Gedichte. Gedichte. Lateinisch - Deutsch 3050055324, 9783050055329

Liebestaumel und Caesaren-Spott Sehnsucht, Verliebtheit, Eifersucht, Hilflosigkeit: Catulls Liebesgedichte spiegeln das

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German Pages 280 Year 2009

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Gedichte. Gedichte. Lateinisch - Deutsch
 3050055324, 9783050055329

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SAMMLUNG

TUSCULUM

Wissenschaftliche Beratung: Niklas Holzberg, Rainer Nickel, Bernhard Zimmermann

C. V A L E R I U S C A T U L L U S

CARMINA Gedichte

Lateinisch- deutsch Übersetzt und herausgegeben von Niklas Holzberg

ARTEMIS &

WINKLER

Für Stefan Merkle

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2009 Patmos Verlag G m b H & Co. KG Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany ISBN 978-3-538-03508-9 www.artemisundwinkler.de

INHALT

TEXT UND

ÜBERSETZUNG

Gedichte 1-60

6

Gedichte 61-64

74

Gedichte 65-116

138

Fragmente

196

Zu Gedicht 51: Sappho Frg. 31 Voigt

198

Zu Gedicht 66: Kallimachos, Aitia Frg. 122—126 Asper . . . .

200

ANHANG Überlieferung und Textkritik

207

Versmaße

213

Erläuterungen

217

Einfuhrung

250

Literaturhinweise

272

Nachwort

279

Cui dono lepidum novum libellum arido modo pumice expolitum? Cornell, tibi: namque tu solebas meas esse aliquid putare nugas iam tum, cum ausus es unus Italorum omne aevum tribus explicare cartis doctis, Iuppiter, et laboriosis. quare habe tibi quidquid hoc libelli qualecumque; quod, ( o ) Thalia virgo, plus uno maneat perenne saeclo.

2 Passer, deliciae meae puellae, quicum ludere, quem in sinu tenere, cui primum digitum dare appetenti et acris solet incitare morsus, cum desiderio meo nitenti carum nescio quid lubet iocari et solaciolum sui doloris, credo, ut tum gravis acquiescat ardor: tecum ludere sicut ipsa possem et tristis animi levare curas! tarn gratum est mihi, quam ferunt puellae pernici aureolum fuisse malum, quod zonam soluit diu ligatam.

1 Wem schenke ich das zierliche neue Büchlein, das soeben mit trockenem Bimsstein glatt geriebene? Cornelius, dir. Denn du pflegtest von meinen Kleinigkeiten etwas zu halten schon damals, als du es wagtest als einziger von den Italern, all die Jahrhunderte in drei Büchern zu entfalten, die gelehrt sind, beim Jupiter, und viel Mühe machten. Darum empfange dieses Büchlein, was auch immer und wie auch immer es sein mag; möge es, o jungfräuliche Thalia, mehr als ein Jahrhundert fortwährend Bestand haben.

2

Spatz, Entzücken meines Mädchens, mit dem zu spielen, den am Busen zu halten, dem die Fingerspitze zu geben, wenn er danach pickt, und den zu scharfen Bissen sie zu reizen pflegt, wenn meiner strahlenden Liebsten irgendein netter Scherz gefällt und ein kleiner Trost fiir ihren Kummer, ich glaube, damit ihr heftiges Glühen dann sich abkühlt. Könnte ich doch mit dir spielen wie deine Herrin und die düsteren Sorgen meines Herzens lindern! Es wäre mir so willkommen, wie der Sage nach dem Mädchen, dem flinken, der goldene Apfel war, der den Gürtel löste, den lange Zeit verschlossenen.

8

CATULLUS 3 · 4

3 Lugete, o Veneres Cupidinesque, et quantum est hominum venustiorum: passer mortuus est meae puellae, passer, deliciae meae puellae, quern plus ilia oculis suis amabat. nam mellitus erat suamque norat ipsam tam bene quam puella matrem nec sese a gremio illius movebat, sed circumsiliens modo hue modo illuc ad solam dominam usque pipiabat; qui nunc it per iter tenebricosum illuc, unde negant redire quemquam. at vobis male sit, malae tenebrae Orci, quae omnia bella devoratis: tam bellum mihi passerem abstulistis. o factum male! o miselle passer! tua nunc opera meae puellae flendo turgiduli rubent ocelli.

4 Phaselus ille, quem videtis, hospites, ait fuisse navium celerrimus neque ullius natantis impetum trabis nequisse praeterire, sive palmulis opus foret volare sive linteo. et hoc negat minacis Hadriatici negare litus insulasve Cycladas Rhodumque nobilem horridamque Thraciam Propontida trucemve Ponticum sinum, ubi iste post phaselus antea fuit

GEDICHTE

I-60

9

3 Trauert, Liebesgöttinnen und Liebesgötter und all ihr Menschen, die ihr zur Liebe eher geneigt seid als andere! Der Spatz meines Mädchens ist tot, der Spatz, das Entzücken meines Mädchens, den sie mehr als ihre Augen liebte. Denn er war honigsüß und kannte seine Herrin so gut wie ein Mädchen seine Mutter, und er bewegte sich nicht fort von ihrem Schoß, sondern er hüpfte herum, bald hierhin, bald dorthin, und piepste dabei allein seine Gebieterin immerfort an. Jetzt geht er auf dem dunklen Weg dorthin, von wo, wie man sagt, niemand zurückkehrt. Doch böse ergehe es dir, böse Finsternis des Orkus, die du alles Hübsche verschlingst: Einen so hübschen Spatz hast du mir geraubt. O böse Tat! O unseliger Spatz! Du bist schuld daran, daß meines Mädchens Augen vom Weinen geschwollen sind und rot.

4 Jene Jacht, die ihr seht, Fremde, sagt, sie sei der Schiffe schnellstes gewesen, und keines schwimmenden Balkens Ungestüm habe sie überholen können, ob es der Ruder bedurfte, daß sie dahinflog, oder des Segels. Und sie bestreitet, daß dies der drohenden Adria Küste bestreiten könnte oder die Kykladeninseln und das berühmte Rhodos und die schaurige thrakische Propontis oder der grimmige pontische Golf, wo diese spätere Jacht vorher stand

IO

CATULLUS 4 · 5

cornata silva; nam Cytorio in iugo loquente saepe sibilum edidit coma. Amastri Pontica et Cytore buxifer, tibi haec fuisse et esse cognitissima ait phaselus: ultima ex origine tuo stetisse dicit in cacumine, tuo imbuisse palmulas in aequore et inde tot per impotentia fréta erum tulisse, laeva sive dextera vocaret aura, sive utrumque Iuppiter simul secundus incidisset in pedem; neque ulla vota litoralibus deis sibi esse facta, dum veniret a mari novissime hunc ad usque limpidum lacum. sed haec prius fuere: nunc recondita senet quiete seque dedicat tibi, gemelle Castor et gemelle Castoris.

5 Vivamus, mea Lesbia, atque amemus rumoresque senum severiorum omnes unius aestimemus assis! soles occidere et redire possunt: nobis, cum semel occidit brevis lux, nox est perpetua una dormienda. da mi basia mille, deinde centum, dein mille altera, dein secunda centum, deinde usque altera mille, deinde centum, dein, cum milia multa fecerimus, conturbabimus illa, ne sciamus,

GEDICHTE

I-60

als belaubte Waldung. Denn auf dem Joch des Kytoros ließ sie oft ein Rauschen vernehmen mit flüsterndem Laub. Pontische Amastris und buchsbaumtragender Kytoros, dir sei dies bestens bekannt gewesen und sei es noch, sagt die Jacht. Von der frühen Zeit ihrer Geburt an habe sie, sagt sie, auf deinem Gipfel gestanden, habe in deine Wasserfläche getaucht die Ruder und von dort durch so viele ungebändigte Meeresfluten ihren Herrn getragen, ob links oder rechts der Wind rief oder ob Jupiter günstig auf beide Schoten zugleich gedrückt hatte. Und keine Stoßgebete seien jemals zu den Küstengöttern von ihr geschickt worden, bis sie gekommen sei vom Meer zu guter Letzt bis zu diesem klaren See. Doch das war früher. Jetzt ist sie geborgen und altert in Ruhe, und sie weiht sich dir, Zwillingsbruder Kastor, und dir, Zwillingsbruder Kastors.

5 Leben, meine Lesbia, laß uns und lieben, und das Genörgel allzu strenger alter Männer soll uns alles zusammen keinen Pfennig wert sein. Sonnen können schwinden und wiederkehren; wir, wenn einmal schwindet das kurze Lebenslicht, müssen eine einzige ewige Nacht schlafen. Gib mir tausend Küsse, danach hundert, dann weitere tausend, dann noch einmal hundert, danach in einem fort weitere tausend, danach hundert. Dann, wenn wir viele tausend beisammen haben, bringen wir sie durcheinander, damit wir ihre Zahl nicht kennen

II

12

CATULLUS 5 - 6 - 7

aut ne quis malus invidere possit, cum tantum sciat esse basiorum.

6 Flavi, delicias tuas Catullo, ni sint illepidae atque inelegantes, velles dicere nec tacere posses, verum nescio quid febriculosi scorti diligis: hoc pudet fateri. nam te non viduas lacere noctes nequiquam taciturn cubile clamat sertis ac Syrio fragrans olivo, pulvinusque peraeque et hic et illic attritus, tremulique quassa lecti argutatio inambulatioque. iam ipse stupra nihil vales tacere, cur? non tam latera ecfututa pandas, ni tu quid facias ineptiarum. quare, quidquid habes boni malique, die nobis, volo te ac tuos amores ad caelum lepido volare versu.

7 Quaeris, quot mihi basiationes tuae, Lesbia, sint satis superque. quam magnus numerus Libyssae harenae lasarpiciferis iacet Cyrenis oraclum Iovis inter aestuosi et Batti veteris sacrum sepulcrum;

GEDICHTE

I-60

13

und kein schlechter Mensch sie mit bösem Blick behexen kann, weil er die Summe der Küsse kennt.

6 Flavius, von deiner Liebsten würdest du Catull, wenn sie nicht reizlos und geschmacklos wäre, erzählen wollen und könntest nicht schweigen. Doch irgendeine fieberkranke Hure liebst du: Das zu gestehen schämst du dich. Denn daß du nicht vereinsamt liegst in den Nächten, verkünden laut dein Lager, dessen Schweigen vergeblich ist, weil es von Kränzen und syrischem Salböl duftet, und das Polster, das rechts und links gleichmäßig abgescheuert ist, und des zitternden Bettes Erschütterung, Knarren und Umherwandern. Schon kannst selbst du dein Herumhuren ganz und gar nicht mehr [verschweigen. Warum? Nicht würdest du einen so ausgefickten Unterleib wenn du nicht irgendwelche Albernheiten triebest,

[präsentieren,

Deshalb - was du da auch hast, sei es gut oder schlecht - , sag es mir. Ich will, daß du und deine Liebste zum Himmel fliegen durch zierliche Verse.

7 Du fragst, wieviel von deinen Küssereien, Lesbia, mir genug und übergenug sei. Wieviel libyscher Sand im silphionreichen Kyrene liegt zwischen dem Orakel des glühend heißen Jupiter und des alten Battos heiligem Grab

14

CATULLUS 7 · 8

aut quam sidera multa, cum tacet nox, furtivos hominum vident amores: tam te basia multa basiare vesano satis et super Catullo est, quae nec pernumerare curiosi possint nec mala fascinare lingua.

8

Miser Catulle, desinas ineptire, et quod vides perisse, perditum ducas. fulsere quondam candidi tibi soles, cum ventitabas, quo puella ducebat amata nobis, quantum amabitur nulla, ibi illa multa cum iocosa fiebant, quae tu volebas nec puella nolebat, fulsere vere candidi tibi soles, nunc iam illa non volt: tu quoque, impote( nec, quae fugit, sectare nec miser vive, sed obstinata mente perfer, obdura. vale, puella. iam Catullus obdurat nec te requiret nec rogabit invitam. at tu dolebis, cum rogaberis nulla, scelesta, vae te, quae tibi manet vita? quis nunc te adibit? cui videberis bella? quem nunc amabis? cuius esse diceris? quem basiabis? cui labella mordebis? at tu, Catulle, destinatus obdura.

GEDICHTE

I-60

15

oder wie viele Sterne, wenn die Nacht schweigt, auf der Menschen heimliche Liebesspiele schauen, wenn du so viele Küsse küßt, ist es dem wahnsinnigen Catull genug und übergenug. Die sollen weder Neugierige zusammenzählen noch eine böse Zunge verzaubern können.

8 Unseliger Catull, hör auf, verrückt zu sein, und was du verloren siehst, laß als verloren gelten. Es leuchteten einst dir glänzende Sonnentage, als du immer wieder dorthin kamst, wohin dich das Mädchen führte, das von mir geliebt wurde, wie keines je geliebt werden wird. Als es dort die vielen Liebesspiele gab, die du wolltest und auch das Mädchen sehr wohl wollte, leuchteten wahrhaftig dir glänzende Sonnentage. Jetzt will sie nicht mehr. Du auch, Unbeherrschter, wolle nicht! Und sie, die flieht, verfolge nicht, noch lebe elend, sondern mit festem Sinn halte durch, sei hart! Leb wohl, Mädchen! Jetzt ist Catull hart, nicht wird er dich suchen, nicht bitten, wenn du nicht willst. Doch dich wird es schmerzen, wenn du gar nicht mehr gebeten Verruchte, weh dir! Welches Leben bleibt dir?

[wirst.

Wer wird jetzt zu dir gehen? Wem wirst du reizvoll erscheinen? Wen wirst du jetzt lieben? Wessen Geliebte wird man dich nennen? Wen wirst du küssen? Wem wirst du in die Lippen beißen? Doch du, Catull, bleibe bestimmt und sei hart!

ι6

CATULLUS 9 · IO

9 Verani, omnibus e meis amicis antistans mihi milibus trecentis, venistine domum ad tuos penates fratresque unanimos bonamque matrem? venisti, o mihi nuntii beati! visam te incolumem audiamque Hiberum narrantem loca, facta, nationes, ut mos est tuus, applicansque Collum iucundum os oculosque suaviabor. o quantum est hominum beatiorum, quid me laetius est beatiusve?

10 Varus me meus ad suos amores visum duxerat e foro otiosum, scortillum, ut mihi tum repente visum est, non sane illepidum neque invenustum. hue ut venimus, incidere nobis sermones varii, in quibus, quid esset iam Bithynia, quo modo se haberet, et quonam mihi profuisset aere, respondí id quod erat, mihi neque ipsi nec praetoribus esse nec cohorti, cur quisquam caput unetius referret, praesertim quibus esset irrumator praetor, nec faceret pili cohortem. 'at certe tarnen,' inquiunt 'quod illic natum dicitur esse, comparasti ad lecticam homines.' ego, ut puellae

GEDICHTE

17

I-60

9 Veranius, der du von allen meinen Freunden den ersten Rang hast fur mich vor dreihunderttausend, bist du nach Hause gekommen zu deinen Penaten, den einander liebenden Brüdern und der guten Mutter? Du bist gekommen. O welch frohe Botschaft fur mich! Ich werde dich wohlbehalten sehen und dich hören, wie du von der Land, Taten, Völkern erzählst,

[Iberer

wie es deine Art ist, und dir am Halse hängend, werde ich deinen lieben Mund und deine Augen küssen. O all ihr Menschen, die ihr glücklicher seid als andere, was gibt es Froheres oder Glücklicheres als mich?

10

Mein Varus hatte mich, als ich nichts zu tun hatte, vom Forum zu seiner Liebsten geführt, damit ich sie mir ansah, eine kleine Nutte, die, wie mir da beim ersten Eindruck schien, sicher nicht unwitzig und auch nicht uncharmant war. Als wir dorthin gekommen waren, ergab es sich, daß wir über Verschiedenes plauderten, unter anderem, was jetzt in Bithynien los sei, in welchem Zustand es sich befinde und ob es mir irgendeinen Profit verschafft habe. Ich antwortete so, wie es war, daß weder ich selbst noch die Prätoren noch die Kohorte etwas besäßen, wodurch irgendeiner sein Haupt besser gesalbt hätte heimtragen [können, insbesondere die, welche einen, der alle nur in den Mund ficke, als Prätor hätten, und der schere sich einen Dreck um seine Kohorte. »Aber gewiß«, sagten sie da, »hast du dir doch, was dort entstanden sein soll, besorgt: Kerle fur eine Sänfte.« Ich sagte, um mich dem Mädchen

l8

CATULLUS IO · I I

unum me facerem beatiorem, 'non' inquam 'mihi tam fiait maligne, ut, provincia quod mala incidisset, non possem octo homines parare rectos.' at mi nullus erat nec hic neque illic, fractum qui veteris pedem grabati in collo sibi collocare posset, hic illa, ut decuit cinaediorem, 'quaeso,' inquit 'mihi, mi Catulle, paulum istos commoda: nam volo ad Serapim deferri.' 'mane,' inquii puellae 'istud quod modo dixeram me habere, fugit me ratio: meus sodalis Cinna est Gaius - is sibi paravit. verum, utrum illius an mei, quid ad me? utor tam bene quam mihi pararim. sed tu insulsa male et molesta vivis, per quam non licet esse neglegentem.'

II

Furi et Aureli, comités Catulli, sive in extremos penetrabit Indos, litus ut longe resonante Eoa tunditur unda, sive in Hyrcanos Arabasve molles, seu Sagas sagittiferosve Parthos, sive quae septemgeminus colorât aequora Nilus,

GEDICHTE

I-60

als besonders gutsituiert hinzustellen: »Ich war nicht so schlecht dran, daß ich mir, nur weil ich an eine schlechte Provinz geraten war, nicht acht gestandene Kerle hätte besorgen können.« (Dabei hatte ich weder hier noch dort auch nur einen, der sich den abgebrochenen Fuß einer alten Pritsche auf den Nacken hätte packen können.) Da sagte sie, wie es zu einem besonders frechen Luder paßte: »Bitte, mein lieber Catull, leih mir kurz die Kerle aus; denn ich möchte zum Serapis-Tempel getragen werden.« »Halt!« sprach ich zu dem Mädchen, »wenn ich gerade sagte, ich hätte sie, habe ich mich geirrt. Mein Freund es ist Gaius Cinna - , der hat sie sich besorgt. Doch ob sie ihm oder mir gehören, was macht das schon aus? Ich benütze sie ebensogut, als wenn ich sie mir besorgt hätte. Aber du bist ganz ohne Witz und kleinlich, bei dir darf man nicht ungenau sein.«

II

Furius und Aurelius, die ihr Gefährten Catulls sein werdet, sei es, daß er zu den hintersten Indern vordringen will, wo die Küste von der weithin widerhallenden östlichen Woge gepeitscht wird, oder zu den Hyrkanern oder den weichlichen Arabern oder den Sakern oder den pfeiltragenden Parthern oder zu den Fluten, die der siebenarmige Nil färbt,

19

20

CATULLUS

II

12

sive trans altas gradietur Alpes Caesaris visens monimenta magni, Gallicum Rhenum, horribile aequor ultimosque Britannos, omnia haec, quaecumque feret voluntas caelitum, temptare simul parati, pauca nuntiate meae puellae non bona dicta: cum suis vivat valeatque moechis, quos simul complexa tenet trecentos, nullum amans vere, sed identidem omnium ilia rumpens; nec meum respectet, ut ante, amorem, qui illius culpa cecidit velut prati ultimi flos, praetereunte postquam tactus aratro est.

12 Marrucine Asini, manu sinistra non belle uteris: in ioco atque vino tollis lintea neglegentiorum. hoc salsum esse putas? fugit te, inepte: quamvis sordida res et invenusta est. non credis mihi? crede Pollioni fratri, qui tua furta vel talento mutari velit: est enim leporum differtus puer ac facetiarum. quare aut hendecasyllabos trecentos

GEDICHTE

I-60

oder daß er die hohen Alpen überschreiten und des großen Caesar Siegesmale besichtigen wird, den gallischen Rhein, das schaurige Meer und die äußersten Britannier, alles dies, was auch immer bringen wird der Wille der Himmlischen, mit mir zusammen zu versuchen bereit, meldet meinem Mädchen wenige nicht gute Worte: Sie soll leben und glücklich sein mit ihren Liebhabern, die sie - dreihundert sind es - zugleich umfangen hält, keinen wahrhaft liebend, doch allen ständig den Unterleib zerrüttend. Und sie soll nicht wie früher auf meine Liebe zählen, die durch ihre Schuld dahinsank wie an der Wiese Rand die Blume, nachdem sie vom vorüberziehenden Pflug berührt worden ist.

12

Marruciner Asinius, deine Linke gebrauchst du auf nicht nette Art: Bei Scherz und Wein entwendest du die Tüchlein der Unachtsamen. Glaubst du, das sei witzig? Du irrst dich, alberner Kerl: Ganz und gar schäbig ist das und unfein. Du glaubst mir nicht? Glaub es Pollio, deinem Bruder, der deine Diebereien sogar fur ein Talent gern ungeschehen machen würde. Er ist nämlich ein Bursche, der voller geistreicher Einfalle und Späße steckt. Deshalb mach dich auf dreihundert Elfeilbier

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22

CATULLUS

12

13

14

exspecta aut mihi linteum remitte, quod me non movet aestimatione, verum est mnemosynum mei sodalis. nam sudaría Saetaba ex Hiberis miserunt mihi muneri Fabullus et Veranius: haec amem necesse est ut Veraniolum meum et Fabullum.

13 Cenabis bene, mi Fabulle, apud me paucis, si tibi di favent, diebus, si tecum attuleris bonam atque magnam cenam, non sine candida puella et vino et sale et omnibus cachinnis. haec si, inquam, attuleris, venuste noster, cenabis bene; nam tui Catulli plenus sacculus est aranearum. sed contra accipies meros amores seu quid suavius elegantiusve est: nam unguentum dabo, quod meae puellae donarunt Veneres Cupidinesque, quod tu cum olfacies, deos rogabis, totum ut te faciant, Fabulle, nasum.

14 Ni te plus oculis meis amarem, iucundissime Calve, muñere isto odissem te odio Vatiniano: nam quid feci ego quidve sum locutus, cur me tot male perderes poetis?

GEDICHTE

I-60

gefaßt oder schick mir mein Tiichlein zurück. Nicht sein Kaufpreis regt mich auf, nein, es ist ein Erinnerungsstück von meinem Freund. Denn sätabische Taschentücher aus Iberien haben als Geschenk mir geschickt Fabullus und Veranius. Die muß ich einfach lieben wie mein Veranchen und Fabullus.

13 Gut essen wirst du, mein Fabullus, bei mir, falls die Götter es gut mit dir meinen, in wenigen Tagen, wenn du mit dir bringst ein gutes und reichhaltiges Essen, und das nicht ohne ein Mädchen mit hellem Teint und Wein und Witz und alle Arten von Gelächter. Wenn du dies, sage ich, herbeibringst, mein Lieblicher, wirst du gut essen. Denn deines Catull Geldbeutel ist voll von Spinnweben. Doch dafür wirst du erhalten reine Liebesbekundungen oder etwas Süßeres und Feineres, falls es das gibt. Denn ein Parfum werde ich dir geben, das meinem Mädchen schenkten die Liebesgöttinnen und Liebesgötter, und wenn du daran riechst, wirst du die Götter bitten, daß sie dich, Fabullus, ganz zur Nase machen.

14 Wenn ich dich nicht mehr als meine Augen liebte, liebster Calvus, würde ich dich wegen dieses Geschenkes da hassen mit vatinianischem Haß. Denn was tat ich oder was sagte ich, daß du mich mit so vielen Poeten auf üble Weise umbringst?

24

CATULLUS 14 · I4B · 15

isti di mala multa dent clienti, qui tantum tibi misit impiorum. quod si, ut suspicor, hoc novum ac repertum munus dat tibi Sulla litterator, non est mi male, sed bene ac beate, quod non dispereunt tui labores. di magni, horribilem et sacrum libellum! quem tu scilicet ad tuum Catullum misti, (hoc) continuo ut die periret, Saturnalibus, optimo dierum! non non hoc tibi, salse, sic abibit. nam, si luxerit, ad librariorum curram scrinia, Caesios, Aquinos, Suffenum, omnia colligam venena ac te his suppliciis remunerabor. vos hinc interea valete, abite illuc, unde malum pedem attulistis, saecli incommoda, pessimi poetae.

14b Si qui forte mearum ineptiarum lectores eritis manusque vestras non horrebitis admovere nobis,

1$ Commendo tibi me ac meos amores, Aureli, veniam peto pudentem, ut, si quicquam animo tuo cupisti, quod castum expeteres et integellum, conserves puerum mihi pudice,

GEDICHTE

I-60

Mögen die Götter viel Übles bescheren deinem Klienten da, der dir so viel ruchloses Zeug geschickt hat! Wenn aber, wie ich argwöhne, dieses neuartige und originelle Geschenk dir Sulla der Schulmeister gibt, bin ich nicht übel dran, sondern froh und glücklich, weil deine Bemühungen nicht umsonst gewesen sind. Große Götter, was fiir ein schreckliches, verruchtes Buch! Das hast du ja wohl deinem Catull geschickt, damit er an diesem Tag sogleich krepiert an den Saturnalien, dem besten aller Tage! Nein, nein, du Witzbold, das soll dir nicht so hingehen! Denn gleich wenn es Tag wird, werde ich zu den Kapseln der Buchhändler rennen, die Caesier, Aquiner, den Suffenus, also alle Giftsorten einsammeln und dir diese Todesstrafen als Gegengeschenke geben. Ihr lebt inzwischen wohl und geht von hier weg, dorthin, woher ihr eure üblen Füße lenktet, Unglück des Jahrhunderts, übelste Dichter!

14b Falls ihr zufällig meiner Albernheiten Leser sein werdet und eure Hände uns zu nähern nicht zurückschrecken werdet...

15 Ich vertraue dir mich und meinen Liebsten an, Aurelius. Um einen Gefallen bitte ich dabei bescheiden, daß, falls du je etwas von ganzem Herzen begehrt hast, das du dir rein und unangetastet wünschtest, du mir den Knaben unverdorben bewahrst,

26

CATULLUS I 5 · 16

non dico a populo - nihil veremur istos, qui in platea modo hue modo illuc in re praetereunt sua occupati, verum a te metuo tuoque pene infesto pueris bonis malisque. quem tu qua lubet, ut lubet, moveto, quantum vis, ubi erit foris paratum: hunc unum excipio, ut puto, pudenter. quod si te mala mens furorque vecors in tantam impulerit, sceleste, culpam, ut nostrum insidiis caput lacessas, a, tum te miserum malique fati! quem attractis pedibus patente porta percurrent raphanique mugilesque.

i6 Pedicabo ego vos et irrumabo, Aureli pathice et cinaede Furi, qui me ex versiculis meis putastis, quod sunt molliculi, parum pudicum. nam castum esse decet pium poetam ipsum, versículos nihil necesse est; qui tum denique habent salem ac leporem, si sunt molliculi ac parum pudici et quod pruriat incitare possunt, non dico pueris, sed his pilosis, qui duros nequeunt movere lumbos. vos, quod milia multa basiorum legistis, male me marem putatis? pedicabo ego vos et irrumabo.

GEDICHTE

I-60

ich meine: nicht vor den Leuten - nicht im geringsten furchte ich die da, welche auf der Straße bald hierhin, bald dorthin, mit ihren eigenen Dingen beschäftigt, vorübergehen - , nein, vor dir furchte ich mich und vor deinem Schwanz, der gefährlich ist fur gute und für üble Knaben. Den bewege du, wo es dir gefallt, wie es dir gefällt, so viel du willst, sobald sich draußen etwas bietet. Diesen einen nehme ich aus, was, wie ich meine, bescheiden ist. Wenn dich aber ein übler Sinn und wahnsinnige Raserei zu so großer Schuld verleitet, Verruchter, daß du mich durch Hinterlist reizt, wehe dann über dich Elenden und Mann eines üblen Geschicks, den bei angezogenen Beinen und offenem Tor durchrennen werden Rettiche und Meerfische!

16

Ich werde euch in den Arsch ficken und in den Mund, dich, Schwuchtel Aurelius, und dich, Tunte Furius, die ihr mich aufgrund meiner Verslein, weil sie weichlich sind, fur zu wenig anständig haltet. Denn sittsam zu sein ziemt dem ehrfurchtigen Dichter als Person; seine Verslein haben das keineswegs nötig. Die haben erst dann Witz und Reiz, wenn sie weichlich sind und zu wenig anständig und, was geil ist, in Erregung versetzen können, ich meine: nicht bei Knaben, sondern bei jenen Behaarten, die ihren starren Unterleib nicht mehr zu rühren vermögen. Ihr da - weil ihr von vielen tausend Küssen gelesen habt, haltet ihr mich für keinen richtigen Mann? Ich werde euch in den Arsch ficken und in den Mund!

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CATULLUS

17

17 O Colonia, quae cupis ponte ludere longo et salire paratum habes, sed vereris inepta crura ponticuli axulis stantis in redivivis, ne supinus eat cavaque in palude recumbat: sie tibi bonus ex tua pons libidine fiat, in quo vel Salisubsali sacra suscipiantur, munus hoc mihi maximi da, Colonia, risus. quendam municipem meum de tuo volo ponte ire praecipitem in lutum per caputque pedesque, verum totius ut lacus putidaeque paludis lividissima maximeque est profunda vorago. insulsissimus est homo nec sapit pueri instar bimuli tremula patris dormientis in ulna. cui cum sit viridissimo nupta flore puella et puella tenellulo delicatior haedo, adservanda nigerrimis diligentius uvis, ludere hanc sinit, ut lubet, nec pili facit uni nec se sublevat ex sua parte, sed velut alnus in fossa Liguri iacet suppernata securi, tantundem omnia sentiens quam si nulla sit usquam; talis iste meus stupor nil videt, nihil audit, ipse qui sit, utrum sit an non sit, id quoque nescit. nunc eum volo de tuo ponte mittere pronum,

GEDICHTE

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1-60

17

O Städtchen, dich verlangt danach, auf der langen Brücke zu [scherzen, und du hältst dich bereit zu tanzen, aber du furchtest die [unbrauchbaren Streben des Brückleins, das auf wiederverwendeten Bohlen steht, fürchtest, daß es nach hinten kippt und in den bauchigen Sumpf [sinkt. So wahr du eine gute Brücke ganz nach deinen Wünschen [bekommen mögest, auf der sogar der rituelle Tanz der Salier stattfinden kann: Dieses Geschenk, das größtes Gelächter erregt, gib mir, Städtchen. Ich will, daß ein gewisser Landsmann von mir von deiner Brücke vornüber fällt in den Schlamm und einsinkt von Kopf bis Fuß, und zwar dort, wo des ganzen Sees und des stinkenden Sumpfes finsterster und tiefster Strudel ist. Er ist ein Mensch ohne jeden Humor und hat weniger Verstand als [ein Junge von zwei Jahren, der im wiegenden Arme des Vaters schläft. Obwohl er zur Frau ein Mädchen im blühendsten Alter hat, und zwar ein Mädchen, das zierlicher noch ist als das zarteste [Zicklein und sorgfältiger gehütet werden muß als die schwärzesten Trauben, läßt er sie scherzen, wie es ihr paßt, schert sich überhaupt nicht [darum und erhebt sich nicht von seiner Seite des Bettes, nein, er liegt da wie im Graben, gefällt von ligurischer Axt, eine Erle, die von allem ebensoviel verspürt, als wäre sie nicht da. So kann auch der Tölpel da, den ich meine, nichts hören, nichts [sehen, und wer er selbst ist, ob er lebt oder nicht, auch das weiß er nicht. Jetzt will ich ihn von deiner Brücke kopfüber werfen, um zu sehen,



CATULLUS

17

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22

si pote stolidum repente excitare veternum et supinum animum in gravi derelinquere ( ferream ut soleam tenaci in voragine mula.

21 Aureli, pater esuritionum, non harum modo, sed quot aut fuerunt aut sunt aut aliis erunt in annis, pedicare cupis meos amores, nec clam: nam simul es, iocaris una, haerens ad latus omnia experiris. frustra: nam insidias mihi instruentem tangam te prior irrumatione. atque id si faceres satur, tacerem: nunc ipsum id doleo, quod esurire a te mi puer et sitire discet. quare desine, dum licet pudico, ne finem facias, sed irrumatus.

22 Suffenus iste, Vare, quem probe nosti, homo est venustus et dicax et urbanus idemque longe plurimos facit versus, puto esse ego illi milia aut decern aut plura perscripta nec sic, ut fit, in palimpseston relata: cartae regiae, novi libri, novi umbilici, lora rubra membranae, derecta plumbo et pumice omnia aequata. haec cum legas tu, bellus ille et urbanus

GEDICHTE

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ob er fähig ist, seine stumpfe Lethargie auf einmal abzuschütteln und den schlaffen Sinn im schweren Morast zurückzulassen wie ein Maultier sein Hufeisen im zähen Sumpf.

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Aurelius, Vater aller Hungerleidereien, nicht der heutigen nur, sondern auch aller, die da waren oder sind oder in künftigen Jahren sein werden, in den Arsch ficken willst du meinen Liebsten. Und nicht einmal heimlich. Denn du bist mit ihm zusammen, [flirtest mit ihm, und an seiner Seite klebend, probierst du alles aus. Umsonst! Denn wenn du mich hereinzulegen versuchst, werde ich mich zuvor an dir vergreifen, indem ich dich in den Mund Und wenn du das mit vollem Bauch tätest, schwiege ich.

[ficke.

Jetzt aber schmerzt mich gerade dies, daß hungern von dir mein Knabe lernen wird und dürsten. Deshalb hör auf, solange du es noch in Ehren kannst, um nicht dann doch aufhören zu müssen, aber in den Mund gefickt!

22 Der Suffenus da, Varus, den du ganz gut kennst, ist ein charmanter, witziger und kultivierter Mensch und macht auch bei weitem die meisten Verse. Ich glaube, er hat zehntausend oder auch mehr verfaßt, und nicht, wie üblich, auf Palimpsest niedergeschrieben - nein: Königspapyrus, neue Bücher, neue Rollstäbe, rote Pergamentriemen, liniert mit Blei, und alles mit Bimsstein poliert. Wenn du das liest, erscheint dir ebenjener feine und kultivierte

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CATULLUS

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Suffenus unus caprimulgus aut fossor rursus videtur: tantum abhorret ac mutat. hoc quid putemus esse? qui modo scurra aut si quid hac re scitius videbatur, idem infaceto est infacetior rure, simul poemata attigit, neque idem umquam aeque est beatus ac poema cum scribit: tam gaudet in se tamque se ipse miratur. nimirum idem omnes fallimur, neque est quisquam, quem non in aliqua re videre Suffenum possis. suus cuique attributus est error; sed non videmus, manticae quod in tergo est.

23 Furi, cui neque servus est neque area nec cimex neque araneus neque ignis, verum est et pater et noverca, quorum dentes vel silicem comesse possunt, est pulcre tibi cum tuo parente et cum coniuge lignea parentis, nec mirum: bene nam valetis omnes, pulcre concoquitis, nihil timetis, non incendia, non graves ruinas, non facta impia, non dolos veneni, non casus alios periculorum. atqui corpora sicciora cornu aut siquid magis aridum est habetis sole et frigore et esuritione. quare non tibi sit bene ac beate? a te sudor abest, abest saliva mucusque et mala pituita nasi.

GEDICHTE

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Suffenus dann wieder wie ein beliebiger Ziegenmelker oder Bauer; so sehr weicht er von sich selbst ab und verändert sich. Was sollen wir davon denken? Er, der eben noch als Spaßvogel oder als etwas noch Geistreicheres erschien, derselbe ist platter als das platte Land, sobald er sich an Gedichte macht; und doch ist er niemals ebenso glücklich, wie dann, wenn er ein Gedicht schreibt: So sehr freut er sich über sich und so sehr bewundert er sich selbst. Freilich täuschen wir uns alle gleichermaßen, und es gibt keinen, in dem du nicht in irgendeinem Punkt einen Suffenus sehen könntest. Jedem ist sein eigener Irrtum zugeteilt, aber wir sehen nicht den Teil des Rucksacks, der auf dem Rücken [hängt. V> Furius, der du weder einen Sklaven noch eine Geldschatulle noch eine Wanze noch eine Spinne noch ein Feuer, aber einen Vater hast und eine Stiefmutter, deren Zähne sogar Kieselsteine zerkauen können, es geht dir prima mit deinem Vater und mit der spindeldürren Frau deines Vaters. Kein Wunder! Denn ihr seid alle gesund, verdaut prima, furchtet nichts, keine Feuersbrunst, keinen schlimmen Häusereinsturz, keine ruchlosen Taten, keinen tückischen Giftanschlag, keine anderen Unglücksfälle und Gefahren. Dabei habt ihr Leiber, die trockener als Horn sind, oder was es sonst noch gibt, das trockener ist, dank der Sonne, dem Frost und dem Hungerleiden. Warum solltest du nicht gut und glücklich leben? Verschont bist du vom Schweiß, verschont vom Speichel, von Schleim und bösem Schnupfen.

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CATULLUS 23 · 24 · 25

hanc ad munditiem adde mundiorem, quod cuius tibi purior salillo est nec toto decies cacas in anno; atque id durius est faba et lupillis, quod tu si manibus teras fricesque, non umquam digitum inquinare posses, haec tu commoda tarn beata, Furi, noli spernere nec putare parvi, et sestertia quae soles precari centum desine: nam sat es beatus.

24 O qui flosculus es Iuventiorum, non horum modo, sed quot aut fuerunt aut posthac aliis erunt in annis, mallem divitias Midae dedisses isti, cui ñeque servus est ñeque arca, quam sic te sineres ab ilio amari. 'qui? non est homo bellus?' inquies. est: sed bello huic neque servus est neque arca. hoc tu quam lubet abice elevaque: nec servum tarnen ille habet neque arcam.

2-5 Cinaede Thalle, mollior cuniculi capillo vel anseris medullula vel imula oricilla vel pene languido senis situque araneoso, idemque, Thalle, túrbida rapacior procella, cum diva maior ambiens ostendit oscitantes,

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Reinlicher als diese Reinlichkeit ist dann noch, daß dein Arschloch sauberer ist als ein Salzfäßchen und du im ganzen Jahr nicht zehnmal kackst, und das ist dann härter als Bohnen und kleine Lupinen. Wenn du das mit den Händen reiben und zerkrümeln würdest, könntest du dir nie die Finger schmutzig machen. Diese so beglückenden Vorteile, Furius, verachte sie nicht und halte sie nicht fur gering und hör auf, wie du es ständig tust, zu bitten um die hunderttausend Sesterzen. Denn du bist begütert genug.

14 O du, der du die zarte Blüte der Juventier bist, nicht der heutigen nur, sondern aller, die je waren oder in künftigen Jahren sein werden, ich hätte lieber gewollt, daß du des Midas Schätze gegeben hättest dem da, der weder einen Sklaven noch eine Geldschatulle hat, als daß du dich einfach so von ihm hättest lieben lassen. »Was? Ist er nicht ein reizender Mensch?« wirst du sagen. Er ist es. Aber dieser Reizende hat keinen Sklaven und keine Geldschatulle. Das spiel du nur, soviel du willst, herunter und entkräfte es. Dennoch hat er keinen Sklaven und keine Geldschatulle.

15 Schwuchtel Thallus, weicher als Kaninchenfell oder als zartes Gänsemark oder als ein Ohrläppchen oder als der schlaffe Schwanz eines Greises und Spinnwebenmoder, doch auch, Thallus, raffgieriger als ein heftiger Sturmwind, wenn die Göttin, größer geworden in ihrem Umlauf, gähnende [Menschen zeigt,

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CATULLUS 25

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remitte pallium mihi meum, quod involasti, sudariumque Saetabum catagraphosque Thynos, inepte, quae palam soles habere tamquam avita. quae nunc tuis ab unguibus reglutina et remitte, ne laneum latusculum manusque mollicellas

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inusta turpiter tibi flagella conscribillent, et insolenter aestues velut minuta magno deprensa navis in mari vesaniente vento.

26 Furi, villula vestra non ad Austri flatus opposita est ñeque ad Favoni nec saevi Boreae aut Apheliotae, verum ad milia quindecim et ducenta. o ventum horribilem atque pestilentem!

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27 Minister vetuli puer Falerni, inger mi calices amariores, ut lex Postumiae iubet magistrae ebrioso acino ebriosioris. at vos quo lubet hinc abite, lymphae, vini pernicies, et ad severos migrate, hic merus est Thyonianus.

28 Pisonis comités, cohors inanis, aptis sarcinulis et expeditis,

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GEDICHTE

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schick mir meinen Mantel zurück, den du geklaut hast, das sätabische Taschentuch und die bithynischen Schreibtäfelchen, die du, alberner Kerl, zur Schau zu stellen pflegst, als wären sie [ererbt. Die reiß jetzt los von deinen Klauen und schick sie zurück, damit nicht die flaumige zarte Flanke und die weichlichen Hände schmachvoll dir die Peitsche brennt und vollkritzelt und du maßlos hin und her schwankst wie ein winziges Schiff, das auf dem großen Meer vom rasenden Wind gepackt wurde.

26 Furius, eure kleine Villa ist nicht des Südwinds Wehen ausgesetzt noch des Westwinds, noch des grimmigen Nordwinds oder des Ostwinds, doch mit zweihundertfunfzehntausend belastet. Ach, was fur ein schrecklicher und verderblicher Wind!

27 Knabe, der du den alten Falerner darreichst, fülle mir herbere Becher, wie es das Gesetz der Postumia befiehlt, der Zechkönigin, die voller ist als eine volle Weinbeere. Doch ihr geht von hier fort, wohin es euch beliebt, Wassermengen, Verderben des Weins, und zu strengen Leuten wandert! Hier gibt es puren Bacchustrank.

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Ihr Begleiter Pisos, bedürftige Kohorte mit handlichem und leichtem Gepäck,



CATULLUS 28

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Verani optime tuque mi Fabulle, quid rerum geritisi satisne cum isto vappa frigoraque et famem tulistis? ecquidnam in tabulis patet lucelli expensum ut mihi, qui meum secutus praetorem refero datum lucello? o Memmi, bene me ac diu supinum tota ista trabe lentus irrumasti, sed, quantum video, pari fuistis casu: nam nihilo minore verpa farti estis. pete nobiles amicos! at vobis mala multa di deaeque dent, opprobria Romuli Remique.

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Quis hoc potest videre, quis potest pati, nisi impudicus et vorax et aleo, Mamurram habere quod Cornata Gallia habebat ante et ultima Britannia? cinaede Romule, haec videbis et feres? et ille nunc superbus et superfluens perambulabit omnium cubilia, u t albulus C o l u m b u s a u t A d o n e u s ?

cinaede Romule, haec videbis et feres? es impudicus et vorax et aleo, eone nomine, imperator unice, fuisti in ultima occidentis insula, ut ista vestra difíututa méntula ducenties comesset aut trecenties? quid est alid sinistra liberalitas?

GEDICHTE

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bester Veranius und du, mein Fabullus, wie geht es euch? Habt ihr mit diesem Schurken da genug Frost und Hunger ertragen? Stehen etwa in euren Kassenbüchern als Profitchen eure Ausgaben wie bei mir, der ich als Begleiter meines Prätors das, was ich ausgab, als Profitchen verbuchen muß? O Memmius, genüßlich und lange hast du mich, während ich auf [dem Rücken lag, mit deinem ganzen Balken in aller Ruhe in den Mund gefickt! Aber, soweit ich sehe, hattet ihr das gleiche Pech. Denn mit einem um nichts kleineren Schwanz seid ihr vollgestopft worden. Da such dir noch vornehme Freunde! Doch euch mögen viel Schlechtes die Götter und Göttinnen geben, ihr Schandflecken für Romulus und Remus!

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Wer kann dies mit ansehen, wer kann es ertragen, wenn er nicht schamlos und gefräßig und ein Spieler ist, daß Mamurra besitzt, was Gallia Cornata vorher besessen hat und das ferne Britannien? Schwuchtel Romulus, das wirst du mit ansehen und dulden? Wird jener jetzt in Übermut und Überfluß durch die Betten aller spazieren wie ein weißer Täuberich oder ein Adonis? Schwuchtel Romulus, das wirst du mit ansehen und dulden? Dann bist du schamlos und gefräßig und ein Spieler! Z u diesem Zweck, einzigartiger Feldherr, warst du auf der fernsten Insel des Westens, damit dieser euer abgefickter Schwanz da zwanzig oder dreißig Millionen verfressen kann? Was ist das anderes als Freigebigkeit am verkehrten Platz?

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CATULLUS 29 · 30

parum expatravit an parum elluatus est? paterna prima lancinata sunt bona, secunda praeda Pontica, inde tertia Hibera, quam seit amnis aurifer Tagus: nunc Galliae timetur et Britanniae. quid hunc - malum! - fovetis? aut quid hie potest nisi uñeta devorare patrimonia? eone nomine, urbis o piissimi socer generque, perdidistis omnia?

30 Alfene immemor atque unanimis false sodalibus, iam te nil miseret, dure, tui dulcis amiculi? iam me prodere, iam non dubitas fallere, perfide? nec facta impia fallacum hominum caelicolis placent, quae tu neglegis ac me miserum deseris in malis. eheu quid faciant, die, homines cuive habeant fidem? certe tute iubebas animam tradere, inique, ( m e ) inducens in amorem, quasi tuta omnia mi forent, idem nunc retrahis te ac tua dicta omnia factaque ventos irrita ferre ac nebulas aereas sinis. si tu oblitus es, at di meminerunt, meminit Fides, quae te ut paeniteat postmodo facti faciet tui.

GEDICHTE

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Hat er noch zu wenig verhurt oder zu wenig verpraßt? Zuerst wurde das väterliche Gut verschlungen, dann die pontische Beute, drittens noch die iberische, von der der Gold führende Tagus weiß. Jetzt fürchtet man für Gallien und Britannien. Was zum Teufel hätschelt ihr den? Was kann der sonst, als fette Erbgüter verschlingen? Zu diesem Zweck, o der Hauptstadt bravster Schwiegervater und Schwiegersohn, habt ihr alles zugrunde gerichtet?

30 Alfenus, vergeßlich und falsch gegenüber einmütigen Gefährten, tut es dir, Harter, jetzt gar nicht leid um deinen süßen Freund? Jetzt mich zu verraten, jetzt zu betrügen zögerst du nicht, Treuloser? Nicht gefallen frevelhafte Taten tückischer Menschen den [Himmelsbewohnern. Darum kümmerst du dich nicht und läßt mich Armen in der Not [allein. Ach, was sollen Menschen tun, sag, wem sollen sie vertrauen? Du hast mich doch aufgefordert, dir mein Herz zu schenken, [Ungerechter, zur Liebe mich einladend, als ob ich mich ganz auf dich verlassen [könnte. Gerade du ziehst dich nun zurück und läßt alle deine Worte und [Taten, als hätten sie keine Gültigkeit, von Winden und luftigen Nebeln [davontragen. Wenn du dies vergessen hast, so erinnern sich doch die Götter, [erinnert sich die Treue, die dafür sorgen wird, daß du später deine Tat bereust.

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CATULLUS

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31 Paene insularum, Sirmio, insularumque ocelle, quascumque in liquentibus stagnis marique vasto fert uterque Neptunus, quam te libenter quamque laetus inviso, vix mi ipse credens Thuniam atque Bithunos liquisse campos et videre te in tuto, o quid solutis est beatius curis, cum mens onus reponit ac peregrino labore fessi venimus larem ad nostrum desideratoque acquiescimus lecto? hoc est, quod unum est pro laboribus tantis. salve, o venusta Sirmio, atque ero gaude gaudente, vosque, o Lydiae lacus undae, ridete, quidquid est domi cachinnorum.

32 Amabo, mea dulcís ipsicilla, meae deliciae, mei lepores, iube ad te veniam meridiatum. et si iusseris, illud adiuvato, ne quis liminis obseret tabellam neu tibi lubeat foras abire, sed domi maneas paresque nobis novem continuas fiitutiones. verum, si quid ages, statim iubeto: nam pransus iaceo et satur supinus pertundo tunicamque palliumque.

GEDICHTE

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31 Sirmio, aller Halbinseln und Inseln Augenstern, aller, die in klaren Seen und im unermeßlichen Meer trägt der doppelte Neptun! Wie gerne und wie froh erblicke ich dich, kaum mir selbst glaubend, daß ich Thynien und die bithynischen Felder hinter mir gelassen habe und dich wohlbehalten sehe! Oh, was fur ein größeres Glück gibt es, als von Sorgen befreit zu wenn der Geist seine Bürde ablegt und wir, von Mühsal

[sein,

in der Fremde ermattet, zu unserem eigenen Herd gekommen sind und im ersehnten Bett ausruhen? Das ist es, was einzig so große Mühen aufwiegt. Sei gegrüßt, o liebliches Sirmio, und freu dich an deinem Herrn, der sich freut, und ihr, lydische Wellen des Sees, lacht heraus alles, was ihr zur Verfugung habt an Gelächter!

32 Bitte, meine süße kleine Herrin, meine Wonne, mein Entzücken, laß mich zu dir kommen zum Mittagsschlaf. Und wenn dir das recht ist, sorge dafür, daß keiner an der Schwelle einen Riegel vorschiebt und auch du nicht Lust bekommst auszugehen, sondern zu Hause bleibst und uns bescherst neun Fickereien ohne Pause. Aber, wenn etwas läuft, laß mich sofort kommen! Denn ich habe zu Mittag gegessen, liege satt auf dem Rücken und durchstoße Hemd und Mantel.

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CATULLUS 33

33

O furum optime balneariorum, Vibenni pater, et cinaede fili (nam dextra pater inquinatiore, culo filius est voraciore), cur non exilium malasque in oras itis? quandoquidem patris rapinae notae sunt populo, et natis pilosas, fili, non potes asse venditare.

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Dianae sumus in fide puellae et pueri integri: (Dianam pueri integri) puellaeque canamus. o Latonia, maximi magna progenies Iovis, quam mater prope Deliam deposivit olivam, montium domina ut fores silvarumque virentium saltuumque reconditorum amniumque sonantum: tu Lucina dolentibus Iuno dieta puerperis, tu potens Trivia et notho es dicta lumine Luna.

GEDICHTE

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33 O bester der Diebe in den Bädern, Vater Vibennius, und du, sein Sohn, du Schwuchtel (denn der Vater hat eine schmutzigere Hand, der Sohn ein gefräßigeres Arschloch), warum geht ihr nicht ins Exil und zu üblen Küsten? Denn die Räubereien des Vaters sind bekannt im Volk, und deine behaarten Arschbacken, Sohn, kannst du nicht fur einen Pfennig verkaufen.

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Unter dem Schutz Dianas stehen wir reinen Mädchen und Knaben; Diana wollen wir reinen Knaben und Mädchen besingen. Oh, Latonas Tochter, des höchsten Jupiter hoher Sproß, welche die Mutter beim delischen ölbaum gebar, damit du der Berge Herrin seist und der grünenden Wälder und der verborgenen Waldtäler und der rauschenden Ströme, du wirst Juno Lucina von Frauen in den Wehen genannt, du wirst mächtige Trivia und Luna mit fremdem Licht genannt.

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CATULLUS

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tu cursu, dea, menstruo metiens iter annuum rustica agricolae bonis tecta frugibus expíes. sis quocumque tibi placet sancta nomine, Romulamque, antique ut solita es, bona sospites ope gentem.

35 Poetae tenero, meo sodali, velim Caecilio, papyre, dicas Veronam veniat, Novi relinquens Comi moenia Lariumque litus. nam quasdam volo cogitationes amici accipiat sui meique. quare, si sapiet, viam vorabit, quamvis candida milies puella euntem revocet manusque collo ambas iniciens roget morari. quae nunc, si mihi vera nuntiantur, illum deperit impotente amore, nam quo tempore legit incohatam Dindymi dominam, ex eo misellae ignes interiorem edunt medullam. ignosco tibi, Sapphica puella musa doctior; est enim venuste Magna Caecilio incohata Mater.

GEDICHTE

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Du, Göttin, mit deinem monatlichen Lauf gliedernd den Reiseweg des Jahres, füllst das ländliche Haus des Bauern mit guten Früchten. Sei unter jedem Namen, der dir gefällt, geheiligt, und das Volk des Romulus, wie du es seit alters stets getan hast, behüte durch gütige Hilfe.

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Dem zarten Dichter, meinem Gefährten Caecilius, sage bitte, Papyrus, er möge nach Verona kommen, die Mauern von Novum Comum und den krischen Strand verlassend. Denn ich möchte, daß er gewisse Gedanken seines und meines Freundes vernehme. Daher wird er, wenn er Verstand hat, den Weg verschlingen, mag auch sein schönes Mädchen tausendmal ihn, wenn er geht, zurückrufen und, um seinen Hals beide Arme werfend, um Aufschub bitten. Sie vergeht jetzt, wenn mir Wahres berichtet wird, in hemmungsloser Liebe zu ihm. Denn seit dem Zeitpunkt, als sie las den Anfang der Herrin vom Dindymus, seitdem verzehren der Armen Liebesgluten das innerste Mark. Ich verzeihe dir, Mädchen, das gelehrter ist als die sapphische Muse. Denn voller Charme ist der Anfang der Großen Mutter des Caecilius.

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CATULLUS 3 6 - 3 7

36 Annales Volusi, cacata carta, votum solvite pro mea puella. nam sanctae Veneri Cupidinique vovit, si sibi restitutus essem desissemque truces vibrare iambos, electissima pessimi poetae scripta tardipedi deo daturam infelicibus ustulanda lignis. et hoc pessima se puella vidit iocose (ac) lepide vovere divis. nunc, o caeruleo creata ponto, quae sanctum Idalium Uriosque apertos quaeque Ancona Cnidumque harundinosam colis quaeque Amathunta quaeque Golgos quaeque Durrachium Hadriae tabernam, acceptum face redditumque votum, si non illepidum neque invenustum est. at vos interea venite in ignem, pieni ruris et inficetiarum annales Volusi, cacata carta.

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Salax taberna vosque contubernales, a pilleatis nona fratribus pila, solis putatis esse méntulas vobis, solis licere, quidquid est puellarum, confutuere et putare ceteros hircos? an, continenter quod sedetis insulsi centum an ducenti, non putatis ausurum me una ducentos irrumare sessores?

GEDICHTE

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Annalen des Volusius, vollgekackter Papyrus, löst ein im Namen meines Mädchens ihr Gelübde. Denn der heiligen Venus und Cupido hat sie gelobt, wenn ich ihr wiedergeschenkt sei und aufhörte, grimmige Jamben zu schleudern, die höchst erlesenen Schriften des schlechtesten Dichters dem humpelfußigen Gott zu übergeben, damit er sie verbrenne mit unfruchtbaren Holzscheiten. Und darin sah das schlechteste Mädchen ein witziges und geistreiches Gelübde an die Götter. Jetzt, o du aus dem blauen Meer Geborene, die du das heilige Idalium, das offen daliegende Urion und Ancona und das schilfreiche Knidos bewohnst und Amathus und Golgi und Dyrrhachium, die Taverne der Adria, laß das Gelübde als angenommen und erfüllt gelten, so wahr es nicht ohne Geist und ohne Charme ist! Doch ihr marschiert einstweilen ins Feuer, voll wie ihr seid von Derbheit und Albernheiten, Annalen des Volusius, vollgekackter Papyrus.

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Geile Taverne und ihr Saufkumpane, ihr, neun Pfeiler entfernt von den filzbemützten Brüdern, glaubt ihr, ihr allein hättet Schwänze, ihr allein dürftet alles, was es an Mädchen gibt, zusammenficken und alle anderen fur stinkende Böcke halten? Glaubt ihr etwa, weil ihr blöde in einer Reihe dasitzt zu hundert oder zweihundert, nicht wagen würde ich, euch zweihundert Stuhlhocker zusammen in den Mund zu ficken?



CATULLUS 37 · 38 · 39

atqui putate: namque totius vobis frontem tabernae sopionibus scribam. pueila nam mi, quae meo sinu fugit, amata tantum quantum amabitur nulla, pro qua mihi sunt magna bella pugnata, consedit istic. hanc boni beatique omnes amatis, et quidem, quod indignum est, omnes pusilli et semitarii moechi; tu praeter omnes, une de capillatis, cuniculosae Celtiberiae fili, Egnati, opaca quem bonum facit barba et dens Hibera defricatus urina.

38 Malest, Cornifici, tuo Catullo, malest, me hercule, et laboriose et magis magis in dies et horas. quem tu, quod minimum facillimumque est, qua solatus es allocutione? irascor tibi, sic meos amores? paulum quidlubet allocutionis maestius lacrimis Simonideis!

39 Egnatius, quod candidos habet dentes, renidet usque quaque. si ad rei ventum est subsellium, cum orator excitât fletum, renidet ille; si ad pii rogum fili lugetur, orba cum flet unicum mater, renidet ille. quidquid est, ubicumque est,

GEDICHTE

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Ja, glaubt es nur! Denn ich will euch die ganze Fassade der Taverne mit Schwänzen vollkritzeln. Das Mädchen nämlich, das aus meinen Armen geflohen ist, von mir geliebt so sehr, wie keine mehr geliebt werden wird, um die ich große Kriege kämpfte, hat sich dort niedergelassen. Die, ihr edlen Glücksritter, liebt ihr alle, und dabei - Schande über sie! seid ihr alle Zwerge und Straßencasanovas. Du vor allem, einer von den Langhaarigen, Sohn des Kaninchenlandes Keltiberien, Egnatius, den ein dunkler Bart zu einem Edelmann macht und ein Gebiß, geputzt mit iberischem Urin.

38 Schlecht geht es, Cornificus, deinem Catull, schlecht, beim Herkules, und elend und immer schlimmer täglich und stündlich. Hast du ihn, was doch das Mindeste und Einfachste wäre, mit irgendeinem Zuspruch getröstet? Ich bin zornig auf dich. So erwiderst du meine Liebesbekundungen? Ein bißchen Zuspruch schenk mir, irgendeinen, und trauriger sei er als die Tränen des Simonides!

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Weil Egnatius strahlend weiße Zähne hat, grinst er ständig und überall. Wenn man zur Anklagebank gekommen ist und der Verteidiger rührt zu Tränen, grinst er. Wenn am Scheiterhaufen des lieben Sohnes getrauert wird und die kinderlose Mutter beweint ihren Einzigen, grinst er. Was es auch ist, wo immer es ist,

CATULLUS 3 9 · 4 0

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quodcumque agit, renidet: hunc habet morbum neque elegantem, ut arbitrar, ñeque urbanum. quare monendum est (te) mihi, bone Egnati. si urbanus esses aut Sabinus aut Tiburs aut pinguis Umber aut obesus Etruscus aut Lanuvinus ater atque dentatus aut Transpadanus, ut meos quoque attingam, aut quilubet, qui puriter lavit dentes, tarnen renidere usque quaque te nollem: nam risu inepto res ineptior nulla est. nunc Celtiber (es): Celtiberia in terra, quod quisque minxit, hoc sibi solet mane dentem atque russam defricare gingivam, ut, quo iste vester expolitior dens est, hoc te amplius bibisse praedicet loti.

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Quaenam te mala mens, miselle Ravide, agit praecipitem in meos iambos? quis deus tibi non bene advocatus vecordem parat excitare rixam? an ut pervenias in ora vulgi? quid vis? qualubet esse notus optas? eris, quandoquidem meos amores cum longa voluisti amare poena.

41 Ameana puella defututa tota milia me decern poposcit, ista turpiculo puella naso,

GEDICHTE

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was immer er tut, er grinst. Diese Krankheit hat er, eine weder feine noch, finde ich, geistreiche. Deshalb muß ich dich ermahnen, guter Egnatius. Wärst du ein Stadtrömer oder Sabiner oder Tiburtiner oder ein geiziger Umbrer oder ein vollgefressener Etrusker oder ein dunkelhäutiger Lanuviner mit scharfen Zähnen oder ein Transpadaner, um auch meine Landsleute zu erwähnen, oder irgendein beliebiger, der sich reinlich die Zähne putzt, wollte ich dennoch nicht, daß du ständig und überall grinst. Denn es gibt nichts Blöderes als blödes Lachen. Nun bist du ein Keltiberer. Im keltiberischen Land pflegt jeder, was er gepißt hat, sich am frühen Morgen auf die Zähne und das rote Zahnfleisch zu reiben, so daß, je glänzender poliert deine Zähne sind, sie deutlich zeigen, daß du um so mehr Pisse getrunken hast.

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Welche Verblendung, armer Ravidus, jagt dich kopfüber in meine Jamben? Welcher Gott, von dir nicht richtig angerufen, schickt sich an, irrwitzigen Streit zu erregen? Etwa damit du in der Leute Mund kommst? Was willst du? Möchtest du um jeden Preis bekannt sein? D u wirst es sein, da du nun einmal meine Liebste lieben wolltest, was lange Strafe mit sich bringt.

41 Ameana, das abgefickte Mädchen, hat ganze zehntausend von mir verlangt, dieses Mädchen da mit der häßlichen Nase,

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CATULLUS

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decoctoris amica Formiani. propinqui, quibus est puella curae, amicos medicosque convocate: non est sana puella nec rogare, qualis sit, solet aes imaginosum.

42 Adeste, hendecasyllabi, quot estis omnes undique, quotquot estis omnes. iocum me putat esse moecha turpis et negat mihi nostra reddituram pugillaria, si pati potestis. persequamur earn et reflagitemus. quae sit, quaeritis? ilia, quam videtis turpe incedere, mimice ac moleste ridentem catuli ore Gallicani, circumsistite earn et reflagitate: 'moecha putida, redde codicillos, redde, putida moecha, codicillos!' non assis facis? o lutum, lupanar, aut si perditius potes quid esse, sed non est tamen hoc satis putandum. quod si non aliud potest, ruborem ferreo canis exprimamus ore. conclamate iterum altiore voce: 'moecha putida, redde codicillos, redde, putida moecha, codicillos!' sed nil proficimus, nihil movetur. mutanda est ratio modusque vobis, siquid proficere amplius potestis: 'pudica et proba, redde codicillos.'

GEDICHTE

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die Geliebte des Bankrotteurs aus Formiae. Ihr Verwandten, die ihr für das Mädchen verantwortlich seid, ruft Freunde und Arzte zusammen! Nicht ist bei Verstand das Mädchen und pflegt nicht den Spiegel zu befragen, wie sie aussieht.

42 Kommt zu Hilfe, Elfsilbler, so viele ihr seid, alle von überallher, alle, so viele nur immer ihr seid! Für eine Witzfigur hält mich diese ekelhafte Hure und sagt, sie werde mir nicht zurückgeben meine Schreibtäfelchen, stellt euch das nur vor! Laßt uns sie verfolgen und reklamieren! Wer sie sei, fragt ihr? Jene, die ihr ekelhaft einherstolzieren seht, wobei sie vulgär und widerwärtig lacht mit der Visage eines jungen Gallierhundes. Umstellt sie und reklamiert: »Stinkende Hure, gib die Täfelchen zurück, gib zurück, stinkende Hure, die Täfelchen!« Das schert dich keinen Deut? D u Dreck, du Hurenhaus, oder wenn du noch etwas Verworfeneres sein kannst! Doch wir dürfen nicht denken, daß dies genug war. Wenn also nichts anderes möglich ist, laßt uns Schamröte aus der eisernen Hundevisage herauspressen. Ruft noch einmal mit lauterer Stimme: »Stinkende Hure, gib die Täfelchen zurück, gib zurück, stinkende Hure, die Täfelchen!« Doch wir richten nichts aus, sie läßt sich überhaupt nicht bewegen. Ändern müßt ihr Plan und Methode und schauen, ob ihr mehr ausrichten könnt: »Keusche und Brave, gib die Täfelchen zurück!«

CATULLUS 43

·

44

43 Salve, nec minimo puella naso nec bello pede nec nigris ocellis nec longis digitis nec ore sicco nec sane nimis elegante lingua, decoctoris arnica Formiani. ten provincia narrat esse bellam? tecum Lesbia nostra comparatur? o saeclum insapiens et infacetum!

44 O funde noster seu Sabine seu Tiburs (nam te esse Tiburtem autumant, quibus non cordi Catullum laedere; at quibus cordi est, quovis Sabinum pignore esse contendunt), sed seu Sabine sive verius Tiburs, fui libenter in tua suburbana villa malamque pectore expuli tussim, non inmerenti quam mihi meus venter, dum sumptuosas appeto, dedit, cenas. nam, Sestianus dum volo esse conviva, orationem in Antium petitorem plenam veneni et pestilentiae legi. hic me gravedo frigida et frequens tussis quassavit usque, dum in tuum sinum fugi et me recuravi otioque et Urtica. quare refectus maximas tibi grates ago, meum quod non es ulta peccatum. nec deprecor iam, si nefaria scripta Sesti recepso, quin gravedinem et tussim

GEDICHTE

I-60

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43 Sei gegrüßt, Mädchen mit nicht der kleinsten Nase, mit nicht schönem Fuß, nicht schwarzen Äuglein, nicht langen Fingern, nicht trockenem Mund, und wahrhaftig nicht allzu gewählter Ausdrucksweise, du Geliebte des Bankrotteurs aus Formiae! Von dir erzählt die Provinz, du seist hübsch? Mit dir vergleicht man meine Lesbia? O Jahrhundert ohne Geist und Witz!

44 O du mein Landgut, ob sabinisches oder tiburtinisches (denn daß du tiburtinisch seist, behaupten die, denen nicht daran liegt, Catull zu kränken; doch die, denen daran liegt, wetten um jeden Einsatz, du seist sabinisch), doch ob sabinisch oder - richtiger - tiburtinisch, ich war gerne in deiner vor der Stadt gelegenen Villa und trieb den schlimmen Husten aus meiner Brust, den mir nicht unverdient mein eigener Bauch verschaffte, weil ich nach einem aufwendigen Mahl gierte. Denn weil ich Gast des Sestius sein wollte, las ich seine Rede gegen den Amtsbewerber Antius, die voll Gift und Pestilenz ist. D a schüttelten mich ein frostiger Schnupfen und ein ständiger Husten so lange, bis ich in deinen Schoß floh und mich auskurierte mit Ruhe und mit Brennesseln. Deshalb sage ich dir als Genesener größten Dank, weil du mein Vergehen nicht bestraft hast. Und nichts mehr wende ich, wenn ich die Schandschriften des Sestius wieder bekomme, dagegen ein, daß einen Schnupfen [und einen Husten

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CATULLUS 4 4

· 45

non mi, sed ipsi Sestio ferat frigus, qui tunc vocat me, cum malum librum legi.

45 Acmen Septimius suos amores tenens in gremio 'mea' inquit 'Acme, ni te perdite amo atque amare porro omnes sum assidue paratus annos, quantum qui pote plurimum perire, solus in Libya Indiaque tosta caesio veniam obvius leoni.' hoc ut dixit, ut ante Amor sinistra dextra sternuit approbationem. at Acme leviter caput reflectens et dulcis pueri ebrios ocellos ilio purpureo ore suaviata 'sic,' inquit 'mea vita, Septimille, huic uni domino usque serviamus, ut multo mihi maior acriorque ignis mollibus ardet in medullis.' hoc ut dixit, ut ante Amor sinistra dextra sternuit approbationem. nunc ab auspicio bono profecti mutuis animis amant amantur. unam Septimius misellus Acmen mavult quam Syrias Britanniasque: uno in Septimio fidelis Acme facit delicias libidinesque. quis ullos homines beatiores vidit, quis Venerem auspicatiorem?

GEDICHTE

I-60

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ihr Frost nicht mir, sondern Sestius selbst bringt, der mich nur dann einlädt, wenn ich ein schlechtes Buch gelesen [habe. 45

Septimius, Acme, seine Liebste, im Schoß haltend, sprach: »Meine Acme, wenn ich dich nicht heillos liebe und dich weiterhin zu lieben beharrlich alle Jahre bereit bin und vor Liebe zu vergehen wie keiner sonst, dann will ich allein in Libyen oder im ausgedörrten Indien einem grauäugigen Löwen begegnen.« Sobald er dies gesagt hatte, hat Amor - wie vorher von links von rechts Zustimmung geniest. Doch Acme, leicht den Kopf zurückneigend und die trunkenen Augen des süßen Jungen mit ihrem Purpurmund küssend, sprach: »So laß uns, Septimchen, mein Leben, diesem einen Herrn auf ewig dienen, so wahr mir ein viel größeres und heißeres Feuer in meinem zarten Herzen brennt.« Sobald sie dies gesagt hatte, hat Amor - wie vorher von links von rechts Zustimmung geniest. Jetzt, von dem guten Vorzeichen ausgehend, lieben sie einander von Herzen und werden geliebt. Septimius, der Ärmste - die eine Acme will er lieber als jedes Syrien und jedes Britannien, und einzig bei Septimius kann die treue Acme ihre Wonne und ihre Lust finden. Wer hat je glücklichere Menschen gesehen, wer eine Liebe unter besseren Vorzeichen?

6o

CATULLUS 4 6

· 47

· 48

46

lam ver egelidos refert tepores, iam caeli furor aequinoctialis iucundis Zephyri silescit aureis. linquantur Phrygii, Catulle, campi Nicaeaeque ager über aestuosae:

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ad claras Asiae volemus urbes, iam mens praetrepidans avet vagari, iam laeti studio pedes vigescunt. o dulces comitum valete coetus, longe quos simul a domo profectos

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diversae varie viae reportant.

47 Porci et Socration, duae sinistrae Pisonis, scabies famesque mundi, vos Veraniolo meo et Fabullo verpus praeposuit Priapus ille? vos convivía lauta sumptuose

5

de die facitis, mei sodales quaerunt in trivio vocationes?

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Mellitos oculos tuos, Iuventi, si quis me sinat usque basiare, usque ad milia basiem trecenta nec numquam videar satur futurus, non si densior aridis aristis sit nostrae seges osculationis.

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GEDICHTE

I-60

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46 Schon bringt der Frühling die lauen Lüfte zurück, schon verstummt am Himmel das Toben der Tag- und Nachtgleiche vor dem freundlichen Wehen des Westwinds. Nun heißt es, Catull, die phrygischen Felder verlassen und das fruchtbare Ackerland des glühenden Nikaia: Zu den berühmten Städten Asiens laßt uns im Fluge eilen! Schon zittert in Vorfreude der Sinn und begehrt zu wandern, schon froh vor Eifer werden die Füße lebendig. O du lieber Kreis der Gefährten, leb wohl! Sie, die gemeinsam von zu Hause in die Ferne aufbrachen, bringen getrennte Wege auf verschiedene Weise zurück.

47 Porcius und Sokration, ihr beiden linken Diebeshände Pisos, Aussatz und Hungerplage der Welt, euch hat meinem Veranchen und dem Fabullus jener Priapus mit entblößter Eichel vorgezogen? Ihr veranstaltet aufwendig saubere Gelage schon am heilichten Tag, meine Gefährten aber betteln am Dreiweg um Einladungen?

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Deine honigsüßen Augen, Juventius, wenn man sie mich fortwährend küssen ließe, fortwährend bis zu dreihunderttausendmal küßte ich sie, und niemals schiene mir, ich könnte satt werden, auch nicht, wenn dichter als reife Ähren wäre die Saat unserer Küsserei.

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CATULLUS 49 · 50

49 Disertissime Romuli nepotum, quot sunt quotque fuere, Marce Tulli, quotque post aliis erunt in annis, gratias tibi maximas Catullus agit pessimus omnium poeta, tanto pessimus omnium poeta, quanto tu optimus omniums patronus.

50 Hesterno, Licini, die otiosi multum lusimus in meis tabellis, ut convenerat esse delicatos: scribens versículos uterque nostrum ludebat numero modo hoc modo illoc, reddens mutua per iocum atque vinum. atque illinc abii tuo lepore incensus, Licini, facetiisque, ut nec me miserum cibus iuvaret nec somnus tegeret quiete ocellos, sed toto indomitus furore lecto versarer cupiens videre lucem, ut tecum loquerer simulque ut essem. at defessa labore membra postquam semimortua lectulo iacebant, hoc, iucunde, tibi poema feci, ex quo perspiceres meum dolorem, nunc audax cave sis precesque nostras, oramus, cave despuas, ocelle, ne poenas Nemesis reposcat a te. est vemens dea: laedere hanc caveto.

GEDICHTE

I-60

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49 Beredtster du der Enkel des Romulus, aller, die es gibt und die es gab, Marcus Tullius, und die es später geben wird in anderen Jahren! Größten Dank sagt Catull dir, der schlechteste Dichter von allen, um soviel der schlechteste Dichter von allen, wie du der beste Anwalt von allen bist.

50 Am gestrigen Tage, Licinius, haben wir in Muße viel herumgespielt auf meinen Schreibtäfelchen, wie wir denn vereinbart hatten, ausgelassen zu sein. Verslein schreibend spielte da jeder von uns bald mit diesem, bald mit jenem Metrum, gebend und nehmend bei Scherz und Wein. Und von dort ging ich weg, von deinem Liebreiz ganz entflammt, Licinius, und von deinem Witz, so daß mich Armen weder Speise freute noch Schlaf mit Ruhe bedeckte die Äuglein, nein, auf dem ganzen Bett, unbändig in meiner heftigen Erregung, wälzte ich mich, begierig, zu sehen das Tageslicht, um mit dir zu sprechen und zusammen zu sein. Doch nachdem dann, ermattet von der Anstrengung, meine Glieder halbtot auf dem Bettchen lagen, hab ich dir, Herrlicher, dieses Gedicht gemacht, damit du daraus meinen Sehnsuchtsschmerz erkennen kannst. Nun hüte dich, vermessen zu sein, und meine Wünsche, bitte, hüte dich, sie zu verschmähen, mein Augenstern, damit nicht Buße Nemesis von dir einfordert. Sie ist eine strenge Göttin. Sie zu kränken sollst du dich hüten!

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CATULLUS 51 · 5

51 lile mi par esse deo videtur, ille, si fas est, superare divos, qui sedens adversus identidem te spectat et audit dulce ridentem, misero quod omnis eripit sensus mihi: nam simul te, Lesbia, aspexi, nihil est super mi (vocis in ore,) lingua sed torpet, tenuis sub artus damma demanat, sonitu suopte tintinant aures, gemina teguntur lumina nocte. otium, Catulle, tibi molestum est: otio exsultas nimiumque gestis: otium et reges prius et beatas perdidit urbes.

52 Quid est, Catulle? quid moraris emori? sella in curali struma Nonius sedet, per consulatum peierat Vatinius: quid est, Catulle? quid moraris emori?

GEDICHTE

I-60

51

Jener scheint mir einem Gotte gleich zu sein, jener, wenn ich das sagen darf, die Götter zu übertreffen, der dir gegenüber sitzt und immer wieder dich ansieht und hört dein süßes Lachen, was mir Armem alle Sinne raubt. Denn kaum hab ich dich, Lesbia, erblickt, ist nichts mehr übrig von der Stimme in meinem Mund, nein, gelähmt ist die Zunge, eine feine Flamme fließt herab in die Glieder, vom eigenen Dröhnen klingen die Ohren, von doppelter Nacht werden bedeckt die Augen. Muße, Catull, bringt dir Schwierigkeiten, durch Muße wirst du übermütig und begehrst zu viel. Muße hat einst Könige und reiche Städte vernichtet.

52 Was ist, Catull? Was zögerst du zu sterben? Auf dem kurulischen Sessel sitzt der Kröpf Nonius! Beim Konsulat schwört Vatinius Meineide! Was ist, Catull? Was zögerst du zu sterben?

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CATULLUS 53 ·

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53 Risi ncscio quem modo e corona, qui, cum mirifice Vatiniana meus crimina Calvos explicasset, admirans ait haec manusque tollens: 'di magni, salaputium disertum!'

54 Othonis caput oppido pusillum, Neri rustica semilauta crura, subtile et leve peditum Libonis, si non omnia, displicere vellem tibi et sufficio seni recocto irascere iterum meis iambis inmerentibus, unice imperatori

55 Oramus, si forte non molestum est, demonstres, ubi sint tuae tenebrae. te Campo quaesivimus minore, te in Circo, te in omnibus libellis, te in tempio summi Iovis sacrato, in Magni simul ambulatione femellas omnes, amice, prendi, quas vultu vidi tamen sereno, ac te vel sic ipse flagitabam: 'Camerium mihi, pessimae puellae!' quaedam 'en, en,' inquit sinum reducens 'en hic in roséis latet papillis.' sed te iam ferre Herculei labos est;

GEDICHTE

I-60

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53 Ich lachte soeben über einen aus dem Publikum, der, als ganz wunderbar gegen Vatinius die Anklagepunkte mein Calvus ausgebreitet hatte, voll Bewunderung dies sagte, wobei er die Hände erhob: »Große Götter, was für ein beredter Schwanz!«

54 Daß Othos winziger Kopf, Nerius' bäurische, halb gewaschene Beine und das feine, leichte Furzen Libos, wenn nicht überhaupt alles an ihnen, dir mißfällt, das wünschte ich mir, und ich kann einem verjüngten Greis genügen wirst du nun wieder meinen Jamben zürnen, obwohl sie es nicht verdienen, einzigartiger Feldherr?

55 Ich bitte dich, wenn es dir gerade nicht lästig ist, zeige, wo dein Versteck ist. Dich habe ich auf dem kleineren Campus gesucht, dich im Circus, dich in allen Buchhandlungen, dich im heiligen Tempel des höchsten Jupiter; zugleich habe ich in der Säulenhalle des Magnus alle Frauenzimmer, mein Freund, angehalten, jedenfalls, soweit ich sie mit freundlichen Mienen sah, und ich reklamierte dich so: »Her mit Camerius, ihr verdammten Mädchen!« »Schau, schau«, sagte eine und zog den Gewandbausch zur Seite, »schau, hier in den rosigen Brüsten ist er versteckt!« Aber jetzt ist es eine Herkulesarbeit, dich zu ertragen;

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C A T U L L U S 55 · 5 6

tanto te in fastu negas, amice. die nobis, ubi sis futurus, ede audacter, committe, crede luci, nunc te lacteolae tenent puellae? si linguam clauso tenes in ore, fructus proicies amoris omnes. verbosa gaudet Venus loquella. vel, si vis, licet obseres palatum, dum vestri sim particeps amoris.

56 O rem ridiculam, Cato, et iocosam dignamque auribus et tuo cachinno! ride, quidquid amas, Cato, Catullum: res est ridicula et nimis iocosa. deprendi modo pupulum puellae trusantem; hunc ego, si placet Dionae, protelo rigida mea cecidi.

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Pulcre convenir improbis cinaedis, Mamurrae pathicoque Caesarique. nec mirum: maculae pares utrisque, urbana altera et illa Formiana, impressae resident nec eluentur: morbosi pariter, gemelli utrique, uno in lecticulo erudituli ambo, non hic quam ille magis vorax adulter, rivales socii puellularum. pulcre convenit improbis cinaedis.

GEDICHTE

I-60

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mit solcher Sprödigkeit verweigerst du dich, mein Freund! Sag mir, wo du sein wirst, laß es mutig heraus, gib es preis, vertrau es an dem Licht! Halten dich jetzt milchweiße Mädchen im Arm? Wenn du die Zunge im verschlossenen Mund hältst, wirst du alle Freuden der Liebe wegwerfen. An wortreichem Geplauder hat Venus Freude. Oder du magst, falls du es so willst, deinen Mund verriegeln, wenn ich nur teilhabe an eurer Liebe.

56 O was für eine lächerliche Sache, Cato, und wie komisch, würdig deiner Ohren und deines Gelächters! Lache so sehr, Cato, wie du Catull liebst. Die Sache ist lächerlich und zu komisch! Ich ertappte gerade das Biirschchen des Mädchens beim Wichsen. Den hab ich - so wahr mir Venus helfe! sofort mit meinem Steifen gebumst.

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Prächtig verstehen sich die schamlosen Schwuchteln, Mamurra und die Tunte Caesar. Kein Wunder! Die gleichen Makel haben beide, einen stadtrömischen der eine, der andere einen formianischen; die sind fest eingeprägt und können nicht herausgewaschen werden. Pervers sind sie gleichermaßen, beide ein Zwillingspärchen, beide in ein und demselben Bettchen auf Bildung bedacht, dieser ebensosehr wie jener ein unersättlicher Ehebrecher, Rivalen und Bundesgenossen zugleich bei den Mädelchen. Prächtig verstehen sich die schamlosen Schwuchteln.

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CATULLUS 58 · 5 8 B ·

58 Caeli, Lesbia nostra, Lesbia illa, illa Lesbia, quam Catullus unam plus quam se atque suos amavit omnes, nunc in quadriviis et angiportis glubit magnanimos Remi nepotes.

58b Non custos si fingar ille Cretum, non Ladas ego pinnipesve Perseus, non si Pegaseo ferar volatu, non Rhesi niveae citaeque bigae; adde hue plumípedas volatilesque, ventorumque simul require cursum, quos iunctos, Cameri, mihi dicares: defessus tamen omnibus medullis et multis languoribus peresus essem te mihi, amice, quaeritando.

59

Bononiensis Rufa Rufulum fellat, uxor Meneni, saepe quam in sepulcretis vidistis ipso rapere de rogo cenam, cum devolutum ex igne prosequens panem ab semiraso tunderetur ustore.

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GEDICHTE

I-60

58 Caelius, meine Lesbia, die Lesbia, ja die Lesbia, die Catull als einzige mehr als sich selbst und als alle die Seinen geliebt hat, die zieht jetzt an Wegkreuzungen und in engen Gassen die Vorhaut zurück den hochgemuten Enkeln des Remus.

58b Nicht wenn ich zu dem Wächter der Kreter umgeformt würde, nicht zu Ladas oder Perseus mit Flügeln an den Füßen, nicht wenn ich in pegasëischem Flug dahingetragen würde, nicht als das schneeweiße, schnelle Gespann des Rhesus; nimm hinzu die Flügelschuhträger und die fliegenden Wesen und verschaffe dir zugleich die Schnelligkeit der Winde würdest du diese alle zusammen mir schenken, Camerius, wäre ich dennoch ermattet bis tief ins Mark und von vielfacher Erschöpfung aufgezehrt durch meine ständige Suche nach dir, mein Freund.

59

Die Bononierin Rufa lutscht Rufulus den Schwanz, sie, die Frau des Menenius, die ihr oft auf Friedhöfen saht, wie sie direkt vom Scheiterhaufen Speise raubte, wobei sie, einem aus dem Feuer herabgerollten Brot nachlaufend, von dem halbrasierten Leichenverbrenner gestoßen wurde.

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72

CATULLUS



60 N u m te leaena montibus Libystinis aut Scylla latrans infima inguinum parte tam mente dura procreavit ac taetra, ut supplicis vocem in novissimo casu contemptam haberes, a, nimis fero corde?

5

GEDICHTE

I-60

60 Hat dich etwa eine Löwin in den libyschen Bergen oder Skylla, die mit dem Unterleib bellt, zur Welt gebracht mit so hartem und abscheulichem Sinn, daß du das Flehen eines Bittenden in äußerster Not durch Verachtung strafst mit, ach, allzu grausamem Herzen?

73

6ι Collis o Heliconii cultor, Uraniae genus, qui rapis teneram ad virum virginem, o Hymenaee Hymen, Hymen o Hymenaee, cinge tempora floribus suave olentis amarad, flammeum cape, laetus hue hue veni niveo gerens luteum pede soccum; excitusque hilari die nuptialia concinens voce carmina tinnula pelle humum pedibus, manu pineam quate taedam. namque Vinia Manlio, qualis Idalium colens venit ad Phrygium Venus iudicem, bona cum bona nubet alite virgo,

6ι Des Helikonberges Bewohner, Uranias Sproß, der du zum Manne hin reißt die zarte Jungfrau, o Hymenaios, Hymen, Hymen, o Hymenaios, bekränze die Schläfen mit Blüten des lieblich duftenden Majoran, nimm den Brautschleier, freudig hierher, hierher komm, am schneeweißen Fuß tragend den gelbroten Schuh, und freudig erregt am fröhlichen Tag, Hochzeitslieder singend mit hellklingender Stimme, stampf den Boden mit den Füßen, mit der Hand schwing die Fackel aus Kiefernholz! Denn den Manlius wird Vinia sie, die ist, wie die war, die Idalium bewohnt, Venus, als sie zu dem phrygischen Richter kam - heiraten unter gutem Vorzeichen, die gute Jungfrau,

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CATULLUS

floridis velut enitens myrtus Asia ramulis, quos Hamadryades deae ludicrum sibi roscido nutriunt umore. quare age hue aditum ferens perge linquere Thespiae rupis Aonios specus, nympha quos super irrigat frigerans Aganippe. ac domum dominam voca coniugis cupidam novi mentem amore revinciens, ut tenax hederá hue et hue arborem implica: errans. vosque item simul, integrae virgines, quibus advenit par dies, agite in modum dicite 'o Hymenaee Hymen, Hymen o Hymenaee,' ut lubentius, audiens se citarier ad suum munus, hue aditum ferat dux bonae Veneris, boni coniugator amoris.

6l

GEDICHTE

61-64

erstrahlend wie an Blütenzweigen die asiatische Myrte, welche die göttlichen Hamadryaden als ihr Spielzeug mit Tautropfen nähren. Also auf, lenk hierher deine Schritte und verlaß eilends des thespischen Felsens aonische Grotten, welche die Nymphe Aganippe kühlend benetzt. Und ruf ins Haus die Herrin, die den Bräutigam begehrt, und umwinde ihr Herz mit Liebe, wie der fest haftende Efeu, hierhin und dorthin wandernd, den Baum umrankt. Ihr auch zugleich, reine Jungfrauen, denen ein gleicher Tag naht, auf denn, stimmt in die Melodie ein und singt: »O Hymenaios, Hymen, Hymen, o Hymenaios!«, damit noch lieber, wenn er hört, daß er hergerufen wird zu seinem Dienst, hierher seine Schritte lenkt der Vorbote der guten Venus, der guten Liebe Verbinder.

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CATULLUS

quis deus magis est amatis petendus amantibus? quem colent homines magis caelitum, o Hymenaee Hymen, Hymen o Hymenaee? te suis tremulus parens invocai, tibi virgines zonula soluunt sinus, te timens cupida novos captar aure maritus. tu fero iuveni in manus floridam ipse puellulam dedis a gremio suae matris, o Hymenaee Hymen, Hymen o Hymenaee. nil potest sine te Venus, fama quod bona comprobet, commodi capere, at potest te volente, quis huic deo compararier aùsit? nulla quit sine te domus liberas dare, nec parens stirpe nitier; at potest te volente, quis huic deo compararier ausit?

GEDICHTE

61-64

An welchen Gott müssen geliebte Liebende sich mehr wenden? Wen werden die Menschen mehr verehren unter den Himmlischen? O Hymenaios, Hymen, Hymen, o Hymenaios! Dich ruft fur die Seinen der ängstliche Vater an, dir lösen die Jungfrauen den Gürtel ihres Gewandes, nach dir lauscht bangend mit begierigem Ohr der Bräutigam. Du selbst gibst dem ungestümen Jüngling in die Arme das blühende Mädchen vom Schoß ihrer Mutter, o Hymenaios, Hymen, Hymen, o Hymenaios! Es vermag ohne dich Venus keinen Vorteil, den guter Ruf loben würde, fur sich zu erlangen, doch sie vermag das, wenn du willst. Wer würde wagen, sich diesem Gott zu vergleichen? Es kann kein Haus ohne dich Kinder hervorbringen, kein Vater sich auf Nachwuchs stützen, doch er vermag das, wenn du willst. Wer würde wagen, sich diesem Gott zu vergleichen?

79

8o

CATULLUS

61

quae tuis careat sacris, non queat dare praesides terra finibus: at queat te volente, quis huic deo compararier ausit?

75

claustra pandite ianuae. virgo adest. viden, ut faces splendidas quatiunt comas?

tardet ingenuus pudor. quem tamen magis audiens

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flet, quod ire necesse est.

(85)

fiere desine, non tibi, Aurunculeia, periculum est, ne qua femina pulcrior darum ab Oceano diem viderit venientem.

85 (90)

talis in vario solet divitis domini hortulo stare flos hyacinthinus. sed moraris, abit dies. (prodeas, nova nupta.)

90 (95)

GEDICHTE

61-64

Ein Land, das deinen Kult nicht hat, könnte keine Wächter geben seinen Grenzen, doch es kann das, wenn du willst. Wer würde wagen, sich diesem Gott zu vergleichen? öffnet die Riegel der Tür! Die Jungfrau kommt. Siehst du, wie die Fackeln ihr leuchtendes Haar schütteln?

(... nicht soll die Braut) aufhalten edle Schamhaftigkeit. Dennoch mehr auf diese hörend, weint sie, weil sie gehen muß. Hör auf zu weinen! Es besteht fur dich, Aurunculeia, keine Gefahr, daß je eine schönere Frau den hellen Tag vom Ozean her kommen sah. So pflegt im bunten Garten eines reichen Herrn zu stehen eine blühende Hyazinthenblume. Doch du zögerst, es vergeht der Tag. Tritt heraus, Neuvermählte!

81

82

CATULLUS

6l

prodeas, nova nupta, si iam videtur, et audias nostra verba, viden? faces aureas quatiunt comas:

95

prodeas, nova nupta.

(100)

non tuus levis in mala deditus vir adultera probra turpia persequens a tuis teneris volet secubare papillis,

100 (105)

lenta sed velut adsitas vitis implicat arbores, implicabitur in tuum complexum. sed abit dies:

105

prodeas, nova nupta.

(no)

o cubile, quod omnibus

candido pede lecti,

(115)

quae tuo veniunt ero, quanta gaudia, quae vaga

no

nocte, quae medio die gaudeat! sed abit dies: prodeas, nova nupta.

(120)

GEDICHTE

61-64

Tritt heraus, Neuvermählte, wenn es dir jetzt gut scheint, und höre unsere Worte. Siehst du? Die Fackeln schütteln ihr goldenes Haar. Tritt heraus, Neuvermählte! Nicht wird leichtfertig, einer schändlichen Geliebten hingegeben, dein Mann Schimpf und Schande nachjagen und fern von deinen zarten Brüsten ohne dich schlafen wollen, sondern wie sich die biegsame Rebe an die neben sie gepflanzten Bäume schmiegt, wird er sich schmiegen in deine Umarmung. Doch es vergeht der Tag. Tritt heraus, Neuvermählte! O Lager, das allen

mit dem weißen Fuß des Bettes, welche Freuden kommen fur deinen Herrn, welch große, an denen er sich in der flüchtigen Nacht, an denen er sich mitten am Tage freuen kann! Doch es vergeht der Tag. Tritt heraus, Neuvermählte!

83

84

CATULLUS

61

tollite, ( o ) pueri, faces: flammeum video venire.

115

ite concinite in modum 'Hymen o Hymenaee io, Hymen o Hymenaee.'

(125)

ne diu taceat procax Fescennina iocatio,

120

nec nuces pueris neget desertum domini audiens concubinus amorem.

(130)

da nuces pueris, iners concubine! satis diu

115

lusisti nucibus: iuvet iam servire Talasio. concubine, nuces da.

(135)

sordebant tibi vilicae, concubine, hodie atque heri:

130

nunc tuum cinerarius tondet os. miser a miser concubine, nuces da.

(140)

diceris male te a tuis unguentate glabris marite

135

abstinere, sed abstine. Hymen o Hymenaee io, (Hymen o Hymenaee.)

(145)

GEDICHTE

61-64

Hebt, ihr Knaben, die Fackeln hoch! Den Brautschleier sehe ich kommen. Auf denn, stimmt in die Weise ein: »Hymen, o Hymenaios, io, Hymen, o Hymenaios!« Nicht lange soll schweigen frecher fescenninischer Spott, und nicht soll die Nüsse den Knaben verweigern, wenn er hört, daß jetzt verloren ist fiir ihn die Liebe seines Herrn, der Konkubine. Gib die Nüsse den Knaben, untätiger Konkubine! Lange genug hast du mit Nüssen gespielt. Jetzt soll es dir Freude machen, dem Talassius zu dienen. Konkubine, gib die Nüsse! Schmutzig waren für dich die Mägde, Konkubine, heute wie gestern. Nun schert der Haarkräusler dir das Gesicht. Du armer, ach armer Konkubine, gib die Nüsse! Man sagt, schlecht nur könntest du dich von deinen glatthäutigen Knaben, salbenduftender Ehemann, femhalten. Doch halte dich fern! Hymen, o Hymenaios, io, (Hymen, o Hymenaios.)

85

86

CATULLUS

61

scimus haec tibi quae licent sola cognita, sed marito

140

ista non eadem licent. Hymen o Hymenaee io, Hymen o Hymenaee.

(150)

nupta, tu quoque, quae tuus vir petet, cave ne neges,

145

ni petitum aliunde eat. Hymen o Hymenaee io, Hymen o Hymenaee.

(155)

en tibi domus ut potens et beata viri tui,

150

quae tibi sine serviat (Hymen o Hymenaee io, Hymen o Hymenaee),

(160)

usque dum tremulum movens cana tempus anilitas

155

omnia omnibus annuit. Hymen o Hymenaee io, Hymen o Hymenaee.

(165)

transfer omine cum bono limen aureolos pedes,

160

rasilemque subi forem. Hymen o Hymenaee io, Hymen o Hymenaee.

(170)

GEDICHTE

61-64

Wir wissen, daß du nur erlaubte Freuden kennst. Aber einem Ehemann sind nicht mehr dieselben Freuden erlaubt. Hymen, o Hymenaios, io, Hymen, o Hymenaios. Du aber, Braut, hüte dich, das, was dein Mann von dir fordert, ihm zu versagen, damit er nicht geht, um es anderswo zu fordern. Hymen, o Hymenaios, io, Hymen, o Hymenaios! Sieh, wie mächtig und wohlhabend das Haus deines Mannes ist; laß es dir dienen - Hymen, o Hymenaios, io, Hymen, o Hymenaios! fortwährend, bis, die zitternde Schläfe bewegend, das graubehaarte Alter in allem zu allem zustimmend nickt. Hymen, o Hymenaios, io, Hymen, o Hymenaios! Setze unter gutem Vorzeichen über die Schwelle deine zarten goldenen Füße und tritt heran an die glatte Tür. Hymen, o Hymenaios, io, Hymen, o Hymenaios!

88

CATULLUS

6l

aspice, unus ut accubans vir tuus Tyrio in toro

165

totus immineat tibi. Hymen o Hymenaee io, Hymen o Hymenaee.

(175)

i il i non minus ac tibi pectore uritur intimo

170

fiamma, sed penite magis. Hymen o Hymenaee io, Hymen o Hymenaee.

(180)

mitte brachiolum teres, praetextate, puellulae:

175

iam cubile adeat viri. Hymen o Hymenaee io, Hymen o Hymenaee.

(185)

(vos,) bonae senibus viris cognitae bene feminae,

180

collocate puelluiam. Hymen o Hymenaee io, Hymen o Hymenaee.

(190)

iam licet venias, marite: uxor in thalamo tibi est

185

ore floridulo nitens alba parthenice velut luteumve papaver.

(195)

GEDICHTE

61-64

Schau, wie allein liegend auf einem tyrischen Lager dein Mann ganz und gar in Erwartung ist. Hymen, o Hymenaios, io, Hymen, o Hymenaios! Nicht weniger als dir brennt ihm im innersten Herzen die Flamme, aber tiefer darin. Hymen, o Hymenaios, io, Hymen, o Hymenaios! Laß los den schlanken zarten Arm des Mädchens, Brautführer; jetzt soll sie dem Bett des Mannes nahen. Hymen, o Hymenaios, io, Hymen, o Hymenaios! Ihr guten Frauen, die ihr euren alten Männern wohl vertraut seid, legt das Mädchen an seinen Platz. Hymen, o Hymenaios, io, Hymen, o Hymenaios! Jetzt darfst du kommen, Ehemann. Deine Gattin ist im Schlafgemach, mit blühendem Antlitz glänzend wie weiße Kamille oder rötlicher Mohn.

89

90

CATULLUS

non diu remoraris et

6l

194 (201)

iam venís, bona te Venus

195 (202)

iuverit, quoniam palam

196 (203)

quod cupis cupis, et bonum

197 (204)

non abscondis amorem.

198 (205)

at Martern iuvenem tamen

189 (196)

(caelites, nihilo minus

190 (197)

pulcer es) ñeque te Venus

191 (198)

neglegit. sed abit dies:

192 (199)

perge, ne remorare.

193 (200)

ille pulveris Africi siderumque micantium

199 (206) 200

subducat numerum prius, qui vestri numerare volt multa milia ludi.

(210)

ludite, ut lubet, et brevi liberos date, non decet

205

tarn vetus sine liberis nomen esse, sed indidem semper ingenerari.

(215)

Torquatus volo parvulus matris e gremio suae

210

porrigens teñeras manus dulce rideat ad patrem semihiante labello.

(220)

GEDICHTE

61-64

Nicht lange säumst du, und schon kommst du. Die gute Venus stehe dir bei, weil du offen begehrst, was du begehrst, und gute Liebe nicht verhehlst. Doch auch dich, einen Jüngling wie Mars ihr Himmlischen, du bist nicht weniger schön - vernachlässigt Venus nicht. Aber der Tag vergeht. Auf denn, säume nicht! Der könnte wohl der afrikanischen Sandkörner und der funkelnden Sterne Zahl eher noch errechnen, der zählen will eure vielen tausend Liebesspiele. Treibt euer Spiel, wie es euch gefällt, und bringt bald Kinder zur Welt. Es ziemt sich nicht, daß ein so altes Geschlecht ohne Kinder bleibt; nein, sondern daß es sich stets aus demselben Stamm erneuert. Ich will, daß ein kleiner Torquatus aus dem Schoß seiner Mutter ausstreckt die zarten Hände und süß dem Vater zulächelt mit halboffenem Mündchen.

91

92

CATULLUS 6l · 62

sit suo similis patri Manlio et facile insciis

215

noscitetur ab omnibus et pudicitiam suae matris indicet ore.

(225)

talis illius a bona matre laus genus approbet,

220

qualis unica ab optima matre Telemacho manet fama Penelopeo.

(230)

claudite ostia, virgines: lusimus satis, at, boni

225

coniuges, bene vivite et muñere assiduo valentem exercete iuventam.

(235)

62 Vesper adest, iuvenes, consurgite: Vesper Olympo exspectata diu vix tandem lumina tollit. surgere iam tempus, iam pinguis linquere mensas, iam veniet virgo, iam dicetur hymenaeus. Hymen o Hymenaee, Hymen ades o Hymenaee! Cernitis, innuptae, iuvenes? consurgite contra; nimirum Oetaeos ostendit Noctifer ignes. sic certest; viden, ut perniciter exsiluere?

5

GEDICHTE

61-64

93

Er möge ähnlich sein seinem Vater Manlius und leicht von allen, die ihn nicht kennen, erkannt werden und die Sittsamkeit seiner Mutter durch sein Gesicht bezeugen. Ein so guter Ruf soll seine Abstammung von einer edlen Mutter bestätigen, wie der einzigartige Ruhm ist, den von seiner trefflichen Mutter fur immer Telemach hat, der Sohn der Penelope. Schließt die Türen, Mädchen! Wir haben genug gescherzt. Doch ihr, gute Eheleute, lebt wohl und in der ständigen Erfüllung der Pflicht übt eure kräftige Jugend!

62

Der Abendstern ist da. Ihr Jünglinge, erhebt euch! Der Abendstern am Himmel nun endlich sein lang erwartetes Licht herauf,

[fuhrt

Sich zu erheben ist jetzt Zeit, jetzt die reichgedeckten Tische zu [verlassen. Jetzt wird kommen die Jungfrau, jetzt wird gesungen werden das [Hochzeitslied. Hymen, o Hymenaios, Hymen, komm, o Hymenaios! Seht ihr, ihr unverheirateten Mädchen, die Jünglinge? Erhebt auch [ihr euch! Gewiß zeigt über dem Oita sein Feuer der Nachtbringer. Ja, so ist es. Seht ihr, wie sie rasch aufgesprungen sind?

94

CATULLUS

62

non temere exsiluere, canent, quod vincere par est. Hymen o Hymenaee, Hymen ades o Hymenaee! non facilis nobis, aequales, palma parata est; aspicite, innuptae secum ut meditata requirunt. non frustra meditantur: habent, memorabile quod nec mirum, penitus quae tota mente laborant. nos alio mentes, alio divisimus aures; iure igitur vincemur: amat victoria curam. quare nunc ánimos saltern convertite vestros; dicere iam incipient, iam respondere decebit. Hymen o Hymenaee, Hymen ades o Hymenaee! Hespere, quis caelo fertur crudelior ignis? qui natam possis complexu avellere matris, complexu matris renuentem avellere natam et iuveni ardenti castani donare puellam. quid faciunt hostes capta crudelius urbe? Hymen o Hymenaee, Hymen ades o Hymenaee! Hespere, quis caelo lucet iucundior ignis? qui desponsa tua firmes conubia fiamma, quae pepigere viro, pepigerunt ante parentes nec iunxere prius, quam se tuus extulit ardor, quid datur a divis felici optatius hora? Hymen o Hymenaee, Hymen ades o Hymenaee!

GEDICHTE

61-64

95

Nicht fur nichts sprangen sie auf. Sie werden singen, [was wahrscheinlich siegen wird. Hymen, o Hymenaios, Hymen, komm, o Hymenaios! Keine leicht zu erringende Siegespalme, Gefährten, erwartet uns. Seht, wie die unverheirateten Mädchen bei sich das Eingeübte [wiederholen! Nicht vergebens üben sie sich: Sie haben da etwas Erinnerungs[würdiges. Kein Wunder, da sie mit all ihren Gedanken daran arbeiten. Wir aber lenken unseren Sinn in die eine Richtung, die Ohren in die [andere. Mit Recht also werden wir besiegt werden; es liebt der Sieg das Deshalb konzentriert euch jetzt wenigstens!

[Bemühen.

Zu singen werden sie gleich beginnen, gleich gilt es zu antworten. Hymen, o Hymenaios, Hymen, komm, o Hymenaios! Hesperus, welches Feuer bewegt sich grausamer am Himmel? Du vermagst die Tochter aus der Umarmung der Mutter zu reißen, aus der Umarmung der Mutter zu reißen die sich sträubende Tochter und dem heiß sie begehrenden Jüngling das reine Mädchen zu [schenken. Was tun Feinde nach der Eroberung einer Stadt Grausameres? Hymen, o Hymenaios, Hymen, komm, o Hymenaios! Hesperus, welches Feuer am Himmel leuchtet willkommener? Du besiegelst den versprochenen Ehebund durch deine Flamme, den absprachen mit dem Mann, absprachen zuvor die Eltern, aber nicht eher schlossen, als sich dein Feuerschein erhob. Was wird von den Göttern Erwünschteres gegeben als diese [glückliche Stunde? Hymen, o Hymenaios, Hymen, komm, o Hymenaios!

96

CATULLUS

62

Hesperus e nobis, aequales, abstulit unam.

namque tuo adventu vigilat custodia semper, nocte latent fures, quos idem saepe revertens, Hespere, mutato comprendis nomine Eous. at lubet innuptis ficto te carpere questu. quid tum, si carpunt, tacita quem mente requirunt? Hymen o Hymenaee, Hymen ades o Hymenaee! Ut flos in saeptis secretus nascitur hortis, ignotus pecori, nullo convolsus aratro, quem mulcent aurae, firmat sol, educat imber; multi illum pueri, multae optavere puellae: idem cum tenui carptus defloruit ungui, nulli illum pueri, nullae optavere puellae: sic virgo, dum intacta manet, dum cara suis est; cum castum amisit polluto corpore florem, nec pueris iucunda manet nec cara puellis. Hymen o Hymenaee, Hymen ades o Hymenaee! Ut vidua in nudo vitis quae nascitur arvo, numquam se extollit, numquani ìjiitem educat uvam, sed tenerum prono deflectens pondere corpus iam iam contingit summum radice flagellum; nulli illam agricolae, nulli coluere iuvenci: at si forte eadem est ulmo coniuncta marito,

GEDICHTE 6 1 - 6 4

97

Hesperus hat von uns, Gefahrtinnen, eine weggenommen.

Denn bei deiner Ankunft walten die Wächter stets ihres Amtes; nachts sind Diebe verborgen, die auch du oft, indem du zurückkehrst, Hesperus, unter verändertem Namen, als Morgenstern, ertappst. Doch es gefällt den unverheirateten Mädchen, dich mit [vorgetäuschter Klage zu schmähen. Was dann, wenn sie den schmähen, den sie im stillen herbeisehnen? Hymen, o Hymenaios, Hymen, komm, o Hymenaios! Wie eine Blume im umzäunten Garten abseits wächst, unbekannt dem Vieh, von keinem Pflug ausgerissen, die die Lüfte streicheln, die Sonne kräftigt, der Regen hervorviele Knaben begehren sie, viele Mädchen,

[sprießen läßt -

wenn aber ebendiese, von zartem Fingernagel gepflückt, verblüht begehren keine Knaben sie, keine Mädchen - ,

[ist,

so ist die Jungfrau, solange sie unberührt bleibt, teuer den Ihren. Doch wenn sie nach der Befleckung ihres Leibes die keusche Blüte [verloren hat, bleibt sie nicht willkommen den Knaben, nicht teuer den Mädchen. Hymen, o Hymenaios, Hymen, komm, o Hymenaios!

i

Wie eine einsame Weinrebe, die auf nacktem Ackerboden heranniemals sich erhebt, nie eine süße Traube hervorbringt,

[wächst,

sondern, den zarten Leib durch das nach unten ziehende Gewicht [niederkrümmend, schon beinahe den obersten Schößling mit der Wurzel berührt keine Bauern pflegen sie, keine Stiere, doch wenn einmal ebendiese mit der Ulme als ihrem Gatten [verbunden ist,

98

CATULLUS 6 2

· 63

multi illam agricolae, multi coluere iuvenci: sic virgo, dum innupta manet, dum inculta senescit; cum par conubium maturo tempore adepta est, cara viro magis et minus est invisa parenti. (Hymen o Hymenaee, Hymen ades o Hymenaee!) Et tu ne pugna cum tali coniuge, virgo, non aequom est pugnare, pater cui tradidit ipse, ipse pater cum matre, quibus parere necesse est. virginitas non tota tua est, ex parte parentum est: tertia pars patrist, pars est data tertia matri, tertia sola tua est. noli pugnare duobus, qui genero sua iura simul cum dote dederunt. Hymen o Hymenaee, Hymen ades o Hymenaee!

63 Super alta vectus Attis celeri rate maria Phrygium ut nemus citato cupide pede tetigit adiitque opaca silvis redimita loca deae, stimulatus ibi furenti rabie, vagus animis, devolsit ipse acuto sibi pondera silice, itaque ut relieta sensit sibi membra sine viro, edam recente terrae sola sanguine maculans niveis citata cepit manibus leve typanum, typanum tuum, Cybebe, tua, mater, initia, quatiensque terga tauri teneris cava digitis canere haec suis adorta est tremebunda comitibus:

GEDICHTE

61-64

99

pflegen viele Bauern, viele Stiere sie - , so muß die Jungfrau, solange sie unverheiratet bleibt, [von niemandem gepflegt altern. Doch wenn sie zur rechten Zeit eine passende Ehe einging, ist sie teurer ihrem Mann und weniger eine Last ihrem Erzeuger. (Hymen, o Hymenaios, Hymen, komm, o Hymenaios!) Und du wehre dich nicht gegen einen solchen Ehemann, Jungfrau! Nicht recht wäre es, sich gegen den zu wehren, dem der Vater selbst [dich gab, der Vater selbst mit der Mutter, denen du gehorchen mußt. Deine Jungfräulichkeit ist nicht ganz dein, zum Teil gehört sie den Ein Drittel ist dem Vater, ein Drittel der Mutter gegeben,

[Eltern:

nur ein Drittel ist dein. Wehre dich nicht gegen die zwei, die dem Schwiegersohn ihre Rechte zusammen mit der Mitgift gaben. Hymen, o Hymenaios, Hymen, komm, o Hymenaios!

63

Attis, über das hohe Meer gefahren mit schnellem Schiff, sobald er den phrygischen Hain mit eilendem Fuß voller Verlangen [betreten hatte und genaht war der düsteren, von Wäldern umgebenen Stätte der aufgestachelt dort von wilder Raserei, verstörten Sinnes,

[Göttin,

riß sich selbst ab die Hoden mit einem scharfkantigen Stein. Sobald sie nun merkte, daß ihr die Glieder ohne Manneskraft [geblieben waren, ergriff sie, mit noch frischem Blut den Erdboden befleckend, rasch mit schneeweißen Händen das leichte Tympanon, dein Tympanon, Kybebe, das Instrument deiner Mysterien, Mutter, und schlagend das hohle Stierfell mit zarten Fingern, begann sie verzückt, dies zu singen ihren Begleiterinnen:

100

CATULLUS

63

'agite ite ad alta, Gallae, Cybeles nemora simul, simul ite, Dindymenae dominae vaga pecora, aliena quae petentes velut exules loca sectam meam exsecutae duce me mihi comités

is

rapidum salum tulistis truculentaque pelagi et corpus evirastis Veneris nimio odio, hilarate erae citatis erroribus animum. mora tarda mente cedat: simul ite, sequimini Phrygiam ad domum Cybebes, Phrygia ad nemora deae,

20

ubi cymbalum sonat vox, ubi tympana reboant, tibicen ubi canit Phryx curvo grave calamo, ubi capita Maenades vi iaciunt hederigerae, ubi sacra sancta acutis ululatibus agitant, ubi suevit illa divae volitare vaga cohors,

25

quo nos decet citatis celerare tripudiis.' simul haec comitibus Attis cecinit notha mulier, thiasus repente linguis trepidantibus ululât, leve tympanum remugit, cava cymbala recrepant, viridem citus adit Idam properante pede chorus.

30

furibunda simul anhelans vaga vadit animam agens comitata tympano Attis per opaca nemora dux, veluti iuvenca vitans onus indomita iugi; rapidae ducem sequuntur Gallae properipedem. ¡taque, ut domum Cybebes tetigere lassulae, nimio e labore somnum capiunt sine Cerere.

35

GEDICHTE

ΙΟΙ

61-64

»Auf denn, geht, ihr Gallae, alle zusammen zu Kybeles hohen [Wäldern, alle zusammen geht, ihr wandernden Schafe der Herrin vom [Dindymus, die ihr, wie Verbannte unterwegs in ein fremdes Gebiet, mir nachgefolgt seid unter meiner Führung als meine Gefährtinnen, die tobende Salzflut ertrugt und die Wildheit des Meeres und den Körper entmanntet in gewaltigem Haß auf Venus, erfreut der Herrin Herz durch rasches Umherstreifen. Träges Zaudern weiche aus eurem Sinn! Alle zusammen geht, [folgt mir zum phrygischen Haus der Kybebe, zum phrygischen Hain der [Göttin, wo der Kymbala Stimme ertönt, wo Tympana widerhallen, wo der phrygische Flötenbläser tiefe Töne spielt auf krummem [Rohr, wo ihre Häupter Mänaden heftig zurückwerfen, efeutragend, wo sie heilige Orgien feiern mit schrillen Schreien, wo jenes wandernde Gefolge der Göttin umherzuschwärmen pflegt, dorthin müssen wir eilen mit schnellen Tänzen.« Sobald dies ihren Begleiterinnen gesungen hat Attis, das Halbweib, heult der tanzende Chor plötzlich mit zuckenden Zungen auf, das leichte Tympanon hallt wider, die hohlen Kymbala tönen nach, und rasch zum grünen Ida begibt sich mit eilendem Fuß der Chor. Rasend und keuchend zugleich, taumelnd, schwer atmend und begleitet vom Tympanon, zieht Attis durch die düsteren Wälder [als Führerin, gleich der ungebändigten jungen Kuh, welche die Last des Joches rasch folgen der schnellfüßigen Führerin die Gallae.

[meidet;

Sobald sie nun Kybebes Haus erschöpft betreten haben, schlafen sie infolge der gewaltigen Anstrengung ohne Ceres' [Gaben ein.

102

CATULLUS

63

piger his labante languore oculos sopor operit; abit in quiete molli rabidus furor animi, sed ubi oris aurei Sol radiantibus oculis lustravit aethera album, sola dura, mare ferum, pepulitque noctis umbras vegetis sonipedibus, ibi Somnus excitam Attin fugiens citus abiit; trepidante eum recepit dea Pasithea sinu. ita de quiete molli rapida sine rabie simul ipsa pectore Attis sua facta recoluit, liquidaque mente vidit, sine quis ubique foret, animo aestuante rusum reditum ad vada tetulit. ibi maria vasta visens lacrimantibus oculis patriam allocuta maestast ita voce miseriter: 'patria o mei creatrix, patria o mea genetrix, ego quam miser relinquens, dominos ut erifugae famuli soient, ad Idae tetuli nemora pedem, ut aput nivem et ferarum gelida stabula forem et erae leonum adirem furibunda latibula, ubinam aut quibus locis te positam, patria, reor? cupit ipsa pupula ad te sibi derigere aciem, rabie fera carens dum breve tempus animus est. egone a mea remota haec ferar in nemora domo? patria, bonis, amicis, genitoribus abero? abero foro, palaestra, stadio et gyminasiis?

GEDICHTE

103

61-64

Träger Schlummer bedeckt ihnen mit dahinsinkender Ermattung [die Augen; es entweicht bei der sanften Ruhe der rasende Wahn der Seele. Doch als der mit dem goldenen Antlitz, der Sonnengott, mit seinen [strahlenden Augen erleuchtet hatte den weißen Äther, das harte Land und das wilde [Meer und vertrieben hatte die Schatten der Nacht mit seinen munteren [Rossen, da wich von der erwachten Attis der Gott des Schlafes und ging [eilends fort, und es nahm ihn auf die Göttin Pasithea mit erregt zitternder Brust. Als Attis, nach sanfter Ruhe frei von wütender Raserei, selbst im Geist ihre Taten überdachte und mit klarem Sinn sah, ohne was und wo sie war, kehrte sie mit aufwallendem Herzen wieder zum Meer zurück. Dort auf das weite Meer schauend mit Tränen vergießenden Augen, sprach sie ihre Heimat jammervoll mit trauriger Stimme so an: »O Heimat, meine Erzeugerin, o Heimat, meine Gebärerin, die ich Unglücklicher verließ wie sonst ihre Gebieter herrenflüchtige Sklaven, worauf ich zum Hain des Ida den Schritt lenkte, um im Schnee und in den eiskalten Behausungen wilder Tiere zu [leben und die Schlupfwinkel der Löwen meiner Herrin aufzusuchen in [meiner Tobsucht, wo, in welcher Gegend gelegen soll ich dich mir denken, Heimat? Es möchte mein Augapfel selbst auf dich den Blick lenken, solange von wilder Raserei frei ist für kurze Zeit mein Geist. Werde ich, weit weg von meinem Haus, in diese Wälder mich stürzen? Von Heimat, Gütern, Freunden, Eltern werde ich fern sein? Werde ich fern sein von Forum, Ringschule, Stadion und Sportplätzen?

I04

CATULLUS

63

miser a miser, querendum est etiam atque etiam, anime. quod enim genus figuraest, ego non quod obierim? ego mulier, ego adolescens, ego ephebus, ego puer, ego gymnasi fui flos, ego eram decus olei: mihi ianuae frequentes, mihi limina tepida,

65

mihi floridis corollis redimita domus erat, linquendum ubi esset orto mihi Sole cubiculum. ego nunc deum ministra et Cybeles famula ferar? ego Maenas, ego mei pars, ego vir sterilis ero? ego viridis algida Idae nive amicta loca colam?

70

ego vitam agam sub altis Phrygiae columinibus, ubi cerva silvicultrix, ubi aper nemorivagus? iam iam dolet quod egi, iam iamque paenitet.' roséis ut huic labellis sonitus (citus) abiit geminas deae tum ad aures nova nuntia referens,

75

ibi iuncta iuga resolvens Cybele leonibus laevumque pecoris hostem stimulans ita loquitur: agedum,' inquit age ferox ( i ) , fac ut hunc furor {agitet), fac uti furoris ictu reditum in nemora ferat, mea libere nimis qui fugere imperia cupit. age caede terga cauda, tua verbera patere, fac cuneta mugienti fremitu loca retonent, rutilam ferox torosa cervice quate iubam.' ait haec minax Cybebe religatque iuga manu.

80

GEDICHTE

105

61-64

Armes, ach armes Herz, klagen mußt du wieder und wieder! Denn welche Art von Gestalt gibt es, die ich noch nicht [angenommen hätte? Ich war eine Frau, ich ein junger Mann, ich ein Ephebe, ich ein [Knabe, ich war die Blüte des Sportplatzes, ich war die Zierde der RingMeine Tür war dicht umlagert, meine Schwelle warm,

[schule,

mein Haus war mit Blumenkränzen geschmückt, wenn ich verlassen mußte nach Sonnenaufgang mein Schlafzimmer. Ich soll nun Dienerin der Götter und Sklavin der Kybele heißen? Ich werde Mänade, ich nur ein Teil meiner selbst, ich ein [unfruchtbarer Mann sein? Ich werde des grünen Ida Gebiet, das von kaltem Schnee umhüllte, [bewohnen? Ich werde mein Leben verbringen am Fuße der hohen Gipfel [Phrygiens, wo die waldbewohnende Hirschkuh, wo der haindurchstreifende [Eber haust? Jetzt, jetzt schmerzt mich, was ich tat, jetzt, jetzt reut es mich.« Sobald von ihren rosigen Lippen rasch der Klang entfloh, und zu den beiden Ohren der Göttin die neuen Nachrichten brachte, da löst Kybele ihren Löwen das ihnen angelegte Joch, und den Feind des Herdenviehs auf der Linken anstachelnd, spricht [sie so: »Auf«, sagt sie, »auf, Wilder, geh, mach, daß diesen Wahnsinn hetzt, mach, daß, vom Wahnsinn geschlagen, er zurückkehrt in den Hain, er, der allzu frei begehrt, meinen Befehlen zu entfliehen. Auf, schlage deinen Rücken mit dem Schweif, erdulde deine eigenen [Hiebe, mach, daß die ganze Gegend von dröhnendem Gebrüll widerhallt, die rote Mähne schüttle wild am muskulösen Nacken!« Dies sagt drohend Kybebe und bindet das Joch mit ihrer Hand los.

ιο6

CATULLUS 63

·

64

ferus ipse sese adhortans rabidum incitât animum vadit, fremit, refringit virgulta pede vago, at ubi umida albicantis loca litoris adiit teneramque vidit Attin prope marmora pelagi, facit impetum. ilia demens fugit in nemora fera; ibi semper omne vitae spatium famula fuit. dea, magna dea, Cybebe, dea domina Dindymi procul a mea tuos sit furor omnis, era, domo: alios age incitatos, alios age rábidos.

64

Peliaco quondam prognatae vertice pinus dicuntur liquidas Neptuni nasse per undas Phasidos ad fluctus et fines Aeetaeos, cum lecti iuvenes, Argivae robora pubis, auratam optantes Colchis avertere pellem ausi sunt vada salsa cita decurrere puppi, caerula verrentes abiegnis aequora palmis. diva quibus retinens in summis urbibus arces ipsa levi fecit volitantem flamine currum, pinea coniungens inflexae texta carinae. ilia rudem cursu prima imbuit Amphitriten; quae simul ac rostro ventosum proscidit aequor tortaque remigio spumis incanuit unda, emersere freti candenti e gurgite vultus aequoreae monstrum Nereides admirantes, illa, atque (haud) alia, viderunt luce marinas mortales oculis nudato corpore Nymphas

GEDICHTE

107

61-64

Der Wilde stachelt sich selbst an und treibt seinen Sinn zur Raserei, er läuft, brüllt und zerbricht die Sträucher mit umherstreifendem Fuß. Doch sobald er die feuchte Gegend des weißen Strandes erreicht hat und die zarte Attis nahe beim Marmor des Meeres sieht, stürmt er auf sie los. Sie flieht ganz von Sinnen in die wilden Wälder. Dort war sie stets die ganze Zeit ihres Lebens Dienerin. Große Göttin, Göttin Kybebe, Göttin, Herrin des Dindymos, fern von meinem Hause sei all dein Wahnsinn, Gebieterin! Andere treibe in den Irrsinn, andere treibe in die Raserei!

64 Auf des Pelion Gipfeln einst entsprossene Fichten sollen durch Neptuns klare Wogen geschwommen sein zu des Phasis Fluten und dem Land des Aietes, als auserlesene junge Männer, der Kern der argivischen Jugend, mit dem Verlangen, das Goldene Vlies den Kolchern zu entwenden, es wagten, über die salzigen Gewässer mit schnellem Schiff zu eilen, über die bläuliche Meeresfläche streichend mit tannenen Ruderblättern. Ihnen schuf die Göttin, die ganz oben in den Städten die Burgen innehat, selber das im leichten Windhauch dahinfliegende Fahrzeug, das fichtene Balkengeflecht verbindend mit dem gebogenen Kiel. Es machte als erstes die noch unerfahrene Amphitrite mit der [Seefahrt vertraut. Als es mit dem Bug die windgepeitschte Meeresfläche durchschnitt und, umgewendet von den Rudern, weiß wurde vom Schaum die [Woge, ließen auftauchen aus des Meeres weißem Strudel ihre Gesichter die Nereiden, das Ungetüm bestaunend. An jenem Tag und keinem anderen sahen Sterbliche mit ihren Augen die Meernymphen, wie sie mit nacktem Körper

ιο8

CATULLUS

64

nutricum tenus exstantes e gurgite cano, tum Thetidis Peleus incensus fertur amore, tum Thetis humanos non despexit hymenaeos, tum Thetidi pater ipse iugandum Pelea sensit, o nimis optato saeclorum tempore nati heroes, sálvete, deum genus! o bona matrum progenies, sálvete iter(erum, sálvete, bonarum!) vos ego saepe, meo vos carmine compellabo, teque adeo, eximie taedis felicibus aucte, Thessaliae columen Peleu, cui Iuppiter ipse, ipse suos divum genitor concessit amores, tene Thetis tenuit pulcerrima Nereine? tene suam Tethys concessit ducere neptem Oceanusque, mari totum qui amplectitur orbem? quae simul optatae finito tempore luces advenere, domum conventu tota frequentat Thessalia, oppletur laetanti regia coetu: dona ferunt prae se, declarant gaudia vultu. deseritur Cieros, linquunt Pthiotica Tempe Crannonisque domos ac moenia Larisaea, Pharsalum coeunt, Pharsalia tecta frequentant. rura colit nemo, mollescunt colla iuvencis, non humilis curvis purgatur vinea rastris, non glebam prono convellit vomere taurus, non fàlx attenuat frondatorum arboris umbram, squalida desertis rubigo infertur aratris. ipsius at sedes, quacumque opulenta recessit regia, fulgenti splendent auro atque argento, candet ebur soliis, collucent pocula mensae,

GEDICHTE

61-64

bis zu den Brüsten herausragten aus dem weißen Strudel. Da soll fur Thetis Peleus erglüht sein in Liebe, da verschmähte Thetis nicht die Ehe mit einem Menschen, da erkannte der Vater selbst, daß mit Thetis Peleus zu vermählen sei. O ihr, geboren in einem höchst glücklichen Weltzeitalter, Heroen, seid gegrüßt, Göttergeschlecht! O gute Nachkommen guter Mütter, gegrüßt seid abermals, ja seid gegrüßt! Euch, ja euch werde ich oft in meinem Gedicht anreden und dich vor allem, durch glückliche Hochzeit besonders Peleus, Stütze Thessaliens, dem Jupiter selbst,

[Gesegneter,

ja der Vater der Götter selbst die eigene Geliebte überließ. Hat nicht dich Thetis, die schönste Nereustochter, im Arm gehalten? Haben nicht dir gestattet, ihre Enkelin zu heiraten, Tethys und Okeanos, der mit dem Meer den ganzen Erdkreis umfaßt hält? Sobald die Zeit erfüllt und der ersehnte Tag gekommen ist, strömt zusammen und besucht den Palast ganz Thessalien; es füllt sich mit einer frohen Schar die Königsburg. Gaben tragen sie vor sich her, zeigen ihre Freude durch ihre Miene. Leer wird Kiëros, sie verlassen das phthiotische Tempe und die Häuser von Krannon und die larisäischen Mauern, in Pharsalos kommen sie zusammen, zum pharsalischen Palast [strömen sie. Das Land bebaut niemand, weich werden die Nacken den Jung[stieren, nicht wird der niedrige Weinstock mit krummen Hacken gesäubert, nicht reißt die Scholle mit der schrägen Pflugschar der Stier auf, nicht lichtet die Sichel der Laubscherer den Schatten der Bäume; schmutziger Rost überzieht die im Stich gelassenen Pflüge. Doch der Sitz des Herrschers, soweit die reiche Königsburg sich erstreckt, erglänzt von funkelndem Gold und Silber. Es schimmert Elfenbein an Thronen, es leuchten Becher auf der [Speisetafel,

Ilo

CATULLUS

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tota domus gaudet regali splendida gaza, pulvinar vero divae geniale locatur sedibus in mediis, Indo quod dente politum tincta tegit roseo conchyli purpura fuco. haec vestís priscis hominum variata figuris heroum mira virtutes indicat arte, namque fluentisono prospectans litore Diae Thesea cedentem celeri cum classe tuetur indomitos in corde gerens Ariadna furores, necdum edam sese quae visit visere credit, utpote fallaci quae tum primum excita somno desertam in sola miseram se cernat harena. immemor at iuvenis fugiens pellit vada remis, irrita ventosae linquens promissa procellae. quem procul ex alga maestis Minois ocellis, saxea ut effigies bacchantis, prospicit, eheu, prospicit et magnis curarum fluctuât undis, non flavo retinens subtilem vertice mitram, non contecta levi velatum pectus amictu, non tereti strophio lactentis viñeta papillas, omnia quae toto delapsa e corpore passim ipsius ante pedes fluctus salis alludebant. sed ñeque tum mitrae ñeque tum fluitantis amictus illa vicem curans toto ex te pectore, Theseu, toto animo, tota pendebat perdita mente, a misera, assiduis quam luctibus externavit

GEDICHTE

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III

der ganze Palast erstrahlt im Glanz des königlichen Schatzes. Das Hochzeitsbett aber wird fur die Göttin aufgestellt mitten im Königssitz; es ist mit indischem Elfenbein geziert, und eine mit dem roten Saft der Purpurschnecke gefärbte Decke [bedeckt es. Diese Decke, bunt durchwirkt mit Gestalten früherer Menschen, zeigt in wunderbarer Kunst die Taten der Heroen. Denn vom wogenrauschenden Strand Dias Ausschau haltend, erblickt den mit der schnellen Flotte entweichenden Theseus, unbändige Leidenschaft im Herzen tragend, Ariadne, und noch nicht glaubt sie, daß sie sieht, was sie sieht, weil sie ja da gerade erst, aus trügerischem Schlaf erwacht, erkennt, daß sie elend am einsamen Strand zurückgelassen wurde. Doch alles vergessend, eilt der Jüngling davon und peitscht das [Wasser mit den Rudern, die leeren Versprechungen dem stürmischen Wind überlassend. Weit in die Ferne blickt ihm vom tangbedeckten Strand aus Minos' [Tochter mit traurigen Augen nach - wie das steinerne Bildnis einer [Bacchantin —, ach!, blickt ihm nach und fließt über von mächtigen Wogen des Kummers, und nicht mehr behält sie am blonden Scheitel die feine Haube, nicht ist sie verhüllt am Busen von einem leichten Umhang, nicht geschnürt an den milchweißen Brüsten mit dem glatten Band all dies war ihr vom ganzen Körper geglitten und wurde weithin vor ihren Füßen den salzigen Fluten zum Spiel. Aber jetzt nicht wegen der Haube, jetzt nicht wegen des dahin[treibenden Mantels sich sorgend, hing sie mit ganzem Herzen an dir, Theseus, mit ganzer Seele, mit ganzem Sinn, die Verlorene! Ach, die Arme, die mit unendlichem Kummer ganz aus der Fassung [brachte

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spinosas Erycina serens in pectore curas illa tempestate, ferox quo ex tempore Theseus egressus curvis e litoribus Piraei attigit iniusti regis Gortynia tempia. nam perhibent olim crudeli peste coactam Androgeoneae poenas exsolvere caedis electos iuvenes simul et decus innuptarum Cecropiam solitam esse dapem dare Minotauro, quis angusta malis cum moenia vexarentur, ipse suum Theseus pro caris corpus Athenis proicere optavit potius quam talia Cretam fuñera Cecropiae nec fuñera portarentur. atque ita nave levi nitens ac lenibus auris magnanimum ad Minoa venit sedesque superbas. hunc simul ac cupido conspexit lumine virgo regia, quam suavis exspirans castus odores lectulus in molli complexu matris alebat, quales Eurotae progignunt flumina myrtus aurave distinctos educit verna colores, non prius ex ilio flagrantia declinavit lumina, quam cuncto concepit corpore flammam funditus atque imis exarsit tota medullis. heu misere exagitans immiti corde furores, sánete puer, curis hominum qui gaudia misces, quaeque regis Golgos quaeque Idalium frondosum,

GEDICHTE

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Erycina, die dornenvolle Sorgen in ihr Herz säte von jener Zeit an, als der grausame Theseus, abgefahren vom geschwungenen Gestade des Piräus, ankam beim gortynischen Palastbezirk des ungerechten Königs. Denn einst - so erzählt man - von einer grausamen Seuche des Androgeos Ermordung zu sühnen,

[gezwungen,

mußte ausgewählte Jünglinge und zugleich die edelsten [unverheirateten Mädchen Kekropia regelmäßig zum Fraß übergeben dem Minotaurus. Da von diesem Unglück die engen Mauern heimgesucht wurden, wollte Theseus fur sein liebes Athen den eigenen Leib lieber hingeben, als daß nach Kreta gebracht würden solche Toten Kekropias, die noch keine Toten waren. Und so kam er, auf leichtem Schiff und mit sanften Winden [vorwärts strebend, zum hochgemuten Minos und dem stolzen Königssitz. Sobald ihn mit verlangendem Auge erblickt hatte die Jungfrau, des Königs Tochter, die ein keusches Bett, liebliche Düfte verströmend, in der sanften Umarmung der Mutter heranwachsen wie der Fluß Eurotas Myrten wachsen läßt

[ließ,

oder die Frühlingsluft bunte Blumen hervorbringt, wandte sie nicht eher von ihm ab die glühenden Augen, als sie in sich aufgenommen hatte mit dem gesamten Körper [die Flamme ganz und gar und im innersten Mark völlig entbrannte. Wehe! Der du unselig erregst mit grausamem Herzen wilde [Leidenschaften, heiliger Knabe, der du mit den Sorgen der Menschen Freuden [vermischst, und du, die du über Golgi und die du über das laubreiche Idalium [herrschst,

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qualibus incensarti iactastis mente puellam fluctibus in flavo saepe hospite suspirantem! quantos illa tulit languenti corde timorés! quam tum saepe magis fulgore expalluit auri, cum saevum cupiens contra contendere monstrum aut mortem appeteret Theseus aut praemia laudisi non ingrata tamen frustra munuscula divis promittens tacito succepit vota labello. nam velut in summo quatientem brachia Tauro quercum aut conigeram sudanti cortice pinum indomitus turbo contorquens flamine robur eruit (illa procul radicitus exturbata prona cadit, late quaevis cumque obvia frangens), sic domito saevum prostravit corpore Theseus nequiquam vanis iactantem cornua ventis. inde pedem sospes multa cum laude reflexit errabunda regens tenui vestigia filo, ne labyrintheis e flexibus egredientem tecti frustraretur inobservabilis error. sed quid ego a primo digressus carmine plura commemorem, ut linquens genitoris filia vultum, ut consanguineae complexum, ut denique matris, quae misera in gnata deperdita laeta(batur), omnibus his Thesei dulcem praeoptarit amorem: aut ut vecta rati spumosa ad litora Diae (venerit,) aut ut eam devinctam lumina somno

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in welchen Fluten habt ihr hin und her geworfen das in seinem Sinn [entbrannte Mädchen, das oft nach dem blonden Fremden seufzte! Wie große Ängste ertrug sie in ihrem dahinschwindenden Herzen! Wie oft wurde sie damals blasser als der fahle Schimmer des Goldes, weil mit seinem Verlangen, gegen das grausame Untier zu kämpfen, Theseus entweder den Tod suchte oder den Lohn, den der Ruhm [verleiht! Nicht vergeblich gleichwohl den Göttern unwillkommene Gaben versprechend, legte sie mit schweigenden Lippen Gelübde ab. Denn wie auf dem Gipfel des Taurus eine die Aste schüttelnde Eiche oder eine zapfentragende Kiefer mit Harz ausschwitzender [Rinde ein ungebändigter Wirbelsturm, indem er durch sein Wehen den [Stamm dreht, herausreißt - sie, entwurzelt und weit weg gewirbelt, stürzt vornüber, weithin alles, was ihr im Weg steht, zerschmetternd - , so warf Theseus den Grausamen zu Boden, nachdem er ihn [bezwungen hatte, und vergeblich stieß der die Hörner in die leere Luft. Von dort wandte er seine Schritte wohlbehalten und ruhmreich die unsicheren Füße lenkend mit dem dünnen Faden,

[zurück,

damit ihn nicht beim Hinausgehen aus den Windungen des des Bauwerks unergründliche Irrwege täuschten.

[Labyrinths

Doch was soll ich, vom Gedichtanfang abschweifend, das Weitere vergegenwärtigen, nämlich wie zurückließ die Tochter des Vaters [Antlitz, wie die Umarmung der Schwester, wie schließlich die der Mutter, die sich an ihrer unseligen Tochter voller Hingabe erfreute, wie sie ihnen allen vorzog die süße Liebe zu Theseus, oder wie sie, auf dem Schiff fahrend, zum schäumenden Gestade kam oder wie, als ihre Augen vom Schlaf gefesselt waren,

[von Dia



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liquerit immemori discedens pectore coniunx? saepe illam perhibent ardenti corde furentem clarisonas imo fudisse e pectore voces, ac tum praeruptos tristem conscendere montes, unde aciem (in) pelagi vastos protender« aestus, tum tremuli salis adversas procurrere in undas mollia nudatae tollentem tegmina surae, atque haec extremis maestam dixisse querellis, frigidulos udo singultus ore cientem: 'sicine me patriis avectam, perfide, ab aris, perfide, deserto liquisti in litore, Theseu? sicine discedens neglecto numine divum immemor, a, devota domum periuria portas? nullane res potuit crudelis flectere mentis consilium? tibi nulla fuit dementia praesto, immite ut nostri vellet miserescere pectus? at non haec quondam blanda promissa dedisti voce mihi, non haec miserae sperare iubebas, sed conubia laeta, sed optatos hymenaeos, quae cuncta aerei discerpunt irrita venti, nunc iam nulla viro iuranti femina credat, nulla viri speret sermones esse fideles; quis dum aliquid cupiens animus praegestit apisci, nil metuunt iurare, nihil promittere parcunt: sed simul ac cupidae mentis satiata libido est, dicta nihil meminere, nihil periuria curant, certe ego te in medio versantem turbine leti eripui et potius germanum amittere crevi,

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der Gatte mit vergessendem Sinn sich davonmachte und sie zurückließ? Oft, so erzählt man, stieß sie mit glühendem Herzen in ihrer Raserei helltönende Schreie aus tiefster Brust hervor, und bald bestieg sie traurig steile Berge, um von dort ihren Blick über die weite Meeresflut wandern zu lassen, bald rannte sie gegen die Wellen des unruhigen Salzmeeres an, aufschürzend die weiche Bedeckung ihrer bloßen Waden, brach zuletzt in Klagen aus und sprach voll Trauer dies, wobei sie mit tränennassem Antlitz Schluchzer, die erschauern [ließen, von sich gab: »So hast du mich von den Altären der Heimat entführt, Treuloser, und dann am einsamen Strand zurückgelassen, treuloser Theseus? So dich davon machend, das Walten der Götter mißachtend, vergessend, ach!, trägst du den Fluch des Meineides nach Hause? Konnte nichts in eine andere Richtung lenken deines grausamen Plan? Hattest du keine Milde in dir,

[Sinnes

so daß dein hartes Herz sich meiner hätte erbarmen wollen? Doch nicht dieses Versprechen hast du einst mit schmeichelnder mir gegeben, nicht dies mich Arme zu hoffen geheißen,

[Stimme

sondern eine glückliche Ehe, sondern ersehnte Hochzeitsgesänge, was nun alles die Winde in der Luft zu einem Nichts auseinander[pflücken. Jetzt soll keine Frau mehr einem schwörenden Manne glauben, keine hoffen, die Reden eines Mannes seien vertrauenswürdig. Solange ihnen begierig das Herz etwas zu erlangen trachtet, scheuen sie sich nicht zu schwören, sparen nicht mit Versprechungen; doch sobald des verlangenden Sinnes Lust gesättigt ist, erinnern sie sich nicht an ihre Worte, scheren sich nicht um [Meineide. Gewiß habe ich dich, als du mitten im Strudel des Todes triebst, herausgerissen, und lieber den Bruder zu verlieren beschloß ich,

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quam tibi fallaci supremo in tempore dessem. pro quo dilaceranda feris dabor alitibusque praeda neque iniacta tumulabor mortua terra, quaenam te genuit sola sub rupe leaena, quod mare conceptum spumantibus exspuit undis, quae Syrtis, quae Scylla rapax, quae vasta Carybdis, talia qui reddis pro dulci praemia vita? si tibi non cordi fuerant conubia nostra, saeva quod horrebas prisci praecepta parentis, attamen in vestras potuisti ducere sedes, quae tibi iucundo famularer serva labore candida permulcens liquidis vestigia lymphis purpureave tuum consternens veste cubile, sed quid ego ignaris nequiquam conquerar auris externata malo, quae nullis sensibus auctae nec missas audire queunt nec reddere voces? ille autem prope iam mediis versatur in undis, nec quisquam apparet vacua mortalis in alga, sic nimis insultane extremo tempore saeva fors edam nostris invidit questibus auris. Iuppiter omnipotens, utinam ne tempore primo Cnosia Cecropiae tetigissent litora puppes, indomito nec dira ferens stipendia tauro perfidus in Creta religasset navita funem, nec malus haec celans dulci crudelia forma Consilia in nostris requiesset sedibus hospes!

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als dich Betrüger in höchster Not im Stich zu lassen. Dafür werde ich zum Zerfleischen wilden Tieren gegeben werden [und Vögeln als Beute und nicht, wenn ich tot bin, mit auf mich geworfener Erde [bestattet werden. Welche Löwin hat dich nur geboren unter einsamem Felsen, welches Meer dich empfangen und mit schäumenden Wellen [ausgespuckt, welche Syrte, welche räuberische Skylla, welche wüste Charybdis, der du mir solchen Lohn gibst für die Rettung deines süßen Lebens? Wenn dir nicht am Herzen lag unser Ehebund, weil du die grausamen Vorschriften des strengen Vaters fürchtetest, hättest du mich dennoch zu eurem Wohnsitz fuhren können, damit ich dir als Sklavin mit willkommener Arbeit dienen würde, deine weißen Füße mit klarem Wasser umschmeichelnd oder eine Purpurdecke über dein Lager breitend. Doch was trage ich, ganz außer mir vor Leid, nutzlos meine Klagen den ahnungslosen Lüften, die, weil sie keine Sinne haben,

[vor

gesprochene Worte weder hören können noch erwidern? Er aber befindet sich fast schon mitten auf hoher See, und kein Sterblicher erscheint auf dem leeren, von Algen bedeckten [Strand. So treibt allzusehr seinen Spott mit mir in höchster Not das grausame Geschick und mißgönnt sogar meinen Klagen Ohren. Allmächtiger Jupiter, hätten doch schon zu Anfang kekropische Schiffe nicht das Gestade von Knossos berührt, und hätte doch nicht, dem ungezähmten Stier schrecklichen Tribut [bringend, der treulose Seefahrer in Kreta festgebunden das Tau, und hätte doch nicht der Schändliche, der unter lieblicher Gestalt [diese grausamen Pläne verbarg, in unserem Wohnsitz als Gast geruht!

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nam quo me referam? quali spe perdita nitor? Idaeosne petam montes? at gurgite lato discernens ponti truculentum dividit aequor. an patris auxilium sperem? quemne ipsa reliqui respersum iuvenem fraterna caede secuta? coniugis an fido consoler memet amore? quine fugit lentos incurvane gurgite remos? praeterea nullo colitur sola insula tecto, nec patet egressus pelagi cingentibus undis. nulla fugae ratio, nulla spes: omnia muta, omnia sunt deserta, ostentant omnia letum. non tarnen ante mihi languescent lumina morte nec prius a fesso secedent corpore sensus, quam iustam a divis exposcam prodita multam caelestumque fidem postrema comprecer hora, quare facta virum multantes vindice poena Eumenides, quibus anguino redimita capillo frons exspirantis praeportat pectoris iras, hue hue adventate, meas audite querellas, quas ego, vae misera, extremis proferre medullis cogor inops, ardens, amenti caeca furore, quae quoniam verae nascuntur pectore ab imo, vos nolite pati nostrum vanescere luctum, sed quali solam Theseus me mente reliquit, tali mente, deae, funestet seque suosque.'

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Denn wohin soll ich mich wenden? Auf welche Hoffnung kann ich [Verlorene bauen? Soll ich zum Idagebirge mich begeben? Doch mit seinem breiten [Strudel scheidet und trennt mich die grausame Meeresfläche davon. Oder soll ich auf des Vaters Hilfe hoffen? Hab ich ihn nicht selbst [verlassen und bin dem vom Blut meines Bruders bespritzen Jüngling [gefolgt? Oder soll ich mich mit der treuen Liebe meines Gatten trösten? Flieht der etwa nicht, die biegsamen Ruder im Strudel krümmend? Außerdem wird die einsame Insel von keinem Haus bewohnt, und kein Weg fort von hier steht offen, da ringsum Meereswogen [sind. Keine Möglichkeit zu fliehen, keine Hoffnung - alles ist stumm, alles verlassen, alles droht mit Verderben. Nicht eher jedoch sollen mir die Augen im Tode brechen, und nicht früher sollen alle Sinne aus meinem erschöpften Körper [weichen, als ich Verratene gerechte Strafe von den Göttern gefordert und die Treue der Himmlischen in meiner letzten Stunde erfleht [habe. Deshalb, die ihr der Menschen Taten mit sühnender Buße straft, Eumeniden, ihr, deren von Schlangenhaar umkränzte Stirn den Zorn, den die Brust ausatmet, zur Schau trägt, hierher, hierher kommt, hört meine Klagen, die ich Arme, wehe!, aus meinem tiefsten Inneren hervorzustoßen gezwungen bin, hilflos, glühend, blind vor besinnungsloser Raserei. Da sie als Wahrheit aus meinem innersten Herzen entspringen, duldet nicht, daß meine Trauer in Nichts vergeht, nein, mit ebendem Sinn, mit dem er mich allein zurückließ, mit dem, Göttinnen, soll er sich und die Seinen mit Tod beflecken!«

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has postquam maesto profudit pectore voces supplicium saevis exposcens anxia factis, annuit invicto caelestum numine rector; quo motu tellus atque hórrida contremuerunt aequora concussitque micantia sidera mundus. ipse autem caeca mentem caligine Theseus consitus oblito dimisit pectore cuncta, quae mandata prius constanti mente tenebat, dulcía nec maesto sustollens signa parenti sospitem Erectheum se ostendit visere portum. namque ferunt olim, classi cum moenia divae linquentem gnatum ventis concrederet Aegeus, talia complexum iuveni mandata dedisse: 'gnate mihi longa iucundior unice vita, gnate, ego quem in dubios cogor dimittere casus, reddite in extrema nuper mihi fine senectae, quandoquidem fortuna mea ac tua fervida virtus eripit invito mihi te, cui languida nondum lumina sunt gnati cara saturata figura, non ego te gaudens laetanti pectore mittam nec te ferre sinam fortunae signa secundae, sed primum multas expromam mente querellas canitiem terra atque infuso pulvere foedans, inde infecta vago suspendam lintea malo,

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Nachdem sie aus traurigem Herzen diese Worte hatte verströmen Strafe fur grausame Taten fordernd in ihrer Not,

[lassen,

nickte Gewährung der Herrscher der Himmlischen mit allmächtigem durch diese Bewegung bebten erschauernd die Erde und

[Wink;

die Meeresfläche, und es erschütterte die funkelnden Sterne der [Himmel. Theseus selbst aber, in seinem Sinn von blind machendem Dunkel befallen, ließ aus vergessendem Herzen alle Weisungen fahren, die er zuvor in standhaftem Sinn behalten hatte, und setzte nicht das fur seinen traurigen Vater willkommene Zeichen, um anzuzeigen, daß er wohlbehalten den erechthe'ischen Hafen [erblicke. Denn man erzählt, daß zuvor, als den mit der Flotte die Mauern der [Göttin verlassenden Sohn den Winden anvertraute Ägeus, er den Jüngling umarmt und ihm folgende Weisung gegeben habe: »Sohn, einziger, mir lieber als mein langes Leben, Sohn, den ich in ein ungewisses Schicksal zu entsenden gezwungen [bin, mir erst jüngst wiedergegeben am äußersten Ende meines Greisentalters, da nun einmal mein Schicksal und deine feurige Tatkraft dich mir gegen meinen Willen entreißen, dessen matte Augen sich noch nicht an der lieben Gestalt des Sohnes satt gesehen haben, so wisse: Nicht freudig mit frohem Herzen werde ich dich gehen [lassen und nicht dulden, daß du Zeichen des glücklichen Schicksals trägst, sondern zuerst will ich viele Klagen aus meinem Herzen ertönen [lassen, und dabei mein graues Haar durch Bestreuen mit Erde und Staub [entstellen, dann werde ich gefärbte Segel am schwankenden Mast hissen lassen,

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nostros ut luctus nostraeque incendia mentis carbasus obscurata dicet ferrugine Hibera. quod tibi si sancti concesserit incola Itoni, quae nostrum genus ac sedes defendere Erecthei annuit, ut tauri respergas sanguine dextram, tum vero facito ut memori tibi condita corde haec vigeant mandata nec ulla oblitteret aetas; u t s i m u l a c n o s t r o s i n v i s e n t l u m i n a Collis,

funestarci antennae deponant undique vestem candidaque intorti sustollant vela rudentes, quam primum cernens ut laeta gaudia mente agnoscam, cum te reducem aetas prospera sistet.' haec mandata prius constanti mente tenentem Thesea ceu pulsae ventorum flamine nubes aereum nivei montis liquere cacumen, at pater, ut summa prospectum ex arce petebat anxia in assiduos absumens lumina fletus, cum primum inflati conspexit lintea veli, praecipitem sese scopulorum e vertice iecit amissum credens immiti Thesea fato, sic funesta domus ingressus tecta paterna morte ferox Theseus, qualem Minoidi luctum obtulerat mente immemori, talem ipse recepit. quae tum prospectans cedentem maesta carinam multíplices animo volvebat saucia curas.

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damit von meiner Trauer und der brennenden Herzensangst ein mit iberischem Rostbraun dunkel gefärbtes Segel künde. Gewährt aber dir die Bewohnerin des heiligen Itonos, die unser Geschlecht und den Sitz des Erechtheus zu verteidigen versprochen hat, daß du deine Rechte mit dem Blut des Stiers [besprengst, dann, wahrhaftig, sieh zu, daß dir, in gedenkendem Herzen [wohlverwahrt, diese Weisung lebendig sei und keine Zeit sie aus dem Gedächtnis daß, sobald deine Augen unsere Hügel erblicken,

[tilge,

das Trauergewand die Rahen ganz und gar ablegen und die gedrehten Taue strahlend weiße Segel aufziehen, damit ich sobald wie möglich sehend meine Freude mit frohem erkenne, wenn dich ein günstiger Tag zurückbringt.«

[Herzen

Dem Theseus, der diese Weisung zunächst fest im Gedächtnis [behielt, entflog sie, wie, getrieben vom Wehen der Winde, Wolken dem in die Lüfte ragenden Gipfel eines schneebedeckten Berges [entfliegen. Doch als der Vater von der Höhe der Burg Ausschau hielt und dabei seine unruhigen Augen mit ständigem Weinen aufbrauchte, stürzte er sich, sobald er das geschwellte Leinensegel erblickt hatte, kopfüber von der Spitze des Felsens, weil er glaubte, verloren sei Theseus aufgrund eines grausamen So betrat den Palast, der befleckt war vom Tod

[Geschicks,

des Vaters, der trotzige Theseus und erfuhr gleiches Leid, wie er es der Tochter des Minos durch seinen vergessenden Sinn zugefügt [hatte, nun selbst. Sie blickte damals traurig hinaus auf den entweichenden Kiel und wälzte, tief verletzt, in ihrem Herzen mancherlei sorgenvolle [Gedanken.

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at parte ex alia florens volitabat Iacchus cum thiaso Satyrorum et Nysigenis Silenis te quaerens, Ariadna, tuoque incensus amore; cui Thyades passim lymphata mente furebant euhoe bacchantes, euhoe, capita inflectentes. harum pars tecta quatiebant cuspide thyrsos, pars e divolso iactabant membra iuvenco, pars sese tortis serpentibus incingebant, pars obscura cavis celebrabant orgia cistis, orgia quae frustra cupiunt audire profani; plangebant aliae proceris tympana palmis aut tereti tenuis tinnitus aere ciebant; multis raucisonos efflabant cornua bombos barbaraque horribili stridebat tibia cantu. talibus amplifice vestis decorata figuris pulvinar complexa suo velabat amictu. quae postquam cupide spectando Thessala pubes expleta est, sanctis coepit decedere divis. hie, qualis flatu placidum mare matutino horrificans Zephyrus proclivas incitât undas Aurora exoriente vagi sub limina Solis, quae tarde primum dementi flamine pulsae procedunt (leviter resonant piangere cachinni), post vento crescente magis magis increbescunt purpureaque procul nantes ab luce refulgent: sic tum vestibuli linquentes regia tecta ad se quisque vago passim pede discedebant.

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Doch von der anderen Seite flog blühend heran Iakchos mit seiner Schar von Satyrn und den in Nysa geborenen Silenen, dich suchend, Ariadne, von Liebe zu dir entbrannt; fiir ihn schwärmten Mänaden umher mit rasendem Sinn, den Bacchusruf »evoe« ausrufend, »evoe«, und die Köpfe zurück[werfend. Einige von ihnen schüttelten Thyrsusstäbe mit bedeckter Spitze, einige schleuderten umher die Glieder eines zerrissenen Jungstiers, einige gürteten sich mit Schlangen, die sich ringelten, einige feierten geheime Orgien mit hohlen Kästchen, Orgien, von denen vergeblich zu hören begehren die [Uneingeweihten. Es schlugen andere mit flachen Händen Tympana oder entlockten gewölbtem Erz dünnes Klirren, bei vielen ließen Hörner ein dumpfes Brummen ertönen, und die barbarische Flöte pfiff in schauerlichem Ton. Die mit solchen Gestalten prächtig verzierte Decke umgab und umhüllte als Uberwurf das Hochzeitsbett. Nachdem die thessalischen jungen Männer sich begierig daran satt gesehen hatten, begannen sie, den heiligen Göttern zu weichen. Hierauf, wie durch sein morgendliches Wehen die ruhige Meerestfläche kräuselt der Zephyr und die abwärts sich neigenden Wogen antreibt beim Aufgang der Morgenröte, kurz vor dem Einzug des [wandernden Sonnengottes, und diese langsam zuerst, von sanftem Wehen getrieben, vorwärts ziehen (leicht ertönt durch ihr Plätschern Gelächter), später bei zunehmendem Wind immer zahlreicher werden und, in der Ferne treibend, vom purpurnen Licht aufleuchten so verließen sie damals den königlichen Bau des großen Saales und zogen hierhin und dorthin mit wanderndem Fuß, ein jeder [nach Hause.

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quorum post abitum princeps e vertice Pelei advenit Chiron portans silvestria dona: nam quoscumque ferunt campi, quos Thessala magnis montibus ora creat, quos propter fluminis undas aura parit flores tepidi fecunda Favoni, hos indistinctis plexos tulit ipse corollis, quo permulsa domus iucundo risit odore, confestim Penios adest, viridantia Tempe, Tempe, quae silvae cingunt super impendentes, Haemonisin linquens claris celebranda choréis, non vacuos: namque ille tulit radicitus altas fagos ac recto proceras stipite laurus, non sine nutanti platano lentaque sorore fiammati Phaethontis et aerea cupressu. haec circum sedes late contexta locavit, vestibulum ut molli velatum fronde vireret. post hunc consequitur sollerti corde Prometheus extenuata gerens veteris vestigia poenae, quam quondam silici restrictus membra catena persoluit pendens e verticibus praeruptis. inde pater divum sancta cum coniuge natisque advenit caelo, te solum, Phoebe, relinquens unigenamque simul cultricem montibus Idri: Pelea nam tecum pariter soror aspernata est nec Thetidis taedas voluit celebrare iugalis. qui postquam niveis flexerunt sedibus artus,

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Nach ihrem Weggang kam als erster vom Gipfel des Pelion Chiron an, Gaben des Waldes bringend. Denn alle Blumen, welche die Felder hervorbringen, die das [thessalische Gebiet auf hohen Bergen erschafft, die neben den Wellen des Flusses der fruchtbare Hauch des warmen Favonus sprießen läßt, die hatte er selbst in bunte Kränze geflochten und trug sie her, und von ihrem lieblichen Duft gestreichelt lachte der Palast. Eilig erscheint Peneios, das grünende Tempe, Tempe, das von oben überhangende Wälder umgürten, den Thessalierinnen zum Feiern mit ihren berühmten Tänzen [überlassend, nicht mit leeren Händen. Denn er trug entwurzelte hohe Buchen und schlanke Lorbeerbäume mit geradem Stamm nicht ohne die sich neigende Platane und die geschmeidige [Schwester des von Flammen getöteten Phaëthon und die hohe Zypresse. All das stellte er ringsum im Königssitz in breiter Reihe auf, damit der große Saal grüne, von zartem Laub umhüllt. Auf ihn folgt Prometheus mit dem kunstfertigen Verstand, verblaßte Spuren der alten Strafe tragend, die er einst, an einen Felsen die Glieder mit einer Kette gefesselt, abbüßte, hängend an steil abfallenden Berggipfeln. Darauf kam der Vater der Götter mit seiner heiligen Gattin und den Söhnen vom Himmel, dich, Phöbus, allein zurücklassend und zugleich die zusammen mit dir geborene Bewohnerin der Berge [von Idros. Den Peleus nämlich verschmähte zusammen mit dir deine [Schwester, und sie wollte nicht das Hochzeitsfest der Thetis feiern. Nachdem diese ihre Glieder in die schneeweißen Sitze geschmiegt [hatten,

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large multiplied constructae sunt dape mensae, cum interea infirmo quatientes corpora motu verídicos Parcae coeperunt edere cantus. his corpus tremulum complectens undique vestis candida purpurea talos incinxerat ora, at roseae niveo residebant vertice vittae aeternumque manus carpebant rite laborem. laeva colum molli lana retinebat amictum, dextera tum leviter deducens fila supinis formabat digitis, tum prono in pollice torquens libratum tereti versabat turbine fusum, atque ita decerpens aequabat semper opus dens, laneaque aridulis haerebant morsa labellis, quae prius in levi fuerant exstantia filo: ante pedes autem candentis mollia lanae vellera virgati custodibant calathisci. hae tum clarisona vellentes vellera voce talia divino fuderunt carmine fata, carmine, perfidiae quod post nulla arguet aetas: 0 decus eximium magnis virtutibus augens, Emathiae tutamen, Opis carissime nato, accipe, quod laeta tibi pandunt luce sorores, veridicum oraclum: sed vos, quae fitta sequuntur, currite ducentes subtegmina, currite, fusi.

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wurden reichlich mit vielfältiger Speise Tische hergerichtet, während unterdessen, mit matter Bewegung und zitternd am [Körper, ihre wahrheitskündenden Lieder die Parzen zu singen begannen. Ihnen hatte, den zitternden Leib ganz umfassend, ein weißes Kleid mit purpurnem Saum die Knöchel eingehüllt, doch rosenfarbene Binden saßen auf dem schneeweißen Scheitel, und die Hände verrichteten in gehöriger Weise das ewige Werk des [Spinnens. Die Linke hielt den von weicher Wolle umgebenen Spinnrocken, die Rechte formte dann die Fäden, sie leicht herabziehend mit [aufwärts gerichteten Fingern, dann, mit abwärts gerichtetem Daumen sie drehend und im Gleichgewicht haltend, wendete sie mit dem glatten Wirtel [die Spindel. Und dann zupfte der Zahn ständig etwas weg und glättete das [Gesponnene, und an den trockenen Lippen hingen abgebissene Wollfasern, die vorher an dem feinen Faden herausgestanden hatten; vor den Füßen aber wachten über die weichen Knäuel der weißen Wolle aus Weidenruten geflochtene Körbchen. Während diese damals mit helltönender Stimme die Wolle zupften, ließen sie folgende Schicksalssprüche in göttlichem Lied hervor[strömen, einem Lied, das keine spätere Zeit der Unzuverlässigkeit bezichtigen [wird: »O der du deinen außerordentlichen Ruhm durch große Mannes[taten vermehrst, Emathias Schutzwehr, der du dem Sohn der Ops der liebste bist, vernimm, was am freudigen Tage dir offenbaren die Schwestern, ein wahr sprechendes Orakel! Doch ihr - sie, denen das Schicksal lauft, die Fäden ziehend, lauft, ihr Spindeln!

[folgt,

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CATULLUS

64

adveniet tibi iam portans optata maritis Hesperus, adveniet fausto cum sidere coniunx, quae tibi flexanimo mentem perfundat amore languidulosque paret tecum coniungere somnos levia substernens robusto bracchia collo. currite ducentes subtegmina, currite, fusi, nulla domus tales umquam contexit amores, nullus amor tali coniunxit foedere amantes, qualis adest Thetidi, qualis concordia Peleo. currite ducentes subtegmina, currite, fusi, nascetur vobis expers terroris Achilles, hostibus haud tergo, sed forti pectore notus, qui persaepe vago victor certamine cursus flammea praevertet celeris vestigia cervae. currite ducentes subtegmina, currite, fusi, non illi quisquam bello se conferet heros, cum Phrygii Teucro manabunt sanguine fines Troicaque obsidens longinquo moenia bello periuri Pelopis vastabit tertius heres. currite ducentes subtegmina, currite, fusi, illius egregias virtutes claraque facta saepe fatebuntur gnatorum in funere matres, cum incultum cano solvent a vertice crinem putriaque infirmis variabunt pectora palmis. currite ducentes subtegmina, currite, fusi, namque velut densas praecerpens messor aristas sole sub ardenti flaventia demerit arva, Troiugenum infesto prosternet corpora ferro. currite ducentes subtegmina, currite, fusi, testis erit magnis virtutibus unda Scamandri,

GEDICHTE

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Schon wird zu dir kommen und bringen, was einem Bräutigam [erwünscht ist, Hesperus, es wird kommen unter glücklichem Gestirn die Gattin, um dir den Sinn zu durchströmen mit geistbezwingender Liebe und bereit zu sein, wohlig ermattet mit dir den Schlaf zu teilen, die glatten Arme unter deinen kräftigen Nacken legend. Lauft, die Fäden ziehend, lauft, ihr Spindeln! Kein Haus hat jemals solche Liebe in sich geborgen, keine Liebe hat in solchem Bunde Liebende vereint wie das Einvernehmen, das zwischen Thetis und Peleus herrscht. Lauft, die Fäden ziehend, lauft, ihr Spindeln! Geboren werden wird euch der furchtlose Achilleus, den Feinden nicht durch seinen Rücken, sondern die tapfere Brust [bekannt, der, sehr oft im weitreichenden Kampf des Wettlaufs Sieger, die glühenden Spuren der schnellen Hirschkuh überholen wird. Lauft, die Fäden ziehend, lauft, ihr Spindeln! Nicht wird sich mit ihm im Kriege irgendein Held vergleichen, wenn das phrygische Land von teukrischem Blut triefen wird und die trojanischen Mauern, sie belagernd in einem langdauernden der dritte Erbe des meineidigen Pelops zerstören wird.

[Krieg,

Lauft, die Fäden ziehend, lauft, ihr Spindeln! Seine herausragenden mannhaften Taten und berühmten Leistungen werden oft verkünden bei ihrer Söhne Bestattung die Mütter, wenn sie ihr nicht mehr gepflegtes Haar am grauen Scheitel lösen und die welken Brüste mit schwachen Händen wund schlagen. Lauft, die Fäden ziehend, lauft, ihr Spindeln! Denn wie ein Schnitter, dichte Ähren köpfend, unter der brennenden Sonne goldgelbe Felder abmäht, wird er die Leiber der Troja-Entstammten mit feindseligem Eisen Lauft, die Fäden ziehend, lauft, ihr Spindeln!

[niederstrecken.

Zeugin der großen Mannestaten wird sein die Woge des Skamander,

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CATULLUS

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quae passim rapido difïunditur Hellespont», cuius iter caesis angustans corporum acervis alta tepefaciet permixta flumina caede.

360

currite ducentes subtegmina, currite, fusi, denique testis erit morti quoque reddita praeda, cum teres excelso coacervatum aggere bustum excipiet niveos perculsae virginis artus. currite ducentes subtegmina, currite, fusi.

365

nam simul ac fessis dederit fors copiam Achivis urbis Dardaniae Neptunia solvere vincla, alta Polyxenia madefient caede sepulcra; quae, velut ancipiti succumbens victima ferro, proiciet truncum summisso poplite corpus.

370

currite ducentes subtegmina, currite, fusi, quare agite optatos animi coniungite amores, accipiat coniunx felici foedere divam, dedatur cupido iam dudum nupta marito. currite ducentes subtegmina, currite, fusi.

375

non illam nutrix orienti luce revisens hesterno Collum poterit circumdare filo, currite ducentes subtegmina, currite, fusi, anxia nec mater discordis maesta puellae secubitu caros mittet sperare nepotes.

380

currite ducentes subtegmina, currite, fusi.' talia praefantes quondam felicia Peleo carmina divino cecinere e pectore Parcae. praesentes namque ante domos invisere castas heroum et sese mortali ostendere coetu caelicolae nondum spreta pietate solebant.

385

GEDICHTE

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die sich weithin in den reißenden Hellespont ergießt. Seinen Lauf durch Haufen erschlagener Leiber verengend, wird er den tiefen Fluß mischen und erwärmen mit Mordblut. Lauft, die Fäden ziehend, lauft, ihr Spindeln! Schließlich wird Zeuge sein die ihm nach seinem Tode noch gegebene wenn das runde, hoch zum Hügel aufgeschüttete Grabmal [Beute, aufnehmen wird die schneeweißen Glieder der niedergehauenen Lauft, die Fäden ziehend, lauft, ihr Spindeln!

[Jungfrau.

Denn sobald den erschöpften Achaiern das Glück Gelegenheit gibt, der dardanischen Stadt den Gürtel Neptuns zu lösen, wird das hohe Grabmal feucht werden vom Blut der Polyxena, die wie ein Opfertier, das von der Doppelaxt niedergestreckt wird, beugen wird die Knie und zu Boden werfen ihren enthaupteten Lauft, die Fäden ziehend, lauft, ihr Spindeln!

[Körper.

Darum, auf denn! Vereint euch zu inbrünstig herbeigesehntem [Liebesspiel! Es empfange der Gemahl in glücklichem Ehebunde die Göttin, es werde übergeben dem schon längst sie begehrenden Gatten die Lauft, die Fäden ziehend, lauft, ihr Spindeln!

[Braut.

Nicht wird die Amme, wenn sie sie bei Sonnenaufgang aufsucht, ihr den gestrigen Faden um den Hals legen können. Lauft, die Fäden ziehend, lauft, ihr Spindeln! Auch wird nicht die besorgte Mutter, traurig darüber, daß das [Mädchen im Streit vom Ehebett schied, die Hoffnung auf liebe Enkel aufgeben müssen. Lauft, die Fäden ziehend, lauft, ihr Spindeln!« Solche fur Peleus glücklichen Lieder der Hochzeit vorausschickend, sangen einst aus göttlicher Brust die Parzen. Denn früher leibhaftig die sittenreinen Häuser der Heroen zu besuchen und sich im Kreis der Sterblichen zu zeigen pflegten die Himmelsbewohner, als Ehrfurcht noch nicht verachtet [wurde.

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CATULLUS

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saepe pater divum templo in fulgente residens, annua cum festis venissent sacra diebus, conspexit terra centum procumbere tauros. saepe vagus Liber Parnasi vertice summo Thyiadas effusis euantis crinibus egit, cum Delphi tota certatim ex urbe ruentes acciperent laeti divum fumantibus aris. saepe in letifero belli certamine Mavors aut rapidi Tritonis era aut Ramnusia virgo armatas hominum est praesens hortata catervas, sed postquam tellus scelere est imbuta nefando iustitiamque omnes cupida de mente fugarunt, perfudere manus fraterno sanguine fratres, destitit extinctos gnatus lugere parentes, optavit genitor primaevi fuñera nati, liber ut hinc nuptae poteretur flore novellae, ignaro mater substernens se impia nato impia non verità est divos scelerare penates, omnia fanda nefanda malo permixta furore iustificam nobis mentem avertere deorum. quare nec talis dignantur visere coetus nec se contingi patiuntur lumine claro.

GEDICHTE 6 1 - 6 4

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Oft nahm der Vater der Götter in einem funkelnden Tempel seinen [Sitz ein, wenn die jährlichen Opfer an den Festtagen herankamen, und sah hundert Stiere zu Boden sinken. Oft führte umherziehend Liber hoch auf dem Gipfel des Parnaß die Thyiaden, die mit fliegenden Haaren »evoe« riefen, wenn die Delpher wetteifernd aus der ganzen Stadt stürzten und freudig den Gott mit rauchenden Altären empfingen. Oft hat im todbringenden Ringen des Krieges Mavors oder die Herrin des reißenden Triton oder die rhamnusische Jungbewaffnete Scharen von Männern leibhaftig angespornt.

[frau

Aber nachdem die Erde von ruchlosem Frevel befleckt worden war und die Gerechtigkeit alle aus ihrem habgierigen Sinn vertrieben badeten ihre Hände in Bruderblut Brüder,

[hatten,

es hörte auf der Sohn, über den Tod der Eltern zu trauern, es wünschte sich der Erzeuger das Begräbnis des jugendlichen Sohnes, um, dadurch ganz frei, die Blüte einer neuen jungen Braut erobern [zu können, unter den ahnungslosen Sohn legte sich die gottlose Mutter und scheute sich nicht, gottlos durch Frevel zu beflecken die Ahnentgötter. Alles Rechte und Unrechte war vermischt in schrecklichem Wahnund wendete den gerechten Sinn der Götter von uns ab.

[sinn

Deswegen halten sie es nicht fur wert, eine solche Gemeinschaft zu [besuchen, und dulden nicht, daß man bei Tageslicht mit ihnen in Berührung [kommt.

Etsi me assiduo confectum cura dolore sevocat a doctis, Hortale, virginibus, nec potis est dulcis Musarum expromere fetus mens animi (tantis fluctuât ipsa malis: namque mei nuper Lethaeo in gurgite fratris pallidulum manans alluit unda pedem, Troia Rhoeteo quem subter litore tellus ereptum nostris obtegit ex oculis. (numquam ego te potero posthac audire loquentem,) numquam ego te, vita frater amabilior, aspiciam posthac; at certe semper amabo, semper maesta tua carmina morte canam, qualia sub densis ramorum concinit umbris Daulias absumpti fata gemens Ityli): sed tarnen in tantis maeroribus, Hortale, mitto haec expressa tibi carmina Battiadae, ne tua dicta vagis nequiquam eredita ventis effluxisse meo forte pûtes animo, ut missum sponsi furtivo muñere malum procurrit casto virginis e gremio, quod miserae oblitae molli sub veste locatum, dum adventu matris prosilit, excutitur, atque illud prono praeceps agitur decursu, huic manat tristi conscius ore rubor.

65 Auch wenn mich, den von unaufhörlichem Schmerz Erschöpften, wegruft, Hortalus, von den gelehrten Jungfrauen

[der Kummer

und nicht fähig ist, süße Früchte der Musen hervorzubringen, meines Geistes Gedanke - in so großem Leid treibt er dahin; denn das im Strudel der Lethe strömende Wasser hat erst jüngst umspült den bleichen Fuß meines Bruders, den die trojanische Erde am rhöteischen Strand entrissen hat meinen Augen und nun bedeckt. Nie werde ich künftig hören können, wie du sprichst, nie werde ich dich, Bruder, mir lieber als mein Leben, künftig erblicken; doch gewiß werde ich dich immer lieben, immer Lieder singen, die voll Trauer sind wegen deines Todes, wie sie im dichten Schatten der Zweige sang Daulias, als sie beklagte das Los des ihr entrissenen Itylos - , schicke ich aber dennoch, Hortalus, trotz meiner so großen Trauer dir diese Ubersetzung von Versen des Battos-Sohnes, damit du nicht etwa glaubst, deine Worte seien, sinnlos den Winden anvertraut, entschlüpft meinem Geist,

[schweifenden

so wie, geschickt vom Verlobten als heimliches Geschenk, ein Apfel hervorrollt aus dem keuschen Schoß eines Mädchens, der, von der Armen vergessen, nachdem sie ihn unters weiche Kleid [gesteckt hat, herausgeschleudert wird, während sie beim Nahen der Mutter und der rollt dahin in jähem Lauf,

[aufspringt;

ihr aber strömt schuldbewußte Röte ins betrübte Gesicht.

I40

CATULLUS 66

66 Omnia qui magni dispexit lumina mundi, qui stellarum ortus comperit atque obitus, flammeus ut rapidi solis nitor obscuretur, ut cédant certis sidera temporibus, ut Triviam furtim sub Latmia saxa relegans dulcís amor gyro devocet aereo: idem me ille Conon caelesti in numine vidit e Beroniceo vertice caesariem fulgentem clare, quam multis illa dearum levia protendens brachia pollicita est, qua rex tempestate novo auctatus hymenaeo vastatum finis iverat Assyrios, dulcia nocturnae portans vestigia rixae, quam de virgineis gesserat exuviis. estne novis nuptis odio Venus? anne parentum frustrantur falsis gaudia lacrimulis, ubertim thalami quas citra limina fundunt? non, ita me divi, vera gemunt, iuerint. id mea me multis docuit regina querellis invisente novo proelia torva viro, et tu non orbum luxti deserta cubile, sed fratris cari flebile discidium? quam penitus maestas exedit cura medullas! ut tibi tunc toto pectore sollicitae sensibus ereptis mens excidit! at (te) ego certe cognoram a parva virgine magnanimam.

GEDICHTE 65-116

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66 Er, der all die Lichter des großen Himmels klar und deutlich gesehen, der der Sterne Aufgehen erforscht hat und ihr Versinken und auch, wie sich der verzehrenden Sonne flammender Glanz verdunkelt, wie verschwinden zu bestimmten Zeiten die Gestirne, und wie Trivia, sie heimlich unter latmische Felsen verbannend, süße Liebe von ihrer luftigen Kreisbahn herabruft ebenjener Konon sah mich in der göttlichen Erhabenheit des mich, die Locke vom Scheitel der Berenike,

[Himmels,

hell erstrahlen, mich, die vielen der Göttinnen jene, die glatten Arme ausstreckend, als Opfergabe versprach zu der Zeit, als der König, durch die gerade vollzogene Hochzeit erfortgezogen war, um das assyrische Gebiet zu verwüsten,

[hoben,

während er noch an sich trug die süßen Spuren des nächtlichen [Kampfes, den er gefuhrt hatte, um die Beute ihrer Jungfräulichkeit zu [gewinnen. Ist jungen Bräuten verhaßt das Liebesspiel? Oder täuschen sie die freudige Erwartung der Eltern durch geheuchelte Tränlein, die sie in Strömen diesseits der Schwelle zum Brautgemach vergießen? So wahr mir die Götter helfen! Nicht echt sind die Seufzer! Das hat meine Königin mich gelehrt durch viele Klagen, als der gerade mit ihr vermählte Mann in schreckliche Schlachten zog. Hast du, als du verlassen warst, etwa nicht über das einsame Lager [getrauert, sondern über die schmerzliche Trennung von deinem lieben Bruder? Wie zerfraß dir in deiner Trauer der Kummer tief im Inneren das [Mark! Wie warst du damals, weil du von ganzem Herzen besorgt warst, der Sinne beraubt, wie schwand hin dein Verstand! Dabei kannte ich [dich doch wahrlich von deinen frühesten Mädchenjahren an als mutig.

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CATULLUS

66

anne bonum oblita es facinus, quo regium adepta es coniugium, quod nec fortior ausit alis? sed tum maesta virum mittens quae verba locuta es! Iuppiter, ut tersti lumina saepe manu! quis te mutavit tantus deus? an quod amantes non longe a caro corpore abesse volunt? atque ibi me cunctis pro dulci coniuge divis non sine taurino sanguine pollicita es, si reditum tetulisset. is haut in tempore longo captam Asiam Aegypti fìnibus addiderat. quis ego pro factis caelesti reddita coetu pristina vota novo muñere dissolvo, invita, o regina, tuo de vertice cessi, invita: adiuro teque tuumque caput, digna ferat quod si quis inaniter adiurarit: sed qui se ferro postulet esse parem? ille quoque eversus mons est, quem maximum in oris progenies Thiae clara supervehitur, cum Medi peperere novum mare cumque iuventus per medium classi barbara navit Athon. quid facient crines, cum ferro talia cédant? Iuppiter, ut Chalybon omne genus pereat,

GEDICHTE 6 S —11 6

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Oder hast du die kühne Tat vergessen, durch die du die Ehe mit dem [König errangst, eine Tat, wie sie ein anderer, auch ein kühnerer, nicht [gewagt hätte? Doch damals, als du traurig deinen Mann gehen ließest, welche [Worte sprachst du! Beim Jupiter, wie hast du dir da oft die Augen mit der Hand [getrocknet! Welcher so mächtige Gott hat dich verwandelt? Oder lag es daran, [daß Liebende nicht lange vom geliebten Körper entfernt sein wollen? Und da hast du mich allen Göttern fur deinen süßen Gatten nicht ohne Vergießen von Stierblut versprochen, wenn er heimkehre. Er hatte in nicht langer Zeit das eroberte Asien Ägyptens Gebiet hinzugefügt. Für diese Taten wurde ich der himmlischen Schar übergeben und löse das alte Gelübde durch eine neuartige Opfergabe ein. Gegen meinen Willen, Königin, schied ich von deinem Scheitel, gegen meinen Willen! Das schwöre ich bei dir und deinem Haupt; verdiente Strafe möge erleiden, wer leichthin einen solchen Schwur [tut, aber wer könnte fiir sich in Anspruch nehmen, er sei dem Eisen [gewachsen? Auch jener Berg wurde umgewühlt, der höchste an den Küsten, Theias strahlender Sohn hoch hinüberfährt,

[über die

als die Meder ein neues Meer schufen und als die junge barbarische Mannschaft mitten durch den Athos mit ihrer Flotte [segelte. Was sollen Haare machen, wenn dem Eisen dergleichen weichen [muß? Beim Jupiter, daß doch das ganze Geschlecht der Chalyber untergehe

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CATULLUS

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et qui principio sub terra quaerere venas institit ac ferri stringere duritiem! abiunctae paulo ante comae mea fata sórores lugebant, cum se Memnonis Aethiopis unigena impellens nutantibus aera pennis obtulit Arsinoes Locridos ales equos. isque per aetherias me tollens avolat umbras et Veneris casto collocai in gremio, ipsa suum Zephyritis eo famulum legarat, Graiia Canopitis incola litoribus. hic liquidi vario ne solum in numine caeli ex Ariadnaeis aurea temporibus fixa corona foret, sed nos quoque fulgeremus devotae flavi verticis exuviae, uvidulam a fluctu cedentem ad tempia deum me sidus in antiquis diva novum posuit. Virginis et saevi contingens namque Leonis lumina, Callistoe iuncta Lycaoniae, vertor in occasum, tardum dux ante Booten, qui vix sero alto mergitur Oceano, sed quamquam me nocte premunt vestigia divum, lux autem canae Tethyi restituit (pace tua fari hic liceat, Ramnusia virgo, namque ego non ullo vera timore tegam, nec si me infestis discerpent sidera dictis, condita quin vere pectoris evolvam) non his tam laetor rebus, quam me afore semper,

GEDICHTE

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65-116

und er, der zuerst unter der Erde nach Metalladern zu suchen und die Härte des Eisens zu formen begann! Kurz zuvor von mir getrennt, beklagten die Haare, meine Geschick, als des Äthiopiers Memnon

[Schwestern, mein

Bruder, schlagend mit flatternden Flügeln die Luft, erschien, das Flügelroß der lokrischen Arsinoë. Dieser hebt mich in die Höhe, fliegt durch die ätherischen Schatten und legt mich in den heiligen Schoß der Venus. Zephyritis selbst hatte dorthin ihren Diener entsandt, die grajische Bewohnerin des kanopitischen Gestades. Hierauf hat, damit an dem göttlichen Mosaik des klaren Himmels die goldene Krone von Ariadnes Schläfen

[nicht nur

befestigt sei, sondern auch ich erglänzte als geweihtes Beutestück von einem blonden Scheitel, mich, die ich feucht von den Wogen zu den Wohnsitzen der Götter als neues Gestirn unter die alten gesetzt die Göttin.

[kam,

Denn der Jungfrau und des grimmigen Löwen Lichtern benachbart, der Lykaon-Tochter Kallisto beigesellt, wende ich mich nach Westen und gehe dem trägen Bootes voran, der erst ganz spät in den tiefen Ozean taucht. Aber obwohl bei Nacht die Füße der Götter über mich laufen, der Tag mich jedoch der grauen Tethys zurückgibt (mit deiner Erlaubnis sei mir hier zu reden gestattet, rhamnusische [Jungfrau; denn ich will die Wahrheit nicht aus irgendeiner Furcht heraus [verbergen, auch nicht, wenn mich mit feindseligen Worten die Gestirne [zerfetzen; nein, ich will wahrheitsgemäß enthüllen die Geheimnisse meines [Herzens): Nicht freue ich mich über all das so sehr, wie ich davon, daß ich [immer fern sein,

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CATULLUS 6 6 ·

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afore me a dominae vertice discrucior, quicum ego, dum virgo quondam fuit, omnibus unguentis nupta, vilia multa bibi. nunc vos, optato quas iunxit lumine taeda, non prius unanimis corpora coniugibus tradite nudantes reiecta veste papillas, quam iucunda mihi muñera übet onyx, vester onyx, casto colitis quae iura cubili. sed quae se impuro dedit adulterio, illius a mala dona levis bibat irrita pulvis: namque ego ab indignis praemia nulla peto, sed magis, o nuptae, semper concordia vestras, semper amor sedes incolat assiduus. tu vero, regina, tuens cum sidera divam placabis festis luminibus Venerem, unguinis expertem non siris esse tuam me, sed potius largis affice muneribus. sidera corruerint utinam! coma regia fiam, proximus Hydrochoi fulguret Oarion!

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O dulci iucunda viro, iucunda parenti, salve, teque bona Iuppiter auctet ope, ianua, quam Balbo dicunt servisse benigne olim, cum sedes ipse senex tenuit, quamque ferunt rursus gnato servisse maligne,

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fem sein werde vom Scheitel der Herrin, gequält werde, mit dem ich, als sie einst noch Jungfrau war - aller Parfüms wurde ich beraubt, als sie verheiratet war - , viele wertlose Salböle [trank. Ihr nun, wenn am erwünschten Tag die Hochzeitsfackel euch [vermählt hat, schenkt euren euch liebenden Gatten nicht euren Leib, indem ihr das Gewand zurückwerft und die Brüste entblößt, bevor das Salbfläschchen mir süße Gaben spendet, ein Salbfläschchen von euch, die ihr auf keuschem Lager das Die sich aber unreinem Ehebruch hingibt,

[Eherecht achtet,

deren, ach!, üble Geschenke seien vertan, und der flüchtige Staub Denn von Unwürdigen verlange ich keine Gaben.

[trinke sie.

Doch immer soll, ihr Vermählten, Eintracht, immer beständige Liebe eure Häuser bewohnen. D u aber, Königin, wenn zu den Sternen blickend du die göttliche Venus versöhnst an Festtagen, laß mich, die Deine, nicht ohne Anteil an deinem Parfüm sein, sondern statte mich vielmehr mit reichen Geschenken aus! Wenn doch die Gestirne niederstürzten! Ich will der Königin Haar [werden; dann mag dicht neben dem Wassermann der Orion erglänzen!

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O du, lieb dem süßen Gemahl, lieb dem Vater, sei gegrüßt, und es segne dich Jupiter mit freundlichem Beistand, Tür, die dem Baibus, so sagt man, gute Dienste geleistet hat einst, als den Wohnsitz der Alte selbst innehatte, und die, so heißt es allerdings auch, dem Sohn schlechte Dienste [geleistet hat,

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CATULLUS

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postquam es porrecto facta marita sene: die agedum nobis, quare mutata feraris in dominum veterem deseruisse fidem. 'Non (ita Caecilio placeam, cui tradita nunc sum) culpa mea est, quamquam dicitur esse mea, nec peccatum a me quisquam pote dicere quicquam: verum isti populo ianua quidque facit, qui, quacumque aliquid reperitur non bene factum, ad me omnes clamant: ianua, culpa tua est.' Non istuc satis est uno te dicere verbo, sed facere, ut quivis sentiat et videat. 'Qui possum? nemo quaerit nec scire laborat.' Nos volumus: nobis dicere ne dubita. 'Primum igitur, virgo quod fertur tradita nobis, falsum est. non illam vir prior attigerat, languidior tenera cui pendens sicula beta numquam se mediam sustulit ad tunicam; sed pater ipse sui gnati violasse cubile dicitur et miseram conscelerasse domum, sive quod impia mens caeco flagrabat amore, seu quod iners sterili semine natus erat, ut quaerendum aliunde foret nervosius illud, quod posset zonam solvere virgineam.' Egregium narras mira pietate parentem, qui ipse sui gnati minxerit in gremium. 'Atqui non solum hoc dicit se cognitum habere Brixia Cycneae supposita speculae, flavus quam molli praecurrit ilumine Mella, Brixia, Veronae mater amata meae, sed de Postumio et Cornell narrat amore,

GEDICHTE

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nachdem der Alte sich auf die Bahre hingestreckt hatte und du [verheiratet worden warst: Auf, sag mir, warum es heißt, daß du dich gewandelt und die alte Treue zum Herrn verraten hast. »Nein - so wahr ich Caecilius gefallen will, dem ich jetzt übergeben [wurde - , meine Schuld ist es nicht, obwohl behauptet wird, es sei meine, und niemand kann behaupten, von mir sei irgendein Fehler doch fur dieses Volk da macht die Tür alles! [gemacht worden; Die schreien, wo immer sich zeigt, daß irgendeine Untat begangen alle mich an: >Tür, es ist deine Schuld!«< [wurde, Nein, es genügt nicht, daß du dies mit einem einzigen Wort sagst, sondern du mußt es so machen, daß jeder es versteht und begreift. »Wie kann ich denn? Niemand fragt oder bemüht sich darum, Ich will es: Mir es zu sagen zögere nicht! [es zu wissen.« »Also erstens: Daß sie mir als Jungfrau übergeben wurde, ist falsch. Nicht hatte sie ihr früherer Mann berührt, dem, schlaffer als ein zartes Mangoldblatt herunterhängend, sein niemals sich zur Mitte der Tunika erhob. [kleiner Dolch Nein, sondern der Vater selbst hat seines eigenen Sohnes Lager wird behauptet, und das arme Haus entehrt, [geschändet, sei es, daß sein ruchloser Sinn von blinder Liebe brannte, sei es, daß sein unfähiger Sohn unfruchtbaren Samen hatte und gesucht werden mußte von anderswoher jenes Ding mit mehr das den Jungfrauengürtel lösen konnte.« [Spannkraft, Du erzählst mir von einem hervorragenden, wunderbar kinderder selbst in seines eigenen Sohnes Schoß pißte! [lieben Vater, »Doch nicht nur dies erfahren zu haben behauptet Brixia, das unterhalb von Kyknos' Kastell liegt, an dem in sanftem Lauf der gelbliche Mella vorbeifließt, Brixia, meines Verona geliebte Mutterstadt; doch vielmehr erzählt es von Postumius und der Liebe des Cornelius,

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cum quibus illa malum fecit adulterium. dixerit hie aliquis: "quid? tu istaec, ianua, nosti, cui numquam domini limine abesse licet nec populum auscultare, sed hic suffixa tigillo tantum operire soles aut aperire domum?" saepe illam audivi furtiva voce loquentem solam cum ancillis haec sua flagitia, nomine dicentem quos diximus, utpote quae mi sperar« nec linguam esse nec auriculam. praeterea addebat quendam, quem dicere nolo nomine, ne tollat rubra supercilia. longus homo est, magnas cui lites intulit olim falsum mendaci ventre puerperium.'

68 Quod mihi fortuna casuque oppressus acerbo conscriptum hoc lacrimis mittis epistolium, naufragum ut eiectum spumantibus aequoris undis sublevem et a mortis limine restituam, quem ñeque sancta Venus molli requiescere somno desertum in lecto caelibe perpetitur, nec veterum dulci scriptorum carmine Musae oblectant, cum mens anxia pervigilat: id gratum est mihi, me quoniam tibi dicis amicum muneraque et Musarum hinc petis et Veneris, sed tibi ne mea sint ignota incommoda, mi Alii, neu me odisse putes hospitis officium,

GEDICHTE

65-116

Iii

mit denen jene üblen Ehebruch beging. Es könnte hier jemand sagen: >Was? Du weißt dies, Tür, der niemals der Schwelle des Herren fern zu sein gestattet ist, nicht das Volk auszuhorchen, sondern die du hier, am Balken nur das Haus zu verschließen oder zu öffnen pflegst?
3

gratum ^nobis

nobis quoque gratum

omnibus

107.7

quoquet

( et) (Maehly)

ìhac est

hac re (Kroll)

107.8

toptandus vita

optandum in vita (Statius)

111,2

ex ... eximiis

e (Scaliger) ... eximia est (Gärtner)

111,4

(parere) (ω)

112.1

(est quin)

(est qui) (Scaliger)

112.2

te scindât

descendit (V)

114.6

t modo

omnibus (Trappes-Lomax)

115.7

ultro

multo (Bruner)

116,7

tamitha

mieta (Kitchell)

Fi

qtiaque ... Priape quoque (silva), Priape (ω)

VERSMASSE

Im folgenden werden alle von Catull benutzten Metren in der Reihenfolge vorgestellt, in der sie in seiner Sammlung jeweils erstmals erscheinen. Dabei steht immer am Anfang eine Liste der Gedichte, in denen das Versmaß verwendet ist; darauf folgen das metrische Schema und (gegebenenfalls) kurze Bemerkungen dazu. I. Hendecasyllabus (Elßilbler) oder Phalaecetts: Gedichte 1-3, 5—7, 9, 10, 12-16, 21, 23, 24, 26-28, 32, 33, 35, 36, 38, 40-43, 45-50, 53-58a, F 3-

Die ersten beiden Silben sind meistens lang, bilden also einen Spondeus ( ), aber dieser kann gelegentlich durch einen Iambus (w—) oder einen Trochaeus (— w ) ersetzt werden. Die Doppelkürze ist in den thematisch zusammengehörenden Gedichten 55 (vierzehnmal) und 58a (zweimal) durch eine Länge ersetzt, so daß es sich bei den davon betroffenen Versen um Zehnsilbler handelt. 2. Iambischer Trimeter oder Senar a) Reiner iambischer Trimeter {iambipurl)·. Gedichte 4, 29

Die erste Silbe ist nur in 29,3 (Eigenname!) und, wenn die Konjektur nunc richtig ist, in 29,20 lang. b) Archilochischer Trimeter: Gedicht 52

214

VERSMASSE

3. Hinkiambus (Choliambus): Gedichte 8, 22, 31, 37, 39, 44, 59, 60 w—w—O—w—w w In 22,19 (aliqud), 37,5 (confutuere) und 59,3 (rapere) ist eine Länge in zwei Kürzen aufgelöst. 4. Sapphische Strophe: Gedichte 11, 51 Die sapphische Strophe besteht aus drei sapphischen Elfsilblern (Sappbici minores) und einem Adoneus (der dem 5. und 6. Metrum eines daktylischen Hexameters entspricht): — —O— W— —

—vv— Eine Zäsur im sapphischen Elfsilbler findet sich meist nach der fünften oder der sechsten Silbe. 5. Priapeus: Gedicht 17, F 1 und 2 W \j — — II \J

w w ——

Der Priapeus setzt sich aus einem Glyconeus (Merkvers: »Niemàls hábe ich Géld bei mir«) und einem um eine Silbe verkürzten (katalektischen) Glykoneus, dem Pherecrateus, zusammen. 6. Katalektischer iambischer Tetrameter oder Septenar: Gedicht 25 Ό — w — w — w — 1^7 — — w — vy

215

VERSMASSE

7. Größerer Asclepiadeus: Gedicht 30

In einen Glyconeus (s. Nr. 5) sind zwei Choriamben (— ν w — ) eingefugt. 8. Glyconeische Strophe: a) 3 Glyconeen + 1 Pherecrateus (siehe Nr. 5): Gedicht 34 b) 4 Glyconeen + 1 Pherecrateus: Gedicht 61 Die ersten beiden Silben bilden meist einen Spondeus (

), häufig

einen Trochaeus (—w), selten einen Iambus (w —); hier z.B. das metrische Schema von

34,21-24: w w —w — —w — w w —w — ww —w — —w —w w — w

p. Daktylischer Hexameter: Gedichte 62, 64

Zumeist wird es in der lateinischen Dichtung vermieden, daß die beiden Kürzen des fünften Verses durch eine Länge ersetzt und somit der Daktylus ( — w w ) in einen Spondeus (— — ) umgewandelt wird. Aber bei Catull findet sich dies öfter; besonders häufig in Gedicht 64; man spricht dann von einem versus spondiacus. 10. Galliambus: Gedicht 63

Hier verbinden sich vier Ioniker (w w

), deren vierter um eine

Silbe verkürzt ist, zu einem katalektischen ionischen Tetrameter.

2i6

VERSMASSE

Dieses Metrum ist in Catulls Gedicht 63 vielfach variiert, da jeder Vers Umstellung von Quantitäten (Anaklasis) aufweist; so erscheint statt ww

luu

z.B. w u - u l - w

. Außerdem können

die beiden ersten Kürzen jeder Vershälfte durch eine Länge sowie die erste und die zweite Länge der ersten Hälfte durch zwei Kürzen ersetzt werden. In der zweiten Hälfte wird oft die zweite Länge in zwei Kürzen aufgelöst. Die häufigste Variante des Systems ist: w w — w — w

llww — w w w w



Ii. Elegisches Distichon: Gedichte 65-116

Hexameter und Pentameter wechseln miteinander ab. Bekanntester Merkspruch ist der von Friedrich Schiller: ím Hexámeter steigt des Springquells flüssige Säule; im Pentámeter draúf fallt sie melódisch heráb.

ERLÄUTERUNGEN

Bei Literaturhinweisen erscheinen nur der Name des Autors, die Nummer der Rubrik im Literaturverzeichnis, der seine Arbeit zugeordnet ist, und deren Erscheinungsjahr. ι

ι Büchlein: Gemeint sind wohl eher die Gedichte 1—60, die Polymetra, als die gesamte Sammlung (s. zu V. 3 und 9). Es ist rein äußerlich zierlich und reizend (was lepidus ebenfalls bedeutet), aber auch vom Inhalt her: einerseits in der Tradition des Kallimachos (um 320-240 v. Chr.) fein ausgearbeitet, andererseits (auf)reizend, d.h., es soll auf den Leser (zumindest stellenweise) eine erotisierende Wirkung ausüben. 2 Bimsstein: Damit wurde die fertige Papyrusrolle an beiden Enden poliert. 3 Cornelius: Cornelius Nepos (um 100-25 v. Chr.) aus Oberitalien, also Landsmann Catulls, dem dieser vielleicht deshalb sein erstes Buch dediziert; zu den (mutmaßlichen) Widmungsadressaten des zweiten und dritten vgl. zu 61,16 und 65,2. 6 all die Jahrhunderte in drei Büchern: Nepos, von dem nur Biographien erhalten sind, verfaßte auch eine Weltgeschichte. 9 Thalia: Da patrona (»Schutzpatronin«) mit Recht immer wieder als mittelalterliche »Emendation« verdächtigt wurde, ist die Konjektur Thalia (Muse der Komödie und lockerer Verse) sehr plausibel, zumal in den Gedichten 61 und 65, die Buch 2 und 3 eingeleitet haben dürften, die Muse Urania (61,2) bzw. die »gelehrten Jungfrauen« in ihrer Gesamtheit (65,2f.) genannt sind. Catulls Vorbild fur Gedicht 1, Melea-

2i8

ERLÄUTERUNGEN

ger in Anthologia Graeca 4,1, huldigt ebenfalls sowohl einem Freund als auch der Muse (Gärtner [3] 2007, 6f.). 7.

ι Spatz: erstes Wort des Gedichts, das vermutlich das Buch eröffnete, da Gedicht 1 wohl außen auf der Rolle geschrieben war; daher in der Antike als Titel verwendbar (»Buch Passen·). Zu den verschiedenen Assoziationen, die passer wecken konnte (Symbol fur Kleinpoesie bzw. deren Autor, Penis, kurzlebiger Vogel) vgl. Holzberg [4] '2003, 61-67. 9 Herrin: diese Bedeutung hat ipsa offensichtlich hier wie in 3,7 (vgl. zu 32,1). 11-13: Daß die Verse, die in den Handschriften nicht von 2,1-10 getrennt sind (von ihnen wiederum ist allerdings auch Gedicht 3 nicht getrennt), den Schluß des ersten der beiden Spatz-Gedichte bilden, ist in jüngerer Zeit mehrfach mit guten Argumenten vertreten worden (vgl. bes. Harrison [5] 2003). Das Mädchen ist Atalante, die ihre Freier zum Wettlauf herausfordert und von Hippomenes dadurch besiegt wird, daß er goldene Äpfel fallen läßt und sie dadurch vom Laufen ablenkt. So verliert sie ihre Jungfräulichkeit, die der Gürtel symbolisiert.

3

ι Liebesgöttinnen und Liebesgötter: Der Plural von Venus und Cupido, den Catull hier bildet, ist bis heute nicht befriedigend erklärt. Vermutlich will der Dichter die geballte Macht aller nur denkbaren erotischen Empfindungen scherzhaft personifizieren. 14 Orkus: das Reich der Toten in der Unterwelt.

4

7 Kykladeninseln: Von ihnen aus - sie liegen in der Agäis verfolgt die Jacht ihre vom Kytoros (Berg im kleinasiatischen Paphlagonien am Schwarzen Meer) ausgegangene Reise über

ERLÄUTERUNGEN

219

Rhodos und die Propontis (Marmarameer) bis zum Pontus (Schwarzes Meer) zurück, um dann die in der paphlagonischen Küstenstadt Amastris begonnene Fahrt bis zum klaren See zu beschreiben. Gemeint sein dürfte Catulls Rückkehr aus Bithynien (zu 10,7 und S. 270f.) zum Gardasee. 20 Jupiter: hier als Winde schickender Wettergott. 27 Zwillingsbruder Kastors: Pollux. Die beiden Brüder waren Schutzgötter der Seefahrt. y

ι Lesbia: s. S. 250fr.

6

ι Flavius: nicht weiter bekannt. 17 zum Himmel fliegen: Metapher dafür, daß das Paar durch Catulls Verse unsterblich gemacht wird.

7

4 silphionreich: Kyrene, eine Stadt in Nordafrika, die von Battos, einem Vorfahren des Kallimachos, gegründet worden sein soll, war berühmt fur das Heilkraut Silphion. 5 Orakel des ... Jupiter: d.h. des ägyptischen Gottes Ammon (in der libyschen Oase Siwa).

8

19 bestimmt: Versuch einer Wiedergabe des Wortspiels, das in destinatus (statt obstinata mente in V. 11!) stecken dürfte: »bestimmt« im Sinne von 1. »fest entschlossen«, 2. »verlobt« (letzteres sonst nur von Mädchen, aber der sich meist feminin gebende Catull könnte damit andeuten, daß er in seiner Liebe zu Lesbia verharren wird; vgl. Koster [5] 1981, i27f.).

9

ι Veranius: Hielt sich zusammen mit Fabullus innerhalb der Kohorte (zu 10,10) des L. Calpurnius Piso (zu 28,1) in Spanien (V. 6 f. der Iberer Land) auf. 3 Penaten: Hausgötter.

220

ίο

ERLÄUTERUNGEN

ι Varus: unbekannter Freund Catulls. 7 Bithynien: Halbinsel in Nordwestkleinasien, die zur Provinz Pontus gehörte; zu Catulls Aufenthalt dort s. S. 270f. Das Gedicht setzt voraus, dal? alle, die mit Provinzverwaltung zu tun hatten, sich dabei finanziell bereicherten. 10 Kohorte: die Cortège junger Angehöriger der Oberschicht, mit der ein Provinzstatthalter sich gerne umgab. 11 wodurch irgendeiner sein Haupt besser gesalbt hätte heimtragen können: d.h. zu Wohlstand hätte kommen können. 13 Prätor: Memmius (zu 28,9). 16 Serapis: ägyptischer Gott. 30 Gaius Cinna: zu 95,1.

11

ι Furius und Aurelius: unbekannte Freunde Catulls, gegen die er in dem aus den Gedichten 15, 16, 21, 23, 24 und 26 bestehenden Zyklus Invektiven richtet. 5 Hyrkaner: Volk an der Südküste des Kaspischen Meers. 6 Saker: Volk im Hochland Pamir am Ostrand des Partherreichs.

12

ι Marruciner: Angehöriger eines Volksstamms im östlichen Mittelitalien. Von dort stammten der Dichter und Schriftsteller C. Asinius Pollio (76 v. Chr. - 5 η. Chr.), um den es in V. 6—9 geht, und sein hier apostrophierter Bruder. 7 Talent: die größte griechische Münzeinheit (= 6000 Drachmen). 10 Elfiilbler: Versmaß (s. S. 213) u.a. fiir Schmähgedichte (s. S. 262). 14 sätabisch: Aus Saetabis (heute: Jativa) kam sehr gutes Leinen. 15 f. Fabullus und Veranius: zu 9,1.

ERLÄUTERUNGEN

13

221

i Fabullus: zu 9,1. 12 Liebesgöttinnen und Liebesgötter: zu 3,1.

14

2 Calvus: C. Licinius Macer Calvus (82-47 v · Chr.), mit Canili befreundeter Dichter, an den auch die Gedichte 50 und 96 gerichtet sind (vgl. auch 53); von seinem Werk sind nur Fragmente erhalten. 3 mit vatinianischem Haß: Calvus klagte den Caesarianer P. Vatinius, der 59 v. Chr. Volkstribun und 55 V. Chr. Prätor war, dreimal an und zog sich so dessen Haß zu. 9 Sulla: offenbar ein literarisch interessierter Gelehrter. Ii Bemühungen: Vermutlich hatte Calvus seinen Klienten Sulla als Anwalt vertreten, worauf ihm dieser als »Honorar« die von Catull verachteten Gedichte schenkte. 15 Saturnalien: Fest am 17. Dezember, bei dem Herren und Sklaven die Rollen tauschten und man sich gegenseitig beschenkte. 17 Kapseln: scrinia, die zylinderförmigen Behälter für Papyrusrollen. 18 Caesier ... Suffenus: Namen von unbekannten Dichtern. 22 Füße: Gemeint sind wohl auch die Versfuße.

14b

Die drei Verse sind vermutlich eher Fragment eines Binnenprologs, der die nachfolgenden obszönen Gedichte ankündigte (Wiseman [4] 1969, 7), als der Schluß von Gedicht 14 (Claes [4] 2002, 9f.).

15

2 Aurelius: zu 11,1. 18 f. Diese Art von Penetration konnte als Strafe fur Ehebruch vollzogen werden.

222

16

ERLÄUTERUNGEN

2 Aurelius ... Furius: zu ιι,ι. 12 vielen tausend Küssen: Riickbezug auf die Gedichte 5 und 7.

17

6 Salier: Priester des Mars, die einen kultischen Tanz aufführten.

18-20 Unter diesen Nummern standen in älteren Ausgaben das Gedicht, das in den neueren als Fragment 1 abgedruckt ist (S. 196f.), sowie die nicht von Catull stammenden Gedichte 85 und 86 in der Ausgabe der Priapeen von Bücheler.

21

ι Aurelius: zu 11,1.

22

ι Suffenus: zu 14,18; Varus: zu 10,1. 5 Palimpsest: Papyrus oder Pergamentblatt, von dem die frühere Schrift abgeschabt wurde. 21 Rucksack: Anspielung auf die Äsop-Fabel 266 Perry: Zwei von uns Menschen getragene Rucksäcke, die mit Fehlern gefüllt sind, einer auf dem Bauch und einer auf dem Rücken (Catull denkt offenbar an einen, der teils vorne, teils hinten hängt) symbolisieren, daß wir zwar die Fehler anderer, aber nicht die eigenen sehen.

2}

ι Furius: zu 11,1.

24

ι Blüte der Juveniler: ein Knabe names Juventius, der auch in den Gedichten 48, 81 und 99 angesprochen wird und offensichtlich in 15,1 und 21,4 mit dem »Liebsten« gemeint ist.

ERLÄUTERUNGEN

223

4 Midas: mythischer König, der sehr reich ist, weil alles, was er berührt, sich in Gold verwandelt. 5 dem da, der: Furius (Anspielung auf 23,1). 25

ι Thallus: nicht weiter bekannt. 5 die Göttin: Luna. Der Vollmond zeigt dem bei Nacht auf Diebesbeute ausgehenden Thallus die (unachtsam) Schläfrigen. 7 sätabisch: zu 12,14; bithynisch: zu 10,7; Schreibtäfelchen: zu 42.4·

26

ι Furius: zu 11,1. 2 ausgesetzt... belastet: opposita bedeutet beides.

27

ι Falerner: kampanischer Wein. 3 Postumia: nicht weiter bekannte Frau, die hier beim Trinkgelage als Zechkönigin fungiert, indem sie das Mischverhältnis von Wasser und Wein sowie die Menge der zu trinkenden Becher bestimmt.

28

i Piso: vermutlich L. Calpurnius Piso Caesoninus, der Schwiegervater Caesars; Kohorte: zu 10,10. 3 Veranius ... Fabullus: zu 9,1. 6 Profitchen: zu 10,7. 9 Memmius: C. Memmius, in dessen Kohorte sich Catull in Bithynien aufhielt. 15 Romulus und Remus: die Zwillinge, die der Sage nach Rom gründeten und hier fur die römische Oberschicht stehen.

29

3 Mamurra: römischer Ritter aus Formiae (zu 41,4) und Günstling Caesars; Gallia Cornata: das transalpine Gallien (Cornata »behaart« wegen der Haartracht der männlichen

224

ERLÄUTERUNGEN

Bevölkerung), Caesars Provinz, in der er 58-51 v. Chr. Krieg führte und von der aus er 55 und 54 v. Chr. Feldzüge nach Britannien unternahm. 5 Romulus: zu 28,15; e r steht hier offensichtlich fur Caesar, der ihn zu seinen Vorfahren zählte. 8 Adonis: schöner junger Mann, den Venus liebt. 13 Schwanz: das hier verwendete lateinische Wort méntula verwendet Catull dann in den Gedichten 94,105,114 und 115 als Namen fur Mamurra. 18 pontische Beute: von Cn. Pompeius, der sich 60 v.Chr. mit Caesar und M. Licinius Crassus im ersten Triumvirat verbündete, im Krieg gegen Mithridates von Pontus (64-63 v. Chr.) erworben. 19 iberische: Anspielung auf Caesars Lusitanischen Krieg (61 v.Chr.). Der Tagus (heute: Tajo) galt als goldhaltig. 23 f. bravster Schwiegervater und Schwiegersohn: Caesar und Pompeius, der 59 v.Chr. Caesars Tochter Julia heiratete; piissimi (zur Wiedergabe mit »bravster« vgl. Albrecht [2] 1995,176) ist beißende Ironie. 30

ι Alfenus: unbekannter Freund Catulls.

ji

ι Sirmio: Halbinsel an der Südspitze des Gardasees (heute: Sirmione), auf der Catull vielleicht ein Landhaus hatte, mit dem Teile der Ruinen der sog. Villa di Catullo identisch sein könnten. 3 der doppelte Neptun: als Gott des Süß- und Salzwassers. 5 Thynien: der westliche Teil Bithyniens (zu 10,7). 13 lydische: etruskische; s. zu 39,10.

ERLÄUTERUNGEN

32

225

ι kleine Herrin: Dies bedeutet vermutlich das in R überlieferte, wohl richtige ipsicilla. Wer gemeint ist, bleibt offen; Lesbia ist nicht auszuschließen.

33 34

2 Vibennius: nicht weiter bekannt. Hymnus an Diana, den man sich von einem Knaben- und Mädchenchor gesungen denken soll. 16 mitfremdem Licht: von der Sonne.

35

2 Caecilius: nicht weiter bekannter Freund Catulls. Ist er wirklich ein Dichter? Da mit der Herrin vom Dindymus (V. 14) und der Großen Mutter (V. 18) das (vielleicht zu diesem Zeitpunkt nur in erster Fassung existierende) Gedicht 63 gemeint sein könnte, wäre denkbar, daß Caecilius dieses von Catull zur Durchsicht erhielt und es, um seinem Mädchen zu imponieren, ihr gegenüber als sein Werk ausgab. Dann hätten wir die Behauptung, diese sei gelehrter als die sapphische Muse (V. 16f.), und den Preis des Freundes am Schluß als Ironie zu verstehen (Biondi [4] 1998). 3 f. Verona: Catulls Geburts- und zeitweiliger Wohnort; Novum Comum: heute; Como in Oberitalien; ¡arischer Strand: der des Comer Sees (locus Larius). 6 seines und meines Freundes: d. h. Catulls, der sich scherzhaft als Freund des Caecilius und seiner selbst bezeichnet. 14 Herrin vom Dindymus: wie die Große Mutter (V. 18) Kybele (zu 63,2). Der Dindymus ist ein Gebirge im kleinasiatischen Phrygien. 16 sapphische Muse: die Dichterin Sappho (6. Jh. v. Chr.), die man in der Antike als »zehnte Muse« bezeichnete (z. B. Antologia Graeca 9,66; s. S. 258).

226

j6

ERLÄUTERUNGEN

i Volusius: nicht weiter bekannter Dichter von Annalen in Versen; cacata kann außer »vollgekackt« auch »herausgekackt« bedeuten. 6 f. des schlechtesten Dichters: Damit dürfte Catull, indem er das Mädchen (vermutlich Lesbia) »zitiert«, sich selbst meinen; er überträgt diese Qualifizierung aber nun auf Volusius. 7 dem humpelfiißigen Gott: Vulkan, dem Gott des Feuers. 12 Idalium ... : Hier beginnt eine Aufzählung von Orten in der griechischen Welt (Idalium, Amathus und Golgi auf Zypern; Knidos im kleinasiatischen Karien; Dyrrachium in Illyrien) und Italien (Urion in Apulien und Ancona an der Adria), an denen Aphrodite/Venus verehrt wurde.

37

2filzbemützteBrüder: die Dioskuren Kastor und Pollux, von deren Tempel die Taverne neun Pfeiler (die vor Läden und Wirtshäusern standen) entfernt ist. 18 Keltiberien: Spanien. 19 Egnatius: nicht weiter bekannt. 20 mit iberischem Urin: vgl. Gedicht 39.

38

ι Cornificus: Q. Cornificus, mit Catull befreundeter Dichter und Redner. 8 Simonides: griechischer Chorlyriker (556 - um 468 v. Chr.), der für seine Klagelieder bekannt war.

39

ι Egnatius: zu 37,19. 10 Sabiner ...: Aufzählung von Bewohnern verschiedener Landschaften Italiens (Sabiner: im Bergland nordöstlich von Rom; Tibur: heute: Tivoli; Umbrer: auf dem Apennin; Etrusker: in der heutigen Toscana; Lanuviner:

ERLÄUTERUNGEN

227

südöstlich von Rom; Transpadaner: zwischen Po und Alpen). 17 Keltiberer: zu 37,18. 40

ι Ravidus: nicht weiter bekannt. 2 ... in meine Jamben: Er ist also nun Opfer von Catuils Schmähdichtung; zur Gattung s. S. 262. 3 nicht richtig angerufen: mit der falschen Gebetsformel. 7 meine Liebste: Möglich wäre auch »meinen Liebsten«, also etwa Juventius (zu 24,1).

41

ι Ameana: nicht weiter bekannt; die Schreibweise ist unsicher. 4 Bankrotteur aus Formiae: Mamurra (zu 29,3); Formiae lag an der Küste Latiums.

42

ι Elfiilbler: zu 12,10. 5 Schreibtäfelchen: Mit Wachs überzogene Holztäfelchen, auf denen ein Autor die erste Fassung eines Gedichtes festhalten konnte.

43

Vgl. Gedicht 41.

44

ι sabinisches: zu 39,10. In Tibur (zu 39,10) standen offenbar Villen vornehmerer Römer als im Sabinerland. 10 Sestius: P. Sestius, Volkstribun 57 v.Chr., von Cicero in einer Rede verteidigt. Sein Gegner Anttus ist nicht weiter bekannt. 20 ihr Frost: durch die lateinische Entsprechung^r/gwi konnte Geschmacklosigkeit in literarischen Texten bezeichnet werden.

228

ERLÄUTERUNGEN



i Septimius, Acme: nicht weiter bekannt.

46

4 diephrygischen Felder: Bithynien (zu 10,7) mit der Provinzhauptstadt Nikaia; Asien steht für Kleinasien.

47

ι Porcius undSokration: nicht weiter bekannt. Mit Sokration könnte der von Piso (zu 28,1) geförderte Philosoph und Epigrammatiker Philodem von Gadara (um 110 bis um 40 v. Chr.) gemeint sein. 3 Veranchen und...

Fabullus: zu 9,1.

4 Priapus: Gartengott mit riesigem Phallus, mit dem er, wie dem Epigrammbuch der Priapeen (2. Jh. n.Chr.) zu entnehmen ist, Obstdiebe oral, vaginal oder anal »bestraft«. 48

ι Juventius: zu 24,1.

49

ι Romulus: zu 28,15. 2 Marcus Tullius: M . Tullius Cicero, der berühmte Redner (106-43 v · Chr.). 7 der beste Anwalt von allen: doppeldeutig, optimus omnium patronus kann außer »der allerbeste Anwalt« auch »der beste Anwalt aller«, also auch derjenigen, die es nicht verdienen, bedeuten.

50

ι Licinius: zu 14,2. 2 Schreibtäfelchen: zu 42,5. 16 dieses Gedicht: das vorliegende oder (wohl eher) Nr. 51, das nächstfolgende (s. S. 264-266). 20 Nemesis: die Rachegöttin.

ERLÄUTERUNGEN

51

229

Bei dem Gedicht handelt es sich um die Bearbeitung eines Sappho-Gedichtes, das größtenteils erhalten ist (Frg. 31 Voigt; Text und Übersetzung S. I98f.).

52,

2 kurulischer Sessel: Amtssessel der Konsuln, Prätoren und kurulischen Ädilen; Nonius: seine Identität ist nicht eindeutig bestimmbar. 3 Vatinius: zu 14,3.

53

2 Vatinius: zu 14,3 3 Calvus: zu 14,2. 5 Schwanz: Das sonst unbekannte Wort salaputium von salax (geil) und praeputium (Vorhaut) abzuleiten bietet sich an, doch es gibt auch andere Deutungen; etwas Obszönes ist aber sehr wahrscheinlich gemeint.

54

Claes' Interpretation des Textes ([4] 2002, 137), der ich mich anschließe, geht davon aus, daß (L. Roscius?) Otho, (Gn.?) Nerius und (L. Scribonius?) Libo von Catull unterstellt wird, sie seien Sexualpartner Caesars, aber ungeeignete, und daß der Dichter sich Caesar, den er als Lustgreis verunglimpft (und der sicherlich mit dem Imperator in V. 7 gemeint ist), als Partner anbietet. Dafür spricht, daß Catull auch in 93,1 Caesar »gefallen« möchte (siehe dort), freilich ironisch (wie wohl auch hier).



3 kleinerer Campus: ein nicht lokalisierbarer Sportplatz, der nicht so groß war wie das Marsfeld (Campus Martius). 4 Circus: der Circus Maximus nahe dem Forum. 5 Tempel des höchsten Jupiter: auf dem Kapitol. 6 Magnus: Cn. Pompeius Magnus (106-48 v. Chr.); in der Säulenhalle des von ihm 55 v. Chr. erbauten Theaters konn-

230

ERLÄUTERUNGEN

ten Männer, wie auch aus Properz 4,8,75 und Ovid, Liebeskunst 1,67 und 3,387F. hervorgeht, Kontakte mit Frauen knüpfen. 10 Camerius: nicht weiter bekannt. 13 Herkulesarbeit: Anspielung auf die zwölf Heldentaten des Heros. 22 wenn ich nur teilhabe an eurer Liebe: Diese Wiedergabe des Verses ist eine von mehreren Möglichkeiten. Da in den Gedichten 56 und 57 vielleicht jeweils von einer Ménage à trois die Rede ist, wünscht Catull sich hier möglicherweise eine solche mit Camerius und dessen amores (zu 40,7). 56

i Cato: entweder der mit Catull wahrscheinlich befreundete Dichter Valerius Cato oder M. Porcius Cato Uticensis, der als besonders sittenstreng galt. 6 beim Wichsen: Es ist auch möglich, daß von trusantem (wörtlich: »stoßend«) als Objekt pueltae sc. cunnum (»die Fotze des Mädchens«) abhängig ist; dann beschriebe Catull eine Ménage à trois.

57

2 Mamurra: zu 29,3. 4 formianisch: zu 41,4. 7 auf Bildung bedacht: Anspielung auf gemeinsames Verfassen von Poesie?

58

ι Caelius: nicht weiter bekannt. 4 zieht die Vorhaut zurück: Dies bedeutet glubit vermutlich hier. Da dreimal der Name Lesbia fällt, könnte auf griech. lesbidzein (fellieren) angespielt sein (vgl. auch Randall [4] 1979, 29f.).

ERLÄUTERUNGEN

231

ι Wächter der Kreter: Talos, der, von Flügeln getragen, die Insel täglich dreimal umfliegt. 3 = 2 Ladas: spartanischer Läufer; Perseus: Held mit Flügelschuhen. 2 = 3 inpegasëischem Flug: fliegend wie Pegasus, das geflügelte Musenpferd. 4 Gespann des Rhesus: die Pferde des Thrakerkönigs Rhesus liefen »schnell wie die Winde« (Homer, Ilias 10,437). 7 Camerius: zu 55,10. ι Bononierin: Bologneserin; Rufa... Rufiilus: nicht weiter bekannt; Rufa Rufulum fellat liest sich wie ein pompejanisches Graffito. ι dich: vermutlich Lesbia. 2 Skylla: Meerungeheuer, deren Unterleib aus bellenden Hunden besteht. 4 in äußerster Not: oder »in meiner jüngsten Notlage«. 1-45: Herbeirufung des Hochzeitsgottes Hymen (oder Hymenaios) zur Vermählung der Vinia Aurunculeia (zu V. 16) mit Manlius Torquatus. Bei dem Gedicht handelt es sich um ein Epithalamium (Hochzeitslied), ι Helikon: Berg der Musen in Böotien. 2 Urania: Muse der Astronomie und Mutter Hymens. 8 den Brautschleier: Man dachte sich Hymen wie die Braut gekleidet. 16 Vinia: eher so als lunia (V)\ R. Syme schlug Vibia vor, was als Name belegt ist. Manlius: vermutlich L. Manlius Torquatus, der Prätor des Jahres 49, den Catull hier offenbar als Widmungsadressaten seines zweiten Gedichtbuches anspricht. Der Dichter könnte Mallitts (Handschrift V) ge-

ERLÄUTERUNGEN

schrieben haben, da es an malum (Apfel) anklingt. Denn das (erotisch konnotierte) Wort erscheint auch in 2,12 am Anfang von »Buch 1« und 65,19 am Anfang von »Buch 3« (Claes [4] 2002,139); außerdem spielt beim Paris-Urteil (s. zu V. 18) ein Apfel eine wichtige Rolle (Hinweis von Isabella Wiegand). 17 Idalium: zu 36,12. 18 der phrygische Richter: Paris, der im Schönheitswettbewerb zwischen Juno, Minerva und Venus die Liebesgöttin wählt. 23 Hamadryaden: Baumnymphen. 27 thespisch: zu Thespiai, einer Stadt in Böotien; aonisch: böotisch; Aganippe: Musenquelle auf dem Helikon (auch Hippokrene genannt). 46-75: Preislied auf Hymen. 76-228 (235): Hochzeitslied. 120 fescenninischer Spott: derber, teils obszöner Personenspott, der nach der faliskischen Stadt Fescennium benannt ist. 121 Nüsse: wurden während der Hochzeitsfeier unter die Knaben und Mädchen auf der Straße geworfen; sie galten als Fruchtbarkeitssymbole. 123 Konkubine: Knabe, mit dem der Bräutigam bis zur Hochzeit eine erotische Beziehung hatte. 127 Talassius: Hochzeitsruf, den man in Catulls Zeit als Anrede an den (mit Hymen gleichgesetzten) Hochzeitsgott verstand. 131 Haarkräusler: Das Abschneiden der Locken und die Bartschur markieren den Zeitpunkt, von dem an der Knabe als Geliebter fur einen Mann zu alt ist. 160 goldenen Füße: Das Adjektiv bezieht sich nicht auf die Farbe der Schuhe, sondern die Schönheit der Füße — so wie

ERLÄUTERUNGEN

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im Griechischen Aphrodite als »die goldene« bezeichnet werden kann. 165 tyrisch: purpurn; die phönizische Stadt Tyrus war berühmt für den dort hergestellten Purpur. 180 vertraut: Im Original steht cognitae zu cognoscere »erkennen«, das im Lateinischen dasselbe bedeuten kann wie in »Und Adam erkannte sein Weib Eva« (Genesis 4,1). 187 Kamille: vermutlich mitparthenice (»Jungfernkraut«) gemeint. 189-198: Die Rückkehr zur Anordnung der beiden Strophen in den Kodizes (vgl. Song-Yang [3] 2006) empfiehlt sich auch deswegen, weil wir dann die Abfolge ABA bekommen: Manlius wird in 184-188, Vinia in »194-198« und wieder Manlius in »189-193« angesprochen. 222 Telemach: Sohn des Odysseus von Penelope. 62

Hochzeitslied je eines Chors von jungen Männern und Frauen, die im Wettbewerb abwechselnd je eine Strophe singen. Die Ausgangssituation ist das Aufgehen des Abendsterns gegen Ende des Hochzeitsmahls. 7 Otta: Berg in Thessalien; Nachtbringer: der Abendstern. 20 Hesperus: griechischer Name des Abendsterns. 53 Stiere: Sie tragen zum Weinbau bei, da sie mit dem Pflug den Boden um die Wurzeln der Weinstöcke aufwühlen.

63

2 den phrygischen Hain: Heiligtum der Muttergottheit Kybele in der kleinasiatischen Landschaft Phrygien. Die Anhänger der Göttin kastrierten sich. 6 Sobald sie ... : Nach der Selbstentmannung gehört Attis zum weiblichen Geschlecht. 8 Tympanon: eine Art Tamburin; es ist im Kybelekult das wichtigste Instrument.

2

34

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9 Kybebe: anderer Name der Kybele. 10 das hohle Stierfell: das mit einem Stierfell bespannte hohle Tympanon. 12 Gallae: Galli (hier mit femininer Endung) hießen die entmannten Kybelepriester. 13 Dindymus: zu 35,14. 21 Kymbala (Plural zu Kymbalon): Schlagbecken (Zimbeln). 23 Mänaden: Anhängerinnen des Dionysoskultes (auch Bacchantinnen genannt), hier als Verehrerinnen der Kybele. 30 Ida: Berg bei Troja. 36 ohne Ceres' Gaben: ohne gegessen zu haben; Ceres ist die Göttin des Ackerbaus. 43 Pasithea: eine der Chariten (Grazien), die der Schlafgott Hypnos von Hera zur Frau bekommt, weil er Zeus nach dessen Tête-à-tête mit Hera einschläfert, damit der Göttervater vorübergehend nicht über den Kampf um Troja wacht (Homer, Ilias 14,267®). 65 meine Schwelle warm: vom Körper eines Liebhabers, der darauf in Sehnsucht nach Attis die Nacht verbracht und ihn angefleht hatte, eingelassen zu werden. 64

ι Pelion: Gebirge in Thessalien. 3 Phasis: Fluß in dem am Schwarzen Meer gelegenen Land Kolchis, dessen König, der Vater Medeas, Aietes heißt. 4 argivisch: Adjektiv zu der griechischen Stadt Argos, das im Epos einfach »griechisch« bedeutet; hier spielt es an auf die Argo, das Schiff der Argonauten, das dem Mythos zufolge das erste Seefahrzeug war. 5 das Gol/iene Vlies: Fell des Widders, der die vor ihrer Stiefmutter Ino fliehenden Kinder Phrixos und Helle durch die Lüfte über den Hellespont (»Meer der Helle«; so benannt, weil Helle hineinstürzt) trägt. Phrixos opfert in Kolchis den

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Widder, u n d das Fell bringt dann Jason, der Anführer der Argonauten, nach Griechenland zurück. 8 die Göttin: Athene. Ii Amphitrite:

Göttin der Meerestiefe; hier das (personifi-

zierte) Meer. 15 Nereiden: 50 Töchter des Meergottes Nereus; eine von ihnen ist Thetis. 21 der Vater: Nereus, nicht Jupiter dürfte gemeint sein. 26 Jupiter: Er verzichtet auf eine Liaison mit Thetis, da ihm prophezeit wird, der Sohn der Nereide werde stärker sein als sein Vater. 29 Tethys: Gemahlin u n d Schwester des Meergottes Okeanos. 35 Kïéros ...: Örtlichkeiten in Thessalien (Tempe ist ein Tal), dessen Hauptstadt Pharsalos ist. 52 Dia: alter N a m e der Insel Naxos. 60 Minos: König von Kreta. 61 Bacchantin: zu 63,23. 63 Haube: Sie hielt das Haar junger Frauen zusammen u n d wurde von ihnen nachts getragen. 72 Erycina: Venus (nach ihrem Heiligtum auf dem Berg Eryx in Sizilien). 74 Piräus: Hafen von Athen. 75 gortynisch: kretisch (nach der Stadt Gortyn); der König ist also Minos. 77 Androgeos: Minos' Sohn, den die Athener töteten. 79 Kekropia: Athen (nach dem mythischen Gründer Kekrops); Minotaurus:

Sohn der Pasiphaë, der Gattin des Mi-

nos, von einem Stier, halb in dessen Gestalt, halb in der eines Menschen. In dem von Dädalus erbauten Labyrinth hausend, frißt er jährlich die von Athen geschickten Jünglinge u n d Jungfrauen.

ERLÄUTERUNGEN

89 Eurotas: Fluß in der Landschaft um Sparta. 95 heiliger Knabe: Amor. 96 Golgi: Kultort der Venus auf Zypern; Idalium: zu 36,12. 105 Taurus: Gebirge in Kleinasien. 113 Faden: Theseus, der ihn von Ariadne erhalten hat, rollt ihn beim Gang durch das Labyrinth ab, um mit seiner Hilfe den Rückweg zu finden. 150 Bruder: Minotaurus. 156 Syrte: Untiefe vor der Nordküste Afrikas; Skylla: zu 60,2; Charybdis: Meerungeheuer, das Schiffe einsaugt und wieder ausspuckt. 172 kekropisch: zu V. 79; Knossos: Burg des Minos. 178 Idagebirge: auf Kreta. 193 Eumeniden: »die Wohlwollenden«; euphemistischer Name für die Erinyen (Rachegöttinen). 200 mit ebendem Sinn: dem der Vergeßlichkeit (vgl. V. 58 und 135). 210 das Zeichen: siehe V. 233 fr. 211 erechtheïsch: athenisch (von Erechtheus, einem mythischen König Athens). 212 Göttin: Athene, Stadtgöttin Athens. 217 wiedergegeben: Theseus wächst bei seinem Großvater Pittheus in Troizen auf. 228 die Bewohnerin des heiligen Itonos: Athene. 251 Iakchos: Beiname des Dionysos/Bacchus, der hier mit seinem Gefolge erscheint, den jüngeren, bocksfußigen Satyrn, den älteren Silenen (aus Nysa in Indien, dem Geburtsort des Gottes) und den Mänaden (zu 63,23). 261 Tympana: zu 63,8. 262 gewölbtem Erz: den Kymbala (zu 63,21). 270 Zephyr: Westwind. 279 Chiron: Kentaur, der u.a. den jungen Achilles erzieht.

ERLÄUTERUNGEN

V>7

282 Favonus: Westwind. 285 Peneios: der größte Fluß in Thessalien; Tempe: zu V. 35. 290 Schwester des ... Phaëthon: die Pappel. Als Phaëthon mit Erlaubnis seines Vaters, des Sonnengottes, dessen Wagen fährt, dabei der Erde zu nahe kommt und diese in Flammen setzt, wird er vom Blitz des Zeus/Jupiter getötet und auf die Erde geschleudert; seine trauernden Schwestern werden in Pappeln verwandelt. 294 Prometheus: Titan, der den Menschen das Feuer bringt und den Zeus/Jupiter deswegen an einen Felsen des Kaukasus schmieden läßt. Von seinen Ketten befreit, warnt er Zeus/Jupiter vor der Ehe mit Thetis. 298 der Vater der Götter: Zeus/Jupiter mit seiner Gemahlin Hera/Juno. 300 die zusammen mit dir geborene ... : Artemis/Diana, die Zwillingsschwester des Phöbus Apollon; Idros: Kultort der Artemis/Diana im kleinasiatischen Karien. 306 Parzen: die drei Schicksalsgöttinen, die Schwestern Klotho, Lachesis und Atropos. 323 O der du ...: Peleus. 324 Emathia: Thessalien; Sohn der Ops (= Rhea): Zeus/Jupiter. 329 Hesperus: zu 62,20. 344phrygisch: zu 63,2; teukrisch: trojanisch. 346 der dritte Erbe des meineidigen Pelops: Agamemnon; sein Großvater Pelops (auf den in der Königsherrschaft zunächst sein Sohn Atreus und dann dessen Bruder Thyest folgte), wird hier als »meineidig« bezeichnet, weil er sein Versprechen, dem Myrtilos die Hälfte seines Reiches zu geben, wenn dieser ihm zum Sieg über Oinomaos verhelfe, nicht hielt, sondern Myrtilos ins Meer stürzte. 357 Skamander: der Fluß, an dem Troja liegt.

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ERLÄUTERUNGEN

366 Achaier: Griechen. 367 dardanisch: trojanisch; Gürtel Neptuns: die Mauern Trojas, die der Meergott erbaute. 368 Polyxena: Tochter des trojanischen Königs Priamos, die auf dem Grabmal des Achilleus geopfert wird. 377 den gestrigen Faden ... : offenbar ein Virginitätstest; darüber ist aus der Antike nichts Näheres bekannt. Vergleichbar ist vielleicht, daß das im Alpenland von Frauen getragene sog. Kropfband während einer Schwangerschaft zu eng werden kann, weil die Schilddrüse anschwillt (Hinweis von Isabella Wiegand). 390 Liber: Dionysos/Bacchus; Parnaß: Berg bei Delphi. 391 Thyiaden: Mänaden (zu 63,23). 394 Mavors: der Kriegsgott Mars. 395 die Herrin des reißenden Triton: Athene/Minerva, die an oder in dem böotischen Fluß Triton geboren sein soll; die rhamnusische Jungfrau: Nemesis (zu 50,20). 65

2 Hortalus: Q. Hortensius Hortalus, berühmter Redner, den Catull hier vermutlich als Widmungsadressaten des (nur aus Gedichten in elegischen Distichen bestehenden) dritten Buches anspricht; gelehrte Jungfrauen: die Musen (zu 1,9). 5 Bruder: Über seinen Tod trauert Catull auch in Gedicht 68 (19-26; 91-100) und 101. 7 rhöteisch: zu Rhoeteum, einem Vorgebirge bei Troja. 14 Daulias: Philomela, die zusammen mit ihrer Schwester Prokne deren von Tereus (dem Herrscher von Daulis, einer Stadt in Phokis) gezeugten Sohn Ityhs (Itys) schlachtet und dem Vater zum Mahl vorsetzt, weil dieser sie brutal vergewaltigt und verstümmelt hat. Philomela wird danach in eine Nachtigall, Prokne in eine Schwalbe und Tereus in einen Wiedehopf verwandelt.

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16 Verse des Battos-Sohnes: Gemeint ist offensichtlich Gedicht 66, Catulls teils wörtliche, teils freie und wohl durch einen Zusatz erweiterte Wiedergabe von dem (nur fragmentarisch überlieferten) Abschnitt über die Locke der Berenike am Ende von Buch 4 der Aitia des Kallimachos (um 320-240 v. Chr.), dessen Vater Battos hieß. Der griechische Text ist mit einer Übersetzung S.200 - 203 abgedruckt; auch fur ihn sind die zu Gedicht 66 gegebenen Erläuterungen heranzuziehen. 5 Trivia: Artemis/Diana (vgl. 34,15) als Mondgöttin Luna, die zu dem von ihr geliebten Jüngling Endymion zum Latmos, einem Gebirge in Kleinasien, herabsteigt und dadurch eine Mondfinsternis verursacht. 7 Konon: Hofastronom des ägyptischen Königs Ptolemaios III. Euergetes (246-221 v.Chr.). Die Haarlocke, die dessen Gemahlin Berenike zum Dank fiir die Rückkehr ihres Gatten aus einem Feldzug gegen die Syrer in einem Tempel geweiht hatte, wurde laut Aussage Konons von den Göttern als Sternbild an den Himmel versetzt; mich: die Locke, die in dem Gedicht spricht. 16freudigeErwartung: der Nachkommenschaft. 22 Bruder: Die Ptolemäer übernahmen von den Pharaonen die Sitte, die Schwester zu heiraten; allerdings war Berenike lediglich die Kusine ihres Gatten. 27 die kühne Tat: Mit fünfzehn Jahren ließ Berenike den mit ihr verlobten makedonischen Prinzen Demetrios, der ein Verhältnis mit ihrer Mutter hatte, in deren Schlafzimmer ermorden. 44 Theias strahlender Sohn: Der Sonnengott. 45 die Meder: die Perser, deren König Xerxes 480 ν. Chr. bei seinem Feldzug gegen die Griechen die Halbinsel Athos durchstechen ließ.

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ERLÄUTERUNGEN

48 Chalyber: Volk am Schwarzen Meer, das die Eisenbearbeitung erfunden haben soll. 52 des Äthiopiers Memnon Bruder: der Westwind Zephyr, wie Memnon Sohn der Eos/Aurora (Morgenröte). 54 Flügelroß der lokrischen Arsinoë: Zephyr. Warum er als Flügelroß (oder ales eques »geflügelter Reiter«, was zu einem Windgott besser passen würde) der Arsinoë, der Schwester Ptolemaios II. Philadelphos (285-246 v.Chr.), bezeichnet wird, läßt sich nicht zweifelsfrei klären. 57 Zephyritis: Venus bzw. Arsinoë, die als Göttin mit Aphrodite/Venus als der Herrin eines Tempels auf dem Vorgebirge Zephyrion bei Alexandria gleichgesetzt wurde. 58 grajisch: griechisch; kanopitisch: ägyptisch. 60 Krone von Ariadnes Schläfen: der Brautkranz der Ariadne, der von Dionysos/Bacchus an den Himmel versetzt wird. 63 feucht von den Wogen: Die Locke wurde von einem Tempel aus an den Himmel versetzt, und dieser lag am Meer, mit dessen Wasser sie offenbar rituell gereinigt wurde; vgl. auch den griechischen Text (S. 200), V. [63]: »die mit Meerwasser Gewaschene«. 66 Kallisto: als Sternbild der Große Bär. 67 Bootes: Sternbild. 70 Tethys: zu 64,29; hier als Personifikation des Meeres. 71 rhamnusische Jungfrau: Nemesis (zu 50,20). 77 f. mit dem ... : In dem textkritisch umstrittenen Distichon dürfte die Locke ihre Enttäuschung darüber äußern, daß sie, bis zur Hochzeit nur mit einfachen Salbölen getränkt, nicht mehr in den Genuß der kostbaren Parfüms kam, die eine Verheiratete verwendet. 94 "Wassermann und Orion sind weit voneinander entfernte Sternbilder.

ERLÄUTERUNGEN

67

241

3 Balbus: nicht weiter bekannt. 6 verheiratet: Weil nach dem Tod des Balbus sein Sohn eine Frau nahm, ist auch die Tür gewissermaßen verheiratet. 9 Caecilius: nicht weiter bekannt, aber wohl nicht mit dem in Gedicht 35 angesprochenen Freund Catulls identisch. 32 Brixia: Brescia; Kyknos: vielleicht ist ein König der keltischen Ligurer gemeint.

68

I i Allius:

nicht weiter bekannt.

15 das weiße Gewand: die Männertoga, die der Römer mit 15/16 Jahren anlegte. 17 die Göttin: Venus; denn mit dem »Herumspielen« meint er sowohl erotische Erfahrungen als auch das Verfassen erotischer Poesie. 19 Bruder: zu 65,5. 28 Verona: zu 35,3f; hier: in Rom; jeder von der besseren Sorte: von besserem Stand (Metapher aus dem Weinkeller). 41 Göttinnen: Musen. 51 die Göttin von Amathus: Venus (nach ihrem Heiligtum in Amathus auf Zypern). 53 der trinakrische Fels: der Ätna in Trinakria (Sizilien). 54 das malische Wasser bei den Thermopylen am Oita: eine Schwefelquelle. 65 Pollux: zu 4,27. 74 Laodamia: Ihr Mann Protesilaos wurde als erster Grieche im Trojanischen Krieg gleich nach der Landung des Heers in Kleinasien getötet. 77 rhamnusische Jungfrau: Nemesis (zu 50,20). 86 Ilion: Troja. 87 Argiver: Griechen (zu 64,4).

ERLÄUTERUNGEN

109 Pheneos: Stadt am arkadischen Kyllene-Gebirge, in deren Nähe sich ein dem Mythos zufolge von Herkules gegrabener Abgrund befand. 112 Amphitryon: Mann der Alkmene, mit der Zeus/Jupiter Herkules zeugte. 113 die stymphalischen Ungeheuer: menschenfressende Vögel im Sumpf von Stymphalion in Arkadien, die zu töten eine der von Eurystheus, dem weit weniger edlen Herrn, nach Weisung der Hera/Juno dem Herkules aufgetragenen zwölf Arbeiten war. 115 damit von noch mehr Göttern ... : Durch die Erfüllung der zwölf Aufgaben verdiente Herkules sich die Aufnahme unter die Unsterblichen, die ihn mit Hebe, der Göttin der Jugend, vermählten. 117 deine... Liebe: Der Dichter spricht wieder Laodamia direkt an. 118 Unbezwungene: noch Jungfrau. 142 nimm auf dich ... : Vor diesem Vers setzen die meisten Interpreten eine Textlücke an. Aber da Catull seine Liebe zu Lesbia in 72,4 mit der eines Vaters zu seinen Söhnen und Schwiegersöhnen vergleicht (vgl. schon in diesem Gedicht V. 119 fr.), könnte er sich hier in Parenthese sehr pathetisch selbst dazu ermahnen, auch die Probleme, die Zuneigung mit sich bringen kann, auf sich zu nehmen. 146 Durch vir muß nicht der Ehemann bezeichnet sein, d.h., hier kann Catull einen Liebhaber Lesbias meinen, mit dem sie zusammenlebt und der für sie sorgt; s. auch S. 253. 148 mit einem weißeren Stein: als Glückstag im Kalender. 153 Themis: die Göttin des Rechtes und der Gerechtigkeit. 157 er, der: Jupiter, den der Dichter mit einer Art religiöser Formel (ähnlich Horaz Briefe 1,18,111: »es genügt, Jupiter um

ERLÄUTERUNGEN

2

43

das zu bitten, was er geben und nehmen kann«) in seine guten Wünsche einbezieht. 69

2 Rufits: nicht weiter bekannt. 6 grimmiger Bock: starker Achselgeruch.

70

2 Jupiter: als der notorische Schürzenjäger des Mythos.

71

Motivisch eine Fortsetzung zu Gedicht 69.

72

2 Jupiter: Bezug auf 70,2.

73

6 Freund: im lateinischen Text das einzige Substantiv des Gedichts.

74

ι Gellius: nicht weiter bekannt. Das Gedicht bildet zusammen mit den Gedichten 80, 88-91 und 116 einen Zyklus. 4 Harpokrates: stummer ägyptischer Gott.

75

Fortsetzung zu Gedicht 72.

76

Vorläufiger Abschluß des mit Gedicht 70 begonnenen Lesbia-Zyklus.

77

ι Rufits: nicht weiter bekannt (vgl. zu 69,2).

78

Gallus: nicht weiter bekannt.

78b

Es ist nicht auszuschließen, daß die Verse, die erstmals Scaliger von 78,1-6 abtrennte, noch zu Gedicht 78 gehören. Denn auch in c. 87 wechselt Catull von der dritten zur zweiten Person Singular über (Giangrande [5] 1976).

244

79

ERLÄUTERUNGEN

i Lesbius: eher der Liebhaber als der Bruder (Stroh [5] 1990, 136 A. 13 = 2000, 81 A. 13) Lesbias, den offenbar mit ihr die Bereitschaft zum lesbidzein (zu 58,4) verbindet; deshalb lassen sich seine Bekannten nicht von ihm küssen.

80

ι Gellius·. zu 74,1. 7 Victor: nicht weiter bekannt. Vielleicht ist victor (»Sieger«) zu lesen; dann wäre einfach der aktive Partner in einer mann-männlichen Beziehung (in diesem Falle in der Rolle des irrwnator, vgl. 10,12) gemeint (Claes [4] 2002, 96).

81

ι Juventius: zu 24,1. 3 Pisaurum: Städtchen in Umbrien (heute: Pesaro, südlich von Rimini). 4 vergoldetes Standbild: vielleicht Anspielung auf den Namen Aurelius (zu 11,1), der »Goldmann« bedeutet.

82

ι Quintius: nicht weiter bekannt.

83

ι ihres Mannes: zu 68,146.

84

ι Arrius: vielleicht identisch mit dem in Cicero, Brutus 242 genannten Redner. 5 freier: Warum das hervorgehoben ist, können wir heute nicht mehr feststellen. Aber zu einer Konjektur wie semper (»immer« - so Nisbet) besteht kein Anlaß, auch wenn sie vielleicht durch Priap. 7,2 gestützt werden könnte (Gärtner [3] 2007, 36).

85

Der zu den berühmtesten Texten der Antike zählende Zweizeiler enthält acht Verben, aber kein Substantiv.

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245

i Quintia: nicht weiter bekannt. 4 Liebe zu dir: Von der Nennung Lesbias in der dritten Person geht Catull zur Anrede über (zu 78b). ι Gellius: zu 74,1. 5 Tethys: zu 64,29 und 66,70. 8 Gemeint ist Auto-Fellatio. ι dünn: Als Erklärung ergibt sich nach und nach, daß Gellius durch körperliche Uberanstrengung beim häufigen Inzest abgemagert ist. ι Magier: persischer Zauberpriester, der angeblich durch Eingeweideschau in die Zukunft blickt. 5 Sohn: hier der Sproß von Mutter und Sohn; die Wortwiederholung hebt das auf amüsante Weise hervor. Vorläufiger Abschluß des Gellius-Zyklus, der aber dann überraschend durch Gedicht 116, den Epilog, abgerundet wird. i Lesbia spricht immer schlecht von mir ... : Gegenstück zu 70,1 (Mit keinem ...als mit mir), wodurch angezeigt wird, daß der dort begonnene Lesbia-Zyklus, der aus den Gedichten 70, 72, 75, 76, 79, 82, 83, 85, 86, 87, 91 und 92 besteht, hier vorläufig abgeschlossen ist. Eine Art »Nachspiel« bieten die Gedichte 104,107 und 109. ι »Nichts zuviel!«: Caesar, der »zitiert wird«, zitiert seinerseits das griechische μηδέν άγαν (»Nichts zuviel!« = »Geh nicht zu weit!«) und nimmt damit auf Catulls Invektiven in den

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Gedichten 29, 54 und 57 Bezug (vgl. auch Sueton, Caesar 73)· 2 ein weißer oder ein schwarzer Mensch: kann im Sinne von »passiv oder aktiv in einer mann-männlichen Beziehung« verstanden werden. 94

ι Schwanz: Mamurra (zu 29,3), der schon in 29,13 so genannt wird. 2 »Der Topf selbst sucht das Gemüse«: bis heute nicht eindeutig geklärt. Mit dem Topf könnte die Vagina oder der Anus gemeint sein; dann wäre an eine phallusförmige Gemüsesorte oder, speziell im Falle des Anus, an einen Rettich zu denken (zu 15,18 f.).

95

ι Die (heute verlorene) Zmyrna des C. Helvius Cinna (gest. 44 v. Chr.) war ein Epyllion (Kurzepos) über Myrrha, die, nachdem sie ihren Vater Kinyras zum Inzest verleitet hat, in einen Baum verwandelt wird und Adonis gebiert. 3 Hatria: Ort bei Padua, aus dem Volusius (V. 7) stammen könnte. 5 Satrachos: Fluß auf Zypern. 7 Volusius: zu 36,1. 10 Antimachos von Kolophon (um 400 v. Chr.) verfaßte einen Kranz erotischer Mythen in elegischen Distichen.

96

2 Calvus: zu 14,2. Der Dichter verfaßte ein (heute verlorenes) elegisches Werk, das seine Klage über den Tod einer von ihm geliebten Frau namens Quintilia enthielt.

ERLÄUTERUNGEN

97

M7

2 Aemilius: nicht weiter bekannt. 10 Eine Mühle anstelle eines Esels drehen zu müssen, war eine gefurchtere Strafe für Sklaven.

98

ι Victius: nicht weiter bekannt.

99

ι Juventitis: zu 24,1. 14 Nieswurz: in der Antike Heilmittel gegen Wahnsinn.

100

ι Caelius: nicht weiter bekannt (vielleicht identisch mit C. in 58,1); dasselbe gilt für Aufillenus, Quintius (vielleicht identisch mit Q. in 82,1) und Aufillena.

101

ι Durch vieler Völker Gebiete und über viele Meere: Anspielung auf Homer, Odyssee 1,3 f. (»vieler Menschen Städte sah er ... viele Schmerzen erlitt er auf dem Meer«), Da Catull sich zum Grab seines Bruders (zu 65,5) in die Gegend um Troja begeben muß, verläuft seine Fahrt derjenigen des Odysseus entgegengesetzt.

102

3 die Satzungjener: der Verschwiegenen. 4 Cornelius: vielleicht identisch mit Cornelius Nepos (zu 1,3); Harpokrates: zu 74,4.

103

ι Silo: nicht weiter bekannt.

104

4 Tappo: nicht weiter bekannt; vielleicht hieß so eine Charaktertype in einer der Formen komischer Sketche, wie man sie damals aufführte, z.B. im Mimus.

248 105

ERLÄUTERUNGEN

ι Schwanz: zu 94,1; hier wird offenbar (wie in 57,7?) darauf angespielt, daß Mamurra Poesie verfaßte; Musenberg:

zu

61,1. 106

ι Auktionator: Wird ironisch fingiert, der Knabe wolle von ihm versteigert werden?

107

6 mit weißerer Markierung: zu 68,148.

108

ι Cominius: nicht weiter bekannt.

109

ι mein Leben: vermutlich Lesbia, die Catull hier zum letzten Mal in der Sammlung anreden würde.

110

ι Aufillena: zu 100,1.

m

ι Aufillena: zu 100,1.

m

ι Naso: nicht weiter bekannt.

113

ι Pompeius: Der bekannte Imperator Cn. Pompeius Magnus war 70 und 55 v. Chr. einer der beiden Konsuln; Cinna: zu 95.1· 2 Maecilia: tull Moecilia,

nicht weiter bekannt; vielleicht schrieb Caum auf moecha (Ehebrecherin) anzuspielen

(Claes [4] 2002, 146). 114

ι Firmum: Stadt an der Adria in Mittelitalien (heute: Fermo); Schwanz: zu 94,1.

iij

3 Krösus: sprichwörtlich reicher König von Lydien. 6 Hyperboreer: sagenhaftes Volk im hohen Norden.

ERLÄUTERUNGEN

116

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2 Battos-Sohn: zu 65,16; was für Kallimachos-Verse hier gemeint sein könnten, ist nicht erkennbar. 6 Gelliw: zu 74,1.

Fi

2 Lampsakos: Stadt in Mysien im nordöstlichen Teil des Hellespont, von der der Kult des Gottes Priapus (zu 47,4) seinen Ausgang nahm.

EINFÜHRUNG

Die Gedichtsammlung des C. Valerius Catullus (gest. nach 55 v.Chr.) wurde vor allem deswegen bekannt, weil der Dichter darin ausfuhrlich von seiner Liebe zu einer Frau namens Lesbia spricht. Aber ist es wirklich die historische Person Catull, deren Stimme wir vernehmen? Im Falle seiner jüngeren Kollegen auf dem Gebiet der in Rom verfaßten erotischen Poesie, der Elegiendichter Tibull (gest. 19/18 v.Chr.), Properz (gest. nach 16 v.Chr.) und Ovid (43 v.Chr. - um 17 n.Chr.), geht man heute allgemein davon aus, daß dort die Autoren ihr fiktionales poetisches Ich von dessen Liebeserfahrungen erzählen lassen. Die drei Elegiker bilden also keine erlebte Wirklichkeit ab, sondern konstruieren aus bestimmten literarischen Motiven, die von der Gattungstradition vorgegeben sind, eine fiktive Realität. Dabei setzt sich der jeweilige Dichter die Maske des elegisch Verliebten auf und übernimmt so wie ein Schauspieler eine Rolle. Ein Konstrukt ist aber auch die Figur der vom poetischen Ego geliebten Frau. Sie tritt kaum als Person mit eigenem Charakterprofil, vielmehr als Typ in Erscheinung, weil sie dem Ich-Sprecher primär als Reflektor seiner Gedanken dient. Frauen wie Tibulls Delia, die Cynthia des Properz und Ovids Corinna sind, wie die englische Latinistin Alison Sharrock es treffend formuliert hat, Produkte von »womanufacture«, ihre Namen mithin nicht Pseudonyme fiir Frauen, die einmal wirklich gelebt haben. Doch gilt das auch schon für Catulls Lesbia? Ein wichtiges Element der konstruierten Personenkonstellation elegisch Liebender/elegisch Geliebte ist die Vertauschung der dem Mann und der Frau von der gesellschaftlichen Norm des zeitgenössischen Rom zugewiesenen Rollen: Der Dichter-Liebhaber, dem als Mann der dominierende Part zukäme, ordnet sich sklavisch der

EINFÜHRUNG

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Willkür seiner Geliebten unter und redet, ja ist, wie man es sonst von einer Frau erwartet, mollis (weich); die puella (Mädchen, Geliebte) dagegen gibt sich dura (hart) und als domina (Herrin), spielt also den Mann. Diesen Rollentausch kann man nun bereits bei Catull beobachten. Aber obwohl in seinen Gedichten die Person des dichtenden Liebhabers noch femininer und Lesbia noch viriler wirkt als die entsprechenden Figuren bei Tibull, Properz und Ovid, zögert auch die neuere Catull-Forschung, daraus Konsequenzen ftir die Interpretation zu ziehen. Gewiß, die Bereitschaft, zwischen dem realen Autor Catull und seinem poetischen Ego klar zu trennen, wächst stetig. Nur wenige Gelehrte machen immer noch den Versuch, aus dem "Werk Catulls, über den so gut wie keine historischen Zeugnisse existieren, seine Vita zu rekonstruieren, indem sie eine Chronologie der Gedichte erstellen. Freilich prägt die sich dabei abzeichnende romanhafte Biographie vom jungen Dichter aus der Provinz, der in der Hauptstadt in die Fänge einer ruchlosen Lebedame geriet, an der mangelnden Erwiderung seiner innigen Liebe zu ihr zerbrach und deshalb frühzeitig starb, noch mehrere Catull-Untersuchungen aus jüngerer Zeit. Aber mag auch der »Catull-Roman« aus den Interpretationen allmählich verschwinden, so halten doch selbst die Wissenschaftler, deren Analyse von Gedichten Catulls auf modernsten Literaturtheorien fußen, daran fest, Lesbia als Pseudonym fur eine Clodia zu lesen, die etwa gleichzeitig mit Catull lebte; sie sehen mithin in der puella seiner Gedichte eine reale Person, und das bringen sie auch in die Texterklärung ein. Deswegen vertreten viele von ihnen nach wie vor die Meinung, Gedicht 51 markiere den Beginn der Liebe Catulls zu Lesbia, und Gedicht 11, also ein in der Sammlung viel früher plazierter Text, kündige das definitive Ende der Beziehung an. Das aber steht in klarem Widerspruch zu einer längst in der Altphilologie gewonnenen Erkenntnis, die auch in der CatullForschung mehr und mehr beherzigt wird: Antike Gedichtbücher wollen linear gelesen sein, weil sich aus der Abfolge der einzelnen

EINFÜHRUNG

Gedichte wichtige Anhaltspunkte für ihre Deutung ergeben. Dafür werden im folgenden einige Beispiele angeführt. Zunächst jedoch ist zu zeigen, daß die Person der Lesbia ebenso ein literarisches Konstrukt ist wie die Figur der puella in der erotischen Elegie. Natürlich kann man nicht gänzlich ausschließen, daß es eine Frau gab, von deren Person Catull Anregungen fur die Darstellung seiner Figur der Lesbia empfing. Wenn der kaiserzeitliche Prosaautor Apuleius (um 125 - um 170 n. Chr.) in Kapitel 10 seiner Apologie behauptet, der Name Lesbia sei das Pseudonym fur eine Clodia gewesen, kann das durchaus authentisch sein. Aber zum einen läßt sich daraus, auch wenn es so ist, nichts fur die Interpretation der Lesbia-Gedichte gewinnen. Denn wenn wir zum Vergleich zeitgenössische Äußerungen über die Clodien heranziehen, die man als mögliche Vorbilder Lesbias genannt hat - das meiste wissen wir über eine mit dem Senator Q. Metellus Celer (gest. 59 v. Chr.) verheiratete Clodia, die auch die Mehrzahl der Catull-Forscher mit der puella des Dichters identifiziert - , konfrontieren wir ein poetisches Frauenporträt mit Aussagen, die ebenso wie dieses so stark von antiken Vorurteilen über die Rolle der Frau in der Gesellschaft beeinflußt sind, daß Dichtung nicht neben Wahrheit, sondern neben einer anderen Form von Fiktionalität steht. Das Charakterbild jener Ehefrau des Metellus, das Cicero in seiner 56 v.Chr. gehaltenen Rede Für M. Caelius präsentiert, darf auf jeden Fall im selben Maße als Produkt von »womanufacture« gelten wie Catulls Lesbia-Porträt. Zum anderen sieht sich biographisches Interpretieren bei der Untersuchung des Problems der »wahren« Identität Lesbias vor einige nicht unerhebliche Schwierigkeiten gestellt. Gewiß, laut Apuleius hieß Lesbia in Wirklichkeit Clodia. Aber bei Apuleius lesen wir z. B. auch, der wahre Name des von einem Hirten umworbenen Knaben Alexis in Vergils zweiter Ekloge sei Alexander und dieser Knabe der Geliebte des Dichters gewesen. Ja, zugegeben: Man mag, wenn man die zweimalige Erwähnung eines vir (»Mann«) der Lesbia (68,146;

EINFÜHRUNG

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83,1) auf einen Ehegatten dieser Frau bezieht, an den genannten Metellus denken. Ferner mag man, da dieser 59 v. Chr. starb und mindestens ein Lesbia-Gedicht mit Sicherheit erst nach 55 v. Chr. entstand (Gedicht 11), mit dem Rufus, den Catull in Gedicht 77 vielleicht als seinen Rivalen attackiert, M. Caelius Rufus gleichsetzen, der Ciceros Rede Für M. Caelius zufolge nach dem Tode des Metellus Clodias Galan war. Aber das Wort vir kann auch den Liebhaber einer Hetäre bezeichnen (und Clodia konnte auch jede Freigelassene eines Clodius heißen). Außerdem hat Wilfried Stroh wahrscheinlich gemacht, daß Cicero das Verhältnis Caelius/Clodia im Dienste seiner rhetorischen Strategie frei erfand ( Taxis und Taktik, Stuttgart 1975, 265 ff.). Alles in allem täte die Catull-Forschung also gut daran, jene Clodia des Apuleius aus der Diskussion über Lesbia ganz und gar auszuschließen. An dem Porträt Lesbias, das sich aus den einschlägigen Gedichten Catulls zusammenfugen läßt, erkennt man jedenfalls nichts von einer Frau wie Clodia Metelli, also einer Angehörigen des Senatorenstandes. Die Geliebte Catulls trägt vielmehr Züge einer Freigelassenen, die mit einem freien Römer in einer Art Konkubinat lebt und von ihm ausgehalten wird; somit gleicht sie in gewisser Weise auch einer griechischen Hetäre. Lesbia erinnert an den Typ einer solchen Frau, wie er in der antiken Literatur seit der hellenistischen Komödie des 4V3. Jahrhunderts v.Chr. fest etabliert ist. Das wird bereits in den ersten Gedichten der Sammlung Catulls deutlich. Dort erscheint Lesbia gleich nach dem Proömium (Nr. 1) in Nr. 2 und 3, aber ihr Name fällt erst in Nr. 5. Man kann die ersten fiinf Gedichte als einen Block betrachten, in dem die Person Lesbias und das Verhältnis ihres Liebhabers zu ihr exponiert werden. Wie Catull seine Lesbia dabei als hetärenhaft charakterisiert, ist nun darzulegen. Zu der Auffassung von Nr. 1-5 als den »Paradegedichten« Catulls, d.h. als einer Gedichtgruppe, die der Einführung in wichtige Themen der Sammlung dient, ermuntert folgende Beobach-

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EINFÜHRUNG

tung: Wie man längst bemerkt hat, spielt Catull in den Versen 1-3 von Gedicht 1 auf den Anfang eines Gedichtes an, von dem eine hellenistische Epigrammanthologie, der Kranz des Meleager von Gadara, eingeleitet wurde (jetzt Anth. Graec. 4,1). Meleagers Textkorpus — es ist als Ganzes verloren, aber aus der uns überlieferten Anthologia Graeca, in das es integriert wurde, rekonstruierbar bestand sehr wahrscheinlich aus vier Büchern, die nach den vier Haupttypen des griechischen Epigramms gegliedert waren. Je ein Buch enthielt Liebesgedichte (erotikd), Weihepigramme (anathematiká), Grabepigramme (epitymbia) und Gedichte, die etwas beschreiben (epideikríká). Catull wiederum, dessen Gedichte überwiegend in der Tradition der Gattung Epigramm stehen, stellt die genannten vier Epigramm typen in Nr. 2-5 durch je ein Beispiel vor: Nr. 2, das die Spiele der puella mit dem Sperling schildert, kann man als epideikríkón klassifizieren, Nr. 3 auf den Tod des Sperlings als epitymbion, Nr. 4 über die Jacht als anathematikón und Nr. 5, das erste Kußgedicht, als das erste richtige erotikón. Die Bezüge zu Meleagers Kranz, die Catull auf diese Weise sichtbar macht, legen dem Leser nun auch nahe, in der mit dem Sperling spielenden puella ebenso eine Frau mit hetärenhaften Zügen zu sehen wie in einem Mädchen mit Namen Phanion, von dessen Spiel mit einem Hasen ein Epigramm Meleagers erzählt {Anth. Graec. 7,107); wörtliche Anklänge der Verse Catulls an diejenigen Meleagers unterstreichen das noch. Der Name Lesbia, der dann erstmals in Catulls Gedicht 5 fällt, bestätigt den bereits gewonnenen Eindruck: So heißen traditionell Frauen mit hetärenhaften Zügen, wie man u.a. durch Horaz, Epode 12,17 belegen kann, und es wird weiter unten auszuführen sein, daß der Name Lesbia beim antiken Leser ganz bestimmte Vorstellungen vom Wesen einer damit bezeichneten Frau wachrufen konnte. Aber bevor wir unsere Betrachtung der Charakteristik von Catulls Lesbia als einer hetärenhaften Freigelassenen fortsetzen, sei kurz darauf verwiesen, daß die intertextuellen Bezüge der »Parade-

EINFÜHRUNG

gedichte« Catulls zum griechischen Epigramm auch zu einer ersten Charakteristik des »ich« sagenden Dichters-Liebhabers beitragen. Es hat offenbar einen besonderen Grund, daß die vier in die Gattung einfuhrenden Gedichte 2-5 durch die beiden Spatz-Gedichte eröffnet werden. Wir wissen, daß an der Spitze der Reihe von Verfassern antiker Gedichte über Tiere, die uns überliefert sind, eine Frau steht, die Dichterin Anyte (um 300 v.Chr.). Bedenkt man ferner, daß es im Altertum als unmännlich galt, Gefühle fur ein Tier zu zeigen, dann wird deutlich: Catull exponiert den Charakter seines Alter ego allein schon dadurch, daß er es in den beiden ersten Gedichten der Sammlung so liebevoll von einem Vögelchen reden läßt, als Mann mit auffallend weiblichen Zügen bzw. als vir mollis (»weichlicher Mann«). Doch zurück zu Catulls Lesbia-Porträt! Alle in seiner Sammlung auf Nr. 5 folgenden Gedichte, die entweder von der ptiella, in der man getrost Lesbia sehen darf, oder direkt von Lesbia handeln, steuern zum Gesamteindruck vom Wesen dieser Frau nur Züge bei, die sie als hetärenhaft präsentieren. Lesbia ist lasziv, treulos, ja mannstoll, und das entspricht ebenso dem in der Antike gängigen literarischen Bild von einer Hetäre wie die Tatsache, daß Lesbia schön ist. Man hat gesagt, der vir der puella in Gedicht 68 müsse ein richtiger Ehemann sein, und Lesbia deshalb als römische Matrone eingestuft, die einen richtigen Ehebruch begeht. Aber es wird in der Catull-Forschung meist allzu selbstverständlich vorausgesetzt, daß Nr. 68 ein Gedicht mit einer ausschließlich ernsthaften Aussage, ja sogar mit moralkritischem Anliegen sei, in dem der Seitensprung der »verheirateten« Lesbia zumindest implizit verurteilt werde. In Wirklichkeit bietet Nr. 68 ein amüsantes Spiel mit der Lesererwartung, was hier freilich nicht im einzelnen ausgeführt werden kann (mehr dazu bei Holzberg [4] '2003, 163ff.). Und wie bereits vorhin gesagt: Mit vir kann auch der Liebhaber einer Freigelassenen bezeichnet werden. Daraus darf man folgern: Auch in Gedicht 68 ist Lesbia nicht die

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EINFÜHRUNG

zwar unmoralische, aber doch faszinierende Ehebrecherin aus gutem Hause, von der die biographische Interpretation unter deutlichem Einfluß des Ciceronianischen Bildes der mit Metellus verheirateten Clodia ihren Ausgang nimmt. Nein, hier ist sie gleichfalls eine Frau mit hetärenhaften Zügen. Das Charakterporträt, das sich aus der Gesamtschau der Lesbia-Gedichte in Catulls Sammlung ergibt, wirkt als ganzes in sich so geschlossen, daß die Geliebte des Ich-Sprechers schon von daher als Produkt von »womanufacture« erscheint. Die Mehrzahl der Catull-Erklärer ist jedoch weit davon entfernt, bei der Interpretation der Gedichte auch nur die Möglichkeit ins Auge zu fassen, daß die Geliebte des in diesen Texten »ich« Sagenden eine hetärenhafte Freigelassene war. Dem steht auch folgendes im Wege: Man pflegt den Namen Lesbia als romantische Idealisierung der puella durch den Dichter zu begreifen, indem man ihn auf die von der Insel Lesbos stammende Dichterin Sappho bezieht. Dazu ermuntert vor allem die Tatsache, daß der Dichter-Liebhaber in Gedicht 51 in Anlehnung an ein Sappho-Gedicht (Frg. 31 Voigt) die Situation der in ein junges Mädchen verliebten Sappho nachempfindet und die Geliebte der Dichterin durch seine namentlich angeredete Geliebte ersetzt. Viele Catull-Forscher erblicken deswegen in Lesbia nicht nur eine Frau aus gutem Hause, sondern darüber hinaus Catulls Muse, die ihn inspiriert, und die puella docta (»gebildete Geliebte«), die seine Gedichte zu würdigen weiß. Lesbia gilt also vielen Gelehrten in diesem Punkt als Vorgängerin einer elegischen Geliebten von der Art der Cynthia des Properz, die ihren Dichter-Liebhaber zu seiner Poesie anregt (2,1,4) u n d musisch vielseitig begabt ist (2,3,19-22). Doch der Catull-Text liefert nicht den geringsten Hinweis auf die sapphische Muse und ptiella docta Lesbia. Statt dessen gibt es Indizien dafür, daß man Lesbia mit dem griechischen Namen Lesbia und den von ihm in der Antike erweckten Assoziationen von der Namens trägerin als einer von Grund auf lasziven Frau verbinden soll.

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Diejenigen, die Catulls Lesbia in Bezug zu Sappho bringen, sehen an sich etwas Richtiges, greifen dabei aber in der Regel zu kurz: Sie denken lediglich an die historische Sappho, die Dichterin unserer Literaturgeschichten, in denen diese Frau in Ermangelung zuverlässiger Nachrichten über ihr Leben zwangsläufig fest ganz auf ihre literaturgeschichtliche Funktion reduziert wird. Doch in der Antike gab es zur Person der Sappho eine reiche biographische Tradition, die, obwohl sie nahezu ausschließlich auf freier Erfindung beruhte, damals für glaubwürdig gehalten wurde. Denn sie entsprach den üblichen Vorurteilen gegenüber Frauen. Ausgehend davon, daß Sappho sich sowohl durch ihre musische Tätigkeit als auch durch Aktivität im sexuellen Bereich höchst unschicklich in eine Männerdomäne gewagt habe, porträtieren die auf uns gekommenen pseudobiographischen Texte, darunter Ovids Brief der Sappho (Herolden 15), die Dichterin aus Lesbos als Prototyp einer Frau, die gegen die ihr von antiken Normvorstellungen zugewiesene Rolle in der Gesellschaft: verstößt. Sie tut dies, wie schon in attischen Komödien des 5-/4. Jahrhunderts gezeigt wurde, vor allem dadurch, daß sie sich in mehrere Männer verliebt, und zwar sowohl in zeitgenössische Dichter als auch in den schönen Jüngling Phaon. Aber natürlich auch dadurch, daß sie junge Mädchen begehrt. Denn hier sah die Antike nicht etwa wie wir heute ein homoerotisches Verlangen, sondern das wird noch näher zu begründen sein - ebenfalls die unstatthafte Übernahme einer Rolle im sexuellen Bereich, die der antiken Geschlechterordnung zufolge allein dem Mann zustand. Sappho galt also in der Antike als in jeder Hinsicht normwidrig handelnde Frau und wurde deshalb auch gelegentlich als Hetäre bezeichnet. Ihre Verse dagegen erfreuten sich im Altertum stets höchster Wertschätzung, weshalb man in Sappho das weibliche Gegenstück zu Homer, ja sogar die zehnte Muse sah. Mit der Zeit gewöhnte man sich offenbar so sehr daran, die Dichterin von der »männlich« agierenden Frau zu trennen, daß einzelne Gelehrte sogar zwei Frauen mit Namen

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EINFÜHRUNG

Sappho unterschieden, eine Dichterin und eine Hetäre, die beide von der Insel Lesbos stammen sollten. Lesbia in der Bedeutung »lesbische Frau«, das ist ohnehin in der Antike (die den Begriff »lesbisch« in der heutigen Bedeutung noch nicht verwendete) spätestens seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. Chiffre fur ein sexuell aktives und somit höchst schamloses weibliches Wesen - schamlos allein schon dadurch, daß eine Lesbia angeblich besonders gern zum lesbidzein (fellieren) bereit ist. Wieweit die sich in jener Zeit formierende fiktionale Sappho-Biographie auf diesen Sprachgebrauch eingewirkt hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Aber wir haben allen Grund zu der Vermutung, daß der antike Leser, wenn er auf den Namen Lesbia stieß, nicht nur den durch diesen Namen determinierten Frauentyp, sondern auch die berühmte Dichterin aus Lesbos und die mit ihrer Person verbundene »biographische« Tradition assoziierte. Und daran dürfte Catull angeknüpft haben. Die Figur seiner Lesbia ruft nicht die Dichterin und »Muse« Sappho in Erinnerung, sondern die »andere« Sappho, sie ist wie diese der Prototyp der normwidrig liebenden Frau und erweist sich auch unter einem solchen Aspekt als poetisches Konstrukt. Die Person der Dichterin Sappho dagegen lieferte wahrscheinlich einige nicht unwichtige Anregungen für die Kreation der neben Lesbia wichtigsten Figur in Catulls Gedichten: des »ich« sagenden DichterLiebhabers. Auch darin zeigt sich also die Feminisierung des Catullischen Ego: Es ist in gewisser Hinsicht, wie noch näher dargelegt werden soll, ein sapphisches Ich. Wir können folglich bei Catull von »womanufacture« in doppelter Hinsicht sprechen. Der Dichter übertrug markante Wesenszüge der beiden Figuren, aus denen man in der Antike die Person der Sappho »zusammengesetzt« sah, jeweils auf einen seiner beiden »Protagonisten«: Züge der Dichterin auf den in vielfältiger Weise »weiblich« wirkenden Dichter-Liebhaber und Züge der Hetäre auf dessen sexuell aktive, also »männlich« agierende Geliebte Lesbia.

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Es dürfte schon jetzt erkennbar sein, welche spezielle Bedeutung dem Motiv der Umkehrung von geschlechtsspezifischem Rollenverhalten, einem in der gesamten erotischen Poesie der Römer behandelten Thema, von Catull verliehen wurde. Man versteht die Semantik des Motivs noch besser, wenn man es vor dem Hintergrund der zur Zeit des Dichters in Rom gültigen Geschlechtsordnung betrachtet. In unserem Zusammenhang ist es besonders wichtig sich klarzumachen, daß im römischen Diskurs über das Sexualleben Männlichkeit nicht als biologisch vorgegeben galt, sondern als etwas, das erst erworben sein wollte und durchaus wieder verloren werden konnte. Erst wenn ein freier Römer - nur ein solcher konnte auf den Erwerb von Männlichkeit hoffen - als Familienvater, Besitzender, Politiker, Soldat u.s.w. über die jeweiligen Machtmittel verfugte, wurde er als Mann angesehen. Nicht zur Kategorie »männlich« in diesem Sinne zählten: 1. Knaben, insbesondere dann, wenn sie das Objekt der Begierde eines Päderasten waren; 2. Römer, die bereits die erste Bartschur hinter sich hatten, aber nach wie vor, wenn sie ein Verhältnis zu einem Mann hatten, den passiven Part zu übernehmen bereit waren; 3. alle schwachen, kranken oder alten Männer; 4. Ehegatten, die allzu häufig Seitensprünge wagten, weil sie nach antiker Auffassung bewiesen, daß sie keine Macht über ihre Triebe und damit über sich selbst auszuüben vermochten. Sexuelle Beziehungen wurden also weit weniger mit dem Blick auf das jeweilige biologische Geschlecht der beiden Partner als unter der Bedingung organisiert, daß es ein »oben« und ein »unten« gab. Man differenzierte nicht primär zwischen männlich und weiblich, ja kannte nicht einmal die Begriffe hetero- und homosexuell, sondern unterschied zwischen mächtig und machtlos bzw. aktiv und passiv. Beim Liebesakt hatte die vaginale, anale und orale Penetration den absoluten Vorrang vor allen anderen Sexualpraktiken, und so stand ganz einfach die Gruppe der Penetrierenden derjenigen der Penetrierten gegenüber. Zur ersten gehörten nur diejenigen, die mächtig, be-

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herrscht und aktiv und dadurch Männer waren, zur zweiten Frauen und Mädchen aller sozialen Schichten, Knaben, viri molles (»weichliche Männer«) jeder Art und Sklaven beiderlei Geschlechts. Diese klare Rollenverteilung hatte u.a. zur Folge, daß nicht die Päderastie per se Anstoß erregte, sondern allenfalls dann ungern geduldet wurde, wenn der in ein mann-männliches Sexualverhältnis involvierte Minderjährige Sohn eines Senators oder Ritters war. Denn grundsätzlich entsprach das Machtverhältnis zwischen liebendem Mann und geliebtem Knaben der Norm. Eine sexuelle Beziehung zwischen zwei Frauen empfand man dagegen als pervers. Der als Machtdiskurs begriffene Sexualdiskurs verlangte, wie gesagt, einen aktiven und einen passiven Partner, und da allen Frauen von der Gesellschaft die passive sexuelle Rolle zugeteilt war, verstießen Frauen, die eine andere Frau begehrten, ebenso gegen die Norm wie Frauen, die aktiv um die Gunst eines Mannes warben oder innerhalb einer Beziehung dem männlichen Partner ihren Willen aufeuzwingen versuchten. Umgekehrt wurde es als normwidrig empfunden, wenn ein Mann, der aufgrund seiner gesellschaftlichen Position als solcher eingestuft werden durfte, sich von einer Frau das Handeln diktieren oder von einem anderen Mann anal oder oral penetrieren ließ. Beides trifft nun aber auf den »ich« sagenden DichterLiebhaber in Catulls Gedichten zu. Zum einen leidet er darunter, daß seine puella sich nicht immer seinen Wünschen gemäß verhält und ihn betrügt, aber wie reagiert er darauf? Höchst »unmännlich«, nämlich nur mit Klagen, Beschimpfungen in z.T. unflätigen Invektiven und kurz vor dem Ende der Sammlung in Gedicht 109 mit der Artikulation seiner Hoffnung auf eine bessere Zukunft mit seiner Geliebten, wodurch die Reihe der an sie gerichteten Gedichte in ein open end einmündet. Zum anderen läßt er sich als Angehöriger der Cortège des Prätors Memmius, die diesen in die Provinz Bithynien begleitet, dazu zwingen, den Mann zu fellieren (10,nf.; 28,9f.; vgl. 47,4). Wenn er selbst wiederum zwei Freunden, die geäußert haben,

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sie fänden seine Gedichte wie auch ihn selbst unmännlich, die anale und orale Penetration ankündigt (Gedicht 16) - sie wäre fur die beiden mehr als erniedrigend, würde aber seine »Männlichkeit« erweisen - , ist das doch wohl nichts weiter als eine leere Drohung, und er bestätigt dadurch nur, daß die »Interpretation« der beiden »CatullLeser« ihre Berechtigung hatte. Daß Catull die Rolle des »ich« sagenden Dichter-Liebhabers als vir mollis spielt und dabei oft sogar wie eine Frau spricht, ist bei aufmerksamer Lektüre seiner Gedichte leicht zu bemerken; das gilt insbesondere fur solche, in denen der »ich« Sagende seine Erfahrungen zu denjenigen mythischer Frauen in Beziehung setzt (vgl. bes. 2,11-13 und 65,13 f. 19 ff.) oder einer solchen Frau seine Stimme leiht (64,132ff.). Was dagegen nicht ohne weiteres ins Auge fällt, ist die Variante des Feminisierens der eigenen Persona durch Catull, die ich soeben als besondere Form von »womanufacture« bezeichnet habe: die Ausstattung der Figur des Dichter-Liebhabers mit Wesenszügen Sapphos in ihrer Rolle als Dichterin. Es ist zu vermuten, daß Catulls zeitgenössische Leser anhand mehrerer intertextueller Bezüge von Catull-Versen auf Sappho-Verse den Einfluß der griechischen Dichterin auf die Poesie des Autors wahrnahmen. Doch für uns ist das nur noch rudimentär erkennbar, da von Sapphos Œuvre lediglich Fragmente überliefert sind. Aber es darf als wahrscheinlich gelten, daß Catull seine Anspielungen auf Formulierungen Sapphos u. a. dazu verwendete, seine Gedichtsammlung in gewisser Weise »sapphisch« zu gliedern. Denn einigen von diesen Anspielungen sind, wie sich im folgenden zeigen wird, innerhalb der Architektur des Catullischen Textkorpus markante Positionen zugeteilt. Die Thematik verlangt zunächst das kurze Eingehen auf eine Frage, die von der Forschung immer wieder gestellt wurde: ob die Gedichtsammlung in der uns vorliegenden Form vom Dichter selbst strukturiert wurde oder nicht. Diejenigen, die eine positive Antwort geben, haben in jüngerer Zeit die besseren Argumente vorgetragen.

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Daß das gesamte Korpus von Catull in einer einzigen Papyrusrolle publiziert wurde, wie einige Forscher annehmen, ist nicht undenkbar. Aber es spricht mehr dafür, daß folgende Gedichtgruppen ursprünglich je ein Buch bildeten: i. die allgemein Polymetra genannten kurzen Gedichte in verschiedenen Metren (Nr. 1—60); 2. die ersten vier längeren Gedichte (Nr. 61-64); 3. die in elegischen Distichen verfaßten Gedichte (Nr. 65-116). Wir wollen uns nun einen Überblick über diese drei Bücher verschaffen, die Catull vermutlich zusammen als ein Triptychon edierte; dabei soll, wie gerade angekündigt, das »sapphische« Element der Werkstruktur berücksichtigt werden. Es beruht wohl nicht auf Zufall, daß das eines der beiden einzigen im sapphischen Metrum verfaßten Gedichte Catulls, Nr. 11, dem anderen Gedicht, Nr. 51, innerhalb des Aufbaus von »Buch 1« spiegelsymmetrisch zugeordnet ist: Dem elften Gedicht steht das elftletzte Gedicht gegenüber. Es gibt auch eine Art Achse dazwischen: Nr. 34, das einzige weitere lyrische Gedicht in »Buch 1«, das als Hymnus auf Diana u.a. insofern sapphisch wirkt, als die Dichterin von Lesbos ebenfalls Götterhymnen schrieb. Gedicht 34 steht zwar nicht exakt in der Mitte des Buches, zerlegt es aber in zwei thematisch einander korrespondierende Hälften. In Nr. 1-33 werden, durch ein poetologisches Gedicht eingeleitet, der Reihe nach die drei Hauptthemen »Lesbia« (Nr. 1-14), »Furius, Aurelius und Juventius« (Nr. i4b-26) und »Machtpolitiker« (Nr. 27-33)

un

d die mit ihnen verbundenen

Nebenthemen, z.B. »Freunde«, behandelt; mit den meisten Gedichten sowohl dieser als auch der zweiten »Buch«-Hälfte steht Catull thematisch in der Tradition der Gattung »Iambos«, einer Form von Schmähgedicht, die der griechische Dichter Archilochos Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. begründete. Nr. 35, wiederum ein poetologisches Gedicht, eröffnet ein erneutes Durchspielen der drei Hauptthemen und mit ihnen verwandter Nebenthemen. Dabei wird zwar nicht mehr deutlich nach drei Blöcken unterschieden, aber Nr. 36

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(mit 37), 48 und 52 setzen deutliche Signale ftir die Bewahrung der Abfolge »Lesbia«, »Juventius«, »Machtpolitiker«. Die drei Hauptthemen werden in Nr. 11 und 51, zwei herausragenden Eckpfeilern der Architektur von »Buch 1«, durch Bezüge auf Sapphos Dichtung und die traditionelle Porträtierung ihrer Person als Lesbia gewissermaßen sapphisch eingefärbt. Zunächst zu Nr. 11. In der zweiten Hälfte des Textes erteilt der Dichter-Liebhaber dem Furius und dem Aurelius den Auftrag, seiner puella von ihm eine wüste Schmähung auszurichten. Hier erscheint die puella eindeutig als der Typ von Frau, an den man in der Antike im Zusammenhang mit dem Namen Lesbia und speziell mit der Sappho der pseudobiographischen Überlieferung dachte: Der Ich-Sprecher bezeichnet sie als mannstoll und dabei so unersättlich in ihrer sexuellen Gier, daß sie sogar ständig dreihundert Männer gleichzeitig begehrt. Ihr stellt sich der Dichter-Liebhaber als der einzige Mann gegenüber, der, wie wir ihn offenbar verstehen sollen, sie »richtig« liebe, auf dessen Zuneigung sie aber jetzt nicht mehr rechnen dürfe. Denn durch ihre Schuld sei seine Liebe, wie eine Blume am Wiesenrand vom vorüberziehenden Pflug geknickt wird, dahingesunken. Die letzten drei Verse spielen ganz offensichtlich auf zwei berühmte Verse Sapphos an, die, ins Deutsche übertragen, wie folgt lauten (Frg. 105b Voigt): So wie die Waldhyazinthe die weidenden Hirten im Bergland mit den Füßen zertreten, am Boden aber die Purpurblüte ... Vergleicht man diesen Text mit dem der zweiten Hälfte von Catulls Gedicht Ii, sieht man, wie dort implizit die beiden Personae der Sappho, die mannstolle Lesbierin und die Dichterin wunderschöner Verse, und durch sie die Personae Lesbias und Catulls miteinander kontrastiert werden. Das ist es offensichtlich, worauf es Catull ankommt, nicht darauf, ftir biographische Erklärer seines Werkes den Moment im »Catull-Roman« zu markieren, an dem »Catull«

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der Lesbia ernsthaft und endgültig den Abschied erklärt. Der zeitgenössische Leser, der die Texte des Korpus in der Reihenfolge las, in der sie auf seiner Papyrusrolle geschrieben standen, wurde, falls er überhaupt auf die Idee kam, Nr. Ii als Verkündigung des definitiven Abschieds zu interpretieren, schon bald eines besseren belehrt. In Nr. 13 ist wieder von der puella die Rede, und zwar in der Weise, daß man eher nicht an eine Trennung des Dichter-Liebhabers von ihr denkt. Dann folgen noch zahlreiche weitere Lesbia-Gedichte, deren letztes, Nr. 109, wie bereits erwähnt, ein open ¿•»¿/anzeigt. Nr. 11 ist aber nicht nur nicht das »Abschiedsgedicht«, sondern hat zudem die strukturelle Funktion, die beiden ersten der drei Hauptthemen von »Buch 1« der Gedichtsammlung Catulls miteinander zu verknüpfen: »Lesbia« mit »Furius, Aurelius und Juventius«. Denn die beiden Freunde, die dann in den Gedichten i4.b-26 mit dem Dichter-Liebhaber um die Gunst des Knaben Juventius rivalisieren werden, sollen ja, wie wir in Nr. 11 lesen, Lesbia die vorhin zitierte Schmähung ausrichten. Wie dieses Gedicht im sapphischen Metrum Thema 2 an Thema ι anbindet, schlägt das andere Gedicht im selben Versmaß, Nr. 51, eine Brücke von Thema 1 zu Thema 3, das vorhin unter das Stichwort »Machtpolitiker« gestellt wurde. Um das wahrzunehmen, muß man zunächst davon ausgehen, daß Nr. 50 und 51 zusammen ein motivisch verwandtes und durch den Begriff des otium (»Muße«) gerahmtes Gedichtpaar bilden. Nr. 50 - der Text beginnt mit den Worten »Am gestrigen Tage, Licinius, haben wir in Muße viel herumgespielt auf meinen Schreibtäfelchen« (V. if.) - enthält den Bericht des Dichter-Liebhabers darüber, wie er am Vortage mit seinem Freund nicht nur poetisch, sondern offenbar auch erotisch »herumgespielt« und danach eine durch den Trennungsschmerz und die damit verbundenen körperlichen Symptome verursachte schlaflose Nacht verbracht habe. Jetzt, so fährt er fort, sei von ihm fur Licinius »dieses Gedicht« (V. 16) verfaßt worden, und er beendet Nr. 50 mit

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einer impliziten Warnung an den Freund davor, seine Liebe künftig zu verschmähen. Das nachfolgende Gedicht fängt dann so an: »Jener scheint mir einem Gotte gleich zu sein, jener, wenn ich das sagen darf, die Götter zu übertreffen, der dir gegenüber sitzt und immer wieder dich ansieht und hört ...« (V. 1-4). Höchstwahrscheinlich erkannte der antike Leser, daß es sich hier um die Bearbeitung eines berühmten Sappho-Gedichtes handelt. Aber erst in Vers 7 bemerkte er, daß Catull das von der griechischen Dichterin-Liebhaberin angehimmelte Mädchen durch Lesbia ersetzt hatte - er redet sie hier plötzlich direkt an - und mit dem Anfangswort »Jener« einen Rivalen bezeichnete. Bis zu Vers 7 mußte der Leser eigendich denken, daß er das in Nr. 50 genannte Gedicht fur Licinius vor sich habe und daß mit »jenem«, der »göttergleich« scheine, oder dann eher noch mit »dir« und »dich« dieser von Catulls Persona so heiß geliebte Freund gemeint sei. Allein hier sieht man schon die enge Verknüpfung der beiden Gedichte. Sie erfolgt außerdem dadurch, daß der DichterLiebhaber in dem Text Nr. 51, der sich ab V. 7 als fur Lesbia bestimmt erweist, ebenso wie in demjenigen für Licinius die körperlichen Symptome seiner Verliebtheit beschreibt (vgl. 50,9—15 mit 51,9-12). Und schließlich dadurch, daß der Begriff des otium (»Muße«), der am Anfang von Nr. 50 gestanden hatte, die ganze letzte Strophe von Nr. 51 beherrscht; dort sagt der Ich-Sprecher, otiurn bringe ihm Schwierigkeiten, bewirke, daß er übermütig werde und zu viel begehre, und habe einst sogar Könige und reiche Städte vernichtet. Damit will er vermutlich zum Ausdruck bringen - ob ernsthaft oder ironisch, sei dahingestellt - , Müßiggang habe ihn zu hemmungsloser und damit unmännlicher erotischer Leidenschaft fiir den Freund und für Lesbia verleitet. Diese Art von otium setzt ihn in Kontrast zur Welt des negotium (»Geschäft«) und der Machtpolitiker, gleichzeitig aber auch zum römischen Sexualdiskurs mit seiner am Machtdiskurs orientierten Definition von Virilität.

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Wieder ist das Thema »Verhältnis der Geschlechter« im Hinblick auf Sapphos Dichtung und die pseudobiographische Tradition über ihre Person behandelt. Die beiden sapphischen Gedichte n und 51 sind also nicht auf der Grundlage einer fiktiven oder gar realen Chronologie aufeinander zu beziehen, sondern als exponierte Korrelate innerhalb der durch sapphische Themen beeinflußten Motivstruktur von »Buch 1«. Außerdem geht die mit Nr. 50 begonnene Gedichtreihe mit Nr. 52 noch weiter. Wir lesen in Vers 1 dieses Gedichtes: »Was ist, Catull? Was zögerst du zu sterben?« Das kann man zunächst so verstehen, daß der Ich-Sprecher in direkter Anknüpfung an die zuletzt in Nr. 51 gemachte Aussage, Müßiggang habe schon Könige und Städte vernichtet, mit übertriebenem Pathos etwa folgenden Gedanken artikulieren will: »Nun, wenn es denn so ist, warum zögere ich, den otium zu einer so starken sexuellen Erregung geführt hat, nun auch dafür zu sterben?« Doch dann erfahren wir, daß Catull sich über zwei Politiker entrüstet und seinem Ärger mit einer Redensart Luft macht, die im Deutschen lauten könnte: »Lieber tot sein als das!« Aus dem zu Catulls »Buch 1« und den beiden sapphischen Gedichten 11 und 51 Gesagten dürfte einerseits deutlich geworden sein, daß die Intertextualität mit Versen der Lesbierin einen nicht unbedeutenden Einfluß auf die Strukturierung des Buches ausübt, andererseits, daß man in der Tat gut daran tut, die Texte in der überlieferten Reihenfolge zu lesen. Beides muß nun nicht mehr in derselben Ausführlichkeit wie bisher fur »Buch« 2 und 3 gezeigt werden; ich fasse mich daher hier kürzer. Sein aus den langen Gedichten 61—64 bestehendes »Buch 2« wollte Catull vermutlich als Pendant zu Sapphos Buch der Epithalamia (»Hochzeitslieder«) gelesen wissen. Das Thema »Vermählung« liegt ja nicht nur den beiden »eigentlichen« Epithalamia, Nr. 61 und 62, zugrunde, sondern ist auch in Nr. 63 deutlich im Hintergrund erkennbar - Attis entmannt sich gerade zu dem Zeitpunkt, als er aus

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einem puer delicatus zum Ehegatten und damit zum Mann im römischen Sinne werden soll - und dann wieder ganz dominant in Nr. 64, dem Epyllion (Kurzepos) über die Hochzeit des Peleus mit Thetis. Das Gedicht mündet sogar in ein Epithalamium, welches in diesem Falle die Parzen singen. Man darf es fur denkbar halten, daß Catull eine von vielen Anregungen fur Nr. 64 von einem Gedicht Sapphos empfing, das in auffallend episierendem Stil von der Hochzeit Hektors mit Andromache berichtet, in ein Epithalamium ausläuft und wie Catulls Nr. 64 am Schluß eines Gedichtbuches stand (Frg. 44 Voigt). Speziell dieser umfangreiche Text - er ist mit 408 Versen bei weitem der längste im gesamten Korpus - dürfte indes weit stärker der hellenistischen als der archaischen Dichtungstradition verbunden sein. Denn beim Epyllion haben wir es mit einer Gattung zu tun, die sich in der von Kallimachos (um 320 nach 245 v. Chr.) ganz wesentlich beeinflußten Epoche der griechischen Poesie, der hellenistischen, besonderer Beliebtheit erfreute. Sie hat mit dem Genre »Epigramm«, an das Catull mit seinen Gedichten 1—60 und 69-116 anknüpfte, zweierlei gemeinsam: Zum einen handelt es sich in beiden Fällen um »kleine« Poesie. Dem Epigramm sieht man das schon äußerlich an, während es im Epyllion vor allem dadurch zum Ausdruck kommt, daß dieses den großen epischen Atem Homers durch Beschränkung auf einen eng umgrenzten Stoff und liebevolle Kleinmalerei ersetzt. Zum anderen vernimmt man im Epyllion wie im Epigramm ganz deutlich die Stimme der Dichter-Persona, die das von ihr betrachtete Geschehen in betontem Kontrast zur eher neutralen Erzählhaltung des Ich-Sprechers im älteren Epos mit starker Anteilnahme nachvollzieht und reflektiert. Das gilt auch fur Gedicht 63, in dem der narrateur empathisch und sehr bewegt schildert, wie der Protagonist seiner »Geschichte«, der junge Attis, sich zunächst in religiöser Ekstase kastriert, am nächsten Morgen seine Tat zu bereuen scheint, aber dann von der Göttin Kybele, der er das Opfer der Entmannung gebracht hat, sehr dra-

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stisch - sie hetzt einen Löwin auf ihn - an seine Pflicht ihr gegenüber erinnert wird. Das Heiraten und damit die Institution der Ehe, worum es ja vornehmlich in Catulls »Buch 2« geht, erscheinen in den Gedichten 61 und 62 noch in positivem Licht und sollen in Nr. 63 vielleicht durch das erschütternde Gegenbild der »Vermählung« des Attis mit Kybele zumindest als der bessere Weg zum Glück dargestellt werden. In Nr. 64 dagegen wird eher in Zweifel gezogen, ob der Bund fürs Leben wirklich immer so freudige Aussichten eröffnet, wie es in Nr. 61 als selbstverständlich betrachtet wird. Die Thematisierung der Lebensgemeinschaft von Mann und Frau fuhrt Catull in »Buch 3« in mehreren Gedichten fort. Dort werden zwei einander diametral entgegengesetzte Formen der Beziehung zwischen den beiden Geschlechtern kontrastiert: das Liebesverhältnis des Ich-Sprechers mit der hetärenhaften Frau Lesbia und die römische Ehe, die im ganzen Buch durch Wertbegriffe wie foedus, fides, officium etc. implizit präsent ist und zu der die Verpflichtung gegenüber Verwandten und Freunden durch weitere Wertbegriffe in engen Bezug gebracht wird. Gerade von dem Verhältnis einzelner Personen zu ihrer Familie ist in Catulls »Buch 3« auffallend häufig die Rede. Das erinnert nun zunächst daran, daß Sappho in ihren Gedichten, wie man sowohl aus den erhaltenen Versen als auch aus den Zeugnissen über ihr Leben schließen darf, immer wieder von ihren Angehörigen sprach. Mit Sicherheit ging es dabei mehrfach um ihre Brüder Charaxos und Larichos (5, 15 und 203 Voigt) und ihre Tochter Kleis (98,132 Voigt), wahrscheinlich auch um den frühen Tod ihres Vaters (Ovid, Heroides 15,61 f.). Da Catull immerhin in drei Gedichten von »Buch 3« den Tod eines Bruders ausfuhrlich thematisiert (65, 68 und 101), bietet es sich an, eine Parallele zu Sapphos Äußerungen über ihren Bruder Charaxos zu ziehen. Aus der Häufigkeit der Erwähnung dieses Mannes in der pseudobiographischen Uberlieferung darf man folgern, daß Charaxos ein wichtiges Thema fur Sappho

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war, und es fällt natürlich besonders ins Auge, daß er in den auf uns gekommenen Texten in einem ähnlichen Verhältnis zu einer Hetäre steht wie Catulls Persona zu Lesbia. Aus Mangel an einschlägigen Versen Sapphos — von ihrem Werk sind nur etwa sieben Prozent überliefert - läßt sich über die intertextuellen Bezüge Catulls zu Sappho in »Buch 3« kaum etwas sagen. Aber man mag die Vermutung wagen, daß in die Kontrastierung der Liebe des Ich-Sprechers zu Lesbia mit der Institution der Ehe wieder die implizite Kontrastierung der beiden Personae Sapphos hineinspielt. Bedenkt man freilich, wie heruntergekommen die Moral fast all der Menschen ist, von deren erotischen und familiären Beziehungen wir aus »Buch 3« erfahren, wird man den Motiven Sapphos aus dem Bereich »Partnerschaft und Familie« nicht mehr zugestehen, als daß sie Catull allererste literarische Anregungen gaben. Denn mit der Darstellung des Miteinanders von Mann und Frau kombiniert der Dichter in Nr. 65-116 mehrfach die Themen »Untreue gegenüber dem Partner«, »Inzest« und »Oralsex«, die Sappho sehr wahrscheinlich weniger interessierten, und in weiteren Texten werden persönliche Gegner des Ich-Sprechers wie Caesar und Mamurra noch heftiger attackiert als in den Polymetra von »Buch 1«. Man hat die Meinung vertreten, Catull verbinde mit der Präsentation seines teilweise geradezu ekelerregenden Panoptikums menschlicher Untugenden Kritik an den Sitten seiner Zeitgenossen, aber das geht nicht explizit aus den Texten hervor, d.h., einen erhobenen Zeigefinger kann man in diesen Texten nicht so recht erkennen. Nun hat ja Martial, der Catull in der Vorrede zu seiner Epigrammsammlung als ersten seiner Vorgänger namentlich nennt - dadurch will er wohl zu verstehen geben, daß er sich diesem Dichter thematisch besonders verpflichtet fühlt - , ein vergleichbares Sammelsurium an Lastern und Perversitäten zu bieten. Da dies bei ihm mit mehr epigrammatischem Witz kombiniert ist als bei Catull, wird man als die Wirkungsintention des jüngeren Autors Unterhaltung und Belustigung

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des Lesers, aber nicht moralische Belehrung betrachten. Ist es erlaubt, von hier auf Catull zurückzuschließen? Eines jedenfalls haben er und Martial gemeinsam: Beide statten ihr »ich« sagendes Alter ego mit Zügen aus, die dieses ebenso sittlich fragwürdig erscheinen lassen wie die anderen Figuren, die bei den zwei Dichtern gegen die Norm verstoßen. Daraus wird man folgern, daß die beiden ihr Publikum primär erheitern wollen, auch wenn wir heute speziell im Falle Catulls und seiner Gedichte über Mütter, die mit ihren Söhnen schlafen, und fellierenden Männern, deren Lippen weiß von Sperma sind, eher dazu neigen, not amused, zu sein. Mit erneuten Bemerkungen zur Konstruktion eines Ich-Sprechers sind wir an den Ausgangspunkt dieses Versuchs einer Einführung in Catulls Gedichtsammlung zurückgekehrt. Es ging mir dabei primär darum zu zeigen, daß biographisches Interpretieren beim Bemühen um eine adäquate Würdigung dieser Poesie die ganze Bandbreite ihrer Aussage nicht wahrnimmt. Gewiß, reine Erfindung ist es wohl nicht, daß derjenige, der hier zu uns spricht, eine Zeitlang zur Kohorte des Memmius in Bithynien gehörte, den Tod seines Bruders zu beklagen hatte, in eine außergewöhnliche Frau verliebt war und gleichzeitig ebenso Gefallen an etwa gleichaltrigen Männern wie an Knaben fand. Aber dabei handelt es sich nur um ein Grobraster von Fakten, die als Stoff für einen poetischen Diskurs verwendet und dabei so frei umgestaltet wurden, daß man im Grunde von Fiktion sprechen darf. Wenn Texterklärer früherer Zeiten hier nichts als historische Wirklichkeit sahen, mag das nicht zuletzt dadurch zu erklären sein, daß Catull alles, was er uns vor Augen stellt, denkbar lebensecht abzubilden vermochte. Das setzt natürlich die Beherrschung einer außerordentlichen poetischen Gestaltungskunst voraus; in der Tat darf man Catull wegen seines virtuosen Umgangs mit der lateinischen Dichtersprache und wegen seiner stupenden Fähigkeit, ebenso die subjektiven Gefühle eines gleichzeitig liebenden und hassenden Ich in Worte zu fassen

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wie Menschen ungemein treffend zu porträtieren, als den ersten Autor bezeichnen, der in Rom »Weltdichtung« (Otto Seel) verfaßte. Und das verdient doch wohl eher unsere Bewunderung, als wenn er reale Erfahrungen nur autobiographisch wiedergegeben hätte.

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