Freiheit als Prinzip: Schellings absoluter Idealismus der Mitwissenschaft als Antwort auf die metaphysischen und ethischen Problemhorizonte bei Hans Jonas, Vittorio Hösle und Klaus Michael Meyer-Abich [1 ed.] 9783737010498, 9783847110491

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Freiheit als Prinzip: Schellings absoluter Idealismus der Mitwissenschaft als Antwort auf die metaphysischen und ethischen Problemhorizonte bei Hans Jonas, Vittorio Hösle und Klaus Michael Meyer-Abich [1 ed.]
 9783737010498, 9783847110491

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Wiener Forum für Theologie und Religionswissenschaft / Vienna Forum for Theology and the Study of Religions

Band 21

Herausgegeben im Auftrag der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien von Karl Baier und Christian Danz

Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.

Michael Hackl

Freiheit als Prinzip Schellings absoluter Idealismus der Mitwissenschaft als Antwort auf die metaphysischen und ethischen Problemhorizonte bei Hans Jonas, Vittorio Hösle und Klaus Michael Meyer-Abich

V& R unipress Vienna University Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber https://dnb.de abrufbar. Verçffentlichungen der Vienna University Press erscheinen bei V& R unipress. Gedruckt mit freundlicher Unterstþtzung der Stadt Graz, der Österreichischen Forschungsgemeinschaft, der Evangelisch-Theologischen FakultÐt und des Rektorats der UniversitÐt Wien.  2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Jacob van Ruisdael, Grainfields (mid- or late 1660s). The Metropolitan Museum of Art, NYC (The Friedsam Collection, Bequest of Michael Friedsam, 1931). Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0718 ISBN 978-3-7370-1049-8

»Die Principien, mit denen wir hier uns beschäftigen, sind auch die innersten der Philosophie; aber eben daran erkennt man die Tiefe in der Wahrheit philosophischer Principien, daß sie zugleich von der tiefsten sittlichen Bedeutung sind.« (SW XIII, 158f.) Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

Inhalt

Dankesworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorbereitende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Systematische Leitlinien . . . . . . . . . . 1. Idee der Vernunft . . . . . . . . . . . 2. Ideales und Reales . . . . . . . . . . . 3. Vernunft, Freiheit und Verantwortung

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II. Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft . . . . 4. Materialismus und Freiheit bei Hans Jonas . . . . 4.1. Freiheit in der Geschichte . . . . . . . . . . . a) Spekulative Bestimmungen . . . . . . . . b) Das »Fehlgehen« der Schöpfung . . . . . c) »Säkularisierte Eschatologie« . . . . . . . 4.2. Organismus und Freiheit . . . . . . . . . . . a) Natur und Geist . . . . . . . . . . . . . . b) Materialismus und Idealismus . . . . . . c) Der Mensch und seine Freiheit . . . . . . 4.3. Freiheit und das Gute . . . . . . . . . . . . . a) Sorge und Sein . . . . . . . . . . . . . . . b) Können und Müssen . . . . . . . . . . . . c) Sein und Sollen . . . . . . . . . . . . . . . 5. Idealismus und Freiheit bei Vittorio Hösle . . . . . 5.1. Logik, Freiheit und Notwendigkeit . . . . . . a) Begründunganspruch . . . . . . . . . . . b) Letztbegründung . . . . . . . . . . . . . . c) (Prä-)Determinismus . . . . . . . . . . . 5.2. Objektiver Idealismus der Intersubjektivität a) Realphilosophie als »angewandte Logik« .

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Inhalt

b) Strukturentsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Systemaufbau und Intersubjektivität . . . . . . . . . 5.3. Metaphysik der ökologischen Krise . . . . . . . . . . . a) Objektive Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sein und Subjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sein und Sollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Mitwissenschaft und Freiheit bei Klaus Michael Meyer-Abich 6.1. Mitwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Subjekt-Objekt Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erkenntnisleitende Ideale . . . . . . . . . . . . . . . c) Holismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Evolution und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) »Verwandtschaft aller Dinge« . . . . . . . . . . . . . b) Freiheit als »Erlebnisform« . . . . . . . . . . . . . . c) Freiheit als Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Interessen der natürlichen Mitwelt . . . . . . . . . . . . a) Krone der Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Natürliche Mitwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sein und Sollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit 7. Suche nach dem System . . . . . . . . . . . . . . . 7.1. Systematische Ansätze . . . . . . . . . . . . a) Frühe Schriften . . . . . . . . . . . . . . . b) Natur- und Transzendentalphilosophie . . c) Identitätsphilosophie . . . . . . . . . . . . 7.2. System der Identität . . . . . . . . . . . . . . a) Natur und Konstruktion . . . . . . . . . . b) Identitätsphilosophie und System . . . . . c) System und Aufbruch . . . . . . . . . . . 7.3. Systematischer Abschluss . . . . . . . . . . . a) Systematische Fortführung . . . . . . . . b) Negative und positive Philosophie . . . . c) Natur und Offenbarung . . . . . . . . . . 8. »Apriorismus des Empirischen« . . . . . . . . . . 8.1. Mitwissen und Teilhabe an der Natur . . . . a) Mitwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . b) Das Wissen von der Natur . . . . . . . . . c) Konstruktion der »leitenden Ideen« . . . 8.2. Die Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) »Einsicht in die Thatsache« . . . . . . . .

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Inhalt

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Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Schwere und Licht . . . . . . . . . . . . c) Anorganisches und Organisches . . . . 8.3. Freiheit in der Schöpfung . . . . . . . . . . a) Naturprozess und Leben . . . . . . . . . b) Fortschreiten der Natur . . . . . . . . . c) Komplexität und Freiheit . . . . . . . . 9. »Empirismus des Apriorischen« . . . . . . . . . 9.1. Mitwissen und Teilhabe am Geist . . . . . a) Mitwissen der Schöpfung . . . . . . . . b) Wesen des Anfangs . . . . . . . . . . . . c) »Rekonstruiertes Bewußtsein« . . . . . 9.2. Die Sache der Tat . . . . . . . . . . . . . . a) Einsicht in die Sache der Tat . . . . . . . b) Lehre und Geschichte . . . . . . . . . . c) Mythologie, Mysterien, Offenbarung . . 9.3. Schöpfung der Freiheit . . . . . . . . . . . a) Vernunft und Christentum . . . . . . . b) Vom Seinkönnenden zum Seinsollenden c) »Festhalten« und Freiheit . . . . . . . . 10. System der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1. Tatsache und Sache der Tat . . . . . . . . . 10.2. »Correlat« und Komplementarität . . . . . 10.3. Seinsollen der Freiheit . . . . . . . . . . .

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Dankesworte

Die vorgelegte Konstruktion der Idee der Freiheit ist in den letzten Jahren gereift und nun zu Papier gebracht worden. Für mich war es ein ganz besonderes Privileg, dass ich während der Ausarbeitung des Manuskripts mit den hier besprochenen Autoren Vittorio Hösle und Klaus Michael Meyer-Abich persönlich über deren eigene Arbeiten diskutieren durfte. Danken ich möchte ich ganz herzlich Vittorio Hösle für die Einladung an die University of Notre Dame (USA) und Klaus Michael Meyer-Abich für die Einladungen nach Blankenese, Hamburg. Die gemeinsamen Gespräche haben mir den Mut gegeben, meine Gedanken in vorliegender Weise auszuformulieren. Es ist das Herausforderndste, aber auch das Schönste, dem Autor kritisch entgegenzutreten, um dem Wesen der Sache auf den Grund zu gehen. Dass meine Kritik an deren spezifischen Positionen und Sichtweisen an einigen Stellen stark zugespitzt ist, hat einzig den Zweck, durch eine kritische Haltung philosophisch einen Schritt weiter zu kommen. Die vorliegende Arbeit ist nicht nur in den einzelnen Kapiteln eine Auseinandersetzung mit den Philosophien von Hösle und Meyer-Abich, ihre Arbeiten sind prägend für meinen idealistischen Zugang, der sich als absoluter Idealismus der Mitwissenschaft versteht. Die Philosophie Hösles hat mir in besonderer Weise die Bedeutung systematischen Philosophierens für unser Selbst- und Weltverständnis eröffnet. Für meine philosophische Perspektive war es eine große Bereicherung, mit den beiden Autoren über deren philosophische Positionen zu diskutieren und darüber hinaus erleben zu dürfen, wie nah Philosophie und Lebensweise zusammenhängen können. Die Gespräche mit Professor Meyer-Abich haben mich überdies persönlich darin bestärkt, die natürliche Mitwelt zu erleben und mich nicht in der theoretischen Reflexion darüber zu verlieren. Sein Denken werde ich in Erinnerung behalten, und mit dieser Arbeit soll an sein Denken wiedererinnert werden. Diese mich prägenden Denkweisen sollen durch die Arbeiten von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und Hans Jonas weitergeführt werden. Zwar war mir die direkte Diskussion mit diesen verwehrt, aber dank der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (München) und dem Hans-Jonas-Archiv (Universität

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Dankesworte

Konstanz) war es mir zumindest möglich, noch nicht publiziertes Material einzusehen, um so tief wie möglich in deren Metaphysikkonzeptionen eindringen zu können. Hierfür sei den Mitgliedern der Schelling-Kommission in München und Frau Brigitte Parakenings vom Hans-Jonas-Archiv herzlich gedankt. Ebenso möchte ich mich beim Philosophischen Archiv der Universität Konstanz für die Druckgenehmigung des Nachlasses von Hans Jonas bedanken. Mein ganz besonderer Dank gilt Professor Christian Danz. Seine Offenheit und seine kritischen Anmerkungen an meinem systematischen Vorhaben waren ein großer Gewinn für die vorliegende Konstruktion. Außerdem möchte ich Professor Andreas Arndt und Professorin Lore Hühn für die Hinweise und Gespräche zur Konzeption danken. Danken möchte ich zudem Christopher Arnold, Adrian Grill, Korbinian Schreiber, Fernando Su#rez Müller, Mateusz Wolanin sowie meinem ersten philosophischen Förderer Alfred Pfabigan, sie alle haben über viele Jahre hinweg meinen wissenschaftlichen Weg begleitet und meine Konstruktionen immer wieder kritisch hinterfragt. Ganz herzlich möchte ich meiner Weggefährtin Sigrid danken, denn sie ist es, die mit mir die natürliche Mitwelt erkundet und meine Sicht auf sie wesentlich mitprägt. Ohne sie wäre meine Perspektive auf die Natur, deren Teil wir sind, sicher eine ganz andere. Mein Dank gilt außerdem der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien (ETF), der Österreichischen Forschungsgemeinschaft (ÖFG), der Stadt Graz sowie dem Rektorat der Universität Wien für die finanzielle Förderung des Buches. Es freut mich, meine erste Monographie bei Vandenhoeck & Ruprecht veröffentlichen zu dürfen, jenem Verlag, der auch Hans Jonas’ erste Bücher veröffentlicht hat. Für die sehr gute Zusammenarbeit bei der Publikation des Buches möchte ich Herrn Oliver Kätsch und Frau Laura Haase sowie für das Lektorat Frau Katharina Rahlf herzlich danken. Berlin, Graz und Wien, im Sommer 2019

M.H.

Vorbereitende Bemerkungen »Ein Herz, so in Freiheit geboren, lässt niemals sich sklavisch behandeln, bleibt, wenn schon die Freiheit verloren, noch stolz auf sie, lachet der Welt.«1 W.A. Mozart, Die Entführung aus dem Serail

Menschen versuchen sich selbst durchsichtig zu werden und ihre Rolle in der Welt zu finden. Wie die Welt nicht letztgültig festzuhalten ist, so auch der Mensch. Sich von sich selbst ›in der Zeit‹ einen Begriff zu machen, sich zu bestimmen, das ist entscheidend dafür, wie sich der Mensch selbst in der Welt verortet. Letztlich ist das sich wandelnde Verständnis von uns selbst und der Welt sowohl für unser theoretisches Verständnis von der Welt als auch für unser praktisches Handeln maßgeblich. Inhalt und Möglichkeit unseres praktischen Handelns hängen zum einen von der Beantwortung der kantischen Frage ›Was soll ich tun?‹ ab und zum anderen davon,2 ob wir überhaupt zum Sollen aus Freiheit fähig sind. Bevor der Inhalt des Sollens bestimmt werden kann, gilt es zu klären, ob die Möglichkeit zum Sollen tatsächlich besteht. Nur wenn wir frei handeln können, können wir auch bestimmen, was zu tun ist. Die Freiheit unseres Tuns impliziert, dass wir selbstbestimmt handeln können und dass unsere Welt- und Wertvorstellungen nicht von fremder Hand geleitet sind. Der Inhalt der Moral mag so vielfältig sein, wie es die Menschen und die Kulturen sind, aber als freie Wesen sind wir für unsere Denkart wie für unser Tun »selbst verantwortlich« (SW VI, 15).3 Eine praktische Philosophie muss sich daher mit den Fragen beschäftigen, ob wir wahrhaft freie Wesen sind und was es heißt, aus Freiheit zu handeln. Um diesen Fragen nachzugehen, liefert Kapitel I eine erkenntnistheoretische Skizze ›Systematischer Leitlinien‹, anhand derer die Frage nach der Freiheit zu beantworten ist. Darin soll der erkenntnistheoretische Standpunkt umrissen und geklärt werden, was für die Beantwortung der Frage nach der Freiheit essentiell ist. Die entfalteten Bestimmungen sind für die nachfolgenden Abschnitte insofern von Bedeutung, als sie die Perspektive darstellen, gemäß der die folgenden Positionen diskutiert werden. An manchen Stellen mag die systematische Skizze späteren Überlegungen vorausgreifen, wird doch schon hier auf die tiefen Einsichten der diskutierten Autoren Bezug genommen. Allerdings zeigt erst die konkrete Auseinandersetzung mit deren Philosophien, was eine Philosophie im 1 W.A. Mozart: Entführung aus dem Serail, 61. Vgl. M. Hackl: Seinsollen des Vernünftigen, 333f. 2 Vgl. I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 833. 3 Vgl. I. Kant: Was ist Aufklärung, Akad.-Ausg. VIII, bes. 35f.

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Vorbereitende Bemerkungen

Mindesten leisten muss, um die Freiheit als Prinzip des Seins und des Sollens auszuweisen. Durch die in Kapitel II geführte Auseinandersetzung mit den philosophischen Konzeptionen von Hans Jonas, Vittorio Hösle und Klaus Michael Meyer-Abich sollen materialistische, idealistische sowie mitwissenschaftliche Denkansätze anhand der ›Systematischen Leitlinien‹ diskutiert werden. Die eigenständige und für sich geschlossene Diskussion der jeweiligen Denkansätze dient nicht nur dazu, deren Gesamtkonzeptionen zu würdigen, sondern auch, herauszuarbeiten, welche metaphysische Perspektive auf das Sein das Wesen der Freiheit am deutlichsten zum Ausdruck bringen kann. Nachdem in Kapitel I und Kapitel II die Anforderungen an eine systematische Konzeption ausführlich diskutiert wurden, versucht Kapitel III die gewonnen Einsichten in einer ›weitergeführten‹ Theorie des absoluten Idealismus aufgehen zu lassen. Die mitwissenschaftliche Interpretation von Friedrich Wilhelm Joseph Schellings Konzeption erlaubt nicht bloß, dessen absoluten Idealismus als systematische Einheitskonzeption zu deuten. Ebenso zeigen die Überlegungen, dass der adaptierte Idealismus Schellings noch im 21. Jahrhundert Ansätze liefern kann, wie die Freiheit des Willens sowohl als werdende Ursache als auch als gewordenes Resultat des Seins zu begreifen ist. Freiheit erweist sich so als Möglichkeit und Wirklichkeit. Die ausführliche Darstellung des Freiheitsbegriffs erlaubt, abschließend zu skizzieren, welche konkreten Forderungen mit der Freiheit verbunden sind. Der moralische Imperativ muss darauf zielen, die Freiheit und die Bedingungen ihrer Möglichkeit zu bewahren. Ohne Freiheit ist keine Moral möglich. Anhand der vorgelegten Skizze lässt sich Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher widersprechen, dass auf Basis der schellingschen Philosophie »keine Ethik möglich ist«,4 denn sie zeigt, dass der gelieferte Freiheitsaufweis das Fundament einer Ethik sehr wohl zu begründen weiß. Die Freiheit gibt dem Menschen seine Würde und bildet das Fundament seiner Grundrechte.5 Dass die mit der Freiheit einhergehende Würde für den Menschen eine große Last darstellt, verdeutlicht Karl Kraus’ Persiflage der Worte vom freien Menschen Jean-Jacques Rousseaus und Friedrich Schillers.6 Der Mensch mag »frei geschaffen« sein, mit der Freiheit und seiner Würde weiß er »schon gar nichts anzufangen.« Der ›Verzicht‹ auf die Freiheit und somit die Würde mag dem Menschen oftmals unproblematisch erscheinen, derweil ist es erst die Freiheit, durch die die Würde nicht bloß, um bei Kraus zu bleiben, »die konditionale Form vom dem, was einer ist«, ist.7 Die Freiheit ist dem Menschen

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F.D.E. Schleiermacher : Gedanken V, KGA I/3, 320. Zu den Grund- und Freiheitsrechten vgl. C. Schmitt: Verfassungslehre, bes. § 14. Vgl. J.-J. Rousseau: Gesellschaftsvertrag, 5; F. Schiller : Worte des Glaubens, SW 1, 214. K. Kraus: Die Fackel, Nr. 251, 33.

Vorbereitende Bemerkungen

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zwar Geschenk; hört er aber auf, für sie einzutreten, verliert er sie. Allein die tätige Freiheit erlaubt, die konditionale Form in Bestimmtheit zu überführen. Für den mitwissenschaftlich fundierten Idealismus, der die Freiheit zu ergründen sucht, findet sich die Freiheit nicht bloß in der Sphäre des Geistes oder in der Sphäre der Natur – er denkt beide Seiten unter Bestimmungen der Freiheit. Das Umschlagbild Grainfields von Jacob van Ruisdael, das im New Yorker Metropolitan Museum hängt, bringt die Verbundenheit der beiden Sphären ausdrucksstark zur Darstellung. Ruisdael vermittelt bildhaft, dass Mensch und Natur nicht voneinander zu trennen sind. Sie stehen nicht im unversöhnlichen dualistischen Widerstreit, sondern bilden eine zusammengehörende und lebendige Einheit. Obwohl die Natur vom Menschen durch Straßen, Gebäude und anderem kultiviert wird, ist er ihrer nicht erhaben, sondern auf natürliche Weise in sie eingebunden. Natürliches und Geistiges bilden eine Welt. Entsprechend hat auch der Begriff der Freiheit beide Seiten gleichermaßen zu seiner Voraussetzung. Wie die Freiheit theoretisch nicht fern von Natur und Geist steht, so ist dies auch beim praktischen Handeln der Fall.8 Die Freiheit gilt uns theoretisch wie praktisch als Prinzip, sie ist das Seinsollende.

8 Dank der Einsicht in die Freiheit müssen wir nicht den »Bankrott philosophischen Denkens« erklären, vielmehr lehrt die Freiheit, wofür wir Verantwortung zu tragen haben. Dass die Philosophie drängenden Antworten schuldig bleiben kann, verdeutlicht Hans Jonas an Martin Heideggers Haltung zum Nationalsozialismus: »Das Einschwenken des tiefsten Denkers der Zeit in den tosenden Gleichschritt der braunen Bataillone erschien mir als katastrophales Debakel der Philosophie, als welthistorische Blamage, als Bankrott philosophischen Denkens. Ich hegte damals die Vorstellung, vor so etwas sollte Philosophie schützen, dagegen sollte sie den Geist feien. Ja, ich war sogar überzeugt, daß der Umgang mit den höchsten, wichtigsten Dingen den Geist eines Menschen adelt und auch die Seele besser macht. Und nun erkannte ich, daß die Philosophie das offenbar nicht getan, diesen Geist nicht vor dem Irrweg geschützt hatte« (H. Jonas: Erinnerungen, 299f.).

I.

Systematische Leitlinien

Die Welt stellt sich uns zwecks der evolutionsgeschichtlichen Entwicklungen immer wieder neu dar ; die vielfältigen und aufeinander bezogenen Einflüsse führen zu jeder Zeit und in jedem spezifischen Kulturraum dazu, dass sich die darin lebenden Wesen neu zu organisieren haben, um die gegenwärtigen Herausforderungen, die mitunter oft selbst verursacht sind, zu bewältigen. Es gibt unterschiedlich tiefe Einschnitte, die die Lebensumstände der Menschen bewegen, man denke nur an die jüngere Geschichte Europas, an die aufklärerischen Umwälzungen im 18. und 19. Jahrhundert, die Kolonialisierung und den Imperialismus im 19. Jahrhundert oder das totale Versagen des kulturellen Zusammenlebens im frühen 20. Jahrhundert. Ebenso zu nennen sind die technischen, atomaren und biochemischen Gefahren sowie die kulturellen und religiösen Auseinandersetzungen in einer global zusammenrückenden Welt seit der Mitte des 20. Jahrhunderts und die seither merklich zunehmende Zerstörung des Ökosystems Erde. Bereits diese Eckpunkte der jüngeren geschichtlichen Entwicklung machen einsichtig, dass das Zusammenleben der Menschen zu immer neuen Herausforderungen führt, die uns Antworten abverlangen, wie mit den geschilderten Entwicklungen umzugehen ist. Unser Dasein, unser Tun ist stets von der Frage begleitet, auf welche Weise wir unser Zusammenleben, unser Miteinander organisieren können und wollen. Viele Probleme sind selbstverursacht. Das, was ist, ist wesentlich durch unseren Einfluss geworden, was es ist. An uns liegt es, den Ist-Zustand so zu gestalten, wie er sein sollte. Die Natur, die in ihr wirkenden Gesetze und wir selbst sind nicht von uns selbst hervorgebracht, wir sind in unserer Beschaffenheit prädeterminiert, wir sind auf eine Weise beschaffen, die wir nicht selbst bestimmt haben. Wir waren nicht und wir sind nicht die Schaffenden (Natura naturans) der Welt, wenngleich wir Menschen dazu fähig sind, uns eine umfassende Kenntnis von der Welt und ihrer Struktur anzueignen und dieses Wissen für unsere Zwecke zu nützen. Wir Menschen sind wie die Natur nur Geschaffenes (Natura naturata). Wären wir die ursächlich Schaffenden, hätten wir uns selbst und die Natur

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Systematische Leitlinien

hervorgebracht; wir sind aber nur diejenigen, die uns und das uns Umgebende zu beschreiben wissen, obgleich wir offensichtlich mit der Welt in besonderer Weise umzugehen und Neues zu schaffen wissen. Aber dieses Neue – selbst wenn es gelingen sollte, Leben zu schaffen – ist nichts gänzlich Neues, das Vorhandende wird nur in eine neue Ordnung gebracht. Folglich ist der Mensch nicht für sein Wesen und das Wesen der Natur verantwortlich zu machen. Selbst als freies Wesen kann er nur dafür verantwortlich gemacht werden, wie er mit dem Geschaffenen umgeht. Da der Mensch fähig ist, auf das Sein und das Seiende Einfluss zu nehmen, nimmt er darauf Einfluss, wohin sich die Welt entwickelt, wiewohl er nicht die Art und Weise bestimmt, wie sich die prädeterminierte Struktur entwickelt. Die Wirkkräfte in dem uns bekannten Universum, von dem die Welt nur Moment ist, machen einsichtig, dass die Einflüsse auf das Ökosystem vielfältig und nicht vom Menschen allein verursacht sind. Deshalb ist unsere Einflussnahme im Universum begrenzt: Im Positiven wie im Negativen. Um die Dimension unserer Einflussnahme – zu der wir schon deswegen fähig sind, weil wir Teil des Ganzen sind und nicht in völliger Isoliertheit zum Ganzen stehen – auf das Sein verstehen zu können, ist es notwendig, Kenntnis vom Universum, sohin vom Ganzen des Seins zu erlangen. Hierdurch lernen wir die Zusammenhänge der Welt konkret kennen. Mit der Einsicht in das Wesen und die Struktur des Kosmos, genauer : in die uns zugänglichen Wirkzusammenhänge sind wir in der Lage, die künftigen Konsequenzen unseres Tuns konkret einschätzen zu lernen, wodurch wir unser Handeln besser auf die Folgen unseres Tuns ausrichten können. Das erweitert unseren Handlungs- und Verantwortungshorizont, denn jedes »Können« führt nach Hans Jonas »mit sich das Sollen« (KGA I/2,1, 531; vgl. Kap. II.4.3). Die Einsicht, dass wir dank unseres Bewusstseins ein Wissen von der Natur haben können, legt nahe, dass uns Geist und Natur nicht fremd sind. Wir haben Anteil an beiden Bestimmungen, weswegen wir Ausdruck beider Sphären sind und uns darum, wie es Friedrich Schelling formuliert, als »Mitwissende der Schöpfung« verstehen können – und sogar müssen (SW XIII, 303; UPhO, 126f.; vgl. Kap. II.6 u. III.8.1). Unser Mitwissen, unsere Teilhabe an der Schöpfung, am Absoluten ist im Grunde nichts anderes als »die Ausweitung des Selbst zu einem inneren Universum«, wobei hieraus, wie Hans-Georg Gadamer mit kritischem Blick auf Leopold von Ranke und Wilhelm Dilthey fortfährt, eine Einheit von Selbst und Universum hervorgeht: »Weil alle geschichtlichen Erscheinungen Manifestationen des All-Lebens sind, ist die Teilhabe an ihnen Teilhabe am Leben. Von da gewinnt der Ausdruck des Verstehens seinen fast religiösen Klang. Das Verstehen ist unmittelbare Teilhabe am Leben, ohne die gedankliche Vermittlung durch den Begriff. Darauf gerade kommt es dem Historiker an, nicht Wirklichkeit auf Begriffe zu beziehen, sondern überall an den Punkt zu

Systematische Leitlinien

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gelangen, wo ›Leben denkt und Gedanke lebt‹. Die Erscheinungen des geschichtlichen Lebens werden im Verstehen als die Manifestationen des All-Lebens, der Gottheit, erfaßt.«9

Eine klare Trennung zwischen dem Beschreibenden und dem Beschriebenen ist nicht aufrechtzuerhalten, die Teilhabe weist eindeutig darauf hin – selbst nach Dilthey ist es nicht möglich, »sein Selbst auszulöschen, um die Dinge zu sehen, wie sie gewesen sind«.10 Die »volle Selbstdurchsichtigkeit des Seins« im Sinne Georg Wilhelm Friedrich Hegels ist nach Gadamer nur möglich zu erlangen,11 indem wir unsere Teilhabe am Sein in den Blick nehmen. Obwohl damit nicht gesagt wird, von welcher Qualität derartiges Wissen ist, zeigt dieser Zusammenhang an, dass das Subjekt vom Objekt nicht zu trennen ist. Beide müssen als verwobene Einheit verstanden werden. Auf diese Verknüpfung hat 1806 Johann Gottlieb Fichte hingewiesen: »Die einzige noch übrige Schwierigkeit wäre nur die, begreiflich zu machen, wie wir andern zur Mitwissenschaft vom Seyn des Absoluten, und zur Theilnahme an seinem Begriffe von sich selber gelangten«.12 Schelling führt diesen Gedanken, von welcher Qualität die Teilhabe des Wissenden am Gewussten sein muss, weiter und konkreter als Fichte aus. Mit Sextus Empiricus betont er,13 »daß Gleiches nur von Gleichem erkannt werde. Das Erkennende muß seyn wie das Erkannte und das Erkannte wie das Erkennende« (SW IX, 221, Hervorhebung M.H., vgl. UPhO, 23). Zwar sagt auch er damit nicht, wie erkannt wird, aber zumindest wird die qualitative Bestimmung des Erkennenden in Bezug auf das zu Erkennende konkret ausgewiesen. Um zu diesem Wissen zu gelangen, muss, um bei Schelling zu bleiben, die »menschliche Seele eine Mitwissenschaft der Schöpfung« haben (SW VIII, 200; WA I, 4; III, 205). Wäre dem nicht so, wären wir ohne Bezug zu dem, von dem wir wissen. Indem wir von etwas wissen, haben wir konkret Anteil daran und sind davon nicht zu trennen. Eine wesentliche Identität von Erkennenden und Erkanntem ist demnach aus Vernunftgründen unumgänglich. Da Wissen von der Natur möglich ist, muss es ein Verbindendes zwischen Natur und Bewusstsein geben, ansonsten ließe sich nicht einsehen, wie die außer uns stehende Natur Moment unseres Bewusstseins sein kann. Wer nun mit Moritz Schlick der Meinung ist, dass es ein »ganz schwerer […] Irrtum« sei, zu glauben, »daß die Geistes- oder Kulturwissenschaften sich mit der Naturwissenschaft messen könnten und philosophisch ebenso ergiebig wären wie 9 H.-G. Gadamer : Wahrheit und Methode, GW 1, 215. 10 W. Dilthey : Studium der Individualität, GS V, 281; Ders.: Beschreibende und zergliedernde Psychologie, GS V, 226f. 11 H.-G. Gadamer : Wahrheit und Methode, GW 1, 215. 12 J.G. Fichte: Bericht über den Begriff der Wissenschaftslehre, Werke VIII, 395. 13 Dieser Gedanke findet sich beispielhaft bei Sextus Empiricus, bei Demokrit und Homer. Vgl. K. v. Fritz: Geschichte der antiken Wissenschaft, bes. 600–612.

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diese«,14 mag sich der Differenz beider Seiten bewusst sein, verkennt jedoch, dass die Naturwissenschaft die Geistes- bzw. Kulturwissenschaft bedingt, ebenso wie es umgekehrt der Fall ist.15 Macht man sich die Rolle des Geistes bezüglich des Wissens bewusst, kommt man nicht umhin anzuerkennen, dass uns das Erfahrbare nur gemäß unserem subjektiven Denken zugänglich ist. Das heißt nicht, dass das Denken der Natur gleichzusetzen ist, ansonsten wäre es der Natur ident und auf sie zu reduzieren. Einsichtig wird das, was Natur und Geist ausmacht, erst durch eine mitwissenschaftliche Metaphysik: Sie versperrt sich weder Natur noch Geist, sie sucht das Ganze als Einheit zu ergründen. Wer also wie Rudolf Carnap darauf pocht, dass es sich bei der Metaphysik um den bloßen »Ausdruck des Lebensgefühls« handelt,16 der verkennt, dass nur die Metaphysik in der Lage ist, beide Seiten gleich gültig in den Blick zu nehmen. Die mitwissenschaftliche Metaphysik reduziert kein Moment auf den anderen, stattdessen wird die notwendige Eigenständigkeit der Momente bei deren gleichzeitiger Einheit sichtbar gemacht. Hiergegen würden Carnap und die logischen Positivisten einwenden, dass metaphysisches Wissen kein Wissen,17 sondern Schein sei, wohingegen empirisches Wissen, das Wissen in Raum und Zeit tatsächlich vor uns liegt und als solches gilt. Das ist wenig überzeugend, selbst die klassischen Bestimmungen Kausalität und Energie sind empirisch nicht bestimmbar, auch sie sind ideale Bestimmungen entlang des empirisch Wahrnehmbaren. Aus der bloßen Beobachtung der Phänomene sind dieselben nicht auf ein allgemeines Prinzip zurückzuführen. Diese Problematik verschärft sich in der Quantenphysik weiter. In deren Rahmen begegnen wir einem empirischen Bereich, der uns nur indirekt zugänglich und dessen Beschreibung mit unserem alltäglichen Verständnis von der Welt nicht in Einklang zu bringen ist (vgl. Kap. II.6.1a). Die Beschreibung dieser Phänomene erfordert eine völlig neue Herangehensweise. Die Quantenphysik hat gezeigt, dass wir einer Neubestimmung des apriorischen Rahmens bedurften, um die quantenphysikalische Beschreibung zu leisten. Ein Wandel jener – wie sie Schelling bezeichnet – »leitenden Ideen« war notwendig (SW III, 644). Denn die bisher angewandten idealen Bestimmungen reichten nicht mehr aus, um die neuen Phänomene umfassend zu beschreiben. Dass das Reale und die Erfahrung wissenstheoretisch oftmals überfordert werden, legt ein Erlebnis Niels Bohrs mit dem Wiener Kreis dar. Als er das plancksche Wirkungsquantum 14 M. Schlick: Naturphilosophie, 3. 15 Beide Seiten bedingen einander. An Giambattista Vico anschließend weist Ernst Cassirer entsprechend auch darauf hin, »daß jegliches Wesen nur das wahrhaft begreift und durchdringt, was es selbst hervorbringt. Der Kreis unseres Wissens reicht nicht weiter als der Kreis unseres Schaffens« (ECW 24, 365). 16 R. Carnap: Scheinprobleme, 105, 104, 112. 17 Vgl. W. Heisenberg: Der Teil und das Ganze, GW C III, 279–295.

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vorstellte, welches wegweisend für die Neubestimmung der Wellen- und Teilcheneigenheiten in der modernen Physik ist,18 war er angesichts der bedingungslosen Zustimmung der anwesenden Vertreter des Wiener Kreises fassungslos. Niemand, der zum ersten Mal von der Planck-Konstante und den damit einhergehenden Konsequenzen hört, könne diese unkritisch übernehmen – immerhin ist ihre Neubestimmung nicht ohne Weiteres mit unserem alltäglichen Verständnis vereinbar ; vielmehr müsse jedem, dem dies erstmalig zu Ohren kommt, »schwindlig« werden. Wem hier »nicht schwindlig wird«, meint Bohr, »der hat ja gar nicht verstanden, wovon die Rede ist.« Das Wirkungsquantum forcierte eine grundlegende Erweiterung gegenüber der klassischen Physik. Erstmals wurde einsichtig, wie sich die Eigenheiten von Wellen und Teilchen verknüpfen lassen. Das hat die Beschreibungsweise der kleinsten Teilchen grundlegend geändert. Schließlich zeigte sich, dass die empirische Wahrnehmung, wie von vielen Positivisten forciert, nicht ausreicht, um die Naturgesetzmäßigkeit zu fassen. Das Wirkungsquantum »symbolisiert [geradezu] den Bruch dieser Einheit.« Die ungeteilte Zustimmung fußte auf einer Überschätzung des empirischen Wissens. Freilich machte die empirische Beobachtung auf die Phänomene aufmerksam, aber um sie allgemein beschreiben zu können, wurde es notwendig, erst einmal zu verstehen, »wie denn so etwas eine Erfahrung sein könne.«19 Das Erfahrbare ist somit ohne theoretische Fundierung nicht zu fassen, es bleibt unverständlich.20 Wissen ist weder auf die Erfahrung noch auf das rein logische Denken zu reduzieren. Wissen muss stets als Form des Mitwissens verstanden werden, als Vermittlungsform des erkennenden Subjekts und des erkannten Objekts. Logische Einsichten sind ohne empirische Bezugnahme noch kein Wissen, lässt sich doch ihre reale Fundierung nicht überprüfen; umgekehrt ist Empirisches ohne ideale Grundlegung nicht gesetzmäßig zu fassen, es steht nur als Phänomen vor uns.21 Erst wenn beide Seiten gleichermaßen Achtung erfahren und sich als einander durchdrungene Momente fassen lassen, ist einzusehen, wie Erkenntnis und Wissen überhaupt möglich sind. Dabei kann das Reale, das Erkannte (Objekt) kein bloßes Konstrukt des Idealen, des Erkennenden (Subjekt) sein. Nicht bloß das Objekt ist ohne das Subjekt, auch das Subjekt ist ohne das Objekt unbestimmt. Selbst das sich wissende Subjekt hat sich zum Gegenstand, zum Objekt. Ist sich das Subjekt selbst Objekt, kann das Subjekt vom Objekt nichts Unabhängiges sein. Damit sich das Subjekt einen Begriff vom Objekt 18 M. Planck: Auffindung des physikalischen Wirkungsquantums, 157f. Zum Planckschen Wirkungsquantum und dessen Bedeutung vgl. W. Heisenberg: Plancksche Wirkungsquantum, GW C I, 311–325. 19 C.F. v. Weizsäcker : Einheit der Natur, 409, 225f.; Ders.: Zeit und Wissen, 863. 20 Vgl. F. v. Kutschera: Erkenntnistheorie, 180. 21 Vgl. I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 90.

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machen kann, muss das Objekt wesentlich subjektiv bestimmt sein, und umgekehrt. So verstanden ist das Resultat der einen Sphäre Ausgangspunkt der anderen, und umgekehrt. Dass ein reiner Spiritualismus wie ein reiner Naturalismus eine unhaltbare Position ist, zeigt sich schon daran, dass deren Spezifizierung eine scharfe Subjekt-Objekt-Spaltung voraussetzt, welche nicht vorliegen kann, denn das hieße, dass dem Denken das Natürliche, und umgekehrt, völlig fremd wäre. Man muss also die Möglichkeit von Wissen prinzipiell verabschieden oder die tiefwurzelnde Einheit von Subjekt und Objekt grundsätzlich anerkennen. Dass Letzteres zweckhaft ist, belegt das psycho-physische Wesen des Menschen. Seine Beschaffenheit ist die Grundlage für die uns mögliche Form des Erkennens und des Wissens. Der Mensch kann nur in der Weise begreifen, wie er beschaffen und aufgrund seiner Wesensstruktur zum Begreifen fähig ist. Es ist nicht zielführend, dass sich der Mensch als rein geistiges Wesen begreift und seine Natürlichkeit, seine Leiblichkeit übergeht, sie gar negiert. Ebenso wenig ist es zielführend, sich bloß als natürliches Wesen zu begreifen und die Innerlichkeit zu negieren. Indem sich der Mensch, sei es nur begrifflich, eines der beiden Momente entledigt, annihiliert er seinen Begriff von sich, den des körperlich-geistigen Wesens. Die Kenntnis vom Menschen und vom organischen Leben lehrt, dass im Menschen Natur und Geist grundsätzlich vereint sind. Wird der Mensch als nicht zur Sphäre der Natur und zur Sphäre des Geistes zugehörig verstanden, würde er nur einer Seite angehören, entweder der Sphäre der Natur oder des Geistes. Dieser Reduktionismus ist so wenig überzeugend wie eine klassisch dualistische Position. Letztere würde zwar beide Seiten anerkennen, könnte aber nicht erklären, wie eine Interaktion zwischen beiden Sphären stattfindet. Wahrhaftes Wissen vom Ganzen – als das das Bewusstsein und die Natur gleichermaßen Umfassende – ist nur dann auszuweisen, wenn beide Seiten als different, aber sogleich als wesentlich ident gefasst werden. Nur was dem Menschen wesentlich ist, vermag er zu begreifen. Aufgrund des vermittelten Bezugs ist er sich gewahr, dass er an beiden Seiten teilhat. Das ihm nicht Zugängliche bleibt ihm fremd, so fremd, dass er dieses nicht einmal wissen kann. Ein Denken, das bzw. eine Philosophie, die diesen Umstand einsieht, kommt nicht umhin, sich auf beide Sphären gleichermaßen zu stützen. Während bei der naturwissenschaftlichen Betrachtung das Objektive in den Vorder- und das Subjektive in den Hintergrund rückt, rückt bei der geistes- bzw. kulturwissenschaftlichen Betrachtung das Subjektive in den Vorder- und das Objektive in den Hintergrund. Diese Akzentverschiebung ist der fokussierenden Betrachtung der Form geschuldet, impliziert aber keineswegs eine Differenz ihres wesentlichen Zusammenhangs. Das scheinbare Übergewicht begründet sich darin, dass das Reale bzw. das Ideale in unterschiedlicher, übergewichteter Form zugänglich

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gemacht wird. Diese Differenz ist der Grund dafür, dass beide Momente, wenngleich sie absolut identisch sind, nicht gleichzeitig in gleicher Weise betrachtet werden können, sie erscheinen uns jeweils anders. Hängen sie wesentlich zusammen, müssen sie miteinander korrespondieren; und lassen sie sich gemäß ihrer absoluten Identität komplementär beschreiben, so sind sie systematisch und methodisch zusammenzuführen (vgl. Kap. III.7–10). Prinzipiell lässt sich über das Verhältnis von Natur und Geist sagen, dass die Natur das Absolute vom Realen her und das Bewusstsein das Absolute vom Idealen her gedacht ist: »Die Genesis der ganzen Natur beruht auf einem Übergewicht, welches fortschrittweise dem Subjektiven über das Objektive bis zu dem Punkt gegeben ist, wo das Objektive selbst zum Subjektiven geworden ist im menschlichen Bewusstsein. Hält man sich an das rein Tatsächliche, so muss man bemerken, dass der Process (mit der Natur schon irgendwie) vollendet und geschlossen ist. Erhebt sich über die Natur gleichwohl eine zweite Welt, so ist dies eine Überhebung des schon in der Natur überwundenen Objektiven. Der allgemeine Weltprocess beruht (so) auf einem Fortschreiten und endlichen Sieg des Subjektiven über das Objektive« (GPPh, 275; SW X, 229, 231, SWA, 102).

Der von Schelling beschriebene Sieg des Subjektiven über das Objektive beinhaltet keine grundlegende Überhöhung des Subjekts über das Objekt. Das denkende Subjekt ist im evolutionstheoretischen Sinn bloß vorläufiges Resultat des Naturgegebenen. Ungeachtet dessen, dass das Subjekt aus dem Objekt hervorgegangen ist, heißt das nicht, dass das Objekt gänzlich im Subjekt aufgegangen ist und sich selbst verloren hat. Es findet sich im Subjekt als aufgehobene Bestimmung wieder. Obwohl das Subjekt gewissermaßen Resultat des Objekts ist, ist dieses gegenüber jenem nicht von höherer Geltung, die eine Seite ist der anderen nicht überzuordnen.22 Daraus folgt nicht, dass zwischen beiden Seiten kein grundsätzlicher Unterschied auszumachen ist, die Differenz bezieht sich aber ausschließlich auf die Form, nicht auf ihr Wesen. Somit kann sowohl die reale als auch die ideale Seite für sich in Anspruch nehmen, wahr zu sein. Wahrheit ist uns nicht direkt einsichtig, sie ist nur gemäß ihrer strukturellen Entfaltung greifbar – und diese ist allen Momenten des Seins gleichermaßen immanent. Daher kann eine Philosophie der Natur einer Philosophie des Geistes gegenüberstehen, sie dürfen einander nur nicht wesentlich widersprechen. Die Wesensstruktur der Philosophien muss absolut identisch sein. Am Ende kann es also

22 In diesem Sinn wendet Schelling gegen Friedrich Heinrich Jacobis Geistbegriff ein: »Der Naturalismus, wenn er auch in Ansehung der Dignität dem Theismus nicht gleich steht, ist doch, was die Realität betrifft, ihm völlig äquipollent, d. h. er hat ganz gleiche Ansprüche befriedigt zu werden« (SW VIII, 68; vgl. VII, 427).

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»so viel Philosophien [geben] […], als es überhaupt Gegenstände gibt, und man vor lauter Philosophien die Philosophie selbst gänzlich verlieren wird. Außer diesen vielen Philosophien hat man aber auch noch einzelne philosophische Wissenschaften oder philosophische Theorien. Auch damit ist es nichts. Es ist nur Eine Philosophie und Eine Wissenschaft der Philosophie; was man verschiedene philosophische Wissenschaften nennt, ist entweder etwas ganz Schiefes, oder es sind nur Darstellungen des Einen und ungetheilten Ganzen der Philosophie in verschiedenen Potenzen oder unter verschiedenen ideellen Bestimmungen« (SW V, 365, 106f.).

Die gemachte Unterscheidung ist keine dem Wesen, sondern der Form nach. Dieses schellingsche Verständnis kann insofern Geltung beanspruchen, als es vor dem Wissens- und Erfahrungsstand der Zeit Bestand hat und der Einheit des Seins gerecht wird. Ob dem, dass sich uns das Sein in unterschiedlicher Form darstellt, wirkt in ihm dasselbe Prinzip; wäre dem nicht so, bliebe uns, was nicht der Fall ist, die eine wie die andere Seite fremd, wir hätten kein Wissen um sie. Ist keine grundsätzliche Differenz auszumachen, ist es einer Philosophie der Natur wie der des Geistes in derselben Weise möglich, Wahres auszudrücken. Deren unterschiedlichen Darstellungsweisen ergeben sich aus der perspektivischen Beschreibungsweise; denn im Grunde finden sich in beiden Sphären jeweils identische Strukturen. In allem begegnet uns dasselbe Wesen, dieselbe Seele. Zwar gibt es unterschiedliche Zugänge zur Wahrheit, diese wird aber erst durch die allgemeine Struktur begreifbar, die den Momenten auf je gleiche Weise zukommt. Das »Verhältniß der einzelnen Theile in dem geschlossenen und organischen Ganzen der Philosophie ist wie das der verschiedenen Gestalten in einem vollkommen construirten poetischen Werk, wo jede, indem sie ein Glied des Ganzen ist, doch, als vollkommener Reflex desselben, wieder in sich absolut und unabhängig ist« (SW V, 107; Initia, 1).

Ist jedem Glied des Ganzen das Wahre wesentlich, muss das Ganze auf organisch-systematische Weise zu fassen sein, ansonsten könnten wir uns des Zusammenhangs der Seiten nicht vergewissern, gibt es doch »kein wahres System […], das nicht zugleich ein organisches Ganzes« ist (SW III, 279). Der organische Zusammenhang der Glieder belegt die Einheit des Ganzen. Hierdurch zeigt sich, dass die verschiedenen Momente einander nicht widersprechen, sondern in Einklang stehen und miteinander harmonieren. Obwohl der systematische Zusammenhang der Momente nicht zu bestreiten ist, ist methodisch nur zu verknüpfen, wovon ein Befund existiert, entsprechend ist die Entfaltung abhängig von unserer Kenntnis ›in der Zeit‹. Es ist nicht nur unmöglich, es ist auch gar nicht notwendig, begriffliche Bestimmungen in ein philosophisches System einzubetten, bevor wir konkrete Kenntnis von diesen haben. Das, was es zu entfalten gilt, hängt ab vom Kenntnis- und Informationsstand, welchen wir von uns und der Welt haben.

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Beschränkt auf die Entfaltung des Systems kann darum Dilthey zugestimmt werden, dass die »philosophischen Systeme wechseln wie die Sitten, die Religionen und die Verfassungen. So erweisen sie sich als geschichtlich bedingte Erzeugnisse. Was bedingt ist durch geschichtliche Verhältnisse, ist auch in seinem Werte relativ. Der Gegenstand der Metaphysik ist aber die objektive Erkenntnis des Zusammenhangs der Wirklichkeit. Nur eine solche Erkenntnis scheint dem Menschen eine feste Stelle in dieser Wirklichkeit, dem menschlichen Handeln ein objektives Ziel zu ermöglichen.«

Tatsächlich ist davon zu sprechen, dass »ein metaphysisches System zwar als Zusammenfassung der Erkenntnis eines Zeitalters aufgefaßt werden [kann] […]. Aber zunächst gewährt eine solche Zusammenfassung nicht die Sicherheit, deren das Handeln bedarf, und so ist eine solche Metaphysik ein wesenloser Schatten dessen, was ehedem Metaphysik war.«23

Der Einwand gegen ein letztes System ist insofern berechtigt, als selbst eine mitwissenschaftlich verstandene absolut-idealistische Metaphysik nur relativ ›in der Zeit‹ formuliert werden kann. Hieraus folgt nicht, dass die Art des Denkens den geschichtlichen Verhältnissen unterworfen ist, sondern nur, dass das System ausschließlich auf Grundlage der vorhandenen Informationen formuliert werden kann. Nicht die Idee von der absoluten Vernunft ist zu verwerfen, es ist lediglich anzuerkennen, dass sich ihre Darstellung wandelt. Notwendig ist dieser Wandel, weil sich unsere Kenntnis von der Welt verändert. Mit der Realität ist uns Vittorio Hösle zufolge ein »Leitfaden an die Hand« gegeben,24 der uns Aufschluss über die wesentliche Konstruktion des Vernünftigen in der Welt gibt. Einen Fortschritt der Wahrheit gibt es derweil, wie Schelling hervorhebt, nur »im Verstand […], in der Vernunft keinen« (SW VI, 564). Ergo ist auf Grundlage derselben Informationslage in jeder Zeit dieselbe Antwort zu geben. Dieses Denken ist, wie Hegels Bonmot von der Eule der Minerva belegt, nicht neu. Schon er wusste, dass die Philosophie »immer zu spät« kommt, denn als »der Gedanke der Welt erscheint sie erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsprozeß vollendet und sich fertig gemacht hat« (TWA 7, 28), weswegen nur begriffen werden kann, was vor uns ist. Folglich ist es notwendig – zumindest, wenn wir etwas begreifen wollen –, dass wir das, was vor uns ist, als das erkennen, zu dem es geworden ist. Für uns hat die Welt gegenwärtig ihren Bildungsprozeß vollendet, die Zukunft ist unbestimmt. Geben wir den Anspruch vom vernünftigen Wissen auf, verabschieden wir die Möglichkeit der Formulierung metaphysischer Prinzipien von vornherein, was es unmöglich macht, allgemeine Gesetzmäßigkeiten zu begründen. Erst dank 23 W. Dilthey : Das geschichtliche Bewusstsein, GS VIII, 6. 24 V. Hösle: Hegels System, 114 Anm.

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der objektiven Idee, dass die Wesenszusammenhänge immerwährend sind, lassen sich allgemeine Gesetze (von Natur und Geist) formulieren. Wird Gesetzmäßigkeit anerkannt, ist sowohl die der Naturwissenschaft als auch die der Kulturwissenschaft anzuerkennen. Um diesen strukturellen Zusammenhang zu verstehen, bedarf es eines absolut-idealistischen Zugangs, allein dieser erlaubt, Objekt und Subjekt in einen gleich gültigen, vermittelten und vernunftbegründeten Zusammenhang zu bringen. Es lässt sich schwerlich bestreiten, dass die Welt aufgrund des unterschiedlichen Wissens- und Informationsstandes der Menschen ›in der Zeit‹ von diesen verschieden beschrieben wird. Das ist aber nicht im Sinne des degree of belief zu verstehen.25 Denn das, was die Vernunft beschreibt, ist unterschiedlich, nicht wie sie es beschreibt. Da eine vernünftige Begründung im Widerspruch zu unserem Informationsstand stehen kann, darf als Beleg ihrer objektiven Geltung gedeutet werden. Allerdings ist es nicht der Anspruch einer Vernunftphilosophie, über den Kenntnisstand der Zeit hinauszugehen, sie ist vielmehr bestrebt, das Wissen der Zeit auf objektive, auf allgemeine Weise zu entfalten. Demnach lässt sich bei einer vernunftgeleiteten Metaphysik nicht vom ›Ende der Geschichte‹ sprechen, schließlich hängt die Form der Metaphysik von unserem Verständnis und vom Wissenstand ab. Könnten wir uns gewiss sein, dass wir alles von der Welt wüssten, würde das im jonas’schen Sinn den »Tod der Philosophie« bedeuten (KGA I/2,1, 561), wäre doch schon alles gesagt. Da wir uns dessen aber schlechthin nicht vergewissern können – die Zukunft können wir nicht wissen –, ist weder der Tod der Philosophie im Allgemeinen noch der Tod der Metaphysik im Besonderen zu prophezeien. Um allgemeine Antworten auf die Fragen der Welt formulieren zu können, bedürfen wir einer vernünftigen Philosophie. Durch sie sind wir in der Lage, allgemeine Prinzipien zu begründen, die in theoretischer und in praktischer Hinsicht Geltung erfahren.26 Gegebenenfalls wandeln sich die konstruierten Prinzipien in Folge des sich entwickelnden Kenntnis- und Informati25 Zur Diskussion des Begriffs vgl. L. Eriksson/A. H#jek: Degree of Belief. 26 Wenn es nur eine Vernunft gibt, kann sie sich nicht widersprechen, und »[w]as aus Vernunftgründen für die Theorie gilt, das gilt auch für die Praxis« (I. Kant: Über den Gemeinspruch, Akad.-Ausg. VIII, 313; Ders.: Kritik der praktischen Vernunft, Akad.-Ausg. V, 89). Die Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft lässt sich nur systematisch fassen, da die menschliche Vernunft, wie Immanuel Kant herausstreicht, »ihrer Natur nach architektonisch [ist], d. i. sie betrachtet alle Erkenntnisse als gehörig zu einem möglichen System« (I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 503; Ders.: Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, Akad.-Ausg. XX, 195). Verständlicherweise kann hierfür, wie Hegel nahelegt, nicht Kants »subjektiver (platter) Idealismus« die begriffliche Grundlage liefern (TWA 8, 123, § 46), solange, so Schelling, der »Idealist dem Realisten sein Recht nicht zugesteht, ist an das System Kat’ 1now^m nicht zu denken« (SW IX, 211). Nur eine absolut-idealistische Philosophie vermag dieses System zu leisten, schließlich eint nur sie das Ideale und das Reale auf gleich gültige und absolute Weise.

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onsstandes. Einen höheren Anspruch an eine Begründung, als den Kenntnisstand auf den Begriff zu bringen, können und wollen wir nicht stellen. Letztlich kommt die auf dieser Grundlage zu liefernde vernünftige Begründung immer zu spät, weswegen sie stets neu zu entfalten und auf die Probe zu stellen ist. Daher gilt für die Vernunftphilosophie, wie es Hegels Schüler Carl Ludwig Michelet formuliert, dass sie der »Hahnenschlag eines neuen Morgens sei, der eine neue Gestalt der Welt begrüsse«:27 Prinzipien sind allgemeiner Natur, sie müssen sich aber ›in der Zeit‹ bewähren, nur dann haben sie in unserer Zeit Geltung. Obwohl Dilthey dahingehend zuzustimmen ist, dass wir in einem Zeitalter leben, in dem es nicht mehr plausibel erscheint, an einem ersten, letzten System festzuhalten, ist anzuerkennen, dass wir sinnvollerweise in einer pluralistischen Welt an einer vernünftigen Ebene festhalten müssen, gemäß der Regeln zu formulieren sind, die auch kulturübergreifend gelten (vgl. Kap. III.10). Richtig ist, dass das Verständnis des objektiv vernünftigen Systems stets neu gefasst werden muss. Allerdings beinhaltet dies weder die Preisgabe des Systems noch die der regulativen Idee der Wahrheit, immerhin ist die regulative Idee der Wahrheit das Fundament jedweder Begründung. Stattdessen muss die Entfaltung des objektiv Vernünftigen, wenngleich das Vermögen selbst ein Notwendiges ist, als Akt der Freiheit verstanden werden. Dass wir zur Vernunft fähig sind, zeigt sich in der Möglichkeit, wider die vernünftige Einsicht zu handeln, was freilich nur dann von Bedeutung ist, wenn wir um unsere Freiheit wissen und sie tätig einsetzen können. Entsprechend ist es Sache der objektiven Vernunft, den Aufweis der Freiheit zu liefern. Wenn wir unsere Freiheit auf vernünftige Weise einsehen, vermögen wir das Vernünftige in tätiger Weise zu vollbringen und die Welt so zu gestalten, wie wir wollen, wodurch den Herausforderungen ›in der Zeit‹ willentlich entgegenzutreten ist. Wird die Idee von der Freiheit theoretisch eingesehen und praktisch entfaltet bzw. wird sie vernünftig konstruiert und verständig gemacht, ist sie wahrhaft. Die Freiheit des Willens dient als Beleg dafür, dass wir imstande sind, aus Vernunft wider die Vernunft bzw. aus Vernunft in Einklang mit der Vernunft zu handeln. Mittels Vernunft ist die Idee der Freiheit zu konstruieren, was nichts anderes heißt, als dass sie durch die Vernunft zu begründen ist, ebenso wird die Idee der objektiven Vernunft erst durch die Freiheit wahrhaft. Damit ist die Freiheit das erste Prinzip der Vernunft.

27 C.L. Michelet: System der Philosophie, Bd. 5, 562; Bd. 1, 123f.; Ders.: Geschichte der letzten Systeme, Bd. 2, 622f.

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Wohl jeder Systematik ist der Vorwurf zu machen, dass sich in ihrer Entfaltung unaufgehobene Widersprüche, Abweichungen und dergleichen finden. Dennoch ist es gerade die Arbeit und die Kritik am System, die hilft, die bestehenden Widersprüche oder mitunter Übergangenes aufzudecken und das System in vernunftbegründeter Weise weiterzuführen und fortzuentwickeln, wodurch das Vernünftige sukzessive und immer wieder neu entfaltet hervortritt. Das Schwierige hieran ist, dass sich eine metaphysische Konzeption nicht darauf beschränkt, was uns direkt, in der Sphäre des Realen verständlich ist. Sie sucht selbst jenen Bereich zu bestimmen, der uns nur indirekt, in der Sphäre des Idealen verständlich wird – das Wissen vom Unbedingten. Ludwig Wittgenstein mag grundsätzlich recht damit haben, dass nicht »wie die Welt ist«, sondern »daß sie ist«, das »Mystische« ist; dennoch ist sein Gedanke, dass sich jener Bereich gar »nicht aussprechen« lässt,28 nur schwer zu akzeptieren. Sofern es nicht möglich ist, über das Wie der Welt zu sprechen, muss man sich konsequenterweise eingestehen, dass man ebenso wenig über das Daß sprechen kann. Die Konsequenzen werden ohne die Ursache nicht wahrhaft verständlich. Also gilt: Kann über das Wie gesprochen werden, kann auch über das Daß gesprochen werden, und umgekehrt. Entweder ist das Wissen über das Daß sowie über das Wie grundsätzlich zu verabschieden, oder man hält am Wissen über das Wie sowie über das Daß fest. Obwohl das Daß nur indirekt zugänglich ist, hat es begründungstheoretisch dieselbe Gültigkeit wie jener Bereich, der uns direkt zugänglich ist. Beides gründet gleichermaßen im Realen und Idealen. Das Wie und das Daß sind in der Weise verbunden, wie es die Idee und die Realität in der Wirklichkeit sind. Die eine Seite ist ohne die andere Seite nur unvollständig bestimmt, ebenso wie die Existenz ohne Kenntnis der Ursache nicht verständlich ist. Subjekt und Objekt des Wissens sind nicht voneinander zu trennen, sie erscheinen uns lediglich in unterschiedlicher Form. Aufgrund des geltungstheoretischen Anspruchs beider Seiten ist die von Friedrich Schelling gestellte parmenideische Frage: »[W]arum ist überhaupt etwas, warum ist nicht nichts?« (SW XIII, 242),29 nicht weniger von Bedeutung

28 L. Wittgenstein: Tractatus, 114. Obwohl sich Schelling einer etwas anderen Terminologie (Daß/Was) bedient, weiß er um die Tragweite dieser beiden Momente (vgl. SW XIII, 57f.). 29 Auf diesen Punkt hat Gottfried Wilhelm Leibniz hingewiesen und die Frage gestellt: »Warum es eher etwas als nichts gibt: Denn das Nichts ist doch einfacher und leichter als das Etwas. Nimmt man weiterhin an, daß Dinge existieren mußten, so muß man Rechenschaft davon ablegen können, warum sie so und nicht anders existieren müssen« (G.W. Leibniz: Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade, HS II, 597). Martin Heidegger bezeichnet später

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als die rein empirische Betrachtung der Welt, und umgekehrt. Für Wittgenstein mag diese Frage etwas Mystisches haben, bestimmbar ist sie nach Schelling nur mythologisch. Ihr Gehalt wird durch eine apriorische Bestimmung dessen ausgewiesen, wie uns die Welt begreifbar war bzw. ist und wie sie sich uns darstellt (vgl. Kap. III.9). Wie sich das Wissen von der Natur in vernünftiger Weise anhand unseres Kenntnisstandes fortentwickelt, so auch das Wissen vom Absoluten. Indem die Idee und die Realität miteinander korrespondieren und sich komplementär beschreiben lassen, gibt das Wissen der einen Seite sogleich Auskunft über die andere (vgl. Kap III.10). Über beide Seiten lässt sich nur in gleich gültiger Weise sprechen (oder eben nicht). Da sich uns, wie Paul Tillich die Differenzierung zuspitzt, durch die »Struktur des Seins« der »Sinn des Seins für uns« erschließt,30 ist es möglich, dem Absoluten durch das uns Zugängliche in der Welt Ausdruck zu verleihen. Dadurch werden das Wahre und das Gute vernünftigerweise einsichtig. Diese metaphysische Bestimmung ist nicht notwendigerweise zu leisten, aber sie ist genau dann zu leisten, wenn wir uns selbst und die Welt begreifen, bestimmen wollen. Ohne die Einsicht in das Wesen der Welt bleibt uns nicht bloß das Absolute, wir bleiben uns sogar selbst verborgen. Das Wissen um uns selbst verlangt es, dem Wesen des Absoluten, der Einheit von Idee und Realem Ausdruck zu verleihen, sind wir doch als Negatives, als Geschaffenes, Ausdruck jener Einheit. Aufgrund unserer Teilhabe an beiden Seiten haben wir Mitwissen an diesen. Ob das die Antwort auf eine philosophische oder, wie Tillich meint, auf eine theologische Frage ist, ist nicht relevant. Es kommt allein darauf an, das Ur-Prinzip, das Wesen allen Seins freizulegen, wodurch zu begreifen ist, was uns wesentlich ist.31 Unabhängig davon, dass die folgende Kritik von Hans-Georg Gadamer an Georg Wilhelm Friedrich Hegels Philosophie stark zugespitzt ist, ist ihm darin zuzustimmen, dass »der Anspruch einer reinen Vernunftkonstruktion der Weltgeschichte zurückgewiesen« werden musste, da »die geschichtliche Erkenntnis ebenfalls auf Erfahrung beschränkt« ist32 – und das auch weiterhin ist. Die Zukunft der Welt lässt sich nicht voraussehen, wenngleich offenkundig ist, dass uns die Geschichte Aufschluss über unsere konkrete Entwicklung in der sogar die Frage: »Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?« als die »Grundfrage der Metaphysik« (M. Heidegger : Was ist Metaphysik?, GA 9, 122). 30 P. Tillich: Systematische Theologie, Bd. 1, 30, Hervorhebung M.H., 34. 31 Die Bedeutung der Prinzipien hebt Fichte in Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, der »Programmschrift des ganzen deutschen Idealismus« (V. Hösle: Hegels System, 23), hervor: »Ein Grundsatz ist erschöpft, wenn ein vollständiges System auf demselben aufgebaut ist, d. i. wenn der Grundsatz alle aufgestellten Sätze führt, und alle aufgestellten Sätze nothwendig wieder auf ihn zurückführen« (J.G. Fichte: Begriff der Wissenschaftslehre, Werke I, 58, 74, 78). 32 H.-G. Gadamer : Wahrheit und Methode, GW 1, 225. Zu Gadamers Hegelverständnis vgl. H.-G. Gadamer : Wahrheit und Methode, GW 1, 224f. Zum Geschichtsverständnis bei Hegel im Allgemeinen vgl. Anm. 146.

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Welt gibt. Anhand der Geschichte wird Hans Jonas zufolge begreifbar, »was der Mensch ›ist‹, das heißt im Positiven wie Negativen sein kann« (KGA I/2,1, 411). Die geschichtliche Erfahrung taugt nur bedingt, um die Zukunft zu beschreiben. Sie lehrt uns aber, in welcher Weise sich die Geschichte bisher entwickelt hat, womit wir der Bestimmung unseres Selbst zumindest im geschichtlichen Werden nahekommen. Verständlicherweise kann die weltgeschichtliche Entwicklung nicht in derselben Weise als gesetzmäßig gefasst werden wie die der Natur, ansonsten wären Natur und Geist nicht nur dem Wesen nach, sondern ebenfalls der Form nach identisch. Trotz der unterschiedlichen Entfaltung müssen sie wesentlich miteinander verwoben, vermittelt sein, ansonsten gäbe es nicht eine geschichtliche Entwicklung, es müsste stattdessen eine Geschichte der Natur und eine Geschichte der Kultur bzw. des Geistes geben, die unabhängig voneinander stehen und nicht ineinandergreifen. Das aber ist offensichtlich nicht der Fall und wäre im Übrigen auch nicht verständlich, denn dies würde eine unvermittelte Dualität voraussetzen, was schon deswegen nicht überzeugen kann, weil Ideales und Reales nur der Form nach, nicht aber dem Wesen nach voneinander zu trennen sind.33 Mit Falk Wagner und Jörg Dierken lässt sich diesbezüglich von einem »Duo-Monismus« sprechen.34 Die Geschichte des Geistes, das heißt die Weltgeschichte kann keine rein geschichtliche Notwendigkeit sein. Sie muss eine Geschichte der Freiheit sein, ansonsten wäre sie nicht von uns gestaltbar, überdies muss sie mit der Geschichte der Natur, der Geschichte der Notwendigkeit aufs Engste verwoben sein. Weil die Geschichte beide Momente umfasst, ist sie Ausdruck der notwendigen Freiheit und der freien Notwendigkeit. Das heißt nicht, dass das Reich des Geistes ein Ort der Regellosigkeit ist, sondern nur, dass das Apriorische selbst Regeln schafft, während das Aposteriorische Ausdruck notwendiger Strukturen ist. Ist die Geschichte des Geistes offen und ein Ort der Freiheit, können wir uns nicht gewiss sein, dass die Geschichte zum Heil führt, wie es laut Jonas die »eschatological philosophies of history« lehren (KGA III/2, 147). Folgt die weltgeschichtliche Entwicklung keiner absoluten Notwendigkeit und ist sie stattdessen durch die Idee der Vernunft bestimmt, ist sie Ausdruck der Freiheit. Während die Natur in jedem Moment ihres Seins vernünftig ist, ist der wache Geist fähig, das Vernünftige hervorzubringen sowie diesem zuwiderzuhandeln. Es ist nur sinnvoll, davon zu sprechen, dass es möglich ist, sich dem vernünftigen Wissen zu widersetzen, wenn wir die Möglichkeit haben, diesem willentlich 33 Zur Problematik des monistischen und dualistischen Denkens in Bezug auf den Idealismus und Materialismus vgl. A. Arndt: Monismus und Dualismus. 34 J. Dierken: Glaube und Lehre, 305, 295–307. Obwohl der »Duo-Monismus« hier anders verwendet wird, ist das systematische Bezugsverhältnis von Hegels »Monismus der Idee« und der »Duplizität von Selbst- und Anderssein« selbiger Natur wie beim Verhältnis von Idee und Realem (J. Dierken: Glaube und Lehre, 248 Anm.).

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entgegenzuwirken. Die Möglichkeit, gemäß der oder wider die Vernunft zu handeln, ist Ausdruck unserer Potentialität zur Freiheit. So verstanden ist das Vernünftige nichts, was sich uns aufdrängt, es ist vielmehr ein Vermögen, welchem aus Freiheit nachzukommen ist und welches sich erst in Freiheit wahrhaft erweist. Um das Vernünftige zu begreifen, ist es notwendig, das Sein systematisch zu bestimmen; durch den Strukturaufweis werden nämlich die allgemeinen Prinzipien fassbar, die an und für sich Geltung beanspruchen können. Da das Wissen von der Freiheit mitwissenschaftlich zugänglich ist, kommt dem Absoluten in demselben Maß Freiheit zu wie uns. Unser Mitwissen begründet die Teilhabe am Absoluten. Zwar kann der höchsten Potenz zukommen, was sich in der niederen noch nicht realisiert hat, aber umgekehrt muss alles, was der niederen Potenz zukommt, in der höchsten potentiell enthalten sein, ansonsten hätte es nicht aus diesem hervorgehen können. Daher muss, und darauf weist Jonas eingehend hin, das »Hervorbringende […] mehr ›Realität‹ haben als das von ihm Hervorgebrachte« (KGA I/1, 76). Das Wahre ist nichts Partikulares, es ist das entwickelte Ganze. Wenngleich die verständige Konstruktion vom Absoluten, vom Vernünftigen von unserem Kenntnis- und Informationsstand abhängt, ist die Idee der Vernunft objektiv. Die Idee von der Freiheit kann nichts Beliebiges sein, auch sie muss wesentlich objektiver Natur sein. Die Freiheit erweist sich durch die Vernunft und die Vernunft durch die Freiheit. Da das Wissen um die Freiheit auf Vernunft aufbaut, die Vernunft aber erst in der Freiheit ihren Ausdruck findet, realisiert sich durch die Vernunft die Freiheit, wie die Freiheit die Realisierung der Vernunft impliziert. Die Freiheit ist höchster Ausdruck der Vernunft, sie ist ihre erste Tat. Folglich muss die Freiheit als Grund von allem Geschaffenen verstanden werden. Das Hervortreten der Freiheit mag prädeterminiert sein, aber der Grund der Freiheit muss Freiheit und kann nicht Notwendigkeit sein. Freiheit ist das Prinzip, sie ist das Moment, das will, das schafft. Da das Prinzip allen Wissens auf der Idee von der objektiven Vernunft baut, kann es nur eine Philosophie geben, schließlich durchdringt die objektive Vernunft jedes »Glied des Ganzen« und ist allem wesentlich. Dabei handelt es sich um »einzelne[] Theile in dem geschlossenen und organischen Ganzen« (SW V, 107). Es gibt nur ein Wesen, ein Prinzip, welches sich der Form nach auf vielfältige Weise darstellt. Dieses ist ein universales, objektives Vernunftprinzip, das von jedem Vernunftwesen auf je gleiche und allgemeine Weise begreifbar ist, gleich, welcher kulturellen, religiösen oder weltanschaulichen Identität es anhängt – denn die »Vernunft [ist] das bloß natürliche Erkenntnißvermögen« (SW XI, 265). Dem hier vertretenen Idealismus ist nicht daran gelegen, die subjektive Identität wegzuwischen, ihm ist allein daran gelegen, dieser keine konstitutive Rolle für die Formulierung des wahrhaft Vernünftigen einzuräumen. Stattdessen gilt es deren Bestimmung selbst im Rahmen einer objektiven Bestimmtheit zu

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fassen, sodass das Subjektive selbst objektiv fassbar wird. Dennoch sind die unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Identitäten in besonderer Weise zu respektieren.35 Hiermit werden spezifische, individuelle Selbstverständnisse ausgedrückt, die wesentlich zur mitwissenschaftlichen Bestimmung der Welt beitragen. Sofern es aber um Begründung geht, gilt es im Sinne der objektiven Vernunft bestrebt zu sein, diese medialen Spezifika aufzuheben, was nichts anderes heißt, als dass das Subjektive, das Kulturelle objektiv zu explizieren und anderen verständlich zu machen ist.36 Auf diese Weise wird das Allgemeine über das Besondere, über das Zufällige erhoben und mittelbar. Wie zweckhaft eine derartige universelle Ebene ist, zeigt sich mit Blick auf Gadamers philosophische Hermeneutik: »Jeder von uns hat seine eigene Sprache. Es gibt überhaupt nicht das Problem einer für alle gemeinsamen Sprache, sondern es gibt nur das Wunder dessen, daß wir, obwohl wir alle verschiedene Sprache haben, uns dennoch über die Grenzen der Individuen, der Völker und der Zeiten hinweg verstehen können. Dieses Wunder ist offenbar nicht ablösbar davon, daß sich auch die Dinge, über die wir sprechen, als ein Gemeinsames vor uns darstellen, indem wir von ihnen sprechen.«37

Zwar hängt die verständige Kommunikation zwischen Vernunftwesen von vielfältigen Parametern und Bezugnahmen ab, zu bestreiten ist jedoch nicht, dass wir uns über Zeiten hinweg verstehen können, weswegen dieser Prozess auf allgemeinen Grundlagen aufbauen muss. Ansonsten wäre es gar nicht möglich, derart Fremdes zu durchdringen. Dass allen Menschen dieselben vernünftigen Grundlagen eigen sind, ist plausibel, weil wir alle gleichermaßen geschaffene Wesen sind, die auf denselben prädeterminierten Strukturen gründen, welche wir nicht selbst geschaffen haben, sondern gemäß denen wir geschaffen wurden. Grundsätzlich ist die Kommunikation zwischen Menschen eine diffizile Sache, was schon damit zusammenhängt, dass das Subjekt die Welt nur individuell, das heißt perspektivisch, wahrnimmt. Edmund Husserl wusste dieses Problem explizit zu machen und spricht darum von der »objektive[n] Welt, die für mich ist, die für mich je war und sein wird, je sein kann mit allen ihren Objekten«38 – unser individueller Zugang zum Objektiven manifestiert sich in unserer und durch unsere Lebenswelt. Die Allgemeinheit der Perspektive unterliegt einem »Welthorizont als Horizont möglicher Dingerfahrung.« Obwohl der lebensweltliche Zugang die Möglichkeit unterschiedlicher »Wahrheiten« stärkt, heißt 35 Wie prägend die kulturelle Identität ist, zeigt Alfred Pfabigan in Mord zum Sonntag, darin arbeitet er die kulturspezifischen Differenzen im Umgang mit Opfern, Tätern oder Legitimität heraus. 36 Vgl. M. Hackl: Herausforderungen, Christologie und Theonomie, bes. 192f. 37 H.-G. Gadamer : Was ist Wahrheit?, GW 2, 56. 38 E. Husserl: Cartesianische Meditationen, Hua I, 65, 71f., 115.

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das nicht, dass die Wahrheit prinzipiell verabschiedet wird. Trotz »aller Relativität« sieht Husserl einen »Weg objektiver Wissenschaft. Wir machen mit der Zielvorstellung dieser Objektivität (der einer ›Wahrheit an sich‹) eine Art von Hypothesen, mit denen die reine Lebenswelt überschritten ist. […] [A]lsbald verschwindet die Verlegenheit, wenn wir uns darauf besinnen, daß doch diese Lebenswelt in allen ihren Reaktivitäten ihre allgemeine Struktur hat. Diese allgemeine Struktur, an die alles relativ Seiende gebunden ist, ist nicht selbst relativ.«

Dies macht die entfaltete Differenz vom »universale[n] lebensweltliche[n] Apriori und universale[n] ›objektive[n]‹ Apriori« verständlich. Hieraus folgt, dass das »universale Apriori der objektiv-logischen Stufe – das der mathematischen und aller sonstigen im gewöhnlichen Sinne apriorischen Wissenschaften – in einem an sich früheren universalen Apriori, eben dem der reinen Lebenswelt, gründet. Nur durch Rekurs auf dieses, in einer eigenen apriorischen Wissenschaft zu entfaltende Apriori können unsere apriorischen Wissenschaften, die objektiv-logischen, eine wirklich radikale, eine ernstlich wissenschaftliche Begründung gewinnen«.39

Die Anerkennung der lebensweltlichen Betrachtung schließt die objektiv-logische Wissenschaft keineswegs aus. Der von Husserl eröffnete Gedanke verdeutlicht, dass Wissen weder etwas rein Objektives noch etwas rein Subjektives, sondern im Sinne der Mitwissenschaft etwas Subjekt-Objektives ist. Demnach ist der Erkennende stets Moment des Erkannten. Das Objektive ist ohne Bezug zur Subjektivität so wenig zu fassen wie umgekehrt. Eine vernünftige Philosophie verschließt sich keiner Seite. Ebenso wenig überhöht sie die eine über die andere, sie erkennt dagegen konsequenterweise an, dass sie einander bedingen und sogar wechselseitig begründen. Einsichtig wird die Begründung nur dann, wenn das Lebensweltliche als Subjektives vom Moment des Erkannten durchdrungen ist. Umgekehrt ist das objektiv Logische wesentlich durch das Subjekt bestimmt. Das subjektive Moment des Erkennens ist wesentlich als ObjektSubjekt und das objektive Moment der Erkenntnis ist wesentlich als SubjektObjekt zu fassen. Nähmen beide Seiten nicht prinzipiell aufeinander Bezug, wären sie nicht mittelbar, sie wären einander völlig fremd. Dieser Zusammenhang betont nicht nur die systematische Korrespondenz der Momente, er trägt ebenfalls den mitwissenschaftlichen Begründungsanspruch in sich. Folglich ist der subjektive Zugang, die kulturelle Identität wesentlich für die Konstruktion des objektiven Vernunftbegriffs, wobei das Wissen objektiv zugänglich bleiben muss. Die kulturelle Identität wird nicht negiert, es wird lediglich eingefordert, dass sich die pluralen Lebensweisen verständlich machen 39 E. Husserl: Krisis, Hua VI, 141–144.

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und objektiv zugänglich sind. Gelingt das, können sie allgemeine Geltung für sich reklamieren; gelingt das nicht, bleibt ihre Begründung individuell, womit sie nur für sich, nicht aber an und für sich Geltung beanspruchen können. Wird dem Lebensweltlichen ein größerer Raum, heißt ein Anspruch auf Wahrheit eingeräumt, läuft man Gefahr, einem Kulturrelativismus anheimzufallen, würde doch jede individuelle Auffassung vom Sein gleichermaßen als wahr bestimmt, wodurch Wahrheit zu etwas Beliebigem und Zufälligem verkäme, was allerdings dem Anspruch von Wahrheit zuwiderläuft. So aber würde die subjektive Sicht zur Wahrheit verklärt – das Wahre ist allgemeiner und nicht besonderer Natur. Eine argumentative Kommunikation wäre damit sogar unsinnig, da jede Sichtweise und jede Äußerung stets wahr wäre. Das hieße, jeder Gesprächspartner könnte auf seinem Standpunkt beharren und behielte per se Recht. Zwar könnte er von seinem Standpunkt ablassen, allerdings hätte das nicht unbedingt etwas damit zu tun, dass ihn die vernünftige Begründung überzeugt, sondern nur etwas mit Wohlgefallen, vielleicht noch mit subjektiver Überzeugung. Dabei reklamiert selbst diese für sich selbst, objektiv zu sein, schließlich muss es einen Grund für die individuelle Überzeugung geben. Da das kulturelle Selbstverständnis tradiert wird, fordert dieses für sich insofern objektive Geltung ein, als gerade es weitergegeben wird. Wir sind also wieder bei Gadamer : Kulturelles Wissen setzt voraus, sich über die Grenzen der Individuen, der Völker und der Zeiten hinweg verstehen zu können. Wissen kann wohl nie vollständig transportiert werden, aber die Wissensvermittlung, dies gilt insbesondere für die Tradierung der Kultur, setzt voraus, dass die Begründung nicht beliebig bzw. willkürlich sein kann. Sie muss zumindest, wie es Hösle nennt, »irgendwie einleuchten«.40 Die Vermittlung von Wissen setzt Objektivität voraus, ohne dieselbe ist keine vernünftige Kommunikation, keine Tradierung von Bestimmtheit möglich. Das Vermittelte wäre beliebig, was zur Aufhebung der Tradierung von Bestimmtheit führen würde. Gadamer ist sich, worauf Karl-Otto Apel aufmerksam gemacht hat, dieser Schwierigkeit bewusst und weist darauf hin, dass »Verstehen kein nur reproduktives, sondern stets auch ein produktives Verhalten [ist]. Es ist vielleicht nicht richtig, […] von Besserverstehen zu reden. […] Verstehen ist in Wahrheit kein Besserverstehen, weder im Sinne des sachlichen Besserwissens durch deutlichere Begriffe, noch im Sinne der grundsätzlichen Überlegenheit, die das Bewußte über das Unbewußte der Produktion besitzt. Es genügt zu sagen, daß man anders versteht, wenn man überhaupt versteht.«

40 V. Hösle: Krise der Gegenwart, 148.

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Das Wahre ist nicht bloß »Lebensausdruck«, es muss »in seinem Wahrheitsanspruch ernst genommen« werden.41 Wird eine Begründung geliefert, stellt diese einen allgemeingeltenden Anspruch an ihren Gehalt. Sie beschränkt sich keineswegs auf die subjektive Sicht, streng genommen hätte sie ansonsten für andere keine höhere Geltung als das eigene ›Meinen‹, womit die eigene Sicht nicht höher als andere zu werten wäre. Zweifelsohne baut die vernünftige Darstellung, wie Thomas Kuhn zeigt, auf unterschiedlichen paradigms,42 also auf unterschiedlichen »leitenden Ideen« – Schellings Äquivalent zu Kuhns Terminus (SW III, 644). Demnach kann es unterschiedliche Zugänge zum Sein geben, der Vernunftanspruch impliziert jedoch, dass es auf Grundlage derselben Informationen und derselben leitenden Idee nur eine allgemein einsichtige Explikation des Vernünftigen geben kann, gleich, von welchem Standpunkt aus, von welchem kulturellen Hintergrund her sie formuliert wird. Die leitende Idee bildet als paradigmatische Grenzziehung den allgemeinen Rahmen, in dem entlang des Realen konstruiert wird. Dass die vernünftige Einsicht von kulturellen Sichtweisen untergraben werden kann und zu was es führen kann, wenn die objektive Begründung zugunsten subjektiv motivierter Einstellungen aufgegeben wird, belegt beispielhaft die absurde Differenzierung in Deutsche und Jüdische Physik nur allzu deutlich, sie beruht nämlich nicht auf einer objektiven, sondern auf einer subjektiven, willkürlichen Begründung. Philipp Lenard hat sich seinerseits der Relativitätstheorie, den »›Relativierungen‹ von Raum und Zeit« versperrt, weil er davon im »gewöhnlichen Leben« nichts merkte.43 Er forderte die strikte Beibehaltung des Paradigmas der experimentalen Physik. Mit einer auf »den eingeführten Bildern des Äthers und Uräthers« aufbauenden Theorie versuchte er den mechanischen Charakter der Physik zu retten.44 Daraus, dass es sich bei dem postulierten Äther um das Medium handele »in welchem die vom Stern emittierten Lichtquanten mit der Lichtgeschwindigkeit c laufen«, das »relativ zum Stern [ruht], so daß dann seine Lichtquanten auch relativ zu ihm mit Lichtgeschwindigkeit laufen«,45 folgerte er, dass die Ausbreitung des Lichts, mit oder gegen die Bewegungsrichtung der Erde, unterschiedlich schnell sei. Weil sich das experimentell nicht nachweisen lässt,46 fehlt jeglicher Beleg für den postulierten Lichtäther, womit diese Theorie 41 H.-G. Gadamer : Wahrheit und Methode, GW 1, 301f.; vgl. K.-O. Apel: Auseinandersetzungen, bes. 571–588. 42 T. Kuhn: Scientific Revolutions, 94, 12, 27f., 94f., 111ff., 163, 166f., 176. 43 P. Lenard: Äther und Uräther, 1. 44 P. Lenard: Äther und Uräther, 66, Hervorhebung M.H., vgl. 23f.; Ders.: Relativitätsprinzip, Äther, Gravitation, bes. 12–35. 45 P. Lenard: Lichtfortpflanzung im Himmelsraum, 97, 99–104. 46 Bzgl. des missglückten Aufweises des Äthers vgl. Rudolf Tomascheks Schrift Verhalten des Lichts (bes. S. 118–126) und Lenards Verteidigung derselben (Lichtfortpflanzung im Himmelsraum, bes. 91–104).

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nicht wahrhaft überzeugen kann. Stattdessen bestätigen sich hinsichtlich der Beschreibung des Lichts Albert Einsteins relativitätstheoretische Überlegungen, ist doch die Lichtgeschwindigkeit »für alle Systeme dieselbe, ganz gleich, ob und wie die Lichtquelle sich bewegt«47 – daher sind seine Ausführungen der Äthertheorie eindeutig vorzuziehen. Einstein lehnte Lenards Theorie direkt nach deren Bekanntwerden ab und war davon überzeugt, dass dieser »in vielen Dingen sehr ›schief gewickelt‹« sein musste. Ihm erschien die »abstruse Ätherei […] fast infantil«.48 Lenard ließ sich von den Einwänden und der Kritik nicht überzeugen, er versperrte sich einer allgemein zugänglichen Wissenschaft und beharrte dagegen darauf, dass die »international[e]« Naturwissenschaft ein Irrtum sei, womit er die Widerlegung seiner Deutschen Theorie seitens der theoretischen Physik, die ihm als Jüdische Physik galt, ignorierte. Er verwarf die theoretische Physik und akzeptierte deren vernunftbegründete Einwände schlechthin nicht. Allein die Deutsche Physik, die Lenard als die »arische Physik oder Physik der nordisch gearteten Menschen« bezeichnet, war für ihn von Belang. Damit nahm er von einer objektiven Begründungsleistung Abstand und propagierte stattdessen einen individuellen, ja einen rassischen Wahrheitsbegriff. Er war davon überzeugt, dass in »Wirklichkeit […] die Wissenschaft, wie alles, was Menschen hervorbringen, rassisch, blutmäßig bedingt« sei, denn »Völker anderer Rassenmischung haben eine andere Art, Wissenschaft zu treiben.«49 Diese Auffassung ist aus vernünftiger Perspektive eindeutig zum Scheitern verurteilt, hiermit wird nämlich die völkische Sicht per se über die Objektivität gestellt. Ebenso entzog sich Lenards Kollege Johannes Stark dem objektiven Vernunftanspruch und rekurrierte auf einen rein weltanschaulichen, heißt willkürlichen Wahrheitsbegriff, wobei er sogar forderte, dass der »weltanschauliche Kampf [gegen die Jüdische Physik] […] verschärft aufgenommen werden [muss]. Nicht nur der Forscher hat zu kämpfen, um der germanischen Wirklichkeitstreue zum endgültigen Siege zu verhelfen«.50 Angesichts der Einseitigkeit dieses Denkens ist anzuerkennen, dass 47 A. Einstein: Physik, 115. Zur Diskussion des Lichtäthers vgl. M. Born: Relativitätstheorie, bes. 123–125; A. Einstein: Physik, bes. 74–85, 112–120; Ders.: Relativitätstheorie, bes. 8–39. 48 Albert Einstein an Jakob Laub ca. 1910 (A. Kleinert/C. Schönbeck: Lenard und Einstein, 322); Zur Diskussion vgl. A. Kleinert/C. Schönbeck: Lenard und Einstein, bes. 322–330; C. Schönbeck: Einstein und Lenard, bes. 14. 49 P. Lenard: Deutsche Physik, Bd. 1, IX, IX–XV. Vgl. M. v. Laue: Review of Lenard’s German Physics. 50 Johannes Stark zitiert nach: L. Poliakov/J. Wulf: Das Dritte Reich und seine Denker, 299. Bzgl. Starks Angriffen auf die Jüdische Physik vgl. J. Stark: Jüdische und deutsche Physik, bes. 21– 30, 56. Von welchem Geist Stark geprägt ist, zeigt der Schluss seiner Rede Jüdische und deutsche Physik: »[N]ach meinem Dafürhalten hat die Dogmatik in der Physik während der letzten Jahrzehnte einen sehr großen Schaden angerichtet, indem sie bei der nachwachsenden Jugend eine falsche geistige Einstellung zu den physikalischen Erscheinungen her-

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diejenigen, die die Rasse über das Vernünftige des Menschen an sich stellen, die Wahrheit preis- und sich der Willkür hingeben. Der Irrglauben und das Festhalten an der völkischen Wissenschaft der Deutschen Physiker macht eingängig, wie unheilvoll und destruktiv ein derart verschränktes Denken ist. Das Unheilvolle daran ist, dass sich der völkische Wahrheitsanspruch den Schein von Objektivität gibt, wiewohl er sich nicht auf allgemeine Weise zu rechtfertigen weiß. Die Ansätze von Lenard und Stark nehmen für sich in Anspruch, wahr zu sein, ohne die eigene Sicht kritisch zu reflektieren. Ihre blutmäßige Weltanschauung wird nicht vernünftig expliziert, sie wird lediglich postuliert. Erhebt man das Weltanschauliche blind zur Wahrheit, wird das Subjektive über das Objektive gestellt, was impliziert, dass der subjektiven Weltsicht, gleich wie abwegig sie sein mag, Wahrheit zugesprochen wird. Da auf dieser Grundlage keine vernünftige Kommunikation möglich ist – was richtig ist und was gilt, darüber entscheidet hier nicht die vernünftige Begründung –, wird die kulturelle Pluralität wie die Pluralität des Denkens aufgehoben. Ist das Subjekt von seiner Sicht überzeugt, muss ihm seine Haltung irgendwie einleuchten, sonst würde es diese nicht vertreten. Bereits das setzt ein gewisses Maß an Einsicht voraus, es muss einen Grund geben, warum diese Haltung vertreten wird. Und dieser muss allgemein zugänglich sein, nur dann hat er für uns überhaupt Bedeutung. Entsprechend kann sich die subjektive Sichtweise dem objektiven Anspruch so wenig entziehen, wie es in dem von Immanuel Kant begründeten Geschmacksurteil der Fall ist. Dieses verlangt, dass »mit dem Bewußtsein der Absonderung in demselben von allem Interesse ein Anspruch auf Gültigkeit für jedermann ohne auf Objecte gestellte Allgemeinheit anhängen [muss], d. i. es muß damit ein Anspruch auf subjective Allgemeinheit verbunden sein.«51 Der subjektive Geltungsanspruch impliziert die Möglichkeit der vernünftigen Begründung, wenngleich das gefällte Urteil »nicht jedermanns Einstimmung [postuliert] (denn das kann nur ein logisch allgemeines, weil es Gründe anführen kann, thun); es sinnt nur jedermann diese Einstimmung an, als einen Fall der Regel, in Ansehung dessen es die Bestätigung nicht von angezogen und die schöpferische Tätigkeit in pragmatischem Geiste gelähmt hat. Dieses Urteil ist hart, aber es ist gerecht und muß einmal mit aller Schärfe ausgesprochen werden. […] Die judengeistigen Dogmatiker mögen wissen, daß ihre Zeit in Deutschland vorbei ist; für sie ist kein Platz mehr in der deutschen Physik« (J. Stark: Jüdische und deutsche Physik, 56). Auf die Differenz von Deutscher und Jüdischer Physik hat erstmals Willi Menzel 1936 in Deutsche Physik und jüdische Physik hingewiesen, worauf Werner Heisenberg eine, wenngleich vorsichtige Erwiderung verfasst hat. Vgl. W. Heisenberg: Deutsche und jüdische Physik, GW C V, 10f.; Ders.: Bewertung der »modernen theoretischen Physik«, GW C V, bes. 23–25. Stark hat hierauf reagiert (vgl. J. Stark: Comment on W. Heisenberg’s Reply). Zu den unsäglichen Differenzierungen im Umfeld des Nationalsozialismus vgl. K. Hentschel et al. (Hg.): Physics and National Socialism. 51 I. Kant: Kritik der Urteilskraft, Akad.-Ausg. V, 212, vgl. bes. 214–216.

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Begriffen, sondern von anderer Beitritt erwartet. Die allgemeine Stimme ist also nur eine Idee (worauf sie beruhe, wird hier noch nicht untersucht). Daß der, welcher ein Geschmacksurtheil zu fällen glaubt, in der That dieser Idee gemäß urtheile, kann ungewiß sein; aber daß er es doch darauf beziehe, mithin daß es ein Geschmacksurtheil sein solle, kündigt er durch den Ausdruck der Schönheit an.«52

Mit dem subjektiven Urteil ist demnach ein objektiver Anspruch verbunden. Darum ist mit Kant gesprochen jeder individuellen Sichtweise gleichermaßen ein Anspruch auf subjektive Allgemeinheit immanent, nämlich insofern, als jedem Subjekt seine weltanschaulichen Wahrheiten zuzugestehen sind; diese aber müssen objektiv verständlich gemacht werden, zumal, wenn sie allgemeiner Art und nicht willkürlich sein wollen. Das macht es unumgänglich, die individuelle Perspektive objektiv zu kommunizieren und ihre Willkürlichkeit in Bestimmtheit zu überführen. Wird die subjektive Weltsicht unabhängig von vernünftiger Einsicht verabsolutiert, steht ihre Begründung, da sie willkürlich und zufällig ist, außerhalb der Vernunft. Ihre Erklärung leuchtet nicht einmal irgendwie ein, das Subjekt wird zum Objekt verklärt. Bezüglich der Idee vom Wahren ist es weder ein Problem, dass es unterschiedliche kulturelle Identitäten, noch, dass es individuelle Zugänge gibt. Es ist lediglich so, dass individuelle Sichtweisen nicht per se objektiven Wahrheitsanspruch erheben können. Die Sichtweisen und ihre Bedeutung müssen vernünftig begründet werden, um intersubjektive Geltung für sich beanspruchen zu können. Friedrich Nietzsches Verständnis vom Irrthum,53 Husserls von Lebenswelt, Horizont und Habitus,54 Norbert Elias’ und Pierre Bourdieus vom Habitus55 sowie das des Horizonts bei Gadamer sind grundsätzliche Spezifikationen der subjektiven Bestimmungen.56 Sie deuten aber keineswegs darauf hin, dass die Objektivität zu verabschieden ist; stattdessen legen sie nahe, dass jene Bestimmungen selbst als Momente der objektiv-vernünftigen Begründung verstanden und reflektiert werden müssen. Spätestens mit Nietzsche hat die Subjektivität, die Perspektivität hinsichtlich der Begründungsleistung eine neue Bedeutung gewonnen, allerdings kann das nicht davon ablenken, dass der objektive Vernunftanspruch Voraussetzung einer jeden Begründung ist, da dieser der Anspruch auf Allgemeinheit implizit ist. Auf dem Fundament des Vernünftigen ist es zweckhaft, einen rationalen Diskurs zu führen, der zur Einsicht erheben und eine Begründung leisten kann. Dass Be52 I. Kant: Kritik der Urteilskraft, Akad.-Ausg. V, 216. 53 Vgl. F. Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches I, KSA 2, 50. 54 Vgl. E. Husserl: Cartesianische Meditationen, Hua I, 65, 71f.; Ders.: Krisis, Hua VI, 70, 130– 132, 140–149, 165, 167; Ders.: Erste Philosophie. Zweiter Teil, Hua VIII, 66f., 144f. 55 Vgl. N. Elias: Prozeß der Zivilisation, Bd. 2, 315f.; Ders.: Studien über die Deutschen, 7f., 27f.; P. Bourdieu: Die feinen Unterschiede, 173–175, 277–282, 660f. 56 H.-G. Gadamer : Wahrheit und Methode, GW 1, 307–312, 392.

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gründung und Einsicht möglich sind, belegt die Differenz von Wort und Begriff. Freiheit hat eine Vielzahl an Bedeutungen, wenngleich im Deutschen diese durch ein Wort ausgedrückt werden. Ins Englische lässt sich das deutsche Wort Freiheit beispielsweise mit freedom, liberty oder latitude übersetzen. Dass auch ohne die Wortdifferenzierung im Deutschen eine klare Unterscheidung des Begriffs Freiheit möglich ist, liegt daran, dass das Wort mit unterschiedlichem Inhalt gefüllt wird. Was mit Freiheit gemeint ist, hängt nicht bloß vom Buchstaben ab, entscheidend ist der begriffliche Inhalt. Die Kommunikation darüber setzt voraus, dass die Sache objektiv einsichtig gemacht wird. Ob beispielsweise Freiheit im Sinne von freedom und nicht von liberty verwendet wird, lässt sich an der begrifflichen Bestimmung ablesen. Um von Wahrheit sprechen zu dürfen, bedarf es einer vernunftbegründeten Konstruktion, die nicht subjektiv-willkürlich,57 sondern entschieden objektiv ist, womit sie jedem vernünftigen Wesen, zumindest potentiell, einsichtig sein muss. Ist das nicht der Fall, ist Wahrheit beliebig und hat demzufolge nur einen beschränkten Anspruch auf Geltung, sodann wäre nach Schelling allein »relativWahre[s]« gegeben (SW VII, 514; IV, 344). Um sich hiervon zu lösen, muss jeder, der begründet bzw. argumentiert, hierauf hat Apel eingängig hingewiesen, anerkennen, dass »implizit alle möglichen Ansprüche aller Mitglieder der Kommunikationsgemeinschaft, die durch vernünftige Argumente gerechtfertigt werden können (sonst würde der Anspruch der Argumentation sich selbst thematisch beschränken), und er verpflichtet sich zugleich, alle eigenen Ansprüche an Andere durch Argumente zu rechtfertigen.«58

Indem wir uns erklären und die Erklärung zur Diskussion stellen, setzen wir im Diskurs die Idee der objektiven Vernunft als regulative Idee der Wahrheit voraus. Nach Wilhelm von Humboldt geht »die objective Wahrheit aus der ganzen Kraft der subjectiven Individualität hervor[]. […] Indem sie [die Sprache] dem Erkennbaren, als subjectiv, entgegensteht, tritt sie dem Menschen, als objectiv, gegenüber. […] Die Subjectivität der ganzen Menschheit wird aber wieder in sich zu etwas Objectivem. Die ursprüngliche Uebereinstimmung zwischen der Welt und dem Menschen, auf welcher die Möglichkeit aller Erkenntniß der Wahrheit beruht, wird also auch auf dem Wege der Erscheinung stückweise und fortschreitend wiedergewonnen.«59

57 Vgl. E. v. Glaserfeld: Konstruktion der Wirklichkeit, bes. 32. 58 K.-O. Apel: Transformation der Philosophie, Bd. 2, 424f., 387, 399f.; Bd. 1, 62. 59 W. v. Humboldt: Sprachstudium, Werke 3, 20. Apel verweist auf diese Stelle, aber nur auf den ersten Teil des angeführten Zitats. Vgl. K.-O. Apel: Transformation der Philosophie, Bd. 1, 106.

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Die Kommunikation wie die Begründung bedarf der leitenden Idee der objektiven Vernunft ebenso wie der Wahrheit; jene Idee hat nicht den Anspruch eines »platonischen Ideenhimmel[s]«,60 schließlich wird ihr Inhalt nicht als etwas rein Objektives verstanden, sondern gemäß der Mitwissenschaft als etwas entschieden Subjektiv-Objektives, womit der Begreifende selbst Grund der leitenden Idee ist. Auf dieser erkenntnistheoretischen Basis ist es möglich, trotz individueller Sprache und Kultur miteinander zu kommunizieren und objektive Prinzipien zu formulieren, die allgemeine Geltung für sich beanspruchen und nicht auf individuellen, somit beliebigen Bestimmungen gründen. Freilich ist selbst der hier angedeutete metaphysische Ansatz (vgl. Kap. III.10), um sich der Worte Gadamers zu bedienen, »nur eine geschichtliche Möglichkeit – und Chance«61 – aber eine geschichtliche Möglichkeit, die es zulässt, objektive Prinzipien ›in der Zeit‹ zu begründen.

2.

Ideales und Reales

Um einen allgemeingültigen Begriff von der Welt zu formulieren, müssen wir uns der regulativen Idee der Wahrheit bedienen. Aus begründungstheoretischer Sicht müssen wir »eine Wahrheit voraussetzen«, um Friedrich Schelling zufolge dem, was die Philosophie zu begreifen sucht, »objektive Wahrheit zuschreiben« zu können (SW XII, 3, 645f.). Ohne diesen Schritt ist es unsinnig, begründen und Einsicht erreichen oder einfordern zu wollen, es bleibt alle Begründung in der Beliebigkeit verhaftet. So gesehen dient uns, wie es Karl-Otto Apel entfaltet, die objektive Wahrheit im kantischen Sinne als regulatives Prinzip bzw. als regulative Idee, welche für die vernünftige Kommunikation, für die Begründung unumgänglich ist. Im Grunde wird sogar mit der eigenen Meinung ein objektiver Geltungsanspruch vertreten, wenngleich kein begründeter, sondern einer des ›Meinens‹ (vgl. TWA 18, 30). Damit das Subjektive begründet und mittelbar ist, muss ihr Geltungsgrund allgemein einzusehen sein. Erst im Diskurs kann sich die »intersubjektive[] Geltung der Wahrheit« bestätigen.62 Dennoch ist vernünftiges Wissen wesentlich objektiv, schließlich impliziert bereits das bloße subjektive ›Meinen‹ einen Geltungsanspruch, der über das Subjekt hinausgeht. »Denn ein erkenntnisbezogener Diskurs ergibt keinen Sinn ohne die Voraussetzung, daß ein intersubjektiver Konsens im Prinzip möglich ist, und zugleich

60 V. Hösle: Krise der Gegenwart, 178. 61 H.-G. Gadamer : Problem der Geschichte, GW 2, 36. 62 K.-O. Apel: Erste Philosophie, 325, 347f.; Ders.: Auseinandersetzungen, 147, 149–154, 184– 188, 192; vgl. I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 647, 670–696.

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setzt er voraus, daß jeder faktische Konsens in der Zeit auch als fallibel in Frage gestellt werden kann und muß.«63 Was als wahr auszuweisen ist, hängt davon ab, was sich aus unserer Sicht begründen, verstehen und einsehen lässt. Der Wahrheitsbegriff ist demzufolge ein subjektiv-objektiver, weswegen »wir sinnvollerweise keine andere Einlösung von Wahrheitsansprüchen denken können als die einer Rechtfertigung durch Argumente im Diskurs; und der Anspruch auf schlechthin universale, intersubjektive Gültigkeit, der mit jedem Wahrheitsanspruch verbunden ist, kann daher nicht durch einen Wahrheitsbegriff expliziert werden, der nur durch einen Realitätsbezug und nicht auch zugleich durch die Idee der Rechtfertigung im Sinne des Konsenses einer unbegrenzten Diskursgemeinschaft expliziert werden könnte.«64

Um einen wohlbegründeten, heißt, keinen willkürlichen, Standpunkt zu vertreten, reicht es nicht, dass das Denken »allen Entkräftungsversuchen standhält«,65 oder dass der eingenommene Standpunkt allein aus der diskursiven Verständigung hervorgeht. Es ist mehr vonnöten. Diesbezüglich ist Jürgen Habermas zuzustimmen, dass es zweckhaft ist, einem Gegenstand erst dann ein Prädikat zuzusprechen, wenn »jeder andere, der in ein Gespräch mit mir eintreten könnte, demselben Gegenstand das gleiche Prädikat zusprechen würde.«66 Jedoch ist das dahingehend zu erweitern, dass der ideale Konsens grundsätzlich auf einem subjekt-objektiven Grund stehen und zudem, über Habermas’ Ansatz hinausgehend, dem Wissen von Natur und Geist gleichermaßen gerecht werden muss. Obwohl Habermas diesen Umstand nicht einbezieht, ist er sich darüber im Klaren, dass der ideale Konsens nichts Beliebiges ist, auch er fordert objektive Bestimmtheit. Wenn wir etwa »unter ›Konsensus‹ jede zufällig zustande gekommene Übereinstimmung verstehen würden, könnte er offensichtlich als Wahrheitskriterium nicht dienen. Deshalb ist ›diskursive Einlösung‹ ein normativer Begriff; die Übereinstimmung, zu der wir in Diskursen gelangen können, ist allein ein begründeter Konsensus.«67

Das maßgebliche Problem an Habermas’ Überlegungen ist, dass er den Erkenntnisprozess an Interessen knüpft, welche ihm »Grundorientierungen [sind], 63 K.-O. Apel: Erste Philosophie, 327. Vgl. dazu Wolfgang Kuhlmanns Hinweis, dass die »Regeln der Argumentation« (W. Kuhlmann: Reflexive Letztbegründung, 10, 13) nicht bestritten werden können und sie nur »wirksam« sind »als anerkannte« Regeln (W. Kuhlmann: Reflexive Letztbegründung versus Fallibilismus, 366, 365–374). 64 K.-O. Apel: Erste Philosophie, 333; vgl. Ders.: Transformation, Bd. 2, 429. 65 K.-O. Apel: Erste Philosophie, 345. 66 J. Habermas: Vorstudien und Ergänzungen, 136. 67 J. Habermas: Vorstudien und Ergänzungen, 160; vgl. Ders.: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2, 69–117.

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die an bestimmten fundamentalen Bedingungen der möglichen Reproduktion und Selbstkonstituierung der Menschengattung, nämlich an Arbeit und Interaktion, haften.«68 Wird der »Interessenzusammenhang« als »Lebenszusammenhang« gefasst,69 führt das dazu, dass letzten Endes die soziale Welt der Grund der Erkenntnis und der Begründung ist. Das ist inakzeptabel, denn damit wird Wissen aus besagten Gründen zu etwas kulturell Spezifischem und läuft Gefahr, zu etwas Beliebigem zu werden, zumindest solange, bis der vertretene Standpunkt intersubjektiv zugänglich ist. Obwohl Habermas dies in seiner theoretischen Grundierung nicht weiter ausführt, ist er sich darüber im Klaren, dass die »Bedingungen, unter denen ein Konsensus als ein wirklicher oder vernünftiger, jedenfalls wahrheitsverbürgender Konsensus gelten kann, […] nicht wiederum von einem Konsensus abhängig gemacht werden« dürfen, weshalb die Konsensfähigkeit prinzipiell objektiv gesetzt werden muss. Die Bedingungen des Diskurses sind nicht auf Interessen zu reduzieren, sie bauen auf der »Kraft des besseren Argumentes«, welche im »Rahmen einer Logik des Diskurses geklärt werden« müssen.70 Demzufolge setzt der rational geführte Diskurs Regeln voraus, die er selbst nicht begründet. Habermas bedient sich, wenngleich dies seinem Diskursanspruch zuwiderläuft, einer objektiven Geltungsebene, über die nicht mehr zu diskutieren ist.71 Selbst der Diskurs ist ohne Anspruch auf Objektivität nicht zu begründen. Dass Habermas’ Zugang an diesem Punkt inkonsequent ist, liegt darin begründet, dass der Diskurs, der eigentlich Prinzip sein soll, selbst nicht dem Prinzip des Diskurses untersteht, was aber notwendig wäre, wenn der Diskurs Prinzip und mehr als eine wünschenswerte Sache sein soll. Zwar ist der, wenn man so will, dogmatische Abbruch Habermas’ in Hinblick auf seine Bestimmung inkonsistent, er dient aber als Beleg dafür, dass Subjektivität nicht durch sich selbst begründet werden kann, sie muss von Objektivität, von Allgemeinheit getragen sein. Indem der subjektive Standpunkt objektiv einsichtig dargestellt wird, werden gewissermaßen die Interessen der verschiedenen Parteien in einen vernünftigen Dialog gebracht, womit der Anfang einer klärenden Kommunikation gemacht ist. Das hier zu verortende Begründungsproblem ist äquivalent zu Immanuel Kants Objektivitätsanspruch der Subjektivität, dem »Anspruch auf subjective Allgemeinheit«:72 Bereits das subjektive ›Meinen‹ erhebt den Anspruch, allgemein zu sein. Das Verhältnis von erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt 68 69 70 71 72

J. Habermas: Erkenntnis und Interesse, 242, vgl. 242–262. J. Habermas: Erkenntnis und Interesse, 240. J. Habermas: Vorstudien und Ergänzungen, 160f. Vgl. dazu die Kritik von Ernst Tugendhat in: Vorlesungen über Ethik, 163–176. I. Kant: Kritik der Urteilskraft, Akad.-Ausg. V, 212.

Ideales und Reales

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betrifft gleichermaßen das Wissen vom Geist und von der Natur: Wahr kann nicht sein, was einer der beiden Seiten widerspricht. Wahrheit darf sich nicht auf eine der beiden Seiten beschränken, sie muss beide Seiten umfassen, schließlich darf der Begriff der Wahrheit, wie Schelling ausführt, »nichts bloß Gemachtes, Subjektives, er muß ein wahrhaft Objektives seyn« (SW XIII, 3). Was wahr ist, darf nicht bloß subjektiver oder objektiver Natur sein, es muss mit beiden Seiten in Einklang stehen. Demgemäß kann sich der begründete Konsens nicht auf die soziale Welt beschränken, er muss ebenso auf die Natur Bezug nehmen, ansonsten wird der Aufweis nur einseitig geführt. Ist das der Fall, mag es zwar einen Konsens geben, dieser ist aber nur in beschränkter Weise gültig, wird doch das Subjektive objektiviert, ohne zu erklären, wie das Objektive subjektiv zu fassen ist. Mittels der Reduktion auf den Geist wird die soziale Welt zum Gradmesser der Begründung, während das Natürliche, das Reale von deren Bestimmung vollkommen ausgeklammert wird; umgekehrt wird bei einer Reduktion auf die Natur das Soziale völlig ausgeschlossen. Wird auf beide Seiten gleich gültig Bezug genommen, kann sich die eine Seite gegenüber der anderen erweisen, womit sie einander zum, wie es Kant nennt, »Probirstein der Richtigkeit« werden.73 Dieses Verständnis legt nahe, dass eine vernünftige Konstruktion nicht nur systematisch expliziert werden muss, ebenso müssen Idee und Realität aufs Engste miteinander verbunden sein. Begreifen lässt sich ausschließlich das, was auf das Ideale und das Reale gleichermaßen bezogen ist. Ist dem nicht so, ist die, so Apel, »Selbsterhellung der Vernunft« nicht möglich.74 Für diese bedarf es der Betrachtung des Ganzen, nicht bloß des subjektiven Moments. Der Mensch kann sich diesem grundlegenden Verständnis nicht entziehen, er kann sich von sich selbst nur dann ein Bild machen, wenn er seine psycho-physische Einheit, seine ideale (Bewusstsein) und seine reale Seite (Leib) durchdringt. Zwar spielt in Apels neueren Arbeiten die Natur kaum mehr eine Rolle, dennoch ist ihm ihre Bedeutung nicht fremd. Das belegt seine frühere Vorstellung vom »Leibapriori«,75 die den Leib und das Bewusstsein als (komplementäre) Einheit zu fassen sucht. Diesbezüglich mahnt er, dass das Erkennen »vom handelnden Eingriff in die Welt prinzipiell nicht mehr zu trennen [ist], und darin liegt die Aufhebung der kartesischen SubjektObjekt-Trennung.«76 Dass er sich vom Naturbezug – wie in der Diskursethik nicht unüblich – zunehmend distanziert und sich auf den Sprechakt fokussiert, führt dazu, dass seine Begründungen nur noch idealer Natur sind. Seine Be73 74 75 76

I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 90. K.-O. Apel: Auseinandersetzungen, 181; vgl. Ders.: Transformation, Bd. 2, 414. K.-O. Apel: Leibapriori der Erkenntnis, 268. K.-O. Apel: Leibapriori der Erkenntnis, 280, 277–287.

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gründung baut er in Folge anhand inkonsistenter Sätze auf, wie: »Ich behaupte hiermit, dass ich nicht existiere«, oder : »Ich behaupte hiermit, dass ich keinen Sinn-Anspruch« bzw. »keinen Wahrheits-Anspruch« habe,77 und er versucht durch rein logische Erklärungen und Folgerungen zu zeigen, dass bestimmte Aussagen nicht wahr sein können. Inwiefern diese aber mit den Tatsachen, mit dem Realen verknüpft sind und wie sich dazu verhalten, führt er nicht weiter aus. Vittorio Hösle hat daher berechtigterweise darauf hingewiesen, dass Apel die Natur in seiner Theorie im Grunde ignoriert, weshalb seine Begründung bestenfalls eine einseitige Letztbegründung des Wahren liefert. Daran anknüpfend ist mit Hösle hervorzuheben, dass »einige der großen objektiven Idealisten der Tradition, die ebenfalls von reflexiven Begründungsstrukturen ausgegangen sind, den Apriorismus überstrapaziert haben. Aber das heißt noch lange nicht, daß Apels Minimalapriorismus die einzige mögliche Alternative ist. Denn entweder läßt Apels Letztbegründung die empirischen Wissenschaften so, wie sie sind, vermag ihnen also nichts zu geben; dann aber ist seine Letztbegründung eine Begründung, die nichts begründet, ein Prinzip, das nichts prinzipiiert, und man kann ihr den Vorwurf nicht ersparen, steril zu sein.«78

Obwohl Hösle dem Apriorischen einen höheren Wert zuschreibt, als dies in den folgenden Überlegungen der Fall ist, hat er sehr klar gesehen, dass eine Begründung, die das Reale außer Acht lässt, steril ist, weshalb sie nicht bloß isoliert, sondern sogleich unfruchtbar in Hinblick darauf ist, die Welt in ihrer Ganzheit begrifflich zu fassen. Sie beschränkt sich auf das Bewusstsein, das Subjektive. Da die Selbstreflexion des Menschen nicht ohne Bezugnahme auf das Reale und das Ideale zu leisten ist, ist es durch die einseitige Bezugnahme nicht möglich, eine vollständige Beschreibung des Wahren zu liefern. Beiden Seiten muss in demselben Maße Geltung widerfahren. Zwar heißt das nicht, dass die rein ideale bzw. die rein reale Betrachtungsweise von vornherein irrt, sondern nur, dass sie aufgrund ihres einseitigen Zugangs nur bedingt überprüfbar ist. Auch wenn die Bezugnahme auf beide Seiten im gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskurs »ungewohnt« erscheinen mag,79 ist es gerade dieses holistische Verständnis, welches uns die Einsicht in die Struktur des Seins liefert. Grundsätzlich ist anzuerkennen, dass ohne Sätze a priori das Aposteriorische lediglich phänomenal wahrnehmbar und nicht gesetzmäßig zu fassen ist, während umgekehrt Apriorisches, das bloß gedacht wird und sich nicht vor der Erfahrung bestätigt, leer bleibt. Erst mittels eines Satzes a priori ist prinzipiell Einblick in die »fundamentalen[n] Denkzusammenhänge« zu erlangen.80 Die 77 78 79 80

K.-O. Apel: Rationalitätstypen, 24. V. Hösle: Krise der Gegenwart, 222. V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 101. V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 122. Vgl. I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 3.

Ideales und Reales

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leitende Idee ist die Bedingung vom gesetzmäßigen Wissen über das Reale, umgekehrt prägt das Reale die Idee, gemäß der konstruiert wird. Mit Kant lässt sich dazu sagen: »Wir können auf keine Nothwendigkeit a posteriori schließen, wenn wir nicht schon a priori eine Regel haben. […] Wenn viel Fälle auf einerlei Art sich zutragen, so muß etwas seyn, dadurch diese Einstimmung nothwendig ist, setzt den Satz a priori, daß alles Zufällige eine Ursache, deren Begriff a priori bestimmt, habe, voraus.«81

Dieser Zusammenhang zeigt, dass eine Beschränkung auf das Empirische dazu führt, dass die Idee bloß als durch das Reale bestimmt erfasst wird. Wird eine einseitige Begründung geliefert, wird die Idee als reine Erfahrung bzw. umgekehrt die Tatsache als rein geistiges Konstrukt ausgewiesen. Es bedarf dagegen des vermittelten Zusammenhangs beider Sphären, weswegen nur »eine idealistische Philosophie […] den Materialismus fundieren« kann.82 Unsere auf »zwei Stämme[n]«83 – Sinnlichkeit und Verstand – gründende Erkenntnis erlaubt nämlich nicht, einen allgemeingeltenden Begriff zu formulieren, der sich lediglich auf eine der beiden Seiten bezieht. Mitwissen an etwas bedeutet, dass der Wissende an dem Gewussten teilhat: Ist dem nicht so, ist nichts, wovon wir wissen können. Folglich gründet Wissen stets auf dem Verhältnis von Erkennendem und Erkanntem, also darf in der Sphäre des Wissens weder ein bloßer Reduktionismus noch ein bloßer Dualismus von Subjekt und Objekt herrschen. Das Mitwissen fordert deren Einheit. Diese Bedingung ist der Grund, warum der von Ren8 Descartes vertretene Dualismus, der Materie und Geist »absolut auseinander riß und so den großen allgemeinen Organismus des Lebens zerstörte« (SW X, 28, vgl. 25f.; KGA I/1, 104–107; III/1, 270f.), keine hinreichende Antwort darauf geben kann, was wahr ist. Zudem weiß er ebenso wenig die Entstehung des Geistes mit der biologischen Evolution, der Entfaltung der Natur hin zum Menschen zu verknüpfen. Dieser Verknüpfung kann sich eine wohlbegründete Theorie jedoch nicht entziehen, sie muss sie aufgreifen, zumindest, wenn sie gegenwärtig einen allgemeinen Geltungsanspruch erheben will. So lehrt die Evolutionstheorie, dass der Mensch erst »durch eine lange Vorgeschichte tierseelischer Annäherungen an den Geist 81 I. Kant: Reflexionen, Akad.-Ausg. XXIII, 21. Refl. IV E 14. 82 V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 123; I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 227. Das ganze Zitat von Hösle lautet: »Das größte aller Wunder– daß es keine Wunder, also keine Durchbrechungen von Naturgesetzen geben kann – ist ohne synthetische Sätze a priori nicht zu begreifen. Nur auf der Grundlage solcher Sätze kann der Naturalismus beanspruchen, für die Sphäre der Natur wirklich lückenlos zu gelten. Und das heißt: Nur eine idealistische Philosophie kann den Materialismus fundieren« (V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 123). 83 I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 29.

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zu sich kam« (KGA III/1, 269).84 Eine universale Theorie muss berücksichtigen, dass der zum Geist befähigte Mensch aus der scheinbar »geist-lose[n]« Natur hervorgegangen ist (SW X, 25). Die Welt in ihrer jetzigen Form ist nicht ad hoc entstanden, sie hat sich erst allmählich in der Zeit entwickelt. Der Geist ist das Resultat der evolutionären Entwicklung. Nach Hans Jonas folgt hieraus, dass von Anfang an in der Natur ein »Mitdasein von Geist« gegeben sein musste (KGA III/ 1, 268, Hervorhebung M.H.), andernfalls hätte sich der Geist nicht entwickeln und nicht hervortreten können: Im Menschen sind beide Momente, Natur und Geist, absolut-identisch vereint. Die Evolutionstheorie widerspricht – wie der mitwissenschaftliche Standpunkt – entschieden der dualistischen Auffassung, weswegen mit Jonas vom »Endsieg des Monismus über jeden früheren Dualismus« zu sprechen ist (KGA III/1, 213, vgl. 251; I/2,1, 571). Diese Kenntnis muss sich in einer vernünftigen Metaphysik niederschlagen, sie muss auf diese Einsichten Bezug nehmen und kann daher die Evolution des Geistes aus der Natur nicht ignorieren: Verständlich werden uns beide Sphären erst als vermittelte Einheit.85 Eine Philosophie, die diesen Zusammenhang explizieren will, muss sich darüber im Klaren sein, dass beide Seiten miteinander korrespondieren und auseinander hervorgehen. Das gilt in besonderer Weise für eine Philosophie der Vernunft, die die Idee der Freiheit zu begründen sucht. Freiheit begründet sich im Widerstreit von Natur und Geist (vgl. Kap. III). Also muss eine vernünftige Begründung der Freiheit zeigen, wie das Geistige in Unabhängigkeit von der Natur steht und mit ihr doch verbunden ist. Mit Blick auf das Verhältnis von Natur und Geist gilt es in vernünftiger Weise einsichtig zu machen, dass die Natur (Notwendigkeit) geistbehaftet und somit auch Ausdruck von Freiheit sowie umgekehrt der Geist (Freiheit) naturbehaftet und dementsprechend auch Ausdruck von Notwendigkeit ist.

3.

Vernunft, Freiheit und Verantwortung

Eine mitwissenschaftliche Metaphysik muss sich, um Georg Wilhelm Friedrich Hegels Worte aufzugreifen, »Vernunft und Freiheit« zur »Losung« machen.86 Wenn sie das leistet, vermag sie die Grundlagen für eine allgemeine praktische Philosophie zu formulieren, die auf theoretischer Einsicht baut und sich praktisch selbst zum Prinzip hat: Freiheit wird so wahrhaft verwirklicht. 84 Vgl. C. Darwin: Descent of man, bes. Kap. II, III u. VI; KGA I/1, 78f., 86–92, 99, 155; III/1, 227–239. 85 Vgl. die Ausführungen von Thomas Nagel in Geist und Kosmos, 12f., 53f.; 105–139, 175–183. 86 Georg Wilhelm Friedrich Hegel an Friedrich Schelling Ende Januar 1795 (BuD II, 63).

Vernunft, Freiheit und Verantwortung

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Die Freiheit muss sich selbst und ihre Voraussetzungen wollen, widerstrebt sie dem, annihiliert sie sich. Freiheit ist eine große Aufgabe, durch die es möglich ist, das Vernünftige in die Welt hinauszutragen. Johann Wolfgang von Goethe wusste um die Tragweite der Freiheit, so notierte er : »Freiheit ist ein herrlicher Schmuck, der schönste von allen, Und doch steht er, wir sehn’s, wahrlich nicht jeglichem an.«87 Der freie Wille ist die Voraussetzung dafür, vernünftige Prinzipien zu begründen und für sie einzutreten. Ohne Freiheit sind vernünftige Prinzipien für uns ohne Belang, ohne sie ist es nicht möglich, unser Tun, unser Sollen jenen Prinzipien zu unterstellen, für die wir einzutreten und Verantwortung zu übernehmen haben. Wenn wir um unsere Freiheit wissen, vermögen wir einzusehen, dass wir uns den vernünftigen Prinzipien widersetzen oder aber sie befolgen können. Freiheit ist mehr als ein Schmuck, sie ist eine Aufgabe, der es sich vernünftigerweise anzunehmen gilt. Sich selbst und die Welt als vernünftig zu beschreiben, ist der erste Akt der Freiheit. Sich selbst zu bestimmen, das ist die Grundvoraussetzung aller Bestimmtheit und allen Sollens. Freiheit ist der erste Inhalt des Sollens, weswegen sich mit Goethe sagen lässt: »Die Hoffnung, immer vernünftiger zu werden, uns von den äußeren Dingen, ja von uns selbst immer unabhängiger zu machen, konnten wir nicht aufgeben. Das Wort Freiheit klingt so schön, daß man es nicht entbehren könnte, und wenn es einen Irrtum bezeichnete.«88

Zu erklären, dass wir der Freiheit nicht entbehren können, reicht nicht aus, um an ihr festzuhalten; sie gilt es – soll sie für uns von Bedeutung sein –, zu begründen. Wir müssen der Freiheit auf vernünftige Weise einsichtig werden, anderenfalls ist sie für uns nicht von Belang, sie wäre uns nur Irrtum. Wird sie, was von einer vernünftigen Metaphysik zu leisten ist, auf vernünftige und subjektiv-objektive Weise begründet, ist sie auch einzufordern. Wenn Protagonisten der neueren Hirnforschung wie Gerhard Roth der Ansicht sind, dass die Willensfreiheit ein Irrtum ist, und darauf pochen, dass »[n]icht das Ich, sondern das Gehirn […] entschieden« hat, ist der Handelnde konsequenterweise für seine Tat nicht zur Verantwortung zu ziehen und daher »im strafrechtlichen Sinne nicht schuldig«.89 Schuldig zu sein, setzt im rechtlichen Sinne voraus, dass man anders hätte handeln können. Ohne die Möglichkeit, anders handeln zu können, ist es schlechthin unsinnig, ein anderes Verhalten einzufordern oder 87 J.W. v. Goethe: Xenien, MA 4/1, 826. 88 J.W. v. Goethe: Aus meinem Leben, MA 16, 523. 89 G. Roth: Worüber dürfen Hirnforscher reden, 77f., 82. Konsequenterweise folgert Roth: »Eine Gesellschaft darf niemanden bestrafen, nur weil er in irgendeinem moralischen Sinne schuldig geworden ist – dies hätte nur dann Sinn, wenn dieses denkende Subjekt die Möglichkeit gehabt hätte, auch anders zu handeln als tatsächlich geschehen« (G. Roth: Aus Sicht des Gehirns, 181). Auf diesen Punkt macht Geert Keil in seinem Buch Willensfreiheit aufmerksam. Vgl. G. Keil: Willensfreiheit, 203 Anm.

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den Täter durch Strafe zur Einsicht und in Folge zu einem anderen Verhalten bewegen zu wollen, weshalb Bestrafung einer Tat ohne freien Willen von gänzlich anderer Qualität ist, als wenn sie unter der Idee der Freiheit steht. Die Möglichkeit, aus Freiheit zu handeln, ist für die moralische und legale Bewertung des Handelns entscheidend.90 Angesichts dessen ist Wolf Singers Standpunkt widersprüchlich. Er reklamiert, dass Freiheit eine bloße Illusion sei, zieht hieraus jedoch keine Konsequenzen für das Strafrecht. Gibt es keine Freiheit, ist die Diskussion darüber, was wir tun sollen und tun dürfen, nur Schein, schließlich haben wir sodann auf unser Tun willentlich keinen Einfluss. Entweder hängt unser Tun vom freien Willen ab – gemäß dem wir die Welt in und aus Freiheit gestalten können –, oder wir tun, was wir tun, ohne es zu wollen, weswegen wir uns sodann nicht für unser Tun rechtfertigen können. Rechtfertigung ist ohne Bedeutung, wenn wir nicht anders handeln können, als wir es tun. Das ist der Grund, warum Singers folgende Forderung ins Leere geht: »Die Gesellschaft darf nicht davon ablassen, Verhalten zu bewerten. Sie muß natürlich weiterhin versuchen, durch Erziehung, Belohnung und Sanktionen Entscheidungsprozesse so zu beeinflussen, daß unerwünschte Entscheidungen unwahrscheinlicher werden, sie muß Delinquenten die Chance einräumen, durch Lernen zu angepaßteren Entscheidungen zu finden, und – wenn all dies erfolglos bleibt – sich durch Freiheitsentzug schützen.«91

Bedeutsam ist weniger, dass Singer daran festhält, den Täter zu bestrafen, gleichwohl er im Grunde nicht für sein Handeln verantwortlich gemacht werden kann, dies tun Menschen bekanntlich auch mit Tieren, ohne dass diesen Freiheit zugesprochen wird. Die Form der Bestrafung der Tiere dürfte mit Singer wohl auf den (unfreien) Menschen zu übertragen sein. Mehr als dieser Punkt irritiert seine Forderung, dass eine Gesellschaft nicht davon ablassen darf, Verhalten zu bewerten, und versuchen muß, Entscheidungsprozesse zu beeinflussen – hier wird etwas gefordert, was eine Gesellschaft ohne die ihr zugrunde liegende Freiheit gar nicht willentlich leisten kann. Ohne Freiheit ist kein Sollen und kein Dürfen möglich. Es ist gehaltlos, ohne Freiheit darauf zu verweisen, was eine Gesellschaft darf, was sie tun soll. Wer wollen kann, hat auch die Möglichkeit zum Sollen und kann dementsprechend darüber selbst bestimmen, was wir tun dürfen.92

90 Vgl. I. Kant: Grundlegung der Metaphysik der Sitten, Akad.-Ausg. IV, 433, 440, 444–447, 453f.; Ders.: Kritik der praktischen Vernunft, Akad.-Ausg. V, 33, 43, 87. 91 W. Singer : Verschaltungen legen uns fest, 64, Hervorhebung M.H., vgl. bes. 60–64. Singer steht mit diesem Gedanken nicht allein. Vgl. W. Prinz: Der Mensch ist nicht frei, bes. 24–26. 92 Vgl. dazu die Bemerkung Hegels in: G.W.F. Hegel: Hegel in Berichten, 163.

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Problematisch ist nicht nur, dass Singer hier inkonsequent ist, sondern ebenso, dass seine an Benjamin Libet angelehnte Deutung, dass es »mein Gehirn« sei,93 welches entscheidet, einen bloß empirischen Aufweis darstellt. Da sich Singers Deutung des Freiheitsbegriffs ausschließlich auf die Bereitschaftspotentiale im Gehirn bezieht,94 beschreibt er die Freiheit bloß von außen. Die Innenseite, das Ideale bleibt vollkommen unterbestimmt, weswegen seine Erklärung ebenso wenig überzeugt wie ein reiner Materialismus oder ein kruder Dualismus (vgl. Kap. II.4.2.b; II.6.2.c). Wie es kein rein empirisches Wissen gibt, so auch kein rein ideales: Mitwissen umfasst beide Seiten. Ohne leitende Ideen ist keine Naturwissenschaft möglich, sie wäre lediglich eine Beobachtungswissenschaft.95 Geistes- bzw. Kulturwissenschaft ist ihrerseits stets von Tatsachen beeinflusst, selbst Phantasie ist nur ein Fortgeführtes von Bekanntem. Für den Aufweis der Freiheit bedeutet das, dass es weder ausreicht, sie zu postulieren, noch, sie phänomenal wahrzunehmen. Die Idee von der Freiheit ist sowohl in Bezug zur Geistes-/Kulturwissenschaft als auch zur Naturwissenschaft auszuweisen, weswegen ein empirischer Befund so wenig wie der bloße Glaube ausreicht, um sie zu wissen bzw. zu negieren. Sie ist als Tatsache und als Tat zu erfassen, auf diese Weise kann sie Geltung beanspruchen. Darum ist Carl Friedrich von Weizsäcker beizupflichten: »Einsicht eröffnet nicht nur Freiheit, sie bedarf auch der Freiheit.«96 Dies ist dahingehend zu ergänzen, dass das Bedürfen der Freiheit selbst begründungsbedürftig ist. Ist uns die Idee der Freiheit einsichtig, vermögen wir uns als Vernunftwesen zu begreifen, die selbstbestimmt zur Begründung fähig sind und für die formulierten, begründeten Prinzipien eintreten können. Diese Chance nicht wahrzunehmen, heißt, die Verwirklichung des Guten nicht wahrzunehmen, was möglich, aber wider die Vernunft ist. Das vernünftige Wissen von der Freiheit fordert, dass sie sein soll, wodurch die Verwirklichung des Guten möglich ist. Demnach sind die Herausforderungen der jeweiligen Zeit, deren gewaltigste gegenwärtig die ökologische Krise ist, stets vom Prinzip der Freiheit aus zu betrachten. Diese Einsicht verlangt uns in moralischer Hinsicht einen, um einen

93 G. Roth: Worüber dürfen Hirnforscher reden, 73. 94 Vgl. Anm. 187. Zur kausalen Deutung in Bezug auf die Freiheit vgl. V.L. Waibel: Antinomie der Freiheit. 95 Dieser Gedanke wird nicht von allen geilt. Vgl. W. Prinz: Der Mensch ist nicht frei, bes. 22–24. 96 C.F. v. Weizsäcker : Garten des Menschlichen, 237, vgl. 182f. An anderer Stelle betont Weizsäcker : »Moralische Regeln sind faktisch unter der Prämisse der Freiheit formuliert« (C.F. v. Weizsäcker : Zeit und Wissen, 401). Trotz des Hinweises ist Weizsäckers Freiheitsbegriff ein grundsätzlich anderer als der hier vertretene (vgl. C.F. v. Weizsäcker : Bewußtseinswandel, 324f.; Ders.: Deutlichkeit, 93f.), zumal er von Freiheit als politischer Freiheit spricht (vgl. C.F. v. Weizsäcker : Deutlichkeit, 10f.; Ders.: Wahrnehmung der Neuzeit, 326).

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Begriff Weizsäckers aufzugreifen, »Bewußtseinswandel« ab,97 schließlich muss vernünftiges Handeln einerseits auf die Freiheit gerichtet sein, andererseits ist es die Freiheit, die das Vernünftige erst hervorbringt und zu verwirklichen weiß. Obwohl der Begriff vom Vernünftigen von unserem Kenntnis- und Informationsstand abhängt, wandelt sich nicht die Idee des Wahren, es wandelt sich ausschließlich ihre Konstruktion. Diese muss sich mitwissenschaftlich ›in der Zeit‹ bewähren. Metaphysische Prinzipien sind genau dann nichts Zufälliges, wenn ihnen eine vernünftige Begründung vorausgeht. Dass dies die soziale Welt nicht hinreichend leistet, hat beispielhaft Norbert Elias aufgezeigt, immerhin ist die Zivilisation »nichts ›Vernünftiges‹; sie ist nichts ›Rationales‹, so wenig sie etwas ›Irrationales‹ ist. Sie wird blind in Gang gesetzt und in Gang gehalten durch Eigendynamik eines Beziehungsgeflechts, durch spezifische Veränderungen der Art, in der die Menschen miteinander zu leben gehalten sind. Aber es durchaus nicht unmöglich, daß wir etwas ›Vernünftigeres‹, etwas im Sinne unserer Bedürfnisse und Zwecke besser Funktionierendes daraus machen können.«98

Etwas Vernünftigeres zu machen, kann nur heißen, den Lauf der Weltgeschichte, wie es Hegel ausdrückt, rational zu bestimmen (vgl. TWA 8, 62, § 16; TWA 12, 17).99 Diese Möglichkeit setzt voraus, dass das nicht notwendig der Fall ist, ansonsten wäre die Geschichte auch ohne unser Zutun vernünftig, womit das Sollen des Vernünftigen für uns nur noch Schein wäre. Auf Grundlage des mitwissenschaftlich begründeten Prinzips der Freiheit lassen sich Werte formulieren, die für uns wahr sind und vor dem bloßen ›Meinen‹, vor willkürlichen und relativen Wegweisungen schützen. Freiheit ist der höchste Wert und damit der Grund allen Sollens, ohne Freiheit sind keine Werte zu begründen. Notwendig ist es nicht, sich diesem Wert zu verpflichten; um aber die Möglichkeit der Moralität wahrzunehmen, gilt es für die Freiheit einzutreten. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass eine Handlung als gut ausgewiesen werden kann. Allgemeine Prinzipien zu formulieren und für diese einzutreten, ist das Höchste, was der Mensch aus Vernunft und Freiheit vollbringen kann, hier werden Geist und Natur schlechthin als Einheit gefasst. »Es kann also Niemand sich für praktisch bewandert in einer Wissenschaft ausgeben und doch die Theorie verachten, ohne sich bloß zu geben, daß er in seinem Fache ein Ignorant sei: indem er glaubt, durch Herumtappen in Versuchen und Erfahrungen, ohne sich gewisse Principien (die eigentlich das ausmachen, was man Theorie nennt) 97 C.F. v. Weizsäcker : Bewußtseinswandel, 17. 98 N. Elias: Prozeß der Zivilisation, Bd. 2, 316; vgl. KGA I/1, 350–352. 99 Vgl. M. Hackl: Seinsollen des Vernünftigen. Auf die Nähe zwischen Elias und Hegel hat Pirmin Stekeler-Weithofer hingewiesen. Vgl. P. Stekeler-Weithofer : Philosophie des Selbstbewußtseins, 389f.

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zu sammeln und ohne sich ein Ganzes (welches, wenn dabei methodisch verfahren wird, System heißt) über sein Geschäft gedacht zu haben, weiter kommen zu können, als ihn die Theorie zu bringen vermag.«100

Prinzipien lassen sich, wie Immanuel Kant nahelegt, nicht durch Herumtappen finden, es bedarf ihrer vernünftigen Begründung. Durch sie ist es möglich, dem subjektivistischen Wahrheitsanspruch etwas entgegenzusetzen, ohne die Offenheit der Weltanschauungen, der pluralen Lebensweisen und den damit verbundenen identitätsstiftenden Anspruch aufgeben zu müssen. Da die Möglichkeit sowie die Wirklichkeit des Guten auf der vernunftbasierten Idee der Freiheit gründen, ist die Moralphilosophie eine grundsätzlich metaphysische Angelegenheit, schließlich ist das begründete Prinzip, auf dem sie baut, ein metaphysisches. Demnach hängt das Wissen vom Guten wie die Antwort auf die Herausforderungen vom begründeten Begriff, also gleichermaßen von Vernunft und Freiheit ab. Hiermit wird keineswegs die Objektivität des Guten relativiert, das begründete Prinzip im Sinne der Idee der Vernunft hat objektive Geltung. Freiheit gilt es zu erweisen. Es kann nicht darum gehen, sie zu erfinden, weil wir ihr im angeführten goetheschen Sinn nicht entbehren können. Das Wissen um die Freiheit mag wünschenswert sein, allerdings hilft es nichts, sie zu wünschen – ist sie uns nicht auf real-ideale Weise einsichtig und korrespondiert nicht mit dem Wissen unserer Zeit, ist sie uns bloßer Irrtum. Ein nur einseitiger Aufweis belegt bestenfalls die Möglichkeit der Freiheit, begründet sie aber nicht, womit sie nicht wahrhaft einzufordern ist. Um sie zu begründen, bedarf es der Bezugnahme auf die Idee und die Realität. Stehen beide Momente diesbezüglich in Einklang, ist der formulierte Begriff als vernünftig auszuweisen. Diese Bestimmung ist der Grund, warum man erst mit der Atomphysik seit dem 19./ 20. Jahrhundert von einem vernünftigen Wissen von den kleinsten Teilchen sprechen konnte, und das, obwohl Leukipp,101 Demokrit102 und Platon103 lange vor der Atomphysik eine ideale, sohin bildhafte Vorstellung von einem atomistischen Modell lieferten.104 Solange sich die ideale Vorstellung real nicht fassen lässt, haben wir keinen wahrhaft vernünftigen Begriff von ihr. Ohne realen Aufweis sind die idealen Bestimmungen leer. Was als wahrhaft vernünftig bestimmt wird, hängt vom Kenntnis- und Informationsstand ab, gemäß dem die Welt beschrieben wird. Können doch durch unzureichende Kenntnis unzureichende Antworten gegeben werden, die in ihrer Zeit angesichts der Informationslage als vernünftig gelten konnten. Das mit100 101 102 103 104

I. Kant: Über den Gemeinspruch, Akad.-Ausg. VIII, 276. Vgl. Diogenes Laertius: Leben und Meinungen, Buch IX, 163–165. Vgl. Diogenes Laertius: Leben und Meinungen, Buch IX, 165–170. Vgl. Platon: Timaios, Werke 7, 53c–58c. Zu den kleinsten Teilchen und Platon vgl. W. Heisenberg: Der Teil und das Ganze, GW C III, bes. 321–334.

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wissenschaftliche Wissen ist vorläufig als objektives Wissen auszuweisen, darum können die Bestimmungen angesichts eines gegebenen Informationsstands als vernünftig klassifiziert werden. Hieraus folgt nicht, dass es unseren gegenwärtigen Wissensansprüchen genügen muss, wenngleich es diesen nach wie vor genügen kann. Anhand falscher Informationen nicht zum ›richtigen Ergebnis‹ zu gelangen, ist ohnehin nicht problematisch, nicht der Irrtum per se ist das Problem, das Problem ist das starre Festhalten am Irrtum, an Altbekanntem, welches sich dem Fortschritt versperrt. Die Vernunft fordert, sich dem Wissen der Zeit zu stellen und diesem aufs Neue Ausdruck zu verleihen; mit Goethe lässt sich sagen: »[A]uch eine schädliche Wahrheit ist nützlich, weil sie nur Augenblicke schädlich seyn kann und alsdann zu andern Wahrheiten führt, die immer nützlich und sehr nützlich werden müßen und umgekehrt ist ein nützlicher Irrthum schädlich, weil er es nur augenblicklich seyn kann und in andre Irrthümer verleitet die immer schädlicher werden. Es versteht sich dieses im Grosen ganzen der Menschheit betrachtet.«105

Wider die Vernunft ist es, vor der »Furcht zu irren« zu resignieren (TWA 3, 69). Wissensfortschritt besteht darin, Irrtum aufzudecken.106 Bekannte Beispiele solcher Irrtümer sind die andiskutierte Äthertheorie, die im 17. Jahrhundert aufkeimte und bis ins 20. Jahrhundert hinein wirkte, und die Vorstellung vom Phlogiston im 17. und 18. Jahrhundert, welche erst im späten 18. Jahrhundert von Antoine Laurent de Lavoisier als Irrtum ausgewiesen und von der Oxidationstheorie abgelöst werden konnte. Lavoisiers Weiterführung hat sogar die Bedeutung der »quantitativen Messungen« für die Naturwissenschaft untermauert.107 Der überwundene Irrtum kann somit dazu beitragen, neue Paradigmen in die Wissenschaft einzuführen, die den Fortschritt nachhaltig befördern.108 Dass seit dem frühen 20. Jahrhundert ganzheitliche Ansätze zunehmend an Bedeutung verloren haben, hängt mit dem übermäßigen Vertrauen in die empirische Forschung und dem vorherrschenden Misstrauen gegenüber metaphysischen Ansätzen zusammen. Das eingeforderte und forcierte metaphysische Unterfangen kann bekanntlich leicht mit einer »Blamage enden« (KGA III/1, 282; vgl. I/2,1, 99, 569) – wie im Übrigen jedes wissenschaftliche Bestreben. Nichtsdestotrotz ist dieser Weg zu beschreiten, um eine vernünftige Begründung zu liefern, die 105 Johann Wolfgang von Goethe an Charlotte von Stein am 8. 6. 1787 (J.W. v. Goethe: Briefe, WA IV/8, 230f.). 106 Hierauf verweist Friedrich Schelling sogar in Bezug auf die Kultur : »Der Mensch hat durch den Irrtum weit mehr gewonnen, als verloren. Die ist eine gesteigerte Wahrheit, über die weit mehr Freude ist im menschlichen Bewußtsein, als über die Erkenntnis der absoluten Wahrheit« (UPhO, 7, 6f.; vgl. SW XI, 74, 338, 349f.). 107 R.E. Dickerson et al.: Prinzipien der Chemie, 28, 29–32. 108 Zur Chemischen Revolution und Thomas Kuhn vgl. P. Hoyningen-Huene: Kuhn and the Chemical Revolution.

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sich nicht bloß auf einzelne Glieder, sondern auf das Ganze bezieht. Wir bedürfen dringend einer ganzheitlichen Metaphysik, ist sie doch der »Versuch, letzte Frage mit Hilfe der Vernunft zu beantworten.« Schon aufgrund dieses Anspruchs ist es verständlich, dass die Metaphysik scharfer Kritik ausgesetzt ist, aber ohne sie kommen wir nach Friedrich Hermannis Darstellung nicht aus, denn bereits sie zu verabschieden, heißt, in sie einzutauchen. Es stellt sich daher nicht die Frage, ob Metaphysik zu »betreiben« ist, »sondern nur in welcher Weise.«109 Diese Frage muss die Philosophie beantworten, sie muss eine »Wächterrolle« in der Wissenschaft einnehmen (KGA I/2,1, 574). Sie muss sich dem bloß naturalistischen ebenso wie dem bloß spiritualistischen Zugang verwehren und sich stattdessen darauf besinnen, das Vernünftige mitwissenschaftlich zu entfalten und begreifbar zu machen. Sich der Beziehung von Natur und Geist bewusst, hat Kant darauf hingewiesen, dass es ein »unvermeidliche[s] Bedürfniß der menschlichen Vernunft« sei, die »Einsicht der Einheit des ganzen reinen Vernunftvermögens (des theoretischen sowohl als praktischen)« zu erlangen, welche »nur in einer vollständig systematischen Einheit ihrer Erkenntnisse völlige Zufriedenheit findet.«110 Dieses unvermeidliche Bedürfnis unserer Vernunft verlangt nach einem systematischen Ansatz, der die verschiedenen Bereiche des Ganzen in Bezug setzt und, Werner Heisenbergs skizzierte Überlegung aufgreifend, die »Schichten der Wirklichkeit« als Einheit »in den Ideen« begreift.111 Um diese Entfaltung leisten zu können, bedürfen wir einer absolut-idealistischen Begründung der Freiheit, erst durch sie vermögen wir einzusehen, ob wir zur Vernunft fähig sind. Die Idee der Freiheit ist der Grund der Möglichkeit des Vernünftigen, sie ist uns aber ebenso der Inhalt der sollenden Vernunft. Verneinen wir die Möglichkeit der Freiheit, verneinen wir die Fähigkeit, dem Vernünftigen willentlich Ausdruck zu verleihen. Ohne Freiheit ist der Mensch, mit Schelling gesprochen, nur »ein Strahl in der Sonne, ein Funke in dem Feuer« (SW VII, 458; XI, 72, 510). Eine Philosophie, die die Freiheit nicht konkret auszuweisen weiß, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, keine Antwort auf die Frage zu liefern, ob und wie den Herausforderungen unserer Zeit entgegenzutreten ist. Um praktische Antworten zu liefern, bedarf es einer ganzheitlichen Begründung der tätigen Freiheit, die vor dem (mit-)wissenschaftlichen Befund unserer Zeit überzeugt. Die skizzierte Programmatik bildet die leitende Idee für die zu leistende Metaphysik der Freiheit (vgl. bes. Kap. III.10), die im Folgenden aus der Auseinandersetzung mit maßgeblichen holistischen Metaphysikkonzeptionen des 20. Jahrhunderts erwachsen soll.

109 F. Hermanni: Metaphysik, 1. 110 I. Kant: Kritik der praktischen Vernunft, Akad.-Ausg. V, 91. 111 W. Heisenberg: Ordnung der Wirklichkeit, GW C I, 223. Der Begriff der Schichten der Wirklichkeit steht im Kontext der Überlegungen zu den abgeschlossenen Theorien. Vgl. W. Heisenberg: »Abgeschlossene Theorie«, GW C I, 335–340.

II.

Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

Spätestens im 20. Jahrhundert sind ganzheitliche, metaphysische Antworten aus der Mode gekommen, dennoch kann keine Rede davon sein, dass sich nicht einzelne Autoren, im Besonderen die im Folgenden diskutierten, dieser Frage angenommen hätten und danach streben, metaphysische Antworten auf die Fragen ›in der Zeit‹ zu geben. Daher sind deren Antworten zu diskutieren, um sich den metaphysischen Problemhorizonten neu anzunähern. Gleichwohl ein solches Programm leicht scheitern kann, haben sich Hans Jonas, Vittorio Hösle und Klaus Michael Meyer-Abich dieser Herausforderung gestellt und versucht, vernünftige Antworten darauf zu geben, wie die Welt beschaffen ist und was dieses Wissen für unser Sollen bedeutet. Dies auszuweisen sehen sie als Aufgabe der Philosophie. Es mag sein, dass der religiöse Glaube Antworten auf die Herausforderungen der Zeit geben kann, die die Philosophie Jonas zufolge »erst suchen muß«, allerdings basieren diese Antworten auf Glauben, nicht auf Wissen. Man bedarf der wissentlichen Einsicht, nur sie erlaubt es, Antworten zu geben, die keine bestimmte kulturelle Haltung verteidigen, das »Geschäft« der Vernunft ist ein schlechthin objektives (KGA I/ 2,1, 100).112 Um die Frage zu beantworten, was zu tun ist, ist zunächst die Freiheit des Willens zu begründen. Ohne ihre Begründung wissen wir nichts um die Willensfreiheit und somit nichts um die Möglichkeit des Sollens. Ohne Freiheit sind die handelnden Wesen dem »knechtischen Joch« unterworfen (SW XIV, 147 Anm.), weswegen es ihnen verwehrt ist, zu differenzieren, was das Gute und was das Böse in der Welt ausmacht. Die freien Wesen hingegen sind im kantischen Sinn ihrem »internal tribunal« verpflichtet (KGA I/2,2, 64), sie sind fähig, darüber zu urteilen, was sie für gut halten, und fähig, dies umzusetzen. Die Befähigung zur Freiheit erhebt den Menschen zur höchsten moralischen Instanz. Ob er sich dieser Aufgabe annimmt, ist Sache seines Willens, seiner Autonomie. Ist der Mensch zu dieser Einsicht fähig, ist er es prinzipiell, denn in allen Menschen 112 Zur Rechtfertigung und Religion vgl. M. Hackl: Herausforderungen, Christologie und Theonomie.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

bilden sich dieselben prädeterminierten Strukturen aus. Für den, der wie Jonas von dem »Glauben an Freiheit und Vernunft« geleitet ist (KGA I/2,2, 256), ist es – soll Freiheit keine leere Hülse sein – unumgänglich, unsere Freiheit zu durchdringen und für sie einzutreten. Jonas, Hösle und Meyer-Abich haben sich nicht davor gescheut, metaphysische Antworten auf die Fragen ihrer Zeit zu geben.113 Für sie allesamt gilt, was Hösle an Jonas über dessen »spekulative Metaphysik« schreibt, nämlich, dass sie »Tiefsinn, philosophische Religiosität, ein ungeheures Verantwortungsgefühl für den Menschen und das ihm anvertraute göttliche Abenteuer […] wundersam« vereinen (HJ 16-9-1).114 Wie hilfreich die diskutierten systematischen Konzeptionen für die Beantwortung der drängendsten Fragen sind, gilt es im Folgenden herauszuarbeiten und für künftige Ansätze freizulegen. Ob vorliegende Arbeit im schließenden Kapitel III diese Konzeptionen weiterzuführen weiß, muss sich erst noch zeigen. Um die folgenden Entwürfe vor dem Hintergrund der entfalteten ›Systematischen Leitlinien‹ einsichtig zu diskutieren, verzichtet die vorliegende Darstellung darauf, die Einflüsse und die jeweiligen Interpretationen der für die Autoren wichtigen Denker herauszuarbeiten und beschränkt sich auf die systematische Rekonstruktion ihrer metaphysischen Konzeptionen.115 Die philologische Bezugnahme würde nicht nur den Umfang der Arbeit sprengen, sie wäre mit dem systematischen Anspruch schlechthin nicht in Einklang zu bringen. Es geht allein darum, die Entwürfe hinsichtlich der dargelegten Begründungsanstrengungen zu diskutieren, um sich der Entfaltung der dringend benötigten spekulativen Theorie der Freiheit anzunähern. Die tiefen metaphysischen Ge113 Beispielhaft weist Heiner Hastedt 1991 auf die Bedeutung der »[s]ystematische[n] philosophischen[n] Entwürfe« von Jonas und Meyer-Abich zur Begründung einer »ökologischen neuen Ethik« hin (H. Hastedt: Aufklärung und Technik, 165). Obwohl auch Robert Spaemann metaphysisch zu begründen sucht (vgl. bes. Grenzen. Zur ethischen Dimension des Handelns), finden seine Arbeiten hier keinen Eingang, da sie systematisch nicht so breit aufgestellt sind wie die Konzeptionen von Jonas und Meyer-Abich bzw. die später verfasste Konzeption von Hösle. Dass sich Ähnlichkeiten zwischen den drei diskutierten Konzeptionen ausmachen lassen, darauf hat Hans-Dieter Mutschler in seiner Naturphilosophie hingewiesen. Vgl. H.-D. Mutschler : Naturphilosophie, 41–44. 114 Zu Hösles Wertschätzung gegenüber Jonas vgl. J. Nielsen-Sikora: Jonas, 295–299. 115 Zu erforschen, wie Meyer-Abich Immanuel Kant, Platon, Niels Bohr, Nikolaus von Kues, Johann Wolfgang von Goethe, Alexander von Humboldt oder Carl Friedrich von Weizsäcker bzw. Hösle Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Immanuel Kant, Gottfried Wilhelm Leibniz, Platon, Karl-Otto Apel und Hans Jonas interpretiert, ist philologisch relevant und aufschlussreich für das Verständnis der jeweiligen Theorien, allerdings würde eine detaillierte Diskussion dieser Bezugnahmen, wie die Erörterung des Einflusses von Ludwig von Bertalanffy, Rudolf Bultmann, Martin Heidegger, Edmund Husserl, Alfred North Whitehead, Plotin, Augustinus und Aristoteles auf das Schaffen von Jonas über den Zweck der Arbeit hinausgehen, würde doch der jeweilige Ideenhorizont betrachtet und der Fokus nicht auf die jeweilige Systematik gelegt.

Materialismus und Freiheit bei Hans Jonas

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danken von Jonas, Hösle und Meyer-Abich tragen dazu bei, die Grundlagen eines zeitgemäßen absoluten Idealismus der Mitwissenschaft auszuarbeiten.

4.

Materialismus und Freiheit bei Hans Jonas

Hans Jonas hat sich in seinen früheren Arbeiten vor allem mit religionsphilosophischen Fragen und der ontologischen Bestimmung des Lebens auseinandergesetzt, bevor er mit dem nach seiner Emeritierung verfassten Werk Das Prinzip Verantwortung »die ökologische Diskussion im deutschen Sprachraum bestimmt« hat.116 Mit diesem Buch hat er sehr früh auf die Gefahren der Technik für das Leben hingewiesen und einen sorgsamen Umgang mit der Natur angemahnt, von Haaretz wurde er in Folge sogar als »The First Green Philosopher« bezeichnet.117 Bemerkenswert an seiner praktischen Philosophie ist, dass diese nicht bloß angewandte Ethik ist und bestimmte Handlungsweisungen anmahnt, sondern dass der darin enthaltene neue Imperativ metaphysisch begründet ist und sich als Ausdruck einer objektiven Wertethik versteht, die den objektiven Inhalt des Sollens konkret ausweist. Um diesen zu begründen, führt Jonas religionsphilosophische sowie biologische Erklärungen ins Feld, welche über das Wesen des Seins, des Absoluten und des Guten Aufschluss geben. Anders als viele seiner Zeitgenossen sieht er, dass ethische und moralische Forderungen ohne ein vernünftiges theoretisches Fundament subjektiv und darum willkürlich sind, fußt doch deren Geltung allein auf dem Besonderen und Beliebigen. Seine philosophische Beschäftigung erstreckt sich über »drei Etappen« (KGA III/2, 281): Religionsphilosophie, Philosophie des Lebens und praktische Philosophie.118 Ob der breiten Rezeptionsgeschichte müsste eigentlich das in zahlreiche Sprachen übersetzte Buch Das Prinzip Verantwortung als sein 116 A. Krebs: Einleitung, 10. Dass sich Jonas zunächst nicht als praktischer Philosoph verstand, belegt beispielsweise sein Lebenslauf von 1960; in diesem gibt er als seine »hauptsächlichen Arbeitsgebiete« folgende an: »(1) Spätantike und frühchristliche Geistesgeschichte«, »(2) Naturphilosophie, bes. Organismuslehre u. philosophische Anthropologie« sowie »(3) Philosophisch-existentielle Problemlage der Gegenwart« (HJ 4-6-3). 117 D.B. Green: Lest We Destroy Earth. Vgl. dazu den Brief von Vittorio Hösle an Hans Jonas vom 2. 4. 1989 (HJ 4-3-42) sowie den wohl 1988 verfassten Brief (HJ 16-9-1). 118 Die Dreigliedrigkeit des Werkes spiegelt sich auch in dem letzten von Jonas herausgegebenen Sammelband seiner Schriften (Philosophische Untersuchungen und metaphysische Vermutungen) und insbesondere in dem darin enthaltenen Aufsatz Materie, Geist und Schöpfung wider. Dieser Aufsatz darf als Aufriss der jonas’schen Systemprogrammatik verstanden werden. Vgl. M. Hackl: (Art.) Mater, Spirit and Creation. Philosophical Investigations.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

Hauptwerk gelten,119 dem ist aber nicht so. Sein eigentliches Opus magnum ist die 1966 erschienene Schrift The Phenomenon of Life. Toward a Philosophical Biology (dt.: Organismus und Freiheit. Ansätze zu einer philosophischen Biologie, 1973), denn ohne diese Arbeit wäre der in Das Prinzip Verantwortung entfaltete Geltungsanspruch nicht zu formulieren gewesen.120 Jonas’ Schaffen zieht gegenwärtig verstärkt Aufmerksamkeit auf sich, wobei inzwischen auch seine philosophische Biologie zunehmend an Bedeutung gewinnt. Trotz zahlreicher neuerer Publikationen fehlt es jedoch noch immer an einer ganzheitlichen Betrachtung, die sein Œuvre systematisch aus freiheits- wie vernunftphilosophischer Sicht diskutiert.121 Schon während seines Studiums hat er auf die für seine spätere Begründungsarbeit wichtigen Punkte hingewiesen. In Über die Idealität der Zeit von 1921/22 legt er beispielhaft dar, dass es »zwei Wege [gibt], eine Theorie einer kritischen Prüfung zu unterziehen: entweder ich prüfe, ob nicht in dem Ergebnis selbst irgendein Widerspruch mit unbestreitbaren Tatsachen oder Axiomen liegt […] – umgekehrt bei dem anderen Weg, der den Fortgang des Beweises auf irgendwelche Fehler oder Ungenauigkeiten hin prüft« (HJ 1-17-2, 2f.).

119 Die deutsche Fassung des Buches erhielt 1980, ein Jahr nach dem Erscheinen, eine zweite Auflage. Das Prinzip Verantwortung wurde zudem in zahlreiche Sprachen übersetzt (L. Jonas: Erinnerungen an Jonas, 516), das spiegelt den Einfluss des Werkes wider, sind doch, wie Charles Darwin bemerkte, Übersetzungen »der beste Prüfstein für die Beständigkeit« (C. Darwin: Mein Leben, 146). 120 Dass die deutsche Ausgabe von Organismus und Freiheit verwendet wird, hängt damit zusammen, dass alle Texte, sofern verfügbar, nach der KGA zitiert werden. Obwohl Übersetzungen eine sprachliche Unsicherheit beinhalten, ist die Verwendung der deutschen Ausgabe in diesem Fall philologisch legitim, denn Jonas hat die Übersetzungen selbst redigiert (H. Jonas: Erinnerungen, 327; KGA I/1, 5f.; vgl. HJ 10-9). Zu Organismus und Freiheit sei noch angemerkt, dass für Jonas der Titel der deutschen Erstausgabe – spätere Ausgaben tragen den Titel: Das Prinzip Leben – »das zentrale Thema« besser trifft als der englische Titel (KGA I/1, 6). Zum Untertitel Ansätze zu einer philosophischen Biologie vgl. Jonas’ kritische Bemerkungen in Erkenntnis und Verantwortung, 104–107. 121 Aufschlussreich für das Werk Jonas’ sind neben den Einleitenden Bemerkungen der KGA G. Hartung et al. (Hg.): Naturphilosophie als Grundlage der Naturethik; D. Böhler (Hg.): Ethik für die Zukunft; Ders.: Verbindlichkeit aus dem Diskurs; Ders. et al. (Hg.): Mensch – Gott – Welt; D. Böhler/J.P. Brune (Hg.): Orientierung und Verantwortung; D. Böhler/R. Neuberth: Zukunftsverantwortung; K.-O. Apel/H. Burckhart (Hg.): Prinzip Mitverantwortung; B. Engholm/W. Röhrich (Hg.): Ethik und Politik heute; J.-S. Gordon/H. Burckhart (Hg.): Global Ethics and Moral Responsibility ; H. Tirosh-Samuelson/C. Wiese (Hg.): Legacy of Hans Jonas; C. Wiese/E. Jacobson (Hg.): Weiterwohnlichkeit der Welt; B. Aland (Hg.): Gnosis; U. Lenzig: Wagnis Freiheit; G. Hirsch Hadorn: Umwelt, Natur und Moral; A. Rubenstein: Jonas; R. Uthes: Metaphysik des Organischen; D.J. Levy : Integrity of Thinking; W.E. Müller : Hans Jonas; Ders.: Verantwortung bei Jonas; W.C. Viana: Jonas und Hösle; T. Morris: Jonas’s Ethic of Responsibility ; V. Hösle: Jonas; Ders.: Ontologie und Ethik; Ders.: Moral und Politik; Ders.: Theodizeestrategien.

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Früh war er sich der Notwendigkeit bewusst, dass die Begründungszusammenhänge logisch schlüssig sein und mit den Tatsachen in Einklang stehen müssen. Den Widerspruch von Theorie und Praxis diskutiert Jonas bereits in seinen frühen Arbeiten zur Gnosis. In der auf seiner Dissertation Der Begriff der Gnosis122 von 1928 aufbauenden und vielgeachteten Schrift Gnosis und spätantiker Geist. Die mythologische Gnosis finden sich zahlreiche Hinweise zu dem dualistischen Widerstreit von Theorie und Praxis, von Geist und Natur.123 Darin deutet er die Darstellung »des gnostischen Dualismus als eines dialektischen Prozesses der Freiheit, die in Erregung ihrer Möglichkeit sich ins dunkel Psychische und sogar Stoffliche verliert und sich wiederfinden muß«. Bereits hier wird der Dualismus »von Innen und Außen, als Sich-Entäußern vollzogen, von Unbedingtheit und Bedingung, von Unendlichkeit und Verendlichung, – von Geist und Welt« thematisiert.124 Die verortete dualistische Weltauffassung ist der Ausgangspunkt für die späteren Überlegungen zur Philosophie des Lebens. Jonas’ philosophischen Weitblick hat Karl Mannheim bereits früh erkannt, spricht er doch von dessen Stärke, »geistigen Tatsachen neue Seiten abzugewinnen.«125 Im Folgenden macht Jonas genau das, er fragt explizit danach, wie der Dualismus von Mensch und Natur aufzulösen ist, und dieses Problem sucht er anhand der in der Gnosis auszumachenden »Ausschweifung alles Dualismus, der die Metaphysik und Religion von jeher verführt hatte[, zu fassen]; aber mehr noch existenziell als Extremfall einer Krise menschlichen Selbst- und Seinsverständnisses, einer Entzweiung von Mensch und Welt, Natur und Geist, Welt und Gott, deren bloße Möglichkeit etwas über den Menschen aussagt, also über uns selbst« (KGA III/2, 286; I/2,1, 567; I/2,2, 287; HJ 4-7-5). 122 H. Jonas: Begriff der Gnosis. Die Dissertation wurde in Jonas’ Gnosis. Zweiter Teil (S. 1–65) integriert, wobei einige Änderungen vorgenommen wurden (vgl. HJ 20-7-1). Die Arbeit wurde von Martin Heidegger begutachtet (vgl. den Briefwechsel zwischen Jonas und Heidegger in: HJ 9-10-4 u. 9-10-5), aber eigentlich von Rudolf Bultmann betreut. Bultmann förderte Jonas schon sehr früh, er hat sich beispielsweise dafür eingesetzt, dass Jonas’ Schrift Augustin und das paulinische Freiheitsproblem (1930) bei Vandenhoeck & Ruprecht publiziert wurde. Vgl. den Brief vom 2. 12. 1928 von Bultmann an die Verleger (HJ 8-5-1). Jonas bezeichnet sich selbst im Brief vom 31. 5. 1964 an Bultmann als »Heidegger- und Bultmann-Schueler« (HJ 21-3-1; H. Jonas: Erinnerungen, 111, 121, 234–242, 299; KGA III/2, 282f.; R. Bultmann/M. Heidegger : Briefwechsel, 51 samt Anm.). Vgl. den Brief von Jonas an Helmut Koester vom 1. 2. 1965 (HJ 4-8-3) sowie R. Wolin: Heidegger’s Children, bes. 101– 133. 123 H. Jonas: Gnosis. Erster Teil, 34–42, 103f., 146–156, 161f. , 243–254, 261, 416f. Einen Überblick über Jonas’ Gnosisbegriff liefert die ihm zu Leibzeiten gewidmete Festschrift: B. Aland (Hg.): Gnosis. Festschrift für Hans Jonas. 124 H. Jonas: Gnosis. Erster Teil, 333. Konkret wird diese Verknüpfung in dem 1952 erschienen Aufsatz Gnosticism and Modern Nihilism (dt.: Gnosis, Existentialismus und Nihilismus, 1963) entfaltet. Vgl. H. Jonas: Erinnerungen, 310. Auf diesen Punkt macht er ebenfalls in der Vorlesung Theory of God von 1962/63 aufmerksam (HJ 3-7-1, 101). 125 K. Mannheim: Empfehlungsschreiben für Hans Jonas, 12. 11. 1934 (KM).

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

Erst wenn verstanden wird, worin sich der Dualismus »zwischen Mensch und Welt und parallel zwischen Welt und Gott« begründet und wie die jeweiligen Seiten zusammenhängen,126 lässt sich eine Antwort darauf geben, inwiefern ein Dualismus von Natur und Geist besteht. Zwischen beiden Seiten kann kein genereller Parallelismus herrschen, sonst wäre völlig unverständlich, wie sie überhaupt zusammengehören und interagieren könnten. Das Verhältnis des Menschen zur Natur gilt es zu begreifen. Hierin zeigt sich, was den Menschen existential ausmacht. Erst in unserer Existenz erkennen wir unser Sein. Unsere Existenz gibt uns Auskunft darüber, wer wir sind und was wir dem Sein schulden. Um zu begreifen, was das Sein will, müssen wir uns nach Jonas in die Metaphysik vorwagen, allein sie kann uns Aufschluss über das Wesen des Seins und über den Grund des Sollens geben. Diesen Weg kann nur beschreiten, wer »das Gebiet der theoretischen Vernunft nie ganz verlassen« hat,127 ist doch die ontologische Einsicht in das Sein die Voraussetzung dafür, aus der Kenntnis vom Sein heraus ein Sollen zu formulieren. Das 1973 auf Deutsch erschienene Hauptwerk Organismus und Freiheit ist philosophisch so bedeutend, da darin »die Ansätze zu einer neuen Ontologie entwickelt« wurden,128 die den Begriff des Lebens fundieren. Obwohl Jonas den Grund unseres Sollens, unserer Verantwortung in seiner neuen Ontologie begründet sieht, wird dieser Arbeit oftmals nicht in demselben Maße Beachtung geschenkt wie seiner praktischen Philosophie. Deren Erfolg begründet sich also weniger in der philosophischen Begründung, denn in dem »allgemeinen Gefühl […], daß mit unserer Menschheit etwas schiefgehen könnte, daß sie sogar drauf und dran ist, in diesem übermäßig werdenden Wachstum technischer Eingriffe in die Natur ihre eigene Existenz aufs Spiel zu setzen.«129 Jonas kam es aber weniger auf das Gefühl als auf die metaphysische Begründung an. Dass ihm anfangs die praktisch-ethische Relevanz seiner Ontologie gar »nicht gegenwärtig« war,130 ist insofern glaubhaft, als sich in den ersten Fassungen seiner Philosophie des Lebens keine konkreten Verweise auf die ethische Dimension 126 H. Jonas: Gnosis, Existentialismus und Nihilismus, 299. 127 H. Jonas: Erinnerungen, 321. 128 H. Jonas: Erinnerungen, 315, vgl. 348–383. Zur Aufschlüsselung von Jonas’ frühen Überlegungen zur Philosophie des Lebens vgl. die wichtige Editionsleistung von Jens Ole Beckers und Florian Preußger in KGA Apx. sowie die dazugehörigen Bemerkungen (KGA Apx., I– XVII; vgl. II/3, 625–627). Über seine Hinwendung zum Biologischen sagt Jonas: »Seit meiner Rückkehr aus dem Zweiten Weltkrieg […] stand für mich völlig fest, daß meine philosophische Aufgabe ganz woanders liegt als auf historischem Gebiet, und ich stellte mir eine systematische Aufgabe: nämlich die Natur des Lebens, das Phänomen des Organischen, philosophisch zu beleuchten, und zwar so, daß es sich einfügt in eine Ontologie, in eine allgemeine Seinslehre« (KGA I/2,1, 595). 129 H. Jonas: Erinnerungen, 326. 130 H. Jonas: Erinnerungen, 320, vgl. bes. 316.

Materialismus und Freiheit bei Hans Jonas

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finden. Seine Ethik kann daher als Resultat, als konsequente Fortführung seiner Beschäftigung mit dem Dualismus verstanden werden. Während sich im ersten Entwurf seiner philosophischen Biologie der 1950er Jahre – Organism and Freedom. An Essay in Philosophical Biology – noch keine praktische Bezugnahme findet (KGA Apx.), hat er eine solche der 1966 erschienen Arbeit The Phenomenon of Life in Form des Epilogs Nature and Ethics beigefügt.131 Im Fokus seiner ausgearbeiteten Metaphysik steht nicht die praktische Philosophie, vielmehr sieht sie sich dem Anspruch verpflichtet, den Wesenscharakter des Lebens zu ergründen.132 Dass dieser Begründungsanspruch Kritik mit sich bringt, überrascht nicht, wenngleich der Vorwurf überrascht, den man ihm machte. Jonas sah sich der Kritik ausgesetzt, dass das, was er betreibe, vieles sei, aber »Philosophie ist das nicht« (KGA I/2,1, 546). Manchem mag Jonas zwecks seines metaphysischen Denkens als »Fossil[]« der Philosophie gelten, allerdings ist anzuerkennen, dass seine metaphysische Herangehensweise in der Tradition der klassischen Metaphysik steht und somit Philosophie par excellence ist. Selbst jene, die dies ignorieren und ihm diesen Vorwurf machen, müssen anerkennen, dass er mit dem »außer Mode« gekommenen Denken Großes für unser Selbstverständnis und hinsichtlich der Frage nach unserer Verantwortung geleistet hat. Dass die Philosophie inzwischen vor den großen Fragen zurückschreckt, weil sie sich auf ein »genau definierte[s] Themengebiet« beschränkt,133 ist nicht unbedingt zu ihrem Vorteil, immerhin vergibt sie die Chance, allgemeine Antworten zu liefern. Aufgrund der Selbstbeschränkung der Philosophie lässt sich sogar davon sprechen, dass sich, wie Jonas kritisch bemerkt, die zeitgenössische Philosophie »nicht nur den Mut, sondern sogar das Recht abgesprochen […], sich überhaupt so zu äußern, wie sich früher Philosophie geäußert hat« (KGA I/2,2, 242, 242f.; III/1, 280–282). In Anbetracht der zögerlichen Antworten auf die drängenden Fragen darf diese Entwicklung als wissenschaftlicher Rückschritt gewertet werden. Es bedarf wohl jener Fossile, die sich dem wahrhaft Vernünftigen verpflichtet fühlen. Zwar mag derjenige, »für den die Vernunft an der Spitze«

131 Frei von solchen Bezugnahmen sind auch seine 1966 (HJ 1-15-6) bzw. 1970 (HJ 1-3-1) gehaltenen Vorlesungen zu den Problems of Freedom. In dem 1966er Typoskript fehlen die Seiten 286–298, diese liegen der kopierten Version bei (HJ 20-13-1). 132 H. Jonas: Erinnerungen, 353. 133 H. Jonas: Erinnerungen, 336. Wegen dessen »konservativen Geist[es]« hat Jürgen Habermas verhindert, dass Jonas den Adorno-Preis erhält (H. Jonas: Erinnerungen, 326; KGA I/2,2, 580f.; vgl. V. Hösle: Krise der Gegenwart, 35 Anm.; Ders.: Ökologische Krise, 38–40). Dass dieser, anders als Habermas, eine Naturethik zu formulieren weiß (V. Hösle: Geschichte der deutschen Philosophie, 301–305; J. Habermas: Herausforderung der ökologischen Ethik, bes. 96–99), deutet darauf hin, dass in diesem Sinn konservativ zu sein, philosophisch nicht unbedingt das Schlechteste ist.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

steht,134 gegenwärtig der philosophischen »Nachhut« angehören, angesichts der benötigten Antworten auf die drängenden Fragen ist jedoch zu hoffen, dass dieses Denken bald der »aufrückenden Vorhut« angehört (KGA I/2,1, 546f.).

4.1.

Freiheit in der Geschichte135

In seiner Religionsphilosophie hat sich Jonas mit dem gnostischen Denken und unserer existentiellen Bestimmtheit auseinandergesetzt. Dabei ist ihm die Einsicht in den Dualismus gnostischen Denkens zentral. So sieht er, dass die gnostischen Sekten »maintain a radical dualism of realms of being – God and the world, spirit and matter, soul and body, light and darkness, good and evil, life and death – and consequently an extreme polarization of existence affecting not only man but reality as a whole: the general religion of the period is a dualistic transcendent religion of salvation.«136

Der hier angesprochene Dualismus von Mensch und Welt, von Welt und Gott ist maßgeblich für unser existentielles Selbstverständnis und damit auch für die Bestimmung des Wertes des Lebens. Wie eng die Religionsphilosophie mit der Philosophie des Lebens verwoben ist, davon zeugen die religionsphilosophischen Aufsätze am Ende der Aufsatzsammlung Organismus und Freiheit. Ohne sie wäre das Buch »einfach unvollständig«, darum dürfen die schließenden Aufsätze »ohne Schaden für den Fortgang des Arguments« nicht ignoriert werden (KGA I/1, 6),137 sie sind Teil der gesamten Begründung. Es ist also etwas voreilig, wenn Horst Gronke, Herausgeber von Organismus und Freiheit in der Kritischen Gesamtausgabe der Werke von Hans Jonas, betreffs der Philosophie des Lebens allein die »geistigen Leistungen des Menschen in Abhängigkeit von seiner leiblichen Verfaßtheit« (KGA I/1, XCII), ohne Einbeziehung – worauf es Jonas ankommt – des »radical dualism that governs the relation of God and world, and correspondingly that of man and world«,138 134 H. Jonas: Erinnerungen, 184. 135 Das in diesem Abschnitt diskutierte Gottes- und Freiheitsverständnis von Jonas wurde in meinem Aufsatz Ein Appell an die Freiheit thematisiert, allerdings im Kontrast zu Schelling. 136 H. Jonas: Gnostic Religion, 31, 16f., 141–143, 175f., 236f., 250–253; Ders.: Gnosis, Existentialismus und Nihilismus, 299, 313–315. Vgl. dazu die Ausführungen in der Vorlesung Theory of God (HJ 3-7-1, 105–111). 137 Dass sich die Herausgeber der Kritischen Gesamtausgabe zum Zwecke einer »schlüssigen Gesamtausgabe« entschlossen haben (KGA I/1, XCII, XCI f.), die religionsphilosophischen Aufsätze von Organismus und Freiheit abzutrennen und sie den Metaphysischen und religionsphilosophischen Studien zuzuordnen, widerspricht nicht nur der Absicht des Autors, sondern unterschätzt den Wert der Philosophie des Lebens für die Religionsphilosophie, und umgekehrt. 138 H. Jonas: Gnostic Religion, 42.

Materialismus und Freiheit bei Hans Jonas

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thematisiert. Dementsprechend muss die Metaphysik das Ganze, und nicht bloß einzelne Teile, in ihre Konstruktion einbeziehen. Dass derart weitreichende Erklärungsversuche Begründungsprobleme mit sich bringen, ist offenkundig, schließlich begeben wir uns hier in den Bereich des Unbedingten, welcher uns nur indirekt zugänglich ist. Um dennoch die geforderte metaphysische Bestimmung des Seins geben zu können, wagt sich Jonas mit dem erstmals 1962 erschienenen Aufsatz Gnosticism and Modern Nihilism (dt.: Gnosis, Existentialismus und Nihilismus, 1963) an einen »hypothetischen Mythus« heran (KGA III/1, 361). Dieser mythologische Zugang erlaubt es, unsere Vorstellungen vom Absoluten zu hinterfragen und auf den Begriff zu bringen, auf diese Weise ist vom Bedingten zu abstrahieren und auf das Unbedingte Bezug zu nehmen. Da Jonas das Wissen um die Freiheit zunehmend ins Zentrum seines Denkens rückt, ist die Rolle der Idee (des Göttlichen) und des Realen (des Lebens) sowie deren Bedeutung in praktischer Hinsicht zu diskutieren – um dieser Entfaltung gerecht zu werden, ist auf seine Religionsphilosophie nicht chronologisch, sondern vielmehr systematisch Bezug zu nehmen. Es scheint, als wende er sich hiermit dem Unterfangen Friedrich Schellings zu, obwohl er diesen nicht oder kaum gelesen haben dürfte:139 Zur Begründung der Freiheit reicht es nicht, »die Unabhängigkeit des Menschen von der Natur zu zeigen«, es ist überdies notwendig, »seine innere Unabhängigkeit von Gott« aufzuzeigen (SW VII, 458). Nur wer sich auf ideale (Bewusstsein) und reale Weise (Natur) frei vom Weltlauf versteht, vermag sich als wahrhaft frei zu begreifen.

a)

Spekulative Bestimmungen

Jonas’ philosophische Konzeption orientiert sich weniger an der geschlossenen Systemkonzeption Georg Wilhelm Friedrich Hegels (vgl. TWA 8, 60 § 15) als an 139 Selbst in Jonas’ Nachlass finden sich keine Anhaltspunkte für eine intensivere Auseinandersetzung mit Schelling. Lediglich in einer Literaturliste zur Mythenforschung weist Jonas einmal auf Schellings Einleitung in die Philosophie der Mythologie hin, wobei er inhaltlich auf Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen (ECW 11–13) Bezug nimmt (HJ 217-21). Ein weiterer, wenngleich kleiner Hinweis ist eine Ankündigung von Hedwig Conrad-Martius’ Schrift Selbstaufbau der Natur, die Schellings Naturphilosophie thematisiert (HJ 1-14-1). Jonas hat zwar ein Seminar zu Schellings Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit besucht, aber selbst in diesem über das Freiheitsproblem bei Augustinus referiert (KGA III/1, 461–483; L. Hühn: Heidegger, 39, 279, 305f., 308). Obwohl systematische Parallelen zwischen Jonas und Schelling nicht von der Hand zu weisen sind (vgl. L. Hühn: Heidegger, bes. 35f.; J.L. Rasmussen: Freedom as Ariadne’s Thread, bes. 85–91; M. Hackl: Appell an die Freiheit; Ders.: Natur, Freiheit und Verantwortung, 241–243), dürften diese weniger der Lektüre Schellings geschuldet sein als dem prinzipiellen naturphilosophischen bzw. dem mythologischen Zugang, der sich gleichermaßen bei Schelling und bei Jonas’ Lehrer Bultmann findet (vgl. M. Hackl: Appell an die Freiheit, bes. 138ff.).

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der des open systems von Ludwig von Bertalanffy (KGA III/2, 333–340; I/1, 120, 220f.; HJ 19-1-2, 19-1-4).140 Es ist keineswegs sein Ziel, ein bloß aus sich selbst definiertes Ganzes zu formulieren, stattdessen thematisiert Jonas den organischen Austausch der Momente des Seins,141 wodurch die Welt als ein sich frei Entfaltendes und nicht als ein Dialektisch-Notwendiges bestimmt wird. Hierdurch verwehrt er sich dem deterministischen Verständnis, welches die Welt als Ausdruck werdender Notwendigkeit fasst. Nur der Vergangenheit können wir uns sicher sein, die Zukunft hingegen ist unbestimmt, sie ist offen, sie ist noch nicht entschieden. Diesen Gedanken hat Carl Friedrich von Weizsäcker stark gemacht und mit Verweis auf den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik gezeigt, dass das Vergangene faktisch, die Zukunft hingegen möglich ist. Festgelegt ist noch nicht, »welche Fakten geschehen werden.«142 Dieses Verständnis vom Vergangenen und Zukünftigen schließt keineswegs aus, dass die Erfahrung der Vergangenheit dazu beitragen kann, »für die Zukunft [zu] lernen«,143 es wird lediglich ausgeschlossen, dass die Zukunft vorherbestimmt ist. Weil wir die Zukunft gestalten können, ist die Vergangenheit von enormer Bedeutung, sie gibt uns nach Jonas Aufschluss darüber, was passieren kann, wenngleich sich nicht sagen lässt, was passiert. Eine Gegenposition dazu vertritt nach Jonas Hegel, versteht er doch dessen Ansatz so, dass für Hegel die Welt der »Selbstverwirklichung der Vernunft« entgegenstrebt: »Sie ist ein Prozess, in dem die metaphys Vernunft nach dem Gesetz ihrer Natur entfaltet, was in ihr angelegt ist, und damit die Momente des Seins selber entwickelt. Die Philosophie ist die Gestalt, in der die Vernunft sich selbst bewusst wird, in der also die Wirklichkeit zu sich selbst kommt, d. h. in der sie zu ihrer höchsten Verwirklichung kommt. Die Einzelvernunft ist in diesem Fall Organ der metaphys. Vernunft geworden, die durch sie denkt, d. h. ihre Inhalte in der Form des Selbstbewusstseins verwirklicht. Wahrheit ist also nur die notwendige Endstufe der Wirklichkeit überhaupt.«

140 H. Jonas: Erinnerungen, 259, 310. Vgl. hierzu Bertalanffys Systemverständnis in: General System Theory, 39. 141 H. Jonas: Erinnerungen, 259; V. Hösle: Jonas, 149. Ein System ist für Jonas »notwendig ein Mannigfaltiges, aber darüber hinaus ist der Sinn des Zusammen hier, daß das Mannigfaltige ein wirksames Prinzip seiner Einheit hat. Das gilt sowohl für ein System von Sätzen wie ein System von Dingen, nur daß ›Wirksamkeit‹ in beiden Fällen Verschiedenes bedeutet.« Es bleibt endlich, denn »Endlichkeit und eine Art Geschlossenheit gehören zum System, und damit ein Außen, gegen das es unterschieden ist« (KGA I/1, 112f., 109f.). 142 C.F. v. Weizsäcker : Zeit und Wissen, 281, vgl. 280f., 192–241; Ders.: Aufbau der Physik, 100– 162; Ders.: Einheit der Natur, 172–182; Ders.: Mensch in seiner Geschichte, 94f. So sind »zukünftige Ereignisse weder phänomenal gegeben, noch haben wir Erinnerungen oder Dokumente von ihnen; sie sind für uns keine Fakten« (C.F. v. Weizsäcker : Aufbau der Physik, 74, 79f., 138f.). 143 C.F. v. Weizsäcker : Mensch in seiner Geschichte, 95.

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Diesen an Hegel angelehnten Ausführungen stellt er Edmund Husserls »Begriff der Rechtfertigung144 als höchster Sinn der Wahrheit und damit als höchste Idee der Philosophie [entgegen]. Verstand haben heisst verantworl. sein für die Tätigk. d. Vernunft. Wahrheit heisst Wahrmachung: Wahrmachung durch Klärung des Denkens vor sich selbst« (KGA III/2, 192f.; vgl. I/1, 184–187, 354).145

Durch die Klärung des Denkens vor sich selbst ergibt sich die Möglichkeit, das Sein auf logische Weise zu fassen, ohne über den »logischen Erfolg hinaus […] Wahrheit« beanspruchen zu müssen (KGA I/2,1, 478, vgl. 478f., 479 Anm.), wohingegen Hegels Gedanke von der Selbstverwirklichung der Freiheit nach Jonas genau diesen Umstand erfüllt. Ob dem, dass er die hegelsche Philosophie eigenwillig interpretiert, zeigt diese Stelle sehr deutlich, wogegen er sich positioniert: Er lehnt den Gedanken der unbeirrbaren Verwirklichung des Heils entschieden ab.146 Diese Haltung ist der Grund, warum Jonas nicht an einem unveränderlichen Begriff von Wahrheit festhält. Sein Ansatz ist hingegen der Versuch, »vernünftig eine Option zu begründen« (KGA I/2,1, 539). Die vorsichtige Bestimmung zeugt von der Einsicht, dass wir nach wie vor »wenig von der Riesigkeit des Alls in Raum und Zeit« wissen und sich daher das Ganze nur in beschränkter Weise fassen lässt (KGA III/1, 274; vgl. I/2,1, 570f.).147 Diese Beschränkung darf uns nicht vor der Frage nach dem Absoluten, dem Wahren, dem Schönen und dem Guten zurückschrecken lassen. Wenn wir die »spekulative Frage nach dem Ganzen« stellen, ist es möglich, sich einen Begriff von der Welt und von uns selbst zu machen. Obzwar dieser Versuch ein ewigwährender Prozess ist – muss 144 Zum Begriff der Rechtfertigung bei Husserl: »Ein echtes Vernunftleben, im besonderen ein echt wissenschaftliches Forschen und Leisten, muß die Stufe der Naivität durch radikal klärende Besinnung ganz und gar übersteigen, es muß – ideal gesprochen – für alle Schritte die vollzureichende Rechtfertigung bereit haben, zuhöchst aber die Rechtfertigung aus einsichtig geschöpften Prinzipien« (E. Husserl: Erste Philosophie. Erster Teil, Hua VII, 12, 36f., 44ff.; Ders.: Erste Philosophie. Zweiter Teil, Hua VIII, 32, 166f.; Ders.: Logische Untersuchungen. Erster Band, Hua XVIII, 94ff.). Vgl. Max Schelers Anmerkungen zur Rechtfertigung und zum Bewährungsgedanken (M. Scheler : Materiale Wertethik, GW II, 135f.). 145 Vgl. H. Jonas: Erinnerungen, 311ff.; KGA II/3, 497–554; A.N. Whitehead: Prozeß und Realität, bes. 385ff. 146 Neben Jonas entfalten auch andere Hegels Gedanken auf diese Weise. Vgl. dazu K. Löwith: Meaning in History, bes. 53–59, 207; T.W. Adorno: Drei Studien zu Hegel, GS 5, 322–324; Ders.: Negative Dialektik, GS 6, 300f.; H.-G. Gadamer : Wahrheit und Methode, GW 1, 224f., 232f.; Ders.: Hegel und der geschichtliche Geist, GW 4, 386–390. Zu Hegels Geschichts- und Systemverständnis vgl. M. Theunissen: Hegels Lehre vom absoluten Geist, bes. 49–56 sowie meinen Aufsatz Seinsollen des Vernünftigen. 147 Diese Kritik hat Johann Wolfgang von Goethe schon gegenüber Hegel geäußert, so bemängelt er, dass dieser »zwar sehr viele Kenntnisse in der Natur, wie in der Geschichte« habe, aber seine Gedanken »immer nach den neuen Entdeckungen, die man doch stets machen würde«, zu »modificieren« seien, wodurch sie »ihr Kategorisches verlören« (E. Gans: Rückblicke, 311).

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doch »jeder Versuch, dem Welträtsel Salz auf den Schwanz zu streuen, mit einer Blamage enden« (KGA III/1, 282; I/2,1, 42, 210f.) –, können wir dieser Aufgabe nicht entbehren. Sie ist die einzige Möglichkeit, eine zumindest vorläufige Antwort auf die Frage zu geben, wozu wir in der Welt sind und was wir tun sollen. Die Absage an einen »Universalschlüssel« impliziert nicht,148 dass die philosophische Begründung unmöglich ist, sie belegt lediglich, dass die Zukunft nicht gewiss ist und wir uns darum nicht sicher sein können, dem Heil entgegenzugehen (KGA III/2, 121, 147). Obwohl Jonas’ Familie Entsetzliches unter der Schreckensherrschaft von Nazi-Deutschland erdulden musste,149 hat er, anders als viele seiner Zeitgenossen, den Glauben an die Vernunft nie verloren.150 Unglaubwürdig wurde ihm allein der hegelsche Gedanke (vgl. TWA 12, 49) einer »universale[n] Dialektik, die […] mit unbeirrbarer List der Vernunft fortschreitend, zuletzt im Reiche der zu sich kommenden Vernunft und Freiheit gipfelt.« Das hieße, der ganze Entwicklungsprozess wäre »von vornherein seines Erfolges versichert«. Diese Vorstellung ist ihm aus existentieller Sicht abwegig, so erscheint das erlittene Leid als zur Verwirklichung eines höheren Gutes notwendig. Wer behauptet, dass die Welt notwendigerweise in Vernunft und Freiheit gipfelt, der muss davon ausgehen, dass die Menschen bloße »Zuschauer des großen und kleinen Welttheaters« sind und keinen willentlichen Einfluss auf den Weltlauf haben (KGA III/1, 273f., vgl. 375, 401; I/1, 187; III/2, 121),151 womit unsere Freiheit nur Schein wäre. Sofern sich das Heil in der Welt ohne unser Zutun verwirklicht und wir hierzu willentlich nichts beitragen können, müssen wir keine Verantwortung übernehmen, wir können uns des sicheren Ausgangs gewiss sein. Wäre dem so, gäbe es Jonas zufolge keinen Grund, sich selbst zu maßregeln, sich selbst zu beschränken – schließlich ist der Weltlauf hin zur Vernunft und zur Freiheit gewiss und das Schlimmste, was geschehen könnte, wäre ohnehin ein notwendiger Schritt, um zum Heil zu gelangen. Ist der Ausgang hingegen ungewiss, können wir nicht sicher sein, ob »das moralische Ziel […] sicher aufgehoben [ist] bei der autonomen Macht der Dynamik«, weswegen wir uns die Entwicklungen in der Geschichte selbst zuschreiben müssen. Wir können uns 148 H. Jonas: Gnosis, Existentialismus und Nihilismus, 293; vgl. V. Hösle: Jonas, 146, 149. 149 Vgl. H. Jonas: Erinnerung an Göttingen; Ders.: Erinnerungen, 185–242. 150 Vgl. KGA III/1, 407; III/2, 61–76, 149f.; H. Jonas: Erinnerungen, 347; T.W. Adorno: Negative Dialektik, GS 6, 354f.; Ders.: Kulturkritik und Gesellschaft, GS 10/1, 30; Ders.: Engagement, GS 11, 422. Die »Schmach von Auschwitz« hat gezeigt (KGA III/1, 275; H. Jonas: Erinnerungen, 221, 224, 286ff.), dass es keine Garantie dafür gibt, dass sich das Gute verwirklicht. Sofern man früher daran glauben mochte, dass es eine »immanente[] ›Vernunft in der Geschichte‹« gibt (KGA I/2,1, 249), hat Auschwitz klar gemacht, dass es sie nicht gibt. 151 Vgl. Hans Jonas an Stefan Koslowski am 5. 8. 1984 (HJ 7-9-6). Dieses Verständnis vom Zuschauer führt Bohr auch in seiner Interpretation der Quantentheorie an. Vgl. N. Bohr : Atomic Theory and Fundamental Principles, CW 6, 253, 251.

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nicht auf einen höheren Heilsplan berufen. Freiheit ist nicht mit einer »›List‹ der Vernunft« zu vereinbaren, die von außen auf uns wirkt (KGA I/2,1, 247, 247– 249). Ohne freien Willen sind wir »unfehlbar[e] […] Vollstrecker« des Absoluten (KGA III/1, 275). Wir würden genau so handeln, wie es das Absolute will, und nicht, wie wir selbst handeln wollen. Dem Weltlauf zuwider zu handeln, wäre prinzipiell nicht möglich. Sind wir jedoch freie Wesen, sind wir es, die für das Gelingen der Geschichte verantwortlich sind. Damit ist die Freiheit eine Gabe, durch die der Mensch, um mit Jean-Paul Sartre zu sprechen, »verurteilt [ist], frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, und dennoch frei, weil er, einmal in die Welt geworfen, für all das verantwortlich ist, was er tut.«152 Sind wir frei, müssen wir Verantwortung übernehmen. Sofern wir Freiheit ›haben‹, gibt es keinen »Herrn der Geschichte« (KGA III/1, 410; HJ 5-6-8, 6), der über alles erhaben ist;153 und ebenso wenig ist die Geschichte ein »Buch der Theorie«, in dem man nur nachzuschlagen braucht und sofort alles weiß (KGA I/2,1, 228). Was uns von der Geschichte bleibt, ist »von der Vergangenheit [zu] lernen […], was der Mensch ›ist‹, das heißt im Positiven wie Negativen sein kann« (KGA I/2,1, 411) – ihn in seinen »Höhen und seinen Tiefen« gemäß seiner Existenz zu begreifen, das ist uns der »Kompaß in die Zukunft« (KGA III/2,1, 534f.):154 Der Mensch wird zum interpretandum des Seins (KGA III/1, 385, 276).

b)

Das »Fehlgehen« der Schöpfung

Jonas’ Geschichtsbestimmung zeugt von der Möglichkeit der Freiheit, es liegt am Menschen, das Wagnis des Göttlichen mit Mut und Weitsicht anzupacken und zu gestalten (KGA III/1, 276, 253f., 357–359, 452, 456f.; HJ 21-4-13). Dass das »speculative, theological venture« (HJ 1-8-29, 4) nicht bloß zum Guten voranschreitet und es keinen »harmonischen Ausgleich« in der Welt gibt (KGA III/1, 374), mahnt das Leid von Auschwitz. Hier hat sich der Mensch von einer ihm 152 J.P. Sartre: Existentialismus und Humanismus, PS 4, 124. 153 In diesem Kontext steht auch die Kritik von Ernst Bloch: »Wo der große Weltherr, hat die Freiheit keinen Raum, auch nicht die Freiheit – der Kinder Gottes« (E. Bloch: Prinzip Hoffnung, GA 5, 1413). 154 Bezüglich des Verhältnisses von Geschichte und Metaphysik erklärt Jonas: »Ein Wissen vom menschlich Guten müssen wir dem Wesen des Menschen entnehmen. Für dieses haben wir zwei Quellen: die Geschichte und die Metaphysik. Die Geschichte lehrt uns, was der Mensch sein kann – die Spanne seiner Möglichkeiten: was alles es an ihm zu bewahren und zu verderben gibt. Denn in seiner Geschichte hat sich ›der Mensch‹ schon gezeigt – in seinen Höhen und seinen Tiefen, seiner Größe und Erbärmlichkeit […]. Doch über den Grund des wahrhaft Humanen und des Seinsollens des Menschen belehrt uns erst die Metaphysik mit ihrem ganz anderen, nicht phänomenologischen, sondern ontologischen Wissen vom Wesen« (KGA I/2,1, 535f.).

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zugehörigen, aber zugleich seiner grausamsten, seiner verachtenswertesten Seite gezeigt. Nicht Gott hat uns zu diesem Handeln veranlasst, wir Menschen waren es, die aus Freiheit so gehandelt haben. Wir haben »das der Gottheit […] als versagende Walter ihrer Sache« angetan (KGA III/1, 275; vgl. I/2,1, 226). Zwar waren es nicht wir, die wir uns zum Walter der göttlichen Sache bestimmt haben, dennoch haben wir zwecks unserer Freiheit die Verantwortung für unser Tun zu tragen und können uns dieser nicht entziehen. Es reicht aber nicht, die Freiheit als Erfahrung auszuweisen. Um sich der Freiheit bewusst zu werden, bedürfen wir einer »unabhängige[n] Wurzel« vom Göttlichen wie vom Natürlichen (SW VII, 457); gehören wir nur einer Seite an, stehen wir nicht unabhängig zu dieser, wir sind ganz in ihr aufgehoben. Verstehen wir Gott und Welt, wie es Baruch de Spinoza in seiner Substanzlehre tut, als ununterschiedene Einheit, ist nur Notwendigkeit (vgl. Kap.II.5.1.c). Jonas hält dagegen an der Kluft zwischen Mensch und Welt fest, welche ihm eine »Projektion [d]er Grunderfahrung« ist: »Der Dualismus besteht zwischen Mensch und Welt und parallel zwischen Welt und Gott. Es ist ein Dualismus nicht komplementärer, sondern konträrer Größen; es ist einer, denn der zwischen Mensch und Welt wiederholt auf der Erfahrungsebene den zwischen Welt und Gott und wird von ihm als seinem theoretischen Grunde abgeleitet; wenn man nicht umgekehrt sagen will, daß die transzendente Lehre des Welt-GottDualismus dem immanenten Erlebnis der Mensch-Welt-Entzweiung als ihrem Erfahrungsgrunde entstammt. In dieser dreigliedrigen Polarität gehören Mensch und Gott gegenüber der Welt zusammen«.155

Die dreigliedrige Polarität ist es, mittels der sich der Mensch selbst gewahr wird und sich selbst zu beschreiben hat. Weiß der Mensch seine Beziehung zur Welt (Natur) und zu Gott (Geist) zu bestimmen, begreift er seine Rolle im Sein des Ganzen und wird sich selbst durchsichtig. Da uns das Wissen vom Absoluten, vom Unbedingten nicht in derselben Weise einsehbar ist wie das der Natur, des Bedingten, können wir beides nicht in derselben Weise darstellen. Während das Bedingte sinnlich vermittelt ist, übersteigt das Unbedingte unsere Erfahrung. Das impliziert freilich nicht, dass das Unbedingte von dem Bedingten losgelöst ist, schließlich müssen beide miteinander korrespondieren, ansonsten ist nicht einzusehen, wie das Unbedingte und das Bedingte überhaupt verbunden sein könnten. Evolvierend ist das Bedingte aus dem Unbedingten hervorgegangen, womit sie sich einander nicht wesentlich widersprechen können. Sie müssen miteinander verknüpft sein, sie stehen auf demselben Grund. Jonas erkennt gemäß der Adäquationstheorie die Notwendigkeit an, dass beide Seiten miteinander in Einklang stehen müssen (KGA III/1, 447f., vgl. 269, 454; I/1, 315), 155 H. Jonas: Gnosis, Existentialismus und Nihilismus, 299; Ders.: Gnostic Religion, 251; Ders.: Gnosis. Zweiter Teil, 12f., 210.

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andernfalls wäre das Unbedingte vollkommen unzugänglich. Das Unbedingte erschließt sich uns durch das Bedingte und das Bedingte wird uns wiederum durch das »personalistic element« in der Welt verständlich (HJ 3-7-1, 113), weswegen es nur ein existentiell formulierter Mythos erlaubt, rationale Vermutungen über das Göttliche anzustellen. Um legitimerweise derlei existentielle Vermutungen zu äußern, bedient sich Jonas des platonischen Mittels »bildlicher, doch glaublicher Vermutung« in Form eines »selbsterdachten« (KGA III/1, 410) bzw. eines »erdichteten Mythos«:156 Für ihn ist das der einzig gangbare Weg, um sich einen Begriff vom Göttlichen zu machen. Das Göttliche ist für uns nur, was aus den Menschenworten herauszuhören ist (KGA III/1, 400). Eben darum ist der Mythos, worauf sein Lehrer Bultmann hinweist, »nicht kosmologisch, sondern anthropologisch – besser : existential« zu interpretieren.157 Damit der »myth of my invention« nicht als beliebig verstanden wird und innerhalb seines Rahmens Geltung beanspruchen kann (HJ 5-6-8, 6), muss das existentiell-mythologische Wissen mit den unbestreitbaren Tatsachen, der geschichtlichen Erfahrung in Einklang stehen. Aufgrund ihrer existentiellen Beschränktheit kann die Bestimmung nur eine vorläufige sein; sie hilft aber, uns einen Begriff vom Göttlichen zu machen. »Nach Auschwitz können wir mit größerer Entschiedenheit als je zuvor behaupten, daß eine allmächtige Gottheit entweder nicht allgütig oder (in ihrem Weltregiment, worin allein wir sie erfassen können) total unverständlich wäre. Wenn aber Gott auf gewisse Weise und in gewissem Grade verstehbar sein soll (und hieran müssen wir festhalten), dann muß sein Gutsein vereinbar sein mit der Existenz des Übels, und das ist es nur, wenn er nicht all-mächtig ist. Nur dann können wir aufrechterhalten, daß er verstehbar und gut ist und es dennoch Übel in der Welt gibt« (KGA III/1, 421).158

Entsprechend ist es unser existentielles Dasein, welches über die Beschaffenheit des Absoluten aufklärt, hier findet sich das Unbedingte im Bedingten wieder. Da Gott die Gräueltaten von Auschwitz ›zugelassen‹ hat, ist es für Jonas nicht mehr glaubwürdig, das Göttliche als allmächtig und als allgütig zu fassen,159 hätte doch ein allmächtiger Gott, der das Gute will, eingreifen und das Leid verhindern 156 H. Jonas: Erinnerungen, 343, 341f., 344f.; KGA III/1, 243, 255, 276, 348, 357, 361 376; III/2, 152. Vgl. G. Scholem: Kabbala und Symbolik, 128f. Zum Mythos vgl. Platon: Nomoi. Tomoi 1–6, Werke 8,1, 682a, 713a ff.; Ders.: Timaios, Werke 7, 21a ff., 28a ff. Bei Hannah Arendt finden sich ebenfalls Ausführungen zur metaphorischen Sprache (vgl. KGA III/2, 273 samt Anm.; H. Arendt: Leben des Geistes, Bd. 1, 103–129). Zur Metapher und dem Unsagbaren bei Jonas vgl. H. Arendt: Leben des Geistes, Bd. 1, 115–117. 157 R. Bultmann: Neues Testament und Mythologie, 22; Ders.: Glauben und Verstehen, Bd. 2, 82. Vgl. Bultmanns Brief an Jonas vom 31. 7. 1962 sowie den Brief von Jonas an Bultmann vom 6. 10. 1962 (HJ 21-4-10). Zu Bultmanns Einfluss vgl. KGA III/1, 367–376. 158 Vgl. Jonas’ Ausführungen zum Leiden Gottes in Bezug auf das Judentum in Theory of God (HJ 3-7-1, 114f.). 159 Zu den Begründungsproblemen vgl. F. Su#rez Müller : Existentialist God, bes. 664–671.

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müssen. Zwecks der Unvereinbarkeit ist eines der Attribute, entweder das der Allmacht oder das der Allgüte aufzugeben, ansonsten müsste man annehmen, dass Gott das Leid bereitwillig zugelassen und dieses für gut befunden hat, was inakzeptabel ist, zumindest dann, wenn es sich nicht um einen »gänzlich unverstehbaren Gott« handeln soll. Das göttliche Allwissen schließt demnach aus, dass Gott einerseits das Gute will, aber das zutiefst Grausame zulässt bzw. das Böse geschehen lässt und es nicht verhindert. Obwohl Gott trotz des Leides von Auschwitz schwieg, taten es die Menschen, wie Jonas betont, nicht. Die Menschen haben sich nicht gescheut, »zu retten, zu lindern, ja, wenn es nicht anders ging, hierbei das Los Israels zu teilen«, um den Verfolgten zu helfen (KGA III/1, 420–422; III/2, 157).160 Daher bleibt uns zumindest der Glauben, dass das Gute in der Welt ist. Gott kann nicht völlig widersprüchlich sein, sonst wäre er für uns vollkommen unverständlich. Und da das Gute in der Welt ist, sind die Attribute Allwissenheit und Allgüte der Allmacht vorzuziehen. Letztere muss zwecks ihrer Unvereinbarkeit mit der Allwissenheit und der Allgüte aufgegeben werden.161 »Absolute, totale Macht bedeutet Macht, die durch nichts begrenzt ist, nicht einmal durch die Existenz von etwas anderm überhaupt, etwas außer ihr selbst und von ihr Verschiedenem. […] Als gegenstandslose Macht aber ist sie machtlose Macht, die sich selbst aufhebt« (KGA III/1, 418).

Obwohl die göttliche Allmacht anders gedeutet werden kann, ist die vorgelegte existentiale Interpretation verständlich; sie scheint Jonas, so Vittorio Hösle, die alleinige Möglichkeit zu sein, den »Verbrechen des 20. Jahrhunderts einen Sinn abzugewinnen«.162 Jonas’ Verzicht auf die göttliche Allmacht impliziert,163 dass sich das Göttliche in sich selbst zusammenzieht, womit es ganz in der werdenden Welt ist. Folglich hat das Göttliche »nichts mehr zu geben: Jetzt ist es am Menschen, ihm zu 160 Große Hilfsbereitschaft hat Jonas während des Zweiten Weltkrieges in Italien erlebt (H. Jonas: Erinnerungen, 209–214.; III/2, 391–395). Einen eindrucksvollen Einblick in das Leid Verfolgter liefert das im Oktober 2013 am Wiener Burgtheater uraufgeführte Stück Die letzten Zeugen (D. Rabinovici/M. Hartmann: Die letzten Zeugen, bes. 46f., 50). 161 Bzgl. des christlichen Allmachtbegriffs vgl. C. Danz: Wirken Gottes, 127–146. 162 V. Hösle: Jonas, 146. Vgl. H. Jonas: Erinnerungen, 292; V. Hösle: Theodizeestrategien, 48ff. Die Mitverantwortung Gottes am menschlichen Handeln betont Jonas in Theodizee nach Auschwitz, 184. Vgl. Jonas’ Kritik an Hannah Arendts Buch über Adolf Eichmann in: H. Jonas: Erinnerungen, 286–295; H. Arendt: Eichmann, 56f., 115–119, 371. 163 Bzgl. der Vorstellung vom Rückzug Gottes greift Jonas auf die Idee des Zimzum zurück (vgl. G. Scholem: Kabbala und Symbolik, 148; KGA III/1, 424ff.; HJ 1-8-29, 8). Nach Gershom Scholem spielt es »für den Menschen […] oft kaum noch eine Rolle«, dass Gott »sich verborgen hat« (G. Scholem: Kabbala und Symbolik, 149f.), Jonas hingegen betont die Rolle des Rückzugs Gottes für das Wissen um unsere Freiheit. Vgl. Scholems Verknüpfung von Tora und Mythos (G. Scholem: Grundbegriffe des Judentums, 86ff.; Ders.: Kabbala und Symbolik, bes. 126ff.). Aufschlussreich hinsichtlich des Verhältnisses von Scholem und Jonas ist Christian Wieses Aufsatz Zwiespältige Freundschaft.

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geben« (KGA III/1, 425). Das irdische Handeln ist keiner dialektischen Notwendigkeit anzulasten, sondern den frei agierenden Wesen, die die Möglichkeit haben, Gutes oder Böses zu tun. Nicht Gott ist für das Schicksal der Menschen verantwortlich, vielmehr sind diese, wie sich mit Bultmann sagen lässt, für das »Schicksal der Gottheit […] verantwortlich«.164 Weil die Menschen ihre existentielle Erfahrung auf das Ganze projizieren, kommt ihnen die ganze Verantwortung zu: »Die Heraufkunft des Menschen bedeutet die Heraufkunft von Wissen und Freiheit, und mit dieser höchst zweischneidigen Gabe macht die Unschuld des bloßen Subjekts sich selbst erfüllenden Lebens Platz für die Aufgabe der Verantwortung unter der Disjunktion von Gut und Böse. Der Chance und Gefahr dieser Vollzugsdimension ist die nun erst offenbar gewordene göttliche Sache hinfort anvertraut, und ihr Ausgang schwankt in der Waage« (KGA III/1, 413, vgl. 261, 360–362; I/2,1, 210–212, 326, 535; HJ 1-3-1, 225ff.).

Da der Mensch als Teil der Schöpfung für die Schöpfung verantwortlich ist, ist er ebenso für deren »[F]ehlgehen« verantwortlich (KGA III/1, 412, vgl. 359). Angesichts des existentiellen Standpunkts erscheint es schlüssig, diesen Schluss zu ziehen, ungenau wird es allerdings, wenn Jonas in dem 1977 verfassten Aufsatz Im Kampf um die Möglichkeit des Glaubens davon spricht – anknüpfend an den 1968 erschienen Aufsatz The Concept of God after Auschwitz (erweiterte dt. Fassung: Der Gottesbegriff nach Auschwitz, 1984) –, dass es dem Theologen nach wie vor möglich ist, Gott für fähig zu halten, »in den Lauf der Welt ändernd einzugreifen« (KGA III/1, 395, vgl. 398). Das wirft die Frage auf, wie der ohnmächtige Gott,165 der ganz in der werdenden Welt aufgeht und aller Macht entsagt hat, doch fähig sein soll, in den Weltlauf tätig und verändernd einzugreifen. Wäre dem so, wäre keine Freiheit des Menschen möglich, da sein Handeln von der Macht Gottes abhängt. In diesem Widerstreit der beiden Sphären begründet sich aber der Aufweis der Freiheit, es kommt darauf an, dass sich der Mensch frei und unabhängig gegenüber dem Absoluten und der Geschichte zu behaupten und zu verhalten weiß. Wird das Göttliche zum Herrn der Geschichte erhoben, ist der aufgedeckte »dialektische[] Prozess[] der Freiheit« hinfällig.166 Offen bleibt in Jonas’ Überlegungen, worauf der Verzicht der göttlichen Macht gründet. Ist uns – von der negativen wie der von der positiven Seite her – einsichtig, warum und wie das Göttliche seiner Macht entsagt hat, lässt sich im 164 R. Bultmann: Glauben und Verstehen, Bd. 4, 124; KGA III/1, 369f. Sodann stehen wir vor dem »Paradox, daß die Gottheit ein Schicksal gewählt hat, das in der ständigen Erhebung aus der Immanenz in die Transzendenz besteht, für die wir Menschen verantwortlich sind« (R. Bultmann: Glauben und Verstehen, Bd. 4, 124; KGA III/1, 368, 411), weil das Schicksal der Welt nicht mehr bei Gott, sondern bei uns liegt. Bezüglich der Gnosis vgl. HJ 3-7-1, 114. 165 C. Wiese: Weltverzweiflung und Weltangst, 262. Zur Diskussion vgl. 260–265. 166 H. Jonas: Gnosis. Erster Teil, 333.

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Rahmen des Idealen davon sprechen, dass wir ein Wissen davon haben, andernfalls bleibt dieses Wissen eine Vermutung. Da sich vorgelegter Versuch auf die existentiale Dimension beschränkt, liefert der »subjektiv-meditative[] Versuch« keine hinreichende Begründung für das Wissen um die Freiheit (KGA III/ 2, 152; vgl. SW XIV, 291). Trotz tiefer Einsichten bleibt allein die Möglichkeit der Freiheit erhalten, weiter geht vorliegende Konzeption nicht – das Problem ist, dass die Freiheit nicht von innen heraus, sondern nur von außen beschrieben wird. c)

»Säkularisierte Eschatologie«

Welche Bedeutung die Idee der Freiheit für das Wirken in der Welt hat, wird in dem schon früh geäußerten Gedanken, dass sie »das Prinzip allen Fortschritts in der Entwicklungsgeschichte des Lebens« ist (KGA I/1, 155; III/1, 217), deutlich. Der erdichtete Mythos liefert eine begriffliche Möglichkeit, wie das Göttliche mit der Freiheit des Menschen vereinbar sein könnte. Obzwar auch später nicht einsichtig gemacht wird, warum es überhaupt zum »Zulassen menschlicher Freiheit« kommt (KGA III/1, 423, vgl. 361f., 285) – was heikel ist, fehlt doch damit die positive Bestimmung des Wissens vom Göttlichen –, deuten der existentiale Zugang sowie die ontologische Biologie übereinstimmend an, dass im organischen Leben, genauer : im Menschen »die erste Form der Freiheit« wirkt (KGA I/1, 14; vgl. III/1, 209ff., 426). Das Göttliche hat sich ganz in die Natur hineinbegeben, womit die Aufgabe der Rettung des Friedens des unsichtbaren Reiches die Menschheit und die Schöpfung gleichermaßen, sohin die Natur als Ganzes betrifft. Dem von Gott eingegangenen »Wagnis der Freiheit« (KGA I/1, 202, 127), das uns zum Verwahrer der Schöpfung macht, werden wir in diesem Sinn nur gewahr, wenn wir die Menschheit wie die Natur, somit die Schöpfung und das Leben achten. Ungeachtet dessen, dass scheinbar nur der Mensch Freiheit hat, ist er der Natur nicht erhaben, sein Sein ist von dem der Natur prinzipiell nicht zu trennen. So lehrt der Evolutionsbefund, »daß der Mensch durch eine lange Vorgeschichte tierseelischer Annäherungen an den Geist zu sich kam […]. Wenn aber die Menschwerdung und damit die Geistwerdung sich durch biologische Zeiten und Stufen erstreckt, dann müßte gemäß der Minimalhypothese auch das göttliche Eingreifen es tun. Dies wäre demnach […] göttliches Weltregiment« (KGA III/1, 269; vgl. I/1, 115–119; SW X, 330, 365f., 375ff.).167 167 Vgl. H. Jonas: Erinnerungen, 211, 316. »Schon die Entdeckung der bloßen Tatsache der Evolution hatte tiefgehende Bedeutung für den Allgemeinbegriff vom Leben, ganz abgesehen von der Spezialfrage der Abstammung des Menschen. Descartes’ Theorie der tierischen Natur hatte zum festen Ausgangspunkt eine jeweils bestimmte mechanische Struktur – den gegebenen Typ von Organismus – und verstand das Leben des betreffenden Tieres als

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Auch wenn der Mensch als höchste Spitze, als vorläufiges Resultat allen Lebens gefasst werden kann, steht er nicht fern der Natur. Er ist mit ihr aufs Innigste verbunden, daher schuldet der Mensch »dem verwandten Ganzen ihrer Hervorbringungen eine Treue« (KGA I/2,1, 264, Hervorhebung M.H., vgl. 196). Mensch und Natur sind nicht zu trennen, sie bilden eine zutiefst verwobene Einheit. Das Wissen von der Natur ist nicht unabhängig von dem Wissen über das Absolute. Gott ist ohne die Welt schlechthin nicht zu denken, und umgekehrt ist uns Gott nicht unabhängig von der Welt zugänglich. Weil das Unbedingte sinnlich nicht fassbar ist, bedürfen wir tatsächlich der mythischen Sprache (vgl. Kap. III.9), um uns einen Begriff vom Absoluten zu machen. Jonas’ Mythus zeigt, wie Freiheit in Relation auf Gott gedacht werden kann und dass Freiheit und Verantwortung möglich sind. Es ist zu wenig, dieses Wissen existential, das heißt mythologisch erdichtet zu haben, es bedarf einer real-idealen Begründung, um sich einen Begriff davon machen und hieraus allgemeine Lehren ziehen zu können. Das weiß im Grunde auch Jonas, darum betont er, dass wir uns, wollen wir den Dualismus von Gott und Welt, von Mensch und Welt begreifen,168 den »gewagten Ausflug in die Ontologie nicht ersparen [können], selbst wenn der Boden, den wir erreichen können, nicht sicherer sein sollte als jeder, bei dem die reine Theorie haltmachen muß: er mag wohl immer über einem Abgrund des Unerkennbaren hängen. Es wurde schon zu verstehen gegeben, daß religiöser Glaube hier schon Antworten hat, die die Philosophie erst suchen muß, und zwar mit unsicherer Aussicht auf Erfolg« (KGA I/2,1, 100).

Dies zu leisten ist nicht die Aufgabe des Glaubens, es ist die Aufgabe einer metaphysischen Begründung, die ihren Gehalt aus dem Verständnis des Ganzen ableitet und die sogar diejenigen, wie es Jonas’ Frau Lore ausdrückt, »die ungläubig sind, annehmen können«,169 womit sich die Begründung unabhängig von einer kulturellen Sicht Geltung verschafft. Zwar erlaubt der erdichtete Mythos, uns der Möglichkeit nach als freie Wesen zu begreifen, ein Wissen davon erlangen wir auf dieser Grundlage aber nicht. Einzig eine »säkularisierte Eschatologie« (KGA I/2,1, 336),170 die uns auf spekulative Weise einen wirklichen die Funktion dieser Struktur, die Leistung der Maschine. Die Struktur bestimmt hier einseitig die Funktion und erklärt sie; ihre Analyse beantwortet daher alle Fragen, die sich hinsichtlich eines lebendigen Dinges vernünftigerweise stellen lassen. Die Evolutionslehre dagegen betrachtet diesen gegebenen Strukturtyp, die Bedingung für einen spezifischen Lebensvollzug, als selber ein Erzeugnis des Lebens« (KGA I/1, 82). 168 Hösle sieht die Überwindung des Dualismus als Jonas’ »letztes philosophisches Ziel« (V. Hösle: Ontologie und Ethik, 108). 169 L. Jonas: Er könnte die Antworten gehabt haben. 170 In voraufklärerischen Zeiten kam die Beantwortung solcher Fragen dem religiösen Glauben zu (vgl. KGA III/2, 282, 286; I/2,1, 518f.; L. Jonas: Er könnte die Antworten gehabt haben). Jonas bezweifelt nicht, dass der Glaube für eine »Ethik die Grundlage liefern« kann, aller-

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Begriff von der Freiheit nahelegt, vermag auf diesem Fundament absolute Werte zu begründen.171 Diese müssen auf allgemeine und rationale Weise eingesehen werden, nur so haben sie für jedes Vernunftwesen gleichermaßen Geltung. »Ein Universum ohne innerlich begründete Hierarchie des Seins, wie es das kopernikanische ist, läßt ontologisch ungestützt, und das Selbst ist ganz auf sich zurückgeworfen in der Suche nach Sinn und Wert. Sinn wird nicht mehr gefunden, sondern ›gegeben‹; Wert wird nicht mehr wahrgenommen in der Schau des objektiven Seins, sondern gesetzt als Tat der Wertung. Als Funktion des Willens sind die Zwecke meine alleinige Schöpfung. […] Nun ist der Mensch allein mit sich.«172

Das mythologische Wissen liefert uns einen Anhaltspunkt, um uns als freie Wesen zu begreifen, allerdings handelt es sich hierbei nur um scheinbares Wissen (vgl. KGA I/2,1, 132f.). Da die Freiheit zwar durch den Mythos als möglich bestimmt, sie jedoch nur erdichtet und daher nicht wahrhaft begründet wird,173 rückt Jonas die ontologische Betrachtung des Lebens ins Zentrum. Auf diese Weise soll das Wesens des Seins, sohin die menschliche Freiheit in existentieller Weise zum Ausdruck gebracht werden. Mit der Fokussierung auf die Ontologie des Lebens möchte Jonas der bildhaften Vorstellung von der Freiheit Substanz verleihen, sodass die Freiheit keine leere Konstruktion bleibt, sondern fassbar wird.

dings ist er »nicht auf Bestellung da, und an den abwesenden oder diskreditierten läßt sich selbst mit dem stärksten Argument der Benötigung nicht appellieren« (KGA I/2,1, 100). Eine fehlende Religion kann der Ethik »ihre Aufgabe nicht abnehmen« (KGA I/2,1, 61, 88; vgl. V. Hösle: Moral und Politik, 690, 1069, 1081) und dementsprechend müssen wir die »Möglichkeit einer rationalen Metaphysik einräumen«, an die sich zumindest »appellieren« lässt: »Die Metaphysik dagegen war von jeher ein Geschäft der Vernunft, und diese läßt sich auf Anforderung bemühen. Zwar ist eine haltbare Metaphysik so wenig wie Religion durch das Diktat der bitteren Notwendigkeit dafür zu beschaffen; wohl aber kann die Notwendigkeit danach suchen heißen, und der um eine Ethik sich mühende weltliche Philosoph muß zuvörderst die Möglichkeit einer rationalen Metaphysik einräumen« (KGA I/2,1, 100; vgl. U. Lenzig: Wagnis Freiheit, 180ff.). 171 H. Jonas: Gnosis, Existentialismus und Nihilismus, 306. Mit der »Relativität der Werte« kann Jonas wenig anfangen, für ihn ist »Barmherzigkeit […], ein für allemal, besser als Hartherzigkeit, Tapferkeit besser als Feigheit. Wir können ihr Schwinden nicht wünschen und ihren Tugendcharakter nicht vereinen« (KGA I/2,2, 48). 172 H. Jonas: Gnosis, Existentialismus und Nihilismus, 296, 314f.; V. Hösle: Moral und Politik, 200. 173 Zur Erdichtung des Mythos vgl. Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen, ECW 12, bes. 1–20.

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4.2.

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Organismus und Freiheit

Im Sein nimmt alle praktische Philosophie ihren Anfang. Es ist das reale Sein, welches uns Jonas zufolge Auskunft über die Zwecke gibt.174 Um Auskunft hierüber geben zu können, ist es notwendig, dass der radikale Dualismus nicht nur im möglichen Verhältnis zu Gott, sondern ebenso in Hinblick auf die ontologische Dignität des Seins aufzulösen ist. Hierfür bedient er sich der »oft schon totgesagte[n] Metaphysik« (KGA I/2,1, 531, vgl. 535f., 547),175 sie rückt das Sein ins Zentrum. Die metaphysische Dimension hat er schon früh in den Blick genommen; dass er seinen metaphysischen Zugang als Novum verstand, deutet mitunter der geplante Titel seiner philosophischen Biologie Through the Valley of Death. From Old Metaphysics to New an (HJ 16-4-9).176 Die »heute verschriene Metaphysik« ermöglicht uns, Einsicht in das Wesen des Ganzen zu nehmen (KGA III/1, 239), woraus sodann ethische Konsequenzen abzuleiten sind, schließlich ist das Sein erster, somit höchster Ausdruck des Werthaften in der Welt (vgl. KGA I/2,1, 314, 530f., 536f., 574). Und dass gerade der Mensch jenes Wesen ist, welches dem höchsten Soll am besten Ausdruck verleihen kann, ist angesichts der Möglichkeiten des Menschen unbestritten. Der Inhalt des Sollens ist nichts Willkürliches, ihn gilt es durch die metaphysische Einsicht zu bestimmen. »Daß das Theoretische (= der Widerpart des ›Praktischen‹), die Erkenntnis des Seins, im Rahmen der Ethik erscheint, läuft einer philosophischen Denk- und Klassifikationsgewohnheit zuwider, obwohl es schon mit beredten Worten in der nikomachischen Ethik steht. Ebenso ungewohnt ist in der Nachfolge Kants die Vorstellung, daß ein Sein ein Sollen begründen könne. Beide Gewohnheiten sind zu korrigieren: der ersten gegenüber muß als ein Axiom der Ethik erfaßt werden, daß die Erkenntnis des Seins, von der Sinnenerkenntnis angefangen und zu freieren Stufen der Objektivation und des Selbstverstehend aufsteigend, eine ethische Verwirklichung des Menschen darstellt. Aber diese Einbeziehung des Wissens in die Ethik muss (gegenüber der zweiten Gewohnheit) ihre Kehrseite in der Begründung der Ethik auf die Seinslehre haben. Man kann, vom Atom anfangend, über alle Stoff- und Lebensstufen fortschreitend, die Erkenntnis (Spiegelung) des Seins durch den Menschen als Vollstreckung der evolutionären Meinung des Seins selbst verstehen. Da aber Erkenntnis beim Menschen Sache der Freiheit ist, so ist hier Vollstreckung oder Nicht-Vollstreckung kein naturhaftes sondern ein ethisches Phänomen und fällt in den Bereich des Sollens. Ontologische

174 Vgl. C. Wiese: Weltabenteuer Gottes, 205–209. 175 Vgl. dazu Jonas’ Erklärungen gegenüber Hannah Arendt in: R. Beiner : Arendt über das Urteilen, 146–148. 176 Der Titel Through the Valley of Death. From Old Metaphysics to New wurde seitens des Verlages mit dem Hinweis auf die »marketing problems« betreffs des Wortes Metaphysics abgelehnt. Vgl. den Brief von Harper & Row an Hans Jonas vom 24. 2. 1965 (HJ 16-4-11).

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Begründung der Ethik – ethische Vollendung der Ontologie. Ein Kreis schließt sich hier« (KGA II/3, 560, Hervorhebung M.H.).

Da das Wissen von der Idee der Freiheit bislang nur grob gezeichnet wurde, können auch die an die ontologische Begründung anschließenden Antworten bloße Andeutungen und somit nichts Konkretes sein. Dabei gilt für das Bedingte wie für das Unbedingte, dass sie nur auf Basis der »Begreiflichkeit unseres eigenen, erkennenden, zeitlichen Daseins« zu fassen sind (KGA III/1, 455, vgl. 400; I/1, 315). Da das Begreifen des Göttlichen von dem Begreifen der Natur, und umgekehrt, nicht zu trennen ist, stehen die Andeutungen zumindest strukturell mit dem Wissen vom Natürlichen in Einklang. Anderenfalls hätten wir keine Möglichkeit, die idealen Bestimmungen auch nur irgendwie zu überprüfen. a)

Natur und Geist

Es ist nicht zu bestreiten, dass für Jonas die ontologische Bestimmung der Natur auf derselben »philosophical self-interpretation« aufbaut wie der Mythos (HJ 115-4, 18). Aber anders als sein mythologischer Entwurf ist seine Naturphilosophie keine bloße Erdichtung, schließlich liegt das Leben als konkreter Gegenstand vor uns – dennoch ist es aufgrund seiner Komplexität äußerst schwer zu fassen. Für Jonas ist nicht der Tod, sondern das Leben das eigentliche Mysterium allen Seins. Das Aufstehen der Materie ist das Eindrucksvollste, was die Welt bietet. Der Tod ist eine frühere Form, eine Vorform von Leben, und für uns nur von Bedeutung, weil es Leben gibt. Gott hat sich ins Endliche entäußert und am vorläufigen Ende dieses Entwicklungsprozesses steht das Leben. Leben ist das Resultat eines Kampfes, es offenbart sich in den »Antithese[n] von Sein und Nichtsein, von Selbst und Welt, von Form und Stoff, von Freiheit und Notwendigkeit« (KGA I/1, 16, vgl. 4, 15–17, 83f., 155, 159; I/2,1, 160ff., 270, 563, 605; II/ 3, 565–568, 596; III/1, 209, 217, 327):177 Leben ist aktual gewordener Geist. »Erst im Tode wird der Leib rätsellos: in ihm kehrt er von dem rätselhaften und unorthodoxen Benehmen der Lebendigkeit zu dem eindeutigen und ›vertrauten‹ Zustand eines Körpers innerhalb der gesamten Körperwelt zurück, deren allgemeine Gesetze der Kanon aller Begreiflichkeit sind« (KGA I/1, 27f., vgl. 22, 30–32, 31 Anm.; I/ 2,1, 568; II/3, 57).178

177 Auf die Verwobenheit von Sein und Nichtsein verweist Cusanus in: De docta ignorantia II, PTW 1, 17, 19. 178 Diesen Gedanken führt Hegel in seiner Berliner Enzyklopädie aus: »Das Leben ist der zu seiner Manifestation gekommene Begriff, der deutlich gewordene, ausgelegte Begriff, dem Verstande aber zugleich am schwersten zu fassen, weil für ihn das Abstrakte, Tote als das Einfachste, am leichtesten zu fassen ist« (TWA 9, 37, § 251 Z).

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Der Mensch ist aus der Entwicklung, der Weiterbildung des organischen Lebens hervorgegangen, gegenwärtig ist er das komplexeste Wesen, das wir kennen (vgl. Kap. II.6.2 u. III.8.3): Im Menschen haben sich die keimhaften Bestimmungen der Natur am komplexesten herausgebildet. Folglich ist der Mensch mit dem organischen Leben aufs Tiefste verwoben. Da er an der vorläufigen Spitze der Evolution steht, ist er als Telos der Natur zu fassen: Die Welt hat sich genau bis hierher entwickelt. Der menschliche Organismus ist dem stofflichen Leben in evolvierender Weise entwachsen, er ist die Aktualität dessen, was in ihr potentiell enthalten ist. Dabei sind »teleological structure and behavior of organism […] not just an alternative choice of description: it is, on the evidence of each one’s own organic awareness, the external manifestation of the inwardness of substance« (HJ 1-15-4, 33; HJ 10-4-1; KGA II/3, 597). Menschliches Leben als psycho-physisches Dasein eint Natur und Geist, es hat beide Seiten in sich aufgehoben. Jonas hat den Zusammenhang beider Seiten sehr klar gesehen. Um das Hervorgehen des Einen aus dem Anderen begreifen zu können, müssen wir nach Jonas von einer »mit der Möglichkeit des Geistes begabten Urmaterie« ausgehen (KGA III/1, 272); wäre die Innerlichkeit nicht schon im Sein verankert, ließe sich nicht einsehen, wie sie entstehen kann.179 Trotz ihrer Verwobenheit sind Natur und Geist differente Momente, das Absolute kann nicht bloß geistig oder naturalistisch bzw. die Natur nicht vollständig naturalistisch oder geistig gedeutet werden. Der Grund des Seins, das Unbedingte lässt sich empirisch nicht fassen, weswegen ihm nicht – worauf Schelling eingehend hingewiesen hat – mittels »[e]iner – unendlichen Causalität« nahezukommen ist (SW XIII, 346). Die unendlichen Kausalitäten führen begründungstheoretisch in einen unendlichen Progress.180 Der Anstoß der Entwicklung lässt sich nicht kausal begreifen. Die Kausalität erlaubt lediglich, die Ursache der Entwicklung in ihrer Ursächlichkeit – das heißt das Wie, nicht aber das Warum – zu begreifen. Es lässt sich lediglich von einer Ursache zur nächsten begründungstheoretisch fortschreiten. Auskunft über den Grund der Entwicklung kann auf diese Weise nicht gegeben werden. Für Antworten über den Anstoß bedarf es des Sprungs in die Spekulation (KGA III/1, 454), allein dieser vermag das Unbedingte des Bedingten fassbar zu machen (vgl. Kap. III.8 u. III.9). Obwohl uns das »Werdegeheimnis« der Welt verschlossen (KGA I/1, 159), nicht direkt vermittelt ist, weist Jonas darauf hin, dass sich uns das sich entwickelnde Sein in seiner ganzen Dynamik zeigt. Die Natur ist mit dem Geist verbunden, letztlich muss sie gar als schlafender Geist verstanden werden, sie hat das Potential, wachen Geist hervorzubringen – wäre dem nicht so, wäre 179 Vgl. C.F. v. Weizsäcker: Geschichte der Natur, bes. 8f. 180 Vgl. C. Danz: Wirken Gottes, bes. 146–158.

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unerklärlich, wie das Geistige aus der Naturgeschichte hervorgeht. Entstehen kann Geistiges nur, wenn die »schöpferische Ursache von schlafendem Geist […] wacher Geist« ist (KGA III/1, 266, 264f. Anm., 268, 272; vgl. Kap. III.8), andernfalls wäre nichts, was erwachen könnte. Entsprechend weist die Evolutionstheorie bzw. die Evolution des Geistes aus der Natur auf das »potentiell von allem Anfang an be-geisteten« Prozess hin.181 »Es gibt Materie ohne Geist, aber nicht Geist ohne Materie. Das erstere lehrt die ganze leblose und ein großer Teil der lebenden Natur, das letztere die Tatsache, daß aller Geist […] nur in Verbindung mit bestimmt organisierter Materie […] auftritt und kein Beispiel körperlosen Geistes bekannt ist. Hieraus ergibt sich, daß der Stoff selbstständiges und ursprüngliches, der Geist von ihm bedingtes und abgeleitetes Sein hat« (KGA I/2,1, 442, vgl. 475ff.; I/1, 33, 136f.; III/2, 122ff.).

Im Organischen muss das Geistige »vorgebildet« sein (KGA I/1, 13); anderenfalls müssten Natur und Geist als zwei vollkommen »separate[] Stücke der Wirklichkeit« verstanden werden (KGA I/1, 36), ihre wesentliche Verwobenheit ließe sich nicht fassen. Es ist unsinnig, res cogitans und res extensa »in zwei ontologische Sphären« auseinanderzureißen (KGA I/1, 26, vgl. 28, 31, 34–38, 140f.; II/2, 195–197; II/3, 17); die Differenz von Leben und Nicht-Leben ist dadurch nicht beiseitezuschieben. Wenn Leben nicht bloß als Form von Materie, sondern als deren Bestimmtheit gefasst wird, wird verständlich, warum »life can only be known by life« (HJ 1-15-4, 33). Ohne diese Differenzierung wären Geist und Natur vollkommen gleich, was nicht der Fall ist, sonst wäre das Bewusstsein gleicher Qualität wie die tote Materie, sie müssten derselben Gesetzmäßigkeit unterliegen. Deshalb ist ein materialistischer Monismus wenig überzeugend, mit ihm ist kein Unterschied zwischen lebendiger und toter Materie auszumachen. Gemäß einem philosophischen Monismus ist dem Bewusstsein vor dem Leib kein Vorrang einzuräumen (vgl. KGA I/1, 35, 37, 71; III/2, 290; HJ 2-7a-3, 1–12), und umgekehrt. Idealismus und Materialismus bilden antithetische Positionen (vgl. KGA II/3, 51), die einander aber dem Wesen nach gleich gültig gegenüberstehen. Ob dieser tiefen Einsicht räumt Jonas – wohl aufgrund der Schwierigkeit, den Geist konkret bestimmen, das heißt fassen, zu können – dem Materialismus gegenüber dem Idealismus den Vorrang ein. Dieser ist ihm die »interessantere und ernsthaftere Variante moderner Ontologie gegenüber dem Idealismus«, weil der Organismus dessen Gesetzen gehorcht (KGA I/1, 40; II/3, 53, 85; III/1, 251).182 In Hinblick auf seinen Begründungsanspruch ist diese Haltung äußerst proble181 W.C. Zimmerli: Philosophie in einer Gott-verlassenen Welt, 162. Vgl. H. Jonas: Erkenntnis und Verantwortung, 98–103. 182 Vgl. dazu Jonas’ Kritik an der Kybernetik (vgl. KGA I/1, 209, 213, 220ff., 230).

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matisch, sie erweckt den Eindruck, dass die Idee auf das Materiale zurückführen sei.

b)

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Der Vorzug des Materialismus gegenüber dem Idealismus begründet sich darin, dass »der Stoff selbstständiges und ursprüngliches, der Geist von ihm bedingtes und abgeleitetes Sein« ist (KGA I/2,1, 442). Der Stoff ist direkt greifbar, der Geist nur indirekt. Denn die Materie ist »das an sich Bleibende und der Geist ein flüchtig an ihr Auftretendes ist. Jedes Streben, bei dem der Geist verschwindet, während das Körperliche in seinen Elementen zu existieren fortfährt, vindiziert die Materie und widerlegt den Geist, d. h. die Eigenständigkeit desselben. So ist, auf die kürzeste Formel gebracht, die Sterblichkeit als solche das stärkste Argument für die ontologische Priorität der Materie (die ontische steht ohnehin außer Frage) und das bloß sekundäre Dasein des Geistes« (KGA I/2,1, 448).

Seitens der Subjektivität besteht eine »Angewiesenheit auf Materie« (KGA II/3, 571), da sich der Geist außerhalb ihrer nicht verwirklichen kann. Das Geistige darf nicht auf das Materiale reduziert werden, und umgekehrt. Versteht man die Materie im subjektiv-idealistischen Sinn Johann Gottlieb Fichtes, wird alles Materielle vergeistigt, weswegen nur noch, wie Schelling konstatiert, ein subjektives Ich ist, was einem »Todtschlag der Natur« gleichkommt und daher konsequenterweise abzulehnen ist (SW VII, 445, 11, 17f.; X, 120) – denn das hieße, dass die Natur annihiliert und zum Geistigen verklärt würde. Die Differenz von Natur und Geist ist nicht zugunsten einer Seite aufzuheben, die Einheit muss beiden Seiten gleichermaßen gerecht werden.183 Demnach geht die einseitige Hinwendung zum Materialismus ebenso wie die einseitige Hinwendung zum Idealismus fehl. Zwar ist der Materialismus aufgrund seiner Übereinstimmung mit dem Realen eine begründungstheoretisch starke Position, allerdings lässt sich auf Grundlage des Materialismus die Ursache des Seins, das Geistige, nicht beschreiben. Wir bedürfen aber dieser Beschreibung; eine »Schöpfung der Seele aus dem Nichts« ist völlig unverständlich und gibt keinen Aufschluss darüber (KGA I/2,1, 451; II/3, 141–151; III/2, 113–148; HJ 3-7-1, 74f.), wie wir in der Welt stehen. Zumal Jonas den wachen Geist als das bisherige Resultat der Evolution fasst, sogleich aber gemäß dem materialistischen Ansatz daran festhält (KGA I/2,1, 458, 470–472), dass er dem Boden der Materie entwächst, versucht er die Unabhängigkeit des Geistes gegenüber der Natur, der Materie zu wahren. Der 183 Vgl. V. Hösle: Ontologie und Ethik, 117.

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Unterschied liegt gewissermaßen darin, dass dem Geist, anders als der Natur, keine »Ohnmacht in der objektiven Welt« zufällt, erfahren wir uns doch als freie Wesen und nicht als »Puppen der Weltkausalität« (KGA I/2,1, 432). Dieses Wissen von der Freiheit gründet auf bloßer Erfahrung, wir bedürfen aber ebenso ihrer theoretischen Einsicht, andernfalls ist sie bloß einseitig bestimmt. Das ist aber hier nicht der Fall. Für Jonas ist alles existential zu fassen, weswegen davon die Rede ist, dass alles Wissen nicht »apriorische Grundlage der Erfahrung, sondern selber eine Grunderfahrung [ist]. Sie erworben in der Anstrengung, die ich aufwenden muß, um den Widerstand der Weltmaterie in meinem Tätigsein zu überwinden und um dem Anprall der Weltmaterie selber zu widerstehen. […] So ist Kausalität nicht formales Apriori der Erfahrung im Verstande, sondern die universale Extrapolation aus der eigenleiblichen Grunderfahrung ins Ganze der Wirklichkeit« (KGA I/1, 44f., zweite Hervorhebung M.H.; II/3, 69– 73).184

Die existentiale Erfahrung der Freiheit ist begründungstheoretisch unbefriedigend, letztlich ist sie eine Kategorie der äußeren Zuschreibung. Wenngleich durch die existentiale Selbstwahrnehmung ein Bezug zur Innerlichkeit gegeben ist, fehlt die bewusste Reflexion darüber, worauf Freiheit gründet. Da dieser Aufweis von der Freiheit ausschließlich auf der eigenleiblichen Grunderfahrung gründet, ist daraus keine Gesetzmäßigkeit abzuleiten. Gegen Jonas ist mit Hösle darauf hinzuweisen, dass die subjektive Erfahrung – nichts anderes ist die existentielle Selbstbeschreibung – »keine Verallgemeinerung über die erfahrenen Fälle hinaus« erlaubt.185 Im hösleschen Sinn ist sie uns damit Ausdruck des Besonderen, des Individuellen – und nicht des Allgemeinen. Jonas’ Ansatz ist insofern problematisch, als sich Freiheit nicht materialistisch bestimmen lässt, obgleich betont wird, dass die »Natur des Psychischen jeder kausalen Kraft bar ist«. Die Materie ist die »ermöglichende Grundlage oder Voraussetzung für die Existenz des Geistes, und nicht nur sein Hervorbringer […], sondern auch die bestimmende Ursache für sein Arbeiten und all seine jeweiligen Inhalte – also ›bedingend‹ in jedem Sinne« (KGA I/2,1, 441f., 435– 464). Ist Materie schlafender Geist, ist keine Materie ohne Geist, und kein Geist ohne Materie. Dass Jonas trotz seiner materialistischen Hinwendung den Materialismus als Prinzip ablehnt, macht er in einem Brief vom September 1991 an einen Freiburger Studenten deutlich. Darin erklärt er, dass die »ungeheuerlichste Ausnahme im Universum, die Anwesenheit von Subjektivität, die geknuepft ist an die ungeheuerlichste Komplexität physischer Organisation«, nicht 184 Zur Grunderfahrung vgl. KGA I/2,1, 132–134.Vgl. dazu Kants Position in seiner Kritik der reinen Vernunft, B 122, 161f., 196f., 287f., 446–449. 185 V. Hösle: Hegels System, 16.

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der Außenseite gleichgesetzt werden darf.186 Mit Blick auf sein Hauptwerk zeigt sich, dass für ihn nur ein »neuer integraler, d. h. philosophischer, Monismus« die Polarität – gleichwohl er sie nicht rückgängig machen kann – überwinden, sie bewältigen kann (KGA I/1, 35). Wie dies zu leisten ist, bleibt offen. Trotz der forcierten materialen Rückbindung muss das Geistige gegenüber der Natur seine Unabhängigkeit wahren. Macht oder Ohnmacht der Subjektivität widmet sich diesem Thema: »Worauf es ankommt ist, daß in dem mentalen Intervall zwischen input und output ein Prozeß völlig anderer Ordnung als der physischen liegt. Wie groß oder klein die Schleife des Kreislaufs sei, die jenseits der Wand, in der psychischen Dimension, verläuft, sie steht nicht unter Regeln quantifizierbarer Kausalität, sondern mentaler Signifikanz. ›Determiniert‹ ist natürlich auch sie, insofern alles in ihr seinen Grund hat, aber das heißt eben: bestimmt durch Sinn, Neigung, Interesse und Wert, kurz, nach Gesetzen der Intentionalität, und dies ist es, was wir unter Freiheit verstehen.«

So verstanden wird das Hirn »zum Organ der Freiheit, aber eben unter der Bedingung, daß es ein Organ der Subjektivität ist. Andersherum ausgedrückt, dächte man sich ein Gehirn von genau der physischen Beschaffenheit wie das menschliche, aber ohne zugeordnete Subjektivität, so würde es auch nicht die Leistungen in der sichtbaren Welt vollbringen (obwohl sicherlich respektable genug in der Leibeskontrolle), die wir vom menschlichen Gehirn kennen« (KGA I/2,1, 475f.).

Dass es äußerst problematisch ist, das Hirn als Organ der Freiheit, als Ort der Subjektivität und der Innenseite zu verstehen, wird mit Blick auf die neuere Hirnforschung deutlich. Indem die Subjektivität dem Hirn gleichgesetzt wird, wird der Geist materialisiert und das Geistige zum Materialen verklärt.187 Wird das Geistige auf das Materiale reduziert, ist keine Subjektivität, ebenso wie umgekehrt, wird das Materiale als rein Geistiges bestimmt, keine Objektivität ist. Damit vernünftiges Begreifen möglich ist, sind nicht nur beide Seiten anzuerkennen, sie müssen als aufeinander bezogene Momente verstanden werden. Dass Jonas diese Bestimmung auszuweisen strebt, kann als Beleg für seine Weitsicht und als Abschwächung seines Materialismus gedeutet werden, er grenzt sich entschieden von einem Reduktionismus ab und sucht eine Antwort

186 Hans Jonas an Steffen Waesche am 6. 9. 1991 (HJ 6-3-97). Dieser Brief ist die Antwort auf eine von Waesche verfasste Arbeit zum Leib-Seele-Problem vom 7. 8. 1991, in der dieser die Identitätsthese vertritt. 187 Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Arbeit von Benjamin Libet. Vgl. B. Libet: Do we have a free will?. Spätere Arbeiten schließen an die naturalistischen Bezugnahmen an und führen diese weiter. Vgl. T. Kahnt et al.: Perceptual Learning and Decision-Making; M. SchultzeKraft et al.: The Point of no return; H. Cruse: Ich bin mein Gehirn.

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darauf zu geben, wie das Physische und das Psychische, wiewohl sie different sind, interagieren und aufeinander bezogen sind.188 Da die Grenze zwischen beiden Seiten – wie das Psychische an sich – sinnlich nicht zugänglich ist, bedient er sich hier, wie bei der Rede vom Unbedingten, der metaphorischen Sprechweise. Um das Zusammenwirken begreifbar zu machen, wird das Bild einer durchlässigen Grenze verwendet, die einen Austausch beider Seiten ohne Vermengung möglich macht. Der Übergang zwischen Physischen und Psychischen scheint Jonas durch eine »poröse Wand« möglich, die »Osmose in beide[] Richtungen« erlaubt, wobei eine »Priorität […] vom Physischen« her unabdingbar ist, schließlich ist die Materie der Grund des Psychischen, weswegen für sie gilt: »Für das Psychische also lautet die kurze Formel: Von einer Kleinstmenge an Energie erzeugt, ist es imstande, Kleinstmengen von Energie wiederzuerzeugen. Inzwischen sind diese Mengen von der physischen Oberfläche ›untergetaucht‹, jedoch sowenig wie ein unterirdischer Wasserlauf ins wirkliche Nichts verschwunden – tauchen also auch nicht aus einem wirklichen Nichts auf, wenn das Bewußtsein handelt. Das ›Inzwischen‹ selbst aber ist das Reich der Subjektivität und ihrer Freiheit.«

Das Psychische ist keineswegs ein »Niemandsland, welches das Seinige für sich behält und worin es sich wie in einem Geisterreich verliert«, wobei »es diesem das durch seine Transformation Hindurchgegangene zurück[erstattet] und gehört mit ihm zum selben einigen Sein, nur mit grundverschiedenenem Nexus grundverschiedener Elemente innerhalb seiner Eigendimension. Die Verschiedenheit hebt die Einheit nicht auf: Das einige Sein ist eben durch den vorherrschenden physischen noch nicht erschöpft, wie uns die Stimme unseres Selbst von jeher gesagt« (KGA I/2,1, 474–477).

Obwohl sich Jonas darüber im Klaren ist, dass die »Metapher von der ›osmotischen Wand‹ […] keine Gunst in den Augen des Physikers« findet (KGA I/2,1, 508, vgl. 507f.), hält er an ihr fest, immerhin erlaubt sie ihm, einen neuen Blick auf das Leib-Seele-Problem zu werfen.189 Ungeachtet dessen, dass diese Bestimmungen vor dem naturwissenschaftlichen Wissen unserer Zeit tatsächlich keinen Bestand haben und daher zu verwerfen sind, ist die neugefasste Problemstellung hinsichtlich eines möglichen Verständnisses insofern als Fortschritt gegenüber einem bloßen »parallelism« von Leib und Seele zu werten, als die osmotische Wand eine zweckhafte Vorstellung davon liefert, wie »interaction« zwischen beiden Sphären denkbar ist, 188 Zu Jonas’ Ausführungen zum Dualismus vgl. U. Lenzig: Wagnis Freiheit, bes. 99–105. 189 Einen interessanten Lösungsansatz liefert Carl Gustav Jung, der im Austausch mit Wolfgang Pauli entstanden ist; dieser sucht das psychophysische Problem mittels Synchronizität zu fassen. Vgl. C.G. Jung: Synchronizität, bes. 22 Anm., 26f., 38; C.A. Meier (Hg.): Pauli und Jung. Briefwechsel, 40–48, 56–70, 102, 117, 125–129.

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wenngleich sie aufgrund ihres fehlenden Grundes im Realen nicht überzeugen kann. Dabei scheint Jonas dieses Verständnis besser als jenes der »complementarity« dazu geeignet zu sein, das Problem zu beschreiben (KGA I/2,1, 594, vgl. 489–500). Denn Komplementarität fordert im jonas’schen Verständnis, dass Leib und Seele als »clearly separate« verstanden werden: »[E]ach [is] complete in itself and neither intruding into the other« (KGA I/2,1, 591). Dabei wird der Begriff etwas schief dargestellt, ist es doch zu weit gegriffen, Komplementarität an die völlige Unabhängigkeit der Momente zu knüpfen. Bohr, auf den er sich bezieht, weist die Korrespondenz zwischen den verschiedenen Sphären aus, betont dabei gesondert, dass die Momente trotz ihrer Differenz als zusammengehörig verstanden werden müssen. Komplementarität ist vielmehr eine Art der Beschreibung, die das Unzugängliche im Zugänglichen mitdenkt und das, obgleich es sich zum Zeitpunkt der Beschreibung nicht direkt fassen lässt. Nichtsdestotrotz ist es richtig, dass sich die Erklärung darauf beschränkt, zu zeigen, wie beide Seiten zusammenhängen, aber nicht darlegt, wie der Übergang möglich ist. Dass die Komplementarität als metaphysische Erkenntnisform von großer Bedeutung ist und tatsächlich viele Problemfelder erschließen kann, wird noch ausführlich zu diskutieren sein (vgl. Kap. III). Für Jonas allerdings ist die komplementäre Beschreibung keine Option, da er mit ihr eine vollkommene Isoliertheit der Momente verbindet. Zudem fokussiert er sich darauf, den Übergang von der Psyche zur Physis überhaupt zu denken, um deren Dualität in einen Monismus zu überführen, der nicht reduktiv gefasst wird und die Differenz in der Einheit begründet. Dieser vernünftige Anspruch findet sich bereits in seinen Bezugnahmen auf die Gnosis; hier legt er dar, dass die ausgewiesene radikale Dualität keine »duality […] of complementary but of contrary terms« ist.190 Mit der Vorstellung von der osmotischen Wand soll der Übergang der differenten Momente umfassend beschrieben werden (KGA I/2,1, 508). Der Anspruch mag recht klar definiert sein, die Beschreibung hat jedoch nur beschränkt Geltung, schließlich ist jene Vorstellung mit dem Wissen vom Realen nicht in Einklang zu bringen. Darüber hinaus liefert diese Darstellung keinen Aufschluss darüber, wie das Geistige beschaffen, strukturiert ist. Dass die Ausführungen von der osmotischen Wand denjenigen von Ren8 Descartes Zirbeldrüse ähneln,191 weiß Jonas, dennoch hält er seine Überlegungen gegenüber der dualistischen Position Descartes’ von »besserer theoretischer Dignität« (KGA I/2,1, 507). Das Problem an seiner Konzeption bzw. an der von Descartes ist, dass die osmotische Wand genau wie die Zirbeldrüse als etwas Materielles verstanden werden muss, womit der Übergang zwischen Natürli190 H. Jonas: Gnostic Religion, 251. Vgl. KGA II/3, 137, 195–197. 191 R. Descartes: Passionen der Seele, 22–26, Art. 32–38.

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chem und Geistigem rein materiell, also einseitig bestimmt ist. Es mag schwierig sein, eine umfassende Antwort auf das Verhältnis zu geben, die Begründungsarbeit ist aber von weitreichender Bedeutung, zumindest wenn wir verstehen wollen, wie das Moment des Geistes auf die Natur wirkt, und umgekehrt. Der gelieferte Ansatz fordert zwar, der »post-dualistischen Position« gerecht zu werden (KGA I/1, 49, 36, 48f.; II/3, 53); um diesen Anspruch tatsächlich zu erfüllen, ist es gemäß der Vernunft und der mitwissenschaftlichen Bezugnahme notwendig, die ideale und die reale Seite miteinander in Einklang zu bringen und als aufeinander Bezogene zu fassen. Weil das aber auf Grundlage der Ausführungen nicht zu leisten ist, lässt sich die Freiheit mit diesem Ansatz nicht als vernünftig ausweisen. c)

Der Mensch und seine Freiheit

Freiheit hat nur dort Platz, wo nicht bloß Natur und nicht bloß Geistiges ist. Ohne Differenzmoment fällt sie der reinen Willkür anheim. Freiheit bestimmt sich im Wechselspiel von Willkür und Notwendigkeit, sie ist Bestimmtheit und nicht grenzenlos. Da sich Natur und Geist systematisch nicht als Einheit ausweisen lassen, krankt Jonas’ Konzeption daran, dass wir uns nicht vergewissern können, ob die erlebte Freiheit tatsächlich möglich ist. Zwar wird der Freiheit existential durch die Projektion der Grunderfahrung Ausdruck verliehen, allerdings mangelt es an einem systematischen Zusammenhang, der die Freiheit apriorisch wie aposteriorisch ausweist. Die gelieferte Metapher von der porösen Wand offeriert zwar eine Vorstellung vom Übergang beider Seiten, mehr aber nicht: Mitwissen an der Freiheit haben wir dadurch nicht. Wider diese Unbestimmtheit sind die existentiellen Überlegungen wegweisend. So wird einsichtig gemacht, dass die Natur »schlafende, noch unerweckte Freiheit« ist (KGA I/1, 46). Immerhin begründet sich die existentielle Freiheit im »›Ja!‹ zu sich selber« (KGA III/1, 330). Für das Überleben ist es unumgänglich, tätig zu sein. Leben heißt, Stoffwechsel zu betreiben. Indem der Organismus Stoffwechsel betreibt, behauptet er sich gegen seinen Rückfall ins Nichts. Das Leben ist »frei, aber abhängig« (KGA I/1, 17; III/1, 251, 278, 324f., 328–330; I/2,2, 290f.), abhängig von der Notwendigkeit des Stoffwechsels, frei, diesen betreiben zu können. Daher lässt sich von »bedürftiger Freiheit zum Stoffe« sprechen (KGA I/1, 151, 24f., 201f.; II/3, 566). Der Stoffwechsel ist eine notwendige Voraussetzung des Erlebens von Freiheit, diesen zu betreiben ist der erste Akt der Freiheit. Betreibt das Leben Stoffwechsel, sagt es damit, »daß es besser ist, daß e[s] sei, als daß e[s] nicht sei« (KGA I/2,1, 532).192

192 Der Abschnitt, in dem diese Formulierung enthalten ist, geht, wie ein Schreiben vom

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Zwecks der Dialektik des Lebens wird das Wollen, die Freiheit zum »Leitbegriff für die Interpretation des Lebens« (KGA II/3, 568).193 Die Freiheit, die im evolutionären Fortschritt mit dem Sein des Lebens gegeben ist, äußert sich in der Bewegungsfähigkeit, der Wahrnehmung und dem Gefühl (vgl. KGA I/1, 191, 244–258, 267, 297–304, 318).194 Jene Fähigkeiten sind es, die uns erlauben, uns frei zu bewegen und uns unabhängig von der Natur zu erleben. Es ist das »Hauptmerkmal tierischer Evolution im Unterschied vom pflanzlichen Leben, daß der Raum, als die Dimension der Abhängigkeit, progressiv in eine Dimension der Freiheit verwandelt wird, und zwar durch die parallele Entwicklung dieser zwei Vermögen: sich umher zu bewegen und auf Entfernung wahrzunehmen« (KGA I/1, 192f., vgl. 194f.).195

Eine Erweiterung der Freiheit, das heißt des Könnens, ist mit einer Erweiterung der Gefahren verbunden. Das zeigt sich beispielhaft daran, dass das tierische Leben seine Nahrung im entfernten Raum sucht, was nicht nur Freiheit, sondern auch Notwendigkeit mit sich bringt. Aus dieser Fähigkeit folgt für das tierische Leben die »Bürde der Notdurft«, es bedarf ihrer, nur durch sie ist es dem Lebewesen möglich, sich im entfernten Raum zu bewegen und dort die verarbeiteten Stoffe auszuscheiden. Zu ihrem Zweck begibt sich das tierische Leben in stete Gefahr, da es sich zum Zeitpunkt der Ausscheidung nicht optimal schützen kann (KGA I/1, 15, vgl. 159, 165, 321f.; III/1, 209, 211, 237f., 309f.; I/2,1, 566). Im Unterschied zum tierischen Leben ist das pflanzliche Leben auf seinen unmittelbaren Wirkungskreis beschränkt. Dementsprechend muss es sich gegenüber seiner Umgebung nicht in der Weise behaupten wie das tierische Leben. Aus der Erweiterung des Raumes folgt ein höheres Maß an Können, was eine »höhere, doch riskantere Freiheit« bedeutet (KGA III/1, 224). 2. 8. 1986 an Heinrich Popitz zeigt, auf eine von diesem »angeregte[]« Ergänzung zurück (HP 10.7.1). 193 Das umfasst die »Dialektik der Lebenstatsache von der Grundpositivität der ontologischen Freiheit (Form-Stoff) zum Negativum der biologischen Notwendigkeit (Stoffabhängigkeit) […]. Die Angewiesenheit auf Materie außer ihm, die Kehrseite der ontologischen Freiheit des Lebens, ist ein nicht minder neuartiges Phänomen im physischen Sein als jene Freiheit selbst. Der Stoff an sich kennt sie nicht« (KGA I/1, 163, 160–162, 176). 194 Vgl. H. Jonas: Erinnerungen, 182; Ders.: Geist, Natur und Schöpfung, 74. Die Freiheit äußert sich in drei Weisen: »1. Die Freiheit des Denkens zur Selbstbestimmung […]: Der Geist kann nachdenken, worüber er gerade will. 2. Die Freiheit zur Abwandlung des sinnlich Gegebenen in selbsterschaffenen Bildern: Die Freiheit der Einbildungskraft […]. Und schließlich 3., von der symbolischen Flugkraft der Sprache getragen, die Freiheit zum Überschritt über alles je Gebbare hinaus: vom Dasein zum Wesen, vom Sinnlichen zum Übersinnlichen, vom Endlichen zum Unendlichen, vom Bedingten zum Unbedingten« (H. Jonas: Geist, Natur und Schöpfung, 66). 195 Die Differenz von Tier und Pflanze erläutert Jonas im 6. Kapitel von Organismus und Freiheit. Jene Seiten gehören nach Ansicht von Vittorio Hösle »zu den bedeutendsten […], die in der Geschichte der Naturphilosophie geschrieben worden sind« (V. Hösle: Moral und Politik, 275 Anm.).

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

Obzwar dem tierischen Leben gegenüber dem pflanzlichen ein größerer Raum an Freiheit zukommt, streben beide im Wesentlichen nach Selbsterhaltung (KGA III/1, 299; I/1, 186–194, 201–203).196 Der Mensch hat seinerseits gegenüber dem Tier einen abermals erweiterten Horizont,197 so nimmt er – da er um seine eigene geschichtliche Entwicklung weiß – besonderen Anteil an der historischen Evolution des Seins. Beispielsweise hat er nicht nur Interesse an der Menschengeschichte, sondern auch an der Geschichte des Universums. Dies bezeugt seine Teilhabe am Geistigen und an der Natur. Da der Mensch fähig ist, die zeitliche, geschichtliche Entwicklung zu fassen, und begierig ist, sie zu kennen, ist er sich der Bedeutung der Dauer des Seins, der Existenz und des Entgegengehens gegen den Tod bewusst.198 Der Mensch kämpft wissentlich gegen die Sterblichkeit an. Dieses Wissen ist es, welches es ihm erlaubt, mit dem Leben abzurechnen und dem Tod willentlich entgegenzugehen (vgl. KGA III/1, 323–340).199 Jonas’ klare und überzeugende Analyse verdeutlicht, dass das Leben an eine bestimmte Freiheit – in Form von Möglichkeiten – geknüpft ist. Dabei ist die Gefährdung des Lebens für ihn nicht bloß eine Ahndung, er weiß um sie. Indem sich der Mensch der Gefahren seines Handelns für das eigene wie für das Leben im Allgemeinen bewusst ist, erstreckt sich sein Handlungs- und sein Verantwortungsbereich auf sein ganzes Tun. Er weiß um die möglichen Auswirkungen seines Tuns, wiewohl damit nicht gesagt wird, dass er alle Auswirkungen vollumfänglich kennt. Um dem »Drang zum Leben« aus Freiheit gerecht zu werden (KGA I/1, 176), stellt sich uns die Frage, ob alles zu tun erlaubt ist, was wir tun können (vgl. KGA III/1, 278, 228f., 252), oder ob zugunsten des Fortbestands des Lebens eine Selbstbeschränkung notwendig ist. Auf dieser Grundlage muss sich der Mensch seiner Verantwortung hinsichtlich seiner Möglichkeiten bewusstwerden.200 196 Die Nähe zu Hegels Begriffsentwicklung des Selbstbewusstseins ist erstaunlich (vgl. TWA 3, 145ff.; TWA 10, 80, § 396 Z; 213, § 424; 226f., § 436 Z), auch er bezeichnet die Selbstbestimmung geschichtlich als Kampf, mit dem sich das bewusste Wesen in die »Gefahr des Todes« begibt (TWA 10, 220, § 431 Z; TWA 3, 148f.). 197 Vgl. J.P. Brune: Verstehen des Lebendigen, bes. 263–270. 198 Das Leben erhebt sich über den Tod und kämpft ums Überleben: Leben ist lebensgefährlich. Da Leben »zeitlich, nicht ewig« ist (KGA III/1, 362, vgl. 237, 323ff.), wehrt es sich gegen den Tod. Es ist ein Sein zum Tode (vgl. M. Heidegger : Sein und Zeit, GA 2, bes. 236–246, 252– 259, 266). 199 Vgl. hierzu Sigmund Freuds Ausführungen zum Todes- und Destruktionstrieb (S. Freud: Jenseits des Lustprinzips, GW XIII, 49f., 58f.; Ders.: Das Ich und das Es, GW XIII, 271, 282f.). Da der Mensch zur Verzweiflung fähig ist, hat der Tod für ihn eine eigene Bedeutung: »Der Mensch allein ist auch der Verzweiflung offen, er allein kann Selbstmord begehen« (KGA III/1, 237; vgl. S. Kierkegaard: Krankheit zum Tode, 43–45). 200 Dieses Selbstverständnis ist grundlegend: »Quaestio mihi factus sum, ›ich bin mir selbst zur Frage geworden‹: Religion, Ethik und Metaphysik sind nie vollendete Versuche, dieser Frage

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4.3.

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Freiheit und das Gute

Mit seiner New Metaphysics möchte Jonas einen Begriff vom Sein liefern, der darüber aufklärt, was das Sein will und was sein intrinsischer Wert ist. Aus der New Metaphysics ergibt sich eine analog dazu strukturierte New Ethics, schließlich ist die praktische Forderung von der theoretischen Einsicht durchdrungen. Zu tun ist, was die Einsicht in das Sein lehrt. Damit stehen wir vor der Frage, inwiefern das vorgelegte metaphysische Wissen das Fundament für eine neue Ethik liefert und ob es auf diesem Grund möglich ist (KGA I/2,1, 59, vgl. 61, 539), die »globalen Bedingungen menschlichen Lebens und die ferne Zukunft, ja Existenz der Gattung zu berücksichtigen. Daß eben sie heute im Spiele sind, verlangt, mit einem Wort, eine neue Auffassung von Rechten und Pflichten, für die keine frühere Ethik und Metaphysik auch nur die Prinzipien, geschweige denn die fertige Doktrin bietet« (KGA I/2,1, 33f.).

Die Menschen haben in der Geschichte ihre Freiheit dazu benützt, sowohl Gutes als auch Böses zu vollbringen. Dabei gilt es zu beachten, dass der Mensch nicht von Natur aus gut oder böse ist, seine Handlungen werden allein nach menschlichem Ermessen für gut oder schlecht gehalten.201 Dieser Gedanke findet sich schon bei William Shakespeare – Hamlet spricht davon: »[A]n sich ist nichts weder gut noch böse; das Denken macht es erst dazu.«202 Die Bewertung unseres Handelns ist notwendig, hierdurch ist es möglich, zu beurteilen, was sich lohnt zu tun.203 Nach Immanuel Kant ist gerade die »Vorstellung[,] gewisser Gesetze gemäß sich selbst zum Handeln zu bestimmen«, Ausdruck unserer Freiheit;204 unsere Autonomie fordert von uns, selbst zu denken. Auf der autonomen Bestimmung gründet unser Verantwortungsbereich, Freiheit und Verantwortung sind einander »komplementär« (KGA I/2,1, 531). Der Begriff der Komplementarität besagt bei Jonas nun, anders als zuvor angewendet, keineswegs: Each is complete in itself and neither intruding into the other, vielmehr sind Freiheit und Verantwortung als wechselseitig aufeinander bezogene Einheit zu fassen. Der Inhalt der Verantwortung kann nichts rein Subjektives sein, würde dies doch zu einem »Wertsubjektivismus« führen (KGA I/2,1, 16, 192, 538).

201 202 203 204

im Horizont einer Auslegung des Seinsganzen zu begegnen und eine Antwort zu verschaffen« (KGA III/1, 237). H. Jonas: Gnosis, Existentialismus und Nihilismus, 308. W. Shakespeare: Hamlet, 147. Von der »erprüften Gesinnung« und vom »Fortschritte vom Schlechteren zum moralisch Besseren« spricht Kant in der zweiten Kritik (I. Kant: Kritik der praktischen Vernunft, Akad.-Ausg. V, 123). I. Kant: Grundlegung der Metaphysik der Sitten, Akad.-Ausg. IV, 427, 439–441, 452f.; Ders.: Metaphysik der Sitten, Akad.-Ausg. VI, 439f.

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Durch das Allgemeine wird das Sollen metaphysisch bestimmbar. Auf diese Weise ist die Relativität der Subjektivität zu überwinden. Metaphysisch Wahres ist nicht beliebig, es ist allgemeiner Natur. Mittels der forcierten metaphysischen Herangehensweise sucht Jonas einen »absoluten Wert[]« zu bestimmen (KGA I/2,1, 58, 107f.), der dem Subjekt erhaben und »seines Aufwandes wert« ist (KGA I/2,1, 160, 101). Trotz dieser Bestimmung heißt das nicht, dass es sich das Subjekt leisten kann, darauf zu verzichten, kritischer Natur zu sein, denn das würde die Preisgabe der »Autorität seines Selbsts« miteinschließen. Wenn es unkritisch »gegebenen Normen gehorcht«,205 sich fremden Normen unterwirft, gibt es seine Freiheit preis. Darum ist trotz einer absoluten Wertbestimmung die subjektive Freiheit nicht obsolet. Der frei handelnde Mensch ist einerseits der subjektiven Selbstbestimmung verpflichtet und andererseits dem metaphysisch begründeten Sein. Diese scheinbar unvereinbaren Positionen sind keineswegs unvereinbar. Ist der Mensch dem Ur-Sein, dem Leben verpflichtet, ist er dem wollenden Leben, dem Ur-Wert aus Freiheit verpflichtet. Das existentielle Wollen ist die Voraussetzung von Leben. Der Ur-Wert ist das Leben selbst. Im Ja zu sich selber drückt sich der absolute Wert aus. Diesem Ausdruck zu verleihen, ist eine Pflicht aus Freiheit, keine der Notwendigkeit. Die Grundlage der Autonomie ist das Ja und dementsprechend der höchste Wert, der allen subjektiven Entscheidungen zugrunde liegt. Ohne Ja ist keine Autonomie. Wer das Gute will, muss die Grundlagen dafür schaffen, dass das Gute zu realisieren ist. Auf diesem Grund ist es möglich zu entscheiden, was wir tun sollen und tun können; dass der Inhalt des objektiven Wertes verwirklicht wird, fällt dem Subjekt zu. Dabei ist anzuerkennen, dass sich der Inhalt des objektiven Wertes in der jonas’schen Philosophie nicht auf einer fremden göttlichen Autorität gründet. Die geltenden Werte sind nichts Fremdes, sondern metaphysisch aus und durch sich selbst begründet. Sie sind jedem Vernunftwesen auf gleiche und allgemeine Weise zugänglich. Nach dem »Wegfall der göttlichen Autorität […] [muss] jede Ethik im Ganzen des Seins begründet werden, wenn sie nicht dem Einwand des Subjektivismus oder anderer Reaktivitäten ausgesetzt sein soll. Soweit wir also ontologisch ausholen, so entfernen wir uns in Wahrheit nicht von der Ethik, sondern führen zweierlei in Bezug auf sie aus: begründen sie und erfüllen ihre Forderung zugleich« (KGA II/3, 561; HJ 4-9-1, 2).

Das Überzeugende an dieser Bestimmung ist, dass es notwendige Voraussetzungen für die Möglichkeit moralischen Handelns gibt, die zur Aufrechterhal205 H. Jonas: Gnosis, Existentialismus und Nihilismus, 308. Nur wer dem »höchste[n], erkennende[n] Teil« der Seele Achtung entgegenbringt (KGA III/1, 261; vgl. I/2,1, 100), ist zu verantwortungsvollem Handeln imstande.

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tung von Moralität unbedingt zu schützen sind. Werden sie preisgegeben, wird auch die Möglichkeit von Moralität preisgegeben. a)

Sorge und Sein

Der systematische Anspruch des hier Dargelegten ist es, dem Sein einen Wert zuzusprechen, der Relativität der Werte entgegenzuwirken und in Folge ein metaphysisches Fundament für das Sollen zu formulieren. Dies ist freilich nur dann möglich, wenn das Sein etwas wert ist – »einem wert-indifferenten Sein gegenüber kann ich alles verantworten, und das ist dasselbe wie daß ich nichts zu verantworten brauche« (KGA I/2,1, 532).206 Der Wert des Seins besteht darin, dass das Leben leben will, und indem es lebt, gibt es »einen bestimmten Zweck kund[]« (KGA I/2,1, 148, vgl. 160f., 447ff., 522f.), nämlich leben zu wollen. Leben ist somit der Freiheit höchster Wert. Mit der Einsicht, dass das freie Wesen das Leben zu seiner Voraussetzung hat, ist es diesem moralisch insofern verpflichtet, als ohne Leben keine Moral möglich ist. Wer moralisch handeln will, muss demgemäß darauf bedacht sein, dass Leben möglich ist und es auch bleibt. Daher müssen wir uns fragen, inwieweit das Leben an sich unser Tun ertragen kann (KGA I/2,1, 354). Diese tiefe Einsicht (vgl. Kap. III.10) hat aufgrund der technischen Möglichkeiten hinsichtlich der Bedrohung des Lebens eine ganz neue Dimension erreicht. In Gefahr sieht Jonas den absoluten Wert weniger beim Leben des Einzelnen als beim Leben an sich. Im Zweifel mag der Selbstmord des Einzelnen zu rechtfertigen sein, kollektiver Selbstmord ist es hingegen nie (vgl. KGA I/1, 537–568). Dass zum evolutionären Fortschritt des Lebens neben dem Entstehen das Vergehen gehört,207 ist offenkundig, aber angesichts der neuen Gefahren für das bestehende Leben hält er es für geboten, den heideggerschen Begriff der Sorge ins Zentrum unserer Weltsicht zu rücken. Der entlehnte Begriff wird umgewendet und mit Blick auf die Verantwortung, die wir für das Leben zu tragen haben, als grundlegend für die praktische Philosophie eingeführt. Bereits 1928/29 diskutiert Jonas entlang Martin Heideggers Überlegungen den Zusammenhang des Künftigen und der Sorge. In einem Referat zu dessen Sein und Zeit im Seminar bei Karl Jaspers greift er diesbezüglich mehrere Stellen daraus auf. »Zukünftig auf sich zurückkommend, bringt sich die Entschlossenheit gegenwärtigend in die Situation. Die Gewesenheit entspringt der Zukunft, so zwar, daß die gewesende Zukunft die Gegenwart aus sich entläßt«, wie jene, die von der »einheitl. Phän (gewesend-gegenwärtigende Zuk.) = Zeitlichkeit« handelt. Die Zukunft ist uns stets gegenwärtig, wir sind mit ihr durch unser 206 Vgl. kritisch M.H. Werner : Wertenkönnen, bes. 199–201. 207 H. Jonas: Unsterblichkeit und heutige Existenz, 337.

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Dasein ontologisch verbunden. Aufgrund dieser Gegenwärtigkeit ist unser Dasein mit der Verantwortung für die Zukunft verknüpft und dementsprechend ist die Zeitlichkeit mit dem »ontol. Sinn der Sorge« verwoben (HJ 16-17-1, 22f.).208 Wie bei Heidegger wird hier die existentiale Interpretation des Daseins als Sorge mit der Frage nach der Verantwortung für das Leben,209 dem absoluten Wert verknüpft. Diese Überlegung steht bei Heidegger im Kontext dessen, dass die »Analytik des Daseins […] die Frage nach d. Sinn v. Sein übhpt vorbereiten« kann (HJ 16-17-1, 11).210 Jene Gedanken sind es also, die sowohl für Jonas’ theoretischen als auch praktischen Zugang zur Welt von zentraler Bedeutung sind, ihm kommt es entschieden darauf an, mittels der Daseinsanalyse dem Sein als zu Sollendem Ausdruck zu verleihen, für das sodann Sorge zu tragen ist.211 »Das Sein, oder die Natur, ist eines und legt Zeugnis von sich ab in dem, was es aus sich hervorgehen läßt. Was das Sein ist, muß daher seinem Zeugnis entnommen werden, und natürlich dem, was am meisten sagt, dem offenbarsten, nicht dem verborgensten, dem entwickeltsten, nicht dem unentwickeltsten, dem vollsten, nicht dem ärmsten – also dem uns zugänglich ›Höchsten‹« (KGA I/2,1, 141).

Aus dieser Analyse leitet Jonas die höchste Pflicht des Menschen ab, die Sicherung der Zukunft des menschlichen Lebens (vgl. KGA I/2,1, 263, 96f., 101). Die größte Schwierigkeit liegt mitunter darin, dass die Ausrichtung auf die Zukunft enorme Probleme bereitet, da der Mensch bereits mit den täglichen Anforderungen des eigenen Lebens beschäftigt ist (vgl. KGA I/2,2, 583). Eine weitere Schwierigkeit ist, dass künftige Generationen indes keine Stimme haben. Sie sind in »keinem Gremium vertreten« und sind keine »Kraft, die ihr Gewicht in die Waagschale werfen kann« (KGA I/2,1, 58; III/1, 306f.). Der Diskurs beschränkt sich auf die lebenden Menschen, wohingegen das ungeborene Leben 208 Im Original lautet die Stelle: »Zukünftig auf sich zurückkommend, bringt sich die Entschlossenheit gegenwärtigend in die Situation. Die Gewesenheit entspringt der Zukunft, so zwar, daß die gewesene (besser gewesende) Zukunft die Gegenwart aus sich entläßt. Dies dergestalt als gewesend-gegenwärtigende Zukunft einheitliche Phänomen nennen wir die Zeitlichkeit. Nur sofern das Dasein als Zeitlichkeit bestimmt ist, ermöglicht es ihm selbst das gekennzeichnete eigentliche Ganzseinkönnen der vorlaufenden Entschlossenheit. Zeitlichkeit enthüllt sich als der Sinn der eigentlichen Sorge« (M. Heidegger : Sein und Zeit, GA 2, 326). 209 Vgl. M. Heidegger: Sein und Zeit, GA 2, 183. 210 Im Original lautet die Stelle: »Die Analytik des Daseins, die bis zum Phänomen der Sorge vordringt, soll die fundamentalontologische Problematik, die Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt, vorbereiten« (M. Heidegger : Sein und Zeit, GA 2, 183). 211 Die Warnung vor den Auswirkungen der Technik findet sich schon bei Heidegger; dieser spricht von der Technik als »Ge-stell« oder davon, dass der Mensch von der Natur »herausgefordert« ist (M. Heidegger : Frage nach der Technik, GA 7, 18–29). Zudem warnt er : »Die Herrschaft des Ge-stells droht mit der Möglichkeit, daß dem Menschen versagt sein könnte, in ein ursprünglicheres Entbergen einzukehren und so den Zuspruch einer anfänglicheren Wahrheit zu erfahren« (M. Heidegger: Frage nach der Technik, GA 7, 29).

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diesem mehr oder weniger entzogen ist.212 Es ist nicht zu bestreiten, dass Ombudsmänner dazu dienen, für die künftigen Generationen die Stimme zu erheben;213 allerdings handelt es sich auch hierbei nicht um die Stimme der Künftigen, sondern um die Stimme der Lebenden (dennoch ist diese Form der Repräsentation einer Nicht-Repräsentation bei weitem vorzuziehen). Wir können uns der Zukunft nicht verwehren, zumal das »Opfer der Zukunft für die Gegenwart […] logisch nicht angreifbarer [ist] als das Opfer der Gegenwart für die Zukunft. Der Unterschied ist nur, daß im einen Fall die Reihe weitergeht, im andern nicht« (KGA I/2,1, 39; vgl. I/1, 166–168). In früheren Zeiten war die Reichweite unseres Tuns auf die mittelbare Umgebung beschränkt, aber inzwischen hat unsere Einflusssphäre eine Dimension erreicht, die weit über das direkte Umfeld hinausgeht. Diese Entwicklung ist, obwohl partiell beschränkt, bereits in unserem Bewusstsein angekommen. Während sich die Mainauer Kundgebung (1955) noch darauf beschränkt, darauf hinzuweisen, dass die Nuklearwaffen eine Gefahr für die ganze Welt darstellen,214 weist die Mainauer Deklaration (2015) nicht mehr bloß auf die Auswirkungen und die Gefahren für die ganze Welt hin. Sie macht explizit, was freilich der erweiterten Gefahr geschuldet ist, dass wir mit unserem Tun »künftige Generationen der Menschheit einem unzumutbaren Risiko aussetzen.«215 Dieser Hinweis entspricht grundsätzlich Jonas’ Anspruch, wenngleich es ihm nicht allein um das menschliche Leben geht, sondern um die Wahrung des Lebens an und für sich. Die erste Pflicht ist das »Nein zum Nichtsein« (KGA I/2,1, 270): Leben soll sein. Ob dieser Grundbestimmung bedarf es einer »Hierarchie des Seins« (KGA I/1, 344). Ohne sie wird der Inhalt des Sollens zum Allgemeinplatz, was nicht sein darf, schließlich ist mit Jonas gesprochen »›All‹ […] gleich ›Null‹« (KGA III/1, 418) – ohne Abgrenzung verliert sich die Bestimmtheit in Beliebigkeit. Wider die hierarchische Differenzierung geht es nicht darum, der Natur ihre Integrität abzusprechen, es muss darum gehen, der Beliebigkeit, dem, so Hösle, »Polytheismus der Werte«216 abzuschwören und den »Grundwert aller Werte« als das 212 Zum Verhältnis des Diskurses und Verantwortung vgl. K.-O. Apel: Die ökologische Krise; Ders.: Ethik der Mit-Verantwortung, bes. 69–78; Ders.: Diskursethik als Politische Verantwortungsethik, bes. 43–55; Ders.: Diskurs und Verantwortung, bes. 185–216; Ders.: Erste Philosophie, 358–361. Vgl. W. Kuhlmann: Verantwortung versus Diskursethik, bes. 279– 302; D. Böhler : Zukunfts- und Lebensverantwortung, 105–108, 144–159; Ders.: Verbindlichkeit aus dem Diskurs, Kap. III.; J. Nielsen-Sikora: Jonas, 299–306. 213 Vgl. M. Kleiber : Der grundrechtliche Schutz, bes. 142–145; V. Hösle: Gerechtigkeit zwischen den Generationen. 214 W. Heisenberg: Mainauer Erklärung, GW C V, 539, 539f.; Ders.: Erklärung, GW C V, 541– 543. Auf die Bedrohung durch Atomwaffen weist Jonas in einem Brief vom 11. 8. 1959 an Hannah Arendt hin (HJ 3-22-1). 215 Mainauer Deklaration 2015: Klimawandel. 216 V. Hösle: Moral und Politik, 90.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

zu Sollende zu charakterisieren (KGA I/2,1, 160, vgl. 153–162, 263f., 270), sodass auf allgemeine Weise auszumachen ist, wofür wir Verantwortung zu tragen haben. Obwohl der Anspruch klar formuliert ist, stehen wir vor dem Problem, dass in vorliegender Konzeption Freiheit nur aus dem Realen heraus begründet wird. Das schließt zwar nicht aus, dass Freiheit ist, allerdings können wir sie nur praktisch erfahren, theoretisch bleibt sie uns verschlossen. Auch wenn die Begründungsbemühungen ihre Grenzen haben, hat Jonas zumindest einen Weg gefunden, aus der Konstruktion des Seins des Lebens eine inhaltliche Bestimmung für das Sollen abzuleiten. Das Leben spricht nämlich aus, dass es leben will – und dieses Wollen ist das Ur-Wollen des Seins, hier findet sich das erste Sollen überhaupt. b)

Können und Müssen

Da das Leben, der »Ur-Wert aller Werte«, höchste Geltung erfährt (KGA III/1, 330), gilt es denselben zu schützen, für ihn ist Verantwortung zu tragen. Inwiefern der Einzelne Verantwortung zu leisten hat, hängt freilich vom jeweiligen Handlungsbereich ab. Der, der Freiheit »haben kann, hat […] sie« und muss für das, was er tut, Verantwortung übernehmen. Denn es gilt: »Können selbst führt mit sich das Sollen« (KGA I/2,1, 531, 535f.; I/2,2, 351, 353f.).217 Ausgehend vom seinwollenden Leben und der Sorge um das Leben formuliert Jonas gemäß der teleologischen Entfaltung des Seins einen ›neuen‹ Imperativ, der dem könnenden Sollen Ausdruck verleiht und der geforderten Existenz gerecht wird. Dieser lautet: »Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden« (KGA I/2,1, 40, 39–42; HJ 21-7-3, 20). Der Inhalt dessen, was wir sollen, ist durch den metaphysisch begründeten absoluten Wert und unser Können bestimmt, wir können nur sollen, was wir tatsächlich können. Wir sollen nicht alles, was wir können, wir sollen, was wir gemäß unserem Können tun können, um das Seinwollen, das Leben, die Freiheit zu schützen. Demnach ist das Sollen im Wesentlichen ein Sollen zum Sein des Lebens. Folglich lässt sich von einem »objektive[n] Seinsollen«, nämlich der »Verbindlichkeit zur Seinswahrung« sprechen (KGA I/2,1, 108). Der Wille zum Leben, das heißt zur Freiheit sagt uns, dass wir leben wollen. Die Freiheit des Lebens ist »ihre Notwendigkeit, das ›Kann‹ wird zum ›Muß‹, wenn es gilt, zu sein, und dies ›zu sein‹ ist es, worum es allem Leben geht. Der Stoffwechsel also, die auszeichnende Möglichkeit des Organismus, sein souveräner Vorrang in der Welt der Materie, ist 217 Vgl. V. Hösle: Moral und Politik, 126–130, 979. Diese Verhältnisbestimmung findet sich in anderer Weise bei Kant. Vgl. KGA I/2,1, 240f.; I. Kant: Kritik der praktischen Vernunft, Akad.-Ausg. V, 103–105.

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zugleich seine zwingende Auferlegung. Könnend, was er kann, kann er doch nicht, solange er ist, nicht tun, was er kann. Im Besitze des Vermögens muß er es betätigen, um zu sein, und kann nicht aufhören, dies zu tun, ohne aufzuhören zu sein: eine Freiheit des Tuns, aber nicht des Unterlassens« (KGA I/1, 161, zweite Hervorhebung M.H., 159–164; II/3, 570f.).

In Anbetracht der bestehenden Gefahren für das Leben und für das noch nicht Lebende ist es für Jonas unumgänglich, Ernst Blochs »Wachtraum vom vollkommenen Leben« zu verabschieden (HJ 10-10-2, 6; vgl. KGA I/2,1, 375).218 Gegenüber Adolph Lowe erklärt er zwei Tage nach Blochs Tod, dass dessen utopische Philosophie »anthropologische[r] Irrtum« sei, »eine fundamentale Täuschung über die Natur des Menschen (übrigens auch der Macht)«, und er sie darum »ablehnen muß.«219 Angesichts der Gefahren durch die technischen Möglichkeiten ist es tatsächlich fatal, alles tun zu wollen, was wir können, und einfach darauf zu hoffen, dass in Zukunft nicht »jedes Glück sein Unglück gebiert […]. Das scheint mir der Traum von menschlicher Eigentlichkeit zu sein, und er wird genährt aus der Vergangenheit, die sie uns in actu vorführt, nicht aus vorgeschauter Zukunft: die kommt jeweils aus dem gewagten Spiel der Eigentlichkeit, kann sie also nicht erst bringen, sondern bestenfalls bewahren zu unverkümmerter Wiederholung, so daß es weiter Mensch und Zukunft gibt« (KGA I/2,1, 410).

Anders als Bloch mit seinem Prinzip Hoffnung will Jonas nicht darauf vertrauen,220 dass sich alles zum Guten wendet. Er will die Menschheit nicht der Gefahr ausgesetzt sehen, aufgrund unbedachten Handelns aus dem glücklichen Wachtraum mit unheilvollem Schrecken erwachen und die Zerstörung der Welt mitansehen zu müssen. Darum hält er es für unumgänglich, das »Märchen […], den Traum vom Goldenen Zeitalter« zu verabschieden (HJ 10-10-2, 7; KGA I/2,1, 375).221 Für die Wahrung des Lebens gilt es Sorge zu tragen, unser Handeln bestimmt wesentlich das Sein der Zukunft: Die »wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sd. am Ende« (HJ 10-10-2, 9).222 218 Vgl. E. Bloch: Prinzip Hoffnung, GA 5, 1616. Jonas’ Hervorhebungen finden sich nicht bei Bloch. 219 Hans Jonas an Adolph Lowe am 6. 8. 1977 (HJ 16-15-5). Vgl. KGA I/2,2, 293f. 220 Im Konstanzer Nachlass von Hans Jonas findet sich sein Exzerpt von Blochs Das Prinzip Hoffnung (HJ 10-10-2), welches zum Verfassen von Das Prinzip Verantwortung verwendet wurde. Zur Auseinandersetzung mit Bloch vgl. Jonas’ Brief an Adolph Lowe vom 18. 11. 1964 (H. Jonas: Jonas und Bloch, 90–93; vgl. die Vorfassung des Briefes: HJ 16-15-4). Zu dem Disput vgl. M. Löwy : Prinzip Hoffnung versus Prinzip Verantwortung, bes. 296–299. 221 Vgl. E. Bloch: Prinzip Hoffnung, GA 5, 1621. Jonas’ Hervorhebungen finden sich auch bei Bloch. 222 Vgl. E. Bloch: Prinzip Hoffnung, GA 5, 1628. Jonas’ Hervorhebungen finden sich auch bei Bloch.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

Jonas macht darauf aufmerksam, dass zum Zwecke der Wahrung des UrWertes unser Tun verantwortungsvoll mit Blick auf die Zukunft sein muss. Es darf nicht auf der bloßen Hoffnung aufbauen, dass sich die Welt, zum Guten wendet, ohne dafür konkret einzutreten. Dieses Risiko können wir, besser : sollten wir uns nicht leisten. Dem Prinzip Hoffnung wird nun das ontologische Prinzip Leben und in Folge das ethische Prinzip Verantwortung entgegenstellt (KGA I/2,1, 419f.).223 Insgesamt wird weniger auf die Chancen durch unser Handeln als auf die möglichen Gefahren hingewiesen, womit das Moment der Sorge dem der Hoffnung klarerweise übergeordnet wird. Der Fokus auf die Sorge begründet sich darin, dass wir uns des sicheren Heils nicht gewiss sein können, sondern dass es an uns liegt, das Fehlgehen der göttlichen Schöpfung zu verhindern. Wir können uns zwar nicht sicher sein, ob die Welt nicht trotz unseres sorgsamen Umgangs fehlgeht, doch wer sich dem metaphysischen Prinzip der Freiheit verpflichtet, verpflichtet sich dem Seinsollen zum Leben, dem Fundament der Moral. Wer hingegen auf die Hoffnung vertraut und seine Verantwortung nicht wahrnimmt, widerstrebt dem Wissen von der Welt und somit dem, was das Sein sein soll. Die Abwendung von der Sorge und der Verantwortung ist ein per se amoralisches Handeln, unabhängig davon, welche Auswirkungen das Handeln auf das künftige Leben hat. Selbst das sorgsame Handeln kann zum Untergang des Lebens führen, allerdings muss sich, wer so handelt, nicht den Vorwurf gefallen lassen, die Warnungen wissentlich ignoriert zu haben und das Eigeninteresse über das Allgemeine gestellt zu haben. Um unserer Verantwortung gerecht zu werden, fordert Jonas eine Zukunftsverantwortung, die im Zweifel »der schlimmeren Prognose vor der besseren Gehör« schenkt, »die Einsätze sind zu groß geworden für das Spiel.« Das, was der Natur, dem Leben angetan wird, ist nicht mehr rückgängig zu machen. Um das Risiko für das künftige Leben zu minimieren, ist daher gemäß dem Grundsatz in dubio pro malo zu handeln.224 Aufgrund der kaum zu überschauenden Auswirkungen unseres Tuns ist es leichter, die uns bekannten Gefahren hinsichtlich unseres Tuns zu bewerten, als auf mögliche, aber uns unbekannte Chancen zu vertrauen.225 Es ist keineswegs gewiss, dass es einen Fortschritt zum Besseren gibt, es besteht sogar die Gefahr des enormen Rück223 Zur Risikogesellschaft vgl. U.H.J. Körtner : Sozialethik, 97–105. 224 H. Jonas: Prinzip Verantwortung, 175; vgl. KGA I/2,1, 269f., 272f.; I/2,2, 52, 113; HJ 21-7-3, 17. Vgl. J. Nida-Rümelin et al.: Risikoethik, 95–97. Zwecks der drohenden Gefahren ist »der Unheilsprophezeiung mehr Gehör zu geben […] als der Heilsprophezeiung« (KGA I/2,1, 74, 363; vgl. V. Hösle: Moral und Politik, 416f.; Ders.: Ökologische Krise, 76). Zum Begriff der Schonung vgl. P. Kunzmann: Appell der Schonung, bes. 227–236. 225 Bemerkenswert ist, dass die Gentechnik, die mitunter von Jonas sehr kritisch gesehen wird, gegenwärtig mit sehr vielen Hoffnungen beladen ist. Vgl. KGA I/2,1, 540–544; I/1, 361–568.

Materialismus und Freiheit bei Hans Jonas

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schritts (KGA I/2,1, 312, vgl. 66, 542, 599f.). Jonas’ »Heuristik der Furcht« impliziert (KGA I/2,1, 67), unsere Verantwortung wahrzunehmen und nicht hoffen zu müssen, dass alles gut wird; das verdeutlicht er am Beispiel unseres Umgangs mit der Kernenergie: »Vorsichtig heißt, nicht nur unser allen Vorsichtsmaßregeln, die man bis jetzt zur Verfügung hat, sondern auch in kleinem Maßstab, noch nicht als unentbehrlicher Bestandteil unserer Energieversorgung. Aber immerhin doch genügend, um Erfahrung zu sammeln und um zu einem wirklich informierten und kundigen Urteil darüber zu kommen, ob man die Sache weitermachen darf oder nicht.«226

Wer sich seiner moralischen Verantwortung nicht entziehen möchte, der muss sich seiner Verantwortung für das künftige Sein bewusst sein und diese wahrnehmen. Ohne die Bedingungen der Freiheit zu schützen, ist schlechthin keine Moral zu leisten (vgl. Kap. III.10). c)

Sein und Sollen

Die drohenden Gefahren für das Leben (KGA I/1, 353) – sei es der Klimawandel, die Zerstörung des Lebens durch ABC-Waffen oder andere Gefahren – sind ein sichtbares Anzeichen dafür, dass unser Tun die Existenz des Lebens, somit die Freiheit gefährdet. Daher lässt sich mit Jonas sogar davon sprechen, dass ist »das Bild Gottes in Gefahr ist wie nie zuvor, und zwar im unzweideutigsten Erdensinne« (KGA III/1, 365).227 226 H. Jonas: Erkenntnis und Verantwortung, 136. Vgl. J. Nielsen-Sikora: Jonas, 246–255. 227 Zwar finden sich bei Jonas nur versteckte Hinweise auf eine Politische Philosophie (vgl. KGA I/2,1, 230–252, 275–333; H. Jonas: Erinnerungen, 333–335), an einzelnen Stellen wird er allerdings sehr konkret – inwiefern das Prinzip Verantwortung rechtlich zu bewerten ist, wurde in jüngerer Zeit diskutiert (vgl. J. Schubert: Prinzip Verantwortung als Rechtsprinzip, bes. Teil II). Beispielsweise kritisiert Jonas die demokratische Grundhaltung »mit ihrer kurzfristigen Orientierung« und stellt sogar die Frage, ob sie die »geeignete Regierungsform« zur Bewältigung von Krisen ist (KGA I/2,2, 456). Obwohl man die Tyrannei »als rettende Zuflucht« sehen kann, die die Naturzerstörung stoppt, betont er, dass diese unbedingt »zu vermeiden« sei, nämlich »indem wir uns in die Hand nehmen und wieder strenger mit uns selbst werden. Freiwillige Opfer an Freiheit jetzt können die Hauptsache davon für später retten« (H. Jonas: Prinzip Verantwortung, 181; KGA I/2,2, 60f., 253f.). Die Tyrannei ist alles andere als wünschenswert: »Die warnende Prognose, daß dem steigenden Druck einer weltweiten ökologischen Krise nicht nur materielle Lebensstandards, sondern auch demokratische Freiheiten zum Opfer fallen würden, bis am Ende nur noch eine zu retten suchende Tyrannei übrigbliebe, hat mir die Anklage eingetragen, daß ich der Diktatur zur Lösung unseres Problems das Wort rede. Was daran eine Verwechselung von Warnung mit Empfehlung ist, darf ich ignorieren. Doch habe ich in der Tat gesagt, daß eine solche Tyrannei immer noch besser sei als der Untergang« (KGA I/2,1, 543; I/2,2, 420–422; vgl. den Brief von Hans-Georg Gadamer an Jonas vom 21. 4. 1986; H. Jonas: Gadamer und Jonas, 482; V. Hösle: Moral und Politik, 1101, 1099, 1125; Ders.: Ökologische Krise, 36, 144). Selbst wenn die Tyrannei die Menschheit vor dem Untergang bewahrt, kann sie niemals die

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

Wer bestreitet, dass der Mensch Einfluss auf die Natur und den Weltlauf nimmt, der verkennt seine Teilhabe am Sein des Ganzen, versteht sich und sein Handeln als ohnmächtig und sieht sich in absoluter Differenz zur Natur, was nicht der Fall ist, ansonsten hätten wir kein Mitwissen an ihr, zudem müssten wir unsere Leiblichkeit negieren. Zwar ist nicht zu bestreiten, dass die Vorhersagen, die den Klimawandel betreffen, zukünftig, also nicht wirklich, sondern nur möglich sind, allerdings reicht die wohlbegründete Möglichkeit aus, um sie als Warnung zu akzeptieren. Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass fundierte Warnungen ignoriert werden dürften. Die Lebenden mag die ferne Zukunft nicht mehr betreffen, da wir aber mit unserem Tun Einfluss auf den Lauf der Geschichte haben, können wir uns gegenüber dem künftigen Sein schuldig machen, die Zukunft ist logisch nicht weniger angreifbar als die Gegenwart. Wenn wir das ignorieren, bringen wir uns moralisch in eine äußerst zweifelhafte Situation, schließlich wird nicht alles getan, was wir tun können, um das Leben zu schützen; stattdessen beschränken wir uns auf unser eigenes Leben und unsere subjektiven Interessen – das Allgemeine wird ausgeblendet. Daran kritisiert Jonas zu Recht, dass hierdurch das Subjektive, das Beliebige über das Objektive, das Allgemeine erhoben wird. Wer seine Verantwortung nicht wahrnimmt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht für das Gute einzutreten, sondern ein riskantes Spiel auf Kosten des künftigen Lebens, der künftigen Generationen zu spielen.228 Dieses Wagnis sollten wir nicht eingehen. geeignete Regierungsform sein, schließlich hebt sie die Freiheit auf. Jonas ist sich bewusst, dass wir der Freiheit bedürfen, immerhin ist sie die »Bedingung der Verantwortungsfähigkeit« – Freiheit ist »selbst in den totalitärsten Zwangssystemen« nicht prinzipiell auszulöschen, sie regt sich »unbesiegbar« in uns (KGA I/2,1, 543). Die Hoffnung, dass das kommunistische System die notwendige ökologische Politik leistet, ist nicht eingetreten (KGA I/2,1, 557–560; vgl. I/2,2, 64f., 160–163, 297; V. Hösle: Ökologische Krise, bes. 97–103; Ders.: Krise der Gegenwart, 71). Um dauerhaft überleben zu können, muss die freie, demokratische Gesellschaft global Verantwortung übernehmen. Durch die »paradoxe Hoffnung auf die Erziehung durch Katastrophen« hofft Jonas, dass sich die Menschen dieser Verantwortung annehmen (KGA I/2,2, 454, 352, 452; I/2,1, 363, 599; V. Hösle: Moral und Politik, 1076, 1125; Ders.: Ökologische Krise, 29). Die Warnschüsse »aber werden sehr bitter sein, ehe genügend Vernunft da ist, um der Katastrophe wirklich vorzubeugen« (H. Jonas: Dem Bösen Ende näher, 83). 228 In unserem Umfeld sind wir augenscheinlich bereit, Verantwortung für das Leben zu übernehmen. Jonas macht dies am Säugling fest, der durch sein »bloßes Atmen unwidersprechlich ein Soll an die Umwelt richtet, nämlich: sich seiner anzunehmen« (KGA I/2,1, 254). Es ist keineswegs notwendig, sich seiner anzunehmen, es aber zu tun, wird »zur unabweisbaren Pflicht gegenüber dem nun selbstgültig bestehenden Sein« (KGA I/2,1, 260). Gegenüber dem Säugling sind wir mitfühlend, wir werden uns unserem »Gefühl der Verantwortung« bewusst (KGA I/2,1, 178, vgl. 164–170, 243, 525, 539). Das Kleinkind führt uns die Herrlichkeit und die Bedürftigkeit des Lebens vor Augen, und diese Verantwortung sollen wir auch für das künftige Leben übernehmen. Wer sich über das Leben erhebt, begeht die »Todsünde des Augenblickes« (KGA I/2,2, 464).

Materialismus und Freiheit bei Hans Jonas

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Das eingeforderte Sollen, welches auf dem realen Sein des Lebens gründet, ist von höchster moralischer Bedeutung. Obwohl hiermit ein tiefer Gedanke hinsichtlich der Formulierung eines vernünftigen Seinsollens ausgesprochen wird, ist kritisch anzumerken, dass es sich bei der metaphysischen Voraussetzung um eine reale Bestimmung, um ein reales Sein handelt, welches Grund und Inhalt allen Sollens ist: das reale Sein des Lebens. Hösle zufolge verwirft Jonas hiermit »ein fundamentales Axiom der modernen Metaethik von Hume und Kant, nämlich die Idee, daß ein Sollen nicht aus einem Sein folgt.«229 Dem Befund Hösles ist insofern zuzustimmen, als ein reales Sein nicht konstitutiv für das Sollen sein kann, sie gehören zwei völlig verschiedenen Sphären an und stehen als solche unvermittelt nebeneinander. Jonas meint den Vorwurf dadurch zu entkräften, dass es sich nicht um einen Schluss von »Essenz zu gegebener Existenz«, sondern um einen Schluss zu »geforderter Existenz« handelt (KGA I/2,1, 538). Das Leben wird folglich nicht als ein Existentes, es wird als ein Wollendes, ein Sollendes verstanden.230 Problematisch ist weniger das Verhältnis des Seins zum Sollen, problematisch ist vielmehr die rein reale Beschaffenheit des Seins, welche als Grund allen Sollens verstanden wird (KGA I/2,1, 151, 153, 157; II/3, 559f.). Das führt dazu, dass ihm von mehreren Seiten der Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses gemacht worden ist:231 Das Existierende wird zum Höchsten erhoben. Naturalistisch ist das Geltungsproblem der Moral bekanntlich nicht zu lösen,232 denn damit würde die Existenz und nicht das Wollen zum höchsten Prinzip des Sollens erklärt. Fällt das Sollen der Existenz anheim, ist der Ist-Zustand moralisch, womit die Frage nach dem Sollen hinfällig ist, ist doch alles, was ist, per se moralisch. Jonas’ Einwand gegen den Naturalismusvorwurf basiert darauf, dass er seines Erachtens nicht vom Gegebenen zum Sollen, das heißt von der Essenz zu geforderter Existenz schließt, sondern auf das dem Existierenden immanente Wollen rekurriert. Den Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses scheint er zunächst entkräften zu können, da die unterschiedlichen Sphären von ihm tat229 V. Hösle: Ontologie und Ethik, 113, 119; vgl. Ders.: Moral und Politik, 205, 241f.; Ders.: Philosophie und Wissenschaften, 120f.; Ders.: Krise der Gegenwart, 212; Ders.: Ökologische Krise, 71; vgl. historisch D. Hume: ATreatise of Human Nature, Buch III, 469f.; G.E. Moore: Principia Ethica, bes. 58, 127f.; I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 575; Ders.: Kritik der praktischen Vernunft, Akad.-Ausg. V, 19. 230 Vgl. J.C. Schmidt: Aktualität der Ethik von Jonas, bes. 552f.; Ders.: Argument »Zukunftsverantwortung«, bes. 167–174. 231 Hösle ist nicht der einzige, der Jonas den Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses macht. Vgl. D. Birnbacher : »Natur« als Maßstab menschlichen Handelns, 65–69; W.E. Müller : Verantwortung bei Jonas, bes. 111f.; M. Rath: Intuition und Modell, 105; G. Hirsch Hadorn: Umwelt, Natur und Moral, bes. 161–165; H. Hastedt: Aufklärung und Technik, bes. 168– 172; L. Schäfer : Bacon-Projekt, 154. 232 V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 119, bes. 113–124, 88–103.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

sächlich nicht synonym gesetzt werden. Das Sollen zu wollen und das Wollen zu sollen, das ist das »absolute[] Ideal«,233 welches als absoluter Wert an sich gefasst wird (KGA I/2,1, 538). Obwohl der verantwortungsbewusste Ansatz bzw. der Rekurs auf den absoluten Wert auf den ersten Blick überzeugen kann, ist bei genauer Betrachtung der Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses nicht von der Hand zu weisen, schließlich ist die geforderte Existenz der Inhalt des Sollens. Wird der Wille zum Leben bloß real gefasst, erkennen wir die Freiheit nur als existierend, wodurch sie keine geforderte Existenz darstellt, sondern eine bloß gegebene Existenz ist. Jonas’ Aufweis der Freiheit beschränkt sich darauf, dass Freiheit (existentiell) erfahrbar ist, sie ist uns nur etwas Reales. Weil die Freiheit direkt an das Leben rückgebunden und nicht vom Realen gelöst wird, sitzt seine Metaphysikkonzeption dem naturalistischen Fehlschluss auf. Zwecks des Reduktionismus wird das Wollen zur realen Bestimmung, wodurch die geforderte Existenz ein Schluss der Natur, ein Schluss von der gegebenen Existenz aus ist. Eine Forderung ist nur dort zu stellen, wo Freiheit ist; sind wir uns ihr nicht gewiss, können wir sie nicht wahrhaft einfordern. Es ist zwar richtig, dass Jonas mittels seines »subjektiv-meditative[n] Bekenntnis[ses]« und der Metapher von der osmotischen Wand die Freiheit des Willens vernünftig zu begründen sucht,234 allerdings können wir uns ihrer begründungstheoretisch nicht vergewissern. Mit der forcierten mythologischen Sprechweise gelingt es zwar auszuweisen, dass weder der reduktionistische Monismus noch der radikale Dualismus überzeugen kann, jedoch steht die gelieferte mythologische Begründung im Widerspruch zum wissenschaftlichen Befund vom Realen. Die gelieferte Begründung beschränkt sich auf die eigenleibliche Grunderfahrung, die uns bloß Wahrnehmung ist. Ohne Zweifel leistet Jonas einen sehr wichtigen Beitrag zur Naturethik sowie zur Vermittlung von Sein und Sollen, der für alle spätere Ethik von Bedeutung sein dürfte, dennoch gilt es weiter darüber hinauszugehen.235 Wir bedürfen einer mitwissenschaftlichen Begründung der Freiheit, die die Freiheit als Tat und als Tatsache auszuweisen weiß. Wird dies geleistet, kann die Idee von der Freiheit zum wahrhaft vernünftigen Prinzip allen Sollens erhoben werden. Genau dann ist das geforderte Sein der Freiheit das Prinzip des Seins, der absolute Wert. Auf 233 H. Jonas: Geist, Natur und Schöpfung, 66; Ders.: Erinnerungen, 322f. 234 Hans Jonas an Johannes Mosel am 10. 9. 1989 (HJ 7-9-1). 235 Dieser Zugang wird im Epilog von Organismus und Freiheit bestärkt: Durch »die Kontinuität des Geistes mit dem Organismus und des Organismus mit der Natur wird die Ethik ein Teil der Philosophie der Natur«, wobei eine »Wiedervereinigung« beider Seiten »nur von der ›objektiven‹ Seite her bewerkstelligt werden [kann]; das heißt: durch eine Revision der Idee der Natur« (KGA I/1, 357f.). Die Einheit begründet sich hier jedoch nur auf Seite der Natur, des Realen, womit das Geistige zum Natürlichen verklärt wird.

Idealismus und Freiheit bei Vittorio Hösle

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dieser Grundlage ist es möglich, auf objektive und allgemeine Weise zwischen »werten und unwerten Zwecken« zu differenzieren. Das, »was meiner Mühe wert ist, [fällt] nicht ohne weiteres mit dem zusammen[], was mir gerade der Mühe wert ist. Was aber wirklich meiner Mühe wert ist, sollte doch zu dem werden, was auch mir der Mühe wert ist und deshalb von mir zum Zweck gemacht wird. ›Wirklich‹ der-Mühe-wert nun muß bedeuten, daß der Gegenstand der Mühe gut ist, unabhängig vom Befinden meiner Neigungen. Eben dies macht ihn zur Quelle eines Sollens, mit dem er das Subjekt anruft in der Situation in der die Verwirklichung oder Erhaltung dieses Guten durch dieses Subjekt konkret in Frage steht« (KGA I/2,1, 165f., vgl. 107f., 162).

Dass die Freiheit des Willens der Grund allen Sollens ist, dessen ist sich Jonas bewusst. Seit jeher war ihm Kants »Donnerwort […] das Brot«, welches seine »geistige Richtung« bestimmt hat.236 Da die Erfahrung von der Freiheit nicht als hinreichendes Fundament der Ethik ausreicht, fehlt doch ihre theoretische Fundierung, bedarf es einer umfassenderen Darstellung als hier geleistet. Wir bedürfen einer real-idealen Begründung der Freiheit. Nur diese erlaubt es, die Freiheit im Sinne einer geforderten Existenz und einer existierenden Forderung zu fassen. Erst auf diesem Boden lässt sich ein absoluter Wert begründen, der nicht dem naturalistischen Fehlschluss aufsitzt. Jonas’ Denken sprengt Grenzen, sein Ansatz verdeutlicht, dass es sich wider die »metaphysikfeindliche[] Philosophie-Szene« lohnt,237 diesen philosophischen Begründungsweg zu beschreiten, wenngleich es einer stärkeren Hinwendung zum Moment des Geistes bedarf, als es hier der Fall ist.

5.

Idealismus und Freiheit bei Vittorio Hösle238

Trotz Hans Jonas’ weitsichtiger Bestimmung von Leben und Freiheit vermag er die von ihm zur Begründung einer neuen Ethik geforderte »künftige Metaphysik« nicht zur Gänze zu formulieren (KGA I/2,1, 539), da seine ideale wie reale Darstellung von der Freiheit nicht miteinander in Einklang zu bringen sind. Um 236 H. Jonas: Erinnerungen, 69, 324; Ders.: Erkenntnis und Verantwortung, 28. Mit dem »Donnerwort« bezieht sich Jonas auf den ersten Satz von Kants Grundlegung der Metaphysik der Sitten: »Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille« (I. Kant: Grundlegung der Metaphysik der Sitten, Akad.-Ausg. IV, 393). 237 Hans Jonas an Hans-Georg Gadamer am 9. 11. 1985 (H. Jonas: Gadamer und Jonas, 480). Zur Diskussion betreffs der Metaphysik bei Jonas vgl. seinen Briefwechsel mit Gadamer (H. Jonas: Gadamer und Jonas, 479–482). 238 Für wichtige Hinweise zu diesem Abschnitt möchte ich Fernando Su#rez Müller herzlichst danken. Er hat mich auf einige grundlegende Punkte in der Diskussion aufmerksam gemacht.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

beide Seiten miteinander zu vereinen, das heißt, den Dualismus vernünftig aufzulösen, forciert Vittorio Hösle, anders als Jonas, keine existentiale Rückbindung; er zielt vielmehr darauf ab, dies mittels einer ideal-logischen Konzeption zu leisten.239 Die wegweisende Bedeutung seiner Überlegungen gilt es nun im Folgenden herauszuarbeiten. Systematisch distanziert sich Hösle vom Materialismus und findet sich ganz in der idealistischen Tradition von Platon und Georg Wilhelm Friedrich Hegel wieder.240 Obwohl der Philosophie Platons in seiner Grundkonstruktion eine tragende Rolle zukommt, entfaltet er seine eigene Darstellung im Wesentlichen entlang der hegelschen Philosophie. In dieser sieht er eine systematische Weiterführung der Philosophie Platons: Hegels Philosophie schließt neu an die Tradition des platonischen objektiven Idealismus an. Ganz in der nachaufklärerischen Tradition stehend hebt sie die Bedeutung des Subjekts hervor und rückt das vernünftige Wissen des Subjekts ins Zentrum. Diese paradigmatische Wendung ist der Grund, warum Hösle sich entschieden Hegel zuwendet.241 Hösle geht mit hohem Begründungsanspruch daran, Antworten auf die »drängendsten Einzelfragen der Zeit« zu geben.242 Um dies zu leisten, beschränkt er sich keineswegs auf Hegels Idealismus, sondern greift auch auf neuere philosophische Darstellungen zurück, wobei dem Denken von Karl-Otto Apel und Hans Jonas eine besonders gewichtige Rolle zukommt.243 Auf dieser Grundlage sucht er eine Brücke zwischen dem universalen Systemgedanken und den zeitgenössischen Herausforderungen zu schlagen. Sein umfassender Ansatz und sein wegweisendes Programm sind der Beleg dafür, dass er hinsichtlich der Normenbegründung nicht vor der »enormen Komplexität der modernen Welt« kapituliert und dass es gar nicht notwendig ist,244 wie im nachmetaphysischen Zeitalter erklärt wird, sich jedem »generell verbindliche[n] Begriff vom guten und exemplarischen Leben« zu entziehen.245 Damit Normen Geltung beanspruchen können, sie also verbindlich sind, dürfen sie nicht allein auf der subjektiven Sicht und der geschichtlichen Zufälligkeit bauen, sie müssen auf allgemeine Weise einsichtig sein.

239 Vgl. F. Su#rez Müller : Metamorphose des Idealismus, 24f. 240 V. Hösle: Wahrheit und Geschichte; Ders.: Hegels System, 32 Anm., 35 Anm.; Ders.: Philosophiegeschichte, 13ff., 37ff. 241 V. Hösle: Hegels System, 7f., 9, 55, 663, 665; Ders.: Krise der Gegenwart, 13ff.; Ders.: Mein Weg zum objektiven Idealismus, 217ff.; Ders.: Begründungsfragen, 263; C. Jermann: Philosophie und Politik, 261ff. 242 V. Hösle: Krise der Gegenwart, 18. 243 Zur Bedeutung von Jonas’ Philosophie für Hösle vgl. V. Hösle: Moral und Politik, 21, 275 samt Anm., 360 samt Anm., 532, 763f. samt Anm., 816 Anm. 244 V. Hösle: Letzte Gewißheit, 47, 46, 42, 51; Ders.: Ökologie und Christentum, 203. 245 J. Habermas: Naturalismus und Religion, 115.

Idealismus und Freiheit bei Vittorio Hösle

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Um die Begründung von Normen leisten zu können, bedarf es der Abkehr vom Relativismus und vom Subjektivismus, ansonsten werden die Normen von einem individuellen Wahrheitsanspruch untergraben und das Besondere wird über das Allgemeine erhoben. Sofern Normen allgemeiner Natur sind, müssen sie unabhängig von individuellen sowie kulturellen Spezifika gelten. Um nicht einer relativistischen Sicht anheimzufallen, bedarf es einer vernünftigen Begründung, durch die die geltenden Normen nicht von unseren, wie sie Wilhelm Dilthey nennt, »Weltanschauung[en]« und unserem,246 so John Rawls, »view of the world« relativiert werden.247 Die Begründung der Normen muss von jedem Vernunftwesen jederzeit auf allgemeine und rationale Weise einzusehen sein, ist das der Fall, hat sie Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Beruht hingegen das Fundament unseres Wissens auf »unbeweisbare[n] Voraussetzungen«,248 ist jede Begründung willkürlich und beliebig. Hösle möchte die Begründung allgemeiner Normen leisten; dazu imstande scheint ihm allein eine objektiv-idealistische Metaphysik. Diese strebt danach, ein objektiv-vernünftiges Fundament unseres Wissens zu formulieren, welches nicht nur den Dualismus von Natur und Geist aufhebt, sondern Realität und Idealität gleichermaßen gerecht zu werden strebt. Obwohl der von ihm im Folgenden entfaltete Begründungsweg höchste Geltung beansprucht, ist dieser seit dem späten 19. Jahrhundert, spätestens aber mit dem beginnenden 20. Jahrhundert schwerer Kritik ausgesetzt und wird seither für antiquiert gehalten. Zweifelsohne ist dieser Begründungsanspruch einer »geistigen Isolation« zum Opfer gefallen.249 Dennoch hält Hösle philosophisch daran fest, dass es einem »in zeitgemäßer Form« weitergeführten objektiven Idealismus möglich ist,250 die metaphysische Grundlegung zu leisten, die nötig ist, um vernünftige Normen zu begründen. Zwar meint das zeitgenössische Denken, es sei dem absoluten Begründungsanspruch erhaben, doch dürfte gerade das Fehlen dieses Anspruchs der Grund dafür sein, weit davon entfernt zu sein, überzeugende und kulturübergreifende Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit zu geben. Jene Antworten aber sind notwendig, da sich Gefahren wie die drohende ökologische251 Krise nicht individuell lösen lassen, sie sind nur allgemein zu bewältigen. Vernünftige Antworten sind vonnöten – nur sie sind allgemeiner 246 247 248 249 250 251

W. Dilthey : Typen der Weltanschauung, GS VIII, 118. J. Rawls: Theory of Justice, 512. W. Dilthey : Das geschichtliche Bewußtsein, GS VIII, 30. V. Hösle: Krise der Gegenwart, 275; Ders.: Wahrheit und Geschichte, 22. V. Hösle: Mein Weg zum objektiven Idealismus, 217. Hösle spricht von Ökologie (vgl. E. Haeckel: Morphologie, Bd. 2, 286) und nicht von Umwelt (vgl. J. v. Uexküll: Streifzüge, 27, 30f., 48–52) oder natürlicher Mitwelt (vgl. K.M. MeyerAbich: Frieden mit der Natur, 154).

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

Natur und nur sie haben für alle Vernunftwesen gleichermaßen Geltung. Die Ohnmacht, keine allgemeinen Prinzipien formulieren zu können, führt dazu, dass nur beschränkte Aussagen darüber getroffen werden können, was es zu tun gilt. In Anbetracht der möglichen Gefahren sollten wir uns keinen Relativismus leisten. Es steht, wie Jonas anmahnt, zu viel »auf dem Spiele« (KGA I/2,1, 66), als dass wir darauf verzichten könnten, einzusehen, was vernünftigerweise zu tun ist. Damit Antworten gegeben werden können, muss sich der Mensch zunächst seiner Rolle in der Welt und seiner Aufgabe in dieser bewusst werden. Dass der objektive Idealismus Antworten hierauf geben kann, hängt grundsätzlich damit zusammen, dass er danach strebt, das Ganze, das heißt die Einheit von Objekt (Natur) und Subjekt (Geist), zu begreifen. Obwohl sich Hösle in seinem Begründungsweg weitaus stärker auf die Geist- als auf die Naturphilosophie fokussiert, ist es auch sein Idealismus’ höchster Zweck, deren Einheit auf allgemeine Weise zu entfalten. Ungeachtet dessen, dass das Interesse der Philosophie ein moralisches oder ethisches sein kann, kommt es ihr per se nicht zu, eine bestimmte Metaphysik zu liefern, die den gewünschten moralischen Ansprüchen genügt. Ihr obliegt es, dem Vernünftigen auf allgemeine Weise Ausdruck zu verleihen. Auf diesen systematischen Zusammenhang hat sogar Richard Feynman mit Verweis auf die theoretische Fundierung in der Physik hingewiesen und erklärt: »They’ve [the physicists] learned to realize that whether they like a theory or they don’t like a theory is not the essential question.«252 Ist die Theorie vernünftig und wahrhaft überzeugend, ergeben sich hieraus Antworten, gleich, ob sie gefallen oder nicht. Zweck der Vernunftphilosophie ist es demnach nicht, für uns passende oder nützliche Antworten zu formulieren, ihr geht es allein darum, die Wirklichkeit zu begreifen und aus ihr vernünftige Antworten abzuleiten. Die metaphysische Bestimmung ist keine vorgeschobene Begründung von Ethik, sie wird von der Vernunft geleistet, womit sie der Grund und der Inhalt der dringend benötigten »Metaphysik der Ethik« ist.253 Obgleich Hösle 2013 in einem Interview darauf hingewiesen hat, dass Hegels System, Moral und Politik sowie Der philosophische Dialog seine wichtigsten Werke seien,254 ist seine Selbstauskunft mit Blick auf seine metaphysische Ge252 R.P. Feynman: QED, 10. 253 B. Groys/V. Hösle: Vernunft an die Macht, 62; V. Hösle: Moral und Politik, 979; Ders.: Krise der Gegenwart, 147, 144. 254 V. Hösle: Conversation. Zwar hat Hösle hier darauf hingewiesen, dass dies die wichtigsten Werke seiner späteren Arbeiten sind, aber selbst das kann nur bedingt als Argument gelten, schließlich ist Hegels System nur knapp drei Jahre nach Wahrheit und Geschichte und sogar drei Jahre vor Die Krise der Gegenwart erschienen. Der Grund dürfte weniger das Alter denn die Konzeption der jeweiligen Ausführungen sein. Hierauf deutet die 1998 erschienene

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samtkonzeption nur schwerlich zu akzeptieren, werden doch darin wesentliche systematische Bausteine seiner Konzeption ausgeklammert. Wie seine metaphysisch gelagerte Komposition tatsächlich entfaltet sein dürfte, hat er im Grunde 2006 dargelegt. Im Wiener Jahrbuch für Philosophie erklärt er die in Wahrheit und Geschichte entwickelte Geschichtsphilosophie sowie die in Die Krise der Gegenwart formulierte »vorläufige Skizze der grundlegenden Prinzipien der theoretischen Philosophie«255 samt seinem »Vorentwurf zu einer zeitgemäßen systematischen Philosophie« in Hegels System zum Fundament seiner Metaphysik.256 Als metaphysisches Fundament sind die darin entfalteten Bestimmungen von zentraler Bedeutung, sie liefern die Grundlagen zu seinem »definitiven Beitrag zur praktischen Philosophie«, zu seiner materialen praktischen Philosophie in Moral und Politik.257 Inzwischen würde er zwar Änderungen an seiner Darstellung vornehmen, dennoch hält er sie, wenngleich sie teils »fragmentarisch« sei, nicht »für falsch«.258 Dass er seiner Selbstauskunft nach inzwischen ›etwas analytischer eingestellt‹ ist und sich deshalb ein wenig von dieser objektiv-idealistischen Konzeption distanziert, gilt es nicht zu bestreiten. Solange jedoch keine neue bzw. keine anders entfaltete systematische Konzeption entwickelt worden ist, ist die vorliegende Systematik als metaphysisches Fundament seiner praktischen Philosophie zu fassen. Hösles jüngst erschienenes Buch zur Hermeneutik Kritik der verstehenden Vernunft knüpft an viele wichtige Themen an, doch hieraus ergibt sich kein grundsätzlicher Wandel seines Systemprogramms. Es darf vielmehr als konsequente Fortführung seines objektiven Idealismus der Intersubjektivität gelesen werden,259 wodurch es die angeführte Systemkonzeption bestärkt. Da die philosophische Konzeption fortgeschrieben wird, lässt sich auch in seinem jüngsten Werk keine grundsätzliche Änderung der von ihm forcierten theoretischen Prinzipien ausmachen, entsprechend gilt die vorliegende Systemkonzeption nach wie vor.260

255 256 257 258 259 260

italienische Übersetzung von Wahrheit und Geschichte hin, in dieser wurde der dritte Teil, der auf die (zeit-)geschichtliche Entfaltung des intersubjektiven objektiven Idealismus hinweist, nicht mehr aufgenommen. Vgl. V. Hösle: Verit/ e storia. V. Hösle: Was ist neohegelianisch an Moral und Politik?, 101 Anm.; Ders.: Krise der Gegenwart, 274. V. Hösle: Mein Weg zum objektiven Idealismus, 219; Ders.: Was ist neohegelianisch an Moral und Politik?, bes. 99–102; Ders.: Moral und Politik, 19, 112 Anm. V. Hösle: Krise der Gegenwart, 274, 144. V. Hösle: Replik, 296. Vgl. V. Hösle: Kritik der verstehenden Vernunft, 16. Weil mir Hösles gehaltvolles Buch erst nach Fertigstellung des Manuskripts vorlag, konnte seine hermeneutische Position leider nicht mehr ausführlich in die Diskussion einfließen. Aufschlussreich für das Werk Hösles sind B. Goebel/M. Wetzel (Hg.): Eine moralische Politik; G. Hirsch Hadorn: Umwelt, Natur und Moral; M. Schneider : Hösle Umweltphilosophie; W.C. Viana: Jonas und Hösle: A. Klier : Umweltethik; J. Sikora: Mit-Verantwortung;

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Dass die Bezugnahme von Theorie und Praxis für Hösle höchste Bedeutung hat, wird in einem unveröffentlichten, wohl um 1988 verfassten Brief an Jonas deutlich. Darin spricht er mit Bezug auf dessen Schrift Materie, Geist und Schöpfung davon, »daß spekulative Philosophie wie die Ihre nicht nur ein theoretisches, sondern auch ein praktisches Desiderat ist«, und weist sogleich auf die philosophische Dringlichkeit dieser Entfaltung hin, »[o]hne sie verflacht der Mensch intellektuell wie emotional und wird die Kraft zu den erforderlichen ethisch-politischen Entscheidungen nicht haben« (HJ 16-9-1).261 Es mag sein, dass Hösle heute systemimmanente Berichtigungen vornehmen würde, dass er aber dem systematischen Anspruch und dem »Ideal der Philosophie als System« abgeschworen hätte, welches ihm stets »als regulative Idee« galt,262 ist nicht auszumachen, weswegen seine Konzeption als systematisches Ganzes zu fassen ist.

5.1.

Logik, Freiheit und Notwendigkeit

Der objektive Idealismus setzt sich mit den Wissenschaften von der Natur und vom Geist auseinander und will diese begrifflich als Einheit fassen. Beide Seiten haben nur Bestand, wenn die eine Seite nicht auf die andere reduziert wird, und umgekehrt. Ansonsten fällt eine der beiden Seiten, je nachdem, an welche rückgebunden wird, der anderen anheim. Trotz der Problematik des Reduktionismus lässt sich im wissenschaftlichen Diskurs unserer Zeit eine Tendenz ausmachen, »den gegenwärtigen Stand der Naturwissenschaften zu verabsoluF. Su#rez Müller: Letztbegründung und Intersubjektivität; S. Dellavalle: Soggetto morale o sostanza etica; E.-O. Onnasch: Hösle; P. Cobben: Intersubjektivität und Sittlichkeit. 261 Der Abschnitt in dem Brief von Hösle lautet: »Ich habe Ihr Buch [Materie, Geist und Schöpfung] sofort mit großer Begeisterung gelesen – es ist spekulative Metaphysik auf höchstem Niveau, der tiefsten Beherrschung der großen Tradition entwachsen und sie sogleich weiterentwickelnd und mit der modernen Wissenschaft vermittelnd. Dieser Text – davon bin ich überzeugt – wird in Zukunft zu den Klassikern gerechnet werden: Tiefsinn, philosophische Religiosität, ein ungeheures Verantwortungsgefühl für den Menschen und das ihm anvertraute göttliche Abenteuer sowie schließlich ein prachtvolles Deutsch sind [in] ihm wundersam vereint. Immer mehr glaube ich, daß spekulative Philosophie wie die Ihre nicht nur ein theoretisches, sondern auch ein praktisches Desiderat ist: Ohne sie verflacht der Mensch intellektuell wie emotional und wird die Kraft zu den erforderlichen ethisch-politischen Entscheidungen nicht haben« (HJ 16-9-1). Hösles Wertschätzung belegt ein weiterer Brief an Jonas, der sich in Jonas’ Konstanzer Nachlass findet (HJ 4-3-42). Zur Tiefe und Bedeutung von Materie, Geist und Schöpfung vgl. M. Hackl: (Art.) Mater, Spirit and Creation. Philosophical Investigations. 262 V. Hösle: Mein Weg zum objektiven Idealismus, 219. In seinem Überblick zur deutschen Philosophie betont Hösle die Bedeutung der Systematizität für die Philosophie. Vgl. V. Hösle: Geschichte der deutschen Philosophie, 127.

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tieren und deren geschichtliche Dimension zu übersehen«,263 wodurch das Erfahrbare, das Bestehende zur Norm gemacht wird. Dass gerade das unsinnig ist, hat bereits Max Weber eingehend dargelegt. Immerhin ist es der Erfahrungswissenschaft per se nicht möglich, »bindende Normen und Ideale zu ermitteln, um daraus für die Praxis Rezepte« abzuleiten.264 Erfahrungswissenschaften sind deskriptiv, nicht normativ, weswegen mit Hösle die Auffassung, »daß nur die Sätze der Naturwissenschaften rational sein« können,265 strikt abzulehnen ist. Mit der Beschränkung auf das erfahrbare Wissen sind ausschließlich hypothetische Imperative zu formulieren.266 Diese erlauben zwar, mögliche Folgen zu erkennen, taugen aber nicht dazu, Aussagen darüber zu treffen, was überhaupt sein soll. Sie sind immer auf einen Nutzen, auf ein Ziel hin ausgerichtet, wobei anhand des Zieles eben nicht dargelegt werden kann, worauf genau der Inhalt des Imperativs gründet. Nichtsdestotrotz ist nicht zu bestreiten, dass die empirische Wissenschaft hilfreich ist, um die Konsequenzen unseres Handelns weitestgehend zu bestimmen, wodurch es wiederum möglich ist, den Inhalt des Sollens konkret mit dem uns vorliegenden Wissen zu füllen. Die Konsequenzen unseres Handelns lassen sich hierdurch konkreter fassen.267 Die Trennung in Geistes- bzw. Kultur- und Naturwissenschaft mag an sich zweckhaft sein. Allerdings müssen beide als Einheit verstanden werden, es gibt nur »eine Welt«: Natur und Geist sind gleichermaßen von Bedeutung, da »ihre verschiedenen Teile […] in Beziehung erstens zueinander und zweitens allesamt zu unserem Bewußtsein« stehen.268 Vernünftiges Wissen kann sich nicht auf die Natur oder den Geist beschränken, es muss sich, was Hösle klar sieht und ausweist, beiden Seiten gleichermaßen zuwenden und diese als widerspruchsfreie und harmonische Einheit fassen. Mittels der Einbeziehung beider Seiten ist einzusehen, warum wir »behutsamer« mit unserem Handeln sein sollen und wie ein solcher Umgang aussehen kann.269 Wie keine andere philosophische Tradition ist sich der objektive Idealismus der wechselseitigen Bezugnahme von Natur und Geist, von Theorie und Praxis bewusst. Er trachtet danach, die reale und transzendentale Sichtweise sowie »the ideas of the good and the beautiful« systematisch zu einen. Der so verstandene Idealismus »avoids the problems of subjective idealism, which tends to deny an 263 V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 106. 264 M. Weber : »Objektivität« sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, GA 7, 149; V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 104ff.; Ders.: Philosophie des objektiven Geistes, 14 samt Anm. 265 V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 105, 6, 68f. 266 I. Kant: Grundlegung der Metaphysik der Sitten, Akad.-Ausg. IV, 414–421. 267 Vgl. I. Kant: Kritik der praktischen Vernunft, Akad.-Ausg. V, 123. 268 V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 109. 269 V. Hösle: Ökologische Krise, 73, vgl. 72–74; Ders.: Moral und Politik, 273, 862.

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independent existence of the natural world and insists on subjective (or social) constructions.«270 Wer wie Hösle diesen Anspruch stellt, hat zwar eine enorme Begründungsleistung zu erbringen – aber nur so ist es möglich, nicht bloß Teile, sondern das Ganze auf vernünftige Weise zu fassen, sodass sich auch die Antworten nicht auf das Besondere beschränken müssen. Sind sie allgemeiner Natur, können sie objektive Geltung beanspruchen. a)

Begründunganspruch

Wie Jonas weiß Hösle, dass sich Begründungsfragen im gegenwärtigen philosophischen Diskurs »nicht übermäßiger Beliebtheit« erfreuen.271 Derweil zeigt er sehr deutlich, wie fatal es ist, den Begründungsanspruch allgemeiner Prinzipien aufzugeben, immerhin ist das der einzig gangbare Weg, dem Wert- und Wahrheitsrelativismus philosophisch etwas entgegenzusetzen. Es ist nicht ausreichend, sich auf die Mehrheit zu stützen, denn deren Sichtweise fußt nicht unbedingt auf vernünftigen Argumenten. Wer überzeugt ist, dass die Mehrheit, das Volk per se Recht hat, der muss, um mit Hans Kelsen zu sprechen, an das »Gottesgnadentum des Volkes glauben.«272 Kelsens kritischer Haltung ist insofern zuzustimmen, als der Mehrheitsbeschluss im Grunde nichts anderes als das Recht des Stärkeren ist. Jean-Jacques Rousseau stellt diesbezüglich sogar die Frage, von welcher Qualität jenes Recht sei, welches »untergeht«,273 sobald die Stärke schwindet. Der Mehrheitsbeschluss oder auch der Konsens kann demnach kein »absolutes Wahrheitskriterium« sein,274 andernfalls müsste er stets Anspruch auf Gültigkeit erheben können und wäre nicht bloß dann gültig, wenn sein Inhalt durch die Stärke geschützt würde. Die Mehrheitsdemokratie ist kein geeignetes Instrumentarium, der relativen Bestimmtheit des Rechts des Stärkeren entgegenzuwirken. Allein die Mehrheit hilft nicht, objektive Werte zu vermitteln und der fehlenden Orientierung entgegenzuarbeiten. Genau das ist aber nötig, um Antworten zu geben. Um praktische Orientierung zu verschaffen, bedarf es einer vernünftigen Begründung, die selbst dann Geltungsanspruch erheben kann, wenn die Mehrheit bzw. die Stärke gegen sie steht. Dieser Schritt ist von weitreichender Bedeutung: Nur so

270 V. Hösle: Conversation; Ders.: Philosophiegeschichte, 7, 24. 271 V. Hösle: Begründungsfragen, 212; Ders.: Ökologische Krise, 47. 272 H. Kelsen: Wesen und Wert der Demokratie, 99. Hans Kelsen hat sich auch fragwürdig geäußert (M. Hackl: Appell an die Freiheit, 133 Anm.), das Problem des Mehrheitsbeschlusses sieht er jedoch sehr klar. 273 J.-J. Rousseau: Gesellschaftsvertrag, 9; vgl. V. Hösle: Begründungsfragen, 214, 227; Ders.: Moral und Politik, 888; Ders. Wahrheit und Geschichte, 350. 274 V. Hösle: Begründungsfragen, 220, 222.

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ist es möglich, dass nicht die Stärke als Macht, sondern die Stärke des vernünftigen Begriffs, an dem alle gleichermaßen partizipieren, Geltung hat. Wird der Anspruch, dass uns das Wahre und das Gute auf vernünftige Weise zugänglich sind, abgelehnt, hat es »gar keinen Sinn, daß wir miteinander reden«:275 Im Prinzip könnte jeder auf seinem Standpunkt beharren, ohne dass dieser begründungstheoretisch bestärkt oder widerlegt werden könnte. Was richtig ist, darüber würde ausschließlich die herrschende Meinung urteilen. Auf Basis einer objektiv-vernünftigen Bestimmung ist dem entgegenzuwirken und eine wahrhafte Demokratie möglich, andernfalls ist kein vernünftiger Diskurs – der die Voraussetzung für eine offene Gesellschaft ist – möglich. Es ist unumgänglich, will man nicht in beliebige bzw. dogmatische Wahrheits- und Wertvorstellungen verfallen, sich »durch vernünftige Argumente« zu rechtfertigen und sich einer rational einsichtigen Kritik zu stellen.276 Das heißt, die subjektive Sicht muss intersubjektiv kommunizierbar sein, sonst wäre das Rechte immer das, was mittels Macht bestimmt wird. Um aus der Beliebigkeit des Machtkreises herauszutreten, ist es notwendig, Ernst Troeltschs Topos aufgreifend, sich der »religiös-ethische[n] Ideen- und Lebenswelt« zu öffnen.277 Kultur hat per se keinen Anspruch darauf, richtig und gut zu sein, auch sie muss sich am Horizont der Vernunft orientieren; das Vernünftige darf sich der Darstellung im Kulturellen nicht entziehen, sondern hat sich in ihr auszudrücken und durchzusetzen.278 Ohne Zweifel verfolgt vorliegende Konzeption Hösles diesen geltungstheoretischen Anspruch. Bemerkenswert hieran ist, dass ohne objektiven Geltungsanspruch grundsätzlich keine Begründung auskommt. Sogar der Relativismus erhebt Anspruch auf Objektivität, schließlich will er geltendes Prinzip sein. Dabei meint dieser die konzise Bestimmung der Objektivität aufzuheben und hierdurch den individuellen, kulturspezifischen, letztlich subjektiven Bestimmungen gerecht zu werden. Indem der Relativismus darauf baut, dass seine Bestimmung gegenüber einer objektiven Begründung erhaben sei, impliziert sein Standpunkt höchste Geltung, womit er diese anderen Positionen absprechen muss. Würde er sich dieses Anspruchs verwehren, wäre nicht einzusehen, warum ihm Gehör zu schenken sei, er wäre nur eine beliebige Position neben

275 V. Hösle: Letzte Gewißheit, 50, vgl. 51; Ders.: Moral und Politik, 233; Ders.: Transzendentalpragmatik, 246f.; Ders.: Begründungsfragen, 214. 276 K.-O. Apel: Transformation der Philosophie, Bd. 2, 425. 277 E. Troeltsch: Absolutheit des Christentums, 144. 278 Obwohl selbst bei Hegel die Vernunft im Zentrum steht, ist auch bei ihm deren Entäußerung wesentlich durch die Kultur beeinflusst. Vgl. M. Hackl: Seinsollen des Vernünftigen. Hösle weist insgesamt neun Gefahren einer Indoktrination totalitärer Wert- und Weltvorstellungen aus. Vgl. V. Hösle: Begründungsfragen, 216–219.

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anderen. Indem sich eine Position gegen andere Positionen abgrenzt und sich affirmativ bzw. negativ bestimmt, findet bereits Begründung statt. Dass die Relativität ohnehin kein Prinzip ist, welches sich aus sich selbst begründet, wird am Beispiel der Relativitätstheorie deutlich. Das Prinzip der ›relativen Theorie‹ hängt nicht von der Relativität, sie hängt laut Max Born von dem »Prinzip […] der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit« ab.279 Die Rückbindung an die Lichtgeschwindigkeit als objektives Prinzip verdeutlicht, dass selbst Albert Einsteins Relativitätstheorie auf keiner relativen Begründung aufbaut, sie wird erst durch einen absoluten Bezugspunkt verständlich.280 In der Relativitätstheorie wird, und das zeigt Dieter Wandschneider, die Lichtgeschwindigkeit als fundamentale Naturkonstante auf apriorische Weise absolut gesetzt.281 Relativität ist kein Beleg für die Relativitätstheorie an sich, sie bezeugt vielmehr die notwendige Bezugnahme der Relativität auf absolute, apriorische Bestimmungen; aus diesen speist sich ihre geltungstheoretische Fundierung. Die Relativität ist nur in Relation auf einen absoluten Punkt möglich auszuweisen. Als absolutes Prinzip ist das Licht wiederum nicht empirisch zu bestimmen, es ist eine apriorische Bestimmung, womit klar aufgezeigt wird, dass »die moderne Naturwissenschaft [nicht] ohne jede Aprioris auskommen könne – erstens dürften ganz allgemeine Aprioris tatsächlich zur Bedingung der Möglichkeit einer jeden Naturwissenschaft, ja einer jeden planenden Erfahrung gehören […], und zweitens scheint gerade die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts in weitaus höherem Grade apriorische Verfahrensweisen zu kennen als die Newtonsche Physik«.282

Dieser Zusammenhang bestärkt eingängig die systematische Qualität des objektiv-idealistischen Ansatzes, welcher sich weder dem Geist noch der Natur verschließt, er denkt sie als Einheit. Dabei greift die objektiv-idealistische Philosophie, wie Hösle zeigt, erstens auf »apriorische Kategorien bzw. synthetische Urteile a priori« zurück und spricht diesen zweitens »eine ontologische Dignität« zu, was insofern wegweisend ist, als auf die Naturwissenschaften sowie deren apriorische Voraussetzungen Bezug genommen wird. Beides wird gleichermaßen als Moment der Begründung gefasst und nichts wird außen vor gelassen. Die Wirklichkeit ist keineswegs durch »subjektive Denkzwänge der menschlichen Vernunft« be279 M. Born: Relativitätstheorie, 200, 194; A. Einstein: Relativitätstheorie, bes. 11–39. 280 Max Planck hat auf die oft falsch verstandene Begründung von Relativität ohne Absolutheit hingewiesen; »in der vielfach mißverstandenen Relativitätstheorie [ist] das Absolute nicht aufgehoben, sondern es ist im Gegenteil durch sie nur noch schärfer zum Ausdruck gekommen, daß und inwiefern die Physik sich allenthalben auf ein in der Außenwelt liegendes Absolutes gründet« (M. Planck: Vom Relativen zum Absoluten, 59, vgl. 54ff.). 281 D. Wandschneider: Raum, Zeit, Relativität, 218. 282 V. Hösle: Begründungsfragen, 226f.; D. Wandschneider: Raum, Zeit, Relativität, 156f., 220f. Vgl. SW IV, 532.

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stimmt. Der objektiv-idealistischen Position kommt es nach Hösle berechtigterweise darauf an, sich in »Übereinstimmung zwischen den Denkgesetzen und der Wirklichkeit« zu erweisen. Anders als der Realismus oder der subjektive Idealismus beruht ihrer beider Synthese – der objektive Idealismus – auf der »Anerkennung einer eigenen Sphäre gegenüber natürlichem Sein und Bewußtsein, die nicht auf diese beiden Seinsbereiche zurückführbar ist – eben die apriorischen Wahrheiten in einer absoluten Vernunft.« Das entscheidende Merkmal des objektiven Idealismus ist die Annahme eines »gemeinsamen Ursprungs sowohl der Wirklichkeit als auch der Inhalte unseres Denkens aus einer absoluten Vernunft«,283 weswegen das Natürliche und das Geistige keine isolierten Sphären sind: Jede Seite ist die Probe der anderen. Die Einheit beider Seiten wird in Hösles Philosophie nicht als ein wechselseitig Durchdrungenes gefasst, es geht ihm darum, ihre Einheit durch ein unabhängiges Drittes zu begründen. Während Jonas die Einheit materiell begründet, sucht Hösle deren Einheit nicht durch eine Rückführung auf die Sphären von Natur oder Geist zu begründen, sondern durch eine weitere, eine dritte Sphäre. Wie Hegel meint er (vgl. TWA 11, 524), dass die dritte Sphäre den anderen beiden Sphären, der Natur und dem Geist, vorausgeht. Die sogenannte dritte und von den anderen Momenten unabhängige Sphäre wird als das »Reich der Ideen bzw. des Logischen« bestimmt. Mit dieser Form des objektiven Idealismus läuft man zwar nicht direkt Gefahr, dass die Natur vergeistigt oder der Geist naturalistisch gefasst wird – dennoch ist der Gedanke von der versöhnenden »Triade von Logik, Natur und Geist« zu diskutieren.284 Letztlich impliziert dieser, dass die Logik das alles Bestimmende ist,285 weswegen sich die Frage stellt, wie bestimmend die logische Weltstruktur hinsichtlich der Begründung des Seins, letztendlich des Sollens ist und wie die logische Struktur mit der Idee von der Freiheit, der Voraussetzung von Moralität, in Einklang zu bringen ist.

b)

Letztbegründung

Damit die Logik als das geltende Prinzip gefasst werden kann, muss sie durch sich selbst vermittelt sein. Auf diese Weise ist es möglich, dass sie reflexiv, heißt aus sich selbst heraus entfaltet wird und als begründete Voraussetzung gilt. Der 283 V. Hösle: Begründungsfragen, 242f.; Ders.: Philosophie des objektiven Geistes, 23f. Zu Hösles Ansatz vgl. J. Rohls: Philosophie und Theologie, 580. 284 V. Hösle: Begründungsfragen, 243f., 240; Ders.: Geschichte der deutschen Philosophie, 134, 138; Ders.: Wahrheit und Geschichte, 448f.; Ders.: Einstieg in den objektiven Idealismus, 45f. Vgl. D. Wandschneider : Naturphilosophie, 23. Bzgl. des Dritten verweist Hösle auf Kants Kritik der reinen Vernunft, B 315, 93ff., 357, 764f., 769f. 285 Zur Rolle der Logik vgl. S. Dellavalle: Soggetto morale o sostanza etica, 112.

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(Letzt-)Begründung des vernünftigen Prinzips nimmt sich Hösles logischer Idealismus an. Um als erstes Prinzip gelten zu können, darf nichts vorausgesetzt werden, es muss »in welcher Weise auch immer begründet« sein. Ist das nicht der Fall, ist ihr Fundament willkürlich wie ein auf Stärke, auf Macht gründendes Prinzip. Die Begründung muss »irgendwie einleuchten« und ist demnach nicht durch Glauben,286 Gefühl oder kulturelle Bestimmung zu leisten. Sie muss wohlbegründet und auf allgemeine Weise eingängig sein. Der Anspruch auf Letztbegründung ist keineswegs unumstritten, sondern wird bereits seit der Antike kritisiert;287 erst in jüngerer Zeit hat Hans Albert mit dem Münchhausentrilemma besonders harsche Kritik daran geübt.288 Mit seinem Trilemma versucht Albert zu begründen, dass Letztbegründung prinzipiell nicht möglich ist, weil jeder Begründungsanspruch in einen infiniten Regress, zu einem logischen Zirkel oder einem dogmatischen Abbruch des Verfahrens führt, was zur Folge hat, dass kein letztes Prinzip ohne entsprechende Begründungsdefizite auszuweisen ist. Hier wird also mit unbegründeten Voraussetzungen hantiert, schließlich wird auf etwas Unbewiesenes zurückgegriffen oder ein Dogma eingeführt, was für die Begründung notwendig ist, jedoch »nicht der Begründung bedürftig« angesehen wird. Das führt dazu, dass die Bedingung der Begründung nicht begründet wird, was einem Abbruch des Begründungsprozesses gleichkommt. Alberts Erklärungsversuch wendet Hösle elegant gegen ihn und zeigt, dass die angestrebte Widerlegung der Letztbegründung den Erweis ihrer Möglichkeit beinhaltet. Sie erhebt den Anspruch, gezeigt zu haben, dass Letztbegründung letztgültig zu verabschieden und schlechthin nicht möglich ist. Ihr Anspruch muss in Folge »begründungstheoretisch als letztbegründete Aussage[] verstanden werden«,289 ansonsten könnte sie nicht aufzeigen, dass Letztbegründung schlechthin und prinzipiell unmöglich ist. Damit wird per definitionem ausgesagt, dass es keine Letztbegründung gibt: contradictio in adiecto. Mit diesem Einwand hebelt Hösle die Konzeption Alberts aus. Dieser verkennt, dass die »Unmöglichkeit einer Letztbegründung […] von einer Voraussetzung [abhängt]; daraus folgt, daß unter anderen Voraussetzungen Letztbegründung

286 V. Hösle: Krise der Gegenwart, 148. 287 Aristoteles: Kategorien. Zweite Analytik, PS 1, 72b f.; V. Hösle: Wahrheit und Geschichte, 656ff.; Ders.: Krise der Gegenwart, 152 Anm.; Ders.: Philosophie des objektiven Geistes, 15 Anm. 288 V. Hösle: Krise der Gegenwart, 152f., vgl. 9ff., 142ff., 175ff.; Ders.: Begründungsfragen, 245; Ders.: Philosophie des objektiven Geistes, 14ff.; Ders.: Raum, Zeit, Bewegung, 248f. Vgl. C.F. Gethmann/R. Hegselmann: Problem der Begründung, 344f., 356–366. 289 H. Albert: Traktat über kritische Vernunft, 14, 8–41, bes. 11–15; Ders.: Kritische Vernunft, 35ff., 44ff.; K.-O. Apel: Auseinandersetzungen, 35–52, 148, bes. 64–79.

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möglich sein muß.«290 Es wird gar nicht begründet, dass Letztbegründung unmöglich sei, sondern dass sie unumgänglich ist. Folglich wird von Albert wider sein Anliegen »bewiesen, was er widerleg[en]« wollte. Das Problem an Alberts Ausführungen ist, dass die Dimension der »synthetischen Sätze a priori« verkannt wird und er deren Möglichkeit kategorisch ablehnt und überdies erklärt, dass »jede Erkenntnis nicht-empirischer Natur hypothetisch« sei, weshalb apriorische Erkenntnis immer »bedingt« und niemals »unbedingt (absolut)« ist.291 Hieraus folgt notwendigerweise, dass das Münchhausentrilemma selbst inkonsistent ist, beispielsweise wird nicht einmal erklärt, wodurch es bedingt ist. Das kann Albert gar nicht leisten, denn hinsichtlich einer solchen Begründungsleistung ist es, und das ist das Anliegen Hösles, unumgänglich, dass sie »einem Denkvermögen zugänglich [ist], das im folgenden Vernunft heiße und von dem axiomatisch-mathematischen Verstandesdenken streng dadurch unterschieden ist, daß es auf reflexiven Strukturen basiert, die es durch die Methode der Explikation von bloß Impliziertem mittels der bestimmten Negation begründet. Als Prinzip der Philosophie wird also eine Struktur erfordert, die sich selbst begründen kann, d. h. reflexiv ist.«292

Die Begründung kann nur geleistet werden, indem die eigenen Bedingungen begriffen werden. Um diese Begründung schlüssig darzulegen, bindet Hösle das Wissen von Natur und Geist einerseits an die Logik rück, andererseits sucht er die Logik durch sich selbst zu begreifen und aus sich selbst heraus zu entfalten. Erst wenn einsichtig wird, dass nicht-hypothetische Erkenntnis möglich ist, ist das Fundament der apriorischen Sätze, mithin der Logik, wohlbegründet. Sodann scheint es ihm möglich, kategorische Sätze zu formulieren und auf deren Grund Sollensaussagen zu treffen. Der bereits andiskutierte Zusammenhang von rationalen Bestimmungen und Naturgesetzen legt nahe, dass ein bloß empirischer oder rationaler Ansatz strikt abzulehnen ist. Die Bestimmung der 290 V. Hösle: Philosophie des objektiven Geistes, 18. »Wir müssen die Notwendigkeit von Letztbegründung begreifen. Diese ergibt sich nun immanent aus unserem Zwischenergebnis, das die Möglichkeit von Letztbegründung besagte. Dieses Zwischenergebnis ist nämlich ebenso inkonsistent wie die Anfangsbehauptung – im Grunde gar keine radikale Überwindung der These des Münchhausentrilemmas. Wäre nämlich Letztbegründung nur möglich, d. h. nur voraussetzungsabhängig gültig, so wäre sie gar keine Letztbegründung. Letztbegründung ist also entweder positiv-apodiktisch (notwendig) oder negativ-apodiktisch (unmöglich) – eine ›bloß mögliche Letztbegründung‹ ist eine contradictio in adiecto« (V. Hösle: Philosophie des objektiven Geistes, 19). 291 V. Hösle: Krise der Gegenwart, 153, 146, 156, 157f. Anm.; Ders.: Begründungsfragen, 245; K.-O. Apel: Erste Philosophie, 176f.; W.V.O. Quine: Logischer Standpunkt, bes. 27–50, 81– 98. 292 V. Hösle: Philosophie des objektiven Geistes, 21; Ders.: Mein Weg zum objektiven Idealismus, 217.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

Natur hat ihre Prüfung an der Empirie und am Denken – selbiges gilt für die Bestimmung des Geistes. Nach Hösle sind Natur und Geist daher zwei unterschiedliche Erscheinungsformen des Logischen, der Ideenwelt. Die dritte Sphäre garantiert einen Zusammenhang zwischen den Sphären, sie ist deren gemeinsamer Ursprung. Geist und Natur sind uns nichts als reine Logik. Sie ist das Umfassende; das aber wirft sogleich die Frage nach dem Stellenwert des Realen auf (vgl. SW X, 142f.). Für Hösle gilt die Logik genau dann als letztbegründet, wenn es gelingt, den Satz p: »[E]s gibt nicht hypothetische apriorische Sätze« zu beweisen.293 Ist es möglich, kategorische Sätze zu formulieren, kann deren Begründung nicht von anderen Bedingungen abhängig sein. Die Logik muss durch sich selbst begründet und das alleinige Fundament sein. Damit die Logik als Fundament Geltung beanspruchen kann, gilt es zu zeigen, dass es »nicht-hypothetische (d. h. voraussetzungslose) (synthetisch-)apriorische Erkenntnis« gibt und dass deren Gesetze zugleich »Gesetze der Wirklichkeit« sind.294 Dafür ist es notwendig – und hier zeigt sich das objektive Moment des hösleschen Idealismus –, dass sich eine wesentliche Übereinstimmung von Logik und Realität ausmachen lässt. Bezüglich letztbegründeter Erkenntnis ist anzuerkennen, dass diese »unmöglich, kontingent oder notwendig« sein kann. So ist der Satz: »Es ist unmöglich, daß es nicht-hypothetische apriorische Erkenntnis gibt« – welcher ebenfalls heißen kann: »Es ist letztbegründet, daß es keine letztbegründete Erkenntnis gibt«295 – inkonsistent, denn er baut auf dem auf, was er zu widerlegen sucht, und ist damit notwendigerweise falsch. Dagegen ist der Satz q: »Nur unter nicht notwendig wahren und nicht notwendig falschen Voraussetzungen gilt, ›es gibt nicht-hypothetische apriorische Erkenntnis‹ (=p)« nicht unmittelbar inkonsistent, weil der Satz q nicht an sich, sondern nur in Verbindung mit den in Satz p formulierten Bestimmungen inkonsistent ist.

293 V. Hösle: Krise der Gegenwart, 156. Im Folgenden geht es nicht darum, die Differenzen zwischen Die Krise der Gegenwart und Begründungfragen des objektiven Idealismus herauszuarbeiten. Der Fokus liegt auf der (zeitlich) späteren Ausführung, auf Die Krise der Gegenwart. Vgl. W.C. Viana: Jonas und Hösle, 166ff. 294 V. Hösle: Begründungsfragen, 245. Die Grundaussagen werden folgendermaßen benannt: »Es gibt nicht-hypothetische (d. h. voraussetzungslose) (synthetisch-)apriorische Erkenntnis, und die Gesetze dieser apriorischen Erkenntnis sind zugleich Gesetze der Wirklichkeit.« (III) – der zu begründende Satz (III) setzt die Konjunktionen der Sätze »Es gibt nicht hypothetische apriorische Erkenntnis« (I) und »Wenn es nicht-hypothetische apriorische Erkenntnis gibt, dann sind deren Gesetze zugleich Gesetze der Wirklichkeit« (II), voraus (V. Hösle: Begründungsfragen, 245), somit beruht die Gültigkeit von III auf der Konjunktion von I und II. 295 V. Hösle: Krise der Gegenwart, 156, Hervorhebung M.H.

Idealismus und Freiheit bei Vittorio Hösle

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Wenn der Satz p wahr ist, dann gibt es letztbegründete Erkenntnis, woraus folgt, dass ihr Gehalt »nicht von nicht notwendig wahren Voraussetzungen« abhängen kann. »Gibt es wirklich nicht-hypothetische Erkenntnis, dann hat es keinen Sinn zu sagen, diese Erkenntnis gebe es nur, wenn wir bestimmte (nicht notwendig wahre) Voraussetzungen über das menschliche Denken usw. machten – denn dann wäre sie eben keine voraussetzungslose Erkenntnis. Gibt es auch nur eine einzige letztbegründete Erkenntnis, dann ist der Satz, daß es letztbegründete Erkenntnis gibt, der unmittelbar aus jener Erkenntnis folgt, ebenso voraussetzungslos gültig, d. h. letztbegründet wir diese.«

Darüber hinaus höhlt der Satz q in Verbindung mit dem Satz p seine eigene Begründung aus. Ist der Satz p wahr, folgen hieraus »eben die genannten Voraussetzungen über das Wesen der menschlichen Erkenntnis und gelten insofern selbst absolut (sind notwendig wahr)«. Somit ergibt sich aus dem Satz p nicht nur der Satz r : »Es ist notwendig (letztbegründet, voraussetzungslos gültig), daß es nicht-hypothetische apriorische Erkenntnis gibt«,296 aus dem Satz r folgt vielmehr der Satz p. Zwischen beiden Sätzen herrscht eine Äquivalenz, weswegen aus der Wahrheit des Satzes r jene von Satz p und umgekehrt aus der Wahrheit des Satzes p der Satz r folgt. Mit dem Satz p scheint ein kategorischer Anfang gemacht, der aus und durch sich selbst begründet ist.297 Es ist begründungstheoretisch unerlässlich, der Frage nachzugehen, ob der hier geleistete negative Aufweis zur Begründung ausreicht. Jedenfalls fehlt eine affirmative Begründung, die nach Gerhard Schönrich »das menschliche Erkenntnisvermögen« miteinbezieht,298 es wird allein auf die Konsistenz des Logischen verwiesen. Dass Hösle das akzeptiert, dürfte dem Gedanken geschuldet sein, dass kategorische Sätze nur aus und durch sich selbst generiert werden. Kritisch an der Position ist zu sehen, dass nicht darauf Bezug genommen wird, dass alles Wissen mit der oder gegen die Empirie formuliert wird. Wie wichtig die Beziehung ist, macht sich in der für Hösle maßgeblichen Schrift Hegels, der Wissenschaft der Logik bemerkbar (besonders deutlich wird dies an Hegels späterer Umarbeitung der Seinslogik, darin nimmt er verstärkt auf natürliche Phänomene Bezug). In vorliegender Konzeption Hösles scheint es hingegen so, als sei die Logik zwecks ihrer Selbstbegründung rein apriorisch bestimmt und der Logik das Aposteriorische fremd. Dies wirft die Frage auf, inwiefern ohne Erfahrbares überhaupt etwas gewusst werden kann, immerhin soll die Logik unabhängig von aller Realität Bestand haben. Dass ein derartiges Abgekop296 V. Hösle: Krise der Gegenwart, 156f. 297 Vgl. hierzu die Kritik von Gerhard Schönrich (Bei Gelegenheit Diskurs, 152–154) sowie jene, die Carl Friedrich Gethmann und Rainer Hegselmann (Problem der Begründung, 346–351) an Apel geübt haben. 298 G. Schönrich: Bei Gelegenheit Diskurs, 153.

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peltsein schwerlich haltbar ist, belegt schon der Umstand, dass sodann unsere Mitwissenschaft an Natur und Geist nur Schein wäre, alles Wissen wäre bloß logischer Natur. Für Hösle ist die selbstbestimmte Logik das Kategoriengebilde, gemäß dem wir an die Welt herantreten. Es scheint, als komme man über einen Konstruktivismus,299 einen subjektiven Idealismus nicht hinaus.300 Das Reale bleibt uns fremd, es ist nur, was die Logik lehrt. Hösles Überlegungen fordern eine scharfe Trennung zwischen Logik und Realem, was insofern problematisch ist, als das Reale nicht in die Logik einfließt, die Logik aber das Bestimmende für das Reale und sie sich damit selbst der Probirstein für ihre Richtigkeit ist. Aller Wahrheitsgehalt kommt allein der Logik zu. Im Grunde ist nur noch Logik; das führt dazu, dass die Eigenständigkeit des Realen, wenngleich nicht aufgehoben, zumindest stark abgeschwächt wird. Obwohl die vorgelegte Konzeption nicht frei von Kritik ist, wird an das Apriorische, das Logische entschlossen der Anspruch an Wahrheit gestellt, während beispielsweise Max Planck in Bezug auf die Wahrheit von ihr nur als »ideales Ziel« spricht,301 von Apel wird sie als »regulative Idee« ausgewiesen.302 Hösle hingegen geht über deren Ansätze hinaus und fasst Wahrheit als begründete Idee. Sie ist ihm eine feste, bestimmte logische Größe. Trotz der Gefahr, durch die Stilisierung der Logik einen Konstruktivismus zu stützen, hebt er die Absolutheit der Logik hervor und weist konsequenterweise darauf hin, dass demjenigen, der den Letztbegründungsbeweis denkt, das »Absolute präsent« sein muss, schließlich gründet alles in der Logik, der »Struktur, die das Prinzip alles Seins, aller Erkenntnis, allen Wertes« ist. Die Logik ist ihm allgemeiner Natur, weswegen sie von jedem auf je gleiche Weise einzusehen ist, während uns das Reale nur Schein ist. Im Realen selbst drückt sich das Logische aus. Dass dem Realen nicht aller Geltungsanspruch abzusprechen ist, bezeugt der Hinweis, dass es sich bei der logischen Begründung nicht um den »platonischen Ideenhimmel« handelt,303 sondern um die Idee des Denkaktes, welche mit den Gesetzen der Wirklichkeit – die hier, und das ist schwerlich zu bestreiten, rein logisch sind – übereinstimmen muss. 299 E. v. Glaserfeld: Konstruktion der Wirklichkeit, bes. 32; Ders.: Radikaler Konstruktivismus, 195ff. 300 Vgl. J.G. Fichte: Grundlage, Werke I, 99, 155f.; Ders.: Thatsache des Bewußtseins, Werke IX, 484–486. 301 M. Planck: Vom Relativen zum Absoluten, 59. Planck sieht die Notwendigkeit des Absoluten, wobei es aber nichts Starres ist, es ist »vielmehr ein ideales Ziel, das wir stets vor uns haben, ohne es doch jemals erreichen zu können«. Zwar ist Planck darüber nicht glücklich, jedoch müssen wir uns damit »abfinden« (M. Planck: Vom Relativen zum Absoluten, 59). 302 K.-O. Apel: Erste Philosophie, 330; Ders.: Transformation, Bd. 2, 423ff. 303 V. Hösle: Krise der Gegenwart, 178, 159; Ders.: Nach dem absoluten Wissen, 632; Ders.: Begründungsfragen, 249f., 261. Vgl. Alberts Kritik in: Hösles Sprung, bes. 130f.

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»Es ist daher die Wirklichkeit nicht nur einer Sphäre des Logischen anzuerkennen, die weder auf natürliche Entitäten noch auf subjektive Bewußtseinszustände noch auf intersubjektive Anerkennungsprozesse zurückzuführen ist, sondern sogar als deren Prinzip, die Wirklichkeit einer absoluten Vernunft.«

Da die Logik isoliert von der Realität begründet wird, ist sie das alleinige Fundament der gesamten Entfaltung, womit das, was wahr und richtig ist, einzig von der logischen Bestimmung und nicht von dem uns zugänglichen Realen abhängt. Das führt wiederum dazu, dass uns die Welt nur ist, was uns die Logik ist. Was wir wissen, hängt von den logischen Kategorien ab: Ändern sie sich, ändert sich das Wissen vom Realen. Dies führt zur überlegenen Rolle der Logik: »Gott, das Absolute, [ist] nichts als der Inbegriff der apriorischen Wahrheiten – und d. h. der Autonomie – der Vernunft, die freilich nicht etwas bloß Subjektives oder Intersubjektives sind, sondern das Wesen der Wirklichkeit ausmachen. Gott ist hier nicht ein Jenseitiges, sondern vielmehr das Innerste, das Zentrum des Denkens, das jedem Seienden Zugrundeliegende in jedem Denkakt Präsupponierte. Theonomie und Autonomie fallen zusammen.«304

Hösle fasst die Autonomie des Absoluten als Ausdruck absoluter Notwendigkeit und plädiert dementsprechend für die Ineinssetzung von Theonomie und Autonomie,305 was insofern problematisch ist, als die Notwendigkeit als Entsprechung der Selbstbestimmung gefasst wird. c)

(Prä-)Determinismus

Bezüglich der gelieferten Verhältnisbestimmung von Theonomie und Autonomie gilt es zu klären, was es heißt, dass Gott nichts als der Inbegriff der apriorischen Wahrheiten ist. Anhand dieser Bestimmung werden das Göttliche und das Subjekt synonym gesetzt. Das Wissen vom Göttlichen ist Ausdruck des apriorischen, des logischen Wissens. Diese Übereinkunft macht zwar verständlich, wie Logik und Autonomie zusammenfallen, allerdings läuft man Gefahr, den Begriff der Freiheit des Subjekts in der Notwendigkeit des Göttlichen aufzuheben. Folglich wäre nur Notwendigkeit. Mit diesem Problem sieht sich auch Baruch de Spinoza konfrontiert, sein System gründet auf der unmittelbaren Bindung zwischen Mensch und Gott. Er fasst die menschliche Freiheit als »feste Existenz«,306 die mit Substanz und Natur 304 V. Hösle: Begründungsfragen, 261f., Hervorhebungen M.H., vgl. 250, 266. 305 Vgl. V. Hösle: Krise der Gegenwart, 178f., 179 Anm.; Ders.: Begründungsfragen, 262. Vgl. O. Kaiser : Sittlichkeit und theonome Ethik, bes. 115. Zur Rolle der Theonomie vgl. M. Hackl: Herausforderungen, Christologie und Theonomie. 306 B. d. Spinoza: Kurze Abhandlung, Werke 1, 119.

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eine vollkommene Einheit bildet. Zwischen Mensch und Natur ist so wenig eine Differenz auszumachen wie zwischen Natur und Geist. Der Mensch weiß sich darum weder in Unabhängigkeit zur Natur noch zu Gott, womit »die Entschlüsse des Willens«, wie Friedrich Heinrich Jacobi kritisiert, den »Bestimmungen des Körpers« gleichgesetzt werden müssen.307 Demzufolge besitzt das zum Geist befähigte Wesen jenen Grad an Freiheit, den die Natur besitzt – nicht mehr, nicht weniger. Für Spinoza stellt dies keine Schwierigkeit dar, für ihn heißt Freiheit, »aus der Notwendigkeit seiner Natur heraus [zu] existier[en]«308 ; er erkennt schlechthin keine freie Ursache, sie ist ihm »eine notwendige oder besser eine gezwungene.«309 Geht dem Willen eine notwendige Ursache voraus, ist keine Freiheit. Was dem Schaffenden zukommt, ist dem Geschaffenen zuzusprechen (vgl. SW X, 47; XI, 580). Hösle, der wie Spinoza ein geschlossenes System zu formulieren trachtet, ist diese Schwierigkeit bekannt, er zielt mit der Verknüpfung von Autonomie und Theonomie darauf ab, beide Seiten als eine undifferenzierte Einheit zu verstehen. Begründungstechnisch nähert er sich Spinoza an, er begreift das Göttliche als »Notwendigkeit der eigenen Natur«, wodurch ihm das Ganze ein Prädeterminiertes ist.310 Während mit Friedrich Schelling Prädetermination so verstanden werden kann, dass die prädeterminierten Strukturen aus einem »ursprünglichen Akt der Freiheit« hervortreten (SW III, 580; V, 114; vgl. Kap. III), verwehrt sich Hösle dieser Auffassung und fasst das Prädeterminierte als absolut Notwendiges. In Anbetracht der eingenommenen Position verwundert es nicht, dass er nicht nach der Grundlage, den Voraussetzungen der Freiheit fragt, er fokussiert sich auf die Betrachtung des Seins (vgl. Kap. III.9). Auch wenn dieser Punkt nicht weiter thematisiert wird, ist sich Hösle der Konsequenzen seines Denkens bewusst; so versucht er einen kruden Determinismus zu vermeiden und differenziert daher in zwei Arten des Determinismus, in einen ontologischen und einen epistemischen.311 Mit dieser Differenzierung sucht er begreifbar zu machen, dass – zumindest, wenn beide Positionen miteinander vereinbar sind – trotz der absoluten Notwendigkeitsstruktur die Zukunft dem Menschen nicht vorherbestimmt erscheint. Sodann können wir uns der Pflicht nicht entbinden, »für das Gute zu kämpfen«,312 da wir uns des siF.H. Jacobi: Über die Lehre des Spinoza, JWA 1/1, 108. B. d. Spinoza: Ethik, Werke 1, 6. B. d. Spinoza: Ethik, Werke 1, 36. V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 23, 21f., 117f.; Ders.: Krise der Gegenwart, 237; Ders.: Praktische Philosophie, 20, 38ff. Vgl. I. Kant: Kritik der Urteilskraft, Akad.-Ausg. V, 410f.; Ders.: Religion, Akad.-Ausg. VI, 49 Anm. 311 Hösle hält nach wie vor an diesem Determinismusverständnis fest, den hierfür entscheidenden Beitrag hat er erst vor wenigen Jahren in einem Sammelband erneut publiziert (V. Hösle: God as Reason, 75–100). 312 V. Hösle: Praktische Philosophie, 40.

307 308 309 310

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cheren Heils der Geschichte nicht gewiss sein können. Der Anspruch ist offensichtlich, allerdings ist der Argumentation nur bedingt zu folgen. Weil uns die Zukunft nicht bekannt ist, folgt hieraus eben nicht, dass wir frei und somit fähig sind, willentlich für das Gute einzutreten. Was folgt, ist, dass wir nicht wissen, was die Zukunft bringt. Zwar ist es eine notwendige Bestimmung von Freiheit, dass die Zukunft möglich und nicht faktisch ist,313 doch begründet die scheinbare Offenheit der Zukunft noch nicht die Freiheit. Wir ›haben‹ sie erst, wenn sie mitwissenschaftlich gewusst wird. Ohne Wissen von der Idee der Freiheit sind wir, wenngleich wenn wir es anders wahrnehmen, um Jonas’ Worte aufzugreifen, nur »Puppen der Weltkausalität« (KGA I/2,1, 432). Wir können nicht etwas einfordern, dessen wir uns nicht gewiss sind; einfordern können wir nur, wovon wir wissen. Der Umstand, dass uns die Zukunft unbekannt ist, lässt uns bestenfalls im Glauben, dass Freiheit möglich ist. Weil die Welt in dieser Konzeption grundsätzlich als notwendig gefasst wird, ist unsere Freiheit bloßer Schein, sie ist nicht wahrhaft. Das logische Absolutheitsverständnis hebt die Möglichkeit von Freiheit von vornherein auf, sogleich wird aber darauf verwiesen, dass die Begründung der Freiheit sowie des Determinismus metaphysisch zu leisten ist. Da das Wissen um die subjektive Freiheit des Menschen von seiner metaphysischen Selbstbeschreibung abhängt, betrifft dieses Wissen neben dem Absolutheitsverständnis das »ganze Leib-Seele-Problem«:314 Es gilt, sich begreifbar zu machen, dass der Geist unabhängig von der Natur steht, aber mit ihr zusammenwirkt. Hösle positioniert sich klar und betont: »[T]here can be no absolute dualism between the physical and the mental, as anomalous monism assumes.«315 Beide Seiten sind als Einheit zu fassen, die durch das »principle of the logical« vermittelt sind.316 Natur und Geist sind, was die Logik ist. In Anlehnung an Gottfried Wilhelm Leibniz erklärt Hösle, dass »die physischen Ereignisse durchaus determiniert [sind], und zwar über den Weg der Wahl der bestmöglichen Welt durch Gott«, was erlaubt, von einer »Pluralität von Entitäten« zu sprechen. Die verschiedenen Entitäten stehen nicht unvermittelt nebeneinander, sie sind durch eine innere Logik, die ihnen gleichermaßen innewohnt, miteinander verwoben. Das ist der Grund, warum Hösle mit Leibniz nahelegt, dass die »Entwicklung der mentalen Zustände […] einer eigenen Logik« folgt, die ihren Ursprung in der »eigentümlichen Natur der einzelnen 313 Vgl. Anm. 142. 314 V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 19; Ders.: Kompatibilistisch denken, 35; Ders.: Philosophiegeschichte, 23ff. Vgl. H. Seubert: Moral, Politik, Natur, Selbstbewußtsein, 67. 315 V. Hösle: God as Reason, 123, 113f., 123–125, 134f., bes. 129–131; Ders.: Begründungsfragen, 244; Ders.: Philosophie und Wissenschaften, 42; Ders.: Teleologische Prinzipien, 300f. 316 V. Hösle: God as Reason, 130.

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Monade« hat.317 Dass er Leibniz beipflichtet, hängt mit beider Systemansatz zusammen. Beiden kommt es darauf an, ein geschlossenes System zu entfalten. Leibniz’ Monade ist aber nicht bloß Grund der Einzelheit, mit Schelling gesprochen ist sie ein »Universum für sich, eine abgeschlossene Welt, eine reine Ichheit, in die nichts von außen hinzukommen konnte« (SW X, 53). Gleichwohl diese Bestimmung die Eigenständigkeit der Monade impliziert, ihr womöglich sogar ein »individuelle[r] Charakter« zugesprochen werden kann,318 reicht diese Form der Unabhängigkeit vom Ganzen nicht aus, um die Idee von der Freiheit letztgültig zu begründen. Dass die Monade trotz ihres individuellen Charakters nicht als frei beschrieben werden kann, hängt mit ihrer Einbettung, ihrer Rolle im Sein des Ganzen zusammen. Konkret ist das der Annahme der prästabilierten Harmonie geschuldet, die »darauf hinausläuft, daß durch göttliche, vorausschauende Kunst von Anfang der Schöpfung an beide Substanzen in so vollkommener und geregelter Weise und mit so großer Genauigkeit gebildet worden sind, daß sie, indem sie nur ihren eigenen, in ihrem Wesen liegenden Gesetzen folgen, doch wechselseitig miteinander in Einklang stehen«.319

Also wird allem Geschöpften derselbe »Stempel der göttlichen Unendlichkeit« aufgedrückt,320 weshalb die weltlichen Strukturen als notwendig verstanden werden müssen und Freiheit damit unmöglich ist. Rekurriert man hingegen auf Schellings Auffassung vom Prädeterminierten, ist die Freiheit mit der prästabilierten Harmonie vereinbar. Verständlich wird Schellings Position nur, wenn die freie Ursache begründet wird, was für Hösle kein Thema ist. So verstanden wird die Freiheit als notwendiges Resultat gefasst, aber als ein aus Freiheit Hervorgebrachtes. Solange die Freiheit nicht als Ursache alles Seins gefasst wird, ist nur Notwendiges. Mit der Einsicht, dass das Absolute als frei verstanden wird, lässt sich auch dem Einzelnen potentiell Freiheit zusprechen – wenn der Grund frei ist, kann es auch das Resultat sein. Fehlt das Wissen von der freien Ursache, ist das Universum von uns zwecks der prästabilierten Harmonie auch nicht »besser zu gestalten, als es ist«.321 Daher betont Hösle mit Leibniz, dass schlechthin nichts ist, »was gegen Gott geschieht«,322 alles geschieht mit ihm 317 V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 43f.; G.W. Leibniz: Neues System der Natur, HS II, 454. 318 G.W. Leibniz: Neues System der Natur, HS II, 455; Ders.: Monadologie, HS II, 618. 319 G.W. Leibniz: Neues System der Natur, HS II, 460. 320 G.W. Leibniz: Über die Freiheit, HS II, 656; Ders.: Monadologie, HS II, 610f. 321 G.W. Leibniz: Monadologie, HS II, 620; Ders.: Theodizee, PS 2,1, 240ff., §§ 21ff. Vgl. SW X, 58. 322 V. Hösle: Geschichte der deutschen Philosophie, 65. Jonas erkennt das Problem und betont gegen Leibniz, dass »unser ganzes Streben, Bemühen, Hoffen, Bangen, auch Bereuen und Trauern zu einer bloßen Illusion [degradiert wird]. Vor allem hebt er [Leibniz] die Freiheit

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und durch ihn. Diese Form der Freiheit hat keinen Platz für subjektive Freiheit, mit dieser haben wir nichts zu tun. Im Sinne der vertretenen Theonomie geschieht alles durch Gott, wir sind Ausdruck des göttlichen Plans. Dass Hösle unsere Autonomie zugunsten der notwendig bestimmten Theonomie nicht zur Gänze fahren lassen möchte, zeigt sich an seinem Gedanken, dass die Menschen von rationaler Einsicht geleitet sind; dem rationalen Grund zu folgen, wird als Ausdruck von Freiheit verstanden.323 Selbst dieser Gedanke kann nur dann Geltung beanspruchen, wenn wir vom freien Grund wissen. Ohne denselben bleibt uns die Freiheit verschlossen. Nicht das Freie in uns ist es dann, welches dem rationalen Grund folgt, wir sind schlechthin Ohnmächtige. Hösle gesteht der Freiheit in seiner theoretischen Konzeption erstaunlich wenig zu, wenngleich er um ihre Bedeutung in praktischer Hinsicht weiß. Anzuerkennen ist, dass die Individualität der Monaden nicht als Ausweis dafür genommen werden kann, dass es Freiheit gibt, auch ihre Bestimmung kann aufgrund des Absolutheitsverständnis nur eine determinierte sein.324 Um diese Frage zu klären, gilt es angesichts der Notwendigkeitsstruktur des Ganzen Schellings Punkt zu berücksichtigen, dass es behufs der Begründung von Freiheit notwendig ist, »die Unabhängigkeit des Menschen von der Natur« sowie »seine innere Unabhängigkeit von Gott« zu zeigen (SW VII, 458). Dies wird nicht weiter thematisiert, stattdessen fokussiert sich die Darstellung auf die ideale Einheit einer geschlossenen Systemkonzeption. Die Fokussierung auf die Geschlossenheit hat zur Folge, dass das Ganze nur vom Objekt her gefasst wird. Dass Hösle bei der weiteren Diskussion um die Freiheit auf Max Planck zurückgreift, ist schlüssig. Planck rückt das Subjektive und hält – was sein naturwissenschaftliches Begreifen zeigt – an einer rein objektiven Weltbestimmung fest, das verdeutlicht sein beharrliches Festhalten, so Niels Bohr, am »Godlike eye« (vgl. Kap II.6.1).325 Das Subjektive fällt gegenüber dem Objekt hintan. Die Fokussierung auf das Objekt hat bei Planck zur Folge, dass die Subjektivität keine Eigenständigkeit, keine Unabhängigkeit gegenüber der Objektivität für sich beanspruchen kann. Selbiges ist bei Hösle der Fall, für ihn besteht keine Differenz zwischen dem Subjekt und dem Objekt. Entsprechend sprechen beide von einer gefühlten Freiheit: auf. Jedes Wägen von Entschließungen wäre Selbstbetrug, denn was sich dafür ausgibt, wäre seinerseits nur ein vorgeschriebener Schritt im Erscheinungsballett längst entschiedener Wirklichkeit, eine unnötige Stilisierung, ihrer Mühe nicht wert. Aller Ernst schwände dahin. Die Realität der Zeit mit ihrem Nochnicht der Zukunft und Nichtmehr der Vergangenheit darf uns keine Metaphysik ausreden versuchen« (KGA III/1,454, Hervorhebung M.H.). 323 V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 40ff. 324 Vgl. diesbezüglich die Überlegungen von Fernando Su#rez Müller in: Ideale Gemeinschaft, bes. 236–242. 325 N. Bohr : Interview.

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»Von außen, objektiv betrachtet, ist der Wille kausal gebunden; von innen, subjektiv betrachtet ist der Wille frei. Oder anders gefaßt: Fremder Wille ist kausal gebunden, jede Willenshandlung eines andern Menschen läßt sich, wenigstens grundsätzlich, bei hinreichend genauer Kenntnis der Vorbedingungen, als notwendige Folge aus dem Kausalgesetz verstehen und in allen Einzelheiten vorausbestimmen. […] Der eigene Wille dagegen ist nur für vergangene Handlungen kausal verständlich, für zukünftige Handlungen ist er frei, eine eigene zukünftige Willenshandlung läßt sich unmöglich, […] rein verstandesmäßig aus dem gegenwärtigen Zustand und den Einflüssen der Umwelt ableiten.«326

Daran anschließend führt Hösle aus: »[W]enn der Determinismus empirisch durch Naturgesetze, die wir bisher kennen, nicht erwiesen ist, ist er ebenso wenig durch die Freiheit widerlegt, die wir bei uns und anderen erleben. Die Determinismusthese, so scheint mir, ist logisch unabhängig von aller Erfahrungsevidenz.«327 Wie bei der logischen Letztbegründung führt Hösle hier erneut einen negativen Aufweis an, affirmativ beschränkt sich die Begründung der Freiheit im Grunde darauf, dass wir uns frei »fühlen«.328 Diese Bestimmung muss für ihn, der so viel Wert auf Begründung legt, mitunter unbefriedigend sein, schließlich verfolgt er im Sinne Hegels den vernünftigen Begründungsanspruch, die Vorstellung »in Gedanken zu verwandeln« (TWA 8, 46, § 5) – das Gefühl ist zunächst frei davon, sich rational Ausdruck zu verleihen (vgl. Kap. II.6.1). Obwohl sich die Freiheit des Subjekts auf Grundlage seines Idealismus nicht umfassend begründen lässt, ist für Hösle der epistemische Determinismus inakzeptabel, da dieser das menschliche Handeln hemmt. Wenn wir wüssten, »daß ein zukünftiges Ereignis sicher eintreten wird bzw. nicht sicher eintreten wird, dann hätte es keinen Sinn zu versuchen, jenes Ereignis zu realisieren oder zu verhindern.«329 Hösle weiß, dass eine unerwünschte Vorstellung kein hinreichender Grund sein kann, etwas für inakzeptabel zu halten, jedoch sieht er keinen Spielraum, die Freiheit anders als durch unsere Gefühlswelt, unsere Erlebniswelt zu fassen. Um der Erlebniswelt gerecht zu werden, knüpft er an den Kompatibilismus an, sucht also das objektive Wissen und das subjektive Empfinden miteinander in Einklang zu bringen. Obzwar wir hierdurch kein Wissen von der Freiheit gewinnen, bleibt sie uns so zumindest als Möglichkeit erhalten. Begrifflich konsequenter wäre es, das Subjekt in der Weise zu fassen wie das Göttliche, als absolut notwendig; andernfalls wird etwas gefordert, was nicht zu begründen ist. Nimmt man den logischen Anspruch ernst, ist es nicht das Reale, welches die Kategorien und ihren Inhalt formuliert, sondern die Logik – und 326 327 328 329

M. Planck: Willensfreiheit, 163, 162, 165. V. Hösle: Kompatibilistisch denken, 36. M. Planck: Willensfreiheit, 165; V. Hösle: Moral und Politik, 142, 406. V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 118; Ders.: Krise der Gegenwart, 236–240. Vgl. A. Klier : Umweltethik, 120–122.

Idealismus und Freiheit bei Vittorio Hösle

121

diese macht unmissverständlich, dass dem Subjekt auf dieser Grundlage keine Freiheit zusprechen ist. Man steht vor dem Problem, dass beide Seiten gegeneinander ausgespielt werden, womit entweder der gefühlte oder der begründete Anspruch untergraben wird. Dass es im Sinne der hösleschen Philosophie das Gefühl sein dürfte, welches hintan fällt, liegt auf der Hand, denn das Logische ist ihm das Bestimmende. Nach Hösle wissen wir, dass der Weltlauf notwendig ist, allerdings fühlen wir, glauben wir wider unseres Wissens, dass wir frei sind. Den Glauben dem Wissen vorzuziehen, ist begründungstheoretisch äußerst heikel. Dennoch geschieht das hier, um contra die Notwendigkeit an dem Gefühl, dem »Glauben an unsere Freiheit« festzuhalten.330 Moralisch ist dies beachtenswert, begründungstheoretisch hingegen problematisch. Dieser Widerspruch ist es, der Hösle abverlangt, Freiheit als »heilsame Illusion« zu beschreiben.331 Die heilsame Illusion der Freiheit ist ihm schon deswegen zweckhaft, weil er darauf vertraut, dass der Mensch durch die »Unterstellung seiner Freiheit wirklich frei wird.«332 Dem steht entgegen, dass der Mensch nur um die Notwendigkeit weiß, nicht aber um die Freiheit, weswegen nicht einzusehen ist, auf welcher Grundlage dem Menschen Freiheit überhaupt unterstellt werden kann. Derweil ist der Gedanke überzeugend, dass der Glaube an die Freiheit dazu anregen kann, für sie und ihre Begründung einzutreten. Es ist wider die vorliegende Darstellung nicht ausgemacht, dass die Idee der Freiheit prinzipiell zu verabschieden ist – sie ist es nur gemäß dieser Konzeption die aber ihrerseits nicht frei von Kritik ist. Ähnlich wie Jonas steht Hösle vor dem Problem, dass die Idee von der Freiheit mit der Bestimmung des Realen nicht im Einklang steht. Hösles idealistischer Systemanspruch betont die aus dem Logischen abgeleitete Notwendigkeit, was insofern problematisch ist, wie Schelling an Hegel kritisiert, als das logisch Existierende zum Absoluten erhoben wird (vgl. SW X, 149). In dieser Konzeption geht es im Grunde ausschließlich um die logische Welt, wodurch das Reale ohne Bedeutung ist. Die Frage nach der Freiheit kann nur dahingehend beantwortet werden, dass geklärt wird, inwiefern die Logik selbst Ausdruck von Freiheit ist, ob ihr also eine freie Ursache vorausgeht. Ohne

330 V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 29; vgl. Ders.: Kompatibilistisch denken, 35. 331 V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 39. Hösle stimmt mit Planck überein, dass die Freiheit eine »Illusion« ist. Das Problem dabei ist, wie Planck anerkennt, dass sich Gefühle »niemals objektiv-wissenschaftlich erfassen« lassen und sie »nur persönlich erlebt werden« können (M. Planck: Willensfreiheit, 165), womit entweder beide Seiten unversöhnlich sind oder das Subjektive gegenüber dem Objekt nur Schein ist. 332 V. Hösle: Praktische Philosophie, 41; Ders.: Philosophie und Wissenschaften, 37f.; Ders.: Das abstrakte Recht, 95ff. Vgl. TWA 10, 303, § 483, 34, § 85 Z; TWA 6, 186; I. Kant: Grundlegung der Metaphysik der Sitten, Akad.-Ausg. IV, 447; Ders.: Kritik der praktischen Vernunft, Akad.-Ausg. V, 29, 33, 72.

122

Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

die letzte Ursache zu ergründen, ist die »Ablehnung des Determinismus« unbegründet und die Freiheit eine bloße Hoffnung.333

5.2.

Objektiver Idealismus der Intersubjektivität

In Anbetracht der Kritik am Freiheitsbegriff und der damit einhergehenden Bestimmung des Subjekts ist zu klären, in welcher Weise das Subjekt mit dem Absoluten verbunden ist. Der soeben vorgestellte systematische Entwurf legt klar dar, welche Rolle das Subjekt in der Entfaltung des Weltlaufs, der Geschichte einnimmt. Obwohl Erkenntnis »je relativ, d. h. bezogen jeweils auf ein Subjekt, auf seine Zeit usw.« ist, ist aufgrund der der Geschichte eingebildeten Logik »a priori deren Absolutheitsanspruch« nicht infrage zu stellen.334 Gemäß der einwohnenden Logik erschließt sich uns die Wahrheit durch die Geschichte. Somit ist »die Möglichkeit einer Vermittlung von Wahrheit und Geschichtlichkeit a priori an[zu]erkennen«, weswegen die Geschichte kein bloßer »Vorrat von Meinungen, als Chaos gleich beliebiger Einfälle« ist, sondern sich als »notwendig und vernünftig« erweist. Die Geschichte ist kein Akt der Freiheit, sie erscheint als Ausdruck der Notwendigkeit. »Nur wenn in der Geschichte der Philosophie Wahrheit, Vernunft ist, kann aus ihr Wahrheit, Vernunft entstehen; nur wenn die Geschichte wahr ist, kann auch die Wahrheit geschichtlich sein, ohne deswegen doch an Anspruch auf Wahrheit zu verlieren. Daß aber trotz der Geschichtlichkeit Wahrheit möglich sein muß, hat sich uns als Bedingung der Möglichkeit einer jeden Theorie gezeigt.«

In der geschichtlichen Entwicklung findet sich Wahrheit. Da die Geschichte unveränderlich ist, ist es dem Subjekt nicht möglich, der vernünftigen Entwicklung entgegenzuwirken, sie folgt einer »innere[n] Logik«, die sich ihrerseits als das Telos des Vernünftigen in der Welt erweist.335 Das entfaltete logische Vernunftverständnis untergräbt nicht nur die Möglichkeit subjektiver Freiheit, sondern per se die Subjektivität, schließlich ist nur, was durch das Logische gegeben ist. Insgesamt drängt Hösles Darstellung die Freiheit zurück, denn die Geistesgeschichte gründet, anders als in Schellings Konzeption (vgl. Kap. III.9.2), nicht auf dem Gedanken vom vernünftigen Fortschreiten durch freie und vernünftige Subjekte, sie hat ihr Fundament im Objektiven. Weil Geschichte immer bezogen auf ein Subjekt ist, ist im hier diskutierten Entwurf nicht das Subjekt das Steuernde der Weltgeschichte, ihm kommt es lediglich zu, die Geschichte zu begreifen, und nicht, in sie aus Freiheit 333 V. Hösle: Theodizeestrategien, 50. 334 V. Hösle: Wahrheit und Geschichte, 50, 128–130; Ders.: Theodizeestrategien, 47f. 335 V. Hösle: Wahrheit und Geschichte, 59–61, 106; Ders.: Teleologische Prinzipien, 296.

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einzugreifen. Diese Geschichtsauffassung legt nahe, dass wir keinen Einfluss auf, so Jonas, das »Welttheater[]« haben (KGA III/1, 274). Die Geschichte ist Ausdruck absoluter Notwendigkeit, womit das Telos frei von Freiheit sein muss, es ist durch die Logik bestimmt. Der Gedanke, dass die Geschichte einer inneren Logik folgt (vgl. TWA 2, 47; TWA 15, 20–22, 28ff., 47, 64, 73–75; TWA 20, 455, 460f., 471), findet sich in der jüngeren Philosophiegeschichte nicht bloß bei Hösle. Mitunter wird der Gedanke einer der Geschichte innewohnenden Entwicklung von These, Antithese und Synthese auch von Adolf Meyer-Abich und von Apel vertreten.336 Aber erst Hösle hat sich der geschichtlichen Darstellung, wie er sagt, »in detaillierter Kleinarbeit« angenommen. In seiner scharfsinnigen Ausarbeitung gelingt es ihm zu zeigen, dass sich in der Philosophiegeschichte die Entfaltung von realistischer und rationalistischer Verstandesmetaphysik, Aufklärungsempirismus und Skeptizismus hin zu einer »annäherungsweise ›dialektisch‹ und ›idealistisch‹ zu nennenden Vernunftmetaphysik«337 wiederholt und sich »spiralförmig« fortentwickelt.338 Die fortschreitende Entwicklung folgt bestimmten strukturellen Herausbildungen, es handelt sich also um eine gesetzmäßige Seinsstruktur. Die hervortretenden Positionen wiederholen sich nie, sie stellen sich als jeweils aufgehobene Position neu dar. Ausgangspunkt eines jeden philosophiegeschichtlichen Zyklus ist A) »eine naive realistische Philosophie«, die von dogmatischen Annahmen ausgeht und ihre Geltung aus »unhinterfragten Vorstellungen« bezieht, welche als allgemeingültig gefasst werden. Der Rationalismus meint diesem Begründungsanspruch durch Denken nachkommen und die Erfahrung ausklammern zu können. B) Daran schließt wiederum die Kritik des Empirismus an; dieser drängt das rationalistische Begreifen, die Subjektivität zurück und hebt nunmehr die »sinnliche Wahrnehmung« hervor. C) Der hieran anknüpfende Skeptizismus bestreitet diesen Zugang sowie die grundsätzliche »Erkennbarkeit der Wahrheit«, er erkennt allein die eigene Subjektivität an. D) Die Transzendentalphilosophie bzw. der subjektive Idealismus ist der erste Versuch, die jeweiligen Gegenpositionen miteinander zu versöhnen, wobei dieser Ansatz in der Subjektivität verhaftet bleibt, weil die subjektiven Erkenntnisstrukturen für »wahrhaft unhintergehbar« gehalten werden. E) Um der Beliebigkeit des Subjektivismus entgegenzuwirken, bedarf es der Vereinigung von Subjekt und 336 A. Meyer-Abich: Naturphilosophie, 374–378; K.-O. Apel: Transformation der Philosophie, Bd. 1, 79ff.; V. Hösle: Wahrheit und Geschichte, 130f.; F. Su#rez Müller: Skepsis und Geschichte, 149. 337 V. Hösle: Wahrheit und Geschichte, 111f. 338 V. Hösle: Einstieg in den objektiven Idealismus, 36 Anm.; Ders.: Wahrheit und Geschichte, 131f. Schelling verweist in seinem System von 1800 ebenfalls auf den Gedanken einer spiralförmigen Entwicklung (vgl. SW III, 564).

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Objekt, welche nicht subjektiv zu fassen ist, sondern einen objektiven Geltungsanspruch erheben kann. Dies vermag der »absolute[] (bzw. objektive[]) Idealismus« zu leisten;339 nur er bezieht die Außenwelt in sein Denken mit ein und erhebt den Anspruch, dem Objekt und dem Subjekt der Welt gleichermaßen gerecht zu werden und sie als vermittelte Einheit zu fassen. Es ist sicherlich gerechtfertigt, an gelieferter Geschichtsdarstellung zu kritisieren, dass mitunter die Spätantike oder die Renaissance nicht aufgenommen wurden, wodurch, wie Fernando Su#rez Müller bemerkt, die philosophiegeschichtliche Entwicklung nicht stärker auf ihre antithetischen Momente hin untersucht worden ist.340 Ob der begründeten Kritik ist anzuerkennen, dass die geschichtliche Entwicklung konsequent entfaltet wird und allgemein einsichtig macht, dass die Positionen der jeweiligen Zwischenstufen erst im objektiven Idealismus als Einheit vorliegen. Da der objektive Idealismus die jeweiligen Stufen in sich vereint, bildet er »die Schlußposition jedes Zyklus« und ist als solche die »stärkste erkenntnistheoretische und ontologische Theorie«,341 immerhin schließt er alle vorausgegangenen Positionen mit ein. Der Fortschritt der inneren Logik der Geschichte geschieht nicht linear, die Geschichte schreitet »zyklisch, oder, um genauer zu sein, spiralförmig« voran.342 So wird jeweils die bis dato geltende höchste Begründungsebene einer fundamentalen Kritik unterzogen und die Synthese des Vorangegangenen wieder zur These erklärt. Damit nimmt der objektive, der absolute Idealismus eine besondere Rolle ein, er sucht sich von anderen Positionen nicht bloß abzugrenzen, er sucht diese in sich aufzuheben. Dennoch ist der objektive Idealismus nicht der Schlussstein der Philosophie, er ist nur der Abschluss des jeweiligen Zyklus. Dass er selbst wieder zur These wird – was mit Blick auf die Fortentwicklung der Paradigmen notwendig ist –, ist kein Fortschritt des vernünftigen Begreifens, sondern impliziert lediglich einen Wandel der Entfaltung der Logik, des Göttlichen. In der Fortentwicklung der Geschichte zeigt sich uns das Vernünftige, womit die Geschichte in jedem Moment ihres Daseins vernünftig ist. Nichts steht außerhalb der Logik. Der Lauf der Weltgeschichte folgt demnach einer, um Jonas’ Kritik aufzugreifen, »autonomen Macht d[er] Dynamik« (KGA I/2,1, 247). Die Entfaltung der geschichtsphilosophischen Positionen geht nach Hösles Konzeption mit einem Wandel der Paradigmen, die selbst aus der Philosophie hervorgehen, einher. Diese stellen sich bisher als eine Entwicklung von der Objektivität (erstes Paradigma) hin zur Subjektivität (zweites Paradigma) und von dieser zur Intersubjektivität (drittes Paradigma) dar. Platons objektiver 339 V. Hösle: Wahrheit und Geschichte, 133–139, 707–749. Vgl. hierzu Hegels Einteilung der philosophiegeschichtlichen Epochen aufgrund ihrer inneren Struktur (TWA 20, 457–462). 340 F. Su#rez Müller : Skepsis und Geschichte, 149f. 341 V. Hösle: Ökologische Krise, 47. 342 V. Hösle: Einstieg in den objektiven Idealismus, 36 Anm.; Ders.: Moral und Politik, 685.

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Idealismus entspricht in dieser Konzeption dem ersten Paradigma, dem objektiven objektiven Idealismus, jener Hegels dem des zweiten Paradigmas, dem subjektiven objektiven Idealismus.343 Der hier forcierte und weiterentwickelte objektive Idealismus muss dem des dritten Paradigmas entsprechen, hierbei handelt es sich um einen intersubjektiven objektiven Idealismus.344 Dieser muss die vorangegangen Formen in sich vereinen, schließlich ist die Intersubjektivität »nur dann mehr als Subjektivität, wenn sie diese in sich bewahrt.«345 Indem sich der objektive Idealismus gemäß der genannten Paradigmen weiterentwickelt, erweist er sich als zur »Erneuerung fähig«.346 Intersubjektivität, das gegenwärtige Paradigma, ist schon deswegen eine überzeugende Position, weil Wahrheit weder als isolierte noch als private Meinung verstanden werden darf, zumindest wenn sie allgemeine Geltung beanspruchen will. Derweil ist der intersubjektive Diskurs nicht das allgemeine Moment der vernünftigen Begründung. Hösle kommt es darauf an, Intersubjektivität mit den logischen Prinzipien zu vermitteln: »Objektiv-idealistisch ist eine Position dann, wenn sie annimmt, daß es synthetische-apriorische Erkenntnis gibt und daß diese Erkenntnis zugleich Erkenntnis von etwas der subjektiv-intersubjektiven Vernunft Vorausgehendem ist.«347 Die Entfaltung des Vernünftigen geschieht wesentlich intersubjektiv, die Logik geht als synthetischapriorische Erkenntnis allem voraus. Die vernünftige Zuschreibung muss sich im Diskurs bewähren, wenngleich sie nicht durch ihn begründet wird, das fällt der logischen Letztbegründung zu. Der Diskurs kann das gar nicht leisten (vgl. Kap. I.2). Derjenige, der »argumentiert«, setzt immer schon »voraus, daß er im Diskurs zu wahren Ergebnissen gelangen kann, d. h. daß es Wahrheit gibt.«348 Damit wird der »Privatus« grundsätzlich überschritten.349 343 Hösle fasst Hegels Philosophie als »absolute[n] Idealismus der Subjektivität« (V. Hösle: Hegels System, 9). 344 V. Hösle: Krise der Gegenwart, 205, 207, 213f.; Ders.: Philosophiegeschichte, 35f.; Ders.: Wahrheit und Geschichte, 741. Vgl. F. Su#rez Müller : Metamorphose des Idealismus, 22. Die Entwicklung der Platon-Interpretation sieht Hösle in drei Abschnitte entfaltet. Vgl. V. Hösle: Platon interpretieren, 27ff., bes. 49ff. 345 V. Hösle: Geschichte der deutschen Philosophie, 295. Vgl. dazu Ders.: Kritik der verstehenden Vernunft, 16. 346 V. Hösle: Wahrheit und Geschichte, 749. 347 V. Hösle: Krise der Gegenwart, 207, vgl. 179–204. 348 V. Hösle: Krise der Gegenwart, 125; Ders.: Philosophiegeschichte, 35. Vgl. K.-O. Apel: Transformation der Philosophie, Bd. 2, 424f. 349 V. Hösle: Krise der Gegenwart, 203, 125, 209; Ders.: Moral und Politik, 112f., 218, 281, 587. »Wer sich auf eine intersubjektive Diskussion einläßt, um das Prinzip der Intersubjektivität zu bestreiten, der hat verloren – der Solipsist, der verzweifelt die anderen davon überzeugen will, daß nur er existiert, ist gewiß eine groteske Erscheinung« (V. Hösle: Krise der Gegenwart, 190). Weiterführende Gedanken finden sich in Edmund Husserls Phänomenologie. Vgl. E. Husserl: Cartesianische Meditationen, Hua I, 137f., 158f., 166–168, 182f.

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Obzwar es dem objektiven Idealismus wesentlich ist, »daß Begriffe nicht aus der Erfahrung abstrahiert werden können und es daher eine apriorische Methode ihrer Generierung geben muß, die nichts daran ändert, daß die Begriffe keineswegs bloße Konstrukte, sondern Eide sind, die das Wesen der Wirklichkeit ausmachen«,

ist nicht zu bestreiten, »daß diese Selbsteinholung des Geistes schließlich im Prinzip intersubjektiv überprüfbar sein muß«,350 ansonsten bliebe Wissen immer etwas Privates. Aufgrund unseres Mitwissens kann Wissen per se nichts Isoliertes sein, es ist stets vermittelt. a)

Realphilosophie als »angewandte Logik«

Der von Hösle entfaltete Idealismus, der sich als Ausdruck der sich entfalteten göttlichen Vernunft versteht, schließt an denjenigen Hegels an, wiewohl er eine eigenstände Deutung und grundlegende Erweiterung desselben darstellt. Diese intersubjektive Fortführung ist Hösles Anspruch nach notwendig, da Hegels Entwurf bestenfalls eine »logische Vorform von Intersubjektivität« liefert.351 Um das dritte Paradigma zu entfalten, nimmt er in seiner Darstellung methodisch auf Hegels logisch reflexiven Systemaufbau Bezug. Der hegelsche objektive Idealismus höslescher Prägung ist der Versuch der Vollendung eines objektiven Idealismus des dritten Paradigmas. Wie der Systementwurf eines stringenten Denkers erwarten lässt, finden sich Hösles spekulative Überlegungen nicht in einem einzelnen, isolierten Werk, sie durchdringen sein ganzes Schaffen. Wie angedeutet, werden die theoretischen Grundlagen seines objektiven Idealismus der Intersubjektivität vor allem in zwei seiner Werke geliefert, in: Die Krise der Gegenwart und Hegels System. In letzterem wird die systematische Konzeption konkret herausgearbeitet, wiewohl es sich laut Hösle nur um ein »skizzierte[s] Programm[] einer zeitgemäßen Form einer objektiv-idealistischen Philosophie« handelt. Für einen Entwurf ist das Konzept jedoch außerordentlich strukturell begründet und liefert einen tiefen

350 V. Hösle: Nach dem absoluten Wissen, 632; vgl. Ders.: Hegels System, 666. 351 V. Hösle: Hegels System, 263. Nach Michael Theunissen liefert Hegel eine intersubjektive Kommunikationstheorie. Vgl. M. Theunissen: Sein und Schein, 50, 42f., 46; Ders.: Verdrängte Intersubjektivität, 370f.; vgl. TWA 6, 277; TWA 8, 13; TWA 9, 25, § 247 Z; TWA 10, 23, § 381 Z, 302, § 482. Nur weil der Geist als »universale Kommunikationstheorie« verfasst ist (M. Theunissen: Sein und Schein, 46), reicht das nicht aus, um Intersubjektivität zu begründen, sie muss nach Hösle Bestandteil der Logik sein (V. Hösle: Hegels System, 256f., 264, 266f. samt Anm., 270; Ders.: Krise der Gegenwart, 180f., 203, 219). Vgl. kritisch M. Wetzel: Zwei Diskrepanzen, bes. 20–22, 20f. Anm.

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Einblick in die systematische, metaphysische Struktur, die das Fundament der praktischen Philosophie bildet.352 Die strukturelle Anlehnung an Hegel dürfte der Grund sein, warum Hösle mit seiner Darstellung, wie Su#rez Müller andeutet, »keine Begründung der Dialektik« und »der Eigenschaften ihrer Momente« vorlegt.353 Das ist zweideutig zu werten; zum einen ist es legitim, einer vernünftigen Theorie, in dem Falle jener Hegels zu folgen, wenngleich sodann die Kritik daran auf einen selbst zurückfällt. Zum anderen ist nicht eindeutig auszumachen, ob sich die Darstellung nur vorläufig an Hegel orientiert oder ob noch eine eigenständige Entfaltung einer Dialektik zu erwarten ist. Bislang hat es den Anschein, als baue Hösle auf der hegelschen Triade von Logik, Natur und Geist auf. Zwar bildet er die hegelsche Systemkonzeption maßgeblich weiter, verzichtet dabei aber weitestgehend auf eine Struktur-Kritik der logischen Kategorien.354 Dass sich Hösles objektiver Idealismus an Hegels Idealismus orientiert und er seine Konzeption entlang dessen System entfaltet, hängt mitunter mit dem organischen Systemanspruch Hegels sowie der detailreichen logischen Begründung zusammen. Damit sieht sich Hösle in Differenz zum Idealismus Schellings. Bei diesem verortet er einen ihm widerstrebenden »Parallelismus« von Natur und Geist;355 darüber hinaus zielt er mit seinem Idealismus auf eine logische Letztbegründung ab, was der offenen Philosophie Schellings ebenfalls klar zuwiderläuft (vgl. Kap. III). Nichtsdestotrotz weiß Hösle, dass es neben Hegel Schellings Einheitskonzeption ist, die die Hoffnung nicht abwegig erscheinen lässt, »eine objektiv-idealistische Philosophie [möge] das Beharren auf dem unhintergehbaren, weder naturalisierbaren noch historisierbaren Wahrheitsanspruch jedes Erkennens, also auch des Verstehens, mit einer Deutung der Geistesgeschichte verbinden, die als langsame Entwicklung hin auf den transzendentalen Standpunkt gefaßt wird und in der immer wieder Einsichten in die sachlich richtigen Zusammenhänge aufgedeckt werden.«356

Die systematische Bestimmung der Begrifflichkeit sieht Hösle eher bei Hegel als bei Schelling geleistet, gelten jenem doch die logischen Kategorien als »Momente der absoluten, unhintergehbaren Struktur. […] Sie kommen allem Seienden als Seiendem zu bzw. müssen, um es denken zu können, vorausgesetzt werden.«357 Zudem sind »alle Begriffe (also auch deskriptive, nicht nur normative) IdealiV. Hösle: Was ist neohegelianisch an Moral und Politik?, 99, 100, 101 samt Anm. F. Su#rez Müller : Skepsis und Geschichte, 150. Vgl. H. Seubert: Moral, Politik, Natur, Selbstbewußtsein, 75. V. Hösle: Geschichte der deutschen Philosophie, 130, 134, 138f.; Ders.: Hegels System, 3, 5. Vgl. SW III, 331; IV, 353. 356 V. Hösle: Kritik der verstehenden Vernunft, 476. 357 V. Hösle: Hegels System, 72.

352 353 354 355

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sierungen der empirischen Wirklichkeit«, weshalb zwischen legitimen und illegitimen sowie zwischen haltbaren und unhaltbaren Idealisierungen zu unterscheiden ist.358 Die Logik, das »System der reinen Denkbestimmungen« (TWA 8, 84, §24 Z2), hat es seiner Ansicht nach, wie von Hegel darlegt, mit dem konkreten Erkennen zu tun, dessen Zweck es ist, »ihren Gegenstand in Formen des Gedankens und Begriffs« zu fassen. Die Logik ist nichts rein Abstraktes, sie ist »angewandte[] Logik« und entsprechend mit dem Realen aufs Innigste verbunden (TWA 6, 470, vgl. 469ff.; TWA 8, 67f., § 19). Die Verbindung beider Seiten geschieht, umgekehrt zu Jonas’ Konzeption, nicht von der realen, sie geschieht von der idealen Seite her. Hösle bezieht alles auf das Logische, wodurch selbst das Reale als Ideales bestimmt wird. Das Reale wird gemäß der Struktur der Logik begriffen, es ist ihr bloß Objekt. Obwohl das Apriorische unabhängig vom Realen (letzt-)begründet wird, muss es mit dem Realen korrespondieren, ansonsten wäre das Reale von der Idee losgelöst, was dem objektiv-idealistischen Anspruch grundsätzlich zuwiderliefe. Sich des notwendigen Zusammenhangs beider Seiten bewusst, plädiert Hösle in Anschluss an Hegel, der im Übrigen wenig Auskunft über den eigentlichen Systemaufbau gibt, für eine »durchgehend[] lineare[] Entsprechung zwischen Logik und Realphilosophie«.359 Philosophie ist nichts Statisches, muss sich doch nach Hegel der »dialektische Prozeß […] als Entwicklung seiner selbst […] erweisen« und als zum Realen zugehörig verstanden werden (TWA 8, 308f., § 161 Z; vgl. TWA 9, 37f., § 252 Z). Den hegelschen Gedanken vom »Vollendungscharakter der absoluten Idee« betont Hösle in seiner gemeinsamen Arbeit mit Wandschneider.360 Der Zusammenhang von Logik und Realem äußert sich in deren systematischer Entsprechung. Was hierunter zu verstehen ist, deutet Lorenz Bruno Puntel an. Im weitesten Sinn bedeutet Entsprechung, »daß eine bestimmte realsystematische Sphäre eine Beziehung zu einer bestimmten logischen Sphäre oder Bestimmung aufweist. Diese Beziehung kann aber verschiedene Stufen der Bestimmtheit haben. Sie kann zuerst nicht näher oder nicht speziell bestimmt sein: in diesem allgemeinen Sinn weisen alle realsystematischen Sphären eine Entsprechung zu irgendeiner logischen Sphäre oder Bestimmung auf; denn eine solche Beziehung ist die minimale Bedingung dafür, daß überhaupt von einem Enthaltensein der realsystematischen Sphären in der Logik die Rede sein kann.«361

358 V. Hösle: Moral und Politik, 307; Ders.: Dimensionen einer Krise, 24. 359 V. Hösle: Hegels System, 112; Ders.: Philosophie des objektiven Geistes, 25@27, 42. Zur Systemstruktur vgl. TWA 18, 46; TWA 6, 567, 571f.; TWA 8, 60, § 15. 360 V. Hösle/D. Wandschneider : Entäußerung der Idee der Natur, 179; V. Hösle.: Hegels System, 105–115. 361 L.B. Puntel: Darstellung, Methode und Struktur, 118.

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Demnach müssen sich nicht alle logischen Kategorien in der Realphilosophie direkt wiederfinden, weswegen nicht durchgängig »Eins:Eins-Entsprechungen« auf beiden Seiten vorliegen müssen.362 Für die Beständigkeit des Systems kommt es im Wesentlichen darauf an, dass sich die systemische Grundstruktur in beiden Sphären gleichermaßen entfaltet findet. Hierfür bedarf es freilich eines Mindestmaßes an Korrespondenzen, ansonsten ist nicht einzusehen, ob und wie beide Seiten miteinander verknüpft sind. Das Mindeste, was zu leisten ist, ist, dass der »Anfang der Logik […] dem Anfang der Realphilosophie« und »der Schluß jener dem Schluß dieser« entspricht.363 Zwar deutet die Minimalentsprechung eine Geschlossenheit des Systems an, allerdings geben erst die weiteren Korrespondenzen Aufschluss über den konkreten Systemaufbau. Um strukturelle Geltung beanspruchen zu können, müssen sich Eins:Eins-Entsprechungen aufzeigen lassen. Nur wenn eine, so Wandschneider, Strukturentsprechung zwischen beiden Seiten auszumachen ist,364 ist ein konkreter Zusammenhang zwischen Logik und Realem auszuweisen.

b)

Strukturentsprechung365

Um zu verstehen, wie Hösle sein idealistisches System methodisch aufbaut, ist es notwendig, sein an Hegel orientiertes und weiterentwickeltes System zu rekonstruieren, immerhin bildet dessen Philosophie die systematische Grundlage von Hösles objektiv-idealistischem Ansatz. Damit schließt er in seiner Art der Weiterführung der hegelschen Philosophie an die Konzeption der Hegel-Schüler an. Diesbezüglich ist neben Carl Ludwig Michelets System der Philosophie, in dem sich eine eigenständig weiterentwickelte Geschichtsphilosophie findet, insbesondere Karl Rosenkranz’ Wissenschaft der logischen Idee zu nennen. 362 V. Hösle: Hegels System, 109. 363 V. Hösle: Hegels System, 104. 364 D. Wandschneider : Stellung der Natur, 55, 56; Ders.: ›Materie‹ und ›Licht‹, 286; V. Hösle: Raum, Zeit, Bewegung, 259. »Es sollte dabei beachtet werden, daß einzelne realphilosophische Irrtümer Hegels, deren es zur Genüge gibt, seinen Anspruch und Ansatz nur dann wirklich treffen, wenn sich nachweisen läßt, daß sie in der Tat aus seinem Systemansatz folgen. Es besteht ja logisch auch folgende Möglichkeit, daß nämlich einzelne Behauptungen Hegels trotz dessen gegenteiliger Versicherung in Wahrheit gar nicht aus seiner Grundkonzeption hergeleitet werden können, so daß es logisch nicht statthaft ist, aus diesen Fehlern auf die Falschheit seines Systemansatzes und seiner Prämissen zu schließen« (V. Hösle: Raum, Zeit, Bewegung, 250). 365 Zu der hier vertretenen Hegel-Lesart vgl. meinen Aufsatz Das Seinsollen des Vernünftigen. Darin wird gezeigt, dass Hegels systematische Umstrukturierungen der Enzyklopädie hin zur 1830er Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften maßgeblich mit der systematischen Parallelisierung von Realphilosophie und Logik zu tun haben.

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Rosenkranz’ Schrift dürfte trotz mancher Mängel die kritischste Weiterentwicklung der hegelschen Logik sein, die bislang ausformuliert worden ist.366 Hegels forcierter Strukturzusammenhang deutet sich am Ende seiner Wissenschaft der Logik an. Darin ist bekanntlich die Rede davon, dass am Anfang der Logik das abstrakte Sein und am Ende die »Idee als Sein« steht, welche Natur ist (TWA 8, 393, § 244 Z). Damit eine Entsprechung zwischen Logik und Realphilosophie gewährleistet ist, muss am Anfang des Realen, der Naturphilosophie das abstrakte Sein stehen. Nicht erst Hösle fasst diesen Zusammenhang so, dies wurde schon von Hegel so forciert, schließlich setzt seine Naturphilosophie mit dem Raum als Sein sowie der Bewegung und der Materie als Werden und Dasein, das heißt mit seinslogischen Kategorien ein (TWA 9, 56, § 261). Hierdurch ist eine Minimalvoraussetzung erfüllt, nämlich, dass der Anfang der Logik mit dem Anfang der Realphilosophie korrespondiert; wobei Hegel in der Naturphilosophie, anders als in der Logik, nicht mit der Qualität, sondern mit der Quantität einsetzt (TWA 9, 42, § 254). Das ist insofern unbefriedigend, als die Qualität zu einem späteren Zeitpunkt eingeführt wird, was der linearen Entsprechung von Logik und Realphilosophie zuwiderläuft.367 Um diese Problematik aufzulösen, plädiert Hösle wider die hegelsche Bestimmung für eine Umkehrung der Reihenfolge »Qualität ! Quantität, mit der sich Hegel gegen die ganze Tradition von Aristoteles bis Kant« stellt.368 Die Auflösung solcher Aporien untermauert Hösles Bestreben, ein auf Basis der hegelschen Philosophie weiterentwickeltes System zu entfalten. Obwohl das Anliegen klar formuliert ist, wäre weiter auszuführen, welche Konsequenzen die Umkehrung, sowohl in Bezug auf die Logik als auch auf die Realphilosophie, mit sich bringt. Dass eine solche Umkehrung ohne Bedeutung sei, ist angesichts des Systemanspruchs wenig glaubhaft, baut doch jedes Moment auf dem anderen auf. Damit die entfaltete idealistische Konzeption, die an die hegelsche anschließt, die Minimalvoraussetzung der wechselseitigen Entsprechung von Logik und Realphilosophie erfüllt, bedarf es nicht bloß der Parallelisierung des Anfangs, sondern darüber hinaus weiterführender Parallelisierungen. Diese lassen sich eindeutig bestimmen: So ist laut Hegel die Seinslogik der Mechanik und die Begriffslogik der Organischen Physik zuzuordnen, die Wesenslogik, wie in der 366 Vgl. V. Hösle: Hegels System, 259ff. Zu Hösles systematischer Nähe zu den Schülern Hegels vgl. M. Hackl: Seinsollen des Vernünftigen; Ders.: An den Grenzen von Hegels System. 367 Dies verschärft sich dahingehend, dass sich jene Kategorie in der Physik als »qualifizierte Materie« wiederfindet (TWA 9, 107, § 271; V. Hösle: Raum, Zeit, Bewegung, 259f.; D. Wandschneider : Stellung der Natur, 54ff.). Zwar meint Michelet dies damit verteidigen zu können, dass sich die Materie erst in der Physik vollständig materialisiert und nur als realisierte Form »die ganze Qualität in sich« schließt (C.L. Michelet: System der Philosophie, Bd. 2, 22, § 167), sodann kann aber das Moment der Linearität nicht überzeugen. 368 V. Hösle: Raum, Zeit, Bewegung, 260; vgl. Ders.: Hegels System, 156.

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Allgemeinen Einteilung der überarbeiteten Logik ausgewiesen, steht »zwischen der Lehre vom Sein und der vom Begriff inmitten«. Zwecks des linearen Systemaufbaus ist sie eindeutig der Physik zuzuordnen, sie ist die realphilosophische Kategorie, die mitten zwischen Mechanik und Organik steht (TWA 5, 58). Zudem rekurriert die Physik auf wesenslogische Reflexionsbestimmungen, womit sie »logisch in die Sphäre des Wesens« eintritt (TWA 9, 110, § 274 Z, vgl. 111, § 275, 118, § 276).369 Wie die Seinslogik mit der Mechanik und die Wesenslogik mit der Physik korrespondiert, so also die Begriffslogik mit der Organischen Physik und dem Geist. Für Hegel ist das Tier zwecks seines Selbstgefühls ohnehin die Vorstufe zum Geistigen (TWA 9, 464, § 357, vgl. 497, § 366; TWA 5, 24f., 58).370 Dennoch sieht er keinen vermittelten Übergang von der Natur zum Geist, jede Seite bleibt für sich. Folglich ist der Übergang von der Natur zum Geist für ihn kein fließender, kein sich evolutionär entwickelnder (vgl. TWA 9, 31–40, §§ 249–252 samt Z; 349, § 339 Z). Hösle grenzt sich trotz seiner Nähe zu Hegel an diesem Punkt entschieden von dieser starren Trennung ab und betont, dass die moderne Evolutionsbiologie die »scharfe Entgegensetzung von Mensch und Natur« überwunden hat.371 Trotz dieser Abgrenzung wird nicht detailliert ausgeführt, inwiefern dieser Übergang das Systemkonzept von Hösle gegenüber jenem Hegels verändert – insbesondere, ob daraus weiterführende Differenzen entstehen. Vom Resultat her ist auch für Hösle die »dritte Weise der Naturerscheinung allein […] ein Dasein der Idee und die Idee als natürliche das Leben« (TWA 13, 160, 157; vgl. TWA 9, 368–371, § 342 Z, 337, § 337). Bereits die systematische Entsprechung zwischen Logik und Realphilosophie ist für ihn ein hinreichender Beleg für die Geltung des Systemaufbaus;372 er sieht sie auch mit dem Evolutionsgedanken verwoben. Systematisch stellt sich sodann die Frage, welche logischen Kategorien dem Geist zuzuordnen sind. Es wirkt befremdlich, dass die Begriffslogik, anders als die Seins- und Wesenslogik, mehr als eine reale Kategorie umfassen soll, allerdings ist das unumgänglich, andernfalls stünden Geist und Logik unvermittelt gegenüber. 369 Für weiterführende Erläuterungen sei auf meinen Aufsatz Das Seinsollen des Vernünftigen verwiesen. Vgl. C.L. Michelet: System der Philosophie, Bd. 2, 24ff., §§ 168ff., 171ff., §§ 225ff. 370 Zu Hegel und unserer Verantwortung gegenüber Tieren vgl. M. Hackl: Verantwortung für die Freiheit. 371 V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 63, 63–72; Ders.: Naturphilosophie heute, 40, 43– 45; Ders.: Moral und Politik, 158, 254, 281, 356, 570, 776; Ders.: Ökologische Krise, 15, 18, 77. Zu Hegels Sicht vgl. V. Hösle: Hegels System, 316; W. Bonsiepen: Hegels Auseinandersetzung mit der Evolutionstheorie, 169ff.; D. Wandschneider: Hegel und die Evolution; Ders.: Naturphilosophie, 191–196. Vgl. dazu Hösles Kritik an der evolutionären Erkenntnistheorie in: Philosophie und Wissenschaften, bes. 98–104. 372 V. Hösle: Hegels System, 113, 239ff. Vgl. M. Hackl: Seinsollen des Vernünftigen.

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Entsprechen Logik und Realphilosophie einander durchgehend linear, können logische Kategorien nicht mehreren realphilosophischen Kategorien zugeordnet werden, sie sind nur jeweils auf eine zu beziehen. Da von den »27 Kapiteln« der Logik letztlich »nur zwei« für den Geist übrigbleiben, ist tatsächlich ein eindeutiges Ungleichgewicht des Entsprechungsverhältnisses von logischen und realen Kategorien auszumachen.373 Wenn die Idee des Lebens der Organik entspricht, bleiben zwecks der linearen Entsprechung nur die ihr nachfolgenden logischen Kategorien, um mit dem Geist zu korrespondieren; diese sind: die Idee des Erkennens, die Idee des Wollens und die absolute Idee. Dass nicht erst Hösle diese Entsprechung forciert, sondern sie bereits der hegelschen Konzeption zugrunde liegt, belegt Hegels Erklärung in der großen Logik. Denn die Idee des Erkennens entspricht »Seele, Bewußtsein und Geist« (TWA 6, 494), das heißt den Kategorien des subjektiven Geistes. Die Idee des Erkennens ist der Psychologie zuzuordnen, die logische Kategorie vom Erkennen dem Abschnitt Der theoretische Geist und die logische Kategorie vom Wollen dem darauffolgenden Abschnitt Der praktische Geist. Folglich ist eine Entsprechung der Idee des Wollens und des objektiven Geistes ausgeschlossen, jede logische Kategorie korrespondiert nur mit einer realphilosophischen Kategorie. Aufgrund der Zuordnung kann der realphilosophischen Kategorie Der freie Geist konsequenterweise nur noch die letzte logische Kategorie Die absolute Idee zugeordnet werden.374 Korrespondiert der Schluss der Logik (Die absolute Idee) mit dem Schluss des subjektiven Geistes (Der freie Geist), liegt zwischen Logik und intersubjektivem Geist (objektivem sowie absolutem Geist) keine Entsprechung mehr vor, ansonsten müsste eine logische Kategorie mehreren realen Kategorien entsprechen. Daher wird gemäß dieser Systemstruktur der subjektive Geist zum Abschluss der Logik, womit der intersubjektive Geist nicht mehr durch die Logik abgedeckt ist. Da das vorgelegte System darauf aufbaut, das Reale rein vom Logischen her zu fassen, muss Hösle diese Konstruktion abwegig erscheinen. Er kommt daher zu dem Schluss, dass Hegels Entwurf an fehlenden Abdeckungen »krankt«.375 Dessen Konstruktion erfülle die Minimalvoraussetzung nicht, dass der Schluss der Logik mit dem Schluss der Realphilosophie korrespondiert. Unabhängig 373 V. Hösle: Hegels System, 114, 102, 110–112. Den fragwürdigen Umstand versucht Puntel damit zu erklären, dass er von der »Gleichursprünglichkeit« von Logik, Phänomenologie und Psychologie spricht (L.B. Puntel: Darstellung, Methode und Struktur, 135–144, 163–173, 212–223; V. Hösle: Hegels System, 102). Dieser Ansatz ist insofern problematisch, als er der hegelschen Grundstruktur widerspricht, schließlich setzt die Psychologie die Phänomenologie hinsichtlich ihrer »Begriffsentwicklung voraus« und stellt sich als deren »Wahrheit« dar (V. Hösle: Hegels System, 117). 374 Zur absoluten Idee bei Hegel vgl. A. Arndt: Dialektik und Reflexion, 220ff.; Ders.: Natur und Geist, 27f. 375 V. Hösle: Hegels System, 664.

Idealismus und Freiheit bei Vittorio Hösle

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davon, dass Hegel diesen Weg so nicht beschreiten würde,376 sieht es Hösle als gegeben an, dass es unter diesen Voraussetzungen »nicht möglich [ist], dieses Übergehen des subjektiven Geistes, der die Stufe der Vernunft erreicht und damit den Gegensatz von Subjekt und Objekt überwunden hat, in den intersubjektiv bestimmten objektiven und absoluten Geist zu legitimieren.« Abgesehen von »›lokalen‹ Inkohärenzen« ist fraglich, wie das »›Überschießen‹ der Realphilosophie über die Logik« einzuordnen ist und was aus dem Umstand folgt, dass objektiver und absoluter Geist als nicht »logisch fundiert betrachtet werden« müssen.377 Für Hösle ist dieser Umstand inakzeptabel, da das Überschießen dem Grundgedanken seines objektiven Idealismus widerspricht. Die Kritik trifft freilich ausschließlich auf eine geschlossene Systemkonzeption zu; das Überschießen impliziert nämlich eine Öffnung des Systems, die mit einer streng vorgegebenen logischen Kategorienlehre nicht in Einklang zu bringen ist. Folglich muss Hösle auf eine völlige Durchdringung der Realphilosophie durch die logischen Kategorien drängen. c)

Systemaufbau und Intersubjektivität

Die Strukturentsprechung ist nicht nur maßgeblich für die metaphysische Konzeption, sondern darüber hinaus auch für die praktische Philosophie von Bedeutung, schließlich gründet die praktische Philosophie auf der Metaphysik. Weil Hösle die metaphysische Fundierung in Hegels Idealismus für unseren gegenwärtigen Wissensstand als unzureichend bestimmt sieht, ist es seines Erachtens unabdingbar, eine Erweiterung der Logik vorzunehmen, um das Überschießen aufzuheben. Ist die fehlende Abdeckung aufgehoben, lässt sich eine klare Aussage darüber treffen, wie Logik und Reales zueinanderstehen. Die Realphilosophie ist, was die Logik ist – folglich muss die Struktur der Moralität und der Sittlichkeit gemäß den logischen Kategorien bestimmt sein. In dieser Konzeption findet sich, wie ausgeführt, wenig Platz für die Freiheit. Dem Menschen ist es demnach konsequenterweise verwehrt, den Weltlauf besser zu gestalten, als er (logisch bestimmt) ist. Obwohl wir willentlich keinen Einfluss auf die Gestaltung des Realen und die Geschichte nehmen können, können wir nach dieser Konzeption zumindest vernünftig beurteilen, ob das Reale vernünftig erscheint. Dies ist genau dann der Fall, wenn das Reale durch die Logik abgedeckt ist; ist dem nicht so, erscheint das Reale als unvernünftig. Mögliche Probleme sind: »1) Logik und Realphilosophie sind unvollständig. 2) Logik und Realphilosophie sind zwar vollständig, aber falsch unterteilt; zwei Teile sind mißlicherweise zu einem Teil 376 Vgl. M. Hackl: Seinsollen des Vernünftigen. 377 V. Hösle: Hegels System, 122f., 131.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

vereinigt worden, woraus die fragliche Zweiteilung statt der erforderlichen Dreiteilung resultiert. 3) Entweder die Logik (3a) oder die Realphilosophie (3b) ist unvollständig; der jeweils andere Teil ist zwar material vollständig, aber falsch unterteilt worden.«378

Um die vorhandenen Widersprüche mit Blick auf eine geschlossene Systemkonstruktion aufzulösen, bedarf es einer Erweiterung der Logik, welche das Bestehende, das Reale vollständig durchdringt. Das Überschießen des intersubjektiven Geistes über die logischen Kategorien fordert eine Erweiterung der Logik im Sinne des dritten Paradigmas, des der Intersubjektivität. Die zunächst »provisorisch als intersubjektiv zu bezeichnende Logik« muss an die vorausgegangenen logischen Kategorien anschließen.379 Es kann nicht mehrere einander widerstreitende Logiken geben, andernfalls untergräbt die Logik ihren universellen Geltungsanspruch: Wahrheit gibt es nur eine, demzufolge gibt es auch nur eine gültige Logik. Daher muss die zu formulierende intersubjektive Logik der logischen Systemstruktur entsprechen, sie muss durch die objektive und subjektive Logik vermittelt sein und dabei Hegels »trianguläre[s]« Schema (TWA 2, 539; vgl. TWA 8, 63f., § 18, 168, § 79), welches für Hösle maßgeblich ist, zum Ausdruck bringen. Nach Hösles Ansicht kann eine befriedigende systematische Gliederung nur auf einer triadischen Einteilung gründen,380 sie ist nämlich jene Figur, die die Dualität überwindet. Erst durch ein drittes, beide Seiten einendes Moment ist eine Vermittlung zwischen den vorausgehenden Bestimmungen möglich. Kritisch bemerkt Hösle, dass Hegel bezüglich der Dreiheit in seinem System nicht konsequent ist: Die Logik ist bei ihm zweigeteilt (objektive und subjektive Logik) und nur im Detail dreigeteilt (Seins-, Wesens- und Begriffslogik). Obwohl Hösle an der Trias festhält und eine entsprechende Neugliederung des logischen Aufbaus für notwendig hält, um die Dualität der Logik in eine Trias zu überführen, geht er nicht näher darauf ein, dass im Grunde die ganze hegelsche Konzeption, ebenso wie seine eigene, auf der Dualität von Logik und Realphilosophie aufbaut. Zwar handelt es sich insgesamt um drei Momente – Logik, Natur und Geist –, allerdings ist der Gegenpol zum Logischen die Realphilosophie, die Natur und Geist in sich vereint.381 Da es bei der Zweiheit bleibt, ent378 V. Hösle: Hegels System, 131, vgl. 130f., 139f., 145. 379 V. Hösle: Hegels System, 126, 126 Anm., 128f. samt Anm. Damit Intersubjektivität Moment der Logik sein kann, muss sich die »logische Form der Intersubjektivität von der realen Intersubjektivität« insofern unterscheiden, als dass »sie nicht durch die Natur vermittelt« ist, ansonsten würde die Differenz von Logik und realphilosophischer Entsprechung »verwischt« (V. Hösle: Hegels System, 123f.). 380 V. Hösle: Hegels System, 128. 381 Dass die Geschichte als vierter Teil des Systems Gliederungsschwierigkeiten auflöst, darauf hat Carl Ludwig Michelet in seinem System der Philosophie hingewiesen; so gliedert er sein System nicht, wie Hegel in Logik – Natur – Geist, sondern in Logik – Natur – Geist – Geschichte. Vgl. V. Hösle: Hegels System, 456.

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sprechen Logik und Realphilosophie einander, womit sie nicht durch ein Drittes, welches aber für vorliegende Konzeption entscheidend ist, vermittelt sind. Also ist deren Verhältnis als Parallelismus zu werten, was für Hösle allerdings eine unzufriedenstellende Struktur darstellt, da ihm hier das Vermittlungsmoment fehlt. Gliederungsmäßig wird zwar auf die Notwendigkeit einer logischen Erweiterung hingewiesen, es wird jedoch nicht weiter ausgeführt, wie die intersubjektive Logik im Besonderen und die Logik im Allgemeinen fortan strukturiert sein müssen. Da die bisherige Systemeinstellung Hegels nicht als hinreichende metaphysische Fundierung akzeptiert werden kann, plädiert Hösle für eine neue, systemimmanente »tetradische« Einteilung, die mittels der zu formulierenden intersubjektiven Logik zu vollenden ist. Werden die bestehenden »Trichotomien durch Tetrachotomien« ersetzt, ist es seines Erachtens möglich, dass die Trias methodisch zur Geltung kommt und die jeweiligen Momente miteinander vermittelt sind. Damit bleiben die bisherigen Zuordnungen erhalten, womit der objektiven Logik die Seinslogik, der subjektiven Logik die Wesenslogik und die Begriffslogik zuzuordnen sind. Die Erweiterung hin zur intersubjektiven Logik fordert einen neuen, vierten logischen Teil, der folgerichtig eine kommunikationstheoretische (intersubjektive) Entfaltung der logischen Kategorien zum Gegenstand haben muss. Weil es sich bislang nur um ein skizziertes Programm handelt, liegen verständlicherweise, wenngleich die zu entfaltende Systematik grundgelegt wurde, keine detaillierten Ausführungen zu den Konsequenzen der Neugliederung vor. Derweil ist sich Hösle sicher, durch eine derartige Gliederung einen geschlossenen Entwurf entlang der bisherigen Korrespondenzen formulieren und das Intersubjektive nicht nur als Moment des Realen, sondern zudem als Moment der Logik zu bestimmen. Möglich erscheint ihm dies, wenn »das zweite Moment einer Triade […], als Moment der Differenz, in sich gedoppelt [gefasst wird], so daß das erste, das zweifache zweite und das dritte Moment als vier Momente gezählt werden könnten.«382 Um die Erweiterung systematisch konsequent fortzuführen, muss die neue tetradische Struktur in der Realphilosophie ihre Entfaltung finden, weswegen »Natur und endlicher Geist […] als Submomente des negativen Moments der ganzen Systemtriade gedeutet werden [können]. Innerhalb dieser Systemkonzeption wäre die Logik das erste, thetische Moment; Natur und endlichem Geist würden zusammen das 382 V. Hösle: Hegels System, 147f., 128, 131, 146–158; Ders.: Raum, Zeit, Bewegung, 250f. Vgl. TWA 16, 76f.; TWA 6, 564; TWA 8, 316–331, §§ 166–180, 382, § 230 Z; M. Hackl: An den Grenzen von Hegels System, 398–403. Hegel verweist ebenso auf die »Fünfheit« (TWA 9, 466, § 358; TWA 10, 103, § 401 Z), allerdings stellt diese für Hösle keinen Fortschritt dar, weswegen er auf sie nicht weiter eingeht. Ob Hegels System an der Vier- oder Fünfheit sein Ende hat, ist für Hösle aufgrund der Fokussierung auf die Trias nicht weiter von Bedeutung.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

zweite Moment ausmachen; dem absoluten (bzw. absolutem und objektivem Geist) käme hingegen eine doppelte synthetische Funktion zu: Einerseits wären objektiver und absoluter Geist Synthese der realphilosophischen Sphären von Natur und subjektivem Geist; andererseits wären sie Abschluß einer weiteren Triade, deren erstes Moment die Logik wäre, deren zweites hingegen von Natur und endlichem Geist zusammen gebildet würde. Es wäre also auf diese Weise möglich, die tetradische Systemeinteilung auf eine triadische zurückzuführen, die von der üblichen beträchtlich abwiche: Zweites und drittes Moment wären jetzt nicht mehr Natur und Geist, sondern die zwei endlichen Sphären von Natur und subjektivem Geist auf der einen und der absolute Geist auf der anderen Seite.«383

Gemäß der neuen Systemeinteilung stehen fortan Natur und Mensch in der Realphilosophie nicht mehr unvermittelt nebeneinander. Aufgrund der tetradischen Einteilung des intersubjektiven Geistes werden sie miteinander versöhnt, wodurch die Wahrheit des sittlichen, kulturellen Lebens nicht ohne Einbeziehung von Mensch und Natur zu begründen ist.384 Der neugestaltete Aufbau fordert die Anerkennung, den Respekt beider Seiten betreffs der Gestaltung des Rechts und der Kultur. Werden Mensch und Natur nicht miteinbezogen, wären sie im intersubjektiven Geist nicht miteinander zu versöhnen, sie stünden nach wie vor unvermittelt nebeneinander. Der tetradische Aufbau legt nahe, dass Natur und Mensch gleichermaßen als Momente des kulturellen, sittlichen Lebens gefasst werden müssen. Sind wir nur Zuschauer der Weltgeschichte, ist die Versöhnung im hösleschen Sinn Sache des Notwendigen, des Theonomischen, sie geschieht notwendigerweise und unabhängig von uns. Die Einsicht in den Prozess hat keine Bedeutung für unser Tun. Trotz aller Einsichten können wir scheinbar nicht willentlich in den Weltlauf eingreifen. Obwohl Hösle die Möglichkeit kategorischer Sätze aufzeigt und den Glauben an die Illusion der Freiheit hervorhebt, widerspricht der hier entworfene Systemzusammenhang der Idee der Freiheit. Letztlich baut seine Metaphysik auf einer autonomen Macht der Dynamik auf, auf einer von uns unabhängigen Struktur. Die Entfaltung des Logischen in der Welt fällt allein der notwendigen Kraft zu, daher bleibt uns nur, im Sinne Ernst Blochs zu hoffen (vgl. Kap. II.4.3.b), dass die Weltgeschichte dem Heil, nicht dem Unheil entgegengeht. 383 V. Hösle: Hegels System, 149f., 153. Hösle zufolge ist die »Hegelsche Triade von Idee, Natur und Geist […] in eine Tetrade von Idee, Natur, subjektivem und intersubjektivem Geist« umzuformulieren. »Wenn man will, kann man von vier Welten sprechen – wenn nur klar ist, daß diese vier ›Welten‹ nicht ontologisch irreduzible Seinssphären sind, sondern daß erstens drei von ihnen, nämlich die ›realen‹ von Natur, subjektivem und intersubjektivem Geist, Manifestationen der idealen Seinssphäre sind und daß zweitens der subjektive Geist auf der Natur, der intersubjektive Geist auf Natur und subjektivem Geist aufbaut« (V. Hösle: Krise der Gegenwart, 214). Vgl. S. Dellavalle: Soggetto morale o sostanza etica, 112. 384 V. Hösle: Hegels System, 127–154; Ders.: Raum, Zeit, Bewegung, 248ff.; Ders.: Philosophie des objektiven Geistes, 26ff.

Idealismus und Freiheit bei Vittorio Hösle

5.3.

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Metaphysik der ökologischen Krise

Ungeachtet dessen, dass die Menschen zwecks der prädeterminierten Konzeption kein Wissen um ihre Freiheit haben, macht der vorliegende Aufbau einsichtig, dass die Natur hinsichtlich Moral und Sittlichkeit von Bedeutung ist und diese nicht bloß auf den Menschen bezogen sind. Eine Lebenswelt, die die Natur von sich ausschließt, ist unzureichend bestimmt, schließlich ist der intersubjektive Geist als durch Geist und Natur vermittelt zu fassen. Richtig ist, dass Hösle, wie er selbst kritisch bemerkt, in seiner politischen Philosophie »ständig Dinge voraussetzen muß, die […] nirgends entwickelt« sind, da sein Programm nur als »knappe[r] Aufriß« vorliegt.385 Dass er die Ausarbeitung seiner politischen Philosophie dennoch einer umfassenden Metaphysik vorzieht, liegt allein daran, dass er die »Durchsetzung« der Normen für »noch wichtiger« erachtet als ihre »theoretische Begründung«.386 Dieser Schritt mag angesichts der Dringlichkeit der Bewältigung der ökologischen Krise verständlich sein; kritisch ist dagegen zu sehen, dass Leitlinien entfaltet werden, von denen wir nicht wissen, ob sie tatsächlich vernünftig oder nur praktisch geboten sind. Erst das Wissen um das Vernünftige gibt uns Aufschluss darüber, wie das Handeln zu bewerten ist. Die Tragweite zeigt sich bereits in Hösles Entwurf. Obwohl sich darin keine explizite metaphysische Naturbetrachtung findet,387 gibt bereits der Systementwurf – aufgrund der systematischen Positionierung von Logik, Natur und Geist – Aufschluss darüber, wie »sich die Natur zum Ganzen des Seins verhält«,388 was einsichtig macht, was die Vernunft will. a)

Objektive Werte

Hösle weiß natürlich, dass Freiheit »unaufgebbar [ist], wenn Ethik sein soll«,389 deswegen verlangt er dem Menschen im Praktischen einen freien Willen ab, den er im Theoretischen konsequent verabschiedet hat. Systematisch ist dieses Vorgehen widersprüchlich, richtig ist aber, dass nur das freie Vernunftwesen – nach unserem Verständnis ist dies allein der Mensch – zur Moral fähig ist. Von 385 V. Hösle: Moral und Politik, 19, 20, 309; Ders.: Ökologische Krise, 65. 386 V. Hösle: Moral und Politik, 1071, 112 Anm. Das »Problem der Ethik liegt im ökologischen Zeitalter nicht in der Begründung neuer Normen«, »[v]iel schwerer ist die Durchsetzung« (V. Hösle: Ökologische Krise, 81). 387 V. Hösle: Moral und Politik, 157, 158; Ders.: Geschichte der deutschen Philosophie, 301; Ders.: Naturphilosophie heute, 39; Ders.: Hegels System, bes. 291ff., 313ff.; Ders.: Raum, Zeit, Bewegung, 255; Ders.: Pflanze und Tier ; Ders.: Teleologische Prinzipien; Ders.: Philosophie und Wissenschaften, 46ff., 74ff., Ders./C. Illies: Darwin. 388 V. Hösle: Naturphilosophie heute, 40; Ders.: Ökologische Krise, 48. 389 V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 119.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

daher ist der Mensch der »von allen der Welt immanenten Wertträgern der höchste«, hat doch unseres Wissens nach nur er das Privileg, moralisch handeln zu können.390 Demnach ist eine Welt ohne Menschen »wertmäßig einer Welt mit den Menschen absolut unterlegen«:391 Aufgrund seiner Fähigkeit ist der Mensch nicht bloß verpflichtet, Werte anzuerkennen, er muss für diese auch eintreten. Ohne Freiheit ist die vernünftige Einsicht in das Wesen des Seins ohne Bedeutung, da wir unser Handeln ohne Freiheit nicht willentlich bestimmen können. Die logischen Kategorien haben als Bestimmungsgrund nur dann praktische Bedeutung, wenn wir willentlich für oder gegen sie eintreten können. Einer Welt, die von den objektiven Werten weiß, sie aber nicht umsetzen kann, ist das Gute ebenso fremd wie einer Welt, die nichts von ihnen weiß. Wer nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden kann, steht dem Bösen genauso machtlos gegenüber wie das Vernunftwesen, welches um die objektiven Werte weiß, sie jedoch nicht willentlich umsetzen kann. Obwohl wir uns nicht gewiss sein können, ob wir wahrhaft sollen können, erlaubt das metaphysische Fundament, der Moral eine Grundlage zu geben, wodurch man sich der Gefahr entzieht, einem Wertsubjektivismus oder einem ethischen Relativismus anheimzufallen. Um dem Wertsubjektivismus bzw. dem »Polytheismus der Werte« entgegenzuwirken,392 bedarf es einer »objektiven Werteordnung«,393 die auf allgemeine Weise Aufschluss darüber gibt, was zu tun ist. Hösles logischer Idealismus impliziert, um den Terminus Hegels aufzugreifen, einem »fremden Kodex unterworfen« zu sein, der uns vernünftig einsichtig ist, der aber willentlich nicht forciert werden kann. Schwerer als der Umstand, dass der Mensch nicht »selbst Gesetzgeber« ist (TWA 1, 190), wiegt, dass die Entfaltung des Kodex notwendig geschieht. Ohne Freiheit steht der Mensch dem objektiven Guten ohnmächtig gegenüber, ob er nun darum weiß oder nicht. Hösle sieht, dass die objektive Wertordnung den »Freiheitswillen zutiefst demütigen« kann.394 Mehr als das demütigt aber, dass wir die Freiheit nicht umsetzen können und nur Zuschauer im Lauf der Geschichte sind. Sind wir nur Zuschauer des Weltgeschehens, können wir nichts wollen, wir können nur darauf hoffen, dass sich das Gute verwirklicht – aber selbst das Hoffen können wir nicht wollen. Es scheint, als stehe man auf der Stufe von Blochs Prinzip Hoffnung, nur, dass wir nicht einmal darauf hoffen wollen können, dass sich durch unser Handeln alles zum Guten wendet. Der Gedanke, dass das Göttliche die eigene Schöpfung fehlgehen lässt, ist freilich seltsam, würde es 390 V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 186, 184; Ders.: Moral und Politik, 206, 363, 403; Ders.: Praktische Philosophie, 167. 391 V. Hösle: Ökologische Krise, 77, 96. 392 V. Hösle: Moral und Politik, 90, 14, 137, 154, 199f., 752, 761, 770f., 1014, 1056. 393 V. Hösle: Moral und Politik, 128, 133, 158, 163, 200, 206, 274, 328, 377f., 806, 972, 1095. 394 V. Hösle: Moral und Politik, 389, 737, 764, 967.

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sich so doch selbst zerstören. Die Welt wäre hervorgebracht, um sich selbst zu annihilieren. Anzuerkennen ist, dass die logischen Kategorien das Wesen des Seins begründen. Die systematische Struktur des Seins lehrt, dass Natur und Geist für die Verwirklichung des Vernünftigen notwendig sind, genau in der Art und Weise, wie sie Moment der intersubjektiven Entfaltung sind. Die Gemeinschaft verwirklicht das Vernünftige in der sittlichen, kulturellen Lebenswelt. Das ist nicht unbegründet, denn die intersubjektiv realisierten Werte sind »höher« wertzuschätzen als jene von Einzelpersonen:395 Werte sind nichts Subjektives, nichts Privates. Keineswegs folgt hieraus, dass die Werte an sich einen höheren Geltungsanspruch haben, allein weil sie intersubjektiv anerkannt werden. Davon kann keine Rede sein; die objektive Wertordnung beruht nicht auf Übereinstimmung, sondern auf der »Letztbegründung materialer ethischer Prinzipien«, die gerade nichts mit »größere[r] rhetorische[r] Gewandtheit« zu tun hat. Die Überzeugungskraft der moralischen Argumentation ist deswegen nicht irrelevant, schließlich lädt nur »ein gelebtes Leben, nicht ein Argument […] zur Nachfolge ein.«396 Wiewohl diese Bestimmungen für uns nur von Belang sind, wenn wir Freiheit tatsächlich ›haben‹, zeigt sich, dass die objektive Wertordnung für sich in Anspruch nimmt, die »ideale Sphäre als die Basis alles Seienden« zu sein,397 anhand derer wiederum einzusehen ist, was werthaft und was zu tun ist. Obwohl Hösles Ansatz dem Relativismus entgegengewirkt, lässt sich hiermit nicht eindeutig bestimmen, welche Rolle dem Subjekt zukommt und warum die Welt mit ihm werthafter sein soll als ohne es, die objektiven Werte werden nämlich nicht durch seinen Willen verwirklicht. Die Schwierigkeit besteht weniger darin, dass uns das Werthafte objektiv gegeben ist, als vielmehr darin, dass sie nicht freiwillig zu verwirklichen sind. Obzwar das objektive Gute nicht beliebig, sondern vernünftig formuliert wird, ist dem Subjektivismus gegenüber dem vertretenen Objektivismus, der das Subjekt aufhebt, zuzugestehen, dass das Subjekt für die Konsequenzen des Handelns verantwortlich gemacht werden kann. Im Subjektivismus kann es nur 395 V. Hösle: Praktische Philosophie, 38; Ders.: Moral und Politik, 115, 174; Ders.: Krise der Gegenwart, 179f. Die intersubjektive Anerkennung ist kein Begründungsmoment; neben (1) der »Sphäre des idealen Seins«, (2) des »physischen Seins« und (3) der »sogenannten Innenseite« ist die (4) »vierte Sphäre«, das soziale Sein, zwar für die Umsetzung (V. Hösle: Moral und Politik, 211), nicht aber für die Formulierung der Werte von Bedeutung. 396 V. Hösle: Moral und Politik, 531f., 106, 112, 163, 346, 377f., 450, 509, 529, 534, 638, 669, 695, 768, 912, 993f., 1074, 1077, 1084, 1092; Ders.: Philosophie und Öffentlichkeit, 138f.; Ders.: Philosophie und Wissenschaften, 186; Ders.: Dimensionen einer Krise, 12. Vgl. W.C. Viana: Jonas und Hösle, 183f. Das steht freilich im Gegensatz zur gegen Nicolai Hartmann gerichteten Polemik von Max Scheler, dass es nicht auf das »Beschreiten« des Weges, sondern auf die »Wegweisung« ankommt (M. Scheler : Materiale Wertethik, GW II, 20). 397 V. Hösle: Krise der Gegenwart, 216, 479.

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das Subjekt sein, welches die Ziele, die Werte formuliert. Daher ist ein Wertsubjektivismus ohne Freiheit an sich nicht zu machen, weswegen er zumindest Verantwortung einfordern kann. Während der Subjektivismus eine Überhöhung des Subjekts gegenüber dem Objekt impliziert, erhebt Hösles Idealismus das Allgemeine über das Einzelne. Die Aufgabe einer zu formulierenden vernünftigen praktischen Philosophie liegt also darin, dem Relativismus zu entfliehen und das objektiv Gute in der Welt zu fassen und dieses tätig zu verwirklichen. Das objektive Gute hat für das Subjekt nur dann Bedeutung, wenn es dieses selbst verwirklichen kann.

b)

Sein und Subjektivität

Ungeachtet der knappen Einsicht in die Freiheit legt Hösle in Rückgriff auf die heilsame Illusion dar, dass wir uns unserer Verantwortung nicht entledigen können. Dieser Appell wird von dem Gedanken begleitet, dass diejenigen, die dem »Glauben an objektive Wahrheiten und objektive Werte […] abgeschworen« haben, a priori einsehen müssen, dass prinzipiell alles »umsonst« sei.398 Umsonst ist die Einsicht genau dann, wenn wir keine Möglichkeit haben, das Werthafte willentlich umzusetzen, sondern es sich ohne unser Zutun verwirklicht – oder eben nicht. Mittels des vorgelegten metaphysischen Wissens um das Verhältnis von Natur und Geist wird jedenfalls einsichtig, wofür wir Verantwortung zu tragen haben. Der objektive Idealismus vereint tatsächlich beide Sphären und erkennt an, dass sie nicht aufeinander zu reduzieren sind.399 Sowohl die Wahrheit des Realismus als auch die des subjektiven Idealismus sind in vorgestellter Konzeption durch die dritte Ebene, die Logik, geeint. Allerdings wird betont, dass die Logik der Natur und dem Geist nicht »übergestülpt« wird,400 das Reale ist uns nur, was logisch gegeben ist. Allein die Rückbindung an die Logik erlaubt Hösle, den Dualismus von Natur und Geist zu einen, aufzuheben. Aber gerade die systematische Rückbindung, die die Einheit schafft, verhindert, uns als freie Wesen zu begreifen. Die Logik ist der Plan Gottes, sie ist nach Hegel als »das System der reinen Vernunft, als das Reich des reinen Gedankens zu fassen. Dieses Reich ist die Wahrheit, wie sie ohne Hülle an [und] für sich selbst ist; man kann sich deswegen ausdrücken, daß dieser Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist« (GW 11, 21). 398 V. Hösle: Ökologische Krise, 39f., 26, 40–42. 399 Vgl. C. Luyckx: Crise cosmologique et crise des valeurs, 147f., 155–157. 400 V. Hösle: Ökologische Krise, 47; Ders.: Krise der Gegenwart, 208.

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Nach dieser Konzeption ist die logische Begründung Ausdruck des Absoluten. Damit überlagert sie alles; wir sind nur Zuschauer und demnach tatsächlich unfähig, das Reale zu gestalten, wenngleich wir durch die Einsicht in die Logik das Vernünftige einzusehen vermögen. Obgleich diese Bestimmung in Hinblick auf unsere Verantwortung kritisch zu bewerten ist, liefert Hösle einen stringenten Systementwurf, der grundsätzlich die Erkenntnis objektiver Werte erlaubt. Wie die metaphysische Begründung und die Formulierung objektiver Werte systematisch zusammenhängen, hat er in Sein und Subjektivität. Zur Metaphysik der ökologischen Krise explizit gemacht. Diese Überlegungen bilden nach seiner Selbstauskunft die noch heute gültige metaphysische Grundlage seiner ökologischen Ethik. Die Begriffsbestimmung baut auf dem systematischen Entwurf in Hegels System auf und weist Korrespondenzen zwischen der metaphysischen Struktur und der Ethik aus.401 Diese stringente wie systematische Bezugnahme hat Sergio Dellavalle sehr klar gesehen und vorgestellt.402 Wer hingegen kritisiert, dass Hösles Darstellung des metaphysischen Verhältnisses von Natur und Geist in Sein und Subjektivität »keine überzeugende Konzeption von Vernunft« sei und dabei den Systementwurf in Hegels System übergeht,403 dem mag die Argumentation tatsächlich unbegründet vorkommen, er muss sich aber den Vorwurf gefallen lassen, dem hösleschen Systemdenken nicht gerecht zu werden.404 Der in Sein und Subjektivität entfaltete Übergang von der triadischen zur tetradischen Struktur ist kein willkürlicher, er gründet in der grundgelegten metaphysischen Systematik. In Rückgriff auf die tetradische Struktur gelingt es Hösle, Natur und subjektiven Geist als vermittelte Einheit zu fassen, wodurch die kategoriale Überlegenheit des Geistes gegenüber der Natur im Rahmen der Sittlichkeit, der Kultur aufgehoben wird. Wiewohl es der Geist ist, der die Natur »erkennend übergreift, während die Natur weder um sich noch um den Geist weiß«,405 legt die Begriffsbestimmung nahe, dass der Dualismus anderer Qualität ist, wiewohl es eine »Teleologisierung der Seinsentwicklung auf den Geist hin« 401 Charlotte Luyckx hat in Crise cosmologique et crise des valeurs den systematischen Zusammenhang ausgewiesen (157, 169–175), wenngleich sie den Freiheitsbegriff nicht weiter diskutiert (160f.). 402 Vgl. S. Dellavalle: Soggetto morale o sostanza etica, bes. 100–108. 403 G. Hirsch Hadorn: Umwelt, Natur und Moral, 391. Viele andere Rezipienten verkennen die Tragweite des systematischen Entwurfs in Hegels System, so M. Schneider : Hösles Umweltphilosophie oder A. Klier : Umweltethik. Sie fokussieren sich auf die explizit der ökologischen Krise zuordenbaren Texten, was zur Folge hat, dass diese nicht in Hinblick auf das metaphysische, systematische Fundament diskutiert werden. 404 Gertrude Hirsch Hadorn verzichtet sogar auf eine Auseinandersetzung mit Hegels System. Sie verweist nur an wenigen Stellen auf die Schrift (G. Hirsch Hadorn: Umwelt, Natur und Moral, 209, 220, 224f., 279f.), wobei die von ihr zitierten Stellen der Schlussbemerkung entnommen sind (G. Hirsch Hadorn: Umwelt, Natur und Moral, 224f.). 405 V. Hösle: Praktische Philosophie, 172, 194; Ders.: Ökologische Krise, 71.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

gibt.406 Das ist aber nicht als Überlegenheit des Geistes gegenüber der Natur zu fassen. Zwecks der Stellung der Logik ist weder das eine noch das andere als das grundlegende Sein aufzufassen – »die logische, ideale Welt prinzipiiert die reale Welt, zu der sowohl die natürliche als auch die geistige (die subjektive wie die intersubjektive) Welt gehören.« Das Verhältnis von Natur und Geist ist somit zweideutig: »Einerseits ist, wenn man unter Natur die ganze empirisch erfahrbare Realität versteht, auch der Geist Teil der Natur ; jedenfalls ist er durch die Natur vermittelt. Andererseits ist der Geist eben nicht bloß ein Teil der Realität neben einem anderen – da er das Außereinander der Natur im Erkennen aufhebt, diese idealisiert, kann er zugleich als Rückkehr aus der Natur zur Idee gedeutet werden. Wenn die logische Welt die Thesis ist, dann ist die Natur die Antithesis; und als reale Struktur, die zugleich der Einsicht in das ideale Prinzip der Natur fähig ist, ist der Geist die Synthesis. Die Synthese ist freilich stets auch Negation der Antithese, und insofern ist der Geist zur gleichen Zeit Teil der Natur und deren Negation.«407

Der Geist ist gemäß dieser Strukturierung die Negation der Natur. Demnach stehen Natur und Geist nicht unvermittelt nebeneinander, sie finden sich im intersubjektiven Geist, in der Kulturgeschichte der Menschen versöhnt. Ohne die Versöhnung ist der intersubjektive Geist, die Kultur nicht vernünftig, nicht wirklich. Der anhand Hösles vorläufigen, aber verbindlich geltenden Kategoriensystems entfaltete Systemzusammenhang liefert einen tiefen Einblick in das Verhältnis von Natur und Geist und lehrt, welche Bedeutung ihr Zusammenhang für die Verwirklichung des Vernünftigen hat.408 Gemäß des metaphysischen Zugangs müssen Natur und Geist als gleichwertige Momente in Relation zum intersubjektiven Geist verstanden werden, ansonsten verwirklicht sich das Vernünftige im Rahmen der Kultur nicht. Hieraus ist abzuleiten, dass Natur und subjektiver Geist in Hinblick auf den intersubjektiven Geist in gleichem Maße Achtung verdienen. Neben der Natur ist der Geist für die Entfaltung der kulturellen Lebenswelt, genauer : für die Verwirklichung einer vernünftigen Lebenswelt grundlegend. Als subjektiv verantwortliches Wesen kommt dem Menschen eine andere Verantwortung gegenüber der Natur zu, als als Teil der »intersubjektiven Welt der Kultur«.409 Liegt die Verantwortung gegenüber der Natur rein in der intersubjektiven Welt, trägt der Mensch nur als einer von vielen, nicht aber in seiner Einzelheit Verantwortung für die Natur. Verantwortung gegenüber der Natur kommt ihm nur in der Hinsicht zu, als sich die Gemeinschaft ihrer Ver406 V. Hösle: Praktische Philosophie, 175; Ders.: Hegels System, 316; Ders.: Ökologische Krise, 53, 48–54. 407 V. Hösle: Praktische Philosophie, 188f. 408 Vgl. V. Hösle: Ökologische Krise, 21; Ders.: Praktische Philosophie, 195. 409 V. Hösle: Praktische Philosophie, 195; Ders.: Moral und Politik, 211, 273f., 310f.

Idealismus und Freiheit bei Vittorio Hösle

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antwortung annimmt. Somit gibt es keine individuell moralische, es gibt nur eine sittliche Verantwortung gegenüber der Natur. Es wird in Relation auf die Sittlichkeit etwas eingefordert, was moralisch vom Subjekt nicht verlangt werden kann. Problematisch ist zudem der Gedanke, dass die Natur nur zwecks der Verwirklichung eines ›höheren‹ Gutes zu schützen ist, nämlich der Verwirklichung einer vernünftigen Kultur. Das ist das Resultat der Fokussierung auf die Idee, womit Hösle zwar systematisch konsequent ist, aber die Natur hintan fallen lässt. Derweil ist nicht zu bestreiten, dass aus Sicht des objektiven Idealismus im Allgemeinen und des intersubjektiven Geistes im Besonderen eine einseitige Überhöhung des Geistes über die Natur, und umgekehrt, nicht zu legitimieren ist. Unabhängig davon ist der Mensch der Natur sowieso erhaben, da ihre vermittelte Einheit nicht in seine Bezugsdimension fällt. Dies hat zur Folge, dass das Subjekt gegenüber der Natur keine an sich seiende Verpflichtung hat, sondern einzig eine Verpflichtung in Bezug auf die Kultur, wodurch es die Natur bloß zu schützen gilt, um den kulturellen Raum zu sichern. Also wird die Kultur dem Natürlichen übergeordnet, weshalb Hösles Metaphysikkonzeption der Vorwurf zu machen ist, dass – umgekehrt zur jonas’schen Konzeption – in praktischer Hinsicht das Geistige als reales Sein das Höchste ist. Wird das Subjekt über das Objekt erhoben, lässt sich bestenfalls davon sprechen, dass für die Natur Fürsorge zu tragen ist. Sie ist nur ein Mittel für mich. Wird sie nur als Mittel anerkannt, wird ihr ureigener Wert ausgeblendet. Ihr kann bestenfalls – wie es ohnehin im Recht der Fall ist – ein Schutzrecht zugestanden werden. Mit Blick auf die Verwirklichung einer vernünftigen Kultur ist die Natur lediglich Mittel zum Zweck (hin zum Geist, hin zur Versöhnung). Um hierüber hinauszugehen, bedarf es eines weiterführenden Verständnisses der Natur, welches sie nicht bloß als Moment des Geistigen fasst, sondern in welchem Natur und Geist als einander gleich gültig gefasst werden. Wird die Natur an sich anerkannt, ist sie sowohl, wie Hösle weiß, »Objekt sittlicher Pflichten« als auch Subjekt von Rechten.410

c)

Sein und Sollen

Es lässt sich nicht in Abrede stellen, dass die Rolle des Subjekts, die Begründung der Freiheit und die Verantwortung in Hösles Darstellung etwas ungewohnt wirken. Und dennoch gelingt es mit seiner Konzeption, metaphysische Grundlagen für ein ideales Prinzip zu formulieren, an dem »nicht zu rütteln« ist 410 V. Hösle: Ökologische Krise, 72f., 74; Ders.: Moral und Politik, 273, 862. Zur rechtlichen Tragweite des Umgangs mit der Natur vgl. skizzenhaft M. Hackl: Rechte der »natürlichen Mitwelt«.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

und welches uns Aufschluss darüber gibt,411 was wir tun sollen. Freiheit wird zwar als Einsicht in den Grund verstanden; wenn mit dieser ›Freiheit‹ willentlich aber nichts anzufangen ist, weil der Weltlauf notwendig theonomisch bestimmt ist, hebt sich der Begriff selbst auf. Praktisch wird vorausgesetzt, was theoretisch verworfen wird, womit die Freiheit nur Schein ist. Trotz der divergierenden Bestimmung der Freiheit vermag die vorgelegte Systemkonzeption systematisch klar aufzuzeigen,412 dass die »Sphäre des Seins« nicht unabhängig von der »Sphäre des Sollens« steht,413 Hösle sieht in der Sphäre des Seins den Inhalt der Sphäre des Sollens begründet. Im Unterschied zu Jonas weist Hösle das sein sollende Sein nicht als reales, sondern als logisches, als ideales Prinzip aus, wodurch er nicht dem Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses ausgesetzt ist (vgl. Kap. II.4.3.c). Während für Jonas die reale Beschreibung des Seins Ausgangspunkt ist, ist es in Hösles Idealismus die ideale, logische Beschreibung. Diese Bezugnahme erlaubt, ein Sein zu formulieren, welches auf ein Ideal und nicht auf das Bestehende, das empirisch Seiende rekurriert. Das wohlbegründete logische, das ideale Sein gehört derselben Sphäre an, der das Sollen angehört; und das ideale Sein kann damit eine »Prinzipiierungsfunktion« einnehmen.414 Dadurch kann es als wesentliche Bestimmung des Sollens, der Moral und Sittlichkeit verstanden werden. Folglich lässt sich vom idealen Seinsollen sprechen. Mittels der Prinzipiierungsfunktion lässt sich der objektive, der absolute Wert ausdrücken. Hösle betont sogar, dass das »Sein […] so strukturiert [ist], dass es auf die Verwirklichung des Normativen hin angelegt ist […]. Das Reich des Sollens bestimmt also das Reich des Seins wenigstens zum Teil. Aber doch sicherlich nicht ganz, weil ja sonst alles gut wäre und die Differenz zwischen Sein und Sollen eingezogen werden müsste.«415

Da eine Differenzierung zwischen Sein und Sollen möglich ist, muss ein Unterschied zwischen beiden Seiten bestehen. Damit dieser für uns überhaupt von 411 V. Hösle: Praktische Philosophie, 194; Ders.: Eine unsittliche Sittlichkeit, 138. 412 Mit diesem Problem hantierte bereits Kant in der Kritik der reinen Vernunft (B 472–479) und der Kritik der praktischen Vernunft (Akad.-Ausg. V, 29, 33, 72). Hösle nähert sich nicht nur in diesem Punkt Kant an. Vgl. V. Hösle: Ökologische Krise, 70; Ders.: Praktische Philosophie, 15ff., 37; Ders.: Moral und Politik, 154ff., 165ff., Ders.: Hegels System, 425; Ders.: Krise der Gegenwart, 180; Ders.: Replik, 292, 313f.; H. Seubert: Moral, Politik, Natur, Selbstbewußtsein, 61; C. Illies: Architektur der Synthese, 47; M. Wetzel: Praktisch-Politische Philosophie, Bd. 2, 461. Hösles Buch Kritik der verstehenden Vernunft orientiert sich sogar strukturell am »unerreichbaren Vorbild Kants« (V. Hösle: Kritik der verstehenden Vernunft, 14). 413 V. Hösle: Moral und Politik, 241. 414 V. Hösle: Moral und Politik, 127, 205, 241, 355; Ders.: Philosophie des objektiven Geistes, 17f.; Ders.: Krise der Gegenwart, 212; Ders.: Praktische Philosophie, 187. 415 V. Hösle: Einstieg in den objektiven Idealismus, 47; Ders.: Unbedingte Verpflichtung, 258.

Mitwissenschaft und Freiheit bei Klaus Michael Meyer-Abich

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Belang ist, müssen wir sollen können. Es reicht nicht, vom Wissen der Werte zu sprechen, es muss möglich sein, diese willentlich umzusetzen – sonst ist dieses Wissen von den Werten wertlos. Hierzu bedürfen wir aber der Freiheit und nur dank ihr kann der Mensch als »potentielle Bereicherung« für die Welt verstanden werden. Dann kann diese durch ihn, wie Hösle an Klaus Michael Meyer-Abich anschließt, auch »besser und schöner« werden.416 Lässt sich die Freiheit nicht bloß fühlen, sondern darüber hinaus vernünftig einsehen, kann die Bestimmung vom idealen Seinsollen, anders als Jonas’ reales Seinsollen, prinzipiell als vernünftiges Fundament der dringend benötigten neuen Ethik verstanden werden. Ohne freien Willen aber können wir keine Werte durchsetzen und kein Sollen formulieren, schließlich setzt das »Sollen […] Können voraus.«417 Ohne freien Willen kann ich nicht sollen und damit auch nicht die Idee, das ideale Sein wirklich werden lassen. Hösles Beitrag zu einer vernünftigen Metaphysik der Ethik ist von enormer systematischer Bedeutung, immerhin liefert er eine Systemkonzeption, die erlaubt, von objektiven Werten und einem daraus resultierenden Sollen zu sprechen, wiewohl es jene Konzeption theoretisch nicht erlaubt, den Menschen als freies Wesen zu fassen. Dass Hösle dem absolut Notwendigen bewusst so viel Platz einräumt, belegt der Schluss von Moral und Politik. Hier betont er, dass allein Gott »weiß«, ob sich die »Hoffnung« auf die Bewältigung der Krise »erfüllt«:418 Der allwissende Gott ist das Bestimmende der Welt, der Mensch ist ihm gegenüber ohnmächtig, er hat keine Verantwortung für die Entwicklung in der Welt. Wer sich mit diesem Begriff nicht zufriedengeben möchte, der muss im Anschluss an Hösles Systemkonzeption die Frage nach der Freiheit erneut stellen. Schafft doch der von Jonas und von Hösle ins Spiel gebrachte »Glaube an die Vernünftigkeit der Welt« die Möglichkeit,419 der Idee der Freiheit auf objektive Weise Ausdruck zu verleihen.

6.

Mitwissenschaft und Freiheit bei Klaus Michael Meyer-Abich

Die Begründung der Freiheit läuft leicht Gefahr, sich in der Einseitigkeit des Materialismus oder des Idealismus zu verlieren. Daher bedarf es einer weiterführenden Betrachtung, die das Ganze umfasst, das heißt, Reales und Ideales als 416 V. Hösle: Praktische Philosophie, 185f., 167f. Wer diesen Anspruch negiert, muss hoffen, »daß sich der Mensch selbst zerstöre und die Welt von der Qual befreie, die er für sie darstellt« (V. Hösle: Praktische Philosophie, 186). Vgl. K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 11, 84, 367; Ders.: Aufstand für die Natur, 90. 417 V. Hösle: Moral und Politik, 979. 418 V. Hösle: Moral und Politik, 1136. 419 V. Hösle: Geschichte der deutschen Philosophie, 54, 57.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

identisch und als gleich gültig begreift. So erlangen wir jenes theoretische Wissen, welches maßgeblich für unser praktisches Handeln ist. Wie eng beide Seiten praktisch verwoben sein können, deutet sich in den Schriften und im Leben Klaus Michael Meyer-Abichs an.420 Er hat sich nicht nur der metaphysischen Herausforderung angenommen, sondern sich neben dieser großen Aufgabe sogar aktiv als Politiker für seine natürliche Mitwelt eingesetzt. Er ist damit dem höchsten philosophischen Anspruch, den »eigenen Theorien gemäß zu handeln«,421 in persönlicher wie in gesellschaftlicher Verantwortung nachgekommen. Dass die von Vittorio Hösle vertretene Haltung von größter Bedeutung ist, zeigt sich ebenso mit Blick auf Karl Marx. Auch dieser hat darauf hingewiesen, dass »die Praxis der Philosophie […] selbst theoretisch« ist,422 womit es nicht der Praxis der Philosophie obliegt, fern der Theorie zu sein. Die Praxis ist eine Aufgabe, der es sich auf Grundlage der entfalteten Theorie anzunehmen gilt. Dass sich Meyer-Abich der Aufgabe bewusst ist, belegt sein Einsatz in der Politik, aber ebenso sein Hinweis, dass das Wahre »nicht nur theoretisch oder unabhängig vom Handeln« Bestand hat und dass sich dieses »praktisch, im Erkenntnishandeln« erweisen muss.423 Ungeachtet dieser Bestimmung ist er weit davon entfernt, ein belehrender und von einer »Allmachtstendenz« durchdrungener Denker zu sein,424 wie sein Lehrer Carl Friedrich von Weizsäcker beispielhaft Georg Wilhelm Friedrich Hegel vorwirft. Meyer-Abichs Anspruch ist es nicht, obsessiv ein methodisches Prinzip zu ergründen, stattdessen stellt er in offener Weise die Frage, wie »wir in die Welt gehören« und wie unser Verständnis von der »Ordnung des Ganzen der Natur« mit unserem Verhalten, unserem Wesen »i[n] Einklang« zu bringen ist.425 Das Verständnis unserer Zugehörigkeit wird, darauf hofft er, ähnlich zu Hans Jonas, das Gefühl in uns wachrufen, das einsichtig macht, wie wir »im Mitsein mit Anderen und Anderem heimisch« werden können.426 Wer sich diese Frage ernsthaft stellt, muss zu dem

420 Aufschlussreich für das Werk Klaus Michael Meyer-Abichs sind H.W. Ingensiep/A. Eusterschulte (Hg): Philosophie der natürlichen Mitwelt; U. Dengel: Kunst und Naturverständnis; R. Plugge: Metaphysik des Einen, 147–212; S. Grätzel: Ethische Praxis, Kap. 3.1; L. Siep: Erwiderungen, 313–315. 421 V. Hösle: Moral und Politik, 117, 117f.; vgl. Ders.: Ökologische Krise, 40. 422 K. Marx: Anmerkungen zur Dissertation, I. Teil, MEW 40, 326. 423 K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 76. Vgl. TWA 6, 186, 200; TWA 8, 279, § 142. 424 C.F. v. Weizsäcker : Garten des Menschlichen, 366; Ders.: Zeit und Wissen, 531. 425 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 276. 426 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 12, 167, 314, 402, 468f.; Ders.: Ganzheit ist besser als Einheit, 55; Ders.: Mit-Wissenschaft, 30. Jenes angemessene Gefühl ist das »Selbstgefühl […], daß wir unserer Natur nach erst im Mitsein mit anderen Menschen und der natürlichen Mitwelt wahrhaft zur Welt kommen können […]. Nur in der Gemeinschaft

Mitwissenschaft und Freiheit bei Klaus Michael Meyer-Abich

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Ergebnis kommen, dass unser zerstörerischer Umgang mit der Natur nicht von der »Liebe zur natürlichen Mitwelt« getragen ist. »Was man liebt, das läßt man von selbst um seiner selbst willen gelten« und zerstört es nicht.427 Rücksichtslosigkeit und Liebe stehen einander entgegen. Unsere Unachtsamkeit gegenüber der Natur gründet im Glauben an die Überlegenheit des Geistes; die »unmenschlich[e] und blutleer[e]« Natur »verblaßt« gegenüber dem Geist und wird zur »bloßen res extensa«, zur ausschließlichen »Räumlichkeit« ohne Wesen.428 Aufgrund der hierauf aufbauenden Bestimmung der Subjektivität, welche insbesondere durch Ren8 Descartes sowie Gottfried Wilhelm Leibniz Eingang in das neuzeitliche Denken gefunden hat (vgl. TWA 20, 51), wurde die Natur immer weiter zurückgedrängt und verschwand zunehmend aus unserem (Handlungs-)Horizont. Dieses Denken hat sich seit der Aufklärung im Allgemeinen und mit Immanuel Kants Erkenntnistheorie im Besonderen verschärft. Seither steht das erkennende Subjekt, der Mensch im Zentrum der Welt, die Natur hingegen rückt immer mehr heraus. Während in der vorkopernikanischen Zeit die Erde als Mitte der Welt ausgemacht wurde, galt fortan der Mensch als Mitte der Welt. Das hat eine wandelnde Wahrnehmung des von uns, um mit Johann Wolfgang von Goethe zu sprechen, »bewohnten Garten[s]« zur Folge.429 Nun sieht »die Menschheit die Welt nicht mehr von der Erde aus […], sondern von sich aus«.430 Die hier zu verortende, wie sie Friedrich Schelling nennt, »totale Umkehrung menschlicher Weltansicht« (SW XIII, 26), die eine Abkehr vom Objekt und eine Hinwendung zum Subjekt beinhaltet, impliziert eine Überbetonung des Geistes (Erkennenden) gegenüber der Natur (Erkannten). Diese Überhöhung kann begründungstheoretisch schwerlich überzeugen, so wird die eine Seite über die andere erhöht und damit aufgehoben, wodurch nur noch Subjektivität und keine Objektivität mehr ist. Auf die Folgen dieses Denkens für unser Handeln hat nicht erst Meyer-Abich, sondern bereits Nicolai Hartmann hingewiesen. Bereits im frühen 20. Jahrhundert kritisiert er, dass sich die neuzeitliche Ethik an allem Subjektiven »erschöpft«, sie beschränkt sich auf die »Analyse des sittlichen Bewußtseins und seiner Akte« und verzichtet darauf, »den objektiven Gehalt« auszuweisen.431 Einen objektiven Gehalt auszuweisen, liegt den späteren Ethi-

427 428 429 430

431

der Natur können wir unserer menschlichen Natur nach in Freiheit heimisch werden« (K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 328, 343, 351). K.M. Meyer-Abich: Frieden mit der Natur, 154. K.M. Meyer-Abich: Umweltproblem, 30f.; V. Hösle: Ökologische Krise, 68. J.W. v. Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre, MA 5, 445. K.M. Meyer-Abich: Frieden mit der Natur, 205, 206; Ders.: Natur und Freiheit, 68; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 168, 240, 472. Vgl. I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B XVI– XVIII. Zur Weiterentwicklung der Subjektivität hin zur Intersubjektivität vgl. F. Su#rez Müller : Letztbegründung und Intersubjektivität, 265–298. N. Hartmann: Ethik, V; vgl. V. Hösle: Krise der Gegenwart, 179.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

ken, von Ausnahmen wie Max Scheler und den hier diskutierten Autoren abgesehen, tatsächlich meist fern. Seit Kant,432 dem einflussreichsten Moralphilosophen seit der Aufklärung, beschränkt sich die Ethik laut Ludwig Siep auf »die Interessen und Rechte von menschlichen Individuen«433 – was die wirkmächtige Diskursethik und ihre Nachfolger belegen:434 Ein beschränkter Handlungshorizont kann schwerlich Allgemeines ausdrücken, er beschränkt sich auf das Besondere und steht dementsprechend dem Allgemeinen wesentlich entgegen. Wider der neuzeitlichen Erhöhung des Subjekts weist Meyer-Abich auf »unsere[] Verwandtschaft mit der natürlichen Mitwelt im Ganzen der Natur« und die Unzertrennlichkeit von Körper und Geist hin.435 »Unsere natürliche Mitwelt ist alles, was von Natur aus mit uns Menschen in der Welt ist. Um dies zu betonen, spreche ich von unserer Mitwelt statt von unserer Umwelt.«436 Dieses Verständnis, diese Form der Verwandtschaft fand nicht immer Anklang; beispielhaft weist Johann Gottlieb Fichte im Anschluss an Kant darauf hin, dass das Ich »das über alle Natur erhabene Wesen« ist, was schon deswegen inakzeptabel und darum abzulehnen ist, weil so das Körperliche auf das Geistige, also das Objekt der Erkenntnis auf das Subjekt reduziert wird. Fichte versucht diesen reduktionistischen Zusammenhang zu tilgen und betont: »Körperliche Leiden, Schmerz und Krankheit, wenn sie mich treffen sollten, werde ich nicht vermeiden können zu fühlen, denn sie sind Ereignisse meiner Natur, und ich bin und bleibe hienieden Natur; aber sie sollen mich nicht betrüben. Sie treffen auch nur die Natur, mit der ich auf eine wunderbare Weise zusammenhänge, nicht Mich selbst, das über alle Natur erhabene Wesen.«437

Nicht nur psycho-physische Erkrankungen sind ein Beleg für die Wechselwirkung beider Seiten, ebenso der Umstand, dass das geistige Wohlbefinden zur

432 Vgl. bes. I. Kant: Grundlegung der Metaphysik der Sitten, Akad.-Ausg. IV, 421, 425. 433 L. Siep: Praktische Naturphilosophie, 25; vgl. K.M. Meyer-Abich: Mit-Wissenschaft, bes. 111f.; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 164, 348, 452, 178, 180; Ders.: Natur und Freiheit, 68. 434 Zu den einflussreichsten Arbeiten im Umfeld der Diskursethik zählen: K.-O. Apel: Transformation; J. Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns; A. Honneth: Kampf um Anerkennung; R. Forst: Recht auf Rechtfertigung. 435 K.M. Meyer-Abich: Gesund zu sein, 135; Ders.: Natur und Freiheit, 69; Ders.: Wissenschaft für die Zukunft, 103; Ders.: Aufstand für die Natur, 52; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 237f. 436 K.M. Meyer-Abich: Frieden mit der Natur, 20; Ders.: Rechte der Natur, 389f. 437 J.G. Fichte: Bestimmung des Menschen, Werke II, 315, dritte Hervorhebung M.H.; vgl. Ders.: Wissenschaftslehre, Werke I, 99, 155; Ders.: Thatsache des Bewußtseins, Werke IX, 485, 562, 603; Ders.: Grundlage des Naturrechts, Werke III, 26. Bzgl. der Anlehnung an Kant vgl. I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 155f., 399–413, 419.

Mitwissenschaft und Freiheit bei Klaus Michael Meyer-Abich

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körperlichen Genesung beiträgt, und umgekehrt.438 Würde es sich um einen wundersamen und nicht um einen organischen Zusammenhang handeln, wäre zudem unerklärlich, wie eine derartige, in sich verwobene Wechselbeziehung überhaupt möglich sein sollte. Sich diesem organischen Zugang zu versperren, heißt, sich Schellings Fragestellung zu entziehen, wieso »Körper und Geist so vieles gemeinschaftlich thun und gemeinschaftlich leiden« können (SW X, 26). Soll diese Frage nicht ungeklärt bleiben, reicht es nicht, sich auf Fichtes Bestimmung bzw. auf Descartes’ »ego sum, ego existo« zu beschränken und dies zum Ausgangspunkt des philosophischen Denkens zu machen.439 Sodann werden das Körperliche und das Geistige nämlich nicht als Einheit, sie werden als grundsätzlich verschiedene und somit unvermittelte Sphären verstanden. Wäre dem so, würde sich das Körperliche unserer Mitwissenschaft versperren, was aber nicht der Fall ist, schließlich wirkt sich unsere körperliche Befindlichkeit auch auf den Geist aus. Daher will Meyer-Abich anstelle des reinen Subjektivismus eine Verbundenheit des Geistes mit der Natur entfaltet wissen. Diese Verbundenheit drückt sich seines Erachtens pointiert in Johann Gottlieb Herders »Ich fühle mich! Ich bin!« aus.440 Das Gefühl, ganz bei sich zu sein, gilt ihm als vernünftiger Ausgangspunkt unseres Selbstverständnisses. Dabei geht es um ein mit dem Leib verbundenes Selbstverständnis, welches zu unserem Sein gehört. Das Empfinden, das Gefühl wird als jenes Vermögen verstanden, welches seines Erachtens hilft, der »Vernunft die Augen« für das zu öffnen,441 wer wir sind und wohin wir gehören.442

438 Ein eindrucksvoller Beleg der Beziehung von Geist und Körper ist die Tatsache, dass der Blick ins Grüne Einfluss auf die Genesung hat (R.S. Ulrich: View through a Window, 420f.). Der Mensch ist Geist- und Naturwesen, leidet doch im Falle einer Krankheit der Geist mit dem Körper mit, und umgekehrt (K.M. Meyer-Abich: Determination und Freiheit, 26; Ders.: Gesund zu sein, 25ff., 157ff., 326ff.). Vgl. Z.-M. Erdmann: Vom Baum der Erkenntnis zum Baum des Lebens, bes. 413–417. 439 R. Descartes: Meditationes, 44. 440 J.G. Herder: Sinn des Gefühls, Werke 4, 236. Meyer-Abich greift dieses Zitat an verschiedenen Stellen auf. Vgl. K.M. Meyer-Abich: Gesund zu sein, 135; Ders.: Leben, 21; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 75, 211. 441 K.M. Meyer-Abich: Gesund zu sein, 139. »Jedes Bewußtsein ist ein Gefühlsbewußtsein, d. h. ein Bewußtsein, kein bloßes Gefühl, aber ein Bewußtsein, das Gefühle ausdrückt und von Gefühlen getragen ist. […] Daß die Vernunft gefühlsbegleitet ist, bedeutet umgekehrt, daß die Gefühle vernunftgeprägt zum Ausdruck kommen« (K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 210, 212). 442 Selbst andere Autoren verweisen hinsichtlich der Verantwortung für die Natur auf das Gefühl, verknüpfen dies aber mit dem ästhetischen Empfinden. Vgl. M. Seel: Ästhetik der Natur ; G. Böhme: Ökologische Naturästhetik. Bereits im 19. Jahrhunderts wurde von der »Befriedigung des ästhetischen Gefühls« in Bezug auf die Landwirtschaft gesprochen (J. Waniek: Vortrag Waniek, 82; W. Löwe: Landwirthschaft für praktische Landwirthe, 65).

150 6.1.

Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

Mitwissenschaft

Die Gefühle sind etwas Natürliches und es gilt, diese, ähnlich der kulturellen Sichtweise, objektiv einsichtig zu machen. Bleiben sie bloß subjektiv zugänglich, sind sie in begründungstheoretischer Hinsicht ohne Bedeutung und demzufolge sinn- und zwecklos. Bestimmend ist nur, was, gleich wie, in Relation zu unserem Wissen steht. Trotz mancherlei Bezugnahmen handelt es sich um keinen bestimmten Gefühlsbegriff, der Meyer-Abich als Vorlage dient. Zwar ist die Bestimmung der Gefühle keineswegs leicht, allerdings kommen wir seiner Selbstauskunft zufolge ohne sie nicht aus, sie sind eine wesentliche Bedingung von Philosophie, von Wissen.443 Wenngleich Meyer-Abich sich in seinen Ausführungen nicht direkt auf Herder stützt, ähneln sich ihre Gedanken an manchen Stellen doch sehr ; auch bei Herder ist vom Selbstgefühl des Menschen,444 welches uns den Weg zur Wahrheit ebnet, die Rede. Im Erkennen und Empfinden drückt sich, so Herder, unser »Selbst- und Mitgefühl« aus.445 Obwohl uns das Selbstgefühl darüber Aufschluss gibt, wie wir in die Welt gehören, ist es nicht das allein Bestimmende. Die Welt zu begreifen, zu ordnen, ist erst möglich, wenn das Gefühl rational in die »Erkenntnisideale« Eingang gefunden hat und als Fundament unserer Herangehensweise an die Welt einsichtig wird.446 Erkenntnisideale sind im Wesentlichen das, was Schelling »leitende[] Ideen« (SW III, 644) oder Thomas Kuhn »paradigms« nennt.447 Da unsere Gefühle die Grundlage unserer erkenntnisleitenden Ideale bilden, werden sie uns zum Leitfaden, anhand derer wir auf die Welt zugehen und sie betrachten. In unseren Erkenntnisidealen drücken sich unsere Innenwelt, unsere Haltung und unsere Wer-

443 Vgl. K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 210f., 270ff. Siep hat diesbezüglich Bezüge auf David Hume ausgemacht (L. Siep: Praktische Naturphilosophie, 31f.), während Konrad Ott die Bedeutung Herders hervorhebt (vgl. K. Ott: Umweltethik, 72). Dass die Bezüge nicht eindeutig sind, hat mir Meyer-Abich im persönlichen Gespräch bestätigt. 444 Vgl. ergänzend die Bestimmungen des (Selbst-)Gefühls in: M. Frank: Selbstgefühl, 26–40. 445 J.G. Herder: Vom Erkennen und Empfinden, Werke 4, 360, vgl. 346, 354, 372, 375f., 381, 392; Ders.: Sinn des Gefühls, Werke 4, 235, 240f. Vgl. K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 270ff., 292f. 446 K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 58. Anders als Meyer-Abich zunächst vermutet hat, stammt der Begriff Erkenntnisideal nicht von seinem Vater Adolf MeyerAbich (K.M. Meyer-Abich: Einführung, 11; A. Meyer-Abich: Naturphilosophie, 28), schon Schelling spricht von »leitenden Ideen« (SW III, 644, IV, 537; X, 343; XIV, 293). Überdies findet sich der Begriff bei Ernst Cassirer (vgl. E. Cassirer : Descartes’ Kritik, ECW 1, 5; Ders.: Substanzbegriff und Funktionsbegriff, ECW 6, 2; Ders.: Philosophie der symbolischen Formen, ECW 11, 3; ECW 12, 41; ECW 13, 61, 70, 502), Georg Simmel (vgl. G. Simmel: Philosophie des Geldes, Bd. 1, 498) oder auch Max Weber (vgl. M. Weber : Roscher und Knies, GA 7, 118). Im persönlichen Gespräch äußerte Meyer-Abich die Vermutung, dass der Begriff seines Vaters am ehesten auf die Überlegungen Schellings zurückgeht. 447 T. Kuhn: Scientific Revolutions, 94.

Mitwissenschaft und Freiheit bei Klaus Michael Meyer-Abich

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tungen über die Welt aus.448 Wissen ist demnach nie neutral, wir haben immer Anteil daran, wir treten in einer bestimmten Weise an die Welt heran. Daher ist Wissenschaft konsequenterweise »Mitseins- oder Mit-Wissenschaft«.449 Der Gedanke von der Mitwissenschaft ist nicht neu, hierin drückt sich nach Schelling ohnehin eine »uralte Lehre« aus (SW IX, 221; vgl. Kap. I). Diese wusste MeyerAbich in Auseinandersetzung mit dem Wissen ›in der Zeit‹ neu zu entfalten. Mitwissenschaft bezieht sich gleichermaßen auf die Natur und den Geist, sie baut auf der Einheit beider Momente. Dass die Bezugnahme auf die ideale und die reale Seite des Seins notwendig ist, zeigt sich anhand der naturwissenschaftlichen Bestimmungen. Obgleich die Naturwissenschaften meinen, eine Wahrheit auszusprechen, »an der letztlich nichts zu wollen ist«,450 gehen den von ihr formulierten naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten Erkenntnisideale voraus,451 entlang derer die Welt von uns kategorisiert, geordnet wird. Entsprechend ist ihre Bestimmung nicht bloß objektiv, sie ist ebenso subjektiver Natur. Indem wir das Objektive gemäß rational begründeter Erkenntnisideale ordnen, findet sich in diesem unsere subjektive Weltsicht wieder. Mit Meyer-Abich ist entsprechend festzuhalten: »Jede Rationalität hat Voraussetzungen, die nicht so rational begründet sind wie die Ergebnisse, zu denen man nach der betreffenden Rationalität kommt. Anders gesagt: Keine Wissenschaft ist selbst so wissenschaftlich wie ihre Ergebnisse.« Die rational dargestellten Gefühle bilden die Grundlage, gemäß denen wir die Welt begreifen. Da uns die Gefühle, ähnlich dem kantischen Ding an sich, verborgen sind, drückt sich in ihnen zunächst etwas Objektives aus. Um mittelbar zu sein, dürfen sie uns nichts Beliebiges sein, weswegen sie »rational [zu] bändigen« sind.452 Den Gefühlen ist im Rahmen unserer Möglichkeiten auf allgemeine und rationale Weise Ausdruck zu verleihen, so verliert sich ihre Bedeu448 K.M. Meyer-Abich: Komplementarität, 137, 139, 186; Ders.: Wissenschaft für die Zukunft, 72–77. Die Bedeutung, die sich in Meyer-Abichs: »Man denkt so, wie man ist« ausdrückt (K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 97, 297), findet sich so bereits bei Fichte (J.G. Fichte: Erste Einleitung, Werke I, 434) und Schelling (UPhO, 21). 449 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 256. 450 K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 70. 451 Die Rolle der Erkenntnisideale ähnelt Kants apriorischer Bestimmung (I. Kant: Metaphysische Anfangsgründe, Akad.-Ausg. IV, 468; Ders.: Kritik der reinen Vernunft, B 3, 226–228, 560–569, A 2; Ders.: Kritik der praktischen Vernunft, Akad.-Ausg. V, 95 f). Auch diese sind für die Naturwissenschaft maßgeblich, das Kausalverhältnis ist nicht empirisch, es ist »nur theoretisch« zu fassen (K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 55). 452 K.M. Meyer-Abich: Erkenntnisleitende Gefühle, 275f.; Ders.: Mit-Wissenschaft, 161; Ders.: Frieden mit der Natur, 44; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 447, 462. Demnach ist die »Vernunft gefühlsbegleitet« und die »Gefühle [sind] vernunftgeprägt« (K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 210, 211). Dabei gilt: »Vernunft ohne Sinnen- und Gefühlsinhalt ist leer, Sinne und Gefühle ohne Vernunft sind blind« (K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 131; I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 75).

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tung nicht. Diese konkretisiert sich gerade darin, dass wir sie zu bändigen, heißt zu bestimmen wissen. Es bedarf dieses Schrittes, um der Beliebigkeit, der willkürlichen Bestimmung der Gefühle entgegenzuwirken.453 Das Objektive, das Unbegreifbare wird so begreifbar. Begreifbar wird es, weil wir gemäß den auf den Gefühlen aufbauenden Erkenntnisidealen an die Welt herantreten und unsere Erfahrungswelt auf deren Grundlage beschreiben. Das heißt im Grunde nichts anderes, als dass es einer intersubjektiven Überprüfung bedarf; die Geltung hängt vom Konsens der Wissenschaften ab (vgl. Kap. I).454 a)

Subjekt-Objekt Wissen455

Mit David Hume hebt Meyer-Abich hervor, dass das Wissen von den Naturgesetzen auf Gewohnheiten beruht und als solches »Ausdruck gewohnter Ziele« ist. Demnach fußen die Erkenntnisideale auf einem Konsens, der so lange Geltung hat, »bis neue Herausforderungen neue Ziele und Gewohnheiten vordringlich werden lassen« – ein verändertes Wissen vom Objekt vermag eine Veränderung des subjektiven Zugangs zur Folge haben. Dieser Zusammenhang darf nicht als relative Bestimmtheit verstanden werden, vielmehr ist, wie Meyer-Abich mit Goethe anführt, die »Geschichte der Wissenschaft […] die Wissenschaft selbst«,456 womit der Fortschritt der Wissenschaft Ausdruck des fortschreitenden Wissens ist. Dies ist zweckhaft, denn mitunter führen neue Möglichkeiten, neue Einsichten und neue Informationen zu einer Erweiterung des Wissens und der Wissensbereiche. Wie einflussreich neue physikalische Einsichten sein können, hat die begrenzte Beschreibungsweise der klassischen Mechanik mit Blick auf die Bestimmung der kleinsten Teilchen gezeigt. Während es im Rahmen der klassischen Physik zunächst noch erlaubt war, wie es Max Planck tut, von der Möglichkeit in die ›göttliche Einsicht‹ zu sprechen, ist das angesichts der notwendig gewordenen Neubestimmung des Erkenntnisideals der klassischen Mechanik – aufgrund der atomphysikalischen Beschreibungsprobleme – nicht mehr überzeugend. Abgesehen vom Bereich der kleinsten Teilchen mag es akzeptabel sein, davon auszugehen, dass »die Bausteine des Weltgebäudes […] nach einem einzigen Plan aneinandergefügt sind« und in allen Vorgängen der 453 Vgl. die Kritik von Hans-Dieter Mutschler in: Naturphilosophie, 43. 454 Vgl. K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 70, 54, 58, 61; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 184 samt Anm.; vgl. T.S. Kuhn: Scientific Revolutions, bes. 43ff.; M. Weber : Sinn der »Wertfreiheit«, GA 7, 507ff. 455 Dass Mitwissenschaft ein zentrales Moment der Erkenntnis in Bezug auf die Quantenphysik und die Metaphysik ist, habe ich an anderer Stelle skizziert. Vgl. M. Hackl: Kommet her zur Physik. 456 K.M. Meyer-Abich: Mit-Wissenschaft, 34. Dieses Zitat findet sich in Goethes Farbenlehre (J.W. v. Goethe: Farbenlehre, MA 10, 13). Zur Gewohnheit bei Hume vgl. D. Hume: Untersuchung, bes. 62f.

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Natur eine »universale, uns bis zu einem gewissen Grad erkennbare Gesetzlichkeit herrscht«,457 welche auf objektive Weise zu fassen ist. Auf Grundlage des geltenden Kausalitätsparadigmas ist es nach Werner Heisenberg tatsächlich möglich, zwecks der Kenntnis vom »Zustand der Welt zu einer bestimmten Zeit […] das zukünftige Verhalten und Geschehen« zu berechnen, zu bestimmen, wodurch die Zukunft verständlich und fassbar wird.458 Zwar hat Planck darauf hingewiesen, dass »der Mensch bei der Formulierung der Naturgesetze auch etwas aus Eigenem hinzugefügt« hat.459 Da der Mensch seines Erachtens aber eine »verschwindend kleine Rolle« einnimmt, sei es dem Menschen möglich, die Natur rein objektiv zu betrachten. Planck hält das für möglich, weil in der Natur »eine bestimmte Gesetzlichkeit herrscht, welche unabhängig ist von der Existenz einer denkenden Menschheit«.460 Auf der klassischen Betrachtungsebene mag diese Haltung noch vertretbar sein, problematisch ist jedoch bereits hier, dass der Mensch in seiner Subjektivität, seiner Individualität vollkommen unberücksichtigt bleibt, wodurch das Objekt unabhängig vom erkennenden Subjekt gefasst wird. Ist das Subjekt ohne Belang für das Objekt, wird das Erkennende vom Erkannten losgelöst. Dadurch ist dem mitwissenschaftlichen Anspruch nicht gerecht zu werden, was inakzeptabel ist, denn Wissen und Mitwissen sind nicht zu trennen. Mitwissenschaft ist die Bedingung dafür, überhaupt von etwas zu wissen (vgl. Kap. I). Nach Plancks Verständnis ist nur Objektivität, was einen Reduktionismus hin auf das Objekt impliziert, welches alles Subjektive in sich fasst. Dass diese Haltung nicht (mehr) überzeugt, hat die durch die Quantenphysik notwendig gewordene neue Beschreibungsweise klar aufgezeigt. Die von Isaac Newton vertretene klassische Weltauffassung, der Planck freilich treu bleibt, reicht im Bereich der Atome nicht mehr aus, um die Teilchen vollständig zu beschreiben. Während der Anwendungsbereich der klassischen Mechanik als exakte Wissenschaft zunächst »unbegrenzt« erschien, wurde ihr mit der Quantenphysik eine Grenze ihrer Bestimmtheit aufgezeigt,461 welche eine Revision des Erkenntnisideals notwendig machte. Anstoß für die Revision war das DavissonGermer-Experiment oder das Doppelspaltexperiment, weist dieses doch ein Auftreff- bzw. Interferenzmuster der Atome aus, welches verdeutlicht, dass die 457 M. Planck: Naturgesetzlichkeit, 13, vgl. 17; K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 158. 458 W. Heisenberg: Erkenntnistheoretische Probleme, GW C I, 26; vgl. Ders.: Kausalgesetz und Quantenmechanik, GW C I, 32ff.; Ders.: Atomphysik und Kausalgesetz, GW C I, bes. 382ff.; K.M. Meyer-Abich: Mitwahrnehmung Gottes, 56f.; R.P. Feynman et al.: Lectures on Physics I, 38–9f. 459 M. Planck: Naturgesetzlichkeit, 14. 460 M. Planck: Naturgesetzlichkeit, 17. 461 W. Heisenberg: »Abgeschlossene Theorie«, GW C I, 336, 339; N. Bohr : Unity of Human Knowledge, CW 10, 158; C.F. v. Weizsäcker : Zeit und Wissen, 11.

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Bewegungsbahnen der Quanten sowohl die Eigenheiten von Wellen als auch von Teilchen aufweisen.462 Dieser Umstand impliziert wiederum, dass sich die Bewegungen der kleinen Teilchen, anders als die der großen Teilchen, vielfältiger darstellen und sich nicht mehr mit dem für die großen Teilchen gültigen Ordnungsmuster, das heißt gemäß der klassischen Mechanik, beschreiben lassen. Hieraus folgt, dass die Messung der Bewegungsbahnen der atomaren Teilchen mit den Gesetzen der klassischen Physik nur eingeschränkt möglich ist. Problematisch bei der Bestimmung ist, dass es beim Messversuch notwendig ist, die schweren sowie die leichten Teilchen zu beleuchten, womit ein Eingriff des Erkennenden (Subjekt) in das zu Messende, das zu Erkennende (Objekt) stattfindet. Während dieser Eingriff bei den schweren Teilchen keinen nennenswerten Einfluss auf die Messung hat und damit vernachlässigt werden kann, ist bei den kleinsten Teilchen das Gegenteil der Fall. Hier übt das zum Messen zu verwendende »Licht einen so starken Druck aus, daß wir«, so Heisenberg, »das System zu einer genauen Ortsmessung zerstören müssen.«463 Diese Einflussnahme zeigt, dass die Messung eine Bezugnahme des Subjekts auf das Objekt impliziert, weshalb auf Mikroebene hinsichtlich der Bestimmung des Objekts die Differenz von Beobachter und Beobachtetem nicht mehr beiseite zu schieben ist. Stattdessen ist der Beobachter als störender Teil auf das Gemessene zu bewerten. Aufgrund der andersartigen Bewegungsbahnen der kleinsten Teilchen und den Messproblemen sind die klassischen Gesetze nicht mehr hinreichend, um die Atome konkret zu bestimmen. Die Störung führt nach Paul Dirac dazu, dass »die Unbestimmtheit bei der Angabe des Impulses eines Teilchens um so größer ist, je genauer die Lage des Teilchens bekannt ist und umgekehrt.«464 Da die kleinsten Teilchen vor Abschluss der Messung gestört bzw. zerstört werden, sind sie nicht mehr vollständig zu beschreiben. Das ist der Grund, warum sich im Bereich der Quanten nicht mehr mit dem Kausalitätsparadigma arbeiten lässt, sodass nach Niels Bohr die »renunciation of a strictly causal description« in diesem Bereich unumgänglich wurde.465 Heisenberg zeigt mit den aufgestellten Unbestimmtheitsrelationen, dass die Atome demnach nur noch mit Wahrscheinlichkeiten beschrieben werden kön462 C. Davisson/L.H. Germer: Diffraction of Electrons; C.F. v. Weizsäcker : Aufbau der Physik, 526–531; R.P. Feynman.: Character of Physical Law, 127–148; Ders. et al.: Lectures on Physics I, 38-1–4; 1–2-10. 463 W. Heisenberg: Erkenntnistheoretische Probleme, GW C I, 26; N. Bohr : Rutherford Memorial Lecture, CW 10, 406f. 464 P.A.M. Dirac: Quantenmechanik, 129; R.P. Feynman et al.: Lectures on Physics I, 39-8–10. 465 N. Bohr : Atomic Theory and Fundamental Principles, CW 6, 248; Ders.: Quantum Postulate and Recent Development, CW 6, 150–152; W. Heisenberg: Naturwissenschaftliches Weltbild, GW C I, 177.

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nen;466 die Störung der Messung macht eine vollkomme Bestimmung aller Eigenschaften des Teilchens zum gleichen Zeitpunkt unmöglich. Das Interessante an dem uncertainty principle ist Richard Feynman zufolge, »that making observations affects a phenomenon, but the point is that the effect cannot be disregarded or minimized or decreased arbitrarily by rearranging the apparatus. When we look for a certain phenomenon we cannot help but disturb it in a certain minimum way, and the disturbance is necessary for the consistency of the viewpoint.«

Hieraus folgt aber nicht, so Feynman in seinen Lectures on Physics weiter : »Just because we cannot measure position and momentum precisely does not a priori mean that we cannot talk about them. It only means that we need not talk about them. The situation in the sciences is this: A concept or an idea which cannot be measured or cannot be referred directly to experiment may or may not be useful. It need not exist in a theory. In other words, suppose we compare the classical theory of the world with the quantum theory of the world, and suppose that it is true experimentally that we can measure position and momentum only imprecisely. The question is whether the ideas of the exact position of a particle and the exact momentum of a particle are valid or not. The classical theory admits the ideas; the quantum theory does not. This does not in itself mean that classical physics is wrong.«467

Das Problem ist, dass die jeweilige Beschreibungsform nur mehr beschränkt Geltung für sich beanspruchen kann, was der Grund dafür ist, dass das Kausalgesetz nach Heisenberg nur noch für »abgeschlossene Systeme« gilt,468 also lediglich für einen bestimmten Bereich der Wirklichkeit, nämlich die Makroebene. Wegen des störenden Eingriffs ist das Objekt nicht mehr konkret zu bestimmen. Wir haben, mit Meyer-Abich gesprochen, kein Wissen davon, ob »der ›liebe Gott‹ […] die Impulse und die Orte der Elementarteilchen gleichzeitig wahrnehmen« kann:469 Wir können es auf jeden Fall nicht. Da sich keine Existenz des Objektiven unabhängig vom Beobachter ausmachen lässt und mit Erwin Schrödinger gilt: »The world is given to me only one, 466 W. Heisenberg: Unbestimmtheitsrelationen, GW C I, bes. 42f., 46f. Vgl. N. Bohr: Quantum Physics and Philosophy, CW 7, 391; Ders.: Solvay Meetings, CW 10, 441–446; Ders.: Atomic Theory and Fundamental Principles, CW 6, 239f.; P.A.M. Dirac: Quantenmechanik, 11f. 467 R.P. Feynman et al.: Lectures on Physics I, 38–8f.; Lectures on Physics II, 2-8–10. 468 W. Heisenberg: Physikalische Prinzipien, 48. 469 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 158.; Ders.: Wissenschaft für die Zukunft, 69; Ders.: Rationalität und Intuition, 86f.; Ders.: Religiöse Leitbilder, 128–130; Ders.: Mitwahrnehmung Gottes, 42, 56; Ders.: Grundlagen der Physik, 81; Ders.: Mit-Wissenschaft, 30, 128; Ders.: Komplementarität, 168; C.F. v. Weizsäcker : Zeit und Wissen, 783. In diesem Kontext steht auch Albert Einsteins »Gott würfelt nicht« (W. Heisenberg: Der Teil und das Ganze, GW C III, 115; A. Einstein: Physik, 29; K.M. Meyer-Abich: Mitwahrnehmung Gottes, 59f.; Ders.: Religiöse Leitbilder, 129).

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not one existing and one perceived«,470 kann nicht mehr von objektivem Wissen gesprochen werden. Es lässt sich einzig von Objektivierbarkeit als einer objektiven Form der Subjektivität sprechen.471 Das belegt, dass das Subjekt fortan als Moment des Objekts miteinzubeziehen ist, wodurch sich Meyer-Abichs Gedanke bestätigt – worauf bereits Hegel andeutungsweise hingewiesen hat (vgl. TWA 10, 208, § 420 samt Z; TWA 3, 95–102) –, dass Wissen mitwissenschaftlich bestimmt ist. Mit Blick auf die neuere Physik ist das Subjekt als Moment des Objekts nicht mehr wegzudenken, wenngleich dieser Zusammenhang von einer früheren Warte aus noch vernachlässigt werden konnte. Wissen heißt damit stets Mitwissen, schließlich kann Naturerkenntnis nicht auf verschiedene Weise geschehen. Was erkenntnistheoretisch für die Quantenphysik gilt, gilt ebenfalls für die klassische Physik, gleichwohl der Beobachter in letzterer keinen nennenswerten Einfluss auf das Ergebnis nimmt. Das Prinzip ist freilich dasselbe. Richtig ist, dass wir aufgrund unserer Grenzen der Erkenntnis nach Kant keine andere als die klassische Beschreibung anwenden können, weswegen wir ihrer nicht entbehren können.472 Wir müssen uns daher die Frage stellen, wie es möglich ist, dem Wissen in seiner mitwissenschaftlichen Struktur Ausdruck zu verleihen. Die quantenphysikalische Problemstellung hat gezeigt, dass es eine Beziehung zwischen den Momenten gibt, gleichwohl das Beobachtete nicht vollumfänglich fassbar ist. Das Beobachtete trotz des störenden Einflusses vollständig zu beschreiben, hat Bohr im Rahmen im Rahmen seiner sogenannten Kopenhagener Deutung der Quantenphysik versucht. Da die Lichtquanten dem Davisson-Germer-Experiment nach die Eigenschaften von Wellen und von Teilchen aufweisen und sie aufgrund der Messproblematik nicht eindeutig zu bestimmen sind, stellt sich die Frage, wie die verschiedenen Beobachtungssätze miteinander in Einklang zu bringen sind; gelingt das nicht, ist das Objekt nur bedingt beschreibbar. Wie sich die verschiedenen Beobachtungen miteinander verknüpfen lassen, entlehnt Bohr William James’ Komplementaritätsbegriff. Dieser liefert eine erkenntnistheoretische Möglichkeit, wie das

470 E. Schrödinger : Mind and Matter, 127, 118f., 124–126. Vgl. SW VI, 498. 471 K.M. Meyer-Abich: Komplementarität, 137, 139, 186; Ders.: Mit-Wissenschaft, 124. Vgl. W. Heisenberg: Physikalische Prinzipien, 9–35. Zum Streit der Interpretation zwischen Bohr und Einstein vgl. N. Bohr: Discussion with Einstein, CW 7, 362–370 Ders.: Atomic Theory and Fundamental Principles, CW 6, 249–253; Ders.: Quantum Mechanics and Physical Reality, CW 7, 290; A. Einstein: Physik, 195. 472 Vgl. C.F. v. Weizsäcker : Einheit der Natur, 231, 225–230; Ders.: Aufbau der Physik, 526–531, 535–538; Ders.: Mensch in seiner Geschichte, 133; K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 68f.; Ders.: Komplementarität, 176, 172ff. Zur Verknüpfung der Beschreibungen vgl. N. Bohr : Atomic Theory and Mechanics, CW 6, 277, 280; Ders.: Atomic Theory and Fundamental Principles, CW 6, 109; Ders.: Notion of Causality and Complementarity, CW 7, 330–318.

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Zugängliche und das Nicht-Zugängliche als Einheit zu fassen sind. Die verschiedenen Bestimmungen müssen komplementär beschrieben werden. »It must be admitted, therefore, that in certain persons, at least, the total possible consciousness may be split into parts which coexist but mutually ignore each other, and share the object of knowledge between them. More remarkable still, they are complementary. Give an object to one of the consciousnesses, and by that fact you remove it from the other or others.«473

Die komplementäre Beschreibung meint nichts anderes, als dass die verschiedenen subjektiven Beobachtungen des Objekts an und für sich Geltung haben und nebeneinanderstehen können. Jede Beschreibung hat ihre Gültigkeit innerhalb ihres Zugangs. Dieser erkenntnistheoretische Zugang macht es möglich, jene Momente als Einheit zu beschreiben, die »objektseitig zusammengehören […], subjektivseitig aber von verschiedenen Warten aus erfolgen.«474 Bohr hat mit der komplementären Beschreibungsweise einen Weg gefunden, jenen Teil des Objekts zu beschreiben, in dem »der Erkennende selbst nicht vorkommt.«475 Folglich gibt es kein Wissen fern des Subjekts, wenngleich das zu Erkennende in seiner objektiven Bestimmtheit gefasst wird. Somit bildet die Gesamtheit der subjektiven Beschreibungsformen die Bestimmung des Objekts. Es ist keineswegs so, dass, wie Wolfgang Pauli meint, »die erkenntnistheoretische Situation, vor welche die moderne Physik gestellt ist, von keinem philosophischen System vorhergesehen wurde«;476 vielmehr haben uns die neuen physikalischen Phänomene »an philosophische Weisheiten oder Wahrheiten erinnert«, ohne die sie gar nicht zu verstehen gewesen wären.477 Die physikalischen Bezüge legen nahe, dass unser Wissen prinzipiell mitwissenschaftlicher Natur ist. Das Subjekt ist nur durch das Objekt, und umgekehrt, zu fassen. Wissen ist nichts Isoliertes, es steht im Mitsein mit den Dingen:478 Wissen ist, worauf Meyer-Abich hinweist, Mitwissenschaft.

473 W. James: Principles of Psychology, Bd. 1, 206, 275; N. Bohr : Causality and Complementarity, CW 10, 37–48. 474 K.M. Meyer-Abich: Komplementarität, 102, 153, 186; Ders.: Grundlagen der Physik, 82. 475 K.M. Meyer-Abich: Mit-Wissenschaft, 44, 127, 134; C.F. v. Weizsäcker : Weltbild der Physik, 343; D. Wandschneider: Naturphilosophie, 127. 476 W. Pauli: Physik und Erkenntnistheorie, 10. Vgl. M. Hackl: Kommet her zur Physik, bes. 224f. 477 K.M. Meyer-Abich: Geist, 149; Ders.: Kosmos, 18. Auf das Naheverhältnis von Bohrs Kopenhagener Deutung und dem Mitsein hat Michael Drieschner (Lanze für Kopenhagen, bes. 176–179) hingewiesen. 478 Vgl. K.M. Meyer-Abich: Mit-Wissenschaft, 34.

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Erkenntnisleitende Ideale

Anhand der neueren Physik lässt sich belegen, dass ein rein objektivistisches Weltbild ebenso wenig haltbar ist wie ein rein subjektivistisches. Dies legt nahe, dass wir nicht unabhängig vom Objekt, vom Realen stehen. Wir sind darin miteinbezogen. Da wir Mitwissen am Objekt haben und dieses nicht außerhalb eines rationalen Konsenses steht, muss die Wissenschaft wie die Wissenschaft von der Natur ein gesellschaftlicher, ein intersubjektiver Akt sein.479 Jeder »naturwissenschaftlichen Beobachtung liegt vielmehr ein Naturverständnis voraus, in dem die Beobachtung einen Sinn hat und eine entsprechende Frage beantwortet. […] Dieses Naturverständnis ist aber manchmal nur implizit erkenntnisleitend und wird erst nachträglich naturphilosophisch entfaltet. Im Fall der Quantentheorie mußte sogar erst nach demjenigen Naturverständnis gesucht werden, unter dem die Beobachtungen in einen sinnvollen Zusammenhang stehen.«480

Es lässt sich nunmehr schwerlich vom rein objektiven Wissen sprechen, das gilt für Natur- und Kulturwissenschaft gleichermaßen. Sofern die Phänomene eine Änderung der Erkenntnisideale, unseres Zugangs zum Ganzen erfordern, können wir uns dem nicht entziehen; stattdessen müssen wir dem neuen Informations- und Kenntnisstand stets aufs Neue gerecht werden. Die auf die Physik bezogenen Überlegungen machen deutlich, dass wir uns der Mitwissenschaft nicht entziehen können, sie ist die erkenntnistheoretische Grundlage von Wissen. Um dieser gerecht zu werden, muss die individuelle Sichtweise objektiv expliziert werden.481 Wer an einem Erkenntnisideal festhält, muss dieses selbstverständlich begründen können. Kann es gegenüber dem Erfahrbaren keine Geltung beanspruchen, gilt es sich von dieser leitenden Idee zu lösen und eine andere auszuweisen. Meyer-Abich weiß, dass das Festhalten an Altbekannten nicht hilft, dem Vernünftigen Ausdruck zu verleihen. Davor zurückzuschrecken und sich auf Altbekanntes zu verlassen, bedeutet, sich der vernünftigen Beschreibung der Phänomene zu verschließen. Wer sich aber dem Neuen nicht verschließen möchte, der muss bereit sein, die Erkenntnisideale zu diskutieren. Diese können allerdings erst dann Geltung beanspruchen, wenn ihre Begründung objektiv einsichtig ist. Ihre Bestimmung darf nichts rein Individuelles sein. Aufgrund des hohen begründungstheoretischen Anspruches ist es unstimmig, wenn sich Meyer-Abich bezüglich dieser Thematik in seinen frühen Arbeiten auf Jürgen Habermas bezieht. Obwohl Habermas auf ein auf rationalen Argumenten fußendes Einheitsmoment abzielt, nimmt er auf die metaphysische, die real-ideale 479 Vgl. K.M. Meyer-Abich: Grundlagen der Physik, 58. 480 K.M. Meyer-Abich: Mit-Wissenschaft, 124f. 481 K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 49, 44.

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Begründungsdimension nicht hinreichend Bezug (vgl. Kap. I.2). Aber gerade darauf kommt es an – schließlich gehen die Erkenntnisideale nicht bloß aus sozialen Sichtweisen hervor, sondern bauen gleichermaßen auf idealen wie realen Bestimmungen. Es geht nicht darum, Wahrheit durch Mehrheiten zu begründen, wenngleich Meyer-Abich hofft, dass »Wahrheiten irgendwann auch Mehrheiten finden.«482 Die Gefühle bzw. ihre Inhalte sind weniger von Interessen getrieben, vielmehr gründen sie auf einer real-idealen Bezugnahme. Dass Meyer-Abich dieser Ansicht ist, bestätigt seine spätere Äußerung, dass er »keinen Gewinn« darin sehe, »Werte generell auf Interessen zu reduzieren«.483 Die Leitbilder der Erkenntnis sind keineswegs bloßes Ergebnis eines Diskurses der Interessen, sie bauen auf der diskursiven Auseinandersetzung mit dem Realen. Die vorgelegte Vernunftkonstruktion gründet nicht bloß auf Interessen, sie fußt im Wesentlichen auf der Kenntnis der Tatsachen, die als objektives Moment in die Bestimmung der Erkenntnisideale einfließen. Das macht verständlich, warum sich gegebenenfalls die Leitbilder ändern, wenn sich das Objektive ändert. Folglich besteht ein reziprokes Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt, welches im Mitsein seinen Ausdruck findet. Angesichts dieses Begründungsanspruchs steht Meyer-Abich der Diskurstheorie von Karl-Otto Apel weit näher als der von Habermas. Nicht nur, dass Apel die Paradigmen diskutiert,484 er betont darüber hinaus, dass die »Ansprüche aller Mitglieder der Kommunikationsgemeinschaft […] durch vernünftige Argumente gerechtfertigt« sein müssen.485 Apel geht es nicht nur um einen rational begründeten Konsens, ihm geht es wie Meyer-Abich um einen grundsätzlichen »Wahrheits-Anspruch«.486 Allerdings zieht Meyer-Abich zur Begründung des Wahrheits-Anspruches nicht bloß den idealen Diskurs, sondern ebenso die naturwissenschaftlichen Einsichten heran, weswegen mit ihm von »Handlungs-Wahrheiten« zu sprechen ist.487 Handlungs-Wahrheiten sind ihm im kantischen Sinn der »Probirstein der Richtigkeit« der rational begründeten Erkenntnisideale.488 Die auf Gefühlen gründenden Erkenntnisideale erfahren auf diese Weise durch die empirische Wahrnehmung Bestätigung. Da uns die Gefühle etwas »archaisch Verborge482 G. Haff/K.M. Meyer-Abich: Mit Platon. 483 K.M. Meyer-Abich: Mit-Wissenschaft, 11; Ders.: Determination und Freiheit, 38. Aufschlussreich sind Habermas’ Ausführungen zum erkenntnisleitenden Interesse in: Erkenntnis und Interesse, 242–262. 484 K.-O. Apel: Erste Philosophie, bes. 7–10, 66f., 165f., 193–197, 210–214; Ders.: Auseinandersetzungen, 122–135. 485 K.-O. Apel: Transformation der Philosophie, Bd. 2, 425. 486 K.-O. Apel: Auseinandersetzungen, 192. 487 K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 76, 70ff., 73. 488 I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 90.

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ne[s]« sind,489 sind sie, um sich wieder der Worte Herders zu bedienen, »dunkel« und »unaussprechlich«.490 Um die Gefühle vermitteln zu können, müssen sie allgemein zugänglich sein, sind sie doch – darauf weist schon Schelling hin – »keine objektiven Begriffe« (SW II, 23; UPhO, 21), sie sind wesentlich subjektiv. Daher müssen die Gefühle ebenso wie die Erkenntnisideale ihre Bestätigung nicht bloß in der Erfahrung haben, sie müssen darüber hinaus rational einzusehen sein. Das Archaische gilt es in Gedanken zu verwandeln. Indem über die Gefühle in demselben Maße Rechenschaft abgegeben werden kann »wie über die einzelnen Schritte im Denken und Handeln«,491 wird das »erkenntnisleitende Wertbewußtsein« allgemein einsichtig,492 was nichts anderes meint, als dass wir die Grundlage des Wissens zu reflektieren wissen. Der mitwissenschaftliche Ansatz fordert die gleich gültige und identische Einheit von Subjekt und Objekt – dadurch läuft man nicht Gefahr, der Einseitigkeit des Materialismus oder des Idealismus zu verfallen. Weil das Archaische in uns nur gefühlt wird, ist der Grund des Idealen ein natürlicher. Damit wird die Idee allein durch die Natur bestimmt, womit bei Meyer-Abich nur Natur zu sein scheint. Aber erst wenn sich zeigen lässt, dass die beide Sphären, Natur und Geist, ineinandergreifen, sie aber sogleich in Differenz stehen, wird ein Reduktionismus verhindert, weil das Objekt nicht bloß auf das Subjekt Bezug nimmt, sondern selbiges auch umgekehrt der Fall ist. c)

Holismus

Meyer-Abichs Ausführungen erlauben, das Ganze der Natur vernünftig zu begreifen, ohne den Erkennenden über das Erkannte, und umgekehrt, zu überhöhen. Das Objektive und das Subjektive sind einander gleich gültig. Eingehend wird dargelegt, dass das Wissen vom Subjekt ausgeht, sich dabei auf ein Objekt bezieht und wesentlich subjektiv ist, weshalb das Subjekt wesentlich objektiver Natur sein muss. Hierdurch ist es möglich, sich gegen den Anspruch zu verwehren, dass die »Regeln der Mechanik […] dieselben seien wie die der Natur«,493 wie dies unter anderem von Julien Offray de La Mettrie in Die Ma489 K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 131. 490 J.G. Herder: Abhandlung über den Ursprung der Sprache, Werke 1, 747. 491 K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 128, 67; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 215f. Selbst Hegel, ein scharfer Kritiker der Gefühle, fasst er diese doch als ein »dumpfe[s] Weben des Geistes in sich« (GW 13, 209, § 369; TWA 6, 255, 403, 496; TWA 10, 206, § 418), hält es für möglich, dass sich aus den Gefühlen mittels »Verstand […] eine Allgemeinheit oder ein Abstraktes herausziehe[n]« lässt (TWA 6, 260; TWA 8, 46, § 5). 492 K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 149; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 211. 493 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 155; Ders.: Wissenschaft für die Zukunft, 66, 73ff., 83, 86f.

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schine Mensch vertreten wird. Die Natur ist kein »Ingenieursgebilde«,494 sie ist wesentlich Ausdruck unserer geistigen Beschaffenheit. Gleichwohl schon Kant darauf aufmerksam gemacht hat, dass der Organismus nicht allein mit den Mitteln der Kausalität zu beschreiben ist, wird spätestens mit dem erkenntnistheoretischen Verweis auf die Quantenphysik ersichtlich, dass die klassische Mechanik hier ihre Grenzen hat.495 Auf Basis der klassischen Physik lassen sich nämlich die Energieänderungen bei den kleinsten Körpern nicht erklären. Das Problem besteht darin, dass die Energieänderungen im mikroskopischen Bereich, anders als bei großen Körpern, nicht mehr kontinuierlich verlaufen, weshalb das Gesetz der Kausalität hier nicht zur Beschreibung ausreicht. Hinzu kommt, dass die klassische Beschreibung nicht erklären kann, wieso die kleinen Körper »only certain discrete amounts of energy« haben, bzw. wie die »transition from one state to another […], which is usually called a ›quantum jump‹«, möglich ist. Erst dank der Quantenphysik ließen sich der Organismus sowie die Energieänderungen konkreter beschreiben. Hierauf hat Schrödinger in seinen Dubliner Vorlesungen What is Life? eingehend hingewiesen und dargelegt, dass es mittels der »great revelation«, der Quantentheorie möglich geworden ist, die »discreteness […] in the Book of Nature« offenzulegen und die eigenartige Individualität des Lebens zu beschreiben,496 denn die Quantentheorie liefert die »rational foundation« jener Entropieänderungen. Ob der Organismus tatsächlich, wie Schrödinger hervorhebt, »the finest masterpiece ever achieved along the lines of the Lord’s quantum mechanics« ist,497 lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Mit Bohr ist jedenfalls festzuhalten: »The incessant exchange of matter which is inseparably connected with life will even imply the impossibility of regarding an organism as a well-defined system of material particles like the systems considered in any account of the ordinary physical and chemical properties of matter.«498

Das Besondere an der Quantenphysik ist freilich, dass ihre Beschreibung die Bezugnahme auf das Subjekt und Objekt einfordert und sich nicht in der Einseitigkeit verliert. Die Deutung der neueren Physik fordert in besonderem Maße die mitwissenschaftliche Struktur von Wissen. K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 86. Vgl. I. Kant: Kritik der Urteilskraft, Akad.-Ausg. V, 376, 379, 422. E. Schrödinger : What is Life?, 48; K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 88f. E. Schrödinger: What is Life?, 84f., Hervorhebung M.H., vgl. 76, 80–81; M. Eigen: Strange Simplicity, 481f. 498 N. Bohr : Biology and Atomic Physics, CW 10, 61, 60f.; Ders.: Light and Life, CW 10, bes. 33ff.; Ders.: Physical Science and the Problem of Life, CW 10, 118f., 122f.; vgl. K.M. Meyer-Abich: Komplementarität, 171, 181.

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Methodisch folgt hieraus, dass der mitwissenschaftliche Ansatz der neuen thematischen Ausrichtung der Naturwissenschaften gerecht wird. Wissen ist nur möglich, wenn Idee und Realität in eins gesetzt sind. Es ist der neue Zugang, der erlaubt, gar fordert, Objekt und Subjekt, Natur und Geist, Anorganisches und Organisches als eine in sich differenzierte Einheit zu fassen. Mitwissen haben wir nur daran, was Moment von mir selbst ist, sogleich aber in Differenz zu mir steht. Andernfalls wäre keine Differenz, es wäre nur Subjekt bzw. nur Objekt, nur Idealismus bzw. nur Materialismus: Es wäre nichts außer mir. Ein reduktionistisches Verständnis ist ebenso wenig wie eine dualistische Position in der Lage, den Eingriff des Beobachters hinsichtlich der Bestimmung des Beobachteten zu erklären; es bliebe jeweils nur eine Seite. Der Zusammenhang beider Seiten wird also zum Prinzip. Sind beide Seiten nicht voneinander zu trennen, kann die »Ursache alles Organismus« weder, worauf seinerseits Schelling hinweist, nur in die »Sphäre des Organismus« noch bloß »in die Sphäre des Mechanismus« fallen. »Sie muß also in eine Sphäre fallen, die Organismus und Mechanismus (die beiden Entgegengesetzten) selbst wieder unter sich begreift, und höher ist denn beide. Aber jene höhere Sphäre ist keine andere als die Natur selbst, insofern sie als schlechthin unbedingt (als absolut organisch) gedacht wird« (SW III, 159f.).

Der angeführte identitätsphilosophische Zusammenhang steht ganz im Kontext der systematischen Struktur der Mitwissenschaft (vgl. Kap. III). Diese Denkweise lehrt, dass die eine Seite weder für sich steht noch auf die andere reduziert werden darf. Aufgrund der unbestreitbaren Bezugnahmen von Subjekt und Objekt kann es nie darum gehen, das eine auf das andere zurückzuführen bzw. dieses über jenes zu erheben. Beide Seiten sind stattdessen als einander gleich gültige Momente zu fassen. Da »all things are made of atoms«,499 müssen Organisches und Anorganisches prinzipiell identischer Natur sein. Folglich gibt nur eine Welt, alles muss miteinander verwoben sein, wenngleich uns das Wissen davon nicht auf gleiche Weise vermittelt ist. Um die Welt als Ganzes, als Einheit zu begreifen, bedarf es einer höheren Sphäre, die die jeweiligen Seiten in sich aufzuheben weiß oder unter sich begreift. Auf den Gedanken von der höheren Sphäre hat Schelling eingehend hingewiesen. In seiner Beschreibung jener Sphäre bezieht sich Meyer-Abich jedoch nicht auf Schellings Schriften, sondern auf die seines Vaters Adolf Meyer-Abich, der aber seinerseits auf Schelling Bezug nimmt.500 Zwar unterscheiden sich ihre 499 R.P. Feynman et al.: Lectures on Physics I, 3–6. 500 A. Meyer-Abich: Naturphilosophie, bes. 22, 104ff., 148ff., 162ff., 374ff. Dass sich MeyerAbich nicht auf den auf Kant folgenden »spätere[n] Idealismus« bezieht (K.M. MeyerAbich: Praktische Naturphilosophie, 164, 254f.), liegt daran, dass er, anders als sein Vater, in diesem die absolute Überhöhung des Subjekts verortet. Obwohl sich sein Vater mit Hegel

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Ansätze dahingehend, dass Schelling die Vernunfterkenntnis an die höchste Stelle setzt, während diese Stelle im Holismus von A. Meyer-Abich der Organismus einnimmt.501 Beider systematisches Ziel ist es aber, die Einheit der Natur als organisches Ganzes zu begreifen. In systematisch ähnlicher Weise zu Schelling geht es A. Meyer-Abich darum, das Organische (Vitalismus) und das Anorganische (Mechanismus) ins absolut Organische (Holismus) zu überführen.502 Wie Schelling zielt der meyer-abich’sche Holismus, das gilt für den des Vaters sowie für den des Sohnes, auf eine »dialektische Synthese«, auf die »dialektische Ganzheit« von Anorganischem und Organischem ab,503 wobei der Sohn stärker als der Vater das Nebeneinander, nicht das Übereinander der Natur betont.504 Hierdurch gelingt es auszuweisen, dass »die Gesetze der Physik und Chemie auch in den Lebewesen gelten«; allerdings sind »die Lebenserscheinungen nach diesen Gesetzen allein aber noch nicht für erklärbar. Nach diesem Ansatz sind die Gesetze der Physik zwar aus denen der Biologie abzuleiten, nicht aber die Gesetze der Biologie aus denen der Physik. Anders gesagt: Die Organismen physikalisch zu beschreiben, gelingt erst dann, wenn die Physik zur Biologie geworden ist.«505

Trotz aller weitreichenden Bestimmungen ist es problematisch, dass dem Holismus alles nur Natur ist. Das hat zur Folge, dass die Erklärung des Idealen – eben jenes rationalen Moments, um bei Meyer-Abich zu bleiben, dass die Gefühle bändigt – durch das Reale geschieht und in Folge auf dasselbe reduziert wird. Da A. Meyer-Abich, das gilt ebenfalls für den Sohn, alles als »ein gewaltiges universales Lebewesen« begreift, womit eine »metaphysische Erkenntnis« aus-

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und Schelling beschäftigt hat (vgl. A. Meyer-Abich: Biologische Erkenntnis, bes. 89ff.) und sich selbst bei ihm Analogien zum Deutschen Idealismus finden (vgl. K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 12, 167, 476; Ders.: Aufstand für die Natur, 127; M. Hackl: Verantwortung für die Freiheit; Ders.: Rechte der »natürlichen Mitwelt« , 177–181), hat er sich, wie er mir im persönlichen Gespräch versicherte, nie intensiv mit Schelling auseinandergesetzt. Auch sein Doktorvater Carl Friedrich von Weizsäcker hat Schelling, obwohl ihm dessen Philosophie »imponiert« hat, »nie gründlich gelesen« (C.F. v. Weizsäcker : Zeit und Wissen, 1050). Jan Christiaan Smuts gilt als Begründer des Holismus (J.C. Smuts: Holistische Welt, bes. 89– 121, 148–150, 326), Adolf Meyer-Abich hat diesen eigens weitergeführt (A. Meyer-Abich: Naturphilosophie, 109, 148). Dass der Vitalismus zu keiner vernunftgemäßen Erklärung des Lebens fähig ist, erläutert Meyer-Abich eingängig. Vgl. K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 90, 91; Ders.: Frieden mit der Natur, 226; A. Meyer-Abich: Naturphilosophie, 28–49, 147, 331f.; Ders.: Biologische Erkenntnis, 4–39. Auch Ernst Cassirer nimmt auf die holistischen Überlegungen von A. Meyer-Abich Bezug. Vgl. E. Cassirer : Erkenntnisproblem, ECW 5, 245f.; Ders.: Formproblem und Kausalproblem, ECW 24, 453 samt Anm. A. Meyer-Abich: Naturphilosophie, 377, 44, 99; vgl. K.M. Meyer-Abich: Frieden mit der Natur, 226. Vgl. R. Plugge: Metaphysik des Einen, 177. K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 91.

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gesprochen wird,506 wird der Geist nur von der Natur her betrachtet, weshalb dieser auf sie zurückgeführt, sohin reduziert wird. Um dem mitwissenschaftlichen Anspruch gerecht zu werden, bedarf es neben dem Blick von der Natur auf den Geist auch des umgekehrten Blickes, den vom Geist auf die Natur. Nur wenn beide Seiten als identische und einander komplementäre Momente verstanden werden, lässt sich von wahrhafter Mitwissenschaft sprechen, tritt doch das wahrhaft Vernünftige nicht bloß als Objekt oder als Subjekt, sondern stets als Subjekt-Objekt hervor.

6.2.

Evolution und Freiheit

Obwohl es der Holismus erlaubt, uns als Moment des Ganzen zu verstehen, ist nicht er es, der uns ermuntert, die natürliche Mitwelt »nicht zu zerstören«, es sind unsere Gefühle, die uns antreiben, »sie zu erhalten«.507 Die Gefühle sind nach Meyer-Abich das Fundament »ethischer und rechtlicher Normen«,508 die der »Vernunft die Augen öffnen für das, was sie sieht und sehen will.«509 Angesichts unserer mitwissenschaftlichen Verbundenheit mit der Natur ist es unsinnig, so zu tun, als ginge uns die außermenschliche Natur nichts an, immerhin sind wir vom Ganzen, »von dem wir ein Teil sind«, nicht abzukoppeln, wir befinden uns im Mitsein mit dem Ganzen der Natur.510 Wir stehen der Natur nicht gegenüber, vielmehr bilden wir eine schlechthinnige Einheit mit ihr. Daher können wir nur im Mitsein mit Anderen und Anderem heimisch werden, andernfalls würde etwas von uns ausgeschlossen, was naturgemäß zu uns gehört. Die innige Verbundenheit von Mensch und Natur ist uns freilich nicht erst mittels der neueren Physik einsichtig geworden, sie ist eine philosophische Weisheit, derer wir uns erst wieder erinnern mussten. Die Quantenphysik hat die ganzheitliche, die pantheistische Weltsicht wieder ins Zentrum gerückt. Für Meyer-Abichs Version des Pantheismus, den »christliche[n] Pantheismus«, stellt es kein Problem dar, dass der Mensch evolutionsbiologisch aus der Natur hervorgegangen ist. Was er aber trotz seines christlichen Grundverständnisses ablehnt, ist – bedingt durch seinen holistischen 506 A. Meyer-Abich: Naturphilosophie, 377, 374–378, bes. 361–368. Meyer-Abich verweist auf den ersten Teil des Zitates in: Wissenschaft für die Zukunft, 98. Vgl. F. Wuketits: Zustand und Bewußtsein, 74, 98f. 507 K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 78. 508 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 218. Vgl. H. Jonas: Erinnerungen, 326. 509 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 210. 510 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 25, Hervorhebung M.H., vgl. 59, 160, 256; Ders.: In Zukunft leben, 60ff.; Ders.: Kosmos, 35. Zur »außermenschlichen Welt« hat sich auch Karl Löwith geäußert (K. Löwith: Mitmenschen, 46f.).

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Zugang – die Sonderstellung des Menschen gegenüber der Natur. Daher fordert er, dass der Mensch vom Ganzen der Natur her verstanden und nicht als isoliertes Moment gefasst wird. Diese Bezugnahme deutet darauf hin, dass die »Ordnung der Natur und ihrer Geschichte für die Ordnung und Geschichte Gottes« zu halten ist.511 Alles ist eine verwobene Einheit. Folglich ist die Natur so wenig zufällig wie das Göttliche. Mit Christoph von der Malsburg ist daran anknüpfend festzuhalten, dass die Evolution als »so zufällig und so zielstrebig wie die Entwicklung der Dampflokomotive« verstanden werden muss. Ihr ist nicht gerecht zu werden, wenn sie bloß als blinder Zufall beschrieben und »das Element der Zielstrebigkeit negiert« wird.512 Würde nämlich in der Natur, so Schelling, nur »blinde Nothwendigkeit« herrschen, würde daraus folgen, dass man die Natur »in allgemeiner Regellosigkeit erblicken [muss]. Weil aber alles, was in ihr geschieht, mit blinder Nothwendigkeit geschieht, so ist alles, was geschieht oder was entsteht, Ausdruck eines ewigen Gesetzes und einer unverletzbaren Form« ist (SW III, 186), ist dieses Verständnis nicht haltbar. Demgemäß ist die Evolution »ein im weitesten Sinn wertsetzender Ablauf, in dem das jeweils Faktische eine normative Kraft hat […]. Dementsprechend ist ›Natur‹ immer schon ein normativer Begriff. Der Zufall spielt dafür, dass die Normativität der Natur sich geschichtlich durchsetzt, nur eine untergeordnete Rolle. […] Das ›intelligente Design‹ ist das Werk der Natur selbst. […] Ich glaube darin die Naturgeschichte Gottes mitwahrzunehmen, halte also die Evolution für eine Manifestation seiner Weltwerdung.«513

Von der Weltwerdung lässt sich insofern sprechen, als nach dem pantheistischen Verständnis von Nikolaus von Kues (Cusanus) »Gott […] allen Wesen eine natürliche Sehnsucht nach der gemäß den Bedingungen ihrer Natur vollkommensten Daseinswesen eingegeben« hat.514 Dabei wird die Naturgeschichte als Ort der Menschheitsgeschichte und der »Widerkehr« der Gottesgeschichte gedeutet. Das Evolvieren des Göttlichen ist nichts rein Zufälliges, weswegen MeyerAbich betont, dass sogar die Geschichte Gottes »für ihn eine[r] noch ungeschehene[n] Zukunft« gleichkommt.515

511 K.M. Meyer-Abich: Religiöse Leitbilder, 136. Zu den Mythen vgl. K.M. Meyer-Abich.: Praktische Naturphilosophie, bes. Kap. I. 512 C. v. d. Malsburg: Evolution, 276, 279; vgl. K.M. Meyer-Abich: Mitwahrnehmung Gottes, 59f. 513 K.M. Meyer-Abich: Mitwahrnehmung Gottes, 60f., Hervorhebung M.H., vgl. 58. 514 N. v. Kues: De docta ignorantia II, PTW 1, 7. Auf diese Stelle verweist Meyer-Abich frei zitierend an mehreren Stellen. Vgl. K.M. Meyer-Abich: Mitwahrnehmung Gottes, 53; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 295. Zur Interpretation Cusanus’ bei Meyer-Abich vgl. R. Plugge: Metaphysik des Einen, 162–166. 515 K.M. Meyer-Abich: Mitwahrnehmung Gottes, 55.

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Die Evolution ist nicht zufällig, es gehört zur »naturgeschichtlich unbestreitbare[n] Tatsache, dass im Lauf der Zeit neue und komplexere Lebewesen in die Welt gekommen, andere hingegen ausgestorben sind.« Sie ist kein Zufallsprodukt, letztlich entsteht durch den Zufall »lediglich eine Auswahl von Variationen dessen, was schon da ist, d. h. sozusagen ein Angebot für weitere Entwicklung. Welcher der Variationen aus diesem Angebot dann aber Raum gegeben wird, richtet sich danach, welche von ihnen am ehesten in die Welt passt. Es ist also die jeweilige Beschaffenheit der Welt, durch die sich entscheidet, welche Veränderungen für die weitere Entwicklung ›tauglicher‹ sind als andere.«

So gefasst ist die evolvierende Entwicklung »normbildend«.516 Dieser Gedanke ähnelt Malsburgs Begriff von der »Existenz einer Evolution zweiter Art«, die einer »Evolution der Evolutionsfähigkeit« gleichkommt. Entscheidend ist, dass dasjenige Lebewesen, welches »besser angepaßt und lebenstüchtiger« ist, den »Konkurrenzkampf […] auf die Dauer gewinnen« wird.517 Dieser Fortschritt ist in methodischer Hinsicht nicht zufällig, er ist normbildend, weil sich jene Formen herausbilden, die sich aus der Struktur des Strebens ergeben. Selbst der Biochemiker Manfred Eigen spricht nicht vom bloßen Zufall. Methodisch ist die Selektion keineswegs zufällig, sie baut schließlich auf einem gesetzmäßigen Gerüst. »Wenn Evolution auf der Grundlage natürlicher Selektion stattfindet, dann ist sie auch wertorientiert.«518 Die wertorientierte, normbildende Haltung ist es, die zu immer komplexeren Lebensformen führt. Diesen Punkt führt Dieter Wandschneider ebenfalls an. Er erklärt diesbezüglich, dass ein »Fortschreiten der Evolution in Richtung auf eine höhere Organisation […] und damit höhere[] Komplexität […] schwerlich bestreitbar« ist.519 Folglich stellt sich die Frage, welche Bedeutung die »Tendenz zur Höherentwicklung« hat.520 Das Streben, das Werden der Welt ist niemals abgeschlossen.521 Eine Antwort hierauf lässt sich nicht vom Anfang der Evolution her geben, sie kann im hegelschen Sinn nur vom Schluss her gegeben werden. Das liegt daran, dass eine Antwort »ohne Rückgriff auf einen Endzweck oder eine Endursache« nicht zu finden ist.522 Zu Charles Darwins Überlegungen steht der angeführte K.M. Meyer-Abich: Mitwahrnehmung Gottes, 58f.; Ders.: Aufstand für die Natur, 92. C. v. d. Malsburg: Evolution, 271, 272ff.; B.-O. Küppers: Komplexität des Lebendigen, 19, 44. M. Eigen: Stufen der Evolution, 79. D. Wandschneider : Naturphilosophie, 186, 185f., 188, 191, 195f. Zur Entstehung des Lebens und der Zunahme der Komplexität in der Natur vgl. H. Lesch: Neues im Kosmos, 76–79. 520 D. Wandschneider: Naturphilosophie, 189. Für Wandschneider scheint die Evolution mit dem Selbstbewusstsein zu ihrem tatsächlichen Ende gekommen zu sein, was angesichts des unaufhörlichen Werdens nur bedingt überzeugend ist. Vgl. D. Wandschneider : Naturphilosophie, 196, 192. 521 Vgl. K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 60; Ders.: Aufstand für die Natur, 91. 522 B.-O. Küppers: Vorwort, 12; vgl. die Kritik von Malsburg in: Evolution, 279.

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Gedanke Bernd-Olaf Küppers’ im klaren Widerspruch. Darwin ist davon überzeugt, dass die Evolution gerade kein Ziel hat, wobei er die Komplexitätszunahme grundsätzlich nicht bestreitet.523 Ebenso wenig bestreitet Darwin, »that the most complex creature has tended to increase in elaboration through time«, er lehnt einzig die Deutung ab, dass der Evolution ein bestimmter, ein höherer Zweck innewohnt.524 Stephen Jay Gould schließt an Darwin an und erklärt entschieden, dass es »no principle of predictable progress or movement to greater complexity« gibt.525 Dem ist insofern zuzustimmen, als das Ende der natürlichen Selektion nicht ohne Weiteres zu bestimmen ist. Zum einen ist die natürliche Evolution niemals abgeschlossen und zum anderen hängt in dem benannten Sinn die sich durchsetzende Variation von äußerlichen Bestimmungen ab. Allerdings ist nicht zu bestreiten, dass die Methodik der Evolution (Selektion, Reproduktion, Mutation bzw. Variation) selbst Prinzip ist, wenngleich damit inhaltlich nicht gesagt wird, auf welches Ziel sie konkret zusteuert. Um den Zweck der Evolution zu begreifen, gilt es das miteinzubeziehen, was wirklich geworden ist. Allein das wirklich Gewordene gibt Aufschluss über die Möglichkeiten, die in der Natur gründen. Entsprechend ist die Evolution mit Bezug auf ihre Methodik von ihrem vorläufigen Ende her, also dem, was geworden ist, zu verstehen. In Folge ist weder das ›Ende der Geschichte‹ zu proklamieren, noch gilt es dieses vorauszusehen. Stattdessen ist mit Blick auf das Normbildende davon zu sprechen, dass zwecks der Komplexitätszunahme die derzeit existierende komplexeste Lebensform als vorläufiges Ende der Evolutionsgeschichte gedeutet wird. Gewusst kann bekanntlich nur werden, was ist, nicht das, was nicht ist bzw. was vielleicht möglich ist. Ziel ist, das zu begreifen, was ist, was wirklich geworden ist. So gefasst ist das, was geworden ist, Ausdruck des Göttlichen, womit der Zweck der Schöpfung von dem der Natur und dem des Menschen prinzipiell nicht zu trennen ist. Das Göttliche gibt sich »nicht der Welt als einem andern anheim, sondern er ver-andert sich selbst und gibt sich als Welt der Geschichte anheim.«526 Der Gedanke – den Meyer-Abich dem objektiven Idealisten Cusanus527 entlehnt –, dass in der »Weltseele Gott wiederzuerkennen« ist,528 zeigt an, 523 V. Hösle/C. Illies: Darwin, 89, 29; C. Darwin: Origin of Species, 137–143, 369, 490–492. 524 S.J. Gould: Full House, 169, 165, 167f., 174f., 197f., 217–230. Vgl. hierzu die Darstellung von der »left wall« und der Zunahme von Komplexität im evolutionsbiologischen Prozess (S.J. Gould: Full House, 164, vgl. 158–175). 525 S.J. Gould: Full House, 222, Hervorhebung M.H. 526 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 61. Hier verweist Meyer-Abich auf Novalis (K.M. Meyer-Abich: Aufstand für die Natur, 91), wobei Gott und Natur anders miteinander verknüpft werden, als dies bei Novalis der Fall ist (Novalis: Das Allgemeine Brouillon, 10, §§ 60f.; 7, § 50; 154, § 667). 527 Vgl. V. Hösle: Einstieg in den objektiven Idealismus, 29.

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dass Gott mit der Entstehung der Welt in sie eingeht und die Natur dessen Ausdruck ist. Cusanus’ Ineinssetzung von Gott und Natur, die jener von Baruch de Spinoza ähnelt und der zufolge »alles in allem ist und jedwedes in jedwedem«,529 impliziert, dass unser Verhalten gegenüber der Natur dem gegenüber Gott identisch ist. Idee und Realität werden vollkommen in eins gesetzt, alle Differenz wird aufgehoben. Aus diesem Verhältnis folgert Meyer-Abich, worauf Jonas eingehend hingewiesen hat, dass alles »unter uns und letztlich er [Gott] selbst unter« unseren Handlungen leidet.530 Sofern Natur und Gott als ununterschiedene Einheit gefasst werden, ist die Natur das, was Gott ist. Alle Bestimmungen sind in Gott, wodurch Freiheit nur als Freiheit Gottes, nicht als Freiheit der Natur bzw. als Freiheit des Menschen begriffen werden kann. Jedes Handeln ist demnach nicht nur göttliches Handeln, sondern explizit das Handeln Gottes. Ohne weitere Differenzierung ist nur Objektivität und nichts Subjektives mehr. Zwar streicht der dargelegte »physiozentrische Holismus« die Vernunftfähigkeit des Menschen heraus,531 solange aber Schellings begründungstheoretische Forderung, dass zum vernünftigen Aufweis der Freiheit neben der »Unabhängigkeit des Menschen von der Natur« auch »seine innere Unabhängigkeit von Gott« ausgewiesen werden muss (SW VII, 458), nicht geleistet wird, lässt sich nicht davon sprechen, dass wir um unsere Freiheit wissen. Wissen wir uns nicht in Unabhängigkeit zur Natur, sind wir nur Natur; wissen wir uns nicht in Unabhängigkeit vom Göttlichen zu fassen, sind wir nur Geist. Fehlt der Freiheit das Abgrenzungsmoment, verliert sie sich in der Willkür. Können wir nicht aus Freiheit wollen, kommen wir nicht gegen den Herrn der Geschichte an. a)

»Verwandtschaft aller Dinge«

Die mit Schelling angedeutete Fortführung der meyer-abich’schen Überlegungen zur Evolution weist zwar die natürliche Entwicklung des Geistes aus, allerdings gibt dies keine Auskunft darüber, wie es um das Geistige selbst steht. Wird das Göttliche in pantheistischer Weise mit der Natur gleichgesetzt, ist nur Natur, 528 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 118; vgl. N. v. Kues: De docta ignorantia II, PTW 1, bes. 67; W. Schulz: Der Gott der neuzeitlichen Metaphysik, 17. Dieser Gedanke findet sich bereits bei Platon. Vgl. Platon: Timaios, Werke 6, 30b-c; Ders.: Philebos, Werke 6, 30a; Ders.: Phaidros, Werke 5, 245e. 529 N. v. Kues: De docta ignorantia II, PTW 1, 37, 43, 53, 99; K.M. Meyer-Abich: Leben, 88; B. d. Spinoza: Kurze Abhandlung, Werke 1, 17f., 44; Ders.: Ethik, Werke 1, 23, 27. 530 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 64, 62; Ders.: Mitwahrnehmung Gottes, 56. Hierauf weist Ute Dengel in Kunst und Naturverständnis (S. 179f.) hin. Zu den Differenzen mit Jonas’ Gottesbegriff vgl. K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 60ff.; Ders.: Religiöse Leitbilder, 135; Ders.: Mitwahrnehmung Gottes, 49–51. 531 K.M. Meyer-Abich: Religiöse Leitbilder, 135.

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nichts Geistiges. Ist nur Natur, gibt es kein Mitwissen, es hat nichts außerhalb der Natur Bestand. Das Wesen des Seins wird nur von der Natur aus betrachtet. Trotz dieser Schwierigkeit ist nicht zu bestreiten, dass es angesichts der »naturgeschichtliche[n] Verwandtschaft mit der übrigen Welt« unsinnig ist, zu glauben, dass wir uns »aus der natürlichen Mitwelt davonmachen« könnten.532 Wir sind mit ihr aufs Innigste verbunden. Daher kommt es uns zu – zumindest, sofern wir frei sind –, die Welt so zu gestalten, dass sie durch uns »schöner und besser wird, als sie es ohne uns wäre«.533 Es ist nicht im Sinne des Menschseins, die Welt so »zu verlassen, als wären wir gar nicht da gewesen […]. Im Gegenteil: Wozu wären wir da, wenn eine Welt mit Menschen nicht sogar anders sein soll als eine Welt ohne Menschen?«534 Um die Frage zu beantworten, was zu tun ist, müssen wir zunächst um unsere Freiheit wissen, ohne sie ist kein Sollen einzufordern: Nur wer frei ist, kann etwas tun wollen. Um sich unsere Naturzugehörigkeit wieder ins Bewusstsein zu rufen, greift Meyer-Abich auf das am platonischen (Wieder-)Erinnern orientierte mythologische Denken zurück,535 mit dem er an das vorkopernikanische Denken erinnert. Für diesen Rückgriff bedarf es keines, wie bei Jonas, »selbsterdachten« Mythos (KGA III/1, 410), der uns unsere Stellung in der Welt, unser Verhältnis zur Natur und zu Gott begreifbar macht. Es ist vollkommen hinreichend, auf den vorkopernikanischen Mythos hinzuweisen – bereits dieser erinnert uns daran, dass der Mensch nicht von der Welt abgekoppelt ist, sondern Moment ihrer ist. Während spätestens seit Kant das erkenntnistheoretische Denken von einer Überhöhung des Subjekts begleitet ist, macht Meyer-Abich mit Cusanus wieder einsichtig, dass die Naturgeschichte das Dasein Gottes ist.536 Gott ist es, der nach dieser Interpretation »ganz in der Erde [ist], wo sie die Erde zusammenhält, ganz im Stein, wo sie das Zusammenhalten der Teile wirkt, ganz im Wasser, ganz in den Bäumen usw.«537

532 K.M. Meyer-Abich: Frieden mit der Natur, 90, 106, 175, 183; Ders.: Aufstand für die Natur, 43. 533 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 11, 84. 534 K.M. Meyer-Abich: Aufstand für die Natur, 90. Ders.: Rechte der Natur, 382, 393f. 535 Bei Platon heißt es, »daß unser Lernen nichts anderes ist als Wiedererinnerung« (Platon: Phaidon, Werke 3, 72e, vgl. 72e ff.). Bekanntlich bedient sich auch Schelling dieses Gedankens (vgl. UPhO, 127; Pa-PhO, 99; SW IV, 77; VIII, 205; X, 300; XIII, 287f., 295; WA III, 205f.). Vgl. weiterführend Kap. III.9. 536 Vgl. K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 61; N. v. Kues: De docta ignorantia I, PTW 1, 97, 99, 111, 113. 537 N. v. Kues: De docta ignorantia II, PTW 1, 69. Hubert Benz sieht Cusanus’ Subjektbegriff als »Wegbereiter einer modernen Individualitäts- und Subjektsverständnisses« (H. Benz: Individualität und Subjektivität, 411), dennoch findet sich bei Cusanus noch kein »neuzeitliches Individualitätsverständnis« (H. Benz: Individualität und Subjektivität, 379, vgl. 87–89, 389–391, 401f., 414), weswegen es bei ihm im modernen Sinn keine Freiheit gibt.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

Dieses Verständnis legt eine tiefe Verbundenheit zwischen Natur, Mensch und Gott nahe. Gott manifestiert sich gleichermaßen in allen Dingen. Da aber zwischen den Dingen der Natur und der Natur der Dinge, wie Meyer-Abich herausstreicht, zu differenzieren ist, impliziert das, dass Gott »unsichtbar« in den Dingen ist.538 Doch damit ist kein Unterschied zwischen Natur und Gott auszumachen, die Natur ist durch und durch göttlich. Fällt die »Seinsgleichheit aller Dinge« mit dem »Schöpfer des Universums« zusammen,539 werden der Schöpfer und das Geschöpfte miteinander undifferenziert identifiziert. Entsprechend ist zwischen Natur und Gott bzw. zwischen Realität und Idee kein Unterschied auszumachen, weswegen auch nicht zwischen Subjekt und Objekt zu unterscheiden ist. Alles ist Natur, nur Identität, ohne Differenz. »In mir, in jedem meiner Mitmenschen, in den Dingen und Lebewesen der natürlichen Mitwelt lebt das Ganze der Natur spezifisch und individuell auf eine je besondere Weise. In diesem Mitsein, in dieser allgemeinen Verwandtschaft aller Dinge, in der Gemeinschaft der Natur bin ich, was ich bin: eine individuelle Gegenwart der Menschengeschichte im historischen Zusammenhang der Naturgeschichte.«540

Zwecks der expliziten Ineinssetzung kann von der Natur ausgehend zwischen Steinen, Tieren und Menschen gemäß dem physiozentrischen Holismus nur insofern differenziert werden, als ihnen eine unterschiedliche Form in der Welt zukommt. Der Eigenwert bemisst sich dabei »immer relativ zum Ganzen der Natur.«541 Diese Bestimmung ist an sich nicht problematisch, schwierig wird es nur an dem Punkt, an dem von Selbstbewusstsein und Freiheit gesprochen werden soll. Hierfür ist es notwendig einzusehen, wie sich das Geistige gegenüber der Natur behauptet, ohne selbst Natur zu sein, ansonsten wäre nur die Freiheit der Natur, die nichts anderes als die absolute Freiheit Gottes meint. Das hieße, dass keine Freiheit ist. Ist das Geistige nur Natur und Natur gleich Gott, muss das Geistige natürlicherweise Gott sein, beide Momente hätten denselben Grad an Freiheit bzw. Unfreiheit. Natur und Geist sind so nur Objekt des Seins, niemals Subjekt, womit Freiheit zu einer objektiven Kategorie, der des Absoluten verklärt wird. Ist nur Absolutes und nichts davon Unabhängiges, ist keine subjektive Freiheit. Dass das nicht Meyer-Abichs systematisches Anliegen sein kann, impliziert sein Begriff von der Mitwissenschaft, werden doch Erkennendes und Erkanntes als Einheit gefasst, als aufeinander bezogene und zugleich geschiedene Momente. Wider den physiozentrischen Holismus fordert dieser 538 K.M. Meyer-Abich: Mitwahrnehmung Gottes, 56. 539 N. v. Kues: De docta ignorantia III, PTW 1, 23; vgl. K.M. Meyer-Abich: Mit-Wissenschaft, 36f. 540 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 347. 541 K.M. Meyer-Abich: Religiöse Leitbilder, 135.

Mitwissenschaft und Freiheit bei Klaus Michael Meyer-Abich

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Ansatz eine »unabhängige Wurzel« des Subjekts von der Natur und vom Göttlichen (SW VII, 457; vgl. UPhO, 14). Die Aufgabe besteht darin, mitwissenschaftlich zu zeigen, dass das Reale und die wirkende Idee different, aber gleich gültig zu fassen sind. Obwohl Meyer-Abich diesen Punkt systematisch nicht konkret zum Thema macht, ist er sich der Problematik sehr wohl bewusst. So erklärt er – und nur so lässt sich auf Grundlage des vertretenen holistischen Ansatzes von Freiheit sprechen –, dass Gott als »nicht allmächtig« zu verstehen ist.542 Das erlaubt ihm zumindest, die Freiheit in der Welt zu postulieren, die sich gegenüber dem Göttlichen behauptet, schließlich liegt das Geschehen in den Händen der handelnden Wesen und nicht in den Händen Gottes. Nicht zu bestreiten ist hingegen, dass der Begriff der göttlichen Allmacht handlungsbestimmend ist und dem freien Handeln entgegensteht (vgl. Kap. II.4.1). Allerdings ist ein Postulat noch kein Aufweis; letztlich ist es etwas Geglaubtes, etwas Erhofftes, nichts Gewusstes. Meyer-Abich wendet sich gegen die Allmacht, ihm ist »ein allmächtiges und allgütiges Wesen, welches dem Elend in der Welt von oben her seinen Lauf lässt, […] nicht glaubwürdig […]. Ich glaube aber an ihn, wenn er in diesem Elend auch unter sich selbst leidet, wenn also Gott – in Christus – zur Welt gekommen und Welt geworden ist, so dass die Weltgeschichte eine Gottesgeschichte ist.«543

Er hantiert mit einem Gottesbegriff, der ihm als glaubwürdig erscheint. Dieser auf dem Gefühlsbewusstsein gründende Gedanke muss jedoch rational gerechtfertigt werden, um Geltung zu haben. Allein durch den Glauben, dass Gott den Lauf der Welt nicht bestimmt, haben wir noch kein Wissen von der Freiheit. Erst wenn wir die Eigenständigkeit des Subjekts gegenüber dem Objekt einsehen, und umgekehrt, kann das Subjekt seine Freiheit begreifen. Mit Verweis auf die Mitwahrnehmung wird einsichtig, dass das Ideale nicht durch das Reale, und umgekehrt, begriffen werden darf, ansonsten verkommt die Mitwahrnehmung zur bloß objektiven Wahrnehmung, was dazu führt, dass die Idee und die Realität nicht hinreichend beschrieben, sondern nur einseitig gefasst werden können. Die Schwierigkeit besteht darin, dass der mitwissenschaftliche Geltungsanspruch sowohl mit dem angeführten Holismus als auch 542 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 64. »Ein herrschender Gott, der nicht allmächtig ist, kann Herrschaft abgeben, ein allmächtiger Herrscher kann es nicht, sondern bleibt allmächtig« (K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 152; vgl. Ders.: Leben, 79; Ders.: Mit-Wissenschaft, 63). Vgl. M. Hackl: Appell an die Freiheit, bes. 153f. Hintergründig wird auf den Allmachtsbegriff bei Spinoza und Cusanus Bezug genommen. Vgl. K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, bes. 127f., 143–148, 295; Ders.: Frieden mit der Natur, 88, 90, 129f.; N. v. Kues: De docta ignorantia II, PTW 1, 13, 25, 31; Ders.: De docta ignorantia I, PTW 1, 97–101, 111, 113; B. d. Spinoza: Ethik, Werke 1, 24f. 543 K.M. Meyer-Abich: Religiöse Leitbilder, 135.

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mit dem Gottesbegriff nur schwer zu verbinden ist. Die Mitwissenschaft lehrt, dass es nur eine subjektiv-objektive Wahrheit gibt, während der hier ins Feld geführte Absolutheitsbegriff auf einem strengen Objektbegriff aufbaut, womit das Subjekt und das Wissen um die Freiheit untergraben werden. Demnach steht der physiozentrische Holismus, welcher die Ineinssetzung von Natur und Gott fordert, dies aber nur von der Seite der Natur her fasst, im Widerstreit zur Mitwissenschaft.

b)

Freiheit als »Erlebnisform«

Ob dieser Differenzierungsschwierigkeiten kann Meyer-Abich von einer Einheit des Ganzen sprechen: »Die Natur ist nicht das, wozu wir nicht gehören. Wir verändern die Natur, von der wir selbst ein Teil sind.«544 Wir sind von der Natur nie vollkommen geschieden, wie es uns die dualistische Weltauffassung glaubhaft machen möchte. Also kann das Subjekt nicht losgelöst vom Objekt, und umgekehrt, verstanden werden. Mitwissenschaftlich gefasst müssen sie eine Einheit in der Differenz bilden, die sich in Bezug auf das Objekt sowie in Bezug auf das Subjekt zeigen lässt. Demgemäß ist die Natur wesentlich als SubjektObjekt und nicht bloß als Objekt oder als Subjekt zu fassen. Obwohl die Differenz klar ausgewiesen wird, ist nicht zu bestreiten, dass durch den pantheistischen Absolutheitsbegriff die Natur eine Überhöhung erfährt und hieran zu kritisieren ist – was Schelling seinerseits an Spinoza kritisiert hat –, dass dadurch »das Subjekt ganz verloren« sei (SW X, 38, 40). Ist nur Objektivität, ist keine subjektive Freiheit. Ist alles absolut und nichts unabhängig von vom Absoluten, ist alles in ein »System bloßer Nothwendigkeit« eingebettet (SW X, 47). Besteht keine Differenz zwischen Welt und Gott, ist keine Unabhängigkeit der Welt von Gott einsehbar, womit beides vollkommen gleich ist und sohin alles als gleichermaßen notwendig begriffen werden muss. Ohne Subjektivität ist jedwede Diskussion um Freiheit hinfällig, da das Subjekt einzig dem Gesetz des Absoluten unterworfen ist und sich nicht von diesem abzugrenzen weiß. In seiner tiefgründigen Darstellung hat sich Meyer-Abich jedoch insgesamt weniger mit der Unabhängigkeit des Subjekts beschäftigt. Dass er dennoch ein Problembewusstsein für die Frage nach der Freiheit hat, zeigen insbesondere seine Schriften Determination und Freiheit und Wege zum Frieden mit der Natur. Hier macht der Autor deutlich, dass Freiheit nur wirklich ist, wenn sie, wie bei Schelling, »in der Natur oder die Natur als Schöpfung philosophisch zu denken« ist.545 Meyer-Abich weiß, dass die Freiheit von der Natur, und umge544 K.M. Meyer-Abich: Mit-Wissenschaft, 139; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 258; Ders.: Frieden mit der Natur, 25. Ders.: Rechte der Natur, 390. 545 K.M. Meyer-Abich: Determination und Freiheit, 35.

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kehrt, nicht unberührt bleibt. Daher weist er darauf hin, dass »die Natur unter Gesichtspunkten der Freiheit« gefasst werden muss.546 »Die Natur unter Bestimmungen der Freiheit zu denken, statt unsere Freiheit vor ihr zu retten, ist gerade dadurch möglich, daß das Ding an sich, dem die Freiheit bewahrt wird, selbst die eine Natur ist. Ihr wiederum verdanken wir die Naturgabe Vernunft. Die natürliche Mitwelt unter Bestimmung der Freiheit wahrzunehmen, ist der Grundgedanke des Friedens mit der Natur […]. Zu retten ist nicht die Freiheit des Menschen allein, sondern allenfalls die der Natur insgesamt.«547

Es ist unbedingt notwendig, die Freiheit des Menschen mit der Natur in Einklang zu setzen, so sind die »Bestimmungen unseres Willens […] freiheitliche Bestimmungen, die wir uns vermöge der Naturgabe Vernunft selbst auferlegen und die dann auch Naturbestimmungen abgeben können.«548 Hinsichtlich der Bestimmung der Freiheit ist maßgeblich, was mit Naturbestimmungen gemeint ist. Diese müssen sich klarerweise von den Naturgesetzen unterscheiden, wäre die Freiheit ein Naturgesetz, wäre sie als notwendig zu begreifen, womit sich ihr Begriff selbst widerspräche. Kritisch ist zu sehen, dass Meyer-Abich mit Bezug auf Schelling darauf verweist, »daß das scheinbar Nothwendige an sich ein Freies sey« (SW VII, 342). Das darf nicht so verstanden werden, als seien das Notwendige und das Freie nicht voneinander zu trennen. Schelling hat sich in besonderer Weise an der Frage abgearbeitet, wie der Grund allen Seins, die Freiheit, zu fassen ist (vgl. Kap. III). Die Aufgabe der Philosophie beschränkt sich nicht darauf, das Naturhafte zu fassen; sie sucht vielmehr, »die Freiheit anerkennen, weswegen es aufrichtiger ist, zu sagen, daß jenes Wollen, welches die Philosophie leitet, ein sittliches Wollen sei, welches seinen Grund in der Freiheit hat« (UPhO, 21). Für Schelling ist das Notwendige nicht der Freiheit gleichzusetzen, möchte er doch das »Schwerste« leisten und die Unabhängigkeit von Natur und Göttlichem ausweisen (SW VII, 458). Grundsätzlich sind sich Meyer-Abichs und Schellings Systemanspruch sehr nahe: Beide versuchen, die gleich gültige Einheit von Subjekt und Objekt zu entfalten. Schelling weist auf den Indifferenzpunkt von Subjekt und Objekt hin (SW IV, 115), wodurch er zu zeigen sucht, dass das eine nicht auf das andere zurückzuführen ist. Jedes hat für sich Bestand, wiewohl sie als Einheit begriffen werden müssen. Das hat ihm bekanntlich den Vorwurf Hegels eingebracht, dass in seinem Identitätsdenken »im Absoluten alles gleich« sei (TWA 3, 22). Die angeführte Kritik trifft aber weniger auf Schellings als auf Meyer-Abichs Kon546 K.M. Meyer-Abich: Determination und Freiheit, 38. 547 K.M. Meyer-Abich: Frieden mit der Natur, 90. Meyer-Abich führt sogar aus, dass die Freiheit eine Grundbestimmung der Mitwissenschaft ist (K.M. Meyer-Abich: Mit-Wissenschaft, 41–44). 548 K.M. Meyer-Abich: Determination und Freiheit, 38.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

struktion zu. Während beide zwischen Natürlichem und Geistigem differieren, fokussiert sich Meyer-Abich nicht auf den beide differenten Momente einenden Indifferenzpunkt, sondern führt gemäß dem physiozentrischen Holismus beide Momente auf die Natur zurück. Aus der Ineinssetzung von Gott und Natur folgt, dass nur Natur und nichts rein Geistiges ist. Dies steht konträr zur Position Schellings; dieser betont, dass das Göttliche nicht bloß als Natur zu begreifen ist, es ist ebenso Geistiges. Es bedarf nicht nur des Wissens um die Identität, sondern ebenfalls um die Differenz, um den Indifferenzpunkt auszumachen. Trotz aller Verwobenheit sind Natur und Geist keine unvermittelte Einheit – es handelt sich um die zwei Seiten derselben Medaille. Daher erklärt Schelling, dass Ideales und Reales durch »ein und dasselbe Band eines und desselben Daseyns« miteinander verwoben sind (SW VII, 233). Reales und Ideales sind identische Momente, identisch sind sie aber nur in Hinblick auf ihre Einheit im Absoluten. Schelling wusste um die Notwendigkeit, das Absolute von der Sphäre des Idealen und von der Sphäre des Realen her zu entfalten ist (vgl. Kap. III.7). Meyer-Abich hingegen umgeht diese Differenzierung, da ihm alles Natur ist. Ob des holistischen Bezugs, der nur die Natur umfasst, möchte er sich keineswegs einem deterministischen Weltbild hingeben. Entsprechend betont er, unabhängig von der Absage an die göttliche Allmacht, die Bedeutung der Freiheit, wobei mit Schelling erklärt wird, dass die Freiheit das »Wesen der sittlichen Welt« und das »Wesen der Natur« ist (SW VII, 342). Dass dies höchste Geltung hat, ist daran geknüpft, dass der Mensch, selbst als freies Wesen, nicht von der Natur geschieden ist, er ist nie bloß Seele, er ist stets auch Leib: Der Mensch vereint die beiden Sphären. Unsere Freiheit vermögen wir nur dann tätig umzusetzen, wenn der Weltlauf tatsächlich »in das Drama der Unterscheidung von Gut und Böse gestellt« ist.549 Dieser Gedanke ist von weitreichender Bedeutung: Haben wir kein Wissen davon, was gut und was böse ist, können wir die Welt nicht so gestalten, wie sie uns schöner und besser erscheint. Möglich ist diese Ausdifferenzierung, das zeigt sich am Diskurs; unsere Entscheidungen werden nämlich durch Gründe oder Neigungen bestimmt, »eher dieses als jenes oder eher jenes als dieses zu tun«, womit wir auf rationaler Basis Entscheidungen abwägen und uns für oder gegen etwas entscheiden können. Diesbezüglich meint Meyer-Abich, dass wir mit »unserer freien Entscheidung umso zufriedener [sind] […], je bestimmtere Neigungen oder zwingendere Gründe wir für diejenige Wahl finden, die wir

549 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 59, 62; Ders.: Mitwahrnehmung Gottes, 50f., Ders.: Determination und Freiheit, 35–44; Ders.: Natur und Freiheit, 66. Vgl. M. Hackl: Appell an die Freiheit, 136ff.

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dann schließlich treffen.«550 Freiheit begründet sich also darin, ähnlich zu Hösles Konzeption der Freiheit, rationalen Argumenten zugänglich zu sein (vgl. Kap. II.5.1.c). Damit wird Freiheit erfahrbar. Gleichwohl Meyer-Abich weiß, dass dies im Streit mit seinem Naturbegriff steht, reicht ihm dies als Aufweis. Ungeachtet der angesprochenen Begründungsschwierigkeiten ist auf einen wichtigen Punkt aufmerksam zu machen. Freiheit besteht für Meyer-Abich wie für Hegel gerade nicht darin, »daß man tun könne, was man wolle« (TWA 7, 66, § 15; vgl. SW VI, 551), denn im Willen muss Bestimmtheit liegen. Freiheit ist kein bloßes Wollen, es ist ein Wollen, welches seiner gewahr werden will. Demnach ist die Natur unter Gesichtspunkten der Freiheit und die Freiheit unter Gesichtspunkten der Natur zu denken. Auch für Hegel heißt Freiheit, nicht als »partikulares Individuum« zu handeln, sondern das Ganze in den Blick zu nehmen, nur so ist »die Sache geltend« zu machen (TWA 7, 67, § 15 Z). Dies drückt exemplarisch aus, wie Meyer-Abich Freiheit versteht bzw. was es für ihn heißt, den Eigenwert relativ zum Ganzen der Natur zu setzen. Freiheit wird von ihm wesentlich mitwissenschaftlich gefasst.551 Freiheit muss Bestimmtheit erfahren – das gilt es theoretisch wie praktisch zu leisten. Die hier entfaltete Konzeption beschränkt sich allerdings auf einen phänomenal wahrnehmbaren Aufweis. Wir haben keine wissentliche Einsicht in die Freiheit, wir erleben sie nur. Meyer-Abich steht damit nicht nur in Bezug auf die quantenphysikalische Deutung, sondern auch in Bezug auf den Freiheitsbegriff in der Nähe von Bohrs Auffassung; auch für diesen ist die Freiheit nur als »experiential category of our psychic life« zu fassen.552 Sie ist eine bloß erlebbare Größe.

c)

Freiheit als Pflicht

Die Beschreibung der Freiheit, das heißt ihre Begründung sowie ihre Widerlegung, ist nicht allein durch die Wissenschaft von der Natur zu leisten, wird doch so das Geistige aposteriorisch beschrieben und zu demselben verklärt. Eine vernünftige Beschreibung der Freiheit ist nur zu leisten, wenn sowohl das Subjektive (Apriorische) als auch das Objektive (Aposteriorische) in die Begründung miteinfließen. Die Betrachtung ist von beiden Seiten ausgehend zu leisten. 550 K.M. Meyer-Abich: Determination und Freiheit, 9, 36; Ders.: Frieden mit der Natur, 74, 168.; Ders.: Aufstand für die Natur, 120; I. Kant: Grundlegung der Metaphysik der Sitten, Akad.-Ausg. IV, 446f. 551 Bzgl. der Bestimmung der Freiheit vgl. G. Scherhorn: Freiheit im Mitsein, bes. 35–44. 552 N. Bohr : Atomic Theory and Fundamental Principles, CW 6, 250; vgl. K.M. Meyer-Abich: Mit-Wissenschaft, 133.

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Es ist unsinnig, mittels der Bezugnahme auf die Bereitschaftspotentiale in den tätigen Gehirnregionen den Erweis oder die Widerlegung von Freiheit leisten zu wollen (vgl. Kap. II.4.2.b).553 Weil die klassische Naturbeschreibung die Subjektivität übergeht, sie nicht direkt miteinbezieht, ist es durch sie nicht möglich, das Subjektive, die Innenseite anders als bloß äußerlich zu beschreiben. Freiheit ist aber nichts bloß Äußerliches, sie weiß sich durch ihre Innenseite, ihren inneren Willen wider die Natur, wider das Äußere zu behaupten. Es reicht nicht, Freiheit äußerlich zu beschreiben, der Wille ist wesentlich Sache der Innenseite – wie alles Wissen, so ist auch das Wissen von der Freiheit Sache der Mitwissenschaft.554 Obwohl die Mitwissenschaft die systematischen Voraussetzungen zur Beschreibung der Freiheit liefert, beschränkt sich Meyer-Abich, ähnlich zu den Konzeptionen von Kant,555 Jonas (vgl. Kap. II.4.2) und Hösle (vgl. Kap. II.5.1), auf das Erlebnis der Freiheit. Im Grunde bleibt ihm nur dieser Weg, da der Subjektivität und der individuellen Freiheit in seiner physiozentrischen Konzeption recht wenig Platz eingeräumt wird. Die Subjektivität wird als Objekt gefasst, weswegen sich das Subjekt als objektives Moment des Weltlaufs darstellt und gemäß diesem bestimmt ist. Nur weil die Freiheit erlebt wird, ist sie noch nicht begründet. Hier »fehlen«, wie Schelling an Kants Philosophie kritisiert, die »Prämissen«556 – das Resultat macht noch keinen Begriff. Meyer-Abich ist sich bewusst, dass sein Physiozentrismus nur erlaubt, die Freiheit von Seiten der Natur her zu begreifen. Darum öffnet er seinen Ansatz, nimmt auf das kantische Ding an sich Bezug und erklärt, dass derjenige, der »das Ding-an-sich verwirft, […] Kants Rettung der Freiheit auf[gibt]!«557 Durch den Freiraum des Dings an sich meint er der individuellen Freiheit gegenüber dem Absoluten ausreichend Platz einzuräumen. Trotz dieser Öffnung bleibt bei ihm Freiheit, wie alles in der Welt, eine natürliche Größe, sie ist lediglich erfahrbar bzw. erlebbar. In Folge hebt er sogleich hervor, dass Freiheit kein Zustand ist, dem wir uns hingeben können, sie ist eine Aufgabe,558 der wir uns stellen können und auch stellen sollen. Wird die Freiheit praktisch, können wir sie auch wahrnehmen. Freiheit wird zur (realen) »Tat-Sache[]« dessen, »was wir getan und erfahren haben.«559 Meyer-Abichs Freiheitsbegriff bleibt in der metaphysischen Gesamtbetrachtung 553 B. Libet: Do we have a free will?, bes. 51. 554 K.M. Meyer-Abich: Mit-Wissenschaft, 67. 555 Vgl. I. Kant: Kritik der Urteilskraft, Akad.-Ausg. V, 275, 306; Ders.: Kritik der praktischen Vernunft, Akad.-Ausg. V, 33; Ders.: Grundlegung der Metaphysik der Sitten, Akad.-Ausg. IV, 440, 444, 449f. 556 Friedrich Schelling an Georg Wilhelm Friedrich Hegel am 6. 1. 1796 (Plitt I, 73). 557 K.M. Meyer-Abich: Determination und Freiheit, 31. 558 K.M. Meyer-Abich: Determination und Freiheit, 10, 11–13. 559 K.M. Meyer-Abich: Frieden mit der Natur, 89; Ders.: Mit-Wissenschaft, 133; Ders.: Geschichte der Physik, 83.

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trotz tiefer Einsichten und des Rückbezugs auf die Bedingungen nicht ohne Kritik, fordert er doch die Freiheit praktisch ein, ohne sie theoretisch umfassend auszuweisen. Da die Freiheit zu unserer Natur gehört, gehört sie zur Natur als Ganzes. Ein Angriff auf die Natur käme folglich einem Angriff auf die Freiheit gleich. Die Freiheit findet ihre Grenze an der Natur, weshalb das freie Handeln stets auf die Natur (als Ganzes) bezogen sein muss. Das stellt uns wiederum vor die Frage, inwiefern wir gegenüber der Natur in die Pflicht genommen sind. Problematisch an der Beantwortung dieser Frage ist, dass uns die nicht-menschliche Mitwelt nicht in der Weise vermittelt ist, wie wir uns selbst durchsichtig sind; mit ihr ist keine sprachliche Kommunikation, keine vermittelte Verständigung möglich.560 Wie wir uns ihr verpflichten, das hängt von der »Anthropomorphie unseres Erkennens« ab.561 Zwar können wir aus uns selbst nicht heraus – wir sind, was wir sind –, zumindest ist es uns aber möglich, nicht den Menschen in den Mittelpunkt allen Seins zu stellen, sondern die menschliche wie die nichtmenschliche Natur als gleich gültige, sohin absolut-identische Momente der natürlichen Mitwelt, des Seins zu fassen, was, wider alle Perspektivität, keine Überhöhung der einen über die andere Seite zur Folge hat. Das impliziert freilich nicht, dass mit dem Stein in gleicher Weise umzugehen ist wie mit dem Menschen, der Umgang hängt von deren jeweiligen Beschaffenheit ab. Praktisch gesehen heißt das, dass die unterschiedliche Beschaffenheit der Natur einen ihrer Beschaffenheit entsprechenden Umgang miteinschließt. Hieraus ergibt sich ein Recht auf die eigene Beschaffenheit sowie eine analog dazu bestimmte Pflicht. Konkret folgt hieraus, dass die Eigenheit, die Vielfalt der Natur in ihrer Besonderheit zu achten ist. Das Besondere »am Menschen ist, Mensch zu sein, und das Besondere an einem Fisch ist, Fisch zu sein«: Die Besonderheit der Lebewesen ist es, die ihr Sein ausmacht, entsprechend sind dem Menschen wie dem Fisch gemäß ihrer eigenen Verfasstheit Rechte bzw. Pflichten zuzusprechen. Beispielsweise ist es die Pflicht der Biene, Pflanzen zu bestäuben, während es des Menschen Pflicht ist, das zu tun, was »der Welt im Ganzen gut tut«; seine Beschaffenheit erlaubt ihm, für das Gute und das Schöne einzutreten. Jeder Teil der Natur hat auf Basis seiner Beschaffenheit das einzubringen, was er von seinem Sein her einzubringen imstande ist.562 560 Zur Komplexität der Kommunikation vgl. M. Tomasello: Constructing a Language. 561 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 77, 88. Vgl. U. Dengel: Kunst und Naturverständnis, 213f. Aufschlussreich sind diesbezüglich Thomas Nagels Ausführungen. Vgl. T. Nagel: Be a Bat, bes. 439–446. 562 K.M. Meyer-Abich: Religiöse Leitbilder, 135; Ders.: Frieden mit der Natur, 191; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 145ff.; Ders.: Rechte der Natur, 377. Es sind nicht »allen Wesen alle denkbaren Rechte oder auch nur dieselben Rechte zuzuerkennen, die ein Mensch hat«; so kann den Lebewesen, »auf deren Verzehr wir Menschen angewiesen sind«, nicht das

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Diese tiefgründige Seins- bzw. Sollensbestimmung legt nahe, dass jedes Wesen gemäß seinem Sein, seiner Beschaffenheit und seiner Möglichkeiten verpflichtet ist. Unterschiedliche Pflichten schließen wiederum unterschiedliche Rechte mit ein (vgl. TWA 10, 305, § 486). Mit diesem Schritt lässt sich begründen, dass der Stein »in ein Haus eingemauert« werden darf,563 während dem Fisch oder dem Menschen anderes zukommt. Mittels dieser Bezugnahme ist die Natur in ihrer Eigenheit zu respektieren, zu achten. Ähnlich zu Jonas folgt MeyerAbich in seiner Konzeption dem Gedanken, dass ein mehr an Können ein mehr an Sollen impliziert (vgl. Kap. II.4.3.c). »In uns kommt die Natur zur Sprache, von ihr aus denken wir von uns aus, und in uns wird sie politisch. Von uns hängt es ab, ob sie die Chance der Freiheit, die sie im Menschen hat, wahrnimmt oder verfehlt.«564

6.3.

Interessen der natürlichen Mitwelt

An den Inhalt dessen, was wir tun sollen, werden wir durch unsere Zugehörigkeit zur Natur erinnert;565 um uns ihrer zu vergewissern, müssen wir sie empirisch sowie rational einsehen. Obwohl Meyer-Abichs Gefühlsbewusstsein an eine rationale Fundierung gekoppelt ist, sind ihm die Gefühle, wie sich mit Herder anführen lässt, »das edle Maß, nach dem wir erkennen und handeln«.566 Die tiefwurzelnde Verbundenheit mit der Natur verdeutlicht, dass wir moralisch verpflichtet sind, unserer natürlichen Mitwelt Achtung entgegenzubringen. Wie wir mit ihr aufs Engste verbunden sind, sind wir es laut dem holistischen Verständnis mit Gott. Gott lebt »im Licht der Sonne, er lebt in den Bäumen, die hier um uns herum sind. Die Natur insgesamt ist eine Kraft Gottes, und diese erfahren wir innerlich. Der Geist Gottes lebt auch in den Steinen, er gibt allem, was da ist, die Kraft da zu sein, uns aber auch die Kraft darüber nachzudenken, wie wir damit umgehen dürfen und wie nicht. Wir sollten mit den Dingen so umgehen, wie es diesem Mitsein entspricht.«567

Da die menschliche Natur von der außermenschlichen nicht zu trennen ist, ist keiner Seite Vorrang vor der anderen einzuräumen, wodurch die Annahme, dass

563 564 565 566 567

»Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit« zugestanden werden (K.M MeyerAbich: Frieden mit der Natur, 166). K.M. Meyer-Abich: Religiöse Leitbilder, 135; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 424f. K.M. Meyer-Abich: Aufstand für die Natur, 88, Hervorhebung M.H., vgl. 36; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 332, 65; Ders.: Wissenschaft für die Zukunft, 167; Ders.: Ganzheit im Mitsein, 153. Vgl. K.M. Meyer-Abich: Leben, 90; Ders.: Aufstand für die Natur, 87, 84f. J.G. Herder: Vom Erkennen und Empfinden, Werke 4, 360, 330, 361, 381, 392. K.M. Meyer-Abich: Leben, 70f.; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 69.

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»nur Menschen Rechte haben«, endgültig zu verabschieden ist.568 Somit erhebt sich der physiozentrische Holismus über die anthropozentrische Vorstellung, die den Menschen als das Zentrum der Welt begreift und glaubt, dass allein im Menschen das Heil liege. Der Physiozentrismus begründet bekanntlich, dass das einzelne Wesen nicht über allem steht, sondern dass alles miteinander verbunden ist. Demgemäß kann es keinen grundsätzlichen Vorrang menschlicher Interessen vor »den Interessen der natürlichen Mitwelt« geben,569 wenngleich nicht bestritten werden kann, dass unser Wissen von der Welt anthropomorpher Natur ist. Weil der Mensch nur von sich ausgehen kann, ist es keineswegs leicht, unsere natürliche Mitwelt »nach ihrer eigenen Natur wahrzunehmen«.570 a)

Krone der Schöpfung

Auf jeden Fall ist die Freiheit die Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt Sollen und Verantwortung für unser Tun übernehmen können. Der Umgang mit der natürlichen Mitwelt ist der »Prüfstein unserer Menschlichkeit«571 – insbesondere trifft das zu, wenn wir aus Freiheit handeln; aber selbst unfreies Handeln zeigt an, was wir (geworden) sind. Unsere Taten zeugen von unserer Wertschätzung gegenüber unserer natürlichen Mitwelt sowie gegenüber uns selbst. »Wenn das Mitsein nicht nur mit den Mitmenschen, sondern auch mit der natürlichen Mitwelt zur menschlichen Natur gehört, braucht die physiozentrische Rücksicht auf alles in seiner je besonderen Natur nur noch durch den Zusatz ergänzt werden: Nimm Rücksicht auf alles wie auf dich selbst.«572

Es ist nicht zu verkennen, dass unser Verhalten gegenüber der Natur, sohin auch gegenüber dem Göttlichen, stets auf uns bezogen ist; wir sind von dem Ganzen des Seins nicht zu trennen. Dass wir so großen Einfluss auf unsere Mitwelt nehmen können, ist nicht nur eine Gefahr, sondern auch eine Möglichkeit, eine Chance, schließlich ist es uns – falls wir frei sind – tatsächlich möglich, für das Gute und das Schöne willentlich einzutreten und unsere Fähigkeiten im Universum unter Beweis zu stellen. Nehmen wir uns dieser Aufgabe an, sind wir verpflichtet, »auf die bestmögliche Weise zu sein, die der eigenen Natur entspricht, indem aus dem Mitsein der Schönheit etwas hervorgebracht wird. Alle Lebewesen wollen ihrer Natur 568 K.M. Meyer-Abich: Frieden mit der Natur, 165, 167f.; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 367; Ders.: Aufstand für die Natur, 84, 87. 569 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 77, 88. 570 K.M. Meyer-Abich: Mit-Wissenschaft, 30; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 463. 571 K.M. Meyer-Abich: Aufstand für die Natur, 12. 572 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 463.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

nach leben, indem sie im Mitsein mit andern – Lebewesen der gleichen Art und anderer Arten sowie mit den Elementen – etwas in die Welt bringen, was ihrer besonderen Natur, ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen entspricht, wofür sie also gut sind. Dies wird freilich nicht sozusagen höheren Orts festgelegt, sondern ist als die Entfaltung seiner besonderen Natur, die eine von vielen Individuationen der Natur des Ganzen ist, der Inbegriff seiner besseren Möglichkeiten.«573

Unsere Zugehörigkeit zur Natur schließt ein, dass wir nur im Mitsein mit Anderen und Anderem heimisch werden können, weswegen unser Handeln auf das Ganze bezogen sein muss. Es gibt nur die Freiheit »im Mitsein mit Anderen und Anderem, nicht die Freiheit vom Mitsein, die nur eine zur Unabhängigkeit oder Autonomie verkürzte Freiheit« und keine wirkliche Freiheit sein kann.574 Um frei zu sein, müssen wir die Natur in unseren Handlungshorizont miteinbeziehen. Mit Meyer-Abichs Einsicht, dass die Freiheit unter der Bestimmung der Natur zu denken ist, ist die Ausübung der Moralität durch die natürliche Mitwelt bedingt, sodass wir uns als moralisch verantwortungsvolle Wesen ihrer anzunehmen haben. Meyer-Abich ist vollkommen darin zuzustimmen, dass das »absolutistisch verkürzte Verständnis von Freiheit«,575 welches das Subjekt, das Ich ins Zentrum rückt, wesentlich zum Entstehen der Umweltproblematik beigetragen hat,576 mit der wir gegenwärtig zu kämpfen haben. Das überhöhende Verständnis hat dieses Verhalten provoziert und moralisch zu verantworten. Indem das Ich, das heißt das Subjekt, der Natur prinzipiell übergeordnet wird, ist die Natur nur für das Subjekt von Bedeutung, wodurch ihr eigener Zweck ausgeblendet wird und sie nur Mittel für das Subjekt ist. Sodann ist die Natur nichts Mitweltliches mehr, sie ist uns ausschließlich Mittel zum Zweck, eine bloße Ressource. Achten wir die natürliche Mitwelt in besagtem Sinn, müssen wir ihr entsprechend Achtung entgegenbringen. Wenn wir sie wertschätzen, sie lieben, werden wir viele der »bisherigen Fehler in Zukunft nicht mehr […] machen« und es wird uns gelingen,577 den Frieden mit der Natur wiederherzustellen. Ebenso wie die zuvor diskutierten Positionen von Jonas und Hösle ist auch diejenige von Meyer-Abich von dem Gedanken geleitet, dass die Überhöhung des Subjekts zu unserem unverantwortlichen Umgang mit der Natur beigetragen hat. Daher fordert er, dass die »technischen Fortschritte« stets in Relation zu den 573 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 367. 574 K.M. Meyer-Abich: Mit-Wissenschaft, 38, 35, 40f. »Bloß für mich bin ich nicht Ich, und bloß für uns sind wir nicht Wir. Wir sind es nur in der Gemeinschaft der Natur« (K.M. MeyerAbich: Praktische Naturphilosophie, 12). 575 K.M. Meyer-Abich: In Zukunft leben, 62. 576 K.M. Meyer-Abich: In Zukunft leben, 43, 22, 41; Ders.: Frieden mit der Natur, 19–23; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 381–385. Vgl. V. Hösle: Ökologische Krise, 53; Ders.: Moral und Politik, 829, 960, 988. 577 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 422.

Mitwissenschaft und Freiheit bei Klaus Michael Meyer-Abich

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mitweltlichen, »gesellschaftlichen Fortschritten« zu diskutieren sind.578 Während Jonas für diesbezügliche Entscheidungen das in dubio pro malo walten lässt (vgl. Kap. II.4.3), geht es Meyer-Abich keineswegs darum, die Angst über die Hoffnung zu stellen. Er sieht es dagegen als zweckhaft, dass wir unsere Verantwortung als »Projekt der Freiheit des mündigen Erdenbürgers« verstehen.579 Seine Konzeption ist weniger von der Angst vor der technischen Entwicklung denn von dem Anspruch angetrieben, die technischen Möglichkeiten dafür einzusetzen, der natürlichen Mitwelt in ihrer Ganzheit Gutes zu schenken. Zwecks unseres Mitwissens am Sein dürfen wir die Natur nicht von unserem Handlungsbereich ausschließen, wir müssen sie stattdessen in unseren Handlungshorizont miteinbeziehen: Das Wahre ist gleichermaßen objektiv wie subjektiv. Verweigern wir uns dem, handeln wir wider die Vernunft. Indem wir unsere naturgeschichtliche Zusammengehörigkeit mit der Natur verkennen, machen wir den Menschen zum Maß aller Dinge580 – erkennen wir hingegen unsere Zusammengehörigkeit an, erkennen wir die natürliche Mitwelt in ihrer Ganzheit als das Maß aller Dinge an. Richtig ist, dass dem Menschen zwecks seiner Vernunftfähigkeit und der Möglichkeit zur Freiheit ein besonderer Status in der natürlichen Mitwelt zukommt.581 Für sich genommen ist er nichts Besseres, er ist nur anderer Beschaffenheit. Immerhin ist der Eigenwert immer relativ zum Ganzen der Natur zu bestimmen.582 Alles besticht durch seine Besonderheit im Sein des Ganzen. Daher kann der Mensch als das komplexeste Lebewesen, das wir kennen, sehr wohl als »Krone der Schöpfung« gedeutet werden.583 Allerdings geht es nicht darum, dass er als etwas Besseres gegenüber einem anderen Teil der natürlichen Mitwelt klassifiziert wird, sondern darum, dass er aufgrund seiner komplexen Verfasstheit als vorläufige Krone der Schöpfung verstanden wird. Krone der Schöpfung zu sein, heißt für den Menschen nicht, dass er sich über die Natur erheben darf; es heißt nur, dass ihm aufgrund seiner Komplexität besondere 578 K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 107. »Freiheit bedeutet Selbstverantwortung, auch in Wissenschaft und Technik, nicht aber einen Freiraum ohne Verantwortung« (K.M. Meyer-Abich: Aufstand für die Natur, 139). 579 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 314. »Das holistische Denken in ökologischer und gesellschaftlicher Verantwortung ist dazu eine Orientierung. Es kann eine Wissenschaft für die Zukunft und eine Zukunft für die Industriegesellschaft ermöglichen. In ihm liegt sogar wieder eine Hoffnung auf die Wissenschaft« (K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 172). 580 Vgl. Platon: Theaitetos, Werke 6, 178b; K.M. Meyer-Abich: Aufstand für die Natur, 82; Ders.: Frieden mit der Natur, 20f. 581 K.M. Meyer-Abich: Gesund zu sein, 362; Ders.: Leben, 89f. 582 »Die Teile haben ihren Wert nicht nur um des Ganzen willen, sondern sie sind selbst das Ganze, je für sich in einer besonderen Individuation« (K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 270). 583 K.M. Meyer-Abich: In Zukunft leben, 61; Ders.: Frieden mit der Natur, 19f., 124.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

Rechte und Pflichten zukommen, was mit einer entsprechenden Verantwortung gegenüber der nicht-menschlichen Natur verbunden ist. Er krönt die Schöpfung als Ganzes und nicht nur sich selber – in diesem Sinn ist er das Maß aller Dinge. Das ist der Fall, wenn die menschliche wie die außermenschliche Natur nicht nur als Mittel zum Zweck – des Menschen – missbraucht, sondern verantwortungsvoll mit ihr umgegangen wird. Die natürliche Mitwelt hat ihren eigenen Zweck, sie muss um ihrer »selbst willen gelten.«584 Verhalten wir uns so, »als sei alles andere nicht krönenswert, sondern bloßes Material«, welches »erst durch uns zu etwas Rechtem gemacht werden« muss,585 krönen wir nicht die Schöpfung, wir krönen uns selbst. Wir müssen uns davon verabschieden, die Natur so zu behandeln, als sei sie nur für uns da. Das hieße, unsere Naturzugehörigkeit zu annihilieren und uns wider die Vernunft »für etwas Besseres als die übrige Natur und sogar als die Natur überhaupt« anzusehen.586 b)

Natürliche Mitwelt

Die Fortschrittlichkeit von Meyer-Abichs Denken zeigt sich in der Begrifflichkeit der natürlichen Mitwelt, wird doch die Natur nicht als etwas uns Fremdes verstanden. Dass wir uns bislang sprachlich von der Natur abgrenzten, bezeugt zum einen der die Natur vom Menschen abgrenzende Begriff Umwelt,587 hier umgibt die Natur den Menschen. Zum anderen zeugt von dieser Trennung die frühere Verwendung des Begriffs der Mitwelt. Im 19. Jahrhundert findet sich die Mitwelt beispielhaft bei Johann Gottfried Herder, Johann Gottlieb Fichte, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Arthur Schopenhauer, Heinrich Heine und Johann Wolfgang von Goethe oder im 20. Jahrhundert bei Karl Kraus, Karl Löwith, Ernst Cassirer und Theodor Adorno.588 Freilich schenken sie alle dem Begriff keine allzu große 584 K.M. Meyer-Abich: Frieden mit der Natur, 154, 155; Ders.: Gesund zu sein, 362. 585 K.M. Meyer-Abich: In Zukunft leben, 61. 586 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 67, 146; vgl. Ders.: Gesund zu sein, 347; Ders.: Mit-Wissenschaft, 12; Ders.: Wissenschaft für die Zukunft, 43, 20, 117, 129f. »Wer z. B. immer schon voraussetzt, daß die übrige Welt bloß für uns da sei, wird diese Annahme nicht für begründungsbedürftig halten, den Eigenwert der natürlichen Mitwelt aber stringent bewiesen haben wollen« (K.M. Meyer-Abich: Aufstand für die Natur, 37, 107). 587 Vgl. J. v. Uexküll: Streifzüge, 27. 588 Vgl. J.G. Herder: Briefe zur Beförderung der Humanität, Werke 7, Nr. 93, 520; J.G. Fichte: Gegenwärtige Zeitalter, Werke VII, 51; Ders.: Reden an die deutsche Nation, Werke VII, 391, 489; TWA 2, 548; TWA 3, 67; TWA 7, 507, § 348; TWA 13, 222; A. Schopenhauer : Welt als Wille und Vorstellung, ZA 1,1, 299, § 49; Ders.: Grundlage der Moral, ZA VI, 224, § 11; H. Heine: Religion und Philosophie, Werke 5, 272; J.W. v. Goethe: Torquato Tasso, MA 3/1, 434; Ders.: Faust, MA 6/1, 537; Ders.: Campagne in Frankreich 1792, MA 14, 490; K. Kraus: Die Fackel, Nr. 8, 18; Nr. 43, 31; Nr. 49, 5f.; K. Löwith: Mitmenschen, 14f., 46ff.; E. Cassirer : Erkenntnisproblem, ECW 2, 143; Ders.: Freiheit und Form, ECW 7, 268; Ders.: Philosophie der Aufklärung, ECW 15, 142; T.W. Adorno: Portrait Thomas Manns, GS 11, 340 – Verweise

Mitwissenschaft und Freiheit bei Klaus Michael Meyer-Abich

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Bedeutung, verwenden ihn nur beiläufig – aber gerade diese Verwendung bezeugt ihre Sicht auf die Natur. Etwas differenzierter wird der Begriff zwar von Max Scheler gebraucht, er hat eine Erweiterung zur »Mitinnenwelt und Mitaußenwelt« vorgenommen;589 allerdings versteht auch er die Natur nicht als Teil unseres Selbst. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde der Begriff Mitwelt schließlich allein auf die menschliche Mitwelt bezogen. Erst Meyer-Abichs Erweiterung des Begriffs Mitwelt hin zur natürlichen Mitwelt bringt die Annäherung des Menschen an die Natur sprachlich zum Ausdruck. Ein neues, vernünftiges Verständnis von der Natur kann nicht erzwungen werden – wenngleich angesichts der ökologischen Krise nicht zu bestreiten ist, dass es an der Zeit für eine Neubestimmung des Naturbegriffs ist –, sie muss auf einem metaphysischen Grund stehen und mit dem Wissen vom Idealen und Realen in Einklang zu bringen sein. Meyer-Abich gelingt das Unterfangen, dies begrifflich zu leisten. Er entfaltet einen Begriff, der einsichtig macht, dass der Natur um ihrer selbst willen Schutz zuzusprechen und sie nicht bloß ein Mittel zur Verwirklichung des Zwecks des Menschen ist. Der naturphilosophische Zugang zur Mitwissenschaft legt nahe, dass die »Rolle des Menschen in der Natur« zu überdenken ist,590 da die Erhöhung des Subjekts über das Objekt mitwissenschaftlich nicht mehr überzeugen kann. In Anbetracht dieser erkenntnistheoretischen Neubestimmung ist anzuerkennen, dass jeder Teil der Natur als Moment des Ganzen werthaft ist, was in praktischer, moralischer Hinsicht mit einer »Erweiterung des menschlichen Verantwortungskreises« verbunden ist.591 Unser Mitwissen lehrt, dass eine Beschränkung der Natur auf die Umwelt unserem tatsächlichen Verhältnis zu ihr nicht gerecht wird.592 Demzufolge muss sich unser Handlungshorizont auf die natürliche Mitwelt als Ganzes beziehen – sowohl auf den Teil, mit dem wir es »zu tun haben«, als auch auf den, mit dem »wir es nicht […] zu tun haben«:593 Die Natur gehört »nicht uns, sondern sich«.594

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auf die angeführten Stellen bei Herder und in Goethes Torquato Tasso sowie seinem Faust finden sich in: K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 299ff., 320. M. Scheler : Vom Ewigen im Menschen, GW V, 252; Ders.: Wesen und Formen der Sympathie, GW VII, 76; Ders.: Wissensformen und Gesellschaft, GW VIII, 56, 363. K.M. Meyer-Abich: Aufstand für die Natur, 39, 48. K.M. Meyer-Abich: Aufstand für die Natur, 83, 75, 80, 83f.; Ders.: Mit-Wissenschaft, 61. K.M. Meyer-Abich: Wissenschaft für die Zukunft, 43. K.M. Meyer-Abich: Aufstand für die Natur, 53, 49, 59, 74; Ders.: In Zukunft leben, 45. K.M. Meyer-Abich: Frieden mit der Natur, 189; Ders.: Wissenschaft für die Zukunft, 43. Diesbezüglich verweist Meyer-Abich (In Zukunft leben, 37f.) auf ein Fragment Goethes: »Natur! Wir sind von ihr umgeben und umschlungen – unvermögend aus ihr herauszutreten, und unvermögend tiefer in sie hineinzukommen. Ungebeten und ungewarnt nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes auf und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihrem Arme entfallen. Sie schafft ewig neue Gestalten; was da ist war noch nie, was war kommt nicht wieder – Alles ist neu und doch immer das Alte. Wir leben mitten in ihr und

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

Die Neubestimmung des Begriffs verlangt, dass wir die Natur nicht bloß als Mittel begreifen. Sie ist um ihres Selbstzwecks willen zu achten – tun wir das nicht, erweisen wir uns ihrer nicht als »würdig«,595 denn dann krönen wir uns und nicht die Schöpfung. Dass die Natur nicht bloß Ressource ist, darauf hat bereits, wenngleich von einem völlig anderen Horizont ausgehend, Karl Marx hingewiesen.596 Obwohl der Selbstzweck der Natur zu achten ist, folgt daraus nicht, dass weder Steine, Granit oder Bäume zum Bauen verwendet werden dürfen, noch, dass die natürliche Mitwelt keine Nahrung sein darf. Es kommt einzig darauf an, die Besonderheit jedes Teils der natürlichen Mitwelt zu achten und als Moment des Ganzen zu verstehen. Wir dürfen aus ihr Schönes formen und sie zur Gestaltung der natürlichen Mitwelt nützen.597 Die moralische Aufgabe besteht darin, ihre Besonderheit in Bezug auf ihr Sein im Ganzen im Blick zu haben. Es ist unbestritten, dass Leben, das existieren will, unsere »tierischen Verwandten – zumindest […] Pflanzen […] töten oder verletzen« muss.598 Leben macht es unumgänglich, andere Lebewesen zu töten, zu verletzen. Dies erlaubt aber nicht, willkürlich mit der natürlichen Mitwelt zu verfahren, schließlich müssen wir unserer Verantwortung für das Ganze nachkommen. Unser Tun und unsere innere Geisteshaltung zeugen davon, ob wir die Krönenden der Schöpfung sind oder uns selbst zur Krönung erheben. Wollen wir wahrhaft die Krone der Schöpfung sein, müssen wir uns gegenüber den »Gaben der Natur«, durch die wir leben, verantwortungsvoll verhalten. Wir haben ihr Respekt zu zollen, in ihr finden wir die »Kraft zum Weiterleben«.599 Zur bewussten und willentlichen Umsetzung dessen bedürfen wir der Freiheit des Willens, welche mit dem physiozentrischen Holismus nicht vereinbar ist. Ist alles Natur, ist auch unsere Art zu handeln naturhaft, womit wir nie fern der Natur stehen, gleich, ob wir scheinbar in Einklang mit ihr oder ihr zuwiderhandeln. Obzwar die Frage, »wofür wir gut sind« in der Welt,600 inhaltlich mit dem Physiozentrismus beantwortet werden kann, vermag dieser keine Aussage

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sind ihr fremde. Sie spricht unaufhörlich mit uns und verrät uns ihr Geheimnis nicht. Wir wirken beständig auf sie und haben doch keine Gewalt über sie« (J.W. v. Goethe: Die Natur, MA 2/2, 477; K.M. Meyer-Abich: Frieden mit der Natur, 116ff., 122f.). K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 280, 314. Vgl. K. Marx: Das Kapital III, MEW 25, 784; Ders.: Das Kapital I, MEW 23, 97; Ders.: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW 40, Ergänzungsbd. I, 512ff., 538; K.M. Meyer-Abich: Aufstand für die Natur, 141; Ders.: Mit-Wissenschaft, 29, 31, 36. Vgl. Thomas Jefferson an James Madison am 6. 9. 1789 (T. Jefferson: Writings, 959). Zum Verhältnis von Kunst und Natur vgl. U. Dengel: Kunst und Naturverständnis, 229–233. K.M. Meyer-Abich: Aufstand für die Natur, 94, 96f., 104; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 477; Ders.: Entfremdung, 29–31. K.M. Meyer-Abich: Entfremdung, 30. K.M. Meyer-Abich: Entfremdung, 38; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 294, 321, 427, 437.

Mitwissenschaft und Freiheit bei Klaus Michael Meyer-Abich

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darüber zu treffen, ob wir fähig sind, etwas willentlich zu tun oder schlechthin Getriebene sind, die ohnehin den Plan der Natur, den Plan Gottes erfüllen. Ohne von der Freiheit zu wissen, lässt sich kein Sollen einfordern; einfordern lässt sich nur, wovon wir tatsächlich wissen. Da auf Grundlage des Physiozentrismus die Freiheit nicht zu erweisen ist, muss Meyer-Abich die Freiheit voraussetzen, ohne sie auszuweisen. Praktisch lässt sich mit ihm zumindest sagen, dass vernünftig zu handeln als »eine im Menschen lebendige Absicht der Natur« verstanden werden muss,601 was mitwissenschaftlich heißt, der eigenen Natur gemäß zu handeln. »Vernünftige Natur zu sein und als solche etwas zur Naturgeschichte beizutragen, was andere Lebewesen nicht gleichermaßen tun und können, nämlich Kultur, ist sowohl die Chance der Natur, sich mit uns Menschen fortzutreiben, als auch die besondere Chance des Menschen, in der Natur heimisch zu werden und so der kopernikanischen Herausforderung zu begegnen.«602

c)

Sein und Sollen

Aufgrund unserer Verbundenheit mit der natürlichen Mitwelt betrifft »unser Verhalten zur Natur immer auch uns selber«.603 Die Auswirkungen dieses Denkens auf das Recht hat Meyer-Abich an mehreren Stellen schlüssig dargelegt. Dass dies nicht in einer größeren Arbeit ausgeführt wurde, mag zu kritisieren sein,604 allerdings betont er nachdrücklich, wie wichtig die Einbettung der Natur in eine »verfassungsmäßig geordneten Rechtsgemeinschaft« ist.605 Um den Inhalt des »Mitsein(sollen)« ausformulieren zu können,606 ist es notwendig, zu ergründen, wer »ich bin und was ich als das Gute will«. Was das heißt, ist nur in stetiger Auseinandersetzung mit der natürlichen Mitwelt zu beantworten.607 Die Grundlage dieses Prozesses bildet unser Mitwissen am Sein des Ganzen. Wir müssen die Natur in uns »zur Sprache« kommen lassen und ihr Gehör schenken.608 Die Natur in uns zur Sprache kommen lassen, bedeutet freilich nicht, unseren natürlichen Trieben und Verlangen nachzugeben und diese als legitim anzuse601 602 603 604 605

K.M. Meyer-Abich: Frieden mit der Natur, 74, 73; Ders.: Determination und Freiheit, 37. K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 260, 21, 83f., 243, 248, 253, 255f., 264, 284. K.M. Meyer-Abich: Frieden mit der Natur, 231. H. Hastedt: Aufklärung und Technik, 167. K.M. Meyer-Abich: Frieden mit der Natur, 161; Ders.: Rechte der Natur, bes. 392–396. In meinem Aufsatz Rechte der »natürlichen Mitwelt« wird die Zweckhaftigkeit des meyerabich’schen Naturbegriffs für das Recht näher diskutiert. 606 K.M. Meyer-Abich: Holistische Ethik, 169, vgl. 166–178. 607 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 21, 294, 364. 608 K.M. Meyer-Abich: Frieden mit der Natur, 97, 98f., 155, 166, 176; Ders.: Praktische Naturphilosophie, 264, 341; Ders.: In Zukunft leben, 56; Ders.: Aufstand für die Natur, 114f.

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Materialismus, Idealismus und Mitwissenschaft

hen. Nicht alles, was in der Natur passiert, ist prinzipiell gut. Es kommt – die Möglichkeit der Freiheit vorausgesetzt – darauf an, dass wir uns die Frage stellen, wofür wir unsere Fähigkeiten mit Blick auf die natürliche Mitwelt einsetzen können und sollen. Dadurch erschließt sich uns, wofür wir unserer Natur nach eigentlich da sind. Somit hat das Sein der natürlichen Mitwelt im Allgemeinen und das des Menschen im Besonderen normative Geltung. Was den Menschen ausmacht, soll er sollen. Auf dieser Ebene basiert der Übergang von einer bloßen Sollensethik zu einer metaphysisch begründenden Seinsethik.609 Das Sein wird nicht dem Existierenden gleichgesetzt, es entspricht demjenigen Sein, welches wir durch uns selbst mit Blick auf das Ganze konstruieren. Trotz dieser Betonung ist MeyerAbich, wie Jonas, dem Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses ausgesetzt. In Folge betont er, dass wir, obgleich es möglich ist, den »Sinn der Begriffe Sein und Sollen [zu] unterscheiden«, diese nicht – anders als in der Konzeption Hösles – als zwei »getrennte Sphären in der Wirklichkeit« verstehen dürfen.610 Damit wird das Sein unvermittelt zum Sollen. Die Gefahr, einen naturalistischen Fehlschluss zu begehen, verschärft sich dadurch, dass Meyer-Abich Natur und Freiheit »synonym« verwendet,611 wodurch das Sollen, wie bei Jonas, auf einer rein naturhaften Bestimmtheit baut.612 Da ihm die Freiheit, die die Grundlage allen Sollens ist, eine Bestimmung der Natur ist und deren reale Seinsbestimmung unvermittelt zum Inhalt des Sollens wird, wird in dieser Konzeption letztlich ein reales Sein zum Inhalt des Sollens. Indem das reale Sein zum Sollen verklärt wird, macht man das Existierende zum Inhalt des Sollens, wodurch die moralische Forderung auf einem realen Seinsollen baut. Dieser Widerspruch ist nur aufzuheben, indem das Sein nicht bloß als reale Bestimmtheit, sondern ebenso – analog zu Hösles Ansatz – als ideales Moment gedeutet wird. Dem Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses kann Meyer-Abich jedenfalls nicht entgehen, macht er doch eine reale Seinsbestimmung zur Sollensbestimmung. Zwar lässt sich einwenden, dass es sich um ein metaphysisch bestimmtes Sein handelt, allerdings ist selbst dieses bei ihm nur eine Bestimmung des Naturhaften. Die Reduktion des Geistes auf die Natur impliziert im Praktischen die Reduktion des Sollens auf das reale Sein, außer diesem ist nichts. Die forcierte Ineinssetzung von Natur und Gott führt dazu, dass das Subjekt als Form des Objekts verstanden werden muss. Folglich ist nur Natur, kein Geist – analog dazu verliert sich die Freiheit in der Notwendigkeit. 609 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 21, 297, 370; Ders.: Wissenschaft für die Zukunft, 121, 98. 610 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 296. Ders.: Rechte der Natur, 379; Ders.: Natur und Freiheit, 70f. 611 K.M. Meyer-Abich: In Zukunft leben, 71. Zum naturalistischen Fehlschluss vgl. Anm. 229. 612 Vgl. R. Plugge: Metaphysik des Einen, 186–190.

Mitwissenschaft und Freiheit bei Klaus Michael Meyer-Abich

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Obwohl der Begriff der Mitwissenschaft deutlich macht, wie eng Subjekt und Objekt verbunden sind, und Meyer-Abich deren Verwobenheit sogar vor dem Hintergrund moderner Naturwissenschaft ausweist, bedarf es einer Erweiterung hin zur Mitwissenschaft des Geistes. Unter Einbeziehung der Natur und des Geistes ist es möglich, das Subjekt nicht bloß vom Objekt her, sondern ebenso das Objekt vom Subjekt her zu verstehen: Keine Seite ist auf die andere zu reduzieren, vielmehr müssen sich beide Seiten als Einheit verstehen und sogleich als aufeinander bezogen fassen lassen. Entsprechend tut eine vernünftige Metaphysik, die das Ganze zu begreifen sucht, gut daran, an diese Problemstellungen anzuschließen. Eine mitwissenschaftliche Metaphysik, die sich der Idee von der Freiheit verpflichtet, darf sich nicht bloß an den vorkopernikanischen Traum erinnern, »dessen Inhalt wir vergessen haben«,613 sie muss sich ebenso an den nachkopernikanischen Traum erinnern. Auf diese Weise lässt sich die tiefe Verbundenheit von Subjekt und Objekt auf gleich gültige Weise fassen (vgl. Kap. III.8–10), wodurch die Freiheit kein Traum mehr bleiben muss. Der Traum der Freiheit muss wahrhaft werden. Nur so wissen wir um das Sollen und um unsere Aufgabe in der Welt. Dass die Freiheit der Schlüssel des Traumes ist, hat Schelling mit seinen philosophischen Ausführungen deutlich gemacht; schon er wusste: Allein »der freie Mensch […] weiß, daß eine Welt außer ihm ist; dem andern ist sie nichts, als ein Traum, aus dem er niemals erwacht« (SW II, 218).

613 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 12.

III.

Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

Der Traum der Freiheit muss kein Traum bleiben. Aber damit die Freiheit in uns erwacht, bedarf es einer vernünftigen Konstruktion, die uns die Idee der Freiheit mitwissenschaftlich einsichtig macht. Erst dann können wir ihr gewahr werden. Ohne Freiheit könnten wir nicht wider die Vernunft handeln – es wäre alles vernünftig, womit im Grunde nichts vernünftig wäre (vgl. Kap. I). Die systematische Auseinandersetzung mit den metaphysischen Konzeptionen von Hans Jonas, Vittorio Hösle und Klaus Michael Meyer-Abich hat gezeigt, wie schwierig es ist, den dringend benötigten Aufweis der Freiheit zu formulieren. Eine Philosophie, die sich dieser Aufgabe in metaphysischer Hinsicht noch heute annehmen will, kann daher auf die tiefen Einsichten dieser Denker nicht verzichten, sondern muss auf sie Bezug nehmen, da die diskutierten Positionen umfassende metaphysische Darstellungen des Wissens um Natur, Geist und Freiheit – insbesondere in Relation zum zeitgenössischen Stand der Wissenschaften – liefern. Die Begründungsaufgabe besteht darin, die Freiheit als Gewordenes, aber ebenso als Werdendes zu begreifen. Auf diese Weise lässt sich die Wirklichkeit der Freiheit als Möglichkeit ausweisen, sodass wir uns ihrer vergewissern können. Also ist verständlich zu machen, dass die Tatsache, die real gewordene Freiheit auf einer freien Ursache gründet und dass die freie Ursache ein sich selbst Wollendes ist. Die Freiheit wird durch ihren Aufweis im Ausgang der Natur erfahrbar und durch die geistige Durchsichtigkeit verstehbar. Weil jede Sphäre eine bestimmte Seinsform der Freiheit beschreibt, sind beide Zugänge zu explizieren, um der Freiheit wahrhaft Ausdruck zu verleihen. Die Erfahrbarkeit der Freiheit muss verstanden werden, und der verstandene Begriff muss mit der Erfahrung vereinbar sein. Das Erkennende nimmt auf das Erkannte Bezug: Wissen ist nicht bloß als subjektiv oder objektiv auszugeben. Erkenntnistheoretisch kann schlechthin nicht mehr überzeugen, dass das Beobachtete unabhängig vom Beobachter stehen soll. Diese Einsichten zu formulieren und systematisch zu vereinen, das ist die Aufgabe einer Metaphysik der Freiheit, die noch heute überzeugen und eine Option anbieten will, wie Freiheit zu begreifen ist.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

Das vorliegende Kapitel versucht mittels einer konsequenten Fortführung der schellingschen Philosophie eine Möglichkeit anzubieten, wie die Möglichkeit der Wirklichkeit der Freiheit – sowohl in der Sphäre des Natürlichen wie des Geistigen – begreifbar wird. Die Antwort, warum dies ausgerechnet die Philosophie Friedrich Schellings leisten soll, kann und will keine historische sein, sie soll eine rein systematische sein. Auf jeden Fall gilt es zu zeigen, dass Schelling die geforderte Identität der Sphären mitwissenschaftlich anhand des neueren wissenschaftlichen Standpunkts auszuweisen vermag. Eine systematische und nicht historische Herangehensweise mag im gegenwärtigen Forschungskontext des Deutschen Idealismus erstaunen; ob das Projekt aber scheitert oder gelingt, hängt einzig von der Stringenz und der Überzeugungskraft der zur Ausführung gebrachten Gedanken ab. Im Folgenden wird nicht nur der Aufweis der Freiheit mit Bezug auf den neueren Wissenschaftsstand in der Sphäre der Natur (Kap. III.8) sowie in der Sphäre des Geistigen (Kap. III.9) geleistet. Darüber hinaus werden die resultierenden Konsequenzen der formulierten Metaphysik der Freiheit skizziert (Kap. III.10). Zudem wird deutlich, dass der schellingsche Denkansatz ein Programm der – wie es Meyer-Abich formuliert hat – Mitwissenschaft ist und einen kruden Subjektivismus wie Objektivismus ablehnt (vgl. Kap. III.7). Schelling wusste, dass die mitwissenschaftliche Begründung von unserer Bestimmtheit abhängt. Die freie Entfaltung des Selbst hat an sich selbst seine Grenze. Gegenüber seinem früheren Studienfreund hat Georg Wilhelm Friedrich Hegel dazu erklärt: »Wer nicht kann, was er will, soll wollen, was er kann«.614 Etwas wollen bzw. etwas dürfen zu können, ist ohne freien Willen nicht möglich. Um aus der Notwendigkeit herauszutreten, benötigen wir die Einsicht in diesen freien Willen, das heißt in das Wissen um die Freiheit. Auf diesem Grund ist es möglich, aus Freiheit zu sollen und den guten Willen einzufordern. Durch die Freiheit werden wir zu moralischen Akteuren und sind fähig, uns einen Begriff vom Guten zu machen, für diesen einzutreten und Verantwortung zu übernehmen. Einen Akteur auszumachen, reicht nicht aus, um Handeln moralisch zu bewerten und zu sanktionieren; wäre dem so, wäre jede Tat als moralischer Akt zu werten. Nur wer anders handeln kann, kann für sein Handeln verantwortlich gemacht und dafür gegebenenfalls sanktioniert werden. Die Idee von der Freiheit muss wissentlich nachzuvollziehen sein. Ist sie auf allgemeine und rationale Weise einzusehen, ist sie jedem Vernunftwesen zuzusprechen und kann sodann eingefordert werden. Richtig ist, dass die Vernunft und die Freiheit nicht von uns selbst geschaffen wurden, sie sind uns eine Gabe. Ihre Potentialitäten sind ein Geschenk. Ob wir uns zum vernünftigen Denken 614 Friedrich Schelling an Friedrich Immanuel Niethammer Ende 1817 (G.W.F. Hegel: Hegel in Berichten, 163).

Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

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erheben oder es uns stattdessen, so Immanuel Kant, an »Entschließung und des Muthes« fehlt,615 ist allein unsere Sache. Die Freiheit sowie die Vernunft mögen prädeterminiert sein, ihre Entäußerung ist hingegen ein freier Akt. Ihre Potentialität, nicht ihre Wirklichkeit ist prädeterminiert. Frei zu sein, ist kein einmaliger Akt, Freiheit ist eine stets neu zu vollziehende Tat, weswegen das mit Freiheit begabte Wesen ständig Gefahr läuft, sich von der Vernunft und der Freiheit abzuwenden und der Beliebigkeit, der Zufälligkeit anheimzufallen. Damit die Freiheit aus dem Naturprozess hervorgehen konnte, muss sie, worauf Schelling hinweist, dem Notwendigen wesentlich sein. »Denn was im Anfang eines Processes ist, wird erst durch das Ende klar« (SW XII, 154). Die Ursache des freien Willens muss Freiheit sein, ansonsten müsste die Freiheit aus der Notwendigkeit, aus der Nichtigkeit hervorgehen, sie selbst wäre nicht. Freiheit ist nur, wo Notwendigkeit ist. Ohne Abgrenzungsmoment wäre überall Freiheit, was ihrer Aufhebung gleichkommt: Freiheit wäre grenzenlos, der Willkür gleich. Viele mögen sich »unter Freiheit nichts anderes als Willkür [denken], d. h. ein Vermögen zu thun, was ihnen beliebt […]. Allein daß diese Willkür keine Freiheit sey, dieß könnte sie selbst die bloße Erfahrung lehren. Denn diejenigen, die am meisten nach ihrem Gefallen zu handeln glauben, werden gerade am meisten durch Affektionen der Lust, des Hasses, der Leidenschaft überhaupt zum Handeln getrieben« (SW VI, 551).

Die Freiheit des Geistes steht der Naturnotwendigkeit entgegen, dennoch sind sie wesentlich miteinander verwoben. Machen wir uns einen Begriff von der Natur und vom Geist, sind wir gleichermaßen Moment der Natur und des Geistes. Unsere Teilhabe ist Ausdruck unseres Mitwissens an beiden Seiten. Gehörten wir nur einer Seite an, wüssten wir nicht um unsere Teilhabe an der anderen Seite, wir wüssten uns schlechthin nicht zu unterscheiden. Auf dieses Abgrenzungsproblem hat auch Hegel in seiner Wissenschaft der Logik eingehend hingewiesen, wobei er besonders die Bedeutung der Differenz bzw. der Identität hinsichtlich der Bestimmtheit betont: »Das Insichsein als einfache Beziehung auf sich selbst schließt zunächst das Anderssein und damit die Grenze selbst – als die Beziehung auf das Andere – von sich und aus dem Etwas aus. Aber die Gleichheit des Etwas mit sich beruht auf seiner negativen Natur ; oder das Nichtsein ist hier Ansichsein selbst; also ist die Grenze das Insichsein. […] So ist die Grenze Bestimmtheit« (GW 11, 69).

Wahrhaftes Mitwissen impliziert eine Identität des Mitwissenden mit dem Mitgewussten. Dass der mitwissenschaftliche Zugang nicht einfach zu verwerfen ist, belegt der Umstand, dass das Natürliche und das Geistige eine Einheit bilden müssen. Es gibt nur eine Welt, wenngleich sich diese als Natürliches und Geis615 I. Kant: Was ist Aufklärung, Akad.-Ausg. VIII, 35.

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tiges der Form nach vielfältig darstellt. In der Materie muss aus evolutionstheoretischer Sicht alles gründen, daher muss sie potentiell geistbegabt sein, ansonsten könnte der Geist nicht aus ihr hervorgehen, wobei umgekehrt gilt, dass ohne Geist keine Materie entstehen und gewusst werden könnte. Das Materielle gründet im Geistigen wie sich umgekehrt das Geistige erst im Materiellen konkretisiert. Die lebende Materie ist von der toten nicht wesentlich unterschieden, sie stellt sich nur der Form nach anders dar. Es ist nur ein Sein und somit nur eine Schöpfung, so sind mit Richard Feynman gesprochen »all things […] made of atoms«.616 Ihr Unterschied begründet sich lediglich in der realen Darstellung ihrer Form. Die Verbundenheit beider Seiten äußert sich im Realen am deutlichsten in der psycho-physischen Einheit des Menschen. Die Vereinigung im Menschen legt nahe, dass wir als Geist- und Naturwesen sowohl an der Natur als auch am Geist teilhaben. Wir sind von keiner der beiden Seiten zu trennen, auszuschließen. Wären wir nur Natur, könnten wir unseres Bewusstseins nicht einsichtig werden, wären wir nur Geist, würde sich dieser nicht konkretisieren. Im Falle einer Reduktion auf eine der beiden Seiten wären wir nicht in der Lage, uns selbst wahrhaft zu bestimmen. Die Deutlichkeit »unserer Verwandtschaft mit der natürlichen Mitwelt im Ganzen der Natur« wird uns, wie von MeyerAbich dargelegt, vor allem im Krankheitsfall bewusst. Obwohl sich Kranke oft wünschen dürften, ob ihrer Schmerzen den Körper »still[zu]legen oder sich seiner [zu] entledigen«,617 ist dieser Wunsch völlig abwegig. Sodann müsste der Mensch auf das verzichten, was ihn nach Schelling zum Menschen macht, auf das »nothwendige Einsseyn von Leib und Seele« (SW VII, 176; vgl. III, 498; UPhO, 46, 652). Wer dem entgegen wie Johann Gottlieb Fichte der Überzeugung ist, dass »[k]örperliche[s] Leiden, Schmerz und Krankheit« eigentlich »nicht Mich selbst, das über alle Natur erhabene Wesen« treffen,618 weil der Mensch ein rein geistiges Wesen ist, übersieht, dass es sich als reines Bewusstsein gar nicht manifestieren kann. Soll das Geistige an Gehalt gewinnen, ist die Manifestation durch die Körperlichkeit unumgänglich, ansonsten wäre nichts Reales – selbiges gilt für Natur und Geist in abstracto. Fichtes an Ren8 Descartes anschließender Gedanke, den Menschen als maßgeblich kognitives, als geistiges Wesen zu begreifen, hat schon Schelling nicht überzeugt (vgl. SW XI, 269). Betreffs des dualistischen Verständnisses hat er diesbezüglich darauf hingewiesen, dass die strikte Trennung von Leib und Bewusstsein nicht erklären kann, wie beide Momente ineinandergreifen. 616 R.P. Feynman et al.: Lectures on Physics I, 3–6. 617 K.M. Meyer-Abich: Gesund zu sein, 135f., 25–32, 157–171. 618 J.G. Fichte: Bestimmung des Menschen, Werke II, 315, Hervorhebung M.H.

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»Zwei Dinge, die schlechterdings nichts miteinander gemein haben, können auch nicht aufeinander wirken. […] Wenn beide durchaus nichts miteinander gemein haben, wie können dennoch Körper und Geist so vieles gemeinschaftlich thun und gemeinschaftlich leiden? Wie wenn ein körperlicher Schmerz vom Geist empfunden wird, oder ein bloß auf den Körper gemachter Eindruck zum Geist sich fortpflanzt, und in dem denkenden Ding, das wir unsere Seele nennen, eine Vorstellung erzeugt, oder wenn umgekehrt eine Anstrengung des Geistes, ein Schmerz unserer Seele den Körper ermüdet oder krank macht, oder der Gedanke unseres Geistes, wie z. B. im Sprechen, bloß körperliche Organe ihm zu dienen zwingt, oder ein Wille, ein Entschluß unseres Geistes in dem ausgedehnten Ding, das wir unsern Körper nennen, eine entsprechende Bewegung hervorbringt« (SW X, 26; SWA, 26f.).

Dass das Zusammenwirken von Körper und Geist für uns von grundlegender Bedeutung ist und die eigene Wahrnehmung beeinflusst, belegen alltägliche Begegnungen. Sofern der Einzelne »Ziele per Knopfdruck« erreicht, ist es ihm verwehrt, die Situation in der gleichen Weise zu erfahren wie jemand, der diese leibhaftig erreicht. So unterscheidet sich das »Glück, […] von einem Gipfel in die Welt zu blicken«, wesentlich davon, ob jemand durch eine »leibhaftige[] Bergbesteigung« oder per Gondelfahrt am Gipfel ankommt.619 Das körperliche Erlebnis, sowohl im Positiven wie im Negativen, prägt das (geistige) Erlebnis mit, denn die (körperliche) Erfahrung hat Einfluss auf unsere Wahrnehmung. Dieses Beispiel Meyer-Abichs führt eingängig vor Augen, dass die strikte Trennung unsinnig ist, wobei die differenzierte Wahrnehmung nahelegt, dass Körper und Geist keine indifferente Einheit, aber auch nichts vollkommen Geschiedenes sind. Leib und Bewusstsein sind die zwei Seiten der einen Medaille. Eine vollkommene Geschiedenheit ist ebenso wenig haltbar wie eine vollkommene Gleichheit von Natur und Geist, es wirkt die Natur auf den Geist, und umgekehrt. Freiheit als Bestimmungsgrund von Natur und Geist auszuweisen, ohne dass dabei beide Seiten aufeinander reduziert werden, ist kein Leichtes. Beispielhaft haben die in Kapitel II diskutierten Philosophiekonzeptionen deutlich gemacht, dass selbst das ganzheitliche Denken leicht Gefahr läuft, den Geist auf die Natur oder die Natur auf den Geist zu reduzieren. Aus der einseitigen Rückbindung folgt, dass die eine Seite gegenüber der anderen qualitativ überhöht wird, wodurch sich die Freiheit in der Notwendigkeit verliert. Ist diese Differenz nicht aufrechtzuerhalten, müssen wir uns, wie Schelling an Baruch de Spinozas Einheitskonzeption deutlich gemacht hat, mit einem »System bloßer Nothwendigkeit« zufriedengeben (SW X, 47), in dem die Freiheit nur Schein ist. Um den Begriff der Freiheit zu retten, sind Natürliches und Geistiges als einander gleich gültig zu fassen. Nur so erhebt sich die Freiheit über die Notwendigkeit; sie behauptet sich gegen die Notwendigkeit. 619 K.M. Meyer-Abich: Gesund zu sein, 138.

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Meyer-Abichs quantenphysikalisch fundierte Mitwissenschaft wird zwar dem Einheitsanspruch beider Seiten auf der Seite der Natur gerecht, auf der Seite des Geistes wird die Einheit jedoch nicht mehr eigens thematisiert. Das hat zur Folge, dass das Wissen der Freiheit als Willensbestimmung nicht weiter ausgeführt wird,620 Meyer-Abich fokussiert sich weniger auf das Ideale denn auf das Reale. Nun muss es darum gehen, die Bedeutung der gleich geltenden Momente in beiden Sphären stärker ins Zentrum zu rücken. Schelling liefert hierfür einen vielversprechenden Ansatz. Er betont die Identität nicht nur im Rahmen seiner Naturphilosophie, sondern auch im Reich des Bewusstseins. Explizit hebt er nämlich hervor, »daß Gleiches nur von Gleichem erkannt werde. Das Erkennende muß seyn wie das Erkannte und das Erkannte wie das Erkennende« (SW IX, 221, Hervorhebung M.H.; vgl. IV, 366; VI, 143; VII, 337; XI, 511; XIII, 315; Initia, 23, 45; UPhO, 23, 153). Wissen und gewusst Werden sind eins, sie sind Ausdruck des Subjektiven wie Objektiven (vgl. SW VII, 148). Damit geht Schelling über MeyerAbichs Begriff der Mitwissenschaft hinaus und bezieht Natur und Bewusstsein gleich gültig aufeinander. Obwohl Wissenschaft »fehlbar« ist und sich die Mitwissenschaft nur ›in der Zeit‹ erweisen kann (SW XI, 325),621 ist sie das Prinzip, auf dem alles Wissen aufbaut. Mitwissenschaft findet auf zwei Ebenen statt: Das Objekt ist nicht fern dem Subjekt zu fassen, weshalb Wissen von der Natur idealreal zu beschreiben ist, während umgekehrt das Bewusstsein real-ideal zum Ausdruck kommt. Die Differenzierung ist eine Sache der Form, der Akzentuierung der Momente, keine Unterscheidung dem Wesen nach. Da jedes Moment das andere voraussetzt, sind die Idee im Realen und die Realisierung der Idee selbiger Natur ; darum können sie wechselwirken und miteinander korrespondieren. Würde es sich um verschiedene Bestimmungen des Idealen und Realen handeln, könnte keine Interaktion zwischen beiden Momenten stattfinden, jedes wäre nur für sich. Derweil stellt sich im Realen die Welt in ihrer Existenz dar, wohingegen die Welt als Idee in ihrer Existenz zu fassen ist. In uns ist vereint, was in der Schöpfung begründet ist, und genau daran haben wir Mitwissen. Ohne dieses Mitwissen wüssten wir nichts um beide Seiten, was augenscheinlich nicht der Fall ist. Mitwissen steht im Wechselspiel von Wissen und Nichtwissen, weswegen Schelling betont, dass »die Seele des Menschen in gewissem Grad eine Mitwissenschaft der Schöpfung« hat. Unser Wissen beschränkt sich darauf, was wir wissen (können). Das, was wir nicht wissen (können), können wir nicht miteinbeziehen, es ist ohne Bedeutung für uns. Wissen ist stets abhängig vom 620 Meyer-Abich weiß um die Bedeutung der Freiheit; an einer Stelle betont er, dass die Freiheit »der erste Grundsatz einer künftigen Mit-Wissenschaft« ist (K.M. Meyer-Abich: Mit-Wissenschaft, 41, vgl. 41–44). 621 Trotz vieler Parallelen im Denken von Meyer-Abich und Schelling hat Meyer-Abich nicht auf Schellings Schriften zurückgegriffen. Vgl. Anm. 500.

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Erkenntnis- und Informationsstand ›in der Zeit‹, darüber können wir nicht hinausgehen. Die zeitliche Bestimmtheit ist dem Menschen wesentlich, schließlich ist er erst mit dem »Anfang der Zeit erschaffen. Wenn aber im Menschen ein solcher lebendiger Zeuge der Vergangenheit wohnt, warum doch wissen wir von ihr nicht durch unmittelbares Schauen sondern mehr oder weniger mittelbar, durch Begriffe, und warum lassen sich diese vorweltlichen nicht mit der Geradheit und Einfalt wie anderes unmittelbar Gewußtes erzählen? […] Das göttliche überweltliche Princip ist im Menschen verdunkelt und auf manche Weise gefesselt und muß erst wie von einem Zauber befreit werden um zur Erinnerung des Ursprünglichen zurückzugelangen: so antwortet derselbe Platon, dem wir jene tiefe Einsicht der Wissenschaft verdanken« (WA III, 205; SW XIII, 303; PhO-Pa, 186).622

Obgleich Wissen für uns immer Mitwissen ist, kann trotz unserer Teilhabe am Sein nicht ohne Weiteres von einem direkten Mitwissen am Absoluten gesprochen werden, wir können uns nur dessen vergewissern, was von unserer Warte aus fassbar ist. Es wird nicht der Anspruch erhoben, dass uns das Absolute (Natura naturans) direkt zugänglich ist, es ist uns nur durch das begreifbar, was vor uns liegt, durch das Geschaffene (Natura naturata). Dieses ist uns der erste, höchste Ausdruck des Absoluten (vgl. UPhO, 542f.). Allerdings muss es ein Einendes geben, hat doch die »absolute Erkenntnißart, wie die Wahrheit, welche in ihr ist, […] keinen wahren Gegensatz außer sich« (SW IV, 336). Das Absolute ist ein organisches Ganzes (vgl. SW IV, 390; VI, 498). Dass Natur und Geist systematisch verwoben sind, dessen war sich Schelling schon früh bewusst. Bereits in seinem System von 1800 hat er darauf verwiesen, dass das »ganze System der Philosophie […] durch zwei Grundwissenschaften vollendet wird, die, einander entgegengesetzt im Princip und der Richtung, sich wechselseitig suchen und ergänzen« (SW III, 342, vgl. 272f., 386). 1800 hatte er die grundlegende Systemkonstruktion noch nicht vollends entfaltet, hier ist – was Hösle kritisiert hat (vgl. Kap. II.5.2.a) – tatsächlich noch von einem »Parallelismus der Natur mit dem Intelligenten« die Rede (SW III, 331, Hervorhebung M.H., vgl. 332f.).623 Wie beide Seiten miteinander zu verknüpfen 622 Zum Begriff der Mitwissenschaft bei Schelling vgl. Hideki Mine (Ungrund und Mitwissenschaft, bes. 136–141) sowie Ludwig Geijsen (Mitt-Wissenschaft, bes. 92f., 719–728). Dabei geht Geijsen insofern über Mine hinaus, als er in der zweiten Fassung der Weltalter – hier heißt es anstelle von Mitwissenschaft »Mitt-Wissenschaft« (WA II, 112) – einen weiterführenden Aspekt verortet. Ob das zweite ›t‹ tatsächlich eine neue Bedeutung hat, ist schwer zu beantworten, schließlich spricht Schelling in Erlangen von »Mitwissenschaft, conscientia« (SW IX, 221) und in seinem Opus Magnum von uns als »Mitwissende[n] an der Schöpfung« (SW XIII, 303). Mitwissenschaft ist für Schelling jedoch weniger eine meseologische Bestimmung (vgl. L. Geijsen: Mitt-Wissenschaft, 723, 610, 651) denn eine erkenntnistheoretische, stellt sie doch das Mitgewusste, das zu Konstruierende ins Zentrum. 623 Diesen Punkt nimmt Hösle in den Blick. Vgl. Kap. II.5.2.a.

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sind, deutet sich erst – wenn auch bloß im Ausgang von der Natur – mit dem System von 1801 an. Die darin entfaltete Konstruktion fasst Natur und Geist als absolut identische Einheit.624 Mit der 1801 zugrunde gelegten Konzeption, die für die gesamte Spätphilosophie entscheidend ist (vgl. Kap. III.7),625 sucht Schelling laut Andreas Arndt und Walter Jaeschke eine »Ontologie der absoluten Vernunft« zu formulieren.626 Das Bedeutsame an seiner Systemkonzeption ist, dass Idee und Realität nicht unter ein übergestülptes System subsumiert werden, sondern – gleichwohl sie strukturell von ganz entgegengesetzten Richtungen her construirt werden – aufgrund ihrer analogen Entsprechung in einen Indifferenzpunkt fallen, was die komplementäre Beschreibung der Seiten notwendig macht, denn obwohl die Momente zusammengehören, können sie nicht gleichzeitig beschrieben werden, subjektiv sind die Sphären nur separat begreifbar. Schelling öffnet seinen absoluten Idealismus insofern, als das in der Naturund der Kulturgeschichte entfaltete »innere und göttliche Band« (SW VII, 201) wahrhafter Ausdruck des Vernünftigen ist und nicht von einer dritten, isolierten Ebene abhängt (vgl. Kap. II.5.2), die als Objektives über uns thront und nicht auf das Mitgewusste als Mitwissen Bezug nimmt. Der schellingsche Idealismus bedarf keiner übergeordneten Ebene, die das Wesen des Realen und Idealen fern derselben bestimmt. Die Systematizität wird nicht durch etwas Fremdes, ein Drittes, begründet, sie generiert sich aus unserem Mitwissen an Natur und Geist. »Die Philosophie im Ganzen ist demnach absoluter Idealismus, da auch jener Akt im göttlichen Erkennen begriffen ist, und die Naturphilosophie hat in dem ersten keinen Gegensatz, sondern nur in dem relativen Idealismus, welcher von dem absolut-Idealen bloß die eine Seite begreift. Denn die vollendete Einbildung seiner Wesenheit in die Besonderheit, bis zur Identität beider, producirt in Gott die Ideen, so daß die Einheit, wodurch diese in sich selbst und real sind, mit der, wodurch sie im Absoluten und ideal sind, unmittelbar eine und dieselbige ist« (SW V, 324, Hervorhebungen M.H.; vgl. II, 67f.; V, 112).

Der absolute Idealismus leugnet keineswegs die »Außendinge«, er ist bestrebt, deren wirkliche »Existenz auszusprechen« und das Wahrhafte des Idealen und 624 Die Einheit hat Schelling schon früher betont, obgleich unter anderen Voraussetzungen: »Man unterscheidet Idealismus und Realismus in objektiven und subjektiven. Objektiver Realismus ist subjektiver Idealismus, und objektiver Idealismus subjektiver Realismus. Diese Unterscheidung muß wegfallen, sobald der Widerstreit zwischen Subjekt und Objekt wegfällt, sobald ich nicht mehr das, was ich ins Objekt real, in mich selbst nur ideal, und was in mich real, ins Objekt nur ideal setze, kurz, sobald Objekt und Subjekt identisch sind« (SW I, 330). 625 Zur Bedeutung des Systems von 1801 für Schellings Identitätsphilosophie vgl. C. Danz: Natur in Gott, 36–39. 626 W. Jaeschke/A. Arndt: Klassische Deutsche Philosophie, 341. Ebenfalls kritisch zu Schellings philosophischen Anfängen vgl. A. Arndt: Dialektik und Reflexion, 121.

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Realen als Einheit zu fassen. Dementsprechend dürfen die Außendinge nicht als bloße Konstruktion des Ichs verstanden werden, es kommt einzig darauf an, dem »reinen Was der Dinge« an sich Ausdruck zu verleihen (SW X, 148f. Anm.). Also ist es vollkommen unsinnig, aufzeigen zu wollen, dass »keine Welt« sei (SW I, 358). Die identitätsphilosophische Mitwissenschaft ist der vernünftige Fortschritt dieses Weitergehens. Sie ist darauf ausgelegt, Realität und Idee als analoge Größen komplementär zu beschreiben, womit keine Seite der anderen überordnet ist; stattdessen haben beide Momente die gleiche Geltung. Mitwissen ist dort, wo Gleiches von Gleichem erkannt wird.

7.

Suche nach dem System

Anders als Georg Wilhelm Friedrich Hegel gilt Friedrich Schelling nicht als idealistischer Philosoph, der ein einheitliches, geschlossenes System vorzulegen strebte, sondern als jener, der philosophische Fragen neu zu thematisieren und neu zu beantworten suchte. Aufgrund der damit verbundenen Wandlungen seiner Philosophie bedarf es im Folgenden einer systematischen Präzisierung und Pointierung der schellingschen Ausführungen, um zeigen zu können, dass seine Art zu denken tatsächlich imstande ist, das Wissen der Freiheit systematisch zu entfalten und die metaphysischen Grundlagen für eine Philosophie der Freiheit im 21. Jahrhundert zu formulieren. Dass Schelling kaum als systematisch stringenter Denker wahrgenommen wird, dürfte damit zusammenhängen, dass er scheinbar keinen einheitlichen systematischen Ansatz verfolgt und sich stattdessen immer wieder neu ausprobiert hat. Beispielhaft betont das eine Rezension von Rüdiger Bubner in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. In dieser ist von Schelling als dem »geniale[n] Beginner und ewig Unvollendete[n] innerhalb der Bewegung des deutschen Idealismus« die Rede, von dem es »kein Hauptwerk [gibt]. Wir sehen nur Werkgenese.« Seine philosophischen Ausführungen seien kaum mehr als »Gedankenskizzen«.627 Obwohl es richtig ist, dass er vielfach neu ansetzt, auf Altem aufbaut, manches verwirft, um sogleich wieder einen Schritt darüber hinaus zu wagen, lässt sich bei genauer Betrachtung seines Œuvres, das im Übrigen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die späteren Naturwissenschaften gehabt hat,628 zeigen, dass seine Philosophie nicht nur dem mitwissenschaftlichen Systemanspruch gerecht wird, sondern noch heute wegweisend ist. 627 R. Bubner : (Rez.) Der brodelnde Vulkan; vgl. V. Hösle: Geschichte der deutschen Philosophie, 127. 628 Vgl. J. v. Brakel: Prehistory of the Philosophy of Chemistry, bes. 24–27; M.-L. Heuser-Keßler : Produktivität der Natur ; Dies.: Subjektivität als Selbstorganisation; Dies./W.G. Jacobs

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Die Vielfalt im Denken hat Schelling zwar eine Vielzahl an (prominenten) Hörern beschert, aber anders als sein Studienkollege Hegel konnte er, wohl aufgrund seiner schwer zugänglichen Systemstruktur, keine eigene Schule begründen.629 Da er sein System nicht in einer einzelnen Schrift niedergeschrieben hat, ist sein Denken nur fragmentarisch zugänglich, was es schwierig macht, es vollständig zu durchdringen. Es ist legitim, danach zu fragen, zu welchem Zweck, abgesehen von philosophiegeschichtlichen Aspekten, Schellings Philosophie im 21. Jahrhundert noch von Bedeutung ist, immerhin ist man selbst innerhalb des Deutschen Idealismus ohnehin längst über seine Skizzen hinausgegangen. Oft wird dabei übersehen, dass er sich wie kaum ein Philosoph den Herausforderungen und dem Fortschritt der Wissenschaft gestellt hat. Zeit seines Lebens war es sein philosophischer Anspruch, das Wissen der Zeit zu erfassen und zu entfalten. Die Klassische Deutsche Philosophie, die als eine »querelle des anciens et des modernes verstanden werden« darf,630 hat zweifelsfrei das spätere philosophische Denken nachhaltig beeinflusst. Dass ihre Denkweise noch immer nicht »überholt« ist,631 belegt der neuerliche Rückgriff der analytischen Tradition auf den Deutschen Idealismus. Und dass seitens der analytischen Philosophie besonders auf Hegels Arbeiten zurückgegriffen wird,632 ist naheliegend. Hegel und die analytische Philosophie heben die Rolle der Rationalität und des logischen Denkens hervor, so hat Hegel mit seiner Wissenschaft der Logik ein vernunftlogisches, ein apriorisches System ausbuchstabiert. Neben Hegel ist Schelling

629

630 631 632

(Hg.): Schelling und die Selbstorganisation; H.-D. Mutschler : Spekulative und empirische Physik, Kap. II u. V. Vgl. kritisch B.-O. Küppers: Natur als Organismus, 88, 118. Vgl. X. Tilliette: Schelling, 472–495; A. Pieper : Schellings Wirkung im Überblick; M. Frank (Hg.): Historische Hintergründe der Berufung Schellings; Ders. (Hg.): Dokumente zu Schellings erstem Vorlesungszyklus in Berlin. Einen Überblick über die Protagonisten der aufkeimenden Schule Schellings liefert Carl Ludwig Michelet in Geschichte der letzten Systeme, Bd. 2, 417–560. Späterhin sah sich Schelling sogar Grabenkämpfen mit Hegels Schülern ausgesetzt. Vgl. C.L. Michelet: Schelling und Hegel; Ders.: Geschichte der letzten Systeme, 2 Bde.; P.K. Marheineke: Kritik der Schellingschen Offenbarungsphilosophie. Vgl. des Weiteren Michelets Sicht in seiner Autobiographie Wahrheit aus meinem Leben, 171– 179, 503f. Zu Schellings Sicht auf die Streitigkeiten vgl. Friedrich Schelling an Karl Friedrich Dorfmüller am 14. 7. 1938 (Plitt III, 140f.); Friedrich Schelling an Karl Friedrich Dorfmüller am 10. 9. 1841 (Plitt III, 164–166); Friedrich Schelling an Karl Friedrich Dorfmüller am 9. 11. 1841 (Plitt III, 171–173); Friedrich Schelling an seinen Sohn Fritz am 22. 2. 1843 (O. Braun: Briefe, 320f.); Friedrich Schelling an Karl Friedrich Dorfmüller am 6. 10. 1843 (Plitt III, 184f.); Friedrich Schelling an seinen Sohn Fritz, 1844 (O. Braun: Briefe, 322). V. Hösle: Philosophiegeschichte, 13; Ders.: Wahrheit und Geschichte, 22. J. Conant/A. Kern: Analytischer Deutscher Idealismus, 9. Vgl. M. Hackl/C. Danz (Hg.): Klassische Deutsche Philosophie. Vgl. K. Ameriks/J. Stolzenberg (Hg.): Deutscher Idealismus und analytische Philosophie; M. Beaney (Hg.): History of Analytic Philosophy ; R.B. Brandom: Wiedererinnerter Idealismus; W. Welsch: Hegel und die analytische Philosophie; P. Redding: Analytic Philosophy and the Return of Hegelian Thought.

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wohl der prominenteste Vertreter des Deutschen Idealismus, aber da er keine geschlossene Systematik liefert, sein Schaffen zudem ein stetes Neuanfangen zu sein scheint, ist man – sofern man ein systematisches Ganzes begründen will – geneigt, Abstand davon zu nehmen. Dieses Bild von der unsystematischen Philosophie hat die Schelling-Forschung mitunter selbst geschaffen; beispielhaft verortet Hermann Zeltner bei Schelling ein »prinzipiell systemfreies Denken«,633 Horst Fuhrmans seinerseits spricht betreffs der Spätphilosophie von einem »Neubau einer Philosophie«,634 womit eine Variation im schellingschen Denken ausgemacht wird, die mit einer strengen Systematik schwerlich in Einklang zu bringen ist. Der Gedanke vom »Neuanfang[]« findet sich ebenso in der 2017 erschienenen Gesamtdarstellung der schellingschen Philosophie von Wolfdietrich SchmiedKowarzik;635 und das, obwohl dieser die einheitliche Programmatik des Projekts gesondert hervorhebt. Diese Interpretation ist nicht zufällig: Schelling selbst hat den Gedanken des philosophischen Neuansatzes, des Neuanfangs ins Spiel gebracht. Bekanntlich hat er nach 1809 – mit Ausnahme vom Denkmal der Schrift von den göttlichen Dingen (1812) und Ueber die Gottheiten von Samothrace (1815) – keine größere und eigenständige Schrift mehr publiziert. Seine ausgearbeitete Philosophie hat er mehrfach angekündigt, ohne sie jemals zu veröffentlichen (vgl. Rar, 696–673),636 wodurch der Eindruck des Unvollendeten, des Bruchs entstehen musste, stand doch die Ankündigung von etwas Neuem im Raum. Um die gegenwärtige Bedeutung seines Denkens zu klären, ist es notwendig, die Systemkomposition vollständig zu entfalten, erst dann lässt sich die Qualität des Systems beurteilen. Ist das Denken in sich inkonsistent, muss ein Irrtum auszumachen sein, der der Struktur immanent ist: Wahres irrt nicht. Ohne Zweifel hatte Schelling Probleme damit, sein System als Einheit auszuweisen; ob dies an der mangelnden Struktur oder an der fehlenden Distanz zum Werk liegt, gilt es im Folgenden zu diskutieren. Er selbst hatte auf diese Frage keine Antwort:

633 H. Zeltner : Schelling, 64, 63f. 634 H. Fuhrmans: Schellings letzte Philosophie, 273, bes. 281–285. Zum Überblick über die frühe Schelling-Forschung vgl. B. Loer : Das Absolute und die Wirklichkeit, bes. 4–15. Aufschlussreich bzgl. der Entwicklung des Forschungsstandes ist die Darstellung von Frank-Peter Hansen (Das älteste Systemprogramm). Eine ausführliche Übersicht über den neueren Stand der Forschung gibt M.D. Krüger : Göttliche Freiheit, 30–96. 635 W. Schmied-Kowarzik: Existenz denken, 15, 15f., 232ff. Vgl. hierzu M. Hackl: (Rez.) Existenz denken. 636 Friedrich Schelling an Johann Georg v. Cotta am 19. 3. 1822 (H. Fuhrmans [Hg.]: Schelling und Cotta, 173f.); Friedrich Schelling an Johann Georg v. Cotta am 23. 1. 1845 (H. Fuhrmans [Hg.]: Schelling und Cotta, 232f.).

200

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»Eine künftige Ausgabe meiner Werke wird die Stationen meiner Entwicklung zur positiven Philosophie hin bezeichnen. Ich wagte auch die bereits gefundene Philosophie nicht als das absolute System hinzustellen« (PhO-Pa, 121).

Unstrittig ist, dass eine umfassende systematische Entfaltung der Gedanken Schellings bis heute fehlt, was auch angesichts der Fülle seiner Überlegungen und Ausarbeitungen keine einfache Aufgabe ist. Schelling arbeitet im Gegensatz zu Hegel keine apriorischen Kategorien aus, stattdessen drängt er danach, die Kategorien in direkter Auseinandersetzung mit der Natur- und der Kulturgeschichte zu entwerfen. Es ist nicht genug, Schellings Philosophie vor dem wissenschaftlichen Hintergrund seiner Zeit nachzuzeichnen. Soll sie noch heute Geltung haben, muss sie sich vor dem jeweiligen Kenntnis- und Informationsstand ›in der Zeit‹ erweisen. Das war im Wesentlichen sein Anspruch, ihm war stets daran gelegen, den philosophischen Fragen auf offene Weise zu begegnen. Er verlässt sich nicht auf einmal vorgefundene Einsichten, gemäß denen wir die Welt strukturieren, er zielt darauf, das Vermögen der Vernunft, das Wesen des Seins aufs Neue verständig zu machen. »Das Princip der Wissenschaft kann nicht wieder Wissenschaft seyn, sondern nur das Denken selbst. […] Die Vernunft aber an sich gibt uns unmittelbare Erkenntniß, erhalten durch directe Wahrnehmungen, nicht durch eine Kette von Schlüssen, und sogar die Principe, von welchen für Schlüsse selbst erst ihre Gesetze sich ableiten. […] Auch das Letzte ist nicht möglich mit Sätzen, die als Subjekt- und Prädicat-Verbindungen nicht anwendbar sind, wo es auf einfache geistige Wahrnehmung ankommt« (SW XI, 355; vgl. VII, 347).

Dieses späte Urteil legt nahe, dass das Wissen als Mitwissen zu deuten ist, immerhin hängt unser Mitwissen von unserer Wahrnehmung und unseren Kenntnissen ab. Dies schließt den Anspruch auf Wahrheit keineswegs aus. Schelling fordert sogar, dass wir bei »jedem Gegenstand, mit dem der Begriff der Philosophie auf die angezeigte Weise in Verbindung gesetzt wird, […] eine Wahrheit voraussetzen« müssen (SW XIII, 3). Nur unter der Voraussetzung der regulativen Idee der Wahrheit können wir den Anspruch erheben, etwas begreifen zu können. Was wir begründen, hat für uns objektive Geltung, dies gilt es aber immer wieder neu auf die Probe zu stellen. Die unentwegte Suche nach der wahrhaft vernünftigen Konstruktion ist der höchste Ausdruck von Freiheit. Wer die Welt vernünftig begreift und im Einklang mit ihr steht oder sich wider sie positioniert, weiß seine Freiheit tätig zu entfalten: »[W]er bis zum Ende durchgedrungen ist, sieht sich wieder in völliger Freiheit, er ist frei vom System – über allem System« (SW IX, 212). 1977 macht Walter E. Ehrhardt einsichtig, dass es Schellings Bestreben ist, die Freiheit zu fassen. Sie ist ihm das »leitende Princip einer Vernunftwissenschaft« (SW X, 343). Die Freiheit zu ergründen, dieses Anliegen begleitet Schellings philoso-

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201

phisches Interesse seit seiner Tübinger Studienzeit bis in seine Berliner Zeit hinein, weshalb inhaltlich nicht von einer scharfen Trennung zwischen der frühen und der späteren Phase zu sprechen ist. Aufgrund der konsequenten thematischen Entwicklung konstatiert Ehrhard, dass »nur ein Schelling« ist.637 Seine Philosophie ist dennoch von einem Fortschritt geprägt, bedarf doch der Fortschritt hin zur Freiheit eines Fortschritts der Philosophie. Es handelt sich um »eine Philosophie, die bis auf das Seyende selbst zurück und von diesem ausgeht, wie diese unmittelbar und durch sich selbst schon auf ein System der Freiheit führt und von der Nothwendigkeit sich befreit hat, die auf alle, beim bloßen Seyn stehen bleibende, nicht zum Seyenden selbst sich erhebende Systeme wie ein Alp drückt, mögen sie auch noch so viel von Bewegung schwatzen. Ueber das Seyn hinaus, und selbst in freies Verhältniß zu ihm zu kommen, dieß ist das eigentliche Streben der Philosophie« (SW XII, 33f.; X, 36).

Der Befund, dass in »Schellings Denkweg insgesamt kein Fortgang und Überstieg zu einer positiven Philosophie« auszumachen ist, da die »scheinbaren Einschnitte seines Werkes […] vielmehr im Horizont der jeweiligen thematischen Felder zu interpretieren« sind,638 gibt gewissermaßen eine inhaltliche Bestimmung davon, unter welchem Gesichtspunkt seine Philosophie zu betrachten ist. Damit ist nur etwas über die inhaltliche Bestimmung gesagt, nicht aber über deren konkrete systematische Entfaltung. Soll seine Philosophie nicht nur als beliebiger, als willkürlicher Fortschritt, sondern als wahrhafter Ausdruck des vernünftigen Wissens um die Freiheit verstanden werden, bedarf es der systematischen Darstellung der Ausführungen. An der zugrunde gelegten Systematik muss sich Schellings Philosophie messen lassen. Sie muss nicht nur immanent schlüssig sein, sie muss darüber hinaus vor dem gegenwärtigen Befund der Natur- wie Kulturwissenschaften überzeugen. Ist das der Fall, mag sie noch heute Bestand haben und kann gegebenenfalls die Einsichten ausweisen, derer wir dringend bedürfen, um zu begreifen, dass wir frei sind und was wir tun sollen. Freiheit ist nicht bloß Thema, sie ist das Wesen einer wahrhaft spekulativen Philosophie, die in die praktische Philosophie hinüberführt.

637 W.E. Ehrhardt: Nur ein Schelling, 254. Vgl. die Skizze von Schellings Entwicklung in: W.E. Ehrhardt: F.W.J. Schelling; Ders.: Stand der Schelling-Forschung; Ders.: Freiheit ist unser und der Gottheit Höchstes, bes. 245–251. 638 W.E. Ehrhardt: Nur ein Schelling, 262.

202 7.1.

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Systematische Ansätze

Carl Ludwig Michelets Urteil, dass Schelling die »absolute Form oder Methode […] nie mit Sicherheit anzugeben vermocht[e], und sein ganzes Leben hindurch nach dieser absoluten Form gesucht [hat], ohne sie zu finden«,639 verkennt Schellings Systemanspruch, schließlich ist es nicht seine Absicht, ein letztes logisches Prinzip zu finden. Wahrheit ist für ihn ein tätiger Akt, ein Akt der Entscheidung und des Wollens. Dieser Anspruch spiegelt sich in seiner offenen Herangehensweise wider, wiewohl es diese vernünftig zu begründen gilt. Außerhalb der Vernunft wissen wir nichts von der Freiheit, sie wäre ohne Bedeutung. Schelling hat seine Philosophie vielfach weiterentwickelt und manche seiner Überlegungen verworfen. Nichtsdestotrotz ist Wilhelm Dilthey zuzustimmen, dass Schelling die Naturphilosophie, die »Erfindung seiner Jugend niemals aufgab« und »jede neue Schrift […] als Ergänzung der früheren, nicht als ihre Berichtigung« angesehen hat.640 In seiner Ersten Berliner Vorlesung erklärt er diesbezüglich recht deutlich: »Nicht eine andere Philosophie an ihre Stelle setzen, sondern eine neue, bis jetzt für unmöglich gehaltene Wissenschaft ihr hinzufügen, um sie dadurch auf ihren wahren Grundlagen wieder zu befestigen, ihr die Haltung wieder zu geben, die sie eben durch das Hinausgehen über ihre natürlichen Grenzen – eben dadurch verloren hat, daß man etwas, das nur Bruchstück eines höheren Ganzen seyn konnte, selbst zum Ganzen machen wollte – dieß ist die Aufgabe und die Absicht« (SW XIV, 366).

Kaum ein Autor lässt bereitwillig seine frühe Schaffensphase hinter sich und verwirft diese. Bei Schelling ist das nicht anders, auch er will seine Philosophie als Einheit und seine frühen Arbeiten nicht als belanglos für seine spätere, wahre Philosophie verstanden wissen. Um dem Gesamtzusammenhang nachzugehen, ist seine denkerische Leistung als organisches Ganzes zu fassen und sein gesamtes philosophisches Schaffen sowie dessen Entwicklung miteinzubeziehen. Zu leisten ist dies mittels einer Rekonstruktion des sukzessiven Fortschreitens des schellingschen Œuvres, ausgehend vom Resultat, von seiner Spätphilosophie her. Nur vom Ende her ist die Rekonstruktion einer ›Linie des Denkens‹ zu leisten, setzt doch das Resultat das Frühere voraus. Für Schelling gilt wie für Hegel, dass »das Erste auch das Letzte und das Letzte auch das Erste« ist (GW 11, 35). Unstrittig sind viele Schriften Schellings nichts anderes als Vorarbeiten zu seinem letzten System. Aufgrund der Vielfalt der Darstellungen kann die Entwicklung im Folgenden nur skizzenhaft dargelegt werden, womit es nicht der Anspruch ist, seine Schriften in ihrem Detailreichtum und ihrem weiterfüh639 C.L. Michelet: Hegel, der unwiderlegte Weltphilosoph, 3. 640 W. Dilthey : Schleiermachers System als Philosophie, GS XIV, 31. Vgl. SW XIV, 366.

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renden Problemhorizont umfassend gerecht zu werden. Es geht ausschließlich darum, den systematischen Zusammenhang nachzuzeichnen, um sich hierdurch der möglichen Einheit seines Denkens gewiss sein zu können. Zweifellos kann es philosophisch gewinnbringend sein, einzelne von Schellings Darstellungen isoliert zu betrachten; ohne aber den Blick auf das Ganze zu richten, ist es nicht möglich, die von ihm forcierte Entfaltung der Idee von der Freiheit wahrhaft zu fassen. Bei der isolierten Betrachtung fungiert seine Philosophie lediglich als Inspirationsquelle und wird nicht auf ihren objektiven Grund hin diskutiert. Mit der Philosophie der Offenbarung hat er, wie sich zeigen wird, den Schlussstein um das Wissen der Freiheit gesetzt, der nicht von der Erfindung seiner Jugend zu trennen ist. Erst aus dem Ganzen begründet sich die Einheit des vernünftigen Denkens. Schon Immanuel Kant hat angedeutet, dass das Wissen »nur in einer vollständig systematischen Einheit ihrer Erkenntnisse völlige Zufriedenheit« findet.641 Wird der Begriff der Freiheit in Bezug auf das gesamte System begründet, tritt Schellings Philosophie nicht mehr, wie Odo Marquard meinte, »inkognito« auf,642 sie stellt sich als das wahrhaft Vernünftige dar. Ob sich die Freiheit systematisch begründen lässt, ist maßgeblich dafür, ob das Projekt scheitert oder gelingt.

a)

Frühe Schriften

Während seiner Studienzeit am Tübinger Stift hat sich Schelling vorrangig mit spezifisch theologischen Fragestellungen befasst. Seine Aufzeichnungen belegen, dass er sich unter anderem mit exegetischen Fragen zu Hiob, zu Jesaja, den Psalmen, den Kleinen Propheten, dem Evangelium des Johannes sowie mit Paulus, der Kindheitsgeschichte Jesus,643 dem Gnostizismus, Hakim und in seiner theologischen Magisterdissertation De Marcione Paullinarum epistolarum emendatore mit Marcion beschäftigt hat (vgl. AA II/1–5; SW I). Die theologisch-hermeneutische Diskussion am Tübinger Stift im Umfeld von Gottlob Christian Storr hat sein philosophisches Verständnis sicherlich nachhaltig geprägt (vgl. UPhO, 172f.).644 In jener Zeit zeigt sich sehr deutlich, wie wichtig für ihn die eigenständige Erarbeitung der biblischen und klassischen Texte ist. Nicht erst später (SW VIII, 79 Anm.), schon in jungen Jahren fordert er die Kenntnis der alten Sprachen. Für ihn ist es 641 642 643 644

I. Kant: Kritik der praktischen Vernunft, Akad.-Ausg. V, 91. O. Marquard: Schelling – Zeitgenosse inkognito, 25, 25f. Auf seine frühe Arbeit zum Leben Jesu verweist Schelling noch später vgl. Anm. 730. Zur Entwicklung der Frühschriften vgl. die editorischen Berichte der Bände AA II/1–5 sowie Kosmos und System von Tanja Gloyna und bes. Schellings frühe Paulus-Deutung (bes. Kap. 5 u. 6) von Christopher Arnold. Zur systematischen Entfaltung der frühen Gedanken Schellings vgl. Christian Danz’ Fragmentstreit und Spinoza-Büchlein.

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»süßer, aus der Quelle selbst zu trinken, und selbst eine in jeder Hinsicht vollkommene Übersetzung komme niemals der Urschrift gleich; wer aber etwas nur aus einer Übersetzung verstehe, der stütze sich bloß auf fremdes, nicht auf eigenes Urteil, was eines Menschen von höherer Begabung unwürdig sei« (AA II/1,1, 100).

Die Beschäftigung mit der Hermeneutik ist nicht bloß für seine frühen philosophischen Arbeiten von Bedeutung, sie ist ein wesentlicher Baustein seiner Philosophie. Demgemäß erklärt er in seiner Philosophie der Kunst, die im Kontext der Identitätsphilosophie steht: »Auf keine andere Weise, als wie sich in der Sprache das Wissen noch jetzt symbolisch fasset, hat sich das göttliche Wissen in der Welt symbolisch gefaßt, so daß auch das Ganze der realen Welt (nämlich inwiefern sie selbst wieder Einheit des Realen und Idealen ist) auch wieder ein ursprüngliches Sprechen ist. Aber die reale Welt ist nicht mehr das lebendige Wort, das Sprechen Gottes selbst, sondern nur das gesprochene – geronnene – Wort« (SW V, 484).

Alles Wissen ist ein ursprüngliches Sprechen, entsprechend ist jede philosophische Darstellung, jede Konstruktion etwas Diskursives und etwas Gemeinschaftliches. Wissen ist immer unsere eigene Konstruktion, die durch die Sprache vermittelt ist. Diese Auffassung vertritt Schelling nicht nur in seiner philosophischen Magisterdissertation, in der er Christian Danz zufolge ein »höchst ambitioniertes geschichtshermeneutisches Programm« liefert,645 dergleichen hermeneutische Ansätze finden sich noch in seinen späteren Konzeptionen.646 Das vertretene Programm arbeitet Schelling zunächst im Rekurs auf theologische Fragestellungen aus, beispielsweise in seinem Kommentar zum Galaterbrief, seiner Stellensammlung zu Paulus sowie in Über den Geist der Platonischen Philosophie, in den Vorstellungsarbeiten der alten Welt und dem Kommentar zu Platons Timaeus. Besonders in zuletzt genannter Schrift lassen sich grundlegende Gedanken seines späteren Denkens ausweisen.647 In dem Kommentar hat er darauf hingewiesen, »daß Platon von nichts, als von subjektiven Formen redet, unter denen man sich die Welt vorstellt, daß er unter peqar und apeiqom nichts als bloß formale Weltbegriffe, und unter aitia nichts als einen Verstandesbegriff versteht, unter dem man sich die Verbindung dieser beiden im Koimom, nach seiner Philosophie objektiv, denken müße« (AA II/5, 191). 645 C. Danz: Mythos und Geschichte, 185; Ders.: Hermeneutik zwischen Text und Kontext. Zur Magisterdissertation im Frühwerk Schellings vgl. T. Gloyna: Kosmos und System, 49–74. 646 Zum hermeneutischen Verständnis und dessen Bedeutung für das spätere Werk Schellings vgl. C. Arnold: Schellings frühe Paulus-Deutung; M. Franz: Schellings Platon-Studien, bes. 157–169. 647 Zu Schellings Bezugnahmen auf Platon vgl. M. Franz: Schellings Platon-Studien, bes. Teil III; T. Gloyna: Kosmos und System, bes. Kap. II.

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Die formulierten Grundlagen finden sich überdies in dem Entwurf einer Vorrede, auch seine philosophische Magisterdissertation zu Gen 3 zielt darauf ab, nicht bloß eine »grammatische, sondern auch historische Interpretation, im engern Sinn dieses Worts [zu geben]. Jene geht blos auf die Bedeutung der Worte, auf ihre verschiedenen Wendungen, Formen und Construktionen, diese nimmt ihre Belege aus der Geschichte überhaupt, insbesondere aber aus der Geschichte der Zeit, aus der die Urkunde, welche ausgelegt werden soll, herstammt, aus dem Geist, den Begriffen, den Vorstellungs- und Darstellungsarten, die jener Zeit eigenthümlich sind« (AA II/5, 113).

Schellings philosophisches Programm ist von dieser Auslegung geleitet, weshalb er die mythologischen Vorstellungen mittels »historisch kritischer Exegese und Geschichtsphilosophie« neu zu fassen sucht.648 Durch seine historisch-kritische Arbeitsweise sucht er den biblischen Inhalt, hier : den Sündenfall neu zu thematisieren (vgl. AA I/1, 105; SW I, 477, 480f.). Das hermeneutische Programm greift der späteren Forderung nach einer Mitwissenschaft voraus: Wir können nur Interpreten dessen sein, woran wir teilhaben. Dieser Zugang hebelt die Objektivität keineswegs aus; obwohl wir »Moses die Philosopheme verdanken, die in der Genesis bewahrt sind« (AA I/1, 113, 107, 115f.), sind es wir, die diesen Gedanken in Abhängigkeit von unserem jeweiligen kulturellen Selbstverständnis Ausdruck verleihen (vgl. AA I/1, 119). Als der »Menschheit allmählich glücklichere Zeiten dämmerten und wir uns zu einer höheren Macht der Spontaneität hinreißen ließen, begann sich diese Spontanität am deutlichsten im Verstand und in der Urteilsfähigkeit zu entfalten«, so wurde der »Aberglaube ausgetrieben, und allmählich begann man alles, was durch die Erfahrung wahrgenommen wurde, auf die Wissenschaft zu beziehen« (AA I/1, 144, 143– 147). Der Bezug auf die Philosopheme erlaubt durch alle Zeiten hindurch (vgl. AA I/1, 122), sich einen Begriff von uns selbst sowie von uns als Menschheit und deren Entwicklung zu machen. Wir arbeiten uns an dem ab, was geworden ist. In den Philosophemen, den Mythen findet sich das Wissen von uns selbst (AA I/1, 140f.). Zwar sind die Philosopheme objektiver Natur, doch lässt sich ihr Gehalt nur mitwissenschaftlich entfalten: »[K]einem Volk und keinem Menschen« ist erlaubt, »weiter vorzudringen, als es der Weg zuläßt, welcher dem gesamten Menschengeschlecht vorgeschrieben ist. Die unendliche Kraft unserer Vernunft selbst überzeugt uns davon, daß das gesamte Menschengeschlecht zu diesem Ziel gleichsam erzogen wird, und daß es das letzte Ziel der gesamten Menschheitsgeschichte ist, daß alles Menschliche zurückgeht auf die Alleinherrschaft der Vernunft, daß in allen mensch648 C. Danz: Mythos und Geschichte, 190. Zur weiteren Entfaltung des Verständnisses vgl. bes. 185–191.

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lichen Angelegenheiten die Gesetze der reinen und von jeder Sinnenherrschaft freien Vernunft zum Ausdruck kommen« (AA I/1, 147, 146f.).

Die mythischen Philosopheme sind demnach nichts anderes als die »Versinnlichung einer Idee, die irgend ein Weiser vorstellen wollte«, woraus, wie in Ueber Mythen dargetan, nicht folgt, »daß man diese Geschichte als wirkliche Geschichte glaube, sondern daß man von der durch sie versinnlichten Wahrheit überzeugt« wird (SW I, 57, 43f.). Obzwar die Mythen etwas Geschaffenes sind – das ist bei Moses, aber auch bei Platon und Hesiod der Fall (vgl. SW I, 80–83; UPhO, 285) –, ist ihr Inhalt allgemeiner Natur, der das Wahre auf sinnliche Weise ausdrückt. Der Mythos ist nichts anderes, als die »Versinnlichung irgend einer Wahrheit, so soll, nach der Absicht seines Urhebers, ein solches Philosophem denselben Eindruck, wie etwas historisch-wahres, auf uns machen« (SW I, 82 Anm., 58). Die versinnlichte Wahrheit ist keineswegs zufällig, in ihr findet sich das Wissen der ganzen Menschheit wieder. Der Mythos drückt eine intersubjektive wie mitwissenschaftliche Wahrheit aus (vgl. SW I, 44, 50, 56f., 81; XI, 6, 59, 61, 65, 184). Er ist die objektivierte Form des subjektiven Wissens der Menschheit, wenngleich, wie Schelling später konstatiert, »die mythologischen Vorstellungen ebenfalls nur Erzeugnisse, dieses, durch die ganze Menschheit hindurchgehenden, Prozesses sind, weil die mythologischen Vorstellungen aller Völker aus Einem Keime entwachsen sind, weil insbesondere jedes folgende, spätere Volk den Prozeß da aufnimmt, wo er in seinem frühern stehengeblieben ist, weil das, was im Bewußtsein des frühern Volkes hervorgetreten war, im Bewußtsein des spätern als Vergangenheit aufgenommen wurde« (UPhO, 234, 285).

Da dem mythischen Philosophem nichts von außen hinzugefügt wird, ist es der objektive Ausdruck des Allgemeinen, des Absoluten. Dessen Inhalt muss von uns allerdings gemäß unserem Selbstverständnis und unserem Wissen von der Welt ›in der Zeit‹ stets neu gefasst und interpretiert werden, an diesem Punkt greift die angesprochene historisch-kritische Hermeneutik. Indem wir aus der Quelle selbst trinken ist unser Mitwissen nicht bloßer Schein. Auf diese Weise wird intersubjektiv zum Ausdruck gebracht, was wir von der Welt und von uns selbst wissen. Diese Geschichtsauffassung findet sich noch in Schellings späterer Mythologiekonzeption. Das hermeneutische, geschichtsphilosophische Programm impliziert eine offene Herangehensweise, die systematisch ausgewiesen wird. Diese Offenheit sucht Schelling zu konkretisieren, weshalb er sich – im Zuge der Auseinandersetzung mit Johann Gottlieb Fichte – an einem Grundsatzprogramm versucht.649 649 Bzgl. Schellings Streit mit Fichte vgl. R. Lauth: Entstehung von Schellings Identitätsphilosophie.

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Obwohl er damit systematisch eine neue Tür aufstößt, bleibt er sich insofern treu, als er daran festhält, dass das Wesen objektiv gegeben sein muss, welches mit der subjektiven Sicht in Einklang zu bringen ist.650 Entsprechend heißt es in Ueber die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt, dass es »nothwendig entweder keinen obersten Grundsatz geben [muss], oder er kann nur dadurch entstehen, daß sein Inhalt und seine Form einander wechselseitig begründen.« Während die Philosopheme objektiv vor uns sind und wir diesen als Konstruierende Ausdruck verleihen, wird das Ich in die Objektivität erhoben, wodurch das Subjektive als Objektives gefasst wird. Nach Schelling ist das Ich die »Form des absoluten Gesetztseyns« (SW I, 97). Mit jener Akzentuierung rückt er von seiner frühen Vorstellung ab. Das Subjektive ist nichts Interpretierendes, kein Mitwissendes, es ist das Wissen selbst. Dieser Gedanke wird in Vom Ich als Princip der Philosophie fortgeführt und präzisiert. Darin wird das absolute Ich eingefordert, wodurch »der Begriff von Subjekt, d. h. der Begriff des durch ein Objekt bedingten Ichs, der höchste« ist (SW I, 169, 176). Auf diese Weise wird das Subjekt zum Objekt verklärt, das Objekt stellt sich als reine Selbstbezüglichkeit dar. Es ist nichts außer dem Ich. Um sich selbst zu bestimmen, muss es streben »in der Welt das hervorzubringen, was im Unendlichen Wirklich ist« (SW I, 242), und das Theoretische wird praktisch. Besonderen Wert legt Schelling hier – was auch später systematisch von Bedeutung sein wird (vgl. Kap. III.10) – auf die praktische Entfaltung. Auf sie wird nicht bloß am Ende von Vom Ich als Princip der Philosophie hingewiesen, seine später verfasste Neue Deduktion des Naturrechts geht ebenso in der praktischen Forderung des Ichs auf: »Sey! im höchsten Sinne des Worts; höre auf, selbst Erscheinung zu seyn; strebe, ein Wesen an sich zu werden! – dieß ist die höchste Forderung aller praktischen Philosophie« (SW I, 247). Die forcierte Einheit von Theorie und Praxis wird in den Philosophischen Briefen abermals Thema. In diesen wird dazu übergeleitet, dass das Subjekt und das Objekt der Welt – womit sowohl der Kritizismus als auch der Dogmatismus in Augenschein genommen werden – absolut identisch und nicht mehr reduktionistisch gefasst werden (SW I, 298, 293f., 308). Dies unterscheidet sich grundlegend Vom Ich als Princip der Philosophie, wo alles auf das Subjekt reduziert und einseitig bestimmt wird.651 Der subjektivistische Ansatz ist für Schelling, wie in der Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre deutlich wird, nicht zufriedenstellend, denn dieser liefert keine Antwort auf die Frage, was »das Reale in unsern Vorstellungen« ist (SW I, 353). »Der Hauptsatz der Philosophie […]: Die Form unserer 650 Zur Bedeutung der exegetischen Arbeiten bei Schelling mit Bezug auf Fichte vgl. M. Franz: Schellings philosophische Anfänge, bes. 60–64. 651 Zu dieser Differenzierung vgl. R. Lauth: Entstehung von Schellings Identitätsphilosophie, 20.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

Erkenntnisse kömmt aus uns selbst, die Materie derselben wird uns von außen gegeben.« Begründungstheoretisch entbindet das freilich nicht davon, »dem Ursprung der Materie selbst nachzuforschen« (SW I, 363f.) – hierzu bedarf es der apriorischen Konstruktion des Aposteriorischen. Nur so ist der Idee und der Realität als Tatsache Rechnung zu tragen. Das Wissen von der Welt ist keine rein subjektive Projektion, die Welt ist uns als das gegeben, was sie ist. Wird das zu erkennende Objekt als bloße subjektive Konstruktion gefasst, wird das Objekt zum Subjekt verklärt.652 Mit dieser Beschränkung war Schelling unzufrieden, daher hat er sich in Folge explizit dem Wesen der Natur, dem Objekt der Wirklichkeit zugewandt. b)

Natur- und Transzendentalphilosophie

Zwar hat Schelling in der Mitte der 1790er Jahre noch nicht, wie später gegenüber Fichte, in aller Klarheit dargelegt, dass »Natur- und Transscendentalphilosophie nicht mehr als entgegengesetzte Wissenschaften, sondern nur als entgegengesetzte Theile eines und desselben Ganzen, nämlich des Systems der Philosophie« zu betrachten sind.653 Mit seiner Naturphilosophie vertritt er von Anfang an diesen Anspruch. Die Natur ist dem Geist nichts Fremdes, wäre dem so, könnten wir kein Mitwissen an derselben haben. Da der Mensch leibliches wie geistiges Wesen ist, sind in ihm Natur und Geist in den Indifferenzpunkt gestellt. Weil er an beiden Seiten gleichermaßen Teil hat, können wir derer einsichtig werden, wäre dem nicht so, wüssten wir nichts darum. »Philosophie ist nicht etwas, was unserm Geiste ohne sein Zuthun, ursprünglich und von Natur beiwohnt. Sie ist durchaus ein Werk der Freiheit. Sie ist jedem nur das, wozu er sie selbst gemacht hat; und darum ist auch die Idee von Philosophie nur das Resultat der Philosophie selbst, welche als eine unendliche Wissenschaft zugleich die Wissenschaft von sich selbst ist« (SW II, 9).

Natur und Geist müssen absolut identisch gefasst werden, sonst wäre nicht einzusehen, wie eine Vermittlung zwischen beiden Sphären möglich wäre. Diesbezüglich wird in den Ideen zu einer Philosophie der Natur erklärt, dass Materie und Geist nicht zu trennen sind, so sind das Endliche und das Unendliche als Einheit zu fassen (vgl. SW II, 20, 35f., 54). Selbst »meine Natur« besteht in der Einheit von Idee und Realität (SW II, 37, 215f.): Wir sind strukturell insofern prädeterminiert, als wir gleichermaßen in das Reale und deren Idee miteinbezogen sind. Darum ist uns das »System der Natur […] zugleich das System unseres Geistes« (SW II, 39). Der Geist tritt sukzessive aus der Natur 652 Vgl. W. Schmied-Kowarzik: Von der wirklichen, von der seyenden Natur, 105ff., 145f. 653 Friedrich Schelling an Johann Gottlieb Fichte am 19. 11. 1800 (BuD II, 297). Vgl. R. Lauth: Entstehung von Schellings Identitätsphilosophie, 154ff.

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hervor, gründet in ihr und ist demnach mit ihr verwoben. Die Natur macht »keinen Sprung«, »alles Werden geschieht in einer stetigen Folge« (SW II, 171, vgl. 348). Schelling fokussiert sich in seiner Naturphilosophie nicht allein auf das Licht, die Schwere, den Magnetismus und die Elektrizität sowie das Organische, er fragt außerdem nach dem sukzessiven Hervortreten des Geistes aus der Natur. Dieser Schritt ist notwendig: Mittels dieser Bezugnahme ist es möglich, dass sich »unsere Betrachtung zur Idee der Natur als eines Ganzen sich emporhebt« (SW II, 348). Diese Bestimmungen konkretisiert Schelling in der 1798 erstmals erschienen Schrift Von der Weltseele. Darin fasst er die Entstehung der Welt und deren vielfältigen Variation, wie in dem Zusatz der Neuauflage von 1806 gesondert hervorgehoben wird, als »ein Wollen auf unendliche Weise, also in allen Formen, Graden und Potenzen von Realität. Der Abdruck dieses ewigen und unendlichen sich-selber-Wollens ist die Welt« (SW II, 362, vgl. 376, 482), wobei das positive und das negative Prinzip der »streitenden Kräfte zugleich in der Einheit und im Conflikt vorgestellt [wird], [sie] führen auf die Idee eines organisirenden, die Welt zum System bildenden Princips« (SW II, 381, 387, 396f., 409, 451, 474ff.). Analog der biologischen Evolutionstheorie wird auf den evolvierenden Charakter des Geistes aus der Natur hingewiesen. Schelling ist sich der widerstreitenden Bezugnahme bewusst, er fasst das Leben als ein »Produkt der thierischen Materie« und die Materie sogleich als ein »Produkt des Lebens«; so verstanden sind nicht die Dinge die »Principien des Organismus, sondern umgekehrt, der Organismus ist das Principium der Dinge« (SW II, 500, 566f.). Die Idee ist das Wirkprinzip, die den Naturprozess vorantreibt, im Fortschritt des Naturprozesses ist sie präsent. Hervorgebracht wird nur, was hervorgebracht werden kann. Was nicht ist, kann sein, aber was nicht sein kann, wird auch nicht sein. »So allein erscheint der Ursprung aller Organisationen als zufällig, wie es dem Begriff der Organisationen nach seyn soll; denn die Natur soll sie nicht nothwendig hervorbringen; wo sie entsteht, soll die Natur frei gehandelt haben; nur insofern die Organisation Produkt der Natur in ihrer Freiheit (eines freien Naturspiels) ist, kann sie Ideen von Zweckmäßigkeit aufregen, und nur insofern sie diese Ideen aufregt, ist sie Organisation« (SW II, 567)

Das freie Naturspiel deutet darauf hin, dass der konstruierte Begriff des Lebens von der Idee der Freiheit durchdrungen ist (vgl. SW II, 496, 544); allein was dem Spiel der Freiheit wesentlich ist, kann hervorgebracht werden. Darum lässt sich Schellings Naturphilosophie nur von der Freiheit her verstehen, wenngleich der Naturprozess selbst notwendiger Natur ist. Das ist kein Widerspruch, Freiheit ist ohne Notwendigkeit so wenig fassbar wie Natur ohne Geist. Diese Gedanken werden in einem späteren Zusatz zur zweiten Auflage der Ideen zu einer Phi-

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

losophie der Natur präzisiert. Im Sinne der 1801 ausgeführten Identitätsstrukturen wird darauf hingewiesen, dass der »erste Schritt zur Philosophie und die Bedingung, ohne welche man auch nicht einmal in sie hineinkommen kann, […] die Einsicht [ist]: daß das absolut-Ideale auch das absolut-Reale sey, und daß außer jenem überhaupt nur sinnliche und bedingte, aber keine absolute und unbedingte Realität sey. Man kann denjenigen, welchem das absolut-Ideale noch nicht als absolut-Reales aufgegangen ist, auf verschiedene Weise bis zu diesem Punkt der Einsicht hintreiben, aber man kann sie selbst nur indirekt, nicht direkt beweisen, da sie vielmehr Grund und Princip aller Demonstration ist« (SW II, 58, 62).

In der ersten Auflage dieser Schrift weist Schelling das in der Natur arbeitende Prinzip der Identität methodisch aus. Also spricht er nicht erst im Zusatz von 1803 mit Blick auf die Elektrizität vom »Identitäts-Bestreben zweier differenter« Körper bzw. davon, dass im Magnetismus »die Identität in die Differenz aufgenommen« wird (SW II, 151). Bereits in der ersten Auflage von 1797 heißt es mit Verweis auf die Elektrizität, dass zwei »entzweite Kräfte sich zu vereinigen streben. Offenbar ist, daß beide nur in ihrem Streit wirklich sind, daß nur das wechselseitige Streben nach Vereinigung beiden eine eigene, abgesonderte Existenz gibt« (SW II, 127, vgl. 135). Beide Kräfte sind innerhalb der Einheit different und als »[e]ine gemeinschaftliche Kraft« vorzustellen, sie sind »in der That = 0« (SW II, 179, 181), stehen sie doch im Indifferenzpunkt: »So weit also führen in der That die Principien der Attraktion und Repulsion, sobald man sie als Principien eines allgemeinen Natursystems betrachtet. Um so wichtiger ist es, den Grund und unser Recht auf den uneingeschränkten Gebrauch derselben tiefer aufzusuchen« (SW II, 187).

Die Einheit, welche sich in der anziehenden wie abstoßenden Vermittlung der Kräfte in der Natur zeigt und sich im organischen Leben als das positive und negative Prinzip formiert, entspricht der konstruierten Struktur der Natur.654 Da das Widerstreben der Kräfte ein Streben impliziert, kann die Natur »ursprünglich nur Produktivität« sein (SW III, 287). Sie ist Ausdruck des Strebens und des Werdens der Idee im Realen. Die Ausbildung der Natur hin zur höheren Potenz betont Schelling in dem kurze Zeit später verfassten Ersten Entwurf eines Systems der Naturphilosophie gesondert. In diesem wird die »Ursache des Bildungstriebs in der organischen Natur« ausführlich diskutiert, welche er nur als »höhere Potenz des chemischen Processes« ansieht (SW III, 207, vgl. 207–220, 320–326). Hiermit wird der biologischen Evolutionstheorie vorausgegriffen, wobei das Werden nicht erst mit dem Organischen hervortritt. Die Produktivität, das Werden muss schlechthin das Prinzip aller Natur sein, sonst gäbe es 654 Vgl. R. Lauth: Entstehung von Schellings Identitätsphilosophie, 61f.

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keine Entwicklung. Der ganze Lebens- und Entwicklungsprozess baut auf dem Ungleichgewicht wie auch dem Gleichgewicht der »permanente[n] Procese« im Sein der Welt (SW III, 39, 118f., 310–317). Die Produktivität gründet im Widerstreit der Natur, welchen Schelling als Widerstreit der Idee und der Realität ausweist. Dass dem so ist, sieht er damit belegt, dass das Licht (Idee) und die Materie (Realität) als Widerstreitende in der Wirklichkeit ihre Einheit im Organismus finden; allein, wenn sie einander wesentlich identisch sind, ist ihre Vereinigung möglich. Auf dieser Grundlage werden jene Grundelemente dargestellt, welche noch nach heutigem Verständnis maßgeblich für die Entstehung des Lebens zu sein scheinen (vgl. Kap III.8). Nach Schelling offenbart sich uns in der Natur das Absolute komplementär zu der von Mose »unverändert niedergeschrieben[en]« Kosmogonie. Beiden wurde »nichts von sich aus hinzugefügt« (AA I/1, 113), sie sind beide auf objektive Weise.655 Sie sind der wahrhafte »Abdruck« des Göttlichen. Obwohl jeweils unterschiedliche Bereiche diskutiert werden, können die beiden Zugänge nicht wesentlich divergieren. Das Absolute drückt sich auf objektive, auf tatsächliche Weise aus. Daher muss das Wesen der einen dem der anderen Seite absolut identisch sein. Wie die Mythen das Wissen um das Absolute vom Standpunkt des Idealen her fassen, ist das in der Natur vom Standpunkt des Realen her der Fall. Die Natur ist »nicht bloß Produkt einer unbegreiflichen Schöpfung, sondern diese Schöpfung selbst« (SW II, 378). Im Mythos sind Idee und Realität verschmolzen, in absolut-identischer Weise ist dies in der Natur der Fall. Demgemäß erläutert Schelling, dass es die »Aufgabe der Transscendentalphilosophie ist, das Reelle dem Ideellen unterzuordnen, so ist es dagegen Aufgabe der Naturphilosophie, das Ideelle aus dem Reellen zu erklären: beide Wissenschaften sind also Eine, nur durch die entgegengesetzten Richtungen ihrer Aufgaben sich unterscheidende Wissenschaft; da ferner beide Richtungen nicht nur gleich möglich, sondern gleich nothwendig sind, so kommt auch beiden im System des Wissens gleiche Nothwendigkeit zu« (SW III, 272f., 97; IV, 86).656

Trotz der entgegengesetzten Richtungen sind beide Seiten in einer Wissenschaft zu vereinen. Schelling hat die systematische Bezugnahme insofern ausgewiesen, als er, methodisch an Kant anschließend, die eine Seite als den »Probirstein seiner Wahrheit« der anderen fasst (SW III, 330).657 Die Naturphilosophie kann so wenig außerhalb des Idealen stehen wie die Geistphilosophie unabhängig vom Realen. Die Natur wird wesentlich ideal-real und das Geistige real-ideal gefasst.

655 Vgl. dazu die Ausführungen von Bernd-Olaf Küppers in Natur als Organismus, bes. 57–68. 656 Zur näheren Bestimmung der beiden Seiten vgl. M. Rudolphi: Produktion und Konstruktion, bes. 127–153. 657 Vgl. I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 90.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

Dabei ist die eine Seite nicht auf die andere zu reduzieren, jede bedarf der eigenständigen Betrachtung, soll doch, wie in den Ideen zu einer Philosophie der Natur dargelegt, die »Natur […] der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur seyn. Hier also, in der absoluten Identität des Geistes in uns und der Natur außer uns, muß sich das Problem, wie eine Natur außer uns möglich sey, auflösen. Das letzte Ziel unserer weiteren Nachforschung ist daher diese Idee der Natur; gelingt es uns, diese zu erreichen, so können wir auch gewiß seyn, jenem Problem Genüge gethan zu haben« (SW II, 56).

Dass das keine Einseitigkeit impliziert, wird bereits im System des transzendentalen Idealismus aufgegriffen; schließlich wird darauf hingewiesen, dass es eines Systems des Wissens bedarf, welches »eigentlich eine Stufenfolge von Anschauungen ist, […] der Parallelismus der Natur mit dem Intelligenten, […] welchen vollständig darzustellen weder der Transscendental- noch der Natur-Philosophie allein, sondern nur beiden Wissenschaften möglich ist, welche eben deßwegen die beiden ewig entgegengesetzten seyn müssen, die niemals in Eins übergehen können« (SW III, 331).

Aus dem Parallelismus der Natur und dem Intelligenten ergibt sich, dass es ein »nothwendiges Gegenstück« zu den »Schriften über die Natur-Philosophie« geben muss (SW III, 332).658 Der Gedanke vom Gegenstück zeugt davon, dass die eine Seite ohne die andere das Ganze nur einseitig, also unvollständig beschreiben kann. Wiewohl jede Seite für sich Wahrheit beanspruchen kann, ist ihre Geltung auch in Rückgriff auf die andere Seite auszuweisen. Jede Seite muss für sich gemäß der absoluten Identität strukturiert sein, sie ist die Struktur, gemäß der das Absolute und somit auch deren einzelnen Momente verfasst sind. Da es sich um zwei verschiedene Momente handelt, die aber grundsätzlich zusammenhängen, lässt sich mit Michael Hampe an diesem Punkt von einer Komplementarität bei Schelling sprechen;659 wie diese konkret zu fassen ist, führt er jedoch nicht weiter aus.660 Die komplementäre Betrachtung erlaubt jedenfalls, zusammenzudenken, was direkt nicht zugänglich ist. Durch diese Beschreibungsweise lassen sich Natur und Geist als Einheit fassen, und das, obwohl sie nicht gleichzeitig in gleich gültiger Weise gefasst werden können. Mittels der Komplementarität lässt sich eine systematische Beziehung, eine methodische Äquivalenz der Momente herstellen, die uns aus unserer Perspektive nicht direkt einzusehen ist, aber aufgrund der jeweiligen Struktur in ihrer Ganzheit vorausgesetzt wird. Schelling 658 Hinsichtlich der Entwicklung von der Naturphilosophie über das System von 1800 hin zum Identitätssystem vgl. Karl Friedrich August Schellings Anmerkungen im Vorwort der Sämmtlichen Werke (SW II, Vf.). 659 M. Hampe: Die historische Ontologie, 91; Ders.: Komplementarität und Konkordanz, 104f. 660 Vgl. B. Sandkaulen: Erkenntnis, 25f.

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weist im ersten Paragraphen seines Systems von 1800 sogar explizit auf diese Verknüpfung hin: »Alles Wissen beruht auf der Uebereinstimmung eines Objektiven mit einem Subjektiven. – Denn man weiß nur das Wahre; die Wahrheit aber wird allgemein in die Uebereinstimmung der Vorstellungen mit ihren Gegenständen gesetzt.« Es gibt »kein Erstes und kein Zweites, beide sind gleichzeitig und Eins« (SW III, 339). Keine Seite ist der anderen erhaben oder auf sie zu reduzieren. Am Ende der Naturphilosophie steht mit dem Organischen im Allgemeinen und dem Menschen im Besonderen das Geistige, die Freiheit, was der Grund dafür ist, dass Schelling im Rahmen seiner Geistphilosophie den Begriff der Freiheit des transzendentalen Subjekts zu entfalten strebt. Ausgehend von einer Selbstbewusstseinstheorie wird der »ursprüngliche [Akt] des Selbstbewußtseyns« als absolut frei gefasst, »weil er durch nichts außer dem Ich bestimmt ist, [sogleich] absolut nothwendig, weil er aus der innern Nothwendigkeit der Natur des Ichs hervorgeht« (SW III, 395, 380, 386, 398, 484). Entsprechend wird die Struktur der notwendigen Entfaltung hin zur Freiheit der Naturphilosophie umgekehrt.661 Damit die Freiheit wahrhaft ist, reicht es nicht, von der Freiheit zu wissen, sie muss auch praktiziert werden – und daher muss sie im Rahmen der praktischen Philosophie, der Sittlichkeit und der Kunst konkret werden. Dazu knüpft Schelling an seine Arbeiten von 1794/95 an. Bereits zu jener Zeit forcierte er die praktische Realisierung der Freiheit.662 Dies zu leisten, ist dem Menschen aufgrund seiner Intelligenz möglich, sie erlaubt ihm, sich als Subjekt, genauer : als Person zu fassen. Diesbezüglich notiert er 1799 handschriftlich, dass die Triebe, das heißt ihre Entfaltung in der Natur »prädeterminirt« sind (SW III, 46 Anm.), was 1800 dahingehend erweitert wird, dass die Prädetermination als Bestimmendes hinsichtlich der Entfaltung der Freiheit gefasst wird (vgl. Kap. II.5.1.c). Der forcierte Gedanke gründet in der »prästabilirte[n] Harmonie« (SW II, 24f., 38f., 199; I, 397; III, 144; V, 320f., 509; VI, 91f.), was es notwendig macht, dass die Freiheit ins Sittliche übergeht – letztlich muss alles in einer gleich gültigen Einheit und nicht bloß nebeneinander stehen. Wie »für die einzelne Intelligenz mit der ursprünglichen Beschränktheit alles prädeterminirt ist, was in die Sphäre ihrer Vorstellungen kommen mag, ebenso auch durch die Einheit jener Beschränktheit die durchgängige Uebereinstimmung in den Vorstellungen verschiedener Intelligenzen. Diese gemeinschaftliche Anschauung ist die Grundlage und gleichsam der Boden, auf welchem alle Wechselwirkung zwischen Intelligenzen geschieht« (SW III, 544).

661 Vgl. R. Lauth: Entstehung von Schellings Identitätsphilosophie, 70. 662 Zur praktischen Philosophie vgl. C. Danz: System und Leben, 94f.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

Die Prädetermination unseres Daseins als Subjekt äußert sich in den übereinstimmenden Vorstellungen verschiedener Intelligenzen, was einen intersubjektiven Anspruch impliziert,663 schließlich wird das mythologische Wissen, die »gemeinschaftliche Quelle des Intelligenten«, der »Grund der Harmonie« identisch zur Naturbestimmung absolut gefasst (SW III, 600f.). Allen Vernunftwesen kommt dieselbe Struktur von Intelligenz zu, das unterstreicht die Einigkeit der Menschen.

c)

Identitätsphilosophie

Obwohl gemäß der vorgelegten Konstruktion der Realität und ihrer Idee verständlich wird, dass das eine nicht über das andere zu erheben, noch das eine auf das andere zu reduzieren ist, erweitert Schelling seine systematische Konzeption 1801 erheblich. Er legt mit damit eine weitere Spezifikation der Naturphilosophie vor. Mit dieser konkretisiert er seine Überlegungen in einer systematischen Arbeit, in der die absolute Identität konstruiert wird, die einer »absolute[n] Totalität« gleichkommt (SW IV, 125). Schon früher wusste er auszuweisen, dass die Produktivität der Natur absolut identischer Natur ist: »[K]eine Materie ist und kann seyn anders, als durch Wirkung und Gegenwirkung anziehender und zurückstoßender Kräfte«; diese Kräfte sind nicht als ausschließlich different, sondern ebenso als zusammenwirkend vorzustellen (SW II, 179, vgl. 179–187, 227–239, 332–337). Das impliziert, dass sich in den »Naturprodukten […] die vollkommenste Verschmelzung des Ideellen mit dem Reellen« findet (SW III, 271). Die Entfaltung der idealen Wirkkräfte im Realen bringt hervor, was die Natur sein will; in der Natur kommt das Absolute zum Vorschein, die Idee wird wirklich. Da dies Thema ist, kann das System von 1800 nicht mehr als ein »Uebergang und Vorübung« zu der Darstellung meines Systems der Philosophie von 1801 (SW XI, 370 Anm.), der systematisierten Naturphilosophie, sein. Die 1801er Schrift ist ihm, wie er noch im Spätwerk betont, die »urkundlichste[] Darstellung meines Systems« (SW VIII, 25; X, 147; PhO-Pa, 124), mit der »ein neues Blatt in der Geschichte der Philosophie« aufgeschlagen wurde (SW XIV, 359; VII, 144). Dass Schelling selbst nach der Differenzierung in negative und positive Philosophie die 1801er Schrift hervorhebt, ist nicht bloß als ein Hochhalten früherer Gedanken zu werten, vielmehr handelt es sich um einen Beleg für deren systematische Bedeutung. Die Darstellung meines Systems von 1801 ist die vernünftige Konstruktion des Realen und Idealen in der Natur. Sie setzt mit einer apriorischen Konstruktion des Realen ein, wodurch das Empirische nicht fern 663 Vgl. F. Su#rez Müller : Letztbegründung und Intersubjektivität, 281–285.

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von apriorischen Bestimmungen gefasst und als Apriorisches erfahrbar wird.664 Gemäß dem Identitäts-Bestreben zweier differenter Körper bzw. der in die Identität aufgenommenen Differenz findet sich in der Natur eine widerstrebende Einheit. Folglich werden in der Sphäre des Realen das Apriorische und das Aposteriorische methodisch verknüpft, was noch in der Sphäre des Idealen zu leisten ist.665 »Ich habe das, was ich Natur- und Transscendentalphilosophie nannte, immer als entgegengesetzte Pole des Philosophirens vorgestellt; mit der gegenwärtigen Darstellung befinde ich mich im Indifferenzpunkt, in welchen nur der recht fest und sicher sich stellen kann, der ihn zuvor von ganz entgegengesetzten Richtungen her construirt hat« (SW IV, 108).

Das Denken von Einheit und Indifferenz entspricht dem Verhältnis von Naturund Transzendentalphilosophie, sie sind einander in ihrer Differenz identisch. Darum fordert Schelling, »daß man das, was ich Naturphilosophie nenne, auch nur als Naturphilosophie, was ich System des transscendentalen Idealismus nenne, auch nur als System des Idealismus beurtheile« (SW IV, 110).666 Zwar liegt der 1801er Schrift eine apriorische Konstruktion zugrunde, die vom Subjekt vollzogen wird, allerdings geht diese nicht aus der bloßen Selbstbetrachtung hervor, sondern zeigt sich erst in direkter Auseinandersetzung mit der Natur. Das Wahre ist nicht bloß aus dem Subjekt abzuleiten, es muss im Sinne der mitwissenschaftlichen Bezugnahme beide Seiten miteinbeziehen. Aufgrund dieses Bestrebens darf Schellings Idealismus, anders als jener von Fichte und Hegel, als absoluter Real-Idealismus bezeichnet werden (SW IV, 109, 89; XIII, 51f.). Im Gegensatz zu deren Philosophie fußt seine Konzeption nicht auf unbeirrbaren logischen, sohin subjektiven Kategorien, nach denen wir das Reale ordnen und uns aneignen. Ihm geht es spätestens seit 1801 darum, dass wir gemäß unserer Vernunft an das Reale, an die Natur herantreten und durch deren Ergründung ihr Wesen, die wirkende Idee allgemein zu formulieren und zu entfalten suchen. Das Ideale und das Reale sind gleich gültige Momente des Seins, weshalb die in der Sphäre des Realen beschriebene Idee und das Reale dieselben Momente sind wie in der Sphäre des Idealen. Sie stellen sich jeweils nur unterschiedlich akzentuiert dar, was lediglich eine Differenzierung der Form und nicht dem Wesen nach ist. Die absolute Identität steht »unter der Form aller Potenzen«, es 664 Vgl. T. Buchheim: Das »objektive Denken«, 335f. 665 Dass sowohl die reale als auch die ideale Bestimmung bei Schelling auf einer apriorischen Konstruktion baut, betont V. Pluder : Idealismus und Realismus, 246f. 666 Zur Verhältnisbestimmung von Natur- und Identitätsphilosophie vom Standpunkt der Transzendentalphilosophie vgl. S. Schwenzfeuer: Natur und Subjekt, bes. 158–184; H. Korton: Vom Parallelismus; C. Danz: Vernunft und Religion, bes. 199–205.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

ist alles »absolut gleichzeitig«, gleich ob in der Sphäre des Natürlichen oder des Geistigen. Der Unterschied besteht in der Akzentuierung der Momente, wobei jedes Moment von der Idee selbst durchdrungen ist. Am Anfang steht das Reale B (Schwere), welches der Idee A (Licht) gegenübersteht. Beide sind von der Idee der Freiheit, der absoluten Idee A durchdrungen. In der ersten Potenz stellt sich das Reale als A=B (Objekt) und in der zweiten das Ideale als A2 (Subjekt) dar. Beide Momente finden in der dritten Potenz A3 ihre Einheit. Im dynamischen Prozess sind sie als A3 vereint, hier kommt die die drei Ebenen durchdringe Idee A zu sich, sie hebt alle Bestimmungen in sich auf. Formal drückt Schelling dies mit A3 = (A2 – A = B) aus (SW IV, 205). Damit ist das die Potenzen durchdringende ideale Streben das Vermittlungsmoment der Potenzen (vgl. Kap. III.8.2). Das Wesen der Potenzen ist das der absoluten Identität, es wandelt sich lediglich die Darstellung ihrer Form in quantitativer Hinsicht. Die Entfaltung des Natürlichen geschieht zwar in unterschiedlicher Art und Weise, für sich ist aber jede Form absolut. Mit dem Hervortreten der dritten Potenz, die im Realen dem organischen Leben entspricht, kommt der Prozess zur Ruhe. Hier manifestieren sich die Idee und das Reale als Einheit der absoluten Idee in der Sphäre der Natur. Die dritte Potenz ist die Konkretion des Idealen und Realen, wurzelt aber im Absoluten als Potentialität, als Möglichkeit: Sie muss sich erst verwirklichen. Das Streben kommt einer Entelechie gleich, es wird das hervorgebracht, was möglich ist, hervorzubringen. Um den Naturprozess zu verstehen, muss verstanden werden, was geworden ist, dazu muss der Begriff des Lebens »construirt werden, d. h. er soll als Naturerscheinung erklärt werden« (SW II, 496, 544). Vom Ende her lässt sich verstehen, was im Anfang begründet ist. Dies steht ganz im Kontext des Gedankens: »[J]ede Pflanze ist ganz, was sie seyn soll«, was mit Blick auf die Idee der werdenden Freiheit dahingehend zu ergänzen ist, dass »das Freie in ihr […] nothwendig, und das Nothwendige frei« ist. Der Mensch steht in diesem Zwiespalt und ist darum »ein ewiges Bruchstück, denn entweder ist sein Handeln nothwendig, und dann nicht frei, oder frei, und dann nicht nothwendig und gesetzmäßig. Die vollständige Erscheinung der vereinigten Freiheit und Nothwendigkeit in der Außenwelt gibt mir also allein die organische Natur« (SW III, 608; vgl. Kap. II.4.2).

Obwohl der Mensch sich selbst zu fassen und sich durch die Sprache auszudrücken weiß, kann er sich nur einen vorläufigen Begriff von sich machen, er bleibt sich immer Fragment. Dank der Fähigkeit, sich selbst zu bestimmen, kann er sich des Weiteren einen vernünftigen oder einen irrigen Begriff von sich ›in der Zeit‹ machen. Seine Befähigung zum Irrtum ist die Voraussetzung der Explikation des Vernünftigen. Ohne die Möglichkeit zum Irrtum könnten wir uns

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nie sicher sein, ob wir im Irrtum oder in der Wahrheit stehen (vgl. SW II, 378). Vernunft ist nur dort fassbar, wo Irrtum und Wahrheit sind. Wir bedürfen der Vernunft, aber nur dort, wo Vernünftiges und Unvernünftiges sind, ist Freiheit prinzipiell möglich (vgl. Kap. I). Mit Blick auf die Natur heißt das, dass sie, darauf hat Meyer-Abich eingängig hingewiesen, als Ausdruck des Vernünftigen »unter Bestimmungen der Freiheit zu denken« ist.667 Dieser Zusammenhang legt nahe, dass die Natur wie der Geist dem Wechselspiel von Freiheit und Notwendigkeit unterstehen. Beide Seiten gehören zusammen, denn schlussendlich ist »in abstracto nie aus dem Indifferenzpunkt heraus[zu]kommen« (SW IV, 138). Es ist nicht das subjektive Denken, welches über allem thront, es kommt vielmehr darauf an, der Wahrheit mittels der objektiven Vernunftkonstruktion Ausdruck zu verleihen. Wahres ist weder auf das Subjekt noch auf das Objekt zu reduzieren. Das Subjekt ist in das Objekt miteinbezogen, das Objekt gibt dem Subjekt Aufschluss darüber, wie die Welt im Innersten beschaffen, strukturiert ist: Wissen ist stets Mitwissen.668 Wissen muss gleichermaßen auf das Subjekt und auf das Objekt Bezug nehmen. Überzeugend gelingt dies nur, wenn sich beide Momente sowohl in der Sphäre des Idealen als auch des Realen konkretisieren. »Die reinen Bedingungen des Handelns der Natur sind überhaupt nur, entweder auf dem Weg der Construktion a priori, welche ihrer Natur nach von allem Zufälligen abstrahirt, oder durch Experimente zu finden, in welchen durch glücklichen Zufall oder den Scharfsinn des Erfinders alles Außerwesentliche entfernt wird« (SW IV, 186).669

Die Construktion a priori der Natur impliziert nicht, dass die Natur durch das Ich bestimmt ist. Dies führt nämlich, was Schelling später an Fichte kritisiert, den »Todtschlag der Natur« herbei (SW VII, 445; VIII, 8),670 womit die Natur anni667 K.M. Meyer-Abich: Frieden mit der Natur, 90. 668 Bzgl. der Differenzierung von Wissenschaft und Wissen vgl. P. Ziche: Wissenschafts- und Personenbegriffe, 206–208. 669 Darauf, dass selbst das Experiment nicht frei von aller Apriorität ist, verweist Schelling schon 1799: »Die Natur muß also gezwungen werden, unter bestimmten Bedingungen, die in ihr gewöhnlich entweder gar nicht oder nur durch andere modificirt existiren, zu handeln. – Ein solcher Eingriff in die Natur heißt Experiment. Jedes Experiment ist eine Frage an die Natur, auf welche zu antworten sie gezwungen wird. Aber jede Frage enthält ein verstecktes Urtheil a priori; jedes Experiment, das Experiment ist, ist Prophezeiung; das Experimentiren selbst ein Hervorbringen der Erscheinungen« (SW III, 276). 670 Dass dies Fichtes Standpunkt ist, deutet sich in seinem Brief an Karl Friedrich von Beyme vom 12. 5. 1806 an: »Es giebt keine NaturPhilosophie; und wer ein Philosoph zu seyn glaubt, ohne von Religion und Moral auszugehen, und gerade darin seine Stärke zu besitzen, ingleichen, wer an eine selbstständige Natur in der Spekulation glaubt, der befindet sich im Irrthume« (J.G. Fichte: Briefe, GA III/5, 358).

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

hiliert und alles auf den Geist reduziert wird. Die Aufhebung der Natur ist unsinnig, sie ist uns objektiv gegeben. Demzufolge ist anzuerkennen, dass wir es sind, die sie konstruieren, um dem Absoluten in der Sphäre des Realen einsichtig zu werden. Das System von 1801 setzt mit einer apriorischen Konstruktion ein (§§ 1–50), auf die die methodisch identische Entfaltung des Materiellen folgt. Schelling zeigt, dass die Struktur des Apriorischen und des Aposteriorischen im Realen selbiger Natur sind, sie sind einander wesentlich identisch: Andernfalls könnte das eine das andere nicht durchdringen. Der apriorische Teil weist genau jene Struktur auf, die sich im materialen Teil systematisch entfaltet findet. Die identische Konstruktion bezeugt unser Mitwissen an der Natur ; Zugang haben wir nur zu dem, was wir erfassen können.671 Aufgrund dieser Bezugnahme ist der ideale Teil ohne den realen nicht wahrhaft zu fassen. Jener ist das Ergebnis der vernünftigen Konstruktion des materialen Teils, somit das Resultat der naturphilosophischen Untersuchungen. Da die Idee dem Realen vorausgeht, ist es sinnvoll, diese Form der Darstellung zu wählen, gleichwohl anzuerkennen ist, dass wir die Form der Idee methodisch aus dem Realen extrahieren. Dem forcierten Systemaufbau kommt demnach sogar eine propädeutische Funktion zu. Anhand der abstrakten Entfaltung des Apriorischen, des Idealen lässt sich die strukturelle Entfaltung der Idee im materialen Teil empirisch nachvollziehen, dabei steht das Ideale nicht fern des Materialen, es konkretisiert sich in diesem. Was es damit auf sich hat, dass nicht »das Princip das Seyende hat, sondern umgekehrt, daß das Seyende das Princip hat«, erläutert Schelling erst später (SW XI, 364; vgl. Kap. III.9).672 Der 1801er Konstruktion ist eine besondere Bedeutung beizumessen, wenngleich das ganze System noch nicht gegeben ist. 1809 erklärt Schelling, dass die Darstellung von 1801 »leider durch äußere Umstände unterbrochen worden« ist und sich darum »bloß auf naturphilosophische Untersuchungen beschränkt«. Um das System zu vollenden, bedarf es neben des Blicks auf die absolute Identität von Idee und Realität in der Sphäre des Realen auch deren Betrachtung im Rahmen eines »ideellen Theils der Philosophie«, der noch mit »völliger Bestimmtheit« vorzulegen ist (SW VII, 333f.). Die grundlegende Idee des auch für später maßgeblichen Systemaufbaus zielt nicht bloß auf die Verschmelzung des Ideellen mit dem Reellen in der Sphäre des Realen, sie zielt ebenso auf die Verschmelzung des Ideellen mit dem Reellen in der Sphäre des 671 So Thomas Buchheim: »Es zeigte sich, daß das menschliche Denken in der Verharrung vor dem ichvereinnahmten Objekt ein ursprüngliches Maß der Wahrheit findet, ohne welches Vereinnahmung überhaupt und mit ihr jedes Objekt eines Denkens nicht stattfände« (T. Buchheim: Das »objektive Denken«, 334). 672 Zur Beziehung der frühen Naturphilosophie und deren Aufbau vgl. R. Zecher : Ziel der Einheit, 160.

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219

Idealen. Das Ideale und das Reale sind einmal vom Realen und das andere Mal vom Idealen her zu betrachten.

7.2.

System der Identität

Mit seinen naturphilosophischen Arbeiten hat Schelling »die allgemeinen Principien und die leitenden Ideen« für seine systematische Philosophie formuliert (SW III, 644). Das System von 1801 ist die methodisch konsequente Darstellung der zuvor entfalteten naturphilosophischen Systematik,673 wird doch darin die Einheit der Idee und des Realen vernünftig im Wirklichen konstruiert. Systematisch wird die Vereinigung beider Seiten vom Realen ausgehend entfaltet, die Versöhnung wird hingegen allein mit Blick auf die Natur beschrieben. Auf die systematischen Grundlagen hat Schelling schon früher hingewiesen, so sieht er die »objektive Ideal-Realität der Materie« bereits in den Ideen zur Philosophie der Natur entfaltet, wobei diese systematisch umgekehrt zu den »Bemerkungen im System des transscendentalen Idealismus« stehen (SW IV, 148; IV, 349). Im Wesentlichen entsprechen die »drei Momente in der Construktion der Materie den drei Akten in der Intelligenz wirklich […]. Wenn also jene drei Momente der Natur eigentlich drei Momente in der Geschichte des Selbstbewußtseyns sind, so ist offenbar genug, daß wirklich alle Kräfte des Universums zuletzt auf vorstellende Kräfte zurückkommen« (SW III, 453).

Mit den identitätsphilosophischen Ausführungen wird systematisch dargelegt, dass Idee und Realität in den Indifferenzpunkt gestellt sind. Weil sich die Ausführungen auf die Natur beschränken, ist es umgekehrt notwendig, die Versöhnung ebenso von der Sphäre des Idealen ausgehend zu formulieren. Dann lässt sich zeigen, dass beide Momente wahrhaft identisch sind. Die Aufhebung dieser Einseitigkeit ist unumgänglich, zumindest wenn die absolute Identität absoluter Natur und nicht bloß in der Sphäre des Realen oder des Idealen gelten soll. Obwohl Schelling diesen Standpunkt in seiner 1801er Ausarbeitung so noch nicht geäußert hat, wird in der etwa zeitgleich erscheinenden Schrift Die vier edlen Metalle diese Grenze der Beschreibung thematisiert. Bei der Bestimmung der Metalle ist nicht nur von der »Indifferenz der beiden Einheiten des Wesens und der Form«, sondern ebenso vom »materialisierte[n] Indifferenzpunkt der Erde« die Rede (SW IV, 517, zweite Hervorhebung M.H.), womit auf die 673 Obwohl Paul Ziche Recht hat, dass der Titel den Systemanspruch nicht erkennen lässt (P. Ziche: System als Medium, 148 Anm.), zeigt sich, dass mit der Darstellung von 1801 die Systematik vom Negativen her entfaltet wird.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

grundsätzliche Indifferenz von Idealem und Realem hingewiesen wird. Damit wird ausgewiesen, dass sich die Indifferenz der Materie ausschließlich von der Sphäre der Natur her beschreiben lässt. Eine vernünftige Mitwissenschaft – der Anspruch des schellingschen Idealismus – darf die Verschmelzung des Ideellen mit dem Reellen jedoch nicht bloß von der Natur her angehen, sie muss sie zudem vom Geist her fassen, Subjekt und Objekt bauen auf dem Prinzip der absoluten Identität.

a)

Natur und Konstruktion

Schellings Philosophie hat die regulative Idee der Wahrheit zu ihrem Grund. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass wir aufgrund unseres Mitwissens an der Natur und den Mythen von Wahrheit sprechen können. Wahrheit ist nichts Fertiges, ihre Konstruktion ist nur ›in der Zeit‹ zu leisten. Mit dieser Denkweise steht Schelling ganz im Kontext der hermeneutischen Methode seiner Frühschriften, wenngleich das thematische Spektrum erweitert und spezifiziert wird. Dazu heißt es in Über den wahren Begriff der Naturphilosophie, dass es keinen Zweifel daran gibt, »daß die Vernunft der Natur Gesetze gibt, auch daß die Vernunft immer richtig construirt – die Frage ist aber im einzelnen Fall eben die: ob denn wirklich die Vernunft construirt hat. – Daraus, daß die Vernunft der Erfahrung Gesetze gibt, folgt doch wohl nicht, daß sie der Erfahrung widersprechen darf; vielmehr, eben weil sie ihre Gesetzgeberin ist, muß diese aufs vollkommenste mit ihr übereinstimmen, und wo dieß nicht der Fall ist, wird mit Recht geschlossen, daß nicht die gesetzgebende, sondern irgend eine empirische Vernunft construirt habe. – Ich sage in der Naturphilosophie: die Natur sey ihre eigne Gesetzgeberin.«

Damit von Wahrheit gesprochen werden kann, muss das uns Zugängliche »richtig construirt« werden (SW IV, 96). Um dem Ausdruck zu verleihen, wagt er sich mit den Ferneren Darstellungen aus dem System der Philosophie an eine weiterführende, umfassendere Systemkonstruktion heran als mit dem Identitätssystem der Darstellung meines Systems – gleichwohl jene Ausarbeitung systematisch im identitätsphilosophischen Kontext von 1801 steht. Darin wird über die reine Naturbezogenheit hinausgegangen und das Moment des Geistigen miteinbezogen. Die Ferneren Darstellungen beschränken sich nicht auf die materiale Naturbestimmung, sie nehmen des Weiteren auf die transzendentalphilosophischen Bestimmungen Bezug und suchen eine Antwort auf die Frage nach der »absoluten Erkenntnißart als dem Organ alles Philosophirens« zu geben (SW IV, 339). Die Philosophie wird als konstruierende Wissenschaft gefasst, der es zukommt, »das Absolute […] nach dem Vernunftgesetz der Identität, der abso-

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221

luten Einheit des Endlichen und Unendlichen […] in jeder ihrer Construktionen« auszudrücken (SW IV, 346, 370f., 530). Dieser Zugang schließt an die Konzeption der absoluten Identität in der Sphäre des Realen an, wobei nicht mehr bloß die Wirkkräfte in der Natur dargestellt werden, sondern darüber hinaus fortan deren denklogischen Voraussetzungen in die Darstellung miteinbezogen werden. Angesichts dessen, dass die Indifferenz von Idealität und Realität nicht nur »intellektuell«, sondern »gleichsam projicirt« betrachtet wird, ist »alle wahre Realität in der Einheit des Idealen und Realen, und sonach jede absolute Erkenntniß Anschauung« (SW IV, 348f.). Die Weiterführung steht unter der paradigmatischen Annahme, dass alles in den absoluten Indifferenzpunkt gestellt ist (SW IV, 352). Auf diese Weise wird das Differente und das Identische als Einheit fassbar. Gemäß dieses Zusammenhangs erkennt Schelling die Notwendigkeit an, dass neben dem materialisierten auch der ideale Indifferenzpunkt einzubeziehen ist; das Reale und das Ideale dürfen nicht einseitig rückgebunden werden, das hätte die Reduktion auf eine Seite hin zur Folge, womit bloß Materialität oder Immaterialität wäre und entweder das eine oder das andere aufgehoben würde. Also handelt es sich keineswegs um eine rein subjektive Bezugnahme, denn es wird versucht, das Objektive miteinzubeziehen. Das Ich wird in der intellektuellen Anschauung aufgehoben, hier sind »Anschauendes und Angeschautes identisch« (SW IV, 371, 355, 357). Die intellektuelle Anschauung geht ganz in der Konstruktion auf, womit nichts anderes gesagt ist, als dass die Miteinbezogenheit des Subjekts ins Objekt das Prinzip ihrer Darstellung ist. Somit ist die »strengwissenschaftliche[] Construktion die intellektuelle oder Vernunftanschauung etwas Entschiedenes, und worüber kein Zweifel statuirt oder Erklärung nöthig gefunden wird. Sie ist das, was schlechthin und ohne alle Forderung vorausgesetzt wird, und kann in dieser Rücksicht nicht einmal Postulat der Philosophie heißen« (SW IV, 361; vgl. III, 400).

Das Subjekt darf nicht bloß in seiner Besonderheit gefasst werden, es ist ebenso als Allgemeines zu fassen. Da die objektive Form der Subjektivität auf Ebene der intellektuellen Anschauung nicht begründet, sondern lediglich postuliert wird, muss der perspektivische Standpunkt des Subjekts objektiv entfaltet werden, sodass er anderen Vernunftwesen verständlich ist. Die intellektuelle Anschauung wird zum Allgemeinen erhoben. Dementsprechend ist »kein Unterschied von subjektiver und objektiver Wahrheit« zu machen. »Subjektivität und Objektivität sind absolut eins, und es ist keine Construktion dieser Wissenschaften, in der sie es nicht seyen« (SW IV, 363, 364). Obwohl sich im System von 1800 Andeutungen finden, die die objektive Stellung der Subjektivität und die gemeinschaftliche Quelle des Intelligenten verknüpfen, ist die Konstruktion des geschichtlichen Werdens in der Sphäre des Idealen erst noch zu leisten.

222

Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

Damit ist der Anspruch jedoch klar formuliert: Das wahrhafte Mitwissen am Absoluten fordert, dass dieses allgemeiner Natur und nicht auf subjektive Beliebigkeit zurückzuführen ist. Das »Wesen aller Dinge ist eins«, wodurch das eine in das andere, und umgekehrt, eingeht: »[D]ie absolute Einheit des Denkens und Seyns, Idealen und Realen ist die ewige von seinem Wesen nicht verschiedene Form des Absoluten, das Absolute selbst; denn da die Differenz des Idealen und Realen auch die des Wesens von der Form setzt, diese aber im Absoluten eins sind, so ist Einheit des Idealen und Realen so nothwendige Form des Absoluten, als die Form in ihm selbst absolut und dem Wesen gleich ist« (SW IV, 367f., 370).

Infolgedessen ist »Vernunft-Anschauung« als objektive Ineinssetzung von Subjektivität und Objektivität zu fassen (SW IV, 369), wobei das Subjekt nicht individuell gefasst wird, schließlich handelt es sich um eine allgemeine, um eine »nicht-empirische Anschauung« (SW V, 128). Die intellektuelle Anschauung ist eine Bestimmung des Vernünftigen. Ihr fällt es zu, das Objektive durch das Subjekt zu fassen, zu konstruieren, ohne diesem etwas Eigenes hinzuzufügen. Schelling ist sich darüber im Klaren, dass das zum Ausdruck gebrachte Objektive dem Horizont der Zeit untersteht, was aber nicht methodisch, sondern nur formal von Bedeutung ist. Es ist »nur Ein Princip der Construktion, Eines, womit construirt wird, in der Mathematik wie in der Philosophie. Dem Geometer ist es die in allen Construktionen gleiche und absolute Einheit des Raums, dem Philosophen die des Absoluten. Es ist, wie schon gesagt, nur Eines, was construirt wird, nämlich Ideen, und alles Abgeleitete wird nicht als Abgeleitetes, sondern in seiner Idee construirt« (SW V, 134f., vgl. 139, 252–256).

Dieser in Über die Konstruktion in der Philosophie geäußerte Gedanke verdeutlicht, dass es Sache der Konstruktion ist, das Besondere zu erfassen, während ihre Darstellung allgemeiner Natur ist. Schellings Konstruktion ist kein radikaler Konstruktivismus.674 Er geht nicht vom Subjektiven aus, sondern nimmt auf das Moment des Subjektiven und des Objektiven gleichermaßen Bezug. Das schließt freilich nicht aus, dass die Konstruktion von unserem kulturellen Selbstverständnis, von unserem Wissens- und Informationsstand abhängt. Hieraus folgt lediglich, dass die Konstruktion auf subjekt-objektive, heißt mitwissenschaftliche Weise zu leisten ist. Die konstruierten Bestimmungen gelten uns als leitende Ideen, sie sind »der erste Durchgangspunkt einer Bewegung, die nach dem sie bestimmenden und leitenden Gesetz über die Natur hinausgehen mußte« (SW X, 396f.). Da alles Abgeleitete in seiner Idee construirt wird, ist das Wissen von der Welt wesentlich ideal, wenngleich dieses nicht fern des Realem zu denken ist. Gemäß der absoluten Identität ist die Kon674 Vgl. E. Glaserfeld: Radikaler Konstruktivismus, 43f., 193–210.

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223

struktion der Natur der Konstruktion des Absoluten absolut identisch, sie hat auf allen Ebenen gleichermaßen methodisch Geltung und durchdringt das Ganze. Jede Konstruktion ist eine Konstruktion im Absoluten. Eine verschiedentliche Konstruktion von Natur und Absoluten hieße, dass die Idee von der Wahrheit selbst variabel wäre, womit sie sich selbst aufheben würde. Der Wahrheit ist es immanent, eine Wahrheit zu sein, andernfalls verliert sie sich in der Beliebigkeit.

b)

Identitätsphilosophie und System

Nachdem Schelling die Systematik der Natur dargetan hat, setzt er sich insbesondere während seiner gemeinsamen Jenaer Schaffenszeit mit Hegel mit der Philosophie des Geistes auseinander.675 In dialogischer Form diskutiert er in Bruno neben den Mysterien, der Mythologie, dem Tod und der Seele die Beziehung von Denken und Anschauen, wobei für ihn unstrittig ist, dass »alles in Einer Idee sey […], so wird die Idee aller Ideen der einzige Gegenstand aller Philosophie seyn, diese aber ist keine andere als, welche die Ungetrenntheit des Verschiedenen vom Einen, des Anschauens vom Denken ausgedrückt enthält. Die Natur dieser Einheit ist die der Schönheit und der Wahrheit selbst« (SW IV, 243, vgl. 370, 373; II, 67; V, 250).

Das bestärkt den Gedanken, dass das Absolute durch das Ideale und das Reale bestimmt ist, was für das Reich des Negativen wie des Positiven gilt. Dieses Verständnis trägt der absoluten Identität im Rahmen der Natur- wie der Geistphilosophie Rechnung. Der Geist wird wie die Natur als wesentlicher Ausdruck des Absoluten gefasst (SW IV, 243, 250f.). Die Einheit »im absoluten Bewußtseyn ist dieselbe, wie die im Absoluten« (SW IV, 254). Des Weiteren kommt der identitätsphilosophische sowie mitwissenschaftliche Anspruch zu tragen, dass die methodische Struktur dem Materiellen wie dem Ideellen gleichermaßen immanent ist (vgl. SW IV, 288–295). Selbst dieser Überlegung geht die regulative Idee der Wahrheit voraus, immerhin ist »die Einheit des göttlichen und natürlichen Princips selbst […] unwandelbar, ewig.« Das Wesen des Absoluten ist unwandelbar, ewig, die Form hingegen »vergänglich, nicht ewig« (SW IV, 310f., 303, 322). Um 1802 rückt Schelling wieder das Subjekt in den Fokus der Diskussion. Dieses ist nie fern des objektiven Moments bestimmbar ; »in der absoluten Ichheit aber oder in der intellektuellen Anschauung werden die Dinge nicht für die Erscheinung, obzwar unendlich, sondern dem ewigen Charakter nach, oder wie sie an sich sind, bestimmt.« Das absolute Ich ist die »Form aller Formen«, es 675 Zur Entwicklung der Systeme von Hegel und Schelling zur Jenaer Zeit vgl. M. Hackl: System im Werden; S. Dietzsch: Nachwort, 440.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

ist »das reine Subjekt-Objekt […], jenes absolute Erkennen, […] ist der dem Absoluten eingeborne Sohn« (SW IV, 326f., 325–329). Demnach ist das Subjekt des Erkennens dem Objekt der Erkenntnis wesentlich identisch. Das eine ist ohne das andere sogar vollkommen unverständlich, fehlt doch das jeweilige Abgrenzungsmoment. Werden sie wechselseitig bestimmt, ist keines auf das andere zu reduzieren. In den in Jena gehaltenen Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums – die aufgrund ihrer Thematik den »Grundriß […] einer allgemeinen Encyklopädie der Wissenschaften« bilden (SW V, 247)676 – wird der Versuch unternommen, die vielfältigen wissenschaftlichen Disziplinen in ihrer Eigenheit darzustellen und sie gemäß der identitätsphilosophischen Struktur als systematische Einheit zu bestimmen. Der Aufbau der Vorlesungen beschreibt alle Formen des Seins als absolut identisch, dies findet sich ebenfalls in der Philosophie der Kunst677 sowie in Über das Verhältniß der Naturphilosophie zur Philosophie konkretisiert. Dort wird darauf hingewiesen, dass »nur Eine Philosophie und Eine Wissenschaft der Philosophie [ist]; was man verschiedene philosophische Wissenschaften nennt, ist entweder etwas ganz Schiefes, oder es sind nur Darstellungen des Einen und ungetheilten Ganzen der Philosophie in verschiedenen Potenzen oder unter verschiedenen ideellen Bestimmungen« (SW V, 365, vgl. 107; XIII, 152).

Ähnlich dem Dialog Bruno scheint in Über die Methode des akademischen Studiums der Mensch, »das Vernunftwesen überhaupt, […] eine Ergänzung der Welterscheinung zu seyn: aus ihm, aus seiner Thätigkeit soll sich entwickeln, was zur Totalität der Offenbarung Gottes fehlt, da die Natur zwar das ganze göttliche Wesen, aber nur im Realen, empfängt« (SW V, 218). Aufgrund seiner psycho-physischen Verfasstheit wird eine besondere Rolle zuteil: Dem Menschen fällt es zu, das hervorzubringen, was zur Totalität der Offenbarung Gottes fehlt. Er vereint die Formen des Geistes und der Natur wesentlich in sich. Das ideale Streben, welches sich in der Natur findet, erwacht im Menschen. Die sich realiter im Organismus konkretisierende Idee der Freiheit (vgl. Kap. III.8) muss auch idealiter einsichtig werden (vgl. Kap. III.9), ansonsten lässt sich keine Identität zwischen beiden Sphären ausmachen, sie erschienen unvermittelt – erst die Vermittlung der Sphären erlaubt, sie auch als Einheit zu begreifen. In Über die Methode des akademischen Studiums macht Schelling die Rolle der Geschichte gesondert zum Thema und spricht mit Blick auf das Christentum von dessen »speculativen und historischen Construktion« (SW V, 304, 286). 676 Vgl. W.E. Ehrhardt: Nur ein Schelling, 258. Dass Schelling – abgesehen von den Jenaer Vorlesungen – keine Enzyklopädie zu schreiben beabsichtigte, macht sich in den WeltalterVorlesungen von 1827 bemerkbar (vgl. SWA, 16). 677 Vgl. A. Zerbst: Identitätsphilosophie und Philosophie der Kunst, 38.

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Dabei betont er, dass das Christentum aufgrund seiner geschichtlichen Konstruktion die Entfaltung dessen ist, was das Absolute ausmacht. Später spricht er bezüglich dieses frühen Gedankens von systematischen »Andeutungen« (UPhO, 17), die in seine positive Philosophie, den ideellen Teil der Philosophie, Eingang gefunden haben. Mit der geschichtlichen Verknüpfung von Natur und Geist fällt die historische Construktion nicht bloß in den Bereich der Natur, sie betrifft zudem das Reich des Absoluten. Konsequenterweise spricht Schelling in Folge von der »historische[n] Construktion der organischen Natur«, wobei ihm das Gewordene »vollkommene[r] Ausdruck der Ideen« ist (SW V, 343). Die Geschichte ist das alles Durchdringende, weswegen sich die Konstruktion nach der »historischen Seite« (SW V, 363, 439–445) sogar in der Philosophie der Kunst findet (vgl. SW V, 363f., 373–387), kommt doch in »der idealen Welt […] die Philosophie ebenso zur Kunst, wie in der realen die Vernunft zum Organismus. – Denn wie die Vernunft unmittelbar nur durch den Organismus objektiv wird, und die ewigen Vernunftideen als Seelen organischer Leiber objektiv werden in der Natur, so wird die Philosophie unmittelbar durch die Kunst, und so werden auch die Ideen der Philosophie durch die Kunst als Seelen wirklicher Dinge objektiv. Eben daher verhält sich dann auch Kunst in der idealen Welt, wie sich Organismus in der realen verhält« (SW V, 383).

Schönheit ist nichts anderes als die »Ineinsbildung« von Realem und Idealem, sie steht in dem Wechselspiel der absoluten Identität und wird als »Indifferenz der Freiheit und der Nothwendigkeit im Realen« angeschaut (SW V, 383, 419; VI, 574). Selbst das Schöne ist uns als Reales, als Tatsache zugänglich. Der Unterschied zur Naturphilosophie begründet sich im Zugang: »Nicht wir wollen der idealistischen Bildung ihre Götter durch die Physik geben. Wir erwarten vielmehr ihre Götter, für die wir, vielleicht noch ehe sie in jener ganz unabhängig von dieser sich gebildet haben, die Symbole schon in Bereitschaft haben. Dieß war der Sinn meiner Meinung, inwiefern ich behauptete, daß in der höheren speculativen Physik die Möglichkeit einer künftigen Mythologie und Symbolik zu suchen sey« (SW V, 449).

Das »Werk der Natur« und das »Werk der Freiheit« sind im Absoluten gleich gültig vereint. Ersteres ist die »Einheit des Universums mit dem Endlichen«, während letzteres die Einheit in umgekehrter Weise ausdrückt (SW V, 452). An diesem Punkt bestätigt sich der Gedanke, dass das Reale und das Ideale, so wie das Endliche und das Unendliche, die zwei Seiten der einen Medaille sind. Also war Schelling spätestens mit den Jenaer Vorlesungen von dem Gedanken geleitet, ein umfassendes System im Sinne der 1801 konstruierten Identitätsphilosophie zu entfalten, welches sich nicht nur auf die Natur oder das Geistige bezieht, sondern auf beide Momente Bezug nimmt. In der Propädeutik der

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

Philosophie skizziert er etwas später eine geschichtsphilosophische Entwicklung hin zum absoluten Idealismus, in der er die »absolute Entgegensetzung« des Geistigen und des Materiellen konkret thematisiert (SW VI, 88).678 Es verwundert, dass sich Schelling in dieser Arbeit gegen den Realismus positioniert und auf den Idealismus blickt. Dies ist jedoch so zu verstehen, dass alles in der Idee gründet; selbst das Reale ist durch die absolute Idee bestimmt. Das heißt nicht, dass nur Ideales ist – wäre dem so, ließe sich das Ideale nicht ausweisen, es wäre völlig grenzenlos und damit vollkommen unbestimmt. Erst die Differenz zum Realen macht das Ideale fassbar, und umgekehrt. Der Fortschritt des Idealismus ist nicht ohne das Reale zu leisten, selbst der absolute Idealismus musste, worauf Vittorio Hösle in seiner Philosophiegeschichte hingewiesen hat (vgl. Kap. II.5.2), verschiedene »Stufen durchlaufen«, um zur Synthese geführt zu werden: »Die erste wird die seyn, wo das Reelle ganz dem Ideellen untergeordnet wird, die zweite, wo das Reelle im Gegensatz gegen das Ideelle hervortritt, die dritte, wo beide wieder in einer absoluten Identität vereinigt, und diese selbst wieder als eine ideelle gesetzt wird. Hiemit ist der vollkommenste Idealismus im Gegensatz gegen den vollkommensten Realismus erreicht« (SW VI, 93)

Dass die einseitige Bezugnahme auf den Realismus nicht ausreicht, macht Schelling am Spinozismus, dem »höchste[n] System« des Realismus, fest. Der Spinozismus wiederum steht vor dem Problem, dass er »Denken und Seyn nur durch die absolute Substanz vereinigt«; weil »keines durch das andere bewirkt seyn kann, sind sie zugleich, indem sie auf ihre absolute Identität zurückgeführt sind, auch in ihrer vollkommenen Entgegensetzung dargestellt« (SW VI, 97). Um zu begreifen, wie die eine Seite durch die andere bewirkt sein kann, ist es notwendig zu verstehen, wie beide Seiten als wesentliche Einheit verstanden werden können. Derlei Gedanken sind für die mitwissenschaftliche Konzeption von grundsätzlicher Bedeutung. Es kommt nicht bloß darauf an, die Entstehung der Freiheit in und aus der Natur zu entfalten, sondern darüber hinaus gilt es, eine Antwort auf die Frage nach der Grundlage des werdenden, des gewordenen Existierenden zu geben. Obwohl sich Schelling in jener Phase verstärkt dem Geist- bzw. dem Subjektbegriff zuwendet, weiß er diesen (noch) nicht in sein System einzubetten, wenngleich das System von 1800 und die Ferneren Darstellungen offenkundig der Versuch sind, beide Seiten miteinander zu verweben. Trotz der Schwierigkeiten bezüglich der Einbettung ist nicht zu bestreiten, dass der Dialog Bruno, die Philosophie der Kunst sowie Philosophie und Religion entlang der aus der Naturphilosophie heraus entfalteten identitätsphilosophischen Systematik kon678 Dieses Urteil findet sich bei K.F.A. Schelling (vgl. SW VI, VI). Dass der absolute Idealismus dies leisten kann und auch leistet, hat Vittorio Hösle in Wahrheit und Geschichte detailliert rekonstruiert (vgl. Kap.II.5.2).

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struiert sind. Die Differenzierung in der Einheit ist für Schelling zentral, ihm sind keineswegs »alle Kühe schwarz« (TWA 3, 22),679 ansonsten ließe sich nicht vom Realem und vom Idealem sprechen. Am Ende des Naturprozesses steht der um sein Selbst wissende Mensch. Er muss in Differenz zur Natur stehen, ansonsten wäre er auf sie zu reduzieren, es wäre nichts Geistiges – selbiges gilt umgekehrt. Als Naturwesen steht der Mensch in Differenz zum Geistigen und als Geistwesen steht er umgekehrter Weise in Differenz zur Natur : Er vereint beide Seiten gleich gültig in sich. Damit die angesprochene Einwohnung des Idealen im Menschen begreifbar wird, rückt Schelling in Philosophie und Religion die Entfaltung des Seins aus dem Absoluten ins Zentrum. Das ist wiederum davon geleitet, dass »das absolut-Ideale, ohne mit dem Realen integrirt zu werden, an sich selbst, auch absolut-real ist« (SW VI, 25). »Die Grundwahrheit ist: daß kein Reales an sich, sondern nur ein durch Ideales bestimmtes Reales, das Ideale also das schlechthin Erste sey. So gewiß es aber das Erste ist, so gewiß ist die Form der Bestimmtheit des Realen durch das Ideale das Zweite, so wie das Reale selbst das Dritte« (SW VI, 30, vgl. 31, 44–50, 52)

Das Anliegen, das Reale in Abgrenzung zur Idee und beide als Einheit zu fassen, ist für die Betrachtung des Absoluten wegweisend. Weil die in Philosophie und Religion angeführten Überlegungen »undeutlich geblieben« sind, ist Schelling bestrebt, den »Begriff des ideellen Theils der Philosophie mit völliger Bestimmtheit« vorzulegen (SW VII, 334, vgl. 416).680 Ohne den ideellen Teil ist das Absolute nicht idealiter, es ist bloß gemäß seiner realen Entfaltung zu fassen. Was später im ideellen Teil, in der positiven Philosophie, ganz konkret entfaltet wird, thematisiert Schelling bereits 1804, nämlich die Frage nach der »Abkunft der endlichen Dinge aus dem Absoluten« (SW VI, 28). Die Frage ist von besonderem Belang, sie macht die (mögliche) Eigenständigkeit des Subjekts gegenüber dem Objekt zum Thema. Diese Eigenständigkeit ist notwendig: Erst wenn sie aufzuzeigen ist, haben wir ein vernünftiges Wissen von der Eigenständigkeit des Subjekts, welches in Differenz zur »Endabsicht der Geschichte« steht (SW VI, 63, 38, 42). Nur wenn der Lauf der Geschichte nicht vorherbestimmt, sondern offen und willentlich zu gestalten ist, ist Freiheit möglich. Um die Differenz von Subjekt und Objekt idealiter auszuweisen, sucht Schelling im Ausgang seiner christlichen Kulturperspektive den »Grund der Möglichkeit des Abfalls« zu begreifen (SW VI, 40), da ihm dies eine überzeugende Vorstellung zu sein scheint, die Einheit des Menschen mit Gott sowie deren Differenz einsichtig zu machen. Durch die Einsicht in die Unabhängigkeit von Gott kann sich der 679 Vgl. Schellings Antwortbrief an Georg Wilhelm Friedrich Hegel vom 2. 11. 1807 (Plitt II, 123f.). 680 Zur philosophischen Entwicklung Schellings von der Identitätsphilosophie hin zum Begriff Freiheit vgl. J. Henningfeld: Identitätsphilosophie und Freiheit.

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Mensch, obwohl er aus dem Göttlichen hervorgegangen ist, als unabhängig von Gott und als frei agierendes Wesen in der Welt verstehen. Dass Schelling mit den Ausführungen von 1804 noch keine befriedigende Antwort gegeben hat, belegt sowohl der Umstand, dass er sich an weiteren systematischen Versuchen abarbeitet, als auch, dass sein hieran anschließender, weiterführender Systementwurf System der gesammten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere, der auf der klassischen Einteilung von Logik, Physik und Ethik aufbaut (vgl. SW IV, 92),681 zwar vorgetragen, aber nicht für wert befunden wurde, veröffentlicht zu werden. Das sogenannte Würzburger System baut auf dem Prinzip der Identität auf und entsprechend wird das »Erste in der Philosophie« als »die Idee des Absoluten« ausgewiesen (SW VI, 155, 137f., 155f.), aus der wiederum die Einheit des Idealen und des Realen im Wirklichen folgt. Das entspricht der grundlegenden Differenzierung von Natura naturata und Natura naturans (SW VI, 199).682 Zwar ist, wie in früheren Systemkonzeptionen Schellings, der ideale Teil Ausdruck der apriorischen Struktur des Realen, doch zeichnet sich diese Konzeption dadurch aus, dass eine dreigliedrige Struktur zum Vorschein kommt, deren letzte Bestimmung die Geistphilosophie ist. Ähnlich dem hegelschen Systemaufbau wird in diesem Systementwurf Ideales und Reales vermengt, wodurch das Existierende zum Absoluten verklärt wird (vgl. SW X, 149; Pa-PhO, 136f.). Die Konzeption muss sich den Vorwurf gefallen lassen, Reales und Ideales einseitig zu fassen, schließlich werden Natur und Geist lediglich vom Existierenden, vom Negativen her, das heißt in ihrer Endlichkeit, gefasst. Derweil geht es Schelling darum, der Struktur des Absoluten – wie besonders seine späteren Ausführungen nahelegen – ebenso in positiver Hinsicht gewahr zu werden. Die Idee und das Reale sind innerhalb der Sphäre des Realen – und analog dazu innerhalb der Sphäre des Idealen – zu fassen. Trotz dieser einseitigen Bestimmung hält Schelling daran fest, dass »die Wahrheit des Wissens […] darin gesetzt [ist], daß es mit seinem Objekt übereinstimme, oder die Wahrheit wird erklärt als Uebereinstimmung der Subjektivität und Objektivität im Wissen«, und es Sache der Vernunft ist (SW VI, 138), die ewige Gleichheit zu erkennen. In der Vernunft ist stets Subjektivität und Objektivität gesetzt. In ihr ist »jene ewige Gleichheit selbst zugleich das Er681 Zu diesem systematischen Unterfangen unter dem Einfluss Hegels vgl. M. Hackl: System im Werden. 682 Unter Natura naturata wird »die bloße Erscheinung des absoluten All, die endliche Welt, verstanden« (SW VI, 203). So ist die »Gesammtheit der Dinge, inwiefern sie bloß in Gott sind, kein Seyn an sich haben, und in ihrem Nichtseyn nur Widerschein des All sind, […] die reflektirte oder abgebildete Welt (Natura naturata), das All aber, als die unendliche Affirmation Gottes, oder als das, in dem alles ist, was ist, ist absolutes All oder die schaffende Natur (Natura naturans)« (SW VI, 199).

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kennende und das Erkannte« (SW VI, 141–143, vgl. 438, 486f.; UPhO, 23). Darum ist Schelling das wahre Wesen »weder Seele noch Leib, sondern das Identische beider« (SW VI, 217, vgl. 207, 352, 494).683 Schlussendlich sind hier Idee und Realität in den Indifferenzpunkt gestellt. Da der Organismus, insbesondere der menschliche, die höchste Potenz der Darstellung ist, müssen in ihm alle Potenzen gleichermaßen präsent sein. Mit der im Menschen geeinten Identität von Natur und Geist, von Realität und Idealität drückt sich das Sein in aller Deutlichkeit und in seiner Gesamtheit aus. Schelling hat damit die Bedeutung der Differenz ausgewiesen. Es sind »[a]lle Formen des Realen […] an sich und wahrhaft betrachtet unmittelbar auch Formen des Idealen, und umgekehrt« (SW VI, 499, 505). Die vorgelegte Konzeption lässt allerdings nur zu, das Hervortreten der Idee aus dem Realen, nicht aber das Eingehen der Idee in die Materie zu fassen. Hierzu bedürfen wir einer »universellen, den Menschen zur Natur zurückführenden Philosophie« (SW VI, 544, 549), die zeigt, wie die Entäußerung der Idee geschieht. Das will Schelling mit dem Abfall des Menschen vom Absoluten begreiflich machen.684 Allerdings ist der Abfall nicht mit dem forcierten Systemaufbau in Einklang zu bringen, denn dieser fordert eine Differenz der Bestimmung, die in das Positive, das Unendliche, fällt, was sich ausgehend vom Negativen, vom Endlichen, nicht explizieren lässt. Diese Schwierigkeit ist es auch, die Schelling zwingt, seine Systemkonzeption zu erweitern. Wie soeben thematisiert, reicht es nicht, das Ideale und das Reale in der Sphäre der Natur zu fassen, es bedarf ebenso der Einsicht ihres Zusammenhangs in der Sphäre des Bewusstseins. Gleichsam lässt sich nicht bloß die konkretisierte Idee, sondern ebenso das Eingehen der Idee in die Natur als Resultat des Naturprozesses fassen. Obwohl sich Schelling dieser Problematik bewusst gewesen sein dürfte, hält er bis in die Weltalterphilosophie hinein an der bloß quantitativen Differenzierung fest (SW VI, 179–181, 209), womit die Differenz im Idealen unbestimmt bleibt. Lässt sich die Differenz in der Sphäre des Realen und der des Idealen systematisch ausweisen, können wir uns deren strukturellen Identität gewiss sein. Dieser Unterbestimmung bewusst, weist Schelling später darauf hin, dass die »quantitative Differenz zwischen Seyendem und Seyn den entschiedensten qualitativen Gegensatz der Principien in ihrer Bloßheit oder für sich betrachtet voraussetzt« (WA I, 65).685 Um diese Differenzierung aufzuzeigen, bedarf es einer systematischen Weiterentwicklung, welche sich der Vermittlung der Momente im Idealen annimmt. Ausweisen lässt sich das nur, indem 683 Die Bedeutung der Identitätstheorie betont Friedrich Hermanni in: Metaphysik, 153–166. 684 Hermanni hat in Die letzte Entlastung die Bedeutung des Sündenfalls im Ausgang von 1804 bis in Schellings Spätwerk hinein ausführlich diskutiert. 685 Vgl. M. Hackl: System im Werden, bes. 284f.

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dem reellen Teil ein explizit ideeller Teil folgt, der die Differenz als Apriorisches im Aposteriorischen bzw. als Aposteriorisches des Apriorischen auszuweisen weiß. c)

System und Aufbruch

Die systematischen Unstimmigkeiten belegen, dass Schellings zögerliche Fortführung seiner Konzeption von 1801 nicht bloß an äußeren Umständen hakt; er hat mit grundlegenden systematischen Schwierigkeiten im Aufbau zu kämpfen, weiß er doch noch keine Antwort darauf zu geben, wie der ideelle Teil beschaffen und mit dem reellen Teil des Systems vernünftig zu verknüpfen ist. Trotz derlei Unstimmigkeiten hält er an der systematischen Struktur von 1801 fest und führt diese in den Aphorismen aus den Jahrbüchern der Medizin als Wissenschaft weiter (vgl. SW VII, 138f., 144). Mit deren Erscheinen erklärt er gegenüber Carl August Eschenmayer, dass ihm »das Licht in der Philosophie aufgegangen ist, seit 1801, wo ich die bekannten Aphorismen erscheinen ließ, ja früher schon, gegen das Ende meines Systems des Idealismus mit aller mir möglichen Deutlichkeit behauptet, daß die Philosophie keineswegs in einem Objectiviren des Urbildes, d. h. in einem (insofern subjectiven) Setzen des Urbildes oder Absoluten als eines Objectiven bestehe; daß vielmehr das Setzen in der Vernunft kein Setzen des Menschen (des Subjects), und wie dasjenige, wovon die Vernunft das Setzen ist, weder ein subjectives, noch ein objectives, sondern eben ein absolutes sei.«686

Im Menschen findet sich das konkrete »Einsseyn von Leib und Seele«, sodass die »Dinge […] ebenso unendlich-real als sie unendlich-ideal« sein müssen (SW VII, 176, 133, 149f.). In dieser Verwobenheit erscheint uns das Absolute als »Original oder Urbild«, wohingegen die reale Entfaltung nichts anderes als die »Kopie oder das Nachbild« ist (SW VII, 135). Als Kopie sind wir dem Urbild gleich, weswegen wir durch unsere Selbstbetrachtung dem Absoluten einsichtig werden können. Anhand der Konstruktion des Realen wird ersichtlich, dass jedem »Theil der Materie« die »Idea eingeschaffen« ist (SW VII, 168, 231; XI, 392). Die Idee ist das absolute Moment der Materie. Sie selbst ist unveränderlich, ewig. Allein ihre Form der Entäußerung ist wandelbar und als solche stellt sie sich in den verschiedenen Potenzen unterschiedlich dar, wiewohl durch sie das Absolute stets präsent ist. Es bildet sich nur aus, was ihr wesentlich ist. Was sich ausbildet, ist nichts anderes als die sich wollende Idee. Die Möglichkeiten zu verwirklichen, das ist das Telos allen Werdens. Das Verhältnis von Natur und Bewusstsein kann kein bloßer Parallelismus sein, denn das hieße, dass beide Seiten nur nebeneinander Bestand haben und 686 Friedrich Schelling an Carl August Eschenmayer am 30. 7. 1805 (Plitt II, 60f.).

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nicht ineinandergreifen. Derweil ist gerade die durchdringende Beziehung von grundsätzlicher Bedeutung, andernfalls ist keine Versöhnung der Momente möglich. Schelling ist diese Problematik bekannt und er verweist darauf, dass »die verkettete Natur von der freien, d. h. von der schaffenden Substanz nicht das zufällige, sondern das wesentliche Complement [ist], und mit ihr ebenso zumal, wie sie selbst mit sich zumal ist« (SW VII, 206, Hervorhebung M.H.). Das Reale und das Ideale sind demnach nicht systematisch parallel beschreibbar, wenngleich sie als identisch zu beschreiben sind. Die Momente stehen nicht nebeneinander, sie müssen ineinandergreifen. Durch die komplementäre Beschreibungsweise sind die beiden Sphären aufeinander zu beziehen, ohne dass sie ineinanderfallen und damit als undifferenzierte Einheit gefasst werden müssen. Entsprechend ist die Beschreibung des Geistigen nicht fern der Natur zu leisten, sonst wäre die objektive Welt reine Reflexion und, wie es für Fichte der Fall zu sein scheint, ein »leeres Gespenst«. Die einseitige »Vergötterung der Natur« ist ebenso inakzeptabel wie die einseitige Vergötterung des Geistes (SW VII, 11f., vgl. 6, 17f., 25f., 44–51, 94, 110–117).687 Eine derartige Reduzierung widerspricht dem Gedanken der Einheit der beiden Sphären (vgl. SW VII, 53, 98f.). Mittels einer Reduktion würde das Göttliche zu etwas Realem oder Idealem verklärt, womit jede Differenz annihiliert würde. Gott kann aber nicht bloß »in der Gedankenwelt seyn, ohne eben darum das allein-Positive einer wirklichen oder Naturwelt zu seyn, und es ist in Ansehung seiner überhaupt kein Gegensatz einer idealen und realen Welt, eines Jenseits und eines Diesseits. Wer das leugnet, mag wohl von einer Natur träumen, die nicht-ist, oder von einer Wirklichkeit, die nicht Wirklichkeit ist. […] Ist also Philosophie Wissenschaft des Göttlichen als des allein-Positiven, so ist sie Wissenschaft des Göttlichen als des allein-Wirklichen in der wirklichen oder Natur-Welt, d. h. sie ist wesentlich Naturphilosophie« (SW VII, 30).

Selbst Schellings Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zu der verbesserten Fichteschen Lehre ist von dem Gedanken geleitet, dass uns mit der Natur das Absolute begreifbar wird, wenngleich in dieser Schrift nicht deutlich gemacht wird, wie die Differenz von Idealem und Realem im Absoluten expliziert werden soll. Wir erfassen nur ihre Wirklichkeit, nicht ihre Möglichkeit. Zweifelsfrei handelt es sich bei der Idee und der Realität um zwei verschiedene Momente desselben, um die zwei Seiten derselben Medaille. Das Apriorische ist vom Aposteriorischen nicht zu trennen. Es bedarf der einen Seite, um der anderen Ausdruck zu verleihen, und umgekehrt. Werden sie als Einheit gefasst, wird verständlich, wie das Absolute beide Momente gleichermaßen durchdringt 687 Vgl. Schellings Brief an Friedrich Heinrich Jacobi am 16. 6. 1807 (BuD III, 434–441).

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und sich darin »festhalten« kann (UPhO, 92, vgl. 57; SW VII, 54, 395). Davon lässt sich nur sprechen, wenn sich das Absolute in allen Momenten gleichermaßen »gebiert«, gibt es doch »in dieser Geburt nur sich selbst, d. h. die Einheit, zur Frucht« (SW VII, 58, 60, 64). Die beidseitige Bezugnahme steht im Kontext der 1804 angeführten Differenzierung von Positivem und Negativem (vgl. SW VI, 23f., 36–39, 43), wobei Ersteres das Gebierende, Letzteres die Frucht ist. Dem Urteil Karl Friedrich August Schellings nach sind die Aphorismen die »letzte Unternehmung der Naturphilosophie« seines Vaters (SW VII, V). Publikationstechnisch ist das richtig, nach 1806 hat sich Schelling in seinen Schriften wesentlich der Philosophie des Geistes zugewandt, obgleich er noch 1843/44 in Berlin Vorlesungen zur Naturphilosophie gehalten hat.688 1809 konkretisiert er jedenfalls seine 1804 angerissenen Ideen in den Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit. Mit dieser Schrift möchte er endlich den ideellen Teil des Systems vorlegen. Diese Untersuchung nimmt sich der Frage nach der Unabhängigkeit des Menschen vom Absoluten an. Thematisch meint Schelling hiermit zum »innerste[n] Mittelpunkt der Philosophie« vorzudringen, wobei er sich gewiss ist, auch mit dieser Schrift noch kein »fertiges, beschlossenes System« vorzulegen. Bestenfalls handelt es sich um »einzelne Seiten eines solchen« (SW VII, 333f.). Mit seinen kurze Zeit später in Stuttgart gehaltenen Vorlesungen startet er einen weiteren Versuch – der im Übrigen neben dem Würzburger System der am umfassendsten ausgearbeitete Versuch einer geschlossenen Systemkonzeption ist –, das geforderte System der Philosophie zu formulieren. Da das Stuttgarter System eine Weiterführung der Abhandlung von 1809 ist, scheint es, als könnten die Vorlesungen, wie Manfred Frank urteilt, »die Lektüre der Freiheitsschrift erübrigen«, da deren Leitgedanken aufgriffen und in ein konkret systematisches Kleid gebracht werden. Obwohl der Fokussierung auf die Systematik grundsätzlich etwas abzugewinnen ist, ist nicht zu übersehen, dass mit den Stuttgarter Privatvorlesungen noch nicht der Schlussstein der schellingschen Philosophie gesetzt ist. Gerade weil manche Gedanken der 1809er Schrift nicht in die 1810er Vorlesungen Eingang gefunden haben, kann die alleinige Fokussierung auf die Stuttgarter Systematik nicht überzeugen. Franks Urteil, dass die Freiheitsschrift und die Darstellung meines Systems »zum Schaden ihres Verfassers bekannter geworden [sind], als es ihrem Wert entspricht«,689 ist irritierend. Mit dem System von 1801 wurde die Systematik der Naturphilosophie grundgelegt (vgl. Kap. III.8), die gemäß dem identitätsphilosophischen Verständnis komplementär zum ideellen Teil (vgl. Kap. III.9) sein muss und somit als deren Probe gelten darf (vgl. Kap. III.10). 688 Vgl. A. Hutter : Schellings Vorlesungen, 388. 689 M. Frank: Bibliographische Notiz, o. S.

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Die Freiheitsschrift beschäftigt sich mit dem Gedanken, dass die »individuelle Freiheit auf irgend eine Weise mit dem Weltganzen (gleichviel, ob es realistisch oder idealistisch gedacht werde) zusammenhängt, irgend ein System, wenigstens im göttlichen Verstande, vorhanden seyn muß, mit dem die Freiheit zusammenbesteht« (SW VII, 337, 339, 346). Anders als in der Neuen Deduktion geht es nicht um einen Begriff von individueller Freiheit (vgl. SW I, 274f.), sondern um die Verwobenheit des Individuellen mit dem Allgemeinen im Absoluten. Freiheit und Notwendigkeit sind nicht bloß individuelle Bestimmungen, sie sind nicht losgelöst vom Weltganzen zu fassen und somit gleichermaßen Momente der absoluten Totalität. Wäre dem nicht so, wäre unerklärlich, wie das eine das andere bedingt: »Gott aber kann nur sich offenbar werden in dem, was ihm ähnlich ist, in freien aus sich selbst handelnden Wesen« (SW VII, 347, 413). Der Widerstreit von Freiheit und Notwendigkeit im Göttlichen findet sich als seine Kopie in uns. »Es gibt in der letzten und höchsten Instanz gar kein anderes Seyn als Wollen. Wollen ist Urseyn, und auf dieses allein passen alle Prädicate desselben: Grundlosigkeit, Ewigkeit, Unabhängigkeit von der Zeit, Selbstbejahung. Die ganze Philosophie strebt nur dahin, diesen höchsten Ausdruck zu finden« (SW VII, 350).

Damit der Mensch seine Freiheit gegenüber der Natur im Besonderen sowie gegenüber der Geschichte im Allgemeinen einsehen kann, muss er sich seiner »unabhängige[n] Wurzel« bewusst werden (SW VII, 354, 457f.; VIII, 92, 263, 308). Sieht er ein, dass er Natur und Geist ist, und weiß darüber hinaus, die Eigenheit jeder Seite zu wahren, ist das eine nicht auf das andere, und umgekehrt, zu reduzieren, wodurch sich beide Prinzipien mitwissentlich im Menschen vereint finden, ohne ihre Eigenständigkeit zu verlieren. Mit dieser Unabhängigkeit kann der Mensch seine Freiheit trotz seiner Abhängigkeit von den Momenten wahren, er ist nicht auf eines zu reduzieren. Die Konstruktion betrifft angesichts unserer Mitwissenschaft sowohl uns selbst als auch das Absolute, »Gleiches [wird] nur von Gleichem erkannt« (SW IX, 221) – darüber ist nicht hinauszugehen. Richtig ist, dass uns das aus dem Absoluten Hervorgehende zunächst ein »dunkler Grund« ist (SW VII, 358, vgl. 357f., 408; VIII, 164f., 172); zu diesem haben wir keinen direkten Zugang, wir haben lediglich unseren perspektivischen Blick auf das Bedingte. Weil wir die Differenz von Idee und Realem als Abdruck des Absoluten in uns begreifen, ist die Differenz auch dem Absoluten zuzusprechen. Entsprechend diesem Verständnis ist die im Menschen ausgemachte Scheidung vom »Vermögen des Guten und des Bösen« eine Scheidung (SW VII, 352, 353f.), die sich ebenso im Absoluten finden muss. Diese Differenz ist identisch zu jener im Menschen und somit Ausdruck von Freiheit. Im Absoluten ist das – abstrakt betrachtet – die Entäußerung der Idee ins Reale. Ausgehend von dieser Bestimmung zeigt sich in

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idealer Hinsicht, dass sich im Menschen jenes »doppelte[] Princip« (SW VII, 362, vgl. 405f., 411; VIII, 271; EuT I, 48), welches nichts anders als die »zwei gleiche[n] ewige[n] Anfänge der Selbstoffenbarung« Gottes ist (SW VII, 395, 373f.; SW IX, 38f.), geeint findet. Aus der realen Selbstbetrachtung des Menschen lässt sich das doppelte Princip im Absoluten ableiten. Da dieses hier ausschließlich negativ gezeichnet wird, bleibt das Wissen über das Positive außen vor, womit das Absolute unterbestimmt bleibt. Mit dem Gedanken, dass es nur im Verstand »Fortschritt [gibt], in der Vernunft keinen« (SW VI, 564), betont Schelling, dass die Vernunft allgemeiner Natur ist; sie muss uns verständig werden, um für uns von Belang zu sein. Was nicht verständig ist, ist uns nicht begreifbar, es bleibt uns fremd. Dem wahrhaft Vernünftigen werden wir nur gewahr, wenn es nicht bloß postuliert, sondern konstruiert wird (vgl. SW V, 142). Allein so wird die eigene Perspektive allgemein einsehbar. »Die Vernunft ist in dem Menschen das, was nach den Mystikern das Primum passivum in Gott oder die anfängliche Weisheit ist, in der alle Dinge beisammen und doch gesondert, eins und doch jedes frei in seiner Art sind. Sie ist nicht Thätigkeit, wie der Geist, nicht absolute Identität beider Principien der Erkenntniß, sondern die Indifferenz« (SW VII, 415).

Diese Gedanken aus der Freiheitsschrift werden in den Stuttgarter Privatvorlesungen systematisch und formal weitergeführt. Obwohl Schelling später erklären wird, dass sich in den Vorlesungen noch »viel Unvollkommenes« findet – schließlich wurden »erst in den folgenden Jahren die entscheidenden Ideen gefunden« (Rar, 669) –, liegt mit diesen ein recht umfassender Versuch eines geschlossenen Systemaufbaus einer negativen Philosophie vor. Als Grundformel der absoluten Identität weist Schelling darin B ¼A C aus (SW VII, 422). Die genannte Formel darf als Grundstruktur verstanden werden, weil sie die Beziehung des Realen und Idealen in Bezug auf ihre Einheit schematisch klar darstellt. B und C sind verschiedene Formen des sich entfaltenden Wesens A. Die Idee A ist das B und C Durchdringende, sodass B und C einander – trotz ihrer unterschiedlichen Form – in Relation auf die absolute Idee einander dem Wesen nach absolut identisch sind. Diese Formel bildet die Struktur ab, wie B und C durch das einende A vermittelt sind. Ausgedrückt wird das Hervorgehen der einzelnen Momente mit der Formel A ¼ AðA ¼ BÞ (SW VII, 427, 483), die systematisch und strukturell identisch mit der formalen Darstellung der Natur aus dem 1801er System ist (SW IV, 149, 201, 205). Ein Hinausgehen über die naturphilosophische Systematik ist nicht erkennbar. Das Ideale (Bewusstsein) wird als A, das Reale (Natur) als B gefasst. Wie das Reale nicht ohne das Ideale sein kann, so das Reale B nicht ohne das Ideale A. . A Daher steht die erste Potenz unter dem Exponenten B: A ¼ B , die zweite unter 3

2

B

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Suche nach dem System .

-A

dem Exponenten A: A ¼A B . Sowohl in der ersten als auch in der zweiten Potenz sind Ideales und Reales gleich gültig gesetzt, allerdings mit dem Unterschied, dass jede Seite für sich unter dem Exponenten von A bzw. B, von Idealem bzw. Realem, steht. Hiermit führt Schelling erstmals die Bedeutung der perspektivischen Betrachtung von Natur und Geist im Ausgang der idealen wie realen Bestimmtheit näher aus – das wird für seine spätere Systemkonzeption noch entscheidend sein. Da beide Seiten der Form nach auseinander hervorgehen und zusammenhängen, müssen sie – sofern sie identisch gefasst werden sollen – gemeinschaftlich verbunden sein, nämlich durch die sie einende Idee A3. Folglich ist A3 die aufgehobene Potenz der zwei vorangegangenen: A3 durchdringt idealiter das Reale wie das Ideale. Damit lässt sich die Idee A3 als aufgehobene Identität der Sphären beschreiben. Grundsätzlich gilt, worauf Schelling in seiner positiven Philosophie noch eingehen wird, dass »das Reale […] natur. prius, das Ideale posterius [ist]. Das Niederere wird freilich dadurch vor dem Höheren gesetzt, aber nicht der Dignität nach, was freilich einen Widerspruch enthalten würde, sondern der Existenz nach. […] Die erste Potenz geht nämlich, wie wir eben gesehen, auch in Gott absolut betrachtet der zweiten der Idee nach voran – die eine ist natur. prior, die andere posterior. Will also das Urwesen die Entzweiung der Potenzen, so muß es diese Priorität der ersten Potenz als eine wirkliche setzen (jene bloß ideale oder logische Priorität in eine wirkliche verwandeln), d. h. es muß sich selbst freiwillig auf die erste einschränken, die Simultaneität der Principien, so wie sie ursprünglich in ihm ist, aufheben. […] Die Potenzen sind nun zugleich als Perioden der Selbstoffenbarung Gottes gesetzt« (SW VII, 427f.).

Trotz der Einbeziehung der perspektivischen Betrachtung des Idealen und Realen gemäß den Exponenten von A und B bleibt problematisch, dass Schelling das Reale und das Ideale nur aus der Natur, aus dem Negativen extrahiert und den bewusstseinslogischen Strukturaufweis im Positiven außer Acht lässt. Zwar wird miteinbezogen, dass mit dem Menschen der Naturprozess erwacht, dennoch haben wir noch immer keine Erkenntnis darüber, wie die absolute Idee in die Welt eintritt. Mittels der Beziehung auf das Reale wird verständig, wie sich die Idee im Realen entfaltet, nicht aber, warum sie in das Reale eingeht. Wird das Absolute negativ bestimmt, während das Positive unbestimmt bleibt, ist das Absolute nur einseitig bestimmt und bleibt sohin unterbestimmt. Wir können uns der absoluten Identität auf beiden Seiten so nicht vergewissern. Es fehlt der Entfaltung im Realen die Probe auf Seite des Idealen. Obgleich Schellings späterem Urteil, dass der Mensch der »Wendepunkt beider Welten« (SW IX, 31) und die Einheit des »wahrhaft göttliche[n] Band[es]« ist (SW IX, 44; VII, 201), grundsätzlich zuzustimmen ist, gibt er in den Stuttgarter Privatvorlesungen – hier hilft selbst der eschatologische Ruf und der »Rapport zur Geistwelt« nicht weiter (SW VII, 483, vgl. 478; IX, 46–86, 92–110) – keine Aus-

236

Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

kunft darüber, wie das Absolute in positiver Hinsicht beschaffen ist. So mag die Stuttgarter Systematik als Erweiterung gegenüber 1801 gedacht gewesen sein, ihre Bestimmung bleibt trotz der perspektivischen Reflexion negativer Natur, sodass das Ideale als solches nicht beschrieben wird. Es ist sogar so, dass die Idee real bestimmt und dadurch zum Realen verklärt wird. Schelling dürfte sich dieser Problematik bewusst geworden sein, immerhin lässt er von dieser Konzeption ab und fokussiert sich fortan verstärkt darauf, das Negative als Negatives und das Positive als Positives zu fassen. Das Göttliche wird später nicht bloß als »Apriorismus des Empirischen« dargestellt, es wird ebenso gezeigt, dass es der umgekehrt komplementären Bestimmung bedarf, um das Absolute zu beschreiben, nämlich des »Empirismus des Apriorischen« (SW XIII, 130; Pa-PhO, 14–148; GPPh, 403).

7.3.

Systematischer Abschluss

Der auszuweisende Zusammenhang des Apriorismus des Empirischen und des Empirismus des Apriorischen war es schließlich, dessentwegen Schelling begonnen hat, seine Systemkonzeption grundlegend zu erweitern und auf die geschichtliche Verwobenheit von Natur und Geist Bezug zu nehmen; davon zeugt auf jeden Fall seine Fragment gebliebene Schrift Die Weltalter.690 Stärker als in allen vorhergehenden Schriften wird darin die geschichtliche Entwicklung der Welt als Ganzes herausgestellt. In seinem Jahreskalender notiert er, dass mit dieser Schrift das »System der Teile oder Zeiten der Offenbarung Gottes« gegeben wird (EuT I, 144). Gemäß den drei Zeiten ist sie in drei Teile gegliedert, wobei das erste Buch die Vergangenheit, das zweite die Gegenwart und das dritte die Zukunft repräsentiert. Im ersten Buch wird dargestellt, was »gewußt« wird, im zweiten, was ist, und im dritten, was nur »geahndet« wird (WA I, 3; VIII, 199).691 K.F.A. Schelling hat darauf hingewiesen, dass in den Weltalter-Fragmenten auf die Entwicklung von der Geschichte der Natur hin zur Geschichte des Geistes fokussiert wird, wobei vom Standpunkt der Gegenwart ausgehend das Vergangene miteinbezogen und hiervon ausgehend ein Blick auf die Zukunft geworfen wird (vgl. SW VIII, VI). Wie dies im Einzelnen angedacht war, lässt sich nicht mehr exakt rekonstruieren, da – trotz zahlreicher Ausarbeitungen – im Grunde 690 Die Stuttgarter Privatvorlesungen wurden Anfang 1810 gehalten (vgl. Friedrich Schelling an Eberhard Friedrich Georgii am 12. 2. 1810 [Plitt II, 194–196]), Die Weltalter aber erst Anfang 1811 angekündigt (vgl. Friedrich Schelling an Johann Friedrich Cotta am 30. 1. 1811 [H. Fuhrmans/L. Lohrer (Hg.): Schelling und Cotta, 50]; Friedrich Schelling an Johann Friedrich Cotta am 7. 4. 1811 [H. Fuhrmans/L. Lohrer (Hg.): Schelling und Cotta, 51]). 691 Zur Möglichkeit und Wirklichkeit in der Zeit vgl. Anm. 142.

Suche nach dem System

237

nur die Einleitung samt dem ersten Buch der Weltalter erhalten sind.692 Obwohl sich die Darstellungen der bekannten Ausgaben (die Weltalter-Vorlesung von 1827 wird eigens zu diskutieren sein) stark unterscheiden, ist ihnen allesamt das Moment der geschichtlichen Entwicklung wesentlich. In ihnen wird die evolutionäre Entfaltung des Absoluten besonders herausgestrichen. Bedeutsam hinsichtlich der nicht endenden Entwicklung ist, dass explizit vom »innre[n] Sinn« gesprochen wird, der der »Historie […] zu Hülfe käme« (WA I, 6; II, 115; SW VIII, 202). Der innere Sinn ist der Antrieb des Werdens, des Strebens in der Welt. Anders als in den frühen Systementwürfen wird hier der geschichtliche Übergang von der Natur hin zum Geist betont und methodisch beschrieben. Schelling spricht vom »Hindurchgehen« der Dialektik (WA I, 8; II, 117; SW VIII, 205): »Ein jedes Ding durchläuft, um zu seiner Vollendung zu gelangen, gewisse Momente: eine Reihe aufeinander folgender Prozesse, wo immer der spätere in den früheren eingreift, bringt es zu seiner Reife« (WA I, 7; II, 116; SW VIII, 203) – ein Gedanke, der später erneut aufgegriffen wird (vgl. GPPh, 265). Eine Bewegung ist nur dort zu finden, wo Widerstreit ist. Ohne diesen ist keine Bewegung, es ist nur Ruhe und Stillstand, womit nichts zu überwinden ist. Mit Bezug auf den Widerstreit spricht Schelling 1811 davon, dass alles – analog dem doppelten Prinzip – aus »zwey gleich ewige[n] Willen [hervorgeht], die der Natur nach verschieden ja entgegengesetzt sind, aber der Existenz nach Ein Wesen ausmachen« (WA I, 19; SW VIII, 281). Dies wird systematisch präzisiert: »Wäre die erste Natur im Einklang mit sich selbst, sie würde bleiben; es wäre ein beständiges Eins und käme nie zum Zwei, eine ewige Unbeweglichkeit ohne Fortschritt. So gewiß Leben ist, so gewiß Widerspruch in der ersten Natur. So gewiß in Fortschreitung das Wesen der Wissenschaft besteht, so nothwendig ist ihr erstes Setzen das Setzen des Widerspruchs.«

Der »Urdrang zum Seyn« ist das alles Antreibende und für die Ausbildung der Potenzen verantwortlich (SW VIII, 219f., 222, 225, 310; WA I, 47). Die Welt entwickelt sich wie »ein unablässiges Rad« fort (SW VIII, 229), sie folgt ihrem Urdrang. Dabei handelt es sich um keinen blinden Trieb, sondern, wie schon 1809 angeführt, um den Ausdruck eines freien Wollens im Absoluten. Wie später bei Hans Jonas findet sich hier der Gedanke, dass die »ganze Schöpfung […] auf Erhebung des Ja über das Nein« geht (SW VIII, 287, 288, 303, 310f.; vgl. Kap. II.4.2).693 692 Die Breite des schellingschen Denkens bzgl. der Weltalter-Texte belegen nicht nur die Versionen von 1811, 1813 und 1815, sondern darüber hinaus die von Klaus Grotsch herausgegebenen Weltalter-Fragmente aus Schellings Berliner Nachlass. Zur Rolle und der Stellung der Weltalter vgl. die Einleitung Schellings »Weltalter« von Wilhelm SchmidtBiggemann für den Band Weltalter-Fragmente. 693 Zum Bejahenden wie Verneinenden in den Weltalter-Fragmenten vgl. W. Hogrebe: Prädikation und Genesis, 83–93, 118–126.

238

Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

In Folge geht es ihm um die Frage, was das Antreibende allen Seins ist. Um das auszuweisen, fokussiert sich Schelling nicht mehr allein auf das Existierende, er nimmt ebenso dessen Grund, die Existenz, in den Blick, wobei der Existenz nicht mehr oder weniger Gehalt zukommt als dem Existierenden, und umgekehrt.694 Das Hervorbringende ist nicht dem Hervorgebrachten gleich. Wäre dem so, wäre bereits alles hervorgebracht, was hervorzubringen ist, nichts Neues würde entstehen. Da aus dem evolutionären Naturprozess Bewusstsein hervorgehen konnte, musste seine Möglichkeit in der Natur gesetzt sein. Damit die Idee als Ausdruck von Freiheit aus dem Realen hervortritt, muss die Freiheit an deren Anfang stehen, sonst hätte sich entwickeln müssen, was nicht möglich wäre. Das Absolute ist »kein nothwendig wirkliches Wesen«, es ist Ausdruck der »ewige[n] Freiheit« (SW VIII, 238, 263f., 300, 305f.). Mit diesem systematischen Verständnis schließt Schelling an seine Konzeption von 1801 an, wird doch das geschichtliche Hervortreten der Freiheit in den Weltalter-Fragmenten entlang der identitätsphilosophischen Methodik entfaltet (vgl. SW IV, 205). Der geschichtliche Fortschritt ist dem Fortschreiten der drei Potenzen gleich. Diese drücken ihre ewige Natur aus. Die erste Potenz entspricht dem nicht Seienden (A=B) und die zweite dem Seienden (A2). Beide Potenzen gehen wiederum in der dritten Potenz (A3) auf (vgl. SW VIII, 240, 280, 288; WA II, 144, 179). Schelling bleibt seiner Identitätsphilosophie treu und führt erneut die schon früher verwendete Formel A ¼ AðA ¼ BÞ als Systemstruktur an (SW VIII, 312).695 Die Weiterführung in den Weltalter-Fragmenten ist gegenüber früheren Darstellungen weniger eine systematische denn eine thematische. Nun wird das Übergehen von Natur und Geist als ein ineinandergreifender geschichtlicher Prozess gefasst. Dieser Rückbezug rückt mehr noch als den realen Entwicklungsprozess den Grund im Absoluten in den Fokus. Aber »diese Entfaltung hat doch ihr Ziel, und dieses Ziel ist für die Natur, daß sie zu einem vollkommenen geist-leiblichen Wesen gelange« (SW VIII, 281). Wie in der Naturphilosophie wird auch hier die »Evolution der Natur« thematisiert (SW VIII, 282; III, 23 Anm., 102f.; vgl. Kap. III.8.3), wobei der Fokus jetzt nicht auf deren Entfaltung liegt, sondern auf der Betrachtung deren Grundes. Um die Möglichkeit eines geist-leiblichen Wesen einzusehen, muss, wie an früherer Stelle dargelegt, zur »Evolution der Seele […] nothwendig eine Evolution der Materie parallel« gehen (SW VI, 549). Die Befreiung des Geistigen geschieht nicht unabhängig von der Natur, sie muss mit ihr bzw. von ihr aus geschehen. Alles, was in der Geschichte geschieht, ist vom Absoluten durch3

2

694 Dass mit dem Programm von 1809 bzw. 1810 die Frage nach dem Ursprung menschlicher Freiheit noch nicht geklärt wurde und in der Spätphilosophie neu thematisiert wird, betont Hermanni in Die letzte Entlastung. 695 Vgl. dazu die Ausführungen von Wolfram Hogrebe (Prädikation und Genesis, bes. 111– 118).

Suche nach dem System

239

drungen. Dies betrifft die Natur ebenso wie – worauf in den Gottheiten von Samothrace hingewiesen wird (SW VIII, 362, 370) – die Mythologie, die Kultur.696 Damit überhaupt eine Entwicklung sein kann, muss es einen »freien Anfang« geben (SW VIII, 305, 304f.; UPhO, 165), etwas, das sein will. Wäre schon alles geworden, was sein soll, will nichts mehr werden, weil schon alles ist. Nichts müsste sich mehr verwirklichen. »Der Entschluß Sich zu offenbaren und sich selbst als das ewige Nein überwindlich zu setzen war nur ein und derselbe Entschluß. Darum ist dieser wie ein Werk der höchsten Freiheit, so auch ein Werk der höchsten Liebe. Das in der Offenbarung Vorausgehende ist keineswegs das an sich Untergeordnete, wohl aber wird es als solches gesetzt; das ihm Folgende ist nicht an sich wirklicher, göttlicher, aber freiwillig als das Höhere gegen jenes erkannt« (SW VIII, 310f., vgl. 168, 326; XIII, 308f.).

Obwohl jene Bewegung auf der Scheidung der Prinzipien fußt, ist alles Wollen – gemäß der »prästabilirten Harmonie« (SW III, 615, 563) – ein Streben nach Einheit, nach Vermittlung. Wäre dem nicht so, hätten die Momente aufeinander keinen Einfluss und wären einander vollkommen fremd. Wenn Schelling von der »Evolution Gottes aus sich selbst« spricht (SW VIII, 169), ist das nicht nur der Anspruch der Weltalter, sondern bereits der des Systems von 1800, in dem die Geschichte als Ganzes, als »eine fortgehende, allmählich sich enthüllende Offenbarung des Absoluten« verstanden wird. Schelling versteht die Geschichte als einen »fortgehenden Beweis von dem Daseyn Gottes« (SW III, 603). Was geschieht, muss in Gott begründet sein, sonst wäre es nicht.

a)

Systematische Fortführung

Von seiner letzten großen publizierten Schrift, dem Denkmal der Schrift von den göttlichen Dingen, wird Schelling später sagen, dass mit dieser »der Anfang der positiven Philosophie gegeben« ist, worauf die »kühnen Paradoxieen […] hin[weisen]. Durch mein Schweigen ließ ich der andern Richtung Freiheit, sich zu entwickeln« (PhO-Pa, 138; SW XII, 86). Dass der Übergang zu einer »neuen Epoche der Entwicklung [s]eines Systems« mit der 1812er Antwortschrift auf Friedrich Heinrich Jacobis Atheismusvorwurf, in Von den göttlichen Dingen, seine erste schriftliche Darlegung findet,697 deutet Schelling 1835 ebenfalls in einer Selbstbeschreibung gegenüber Hubert Beckers an, so hat 696 Vgl. S. Peetz: Philosophie der Mythologie, bes. 154f. 697 Friedrich Schelling an Johann Georg Cotta am 10. 2. 1812 (H. Fuhrmans/L. Lohrer [Hg.]: Schelling und Cotta, 66). Zur Kritik Schellings an Jacobi vgl. L. Hühn: Fichte und Schelling, 191–194; S. Peetz: Freiheit im Wissen, 283–299. Zur Entstehung der Denkmalschrift vgl. C. Arnold/M. Hackl: Schellings Denkmal, AA I/18, 62–104.

240

Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

»seine [Schellings] Abhandlung über die Freiheit, das Denkmal Jacobi’s, deutlich genug erkennen gegeben […], […] daß Schelling’s System in der Form, die es etwa 1801 hatte, von Hegel festgehalten und verstarrt, eine neue und ganz unerwartete Masse von Anhängern durch ihn erhielt, während der Urheber längst über dasselbe hinausgegangen war.«698

Der thematische Umbruch begründet sich darin, dass Schelling sich fortan verstärkt der Frage nach dem Absoluten und seiner Beschaffenheit zugewandt hat und sich sein Programm nicht mehr allein auf das Negative fokussiert. Scheinbar ist ihm die Weiterführung seiner Systemkonzeption nicht leichtgefallen; das ist mitunter daran festzumachen, dass er seine Spätphilosophie zwar mehrfach angekündigt, diese aber nicht mehr selbst publiziert hat.699 Rein äußerlich fällt auf, dass er seit der forcierten thematischen Erweiterung auf das Positive kaum mehr etwas veröffentlicht hat. Um philosophisch weiterzukommen, wechselte Schelling um 1820 von München nach Erlangen, um dort wieder Vorlesungen abzuhalten.700 Diese Vorlesungen sind nicht bloß eine Neuauflage des Altbekannten, sie stellen die Frage nach der ewigen Freiheit neu – mit der thematischen Weiterführung hin zum Positiven wird die Spätphilosophie eingeleitet. Peter Lothar Oesterreich hat mit seiner Einschätzung Recht, dass sich in den »unterschätzten Erlanger Vorlesungen […] metaphilosophische Reflexionen [finden], die den Zusammenhang seiner eigenen Kunst des Philosophierens mit dem der ›ewigen Freiheit‹ absoluter Subjektivität herstellen, nachverfolgen.«701 Dieses Urteil trifft insbesondere – wenngleich der Abschluss des ideellen Teils noch nicht vorliegt – auf die systematische Struktur zu. Nach Schelling kann »das wahre System eben nur dasjenige seyn […], welches Einheit der Einheit und des Gegensatzes ist, d. h. welches zeigt, wie die Einheit mit dem Gegensatz und der Gegensatz mit der Einheit zugleich bestehe« (SW IX, 209; Initia, 11f.; GPPh, 84f.). Obzwar an der Einheit von Natur und Geist festgehalten wird, wird betont, dass derjenige, der »bis zum Ende durchgedrungen ist, […] sich wieder in völliger Freiheit [sieht], er ist frei vom System – über allem System« (SW IX, 212). Auf Grundlage der systematischen Konstruktion der Freiheit entlang der Sphären des Realen und Idealen vermögen wir sie zu begreifen, nur dann ›haben‹ wir sie, vorher ist sie uns nur Schein.

698 Friedrich Schelling an Hubert Beckers am 21. 10. 1835 (Plitt III, 113). 699 Vgl. diesbezüglich Schellings Druckankündigung seiner späten Werke (Friedrich Schelling an Johann Georg Cotta am 29. 3. 1833 [H. Fuhrmans/L. Lohrer (Hg.): Schelling und Cotta, 174]; Friedrich Schelling an Johann Georg Cotta am 23. 1. 1845 [H. Fuhrmans/L. Lohrer (Hg.): Schelling und Cotta, 232f.]). 700 Friedrich Schelling an Karl Eberhard Schelling im Jahre 1820 (Plitt II, 444). 701 P.L. Oesterreich: Spielarten der Selbstfindung, 142f.

Suche nach dem System

241

Mitwissen impliziert, dass »Gleiches nur von Gleichem erkannt« wird, daher muss das »Erkennende […] seyn wie das Erkannte und das Erkannte wie das Erkennende« (SW IX, 221, Hervorhebung M.H.; vgl. XI, 511; XIII, 315; UPhO, 23, 153). Aufgrund dieser Bezugnahme ist das Wissen über die Freiheit im Absoluten dem Wissen über unsere Freiheit gleich. Wissen ist nichts anderes als Mitgewusstes. Methodisch müssen die beschriebenen Sphären trotz ihrer unterschiedlichen Potenz der Darstellung wesentlich identisch, sohin komplementär zu beschreiben sein, schließlich ist das eine das Abbild des Urbildes. Das Absolute ist beschaffen wie wir.702 Demzufolge ist »die ewige Freiheit ursprünglich in unserm Bewußtseyn« (SW IX, 234; vgl. GPPh, 99). Sich selbst durchsichtig zu werden heißt, sich dem Absoluten bewusst zu werden: Unser Selbstverständnis ist identisch zu unserem Wissen vom Absoluten. Da der Mensch ein psycho-physisches Wesen ist, muss sich die Freiheit in Relation auf beide Seiten gleich ausweisen lassen. Daher ist die Forderung, dass die »Vertheidiger der Freiheit […] gewöhnlich nur daran [denken], die Unabhängigkeit des Menschen von der Natur zu zeigen, die freilich leicht ist. Aber seine innere Unabhängigkeit von Gott, seine Freiheit auch in Bezug auf Gott lassen sie ruhen, weil dieß eben das Schwerste ist« (SW VII, 458; vgl. UPhO, 214),

zweckmäßig und ihr ist entsprechend nachzukommen. Wenn wir uns in Differenz zu den Naturkausalitäten begreifen und keine Marionetten im Weltlauf sind, vermögen wir unserer Freiheit wahrhaft verständig zu werden. Begreifen wir unsere Unabhängigkeit von der Natur wie vom Göttlichen, sehen wir ein, dass wir fähig sind, frei zu handeln. Freiheit muss wahrnehmbar und verstehbar sein – allein so ist der Freiheit in ihrer real-idealen Beschaffenheit gerecht zu werden. Schelling hat schon 1809 die Frage nach der Grundlage des Existierenden gestellt und auf die Analogie von der Freiheit des Menschen mit der Freiheit des Absoluten hingewiesen, aber erst in Erlangen wird diese Frage systematisch präzisiert und weitergeführt: Die differente Bestimmung von A (Subjekt) und B (Objekt) wird insofern als Einheit gefasst, als sie komplementär beschrieben werden kann. Hierdurch wird nicht bloß die Entfaltung der Freiheit aus der Natur, sondern ebenso das Eingehen der Freiheit in die Natur systematisch dargestellt. A ist auf B bezogen und B auf A. Beschrieben werden kann jedes Moment (A oder B) aber nur vom Standpunkt von A oder B aus. Jede Seite kann, was sich bereits 1810 in den Stuttgarter Privatvorlesungen als perspektivische Betrachtung ankündigt, nur von der anderen aus beschrieben werden, an702 Auf diesen analogen Zusammenhang hat Ludwig Feuerbach in das Wesen des Christentums hingewiesen; so kann sich der Vogel »nichts Höheres, nichts Seligeres, als das Geflügeltsein« vorstellen: »Das höchste Wesen ist dem Vogel eben das Wesen des Vogels« (L. Feuerbach: Wesen des Christentums, 59).

242

Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

sonsten fehlt das Abgrenzungsmoment. Formelhaft konkretisiert Schelling – das ist die Struktur der wahrhaft spekulativen Philosophie – dies folgendermaßen (vgl. SW IX, 233; Initia, 45–59; bes. Kap. III.10.2): A

B

B¼A

B

A

A¼B

Mit der linken Formel stehen wir in der Sphäre des Realen (B) – diese wird durch die vermittelnde Linie ausgedrückt –, die aufgrund ihrer ideal-realen Einheit ideal (=A) zu beschreiben ist. Mit der rechten Formel stehen wir, gewissermaßen umgekehrt dazu, in der Sphäre des Idealen (A) – diese wird ebenfalls durch die vermittelnde Linie ausgedrückt –, wobei sie aufgrund ihrer real-idealen Einheit real (=B) zu beschreiben ist. Das Ideale (A) drückt sich im Realen durch das interagierende Subjektive und Objektive aus, wie sich umgekehrt das Reale (B) im Idealen durch das interagierende Objektive und Subjektive ausdrückt. Da es nur ein Ideales und nur ein Reales gibt, müssen die beiden Momente beinhaltenden Resultate, nämlich B=A und A=B, miteinander korrespondieren und einander absolut identisch strukturiert sein (vgl. Kap. III.10). Beschreiben lassen sich die Seiten nur komplementär. Jede Seite ist allein für sich zugänglich, wobei jede aufgrund unseres erkenntnistheoretischen Zugangs nur durch die andere, die von ihr unterschiedene Sphäre zu fassen ist. Indem beide Sphären komplementär gedeutet werden, sind sie als Einheit zu fassen, und jede Seite wird der anderen zur Probe. Wie Idee und Realität sowohl in der Sphäre des Geistes als auch in jener der Natur absolut identisch vereint sind, so stehen die beiden Sphären Natur und Geist methodisch zueinander, sie sind einander absolut identisch. Wäre dem nicht so, müssten A und B zwei vollkommen differente Momente sein, wodurch sie nicht in Einklang zu bringen wären. Das ist aber nicht der Fall, die Welt ist uns eine Einheit. Bilden sie eine Einheit, kann es nur eine Philosophie geben (vgl. SW XIII, 152): »In diesen Linien ist in der einen das absolute Subjekt (A) der Anfang, in der andern das Wissen im Nichtwissen =B. Beide sind Correlate. Das absolute Subjekt geht nun in einem Punkt seiner Bewegung über ins Objekt (B); in demselben Moment reflektirt sich das B der oberen Linie in der unteren als A, oder das Nichtwissen geht über in das Wissen (A). Nun wird aber im dritten Moment das absolute Subjekt der oberen Linie (A), das im zweiten Moment in das Objekt (B) übergegangen war, wieder aus demselben in das Subjekt zurückgebracht, oder mit andern Worten: B wird wieder A, und in demselben Moment reflektirt sich das B=A der oberen Linie wieder in der unteren, und es erscheint da A=B oder das Wissen vereinigt mit dem Nichtwissen« (SW IX, 233, Hervorhebung M.H.; vgl. Initia, 46).

Mit den Erlanger Darstellungen wurde der systematische Zusammenhang von Idee und Realität auf allen Ebenen strukturell neu ausgewiesen. Die absolute Idee

Suche nach dem System

243

und das Reale werden nicht mehr bloß als Ideal-Reales vom Realen ausgehend, sondern ebenfalls als Real-Ideales vom Idealen her beschrieben. Anders ist es nicht möglich, das Reale in seiner ideal-realen und die Idee in ihrer real-idealen Bestimmtheit zu fassen. Durch diesen Zugang wird keine Seite auf die andere reduziert, sodass jede für sich Bestand hat. Die hier ins Feld geführte komplementäre Beschreibung wird prägend für Schellings Philosophie seit jener Zeit, wenngleich bereits um 1806 vom wesentlichen Complement des Schaffenden und des Geschaffenen gesprochen wird. Seine wahre Kunst des Philosophierens, um bei Oesterreich zu bleiben, konkretisiert sich erst in den 1820er Jahren. Die geschichtliche Entfaltung der Sphären wird fortan nicht mehr allein auf die reale Sphäre bezogen, sie lässt sich ebenfalls vom Idealen her fassen. Auf diese Weise ist die Unabhängigkeit auszuweisen, die die Voraussetzung dafür ist, dass Freiheit überhaupt sein kann. Ein System der Freiheit hat genau das leisten, was hier angeführt wird (vgl. Initia, 171; SW I, 315; X, 36). Hegels Urteil, dass Schelling »seine philosophische Ausbildung vor dem Publikum gemacht« hat (TWA 20, 421), mag als Vorwurf gedacht sein, ist aber begründungstechnisch nicht relevant, es zählt einzig, ob das Vernünftige verständig ist. Und ja, Schelling mag seine Ausbildung vor dem Publikum gemacht haben. In seinen späteren Vorlesungen geht er erneut über sich selbst hinaus. Beispielhaft skizziert er in seinen Münchner Vorlesungen eine philosophiegeschichtliche Entwicklung, die von Ren8 Descartes zu Kant und Fichte und von dort zu seiner eigenen Naturphilosophie überleitet, auf die die Philosophie Hegels folgt, welche wiederum von Jacobis Philosophie abgelöst wird und den vorläufigen Schlussstein der Philosophiegeschichte darstellt. Die Reihenfolge ist nicht willkürlich, vielmehr ist jede Philosophie die »nächste Stufe empirischer Philosophie« (SW X, 167). Ihre Ausbildung entspricht einer »genetische[n] Entwicklung der philosophischen Systeme von Cartesius bis auf die neueste Zeit« (SW XIII, 16). Schelling sieht seine Philosophie nicht mit der Naturphilosophie beendet, sonst wäre er mit ihr zum Ende gekommen, was nicht der Fall ist: »[E]s ist an uns Deutschen, die seit der Existenz der Naturphilosophie aus der traurigen Alternative einer in der Luft schwebenden, jeder Grundlage entbehrenden Metaphysik […] und einer unfruchtbaren, ariden Psychologie herausgetreten sind, – es ist an uns, sage ich, das System, das wir zu ergreifen und zu erreichen hoffen dürfen, jenes positive System, dessen Princip eben wegen dieser seiner absoluten Positivität selbst nicht mehr a priori, sondern nur a posteriori erkennbar seyn kann, bis zu dem Punkt auszubilden, wo es mit jenem – in gleichem Verhältniß erweiterten und geläuterten – Empirismus zusammenfließen wird« (SW X, 200).703

703 Trotz Schellings Betonung des Deutschen ist das Nationalistische nicht ins Zentrum zu rücken, kann es doch nach vorliegender Denkweise um nichts Biologisches gehen, sondern

244

Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

Systematisch entwickelt Schelling in jener Zeit seine Weltalterphilosophie weiter,704 womit er nicht nur an seine systematisierte Naturphilosophie anknüpft, sondern ebenso an sein frühes freiheitsphilosophisches Anliegen, wenngleich dieses konzeptionell in ein völlig neues Kleid gesteckt wird. Schelling weist diesen Ansatz selbst als Neufassung seiner Philosophie aus, allerdings handelt es sich eher um eine Erweiterung derselben, das früher entfaltete Wissen wird nämlich weder widerlegt noch verworfen. Derweil sind es gerade diese Aussagen, die dazu beigetragen haben dürften, dass seine Philosophie als brüchiges Konstrukt und nicht als Einheit verstanden worden ist. Er schürt diesen Bruch selbst, dies belegt ein Brief von 1827 an den bayerischen König Ludwig I., den er diesem kurz vor seiner Rückkehr an die Isar zukommen ließ. »Um den Anfang meines Wirkens zugleich als einen Wendepunkt meines ganzen geistigen und wissenschaftlichen Lebens zu bezeichnen, habe ich mir vorgenommen, gleich im nächsten Winter den Inhalt eines unter dem Titel: Die Weltalter lang’ erwarteten Werks das erstemal vorzutragen.«705

Man mag seine Weiterführung als Wendepunkt bezeichnen, von einem Bruch kann keine Rede sein,706 das Frühere wird keineswegs verabschiedet. Ob dem, dass Horst Fuhrmans darlegt, dass Schelling in »langen Überlegungen […] klar geworden [war], daß eine Wende der Philosophie notwendig sei«,707 ist seine Philosophie nichts Systemfreies, sie ist eine in Teilen dargelegte, aber konsequente Fortführung seines bisherigen Denkens.708 Mit Ehrhardt ist festzuhalten, dass es der Begriff der Freiheit ist, der nach wie vor im Zentrum der schellingschen Philosophie steht. Er ist leitend für sein ganzes philosophisches Unterfangen. Angesichts der systematischen Entwicklung findet sich bei Schelling keine »Kehre im Denken«:709 Das Blatt wird nur gewendet, nicht verworfen. Hieraus folgt keineswegs, dass die vordere Seite keine Geltung mehr hat, sondern

704 705 706 707 708 709

allein um Kulturperspektivisches. Vgl. UPhO, 694f.; Pa-PhO, 319–325; SW XIII, 177f., XIV, 320f., 361. Zwar findet sich in Über das Wesen der deutschen Wissenschaft ein noch nationalistischerer Ton, systematisch ist dieser aber mit Schelling gegen Schelling für obsolet zu erklären, hat doch eine mitwissenschaftliche Interpretation für derlei Absurditäten keinen Platz. Vgl. Kap. I. Aufschlussreich sind diesbezüglich die Hinweise von Lore Hühn in Fichte und Schelling (vgl. Kap. 4). Friedrich Schelling an König Ludwig I. von Bayern am 11. 7. 1827 (H. Fuhrmans: SchellingBriefe, 291). Vgl. H.J. Sandkühler : Schelling – ein Werk im Werden, 27f. H. Fuhrmans: Schelling-Briefe, 292. Aufschluss hierüber gibt der Überblick von Hans Jörg Sandkühler (Schelling – ein Werk im Werden), wenngleich die Einheit des schellingschen Denkens nur angedeutet wird. W. Schmied-Kowarzik: Existenz denken, 223; W.E. Ehrhardt: Freiheit ist unser und der Gottheit Höchstes, bes. 246–251. Zur Weiterentwicklung Schellings vgl. S. Peetz: Freiheit und Wissensweise, bes. 199–201.

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245

lediglich, dass die Rückseite desselben Blattes von der anderen Seite her beschrieben wird.

b)

Negative und positive Philosophie

Eine vernünftige Philosophie ist nichts, was sich letztgültig in der Welt finden lässt. Aber nur weil man Gefahr läuft, auf diesem »klippenvollen Meere Schiffbruch« zu erleiden (SW XIII, 13; vgl. GPPh, 73), heißt das weder, dass nicht von Wahrheit gesprochen werden kann, noch, dass sie nicht ›in der Zeit‹ begrifflich zugänglich gemacht werden kann. Es ist nur »im Verstand […] Fortschritt, in der Vernunft« keiner (SW VI, 564); das meint nichts anderes, als dass die Welt dem Wesen nach vernünftig ist, gleich ob wir das einsehen oder nicht. Für uns hat nur Bedeutung, was verständig ist. Da der ganze Schöpfungsprozess vom Urdrang zum Seyn geleitet ist, stehen wir vor der Frage, was der Zweck, das Telos der ganzen Entfaltung ist. Um das zu beantworten, ist eine Antwort auf die vielfach gestellte – und von Schelling erneut aufgebrachte – Frage: »[W]arum ist überhaupt etwas? warum ist nicht nichts?« zu geben (SW XIII, 7, 242; SWA, 17f.). Doch selbst diese Antwort ist nur ›in der Zeit‹ zu beantworten. Das Zukünftige ist nur zu ahnden (vgl. SW XIV, 221). Hierüber wissen wir nichts, nicht einmal, ob es sein wird oder nicht. Alles Wissen ist nur mitwissenschaftlich zugänglich. Obwohl Schelling den Begriff der Mitwissenschaft erst in der Weltalterphilosophie (WA I, 4; III, 205; SW VII, 200) und den Erlanger Vorlesungen näher diskutiert (SW IX, 221, 226; Initia, 23, 120), ist bereits seine frühere philosophische Perspektive von diesem Ansatz geleitet. Schon 1804 (SW VI, 143f.), 1806 (SW VII, 248) und 1810 weist er dezidiert auf den mitwissenschaftlichen Gedanken hin, dass »Gleiches […] nur von Gleichem erkannt werden [kann]. Der Mensch begreift mit dem Gott in sich den Gott ausser sich« (AA II/8, 75; SW VII, 481). Die absolute Identität der Prinzipien muss eine mitwissenschaftliche Struktur, die Gleichheit des Erkennenden und des Erkannten aufweisen, immerhin trägt »das Erkennbare das Gepräge des erkennenden Verstandes an sich« (SWA, 97). Wir können nur wissen, woran wir teilhaben. In der Philosophie der Offenbarung wird dies abermals bestärkt. Alles »was Gegenstand der Erkenntniß ist, ist dieß nur soweit, als es selbst die Form und das Gepräge des Erkennenden schon an sich trägt« (SW XIII, 203; vgl. UPhO, 22f.). Damit ist die strukturelle Identität die Voraussetzung alles Mitwissen an der Welt, von Wissen überhaupt. Da Mitwissen wesentlich von der Kenntnis der Sache abhängt, ist nur das als vernünftig zu fassen, was uns verständig ist. Einen höheren Anspruch an das Wissen können wir nicht stellen, denn das hieße, über das Wissen hinaus- und zum Glauben überzugehen. Obwohl unser Wissen von unserem Kenntnisstand

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

abhängt, ist es nicht willkürlich. Das Gewusste gilt es auf objektive Weise zu explizieren, dann hat es für uns Geltung: »Der große Haufe, der seine Weisheit aus Tagblättern zu schöpfen gewohnt ist, spricht noch immer von dem schnellen Wechsel der Systeme; man hat aber nicht gesehen, daß irgend ein wesentlich neues und in seinen materiellen Grundlagen anderes System in den letzten fünfundzwanzig Jahren sich erhoben und lebendiger Geister sich bemächtigt hätte, und was allein seit dieser Zeit Geltung sich erworben, gibt sich selbst nur für Verbesserung, für Vollendung des damals Gewonnenen« (SW IX, 364; vgl. V, 264; XIII, 30f.; SWA, 5).

Die in den letzten fünfundzwanzig Jahren entfaltete Struktur findet 1827 in das System der Weltalter Eingang und dort seine Konkretion; dies äußert sich an der explizit gemachten Differenzierung von negativer und positiver Philosophie.710 Sie impliziert eine Entwicklung ausgehend von der quantitativen hin zur qualitativen Differenzierung, was einer Erweiterung der Betrachtung des Existierenden hin zu dessen Grund, zu der Existenz des Existierenden, gleichkommt.711 Dieser Erweiterung bedarf es, um die »innere, qualitative, subjektive« Differenzierung auszuweisen (GPPh, 318), sie ist die Voraussetzung dafür, dass Subjektivität wirklich werden konnte. Jener Schritt ist notwendig, da das Wissen über die Natur ein bloß »relatives Sein« ist. Das »Wahre ist nur das Positive und besteht nur in der Überwindung des Negativen« (SWA 7f.). Dennoch fällt das Negative nicht hintan. Dessen Resultat gibt uns Aufschluss über den Inhalt des Positiven. Obwohl das Positive über das Negative thematisch hinausgeht, baut es auf diesem auf.712 »Das Verhältnis der positiven Philosophie zu dieser negativen ist nicht, sie auszuschliessen, sondern sie zu überwinden, aber sie zu begreifen […]. Inwiefern die positive Wissenschaft das negative (System) selbst erkennt und als überwundenes in sich aufnimmt, insofern verhält sie sich zur negativen Philosophie nur wie ein über sie Hinausgehendes, nicht aber das negative (System) Aufhebendes. Die negative Philosophie muss vielmehr mit dem ganzen in ihrer höchsten Entwicklung erlangten Reichtum selbst von der positiven Philosophie aufgenommen werden. Wenn die positive Philosophie von allem Beschränktem sich befreit hat und sich selbst in völliger Freiheit sieht, so ist sie die zu ihrem vollen Bewusstsein gelangte negative Philosophie. Dieses Bewusstwerden ihrer selbst und ihrer notwendigen Grenze ist so gut schon als der Übergang ins Positive. Die letzte Stufe muss erreicht werden, damit man wisse, was 710 Zur weiteren Entwicklung im Ausgang von 1809 vgl. S. Peetz: Freiheit im Wissen, 280–316. 711 Vgl. M. Hackl: System im Werden, 273f., 282–285. 712 Dieter Korsch zufolge ist keine Verbindung zwischen positiver und negativer Philosophie auszumachen, »vermittelt« doch letztere »nicht den Impuls des Wollens über ihr Ende hinaus«, dabei sieht er sogar die »Nichtnotwendigkeit der negativen für die positive Philosophie« (D. Korsch: Grund der Freiheit, 273–275). Letztlich ist ihm die positive Philosophie »die Einheit von negativer und positiver Philosophie« (D. Korsch: Grund der Freiheit, 278, vgl. bes. 273–284), womit die negative nur noch Schein ist.

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durch die negative Philosophie erreicht sei. Eben weil diese Beendigung der negativen Philosophie die Bedingung der positiven ist, so erscheint es natürlich, dass das Ende der früheren Richtung und der Anfang der neuen in Einem und demselben Geiste sich berühren musste, und eben darum habe ich keinen Grund, mein früheres System zu leugnen« (GPPh, 179f., vgl. 101; SW X, 126).

Noch in Berlin wird Schelling erklären, dass das Apriorische das Empirische so wenig von sich ausschließt, wie umgekehrt, es steht mit »eine[m] Fuß im Apriorischen. (Das Wesen eines jeden Dinges gehört diesem zu.)« (Pa-PhO, 141, vgl. 101). Demgemäß gibt es keine grundsätzliche Differenz zwischen beiden Seiten. Beide sind wesentlich miteinander verknüpft, das eine geht aus dem anderen hervor bzw. das andere hat das eine zu seinem Grund. Als »philosophia ascendens (von unten aufsteigende)« widmet sich die negative Philosophie der Sphäre des Realen und die positive Philosophie als »philosophia descendens (von oben herabsteigende)« der Sphäre des Idealen (SW XIII, 151 Anm., 130 Anm.; X, 256).713 Es handelt sich um »die zwei Seiten einer und derselben Philosophie, die Eine Philosophie in zwei verschiedenen, aber nothwendig zusammengehörigen Wissenschaften« ausmachen (SW XIII, 94, 17; XIV, 345f.; vgl. XI, 370f.). Im Gegensatz zur Natur lässt sich die Existenz Gottes »nicht erweisen, sondern nur die Gottheit des Existierenden« (Pa-PhO, 175). Vom Absoluten lässt sich nur indirekt als einer Tatsache sprechen, nämlich insofern, als es sich im Realen entäußert. Anders als mit dem Existierenden, dem Negativen, ist mit der Existenz Gottes, dem Positiven, »kein logisches factum ausgesprochen, sondern eine That gegeben«: Gott hat die »Welt freiwillig erschaffen« (SWA, 11, Hervorhebung M.H.). Der gewordenen Tatsache muss nach Schellings Sicht eine werdende Sache der Tat vorausgehen, wäre dem nicht so, könnte der freie Wille keine Tatsache sein. Das ist nicht der Fall, immerhin legt der ganze Naturprozess nahe, dass Freiheit eine Tatsache ist. Er legt sogar nahe, dass das Werden selbst Ausdruck von Freiheit ist (vgl. Kap. III.8). Für den Schöpfungsprozess heißt das wiederum, dass die Freiheit im Anfang sein muss, womit im Positiven die Idee von der Freiheit zu beschreiben ist (vgl. Kap. III.9).714 Die Idee geht der Reali-

713 Die negative Philosophie ist nicht bloß, wie Christian Iber meint, eine »Einleitung« in die positive Philosophie (C. Iber : Das Andere der Vernunft, 305). Zur möglichen Bestimmung des Verhältnisses beider Seiten vgl. F. Meier : Transzendenz der Vernunft, 98–110, 270–273 sowie die Auflistung von Walter Kasper (Das Absolute in der Geschichte, 142f.), wobei letzterer darauf hinweist, dass »überall dieselbe Dialektik« herrscht (W. Kasper : Das Absolute in der Geschichte, 152, 149f., 16). Problematisch an Kaspers Entwurf ist jedoch, dass sein Denken allein auf die Geistphilosophie Bezug nimmt, womit die Naturphilosophie bei ihm hintan fällt. 714 Das verdeutlicht ein Hinweis aus Schellings Tagebuch von 1848: »[D]enn nicht weil -A p., ist es Ao, sondern umgekehrt. Entweder wird a priori das Empirische oder empirisch das Apriorische bewiesen. Dies = Unterschied von negativer und positiver Philosophie. Die

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sierung voraus, hervortreten kann nur, was möglich ist. Damit Freiheit Realität sein kann, muss die Idee von der Freiheit dem Realen eigen sein. Verständlich wird das Reale aber erst durch die apriorische Betrachtung, wie umgekehrt das Ideale erst als Aposteriorisches des Apriorischen konkret wird. Jede Seite begründet an sich das Ideale und das Reale: Als komplementär verstandene Größen werden sie einander zur Probe.715 »Jene logischen Systeme werden erst falsch wenn sie das Positive ausschließen und sich selbst dafür ausgeben. Die logische Philosophie ist nur negativ in sich, und wenn sie so bleibt, ist sie als solche wahr. Es ist ihr Charakter mangelhaft zu sein. Die logischen Systeme sind nicht als an sich falsch, nicht als den positiven geradezu widersprechende zurückzuweisen, sondern es muß nur etwas hinzukommen zu ihnen – nicht ein anderes, sondern ein Mehr soll aufgestellt werden, und dadurch ergiebt sich uns die Philosophie in der wahren und strengsten Bedeutung des Wortes« (SWA, 12).

Was die logischen Systeme leisten, steht keineswegs im Widerspruch zu dem, worüber das Positive Auskunft gibt, dieses begreift dasselbe, lediglich mit einem Mehr an Inhalt. Weil ein System der Mitwissenschaft nichts von sich ausgrenzt, sondern gemäß dem innewohnenden identitätsphilosophischen Anspruch alles in gleicher Weise miteinbezieht, muss die wahrhaft vernünftige Philosophie so beschaffen sein, »daß alles ein System zum System bildet« (SWA, 20), es muss sich um ein das Negative und das Positive vermittelnde System handeln. Schelling ist daran gelegen, von einem rohen Materialismus wie von einem rohen Idealismus Abstand zu nehmen (vgl. SWA, 49). Beide sind als Einheit zu fassen, wobei es darauf ankommt, Natur und Geist gleichermaßen miteinzubeziehen: »Wer sich des Ungeistigen ganz entäußern will, der verliert allen Stoff, nur der Baum[,] der tief in der Erde gewurzelt ist, wird auch seinen Wipfel hoch zum Himmel emportragen« (SWA, 61). Diese Bestimmtheit ist grundlegend für das Wissen um das Positive, das der Grund dessen ist, was geworden ist. Die Identität in der Differenz von Natur- und Geistphilosophie verlangt nach einer komplementären Beschreibung, um beide Sphären als Einheit fassen zu können, negative Philosophie ist bloß rational weil Ao dabei nicht offenbar ist und alles aus den Verhältnissen – deren Notwendigkeit – sich ergibt« (Tagebuch 1848, 74 Anm.; SW XIII, 83). 715 Dies konkretisiert Schelling in der 1853 formulierten Übersicht meines künftigen handschriftlichen Nachlasses: »In der negativen Ph., d. h. in der die Vernunftwissenschaft ist, ist das Seyende das Prius, das, was das Seyende Ist (Gott) das Posterius. Das Ende der negativen Phil. ist, daß das Ich die Umkehrung verlangt, die also zunächst ein bloßes Wollen ist (analog mit Kants Postulat der prakt. Vernunft; aber mit dem Unterschied, daß es nicht die Vernunft, sondern (das praktisch gewordene) Ich ist, das als persönlich selbst Persönlichkeit verlangt, und sagt: Ich will, was über dem Seyenden ist). Dieses Wollen ist aber nur der Anfang. Daß dieses, was über dem Seyenden ist, sich als existirend erweise, daß es eine Wissenschaft desselben (d. h. eine posit. Philos.) gebe, muß Etwas seyn, woran es sich als existirend erweist, und dieses ist dann wieder das Seyende, nur jetzt aber als Posterius und Consequens von jenem« (Rar, 671f.).

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ohne dabei ihre Differenz aufzulösen – Siegbert Peetz hat, wie im Übrigen Hampe in Bezug auf das System von 1800, die komplementäre Beziehung von negativer und positiver Philosophie mit Verweis auf die 1827er Vorlesung hervorgehoben, wenngleich auch er deren Bedeutung nicht weiter präzisiert hat.716 Dass das eine grundsätzlich wegweisende Interpretation ist, zeigt sich auch hier. Erlaubt doch die komplementäre Beschreibungsweise, wie unter Verweis auf Meyer-Abich angeführt, als Einheit zu fassen, was objektivseitig zusammengehört, subjektivseitig aber nicht als Einheit zugänglich zu sein scheint.717 Mittels dieser Beschreibung lässt sich das quod sit mit dem quid sit verknüpfen, wodurch eine »Antwort auf die Frage: was es ist« gegeben werden kann (SW XIII, 58; vgl. XI, 385, 392, 402, 406f., 562–566). Das Unbedingte wird in umgekehrter Weise zu dem Bedingten gesetzt, muss es doch als dessen Voraussetzung gemäß derselben Struktur verfasst sein. Weil jede Seite subjektseitig nur individuell einsehbar ist, ist es erst mittels der komplementären Beschreibung möglich, das quod und das quid als Einheit zu fassen. Also kann keine Rede mehr davon sein, dass die Metaphysik, wie Ludwig Wittgenstein meint, etwas »Unaussprechliches« aussprechen will:718 Sie spricht das Unbedingte durch das Bedingte, und umgekehrt, aus. Zwar ist unbestritten, dass die jeweiligen Beschreibungen unterschiedlich akzentuiert sind, aber durch die wechselseitige Bezugnahme wird es möglich, die divergierenden Größen jeweils aufeinander zu beziehen. Durch den wechselseitigen Aufweis bestätigt die eine Seite die andere. Folglich beruhen keineswegs »alle Systeme […] auf ihrer inneren Wahrheit […], sondern nur darauf daß etwas anderes nicht wahr sei und auf der Meinung daß in der Welt alles mit der Vernunft zusammenhänge – sie will nichts voraussezen, setzt aber das Größte voraus. Das ist aber irrig; es ist nicht so und dieses nicht-so-sein läßt sich als Factum nur a posteriori einsehen. Ist es anders – und es ist anders – dann kann sich der Geist mit dem blos logisch dialectischen Proceße nicht begnügen und es ist mit seinem hohen Wißen nicht so weit her. […] Den Menschen begreifen und erkennen wir nicht a priori, und sollten wir Gott a priori erkennen?!« (SWA, 62).

Die gegen Hegel gerichtete Kritik impliziert nicht, dass für Schelling nicht alles mit der Vernunft zusammenhängt. Sie distanziert sich lediglich von dem Gedanken, bloß durch apriorische Begriffe das Wahre begreifen zu wollen. Fragwürdig erscheint ihm der mit diesem Gedanken verbundene Anspruch, dass »bloß Logisches« in der Welt sei (SW X, 129, 146), welches als das »existirende Absolute« ausgegeben wird (SW X, 149; XI, 406). Hierdurch wird das Existierende zum Absoluten verklärt, ohne die Existenz des Absoluten begreifbar zu 716 S. Peetz: Einleitung, XXVII, XXVII f.; Ders.: Philosophie der Mythologie, bes. 156f. 717 Zu dieser Bestimmung vgl. K.M. Meyer-Abich: Komplementarität, 102f., 153, 186. 718 L. Wittgenstein: Tractatus, 115, 114f.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

machen. Derweil ist es der Zweck der spekulativen Philosophie, aufzuzeigen, dass es »einen Weg gibt vom Logischen zum Empirischen« und »einen Weg vom Empirischen zu dem Apriorischen« (Pa-PhO, 141). Da Hegel den Weg des Apriorismus des Empirischen beschreitet und den umgekehrten Weg nicht beachtet, ist dessen Philosophie das »wahre ECCE-HOMO einer negativen Philosophie« (GPPh, 237; vgl. SW XIII, 88–93). Es ist zu wenig, apriorische Begriffe zu entfalten, gemäß derer die Welt begriffen wird; dadurch wird das Positive selbst nicht rational fassbar ; erst durch den Bezug auf das Aposteriorische ist es erkennbar. Erkennen können wir nur, was uns zugänglich ist. Das gilt für das Positive wie das Negative. Von beiden wahrhaft zu wissen, setzt deren wechselseitige Bezugnahme voraus. Daher ist Wissen weder etwas rein Subjektives noch etwas rein Objektives, es ist etwas Subjektiv-Objektives. Dieser Anspruch verdichtet sich darin, dass die »Genesis der ganzen Natur […] auf dem Übergewichte, das fortschreitender Weise vom Objecte zum Subject fortgeht bis zu dem Punkt, wo das Objective auch Subject ist (im menschlichen Bewußtsein) […]. Die ganze Natur bildet eine Linie, die einerseits vom Object zum Subject, andererseits vom Subject zum Object läuft« (SWA, 91; vgl. GPPh, 275; SW X, 229–231).

Dieser »allmälig, stufenweis errungene obwol immer wieder aufs Neue bestrittene Sieg des Subjectiven über das Objective ist das Geheimniß des Weltproceßes« (SWA, 92, 116). Die Tatsachen des Weltprozesses erschließen sich erst mit Blick auf das Existierende, umgekehrt analog ist in Relation zur Existenz die Möglichkeit der Realisierung der Idee zu betrachten. Wie im Negativen der Weg vom Realen zur hervortretenden Idee aus der Perspektive des Realen beschrieben wird, so im Positiven das Eingehen der Idee ins Reale aus der Perspektive des Idealen.719 Fassen lässt sich das Absolute nur durch die Identität der strukturellen Bestimmung, mit der uns der Grund und das Existierende gleichermaßen begreifbar werden (vgl. SWA, 122–132).720 Ist die absolute Identität von Realem und Idee in der Sphäre des Realen wie von Realem und Idee in der

719 Robert Simon meint mehr eine inhaltliche denn eine systematische Beziehung zwischen den beiden Seiten auszumachen, womit das Verhältnis von negativer und positiver Philosophie darauf reduziert wird, dass die positive Philosophie »nichts anderes als eine radikalere Erfahrung des ursprünglichen Willens der negativen Philosophie zur Freiheit« ist (R. Simon: Freiheit, Geschichte, Utopie, 172, 168–173). 720 Darauf, dass mit dem »Rückgang« auf den Grund nicht das Denken »zugrunde« geht, sondern dies erst »den Blick frei für die Möglichkeit seiner Verwirklichung« legt, hat Lore Hühn (Ekstatis, 448) hingewiesen. Vgl. ebenso ihren Hinweis auf Walter Schulz’ Vollendung des Deutschen Idealismus, 8ff., 113.

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Sphäre des Idealen gesetzt, ist sie wahrhaft,721 sie durchdringt alle Stufen der Entfaltung. c)

Natur und Offenbarung

Da der »Entschluß der Offenbarung […] die menschlichen Begriffe« nicht übersteigen kann, ist »die Größe des Entschlusses gleich […] der Größe Gottes« zu setzen (PhO-Pa, 253f.). Das Unbedingte erschließt sich uns analog dem Bedingten. Weil nur das zum Ausdruck zu bringen ist, woran wir mitwissen, darf sich die philosophische Wissenschaft weder auf die Natur noch auf den Geist beschränken, sie muss die differenten Momente gleichermaßen miteinbeziehen. Aus diesem Grund erklärt Schelling in seinen 1827 gehaltenen Vorlesungen: »Ich habe meinen Gegenstand bis dahin geführt wo die Entwicklung der Naturphilosophie hätte anfangen sollen. Aber diese und die wahre Philosophie der Geschichte werde ich vortragen in der Philosophie der Mythologie« (SWA, 213).

Ein mitwissenschaftliches System darf sich nicht auf eine der beiden Seiten beschränken. Daher präzisiert er in Folge deren Beziehung systematisch mit seiner Identitätskonzeption; hier wird die absolut-identische Struktur des Realen und der Idee explizit systematisch ausgewiesen. Aufgrund der systematischen Verwobenheit ist der Zusatz aus Von der Weltseele, dass jeder »Theil der Materie für sich Abdruck des ganzen Universum[s]« und darum Inbegriff der seines unendlichen Wesens ist (SW II, 359, 378; IV, 223; VII, 203f.), grundlegend für die positive wie die negative Philosophie. Weil alle Werke Gottes im Anfang gegeben sein müssen, liefert die negative Philosophie nichts Neues, sie macht nur durch das, was geworden ist, das begreiflich, was möglich ist. Die negative Philosophie bestimmt den Inhalt dessen, was positiv gegeben sein muss, sodass uns die »Thatsache der Welt« nicht als rein apriorische Konstruktion gegeben ist. Stattdessen ist entlang der Tatsache zu konstruieren, was geworden ist, hat doch »das erkennende Subjekt das erkennbare Objekt nothwendig zu seiner Voraussetzung« (SW X, 229; GPPh, 275; UPhO, 22f.).722 Angesichts der Verwobenheit von Subjekt und Objekt, von Geist und Natur ist eine Überhöhung der einen über die andere Seite nicht zu legitimieren, schließlich geht das eine aus dem anderen hervor (vgl. SW X, 239, 242). Was später hervortritt, muss im Früheren angelegt sein, werden kann nur, was potentiell möglich ist. Obwohl sich die Form der Darstellung ändern kann, ändert 721 Auf dieser systematischen Grundlage ist Birgit Sandkaulen zu entgegnen, die bei Schelling die »Idee zweier im Salto mortale sich scheidender Philosophien« ausmacht (B. Sandkaulen: Ausgang vom Unbedingten, 179, 174–179). Vgl. C. Iber : Das Andere der Vernunft, 323f. 722 Aufschlussreich sind die Ausführungen von Hans Jörg Sandkühler (Philosophie der Geschichte, bes. 145–149), dieser weist eingehend auf die Bedeutung der Tatsachen hin.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

sich nicht ihr Wesen, dieses ist unveränderlich und ewig. Aus der Einsicht in den Prozess des Werdens ergibt sich ein Prozess des Sollens, nämlich insofern, als werden will, was sein kann und als Telos sein soll: »es ist ganz gleichgültig, ob das nicht seyn Sollende existirt, wenn es nicht etwas gibt, das seyn soll. Das nicht seyn Sollende kann nur dann negirt werden, und wird mit Nothwendigkeit nur dann negirt, wenn es dem seyn Sollenden im Weg ist, […] wenn vor ihm das seyn Sollende nicht seyn kann. So gewiß im Proceß ein Princip ist, das negirt und dadurch als das nicht seyn Sollende erklärt wird, so gewiß ist auch ein seyn Sollendes in ihm; dieses seyn Sollende kann nicht das zweite seyn, denn offenbar ist dieses nur, um das erste zu negiren, um zu vermitteln, es ist die das seyn Sollende durch Negation des nicht seyn Sollenden vermittelnde Potenz. Das seyn Sollende ist also nothwendig ein drittes Princip oder eine dritte Potenz, die ebenfalls noch mit zu dem Proceß gehört. Wenn das erste den Anlaß gibt und sich daher als Anfang des Processes erweist, das zweite sich als Mittel verhält, ist das dritte Ziel oder Ende, was ja nur dasselbe sagt wie das seyn Sollende. Wir haben also die Principien nicht vollständig erkannt, wenn nicht auch das dritte erkannt ist – nämlich nicht bloß im Allgemeinen, wie bis jetzt, daß wir nämlich wissen, es sey das Ziel oder das Ende, oder auch es sey das seyn Sollende. Denn damit wissen wir immer noch nicht, was es eigentlich oder an sich selbst ist« (SW X, 246–248).

Gemäß den Ausführungen in der Darstellung des philosophischen Empirismus ist das Seinsollende nur zu fassen, wenn es durch das nicht sein Sollen beschränkt ist. Durch diesen Bezug wird verständlich, dass das Seinsollende wirklich werden soll und am Ende des Prozesses des Werdens das steht, was sein soll. Was sein Soll, ist als das sein Könnende das Telos des Seins. Dies ergibt sich daraus, dass der »Empirismus in seinen letzten Folgerungen selbst ins Ueberempirische« treibt (SW X, 286); hervorgebracht wird, was möglich ist. Die Beschreibung des Negativen fällt nach Schellings Programm in die Sphäre des Realen, in den Bereich der Naturphilosophie, weswegen er im Vorwort zu Heinrich Steffens nachgelassenen Schriften erklärt, dass mit der Natur die Bewegung ihren Anfang nimmt: »Der Tempel, der zum Thron der Gottheit steiget. Ruht dennoch sanft auf der Natur. […] Einer von unten aufsteigenden Philosophie konnte Gott nur das Ende seyn, aber er war ihr das nothwendige Ende, und darum zugleich die End-Ursache. Auf diesem höchsten Punkt erscheinen die Dinge als aufgenommen in die Gottheit. Immanenz der Dinge in Gott ist der letzte Ausdruck dieser Philosophie« (SW X, 396f.; vgl. PhO-Pa, 189).

Die benötigte Bestimmung der Idee von der Natur wurde mit dem System von 1801 erstmals umfassend vorgelegt. Mit diesem hat Schelling die eine Seite, die des Negativen, »voll geschrieben«, jetzt geht es darum, »das Blatt umzuwenden, und eine neue Seite anzufangen« (SW XIV, 359f.). Auf diese Weise lässt sich das

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»Ende der negativen Philosophie«, das, was sein will, beschreiben (SW XIV, 345). Das ist notwendig, da das Positive ohne das Negative, und umgekehrt, nur beschränkt fassbar ist; ohne die Bezugnahme auf eine der beiden Seiten wird das jeweilige Resultat nicht miteinbezogen. Dazu erklärt Schelling in der Einleitung in die Philosophie von 1830: »Wir haben demnach zwei verschiedene Richtungen anerkannt, eine progressive die vom erkannten Prius zum Posterius, von Gott zu dem Hervorgebrachten oder von dem Zentrum der Peripherie fortschreitet, und eine regressive, die vom Posterius zum absoluten Prius, von dem Hervorgebrachten zum Hervorbringenden, von der Peripherie zum Zentrum zurückgeht. […] Das Resultat der bisherigen Untersuchung ist übrigens kurz dieses: Wir haben in der Philosophie neben der progressiven oder positiven, auch eine regressive oder negative Richtung nachgewiesen, und gezeigt, daß man auch dieser letzten Wissenschaft den Namen Philosophie beilegen könne« (EP, 24– 26, vgl. 8, 21f.).

Dass das Negative unabhängig vom Inhalt des Positiven beschrieben werden kann, ist daran festzumachen, dass das Negative mit Blick auf die 1801 dargetane Struktur Geltung erfährt, unabhängig vom Positiven. Dessen Grundlegung findet sich in den naturphilosophischen Ausführungen von 1843/44 bestätigt; darin wird das frühe Konzept aufgegriffen, ohne sich der sprachlichen wie thematischen Neuentfaltung zu versperren.723 Dass die Vermittlung von Idealem und Realem grundlegend für die weitergeführte Konzeption ist, bezeugt eine Bemerkung in der Philosophie der Offenbarung. An dieser Stelle wird betont, dass jede Seite für sich genommen auf Natur und Geist, auf Reales und Ideales rekurrieren muss (vgl. SW XIII, 71; XI, 298f.). Wie die negative Philosophie nichts rein Natürliches oder rein Geistiges ist, gilt dies umgekehrt für die positive Philosophie. Beide Seiten gehören zusammen, sie unterscheiden sich für

723 Negative Philosophie ist für Schelling keine apriorische Philosophie im Sinne Kants, Fichtes oder Hegels (vgl. C. Iber : Das Andere der Vernunft, 287ff.), sie ist als Apriorismus des Empirischen, also wesentlich Naturphilosophie, und damit nicht auf die Darstellung der reinrationalen Philosophie zu beschränken (vgl. M.D. Krüger: Göttliche Freiheit, 97; G. Neugebauer : Tillichs frühe Christologie, 104–115; A. Franz: Philosophische Religion, 282). Axel Hutter weiß das Verhältnis und den Einfluss zwischen positiver und negativer Philosophie sehr klar auszuweisen (vgl. A. Hutter : Geschichtliche Vernunft, bes. 358f.), allerdings rückt er die Naturphilosophie eher von der negativen Philosophie weg (vgl. Ders.: Geschichtliche Vernunft, 290f., 372f.). Aufschlussreich sind die Ausführungen von Buchheim (T. Buchheim: Eins von Allem, bes. 8f., 17–23, 65–69, 90, 99–107), wusste er doch die Naturphilosophie in die Nähe der negativen Philosophie zu rücken, jedoch diskutiert er nicht weiterführend, wie sich die negative Philosophie zur positiven verhält. Zu Buchheims Unterfangen vgl. die kritische Rezension von Schmied-Kowarzik (Neuere Versuche, bes. 223f.). Obwohl Schmied-Kowarzik auf die Nähe der Naturphilosophie zur negativen Philosophie hinweist (Sinn und Existenz, 197–214, bes. 213f.), ist ihr Status auch in seiner werksgeschichtlichen Darstellung nicht eindeutig.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

uns lediglich durch die unterschiedliche Akzentuierung, strukturell sind sie identisch. In der Darstellung des Naturprocesses wird »das Existirende […] nicht zufällig, sondern zufolge reiner Denknothwendigkeit«, als »reiner Vernunft-Organismus« gefasst, was sich in der Natur in der Entwicklung vom Existierenden @A gegen die Existenz +A hin zu deren Einheit :A findet. Obwohl das Existierende dem Wesen nach eine »Vernunft-Idee« ist, »liegt in der Idee der Stoff und die Möglichkeit zu allem außer ihr Seyenden, es kann nichts existiren, dessen Wurzel nicht im Existirenden wäre« (SW X, 306; vgl. XI, 318; XIII, 76). Am Anfang steht eine positive Ursache, das Wollen, das Streben, sich selbst hervorzubringen, zu wollen, was sein soll. »Das Weltsystem, in welchem überall nur der Grund gelegt, die Materie zu dem folgenden Proceß bereitet wird […], das Weltsystem ist die Sphäre der Quantität, mit dem folgenden specielleren Proceß sind wir in die Sphäre der Qualität getreten, aber wenn hier zuerst eine Mannichfaltigkeit von einander unabhängiger und differenter Körper entsteht, die doch zugleich in einem gewissen solidarischen Zusammenhang miteinander stehen und ein gemeinschaftliches System bilden« (SW X, 363).

Das Weltsystem ist nicht bloß Sache einer quantitativen Differenzierung, es umfasst ebenso eine qualitative Differenzierung. Jenes entspricht dem äußeren, dieses dem inneren Ausdruck des Ganzen. Während mit der negativen Philosophie die eine Seite gegeben ist, so beschreibt die positive Philosophie die andere Seite. Die Momente sind nicht voneinander zu trennen, das Hervorgebrachte und das Hervorbringende bilden eine strukturelle Einheit. Nun »fängt eine ganz neue Welt an. […] Das Princip wird in ihr nicht erst frei, es ist schon frei und muß frei seyn, damit organische Natur anheben könne. […] Im Anfang der organischen Natur ist schon das Ende, das Ziel, der Zweck. Es könnte nichts Organisches entstehen, wenn das blinde Princip nicht schon frei und zur Besinnung gebracht wäre« (SW X, 375f.).

Mit dem Erscheinen des Menschen tritt das Bewusstsein aus der Natur hervor, mit der Menschheit beginnt »eine völlig neue Tatsache« (Pa-PhO, 211, 199), mit ihr hat sich das Geistige manifestiert.724 Das tatsächlich gewordene Streben ringt uns die Frage nach dem »Urheber des Lebens« ab (SW X, 266; GPPh, 313). Aufschluss hierüber erhalten wir durch die Gesetzmäßigkeit der Natur, sie ist der wirklich gewordene Ausdruck des Absoluten. Entsprechend gelten uns die »durch empirische Analysis gefundenen Principien […] als Potenzen in Gott«

724 Dies hebt Schelling an anderen Stellen hervor, so schreibt er diesbezüglich: »Diese neue Welt ist die geistige, die Welt des Geistes oder auch die ideale Seite des Universums« (SW X, 390; XI, 400; vgl. Pa-PhO, 199).

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(SW X, 280; vgl. XI, 300; XIII, 62; GPPh, 329). Die empirisch gefundenen Prinzipien begründen den Inhalt des Positiven. 1800 hat Schelling darauf hingewiesen, dass Natur und Geist parallel sind, womit kein unvermitteltes Nebeneinander beider Momente gemeint ist, dient doch jede Seite der anderen »zur Probe und Bestätigung« (SW XI, 421, 421f.; XIII, 419). Dass Schellings Systemkonzeption, wie Hösle vermutet, auf keinem prinzipiellen, sohin unvermittelten »Parallelismus« von Natur und Geist gründet,725 in dem die Sphären streng voneinander getrennt sind, belegen nicht zuletzt dessen Ausführungen in seiner Spätphilosophie. Hier wird deutlich gemacht, dass beide Seiten trotz ihrer methodisch parallelen Darstellung nicht unvermittelt nebeneinanderstehen, sie korrespondieren miteinander : Beide gründen zudem im Indifferenzpunkt. Hierin unterschiedet sich die Systematik, die dem »System des Idealismus zu Grunde liegt, in welcher die Methode bereits erfunden ist, die später in größerem Umfang angewendet wurde«, von der späteren. Allerdings ist sie, wie Schelling explizit betont, »keineswegs falsch« (SW XIII, 364; vgl. V, 41). Auf diesen Zusammenhang weist Schellings Sohn ebenfalls hin; dieser sieht, dass sein Vater »im Alter zu dem System seiner Jugend« zurückgekehrt ist (SW XI, VI). Einerseits baut dessen positive Philosophie auf der Naturphilosophie auf und andererseits greift sie den kulturgeschichtlichen, den mythologischen Prozess auf, womit die Themen der Jugend, die Naturphilosophie und die christlichen Philosopheme, fortgeführt werden. Beide Seiten stehen nicht mehr unvermittelt nebeneinander, sie sind als korrespondierende Einheit zu fassen. Der Natur ist die Physik, was dem Geist die Götterlehre ist. Wenngleich das Geistige, anders als die Natur, an keinen bestimmten Inhalt gebunden ist, ist seine Bestimmung nicht willkürlich, sondern muss die vernünftige Einsicht verständig machen. Dass kulturelle Bestimmungen weitergeführt werden und auf der Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition beruhen, zeigt Schelling sehr deutlich. Diese Entwicklung ist der geschichtliche Fortschritt hin zur positiven Philosophie. Wie in frühen Ausführungen zum Mythos deutlich wird, sind die Mythen »etwas Gemeinschaftliches und Uebereinstimmendes«, sie sind der Diskurs des Menschen mit sich selbst. »Hiebei ist jedoch sogleich zu erinnern, daß die Götter nicht etwa erst abstract und außer diesen geschichtlichen Verhältnissen vorhanden sind: als mythologische sind sie ihrer Natur nach, also von Anfang geschichtliche Wesen. Der vollständige Begriff der Mythologie ist daher nicht bloße Götterlehre zu seyn, sondern Göttergeschichte, oder wie die Griechen das natürliche allein hervorhebend sagen, Theogonie« (SW XI, 6f., 43).

725 V. Hösle: Geschichte der deutschen Philosophie, 130.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

Der Fortschritt ist ein Fortschritt des Denkens aus Freiheit. Demzufolge können wir uns des Fortschritts niemals gewiss sein, dieser hängt wesentlich an uns selbst. In der Kultur findet eine Weiterentwicklung statt, in der die spätere Position durch die frühere abgelöst wird, welche für sich aber den Anspruch erhebt, den eigenen Verstehenshorizont besser zur Sprache zu bringen. Die Kultur(-geschichte) gründet auf einem »Anspruch auf subjective Allgemeinheit«,726 sie will ausdrücken, wie die Welt wahrgenommen wird (vgl. Kap. I.1). Dieser Fortschritt ist keineswegs beliebig, in ihm findet sich gar eine »historische Dialektik« (SW XI, 9, 198).727 Das ist freilich nicht so zu verstehen, als folge die Kulturgeschichte, wie bei Hösle (vgl. Kap II.5.2), einer unveränderlichen »innere[n] Logik«.728 Schelling geht es darum, vom vorläufigen Ende der Geschichte her eine Rekonstruktion der Kultur zu leisten, die den eigenen Standpunkt als Realisierung der Möglichkeit in der Wirklichkeit fasst. Die Dialektik besteht in der Weiterentwicklung und der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Welche Kultur, welche Philosophie entsteht, lässt sich nicht vorhersagen, sie folgt keinem höheren, keinem notwendigen göttlichen Plan. Ihr Inhalt ist Ausdruck der freien Selbstbestimmung, der konkreten Kulturgeschichte. Dabei fällt es der Kulturphilosophie zu, im intersubjektiven, kulturellen Prozess das Vernünftige auf allgemeine Weise nachzuzeichnen. Der Lauf der Geschichte schreitet nicht – um sich Jonas’ Worte zu bedienen – »mit unbeirrbarer List der Vernunft« voran (KGA III/1, 273), die Gestaltung der Geschichte hängt von uns als freien Wesen ab. Die Fortentwicklung der Kultur und der Mythologie, der kulturellen und religiösen Selbstbeschreibung ist nichts als eine lebensweltliche Beschreibung, die sich objektiv zu explizieren sucht, zumindest wenn sie sich nicht in der Besonderheit verlieren und anderen Menschen zugänglich sein will. Unsere Auseinandersetzung mit der eigenen wie der fremden Lebenswelt ist als Streben nach Wahrheit zu charakterisieren. Diese Bewegung ist von dem Streben geleitet, dem Selbstverständnis der Zeit ›in der Zeit‹ Ausdruck zu verleihen. Im Unterschied zur Natur, in der sich das Vernünftige ausbildet, ohne dass wir aktiv etwas dazu beitragen müssen, geschieht der Fortschritt im Geiste durch 726 I. Kant: Kritik der Urteilskraft, Akad.-Ausg. V, 212. 727 Zur »Evolution« von Mythologie und Offenbarung vgl. W.E. Ehrhardt: Mythologie und Offenbarung, 143, bes. 140ff. Und zur Entwicklung der Mythologie vgl. X. Tilliette: Die »höhere Geschichte«, 199–202. Gewissermaßen ist mit dem historischen Materialismus ein Gegenbegriff zu Schellings Konzeption entwickelt worden. Anstelle von vernünftiger Einsicht werden materielle Bestimmungen als wesentlicher Grund der geschichtlichen Entwicklung ausgewiesen. Vgl. F. Engels: Anti-Dühring, MEW 20, 248f.; Ders.: Einleitung. Utopie zur Wissenschaft, MEW 22, 298; A. Arndt: Karl Marx, 63f., 86. Damit ist der historische Materialismus »keine Theorie der Geschichte« (A. Arndt: Karl Marx, 63), er geschieht lediglich in der Geschichte. Vgl. A. Arndt: Karl Marx, Kap. 2. 728 V. Hösle: Wahrheit und Geschichte, 61.

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den Menschen. In der Kultur suchen sich die Menschen selbst durchsichtig zu werden und dieses Wissen allgemein kommunizierbar zu machen. Das ist – anders als in der Natur – kein äußerlicher Akt, der sich beschreiben lässt; es handelt sich um einen freien Akt, der von uns zu leisten ist. Ohne unser Zutun werden wir unserem Selbst nicht durchsichtig. Das ist der Grund, warum die Natur ein geschichtlicher Ort der Notwendigkeit ist, der Freiheit hervorbringt, während die Kultur der geschichtliche Ort der Freiheit ist, der die Freiheit einsichtig macht. Schelling verortet in der Kultur insofern einen Fortschritt, als die Entwicklung von der Naturreligion über den Polytheismus und den Monotheismus hin zur philosophischen Religion Ausdruck einer komplexer werdenden Selbstbeschreibung sei.729 Trotz ihres rein geistigen Inhalts ist die kulturelle Selbstbeschreibung ein wirklicher Prozess, schließlich geschieht er nicht fern der Realität, sondern in ihr. Der Mensch verwirklicht, was in der Welt ist. Durch sein Mitwissen ist er nichts anderes als die »Gott-setzende Natur« (SW XI, 185, 190, 195); die Selbstbeschreibung bringt genau das hervor, was uns das Absolute ist: das, woran wir teilhaben, sohin Mitwissen haben können. Auch der evolvierende Prozess der Selbstbeschreibung ist ein »organisches Werden« (SW XI, 195; XII, 280), das sich durch die Weiterentwicklung und Überwindung der geschichtlichen Selbstbeschreibungen auszeichnet. Anders als die Natur, die auf das Äußere gerichtet ist, ist die Kultur, die Religion auf das Innere gerichtet. Jede Seite ist für sich definiert, aber ohne Bezug auf die andere ist sie unterbestimmt; es ist notwendig »das zuletzt gefundene Resultat wieder in seine Voraussetzungen [zu] verfolgen« (SW XII, 8). Wahrhaft zu verstehen ist der Prozess des Werdens nur, wenn das Göttliche als das »sich ins Seyn erheben Könnende« verstanden wird (SW XII, 41, 112), das am Anfang der ganzen Entwicklung steht. Allein auf Ebene des Idealen ist das Mögliche des Wirklichen zu beschreiben. Wie das Seinkönnende beschrieben wird, hängt nicht nur vom Inhalt des Negativen, sondern ebenso von der intersubjektiv zu leistenden Selbstbeschreibung ab. Um die wirkende Idee zu fassen, reicht es nicht, auf die Natur oder die Kultur zu blicken, der Prozess ist in seiner Ganzheit miteinzubeziehen: So wird die Dialektik des Werdens einsichtig. Im mythologischen Prozess wird der intersubjektive Diskurs zu seinem jeweiligen Ende geführt, woraus folgt, dass sich die kulturelle Selbstbeschreibung darin objektiv macht. Da der Prozess kein abgeschlossener, sondern ein immerwährender ist, der sich nur als Bestimmung im Hier und Jetzt fassen lässt, ändert sich mit der Auffassung vom Wirklichen auch die Herausforderung, vor die die Kultur gestellt ist (vgl. SW XII, 163, 348). Umgekehrt ist aufgrund neuer 729 Vgl. S. Peetz: Philosophie der Mythologie, 163–166; C. Danz: Philosophie der Offenbarung, 177–186; F. Meier : Transzendenz der Vernunft, 273–292.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

kultureller Bezugnahmen das Verständnis der Natur gegebenenfalls in ein neues Licht zu rücken. Eine wahrhaft spekulative Philosophie stellt an sich den Anspruch, die kulturelle Selbstbeschreibung objektiv, das heißt allgemein, mitzuteilen. Deren höchste Form findet sich Schelling zufolge in der Philosophie der Offenbarung, sie macht alles Offenbare, alles Gewordene zugänglich, ohne die Kultur über die Natur, bzw. umgekehrt, zu erheben. Beide werden als einander gleich gültig gefasst. Der Inhalt der einen ist der Inhalt der anderen, lediglich unterschiedlich akzentuiert dargestellt. Diese Wahrheit wird nach Schelling kulturgeschichtlich mit dem Christentum ausgesprochen. In Christus, in der Menschwerdung (Existierendes), dem Kreuzigungstod (Existenz) und der Himmelfahrt (Einheit) offenbart sich die Einheit der Unendlichkeit und Endlichkeit, womit das Geheimnis der Entäußerung Gottes, der Entstehung der Welt »für jeden Menschen faßlich und begreiflich und als unendliche Wahrheit und Wirklichkeit dargestellt« wird (UPhO, 606, vgl. 604). Mit Christus ist das Offenbarwerden zu seinem Ende »geführt« (UPhO, 608),730 hat sich doch mit ihm im Positiven konkretisiert, was am Ende der negativen Philosophie geworden ist, die Tatsache der Freiheit. Die Freiheit, die im Naturprozess hervorgetreten ist, wird als Sache der Tat in Bezug auf das Absolute einsichtig. In Christus sieht Schelling die Freiheit beschrieben (vgl. Kap. III.9.3). Obwohl die Philosophie der Offenbarung für sich in Anspruch nimmt, den mythologischen Prozess zu seinem Ende geführt zu haben, ist keine abschließende Antwort darauf zu geben, wie der Fortschritt der positiven Philosophie aussehen kann und wird. Eine Erweiterung der positiven Philosophie müsste, das ist aufgrund der Korrespondenz von Idee und Realität unumgänglich, mit einer entsprechenden Erweiterung der negativen Philosophie, mit einer Neufassung derselben oder gar mit einem tatsächlichen Fortschritt der Natur einhergehen. Andernfalls ginge die positive Philosophie über die negative Philosophie hinaus, womit sie sich vom Wirklichen absondern und ins Leere gehen würde. Sie würde aus der wahrhaft spekulativen Philosophie wieder in das Reich der Mythologie, der Bilderlehre eintreten. Dem widerspricht aber der Anspruch

730 Auf die Geschichte Jesu geht Schelling schon früher ein (vgl. AA II/5, 123f.), dies greift er beispielhaft in seiner Philosophie der Offenbarung wieder auf (PhO-Pa, 310f.; SW XIV, 232). Auf diesen Punkt hat Danz in Die Christologie Schellings im Zusammenhang der werksgeschichtlichen Entwicklung seiner Philosophie hingewiesen und dargetan, dass bis ins Spätwerk hinein »die historische Forschung sowie die von ihr rekonstruierten Fakten mit einer geschichtsphilosophischen Konstruktion« verknüpft werden, weswegen in »methodischer Hinsicht […] Schellings Spätphilosophie als Durchführung des hermeneutischen Programms gelten [darf], dessen Ansätze Schelling bereits in seiner Tübinger Studienzeit erarbeitet hat«, wenngleich anzuerkennen ist, dass die »inhaltliche Fassung der Christologie […] eine Neubestimmung« erfährt (C. Danz: Christologie Schellings, 56).

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der Philosophie auf das Offenbare, sie sucht das Verborgene offenbar zu machen – eine Leistung, die nach Schelling im Christentum zum Ende geführt wird. »Das Christentum ist vorbereitet von Grundlegung der Welt her, uns ist in der Aufeinanderfolge, die im Weltprozesse selbst liegt, begründet. Außer dieser Ordnung kann es kein Heil geben, und wir müssen uns dieser Ordnung gerecht machen. […] Die Welt ist einmal nicht anders: sie ist keine grenzen- und schrankenlose – sie ist in sehr enge Grenzen eingeschlossen. Das höchste ist freilich: Gott im Geiste erkennen und anbeten!« (UPhO, 708).

Hier ist das Ende der positiven Philosophie mit der negativen Philosophie versöhnt. Jene geht dabei insofern über diese hinaus, als ihre Entfaltung Sache unserer Freiheit ist, während letztere die Freiheit ohne unser Zutun verwirklicht. Die Aufgabe einer Philosophie des Offenbarwerdens besteht darin, die kulturell formulierte Beschreibung des Negativen allgemein kommunizierbar zu machen. Sie muss die ausgesprochene Wahrheit begreifbar machen, wodurch ihre Darstellung unabhängig von kulturell geprägten Sichtweisen eingesehen werden muss – das wird im interkulturellen Diskurs ohnehin vorausgesetzt. Hierdurch entsteht eine Gesprächsebene, die religiöse Wahrheiten als allgemeine Darstellungen transportiert, womit diese anderen Lebenswelten, anderen kulturellen Sichtweisen mittelbar wird. Und das, ohne dass die eigene Kultur über eine andere erhoben wird, wiewohl die eigene Kultur nicht preisgegeben wird. In ihr drückt sich unsere Selbstbeschreibung aus. Letztlich ist die Selbstbeschreibung Ausdruck der eigenen kulturellen Wahrheit. Aufgrund ihrer Abstraktion erfährt sie eine Öffnung, mit der sie sich zur Diskussion stellt und die eigene Wahrheit nicht prinzipiell über eine andere erhöht. Was das System von 1801 für die negative Philosophie ist, das ist die Urfassung der Philosophie der Offenbarung für die positive Philosophie,731 sie sind jeweils deren Meisterstücke.732 Mittels der Philosophie der Offenbarung vermögen wir wahrhaft Einsicht in den Grund allen Geschaffenen zu gewinnen. Da die Mythologie »ein reales Verhältnis zu Gott« suchte, dieses aber nicht »fand«, bedurfte es der Offenbarungsphilosophie; sie lehrt, wie sich das Verhältnis zum Göttlichen »im freien Wissen und Denken« äußert (UPhO, 12, 16). Auf diese Weise erlangen wir Einsicht in die Freiheit. 731 Ehrhardt diskutiert ebenfalls die Verwobenheit von Naturphilosophie und Offenbarung und wendet sich gegen eine materialistische Deutung. Vgl. W.E. Ehrhardt: Naturphilosophie und Offenbarung, bes. 342ff. 732 Mit der Urfassung der Philosophie der Offenbarung liegt – neben der Paulus-Nachschrift – Schellings authentischste Variante seiner Philosophie der Offenbarung vor, weswegen diese vorrangig zu diskutieren ist. Vgl. Pa-PhO, 310; SW XIV, 231; Rar, 672; W.E. Ehrhardt: Nachwort, 738–742; Friedrich Schelling an Hermann von Reischach im Juni/Juli 1843 (H. Fuhrmans/L. Lohrer [Hg.]: Schelling und Cotta, 217–219) sowie M. Hackl: (Art.) Urfassung.

260

Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

Mit der im Folgenden zu leistenden Systemkonstruktion soll entlang der schellingschen Philosophie ein Zusammenhang zwischen Natur und Geist dargetan werden, der die Momente in ihrer Eigenheit begreifen lässt, ohne dass dabei die eine Seite auf die andere reduziert wird. Schellings System liefert jenen systematischen Gehalt, den eine mitwissenschaftliche Metaphysik im Anschluss an die jüngeren metaphysischen Positionen von Jonas, Hösle und Meyer-Abich leisten muss, um die Idee von der Freiheit ausweisen zu können. Es mag sein, dass Schelling vom Verfasser »besser« verstanden wird, »als er sich selbst verstand«,733 aber ob die systematische Darstellung überzeugt, hängt allein davon ab, ob die Entfaltung des Negativen mit dem des Positiven in Anbetracht unseres wissenschaftlichen Befundes ›in der Zeit‹ systematisch in Einklang steht. Wird das mit Blick auf die Idee der Freiheit geleistet, werden Form und Inhalt des Aufweises zum Fundament der geforderten letztbegründeten praktischen Philosophie und damit zum Fundament des Seinsollens.

8.

»Apriorismus des Empirischen«

Die negative Philosophie ist von der positiven nicht wesentlich geschieden. Dort, »wo Vernunft ist, da ist Ewigkeit, und wo sie ist, ist sie nicht partiell, sie ist ganz. Es gibt deßhalb auch keine Grade der Vernunft« (SW VI, 459). Darum ist der Inhalt der einen Seite von dem der anderen nicht zu trennen, beide Seiten sind einander wesentlich identisch. In ihnen wirkt die Vernunft gleichermaßen und in gleich gültiger Weise. Beide Darstellungen unterscheiden sich allein durch den Ort, an dem konstruiert wird: Im Negativen ist es die Sphäre der Natur, im Positiven die des Geistes. Sofern die Frage nach dem Vernünftigen beantwortet werden soll, ist die Beantwortung in zweifacher Hinsicht zu leisten, nämlich sowohl im Rahmen des Was, des Existierenden, als auch mit Blick auf das Daß, die Grundlage der Existierenden. Um das Was und das Daß zu bestimmen, können wir der regulativen Idee von der Wahrheit nicht entbehren. Wir bedürfen ihrer als regulative Vernunftidee, um Allgemeines als möglich auszuweisen. Dabei muss die Idee der Wahrheit in der Idee der Freiheit aufgehen: Ohne Freiheit wären wir nicht zum Irren fähig, womit wir stets in der Wahrheit leben würden und Wahrheit zu einem leeren Begriff würde. Ein Moment bedingt den anderen, und umgekehrt. Die Freiheit ist eine Vernunftidee; um sie allerdings zu ›haben‹, muss sie einsichtig gemacht werden. Ohne von ihr zu wissen, ›haben‹ wir sie nicht. Friedrich Schelling hat das erkannt und dementsprechend betont, dass die Unabhängigkeit des Menschen sowohl gegenüber der Natur als auch gegenüber 733 I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 370. Vgl. SW VI, 109; V, 188.

»Apriorismus des Empirischen«

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Gott auszuweisen ist (SW VII, 458), nur dann vermögen wir uns als freie Wesen zu begreifen. Dass mit den Tatsachen der Anfang des Aufweises gemacht wird, ist insofern schlüssig, als wir uns zunächst mit dem zu beschäftigen haben, was ist, und nicht mit dem, was möglich sein könnte. Das Mögliche ist uns nur durch das zugänglich, als was es uns realiter gegeben ist – wahrhaftes Wissen gilt es realiter wie idealiter auszuweisen. Eine vernünftige Begründung muss nicht nur dem Inhalt, sie muss ebenso der Form der Sache gerecht werden. Die Grundlagen, die Voraussetzungen des Existierenden beinhalten die Wirklichkeit als Möglichkeit potentiell. Freiheit kann nur in der Freiheit gründen. Wäre deren Grundlage selbst etwas Notwendiges, ließe sich nicht einsehen, wie hieraus entwachsen sollte, was ihr nicht wesentlich ist. Logisch ist dem Hans Jonas zufolge nichts entgegenzusetzen, so muss »Hervorbringende […] mehr ›Realität‹ haben als das von ihm Hervorgebrachte« (KGA I/1, 76; vgl. UPhO, 56, 215, 387). Die Tragweite dieses Denkens hat Schelling erfasst, wobei er lange nach einer Struktur gesucht hat, mit der es möglich ist, die unterschiedlichen Bereiche, die »so entgegengesetzter Natur [sind], dass sie sich nicht in Einem Bewusstsein vereinigen« (GPPh, 76), zu beschreiben. Erst die komplementäre Beschreibungsweise beider Seiten in Form der negativen und positiven Philosophie erlaubt ihm dies. William James’ komplementäre Beschreibung hilft hier weiter. Durch sie lässt sich als Einheit denken, was im Bewusstsein nur nebeneinander Bestand hat. »It must be admitted, therefore, that in certain persons, at least, the total possible consciousness may be split into parts which coexist but mutually ignore each other, and share the objects of knowledge between them. More remarkable still, they are complementary. Give an object to one of the consciousnesses, and by that fact you remove it from the other or others. Barring a certain common fund of information, like the command of language, etc., what the upper self knows the under self is ignorant of, and vice versa.«734

Die forcierte Differenzierung in negative und positive Philosophie stellt klar, dass beide Seiten zusammengehören; allerdings kann zu ein und demselben Zeitpunkt nur eine Seite vollständig betrachtet werden. Das Daß und das Was bestimmen sich wechselseitig. Jede Seite korrespondiert mit der anderen, und obwohl sich uns die eine Seite durch die andere erschließt, ist es nicht möglich, beide Seiten gleichzeitig darzustellen. Im Was kann strukturell nur entfaltet sein, wie das Daß wirkt, andernfalls könnte es nicht in jenem gründen. Konkret heißt das, dass das Daß strukturell dem identisch ist, was uns mit dem Was gegeben ist. Im Was wirkt das Daß, wie umgekehrt das Daß die Möglichkeit der Wirklichkeit des Was im »ursprüng[l]ichen Keim« beinhaltet (UPhO, 387, vgl. 23f.). 734 W. James: Principles of Psychology, Bd. 1, 206, 275. Vgl. Kap. II.6.1.a.

262

Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

Das Existierende ist von derselben Struktur wie sein Grund, sie sind uns aufgrund ihrer unterschiedlichen Akzentuierung nur anders vermittelt. Weil beide Seiten verwoben sind und miteinander korrespondieren, wirkt auf beiden Seiten dieselbe Idee, sie stellt sich uns im Existierenden wie im Grund nur unterschiedlich dar. Eine Philosophie, die dies einsichtig macht, muss »RealIdealismus« heißen (GGPh, 193, vgl. 193f.; SW IV, 89, 113f.; X, 107; XI, 371). Das »Universum [ist] weder ein rein Reales noch ein rein Ideales; das Wesen des Realen als solchen wie des Idealen als solchen ist vielmehr […] immer die Indifferenz des Realen und Idealen – nur dort mit der Bestimmung des Affirmirtseyns oder des Realen, hier mit der des Affirmirenden oder der Idealität« (SW VI, 209).

Die negative Philosophie befasst sich mit dem Was, wobei der Inhalt des Was dem Inhalt des Daß wesentlich identisch ist. Darum kann Schelling sagen: »Als Energie nun ist die Seele das Daß eben dieses bestimmten Körpers, aber nicht das von ihm trennbare Daß. Insofern ist das Was in dem Daß enthalten und begriffen« (SW XI, 407, vgl. 421). Hier findet sich Jonas’ späterer Gedanke wieder, dass der Inhalt des Was im Daß enthalten sein muss. Das Daß, der Grund allen Seins, erschließt sich uns durch das Was, hierdurch wird uns das »Werdegeheimnis« der Welt verständig (KGA I/1, 159). Im Daß ist dieses in potentia, weshalb sich uns das Apriorische prius nur dialektisch aus dem Was erschließt (SW XI, 364). Das ist die Struktur, gemäß der das, was in potentia ist, entfaltet erscheint. Der Aufweis der Idee von der Freiheit verlangt, »von der ewigen Freiheit« auszugehen, »von dieser kann sie aber nicht ausgehen, ohne von ihr zu wissen. Hier ist ein offenbarer Cirkel. Wir müßten das Resultat der Wissenschaft schon haben, um die Wissenschaft nur anfangen zu können« (SW IX, 228; Initia, 36) Von der ewigen Freiheit wissen wir zunächst nur durch das Was, sofern sie eine Tatsache ist. Um sie begrifflich auszuweisen, bedarf es der Einsicht in den Entstehungsprozess der Freiheit, im Negativen wie im Positivem. Obzwar es erforderlich ist, nicht nur die Tatsache der Freiheit zu ergründen, sondern ebenso die Grundlage derselben, fußt der Cirkel der Freiheit auf dem Was, dem Negativen, der »durch die ganze Natur sich wieder suchte« (SW IX, 230). Damit der Cirkel zu fassen ist, müssen wir uns dem Negativen zuwenden, daher muss alle Philosophie in »ihrem Anfang Naturphilosophie heissen. Aber die Natur war nur die Grundlage des Ganzen: die eine Seite der absoluten Totalität, die Welt des Geistes ist die andere Seite jenes Universums. Die Philosophie musste in die Tiefe der Natur hinabsteigen, um sich von da aus in die Höhen des Geistes zu erschwingen. Die andere Seite des Systems war also die Philosophie des Geistes. […] In der Tat konnte dieses System weder Materialismus, noch Spiritualismus, weder Realismus noch Idealismus heissen; man konnte es etwa Real-Idealismus nennen« (GPPh, 193; SW X, 107; VIII, 26f.).

»Apriorismus des Empirischen«

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Freiheit ist nur, wenn die »freie Geistesthat« nicht Ausdruck einer Naturnotwendigkeit und unabhängig vom Lauf der Weltgeschichte ist (SW XI, 228). Anderenfalls würde die Freiheit, mit Jonas gesprochen, dem Fortschritt einer »unbeirrbare[n] List der Vernunft« anheimfallen (KGA III/1, 273), was sie aufheben, sie annihilieren würde. Damit sich die Freiheit im Naturprozess sowie innerhalb der Kultur als gültig erweist, bedarf es einer vernünftigen Konstruktion entlang der formulierten ›Systematischen Leitlinien‹. Somit muss der Konstruktion eine »Beurtheilung der Möglichkeit« vorausgehen (SW XI, 368), kann doch nichts anders begriffen werden, als das, wie wir prinzipiell zu begreifen fähig sind. Die regulative Idee der Wahrheit beruht auf der Einheit des Geistigen und des Natürlichen, entsprechend erklärt Schelling: »Denken wir uns zum voraus dessen Erzeugtes, so wird dieses die alle apriorischen Möglichkeiten begreifende Wirklichkeit, es wird ein pa˜ m, ein All, eine Welt seyn, die als eine logische zugleich eine reale ist, und als eine reale zugleich eine logische« (SW XIV, 354; Pa-PhO, 177f.).

8.1.

Mitwissen und Teilhabe an der Natur735

Wir bedürfen der Einsicht in die Freiheit als Tatsache (Was), ohne sie haben wir keinen Anhaltspunkt davon, dass sie überhaupt ist. Die negative Philosophie dringt in jenen Teil vor. Ist Freiheit eine Tatsache, muss sie erfahrbar und daher als Bestimmung des Negativen, des Naturprozesses auszuweisen sein. Es ist zu wenig, die Freiheit phänomenal auszuweisen, wir bedürfen ihrer vernünftigen Konstruktion, um das Wahrgenommene auf einen allgemeinen Grund zu stellen. Die Konstruktion der Freiheit in der Natur fällt der negativen Philosophie zu, jenem Teil, der die Idee der Freiheit im Ausgang des Realen in den Blick nimmt. Bereits in den 1797 erschienenen Ideen zu einer Philosophie der Natur wird klargestellt, dass diese »kein wissenschaftliches System« begründen, es sich lediglich um Ideen zu einem solchen handelt. Mit diesen Ideen wird die materiale Grundierung dargetan, die die apriorische, ideale Struktur des Empirischen näherbringt, durch die das Reale als absolute Idee zu fassen, zu bestimmen ist. Schelling ist sich der Tragweite dieses Zugangs bewusst, schließlich ist es der Zweck seiner Darstellung, mit der »Bearbeitung der Philosophie der Natur, und der Philosophie des Menschen […] die gesammte angewandte Philosophie zu umfassen. Durch jene soll die Naturlehre, durch diese die Geschichte eine wissenschaftliche Grundlage erhalten«, wobei die Naturphilosophie »der Anfang einer Ausführung dieses Plans« ist (SW II, 4). Obwohl in Von der Weltseele darauf 735 Eine Skizze der Überlegungen zu Natur- und Mitwissenschaft findet sich in: M. Hackl: Kommet her zur Physik.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

hingewiesen wird, dass diese Schrift keine Fortsetzung des ein Jahr zuvor Formulierten sein soll (vgl. SW II, 351 Anm.), wird deutlich, dass es sich um eine methodische Weiterführung der Ideen zu einer Philosophie der Natur handelt. Entsprechend wird betont, dass es »ein und dasselbe Princip« ist, welches »die anorgische und die organische Natur verbindet« (SW II, 350, 361). Das Prinzip ist eines, es ist nur eine Welt und die darin wirkenden Prinzipien heben einander nicht auf. Schellings fundamentales Interesse ist es, die in der Natur wirkenden Kräfte, das Werden in der Welt systematisch zu fundieren. Dies deutet sich in der Allgemeinen Deduktion des dynamischen Prozesses an; hier wird ausgewiesen, dass es nur eine »physikalische Erklärung des Idealismus« geben kann. Als ausgemacht gilt, dass wir die Idee des Seins nur mittels der strukturellen Entfaltung der Naturkräfte bestimmen können. Da der Mensch in einer Lebenswelt steht und in einer bestimmten Weise denkt, gilt es von der perspektivischen Sicht zu abstrahieren und diese objektiv zu machen. »Der Mensch ist nicht nur Idealist in den Augen des Philosophen, sondern in den Augen der Natur selbst – und die Natur hat von Ferne schon die Anlage gemacht zu dieser Höhe, welche sie durch die Vernunft erreicht. Der Philosoph selbst übersieht dieß nur, weil er sein Objekt mit dem ersten Akt schon in der höchsten Potenz, – als Ich, als mit Bewußtseyn begabtes aufnimmt, und nur der Physiker kommt hinter jene Täuschung. Man möchte daher allen Menschen, die in der Philosophie jetzt zweifelhaft sind und nicht auf den Grund sehen, zurufen: Kommet her zur Physik, und erkennet das Wahre!« (SW IV, 76f., Hervorhebung M.H.).

Selbst wenn der Mensch mit reiner »Vernunft-Anschauung« an die Natur herantritt (SW IV, 369), ist sie für ihn nur ›in der Zeit‹ zu beschreiben. Die Natur ist nur anhand dessen zu konstruieren, was vor uns ist.736 Nicht bloß die Natur entwickelt sich weiter, auch unsere Kenntnis von ihr schreitet voran. Man denke nur an die immer ausgefeilteren und detailreicheren biologistischen, letztlich physikalischen Beschreibungen des Lebens. Der Fortschritt impliziert keineswegs, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr oder weniger Wahrheit in der Welt ist, sondern nur, dass wir anhand des vor uns Liegenden der Natur gegebenenfalls besser, konkreter Ausdruck verleihen können. Damit ist die Idee der Wahrheit vor unserem jeweiligen Zugang neu zu entfalten. Ob dem, dass sich die Natura naturata weiter ausbildet und sich uns unterschiedlich zeigt, ist sie in jedem Moment ihres Seins Ausdruck des Absoluten. Sie bringt hervor, was idealiter in ihr wurzelt, ihr kommt nichts Fremdes hinzu. Die Natur kann »nichts 736 In diesem Sinn gilt noch heute Schellings Wort von der Vollendung des Systems: »Die ganze Erhabenheit seiner Wissenschaft bestand eben darin, daß sie nie vollendet seyn würde. In dem Augenblicke, da er selbst sein System vollendet zu haben glaubte, würde er sich selbst unerträglich werden« (SW I, 306).

»Apriorismus des Empirischen«

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anderes als das Regel- und Zweckmäßige produciren, und die Natur ist gezwungen es zu produciren. Aber kann die Natur nichts als das Regelmäßige produciren, und producirt sie es mit Nothwendigkeit« (SW III, 272).737 Um der Losung Kommet her zur Physik, und erkennet das Wahre! gerecht zu werden, reicht es nicht, empirische Kenntnisse bloß aneinanderzureihen. Der Naturprozess ist auf das ideale Prinzip zurückzuführen, welches der Strukturentfaltung des Absoluten in der Realität gleichkommt. Hierzu bedarf es des Rückgriffs auf die Physik, sie ist jene Wissenschaft, die die wiederkehrenden Regelmäßigkeiten der Naturprozesse systematisch entfaltet. Folglich ist sie die Wissenschaft der Natur, die die Ordnungsprinzipien zu formulieren weiß. »Die Natur ist nicht bloß Produkt einer unbegreiflichen Schöpfung, sondern diese Schöpfung selbst; nicht nur die Erscheinung oder Offenbarung des Ewigen, vielmehr zugleich eben dieses Ewige selbst. Je mehr wir die einzelnen Dinge erkennen, desto mehr erkennen wir Gott, sagt Spinoza, und mit stets erhöhter Ueberzeugung müssen wir auch jetzt noch denen, welche die Wissenschaft des Ewigen suchen, zurufen: Kommet her zur Physik und erkennet das Ewige!« (SW II, 377f., Hervorhebung M.H.).

a)

Mitwissenschaft

Die Natur mag uns die Offenbarung des Ewigen aufschlüsseln, um sie aber zu rekonstruieren, bedürfen wir der Beurteilung ihrer Möglichkeit. Erst dadurch ist zu verstehen, worauf unser Wissen von der Natur baut. Bekanntlich hat Schelling keine umfassende Erkenntnistheorie im kantischen Sinne geliefert, allerdings gibt seine mitwissenschaftliche Konzeption hinreichend Aufschluss über die Grundbestimmungen des Wissens. Die in Kapitel I formulierten ›Systematischen Leitlinien‹ stehen schließlich im Kontext der schellingschen Philosophie; hier gilt, dass wir, mit Immanuel Kant gesprochen, »auf keine Nothwendigkeit a posteriori schließen [können], wenn wir nicht schon a priori eine Regel haben.«738 Der mitwissenschaftliche Zugang bildet den Grund allen Wissens, wir können bekanntlich nur wissen, was wir fassen können. Dabei ist Wissen prozesshaft zu denken, sodass das Gewusste vom Kenntnis- und Informationsstand sowie unserer Perspektive, unserem kulturbedingten Horizont abhängt. Obwohl für Schelling die apriorischen Voraussetzungen zentral sind, beschreitet er nicht den Weg Kants, Johann Gottlieb Fichtes oder Georg Wilhelm Friedrich Hegels. Er zielt keineswegs darauf ab, die apriorischen Bestimmungen aus sich selbst, aus dem reinen Denken abzuleiten, vielmehr sucht er diese in Auseinandersetzung mit dem Wirklichen zu entfalten. Die apriorischen Voraussetzungen sind für ihn nicht nur Bestimmungen, gemäß denen wir die Welt betrachten, sie sind 737 Zur Rolle des Experiments bei Schelling vgl. SW III, 276. 738 I. Kant: Reflexionen, Akad.-Ausg. XXIII, 21. Refl. IV E 14.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

selbst durch unseren Zugang bestimmt. Das Apriorische ist ihm das Wesen des Aposteriorischen, wie umgekehrt das Apriorische das Erfahrbare kategorisiert. Trotz der Differenz ist das Erkennende vom Erkannten nicht zu trennen. Das Erkennende und das Erkennbare fallen nicht zusammen – wäre dem so, wäre keine Erkenntnis möglich:739 Beide sind im Indifferenzpunkt vereint. Das Beobachtete (Objekt) ist vom Beobachter (Subjekt) nicht zu trennen; doch ebenso wenig fallen sie zusammen. Anderenfalls hieße das, dass das Subjekt ganz im Objekt ist, wodurch es verschwinden würde. Dank der wechselseitigen Bezugnahme wissen wir um unsere Teilhabe an beiden Momenten (vgl. SW VII, 152f., 153 Anm.). Es ist zu wenig, darauf zu beharren, dass »keine Welt da [ist], es sey denn, daß sie ein Geist erkenne, und umgekehrt kein Geist, ohne daß eine Welt außer ihm da sey.« Daher ist die Einseitigkeit keine überzeugende Option (SW I, 358; vgl. V, 140; X, 234f.). Wissen ist nicht auf eine Seite zu reduzieren, das Objekt und Subjekt sind gleichermaßen miteinzubeziehen. Mitwissenschaft setzt die absolute Identität der Momente voraus, sie vereint beide. Ist das der Fall, haben wir »Mitwissenschaft, conscientia« an der Schöpfung (SW IX, 221). Wie das Daß nur indirekt auszuweisen ist, so ist uns das »göttliche überweltliche Princip« nur »verdunkelt« zugänglich (WA III, 205; SW XIII, 303; GPPh, 470f.). Das Prinzip ist insofern fragmentarisch, als unser Mitwissen nur ein zeitliches Wissen ist; und das, was wir wissen, hängt von unserer Perspektive auf den Informations- und Kenntnisstand ab. Uns erschließt sich das göttliche überweltliche Princip im Fortschritt unseres Wissens. Vom Gedanken der Mitwissenschaft am Absoluten ist keineswegs Abstand zu nehmen, denn das hieße, dass prinzipiell keine Teilhabe bestünde, was nicht der Fall ist: Wir wissen von Natur und Geist, wenngleich dieses Wissen durch unsere Perspektive beschränkt ist. Der universelle Anspruch ist dennoch nicht aufzugeben; lediglich ist anzuerkennen, dass er nur in seinem Rahmen Geltung hat und selbst zur Diskussion zu stellen ist – das gilt sowohl in rationaler als auch in empirischer Hinsicht. Wissen ist stets im Wandel begriffen; wie sich der eigene Horizont wandelt, so auch das konkrete Wissen vom Tatsächlichen. Wir wissen nur, was uns gegeben ist; dies begründet sich darin, dass das Vergangene faktisch und damit unveränderlich ist, während die Zukunft möglich, somit veränderlich ist.740 Die Zukunft ist nicht begreifbar, sie ist noch nicht. Mit Verweis auf Platon spricht Schelling davon, dass wir »von einem Zauber befreit werden [müssen,] 739 Dass Mitwissen und Physik ineinandergreifen, wurde bereits an anderer Stelle diskutiert. Vgl. M. Hackl: Kommet her zur Physik, bes. 223–225. Auch die Physik selbst beschäftigt sich mit diesem Punkt. Vgl. N. Bohr : Atomic Theory and Fundamental Principles, CW 6, 251; Ders.: Introduction Survey, CW 6, 293; R.P. Feynman et al.: Lectures on Physics I, 38-8–10. 740 Das Vergangene ist »unabänderlich«, das Zukünftige »unbestimmt und durch unseren Willen beeinflußbar« (C.F. v. Weizsäcker : Einheit der Natur, 172). Vgl. Anm. 142.

»Apriorismus des Empirischen«

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um zur Erinnerung des Ursprünglichen zurückzugelangen« (WA III, 205, 205f.).741 Durch die Gegenwart, in der wir leben, können wir Aufschluss über das Absolute erlangen. Im Grunde können wir uns nie gewiss sein, die Schöpfung wie den Schöpfer begriffen zu haben. Unser Wissen ist auf die Zeit beschränkt. Wäre die Zukunft schon geschrieben, wäre keine Freiheit möglich, da dem Handelnden alle Wahl abgenommen wäre und er täte, was zu tun wäre. Willentlich wären keine Entscheidungen mehr zu fällen, sie wären allesamt schon getroffen. Können wir uns, das »Nachbild«, als freie Wesen begreifen, ist dies auf das »Urbild« zu übertragen (SW VII, 135). Die mitwissenschaftliche Konstruktion macht einsichtig, dass wir zumindest fragmentarisches Mitwissen am Absoluten haben.742 Zugänglich ist uns derweil nur das Vergangene, welches wir »zurückrufen, um zu finden, wovon alles ausgegangen und was zuerst den Anfang gemacht« hat (WA I, 10). Unsere Geschichte mag der Geschichte des Absoluten nur Moment sein, allerdings sind beide nicht voneinander zu trennen. Die Schöpfung ist aus dem Schaffenden hervorgegangen, wodurch das eine dem anderen dem Wesen nach identisch ist. Darum ist unser Mitwissen an der Natur und am Geist nicht anderer Qualität als am Absoluten. Unser Mitwissen am Tatsächlichen, am Was ist dem Grund, dem Daß identischer Natur. Das Vernünftige ist das »schlechthin Eine und schlechthin sich selbst gleich« (SW IV, 116). Da die geleistete Konstruktion die unsrige ist, ist das Mitwissen nichts bloß Objektives, denn wir haben Anteil daran. Mitwissenschaft baut auf einer »Selbstconstruktion« auf (SW IV, 90). Folglich darf die »Construktion oder vielmehr Reflexion auf die enge Stelle des Zusammentreffens der reinen und der empirischen Ichheit (des subjektiven Subjekt-Objekts)« nicht eingegrenzt werden (SW V, 149). Die Konstruktion darf demzufolge weder das Subjekt über das Objekt noch das Objekt über das Subjekt überhöhen, ebenso wenig ist das eine auf das andere zu reduzieren. Eine Reduktion auf das Objekt hätte zur Folge, dass die Konstruktion bloßer Schein wäre, während mit der Reduktion auf die Subjektivität Wissen auf die Perspektivität reduziert würde – das Wissen von der Welt wäre nur noch viabel zu explizieren.743 Sodann wäre nicht mehr von einem allgemeinen, heißt mitwissenschaftlichen, sondern nur noch von einem willkürlichen und subjektiven Wissen zu sprechen. Es wäre »nichts außer uns, nur ein subjektives Ich« (SW VII, 455).744 Die Welt wäre sodann eine bloße Konstruktion des Selbst, eine Konstruktion, die 741 Zur Erinnerung bei Schelling vgl. J. Shestakova: Philosophie als Erinnerung, bes. 80ff. 742 Die Bedeutung des Fragmentarischen hat Paul Tillich eingehend in seiner Systematischen Theologie diskutiert. 743 Vgl. E. Glaserfeld: Radikaler Konstruktivismus, 43f., 193, 196–210; Ders.: Konstruktion der Wirklichkeit, 23–27, 14. 744 Vgl. Friedrich Schelling an Eberhard Friedrich Georgii am 18. 2. 1810 (Plitt II, 197f.).

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nur sich selbst sieht. Das steht aber der mitwissenschaftlichen Konstruktion entgegen; diese impliziert die gleich gültige Teilhabe des Subjekts am Objekt, und umgekehrt. Hieraus ergibt sich, dass unser Mitwissen weder reiner Subjektivismus noch reiner Naturalismus sein kann. Zwar findet man selbst bei Schelling um 1795 noch derlei subjektive Anklänge, allerdings ist es, was sich bereits in Bezug auf die Natur- und die Identitätsphilosophie zeigen lässt, die mitwissenschaftliche Idee des Subjekt-Objekts, welche für sein ganzes Denken grundlegend ist (vgl. SW XIII, 77–79, 235, 237f., 255). b)

Das Wissen von der Natur

Dass für Schelling der Subjektivismus sowie der subjektive Idealismus inakzeptabel sind, hängt damit zusammen, dass es ihm »um wirkliche Ideen (Ideen der Dinge), nicht um abstracte Begriffe« geht, womit er in der Tradition des absoluten Idealismus steht (SW XI, 466).745 Dieser verlangt, dass dem Aposteriorischen kein Vorrang vor dem Apriorischen eingeräumt wird, und umgekehrt. Es bedarf der beidseitigen Bezugnahme, der Erkennende bezieht sich auf das zu Erkennende, weist aber seine Bezogenheit auf dasselbe aus. Kant deutet dies bereits in seiner ersten Kritik an. »Vernunft muß mit ihren Principien, nach denen allein übereinstimmende Erscheinungen für Gesetze gelten können, in einer Hand und mit dem Experiment, das sie nach jenen ausdachte, in der anderen an die Natur gehen, zwar um von ihr belehrt zu werden, aber nicht in der Qualität eines Schülers, der sich alles vorsagen läßt, was der Lehrer will, sondern eines bestallten Richters, der die Zeugen nöthigt auf die Fragen zu antworten, die er ihnen vorlegt.«746

Trotz der methodischen Nähe vorliegender Überlegungen zu Kant gibt es keine Notwendigkeit, die apriorischen Voraussetzungen aus der Selbstbetrachtung heraus zu entfalten, stattdessen werden sie entlang der Erfahrung formuliert (vgl. SW XI, 465, 563). Das Apriorische steht nicht fern dem Aposteriorischen 745 In ähnlicher Weise charakterisiert Vittorio Hösle den objektiven Idealismus, bei dem es sich nicht um subjektive Konstruktionen handelt, sondern um »Eide […], die das Wesen der Wirklichkeit ausmachen« (V. Hösle: Nach dem absoluten Wissen, 632), wobei er die apriorische Bestimmung dem Aposteriorischen überlagert und damit systematisch anders verfährt als Schellings Idealismus. Vgl. Kap. II.5.2. 746 I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B XIII f., XVIII, 84f., 283, 288–294, 738f. u. bes. 280f.; Ders.: Metaphysische Anfangsgründe, Akad.-Ausg. IV, 458; Ders.: Reflexionen, Akad.-Ausg. XXIII, 33, Refl. XCVI E 36. Vgl. dazu Kants Postulate des empirischen Denkens überhaupt: »1. Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) übereinkommt, ist möglich. 2. Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich. 3. Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist (existirt) nothwendig« (I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 265f.).

»Apriorismus des Empirischen«

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(vgl. SW III, 276–278). Dank der Bezugnahme des Apriorischen auf das Aposteriorische, und umgekehrt, vermögen wir die Welt begrifflich zu ordnen und die sich uns erschließende Struktur des Seins auszuweisen.747 Dadurch ist die Struktur nicht bloß Ausdruck dessen, wie uns die Welt gegeben ist, sie ist Ausdruck unserer Teilhabe am Existierenden wie an der Existenz. Wissen ist nicht auf die Erfahrung zu reduzieren. Was wir erfahren, hängt entschieden von den apriorischen Voraussetzungen ab, gemäß denen das Erfahrbare bestimmt wird. Moritz Schlick mag Recht mit seiner Sichtweise haben, dass die Funktion der Gesetze »im Beschreiben, nicht im Vorschreiben« besteht.748 Mit dem Schluss, dass ein Naturgesetz das »tatsächliche Verhalten der Natur beschreibt, nicht also ihr ein Verhalten vorschreibt«,749 übergeht er allerdings, dass es sich bei der Beschreibung um eine von unserem Horizont sowie von unserem Kenntnis- und Informationsstand bezüglich des Existenten abhängende Konstruktion handelt. Außerdem ist anzuerkennen, dass uns die Natur nur in der Weise zugänglich ist, wie wir sie zu konstruieren wissen. Ihre Entfaltung ist nicht distanziert von uns zugänglich, sie ist uns nur, wie sie für uns ist, weswegen die Erfahrung nur bedingt Aufschluss über das Wesen der Natur gibt. Dementsprechend ist Kant gegen David Hume zuzustimmen (vgl. SW XI, 519),750 schließlich ist »der Satz: eine jede Veränderung hat ihre Ursache, ein Satz a priori«, der »nur aus der Erfahrung gezogen werden kann.«751 Ohne apriorische Ideen ist die Welt nur zu beschreiben, ihr aber keine Gesetzmäßigkeit zuzuschreiben. Wir sind, wie Vittorio Hösle in Anlehnung an Kant bestärkt, auf ideale Voraussetzungen angewiesen, um Allgemeines zu formulieren: »Das größte Wunder aller – daß es keine Wunder, also keine Durchbrechungen von Naturgesetzen geben kann – ist ohne synthetische Sätze a priori nicht zu begreifen. Nur auf der Grundlage solcher Sätze kann der Naturalismus beanspruchen, für die Sphäre der Natur wirklich lückenlos zu gelten. Und das heißt: Nur eine idealistische Philosophie kann den Materialismus fundieren.«752

747 Reinhard Zecher meint aufzeigen zu können, dass Schellings Philosophie ein »›Vorbeikonstruieren‹ an realen Sachenverhalten« ist, was dazu führt, dass er »jeden Kredit« bei den Naturwissenschaftlern »verspielt« (R. Zecher : Ziel der Einheit, 198, vgl. bes. 194–216). Doch so einfach ist die Sache nicht, schließlich begründet sich die Stärke des schellingschen Denkens gerade darin, das Gegebene spekulativ zu entfalten. Sein Denken steht keineswegs unabhängig vom Experiment, die Konstruktion geschieht vielmehr entlang der Empirie. 748 M. Schlick: Naturphilosophie, 17, 3. 749 M. Schlick: Naturphilosophie, 72, 70–71. 750 Vgl. D. Hume: Untersuchung, 62. 751 I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 3; Ders.: Kritik der Urteilskraft, Akad.-Ausg. V, 396f.; W. Heisenberg: Erkenntnistheoretische Probleme, GW C I, 26f.; Ders.: Der Teil und das Ganze, GW C III, 164–173. Vgl. SW XIII, 43. 752 V. Hösle: Philosophie und Wissenschaften, 123; vgl. I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 227.

270

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Auf Grundlage der bloßen Beschreibung des Erfahrbaren ist »keine Verallgemeinerung über die erfahrenen Fälle hinaus [erlaubt] – aus dem regelmäßig beobachteten Nacheinander zweier Ereignisse folgt nicht ihre notwendige Verbindung.«753 Aus der Beobachtung folgt »keine Nothwendigkeit a posteriori« – um Allgemeines auszuweisen, benötigen wir »a priori eine Regel«.754 Obgleich die Erfahrung zentral dafür ist, wie wir die Welt begreifen, ist sie nicht der Gradmesser. Man denke nur an Werner Heisenbergs Worte – die im Zusammenhang mit den Unbestimmtheitsrelationen stehen –, dass die Theorie darüber »entscheidet«, was »man beobachten kann.«755 Fehlt die theoretische Grundierung, wissen wir das Wahrgenommene nicht zu konstruieren und können das Wesen der Natur nicht entfalten, was sich beispielhaft daran zeigt, dass es einer neuen Theorie bedurfte, um die neuen quantenphysikalischen Erscheinungen zu beschreiben (vgl. Kap. II.6.1). Dieser Zusammenhang bestätigt den idealen Grund der Konstruktion, der neu zu formulieren war, da das alltägliche Weltverständnis, der common sense nicht mehr hinreichend war, um die neuen physikalischen Phänomene begreifbar zu machen.756 Die Neuerungen innerhalb der Erfahrungswissenschaften erforderten neue leitende Bestimmungen, gemäß denen sich jene Phänomene beschreiben ließen. Neben dem notwendigen Wandel im Rahmen der Quantenphysik machte auch die von Albert Einstein begründete Relativitätstheorie einen Wandel unserer alltäglichen Begrifflichkeiten notwendig. Quantenphysikalisch war es notwendig, sich von dem klassischen Kausalitätsbegriff zu lösen, und Einsteins Relativitätstheorie erforderte überdies einen Wandel des Raum-Zeit-Verständnisses. Die Neubestimmungen verdeutlichen, dass die Naturbeschreibung von unserer Perspektive abhängt. Unsere Selbstconstruktion hat entlang des Empirischen zu geschehen und muss stets neu vollzogen werden, ansonsten läuft die Konstruktion Gefahr, an den Tatsachen vorbeizugehen. Obwohl Schelling derlei physikalische Bestimmungsprobleme unbekannt waren, ist die von ihm forcierte Bezugnahme wegweisend. Sogar Heisenbergs Schlussfolgerung, dass selbst die »Kantschen a priori Begriffe […] letzten Endes gar nicht der reinen Vernunft entstammen, sondern eben der alltäglichen Erfahrung«,757 befindet 753 V. Hösle: Hegels System, 16. 754 I. Kant: Reflexionen, Akad.-Ausg. XXIII, 21. Refl. IV E 14. 755 W. Heisenberg: Der Teil und das Ganze, GW C III, 92; vgl. C.F. v. Weizsäcker : Aufbau der Physik, 501f., 626. 756 R.P. Feynman: QED, 10, 5, 8–11; vgl. Ders.: Character of Physical Law, 53, 91, 129. 757 W. Heisenberg: Erkenntnistheoretische Probleme, GW C I, 27. Vgl. dazu auch D. Hume: Untersuchung, 104. Heisenberg zeigt, dass Kants Bestimmungen von Raum und Zeit dem newtonschen Verständnis entlehnt sind (vgl. I. Newton: Mathematische Principien, 25–31; M. Born: Relativitätstheorie, 48f.; I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 39, 60). Im Anschluss an die Relativitätstheorie stellt sich die Frage, ob jene Begriffe noch als reine Anschauungen klassifiziert werden können, wenn unser Wissen über dieselben hinausgeht

»Apriorismus des Empirischen«

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sich in der Nähe der von Schelling forcierten Bestimmung. Die apriorischen Bestimmungen stehen nicht fern von der wahrnehmbaren Welt, sie begründen sich durch sie. Mit der Erweiterung unserer Kenntnis von der Welt wandelt sich nicht bloß unser Erfahrungshorizont, es wandelt sich unter Umständen sogar die Art und Weise der Konstruktion von der Welt – ewig, unwandelbar bleibt allein das Vermögen der Vernunft selbst (vgl. Kap. I). Die apriorischen Bestimmungen sind nicht unabhängig vom Kenntnis- und Informationsstand, sie stehen in Wechselwirkung mit diesem, sie bedingen einander, nicht die Erfahrung ist das alles Bestimmende. Folglich darf Richard Feynmans »postulate of physics« nicht als bloßer Erfahrungssatz verstanden werden,758 war es doch bei der Relativitätstheorie wie beim Welle-TeilchenDualismus notwendig, über die gewohnten, alltäglichen Vorstellungen von Raum und Zeit sowie von Ursache und Wirkung hinauszugehen, um das Seiende beschreiben zu können. Die vernünftige Konstruktion ist nichts, was bloß auf das Reale zu beziehen ist. Zudem sind die zur Anwendung kommenden leitenden Ideen gleichermaßen aus sich selbst bestimmt. Somit ist die Konstruktion Ausdruck unserer rationalen Prinzipiierung des Wissens entlang des Erfahrbaren. Die Naturwissenschaften stehen auf diesem Grund, das spiegelt sich darin wider, dass die »physikalischen Theorien […] großentheils auf Voraussetzungen beruhen, die gerade empirisch ganz unerweislich sind« (SW XII, 135). Daraus ist nicht zu folgern, dass die Empirie ohne Bedeutung sei, sie hat nur nicht mehr, aber auch nicht weniger Geltungsanspruch als das Apriorische. Demgemäß ist es abwegig, daran festzuhalten, dass alles im »Rahmen empirischer Gesetze« beantwortbar sei.759 Rudolf Carnap scheint zu ignorieren, dass wir uns bestimmter leitender Ideen bedienen,760 um das Erfahre zu beschreiben. Wir sind, so Schelling, vor dem Hintergrund der neueren Naturwissenschaft darauf angewiesen, »allgemeine[] Principien und […] leitende[] Ideen« aufzustellen (SW III, 644, vgl. I, 353; II, 80, 99; IV, 537; V, 243; VI, 241; X, 343; XIV, 293), auf deren Grundlage das Erfahrbare erst beschrieben werden kann. Die leitenden Ideen bilden sodann den Rahmen, in dem konstruiert wird, wobei diese Ideen wie(vgl. A. Einstein: Relativitätstheorie). Es ist nicht zu bestreiten, dass unsere Begriffe Begriffe »der alltäglichen Erfahrung« sind, wodurch jene »Schlüsse, die a priori und synthetisch scheinen, in Wirklichkeit Schlüsse a posteriori« sind (W. Heisenberg: Erkenntnistheoretische Probleme, GW C I, 27f.). Dem ist entgegenzuhalten, dass die Schlüsse, die zur Erkenntnis der Erfahrung notwendig sind, grundsätzlich apriorischer Natur sein müssen, da Regeln nur apriorisch, gleichwohl entlang des Realen, zu formulieren sind. Vgl. W. Heisenberg: Kausalgesetz und Quantenmechanik, GW C I, 32f.; M. Born: Relativitätstheorie, 322. 758 R.P. Feynman: Character of Physical Law, 49. 759 R. Carnap: Philosophie der Naturwissenschaften, 20. 760 Bzgl. Schellings Naturphilosophie vgl. R. Zecher : Ziel der Einheit, 198f.

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derum mitwissenschaftlich bestimmt sind. Die Bedeutung der leitenden Ideen haben später Thomas Kuhn und Meyer-Abich vor dem Hintergrund der neueren Naturwissenschaft eingängig ausgewiesen (vgl. Kap. II.6.1); Schelling erklärt hinsichtlich der notwendigen Annahmen betreffs der Konstruktion: »Ohne diese Annahme (ich setze voraus, daß man wisse, was eine Annahme zum Behuf einer möglichen Construktion sey) ist es unmöglich, die ersten Begriffe der Physik, z. B. der Wärmelehre, zu construiren. – Der Idealismus, den die Philosophie allmählich in alle Wissenschaften einführt (in der Mathematik ist er schon längst, vorzüglich seit Leibniz und Newton, herrschend geworden) scheint noch wenigen verständlich zu seyn« (SW II, 351 Anm.).

Eine mitwissenschaftliche Konstruktion setzt die Einheit in der Differenz von Idealem und Realem, von Apriorität und Erfahrung voraus, wobei die eine Seite der anderen zur Probe wird und sich die eine an der anderen bewähren muss. Dass eine Ineinssetzung beider Momente unsinnig ist, hat Lore Hühn in Bezug auf Schellings negative Philosophie aufgezeigt. Für ihn sind Erfahrung und Vernunft zwei unabhängige Quellen, die nicht aufeinander zu reduzieren sind, sie sind deren jeweilige »Controle« (SW XIII, 62). Die eine kann nicht, wie Hühn betont, »ohne die andere sein, und keine ist durch die andere verständlich zu machen.«761 Um sie zu beschreiben, bedarf es der komplementären Beschreibung – jede Seite ist für sich zugänglich, ohne die andere aufzuheben –, so wird jede Seite der anderen Controle, sie sind stets aufeinander bezogen. Sich auf eine Seite zu beschränken, hieße, die Mitwissenschaft aufzuheben, denn sie impliziert die Teilhabe des Subjekts am Objekt sowie des Objekts am begreifenden Subjekt (vgl. SW XI, 570). Die apriorischen Sätze sind Bedingung empirischer Erkenntnis, ihr Wahrheitsgehalt erweist sich jedoch erst an der Empire. Dieser Zugang lässt sich als »Apriorismus des Empirischen« beschreiben (SW XIII, 130; Ph-PhO, 147). Da beide Seiten in Einklang stehen müssen, ist es unumgänglich, dass das Apriorische aposteriorisch bestimmt und umgekehrt das Aposteriorische apriorisch fundiert wird (vgl. Pa-PhO, 251).

c)

Konstruktion der »leitenden Ideen«

Dass in der Philosophie wie in der Geometrie Postulate nötig sind, dessen war sich Schelling früh bewusst. Hier haben wir es mit den »Gegenständen des innern Sinns zu thun« (SW I, 443), deren Entfaltung mit dem Realen vermittelt sein muss. Letztlich kommt es darauf an, das Postulierte zu konstruieren; bloß zu »Postulieren ist Verzichtthun auf Construiren« (SW V, 142). Mittels des inneren Sinns wird das zum Ausdruck gebracht, was wir im Realen vorfinden. Was 761 L. Hühn: Fichte und Schelling, 188, 187f.

»Apriorismus des Empirischen«

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die »ursprünglichste Construktion für den innern Sinn« und was nun die »ursprünglichste (einfachste) Construktion« ist, ist nicht leicht zu beantworten (SW I, 444f.; III, 371), fordert doch die vernünftige Konstruktion eine stete Aktualisierung. Obwohl wir uns einen Begriff von der Vernunftkonstruktion machen können, können wir uns ihrer nur vor unserem jeweiligen Kenntnis- und Informationsstand vergewissern. Das Ideal der Konstruktion hat methodisch die Funktion der intellektuellen Anschauung, sie abstrahiert von subjektiven Bestimmungen und fasst das Subjektive als Objektives. Mit der intellektuellen Anschauung wird eine Betrachtungs- und Anschauungsebene eingeführt, die die perspektivischen Einflüsse aufhebt. Allerdings ist realiter – und genau hier findet die Anschauung statt – nicht einzusehen, wie alle Einflüsse auszublenden sind. Selbst unser Verständnis davon, was intellektuelle Anschauung ist, ist nicht fern kultureller Bestimmtheit zu fassen. Dagegen macht die Idee der intellektuellen Anschauung einsichtig, dass Wissen auf subjekt-objektive Weise zu entfalten ist. Die intellektuelle Anschauung erhebt den Anspruch, die eigene Position allgemein, heißt objektiv explizit gemacht zu haben. Eine mitwissenschaftliche Philosophie, die sich dem absoluten Idealismus verpflichtet, muss das Subjektive objektiv und das Objektive subjektiv fassen. Dass Schelling die objektive Vernunftanschauung in seiner Naturphilosophie nicht weiter thematisiert, hat seinen Grund. Sie setzt bekanntlich nicht beim Subjekt, sondern beim Objekt an, wenngleich sie voraussetzt, dass es ein allgemeines Subjekt ist, welches konstruiert (vgl. SW IV, 76f.). Die sich objektiv explizierende Subjektivität wird erst in der positiven Philosophie zum Thema, in ihr wird die Bedeutung der Subjektivität für die Objektivität im Kontext der Kulturgeschichte diskutiert (vgl. Kap. III.9), während die negative Philosophie dies umgekehrt vom Naturprozess ausgehend leistet. Weil beide Seiten analog strukturiert sind, sind sie gleichermaßen mitwissenschaftlich zugänglich. Diese Schlussfolgerung ist eine notwendige Implikation der Vernunftanschauung. Daher ist sie als grundlegend für die »philosophische Construktion [zu erklären]; aber wie die allgemeine Einheit, die allen zu Grunde liegt, so können auch die besondern, in deren jeder die gleiche Absolutheit des Urwissens aufgenommen wird, nur in der Vernunftanschauung enthalten seyn, und sind insofern Ideen. Die Philosophie ist also die Wissenschaft der Ideen oder der ewigen Urbilder der Dinge. Ohne intellektuelle Anschauung keine Philosophie!« (SW V, 255, 395).

Die intellektuelle Anschauung hat eine weitreichende Bedeutung: Allein auf ihrer Grundlage ist einzufordern, dass die Welt von allen Wesen gleichermaßen als Allgemeines zu explizieren ist. Sie abstrahiert vom eigenen Ich. Erkenntnistheoretisch nimmt sie eine ähnliche Stellung wie das transzendentale Subjekt

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

ein, sie ist Ausdruck unvorbelasteter Subjektivität. Beide werden frei von individuellen Perspektiven gedacht, auf objektive Weise soll Anschauung und Gegenstand geeint werden. Die mitwissenschaftliche Konstruktion verlangt, dass das Subjektive und das Objektive einander gleich gültig gefasst werden, was für die Natur ebenso wie für die Kultur gilt. Aufgrund dieser Bezugnahme trifft Schellings Ansatz der Vorwurf Hans-Georg Gadamers nicht, dass die »Idee einer alle Wahrheiten umfassenden Universalwissenschaft, wie sie die Philosophie ehedem einmal war, […] offenbar unversöhnbar mit dem Standpunkt der Erfahrung [ist], deren unabschließbarer Fortgang jede erreichte Wahrheit weiter differenziert und überholt. Eine spekulative Physik, die a priori weiß und nicht auf den methodischen Linien der Forschung fortschreitet, konnte keine dauerhafte Versöhnung mit den Erfahrungswissenschaften erreichen (Schelling).«762

Schelling umgeht den Kritikpunkt: Wiewohl er die dauerhafte Versöhnung prozessual denkt und die erreichte Wahrheit weiter differenziert, zeigt sein Ansatz methodisch, das sich von Wissen sprechen lässt, welches ›in der Zeit‹ absolute Geltung hat. Ob dem, dass die leitenden Ideen und die Vernunftkonstruktion einem Wandel unterliegen, wandelt sich nicht das Prinzip der Mitwissenschaft, welches das Subjekt auf das Objekt bezieht, und umgekehrt. Nach dieser Darstellung ist der absolute Idealismus der Mitwissenschaft eine Universalwissenschaft, da er mit der Erfahrungswissenschaft versöhnt ist, seine Begründung baut auf der Verwobenheit von Apriorischem und Erfahrung auf. Aufgrund dieser Verwobenheit ist anzuerkennen, dass ohne Einbeziehung der präziser werdenden Natur- und Erfahrungswissenschaften das Absolute schwerlich dauerhaft zu fassen sein wird. Dies ist der Grund, warum Schelling im Rahmen seiner negativen Philosophie betont: Kommet her zur Physik, und erkennet das Wahre! und sich im Tatsächlichen auf die Verknüpfung von Idee und Realität fokussiert. Dass diese Verwobenheit notwendig ist, zeigt schon der Umstand, dass es andernfalls nicht möglich ist, das Reale zu beschreiben und zu prinzipiieren. Trotz der Wechselseitigkeit bleibt er Idealist: Die Idee der Wahrheit geht allen Begründungsanstrengungen als regulativ voraus (SW XIII, 3).763 Selbst die Universalwissenschaft ist nur auf konstruierende Weise zu entfalten, weil das ihr zugrunde liegende »leitende Princip einer Vernunftwissenschaft« vor unserem jeweiligen Befund neu darzutun ist (SW X, 343). Die Be762 H.-G. Gadamer : Geschichte des Universums, GW 10, 217; vgl. Ders.: Universität Heidelberg, GW 10, 338. 763 Bzgl. der organischen Einheit erklärt Schelling: »Nur für die Vernunft ist ein Universum, und etwas vernünftig begreifen heißt: es zunächst als organisches Glied des absoluten Ganzen, im nothwendigen Zusammenhang mit demselben, und dadurch als einen Reflex der absoluten Einheit begreifen« (SW IV, 390, 100).

»Apriorismus des Empirischen«

275

sonderheit hieran ist, dass das Absolute zwar auf subjekt-objektive Weise gefasst wird, dieses aber stets auf die Entfaltung des Wissens Bezug nimmt und sich nicht in der Starrheit der Erkenntnis verliert. Dieser Schritt ist unumgänglich, haben wir doch kein Buch von der Welt und ihrer Geschichte, in dem man, wie Jonas meint, bloß »nachzuschlagen« bräuchte und sofort alles wüsste (KGA I/ 2,1, 228).

8.2.

Die Tatsache

Die Konstruktion der Universalwissenschaft ist nichts Freischwebendes, sie befasst sich konkret mit dem, was wir von der Welt wissen. Die Welt stellt sich zwar vielfältig dar, dennoch ist »nur Ein Wesen in allen ursprünglichen Schematismen der Weltanschauung; er [der Philosoph] construirt nicht die Pflanze, nicht das Thier, sondern (die absolute Form, d. h.) das Universum in Gestalt der Pflanze, das Universum in Gestalt des Thiers […]. Insofern aber jede [Form] das Absolute faßt, und in jeder alle, und in allen jede zurückkehrt, beweisen sie sich als Formen göttlicher Einbildung, und sind wahr oder reell einzig, weil sie in Ansehung des Absoluten möglich sind, denn in diesem gilt kein Unterschied der Möglichkeit und der Wirklichkeit« (SW IV, 394f.; vgl. XIII, 63).

Um sich einen Begriff von der Welt zu machen, ist es notwendig, die vielfältigen Formen in ihrer prinzipiellen, strukturellen Beschaffenheit zu erfassen. Einsichtig werden kann nur, was wirklich geworden ist. Was sich noch sukzessive entwickeln wird, bleibt uns zunächst verschlossen. Bezug auf das zu nehmen, was nicht wirklich ist, heißt, sich ins Reich der Fabeln zu begeben, sodann würde nichts als »eine entstellte Wahrheit« hervortreten (SW XII, 4). Die Philosophie strebt danach, Einsicht in das Wesen der Konstruktion alles Geschaffenen zu gewinnen. Die »reale[] Weltdialektik« hat im Negativen »höchstens formelle Bedeutung« (PhO-Pa, 168), strukturell muss sie allerdings dem Positiven entsprechen. Das absolut identische Band beider Seiten ist das »wahre System« und als solches ist es nicht »erfunden, es kann nur als ein an sich, namentlich im göttlichen Verstande, bereits vorhandenes gefunden werden. […] Indessen kann auch jenes wahre System in seiner empirischen Totalität nicht gefunden werden, als wozu die Erkenntniß aller, auch der einzelnsten Mittelglieder erfordert würde« (SW VII, 421).

Die Wesensstruktur der Idee im Realen auszuweisen, das ist Sache der negativen Philosophie. Ihre Hinwendung zur Physik beruht maßgeblich auf dem Gedanken, die Ordnungssysteme der Natur zu durchdringen und darzustellen. Im Grunde sind alle Naturwissenschaften nur physikalische Spezifikationen – und das, obwohl diese selbst Einfluss auf die Formulierung physikalischer Gesetz-

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

mäßigkeiten nehmen. Entsprechend gilt uns die Physik mit Feynman als »the most fundamental and all-inclusive of the sciences«.764 Dem ist gemäß Schellings absolutem Idealismus der Mitwissenschaft zuzustimmen, wenngleich nicht zu vergessen ist, dass die Naturwissenschaft wesentlich durch die Kultur, den Geist und die Rationalität bestimmt ist. Indem wir die Struktur des Erfahrbaren konstruieren, begeben wir uns unmittelbar in den Bereich des Apriorischen: »Nicht also wir kennen die Natur, sondern die Natur ist a priori, d. h. alles Einzelne in ihr ist zum Voraus bestimmt durch das Ganze oder durch die Idee einer Natur überhaupt. Aber ist die Natur a priori, so muß es auch möglich seyn, sie als etwas, das a priori ist, zu erkennen, und dieß eigentlich ist der Sinn unsrer Behauptung« (SW III, 279).

a)

»Einsicht in die Thatsache«

Die negative Philosophie ist Empirismus und Apriorismus. Während der Empirismus vom Posterius ausgeht, schreitet der Apriorismus vom Prius zum Posterius voran, an diesem hat er seine Controle. Folglich ist die phänomenale Erkenntnis, wie das Experiment, eine basale Form von Wissen, hier wird der Stoff grundgelegt, entlang dem es zu konstruieren gilt. Zwecks der zu entfaltenden Konstruktion darf die Erfahrung nicht über das Apriorische gestellt werden. Konkret geht der Empirismus, wie Schelling nahelegt, »von dem in der Erfahrung Existierenden aus[], um von dem Sein zum blossen Begriff des Positiven zu gelangen. Diesem Empirismus ist es nicht um das Sein zu tun (denn er geht (ja) von dem Sein aus); also nur um den Begriff. Was für die positive Philosophie Ausgangspunkt ist, ist (so) für den Empirismus Ziel« (GPPh, 246).

Die Konstruktion des Existierenden betrifft das, was wir vom Wirklichen wissen. Was am Ende des Naturprozesses steht, ist der Ausgangspunkt der positiven Philosophie, des Daß (vgl. SW XI, 562–566). Damit Freiheit überhaupt Thema sein kann, muss sie wirklich geworden sein, sie muss Moment des Naturprozesses und innerhalb dessen vernünftig zu konstruieren sein. Die Wahrnehmung der Freiheit reicht nicht aus, um sie als erwiesen anzusehen. Wir bedürfen eines verständigen Begriffs von ihr. Sind wir ihr als Tatsache (negativ) gewiss, muss sie, um wahrhaft begriffen zu werden, auch als Sache der Tat (positiv) einsichtig sein (vgl. SW XIII, 128). Dank der Einsicht in das Existierende ist unser Wissen von der Welt nicht beliebig, es erfährt erste Bestimmtheit. Um wahrhaft zu wissen, bedarf es aber der Explikation des Realen und der Idee. Dies im Reich der Natur zu leisten, fällt 764 R.P. Feynman et al.: Lectures on Physics I, 3-1, vgl. 3-1–6.

»Apriorismus des Empirischen«

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der negativen Philosophie zu, sie versucht zu entfalten, »was in dieser empirischen Welt das wahrhaft Seiende ist.« Ihre Bewegung ist eine regressive, während die der positiven Philosophie eine progressive ist. Die negative Philosophie hat die »Existenz zum Ziele […]. Regressiv lässt sich nur der Begriff erweisen; dann muss das Sein vorausgesetzt werden. Die Existenz lässt sich nur progressiv beweisen: alsdann muss der Begriff vorausgesetzt werden« (GPPh, 246, vgl. 243– 249). Damit ist nichts anderes gemeint, als dass der Bereich der negativen Philosophie jener ist, der das Prinzip im Wirklichen grundlegt, während es der positiven Philosophie zufällt, die Tatsache als apriorische Möglichkeit der Wirklichkeit auszuweisen. Weil nur gewusst werden kann, was den Widerspruch in sich aufhebt, können das Negative und das Positive nicht unabhängig voneinander stehen; stattdessen sind sie als miteinander korrespondierend zu fassen. Ihre jeweilige Bestimmung ist nur die »Umkehrung des bisherigen Verhältnisses« (SW XI, 565). Beide Zugangsweisen beschäftigen sich mit derselben Struktur, daher hängen sie methodisch zusammen und können einander somit nicht widersprechen, wenngleich die eine Seite auf die Entfaltung als Existierendes gerichtet ist und die andere die Entfaltung als Existenz zum Thema hat. Die Konstruktion jeder Seite erfordert es, Moment der anderen zu sein. Wie jede Seite für sich betrachtet ihre Seite des Wahren zu formulieren weiß, gilt dies analog für die andere Seite. Die Differenz ob der methodischen Identität liegt darin, dass die Naturphilosophie regressiv entfaltet, was die Philosophie des Geistes in progressiver Weise leistet. Um Aufschluss über das Mögliche der Entfaltung zu gewinnen, bedürfen wir der Einsicht in die »Thatsache der Welt« (SW X, 229). Was realiter Bestand hat, ist als möglich auszuweisen. Was aber möglich ist, ohne wirklich zu sein, ist für uns ohne Bedeutung, allein die Wirklichkeit gibt Aufschluss darüber, was möglich ist. Um davon zu wissen, bedarf es der »Einsicht in die Thatsache« (SW X, 231; vgl. XI, 564): Hierin zeigt sich der Fortschritt des Wissens vom Existierenden. Dass das »System der Natur« dem »System unseres Geistes« komplementär zu bestimmen ist (SW II, 39), hat Schelling in seinen Frühschriften angedeutet und in seiner sogenannten Spätphilosophie weiter ausgeführt und konkretisiert. Weil jede Seite trotz ihrer Differenz die Bezugnahme auf die andere fordert, finden sich beide Seiten in der Struktur der Identitätsphilosophie wieder, welche im Sinne der absoluten Vernunft »als totale Indifferenz des Subjektiven und Objektiven gedacht wird« (SW IV, 114). Die absolute Identität impliziert keineswegs die angesprochene Kritik Hegels, dass »alle Kühe schwarz« sind (TWA 3, 22), denn in ihr findet sich auch Widerstreitendes, dieselbe Idee eint sie. Für den Naturprozess heißt das, dass die Kräfte identischer und differenter Art sind. Der zuvor ausgeführte Überblick der Entwicklung der schellingschen Philosophie hat gezeigt (Kap. III.7), dass sich Schelling nicht a priori eines Prinzips

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gewiss war. Das Prinzip konnte er erst durch die Betrachtung der Natur und in Auseinandersetzung mit ihr entfalten. Es ist Sache der Naturphilosophie, das Existierende methodisch zu fassen, zu prinzipiieren; es geht nicht darum, der Natur eine subjektive Konstruktion, ein fremdes Prinzip überzustülpen. Jenes Prinzip ist entlang der Wirklichkeit der Natur konstruiert, als solches macht es sogleich den Inhalt des Daß aus.765 Die materiale Naturbetrachtung liefert hierfür die Grundlage. In den drei Hauptformen des dynamischen Prozesses, dem Magnetismus, der Elektrizität und dem Chemismus, wird die Idee in der Wirklichkeit zunehmend konkreter (vgl. SW XI, 435; X, 239), sie tritt aus dem natürlichen Prozess hervor und offenbart sich uns. »Die Seele ist intelligent, weil das Seyende ihr Angebornes ist, von dem sie nicht lassen kann, und das sie darum, wie es verändert seyn möge, auch im Veränderten immer sieht und wiederherstellt; denn nur so verwandelt sie dieses, das ein Materielles ist, für sich (für ihre Vorstellung) in ein Geistiges und Immaterielles« (SW XI, 452f.).

Die Natur ist nicht ruhend, sie ist prozesshaft, der Entwicklungsprozess zeichnet den Übergang vom Materiellen zum Übermateriellen. Hierbei handelt es sich um die »Welt des Werdens« (SW XI, 413), des Strebens und Wollens. Seinen vorläufigen Abschluss findet der natürliche Evolutionsprozess in der aus dem Objekt hervorgetreten Subjektivität, dem Menschen. Da Schelling seine Überlegungen zur Natur in zahlreichen Arbeiten dargestellt und diese an vielen Stellen umgearbeitet, weiterentwickelt und systematisch neu geordnet hat, ist eine detaillierte Rekonstruktion seiner Ausführungen eine äußert schwierige Angelegenheit. Um den naturphilosophischen Systemanspruch dennoch schlüssig herauszuarbeiten, beschränkt sich das Folgende auf die naturphilosophische Konzeption, die im Kontext der Darstellung meines Systems der Philosophie von 1801 steht. Mit dieser hat Schelling nämlich, wie er selbst betont, die »Fundamentalerklärung der Natur« gegeben (SW VIII, 25), sohin die Systematik des Naturprozesses grundgelegt (vgl. Kap. III.7.2). Die Systematik, die Methodik ist maßgeblich für den Geltungsanspruch, sie ist der Ausdruck des Ursprünglichen, des Wesens der Sache. Zwar hat sich die Naturwissenschaft seit dem 19. Jahrhundert fundamental weiterentwickelt, doch hieraus folgt nicht automatisch, dass das vorgelegte mitwissenschaftliche und identitätsphilosophische Verständnis prinzipiell zu verwerfen ist. Da jedenfalls die Struktur der negativen Philosophie für die komplementär gefasste positive 765 Schelling hat den Begriff Weltbau nicht nur im naturphilosophischen Kontext verwendet (vgl. SW VIII, 328; IV, 431; V, 328; VI, 474), er hat zudem dessen Bedeutung für das Positive ausgewiesen: »Das Verhältniß aber, welches zum Weltbau die Vernunft hat, dasselbe hat zum vollendeten Staat die Philosophie, nämlich daß sie nur in einem solchen ihr eigen Bild dargestellt und lebend erkennen mag« (SW VII, 141; vgl. VI, 575).

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Philosophie systematisch wegweisend ist, hat das Scheitern der Identitätsphilosophie im Negativen ihr Scheitern im Positiven zur Folge.

b)

Schwere und Licht

Das »Factische« ist eine »Thatsache« und als solche der Inhalt der negativen Philosophie (SWA, 99; vgl. EuT XII, 209). Entsprechend fällt es der Philosophie der Natur zu, durch die Einsicht in die Tatsachen das zu rekonstruieren, was ist (vgl. SWA, 4, 87, 91). Tatsächlich ist die Naturphilosophie das »Kind jenes neuern, das Reale verlangenden Geistes« (Pa-PhO, 128). Tatsache ist die wirklich gewordene Möglichkeit. Die Idee, die sich in vernünftiger Weise in der Natur konstruieren lässt, muss als wirklich gewordene Möglichkeit des Absoluten verstanden werden. Daher sind die leitenden Prinzipien der Natur den leitenden Prinzipien des Wissens analog. Da die Entfaltung des Wissens voraussetzt, dass es objektiv einzusehen ist, sind die in der Natur arbeitenden Prozesse allgemein und rational einsichtig darzulegen. Folgt man den mitwissenschaftlichen Prinzipien, kann es sich hierbei nur um eine absolut-identische Struktur handeln: Wissen ist ohne Identitäts- und Differenzmomente nicht möglich. Mit Blick auf die Natur ist es also notwendig, die »ursprüngliche Erkenntniß der absoluten Identität« in ihr auszuweisen (SW IV, 121, 122, 128). Indem wir die Wirkweisen in der Natur nachzeichnen, vermögen wir ihren ursprünglichen Schematismus zu bestimmen. Um die Natur dem Wesen nach darzustellen, ist es zu wenig, den naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn wahrzunehmen und niederzuschreiben, es bedarf der Prinzipiierung der Natur – das ist die »Aufgabe der Naturphilosophie«. So wird die Naturwissenschaft nach Olaf Breidbach »zur Wissenschaft von der Natur. Diesem Konzept zufolge ist Naturwissenschaft zwar als Wissenschaft von der Natur möglich, als solche Wissenschaft von der Natur wird sie aber erst in der der Wissenschaft übergeordneten Naturphilosophie definiert.«766 Auf diese Weise ist das Prinzip der Natur zu entfalten, womit sie als wirklich Gewordenes gemäß ihrer Wesentlichkeit gefasst werden kann. Da Philosophie ›in der Zeit‹ stattfindet, ist es nicht genug, sie vor ihrem historischen Hintergrund zu beleuchten,767 sondern es gilt, ihre Struktur mit Blick auf den gegenwärtigen wissenschaftlichen Befund zu diskutieren: Sie hat nur Geltung, wenn sie vor unserer Kenntnis des Wirklichen überzeugen kann. 766 O. Breidbach: Naturwissenschaft ohne Natur?, 183f., vgl. 183–188. 767 Vgl. die Darstellungen in dem von Thomas Bach herausgegebenen Band Naturphilosophie nach Schelling; diese zeigen, welche Bedeutung Schellings Naturphilosophie im naturwissenschaftlichen Umfeld ihrer Zeit hat.

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Obwohl Schelling 1801 von den vier dynamisch wirkenden Potenzen als Einheit spricht, »welche das ganze Spiel des so genannten Processes unterhalten« (SW IV, 187), ist seine Theorie nicht auf dem Niveau der Grand Unified Theory, dem theoretischen Unterfangen, die vier fundamentalen Kräfte der Natur (Gravitation, Elektromagnetismus, schwache Kernkraft und starke Kernkraft) zu vereinheitlichen. Wie gegenwärtig die vier fundamentalen Naturkräfte mittels der String-Theorie als Einheit verständlich gemacht werden sollen, hebt Schelling seinerseits die strukturelle Einheit der vier Potenzen hervor. Er deutet an, dass der dynamische Prozess, der als Galvanismus beschrieben wird, Magnetismus, Elektrizität und Chemismus »zugleich« ist (SW IV, 191, vgl. XI, 435; X, 239).768 Die Informationsweiterleitung bzw. der Informationsaustausch innerhalb der biologischen Zellen belegt, dass der Austausch mittels Elektrizität und chemischer Reaktionen »geschieht« (SW IV, 161, 186, 191):769 In den Zellen sind diese Momente vermittelt. Der besprochene Vermittlungsansatz ist trotz seiner historisch bedingten Sichtweise systematisch vielsprechend, das bezeugen auch die Überlegungen zum Elektromagnetismus, die den Bestimmungen von James Clerk Maxwell an manchen Stellen vorausgreifen.770 Im Grunde wird hier ein elektromagnetischer Zusammenhang in der Natur konstruiert. Die im Magnetismus und der Elektrizität wirkenden Kräfte werden somit als wesentlicher Ausdruck der Natur verstanden. Der Magnetismus nimmt »die Identität in die Differenz« auf und die Elektrizität impliziert in umgekehrter Weise ein »Identitäts-Bestreben zweier differenter« Körper (SW II, 151, 240). Auf beiden Seiten finden sich dieselben Bestrebungen, dieselben Wirkweisen, wenngleich in umgekehrter Darstellung (vgl. SW II, 197, 253f.; III, 250f.). Der Magnet äußert sich im Vorhandensein zweier scheinbar differenter Pole, während sich aus der Differenz von Ladungen das Wirken der elektrischen Kraft als Einheit ergibt. Obgleich der Zusammenhang von Magnetismus und Elektrizität erst mit den Maxwell-Gleichungen konkret beschrieben werden konnte, hat Schelling die Tragweite der Elektrostatik, mitunter im Rückgriff auf das Coulomb-Gesetz, schon sehr früh erkannt (vgl. SW IV, 17ff., II, 165ff.; IX, 449 Anm., 445–449).771 Das beschriebene Identitäts- und Differenzdenken ist von essentieller Bedeutung: »[N]ach jeder Richtung [findet sich] dasselbe Identische, aber nach entgegengesetzten Richtungen mit überwiegende[r]« Gewichtung (SW IV, 137, 145), wodurch sich zeigt, 768 Insgesamt geschieht die Entfaltung der Natur in der anorganischen Welt nach Schelling durch Magnetismus, Elektrizität und Chemismus, in der organischen Welt durch Sensibilität, Irritabilität und Bildungstrieb (vgl. SW IV, 75). 769 Vgl. E.R. Kandel et al.: Principles of Neural Science, Kap. 8–10. 770 Vgl. R.P. Feynman et al.: Lectures on Physics I, Kap. 12 u. 28; Ders. et al.: Lectures on Physics II, Kap. 1, 18 u. 34. 771 Vgl. J.D. Jackson: Klassische Elektrodynamik, 29.

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dass der Identitätsansatz in Einklang mit dem dritten newtonschen Gesetz steht, nämlich dass eine Kraft eine betragsmäßig identische Gegenkraft impliziert. Zwar sind die Kräfte unterschiedlich gerichtet, aber sie sind »weder vermehrt noch vermindert« (SW IV, 43, 203). Sie sind in jedem Moment Ausdruck des Ganzen. Schelling hat nicht nur an dieser Stelle auf die Bezogenheit der Wirk- und Grundkräfte in der Natur hingewiesen, ihm ging es darüber hinaus um die Aufschlüsselung einer entscheidenden Frage, der »Construktion der Materie« (SW IV, 4). Jörg Jantzen zufolge wollte er die Materie nicht als Faktum verstanden wissen, vielmehr sei sie für ihn ein Produkt, welches den »Prozeß der Grundkräfte« voraussetzt.772 »In dem Proceß, welcher die Schwere möglich macht, werden die beiden Kräfte durch Wirkung einer synthetischen gezwungen, ein Gemeinschaftliches im Raum darzustellen, und eben dadurch den Raum zu erfüllen« (SW IV, 44, vgl. 31f., 33, 38f.).773 Die verorteten Attraktiv- und Expansionskräfte, die als das differente Identische gesetzt sind, was formelhaft als A=B beschrieben werden kann, sind wesentliche Voraussetzungen der Materie. Das Differenzierende in der Identität ist das Widerstrebende, was wiederum der Antrieb des Strebens nach höherer Potenz ist. Dieses Materieverständnis reicht nicht an den Wissensstand der zeitgenössischen Wissenschaften heran, dennoch überzeugt nach wie vor der Gedanke, dass die Wechselwirkung der Grundkräfte entscheidend für die Entstehung der Materie ist. Die Masse der Elementarteilchen besteht im Grunde nur aus Bewegungsenergie; die auf makroskopischer Ebene als fest erscheinende Materie ist nur das Resultat wechselwirkender Kräfte. Obzwar Schelling diese empirische Einsicht in die Natur verwehrt war, wusste er klar darzulegen, dass die Materie auf entgegengesetzten Wirkungsweisen der Kräfte aufbaut. Der Materie setzt Schelling das Licht als »construirende Thätigkeit«, die alle Eigenschaften nur ideell in sich trägt (SW IV, 45), entgegen. Hier greift er einen entscheidenden Punkt auf: Auch nach heutigem Wissenstand lässt sich sagen, dass das Licht, als Photon, sowohl für die Entstehung der Materie als auch für die Ausbildung des Lebens, des dynamischen Prozesses von Belang ist.774 Das Reale (B) und das Ideale (A) sind idealiter durch die Idee der Freiheit, durch die Idee des Absoluten (A) vermittelt. Eben darum wird das Licht (A) der Natur als Ideales, als A2 gesetzt; es besteht durch das Ideale, während die Materie (B) das reale Resultat des Idealen im Realen, sohin A=B ist. In Relation zum Licht, das 772 J. Jantzen: Philosophie der Natur, 106. 773 Jantzen verweist in Philosophie der Natur auf diese Stelle, verweist aber anstelle von S. 44 versehentlich auf S. 48. 774 Auf die mögliche, aber im Experiment noch unbewiesene Umwandlung von Licht in Materie durch Photonenkollision weist der Breit-Wheeler-Effekt hin. Vgl. G. Breit/J.A. Wheeler : Collision of Two Light Quanta.

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der Materie entgegensteht, spricht Schelling von einer relativen Identität, was insofern schlüssig ist, als das Licht nichts anderes als eine aus elektrischen und magnetischen Feldern gekoppelte Welle ist, womit es auf demselben Fundament steht – wenngleich anders geformt – wie die Materie. Dementsprechend sind sie relativ verbundene Momente. Da A2 im relativen Gegensatz zu A=B steht, sind beide Momente als relative Totalität aufzuheben, formelhaft lässt sich das als A2 = (A=B) (SW IV, 149, 152) darstellen. Es handelt sich hierbei um divergierende Momente, die eine Einheit »in der unendlichen Substanz und gleiche Attribute derselben« bilden – nur mit dem Unterschied, dass die Schwere das endliche Prinzip und das Licht das »Princip des in-sich-selbst-Seyns der Dinge« ist (SW VI, 267, vgl. 268f.). Da grundsätzlich »kein Vor und kein Nach, sondern absolute Gleichzeitigkeit der Potenzen« herrscht, kann kein Moment des Prozesses unabhängig von den Potenzen stehen, das Leben begründet sich in der Einheit der Momente (SW IV, 166). Schelling macht die Entwicklung des Lebens aus Materie und Licht nicht explizit, allerdings sieht er deren Verwobenheit in der dritten Potenz A3, im dynamischen Prozess entfaltet. Weil Leben ohne Materie und ohne Licht, das heißt Energie, nicht möglich ist, müssen Materie und Licht wesentlich miteinander verknüpft sein. Im organischen Leben sind sie »unter einem gemeinschaftlichen Schema« vereinigt (SW IV, 185, 190f., 200). Als dritte Potenz ist A3 das ideale Einheitsmoment des differierenden Ideellen und Reellen, und in ihrer ideellen Beschaffenheit ist sie die höchste Bestimmung der Einheit der vorausgegangenen Potenzen. An diesem Punkt ist der Prozess, der mit der Entfaltung der Masse seinen Anfang genommen hat, zu seinem Ende gekommen. Dieser Zusammenhang findet in die Formel A3 = (A2 @ A = B) Eingang (SW IV, 205);775 die identitätsphilosophische Formel ist für Schelling zentral, kommt sie doch in unterschiedlichen Kontexten zum Einsatz (vgl. Kap. III.7.2.c). Der dynamische Prozess ist die vermittelte Einheit des ideellen und des reellen Moments (vgl. SW IV, 205–207; III, 267f.). Nur weil sich die Naturkräfte im organischen Leben als Einheit manifestieren, lässt sich davon sprechen, dass in A3 das Werden der Welt seinen Zweck erfüllt. Dieses ist die causa finalis, wobei die erste Potenz die causa materialis (B, sohin Materie) und die zweite Potenz die causa efficiens (A, sohin Licht) darstellt (vgl. GPPh, 297, 474f.; UPhO, 97, 130f., 216f.; Pa-PhO, 182f.; SW X, 342; XII, 112f.; XIII, 279f.). Damit verhält sich die »Folge der Potenzen […] auch als eine Folge von Zeiten. Dieses Gesetz allein ist fähig, den Organismus der Zeiten aufzuschließen« (SW VIII, 310; WA II, 180). 2

775 »Die Formel A =(A=B), als relative Totalität gedacht, bezeichnet die absolute Identität, nicht sofern sie existirt, sondern sofern sie Grund oder Ursache ihrer Existenz durch den Organismus ist, also auch den Organismus selbst (als Produkt). Die Formel A3 = (A2 @ A = 2 B) bezeichnet die unter der Form von A und A=B (des Organismus) existirende absolute Identität« (SW IV, 205).

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Obwohl die Naturwissenschaften die Entfaltung der Materie und des Lichts inzwischen viel genauer zu bestimmen wissen, ist Schelling darin zuzustimmen, dass die Materie und das Licht, im Grunde alles für uns fassbare Seiende, auf widerstreitenden Grundkräften beruht. In diesem Sinn steht vorliegender mitwissenschaftlicher Identitätsansatz mit dem zeitgenössischen Wissen vom Wirklichen in Einklang, schließlich sind die von Schelling ausgemachten Grundkräfte maßgeblich für die Bestimmung der Materie und des Lichts, sohin der Entstehung des Lebens. c)

Anorganisches und Organisches

Dass Schellings materiale Darstellung in ihrem Detailreichtum heute weitgehend als unzureichend bezeichnet werden muss, soll nicht angezweifelt werden; sein spekulatives, sein absolut-idealistisches Denken zeugt dennoch davon, dass er die Grundstruktur des Naturprozesses klar erfasst hat. Dass Materie und Licht in den Grundkräften gründen, aus denen organisches Leben entwächst, bestätigt Schellings Annahme, dass »in der materiellen Welt alles aus Einem hervorgegangen« ist (SW IV, 153). Dieser Zusammenhang legt nahe, dass das Organische und das Anorganische zwar different sind, aber sogleich als identische Momente verstanden werden müssen. Alles gründet in demselben Prinzip, es ist nur eine Natur. Im Organischen sind die Bestimmungen des Materiellen und des Ideellen als Einheit gesetzt. Um dies begrifflich zu fassen, muss der Begriff des Lebens »construirt werden, d. h. er soll als Naturerscheinung erklärt werden« (SW II, 496, 502, 544). Da die Grundkräfte maßgeblich für die Entfaltung der Natur sind, ist das Lebendige von besonderer Qualität, es weiß um seine Innenseite, seine Subjektivität. Trotz der individuellen Bestimmungen ist das Leben nicht dem einzelnen Individuum »eigenthümlich«, sondern es fällt der ganzen Schöpfung zu. Das »positive Princip […] durchdringt jedes einzelne Wesen als der gemeinschaftliche Athem der Natur«, es ist das Resultat des widerstreitenden Naturprozesses. Daher muss der »Grund des Lebens […] in entgegengesetzten Principien enthalten [sein], davon das eine (positive) außer dem lebenden Individuum, das andere (negative) im Individuum selbst zu suchen ist.« Das Leben ist das Resultat des fortschreitenden Prozesses, es unterscheidet sich durch die Arten des Lebens: »[W]as Geist von Geist unterscheidet, ist das negative, individualisirende Princip in jedem. So individualisirt sich das allgemeine Princip des Lebens in jedem einzelnen lebenden Wesen (als in einer besondern Welt) nach dem verschiedenen Grad seiner Receptivität. Die ganze Mannichfaltigkeit des Lebens in der ganzen Schöpfung liegt in jener Einheit des positiven Princips in allen Wesen und der Verschiedenheit des negativen Princips in einzelnen«.

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Auf dieser Grundlage lässt sich vom »Naturindividuum« sprechen, welches die »absolute Vereinigung der Aktivität und Passivität« darstellt (SW II, 503f., vgl. 504f.). Diese im Realen stattfindende Entfaltung des Werdens der Welt repräsentiert die Vereinigung beider Seiten. Das Wirkende ist die Idee im Realen. Bereits Schellings frühe Überlegungen bezüglich des Lebens deuten auf diese Bestimmung des Negativen und des Positiven hin. Obzwar sie unterschiedliche Bereiche abdecken, korrespondieren sie methodisch miteinander. Weil die eine Seite nicht durch die andere zu fassen ist, sogleich aber unbestritten ist, dass beide Seiten auf dem gleichen methodischen Grund stehen, unterscheiden sich Idee und Realität nur der Form, nicht aber ihrer methodischen Darstellung, ihrem Wesen nach. Die Struktur ist ihnen gleichermaßen immanent. Obwohl die Naturwissenschaften seit dem 19. Jahrhundert einen enormen Fortschritt gemacht haben, ist die Frage nach dem Ursprung des Lebens noch immer nicht eindeutig geklärt. Seit der von Charles Darwin und Alfred Russel Wallace beschriebenen Evolutionstheorie gilt zumindest auf Ebene des Organischen als ausgewiesen, dass es eine Fortentwicklung der Lebensformen gibt, die nach bestimmten Regeln geschieht. Darwin zufolge führt die gesamte Entwicklung zum »gradual advancement of the organisation of the greater number of livings beings throughout the world.«776 »This principle of preservation, or the survival of the fittest, I have called Natural Selection. It leads to the improvement of each creature in relation to its organic and inorganic conditions of life; and consequently, in most cases, to what must be regarded as an advance in organization. Nevertheless, low and simple forms will long endure if well fitted for their simple conditions of life.«777

Die Natural Selection impliziert – was Schelling bereits anhand der systematischen Betrachtung des Lebens auszumachen wusste – ein »fortschreitendes Individualisiren« (SW II, 532; VII, 422). Die Ausbildung des gradual advancement ist nichts Vorgegebenes; die Natur, das Leben strebt dem Wesen nach nach höherer Stabilität, sodass »in each great class some forms are far more highly developed than others«.778 Der Fortschritt des Lebens ist eine Entwicklung der Form. Das Leben bleibt in seiner Wesentlichkeit Leben. Nicht zu bestreiten ist, dass mit dem Leben im Allgemeinen und dem Menschen im Besonderen eine, wie es Schelling später nennt, neue, eine über sich »hinausgehende[] Welt« beginnt (SW XI, 400). Der »Naturmechanismus« zeugt von der Unveränderlichkeit der Natur (SW II, 515), er ist prädeterminiert, und er ist es es genau in der Weise, »daß das Wesen der Organisation in der Unzertrennlichkeit der 776 C. Darwin: Origin of Species, 97. 777 C. Darwin: Origin of Species, 102f. 778 C. Darwin: Origin of Species, 98.

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Materie und der Form besteht – darin, daß die Materie, die organisirt heißt, bis ins Unendliche individualisirt ist« (SW II, 498). Ob der neuen Kenntnisse betreffs der Ausbildung des Lebens kann Schellings Gedanke von der sukzessiven Ausbildung des Lebens aus der Materie überzeugen, wird doch die Einheit des Anorganischen mit dem Organischen bestärkt. Diese Einheit hebt auch Feynman hervor : »There is no evidence yet that what goes on in living creatures is necessarily different, so far as the physical laws are concerned, from what goes on in non-living things, although the living things may be much more complicated.«779 Anorganisches und Organisches werden als differente Momente gefasst, die aber einander identisch sind, ansonsten wäre kein Übergehen der Momente möglich. Dies spiegelt sich konkret darin wider, dass das Leben, sofern es nicht mehr lebt, in den Kreislauf der Materie zurückkehrt (vgl. SW VI, 380).780 Da der Naturprozess eine fortgehende Entwicklung ist, wirken überall »[t]he same kinds of atoms […] in living creatures as in non-living creatures; frogs are made of the same ›group‹ as rocks, only in different arrangements.«781 Alles gründet auf denselben Wirkkräften im Mikroskopischen. Mit Schelling ist daher aus systematischen Gründen Feynmans materialer key hypothesis zuzustimmen: »[T]here is nothing that living things do that cannot be understood from the point of view that they are made of atoms acting according to the laws of physics.«782 Obzwar daran festzuhalten ist, dass überall dieselben Atome wirken, tritt mit dem Leben eine Form des Daseins hervor, die nicht mehr kausal beschrieben werden kann.783 Schelling hat im Blick,784 worauf Niels Bohr seinerseits im frühen 20. Jahrhundert hingewiesen hat, nämlich auf »the impossibility of regarding an organism as a well-defined system of material particles« – aufgrund des 779 R.P. Feynman: Character of Physical Law, 74. 780 Dieses Denken bekräftigt Schelling, so heißt es beispielhaft: »Das Leben aber besteht in einem Kreislauf, in einer Aufeinanderfolge von Processen, die continuirlich in sich selbst zurückkehren, so daß es unmöglich ist anzugeben, welcher Proceß eigentlich das Leben anfache, welcher der frühere, welcher der spätere sey. Jede Organisation ist ein in sich beschlossenes Ganzes, in welchem alles zugleich ist, und wo die mechanische Erklärungsart uns ganz verläßt, weil es in einem solchen Ganzen kein Vor und kein Nach gibt. Wir können also nicht besser thun als zu behaupten, daß keiner jener entgegengesetzten Processe den andern, sondern daß sie sich beide wechselseitig bestimmen, beide sich wechselseitig das Gleichgewicht halten« (SW II, 549; vgl. III, 16). 781 R.P. Feynman: Character of Physical Law, 149f.; Ders. et al.: Lectures on Physics I, 3–6. 782 R.P. Feynman et al.: Lectures on Physics I, 1-9; 3-1–6. 783 Bezüglich der mechanischen Beschreibung der Natur erklärt Schelling: »Im Naturmechanismus erkennen wir (solange wir ihn nicht selbst als ein Ganzes betrachten, das in sich selbst zurückkehrt) eine bloße Aufeinanderfolge von Ursachen und Wirkungen, deren keine etwas an sich Bestehendes, Bleibendes, Beharrliches – kurz nichts ist, das eine eigne Welt bildete, und mehr als bloße Erscheinung wäre, die nach einem bestimmten Gesetze entsteht und nach einem andern Gesetze wieder verschwindet« (SW II, 515). 784 Vgl. R. Zecher : Ziel der Einheit, 203f.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

ständigen Stoffwechselaustausches hält es Bohr grundsätzlich für unmöglich, eine eindeutige Grenze zwischen Organismus und anorganischer Umwelt zu ziehen (vgl. Kap. II.6.1.c).785 Wenngleich zwischen toter und lebender Materie zu differenzieren ist, sind beide Seiten einander aber absolut identisch; letztlich bilden sie dem Wesen nach eine Einheit. »Es ist an sich weder eine reale, noch eine ideale Welt, denn es ist nur Ein Universum und nur Eine unendliche Substanz. – Eine reale oder objektive Welt ist […] nur für die Vernunft, nicht absolut und an sich selbst, sondern relativ, in Bezug auf ein besonderes Subjekt oder subjektiv betrachtet. Ebenso ist eine subjektive oder ideale Welt, nur inwiefern eine objektive oder reale gesetzt wird. Da nun diese nicht an sich ist, so ist es auch jene nicht, und es ist daher nur Ein Universum – Eine unendliche Natur – von welchem alles, wir mögen es also real oder ideal bestimmen, nur die ganz gleiche Erscheinung ist« (SW VI, 498).

8.3.

Freiheit in der Schöpfung

Früh hat Schelling erkannt, dass für die Bestimmung des Wesens der Natur die in ihr wirkenden Kräfte zentral sind. In diesem strukturellen Prozess äußert sich das Werden, das sich im Fortschritt der Geschichte manifestiert.786 Mit seiner Auffassung von der Evolution grenzt sich Schelling scharf von dem im frühen 19. Jahrhundert vorherrschenden Verständnis ab, was eine Anmerkung zu Johann Friedrich Blumenbach belegt.787 Mit dieser wendet er sich gegen den präformativen Evolutionsbegriff und betont – gleichwohl er sich bewusst ist, dass die »physikalischen Entscheidungsgründe« noch fehlen –, »daß es in der organischen Natur keine individuelle Präformation gibt, sondern nur eine generische. Einig, daß es keine mechanische, sondern nur eine dynamische Evolution, also auch nur eine dynamische Präformation gibt« (SW III, 61 Anm.).788 Evolution wird hier nicht präformativ, sondern, an Aristoteles anknüpfend, als Epigenesis verstanden (SW III, 61),789 womit der Ansatz anschlussfähig an den zeitgenössischen biologischen Evolutionsbegriff ist. Auch diesem geht es um die 785 N. Bohr : Biology and Atomic Physics, CW 10, 61. 786 Dieser Befund ergibt sich aus dem Indifferenz-Differenz-Denken; Schelling hat selbst die von Jean-Baptiste de Lamarck in Philosophie Zoologique formulierten evolutionstheoretischen Überlegungen nicht wahrgenommen. Vgl. J.-B.P.-A. Lamarck: Philosophie Zoologique, 256f. Zur Entwicklung der Evolutionstheorie seit Lamarck vgl. W. LefHvre: Biologische Evolutionstheorie, bes. Teil I. Vgl. zudem B.-O. Küppers: Natur als Organismus, bes. 125–131. 787 Vgl. J.F. Blumenbach: Über den Bildungstrieb, bes. 13f., 95–97. 788 Zum Verhältnis von Präformation und Evolution vgl. R.W. Oppenheim: Preformation and Epigenesis. 789 Vgl. W. Kullmann: Aristotelische Biologie, bes. 61; Ders.: Aristoteles und die moderne Wissenschaft, 281–283, 306–312.

»Apriorismus des Empirischen«

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Fortbildung des Einzelnen, der durch den Einfluss des Umgebenden zu dem geworden ist, was er ist. Schelling weiß die Einheit des Materiellen und Ideellen im Organischen zu entfalten, wobei er beide Sphären als Widerstreitende in der Natur denkt. Um die indifferente Differenz als ideale Einheit hervorzuheben, spricht er von einem »ätherischen Ursprung« in der Natur (SW II, 513) bzw. von der »ätherische[n] Materie im Licht« (SW II, 401; X, 331). Der Äther wird nicht als feste Größe gefasst, wie dies im Michelson-Morley-Experiment der Fall ist.790 In Schellings Konzept geht es darum, den ätherischen Ursprung als idealen Ursprung aller Entwicklung zu fassen. Das ist der Grund, warum in den Frühschriften vom »ätherische[n] Hauch der Götter« die Rede ist (SW I, 78). Diese Vorstellung greift er später abermals auf: »[E]rst durch den Begriff der Schöpfung aus NICHTS wird das Negative und Substantielle völlig ausgeschlossen, nämlich (wenn die Potenzen in Gott) als ursprüngliches Nichts erklärt (werden). Dieser Begriff ist der Morgenhauch, der die Philosophie in den reinen Äther des Geistes erhebt« (GPPh, 387)

Maßgeblich hierbei ist, dass der ätherische Ursprung dem ätherischen Hauch gleich ist und dieser die Grundbestimmung dessen ist, was sich in der Welt manifestiert. Der ätherische Hauch lässt sich, konsequent weitergedacht, als der Wirkgrund der Natur verstehen. Demgemäß wird darauf hingewiesen, dass »das positive Princip des Lebens und des Organismus absolut Eines ist« und sie sich nur »durch ihre negativen Principien unterscheiden« (SW II, 513). Das positive Prinzip kommt allem Sein gleichermaßen zu, die wirkenden Naturmechanismen sind stets die gleichen.

a)

Naturprozess und Leben

Die tiefe Verwobenheit von Anorganischem und Organischem, von Materie und Geist ist selbst vom materialen Standpunkt aus nicht zu bestreiten: »[A]ll things are made of atoms, and everything that living things do can be understood in terms of the jigglings and wigglings of atoms.«791 Obwohl auf Grundlage der schellingschen Philosophie dem prinzipiell zuzustimmen ist, betont Schelling, dass mit dem Leben eine neue, über sich hinausgehende Welt beginnt, was insofern überzeugend ist, als mit dem Organismus Subjektivität, das heißt eine Innenseite, entsteht. Das Hervortreten des Idealen, des Bewusstseins in der Sphäre des Realen erforderte die Zunahme der Komplexität der Formen der 790 Vgl. A. A. Michelson/E.W. Morley : Relative Motion of the Earth. 791 R.P. Feynman et al.: Lectures on Physics I, 3-6. Vgl. Erwin Schrödingers Darstellung in What is Life?.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

Natur. Trotz der scheinbaren Höherentwicklung wirkt auf allen Ebenen dieselbe Kraft in der Natur, die Idee stellt sich uns nur unterschiedlich dar.792 Das Leben hat sich nicht selbst geschaffen, es musste erst aus dem Anorganischen heraustreten.793 Wie Leben möglicherweise entstehen konnte, belegt das Miller-Urey-Experiment. Dieses zeigt, wie in der Primitive Atmosphere794 unter bestimmten Bedingungen »Aminosäuren unter einer Vielfalt von Versuchsbedingungen aus einfachen Grundstoffen wie Wasser, Stickstoff, Ammoniak, Blausätze, Methan usw. entstehen« konnten.795 Die chemische Evolution führt näher aus, wie aus den materialen Bestimmungen unter Zuführung von Energie Ribonukleinsäuren, die der Informationsspeicherung dienen, hervortreten konnten. Das entstandene RNA-Molekül ist das Bindeglied der chemischen Evolution und trägt als Informationsspeicher dazu bei, dass dynamische Entwicklung und biologische Selektion überhaupt möglich sind, schließlich kann RNA chemische Reaktionen katalysieren und Erbinformationen speichern. Obgleich bislang noch nicht bekannt ist, wodurch und wie die Ausbildung der RNA vom einzelnen Molekül hin zu immer komplexeren Ketten geschieht, muss die RNA world der Grund der DNA sein.796 Gemäß der RNA-Welt-Hypothese werden RNA-Ketten ausgebildet, derer es zur Speicherung der biologischen Erbinformationen bedarf. Bekanntermaßen sind »die Baupläne der Lebewesen […] in riesigen Kettenmolekülen, den Desoxyribonukleinsäuren ([…] = DNA), wie in Schriftsätzen niedergelegt […]. Die exakte Bestimmung der Bausteinsequenz ermöglicht es, die genetische Information zu identifizieren.«797 792 Darum gilt für Schelling der Hinweis von Weizsäckers, dass der Mensch auch Naturwesen ist, immerhin ist die Natur, aus der er hervorgegangen ist, »älter als der Mensch. Er ist aus der Natur hervorgegangen und untersteht ihren Gesetzen. […] Die Natur war nötig, damit es Menschen geben konnte; der Mensch war nötig, damit es Begriffe von der Natur geben konnte« (C.F. v. Weizsäcker: Geschichte der Natur, 8). 793 Diesbezüglich sei auf den Gedanken von Bernd-Olaf Küppers verwiesen: »Natur als Ganzes manifestiert sich in der Einheit des Unbelebten und Belebten. Sie zeigt sich in den Naturwissenschaften in der Einheit ihrer Grundbegriffe und der sie definierenden Gesetze« (B.-O. Küppers: Komplexität des Lebendigen, 44). 794 S.L. Miller/H.C. Urey : Organic Compound Synthesis, 245–251; S.L. Miller : Production of Amino Acids, 528f. 795 M. Eigen: Stufen zum Leben, 86, 86–98; vgl. Ders.: Strange Simplicity, 479; I. Fry : Emergence of Life on Earth, 79–81, 112–149. Einen allgemeinen Überblick hierüber liefert H. Rauchfuß: Chemische Evolution, 151–218. Gerald F. Joyce verdeutlicht diese Entwicklung und betont in RNA evolution: »The most reasonable interpretation is that life did not start with RNA. The RNA world came into existence after many of the problems associated with the prebiotic synthesis and template-directed replication of RNA had been solved. This implies that there was a simpler genetic system, or systems, that preceded RNA and the evolutionary advances made by ancestral system were somehow carried over to the RNA world« (G.F. Joyce: RNA evolution, 222). 796 W. Gilbert: RNA world, 618. Vgl. M. Eigen: Stufen zum Leben, 157–161. 797 M. Eigen: Stufen zum Leben, 24f.

»Apriorismus des Empirischen«

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Aus dem Anorganischen tritt das Leben hervor, das Anorganische war, bevor es organisches Leben gab. Das Leben musste aus dem hervorgehen, was noch nicht lebte. Mit der Entstehung des Lebens tritt das Geistige, die Subjektivität in die Welt, was Schellings Vorstellung vom geistigen Moment in der Natur, welches aller Materie innewohnt, den ätherischen Hauch der Götter, stärkt. Die Natur ist, was sie ist, wobei sie uns nur das ist, was sie geworden ist. Die chemische Evolution samt RNA-Hypothese zeichnet methodisch jenes Verständnis, welches Schelling um 1800 dargelegt hat; nämlich, dass das Leben das Resultat, die Konkretion der Idee innerhalb der Natur als A3 ist. Materie und Geist können, wenngleich ihnen the same kinds of atoms zugrunde liegen, nicht undifferenziert in eins gesetzt werden. Denn nach Manfred Eigen sind »many physical structures involved in the life process. At the molecular level we find the globular structures of proteins, the double-helical arrays of DNA chains and the planar bilayer structures of lipid membranes. At higher levels, organs or whole organisms still appear to us in identifiable shapes. However, there is no uniquely defined physical structure of matter that is typical of life, in the way there are universal structures in physics such as the quark, the electron, the proton and neutron, the atom, the large variety of chemical compounds, or macroscopic structures, such as crystal lattices. Yes, the double helix is a typical structure, but it is typical of life only in so far as it contains ›readable‹ information, like a ›tape‹ that encodes a protein molecular.«798

Obwohl das Miller-Urey-Experiment den naturwissenschaftlichen Aufweis der chemischen Evolution erbringt und darlegt, dass Aminosäuren wie Ribonukleinsäuren in der Primitive Atmosphere entstehen konnten, ist damit gerade keine, was Christian de Duve versucht zu erbringen, »naturalistic explanation of the origin of life« gegeben.799 Hier wird nur der Aufweis der Entstehung der Grundlagen des Lebens beschrieben, nicht aber das Leben selbst. Ob dem, dass das Lebende aus dem Anorganischen hervorgegangen ist, ist es diesem nicht gleichzusetzen, andernfalls hätte keine über sich hinausgehende Welt entstehen können. Demzufolge muss es einen Unterschied zwischen dem Hervorbringenden des Lebens und dem Leben selbst geben. Mit der Analysis ist darum noch wenig über das Leben selbst gesagt. Das mit der Entstehung des Lebens notwendig gewordene neue Verständnis der Natur ist mittels einer naturalistischen Beschreibung nicht hinreichend zu bestimmen, die Subjektivität wird völlig ausgeblendet. Die Subjektivität ist aber wesentlicher Bestandteil des Lebens, wäre dem nicht so, hätten wir kein Mitwissen am Leben. Sofern wir um die Natur wissen, muss Subjektivität sein. Daher kann eine bloß objektive Beschreibung der Natur nicht hinreichend sein, um das Leben in seiner Ganzheit zu beschreiben. Leben ist uns das, wozu wir Zugang haben. Also bedarf es einer 798 M. Eigen: Strange Simplicity, 479. 799 C. Duve: Life Evolving, 50. Vgl. R. Zecher : Ziel der Einheit, 229.

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erweiterten Explikation des Lebens, durch die sich uns das Wissen von der Welt eröffnet. Angesichts dessen mahnt Schelling, dass es der »Gipfel der Unphilosophie« sei, »zu behaupten, das Leben sey eine Eigenschaft der Materie« (SW II, 496f.). Wäre das Leben nicht mehr als eine Eigenschaft der Materie, wäre sie genau in der Weise zu beschreiben wie die Materie, es wäre keine Differenz, es wäre nichts Neues. Unbestritten ist, dass sich den »materiellen Principien des Lebens[,] den allgemeinen Gesetzen nicht [zu] entziehen« ist. Das Leben geht über dieselben hinaus. Wie dargelegt ist die Materie »nur das begleitende Phänomen des Lebensprocesses, nicht der Lebensproceß selbst« (SW II, 514, 502–507). Wäre der Lebensprozess rein materiell bestimmt, bestünde kein Unterschied zwischen Anorganischem und Organischem, zwischen Materie und Geist. Obzwar die Materie Voraussetzung des Lebens ist, ist sie nicht das Prinzip des Lebens, und dennoch ist sie die Grundlage dafür, dass Leben entstehen kann – zeitlich ist zuerst »der Körper, dann der Geist! Dies ist die natürliche Ordnung« (UPhO, 685), die Ordnung des Evolutionsprozesses des Seins.800 Der evolutionäre Fortschritt, die Entfaltung der Natur ist Ausdruck des Strebens der Idee in der Natur: Die Idee will sich. Aufgrund seiner wesentlichen Polarität ist das Leben nicht dem Anorganischen gleichzusetzen, wahrt es doch seine Unabhängigkeit von der Natur, vom Objekt, nämlich durch das Moment der Subjektivität, des Geistes. Zwar ist im Anorganischen die Idee realiter enthalten, aber erst im Organischen sind Idee und Reales gleich gültig geeint. Im Organismus offenbart sich die Eigenständigkeit des Geistigen gegenüber der Materie und das identische Zusammenspiel beider Sphären.801 Das drückt sich insbesondere darin aus, dass »Körper und Geist so vieles gemeinschaftlich thun und gemeinschaftlich leiden« können (SW X, 26). 800 Vgl. dazu Schellings Hinweis: »Die Reflexion, welche die Identität aller wirklichen Dinge in der Materie sucht, polarisirt sich nach zwei Seiten: nach der einen erscheint die Natur als das absolut Todte, in absolute Differenz aufgelöst, ohne einigendes Princip, nach der andern erscheint die Materie selbst als lebendig und das Princip des Lebens und der Einigung in sich selbst begreifend. Der Atomistik steht der Hylozoismus, oder das System vom selbständigen Leben der Materie, entgegen« (SW VI, 85). 801 In den Ideen zu einer Philosophie der Natur wird dies weiter präzisiert: »Daß ich bin (denke, will, u.s.w.), ist etwas, das ich wissen muß, wenn ich nur überhaupt etwas weiß. Wie also eine Vorstellung von meinem eigenen Seyn und Leben in mich komme, verstehe ich, weil ich, wenn ich nur überhaupt etwas verstehe, dieses verstehen muß. […] Gehen wir endlich zurück auf den ersten Ursprung des dualistischen Glaubens, daß eine vom Körper verschiedene Seele wenigstens in mir wohne, was ist denn wohl jenes in mir, was selbst wieder urtheilt, daß ich aus Körper und Seele bestehe, und was ist dieses Ich, das aus Körper und Seele bestehen soll? Hier ist offenbar etwas noch Höheres, das, frei und vom Körper unabhängig, dem Körper eine Seele gibt, Körper und Seele zusammendenkt und selbst in diese Vereinigung nicht eingeht – wie es scheint, ein höheres Princip, in welchem selbst Körper und Seele wieder identisch sind« (SW II, 51–53).

»Apriorismus des Empirischen«

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Der Naturprozess repräsentiert das Werden des Absoluten im Wirklichen, hervorgebracht wird, was er als Möglichkeit in sich trägt. Da die Natur als Natura naturata wirkliches Resultat der Möglichkeiten ist und die wirklich werdenden Möglichkeiten die Natura naturans repräsentieren, lässt sich mit Schelling davon sprechen, dass uns die durch »empirische Analysis gefundenen Principien […] als Potenzen in Gott« gelten (SW X, 280; GPPh, 379). Allerdings geben uns diese Prinzipien keine Antwort auf Feynmans Frage, »why Natur behaves in the peculiar way that She does«,802 sondern einzig auf die Frage nach den wirklich gewordenen Möglichkeiten des Absoluten. Weil sich in uns das Reale wie das Ideale gleichermaßen manifestiert, ist es uns möglich, den Prozess nicht nur äußerlich zu beschreiben. Zwecks unserer Innenseite lässt er sich außerdem innerlich fassen. Durch die beidseitige Bezugnahme und unsere Mitwissenschaft vermögen wir das, was geworden ist, äußerlich wie innerlich auszudrücken. Innen- und Außenseite sind als absolut identisch auszuweisen. Dadurch kann verständlich gemacht werden, dass keine Seite über die andere erhoben wird, was wiederum maßgeblich dafür ist, dass unser Mitwissen vor dem Wirklichen Bestand hat und objektiv zu explizieren ist. Die gewordene Einheit von Körper und Geist ist der höchste, der komplexeste Ausdruck des Absoluten. Uns zeigt sich das Höchste, was sich aus dem Absoluten bisher evolviert hat.

b)

Fortschreiten der Natur

Durch die empirische Betrachtung der Natur lassen sich »[s]ämtliche Stufen der Evolution, von der Differenzierung der Primaten bis zu den allerersten Verzweigungen von Einzellern, […] unter Verwendung geeigneter Genabschnitte quantitativ analysieren«,803 wobei es sich um eine negative Beschreibung der Natur handelt und das Geistige, die Subjektivität nur vom Realen her entfaltet wird. Die Tragweite dieser Rekonstruktion ist nicht zu unterschätzen: Auf diese Weise ist es möglich, die Naturgesetzmäßigkeit, ihr »physikalisches Prinzip«,804 zu bestimmen, wodurch die blind wirkende Natur in ihrer Entwicklung nachgezeichnet werden kann. Dies belegt, dass die Natur gar nicht blind sein kann, das auf natürlicher Selektion aufbauende evolutionäre Fortschreiten ist schlechthin »wertorientiert.«805 Die gefundenen Prinzipien sind somit Ausdruck eines Wollens, eines bestimmten Strebens, nämlich: Leben zu wollen. Die Ausbildung des Lebens ist nichts anderes als die Ausbildung verschiedener Formen: 802 803 804 805

R.P. Feynman: QED, 12. M. Eigen: Stufen der Evolution, 28. M. Eigen: Stufen der Evolution, 33, 37, 55–81. M. Eigen: Stufen der Evolution, 79. Vgl. KGA I/2,1, 148, 547.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

»Es gibt keinen stufenweisen und allmählichen Uebergang von der unorganischen zur organischen Welt. Mit dieser fängt eine ganz neue Welt an. Es geht in der organischen Welt nicht auf die gleiche Weise fort wie in der unorganischen, daß nämlich das blinde Princip nur immer mehr in sich zurückgewendet wird. Vielmehr im Anfang der organischen Natur schon hat das blinde Princip sich selbst gefaßt und ist in der Freiheit. Die organische Natur fängt mit dem freigewordenen blinden gleich an. Das Princip wird in ihr nicht erst frei, es ist schon frei und muß frei seyn, damit organische Natur anheben könne. Man kann die unorganische Natur ansehen als die Sphäre, in welcher das blinde Princip stufenweise in sich selbst zurückgebracht wird, aber der Anfang der organischen Natur ist immer ein absoluter Anfang. Da, wo zuerst das blinde Princip sich in der Freiheit sieht, nicht mehr das blind- und bewußtlos Seyende, sondern das seiner selbst bewußte zu seyn, da fängt die organische Natur an. Im Anfang der organischen Natur ist schon das Ende, das Ziel, der Zweck« (SW X, 375f.; vgl. SWA, 92; Pa-PhO, 199; UPhO, 6).

Vom Standpunkt dessen aus, was geworden ist, geht es dem evolutionären Streben um die Ausbildung der Subjektivität, um die Hervorbringung der Innenseite aus der Natur. Das ist ihr Telos der Entwicklung. Da Natur und Geist in wesentlicher Differenz zueinanderstehen, handelt es sich um keinen allmählichen Uebergang, es gibt keine Zwischenformen von Innen- und Außenseite. Mit der aus dem notwendigen Prozess heraus entstandenen Subjektivität beginnt etwas Neues, es entsteht Geistiges, somit Freiheit. Der Fortschritt der Natur hin zur Realisierung der absoluten Idee kommt einer Wertorientierung gleich, der Naturprozess will das Ideale, das Geistige verwirklichen. Da der evolvierende Fortschritt auf die Verwirklichung der Idee im Realen, auf die Verwirklichung des Prinzips des Seins gerichtet ist, lässt sich dieses Fortschreiten als »fortgehende Erweisung Gottes« deuten (SW VII, 424). Dieses Verständnis ist schlüssig, so sind die Naturkräfte der reale, der wirklich gewordene Ausdruck des Absoluten. Die Wirkweise der Natur ist, wie sie ist. Dabei gründet der Naturprozess auf einem notwendigen Zusammenhang, er bildet »Eine zusammenhängende Linie« (SW X, 229). Wäre dem nicht so, wäre kein fortgehender Zusammenhang und keine Gesetzmäßigkeit in der Welt auszumachen, unser Wissen von der Welt wäre beliebig und nicht nachzuvollziehen – wollen wir daran festhalten, dass Begründung möglich ist, muss der ganze Werdensprozess als eine zusammenhängende Linie verstanden werden. Vernünftiges Mitwissen ist keine bloße Aneinanderreihung von Fakten, es ist deren Prinzipiierung. Der tatsächliche Ausdruck des Absoluten findet sich als Realität in der Natur, dem Werden der Welt, dem Bildungstrieb. Hierin äußert sich die Lust der »successiven Schöpfung« (SW XIII, 302, Hervorhebung M.H.), der Natura naturans, zu werden, was es werden will. Die Entwicklung mag bei äußerlicher Betrachtung den Anschein haben, beliebig zu sein, dem steht allerdings entgegen, dass der bisherige Prozess jene Momente zur Einheit gebracht hat, die wir in

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der Welt vorfinden. Die Evolution strebt womöglich darüber hinaus, für uns ist jedoch nur von Bedeutung, was mitwissenschaftlich erfahren wird. Weil es nur einen Naturprozess gibt, ist alles in der Natur gewordene eine »Hervorbringung Gottes«, weswegen vom Menschen als dem »Mitaufgezogenen der göttlichen Natur« zu sprechen ist (SW XIII, 302; GPPh, 354; Pa-PhO, 188). Sohin ist die im Menschen manifestierte psycho-physische Einheit nichts anderes als die geeinte Entfaltung der Potentialitäten des Göttlichen. Dass der Mensch die bisher höchste Form dieser Darstellung ist, begründet sich darin, dass in ihm die Sphären der Natur und des Geistes geeint sind. Folglich ist er die komplexeste Form, die höchste Potenz des Absoluten, in ihm findet sich die Einseitigkeit des Realen und des Idealen versöhnt, sie sind zur Einheit gebracht. Die Entelechie bzw. die epigenetische Entwicklung der Natur legt nahe, dass alles, was entsteht, im Anfang potentiell enthalten sein muss. Ausbilden kann sich nur, was möglich ist. Mit dem Leben, mit dem Menschen sind die divergierenden Momente des Realen und Idealen der Form nach absolut identisch gesetzt, die Akzentuierung des Wesens ist zur wirklichen Einheit, zur Tatsache erhoben. Der systematische Zusammenhang der Entwicklung erinnert an die unter anderem von Jonas aufgegriffene Metapher Gottfried Wilhelm Leibniz’ von der Materie als »schlafende[m] Geist« (KGA III/1, 266; vgl. SW IV, 208; X, 239).806 Nach Schelling impliziert dieses Bild keinen Reduktionismus, seines Erachtens betont dies die Eigenständigkeit der Momente. Der Geist wird als Potentialität der Materie verstanden, und mit dem Erwachen wird der Geist wirklich. (Selbst-)Bewusstsein und Körperlichkeit sind Ausdruck der doppelten Bestimmtheit des Menschen. Der Mensch vereint, was zuvor geschieden war. Er ist der Mittler zwischen beiden Welten. Da Natur und Geist auf demselben Grund stehen, ist die Entwicklung von der anorganischen, toten Materie hin zur organischen, lebendigen Materie nichts anderes als die Ausbildung der Potentialitäten des Entwicklungsprozesses. Das im Prozess wirkende Wesen ist identischer Natur. Dennoch lassen sich beide Sphären unterscheiden: Auf der einen Seite ist »ein äußeres Anschauen der Natur« und auf der anderen Seite »ein inneres« möglich (SW IV, 151), wobei das Subjekt einmal vom Objekt her und das andere Mal das Objekt vom Subjekt her gefasst wird. Beide Momente sind einander absolut identisch, allein die Akzentuierung der Sphären erscheint uns unterschiedlich. Auf Seite der Naturphilosophie ist es einzig möglich, das Subjekt vom Objekt her zu bestimmen, weswegen es einer weiterführenden Beschreibung bedarf, die das Objekt vom Subjekt her fasst. Trotz der unausweichlichen Differenzierung findet sich auf jeder Seite das Wahre ausgedrückt. Doch selbst mit den »durch 806 Vgl. G.W. Leibniz: Monadologie, HS II, 607.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

empirische Analysis gefundenen Principien […] als Potenzen in Gott […] haben wir […] noch immer keinen Begriff von Gott selbst« (SW X, 280). Um sich einen Begriff vom Absoluten machen zu können, ist nicht bloß die Wirklichkeit, sondern darüber hinaus die Möglichkeit der Prinzipien auszuweisen. Dazu ist das Leben bzw. der Mensch nicht nur äußerlich zu beschreiben, es bedarf außerdem der Darstellung von innen heraus. Durch die jeweilige Beschreibung der Innen- und Außendimension lassen sie sich als Einheit fassen; möglich ist dies nur – da beide Seiten nur jeweils, nicht gleichzeitig zu beschreiben sind – durch die komplementäre Interpretation des Zusammenhangs. Diese erlaubt, als Einheit zu beschreiben, was systematisch zusammengehört, für uns gleichzeitig aber nicht als Einheit fassbar ist. c)

Komplexität und Freiheit

Keineswegs ist das Streben in der Welt beliebig. Es folgt einer Methodik, gemäß der es sich entfaltet. Das Streben des Naturprozesses ist darauf ausgelegt, die Idee in der Realität wirklich werden zu lassen; dies zeigt sich daran, dass der Mensch ›in der Zeit‹ das »Krönende des Ganzen« ist – mit dem Menschen hat der Naturprozess bis dato seine höchste Komplexität erreicht. Er vereint die zuvor geschiedenen Momente von Natur und Geist. Dass wir Träger beider Seiten sind, leitet sich daraus ab, dass wir leben und aufgrund unseres Bewusstseins davon wissen. Der Mensch ist demnach das Komplexeste, das »höchste Erschaffene«, was bislang geworden ist (UPhO, 217; vgl. SW XII, 368). Im ihm ist ausgesprochen, was in der Welt angelegt ist, die Verwirklichung der Idee des Lebens und der der Freiheit. Die Welt erreicht ihr Telos, sie hat sich. Doch das beantwortet noch nicht, was »jene Naturkräfte in das Spiel versetzt, dessen Resultat Leben ist«, das muss »ein besonderes Princip seyn« (SW II, 567). Zwar kann nur hervorgebracht werden, was hervorgebracht werden kann, doch auch das muss hervorgebracht werden wollen. Der teleologische Prozess setzt ein Streben voraus, welches Schelling in einer seinen geschichtsphilosophischen Betrachtungen als »Urdrang zum Seyn« fasst (SW VIII, 220). Dieser entspricht dem der Natur innewohnende Bildungstrieb, den er früher als das »Princip aller Organisation« bestimmt hat (SW II, 565). Obwohl ein bestimmtes Streben, ein Wollen in der Natur auszumachen ist, ist die höhere Entwicklungsstufe nicht die Wahrheit der vorausgegangenen Stufen. Der Naturprozess ist wie das organische Leben »ein in sich beschlossenes Ganzes, in welchem alles zugleich ist, und wo die mechanische Erklärungsart uns ganz verläßt, weil es in einem solchen Ganzen kein Vor und kein Nach gibt« (SW II, 549). In jedem Moment des Daseins, in jeder Stufe der Schöpfung liegt gleichermaßen Wahrheit. Der Samen hat nicht mehr oder weniger Wahrheit als die zu erntende Frucht, gleichwohl die Frucht als Resultat höherer Potenz ist. Die

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höhere Potenz besitzt aber nicht mehr oder weniger Wahrheit. Alles, was ist, ist »von aller Ewigkeit schon gewesen und keineswegs in der Zeit erst geworden« (SW VII, 386; vgl. XI, 498, 500, 502f.):807 Alles ist bereits »von Anfang an offenbar« (SWA, 199), es tritt jedoch nur das hervor, was auch prinzipiell hervortreten kann. Durch das sukzessive Hervortreten der Möglichkeiten erwacht die Welt, sie zeigt sich in ihrer Vielfalt, das Absolute wird in seiner Ganzheit verständlich. Mit dem Menschen werden das Ideale und das Reale, das Geistige und das Natürliche zur Einheit erhoben, in ihm stellen sich Freiheit und Notwendigkeit dar. Jene Bestimmungen sind es, die im Absoluten, dem Urbild, und in dessen Kopie, dem Menschen (vgl. SW VII, 135), verankert sein müssen. Da die Freiheit das Resultat eines notwendigen Prozesses, des Naturprozesses ist, ist sie jenes Prinzip, das sich will. Freiheit kann nur aus einem Akt der Freiheit hervorgehen, wenn nämlich »alles durch Notwendigkeit entstünde, wie sollte da eine Freiheit hervorgehen?« (UPhO, 215). Die Freiheit muss die Ursache des notwendigen Prozesses sein, wenn sie diesen durchdringt und an dessen Ende steht, wird sie verständlich. Hieraus ist wiederum abzuleiten, dass das Absolute die Sehnsucht hat, sich »selbst zu gebären. […] Sie ist daher für sich betrachtet auch Wille« (SW VII, 359, Hervorhebung M.H., vgl. 169f.). Was die Naturkräfte in das Spiel versetzt, muss aus Freiheit geschehen. Dass dieser Gedanke mit Schellings Naturphilosophie zu verknüpfen ist, ist offensichtlich, spricht er doch davon, dass das Werden der Welt »in einem freien Spiel von Kräften« steht (SW II, 566, 565– 567; III, 256; VII, 212f.), welches ein »Trieb und Drang nach immer höherm Leben« (SW IV, 548; III, 207; XIII, 334),808 nach höherer Komplexität, nach Bestimmtheit ist.809 Damit ist das Werden weder willkürlich, noch blind. Es will sich. »Die Natur soll in ihrer blinden Gesetzmäßigkeit frei: und umgekehrt in ihrer vollen Freiheit gesetzmäßig seyn, in dieser Vereinigung allein liegt der Begriff der Organisation. Die Natur soll weder schlechthin gesetzlos handeln […], noch schlechthin gesetzmäßig […], sondern sie soll in ihrer Gesetzmäßigkeit gesetzlos, und in ihrer Gesetzlosigkeit gesetzmäßig seyn« (SW II, 527, 528f., 565f.).

807 Vgl. N. v. Kues: De docta ignorantia II, PTW 1, 19. 808 »Ich bin der Gott, den sie im Busen hegt, // Der Geist, der sich in allem bewegt, // Vom frühsten Ringen dunkler Kräfte // Bis zum Erguß der ersten Lebenssäfte, // Wo Kraft in Kraft und Stoff in Stoff verquillt, // Die erste Blüth’, die erste Knospe schwillt. // Zum ersten Strahl von neugebornem Licht, // Das durch die Nacht wie zweite Schöpfung bricht, // Und aus den tausend Augen der Welt // Den Himmel so Tag wie Nacht erhellt, // Herauf zu des Gedankens Jugendkraft, // Wodurch Natur verjüngt sich wieder schafft, // Ist Eine Kraft, Ein Wechselspiel und Weben, // Ein Trieb und Drang nach immer höherm Leben« (SW IV, 547f.). 809 Zur Komplexität und Selbstorganisation vgl. M. Eigen: Strange Simplicity, 475–613.

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Den prinzipiellen Gedanken vom Fortschritt in der Natur hat im Grunde bereits Darwin im Rahmen des Organischen als Struggle for Existence bestätigt.810 Das Streben nach Fortschritt ist gleich einem Streben nach Beständigkeit, nach Überleben. Und dieses schlägt sich in einer zunehmenden Komplexität des Lebens nieder.811 Das freie Streben will sich selbst, es will sein. Darum ist die Freiheit das Resultat der Entwicklung; die Verwirklichung des Wesens fordert zu sein, was es sein kann. Demnach wird die Sache der Tat zur Tatsache, der Akt macht sich konkret. Obwohl das evolutionäre Streben bei Darwin zentral ist, will er das Streben nicht als ein Streben nach einem Ziel verstanden wissen (vgl. Kap II.6.2). Christoph von der Malsburg und Jonas weisen ihrerseits konsequent darauf hin,812 dass das Ziel durch ein Prinzip begründet sein muss. Neben Schelling benennt auch Jonas das »›Ja!‹ zu sich selber« als Ausdruck dessen (KGA III/1, 330; SW VIII, 287; vgl. Kap. II.4.2), mit dem die Natur ihren Zweck formuliert: Sie will sein, was sie ist. Zwar lehnt Darwin den Gedanken des einen Wirkprinzips zunächst ab, doch in einem späten Brief an George Charles Wallich erklärt er, »that the principle of continuity renders it probable that the principle of life will hereafter be shown to be a part, or consequence, of some general law.«813 Zumindest in seinen späten Jahren erkennt er die Bedeutung der Prinzipiierung an, wobei er Eigen zufolge »his principle from observations in nature« ableitet.814 Das freie Spiel ist das Prinzip der Schöpfung, wäre dem nicht so, wäre keine Gesetzmäßigkeit in der Welt auszumachen, sodass wir sie »in allgemeiner Regellosigkeit erblicken [würden]. Weil aber alles, was in ihr geschieht, mit blinder Nothwendigkeit geschieht, so ist alles, was geschieht oder was entsteht, Ausdruck eines ewigen Gesetzes und einer unverletzbaren Form. – Und darum erblickst du in der Natur deinen eignen Verstand, darum scheint sie dir für dich zu produciren. Und darum nur hast du recht, in ihren regelmäßigen Produktionen ein Analogon der Freiheit zu sehen, weil eben die unbedingte Nothwendigkeit wieder zur Freiheit wird« (SW III, 186).

Der Naturprozess bzw. seine Vollendung ›in der Zeit‹ lässt sich nur in der Weise konstruieren, dass das Streben nach Komplexität, dem Hervorbringen der Idee 810 C. Darwin: Origin of Species, 55, vgl. 48–105. Vgl. S.J. Gould: Structure of Evolutionary Theory, 469–471. 811 Vgl. Anm. 524 sowie die Ausführungen von Stephan Jay Gould in Full House, 171, wobei Abb. 29 die Zunahme der Komplexität des Lebens in der Naturgeschichte anschaulich darstellt. Vgl. ebenso D. Wandschneider : Naturphilosophie, 185–200. 812 C. v. d. Malsburg: Ist die Evolution blind?, 276, 279. Vgl. H. Meinhardt: Bildung geordneter Strukturen. 813 Charles Darwin an George Charles Wallich am 28. 3. 1882 (M. Eigen: Strange Simplicity, 479). 814 M. Eigen: Strange Simplicity, 479; vgl. Ders.: Stufen der Evolution, 55f.

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im Realen, der ureigene Zweck der Natur ist. Obwohl Stephan Jay Gould mit dem Verweis auf die »left wall« herausstreicht,815 dass es ein Streben nach Komplexität gibt, betont er, dass die »[n]atural evolution […] no principle of predictable progress or movement to greater complexity« impliziert.816 Der Naturprozess ist nicht vorherbestimmt, er ist »not at all foreordained by the mechanisms of evolution. If we could replay the game of life again and again, always starting at the left wall and expanding thereafter in diversity, we could get a right tail almost every time, but the inhabitants of this region of greatest complexity would be wildly and unpredictably different in each rendition – and the vast majority of replays would never produce […] a creature with self-consciousness. Humans are here by the luck of the draw, not the inevitability of life’s direction or evolution’s mechanism.«817

Ob dem, dass die Zusammenhänge klar ausgewiesen werden, verkennt Gould, dass die Teleologie des Lebens, die Prinzipiierung, nicht auf eine bestimmte Form zu beziehen ist, sondern auf das Streben nach Komplexität als Streben nach Freiheit. Dies macht einsichtig, dass auch andere Wesen mit Selbstbewusstsein möglich gewesen wären und auch weiterhin möglich sind. Die Potentialitäten hervorzubringen, das ist das Wesen des Naturprozesses (vgl. UPhO, 190f.; SW XI, 494). Im Prozess geht es weniger um eine inhaltliche Formierung des luck of the draw denn um das Werden an sich. Dass der Prozess nicht willkürlich ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass höhere Entwicklungsstufen frühere voraussetzen, sodass spätere Stufen in umfassenderer Weise die Potentialitäten darstellen. Das heißt jedoch nicht, dass die Evolution in der Weise gesetzmäßig verläuft, dass bestimmte Formen hervortreten müssen. Der Prozess drängt allein danach, das potentiell hervorzubringen, was ihn ausmacht. Ist uns nur gegeben, was ist, ist nur durch dieses aufzuschließen, was das evolutionäre Streben will. Folglich ist nicht die einzelne Form des Prozesses maßgeblich, es liegt in der gewordenen Tatsache begründet, was dem Schaffenden zukommen muss. Selbst diese Bestimmungen können nur Bestimmungen ›in der Zeit‹ sein. Ihrer bedürfen wir, um uns selbst durchsichtig und dem einsichtig zu werden, was tatsächlich ist. Auf diesen Zusammenhang wusste Schelling schon früh hinzuweisen, zumindest erklärt er in Über Mythen, dass »die Krone der Schöpfung, der Mensch, auftritt, nach dem Bilde höherer Geister geschaffen, Hauch der Götter im Gebilde der Erde« ist (SW I, 67; vgl. UPhO, 217, 659). Konkret auszuweisen waren diese Überlegungen aber erst mittels der naturphilosophischen Betrachtung des Lebens. Durch sie kann verständlich gemacht werden, was das Krönende des Schöpfungsprozesses (zumindest vor815 S.J. Gould: Full House, 165. 816 S.J. Gould: Full House, 222, Hervorhebung M.H. 817 S.J. Gould: Full House, 175.

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läufig) ist. Das Krönende ist genau das, was das Absolute (bisher) sein wollte, entsprechend ist es mit der »Selbstoffenbarung Gottes« gleichzusetzen (SW VII, 428, 347). Das Absolute hat die Sehnsucht, sich selbst zu gebären. Es ist mühselig, der Frage nachzugehen, ob das Werden der Welt zu seinem Ende gekommen und ob sich, wie Dieter Wandschneider meint, davon sprechen lässt, dass es vollendet ist.818 Das Vergangene ist faktisch, die Zukunft hingegen noch möglich. Diesbezüglich drängt sich Hegels Gedanke auf, dass sich in den wirklichen Tatsachen der »Bildungsprozeß vollendet« hat (TWA 7, 28, Hervorhebung M.H.). Was ist, ist das Wahre in seiner höchsten Form: Betrachten wir den Bildungsprozeß für vollendet, ist das, was geworden ist, das Höchste der Natura naturata und das Höchste, was wir über die Natura naturans aussagen können. Entstehen kann nur, was im Anfang der Entwicklung begründet ist. In diesem Sinn ist davon zu sprechen, dass am Ende des freien Spiels der Natur der Mensch die »Finalursache« des Werdens des Absoluten in der Sphäre des Realen ist (SW X, 155, 380; XI, 559 Anm.; UPhO, 6, 73, 126). Mit ihm wird die Freiheit zur Tatsache. Dem Evolutionsprozess muss derweil die Freiheit als Akt, als Sache der Tat zugrunde liegen, andernfalls könnte keine Freiheit tatsächlich Bestand haben: Es ist nichts »als das Sein Könnende« (UPhO, 24, 26, 31f., 35, 165, 548, 554). Nur weil die Freiheit zur Tatsache geworden ist, ist die Selbstoffenbarung Gottes nicht abgeschlossen, ansonsten müsste mit dem Hervortreten der Freiheit alles Streben in der Natur enden, was offensichtlich nicht der Fall ist. Trotz dessen, dass die im Menschen manifest gewordene Idee von der Freiheit für uns die Finalursache allen Strebens des Naturprozesses darstellt, hat der Mensch nicht notwendig dauerhaft Bestand, er ist nur eine Form der Idee der Freiheit. Annihiliert sich das freie Wesen aus Freiheit, ist die Manifestation der Freiheit ›in der Zeit‹ verloren, sie ist nicht prinzipiell vernichtet. Wird beispielhaft der Mensch vernichtet, findet sich nach wie vor das Streben in der Natur, es strebt nur fortan von einem niederen Standpunkt aus weiter nach höherer Komplexität, danach, die Idee der Freiheit zu entfalten und zu verwirklichen (vgl. UPhO, 85, 88). Das Streben ist, solange es ein Universum gibt. Die Selbstoffenbarung Gottes ist nichts anderes als der dauerhafte, unaufhörliche Wille, sich zu manifestieren. Im Naturprozess findet sich nichts als ein »sukzessives zu sich selbst Kommen, ein sukzessives seiner selbst bewußt Werden, welches im Menschen, als dem höchsten Geschöpfe, zuletzt hervortritt« (UPhO, 126; XIV, 132; EuT I, 156). Die Freiheit ist das manifest gewordene Telos allen Strebens des Seins und damit ist die »Freiheit […] unser und der Gottheit Höchstes« (UPhO, 79). Der naturphilosophisch fundierte Begriff der Freiheit legt nahe, dass sie eine Tatsache ist, was als Beleg für »die Unabhängigkeit des Menschen von der Natur« 818 D. Wandschneider: Naturphilosophie, 194.

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zu werten ist. Als »Vertheidiger der Freiheit« können wir uns nicht mit der Freiheit als Tatsache begnügen (SW VII, 458), wir müssen sie ebenso als Sache der Tat zu fassen und zu explizieren wissen. Dadurch wird die Idee der Freiheit nicht bloß empirisch fassbar, sondern auch als wollende Idee verständlich. Werden beide Seiten als komplementäre Einheit verstanden (vgl. Kap. III.7.3 u. Kap. III.10.2), werden beide Sphären als Einheit und jede Seite in ihrer Eigenheit anerkannt. Sie ergänzen einander. Damit ist das »Verhältnis zwischen Gott und Welt […] ein faktisches, ein geschichtliches« (GPPh, 76); und dieses muss sich – um beiden Seiten gerecht zu werden – sowohl in der Natur- als auch in der Kulturgeschichte geschichtlich äußern. Dass die Freiheit das Prinzip der Naturgeschichte ist, lässt sich schwerlich bestreiten, sie ist das Telos, sie wird, was sie sein will. Ob die Freiheit auch von der Sphäre des Idealen fassbar ist, gilt es nun mit Blick auf die Kultur, heißt in positiver Hinsicht auszuweisen. Ist uns die Freiheit in beiden Sphären einsichtig, wissen wir um ihre absolut identische Systemstruktur. Sodann lässt sich die Idee als deren Bedingung fassen. Wissen wir von der Freiheit in der Natur und der Kultur, dann ›haben‹ wir sie.

9.

»Empirismus des Apriorischen«

Dass die Metaphysik nicht erst im späten 19. Jahrhundert in Verruf geraten ist, belegt Friedrich Schellings Hinweis, dass bereits mit Francis Bacon der »Abfall von der Metaphysik« begonnen und die »Ontologie alle Bedeutung verloren« hat (Pa-PhO, 128). Dabei hat Bacon wider die Metaphysik die »Sinnenerfahrung als die einzig ächte ursprüngliche Quelle aller Erkenntniß geltend gemacht« (SW XIII, 39, 301). Erst die deutsche Philosophie seit Immanuel Kant hat die Metaphysik wieder ins Zentrum der Philosophie gerückt, sie »aber zugleich verwebt mit der Erfahrung; das ist die Naturphilosophie« (Pa-PhO, 128; vgl. UPhO, 3f.; SW XIII, 10).819 Jene Wendung ist von grundlegender Bedeutung. Der neue Zugang zur Metaphysik geht davon aus, dass das Wirkliche das Resultat allen Seins ist und es durch dessen Betrachtung möglich ist, das zu begreifen, was ist, also das, was geworden ist: Das ausgebildete Wirkliche lehrt, was möglich ist. Ist die Freiheit – wie anhand des Naturprozesses ersichtlich – das Höchste, das Komplexeste, was wirklich geworden ist, muss sie nicht nur im Anfang 819 Dieser Gedanke wird in der Philosophie der Offenbarung gesondert hervorgehoben: »Die Vernunftwissenschaft hat also die Erfahrung nicht zur Quelle, wie die ehemalige Metaphysik sie zum Theil zur Quelle hatte, wohl aber hat sie die Erfahrung zur Begleiterin. Auf diese Weise hat die deutsche Philosophie den Empirismus, dem alle anderen europäischen Nationen nun seit einem Jahrhundert ausschließlich huldigten, selbst in sich, ohne darum Empirismus zu seyn« (SW XIII, 62).

300

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begründet sein, sie muss der Grund allen Strebens sein. Andernfalls könnte sie nicht das Resultat der Entwicklung sein, sie wäre bestenfalls ein Schritt dorthin. Während es der negativen Philosophie zufällt, die Freiheit als Tatsache zu beschreiben, obliegt es der positiven Philosophie, sie als erste Ursache, als Daß begreifbar zu machen (vgl. GPPh, 407). Die verschiedenen Sphären beschreiben die Freiheit auf unterschiedliche Weise, sie hängen aber im Wesen zusammen. Das Verständnis der Freiheit fußt auf zwei methodisch analog strukturierten Momenten (vgl. Pa-PhO, 200, 152f.; SW XI, 376, 371f.; XII, 200; UPhO, 446); sie gehören zusammen, jede Sphäre ist uns allerdings nur für sich zugänglich. Weil die Momente scheinbar unabhängig voneinander stehen, die systematische Identität beider Seiten jedoch fordert, dass »the objects of knowledge« wechselseitig zu bestimmen sind, ist es nur mittels der komplementären Beschreibung der Sphären möglich, die systematische Einheit beider korrespondierenden Seiten auszuweisen. Da die Momente nicht voneinander zu trennen und sie complementary zu beschreiben sind, sind sie als Einheit fassbar.820 Die komplementäre Beschreibung kommt hier zum Einsatz, sie ist dort anzuwenden, wo die Momente objektseitig eine Einheit bilden, aber der Erkennende »selbst nicht vorkommt.«821 Die komplementäre Beschreibung erlaubt, das Negative und das Positive zu fassen, ohne dass hieraus eine Überhöhung einer Sphäre über die andere folgt; stattdessen sind beide als absolut identisch zu fassen. Die Identität beider Seiten ist methodisch unumgänglich, sonst würde dem Realen eine höhere Stellung als dem Idealen bzw. umgekehrt eingeräumt, was eine Reduktion auf eine der beiden Seiten zur Folge hätte und einer vernünftigen Begründung entgegenstünde. Im Negativen zeigt sich die Wirklichkeit der Freiheit als Ideal-Reales, während sich die Möglichkeit der Freiheit im Positiven als Real-Ideales darstellt. Die Differenz der Form ist der unterschiedlichen Akzentuierung des Idealen und Realen bei der jeweiligen Betrachtung geschuldet, ihr Wesen ist aber absolut identisch. Aufgrund des Zusammenhangs muss das Fundament der positiven Philosophie in der Nähe der systematisierten Naturphilosophie von 1801 stehen, in welcher Schelling erklärt: »Ich nenne Vernunft die absolute Vernunft, oder die Vernunft, insofern sie als totale Indifferenz des Subjektiven und Objektiven gedacht wird« (SW IV, 114). Die Vernunftstruktur, die er aus der Natur herausarbeitet, muss sich in der Sphäre des Positiven wiederfinden, wäre dem nicht so, könnte die eine Seite nicht die Probe der anderen sein, was hieße, dass das Ideale und das Reale in der Sphäre der Natur anderer Struktur wären als in der Sphäre des Geistigen.

820 W. James: Principles of Psychology, Bd. 1, 206. 821 K.M. Meyer-Abich: Mit-Wissenschaft, 44. Vgl. Kap. II.6.1.a.

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301

Diesen Zusammenhang gilt es unabhängig von kulturellen Perspektiven objektiv zu explizieren; verharrt die eigene Sicht nicht in der Besonderheit, kann sie allgemeine Geltung einfordern, zumindest wenn sie der Prüfung standhält. Das Wissen vom Absoluten ist ebenso wenig wie das Wissen von der Natur auf nationale, kulturelle Grenzen zu reduzieren. Weil die eigene Position perspektivisch, durch das lebensweltliche und kulturelle Umfeld gefärbt ist, ist es notwendig, die eigene Position anderen prinzipiell zugänglich zu machen. Gelingt das, ist die subjektive Sicht als allgemein, heißt objektiv auszuweisen. Würde die eigene Perspektive per se zur Wahrheit erklärt, ohne sie verständig zu machen, wäre alles wahr, womit im Grunde nichts wahr ist (vgl. Kap. III.10).822 Die Vernunft mag »jedermanns Ding« sein (UPhO, 420; Pa-PhO, 256), hieraus folgt aber nicht, dass in der Welt alles vernünftig ist. Was als vernünftig gefasst wird, gilt es objektiv zu explizieren, dann bleibt das Vernünftige nicht völlig unbestimmt, sondern geht in Bestimmtheit über. Das Vernünftige als Bestimmtheit auszuweisen, die eigene Sicht verständig zu machen, ist hingegen, wie Schelling in seiner Jenaer Zeit anmerkt, »nicht jedermanns Ding« (SW V, 219; vgl. I, 417; X, 254; UPhO, 419f.). Aber genau das ist zu leisten, wenn über einen individuellen Geltungsanspruch hinausgegangen werden soll. Unbestreitbar ist dem Vernünftigen zunächst nur innerhalb unseres kulturell geprägten Horizonts Ausdruck zu verleihen, was zweckhaft ist, denn dadurch findet die Kultur, die Religion als Tatsache unseres Selbstverständnisses Eingang in unser Denken. Daraus folgt wiederum nicht, dass die kulturelle Sichtweise von vornherein Anspruch auf Geltung hat. Sie darf nicht bloß subjektiver Natur sein, in ihr muss sich das Allgemeine ausdrücken. Eine mitwissenschaftliche Konstruktion des Wissens schließt mit ein, dass alles, woran wir teilhaben, wesentlich subjektiv-objektiv zu fassen ist. Sofern wir an etwas teilhaben – wie an der eigenen Kultur –, ist dieses für uns nichts bloß Objektives. Indem wir uns etwas aneignen, ist der Selbstbeschreibungsprozess gleichermaßen subjektiv wie objektiv. Selbst die Kultur ist nichts bloß Subjektives, sie ist stets auf ein Objekt bezogen, andernfalls wäre sie nicht. Ein Dialog der Kulturen ist nur möglich, wenn die eigene Kultur anderen – gleich, auf welche Weise – zugänglich gemacht wird, ebenfalls unabhängig von der Perspektive. Sich dem zu versperren, heißt, sich der vernünftigen Kommunikation zwischen Menschen zu versperren. Bleibt die eigene Bestimmtheit unzugänglich, ist sie lediglich ›meine Wahrheit‹. Diese Unzugänglichkeit impliziert, dass kein vernünftiger Diskurs möglich ist, da Wahrheit bloß Sache der Subjektivität ist. Falls kein Dialog, kein vernünftiger Diskurs zwischen den Le822 Wie unterschiedlich unser Blick auf dieselbe Sache sein kann, hat Alfred Pfabigan in seiner Adaption von Hans Christian Andersens Märchen Des Kaisers neue Kleider sehr klar gezeigt. Vgl. A. Pfabigan: Kaiser, Kleid, Kind.

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benswelten, den Kulturen stattfindet, bestimmen Machtstrukturen die Herrschaftsverhältnisse, womit die Macht über die Einsicht erhoben wird. Zählt allein die eigene Kultur, die eigene Sicht, bleiben uns andere Kulturen, andere Sichtweisen völlig fremd. Mitwissenschaft fordert hingegen, das Andere miteinzubeziehen. Der unvermittelte Geltungsanspruch der Kultur führt dazu, dass sich die Kulturen in der Gleichgültigkeit verlieren, bleiben doch deren Bestimmungen isoliert. Wer meint, mit der Individualisierung des kulturellen Zugangs die Offenheit der Kultur zu bestärken, negiert, was er bestärken wollte: Das Individuelle bleibt unmittelbar. Der Dialog und der Schutz der Offenheit der Kulturen ist nur möglich, wenn diese konkret fassbar sind. Dabei reicht es nicht, darauf hinzuweisen, dass die eigene Kultur Geltung hat. Um in einer globalen Welt zu leben, die die kulturellen Lebensweisen respektiert, ohne diese gegeneinander auszuspielen, darf das kulturelle Selbstverständnis nicht bloß individuell von Bedeutung sein, es muss an sich den Anspruch stellen, anderen verständig sein zu können. Als vernünftig ist nicht das anzuerkennen, was Ich als solches ausweise, vielmehr das, was mitwissenschaftlich einsichtig ist. Die »Vernunft bedarf selbst einer Erklärung, und deswegen kann man mit der bloßen Erklärung, daß man in der Philosophie das Vernünftige wolle, sich keineswegs begnügen; denn es erscheint in der Wirklichkeit gar vieles, was nicht Folge der Vernunft, sondern der Freiheit zu sein scheint« (UPhO, 21).823

Dass das Wirkliche nicht notwendigerweise Ausdruck von Freiheit ist, zeigt sich schon in der Natur, wo das Anorganische nur eine Stufe auf dem Weg zur Wirklichkeit der Freiheit ist, selbst aber nicht Ausdruck von Freiheit ist. Die Freiheit musste erst hervortreten, sie musste das Notwendige überwinden. Wie es ein Fortschreiten von der Notwendigkeit zur Freiheit gibt, so gibt es ein Fortschreiten vom Irrtum zur Wahrheit: Beide Momente hängen zusammen. Der Irrtum »besteht nicht bloß im gänzlichen Mangel an Wahrheit. Irrtum ist nur entstellte Wahrheit«. Selbst in ihm ist die Wahrheit grundgelegt, gleichwohl er sich noch nicht als diese darstellt. Mit der Überwindung des Irrtums ist »mehr gewonnen[] als verloren«, immerhin führt die Überwindung des Irrtums zu einer gesteigerten Wahrheit. Selbiges gilt für die Freiheit – auch sie muss zu-

823 Schelling hat wohl Hegels Diktum: »Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig« im Blick (TWA 7, 24), allerdings arbeitet er die Differenz zwischen Realität und Wirklichkeit bei Hegel nicht ausreichend heraus, vielmehr schließt er darauf, dass für ihn das, was sich real fassen lässt, wirklich ist. Wirklich ist für Hegel allerdings nur, was vernünftig gefasst wird. Vgl. M. Hackl: Seinsollen des Vernünftigen.

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303

nächst die Notwendigkeit überwinden; so ist sie gesteigerte Wahrheit (UPhO, 6f.).824 Ohne Einsicht in die Freiheit haben wir sie nicht. Um sie zu ›haben‹, muss sie nicht nur im Was (Tatsache), sie muss ebenso als Grund, als Daß (Sache der Tat) ausgewiesen werden. Diese thematische Spaltung, auf der die Spätphilosophie Schellings aufbaut, dürfte Hermann Zeltner zu dem Urteil veranlasst haben, dass es sich bei Schellings Konstruktion um ein »systemfreies Denken« handelt.825 Sein Urteil ist nur schwer zu akzeptieren, schließlich ist das schellingsche System darauf ausgerichtet, die strukturelle Verwobenheit beider Seiten systematisch auszuweisen. Sein Denken ist kein systemfreies Denken; baut es doch auf der Forderung nach der strukturellen Identität der negativen und positiven Philosophie auf. Es will die Einheit beider Sphären ausweisen, wenngleich das mit einer »völlige[n] Umkehrung […] der Methode« einhergeht.826 Die Umkehrung kommt jedoch keiner Abkehr des bisherigen Denkens gleich, stattdessen nimmt sie darauf Bezug, dass die absolute Idee Natur und Götterlehre gleichermaßen durchdringt; jedes Moment wird jeweils von der anderen Seite her betrachtet: das Reale und Ideale vom Realen sowie das Reale und Ideale von der Idee aus.

9.1.

Mitwissen und Teilhabe am Geist

Da der uns zugängliche Gegenstand der menschlichen Erkenntnis die Natur ist und Gott, wie oben dargelegt, für uns nur indirekt, das heißt durch das Geschaffene, zu fassen ist (vgl. SW XI, 76, vgl. 205f.), können wir das Absolute als Bestimmtheit des Wirklichen beschreiben. Obwohl das Reale wesentlich idealer Natur ist, muss die Betrachtung des Idealen separat geleistet werden, ansonsten wäre der Begriff der Idee bloß als Reales bestimmt, womit er auf dieses reduziert würde. Es bedarf also des zweigliedrigen Zugangs, um dem Absoluten Ausdruck zu verleihen. Entscheidend ist, dass trotz der Umkehrung nichts betrachtet wird, was sich methodisch nicht in der Natur findet (vgl. SW XIV, 354; XI, 565; GPPh, 76). Die negative und die positive Philosophie suchen dieselben Momente zu fassen – nur von verschiedenen Seiten her. Der Zweck der negativen Philosophie ist es, die 824 Vgl. die dazugehörige Stelle in der Urfassung der Philosophie der Offenbarung: »Der Inhalt ist in beiden gleich, nur entstellt ist er in der falschen. Nun ist klar, wie das Falsche die Voraussetzung des Wahren sein könne. In jeder Bewegung muß, um die Wahrheit zu erreichen, das nicht Wahre vorausgehen; denn dies ist der eigentliche Sinn, dies die Wahrheit der Bewegung« (UPhO, 6, vgl. 7f.). 825 H. Zeltner : Schelling, 64. 826 Friedrich Schelling an Karl Friedrich Dorfmüller am 30. 7. 1837 (Plitt III, 131, Hervorhebung M.H.). Vgl. SW X, 229; Pa-PhO, 110, 171.

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Freiheit in ihrer natürlichen Bestimmung aufzuzeigen, während es der positiven Philosophie zufällt, den Menschen als Geistiges zu fassen (UPhO, 14). Im Menschen einen sich die Formen von Natur und Geist sowie das Wesen des Idealen und Realen, er gehört beiden Seiten gleichermaßen an. Als in den Mittelpunkt gestellt, vermittelt er zwischen diesen, in ihm konkretisiert sich die Notwendigkeit (Leib) und die Freiheit (Geist). Die im Menschen zu sich gekommene Freiheit ist das Resultat allen Strebens. Damit der Mensch die Möglichkeit zur Freiheit haben kann, muss er seinen Grund im freien Streben Gottes haben, es muss möglich sein, was wirklich geworden ist (UPhO, 155 vgl. 164f.; Pa-PhO, 170; SW XIII, 310). Zu erweisen ist die Freiheit nur, wenn sie nicht bloß in der Sphäre des Realen oder des Idealen isoliert gefasst wird, beide müssen gleichermaßen in »ein faktisches, ein geschichtliches Verhältnis« eingegangen sein (GPPh, 76). Zu konstruieren ist nur, was tatsächlich geworden ist. Die Konstruktion des Negativen, des Wirklichen bei Schelling zeigt, wie die Natur verfasst ist und dass der Mensch das bisherige Resultat des Schöpfungsprozesses ist (SW XII, 109, 118f.; GPPh, 467). Als Resultat der Schöpfung leben wir nicht mehr im Irrtum, wir sind deren gesteigerte Wahrheit. Die gesteigerte Wahrheit bezieht sich auf die hervorgetretene Freiheit, die keine Gabe ist, die wir geschenkt bekommen und dauerhaft besitzen; wir müssen uns ihrer als würdig erweisen, dann ›haben‹ wir sie. Wir müssen ihr in der Weise gerecht werden, wie sie uns zuteilgeworden ist. Dabei ist es das »höchste Ziel alles wahren Handelns«, hierauf weist Schelling in seiner 1804er Identitätsphilosophie hin, dem Göttlichen »identisch zu seyn« (SW VI, 562). Mit Gott kann sich der Mensch insofern identisch machen, als er von ihm weiß: Eine andere Identität kann von ihm nicht gefordert werden. Grundsätzlich wird »von keinem der Vernunft nur nicht ganz beraubten Menschen je etwas in spekulativen Dingen behauptet […], wovon sich nicht in der menschlichen Natur selbst irgend ein Grund auffinden ließe« (SW I, 363). Der Mensch ist, was er geworden ist, er ist Mitgeschöpftes des Absoluten und als solches steht er in »unmittelbarer Gemeinschaft mit dem Schöpfer« (UPhO, 14, vgl. 23). Das Gewordene ist nichts willkürlich Entstandenes, es ist das bisherige Resultat des Möglichen. Folglich tritt der Mensch in unserer Zeit als das »Krönende des Ganzen« hervor, er ist das komplexeste Naturwesen, das »höchste Erschaffene«, was bisher geworden ist (UPhO, 217, vgl. 26f.; SW XIV, 257). Die Möglichkeit der Freiheit ist mit dem Menschen zur Wirklichkeit erhoben. a)

Mitwissen der Schöpfung

Hans-Georg Gadamer spricht betreffs Schellings Entfaltung der Natur davon, dass diese im freien, selbstbewussten Menschen ihre höchste Entfaltung erreicht

»Empirismus des Apriorischen«

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und durch den »Blitzschlag aus dem Absoluten« geschehen ist.827 Das klingt befremdlich; mit dem Blitzschlag dürfte ein plötzliches Ereignis gemeint sein, womit die Freiheit nicht Resultat eines Prozesses zu sein scheint. Ihr Hervortreten beruht scheinbar auf einer davon unabhängigen, plötzlichen Einwirkung, was einem zweiten Schöpfungsakt gleichkommt, der vom ursprünglichen völlig unabhängig geschieht. Das hätte zur Folge, dass das Geschaffene nicht aus einer einheitlichen Entwicklung hervorgegangen ist, wodurch uns die Welt sowohl in natur- als auch in geistes- bzw. kulturphilosophischer Hinsicht nicht mehr wissentlich zugänglich ist. Die Momente stünden unvermittelt nebeneinander, ohne dass sie systematisch aufeinander zu beziehen wären. Dass das nicht in Schellings Sinn ist, zeigt sich an der genetischen Entwicklung seiner Philosophie. Zwar spricht er, was dem Blitzschlag ähnlich ist, vom »Strahl göttlicher Schöpfungskraft« (UPhO, 421), aber dies meint kein plötzliches, kein unvermitteltes Ereignis. Der Strahl ist die den ganzen Prozess durchdringende absolute Idee. Obwohl sich der Schöpfungsprozess als Einheit darstellt, ist festzuhalten, dass mit dem organischen Leben im Allgemeinen und dem Menschen im Besonderen eine »neue Welt« anfängt (SW X, 376). Es wird schlussendlich entfaltet, was noch nicht war, aber werden konnte. Die neue Welt ist eine gesteigerte Wahrheit: Die erzeugenden Potenzen haben sich manifestiert (UPhO, 14). Der Naturprozess und die Offenbarung sind von ihrem Ende her zu fassen, hierdurch lässt sich verstehen, was in der Schöpfung beschlossen ist (Pa-PhO, 199; SW XIII, 303). Dem Beschluss ist auf zweierlei Weise nachzukommen. Einerseits ist das Ende vom Anfang her zu fassen und andererseits zu zeigen, dass der Anfang das Ende in sich fasst. Dieser Thematik widmen sich die positive und die negative Philosophie. Schelling weist darauf hin, dass es der Umkehrung der Wissenssphären bedarf, um unserem Mitwissen am Absoluten im Ausgang vom Realen wie vom Idealen gleichermaßen gerecht zu werden. Da eine Perspektive einzunehmen ist, ist die Welt nicht gleichzeitig vom realen wie vom idealen Standpunkt aus zu beschreiben. Eine Beschreibung beider Seiten ist uns zum selben Zeitpunkt nicht möglich. Wir können – analog dem Bestimmungsproblem der Unbestimmtheitsrelationen (vgl. Kap.II.6.1.a) – zum selben

827 H.-G. Gadamer : Subjektivität und Intersubjektivität, GW 10, 91. Eine prägnante Stelle, die diesen Gedanken zum Ausdruck bringt, findet sich in der Urfassung der Philosophie der Offenbarung, die Gadamer aber nicht bekannt gewesen sein konnte, da die Nachschrift zu jener Zeit noch nicht publiziert war : »Das am Ende der Spannung entstandene Geschöpf erhält also einen notwendigen Bezug zu Gott, dem Schöpfer selbst. Um dies anschaulicher zu machen, will ich folgendes Bild einfügen: Der Strahl der Gottheit, der in allen andern Geschöpfen schief einfällt, fällt im Menschen senkrecht ein, so daß der Mensch das vergottete Geschöpf ist« (UPhO, 213).

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Zeitpunkt nur eine Seite betrachten, denn die eine ist uns nur durch die jeweils andere zugänglich. Dass Realität und Idee aufeinander bezogen sind und wir sie nicht in »allgemeiner Regellosigkeit« erblicken (SW III, 186; vgl. VII, 398), ist daran geknüpft, dass sogar eine allgemeine Regellosigkeit eine Regel ist. Selbst diese muss zumindest irgendwie einsichtig gemacht werden. Wahrhaftes Wissen ist nur davon möglich, wo das Wirkliche in einem strukturellen Zusammenhang steht und nichts bloß Singuläres betrachtet wird. Die absolute Idee ist das »Antreibende« der Realität (UPhO, 190); als solche umfasst sie das Streben, das sich selbst will. Stephan Jay Gould hat recht damit, dass der Mensch im Naturprozess Resultat des »luck of the draw« ist,828 allerdings handelt es sich hierbei nicht um einen blinden Zufall. Der Prozess folgt einer bestimmten Struktur (vgl. Kap. III.8.3). Das Mögliche will sich, es will sich gemäß seinem Wesen selbst hervorbringen und sich verwirklichen. »Auch in Hinsicht der Aufeinanderfolge der Naturwesen nehmen wir eine Freiheit, ein Spiel der Natur wahr, wie eben der Begriff des Spiels eigentlich für die Natur ist. Denn im Begriff des Spiels ist die Freiheit nicht ausgeschlossen. Jene Notwendigkeit, in welche Natur eingeschlossen ist, ist keine andere Schranke, als die, in welche auch das Spiel eingeschränkt ist. Jedes Spiel gewährt innerhalb gewisser Schranken einen gewissen Spielraum. Alles, was in der Natur mehr als Werk der Laune, der Freiheit, der Willkür erscheint, kommt von jenem kosmischen, alles beseelenden, Geiste her« (UPhO, 190f.).

Ob des freien Spiels der Natur geschieht die Ausbildung der Potenzen nach festen Gesetzen. Alles in der Welt bildet sich aus der Spannung der erzeugenden Potenzen fort. Eine andere Struktur als die, die im Schöpfungsakt selbst begründet ist, kann sich nicht entfalten. Die in die Natur eingebildete Idee ist jene Struktur, die sich in der Potenzierung ausdrückt. Letztlich formiert sich in der sukzessiven Herausbildung der Potenzen die Freiheit, das Selbstbewusstsein; damit muss der Idee das Moment der Freiheit zukommen, es kann nicht werden, was nicht möglich ist. Bewusstsein und Natur können nicht grundverschieden sein, andernfalls könnte das Bewusstsein nicht Resultat des Naturprozesses werden. Überdies könnten wir sodann kein Mitwissen an der Natur haben, ebenso wenig hätten wir Kenntnis von uns, da wir leiblich, sohin selbst Natur sind. »Wenn nun gleich dies Bewußtwerden nur das Ende des Prozesses ist, so können wir doch sagen, die ganze Schöpfung sei nur ein zu sich selbst Kommen, ein sukzessives seiner selbst bewußt Werden, welches im Menschen, als dem höchsten Geschöpfe, zuletzt hervortritt. […] Dieses letzte Geschöpf kann an Gott kein anderes Interesse haben, als an ihm einen Zeugen, einen Mitwisser auf seinem Wege zu finden, daher es 828 S.J. Gould: Full House, 175.

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alle verschiedenen Momente dieses Weges in sich bewahren mußte, um nicht unterzugehen zu einer ununterscheidbaren Indifferenz« (UPhO, 126, Hervorhebung M.H., vgl. 136f.; SW XIII, 287).

Ist die Freiheit des Subjekts in Bezug zum Geistigen, zum Absoluten auszuweisen, wissen wir, dass das freie Subjekt in Differenz zum Lauf der Geschichte steht und dass das Subjekt nicht bloß eine »Puppe[] der Weltkausalität« ist (KGA I/2,1, 432). Der Aufweis des Absoluten auf Seite des Wirklichen fällt der Naturphilosophie zu und der Aufweis des Absoluten auf Seite des Möglichen obliegt der Kultur, der Religion. Das Unvordenkliche ist im Absoluten Ausdruck unserer vernünftigen Selbstbeschreibung. Beide Seiten sind aufeinander bezogen, sie bilden eine Einheit: »[D]ie Philosophie kann als Wissenschaft a priori und als Wissenschaft a posteriori erkannt werden. Sie ist nämlich in Ansehung der Welt Wissenschaft a priori, in bezug auf den Geist Wissenschaft a posteriori. Allerdings ist Philosophie eine a priori ausgehende Wissenschaft, aber nur in bezug auf die Welt, nicht in bezug auf den Geist« (UPhO, 69f., vgl. 63).

Ist die Philosophie sowohl Wissenschaft a priori als auch Wissenschaft a posteriori, gelingt es ihr, die verschiedenen Sphären in ihrer Eigenheit zu wahren, ohne weder eine Seite gegenüber der anderen zu erhöhen noch eine auf die andere Seite zu reduzieren, was der Annihilation einer Seite gleichkäme. b)

Wesen des Anfangs

Was die Wissenschaft a priori und die Wissenschaft a posteriori darzustellen suchen, ist »ohne ein bis auf die Schöpfung zurückgehendes geschichtliches System« nicht fassbar (UPhO, 18; SW XIII, 143f.). Erst durch dieses System kann der Zusammenhang der Ausbildung des Seins verständlich werden. Ohne Einsicht in den gelegten Grund ist unser Mitwissen bloßer Schein, da wir keine Gewissheit darüber haben, ob das Wirkliche möglich ist. Dass keine Seite für sich steht, hat Schelling früh erkannt. Alles Wissen muss sich »in einer gemeinschaftlichen Construktion aus beiden, Subjekt und Objekt, aufheben« (SW III, 400). Wir sind hierzu fähig, was freilich damit zusammenhängt, dass wir uns als das Resultat des Naturprozesses aus dem Objektiven zum Subjektiven erhoben haben und zu beiden Momenten gleichermaßen in Beziehung stehen. Da alles Entstandene ein »ewig Mitgesetztes der Gottheit« ist (Pa-PhO, 150, Hervorhebung M.H.; vgl. SW X, 274), haben wir an Natur und Geist gleichermaßen Mitwissen. Obwohl beide Momente ineinandergreifen, stehen sie in Spannung, sonst wäre keine Entwicklung, nur Stillstand. Die Wirklichkeit der strukturellen Verfasstheit ist zunächst in Relation auf die Natur auszuweisen, so wird das Absolute in seiner tatsächlichen Bestimmtheit einsehbar. Entlang der

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systematischen Korrespondenz entfaltet sich der »logische[] Zusammenhang[] der Dinge« (Pa-PhO, 118; GPPh, 78f.; vgl. SW XI, 76). Die beidseitige Betrachtung der Sphären dient dazu, die Freiheit nicht nur als Denkstruktur oder Erfahrung zu fassen; stattdessen gilt es sie in realer wie in idealer Hinsicht zu begründen, wodurch an die Freiheit ein Geltungsanspruch zu stellen ist. Die im Negativen ausgewiesene Idee von der Freiheit ist dieselbe, die vom Positiven ausgeht. Um deren Verwobenheit darzulegen, ist es die Aufgabe einer vernünftigen Philosophie, beide Seiten als systematische Einheit zu fassen. Wenn die eine Seite der anderen strukturell identisch ist, können wir uns dessen vergewissern, dass auf beiden Seiten dieselbe Idee wirkt. Es reicht nicht, eine partielle Begründung zu geben, gilt es doch den »eingebornen absoluten Inhalt der Vernunft« aufzuschlüsseln (Pa-PhO, 125, 160f.; SW X, 147–150), um den in uns resultierenden Prozess zu begreifen und zu prinzipiieren. In der Sphäre des Realen ist dies die Aufgabe der Metaphysik der Natur, im Idealen fällt dies wiederum der metaphysischen Betrachtung der Götterlehre zu. Sie ist jener Bereich, der das geschichtliche Selbstverständnis zum Thema hat. Das Geistige ist das Resultat des Naturprozesses, da wir aber beide Sphären in uns vereinen, haben wir gleichermaßen Mitwissen an der Schöpfung wie an deren Grundlage.829 »Zum Seinkönnen komme ich noch von der negativen Philosophie aus, aber, gleichsam von der verkehrten Seite her, vom Begriff, vom posterius aus. Will ich es nun zur wirklichen Existenz bringen, so muß ich vom Prius ausgehen, vom Sein; das ist aber nicht möglich, ohne von vorn, d. h. eine neue Wissenschaft anzufangen« (Pa-PhO, 155, vgl. 135, 156).

Das Problem ist, dass der empirische Apriorismus nur aufschlüsseln kann, was ist; er weiß aber nicht zu entfalten, warum etwas ist. Er sieht nur das Resultat, nicht dessen Ursache. Einzig der positiven Philosophie als apriorischem Empirismus ist es möglich (Pa-PhO, 147; SW XIII, 102f.),830 das »a priori Unbe829 Vgl. hierzu Schellings Notiz in seinem Jahreskalender von 1849: »Die negative Philosophie bleibt, was die Kritik war – im Grunde nur Wissenschaft der Möglichkeit der Philosophie. Sich davon zu befreien, und ihm Ursache des Seins außer ihm aber so zu sein, wie es ihm Ursache des Seins in ihm ist – es als ein anderes Sein zu setzen, dem es ebenso Ursache ist und umgekehrt« (EuT XIV, 82f.). 830 Diese Formulierung findet sich bei Schelling verschiedentlich – sie taucht allerdings nur in Nachschriften auf. Einmal heißt es: »die negative Philosophie ist apriorischer Empirismus« (XIII, 130, vgl. 130 Anm.) und das andere Mal: »Die positive Philosophie ist apriorischer Empirismus. Die Erfahrung, der sie zugeht, ist die gesamte Erfahrung« (Pa-PhO, 147). Diese Differenzierung impliziert keine methodische Wandlung, es handelt sich nur um eine sprachliche. An beiden Stellen wird betont, dass die negative Philosophie »Apriorismus des Empirischen« ist (SW XIII, 130; Pa-PhO, 147). Dass die Formulierung der Paulus-Nachschrift vorzuziehen ist, beruht nicht allein darauf, dass es sich dabei um eine authentische Nachschrift handelt (vgl. Anm. 732) – und nicht bloß um eine Zusammenstellung seines

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greifliche a posteriori zum Begreiflichen« zu erheben. Gott ist, wie Schelling explizit macht, »in der Unbegreiflichkeit seines Seins […] nicht der wahre Gott. Das wahre Wesen Gottes ist sein Begreifliches« (Pa-PhO, 160). Unbegreifliches in ein Begreifliches zu verwandeln, ist notwendig, wenn die Konstruktion im Idealen als möglich ausweisen soll, was als Tatsache erscheint. Das Streben, welches im Naturprozess die evolutionsgeschichtliche Entwicklung vom Anorganischen hin zum Organischen und zum Geistigen vorantreibt, muss im Anfang der Schöpfung begründet sein. In der Evolution kann sich nur ausbilden, was möglich ist. Die neue Welt, die im Organischen, im Geistigen hervortritt, ist das Resultat des Möglichen. Damit ist der »vollkommene Geist […] absolute Wirklichkeit vor aller Möglichkeit, d. h., ihm geht keine Möglichkeit vorher ; in ihm selbst ist alles er selbst« (UPhO, 82, vgl. 83). Hieraus folgt nicht, dass frühere Stufen der Evolution weniger Wahrheit beinhalten als die späteren. Jede Stufe ist gleichermaßen Ausdruck des Wesens des Absoluten, allein die Form ihrer Darstellung ist unterschiedlicher Natur. Da jede Stufe aus dem göttlichen Prozess hervorgegangen ist, ist jede Stufe sogleich Voraussetzung der späteren Entwicklungsstufen, womit sie notwendig ist, um hervorzubringen, was hervorgebracht wird: Gottes Werke sind »von Anfang an offenbar« (SWA, 199; vgl. Pa-PhO, 254).831 Jede Stufe kommt einem Schritt ans Ziel gleich, demzufolge hat jeder Schritt zum Ziel denselben Wert. Die Vollkommenheit besteht in der Einheit aller Schritte. Die einzelnen Entwicklungsschritte müssen sich sowohl im Daß als auch im Was finden; alles, was hervorgegangen ist, muss im ersten Akt, in der »unvorSohnes –, sondern auch darauf, dass sich diese ebenfalls in der Grundlegung der Positiven Philosophie findet. Darin erklärt Schelling, dass die positive Philosophie »nicht wie die frühere eigentlich nur die Existenz der endlichen Dinge zum Gegenstand ihres Beweises hat. Die Dinge treten in der positiven Philosophie nur auf als Vermittlungen des Beweises, dass das positive Prius wirklich existiere. Nur um die Existenz des absoluten Prius ist es zu tun, nicht um die Dinge. Der Ausdruck ›apriorischer Empirismus‹ hat nicht etwa den Sinn, dass in ihm das Empirische a priori abgeleitet werde, sondern den, dass in ihm das Prius empirisch begründet wird. Die positive Philosophie hat ein empirisch begründetes, eben darum selbst nicht abstractes, sondern erfahrungsmässiges, positives Prius, das gleichsam desto erfahrungsmässiger wird, je weiter die Wissenschaft fortschreitet. Die negative Philosophie, die das Empirische von dem Prius ableitet, kann eben darum selbst nur ein negatives Prius haben. Positive, apriorische Philosophie ist die, welche etwas zum Princip hat, das nur durch die Tat zu erweisen ist« (GPPh, 402f.). 831 Es ist in jedem Moment das Ganze enthalten, nur der Form nach ist es unterschiedlich dargestellt. »Das Resultat unserer ganzen bisherigen Entwicklung des göttlichen Seins ist in dem Satze 1m to pam, nicht als Sinnspruch einer Eleatischen Philosophie, wo unter pam nicht eine wirkliche Allheit des ursprünglichen Seins, sondern nur das einförmige Sein verstanden wird. […] Man könnte auch sagen, es soll auch pam to 1m, es soll jedes das Eine und zugleich das Ganze sein, das Ganze gleich Gott, der in jeder Gestalt auch für sich Gott ist, oder wie ein Apostel sagt: ›Das Ganze soll in jedem – alles in allem sein‹« (UPhO, 95, 188f.; Pa-PhO, 266).

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

denkliche[n] Tat« ein Mitgesetztes sein (UPhO, 238). Das Positive muss sich ganz im Negativen wiederfinden; umgekehrt zeigt sich uns der Inhalt des Positiven erst durch das Negative, als Tatsache der ersten, der unvordenklichen Tat. Aufgrund dieses Zusammenhangs ist es, wie Schelling hervorhebt, »überflüssig […], gegen mich die rationale oder negative Philosophie in Schutz nehmen oder vertheidigen zu wollen, als ob ich von einer Philosophie der reinen Vernunft gar nichts mehr wissen wolle« (SW XIII, 90; vgl. EuT XIV, 34). Diese Erklärung verdeutlicht, dass das Daß dem Was wesentlich identisch sein muss; das eine nimmt auf das andere Bezug, ohne dass die eine Seite über die andere erhoben wird. Philosophie ist »keine blinde, ihr Ziel nicht voraussehende, Wissenschaft. In ihrem Anfang ist schon ihr Ende; sie will schon im Anfange, und sie will die Welt als frei gesetztes und gewolltes Sein« (UPhO, 73; SW XII, 154). Dass philosophisch die Welt als frei gesetztes und gewolltes Sein zu fassen ist, ergibt sich aus dem Naturprozess, an dessen Ende die Tatsache des organischen Lebens als Grundform der Freiheit und der Mensch mit seiner wahrnehmbaren, seiner tätigen Freiheit steht. Mit dem Naturprozess wird inhaltlich der in positiver Hinsicht zu beschreibende Anfang einsichtig. Dabei muss der Begriff der Freiheit als Negatives dem im Positiven wesentlich identisch sein, zumindest wenn es sich nicht – den Vorwurf Zeltners aufgreifend – um ein systemfreies Denken handeln soll. Obwohl jede Seite für sich zu beschreiben, zu konstruieren ist, wird die Beschreibung beider Seiten von derselben Perspektive aus geleistet, denn unser Selbstverständnis findet sich prinzipiell in unserem Zugang zur Welt wieder. In uns ist keine Differenz in der Perspektive auf das Negative wie das Positive auszumachen. Die Idee und das Reale sind uns in je gleicher Weise verständlich. Für Schelling folgt hieraus, dass die Seiten nicht nur an sich, sondern auch für uns eine »ganz analoge Darstellung« aufweisen müssen (SW XI, 376, vgl. 371f.; UPhO, 446). Beide Seiten erscheinen uns absolut identisch, gleichwohl wir sie nur nebeneinander beschreiben können. Um sie als Einheit zu fassen, müssen wir uns der komplementären Beschreibung bedienen (vgl. Kap. II.6.1.a), sodann sind die Momente objektseitig zusammenzubringen, ohne das Subjekt außen vor lassen zu müssen (vgl. SW XI, 571). c)

»Rekonstruiertes Bewußtsein«

Das Positive und das Negative decken unterschiedliche Bereiche ab. Die negative Philosophie fokussiert sich auf den die Freiheit hervorbringenden Naturprozess, die positive Philosophie hingegen sucht das Absolute in seinem Wollen hin zur Wirklichkeit zu fassen. Hinsichtlich dieser Beschreibung fällt der Mythologie eine maßgebliche Rolle zu: In ihr findet sich nach Schelling die »Regeneration« des religiösen Bewusstseins, sie drückt das subjektiv zugängliche Wissen vom

»Empirismus des Apriorischen«

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Absoluten aus. Die Mythologie ist »ein Religion erzeugender Prozeß, worin das Bewußtsein seinen eigenen, natürlichen Kräften überlassen ist; es ist also ein natürlicher Prozeß« (UPhO, 9, vgl. 232). Wie bei der Natur findet sich in der Mythologie ein faktisches, ein geschichtliches Verhältnis,832 das hier als natürliche Religion der offenbaren Religion entgegengesetzt ist. Diese Entgegensetzung ist insofern bedeutsam, als das »Prinzip der Religion« nicht die Vernunft sein kann (UPhO, 11). Die offenbare Religion fußt auf einem notwendigen Prozess, andernfalls müsste sie ein frei Geschaffenes, kein Geoffenbartes sein. Die Offenbarung ist wie die Natur eine Gabe, sie ist nicht von uns hervorgebracht – die offenbare Religion ist es, die die Einsicht in die Freiheit ermöglicht. Zwar leisten nicht wir die Offenbarung, dennoch sind wir als Moment ihrer auch Teilhabende an ihr. Das Wissen über die Götterlehre ist nicht mehr als die Einsicht in das Absolute durch uns selbst. Dieses Wissen ist »rekonstruierte[s] Bewußtsein« (UPhO, 9, Hervorhebung M.H., vgl. 232). Die Rekonstruktion nimmt auf unser geschichtliches Werden Bezug und sucht mitwissenschaftlich zu entfalten, wie wir uns selbst verständlich werden bzw. geworden sind. Hierdurch kann es gelingen, die kulturelle Selbstsicht, die individuelle Kulturgeschichte auf allgemeine Weise zu entfalten, sodass das scheinbar Unzugängliche begreifbar wird. Maßgeblich ist, dass diese Leistung nur ›in der Zeit‹ zu erbringen ist, womit die Kulturgeschichte genau wie das Wissen vom Absoluten ein niemals abgeschlossener Prozess ist. Das Wissen vom Absoluten sowie von uns selbst ist ein offener Prozess, allerdings baut dessen Entfaltung auf der vernünftigen Selbstdarstellung auf. Die Rekonstruktion des Bewusstseins korrespondiert nicht nur mit der Konstruktion der Natur, sie sind einander systematisch analog strukturiert, und das sind sie in jedem Zeitpunkt der Geschichte. Beide Seiten sind von demselben Wesen durchdrungen, lediglich mit dem Unterschied, dass die Konstruktion einmal auf das Innerliche, das Subjekt, und das andere Mal auf das Äußerliche, das Objekt, gerichtet ist. Es kommt jeweils darauf an, die eigenen Einsichten intersubjektiv zu vermitteln, hierdurch wird die eigene Vorstellung anderen kommunizierbar, womit sie sich aus der Subjektivität erhebt, sich objektiviert. Dies gilt für die Beschreibung der Natur ebenso wie für die der Kultur, der Religion. In der Kultur und in der Religion hat sich die Idee als Ausdruck des Geistigen zum Gegenstand, während es in der Natur das konkret Erfahrbare ist. Allerdings findet die kulturelle Selbstbeschreibung in einem weitaus größeren Feld statt, denn sie ist nicht in der Weise durch die Form der Notwendigkeit 832 Der Mensch ist der »Mittelpunkt, um den sich der ganze göttliche Prozeß dreht. Dieselbe Geschichte des göttlichen Prozesses wiederholt sich im engen Raume des menschlichen Bewußtseins« (UPhO, 181). Da alles schon »von Anfang an offenbar« ist (SWA, 199), wird dem Prozess nichts Neues hinzugefügt.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

bestimmt wie es beim Naturprozess der Fall ist. Dennoch ist die (Re-)Formulierung der Selbstbeschreibung nicht willkürlich, sie geschieht stets in Auseinandersetzung mit sich oder anderen Beschreibungen. Nach Hans Blumenberg ist der »letzte Mythos […] die Konsequenz des letzten Zweifels«,833 was insofern schlüssig ist, als die Selbstbeschreibung nicht willkürlich ist. Um Geltung zu haben, muss die Beschreibung angenommen werden, sie muss zumindest einen selbst überzeugen – unabhängig davon, ob sie andere überzeugt bzw. überzeugen kann. Daher ist der Fortschritt der Rekonstruktion des Bewusstseins eine Evolution des Kritisierens und als solche eine Evolution der sich entfalteten Selbstexplikation. Ähnlich wie bei der biologischen Evolution in der Natur findet im Geistigen ein Fortschritt hin zu höherer Komplexität statt. Der Unterschied liegt lediglich darin, dass die Evolution der Natur den Menschen erst schafft, während die Evolution des Geistes am Menschen geschieht. An beiden Entwicklungen haben wir gleichermaßen Anteil, wenngleich uns darin eine unterschiedliche Rolle zukommt. Beide Seiten entwickeln sich aus demselben Grund und fußen auf demselben auf Spannung beruhenden Prozess. »Der Wille des Anfangs, eben weil er Wille ist, kann also in seine Natur zurückgebracht werden. Wenn nun der ganze Prozeß auf Spannung der Potenzen beruht, so beruht die Möglichkeit des Prozesses darauf, daß die drei Potenzen, obwohl sie gegenseitig sich ausschließen, doch nicht wirklich auseinander können. Die letzte Möglichkeit beruht also darauf, daß ihre ursprüngliche Einheit eine geistige ist« (UPhO, 98; SW XIII, 286f.).

Entsprechend ist die Mythologie analog den erzeugenden Potenzen der Natur strukturiert. Der Schöpfungsprozess ist ein »durch die universio oder Spannung der Potenzen« gesetzter Prozess (UPhO, 125), dessen Wesen von Idealem und Realem in allen Formen des Daseins fortwirkt.834 Dem Urteil Gadamers, dass der Mythos ein »Gegenbegriff gegen die rationale Welterklärung« ist, ist nur bedingt zuzustimmen; zwar kann der Mythos – wie bei Hans Jonas (vgl. Kap. II.4.1) – eine Geschichte, die fern aller Realität und rationalen Einsicht stattfindet, erzählen, allerdings muss er das nicht. In ihm zeigt sich der Fortschritt des Rationellen, nichts anderes ist der Fortschritt des überwundenen Zweifels. Wie Schellings Mythologieverständnis andeutet, ist der kulturellen Selbstbeschreibung exakt so viel Wahrheit wie dem Naturprozess zuzuschreiben, die eine Seite ist nicht über die andere zu erheben. Es ist keineswegs ausgeschlossen, wie Gadamer meint, dass es eine Entwicklung »vom 833 H. Blumenberg: Arbeit am Mythos, 295. 834 Das betont Schelling in seiner Philosophie der Mythologie: »In der Mythologie ist nichts aus der Natur genommen, sondern der Naturproceß selbst wiederholte sich als theogonischer Proceß im Bewußtseyn« (SW XII, 425).

»Empirismus des Apriorischen«

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Mythos zum Logos, zum rationalen Weltbild« gibt.835 Die Mythen sind als Erzeugnisse unseres Inneren, unseres Bewusstseins nichts Erdichtetes, sie sprechen den Urgedanken, die Idee der Menschheit aus (vgl. SW XI, 482, 199; XII, 127).836 Und das, obwohl dies in vielfältiger Form geschieht. Der Mythologie ist immanent, das Vernünftige bildlich auszudrücken, nicht aber, es allgemein einsichtig zu begründen. Auch wenn die Entfaltung der Mythologie »nicht von einer freien Erfindung der menschlichen Willkür« geleitet ist (UPhO, 648, 639), kann sie sehr wohl zum Hervortreten der vernünftigen Einsicht in die Freiheit beitragen, denn ihr zweifelnder Zugang, ihr sinnlicher Ausdruck kann etwas in uns wecken, was den wissentlichen, rationalen Zugang befördert. Auf den Fortschritt weist auch Klaus Michael Meyer-Abich hin, denn Mythen können helfen, »etwas bewußt zu machen.«837 Worin der mythologische Fortschritt besteht, ist vom Status quo des Wissens her zu beschreiben; hierzu ist es notwendig, den ganzen Prozess um das Wissen, sohin um die Freiheit zu rekonstruieren. Zu verstehen gilt es genau das, was geworden ist. Da sich die Kulturgeschichte und die Naturgeschichte sukzessive entwickeln, stehen sie in einer fortgehenden Linie, »im ununterbrochenen Zusammenhang ihrer durch alle Momente fortgehenden Bewegung. […] Kein einzelner Moment der Mythologie, nur der Proceß im Ganzen ist Wahrheit« (SW XI, 211). Jede Entwicklungsstufe der Natur und der Götterlehre ist gleichermaßen Moment des Weges zur Wahrheit. Bei der Mythologie handelt es sich nicht um ein phantastisches Gebilde, schließlich geht die vernünftige mythologische Erzählung aus der Auseinandersetzung mit sich selbst, einer früheren Erzählung sowie der Wirklichkeit hervor, sodass sie auf das frühere Selbstverständnis der Menschen rekurriert und daran anschließt. Der Fortschritt des Mythos ist ein Fortschritt des Bewusstseins. Mit jedem Zweifel, das heißt in der Auseinandersetzung mit sich, wird die eigene Perspektive im Bewusstsein neu entfaltet. Demnach kann »der Grund der Göttergeschichte […] nicht durch Poesie gelegt« sein (SW XI, 18, vgl. 10, 26, 113; XIII, 385; I, 64, 64f. Anm., 68; Pa-PhO, 215f.), denn sie hebt die Vorstellung über das Reale und spricht der Einbildung alle Geltung zu,838 wohingegen der Mythos eine Folge der kulturgeschichtlichen Selbstbeschreibung ist. Die Mythen stehen nicht fern von der Wirklichkeit, weswegen sie sich

835 H.-G. Gadamer : Mythos und Vernunft, GW 8, 163f.; Ders.: Religion und Wissenschaft, GW 8, 161f. Das Verhältnis von Mythos und Logos beschreibt Wilhelm Nestle in Vom Mythos zum Logos, bes. 10, 17–20. 836 Vgl. H. Blumenberg: Arbeit am Mythos, 165f. 837 K.M. Meyer-Abich: Praktische Naturphilosophie, 27, 23f., 31, 52, 59. 838 Vgl. dazu die Kritik an der Dichtkunst in Platons Politeia (Werke 4, 595a–608b).

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

»nicht als erfundene, als erdichtete, nicht als durch zufällige Verwirrung entstandene, sondern als notwendige Erzeugnisse des außer sich gesetzten, und nur zufällig zu sich selbst wieder kommenden, menschlichen Bewußtseins denken [lassen]. Die mythologischen Vorstellungen kamen nicht von außen in das Bewußtsein hinein; denn wie konnten sie sonst so tief ins menschliche Bewußtsein sich einverwerben, daß die Völker sich lieber den grausamsten Schmerzen hingaben und alles erduldeten, als von diesen Vorstellungen ließen?! […] Sie sind auch nicht durch eine zufällige Tätigkeit des Bewußtseins, als Wirkungen und Erzeugnisse der Phantasie zu betrachten, wie viele meinten: sie sind vielmehr Erzeugnisse der Substanz des Bewußtseins« (UPhO, 231f., vgl. 489, 615, 639; SW XI, 56, 194; XIII, 378f.; EuT XII, 106).839

Mythen sind nichts Künstliches, sie gehen »vom Volk selbst aus[]« (SW XI, 59, 61, 65). Ihr Inhalt geht jedoch nicht aus einem Mehrheitsbeschluss hervor, er ergibt sich nicht aus einer numerischen Mehrheit. Die Entfaltung des mythologischen Wissens ist als Sache der Kultur wesentlich intersubjektiv bestimmt. Das Mitwissen setzt einen gemeinsamen Entstehungshorizont voraus. Ohne diesen findet sich in den mythologischen Vorstellungen keine Übereinstimmung. Der Mythos ist keineswegs – wie Schelling an Homers Poesie und deren Einsicht, dass »alle Völker gleich sind«, festmacht – »das Werk eines Menschen, eines Individuums, nicht das Werk eines einzelnen Volkes als solchen, sondern das Werk der ganzen Menschheit« (UPhO, 285, Hervorhebung M.H.). Jeder mythologische Fortschritt bringt ein neues Selbstverständnis zum Ausdruck. Die Erzählungen sind »nur Erzeugnisse dieses, durch die ganze Menschheit hindurchgehenden Prozesses […], weil die mythologischen Vorstellungen aller Völker aus einem Keime entwachsen sind, weil insbesondere jedes folgende, spätere Volk den Prozeß da aufnimmt, wo er in einem frühern stehengeblieben ist, weil das, was im Bewußtsein des frühern Volkes hervorgetreten war, im Bewußtsein des spätern als Vergangenheit aufgenommen wurde« (UPhO, 234, vgl. 235, 284f., 514, 606f., 615; SW XI, 61, 93, 211; XII, 373f.; XIII, 381, 481).

Es mag verwundern, dass die Mythologien einander so ähnlich sind; sie sind einander aber nur so ähnlich, weil sie nicht bloß durch einen äußeren Zusammenhang verbunden sind, sie sind entlang eines gemeinsamen inneren Zusammenhangs entfaltet. Die Gemeinsamkeit der Mythen begründet sich in der intersubjektiven Auseinandersetzung mit sich selbst und mit der eigenen Tra839 Auf die Differenzierung zwischen Erdichtung und Tradition verweist Schelling an anderer Stelle: »Die Dinge in der Welt geschehen nicht durch äußere Veranlassungen, die sogar oft nur erdichtet sind, sondern nach einem innern Gesetze. Wer nicht ohne Untersuchung an gewisse Traditionen glaubt, wird nicht umhin können, zweifelhaft zu sein, ob Petrus nach Rom gekommen sein oder ob er römischer Bischof gewesen sein konnte. Dies selbst ist bloß äußere Erzählung, die falsch sein kann, ohne daß das Höhere, Innere auch falsch ist« (UPhO, 683).

»Empirismus des Apriorischen«

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dition. Schelling negiert hiermit den Gedanken, dass die Mythologie in einem unbekannten Urvolk ihren Ursprung hat (UPhO, 234f.; Pa-PhO, 212; vgl. SW IX, 199).840 Die Ähnlichkeit der Mythen beruht einzig auf dem mitwissenschaftlichen Streben nach Selbsteinsicht, welches sich als Resultat im intersubjektiven Diskurs zu bewähren hat (vgl. SW XII, 130; XI, 256; UPhO, 458). Da die Tradierung von Wissen nur im Diskurs (schriftlich wie mündlich) geschehen kann, muss die eigene Perspektive im Dialog anderen zugänglich gemacht werden, zumindest, wenn sie gemäß der eigenen Sichtweise weitergegeben sein soll. Diese Herausforderung ist von besonderer Bedeutung, denn in der Göttergeschichte drückt sich das Innere der Menschheit, somit das »individuelle[] Volksbewußtsein« aus (SW XI, 65, 64). Indem wir unserer Perspektive darzustellen wissen, ist ein offener Diskurs unserer kulturspezifischen Perspektiven möglich. Durch die Explikation des Mitwissens am Daß ist eine Erweiterung des Horizonts, der jeweiligen Perspektive möglich. Die subjektiven Sichtweisen können auf diese Weise nachvollzogen und weitergeführt werden.841

9.2.

Die Sache der Tat

Dank unseres Bewusstseins haben wir Mitwissen am »Urbewußtsein« (UPhO, 10; Initia, 52f.; SW XIII, 406; XI, 113). Wir haben Mitwissen am Göttlichen und sind mit diesem »gleichsam verwachsen […]. Es hat also den Gott a priori, d. h. vor aller wirklichen Bewegung oder – wesentlich an sich« (SW XII, 120, vgl. 49– 61; XI, 59; XIII, 369). Aufgrund des Verwachsenseins mit dem Göttlichen kann sich der Mensch »nicht bewegen […], ohne daß sich ihm der Gott selbst bewegt.« In ihm ist Gott vollkommen aufgegangen, sodass das Handeln des Menschen dem Handeln Gottes gleich ist. Ist Freiheit, ist das Handeln Gottes nicht dem des Menschen gleich, denn durch seinen freien Willen hat der Mensch die Möglichkeit, sich selbst- bzw. eigenständig zu entwickeln, zu entfalten. Was die göttliche Freiheit ausmacht, zeigt sich anhand der die Natur sowie die Kultur durchlaufenden »Stufen der Schöpfung«, an deren Ende das Göttliche »als Princip des menschlichen Bewußtseyns« steht. Dabei ist die Erfahrung der 840 Dass das ein sinnvoller Weg ist, um den Mythos zu fassen, darauf weist Claude L8vi-Strauss in seiner Strukturellen Anthropologie hin (bes. Bd. 1, 238f.). Hans Blumenberg macht ebenfalls hierauf aufmerksam. Des Weiteren betont er, dass der Mythos aus einer »Gesamtsumme seiner verschiedenen Fassungen und Deutungen« besteht, was laut Blumenberg der Philologe Kurt von Fritz zuerst ausgesprochen hat (H. Blumenberg: Arbeit am Mythos, 300 Anm., vgl. 299–304). Vgl. dazu L8vi-Strauss’ Darstellung in Mythologica (Bd. I, 25–28). 841 Schelling hält es sogar für abwegig, dass verschiedene Kulturen »ohne verschiedene Sprachen« entstehen können (SW XI, 100, 100f.), weswegen das Erlernen einer anderen Sprache für ihn dem Erlernen einer anderen Kultur gleichkommt. Zur Bedeutung von Kultur und Sprache vgl. V. Hösle: Philosophie und Öffentlichkeit, 121–139.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

Wirklichkeit maßgeblich für die im mythologischen Prozess entfaltete Selbstbeschreibung. Die kulturelle Selbstbestimmung ist angesichts unseres Kenntnisund Informationsstandes unserer Zeit zu leisten. »Das menschliche Bewußtseyn ist in dem Mythologie erzeugenden Proceß wieder in jene Zeit des Kampfs zurückgesetzt, der eben mit dem Eintritt des menschlichen Bewußtseyns – in der Schöpfung des Menschen sein Ziel gefunden hatte« (SW XII, 125– 129).

Die Schöpfung lässt sich einzig von dem her verstehen, was geworden ist. Für uns erscheint sie als eine Entwicklung hin zur Menschwerdung. Der Mensch ist das Komplexeste, was bisher in der Schöpfung hervorgetreten ist. Hervortreten konnte freilich nur, was den absoluten Strukturen gemäß ist (vgl. SW X, 272; XII, 118; XIII, 5f.; XIV, 212; UPhO, 398, 457, 606f.).842 Mit der naturphilosophischen Betrachtung des Gewordenen erschließt sich uns das Göttliche: Im Was findet sich das Daß konkretisiert. Um die Entwicklung verstehen bzw. fassen zu können, muss die Entwicklung der Welt in einen ununterbrochenen Zusammenhang stehen. Die Einheit ist die Voraussetzung dafür, dass verständlich wird, wie sich das eine aus dem anderen herausbildet, ansonsten wäre alles in einem unverbundenen, sohin willkürlichen Zusammenhang.

a)

Einsicht in die Sache der Tat

Damit das Daß als ursächlicher Grund des Was gefasst werden kann, muss das Werden entelechisch gedacht werden (SW XIII, 103). Ist das Daß nicht als teleologische Bestimmung des Was zu fassen, stünde es mit diesem im Widerspruch. Dies darf nicht der Fall sein, sonst wäre die kulturelle Beschreibung des Daß, soll sie mit dem Wissen von der Natur in Einklang stehen, willkürlich bestimmt. Die Tatsachen der kulturellen Deutung müssen den Tatsachen der Natur entsprechen. Die Idee der Freiheit will sich, ihre Realisierung ist das Telos des Naturprozesses (vgl. UPhO, 126f., 130 f, 136, 515). Dass der in der Natur sich – mittels der biologischen Evolution – äußernde sukzessive Prozess seinen Ursprung in der Welt hat, ist ausgewiesenermaßen eine »physikalische Thatsache« (SW XII, 358; vgl. Kap. III.8.3). Die Mythologie ist dagegen nicht Ausdruck einer »physikalische[r] Wahrheit« (SW XI, 216, vgl. XII, 135). Sofern sie und die Natur aber methodisch analog strukturiert sind und ihre Bestimmungen gleichermaßen realisiert werden, sei es nun in der Sphäre der Natur oder des Geistigen, sind sie uns Wirkliches. In beiden Sphären ist von Tatsachen zu sprechen, einmal von empirischen (Tatsachen des Natürlichen), 842 Vgl. weiterführend C. Danz: Gott und die menschliche Freiheit, 60–65; Ders.: Christologie als Theorie endlicher Freiheit, 273–286; Ders.: Philosophische Christologie, 39–42.

»Empirismus des Apriorischen«

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einmal von rationalen Tatsachen (Tatsachen des Bewusstseins). Nicht nur die Naturwissenschaft, auch die Lehre von den Göttern hat es »mit wahren Realitäten, wirklichen Wesenheiten zu thun« (SW XII, 156, 12, 29; vgl. XIII, 138). Beide Sphären behandeln die Konkretion des Wirklichen, jedoch betrachten sie sie unterschiedlich. Der Inhalt der Mythologie ist nur indirekt, während der der Naturphilosophie direkt zugänglich ist. Erstere setzt mit dem Wissen von letzterer ein. Sie knüpft an deren Bestimmung an, somit ist sie »der Sache nach Naturphilosophie – in höherer Sphäre« (SW XII, 258; vgl. XI, 229, 372).843 Ob der höheren Sphäre ist keiner Seite Vorrang einzuräumen. Im Mythos wie in der Naturphilosophie findet sich dieselbe Idee der Freiheit manifestiert. Aufgrund der analogen Verfasstheit der Idee in der Sphäre der Natur und in der Sphäre des Geistigen können beide Seiten gleichermaßen historische Wahrheit für sich beanspruchen, hierbei handelt es sich um einen »wirkliche[n] Vorgang« (SW XI, 216). Bisher wurde die Idee der Freiheit nur im Rahmen des geschichtlichen Naturprozesses ausgewiesen, daher muss sie, um im Positiven wahrhaft Bestand zu haben, ebenfalls in der Kulturgeschichte ausgewiesen werden. Dies darzutun, fällt der positiven Philosophie zu, und an deren Anfang steht die Mythologie. In ihr nimmt die Selbstbeschreibung der Menschen, somit die Lehre vom Absoluten, ihren Anfang. Unser Mitwissen bezeugt, Moment des Gott-verwandten Prinzips in der Welt zu sein. Durch das menschliche Bewusstsein haben wir Zugang zum Urbewusstsein. Im selbstbewussten Menschen wiederholt sich der göttliche Prozess (vgl. UPhO, 181, 212f.). Da es sich bei der Kultur um Erzählungen handelt, sind diese faktisch, sie sind die Konkretion dessen, wie wir uns in der Welt sehen. Dass die Tatsachen des Bewusstseins aus einem intersubjektiven Prozess hervorgehen, wird daran ersichtlich, dass die Menschheit der kulturgeschichtlichen Entwicklung »unterworfen« ist (SW XIII, 385; vgl. XI, 194, 199, 205; XIV, 144; Pa-PhO, 215f.) – und diese findet in Gemeinschaft statt.844 Der begriffliche Fortschritt ist nicht beliebig, er verläuft analog zum Fortschritt unseres Denkens, korrespondiert also wesentlich mit unserem kulturell bedingten Selbstverständnis. Somit ist die Lehre von den Göttern wesentlich intersubjektiv bestimmt, sie ist etwas »Gemeinschaftliches« (SW XI, 6; XII, 373). Weil die Kon843 Diese methodische Verknüpfung findet sich bei Schelling schon früher (vgl. SW II, 4). Dass diese Verknüpfung grundlegend ist, darauf weist Johann Sulpiz Melchior Dominikus Boisser8e 1828 in einem Brief an Johann Wolfgang von Goethe hin. Indem Schelling »nächsten Sommer Philosophie der Mythologie, im Winter aber Naturphilosophie« liest, wird er »sein System der ganzen Entwicklung nach darlegen« (Johann Sulpiz Melchior Dominikus Boisser8e an Johann Wolfgang von Goethe am 27. 3. 1828 [X. Tilliette: Schelling im Spiegel, 310]). 844 Die Mythologie hat kein Wissen um sich: »Was uns (Idealisten) die Natur, ist dem Griechen die eigne Götterwelt, bewußtlos ihnen entstanden, wie uns die Natur« (SW XI, 482 Anm., 482).

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

struktion des Absoluten entlang der Kultur, der Tradition und der sprachlichen Interaktion geschieht (vgl. SW XI, 51, 65, 223),845 ist die Kommunikation zentral für die begriffliche Entfaltung des Wissens. Durch sie ist es möglich, die innere Bestimmtheit nach außen zu tragen. Auf diese Weise wird das erfahrbare Wissen anderen mittelbar. In Bezug auf die sprachliche Bestimmung verweist Claude L8vi-Strauss darauf, dass die »Gesamtheit der Mythen […] in den Bereich der Rede« gehört.846 Die Kommunikation ist das Vermittlungsprinzip, durch das es möglich ist, das Besondere in die Allgemeinheit zu erheben. Im Mythos suchen die Menschen ihre geistige Bestimmtheit zu reflektieren, weswegen es sich beim Mythos – was Jonas abgewandelt, aber in Anlehnung an das Entmythologisierungsprogramm von Rudolf Bultmann aufgreift – um eine »subjektiv-mythologische Erklärungsweise« handelt (SW XIV, 291; vgl. KGA III/2, 152), durch die wir unser Selbstverständnis bildlich vermitteln können. »Wenn die Menschheit in Völker sich trennte, sowie in dem bis dahin einigen Bewußtseyn verschiedene Götter hervortraten: so konnte die der Trennung vorausgegangene Einheit des Menschengeschlechts, die wir uns ebensowenig ohne eine positive Ursache denken können, durch nichts so entschieden erhalten werden, als durch das Bewußtseyn Eines allgemeinen und der ganzen Menschheit gemeinschaftlichen Gottes« (SW XI, 119).

Dass Schelling darüberhinausgehend von der dem »Volk angeborenen Weltansicht« spricht (SW XI, 64, vgl. 156), ist unglücklich. So scheint die natürliche Beschaffenheit über das Prinzip der verständigen Vernunft erhoben zu werden, was einer absolut-idealistischen Position prinzipiell entgegensteht. Damit wird der Anspruch fahren gelassen, die Idee der Wahrheit ›in der Zeit‹ objektiv zu formulieren. Stehen verschiedene Begriffe von Wahrheit unvermittelt nebeneinander, verharrt alles Wissen in der Besonderheit. Zu bestreiten ist nicht, dass verschiedene Völker, Gemeinschaften, ja verschiedene Individuen unterschiedliche Weltsichten besitzen, allerdings dürfen ihre jeweiligen Sichtweisen nicht als natürlich oder als allgemeingültig verstanden werden. Einen Anspruch auf Gültigkeit kann eine Weltsicht nur dann erheben, wenn die Begründung anderen Menschen, trotz der unterschiedlichen Perspektive, irgendwie einleuchtet. Das ist die Voraussetzung dafür, dass die Menschen miteinander in den Diskurs treten und einander verstehen können. Wenn der Mensch seine Sicht kommunizieren kann und er andere verstehen kann – so wie andere ihn verstehen können –, ist ein vernünftiger Diskurs möglich, der das Selbstverständnis rational ausdifferenzierter darstellt. 845 Hier setzt Schellings frühes hermeneutisches Programm an. Vgl. S. Peetz: Philosophie der Mythologie, 166. 846 C. L8vi-Strauss: Mythologica, Bd. I, 19.

»Empirismus des Apriorischen«

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Mythologie reflektiert und repräsentiert die Selbstbeschreibung des Menschen in der Welt. Sie ist eine »Geschichte […] des Selbstbewußtseyns« (SW XI, 223, vgl. 241), die kulturell transportiert und auf intersubjektive Weise fortgeführt wird. Außerdem kann sich die Mythologie nicht dem kommunikationstheoretischen Horizont entziehen; sie ist darauf angewiesen, dass ihr Inhalt anderen einsichtig ist. Ist das der Fall, wird Kultur mittel- bzw. tradierbar und erfährt geschichtlich Geltung. Dies ist genau dann der Fall, wenn der Glaube zum Wissen erhoben wird (vgl. UPhO, 411–417) – hierdurch ist die Kultur Moment des offenen, intersubjektiven Diskurses.847 b)

Lehre und Geschichte

Die negative Philosophie ist die »Wissenschaft der Welt ohne Gott« (EuT XII, 76),848 sie hat nicht das Absolute, sondern dessen reale Entäußerung zum Thema. Anders dagegen die positive Wissenschaft. Sie wendet sich explizit dem Göttlichen, der Götterlehre zu und deutet das Göttliche anhand des Empirischen; sie zeigt, »wie Gott sich selbst erkennbar, d. h. zum Gegenstand des Erkennens und Wissens (nicht des bloßen Denkens) macht« (Tagebuch 1848, 189, vgl. 129). Da die positive Philosophie das Bewusstsein sowie dieses in seiner Realisierung zu begreifen sucht, ist ihr Geschäft die Rekonstruktion des Bewusstseins. Die Rekonstruktion ist keine ausschließlich individuelle Leistung, sie geschieht gemeinschaftlich, womit sie intersubjektiv fundiert ist. Schelling hat erkannt, dass die zu leistende Rekonstruktion von unserem geschichtlichen Selbstverständnis abhängt, wird doch der Inhalt des Daß durch das Wissen vom Was begleitet, und umgekehrt. Die Konstruktion im Absoluten fußt auf dem, was wir von der Welt wissen. Sie ist nicht nur von unserem Selbstverständnis abhängig, sie ist entlang des Wirklichen zu leisten, gleich, ob in Bezug zu Natur oder Geist. Für die positive Philosophie heißt das, dass ihr Inhalt einerseits von uns hervorgebracht ist, andererseits davon abhängt, was uns wirklich gegeben ist. Obwohl der Inhalt des Daß nicht tatsächlich – wie der der Natur – zu wissen ist, muss das Wissen davon irgendwie überzeugen können und mit dem Wissen vom

847 Dass dem Wissen der Glaube vorausgeht, betont Schelling gegenüber Kronprinz Maximilian von Bayern: »Also auch an das, was wir wißen können und wirklich wißen, müßen wir glauben, wie wir an ein großes Glück glauben müßen, das wir noch für unmöglich halten, wenn wir es vor Augen sehen« (Friedrich Schelling an Kronprinz Maximilian von Bayern am 30. 9. 1847 [L.Trost/F. Leist (Hg.): Maximilian II. und Schelling, 145]). 848 In einer Anmerkung heißt es zu diesem Punkt: »Die negative Philosophie sagt uns wohl auch, worin die Seligkeit liegt, aber sie hilft uns nicht dazu« (SW XI, 567 Anm.). Durch die negative Philosophie erlangen wir zwar Einsicht in das Wirken Gottes, nicht aber darin, was das Göttliche ausmacht, dies fällt in die positive Philosophie.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

Wirklichen verwoben sein. Nur dann kann der Inhalt angenommen und verstanden werden. Hierfür ist ein Minimalverständnis zwischen den Menschen notwendig – dieses kann aber gering angesetzt werden, so sieht es L8vi-Strauss als »zweifelhaft« an, ob alle Gemeinschaften »die mythischen Erzählungen, die sie bezaubern, […] auch die Bezugssysteme verstehen, auf die wir sie zurückführen. […] Wir behaupten also nicht, zeigen zu können, wie die Menschen in Mythen denken, sondern wie sich die Mythen in den Menschen ohne deren Wissen denken.«

Nach der Darstellung L8vi-Strauss’ können Mythen selbst dann angenommen werden, wenn sie von den Menschen nicht wirklich verstanden werden. Damit sie aber angenommen werden können, müssen sie sich uns irgendwie aufdrängen, zumindest bezaubern. Wir müssen von ihnen, gleich auf welche Weise, eingenommen werden, begeistert sein. Vom Erlebten und Erfahrenen hängt es ab, ob wir die Mythen annehmen oder ob wir uns ihrer verwehren. Die Mythen selbst nehmen aufeinander Bezug und denken sich »auf gewisse Weise untereinander«,849 was nichts anderes meint, als dass sich die Kulturgeschichte entlang dem, mit dem sie sich auseinandersetzt, weiterentwickelt. Daher sind die Mythen eine ständige Auseinandersetzung mit dem Leben und der Wirklichkeit. Demzufolge schlagen sich die »Ereignisse der menschlichen oder bürgerlichen Geschichte« in den mythologischen Vorstellungen nieder (SW XI, 26, vgl. 66, 571; I, 53). Wir sind es, die die Mythen leben, sie kommunizieren und tradieren. Ohne Zweifel versinnbildlichen die mythologischen Vorstellungen nichts als das, was uns durch die Wirklichkeit vermittelt ist. Beispielshaft berichtet der Kayapo-Mythos850 von der Gefahr durch Krankheiten und sucht dem »Ursprung der Krankheiten« auf den Grund zu gehen.851 Schließlich formuliert er eine bildliche Antwort betreffs der Ursache der Krankheiten.852 Bemerkenswert am Mythos der Kayapo ist, dass dieser eine »Transformation« durch den 849 C. L8vi-Strauss: Mythologica, Bd. I, 26. 850 Der Mythos der Kayapo-Gorotir8 erzählt von einem Reiher, der tötet, während der irokesische Mythos von einem Adler erzählt, der andere heilt. In beiden Varianten wird ein ähnliches Motiv aufgegriffen, welches jedoch vollkommen unterschiedlich gewendet wird. Vgl. C. L8vi-Strauss: Mythologica, Bd. I, 331–335. 851 C. L8vi-Strauss: Mythologica, Bd. I, 331. 852 Die Kayapo-Gorotir8 haben einen Mythos vom »Ursprung der Krankheiten«, in dem das »Motiv des Fischfangs mit Gift« aufgegriffen wird. Es geht um einen geheimnisvollen und gezähmten Wasservogel, der in einem Becken mit Wasser gehalten wird. Bei einem Gewitter schlägt der Blitz in das Wasser ein, »bringt es zum Kochen und umhüllt das Tier, ohne es zu belästigen, mit Rauch.« Während die Frauen den von den Männern vergifteten Fisch am Ufer des Wassers einsammeln, pickt der Wasservogel in ihre Richtung, verletzt sie zwar nicht, die Frauen sterben aber trotzdem »wie vergiftete Fische« (C. L8vi-Strauss: Mythologica, Bd. I, 331f.).

»Empirismus des Apriorischen«

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irokesischen Mythos erfahren hat.853 Demnach ist auch er kein singuläres Resultat des intersubjektiven Kommunikationsprozesses, er bildet sich in seiner Versinnbildlichung geschichtlich fort. Einmal wird die Krankheit auf den Tod und das andere Mal auf die Heilung bezogen. Die Weiterführung der mythologischen Erzählung versinnbildlicht, dass das Bekannte angesichts eines neuen Denkhorizonts, aus einer anderen Perspektive, neu thematisiert wird. Mythologisches Werden ist ein organisches Werden. In einer wissenschaftsorientieren Welt können Mythen nur insofern Geltung beanspruchen, als sie zum Ausdruck bringen, was in Relation zum Wirklichen steht. Beispielhaft kann heute selbst Platons Dialog Timaios lediglich dazu dienen, die Welt der Atome zu veranschaulichen.854 Eine mythologische Vorstellung, die mit dem Negativen nicht in Verbindung zu bringen ist, kann zwar dazu beitragen, sich einen neuen Denkhorizont zu erschließen, verharrt jedoch in einer bildhaften Beschreibung des Absoluten und bildet kein verständiges Fundament einer vernünftigen Selbstbeschreibung ›in der Zeit‹ (vgl. Kap. I.3). Der Kenntnis vom evolvierenden Fortschritt der Natur darf sich die Gottesvorstellung nicht entziehen, zumal sie eine Selbstbeschreibung von uns in der Welt, in der wir stehen und von der wir wissen, leisten soll. Zudem muss die Gottesvorstellung dem Anspruch gerecht werden, eine Entwicklung von der Naturvergötterung über den Polytheismus hin zum Monotheismus zu formulieren. Andernfalls wäre die Idee der Einheit, welche mit der Naturphilosophie gegeben ist, im Göttlichen nicht auszudrücken. Das Daß muss analog dem Was strukturiert sein – beide stehen auf demselben Grund. Dass es zweckhaft ist, diesen Weg zu beschreiten, gründet darin, dass zwischen Lehre und Geschichte nicht zu unterscheiden ist, letztere ist »als bloße Einkleidung der ersten« zu betrachten (SW XI, 198). Die Mythologie geht aus einem »nothwendigen Proceß« hervor (SW XI, 193; vgl. XIV, 3f.; UPhO, 489), sie ist nichts, was aus Freiheit gestaltet ist – die Mythologie weiß nichts um die Freiheit, sie auszuweisen, fällt der Philosophie der Offenbarung zu. Obzwar das Fortschreiten des Mythos so wenig willkürlich ist wie das der Natur, ist aus den mythologischen Vorstellungen keine – worauf Jonas noch im 20. Jahrhundert hinweist – »universale Dialektik« abzuleiten, die, »mit unbeirrbarer List der Vernunft fortschreitend, zuletzt im Reiche der zu sich gekommenen Vernunft und Freiheit gipfelt« (KGA III/1, 273). Weil die Mythologie mit den Lebenswelten korrespondiert, ist ihr Ausgang so gewiss oder ungewiss wie das Leben selbst. Da sie mit dem Wissen von der Idee der Freiheit zu ihrem Ende kommt, ist sie ein prinzipiell notwendiger Prozess, an den keine Forderungen zu stellen sind, er ist sich selbst überlassen. Ohne Kenntnis von der Idee der Freiheit zu haben, ist der 853 C. L8vi-Strauss: Mythologica, Bd. I, 333. Vgl. Anm. 850. 854 Vgl. W. Heisenberg: Der Teil und das Ganze, GW C III, 321–334.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

kulturelle Wissensprozess schlechthin notwendig und beliebig. Innerhalb dessen wissen wir von nichts Darüberhinausgehendem. Da Schelling zufolge die »Völker wie Individuen […] nur Werkzeuge dieses Processes [sind], den sie nicht überschauen, dem sie dienen, ohne ihn zu begreifen«, und es ihnen nicht möglich ist, »sich diesen Vorstellungen zu entziehen, sie aufzunehmen oder nicht aufzunehmen; denn sie kommen ihnen nicht von außen, sie sind in ihnen, ohne daß sie sich bewußt sind, wie; denn sie kommen aus dem Innern des Bewußtseyns selbst, dem sie mit einer Nothwendigkeit sich darstellen, die über ihre Wahrheit keinen Zweifel verstatte« (SW XI, 194, dritte Hervorhebung M.H., vgl. 210, 222),

wird von ihm freilich ein gegenteiliges Bild vermittelt. Dieses ist dahingehend zu präzisieren, dass die Freiheit zwar notwendiges Resultat ist; indem sie aber erwacht, ist die Forderung des selbstbestimmten Handelns an uns zu stellen. Während das Erwachen der Freiheit im Naturprozess nicht uns zufällt, ist das Erwachen der Freiheit in der Sphäre des Idealen eine kulturelle Leistung, eine Leistung unserer selbst (vgl. UPhO, 232; SW XIV, 8 f). Ob das Bewusstsein die Tatsache der Freiheit erfasst und für diese eintritt, steht auf einem anderen Blatt. Ist sich der Mensch ihrer nicht bewusst, mag er sie physiologisch ›haben‹, aber ohne das Wissen davon ist sie schlechthin nicht einzufordern. Mit der Einsicht in die Freiheit ist der Naturprozess wie die Mythologie zum Ende gekommen. Der Prozess der Notwendigkeit endet mit der Einsicht in die Idee der Freiheit. Solange die Einsicht in die Möglichkeit zur Selbstbestimmung fehlte, war der Fortschritt der Mythen ein notwendiger. Das heißt nicht, dass die mythologischen Vorstellungen nicht Ausdruck von Wahrheit sind, sie sind es genauso, wie es die Stufen der notwendigen Natur sind. Sie sind ein Schritt auf dem Weg zur Freiheit und als solcher ist »[j]eder Satz eines wahren Systems ist wahr an seiner Stelle, in seiner Zeit, d. h. in der fortschreitenden Bewegung aufgefaßt, und jeder ist falsch, für sich betrachtet oder aus der unaufhaltsamen Fortschreitung herausgenommen« (SW XI, 217). Der Irrtum war notwendig, erst durch ihn konnte sich das Wahre in der Welt entfalten. Mit dem Ziel der Schöpfung sind alle Wege »vom Weiten ins Enge« geführt (SW XI, 494, vgl. 32, 498). c)

Mythologie, Mysterien, Offenbarung

Um den Prozess vom Weiten ins Enge zu führen, ist es notwendig, die geschichtliche Darstellung von Natur und Kultur als aufeinander bezogene Einheit zu fassen. Wie auf Seite der Natur der Evolutionsprozess zu diskutieren ist, so ist auf Seite der Kultur der »historische[] Gang der Mythologie gründlich zu erforschen« (SW XII, 280; vgl. XI, 235, 413). Anhand des geschichtlichen Fort-

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schreitens der Mythologie lässt sich die Struktur des Fortschritts rational aufschlüsseln. »Aber die Mythologie ist ein natürliches, ein nothwendiges Gewächs; wir haben zugegeben, daß sie poetisch behandelt und sogar erweitert werden konnte, aber sie verhält sich hiebei wie die Sprache, die mit der größten Freiheit gebraucht, erweitert, innerhalb gewisser Schranken stets mit neuen Erfindungen bereichert werden kann, aber die Grundlage ist etwas, auf das menschliche Erfindung und Willkür sich nicht erstreckt hat, was nicht von Menschen gemacht ist« (SW XI, 218).

Die Mythologie ist nichts Zufälliges, sie ist die »verborgene Quelle, aus der sich die Geschichte ergießt« (UPhO, 238); das begründet sich schon darin, dass sie eine stete Auseinandersetzung mit sich selbst ist. Ihr Fortschritt ist nichts als ein Streben nach Bestimmtheit. Sie sucht zu formulieren, wie sich die Menschen in der Welt sehen. Ihr Ende hat die Mythologie genau dort, wo die Bestimmung nicht bloß in Bildern geschieht, sondern das objektiv explizit macht, was wir von der Welt wissen. Folglich beschäftigt sich die Mythologie mit der Darstellung der Tatsache der Freiheit (vgl. SW XII, 7, 91; UPhO, 19, 232f., 388; Pa-PhO, 292f.). Sie ist das Resultat des Wirklichen, sie fasst den ganzen Entwicklungsprozess des Realen in sich. Wird die Idee von der Freiheit begriffen, wird das ganze Werden, das ganze Sein begreifbar. Die wahre spekulative Philosophie findet sich genau dort, wo das Offenbare beschrieben wird, sie geht auf die »absolute Ursache [zurück], d. h. die auch Ursache der Ursachen ist« (SW XI, 400). In der Mythologie hat die Ergründung des Positiven ihren Anfang genommen; sie zeigt, wie sich die Selbstbeschreibung wandelt und die »Systeme nacheinander hervorgegangen sind, eines dem andern gefolgt, und je das frühere dem spätern zu Grunde gelegt worden ist« (SW XII, 186; vgl. Pa-PhO, 252). Dabei verortet Schelling in der Mythologie die zuvor im Naturprozess ausgewiesene dreigliedrige Potenzstruktur, die sich in drei geschichtlichen Epochen darstellt, wobei die »letzte Mythologie […] die Götterlehren früherer Völker als Momente ihrer Vergangenheit auf[nimmt]« und das Fundament für einen vernünftigen Begriff des Göttlichen schafft (SW XII, 287, 348). Die mythologische Entwicklung in der Geschichte hin zur Offenbarung der Freiheit geschieht demnach im Ausgang von der ägyptischen Mythologie über die indische Mythologie hin zur griechischen Mythologie (vgl. UPhO, 238–399; Pa-PhO, 214–250; SW XII, 350; XIII, 382–410).855 Obwohl eine Darstellung der Philosophie der Mythologie umfangreicher und komplexer sein muss, als Schelling dies leistet, lässt sich mit der von ihm skizzenhaft entfalteten Struktur zumindest ausweisen, was die späteren Ausführungen von L8vi-Strauss und Blumenberg belegen – nämlich, dass die Mytho855 Vgl. dazu D. Korsch: Grund der Freiheit, 222–225.

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

logie nichts Stillstehendes ist, sondern ein sich stetig Wandelndes. Ob dabei die ägyptische Mythologie auf die Darstellungen des Realen zu beschränken ist, in der indischen Mythologie die Götter verschwindende Erscheinungen sind (vgl. UPhO, 256–261; Pa-PhO, 221f.; SW XII, 460, 569–579)856 oder die griechische Mythologie nur »eine Welt schöner Erscheinungen« zurücklässt (UPhO, 261), wäre freilich im Detail zu diskutieren. Für das Folgende ist diese Rekonstruktion nicht weiter von Bedeutung. Maßgeblich ist einzig die Tatsache, dass der Inhalt des Göttlichen im Wesentlichen dem entsprechen muss, was wir über die Natur wissen, was wirklich ist – ist das der Fall, wird einsichtig, dass beide Sphären korrespondieren und miteinander verwoben sind, ohne ineinanderzugreifen. Die Wahrheit der einen ist die der anderen. Darüber hinauszugehen, hieße sich vom Wissen zu entfernen und dem Glauben Gehör zu schenken. Bringt die kulturelle Selbstbeschreibung das zum Ausdruck, was wirklich ist, erlaubt das die Einsicht in die »Realität der Prinzipien, aus denen die Offenbarung sich begreift« (Pa-PhO, 250; vgl. UPhO, 429; SW XII, 331). Lassen sich die analogen Systemstrukturen in den Sphären des Was sowie des Daß aufzeigen und sind beide Seiten auf komplementäre Weise als zusammengehörig, als Einheit zu fassen, lässt sich die Tatsache des Was in Relation zum Daß setzen, wodurch das eigentlich »Unaussprechliche[]«,857 die unvordenkliche Tat, der Grund der Freiheit, auszusprechen ist. Das Unbedingte lässt sich gemäß seiner strukturellen Identität auf das Bedingte beziehen, wiewohl die Beschreibung separat geleistet werden muss. Hierzu muss die positive Philosophie an die systemische Struktur des Tatsächlichen anschließen, nämlich bei der »Vereinigung des Idealen und Wirklichen« (Pa-Pho, 223). Jede Seite ist auf die andere zu beziehen, ebenso muss jede Seite trotz ihrer Bezogenheit auf die andere Seite in ihrer Eigenheit zu fassen sein. Die Mythologie steht auf dem Grund der Naturphilosophie, macht aber systematisch umgekehrt zu ihr den Anfang. Sie beschreibt den Grund der neuen Welt und entfaltet, was sie von der Welt weiß. Sie ist ihre gesteigerte Wahrheit. Ausgesprochen wird die Wahrheit erst im Rahmen einer Philosophie der Offenbarung – sie drückt die wirklichen Tatsachen idealiter aus,858 sie durchbricht die Verdunkelung (UPhO, 10, vgl. 8, 12, 424f.), sie begreift das Wesen des Seins als Ganzes. 856 Zur ägyptischen Mythologie vgl. J.E. Wilson: Schellings Mythologie, 129–140, zur indischen Mythologie vgl. 158–167. 857 L. Wittgenstein: Tractatus, 115. 858 In Schellings Philosophie der Mythologie heißt es dazu: »Es ist nicht meine Aufgabe, in bloß historische Untersuchungen hier einzugehen. Meine eigentliche Aufgabe ist nur eine philosophische Erklärung der religiösen und mythologischen Systeme. Unsere ganze Ansicht der Mythologie aber gewährt einen Standpunkt, von dem aus wohl auch ein Strahl auf die Dunkelheiten der Geschichte fällt« (SW XII, 231 Anm.).

»Empirismus des Apriorischen«

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»Der Hauptgrund zu einer Philosophie der Offenbarung ist aber schon gelegt. Ein reelles Verhältnis ist in der Philosophie der Mythologie dargestellt […]; aber speziell begreiflich wird der Entschluß nur dadurch, daß der Mensch schon ursprünglich im realen Verhältnisse zu Gott steht, daß dies ursprüngliche Verhältnis des Menschen zu Gott schon ein vermitteltes ist« (UPhO, 425, vgl. 426).

Da der Mensch, wie von Schelling seit 1809 mehrfach hervorgehoben, das »doppelte[] Princip« (SW VII, 362), Natur und Geist, in sich vereint, ist es notwendig, jener Doppelheit im Urbild, im Absoluten, Ausdruck zu verleihen.859 Natur und Geist stellen sich der Form nach unterschiedlich dar, in beiden Sphären wirkt aber dasselbe ideale wie reale Moment. Unser Mitwissen hängt von unserer Beschaffenheit ab, wir können nur wahrnehmen, wozu wir in der Lage sind, wahrzunehmen. Somit ist das Offenbare nichts, was uns nichts angeht, es ist genau das, was den Menschen ausmacht. Das macht unsere Mitwissenschaft am Absoluten, am Offenbaren, aus. Unsere Freiheit konkretisiert sich im tätigen Akt, dies gilt analog für das Absolute. Wie Schelling betont, ist der freie Akt der Inhalt der Offenbarung; der Inhalt der Offenbarung wiederum ist die »persönliche Tat. Der Geist des Menschen ist, je mächtiger er wirkt, desto unabhängiger von seiner Persönlichkeit. […] So ist Gott erst in der Offenbarung persönlicher Gott und steht dem Menschen wie ein Mensch gegenüber […]; er stellt sich dem Menschen, wie eine Person der Person, entgegen« (UPhO, 422f.; vgl. SW XI, 566f.).860

Die Verwirklichung der Freiheit in der Welt ist Sache des Subjekts, des Persönlichen; wäre dem nicht so, hätten wir kein Mitwissen an der Freiheit und könnten nicht an ihr partizipieren. Um sich der Freiheit gewiss sein zu können, bedarf es der inneren wie äußeren Beschreibung. Also reicht es nicht, dass der Wille »durch die Tat – a posteriori –« erkennbar ist, er muss ebenfalls a priori einzusehen sein. »Eine Philosophie der Offenbarung wird ihren Wert darein setzen, zu zeigen, daß die Offenbarung nicht ein notwendiges Erzeugnis, sondern eine Manifestation des allerfreiesten Wollens der Gottheit ist und hier haben wir die letzte Linie erreicht, wo wir es nimmer mit Notwendigkeit, sondern mit freiem Entschlusse zu tun haben.« (UPhO, 408f., 404, 426f.).

Das Wissen um die wirkliche Freiheit sieht Schelling in den christlichen Vorstellungen grundgelegt (vgl. Pa-PhO, 259). In diesen wird die offenbar gewordene Manifestation des allerfreiesten Wollens, die Tatsache der Freiheit auf die 859 Auf die Anthropomorphie unserer Erkenntnis weist ebenfalls Klaus Michael Meyer-Abich hin (vgl. Kap. II.6). Bzgl. unserer Beschränktheit vgl. den Hinweis auf Ludwig Feuerbach in Anm. 702. 860 Mit Offenbarung meint Schelling die »Offenbarung des wahren Gottes« (C. Danz: Philosophische Christologie, 45).

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

Sphäre des Idealen bezogen. Das Christentum bestimmt demnach den Menschen als Wendepunkt des Idealen und Realen idealiter im Ausgang vom Absoluten; dies wird aber nicht bloß als Bild gedeutet, es handelt sich um ein faktisches Verhältnis.

9.3.

Schöpfung der Freiheit

In Anlehnung an den evolutionären Schöpfungsprozess stellt sich hinsichtlich des Ursprungs alles Hervorgegangenen die Frage, wie hervorgehen konnte, was vorher (noch) nicht war. Anders als die negative Philosophie betrachtet die positive Philosophie, die Philosophie des Offenbarens, nicht nur das Seiende, sie will im Ausgang vom Seienden dessen Grund fassen und »hinter das Sein kommen« (UPhO, 23). Das Schaffende wird durch das Geschaffene mittelbar. Wir sind das Resultat dessen, was aus dem Schaffenden hervorgegangen ist. In uns ist der bisherige Schöpfungsprozess wahrhaft vereint. Dabei ist das Schaffende nicht, worauf noch Jonas fälschlicherweise hinweist, der Ausdruck eines »personalistic element« (HJ 3-7-1, 113), unseres existentialen Selbstverständnisses. Wissen ist nichts rein Subjektives, vielmehr muss gemäß unserer Mitwissenschaft das Objektive in die (Re-)Konstruktion miteinbezogen werden. Die zu leistende Beschreibung des Selbstverständnisses ist von den Menschen zu erbringen. Freilich ist die subjektiv-mythologische Erklärungsweise nicht bloß ein ideales Konstrukt fern aller Wirklichkeit, denn sie bringt das hervor, was die negative Philosophie ausgewiesen hat. Zu ihrem Ende ist die positive Philosophie gekommen, wenn sie das Unbedingte in Einklang mit dem Bedingten auszusprechen weiß. Ist das nicht der Fall, verharrt das Wissen um das Absolute in der Besonderheit, womit dieses Wissen zwar für jene, die an diesem Bild Wohlgefallen finden, Geltung haben mag, allerdings vermag die geleistete Selbstbeschreibung, so sie fern der Wirklichkeit steht, nicht auszusprechen, woran wir tatsächlich mitwissen, sie beschränkt sich auf das Reich des ›Meinens‹. Der Mensch weiß sich erst dann wahrhaft selbst zu beschreiben, wenn er die wirklich gewordenen Tatsachen im Rahmen seiner Beschreibung zu fassen weiß. Dass es der Einsicht in die Bedingungen des Wirklichen bedarf, hat in der Sphäre der Natur die quantenphysikalische Problembestimmung deutlich gemacht. Jede Form von Wissen nimmt auf das Ideale wie das Reale Bezug (vgl. Kap. II.6.2). Ohne Einsicht in die leitenden Ideen, in die verwendeten Paradigmen ist es nicht möglich, das uns Zugängliche, unser Wissen von der Welt zu ordnen und zu prinzipiieren. Obwohl die skizzierten ›Systematischen Leitlinien‹ nur vorläufige Leitlinien sein können, die aus einer kulturell, lebensweltlich bedingten Sichtweise hervorgegangen sind, schaffen sie zumindest eine erkenntnistheoretische Grund-

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lage dafür, wie Wissen zu prinzipiieren und auf welchem Grund die Selbstbeschreibung vor dem Hintergrund des Wirklichen einer Kritik zu unterziehen ist. Es bedarf dieses Anspruchs. Ist die kulturelle Selbstbeschreibung anderen nicht kommunizierbar, bleibt sie ihnen fremd, womit keine Mitwissenschaft, sondern nur Ichwissenschaft ist. Selbst wenn die Objektivierung der kulturellen Sicht fehlgeht, ist diese dem Verharren in der unreflektierten kulturellen Selbstbeschreibung, dem blinden Glauben bei weitem vorzuziehen. Ist ein Dialog zwischen verschiedenen Perspektiven möglich, wird das subjektive Wissen aus der Besonderheit erhoben, es wird intersubjektiv vermittelt. a)

Vernunft und Christentum

Der Übergang von den mythischen Vorstellungen hin zum Begriff der Offenbarung impliziert für Schelling eine Entwicklung hin zur philosophischen Religion (vgl. EuT XII, 119; SW XIV, 27f.).861 Diese nimmt auf den kulturgeschichtlichen Prozess Bezug, klammert dabei aber die natürliche Entwicklung des Geistigen in der Welt nicht aus, sondern sucht deren Grund objektiv zu explizieren. Um dies zu leisten, sucht die Philosophie des Offenbaren begreifbar zu machen, wie uns die Welt durch die »Realisierung ihrer Ideen, d. h., ihrer Prinzipien«, einsichtig geworden ist (UPhO, 72, vgl. 93, 133, 480). Demnach ist mit der Beendigung der negativen Philosophie die Bedingung der positiven Philosophie grundgelegt. Beide umfassen denselben Inhalt, wobei die positive Philosophie den Inhalt der negativen Philosophie, des Wirklichen als einsichtig gewordene Möglichkeit ausweist, womit im Positiven das Negative »triumphiert« (Pa-PhO, 153; GPPh; 180; SW VIII, 81; XII, 8; XIII, 70f., 84f., 152f., 155, 159–162, 165; XIV, 345).862 Es triumphiert die Tatsache der Freiheit, sie ist die sich realisierende Idee, die uns gegeben ist. Die wirklich gewordene Freiheit ist erst wahrhaft verständlich, wenn sich uns das Wahrnehmbare rational erschließt. Ist Freiheit gar nicht möglich, könnte sie sich nicht verwirklichen, die Möglichkeit ist die Bedingung, die Grundlage des Wirklichen (vgl. Kap. II.8.3).863 861 Diese Verknüpfung deutet Siegbert Peetz an: »Mit der Verklammerung von Mythologie und Offenbarung wird aber zugleich auch die systematische Stellung von Schellings Philosophie der Mythologie klar: Sie erschließt sich von der Philosophie der Offenbarung her, die den zweiten Teil der positiven Philosophie bildet und diese vollständig macht. Philosophie der Mythologie rekonstruiert die Geschichte des Bewußtseins auf der Stufe der Natur, Philosophie der Offenbarung auf der Stufe der Freiheit« (S. Peetz: Philosophie der Mythologie, 166). 862 Im Positiven »triumphiert« die negative Philosophie, »sie ist die Wissenschaft, in der das Denken sich in Freiheit setzt von allem notwendigen Inhalt; in ihrer Wahrheit ist sie daher selbst positiv, da sie die positive außer sich setzt und zu ihr hinstrebt« (Pa-PhO, 153). 863 Dieser Gedanke ist grundlegend für die Verknüpfung von negativer und positiver Philosophie, daher heißt es in der Philosophie der Offenbarung: »Die unorganische Natur ist die Voraussetzung der organischen, diese wieder die Voraussetzung der menschlichen Natur.

328

Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

Für uns ist nicht relevant, ob die evolutionäre Entwicklung anderes hätte verlaufen können. Es zählt nur, was geworden ist. Das Gewordene ist das »zurechtgestellte Falsche« (UPhO, 14, vgl. 99, 126; SW XII, 118, 315). Aus dem ganzen Entwicklungsprozess hat sich die Freiheit herausgebildet. Um ihre Wahrheit aufzuzeigen, muss sie sich als reale Tatsache ausweisen. Zudem gilt es aufzuzeigen, »wie in dem Hervorgebrachten eine von dem Hervorbringenden unabhängige Bewegung möglich« ist (EP, 118, 128). Sodann ist die Möglichkeit der Freiheit, das heißt ihre Voraussetzung, zu fassen; andernfalls wäre die Freiheit nur eine Form der Notwendigkeit, womit sie sich selbst aufheben würde. Damit sich Freiheit verwirklicht, muss sie durch den notwendigen Prozess hindurchgehen, so wird sie wirklich: »Das Reale muß dem Idealen vorausgehen; auf andere Weise wird nichts in der Außenwelt gegründet« (UPhO, 685; vgl. PaPhO, 107, 179. Der Innenhorizont ist mit der Außenwelt verbunden, aber nicht darauf zu reduzieren. »Alle Momente der Natur ruhten schon im menschlichen Bewußtsein, und noch jetzt liegt die letzte Wahrheit der ganzen Natur im menschlichen Selbstbewußtsein, und nur die echte Philosophie kann das zerrissene Bewußtsein wieder ganz machen« (UPhO, 227, 190f.).

Das Hervortreten des Bewusstseins aus dem Naturprozess ist sowohl in Bezug auf die Innen- als auch auf die Außenwelt zu beschreiben. In beiden Sphären findet sich ein auf den Schöpfungsakt zurückgehendes geschichtliches System. Das Hervortreten der Freiheit setzt im Reich der Natur sowie des Geistes eine Entwicklung, eine Überwindung voraus. Im Negativen ist das geschichtliche Werden mit der Evolution vom Anorganischen hin zum Organischen zu beschreiben, im Positiven ist es der Fortschritt vom notwendigen zum freien Gott. Im Negativen ist die Freiheit des Organischen das Höchste, analog dazu ist es im Positiven das offenbar gewordene Freie. Das Wesen der Freiheit ist in beiden Sphären identisch. Schelling sieht das Streben im Negativen im Menschen und im Positiven in Christus manifestiert. Das Negative beschreibt die Tatsache realiter als Tatsache der Natur, das Positive beschreibt es idealiter als Tatsache des Bewusstseins. Unstreitig entfaltet Schelling seine Philosophie entlang eines christlichen Selbstverständnisses. Seine Darstellung ist aber keine beliebige Phantasterei, sondern eine Vernunft-Konstruktion, die an unser Wissen über das Wirkliche anknüpft und dieses rational zu fundieren weiß. Zwar kann nicht letztgültig beantwortet werden, ob das ›schellingsche Christentum‹ wahr oder falsch ist, es Also das nicht Wahre ist Voraussetzung des Wahren – die Stufe zum Wahren. Die Faktoren der unorganischen und organischen Natur sind gleich, nur die Stellung ist eine andere. Was in der organischen Natur hoch und dominierend ist, das ist in der organischen Natur stumm« (UPhO, 6, vgl. 26f., 32, 598, 604; SW XI, 334).

»Empirismus des Apriorischen«

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offeriert allein eine Möglichkeit, wie die Ursache der gewordenen Wirklichkeit für uns rational fassbar ist. Dank der negativen und positiven Philosophie wird sich der Mensch empirisch wie rational durchsichtig. Die Manifestation des göttlichen Geistes ist von zentraler Bedeutung; dargestellt wird sie von der positiven Philosophie, und die Konkretion der Idee im Realen macht die negative Philosophie sichtbar. Entscheidend ist, dass die manifest gewordene Idee auf beiden Seiten nicht verschiedener Natur sein kann. Dies deutet sich bei Schelling schon 1802 an. In jener Zeit spricht er nämlich davon, dass es sich beim Christentum sowie beim Naturprozess um eine »speculative[] und historische[] Construktion« handelt (SW V, 304).864 Beide Darstellungen beschreiben die geschichtliche Entfaltung der Idee der Freiheit – einmal im Reich des Negativen, das andere Mal im Positiven. Damit die an die negative Philosophie anschließende Konstruktion des Christentums überzeugt, ist nicht bloß ein beliebiges, erdichtetes Bild zu zeichnen (vgl. Pa-PhO, 310–312; SW XIII, 317; XIV, 19).865 Das Bild muss dem entsprechen, was wir von der Welt wissen. Dann ist es keine Erdichtung, sondern der apriorische Probirstein des Aposteriorischen. Die Schwierigkeit der Beschreibung liegt gerade darin, dass die als Tatsache ausgewiesene Freiheit im Positiven nicht direkt fassbar ist. Als Ur-Tatsache alles Werdenden ist sie die unvordenkliche Tat allen Seins (Pa-PhO, 213; vgl. SW X, 36; XIII, 385, 453; XIV, 337–356).866 Da das Positive die »letzten Wurzeln […] jene[r] unvordenklichen Tat« zum Inhalt hat (UPhO, 238), muss es das Unvordenkliche allgemein durchdringen, dadurch wird das Positive für uns verständlich. Können wir uns des Unvordenklichen vergewissern, ›haben‹ wir ein Wissen von der ersten, der unvordenklichen Tat – auf diese Weise wird das Wissen vom Nichtwissen zum Mitgewussten.

864 Diesbezügliche »Andeutung[en]« (UPhO, 17) finden sich bereits in den Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums (vgl. SW V, 286–295). Trotz des Hinweises von Stephan Djunkovsky vom 20. 9. 1854 ist es wenig überzeugend, dass jene Vorlesungen für Schelling »das wichtigste aller [s]einer Werke« sind (X. Tilliette: Schelling im Spiegel, 516, 516–519), schließlich hat er mit seiner Urfassung der Philosophie der Offenbarung seine Konzeption erheblich erweitert und von einem enzyklopädischen System Abstand genommen, wenngleich nicht zu bestreiten ist, dass in jenem Werk die historische Bedeutung des Christentums grundgelegt wurde. 865 Hierauf weist Jens Schröter hin: »Jede Rekonstruktion vergangener Wirklichkeit ist darum auch eine Konstruktion aus der Perspektive der jeweiligen Gegenwart« (J. Schröter : Wahrer Mensch und wahrer Gott, 303). 866 Dass es sich hierbei um Mitwissen handelt, bestätigt Schelling in seiner Philosophie der Offenbarung: »In dem vollkommenen Geist ist das an sich Seyende Er selbst, es nimmt an der Wirklichkeit seines unvordenklichen Existirens Theil, und ist daher wie Er selbst entschiedene Wirklichkeit« (SW XIII, 263; Pa-PhO, 177).

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Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

»Es scheint dieses Prinzip dem später auf sich selbst reflektierenden Bewußtsein als eingeschlichenes, unvordenklich daseiendes im menschlichen Bewußtsein: überhaupt kommt es nicht von außen, sondern ist schon mit dem menschlichen Bewußtsein da« (UPhO, 638).

Unvordenkliches ist nichts Irrationales, das hieße, dass es schlüssig gar nicht einzusehen, sohin völlig fremd wäre. Richtig ist, dass nach Schelling im Menschen »ein Rationales und ein Irrationales« ist (SW VII, 435; VIII, 72, 328). Das lässt sich nur so verstehen, dass das Irrationale jener Teil ist, der uns nicht direkt zugänglich ist, jedoch als Grund dem uns direkt Zugänglichen vorausgehen muss – es ist nicht von uns selbst hervorgebracht. Irrational ist es insofern, als es dem Rationalen vorausgeht, dabei ist das Irrationale für uns nur durch die Ratio fassbar. Auszusprechen ist nur, woran wir teilhaben, daher haben wir auch am Irrationalen teil, wüssten wir doch sonst nicht um es. Wird das Irrationale ins Wissen überführt, ist es rational einsichtig. Indem es rational durchdrungen wird, erlangen wir einen Begriff vom Unvordenklichen. Ausgesprochen wird der Inhalt des nicht Fassbaren, des Unvordenklichen, in der Mythologie und in der philosophischen Religion. Es werden keine zufälligen Bilder formuliert, stattdessen kommt dem Glauben, um den Begriff von Christian Danz aufzugreifen, als »reflexive[m] Akt« eine neue Stellung zu.867 Durch die Reflexion auf sich wird das scheinbar Irrationale explizit gemacht, es wird nachvollziehbar. Jedes Denken ist von einer Perspektive begleitet. Daher muss es seine Position rechtfertigen können, auf diese Weise wird die jeweilige Perspektive für andere nachvollziehbar. Dass das Schellings Bestreben ist, deutet sein Hinweis an – obwohl er in der christlich-protestantischen Tradition steht –, dass die »Vernunftphilosophie […] weder unchristlich noch christlich« ist (Pa-PhO, 134; vgl. SW XIII, 136). Ihr kommt es zu, die individuellen Vorstellungen von der Welt (Wirklichkeit) in wahrhaftes Wissen zu überführen. Zwar kann selbst der Philosoph nicht über seine Lebenswelt hinausgehen, aber zumindest sucht er durch die Objektivierung seiner Perspektive sein Denken anderen zugänglich zu machen. Eben dadurch bleibt die eigene Perspektive nicht im ›Meinen‹ verhaftet, sie kann allgemein verständlich werden. Mitwissen ist nichts Subjektives, nichts Isoliertes, es ist allgemeiner Natur. Kein kultureller Zugang ist per se besser oder schlechter als ein anderer. Der jeweilige Geltungsgrund zieht sich allein daraus, ob die Selbstbeschreibung den Grund des Wirklichen begreifbar machen kann. Geht sie an der Wirklichkeit vorbei, kann die perspektivische Sicht die erfahrbare Bestimmtheit nicht beschreiben, womit sie keine Wahrheit beanspruchen kann, steht sie doch im Widerstreit mit der Erfahrung. Wahrheit ist nur dort zu finden, wo Rationalität und Empirie in Einklang stehen. 867 C. Danz: Christologie, 222.

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Unser Mitwissen von der Welt hängt wesentlich vom jeweiligen Wissenshintergrund ab und kann nur ›in der Zeit‹ Geltung beanspruchen. Denn die Zukunft ist nur aus der Vergangenheit abzuleiten. Sind uns neue Tatsachen gegeben, müssen wir uns mit diesen auseinandersetzen und können uns nicht auf frühere berufen – dieser Wandel ist nicht nur im Reich des Was, sondern auch in dem des Daß unumgänglich. Schelling nimmt das in den Blick, dabei suchte er nie das Christentum über die objektive Vernunft zu stellen. Ihm kam es stets darauf an, das kulturelle Wissen, welches mit dem Christentum gegeben ist, vernünftig zu rekonstruieren, um auf dessen Grundlage objektive Antworten über den Grund des Was, das Daß geben zu können. Ein anderer Weg scheint ihm nicht möglich, da der Mensch dem Vernünftigen nur aus seiner individuellen Lebenswelt heraus Ausdruck zu verleihen weiß. Kultur und Religion sind demnach nicht zu annihilieren, sie sind jene Formen des Geistes, die auf geschichtliche und bildhafte Weise ausdrücken, wie die Welt dem Wesen nach beschaffen ist. Deswegen ist der Kultur so viel Realität zuzugestehen wie »irgendeine[r] Formation der Natur«: Wer das Ganze fassen will, kann sich nicht auf die Natur beschränken – es ist überdies notwendig, das Geistige miteinzubeziehen und die Kultur, die Religion, auch das Christentum, »wenigstens an[zu]hören, es sich aussprechen [zu] lassen« (UPhO, 418, vgl. 458f., 669). Keine Sphäre ist der anderen erhaben. b)

Vom Seinkönnenden zum Seinsollenden

Der Schöpfungsprozess ist mit dem Menschen zur gesteigerten Wahrheit erhoben. Im Schöpfungsprozess haben sich das Natürliche und das Übernatürliche, welche ursprünglich nur im Unbedingten vereint waren, versöhnt: Im selbstbewussten Menschen manifestiert sich das Absolute.868 Anders als die sukzessive Entfaltung in der Welt ist das Offenbarwerden nichts Zeitliches, sondern etwas Ewiges, wenngleich dessen Darstellung ›in der Zeit‹ geschieht. Schelling folgt hier nicht dem Gedanken der Evolution von der Natur hin zum Geist der Weltalter-Fragmente.869 In seiner späten Offenbarungsphilosophie betont er dagegen, dass die geschichtlichen Formen nichts als »Wiederholungen des Schöpfungsaktes« sind (UPhO, 164, vgl. 209, 598). Jede Form ist gleichermaßen Ausdruck des Wesens des Absoluten, dieses stellt sich nur unterschiedlich dar. Vollkommen ist nur die Einheit der Potenzen. Insbe868 Auf das göttliche Streben nach Einheit bei Schelling verweist Christian Danz: »Die Selbstverwirklichung Gottes etabliert das menschliche Bewußtsein als sein Resultat, und zwar so, daß sich im Bewußtsein als Telos der Natur Gott darstellt als der, der er immer schon war. In der Verwirklichung des Bewußtseins offenbart sich Gott als die absolute Einheit« (C. Danz: Philosophische Christologie, 41f., 39, 42–45). 869 Vgl. G. Neugebauer: Tillichs frühe Christologie, 102f.

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sondere gilt das für die zeitliche Entfaltung: Die wahre Zeit ist die Einheit der Zeiten (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft). Demgemäß umfasst die wahrhafte Ewigkeit alle drei Zeiten. Wenn der zeitliche Prozess als A+B+C gesetzt ist, ist der Prozess vollendet und die wahre Zeit wirklich (UPhO, 163, vgl. 103, 138; SW XI, 29, 216f., 222f., 229, 233, 235). Absolut ist die Spannung der Potenzen, sie ist immerwährend. Die positive Philosophie schließt an den Inhalt des Wirklichen an: »[W]as sein wird, kann seiner Natur nach nichts anders sein[] als das Sein Könnende.« Es muss sich um ein aktives Können handeln, das zwischen Sein und Nichtsein als »Wollen in der Mitte steht« (UPhO, 24, vgl. 33, 35–38; SW XI, 186f.). Das Wesen des Seinkönnenden ist das Wollen, ohne Wollen ist keine Freiheit, nichts sein Könnendes. Seinkönnendes kann sein, muss aber nicht sein. Somit ist das Seinkönnende nichts anderes als der wollen könnende Wille (UPhO, 36f., vgl. 29, 39f.). Deshalb können das sein Könnende und das rein Seiende nicht identisch gesetzt sein, sonst wäre von Anfang an alles da. Freiheit drückt sich aber gerade darin aus, Mögliches verwirklichen zu können. Die Freiheit ist erst seiend, »wenn der Wille will […]; denn das Sein besteht eben im Wollen« (UPhO, 26; SW XIII, 205f., 213f.; XIV, 347f.): Freiheit ist ein Streben nach Bestimmtheit. »Denn nicht wollender Wille ist nach unserer Voraussetzung bloße Potenz. Der unendliche Wille ist aber bloßer purus actus – beide gehen also nicht zum actus über. […] Das sein Könnende ist über dem Sein, weil es reine Potenz ist; der reine actus aber ist über dem Sein, weil er nicht ad actum übergehen kann« (UPhO, 43; vgl. SW XII, 36).

Das rein Seiende und das sein Könnende sind nicht voneinander zu trennen, sie bilden eine substantielle Identität. Der Form nach handelt es sich um zwei Bestimmungen (UPhO, 46, 55). Das sein Könnende ist das ideale Moment, während das rein Seiende dessen Realisierung ist. Jede Seite bedingt die andere, ihrem Wesen nach sind sie absolut identisch, wenngleich »jenes […] nicht dieses, und dieses […] nicht jenes« ist. Ein in diesem Verhältnis gründendes Doppelwesen fußt auf der Differenz der Form (UPhO, 57), welches im Indifferenzpunkt, in einem Dritten vereint ist: »Was kann es aber als das Dritte sein? Wir haben gezeigt, daß es als jedes, als sein Könnendes und als rein Seiendes, Einseitigkeit ist; dadurch, daß es ungeachtet der Doppelheit doch ein und dasselbe Wesen ist, als das eine sowohl, als auch als das andere, hebt es die Einseitigkeit in sich auf. Nun kommt dieses Eine in die Mitte zwischen dem einseitigen Sein und dem einseitigen Können zu stehen, d. h., es ist von beiden frei. Da es aber nur davon frei ist, indem es eben beide voraussetzt, indem es in beiden ist […], so ist es das von beiden Freie nur als ein Drittes. Es ist das von beiden Freie nur, inwiefern es das sein Könnende ist, dessen Einseitigkeit dadurch aufgehoben wird, daß es auch das rein Seiende ist« (UPhO, 58f.).

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Selbst als Ausdruck der unvordenklichen Tat ist die wahrhafte Freiheit nicht bloß auf Seite des Idealen (des sein Könnenden) oder des Realen (des rein Seienden) zu verorten. Die im Menschen versöhnte »ursprüngliche Duplizität«, die sich uns als Gut und Böse bzw. als Geist und Leib offenbart, entspricht der differenten Indifferenz beider Sphären (UPhO, 634, vgl. 602; Pa-PhO, 294): »[W]enn wir das sein Könnende als Subjekt, das rein Seiende als Objekt bestimmen, so ist unser Drittes weder dieses noch jenes, sondern das unzertrennliche Subjekt = Objekt.« Das Ideale hat sich am Realen zu bewähren, und umgekehrt (UPhO, 59, vgl. 61, 77, 117, 192–203). Das dritte und versöhnende Moment ist die Freiheit, sie ist die causa finalis des sukzessiven Prozesses – analog zum Naturprozess. In der causa finalis (A3), dem sein Sollenden, geht die Spannung der Potenzen auf. Folglich hat sie die causa materialis (B, das rein Seiende) und die causa efficiens (A, das sein Könnende) zu ihrer Voraussetzung (vgl. UPhO, 85f., 97, 130f., 216f., 548f.; SW XII, 112f.; XIII, 266f., 279f., 347f.; XIV, 177; Pa-PhO, 104f., 180–183). Ob dem, dass der Natur- und der Kulturprozess methodisch identisch strukturiert sind (vgl. Kap. III.8.2.b), unterscheiden sie sich dahingehend, dass in der »wirklichen Schöpfung […] die Potenzen umgekehrt« entfaltet sind (Pa-PhO, 201). Das meint nichts anderes, als dass die positive Philosophie das Ende der negativen zu ihrem Anfang hat, während das Ende der positiven Philosophie die Bedingung des Negativen ist. Damit wird das Unbedingte auf das Bedingte rückgeführt, und das Bedingte hat im Unbedingten seinen Grund. Über das Bedingte ist selbst im Unbedingten nicht hinauszugehen, da das Wissen auf »das möglichste Minimum der Erkenntnis zurückzugehen« muss (UPhO, 19, vgl. 64, 222, 685). Wird von etwas gesprochen, wovon wir kein Bewusstsein haben, haben wir kein Wissen davon: Es ist uns fremd. Durch die Darstellung vom Was und vom Daß gewinnen wir Einsicht in unser Denken, in unsere paradigmatischen Wissenszugänge. Das Wissen drängt zu seinem Grund. Da die negative wie die positive Philosophie auf dieselben realen und idealen Bestimmungen Bezug nehmen, stehen sie auf demselben Grund. Methodisch zeigt sich, dass der in Spannung gesetzte Schöpfungsprozess (sowohl im Negativen als auch im Positiven) in der dritten Potenz zur Ruhe kommt (vgl. SW XII, 168f.). Allerdings nimmt damit das Werden der Welt kein Ende. Mit deren Ende wäre kein Göttliches mehr, der freie Akt als erste Ursache kann aber nie aufhören »zu wirken: sie setzt nach unserer Annahme immer das Gewordene =B; nur durch die zweite Ursache ist es =A. Jetzt ist es unabhängig von B; es ist zwar B, aber B, an dem A hervorgebracht ist. […] Und dies zuletzt Gewordene ist nicht das einfache A, sondern A, dem B zugrunde liegt. Dadurch, daß es B zur Grundlage hat, ist es frei gegen A2, und dadurch, daß es A ist, ist es frei gegen B, also ein wahrhaft Drittes zwischen beiden; es ist substantiell weder das eine, noch das andere – und wenn Sie sich denken, daß es als

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das in A umgewandelte B auch die dritte Potenz anzieht, so ist das Entstandene Herr der drei Potenzen, insofern sie ihre Selbstständigkeit in ihm verloren haben. Dieses gemeinschaftlich Hervorgebrachte ist frei von den Potenzen; es verhält sich zu ihnen wie Gott« (UPhO, 222f., vgl. 548; SW XIII, 289, 355–359; XI, 391; Pa-PhO, 183).

Im Naturprozess ist es der Mensch, der alle Potenzen in sich vereint. Als A3 ist er das »wirkliche[] Ebenbild der Gottheit« (UPhO, 413).870 In ihm ist die Spannung der Potenzen geeint. Es bedarf dieses Zu-Sich-Kommens, denn ein »Geisteswerk ohne Anfang und Ende« müsste als »das Unvollkommendste schon an sich erklärt« werden (UPhO, 80, vgl. 128f.). Durch jenen Moment, in dem sich für uns im hegelschen Sinn der »Bildungsprozeß vollendet« hat (TWA 7, 28), lässt sich das Streben als wollendes Streben und nicht als willkürliches Treiben beschreiben.871 Freiheit besteht nicht darin, von Trieben geleitet oder beliebig zu sein, sie ist ein Wollen zum Sein, sie will sein. Das Seinsollende soll sein, was es sein will, und es will sein, was es sein muss, um zu werden, was es sein will. Im Menschen ist das sein Sollende das, was es sein wollte. Manifestiert hat es sich als das, was das Absolute sein wollte. Die im Menschen geeinte Spannung vom sein Könnenden, sein Müssenden hin zum sein Sollenden ist das Resultat der unvordenklichen Tat.

c)

»Festhalten« und Freiheit

Die im Naturprozess (Negatives) beschriebene Strukturentfaltung des Absoluten sieht Schelling ebenso im Christentum (Positives) ausgesprochen: Dabei muss die Struktur der Natur (Negativ) und die der Kultur (Positiv) methodisch absolut identisch sein, nur so erweist die eine Sphäre die Gültigkeit der anderen, und umgekehrt. Im Christentum wie im Naturprozess folgt die Darstellung der Freiheit nicht einer linearen Entwicklung 1+1+1, stattdessen ist das Christentum analog dem Naturprozess gemäß der dreigliedrigen Potenzstruktur entfaltet (vgl. UPhO, 650). Wie Magnetismus, Elektrizität, Chemismus im dynamischen Prozess vereint sind, ohne dass sie ihre Eigenheit verlieren (vgl. SW XII, 265), werden im Christentum Vater, Sohn und Heiliger Geist als »3 Gestalten« gefasst (UPhO, 97), die trotz ihrer Dreiheit eine vermittelte Einheit bilden. Die 3 Ge870 Erst im »vollendeten Geiste ist nämlich das, was sein wird, als solches festgestellt: es ist gesetzt als Freiheit, auch nicht zu sein. Und dies ist das Resultat der bisherigen Entwicklung, nämlich Freiheit und Seinsentstehung. Das, was sein wird, mußten wir zuerst gegen die Gefahr des Umsturzes zu bewahren suchen, und es daher als Notwendigkeit zu sein darstellen. Wir haben es als Freiheit, nicht ins Sein überzugehen, erreicht und müssen es nun als Freiheit zu sein erreichen« (UPhO, 63, 56, 73). 871 Dass Willkür nicht mit Freiheit gleichzusetzen ist, hat Schelling schon in Würzburg klargestellt (vgl. SW VI, 552), Freiheit besteht nicht darin, von Trieben geleitet oder beliebig zu sein, sie ist vielmehr das Wollen zum Sein.

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stalten sind nicht bloß eine Aneinanderreihung, sie stehen – analog zu den Momenten im Naturprozess – organisch zueinander. Sie beziehen sich aufeinander und bedingen einander. Also handelt es sich nicht um drei isolierte Wesen, es geht um ein Wesen, das sich in einer dreigliedrigen Organstruktur entfaltet. Es handelt es sich um »ein Wesen mit drei Ansichten […] – Ein Wesen, das gleichsam drei Antlitze zeigt« (UPhO, 60, 68f., 95, 117, 119; SW XIII, 236–239). Methodisch findet sich in der Naturphilosophie wie im Christentum dieselbe Struktur. Auf beiden Seiten sind deren Grundbestimmungen gleichermaßen in einer höheren Einheit aufgeboben. Die identische Strukturentfaltung der christlichen Beschreibung des Daß zum Naturprozess ist ein methodisches Indiz für die systematische Entsprechung beider Seiten. Entscheidend ist nicht nur, dass sich auf beiden Seiten dieselben Strukturmomente finden, ebenso maßgeblich ist, dass sich darin dasselbe Telos findet. Das Christentum schließt an das Wissen der negativen Philosophie an, auf beiden Seiten manifestiert sich jeweils im Subjekt die Idee der Freiheit. In der Natur findet sich ein Streben nach Freiheit, welches im Positiven mit Christus folgendermaßen ausdrückt wird: »Ich werde sein, der ich sein werde, d. h., der ich sein will – es ist über mein Sein nichts vorausbestimmt – niemand kann es vorausbestimmen, was ich sein werde – es hängt nur von meinem Willen ab« (UPhO, 89).

Ist das Göttliche, hat es sich als das, was es sein will (vgl. UPhO, 88, 92, 98, 452, 449, 451–453; SW XIII, 270 f, 274.; XIV, 227, 352f.). Die Entäußerung bzw. die Darstellung der Freiheit geschieht im Christentum konsequenterweise gemäß den drei Potenzen: Die erste Potenz ist die der Entäußerung, die zweite die der Scheidung und die dritte die die beiden vorausgehenden Momente versöhnende Einheit. Wie es das Wesen der Natur ist, so ist es das des Christentums, »Drei zu seyn«, wobei es sich nicht um eine »materielle«, sondern um eine »geistige Nothwendigkeit« handelt, was nichts anderes heißt, als dass die Entfaltung des christlichen Gottesverständnisses nur durch die Darstellung der drei Potenzen als Unvordenkliches rational einsichtig wird (SW XIII, 259; XII, 78f.). Dass das Christentum wie der Naturprozess auf derselben methodischen Struktur aufbaut, belegt die dreigliedrige Potenzstruktur. Im Positiven ist die causa efficiens (A, das sein Könnende) auf die causa materialis (B, das rein Seiende) bezogen – mit dem Unterschied, dass im Positiven nicht vom Realen ausgegangen wird, im Zentrum steht das Ideale. Geeint sind sie in der causa finalis (A3), hier finden sich die idealen und realen Momente prinzipiell vereint (vgl. Kap. III.8.2.b). Die causa finalis ist das sein Sollende im Wirklichen und sogleich das Seinsollende der unvordenklichen Tat. Ohne Seinsollendes wäre keine Freiheit, es wäre nichts, was sich selbst bestimmt. Damit die Freiheit uns einsichtig ist, müssen das

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Negative und das Positive eine vermittelte Einheit darstellen.872 Freiheit steht der Notwendigkeit gegenüber ; wäre nur Freiheit oder nur Notwendigkeit, wäre keine Freiheit, denn sie wäre grenzenlos, sohin unbestimmt, fehlt doch das Abgrenzungsmoment. Wie der Naturprozess ist die Gottesvorstellung nur als Ganzes zu fassen. Die christliche Vorstellung spricht das geradewegs aus. Festzumachen ist das daran, dass die »drei Persönlichkeiten […] nicht verschiedene Götter [sind]; denn das Wesen, die Substanz, ist immer dieselbe. Denn der Vater, der im Sohne begriffen ist, ist kein anderer, als der, der auch den Sohn begreift, und der Sohn, der auch im Vater begriffen ist, ist kein anderer, als der, den auch der Vater begreift. Und doch sind sie nicht bloß 3 verschiedene Bezeichnungen oder drei verschiedene subjektive Ansichten eines und desselben Gottes, sondern sie sind drei objektive Unterscheidungen. […] Diese Selbständigkeit geht in der Einheit nicht verloren. Jeder tritt mit dem subjektiven Charakter in die Einheit zurück. Dies ist sie höchste Steigerung der Dreieinigkeits=Idee« (UPhO, 192f., vgl. 186–203, 208, 564f.; SW XIII, 338–354; XIV, 65f.).

Das Christentum spricht mit der göttlichen Dreieinigkeits=Idee den grundlegenden Akt der Freiheit aus; diese Idee verdeutlicht – ähnlich den Ausführungen in Schellings Weltalterphilosophie von 1811 (vgl. WA I, 19) – die Differenz im Absoluten. Ohne Differenz ist keine Entwicklung, es wäre allein Stillstand. Die Überwindung ist wie die Entäußerung ein Akt der Freiheit. Am Anfang der Entäußerung steht das Seinwollen (erste Potenz), dem der »Unwille«, der »Wille, der nicht sein soll«, entgegensteht (zweite Potenz). Im Unwillen hat sich der Wille nicht, er ist noch nicht, was er sein will. Seine Einheit findet der Wille erst in dem, was er sein soll (dritte Potenz) (UPhO, 128, vgl. 204). Analog der dritten Potenz ist das Streben im Naturprozess das Resultat allen freien Strebens – das heißt freilich nicht, dass nicht schon jede Potenz an sich Wahrheit zum Ausdruck bringt, sondern nur, dass erst in der dritten Potenz für uns das Telos des Seins einsichtig ist. Schellings Ausführungen zum Christentum legen nahe, dass in Christus sowie im menschlichen Bewusstsein das Ende der Schöpfung ausgesprochen ist. Auf beiden Seiten steht am Ende des Prozesses die Einheit der Potenzen.873 872 Der vollkommene Geist stellt sich dar als »1) der an sich seyende Geist, 2) der für sich seyende Geist, 3) der im An-sich für sich seyende Geist«. Die erste Gestalt drückt die Möglichkeit aus, die zweite begreift sie für sich und und die dritte impliziert ein »in sich selbst zurückkehren, sich als reines Selbst wieder gewinnen, sich selbst besitzen« (SW XIII, 256f., vgl. 251–272). 873 Diese Struktur sieht Schelling im Christentum entfaltet: »Der Vater ist der alles in Spannung und Wirkung Setzende und insofern der ganze Gott. […] Im actus selbst ist er der alles in Wirkung setzende, also auch hier der ganze und alleinige […]. Hier ist nämlich ein doppelter Wille unterschieden – ¢ekgla ist der bloße des Vaters, womit er die Spannung setzt – boukg aber ist der wahre, finale Wille des Vaters, womit er die Einheit will. Sein wahrer Wille

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Die kulturelle Selbstbeschreibung entlang des Wirklichen hat sich im Christentum bildlich mit dem Abfall des Menschen von Gott geäußert (vgl. UPhO, 444, 155, 198; SW XIV, 50). Mit dem »Fall hatte der Mensch aus dem Einen Herrn sich drei Herrn gemacht, einmal die blinde Macht, die es schon so weit gebracht hatte, dass sie Christo, dem zweiten Herren, die Macht über Alles anbieten konnte, wenn er sich von Gott losreißen wollte. […] So viel von der von Gott unabhängigen Existenz, deren er sich durch die Menschwerdung entschlägt. Nur die außergöttliche Existenz macht ihn fähig zum Mittler« (Pa-PhO, 263; vgl. SW XIV, 50).

Die offenbare Scheidung von Natürlichem und Übernatürlichem, die »Sichselbstentgegensetzung«, ist der erste freie Akt überhaupt (UPhO, 453, Hervorhebung M.H., vgl. 455, 523, 546f., 579; SW XII, 161). Hierin drückt sich die erste Entgegensetzung des Göttlichen, des Guten in sein Gegenteil, ins Dämonische aus, wobei selbst dies nur ein »von Gott Geschaffenes« sein kann (UPhO, 617, 596, 617–624, 632, 656; Pa-PhO, 182f.; 305–312), schließlich kann nichts hervorgehen, was nicht schon im ersten Akt begründet ist. Diese vernunftlogische Bezugnahme weiß die Christologie aufzuheben. In der Person Christi findet die Offenbarung Gottes nach Schelling ihr versöhnendes Moment.874 Mit der Menschwerdung ist Jesus Christus in die Natürlichkeit gestellt, mit seinem Tod kehrt er sich ins vollkommene Gegenteil, er kehrt sich ins Geisterreich und mit dem »Tag der Auferstehung« werden beide Seiten in die Einheit erhoben (UPhO, 598, vgl. 437 602, 671). Durch Christus’ »Himmelfahrt« erfährt die Menschheit das Bewusstsein für die Versöhnung des Natürlichen und des Übernatürlichen (SW XIV, 235, 89, 217):875 Durch das Leid und den Tod Christi ist die Vermittlung der Sphären vollbracht. Stellvertretend für die Menschheit ist Jesus Christus der Mittler zwischen dem Höchsten und dem Tiefsten, zwischen Himmel und Erde, zwischen Geist und Natur. Seine Mittlerschaft bekräftigt die »Wurzel eines von Gott unabhängigen Seins«: Durch ihn wird verständlich, dass die verschiedenen Momente im Menschen geeint sind (UPhO, 441, Hervorhebung M.H., vgl. 223, 402, 437, 517, 547, 575f., 604; SW XIV, 224f.). Mit dem Christentum wird der Gedanke ausgesprochen, dass das Göttliche werdend, aber in sich selbst geschieden ist, genau wie dies im ist nicht die Spannung, sondern das Erzeugen des Sohnes; […] Erst am Ende des actus ist der Sohn wirklich Sohn, ist als Sohn; und da dieses Ende das Ende der Schöpfung ist, so ist er zwar schon vor Anfang der Schöpfung gezeugt, aber nicht als Sohn schon verwirklicht. Das Ende der Schöpfung aber ist das menschliche Bewußtsein« (UPhO, 158; vgl. SW XIII, 318). 874 Vgl. C. Danz: Christologie, 222. 875 »In der Selbstnegation Christi vollzieht sich so die Restitution des ursprünglichen Bewußtseins und zwar voll und ganz. Schelling hat diesen Vollzug als ein Bewußtwerden des Bewußtseins dargestellt« (C. Danz: Philosophische Christologie, 55. Vgl. SW XI, 215; XII, 118; XIII, 317f.; XIV, 11).

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Naturprozess beim Menschen der Fall ist. Hiermit scheint das »Ende der Offenbarung« ausgesprochen (UPhO, 492, vgl. 501, 505, 517, 608, 640, Pa-PhO, 279; SW XI, 178, 249f.; XIV, 124). Offenbar wurde, was offenbar sein wollte. Die absolute Idee der Freiheit weiß sich für uns in Christus festzuhalten. Da die christliche Selbstbeschreibung in der Sphäre des Idealen einzuholen weiß, was uns als Tatsache im Realen gegeben ist, wird mit dem Christentum ein für uns verständlicher Begriff des Vernünftigen entlang des Wirklichen ausgesprochen. Die christliche Selbstbeschreibung zeigt, dass die Tatsache der Freiheit möglich und nicht bloßer Schein ist. Zwar handelt es sich um eine individuelle sowie kulturelle Selbstbeschreibung, doch auf ihrer Grundlage wird verständlich, dass die Freiheit die erste Tat ist, wodurch sie als Ursache der Wirklichkeit auszuweisen ist. Zugänglich wird sie, da mit Christus – im Sinne der Mitwissenschaft – die »göttliche[] Gesinnung am Ort des Individuellen« expliziert wird. Dadurch wird das »Individuelle zum Medium des Göttlichen«.876 In Christus hat sich idealiter und im Menschen realiter die Freiheit auf absolutidentische Weise manifestiert.877 Im Positiven wird methodisch und inhaltlich ausgesprochen, was sich im Naturprozess entfaltet findet, nur jeweils umgekehrt. »Jenes Prinzip, von dem das menschliche Bewußtsein besessen ist, ist nicht ursprünglich materiell, sondern in seiner Art ebenfalls immateriell; es ist allem Konkreten entgegengesetzt und es verzehrend. Aber eben dieses anfangs materielle Prinzip nimmt in einem spätern Moment gegen eine höhere Potenz – a2 – ein materielles Verhältnis an; es materialisiert sich gegen die höhere Potenz […]; gleichwie das Prinzip des Anfangs gegen eine höhere Potenz sich materialisieren kann, so kann diese höhere Potenz gegen eine noch höhere sich ebenfalls materialisieren, d. h. gegen eine noch höhere Potenz – a3, welche der Geist ist, sich unterordnen, sich in passiven oder potentialen Zustand gegen diese setzen, wie das erste Prinzip gegen sich selbst« (UPhO, 548f., vgl. 554; Pa-PhO, 180–183; SW XIII, 263–271).

A3 drückt nicht nur das versöhnende Moment der Naturphilosophie aus, sondern auch das der kulturellen Selbstbeschreibung, hier in Form des Christentums. Es ist nicht in erster Linie die bildhafte Erzählung, die uns Aufschluss über die Wirklichkeit der Freiheit gibt. Die positive Philosophie bestimmt den Grund des Existierenden. Da die ausgewiesene Methodik im Negativen der Struktur im Positiven entspricht, zeigt sich, dass unser Mitwissen an beiden Sphären dassselbe hervorbringt. Die Struktur der Entäußerung impliziert gleichermaßen 876 C. Danz: Persönlichkeit Gottes, 194, vgl. 190–195. 877 Christus betrifft alle Menschen, er ist »für uns gestorben […]. Er hat für uns bezahlt, er hat mit seinem Leben unser Leben losgekauft« und die ganze Menschheit war »Zeuge seines Todes« (UPhO, 585f., vgl. 592). Aufgrund unserer Mitwissenschaft ist »[j]eder spätere geborene Mensch […] unter dem Einflusse dieses Geistes geboren« (UPhO, 645; SW XIV, 270; Pa-PhO, 202).

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einen Prozess, in dem die geschichtliche Zeit beginnt. Das ist in der Natur wie in der Kultur der Fall, weswegen darauf zu schließen ist, dass ihre jeweilige Struktur gleichermaßen auf Freiheit baut. Freiheit ist im Negativen wie im Positiven Prinzip. Ob der Aufweis allgemein und rational einsichtig ist, lässt sich nur durch die ständige wissenschaftliche Prüfung feststellen. Mit der vorgelegten Beschreibung wird die Tatsache der Freiheit jedenfalls zum Wissen ›in der Zeit‹, womit ein »völlig neues, zuvor nicht in der Welt gewesenes, Element in die Welt gekommen« ist (UPhO, 565; vgl. Pa-PhO, 274, 295). Kann die Darstellung überzeugen, ›haben‹ wir Freiheit und können sie einfordern. Die ausgewiesene absolut-identische Struktur mag zwar perspektivisch begründet sein, sofern sie aber mit dem Wissen vom Wirklichen in Einklang steht, steht sie der wahrhaften Selbstbeschreibung des Menschen nahe. Obwohl die Beschreibung niemals abschließend geleistet werden, sie somit nur vorläufig sein kann, ist anzuerkennen, dass Schellings christliche Darstellung der Forderung, dem Wirklichen der Freiheit gewahr zu werden und sie als Ursache alles Seins auszuweisen, nachkommt. Mit der christlichen Darstellung Schellings wird nicht bloß eine Vorstellung ausgesprochen, es wird darüber hinaus ihr reales Moment miteinbezogen – umgekehrt ist dies in der Naturphilosophie der Fall (vgl. Kap. III.8). Mit dem Kreuzestod und der Auferstehung hat sich die Reflexion in Christus als Idee realisiert, er ist ein geschichtliches Ereignis, eine »Thatsache« (SW V, 425). Dadurch erscheint Christus als »erwiesene historische Person«, mit der sich die Entfaltung der Freiheit als im Idealen manifestiert (UPhO, 608; vgl. Pa-PhO, 309f.; SW XIV, 229f.).878 Somit ist die Freiheit in Christus eine ideale Tatsache, die sich konkretisiert hat, während sie im Menschen eine reale Tatsache der Idee ist. Hierdurch wird bestärkt, dass die zwei Sphären nicht zusammenfallen, gemäß der analogen Strukturiertheit aber zusammengehören. Die Bestimmungen sind nicht mehr als ein kulturspezifisches Angebot;879 dennoch erhofft sich dieser Ansatz, sich der kulturellen Isoliertheit zu entziehen und mitwissenschaftlich zugänglich zu sein. Der Diskurs um das Vernünftige ›in der Zeit‹ muss »ungestört« verlaufen,880 was impliziert, dass keine Position über die andere erhoben werden darf, stattdessen ist zwischen diesen zu vermitteln. Dementsprechend sind nach Karl-Otto Apel die »eigenen Ansprüche an Andere durch Argumente zu rechtfertigen.«881 Der Diskurs erstreckt sich auf das Wissen 878 Schelling konkretisiert dies, das Christentum steht nun einmal als »unleugbares Faktum« da und muss dementsprechend »anerkannt werden als Faktum. Christus hat historisch existiert« (UPhO, 609). 879 C. Danz: Christologie, 222. Vgl. dazu die Ausführungen von Danz in Wirken Gottes (bes. S. 199–208). 880 J. Habermas: Vorstudien und Ergänzungen, 138, vgl. 137–149, 116–126, 174–183. 881 K.-O. Apel: Transformation der Philosophie, Bd. 2, 425.

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von Natur und Geist gleichermaßen. Alles, woran wir teilhaben, muss in das vernünftige Wissen einfließen, und das betrifft alles, was Gegenstand des Wissens oder des Nichtwissens ist, wobei das Nichtwissen selbst Moment der wissentlichen Beschreibung ist, wissen wir doch um dieses. Die positive Philosophie eröffnet eine Möglichkeit, das Unvordenkliche vernünftig zu begreifen, womit es zum Aussprechlichen wird, wir wissen davon. Unser Horizont ist der des Wissens, daher sind unsere Gedanken »mit den göttlichen zu vergleichen« (UPhO, 409).882 Folglich entspricht auch die in uns manifeste gewordene Freiheit der Idee im Absoluten, sie gilt uns als die regulative Idee des Wahren ›in der Zeit‹. Dass die mit Schelling konstruierte Idee der Freiheit als Prinzip ausgegeben werden kann, liegt daran, dass erst durch sie konkret beschrieben werden kann, was geworden ist. Die kulturelle, lebensweltliche Selbstbeschreibung beschreibt exakt das, was die negative Philosophie im Was prinzipiiert. Da im Was ebenso wie im Daß die Idee von der Freiheit einsichtig geworden ist, löst Schelling mit seiner Spätphilosophie seine Forderung von 1810 ein, dass die »Vertheidiger der Freiheit« sowohl die »Unabhängigkeit des Menschen von der Natur« als auch seine »innere Unabhängigkeit von Gott« auszuweisen haben (SW VII, 458; vgl. UPhO, 214). Mit vorgelegter Konzeption ist ein metaphysisches Angebot gegeben, das dank komplementärer Beschreibung erlaubt, mittels seines Blicks auf das Bedingte die Struktur des Unbedingten anzudeuten; umgekehrt hat das Unbedingte am Bedingten seinen Grund. Entlang des mitwissenschaftlichen Idealismus lässt sich eine sinnvolle »Komplementaritätskonzeption« formulieren (vgl. Kap. III.7.3 u. Kap. III.10.2),883 die die Pluralität der Perspektiven weder aufhebt, noch sie zurechtweist. Es geht ihr darum, das Wirkliche in Relation zum Möglichen, und umgekehrt, zu bringen, wodurch jede Seite an der anderen ihren Probirstein hat. Klarerweise ist dieses Angebot vor dem jeweiligen kulturellen wie wissenschaftlichen Hintergrund stets aufs Neue zu hinterfragen; allerdings erlaubt dieser methodische Zugang, das scheinbar Unaussprechliche, das Unvordenkliche in vernünftiger Weise auszusprechen. Lässt sich zeigen, dass der Tatsache der Freiheit die Sache der Tat vorausgeht, zeigt sich die absolute Idee von der Freiheit als das alles durchdringende Prinzip, weshalb mit Schelling gesprochen die »Freiheit […] unser und der Gottheit Höchstes« ist (UPhO, 79; vgl. SW XIII, 256). Freiheit wird durch die Bezüge auf das Negative und das Positive nicht nur als Wirkliches fassbar, darüber hinaus wird auch die Möglichkeit ihrer Wirk882 Der Mensch kann nur entfalten, wie er sich selbst begreift, er hat »[n]icht seine eigene Weisheit […] in der Philosophie [zu] suchen, sondern die objektive Weisheit, die außer ihm existiert. Es ist ein uraltes Axiom, daß das Erkennende wie das Erkannte, und das Erkannte wie das Erkennende sei« (UPhO, 23, 66–70): Wissen ist für uns nicht außerhalb unseres Mitwissens denkbar, wir können nur wissen, wozu wir Zugang haben. 883 K.-O. Apel: Transzendentale Reflexion, 258.

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lichkeit ausgewiesen. Erst hierdurch können wir uns ihrer real-ideal vergewissern. Die Freiheit des Willens ›haben‹ wir freilich nur dann, wenn wir sie auch wollen. Das Wesen der Freiheit ist das Seinsollen der Freiheit; die Freiheit gilt es nicht nur theoretisch auszuweisen – um sie zu ›haben‹, gilt es für sie auch einzutreten.

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Die gegebene Selbstbeschreibung des Menschen als Natur- und Geistwesen möchte verdeutlichen, dass die Freiheit nicht nur Resultat des Naturprozesses ist, sondern ebenso als absolute Idee verstanden werden muss. Weil sie die Bedingung dessen ist, was ist, was geworden ist, gilt sie uns als Prinzip allen Seins. Die entfaltete absolut-idealistische Begründung ist nicht mehr als eine Perspektive auf die Welt – allerdings eine, die ihre Sicht zumindest zu kommunizieren sucht. Da jede Begründungsbemühung nur vom Subjekt ausgehen kann, bedarf es einer »Offenheit« gegenüber anderen Meinungen, was nach Hans-Georg Gadamer beinhaltet, »daß man die andere Meinung zu dem Ganzen der eigenen Meinungen in ein Verhältnis setzt oder sich zu ihr.« Nichtsdestotrotz ist der Prozess des Verstehens »nicht der Zufälligkeit der eigenen Vormeinung« zu überlassen.884 Es kommt darauf an, dass die eigene Sicht prinzipiell von anderen nachvollzogen werden kann. Und das, obwohl Gadamer zufolge unserem Verstehen immer ein »Vorurteil« vorausgeht, ein Urteil, »das vor der endgültigen Prüfung aller sachlich bestimmenden Momente gefällt wird.«885 Ob der perspektivischen Einschränkung steht der Verstehensprozess nicht fern der zu begründenden Wahrheit, »in allem Ausdruck des Lebens [ist] immer schon Wissen wirksam […] und damit Wahrheit erkennbar«.886 Der Verstehensprozess ist keineswegs beliebig, es ist unsere Aufgabe, der »Wirklichkeit des geschichtlichen Verstehens« allgemein Ausdruck zu verleihen.887 Auch wenn Verstehen nur ›in der Zeit‹ möglich ist, ist das zu Verstehende selbst objektiver Natur. Das zu Verstehende ist uns schlechthin gegeben – das »Ziel aller Verständigung und alles Verstehens ist das Einverständnis in der Sache.«888 Wider alle Unzugänglichkeit setzt Verstehen voraus, dass Wahrheit erkennbar ist. Damit Kommunikation sinnvoll stattfinden kann, ist dem eigenen Horizont auf intersubjektive 884 885 886 887 888

H.-G. Gadamer : Wahrheit und Methode, GW 1, 273. H.-G. Gadamer : Wahrheit und Methode, GW 1, 275. Vgl. SW VII, 518. H.-G. Gadamer : Wahrheit und Methode, GW 1, 240. H.-G. Gadamer : Zirkel des Verstehens, GW 2, 65, 57–65. H.-G. Gadamer : Wahrheit und Methode, GW 1, 297.

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Weise Ausdruck zu verleihen, so wird das Mitgewusste für jeden – zumindest potentiell – fassbar. Wie wir verstehen, hängt wesentlich von kulturellen, geschichtlichen wie lebensweltlichen Bezugnahmen ab; Kommunikation setzt dabei voraus, dass wir uns zumindest irgendwie verstehen und verständigen können. Dass jedem Urteil die regulative Idee der Wahrheit vorausgeht, legt Immanuel Kants Deutung des Geschmacksurteils nahe. Selbst diesem – welches meint, ganz bei sich zu sein – ist »ein Anspruch auf subjective Allgemeinheit« immanent.889 Jedes ›Meinen‹ ist ein Objektivsetzen der eigenen, der subjektiven Sicht; für sich impliziert es, richtig zu sein, andernfalls würde dieses Urteil gar nicht gefällt und vertreten werden. Ein Urteil zu vertreten, heißt, einen Anspruch auf subjective Allgemeinheit zu erheben, sodass man sich dem Anspruch auf Wahrheit nicht entziehen kann. Weil Wissen nur mitwissenschaftlich fassbar ist, muss das erkennende Subjekt im zu erkennenden Objekt zugegen sein, und umgekehrt. Dass unserer Selbstbeschreibung auf unterschiedliche Weise Ausdruck verliehen werden kann, bringt bereits der strukturelle Aufbau vorliegender Arbeit zum Ausdruck; darin werden die unterschiedlichen Perspektiven von Hans Jonas, Vittorio Hösle, Klaus Michael Meyer-Abich und zuletzt von Friedrich Schelling auf Natur und Geist diskutiert. Inwieweit ihre Perspektiven überzeugen, hängt davon ab, ob sie zum einen in sich schlüssig sind, und zum anderen, ob sie das Wirkliche zu begreifen wissen oder sich in der Besonderheit fern des Wirklichen verlieren. Schlüssig ist eine Position nur dann, wenn ihr ›Meinen‹ – gleich, auf welche Weise – allgemein einzusehen ist. Sich verständlich zu machen, das ist der Grundanspruch aller vernünftigen Begründung. Das erfordert nicht nur die Bereitschaft des Subjekts, die Wahrheit auszuweisen, sondern ebenso die Bereitschaft, sie erkennen zu wollen. Ohne sie ist kein Erkennen möglich. Die Erkenntnis darf sich nicht auf einzelne Teile beschränken, sie muss das Ganze des Seins, die Idee und die Realität gleichermaßen miteinbeziehen. Nur dann lässt sich ein allgemeiner Begriff vom Sein machen, verliert sich doch das Wissen von der Welt so nicht im Realen oder Idealen, sondern umfasst beide Seiten. Demgemäß darf sich der Wissensprozess nicht auf das Was, das Endliche beschränken. Er muss überdies auf das Daß, das Unendliche Bezug nehmen. Beide Sphären müssen als einander vermittelt gefasst werden, sodann sind sie als Einheit fassbar. Also muss das, was (in der Zeit) geworden ist, wie das, was (vor der Zeit) ist, Moment unseres Verstehens sein. Einen Moment auszuklammern, hieße, die Welt bloß einseitig zu fassen, was dem allgemeinen Wissens- und Wahrheitsanspruch zuwiderläuft. Der Natur liegt Geistiges zugrunde und das Geistige wird wiederum in der Natur konkret. Da die absolute Idee der 889 I. Kant: Kritik der Urteilskraft, Akad.-Ausg. V, 212.

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Freiheit das Endliche wie das Unendliche durchdringt, ist sie das Strukturmoment allen Seins. Im Endlichen kommt die Freiheit als real gewordene Tatsache (Kap. III.8) und im Unendlichen als Sache der Tat (Kap. III.9) zum Ausdruck. Der Freiheit gewahr zu werden, heißt, sie mitwissenschaftlich einzusehen und den Willen tätig zu verfolgen. Freiheit ist nur dort, wo alles auf »wirklicher Tat beruhe« (UPhO, 5, 125, 133), ein »blos Bewirktes kann nie frei sein, es kann nur das handeln, wie es das Verursachende gesetzt hat« (SWA, 159).890

10.1. Tatsache und Sache der Tat Angesichts dessen, dass in uns das Wahre zur Sprache kommt, müssen wir dem Wahren in der Weise Ausdruck verleihen, dass sich seine Bestimmtheit über das Besondere erhebt und als allgemeines Prinzip ausgewiesen wird. Zu leisten ist das nur mittels einer Philosophie, die sich der objektiven Vernunft verpflichtet und auszuweisen sucht, dass »alles in der Welt mit bloßer, reiner Vernunft zusammenhange« (UPhO, 419). Sodann stehen die einzelnen Teile nicht unvermittelt nebeneinander, sondern sind durch das Prinzip der Vernunft vermittelt. Diese Hinwendung ist notwendig, so erschließt sich uns die Freiheit im Endlichen (Was) wie im Unendlichen (Daß). Ist das nicht der Fall, verliert sich der Begriff der Freiheit in der Besonderheit. Damit die Freiheit als absolute Idee auszuweisen ist, muss sie beiden Seiten gleichermaßen wesentlich sein. »Dieselben Potenzen, die sich uns in der negativen Philosophie als apriorische darstellten, und uns alles Concrete vermittelten, kommen hier (in der positiven) wieder, aber nicht als bloße Potenzen, d. h. nicht als solche, die dem Seyn vorausgehen, sondern die das Seyn, und zwar das als Wesen gesetzte Seyn, zu ihrer Voraussetzung, und dadurch zugleich zu ihrer unauflöslichen Einheit haben. Das, was diese Potenzen zusammenhält, ist eben der zum Wesen erhobene actus purus, der als übersubstantielle Einheit auch durch nichts Substantielles überwindlich ist« (SW XIV, 353f.; Pa-PhO, 177f.).

Der Unterschied beider Momente ist nicht struktureller Natur, sondern liegt allein in unserem mitwissenschaftlichen, erkenntnistheoretischen Zugang, in der Art der Betrachtung begründet. Während in der negativen Philosophie das Absolute als Reales, als Natur angeschaut wird, wird in der positiven Philosophie das Absolute als Ideales, als Geistiges angeschaut. Konkret benennt Schelling den »Unterschied der negativen und positiven Philosophie« in einer Notiz von 1849: »Erstere arbeitet[] Gott und 890 Dementsprechend muss sich Freiheit sowohl im Was wie im Daß finden, sie kann nicht unabhängig von beiden stehen, der »Werkmeister kann […] nicht außer seinem Werke gedacht werden« (SW XII, 270).

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Welt auseinander, letztere […] [will] beide zusammenzubringen« (EuT XIV, 66), womit die negative Philosophie die Schöpfung in den Fokus rückt, während die positive den Schöpfungsakt begreifbar machen möchte.891 Erfährt der Begriff der Freiheit auf jeder Seite Geltung, durchdringt die Idee der Freiheit beide Seiten. Zugespitzt kann man sagen, dass im Positiven die Freiheit als RealIdeales und im Negativen als Ideal-Reales beschrieben wird – beide Darstellungen sind nicht unvermittelt, sie korrespondieren miteinander. Durch die jeweilige Bezugnahme lässt sich zeigen, dass kein Moment auf das andere reduziert wird. Jede Seite hat für sich genommen gleichermaßen Bestand, gleichwohl sie jeweils ›übergewichtet‹ erscheint. »Die Dinge existieren in Folge einer logischen Notwendigkeit; z. B. ist die Reihenfolge der unorganischen und dann der organischen Natur eine notwendige! Aber hierbei ist nur vom Inhalte die Rede, und es ist nichts weiter damit gesagt, als: Wenn Dinge existieren, so werden sie in dieser Reihenfolge existieren; aber daß sie existieren, kann ich nur aus der Erfahrung wissen. Was im rein logischen Begriff durch immanenten Begriffsbewegung zu Stande kommt, ist nicht die wirkliche Welt, sondern nur dem quid nach!« (Pa-PhO, 99, vgl. 133).

Dass die Naturphilosophie am Anfang der Begründung steht, hängt damit zusammen, dass nur direkt zu vermitteln ist, was zeitlich ist. Selbst das, was vor der Zeit ist, ist nur durch das Zeitliche mittelbar. Ohne vernünftige Einsicht in die Wirklichkeit, in das, was geworden ist, bliebe das Wahrgenommene nur ein Phänomen, wir hätten kein Wissen davon. Wenn das Wirkliche theoretisch zu fundieren ist, ist es uns zugänglich. Zwar hat sich das Bestimmungsproblem von erkennendem Subjekt und zu erkennendem Objekt insbesondere im Rahmen der quantenphysikalischen Betrachtung verschärft, der Widerstreit von Theorie und Praxis ist dennoch nicht neu, es handelt sich um ein prinzipielles Erkenntnisproblem (vgl. Kap. I). Die Theorie muss das Erfahrbare in einen systematischen Zusammenhang bringen; wenn alles in der Welt mit bloßer, reiner Vernunft zusammenhängt, lassen sich beide Seiten als Einheit begreifen. Dies betrifft nicht bloß das Endliche und das Unendliche für sich, sondern ebenso deren Beziehung zueinander ; dem Was kann nicht zugesprochen werden, was 891 Auf die Vermittlungsproblematik weist Schelling mit Bezug auf Aristoteles hin. Vgl. SW XI, 366–368. Dass aus der negativen Philosophie die positive folgt, betont jener gesondert: »Der höchste Gegenstand bleibt in ihr [der negativen Philosophie] als ein unerkennbarer stehen; darin hat sie aber ihr Ende gefunden und ist damit zugleich eine positive Philosophie in Aussicht gestellt. Ob diese beiden Philosophien nur Eine bilden, ist eine erst für die Folge aufzubehaltende Frage. Und dann war allerdings nicht genug, daß jene Wissenschaft negative Philosophie war ; sie mußte auch dafür bekennen. Aber hier fehlte es; denn die positive Philosophie war noch außer ihr gegeben. Sie konnte das Positive in dem eben erklärten Sinne (Existenz) nicht von sich ausschließen, ohne es außer sich zu setzen. Der Begriff einer negativen Philosophie forderte eine positive« (Pa-PhO, 119, 110, 120f.).

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dem Daß verwehrt ist. Werden kann nur, was möglich ist, was nicht als möglich einzusehen ist, kann auch im Wirklichen nicht einsichtig werden. Mit der Sphäre des Empirischen ist uns direkt gegeben, wie das Absolute im Mindesten beschaffen sein muss. Obwohl beide Seiten in Einklang stehen und einander wesentlich identisch sind, ist mit der naturphilosophischen Betrachtung des Bedingten einzusetzen. Im Reich des Apriorischen lässt sich bekanntlich, darauf weist Hösle explizit hin, »leichter […] irren als in der Realphilosophie, wo die Realität unmittelbar einen Leitfaden an die Hand gibt.«892 Trotz der geleisteten Konstruktion auf Seite der Natur (negativ) können wir auf die Konstruktion auf Seite der Kultur (positiv) nicht verzichten, erst durch die wechselseitige Probe lässt sich die absolute Identität der Momente ausweisen. Jede Seite ist der anderen die Probe, keine Seite ist auf die andere zu reduzieren, jede hat für sich Bestand (vgl. SW XIII, 127f.). Diese systematischen Bezugnahmen sind zentral für die vorliegende Begründungskonzeption (vgl. bes. Kap. I.1.2). Denn das, was sich als wahr begreifen lässt, muss eine mitwissenschaftliche Konstruktion entlang der korrespondierenden Sphären vom Idealen und Realen sein. Um diesbezüglich überhaupt von einer allgemeingeltenden Begründung sprechen zu können, bedarf es erkenntnistheoretisch einer regulativen Idee der Wahrheit, allein durch sie ist es möglich, der geleisteten Konstruktion einen Wahrheitsgehalt zuzusprechen. Damit wird kein Wahrheitsanspruch gestellt, der über dem Wissen ›in der Zeit‹ steht, stattdessen soll anhand dessen eine ausdifferenzierte Darstellung des Seins ›in der Zeit‹ entfaltet werden. Die naturphilosophischen wie kulturbezogenen Deutungen vermögen nur das begreiflich zu machen, was vor uns ist, über den Kenntnis- und Informationsstand ›in der Zeit‹ ist nicht hinauszugehen. Etwas begründen heißt demnach nicht anderes, als sich einen wahrhaft vernünftigen Begriff von den idealen und realen Tatsachen zu machen. Unsere Konstruktionen suchen für sich die Wirklichkeit begrifflich einzuholen, wobei es sich nicht um letzte Konstruktionen handelt, die ein für alle Mal beschlossen vor uns liegen. Mit der Darstellung wird ein Begründungszusammenhang gegeben, es wird unser Mitwissen ›in der Zeit‹ formuliert. Dies ist kein abgeschlossener Prozess, die Konstruktionen sind immer wieder aufs Neue zu prüfen. Es geht also um ein ständiges Neuergründen der Welt – dieses Suchen dürfte auch der Grund für Schellings stetiges weiterentwickeln und neuansetzen seiner systematischen Konzeption sein. Was wahr ist, liegt niemals, darauf hat Jonas hingewiesen, als fertiges »Buch« vor uns (KGA I/2,1, 228). Was als wahr ausgewiesen wird, hängt von unserem Selbst- und Weltverständnis ab. Trotz dessen ist Wahrheit nicht einer beliebigen subjektiven Deutung oder gar einer subjektiven Empfindung gleichzusetzen, unser Mitwissen hat seinen Probirstein am Gewussten, und 892 V. Hösle: Hegels System, 114 Anm.

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umgekehrt. Was wir als wahr, besser : als wahrhaft begreifen, das sind unsere mitwissenschaftlichen Einsichten in das Wesen des Seins. Sie haben für uns höchsten Geltungscharakter. Der mitwissenschaftliche Real-Idealismus beschränkt sich nicht darauf, die Idee anhand des Realen zu deuten (Natur), sondern entwickelt ebenso einen Begriff der Realisierung der Idee (Kultur). Beide Sphären sind Darstellung desselben Seins, weswegen ihnen dasselbe Wesen immanent ist. Ihre scheinbare Differenz ergibt sich allein aus unserer unterschiedlichen Betrachtung. Es mag sich das Objekt der Betrachtung ändern, die Art und Weise des Begreifens bleibt davon unberührt. Die Antworten sind so unterschiedlich wie die Menschen, ihre Kultur und ihre Religion. Um jedoch einen allgemeingeltenden, sohin vernünftigen Begründungsanspruch erheben zu können, muss das Gesagte mittelbar sein, ist das nicht der Fall, verliert die Begründung ihren Allgemeinheitscharakter. Mittelbar ist das Mitgewusste genau dann, wenn sie von der Besonderheit befreit wird und ihre Konstruktion des Seins allgemein begründet werden kann. Mitwissen hat nichts mit Abschottung zu tun, diesem ist die intersubjektive Öffnung implizit. Somit erkennt der Idealismus der Mitwissenschaft die Tragweite einer lebensweltlichen Sichtweise nicht nur an, sondern bezieht sie in seine Begründungskonzeption mit ein. Die Darstellungsform der absoluten Idee ist in zweierlei Hinsicht mitwissenschaftlich bestimmt: Zum einen wird die Prägung des Subjekts als bestimmend für das Wissen vom Objekt begriffen und zum anderen wird deutlich, dass die Perspektive durch das Objekt mitbestimmt wird. Damit ist der implizite Letztbegründungsanspruch nicht auf den subjektiven Wissensbegriff zu beschränken, schließlich erfährt das Mitwissen seine Prinzipiierung auch durch die vor uns liegende Wirklichkeit. Der Standpunkt des Wissens ist kein fertiger, Mitwissenschaft ist ein ständiges (Re-)Konstruieren. Verständlich ist das Mitgewusste erst dann, wenn die mitwissenschaftliche Konstruktion sowohl vom Subjekt wie vom Objekt her verständlich gemacht und nachvollzogen werden kann. Mitwissenschaft ist nicht bloß die Verwobenheit des erkennenden Subjekts und des zu erkennenden Objekts bezogen, sondern trifft auch auf den Akt des Wissens selbst zu. Daher muss unser Mitwissen aus der Einsamkeit erhoben werden – analog der Letztbegründungskonzeption Karl-Otto Apels gilt es unser Mitwissen durch vernünftige Argumente verständlich zu machen. Verharrt die Konstruktion in der Einsamkeit, erhebt sie sich nicht vom Wissen zum Mitwissen. Erkenntnis und Begründung können nicht fern des Subjekts stattfinden. Damit der subjektive Begründungsanspruch objektive Geltung einfordern kann, muss das Mitgewusste allgemein einsichtig gemacht werden, das heißt, seine Begründung muss mitwissenschaftlich zugänglich sein. Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat also mit Recht darauf hingewiesen, dass die philosophische Be-

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gründung im Wesentlichen »etwas Einsames« ist.893 Denn wider alle symphilosophische Bemühungen kommt es bei der Begründung zunächst darauf an, dass sie mir im Speziellen einleuchtet. Dass sie anderen einleuchtet, ist ein weiterer Begründungsschritt, ein Schritt hin zur Intersubjektivität, zur Kommunikation. Da die Begründung durch das Subjekt gegeben werden muss, bedarf es dieses weiterführenden Schrittes, durch den die eigene Perspektive, der »Privatus« zu überschreiten ist.894 Nach Hösle muss das Dargelegte in Folge »intersubjektiv überprüfbar sein« und der Prüfung standhalten.895 Dabei darf man nicht hinter »die Voraussetzungen der argumentativen Rationalität« zurückzufallen, dies würde gemäß Apels Darstellung einen »performativen Selbstwiderspruch« nach sich ziehen.896 Kommunikation impliziert einen subjektiven sowie intersubjektiven Begründungsakt, es bedarf des interpersonalen sowie interkulturellen Dialoges, ohne diesen verliert sich die eigene Perspektivität in der Besonderheit. Ohne Dialog folgt aus der scheinbaren Offenheit gegenüber kulturellen wie lebensweltlichen Perspektiven eine maßlose Überhöhung der eigenen Sicht, sie wird zum alleinigen Gradmesser dafür, was wahr und was falsch ist. Mitwissen fordert den Dialog.

10.2. »Correlat« und Komplementarität Die Perspektivität hat erst als begründete Position objektive Bedeutung. Folglich ist es für eine vernünftige Kommunikation notwendig, die eigene Perspektive anderen verständlich zu machen, so wie es umgekehrt vom Gegenüber notwendig ist, sich auf die Begründung einzulassen und diese – gleichwohl sie der eigenen Perspektive zuwiderlaufen mag – zu verstehen versuchen. Wird die Begründung und nicht die eigene Sicht ins Zentrum gerückt, ist ein vernünftiger Diskurs möglich. Auf Ebene des ›Meinens‹ ist kein Dialog möglich. Solange jedes Subjekt in seinem Privatus verharrt, wird die subjektive Sicht, ohne sich zu erklären, zur Objektivität verklärt. Schellings absoluter Idealismus geht hierüber hinaus, er hat Mitwissenschaftliches zu seinem Grund. Allerdings ist selbst die Vernunftkonstruktion auf Grundlage der intellektuellen Anschauung eine Perspektive – aber eine, die sich selbst objektiv macht. Ohne diesen Schritt ist aus der Subjektivität nicht herauszutreten. Um die jeweilige Begründung ernst nehmen zu können, muss sie sich mitwissenschaftlich darstellen. Ihre Konstruktion darf nicht ins Leere 893 Georg Wilhelm Friedrich Hegel an Christian Gotthils Zellmann am 23. 1. 1807 (G.W.F.: Hegel: Briefe, Bd. 1, 137). 894 V. Hösle: Krise der Gegenwart, 203. 895 V. Hösle: Nach dem absoluten Wissen, 632. 896 K.-O. Apel: Transzendentale Reflexion, 44f.

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gehen, sie muss entlang dessen geschehen, was tatsächlich ist, was geworden ist. Entscheidend für die Konstruktion ist, dass sie das mitwissenschaftliche Moment selbst zum Prinzip hat. Dadurch werden die eigenen, die notwendigen Voraussetzungen des Denkens eingeholt. Entsprechend ist das Objektive nicht fern des Subjektiven und das Subjektive nicht fern des Objektiven zu fassen. Für die Naturphilosophie folgt daraus, dass sie das ins Subjekt einbezogene Objekt bloß als Objekt, als Reales darstellt, wohingegen in der Kulturphilosophie das ins Objekt einbezogene Subjekt als subjektive Größe dargestellt wird. Demnach findet sich in beiden Feldern sowohl Apriorisches wie Empirisches, wenngleich jede Seite deren Beziehung nur in ihrer Sphäre darstellt. Demgemäß ist von der Naturphilosophie als »apriorische[m] Empirismus« und von der Kulturphilosophie als »empirische[m] Apriorismus« zu sprechen (SW XIII, 130; Pa-PhO, 147f.; GPPh, 402f.). Der systematische Zusammenhang begründet sich in der Analogie ihrer Struktur. Dazu muss die Kulturphilosophie an das naturphilosophische Wissen andocken, während die Naturphilosophie wiederum auf Grundlage der kulturgeschichtlichen Parameter zu formulieren ist. Schelling war seit seinen frühen theologischen und naturphilosophischen Arbeiten von dem Streben geleitet, der Idee von der Freiheit einsichtig zu werden. Das hat er bereits 1801 im Negativen und später in seinen Berliner Schriften in der Sphäre des Positiven thematisiert (vgl. SW XIII, 178). Ob dem, dass sich diese Bezugnahme in seiner identitätsphilosophischen Konzeption aufdrängt, sah er Zeit seines Lebens diese Verwobenheit systematisch nicht entfaltet. Selbst in seiner Spätphilosophie wusste er noch nicht, wie das Negative und das Positive – außerhalb der speziellen Betrachtung der Natur und der Kultur – auf allgemeiner Ebene, heißt als Momente unserer Erkenntnis systematisch konkret zu verweben sind;897 dazu notierte er 1849: »Fortgesetzte Bemühung, der endlichen Auflösung nachzukommen. (Es ist wegen des Verhältnisses von positiver und negativer Philosophie nicht im allgemeinen, sondern wie es anzuordnen.)« (EuT XIV, 26).

Gemäß diesem Vermittlungsanspruch müssen beide Seiten nebeneinander Bestand haben, sie müssen in Differenz zueinanderstehen, und dennoch identisch sein. Andernfalls fällt das eine hinter das andere zurück, womit eine der beiden Seiten annihiliert würde. Im Grunde ist Paul Tillichs gegenüber Emanuel Hirschs geäußerte Einschätzung, dass die positive Philosophie aus der Natur897 Weil Schelling keine systematische Antwort auf die Verknüpfung der Seiten gegeben hat, sind auch die Antworten früherer Zeitzeugen nicht sonderlich aufschlussreich, spiegeln sie doch nur frühere Einschätzungen wieder. Vgl. X. Tilliette: Schelling im Spiegel, 397f. Eine Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von positiver und negativer Philosophie ist nur systematisch zu geben. Als begründet gilt nur, was strukturell einzusehen ist.

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philosophie, dass »Schelling II aus Schelling I« folgt,898 zu teilen, schließlich hat die eine Seite die andere zu ihrem Grund. Jedoch klärt dieser Hinweis nicht, wie beide Seiten tatsächlich strukturell verknüpft sind. Er verdeutlicht nur, dass die positive Philosophie nicht fern der Naturphilosophie, die Ausdruck der negativen Philosophie ist, steht. Dagegen unterstreicht Søren Kierkegaards Bemerkung, dass Schelling die negative Philosophie mit der Identitätsphilosophie »gegeben« hat und er die positive Philosophie noch mit seiner Offenbarungsphilosophie »geben« will.899 Diese Differenzierung impliziert keine systematische, sondern eine inhaltliche Defizienz, hat es doch die Identitätskonzeption von 1801 »unterlassen, als das Letzte, Philosophie zu setzen« (Pa-PhO, 134). Aufgrund dieser Unterlassung, so erklärt Schelling, bedarf es noch eines »ideellen Theils« (SW VII, 334). Auch das ist keine systematische Kritik, immerhin wird die Struktur des Was nicht anders strukturiert als die des Daß. Es geht lediglich darum, mit dem Was das Zugängliche und mit dem Daß das Unvordenkliche zu beschreiben. Bei genauer Betrachtung der negativen und der positiven Philosophie offenbart sich ihre identische Struktur. Jede Seite ist der anderen analog strukturiert, systematisch weisen sie eine »Correlat[]«-Struktur auf (SW IX, 233). Weil beide Seiten wesentlich zusammengehören, uns ihre Bestimmtheit aber im Bewusstsein nicht gleichzeitig zugänglich ist (vgl. SW III, 99 Anm.), müssen wir uns der komplementären Beschreibungsweise bedienen (vgl. Kap. II.6.1a). Das erlaubt, die systematische Einheit beider korrespondierender Seiten auszuweisen. Die folgende schematische Darstellung des absoluten Idealismus der Mitwissenschaft macht die identitätsphilosophische Strukturentfaltung der Freiheit in den Sphären des Was sowie des Daß anschaulich. Sie zeigt, dass die systematischen Explikationen identischer Natur sind, sogleich aber jede Sphäre das Wesen des Seins der Freiheit unterschiedlich beschreibt: einmal ausgehend vom Realen und einmal ausgehend vom Idealen. Die systematische Identität ist der Beleg dafür, dass beide Seiten korrespondieren und komplementär beschreibbar sind. Dadurch wird einsichtig, dass sie dieselbe Strukturwahrheit beinhalten. Jede Seite ist der anderen die Probe. Einmal werden das Reale und das Ideale realiter (vgl. Kap. III.8) und das andere Mal idealiter (vgl. Kap. III.9) beschrieben.

898 Paul Tillich an Emanuel Hirsch am 20. 2. 1918 (P. Tillich: Briefwechsel, EG VI, 114). 899 Søren Kierkegaard an Emil Boesen am 14. 12. 1841 (X. Tilliette: Schelling im Spiegel, 450).

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Schematische Darstellung des absoluten Idealismus der Mitwissenschaft Daß

Was Im Naturprozess, in der Sphäre des Was wird die Freiheit als Tatsache (Realität) beschrieben.

In der Götterlehre, in der Sphäre des Daß wird die Freiheit als Sache der Tat (Idealität) beschrieben.

Die strukturelle Bestimmtheit der Sphäre des Was (B) – welche durch den vermittelnden Strich ausgedrückt wird – ist an folgender Formel abzulesen:

Die strukturelle Bestimmtheit der Sphäre des Daß (A) – welche durch den vermittelnden Strich ausgedrückt wird – ist an folgender Formel abzulesen:

A

B

B¼A

Die Formel drückt aus, dass die Sphäre des Was A und B als gleich gültige und sohin absolut-identische Momente in sich fasst (vgl. Kap. III.8).

B

A

A¼B

Die Formel drückt aus, dass die Sphäre des Daß B und A als gleich gültige und sohin absolut-identische Momente in sich fasst (vgl. Kap. III.9).

Da es der Aufweis des Was nur erlaubt, das Da es der Aufweis des Daß nur erlaubt, das Gewordene in den Blick zu nehmen, bleibt Werdende in den Blick zu nehmen, bleibt die Sphäre des Daß (=A) hier unbestimmt. die Sphäre des Was (=B) hier unbestimmt. Die Sphäre des Realen vereint Ideales (A) und Reales (B) in sich; analog dazu zeigt sich, dass die Sphäre des Idealen auf eben dieser Struktur aufbaut, womit beide Seiten absolut identisch sind.

Die Sphäre des Idealen vereint Reales (B) und Ideales (A) in sich; analog dazu zeigt sich, dass die Sphäre des Realen auf eben dieser Struktur aufbaut, womit beide Seiten absolut identisch sind.

Ist jede Seite strukturell genauso entfaltet wie die andere, sind sie einander absolut identisch – dieser Zusammenhang erlaubt, beide Sphären als komplementäre Einheit zu fassen.

Ist jede Seite strukturell genauso entfaltet wie die andere, sind sie einander absolut identisch – dieser Zusammenhang erlaubt, beide Sphären als komplementäre Einheit zu fassen.

Die Beschreibung der Freiheit als Tatsache hat genau dann Geltung, wenn sie der Beschreibung der Freiheit als Sache der Tat identisch ist. Erweist sich Freiheit auf beiden Seiten als Prinzip, ist sie – die vorliegende Darstellung legt nahe, dass die Freiheit das gewordene Prinzip des Negativen ist.

Die Beschreibung der Freiheit als Sache der Tat hat genau dann Geltung, wenn sie der Beschreibung der Freiheit als Tatsache identisch ist. Erweist sich Freiheit auf beiden Seiten als Prinzip, ist sie – die vorliegende Darstellung legt nahe, dass die Freiheit das werdende Prinzip des Positiven ist.

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10.3. Seinsollen der Freiheit Wie das Geistige nicht von der Natur und der Erkennende nicht vom Erkannten zu trennen ist, so ist das Theoretische nicht vom Praktischen zu trennen. Was also theoretisch begründet wird, ist für das praktische Leben von Belang. Schelling betont dies gesondert, muss doch »das erste Princip der Philosophie theoretisch und praktisch zugleich, d. h. ein Postulat seyn« (SW I, 446; vgl. III, 376).900 Damit ist nichts anderes gemeint, als dass die theoretische Einsicht nicht nur für unser Selbstverständnis wesentlich ist, sondern auch für unser praktisches Handeln. Handeln wir darnach, wer wir sind, sind wir wahrhaft, wer wir zu sein meinen. Wir sind, was wir tätig sein wollen, darum gilt noch immer Schellings frühes Wort: »Sey! […] strebe, ein Wesen an sich zu werden! – dieß ist die höchste Forderung aller praktischen Philosophie« (SW I, 247). Diese Forderung impliziert, dass wir unsere natürliche wie geistige Beschaffenheit praktisch werden lassen sollen: Es soll sein, was wir sind. Zentral ist Karl Marx’ Gedanke, dass die Philosophen »die Welt nur verschieden interpretiert« haben, es aber darauf ankommt, »sie zu verändern.«901 Hieraus folgt allerdings nicht, dass die Theorie hintan fällt, es geht lediglich darum, dass unser Handeln gemäß der theoretischen Einsicht geschehen soll, kann es doch nichts Praktischeres geben als eine schlüssige Theorie. Mit der entlang der schellingschen Philosophie formulierten Darstellung der Freiheit ist eine Theorie gegeben, die uns über unser Sollen, unser Handeln Aufschluss gibt. Da das Sollen nur einzufordern ist, wenn wir Freiheit ›haben‹, kommt der Theorie der Freiheit in doppelter Weise Bedeutung zu: einerseits als theoretisches Gerüst des Wissens um die Möglichkeit des Wollens und des Sollens, andererseits hinsichtlich der Frage, was in moralischer Hinsicht mit dem Wollen als Sollen anzufangen ist. Schelling ist darin beizupflichten, dass »jenes Wollen, welches die Philosophie leitet, ein sittliches Wollen sei, welches seinen Grund in der Freiheit hat« (UPhO, 21). Es ist nicht zu bestreiten, dass jede Antwort nur eine perspektivische, eine kulturspezifische sein kann; aber gerade deswegen ist es umso wichtiger, eine begründete Antwort zu geben, um auf deren Grundlage einen vernünftigen wie interkulturellen Dialog zu führen, durch den die kulturelle Selbstbeschreibung nicht ins Leere läuft. Stattdessen ist sie mit Inhalt zu füllen und die Beliebigkeit in Bestimmtheit zu überführen. Die Ichwissenschaft ist zur Mitwissenschaft zu 900 Vgl. B. Matthews: Schelling’s Organic Form of Philosophy, 191. Das Praktische lässt sich nicht auf das Negative beschränken, daher reicht es nicht, mit Schelling darauf hinzuweisen, dass die Natur, wie Claus Dierksmeier betont, »geschützt werden müsse«, weil sie »freiheitsphilosophisch evident« ist (Rechte der Natur, 173), sie muss vielmehr als Bedingung der Freiheit verstanden werden, sodann ist sie das höchste moralische Gut. 901 K. Marx: Thesen über Feuerbach, MEW 3, 7.

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erheben. Die perspektivische Selbstbeschreibung entspricht der Prinzipiierung des Absoluten (vgl. UPhO, 424). Das Ganze ist nur, was wir sind, wir können uns nur als Moment des Ganzen fassen – wie wir die Welt mitwissenschaftlich begreifen, das gilt uns als Prinzip unseres Handelns. »Die Principien, mit denen wir hier uns beschäftigen, sind auch die innersten der Philosophie; aber eben daran erkennt man die Tiefe in der Wahrheit philosophischer Principien, daß sie zugleich von der tiefsten sittlichen Bedeutung sind« (SW XIII, 158f.).

Schelling hat diesen Gedanken bekräftigt und darauf hingewiesen, dass »die ersten spekulativen Begriffe […] auch die ersten sittlichen« sind (UPhO, 39, vgl. 214; Pa-PhO, 322, 324). Die theoretische Einsicht gibt uns Aufschluss darüber, wie wir beschaffen sind, und unsere Beschaffenheit gibt Aufschluss darüber, das ist mit Meyer-Abich zu betonen, welche Rolle wir in der Welt einzunehmen haben. Mit dem Rückbezug auf das Seinsollende mag der Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses auftauchen, allerdings geht dieser an diesem Punkt fehl. Bei dem zu sollenden Sein handelt es sich um die Seinsgrundlage des Sollens überhaupt, um die Freiheit des Willens. Es liegt an uns, dass wir das absolute Prinzip zum absoluten Wert praktischen Handelns erheben. Könnten wir die Welt »ihrem Wesen nach sehen«, könnten wir nur »das rein Geistige sehen« (UPhO, 98), heißt: die Freiheit. Mit der Freiheit ist die absolute Idee ausgesprochen, die es zu realisieren gilt. Weil die Freiheit die sich verwirklichende Idee ist, findet sich hier kein Schluss vom existenten Sein zum Sollen, es findet sich nur das Wollen der Idee der Freiheit. Die gegebene Spekulation zeigt, dass die Freiheit weder etwas bloß Natürliches noch eine beliebige Vorstellung ist, mit ihr ist das Prinzip des Seins ausgesprochen. Jedes wollende Sollen hat sich zum Inhalt, was kein Schluss auf die gegebene, sondern auf die geforderte Existenz ist (vgl. Kap. II.4.3.c). Das Wissen von der Freiheit ist der Inhalt unseres Sollens, womit in Schellings Sinn »der Inhalt der göttlichen Offenbarung […], die göttliche Wahrheit […] zu allgemeiner Erkenntniß herausgearbeitet, zur Grundlage der erst wahrhaft allgemeinen, weil freien Kirche werden, an welcher der Staat erst hätte, was ihn für immer beruhigt, das Höhere, deßen Träger zu sein er bestimmt ist.«902

Nur weil wir die Fähigkeit zum freien Handeln haben, haben wir die Freiheit nicht selbst hervorgebracht, sie ist uns schlechthin gegeben. Zöge nämlich »Gott seine [Allm]acht einen Augenblick« zurück, wäre das Streben zu seinem Ende gekommen, es wäre nichts, was sein will (SW VII, 339; XIV, 156–159, 190f.; 902 Friedrich Schelling an König Maximilian II. von Bayern am 17. 12. 1853 (L. Trost/F. Leist [Hg.]: Maximilian II. und Schelling, 145).

System der Freiheit

353

UPhO, 526, 531, 534, 568f.).903 Die Gabe der Freiheit ist uns nichts Fremdes, wir sind ihre Träger und erst durch unsere Tat hat sie wahrhaft Bestand. Das Höchste, was wir aus Freiheit tun können, ist, sie zu verwirklichen. Aus Freiheit gilt es zu tun, was die absolute Idee will, und sie will nichts anderes, als sich selbst zu verwirklichen. Alles Dasein auf der Welt strebt danach, frei zu sein (vgl. Kap. III.8.3 u. 9.3). An uns liegt es, das »Spiel der göttlichen Freiheit« (SW X, 275; GPPh, 335), welches sich auf die Natur und den Geist erstreckt, mitwissenschaftlich in die Zukunft zu tragen. Auf diese Weise wird die »zukünftige[] Kirche« des Johannes wirklich (UPhO, 703, vgl. 708). Unsere Freiheit muss auf das Fortwirken der Freiheit in der Welt gerichtet sein. Die Forderung der Freiheit lautet, aus Freiheit die Möglichkeiten der Freiheit zu fördern, woraus nicht folgt, die eigene Freiheit zu maximieren. Von uns sind die Grundlagen dafür zu schaffen, dass sich Freiheit weiter ausbildet und sich weiterhin ausbilden kann. Der Inhalt dessen, was die Freiheit ausmacht, gründet auf der mitwissenschaftlichen Selbstbeschreibung des Menschen. Freiheit ist nichts vom Menschen Hervorgebrachtes, sie ist dem Menschen lediglich zugeeignet, der Mensch kann sie nur erfassen und tätig vollziehen. Das Aufgehen der Autonomie in der Theonomie bedeutet keine Fremdbestimmtheit. Negiert der Mensch seine Freiheit, annihiliert er seine Autonomie sowie die absolute Idee der Freiheit. Sich der Freiheit zu widersetzen, heißt nichts anderes, als das Sollen zu negieren und der Willkür Vorschub zu leisten. Folglich kann das Wollen des Guten nichts anderes heißen, als die Freiheit zu wollen, womit die Autonomie das Theonomische ausdrückt: Die Freiheit ist der theonomische Inhalt aller Autonomie, sie ist sich absoluter Wert. Diese abstrakte Kenntnis konkret zu machen, das fällt der praktischen Philosophie zu, die anhand einer diskursiven Auseinandersetzung mit den begründeten Prinzipien Antworten in einer globalen und pluralistischen Welt geben soll. Apel stellt klar heraus, dass jedes Lebewesen ein »Recht auf die eigene Kultur« hat. Die Forderung, die eigene Kultur verständig zu machen, hebt dieses Recht keineswegs auf, sie stärkt die eigene Kultur ; immerhin kann man »die Identität einer bestimmten Person nicht anerkennen […], ohne zugleich ihre Zugehörigkeit zu einer besonderen soziokulturellen Lebensform anzuerkennen.« Mit der bloßen Anerkennung des »Pluralismus besonderer Kulturtraditionen« ist es freilich nicht getan. Gerade der interkulturelle Diskurs muss sich der Frage öffnen, was in einer pluralen Welt zu tun ist. Es geht um die Anerkennung einer

903 Dass Allwissenheit und Allgüte im Unterschied zur Allmacht keine geeigneten Attribute des Absoluten sein können, wurde an anderer Stelle angedeutet. Vgl. M. Hackl: Appell an die Freiheit, 153f.

354

Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

»universellen Norm der Gerechtigkeit, die sich auf alle Personen als solche bezieht. Diese universelle Norm muß offenbar sogar der Respektierung des Pluralismus der verschiedenen Kulturwerte und ihrer normative Ansprüche Grenzen setzen. Denn die universelle Gültigkeit der Norm der Gerechtigkeit – hier : der Gleichberechtigung der verschiedenen Kulturtraditionen – ist eine Bedingung der Möglichkeit für die Koexistenz und die Kooperation der verschiedenen Kulturen angesichts gemeinsamer Mehrheitsprobleme.«

Diesbezüglich greift Apel auf eine »Komplementaritätskonzeption« zurück,904 die die moralische Rechtfertigung in einer pluralen Welt fordert, sich öffnet und diese dadurch wahrt. Moralische Rechtfertigung ist nur unter dem Dach der objektiven Vernunft zweckhaft. Auf deren Grundlage können wir daran festhalten, dass Menschen einander verstehen können. Uns formt die Lebenswelt, in der wir stehen, wie umgekehrt unser Bewusstsein die Welt formt. Damit ist über Marx’ Einseitigkeit, dass es das »gesellschaftliche[] Sein« ist, welches das »Bewußtsein bestimmt«,905 hinauszugehen. Schelling ist sich dessen bewusst, er weist explizit darauf hin, dass das »Innere durch das Äußere und das Äußere durch das Innere bestimmt wird« und dies »eine natürliche Folge« ist (UPhO, 688, vgl. 709f.). In diesem reziproken Prozess steht kein Moment über dem anderen, sie sind einander absolut identisch und stehen im ständigen Austausch. Die Frage nach dem Sollen bildet sich in »zwei Pole[n]« ab. Dabei geht es »um den Staat und um die Religion« (SW XIII, 179), heißt um die Kultur, wobei nach Schelling Ersteres das Äußere und Letzteres das Innere ist. Das ist insofern schlüssig, als die Kultur Ausdruck unseres idealen Selbstverständnisses ist, während der Staat die reale Konkretion der Idee ist und daher »auf der negativen Seite« steht (SW XI, 551, vgl. 551 Anm.). Also ist der Staat der Sphäre des Realen zuzuordnen, gleichwohl er nicht Ausdruck des Absoluten als Reales ist. Er ist insofern Moment des Realen, als wir es sind, die den Staat real werden lassen. Wie sich umgekehrt das Absolute in der Natur ausdrückt, so liegt es an uns als Träger der Freiheit im Endlichen, die im Staat geltenden Gesetze so zu gestalten, wie es uns unsere kulturelle Selbstbeschreibung nahelegt. Anhand der gegebenen Konstruktion muss der Staat auf die Verwirklichung der Idee von der Freiheit ausgerichtet sein (vgl. SW XII, 539f.), was im Konkreten heißt, dass durch ihn die Grundlagen dafür zu schaffen sind, dass Freiheit (weiterhin) möglich ist und befördert wird. Um dies zu leisten, muss der Staat jene Momente repräsentieren, die den Grund der Freiheit ausmachen, nämlich die im Natürlichen wie im Geistigen wirkende Struktur der absoluten Identität. 904 K.-O. Apel: Transzendentale Reflexion, 257f. 905 K. Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW 13, 9. In dem Kontext steht freilich die Bemerkung von Friedrich Engels, dass die hegelsche Dialektik wieder »auf die Füße gestellt« werden müsse (F. Engels: Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, MEW 21, 293).

System der Freiheit

355

Hieraus ergibt sich, dass die rechtsstaatlichen Grundsätze nicht bloß auf den Menschen, den uns bekannten Träger der Freiheit, ausgerichtet sein dürfen; auch die stoffliche Voraussetzung der Freiheit, die Natur, haben wir miteinzubeziehen. Demgemäß muss die Natur ebenso wie der Mensch in jedem positiven Gesetz repräsentiert sein, woraus folgt, dass der Natur im Recht dieselbe Bedeutung zukommen muss wie dem Geistigen. Daher bedarf es einer Rechtsordnung, die die menschliche wie die nichtmenschliche Natur gleich gültig miteinbezieht; hierin drückt sich aus, dass die Sittlichkeit hinsichtlich der Realisierung der Idee der Freiheit beiden Momenten komplementär verpflichtet ist. Die Gleichwertigkeit von Natur und Kultur folgt aus der absoluten Identität beider Momente in Hinblick auf die sich entfaltende Freiheit. Obwohl hier nicht mehr als eine Skizze einer Sittlichkeitskonzeption vorliegt,906 wird klar, dass es der Anspruch aller Moral und Ethik sein muss, die Bedingungen der Freiheit zu schützen. Mit Meyer-Abich gesprochen ist die Natur »unter Bestimmungen der Freiheit zu denken, statt unsere Freiheit vor ihr [der Natur] zu retten […]. Die natürliche Mitwelt unter Bestimmung der Freiheit wahrzunehmen, ist der Grundgedanke des Friedens mit der Natur«.907 Für uns heißt das, dass es die Einsicht in die theonomische Kraft, in die Freiheit ist, durch die uns das Seinsollende einsichtig wird. Da sich die Freiheit nur durch die komplementäre Beschreibung von Natur und Geist wahrhaft fassen lässt, haben Geist und Natur dieselbe qualitative Bedeutung für unser Tun. Kein Moment ist dem anderen vorzuziehen. Meyer-Abich hat in einer tiefsinnigen Art und Weise einen vernünftigen Zugang zur natürlichen Mitwelt beschrieben, und diesen Zugang gilt es durch eine neue Perspektive auf die Freiheit ›in der Zeit‹ fortzuführen. Wie angedeutet, ist auch die vorliegende Darstellung nicht mehr als eine Perspektive auf das Sein und uns selbst, aber sie sucht sich zumindest verständig zu machen, sodass die eigene Sicht mitwissenschaftlich zugänglich wird. Vorliegende Überlegungen nehmen gleichermaßen auf das Endliche wie das Unendliche Bezug. Dabei wird nicht nur die Idee der Freiheit in Relation zum Realen, sondern ebenso das Reale in Relation zur Idee gesetzt. Ideales und Reales sind einander gleich gültig, keine Seite ist der anderen erhaben. Auf diese Weise wird die Struktur der absoluten Identität zum systematischen Gerüst der Metaphysik sowie der praktischen Philosophie, deren beider Inhalt die Freiheit ist. Anhand der geleisteten Vernunftkonstruktion sollte jedenfalls deutlich werden, dass die Zerstörung (der 906 Vgl. hierzu die andiskutierte Rechtskonzeption Meyer-Abichs im Kontext der Freiheitsrechte Carl Schmitts (C. Schmitt: Verfassungslehre, 161–164) in meinem Aufsatz Rechte der »natürlichen Mitwelt«. 907 K.M. Meyer-Abich: Frieden mit der Natur, 90.

356

Spekulative Metaphysik und die Idee von der Freiheit

Bedingungen) der Freiheit ein Angriff auf das Reale, die Natura naturata ist. Ebenso handelt es sich aber um einen Angriff auf die Idee, die Natura naturans, schließlich wird damit die Freiheit als Grund des Existierenden prinzipiell annihiliert. Zwar werden hierdurch das Absolute und die Freiheit nicht aufgehoben, als Träger der Freiheit vergeben wir aber dadurch die Chance, der Freiheit Ausdruck zu verleihen. Wir werden ihr nicht in der Weise gerecht, wie es die theonome Kraft, die Idee von der Freiheit verlangt. Das Vorliegende mag nur eine vorläufige Beschreibung sein, weist aber zumindest ›in der Zeit‹ aus, dass sich unser Handeln nicht bloß auf die Gegenwart beschränken darf, es muss entschieden auf das Werden der Freiheit gerichtet sein. Um Antworten zu geben, müssen wir uns in mitwissenschaftlicher Weise für die Zukunft öffnen, für das, was noch nicht ist – so ist dem Telos der Idee der Freiheit aus Freiheit gerecht zu werden. Das Wissen um die Freiheit ist das metaphysische Fundament aller künftigen Ethik und gibt dabei Aufschluss über unsere Verantwortung für die natürliche Mitwelt. Die Freiheit ist das zu Krönende der Schöpfung.

Bibliographie

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Siglen

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F.W.J. Schelling

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Historisch-kritische Ausgabe, im Auftrag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. T. Buchheim/C. Danz/J. Hennigfeld/W.G. Jacobs/ J. Jantzen/S. Peetz, Stuttgart-Bad Cannstatt 1976ff. BuD F. W. J. Schelling. Briefe und Dokumente, 3 Bde., hg. v. H. Fuhrmans, Bonn 1962–1975 EP Einleitung in die Philosophie, hg. v. W.E. Ehrhardt, Stuttgart-Bad Cannstatt 1989 EuT Philosophische Entwürfe und Tagebücher, hg. v. L. Knatz/H.J. Sandkühler/ M. Schraven, Hamburg 1994ff. GPPh Grundlegung der positiven Philosophie. Münchner Vorlesung WS 1832/33 und SS 1833, hg. v. H. Fuhrmans, Turin 1972 Initia Initia philosophiae universae. Erlanger Vorlesung WS 1820/21, hg. v. H. Fuhrmans, Bonn 1969 Pa-PhO Philosophie der Offenbarung. 1841/42. Nachschrift H.E.G. Paulus, hg. v. M. Frank, Frankfurt/M. 31993 Plitt Aus Schellings Leben. In Briefen, 3 Bde., hg. v. G.L. Plitt, Leipzig 1869–1870 Rar Schellingiana Rariora, hg. v. L. Pareyson, Turin SW Sämmtliche Werke, hg. v. K.F.A. Schelling, Stuttgart/Augsburg 1856–1861 SWA System der Weltalter. Münchner Vorlesung 1827/28 in einer Nachschrift von Ernst von Lasaulx, hg. v. S. Peetz, Frankfurt/M. 1980 Tagebuch 1848 Das Tagebuch 1848, hg. v. H.J. Sandkühler, Hamburg 1990 UPhO Urfassung der Philosophie der Offenbarung, 2 Teilbde., hg. v. W.E. Ehrhardt, Hamburg 1992 WA Nachlaßbd. Die Weltalter. Fragmente. In den Urfassungen von 1811 und 1813, hg. v. M. Schröter, München 21979

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Gesammelte Werke, hg. v. der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften (bzw. der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste), Hamburg 1968ff. TWA Werke in zwanzig Bänden. Theorie Werkausgabe, hg. v. E. Moldenhauer/K.M. Michel, Frankfurt/M. 1986 GW

2.

Nachlass von Hans Jonas (Philosophisches Archiv der Universität Konstanz)

HJ 1-3-1 HJ 1-8-29 HJ 1-14-1 HJ 1-15-4 HJ 1-15-6 HJ 1–17-2 HJ 2-7a-3 HJ 3-7-1 HJ 3-22-1 HJ 4-3-42 HJ 4-6-3 HJ 4-7-5 HJ 4-8-3 HJ 4-9-1 HJ 5-6-8 HJ 6-3-97 HJ 7-9-1 HJ 7-9-6 HJ 8-5-1 HJ 9-10-4

Problems of Freedom, 1970 Theology of the Suffering God, 1965 H. Conrad-Martius: Selbstaufbau der Natur, Buchankündigung Essays in Organic Philosophy. II. Organism, Form and Freedom Problems of Freedom, 1966 Über die Idealität der Zeit, 1921/22 Essay on Dualism and Monism, 1964 Theory of God, 1962/63 Brief von Hans Jonas an Hannah Arendt, 11. 8. 1959 Brief von Vittorio Hösle an Hans Jonas, 2. 4. 1989 Lebenslauf samt Schriftenverzeichnis, 1960 Was ist Gnosis? Brief von Hans Jonas an Helmut Koester, 1. 2. 1965 Of the Causes and Uses of Philosophy, 1955 The Concept of God after Auschwitz, ca. 1955–1957 Macht oder Ohnmacht des Willens?, Seminararbeit von Steffen Weasche, 1991 Brief von Hans Jonas an Johannes Mosel, 10. 9. 1989 Brief von Hans Jonas an Stefan Koslowski, 5. 8. 1984 Brief von Rudolf Bultmann an Vandenhoeck & Ruprecht, 2. 12. 1928 Brief von Martin Heidegger an Hans Jonas, 1. 3. 1972

359

Primärtexte

HJ 9-10-5 HJ 10-4-1 HJ 10-9 HJ 10-10-2 HJ 16-4-9 HJ 16-4-11 HJ 16-9-1 HJ 16-15-4 HJ 16-15-5 HJ 16-17-1 HJ 19-1-2 HJ 19-1-4 HJ 20-7-1 HJ 20-13-1 HJ 21-3-1 HJ 21-7-3 HJ 21-4-10

3.

Entwurf des Briefes von Jonas an Martin Heidegger, 25. 2. 1972 The Ban on Teleology, 1957 Das Prinzip Verantwortung, Korrektur der Übersetzung von David Herr, ca. 1983 Ernst Bloch. Das Prinzip Hoffnung, Exzerpt Through the Valley of Death. From Old Metaphysics to New, Gliederung, 1964 Brief von Harper & Row an Hans Jonas, 24. 2. 1965 Brief von Vittorio Hösle an Hans Jonas, ca. 1988 Brief von Hans Jonas an Adolph Lowe, Frühere Fassung, 18. 11. 1964 Brief von Hans Jonas an Adolph Lowe, 6. 8. 1977 Zeitliche Struktur der Sorge, Heidegger, Sein und Zeit, Exzerpt, 1928/29 Bertalanffy’s General System Theory, 1951 Comment on General System Theory, Abstract, 1951 Der Begriff der Gnosis, Korrekturexemplar Problems of Freedom, 1966 Brief von Hans Jonas an Rudolf Bultmann, 31. 5. 1964 Our Duties to Posterity. A Theme for Ethics and Metaphysics, Lectures, 1982 Brief von Hans Jonas an Rudolf Bultmann, 6. 10. 1962

Nachlass von Heinrich Popitz (Sozialwissenschaftliches Archiv der Universität Konstanz)

HP 10.7.1 Brief von Hans Jonas an Heinrich Popitz, 2. 8. 1986 HP 10.7.1 Prinzip Verantwortung – Zur Grundlegung einer Zukunftsethik, Vortrag, 26. 10. 1985

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Nachlass von Karl Mannheim (Sozialwissenschaftliches Archiv der Universität Konstanz)

KM Karl Mannheim: Empfehlungsschreiben für Hans Jonas, 12. 11. 1934

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Primärtexte

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F.W.J. Schelling

1.1.

Werke und Nachschriften

Einleitung in die Philosophie, hg. v. W.E. Ehrhardt, Stuttgart-Bad Cannstatt 1989 (Kurztitel: EP)

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Bibliographie

Grundlegung der positiven Philosophie. Münchner Vorlesung WS 1832/33 und SS 1833, hg. v. H. Fuhrmans, Turin 1972 (Kurztitel: GPPh) Historisch-kritische Ausgabe, im Auftrag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. T. Buchheim/C. Danz/J. Hennigfeld/W.G. Jacobs/J. Jantzen/S. Peetz, Stuttgart-Bad Cannstatt 1976ff. (Kurztitel: AA) – AA I/1, hg. v. W.G. Jacobs/J. Jantzen/W. Schieche, 1976 – AA I/18, hg. v. C. Arnold/C. Danz/M. Hackl, 2019 – AA II/1,1, hg. v. C. Arnold/A. Zierl, 2017 – AA II/1,2, hg. v. C. Arnold/U.-M. Danz (vorauss. 2020) – AA II/2, hg. v. C. Arnold/M. Hackl, 2019 – AA II/3, hg. v. C. Arnold/B. Rauschenbach, 2014 – AA II/4, hg. v. C. Buro/K. Grotsch, 2013 – AA II/5, hg. v. C. Arnold/C. Buro/C. Danz/K. Grotsch, 2016 – AA II/8, hg. v. V. Müller-Lüneschloß, 2017 Initia philosophiae universae. Erlanger Vorlesung WS 1820/21, hg. v. H. Fuhrmans, Bonn 1969 (Kurztitel: Initia) Philosophie der Offenbarung. 1841/42. Nachschrift H.E.G. Paulus, hg. v. M. Frank, Frankfurt/M. 31993 (Kurztitel: PhO-Pa) Sämmtliche Werke, hg. v. K.F.A. Schelling, Stuttgart/Augsburg 1856–1861 (Kurztitel: SW) Nachlaßbd. Die Weltalter. Fragmente. In den Urfassungen von 1811 und 1813, hg. v. M. Schröter, München 21979 (Kurztitel: WA) Schellingiana Rariora, hg. v. L. Pareyson, Turin 1977 (Kurztitel: Rar) System der Weltalter. Münchner Vorlesung 1827/28 in einer Nachschrift von Ernst von Lasaulx, hg. v. S. Peetz, Frankfurt/M. 1980 (Kurztitel: SWA) Urfassung der Philosophie der Offenbarung, 2 Teilbde., hg. v. W.E. Ehrhardt, Hamburg 1992 (Kurztitel: UPhO) Weltalter-Fragmente. Aus den Manuskripten des Berliner Nachlasses, 2 Teilbde., hg. v. K. Grotsch, Hamburg 1992 (Kurztitel: Weltalter-Fragmente)

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Philosophische Entwürfe und Tagebücher

Das Tagebuch 1848, hg. v. H.J. Sandkühler, Hamburg 1990 (Kurztitel: Tagebuch 1848) Philosophische Entwürfe und Tagebücher, hg. v. L. Knatz/H.J. Sandkühler/M. Schraven, Hamburg 1994ff. (Kurztitel: EuT) – Bd. I (1809–1813), hg. v. L. Knatz/H.J. Sandkühler/M. Schraven, 1994 – Bd. II (1814–1816), hg. v. L. Knatz/H.J. Sandkühler/M. Schraven, 2002 – Bd. XII (1846), hg. v. L. Knatz/H.J. Sandkühler/M. Schraven, 1998 – Bd. XIV (1849), hg. v. M. Schraven, 2007

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Fuhrmans, Horst (Hg.): »Schelling-Briefe aus Anlaß seiner Berufung nach München im Jahre 1827«, in: Philosophisches Jahrbuch 64, 1956, 272–297 (Kurztitel: SchellingBriefe) Fuhrmans, Horst/Lohrer, Liselotte (Hg.): Schelling und Cotta. Briefwechsel 1803–1849, Stuttgart 1965 (Kurztitel: Schelling und Cotta) Plitt, Gustav Leopold (Hg.): Aus Schellings Leben. In Briefen, 3 Bde., Leipzig 1869–1870 (Kurztitel: Plitt) Tilliette, Xavier (Hg.): Schelling im Spiegel seiner Zeitgenossen, Turin 1974 (Kurztitel: Schelling im Spiegel) Trost, Ludwig/Leist, Friedrich (Hg.): König Maximilian II. von Bayern und Schelling. Briefwechsel, Stuttgart 1890 (Kurztitel: Maximilian II. und Schelling)

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Hans Jonas

Das Prinzip Leben. Ansätze zu einer philosophischen Biologie, Frankfurt/M./Leipzig 1997 (Kurztitel: Prinzip Leben) Dem bösen Ende näher. Gespräche über das Verhältnis des Menschen zur Natur, hg. v. W. Schneider, Frankfurt/M. 1993 (Kurztitel: Dem bösen Ende näher) Der Begriff der Gnosis (Teildruck). Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Hohen Philosophischen Fakultät der Philipps-Universität zu Marburg, Marburg 1930 (Kurztitel: Begriff der Gnosis) »Erinnerung an Göttingen, Sommer 1945«, in: Göttinger Jahrbuch 39, 1991, 199–203 (Kurztitel: Erinnerung an Göttingen) Erinnerungen. Nach Gesprächen mit Rachel Salamander, hg. v. C. Wiese, Frankfurt/M./ Leipzig 2003 (Kurztitel: Erinnerungen) Erkenntnis und Verantwortung. Gespräch mit Ingo Hermann in der Reihe ›Zeugen des Jahrhunderts‹, hg. v. I. Hermann, Göttingen 1991 (Kurztitel: Erkenntnis und Verantwortung) »Hans-Georg Gadamer und Hans Jonas: Briefe über die Zukunftsethik«, in: D. Böhler/J.P. Brune (Hg.): Orientierung und Verantwortung, 471–482 (Kurztitel: Gadamer und Jonas) »Geist, Natur und Schöpfung. Kosmologischer Befund und kosmogonischer Vermutung« in: H.-P. Dürr/W.C. Zimmerli (Hg.): Geist und Natur. Über den Widerspruch zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis und philosophischer Welterfahrung, Bern/München/Wien 1989, 61–77 (Kurztitel: Geist, Natur und Schöpfung) Gnosis und spätantiker Geist. Erster Teil: Die mythologische Gnosis, Göttingen 41988 (Kurztitel: Gnosis. Erster Teil) Gnosis und spätantiker Geist. Zweiter Teil: Von der Mythologie zur mystischen Philosophie, Göttingen 21966 (Kurztitel: Gnosis. Zweiter Teil) »Gnosis, Existentialismus und Nihilismus«, in: Ders.: Organismus und Freiheit, 292–316 (Kurztitel: Gnosis, Existentialismus und Nihilismus) »Gnosticism and Modern Nihilism«, in: Social Research 19(4), 1952, 430@452 (Kurztitel: Gnosticism and Modern Nihilism)

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Vittorio Hösle

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Primärtexte

363

»Die Irrtümer der Denker. Carl Schmitt und Martin Heidegger kamen den Nazis nicht nur aus Opportunismus nahe. Ihre amoralische Philosophie weist Berührungspunkte mit der NS-Ideologie auf«, in: Der Spiegel 29/100, 2001, 136–139 (Kurztitel: Irrtümer der Denker) Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie. Transzendentalpragmatik, Letztbegründung, Ethik, München 31997 (Kurztitel: Krise der Gegenwart) Die Philosophie und die Wissenschaften, München 1999 (Kurztitel: Philosophie und Wissenschaften) »Die Stellung von Hegels Philosophie des objektiven Geistes in seinem System und ihre Aporie«, in: C. Jermann (Hg.): Hegels Rechtsphilosophie, 11–53 (Kurztitel: Philosophie des objektiven Geistes) »Die Transzendentalpragmatik als Fichteanismus der Intersubjektivität«, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 40(2), 1986, 235–252 (Kurztitel: Transzendentalpragmatik) »Dimensionen einer Krise. Das Umweltproblem im 21. Jahrhundert«, in: L. Di Blasi/ B. Goebel/V. Hösle (Hg.): Nachhaltigkeit in der Ökologie, 9–36 (Kurztitel: Dimensionen einer Krise) Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie. Rückblick auf den deutschen Geist, München 2013 (Kurztitel: Geschichte der deutschen Philosophie) »Eine unsittliche Sittlichkeit. Hegels Kritik an der indischen Kultur«, in: W. Kuhlmann (Hg.): Moralität und Sittlichkeit. Das Problem Hegels und die Diskursethik, Frankfurt/ M. 1986, 136–182 (Kurztitel: Eine unsittliche Sittlichkeit) »Einstieg in den objektiven Idealismus«, in: Ders./F. Su#rez Müller (Hg.): Idealismus heute, 30–49 (Kurztitel: Einstieg in den objektiven Idealismus) »Gerechtigkeit zwischen den Generationen«, in: M. Gräfin Dönhoff/T. Sommer (Hg.): Was steht uns bevor? Mutmaßungen über das 21. Jahrhundert. Aus Anlaß des 80. Geburtstages von Helmut Schmidt, Berlin 1999, 189–200 (Kurztitel: Gerechtigkeit zwischen den Generationen) God as Reason. Essays in Philosophical Theology, University of Notre Dame Press 2013 (Kurztitel: God as Reason) »Hans Jonas’ Stellung in der Geschichte der deutschen Philosophie«, in: U. Bartosch/ K. Gansczyk (Hg.): Weltinnenpolitik für das 21. Jahrhundert. Carl Friedrich von Weizsäcker verpflichtet, Hamburg 2008, 132–149 (Kurztitel: Jonas) Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität, 2 Bde., Hamburg 21998 (Kurztitel: Hegels System) »Ich kann immer noch nicht anders als kompatibilistisch zu denken«, in: Erwägen – Wissen – Ethik 20, 2009, 34–37 (Kurztitel: Kompatibilistisch denken) Kritik der verstehenden Vernunft. Eine Grundlegung der Geisteswissenschaften, München 2018 (Kurztitel: Kritik der verstehenden Vernunft) »Letzte Gewißheit. Fundamentalismus in der Philosophie. Eine Diskussion zwischen Hauke Brunkhorst, Vittorio Hösle und Thomas Kesselring, moderiert von Gerd B. Achenbach«, in: U. Boehm (Hg.): Philosophie heute: Gespräche mit Ulrich Beck, HansGeorg Gadamer, Jürgen Habermas, Hans Jonas, Odo Marquard, C.-F. von Weizsäcker, Ulrich Wickert u. a., Frankfurt/M./New York 1997, 33–51 (Kurztitel: Letzte Gewißheit)

364

Bibliographie

»Mein Weg zum objektiven Idealismus«, in: C. Hauskeller/M. Hauskeller (Hg.): »… was die Welt im Innersten zusammenhält«. 34 Wege zur Philosophie, Hamburg 1996, 215– 220 (Kurztitel: Mein Weg zum objektiven Idealismus) Moral und Politik. Grundlagen einer politischen Ethik für das 21. Jahrhundert, München 1997 (Kurztitel: Moral und Politik) »Nach dem absoluten Wissen«, in: K. Vieweg/W. Welsch (Hg.): Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein kooperativer Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne, Frankfurt/M. 2008, 627–654 (Kurztitel: Nach dem absoluten Wissen) »Ökologie und Christentum. Neue politische Allianzen der Zukunft«, in: C. Nickels (Hg.): Begründete Hoffnungen… Bündnisgrüne Politik und christlicher Glaube, Frankfurt/M. 1998, 199–206 (Kurztitel: Ökologie und Christentum) »Ontologie und Ethik bei Hans Jonas«, in: D. Böhler (Hg.): Ethik für die Zukunft, 105–125 (Kurztitel: Ontologie und Ethik) Philosophie der ökologischen Krise. Moskauer Vorträge, München 1991 (Kurztitel: Ökologische Krise) Philosophie und Öffentlichkeit, Würzburg 2003 (Kurztitel: Philosophie und Öffentlichkeit) Philosophiegeschichte und objektiver Idealismus, München 1996 (Kurztitel: Philosophiegeschichte) Platon interpretieren, Paderborn 2004 (Kurztitel: Platon interpretieren) Praktische Philosophie in der modernen Welt, München 1995 (Kurztitel: Praktische Philosophie) »Raum, Zeit, Bewegung«, in: M.J. Petry (Hg.): Hegel und die Naturwissenschaften, 247–292 (Kurztitel: Raum, Zeit, Bewegung) »Replik«, in: B. Goebel/M. Wetzel (Hg.): Eine moralische Politik, 291–314 (Kurztitel: Replik) »Theodizeestrategien bei Leibniz, Hegel, Jonas«, in: F. Hermanni/H. Breger (Hg.): Leibniz und die Gegenwart, München 2002, 27–51 (Kurztitel: Theodizeestrategien) »Unbedingte Verpflichtung und Eudämonismus – Idealität und Realität in der Ethik«, in: Ders./F. Su#rez Müller (Hg.): Idealismus heute, 254–270 (Kurztitel: Unbedingte Verpflichtung) Verit/ e storia. Studi sulla struttura della storia della filosofia sulla base di un’analisi paradigmatica dell’evoluzione da Parmenide a Platone, Milano 1998 (Kurztitel: Verit/ e storia) Wahrheit und Geschichte. Studien zur Struktur der Philosophiegeschichte unter paradigmatischer Analyse der Entwicklung von Parmenides bis Platon, Stuttgart-Bad Cannstatt 1984 (Kurztitel: Wahrheit und Geschichte) »Was ist neohegelianisch an Moral und Politik?«, in: Wiener Jahrbuch für Philosophie 38, 2006, 99–112 (Kurztitel: Was ist neohegelianisch an Moral und Politik?) »Weshalb teleologische Prinzipien eine Notwendigkeit der Vernunft sind. Natürliche Theologie nach Darwin«, in: M. Knaup/T. Müller/P. Spät (Hg.): Post-Physikalismus, Freiburg i. Br./München 2011, 271–305 (Kurztitel: Teleologische Prinzipien) Hösle, Vittorio/Illies, Christian: Darwin, Freiburg i. Br. 1999 (Kurztitel: Darwin) Hösle, Vittorio/Su#rez Müller, Fernando (Hg.): Idealismus heute. Aktuelle Perspektiven und neue Impulse, Darmstadt 2015 (Kurztitel: Idealismus heute)

Primärtexte

365

Hösle, Vittorio/Wandschneider, Dieter : »Die Entäußerung der Idee der Natur und ihre Zeitliche Entfaltung als Geist bei Hegel«, in: F. Nicolin/O. Pöggeler (Hg.): Hegel-Studien, Bd. 18, Bonn 1983, 173–199 (Kurztitel: Entäußerung der Idee der Natur) Groys, Boris/Hösle, Vittorio: Die Vernunft an die Macht. Ein Streitgespräch, hg. v. L. Di Blasi/M. Jongen, Wien/Berlin 2011 (Kurztitel: Vernunft an die Macht)

4.

Klaus Michael Meyer-Abich

Aufstand für die Natur. Von der Umwelt zur Mitwelt, München 1990 (Kurztitel: Aufstand für die Natur) »Determination und Freiheit«, in: F. Böckle/F.-X. Kaufmann/K. Rahner/B. Welte (Hg.): Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, Bd. 4, Enzyklopädische Bibliothek in 30 Teilbänden, hg. in Verbindung mit R. Scherer, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1982, 5–45 (Kurztitel: Determination und Freiheit) »Einführung«, in: Ders. et al. (Hg.): Vom Baum der Erkenntnis zum Baum des Lebens, 9–17 (Kurztitel: Einführung) »Erkenntnisleitende Gefühle im rationalen Denken«, in: C. Nüsslein-Volhard et al. (Hg.): Wachstum, 273–276 (Kurztitel: Erkenntnisleitende Gefühle) »Ganzheit im Mitsein«, in: A. Vieth et al. (Hg.): Ethik und die Möglichkeit einer guten Welt, 49–58 (Kurztitel: Ganzheit im Mitsein) »Ganzheit ist besser als Einheit – Wider die Grenzenlosigkeit«, in: U. Bartosch (Hg.): Weltpolitik. Handeln auf Wegen in der Gefahr, Berlin 2008, 49–58 (Kurztitel: Ganzheit ist besser als Einheit) »Geist. Diskussion mit K.M. Meyer-Abich, H.-P. Dürr, H.-D. Mutschler, W. Pannenberg und F.W. Wuketits«, in: Ders. et al. (Hg.): Gott, Mensch, Wissenschaft, 111–156 (Kurztitel: Geist) Korrespondenz, Individualität und Komplementarität, Wiesbaden 1965 (Kurztitel: Komplementarität) »Kosmos. Diskussion mit K.M. Meyer-Abich, H.-P. Dürr, H.-D. Mutschler, W. Pannenberg und F.W. Wuketits«, in: Ders. et al. (Hg.): Gott, Mensch, Wissenschaft, 1–59 (Kurztitel: Kosmos) »Leben. Diskussion mit K.M. Meyer-Abich, H.-P. Dürr, H.-D. Mutschler, W. Pannenberg und F.W. Wuketits«, in: Ders. et al. (Hg.): Gott, Mensch, Wissenschaft, 61–110 (Kurztitel: Leben) »Mit-Wissenschaft: Erkenntnisideal einer Wissenschaft für die Zukunft«, in: Ders. et al. (Hg.): Vom Baum der Erkenntnis zum Baum des Lebens, 19–161 (Kurztitel: Mit-Wissenschaft) »Mitwahrnehmung der Manifestation Gottes in der wissenschaftlichen Erkenntnis«, in: J. v. Lüpke (Hg.): Gott – Natur – Freiheit. Theologische und naturwissenschaftliche Perspektiven, Neukirchen-Vluyn 2008, 41–61 (Kurztitel: Mitwahrnehmung Gottes) »Natur und Freiheit. Goethe, Alexander von Humboldt und Viktor von Weizsäcker als Wegweiser einer gesundheitsorientierten Medizin«, in: K. Gahl/P. Achilles/R.-M. E. Jacobi (Hg.): Gegenseitigkeit medizinischer Ethik, Würzburg 2008, 65–85 (Kurztitel: Natur und Freiheit)

366

Bibliographie

Naturphilosophische Begründung einer holistischen Ethik, in: J. Nida-Rümeling/D. v. d. Pfordten (Hg.): Ökologische Ethik und Rechtstheorie, Baden-Baden 1995, 159–178 (Kurztitel: Holistische Ethik) Praktische Naturphilosophie. Erinnerung an einen vergessenen Traum, München 1997 (Kurztitel: Praktische Naturphilosophie) »Rechte der Natur zur kulturellen Wahrnehmung unserer natürlichen Mitwelt – Eine Kritik des Umweltrechts am Beispiel des Naturschutzes«, in: Zeitschrift für Umweltpolitik & Umweltrecht 4, Jg. 35, 2012, 376–398 (Kurztitel: Rechte der Natur) »Religiöse Leitbilder in der Naturwissenschaft. Eine Ermutigung für die Theologie«, in: S.J. Lederhilger (Hg.): Mit Gott rechnen. Die Grenzen von Naturwissenschaft und Theologie, Frankfurt/M. 2006, 126–138 (Kurztitel: Religiöse Leitbilder) »Religiöse und ethische Grundlagen der Physik«, in: W. Krohn/K.M. Meyer-Abich (Hg.): Einheit der Natur – Entwurf der Geschichte. Begegnungen mit Carl Friedrich von Weizsäcker, München/Wien 1997, 56–84 (Kurztitel: Grundlagen der Physik) Was es bedeutet, gesund zu sein. Philosophie der Medizin, München 2010 (Kurztitel: Gesund zu sein) »Was ist ein Umweltproblem? Zur Kritik des Cartesianismus in der Wahrnehmung der Natur«, in: R.E. Lob/H.-W. Wehling (Hg.): Geographie und Umwelt. Forschung. Planung. Bewußtseinsbildung, Meisenheim a. G./Hain 1977, 14–35 (Kurztitel: Umweltproblem) Wege zum Frieden mit der Natur. Praktische Naturphilosophie für die Umweltpolitik, München/Wien 1984 (Kurztitel: Frieden mit der Natur) »Wege aus der Entfremdung vom natürlichen Mitsein«, in: U. E. Simonis/H. Leitschuh/ G. Michelsen/J. Sommer/E.U. v. Weizsäcker (Hg.): Re-Naturierung. Gesellschaft im Einklang mit der Natur, Stuttgart 2014, 29–38 (Kurztitel: Entfremdung) »Wie möchten wir in Zukunft leben. Der ›harte‹ und der ›sanfte‹ Weg«, in: Ders./B. Schefold: Wie möchten wir in Zukunft leben. Der »harte« und der »sanfte« Weg, München 1981, 11–104 (Kurztitel: In Zukunft leben) »Wie sich Rationalität und Intuition verschränken«, in: J. Schieren (Hg.): Rationalität und Intuition in philosophischer und pädagogischer Perspektive, Frankfurt/M./Berlin/ Bruxelles/New York/Oxford/Wien 2008, 83–87 (Kurztitel: Rationalität und Intuition) Wissenschaft der die Zukunft. Holistisches Denken in ökologischer und gesellschaftlicher Verantwortung, München 1988 (Kurztitel: Wissenschaft der die Zukunft) Meyer-Abich, Klaus Michael/Dürr, Hans-Peter/Mutschler, Hans-Dieter/Pannenberg, Wolfhart/Wuketits, Franz (Hg.): Gott, der Mensch und die Wissenschaft, Augsburg/ Pattlich 1997 (Kurztitel: Gott, Mensch, Wissenschaft) Meyer-Abich, Klaus Michael/Scherhorn, Gerhard/Gottwald, Franz-Theo/Ingensiep, Hans Werner/Drieschner, Michael/Erdmann, Zeyde-Margreth (Hg.): Vom Baum der Erkenntnis zum Baum des Lebens. Ganzheitliches Denken der Natur in Wissenschaft und Wirtschaft, München 1997 (Kurztitel: Vom Baum der Erkenntnis zum Baum des Lebens) Haff, Günter/Meyer-Abich, Klaus Michael: »Mit Platon zu Vogel. Er hofft, daß Wahrheiten auch irgendwann Mehrheiten finden«, in: Die ZEIT, 25. 2. 1983, www.zeit.de, Abruf: 1. 11. 2017 (Kurztitel: Mit Platon)

Weiterführende Texte

II.

367

Weiterführende Texte

Adorno, Theodor W.: Gesammelte Schriften, 20 Bde., hg. v. T. Tiedemann, Frankfurt/M. 1998 (Kurztitel: GS) Aland, Barbara (Hg.): Gnosis. Festschrift für Hans Jonas, hg. in Verbindung mit U. Bianchi/ M. Krause/J.M. Robinson/G. Windengren, Göttingen 1978 (Kurztitel: Gnosis) Albert, Hans: »Hösles Sprung in den objektiven Idealismus. Über die Verwirrungen eines ganz gewöhnlichen Genies«, in: Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie 20(1), 1989, 124–131 (Kurztitel: Hösles Sprung) – Kritische Vernunft und menschliche Praxis. Mit einer autobiographischen Einleitung, Stuttgart 1977 (Kurztitel: Kritische Vernunft) – Traktat über kritische Vernunft, Tübingen 1968 (Kurztitel: Traktat über kritische Vernunft) Ameriks, Karl/Stolzenberg, Jürgen (Hg.): Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus/International Yearbook of German Idealism. Deutscher Idealismus und die gegenwärtige analytische Philosophie/German Idealism and Contemporary Analytic Philosophy, Nr. 3, Berlin/New York 2005 (Kurztitel: Deutscher Idealismus und analytische Philosophie) Andersen, Hans Christian: Des Kaisers neue Kleider, hg. v. U. Sonnenberg, Frankfurt/M. 2007 (Kurztitel: Des Kaisers neue Kleider) Apel, Karl-Otto: Auseinandersetzungen in Erprobung des transzendentalpragmatischen Ansatzes, Frankfurt/M. 1998 (Kurztitel: Auseinandersetzungen) – »Das Leibapriori der Erkenntnis«, in: H.-G. Gadamer/P. Vogler (Hg.): Neue Anthropologie, Bd. 7, München 1975, 264–288 (Kurztitel: Leibapriori der Erkenntnis) – »Das Problem einer philosophischen Theorie der Rationalitätstypen«, in: H. Schnädelbach (Hg.): Rationalität. Philosophische Beiträge, Frankfurt/M. 1984, 15–31 (Kurztitel: Rationalitätstypen) – »Die ökologische Krise als Herausforderung für die Diskursethik«, in: D. Böhler (Hg.): Ethik für die Zukunft, 369–404 (Kurztitel: Ökologische Krise) – Diskurs und Verantwortung. Das Problem des Übergangs zur postkonventionellen Moral, Frankfurt/M. 1990 (Kurztitel: Diskurs und Verantwortung) – »Diskursethik als Ethik der Mit-Verantwortung vor den Sachzwängen der Politik, des Rechts und der Marktwirtschaft«, in: Ders./H. Burkhart (Hg.): Prinzip Mitverantwortung, 69–95 (Kurztitel: Ethik der Mit-Verantwortung) – »Diskursethik als politische Verantwortungsethik in der gegenwärtigen Weltsituation«, in: B. Engholm/W. Röhrich (Hg.): Ethik und Politik heute, 37–55 (Kurztitel: Diskursethik als politische Verantwortungsethik) – Paradigmen der Ersten Philosophie. Zur reflexiven – transzendentalpragmatischen – Rekonstruktion der Philosophiegeschichte, Frankfurt/M. 2011 (Kurztitel: Erste Philosophie) – Transformation der Philosophie, 2 Bde., Frankfurt/M. 1976 (Kurztitel: Transformation) – Transzendentale Reflexion und Geschichte, hg. v. S. Rapic, Berlin 2017 (Kurztitel: Transzendentale Reflexion) Apel, Karl-Otto/Burkhart, Holger (Hg.): Prinzip Mitverantwortung. Grundlage für Ethik und Pädagogik, Würzburg 2011 (Kurztitel: Prinzip Mitverantwortung)

368

Bibliographie

Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München/Zürich 112015 (Kurztitel: Eichmann) – Das Urteilen. Texte zu Kants politischer Philosophie, hg. v. R. Beiner, München 1985 (Kurztitel: Urteilen) – Vom Leben des Geistes, 2 Bde., München 21989 (Kurztitel: Leben des Geistes) Arndt, Andreas: Dialektik und Reflexion. Zur Rekonstruktion des Vernunftbegriffs, Hamburg 1994 (Kurztitel: Dialektik und Reflexion) – Karl Marx. Versuch über den Zusammenhang seiner Theorie, Berlin 2012 (Kurztitel: Karl Marx) – »Natur und Geist. Hegels Naturphilosophie im Zusammenhang seiner systematischen Konzeptionen«, in: Hegel: Natur und Geist. Mit einem Anhang: Hegel in Kreuzberg, Ausstellungskatalog der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, Bochum 1988, 11–34 (Kurztitel: Natur und Geist) – »Ontologischer Monismus und Dualismus. Zur Vorgeschichte des Problems«, in: Ders./W. Jaeschke: Materialismus und Spiritualismus. Philosophie und Wissenschaften nach 1848, Hamburg 2000, 1–21 (Kurztitel: Monismus und Dualismus) Arnold, Christopher : Schellings frühe Paulus-Deutung. Die Entwicklung von F.W.J. Schellings Schriftinterpretation und Christentumstheorie im Zusammenhang der Tübinger Theologie seiner Studienzeit und der hermeneutischen Theoriebildung seit der Frühaufklärung, Stuttgart-Bad Cannstatt 2019 (Kurztitel: Schellings frühe PaulusDeutung) Arnold, Christopher/Hackl, Michael: »Editorischer Bericht. F.W.J. Schellings Denkmal der Schrift von den göttlichen Dingen«, in: AA I/18, 55–127 (Kurztitel: Schellings Denkmal) Aristoteles: Philosophische Schriften in sechs Bänden, Hamburg 1995 (Kurztitel: PS) Bach, Thomas (Hg.): Naturphilosophie nach Schelling, Stuttgart-Bad Cannstatt 2005 (Kurztitel: Naturphilosophie nach Schelling) Baumgartner, Hans Michael (Hg.): Schelling. Einführung in seine Philosophie, Freiburg i. Br./München 1975 (Kurztitel: Schelling) Baumgartner, Hans Michael/Jacobs, Wilhelm G. (Hg.): Schellings Weg zur Freiheitsschrift. Legende und Wirklichkeit, Stuttgart-Bad Cannstatt 1996 (Kurztitel: Schellings Weg zur Freiheitsschrift) – (Hg.): Philosophie der Subjektivität? Zur Bestimmung des neuzeitlichen Philosophierens, Stuttgart-Bad Cannstatt 1993 (Kurztitel: Philosophie der Subjektivität) Beaney, Michael (Hg.): The Oxford Handbook of The History of Analytic Philosophy, Oxford University Press 2013 (Kurztitel: History of Analytic Philosophy) Beiner, Ronald: »Hannah Arendt über das Urteilen«, in: H. Arendt: Urteilen, 115–197 (Kurztitel: Arendt über das Urteilen) Benz, Hubert: Individualität und Subjektivität. Interpretationstendenzen in der CusanusForschung und das Selbstverständnis des Nikolaus von Kues, Münster 1999 (Kurztitel: Individualität und Subjektivität) Bertalanffy, Ludwig von: General System Theory. Foundations, Development, Applications, New York 1969 (Kurztitel: General System Theory) Birnbacher, Dieter : »›Natur‹ als Maßstab menschlichen Handelns«, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 45(1), 1991, 60–76 (Kurztitel: »Natur« als Maßstab menschlichen Handelns) Bloch, Ernst: Gesamtausgabe in 16 Bänden, Frankfurt/M. 1977 (Kurztitel: GA)

Weiterführende Texte

369

Blumenbach, Johann Friedrich: Über den Bildungstrieb, Göttingen 1791 (Kurztitel: Über den Bildungstrieb) Blumenberg, Hans: Arbeit am Mythos, Frankfurt/M. 51990 (Kurztitel: Arbeit am Mythos) Böhler, Dietrich: »Ethik der Zukunfts- und Lebensverantwortung. Erster Teil: Begründung. Zwischen Metaphysik und Reflexion im Dialog«, in: Ders./J.P. Brune (Hg.): Orientierung und Verantwortung, 97–159 (Kurztitel: Zukunfts- und Lebensverantwortung) – (Hg.): Ethik für die Zukunft. Im Diskurs mit Hans Jonas, hg. in Verbindung mit I. Hoppe, München 1994 (Kurztitel: Ethik für die Zukunft) – Verbindlichkeit aus dem Diskurs. Denken und Handeln nach der Wende zur kommunikativen Ethik – Orientierung in der ökologischen Dauerkrise, Freiburg i. Br./München 2013 (Kurztitel: Verbindlichkeit aus dem Diskurs) Böhler, Dietrich/Brune, Jens Peter (Hg.): Orientierung und Verantwortung. Begegnungen und Auseinandersetzungen mit Hans Jonas, Würzburg 2004 (Kurztitel: Orientierung und Verantwortung) Böhler, Dietrich/Gronke, Horst/Hermann, Bernadette (Hg.): Mensch – Gott – Welt. Philosophie des Lebens, Religionsphilosophie und Metaphysik im Werk von Hans Jonas, Freiburg i. Br./Berlin/Wien 2008 (Kurztitel: Mensch – Gott – Welt) Böhler, Dietrich/Neuberth, Rudi (Hg.): Herausforderung Zukunftsverantwortung. Hans Jonas zu Ehren, Münster/Hamburg 21993 (Kurztitel: Zukunftsverantwortung) Böhme, Gernot: Für eine ökologische Naturästhetik, Frankfurt/M. 1989 (Kurztitel: Ökologische Naturästhetik) Bohr, Niels: Collected Works, 13 Bde., hg. v. The Niels Bohr Archive Copenhagen, Amsterdam/New York/Oxford/Tokyo 1972–2008 (Kurztitel: CW) – »Interview. Niels Bohr by Thomas S. Kuhn, Leon Rosenfeld, Aage Petersen, and Erik Rudinger, Session I–V«, in: American Institut of Physics, 31.10–17. 11. 1962, www.aip.org, Abruf: 1. 11. 2017 (Kurztitel: Interview) Bonsiepen, Werner : »Hegels kritische Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Evolutionstheorie«, in: R.-P. Horstmann/M.J. Petry (Hg.): Hegels Philosophie der Natur. Beziehungen zwischen empirischer und spekulativer Naturerkenntnis, 1986, 151–171 (Kurztitel: Hegels Auseinandersetzung mit der Evolutionstheorie) Born, Max: Die Relativitätstheorie Einsteins, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1964 (Kurztitel: Relativitätstheorie) Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, übers. v. B. Schwibs/A. Russer, Frankfurt/M. 1987 (Kurztitel: Die feinen Unterschiede) Brakel, Jaap van: »Prehistory of the Philosophy of Chemistry«, in: A.I. Woody/R.F. Hendry/P. Needham (Hg.): Handbook of the Philosophy of Science. Philosophy of Chemistry, Amsterdam/Boston/Heidelberg/London/New York/Oxford/Paris/San Diego/San Francisco/Singapore/Sydney/Tokyo 2012, 21–45 (Kurztitel: Prehistory of the Philosophy of Chemistry) Brandom, Robert Boyce: Wiedererinnerter Idealismus, Frankfurt/M. 2015 (Kurztitel: Wiedererinnerter Idealismus) Breidbach, Olaf: »Naturwissenschaft ohne Natur?«, in: C. Dierksmeier (Hg.): Die Ausnahme Denken. Festschrift zum 60. Geburtstag von Klaus-Michael Kodalle, Bd. 2, Würzburg 2003, 183–189 (Kurztitel: Naturwissenschaft ohne Natur?)

370

Bibliographie

Breit, Gregory/Wheeler John Archibald: »Collision of Two Light Quanta«, in: Physical Review 46(12), 15. 12. 1934, 1087–1091 (Kurztitel: Collision of Two Light Quanta) Brune, Jens Peter : »Verstehen des Lebendigen? Vom Gottesstandpunkt zum Diskurspartner«, in: D. Böhler/J.P. Brune (Hg.): Orientierung und Verantwortung, 259–281 (Kurztitel: Verstehen des Lebendigen) Bubner, Rüdiger : (Rez.) »Der brodelnde Vulkan des Geistes schmilzt alles Feste ein«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. 6. 2002, www.faz.net, Abruf 1. 11. 2017 (Kurztitel: Der brodelnde Vulkan) Buchheim, Thomas: »Das ›objektive Denken‹ in Schellings Naturphilosophie« in: Kant Studien 81(3), Jan. 1990, 321–338 (Kurztitel: Das »objektive Denken«) – Eins von Allem. Die Selbstbeschneidung des Idealismus in Schellings Spätphilosophie, Hamburg 1992 (Kurztitel: Eins von Allem) Buchheim, Thomas/Hermanni, Friedrich: »Alle Persönlichkeit ruht auf einem dunkeln Grunde«. Schellings Philosophie der Personalität, Berlin 2004 (Kurztitel: Persönlichkeit) Bultmann, Rudolf: Glauben und Verstehen. Gesammelte Aufsätze, 4 Bde., Tübingen 1933– 1965 (Kurztitel: Glauben und Verstehen) – »Neues Testament und Mythologie«, in: H.-W. Bartsch (Hg.): Kerygma und Mythos I. Ein theologisches Gespräch, Hamburg, 1967, 15–48 (Kurztitel: Neues Testament und Mythologie) Bultmann, Rudolf/Heidegger, Martin: Briefwechsel. 1925–1975, hg. v. A. Großmann/C. Landmesser, Tübingen 2009 (Kurztitel: Briefwechsel) Carnap, Rudolf: Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaften, hg. v. M. Gardner, Berlin 1986 (Kurztitel: Philosophie der Naturwissenschaften) – Scheinprobleme in der Philosophie und andere metaphysikkritische Schriften, hg. v. T. Mormann, Hamburg 2004 (Kurztitel: Scheinprobleme) Cassirer, Ernst: Gesammelte Werke. Hamburger Ausgabe, 25 Bde., Hamburg 1998–2007 (Kurztitel: ECW) Cruse, Holk: »Ich bin mein Gehirn. Nichts spricht gegen den materialistischen Monismus«, in: C. Geyer (Hg.): Hirnforschung und Willensfreiheit, 223–228 (Kurztitel: Ich bin mein Gehirn) Cobben, Paul: »Intersubjektivität und Sittlichkeit«, in: Logos 5, 1998, 235–264 (Kurztitel: Intersubjektivität und Sittlichkeit) Conant, James/Kern, Andrea: »Analytischer Deutscher Idealismus. Vorwort zur Buchreihe«, in: R.B. Brandom: Wiedererinnerter Idealismus, 9–12 (Kurztitel: Analytischer Deutscher Idealismus) Conrad-Martius, Hedwig: Der Selbstaufbau der Natur. Entelechien und Energien, Hamburg 1944 (Kurztitel: Selbstaufbau der Natur) Danz, Christian: »Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes in Schellings ›Philosophie der Offenbarung‹«, in: T. Buchheim/F. Hermanni (Hg.): Persönlichkeit, 179–195 (Kurztitel: Persönlichkeit Gottes) – »Die Christologie Schellings im Zusammenhang der werksgeschichtlichen Entwicklung seiner Philosophie«, in: R. Hiltscher/S. Klingner (Hg.): Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Darmstadt 2012, 37–56 (Kurztitel: Christologie Schellings) – »Die Philosophie der Offenbarung«, in: H.J. Sandkühler (Hg.): F.W.J. Schelling, 169–189 (Kurztitel: Philosophie der Offenbarung)

Weiterführende Texte

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– Die philosophische Christologie F.W.J. Schellings, Stuttgart-Bad Cannstatt 1996 (Kurztitel: Philosophische Christologie) – Gott und die menschliche Freiheit. Studien zum Gottesbegriff in der Neuzeit, Neunkirchen-Vluyn 2005 (Kurztitel: Gott und die menschliche Freiheit) – Grundprobleme der Christologie, Tübingen 2013 (Kurztitel: Christologie) – »Hermeneutik zwischen Text und Kontext. Überlegungen zur theologiegeschichtlichen Einordnung der Bibelauslegung des jungen Schelling«, in: Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Wien (Hg.): Wiener Jahrbuch für Theologie 8, Wien 2010, 85– 107 (Kurztitel: Hermeneutik zwischen Text und Kontext) – »Natur in Gott. Schellings Beitrag zur philosophischen Theologie«, in: Kerygma und Dogma 57, 2011, 26–40 (Kurztitel: Natur in Gott) – »Mythos und Geschichte. Beobachtungen zur Geschichtsphilosophie des jungen Schelling«, in: H. Paetzold/H. Schneider (Hg.): Schellings Denken der Freiheit, 169–191 (Kurztitel: Mythos und Geschichte) – »System und Leben bei Fichte und Schelling«, in: Ders./J. Stolzenberg (Hg.): System und Systemkritik, 83–97 (Kurztitel: System und Leben) – »Vernunft und Religion. Überlegungen zu Schellings Christentumsdeutung in seinen Journal-Aufsätzen«, in: K. Vieweg (Hg.): Gegen das ›unphilosophische Unwesen‹. Das Kritische Journal der Philosophie von Schelling und Hegel, Würzburg 2002, 197–209 (Kurztitel: Vernunft und Religion) – Wirken Gottes. Zur Geschichte eines theologischen Grundbegriffs, Neunkirchen-Vluyn 2007 (Kurztitel: Wirken Gottes) – »Zwischen Fragmentstreit und Spinoza-Büchlein, oder : Von der Bibelhermeneutik zum spekulativen Idealismus. Der junge Schelling im Stift«, in: V. H. Drecoll (Hg.): 750 Jahre Augustingerkloster und Evangelischer Stift in Tübingen, Tübingen 2018, 201– 219 (Kurztitel: Fragmentstreit und Spinoza-Büchlein) Danz, Christian/Jantzen, Jörg (Hg.): Gott, Natur, Kunst und Geschichte. Schelling zwischen Identitätssystem und Freiheitsschrift, Göttingen 2011 (Kurztitel: Gott, Natur, Kunst und Geschichte) Danz, Christian/Stolzenberg, Jürgen (Hg.): System und Systemkritik um 1800, Hamburg 2011, 26–40 (Kurztitel: System und Systemkritik) Darwin, Charles: Mein Leben. 1809–1882, übers. v. C. Krüger, hg. v. N. Barlow, Frankfurt/ M. 1993 (Kurztitel: Mein Leben) – The Descent of Man and the Selection in Relation to Sex, 2 Vol., London 1871 (Kurztitel: Descent of Man) – The Origin of Species. By Means of Natural Selection or the Preservation of Favoured Races in the Struggle of Life, London 1872 (Kurztitel: Origin of Species) Davisson, Clinton/Germer, Lester Halbert: »Diffraction of Electrons by a Crystal of Nickel«, in: Physical Review 30(6), 2nd Series, December 1927, 705–740 (Kurztitel: Diffraction of Electrons) Dellavalle, Sergio: »Soggetto morale o sostanza etica. Riflessioni sui recenti contributi di Vittorio Hösle alla fondazione di un’etica della societ/ tecnologica e del rischio ecologico«, in: Teoria politica VII/3, 1991, 99–117 (Kurztitel: Soggetto morale o sostanza etica) Dengel, Ute: Kunst und Naturverständnis. Verbindungen zwischen Ästhetik und Praktischer Naturphilosophie, Marburg 2013 (Kurztitel: Kunst und Naturverständnis)

372

Bibliographie

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Weiterführende Texte

373

– »Zum Stand der Schelling-Forschung«, in: H.J. Sandkühler (Hg.): F.W.J. Schelling, 40– 49 (Kurztitel: Stand der Schelling-Forschung) Eigen, Manfred: From Strange Simplicity to Complex Familiarity. A Treatise on Matter, Information, Life and Thought, Oxford University Press 2013 (Kurztitel: Strange Simplicity) – Stufen zum Leben. Die frühe Evolution im Visier der Molekularbiologie, München 1987 (Kurztitel: Stufen zum Leben) Einstein, Albert: Die Evolution der Physik. Von Newton bis zur Quantentheorie, Hamburg 1956 (Kurztitel: Physik) – Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie. Gemeinverständlich, Braunschweig 1920 (Kurztitel: Relativitätstheorie) Elias, Norbert: Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. M. Schröter, Frankfurt/M. 1989 (Kurztitel: Studien über die Deutschen) – Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, 2 Bde., Frankfurt/M. 1982 (Kurztitel: Prozeß der Zivilisation) Engholm, Björg/Röhrich, Wilfried (Hg.): Ethik und Politik heute. Karl-Otto Apel, Hans Jonas, Hans Küng im Gespräch, Opladen 1990 (Kurztitel: Ethik und Politik heute) Erdmann, Zeyde-Margreth: »Vom Baum der Erkenntnis zum Baum des Lebens«, in: K.M. Meyer-Abich. et al. (Hg.): Vom Baum der Erkenntnis zum Baum des Lebens, 359–422 (Kurztitel: Vom Baum der Erkenntnis zum Baum des Lebens) Eriksson, Lina/H#jek, Alan: »What Are Degrees of Belief ?«, in: Studia Logica: An International Journal for Symbolic Logic 86(2), Formal Epistemology I, 2007, 183–213 (Kurztitel: Degrees of Belief) Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums, Stuttgart 2008 (Kurztitel: Wesen des Christentums) Feynman, Richard Philips: QED. The Strange Theory of Light and Matter, Princeton University Press 2006 (Kurztitel: QED) – The Character of Physical Law, M.I.T. Press 61971 (Kurztitel: Character of Physical Law) Feynman, Richard Philips/Leighton, Robert B./Sands, Matthew : Lectures on Physics I–III, Reading/Mass. 21966 (Kurztitel: Lectures on Physics) Fichte, Johann Gottlieb: Fichtes Werke, 11 Bde., hg. v. I.H. Fichte, Berlin 1834–1846 (Nachdruck Berlin 1971) (Kurztitel: Werke) – J. G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. H. Jacob/R. Lauth/H. Gliwitzky et al., Stuttgart-Bad Cannstatt 1962–2012 (Kurztitel: GA). Forst, Rainer : Das Recht auf Rechtfertigung. Elemente einer konstruktivistischen Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt/M. 2007 (Kurztitel: Recht auf Rechtfertigung) Frank, Manfred (Hg.): »Bibliographische Notiz«, in: F.W.J. Schelling: Ausgewählte Schriften in 6 Bänden, Bd. 1, hg. v. M. Frank, Frankfurt/M. 21995, o. S. (Kurztitel: Bibliographische Notiz) – »Dokumente zu Schellings erstem Vorlesungszyklus in Berlin: Hörerberichte, Zeitschriftenartikel, zeitgen. Brief- und Tagebuchäußerungen«, in: F.W.J. Schelling: Philosophie der Offenbarung 1841/42, hg. und eingeleitet v. M. Frank, Frankfurt/M.31993, 495–581 (Kurztitel: Dokumente zu Schellings erstem Vorlesungszyklus in Berlin) – »Historische Hintergründe der Berufung Schellings; Schellings Auftreten in Berlin 1841«, in: F.W.J. Schelling: Philosophie der Offenbarung 1841/42, hg. und eingeleitet v.

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Bibliographie

M. Frank, Frankfurt/M.31993, 469–494 (Kurztitel: Historische Hintergründe der Berufung Schellings) – Selbstgefühl. Eine historisch-systematische Erkundung, Frankfurt/M. 2002 (Kurztitel: Selbstgefühl) Franz, Albert: Philosophische Religion. Eine Auseinandersetzung mit den Grundlegungsproblemen der Spätphilosophie F.W.J. Schellings, Amsterdam/Atlanta 1992 (Kurztitel: Philosophische Religion) Franz, Michael: »Die Bedeutung antiker Philosophie für Schellings philosophische Anfänge«, in: H.J. Sandkühler (Hg.): F.W.J. Schelling, 50–65 (Kurztitel: Schellings philosophische Anfänge) – Schellings Tübinger Platon-Studien, Göttingen 1996 (Kurztitel: Schellings Platon-Studien) Freud, Sigmund: Gesammelte Werke. Chronologisch geordnet, 17 Bde., hg. v. A. Freud/ E. Bibring/W. Hoffer/E. Kris/O. Isakower, London 1940–1952 (Kurztitel: GW) Fritz, Kurt von: Grundprobleme der Geschichte der antiken Wissenschaft, Berlin/New York 1971 (Kurztitel: Geschichte der antiken Wissenschaft) Fry, Iris: The Emergence of Life on Earth. A Historical and Scientific Overview, Rutgers University Press 2000 (Kurztitel: Emergence of Life on Earth) Fuhrmans, Horst: Schellings letzte Philosophie. Die negative und positive Philosophie im Einsatz des Spätidealismus, Berlin 1940 (Kurztitel: Schellings letzte Philosophie) Gadamer, Hans-Georg: Gesammelte Werke, 10 Bde., Tübingen 61990 (Kurztitel: GW) Gans, Eduard: Rückblicke auf Personen und Zustände, Berlin 1836 (Kurztitel: Rückblicke) Geijsen, Ludwig: »Mitt-Wissenschaft«. F.W.J. Schellings Philosophie der Freiheit und der Weltalter als Weisheitslehre, Freiburg i. Br./München 2009 (Kurztitel: Mitt-Wissenschaft) Gethmann, Carl Friedrich/Hegselmann, Rainer : »Das Problem der Begründung zwischen Dezisionismus und Fundamentalismus«, in: Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie 8(2), 1977, 342–368 (Kurztitel: Problem der Begründung) Geyer, Christian (Hg.): Hirnforschung und Willensfreiheit. Zur Deutung der neuesten Experimente, Frankfurt/M. 2004 (Kurztitel: Hirnforschung und Willensfreiheit) Gilbert, Walter : »The RNA world – Origin of Life«, in: Nature 319, 20. 2. 1986, 618 (Kurztitel: RNA world) Glaserfeld, Ernst von: »Konstruktion der Wirklichkeit und der Begriff der Objektivität«, in: H. v. Foerster/E. v. Glaserfeld/P.M. Hejl/S.J. Schmidt/P. Watzlawick: Einführung in den Konstruktivismus, München 72003, 9–40 (Kurztitel: Konstruktion der Wirklichkeit) – Radikaler Konstruktivismus. Ideen, Ergebnisse, Probleme, übers. v. W.K. Köck, Frankfurt/M. 1996 (Kurztitel: Radikaler Konstruktivismus) Gloyna, Tanja: Kosmos und System. Schellings Weg in die Philosophie, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002 (Kurztitel: Kosmos und System) Goebel, Bernhard/Wetzel, Manfred (Hg.): Eine moralische Politik? Vittorio Hösles Politische Ethik in der Diskussion, Würzburg 2001 (Kurztitel: Eine moralische Politik) Goethe, Johann Wolfgang von: Goethes Werke, Abt. I–IV, 133 Bde. in 143 Teilen, hg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen, Weimar 1887–1919 (Kurztitel: WA) – Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe, 20 Bde., hg. v. K. Richter in Zusammenarbeit mit H.G. Göpfert/N. Miller/G. Sauder, München/Wien 1986 (Kurztitel: MA)

Weiterführende Texte

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Gould, Stephan Jay : Full House. The Spread of Excellence from Plato to Darwin, New York 1997 (Kurztitel: Full House) – The Structure of Evolutionary Theory, Harvard University Press 2000 (Kurztitel: Structure of Evolutionary Theory) Gordon, John-Stewart/Burkhart, Holger (Hg.): Global Ethics and Moral Responsibility. Hans Jonas and his Crititcs, Farnham 2014 (Kurztitel: Global Ethics and Moral Responsibility) Grätzel, Stephan: Ethische Praxis. Anwendungen der Praktischen Philosophie im Alltag und Beruf, London 2007 (Kurztitel: Ethische Praxis) Green, David B.: »Lest we destroy earth: The first green philosopher is born«, in: Haaretz. Israeli News Source, www.haaretz.com, 10. 5. 2013, Abruf 1. 11. 2017 (Kurztitel: Lest we destroy earth) Habermas, Jürgen: »Die Herausforderung der ökologischen Ethik für eine anthropozentrisch ansetzende Konzeption«, in: A. Krebs (Hg.): Naturethik, 92–99 (Kurztitel: Herausforderung der ökologischen Ethik) – Erkenntnis und Interesse, Frankfurt/M. 1973 (Kurztitel: Erkenntnis und Interesse) – Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bde., Frankfurt/M. 1995 (Kurztitel: Theorie des kommunikativen Handelns) – Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt/M. 1995 (Kurztitel: Vorstudien und Ergänzungen) – Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Ansätze, Frankfurt/M. 2005 (Kurztitel: Naturalismus und Religion) Hackl, Michael: »An den Grenzen von G.W.F. Hegels System. Die ökologische Krise im Anschluss an C.L. Michelet, K. Rosenkranz und V. Hösle, in: Hegel Jahrbuch 2015, hg. v. A. Arndt/J. Zovko/M. Gerhard, Berlin/München/Boston 2015, 397–404 (Kurztitel: An den Grenzen von Hegels System) – »Das Seinsollen des Vernünftigen. Logik und intersubjektiver Geist in G.W.F. Hegels Systementwurf«, in: C. Danz/J. Stolzenberg/V.L. Waibel (Hg.): Systemkonzeptionen im Horizont des Theismusstreites (1811–1821), Hamburg 2018, 291@335 (Kurztitel: Seinsollen des Vernünftigen) – »Das System im Werden. Schellings und Hegels gemeinsame Anfänge«, in: C. Danz (Hg): Schelling in Würzburg, Stuttgart-Bad Cannstatt 2017, 257–292 (Kurztitel: System im Werden) – »Die Rechte der ›natürlichen Mitwelt‹ und die ›Sphären der Freiheit‹. Eine metaphysische Antwort«, in: M. Abraham/T. Zimmermann/S. Zucca-Soest (Hg.): Vorbedingungen des Rechts, Stuttgart 2016, 171–181 (Kurztitel: Rechte der »natürlichen Mitwelt«) – »Ein Appell an die Freiheit. Existenz, Mythos und Freiheit bei H. Jonas und F.W.J. Schelling«, in: Ders./C. Danz (Hg): Klassische Deutsche Philosophie, 131–154 (Kurztitel: Appell an die Freiheit) – »Herausforderungen, Christologie und Theonomie. Systematische Überlegungen im Anschluss an Paul Tillich«, in: C. Danz/M. Hackl (Hg.): Transformationenen der Christologie. Herausforderungen, Krisen und Umformungen, Göttingen 2019, 183–193 (Kurztitel: Herausforderungen, Christologie und Theonomie)

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Bibliographie

– »›Kommet her zur Physik, und erkennet das Wahre!‹ Mitwissenschaft bei Schelling und Bohr«, in: U. Heil/A. Klein/A. Schellenberg (Hg.): Wiener Jahrbuch für Theologie 12, Göttingen 2019, 213@225 (Kurztitel: Kommet her zur Physik) – (Art.) »Mater, Spirit and Creation. Philosophical Investigations and Metaphysical Conjectures«, in: M. Bongardt/H. Burkhart/J.S. Gordon/J. Nielsen-Sikora (Hg.): Hans Jonas-Handbook, Stuttgart (im Druck) (Kurztitel: Mater, Spirit and Creation. Philosophical Investigations) – »Natur, Freiheit und Verantwortung. F.W.J. Schellings objektiver Idealismus als spekulative Naturethik«, in: V.L. Waibel/M. Brinnich/C. Danz/M. Hackl/L. Hühn/ P. Schaller (Hg.): Ausgehend von Kant. Wegmarken der Klassischen Deutschen Philosophie, Würzburg 2016, 223–244 (Kurztitel: Natur, Freiheit und Verantwortung) – (Rez.) »Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich: Existenz denken. Schellings Philosophie von ihren Anfängen bis zum Spätwerk, Freiburg i. Br./München 2015«, in: Schelling-Studien 4, 2016, 257–259 (Kurztitel: Existenz denken) – (Art.) »Urfassung der Philosophie der Offenbarung«, in: P. Ziche (Hg.): SchellingHandbuch, Stuttgart (im Druck) (Kurztitel: Urfassung) – »Verantwortung für die Freiheit. G.W.F. Hegels ›freies Selbst‹ und die ›natürliche Mitwelt‹ K.M. Meyer-Abichs«, in: Hegel Jahrbuch 2017, hg. v. A. Arndt/J. Zovko/M. Gerhard, Berlin/München/Boston 2018, 484–491 (Kurztitel: Verantwortung für die Freiheit) Hackl, Michael/Danz, Christian (Hg.): Die Klassische Deutsche Philosophie und ihre Folgen, Göttingen 2017 (Kurztitel: Klassische Deutsche Philosophie) Hampe, Michael: »Die Historische Ontologie und einige Motive des deutschen Idealismus«, in: B. Sandkaulen/V. Gerhardt/W. Jaeschke (Hg.): Gestalten des Bewußtseins, 78– 92 (Kurztitel: Historische Ontologie) – »Komplementarität und Konkordanz von Natur und Erkenntnis. Anmerkungen zu Schelling und Peirce«, in: H. Ediam/F. Hermeneu/D. Stederoth (Hg.): Kritik und Praxis. Zur Problematik menschlicher Emanzipation. Wolfdietrich Schmied-Kowarzik zum 60. Geburtstag, Lüneburg 1998, 96–106 (Kurztitel: Komplementarität und Konkordanz) Hansen, Frank-Peter : »Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus«. Rezeptionsgeschichte und Interpretation, Berlin/New York 1989 (Kurztitel: Das älteste Systemprogramm) Hartmann, Nicolai: Ethik, Berlin 31949 (Kurztitel: Ethik) Hartung, Gerald/Köchy, Kristian/Schmidt, Jan C./Hofmeister, Georg (Hg.): Naturphilosophie als Grundlage der Naturethik. Zur Aktualität von Hans Jonas, Freiburg i. Br./ München 2013 (Kurztitel: Naturphilosophie als Grundlage der Naturethik) Haeckel, Ernst: Generelle Morphologie, 2 Bde., Berlin 1866 (Kurztitel: Morphologie) Hastedt, Heiner : Aufklärung und Technik. Grundprobleme einer Ethik der Technik, Frankfurt/M. 1991 (Kurztitel: Aufklärung und Technik) Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Briefe von und an Hegel, 4 Bde., hg. v. J. Hoffmeister, Hamburg 1952 (Abk.: Briefe) – Gesammelte Werke, hg. v. der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften (bzw. Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste), Hamburg 1968ff. (Kurztitel: GW) – Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, hg. v. G. Nicolin, Hamburg 1970 (Kurztitel: Hegel in Berichten)

Weiterführende Texte

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– Werke in zwanzig Bänden. Theorie Werkausgabe, hg. v. E. Moldenhauer/K.M. Michel, Frankfurt/M. 1986 (Kurztitel: TWA) Heidegger, Martin: Gesamtausgabe. I. Abteilung, Frankfurt/M. 1976–2007 (Kurztitel: GA) Heine, Heinrich: Werke und Briefe in zehn Bänden, Weimar 1973 (Kurztitel: Werke) Heisenberg, Werner : Gesammelte Werke. Abteilung C: Allgemeinverständliche Schriften, München 1984 (Kurztitel: GW C) – Physikalische Prinzipien der Quantentheorie, Stuttgart 1958 (Kurztitel: Physikalische Prinzipien) Henningfeld, Jochem: »Identitätsphilosophie und Freiheit in Schellings Systementwürfen 1801–1809«, in: C. Danz/J. Jantzen (Hg.): Gott, Natur, Kunst und Geschichte, 15–27 (Kurztitel: Identitätsphilosophie und Freiheit) Hentschel, Klaus/Hentschel, Ann M. (Hg.): Physics and National Socialism. An Anthology of Primary Sources, Basel/Boston/Berlin 1996 (Kurztitel: Physics and National Socialism) Herder, Johann Gottfried: Werke in zehn Bänden, hg. v. G. Arnold/M. Bollacher/J. Brummack/C. Bultmann/U. Gaier/G.E. Grimm/H.D. Irmscher/R. Otto/R. Smend/R. Wisbert/ T. Zippert, Frankfurt/M. 1985–2000 (Kurztitel: Werke) Hermanni, Friedrich: Die letzte Entlastung. Vollendung und Scheitern des abendländischen Theodizeeprojektes in Schellings Philosophie, Wien 1994 (Kurztitel: Die letzte Entlastung) – Metaphysik. Versuche über letzte Fragen, Tübingen 2012 (Kurztitel: Metaphysik) Heuser-Keßler, Marie-Luise: Die Produktivität der Natur. Schellings Naturphilosophie und das neue Paradigma der Selbstorganisation in den Naturwissenschaften, Berlin 1986 (Kurztitel: Produktivität der Natur) – »Subjektivität als Selbstorganisation. Schellings Transformation des Subjektbegriffs und sein Einfluß auf erste mathematische Ansätze einer Theorie der Selbstorganisation im 19. Jahrhundert«, in: H. M. Baumgartner/W.G. Jacobs (Hg.): Philosophie der Subjektivität, 431–440 (Kurztitel: Subjektivität als Selbstorganisation) Heuser-Keßler, Marie-Luise/Jacobs, Wilhelm G. (Hg.): Schelling und die Selbstorganisation. Neue Forschungsperspektiven, Berlin 1994 (Kurztitel: Schelling und die Selbstorganisation) Hirsch Hadorn, Gertrude: Umwelt, Natur und Moral. Eine Kritik an Hans Jonas, Vittorio Hösle und Georg Picht, Freiburg/München 2000 (Kurztitel: Umwelt, Natur und Moral) Hogrebe, Wolfram: Prädikation und Genesis. Metaphysik als Fundamentalheuristik im Ausgang von Schellings »Die Weltalter«, Frankfurt/M. 1989 (Kurztitel: Prädikation und Genesis) Honneth, Axel: Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt/M. 1994 (Kurztitel: Kampf um Anerkennung) Hoyningen-Huene, Paul: »Thomas Kuhn and the chemical revolution«, in: Foundations of Chemistry 10/2, 2008, 101–115 (Kurztitel: Kuhn and the chemical revolution) Hühn, Lore: »Ekstatis. Überlegungen zu Schellings Spekulationen über die Grenze des menschlichen Wissens«, in: H. M. Baumgartner/W.G. Jacobs (Hg.): Philosophie der Subjektivität, 441–450 (Kurztitel: Ekstatis) – Fichte und Schelling oder : Über die Grenze menschlichen Wissens, Stuttgart/Weimar 1994 (Kurztitel: Fichte und Schelling)

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Bibliographie

– »Heidegger – Schelling im philosophischen Zwiegespräch – Der Versuch einer Einleitung«, in: Dies./J. Jantzen (Hg.): Heideggers Schelling-Seminar, Stuttgart-Bad Cannstatt 2010, 3–44 (Kurztitel: Heidegger) Humboldt, Wilhelm von: Werke in fünf Bänden, hg. v. A. Flitner/K. Giel, Darmstadt 2010 (Kurztitel: Werke) Hume, David: A Treatise of Human Nature, London 1739 (Kurztitel: A Treatise of Human Nature) – Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, übers. und hg. v. H. Herring, Stuttgart 1982 (Kurztitel: Untersuchung) Husserl, Edmund: Husserliana. Edmund Husserl – Gesammelte Werke, Den Haag, später Berlin 1950ff. (Kurztitel: Hua) Hutter, Axel: Geschichtliche Vernunft. Die Weiterführung der Kantischen Vernunftkritik in der Spätphilosophie Schellings, Frankfurt/M. 1996 (Kurztitel: Geschichtliche Vernunft) – »Übersicht über Schellings Vorlesungen ab 1827«, in: Ders.: Geschichtliche Vernunft, 387f. (Kurztitel: Schellings Vorlesungen) Iber, Christian: Das Andere der Vernunft als ihr Prinzip. Grundzüge der philosophischen Entwicklung Schellings mit einem Ausblick auf die nachidealistischen Philosophiekonzeptionen Heideggers und Adornos, Berlin/New York 1994 (Kurztitel: Das Andere der Vernunft) Illies, Christian: »Zur Architektur der Synthese«, in: B. Goebel/M. Wetzel (Hg.): Eine moralische Politik, 37–58 (Kurztitel: Architektur der Synthese) Ingensiep, Hans Werner/Eusterschulte, Anne (Hg.): Philosophie der natürlichen Mitwelt. Grundlagen – Probleme – Perspektiven. Festschrift für Klaus Michael Meyer-Abich, Würzburg 2002 (Kurztitel: Philosophie der natürlichen Mitwelt) Jackson, John David: Klassische Elektrodynamik, übers. v. K. Müller, Berlin/Boston 52014 (Kurztitel: Klassische Elektrodynamik) Jacobi, Friedrich Heinrich: Werke. Gesamtausgabe, hg. v. K. Hammacher/W. Jaeschke, Hamburg 1998ff. (Kurztitel: JWA) Jaeschke, Walter/Arndt, Andreas: Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant. Systeme der reinen Vernunft und ihre Kritik 1785–1845, München 2012 (Kurztitel: Klassische Deutsche Philosophie) James, William: The Principles of Psychology, 2 Bde., New York 1890 (Kurztitel: Principles of Psychology) Jantzen, Jörg: »Die Philosophie der Natur«, in: H.J. Sandkühler (Hg.): F.W.J. Schelling, 83– 108 (Kurztitel: Philosophie der Natur) Jefferson, Thomas: Writings, New York 1984 (Kurztitel: Writings) Jermann, Christoph (Hg.): Anspruch und Leistung von Hegels Rechtsphilosophie, StuttgartBad Cannstatt 1987 (Kurztitel: Hegels Rechtsphilosophie) – Philosophie und Politik. Untersuchungen zur Struktur und Problematik des platonischen Idealismus, Stuttgart-Bad Cannstatt 1986 (Kurztitel: Philosophie und Politik) Jonas, Lore: »Er könnte die Antworten gehabt haben«, in: Die Welt, 10. 5. 2003, www.welt.de, Abruf: 1. 11. 2017 (Kurztitel: Er könnte die Antworten gehabt haben) – »Erinnerungen an Hans Jonas. Ein Gespräch mit Barbara Caroline Schweizer und Jens Peter«, in: D. Böhler/J.P. Brune (Hg.): Orientierung und Verantwortung, 511–517 (Kurztitel: Erinnerungen an Jonas)

Weiterführende Texte

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Joyce, Gerald F.: »RNA evolution and the origins of life«, in: Nature 338, 16. 3. 1989, 217– 224 (Kurztitel: RNA evolution) Jung, Carl Gustav : »Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge«, in: Ders./ W. Pauli: Naturerklärung und Psyche, Zürich 1952, 1–107 (Kurztitel: Synchronizität) Kaiser, Otto: »Einfache Sittlichkeit und theonome Ethik in der alttestamentlichen Weisheit«, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 39, 1997, 115–139 (Kurztitel: Sittlichkeit und theonome Ethik) Kahnt, Thorsen/Grueschow, Marcus/Speck, Oliver/Haynes, John-Dylan: »Perceptual Learning and Decision-Making in Human Medial Frontal Cortex«, in: Neuron 70, 2011, 549–559 (Kurztitel: Perceptual Learning and Decision-Making) Kandel, Eric R./Schwartz, James H./Jessell Thomas M.: Principles of Neural Science, New York 42000 (Kurztitel: Principles of Neural Science). Kant, Immanuel: Kant’s gesammelte Schriften, hg. v. d. Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften und Nachfolgern, Berlin, später Berlin/New York 1900ff. (Kurztitel: Akad.-Ausg.). Die Kritik der reinen Vernunft wird ohne Verweis auf den Band, sondern lediglich mit Angabe der A- bzw. B-Auflage zitiert. Kasper, Walter : Das Absolute in der Geschichte. Philosophie und Theologie der Geschichte in der Spätphilosophie Schellings, Mainz 1965 (Kurztitel: Das Absolute in der Geschichte) Kelsen, Hans: Vom Wesen und Wert der Demokratie, Tübingen 21929 (Kurztitel: Wesen und Wert der Demokratie) Kierkegaard, Søren: Die Krankheit zum Tode, übers. v. H. Gottsched/C. Schrempf, Jena o. J. (Kurztitel: Krankheit zum Tode) Kleiber, Michael: Der grundrechtliche Schutz künftiger Generationen, Tübingen 2014 (Kurztitel: Der grundrechtliche Schutz) Kleinert, Andreas/Schönbeck, Charlotte: »Lenard und Einstein. Ihr Briefwechsel und ihr Verhältnis vor der Nauheimer Diskussion von 1920«, in: Gesnerus. Swiss Journal of the history of medicine and sciences 35(3–4), 1978, 318–333 (Kurztitel: Lenard und Einstein) Klier, Alexander : Umweltethik: Wider die ökologische Krise. Ein kritischer Vergleich der Positionen von Vittorio Hösle und Hans Jonas, Marburg 2007 (Kurztitel: Umweltethik) Korsch, Dieter : Der Grund der Freiheit. Eine Untersuchung zur Problemgeschichte der positiven Philosophie und Systemfunktion des Christentums im Spätwerk F.W.J. Schellings, München 1980 (Kurztitel: Grund der Freiheit) Körtner, Ulrich Heinz Jürgen: Evangelische Sozialethik, Göttingen 32012 (Kurztitel: Sozialethik) Korton, Harald: »Vom Parallelismus von Natur- und Transzendentalphilosophie zur Identitätsphilosophie. Kontinuität oder Neuansatz in Schellings Philosophie?«, in: H. M. Baumgartner/W.G. Jacobs (Hg.): Schellings Weg zur Freiheitsschrift, 51–94 (Kurztitel: Vom Parallelismus) Krebs, Angelika: »Einleitung«, in: Dies. (Hg.): Naturethik, 7–12 (Kurztitel: Einleitung) – (Hg.): Naturethik. Grundtexte der gegenwärtigen tier- und ökologischen Diskussion, Frankfurt/M. 1997 (Kurztitel: Naturethik) Kraus, Karl: Die Fackel, in zwölf Bänden, Nr. 1–922, München 1968–1976 (Kurztitel: Die Fackel)

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Bibliographie

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Weiterführende Texte

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Weiterführende Texte

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Weiterführende Texte

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Weiterführende Texte

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Schmitt, Carl: Verfassungslehre, Berlin 1970 (Kurztitel: Verfassungslehre) Schneider, Mathias: Vittorio Hösles Umweltphilosophie im Kontext der Nachhaltigkeitsidee. Wege eines suffizienzorientierten Paradigmenwechsels für ein erneuertes Naturverhältnis, Berlin 2015 (Kurztitel: Hösles Umweltphilosophie) Scholem, Gershom: Zur Kabbala und ihrer Symbolik, Frankfurt/M. 21977 (Kurztitel: Kabbala und Symbolik) – Über einige Grundbegriffe des Judentums, Frankfurt/M. 1970 (Kurztitel: Grundbegriffe des Judentums) Schönbeck, Charlotte: Albert Einstein und Philipp Lenard. Antipoden im Spannungsfeld von Physik und Zeitgeschichte, Berlin/Heidelberg/New York/Barcelona/Hongkong/ London/Mailand/Paris/Singapur/Tokio 2000 (Kurztitel: Einstein und Lenard) Schopenhauer, Arthur : Zürcher Ausgabe. Werke in zehn Bänden, Zürich 1977 (Kurztitel: ZA) Schönrich, Gehard: Bei Gelegenheit Diskurs. Von den Grenzen der Diskursethik und dem Preis der Letztbegründung, Frankfurt/M. 1994 (Kurztitel: Bei Gelegenheit Diskurs) Schrödinger, Erwin: »Mind and Matter«, in: Ders.: What is Life? With Mind and Matter and Autobiographical Sketches, Cambridge University Press 1992, 91–163 (Kurztitel: Mind and Matter) – »What is Life? », in: Ders.: What is Life? With Mind and Matter and Autobiographical Sketches, Cambridge University Press 1992, 1–90 (Kurztitel: What is Life?) Schröter, Jens: »Wahrer Mensch und wahrer Gott. Historisch-kritische Jesusforschung und christliches Bekenntnis«, in: Ders. (Hg.): Jesus Christus, Tübingen 2014, 299–307 (Kurztitel: Wahrer Mensch und wahrer Gott) Schuber, Jörg: Das »Prinzip Verantwortung« als verfassungsstaatliches Rechtsprinzip. Rechtsphilosophische und verfassungsrechtliche Betrachtungen zur Verantwortungsethik von Hans Jonas, Baden-Baden 1998 (Kurztitel: Prinzip Verantwortung als Rechtsprinzip) Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe, hg. v. H.-J. Birkner et al., Berlin/New York 1980ff. (Kurztitel: KGA) Schultze-Kraft, Matthias/Birman, Daniel/Rusconi, Marco/Allefeld, Carsten/Görgen, Kai/ Dähne, Sven/Blankertz, Haynes, John-Dylan: »The point of no return in vetoing selfinitiated movements«, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 114(4), 26. 1. 2016, 1080–1085 (Kurztitel: The point of no return) Schulz, Walter: Der Gott der neuzeitlichen Metaphysik, Pfullingen 1957 (Kurztitel: Der Gott der neuzeitlichen Metaphysik) – Die Vollendung des deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings, Pfullingen 1975 (Kurztitel: Vollendung des deutschen Idealismus) Schwenzfeuer, Sebastian: Natur und Subjekt. Die Grundlegung der schellingschen Naturphilosophie, Freiburg i. Br./München 2012 (Kurztitel: Natur und Subjekt) Seel, Martin: Eine Ästhetik der Natur, Frankfurt/M. 1996 (Kurztitel: Ästhetik der Natur) Seubert, Harald: »Moral, Politik, Natur und Selbstbewußtsein. Grundsätzliche Bemerkrungen aus Anlaß der Ethik von Vittorio Hösle«, in: B. Goebel/M. Wetzel (Hg.): Eine moralische Politik, 59–77 (Kurztitel: Moral, Politik, Natur, Selbstbewußtsein) Shakespeare, William: Hamlet, Prinz von Dänemark, übers. v. A.W. Schlegel, in: Ders.: Shakespeare’s dramatische Werke, übers. v. A.W. Schlegel/L. Tieck, Bd. 4, Berlin 1874, 91–254 (Kurztitel: Hamlet)

388

Bibliographie

Shestakova, Julia: Philosophie als Erinnerung. Dimensionen des Erinnerungsbegriffs im Anschluss an Schelling, Berlin 2012 (Kurztitel: Philosophie als Erinnerung) Siep, Ludwig: »Erwiderungen«, in: A. Vieth et al. (Hg.): Ethik und die Möglichkeit einer guten Welt, 241–359 (Kurztitel: Erwiderungen) – »Praktische Naturphilosophie als Grundlegung der Ethik«, in: H.W. Ingensiep/A. Eusterschulte (Hg.): Philosophie der natürlichen Mitwelt, 25–34 (Kurztitel: Praktische Naturphilosophie) Sikora, Jürgen: Mit-Verantwortung: Hans Jonas, Vittorio Hösle und die Grundlagen normativer Pädagogik, Eitorf 1999 (Kurztitel: Mit-Verantwortung) Simmel, Georg: Gesammelte Werke, 24 Bde., Berlin 1958 (Kurztitel: GW) Simon, Robert: Freiheit, Geschichte, Utopie. Schellings positive Philosophie und die Frage nach der Freiheit bei Kant, Freiburg i. Br./München 2014 (Kurztitel: Freiheit, Geschichte, Utopie) Singer, Wolf: »Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen«, in: C. Geyer (Hg.): Hirnforschung und Willensfreiheit, 30–65 (Kurztitel: Verschaltungen legen uns fest) Smuts, Jan Christiaan: Die holistische Welt, Berlin 1938 (Kurztitel: Holistische Welt) Spaemann, Robert: Grenzen. Zur ethischen Dimension des Handelns, Stuttgart 2001 (Kurztitel: Grenzen) Spinoza, Baruch de: Werke in drei Bänden, hg. v. W. Bartuschat, Hamburg 2006 (Kurztitel: Werke) Stark, Johannes: »Comment on W. Heisenberg’s Reply«, in: K. Hentschel/A.M. Hentschel (Hg.): Physics and National Socialism, 124–127 (Kurztitel: Comment on W. Heisenberg’s Reply) – »Jüdische und deutsche Physik«, in: Ders./W. Müller : Jüdische und deutsche Physik. Vorträge zur Eröffnung des Kolloquiums für theoretische Physik an der Universität München, Leipzig 1941 (Kurztitel: Jüdische und deutsche Physik) Stekeler-Weithofer, Primin: Philosophie des Selbstbewußtseins. Hegels System als Formanalyse von Wissen und Autonomie, Frankfurt/M. 2005 (Kurztitel: Philosophie des Selbstbewußtseins) Su#rez Müller, Fernando: »From an Existentialist God to the God of Existence. The Theological Conjectures of Hans Jonas«, in: Sophia 52, 2013, 657–672 (Kurztitel: Existentialist God) – »Ideale Gemeinschaft und intersubjektive Monadologie«, in: V. Hösle/F. Su#rez Müller (Hg.): Idealismus heute, 234–253 (Kurztitel: Ideale Gemeinschaft) – »Letztbegründung und Intersubjektivität in der klassischen deutschen Philosophie«, in: M. Hackl/C. Danz (Hg): Klassische Deutsche Philosophie, 265–298 (Kurztitel: Letztbegründung und Intersubjektivität) – »Metamorphose des Idealismus«, in: V. Hösle/F. Su#rez Müller (Hg.): Idealismus heute, 14–290 (Kurztitel: Metamorphose des Idealismus) – Skepsis und Geschichte. Das Werk Michel Foucaults im Licht des absoluten Idealismus, Würzburg 2004 (Kurztitel: Skepsis und Geschichte) Theunissen, Michael: »Die verdrängte Intersubjektivität in Hegels Philosophie des Rechts«, in: D. Henrich/R.P. Horstmann (Hg.): Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik, Stuttgart 1982, 317–381 (Kurztitel: Verdrängte Intersubjektivität)

Weiterführende Texte

389

– Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat, Berlin 1970 (Kurztitel: Hegels Lehre vom absoluten Geist) – Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, Frankfurt/M. 1980 (Kurztitel: Sein und Schein) Tillich, Paul: Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich, hg. v. I. Henel et al., Stuttgart, dann Berlin 1971ff. (Kurztitel: EG) – Gesammelte Werke, hg. v. R. Albrecht, 14 Bde., Stuttgart 1959–1975 (Kurztitel: GW) – Systematische Theologie, 3 Bde., Stuttgart 31956/31957/1966 (Kurztitel: Systematische Theologie) Tilliette, Xavier : »Die ›höhere‹ Geschichte«, in: L. Hasler (Hg.): Schelling. Seine Bedeutung für eine Philosophie der Natur und der Geschichte, Stuttgart-Bad Cannstatt 1981 (Kurztitel: Die »höhere« Geschichte) – Schelling. Biographie, übers. v. S. Schaper, Stuttgart 2004 (Kurztitel: Schelling) Tirosh-Samuelson, Hava/Wiese, Christian (Hg.): The Legacy of Hans Jonas. Judaism and the Phenomenon of Life, Leiden/Bosten 2008 (Kurztitel: Legacy of Hans Jonas) Tomaschek, Rudolf: »Über das Verhalten des Lichtes außerirdischer Lichtquellen«, in: Annalen der Physik 378(1), 1924, 105–126 (Kurztitel: Verhalten des Lichtes) Tomasello, Michael: Constructing a Language. A Usage Based Theory of Language Acquisition, Harvard University Press 2005 (Kurztitel: Constructing a Language) Troeltsch, Ernst: Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte, Tübingen 1912 (Kurztitel: Absolutheit des Christentums) – Gesammelte Schriften, 4 Bde., Tübingen 1912–1925 (Kurztitel: GS) Tugendhat, Ernst: Vorlesungen über Ethik, Frankfurt/M. 1993 (Kurztitel: Vorlesungen über Ethik) Uexküll, Jakob von: Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen. Ein Bilderbuch unsichtbarer Welten. Bedeutungslehre, Hamburg 1956 (Kurztitel: Streifzüge) Ulrich, Roger S.: »View through a Window May Influence Recovery from Surgery«, in: Science 224(4647), New Series, 27. 4. 1984, 420f. (Kurztitel: View through a Window) Uthes, Regina: Metaphysik des Organischen. Zum Verhältnis von Philosophie und Wissenschaft in Jonas’ Philosophie des Lebens vor dem Hintergrund der organismischen Philosophie Whiteheads, Bochum/Freiburg i. Br. 2006 (Kurztitel: Metaphysik des Organischen) Viana, Wellistony Carvalho: Das Prinzip Verantwortung von Hans Jonas aus der Perspektive des objektiven Idealismus der Intersubjektivität von Vittorio Hösle, Würzburg 2010 (Kurztitel: Jonas und Hösle) Vieth, Andreas/Halbig, Christoph/Kallhoff, Angela (Hg.): Ethik und die Möglichkeit einer guten Welt, Berlin/New York 2008 (Kurztitel: Ethik und die Möglichkeit einer guten Welt) Waibel, Violetta L: »Kant und Fichte über die Antinomie der Freiheit«, in: M. Hackl/C. Danz (Hg): Klassische Deutsche Philosophie, 183–215 (Kurztitel: Antinomie der Freiheit) Wandschneider, Dieter : »Die Kategorien ›Materie‹ und ›Licht‹ in der Naturphilosophie Hegels«, in: M.J. Petry (Hg.): Hegel und die Naturwissenschaften, 193–321 (Kurztitel: ›Materie‹ und ›Licht‹) – »Die Stellung der Natur im Gesamtentwurf der Hegelschen Philosophie«, in: M.J. Petry (Hg.): Hegel und die Naturwissenschaften, 33–64 (Kurztitel: Stellung der Natur)

390

Bibliographie

– »Hegel und die Evolution«, in: O. Breidbach/D. v. Engelhardt (Hg.): Hegel und die Lebenswissenschaften, Berlin 2001, 225–240 (Kurztitel: Hegel und die Evolution) – Naturphilosophie, hg. v. V. Hösle, Bamberg 2008 (Kurztitel: Naturphilosophie) – Raum, Zeit, Relativität. Grundbestimmungen der Physik in der Perspektive der Hegelschen Naturphilosophie, Frankfurt/M. 1982 (Kurztitel: Raum, Zeit, Relativität) Waniek, Jos.: »Vortrag des Herrn Wirthschaftsrathes Waniek aus Prag, gehalten bei der achten Versammlung teutscher Land- und Forstwirthe zu München«, in: Oekonomische Neuigkeiten und Verhandlungen, No. 11, Landwirthschaft No. 10, 1845, 81–87 (Kurztitel: Vortrag Waniek) Weber, Max: Gesammelte Aufsätze, 7 Bde., Tübingen 1988 (Kurztitel: GA) Weizsäcker, Carl Friedrich von: Aufbau der Physik, München/Wien 1985 (Kurztitel: Aufbau der Physik) – Bewußtseinswandel, München/Wien 1988 (Kurztitel: Bewußtseinswandel) – Der Garten des Menschlichen. Beiträge zur geschichtlichen Anthropologie, München/ Wien 71980 (Kurztitel: Garten des Menschlichen) – Der Mensch in seiner Geschichte, München/Wien 1991 (Kurztitel: Mensch in seiner Geschichte) – Die Geschichte der Natur. Zwölf Vorlesungen, Göttingen 91992 (Kurztitel: Geschichte der Natur) – Deutlichkeit. Beiträge zu politischen und religiösen Gegenwartsfragen, München/Wien 1978 (Kurztitel: Deutlichkeit) – Einheit der Natur. Studien von Carl Friedrich von Weizsäcker, München 31982 (Kurztitel: Einheit der Natur) – Wahrnehmung der Neuzeit, München/Wien 1983 (Kurztitel: Wahrnehmung der Neuzeit) – Zeit und Wissen, München/Wien 1992 (Kurztitel: Zeit und Wissen) – Zum Weltbild der Physik, Stuttgart 81960 (Kurztitel: Weltbild der Physik) Welsch, Wolfgang: »Hegel und die analytische Philosophie. Über einige Kongruenzen in Grundfragen der Philosophie«, in: K. Vieweg/B. Bowman (Hg.): Wissen und Begründung. Die Skeptizismus-Debatte um 1800 im Kontext neuzeitlicher Wissenskonzeptionen, Würzburg 2003, 11–73 (Kurztitel: Hegel und die analytische Philosophie) Werner, Micha H.: »Ist Wertenkönnen wertvoll?«, in: G. Hartung et al. (Hg.): Naturphilosophie als Grundlage der Naturethik, 187–214 (Kurztitel: Wertenkönnen) Wetzel, Manfred: Praktisch-Politische Philosophie, 3 Bde., Würzburg 2004 (Kurztitel: Praktisch-Politische Philosophie) – »Zwei Diskrepanzen in Hösles opus magnum und eine Alternative«, in: B. Goebel/ M. Wetzel (Hg.): Eine moralische Politik, 13–35 (Kurztitel: Zwei Diskrepanzen) Wiese, Christian: »Gegen Weltverzweiflung und Weltangst: Hans Jonas als Interpret der Gnosis und Kritiker des Nihilismus«, in: D. Böhler et al. (Hg.): Mensch – Gott – Welt, 243–265 (Kurztitel: Weltverzweiflung und Weltangst) – »›Weltabenteuer Gottes‹ und ›Heiligkeit des Lebens‹. Theologische Spekulation und ethische Reflexion in der Philosophie von Hans Jonas«, in: Ders./E. Jacobson (Hg.): Weiterwohnlichkeit der Welt, 202–221 (Kurztitel: Weltabenteuer Gottes) – »Zwiespältige Freundschaft: Reflexionen über Hans Jonas und Gershom Scholem«, in: Ders./E. Jacobson (Hg.): Weiterwohnlichkeit der Welt, 71–89 (Kurztitel: Zwiespältige Freundschaft)

Weiterführende Texte

391

Wiese, Christian/Jacobson, Eric (Hg.): Weiterwohnlichkeit der Welt. Zur Aktualität von Hans Jonas, Berlin/Wien 2003 (Kurztitel: Weiterwohnlichkeit der Welt) Wilson, John Elbert: Schellings Mythologie. Zur Auslegung der Philosophie der Mythologie und der Offenbarung, Stuttgart-Bad Cannstatt 1993 (Kurztitel: Schellings Mythologie) Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophicus. Logisch-philosophische Abhandlung, Frankfurt/M. 1963 (Kurztitel: Tractatus) Whitehead, Alfred North: Prozeß und Realität. Entwurf einer Kosmologie, übers. v. H.G. Holl, Frankfurt/M. 21984 (Kurztitel: Prozeß und Realität) Wolin, Richard: Heidegger’s Children. Hannah Arendt, Karl Löwith, Hans Jonas, and Herbert Marcuse, Princeton University Press 2001 (Kurztitel: Heidegger’s Children) Wuketits, Franz: Zustand und Bewußtsein. Leben als biophilosophische Synthese, Hamburg 1985 (Kurztitel: Zustand und Bewußtsein) Zecher, Reinhard: Das Ziel der Einheit. Verwirklichung einer Idee oder Ergebnis eines Selbstorganisationsprozesses?, Frankfurt/M./Bern/Bruxelles/New York/Wien 2000 (Kurztitel: Ziel der Einheit) Zeltner, Hermann: Schelling, Stuttgart 1954 (Kurztitel: Schelling) Zerbst, Arne: »Identitätsphilosophie und Philosophie der Kunst. Zum Verhältnis von kunstphilosophischem System und konkreter Werkkenntnis«, in: C. Danz/J. Jantzen (Hg.): Gott, Natur, Kunst und Geschichte, 29–57 (Kurztitel: Identitätsphilosophie und Philosophie der Kunst) Ziche, Paul: »Das System als Medium. Mediales Aufweisen und deduktives Ableiten bei Schelling«, in: C. Danz/J. Stolzenberg (Hg.): System und Systemkritik, 147–168 (Kurztitel: System und Leben) – »›Die Seele weiß nicht, sondern sie ist die Wissenschaft.‹ Zum Zusammenhang von Wissenschafts- und Personenbegriffen bei Schelling«, in: T. Buchheim/F. Hermanni (Hg.): Persönlichkeit, 199–213 (Kurztitel: Wissenschafts- und Personenbegriffe) Zimmerli, Walther Christoph: »Philosophie in einer Gott-verlassenen Welt«, in: D. Böhler (Hg.): Ethik für die Zukunft, 151–162 (Kurztitel: Philosophie in einer Gott-verlassenen Welt)

Personenregister

Adorno, Theodor Wiesengrund 182 Albert, Hans 110f., 114 Andersen, Hans Christian 301 Apel, Karl-Otto 34, 39f., 43f., 56, 100, 113f., 123, 159, 339, 346f., 353f. Arendt, Hannah 69f., 75, 91 Aristoteles 56, 130, 286, 344 Arndt, Andreas 196 Arnold, Christopher 203 Augustinus von Hippo 56 Bach, Thomas 279 Bacon, Francis 299 Beckers, Hubert 239 Beckers, Jens Ole 60 Benz, Hubert 169 Bertalanffy, Ludwig von 56, 64 Beyme, Karl Friedrich von 217 Bloch, Ernst 67, 93, 136, 138 Blumenbach, Johann Friedrich 286 Blumenberg, Hans 312, 315, 323 Bohr, Niels 20f., 56, 66, 83, 119, 154, 156f., 161, 175, 285f. Boisser8e, Sulpiz 317 Born, Max 108 Bourdieu, Pierre 38 Breidbach, Olaf 279 Bubner, Rüdiger 197 Buchheim, Thomas 218, 253 Bultmann, Rudolf 56, 59, 63, 69, 71, 318 Carnap, Rudolf 20, 271 Cassirer, Ernst 20, 63, 74, 150, 163, 182

Conrad-Martius, Hedwig

63

Danz, Christian 203f., 258, 330f., 339 Darwin, Charles 58, 166f., 284, 296 Dellavalle, Sergio 141 Demokrit 19, 51 Descartes, Ren8 (Cartesius) 45, 72, 83, 147, 149, 192, 243 Dierken, Jörg 30 Dierksmeier, Claus 351 Dilthey, Wilhelm 18f., 25, 27, 101, 202 Dirac, Paul 154 Djunkovsky, Stephan 329 Drieschner, Michael 157 Duve, Christian de 289 Ehrhardt, Walter E. 200f., 244, 259 Eichmann, Adolf 70 Eigen, Manfred 166, 289, 296 Einstein, Albert 36, 108, 155f., 270 Elias, Norbert 38, 50 Engels, Friedrich 354 Eschenmayer, Carl August 230 Feuerbach, Ludwig 241, 325 Feynman, Richard 102, 155, 192, 271, 276, 285, 291 Fichte, Johann Gottlieb 19, 29, 79, 148f., 151, 182, 192, 206–208, 215, 217, 231, 243, 253, 265 Frank, Manfred 232 Freud, Sigmund 86 Fritz, Kurt von 315

394 Fuhrmans, Horst

Personenregister

199, 244

Gadamer, Hans-Georg 18f., 29, 32, 34, 38, 40, 95, 99, 274, 304f., 312, 341 Geijsen, Ludwig 195 Gethmann, Carl Friedrich 113 Gloyna, Tanja 203 Goethe, Johann Wolfgang von 47, 51f., 56, 65, 147, 152, 182f., 317 Gould, Stephen Jay 167, 296f., 306 Gronke, Horst 62 Grotsch, Klaus 237 Habermas, Jürgen 41f., 61, 158f. al-Hakim 203 Hampe, Michael 212, 249 Hansen, Frank-Peter 199 Hartmann, Nicolai 139, 147 Hastedt, Heiner 56 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 19, 25– 27, 29f., 46, 48, 50, 56, 63, 65f., 76, 86, 100, 107, 109, 113, 120f., 124–136, 138, 140, 146, 156, 160, 162, 166, 173, 175, 182, 190f., 197f., 200, 202, 215, 223, 227f., 240, 243, 249f., 253, 265, 277, 298, 302, 334, 346, 354 Hegselmann, Rainer 113 Heidegger, Martin 15, 28, 56, 59, 89f. Heine, Heinrich 182 Heisenberg, Werner 37, 53, 153–155, 270 Herder, Johann Gottlieb 149f., 160, 178, 182f. Hermanni, Friedrich 53, 229, 238 Hesiod 206 Hiob 203 Hirsch, Emanuel 348 Hirsch Hadorn, Gertrude 141 Hogrebe, Wolfram 238 Homer 19, 314 Hösle, Vittorio 14, 25, 34, 44f., 55–57, 70, 73, 80, 85, 91, 97, 100–146, 175f., 180, 186, 189, 195, 226, 255f., 260, 268f., 342, 345, 347 Hühn, Lore 244, 250, 272 Humboldt, Alexander von 56 Humboldt, Wilhelm von 39

Hume, David 97, 150, 152, 269 Husserl, Edmund 32f., 38, 56, 65, 125 Hutter, Axel 253 Iber, Christian

247

Jacobi, Friedrich Heinrich 23, 116, 239, 240, 243 Jaeschke, Walter 196 James, William 156, 261 Jantzen, Jörg 281 Jaspers, Karl 89 Jesaja 203 Johannes 353 Jonas, Hans 14f., 18, 26, 30f., 46, 55–71, 73–100, 102, 104, 106, 109, 117f., 121, 123f., 128, 143–146, 168f., 176, 178, 180f., 186, 189, 237, 256, 260–263, 275, 293, 296, 312, 318, 321, 326, 342, 345 Jonas, Lore 73 Joyce, Gerald Francis 288 Jung, Carl Gustav 82 Kant, Immanuel 13, 26, 37f., 40, 42f., 45, 51, 53, 55f., 80, 87, 92, 97, 99, 109, 130, 144, 147f., 151, 159, 161f., 169, 176, 191, 203, 211, 243, 253, 265, 268–270, 299, 342 Kasper, Walter 247 Keil, Geert 47 Kelsen, Hans 106 Kierkegaard, Søren 349 Kopernikus, Nikolaus 74, 147, 169, 185, 187 Korsch, Dieter 246 Kraus, Karl 14, 182 Kues, Nikolaus von (Cusanus) 56, 76, 165, 167–169, 171 Kuhlmann, Wolfgang 41 Kuhn, Thomas Samuel 35, 52, 150, 272 Küppers, Bernd-Olaf 167, 211, 288 La Mettrie, Julien Offray de 160 Lamarck, Jean-Baptiste de 286 Lavoisier, Antoine Laurent de 52

395

Personenregister

Leibniz, Gottfried Wilhelm 28, 56, 117f., 147, 272, 293 Lenard, Philipp 35–37 Leukipp 51 L8vi-Strauss, Claude 315, 318, 320, 323 Libet, Benjamin 49, 81 Lowe, Adolph 93 Löwith, Karl 164, 182 Ludwig I., König v. Bayern 244 Luyckx, Charlotte 141 Malsburg, Christoph von der 165f., 296 Mannheim, Karl 59 Marcion 203 Marquard, Odo 203 Marx, Karl 146, 184, 351, 354 Maximilian II., König von Bayern 319 Maxwell, James Clerk 280 Menzel, Willi 37 Meyer-Abich, Adolf 123, 150, 162f. Meyer-Abich, Klaus Michael 14, 55–57, 145–152, 155–160, 162–165, 167–176, 178, 180–183, 185f., 189f., 192–194, 217, 249, 260, 272, 313, 325, 342, 352, 355 Michelet, Carl Ludwig 27, 129f., 134, 198, 202 Mine, Hideki 195 Moses 205f., 211 Mozart, Wolfgang Amadeus 13 Mutschler, Hans-Dieter 56, 152 Nagel, Thomas 46, 177 Nestle, Wilhelm 313 Newton, Isaac 108, 153, 270, 272, 281 Nietzsche, Friedrich 38 Novalis 167 Oesterreich, Peter Lothar Ott, Konrad 150 Parmenides 28 Pauli, Wolfgang 82, 157 Paulus 203 Peetz, Siegbert 249, 327 Petrus 314

240, 243

Pfabigan, Alfred 32, 301 Planck, Max 20f., 108, 114, 119, 121, 152f. Platon 40, 51, 56, 69, 100, 114, 124f., 168f., 204, 206, 266, 313, 321 Plotin 56 Popitz, Heinrich 85 Preußger, Florian 60 Puntel, Lorenz Bruno 128, 132 Ranke, Leopold von 18 Rawls, John 101 Rosenkranz, Karl 129f. Roth, Gerhard 47 Rousseau, Jean-Jacques 14, 106 Ruisdael, Jacob van 15 Sandkaulen, Birgit 251 Sandkühler, Hans Jörg 244, 251 Sartre, Jean-Paul 67 Scheler, Max 65, 139, 148, 183 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 14, 18–20, 23–26, 28f., 35, 39f., 43, 52f., 62f., 77, 79, 116, 118f., 121–123, 127, 147, 149–151, 160, 162f., 165, 168f., 172–174, 176, 187, 190–215, 217–232, 234–245, 247–249, 251–274, 276–291, 293–297, 299–305, 307–310, 312, 314f., 317–319, 322–325, 327–331, 334, 336f., 339f., 342–345, 347–349, 351f., 354 Schelling, Karl Friedrich August 226, 232, 236, 255, 309 Schiller, Friedrich 14 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 14 Schlick, Moritz 19, 269 Schmidt-Biggemann, Wilhelm 237 Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich 199, 253 Schmitt, Carl 355 Scholem, Gershom 70 Schönrich, Gerhard 113 Schopenhauer, Arthur 182 Schrödinger, Erwin 155, 161, 287 Schröter, Jens 329 Schulz, Walter 250 Sextus Empiricus 19

396 Shakespeare, William 87 Siep, Ludwig 148, 150 Simmel, Georg 150 Simon, Robert 250 Singer, Wolf 48f. Smuts, Jan Christiaan 163 Spaemann, Robert 56 Spinoza, Baruch de 68, 115f., 168, 171f., 193, 226 Stark, Johannes 36f. Steffens, Heinrich 252 Stekeler-Weithofer, Pirmin 50 Storr, Gottlob Christian 203 Su#rez Müller, Fernando 99, 119, 124, 127 Tillich, Paul 29, 267, 348 Theunissen, Michael 126 Tomaschek, Ernst 35 Troeltsch, Ernst 107 Tugendhat, Ernst 42

Personenregister

Vico, Giambattista

20

Waesche, Steffen 81 Wagner, Falk 30 Wallace, Alfred Russel 284 Wallich, George Charles 296 Wandschneider, Dieter 108, 128f., 166, 298 Weber, Max 105, 150 Weizsäcker, Carl Friedrich von 49f., 56, 64, 146, 163, 288 Whitehead, Alfred North 56 Wiese, Christian 70 Wittgenstein, Ludwig 28f., 249 Zecher, Reinhard 269 Zeltner, Hermann 199, 303, 310 Ziche, Paul 219