Geschichte als Antwort und Versprechen 9783495997635, 3495479023, 9783495479025

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Geschichte als Antwort und Versprechen
 9783495997635, 3495479023, 9783495479025

Table of contents :
Cover
Einleitung
Kapitel I Geschichte als Antwort
1. Antwort und Antwortgeben
2. Zeit und Erzählung: Zeit als Geschichte
3. Krise als Pathologie moderner Geschichtlichkeit
4. Plurale Geschichte - in der Zwischenzeit
5. Affiziertwerden und geschichtliche Vernunft
6. Ethisch bestimmtes Antwortgeben
7. Sagen und Gesagtes: die Zeugen par excellence
8. Geschichtliche Vernunft: Antwort und Versprechen
Kapitel II Im Zeichen der Trauer Ricreur im Rückblick auf Hegel
1. Diesseits eines »neuen Ursprungs«?
2. Vernunft und Wahrheit: Ortsbestimmungen
3. »Verzicht« auf Hegel?
4. Trauer der Vernunft
5. Absage an eine geschichtliche Ökonomie
6. Vom Anderen inspirierte Vernunft
Kapitel III Rückfragen einer erschütterten Vernunft Jan Patockas Ketzerische Essays zur Philosophie der Geschichte
1. Zur Krise »Europas«
2. Eine »europäische« Vernunft?
3. Philosophie und Geschichte
4. Erschüttertes »Sein«
5. Dem Krieg verfallen?
6. Nicht-indifferente Vernunft
7. Eine ketzerische Perspektive?
Kapitel IV Krieg, Genozid, Vernichtung
1. Krieg und Frieden
2. Zur Geschichte des Krieges
3. Ideen der Vernichtung im Rückblick auf Clausewitz
4. Genozid und radikalisierte Vernichtung
5. Angesichts des Äußersten
6. Die Anderheit des Anderen
7. »Auschwitz«
Kapitel V Indifferenz und Gleichgültigkeit
1. Der radikale Einsatz der neuzeitlichen Sozialphilosophie: Hobbes
2. Mitleid und »moralischer Standpunkt«
3. Begriffliche Unterscheidungen
4. Indifferenz der Welt und Nicht-Indifferenz des Lebendigen
5. Differenz in genealogischer Perspektive und Nicht-InDifferenz
6. Nicht-indifferentes »Sein«? - Mitsein und Fürsorge
7. Anspruch, Antwort und Nicht-Indifferenz angesichts des Anderen
8. Nicht-Indifferenz und antwortende Verantwortung
9. Gleichgültigkeit als Vergleichgültigung
10. Zeugnis der Nicht-Indifferenz
Kapitel VI Zeugnis, Bezeugung, geschichtliche Identität
1. Identität, Selbigkeit und Selbstheit
2. Selbst-Bezeugung
3. Zeugnis und Zeuge
4. Zeugenaussage und Zeugnisgeben
5. Weiter-geben des zu Sagenden
6. Das Zeugnis bezeugen
Kapitel VII Gedächtnis und Geschichte: Zwischen Gedächtnisgeschichte und Anti-Geschichte
1. Gelebtes Gedächtnis und kritische Geschichte
2. Temporalisiertes Gedächtnis?
3. Ende der Gedächtnisgeschichte?
4. Mikrologien und Gegen-Geschichten
5. Geschichte und Macht
6. Geschichte, Widerfahrnis und Anspruch
7. Geschichte und Gegen-Geschichte
Kapitel VIII Zugehörigkeit, Gedächtnis und nicht-biologische Verwandtschaft
1. Evolutionäre vs. kosmopolitische Geschichte
2. Traditionserfindung im Namen historischer Identität
3. Generation, Zugehörigkeit und Gedächtnis
4. Geschichtliche Identität, Überleben und Tod
5. (Un)Zugehörigkeit und Unzugänglichkeit der Toten
6. Exkurs: Kant, Levinas und die »Verwandtschaft« der Menschen
7. Schluß
Kapitel IX Geschichte - Versprechen
1. Überlieferung: Residuum und Weitergabe
2. Traditio, Weitergabe, Verantwortung und Gerechtigkeit des Verstehens
3. Weitergeben, Antworten, Versprechen
4. Erbschaft und Weitergabe
5. Ungerechte Gerechtigkeit, untreue Treue
6. Erinnerung an die Zukunft der Geschichte
Siglen
Literatur
Nachweise
Personenregister

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Burkhard Liebsch

Geschichte als Antwort und Versprechen Grundzüge der Philosophie Emmanuel Lévinas’

ALBER PHILOSOPHIE

https://doi.org/10.5771/9783495997635

.

B

ALBER PHILOSOPHIE

https://doi.org/10.5771/9783495997635 .

Zu diesem Buch: Geschichte vom Widerfahrnischarakter historischer Erfahrung her zu ver­ stehen ist der Ansatz dieser Untersuchungen. Unser erkennendes Fragen muß sich als Antwort angesichts einer Zäsur der europäischen Geschichte legitimieren, die im Spannungsfeld der Begriffe Krieg, Genozid und Ver­ nichtung auszuloten versucht wird. Dahinter steht die Überzeugung, daß es beider Frage nach der Zukunft des Vergangenen und der Geschichte als dessen nachträglicher Deutung um den Anspruch der Vergangenheit auf die gegenwärtig Lebenden gehen muß. Vorgeschlagen wird ein Ver­ ständnis von Geschichte als Antwort, das vom unverfügbaren Worauf dieses Antwortgebens inspiriert ist und ihm gerecht zu werden verspricht. ln kulturphilosophischer Perspektive wird so einer systematischen Ver­ mittlung von Historik und Hermeneutik geschichtlicher Erfahrung zuge­ arbeitet. History understood from theviewpoint ofthe confrontational character ofhistorical experience is the approach of these studies. Ourquestioning of knowledge must legitimize itself as an answer in view of a great divide in European history. This is based on the conviction that the question of the future ofthe past, and of history as its retrospective Interpretation, must place claims ofthe past on those presently living. From a culturalphilosophical perspective this is the basis for a systematic conveyance of the historical methods and hermeneutics ofhistorical experience. Der Autor: Dr. phil. Burkhard Liebsch, geb. 1959, ist derzeit Privatdozent an der Ruhr-Universität Bochum und Fellow am Kulturwissenschaftli­ chen Institut Essen im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen.

https://doi.org/10.5771/9783495997635 .

Burkhard Liebsch Geschichte als Antwort und Versprechen

https://doi.org/10.5771/9783495997635 .

Alber-Reihe Philosophie

https://doi.org/10.5771/9783495997635 .

Burkhard b'ebsch

Geschichte als Antwort und Versprechen

Verlag Karl Alber Freiburg / München https://doi.org/10.5771/9783495997635 .

Gedruckt mit Unterstützung des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Liebsch, Burkhard: Geschichte als Antwort und Versprechen / Burkhard Liebsch. Ereiburg [Breisgau]; München : Alber, 1999 (Alber-Reihe Philosophie) ISBN 3-495-47902-3 Texterfassung: Autor Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper Alle Rechte Vorbehalten - Printed in Germany © Verlag Karl Alber GmbH Ereiburg/München 1999 Einbandgestaltung: Eberle H Kaiser, Ereiburg Einband gesetzt in derRotis SemiSerifvon Otl Aicher, Gesamttext in der Aldus Satzherstellung: SatzWeise, Trier Druck und Bindung: Difo-Druck, Bamberg 1999 ISBN 3-495-47902-3

https://doi.org/10.5771/9783495997635 .

Inhalt

Einleitung

.....................................................................................

11

Kapitel 1 Geschichte als Antwort...........................................................

23

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

23 26 33 40 43 47 54 56

Antwort und Antwortgeben .......................................... Zeit und Erzählung: Zeit als Geschichte.............................. Krise als Pathologie modernerGeschichtlichkeit................... Plurale Geschichte - in der Zwischenzeit............................... Affiziertwerden und geschichtliche Vernunft ...................... Ethisch bestimmtes Antwortgeben......................................... Sagen und Gesagtes: die Zeugen par excellence................... Geschichtliche Vernunft: Antwort und Versprechen............

Kapitel 11 1m Zeichen der Trauer Ricreur im Rückblick auf Hegel..................................................

62

1. 2. 3. 4. 5. 6.

62 67 75 78 82 85

Diesseits eines »neuen Ursprungs«?...................................... Vernunft und Wahrheit: Ortsbestimmungen......................... »Verzicht« auf Hegel? ............................................................... Trauer der Vernunft.................................................................. Absage an eine geschichtliche Ökonomie ............................ Vom Anderen inspirierte Vernunft .........................................

Kapitel 111 Rückfragen einer erschütterten Vernunft Jan Patockas Ketzerische Essays zur Philosophie der Geschichte

90

1. Zur Krise »Europas«

90

..............................................................

7 https://doi.org/10.5771/9783495997635 .

2. 3. 4. 5. 6. 7.

Eine »europäische« Vernunft? ............................................... Philosophie und Geschichte..................................................... Erschüttertes »Sein« ............................................................... Dem Krieg verfallen?............................................................... Nicht-indifferente Vernunft .................................................. Eine ketzerische Perspektive?..................................................

92 95 97 101 105 111

Kapitel IV Krieg, Genozid, Vernichtung..................................................

115

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Krieg und Frieden..................................................................... Zur Geschichte des Krieges..................................................... Ideen der Vernichtung im Rückblick auf Clausewitz............. Genozid und radikalisierte Vernichtung ............................... Angesichts des Äußersten ..................................................... Die Anderheit des Anderen..................................................... »Auschwitz« ...........................................................................

115 120 128 135 139 149 155

Kapitel V Indifferenz und Gleichgültigkeit............................................

167

1. Der radikale Einsatz der neuzeitlichen Sozialphilosophie: Hobbes..................................................................................... 2. Mitleid und »moralischer Standpunkt«............................... 3. Begriffliche Unterscheidungen............................................... 4. Indifferenz der Welt und Nicht-Indifferenz des Lebendigen 5. Differenz in genealogischer Perspektive und Nicht-In­ Differenz .................................................................................. 6. Nicht-indifferentes »Sein«? - Mitsein und Fürsorge .... 7. Anspruch, Antwort und Nicht-Indifferenz angesichts des Anderen .................................................................................. 8. Nicht-Indifferenz und antwortende Verantwortung ............. 9. Gleichgültigkeit als Vergleichgültigung ............................... 10. Zeugnis der Nicht-Indifferenz ..............................................

167 173 178 184 189 194 198 203 208 214

Kapitel VI Zeugnis, Bezeugung, geschichtliche Identität......................

219

1. Identität, Selbigkeit und Selbstheit ........................................

219

8 https://doi.org/10.5771/9783495997635 .

2. 3. 4. 5. 6.

Selbst-Bezeugung..................................................................... Zeugnis und Zeuge.................................................................. Zeugenaussage und Zeugnisgeben......................................... Weiter-geben des zu Sagenden............................................... Das Zeugnis bezeugen ...........................................................

224 230 235 238 242

Kapitel VH Gedächtnis und Geschichte: Zwischen Gedächtnisgeschichte und Anti-Geschichte . . .

248

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Gelebtes Gedächtnis und kritische Geschichte...................... Temporalisiertes Gedächtnis?.................................................. Ende der Gedächtnisgeschichte? ............................................ Mikrologien und Gegen-Geschichten...................................... Geschichte und Macht ............................................................ Geschichte, Widerfahrnis und Anspruch............................... Geschichte und Gegen-Geschichte.........................................

248 252 255 259 261 264 274

Kapitel V1H Zugehörigkeit, Gedächtnis und nicht-biologische Verwandtschaft.........................................

278

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Evolutionäre vs. kosmopolitische Geschichte......................... Traditionserfindung im Namen historischer Identität .... Generation, Zugehörigkeit und Gedächtnis............................ Geschichtliche Identität, Überleben und Tod......................... (Un)Zugehörigkeit und Unzugänglichkeit der Toten............ Exkurs: Kant, Levinas und die »Verwandtschaft« der Men­ schen ........................................................................................ 7. Schluß........................................................................................

Kapitel 1X Geschichte - Versprechen........................................................ 1. Überlieferung: Residuum und Weitergabe............................ 2. Traditio, Weitergabe, Verantwortung und Gerechtigkeit des Verstehens .............................................................................. 3. Weitergeben, Antworten, Versprechen .................................. 4. Erbschaft und Weitergabe ........................................................

278 286 291 296 300 306 325

330 330 336 342 345 9

https://doi.org/10.5771/9783495997635 .

5. Ungerechte Gerechtigkeit, untreue Treue ............................. 6. Erinnerung an die Zukunft der Geschichte............................

350 355

Siglen..............................................................................................

361

Literatur........................................................................................

363

Nachweise.....................................................................................

378

Personenregister...........................................................................

380

10 https://doi.org/10.5771/9783495997635 .

Einleitung

Weit verbreitet ist die Annahme, das Vergangene könne nur im Zei­ chen eines »Interesses an Geschichte« vor dem Vergessen bewahrt werden, das allein von der Gegenwart ausgeht und nicht etwa vom Vergangenen selbst auf den Plan gerufen wird. Insofern das Vergange­ ne unwiderruflich tot und vorbei ist, kann von ihm selbst offenbar kein Anspruch darauf, erinnert zu werden, ausgehen, zumal wenn es der gegenwärtigen Welt nicht mehr zugehört. Man könnte hier von einer präsentistischen Prämisse sprechen, der zufolge allein die jeweils ge­ genwärtige Welt und die in ihr verhandelte Zukunft der Gegenwart, d. h. das sogenannte »Gegenwartsinteresse« über die Zukunft des Ver­ gangenen entscheidet - und zwar frei, unabhängig von einem »Leben« des Vergangenen, das manche beschwören. Vergangenes wird unter dieser Prämisse zum Synonym des Toten, »an sich« Gleichgültigen, das aus sich heraus gerade keine Geschichte »hat«. Wenn Geschichte als ein Kampf um Erinnerung zu verstehen ist, wie es vielfältige gegen-geschichtliche Bemühungen nahelegen, so dreht sich dieser Kampf so gesehen stets nur um den geschichtlichen, seinerseits futurisierten Sinn der Gegenwart. Von der Zukunft der Gegenwart der Le­ benden her, auf die man politisch abzielt, wird die zu erinnernde Ver­ gangenheit bedeutsam, wie auch die oft zu hörende Parole »Zukunft braucht Herkunft« besagt. Dagegen entschlüsselt sich die menschliche Vergangenheit von sich aus offenbar überhaupt nicht als eine Ge­ schichte, die für die Gegenwart von Bedeutung wäre. Gegen den weit verbreiteten Standpunkt, daß dem Vergangenen nur kraft einer nach­ träglichen »Sinngebung« geschichtliche Signifikanz zukommt, wird allerdings immer wieder der Verdacht vorgebracht, aufgrund einer sol­ chen Auffassung werde die Vergangenheit von der Gegenwart her eigentlich um den Anspruch gebracht, den sie in der Geschichtlichkeit der Späteren geltend macht. Sind wir nicht - bevor wir geschichtlich erkennen und wissen - als Vergangenes Erinnernde, als Bezeugende und Trauernde bereits affiziert von dem, was uns als zu erkennen und 11 https://doi.org/10.5771/9783495997635 .

zu wissen aufgegeben ist?1 Weder der hermeneutische Begriff ge­ schichtlichen Affiziertwerdens noch die entsprechenden konkreten Phänomene werden in Theorien der Geschichte bislang wirklich ernst genommen. Dagegen sucht die traditionelle Hermeneutik der Ge­ schichtlichkeit diesen Begriff vor einer szientifischen Verengung zu bewahren, ohne dabei in einen abstrakten Gegensatz von geschicht­ lichem Leben und historischem Wissen zurückzufallen, gegen den sich vor allem Gadamer und Ricreur mit Recht gewandt haben. Doch bleibt auch sie die Beschreibung dieser Phänomene weitgehend schuldig. Nach einer Hermeneutik der Trauer, des Zeugnisses oder des Traumas, die in der von der Sache her gebotenen Weise mit allen kulturwissen­ schaftlichen Nachbardisziplinen das Gespräch aufnimmt, sucht man vergeblich. Aus eigener Kraft wird keine Philosophie dieses Gespräch ersetzen können. Das gilt selbst für die ureigenen Themen der Herme­ neutik. Der hermeneutische Hinweis darauf etwa, daß unserer ge­ schichtlichen Zugehörigkeit zur »Traditionalität« der Überlieferung, die der Erkenntnis des Vergangenen vorgeordnet ist, keine Unterbre­ chung wirklich Abbruch tun kann, beantwortet nicht unsere Fragen nach der eigentlichen geschichtlichen Signifikanz der Geschichtszei­ chen, auf die wir zurückblicken und die uns die Bedeutung des zuneh­ menden geschichtlichen Abstands zu ihnen zu denken geben. Daß man uns auf ein zwar fragil gewordenes, niemals aber abzubrechendes ge­ schichtliches »Erbe« verweist, ist kein Trost und wird - das wiegt schwerer - dem eigentümlich verletzenden Charakter des Einschnitts dieser Ereignisse nicht gerecht, die zu vergessen nicht nur die Über­ lebenden, sondern bezeichnenderweise auch die scheinbar unbetrof­ fenen »Normalsterblichen« sich weigern. Die hermeneutische Diskus­ sion der Geschichtlichkeit konzentrierte sich allzu sehr auf eine Ontologie »jemeiniger« Existenz, die weitgehend offen läßt, was diese das Sterben der Anderen eigentlich angeht, das in der geschichtlichen Erkenntnis des Vergangenen doch vorausgesetzt ist. Sie hat die Frage der geschichtlichen Gewalt unzureichend bedacht; und sie versagt voll­ ends, wo es nicht nur um das Sterben, sondern auch um die Vernich­ tung anonymer Anderer geht, die uns ungeachtet des immerfort zu­ nehmenden historischen Abstands zu den Verbrechen, von denen wir Kenntnis haben, brennend mit der Frage nach ihrer bleibenden, »unverjährbaren« geschichtlichen Signifikanz konfrontiert. Die hier vor­ gelegten Arbeiten unterstellen, daß die Erfahrung dieser Gewalt auf 1 J. Rüsen, Konfigurationen des Historismus, Frankfurt/M. 1992, S. 223.

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unsere gelebte Geschichtlichkeit und auf die Hermeneutik als deren »Theorie« Zurückschlagen muß. Sie kann auch als »Ontologie« - so­ lange sie dem phänomenologischen Ethos verpflichtet bleibt, dem zu­ folge sie gerade der Erfahrung zu angemessener Deutung sollte ver­ helfen können - nicht davon ausgehen, das Bild, das sie von gelebter Geschichtlichkeit entwirft, bleibe im Prinzip unbetroffen von kollekti­ ven Erfahrungen. Die gegenteilige Überzeugung läßt das Vorurteil un­ haltbar erscheinen, eine gegenüber der Sterblichkeit des Anderen »in­ differente« und zunächst auf die Jemeinigkeit beschränkte Existenz müsse sich erst in einem zweiten Schritt - zunächst im Verhältnis zu Nahestehenden, dann auch im Verhältnis zu Fremden und anonymen Zeitgenossen überhaupt - gegenüber der Sterblichkeit der Anderen öffnen. Sie geht vielmehr davon aus, daß Geschichte gleichursprüng­ lich mit unserem Eintritt in ein unabweisbares Beunruhigtsein auf­ grund der Sterblichkeit des Anderen beginnt. Die Sterblichkeit des An­ deren wird uns nicht erst durch seinen »physischen« Tod oder durch unverkennbares Altern bewußt. Jeder Abschied gemahnt uns an sie. Selbst in der ersten Abwesenheit des Anderen klingt eine Art Tod, eine Antizipation seines künftigen und insofern schon »kommenden« Ster­ bens an. Freud, dem wir in diesem Zusammenhang entscheidende Ein­ sichten verdanken, sieht in diesem Sinne ein trauerndes Verhältnis zum Anderen tief in der Ontogenese verwurzelt; in der Zeit nämlich, von der her sich die Onto-Genese des Psychischen auf der Grundlage der »Dialektik« von Abwesenheit und Anwesenheit des Anderen abzeichnet.2 Diese Onto-Genese ist so gesehen mit dem Eintritt in den Horizont der Sterblichkeit des Anderen gleichursprünglich. Ge­ schichte findet dort statt, wo das Leben des Einen mit dem Tod des Anderen zusammenhängt; genauer: wo das Leben des Einen nur auf­ ruhend auf dem »kommenden« und sich als »künftig« von Anfang an abzeichnenden Tod des Anderen möglich ist. Geschichte ist da, wo Le­ ben in diesem Sinne als Überleben stattfindet; aber nicht als bloßes Nacheinander-leben, das auch »gleichgültig« stattfinden könnte, son­ dern als eine Filiation von Lebenden, denen aus ihrem Überlebens­ Verhältnis, das von der Sterblichkeit des Anderen gezeichnet ist, zugleich ein wesentlich nicht-indifferenter Sinn ihrer Geschichte zu­ kommt. Geschichte ereignet sich überall dort, wo Menschen nach Maßgabe ihrer ursprünglichen Nicht-Indifferenz angesichts der Sterb­ 2 P. Ricreur, Die Interpretation, Frankfurt/M. 1974; vgl. v. Verf., Geschichte im Zeichen des Abschieds, München 1996, Kap. II/III (= GZA).

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lichkeit des Anderen affizierbar sind. So gesehen ist Geschichte weni­ ger das, was geschrieben steht, oder das objektiv Getane, von dem die Geschichtsbücher, ginge es nach Hegel oder Croce, allein berichten sollten, sondern ein Geschehen im Zeichen dieser Affizierbarkeit. Ge­ schichte, wie sie sich angesichts der Sterblichkeit des Anderen ereignet, ist kein sinnloses Sammelsurium von Daten, kein bloßes Konstrukt und kein Text, den man jederzeit auch umschreiben könnte. Geschich­ te dreht sich in dieser Sicht auch nicht primär oder »immer schon« um von Menschen - sei es absichtlich, sei es wider Willen - »Erwirktes«. Geschichte geschieht vielmehr zunächst überall dort, wo menschliches Leben als Überleben von der Sterblichkeit des Anderen inspiriert ist. Dieser Andere kann jeder andere sein. Wenn es gute Gründe für die Annahme gibt, daß sich Geschichte im Zeichen der Sterblichkeit des Anderen und unserer Nicht-Indifferenz ihr gegenüber vollzieht - woraus sich unmittelbar unsere Leitfrage nach dem Verhältnis von Geschichte und Gleichgültigkeit ergibt -, so muß man doch zur Kenntnis nehmen, daß die Geschichte selbst uns mit einer dramatischen - sei es offenkundig gewaltsamen, sei es still­ schweigenden - Vergleichgültigung des Anderen konfrontiert; und wir müssen in Betracht ziehen, wie sehr Geschichte selbst einer Vergleich­ gültigung anheimfallen kann. Unsere Leitfrage muß sich der Tatsache stellen, daß Geschichte sich weithin gerade als das darstellt, was der Gegenwart der Lebenden gegenüber zunächst als gleichgültig er­ scheint. Dem besten Geschichtsunterricht droht ständig Lähmung durch Fragen wie: was geht uns Rom an, und was Weimar oder das sogenannte Dritte Reich? Entweder man bietet uns eine interessante story - die unsere Aufmerksamkeit nicht wesentlich anders bean­ sprucht als die unterhaltsamen »vermischten Nachrichten« in den Zei­ tungen - oder Geschichte ist »langweilig«, sagen selbst Historiker. Geschichte erscheint hier bloß als ein Gegenstand des Interesses, nicht aber als das, was jeden vorgängig bereits betrifft. Demgegenüber behauptete Nietzsche, Geschichte sei gar nicht primär ein Interessen­ gegenstand, sondern das, was im Gedächtnis bleibt, weil es Schmerz verursacht hat. Die Frage nach unserer Verletzbarkeit oder Verwund­ barkeit durch das, was uns widerfährt, verspräche so gesehen am ehe­ sten auf die Spur dessen zu führen, was uns Geschichte auf vielleicht unhintergehbare Weise »angeht«. Hat Geschichte als ein bloßer Ge­ genstand des Interesses oder als ein gedachtes Konstrukt überhaupt noch irgendein Verhältnis zu unserer Verwundbarkeit? Auf diese Fra­ ge ist nicht nur eine biographische Antwort denkbar, wie sie etwa der 14 https://doi.org/10.5771/9783495997635 .

Historiker Pierre Chaunu gibt, indem er sein historisches Interesse an Geschichte daraus ableitet, daß er der »Sohn einer Toten« sei. »Am Anfang meines Gedächtnisses ist der Tod [...], und die beginnende Geschichte ist wie ein Jenseits des Todes.« »Ich lebe allein, mit einem verstümmelten Gedächtnis, dessen Achsen zu dem rätselhaften, uner­ reichbaren, nahen, verschwimmenden, irritierenden Horizont eines Vorher fliehen, das Leere, Bruch, Einschnitt, Trennung bedeutet. Am Anfang war der Tod, am Anfang war das Vergessen. Gegen dieses Ver­ gessen empört sich mein ganzes Wesen. Das Amerika, das ich entdekken muß, ist die Vergangenheit, die mit dem Gedächtnis der Erwach­ senen beginnt, mit dem Gedächtnis unserer Großeltern, und die ich zurückverfolgen werde bis in jene Raumzeiten, wo alles nach mir ruft.«3 Am Anfang der Geschichte steht hier ein paradoxerweise »un­ mögliches« Vergessen, das sich ständig in Erinnerung ruft; das Paradox eines Todes, der als unannehmbar erlebt wird und nicht »erinnert« werden kann und der eben deshalb dazu aufruft, an seiner Stelle Ver­ gangenes zurück zu holen, Vergangenes, das den Überlebenden in ihm selbst eine gefährliche Nähe zum Tod des Anderen spüren läßt. Oder dient die Geschichte am Ende doch nur einem befreienden Vergessen? »Geschichte schreiben, so bemerkte einmal Goethe, ist ein Mittel, um die Vergangenheit von sich abzuwälzen. Das geschichtliche Denken erniedrigt diese Vergangenheit zu einem Rohstoff, wandelt sie in einen Gegenstand, und die Geschichtsschreibung befreit uns von der Geschichte.«4 Das Schicksal des Vergangenen wäre also damit besie­ gelt, daß es als Geschichte erinnert und dargestellt wird.5 Die geschrie­ bene Geschichte wäre die Beerdigung der geschehenen Geschichte, und das Archiv, die Bibliothek wären ihr Grab. Beschwört man ein »zweites Leben« des Vergangenen nur, um ihm auf dem Weg in die Archive und Bibliotheken den endgültigen Todesstoß zu versetzen? Muß man die Geschichte so gesehen nicht an eine andere, nicht der Erkenntnis des Vergangenen zu verdankende Zukunft unserer Beziehung zur Vergan­ genheit der bereits abgeschiedenen Sterblichen erinnern? Offenbar ist unser Verhältnis zur Vergangenheit höchst zweideuti­ ger und ambivalenter Natur. Beschwört die Erinnerung, die sich dem 3 P. Chaunu et al., Leben mit der Geschichte, Frankfurt/M. 1989, S. 15,18. 4 B. Croce, Die Geschichte als Ereignis und als Tat, Bern 1944, S. 46. 5 Nietzsche mag dies im Blick gehabt haben, als er den Historismus als »objektiv sich gebärdende Gleichgültigkeit« gegenüber dem Vergangenen beschrieb. Vgl. Fr. Nietzsche, Sämtliche Werke Bd. 1, Hg. G. Colli u. M. Montinari, München 1980, S. 293; sowie D. La Capra, Geschichte und Kritik, Frankfurt/M. 1987, S. 22.

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Vergehen des Vergangenen als einer alles umfassenden, progressiven und unterschiedslosen Vergleichgültigung des Geschehenen wider­ setzt, selbst dessen endgültigen Tod herauf? Auch das kollektive, ritua­ lisierte Gedenken zieht diesen Verdacht auf sich. Die Feierlichkeit des politisch inszenierten, allzu oft auf opportune Wirkung berechneten Gedenkens zumal läßt sich geradezu als eine Entdramatisierung des Vergangenen deuten, die ihm endgültig die Spitze bricht.6 Wo des Ver­ gangenen pompös gedacht wird, kann man sicher sein, daß es sich un­ ter dem Druck seiner gegenwärtigen Funktionalisierung kaum mehr in seiner Andersheit bemerkbar zu machen vermag, ohne die es »Ver­ gangenes« nicht sein kann. Ist das öffentlich inszenierte Gedenken nicht allzu oft das sicherste Indiz dafür, daß man endlich zu vergessen sich bemüht? Gibt es auf skandalöse Weise eben die Vergangenheit als in ihm selbst »lebendig« aus, deren Tod es besiegelt? Absolviert und »verabschiedet« sich das Gedenken vom Vergangenen, um ihm seine nachwirkende Kraft zu rauben? Kaschieren also gerade öffentliche For­ men des Gedenkens eine das Vergangene tendenziell abschließende und abscheidende Vergleichgültigung? Diese Fragen beunruhigen seit einiger Zeit das Nachdenken über die Rolle des kollektiven Gedächtnisses, über Denkmäler und Rituale des Gedenkens. Wir können diese Fragen aber nicht angemessen aufwer­ fen oder gar beantworten, wenn wir nicht der Spur der Nicht-Indiffe­ renz angesichts der Sterblichkeit des Anderen folgen und fragen, in­ wiefern sie die Geschichte der Sterblichen, von der die Historiker berichten, einem indifferenten Vergehen und einer unterschiedslosen Vergleichgültigung entreißt. Vergleichgültigt werden kann ohnehin nur, was nicht an sich gleichgültig ist. Die Politik eines forcierten Ver­ gehen-lassens des Vergangenen kann man nur unter Verweis auf eben das kritisieren, was sich der Vergleichgültigung widersetzt, die diese Politik offenbar betreibt. Der harte Kern der Widersetzlichkeit, die man hier bedenken muß, ist, so vermuten wir, unser ursprüngliches Verhältnis zur Sterblichkeit des Anderen, das uns veranlaßt, die Ge­ schichte als die Geschichte von Sterblichen zu verstehen; und zwar so, daß die Sterblichkeit nicht bloß als demographisch zu verzeichnendes Faktum, als Statistik, sondern in ihrer ethischen Bedeutung in Betracht

6 Vgl. F. R. Ankersmit, »Die postmoderne >Privatisierung< der Vergangenheit«, in: H. Nagl-Docekal (Hg.), Der Sinn des Historischen, Frankfurt/M. 1996, S. 221.

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kommt. Nur wenn man auch die Frage nach »Geschichte und Gleich­ gültigkeit« im Sinne dieses Verhältnisses aufwirft, wird sie ihr Ziel nicht verfehlen. »Gleichgültigkeit und Geschichte vertragen sich nicht«, schreibt Jan Patocka in seinem Essay Zum Begriff der Geschichte und der Begriff der Geschichtsschreibung.7 Das trifft den Nerv der Sache, die wir zu denken versuchen. Doch die Bedeutung dieses Satzes erweist sich als eine überaus schillernde. Geschichte, erläutert Patocka, sei in seinem Verständnis der »Gegenstand einer leidenschaftlichen Beziehung«. Es geht ihm in diesem Zusammenhang um einen »pathologischen« Be­ zug zum Vergangenen, nicht um ein historisches Erkennen.8 Für die Erkenntnis wird früher oder später gleichgültig, was sich als ungültig erweist. Auf das dagegen, was sich als gültig behauptet, bleibt sie verpflichtet.9 Das Erkannte aber entspringt einer vorgängigen Vergegenständlichung dessen, was von der Vergangenheit überliefert wurde. Und diese Vergegenständlichung unterbindet oder neutralisiert das vorgängige »pathologische« Affiziertwerden vom Vergangenen. Blei­ ben wir gleichwohl geschichtlich affizierbar, weil »unsere Herzen je­ nen Regungen entsprechend schlagen, die vom Historiker beschrieben werden«, wie Hume vermutete?10 Doch warum sollte uns das Leben der Menschen der Vergangenheit, das man uns schildert, nicht gleich­ gültig bleiben, wo doch ihre nunmehr wirkungslosen Interessen nicht mehr mit den unsrigen interferieren? Nur weil und insofern wir ihr Leben »überzeugend dargestellt« finden oder weil es unsere Phantasie anregt? Oder weil, wie Patocka meint, unser »Interesse an der Wahr­ heit« nicht umhin kann, sich nachträglich »das Interesse der Unter­ drückten, der Verletzten, der Gedemütigten, der Getöteten zueigen« zu machen und weil es aus sich heraus dazu neigt, »die Verpflichtung« auf sich zu nehmen, die die Opfer der Gewalt auferlegen?11 Kann man geschichtlicher Affizierbarkeit generell eine solche Parteilichkeit zu­

7 J. Patocka, Ketzerische Essays zur Philosophie der Geschichte, Stuttgart 1988, S. 322 (= KE). 8 Vgl. J. Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, Stuttgart, 1935, S. 5f. 9 Th. Schieder, »Geschichtsinteresse und Geschichtsbewußtsein heute«, in: C. J. Burck­ hardt et al., Geschichte zwischen Gestern und Morgen, München 1974, S. 73-102, hier: S. 74f. 10 D. Hume, Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral, Stuttgart 1984, S. 145. 11 J. Patocka, Kunst und Zeit, Stuttgart 1987, S. 560 (- KuZ).

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schreiben? Patockas Bemerkung führt in ein Labyrinth von Fragen, in das sich auch die folgenden Untersuchungen begeben müssen. Im Gegensatz zu Verhandlungen über die Rolle, die Geschichte als »Herkunft« für den zukünftigen Sinn der Gegenwart spielen könnte, und im Gegensatz zu einem Geschichtsdenken, in dem nur der frag­ würdige Nachlaß überzogener »geschichtsphilosophischer« Ansprüche verwaltet wird, schlagen diese Untersuchungen im Anschluß an Collingwood, Gadamer, Ricreur und Waldenfels vor, Geschichte auf der Grundlage einer geschichtlichen Affizierbarkeit, die uns infrage stellt und geschichtliches Antwortgeben abverlangt, als Antwort zu verste­ hen (Kap. I). Ein solcher Ansatz kann gewiß Fragen nach Geltungsan­ sprüchen historischer Erkenntnis ebensowenig ersetzen wie eine Rückbesinnung auf Regulative geschichtlichen Sinns. Aber er zeigt, daß auch unser erkennendes Fragen sich als Antwort auf ein vorgängi­ ges Infragegestelltsein angesichts einer Zäsur der europäischen Ge­ schichte legitimieren muß (Kap. II), der die übliche Rückbesinnung auf den griechischen Ursprung einer angeblich ursprünglich »europäi­ schen« Vernunft nicht gerecht wird (Kap. III). Die historische Signifi­ kanz dieser Zäsur wird im Spannungsfeld der Begriffe Krieg, Genozid und Vernichtung auszuloten versucht (Kap. IV), was zu der Frage führt, wie sich in der zäsurierten europäischen Geschichte im Zeichen der Nicht-Indifferenz (Kap. V) angesichts des Äußersten, das in der Mitte Europas möglich geworden ist, geschichtliche Identität denken läßt (Kap. VI) und wie diese sich in der Form eines kollektiven Ge­ dächtnisses (Kap. VII) artikulieren kann, das nicht bloß auf eine »eth­ nisch« beschränkte Eigengeschichte fixiert bleibt (Kap. VIII). Der Kern dieses Ansatzes ist meine Überzeugung, daß es in der viel diskutierten Frage nach der Zukunft des Vergangenen und der Geschichte als des­ sen nachträglicher Deutung nicht zuletzt um die Rehabilitierung des Anspruchs des Vergangenen auf die jeweils gegenwärtig Lebenden ge­ hen muß. Auch so ließe sich die Frage nach der Zukunft der »Moder­ ne« neu aufwerfen, die man oft genug nur futuristisch herbeiredet, wenn sie von sich aus nicht über eine chronische Krise hinauszuge­ langen scheint. Auch im Zusammenhang dieser Diskussion kann es um die Vergangenheit nicht bloß als eine Art Steinbruch gehen, dessen man sich mehr oder weniger willkürlich bedient, weil man hofft, so die »knappe Ressource« historischen Sinn beschaffen zu können, um etwa den »Vertrautheitsschwund« einer unablässig temporalisierten Le­ benswelt zu »kompensieren«. Läßt sich eine nachhaltigere Entmach­ tung der Vergangenheit denken? In unserer temporal polymorphen, 18 https://doi.org/10.5771/9783495997635 .

gewissermaßen »vielzeitigen« Zeit wird von historischem Sinn ohne­ hin nicht mehr die Autorität eines finalen Zwecks oder Ziels der Ge­ schichte erwartet. Und die »Zwischenzeit«, in der wir leben, läßt sich nicht mehr eindeutig, im Sinne einer Peripetie oder einer restitutio ad integrum, zwischen ein Woher und ein Wohin einspannen. Das heißt aber nicht, daß historischer Sinn nun zur Selbstbedienung freigegeben wäre, wie es diejenigen - bewußt oder unfreiwillig - unterstellen, die in ihm nichts als eine nachträgliche »Konstruktion« sehen. Alternativ zur Konstruktion von Sinn, die das Vergangene dazu verurteilt, wider­ standslos alles über sich sagen lassen zu müssen, steht eben nicht ein (unglaubwürdiges) bloßes Auflesen vorgefundenen Sinns zur Diskus­ sion, sondern ein Verständnis von Geschichte als Antwort, das vom unverfügbaren Worauf des Antwortgebens inspiriert ist und ihm ge­ recht zu werden verspricht (Kap. IX). Geschichte vom Geschehen menschlicher Geschichtlichkeit her »als Antwort und Versprechen« zu deuten, verspricht auf die Spur der Erinnerung einer Zukunft der Geschichte zu führen, die nicht im ständig vertagten Kommen des Besseren oder gar in der Verheißung einer letzten Erfüllung, sondern im »historischen Sinn« unseres geschichtlichen Lebens selber liegt. Doch läßt sich ein solches »Versprechen« einlösen? Handelt es sich nicht um ein übermäßiges und fahrlässiges, gar leeres und unverant­ wortliches Versprechen? Wenn im folgenden - trotz der Skepsis und des Skrupels, der sich in diesen Fragen ankündigt - von einem Verspre­ chen die Rede ist, so deshalb, weil wir uns in unserer Geschichtlichkeit angesichts der da-gewesenen Sterblichen die Aufgabe zuziehen, eines zu sein, nicht deshalb, weil wir unbedacht Kredit auf eine ungewisse Zukunft nehmen, in der wir vielleicht nicht mehr belangbar sein wer­ den. Kann man in diesem Sinne etwa im Ernst versprechen, den Toten gerecht zu werden? Welches Maß hätte diese Gerechtigkeit? Welche Instanz wäre imstande, eine Bilanz »legitimer« Ansprüche der - wel­ cher? - Toten auf die Gegenwart und die Erinnerung der Späteren zu erstellen? Wenn diese wirklich »in der Schuld« derer stehen, die sie überlebt haben, wie könnte man sich das »Begleichen« dieser Schuld vorstellen? Derart buchstäblich maß-los und übermäßig erscheint die Vorstellung einer »historischen Gerechtigkeit«, daß man zögert, die Ebene einer solchen moralischen Ökonomie überhaupt zu betreten. Das um so mehr, als die überlieferten Vorstellungen moralischer Ver­ pflichtungen zwischen Lebenden und Toten weitgehend verblaßt zu sein scheinen, so daß man sich auf keine von ihnen ohne weiteres be­ rufen kann. Die Toten sind, wie schon Hegel sagte, keine Personen mit 19 https://doi.org/10.5771/9783495997635 .

rechtlichem Status mehr, sondern radikal desozialisierte »Leichen«, an die keine pietas mehr das »Band der Erinnerung« knüpft.12 Ihrer All­ gegenwart im Horizont des informierten Zeitgenossen zeigt sich we­ der die namenlose Trauer noch das ohnehin heimatlose karnevalisti­ sche Lachen gewachsen. Nur Statistik und Demographie werden ihrer scheinbar noch Herr. Für eine angemessene Antwort auf die Verpflich­ tung, die ihr Tod einigen Zeitdiagnostikern zufolge bedeutet, fehlen uns weitgehend die Maßstäbe.13 Bestenfalls advokatorisch - aber vor welcher Instanz, vor welchem Gericht historischer Rechtsprechung? kann man in Namen derer, die nun nicht mehr antworten, die Stimme erheben. Aber auch in solcher Stellvertretung - und nicht nur in einer fragwürdigen Nationalisierung des Gedenkens, für das der Tod bloßes Geschichtskapital ist - kann Anmaßung liegen. Nicht zuletzt deshalb, weil man ungefragt - auf selektive und exklusive Weise - Partei er­ greift: Das Erinnern der einen ist das Vergessen der anderen. Wenn das unvermeidlich ist, kann man dann bedenkenlos Konzepte histori­ scher Gerechtigkeit offerieren, die womöglich selbst-gerecht das Ver­ gessen vergessen lassen, das im eigenen Erinnern liegt? Mit Bedacht halten die folgenden Studien an der Schwelle zu diesen Problemen eines im engeren Sinne ethischen Geschichtsbezugs inne. Weder un­ terwerfen sie die Lebenden moralisch den Toten noch schlagen sie vor, wie eine kollektive Kultur des Gedächtnisses im Zeichen der Verant­ wortung für die Toten oder historischer Gerechtigkeit von der »Last der Vergangenheit« befreien könnte. Bevor man so oder so diskursiv über die »berechtigten« Ansprüche der Toten verhandelt und gewisser­ maßen über sie zu Gericht sitzt, ist geschichtliche Existenz »in An­ spruch genommen« und erfährt sich als »angesprochen«. Wer die in der Trauer, im Zeugnis oder in der Erinnerung erfahrene Inanspruch­ nahme umstandslos auf Geltungsansprüche, Rechte und Pflichten zu­ rechtstutzt, verstellt sich den Blick für das vielfältige Anspruchsge­ schehen, dem wir in der geschichtlichen Erfahrung selber ausgesetzt sind. Eine solche diskursive Blickverengung ergänzt sich auf fatale Weise mit einer szientifischen Verkürzung von Geschichte auf verge­ 12 Vgl. O. G. Oexle (Hg.), Memoria als Kultur, Göttingen 1995. 13 Das gilt jedenfalls dann, wenn jene »Schuld« nicht mehr wie im Fall konkreter Entschä­ digung beziffert werden kann. Daß eine berechtigte Entschädigung der Opfer des Natio­ nalsozialismus - deren Dokumentation ein besonders beschämendes Kapitel der deut­ schen Nachkriegsgeschichte darstellt - in den weitaus meisten Fällen keine wirkliche »Wiedergutmachung« bewirken kann, muß man zugeben. Woran könnte man diese über­ haupt »messen«? Vgl. Chr. Pross, Wiedergutmachung, Frankfurt/M. 1988.

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genständlichte Vergangenheit; mit der Folge, daß nicht- oder prädis­ kursive Erfahrungsansprüche, wie sie die Trauer selbst um diejenigen »geltend« macht, die keinerlei »Recht« auf unsere Erinnerung zu ha­ ben scheinen, nur mit theoretischem Schweigen quittiert werden. Eine Ethik kann in geschichtlicher Perspektive gewiß nicht auf der Grund­ lage solcher Ignoranz errichtet werden. Ethik und Geschichte: dieses Begriffspaar markiert gewissermaßen den Fluchtpunkt, auf den die folgenden Überlegungen abzielen, ohne aber den Anspruch zu erheben, ihm hinreichend nahe zu kommen. Zu heterogen, zu anspruchsvoll auch in sich sind die miteinander ver­ schränkten und aufeinander vielfach einwirkenden Problemfelder von der individuellen Geschichtlichkeit, über das kollektive Gedächtnis bis hin zur historischen Erkenntnis und ihrer Rückwirkung auf gelebte Geschichtlichkeit -, die zu durchlaufen sind. Diese Felder überschnei­ den sich aber in der Frage, was uns die »Vergangenheit« uns vorange­ gangener anonymer Anderer im Horizont unserer Geschichte eigent­ lich »angeht«, wie wir ihr »zugehören«. Hermeneutisch ist die Zugehörigkeit zunächst als Ansprechbarkeit durch die Wirkungen des Vergangenen auf unsere Gegenwart zu interpretieren. Gemäß dieser Wirkungen erweisen sich die Späteren als »ansprechbar« durch die Vergangenheit, die sie nachträglich als ihre Geschichte realisieren. Die Ansprechbarkeit ist das Maß einer realen, ontologischen Zuge­ hörigkeit zum Vergangenen, in der zunächst das, was uns bloß »an­ spricht«, noch nicht davon zu unterscheiden ist, was auf unser Ge­ dächtnis »Anspruch hat«, wie Walter Benjamin sagt. Gerade in dieser primären Ununterschiedenheit ist der interne Zusammenhang von Ethik und Geschichte verwurzelt, der kaum noch einzusehen ist, hat man einmal die übliche Reduktion der Geschichte auf ein erkennbares Objekt mitgemacht. Die Rückbesinnung auf eine hermeneutische Ex­ plikation der »Ansprechbarkeit« in ihren konkreten geschichtlichen Erscheinungsformen ersetzt freilich nicht eine ausstehende Vermitt­ lung mit einer epistemologisch verselbständigten Erkenntnis des Historischen einerseits und mit einer kulturphilosophischen Reflexion andererseits, die die Spannungsverhältnisse zwischen Existenz und Denken, Gedächtnis und Geschichte in kollektiven Erfahrungsräumen und Erwartungshorizonten zur Sprache bringen muß, welche ihren Brennpunkt in der Frage haben, wer wir sind. Sagt »uns« das die Ge­ schichte als der Nekrolog über die durchlebte Vergangenheit, den am besten diejenigen schreiben werden, die nicht »dabei« waren? Auch diese Frage, die schon die an Kant anknüpfende Kulturphilosophie vor 21 https://doi.org/10.5771/9783495997635 .

100 Jahren bewegt hat, wird man nur angemessen aufwerfen können, wenn man sie ihrerseits als Antwort auf ein Affiziertwerden versteht, das sie (heute anders als damals) zu stellen zwingt. Mit dieser Frage steht nicht bloß auf dem Spiel, welche - notfalls entsprechend umzu­ schreibende - Vergangenheit man im Lichte erhoffter Zukunft gehabt haben möchte, sondern ob wir Widerfahrnissen gerecht zu werden ver­ sprechen, die uns auf enteignende Weise ergriffen haben.14

14 Die folgenden Studien stellen eine im Winter 1997/8, in meiner Anfangszeit als Fellow am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen im Wissenschaftszentrum Nordrhein-West­ falen abgeschlossene Bestandsaufnahme der skizzierten Probleme dar, die sich im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts zu aktuellen Fra­ gen der Geschichtsphilosophie gestellt haben. Für großzügige Unterstützung der Veröf­ fentlichung danke ich dem KWI, insbesondere dem Präsidenten Prof. Jörn Rüsen. Nach­ weise finden sich am Schluß des Bandes. Alle Kapitel wurden im Rahmen des Vertretbaren durch Hinweise auf inzwischen erschienene Literatur nachträglich ergänzt.

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KAPITEL I

Geschichte als Antwort

1. Antwort und Antwortgeben Seit Hegel ist es üblich, zwei Bedeutungen von Geschichte zu unter­ scheiden: Geschichte als Geschehen einerseits und Geschichte als Er­ zählung andererseits.1 Man nimmt an, daß narrative Prosa im einfach­ sten Fall vergangenes Geschehen »wiedergibt«, »wie es gewesen« ist. Das aber erscheint nur möglich, weil geschichtliches Geschehen an ihm selbst schon erzählbar ist. Mehr noch: geschichtlichem Geschehen selbst sind (prä)narrative Infrastrukturen zuzuschreiben. Bereits wäh­ rend wir in geschichtliches Geschehen verstrickt sind, resümieren wir unsere gegenwärtige Erfahrung im Blick auf das Kommende, auf ein mögliches, erhofftes oder befürchtetes Ende, das wir im Sinne einer vorgreifenden Nachträglichkeit mit dem zu verknüpfen suchen, was sich bereits ereignet hat. In der geschichtlichen Zwischenzeit weiß man nie, was geschehen sein wird. Der Logik der Narrativität gemäß, die Geschehenes in erzählbare Geschichte zu transformieren erlaubt, wird man stets nur im nachhinein um die geschichtliche Bedeutung von Gegenwart und Vergangenheit wissen können. Geschichte als Ge­ schehen läßt sich so gesehen stets nur nachträglich bewahrheiten. Dar­ an wird auch dort entschieden festgehalten, wo man einer Metaphysik geschichtlicher Vernunft eine endgültige Absage erteilt, die in einem teleologischen Vorgriff auf das Ende der Geschichte die künftige, nach­ trägliche Bewahrheitung von deren Gesamtsinn zu legitimieren such­ te. Auf narrativem Wege wird geschichtlicher Sinn nachträglich in »verstandener Geschichte« etabliert.2 Die erzählte Geschichte aber ist 1 Vgl. H. Rupp u. O. Köhler, »Historia - Geschichte«, in: Saeculum 2 (1951), S. 627-638; J. Hennig, »Die Geschichte des Wortes >Geschichtedie Krisec ein spezifisch modernes Phänomen?«, in: K. Michalski (Hg.), Über die Krise. Castelgandolfo-Gespräche, Stuttgart 1986, S. 38-63, hier: S. 57. 27 Vgl. J. Derrida, Marx' Gespenster, Frankfurt/M. 1995, S. 127 (- MG).

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dazu, vorschnell nach Strategien der Bewältigung zu rufen, die um so weniger weit tragen, als sie unsere Ratlosigkeit über das eigentlich Maß-gebende nur vertiefen. Zweifellos sind Ricreurs geschichtsphilosophische Arbeiten von An­ fang an auch als Versuche zu verstehen, auf eine »dramatische« Krise Antwort zu gehen. Histoire et verite (1955), Ricreurs erste umfassende geschichtsphilosophische Zwischenbilanz, diagnostiziert eine dramati­ sche Krise, in die die Wahrheit als Sinn der Geschichte und der euro­ päischen Kultur geraten ist, die sich an diesem Sinn teleologisch ausgerichtet zu haben scheint. Ich sage, an der sie sich aus phänome­ nologischer Sicht ausgerichtet zu haben scheint, denn dies ist eine auch von Ricreur übernommene Prämisse Husserls, die sehr wohl in Frage zu stellen wäre. Hatte sich das 19. Jahrhundert nicht vom kosmopoli­ tischen Gehalt und regulativen Sinn der »Menschheit« abgewandt, um sich dem auf der Bühne der Geschichte auszutragenden Kampf der Nationen und der Rassen zu verschreiben?28 Die regulative Perspekti­ ve einer geschichtlich auszulegenden Universalität verschwand zwar nicht gänzlich aus dem europäischen Horizont, doch sollte ihre für viele noch immer ungebrochene, verpflichtende Normativität nicht zu dem Fehlschluß verleiten, Europa habe sich in der Vergangenheit wirklich hinsichtlich seines zukünftigen Sinns an dieser Perspektive ausgerichtet.29 Das politische Denken zwischenstaatlicher Konflikte und Kriege spricht von Clausewitz bis hin zur bellizistischen Euphorie der akademischen »Intelligenz« um 1914-1918 und noch lange danach zumindest hierzulande eine ganz andere Sprache. Auch dieses Denken prägte das »Jahrhundert des Friedens« (1817-1914) aber nicht wie ein monolithischer Block. Die geschichtliche Situation erst, über die Husserl auf dem »Weg in die Geschichte am Leitfaden der Geometrie« (Derrida) in den 30er Jahren nachdachte, konnte den Verdacht wecken, das »unendliche Bestreben« einer europäischen »Selbstnormierung« im Zeichen der Universalität sei womöglich nur ein »zufälliger Erwerb einer zufälligen Menschheit inmitten ganz anderer Menschheiten und Geschichtlichkeiten« oder sogar innerhalb Europas »ein bloßer histo­ 28 Vgl. H. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München/Zürich 31993, S. 366 (= EUTH). Vgl. unten Kap. IV, 3f. 29 Vgl. etwa H. Cohens Überlegungen zu »Kantischen Gedanken im deutschen Militaris­ mus«, in: Schriften zur Philosophie und Zeitgeschichte, Bd. H, Berlin 1928, S. 347-356, sowie den Aufsatz von M. Mori, »Krieg und Frieden in der klassischen deutschen Philoso­ phie«, in: H. Joas u. H. Steiner (Hg.), Machtpolitischer Realismus und pazifistische Uto­ pie, Frankfurt/M. 1989, S. 49-91.

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risch-faktischer Wahn«.30 Schon damals war die Lage mehr als »un­ übersichtlich«. Konnte und durfte man 1935 ohne weiteres sagen, daß die europäische Kultur insgesamt - und nicht etwa nur die deutsche in eine drohende Krise geraten war? Was gestattete es, diesen gemein­ samen europäischen Nenner zu unterstellen? Hatte Husserl seinen Ausgangspunkt in dieser Hinsicht richtig gewählt - wenn man in die­ sem Zusammenhang überhaupt von der Möglichkeit einer Wahl spre­ chen kann? Konkrete Zweifel sind angebracht, ist doch Husserl selbst, ganz persönlich, vom Heraufziehen einer Katastrophe tangiert wor­ den, von der seine im nachhinein vergleichsweise harmlos wirkende Krisendiagnose rein gar nichts ahnen ließ. So liegt der Verdacht nahe, Husserl selbst habe einseitig nur einen »Ausschnitt« der europäischen Wirklichkeit ins Auge gefaßt - was ihn andere, folgenreichere »Li­ nien« ihrer Entwicklung unterschätzen oder ganz übersehen ließ.31 War nicht die Methode einer gleichsam symptomatischen Lektüre der »europäischen Wissenschaften« schon eine unzulässige Vereinfa­ chung, die den Zerfaserungen und Divergenzen, aber auch den vielfa­ chen Verflechtungen der kulturellen geschichtlichen Felder nicht ge­ recht werden konnte? Ricreur jedenfalls war sich von Anfang an der Uneinheitlichkeit der geschichtlichen Lage bewußt, die er nach dem Zweiten Weltkrieg be­ dachte. »Weder bewegt sich eine Kultur gradlinig in einem Stück vor­ wärts noch stagniert sie in jeder Hinsicht. Es gibt in ihr stets mehrere Linien, denen man sozusagen der Länge nach folgen kann.«32 Auf manchen Linien findet Wachstum statt, auf manchen sind Regressio­ nen zu beobachten. Auf wieder anderen brechen Krisen auf. Häufiger noch ist ein unentschiedenes Hin und Her, das eine einheitliche Rich­ tung lange Zeit entweder gar nicht oder nur für Unbeteiligte erkennen läßt, die später auf das Geschehene zurückblicken können. Wo man im nachhinein die Anzeichen einer revolutionären Situation sich verdich­ ten sieht, die der Ausbruch der Krise nachträglich als solche bewahr­ heiten wird, erging man sich in der vorherigen Gegenwart in einer scheinbar unbefristeten, aber ständig frisierten Normalität, in einer Grauzone zwischen Verharmlosung, Beschönigung und Verleugnung

30 E. Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phä­ nomenologie, Hamburg 1982, S. 15, §6. 31 Vgl. Ricreurs diesbezügliche Bemerkungen in: »Ist >die Krisec ein spezifisch modernes Phänomen?« (s. Anm. 26), S. 51 ff. 32 P. Ricreur, Geschichte und Wahrheit, München 1974, S. 99 (- GW).

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der »Zeichen der Zeit«. Wer allerdings in der unübersichtlichen Ge­ mengelage zweideutiger Fortschritte, temporärer Stagnationen, loka­ ler Regressionen und mehr oder weniger diffuser Krisensymptome der Gegenwart einen apokalyptischen Ton anschlägt, zieht leicht den Ver­ dacht auf sich, vorgreifend rückwärts gewandte Prophetie betreiben zu wollen und die Gegenwart jetzt schon zur Vergangenheit einer Zukunft zu machen, die allemal noch aussteht und immer anders kom­ men kann, als erwartet. Fast immer kommen erwünschte oder uner­ wünschte Stabilisierungseffekte und krisenhafte Zuspitzungen gleich­ zeitig vor; und fast immer gehen die Meinungen darüber, wie sie zu bewerten sind, auseinander. Auch den Apokalyptikern unter den Zeit­ diagnostikern gelingt es nur selten, die unbeschadet aller Krisen sich durchhaltende Gewißheit zu erschüttern, ohne weiteres werde das ge­ genwärtige Leben nicht als ganzes in eine Krise stürzen, von der es sich womöglich nicht mehr erholt. Zwar hat die apokalyptische Rede seit langem Konjunktur, doch kann der inflationäre Krisendiskurs, den diese Rede zusätzlich »drama­ tisiert«, weder allein schon ein hinreichendes Indiz für eine allumfas­ sende Krise sein, noch beweist er, daß er auch allgemein überzeugt. Zwar beschwört dieser Diskurs endgültige, nicht mehr revidierbare Alternativen, zwischen denen es sich um des Überlebens willen zu entscheiden gelte; doch gerät er heute, wie globale Krisentheorien auch, schnell in den Verdacht eines unseriösen Futurismus.33 Ohnehin wird die Geschichte seit der Aufklärung als eine Dauerkrise aufgefaßt, die - einschließlich größter Verbrechen - ihre chronische Normalität hat. Wer eine »endgültige« Krise sich abzeichnen sieht, übernimmt so gesehen eine schwere Beweislast: er muß zeigen, daß die Dauerkrise von einer außerordentlichen Zuspitzung der Lage überboten werden wird, die keine Rückkehr zur Normalität einer ständigen Krise mehr zuläßt. Die Krise wäre also zugleich das Ende der Krisen. Ricreur, dessen geschichtsphilosophisches Denken mit seinen Refle­ xionen über »Husserl und den Sinn der Geschichte« (1949) begann, hat demgegenüber der Versuchung einer apokalyptischen Zuspitzung des Begriffs der (europäischen) Krise nicht nachgeben wollen. Jede Kultur schien ihm von »Situationen« gekennzeichnet, »die für sie eine Herausforderung darstellen«, auf die sie Antwort zu geben hat. »Jede Herausforderung ist wie die Frage der Sphynx: Antworte, oder du 33 R. Koselleck, »Einige Fragen an die Begriffsgeschichte von >KriseExistenzHistorisierung des Nationalsozialismus«;«, in: Vierteljahres­ hefte für Zeitgeschichte 06 (1988), S. 339-372. Browning, Chr., Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizei-Batallion 101 und die >Endlösung< in Polen, Hamburg 1993. Brumlik, M., Gerechtigkeit zwischen den Generationen, Berlin 1995. - u. H. Brunkhorst (Hg.), Gemeinschaft und Gerechtigkeit, Frank£urt/M. 1993.

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Nachweise

Kapitel I, Geschichte als Antwort. Stark überarbeitete Version des Aufsatzes gleichen Titels, der in dem von J. Stückrath u. J. Zbinden herausgegebenen Band Metageschichte, Hayden White und Paul Ricxur. Dargestellte Wirklichkeit in der europäischen Kultur im Kon­ text von Husserl, Weber, Auerbach und Gombrich, Baden-Baden 1997, S. 199-229 veröffentlicht wurde. Geht zurück auf einen Vortrag über Ricreurs Temps et recit am 21. Juni 1995 am Zentrum für interdiszi­ plinäre Forschung in Bielefeld. Kapitel II, Im Zeichen der Trauer. Ricxur im Rückblick auf Hegel. Geht zurück auf einen Vortrag zum Verhältnis Hegel:Ricreur anläßlich des Kolloquiums zu Hegels Weltgeschichtsvorlesungen am 25.-28. September 1996 an der Universität Bochum. Eine frühere Fassung wurde im Beiheft 38 der Hegel-Studien veröffentlicht. Kapitel III, Rückfragen einer erschütterten Vernunft. Jan Patockas >Ketzerische Essays zur Philosophie der Geschichte