegend leidfreien Lebens, zur Höchstforderung der Tiere. Dass Wohlbefinden später im rechtlichen Sinn auch als Zustand physischer und psychischer ‚Harmonie‘ des Tieres bezeichnet wird194, ist in dieser unbegründeten Form euphemistisch, denn warum sollte Leidfreiheit, ja selbst die vollkommene Befriedigung der wichtigsten Bedürfnisse, die Harmonie eines Tieres mit sich und der Umwelt bedeuten? Ist nicht ein freudvolles Leben viel harmonischer? In gewisser Hinsicht ist der Ansatz, Wohlbefinden als Ziel des Tierschutzes allein über die Vermeidung von Leid zu erreichen und Freude dabei auszuklammern, so offensichtlich problematisch, dass man sich fragen kann, warum dieser Aspekt in der Reform ohne jede Kritik akzeptiert wurde. Die Vorannahmen einer naturalistischen, behavioristischen Biologie können dies erklären. Leid wurde der Störung des Normalverhaltens gefasst. Das machte die positive, angenehme Störung des normalen Verhaltens als Zielgröße problematisch. Wenn Freude ebenso als Störung normalen Verhaltens definiert worden wäre wie Leid, hätte man erhebliche Probleme, dies anhand von messbaren Parametern, etwa anhand der Ausschüttung von Hormonen, der vermehrten Körperbewegung oder der Ausschüttung von Schweiß festzumachen. Außerdem wäre dann das artspezifische Verhalten kein erstrebenswerter Zustand mehr, weil nicht davon auszugehen ist, dass die Lebensbedingungen der lange gezüchteten Nutztiere seit jeher viel Freude ermöglichten.

194 Vgl. Lorz und Metzger (1999).

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So entstand das Risiko eines Missverständnisses: Denn viele Menschen werden zu Recht davon ausgehen, dass ein Normalverhalten auch Freude impliziert. Durch die Ausrichtung der Erforschung des Wohlbefindens an ‚Grenzen der Anpassungsfähigkeit‘ von Tieren geriet der angenehme Bestandteil des normalen Verhaltens aber – kaum mehr erkennbar für Laien – aus dem Blick. Das behindert den guten Kompromiss. Die Ausblendung der Alltagspsychologie und -sprache Nach der Reform brauchte die Exekutive über fünfzehn Jahre, um die erste Verordnung im Agrartierhaltungsbereich zu erlassen. In der Schweinehaltungsverordnung von 1988 wurde die heute EU-weit verbotene Haltung von Zuchtsauen in Kastenständen deshalb für zulässig erklärt, weil „nicht offensichtlich erkennbar“ war, dass „diese Haltungsformen zu nachhaltiger Erregung“ führten.195 Dazu konstatierte der Tierrechtsexperte Eisenhardt von Loeper: „Man muss sich fragen, wer dies feststellen soll und wie es verantwortet werden kann, durch derartige Haltungsformen hervorgerufene anhaltende Leiden der Tiere, die ‚keine nachhaltige Erregung’ erkennbar machen, zu ignorieren.“196

In diesem für einen Juristen ungewöhnlich hilflos klingenden Kommentar zeigt sich, welch hohes Risiko man eingegangen war, dem Tierschutz zur Erbringung seiner Beweislast eine junge Disziplin an die Hand zu geben, die es sich ursprünglich zum Ziel gemacht hatte, subjektives Empfinden von Tieren aus der Forschung auszublenden. Alltägliche Gewissheit über die Zufügung von Tierleid verlor jede Möglichkeit, sich politisch Gehör zu verschaffen. Eine Kritik an Entscheidungen der Verwaltungsorgane war seit der Reform als Laie nur noch möglich, wenn man sich auf die Methodik der Nutztierethologie und ihre Ergebnisse einließ. Laissez-faire der Expertise So komplex die Suche nach objektivem Tierschutz auch sein mag, es drängt sich die Kritik auf, dass in der Reform nicht alles getan wurde, um offenliegende Unklarheiten auszuräumen. Die unterbleibende Diskussion bei der Ernennung der ethologischen Methode zur wissenschaftlichen Grundlage des Tierschutzes ist Ausdruck eines Laissez-faire. Schon damals ließ sich vorhersehen, dass die ethologische Prämisse, man könne über tierliches Erleben schlussendlich kein Wis-

195 Loeper (1997, 900). 196 Ebd.

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sen erlangen, nicht nur absurd, sondern auch keine geeignete Grundlage ist, um eine rechtlich notwendige Erkenntnis über das Vorliegen von Leiden zu erhalten und damit die Forderungen aus Sicht der Tiere zu begründen.197 Offenbar wurde dieses Problem für Tiere, das gleichzeitig einen Vorteil für die industrielle Tierhaltung darstellte, billigend in Kauf genommen. Das durch Lorenz inspirierte vage Zugeständnis an die Verwendung ausgewählter Begriffe von Tierleid als ‚un(natur)wissenschaftlich, aber notwendig‘, ließ den Sachbearbeitern die Möglichkeit, die Beurteilung subjektiven Erlebens zwar abzustecken, aber dabei dennoch die Philosophie und die Alltagspsychologie der Bevölkerung zu ignorieren. Alltagspsychologische Kritik an den Urteilen der artgemäßen und verhaltensgerechten Tierhaltung wird durch zwei Faktoren erschwert: Die schwere Nachvollziehbarkeit dessen, wie aus unnormalem Verhalten auf Leiden geschlossen wird und die mangelnde Transparenz darüber, wie Leidensgrade mit ökonomischen Zwecken rechtlich abgewogen werden. Warum Tierschutzverbände die Degradierung der Alltagspsychologie zugunsten einer noch kaum entwickelten wissenschaftlichen Grundlage kritiklos akzeptierten, ist unklar. Vielleicht erhofften sie sich davon auch, die Vorwürfe zu entkräften, ihr Engagement für Tiere basiere bloß auf fragwürdigen und naiven Emotionen. Dieser Vorwurf ist das Thema des nächsten Kapitels.

197 Wie eingangs erwähnt, wird in dieser Arbeit davon Abstand genommen, den Akteuren der Reform – im Sinne einer ‚internen‘ Kritik – mangelhaftes Vorgehen als persönliches Vergehen vorzuwerfen, weil über ihr Wissen und die Alternativen, die ihnen zur Verfügung standen, zu wenig bekannt ist. Was man ihnen vorwerfen kann ist mitunter mangelnde Auseinandersetzung. Zudem lassen sich Resultate ihres Handelns ‚extern‘, unter Rekurs auf den heutigen Wissensstand, kritisieren.

Emotionale Verdrängung Hier, bei der Beratung des Tierschutzgesetzes, muss das Emotionale, das Gefühlsmäßige zurücktreten gegenüber einer klaren wissenschaftlichen Grundlage […]. MDB HUGO HAMMANS1 Die verschiedenen Analogien zwischen Emotionen und Sinneswahrnehmungen lassen vermuten, dass Emotionen Wahrnehmungen von Werten sind. CHRISTINE TAPPOLET2

Der im letzten Kapitel dargestellte Ansatz des ‚sachlichen‘ oder ‚sachverständigen‘ Tierschutzes wurde unter anderem deshalb als Ausblendung tierlicher Subjektivität beschrieben, weil die Wahrnehmung tierlicher Subjektivität vernachlässigt. Das berührt die Frage, welche Rolle menschliche Empathie und Emotion im Agrartierschutz spielen und betrifft die in der Reform stark gemachte Forderung, den Tierschutz ‚frei‘ von Emotionen zu halten. Teil I der Arbeit behandelte den politischen Kontext, in dem die Bedeutung dieser Forderung zu suchen ist, die Eckpfeiler ihres Wittgenstein‘schen Sprachspieles. Für die Kritik am Reformansatz bzw. die Untersuchung des zweiten Einwandes zu seiner Verteidigung (s. oben) wird nun die Philosophie der Emotion hinzugezogen. Der zweite Einwand besagte, dass die Ausblendung von Emotionen den angestrebten Kompromiss zwischen tierlichen und Tiernutzungsinteressen begünstigt. Das Kapitel setzt sich mit dem Einwand auseinander und kommt zum Ergebnis, dass er in wichtiger Hinsicht fehlgeht. In Anlehnung an die Persönlichkeitspsychologie

1

Hammans in Sten. Ber. 1966, 64. Sitzung, Band 62, S. 3126.

2

Tappolet (2009, 461).

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wird der 1972 etablierte politische Umgang mit Emotionen als Verdrängung bezeichnet. Bei der Verdrängung wird die Auslösung jener psychischen Phänomene verhindert oder umgangen, welche als störend gelten.3 Dafür gibt es gute und weniger gute Gründe. Die soziale Verdrängung von Emotionen, verstanden als eine politische Maßnahme, hat entsprechend zum Ziel, einen als störend beurteilten oder empfundenen emotionalen Einfluss auf ein politisches Ziel zu unterdrücken. Dieses Kapitel geht der Frage nach, ob der Umstand, dass Emotionen einem bestimmten politischen Lager als störend erscheinen, ein guter Grund sind, Emotionen im politischen Entscheidungsprozess ganz zu verdrängen. Die Formulierung dieser Fragestellung stützt sich auf empirisches Material. Im Teil I wurden zahlreiche Äußerungen zitiert, die auf den politischen Umgang mit menschlichen Emotionen Bezug nehmen. Es handelte sich zwar nicht um psychologisch fundierte, sondern eher um undifferenzierte, vage Äußerungen, die einer allgemeinen Ächtung von tierschutzrelevanten Emotionen gleichkommen. Die Äußerungen stammen in der Mehrzahl von Agrarpolitikerinnen, Wissenschaftlern sowie von Vertretern landwirtschaftlicher Verbände, wurden aber auch von Tierschutzverbänden vorgetragen oder zumindest nicht kritisiert. Allen diesen Äußerungen fehlte ein theoretischer Bezug. Sie wirken daher phrasenhaft und von rhetorischem Charakter. Daher bestünde die Möglichkeit, sie, einzeln betrachtet, als leere politische Schlagworte abzutun. Dagegen sprechen die Häufigkeit solcher Äußerungen an prominenten Stellen innerhalb der ReformDebatte sowie der Umstand, dass sie eine der wenigen philosophischtheoretischen Bezüge darstellen, die für die Begründung der Reform überhaupt herangezogen wurden. Für den spezifischen Umgang mit Emotionen, der im Rahmen der Reform angestrebt wurde, lassen sich auch historische Gründe finden. Methodisch bedeutsam ist, dass sich viele Gründe erst nach Klärung der philosophischen Frage erschließen, was Emotionen sind und wie sie politisch wirken. Dieser Frage widmet sich das Kapitel. Ebenso wie das letzte Kapitel zur tierlichen Subjektivität zeigt es, was den ‚sachlichen‘ Tierschutz ausmacht, der 1972 rechtlich etabliert wurde. Nun wird folgendermaßen vorgegangen: Zunächst wird auf Grundlage anerkannter Arbeiten ein Arbeitsverständnis dessen skizziert, was Emotionen sind. Dann werden die Äußerungen zur Rolle der Emotion differenziert betrachtet. Sie lassen drei mögliche Optionen einer Deutung zu, wie die Strategie der Verdrängung von Emotionen gerechtfertigt werden könnte. Jede Option wird einzeln auf

3

Die Frage, ob dieser Vorgang bei menschlichen Individuen bewusst oder unbewusst abläuft, spielt für den Zweck dieser Arbeit keine entscheidende Rolle.

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| 215

ihre Plausibilität hin untersucht. Es folgt eine allgemeine Kritik am vorgesehenen Umgang mit Emotion innerhalb der Agrartierpolitik.

W AS E MOTIONEN SIND Das hier gebrauchte Arbeitsverständnis dessen, was Emotionen sind, beruht zunächst auf Aaron Ben-Ze’evs einflussreichem Ansatz, angesichts der Komplexität des Themas die wichtigen Eigenschaften einer prototypischen Emotion zu beschreiben und die Möglichkeit zuzulassen, dass beobachtete Phänomene mit diesem Prototyp mehr oder weniger gut übereinstimmen.4 Insbesondere wenn die Verwendung des Begriffes in historischen und anderen nicht philosophischen Zusammenhängen analysiert werden soll, ist dieser Ansatz hilfreich: Die Akteure der Reform hatten höchstwahrscheinlich nicht das gleiche Verständnis von Emotionen, das hier auf Grundlage theoretischer Arbeiten vorgestellt wird. Von einer prototypischen Emotion auszugehen, erlaubt es, die damaligen Äußerungen kritisch zu berücksichtigen, ohne dabei ein exakt gleiches Verständnis davon, was Emotionen sind, zugrunde legen zu müssen. Zusätzlich zur prototypischen Beschreibung lassen sich Emotionen aber auch genauer definieren. Für die Kritik am Umgang mit Emotionen werden zwei wenig umstrittene Thesen zusammengefasst: Zu einen, dass Emotion mehr ist als bloßes Gefühl und um anderen, dass sie mehr ist als bloße Kognition. Es ist ein Anliegen des Abschnitts, die Komplexität der Frage, was Emotionen sind, darzulegen. Dennoch soll am Anfang ein einfaches Arbeitsverständnis stehen: Eine Emotion ist die Bezeichnung einer subjektiven Wahrnehmung, die hinreichend kognitive Bestandteile aufweist, um nicht als bloßes Gefühl (paradigmatisch der Schmerz) und hinreichend Gefühlsbestandteile aufweist, um nicht als Denken (paradigmatisch die Überzeugung) zu gelten.5 Ursache: Veränderungen einer Situation Emotionen werden normalerweise durch persönlich wahrgenommene, bedeutsame Veränderungen einer Situation verursacht. Die Veränderungen signalisieren positive oder negative Konsequenzen im Vergleich zu einer Referenzsituati-

4 5

Vgl. Ben-Ze’ev (2000) und Ben-Ze‘ev (2010). Es ist mag philosophisch umstritten sein, wie stark der Anteil von Kognition und Gefühl ist, nicht aber, dass Emotionen diese Bestandteile aufweisen. Ich danke Maike Alberzart für Vorschläge zum Umgang mit dieser Frage.

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on. Die Wahrnehmung von Veränderungen einer Situation schließt auch die Situation von anderen Individuen ein, die mit der wahrnehmenden Person in Verbindung stehen.6 Man könnte kein Mitleid empfinden, wenn es nicht im Kontrast stünde zu einer Situation, in dem das bemitleidete Individuum nicht leidet. Zum Zeitpunkt einer emotionalen Erfahrung müssen die genauen Hintergründe von wahrgenommenen Veränderungen nicht erklärbar sein. Sie lassen sich aber in der weiteren Auseinandersetzung oft kausal erklären. Die persönlich wahrgenommene Veränderung, die eine Emotion auslöst, muss aber kein faktisches Ereignis darstellen, sondern kann sich auf Erinnerungen oder Zukunftsvorstellungen beziehen, also auf „all das, was sein könnte“.7 Man kann sich vor einer Veränderung fürchten, die noch nicht eingetreten ist oder sogar vor einer, die man sich nur ungefähr vorstellen kann und die sehr unwahrscheinlich ist. Wenn das unmittelbar Wahrgenommene von einer vertrauten Referenz abweicht, geht dies meist mit einer Bewertung dieser Veränderung einher. Die Intensität der emotionalen Erfahrung wird durch den Vergleich und der damit verbundenen Vorstellung beeinflusst, „dass es auch anders hätte kommen können“.8 Kennzeichen: Intensität und Parteilichkeit Auch wenn das Objekt einer emotionalen Aufregung einem Dritten oder in der Retrospektive unwichtig erscheinen mag: Emotion ist im Erlebnis stets intensiv. Intensität im Erleben einer Emotion ist also nicht als Abweichung von einem normalen Maß zu verstehen. Im Gegenteil sind Apathie oder Emotionslosigkeit Begriffe, die auf untypische bis krankhafte Zustände hinweisen. Es ist allgemein anerkannt, dass die Bezeichnung von Jemandem als emotionslos impliziert, dass ihm etwas fehlt, was die „meisten Menschen zum Großteil ihrer Zeit beeinflusst“. 9 Doch sicherlich gibt es emotionalere und weniger emotionale Typen von Individuen und es lassen sich vielleicht auch emotionale Unterschiede zwi-

6

Ben-Ze-ev (2010, 42). Auch die Langeweile zeigt eine wahrgenommene Veränderung einer Situation an, nämlich den Umstand, dass sich ungewöhnlich wenig verändert. Allerdings geht dies nur über einen längeren Zeitraum. Insofern handelt es sich eher um eine Stimmung. Emotionale Stimmungen sind weniger situativ als Emotionen. Üblicherweise fällt es schwerer, ihnen einen Inhalt zuzuordnen, von dem sie handeln. Die Unterscheidung zwischen Emotion und emotionaler Stimmung ist aber nicht immer eindeutig und wird dieser Arbeit aus Kapazitätsgründen ausgeklammert.

7

Ben-Ze’ev (2010, 44).

8

Ebd.

9

Cowie et al. (2011).

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schen Berufs- und Gesellschaftsschichten, den Geschlechtern, Epochen oder zwischen Kulturen ausmachen. Die regelmäßige Kluft zwischen emotionaler Aufregung und anschließender Ruhe ist allerdings ein Kriterium für ein typisch menschliches und im Rahmen der Psychiatrie auch für ein gesundes Leben. Die Intensität der Erfahrung verringert sich mit dem Grad persönlicher Betroffenheit. Das Wissen um den Tod eines fremden Menschen führt meistens nicht zu einer gleich intensiven Trauer wie der eines direkten Freundes oder Verwandten. Dies leitet zum Kennzeichen der Parteilichkeit über. Emotionen sind meist parteilich in folgendem Sinne: Sie rücken eine bestimmtes Anliegen in den Blick und drücken eine persönliche Perspektive aus.10 Dies beschränkt aber nicht die Bandbreite möglicher Anliegen. Emotional kann man auf eigene berufliche Erfolge, die eines Fußballvereins oder den Missbrauch der Rechte von Fremden reagieren. Auch abstrakte Dinge wie die Zerstörung eines Denkmals oder das Überleben einer Tierspezies können starke persönliche Anliegen sein und mit Emotionen einhergehen. Bestandteile: Evaluation und Motivation Emotionen bewirken typischerweise die Bewertung eines Umstandes, zum Beispiel als gut oder schlecht. Diese triviale Einsicht ist nicht zu verwechseln mit der anspruchsvollen und kontroversen These, dass die korrekte Beurteilung von etwas als wertvoll gleichbedeutend mit der Beurteilung einer dies zum Ausdruck bringenden Emotion als angemessen ist. 11 Um zu verdeutlichen, was hier mit Bewertung gemeint ist, soll eine Negativfassung helfen: Emotional sein heißt, persönlich nicht indifferent über etwas zu sein. Es geht also nicht um jene Beurteilungsformen wie Auswertung, Problemlösung, abwägendes Kalkül, Kalkulation einer Wahrscheinlichkeit oder Empfehlung, die jeweils auch unter persönlicher Indifferenz stattfinden können. Wenn Emotionen eine Wertung beinhalten, dann ist diejenige, die die Emotion empfindet, persönlich von der Wichtigkeit oder Bedeutung dessen für sich überzeugt, der Wert also ein Ausdruck eines Zustandes persönlicher Involvierung. Das schließt die Involvierung am Schicksal anderer ein.12 Um ein Beispiel zu geben: Die emotional verankerte Hoffnung ohne eine Wertkomponente wäre Wahrscheinlichkeit, und sie hat nichts mit Emotionen zu tun. Die Rede vom Wert und Bewertung ist hier auch nicht zu verwechseln mit Theorien zum moralischen oder ethischen Wert. Eine Emotion kann ei-

10 Ben-Ze’ev (2010, 45). 11 Vgl. Tappolet (2009). 12 Vgl. Ben-Ze’ev (2010, 48).

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ne Handlung als angenehm bewerten, aber dennoch moralisch fragwürdig sein, das beste Beispiel ist die Schadenfreude. Eng verbunden damit ist der Umstand, dass Emotionen motivierend wirken, insofern eine emotionale Bewertung auch typischerweise etwas darüber sagt, wie Dinge sein sollten. Besonders deutlich wird dies bei der Vorfreude auf einen Zustand. Sie veranlasst normalerweise dazu, in unterschiedlichen Weisen auf einen gewünschten Zustand hinzuwirken. Die Formulierung des genauen Verhältnisses zwischen Emotionen und Motivation ist ein traditionelles Thema der Ethik und der Moralpsychologie. Dass Emotionen oft mit Motivationen einhergehen, bedeutet nicht, dass sie zu erwünschten oder als vernünftig erachteten Handlungen führen müssen. Neugierde etwa kann Menschen dazu führen, Dinge zu tun, auch wenn dies zu tun gegen die von ihnen selbst als vernünftig erachteten Argumente spricht. Die emotionale Bereitschaft, bestimmte Umstände aufrecht zu erhalten oder zu beeinflussen, führt nicht immer zu entsprechenden Handlungen. Oftmals sind die dafür notwendigen überzeugenden Lösungsansätze oder Wünsche nicht oder noch nicht zur Hand. Es ist allerdings wenig umstritten, dass Emotionen sich oft in Wünschen und Handlungen, die zur Erfüllung dieser Wünsche beitragen, manifestieren.13 Emotion ist mehr als subjektives Gefühl In der Philosophie behaupteten sich Ansätze, die davon ausgehen, dass Emotionen vom Begriff des Gefühls14 differenziert werden müssen. Dabei wird das Gefühl als etwas verstanden, dessen Realität sich darin erschöpft, dass es sich irgendwie anfühlt. Ein Mückenstich fühlt sich irgendwie an und Neid und Freude fühlen sich irgendwie an. Die letzteren beiden zählen zu den emotionalen Gefühlen, kurz Emotionen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht adäquat beschreibbar wären, wenn man sie auf das Gefühl reduzieren würde, d. h. wenn man ihre kognitiven oder intentionalen Bestandteile nicht berücksichtigen würde. Emotionen handeln von etwas, nämlich in der philosophischen Fachsprache von einem intentionalen Objekt in der Welt.15 Sie repräsentieren etwas in einer gewissen Weise als seiend und diese Weise kann auch eine Wertung sein. Wie intentionales Objekt und Wertung zusammenhängen, ist abhängig von der jeweiligen Theorie. Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Wenn eine Person einen Leoparden in dessen Eigenschaft als gefährlich wahrnimmt, fallen Objekt

13 Vgl. Wollheim (2001, 107) und De Sousa (2013). 14 Die Begriffe Gefühl und Empfindung werden in dieser Arbeit synonym verwendet. 15 Vgl. De Sousa (2013) und Deonna und Teroni (2012).

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und Evaluation zusammen, sie bilden eine Einheit. Andere Theorien gehen davon aus, dass der Leopard das intentionale Objekt ist. In der Angst vor der Gefahr ist die Bewertung vom Objekt getrennt. Wäre Emotion reine Erlebnisqualität, gäbe es nichts, woran man ihre korrekte Zuschreibung festmachen könnte. Um die Abgrenzung zur reinen Erlebnisqualität zu verdeutlichen, werden Emotionen auch als Dispositionen definiert.16 Das ist umstritten, weil der unmittelbare Charakter des Gefühlten damit nur schwer einzufangen ist. Unbestritten ist allerdings, dass die praktische Anwendung emotionaler Begriffe nicht eindeutig ist, denn sie können situativ oder dispositional verstanden werden. Wenn ich sage, dass ich wütend auf meinen Chef bin, kann damit ein bestimmtes, sich unmittelbar ereignendes Gefühl gemeint sein oder der Umstand, in regelmäßigen Abständen Wut gegenüber dem Chef zu verspüren. Peter Goldie argumentiert, dass der Zustand einer Emotion nicht nur Gedanken und Gefühle der Gegenwart und der Vergangenheit involvieren kann, sondern auch „Dispositionen, weitere emotionale Episoden zu erfahren, aus einer Emotion heraus zu handeln und diese Emotion auszudrücken“.17 So kann sich ein gewöhnliches Lampenfieber vor einer Prüfung durch unangenehme Erlebnisse zu einer emotionalen Disposition der Prüfungsangst entwickeln. Emotion ist mehr als Kognition Wenn Emotionen von etwas handeln, lässt sich ihr kognitiver Anteil betonen. So wurden sie von einigen Philosophinnen auch mit Urteilen gleichgesetzt.18 Solche Ansätze werden auch als ‚Kognitivismus‘ bezeichnet. Sie führten zu einem verstärkten Interesse der Philosophie an Emotionen. Gegen den Kognitivismus wurden verschiedene wichtige Einwände geltend gemacht. Generell riskiert die Gleichsetzung von Emotionen mit Urteilen, die Gefühlskomponente der Emotion zu vernachlässigen. Es wird dadurch nicht hinreichend der Umstand berücksichtigt, dass Emotionen kognitiv nicht vollständig durchdringbar sind. Sie können vor allem mit Überzeugungen oder Urteilen in Konflikt geraten: Auch wenn ich überzeugt bin, dass eine Schlange ungefährlich ist, kann ihr plötzlicher Anblick mich erschrecken. Goldie spricht sich insofern gegen eine übermäßige „Intellektualisierung“ der Emotion aus.19 Setzt man voraus, dass Emotionen mehr als Ge-

16 Vgl. Wollheim (2001). 17 Goldie (2002, 144). 18 Vgl. Döring (2009a) und De Sousa (2013). 19 Vgl. Goldie (2002, 39-46).

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fühl, aber auch nicht rein kognitiv sind, ergibt sich eine zentrale Frage für moderne Emotionstheorien: „Wie können Gefühle (als Erlebnisse einer bestimmten Qualität und Intensität) in der richtigen Weise in Emotionen […] integriert werden?“20

Eine Möglichkeit, diese Integration zu fassen, liefert die aktuelle Debatte der Philosophie der Verkörperung. Verkörperte Emotionen sind sowohl extern als Inhalt wahrnehmbar, etwa im – interpretierbaren – Ausdruck der Angst einer Person. Gleichzeitig existiert ein Bestandteil dieser Angst aber auch als Gefühl im Inneren der Person. Goldie schlägt vor, dass auch Gefühlen innerhalb der Emotion eine Form von Intentionalität zukommen muss. Das hat Folgen für das Verständnis, das man von Emotionen erhalten kann. Sie lassen sich als nachvollziehbar (intelligible) oder angemessen (appropriate) erklären, aber nicht notwendigerweise als vernünftig oder unvernünftig. Die Nachvollziehbarkeit hängt von Prototypen einer Emotion ab. Wenn jemand sagt, er sei stolz auf die Leistungen eines anderen, ist dies zunächst nicht nachvollziehbar, denn man ist typischerweise stolz auf die eigenen Leistungen. Die Angemessenheit der Emotion hängt auch von sozialen oder kulturellen Unterschieden ab. So kann es in Frankreich oder Japan für mehr oder weniger angemessen befunden werden, sich für ein Zuspätkommen zu schämen. Die intentionale Emotion ist in den Worten Goldies eine spezifische Form des feeling towards oder ein Denken an etwas mit Gefühl (thinking of with feeling). Christine Tappolet führt die Auseinandersetzung mit dieser Verbindung zwischen Gefühl und Kognition zur Vermutung, dass Emotionen Wahrnehmungen von Werten sind.21 Folgt man der philosophisch verbreiteten Verbindung zwischen Intentionalität und Gefühl, wird deutlich, dass ein Verständnis von dem, was Emotionen für uns im Alltag sind, einer Spannung ausgesetzt ist. Ihre Gefühlskomponente ist eine situationsgebundene Wahrnehmung und als solches nur schwer begreif- und abstrahierbar, wohingegen der kognitive Gehalt dieses Gefühls meist recht problemlos abstrahiert werden kann. Beide müssen aber zusammen gedacht werden. Die Ausblendung der Gefühlskomponente und die Konzentration auf den kognitiven Gehalt ist eine naheliegende, aber fehlgehende Strategie der Klärung. Wenn wir dem nur Urteil folgen, die Flugangst sei unvernünftig, und versuchen

20 Döring (2009a, 36). 21 Vgl. Goldie (2002, 19) und Tappolet (2009, 461).

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sie damit spontan – und meist erfolglos – zu unterdrücken, tritt das Problem der Strategie zutage. Gerade die schwer greifbaren Gefühlsanteile der Emotion sind mit der motivierenden Kraft, die Emotionen unzweifelhaft zukommt, eng verbunden. Auch im menschlichen Kontext gilt der bereits im letzten Kapitel im Hinblick auf den Geist der Tiere zitierte Hinweis: „Der Gedanke allein wäre lahm, er muss motiviert werden. 22

Motivation ist der Tendenz nach körperlich. Emotionstheorien helfen beim Aufbau eines Verständnisses, wie moralische Motivationen, etwa im Streben, in der Abscheu, in der Utopie, in der Liebe, in der Feindschaft, in der Hoffnung oder im Respekt durch angemessene Emotionen ausgedrückt oder konstituiert werden. Sie können erklären, warum wir bei Kindern in der moralischen Erziehung bestimmte emotionale Reaktionen fördern und ihnen nicht nur Regeln in Form von Gedanken mitgeben. Offenbar gehen wir davon aus, dass sie diese emotionalen Reaktionen irgendwann verstehen und davon überzeugt sind. Die Beurteilung einer emotionalen Reaktion basiert auf Werten oder normativen Grundsätzen. Aber nehmen wir Werte auch emotional wahr? Die Grundlage, dass Emotion mehr ist als bloße Kognition, erlaubt es, solche Fragen zu stellen und im Rahmen von Emotionstheorien ein besseres Verständnis alltäglicher oder politischer Sprech- und Verhaltensweisen zu erlangen.23 Welcher Umgang mit Emotionen wurde angestrebt? Der Einwand, die Abkehr von Emotionen ermögliche einen guten politischen Kompromiss, geht auf Äußerungen zurück, die im Rahmen der Reform getroffen wurden. Wie in Teil I dieser Arbeit deutlich wurde, unterscheiden sich die Äußerungen zwar im exakten Wortlaut voneinander, allerdings teilen sie einen gemeinsamen Inhalt. Dafür, ihnen einen gemeinsamen Inhalt zuzuschreiben, spricht nicht zuletzt der Umstand, dass sie ansonsten wahrscheinlich zu stärkeren inhaltlichen Auseinandersetzungen geführt hätten. In der Essenz soll Beurteilung staatlicher Tierschutzmaßnahmen nicht mehr emotional, sondern stattdessen un-

22 Wild (2012a, 30). 23 Ich danke Rebekka Hufendiek und Stephan Schmid für wichtige Erläuterungen und Anregungen zur Theorie der Emotionen.

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ter Rekurs auf sachliche und wissenschaftliche Kenntnisse erfolgen.24 Zunächst impliziert das, Emotionen hätten bisher einen hohen Einfluss auf Rechtsprechung und Politik ausgeübt. Dies deckt sich mit der in Teil I problematisierten Darstellung, nach der noch im 19. Jahrhundert ein anthropozentrischer Tierschutz vorherrschte, in dem es primär um den Schutz der Empfindungen der Menschen ging und erst mit weiterer gesellschaftlicher Entwicklung das Interesse am Schutz des ‚Tieres an sich‘ wuchs. Oben wurde gezeigt, dass diese Darstellung, Teil einer propagandistischen Inszenierung des Gesetzes von 1933, sowohl philosophisch-theoretisch wie historisch schlecht fundiert ist. Bei der Forderung, Emotionen nicht in die Entscheidungsfindung einfließen zu lassen, tun sich insbesondere zwei Fragen auf: An welchen Stellen innerhalb der Entscheidungsfindung sollen Emotionen herausgehalten werden und warum sollte ihre Verdrängung gut sein? Die offizielle Begründung des finalen rechtlichen Entwurfes klärt diese Fragen nicht. Sie stellt lediglich fest, dass der ethische Tierschutz als Grundkonzeption des Tierschutzrechtes es vorsehe, die „Empfindungen des Menschen“ und „gefühlsbetonte“ Beurteilungsmaßstäbe durch „wissenschaftliche Feststellungen, Normen und Erfordernisse“ zu ersetzen.25 Bevor weiter auf diese Fragen eingegangen wird, gilt es, terminologische Unklarheiten auszuräumen. Die Begriffe ‚Gefühl‘, ‚Empfindung‘ und ‚Emotion‘ werden innerhalb der Reform synonym verwendet. Dafür spricht die sehr oberflächliche, phrasenhafte Verwendung der Begriffe. Wie gezeigt wurde, wird aber in der jüngeren Philosophie zwischen Emotionen und Gefühlen entscheidend differenziert. Diese Unterscheidung wird in der folgenden Untersuchung beibehalten. Den Äußerungen wird unterstellt, dass sie sich auf den politischen Umgang mit Emotionen beziehen. Auch dem ‚gefühlsbetonten‘ Tierschutz wird ein Mindestmaß an Kognition zugesprochen. So wird etwa von „gefühlsbetonten Argumenten“ gesprochen. 26 Weil kognitive Inhalte mit Gefühlen verbunden sind, geht es in den Äußerungen also um Emotionen.

24 Es kann verständlicherweise nicht ausgeschlossen werden, dass im weiteren Rahmen des Reformprozesses nicht auch Aussagen zur Rolle von Emotionen getroffen wurden, die diese Kernaussage nicht zumindest ansatzweise widerspiegelt. Es geht mir hier besonders um die Aussagen in den Bundestagsdebatten, offiziellen Positionspapieren sowie der offiziellen Rechtfertigung des finalen Entwurfes im Blick, die meiner Meinung nach diese Kernaussage verbindet. 25 BTDS VI/2559, S. 9. 26 Spillecke, Sten. Ber. 1971, 137. Sitzung, Band 77, S. 8002.

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Die in der Reform genannten Antipoden zum emotionalen Tierschutz sind terminologisch vielfältig und schwer auf einen Nenner zu bringen. Hier findet man Begriffe wie ‚sachlich‘, ‚sachgemäß‘, ‚sachverständig‘, ‚Wissenschaftlichkeit‘, ‚Exaktheit‘, ‚Feststellung‘, ‚Normen‘, ‚Ruhe‘, ‚Erfordernis‘, ‚Beweis‘, ‚Nüchternheit‘, ‚Ergebnis‘, ‚Zwang der Realität‘ und nicht zuletzt der ‚gute Kompromiss‘. Die Idee scheint darin zu bestehen, dass die Ächtung, Verdrängung oder die Verminderung des Emotionalen diese Aspekte befördert oder zur Geltung kommen lässt. Es wird auch vor schädlichen Folgen der Berücksichtigung des Emotionalen gewarnt, insbesondere vor gesundheitlichen Risiken der Tiere, die mit fehlerhaften Zuschreibungen mentaler Zustände einhergehen. An diesen Stellen wird das Emotionale mit dem Anthropomorphismus und Anthropozentrismus in Verbindung gebracht. Konstruktive Einflüsse von Emotionen werden nicht genannt. Es lassen sich drei Varianten unterscheiden, wie sich die Forderung begründen ließe, Emotionen aus der Entscheidungsfindung herauszuhalten. Sie ergeben sich aus dem Kontext, indem die Äußerungen zur Emotion fielen. Begründungsvariante A) lautet, die beteiligten Akteure und Interessenlager sollten in den relevanten Debatten über tierschutzpolitische Entscheidungen weniger emotional sein, weil dies die Sachlage verzerre. Bezeichnend für diese Variante ist die Kritik an emotional ‚gefärbten‘ Argumenten, die in der Sachverständigenanhörung fiel. ‚Emotionale Färbung‘ drückt die Idee aus, ein gleicher Umstand könne sowohl emotional als auch sachlich ausgedrückt werden. So kann man z.B. ein Ausrufezeichen oder einen Punkt hinter dieselbe Aussage setzen. Die emotionale Färbung einer Darstellung wäre dann als eine Art Stilmittel schlicht überflüssig oder sogar geeignet, einen Inhalt falsch widerzugeben. Die zweite Variante B) betont den Gegensatz zwischen Emotion und Wissenschaft. Eine plakative Formel für diese Begründung wäre: Tierschutz ist eine Wissenschaft und Wissenschaft kommt ohne Emotionen aus. Biologen, Veterinäre und Verhaltensforscherinnen sollten bei ihrer Arbeit ihre eigenen Emotionen unterdrücken oder zumindest nicht berücksichtigen. Die Methodik der artgemäßen Tierhaltung verhindert, dass die Forscherinnen bei der Zuschreibung von Tierleid ihr Mitleid berücksichtigen. Offiziell nannte man den Ansatz der Reform von 1972 ‚ethischer‘ Tierschutz. Eine dritte Begründung C) für die Verdrängung der Emotion lautet, jene Ethik, die im staatlichen Tierschutz Anwendung findet, solle nicht auf Emotionen rekurrieren. Nun sollen diese drei möglichen Begründungen einzeln kritisch analysiert werden.

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A) Sollten Tierschutzdebatten weniger emotional sein? Emotionale Ausdrücke Emotional zu sein kann bedeuten, Emotionen unmittelbar zum Ausdruck zu bringen. Im letzten Kapitel wurde im Hinblick auf agrarisch gehaltene Tiere eine grobe Fassung davon vorgestellt, wie man die Aussage verstehen kann, dass mentale Phänomene ‚im‘ Verhalten, etwa in der Haltung, in der Bewegung oder im Gesichtsausdruck zum Ausdruck kommen. Dies gilt grundsätzlich auch für menschliche Emotionen. Es ergibt guten Sinn zu sagen: Wir nehmen menschliche Emotionen direkt wahr: wenn wir nämlich ihre verkörperten Bestandteile sehen. Geläufige Beispiele dafür sind das freudige Lächeln oder ein Freudensprung oder das Weinen vor Trauer. Der Übergang vom körperlichen Verhalten zum sprachlichen Verhalten ist dabei fließend. Ein Lachen kann unmittelbar sprachlich unterstrichen werden, häufig mittels deiktischer Partikel, etwa: Das ist so lustig!

Menschen haben die Fähigkeit, emotionale Ausdrücke bewusst vorzutäuschen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Ein genuiner Ausdruck einer Emotion ist dagegen an einen bestimmten Grad von Passivität der körperlichen Reaktion gebunden. 27 Aber auch die Passivität von Ausdrücken kann durch mittel- oder langfristige Prägung bzw. Erziehung und kurzfristige erzwungene Unterdrückung kontrolliert werden. Es lassen sich Strategien überlegen, wie der passive Ausdruck von Emotionen unter die eigene Kontrolle gebracht werden kann, zum Beispiel durch Ablenkung oder durch ein besseres Verständnis des Sachverhaltes, der die Emotion verursachte. Ob sprachliche Äußerungen als emotionale Ausdrücke verstanden werden, kann semantisch nur unbefriedigend geklärt werden. Zunächst muss unterschieden werden zwischen solchen Äußerungen, die ein unmittelbares Erlebnis aufrichtig zum Ausdruck bringen sollen, wie bei Ich habe Angst!

und solchen, die dies in der Retrospektive oder in Zukunft tun, wie bei

27 Vgl. Goldie (2002, 125).

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Ich war so wütend!

oder Es wird großartig!

Beide können nach dem hier verfolgten Ansatz Formen von emotionalen Ausdrücken darstellen. Retrospektive und zukunftsgerichtete Ausdrücke müssen dafür lediglich mit einer Nach- bzw. Vorempfindung des Erlebnisses einhergehen. Die meisten emotionalen Ausdrücke beziehen sich aber nicht explizit auf eine Emotion, lassen sich aber nur unter implizitem Rekurs auf eine Emotion verstehen. Beispiele dafür sind: ‚Das ist widerlich‘ als Hinweis auf Ekel oder ‚das war verletzend‘ als Hinweis auf eine empfundene Beleidigung. Die korrekte Identifizierung der jeweiligen Emotion, die einer gefühlten Episode unterliegt, kann misslingen oder es kann sogar sein, dass einer gefühlten Episode gar keine Emotion unterlag. Zu viel Kaffee kann jemandem fälschlicherweise den Eindruck vermitteln, er leide unter starker Nervosität vor einem nahenden Ereignis. Was hier durch die Rede von emotionalen sprachlichen Ausdrücken eingefangen werden soll, ist der Umstand, dass auch Sprache, ebenso wie bestimmte Verhaltensweisen, eine emotionale Episode begleiten und zum Ausdruck bringen können. In vielen Fällen ist dieser Umstand unproblematisch. Ein Ausspruch wie ‚ich freue mich unglaublich, dich zu sehen‘ kann sinngemäß eine innige Umarmung ersetzen, in beiden Fällen kann Freude gleichermaßen zum Ausdruck kommen. Für die Frage, was es heißt, den Ausdruck einer Emotion im sprachlichen oder körperlichen Verhalten direkt wahrzunehmen, sei auf den Vorschlag von Joel Krueger und Søren Overgaard verwiesen, der bereits für die direkte Wahrnehmung von tierlichen mentalen Zuständen im letzten Kapitel eingeführt wurde. 28 Äußerungen einer Emotion direkt wahrzunehmen muss – abgesehen von wenigen Instinkten – erlernt werden und es gelingt längst nicht immer. Weiter dürfen sprachliche Ausdrücke der eigenen Emotion nicht mit der objektiven Zuschreibung der eigenen Emotion verwechselt werden. Die korrekte Zuschreibung der mit einer Episode verbundenen Emotion ist nicht nur theoretisch, sondern auch im Alltag sehr anspruchsvoll. Eine Emotion aus der Perspektive der ersten Person zu beurteilen oder wahrzunehmen ist nicht klarerweise einfacher als die Beurteilung oder Wahrnehmung des Ausdrucks einer Emotion im Verhalten anderer.

28 Vgl. Krueger und Overgaard (2012).

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Ein neueres Phänomen des schriftlichen Ausdrucks ist die plakative Verschriftlichung von Emotionen im online-chat durch sogenannte Emoticons (☺, etc.). Als schriftliche Ausdrücke können auch Ausbuchstabierungen von körperlichen Regungen wie ‚hahaha‘ und ‚seufzt‘ gelten oder klassischerweise das Ausrufezeichen. Es soll hier keine kategorische Trennlinie zwischen emotionalen Äußerungen und körperlichen Äußerungen wie Zittern vor Angst oder Bluthochdruck vor Wut gezogen werden. Allerdings ist unklar, inwiefern letztere noch beeinflussbar sind. Protoptypische emotionale Ausdrücke sind hinreichend passiv und spontan, aber nicht außerhalb unserer Kontrollmöglichkeiten. Emotionale Ausdrücke vermeiden? Der ersten Deutungsvariante gemäß sollen emotionale Ausdrücke im politischen Entscheidungsprozess unterbunden werden. Man kennt diese Forderung aus vielen alltäglichen Kontexten, besonders bei der Schlichtung eines Streites um divergierende Interessen. Die Aufforderung zu einem sachlichen ‚Ton‘, der nicht beleidigt oder polemisiert, ist typisch für Diskussionen im öffentlichen Bereich oder in Leserdebatten von online-Zeitschriften. Hier unterscheiden sich Tierschutzdebatten sicher nicht von anderen Themen. Abgesehen von möglichen Beleidigungen ist die Vermeidung von parteilichen, emotionalen Sichtweisen auch in einem inhaltlichen Sinn wichtig. Bei der Streitschlichtung muss eine Schlichtperson klären, was im Verlauf eines Streites objektiv vorgefallen ist, um Missverständnisse auszuschließen und den Sachstand zu identifizieren. Dafür trennt sie zunächst die persönlichen Urteile der Streitenden von den Tatsachen. Von der Äußerung Das ist Quälerei, ich fasse es nicht!

wäre dann für die Schlichtperson nur die Aussage Das ist Quälerei.

bei der Beschreibung der Tatsachen von Interesse. Während dann Quälerei als Sachverhalt gilt, kennzeichnet der emotionale Zusatz ‚ich fasse es nicht‘ die gesamte Äußerung als moralisches Urteil. Dass der Ausdruck von Emotionen für das Verständnis von Äußerungen als moralische Urteile relevant sein kann, bedeutet nicht, dass moralischen Urteilen generell ein emotionaler Ausdruck unterliegen muss. Wenn sie emotional sind, sind sie aber wie oben beschrieben meist parteilich. Die bekannte Aufforderung, doch bitte sachlich zu bleiben, soll die

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Teilnehmer einer Konversation dazu bringen, das persönliche Urteil wegzulassen und stattdessen bei der neutralen, objektiven Tatsachenaussage zu bleiben.29 Diese Aufteilung in Tatsachen auf der einen und sachfremden, persönlichen Zusätzen auf der anderen Seite lässt sich auch auf einzelne Begriffe übertragen. Quälerei ließe sich dann in einen Tatsachenteil, etwa die Zufügung von Leiden, und den wertenden Bestandteil, dass diese Zufügung moralisch falsch ist, unterteilen. Quälen und deutlicher noch die Misshandlung drücken ihrer eigentlichen Bedeutung entsprechend etwas moralisch Verwerfliches aus.30 Der Begriff Leiden wird dagegen im wissenschaftlichen Kontext auch moralisch neutral verwendet, wenn es etwa darum geht, Leiden zu identifizieren. Aber auch hier kann der emotionale Ausdruck einen entscheidenden Unterschied machen. Der Ausruf Die Tiere leiden!

kann als moralische Aufforderung verstanden werden, wenn er eine bestimmte moralisch relevante Emotion ausdrückt, zum Beispiel Mitleid oder Gerechtigkeitsempfinden. Wie ein Wort verwendet und richtig verstanden wird, kann also vom emotionalen Ausdruck abhängen. Bei Sachbegriffen wie Auto, Blutbahn oder Festplatte ist davon auszugehen, dass ihre Bedeutung nicht vom Ausdruck einer Emotion abhängt. In der Reform von 1972 wurde offenbar die Strategie verfolgt, dass möglichst nur solche Begriffe zur Klärung der Tatbestände zur Anwendung kommen. Emotional konnotierte Begriffe wie Quälerei und Misshandlung wurden durch die Begriffe Leiden, Schmerzen und Schäden ohne vernünftigen Grund ersetzt, über die sich fachlich, wissenschaftlich bzw. unemotional reden lässt. Und bezogen auf die Agrartierhaltung findet in der Reform Sachlichkeit ihre prädominante Fassung darin, Tiere gesund, artgerecht und verhaltensgerecht zu halten. Es ist unmöglich, dass Diskussionen im Tierschutz ausschließlich auf wissenschaftlichen Sachbegriffen basieren können. Man könnte lediglich versuchen, möglichst wenige Begriffe zu verwenden, die in ihrer Bedeutung vom Ausdruck von Emotionen beeinflusst sind. Das könnte zumindest gemeint sein, wenn es hieß, Tierschutzdebatten sollten weniger emotional geführt werden bzw. weniger auf Emotionen ‚gründen‘. Drei Gründe könnten für diese Variante A) sprechen, nach der derart emotional ‚gefärbte‘ Ausdrücke vermieden werden sollen.

29 Vgl. Williams (1973, 210ff.). 30 Das ist im alltäglichen Sprachgebrauch nicht notwendigerweise so, etwa bei: Das ist eine ganz schöne Quälerei, aber da müssen wir durch.

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Redundanz: Die erste mögliche Begründung wäre, emotionale Ausdrücke seien in Tierschutzdebatten redundant. Jeder wisse ohnehin, dass etwa Bilder der Massentierhaltung Mitleid auslösen oder Landwirte durch radikale Tierschützer verärgert werden. Ärger auf die gegnerische Partei sei ohnehin Bestandteil jedes politischen Streites, der Umstand, dass er es ist, also für die Klärung des Streites nicht mehr hilfreich. Hier darf also schon gelten, dass emotionale Ausdrücke vielleicht die entsprechenden Meinungen richtig wiedergeben. Der Vorwurf lautet hier, dass sie unwichtig und störend seien. Unzulänglichkeit: Man könnte gegen den Ausdruck von Emotionen auch einwenden, sie hätten an sich kein Begründungsvermögen und könnten deshalb nichts zur objektiven Klärung der Anliegen im Agrartierschutz beitragen. Manipulation: Der dritte Einwand hängt eng mit dem letzten zusammen, formuliert ihn aber noch schärfer. Nicht nur können Emotionen nichts zur Klärung politischer Anliegen beitragen, sie würden sogar stets die Urteilsfinder und alle Beteiligten auf den falschen Weg führen, sie also unbemerkt oder unbewusst zu irrationalen Urteilen anstiften. Zurückweisung der Vorwürfe Um den Vorwurf der destruktiven Wirkung des Ausdrucks von Emotionen zurückzuweisen, müssen keine umfangreichen Annahmen getroffen werden, was eine angemessene Agrartierpolitik ausmacht. Allerdings muss die Relevanz des öffentlichen Meinungsbildes für die Politik vorausgesetzt werden. In die öffentliche Meinung fließen alle Arten von inhaltlichen Äußerungen zum Thema, zum Beispiel im Rahmen von Petitionen, Demonstrationen, Gesetzesanträgen, Debatten im Bundestag, Debatten in öffentlichen Medien oder akademischen Institutionen, Zeitungsartikeln, von öffentlichem Aktivismus, filmischem oder RadioDokumentationen und deren Rezeption etc. In das Meinungsbild fließt implizit auch Desinteresse, in Form von unterbleibenden Äußerungen und Handlungen. Das öffentliche Meinungsbild beinhaltet auch Minderheitenmeinungen. Es ist die Summe persönlicher Haltungen und Standpunkte unterschiedlicher theoretischformeller Art einer möglichst großen Bevölkerungszahl. Darunter fallen Anliegen, Wünsche, subjektive Interessen, moralische Urteile, Argumente, akademische Arbeiten, Ängste oder Ahnungslosigkeiten. Es darf als unumstritten gelten, dass für Entscheidungsinstanzen der Politik das Meinungsbild eine wichtige Informationsquelle darstellt. Nur so kann die Tierschutzpolitik schließlich auch demokratisch legitimiert werden. Das Meinungsbild ist in erster Linie für Vorschläge und die Verabschiedung neuer Gesetze und Verordnungsregelungen wichtig. Inwiefern öffentliche Meinung für die Auslegung des Tierschutzgesetzes bedeutsam wird, ist juristisch fragwürdig. Zumindest erfordert die Wertaus-

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füllung des rechtlich vagen Begriffes vom vernünftigen Grund auch eine Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit zwischen Mittel und Zweck einer leidverursachenden Maßnahme und diese kommt wohl nicht ganz ohne eine Berücksichtigung gesellschaftlich verbreiteter Einstellungen aus.31 Es ist bei unklaren Fragen über gesellschaftliche Kosten und Nutzen üblich für die Rechtspraxis, dass richterliche Entscheidungen nicht der öffentlichen Meinung darüber diametral entgegenstehen sollten. Gleiches gilt für die in den Ministerien zu erarbeitenden Verordnungen zur Haltung agrarisch genutzter Tiere, die ebenfalls eine Mittel-Zweck-Abwägung erforderlich machen. Die öffentliche Meinung zu politischen Themen im Bereich der Mensch-Tier-Beziehung ist vielfältig und teilweise ambivalent. Das hängt damit zusammen, dass anspruchsvolle, auf Grundlage akademischer Arbeiten, insbesondere der Ethik und Biologie der Tiere erschlossene ethische Urteile zu Einzelfragen des Tierschutzes in der breiten Bevölkerung nicht vorausgesetzt und verlangt werden können. Über emotionale Einstellungen zum Thema verfügen dagegen nahezu alle Menschen, sie sind ein wichtiger Bestandteil vielfältiger politischer und moralischer Meinungen. Die oben genannten möglichen Gründe für die Vermeidung emotionaler Ausdrücke können nun näher diskutiert werden. Redundanz: Es gibt einen einleuchtenden Aspekt des Einwandes der Redundanz. Wenn bekannt ist, dass eine Person oder Personengruppe eine emotionale Einstellung zu jemandem oder etwas hat, muss sie diese Einstellung nicht ständig wiederholen, besonders nicht in Debatten, in denen gerade die Angemessenheit dieser Einstellung umstritten ist. Man stellt sich hier einen Streit unter zwei Kindern vor, in dem eines dem anderen sagt: ‚Du bist blöd!‘, das andere antwortet ‚selber!‘, woraufhin eine Endlosschleife von ‚selber!‘ unter den beiden ausgetauscht wird. Neben der offensichtlichen Naivität solcher Redundanzen bürgen sie in politischen Debatten ein subtileres dekonstruktives Moment, nämlich dann, wenn dies die Gegenseite provoziert und dadurch riskiert wird, die Bereitschaft zum gegenseitigen Zuhören und Diskutieren zu stören. In solchen Fällen gibt es gute Gründe dafür, allgemein bekannte und somit redundante Emotionsbekundungen zu vermeiden.32 Das gilt vor allem für individuelle Beiträge exponierter Personen, die sich zu langwierigen Diskussionen stets aufs Neue treffen. Es gilt aber sicher nicht für Beteiligte einer Demonstration oder Petition, die die

31 Vgl. Maisack (2007). 32 Es sind spezielle Fälle, etwa in der Kunst, denkbar, in denen auch redundante Äußerungen für bestimmte sinnvolle Zwecke eingesetzt werden, beispielsweise als Stilmittel, um eine bestimmte Form der Auseinandersetzung zu provozieren.

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Verbreitung einer emotionalen Einstellung in der Gesellschaft, etwa Wut auf die mangelhafte Umsetzung des Tierschutzgesetzes, kundtun. Hier geht es weniger um Redundanzen oder eine entspannte Diskussionsatmosphäre, sondern in erster Linie darum, sich überhaupt politisches Gehör zu verschaffen. Es kann politstrategisch erfolgversprechend sein, zu berücksichtigen, wie eigene emotionale Äußerungen auf andere wirken, etwa naiv oder aggressiv, aber diese Fragen können nicht die Forderung rechtfertigen, emotionale Ausdrücke insgesamt zu unterdrücken. Aufgrund der Ungenauigkeit und Phrasenhaftigkeit der Ächtung des Emotionalen in der Reform kann es sein, dass sich dadurch auch politisch engagierte Laien angesprochen fühlten, und in ihrem Fall wäre zumindest der Vorwurf der Redundanz falsch. Denn er setzt voraus, alle relevanten Emotionen lägen auf Seiten unterschiedlicher Parteien im Agrartierschutz bereits offen auf dem Tisch. Oft wird ‚das Emotionale‘ lediglich mit dem Mitleid mit Tieren und Empörung gegenüber der Agrarindustrie auf Seiten des Tierschutzes in Verbindung gebracht. Dies greift nicht nur deshalb zu kurz, weil diese beiden Emotionen in unterschiedlichen Graden von Dringlichkeit und in Verbindung mit anderen Emotionen auftreten können. Es gibt außerdem eine Reihe von meinungsprägenden Emotionen unter Veterinären und Landwirten, über die zum Zeitpunkt der Reform und auch heute noch wenig bekannt sind. Folgende beispielhafte Liste von Emotionen, über deren Vorkommen 1972 und heute noch große Unklarheit herrscht, lässt sich sicherlich erweitern: • • • • • • • • •

Ein Gerechtigkeitsempfinden, das der Nutzung von Tieren für maximale wirtschaftliche Profite entgegensteht, Mitgefühl und Indifferenz gegenüber dem Leid bestimmter Tiergruppen, Empörung über persönlich wahrgenommene Facetten (Profitgier, Ignoranz gegenüber Umweltproblemen etc.) der industriellen Tierhaltung, Schuldgefühle bei Mitarbeiterinnen der verarbeitenden Industrie tierlicher Produkte, Tierhaltern und Konsumentinnen, Stolz auf die eigene Profession, Empörung über die Preisgabe von Traditionen, Angst vor dem Verlust des sozialen Status oder der beruflichen Existenz, Angst vor der Preisgabe des moralischen Sonderstatus der Menschen, Wut/Ärger über existenzbedrohende Forderungen des Tierschutzes.

Die Voraussetzung für Informationen darüber ist, dass entsprechende Bevölkerungsgruppen überhaupt ihre Emotionen zum Ausdruck bringen und dies auch registriert wird. Die Effektivität von Kanälen solcher Ausdrücke ist bislang si-

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cher wenig erprobt. Einige Lösungsansätze sind aber auch einfach. Interessenverbände könnten unter ihren Mitgliedern neben verbreiteten Positionen und Überzeugungen ebenso verbreitete Emotionen diskutieren und formulieren. Das würde auch die Befürwortung einer bestimmten Entscheidungsoption besser erklären. Unzulänglichkeit: Emotionen können mit vernünftigen Urteilen in Konflikt geraten. Sie scheinen dann gegen eine Überzeugung zu sprechen, ohne ausreichend Gründe dafür zu liefern. Es ist nicht einfach zu entscheiden, was in solchen Fällen zu tun ist. Dies bedeutet allerdings nicht, dass man in der Urteilsfindung weniger emotional sein sollte. Denn sicherlich besteht diese nicht nur aus profunden vernünftigen Urteilen, sondern auch aus Überlegungen, Ideen und Mutmaßungen, die dann alle die gleiche Unterdrückung verdient hätten wie Emotionen, was absurd wäre. Der Vorwurf muss also konkretisiert werden und könnte dann lauten: emotionale Ausdrücke sollten deshalb vermieden werden, weil nicht rational mit ihnen umgegangen werden kann. Sicherlich muss sich ein solcher Vorwurf mit den gängigen Definitionen von Emotionen auseinandersetzen, nach der sie keine bloßen Gefühle sind, sondern auch kognitive Bestandteile haben. Eine entsprechende Definition wurde weiter oben für diese Arbeit geltend gemacht. Gegen den Vorwurf der Unzulänglichkeit kann demnach eingewendet werden, dass mit dem kognitiven Bestandteil von Emotionen sehr wohl rational umgegangen werden kann, dass lediglich dabei zu bedenken ist, wie Emotionen zusätzlich körperlich dispositional verankert sind. Weiterhin lässt sich dem Einwand der Unzulänglichkeit sogar entgegnen, dass Emotionen inhaltsgebende Funktionen in der Sprache und im Verständnis von Ausdrücken haben und die Ignoranz dieser Tatsache die Urteilsfindung behindern kann. Denn erst durch die Erkennung einer dem Sprechakt unterliegenden Emotion werden gewisse Sprachanwendungen verständlich. Ein plakatives Beispiel wäre: Das tut mir aber leid für die armen Tierchen!

Wenn sich berücksichtigen lässt, dass jemand beim Sprechen oder Schreiben dieses Satzes offensichtlich Weinen imitiert und danach plötzlich bedeutungsvoll lächelt, erkennt man darin vielleicht – unter zusätzlicher Berücksichtigung eines entsprechenden Kontextes – Ironie und den Ausdruck von Schadenfreude. Oder man interpretiert die Äußerung als Ausdruck unterdrückter Schuldgefühle, die durch Ironie überdeckt werden sollen. Menschen, die das artifizielle Weinen und anschließende Lächeln nicht berücksichtigen können, entgeht unter Umständen der entscheidende Punkt dieser Aussage. Neben der Ironie kann ein Begriff eine

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ähnliche, aber doch unterschiedliche Bedeutung je nach Kontext und Darlegung annehmen. Es lässt sich eine Situation vorstellen, in der der Vater eines BMLStudenten seinen Nachbarn von dessen Praktikum in einer großen Investmentbank berichtet und dann stolz und lächelnd hinzufügt: Er wird dort richtig ausgebeutet!

Sicherlich unterliegt dem Begriff der Ausbeutung eine andere Bedeutung, wenn der Vater damit wütend die Kinderarbeit in Nähfabriken in Bangladesch kritisiert. Im ersten Fall heißt es vielleicht: Es ist Ausbeutung, aber sie ist langfristig gewinnbringend, im zweiten Fall drückt sich eine starke moralische Verwerflichkeit dieser Zustände aus, die mit der Forderung zu ihrer unmittelbaren Beseitigung einhergeht. Richtig ist aber auch, dass alles ganz anders sein kann, und den Vater die Situation der Kinder trotz seiner Beteuerungen persönlich weniger tangiert als die seines Sohnes. Man könnte auch sagen: Es ist unklar, ob der Vater die Äußerung aufrichtig getroffen hat. Während es zu Missverständnissen führen kann, wenn der Ausdruck von Emotionen unterbleibt, muss dieser aber nicht missverstanden werden, da Emotionen, wie oben gezeigt, die Korrektheitsbedingung der Intentionalität unterliegen. Im der Alltagssprache spricht man weniger vom korrekten Ausdruck der Emotion, sondern vom aufrichtigen. Aufrichtigkeit ist in bestimmter Hinsicht von Ehrlichkeit zu unterscheiden. Ehrlichkeit bedeutet allgemein, die Wahrheit zu sagen, wobei die aktive und bewusste Lüge dabei stets als Möglichkeit für die sprechende Person angenommen wird. Zur Unaufrichtigkeit kann man sich aber nicht in der Weise entscheiden, wie man sich zur Lüge entscheidet. Zwar können Empfehlungen, die bewusst auf Grundlage einer unwahren Angabe getroffen wurden, als unaufrichtig bezeichnet werden. Auch die bewusste Täuschung bei der Äußerung eines Versprechens, wissentlich, dass man es bricht, kann als unaufrichtiges Versprechen bezeichnet werden. Man kann sich aber nicht bewusst dazu entscheiden, die eigene Überzeugung unaufrichtig auszusprechen, denn was man dann ausspricht, ist nicht mehr die eigene Überzeugung. Dagegen ist es möglich, eine Lüge zu erzählen, man hätte diese oder jene eigene Überzeugung, ohne sie selbst zu haben. Ein wichtiger Unterschied scheint darin zu liegen, dass eine Lüge im Bewusstsein einer Wahrheit geäußert wird, es aber dem, der etwas aufrichtig bekundet, nicht um die Aussage einer Wahrheit gehen muss. Aufrichtigkeit ist ein geeignetes Konzept, um die emotional beeinflussten Meinungen von unterschiedlichen Interessengruppen zu bewerten, ohne sie gleich in die Cluster Wahrheit oder Unwahrheit einzuordnen. Dass eine innere Einstellung aufrichtig zum Ausdruck gebracht wurde, bedeutet also, dass etwas auch tatsächlich so gemeint war, wie

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es ausdrückt wurde, unabhängig davon, ob das Gesagte der Wahrheit entspricht. Eine bestimmte Emotion im intentionalen Sinn zu haben, lässt sich nicht ausdrücken, ohne sie zu fühlen. Emotionen können nicht unaufrichtig ausgedrückt werden. Wenn wir eine Emotion vortäuschen, drücken wir sie nicht ‚künstlich‘ aus, sondern wir drücken sie nicht aus. Jemand kann emotional wirken, ohne es zu sein. Das argumentiert Bernard Williams als intentionale Grundlage der Emotion: „[A]n insincere expression of intention is surely not an expression of intention.”33

Die aufrichtig verstandene Emotion einer Person ist nicht nur ‚ihre‘ Emotion in dem Sinne, dass sie es ist, die sie äußert, sondern sie muss etwas ausdrücken, das jenseits des bloßen Sprechaktes liegt und ob dies der Fall ist, entscheidet der Kontext und die Nachvollziehbarkeit der Situation, in der sich der oder die Sprechende befindet.34 Das Erkennen von Aufrichtigkeit muss dahingehend geschult werden. Es ist trotzdem ein wichtiger Einwand gegen die Verwendung emotionaler Äußerungen, dass sie leicht mit unaufrichtig gemeinten, unemotionalen Nachahmungen verwechselt werden können und dann eine rationale Auseinandersetzung kaum möglich ist. Den Menschen in Werbefilmen liegt das Produkt, für das sie werben, selten so am Herzen, wie es die von ihnen nachgespielte Emotionalität suggeriert. Und jemand kann emotional klingende Reden schwingen, obwohl ihn das Gesagte eigentlich emotional nicht tangiert. Das erschüttert Vertrauen in emotionale Ausdrücke und ist deshalb auch gefährlich, weil echte Ausdrücke meist wichtige Anliegen transportieren. Wenn Emotionen aber als aufrichtig identifiziert werden und ihr Anliegen nachvollziehbar und angemessen ist, gibt es keinen Grund, warum sie nicht die politische Sprache differenzieren und bereichern sollten. Manipulation: Ein schwerer Vorwurf gegen Emotionen in politischen Debatten lautet, sie führten zu unvernünftigen, tendenziösen Entscheidungen. Man schreibt ihnen dann eine manipulative Kraft zu, vergleichbar mit einer Propaganda in einem totalitären Regime. Der Vorwurf wird intuitiv dadurch bekräftigt, dass Emotionen meist auf ein persönliches Anliegen ausgerichtet sind. Sie bündeln die Intensität der Wahrnehmung auf dieses Anliegen und lenken so von

33 Williams (1973, 216). 34 Vgl. Ebd.

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anderen Anliegen ab, die sich nicht emotional äußern.35 Es gehört zur Funktion von Emotionen, andere zu beeinflussen, ebenfalls ihre Aufmerksamkeit auf dieses Anliegen zu richten. Während der unparteiischen Abwägung, so ein möglicher Einwand, sollten deshalb Emotionen verdrängt werden. Die tendenziöse Manipulation wäre sicher der wichtigste Grund für die politische Strategie der sozialen Verdrängung von Emotionen im Tierschutz. Es lassen sich zwei Formen der Manipulation unterscheiden: • •

Die an den Debatten beteiligten Interessengruppen sollten nicht emotional auf die Entscheidungsfinder einwirken. Die Entscheidungsträger der Mindestrichtlinien in der Agrartierhaltung sollten sich während der Abwägung von tierlichen und Tiernutzungsinteressen nicht emotional beeinflussen lassen.

Zum ersten Punkt. Hier hilft es, Interessengruppen als moralische Akteure zu sehen, um so einige anerkannte Lehren aus der Moralphilosophie der Emotionen auf die politische Situation zu übertragen. Sabine Döring hat die moralphilosophischen Schwachstellen des Wunsches analysiert, die eigenen Emotionen gänzlich kontrollieren zu können. Mit einem zentralen Punkt ihrer Argumentation kann der Manipulationsvorwurf gegenüber emotional agierenden Interessengruppen entschärft werden. Döring erklärt zunächst, dass Urteile in einem logischen Widerspruch zueinander stehen können. Es ist zum Beispiel logisch unmöglich, dass eine Situation zugleich als sicher und als gefährlich beurteilt wird. Eines der beiden Urteile ist falsch. Ein solcher Widerspruch ist aber gemäß Döring von einem Konflikt zwischen rationalem Urteil und emotionaler Erwägung zu unterscheiden.36 Ein Widerspruch lässt – im theoretischen Rahmen – keine Möglichkeit der Koexistenz von Urteilen zu. Der Terminus des Konfliktes bringt diese Koexistenz besser zum Ausdruck. Ein Konflikt verlangt, dass am Ende das bessere Urteil obsiegt. Daher lässt sich argumentieren, dass solche Konflikte wichtig für das moralische Handeln sein können, weil sie dazu führen, neue Gründe für Urteile zu suchen oder die Begründung bestehender Urteile zu verbessern. Emotionen können demnach die epistemische Funktion eines „Aufspürers“ der Vernunft („reason-tracker“) erfüllen.37

35 Vgl. Ben-Ze-Ev (2010, 45). 36 Vgl. Döring (2010, 294) und Döring (2009b). 37 Döring (2010, 296).

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Ein Konflikt zwischen Urteil und Emotion erweckt zuweilen den Anschein, ein nach bestem Wissen generiertes Urteil sei falsch. Dieser Anschein kann sich retrospektiv tatsächlich als richtig oder falsch erweisen. Ein Beispiel ist die Angst beim Ausblick von einer hohen, gläsernen Aussichtsplattform, deren Konstruktion von Ingenieuren geprüft und für sicher befunden wurde. Es ist gut möglich, dass die Angst im Zuge der regelmäßigen Benutzung der Plattform für unangemessen beurteilt wird und das Urteil der Ingenieure schließlich die Emotion verdrängt. Doch es könnte ebenso sein, dass sich die Angst im Nachhinein als begründet herausstellt und das vormalige Urteil, die Plattform sei sicher, sich als falsch herausstellt. Döring interessiert sich für moralische Konflikte dieser Art. Sie nennt dafür die literarische Geschichte des Huckleberry Finn. Der Junge Huck ist zunächst nicht davon überzeugt, dass er Jim auf der Flucht vor seinen Peinigern schützen dürfe oder sollte. Denn er weiß, Jim ist ein Sklave. Ihn verstört allerdings die ausweglose Lage, in der sich Jim befindet; er empfindet Mitleid und ähnliche Gefühle. Das Mitleid steht im Konflikt zum Urteil, ihm nicht helfen zu dürfen. Dennoch hilft Huck. Erst im Laufe der Zeit kommt er auch zum Urteil, dass es richtig war, ihm zu helfen. Döring zeigt an dem Beispiel, dass es wichtig für den Ausgang des Konfliktes sein kann, die klärungsstiftende Funktion einer Emotion in der Urteilsfindung nicht im Vorfeld zu untergraben.38 Sein Mitleid mit flüchtenden Sklaven erweckte bei Huck keinen logischen Widerspruch, sondern einen inneren Konflikt. Die Warnung vor der Verdrängung persönlicher, emotionaler Konflikte lässt sich nun auf die Fragestellung zu übertragen, ob es gute Gründe gab, die zur Zeit der Reform öffentlich gezeigten Emotionen gegenüber agrarisch gehaltenen Tieren politisch zu ächten, d. h. sie in der Entscheidungsfindung nicht zu berücksichtigen oder weiter zu verfolgen. Huck’s innerer Konflikt lässt sich mit dem Konflikt derjenigen gesellschaftlichen Gruppierung vergleichen, die es zum Ziel hat, Tierschutz zu betreiben bzw. die Interessen der Tiere zu vertreten, wobei diese Unterscheidung hier keine Rolle spielt. Die Gruppe hadert mit dem Urteil, bestimmte profitable, aber offensichtlich stark belastende Haltungsverfahren in der Landwirtschaft seien rechtlich legitim. Bereits 1961 erging die erfolglose Forderung an die Politik, die Käfighaltung von Legehennen als Tierquälerei zu verbieten. Diese Forderung ist Ausdruck des genannten Konfliktes, denn die Käfighaltung war nur eine bestimmte Form der industriellen Tierhaltung. Wissenschaftliche Gutachten über das Leid in der Käfighaltung waren damals noch kaum zur Hand. Außerdem gab es damals keine anerkannte akademische Disziplin der Tierethik. Die Äußerungen im Rahmen der Reform stützen die Annahme,

38 Vgl. Döring (2010).

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dass dem Großteil der öffentlichen Kritik emotionale Konflikte unterlagen, darunter die Empörung über die Behandlung von Tieren als wären sie Maschinen. Heute lässt sich in der Retrospektive auf die Angemessenheit des politischen Umgangs mit diesen Emotionen zurückblicken. Vor dem Hintergrund des Verbots der Käfighaltung lässt sich plausibel argumentieren, man hätte diese emotionale Kritik politisch stärker berücksichtigen sollen, da sie dann vielleicht früher ein Verbot der Käfighaltung bewirkt hätte. Immerhin wären den Tieren vierzig Jahre der rechtlichen Legitimation dieser besonders belastenden Haltungsform erspart geblieben. Man hätte sie früher verbieten können, auch wenn damals das Leid der Tiere in dieser Haltungsform noch nicht so untersucht und anerkannt war, wie sie es heute ist. Die Konzeption der Reform von 1972 sah dagegen nicht nur vor, die moralische Handlungsaufforderung von Emotionen zu ignorieren. Sie stellte Emotionen, die mit traditionellen Meinungen oder Urteilen in Konflikt gerieten, sogar als unsachlich und möglicherweise schädlich für Tiere dar. Die Unterdrückung jener progressiven, emotionalen Kritik an der Tierhaltung, die damals öffentlich sichtbar wurde, förderte unter Umständen eine Politik, die der Interessenvertretung der Tiere zuwider lief. Die Reform von 1972 wurde als große Neuerung des Agrartierrechts beworben und basierte aber eigentlich auf der gleichen rechtlichen sowie inhaltlichkonzeptionellen Tradition des Tierschutzes, die bereits im Gesetz von 1933 etabliert wurde. Die Darstellung, ein neuer wissenschaftlicher Ansatz könne altbekannte Emotionen ersetzen, fand breiten Anklang, auch von Seiten der Bauernverbände und großen Tierschutzvereine bzw. ihrer Vertreter. Sollte die Strategie der sozialen Verdrängung von Emotionen zusätzlich dabei helfen, die Verbreitung grundsätzlicher Kritik an moralischen Konventionen der Agrarindustrie abzuwenden, die sich in den 1960er abzeichnete? Das lässt sich auf Grundlage des gesichteten Materials nicht mehr einfach verneinen. Eingangs wurde das BMEL damit zitiert, Tierschutz werde im Tierschutzgesetz geregelt. Bedeutet die Definition und Umsetzung des Tierschutzes aber, dass Menschen kein Mitleid mit Tieren empfinden sollten? Und erleichtert dies die Zustimmung zur industriellen Tierhaltung? Es wäre hilfreich, die Entscheidung darüber, in welchem Grad der Staat Tiere schützt, unter dem Einfluss menschlicher Emotionen zu analysieren. Diese Analyse ist eine politische Aufgabe, die unvereinbar ist mit der sozialen Verdrängung der Emotion. Zum zweiten Punkt. Es bliebe einzuwenden, dass zumindest Entscheidungsträgerinnen ihre Emotionen im Rahmen der politischen Urteilsfindung unterdrücken sollten, weil sie sonst parteiliche Entscheidungen herbeiführten. Dem ist in gewisser Hinsicht zuzustimmen. Das Ideal einer unparteiischen Abwägung eines Urteils ist frei von Emotionen. Allerdings ist ein solches Ideal in der politischen

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Praxis nicht immer realisierbar. Manchmal fällt es schwer, ein ausgewogenes Urteil zu fällen, etwa, wenn man den Eindruck hat, nicht über alle relevanten Informationen zu verfügen. In solchen Fällen ist es entscheidungspolitisch notwendig, dass Entscheidungsträger dazu aufgefordert werden, Konflikte zwischen Reglungen und Entscheidung und ihren Emotionen mit zu kommunizieren, beispielsweise so: Tierschutz wird in Deutschland durch das Tierschutzgesetz geregelt, wobei diese Terminologie durch als empörend euphemistisch aufgefasst werden kann. Oder: Wir haben trotz unseres Mitleids mit den Legehennen das Expertenvotum berücksichtigt, das die Batteriehaltung als tierschutzgerecht beurteilt.

Es soll hier nicht die These vertreten werden, dass die Berücksichtigung von Emotionen notwendig für das Finden moralisch-politischer Urteile ist. Doch im Fall von Unsicherheiten kann der Ausdruck von Konflikten zwischen Emotion und Urteil weitere Klärungen herausfordern. Dieser Klärungsbedarf kann durch die Aufforderung, weniger emotional zu sein, verdeckt werden. B) Eine neue Tierschutzwissenschaft – frei von Emotionen? Oben wurde die Einführung ethologischer Grundlagen des Tierrechts behandelt. In diesem Zusammenhang gibt es eine weitere Variante der sozialen Verdrängung von Emotionen. War vielleicht gemeint, Forscherinnen der relevanten Disziplinen sollten emotionale Regungen während der akademischen Auseinandersetzung mit Tieren unterdrücken bzw. unberücksichtigt lassen und sich stattdessen auf quantifizierbare Datenerhebungen und Analogierückschlüsse konzentrieren? In der Debatte um die Reform wurde der emotionale Tierschutz als eine Form des Tierschutzes bezeichnet, der im Zuge der Abkehr vom Anthropozentrismus überkommen wurde. Der Anspruch der klassischen Nutztierethologie ist es, tierliche Verhaltensweisen entsprechend einem anatomischen ‚Bauplan‘ zu beschreiben und dadurch messbar und vorhersehbar zu machen. Dabei sind in der Methodik Emotionen oder Empathie nicht vorgesehen. Wie oben gezeigt wurde, distanzierte sich Konrad Lorenz in seiner Arbeit sogar explizit vom Einfluss der Empathie. Im weiteren soll auf Grundlage der obigen Definition von Emotionen und einer bestimmten Definition von Empathie geklärt werden, ob es

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tatsächlich gute Gründe für Forscher gibt, bei der Beobachtung des Verhaltens der Tiere zu versuchen, nicht emotional zu sein. Dafür soll zunächst geklärt werden, inwiefern eine empathische Wahrnehmung eines anderen Individuums auch eine emotionale Wahrnehmung ist. Was Empathie ist Empathie ist anerkanntermaßen eine Fähigkeit, die Menschen und einigen Tieren zukommt. Folgender Umstand wird wissenschaftlich als Empathie untersucht: Ein Individuum bringt einem anderen Empathie gegenüber, bzw. empathisiert mit ihm39, wenn es sich einen Zugang zu dessen subjektivem Zustand verschafft, wobei in ihm ähnliche Zustände aktiviert werden.40 Möchte man Empathie als eine grundlegende Fähigkeit lebender Subjekte und nicht nur als kognitive Leistung gesunder erwachsener Menschen untersuchen, ist es notwendig, nicht im Vorfeld schon zu hohe kognitive Anforderungen an diesen ‚Zugang‘ zu definieren. So wird allgemein zugestanden, dass Empathie verschiedene Formen annehmen und in verschiedenen Entwicklungsstufen auftreten kann, zum Beispiel bei Tieren und Kleinkindern in einer weniger reflektierten und bei einem gesunden Erwachsenen in reflektierten Formen. Diese breite Anwendung des Begriffes mag erklären, warum das Interesse an Empathie in der theoretischen Philosophie noch wenig und dafür in angewandten Disziplinen wie der Psychologie und der Pädagogik stärker ausgeprägt ist.41 Die breite Anwendung dessen, was als Empathie zählen mag, soll auch für den Zweck dieser Arbeit nicht beanstandet werden, allerdings soll eine bestimmte wissenschaftlich gebräuchliche Definition von Empathie angeführt werden, die für akademische und politische Fragen des Tierschutzes besonders relevant ist. Diese muss zwei Thesen stützen: • •

Empathie äußert sich in Gefühlen und Empathie kann zur Rekonstruktion von Gefühlen anderer genutzt werden.

Empathie hat mit Emotionen gemein, dass sie kein bloßes Gefühl ist, aber sich zumindest durch eine Gefühlskomponente auszeichnet. Diese These stützt die

39 Das Verb ‚empathisieren (mit)‘ entspricht dem englischen Verb ‚to empathize (with)‘. Es bedeutet, dass jemand empathisch mit jemand anderem mitfühlt bzw. empathisch an ihn denkt. Es ist noch relativ neu im deutschen Sprachgebrauch und noch nicht im Duden vermerkt. In Anlehnung an das bereits gebräuchliche ‚sympathisieren (mit)‘ spricht aber nichts gegen dessen weitere Etablierung. 40 Vgl. de Waal (2008, 286). 41 Vgl. Stueber (2014).

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Neurowissenschaft. Die Identifikation von Spiegelneuronen als Kausalmechanismus empathischer Reaktionen bei Menschen und Tieren gibt Hinweise darauf, dass sich der Inhalt mentaler Zustände im Rahmen der Empathie auch nicht-sprachlich repräsentieren lässt.42 Was hier repräsentiert wird, sind auch Gefühle, zumindest nicht nur gefühlsfreie Gedanken, etwa ‚Angst in der Mimik des anderen‘ oder die ‚Freude in der Körperhaltung des anderen‘. Die Verbindung zwischen Empathie und Emotion beschränkt sich also nicht nur darauf, dass jene subjektiven Zustände anderer, zu denen wir uns im Rahmen der Empathie einen Zugang verschaffen, emotionale Gefühle sein können. Das können sie in der Tat. Doch die Verbindung besteht vor allem darin, dass eine Person emotional agiert, wenn sie empathisch mentale Zustände anderer rekonstruiert. Das kann sich unangenehm und angenehm anfühlen, paradigmatisch als empathisches Mitleid und empathische Mitfreude. Empathie fühlt sich aber nicht bloß an, sondern handelt von etwas. In der Philosophie begründete vor allem David Hume eine Tradition, nach der das Gefühlserlebnis die Empathie vom Gedanken an mentale Zustände anderer oder vom Gedankenlesen unterscheidet.43 Wenn der Gefühlsaspekt definitorisch ausgeklammert wird, riskiert man, das verbreitete alltagspsychologische Verständnis von Empathie zu negieren.44 Die empathische Wahrnehmung eines Menschen oder Tieres schlägt eine Brücke zwischen der eigenen Subjektivität und der eines anderen. Die Rede von der Empathie mit Sachen kann, wenn überhaupt, nur verstanden werden, wenn man diesen Sachen eine metaphorische Subjektivität zugesteht. Wir wissen in solchen Fällen meist, dass es sich um eine solche Sonderform handelt. Die metaphorische ‚Einfühlung‘ in materielle Objekte, etwa in das eigene Auto, ist meist ein Fall von Komik, jedenfalls keine genuine Empathie, insbesondere deshalb, weil ihr keine medizinisch-psychologische Funktion zukommt. Ein Mangel an Empathie gegenüber Menschen wird dagegen mit Psychopathien in Verbindung gebracht.45 Empathie ist eine Rekonstruktion in der folgenden Weise: Sie dient auch dazu, sich mentalen Zuständen anderer nicht nur theoretisch oder mit passenden

42 Vgl. Gallese (2004). 43 Dass der Begriff Empathie viel mit Emotionen zu tun hat, zeigt sich bereits im Wortstamm (πάϑος ~ Leidenschaft, Gefühlsausdruck). In der Philosophie erhält er in jüngerer Zeit vermehrten Eingang als Übersetzung des englischen ‚empathy‘. Der wiederum entwickelte sich im englischen Sprachraum im frühen 20. Jahrhundert als Übersetzung des deutschen Begriffes ‚Einfühlung‘. Vgl. Aaltola (2013). 44 Vgl. Goldie (2002) und Gruen (2014). 45 Vgl. Baron-Cohen (2011).

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Worten, sondern auch tatsächlich in Form einer Nachempfindung anzunähern.46 Die Rede von Empathie in der Psychologie basiert darauf, dass diese Rekonstruktion gelingen und fehlgehen kann. Sie gelingt, wenn wir mit einem empathischen Gefühl möglichst nah an das Gefühl anderer herankommen. Wenn die Freude des Einen bei empathischen Betrachtern regelmäßig Mitleid auslösen würde, würde Empathie fehlgehen und nicht die konstruktive Funktion in der Biologie und Psychologie einnehmen, die sie heute hat. Reflektierte Formen der Empathie müssen für ihr gutes Gelingen die Fähigkeit voraussetzen, zwischen der eigenen Perspektive, inklusive den eigenen Bedürfnissen in einer entsprechenden Lebenslage, und der Perspektive eines anderen in einer anderen Lebenslage zu unterscheiden. Das betonen die meisten Definitionen in der psychologischen und philosophischen Literatur. 47 Die Beachtung dieser Unterscheidung kann geschult werden oder entsprechend verkümmern.48 Es ist diese reflektierte Form der Empathie, die für die Erforschung des Lebens von Tieren relevant ist, wie nun weiter argumentiert wird. Was reflektierte Empathie mit Tieren ist Gerade wenn man anerkennt, dass Empathie viele Formen annehmen kann, ist es wichtig, diese zu differenzieren. Drei Unterscheidungen sollen hier festgestellt werden: emotionale Ansteckung, Selbst-Projektion und reflektierte Empathie. Emotionale Ansteckung lässt sich auch als grundlegende Entwicklungsstufe hin zur Empathie verstehen.49 Hunde sind dafür bekannt, den Ausdruck der Empfindungen ihrer engsten menschlichen Bezugsperson aufzunehmen und widerzuspiegeln. Menschen lassen sich schon im Kleinkindstadium vom Lachen oder Gähnen anderer anstecken. Auch die Konfrontation mit offenbar leidenden Tieren kann ‚anstecken‘, aber ob dies im Sinne einer guten Rekonstruktion angemessen ist, muss sich zeigen. Denn es handelt sich um eine spontane und unreflektierte Reaktion auf die Gefühle anderer, die nicht notwendigerweise die Unterscheidung zwischen dem eigenen Leben und dem eines anderen genug berücksichtigt. Solche spontanen Gefühle schöpfen nicht das Potential der Empathie aus, zu der wir als selbst-reflektierende Wesen fähig sind und können daher als unwissenschaftlich gelten. Ob man Motivationen, die von emotionalen An-

46 Die Definition der Empathie als epistemisch relevante Wahrnehmung wurde von Edith Stein in Stein (1917) entscheidend geprägt und in seiner neuzeitlichen Form von Martha Nussbaum in Nussbaum (2001, 327) weiterentwickelt. 47 Vgl. Stueber (2014) und Goldie (2002). 48 Vgl. Nussbaum (2001, 328). 49 Vgl. Gruen (2014).

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steckungen ausgehen, in ethischen Urteilen berücksichtigen oder sie verwerfen sollte, fällt in die Diskussion des Manipulationsvorwurfes gegenüber dem Emotionalen, die weiter oben geführt wurde. Sicherlich ist die Gefahr, auf diesem Weg zu unvernünftigen Urteilen zu gelangen, kein ausreichender Grund, sich nicht weiter damit zu beschäftigen. Es lohnt sich nicht zuletzt deshalb, emotionale Ansteckung reflexiv zu begleiten, weil ihre Unterdrückung unterschiedliche, positive und negative Folgen haben kann. Soziale oder psychologische Umstände können dafür sorgen, dass empathische Gefühle in bestimmten Kontexten von Grund auf gehemmt oder in ihrer Qualität maßgeblich abschwächt werden. Dann wird beispielweise starkes Leid anderer bloß als irrelevante Beeinträchtigung rekonstruiert und sprachlich ausgedrückt. Die Reflexion der inneren Aufgeschlossenheit und Offenheit für empathische Gefühle kann zum Gelingen der Empathie entscheidend beitragen.50 Bei der Selbst-Projektion kommt es wie bei der reflektierten Empathie auch zu einer imaginären Hineinversetzung, allerdings nimmt die Person nicht eine andere Perspektive ein, sondern versetzt sich selber, d. h. sich, mit den eigenen, spezifischen Eigenschaften, Wünschen und einer eigenen Vergangenheit, in die Situation eines Anderen. Die beurteilende Person fragt sich also, was sie selbst an Stelle des Anderen fühlen oder denken würde, sie interessiert letztlich die Situation, nicht das andere Subjekt. Abgesehen davon, ob es für solche Projektionen gute Gründe gibt oder nicht, gelingt hier keine Empathie im Sinne einer Einfühlung in ein anderes Subjekt. Ein Versuch zu empathisieren kann in Projektionen münden. Zu dieser Fehlleistung kann auch beitragen, dass man nichts über die Voraussetzungen des Anderen weiß, zum Beispiel über seine Vergangenheit oder seine körperlichen Eigenheiten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass jemand auf Grundlage einer solchen Projektion Mitleid mit anderen empfindet, obwohl es denen eigentlich gut geht. Die typische Form reflektierter Empathie erwachsener Menschen ist weder bloße emotionale Ansteckung noch Projektion, sondern die Fähigkeit, andere Individuen so wahrzunehmen, dass dabei ihre Gedanken oder Gefühle emotional rekonstruiert werden. Voraussetzungen für das Gelingen reflektierter Empathie Die Schulung der Empathie basiert auf zwei Grundlagen. Eine besteht in der Unterscheidung der eigenen von der anderen Wahrnehmung und sie wird durch Wissen über das Leben des Individuums bzw. seine Art erleichtert. Die zweite besteht in der Fähigkeit, empathische Gefühle zuzulassen bzw. zu merken, wann man für solche Gefühle mehr oder weniger empfänglich ist. Für das Hineinver-

50 Im Englischen findet sich diese Idee im Begriff responsiveness. Vgl. Gruen (2014).

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setzen in so andere Lebewesen wie viele Schweine oder Rinder ist Vorstellungskraft eine Grundlage. Nur eine Kombination aus Wissen über das Leben des Anderen und über die persönlichen Grundlagen zur Entwicklung von empathischen Gefühlen erlaubt die im akademischen Kontext notwendigen Differenzierungen zwischen Ansteckung, Selbstprojektion und reflektierter Empathie.51 Besteht nun bei Empathie gegenüber Tieren prinzipiell eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie in Projektion mündet, weil wir so gänzlich anders empfinden als sie? Elisa Aaltola und Lori Gruen haben sich mit diesem Vorwurf beschäftigt und weisen ihn zurück.52 Sicherlich kann die Fähigkeit, empathisch mit Tieren zu sein, verloren gehen, etwa, wenn die Distanz zu ihrem Leben zu groß ist. Reflektierte Empathie mit agrarisch genutzten Tieren erfordert also, gesellschaftlich konstruierte, begriffliche, räumliche und andere Arten von Trennungen zwischen uns und Tieren abzubauen. Eine Form der Trennung stellt für Aaltola auch eine absurd hohe Skepsis gegenüber der tierlichen Empfindung dar, die einen Beweis mentaler Zustände verlangt, der auch bei Menschen unrealistisch ist. Folgt man dem Ansatz, Empathie als eine Wahrnehmung sui generis zu betrachten, andere als lebende Subjekte zu sehen, wird deutlich, dass die Frage nach der ultimativen Beweisbarkeit dieses Wissens hier fehlschlägt. Dazu das Beispiel einer Verhaltensbeschreibung folgender Art: Ein gerade von seiner Mutter getrenntes Kalb gibt bestimmte Lautäußerungen von sich: hohe, laute, eng aneinander gereihte Töne, die gereizt klingen.

Die Höhe und die Abfolge der Laute kann mit einigem Aufwand noch physikalisch gemessen werden, aber die entscheidende und tierschutzrelevante Beschreibung, dass wir nicht nur eine Sache, sondern ein lebendes Subjekt vor uns haben, verbürgt sich wohl im vagen Begriff ‚gereizt‘. Derartige Begriffe entspringen meist einer empathischen Nachempfindung und können schwer physikalisch gemessen werden. Ohne sie wären wir aber gar nicht darauf gekommen, zu fragen, ob das Kalb die Trennung vielleicht stört, wir hätten also die Verhaltensbeschreibung gar nicht erst durchgeführt. Aaltola und Gruen beschreiben Voraussetzungen, wie reflektierte Empathie am besten gelingen kann und diese wurden oben angesprochen. Unter Rekurs auf zahlreiche philosophische Autoren wie Edith Stein, Simone Weil, Ludwig Wittgenstein und Raimond Gaita argumentieren sie, dass die Forderung, der Empathie gegenüber Tieren als Methode generell zu misstrauen, weil sie uns

51 Vgl. Nussbaum (2001, 328). 52 Aaltola (2012, 2013, 2014a, 2014b) und Gruen (2014).

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nicht immer wahrheitsgemäße Repräsentationen geben, nicht nur unverhältnismäßig, sondern auch gefährlich wäre. Denn schließlich sei die Bezweiflung der Möglichkeit reflektierter Empathie auch die Bezweiflung einer zentralen Grundlage unseres Wissens über andere Tiere. Für ein Gelingen der Empathie mit Tieren ist weniger das wissenschaftliche Ideal der neutralen Objektivität notwendig, sondern die empathische Zuwendung zum Tier als Bezugspunkt der Untersuchung: „It needs to be noted that here emphasis is not on objectivity or neutrality, ideals impossible to wholly achieve; attentiveness simply means placing the animal as a reference point of inquiry, centralizing her instead of self-serving motivations or culturally colored notions concerning ‚animals‘. This helps us to avoid naïve or manipulative projections and to truly concentrate on the animal in front of us – even if the accuracy of empathetic reading can never be objectively verified.“53

Empathie in der Ethologie und Veterinärmedizin Ein Grund für die Verdrängung der Empathie in den Tierschutzwissenschaften wäre, dass sie den Aufbau des Wissens über Tiere und ihr Verhalten hemmt. Darauf deutet nun nichts mehr hin. Empathie von Eltern mit ihrem Kind führt analog auch nicht notwendigerweise dazu, dass sie andere Formen abstrakteren Wissens vernachlässigen. Gruen argumentiert sogar, dass Empathie die Motivation zur gesteigerten Auseinandersetzung mit den spezifischen Lebensumständen und Voraussetzungen der entsprechenden Individuen und Arten befördert.54 Selbst wenn eine Verhaltensforscherin die mit Empathie verbundenen Risiken der Projektion in jedem Fall ausschließen wollte, wäre fraglich, ob dies ihr gelingt, indem sie ihre Empathie ignoriert. Denn gerade unreflektierte, basale Formen der emotionalen Ansteckung lassen sich kaum ausschalten und gerade sie können zu Fehldeutungen führen. Daher liegt für Forscher die größte praktische Herausforderung darin, Ansteckung, falsche Projektionen und reflektierte Empathie voneinander zu unterscheiden. Das Gelingen dieser Unterscheidung wird erschwert, wenn Empathie, wie im Fall der Nutztierethologie, in der Methodik nicht vorkommt. In der Nutztierethologie kann reflektierte Empathie bei der Erforschung des Tierleids helfen. Dazu ein Beispiel. Die Fütterung von Schweinen in modernen Mastanlagen erfolgt zu bestimmten Uhrzeiten am Tag, meist automatisiert durch Futtermaschinen. Aus medizinischer Sicht erscheinen solche festgelegten Fütte-

53 Aaltola (2013, 265). 54 Vgl. Gruen (2014).

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rungszeiten unproblematisch. Offensichtlich führt diese Ernährungsform nicht zu Krankheiten, Schock- oder Schmerzsituationen. Wir wissen aber, dass wild lebende Schweine mit einigen Ausnahmen fast permanent über Futtermöglichkeiten verfügen, zumindest sind ihnen Möglichkeiten bewusst, wie und wann sie sich selbst aktiv Nahrung beschaffen können. Natürlich kann es sein, dass sie im Winter zuweilen kein oder kaum Futter finden. In der Haltung sind diese wenigen Situationen ausgeschlossen. Das wird gerne zugunsten der Tierhaltung angeführt: Nutztiere müssen sich nicht um ihre Nahrungsbeschaffung kümmern. Sie werden im Vergleich zu ihren wilden Verwandten um eine Herausforderung und sogar zuweilen um Nahrungsnotlagen entlastet. Doch sehen das Tiere tatsächlich so? Haben sie nicht Angst, einmal kein Futter aus der Maschine zu erhalten? Haben Schweine ein Gefühl der permanenten Abhängigkeit vom Menschen und ist dies so unangenehm, dass es im rechtlichen Sinne tierschutzrelevant wird? Um sich diesen Fragen in erster Linie zu nähern, ist es nötig, eine eigene Vorstellung der Art von Leid zu bekommen, welches weiter zu erforschen gilt. Nun kann man einwenden, dass ein Forscher sich Fragen nach Art und Höhe des Tierleids auch ohne Empathie stellen kann. Das stimmt, vielleicht braucht man Empathie nicht immer, um Tierleid zu identifizieren. Zu zeigen, dass dies grundsätzlich so wäre, liegt aber bei denen, die der Empathie eine konstruktive Rolle bei der Erforschung des Tierleids absprechen. Es besteht Grund zur Annahme, dass Empathie hilft, Vermutungen über die Qualität einer Leidenssituation anzustellen, mit denen sich Forschungsfragen, etwa nach dem Vorliegen von Angst, Panik oder Unwohlsein, treffend formulieren lassen. Dies ist wichtig für die Einordnung ihrer tierschutzrechtlichen Relevanz. Gibt es dennoch Gründe, Empathie in bestimmten Phasen der Forschung zu unterdrücken? Ja. Sicherlich müssen die Emotionen der Tiere nicht fortlaufend emotional rekonstruiert werden. Ein Teil der für den Tierschutz notwenigen Forschungsleistung besteht in der Generierung von Daten und der Aufstellung und Prüfung von Thesen. Die Qualifizierung von tierschutzrelevantem Leid und die Überprüfung von Thesen kann aber in der Tierforschung nicht voneinander getrennt werden. Es muss in einer Forschung, die die Tierschutzpolitik beraten soll, ein professioneller Bezug zur Frage aufgebaut werden, wie sich Tierleid anfühlt und das Konzept der Empathie bietet dafür Möglichkeiten. Zusammenfassung von B) Die erklärte Dichotomie zwischen wissenschaftlicher und emotionsbasierter Begründung des Tierschutzes lässt sich als Aufforderung an die Wissenschaft interpretieren, Empathie bei der Erforschung tierlicher Leiden entweder explizit zu unterdrücken oder sie zumindest methodisch auszublenden. Dabei bietet eine

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reflektierte Empathie die Möglichkeit, die Forschung zu befruchten und den Weg zu geeigneten Forschungsfragen nachvollziehbarer zu machen. Auch darum geht es in der Begründung des Tierschutzes. Im Zuge der methodischen Berücksichtigung der reflektierten Empathie in der Begründung einer Tierpolitik lässt sich der Vorwurf des Anthropomorphismus entkräften, indem menschliche Projektion von nützlicher Empathie unterschieden wird. C) Die Ethik hinter dem Staatsrecht – frei von Emotionen? Wenn die Beurteilung eines angemessenen Tierschutzes auf Sachkenntnissen und Tatsachen basieren soll, stellt sich die Frage, welche Rolle die Ethik55 dabei spielt. Denn immerhin wird der Ansatz der Reform auch ‚ethischer‘ Tierschutz genannt.56 Weder in der Sachverständigenanhörung, der Theorie zur artgemäßen und verhaltensgerechten Tierhaltung noch in den Bundestagsdebatten finden sich nähere Erklärungen dazu. Einige Bezüge des Reformansatzes zur Ethik können aber dennoch festgehalten werden. Offensichtlich ist der geforderte Kompromiss zwischen menschlichen Interessen der Tiernutzung und Tierschutz ethischer Natur. Weiterhin wird das ethische Prinzip der Leid- und Schmerzvermeidung vorausgesetzt. Die ethische Abwägung im Tierschutzrecht besteht bezogen auf die Agrartierhaltung letztlich aus der Abwägung dieses Prinzips mit produktionstechnischen bzw. wirtschaftlichen Gründen der Tiernutzung. Der ethische Ansatz im Tierschutzgesetz von 1972 hängt folgendermaßen mit menschlichen Emotionen zusammen. Erstens setzt er voraus, dass Methoden der Zuschreibung von Leid, Wohlbefinden oder Freude nichts wären, für das sich Ethik interessieren müsste. Ethik soll da ansetzen, wo das Leid der Tiere vorliegt, d. h. dort, wo empirisches Wissen darüber akkumuliert wurde und nicht

55 Es gilt hier keine scharfe Trennlinie zwischen dem ‚Ethischen‘ und der ‚Moral‘. Ethik wird jedoch heute in westlich geprägten Ländern oft als akademische Disziplin betrieben. Der Begriff wird aber vielseitig verwendet. Es gibt gesellschaftliche Gruppen, Institutionen oder Unternehmen, die sich einer ‚Ethik‘ verschreiben und damit sind allgemein ihre Handlungs- oder Entscheidungsgrundsätze in einem spezifischen Kontext gemeint. Ich bezeichne die normative Ethik als Unterkategorie der Ethik, bei der Theorien verhandelt werden, die eine Antwort auf die Frage zulassen: Was soll ich tun?

56 In der Tradition Kants, die zur Zeit der Reform die normative Ethik maßgeblich prägte, ist unklar, ob wir Tieren gegenüber überhaupt direkte ethische Pflichten haben. Allein die Rede vom ‚ethischen Tierschutz‘ musste insofern als politisches Zugeständnis an die progressiven Kräfte des Tierschutzes gelten.

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lediglich Mitleid oder Empathie empfunden wird. Diese Voraussetzung hat ihre Probleme, wie bisher gezeigt wurde. Denn der Umgang mit Skepsis gegenüber möglichem Tierleid ist nicht nur eine epistemische Frage, sondern kann auch moralphilosophisch verhandelt werden. Der zweite Zusammenhang liegt in dem Begriff des vernünftigen Grundes, den man entsprechend einer traditionellen Unterscheidung als Abgrenzung zur emotionalen Begründungskraft verstehen kann. Der in der Reform etablierte ethische Ansatz hinter dem Tierschutzrecht ist also folgendermaßen beschaffen: Er wägt unstrittige Urteile über Leid und Schmerz gegenüber unstrittigen Urteilen über vernünftige Nutzungsinteressen einer Gesellschaft ab. Was zu tun ist, wenn solche unstrittigen Urteile nicht vorliegen bzw. wenn solche Urteile mit Emotionen in Konflikt geraten, wurde nicht explizit festgelegt. Es ließe sich aus dieser Ächtung der Emotion folgern, dass solche Konflikte ethisch nicht in Betracht gezogen werden sollten. Im Folgenden sollen Ansätze der Moralphilosophie herangezogen werden, mit denen die Vorannahmen einer so konzipierten Ethik hinter dem Tierschutzrecht kritisiert werden können. Oben wurden Gründe genannt, warum Debatten über die Tierschutzpolitik auf den Ausdruck von Emotionen nicht verzichten sollten. Nun wird dieser Aspekt im Hinblick auf die Ethik konkretisiert. Es soll herausgearbeitet werden, dass Emotionen der ethischen Arbeit wichtiges beitragen können. Nutztierethologie als verdeckte Ethik Dafür soll zunächst gezeigt werden, dass die Nutztierethologie eigentlich mit einem ethischen Anliegen betraut wurde. Die Begriffe der Misshandlung und der Quälerei waren vor der Reform zentral im politischen und rechtlichen Sprachgebrauch verankert. In der Reform von 1972 wurden sie durch Begriffe ersetzt, deren Klärung von einer naturwissenschaftlich geprägten Disziplin betrieben werden sollte, wie Leid, Schaden und Schmerz, aber vor allem artgemäß und verhaltensgerecht. ‚Quälen‘ und ‚Misshandeln‘ haben einen moralischen Charakter, d. h. sie vereinen sowohl deskriptive als auch normativ-evaluative Bestandteile.57 Sie beschreiben Handlungen, die zu bestimmten unangenehmen, subjektiven Erfahrungen der Tiere führen und genau deshalb verwerflich sind. Der normative Bestandteil liegt also in der damit verbundenen Aufforderung, solche Handlun-

57 Als normativ gelten Wörter wie ‚sollen‘, ‚müssen‘, ‚Pflicht‘, oder ‚geboten‘, als evaluativ Begriffe, die eine Wertschätzung zum Ausdruck bringen, wie ‚gut‘, oder ‚vorbildlich‘. Als wertend-normative Begriffe gilt die Gruppe beider solcher Kategorien. Ich danke Jan Gertken für Klärungen diesbezüglich.

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gen zu unterbinden oder zu vermeiden. Die Misshandlung58 ist eine abzulehnende Handlung. Die durch die Reform institutionalisierten, ethologischen Begriffe besitzen ebenfalls diese normativ-evaluative Komponente, sie ist aber schwerer zu erkennen. Denn die Bestandteile ‚gerecht‘ und ‚gemäß‘ betreffen ‚natürliche‘ und keine genuin ethischen Normen. Doch auch bei ethologischen Begriffe besteht ein normativ-evaluativer Bestandteil in der impliziten Aufforderung, Handlungen anzustreben, die zur artgemäßen und verhaltensgerechten Haltung führen. Das zeigt sich darin, dass Haltungsformen als artgemäß beurteilt werden können, in denen die Zufügung von Leiden, Schmerzen oder Schäden unter Verweis auf einen vernünftigen Grund legitimiert wird, der, wie gezeigt wurde, auch ein ökonomischer oder produktionstechnischer Grund sein kann. Das Gebot der verhaltensgerechten und artgemäßen Haltung in § 2 des Tierschutzgesetzes von 1972 spezifiziert den Grundsatz in § 1. Hier werden also Leiden nur wenn ‚möglich‘ vermieden. Die ethische Frage der Nutztierethologie lautet: Welche Haltungsmaßnahmen werten wir als eine Überforderung der Tiere, wenn man voraussetzt, dass sie sich mit bestimmten ökonomischen Anforderungen, die in der Tierhaltung gelten, abfinden müssen? Veterinärmedizin und Nutztierethologie ignorieren aber eine Ethik, die eine marktwirtschaftlich orientierte Haltung gänzlich infrage stellt. Außerdem ignoriert die Nutztierethologie, mit welchen politischen Forderungen die Einsicht einhergeht: Das Leben dieser Tiere ist nicht artgemäß und verhaltensgerecht.

Sie beurteilt die Haltung, sagt aber nicht oder unzureichend, was wir mit welcher Dringlichkeit tun sollen. Die Gruppe von Nutztierethologen in dem oben genannten Fallbeispiel des Legebatterien-Gutachtens forderte einen neutralen Standort für ihre Forschung in dem Sinne, in dem Leistungsoptimierung der Geflügelhaltung nicht so explizit im Vordergrund stand, wie am Institut für Kleintierzucht in Celle. Das verdeckte den Umstand, dass auch die von ihnen offenbar für ‚artgemäßer‘ als die Batteriehaltung befundene Freilandhaltung ähnlich fragwürdige Voraussetzungen impliziert, nämlich dergestalt, dass den Tieren aus Kostengründen gravierende Belastungen abverlangt werden. Auch ein Plädoyer für die Freilandhaltung kommt nicht um den Vorwurf umhin, eine bestimmte

58 Der Wortbestandteil ‚Miss-‚ ist etymologisch auch in ‚vermissen‘ zu finden und deutet auf die Ermanglung oder die Unvollkommenheit der Handlung hin, hier auch in moralischer Hinsicht.

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Beziehung zum Tier zum Ausdruck zu bringen, welche nahezu ausschließlich von Kriterien der Produktion und Leistung des tierlichen Lebens bestimmt ist. Gleichzeitig wurde jede juristische Agitation von der Nutztierethologie abhängig. Die für Tiere engagierte Zivilgesellschaft war deshalb vor die Entscheidung gestellt, entweder das Problem der Nutztierethologie zu ignorieren, dass diese die ihr unterliegende Ethik nicht offenlegte, oder, indem sie sich von der Nutztierethologie distanzierte, womöglich rechtliche Verbesserungsmöglichkeiten zu untergraben. An diesem Punkt trennen sich auch heute noch Tierrechts- und Tierschutzbewegung. Es wird deutlich, dass die Deutungshoheit der Nutztierethologie sich dazu eignete, in die gesellschaftliche Bewertung industrieller Haltungsformen einzugreifen. Dies tut sie ironischerweise, indem sie gerade nicht die methodischen Mittel und das nötige Vokabular zur Verfügung stellt, um auf einen grundlegenden Bewusstseinswandel in der Mensch-Tier-Beziehung einzugehen, der Tiere zu politischen Subjekten macht. Nutztierethologische Urteile können aus Sicht der Ethik zwar kritisiert werden, doch das Beispiel des Legebatterie-Gutachtens zeigt, wie schwierig das ist, wenn die ethischen Annahmen nicht genannt werden und eine Kritik daran riskiert, eine wichtige Stütze in der akuten Verbesserung der Situation zu schwächen. Erst in jüngster Zeit, mehr als 40 Jahre nach der Reform, nachdem viele vom politischen Einfluss der Nutztierethologie enttäuscht wurden, entsteht ein verstärktes Interesse, die ethische Dimension der Nutztierethologie zu evaluieren.59 Rechtliche Entscheidungen basieren auch auf ethischen Voraussetzungen, die ein Meinungsbild in der Gesellschaft mehr oder weniger gut widerspiegeln. Für die Tierschutzpolitik seit 1972 lautete eine davon, dass Tiere zu ökonomischen Nutzungszwecken gekauft, auf Leistungsparameter gezüchtet, gehalten und geschlachtet werden dürfen. Nur Optionen, die produktionstechnisch machbar sind, werden überhaupt diskutiert. Selbst wenn man dies zugesteht, ist in der Nutztierethologie problematisch, dass moralischen Gefühlen, die damit in Kon-

59 Zum Beispiel ist im Forschungscluster „Tier – Mensch – Gesellschaft / Ansätze einer interdisziplinären Tierforschung“ ein an der Universität Kassel die Nutztierethologie interdisziplinär mit der Philosophie und Ethik verbunden. In der Skizzierung eines entsprechenden Forschungsbereiches wird als eine Forschungsfrage genannt: „Welches Verständnis von welchen Tieren befördern die Methoden [der Tierforschung] oder welche Vorannahmen […] liegen ihnen zugrunde?“ Ziel ist unter anderem die „Erörterung der ethischen Relevanz der Ergebnisse.“ Dies ist nachzulesen auf https://www.uni-kassel.de/projekte/tier-mensch-gesellschaft/startseite.html Zugriff September 2015).

(letzter

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flikt stehen, keine konstruktive, weiterführende Rolle zugeordnet werden kann. Brüche in der Ethik der Mensch-Tier-Beziehung sind ebenso Brüche mit Traditionen, Weltbildern oder ethischen Normen und die Auseinandersetzung damit wird bei den meisten Menschen emotional ablaufen, sei es als emotionale Verteidigung konservativer Werte oder als emotionale Befürwortung einer neuen, politisch gedachten Mensch-Tier Beziehung. Eine eigenständige Institution hätte es zur Aufgabe haben können, sich mit der Ethik und moralischen Emotionen hinter der Forschung und dem Recht kritisch beschäftigen und diese Kritik in die Öffentlichkeit tragen. Emotionen und ethische Klärungsansätze Nun soll mit Hilfe moralphilosophischer Ansätze dafür argumentiert werden, dass die Reform der richtige Zeitpunkt gewesen wäre, darauf hinzuweisen, dass eine Klärung der ethischen Voraussetzung der Agrartierpolitik bei vielen Menschen emotionale Konflikte freilegt und dass dieser Prozess politisch konstruktiv sein kann. Cora Diamond hat kürzlich daran erinnert, dass Iris Murdoch in den 1960er Jahren die angelsächsische Moralphilosophie dafür kritisierte, die „Vielfalt der Formen moralischen Denkens“ nicht hinreichend anzuerkennen. 60 Murdochs großes Anliegen war es, darauf hinzuweisen, dass Werte eine ‚moralische Welt‘ von Menschen konstituieren. Sie tun dies in unterschiedlichen Formen, etwa im alltäglichen Gespräch, in der Literatur oder auch in der emotionalen Auseinandersetzung. Es ging ihr um einen bestimmten Umgang mit dem Begriff einer allgemein, global und empirisch zugänglichen Welt der Tatsachen in Abgrenzung zu einer durch Werte und moralische Sensibilität zugänglichen Welt. Sie betonte, dass Tatsachen nicht die einzige, sondern lediglich eine Form des ‚Weltverstehens‘ seien. Die Reform sah vor, dass ein zentraler Aspekt der ethischen Auseinandersetzung, nämlich die Formulierung und Repräsentanz tierlicher Interessen, auf der Darstellung indisputabler Tatsachen beruhen sollte. Die Übertragung Murdochs Kritik auf den Ansatz der Reform ist deshalb besonders erhellend, weil Murdoch zum Zeitpunkt der Reform eine Tendenz beobachtete, die sich in der Sprache der Reform durchaus wiederfindet. Es lässt zwar annehmen, die ethische Voraussetzung, dass Tiere zu ökonomischen Nutzungszwecken unter den verbreiteten Konditionen gehalten werden dürfen, sei gesellschaftlicher Konsens. Doch das kann ebenso kritisiert werden, ohne gegen Konsensmeinungen zu verstoßen. Folgender Einwand wäre etwa keine Einzelmeinung: In der Massentierhaltung sind Landwirte gezwungen, den

60 Diamond (2012b,7)

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Wert oder die Würde des tierlichen Lebens rein nach dem Maßstab des ökonomischen Profits zu beurteilen und das ist moralisch verwerflich, denn wir brauchen so generierte Leistungen nicht dringend zum Überleben. Eine verbreitete Kritik könnte auch lauten: Gewalt gegen Tiere ist nur legitim, wenn wir darauf tatsächlich angewiesen sind. Es ist schwer zu sagen, welche ethische Voraussetzung verbreiteter wäre. Denn Überzeugungen darüber entwickeln sich als gesellschaftlicher Wandel. Eine Gesellschaft weiß nicht einfach zu einem bestimmten Zeitpunkt die Bedeutung dessen, was es heißt, dass profitorientierte Agrartierhaltung zum Beispiel gewaltsam abläuft und ob dies ethisch gerechtfertigt oder ungerechtfertigt wäre. Sie muss diese Bedeutung durch die Erzählung der Situation der Tiere und die Klärung des Gewaltbegriffs erlernen. Je nachdem, wie sie zur Bedeutung von Tierhaltungsformen als gewaltsam steht, wird sie diese vielleicht als Bestandteil des guten Lebens oder als wertlosen Luxus begreifen. Der Lernprozess über verschiedene Bedeutungen von moralisch relevanten Begriffen ist emotional, insofern in ihm die Konflikte zwischen Emotionen (‚das ist grausam!‘) und eigenen Vorurteilen (‚das ist eine normale Nutztierhaltung‘) eine zentrale Rolle spielen. Nehmen wir beispielsweise an, jemand habe das Vorurteil, dass Schlachtungen keine gewaltsamen Tötungen sind. Der Ausgangspunkt eines Lernprozesses über die Bedeutung dessen, was als gewaltsam gilt, wäre folgende Überlegung: Ist das, was ich als normale Schlachtung kenne, nicht eigentlich eine gewaltsame Tötung?

Nehmen wir an, der Reflexionsprozess setzt ein, ohne dass die Person neue Informationen über die Umstände der Schlachtung erhält. Sie beobachtet auch keine Schlachtungsabläufe mehr. Alles, was sie im Reflexionsprozess abruft sind innere Bilder und Informationen, also Erinnerungen. Das heißt, die deskriptiven Bestandteile des zu untersuchenden Umstands sind irrelevant. Worauf es ankommt, ist ihre Neudeutung und deren sprachliche Fassung. Das setzt voraus, dass die reflektierende Person in der Lage ist, die inneren Konflikte zwischen der bisher als vernünftig erachteten Beschreibung einer normalen Schlachtung und des Begreifens von Gewalt zu artikulieren. Es ist nun offensichtlich, dass diese Artikulation jenseits der Frage entstehen muss, zu welchem Ergebnis wohl eine vernünftige Person gelangen würde. Murdoch gibt in ihrem Essay The Idea of Perfection, der ungefähr zur Zeit der Reform erstmals veröffentlicht wurde, ein ähnliches Beispiel und kritisiert damit das Idealbild eines vernünftigen Menschen als reduktionistisches Modell in der Moralphilosophie. Insbesondere setze das Modell voraus, dass der ideale Vernunftmensch

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„seine Wünsche an definitive Möglichkeiten der definitiven Zukunft knüpft […] die gegenwärtige Situation von unbewussten Erinnerungen der Vergangenheit unterscheiden kann… und seine Handlungsmotive in instinktiven Bedürfnissen findet, die sich im Rahmen objektiv beobachteter Bedingungen dieser Situation befriedigen lassen“.61

Murdoch macht gegen eine solche Sicht empirische, philosophische und letztlich auch moralische Einsprüche geltend: Menschen sollten ihr Wesen und ihr Verhalten nicht an diesem Ideal ausrichten. Der moralische Einspruch hängt aber unmittelbar mit dem empirischen Einspruch zusammen, dass Menschen nicht auf diese Weise rational sind, sondern ihr Bewusstsein auch von Emotionen und moralischen Werten und nicht nur von Tatsachen und Bedürfnissen geprägt ist.62 Das von Murdoch kritisierte ethische Modell gleicht jenem, was der Reform von 1972 unterlag: Der vernünftige politische Akteur verfolgt hier willentlich seine instinktiven Interessen an der Tiernutzung und diese werden durch den Tierschutz eingeschränkt. Dass diese Interessenbeschränkung vernünftig ist, wird vorausgesetzt, ohne diesen Umstand in Verbindung mit der Entwicklung und Artikulation moralischer Empfindungen zu bringen. Die moralphilosophischen Arbeiten von Murdoch und Diamond fordern dazu auf, den Zusammenhang der emotionalen Auseinandersetzung mit dem moralischen Fortschritt stärker anzuerkennen. Wichtiger Ausgangspunkt für die Kritik am besagten Idealmodell eines vernünftigen Menschen ist die problematische Konstruktion wissenschaftlicher Realitätsbeschreibungen. Diamond schreibt dazu: „Wir sehen uns als Wesen mit der Fähigkeit, durch den Einsatz der Vernunft und der Sinne die Welt zu beschreiben; und die Anwendung der Wissenschaftssprache fassen wir als Modell einer solchen Realitätsbeschreibung auf. Dieser Seite unserer selbst (Vernunft und Wahrnehmungsfähigkeit) stellen wir auf der anderen Seite Emotionen, Begehren und Willen gegenüber und den ganzen Rest unserer Sprachverwendungen erklären wir uns als Verwendungen, bei denen die Seelenkräfte dieser anderen Seite zum Tragen kommen.“63

Entsprechend dieser Konstruktion könnte man meinen, eine vernünftige ethische Entscheidung müsse stets auf einer wissenschaftlichen, unsentimentalen Sicht

61 Vgl. Murdoch (2001, 6), Übers. d. Autors. 62 Vgl. Diamond (2012d, 224) und Murdoch (2001). 63 Cora Diamond skizziert hier das von Iris Murdoch kritisierte Bild in ihrer Auseinandersetzung mit Formen des Verlustes moralischer Begriffe. Vgl. Diamond (2012c, 240).

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der Dinge basieren. Doch was heißt ‚basieren‘? Benötigt der rationale Mensch für seine ethischen Entscheidungen lediglich die logische Struktur eines moralischen Urteiles? Muss er unklare emotionale Begriffe, die eine vieldeutige normative und deskriptive Komponente besitzen, wie ‚Dankbarkeit‘ oder ‚Stolz‘ vermeiden bzw. in ihre deskriptiven Bestandteile auflösen und sich bei der Auswahl moralischen Vokabulars auf eindeutige normative Begriffe wie ‚gut‘ oder ‚richtig‘ beschränken? Sollten die Akteure der Reform von 1972 dies gemeint haben, lässt sich nun folgende Kritik daran formulieren. Ein solcher Ansatz ist ungeeignet, den gesellschaftlichen Konflikt über die ethischen Voraussetzungen des Tierrechts zum Ausdruck zu bringen. Eine Befürchtung im Rahmen der Kritik an den industriellen Haltungsverfahren lautete, dass Tiere in der Tierhaltung zu Maschinen degradiert werden. Was das bedeuten sollte, blieb vage, aber es handelte sich dennoch um einen zentralen Konfliktpunkt. Was bedeutet es, Tieren ihre Eigenschaft als lebende Subjekte anzuerkennen? Die durch die Reform etablierte Strategie war es, diesen Konflikt durch den Aufbau eines Sachverstandes zu besänftigen. Dieser Sachverstand basierte auf festgesetzten, aber ethisch unklaren Voraussetzungen. Das einflussreiche Modell des so konzipierten Sachverstandes hat Parallelen des von Murdoch und Diamond als unrealistisch kritisierten Modells eines Vernunftmenschen. Es wurde lediglich vorgegeben, es gäbe keine ethischen Konflikte über die Voraussetzungen eines angemessenen Tierschutzes. Die Konstruktion wissenschaftlicher Realität und Sprache ist heute im akademischen, vor allem soziologischen Kontext von großem Interesse. Es ist eine Errungenschaft der Postmoderne, dass Behauptungen der Art, das eigene politische Urteil basiere auf wissenschaftlichen Grundlagen und sei deshalb moralisch indisputabel und bedeutungsneutral, kritisch beurteilt werden. Wie sich am Beispiel inzwischen mehrmals revidierter Sachverständigengutachten zur Legebatteriehaltung zeigt, ist diese Skepsis auch im staatlichen Tierschutz geboten. Im Rückblick ist die Reform ein gutes Beispiel dafür, zu analysieren, welche interessenpolitischen Gründe aus der damaligen Sicht dafür sprachen, einen herkömmlichen Entscheidungsansatz ‚der Emotion‘, als Motor der Veränderung eines ethischen Urteils oder einer Sichtweise, vorzuziehen. In der Reform wurden weder die allgemeine Ächtung der Emotion noch die ethischen Voraussetzungen der Tierschutzregelung hinterfragt. Daher darf vermutet werden, dass die offizielle Darstellung des Tierschutzes in der Sprache eines ideal-rationalen Menschen, also bereits unter Maßgabe der sozialen Verdrängung von Emotionen, in der Lage war, die Analyse von ethischen Voraussetzungen der Tierschutzregelung insgesamt zu unterdrücken.

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Dass die Akteure der Reform ein Interesse hatten, die durch die Reform vorgesehene Entscheidungsfindung ‚frei von Emotionen‘ zu halten, ist alles andere als abwegig. Worin immer das politische Anliegen dahinter bestand, es ist kritikwürdig im diesem Sinn: Konflikte, die sich bei der Auseinandersetzung mit den ethischen Grundlagen der Agrartierhaltung ergeben, erhalten nicht die konstruktive Anerkennung, die ihnen gebührt. Ein nachvollziehbarer, emotionaler Konflikt besteht in der Empörung darüber, dass die industrielle Tierhaltung in vielen Fällen die starke Einschränkung des Lebens und schließlich auch den frühzeitig herbeigeführten Tod der Tiere bedingt. Gleichzeitig drohen nicht nur soziale, sondern auch persönliche Herausforderungen, wenn man versucht, sich mit derartigen Konflikten reflexiv zu beschäftigen und sie zu vermeiden. Insofern ist wohl gerade die Ethik hinter der Tierpolitik ein Bereich, bei dem das Eingeständnis und die aufrichtige Äußerung von Emotionen ermutigt, zumindest aber nicht in Verruf gebracht werden sollte. Deprivation der moralischen Sprache ‚Sachlichkeit‘ hat also das Potential, eine Aufklärung ethisch relevanter Konflikte in der Bevölkerung zu unterdrücken. Um dieses Argument weiter zu stärken, soll schließlich noch der Begriff der Deprivation eingeführt werden. In dem genannten Gutachten um die Legebatteriehaltung war die Vorauswahl relevanter Konzepte und Begriffe schon getroffen, indem gefragt wurde, ob Bodenhaltung und Freilandhaltung tatsächlich ‚artgemäßer‘ als die Käfighaltung seien. Weil dies nicht bewiesen werden konnte, ließ sich Verbot der Käfighaltung schwer rechtfertigen. Der missglückte Beweis war aber eine Folge zu enger begrifflicher Grundlagen, nach dem Schema: Was nicht bewiesen ist, ist irrelevant. Der Ansatz erlaubte es nicht, dem Konflikt über die Beurteilung der Käfighaltung ein entscheidungspolitisches Gewicht zu geben. Es ist aber eine demokratische Errungenschaft, dass solche Konflikte ausgetragen werden und zur Suche nach neuen Lösungsansätzen auffordern. Dafür muss die Kommunikation zwischen Entscheidungsträgern und kritischen Bürgern aufrechterhalten und dokumentiert werden. In einem gewissen Umfang sind zwar nicht Institutionen, sondern die engagierte Zivilgesellschaft dafür verantwortlich, eine Sprache der politischen Kritik aufzubauen. Aber wenn dafür die Methoden und Urteile einer rechtlich anerkannten Wissenschaft verstanden und hinterfragt und dabei emotional anmutende Begriffe vermieden werden müssen, ist das sehr viel verlangt. Die Abkopplung der entscheidungsrelevanten politischen Sprache von Ausdrücken verbreiteter Emotionen ist daher, wie nun erläutert werden soll, eine Form sozialer Deprivation: die Teilhabemöglichkeiten des ethischen Diskurses am politischen Entscheidungsprozess werden unterdrückt.

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Begriffe, die die Alltagsmoral im Tierschutz prägen, sind nicht nur Leid und Schmerz, sondern auch zum Beispiel Qual, Misshandlung, Anteilnahme, Mitgefühl, Mitfreude, Ungerechtigkeit, Gewalt, Respekt, Grausamkeit, Verbundenheit, Gnadenlosigkeit, Unterdrückung, Ausbeutung, Bedrückung, Schuld, Würde und viele mehr. Viele dieser Begriffe weisen einen direkten Bezug zu Emotionen aus oder können unter Rekurs auf Emotionen analysiert werden. Daran schließt sich ein reiches Vokabular an Begriffen an, die die Zuschreibung tierlicher Forderungen nach einem guten Leben betreffen, wie Freude, Ansprache, Selbstbestimmung, Partnerschaft, Autonomie, erfülltes Leben, sowie die Meidung von Isolation, Angst, Langeweile, Monotonie, usw. Die durch die Reform gewählte Fachsprache ignoriert viele dieser Aspekte, kommt aber dennoch zu handlungsauffordernden Urteilen darüber, welche Regeln im gesellschaftlichen Zusammenleben zwischen Mensch und Tier zu gelten haben. Die Ignoranz gegenüber alltäglichen Begriffen ist gleichzeitig eine Ignoranz politischer Anliegen. Diamonds Werk fordert zu einer Sensibilisierung für die moralische Dimension sprachlicher Deprivation auf. Sie nennt unter anderem kulturanthropologische und philosophische Literatur, der sie eine grundlegende Definition von Deprivation der Sprache in folgendem Sinne entnimmt: „Deprivation [ergibt sich] aus der Unfähigkeit […], die Dinge angemessen zu benennen (woraus resultiert, daß die eigenen Gedanken nicht wirklich gedacht werden können – dass sie falsch oder gar nicht ausgedrückt werden) […].“64

Diamond macht auch Verantwortlichkeiten für sprachliche Deprivation aus. Sie nennt jene Gesellschaftsgruppen, die über Begriffe eines Umstandes verfügen, die ‚Privilegierten‘. Sie sind in der Lage, die relevanten Sachverhalte, für sich selbst als auch für andere, ‚in Worte fassen‘ und somit Rat zur Verfügung zu stellen. 65 Es wurde in der Reform versäumt, eine Institution zu schaffen, die dies ermöglicht und dabei auch emotionale Begriffe aufgreift. Die – im rechtlich relevanten Beurteilungsrahmen – sprachlich privilegierten Veterinäre und Nutztierethologinnen konnten dieser Funktion nicht nachkommen. Ein Teil der Gesellschaft hegt heute Zweifel über die ethische Vertretbarkeit verbreiteter Haltungsformen. Nur wenige Menschen formulieren aber konkrete Positionen an die Politik, die eine Änderung der Umstände umfassend erreichen können. Ihnen könnten wichtige begriffliche Anknüpfungspunkte dafür fehlen. Eine Moralphilosophie, die Begriffe aufdeckt, die die innere Motivation der Menschen treffend be-

64 Diamond (2012c, 234) 65 Vgl. Diamond (2012c, 252).

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schreibt und analysiert, ist der deutschen Tierschutzpolitik bis heute fremd. Es kann somit auf den Mangel an begrifflicher Auseinandersetzung zurückgeführt werden, dass ein Urteil wie Die verbreitete Form der Tierhaltung ist ungerecht.

bis heute rechtlich bedeutungslos ist. Denn es zählt lediglich, ob die Haltung artgemäß ist oder ob damit ein normales Verhalten der Tiere gewährleistet wird. Alles, was über das Fachvokabular hinausgeht, fällt aufgrund der 1972 eingeführten Dichotomie zwischen Emotion und Sachverstand in den Bereich des Emotionalen, selbst ein genuin ethischer Begriff wie die Ungerechtigkeit. Die Ausgrenzung von Emotionen aus der Entscheidungsfindung ist hier aufs Engste mit der Ausgrenzung einer allgemeinen Ethik, einer jenseits der verdeckten Ethik der Nutztierethologie, verbunden. Wenn moralische Meinungen über die Gerechtigkeit gegenüber Tieren keine Bezugspunkte in der rechtlich-politischen Realität haben und damit Einflussnahme unmöglich wird, kann es sein, dass es zu Wut, zu ohnmächtiger Abkehr von der politischen Einflussnahme oder auch zur Radikalisierung der Kritik kommt. Hier gibt es vielleicht Bezüge zur Entwicklung der Tierrechtsbewegung. Die sprachlich privilegierte Schicht – oftmals Akademikerinnen und Verwaltungsbeamte – darf sicherlich die Deutungshoheit ihrer Bereiche nutzen, um andere Auffassungen zu unterdrücken. Das kann die Voraussetzung für rechtskräftige, demokratisch legitimierte Urteile im Tierschutz sein. Um diese Unterdrückung zu rechtfertigen, muss den Unterdrückten aber ein Sprachvermögen zur Verfügung gestellt, das wirklich in der Lage ist, mit Urteilen der sprachlich privilegierten Schicht in Konflikt zu treten. 66 Das bedeutet konkret, die Nutztierethologie müsste etwa ihre theoretische Verbindung zu Fragen der Gerechtigkeit offenlegen und sich damit angreifbar machen. Die Veterinärmedizin müsste ihre Methodik der Zuschreibung von Leiden angreifbar machen. In dieser Arbeit wurde anhand eines Fallbeispiels gezeigt, dass die Abwägung zwischen tierlichen und Tiernutzungsinteressen in den Ergebnissen eines Sachverständigengutachtens nach außen hin nur schwer rekonstruierbar und daher kaum angreifbar ist. In der Untersuchung durfte als artgemäß und verhaltensgerecht gelten, was mit möglichst wenig Leid – ‚möglichst‘ im betriebswirtschaftlichen Sinn – einhergeht. Die Fragen, die mit sehr viel größeren emotionalen Konflikten einhergehen dürften, lauten dagegen: Wie brutal ist die Tierhaltung? Herrscht Gewalt? Ist es ungerecht, sich mit Zucht, Mästung und Schlachtung von Tieren zu berei-

66 Ebd.

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chern? Ist unsere gängige Auffassung von Tieren als bloße Lebensmittel falsch? Solche Fragen sind in der Lage, die ethische Legitimation des Status quo der Agrartierhaltung anzuzweifeln. Sich damit in den staatlichen und akademischen Institutionen des Agrartierschutzes auseinanderzusetzen, würde ein instabiles ökonomisches Setting für die konventionelle Tierhaltung bedeuten. Die Verdrängung der Ethik, die zuweilen auf Emotionen rekurriert oder durch sie motiviert wird, kann dagegen unklare Voraussetzungen der Entscheidungsfindung verdecken, die mit Deprivation der Bevölkerung und gravierenden Folgen für Tiere einhergehen.

Z WISCHENFAZIT Die Behauptung, wenn menschliche Emotionen in der Entscheidungsfindung ignoriert würden, ließe sich der Kompromiss zwischen tierlichen und Tiernutzungsinteressen besonders objektiv gestalten, erweist sich als falsch. Damit wird auch der zweite große Einwand zur Verteidigung des Ansatzes der Reform zurückgewiesen. Dafür wurde zunächst gezeigt, dass sich die Ächtung der Emotion im Rahmen der Reform keineswegs auf rhetorische Phrasen reduzieren lässt. Die Äußerungen finden sich in konkreten Maßnahmen in der Entscheidungsfindung wieder, die zum Ziel haben, den politischen Einfluss von Emotionen zu begrenzen, indem ihr Ausdruck und damit auch ihre öffentliche Nachvollziehbarkeit im Vorfeld unterbunden werden. In Anlehnung an die Persönlichkeitspsychologie wird hier vorgeschlagen, solche Maßnahmen als Strategie gesellschaftlicher Verdrängung zu verstehen. Es wurden drei verschiedene Optionen gezeigt, wie sich eine solche politische Strategie rechtfertigen ließe: Die Vermeidung des emotionalen Ausdrucks in Tierschutzdebatten, die Unterdrückung der Empathie in der Tierschutz-Forschung und die Unterdrückung emotionaler Konflikte im Rahmen der Tierethik. Alle drei Optionen halten Einwänden, die vor allem der Philosophie entstammen, nicht stand. Die Analyse zeigt, dass die Verdrängung von Emotionen einer Klärung entscheidungspolitischer Fragen im Wege steht, darunter: Was sind die Anliegen der Bevölkerung und der Interessengruppen im Tierschutz und wie werden sie gegenwärtig berücksichtigt? Welche Konflikte bleiben, wenn ein auf Rentabilität ausgerichtetes Haltungssystem umgesetzt ist, das ‚möglichst‘ wenig belastend für die Tiere ist? Ein Mensch kann konstruktiv und weniger konstruktiv mit Emotionen umgehen. Die Psychotherapie empfiehlt daher den Ausdruck und die Anerkennung der eigenen Gefühle, um ihnen ihre Vagheit und Unberechenbarkeit zu nehmen und sie kognitiv besser steuern zu können. Es hätte einiges für sich, den seit

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Jahrzehnten andauernden gesellschaftlichen Konflikt um den Agrartierschutz als einen Patienten zu betrachten, der psychotherapeutisch betreut werden muss. Das hieße, sich in erster Linie klar zu machen, was ‚ihn‘ bewegt, welche Gefühle, Angst, Wut, Empörung oder andere Emotionen in ‚ihm‘ zu Konflikten führen. Staatliche Institutionen könnten, sofern sie unparteilich sind, bei dieser Aufgabe eine Schlüsselrolle einnehmen. Derartigen Institutionen kann insbesondere die akademische Ethik helfen. Was das Verhältnis zwischen Emotion und Ethik betrifft, sei hier betont, dass es um prozedurale Rahmenbedingungen der Tierpolitik ging und dafür lediglich argumentiert wurde, dass ethische Urteile häufig emotional unterlegt sind. Es bleibt die metaethische Frage offen, wie sich dieses Zusammenspiel genau vollzieht. Insbesondere soll nicht der Eindruck entstehen, dass emotivistische Theorien, wonach ethische Urteile stets emotionale Einstellungen widerspiegeln, für die Ethik oder gar die Politik besonders vielversprechend wären. Dennoch lässt die hier vorgelegte Analyse einen Rückschluss zu, der in genauem Widerspruch zu derjenigen steht, die durch die Reform von 1972 beworben und diesem Kapitel als Zitat vorangestellt wurde: Damals, bei der Beratung des Tierschutzgesetzes, hätten ethische und philosophische Überlegungen über gesellschaftlich verbreitete Emotionen hervortreten müssen gegenüber jener wissenschaftlichen Grundlage, die noch vage und an vielen Stellen unzureichend fundiert war.

Teil III: Resümee

Die Reform von 1972 als historisches Ereignis

1972 wurde nicht nur das Tierschutzgesetz reformiert, sondern es wurde eine bestimmte, bis heute praktizierte Politik etabliert, die staatliche Regelung des Schutzes tierlicher Anliegen in der Agrartierhaltung, kurz, die Agrartierpolitik. Diese Politik wurde zum Vorbild des 1976 abgeschlossenen Europäischen Übereinkommens zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen und damit einflussreich in ganz Europa. Konzeptionell steht sie in der Tradition jener Tierschutzpolitik, die 1933, im deutschen Faschismus, begründet wurde. Nach außen betont diese Konzeption den Anspruch, einen Kompromiss zwischen den Belangen der Tiere und produktionsökonomischen Interessen zu gewährleisten. Außerdem wird der Anspruch betont, Tiere um ihrer selbst willen zu schützen. Das bedeutet jedoch nicht, dass nicht-menschlichen Individuen subjektive Rechte zugesprochen werden oder dass sie ihren rechtlichen Status als handelbares Eigentum verlieren. Die Formulierung ‚um ihrer willen‘ meint, dass keine menschlichen Interessen oder Emotionen als Gründe für staatliche Tierschutzmaßnahmen angeführt werden dürfen, sondern nur die veterinärmedizinisch geprägte Leidvermeidung. Im Kommentar des Gesetzes von 1933 wurde dies – zu Unrecht, wie argumentiert wurde – als Fortschritt dargestellt. Der Bezug auf menschliche Gefühle gilt rechtsterminologisch dennoch bis heute als anthropozentrischer Tierschutz. Der durch die Reform von 1972 etablierte ‚ethische‘ Tierschutz sieht vor, dass Profite des Tierhaltungssektors vernünftige Gründe für die Zufügung von Tierleid sein können. Die Ermöglichung von tierlicher Freude wird nicht explizit geregelt, sie findet wenn überhaupt nur innerhalb der vagen Zielgröße ‚Wohlbefinden‘ einen Raum, doch nicht notwendigerweise. Dem Sachverständigengutachten kommt bei der Abwägung zwischen Tierleid und den Anliegen wirtschaftlicher Tiernutzung eine entscheidungspolitisch wichtige Rolle zu. Ein zentraler Begriff, der durch die Reform von 1972 rechtlich etabliert wurde, ist die ‚artgemäße‘ Tierhaltung, die heute im öffentlichen Bereich auch unter dem Sy-

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nonym artgerechte Tierhaltung bekannt ist. Wichtige Einflüsse auf das Konzept der artgemäßen Tierhaltung hatte die Arbeit von Konrad Lorenz, der schon in den 1930er Jahren mit Institutionen des veterinärmedizinisch ausgerichteten staatlichen Tierschutzes kollaborierte. Die Reform wurde von ihren Protagonisten damit beworben, dass der angemessene Grad an rechtlichem Tierschutz mit Hilfe der Ethologie präziser bestimmt werden könne. Diese Arbeit hinterfragt rückblickend diese Darstellung. Zwar konnte die Wissenschaft dem staatlichen Tierschutz fortan Hilfestellungen leisten. Dies hatte aber zur Folge, dass tierethisch progressive Annahmen, die sich von den gängigen Voraussetzungen der wissenschaftlichen Arbeit von Veterinärinnen und Nutztierethologen unterscheiden, unter den Vorwurf gerieten, nicht sachlich im Sinne von wissenschaftlich fundiert zu sein. Wer innerhalb der für Tiere engagierten Zivilgesellschaft eine im tierethischen Sinn grundsätzliche Kritik an der gängigen Form der Tiernutzung vertrat, hatte kaum mehr Möglichkeiten, in Sachverständigengutachten über die artgemäße Tierhaltung Gehör zu finden, weil Veterinärmedizin und Nutztierethologie aus methodischen Gründen eine derartige Kritik nicht vorsahen. Inwiefern dieser Umstand die Distanz der alternativen Tierrechtsbewegung zum Tierschutzsektor prägte, ist eine wichtige historische Frage, die noch weiterer Klärung bedarf. Der Aufbau eines rechtlich wirksamen, agrarisch geprägten Sachverstandes im Tierschutz verschaffte dem aufstrebenden industriellen Tierhaltungssektor und der tierverarbeitenden Industrie einen Vorteil. Denn wissenschaftlich fundierte Entscheidungen liefern rechtliche Stabilität und verbessern das Investitionsklima, wenn dabei moralische Vorurteile über den Umgang mit Tieren unangetastet bleiben. Es gibt Anzeichen dafür, dass Mitte der 1960er Jahre befürchtet wurde, dass sich die gesellschaftliche Kritik, die sich zunächst an einzelnen, besonders grausam erscheinenden Haltungsaspekten ausrichtete, zu einer Generalkritik am Status quo der Tierhaltung ausweiten könne. Außerdem drohte das Verbot der sich verbreitenden und ökonomisch erfolgreichen Käfighaltung von Hühnervögeln, das durch die Reform schließlich für lange Zeit umgangen wurde. 1969 beschlossen der Innenausschuss und der Agrarausschuss des Bundestages, dem BML die Ausgestaltung des wissenschaftlichen Ansatzes für die Verordnungsregelung der Tierhaltung zu übertragen. Mit der Verankerung einer nutztierethologischen Terminologie im Gesetz von 1972, deren normative und philosophische Grundlagen zum Zeitpunkt der Abstimmung unklar blieben, wurde dieser Aufforderung nachgekommen. Sie bestimmt bis heute die Abwägung zwischen tierlichen Interessen und Tiernutzungsinteressen.

These: Blinde Flecken im Tierschutzrecht

Das in dieser Arbeit gesichtete Material legt nahe, dass die Darstellung der staatlichen Tierschutzpolitik in der Reform von 1972 ein Missverständnis darüber riskierte, welche Anliegen mit dieser Politik prioritär verfolgt wurden. Die in der Reform institutionell verankerte Sachverständigkeit im Tierschutz gleicht einem blinden Fleck in vielerlei Hinsicht. Eine Schlüsselrolle dabei spielte die institutionelle Andockung der Entscheidungsfindung an Urteile der Nutztierethologie über artgemäße Tierhaltung. Deren philosophische und ethische Vorannahmen blieben für Laien und sogar Fachkundige verborgen. Drei ungeklärte Voraussetzungen der 1972 zur Wahl gestellten Regelung können genannt werden, die das Missverständnis provozieren, das Gesetz schütze tierliche Interessen vor profitorientierten Tiernutzungsinteressen. Rentabilität als Entscheidungskriterium Der erste Aspekt betrifft die Rentabilität der Tierhaltung. Dem im Rahmen der Verordnungsregelung getroffenen Kompromiss zwischen tierlichen Interessen und den Interessen der Tiernutzung fehlten die ökonomischen Entscheidungsparameter, um zu dem vorgesehenen ‚Einklang‘ beider Interessen zu kommen. Im Falle eines Konfliktes ökonomischer und tierlicher Interessen ist unklar, welche der Konfliktparteien unter welchen Bedingungen bevorzugt werden soll. Weder der vernünftige Grund, noch das Kriterium der ‚Unvermeidbarkeit‘ einer Haltungsmaßnahme sind gute Abwägungskriterien für Konflikte zwischen tierliche und Tiernutzungsinteressen. Denn beide lassen sich uneingeschränkt im ökonomischen Sinn deuten. Ein denkbares Beispiel für eine politisch relevante und damit diskutierbare ökonomische Zielgröße wäre der positive Return-onInvestment des Stallbaus und des Kaufes der Tiere. Solche konkreten Sollgrößen vermied man aber in der Darstellung der Reform. Die Zustimmung zur Reform musste demnach die zentrale Frage außer Acht lassen, ob ein Beitrag zur be-

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triebswirtschaftlichen Rentabilität eine Einschränkung der Tiere rechtfertigt und, wenn ja, wie hoch dieser Beitrag sein müsste, um sie zu rechtfertigen. In der Nutztierethologie ist eine konkrete Antwort auf diese Frage zumindest nicht vorgesehen, obwohl ihre Urteile davon betroffen sind. Das oben erläuterte Bild des prädeterminierten Kompromisses im Agrartierschutz veranschaulicht diese Unklarheit. Die artgemäße Tierhaltung wurde mal in die Nähe deskriptiver, ethisch indisputabler tierliche Belange gerückt, denen vage gehaltene ‚Erhaltungsinteressen‘ der Menschen gegenüber stehen; und an anderer Stelle wurde offen zugestanden, dass die Beurteilung der artgemäßen Tierhaltung selbst einen Kompromiss darstellt, der eine produktionstechnische und damit durch ökonomische Zwecke geforderte Belastung der Tiere vorsieht. Die Diskussion wirtschaftlicher Sollgrößen einer anzustrebenden Tierpolitik würde Konturen unterschiedlicher Grundsätze im Tierschutz schärfen. Eben jene Konturen verschwimmen in der Vereinheitlichung eines veterinärmedizinisch geprägten Tierschutzes und in der Methodik der Nutztierethologie. Die Diskussion der Rentabilitätskriterien würde auch die Frage einschließen, ob sich die marktwirtschaftliche bzw. kapitalistische Produktionsweise, die Tiere als gewinnbringendes Eigentum behandelt, überhaupt mit ethischen Anforderungen an die Tierhaltung vereinigen lässt. Sollten tierliche Leistungen nur non-profit, ohne zu hohen Kostendruck, entstehen? Es sind rechtliche Sonderformen denkbar, um die Haltung von Tieren von den Regeln des profitorientierten Wettbewerbs zu entkoppeln. Juristische Vorbilder dafür gibt es etwa im Stiftungs- und Vereinswesen und gemeinnützigen Unternehmensformen. Die Entscheidungsrelevanz der Tierphilosophie Der zweite Aspekt betrifft die Zuschreibung von Tierleid und -freud. Es gibt dafür verschiedene methodische Zugänge, die jeweils einen eigenen Umgang mit dem Zweifel an mentalen Zuständen der Tiere zum Ausdruck bringen. Die Nutztierethologie, an die diese Frage vor allem herangetragen wurde, schlug eine mangelhafte, kompromisshafte Lösung vor. Man dürfe zwar über Tierleid urteilen, allerdings nur unter dem Eingeständnis, dass solche Urteile nicht wirklich wissenschaftlich seien. Das hat zur Folge, dass nicht primär das Tierleid, sondern eine ethologisch-behavioristische Verhaltensnorm wissenschaftlich ausgemacht wird, aus der dann Tierleid – zweifelhaft und ‚unwissenschaftlich‘ – abgeleitet werden kann. In dieser Arbeit wurde mit dem Ansatz der Tierphilosophie von Markus Wild ein Gegenvorschlag dazu gebracht. Kurz gefasst lautet die Entgegnung: Die objektive Zuschreibung subjektiver Zustände ist möglich, aber sie ist an philosophische Voraussetzungen geknüpft. Diese müssen daher zur

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Grundlage einer gewählten Politik werden und sie zu klären ist nicht allein eine Expertenfrage, zumindest keine unumstrittene. Denn in der offiziellen Darstellung der Reform blieb ungeklärt, wie sich der nutztierethologische Ansatz zu einem wichtigen, traditionellen Anliegen des zivilen Engagements für Tiere positioniert, nämlich der Empörung über die Darstellung von Tieren, als wären sie bloß mechanische Dinge ohne Geist. Das Risiko der behavioristischen Grundannahme besteht darin, die direkte Wahrnehmung von Bestandteilen tierlicher Subjektivität auszublenden.1 Es wird in dieser Arbeit vorgeschlagen, dieses Risiko in Anlehnung an den Vorwurf des Anthropomorphismus den Mechanomorphismus tierlichen Lebens zu nennen. Dieser läuft insbesondere Gefahr, jene Bestandteile, die nicht-menschlichen Tieren als politische Subjektive einer Gemeinschaft zukommen, durch die Überbetonung abstrakter ‚körperlicher Funktionskreisläufe‘ zu verkennen. Für die industrielle Agrartierhaltung ist dies besonders relevant, weil tierliche Individuen schon in der betriebswirtschaftlichen Kalkulation als bloße Produktionsfaktoren gelten und die Kritik daran Bestandteil der Kritik an der industriellen Tierhaltung ist. Ein wichtiger Aspekt tierlicher Subjektivität ist die Freude. Sie spielt allerdings für den bloßen biologischen Erhalt eines körperlichen Kreislaufes oder einer Art nicht notwendig eine Rolle. ‚Wohlbefinden‘ der Tiere ist nicht mit Freude zu gleichzusetzen, denn Ersteres wurde im Rahmen der Reform auch als Leidfreiheit definiert, notwendig für das Überlegen und den Erhalt körperlicher Kreisläufe. Der unklare Begriff des Wohlbefindens in §1 erlaubt eine Ausrichtung der Politik an der Leidvermeidung und weckt gleichzeitig bei Laien Assoziationen mit tierlicher Freude. Eine Klärung der rechtlichen Rolle von Freude ist aber höchst relevant für den Konflikt zwischen tierlichen Interessen und denen der Tiernutzung. Denn der Entzug freudvoller Stimulationsmöglichkeiten der Tiere hat wahrscheinlich die gleiche ethische Dringlichkeit wie die Zufügung von Leid. Mechanomorphismus und die Rolle freudvoller Zustände sind zwei Themen, die in der Reform von 1972 ungeregelt blieben. Das hat bis heute politisches Konfliktpotential.

1

Die im Positionspapier des Ethologen Leyhausen geäußerte Befürchtung, dass der vorgeschlagene Bewertungsrahmen, bei dem es galt, jeden Zweifel an subjektiven Zuständen der Tiere auszuschließen, am Ende Tierschutzanliegen untergraben könnte, blieb in der öffentlichen Darstellung des Entwurfes in den Bundestagsdebatten und der Begründung der Tierschutzgesetzes unkommentiert.

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Emotionen in der Entscheidungsfindung Die Reform von 1972 sah vor, dass menschliche Gefühle in der Entscheidungsfindung im Agrartierschutz irrelevant sein sollen. Diese Arbeit präsentiert einen Deutungsvorschlag dieser unklaren Anforderung. Emotionale Gefühle lassen sich in akuten Situationen schwer kontrollieren. Sie sind oft resistent gegenüber rationalen Erwägungen, die mit ihnen in Konflikt stehen. Eine Philosophie der Emotion kann geltend machen, inwiefern sie kognitiv ‚undurchlässig‘ sind. Dennoch gibt es offensichtlich individuelle Strategien, das Auftreten von Emotionen zu umgehen, indem die Konfrontation mit dem auslösenden Moment umgangen wird. Wir können sinnstiftend darauf hinweisen, dass jemand permanent vermeidet, sich einem Gefühl zu ‚stellen‘, d. h. es zum Ausdruck zu bringen und sich damit reflektiert auseinanderzusetzen. Meist geht dann auch mit dieser Erkenntnis der Ratschlag oder die Forderung einher, die Person solle sich ihren Gefühlen stellen, um nachteilige Folgen dieser Verdrängung zu beheben. Es kann beispielsweise als nachteilig beurteilt werden, Höhenangst dadurch zu umgehen, dass man sein Leben lang den Ausblick aus der Höhe vermeidet. Auf der anderen Seite können wir berechtigterweise jemanden auffordern, Emotionen wie Wut oder Empörung kurzfristig zu unterdrücken, beispielsweise um daraus resultierende Aggressionen zu vermeiden. Diese beiden Formen des angemessenen Umgangs mit Emotionen in einer bestimmten Situation wenden wir alltagspsychologisch regelmäßig an. Emotionstheorien können diesen alltäglichen Umgang unterstützen und dabei auch angemessene emotionale Reaktionen ausmachen. Dieser alltägliche und theoretisch untermauerte Umgang mit Emotionen lässt sich von einer rein individuellen auf eine tierpolitische, gesellschaftliche Ebene übertragen. Drei Übertragungsvarianten wurden vorgestellt und im Hinblick auf tierliche und Tiernutzungsinteressen untersucht: Die Verdrängung von Emotionen aus öffentlichen Debatten stellt sich als destruktiv aus Sicht aller beteiligen Interessengruppen heraus.

T HESE: B LINDE FLECKEN

IM

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Abb. 4: Möglichkeiten der politischen Einflussnahme Aufarbeitung und Verfolgung emotionaler Erwägungen, die mit konservativen / tierethischen Grundsätzen in Emotionale Verstörungen

Konflikt stehen

über sichtbare Resultate der etablierten Tierschutzpolitik

Verdrängung von Emotionen zugunsten konservativer tierpolitischer / tierethischer Vorurteile

Quelle: Eigene Darstellung

Denn in jedem Fall bleibt durch die Verdrängung offen, welche Vor- und Nachteile, Forderungen und Wünsche mit der Verdrängung einhergehen. Es wurde in der Arbeit auf philosophische Literatur verwiesen, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzt und zur Aussicht gestellt, dass die soziale Verdrängung emotionaler Konflikte einem moralischen Fortschritt im Umgang mit Tieren im Wege stehen kann. Wie diese Analyse zeigte, sind Erkenntnis und Ausdruck eines Konfliktes zwischen Emotion und verbreitetem Urteil etwas, das sich trainieren oder hemmen lässt. In der Reform wurden sie gehemmt und damit auch die Verfolgung innovativer politischer Ansätze zur Klärung der Konflikte unterwandert. Zwei tierpolitisch wichtige Möglichkeiten des Umgangs mit Emotionen sind in Abb. 4 dargestellt. Emotionen politisch nicht zu ächten, sondern als „Vielfalt der Formen moralischen Denkens“2 anzuerkennen, ist allein deshalb wichtig, weil ein großer Teil tierethischer Literatur sich auf menschliche Emotionen bezieht und diese Literatur für neue Rechtsgrundsätze im Tierschutz zu Hilfe gezogen werden kann. Das der Reform unterliegende ethische Modell eines ideal rationalen Menschen muss jene inneren Konflikte in der Mensch-Tier-Beziehung ausblenden, die viele Menschen offensichtlich bewegen und ist deshalb gerade im gesellschaftlichen Kontext als methodische Voraussetzung realitätsfern. Eine weitere in diesem Buch präsentierte Deutungsvariante der sozialen Verdrängung von Emotionen betrifft die Rolle der Empathie. Moralphilosophische

2

Diamond (2012b, 7).

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Literatur stellt zur Aussicht, dass Empathie in der Zuschreibung von Tierleid, eine – wenn man so will – sachliche Auseinandersetzung mit der Perspektive eines anderen Individuums, im Interesse der Tiere politisch fruchtbar machen kann. Umgekehrt kann das Potential der Empathie zu Lasten von Tieren und Menschen vernachlässigt werden. Empathie bzw. ein Mangel an Empathie kommt insbesondere dann eine politische Rolle zu, wenn erwiesenes Tierleid mit menschlichen Nutzungsinteressen abgewogen werden muss und dafür nicht nur die Frage wichtig ist, ob Tiere leiden, sondern auch die Fragen, welche Bedeutung Tierleid und damit welche Dringlichkeit der Schutz der Tiere hat. Der mögliche Einfluss der Empathie auf politische Entscheidungen im Tierschutz wurde in der Reform von 1972 nicht thematisiert. Zusammenführung: Zustimmung vor dem Hintergrund blinder Flecken in der Tierschutzregelung Die Auseinandersetzung mit den philosophischen und ethischen Grundlagen des Tierschutzes ist komplex. In so wegweisenden Entscheidungen wie der Reform des Tierschutzgesetzes wäre es daher wichtig gewesen, verschiedene Optionen und ihre möglichen Folgen zu kommunizieren, was den Akteuren der Reform fernlag, sie bemühten die Vorstellung der Eindeutigkeit. Mit der Strategie, emotionale Ausdrücke generell zu ächten und die akademische Ethik auszublenden, wurde es für Kritikerinnen des Ansatzes unnötig schwer, die argumentativen Grundlagen bereitzustellen, Alternativen zu entwickeln. Die nahezu einhellige Billigung des zur Wahl gestellten Ansatzes legt in diesem konfliktbeladenen Terrain eher den Schluss auf Unkenntnis von Alternativen als auf tatsächlich überzeugte Zustimmung nahe. Versuchen, sich emotionalen Unklarheiten zu nähern, drohte der Vorwurf der mangelnden Sachlichkeit oder gar des anthropozentrischen Tierschutzes. Indem ‚feststehende Erkenntnisse‘ und eine ökonomische ‚Realität der Zwänge‘ stark gemacht wurden, richtete sich der Vorwurf der Unsachlichkeit implizit gegen jede Kritik am Status Quo des geltenden Tierrechts und seiner realen Folgen. Außerdem wurde gezeigt, dass Kritik oft auf der empathischen, emotionalen Anteilnahme am Leben der Tiere gründet, die sanktioniert wurde. Insofern die Reform von 1972 eine hohe Zustimmung von allen beteiligten Interessengruppen erlangte, gleichzeitig aber auf offensichtlich umstrittenen theoretischen Problemen basierte, die es zumindest Wert gewesen wären, als solche kenntlich zu machen, kann das hier gesichtete Material die These stützen, dass die Darstellung der Agrartierpolitik als ‚Tierschutzpolitik‘ unnötige Missverständnisse riskiert. Erst die Offenlegung theoretischer Konfliktpunkte in der Darstellung und öffentliche Diskussion des staatlichen Tierschutzes kann

T HESE: B LINDE FLECKEN

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zukünftig zeigen, ob es tatsächlich einen gesellschaftlichen Konsens darüber gibt. Die These unnötiger Missverständnisse durch die Vereinheitlichung und Versachlichung des Tierschutzes lässt sich aber weiter erhärten und ausbauen. Es lassen sich andere historische Beispiele nach 1972 in Deutschland und Ländern mit einem ähnlichen Tierschutzrecht heranziehen. Die philosophische Analyse der Grundlagen tierrechtlicher Entscheidungsfindung steckt noch in den Kinderschuhen und bietet ein reichhaltiges Arbeitsfeld.

Handlungsbedarf und Ausblick Um wahrzunehmen, daß darin eine Ungerechtigkeit liegt […]. CORA DIAMOND1

Die Entscheidungsgrundsätze der deutschen Tierschutzpolitik im Agrarbereich haben sich auch im Rahmen der EU-Harmonisierungsbestrebungen seit 1972 nicht grundsätzlich verändert. Manchmal ist in Tierschutzdebatten davon die Rede, dass ein ‚Bewusstseinswandel‘ in der Bevölkerung nötig wäre, um den gesellschaftlichen Umgang mit Tieren und damit auch die Rechtssetzung grundsätzlich zu verändern. Wenn ein solcher Wandel von Tieraktivisten gefordert wird, zementiert dies unnötigerweise die fragliche Behauptung, es gäbe einen stabilen gesellschaftlichen Konsens zum staatlichen Agrartierschutz. Um das zu zeigen, müssten die Interessenkonflikte und Dringlichkeiten des Politikfeldes allerdings deutlicher ausgearbeitet und noch einmal zur Wahl gestellt werden. Zwei Vorschläge lassen sich formulieren, wie klärendes Konfliktpotential konstruktiv in Debatten um den staatlichen Agrartierschutz eingebracht werden kann. Der erste Vorschlag lautet, das Potential empathischer Mitfreude politisch geltend zu machen. Mangel an Empathie drückt sich nicht nur in der Indifferenz gegenüber Tierleid, sondern auch gegenüber tierlicher Freude aus. Wir können davon ausgehen können, dass Tiere ihr Interesse an der Ermöglichung von Freude bekunden würden, wenn sie könnten. Die Vermeidung starker Leiden und Bewegungseinschränkung gilt in der Tierethik zuweilen als negative ethische Pflicht.2 Das Resümee derartig aufgestellter ethischer Ansätze lautet dann häufig, es wäre bereits viel gewonnen, wenn die negativen Pflichten gegenüber Tieren endlich eingehalten würden. Das klingt so, als könnten domestizierte Tiere durch Maßnahmen der Leidvermeidung nur gewinnen. Das ist aber nicht der

1

Diamond (2012a, 189).

2

Vgl. Wolf (2012).

272 | TIERSCHUTZ ALS A GRARPOLITIK

Fall. Denn unter die Maßnahmen der Leidvermeidung fallen auch solche, die freudvolle Erfahrungen verhindern können, etwa die Einschränkung des Auslaufes zur Minimierung der Verletzungsgefahr. Allein die Vermeidung von Leid kann folglich für Fragen wie die Angemessenheit von Bewegungseinschränkungen nicht ausschlaggebend sein. Sicherlich lässt sich argumentieren, es sei strategisch sinnvoll, konsequent für die Einhaltung negativer Pflichten zu plädieren, um Menschen nicht mit positiven Pflichten zu überfordern. Doch die Beachtung der Geschichte des Tierschutzrechts kann auch zu anderen Schlüssen führen. Rechtlich wurde nämlich stets nur die Einhaltung negativer Pflichten gefordert, vorgeblicher Pragmatismus und Kompromisse führten dann dazu, dass diese abgeschwächt wurden. Das Beispiel der Legebatterien für Hühnervögel zeigt, wie lange Verbote offensichtlich starker, unnötiger Belastungen auf sich warten lassen können, wenn Leidvermeidung als bestes Ergebnis für Tiere gilt und Möglichkeiten der Freude gar nicht erst diskutiert werden. Wer argumentiert, die Beachtung positiver Pflichten überfordere die Mehrheit der Bevölkerung, ignoriert, dass es bei der Mitfreude mit Tieren auch etwas zu gewinnen gibt. Wenn die Beschwerlichkeiten des Tierschutzes als bestmögliches Ergebnis bloß ein Ende der Schuld versprechen, ist es nachvollziehbar, dass einige sich davon abwenden. Dagegen motiviert es viele, an einem guten Gefühl der Tiere teilzuhaben. Das zeigt sich, wenn Menschen mit Hunden spielen oder Dokumentationen über das Leben von Wildtieren schauen. Es muss politisch nicht nur darum gehen, Tiere vor Leid zu schützen, sondern es darf auch darum gehen, ihnen ein gutes Leben zu ermöglichen. Eine Ableitung aus den Resultaten dieser Arbeit ist es daher, in einer zukünftigen Tierpolitik dem Ermöglichungsgedanken einen größeren Raum als bisher zu geben. Tierpolitische Optionen sollten nicht nur mit negativen Pflichten, sondern zusätzlich mit Chancen für das Zusammenleben zwischen Menschen und Tieren begründet werden. Es ginge dann politisch nicht mehr nur um tierliches Leid und menschlichen Profit und dies könnte neue Motivationen freisetzen, sich mit dem Thema Tierhaltung überhaupt zu beschäftigen. Das Gefühl der Mitfreude könnte bewirken, dass sich die menschliche Repräsentanz tierlicher Interessen im politischen System als etwas Gewinnbringendes herausstellt. Indem wirklich erstrebenswerte, freudvolle Szenarien für Tiere ausgearbeitet und eingefordert werden, die vielleicht utopisch klingen, könnte es im Kompromiss mit jenen politischen Akteuren, denen die Interessen der Tiernutzung wichtiger sind als die Interessen der Tiere, zumindest zu einer wirklichen Minimierung des Tierleids kommen. Denn damit wäre in der Tat schon viel gewonnen. So können in der zukünftigen Tierpolitik zwei Dinge unterschieden werden. Wichtig sind einerseits ethische Pflichten, die traditionell den Bereich subjekti-

H ANDLUNGSBEDARF

UND

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ver Rechte markieren. Wichtig ist andererseits aber auch die Berücksichtigung menschlicher empathischer Motive, weil Leidvermeidung in der Tierhaltung noch kein gutes Leben erzeugt und Empathie, wie im Fall der Mitfreude, Tieren und Menschen zugutekommen kann. Der zweite Vorschlag lautet, Gerechtigkeit in der Tierpolitik stärker zu berücksichtigen. Denn es zeichnet sich ab, dass Gerechtigkeitskonzeptionen in direkten Konflikt mit Urteilen der Nutztierethologie geraten. Unter welchen Umständen Tiere leiden, ist für Fragen der Gerechtigkeit selbstverständlich auch relevant. Aber Nutztierethologie und Veterinärmedizin verdecken bis heute die direkten Zusammenhänge ihrer Arbeit mit der politischen Philosophie. Dies führt nicht zuletzt zu sprachlichen Missverständnissen. Denn was folgt, wenn eine tiergerechte – oder artgemäße bzw. verhaltensgerechte – Haltung am Ende für ungerecht befunden wird? Die Nutztierethologie nennt diesen Fall nicht einmal paradox oder unwahrscheinlich, sie ist daran schlicht nicht interessiert. Welches von beiden Urteilen – artgerecht oder gerecht – zukünftig das Primat über das andere erhält, kann nur eine grundlegende Reform des heutigen Tierschutzgesetzes klären. Es zeichnen sich zwei Möglichkeiten ab. Bleiben Tiere künftig für uns als Gesellschaft vor allem ‚Natur‘ im Sinne abstrakter, systemischer Kreisläufe und der richtige Umgang mit ihnen ‚sachlich‘ in dem Sinne, dass natürliche Kreisläufe aufrecht zu halten sind, spräche das für das Primat der tiergerechten Haltung. Wir gehen dann davon aus, dass das Leben nicht-menschlicher Tiere als vollkommen am menschlichen politischen Leben vorbeigeht und daher rein naturwissenschaftlich beurteilt werden muss. Möchten wir dagegen zukünftig stärker berücksichtigen, dass Tiere politische Subjekte sind wie wir, werden wir künftige Überlegungen zur Tierschutzpolitik an einer neuen politischen Philosophie der Gerechtigkeit ausrichten müssen. Es sollte deutlich geworden sein, dass diese Arbeit für die zweite Möglichkeit plädiert. Erkennt man Tiere als politische Subjekte an, die Gerechtigkeit verdienen, wäre der nächstliegende Schritt die Klärung der staatlichen Repräsentation tierlicher Interessen. Diese Frage ist bis heute rechtlich ungeregelt. Denn dafür reicht es sicher nicht, dass sich eine Personengruppe oder Organisation den Prinzipien ‚des Tierschutzes‘ oder ‚der Tierrechte‘ verschreibt und Lobbyarbeit betreibt. Es müssen die politischen Höchstforderungen aus Sicht agrarisch gehaltener Tiere feststehen, um sie mit parlamentarischen Institutionen und mit der angemessenen Dringlichkeit demokratisch vorzutragen. Heute übernehmen die Aufgabe der Interessenvertretung pro forma selbstorganisierte und spendenfinanzierte Tierschutz- und Tierrechtsvereine, die ganz unterschiedliche Forderungen im Namen der Tiere nennen. Es ist nirgends geregelt, welche gehört werden und ob sie tatsächlich für angemessene Ergebnisse ihrer tierlichen Klienten mit der nötigen

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Entschlossenheit eintreten. Eine wohl nicht abwegige Höchstforderung wäre das Recht auf die Ermöglichung eines gelungenen, auch freudvollen Lebens, mit Elementen eines eigenen Handlungsspielraums und einer längerfristigen, stimulierenden Ereignisvielfalt. Der schwierigste Teil der Interessenvertretung ist es, solche Forderungen für jede Spezies näher zu definieren. Erst dann ist es denkbar, dass Mandate definiert werden, gemäß denen menschliche Repräsentanten die Interessen einzelner Tiergruppen, wie Schweine, Kühe oder Legehühner, vor politischen Gremien verteidigen. Hierfür benötigt man in manchen Fällen Expertenwissen. Ein Anliegen, welches kaum Expertenwissen erfordern sollte, ist aber zum Beispiel, nicht unnötig früh getötet zu werden. Der Repräsentation dieses dringlichen Anliegens durch menschliche Repräsentanten, vielleicht im Bundestag, müssten Interessenvertreterinnen der heute verbreiteten Tiernutzung ihre Gegenposition gegenüberstellen und um einen Kompromiss bitten. Ein derartiger politischer Kompromiss wäre zwar nicht zwangsläufig ethisch vertretbar, doch zumindest transparenter als der gegenwärtige. Solche Überlegungen klingen bizarr und vielleicht beängstigend. Nicht zuletzt deshalb, weil eine emotionsfreie Diskussion dann kaum mehr vorstellbar und wohl auch nicht angemessen wäre. Denn bei dem Vertretungsauftrag tierlicher Interessen geht es um Leben und Tod und die Einforderung von Rechten, bei der Vertretung der Tiernutzung um die Verteidigung traditionell menschlicher Lebensmodelle. Doch durch die Verdrängung des Konfliktes über die Legitimität verschiedener Facetten der Tierhaltung und -nutzung könnte das, was gegenwärtig als ‚sachlicher‘ Tierschutz alternativlos erscheint, langfristig für viele Menschen verstörend bleiben. Es gibt zwei in der Reform von 1972 angelegte, gravierende Mängel, die unmittelbar behoben werden sollten. Zum einen betrifft dies die Tradition, die das heutige deutsche Tierschutzrecht an das Reichstierschutzgesetz von 1933 bindet. Wie diese Arbeit zeigt, werden heute noch in der juristischen Fachsprache und in Regierungsdokumenten Begriffe verwendet, die unter dem NSRegime von Beamten geprägt wurden. Diese Begriffe verleihen dem Gesetz von 1933 einen ‚fortschrittlichen‘ Charakter, den es nicht verdient. Dies betrifft insbesondere die genannte rechtshistorische Darstellung, das Gesetz von 1933 habe den ‚ethischen‘ Tierschutz‘ etabliert und damit den ‚anthropozentrischen‘ Tierschutz überwunden. Es ist es die Aufgabe von Politikerinnen und Staatsrechtlern, sich von derartigen Euphemismen klarer zu distanzieren. Propagandaelemente jener totalitären Herrschaft, die in der Schoa mündete, dürfen keine Möglichkeit erhalten, heute noch indirekt wirksam zu werden. Der unkritische Umgang mit der deutschen Tierschutztradition im Rahmen der Reform von 1972 stärkte die Reputation des Gesetzes von 1933 in unbegründeter Weise.

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Das zweite unmittelbare Problem betrifft die demokratische Legitimation der bis heute kaum veränderten Verordnungsregelung über Mindestanforderungen. Der Inhalt dieser Verordnungen muss im Gesetz dargelegt sein, das verlangt Art. 80 des Grundgesetzes. Dies war er aber zum Zeitpunkt der Reform nicht und ist er heute immer noch nicht, ‚Vermeidbarkeit‘ und ‚artgemäße‘ Haltung sind dafür die besten Beispiele. Insbesondere neue, in dieser Arbeit vorgestellte, wissenschaftliche und philosophische Alternativen zum Behaviorismus in biologischen Forschungsansätzen erfordern eine Überprüfung des Inhalts der Rechtsverordnungen, deren Ergebnisse die allgemeine Beurteilung der Regelung beeinflussen könnten. In den letzten vierzig Jahren ist es nicht gelungen, den gesellschaftlichen Konflikt über die Tierhaltung rechtlich zu schlichten. Tierschutz im rechtlichen Sinn erlaubt es ohne weiteres, d. h. ohne angemessen komplexe, ethische Rechtfertigungen, zentrale Interessen von Tieren aus ökonomischen Gründen zu missachten. Eine Forderung nach mehr Tierschutz kann daher auch plausibel vertreten, wer an Gerechtigkeit gegenüber Tieren nicht im Mindesten interessiert ist und stringent die Interessen der Tiernutzung verfolgt. Das ist abstrus und droht die Ausnutzung der Tiere und ihre Folgen unkenntlich zu machen. Das so provozierte Missverständnis entspringt einer alten, politstrategischen Rhetorik, bei der es offensichtlich mehr um kurzzeitige Beschwichtigung als um langfristige Aufklärung geht. Eine angemessene Tierpolitik misst sich zunächst daran, ob sie sich von dieser missverständlichen Rhetorik endlich lossagt.

Teil IV: Anhang, Quellen und Literatur

Annex

A.

AUSWAHL DEUTSCHSPRACHIGER G ESETZE , E NTWÜRFE UND V ERORDNUNGEN 18 38 BIS 1959

A1. Formulierungen in Partikularrechten deutscher Staaten, die vor 1871 eingeführt wurden Kriminalgesetzbuch Sachsen vom 13. März 1838, Kap. 16: Boshaftes und mutwilliges Quälen von Tieren ist mit Gefängnisstrafe bis zu vier Wochen oder mit verhältnismäßiger Geldbuße zu bestrafen. •

Verordnung der Ministerien des Inneres und der Justiz in Sachsen vom 31. Juli 1839, Sächsisches Gesetzverordnungsblatt, 1838: Die Bestrafung des Exzesses in der an sich erlaubten Benutzung der Tiere kommt der Polizeibehörde zu. •

Polizeistrafgesetzbuch Baden vom 31. Oktober 1863, §78: Wer durch rohe Misshandlung von Tieren öffentliches Ärgernis erregt, wer den zur Verhütung einzelner Arten von Tierquälerei durch Verordnung erlassene Bestimmungen zuwiderhandelt, wird an Geld bis zu fünfundzwanzig Gulden oder mit Gefängnis bis zu acht Tagen bestraft. •

Preußisches Strafgesetzbuch vom 13. Mai 1851, §340: Mit Geldbuße bis zu fünfzig Thalern oder Gefängnis bis zu sechs Wochen wird bestraft […], wer öffentlich Tiere boshaft quält oder roh mißhandelt.



Polizeistrafgesetzbuch Hessen-Darmstadt vom 2. November 1847, Artikel 207: Rohe Mißhandlung von Tieren aus Bosheit oder Mutwillen wird mit Geldbuße bis zu zehn fl. Oder Gefängnis bis zu acht Tagen bestraft.



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A2. Kaiserliches Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, RGBl., Nr. 24 vom 15. Mai 1871, S.127 § 360, Nr. 13: Mit Geldstrafe bis zu hundertfünfzig Mark oder mit Haft wird bestraft, […] wer öffentlich oder in Ärgernis erregender Weise Tiere boshaft quält oder roh mißhandelt. A3. Entwurf für eine Strafrechtsreform von Gustav Radbruch (SPD) aus dem Jahr 1922 §325: Wer ein Tier absichtlich quält oder roh misshandelt, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bestraft. §326: Wer einer zum Zwecke des Tierschutzes erlassenen Vorschrift zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bestraft. A4. Das Reichstierschutzgesetz, und zugleich erste bundesdeutsche Tierschutzgesetz (1950-1972) vom 24. November 1933 (RBGL. I, S.987) (Auszüge) Abschnitt I Tierquälerei §1 (1) Verboten ist, ein Tier unnötig zu quälen oder roh zu misshandeln. (2) Ein Tier quält, wer ihm länger dauernde oder sich wiederholende Schmerzen oder Leiden verursacht; unnötig ist das Quälen, soweit es keinem vernünftigen, berechtigten Zweck dient. Ein Tier misshandelt, wer ihm erhebliche Schmerzen verursacht; eine Misshandlung ist roh, wenn sie einer gefühllosen Gesinnung entspricht. Abschnitt II Vorschriften zum Schutze der Tiere §2 Verboten ist: 1. Ein Tier in Haltung, Pflege oder Unterbringung oder bei der Beförderung derart zu vernachlässigen, dass es dadurch erhebliche Schmerzen oder erheblichen Schaden erleidet; 2. ein Tier unnötig zu Arbeitsleistungen zu verwenden, die offensichtlich seine Kräfte übersteigen, oder die ihm erhebliche Schmerzen bereiten, oder denen es infolge seines Zustandes nicht gewachsen ist; […]

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Abschnitt IV Strafbestimmungen §9 (1) Wer ein Tier unnötig quält oder roh mißhandelt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft.

B.

R ELEVANTE E NTWÜRFE FÜR EIN NEUES T IERSCHUTZGESETZ 1960 – 1972

B1. Diskussionsentwurf aus dem Bundesministerium für Landwirtschaft und Forsten, vom 18. Juni 1960, aus den Akten des BA Koblenz, Akte 116/195751 (Auszüge) Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen. §1 (1) Verboten ist es, ein Tier unnötig zu quälen oder roh zu misshandeln. (2) Im Sinne dieses Gesetzes sind (a) Quälen eines Tieres die Zufügung sich wiederholender mehr als geringfügiger Schmerzen und Leiden (b) Misshandeln eines Tieres die Zufügung kurzzeitiger oder einmaliger, mehr als geringfügiger Schmerzen. Unnötig ist das Quälen, wenn es keinem vernünftigen, berechtigten Zweck dient oder wenn die angewandten Mittel in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem angestrebten vernünftigen und berechtigten Zweck stehen und daher als verwerflich anzusehen sind. Eine Misshandlung ist roh, wenn sie einer gefühllosen Gesinnung entspringt. § 2 Verboten ist: 1. ein Tier bei der Haltung, Pflege oder Unterbringung oder bei der Beförderung derart zu vernachlässigen, dass es dadurch mehr als geringfügige Schmerzen, Leiden oder Gesundheitsschäden erleidet; • 2. ein Tier unnötig zu Arbeitsleistungen zu verwenden, die offensichtlich seine Kräfte übersteigen, oder die ihm mehr als geringfügige Schmerzen verursachen, oder denen es infolge seines Zustandes nicht gewachsen ist; […] •

1 Vollständig abgedruckt in Pfeiffer (2004, 241).

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• • •



10. Tiere anders als unter vorheriger Betäubung oder sonst schmerzlos zu töten, soweit dies vernünftigerweise möglich ist. 11. Geflügel durch Stopfen (Nudeln) zur Futteraufnahme zu zwingen oder in Legebatterien zu halten; 12. Hunde in ihrer Bewegungsfreiheit dauernd so einzuschränken, dass ihnen dadurch mehr als geringfügige Schmerzen, Leiden oder Gesundheitsschäden zugefügt werden; 13. die Verwendung des Doppeljochs bei Rindern.

Strafvorschriften: Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften zu erlassen • 1. über den Transport von Tieren; • 2. über Maßnahmen, die vor und nach der Schlachtung (einschließlich der Betäubung) von warmblütigen Tieren zu treffen sind, über den Ort an dem die Schlachtung, über den Kreis der Personen von denen oder in deren Gegenwart die Schlachtung durchgeführt werden darf; • 3. über die Art der Betäubung beim Schlachten von Fischen und anderen kaltblütigen Tieren sowie über die Aufbewahrung und den Verkauf dieser Tiere in lebendem Zustand; • 4. über die Zulassung von Apparaten und Verfahren, bei deren Anwendung eine vollständige Betäubung der Tiere erreicht wird. B2. Antrag der Abgeordneten Dr. Schmidt (Wuppertal), Bading, Margulies und Genossen, Bundesdrucksache IV/85, vom 14. Dezember 1961 (Auszüge) Der Bundestag wolle beschließen: Entwurf eines Tierschutzgesetzes Erster Abschnitt – Straf- und Bußgeldvorschriften §1 (1) Wer ein Tier quält oder mißhandelt, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft (2) Ein Tier wird gequält, wenn ihm unnötig längerdauernde oder sich wiederholende, mehr als geringfügige Schmerzen oder Leiden zugefügt werden. Ein Tier wird misshandelt, wenn ihm aus gefühlsloser Gesinnung kurzzeitige oder einmalige, mehr als geringfügige Schmerzen zugefügt werden. Unnötig ist das Quälen,

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soweit es keinem billigenswerten Zweck dient oder, wenn der Zweck billigenswert ist, die angewandten Mittel nicht in einem vertretbaren Verhältnis zu diesem Zweck stehen. §2 (1) Mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wenn die Tat nicht in § 1 mit Strafe bedroht ist, wer • 1. ein Tier in Haltung, Pflege oder Unterbringung oder bei Beförderung derart vernachlässigt, dass es dadurch mehr als geringfügige Schmerzen, Leiden oder Gesundheitsschäden erleidet. • 2. ein Tier unnötig zu Arbeitsleistungen verwendet, die offensichtlich seine Kräfte übersteigen, die ihnen mehr als geringfügige Schmerzen verursachen oder denen es infolge seines Zustandes nicht gewachsen ist; […] §3 (1) Mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wenn die Tat nicht in § 1 mit Strafe bedroht ist, wer 1. ein Tier ohne vorherige allgemeine Betäubung durch Ertränken, Ersticken, Erdrosseln, Totknien, Erhängen, Erschlagen, Vergiften oder sonst auf schmerzvolle Weise tötet oder 2. beim Töten von warmblütigen Tieren, bei denen eine Blutentziehung erfolgt (Schlachten), ohne vorherige allgemeine Betäubung mit der Blutentziehung beginnt. (2) Der Versuch ist strafbar. Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für […] • 3. Das Töten im Rahmen der Schädlingsbekämpfung • 4. das Töten eines Tieres, wenn die Art der Tötung zur Abkürzen seiner Leiden erforderlich ist; • 5. Notschlachtung […] • 6. das Töten von Tieren in waidgerechter Ausübung der Jagd und Fischfang; • 7. Schlachtungen nach religiösen Riten; • 8. Schlachtung von Geflügel, wenn das Töten durch schnelles vollständiges Abtrennen des Kopfes erfolgt. §7 (1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig • 1. ohne Tierarzt zu sein, einen schmerzhaften Eingriff an einem Tier vornimmt;

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2. ein Tier in seiner Bewegungsfreiheit dauernd so einschränkt, dass ihm dadurch mehr als geringfügige Schmerzen, Leiden oder Gesundheitsschäden zugefügt werden […] (2) Ordnungswidrig handelt auch, wer vorsätzlich • 1. Geflügel durch Stopfen (Nudeln) zur Futteraufnahme zwingt oder in Legebatterien hält; • 2. das Doppeljoch bei Rindern verwendet; • 3. Einhufer unter Tage verwendet. •

§ 11 (1) Ordnungswidrigkeiten im Sinne des Gesetzes können mit einer Geldbuße geahndet werden. § 20 (1) Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wird ermächtigt durch Rechtsverordnung und mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften zu erlassen 1. über die Unterbringung einschließlich des Transports von Tieren, um zu verhüten, dass den Tieren mehr als geringfügige Schmerzen, Leiden oder Gesundheitsschäden zugefügt werden; […]. B3. Antrag der Abgeordneten Dr. Schmidt (Wuppertal), Bading, Rollmann und Genossen, Bundesdrucksache V/934, vom 22. September 1966 (Auszüge) Der Bundestag wolle beschließen: Entwurf eines Tierschutzgesetzes Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen: Abschnitt I – Allgemeine Schutzvorschriften § 1 Grundsatz Niemand soll ein Tier ohne vernünftigen Grund töten oder ihm Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.

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§ 2 Einzelne Schutzvorschriften (1) Wer ein Tier hält, zu betreuen hat oder befördert, muß dafür sorgen, dass dem Tier bei der Haltung, Pflege, Unterbringung oder Beförderung keine vermeidbaren, erheblichen Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden. (2) Es ist verboten, • 1. ein Haustier oder ein gezähmtes oder gefangenes Tier einer wildlebenden Art anders als unter Betäubung oder sonst unter Vermeidung von Schmerzen zu töten, […] • 4. ein Tier ohne vernünftigen Grund zu einer Arbeitsleistung zu verwenden, die seine Kräfte offensichtlich übersteigt, oder die ihm erhebliche Schmerzen oder Leiden bereitet, oder wegen seines Zustandes nicht gewachsen ist • 5. ein Tier zur Abrichtung, Filmaufnahme, Schaustellung oder ähnlichen Veranstaltung zu verwenden, die mit erheblichen Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Tier verbunden ist, • 6. ein Tier an einem anderen Tier auf Schärfe abzurichten oder zu prüfen • 7. ein Tier zur Futteraufnahme zu zwingen, um es zu mästen. • […] § 7 Erlaß von Rechtsverordnungen (1) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften zum Schutz der Tiere bei der Haltung, namentlich bei der Aufzucht und Mast zu erlassen, um die Einhaltung der § 2 Abs. 1 und 2 Nr. 7 sicherzustellen. Die Rechtsverordnung kann in diesem Rahmen bestimmen, • 1. auf welche Art und in welchem Umfang der natürliche Bewegungs- und Gemeinschaftstrieb eines Tieres beschränkt werden darf, • 2. welche Arten von Futter und Trank sowie welche Arten des Fütterns und Tränkens zulässig sind, • 3. welche Beschaffenheit, einschließlich der Bodenbeschaffenheit, Räume, Käfige und andere Behältnisse zur Unterbringung der Tiere aufweisen müssen, • 4. wie viele Tiere in den Fällen der Nummer 3 in den Räumen, Käfigen und anderen Behältnissen untergebracht werden dürfen und • 5. auf welche Art und in welchem Umfang in den Fällen der Nummer 3 für a) Be- und Entlüftung sowie angemessene Temperatur und Luftfeuchtigkeit, b) Sauberkeit der Räume, Käfige und anderer Behältnisse sowie c) Wartung, Pflege und Beaufsichtigung der Tiere zu sorgen ist.

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(2) Die Bundesregierung wird auch ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften über die Beförderung von Tieren durch Eisenbahnen sowie Straßen-, See- und Luftverkehr zu erlassen, um die Einhaltung des § 2 Absatz 1 sicherzustellen. Absatz 1 Satz 2 ist sinngemäß anzuwenden. (3) Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wird ermächtigt, zum Schutz der Tiere vor erheblichen Schmerzen, Leiden oder Schäden durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften zu erlassen über 1. die Zulassung von Verfahren und Geräten zur Betäubung 2. die Betäubung, Schlachtung und andere Arten der Tötung sowie über die Aufbewahrung und gewerbliche Abgabe von Fischen und anderen kaltblütigen Tieren. Abschnitt II – Straf- und Bußgeldvorschriften § 8 Strafbare Tötung eines Wirbeltieres, Tierquälerei (1) Wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und mit Geldstrafe oder einer dieser Strafen bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer einem Tier 1. aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder 2. länger dauernde oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden ohne vernünftigen Grund zufügt. § 9 Strafbare Verletzung der Schutzvorschriften (1) Mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe oder einer dieser beiden Strafen wird bestraft, wer • 1. der Vorschrift in § 2 Absatz 1 über die Haltung, Pflege, Unterbringung oder Beförderung zuwiderhandelt, • 2. entgegen §2 Abs. 2 Nr. 1 ein dort bezeichnetes Tier nicht unter Betäubung oder sonst unter Vermeidung von Schmerzen tötet, § 10 Ordnungswidrigkeiten (1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig • […] • 3. einer nach § 7 Abs. 3 erlassenen Rechtsordnung, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist, zuwiderhandelt.

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(2) Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten kann mit einer Geldbuße bis zu zweitausend Deutsche Mark, die fahrlässige Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu tausend Deutsche Mark geahndet werden. (3) Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im Sinne des Absatzes 1 verjährt in einem Jahr. B4. Diskussionsentwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BML) zu einem Tierschutzgesetz vom 22.April 1970, in BA Koblenz, Akte 116/705072 (Auszüge) Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen: §1 (1) Zweck dieses Gesetzes ist es, das Tier in seiner Eigenschaft als Erscheinungsform des Lebens im Rahmen der kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten vor Behandlungen zu bewahren [schützen], die unter Berücksichtigung von Domestikations- oder anderen Adaptionsergebnissen nicht tierartgemäß und nicht verhaltensgerecht sind. (2) Dem Zweck dieses Gesetzes handelt zuwider, wer einem Tier Schmerz, Qual oder Schaden zufügt. §2 Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. Wohlbefinden: der ungestörte tierartgemäße und verhaltensgerechte Ablauf der Lebensvorgänge eines Tieres; 2. Das Zufügen von Schmerz: Die unmittelbare Einwirkung auf ein Tier, die zu erheblicher Beeinträchtigung seines körperlichen Wohlbefindens und zu erkennbaren Abwehrreaktionen des Tieres führt 3. Das Zufügen von Leiden: Die Einwirkung auf ein Tier, die zu nachhaltiger, länger dauernder Beeinträchtigung seines Wohlbefindens führt; 4. Das Zufügen von Qual: Die durch länger andauernde und [oder] wiederholte Zufügung von Schmerzen oder Leiden verursachte Beeinträchtigung des Wohlbefindens eines Tieres; 5. Schaden: Die bleibende Beeinträchtigung des Körpers eines Tieres, die durch Zufügungen von Schmerz, Leiden oder Qual verursacht worden ist.

2

Vollständig abgedruckt auch in Pfeiffer (2004, 261-266).

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§3 (1) Wer ein Tier hält oder zu betreuen hat, muss • (a) dem Tier angemessene Nahrung und Pflege sowie tierartgemäße und verhaltensgerechte Unterbringung gewähren, • (b) sicherstellen, dass die Bewegungsfreiheit des Tieres nicht andauernd und ohne vernünftigen [berechtigten] Grund so eingeschränkt wird, dass dem Tier dadurch Schmerz, Leiden, Qual oder Schaden zugefügt wird. Satz 1 gilt sinngemäß für die Beförderung eines Tieres. (2) Es ist verboten 1. einem Tier Leistungen abzuverlangen, die offensichtlich seine Kräfte übersteigen und ihm Schmerz bereiten, […] §8 Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Bundesminister) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zum Schutze der Tiere Vorschriften über deren Haltung und deren Unterbringung zu erlassen. Die Rechtsverordnung kann insbesondere Vorschriften enthalten über • 1. Art und Umfang des natürlichen Bewegungs- oder Gemeinschaftstriebes eines Tieres, • 2. Beschaffenheit von Räumen, Käfigen und anderen Behältnissen zur Unterbringung von Tieren sowie Gehegen, • 3. Anforderungen über Lichtverhältnisse, Lufttemperatur, Luftbewegung sowie Frischluftzufuhr bei der Unterbringung von Tieren, • 4. Wartung und Pflege sowie Überwachung von Tieren durch den Tierhalter oder Betreuer. B5. Entwurf des Tierschutzgesetzes vom 7. Juni 1971, Bundesratsdrucksache 278/71 (Auszüge) Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen: Erster Abschnitt – Grundsatz §1 Dieses Gesetz dient dem Schutz des Lebens und Wohlbefindens des Tieres. Niemand soll einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen

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Zweiter Abschnitt – Tierhaltung §2 (1) Wer ein Tier hält oder zu betreuen hat, • 1. muss dem Tier angemessene artgemäße Nahrung und Pflege sowie verhaltensgerechte Unterbringung gewähren, • 2. darf das artgemäße Bewegungsbedürfnis eines Tieres nicht dauernd und nicht so einschränken, dass dem Tier vermeidbare Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden. (2) Die zuständige Behörde ist befugt, im Einzelfall Maßnahmen anzuordnen, die zur Erfüllung der in Absatz 1 genannten Anforderungen erforderlich sind. (3) Tiere, die nach dem Gutachten des beamteten Tierarztes in Haltung, Pflege oder Unterbringung erheblich vernachlässigt sind, können von der zuständigen Behörde dem Halter fortgenommen und so lange auf dessen Kosten anderweitig pfleglich untergebracht werden, bis eine ordnungsgemäße Haltung, Pflege oder Unterbringung der Tiere durch den Halter gewährleistet ist. §3 Es ist verboten: • 1. einem Tier außer in Notfällen Leistungen abzuverlangen, denen es wegen seines Zustandes offensichtlich nicht gewachsen ist oder die offensichtlich seine Kräfte übersteigen, • […]. Neunter Abschnitt – Ermächtigungen, Mitwirkung von Zolldienststellen § 13 Der Bundesminister [für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten] wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates, soweit dies zum Schutze der Tiere erforderlich ist, Vorschriften über deren Haltung, Pflege und Unterbringung zu erlassen. Die Rechtsverordnung kann insbesondere Vorschriften enthalten über • 1. Art und Umfang einer Beschränkung der natürlichen Bewegungs- oder Gemeinschaftsbedürfnisse eines Tieres, • 2. Anforderungen an Räume, Käfige, andere Behältnisse oder sonstige Einrichtungen zu Unterbringung von Tieren sowie an die Beschaffenheit der Anbinde- und Fütterungsvorrichtungen, • 3. Anforderungen an die Lichtverhältnisse, Lufttemperatur, Luftfeuchte, Luftbewegung sowie Frischeluftzufuhr bei der Unterbringung von Tieren, • 4. Wartung und Pflege sowie Überwachung von Tieren durch den Tierhalter oder Betreuer.

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C.

T IERSCHUTZGESETZ VOM 24. J UNI 1972 (BGB L . I, S. 1277) (A USZÜGE )

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen: Erster Abschnitt Grundsatz §1 Dieses Gesetz dient dem Schutz des Lebens und Wohlbefindens des Tieres. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Zweiter Abschnitt Tierhaltung §2 (1) Wer ein Tier hält, betreute oder zu betreuen hat, • 1. Muss dem Tier angemessene artgemäße Nahrung und Pflege sowie eine verhaltensgerechte Unterbringung gewähren, • 2. darf das artgemäße Bewegungsbedürfnis eines Tieres nicht dauernd und nicht so einschränken, dass dem Tier vermeidbare Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden. (2) Die zuständige Behörde ist befugt, im Einzelfall Maßnahmen anzuordnen, die zur Erfüllung der in Absatz 1 genannten Anforderungen erforderlich sind. (3) Tiere, die nach dem Gutachten des beamteten Tierarztes in Haltung, Pflege oder Unterbringung erheblich vernachlässigt sind, können von der zuständigen Behörde dem Halter fortgenommen und so lange auf dessen Kosten anderweitig pfleglich untergebracht werden, bis eine ordnungsgemäße Haltung, Pflege oder Unterbringung der Tiere durch den Halter gewährleistet ist. §3 Es ist verboten: • 1. einem Tier außer in Notfällen Leistungen abzuverlangen, denen es wegen seines Zustandes offensichtlich nicht gewachsen ist oder die offensichtlich seine Kräfte übersteigen, • 2. ein gebrechliches, krankes, abgetriebenes oder altes, im Haus, Betrieb oder sonst in Obhut des Menschen gehaltenes Tier, für das ein Weiterleben mit nicht behebbaren Schmerzen oder Leiden verbunden ist, zu einem anderen Zweck als zur unverzüglichen schmerzlosen Tötung zu veräußern oder

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• •

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zu erwerben; dies gilt nicht für die unmittelbare Abgabe von Tieren an Personen oder Einrichtungen, denen eine Genehmigung nach § 8 erteilt worden ist, 3. ein im Haus, Betrieb oder sonst in Obhut des Menschen gehaltenes Tier auszusetzen oder es zurückzulassen, um sich seiner zu entledigen. 4. ein Tiere zu einer Ausbildung, Filmaufnahme, Schaustellung, Werbung oder zu einer ähnlichen Veranstaltung heranzuziehen, sofern damit offensichtlich erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Tier verbunden sind, 5. ein Tier an einem anderen lebenden Tier auf Schärfe abzurichten oder zu prüfen, 6. ein Tier auf ein anderes Tier zu hetzten, soweit dies nicht die Grundsätze weidgerechter Jagdausübung erfordern, 7. einem Tier durch Anwendung von Zwang Futter einzuverleiben, sofern dies nicht aus gesundheitlichen Gründen erforderlich ist, 8. einem Tier Futter darzureichen, das dem Tier offensichtlich erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden bereitet, 9. ein Tier mit Nachnahme zu versenden.

Neunter Abschnitt – Ermächtigungen, Mitwirkung von Zolldienststellen Töten von Tieren §4 (1) Ein Wirbeltier darf nur unter Betäubung oder sonst, soweit nach den gegebenen Umständen zumutbar, nur unter Vermeidung von Schmerzen getötet werden. Ist die Tötung eines Wirbeltieres ohne Betäubung im Rahmen weidgerechter Ausübung der Jagd oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften zugelassen oder erfolgt sie im Rahmen zulässiger Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen, so darf die Tötung nur vorgenommen werden, wenn hierbei nicht mehr als unvermeidbare Schmerzen entstehen. Ein Wirbeltier töten darf nur, wer die dazu notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten hat. (2) Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Bundesminister) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmte Tötungsarten zu verbieten, zuzulassen oder vorzuschreiben, um sicherzustellen, daß den Tieren nicht mehr als unvermeidbare Schmerzen zugefügt werden.

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Vierter Abschnitt Eingriffe bei Tieren §5 (1) An einem Wirbeltier darf ohne Betäubung ein mit Schmerzen verbundener Eingriff nicht vorgenommen werden. Die Betäubung eines warmblütigen Wirbeltieres ist von einem Tierarzt vorzunehmen. […] (2) Eine Betäubung ist nicht erforderlich • 1. wenn bei vergleichbaren Eingriffen am Menschen eine Betäubung in der Regel unterbleibt • 2. wenn eine Betäubung im Einzelfall nach tierärztlichem Urteil nicht durchführbar erscheint. (3) Eine Betäubung ist ferner nicht erforderlich • 1. für das Kastrieren von unter zwei Monaten alten männlichen Rindern und Schweinen und von nicht geschlechtsreifen männlichen Ziegen, Schafen und Kaninchen, sofern kein von der normalen anatomischen Beschaffenheit abweichender Befund vorliegt, • 2. für das Enthornen von unter vier Monaten alten Rindern bis zu einem Alter von zwei Jahren mittels elastischer Ringe, • 3. für das Kürzen des Schwanzes von unter vier Tagen alten Ferkeln sowie unter acht Tagen alten Lämmern, • 4. für das Kürzen des Schwanzes von Lämmern bis zu einem Alter von drei Monaten mittels elastischer Ringe, • 5. für das Kürzen der Rute von unter acht Tagen alten Welpen, • 6. für das Kürzen von Hornteilen des Schnabels beim Geflügel, • 7. für das Absetzen des krallentragenden letzten Zehengliedes bei Masthahnenküken, die als Zuchthähne Verwendung finden sollen, während des ersten Lebenstages mittels Elektrokauter. (4) Der Bundesminister wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Verfahren und Methoden zur Durchführung von Maßnahmen nach Absatz 3 vorzuschreiben, zuzulassen oder zu verbieten, soweit dies zum Schutz der Tiere erforderlich ist. §6 Verboten ist die vollständige oder teilweise Amputation von Körperteilen eines Wirbeltieres, soweit diese nicht nach den Rechtsvorschriften vorgeschrieben ist. Das Verbot gilt nicht, • 1.Wenn ein Eingriff im Einzelfall nach tierärztlicher Indikation geboten ist,

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2. Wenn der Nutzungszweck des Tieres den Eingriff erforderlich macht und dem Eingriff tierärztliche Bedenken im Einzelfall nicht entgegenstehen oder ein Fall des §5 nicht vorliegt, […]

Neunter Abschnitt Ermächtigungen, Mitwirkung von Zolldienststellen § 13 (1) Der Bundesminister [für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten] wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates, soweit dies zum Schutz der Tiere erforderlich ist, Vorschriften über deren Haltung, Pflege und Unterbringung zu erlassen. Die Rechtsverordnung kann insbesondere Vorschriften enthalten über • 1. Art und Umfang einer Beschränkung der natürlichen Bewegungs- oder Gemeinschaftsbedürfnisse eines Tieres, • 2. Anforderungen an Räume, Käfige, andere Behältnisse oder sonstige Einrichtungen zu Unterbringung von Tieren sowie an die Beschaffenheit der Anbinde- und Fütterungsvorrichtungen, • 3. Anforderungen an die Lichtverhältnisse, Lufttemperatur, Luftfeuchte, Luftbewegung sowie Frischluftzufuhr bei der Unterbringung von Tieren, • 4. Wartung und Pflege sowie Überwachung von Tieren durch den Tierhalter oder Betreuer. • (2) […] (3) Der Bundesminister [für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten] wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Verkehr durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften zum Schutz der Tiere bei der Beförderung im Straßen-, Schienen-, Schiffs- und Luftverkehr zu erlassen, insbesondere Vorschriften über die Verladung, Entladung, Unterbringung, Versorgung und Betreuung der Tiere. Elfter Abschnitt Straf- und Bußgeldvorschriften § 17 Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet oder 2. einem Wirbeltier (a) aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder Leiden oder (b) länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt.

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§ 18 […] (2) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig • 1. einem Wirbeltier, das er hält, betreut oder zu betreuen hat, bei der Haltung, Pflege, Unterbringung oder Beförderung ohne vernünftigen Grund offensichtlich erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügt. • 2. entgegen § 4 Abs. 1 ein Tier tötet, • 3. einer vollziehbaren Anordnung nach § 2 Abs. 2 zuwiderhandelt, […]

D.

E UROPÄISCHES Ü BEREINKOMMEN ZUM S CHUTZ VON LANDWIRTSCHAFTLICHEN T IERHALTUNGEN (BGB L . 1978 II S. 114-119) (AUSZÜGE )

(Übersetzung) Die Mitgliedstaaten des Europarats, die dieses Übereinkommen unterzeichnen – von der Erwägung geleitet, dass es wünschenswert ist, gemeinsame Bestimmungen zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen, insbesondere in modernen Intensivhaltungssystemen, anzunehmen – sind wie folgt übereingekommen: Kapitel I Allgemeine Grundsätze Artikel 1 Dieses Übereinkommen bezieht sich auf die Haltung, Pflege und Unterbringung von Tieren, insbesondere von Tieren in modernen Intensivhaltungssystemen. „Tiere“ im Sinne dieses Übereinkommens sind Tiere, die zur Erzeugung von Nahrungsmitteln, Wolle, Häuten oder Fellen oder zu anderen landwirtschaftlichen Zwecken gezüchtet und gehalten werden, und „moderne Intensivhaltungssysteme“ im Sinne dieses Übereinkommens sind Systeme, in denen überwiegend technische Einrichtungen verwendet werden, die vornehmlich automatisch betrieben werden. Artikel 2 Jede Vertragspartei wendet die in den Artikeln 3 bis 7 niedergelegten Grundsätze des Tierschutzes an. Artikel 3 Jedes Tier muss unter Berücksichtigung seiner Art und seiner EntwicklungsAnpassungs- und Domestikationsstufe entsprechend seinen physiologischen und

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ethologischen Bedürfnissen nach feststehenden Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen untergebracht, ernährt und gepflegt werden. Artikel 4 (1) Das artgemäße und durch feststehende Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse belegte Bewegungsbedürfnis eines Tieres darf nicht so eingeschränkt werden, dass dem Tier vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. (2) Ist ein Tier dauernd oder regelmäßig angebunden, angekettet oder eingesperrt, so ist ihm der seinen physiologischen und ethologischen Bedürfnissen gemäße und den feststehenden Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechende Raum zu gewähren. Artikel 5 Beleuchtung, Temperatur, Feuchtigkeit, Luftzirkulation, Belüftung und andere Umweltbedingungen wie Gaskonzentration oder Lärmintensität am Unterbringungsplatz eines Tieres müssen – unter Berücksichtigung seiner Art und seiner Entwicklungs-, Anpassungs- und Domestikationsstufe – seinen physiologischen und ethologischen Bedürfnissen gemäß den feststehenden Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Artikel 6 Ein Tier darf nicht so ernährt werden, dass ihm vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden, und die Nahrung darf keine Stoffe enthalten, die vermeidbare Leiden und Schäden verursachen. Artikel 7 (1) Befinden und Gesundheitszustand der Tiere sind im ausreichenden Zeitabständen gründlich zu prüfen, um ihnen vermeidbare Leiden zu ersparen, d. h. bei Tieren in modernen Intensivhaltungssystemen mindestens einmal täglich. (2) Die technischen Einrichtungen moderner Intensivhaltungssysteme sind mindestens einmal täglich gründlich zu prüfen; jeder festgestellte Mangel ist möglichst unverzüglich zu beheben. Kann ein Mangel nicht sogleich behoben werden, so sind umgehend die zur Wahrung des Wohlbefindens der Tiere notwendigen vorläufigen Maßnahmen zu treffen.

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Kapitel II Ausführliche Bestimmungen für die Durchführung Artikel 8 (1) Innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten dieses Übereinkommens wir ein Ständiger Ausschuss eingesetzt (2) Jede Vertragspartei hat das Recht, einen Vertreter für diesen Ausschuss zu benennen. Jeder Mitgliedstaat des Europarats, der nicht Vertragspartei dieses Übereinkommens ist, hat das Recht, sich durch einen Beobachter im Ausschuss vertreten zu lassen. Artikel 9 (1) Dem Ständigen Ausschuß obliegen die Ausarbeitung und Annahmen von Empfehlungen an die Vertragsparteien, die ins einzelne gehende Bestimmungen für die Anwendung der in Kapitel I niedergelegten Grundsätze enthalten; diese Bestimmungen müssen sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse über die einzelnen Tierarten stützen. (2) Zwecks Erfüllung seiner in Absatz 1 genannten Aufgaben verfolgt der Ständige Ausschuß die Entwicklung der wissenschaftlichen Forschung und neuer Tierhaltungsverfahren. (3) Jede Empfehlung wird als solche sechs Monate nach ihrer Annahme durch den Ständigen Ausschuß wirksam, sofern dieser nicht eine längere Frist festsetzt. Nach dem Wirksamwerden einer Empfehlung muß jede Vertragspartei sie entweder anwenden oder dem Ständigen Ausschuß durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation mitteilen, aus welchen Gründen sie nicht oder nicht mehr in der Lage ist, diese Empfehlung anzuwenden.

E.

T IERSCHUTZGESETZ IN DER F ASSUNG DER B EKANNTMACHUNG VOM 18. M AI 2006 (BGB L . I S. 1206, 1313), DAS ZULETZT DURCH ARTIKEL 3 DES G ESETZES VOM 28. J ULI 2014 (BGB L . I S. 1308) GEÄNDERT WORDEN IST [AUSFERTIGUNGSDATUM : 24.07.1972] (AUSZÜGE )

Erster Abschnitt Grundsatz § 1 Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.

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Zweiter Abschnitt Tierhaltung § 2 Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, • 1. muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen, • 2. darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden, • 3. muss über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. § 2a (1) Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Bundesministerium) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates, soweit es zum Schutz der Tiere erforderlich ist, die Anforderungen an die Haltung von Tieren nach § 2 näher zu bestimmen und dabei insbesondere Vorschriften zu erlassen über Anforderungen • 1. hinsichtlich der Bewegungsmöglichkeit oder der Gemeinschaftsbedürfnisse der Tiere, • 2. an Räume, Käfige, andere Behältnisse und sonstige Einrichtungen zur Unterbringung von Tieren sowie an die Beschaffenheit von Anbinde-, Fütterungs- und Tränkvorrichtungen, • 3. hinsichtlich der Lichtverhältnisse und des Raumklimas bei der Unterbringung der Tiere, • 4. an die Pflege einschließlich der Überwachung der Tiere; hierbei kann das Bundesministerium auch vorschreiben, dass Aufzeichnungen über die Ergebnisse der Überwachung zu machen, aufzubewahren und der zuständigen Behörde auf Verlangen vorzulegen sind, • 5. an Kenntnisse und Fähigkeiten von Personen, die Tiere halten, betreuen oder zu betreuen haben und an den Nachweis dieser Kenntnisse und Fähigkeiten, […]

Quellen und Literatur

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Human-Animal Studies Sven Wirth, Anett Laue, Markus Kurth, Katharina Dornenzweig, Leonie Bossert, Karsten Balgar (Hg.) Das Handeln der Tiere Tierliche Agency im Fokus der Human-Animal Studies Dezember 2015, 272 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3226-2

Annette Bühler-Dietrich, Michael Weingarten (Hg.) Topos Tier Neue Gestaltungen des Tier-MenschVerhältnisses Dezember 2015, 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2860-9

Reingard Spannring, Reinhard Heuberger, Gabriela Kompatscher, Andreas Oberprantacher, Karin Schachinger, Alejandro Boucabeille (Hg.) Tiere – Texte – Transformationen Kritische Perspektiven der Human-Animal Studies November 2015, 390 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2873-9

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Human-Animal Studies Arianna Ferrari, Klaus Petrus (Hg.) Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen Oktober 2015, 482 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2232-4

Chimaira – Arbeitskreis für Human-Animal Studies (Hg.) Tiere Bilder Ökonomien Aktuelle Forschungsfragen der Human-Animal Studies 2013, 328 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2557-8

Chimaira – Arbeitskreis für Human-Animal Studies (Hg.) Human-Animal Studies Über die gesellschaftliche Natur von Mensch-Tier-Verhältnissen 2011, 424 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1824-2

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