Frauen im Augsburger Zunfthandwerk: Arbeit, Arbeitsbeziehungen und Geschlechterverhältnisse im 18. Jahrhundert [Reprint 2015 ed.] 9783050055794, 9783050036175

Der Autorin dieser als Fallstudie angelegten Untersuchung geht es darum, die Arbeitsfelder von Frauen, die Arbeitsbezieh

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German Pages 567 [568] Year 2001

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Frauen im Augsburger Zunfthandwerk: Arbeit, Arbeitsbeziehungen und Geschlechterverhältnisse im 18. Jahrhundert [Reprint 2015 ed.]
 9783050055794, 9783050036175

Table of contents :
0. Einleitung
0.1 Forschungsstand
0.2 Erkenntnisinteresse - Auswahl und Kurzbeschreibung der Handwerke - Aufbau der Arbeit
0.3 Quellenlage und Methode
0.4 Vorbemerkungen zu 'Arbeit' - 'Familienökonomie' - 'Ganzes Haus'
I. Frauen im Augsburger Recht
I.1 Die Geschlechtsvormundschaft und die Ehevogtei
I.1.1 Begründungen und Ausformungen im Wandel
I.1.2 Die Geschlechtsvormundschaft über ledige volljährige Frauen
I.1.3 Die Ehevogtei
I.1.4 Die Geschlechtsvormundschaft über Witwen
I.2 Das eheliche Güterrecht
I.3 Das Erbrecht
I.4 Zusammenfassung
II. Arbeiten und Leben mit der Zunft - Frauen im Handwerk
II. 1 Meisterfrauen - unverzichtbare Arbeitskräfte in Werkstatt und Haushalt
II.1.1 Die Bestimmungen der Handwerksordnungen
II.1.2 Die Arbeitsfelder der 'Meisterinnen'
II.1.3 Das Konfliktverhalten der 'Meisterinnen'
II.1.4 Geschiedene Meisterfrauen
II.1.5 Zusammenfassung
II.2 Meisterwitwen - Handwerksmeisterinnen ohne formale Ausbildung
II.2.1 Die Bestimmungen der Handwerksordnungen
II.2.2 Das Fortführungsrecht der Witwen in der Praxis
II.2.3 Konkurrenzkonflikte von Witwen, Konflikte nur mit Männern?
II.2.4 Die Wiederverheiratung von Witwen
II.2.5 Die Übergabe der Werkstatt an Söhne, Töchter und andere Personen
II.2.6 Der Verkauf und die Verpachtung der Gerechtigkeiten
II.2.7 Zusammenfassung
II.3 Meistertöchter - informelle Lehrlinge ihrer Väter und Mütter
II.3.1 Die Möglichkeiten der schulischen Ausbildung für Mädchen
II.3.2 Die Bestimmungen der Handwerksordnungen
II.3.3 Die Arbeitsfelder von Handwerkertöchtern im elterlichen Handwerk
II.3.4 Die außerhäusliche Lohnarbeit von Meistertöchtern
II.3.5 Die Versorgung alter Eltern durch ledige Töchter
II.3.6 Tochter oder Sohn - Sohn oder Tochter?
II.3.7 Die Eheschließung von Meistertöchtern
II.3.8 Zusammenfassung
II.4 Mägde - Gesindedienst zwischen Abhängigkeit und Selbstbestimmung
II.4.1 Die Bestimmungen der Handwerksordnungen
II.4.2 Die Mägdearbeit in der Werkstatt
II.4.3 Der Ausbildungsaspekt des Mägdedienstes
II.4.4 Das Ansehen der Mägde im Spiegel ihrer Dienstjahre
II.4.5 Die Eheschließung von Mägden
II.4.6 Zusammenfassung
III. Frauenarbeit im Zunfthandwerk - Versuch einer übergreifenden Analyse
III.1 'Eher weiblich' oder 'eher männlich' - der Handwerkstyp als Parameter für die Möglichkeiten von Frauen?
III.1.1 Meisterfrauen in 'eher weiblichen' bzw. 'eher männlichen' Handwerken
III.1.2 Meisterwitwen in 'eher weiblichen' bzw. 'eher männlichen' Handwerken
III.1.3 Meistertöchter in 'eher weiblichen' bzw. 'eher männlichen' Handwerken
III.1.4 Mägde in 'eher weiblichen' bzw. 'eher männlichen' Handwerken
III.2 Kapitalbedarf und Meisterzahlen - relevante Kriterien für die Handlungsräume von Frauen?
III.2.1 Die Handwerke mit niedrigem Kapitalbedarf
III.2.2 Die Handwerke mit mittlerem Kapitalbedarf
III.2.3 Die Handwerke mit hohem Kapitalbedarf
III.3 'Die Frauen' und 'die Handwerke'? - Vergleichsauswertung und Resümee
IV. Zur Konstruktion und Reproduktion von 'Geschlecht' im Handwerk
IV.1 Die Konstruktion von 'Geschlecht' als Strategie konkurrierender Handwerke
IV.2 'Geschlecht' in Argumentationsstrategien und Handlungsweisen von Frauen
IV.3 Opfer' und 'Mit-Täterin' - zusammenfassende Interpretation
V. Resultate und Thesen
Anhang
Abbildungen
Abbildungsnachweise
Abkürzungsverzeichnis
Bibliographie

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Christine Werkstetter Frauen im Augsburger Zunfthandwerk

Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg Colloquia Augustana Herausgegeben von Johannes Burkhardt und Theo Stammen

Band 14

Christine Werkstetter

Frauen im Augsburger Zunfthandwerk Arbeit, Arbeitsbeziehungen und Geschlechterverhältnisse im 18. Jahrhundert

Akademie Verlag

Gedruckt mit Unterstützung der Stadt Augsburg

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich. ISBN 3-05-003617-6

ISSN 0946-9044 © Akademie Verlag G m b H , Berlin 2001 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, M i k r o v e r f i l m u n g oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: Jochen Baltzer, Berlin Druck: G A M Media, Berlin Bindung: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach Printed in the Federal Republic of Germany

Vorwort Die Welt der im Umfeld der Augsburger Zunfthandwerke lebenden und arbeitenden Frauen und Männer, ihre Arbeitsrollen und Verhaltensmuster, ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen hielten mich vom Beginn meiner Forschungsarbeit bis zur Niederschrift des letzten Satzes und darüber hinaus in ihrem Bann. Diese Faszination half mir, alle Schwierigkeiten und Krisen, die das Projekt mit sich brachte, zu überwinden und die vorliegende Studie tatsächlich abzuschließen. Ohne die Unterstützung vieler Personen und Institutionen wäre dies nicht gelungen. Sehr herzlich danken möchte ich Prof. Dr. Johannes Burkhardt, der mein Interesse für die Geschichte der Frühen Neuzeit, mein Studium an der Universität Augsburg sowie den Abschluß dieses Studiums maßgeblich gefördert und mich schließlich zur Promotion ermutigt hat. Daß es die vorliegende Untersuchung gibt, ist nicht zuletzt seinem Vertrauen in meine Arbeit, seinem stets gewinnbringenden Rat und seiner Unterstützung zuzuschreiben. Seine Bereitschaft, ein Dissertationsthema anzunehmen, das so weit von seinen eigenen Forschungsschwerpunkten entfernt liegt, ist ein weiterer Grund, ihm Dank zu sagen. Ebenfalls sehr herzlich danke ich Prof. Dr. Rolf Kießling, der die Entstehung meiner Arbeit mit großem Interesse und ebenso engagiertem wie hilfreichem Rat in einem Maß begleitete, das seine Pflichten als Zweitgutachter sicher weit übertraf. Seinen präzisen Nachfragen und konstruktiven Anmerkungen in verschiedenen Diskussionszusammenhängen hat die Studie viel zu verdanken. Danken möchte ich auch den Teilnehmern und Teilnehmerinnen des Augsburger Frühneuzeitkolloquiums wie des Landesgeschichtlichen Kolloquiums, die sich mehrfach bereit fanden, verschiedene Aspekte meiner Arbeit mit mir zu diskutieren. Darüber hinaus fand ich in Stephanie Haberer M.A., Barbara Baumeister und Dr. Agnes Becherer Gesprächspartnerinnen insbesondere für die 'gender'-Thematik; mit Dr. Anke Sczesny, Dr. Sabine Ullmann und Dr. Carl A. Hoffmann konnte ich verschiedenste Stadt-, wirtschafts- und rechtsgeschichtliche Probleme reflektieren. Ihnen allen bin ich für Anregungen, Erkenntnisse und - nicht weniger wichtig - für freundschaftliche Unterstützung dankbar verbunden. Prof. Dr. Heide Wunder, Dr. Susanne Schötz und Petra Rentschier M.A. danke ich für eine Reihe intensiver und fruchtbarer Gespräche, die mich inhaltlich stets voranbrachten. Ihr Interesse an meinen Forschungsansätzen und -ergebnissen hat meine Motivation sehr beflügelt. Danken möchte ich auch den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Universitätsbibliothek Augsburg, der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg sowie des Stadtarchivs Augsburg, hier ganz besonders Herrn und Frau Senser, die mir unermüdlich immer neue Aktenstöße aus den Magazinen holten und schon nicht mehr recht glaubten, daß ich irgendwann ein Ende finden würde.

Neben umfassendem wissenschaftlichem Rat und arbeitstechnischer Hilfen habe ich aber auch finanzielle Unterstützung gefunden, ohne die mir eine Promotion nicht möglich gewesen wäre: Der Universität Augsburg habe ich fur die Gewährung eines elfmonatigen Stipendiums aus dem Hochschulsonderprogramm II zu danken, der Friedrich Ebert-Stiftung für die anschließende Aufnahme als Promotionsstipendiatin. Daß ich dieses Stipendium bereits nach 13 Monaten zurückgeben konnte, verdanke ich wiederum meinem Doktorvater, Prof. Dr. Johannes Burkhardt, der mich als wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinen Lehrstuhl holte. Für die Aufnahme meiner Studie in die Reihe "Colloquia Augustana" bin ich den Herausgebern, Prof. Dr. Johannes Burkhardt und Prof. Dr. Theo Stammen, ebenso zu Dank verpflichtet wie dem Lektor des Akademie Verlages, Herrn Manfred Karras. Theresia Hörmann M.A. danke ich sehr herzlich für die sorgfältige redaktionelle Betreuung des Buches und für die unproblematische, freundschaftliche Zusammenarbeit. Mein besonderer Dank gilt der Stadt Augsburg für die großzügige finanzielle Unterstützung der Drucklegung. Im Sommer 2000 wurde meine Dissertation mit dem Preis des Bezirks Schwaben ausgezeichnet, wofür ich an dieser Stelle noch einmal meinen Dank zum Ausdruck bringen möchte. Augsburg, im Mai 2001

Christine Werkstetter

Für Lisa

(1953-1985)

Inhaltsverzeichnis O.

Einleitung

IS

0.1

Forschungsstand

16

0.2 0.3 0.4

Erkenntnisinteresse - Auswahl und Kurzbeschreibung der Handwerke - Aufbau der Arbeit

20

Quellenlage und Methode

29

Vorbemerkungen zu 'Arbeit' - 'Familienökonomie' 'Ganzes Haus'

35

1.

Frauen im Augsburger Recht

39

1.1

Die Geschlechtsvormundschaft und die Ehevogtei

40

1.1.1 1.1.2

Begründungen und Ausformungen im Wandel Die Geschlechtsvormundschaft über ledige volljährige Frauen

40 43

1.1.3

Die Ehevogtei

44

1.1.4 1.2

Die Geschlechtsvormundschaft über Witwen Das eheliche Güterrecht

46 48

1.3 1.4

Das Erbrecht Zusammenfassung

50 52

II.

Arbeiten und Leben mit der Zunft - Frauen im Handwerk

54

II.l

Meisterfrauen - unverzichtbare Arbeitskräfte in Werkstatt

II. 1.1 II. 1.2

und Haushalt Die Bestimmungen der Handwerksordnungen Die Arbeitsfelder der'Meisterinnen'

II. 1.2.1

Die Arbeit im Meisterbetrieb

59

II. 1.2.1.1

Die Arbeit in der Werkstatt

59

54 54 58

II. 1.2.1.2

Die Wissensvermittlung an den Ehemann

67

II. 1.2.1.3

Der Laden, ein Arbeitsplatz von Frauen

71

II. 1.2.1.4

Das Hausieren und das Hereinbringen fremder Ware

73

II. 1.2.2

Die außerhäusliche Lohnarbeit und die selbständige Frauenarbeit

75

II. 1.2.3

Die Arbeit im Haus

85

II. 1.2.3.1

Die Besorgung des 'Haushaltes'

85

II. 1.2.3.1.1

Die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Verbrauchsgütem

85

11.1.2.3.1.2

Die Kleidung, das Waschen und Bügeln

90

11.1.2.3.1.3

Das Putzen und die Pflege der Gebrauchsgüter

93

11.1.2.3.2

Die Versorgungsarbeit für die mitwohnenden Lehrlinge und Gesellen

97

11.1.2.3.2.1

Die Lehrlinge im Meisterhaushalt

98

11.1.2.3.2.2

Die Versorgungsarbeit für Gesellen

101

11.1.2.3.3

Die 'Familienarbeit1

107

II. 1.2.3.3.1

Die Meisterin als Mutter

107

II. 1.2.3.3.2

Die Versorgung von alten Eltern

114

II. 1.3

Das Konfliktverhalten der 'Meisterinnen'

118

Π.1.4

Geschiedene Meisterfrauen

128

Π.1.5

Zusammenfassung

138

II.2

Meisterwitwen - Handwerksmeisterinnen ohne formale

Ausbildung

144

II.2.1

Die Bestimmungen der Handwerksordnungen

144

Π.2.2

Das Fortftihrungsrecht der Witwen in der Praxis

154

Π.2.2.1

Die Handlungsfelder der Witwen in Werkstatt und Zunft

154

11.2.2.1.1

Die Führungsfiinktionen der Witwen

155

11.2.2.1.2

Die Witwen als Arbeitgeberinnen im Rahmen der Zünfte

165

11.2.2.1.3

Die Witwen als Meisterinnen von Gesellen und Lehrlingen

173

11.2.2.1.3.1

Die Gesellenzahlen in Witwenwerkstätten

174

11.2.2.1.3.2

Mit Gesellen oder ohne - die Arbeitsfelder der Witwen

179

11.2.2.1.3.3

Konflikte in der Werkstatt

191

11.2.2.2

Die wirtschaftliche Lage der Witwen

197

11.2.2.2.1

Wie überleben? Mit Schulden aus der Ehe in den Witwenstand

197

11.2.2.2.2

Reiche Meister, arme Witwen - oder Reiche und Arme innerhalb eines Handwerks?

11.2.2.2.3

'Würdige Arme' - Unterstützung für bedürftige Handwerker-

11.2.2.3

Die außerhäusliche Lohnarbeit und die selbständige Arbeit von

witwen

202 208

Witwen

216

II.2.3

Konkurrenzkonflikte von Witwen, Konflikte nur mit Männern?

219

II.2.4

Die Wiederverheiratung von Witwen

224

II.2.4.1

Zur Qualität personaler und realer Gerechtigkeiten

224

II.2.4.2

Die 'Anheiratung' der Gerechtigkeit

227

II.2.4.3

Witwenheiraten im Handwerk

232

11.2.4.4

Strittige Heiratsgesuche

241

11.2.4.5 II.2.5

Von Witwen gelöste Eheversprechen Die Obergabe der Werkstatt an Söhne, Töchter und andere Personen

248 250

U.2.5.1 Π.2.5.2 Π.2.5.3 Π.2.6 II.2.7

Der Zeitpunkt und die Bedingungen der Übergabe Die Gerechtigkeit, das Heiratsgut der Töchter? Die Haltung der Zünfte Der Verkauf und die Verpachtung der Gerechtigkeiten Zusammenfassung

251 257 261 269 274

IL3 II.3.1 Π.3.2 II. 3.3

Meistertöchter - informelle Lehrlinge ihrer Viter und Mütter Die Möglichkeiten der schulischen Ausbildung für Mädchen Die Bestimmungen der Handwerksordnungen Die Arbeitsfelder von Handwerkertöchtern im elterlichen Handwerk "bey dem Gewerbe ihres Vaters aufgewachsen" Umstrittene Töchterarbeit und ihre Verdrängung aus dem

281 281 291

310 317 323 328

11.3.6.2

Handwerk Die außerhäusliche Lohnarbeit von Meistertöchtem Die Versorgung alter Eltern durch ledige Töchter Tochter oder Sohn - Sohn oder Tochter? Familienzwist und Erbstreit: ein Handwerk auf Seiten der Meistertochter "Meisters Töchter in Söhne zu verwandten nicht herkommens

11.3.7 11.3.7.1

sey" Die Eheschließung von Meistertöchtem Die Partnerwahl

334 339 339

11.3.7.1.1 11.3.7.1.2 11.3.7.2 11.3.7.2.1 11.3.7.2.2

Heiraten im Handwerk 'Körbe' fur Gesellen - die Zurückweisung der Werbung In die Ehe eingebrachte Güter Die Handwerksgerechtigkeit als Aussteuer Das elterliche Heiratsgut, eigenes Vermögen und die Arbeitskraft

339 349 355 355 364

11.3.8

Zusammenfassung

368

II.4

Mägde - Gesindedienst zwischen Abhängigkeit und

II.4.1

Selbstbestimmung Die Bestimmungen der Handwerksordnungen

Π.3.3.1 II.3.3.2 11.3.4 11.3.5 11.3.6 11.3.6.1

298 298

328

373 375

II.4.2

Die Mägdearbeit in der Werkstatt

378

Π.4.3

Der Ausbildungsaspekt des Mägdedienstes

389

II .4.4

Das Ansehen der Mägde im Spiegel ihrer Dienstjahre

396

ΙΙ.4.4.1

"langjährig allhier geleistete Dienste" und das Bürgerrecht als 'Lohn'?

396

ΙΙ.4.4.2

"mit aller Treu und Fleiß gedienet": Gesindelob - Gesindeschelte

408

ΙΙ.4.5

Die Eheschließung von Mägden

418

ΙΙ.4.5.1

Die Partnerwahl

418

Π.4.5.2

In die Ehe eingebrachte Güter: Heiratsgut und Sparvermögen

424

Π.4.6

Zusammenfassung

433

III.

Frauenarbeit im Zunfthandwerk - Versuch einer übergreifenden Analyse

m.i

438

'Eher weiblich' oder 'eher männlich' - der Handwerkstyp als Parameter für die Möglichkeiten von Frauen?

III. 1.1

Meisterfrauen in 'eher weiblichen' bzw. 'eher männlichen' Handwerken

III. 1.2

440

Meisterwitwen in 'eher weiblichen' bzw. 'eher männlichen' Handwerken

III. 1.3

442

Meistertöchter in 'eher weiblichen' bzw. 'eher männlichen' Handwerken

III. 1.4 III.2

439

445 1

Mägde in 'eher weiblichen bzw. 'eher männlichen' Handwerken

447

Kapitalbedarf und Meisterzahlen - relevante Kriterien fur die Handlungsräume von Frauen?

449

III.2.1

Die Handwerke mit niedrigem Kapitalbedarf

449

III.2.2

Die Handwerke mit mittlerem Kapitalbedarf

456

III.2.3

Die Handwerke mit hohem Kapitalbedarf

460

III.3

'Die Frauen' und 'die Handwerke'? - Vergleichsauswertung und Resümee

IV.

Zur Konstruktion und Reproduktion von 'Geschlecht' im

IV. 1

Die Konstruktion von 'Geschlecht' als Strategie konkurrierender

Handwerk Handwerke IV.2 IV.3

466

472 476

'Geschlecht' in Argumentationsstrategien und Handlungsweisen von Frauen

483

'Opfer' und 'Mit-Täterin' - zusammenfassende Interpretation

492

V.

Resultate und Thesen

495

Anhang

509

Abbildungen

510

Abbildungsnachweise

535

Abküizungsveizeichnis

537

Bibliographie

539

0.

Einleitung

Als sich die Schneiderwitwe Maria Anna Linckin im April 1775 nach einer bereits abgewiesenen Supplik noch einmal gehorsam und demüthig an den Rat wandte und um einen Übergabekonsens bat, erinnerte sie diesen daran, daß eine hohe Obrigkeit nicht nur ein Vater der Meisterssöhne sondern auch der Meisterstöchter, Wittwen und Waisen genennet würde.1 Diese Formulierung enthält zum einen eine klare hierarchische Positionierung, zum anderen aber auch eine nicht gerade verklausulierte Forderung: Die Witwe ordnete sich verbal ihrer Obrigkeit unter, indem sie dieser eine Vaterrolle zuerkannte, forderte zugleich aber die mit dieser Rolle verbundene Fürsorgepflicht gegenüber den 'Bürgerkindern' und die Gleichbehandlung von Frauen und Männern ein. Diese Spannung zwischen betonter Schutzbedürftigkeit und der Fähigkeit, die eigenen Interessen als rechtmäßige Ansprüche zu formulieren, wird in der vorliegenden Untersuchung häufig begegnen. So mancher Mann war freilich der Ansicht, daß Frauen keine Forderungen erheben, sondern ihre Aufgaben pflichtgetreu erfüllen sollten: Wo nicht die Henn scharrt wie der Hahn, da ist der Hahn [ein] verlohrner Mann? Dies jedenfalls ließen die Bäcker einer verwitweten Meisterin wissen, deren Anspruchshaltung bei ihnen auf wenig Verständnis stieß. Eine weitere Witwe, Anna Barbara Gignoux, hielt einem männlichen Kontrahenten, der in dem Wahn [stand], als ob die Frauens=Personen nicht im Stand wären, einer Cotton-Fabrique vorzustehen, selbstbewußt Beweise ihrer Leistungsfähigkeit entgegen.3 Ziel der vorliegenden Studie ist es, die Arbeitsfelder von Frauen, die Arbeitsbeziehungen und die Geschlechterverhältnisse im Augsburger Zunfthandwerk des 18. Jahrhunderts - Themen, die in den eben zitierten Quellen anklingen - zu eruieren, zu analysieren und die Erkenntnisse in den noch äußerst marginalen Forschungskontext zur Frauenarbeit dieses Jahrhunderts zu stellen. Zu Beginn meiner Forschungsarbeit schien dies ein Wagnis zu sein, weil es meinen Untersuchungsgegenstand im gewählten Untersuchungszeitraum nach dem Urteil namhafter Forscher überhaupt nicht mehr gab. So resümiert beispielsweise der Rechtshistoriker Gustav Schmelzeisen im Jahr 1935, daß die Zünfte bereits "seit etwa dem 15. und

1

2 3

StAA, HWA, Schneider, Fasz. 16, 4.4.1775. Auf einen im 16. Jahrhundert stattfindenden Wandel der Herrschaftslegitimation, die "sich nicht mehr auf einen kommunalen allgemeinen Willen (das gemeine Beste, gemeiner Nutz), sondern auf den 'väterlichen Willen' [gründet]", verweist L. Roper, "Wille" und "Ehre", S. 181. Auch die Ausweitung der Geschlechtsvormundschaft im 17. Jahrhundert wurde mit 'väterlicher Fürsorge' begründet. Vgl. Kap. 1.1. Zur obrigkeitlichen "Vaterschaft' allgemein vgl. P. Münch, Die 'Obrigkeit im Vaterstand'. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 17, 22.1.1725. StAA, HWA, Weber, Fasz. 113, 1.3.1762. Vgl. hierzu auch Ch. Werkstetter, Anna Barbara Gignoux, Handlungsfelder, dies., Anna Barbara Gignoux (1725-1796), eine Mäzenin?; dies., Anna Barbara Gignoux (1725-1796), Kattunfabrikantin oder Mäzenin?.

16

mehr noch seit dem 16. Jahrhundert in stärkerem Maße gegen die Frauenarbeit einzuschreiten" begannen. Bis zum 17. Jahrhundert wurde "jede Art der Frauenarbeit im zünftigen Gewerbe unterdrückt".4 Anders, aber ebenfalls wenig ermutigend und nur stellvertretend für viele genannt, die zu gleichen Einschätzungen kommen, äußert sich der Wirtschaftshistoriker Karl Heinrich Kaufhold: Er stellt in seiner 1980 in zweiter Auflage erschienenen Arbeit über das Hildesheimer Handwerk im 18. Jahrhundert immerhin fest, daß neben den Handwerksgesellen "auch die anderen Mitarbeiter der Meister nicht vergessen werden [sollten], die da die Quellen kaum von ihnen berichten - zumeist keine Beachtung finden". Konkret benannt werden von Kaufhold hier die Ehefrauen und Kinder, deren Mitarbeit "sich in manchen Berufen f...] geradezu anbot".3 Er selbst widmete der Frauenarbeit im Rahmen seiner etwa dreihundertseitigen Untersuchung insgesamt jedoch nur sechseinhalb Zeilen.6 Was spricht dafür, ein Forschungsprojekt durchzuführen, dessen Bearbeitung ausgewiesene Experten zwar anmahnen, es aber selbst nicht weiter thematisieren und zudem die Quellenlage als dürftig beschreiben? Angeregt wurde die Untersuchung durch eine Reihe einschlägiger Forschungsarbeiten aus der Perspektive der Geschlechtergeschichte sowie durch konkrete Archivstudien vor Ort, die schnell verdeutlichten, daß Frauen auch im Zunfthandwerk des 18. Jahrhunderts bedeutsame Rollen spielten. Bevor ich mich diesen zuwende, soll zunächst der Stand der Forschung knapp skizziert und mein Erkenntnisinteresse formuliert werden. Schließlich bleibt noch die Augsburger Quellenlage zu erläutern, wobei zugleich einige methodologische Aspekte darzulegen sind.

0.1 Forschungsstand Einen Gesamtüberblick über den Forschungsstand zur Handwerksgeschichte geben zu wollen, wäre ein kaum bewältigbares Unterfangen, weshalb ich mich im folgenden auf eine pointierte Darstellung des Standes der explizit frauen- bzw. geschlechtergeschichtlich orientierten Forschung zum Handwerk sowie auf die für die vorliegende Untersuchung wichtigsten augsburgspezifischen Darstellungen beschränken möchte. Obgleich in den letzten Jahren die Frauen der Frühen Neuzeit auch in der deutschen Forschung - wie es Silke Lesemann ausdrückt - "als forschungswürdige

4

5 6

G. Schmelzeisen, Die Rechtsstellung der Frau, S. 85. Ähnlich auch beispielsweise H. Wachendorf, Die wirtschaftliche Stellung der Frau, S. 3. Κ. H. Kaufhold, Das Handwerk der Stadt Hildesheim, S. 111. Vgl. Κ. H. Kaufhold, Das Handwerk der Stadt Hildesheim, S. 118.

17 Subjekte entdeckt" wurden,7 ist der Forschungsstand zur Geschichte der Frauenarbeit im frühneuzeitlichen Handwerk noch immer unzureichend zu nennen. Weit mehr Interesse fanden in diesem Zusammenhang das Mittelalter, aber auch noch das 16. Jahrhundert.® Für das 17. Jahrhundert liegen für die deutschsprachigen Territorien dagegen keine eigenständigen Forschungen zum hier behandelten Thema vor,® und für das 18. Jahrhundert konnte Christina Vanja noch 1992 in ihrem den Stand der Forschung zusammenfassenden Aufsatz "Zwischen Verdrängung und Expansion, Kontrolle und Befreiung - Frauenarbeit im 18. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum"10 nur sehr wenige Untersuchungen zur Frauenarbeit im Handwerk benennen, die den hier untersuchten Zeitraum nicht ganz unberücksichtigt lassen. Nur zwei dieser Beiträge beziehen sich ausschließlich auf das 18. Jahrhundert, beide wurden von Petra Eggers verfaßt und beschäftigen sich hauptsächlich mit den Hamburger Buchbinderfrauen." Petra Rentschier stellte in einem sich auf das Zeitalter der Französischen Revolution beziehenden und 1989 er-

7 8

9

10

"

S. Lesemann, Arbeit, Ehre, Geschlechterbeziehungen, S. 1. Aus der großen Zahl von Forschungsarbeiten für diese Epoche seien nur einige wenige genannt: Die Darstellung von B. Brodmeier, Die Frau im Handwerk, bezieht sich in ihrem ersten Teil im wesentlichen auf das 13. bis 16. Jahrhundert, im zweiten Teil auf das heutige Handwerk; P. Ketsch, Frauenarbeit im Mittelalter; B. Kroemer, Über Rechtsstellung, Handlungsspielräume und Tätigkeitsbereiche; A. Wolf-Graaf, Die verborgene Geschichte; R. Bake, u.a., Zur Stellung der Frauen im mittelalterlichen Handwerk; E. Uitz, Zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation von Frauen; K. Arnold, Frauen in den mittelalterlichen Hansestädten; K. Simon-Muscheid, Basler Handwerkszünfte im Spätmittelalter; dies., Frauenarbeit und Delinquenz; D. Rippmann, Frauen in Wirtschaft und Alltag; dies., Weibliche Schattenarbeit im Spätmittelalter. Auf das IS. und 16. Jahrhundert beziehen sich die folgenden Arbeiten: Y. Ichikawa, Die Stellung der Frauen; I. Bätorr, Frauen in Handel und Handwerk; M. Wensky, Frauen in der Hansestadt Köln; dies., Die Stellung der Frau in der stadtkölnischen Wirtschaft, beschäftigt sich mit den berühmten Kölner Frauenzünften. K. Wesoly, Der weibliche Bevölkerungsanteil. Für das 16. Jahrhundert sind weiter zu nennen die Arbeiten von B. Händler-Lachmann, Die Berufstätigkeit der Frau; Μ. E. Wiesner, Working Women in Renaissance Germany, die besonders den süddeutschen Raum berücksichtigt; dies., Women's Work in the Changing City Economy, und - für Augsburg - L. Roper, Das fromme Haus; dies., Housework and Livelihood; Ν. Ζ. Davis, Frauen im Handwerk, untersucht in äußerst anregender Weise die weibliche Arbeitswelt in Lyon. Eine vielleicht unvermutete Beteiligung von Frauen im Bergbau belegt Ch. Vanja, Bergarbeiterinnen. Vgl. auch den auf Frauenarbeit und Arbeitsteilung bezogenen Literaturbericht zur Geschichte des Mittelalters von H. Röckelein, Historische Frauenforschung. Eher am Rande mitbehandelt wird dieses Jahrhundert in: Eine Stadt der Frauen, hrsg. von H. Wunder. Obwohl bereits 1919 erschienen und teilweise überholt, ist die sich auf England beziehende Studie von A. Clark, Working Life of Women in the Seventeenth Century, wegen einiger geradezu moderner Ansätze noch immer interessant. Zur Wertschätzung dieser Arbeit vgl. Ν. Z. Davis, Gesellschaft und Geschlechter, S. 119-126. Ch. Vanja, Zwischen Verdrängung und Expansion, Kontrolle und Befreiung. Vgl. auch dies., Frauenarbeit in der vorindustriellen Gesellschaft. P. Eggers, Lebens- und Arbeitswelt der Hamburger Handwerksfrauen; dies., Frauenarbeit im Handwerk - Die Hamburger Buchbinderfrau.

18

schienenen Aufsatz neben anderen Arbeitsbereichen von Frauen in der Reichsstadt Frankfurt auch knapp deren Beteiligung am Handwerk dar.'2 In den letzten Jahren sind im Rahmen der stadtgeschichtlichen Frauenforschung noch einige Arbeiten zur Frauengeschichte entstanden, die neben anderem auch nach der Beteiligung von Frauen am Handwerk fragen: So 1992 eine Stadtgeschichte der Karlsruher Frauen, die den Zeitraum von 1715 bis 1945 umspannt und in deren Rahmen der Beitrag von Olivia Hochstrasser den "Karlsruher Frauen in der vorbürgerlichen Gesellschaft (1715-1806)" gewidmet ist, sowie eine 1994 von Ingeborg Titz-Matuszak verfaßte "Geschichte der Goslarer Frauen vom Mittelalter bis 1800", die mit "Starcke Weibes-Personen" übertitelt ist und sich intensiv mit der Stellung und der Arbeit von Frauen im Handwerk befaßt.13 1994 beklagte Silke Lesemann in ihrer Untersuchung "Arbeit, Ehre, Geschlechterbeziehungen. Zur sozialen und wirtschaftlichen Stellung von Frauen im frühneuzeitlichen Hildesheim" den immer noch vorherrschenden Mangel: "Während im allgemeinen die Geschichte des Handwerks als gut erforscht gilt, nehmen Arbeiten über den weiblichen Anteil an der handwerklichen Produktion, insbesondere in der Frühen Neuzeit, vergleichsweise geringen Raum ein. Diese Forschungslücke ist jedoch nicht gleichbedeutend damit, daß Frauen keinen Platz in einem frühneuzeitlichen Handwerkerbetrieb hatten."14 Das dargestellte Forschungsdesiderat besteht auch heute noch, denn nach wie vor thematisiert die allgemeine Handwerksforschung die Beteiligung von Frauen im Handwerk höchst rudimentär, was dazu fuhrt, daß die Zunfthandwerke immer noch als nahezu ausschließlich männliche Handlungsfelder gelten. Hier möchte ich mit meiner Forschungsarbeit anknüpfen und eine erste Monographie zu Frauen im Zunfthandwerk des 18. Jahrhunderts am Beispiel der Reichsstadt Augsburg vorlegen. Dieses Bemühen wird durch eine ganze Reihe von Forschungen zur Geschichte der Stadt Augsburg unterstützt: Von besonderer Bedeutung fur meine Untersuchung erwies sich der Forschungsbeitrag von Reinhold Reith "Arbeits- und Lebensweise im städtischen Handwerk. Zur Sozialgeschichte Augsburger Handwerksgesellen im 18. Jahrhundert (1700-1806)". Auch Reith stellt fest, daß "über die Frauen im Handwerk des 17. und 18. Jahrhunderts keine Forschungen vorliegen", berücksichtigt aber selbst deren Beteiligung - entsprechend seiner Schwerpunktsetzung auf die Gesellen - nur punktuell.15 Seine umfassende Darstellung der gewerblichen Struktur Augsburgs und der Konjunkturverläufe im Augsburger 12

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P. Rentschier, Lohnarbeit und Familienökonomie. Auf das 19. Jahrhundert beziehen sich J. W. Scott, L. A. Tilly, Familienökonomie und Industrialisierung. O. Hochstrasser, Hof, Stadt, Dörfle; I. Titz-Matuszak, "Starcke Weibes-Personen". S. Lesemann, Arbeit, Ehre, Geschlechterbeziehungen, S. 41. Die mit dem Thema 'Frauenarbeit und Handwerk' verbundene Forschungsproblematik, der 1992 eine eigene Tagung gewidmet wurde, reflektiert der 1998 erschienene Sammelband "Was nützt die Schusterin dem Schmied?", hrsg. von K. Simon-Muscheid. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 3. Gleichwohl zählt diese Studie zu den wenigen, die an gegebener Stelle Möglichkeiten und Bedingungen von Frauenarbeit reflektieren.

19 Handwerk des 18. Jahrhunderts ermöglicht zahlreiche Rückgriffe und die Konzentration auf meine spezifischen Fragestellungen, ohne daß erst grundlegende wirtschaftliche Aspekte, die auch für diese Studie unverzichtbar sind, eruiert werden müssen. Die vorliegende Arbeit hätte in dieser Form ohne Reiths Forschung kaum geschrieben werden können. Eine wichtige Phase der Augsburger Geschichte stellt Roland Bettger in seiner Studie "Das Handwerk in Augsburg beim Übergang der Stadt an das Königreich Bayern" dar. Das Ende der reichsstädtischen Zeit im Jahr 1806 markiert zwar auch das Ende des hier untersuchten Zeitraumes, da Bettger aber nach Kontinuität und Wandel bei der Integration Augsburgs in den bayerischen Staat fragt und entsprechend auch die reichsstädtischen Verhältnisse thematisiert, bietet auch diese Untersuchung eine Reihe von hilfreichen Erkenntnissen für die Beantwortung der hier zu stellenden Fragen.16 Aus handwerksgeschichtlicher Perspektive sind des weiteren die Arbeiten von ClausPeter Clasen über die Augsburger Weber sowohl für die Zeit um 1600 als auch für das 18. Jahrhundert zu nennen sowie die Studie von Bernd Roeck über das Bäkkerhandwerk im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges.17 Sylvia Rathke-Köhl verfaßte eine Geschichte des Augsburger Goldschmiedegewerbes des 18. Jahrhunderts, die eine ganze Reihe von Belegen für eine umfassende Arbeitsbeteiligung von Frauen enthält, die allerdings nahezu alle in die Fußnoten geraten sind." Auf vielfache Weise hilfreich erwies sich die Untersuchung von Peter Fassl zu "Konfession, Wirtschaft und Politik. Von der Reichsstadt zur Industriestadt, Augsburg 1750-1850", die gute Einblicke in das Gesamtgefüge der Stadt gewährt." Dies gilt hinsichtlich der verwaltungsgeschichtlichen Zusammenhänge auch für die Studie von Ingrid Bätori über "Die Reichsstadt Augsburg im 18. Jahrhundert. Verfassung, Finanzen und Reformversuche".20 Der hier nachgezeichnete Forschungsstand macht zwei Dinge deutlich: Einerseits weist die handwerksgeschichtliche Forschung in bezug auf Arbeit, Arbeitsbeziehungen und Geschlechterverhältnisse im Zunfthandwerk des 18. Jahrhunderts erhebliche Lücken auf, die durch eine Mikrostudie zwar nicht völlig zu schließen, aber doch zu reduzieren sind; andererseits zeigt sich gerade für dieses Jahrhundert der Stand der stadtgeschichtlichen Forschung als besonders geeignet, die auch in dieser Zeit immer noch bedeutende Reichsstadt Augsburg für eine solche Fallstudie heranzuziehen.

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R. Bettger, Das Handwerk. C.-P. Clasen, Die Augsburger Weber; ders., Streiks und Aufstände der Augsburger Weber; B. Roeck, Bäcker, Brot und Getreide. S. Rathke-Köhl, Geschichte des Augsburger Goldschmiedegewerbes. P. Fassl, Konfession, Wirtschaft und Politik. I. Bätori, Die Reichsstadt Augsburg.

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0.2 Erkenntnisinteresse - Auswahl und Kurzbeschreibung der Handwerke - Aufbau der Arbeit Einen zentralen Ausgangspunkt meines Forschungsinteresses bildet das Spannungsfeld zwischen der von der Forschung konstatierten weitgehenden 'Verdrängung' der Frauenarbeit aus den Handwerken seit dem 16. Jahrhundert und dem die Frühe Neuzeit prägenden Wirtschaftsprinzip der "Nahrung', das noch keine Trennung von produktiver und konsumtiver Arbeit, dafür aber das gemeinsame Wirtschaften von Mann und Frau als 'Arbeitspaar1 kannte.21 Bezog sich der Ausschluß im wesentlichen auf ein Verbot der Lehre und der eigenständigen Handwerksausübung oder generell auf die handwerksspezifische Arbeit? Wurden alle Frauen gleichermaßen verdrängt? Lyndal Roper spricht für das frühe 16. Jahrhundert von einer Einbindung der Frauen in den Familienbetrieb, die deren Verdrängung aus den Handwerken in die Wege geleitet habe;22 Merry Wiesner-Hanks resümiert eine Art Verlaufsprozeß der Verdrängung, der mit regionalen und inhaltlichen Unterschieden zuerst die Witwen, dann die Mägde und schließlich sogar die Meistertöchter erfaßt habe.21 Während Schmelzeisen - wie bereits zitiert - davon ausging, daß der Verdrängungsprozeß im 17. Jahrhundert abgeschlossen war und "jede Art der Frauenarbeit" unterdrückt wurde, betont Heide Wunder, daß die Ehefrauen der Meister und deren Töchter nicht vom Ausschluß der Frauenarbeit betroffen gewesen seien.24 Desgleichen zeigt beispielsweise die Studie von Peter-Per Krebs über "Die Stellung der Handwerkerswitwe in der Zunft vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert", daß Witwen - wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen, die an späterer Stelle aufzuzeigen sein werden - auch noch im 18. Jahrhundert die ehelichen Werkstätten fortführen durften.25 Diese voneinander abweichenden Einschätzungen machen deutlich, daß es regionale Unterschiede im Ausmaß der Behinderung bzw. Ausgrenzung der Frauenarbeit gab, verweisen aber auch auf eine unterschiedlich starke Betroffenheit 21

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Zu dem von H. Wunder geprägten Begriff des 'Arbeitspaares' vgl. dies., Frauen in der Gesellschaft Mitteleuropas, S. 130-144. Auf die Bedeutung der Arbeitsrollen der Frauen und die "gegenseitige[n] Angewiesenheit von Mann und Frau zur Erlangung der Selbständigkeit" verwies Wunder schon in einem früheren Beitrag: Zur Stellung der Frau, S. 249. Vgl. weiter dies., Historische Frauenforschung, und umfassend dies., "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", sowie unten Kap. II. 1. Vgl. L. Roper, Das fromme Haus, S. 30-53. Vgl. M. Wiesner-Hanks, Ausbildung in den Zünften, S. 100. Vgl. G. Schmelzeisen, Die Rechtsstellung der Frau, S. 85 sowie H. Wunder, "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 124. P.-P. Krebs, Die Stellung der Handwerkerswitwe.

21 der Frauen, die vom Familienstand und von ihrer Stellung zum Handwerk abhing. Beiden Aspekten soll die vorliegende Studie Rechnung tragen. In bezug auf die Bedeutung des Status der Frauen wird dies dadurch geschehen, daß die 'Frauengruppen' - die Meisterfrauen, Meisterwitwen, Meistertöchter und Mägde - zunächst getrennt untersucht und erst danach in einer Gesamtanalyse vergleichend dargestellt werden. Was den Untersuchungsraum betrifft, folge ich Kurt Wesoly, der im Kontext einer kritischen Auseinandersetzung mit der Forschung zum weiblichen Bevölkerungsanteil in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten und der Teilhabe von Frauen am Handwerk die Vermutung aufgestellt hat, daß "die regionale Begrenzung sogar die einzig mögliche Methode [sei], gesicherte Ergebnisse zu erzielen".26 Mit der Reichsstadt Augsburg habe ich mich sogar für ein noch kleinräumigeres Untersuchungsfeld entschieden. Wenn auch vergleichende Untersuchungen von "Zunftlandschaften", wie sie jungst Wilfried Reininghaus forderte,27 oder - noch weitergehend - international vergleichende Studien erstrebenswert sein mögen, kann ich die Feststellung von Harald Deceulaer und Bibi Panhuysen, daß "das endlose Aneinanderreihen von Fallstudien, bei denen auf lokale, partikularistische Faktoren sehr großes Gewicht gelegt wird, keine wirklich neue Perspektive, die uns begeistern könnte, [bietet]",28 so nicht teilen. Gerade im Bereich einer geschlechtergeschichtlich orientierten Handwerksgeschichte fehlt bislang schlichtweg eine einigermaßen breite Vergleichsbasis in Form sorgfältig erarbeiteter Mikrostudien. Warum Augsburg? Augsburg zählte im 18. Jahrhundert etwa 30.000 Einwohner und gehörte damit zu den größten deutschen Städten. Weitreichende Handelsbeziehungen der Augsburger Kaufleute brachten nicht nur ein hohes Handelsvermögen hervor, sondern sorgten auch für überregionale Marktstrukturen, die wiederum die exportorientierten Handwerke förderten.29 Die handwerkliche Produktion zeigt sich stark ausdifferenziert: Für den Untersuchungszeitraum läßt sich eine Gesamtzahl von 123 verschiedenen Handwerken, die in sieben Branchen gegliedert werden können, nachweisen.30 Die Reichsstadt war - so Reinhold Reith - "eine der bedeutendsten Gewerbestädte des alten Reiches"; in vielen Gewerben galt sie im reichsweiten Vergleich als führend, zudem war sie als 'Hauptlade' verschiedener Handwerke für deren interterritoriale Organisation und Rechtsprechung zuständig.3' Durch die Vielzahl der vorhandenen Handwerke, die sich durch unterschiedlich ausgeprägte Gewerbestrukturen voneinander abhoben, aber alle im Rahmen

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K. Wesoly, Der weibliche Bevölkerungsanteil, S. 72. Vgl. W. Reininghaus, Zünfte und Regionen. "Zunftlandschaften" als Forschungsproblem. H. Deceulaer, B. Panhuysen, Schneider oder Näherinnen?, S. 86. Zur Augsburger Handelsgeschichte des 18. Jahrhunderts vgl. W. Zorn, Handels- und Industriegeschichte, S. 12-118 sowie R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 9-15 (zu Silberhandel, Wechselhandel und Warenhandel). Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 25, 40, 51, 59, 69, 72 (Tabellen 1-7). Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 6.

22 der augsburgischen Rechtssetzung und Verwaltungsstrukturen agieren mußten. erweist sich Augsburg als besonders geeignet, die Handlungsräume von Frauen im Zunfthandwerk zu untersuchen: Die Konzentration auf diese eine Stadt bietet die Möglichkeit, auf dem Hintergrund einheitlicher örtlicher Bedingungen in breitem Umfang stark divergierende Handwerke hinsichtlich ihres Umgangs mit Frauenarbeit zu vergleichen. Gleichwohl ist die Bearbeitung einer so großen Anzahl von Gewerben über einen Zeitraum von einhundert Jahren weder zu bewältigen noch sinnvoll, weshalb aus den sieben Branchen des Augsburger Handwerks jeweils ein Gewerbe ausgewählt wurde. Um trotz der unumgänglichen Beschränkung einen wirklichen Querschnitt zu erhalten und um einen willkürlichen Zugriff zu vermeiden, wurden Auswahlkriterien in der Weise erstellt, daß eine Typisierung der Handwerke nach drei Gesichtspunkten vorgenommen wurde, die in sich jeweils Vergleichsmöglichkeiten bieten. Die in der Forschung häufig geäußerte Vermutung, daß Frauen in den Handwerken, die den ursprünglich häuslichen Tätigkeitsbereichen von Frauen entwachsen sind, in großem Umfang beschäftigt gewesen seien, während sie in solchen Gewerben, die eng mit der 'schon immer" männlichen Arbeitssphäre verbunden sind, kaum zur Mitarbeit herangezogen worden seien, veranlaßte mich, die Branchen bzw. die Berufe zunächst nach den Kategorien 'eher weiblich' und 'eher männlich' zu ordnen.32 Diese Gegenüberstellung zielt einmal auf die Frage, ob sich eine solchermaßen geschlechtsspezifische Arbeitsteilung tatsächlich nachweisen läßt und - sofern dies der Fall wäre - welches Ausmaß Beteiligung oder Ausgrenzung annahmen. Als zweites Auswahl- und Vergleichskriterium wurde die Höhe des für eine Betriebsgründung erforderlichen Kapitals herangezogen, da sich hier ein insgesamt sehr weites Spektrum abzeichnete. Der jeweilige Kapitalbedarf war nicht nur eng mit den Chancen der Gesellen, zum Meisterrecht und zur Selbständigkeit zu gelangen, verknüpft, sondern zeitigte auch eigene Problematiken für die Handwerke. Die Auswahl der Handwerke nach niedrigem, mittlerem und hohem Kapitalaufwand soll eine Vergleichsbasis fur die Frage nach eventuellen Rückwirkungen dieser finanziellen Erfordernisse auf die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen schaffen. Die dritte Kategorisierung erfolgte hinsichtlich der Entwicklung des Umfangs der Meisterschaft: Handwerken mit relativ konstant bleibenden Meisterzahlen sollen hier solche mit sinkenden, aber auch welche mit steigenden Meisterzahlen gegenübergestellt werden. Da derartige Veränderungen nicht unabhängig von konjunkturellen Entwicklungen stattfanden, könnten hier eventuelle Auswirkungen einer veränderten wirtschaftlichen Lage auf die Handlungsräume von Frauen sichtbar werden. Damit die oben dargestellte Vielfalt der Augsburger Gewerbe trotz der erforderlichen Einschränkung nicht allzusehr nivelliert wird, wurde über die genannten Kriterien hinaus darauf geachtet, daß Handwerke, die es nicht in allen Städten gab

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Eine Einordnung in den Forschungskontext erfolgt in Kap. III.

23 - hier die Buchbinder, die Goldschlager und die Zinngießer - ebenso Berücksichtigung finden wie ein Versorgungshandwerk mit nur lokalem Markt - die Bäcker - und ein Massenhandwerk wie die Schneider; mit den Zinngießern wird zudem ein zwar zünftig gebundenes, aber dennoch weitgehend verlegtes Gewerbe eingebunden. Neben den eben bereits genannten Handwerken werden die Bader und die Zimmerleute mit in die Untersuchung aufgenommen. Um einen ersten Einblick in die gewählten sieben Handwerke zu geben, sollen an dieser Stelle deren Produktions- bzw. Tätigkeitsbereiche, ihre innere Entwicklung und ihre wirtschaftliche Lage während des 18. Jahrhunderts sehr knapp und in alphabetischer Reihung der Gewerbe aufgezeigt werden. Im Verlauf der Studie werden dann die hier nur angerissenen gewerbespezifischen Aspekte noch wesentlich umfassender und in ihrer ganzen Relevanz für die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen, die hier noch unberücksichtigt bleiben, sichtbar werden. Die Augsburger Bäcker, die den lokalen Markt mit Brot und sonstigen Backwaren zu versorgen hatten, bildeten ein Handwerk mit relativ hohem Kapitalbedarf, weil die Meisterrechtskandidaten jeweils eine der 88 vorhandenen Backstuben kaufen oder pachten mußten, sofern sie das Gewerbe nicht erbten. Die Zahl der Gerechtigkeiten blieb das ganze Jahrhundert hindurch praktisch konstant, wenngleich nicht immer alle Bäckereien betrieben wurden; die Zahl der in den Backstuben insgesamt beschäftigten Gesellen lag 1715 bei 78, am Ende des Untersuchungszeitraumes, im Jahr 1806, bei 72, was auf eine relative Stabilität des Stellenmarktes der Gesellen hinweist.33 Als Nahrungsmittelhandwerker konnten die Bäcker zwar eine stete Nachfrage verzeichnen, bekamen aber auch Teuerungskrisen deutlich zu spüren. Die Handwerkerakten der Bäcker beinhalten zahlreiche, sich quer durch das Jahrhundert ziehende Klagen über eine unzureichende "Nahrung' und große wirtschaftliche Notlagen, sie belegen aber auch ein deutliches Gefölle zwischen einer kleinen Zahl wohlhabender Meister und einer großen Anzahl weniger bemittelter bis armer Meister. Mit den Badern, denen sowohl die medizinische als auch die mit der allgemeinen Körperpflege verbundene Betreuung der Menschen oblag, haben wir - so der Befund Reinhold Reiths - "ein vergleichsweise wohlhabendes Handwerk" vor uns.3'' Wie bei den Bäckern ergab sich der hohe Kapitalbedarf auch bei den Badern aus der Notwendigkeit, ein spezielles Gebäude, hier eine Badstube, zu kaufen oder eine solche zu pachten. Die während des Untersuchungszeitraumes relativ konstant bleibenden Meisterzahlen - Reiths Statistik verzeichnet für die Jahre 1701, 1720 und 1730 je zwölf Meister, für 1755 15, für 1781 13 und für 1789 14 Meister35 - sowie die durchgehend gute Beschäftigungslage der Gesellen weisen auf eine stabile wirtschaftliche Lage hin. 1702 wurden in zwölf Badstuben insgesamt 20 Gesellen beschäftigt, 1767 waren es bei 13 Badern 33 Gesellen, und im 33 34 35

Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 72-73. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 71. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 72.

24 Jahr 1806 beschäftigten die 27 Bader und Barbiere - hier verfugen wir über keine getrennten Angaben - zusammen 46 Gesellen. 36 Die Buchbinder stellten neben der eigentlichen Buchbinderarbeit - dem Falzen, Heften, Planieren, Beschneiden und Einbinden der Druckerzeugnisse - auch Futterale für unterschiedlichste wertvolle oder empfindliche Gegenstände her. Für die Gründung einer Werkstatt benötigten sie ein mittleres Anfangskapital. Das Handwerk weist bis kurz nach der Jahrhundertmitte steigende Meisterzahlen auf: während 1701 noch 25 Meister arbeiteten, waren es 1755 bereits 40 Meister; ihre Zahl reduzierte sich jedoch bis 1781 auf 33 und unterschritt 1806 mit 24 Meistern knapp den Stand am Jahrhundertbeginn.57 Der Gesellenbesatz in diesem Handwerk war insgesamt relativ niedrig: in den 1730er Jahren arbeiteten in den etwa 36 Werkstätten 30 Gesellen, 1760 standen bei 34 Meistern nur noch 20 Gesellen in Arbeit und 1788 in 32 Werkstätten 22 Gesellen, 1806 schließlich beschäftigten die noch vorhandenen 24 Meister 17 Gesellen." Während die wirtschaftliche Lage der Meister ihren Klagen zufolge in der ersten Jahrhunderthälfte aufgrund der stark steigenden Meisterzahl und der daraus resultierenden verschärften Konkurrenz, später wegen allgemeinem Arbeitsmangel schwierig war, hatten die Gesellen unter sinkenden Beschäftigungsmöglichkeiten und ab der Jahrhundertmitte durch eine restriktive Zulassungspolitik zum Meisterrecht zu leiden. Bei den Goldschlagern, die das von zahlreichen (Kunst-)Handwerkem benötigte Blattgold und -silber produzierten und sowohl für den regionalen Bedarf als auch fur den Export arbeiteten,39 bedurfte es eines mittleren bis hohen Anfangskapitals. Auch in diesem Handwerk, das es nur in wenigen deutschen Städten gab, stiegen die Meisterzahlen im Untersuchungszeitraum zunächst an und sanken dann erheblich: von 26 Meistern im Jahr 1701 wuchs das Handwerk bis 1730 auf 40 Meister, danach stürzte die Zahl geradezu ab: 1755 zählte man nur noch 27, 1789 24 und 1806 nur noch 14 Meister. 40 Ebenso drastisch sank die Zahl der beschäftigten Gesellen, denen es in diesem Handwerk bei guter Beschäftigungslage erlaubt war, sich als Gesellen zu verheiraten. Während 1694 noch 30 Gesellen arbeiteten, waren es 1765 nur noch neun und 1806 schließlich nur noch fünf Gesellen.41 Die umfangreiche unzünftige Konkurrenz vor Ort sowie der Aufstieg des Nürnberger und Fürther Blattgoldes brachten nach 1730 erhebliche Absatzprobleme mit sich. Innerhalb des Handwerks kam es zu einer deutlichen sozialen Dif36

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40 41

Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 71. Wenngleich die Bader und Barbiere an sich zwei voneinander separierte Handwerke waren, wurde ihre schriftliche Hinterlassenschaft nicht getrennt aufbewahrt und finden sich mancherlei handwerksspezifische Angaben ungeschieden. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 59. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 66. Reith nennt die Drahtzieher, Goldschmiede, Bildhauer, Goldpapiermacher, Buchbinder und andere Kunst- bzw. Luxushandwerker. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 48. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 40. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 199.

25 ferenzierung, die darin sichtbar wird, daß eine Reihe von Meistern als Tagelöhner oder in der Werkstatt eines Mitmeisters 'gesellenweise' arbeiten mußte. Zum Arbeitsfeld der Schneider gehörte neben der Anfertigung neuer Kleidungsstücke auf Bestellung auch das Flicken gebrauchter Kleider. Die Eröffnung einer Werkstatt erforderte ein vergleichsweise geringes Kapital. Wohl aus diesem Grund litt das Handwerk während des gesamten Untersuchungszeitraumes trotz eines an sich strengen Zulassungsreglements, das jedoch durch viele Dispensationen aufgeweicht wurde, unter einer massiven Übersetzung: 1701 arbeiteten 145 Meister, 1755 waren es bereits 225 und 1789 schließlich 228, danach erst sank die Zahl langsam auf 191 Meister im Jahr 1806.42 Während im Jahr 1712 rund zwei Drittel der Meister ohne Gesellen arbeiten mußten, manche sogar 'gesellenweise' bei Meisterkollegen, erscheint das Verhältnis der Meister- zu den Gesellenzahlen 1806 etwas entspannter: die 191 Meister konnten nun immerhin 131 Gesellen beschäftigen.43 Wenngleich die Vielzahl der Klagen über Nahrungslosigkeit auf große Armut schließen lassen, offenbart der genaue Blick in die Quellen und auf die Verteilung der Gesellen auf die einzelnen Werkstätten, daß es auch in diesem Handwerk eine deutliche soziale Binnendifferenzierung gab. Die Zimmerleute, die keineswegs nur im Hausbau beschäftigt waren, sondern vielfältige Arbeiten zu erledigen hatten - z.B. die Herstellung von Pressen für Buchdrucker, Kattundrucker und Zeugmacher, den Bau von Webstühlen, Bänken, Stiegen, Fensterstöcken u.v.m. - , benötigten ebenfalls ein vergleichsweise eher niedriges Anfangskapital, mußten aber häufig hohe Summen für das Meisterstück aufbringen. Die Zahl der Meister nahm im Verlauf des Jahrhunderts ab und spiegelt so auch die Baukonjunktur vor Ort: während 1701 15 Meister arbeiteten, waren es bereits 1720 nur noch zehn, bis 1781 sank ihre Zahl auf sechs, 1806 gab es wieder acht Meister.44 Die Beschäftigungslage für die Gesellen, die sich in diesem Gewerbe - sofern sie und ihre Bräute einen ausreichenden Verdienst nachweisen konnten - wie die Goldschlagergesellen im Gesellenstand verheiraten durften, wurde im Verlauf des Untersuchungszeitraumes deutlich schlechter: die immer weniger werdenden Meister beschäftigten zunächst im Schnitt je 20 bis 28 Gesellen, 1806 aber sind für die acht Meister insgesamt nur noch 90 Gesellen belegt.45 Die Zinngießer, zu deren Erzeugnissen hauptsächlich Speisegeschirr und Trinkgefäße, Kannen, unterschiedlichste Dosen, Pokale, Leuchter und ähnliches gehörten, waren aufgrund der teuren Werkstoffe und Gerätschaften ein Handwerk mit hohem Kapitalbedarf, das sowohl den lokalen wie auch den regionalen und überregionalen Markt bediente. Während die Zahl der Meister bis über die Jahrhundertmitte zunächst noch stark anstieg - von sieben Meistern im Jahr 1701 auf 16 Meister 1755 und 18 Meister 1758 sind für 1806 nur noch acht Meister zu 42 43 44 45

Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 25. Vgl. R. Bettger, Das Handwerk, S. 187. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 67-69. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 200 sowie R. Bettger, Das Handwerk, S. 189.

26 verzeichnen. Auch in diesem Handwerk sank die Zahl der beschäftigten Gesellen drastisch: in der ersten Jahrhunderthälfte standen noch durchgehend 18 bis 20 Gesellen in den Werkstätten; 1758 arbeiteten bei insgesamt 18 Meistern nur noch sechs Gesellen, 1806 kamen auf die acht Werkstätten wiederum sechs Gesellen. Die Zinngießer waren ein stark familienorientiertes Gewerbe, sie lehrten hauptsächlich ihre eigenen Söhne und erschwerten fremden Gesellen den Zugang zum Meisterrecht. Die harte innerhandwerkliche Konkurrenz sowie Tendenzen zur Spezialisierung hatten zur Folge, daß eine Reihe von Meistern im Verlag für Mitmeister produzierte. Die zunehmende Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage traf also nicht alle Meister gleichermaßen, sondern führte zu einer spürbaren innergewerblichen Differenzierung.44 Der jeweilige Kapitalbedarf eines Handwerks und die Entwicklung der Meisterzahlen, die im vorausgehenden dargestellt wurden, bildeten zwei der drei Auswahlkriterien; in der Zusammenschau mit dem dritten Kriterium, der Kategorisierung nach 'eher weiblichen' bzw. 'eher männlichen' Tätigkeitsfeldern entwachsenen Handwerken, ergeben sich folgende Zuordnungen: 'eher weibliche' Tätigkeitsfelder Bäcker (Nahrungsmittelhandwerke) mittlerer bis hoher Kapitalbedarf konstante Meisterzahlen Bader (Gesundheits- u. Körperpflege) hoher Kapitalbedarf relativ konstante Meisterzahlen Schneider (Textilverarbeitung) niedriger Kapitalbedarf stark steigende Meisterzahlen

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'eher männliche' Tätigkeitsfelder Buchbinder (Holz- u. Papierverarbeitung) mittlerer Kapitalbedarf erst steigende, dann sinkende Meisterzahlen Goldschlager (Kunst- u. Veredelungshandwerke) mittlerer bis hoher Kapitalbedarf erst steigende, dann sinkende Meisterzahlen Zinngießer (Metallverarbeitungshandwerke) hoher Kapitalbedarf erst steigende, dann sinkende Meisterzahlen Zimmerleute (Bauhandwerke) niedriger Kapitalbedarf sinkende Meisterzahlen

Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 50-52.

27 Diese hier tabellarisch veranschaulichten Auswahl- und Vergleichskriterien werden im dritten Teil der Arbeit (Kapitel III) besondere Relevanz erhalten, wenn die im zweiten und Hauptteil der Untersuchung (Kapitel II) sichtbar gemachten Arbeitsfelder von Meisterfrauen, Meisterwitwen, Meistertöchtern und Mägden in einem übergeordneten Arbeitsschritt anhand dieser Kriterien miteinander in Bezug gesetzt werden. Sollten sich anhand dieser Typisierungen signifikante Übereinstimmungen zwischen Handwerken erweisen, ließe sich fragen, ob und inwieweit solche auf hier nicht untersuchte Gewerbe der gleichen Kategorie übertragen werden können. Am Anfang der Studie (Kapitel I) steht die Frage nach der Stellung von Frauen im Augsburger Recht. Hier gilt es, die Verschärfung der Geschlechtsvormundschaft im 17. Jahrhundert und ihre Ausgestaltung im 18. Jahrhundert aufzuzeigen und in ihrer Bedeutung für die betroffenen Frauen zu hinterfragen. Da sowohl das eheliche Güterrecht als auch das Erbrecht die wirtschaftlichen Möglichkeiten von Frauen stark beeinflußten, sind diese gleichsam als Hintergrund zu eruieren. In Kapitel II wird - gegliedert nach den genannten Frauengruppen - im engen Bezug auf das Handwerk im wesentlichen nach den Meisterfrauen, Witwen, Töchter und Mägde betreffenden Bestimmungen der Zunftordnungen, nach ihren Tätigkeitsfeldern in den Handwerksbetrieben, aber auch nach eventueller außerhäuslicher Lohnarbeit oder einer anderweitigen selbständigen Tätigkeit gefragt werden. Je nach Familienstand ergeben sich für die Frauen dann weitere unterschiedliche Fragestellungen: Während die Besorgung des Haushaltes eine zentrale Aufgabe für die 'Meisterinnen' war - hier sind drei Arbeitsfelder zu bedenken: die eigentliche Besorgung des Haushaltes, die Versorgungsarbeit für mitwohnendes Gesinde sowie die Familienarbeit im engeren Sinn - , erweiterte sich der Verantwortungsbereich der Witwen in der Werkstatt erheblich, so daß nach ihren Handlungsfeldem in Werkstatt und Zunft - nach ihren Führungsfunktionen, nach ihren Rollen als 'Arbeitgeberinnen', nach Gesellenzahlen und nach der Fortführung des Handwerks ohne Gesellen - ebenso zu fragen ist wie nach der wirtschaftlichen Lage der Witwen - Schulden aus der Ehe, strukturelle oder geschlechtsspezifische Armut, Unterstützungsmöglichkeiten - sowie nach ihrem Verhalten in Konkurrenzkonflikten und nach den Konfliktpartnern. Im Hinblick auf die Meistertöchter werden die Möglichkeiten einer schulischen sowie der Rahmen einer handwerksspezifischen Ausbildung zu hinterfragen sein. Weitere Themen bilden die Versorgungsleistungen von ledigen Töchtern für alte Eltern, aber auch Erbstreitigkeiten und Versuche, anstelle von Brüdern zum Meisterrecht zu gelangen. Für die Mägde gilt es, über die konkreten Arbeitsfelder hinaus auch nach dem Ausbildungsaspekt des Mägdedienstes zu fragen sowie nach der Gesamtdauer ihres Dienstes, nach ihrem Status in der Stadt, und - auf dem Hintergrund der zeitgenössischen stereotypen Gesindeschelte - nach ihrem Ansehen, nach der Dauer der einzelnen Dienste, nach ihrer 'Treue' und ihrem 'Fleiß'. Die Problematisierung von Ehescheidungen, Verwitwung, Wiederverheiratung oder auch der Übergabe des

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Handwerks an die nächste Generation, aber ebenso der Erstehen von Meistertöchtem und Mägden, von Partnerwahl und Heiratsgut wird die Kapitel abschließen, denn im Zunfthandwerk war das, was wir heute als privaten Bereich empfinden, nicht von der Arbeitssphäre zu trennen. Im Anschluß an dieses, den Schwerpunkt der Arbeit bildende Kapitel werden diese Befunde auf der Basis der bereits erläuterten Vergleichskriterien systematisiert und ein Versuch einer handwerksübergreifenden Analyse unternommen (Kapitel III). In Kapitel IV schließlich wird die Frage nach der Funktion von 'Geschlecht' im Zunfthandwerk gestellt werden. Dabei wird sich das Augenmerk einmal auf die Konstruktion von 'Geschlecht' als Strategie konkurrierender Handwerke richten, zum anderen nach dem Umgang von Frauen mit 'Geschlecht', konkret in ihren Argumentationsstrategien und Handlungsweisen, gefragt werden. Ziel ist es, herauszufinden, wie 'Geschlecht' als Ausgrenzungskriterium benutzt wurde, aber auch, wie Frauen an der Reproduktion dieser Kategorie mitwirkten oder sich gegen eine solche Kategorisierung der eigenen Person verwahrten. Wenngleich Kapitel III über weite Strecken die Befunde bereits zusammenfassend auswertet und in einer übergeordneten Fragestellung resümiert und auch Kapitel IV ein in sich geschlossenes und mit einer zusammenfassenden Interpretation endendes Kapitel darstellt, sollen im Schlußkapitel der Studie noch einmal die wichtigsten Aspekte und Erkenntnisse der Untersuchung reflektiert werden. Ein Themenbereich, der an sich eng mit dem Handwerk verbunden ist, bleibt in dieser Studie unberücksichtigt: die Ehre. Die Ehre bildete in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit eine zentrale Kategorie, deren Bedeutungsumfang kaum kurz zusammengefaßt werden kann. Ehre, so beschreibt sie Sabine Alfing, war "das prägende Ordnungs- und Orientierungsmoment im Leben der Menschen, sie bestimmte, begleitete und normierte das Verhalten sowohl einzelner als auch von Gruppen, sie regelte den täglichen Umgang miteinander".47 Jeder Stand hatte seine spezifischen Ehrnormen, die zwar nicht als Rechtsnormen fixiert waren, die aber dennoch jeder kannte - und kennen mußte, weil die Mißachtung dieser Normen schlimmstenfalls den 'sozialen Tod' einer Person bedeuten konnte. Für das Zunfthandwerk lassen sich im wesentlichen drei Relevanzbereiche von Ehre ausmachen: das Verhältnis zu den sogenannten 'unehrlichen Berufen', die 'ehrbare' Arbeit und die auf Körper und Sexualität bezogene Ehre.48 Insbesondere hinsichtlich des letztgenannten Punktes, der Sexualehre, deren Unversehrtheit gerade im Zunfthandwerk für Männer und Frauen von besonderer Bedeutung war, fand sich

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S. Alfing, Weibliche Lebenswelten und die Normen der Ehre, S. 26. Zu den 'unehrlichen Berufen' vgl. z.B. die Augsburger Fallstudie von Κ. E. Stuart, The boundaries of honor; Α. Griessinger, Das symbolische Kapital der Ehre; R. van Dülmen, Der ehrlose Mensch. Zur Ehre allgemein vgl. die Beiträge in dem 1998 erschienenen Band Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit, hrsg. von S. Backmann, H.-J. Künast, S. Ulimann, Β. A. Tlusty. Zur Sexualehre vgl. z.B. S. Lesemann, Arbeit, Ehre, Geschlechterbeziehungen, S. 64-69; L. Roper, 'Wille' und 'Ehre'; M. Dinges, Ehre und Geschlecht.

29 im Rahmen der Archivstudien für das vorliegende Forschungsprojekt eine solche Materialfulle, daß eine dem Thema angemessene Aufarbeitung den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würde.49

0.3 Quellenlage und Methode Die Archivbestände des Augsburger Stadtarchivs zur Handwerksgeschichte des 18. Jahrhunderts umfassen im wesentlichen die Handwerkerakten, die Protokollbände des 1722 eingerichteten und bis 1806 bestehenden Kunst-, Gewerbs- und Handwerksgerichtes (KGH) sowie die Handwerksordnungen. Während die berufsspezifisch und relativ chronologisch geordneten Handwerkerakten die Hinterlassenschaft der Handwerke selbst darstellen, handelt es sich bei den Handwerksgerichtsprotokollen um Aufzeichnungen der städtischen Gerichtsbarkeit.50 Die Handwerkerakten beinhalten gemäß ihrer Provenienz alle in den Bereich der Handwerksverwaltung fallenden und vom Handwerk bearbeiteten Vorgänge: dazu gehörten neben Zulassungsanträgen zum Meisterrecht Eingaben um diverse Sondergenehmigungen, sei es um Dispense von Wandeijahren, Ersitzjahren, Erlaß von Stillstandszeiten für die Annahme von Lehijungen, aber auch um die Erlaubnis von Werkstattübergaben oder um Heiratserlaubnis; daneben wurden publik gemachte werkstattinterne Streitigkeiten verhandelt sowie innergewerbliche Konkurrenzstreitigkeiten, aber auch Konflikte zwischen Handwerken wegen Übertretungen von Gewerbebefugnissen und Streitfälle aufgrund mangelhafter Produktion oder Dienstleistung; des weiteren erscheinen Schriftwechsel mit den 'Handwerksbrüdern' anderer Städte und anderes mehr. Die Protokolle des Handwerksgerichtes enthalten in der Regel knapp die mündlich abgegebenen Stellungnahmen von Klägern und Beklagten sowie die Entscheidungsvorschläge der Referendare. Im Gegensatz zu diesen beiden Quellengruppen, die vielfache Einblicke in die Rechtswirklichkeit und das soziale Gefüge der Lebenswelt der Handwerkerschaft gewähren, bilden die Handwerksordnungen die rein normative Ebene ab. Ging man lange davon aus, daß das fehlende Wissen über Frauen in der Geschichte seine Ursache darin hätte, daß Frauen in den Archivalien nicht erscheinen würden,51 zeigt sich das Problem hier anders gelagert: Die vorhandenen Quel49

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Eine erste Auswertung dieses Quellenmaterials beinhaltet der Beitrag Ch. Werkstetter,"... da ich mich leider mit meines Meisters Tochter in Puncto Sexti verfehlet". Vgl. R. Feile, Die Gewerbegerichtsbarkeit der Freien Reichsstadt Augsburg. A. Farge, Praxis und Wirkung der Frauengeschichtsschreibung, S. 32-33 erinnert - bezogen auf die Zeit zwischen 1970 und 1980 - an die "lange und bewegte Gründerzeit" der Frauengeschichtsschreibung, in der besonders "die in Vergessenheit geratenen Heldinnen, die Ausnahmegestalten, und die Gruppe der Unterdrückten, die stummen Opfer der Geschichte,"

30 len zur Handwerksgeschichte enthalten eine Fülle von 'Frauenfällen', die jedoch unter großem Leseaufwand Tierausgefiltert' werden müssen. Weder Register noch Marginalien erweisen sich als zuverlässige Hilfen, da Informationen zu Frauen häufig im Kontext von 'Männerfällen' erscheinen und jeweils die Namen der betroffenen Männer, nicht aber die der Frauen an exponierter Stelle stehen. Dies macht es erforderlich, das gesamte herangezogene Material zumindest quer zu lesen, was wiederum eine klare Eingrenzung des Untersuchungsfeldes erfordert. Diese Eingrenzung erfolgt zunächst durch die systematische Auswahl der Handwerke. Da aber aus den oben dargelegten Gründen alle Branchen Berücksichtigung finden sollen, weshalb sieben Handwerke zu untersuchen sind, ist es erforderlich, auch den Quellenbestand zu begrenzen. Bei der vollständigen Auswertung der Protokollbände des Handwerksgerichtes der ersten fünf Jahre nach seiner Einrichtung ergab sich im Vergleich mit den Handwerkerakten, daß der weitaus größere Teil der behandelten Fälle, die sich auf die ausgewählten Handwerke beziehen, auch in diesen Aktenbeständen der Handwerke sichtbar wird. Damit scheint der weitgehende Verzicht auf die etwa 80 umfangreiche Bände umfassenden Gerichtsprotokolle, die, soweit sinnvoll, punktuell herangezogen werden, tragbar. Die Handwerkerakten bilden somit die eigentliche Grundlage der Studie. Für diverse Fragestellungen wurden weitere Quellenbestände gezielt befragt, jedoch nicht umfassend ausgewertet. Diese Bestände werden in den betroffenen Kontexten dargestellt werden. Die notwendige Konzentration auf die Handwerkerakten bedeutet sicherlich eine Einschränkung, kann aber auch als Hilfestellung verstanden werden: Eine ganze Reihe der im Verlauf der Arbeit auftretenden Fragen verdiente eigenständige Forschungsarbeiten, die die Auswertung weiterer großer Quellenbestände erforderten, die vorliegende Studie aber 'aus dem Ruder laufen ließen'. Insofern können die Handwerkerakten als eine Art Achse gesehen werden, die den 'erlaubten' Bewegungsradius bestimmt. Die Hochwertigkeit, die diese Quelle zudem fur mein Forschungsinteresse besitzt, wird deutlich, wenn ich sie im folgenden als Quellengattung einordne. Analysiert man die Handwerkerakten nach den einzelnen Bestandteilen, die jeweils einen Vorgang ausmachen, so stößt man zunächst auf die Suppliken, mit denen sich die Einzelpersonen in handwerksspezifischen Dingen an den Rat wandten, um ihre Anliegen vorzutragen und um die Gewährung ihrer Bitte anzuhalten. Der Rat wies die Suppliken per Dekret an das Handwerksgericht - bzw. vor dessen Entstehung im Jahr 1722 an die jeweiligen Handwerksdeputierten - , dessen/ deren Aufgabe es war, die Gegenpartei oder - neutral formuliert - die zweite Partei - in der Regel das Handwerk selbst bzw. die Vorgeher, also die vom Handwerk gewählten Vertreter - zu befragen und dann einen Bericht mit einem

thematisiert worden seien und man "auf das Schweigen der Archive [verwies], um die Unterdrückung zu bezeugen, deren Opfer die Frauen sind".

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Entscheidungsvorschlag für den Rat zu verfassen. Dieser gutachterliche Bericht wurde in einer Ratssitzung verlesen, die dort getroffene Entscheidung 'per Decretum in Senatu' an die involvierten Parteien weitergegeben. Der Bericht des Handwerksgerichtes/ der Handwerksdeputierten ist das zweite wesentliche Schriftstück, das wir in den Handwerkerakten vorfinden. Das Dekret wurde in der Regel entweder in Reinschrift dem Vorgang beigelegt oder auf der Rückseite des Berichtes konzipiert, gelegentlich fehlt es auch.32 Die erweiterte Definition der Quellengattung 'Ego-Dokumente', die neben Selbstzeugnissen in Form autobiographischer Texte auch Verhörprotokolle vor Gericht und Supplikationen von Untertanen an ihre Obrigkeit umfaßt," erlaubt es, auch die Supplikationen von Handwerkern oder den Frauen aus dem Umfeld des (Zunft-)Handwerkes als solche zu verstehen. Aus Zediere Erläuterung des Begriffes 'Supplikation' im 'Großen vollständigen Universal-Lexikon' schließt Otto Ulbricht, daß man "traditionell zwei Arten von Supplikationen unterscheidet, einmal die Gnadensupplikation, zum anderen die Justizsupplikation". Während die Verfasser von Gnadensupplikationen sich "nur gegenüber dem Landesherren (oder den Ständen) darzustellen" brauchten, betrafen Justizsupplikationen "die Justiz, das Recht oder die Verwaltung". Als Kennzeichen dieser Gesuche nennt Ulbricht das Vorhandensein einer Gegenpartei, weshalb sich der Verfasser oder die Verfasserin "zwei 'Parteien' präsentieren" mußte, wobei sich die betreffende Person "als pflichtbewußter und sein gutes Recht suchender Untertan darfstellte]" [Kursivsetzung im Text, Ch.W.].54 Übertragen auf die Handwerkerakten und die Reichsstadt Augsburg heißt dies: Der Verfasser/ die Verfasserin einer Supplik wandte sich mit einem Anliegen an den Rat im Bewußtsein, daß Uber das Handwerksgericht auch das Handwerk befragt werden würde. Dies geschah in der Regel auch dann, wenn die Bitte an sich ein reines Gnadengesuch war und nicht auf normativ gestützten Anprüchen beruhte.

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Die Einrichtung des Kunst-, Gewerbs- und Handwerksgerichtes wurde im Kontext der Neuen Regimentsordnung von 1719 angeordnet und 1722 tatsächlich vollzogen, womit auch die Handwerkerdeputationen aufgelöst waren. Lediglich die Weberhausdeputation und alle ihr unterstehenden Handwerke blieben aus dem Zuständigkeitsbereich des Handwerksgerichtes ausgeschlossen. Zum Anlaß der Änderung der Regimentsordnung vgl. I. Bätori, Die Reichsstadt Augsburg, S. 34-39. Das KGH bestand aus sechs Richtern, den sog. 'Handwerksherren', die aus dem Kleinen Rat gewählt wurden und gewöhnlich Laien waren. Unter Wahrung der Parität saßen jeweils zwei von ihnen dem Gericht vor, alle sechs jedoch waren stimmberechtigt. Zwei rechtsgelehrte Referendare, die lediglich ein 'votum consultativum' hatten, verfaßten die Relationen, berichteten in den Gerichtssitzungen, erläuterten die rechtlichen Fragen und Anliegen der Parteien; zwei juristisch graduierte Actuare standen den Referendaren zur Seite. Vgl. R. Feile, Die Gewerbegerichtsbarkeit, S. 183-190. Vgl. hierzu den Band Ego-Dokumente, hrsg. von W. Schulze. Unmittelbare Selbstzeugnisse, wie sie U. A. J. Becher, Weibliches Selbstverständnis in Selbstzeugnissen, darstellt, finden sich für Augsburger Frauen der Handwerkerschaft leider nicht. O. Ulbricht, Supplikationen als Ego-Dokumente, S. 150-151.

32 Die in der Ich-Form verfaßte Supplik enthält - zumindest auf den ersten Blick - die Sichtweise ihres Autors/ ihrer Autorin. Der zweite und quellenkritische Blick wirft einige Fragen auf: Da ist zunächst die Tatsache, daß die Bittschrift in aller Regel nicht vom Bittsteller/ der Bittstellerin eigenhändig verfaßt wurde, sondern von einem juristisch geschulten Schreiber.55 Was erzählte der Supplikant/ die Supplikantin dem Schreiber? Inwieweit gibt der Text noch die Geschichte der Person wieder? Mußte der Schreiber sie durch formale Vorgaben, denen er als Notar oder Advokat verpflichtet war, soweit reduzieren, daß die individuelle Person nicht mehr wirklich greifbar ist? Was sind Floskeln, was ist individuell? Flossen seine persönlichen Geschlechterrollenvorstellungen mit in seine Darstellung ein oder formulierte er ein Anliegen bewußt oder unbewußt in einer Weise, von der er dachte, daß sie gängigen Geschlechterideologien entsprechen und so zu einem positiven Bescheid führen würde?54 Die Schwierigkeiten der Quelle liegen jedoch nicht nur in der möglichen Verfremdung durch diese Erzähler/inVerfasser-Problematik, sondern auch in der Frage nach dem 'Wahrheitsgehalt' des Sachinhaltes: Suppliken können subjektive Verzerrungen, gezielte Argumentationsstrategien oder schlichtweg Lügen beinhalten. Die Problematik der Entschlüsselung, das 'Herantasten' an die hinter der Supplik stehende Person weist also einige Schwierigkeiten auf. Welche Überprüfungsmodi stehen uns zur Verfugung? Otto Ulbricht verweist darauf, daß es häufig möglich sei, "die Angaben in den Supplikationen zu überprüfen, weil genau das auch die Behörden taten, denn sie forderten des öfteren Stellungnahmen von Beamten ein oder auch eine Darstellung der Gegenpartei".57 Dies trifft auch auf die Vorgehensweise des Augsburger Handwerksgerichtes zu und spiegelt sich in dessen Berichten, die aus drei Elementen bestehen: zunächst wurde der Inhalt der Bittschrift wiedergegeben, darauf folgte ein Abschnitt, in dem die Befragung der jeweils betroffenen Handwerksvorgeher und deren Haltung zur Sache dargestellt wurde; schließlich erläuterten die Gutachter ihre Sicht der Dinge und verfaßten einen Entscheidungsvorschlag für den Rat. Diese drei Abschnitte kennzeichnen die äußere Form praktisch aller Berichte und Gutachten des Handwerksgerichtes. Manchmal erschienen die Handwerksvorgeher nicht persönlich vor Gericht, um Rede und Antwort zu stehen, sondern verfaßten ihrerseits eine schriftliche Stellungnahme zu Vorgängen, so daß wir hier eine noch direktere Darstellung der ss

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R. Feile, Die Gewerbegerichtsbarkeit, S. 192 stellt dar, daß es sich seit der Einfuhrung des KGH und der damit verbundenen verstärkten Einsetzung von Rechtsgelehrten als zweckmäßig erwiesen habe, "auch in Handwerksangelegenheiten rechtsgelehrte Prozeßvertreter zu beauftragen". Solche 'professionellen' Prozeßvertreter waren 'Advocaten und Schriftensteller', 'Procuratores und Practici'; diese Bezeichnungen wurden, so Liedl, synonym gebraucht. E. Liedl, Gerichtsverfassung und Zivilprozeß, S. 116-117. Zu diesen Überlegungen vgl. C. Ulbrich, Zeuginnen und Bittstellerinnen; S. Möhle, Ehekonflikte, S. 16-19 und in bezug auf Verhörprotokolle als Texte ("Der Richter als Autor") U. Gleixner, "Das Mensch" und "der Kerl", S. 19-25. O. Ulbricht, Supplikationen als Ego-Dokumente, S. 154.

33 Gegenpartei in Händen haben. Diese Vorgehensweise unterschied sich nicht wesentlich von der, die vor der Einrichtung des Handwerksgerichtes üblich war, nur daß bis dahin anstelle des Handwerksgerichtes die den Handwerken obrigkeitlich gesetzten Deputationen agierten.58 Das Lesen der Suppliken als Ego-Dokumente wird viele aufschlußreiche Hinweise auf den Ort von Frauen im Zunfthandwerk geben. Die Versuche der Auflösung der angesprochenen quellenimmanenten Problematik werden sich durch die gesamte Studie ziehen, besondere Relevanz erhalten sie aber hinsichtlich der Fragen nach Argumentationsstrategien und Wahrnehmungsweisen. Wenngleich alle Darstellungen kritisch zu hinterfragen sind, beinhalten Suppliken auch Informationen, die in einer direkteren Weise - also mit etwas weniger Fragezeichen, wenn auch nicht ohne solche - aufgenommen werden können: Da manche Aussagen zu Frauen und deren Tätigkeiten nebenbei und eher unbeabsichtigt einflossen - so beispielsweise wenn ein Sachverhalt, der sich nicht eigentlich auf Frauen bezog, in einem größeren Kontext geschildert wurde spiegeln diese Äußerungen wohl relativ unverzerrt den 'Normalzustand'. Winfried Schulze stellt fest, "daß die im Rahmen von juristisch-administrativen Befragungen entstandenen Quellen immer nach dem Motto 'Zwischen den Zeilen und gegen den Strich', d.h. gegen ihren unmittelbaren Sinn gelesen werden müssen".59 Dies gilt auch für Suppliken. Die Handwerkerakten beinhalten aber wie dargelegt - nicht nur die Ego-Dokumente 'Suppliken', sondern zugleich auch die Kontrollinstanzen in Form der Äußerungen der Handwerksvorgeher und der Gutachter des Handwerksgerichtes. Dieses Zusammentreffen der Wahrnehmungen und Meinungen dreier Parteien ermöglicht sowohl handwerksgeschichtliche als auch mentalitäts- und geschlechtergeschichtliche Erkenntnisse im Hinblick auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen und -erfahrungen von Männern und Frauen. Mein Verständnis von Suppliken als 'Selbstzeugnisse' von Menschen, als 'EgoDokumente', verweist bereits auf meine Wahrnehmung des 'Untersuchungsgegenstandes': Daß in dieser Studie weitgehend auf eine quantifizierende Darstellung verzichtet wird, hat auch, aber nicht nur mit der Qualität der Quellen zu tun. Mir scheint es wichtig, die Personen, die - so ausschnitthaft dies auch oft ist - in den Quellen sichtbar werden, als denkende, fühlende, agierende und reagierende Individuen zu betrachten, ihr Handeln, mit dem sie ihre 'Wirklichkeiten' hervorbrachten, wahrzunehmen. Mit der Konzentration auf das 'Tun' der Menschen und auf den Bedeutungsgehalt, den sie diesem 'Tun' beimaßen, sieht sich diese Untersuchung auch im Kontext einer Kulturgeschichte, die von einem semiotischen Kulturbegriff ausgeht und sich der folgenden Sichtweise des amerikanischen Ethno58

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Zur Verfahrensweise des Handwerksgerichtes vgl. R. Feile, Die Gewerbegerichtsbarkeit, S. 197. W. Schulze, Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte?, S. 26. Vgl. auch den von Schulze zitierten Beitrag von R.-E. Mohrmann, Zwischen den Zeilen und gegen den Strich.

34 logen Clifford Geertz anschließt: "Ich meine mit Max Weber, daß der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe. Ihre Untersuchung ist daher keine experimentelle Wissenschaft, die nach Gesetzen sucht, sondern eine interpretierende, die nach Bedeutungen sucht."60 Für Geertz gleicht in der Folge "Ethnographie betreiben [...] dem Versuch, ein Manuskript zu lesen (im Sinne von 'eine Lesart entwikkeln'), das fremdartig, verblaßt, unvollständig, voll von Widersprochen, fragwürdigen Verbesserungen und tendenziösen Kommentaren ist, aber nicht in konventionellen Lautzeichen, sondern in vergänglichen Beispielen geformten Verhaltens geschrieben ist".61 Um den sozialen Diskurs, die sozialen Handlungen, deuten zu können, benutzen die Ethnographen das Verfahren der 'dichten Beschreibung'. '"Dichte Beschreibung' ergibt sich" - so Hans Medick - "aus der Notwendigkeit, Neues, Fremdes, Unbekanntes und Schwer-Interpretierbares in den zu erforschenden 'Texten' einer Kultur in Form einer beschreibenden Rekonstruktion in möglichst umfassender Weise präsent zu halten."62 Der Gewinn der Anwendung dieses kulturanthropologischen Verfahrens in der historischen Forschung und die Distanz zu 'traditionellen' sozialwissenschaftlichen Methoden liegt darin, daß sich die Konzentration zunächst vollständig auf den 'Eigen-Sinn' des Quelleninhaltes richtet, daß die Quellen also nicht lediglich dahingehend instrumentalisiert werden, an sie herangetragene Theoriemodelle zu bestätigen oder zu widerlegen. Die "Interpretation [bewegt] sich zuerst einmal in dem von der Quelle gebotenen Sinnzusammenhang [...] und versucht, diesen in all seinen Facetten auszuloten. Erst danach setzt ein Prozeß der Systematisierung der symbolischen Interpretation ein."63 Die 'dichte Beschreibung' scheint mir gerade auf einem so stark ideologieanfälligen Forschungsfeld wie der Frauen- und Geschlechtergeschichte eine hervorragende Methode des Erkenntnisgewinns zu sein, in der - wie es Carola Lipp formuliert - "sicher eine Chance [liegt], sich den Strukturen der Geschlechterbeziehung behutsam anzunähern, weibliche und männliche Erfahrungen in all ihren Facetten darzustellen".64 Läßt sich auf die vorliegende Studie bezogen der Weg der 'dichten Beschreibung' systematisierend veranschaulichen? Wie oben erläutert wurde, war der äu-

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C. Geertz, Dichte Beschreibung, S. 9. C. Geertz, Dichte Beschreibung, S. 15. Das "Manuskript", der Text, von dem hier die Rede ist, ist keineswegs identisch mit dem "Text" der dekonstruktivistischen Literaturtheorie, für die - so Ute Daniel in ihrem Überblick über die aktuellen Debatten in der Geschichtswissenschaft - "Schlüsse von der Ebene des Textes auf die Ebene der diese Texte produzierenden und rezipierenden Menschen tabu sind". U. Daniel, Clio unter Kulturschock, S. 203, vgl. dort auch S. 208-209. H. Medick, "Missionare im Ruderboot"?, S. 61. C. Lipp, Überlegungen zur Methodendiskussion, S. 33. Das Verhältnis der historischen Anthropologie zu 'Globaltheorien' (Marx, Weber, Elias, Foucault) thematisiert auch R. van Dülmen, Historische Anthropologie, S. 50-54. C. Lipp, Überlegungen zur Methodendiskussion, S. 34.

35 ßere Verfahrensweg in Handwerksangelegenheiten weitestgehend festgelegt, so daß von diesem ausgehend das Tun der beteiligten Akteure dargestellt werden kann. Folgende Personen, Gruppen und Aspekte sind hier zu berücksichtigen: 1. Die supplizierenden Personen: Was beschrieben, forderten, erbaten die eine Supplik einreichenden Personen? Wie begründeten sie ihre Eingabe? 2. Das Handwerk: Welche Stellungnahmen gaben die Vorgeher und Geschworenen des betroffenen Handwerks ab? 3. Das Handwerksgericht: Welche Maßnahmen traf das Gericht? Was berichteten die Verordneten des Handwerksgerichts an den Rat? Welche Entscheidungsvorschläge stellten sie diesem anheim? 4. Der Rat: Welche Entscheidung traf er? Folgte er dem Gutachten des Gerichtes? 5. Weitere Ämter: Waren weitere Ämter oder Personen beteiligt? Welche Stellungnahmen gaben sie ab? Auf der Basis der möglichst vielschichtig gebündelten Darstellungen und Beobachtungen kann schließlich das zweite der 'dichten Beschreibung' immanente Element, die quellennah interpretierende Analyse der jeweiligen Handlungsmotivationen der Beteiligten geleistet werden. Mit Hilfe dieser Methode können wir tiefgreifende Einblicke in die jeweiligen Interessenlagen, in die Wahrnehmungs-, Erfahrungs- und Deutungsmuster der in und im Umfeld von Zunfthandwerken lebenden und arbeitenden Menschen wie auch der Angehörigen der reichsstädtischen Obrigkeit erhalten, wenngleich wir die Distanz, die Fremdheit zwischen diesen und uns niemals völlig Uberwinden können.

0.4 Vorbemerkungen zu 'Arbeit' - 'Familienökonomie' - 'Ganzes Haus' Der Begriff 'Arbeit' wird in der modernen Gesellschaft meist konnotiert mit bezahlter Berufsarbeit außer Haus. Dies war nicht immer so. Petra Rentschier stellt in einem Forschungsbeitrag über Frauenarbeit deutlich heraus, daß das Muster "Arbeit = Erwerbstätigkeit = außerhäusliche (Lohn)Arbeit" für die Zeit vor der Industrialisierung nicht gültig ist, daß es statt dessen nur dazu beiträgt, daß die von Frauen geleistete Arbeit nicht angemessen wahrgenommen wird: "Wer von Frauenarbeit in diesem Zeitraum spricht, muß von Familienökonomie sprechen."65 Mit dem modernen Begriff der 'Erwerbsarbeit' im Sinne von bezahlter Berufstä65

P. Rentschier, Lohnarbeit und Familienökonomie, S. 223. Vgl. hierzu auch P. Eggers, Frauenarbeit im Handwerk, S. 109-110; dies., Lebens- und Arbeitswelt, S. 274; O. Hufton, Weiblicher Alltag, S. 138-139 sowie S. Lorenz-Schmidt, Vom Wert und Wandel, S. 15-16. Die Bedeutung der Familienökonomie betont auch J. Bennett, Medieval Women, Modem Women.

36 tigkeit jedenfalls kann ein Großteil der Frauenarbeit in der hier behandelten Epoche nicht erfaßt werden.66 Wo liegen die Unterschiede? Heide Wunder hat den Entwicklungsprozeß der Arbeitsorganisation seit dem 11./12. Jahrhundert als Prozeß der "Familiarisierung von Arbeiten und Leben" bezeichnet: die bäuerliche und die gewerbliche Produktion verlagerte sich "von den herrschaftlichen Großhaushalten in die kleinen Haushalte, deren Kern das selbständig wirtschaftende Ehepaar mit seinen Kindern bildete".67 Diese Familienökonomien arbeiteten nun einerseits für den Bedarf des Marktes und andererseits für die Selbstversorgung. "Ziel des gemeinsamen Wirtschaftens von Mann und Frau war der standesgemäße Unterhalt, die 'Nahrung'."68 In den meisten städtischen Handwerken lebten - wie zu zeigen sein wird - auch noch im 18. Jahrhundert Lehrlinge und Gesellen sowie Mägde im Haushalt der Meisterschaft mit. Wohnen, Leben und Arbeiten bildeten keine voneinander getrennten Sphären. Alle in einer Haushaltung lebenden Personen trugen mit ihrer Arbeitskraft zum Erhalt der Nahrung und zur Befriedigung der Bedürfnisse bei, was, wie wir sehen werden, nicht immer konfliktfrei vor sich ging. Eine Trennung in produktive und konsumtive Bereiche kannte man nicht.6' Auf einer theoretischen, normsetzenden Ebene beschrieben die zahlreichen Ökonomielehren der Frühen Neuzeit, die sogenannte 'Hausväterliteratur', die Ökonomie - begrifflich abgeleitet von der griechischen Bezeichnung 'Oikos' für das Haus - , also die Haushaltung, einerseits als hierarchisch strukturierten Personalverband, der die mit Kindern und Gesinde lebenden 'Hauseltern' umfaßte und vom 'Hausvater' dominiert wurde, andererseits als Arbeits- und Wirtschaftsraum, in dem die Tätigkeitsfelder personell deutlich zugewiesen waren:70 "Die alteuropäische Ökonomik beeinflußte vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert über mehr 66

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H. Wunder, Historische Frauenforschung, S. 39 hält fest: "Ebenso einfach wie grundlegend ist es, sich von einem engen ökonomischen Begriff von Frauenarbeit zu lösen, um den Beziehungen zwischen Arbeiten und Leben seit dem hohen Mittelalter auf die Spur zu kommen." Für das Mittelalter weist Peter Ketsch, Frauen im Mittelalter, S. 10 daraufhin, daß sich der moderne Arbeitsbegriff, "da er meist als außerhäusliche, entlohnte Erwerbstätigkeit im Gegensatz zur unentlohnten häuslichen Tätigkeit (der Frauen) verstanden wird", nicht eignet, um die Rolle der Frauen "im Produktions- und Reproduktionsprozeß der gesellschaftlichen Entwicklung des Mittelalters" zu untersuchen. Ch. Vanja, Frauenarbeit in der vorindustriellen Gesellschaft, S. 261 plädiert in Anlehnung an anthropologische Arbeiten für einen wesentlich weiteren Arbeitsbegriff: "Nicht nur alle häuslich-reproduktive Arbeit im Rahmen der täglichen Versorgung der Familie, sondern auch das Gebären von Kindern zählte und zählt in vorindustriellen Gesellschaften zur Arbeit." H. Wunder, "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 96; vgl. auch dies., Frauen in der Gesellschaft, S. 132. H. Wunder, Zur Stellung der Frau, S. 245. Vgl. auch Ch. Vanja, Zwischen Verdrängung und Expansion, S. 459. Zum Begriffsinhalt der Nahrung vgl. R. Blickle, Nahrung und Eigentum. Vgl. H. Wunder, Frauen in der Gesellschaft, S. 130-131. Vgl. J. Burkhardt, Wirtschaft, S. 551-553; ders., Das Haus, der Staat und die Ökonomie, bes. S. 171; ders., Frühe Neuzeit, S. 20; P. Münch, Lebensformen, S. 191-232; J. Hoffmann, Die 'Hausväterliteratur'.

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als ein halbes Jahrtausend das Denken über die Sicherung und Gestaltung des Daseins und fand in den Lehren vom Haushalten einen Ausdruck."71 Seit der Sozial- und Wirtschaftshistoriker Otto Brunner eine Entwicklungslinie von den antiken Ökonomielehren über die christliche Hauslehre zur 'Hausväterliteratur1 der Frühen Neuzeit nachgezeichnet hat und für diese Sozialform des Arbeitens und Lebens unter einem Dach den Begriff 'Ganzes Haus' aufgenommen hat, wird dieses Konzept in der Forschung nachhaltig rezipiert.72 Brunners "Hauptinteresse galt der Hausväterliteratur, in der er - modern gesprochen - eine Theorie der Subsistenzwirtschafl mit ökonomischen, moralischen, sozialen und religiösen Aspekten identifizierte. Mehr noch: diese in modernen Gesellschaften und Gesellschaftstheorien strikt getrennten Bereiche sah er in der Hausväterliteratur als unzertrennliche Einheit repräsentiert, eines das andere bedingend und eine emphatische Ganzheit bildend. Diese Ganzheit der Prinzipien war sozial im Haus verankert, sie konstituierte das 'ganze Haus'."73 Während Wilhelm Heinrich Riehl den Begriff des "ganzen Hauses" Mitte des 19. Jahrhunderts in der "Vorstellung eines vornehmlich autarken, selbstgenügsamen Hauses, das auf der - als Naturgesetz postulierten - Ungleichheit der Geschlechter beruhte und patriarchalischautoritär vom Hausvater zu regieren war," modernitätskritisch gegen seine eigene Zeit setzte, in der er nur Verfall wahrnehmen konnte,74 nahm Brunner den Begriff aufgrund seiner Quellennähe auf. Er schien ihm geeignet, die Wirtschaftsweise vor 1800 in ihrer Eigenheit und Andersartigkeit im Vergleich zur Gegenwart zu beschreiben. Sein Anliegen und seine Nutzungsweise unterschieden sich also sehr deutlich von der ideologischen Dimension, die dem 'Ganzen Haus' bei Riehl immanent war.75 Gleichwohl erfuhr das Brunnersche Konzept in den letzten Jahren aus unterschiedlichen Perspektiven vielerlei Kritik, die den deutlichen Impetus hat, die Fachwelt zu bewegen, vom Gebrauch dieses Konzeptes abzusehen. Es ist hier nicht der Ort, die Debatte im einzelnen nachzuzeichnen, sie soll aber auch nicht unangesprochen bleiben: Ein besonders schwerwiegender Vorwurf gegen Brunner ist der der Nähe zum Nationalsozialismus, die seine Begriffsbildung beeinflußt habe.76 Daneben wird kritisiert, daß seiner Epochenbildung 'Alteuropa', das den Zeitraum vom 12. bis zum 18. Jahrhundert umfaßt, zwei Mängel anhaften: zum einen würde er damit sozialen Wandel nicht erfassen, zum anderen einen voll71 72 73 74

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I. Richarz, Haushalten in Geschichte und Gegenwart, S. 9. Vgl. O. Brunner, Das "ganze Haus" und die alteuropäische "Ökonomik". W. Troßbach, Das 'ganze Haus', S. 278. I. Richarz, Das ökonomisch autarke 'Ganze Haus', S. 279; vgl. auch dies., Oeconomia, S. 329 sowie D. W. Sabean, Property, production, and family, S. 89-90. Daß Riehl den Begriff des "ganzen Hauses" keineswegs selbst erfand, betont Paul Münch und verweist darauf, daß dieser "vielfach bereits in den Texten des 16. bis 18. Jhs." erscheint, wenn auch "ohne die restaurative romantische Emphase des 19. Jhs.". P. Münch, Artikel "Hausväterliteratur", S. 16. Vgl. O. G. Oexle, Sozialgeschichte - Begriffsgeschichte - Wissenschaftsgeschichte. Vgl. insbesondere R. Jiitte, Zwischen Ständestaat und Austrofaschismus.

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ständigen Bruch am Ende der Epoche annehmen lassen.77 Trotz der Kritik, die eine ideologiekritische Lektüre von Brunners Arbeiten erfordert, findet - so Reinhard Blänkner - sein "Beitrag zur Begriffsgeschichte zurecht allgemeine Anerkennung",78 und wird von Hans Derks betont, daß "[v]on Aristoteles bis heute [...] das 'Haus-Oikos'-Konzept von Teilen einer Elite als Metapher für die ganze Gesellschaft verwendet worden [ist], als politisches Modell für die Ordnung der Ökonomie oder die Geschlechterverhältnisse." Derks sieht es als Aufgabe, "zu analysieren, wie eine bestimmte Gesellschaft in einer bestimmten Periode auf die Versuche reagiert hat, sie in das Prokrustesbett des Oikos-Modells zu zwingen".79 Dies scheint eine interessante Aufgabenstellung: sie verdeutlicht in ihrem Ansatz, daß das 'Ganze Haus' ein theoretisches Konzept darstellt, ein Normensystem, nicht aber soziale Praxis abbildet. Welcher Bezug besteht überhaupt zwischen Brunners 'Ganzem Haus' und dem städtischen Handwerk sowie mit den diesen Handwerken verbundenen Frauen? Obwohl das Konzept des 'ganzen Hauses' an der ländlichen Gesellschaft orientiert war, findet sich die dieses Haus konstituierende Lebens- und Arbeitsweise auch in der Stadt und im städtischen Handwerk: Wie schon angesprochen, waren bei einer Vielzahl von Handwerken - eine nahezu 'klassische' Ausnahme bildeten die Bauhandwerke - die Wohn- und Arbeitsstätten räumlich nicht getrennt, und das zünftige wie das Hausgesinde lebte bei seinen 'Brotherren'. Damit finden sich die in der Hausväterliteratur normativ beschriebenen personalen Beziehungen auch im Handwerk. In einer idealtypischen Übertragung hieße dies: der Meister stand als 'Hausvater' dem Haus vor, unterstützt wurde er durch die Meisterin - die 'Hausmutter' - , die ihrem Mann Gehorsam schuldete; gemeinsam übten sie elterliche Pflichten gegenüber ihren Kindern und Herrschaftsrechte gegenüber dem Gesinde, dem untersten häuslichen Stand, aus. Männliches Gesinde war dem Mann zugeordnet, weibliches der Frau. Während dem Hausvater gemäß der Norm der eher äußere Arbeitsbereich oblag - auf das Handwerk bezogen, die Werkstatt - , war fiir den inneren Bereich - die Haushaltung - die Hausmutter zuständig. Die Frage, wie sich Arbeit, Arbeitsbeziehungen und Geschlechterverhältnisse im Arbeitsalltag gestalteten, ist Gegenstand der Untersuchung.

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Einen Einblick in die Diskussion gibt ein Tagungsbericht von R. Blänkner, Spät-Alteuropa oder Früh-Neuzeit. Zur Debatte vgl. z.B. C. Opitz, Neue Wege der Sozialgeschichte?; H. Derks, Über die Faszination; V. Groebner, Außer Haus; D. W. Sabean, Property, production and family, S. 88-123, bes. S. 91-92; C. Ulbrich, Shulamit und Margarete, S. 14-24. R. Blänkner, Spät-Alteuropa oder Früh-Neuzeit?, S. 561; vgl. auch R. Dürr, Mägde in der Stadt, S. 13-15. H. Derks, Über die Faszination, S. 241.

I.

Frauen im Augsburger Recht

Wenn ich an den Beginn meiner Untersuchung ein Kapitel Uber die rechtliche Stellung von Frauen setze, geht es mir keineswegs um eine bloße Gegenüberstellung von Ήοπη' und 'Wirklichkeit'. Zu Recht hat Bea Lundt - ebenso wie andere der Frauenforschung und Geschlechtergeschichte verbundene Forscherinnen darauf hingewiesen, wie problematisch es ist, zu versuchen, "weibliche Inferiorität der Norm anzulasten und triumphierend darauf zu verweisen, wie sich die Alltagspraxis über die offizielle Rollenzuweisung hinwegsetzt".' Wenngleich die normativen Vorgaben keinesfalls mit der Realität des täglichen Lebens gleichgesetzt werden dürfen - Rechtsnormen sind statisch und gewähren weder Einblick in die Spielräume und Bewegungsfreiheiten innerhalb der rechtlichen Grenzen noch in die im Alltag eventuell akzeptierten Grenzüberschreitungen - , spiegeln sie doch pointiert formuliert die Ordnungsvorstellungen der Rechtsgelehrten bzw. der rechtsetzenden Obrigkeiten wider. Zugleich aber ist "Recht [...] ein prägnanter Ausdruck sozialer Wirklichkeit"2 - und diese soziale Wirklichkeit konstituiert sich natürlich nicht allein durch obrigkeitliche Setzungen, sondern ist Resultat des Agierens und Reagierens der einer Gemeinschaft zugehörigen Menschen. Normative Strukturen sind - so Gerhard Dilcher - "ein bestimmender Teil der Lebenswirklichkeiten, doch nicht identisch mit diesen".3 In welcher Weise Frauen und Männer mit den gesetzten Normen konfrontiert waren, welchen Umgang sie mit ihnen pflogen - ob sie sich ihnen unterwarfen, mit ihnen argumentierten oder sie zu unterlaufen suchten - wird Thema späterer Kapitel sein. Für den Gesamtzusammenhang der vorliegenden Arbeit ist es erforderlich, die Ausgestaltung der Rechtsbereiche, die das Verhältnis von Männern und Frauen auf normativer Ebene definierten, und die, die sich auf die Sicherung und den Fortbestand des familialen Besitzes bezogen, kurz darzustellen: die Geschlechtsvormundschaft und die Ehevogtei, das eheliche Güterrecht und das Erbrecht. Augsburg hatte als Reichsstadt eine Gesetzgebungsgewalt, die der landesherrlichen entsprach. Nach der Reichskammergerichtsordnung von 1495 mußten reichsstädtische Ordnungen und Statuten bei der Rechtsprechung berücksichtigt werden, solange sie redlich, ehrbar und leidlich waren.4 In der Reichshofratsordnung von 1654 wurde festgeschrieben, daß das römisch-justinianische Recht im ganzen Reich subsidiär gelten, also das partikulare Recht über dem Gemeinen Recht stehen sollte: Es galten zuerst die gebührlichen allegierten und probierten

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B. Lundt, Einleitung, S. 15. U. Gerhard, Gleichheit ohne Angleichung, S. 35. G. Dilcher, Die Ordnung der Ungleichheit, S. 56. Zitiert nach H. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 342.

40 Privilegia, gute Ordnungen und Gewohnheiten und in Mangel derselben die kaiserlichen Rechte und rechtmäßige Observationes und Gebräuche,5 Somit basierte die Rechtsprechung in Augsburg auf dem Statutarrecht, das vom Gemeinen Recht abweichen durfte und durch dieses nur ergänzt wurde, wenn für die Urteilsfindung keine spezifische Rechtsgrundlage vorhanden war. Der Verfasser der "Abhandlung über die Abweichung der Augsburgischen Statuten vom Gemeinen Recht", der Königlich Bayerische Kreis- und Stadtgerichtsrat Johann Joseph von Huber, hielt es 1821 für nützlich, mittelst dieses Werkes einen kurzen Abriß des Augsburgischen Statutar-Rechts zu entwerfen, und dadurch die Schwierigkeit zu beseitigen, welche denjenigen aufstößt, die hier das Richteramt zu verwalten, oder die juridische Praxis auszuüben haben, und dabey wegen der großen Zahl der hierher gehörigen einzelnen Dekrete und Verordnungen, aus welchen die Kenntniß der Statutar-Rechte geschöpft werden muß, oft in großer Verlegenheit sind.6 Obwohl für die hier besonders relevanten Aspekte mit der sogenannten Oberpflegordnung eine 1729 gedruckte Sammlung aller Dekrete vorliegt, mit denen die Vormund- und Beistandschaften über und für Frauen, aber auch Güter- und Erbrechtsfragen geregelt worden waren,7 erweist sich von Hubers Abhandlung als ausgesprochen hilfreich fiir das Verständnis und die Interpretation der rechtlichen Fragen. Im Jahr 1779 wurde diese Pflegordnung mit geringfügigen Abänderungen, die jedoch - wie man es vielleicht für das ausgehende 18. Jahrhundert annehmen möchte - keinesfalls eine Lockerung der Geschlechtsvormundschaft und der Ehevogtei beinhalteten, erneut in Druck gegeben.8

1.1 Die Geschlechtsvormundschaft und die Ehevogtei 1.1.1 Begründungen und Ausformungen im Wandel Die gesellschaftliche Position der Menschen war in der Frühen Neuzeit abhängig von dem Stand, in den sie hineingeboren wurden. Die Zugehörigkeit zum gleichen Stand bedeutete jedoch für Männer und Frauen nicht automatisch die gleiche rechtliche Stellung. Gerhard Dilcher spricht von einem "Geflecht der Ungleichheiten", das die ständische Gesellschaft prägte und zu dem auch das Geschlecht 5

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Zitiert nach H. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 357. Vgl. hierzu auch E. Koch, Die Frau im Recht der Frühen Neuzeit, S. 74. J. J. von Huber, Abhandlung, S. ΠΙ-IV. Vgl. StAA, OS, Oberpflegordnung 1729. Vgl. StAA, OS, Pflegordnung 1779.

41 gehörte.' Noch im 18. Jahrhundert besaß der Hausvater die Vertretungs- und Verfügungsgewalt für und über alle Personen, die in seinem Haus lebten. Um den Hausfrieden zu bewahren, mußte er nach innen für Gehorsam sorgen, nach außen das Haus verteidigen. Es bedurfte "einer Herrschaftsgewalt des Hausherrn, die die im Frieden des Hauses lebenden Leute schützt und für sie haftet".10 Diese hausväterliche Gewalt bedeutete für die Mitglieder des Hauses faktisch eine Einschränkung ihrer Mündigkeit, soweit es sich um Belange der Arbeit und des Lebens im Haus handelte. Zugleich bedeutete sie für den Hausvater selbst aber auch ein hohes Maß an Verantwortung: er war es, der juristisch zur Rechenschaft gezogen wurde, wenn sich seine Hausgenossen und -genossinnen etwas zuschulden kommen ließen." Seine Fähigkeit sowohl zur Verteidigung als auch zur Aufrechterhaltung seiner Ήausgewalt, war eng verknüpft mit seiner männlichen Ehre.12 Nicht nur das Gesinde einschließlich der Lehrlinge und Gesellen eines Handwerksmeisters unterstanden dieser hausväterlichen Gewalt, sondern auch dessen Kinder und - wenn auch in stark abgeschwächter Form - die Ehefrau. Darüber hinaus wurden Frauen aber noch durch eine besondere Form der Vormundschaft in ihrer rechtlichen Selbständigkeit eingeschränkt, und diese Vormundschaft basierte allein auf ihrer Geschlechtszugehörigkeit. Die ursprüngliche Begründung der Vormundschaft aufgrund des Geschlechts lag darin - so der allgemeine Forschungstenor - , daß man Frauen für unfähig hielt, Waffen zu tragen und eine Fehde zu führen. Wer nicht in der Lage war, seine eigenen Rechte ohne Hilfe eines anderen zu verfolgen, wer also nicht wehrfähig war, durfte auch seine Rechtsgeschäfte nicht ohne Beistand führen.13 "Aus dieser Perspektive" - so Heide Wunder - "leuchtet ein, daß die Vormundschaft die rechtliche und gerichtliche Position der Frauen schützen und stärken sollte, da sie in der Regel nicht über die gleichen Machtmittel wie Männer verfügten.""1 Wenn nun die Vormundschaft über Frauen mit ihrer Fehdeunfähigkeit begründet wurde, hätte diese Vormundschaft aufgehoben werden müssen, als mit der zunehmenden Monopolisierung der Gewalt in den Händen des Staates die permanente Verteidigungsbereitschaft überflüssig wurde. Statt dessen fand sich im 16. und 17. Jahrhundert eine neue, bis weit in das 19. Jahrhundert hinein wirkende Argumentation für die Vormundschaft, nämlich "daß theils wegen der Unerfahrenheit der Weiber mit den Verkehrsverhältnissen und in bürgerlichen Angelegenheiten überhaupt, theils wegen der ihnen eigentümlichen Nachgiebigkeit und Weichheit des Charakters es oft als wünschenswert erscheinen muß, daß sie

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G. Dilcher, Die Ordnung der Ungleichheit, S. 72. O. Brunner, Das "ganze Haus" und die alteuropäische "Ökonomik", S. 108. Vgl. z.B. H. Wunder, "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 231. Vgl. hierzu z.B. M. Dinges, Ehre und Geschlecht, S. 130-133. Vgl. z.B. W. T. Kraut, Die Vormundschaft, Bd. 1, S. 30-31; vgl. weiter E. Holthöfer, Die Geschlechtsvormundschaft, S. 408. H. Wunder, "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 246.

42 wichtige Geschäfte nicht ohne Zuziehung eines erfahrenen und Zutrauen verdienenden männlichen Rathgebers abschließen".15 Diese Begründung bedeutete einen Rückschritt, denn mancherorts standen Frauen bereits seit dem 13. Jahrhundert in einer besseren rechtlichen Situation. Um Rechtssicherheit im Wirtschaftsleben herzustellen, war Kauffrauen, also Frauen, die allein oder gemeinsam mit ihren Ehemännern ein Gewerbe führten, die Haftung für ihre ökonomischen Handlungen übertragen worden. Dies bedeutete schließlich auch eine stärkere Verfügungsgewalt über ihr Vermögen." Allerdings sind hier deutliche regionale Unterschiede zu beachten: Während beispielsweise Gernot Kocher für Österreich einen Abbau der auf dem Geschlecht beruhenden Benachteiligungen von Frauen seit dem 13. Jahrhundert konstatiert,17 zeigt Gerhard Köbler für so große Handelsstädte wie Regensburg und Magdeburg, daß nicht einmal Kauffrauen eine Verbesserung ihrer Geschäftsfähigkeit erreichten.18 Insgesamt führten Prozesse, wie der der Aufweichung der Geschlechtsvormundschaft (z.B. in Österreich), ihr Fehlen (z.B. in München), ihre Nichtnachweisbarkeit (z.B. in Konstanz und Göttingen) sowie letztlich die verbesserte Geschäftsfähigkeit von Kauffrauen zur Einschätzung, daß "die Zeit ab dem 13. Jahrhundert [...] von einer Rechtsentwicklung geprägt [ist], die nachgerade modern anmutet".19 Der Bruch in dieser Entwicklung gehört - so Dieter Schwab - "zu den erklärungsbedürftigen Erscheinungen der Rechtsgeschichte".20 Ursula Floßmann zeigt zwei Erklärungsansätze auf: zum einen die Rezeption des römischen Rechts, zum andern den "Zeitgeist des 16. und 17. Jahrhunderts", der "die im Mittelalter stark ausgeprägte Tendenz der Frauenbefreiung aufzuhalten und sogar umzukehren" vermochte, da bei der Kodifizierung des Gewohnheitsrechtes in der Territorialgesetzgebung nicht der "fortschrittlichefn] Rechtszustand des ausgehenden Mittelalters" aufgenommen, sondern auf Rechtsinstitute zurückgegriffen wurde, "die der Auffassung einer natürlichen Minderbegabung der Frau entgegenkamen".21

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W. T. Kraut, Die Vormundschaft, Bd. 2, S. 320; vgl. auch G. Dilcher, Die Ordnung der Ungleichheit, S. 63. " Vgl. z.B. E. Ennen, Frauen im Mittelalter, bes. Kap. ΠΙ; D. Schwab, Schutz und Entrechtung, S. 91-92; U. Floßmann, Die Gleichberechtigung der Geschlechter, S. 127-129; G. Schmelzeisen, Die Rechtsstellung, S. 93-107; E. Holthöfer, Die Geschlechtsvormundschaft, S. 409-412. 17 Vgl. G. Kocher, Die Frau im Rechtsleben, S. 156. Die Geschlechtsvormundschaft - und erst später die Ehevogtei - ist nach U. Floßmann, Die Gleichberechtigung der Geschlechter, S. 123, "in Österreich, aber auch in den böhmisch-mährischen Rechten nur mehr in unbedeutenden Rudimenten zu finden". 18 Vgl. G. Köbler, Das Familienrecht, S. 156. " U. Floßmann, Die Gleichberechtigung der Geschlechter, S. 129. 20 D. Schwab, Schutz und Entrechtung, S. 86. 21 U. Floßmann, Die Gleichberechtigung der Geschlechter, S. 129-132. E. Holthöfer, Die Geschlechtsvormundschaft, S. 415 führt aus, daß die Zeit für die Umsetzung der römischen Ordnung noch nicht reif gewesen sei: "Im Gegenteil, der Zeitgeist der Frühen Neuzeit, der an 'Finsternis' dem in vieler Hinsicht toleranteren Mittelalter jedenfalls nicht nachstand, nahm

43 Dieter Schwab schließlich sieht den Wendepunkt in der im 16. und 17. Jahrhundert endgültig vollzogenen Verwissenschaftlichung des Rechts: Da die Juristen nun "Begründungen für ihre Regeln vorweisen wollen, war der Rückgriff auf die 'Schwäche' der Frau unvermeidlich, eine Schwäche, die im Zeitalter eines rationalen Geschäfts- und Gerichtswesens nicht mehr bloß eine körperliche sein konnte, vielmehr intellektueller und moralischer Natur sein mußte".22

1.1.2 Die Geschlechtsvormundschaft über ledige volljährige Frauen Als der Augsburger Rat am 9. März 1641 ein Dekret unter dem Titel Offher Anschlag der ledigen und verheyrathen Weibs-Personen Handlungen und Contract betreffend erließ, folgte er damit dem Löbl. Exempel etlicher benachbarten Churtmd Fürsten. In diesem Dekret wurde bestimmt, daß hinfiiro alle und jede Unverheyrathe / sie haben ihre 25. Jahr erraicht / oder nit / in wichtigen zu ihrem Schaden leichtlich raichenden Sachen ohn Rath / Zuthun / Wissen und Willen gewisser an der Ober-Pfleg ihnen zugeordneter Beystände [...] einige importirliche Handlung oder Contract, wie die Namen haben / nicht eingehen sollen oder mögen. Zuwiderhandlungen sollten nicht nur an sich selbsten null / krqffttos und unbündig seyn, sondern auch bestraft werden. Der Rat selbst wies in diesem Dekret darauf hin, daß die neue Regelung vom Gemeinen Recht abwich. Man hielt dies jedoch für erforderlich und begründete die Abweichung damit, daß man die bey dem Weiblichen Geschlecht insgeheim haffieten Motive[n], nämlich Blödigkeit und eigne[r\ Unerfahrenheit ausschalten wolle und aus Vätterlicher Fürsorg die genannten Vorkehrungen getroffen habe." Daß die Augsburger Obrigkeit mit dieser Sichtweise tatsächlich keineswegs alleine stand, zeigt Emst Holthöfers umfangreiche Darstellung von "Gegenden, in denen der spätmittelalterliche Emanzipationsprozeß im 16. Jahrhundert zum Stillstand kam oder gar rückläufig wurde".24 Bei der Drucklegung der Augsburger Pflegordnung von 1779 wurden die Bestimmungen zur Geschlechtsvormundschaft über ledige Frauen in Paragraph XL VI. erneut aufgenommen und etwas genauer dargestellt. Dabei wird deutlich, daß ledigen volljährigen Frauen die Verwaltung ihres Vermögens selbst oblag, so-

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nun gewisse geradezu frauenfeindliche Züge an und verfestigte die Vorherrschaft des Mannes sowohl im Haus als auch in der Öffentlichkeit." D. Schwab, Schutz und Entrechtung, S. 94. Vgl. auch U. Gerhard, Gleichheit ohne Angleichung, S. 152-153 sowie G. Schmelzeisen, Die Rechtsstellung, S. 109-112. StAA, OS, Oberpflegordnung 1729, VIII. Offner Anschlag der ledigen und verheyrathen Weibs-Personen Handlungen und Contract betreffend, 9.3.1641. E. Holthöfer, Die Geschlechtsvormundschaft, S. 419-424.

44 lange sie sonst hierzu nicht untüchtig sind. In gerichtlichen und außergerichtlichen wichtigen Sachen, Schließung wichtiger Kontrakten, Veräußerungs- Verpfändung- und Kapitalsanlegungssachen, auch andern bedenklichen Fällen war Rat und Zustimmung der Beistände erforderlich.25 Die Geschlechtsvormundschaft ging jedoch, wie diese Beschreibung zeigt, über eine bloße Beistandschaft nicht hinaus. Zwar war die Zustimmung der Beistände zu Rechtsgeschäften die Voraussetzung dafür, daß diese überhaupt rechtsgültig werden konnten, die Beistände lediger Frauen hatten aber keine Vermögensverwaltung inne, das heißt, daß kein Vermögensinventar erstellt werden mußte und auch jegliche Rechnungslegung durch die Frauen entfiel. Rechtlich blieb die handelnde Person immer die Frau, so daß dritte Personen nie die Beistände haftbar machen konnten. Diese Möglichkeit bestand jedoch für die Frauen, wenn sie schlecht beraten worden waren und deshalb Schaden erlitten hatten.26 Da die Frauen das Recht hatten, sich ihre Beistände selbst auszuwählen, war diese Form der Vormundschaft in der Regel von nicht allzu großer Tragweite. Eine Beistandschaft konnte jederzeit von einer der beiden Seiten aufgekündigt werden, wobei die Frauen verpflichtet waren, neue Beistände zu benennen. Rechtliche Gültigkeit erlangte diese Wahl der Beistände aber erst durch die Bestätigung des Oberpflegamtes. 27 Von dieser Form der Geschlechtsvormundschaft betroffen waren in unserem Kontext erwachsene unverheiratete Meistertöchter sowie Mägde. Anders als alle Vermögenstransaktionen blieben ihre persönlichen Entscheidungen - wie Verlobung, Eheschließung oder Eintritt in ein Dienstverhältnis - von der Vormundschaft unberührt.28

1.1.3 DieEhevogtei Mit der Eheschließung endete für noch minderjährige Frauen die väterliche Vormundschaft, für volljährige Frauen die Geschlechtsvormundschaft. Verheiratete Frauen unterstanden der eheherrlichen Gewalt, der Ehevogtei. Diese 'cura maritalis' war die umfassendste Form der Vormundschaft über Frauen, und die rechtli25

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StAA, OS, Pflegordnung 1779, Siebenter Titel. Von Beystandschaften der Frauen und Jungfern, § XLVI., 9.3.1641. Vgl. W. T. Kraut, Die Vormundschaft, Bd. 2, S. 313-318. Vgl. für Augsburg J. J. von Huber, Abhandlung, S. 32. Die Ernennung der Beistände "nach dem Willen der Frau" betont auch D. W. Sabean, Allianzen und Listen, S. 466. Er weist daraufhin, daß jede Frau ihre Vormünder entlassen konnte, so oft sie dies wollte, und daß sie "so viele Vormünder bestellen [konnte], wie sie Geschäfte abzuwickeln hatte. Sie war nicht gezwungen, ein Rechtsgeschäft mit ein und derselben Person zu Ende zu führen". Vgl. hierzu auch W. T. Kraut, Die Vormundschaft, Bd. 2, S. 297-298 sowie D. W. Sabean, Allianzen und Listen, S. 467.

45 che Stellung einer Ehefrau war - so Ernst Holthöfer - am Ende des Mittelalters "hinter dem Rechtsstatus, den das römisch-justinianische Recht ihr zubilligte, noch immer um ein Beträchtliches zurück".29 Keine verheiratete Frau konnte alleine einen Prozeß anstrengen oder einen als Beklagte eigenständig durchstehen: Ein ieglih fi-owe diu fur gerihte gan wil oder muz [...] sol einen vormunt han vor gerihteDiese Rechtssetzung aus dem Jahr 1276 galt auch im 18. Jahrhundert, wenngleich Frauen nun voll prozeßfähig waren.31 Jeder Ehemann hatte als Ehevogt die Pflicht, seine Frau vor Gericht zu vertreten. Während Wilhelm Theodor Kraut davon ausging, daß ausschließlich der Ehemann zu dieser Vertretung befugt gewesen sei,32 ist einem Augsburger Ratsdekret vom 30. April 1711, das in der Sache keine Neuerungen enthält, zu entnehmen, daß es keinem Eheweibe ohne ihres Mannes oder ordentlicher Beystände Zuthun erlaubt seyn [soll], vor Rath, oder Gericht noch sonst zu litigieren oder in Prozeß sich einzulassen,33 Verheiratete Frauen hatten also durchaus ein Anrecht, sich durch einen anderen als den Ehemann vertreten zu lassen. Über diese verordnete Unselbständigkeit in gerichtlichen Angelegenheiten hinaus, waren Ehefrauen - mit Ausnahme der Frauen, die mit ihren Ehemännern eine Handlungssozietät führten oder selbständige Kauffrauen waren34 - aber auch im vermögensrechtlichen Bereich sehr begrenzt handlungsfähig. Hatten sie bereits hinsichtlich der Verwaltung und der Verfügungsgewalt über gemeinsames Ehevermögen praktisch kein Handlungsrecht, wurden ihre Rechte durch das Dekret vom 9. März 1641 in einem weiteren Bereich erheblich beschränkt: ohn Einwilligen ihrer klugen und fürsichtigen Ehe-Vögten oder, bei deren Abwesenheit, zweier Beistände, sollten Frauen zukünftig entgegen dem Gemeinen Recht auch bezüglich ihrer Paraphernal-Güter, also ihrem neben der Mitgift eingebrachten Sondervermögen, nicht mehr frei handeln und Verträge schließen dürfen.35 An dieser Beschränkung änderte sich auch dann nichts, wenn die eheliche Vormundschaft des Mannes über seine Frau dadurch aufgehoben wurde, daß sich die Frau mit Hilfe von zwei selbstgewählten und oberpflegamtlich bestätigten Beiständen ge29 30 31 32 33 34

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E. Holthöfer, Die Geschlechtsvormundschaft, S. 414. Ch. Meyer, Das Stadtbuch von Augsburg, Art. LX, S. 129. Vgl. E. Liedl, Gerichtsverfassung und Zivilprozeß, S. 66. Vgl. W. T. Kraut, Die Vormundschaft, Bd. 2, S. 329. Ratsdekret vom 30. April 1711, zitiert nach J. J. von Huber, Abhandlung, S. 10. Vgl. hierzu G. Schmelzeisen, Die Rechtsstellung der Frau, S. 93-112; S. 99-100 nennt Schmelzeisen mehrere Belegstellen für die Befreiung der Augsburger Kauffrauen von der Ehevogtei, so das Stadtrecht von 1276, einen Eintrag in das Ratsprotokollbuch von 1432 sowie eine Passage in der Chronik von Achilles Pirminius Gasser aus dem 16. Jahrhundert. StAA, OS, Oberpflegordnung 1729, VIII. Offner Anschlag der ledigen und verheyrathen Weibs-Personen Handlungen und Contract betreffend, 9.3.1641. Insofern ist auch HansJoachim Heckers Feststellung, daß die Frau über ihr Paraphernalvermögen "frei verfügen konnte", nicht ohne die dargestellte Einschränkung richtig. Vgl. H.-J. Hecker, Das Augsburger Statutarrecht, S. 166; eine Einschränkung der freien Verfügung sieht Hecker nur im Zusammenhang mit einem von der Frau mitverschuldeten Konkurs.

46 gen ihren Ehevogt selbst wandte. In einem solchen Fall mußten die Beistände in die geschäftlichen Belange der Frau einwilligen; der Ehemann konnte dann nur noch seine Rechte am Vermögen der Frau vor Gericht vertreten, nicht jedoch die Frau und ihre Rechtsgeschäfte selbst.36 Die Oberpflegordnung des Jahres 1779 bestätigte die 1641 ausgeweitete Ehevogtei noch einmal.37 Damit lag Augsburg nicht in dem von Ernst Holthöfer schon für die Zeit gegen Ende des 18. Jahrhunderts ausgemachten "breiten, Deutschland von den Küsten bis in die Alpenländer durchziehenden Kordon von Territorien, in denen jede erwachsene Frau, ob verheiratet oder nicht, die volle Handlungsfähigkeit besaß".3' So sehr die Ehevogtei eine freie Verfügung der Ehefrauen über ihr Vermögen beschränkte, bedeutete dies - wie David W. Sabean ausführt - keineswegs, daß ein Ehemann "das Eigentum seiner Frau ohne ihre Zustimmung beleihen oder zur Begleichung seiner eigenen Schulden einsetzen konnte".3' Unmittelbare Verfügungsgewalt besaßen Ehefrauen über die Güter des Haushaltes, in dieser Hinsicht waren sie zu rechtskräftigem Handeln befugt.40 Daß insbesondere für die Ehefrauen von Handwerksmeistern auch der wirtschaftliche Handlungsrahmen relativ weit gefaßt war, war durch ihr breites Aufgabenfeld bedingt und wird noch sichtbar werden.

1.1.4 Die Geschlechtsvormundschaft über Witwen Mit dem Tod des Mannes endete die Ehevogtei, die Frau unterstand nach dem Augsburger Recht nun wieder der Geschlechtsvormundschaft. War eine Witwe kinderlos, galten für sie die gleichen Bestimmungen wie für ledige volljährige Frauen: Sie konnte ihr Vermögen selbst verwalten, mußte aber für den Abschluß gültiger Rechtsgeschäfte die Zustimmung von zwei Beiständen einholen. Ihre Beistände vertraten sie vor Gericht, konnten jedoch ihrerseits ohne Zustimmung der Witwe für diese keine rechtsgültigen Handlungen vollziehen.4' Welche Bestimmungen gab es für Witwen mit Kindern? Da Frauenspersonen selbst der immerwährenden Pfleg- und Beystandschaft unterworfen sind, waren sie grundsätzlich von der Übernahme einer Pflegschaft für andere Personen aus-

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Vgl. W. T. Kraut, Die Vormundschaft, Bd. 2, S. 331. Vgl. StAA, OS, Pflegordnung 1779, Siebenter Titel. Von Beystandschaften der Frauen und Jungfern. § XLVD (ohne Datum). E. Holthöfer, Die Geschlechtsvormundschaft, S. 425. D. W. Sabean, Allianzen und Listen, S. 463. Vgl. hierzu z.B. L. Schom-Schütte, Wirkungen der Reformation, S. 98-99. Vgl. StAA, OS, Pflegordnung 1779, Siebenter Titel. Von Beystandschaften der Frauen und Jungfern. § XL VI., 9.3.1641 sowie W. T. Kraut, Die Vormundschaft, Bd. 2, S. 313-318 und oben Kap. 1.1.2.

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geschlossen.42 Eine Ausnahme hiervon gab es nur für Witwen, die die Vormundschaft Uber ihre minderjährigen Kinder übernehmen durften, solange sie sich nicht emeut verheirateten.43 Allerdings wurden ihnen für diese Aufgabe zwei Beistände zur Seite gestellt, die die Interessen der Kinder vertraten, und denen die Mutter jährlich von ihrer Verwaltung ordentliche Anzeig und Rechnung schuldete. Anders als die kinderlose Witwe war die verwitwete Mutter also nicht alleinige Verwalterin des Vermögens, die Beistände hatten nicht nur Ratgeberfunktion, sondern waren auch Mit-Verwalter. Gemeinsam mit diesen mußte sie innerhalb eines Monats nach dem Tod des Mannes ein genaues Vermögensinventar anfertigen und beim Oberpflegamt hinterlegen. Die Tatsache aber, daß die Witt/rauen alles verwalten und administrieren und den Beiständen nur einmal im Jahr von solcher Verwaltung ordentliche Anzeig und Rechnung thun mußten, verweist darauf, daß die Kontrolle, der sie unterstanden, relativ locker war.44 Wie hätten sonst auch die alltäglichen Entscheidungen gefällt werden sollen? Daß es sich bei den genannten Bestimmungen dennoch um Aspekte der Geschlechtsvormundschaft handelte, wird deutlich, wenn diese mit den Rechten des verwitweten Vaters verglichen werden: Der Vater mußte längstens binnen eines Vierteljahrs ein Vermögensinventar fertigen, was unter Beiziehung von mütterlichen Verwandten geschehen sollte. Er blieb alleiniger Vormund der Kinder und deren Vermögensverwalter. Auch bei einer Wiederverheiratung sollte besagten Wittibern hierdurch an der Nutzung und Verwaltung der Kinder Guts nichts benommen seyn / sich auch angeregte Verpflegung allein auf den Actum deß Abkommens / und weiter nichts erstrecken.4S Die Pfleger wurden hauptsächlich zur Erstellung des Abkommbriefs, also zur Feststellung des Besitzes der Kinder benötigt, danach hatten sie lediglich die Möglichkeit der Beobachtung und eventuellen Anzeige von Pflichtverletzungen des Vaters.46 Im Unterschied dazu entschieden bei der Wiederverheiratung der Mutter die Pfleger der Kinder, ob diese bei ihrer Mutter bleiben durften oder nicht.47 Es fand sich jedoch im gesamten Quellenmaterial, das dieser Arbeit zugrunde liegt, kein einziger Hinweis darauf, daß einer Mutter bei einer erneuten Heirat die Kinder entzogen worden wären. Dennoch: Sie verlor nicht nur - zumindest de jure - die Vormundschaft über ihre Kinder, sondern mußte auch die Administration des väterlichen Vermögens der Kinder an die Pfleger übergeben. Es blieb ihr jedoch das Recht der Nutznießung dieses

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J. J. von Huber, Abhandlung, S. 14. Vgl. J. J. von Huber, Abhandlung, S. 15. StAA, OS, Oberpflegordnung 1729, II. Statutum der Wittibs-Personen halber, 15.11.1578. StAA, OS, Oberpflegordnung 1729, IX. Die Abkomms-Pflegere / Wittiber / und Wittiben / auch dem Kinder Vätter- und Mütterliches Gut / dessen Assecuration und Administration betreffend, 25.8.1644. StAA, OS, Pflegordnung 1779, Sechster Titel. § ΧΧΧΠ. Wenn der Vater zur andern Ehe schreitet, müssen Abkommpfleger bestellt werden (ohne Datum). StAA, OS, Oberpflegordnung 1729, II. Statutum der Wittibs-Personen halber, 15.11.1578.

48 Vermögens, solange die Kinder in ihrem Unterhalt stehen.'* Zu Ausnahmen hiervon konnte es kommen, wenn ein Ehevertrag oder das Testament des verstorbenen Ehemannes eine andere Regelung bestimmte/' Insgesamt sind hinsichtlich der Geschlechtsvormundschaft im Witwenstand also dreierlei Varianten zu unterscheiden: eine kinderlose Witwe befand sich in der gleichen rechtlichen Situation wie eine ledige volljährige Frau; für die Rechtslage verwitweter Mütter dagegen war ausschlaggebend, ob sie im Witwenstand verblieben oder eine neue Ehe eingingen. Die Möglichkeit, das Handwerk des verstorbenen Mannes fortzuführen, war jedoch, wie noch zu sehen sein wird, von den Bestimmungen der Geschlechtsvormundschaft unbeeinträchtigt.

1.2 Das eheliche Güterrecht Wenngleich das im Rechtsinstitut der Ehevogtei wurzelnde Recht des Ehemannes, das Vermögen seiner Frau zu verwalten, auf den ersten Blick den Eindruck erwecken mag, daß damit die Güterrechtsfrage aufgehoben gewesen sei, traf dies nicht zu: Die Ehevogtei sagt noch nichts über das geltende Güterrecht aus und ist - so Schmelzeisen - "scharf davon zu trennen".50 Es bleibt also die Frage, ob jeweils eine bloße Verwaltungsgemeinschaft oder aber eine eheliche Gütergemeinschaft vorlag.51 In der Reichsstadt Augsburg ga' es im behandelten Untersuchungszeitraum keine generell gültige Gütergemeii haft, wie Johann Joseph von Huber ausdrücklich betont.52 Für einige Ausna lefälle jedoch legte sie das Statutarrecht als gesetzlichen Güterstand fest: Diese isnahme galt für Eheleute, die zu den sogenannten 'vier Handwerken von der ο nen Tasche' gehörten, das waren die Weinund Bierwirte, die Bäcker, Metzge nd Hucker.53 Unter diese Regelung fielen auch die Ehefrauen der Kaufleute, c offene Läden führten; daneben nannte von Huber die Ehefrauen der 'Caffeesch xen' und Branntweiner sowie auch andere, welche zugleich mit ihren Ehemänt η gemeinsame Handelschaft und Gewerbe treiben [...] wo die Weiber offene L •n haben, und gleich ihren Ehemännern in Kaufen und Verkaufen, Geldeinnei zn und Ausgeben, auch gemeinschaftlich

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StAA, OS, Pflegordnung 1779, Sechsti weiten Verheyrathung (ohne Datum). StAA, OS, Pflegordnung 1779, Sechst und 27.3.1668. G. Schmelzeisen, Die Rechtsstellung dt Vgl. G. Köhler, Das Familienrecht, S. 1 J. J. von Huber, Abhandlung, S. 26. Vgl. StAA, OS, Pflegordnung 1779, Se< in gemeinschaftlichen Vermögen gestar

itel. § XXXVIII. Von dem Recht bey ihrer anderritel. § XXXIX (ohne Bezeichnung), 18.11.1578 rau, S. 112.

er Titel. § XLIV. Von Abkommen der Aeltem, die i, 10.7.1681.

49 handtiren,54 Diese 'zwangsweise' Gütergemeinschaft hatte den Zweck, dort, wo Frauen explizit als Geschäftspartnerinnen auftraten, hinsichtlich der Gültigkeit von geschlossenen Verträgen sowie der Haftbarkeit Rechtssicherheit für die beteiligten Personen zu schaffen." Das Ehepaar haftete gemeinsam mit seinem ebenfalls gemeinsamen Vermögen. Bei allen anderen Ehepaaren, die kein gemeinsames Gewerbe betrieben, mußte die Gütergemeinschaft im Heiratsvertrag ausdrücklich festgelegt werden, wenn sie gewünscht wurde.36 Wo Gütertrennung vereinbart war, haftete der Ehemann mit seinem Vermögen für die von ihm geführten Geschäfte. Zwar oblag ihm - aufgrund der Ehevogtei die Verwaltung des Vermögens seiner Frau, dieses genoß aber einen besonderen Schutz, denn das römische Recht, das in dieser Hinsicht Eingang in das Statutarrecht gefunden hatte, räumte dem Heiratsgut im Gesamtvermögen eine bevorzugte Stellung ein: Nach dem 'Senatus consultum velleianum' durfte eine Frau keine Bürgschaften übernehmen, auch nicht für ihren Ehemann, was letztlich zur Konsequenz hatte, daß ihr Besitz im Falle eines Konkurses nicht zur Konkursmasse gehörte, sondern für sie zurückbehalten wurde.'7 Allerdings setzte das Augsburger Recht hier einige Ausnahmeregelungen fest: Ehefrauen von Falliten, denen man aufgrund von Güterverschwendung eine Mitschuld am Konkurs anlasten konnte, verloren das Recht auf den Vorzug ihres Heiratsgutes ebenso wie die oben genannten Frauen, die mit ihren Männern in Gütergemeinschaft lebten.58 Wollte eine Frau freiwillig auf die sogenannten 'weiblichen Freiheiten' verzichten, mußte sie sich in die Stadtkanzlei begeben, wo ihr vom zuständigen Sekretär detailliert die Folgen eines solchen Schrittes erklärt wurden, bevor sie einen schriftlichen Verzicht leisten durfte.59 Die Form des zwischen einem Ehepaa: nicht nur Auswirkungen auf Eigentums- u folgenden darzustellen sein wird - auch erht

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ereinbarten Güterrechts hatte aber Haftungsfragen, sondern - wie im che Bedeutung für das Erbrecht.

J. J. von Huber, Abhandlung, S. 26-27; vgl. aucl -J. Hecker, Das Augsburger Statutarrecht, S. 166. Zur Diskussion der rechtegeschäftlichen Handlt smöglichkeiten vgl. E. Koch, Die Frau im Recht der Frühen Neuzeit, S. 82-83. Vgl. J. J. von Huber, Abhandlung, S. 26-27. Vgl. J. J. von Huber, Abhandlung, S. 7 und D. V abean, Allianzen und Listen, S. 467-468. Vgl. J. J. von Huber, Abhandlung, S. 7-10, der h hier auf die Kramerordnung von 1735, die Fallitenordnung von 1739 sowie die Pflegorc mgen bezieht. 10 und allgemein D. W. Sabean, AllianVgl. für Augsburg J. J. von Huber, Abhandlung zen und Listen, S. 467. Sabean verweist darauf, •,ß Frauen, die auf ihre 'weiblichen Freiheiten' verzichten wollten, mit einem Vormund vor . rieht erscheinen mußten.

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1.3

Das Erbrecht

In einem Erbfall war zunächst von Bedeutung, ob ein Paar einen Ehevertrag abgeschlossen oder ein Testament verfaßt hatte. Solche persönlichen Bestimmungen hatten in der Regel Bestand, sofern sie nicht rechtswidrig waren, also gegen das Gemeine Recht oder die Augsburger Statuten verstießen.60 Im Dekret vom 15. November 1578 wurde die TestierfMhigkeit der Witwen festgehalten, das heißt, es wurde ihnen erlaubt, von ihren selbst eigenen Gütern und Vermögen / aber weiter nicht / ordentliche / rechtmässige Testament und leisten Willen [...] aufzurichten. Dies war eine Verbesserung, auf die im Dekret hingewiesen wurde, denn bis dahin waren ihnen die Hände dermassen gebunden / daß sie / nach laut desselben / so gar auch in Testamenten und leisten Willen / weiter nicht / denn von ihren Le ibs =Kleyderη disponieren / und Ordnung machen können: Welches aber auch zu hart / und der Billichkeit gemeiner beschribenen Rechten ungemäß ist.61 Diese Neuerung stärkte die Position der Frauen im Familienverband sicher nicht unwesentlich, verfügten sie doch nun über eine gewisse Verteilungsmacht.62 Lag im Todesfall keine testamentarische Verfügung oder ein Ehevertrag vor und hatte ein Ehepaar in Gütertrennung gelebt, war nach dem Tod eines Gatten der überlebende Teil nur dann Alleinerbe, wenn keine Erben in ab oder aufsteigender Linie, als Kinder, Enkel, Urenkel, Aeltern, Großaeltern, Urgroßaeltern vorhanden waren. Seitenverwandte waren hier ausgeschlossen. Waren jedoch Erben der auf- oder absteigenden Linie vorhanden, hatte der verwitwete Partner keinerlei Erbansprüche." Die Tatsache, daß die Seitenverwandten in der Erbfolge keine Berücksichtigung fanden, entsprach nicht dem Gemeinen Recht, sondern war spezifisches Augsburger Recht.64 Mit dem Ausschluß sowohl der Seitenverwandten als auch der Ehepartner wurde letztlich das vorhandene Vermögen für die jeweiligen Herkunftsfamilien im engsten Rahmen gesichert. In solchen Fällen mutet die Ehevogtei besonders grotesk an, da der Ehemann Verwaltungs- und Verfügungsrechte über einen Besitz ausübte, der ihm nicht gehörte und niemals gehören würde.65

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Vgl. StAA, OS, Oberpflegordnung 1729, XIX. Vom Kinds=Theil der Wittiber oder Wittiben, 16.2.1675. StAA, OS, Oberpflegordnung 1729, II. Statutum der Wittibs=Personen halber, 15.11.1578. Vgl. H. Wunder, "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 244-246 sowie G. Dilcher, Die Ordnung der Ungleichheit, S. 61-62. StAA, OS, Pflegordnung 1779, Sechster Titel, § XXXIX (ohne Bezeichnung), 18.11.1578 und 27.3.1668. Vgl. hierzu auch StAA, OS, Oberpflegordnung 1729, XIX. Vom Kinds=Theil der Wittiber oder Wittiben, 16.2.1675. Vgl. J. J. von Huber, Abhandlung, S. 24. Für Württemberg zeigt D. W. Sabean, Allianzen und Listen, S. 462-463, daß dort in vergleichbaren Situationen zum Schutz des Familienbesitzes ein zur Verwandtschaft der Frau

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Hatte ein Ehepaar in Gütergemeinschaft gelebt, mußten nach dem Tod eines Gatten grundsätzlich zuerst die vorhandenen Schulden aus dem gemeinsamen Gut beglichen werden,66 dann sollte jedem Theil sein hineingebrachtes neben dem halben Gewinn zugeeignet, und von demselben gezogen werden. Sofern keine testamentarische Verfügung und nur ein Kind vorhanden war, sollte nun der Oberlebende Gatte maximal ein Drittel der Hinterlassenschaft des Verstorbenen erhalten, das Kind jedoch zwei Drittel. Bei mehreren Kindern aber sollte das ueberbleibende Ehegemaecht nicht mehr als einen Kindsteil des Erbes erhalten.67 Das schon mehrfach erwähnte Dekret vom 15. November 1578, das in die Pflegordnung von 1729 aufgenommen wurde, also weiter Gültigkeit besaß, verpflichtete Witwen und Witwer, die sich erneut verheiraten wollten, alles das Jenige / was sie von deß verstorbenen Ehegemächt Haab und Gütern durch Heyraths=Geding / leisten Willen / oder in ander Weeg bekommen haben / nichts überall davon außgenommen / dann die Morgen=Gab / denen Kindern voriger Ehe / ganz zu behalten. Darüber hinaus sollte kein verwitweter Elternteil einem zukünftigen Ehepartner aus seinem eigenen Vermögen mehr vermachen als demjenigen Kind aus der ersten Ehe, das den kleinsten Erbteil erhalten würde.68 Alle diese normativen Bestimmungen bezogen sich jeweils auf beide Ehepartner. Insofern lassen sich im Rahmen der hier aufgezeigten Rechtsformen - Erbfall mit oder ohne Testament bzw. Heiratsbrief sowie Gütertrennung oder Gütergemeinschaft - keine geschlechtsspezifischen Unterschiede ausmachen. Soweit dies hier erkennbar ist, galt für Männer und Frauen das gleiche Recht. Wie das Fortführungsrecht der Witwen im Handwerk mit den hier aufgezeigten Rechtssetzungen korrelierte, ist auf der normativen Ebene schwer faßbar. Die Frage, auf welcher rechtlichen Grundlage Witwen das Handwerk fortführen durften, scheint einerseits in einen vom eigentlichen Erbrecht abgetrennten Rechtskreis zu weisen, da sie in der Hauptsache das Zunftrecht berührte; andererseits aber wurde - wie noch zu sehen sein wird - in vielen Zunftordnungen das Fortführungsrecht nicht explizit festgeschrieben, dennoch hatten die Witwen dieses

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gehörender 'Kriegsvogt' der "eherechtlich als gegeben angesehenen 'Schwäche' und "Nachgiebigkeit' der Ehefrau gegenüber ihrem Ehemann entgegensteuern" sollte. Wenn Eugen Liedl darstellt, daß "[g]ewisse Ehefrauen, wie die der Weinschenken, Metzger, Bäcker und Hucker" nach dem Tod ihres Mannes nicht zum Offenbarungseid zugelassen waren, dann deshalb, weil diese als Handwerke 'von der offenen Tasche' grundsätzlich in Gütergemeinschaft leben mußten, so daß die Schulden des Verstorbenen vom gemeinsamen Gut wozu auch das Heiratsgut und das Paraphernalvermögen der Frau gehörte - zu bezahlen waren, und nicht - wie Liedl meint - "deswegen, weil den genannten Gewerbetreibenden weniger Vertrauen entgegengebracht wurde". E. Liedl, Gerichtsverfassung und Zivilprozeß, S. 8485. StAA, OS, Pflegordnung 1779, Sechster Titel, § XLIV: Von Abkommen der Aeltern, die in gemeinschaftlichen Vermoegen gestanden, 10.7.1681. Vgl. auch J. J. von Huber, Abhandlung, S. 27, der darauf hinweist, daß der Kindsteil für den Uberlebenden Gatten dem römischen Recht unbekannt war. StAA, OS, Oberpflegordnung 1729, Π. Statutum der Wittibs=Personen halber, 15.11.1578.

52 Recht de facto inne.69 Ein Bindeglied zwischen Zunft- und Erbrecht könnte das in den Pflegordnungen sichtbar gewordene Nutznießungsrecht der Witwen an der ihren Kindern zustehenden väterlichen Hinterlassenschaft sein.70 Eine solche Interpretation weist jedoch mindestens zwei Probleme auf: Zum einen durften sich die Witwen auf die ererbten Gerechtigkeiten verheiraten, was allerdings das Erbrecht der Kinder erster Ehe in der Regel nicht zum Erliegen brachte. Zum anderen genossen die Witwen, die im Witwenstand verblieben, ein lebenslanges Fortführungsrecht, worauf das Oberpflegamt in einem Konfliktfall ausdrücklich verwies, so daß auch volljährige Kinder zu Lebzeiten der Mutter nicht an ihr väterliches Erbe - die Handwerksgerechtigkeit samt Werkstatt - herankamen, solange diese nicht freiwillig übergab.71 Auf der Basis des von mir analysierten Quellenmaterials war eine endgültige Klärung dieser diffizilen rechtstheoretischen Aspekte nicht möglich. Die Darstellung der Alltagspraxis bleibt von diesem Problem jedoch unberührt.

1.4 Zusammenfassung Wie die Analyse der reichsstädtischen Pflegordnungen offenbarte, unterstanden die Augsburger Frauen einer lebenslangen Geschlechtsvormundschaft, wobei die Argumentation der Obrigkeit bei der im Jahr 1641 vorgenommenen Verschärfung dieser Vormundschaft nicht anders lautete als die der rechtsetzenden Zeitgenossen in anderen Territorien: die 'Schwäche der Weiber' im allgemeinen und ihre wirtschaftliche Unerfahrenheit im besonderen veranlaßten die Stadt-'Väter' zu Maßnahmen der Fürsorge. Es zeigte sich, daß die Ausweitung der Geschlechtsvormundschaft und Ehevogtei über die Prozeßvertretung durch Vormünder hinaus nicht für alle Frauen die gleiche Bedeutung hatte: Am massivsten trafen die Änderungen die schon vorher unter strenger Vogtei stehenden Ehefrauen, die nun nicht einmal mehr über ihren ganz persönlichen Besitz, die Paraphemalgüter, frei verfügen durften. Ledige unverheiratete Frauen und kinderlose Witwen sollten, dies blieb ihnen unbestritten, ihr Vermögen selbst verwalten können, lediglich für größere Vermögenstransaktionen sollten sie den Rat und die Erlaubnis von Beiständen einholen. Verwitwete Frauen mit Kindern konnten mit Unterstützung von Beiständen zwar die Vormundschaft über ihre unmündigen Kinder führen und auch das genau inventarisierte Vermögen verwalten, mußten aber jährlich Rechenschaft ablegen. Wollten sie sich jedoch erneut verheiraten, verloren sie nicht nur das Recht der

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Vgl. hierzu unten Kap. II.2.1. Vgl. oben Kap. 1.1.4. Vgl. unten Kap. II.2.4.I und II.2.4.2.

53 Vormundschaft über ihre Kinder, sondern mußten auch deren väterliches Vermögen der Verwaltung von Beiständen überlassen. Gleichwohl behielten sie das Nutznießungsrecht über das Vermögen des verstorbenen Mannes. Obwohl die Geschlechtsvormundschaft die Handlungsmöglichkeiten von Frauen in wichtigen Bereichen von der Zustimmung ihrer Beistände abhängig machte, war sie dadurch abgemildert, daß die Frauen diese Beistände frei wählen und auch auswechseln konnten, so daß ihre eigenen Pläne durchaus realisierbar waren. Die Einschränkungen, denen Ehefrauen unterstanden, unterschieden sich dadurch von denen unverheirateter erwachsener Frauen und Witwen, daß sie im Fall von Entscheidungskonflikten zwar Beistände nehmen konnten, sich damit aber auch offen gegen ihre Ehemänner richteten. Die Ehevogtei entsprach der zeitgenössischen Sichtweise, daß dem Mann eine umfassende Entscheidungskompetenz zustehe; die Geschlechtsvormundschaft über ledige und verwitwete Frauen war dagegen ganz offensichtlich den Verkehrsverhältnissen angepaßt. Dies wird insbesondere bei den verwitweten Müttern sichtbar: Daß diese nur einmal im Jahr Rechenschaft über ihre Verwaltung ablegen mußten, sicherte ihnen im Alltag eine relativ weitgehende Entscheidungsfreiheit und damit überhaupt erst das Funktionieren dieses Alltags. Die für die Mehrzahl der Paare frei wählbare Güterrechtsform hatte zu Lebzeiten hauptsächlich Auswirkungen auf die Haftungsfrage für Geschäftsabschlüsse und Schulden. Das 'Senatus consultum velleianum', das Bürgschaftsverbot für Frauen gerade auch für Verbindlichkeiten ihrer Ehemänner, besaß in Teilen nahezu modernen Charakter, bedenkt man die gesetzliche Neuregelung aus dem Jahr 1998 für Bürgschaften von Ehefrauen für ihre Männer und die langfristigen Entschuldungsprogramme, mit deren Hilfe aufgrund von Bürgschaftsverpflichtungen schwerst verschuldete Frauen gleichsam materiell 'resozialisiert' werden sollen. Das Güterrecht wirkte nach dem Ableben eines Ehepartners in das Erbrecht hinein und hatte Folgen für die Erbberechtigung des hinterbliebenen Teiles. Insgesamt fanden sich für erbrechtliche Fragen, soweit sie anhand der Pflegordnungen faßbar sind, keine geschlechtsspezifischen Benachteiligungen für Frauen. Festgehalten werden sollte auch, daß Frauen seit 1578 berechtigt waren, über ihren Besitz testamentarisch zu verfügen. Ob und inwieweit diese Normen Rechtswirklichkeit wurden, welche Handlungsspielräume sowohl die rechtsprechenden Gremien als auch die Menschen in ihrem täglichen Tun fanden und nutzten, welchen Einfluß sie auf die Normensetzung nahmen, wird sich im folgenden erweisen.

II. Arbeiten und Leben mit der Zunft Frauen im Handwerk Meisterfrauen, Meisterwitwen, Meistertöchter und Mägde standen - wie im folgenden zu sehen sein wird - in vielfältigen Beziehungen zum Handwerk. In einer nach diesen Trauengruppen' getrennten Darstellung sollen die Quellen nun nach dem jeweiligen zunftrechtlichen Status der Frauen, ihren verschiedenen Arbeitsund Verantwortungsbereichen, ihrer ökonomischen Lage sowie ihren gesamten sozialen Kontexten befragt werden. Die Vielzahl der zu stellenden Fragen, noch mehr aber die Fülle der Quellen, die über weite Strecken eine wirklich 'dichte Beschreibung' zulassen, machen dieses Kapitel nicht nur zum umfangreichsten dieser Studie, sondern auch zu einer breiten Basis für den später zu leistenden handwerksübergreifenden Vergleich.

II. 1 Meisterfrauen - unverzichtbare Arbeitskräfte in Werkstatt und Haushalt II. 1.1 Die Bestimmungen der Handwerksordnungen Sucht man in den Handwerksordnungen nach dem Ort der Meisterfrauen in den Zünften, stößt man auf eher dürftige Informationen. In keiner der befragten Ordnungen finden sich Hinweise darauf, in welcher Weise die Frauen der Meister am geselligen Leben der Zünfte teilhatten, und auch die Frage nach der Teilnahme der Ehefrauen an berufsspezifischen Versammlungen der Meisterschaft, läßt sich mit Hilfe dieser Quellen nicht klären. Lediglich bei den Schneidern wird im Kontext eines Konsensgesuches für die Errichtung einer besondern Armen Meister Cassa zur materiellen Unterstützung bei Sterbefällen sowohl von Meistern als auch von Meisterinnen die Verpflichtung angeführt, nach der ein jeder Meistet schuldig so ein Meister oder Meisterin aus der Cassa stirbt, mit der Leicht zugehen bey 15. xr. Straf.1 Daß auch den Frauen das letzte Geleit gegeben wurde, zeigi - so Silke Lesemann, die dies für einige Hildesheimer Handwerke nachweiser konnte - "wie hoch die soziale Wertschätzung auch gegenüber den Meisterfrauer war, die sich symbolisch in der obligatorischen Begleitung des Trauerzuges aus-

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StAA, HWA, Schneider, Fasz. 32, ohne Datum (das Fasz. umfaßt die Jahre 1767-1782).

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drückte".2 Wenngleich bei den anderen Augsburger Handwerken kein Beleg Rheine solche Verpflichtung gefunden werden konnte, dürfte die Beteiligung der Meisterschaft Teil eines ehrbaren Begräbnisses sowohl für Meister als auch für Meisterinnen gewesen sein.3 Nahezu stumm bleiben die meisten - wenn auch nicht alle - Ordnungen hinsichtlich der Beschreibung eines Tätigkeitsbereiches der Meisterinnen im Arbeitsprozeß in den Werkstätten. Sofern solche Festlegungen vorhanden sind, sollen sie hier dargestellt werden. In den in meinem Untersuchungszeitraum gültigen Ordnungen der Bader und Wundärzte kommen die Ehefrauen der Meister nicht explizit vor.4 Dagegen ist im Artikel 28 der Ordnung von 1572 - die Bader und Barbiere hatten zu dieser Zeit noch eine gemeinsame Ordnung; die Trennung der Handwerke erfolgte nach langwierigen Konflikten um die jeweiligen Befugnisse im Jahr 1638 - im Kontext einer einheitlichen Regelung der Verlegung von Badtagen, wenn die regulären Tage auf Feiertage fielen, noch die Formulierung die Baader, und Baderin zu finden; im Artikel 41 der Ordnung von 1638 werden bei sonst identischem Wortlaut der Bestimmung nur noch die Baader genannt.5 Die Ordnung von 1638 bestimmte für den Fall, daß Wann der Züchtiger [der Scharfrichter, Ch.W.], die Frauenbilder, oder andere dergleichen onbefugte Persohnen, sich widerstehen solten, ein verwundte Persohn zubinden, desgleichen, wann solche und andere Persohnen, die weder der Barbierer, noch Bader und Wundarzt Handhwerckh zugethan sind, sich des Aderlassens, Zungenlösens, scherens, schrepffens, des Handtwerckhs Wundarzney auch was dero zuständig, underfangen wurden, relativ hohe Geldstrafen.6 Da die Meisterfrauen zu den handwerksfähigen Personen gehörten, bezog sich der zweite Teil des Verbotes vermutlich nicht auf sie. Dagegen würde ich das erste Verbot - das Verbinden von Verletzten - als auch die Ehefrauen betreffend verstehen, da dieses Verbot sogar für die das Handwerk mit Gesellen fortführen-

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S. Lesemann, Arbeit, Ehre, Geschlechterbeziehungen, S. 69. I. Titz-Matuszak, "Starcke Weibes-Personen", S. 40-41 fand in allen Goslarer Handwerksstatuten die Verpflichtung für die Mitglieder, an Begräbnissen von Zunftgenossen und -genossinnen teilzunehmen. Bei den Zinunerleuten, die sie als Beispiel anführt, mußten Meister und Meisterinnen von den Altgesellen, Gesellen, Lehrlinge, Mägde und Kinder dagegen von den jüngsten Gesellen zu Grabe getragen werden. B. Brodmeier, Die Frau im Handwerk, S. 45 legt dar, daß die Meisterinnen "in vollem Umfang an den Ehrungen ihres Mannes teilnehmen [durften]; ihre Beteiligung an den Zunftfestlichkeiten war eine Selbstverständlichkeit". Auch bei den Begräbnissen erhielten Meisterfrauen - so Brodmeier - "dieselben Ehrungen wie der Meister". Leider fügte sie hierzu keine Quellenbelege an. Vgl. StAA, RZ, Nr. 33, Ordnungen der Bader und Wundärzte 1682-1781. StAA, HWA, Bader, Fasz. 10, Beilage Nr. 18 zum Bericht der Verordneten über der Barbierer und Wundtartzten Ordnung vom 10.3.1703, in der die beiden Artikel einander gegenübergestellt wurden. StAA, RZ, Nr. 33, Ordnungen der Bader und Wundärzte 1682-1781.

56 den Witwen galt, was aus der Gesellenordnung der Barbiere von 1650 eindeutig hervorgeht.7 Fast noch marginaler erscheinen die Ehefrauen der Meister in der Handwerksordnung der Zimmerleute aus dem Jahr 1756, wo es heißt, daß das Weib ebensowenig wie der Meister, die Gesellen, die Lehrlinge und das Gesinde Holz, das dem Bauherrn gehört, von der Baustelle wegnehmen soll; desgleichen sollen sich weder der Meister noch seine Ehewürthin und deren Kinder von einem arbeitsuchenden Gesellen bestechen lassen.8 Sonstige Informationen zum Status oder zum Arbeitsfeld der Meisterinnen fehlen gänzlich. Die Ehefrauen der Buchbinder werden in deren Ordnungen mit keinem Wort erwähnt. Daß dies keine Neuerung des 18. Jahrhunderts ist, zeigt ein Blick in die Ordnung des Jahres 1586, in der Frauen ebenso wie 1721 und 1774 als Witwen, als Töchter und als Mägde erscheinen, nicht aber als Meisterfrauen.' Für das Schneiderhandwerk gilt genau die gleiche Feststellung: Meisterinnen werden weder in der Ordnung von 1549 noch in denen von 1731 und 1807 bedacht.10 Auch die Artikel der Zinngießer, ein der Schmiedezunft inkorporiertes Handwerk, enthalten keine die Meisterfrauen betreffenden Festlegungen." Obwohl die Handwerksordnung der Bäcker von 1763 ausgesprochen umfangreich ist, enthält auch sie nur zwei Stellen, an denen neben dem Meister auch die Meisterin genannt ist: In Artikel 36 wird der Zeitpunkt für den Ziemes Kauff festgelegt, an den sich Beck, Beckin oder jemand von ihrentwegen halten sollen. Von anderer Qualität ist dagegen der 55. und letzte Artikel der Ordnung, der Von dem Ungehorsam überschrieben ist: Welcher Beck oder Beckin sich Artikuls widrig, und gegen die Vorgehere oder sonsten ungehorsamlich und ungebührlich aufführet, sollen nach Befund des Verbrechens mit der Gefängniß oder anderer Straff belegt werden}1 Aus der Tatsache, daß die bis auf die angeführte Stelle nicht genannte Meisterin am Schluß der Ordnung so explizit in die Pflicht genommen wurde, läßt sich schließen, daß sie aufgrund ihres Aufgabenbereiches selbstverständlich als neben dem Meister stehend gedacht wurde. Konkrete Angaben zum Aufgabenbereich der Meisterfrauen enthält die Ordnung der Goldschlager aus dem Jahr 1716: Die Zangenarbeit, das Einlegen des zu dünnen Blättchen geschlagenen Goldes, Silbers und sonstigen Metalls in sogenannte Büchlein, war eine Tätigkeit, die allein denen Goldschlagers Gesellen, oder denen Maisters Frauen, Töchtern und Kindern, weil selbige der Handwerckhs Gerechtigkeit fähig seind, und Ihnen solches nie verwehrt gewesen, zu7

Vgl. StAA, HWA, Bader, Fasz. 16, 28.6.1650. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 9, Ordnung von 1756. 9 Vgl. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 7, Ordnungen von 1586, 1721, 1774. 10 Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 35, Ordnungen von 1549, 1731, 1807. " Vgl. StAA, RZ, Nr. 250: Artikel der Schmiede-Gerechtigkeit 1652-1783. 12 StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 30, Ordnung von 1763. Vgl. auch die bei B. Roeck, Bäcker, Brot und Getreide, S. 219-229 abgedruckte Bäckerordnung von 1606, in welcher sich ebenfalls nur in diesen beiden Passagen ein Bezug auf die Meisterinnen findet. 8

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stand. Diese besondere Betonung hat ihre Ursache vermutlich darin, daß im selben Artikel die Mägde von dieser Arbeit, die sie vorher - und auch nachher durchaus verrichteten, ausgeschlossen wurden." Neben den genannten positiven Bestimmungen enthält die Ordnung ein Verbot des Hausierern mit Waren, das sich auf den Meister, die Meisterin, ihre Kinder und das Gesinde bezog.14 Obwohl die Ehefrauen der Meister in den Handwerksordnungen Oberhaupt nicht oder nur punktuell erscheinen, bildeten sie doch einen festen 'Bestandteil' eines Meisterhaushaltes. Während die Ehe einerseits ein konstituierendes Element für die Ausübung der Meisterschaft war, mußte andererseits das Meisterstück in der Regel noch im Ledigenstand gefertigt werden. So legte die Buchbinderordnung fest, daß der Kandidat das Meisterstück allein lediger Weiß zu machen schuldig sein soll, dann aber solle er Gesellenweiß arbeiten, bis zu der Verheurathung.'5 Eine hiervon abweichende Reihenfolge pflegten beispielsweise die Mahlmüller, bei denen ein Geselle zuerst die Gerechtigkeit kaufen mußte, dann zu schwören hatte, daß er das Meisterstück machen würde, welches er aber erst nach der vollzogenen Eheschließung verfertigen durfte.16 Wie die Regelung im Detail auch aussah: Zulassung zum Meisterrecht und Heirat waren nicht zu trennen, ^ r Die Quellen zeigen, daß die Handwerke streng darauf achteten, daß diese Norm eingehalten wurde. Aus vielen vorgefundenen Fällen sei nur ein Beispiel angefühlt: Der Goldschmiedgeselle Johann Heckhinger hatte - wie in der Ordnung vorgeschrieben - sein Meisterstück als lediger Mann angefertigt. Da er sich nicht gleich verheiraten wollte oder konnte und auch als Geselle keine Anstellung fand, übte er sein Handwerk 'auf seine eigene Hand' aus, das heißt, daß er gleichsam außerhalb des Meisterrechts ohne Gesellen und Lehrlinge arbeitete, eine Arbeitsform, die das Handwerksgericht erlauben mußte und die normalerweise von den Meistern strikt abgelehnt wurde. Heckhinger erlaubte sich nun wider ihre Ordnung alß ein unverheyratheter Meister nit nur allein auf seine Hand [zu] arbeite[n], sondern auch einen gesellen [zu] fördere^n], womit er ihren mitMeisteren bey denen Jubilieren die nahrung entzieche. Das Handwerksgericht verbot ihm daraufhin nicht nur die Arbeit auf seine eigene Hand, sondern belegte ihn auch mit einer Strafe in Höhe von sechs Gulden.17

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StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, Ordnung von 1716. Zur Frage des Ausschlusses der Mägdearbeit vgl. unten Kap. Q.4.2. Vgl. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, Ordnung von 1716. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 7, Ordnung von 1721, Art. 10 und 12; in die gleiche Richtung weist Art. 22 der Goldschlagerordnung: Wenn einer sich noch keine eigene Werkstatt leisten kann, so solle demselben die Handwerckhs Gerechtigkeit biß zu seiner Verheürathung und Führung einer aignen Werckhstatt nicht erthettt, noch zugelassen, sondern selbiger in die hievor genannte Fünffle Zahl mit eingerechnet, und denen Gesellen sollicher gestalt gleichgehalten werden. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, Ordnung von 1716. Vgl. StAA, K.GH, 18.10.1724, pag. 439. StAA, KGH, 8.1.1725, pag. 9.

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Interessanterweise ist in den Ordnungen auch im Kontext dieser Heiratsverpflichtungen keine Rede von den Ehefrauen, die mit der Eheschließung ja zu 'Meisterinnen' wurden. Ihre Bedeutung für eine gut funktionierende Werkstatt zeigt sich jedoch nicht nur in dieser Heiratspflicht, sondern läßt sich auch aus anderen Quellen erschließen.

II. 1.2 Die Arbeitsfelder der 'Meisterinnen' Mit der BetriebsgrUndung und der damit unausweichlich verbundenen Eheschließung entstand ein eigenständiger Haushalt. Das Ehepaar wurde in das Bürgerrecht aufgenommen und hatte nun die "bürgerlichen onera' zu tragen. Hier wird das sichtbar, was Heide Wunder als die "gegenseitigefn] Angewiesenheit von Mann und Frau zur Erlangung der Selbständigkeit" bezeichnet hat.18 Gerade diese Form der Abhängigkeit voneinander erscheint als zentraler Bestandteil der ehelichen Geschlechterbeziehungen im Handwerk. Im Laufe meiner Untersuchung wird sichtbar werden, daß diese Abhängigkeit keineswegs zwangsläufig auf eine rechtlose Unterordnung der Frauen unter ihre Ehemänner hinauslaufen mußte. Die gemeinsame Sorge des Ehepaares um die Nahrung machte aus ihm ein 'Arbeitspaar'." Um die Arbeitsrollen wirklich sichtbar machen zu können, ist es erforderlich, sich von idealtypischen Vorstellungen und modernen Bewertungsmaßstäben frei zu machen. Der Arbeitsalltag vieler Meisterfrauen war im wesentlichen von drei Bereichen geprägt: von ihrer Arbeit in der Werkstatt, mitunter von außerhäuslicher Lohnarbeit und vom Handlungsfeld 'Haus'. Die Quellenprobleme, denen wir in bezug auf die Arbeit der Meisterinnen begegnen, liegen darin, daß - und hier spiegeln die Handwerksordnungen vielleicht den Alltag wider - die Aufgabenbereiche der Ehefrauen wohl so selbstverständlich im Bewußtsein waren, daß sie im Bereich des Handwerks jeweils so eng an die Bedingungen der Zunft gebunden und an den Arbeitsabläufen der Meister orientiert waren, daß sie erst dann einen schriftlichen Niederschlag fanden, wenn sie aufgrund von Verstößen vor Gericht thematisiert oder aber eher unbeabsichtigt und beiläufig in der Darstellung von Konflikten erwähnt wurden. Mancher Quellenfund wirkt daher auf den ersten Blick 18

"

Heide Wunder, Zur Stellung der Frau, S. 249. M. Mitterauer, Familie und Arbeitsorganisation, S. 27-28 stellt fest, daß sich die Frage, ob die Heiratspflicht "als eine Rollenergänzung aufgrund ökonomischer Notwendigkeiten zu interpretieren ist, [...] nicht ohne weiteres entscheiden läßt". Er fügt hinzu: "Genauso gut könnte etwa ein Zwang aus moralischen Gründen bestanden haben." Ich meine, daß die hier folgende Darstellung der Arbeitsfelder der Meisterfrauen verdeutlichen kann, daß diese eine ganz zentrale Funktion in ökonomischer Hinsicht hatten. Wie bereits angesprochen, wurde der Begriff des 'Arbeitspaares' von Heide Wunder eingeführt. Vgl. oben Kap. 0.2.

59 bruchstückhaft und unbefriedigend, eröffnet aber beim genauen Hinsehen, vor allem, wenn man sich von der Fixierung auf quantifizierbare Fakten gelöst hat, doch tiefere Einsichten in die Tätigkeitsfelder von Meisterinnen. Ein methodisches Problem liegt sicherlich darin, daß diese Tätigkeitsfelder häufig aus Einzelfällen erschlossen werden müssen, die nicht ohne weiteres als repräsentativ betrachtet werden dürfen. Die Vielfalt der Fälle und der Kontext, aus dem heraus sich Arbeitsfelder erschließen lassen, beinhalten jedoch wichtige Hinweise darauf, ob ein Tätigkeitsfeld selbstverständlich oder eher außergewöhnlich war. Ich werde im folgenden versuchen, die Bruchstücke', die ich in den Werkstätten der sieben untersuchten Handwerke aufgesammelt habe, zusammenzufügen, sie mit eventueller Lohnarbeit, die Meisterfrauen außer Haus leisteten, ergänzen und schließlich fragen, welche Verpflichtungen im Haus anstanden.

II. 1.2.1 Die Arbeit im Meisterbetrieb II. 1.2.1.1 Die Arbeit in der Werkstatt Wie komplex und schwierig die Frage der Mitarbeit der Meisterinnen in der Werkstatt ist, wie sehr wir vom Konfliktfall, der uns erst Informationen sicherte, abhängig sind, läßt der Fall der Augsburger Kattunfabrikantin Anna Barbara Gignoux besonders deutlich erkennen. Diese hatte während ihrer ersten Ehe mit Johann Friedrich Gignoux in großem Umfang in der Kattunmanufaktur mitgearbeitet und war so nach dem frühen Tod ihres Mannes in der Lage, sowohl den gesamten kaufmännischen Bereich zu verwalten als auch die Manufaktur weiterzuführen, deren Leitung ihr von ihrem Mann testamentarisch übertragen worden war und dessen Handwerksgerechtigkeit sie aufgrund der Erlaubnis des Handwerksgerichtes nutzen durfte. Sie war es, die die 500 Arbeiter und Arbeiterinnen einsetzte und kontrollierte, und sie war es auch, die die für das Bedrucken der Stoffe benötigten Farben mischte und ansetzte, eine Kenntnis, die als Firmengeheimnis gehandelt wurde. All das hatte sie eigenen Angaben zufolge während ihrer ersten Ehe gelernt, und dennoch wissen wir nur davon, weil sich im Rahmen ihrer zweiten Ehe ein heftiger Streit um die Führung der Manufaktur entwickelt hatte, der sich in den Archivalien weitläufig niederschlug.20 Hätte Johann Friedrich Gignoux seine Frau überlebt, wüßten wir von ihrer Mitarbeit in der Manufaktur absolut nichts. Von der wohl weitreichenden Mitarbeit der Frau eines Schneidermeisters erfahren wir im folgenden Fall im Zusammenhang eines Streites um eine erneute Eheschließung, gegen die sich das Handwerk wandte, weil der Altersunterschied zwischen der Witwe und ihrem Bräutigam, einem Schneidergesellen, sehr groß 20

Vgl. hierzu Ch. Werkstetter, Anna Barbara Gignoux. Handlungsfelder, Kap. 2, S. 18-71 und dies., Anna Barbara Gignoux (1725-1796), Kattunfabrikantin oder Mäzenin?, S. 382-387.

60 war.2' Margarethe Mayrhoferin hatte im Alter von etlieh und 20. Jahren in erster Ehe den schon 67jährigen Schneidermeister Salomon Mayrhofer geheiratet, der während viele andere Meister im Alter von etwa 60 Jahren bereits um eine Übergabeerlaubnis baten, oft weil sie aufgrund der feinen und häufig bis in die späte Nacht hineinreichenden Arbeit bei schlechtem Licht sehr schlechte Augen hatten22 - offenbar in einer neuen Ehe einen Ausweg aus seiner Not sah. Schon nach zwölfjähriger Ehe wurde er Theils Armuth, Theils Alter= und Theils Krankheitshalber mit 79 Jahren in die St. Antons-Pfründe aufgenommen, wo er noch 13 Jahre lang lebte. Dies und die Tatsache, daß die mehr als 300 Gulden, die Margarethe Mayrhoferin mit in die Ehe gebracht hatte, bey seinem hohen Alter und fast beständig kranken Umständen gänzlich verwendet worden waren, lassen vermuten, daß das Meisterpaar zu den vielen der nahezu 250 Meister zählenden Zunft gehörte, die sich langfristig keinen Gesellen leisten konnten. Sieben Jahre nach dem Tod ihres Mannes wollte die Mayrhoferin sich wieder verheiraten und beschrieb in ihrer Supplik, daß sie praktisch seit 20 Jahren im Witwenstand leben würde und erläuterte, wovon sie sich all die Jahre ernährt hatte: hab die Profession, weil ich derselben kundig, mehresten Theils selbst auf meine eigene Hand, und zum Theil auch in benöthigten Fällen mit Gesellen fortgeführt, sohin mich, ohne dem Aerario oder der Meisterschaft im geringsten beschwehrlich zu fallen, dardurch kümmerlich ernähret?3 Da sie das Handwerk so weit beherrschte, daß sie sich mit ihrer Arbeit auch allein versorgen konnte, hatte sie sicher nicht nur während der langen Abwesenheit ihres Mannes, sondern auch während der gemeinsam verbrachten Ehejahre in der Schneiderwerkstatt mitgearbeitet. Die Tatsache, daß sie sich - wie sie schrieb - nur kümmerlich ernähre[n] konnte, sagt nichts über die Qualität ihrer Arbeit aus, denn das Handwerk war, wie die Vorgeher 1782 klagten, um 130: Köpf übersezet, und sehr viele Meister litten große Not.24 Die Not des Buchbindermeisters Johann Georg Dorner war ganz anders gelagert. Er hatte so viele Aufträge auf zihl und zeit, daß er diese mit einem Gesellen und die Ordnung erlaubte nicht mehrere - nicht bewältigen konnte, zu deme auch da meine Ehegattin kurz abhin leyder einen arm zerbrochen, und ihrer Hilff: welche ohne ruehm zu melden schier einem gesellen gleich schäze, in lange Zeit nit bedienen kann. Aus diesem Grund sah er sich gezwungen, um die Erlaubnis, einen zweiten Gesellen anstellen zu dürfen, zu supplizieren. Er sorgte sich, daß ihm, wenn er seine Aufträge nicht fristgerecht liefern könnte, die Hoff arbeith mechte entrissen werden. Selbst wenn Dorner die Arbeitskraft seiner Frau etwas überzo-

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Zu diesem Konflikt vgl. unten Kap. Π.2.4.4. Vgl. z.B. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 14, 23.11.1756: Meister Johann Georg Bemhart will blöden gesichls [schlechter Augen, Ch. W.] und allers halber die Werkstatt seiner Tochter übergeben; Fasz. 17, 14.2.1784: Meister Paulus Weingartner ist 68 Jahre alt und will, da ihm aufhabenden alters wegen das Gesicht nachgelassen, an eine seiner drei Töchter übergeben. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 17, 27.8.1784. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 17, 15.4.1782.

61 gen dargestellt haben sollte, um sein Anliegen, einen zusätzlichen Gesellen führen zu dürfen, durchsetzen zu können, würde eine solche Argumentationsstrategie immerhin noch belegen, daß die Mitarbeit einer Meisterin keineswegs anstößig war.25 Für die hier behandelten Fragen interessant erweist sich auch ein Konkurrenzstreit zwischen den Augsburger Buchbindern und Buchdruckern, der mit einer Beschwerde der Buchbinder begann, die beklagten, daß die Buchdrucker sowie einige Buchhändler und Briefmaler zum einen außerhalb der Stadt gebundene Bücher beziehen und zum andern sich durch das Falzen, Heften und Beschneiden der Bögen in ihre Arbeitsbereiche einmischen würden, womit sie ihre Nahrung beeinträchtigten. Aber, so die Buchbinder, nicht nur sie Buchdrucker selbst, sondern auch dero Weiber und Kinder, Ledige und an einen Goldschmid verheurathete Tochter, auch dero Mägde, und andere Winckelhockerinne und Stimplere in andern Häusern solche unbefugte Arbeit bißhero verrichtet. Gegen diese Frauenarbeit brachten die Buchbinder vor, daß sie nicht einmal ihre eigenen Mägde für diese Arbeiten einsetzen dürften, ohne von ihrem Handwerk bestraft zu werden.26 In einer schriftlichen Gegenerklärung verwahrten sich die Buchdrucker dagegen, daß die Buchbinder die strittigen Arbeitsbereiche für sich allein zu beanspruchen hätten. In bezug auf die Frauenarbeit wurde die Fertigung der Füetterlein für Kalender durch die Frau des Druckers Joseph Gruber hervorgehoben. Nach seiner Darstellung ließ er die von ihm gedruckten Kalender zwar von Buchbindern binden, die die darzu benöthigte Füetterlein aber, ohnzählige Beschwernussen vorschutzendt, durchauß nit machen wollen, welches dann Einen allhießigen Buchbinderen veranleüthet, die fertigung dißer Füeterlein [...] meiner Ehewürthin zu erlährnen, welche so dann auch solche biß Dato ohngehinderet verfertiget. Dieser Arbeit ginge die Meisterin bereits zehn Jahre nach, und - so ihr Mann - die Buchbinder, die für ihn arbeiteten, würden ihn beim Kauf auffordern, ihnen die von seiner Frau gefertigten Futterale mitzuliefern.27 Die beiden dem Rat zur Entscheidungsfindung vorgelegten Rechtsgutachten des Handwerksgerichtes fielen unterschiedlich aus, sind aber hinsichtlich der Arbeit der Meisterin gerade in diesem Unterschied besonders interessant: Ratskonsulent Jung war der Meinung, daß die Kläger, also die Buchbinder, vor 10. jähren ihr jus expressa remissione vergeben, weil sie solche durchaus nit machen wollen, imö damit Sie nit darmit molestiert werden, Ein allhiesiger Buechbinder besagte Füeterlen zumachen Einer

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StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 4, 10.1.1750. Petra Eggers konnte bereits eine umfassende Beteiligung der Hamburger Buchbinderfrauen an der handwerklichen Produktion aufzeigen. Vgl. P. Eggers, Frauenarbeit im Handwerk, S. 115-117. weil sein Weib ein großes Unglück gehabt [...] und sie ihme bey seiner nothwendigen Arbeith nit helfen könnte, mußte auch ein Augsburger Kupferhammerschmied eigens einen Gesellen einstellen. Zitiert nach R. Reith, Praxis der Arbeit, S. 30. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 4, 26.4.1725. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 4, 2.5.1725.

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Buechdruckherin selbst gezeigt und gelehret hat?% In der Relation des Konsulenten Morell hieß es dagegen, daß zwar die Buchbinder der Labhardtin die Herstellung der Futterale beigebracht hätten, daß dies aber vielleicht durch einen Meister geschehen sei, der selbst gute und genug Arbeit hatte und nicht berechtigt gewesen wäre, armen Meistern eine Arbeitsmöglichkeit zu entziehen. Er plädierte dafür, daß die Buchdrucker nur Bücher unter drei Bögen selber falzen und beschneiden sollten, aller Arthen der Futeral aber sich zu enthalten hätten.29 Während die Buchbinder durch den oben zitierten, recht pauschal gehaltenen Vorwurf versuchten, den Konflikt zumindest teilweise auf die Ebene unerlaubter Frauenarbeit zu bringen, diskutierten die Ratskonsulenten auf einer anderen Ebene: Morell stellte die Arbeit der Meisterin nicht als Frauenarbeit in Frage, sondern als Eingriff in die Gewerbegerechtsame eines anderen Handwerks; die Argumentationsschiene bildete somit nicht das Geschlecht, sondern die Tatsache, daß das Futteralmachen das Recht der Buchbinder war. Ebensowenig thematisierte Jung die Frauenarbeit, wenn er feststellte, daß die Buchbinder sich ihres Rechtes gleichsam freiwillig begeben hätten. Die Buchdrucker selbst hatten offensichtlich kein Problem mit der handwerklichen Tätigkeit der Frau ihres Mitmeisters. Zurück zu den Buchbindern: Wiederum nur aufgrund einer Supplik wird ein weiteres Tätigkeitsfeld von Meisterinnen sichtbar. Im Kontext der Bitte um Zulassung seines jüngsten Sohnes zum Meisterrecht schilderte Gottlieb Bloßfeld die Arbeitssituation und -Verteilung in seinem Meisterbetrieb. Er verdiente sein bürgerliches Auskommen als Buchbinder und Futteralmacher durch Verfertigung allerhand Mode—Artickeln von feinem appretirtem Maroquin u. dem Verkauf in einem offenen Laden allhier u. Versendung ins benachbarte Ausland. Da es schwierig war, geschickte Gesellen für diese Arbeit zu finden, hatte er seine Söhne in die Lehre genommen, von denen die beiden älteren inzwischen selbständige Meister geworden waren. Die Söhne waren ihm jederzeit sehr nüzlich gewesen, so wie auch meine Gattin mir ebenfalls in vielen Fällen sehr hülfreiche Hand geleistet, besonders aber durch Besorgung der bei einem ins Ausland gehenden Geschäfte vorkommenden Schreibereyen mich vieler Zeitversäumniß überhoben hat. Bloßfeld schrieb weiter: Diese mir in jeder Hinsicht nothwendigen u. vortheilhaften Beyhülfen sind mir seit geraumer Zeit sowohl durch die Verheurathung meiner altern Söhne, als auch durch die immermehr zunehmende Gebrechlichkeit meiner Gattin welche bei einem Alter von 66 Jahren durch eine sehr nachtheilige Augenschwäche noch sehr vermehrt wird, benommen.30 Die hier sichtbar werdende Nebeneinandersetzung der Arbeitsleistung von Söhnen und Ehefrau verweist meines Erachtens deutlich darauf, daß die Tätigkeitsfelder aller am Arbeitsprozeß beteiligten Personen als gleichwertig angesehen wurden.

28 29 30

StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 4, 20.5.1725. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 4, 12.6.1725. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 6, 27.11.1807.

63 Ein weiterer Aufgabenbereich der Meisterinnen läßt sich aus dem folgenden Fall erschließen: Die Goldschlager, die, wie noch zu sehen sein wird, häufig Probleme mit Pfuschern und Hausierern hatten, trafen sich am 23. November 1727 im Haus ihres Vorgehers, um sich wegen dieser Probleme zu beraten und einen Bericht an das Handwerksgericht zu erstellen. Als sie reihum zusammentrugen, was jeder beobachtet hatte, erläuterte Meister Wilhelm Sinnacher, daß seine Frau im Haus des Goldpapiermachers Stoy, der offensichtlich ein guter Kunde der Hausierer - oder besser der Hausiererinnen, denn die hier benannten waren überwiegend Frauen - war, wegen der ihr schuldigen waahren Bezahlung so lang zu warten müssen, biß die Pfitscher abgefertiget und bezahlt worden seyen.11 Hier war die Meisterfrau also unterwegs, um bei Kunden die Außenstände einzukassieren. Daß es den Ehefrauen der Goldschlager erlaubt war, in der Werkstatt mitzuarbeiten, wurde in der Handwerksordnung bereits sichtbar. Es handelte sich dabei sowohl um vorbereitende als auch um abschließende Schritte im Arbeitsprozeß des Handwerks: Nach dem Schmelzen, Legieren, Gießen und Zainen, schwerste Arbeiten, die von in der Regel ungelernten Männern absolviert wurden, mußten die kleinen quadratischen Stücke in die Schlagformen eingelegt werden; dieses Einlegen war ein Vorgang, den die Frauen erledigten. Schließlich folgte die Schlagarbeit, die ausschließlich von Männern durchgeführt wurde; abschließend mußte das Blattgold beschnitten und in sogenannte 'Büchlein' eingelegt werden, was wiederum als Frauenarbeit galt.32 Im Kontext einer schriftlichen Auseinandersetzung mit Nürnberger Gesellen, die die Augsburger Gesellen und Meister wegen der Mägdearbeit in den Werkstätten 'verschrieen', machte das Augsburger Handwerk deutlich, daß aller Orten die Meisters=Töchter oder Frauen zu unserer Arbeit helfen Im Bäckerhandwerk waren die Tätigkeitsbereiche der Meisterinnen nicht so eindeutig festgeschrieben. Wie später noch zu sehen sein wird, oblag den Meisterfrauen hier der Verkauf der Backwaren; hinsichtlich weiterer Arbeiten sind wir wiederum auf Rückschlüsse aus einzelnen Fällen angewiesen: Als die städtischen Brotwäger am 24. Juli 1778 im Laden des Meisters Johann Georg Hurler in der Jakober Vorstadt eine größere Anzahl Brote vorfanden, die zuwenig Gewicht aufwiesen, konfiszierten sie diese Brote und brachten sie zum Bürgermeisteramt, wohin auch der Bäckermeister zitiert wurde. Das genaue Abwiegen der Laibe ergab, daß nur elf von 51 Broten das vorgeschriebene Gewicht hatten. In der Befragung erklärte der Meister, daß er am Vormittag in die Schranne gegangen sei und, weil sein weib kranck liege, das außbacken seinem Knecht überlassen habe. Um das Delikt abzuschwächen, argumentierte er, daß das Brot zu lange im Ofen gewesen sei und deshalb an Gewicht verloren habe; dies wurde durch das Auseinanderschneiden eines Laibes widerlegt: Es zeigte sich dabei, daß es ein ordnungs31 32 33

StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 4, 26.11.1727. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 184-185. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 6, 26.11.1779.

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gemäß durchgebackenes Brot war, das nur nicht entsprechend schwer wog. Da er sich während seiner 21jährigen Meisterschaft erstmals eines solchen Vergehens schuldig gemacht hatte, beließ man es bei einer Strafe in Höhe von vier Reichstalem.34 In der Folge petitionierte Hurler um Erlaß der Strafe und erläuterte nochmals, wie es zu diesem Fehler gekommen war: da ich eben an einem Freytag in die Sehrarme gegangen, und weill mein Weib krank gelegen, das Ausbacken dem Knecht habe überlassen müssen, mich das Unglück betroffen, daß mein Knecht im Abwegen nicht accural genug daraufgesehen, und sohin zu geringwichtig ausgebacken hat? Nehmen wir ihn beim Wort, hätte seine Frau - wäre sie nicht krank gewesen - entweder selbst die erforderliche Teigmenge abgewogen und die Laibe geformt oder den Arbeitsablauf zumindest kontrolliert. Welche Bedeutung - so muß hier gefragt werden - hatte der Professionalisierungsprozeß, wenn dieses schwerwiegende Mißgeschick in der Backstube damit erklärt werden konnte, daß es dem gelernten Gesellen passierte, während es die ungelernte Meisterin verhindert hätte? Wäre die Aufsicht der Meisterin in der Backstube bzw. deren konkrete Mitarbeit beim Backen anrüchig oder gar verboten gewesen, hätte der Meister sicherlich nicht so argumentiert, denn dies hätte dann mehr geschadet als genützt. Daß ihm die Geldstrafe erlassen wurde, ist nicht die Folge dessen, daß der Geselle den Fehler begangen hatte, sondern war beim ersten Verstoß üblich, zumal das konfiszierte Brot von Amts wegen kostenlos an die Waisenhäuser und Armenanstalten ausgegeben wurde und schon damit für den Meister ein spürbarer Verlust entstand.36 Weiterhin aufschlußreich sind auch die Maßnahmen, die Meisterinnen zur Aufrechterhaltung des Betriebes ergriffen, wenn ihre Männer abwesend waren, wenn sie beispielsweise wegen irgendwelcher Vergehen einige Tage im 'Gewölblein' oder im Arbeitshaus einsaßen. Zwei solcher Fälle finden sich bei den Bäckern: Innerhalb von nur sechs Tagen zeigten die Brotwäger beim Bürgermeisteramt zwei Bäcker an, deren Semmeln und Brote nicht das vorgeschriebene Gewicht hatten. Für den vor das Bürgermeisteramt zitierten Meister Joseph Knöpfle erschien seine Frau, die erklärte, daß ihr Mann wegen einer Erkrankung den Teig nicht selbst abgewogen habe, die beanstandeten Semmeln aber zimlich wohl gebacken seyen. Zwar fehlte tatsächlich nicht sehr viel Gewicht, da man aber in den amtlichen Aufzeichnungen fand, daß Knöpfle des gleichen Vergehens bereits im August 1771 und im April 1772 überfuhrt worden war - wobei er 1772 wegen 65 zu leicht gebackenen schwarzen Brod mit der Ausstellung auf den Laden abge34 35

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StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 18, 24.7.1778. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 18, 5.8.1778. Die Bezeichnung 'Knecht' bezog sich bei den Bäkkern auf die Gesellen. Vgl. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 18, 6.8.1778. O. Hochstrasser, Hof, Stadt, Dörfle, S. 51 zeigt in einem Karlsruher Fall eine Bäckermeisterin, die um den Erlaß der Strafe supplizierte, weil sie aufgrund einer Krankheit ihres Mannes gebacken hätte und es somit ihr Fehler sei, daß das Brot zuwenig wiege. Auch diese Meisterin war also grundsätzlich in der Lage, den Produktionsprozeß zu übernehmen.

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straffet worden, also mit einer öffentlichen Ehrstrafe belegt worden war, - wurde der Fall zur Bestrafung vor den Rat gewiesen." Bäckermeister Franz Hauber hatte sich im wesentlichen dasselbe zuschulden kommen lassen, auch er war bereits auf seinem Laden öffentlich ausgestellt worden.38 Beide Bäckermeister erhielten als 'Wiederholungstäter1 eine entsprechend scharfe Strafe: soll franz Hauber mit der Wippstrafe belegt, Josepf Knepfle aber zu der Wippe gestellt, u. auf 14. Tage in das Arbeitshaus gebracht werden?9 Auf ihr eindringliches Bittgesuch hin, zeigte sich der Rat gnädig und erließ die Wippstrafe, beide sollten aber in das Arbeitshaus auf 14. Tage abwechslungsweiß bey Waßer u. Brod mit der Commination gebracht werden* Hier nun begannen die Probleme für die beiden Ehefrauen, die als in das tieffeste Herzenleyd versezte Bürgerinnen nach sechs abgesessenen Straftagen ihrer Männer beim Rat einkamen und um Erlaß der restlichen acht Tage baten, weil unser ganzes gewerb darnieder liegen müsse: allermassen unsere beede bachstädte mit keinem Knecht versehen, sondern wann wir je einen Tag das gewerb treiben wollen, einen Meister zu dem einschüssen angelegenst bitten müssen. Auf deren Hilfe aber konnten sie sich - wie die beiden Meisterinnen schrieben - am wenigsten oder schier gar nicht verlassen.41 An diesem Fall werden mehrere Seiten des Handlungsraumes von Meisterinnen sichtbar: Victoria Knöpflerin konnte ihren kranken Mann zunächst vor dem Bürgermeisteramt vertreten und wurde dort anstandslos angehört. Während die beiden Männer dann im Arbeitshaus einsaßen, agierten die Frauen auf zwei Ebenen, indem sie zum einen versuchten, das Gewerbe aufrechtzuerhalten und zum anderen, ihre Männer freizubringen, was ihnen allerdings nicht gelang.42 Daß in beiden Bäckereien keine Gesellen arbeiteten, zeigt einmal in der akuten Situation der Abwesenheit der Meister, daß die Meisterinnen den gesamten Arbeitsprozeß des Backens so weit beherrschten, daß sie bis auf das Einschießen des Brotes in den Backofen, wofür sie ihren eigenen Angaben zufolge Männer benötigten, allein arbeiten konnten. 37 38 39

StAA, Bäcker, HWA, Fasz. 18, 18.7.1774. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 18, 24.7.1774. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 18,30.7.1774. Was man sich unter einer Wippe vorzustellen hat, haben Klaus Schreiner und Gerd Schwerhoff, Verletzte Ehre, S. 1 sehr bildlich erläutert: "Mit der sog. Schupfe oder Wippe wurden im Spätmittelalter mit Vorliebe Bäcker bestraft, die zu kleine Brote gebacken hatten. Im Lasterkorb über einer Pfütze aufgezogen, wurden sie durch eine Falltür in die Tiefe befördert oder sie mußten [...] selbst herabspringen bzw. das Halteseil mit einem Messer durchtrennen. Diese aktive, wenngleich erzwungene 'Mithilfe' des Delinquenten mußte die intendierte Wirkung nur noch steigern. Die gesamte Prozedur vollzog sich zudem in der Öffentlichkeit." Das Bemühen der Augsburger Bäcker, die Abschaffung der Wippe durchzusetzen, thematisiert kurz L. Haider, Geschichte des Bäckergewerbes, S. 21.

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StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 18, 6.8.1774. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 18, 12.8.1774. In der gleichen Situation bat eine Karlsruher Bäkkerin um die Entlassung ihres Mannes, weil weder sie selbst noch ihr Geselle [!] in der Lage war, die Bäckerei ohne den Meister zu betreiben. Vgl. O. Hochstrasser, Hof, Stadt, Dörfle, S. 51-52. Vgl. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 18, 13.8.1774.

66 Da sie dauerhaft ohne Gesellen arbeiteten, was bei Bäckereien - wie in vielen Fällen deutlich wurde - ausgesprochen schwierig war, müssen wir wohl davon ausgehen, daß sie generell gemeinsam mit ihren Männern in großem Umfang in der Bäckerei tätig waren, was sie wiederum befähigte, im eingetretenen Notfall nahezu allein zu arbeiten. Auch die Buchbindermeisterin Maria Idda Obitzin hatte - wie wir einem KGH-Protokoll entnehmen können - aufgrund der Arrestierung ihres Mannes Probleme: sie klagte am 17. Mai 1762 vor eben diesem Gericht, weil aus purer Passion einiger Buchbinder= Meister ihro, währenden Arrests ihres Ehemanns und dessen Gesellens, kein anderer Gesell zu praejudiz der Nahrung in die Werckstatt eingefuhret oder zugeschickt worden seye. Sie bat, daß ihr von Gerichts wegen ein Geselle zugewiesen würde. Sowohl die Geschworenen als auch der Altgeselle, der für die Vermittlung der neu angereisten Gesellen zuständig war, erwiderten auf die Klage, daß man der Obitzin drei Gesellen zugewiesen hätte, von denen ihr keiner recht gewesen wäre. Es stellte sich schließlich heraus, daß der erste Geselle ohne den Altgesellen gekommen war und um die Stelle gefragt hatte, weshalb die Meisterin, der dieser unübliche Weg verdächtig vorgekommen war, ihn abgewiesen hatte; die beiden anderen Gesellen waren zwar vom Altgesellen angemeldet worden, dieser hatte der Meisterin aber jeweils abgeraten: sie könne aber solche nicht gebrauchen, sie wären nichts vor Sie. Man einigte sich schließlich darauf, daß einer von den Mitmeistern, der einen Gesellen mehr führte als eigentlich erlaubt war, ihr diesen Gesellen überlassen sollte.43 Auch in diesem Fall wird deutlich, daß die Meisterinnen während der unfreiwilligen Abwesenheit ihrer Männer keineswegs die Hände in den Schoß legten, sondern resolut versuchten, das Gewerbe nicht ruhen zu lassen. Das Auftreten der Obitzin vor dem Handwerksgericht zeigt, daß sie sich nicht scheute, offen gegen das Handwerk vorzugehen, von dem sie sich im Stich gelassen fühlte, und daß Frauen durchaus die Chance hatten, auch recht zu bekommen, wenn sie im Recht waren. In der Regel verlangte es wohl schlichtweg die wirtschaftliche Lage einer Familie, daß bei Abwesenheit oder sonstiger Arbeitsunfähigkeit des Meisters das Handwerk so gut es ging fortgesetzt wurde. Als Christoph Berock, ein Goldschlagermeister ohne Gesellen, kurzfristig wegen eines Malheurs mit dem Seidenstechen ausfiel, bat seine Frau vor dem Handwerksgericht, daß man ihr einen Gesellen zur Verfügung stelle, da sie sieben Kinder zu ernähren habe. Die Handwerksvorgeher befanden, daß mann ihr aus Christlicher Liebe mit einem Gesellen an Händen gehen möchte, und so erklärte sich ein Mitmeister - wenn auch erst nach einigem Zögern - bereit, ihr für drei Wochen einen seiner Gesellen gutwillig zu leyhen.44 Dadurch hatte die Meisterin zwar wieder Entlastung in der Werkstatt, mußte aber einen fremden Gesellen einweisen und daneben - zu ihrer üblichen Arbeit - ihren kranken Mann versorgen. 43 44

StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 5, 17.5.1762. StAA, KGH, 22.10.1725, pag. 424-425.

67 Wenngleich die Mitarbeit der Ehefrauen der Meister in der eigentlichen Werkstatt nur punktuell nachgewiesen werden kann, weisen die angeführten Fallbeispiele doch ein breites Spektrum an Arbeitsfeldern auf, die von der direkten Beteiligung am Herstellungsprozeß und der Kontrolle der Arbeitsgänge bei Abwesenheit des Meisters über kaufmännische Tätigkeiten sowie das Eintreiben der Forderungen bis zur selbständigen Aufrechterhaltung des Gewerbes im Notfall reichten. Gerade weil in den meisten der gezeigten Fälle die Frauen - sogar wenn sie selbst als Akteurinnen auftraten - nicht unmittelbar im Vordergrund standen, sondern die Informationen, die Ober sie in den Quellen enthalten sind, eher unabsichtlich und unspektakulär im Kontext der allgemeinen Problemdarstellung einflossen, lassen sich die erschlossenen Arbeitsbereiche ohne allzu grobe Verallgemeinerung gleichsam als Abziehbilder der Alltagsrealität der Meisterinnen verstehen. Ihre im Umfang sicher variable Mitarbeit war als Arbeit handwerksfähiger Personen selbstverständlich und öffentlich, schriftlich thematisiert begegnet sie uns jedoch nur dann, wenn Belange der Werkstatt in den Blick der Handwerksverwaltung gerieten.

II. 1.2.1.2 Die Wissensvermittlung an den Ehemann Die im vorhergehenden Kapitel gezeigten Arbeitsfelder von Meisterinnen in der ehelichen Werkstatt machen deutlich, daß die Ehefrauen über eine Menge Erfahrungswissen verfügen mußten, um den an sie gestellten Ansprüchen gerecht werden zu können. Zugleich wird aber auch sichtbar, daß diese Frauen Meisterinnen qua Ehe, nicht über handwerkliche Professionalisierung in Form einer formalen Lehre waren. Im eigentlichen Arbeitsprozeß scheinen die Grenzen zwischen Erfahrungswissen von Frauen und professionellem Wissen von Männern jedoch gelegentlich recht verschwommen gewesen zu sein. Handwerkskenntnisse wurden nicht immer und ausschließlich nach erfolgter Heirat vom Handwerksmeister bzw. vom das Gewerbe offiziell ausübenden Ehemann an die Ehefrau vermittelt, damit diese ihm - wie es in den Quellen oft heißt - 'hilfreiche Hand leisten' konnte, sondern nahmen in manchen Fällen den umgekehrten Weg. Ich möchte dies zunächst an einem Fallbeispiel zeigen, das sich im Grenzbereich einer Zunft abspielte und das in einer Zeit, die von der Forschung als Epoche tiefgreifender Professionalisierung eingeschätzt wird, deutlich anachronistische Züge aufweist. Im Mai 1722 klagte der Vater eines Kindes vor dem Handwerksgericht gegen den Brucharzt Bartholome Wendel, da dieser sein Kind, wie der Vater meinte, falsch behandelt hatte. Er bat das Gericht zu untersuchen, ob der Brucharzt überhaupt berechtigt sei, als solcher zu arbeiten. Nachdem offensichtlich einige Monate lang nichts unternommen worden war, erschienen schließlich im August die Geschworenen der Bader mit einem erneuten Fall, bei dem die von Wendel durchgeführte Behandlung eines Kindes keinerlei Besserung gebracht

68 hatte. Wendel wurde nun vor Gericht befragt, von wem er gelernt habe, Brüche zu kurieren, und woher er die Gerechtigkeit habe, diese Profession in Augsburg auszuüben. Die Antworten lauteten: Er komme dise Wissenschaft die brüch zu curieren von seines weibes rechten Vatter Joh: Schenckh her, deme das burgerRecht wegen seines wohlverhalten geschenckht und vor ein beinharzt angenommen worden, seye derohalben sein weib von Jugend an dabey gewesen, von dero Er die fundamenta gelehrnet, massen selbe die Kunst 16. Jahr lang im ledigen stand practiciret und seye Er Wendel auf dise profession burger worden, auch von lobl. stewampt alß beinhartzt eingeschriben worden, practicire auf die Kunst schon allbereits 9. Jahr, vor disem aber seye Er Ein apoteckhers gesell gewesen. Auf den Anderten punct. sein weib habe es obverstandener massen 16. Jahr lang getriben, und er also fortgesetzet, seye ihm auch von den baaderen niehmahlen ihtwas in den weeg gelegt worden, seye auch dessenthalben vor dem consilio medico erschinen, da dann weder die baader, noch die H: Doctores etwas wider ihne einzuwenden gehabt und habe Er so wohl von H: Doctores alß auch baaderen selbsten einige Kinder glickhlich curieret. Diesen Ausführungen hielten die Vorgeher und Geschworenen der Bader entgegen, es seye nicht genug, daß Er es von seinem weib gelehrnet habe, er müsse einen ordentlichen Lehrbrief beibringen und nachweisen, woher er die Gerechtigkeit habe. Dem Schloß sich das Handwerksgericht an: wird dem beklagten von gerichtswegen aufgetragen, sich, daß Er die erlaubnis und freyheit die brüch zu curieren allhier habe, mehreres zu legitimieren,45 Daß Wendel der Forderung, einen Lehrbrief vorzulegen, nachkommen konnte, ist nicht zu vermuten, da dies seiner eigenen Schilderung seines beruflichen Werdegangs widersprochen hätte. Folgen wir den in seiner Darstellung gelegten Spuren anhand der Archivalien: weder in den Akten des Collegium Medicum46 noch in den Protokollen des Handwerksgerichtes oder im Ratsbuch des Jahres 172247 wird der Name bzw. der Fall nochmal erwähnt. Das Hochzeitsamtsprotokoll verzeichnete am 16. November 1714 den Heiratskonsens fur Bartholme Marquard Wendel, ein Appotheckers Geßell von Baytenegg in Bayren, und Anna Maria Schenckhin.48 Im Verzeichnis der Bürgeraufnahmen wurde Wendel dagegen nicht genannt - es bleibt also offen, ob er vom Steueramt als Beinarzt in das Bürgerrecht eingeschrieben wurde.49 Neue Aspekte macht jedoch die Supplik des Schwiegervaters sichtbar, mit der dieser am 20. Juni 1679 um das Augsburger Bürgerrecht gebeten hatte: Der zu diesem Zeitpunkt bereits 68 Jahre alte Mann bezeichnete sich Alß dißer Zeit von Profession Ein Brucharzt, Sonsten aber von Handtierung Ein

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StAA, KGH, 6.5.1722, pag. 1 und 26.8.1722, pag. 3-5. Vgl. StAA, Historischer Verein, Η 34/2, Collegium Medicum. Vgl. StAA, Reichsstadt, Ratsbuch 1722. StAA, Hochzeitsamtsprotokolle, Bd. 21, 1712-1718, pag. 87b. Vgl. StAA, Bürgeraufnahmen, Fasz. 15, 1705-1714. Auch die Baumeisterbücher Nr. 303 (1713/1714) und Nr. 304 (1714/1715) enthalten keinen Hinweis darauf, daß Wendel wie früher sein Schwiegervater - siehe unten - von der Stadt als Brucharzt besoldet wurde.

69 Sathler, der seit vielen Jahren häufig sowohl von geistlichen als auch weltlichen, von hohen und niederen Standespersonen zur Heilung ihrer Gebrechen von seinem Heimatort nach Augsburg geholt worden sei. Er schilderte, daß er seit kurzem bereits das Beisitzrecht der Stadt genieße, und bat nun um das Bürgerrecht, damit er an blaz des verstorbenen Langen Recipirt und in die Bestallung angenommen werden könne. Sein Sattlerhandwerk hatte er in Westendorff, wo er dreißig Jahre lang gewohnt hatte, seinem Sohn übergeben.50 Da der Sattlermeister seiner Bitte gemäß als Brucharzt in das Bürgerrecht aufgenommen wurde, müssen wir davon ausgehen, daß es sich bei dieser Tätigkeit um ein sogenanntes freies Wesen handelte, dessen Ausübung keine Lehre erforderte.51 Daß, wie oben gezeigt, die Bader von seinem Schwiegersohn 1722 einen Lehrbrief forderten, läßt vermuten, daß wir hier auf eine Obergangsphase gestoßen sind, in der traditionales Arbeiten mit den Bemühungen der zünftigen Bader um Professionalisierung kollidierte. Dies wäre ein Erklärungsansatz dafür, wie es dazu kommen konnte, daß der Apothekergeselle Wendel ohne Ausbildungsnachweise in die "Profession' der Bruchärzte gelangte und diese neun Jahre lang praktizieren konnte. Was feststeht, ist, daß er in seiner Ehefrau eine inoffizielle Lehrherrin hatte, die ihre Kenntnisse ebenso inoffiziell von ihrem Vater 'erlernt' hatte und insgesamt auf eine sechzehnjährige Tätigkeit zurückblicken konnte.52 Ein anderer Fall: Christoph Carl, der ursprünglich das Bäckerhandwerk erlernt, sich aber dann auf die Kramergerechtigkeit verheiratet hatte, wurde im August 1724 vom Zunfthandwerk der Lebzelter angeklagt, daß er eine Magd beschäftigen würde, welche denselben das Waxmachen lehre, was aber allein ihrem Handwerk zustünde. Vor das Handwerksgericht zitiert, erläuterte Carl, daß er wie die anderen Kramer befugt sei, Wachs zu machen, und daß er solches nicht von seiner Magd [lerne], weilen es sein weib selbsten kenne, und zu Landsperg bey einem lebzelter lang gedienet habe. Meister Ehele, wohl der klageführende Vorgeher der Lebzelter, hätte lediglich - so Carl, der hier versuchte, die Argumentationsebene zu wechseln, - die Magdt gern selbsten in diensten " Carl brachte also das, was die Lebzelter als Eingriff in ihre Gewerbebefugnisse abgeschafft wissen wollten, auf die Ebene der Frauenarbeit. Dies wurde im weiteren Verfahren nicht mehr thematisiert, beinhaltet für uns aber einen interessanten Aspekt. Obwohl natürlich nicht übergangen werden soll, daß die Kramerei kein Handwerk war, das der Mann beherrschte und bei dem die Frau ihn nur unterstützen konnte, scheint es doch interessant, daß einen vollständigen Arbeitsprozeß - die Herstellung von 50 51 52

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StAA, Bürgeraufnahmen, Fasz. 12a, 1673-1680, Nr. 7, 20.6.1679. Darauf verweist auch R. Hoffmann, Die Augsburger Bäder, S. 27. Mitchell Hammond zeigt in seinem sehr knappen Forschungsprojektbericht für Augsburg eine breite Teilhabe von Frauen in der praktischen Krankenfursorge des frühen 17. Jahrhunderts auf und stellt fest, "daß diese Heilpraktikerinnen ein interessantes Gegenbeispiel zum gewöhnlichen Bild darstellen, das von Frauen und ihrer Arbeit in der Frühen Neuzeit generell entworfen wird". M. Hammond, Der Streit über Frauen als Heilerinnen, S. 36. StAA, KGH, 28.8.1724, pag. 375-376.

70 Wachs - nicht der Mann, sondern die Frau beherrschte und daß sie ihre Kenntnisse an ihn weitergab. Zum einen wird hier also die Richtung des Wissenstransfers sichtbar, zum anderen aber auch ganz deutlich das Arbeitspaar erkennbar, das gemeinsam nutzte, was jeder in die Ehe mitbrachte. Besonders deutlich wird dieser 'umgekehrte1 Weg der Wissensvermittlung bei den Küchlebäckern. Obwohl es sich bei diesen um kein zünftiges Gewerbe handelte, benötigte man eine Gerechtigkeit, um diese Tätigkeit ausüben zu dürfen. Interessanterweise findet sich seit dem Zeitpunkt, an dem das 'freie Wesen' des Küchlebackens genauer reglementiert wurde, eine Tendenz zu zünftigen Argumentationsweisen. So konnte man sich - wenn man im Besitz einer Gerechtigkeit war - auf das KUchlebacken verheiraten, durfte von der Gerechtigkeit im ledigen Stand aber keinen Gebrauch machen.54 Männer, die Gesellen eines Zunfthandwerks waren, in dem Gesellenehen verboten waren, konnten zwar auf das Küchlebacken das Bürgerrecht erwerben und heiraten, mußten dann aber auf ihre erlernte Profession per Eid verzichten. Woher aber nahmen sie die benötigten Kenntnisse für den neuen Broterwerb? An diesem Punkt wird wie an kaum einer anderen Stelle meiner Untersuchung der Unterschied zwischen zünftigen und unzünftigen Handwerken in bezug auf das 'erlernte' Wissen von Frauen sichtbar. Da das Küchlebacken ein sogenanntes 'freies Wesen' war, das keine ordentliche Lehre erforderte, konnten auch Frauen diesen 'Beruf 'erlernen', das heißt sich ohne eine formalisierte Lehre - beispielsweise im Kontext einer Tätigkeit als Magd die Arbeitsprozesse aneignen, so daß sie diejenigen waren, die nach erfolgter Heirat die 'Profession' beherrschten.55 Wenngleich in den hier angeführten Fallbeispielen nicht von 'Meistern' oder 'Meisterinnen' die Rede war, weil es sich im Fall des Brucharztes um einen Grenzfall, der sich zwischen den Professionen bewegte, bei den Krämern um kein Handwerk und bei den Küchlebäckern um ein 'freies Gewerbe' handelte, meine ich doch, daß hier paradigmatisch sichtbar wird, daß Erfahrungswissen professionellem Wissen nicht zwangsläufig unterlegen sein mußte, sondern durchaus zur tragfähigen und anerkannten Basis eines Haushaltes werden konnte. Während wir gewöhnlicherweise davon ausgehen, daß von in ein Gewerbe einheiratenden Frauen Flexibilität in ihren Arbeitsrollen erwartet wurde, zeigt sich hier zumindest eine gewisse Umkehrung der Verhältnisse.

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Vgl. StAA, Küchlebäcker, Fasz. 1, 2 3 . 1 1 . 1 7 9 9 . Fallstudien, die diese Aussage belegen, werden im Kontext des Ausbildungsaspektes des Mägdedienstes angeführt werden. Vgl. hierzu unten Kap. II.4.3.

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Π. 1.2.1.3 Der Laden, ein Arbeitsplatz von Frauen In den Handwerkerakten der Bäcker findet sich ein Fall, der - zeitlich zwar schon am Ende des hier untersuchten Zeitraumes, inhaltlich aber für diesen durchaus typisch - das Tätigkeitsfeld der Meisterin explizit beschreibt: Victoria Knöpfle, eine seit einem halben Jahr verwitwete Bäckermeisterin, bat im Herbst 1806 - die Reichsstadt Augsburg war gerade an Bayern übergegangen und befand sich im organisatorischen Umbruch - um die Erlaubnis, sich erneut verheiraten zu dürfen. Da ihr dies zunächst verwehrt wurde, reichte sie zwei Monate später ein weiteres Gesuch ein, in dem sie ihre Gründe ausführlich darlegte. Neben den von Witwen in Wiederverheiratungsgesuchen üblicherweise gebrauchten Argumenten, die in einem späteren Kapitel genauer thematisiert werden sollen,36 verwies die Witwe auf die Arbeitsrollen eines Meisterpaares in einer Bäckerei: Bey diesem Geschäft hat das Weib allein den Laden Verkaitf zu besorgen, hingegen dem Manne liegt der Artkauf des Getreydes, das Mahlen, und das Backen deßelben obDurch die Darstellung einer idealtypischen Trennung der Arbeitsbereiche, mit der die 'Grenzüberschreitungen' der Meisterin hin zur Mitarbeit in der Backstube verschwiegen wurden, wollte sie sicher betonen, wie wichtig eine neue Ehe für sie wäre. Die Hervorhebimg der Verantwortung der Meisterin für den Laden darf, so meine ich, aber wörtlich genommen werden. Ober eine bloße Zuschreibung dieser Tätigkeit an die Meisterin hinaus weist ein anderer Fall. Als dem Bäckermeister Leonhardt Rueff durch - wie er meinte zauberische bewürckhungen böser leuthen zuerst sechs Schweine krank wurden und dann zweimal hintereinander der Brotteig nicht aufgehen wollte, so daß schließlich sechs Schaff Getreide verloren waren, beschloß er, diesen Brotteig dennoch zu verbacken. Die schlechte Qualität war natürlich nicht zu verheimlichen, und so wurde er nach erfolgter Anzeige zum Verhör in das Bürgermeisteramt zitiert, wo er sein Unglück ausführlich darlegte und beteuerte, daß er seiner beckhin verbotten [habe] von dem brodt quaestionis an allhiesige innwohnere nichts zuverkauffenDer Verkauf der Backwaren lag also auch hier in den Händen der Meisterin. Roland Bettger verweist darauf, daß es in Augsburg insgesamt nur etwa 25 produzierenden Handwerken erlaubt war, ihre Waren in einem offenen Laden zu verkaufen. Dies bedeutet, daß ein Großteil der Handwerksprodukte direkt in den Werkstätten angeboten wurde, so daß dort Werkstatt und Laden praktisch identisch waren.5' Neben den Bäckern führten bei den von mir untersuchten Handwerken nur noch die Zinngießer und die Buchbinder Läden. Im Kontext eines Konkurrenzstreites zwischen den Zinngießern und den Glasern wird sichtbar, daß die 56 57 58 59

Vgl. unten Kap. Π.2.4. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 23, 29.12.1806. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 14, Sept. 1741. Vgl. R. Bettger, Das Handwerk S. 79-80.

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Tochter eines Zinngießermeisters beim Ladenverkauf mithalf.60 Die Zusammenarbeit von Meisterinnen und ihren Töchtern im Laden scheint durchaus üblich gewesen zu sein, das läßt sich zumindest auch aus der Begründung der entgegen der ursprünglichen Ablehnung des Heiratsgesuches im oben angeführten Fall der Bäckerin Victoria Knöpfle schließlich doch erfolgten Bewilligung herauslesen. Dort heißt es, daß die Nothwendig- und Nuzbarkeit einer männlichen Direktion bey dem Betriebe eines solchen ofenen Gewerbes, und bedeutenden Hauswesens sich von selbsten ausspricht immassen einer gewerbßihrenden Wittib, zumalen, wenn sie, wie hier der Fall ist, kein erwachsenes Kind an der Seite hat Die Buchbinder führten ebenso wie die Buchdrucker und Buchhändler offene Läden.62 Wie oben schon dargestellt wurde und später noch zu sehen sein wird, haben im Buchbinderhandwerk Frauen generell ein breites Spektrum von Arbeiten ausgeführt. Jutta Schumann hat in ihrer Arbeit über "Frauen im Augsburger Buchdruck des 17. und 18. Jahrhunderts" insbesondere anhand der Rollenzuweisungen in Hochzeitsgedichten zeigen können, daß sowohl bei den Buchdruckern als auch bei den Buchhändlern meistenteils den Ehefrauen der Verkauf oblag: "Während dem Ehemann hauptsächlich der Handel nach außen wie z.B. der Besuch von Messen oder das Besorgen eines neuen Manuskripts zugeordnet wird, kümmert sich die Ehefrau als Buchhändlerin vor allen Dingen um die Belange des Ladens. Sie verschickt Kataloge, collationiert die Waren und gibt auch ab und zu ein Manuskript zum Druck, das von ihrem Mann eingehandelt wurde."63 Für die Buchdruckerin Maria Anna Labhart konnte sie nachweisen, daß diese für die eingehenden Bestellungen verantwortlich war und in Eigenverantwortung die Kasse führte und den Verkauf leitete.64 Ähnliches wird man auch für die Buchbindermeisterinnen annehmen dürfen. Daß in den Quellen der offene Laden als Arbeitsfeld relativ wenig sichtbar wird, scheint widerzuspiegeln, daß die Läden typische Arbeitsplätze von Frauen waren, die - wie die anderen Arbeitsfelder der Meisterinnen - kaum thematisiert bzw. schriftlich fixiert wurden.

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Vgl. StAA, HWA, Zinngießer, Fasz. 3, 14.2.1803 sowie unten Kap. II.3.3.1. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 23, 1.2.1807. Dies belegt ein im Konkurrenzkonflikt von 1725 vorgelegtes Dekret aus dem Jahr 1639. Vgl. StAA, Buchbinder, Fasz. 4, Beilage zur Eingabe der Buchbinder vom 26.4.1725. J. Schumann, Frauen im Augsburger Buchdruck, S. 50-54, Zitat S. 52. Die Verantwortung der Buchbinderfrauen für den Handel wird für Hamburg nachgewiesen von P. Eggers, Frauenarbeit im Handwerk, S. 116. Vgl. J. Schumann, Frauen im Augsburger Buchdruck, S. 53.

73 II. 1.2.1.4 Das Hausieren und das Hereinbringen fremder Ware Da es ein zentrales Anliegen der Zünfte war, die Warenproduktion und den Warenverkehr genau zu reglementieren und zu kontrollieren, mußte sowohl das Hausieren wie auch das Hereinbringen fremder, in den umliegenden Dörfern produzierter Waren strikt unterbunden werden.65 Je schwieriger die Wirtschaftslage eines Handwerkes war, desto genauer wurde auf derartige Verstöße geachtet. An allen Stadttoren waren Taxieramtsbediente aufgestellt, deren Aufgabe es war, alle Versuche der unerlaubten Einfuhr zu verhindern und die jeweiligen Güter zu konfiszieren. Auf das dringliche Bitten der Schneider46 wurde 1789 erneut ein öffentlicher Anschlag an den Stadttoren angebracht, in dem es hieß, daß Istens in Gemäßheit der längst bestehenden obrigkeitlichen Verboten, besonders des offenen Anschlags vom 5ten März 1722., fiirohin Überhaupts nicht allein alles heimliche Winkelsitzen und unbefugte Hin= und Wiederarbeiten in der Stadt selbsten, sondern auch alles und jedes heimliche und öffentliche Hereinbringen und Haußiren mit fremden Dorf= und anderen unzünftigen Waaren und Handwerksarbeiten, wie die Namen haben und in was immer für ein hier bestehendes Gewerb und Handwerk einschlagen mögen, [...] ernstlich abgeschaft und verbotten seyn solle.61 Nun waren es aber keineswegs ausschließlich fremde Tfuscher' und 'Störer', die sich dieser Vergehen schuldig machten, sondern durchaus auch zünftige Handwerker, die zu diesem Geschäft gern ihre Frauen benutzten. Und so beklagten bespielsweise die Goldschlager, daß die verbottene Gewinnsucht auch Mitt=Meister von uns so weit verleitet, daß Sie Sich nicht scheuen, auf allerhand Art und Weise durch verschiedene Unterhändler ja wohl gar durch ihre eigene Weiber und Kinder solch frembd Pfuscher metall in die Stadt herein zu bringen, solches vor das ihrige zu verkauften und dadurch ihren armen MittMeistern das ohnehin klemme Stück=Brod und Nahrung abzuspannenDie Vorgeher, die angaben, daß sie solche Meister namentlich nennen könnten, daferne wir uns nicht statt ihrer schämten, forderten, neben der Konfiszierung der Waren eine Geldstrafe von 10 Gulden zu erheben, und allein die Höhe dieser Strafe zeigt an, wie sehr sich das Handwerk durch Geschäfte solcher Art bedrängt fühlte.69 Nicht nur die Augsburger Meisterinnen wurden für solche verbotenen Aktionen herangezogen, auch die aus der Sicht der zünftigen reichsstädtischen Meister 'pfuschenden' Goldschlager der umliegenden Dörfer benutzten ihre Ehefrauen für den Schmuggel. So wird in einem Bericht des Handwerksgerichtes die Meldung des Taxieramtsbedienten Krauß wiedergegeben, daß er der Frau des Lechhauser Goldschlagers Johann Monschein 21. in ihrer Schnürbrust versteckte und ver65

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Für das Hausieren finden sich gelegentlich Ausnahmen; so durften z.B. bei den Beinringlem die Meister hausieren. Vgl. StAA, KGH, 24.11.1723, pag. 466. Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 18,12.9.1789. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 18, Dekret vom 15.12.1789. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 4, 13.8.1748. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 4, 13.8.1748.

74 laugneter Weise hereinpracticierten Formen Metall abgenommen habe, die diese erst auf strenges Zureden herausgab. Krauß fügte hinzu, daß die Lechhauser ihr Metall auf solche unerlaubte Art hereinzubringen pflegen, daß er sich billich scheuete anzuzeigen wo sie solches hin und wider an ihrem Leib verstecken.70 Umgekehrt wurden aber auch vier Ehefrauen von Bäckermeistern aktiv, als von außerhalb der Stadt, besonders von Friedberg und Lechhausen, unerlaubterweise so viel Brot hereingebracht wurde, daß die zünftigen Bäcker wegen Absatzschwierigkeiten in Not gerieten. Die Reichertin, die Gayrin, die Rauschmayrin und die Marckwartin erschienen am 18. Februar 1789 vor dem Handwerksgericht und zeigten an, daß besonders die auswärtigen Spinner den hiesigen Webern, für die sie arbeiteten, in solchen Mengen Brot in die Stadt brachten, daß schon mancher Meister, der sonst in der Woche 26. Schaff Getraid verwerthet, nur noch 4. und auch 3. Schaff verbrauche, weshalb nicht nur dem Ungeld- und Aufschlagamt Einnahmen verloren gingen, sondern die Bäcker fast keine Nahrung mehr haben. Das Gericht berichtete seinerseits an den Rat, daß die Bäckermeisterinnen ihr nahende[s] Verderben mit lebhaften Farben geschildert, und um obrigkeitliche Hilfe mit weinenden Augen gebeten haben. Nur zwei Tage später reichten hiervon besonders betroffene Bäcker beim Rat eine Supplik ein, mit der sie um die Abstellung der Einschwärzung fremden Brodes baten. Unter den Unterzeichnern der Bittschrift sind auch die Ehemänner von drei der vier klagenden Meisterinnen zu finden, mit keinem Wort wird jedoch auf deren mündliche Anzeige beim Handwerksgericht eingegangen. Das Dekret vom 20. Februar ermahnt die Bäcker, die zuerst beim Taxieramt um Abhilfe nachgesucht hatten und ohne dessen Bemühungen abzuwarten, auch noch vor dem Handwerksgericht geklagt hatten, solche doppelten Aktionen zukünftig zu unterlassen. Die Eingabe beim Taxieramt fehlt in den Akten, möglicherweise haben die Bäckerinnen ohne Rücksprache mit ihren Männern aus Empörung über die Tatenlosigkeit der Ämter oder einfach auch aus ihrer konkreten Notlage heraus die Klage vor dem Handwerksgericht eigenmächtig eingebracht." Zum Hausieren und Hereinbringen fremder Waren in die Stadt wurden nicht nur die Meisterinnen, sondern auch Meistertöchter und Mägde herangezogen. Daß die Meister hierfür besonders gern auf Frauen zurückgriffen, ist wohl damit zu erklären, daß sie bei einer eventuellen Entdeckung des illegalen Vorgehens versuchen konnten, das Handeln der Frauen als törichtes Nichtbefolgen ihrer meisterlichen Anweisungen darzustellen. Dies schützte sie zwar letztlich nicht vor Strafe, konnte diese aber zumindest bei der ersten Überfuhrung mildem.

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StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, 23.2.1753. Vgl. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 19, Februar 1789.

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II. 1.2.2 Die außerhäusliche Lohnarbeit und die selbständige Frauenarbeit Im Kontext des zünftigen Handwerks nach außerhäuslicher Lohnarbeit und selbständiger Arbeit von Meisterfrauen zu fragen, mag auf den ersten Blick irritieren. Möglicherweise ist itlr diese Irritation das Theorem des 'ganzen Hauses1 verantwortlich, wenn man dieses unhinterfragt im Sinne einer autarken Ökonomie denkt.72 Heide Wunder hat im Zusammenhang mit der Frage nach dem Status von Frauen und dem ökonomischen Geschlechterverhältnis neben dem sich neu herausbildenden Typus der "bürgerlichen' Hausfrau (der Beamten- und Akademikerfrauen) idealtypisch zwei Formen von Arbeitspaaren gezeigt: das lohnabhängige und das selbständig wirtschaftende Ehepaar. Beim Lohnarbeitspaar war "[d]er Beitrag der Eheleute zum gemeinsamen Haushalt [...] nicht nur gleichrangig, sondern gleichartig".73 Dagegen hatten die Ehefrauen in den Haushalten, in denen das Ehepaar nicht lohnabhängig arbeitete, "in denen 'gezeugt' und 'gewonnen' wurde",74 also in den selbständigen Familienhaushalten von Handwerkern, Kaufleuten und von Verpflichtungen gegenüber Grund- und Gutsherren unabhängigen Bauemwirtschaften verschiedene und sehr variable Arbeitsrollen inne. Außerdem standen sie als Hausmütter dem Gesinde vor, womit sie Herrschaftsfunktionen ausübten. "Arbeit erhielt ihren Wert" - so Heide Wunder - "nicht primär über den Markt, vielmehr Uber den selbständigen Status der Hausfrau und abhängigen Status der Lohnarbeiterin."75 Dabei lag der Bewertungsmaßstab nicht in der Arbeitskompetenz, sondern im Faktum der Lohnarbeit.76 Daß es für Meisterinnen - im Sinne von Ehefrauen von Handwerksmeistern auch Grenzüberschreitungen in Richtung Lohnarbeit gab, darauf hat Heide Wunder in ihren einschlägigen Arbeiten hingewiesen.77 Die Einbeziehung dieses Arbeitsfeldes in die Untersuchung der Tätigkeitsbereiche von Meisterinnen wurde in jüngeren Arbeiten immer wieder als wünschenswert und notwendig gefordert,78 jedoch bisher kaum eingelöst. Ein solches Unterfangen erweist sich in der Forschungspraxis als ähnlich schwierig wie eine konkrete systematische Darstellung der Tätigkeiten von Meisterinnen in den ehelichen Werkstätten. Während in den Aufnahmegesuchen um das Beisitz- und Bürgerrecht von Gesellen der hier untersuchten Handwerke, in denen die Gesellenehe zugelassen war - dies war bei den 72 73 74 75 76 77

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Zur Kritik vgl. I. Richarz, Das ökonomisch autarke 'Ganze Haus', sowie oben Kap. 0.4. H. Wunder, "Jede Arbeit", S. 25. H. Wunder, "Jede Arbeit", S. 26. H. Wunder, "Jede Arbeit", S. 35. Vgl. H. Wunder, "Jede Arbeit", S. 35. Vgl. z.B. H. Wunder, Frauen in der Gesellschaft, S. 133 sowie dies., "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 104-114. Vgl. z.B. D. Rippmann, K. Simon-Muscheid, Weibliche Lebensformen, S. 64.

76 Zimmerleuten und den Goldschlagem der Fall - zahlreiche Hinweise auf die momentane und eine mögliche zukünftige Lohnarbeit ihrer Bräute enthalten sind, ist die Quellenlage im Hinblick auf die Lohnarbeit von Meisterinnen sehr viel ungünstiger. Zwar findet sich in den Augsburger Handwerkerakten hierzu eine Reihe von Fällen, die aber kaum mehr als punktuelle Belege fur solche lohnabhängigen Tätigkeiten sein können. Dennoch machen sie deutlich, daß wir im zünftigen Handwerk nicht automatisch von in sich geschlossenen, sich selbst genügenden Werkstätten ausgehen dürfen. Freilich gilt auch hier, daß außerhäusliche Lohnarbeit von Meisterinnen für uns nur sichtbar wird, wenn sie in irgendeinem Zusammenhang aktenkundig wurde. In den Akten der von mir ausgewählten sieben Handwerke und denen der mituntersuchten Küchlebäcker fanden sich insgesamt zwölf Fälle von außerhäuslichen bzw. selbständigen Tätigkeiten von 'Meisterinnen'. Dabei handelt es sich um drei geschworene Käuflerinnen, drei Hebammen, eine Goldwirkerin, eine Wachsbussiererin, eine Kattunmalerin, eine Kräutlerin, eine Frau, die eigenständig einen Laden fuhren wollte, und einen Fall, bei dem die Lohnarbeit der Frau angekündigt, aber nicht konkretisiert wurde. Die Handwerksgerichtsprotokolle der Jahre 1722 bis 1725, also der ersten Jahre nach der Gründung dieses Gerichtes, die ich für diese Fragestellung durchgesehen habe, enthalten zwei weitere Fälle, bei denen es sich eindeutig um Meisterfrauen handelte. Einige dieser Frauen und die von ihnen ausgeübten Tätigkeiten sollen hier exemplarisch vorgestellt werden. Beginnen wir mit den Käuflerinnen. Sie spielen hier insofern eine Sonderrolle, als sie nicht einer außerhäuslichen Lohnarbeit, sondern einem eigenständigen Gewerbe nachgingen, obwohl sie jeweils als Ehefrauen 'Meisterinnen' eines Handwerks waren. Anders als die Küchlebäckerinnen, die zwar de facto selbständig arbeiteten, aber ihre Gerechtigkeit stets nur über ihre Ehemänner besaßen, konnten die Käuflerinnen ihr Gewerbe völlig eigenständig ausüben. Sowohl die Käuflerordnung von 1732 wie auch die von 1797 legte die Zahl der Käuffler und Käuferinnen auf 24 fest.79 Durch beide Ordnungen zieht sich - anders als in den Handwerkerordnungen - jeweils die Doppelbenennung Käuffler und Käuferinnen, was schon darauf verweist, daß es sich hierbei um kein rein männliches Gewerbe handelte. Lediglich der vierte Artikel der Ordnung von 1732 ist in dieser Hinsicht widersprüchlich formuliert, da es dort heißt, daß [d]z'se 24. Käuffler [...] auch sambt ihren Weibern zur jährlichen Verlesung der Ordnung und zur Vereidigung erscheinen sollten. Die Inhalte der anderen Artikel und auch die noch darzustellenden Fallbeispiele belegen jedoch eindeutig die selbständige Arbeitsmöglichkeit von Frauen als Käuflerinnen.80

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StAA, HWA, Käufler, Fasz. 7, Ordnung von 1732, Artikel 1; Ordnung von 1797, § 1. Vgl. z.B. Artikel 5, in dem festgelegt wurde, welche Sicherheiten die Käufler und Käuflerinnen zu leisten hatten. Neben der Hinterlegung von Bargeld konnten sie einen Bürgen stellen, Es wäre dann Sach/ daß ein solcher Käuffler/ oder Käufflerin ein ligend Gut eigenthumlich

77 Neben dem Handel mit Mobilien und Geräthschaften aller Arf1 oblag den Käuflern und Käuflerinnen die Taxierung des Wertes von Erbschaften, von Hausrat und anderen Mobilien.82 Die Schätzung der Hinterlassenschaften bzw. der Besitztümer war notwendig, wenn es darum ging, die jeweiligen Erbteile festzulegen,'3 aber auch für den Nachweis des Vermögensstandes etwa bei Heiratsgesuchen.84 Besonders dieser Aufgabenbereich war wohl auch der Grund dafür, daß die Personen, die die Käuflerei ausüben durften, auf dieses Amt vereidigt wurden. Aufgrund der erheblichen Verantwortung, die sie hier trugen, mußte gewährleistet sein, daß sie ihr Amt rechtschaffen ausübten. Aus der Anzahl der Käufler und Käuflerinnen wurden die sogenannten Minder- und Unterkäufler gewählt. Ihre Aufgabe war es, Kredite zu vermitteln, Käufer für Immobilien oder Pächter für Läden und dergleichen zu finden.85 Die Ordnung legte fest, daß nur verbürgerte Personen als Käufler bzw. Käuflerinnen angenommen werden sollten, die zudem des Lesens und Schreibens wohl kundig und erfahren sind. Da es sich häufig um Kommissionsgeschäfte handelte, war es notwendig, daß sehr sorgfältig Buch über alle Vorgänge geführt wurde.86 Die Ausübung der Käuflerei war mit dem Erwerb einer Gerechtigkeit verbunden,87 und die verordneten und geschworenen Käufler und Käuflerinnen mußten ihren Geschäften täglich in offenen Läden nachgehen; der Verkauf in Häusern/ oder Wincklen war ihnen ebenso verboten wie das Hausieren.88 Zwischen den Käuflern und den verschiedenen Handwerken waren Konflikte, bei denen es um Eingriffe in die Rechte des jeweilig anderen ging, an der Tagesordnung. Die Augsburger Schneider beispielsweise durften gemäß ihrer Ordnung nicht fllr den freien Verkauf arbeiten, sondern lediglich gegen Bestellung. Dagegen durften die Käufler keine anderen Kleidungsstücke verkaufen als solche welche unbetrügliche Kennzeichen an sich haben, daß sie schon einige Tieit getragen

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besäße. Wäre hier mit Käufflerin nur die Ehefrau eines Käuflers gemeint, müßte sie nicht extra genannt werden. StAA, HWA, Käufler, Fasz. 7, Ordnung von 1797, § 2; hierbei handelte es sich nicht nur um kleine Gegenstände, sondern auch um Schränke, Kisten, Betten usw. Vgl. StAA, HWA, Käufler, Fasz. 7, Ordnung von 1732, Artikel 15. Vgl. J. J. von Huber, Abhandlung, S. 39 sowie oben Kap. 1.3. Ein solches von einem Käufler erstelltes Verzeichnis des geschätzten Mobiliarstandes liegt beispielsweise dem Heiratsgesuch des Buchbindergesellen Anton Vinzenz Dingelmair bei, der die Witwe Ursula Degenfelderin ehelichen wollte und ihren Vermögensstand angeben mußte. Vgl. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 6, 3.12.1811, unterschrieben von Johann Kaspar Fetzer geschworener Käufler. Vgl. StAA, HWA, Käufler, Fasz. 7, Ordnung von 1732, Abschnitt: Von denen Minder= oder Unter=Käuffleren, Artikel 1 und 2. StAA, HWA, Käufler, Fasz. 7, Ordnung von 1732, Artikel 6. Vgl. StAA, HWA, Käufler, Fasz. 7, Ordnung von 1732, Abschnitt: Von denen Minder= und Unter=Käuffleren, Artikel 11. Dieser Artikel galt jedoch ausdrücklich für alle bestellten Käufler und Käuflerinnen. StAA, HWA, Käufler, Fasz. 7, Ordnung von 1732, Artikel 1 und 3.

78 worden.** Kontrollberechtigt waren aber wiederum die Schneider, die nach jeweiliger Rücksprache mit dem Handwerksgericht verdächtige Ware der Käufler konfiszieren durften. Die Käufler hatten die Auflage, Kleidungsstücke, die nicht eindeutig als gebraucht zu erkennen waren, zuerst den Handwerksvorgehern der Schneider vorzulegen und sie von diesen kennzeichnen zu lassen.90 Die drei Frauen, die sich innerhalb der von mir untersuchten Handwerke als geschworene Käuflerinnen betätigten, waren alle drei mit Schneidermeistern verheiratet. Daß dem so war, beruhte aber nicht auf einer zwangsläufigen Verbindung, sondern lediglich darauf, daß diese Fälle aus den Handwerkerakten der Schneider stammen. Als die Käuflerin und verwitwete Schneidermeisterin Anna Maria Müllerin im Juli 1731 mit einer Eingabe an den Rat bat, die Schneiderwerkstatt einer ihrer Töchter übergeben zu dürfen, unterschied sie sorgfältig zwischen den beiden Arbeitsfeldern. Sie schrieb, daß sie aufgrund ihres Contracten zustandes sehr mühseeligen Allters, und da ich über dieses bey meiner Käufflerey mich zu ernehren verhoffe, nimmermehr weder gesonnen, noch auch im Stand bin, auf meines Seel. Manns Schneider Handwerck zu heurathen, weshalb sie sich entschlossen hätte, die Gerechtigkeit ihrer Tochter zu überlassen. Am Schluß der Supplik unterstrich sie - wie üblich - ihre Bitte nochmal mit dem Hinweis, daß sowohl bei den Schneidern als auch bei anderen Handwerken solche Übergaben schon erlaubt worden seien und sie meines Manns Seel: Handwercks Gerechtigkeit der Tochter transferieren wolle. Hier wird nochmal die klare Differenzierung zwischen meiner Käufflerey und meines Seel. Manns Schneider Handwerck aufgenommen, indem sie nicht - wie Witwen das in der Regel taten - von ihrer Handwerksgerechtigkeit schrieb, sondern von der ihres Mannes." Ihrem Selbstverständnis nach war sie Käuflerin und ihr Mann Schneider; dies entsprach wohl auch den Arbeitsrollen während ihrer Ehe mit ihm. Nur wenige Monate nach Anna Maria Müllerin reichte Anna Maria Beckhertin Conradt Hüningers burgerl. Schneiders alhier seel. wittib, und geschworne[r] Käufflerin ebenfalls ein Übergabegesuch ein. Auch in ihrer Eingabe wird die eben gesehene Gewichtung deutlich: Nach deme ich mich bey Einem Jahr mit Siben Kinderen beladen im Wittibstandt befinde, dem Handtwerckh aber neben meiner Käufflerey nit allerdings nach genuegen abwarthen kann, habe mich entschlossen auf Hochobrigkeitl. Ratification meine Handtwerckhs Gerechtigkeit meiner Toch-

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StAA, HWA, Schneider, Fasz. 14, 27.7.1752. Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 14, 27.7.1752. Zwischen 1780 und 1792 gab es eine dauerhafte Auseinandersetzung zwischen den Schneidern und den Käuflern wegen des Visitationsrechtes der Schneider und insbesondere der Art der Ausführung dieser Visitationen. Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 18. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 10, 31.7.1731.

79 ter Anna Maria Regina Hiningerin zu cedieren, und abzutretten.92 Ihre Haupttätigkeit war demnach die Käuflerei und diese wollte sie weiterfuhren. Ebenfalls aus einem Übergabegesuch wissen wir von einer weiteren Käuflerin: Schneidermeister Tobias Wild wollte sein Handwerk aufgeben, da er Theils alters halber Theils aber wegen Blödigkeit meines gesichts geraume Jahr her der arbeit vorzustehen nicht mehr imstandt seye, sohin auf der profession nimmer fortkommen könne, meiner Ehewürthin auch als einer geschwornen Käufflerin das Handwerck länger mit Gesellen fortzuführen sehr beschwerlich falle. Da sich der zukünftige Schwiegersohn erboten habe, die Eltern zu versorgen, hätten er und seine Frau beschlossen, diesem und ihrer Tochter das Handwerk zu übergeben.'3 Dagegen berichtete das Handwerksgericht dem Rat, daß Meister Wild schon vor längerer Zeit in das Hospital aufgenommen worden und seine Frau noch bey so mittlen Jahren seye, daß sie sich zweifellos nach dem Tod ihres Mannes wieder auf das Handwerk verheiraten würde. Da außerdem der Geselle seine Jahre noch nicht ersessen hatte und die Tochter wegen eines sexuellen Fehltrittes - so das Gericht - keine Gnade verdienen würde, empfahl es die Ablehnung des Gesuchs.94 Die Doppeltätigkeit der Ehefrau als Meisterin, die der Werkstatt vorzustehen hatte, und als Käuflerin erschien dem Gericht nicht als Problem. Mit einem letzten Beispiel kann eindeutig gezeigt werden, daß die Tätigkeit der geschworenen Käuflerinnen als völlig eigenständiger, dem Einflußbereich und dem Nutzungsrecht der Ehemänner entzogener Arbeitsbereich galt. Nachdem die Erdkäuflerin Maria Anna Boin ihre Gerechtigkeit mit obrigkeitlicher Erlaubnis der Otilia Winterin überlassen hatte, brachten die Vorgeher der Käufler vor dem Handwerksgericht den Vorwurf vor, daß der Ehemann der Winterin, ein Kupferschmiedemeister, schon längere Zeit Hausrat aus Kupfer und Messing aufkaufe und unberechtigt verkaufe. Sie fürchteten, daß Winter die Erdkäuflergerechtigkeit seiner Frau dazu mißbrauchen würde, den Rechten der Käufler Abbruch zu tun. Daraufhin ermahnte das Handwerksgericht die neu angenomme Erdkäuflerin: Die Winterin wird amtlich errinert genau der Ordnung, die ihr vorgelesen worden, und auf welche sie angelobet habe, nachzukomen, ohne alles Einmischen ihres Mannes, welcher wisen wird, daß er nicht befugt seye in die Gerechtsame der geschworenen Käufler Eingrife zu machend Ebenso eigenständig und vom Gewerbe des Ehemannes unabhängig wie die Arbeit der Käuflerinnen war die einer ganz anderen Gruppe von Frauen, nämlich der Augsburger Hebammen. Eine Frau, die Hebamme werden wollte, mußte einen 92 93 94 95

StAA, HWA, Schneider, Fasz. 10, 13.10.1731. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 14, 13.9.1755. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 31, 19.11.1755. StAA, HWA, Käufler, Fasz. 7, Vidimierte Copien verschiedener Verordnungen, BeschlUßen, Erkentnißen, Verständnißen und protocollarischer Verhandlungen in betreif derer von geschwornen Käuflern, Ao. 1757-1806, pag. 20, 23.7.1799. - Die Erdkäufler stellten eine Untergruppe der Käufler dar, die nur Gegenstände mit einem Wert bis zu 6 Gulden ankaufen durften. Vgl. StAA, HWA, Käufler, Fasz. 7, Ordnung von 1732, Artikel 17, 18, 19.

80 ehrbaren Lebenswandel belegen können, eine gute Gesundheit besitzen, zwischen 25 und 45 Jahre alt sein und selbst bereits geboren haben. Während einer dreijährigen Lehrzeit bei einer erfahrenen Hebamme, die sich die Lernende nicht selbst auswählen durfte, mußte sie mehrmals im Monat an einem theoretischen Unterricht der vom Collegium Medicum dazu verordneten zwei Ärzte teilnehmen sowie die von diesen empfohlenen Bücher auf eigene Rechnung anschaffen und durcharbeiten. Eine Hebamme mußte also auch lesen und schreiben können. Am Ende der Ausbildung stand eine Prüfung durch die beiden Mediziner.96 Nach dem bestandenen Examen wurde sie in das Hebammenbuch eingeschrieben und durfte als unbesoldete geschworene Hebamme praktizieren. Die Zahl der Hebammen wurde dadurch beschränkt, daß jeweils nur vier Frauen in der Ausbildung stehen durften. Insgesamt wurden neben den vier Führerinnen nur elf Hebammen von der Stadt besoldet: neun examinierte Hebammen durften frei in der Stadt praktizieren, eine weitere wurde in das Lazaret oder Brech-Haus/ in die Eisen/ und in das Blattern-Haus bestellt, eine andere mußte im Noth-Haus und vor den Toren fur Schwangere, die außerhalb der Stadt lebten, Dienst tun. Starb eine von diesen, konnte eine examinierte Hebamme nachrücken. Die dritte Klasse von Hebammen bildeten die schon genannten Führerinnen, die jeweils die erfahrensten Frauen sein sollten. Ihnen oblag eine besondere Sorge für die lernenden Hebammen, den anderen sollten sie stets mit Rat und Tat zur Seite stehen. Zudem war es ihre Aufgabe, alle Hebammen vor dem Bauamt, den beiden verordneten Medizinern und den Obfrauen zu vertreten." Aus einem Bericht der Baumeister an den Rat aus dem Jahr 1787 geht hervor, wie hoch die Besoldung der Hebammen war bzw. was sie fur ihre Hilfe direkt von den Gebärenden erhielten. Die Führerinnen wurden fur ihre umfangreicheren Aufgaben jährlich mit 24 Gulden entschädigt, die Hebammen im Lazarett und vor dem Tor erhielten wegen doppelter Dienste ebenfalls 24 Gulden; die geschworenen Hebammen wurden mit jährlich 10 Gulden entlohnt. Während für diese Frauen das Geld, das sie fur die Geburten erhielten, eine zusätzliche Einnahme darstellte, war letztere für die unbesoldeten Hebammen der einzige und eigentliche Lohn, der auch nicht obrigkeitlich fixiert war, sondern nach Gewohnheit bezahlt wurde: nach bißheriger Observanz bezahlen Herrschaften, Honoratiores, und 96

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Vgl. StAA, Historischer Verein, H.P. 260, Hebammen-Ordnung von 1750, Artikel 11-18. Ähnliche Bedingungen gab es beispielsweise auch in Hildesheim. Allerdings waren dort die Frauen zu Beginn der Ausbildung etwa 30 Jahre alt, über dem 35. Lebensjahr galten sie als zu alt. Vgl. S. Lesemann, "Frauenzimmer wie die Borchers ...", bes. S. 107-108 u. S. HO. Zu Ausbildung, Arbeit und Status der Hebammen, zu Schwangerschaft und Geburt vgl. allgemein den Sammelband von J. Schlumbohm, B. Duden, J. Gelis, P. Veit (Hg.), Rituale der Geburt, sowie die Studie von E. Labouvie, Andere Umstände. StAA, Historischer Verein, H.P. 260, Hebammen-Ordnung von 1750, Artikel 2. Die Obfrauen waren von den Baumeistern vorgeschlagene und vom Rat eingesetzte Patrizierfrauen, die die Hebammen hinsichtlich ihres Lebenswandels und der ordentlichen Führung zu beaufsichtigen hatten.

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Kaufleute ft. 5:— Kunstverwandte fl. 3.— Handwerksleute fl. 1.30 xr. und geringere nach ihrem Vermögen wenigstens fl. 1.—. Neben der eigentlichen Entbindung gehörte es zu den Pflichten der Hebammen, die schwangeren Frauen schon vorher einige Male zu besuchen, das Taufkleid leihweise zur Verfügung zu stellen sowie das Kind zu baden, bis der Nabel abgeheilt war und ftlr die Kindbetterin keine Gefahr mehr bestand.9' Wie oben erwähnt, mußten die Frauen, die den Hebammenberuf erlernen wollten, bereits selbst Kinder geboren haben, das heißt, daß sie entweder verheiratet oder verwitwet waren, wenn sie als Hebammen arbeiteten. Trotzdem wurde der zehnte Artikel der Ordnung mit einer Forderung Uberschrieben, die gerade für diese Frauen sicher nicht immer leicht zu erfüllen war: Daß sie allen andern Diensten sich entziehen, und in steter Bereitschaft auf ihren Beruf stehen sollen. Die dortige Auflistung der Dienste, die Hebammen nicht übernehmen sollten, beinhaltet wohl auch die üblicherweise von Frauen ausgeführten außerhäuslichen Lohnarbeiten. So sollten sie des Hochzeit=Ladens/ Leichen=Sagens/ der Kinder =Wart/ des Aufwartens in Bädern/ des Waschens/ des Häuser=ausbutzens/ es sey/ wo es wolle/ und anderer mehr/ bevorab solcher Arbeiten/ wodurch ihre Hände verderbet und unbrauchbar gemachet werden/ sich gänzlich entschlagen Da die Frauen so wenig wie möglich außer Haus gehen sollten, damit sie in eiligen Fällen stets erreichbar waren, konnten sie ihre Pflichten, die sie als Ehefrauen von Handwerksmeistern hatten, vermutlich oft nur mit Einschränkungen erfüllen. Genau damit argumentierte der Kistlermeister Johann Christian Roth, als die Baumeister 1777 beschlossen hatten, zukünftig statt neun examinierten Hebammen nur noch vier zu besolden, wodurch auch seine Ehefrau um einen Teil ihrer Einkünfte kam. Er schrieb gemeinsam mit einem ebenfalls betroffenen Gumpenmacher, daß die Frauen zwar Bücher kaufen und Tag und Nacht verfügbar sein müßten, für ihre Arbeit aber wenig, oder wohl gar nicht belohnet werden, anbey aber noch die Häußlichen Geschäffle zu versäumen benöthiget sind.'00 Im Kontext der von mir untersuchten Handwerke fanden sich drei Meisterinnen, die als Hebammen tätig waren. In allen drei Fällen war es jedoch nicht möglich, über die in den Handwerkerakten enthaltenen Informationen hinaus weitere zu eruieren. Aus einem Streit, den der Kistler- und Zimmergeselle Johann Kurz mit dem Handwerk der Zimmerleute führte und der in seiner Hauptsache hier nicht weiter relevant ist, geht hervor, daß er bei Zimmermeister Wintterer am Milchberg nach Erlegung von 50 Gulden Lehrgeld seine Ausbildung begonnen hatte. Da sein Meister aber schon nach Ablauf eines Jahres verstorben war, sollte er das Lehr98

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StAA, Collegium Medicum, (nicht numeriertes Fasz.) 1. Obfrauen von 1564 bis 1802; 2. Hebammen von 1563 bis 1802,17.9.1787. StAA, Historischer Verein, H.P. 260, Hebammen-Ordnung von 1750, Artikel 10. StAA, Collegium Medicum, (nicht numeriertes Fasz.) 1. Obfrauen von 1564 bis 1802; 2. Hebammen von 1563 bis 1802, 12.12.1777.

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geld anteilig von der Witwe zurückerhalten. In diesem Kontext erfahren wir, daß er dieses Geld bei dem Burger-Mayster-Ambt sehen [sollte], von der Wittib aber /. welche eine Höb-Amme war :/ nur etwas weniges bekommen, so ihr in dem HöbAmmen-Ambt abgezogen worden, mithin ganz unschuldig umb das meinige kommen bin.m Seine Meisterin arbeitete also als Hebamme und mußte nun nach dem Tod ihres Mannes für finanzielle Belange seiner Werkstatt aufkommen. Daß dafür Teile ihres Verdienstes einbehalten wurden, belegt, daß das Ehepaar trotz seines 'Doppelverdienstes' nicht in der Lage gewesen war, Rücklagen anzusparen. Eine weitere Hebamme findet sich in den Akten der Schneider. Da dieser Fall eine Besonderheit aufweist - die betroffene Frau war zweimal geschieden und einmal verwitwet - , wird er an anderer Stelle noch genauer darzustellen sein.102 Als Hebamme wurde Elisabetha Felicitas geborene Breunichin, geschiedene Vogtin103 und geschiedene Wegelin104 in ihrem Heiratsgesuch mit Christian Wilhelm Preßle im Jahr 1775 bezeichnet. Im Wiederverheiratungsgesuch vom August 1787 - Schneidermeister Preßle hatte inzwischen Selbstmord begangen - ist vom Hebammenamt nicht mehr die Rede.105 Daß sie trotz des hohen Anspruches an die moralische Integrität einer Hebamme als geschiedene Frau zu diesem Amt zugelassen worden war, verweist auf die Bedeutung der zuerkannten Schuldlosigkeit im Scheidungsfall, die ebenfalls später gezeigt werden wird. Auf die Fragen, wie lange sie das Amt ausübte und weshalb sie es aufgab, konnten keine Antworten gefunden werden.106 Am 15. Juni 1751 bat die verwitwete Schneidermeisterin und Hebamme Ursula Zieglerin in einem Schreiben an den Rat, ihre Werkstatt ihrer Tochter übergeben 101

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StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 4, undatiert, da er aber die französische Pompordierung der Stadt und den späteren Abzug der französischen Besatzung als Bezugsdaten nutzte, muß das Schriftstück aus dem Jahr 1704 stammen. Vgl. unten Kapitel II. 1.4. Dieser Ehemann war Schustermeister, die Scheidung erfolgte ca. 1758. Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 15, 2.12.1760 und 9.4.1761. Wegele war Schneidermeister; diese Ehe wurde 1774 geschieden. Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 16, 16.5.1775. Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 16, 16.5.1775 und Fasz. 17, 8.8.1787 und 14.8.1787. Folgende Archivalien wurden ergebnislos herangezogen: StAA, Historischer Verein, Η 29, Hebammen 1787-1806; Hebammen 1784-1802; Ordnungen, 1739-1781. Bei letztgenanntem handelt es sich um ein Buch, in das am Anfang wenige Seiten der Ordnung eingeschrieben wurden; dieser Eintrag bricht jedoch plötzlich ab und enthält keine Jahresangabe. Ab der Mitte dieses Buches folgen Eintragungen ftir die Zeit vom 21.2.1739 bis 21.9.1781, wobei es sich um Berichte über die Quatembersitze - die Zusammenkünfte aller Hebammen - handelt, bei denen mit namentlicher Nennung der jeweiligen Hebamme deren Bericht über besondere Vorkommnisse aufgenommen wurde. An keiner Stelle ist Elisabetha Felicitas Breunichin/Wegelin/Preßlin genannt. Weiter wurden benutzt: StAA, Historischer Verein, Η 34, Hebammen, Protokollbuch 1782-1806; StAA, Collegium Medicum, (nicht numeriertes Fasz.) 1. Obfrauen von 1564 bis 1802; 2. Hebammen von 1563 bis 1802 und StAA, Collegium Medicum, (nicht numeriertes Fasz.) Hebammen und Obfrauen von 1548-1813, gedruckte Ordnungen.

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zu dürfen. Zur Begründung führte sie an, daß ihr Sohn aufgrund seiner Gebrechlichkeit die Werkstatt weder länger für sie führen noch selbst Meister werden könne, während sie mit meinem Hebammen=Dienst mich allein selbst nothdürfftig zu ernähren und fortzubringen mit der Hülff Gottes getraue. Am Schluß ihrer Eingabe bekräftigte sie ihre Bitte mit dem Hinweis, daß schon viele solcher Werkstattübergaben sowohl bei den Schneidern als auch bei anderen Handwerken erlaubt worden seien und sie nun als betagte Meisters Wittib in der Hoffnung lebe, daß ihr die erbetene Gnade gewährt würde, was schließlich auch eintraf. Daß sie sich hier als betagte Witwe bezeichnete, widerspricht an sich ihrer Zuversicht, sich mit dem anstrengenden Hebammendienst durchbringen zu können, fügt sich aber an dieser Stelle der Supplik in die für Obergabegesuche übliche Argumentationsstrategie, die keineswegs mit ihrer tatsächlichen Selbsteinschätzung übereinstimmen mußte.107 Daß es - wie schon sehr deutlich wurde - nicht nur nicht ungewöhnlich war, wenn eine Meisterin 'nebenher1 eine bezahlte Tätigkeit ausübte, sondern daß es ein Meister- und Heiratsgesuch geradezu beschleunigen konnte, zeigt der folgende Fall. Der Schneidergeselle Ignatz Jungert führte seiner kränklichen und blinden Mutter seit dem Tod des Vaters bereits eineinhalb Jahre die Werkstatt. Ihm selbst fehlte von den geforderten Gesellenjahren nur noch eine kurze Zeit, so daß er bald eine eigene Gerechtigkeit hätte erwerben können. Aus seinem Gesuch um die vorzeitige Zulassung zum Meisterrecht geht nun hervor, daß er Agnes Renpoldinn, eine Augsburger Malertochter, heiraten wollte, die nicht nur 600 Gulden besaß, sondern zukünftig auch nebenbey einen ordentlichen Verdienst im Goldwirken zuerwerben im Standi ist. Um nicht diese reichliche Hilfsquelle widerum fahren lassen zu müssen, bat er, das Handwerk der Mutter, die er bis zu ihrem Tod zu versorgen versprach, übernehmen und gleich Meister werden zu dürfen.108 Das Handwerksgericht votierte für ihn, da dadurch der Supplicant jene für sein Verhältniß nicht alltägliche aussiebten durch eine glückliche Verbindung zu realisieren in Stand gesezt wird.m Die junge Schneidermeisterin konnte als Goldwirkerin einen nicht unerheblichen Teil des Familieneinkommens mitverdienen und als geschickte Handarbeiterin auch in der ehelichen Werkstatt mitarbeiten. Dies ist einer der vielen Fälle, bei denen sichtbar wird, daß die Ehe nicht als ein bloßes Versorgungsinstitut für Frauen, also im Bücherschen Sinn als Instrument zur Lösung der Frauenfrage, angesehen werden darf, wie dies in der älteren Forschung oft geschehen ist.110 Agnes Renpoldinn konnte - wie eindeutig erkennbar ist - recht gut für sich selbst sorgen, man könnte hier angesichts der äußerst schwierigen Lage des Schneiderhandwerks sogar die Frage stellen, wer in dieser Ehe wen versorgte.

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StAA, HWA, Schneider, Fasz. 14, 15.6.1751 (Eingabe) sowie Fasz. 31, 1.9.1751 (Bericht des KGH) und 2.9.1751 (Dekret). StAA, HWA, Schneider, Fasz. 19, 22.6.1796. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 19, 20.7.1796. Vgl. K. Bücher, Die Frauenfrage im Mittelalter.

84 Eine so gesicherte Existenz hatten bei den Schneidern beileibe nicht alle Meister. Aus dem Bericht des Handwerksgerichtes erfahren wir von der Bitte der Maria Anna Wiedemännin, einer Schneidermeisterin, die - so das KGH - sich bey den dermaligen harten Zeiten nicht mehr zu nähren [weiß], u. [...] dahero um die Oberherrliche Erlaubniß [bittet], das von ihren Aelteren erlernete Wax Poussiren in Kleinigkeiten mit ihrer eigenen Hand treiben, u. diese ihre verfertigte Arbeiten an Christ-Kindlein u. Nicolai Märkten auf einen Tisch feilhaben zu dürfen."' Da sich die Wachsbossierer wegen ihrer eigenen Notlage gegen diesen wiederrechtlichen Nahrungs Eingriff verwahrten,112 wurde ihr das Arbeiten auf ihre Hand nicht erlaubt, doch bleibt ihr unbenommen ihre verfertigende Wachßarbeiten an Berechtigte abzusetzen."3 Wenige Monate später bat ihr Ehemann, Jakob Wiedemann, sich mit seiner Frau ganz auf das Wachsbossieren setzen zu dürfen, da er mit der Schneiderei nicht genug verdienen könnte,"4 und - so schildert es der KGH-Bericht - seine Frau, die bey dem Gewerbe Ihres Vaters aufgewachsen u. sich in demselben eine ziemliche Fertigkeit erworben hat, nach wie vor mit den konkurrierenden Wachsbossierem Probleme hatte. Natürlich hatten die Wachsbossierer, von denen es insgesamt nur drei gab, Einwände. Allerdings war einer der drei der Vater der Wiedemännin, der selbst aus Altersgründen nicht mehr viel arbeiten konnte und bereit war, seiner Tochter Verdienst und Nahrung zu überlassen. Das Handwerksgericht argumentierte nun auch zugunsten der Supplikanten: es handle sich um ein freies Gewerbe, das keinen Arbeitsmangel habe und dessen Absatzmarkt sich bis nach Rußland erstrecke.115 Auch in diesem Fall erweist es sich als unproblematisch, daß die Frau einer eigenständigen Arbeit nachging. Daß das Ehepaar schließlich ganz die Profession wechseln durfte, hing sicher damit zusammen, daß nicht nur das Schneiderhandwerk selbst, sondern auch das Handwerksgericht stets geneigt war, die Zahl der Schneidermeister einzudämmen. Entsprechend mußte Wiedemann auch eidlich auf das erlernte Handwerk verzichten."6 In welcher Richtung nun in der neuen Werkstatt der Wissenstransfer zwischen dem Arbeitspaar verlief, liegt auf der Hand."7 Die hier angeführten Fälle gewähren - obwohl sie nur in begrenzter Zahl vorhanden sind - einen guten Einblick in die Art der Beziehung eines Arbeitspaares

'" StAA, HWA, Conditoren, Fasz. 3, 15.4.1788, Bericht des KGH; die Eingabe der Wiedemännin ist nicht vorhanden. 112 StAA, HWA, Conditoren, Fasz. 3, 14.4.1788. 1,3 StAA, HWA, Conditoren, Fasz. 3, 15.4.1788. " 4 Vgl. StAA, HWA, Conditoren, Fasz. 3, 14.10.1788. 1,5 StAA, HWA, Conditoren, Fasz. 3,4.11.1788. 116 Vgl. StAA, HWA, Conditoren, Fasz. 3, 6.11.1788. Vgl. hierzu auch unten Kap. II.3.3.1. 117 Dieser Fall bestätigt wie eine ganze Reihe anderer Augsburger Fälle aus dem Bereich der sog. 'freien Gewerbe' die Einschätzung von Katrin Keller, "daß ein umfassendes Bild von der Rolle von Frauen in der frühneuzeitlichen Arbeitswelt unbedingt die Einbeziehung der nichtzünftigen Bereiche des Gewerbes erfordert". K. Keller, Der vorzüglichste Nahrungszweig des weiblichen Geschlechts, S. 210.

85 in ökonomischer Hinsicht und lassen mögliche Auswirkungen auf den innerehelichen Status der Meisterinnen erahnen, wenn diese außerhalb der ehelichen Werkstätten tätig waren. Das Selbstbewußtsein, das bei den Käuflerinnen spürbar wird, beruhte sicher auf einer ausgeprägten 'work identity', die sie vermutlich mit den Hebammen teilten."8 Der Status der Amtsinhaberinnen, der mit dem abzulegenden Eid einherging, gab den Frauen Eigenständigkeit, die sich in den oben gezeigten Zuordnungen 'meine Käuflerei' und 'seine Handwerksgerechtigkeif spiegelt. Frauen, die nicht nur ein erhebliches Vermögen in die Ehe mitbrachten, sondern auch noch die Befähigung, einen guten Zuverdienst beizusteuern, hatten mit Sicherheit einen guten Stand neben ihren Männern. In schlechter situierten Haushalten, in denen der eigenständige Verdienst der Ehefrau die Familie über Wasser hielt, wurde das Aufeinanderverwiesensein von Mann und Frau noch deutlicher. Möglicherweise sank das Ansehen eines Meisterhaushaltes in den Augen Außenstehender, wenn die Meisterin 'gezwungen' war, außerhalb zu arbeiten, innerhalb der Ehe könnte dies aber ihre Position durchaus gestärkt haben.

II. 1.2.3 Die Arbeit im Haus Zu den verschiedenen Tätigkeiten, die Meisterinnen in der ehelichen Werkstatt, außer Haus oder innerhalb eines eigenen Gewerbes oblagen, kam die Arbeit im Haus. Dieser Arbeitsbereich der Meisterinnen soll hier nach drei Gesichtspunkten getrennt betrachtet werden, wobei zunächst die Arbeit im eigentlichen 'Haushalt' in den Blick genommen werden wird. Anschließend ist zu fragen, welchen Raum die Versorgungsarbeit für mitwohnende Lehrlinge und Gesellen einnahm, und schließlich soll dargestellt werden, welchen Umfang die Familienarbeit im engeren Sinn - hierunter verstehe ich die Sorge für Kinder und eventuell alte Eltern hatte.

II. 1.2.3.1 D i e Besorgung des 'Haushaltes' II. 1.2.3.1.1 Die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Verbrauchsgütern Die Frage der Nahrungsmittelversorgung der Handwerkerfamilien kann aufgrund der Quellenlage nicht im Kontext von Einzelhaushalten geklärt werden, sondern nur in Form einer übergreifenden Darstellung der Versorgungslage der Stadt insgesamt. Selbst hierbei kann nur ein grober Umriß gezeichnet werden, da eine detaillierte Untersuchung den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde. Obwohl die Quellen das gemeinsame Leben und Arbeiten von Meisterschaft, Kindern und Gesinde für viele Handwerke belegen, kann man für die hier behan118

Zum Begriff der 'work identity' vgl. Ν. Ζ. Davis, Frauen im Handwerk.

86 delte Thematik keineswegs einfach die Abteilungen der sogenannten 'Hausväterliteratur" heranziehen, die die Arbeitsfelder der Hausmütter beschreiben."9 Wenngleich ich meine, daß die Hausväterliteratur durchaus als Gebrauchsliteratur nicht nur eine große Verbreitung fand - sowohl die Auflagenzahlen wie auch die vielfältigen Nachdrucke sprechen dafür - , sondern auch tatsächliche Handlungsrelevanz erreichten,120 war ein Großteil der die Hausmütter betreffenden Themen in einer Stadt mit einer so stark ausdifferenzierten Arbeitsteilung - dies gilt auch fur die Nahrungsmittelhandwerke - und einer gut organisierten Marktstruktur wie Augsburg nicht oder nur von eingeschränkter Bedeutung. Die Vorstellung, daß in der hier untersuchten Epoche die Versorgungsgüter für die Hausleute im wesentlichen in Eigenproduktion entstanden, trifft sicher nicht die Realität.121 Dies zeigt schon ein oberflächlicher Blick auf die vorhandenen Nahrungsmittelhandwerke und die jeweiligen Meisterzahlen. Vor diesem Blick steht jedoch die Frage, wie die Ernährungsweise im 18. Jahrhundert aussah. Wilhelm Abel hat in seiner Untersuchung "Stufen der Ernährung" die tiefgreifenden Veränderungen der Ernährungslage vom Spätmittelalter bis zum Ende der Frühen Neuzeit dargelegt. Der drastischste Umbruch lag sicherlich in der Reduzierung der Viehhaltung zugunsten des Ackerbaus, in deren Folge der Fleischkonsum von etwa 100 Kilogramm pro Kopf und Jahr im Spätmittelalter auf etwa 16 Kilogramm bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts sank.122 Während vor dem Dreißigjährigen Krieg Fisch in großer Vielfalt und nahezu allen Preisklassen zur Verfugung stand, setzte sich der durch das Ausfischen und die Zerstörung vieler Kunstteiche verursachte Rückgang im 17. Jahrhundert im 18. und 19. Jahrhundert fort. Zwar blieb der Fischbestand in Flüssen und Seen hiervon unberührt, doch die breite Schicht der Verbraucher konnte sich Fisch nicht mehr leisten.123 Die im 17. und 18. Jahrhundert steigenden Fleisch- und Fischpreise führten in Süddeutschland zum Ausweichen auf die billigeren Mehlspeisen wie Dampf- und Topfhudeln, Knödel, Knöpfle, Küchle, Spätzle usw. Zentrale Bestandteile der Nahrung waren Suppen und Getreidebreie aus Hafer, Gerste, Roggen, Dinkel, Gemüse, Rüben, Erbsen, Bohnen und Kraut. Zur 'Hausmannskost' der Kleinbürger und Handwerker gehörten neben Mehlspeisen Mehlgrützen, dicke Milch und Gemüse. Fleisch konnte nur selten auf den Tisch gebracht werden, zumeist wohl am Sonn-

' " Zwei der bekanntesten Autoren und Titel dieser Gattung sind: J. Coler, Oeconomia Ruralis et Domestica; W. H. von Hohberg, Georgica Curiosa. 120 Vgl. hierzu z.B. J. Burkhardt, Art. 'Wirtschaft', bes. S. 550-559; P. Münch, Lebensformen, S. 191-232 (Kap. 'Haus und Familie'). 121 Vgl. hierzu auch H. Wunder, "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 99. 122 Vgl. W. Abel, Stufen der Ernährung, S. 13 u. S. 44. 123 Vgl. W. Abel, Stufen der Ernährung, S. 45-51. Für Augsburg weist B. Roeck, Bäcker, Brot und Getreide, S. 63 daraufhin, daß die durch den Dreißigjährigen Krieg verursachte kritische Lage des Fischmarktes für die meisten Konsumenten keine Auswirkung hatte, da diese sich Fisch "auch zu 'normalen' Zeiten kaum leisten konnten".

87 tag.124 Ein sehr wichtiges Nahrungsmittel war Brot, in der Regel Roggenbrot, aber auch Mischbrote aus Weizen und Roggen sowie - in Sudwestdeutschland - Dinkelbrote.125 Kartoffeln konnten sich - so Abel - erst in Folge der Hungerkrisen von 1771/72 in größerem Umfang durchsetzen, blieben aber im Vergleich zum Roggen und dessen Nährwert noch unverhältnismäßig teuer.126 Die wichtigsten Getränke blieben Bier und Wein, deren Verbrauchsmengen fast unglaublich erscheinen. Beide Getränke hatten aber einen niedrigeren Alkoholgehalt als heute und wurden zudem meist verdünnt getrunken.127 Zusammenfassend läßt sich also festhalten, daß als Grundnahrungsmittel im wesentlichen Brot, Suppen, Getreidebreie, verschiedene Gemüsesorten, Mehlspeisen und Bier galten. Der Konsum von Eiern, Butter, Käse, Fisch und Fleisch dagegen war nicht selbstverständlich und hing von der Kaufkraft der Konsumenten ab - was nicht heißen soll, daß die genannten Grundnahrungsmittel immer und jederzeit für alle verfügbar und erschwinglich waren. Da das Getreide die eigentliche Basis der Ernährung darstellte, war man entsprechend abhängig von seiner Verfügbarkeit und entsprechend kritisch wurde die Lage in Zeiten der Verknappung und Verteuerung. Zwei Speisepläne des Augsburger Evangelischen Waisenhauses sollen mögliche Nahrungszusammensetzungen zeigen: Nach einem Wochenplan von ca. 1730 gab es sonntags, dienstags und donnerstags zu Mittag jeweils Suppe und Fleisch, am Montag wurden Wassersuppe und Linsen aufgetragen, am Mittwoch Suppe und Erbiß und am Freitag Gsotthaber, am Samstag schließlich Sauerkraut und Suppe. Als Abendessen gab es am Sonntag Reiß, bisweil ein gogelhopff, am Montag gshupffte oder gshnittene Nudel, am Dienstag Gersten, am Mittwoch Spatzen, am Donnerstag Reiß, Schnitz, oder Zwetschgen, am Freitag Suppe u. brätene Knöpfflen und am Samstag Schmaltz u. brod, oder Suppen. Ein Wochenspeiseplan von ca. 1780 beinhaltete die tägl. ordentl. Kost der Kinder u. Dienstbothen und unterschied sich vom vorigen darin, daß es mit Ausnahme des Sonntagabend nun abends durchgängig Suppen verschiedener Art gab. An drei Tagen wurde wiederum Fleisch mit Gemüse bzw. Sauerkraut gekocht, an den anderen Tagen jeweils eine Suppe und Becken-Nudeln, geschupfte Nudeln oder Mehl-Knöpfeln.llt Liest man die vielfaltigen Klagen über allerbitterste Armut, von der besonders viele Schneiderfamilien, aber auch mancher Bäcker und andere Handwerkerhaushalte man denke an die oben schon angesprochenen, das billigere Brot des Umlandes

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Vgl. P. Münch, Lebensformen, S. 321-323. Vgl. W. Abel, Stufen der Ernährung, S. 36. Vgl. W. Abel, Stufen der Ernährung, S. 36. Vgl. W. Abel, Stufen der Ernährung, S. 51 u. S. 55. Für die Zeit um 1800 gibt Abel einen Pro-Kopf-Verbrauch im Durchschnitt deutscher Territorien von etwa 300 1 Voll- und Dünnbier an und als Vergleichszahl den heutigen Durchschnittsverbrauch von ca. 150 1. Die beiden Speisepläne des Evangelischen Waisenhauses sind abgedruckt bei Τ. M. Safley, Charity and Economy, S. 316-317.

88 'hereinschwärzenden' Weber12' wie auch an den von Not mitverursachten Aufstand der Weberfrauen im Dezember 1784130 - betroffen waren, wird einsichtig, daß auf vielen Mittagstischen weniger als dreimal wöchentlich Fleisch gestanden haben wird. Der Zeitaufwand für die Zubereitung der Speisen muß wohl nicht allzu hoch angesetzt werden, da die Kost - wie zu sehen ist - einfach war. In materiell gut gestellten Haushalten, in denen man sich gute und abwechslungsreiche Speisen leisten konnte, war vermutlich in der Regel auch eine Magd finanzierbar. In ärmeren Familien, die kein KUchengesinde anstellen konnten, überwog wohl auch die einfache Kost. Zahlreiche Märkte und eine ganze Reihe von Nahrungsmittelhandwerken versorgten die Bewohner Augsburgs. Für drei dieser Handwerke soll die Handwerkerdichte ermittelt werden, weil an ihr sichtbar wird, daß die Mehrzahl der Meisterfrauen in der Regel den größten Teil ihres Lebensmittelbedarfes über den Markt decken konnten und nicht auf die Eigenproduktion angewiesen waren. Bei den Metzgern belief sich die Anzahl der Meister im Jahr 1701 auf 124, stieg bis 1755 auf 127 und sank dann bis 1806 auf 97 Meister.131 Gehen wir für eine sehr grobe Berechnung von einer mittleren Zahl von 116 Meistern aus und legen eine Einwohnerzahl von 30.000 Menschen132 zugrunde, entfielen auf einen Metzgermeister 258 Einwohner, wohlgemerkt Einwohner nicht Haushalte. Für das Bäckerhandwerk sieht diese Rechnung etwas günstiger aus, da die Anzahl der Meistergerechtigkeiten im 18. Jahrhundert konstant bei 88 lag. Hier hatte also ein Bäcker durchschnittlich 340 Menschen mit Backwaren zu versorgen. Ein Bericht der Proviantmeister an den Rat vom Februar 1741 stützt die Vermutung, daß im Normalfall der Brotbedarf überwiegend über den Markt gedeckt wurde. Die Jahre 1739 bis 1742 waren von einer schweren Krise gekennzeichnet, die mit einem sehr harten Winter begann, durch österreichische Importsperren und den Beginn des ersten Schlesischen Krieges verschärft wurde und sich in drastischen Preissteigerungen für Grundnahrungsmittel niederschlug.133 Auf die Bitte des Rates an das Proviantamt, wegen der Getreideknappheit und -teuerung geeignete Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung auch der ärmsten Bürger vorzu129 130 131 132

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Siehe oben Kap. II. 1.2.1.4. Vgl. hierzu C.-P. Clasen, Streiks und Aufstände, z.B. S. 196-200 sowie unten Kap. II.1.3. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 72. E. Franfois, Die unsichtbare Grenze, S. 4 3 - 4 4 stellt die Entwicklung der Bevölkerungszahl dar. Er errechnet für das Ende des Dreißigjährigen Krieges eine Einwohnerzahl von nicht ganz 20.000, darauf folgte eine Zunahme bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts auf fast 27.000; dieses Wachstum wurde aber von Krisen (1693, 1704) unterbrochen. Der Höchststand um die siebziger Jahre wurde nur langsam erreicht, zu dieser Zeit lag die Einwohnerzahl über 3 0 . 0 0 0 , ab etwa 1790 begann sie bereits wieder zu sinken. Da diese Zahlen nur Anhaltspunkte, keine exakten Eckdaten liefern, ist eine differenzierte Berechnung für einzelne Stichjahre nicht möglich. Die obigen Zahlen beschreiben damit nur sehr grobe Durchschnittswerte. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 86-87.

89 schlagen, verfaßten die Proviantmeister den bereits erwähnten Bericht. Sie stellten dar, daß sie es nicht für sinnvoll hielten, wie schon früher 'Sauerbäckengerechtigkeiten' zu vergeben - darunter sind reduzierte Bäckergerechtigkeiten zu verstehen, auf deren Basis gegen eine geringe Gebühr ausschließlich von Privatpersonen gebrachtes Mehl bzw. von diesen vorbereiteter Teig verbacken werden durfte: Weilen diese Saur-Bäckerey von keiner Beständigkeit ist, und nicht länger, als da etwan die Getreyd=Theurung vorwaltet, dauren wird /: allermassen in Jahren wo das Getrayd im mittleren Preiß zu kauffen gewest, die Becken der mehristen Burgerschafft bey dortmaligen Zeiten nicht weiß und schon schön genug bachen können, auch in verhoffentl. folgenden gut und mittleren Jahren ein mittelmäßiger Handwercksmann mit Brod im Haus zu machen sich nicht plagen wird:/ die Aufstellung dieser Saurbecken bey noch anderen vorhandenen und dieser Theurung abhelfflichen Mitteln, eine vergebliche Sache zu seyn anscheinet.lM Wir ersehen hier also, daß ein mittelmäßiger Handwercksmann - gemeint ist sicher seine Frau - in der Regel das benötigte Brot vom Bäcker bezog. Die Proviantmeister schrieben weiter, daß durch die Sauerbäcker dem recht armen Mann, als Weberen, u: anderen geringeren Handwerckeren, Taglöhneren p. noch nicht geholffen, massen von allen diesen Leuthen keiner ein Schaff Roggen zu kauffen vermag, so daß die vernünftigere Maßnahme wäre, obrigkeitlich subventioniertes Brot im Blatterhaus backen zu lassen und an einem andern publiquen Orth zu verkaufen.135 Also sogar die wirklich armen Handwerker waren genötigt, beim Bäcker einzukaufen. Die Arbeitskraft der Meisterin, die bei der Eigenproduktion einen kleinen Geldbetrag hätte einsparen können, konnte somit nicht genutzt werden. Soweit ein Burger wirklich selbst den Teig zubereiten oder sein eigenes Getreide verarbeiten lassen wollte, erklärten sich die regulären Bäcker bereit, das Backen gegen Bezahlung zu übernehmen.136 In weniger kritischen Zeiten versorgte sich die Bürgerschaft sicher nahezu ausschließlich auf dem Brotmarkt oder in den Läden der Bäcker. Auch ein anderes Grundnahrungsmittel, das Bier, wurde nicht oder nur in sehr geringem Umfang in Eigenproduktion hergestellt, die Anzahl der Bierbrauer ist entsprechend hoch: Reith beziffert die Gerechtigkeiten für 1701 auf 102, 1755 auf 101 und 1806 auf 97.137 Damit kam auf 300 Einwohner ein Bierbrauer, was die Vermutung nahelegt, daß bei einer so flächendeckenden Versorgung das Brauen in den Privathäusern überflüssig wurde.138 134 135 136

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StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 14, 11.2.1741. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 14, 11.2.1741. Solange es Sauerbäckengerechtigkeiten gab, waren die Bürger gehalten, selbst zubereiteten Brotteig oder geliefertes Mehl bei diesen verbacken zu lassen. Nur wenn die Sauerbäcker nicht allen Aufträgen nachkommen konnten, durften auch die regulären Bäcker das Abbacken gegen Gebühr übernehmen. Vgl. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 11, 15.11.1703. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 72. Obwohl die hier ermittelte Handwerkerdichte wegen der zugrundegelegten Mittelwerte sowohl der Einwohner- als auch der Meisterzahlen des ganzen Jahrhunderts einen genauen Vergleich ausschließt, seien die von R. Huber-Sperl, Memmingen zwischen Zunfthandwerk

90 Darüber hinaus sorgte eine Vielzahl von Märkten mit genau festgelegten Standorten und Verkaufstagen für eine ausreichende Versorgung der Stadt mit Nahrungs- und sonstigen Gütern. So konnten die Augsburger beispielsweise montags beim Markt vor St. Ulrich Holz, Obst, Käse und Salz kaufen; in der Komschranne bei St. Moritz wurde Getreide verkauft; Brot gab es auf dem Brotmarkt, Wein auf dem Weinmarkt vor den Fuggerhäusem; ein eigener Fischmarkt versorgte die, die sich Fisch leisten konnten; weiter gab es einen Obstmarkt und einen Heumarkt; in der Metzg am Perlachberg wurde Fleisch verkauft, vor der Metzg wurden Würste und Kräuter feilgeboten; in der Judengasse gab es neben Schlosser- und Eisenkramerwaren allerlei Gemüse, Milchprodukte, Backwaren, Produkte der Lebzelter, Kerzen, Lichte usw.; vor dem Webertiaus wurden die unterschiedlichsten Arbeitsgeräte sowie Seile und Flachs angeboten.13' Das weite Spektrum der Versorgungsgewerbe und die breite Angebotspalette belegen für die Stadt Augsburg, was Heide Wunder allgemein für frühneuzeitliche Städte beschreibt: "Die Versorgungsgewerbe nahmen den einzelnen Haushalten einen Teil der Vorratshaltung ab und entlasteten die Hausfrauen von vielen zeitaufwendigen Arbeiten."140 II. 1.2.3.1.2 Die Kleidung, das Waschen und Bügeln Diese Entlastung der Frauen gilt ebenfalls sowohl in bezug auf die Herstellung wie auch auf die Ausbesserung von Kleidungsstücken. Das Schneiderhandwerk war neben dem der Schuster das am stärksten übersetzte Handwerk der Stadt. Im Jahr 1701 besaßen 145 Schneider eine Handwerksgerechtigkeit, bis 1755 wuchs ihre Zahl auf 225, erreichte 1789 228 und sank dann bis 1806 auf 191.141 Gehen wir auch hier von einem Mittelwert von 197 Schneidern und ca. 30.000 Einwohnern aus, entfallen auf einen Schneider 152 Einwohner.'42 Wenngleich eine Viel-

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und Unternehmertum, S. 24-25, errechneten Zahlen fur 1810/11 genannt: auf j e 1000 Einwohner entfielen in Memmingen 9,9 Metzger, 8,1 Bäcker und 3,4 Brauer; in Nördlingen 8,9 Metzger, 6,6 Bäcker und 2,0 Brauer; in Kempten 4,8 Metzger, 3,3 Bäcker und 2,0 Brauer; in Lindau 6,9 Metzger, 6,6 Bäcker und 0,4 Brauer. Dagegen kamen in Augsburg nach meiner obigen Rechnung auf 1000 Einwohner im Jahrhundertmittel 'nur' 3,9 Metzger und 2,9 Bäkker; mit 3,3 Brauern war die Konkurrenz innerhalb dieses Handwerks größer als in den anderen Städten. Wesentlich niedriger zeigt sich die Handwerkerdichte in München, wo 1802 auf tausend Einwohner 1,6 Bäcker und 1,7 Metzger kamen. Vgl. U. Puschner, Handwerk, S. 52. Diese Zahlen sind m.E. insgesamt ein deutliches Indiz dafür, daß sich die Bevölkerung weitestgehend über den Markt versorgen konnte. Vgl. B. Roeck, Bäcker, Brot und Getreide, S. 58 und bes. F. Häußler, Marktstadt Augsburg. H. Wunder, "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 99. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 25. Während in Augsburg im Jahrhundertmittel also 6,6 Schneider auf 1000 Einwohner kamen, waren es in München 1781 3,2 Meister und 1802 2,8 Meister. Vgl. U. Puschner, Handwerk, S. 52. Im Modezentrum Paris entfielen im Jahr 1779 auf 1000 Einwohner 2,5 und 1788 3,7 Meister. Vgl. H. Deceulaer, B. Panhuysen, Schneider oder Näherinnen?, S. 89; dort finden

91 zahl angesehener Bürger einen besonderen Bedarf an wertvoller Kleidung hatte und entsprechende Aufträge erteilen konnte, waren viele dieser Standespersonen in der Weise privilegiert, daß sie jenseits der Zunftschranken Schneidergesellen in ihre eigenen Dienste nehmen durften. Damit stieg die Anzahl der berechtigt arbeitenden Personen weiter an. Zusätzlich sah sich das Handwerk stets der Konkurrenz der Stadtgardesoldaten ausgesetzt, die, sofern sie das Schneiderhandwerk erlernt hatten, berechtigt waren, es auch während ihrer Soldatenzeit auszuüben. Darüber hinaus gab es immer weitere Personen, die den Schneidern - wie es diese sahen - in ihr Handwerk 'pfuschten', wie z.B. Frauen, die als Näherinnen arbeiteten und dabei oft ihre Kompetenzen überschritten.143 Nicht nur Schneiderwitwen, sondern auch arme Meister waren dankbar, wenn sie wenigstens Flickarbeiten zu machen bekamen.144 Eine solche Überversorgung der Stadt mit Schneidern weist deutlich darauf hin, daß der durch die obrigkeitlichen Kleiderordnungen ohnehin regulierte Bedarf leicht und vermutlich auch preiswert über den Markt zu befriedigen war. In Meisterhaushalten, in denen keine Not herrschte, konnten es sich die Meisterinnen sogar erlauben, die Flickarbeiten außer Haus besorgen zu lassen. Wer sich keine neu geschneiderten Kleidungsstücke leisten konnte, hatte die Möglichkeit, bei den geschworenen Käuflern und Käuferinnen gebrauchte Kleidung zu kaufen.145 Auch dies verweist wohl darauf, daß die eigenhändige Herstellung der Bekleidung durch die Meisterfrauen eher in geringem Umfang stattgefunden haben wird. Zur Pflege der Kleidung, dem Waschen und Bügeln, lassen sich nur relativ allgemeine Aussagen treffen. Auch hier hat es - wie noch zu sehen sein wird - nicht nur hinsichtlich der Menge und der Art der zu waschenden Kleidung eine Rolle gespielt, über welche materiellen Mittel ein Haushalt verfugte, sondern auch hinsichtlich der Person, die diese Arbeit auszuführen hatte. Karin Hausen, die in einem Aufsatz über die "Große Wäsche" den technischen Fortschritt und den sozialen Wandel vom 18. bis ins 20. Jahrhundert untersucht hat, geht davon aus, daß Mittel- und Oberschichthausfrauen "wie im 17. und 18., so auch noch im 19. Jahrhundert [...] durch Dienstmägde und vor allem Waschfrauen" entlastet wurden.146 Als Waschfrauen verdingten sich in Augsburg häufig Ehefrauen von lohnabhän-

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sich auch weitere Vergleichszahlen für deutsche, französische und eine italienische Stadt sowie für die Nördliche und die Südliche Niederlande (S. 87-88). Vgl. hierzu z.B. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 17, 30.8.1783 (zu Soldaten); Fasz. 18, 12.9.1789 (Klage über das Hereinbringen auswärtiger Schneiderarbeit sowie über die Pfuschereien durch Gesinde weiblichen Geschlechts). Vgl. etwa StAA, HWA, Schneider, Fasz. 14, 7.6.1757: Die Meisterschaft wehrte sich hier gegen das Gesuch einer Holzmesserswitwe, sich durch Flickarbeiten ernähren zu dürfen, gestalten viele Meister unter Ihnen gar gerne solche flikharbeit, da sie neue Kleider zu machen nicht beständig überkommen immerhin zu haben sinnlichst wünscheten. Vgl. oben Kap. Π. 1.2.2. K. Hausen, Große Wäsche, S. 279.

92 gig arbeitenden Männern147 und arme Witwen, die sich mit dieser Arbeit durchzubringen versuchten. So beschrieb die verwitwete Anna Maria Bärin, die fußfällig darum bat, das ihrem Verlobten bereits einmal abgelehnte Heiratsgesuch doch noch positiv zu bescheiden, die Lage, in der sie sich mit drei kleinen Kindern befand: nach dem Tod ihres Mannes mußte sie sich mit Fegen und waschen härtiglich ernähren und darneben meine Kinder verpflegen. Dem Handwerksgericht, das ihren Bräutigam vor einer Heiratserlaubnis erst auf eine zweijährige Wanderzeit verpflichtete, hielt sie entgegen, daß mir weit gefehlet wäre, wann ich noch 2. Jahr mich ohne Gehiilffen also abstrappaziren, und meine Kinderlein, welche zu dem fegen und waschen in frembde Häußer nicht mitnehmen kann noch darff, fremden Händen noch längers anvertrauen müßte.u% Zum einen klingt hier deutlich durch, wie schwer diese Arbeit war - vor allem, wenn sie von so schwierigen 'privaten' Umständen begleitet war - , zum anderen wird klar, wie das Waschen organisiert sein konnte, nämlich daß die Wäscherinnen praktisch als Taglöhnerinnen in die Häuser kamen und dort die Wäsche wuschen. Die sogenannte 'Große Wäsche' wurde wegen des Aufwandes nur in möglichst langen Abständen gehalten. Dies setzte natürlich voraus, daß ein ausreichender Wäschevorrat vorhanden war, und es galt als Zeichen von Wohlstand, wenn die Wäsche für mehrere Monate ausreichte.149 Neben der wirtschaftlichen Lage spielte sicher auch die Größe des Haushalts und hinsichtlich der Verschmutzung der Kleidungsstücke die Art des ausgeübten Handwerks eine Rolle. Nach der von Heide Wunder ausführlich zitierten Waschanweisung der Leipzigerin Maria Dorothea Hertel vom Beginn des 18. Jahrhunderts dauerten die vielen notwendigen Arbeitsgänge der 'Großen Wäsche' mitsamt der Plättarbeit fünf Tage. Rechnet man die Vorarbeiten wie das Ausbessern und Säubern der benötigten Bottiche und das Wassertragen sowie die Vorbereitung der Lauge und das Einweichen der Wäsche dazu, müssen nochmals fünf Tage veranschlagt werden. Mehrere dieser Arbeitstage begannen um drei oder vier Uhr morgens und dauerten bis in den späten Abend.150 Das Waschen war eine ausgesprochen anstrengende körperliche Arbeit, angefangen vom Schleppen der schweren Wasserwannen über das Auswringen der schweren nassen Wäschestücke, das Hantieren in nahezu kochendem Wasser und, je nach Arbeitsraum, war es wohl auch ein Wechselbad von Dampf und Zugluft. Geübte Wäscherinnen konnten aber auch ein gutes Einkommen erzielen, und so gab beispielsweise Genofeva Ettlerin, die Braut eines Zimmergesellen, dem

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So wies beispielsweise der Zimmergeselle Christian Huter in seinem Gesuch um die Heiratserlaubnis und den Beisitz auf die Verdienstmöglichkeit seiner zukünftigen Frau Maria Martha Wolinsky hin, die ihm durch stricken, nähen, waschen helfen könne, unser reichliches Stuck Brod [zu] verdienen. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 7, 27.6.1761. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 5, 19.9.1743. Vgl. K.. Hausen, Große Wäsche, S. 276. Vgl. H. Wunder, "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 131-134.

93 Handwerksgericht auf Befragen ihren wöchentlichen möglichen Verdienst als Wascherinn zu 4 Gülten an, was dem Wochenlohn mancher Handwerksgesellen entsprach und dazu beitrug, daß sie die gewünschte Heiratserlaubnis erhielt.151 Nach der Beschreibung der oben genannten Maria Dorothea Hertel waren für den kompletten Waschvorgang mindestens zwei Wäscherinnen und eine Magd notwendig. Die Hausfrau behielt wohl zumindest die Kontrolle der Arbeitsgänge in der Hand. Ob die Wäsche auch in ärmeren Haushalten von Wäscherinnen besorgt wurde, muß offen bleiben. Sicher kann man aber davon ausgehen, daß sich die Beteiligung der Hausmutter um so umfangreicher gestaltete, je ärmer ihre Familie war. Wenngleich die Wäsche nur in möglichst großen Zeitabständen gewaschen wurde, ist der dafür notwendige Zeit- und Kräfteaufwand wohl kaum zu überschätzen. II. 1.2.3.1.3 Das Putzen und die Pflege der Gebrauchsgüter Zur Haushaltsarbeit im engeren Sinn gehörte das Putzen des Hauses sowie die Pflege der vorhandenen Gebrauchsguter. Insgesamt muß auch hier wieder nach dem wirtschaftlichen Rahmen eines Meisterhaushaltes und nach der Art des Handwerkes differenziert werden: ein Bader, ein Bäcker oder ein Zinngießer kam nicht ohne eine größere Behausung aus. Die Goldschlager benötigten zwar ebenfalls eine große Werkstatt, beschäftigten aber wie die Zimmerleute häufig verheiratete Gesellen, die nicht im Meisterhaushalt wohnten. Zudem führten die Zimmerleute einen Großteil ihrer Arbeit außer Haus aus. Buchbinder benötigten wie die Bäcker und Zinngießer neben der Werkstatt einen Laden, wogegen die Schneider, zumal wenn sie ohne Gesellen arbeiteten, mit dem Eßtisch der Wohnung auskommen konnten oder aber in den Häusern ihrer Kunden nähten. Es stellt sich also die Frage, ob und wie sich Handwerkerhäuser unterschieden. Robert Pfaud zufolge gehörte "[d]as in Augsburg in allen Stadtteilen vielfach in kleineren Abwandlungen erscheinende Dreifensterhaus [...] den verschiedenen bürgerlichen Berufsgruppen an".152 Seit dem späten Mittelalter wurde die Mehrzahl der Häuser aus Ziegeln gebaut, auch die Holz- und Schindeldächer wurden von Ziegeldächern abgelöst.153 Die meisten Handwerkerhäuser waren nur fünf bis sieben Meter breit, konnten jedoch eine erhebliche Tiefe einnehmen. In der Regel befand sich die Werkstatt im Erdgeschoß, das oft um zwei Stufen abgesenkt gebaut wurde, da der Boden, je nach Handwerk, schweren Belastungen ausgesetzt sein konnte. Ebenfalls im Erdgeschoß lag auch der Laden, die Wohnräume befanden sich im ersten und zweiten Obergeschoß. In diesen oberen Etagen konnten auch abgeschlossene Zinswohnungen, also Wohnungen, die vermietet wurden oder in denen alte Eltern lebten, vorhanden sein. Pfaud zeigt, daß die Art, in der 151 152 153

StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8, 16.10.1794. R. Pfaud, Das Bürgerhaus, S. 72. Vgl. R. Pfaud, Das Bürgerhaus, S. 141-142.

94 die Treppe in ein Haus integriert war, sehr verschieden ausfallen und die Arbeitsund Wohnbedingungen entsprechend prägen konnte. So stellt er am Beispiel eines Hauses in der Pfladergasse, das seit 1670 von Goldschlagem bewohnt worden war, dar, daß es zwischen der auch hier etwas tiefer gelegenen Werkstatt, zu der im übrigen eine Waschküche gehörte, und den oberen Etagen keinen Treppenaufgang gab: "Eine direkte Verbindung im Hausinnern, vom Werk- zum Wohnteil besteht außer einer Klappe in der Holzdecke, die als Wärmeloch, Durchreiche oder Verständigungsloch diente, nicht."154 Nur über eine Außentreppe waren die beiden anderen Stockwerke erreichbar, dadurch waren trotz der schmalen Bauweise, "gute und zweckentsprechend möblierbare Raummaße" für Wohn- und Schlafstuben gesichert.155 Der feine Metallstaub, sonstiger Schmutz und sicher auch der Lärm, die in einer Goldschlagerwerkstatt zwangsläufig entstanden, waren in diesem Haus durch das im Inneren fehlende Treppenhaus vermutlich stärker auf die Werkstatt beschränkt. Eine andere Bauweise zeigt dagegen ein in der Bäckergasse liegendes Bäckerhaus, das bei einer Breite von acht Metern 26 Meter tief war. An seiner Südseite war es direkt an das Nachbarhaus angebaut, an der Nordseite betrug der Abstand zum nächsten Haus nur 50 Zentimeter, woraus sich äußerst ungünstige Lichtverhältnisse ergaben. In diesem Gebäude war das Erdgeschoß "mit Laden, Eßküche, Backstube mit Backofen, Kühlflur und Mehlkammer" durch eine gewendelte Innentreppe mit den oberen Geschossen verbunden; eine weitere Treppe führte innen neben dem Hauseingang steil nach oben.'56 In diesem Haus war also für alle mitarbeitenden Personen das Pendeln zwischen Wohnung, Laden und Werkstatt leichter. Das Vorhandensein einer Eßküche in der Bäckerei spricht dafür, daß das Erdgeschoß, in dem gearbeitet wurde, tagsüber das Zentrum darstellte. Einen dritten Haustyp bildeten die Häuser von Handwerkern, die bei der üblichen Wohnhausanlage noch Auf- und Anbauten zum Aufhängen und Trocknen ihrer Produkte benötigten, insbesondere die Tuchmacher und Tuchfärber sowie die Gerber. Da sich die Wohnbereiche in diesen Häusern kaum von denen anderer Handwerker unterschieden, können sie hier vernachlässigt werden. 1 " Das erstbeschriebene Goldschlagerhaus weist im ersten Obergeschoß eine große Stube, zwei Kammern und eine Küche auf, im zweiten Obergeschoß eine kleinere Stube, drei Kammern und eine weitere Küche. 158 Vermutlich konnte dieses zweite Obergeschoß auch als Zinswohnung vergeben werden, wenn der Platzbedarf der Handwerkerfamilie nicht groß war. Wesentlich mehr Räume besaß das schon angesprochene Bäckerhaus, das im ersten Obergeschoß praktisch zwei Wohnungen umfaßte. Eine Wohnung lag abgeschlossen im vorderen Teil, zu ihr 154 155 156 157 158

R. Pfaud, Das Bürgerhaus, S. 75. R. Pfaud, Das Bürgerhaus, S. 76. R. Pfaud, Das Bürgerhaus, S. 76-78. Vgl. R. Pfaud, Das Bürgerhaus, S. 78-79. Vgl. die Grundrißzeichnungen bei R. Pfaud, Das Bürgerhaus, S. 75.

95 gehörten neben einem Eingangsflur eine Stube, zwei Kammern und eine Küche. Die zweite Wohnung verfügte über eine Stube, vier Kammern und eine Küche; in diese Wohnung mündete auch der Wendeltreppenaufgang aus der Bäckerei, so daß dies zweifellos die Meisterwohnung war.15' Der für das Putzen erforderliche Arbeitsaufwand war neben der Größe der benötigten Werkstatt auch abhängig von der Art des betriebenen Handwerks. In einer Goldschlager- oder Zinngießerwerkstatt wurde sicher mehr Schmutz produziert als von einem alleinarbeitenden Schneidermeister. Nach alter Handwerkstradition hatten die Lehrlinge die Werkstatt zu putzen, so daß der Meisterin normalerweise die Wohn- und Schlafräume sowie die Küche verblieben. Hatte sie eine Magd zur Verfügung, konnte sie die notwendigen Arbeiten an diese delegieren. Daß es auch üblich war, Putzarbeiten einer eigens dafür ins Haus kommenden Person zu übertragen, zeigt beispielsweise die oben aufgeführte Liste der Tätigkeiten, die Hebammen verboten waren: neben anderem sollten sie sich des Waschens und des Häuser=ausbiäzens enthalten."10 Ebenso geht aus Heiratsgesuchen von Gesellen des öfteren hervor, daß ihre Bräute sich durch diverse Arbeiten, darunter auch das Putzen in fremden Häusern, Geld verdienten.'61 Viele Haushaltstätigkeiten wurden sicher dadurch erleichtert, daß die Wasserversorgung der Haushalte offensichtlich gut war: jedes zweite Haus VterfÜgte 1750 Uber einen privaten Schöpfbrunnen. Trotzdem blieb natürlich das Schleppen schwerer Wasserbehälter vom Hof in die erste oder auch zweite Etage des Wohnhauses mühsam; sicher noch anstrengender war dies jedoch für die Frauen, die das Wasser von den 95 öffentlichen Schöpf- und Pumpbrunnen holen mußten. Die Abwasserentsorgung war einfach geregelt: Relativ sauberes Wasser, Wasch- und Küchenwasser, lief über sogenannte 'Reihen' auf die Straße, wo es versickerte. Für Fäkalien waren gemauerte Gruben und Fässer vorgesehen, die nach der Bauordnung von 1740 in einem streng festgelegten Abstand vom Nachbargrundstück angelegt werden mußten.162 Neben den eigentlichen Putzarbeiten waren die Gebrauchsgegenstände zu pflegen. Auch hier war der Arbeitsumfang vom Besitzstand der Handwerkerfamilien abhängig. Auskunft über die Zahl der Möbelstücke und des sonstigen Inventars können zumindest ansatzweise Besitzinventare, wie sie beispielsweise zur Errechnung der Erbteile der Kinder oder zu sonstigen Vermögensnachweisen erstellt wurden, geben. Wenn auch im Rahmen dieser Arbeit keine umfassende Analyse solcher Inventare möglich ist - in den Handwerkerakten fanden sich zudem nur sehr wenige so bestätigen diese wenigen Funde doch Heide Wunders Feststel159 160 161

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Vgl. die Grundrißzeichnungen bei R. Pfaud, Das Bürgerhaus, S. 77. Vgl. oben Kap. II. 1.2.2. Vgl. hierzu z.B. den oben schon dargestellten Fall, der Anna Maria Bärin, die schilderte, daß sie ihre kleinen Kinder fremden Leuten überlassen müsse, während sie sich mit fegen und waschen in frembde[n] Häusern ihren Lebensunterhalt verdienen mußte. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 5, 19.9.1743. Vgl. R. Pfaud, Das Bürgerhaus, S. 143.

96 lung, daß "[d]as Zeitbudget der Handwerkerfrauen [...] auch durch den vergleichsweise geringen Aufwand für Putz- und Reinigungsarbeiten in den karg eingerichteten Wohnräumen entlastet [wurde]".163 Als sich die Bäckerwitwe Viktoria Knöpflerin im Jahr 1807 wieder verheiraten wollte, mußte sie ihren Besitzstand nachweisen. Zu diesem gehörten wenige Schmuckstücke, eine Reihe von Kleidungsstücken sowie Wäsche von ihr und ihrem verstorbenen Ehemann. Weiter werden genannt: 1. Angerichte Bettstatt samt Umhäng, 2. Dienstbothen Better samt Überzug, 1. Einschläfriges Detto, zerschiedene Kindsbettie, dann: 17 Pfund Zin, 36 Pfund Kupfer, 5. Diverse Krüg, 10. Tafeln mit Glaß, 2 Spiegel, 1. zweithürigen Kasten, 1. Detto, 1. Vierthüriger Kasten, 1. Schrankasten, 2. Tisch, 5 Pfannen, 4. Stk Schäße-Geschirr.164 Betten, Schränke und Küchenutensilien bildeten also ihren Hausstand, Luxusgegenstände fehlen gänzlich. Dagegen besaß die Uhrmacherwitwe Degenfelderin neben verschiedenen Betten An Schreinwerk: 1. Pendeluhr, 1. Stockuhr, 2 Nusbaume Comod, 14 Sts. Taften, 2. Spiegel. Über Schränke verfügte sie nicht. Zinnerne und kupferne Küchengegenstände konnte sie allerdings mehr vorweisen, und darüber hinaus notierte der Käufler 7. Porzelain Maaß u. Seitie u. 2. Stein Krügl, wofür eine Summe von neun Gulden angesetzt wurde.165 In beiden Inventaren sind keine Sitzmöbel verzeichnet, möglicherweise verfügten sie noch über Bänke, die häufig zur wandfesten Ausstattung älterer Stuben gehörten.166 Dagegen umfaßt das Nachlaßverzeichnis von Johann Friedrich Gignoux, der eine Kattunmanufaktur besessen hatte und im Mai 1760 verstorben war, neben einer Vielzahl von Kleidungsstücken Einen Schlaf Seßel, 6 Grüne Seßel, 2 Kleine Kinder Seßel, Einen großen Nußbaum Tisch, einen aichenen Detto, 2 kleine Tischel, Ein altes Tischel. Weiter besaß die Familie Ein Commod Kasten von Nußbaum, Ein Schreib Tisch, Ein feuchtener Leinwad Kasten, Zwey Spiegel mit Goldenen Rahmen, Ein Kinds Kästl, Ein Wiegen und Fetschen Tisch, Drey feichtene Commod Kästen, Drey sehr alte Mägd Kasten, Ein Stuben Bettladen, Ein Strohsack, Matratz samt Vorhäng. Neben zwei silbernen Vorlaglöffeln gab es drei silberne Eßlöffel, zwei silberne Salzbüchslein, eine große silberne Kaffee- und Milchkanne, eine Teekanne und eine Teebüchse, Zuckerständer, weitere silberne Gegenstände im Wert von über 214 Gulden, zehn Pfund Messing, 146 Pfund Zinn, 68 Pfund Kupfer, diverse schwere Messingleuchter und vieles mehr.167 Diese Gegenstände zeigen einen deutlichen sozialen Abstand ihres Besitzers zu den beiden oben genannten Frauen. Zugleich verweist das Vorhandensein von drei Schränken für Mägde und fünf Betten für Ehehalten darauf, daß

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H. Wunder, "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 99. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 23, 17.6.1807. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 6, 3.12.1811. Vgl. H. Stiewe, Hausbau und Sozialstruktur, S. 193. Die Blomberger Inventare, die Stiewe auswertete, weisen jedoch zumeist den Besitz von zwei bis acht Stühlen nach. StAA, HWA, Weber, Fasz. 113, 3.10.1760.

97 die Hausherrin wesentliche Entlastung im Haushalt gefunden hat.16® Ganz sicher ist dieser Besitzstand nicht mit dem von durchschnittlichen Handwerkerhaushalten zu vergleichen. Die Küchengegenstände waren in einfachen Bürgerhaushalten aus Zinn und Kupfer; Geschirr und Besteck aus Silber oder Messing hatten deutlich repräsentativen Charakter und waren entsprechend nur in großen und wohlhabenderen Häusern vorhanden. Dieser Befund, zu dem Heinrich Stiewe bei seiner Auswertung von immerhin 20 Verzeichnissen kommt,16® spiegelt sich bereits deutlich in den drei Inventaren, die mir im Rahmen der Handwerkerakten zur Verfugung standen. Gleichzeitig fällt auch bei diesen drei Inventaren auf, daß sie wie die Blomberger - "im Bereich der einfacheren Haus- und Küchengegenstände [...] auffallend unvollständig [erscheinen] - offensichtlich wurden weniger wertvolle Gegenstände insbesondere aus Holz oder Ton nicht immer vollständig mitaufgenommen".170 Stein- oder Holzböden, die gekehrt und feucht gewischt wurden, die schlichte Möblierung der Wohn- und Schlafstuben und die überwiegend einfachen, meist unzerbrechlichen Küchengerätschaften bestimmten den Zeitaufwand, den die Meisterinnen - oder ihre Mägde - für Putz- und Pflegearbeiten hatten.

II. 1.2.3.2 Die Versorgungsarbeit für die mitwohnenden Lehrlinge und Gesellen Neben die Besorgung des Haushaltes im engeren Sinn trat die Versorgungsarbeit, die eine Meisterin für mitwohnende Lehrlinge und Gesellen zu verrichten hatte. Das Ausmaß dieser Arbeit war zunächst von handwerksspezifischen Faktoren abhängig: Eine zentrale Rolle spielte die branchentypische Arbeitsorganisation (Nähe zum Haus, Arbeitskräftebedarf) sowie (für die Verweildauer von Lehrlingen) das notwendige Qualifikationsniveau. Ein weiterer wichtiger Faktor war auch hier wieder die wirtschaftliche Leistungskraft der jeweiligen Werkstatt, weil von ihr abhängig war, ob und wie viele 'Mitarbeiter* sich ein Meisterpaar leisten konnte. Im folgenden möchte ich anhand einiger verfügbarer Zahlen wenigstens annäherungsweise zu klären versuchen, wie viele zünftige Personen eine Meisterin zu versorgen hatte.

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In meiner Magisterarbeit konnte ich zeigen, daß die ledige Schwester von Anna Barbara Gignoux, Sabina Koppmaierin, während der zwölfjährigen Ehe der Gignoux fast zehn Jahre lang deren Haushalt geführt hat. In dieser Zeit arbeitete Anna Barbara Gignoux gemeinsam mit ihrem Mann in der Manufaktur. Vgl. Ch. Werkstetter, Anna Barbara Gignoux. Handlungsfelder, S. 82-83. Vgl. H. Stiewe, Hausbau und Sozialstruktur, S. 194-198; S. 188 findet sich eine Auflistung der benutzten, überwiegend von Handwerkern stammenden Inventare. H. Stiewe, Hausbau und Sozialstruktur, S. 194.

98 II. 1.2.3.2.1 Die Lehrlinge im Meisterhaushalt Die Anzahl der Lehrlinge, die ein Meister gleichzeitig einstellen durfte, war durch die Zunftordnungen festgelegt und in den meisten Handwerken auf einen beschränkt.171 Hatte ein Lehijunge seine Ausbildung beendet, mußte der Meister meist eine gewisse Zeit abwarten, bis er erneut einen Lehrling einstellen durfte.'72 Es war also in der Regel nur ein Lehrling für eine festgelegte Anzahl von Jahren in einer Werkstatt tätig, und nach seinem Ausscheiden mußten einige Jahre, der sogenannte Stillstand, vergehen, bevor er ersetzt werden durfte. Über die bloße Abklärung der Lehrlingszahlen hinaus ist für die Frage nach der Versorgungsarbeit der Meisterin eine Untersuchung von Andreas Grießinger und Reinhold Reith von Interesse, in der die beiden drei verschiedene Gewerbegruppen definieren, deren je gemeinsame Kennzeichen im wesentlichen die Dauer der Lehre, die Höhe des Lehrgelds - und damit auch die soziale Rekrutierung - sowie das erforderliche Qualifikationsniveau und die Arbeitsprozesse ausmachen, und für jede dieser Gruppen nach dem Ausmaß der Integration der Lehrlinge in den Meisterhaushalt und nach deren Bedeutung fragen.173 Zwar wird in dieser Untersuchung der Zusammenhang zwischen der Integration in den Meisterhaushalt und der Heranziehung der Jungen zu Haushaltsarbeiten sowie das aus dem Zusammenleben erwachsende Konfliktpotential vom Blickwinkel der Lehrlinge aus dargestellt, dennoch lassen sich die Ergebnisse auch hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Meisterfrauen lesen. Eine Besonderheit, die für die Meisterinnen von Bedeutung war, boten die Bauhandwerke, die die Kriterien der ersten Gruppe erfüllen: Hier war ein hohes Arbeitskräftepotential erforderlich, die Lehrzeiten waren eher kurz und mit einem nur geringen bzw. keinem Lehrgeld verbunden.174 Statt dessen arbeiteten auch die Lehrlinge gegen Taglohn und mußten sich selbst verköstigen. Weder sie noch die Gesellen wohnten im Haus des Meisters, so daß "von einer 'Ökonomie des ganzen Hauses' [...] in diesen Berufsgruppen daher nur sehr bedingt die Rede sein 171

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Freilich war die normative Festlegung nicht immer eine Garantie für die Einhaltung. Aus Wettbewerbsgründen kontrollierten sich die Meister hier aber gegenseitig, es sei denn, daß alle oder zumindest die meisten einen größeren Bedarf hatten. Obwohl seit 1676 den Goldschlagern nur ein Lehrling erlaubt war, hatten 1701 26 Meister insgesamt 38 Lehrlinge, 1720 dann 38 Meister 48 Lehrlinge, 1730 40 Meister 44 Lehrlinge, und erst seit 1755 gab es weniger Lehrlinge als Meister: 1755 arbeiteten 27 Meister mit 24 Lehrlingen, 1780 22 Meister mit 14 Lehrlingen und 1789 24 Meister mit 11 Lehrlingen. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 187, Anm. 35. Die an dieser Stelle von Reith für 1789 genannte Meisterzahl von 12 Meistern ist zu korrigieren, an anderer Stelle führt er für 1789 24 Meister an (S. 40); vgl. dazu auch R. Bettger, Das Handwerk, S. 182, der 1788 22 Meister zählte. In den anderen hier untersuchten Handwerken fanden sich keine Hinweise darauf, daß die erlaubte Lehrlingszahl so generell überschritten worden wäre. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 102-104. Vgl. A. Grießinger, R. Reith, Lehrlinge. Vgl. A. Grießinger, R. Reith, Lehrlinge, S. 155.

99 [kann]".175 Zwar hatten die Augsburger Zimmerer eine dreijährige Lehrzeit zu absolvieren,176 so daß sie von der Ausbildungsdauer her eher zur zweiten Gruppe gehörten, bestimmend war für sie aber, daß sie nicht im Meisterhaus lebten, weshalb einerseits für die Meisterinnen in diesem Gewerbe die Versorgungsarbeit entfiel, andererseits aber die Lehijungen auch nicht für häusliche Hilfstätigkeiten herangezogen werden konnten. Die zweite von Grießinger und Reith zusammengestellte Gewerbegruppe beinhaltet die Handwerke mit einer durchschnittlichen Dauer der Lehre von drei bis fünf Jahren und einem durchschnittlichen Lehrgeld zwischen 30 und SO Gulden.177 In diese Gruppe fallen die von mir untersuchten Augsburger Handwerke der Schneider und Buchbinder mit jeweils drei Lehijahren und die Zinngießer mit vier Lehijahren, aber auch - und hier liegt ein Unterschied zur Kategorisierung von Grießinger und Reith - die Bäcker mit einer dreijährigen Lehrzeit, die von den beiden der ersten Gruppe zugeordnet werden, und die Bader mit einer ebenfalls dreijährigen Lehrzeit, die diese der dritten Gewerbegruppe zuweisen. Diese dritte Gruppe enthält die Handwerke mit besonders langer Lehrdauer und hohem Lehrgeld,'78 für Augsburg trifft das im Rahmen meiner Untersuchung auf die Goldschlager zu, die eine siebenjährige Lehrzeit zu absolvieren hatten.179 Während es so Grießinger und Reith - in den Handwerken der zweiten Gruppe häufig vorkam, daß nicht aufzubringendes Lehrgeld durch eine Verlängerung der Lehrzeit abgelöst wurde, war dies in den Handwerken mit einer schon grundsätzlich langen Lehrzeit nicht üblich.180 Das Nebeneinander von Werkstatt und Wohnimg, ja in manchen Fällen sogar das Eins-Sein von Werkstatt und Wohnung - Unsere Stuben und Arbeitszimmer sind eins - und das nemliche, so die Augsburger Vorgeher der Schneider181 - führte dazu, daß die handwerkliche Arbeit nicht immer streng von der häuslichen Arbeit getrennt wurde oder zu trennen war. So stellen Grießinger und Reith fest, daß "[d]ie Verwendung zu häuslichen Arbeiten [...] dementsprechend an die Integration in den Meisterhaushalt gebunden" war.182 Hierin lag sicher nicht nur ein hohes Konfliktpotential, wenn sich ein Lehrling gegen aufgetragene 'weibliche' Arbeit wehrte oder diese nicht ordnungsgemäß ausführte, sondern auch die Möglichkeit für die Meisterin, schwere oder unbeliebte Arbeit an den Lehrling zu delegieren. Die Meinungen über die Pflicht der Lehrlinge, Hausarbeiten zu erledigen, waren vermutlich weit gefächert. Die Braunschweiger Schneider äußerten sich 1760 in 175 176 177 178 179

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A. Grießinger, R. Reith, Lehrlinge, S. 159. Vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 9, Ordnung von 1756. Vgl. A. Grießinger, R. Reith, Lehrlinge, S. 159. Vgl. A. Grießinger, R. Reith, Lehrlinge, S. 161. Vgl. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, Ordnung von 1716, Art. 3. Nach R. Reith, Arbeitsund Lebensweise, S. 102 war dies die längste Ausbildungszeit im Augsburger Handwerk. Vgl. A. Grießinger, R. Reith, Lehrlinge, S. 161-162. StAA, KGH, 11.2.1795, pag. 157. A. Grießinger, R. Reith, Lehrlinge, S. 163.

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dieser Frage wie folgt: So viel aber diejenige Arbeit betreffe, welche einer Dienst magd zu kommen, als Wasser in der Küche, und Fleisch aus den Schorn zu holen, Feuer anzumachen, und einzuheitzen, das Haus und die Straße zu fegen, so könnte man zwar dergleichen von einem Lehrburschen fordern, weilen aber bey ihrer Gilde viele Meisters, die meisten keine Magd hätten, so wären sie der Meinung, daß ein Lehrjunge allerdings schuldig sey, auf seiner Meisterin Geheiß ihr einen Eymer Wasser oder was sie sonst in der Haushaltung gebrauche und nötig habe, zu holen,"3 Hier schwingt zwar etwas Unbehagen über die Beteiligung der Lehrjungen an der Hausarbeit mit - denn eigentlich wäre sie doch Mägdearbeit - , aber die Tatsache, daß eben viele keine Magd hatten, rechtfertigte den Einsatz der Jungen dann doch. Die Augsburger Schneider zogen hier - zumindest in einem Fall, bei dem der Fremdzweck wohl zu offensichtlich war - engere Grenzen: Im Juli 1793 bat Schneidermeister Alois Erdle, trotz des zweijährigen Stillstandes, den er bis zu Annehmung eines neuen Lehrlings an sich noch abzuwarten hätte, seinen bereits siebzehnjährigen verwaisten Bruder in eine dreijährige Lehre nehmen zu dürfen. Er begründete seine Bitte damit, daß der Bruder ein von allen Freund verlaßener Waise sei, der zudem trotz seiner 17 Jahre bey einem jeweiligen andern Meister in Ermanglung eines Lehrgeldes sich aicf 4 Jahre artdingen und einschreiben laßen müßte.184 Da sich die Vorgeher der Schneider entschieden gegen die Dispensation verwahrten, reichte Erdle im September 1793 eine neue Supplik ein. Aus dem Bericht des Handwerksgerichtes geht schließlich hervor, daß er nicht zwei, sondern noch vier Wartejahre auf einen neuen Lehrling hatte und daß die Vorgeher sich bereit erklärt hatten, einen geeigneten Lehrherrn zu suchen, ohne daß die Handwerksartikel beeinträchtigt würden. Als Erdle dazu vernommen wurde, äußerte er: Er wolte zwar wohl seinen Bruder einem anderen Meister in die Lehre geben, seine Ehewirthin hingegen laße denselben nicht weg, weil sie ihn sehr gut zu Hausarbeiten brauchen, und mit ihme eine Magd ersparen könnte. Daraufhin fand sich das Gericht um so weniger bewogen, dies zu erlauben, da das Gesuch mehrer auf den Nuzen des Meisters als einigen wahren Vortheil eines armen Waißen abzwecket, der bei einem anderen Meister wohl nicht wie bey seinem Bruder durch täglich zu besorgende Hausarbeiten in der Lehre verkürzt - folgsam daselbst zu seinem guten künfftigen Nuzen angestellt werden dürfte.*" Der Lehrling wurde also durch eine obrigkeitliche Entscheidung vor der eigennützigen Ausbeutung durch die Meisterfrau, die hier ja auch noch seine Tante war, geschützt. Dennoch darf dies sicher nicht als Norm gewertet werden, und so heißt es auch in den Verhaltensanleitungen, die Bäckerlelirlingen bei der Einschreibung vorgelesen werden sollten und deren Einhaltung diese geloben mußten: so solt du

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Zitiert nach A. Grießinger, R. Reith, Lehrlinge, S. 163. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 18, 10.7.1793. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 18, 4 . Π . 1793.

101 dich keiner Arbeit widrigen, was dir die Frau oder der Beckenknecht schafft, sondern solt es verichten als wann es der Meister selbsten geheißen.1"" Da Lehrlinge normalerweise mehrere Jahre im Meisterhaus mitlebten, konnte sich der Alltag vermutlich relativ gut einspielen. Schwierig wurde es sicher, wenn Konflikte nicht zu beheben waren und zu einer Dauerbelastung führten, worauf noch einzugehen sein wird.187 Unproblematischer, wenn wahrscheinlich auch nicht konfliktfrei, war die Situation sicher in den Meisterhaushalten, in denen der eigene Sohn in die Lehre eingeschrieben war, da man persönliche Eigenheiten und häusliche Gewohnheiten kannte. Festzuhalten bleibt, daß in der Regel pro Werkstatt nur ein Lehrling beschäftigt werden durfte und nach Ablauf der Lehrzeit mehrere Wartejahre auf den nächsten Jungen anstanden, so daß von einer durchgehenden Belastung kaum die Rede sein kann.'*8 Andreas Grießinger hat anhand einiger Autobiographien von Lehrlingen gezeigt, daß sich mancher - und das obige Augsburger Fallbeispiel weist in diese Richtung - durch die häufige Heranziehung zu häuslichen Arbeiten mißbraucht fühlte: Ein Goldschmiedelehrling, der von 1801 bis 1806 in der Lehre stand, bezeichnete sich etwa als "Lehrbursch, Hausknecht, Bedienter, Dienstmädchen und Küchenmagd in einer Person".1*9 Zwar mögen solche Aussagen aufgrund der subjektiven Wahrnehmung der Betroffenen überzogen sein, vieles weist dennoch daraufhin, daß der Arbeitsaufwand der Meisterin für die Mitversorgung des Lehrlings im Haus oft mit dessen Beitrag zu häuslichen Arbeiten aufgewogen wurde. II. 1.2.3.2.2 Die Versorgungsarbeit für Gesellen In bezug auf die Versorgungsarbeit der Meisterin für im Meisterhaushalt mitwohnende Gesellen ist zunächst zu fragen, welche Handwerke dies betraf und wie viele Personen durchschnittlich zu versorgen waren. Wie schon bei den Lehrlingen zu sehen war, unterschieden sich die Bauhandwerke von ihrer Arbeitsorganisation und vom Arbeitskräftebedarf her von den anderen Handwerken deutlich. Schon ein kurzer Blick auf die Gesellenzahlen zeigt, daß diese unmöglich in den Meisterhaushalten untergebracht und verköstigt werden konnten: Im Jahr 1720 beschäftigten zehn Zimmermeister insgesamt 97 Gesellen, 1786 arbeiteten bei sie-

186 187 188

189

StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 18, 22.6.1767. Vgl. hierzu unten Kap. Π.1.3. Kaufhold hat für das Hildesheimer Handwerk des 18. Jahrhunderts gezeigt, daß sich die Zahl der von einem Meister während seiner Meisterschaft durchschnittlich ausgebildeten Lehrlinge "zwischen drei und vier, ohne die Meistersöhne zwischen zwei und drei" bewegte, wobei "der Anteil der Meister mit Lehrlingen [...] während des Jahrhunderts im ganzen rückläufig [war]". Κ. H. Kaufhold, Das Handwerk der Stadt Hildesheim, S. 67-68. Zitiert nach A. Grießinger, Das symbolische Kapital der Ehre, S. 59. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 232 verweist auf eine solche Problematik auch im Augsburger Schusterhandwerk, wo es mehrfach zu diesbezüglichen Klagen vor dem Handwerksgericht kam.

102 ben Meistern sogar 200 Gesellen und 1806 waren es bei acht Meistern immerhin noch 90 Gesellen.190 Schon seit dem späten Mittelalter war es im Bauhandwerk üblich, daß sich die Gesellen unter der Bedingung, daß sie eine gesicherte Nahrung nachweisen konnten, verheiraten durften, was auch sehr viele taten. Unverheiratete Gesellen konnten sich in Gasthäusern versorgen oder sich gegen Bezahlung in Kost und Logis bei Privatpersonen begeben, was wohl nicht immer unproblematisch war."1 Insgesamt trifft für die hier untersuchten Zimmerleute sicher zu, was Reith für die überwiegend großbetrieblich produzierenden Handwerke, insbesondere also für das gesamte Bauhandwerk, feststellt, nämlich daß sowohl die Gesellen als auch die Lehrlinge "in diesen Handwerken nicht in das 'ganze Haus' des Meisters einbezogen" waren."2 Auch bei den anderen Handwerken war der Arbeitskräftebedarf entscheidend für die Frage der Integration in den Meisterhaushalt. Während im Augsburger Buchdruckergewerbe viele Gesellen benötigt wurden, hatten diese aufgrund hoher Kapitalvoraussetzungen und familienbetrieblicher Strukturen schlechte Chancen, selbständige Meister werden zu können. Damit war die typische Voraussetzung für eine Heiratserlaubnis für die Gesellen gegeben, die entsprechend auch nicht im Haus ihrer Arbeitgeber lebten."3 Obwohl bei den Goldschlagern die Zahl der Arbeitskräfte, die ein Meister anstellen durfte, durch die Ordnung auf vier Personen (entweder drei Gesellen und ein Lehrling oder vier Gesellen) beschränkt war, also eigentlich nicht hoch lag, gab es seit dem späten 17. Jahrhundert auch in diesem Handwerk verheiratete Gesellen."4 Während 1687 in Augsburg nur 15 Gold-

190 Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 200. " ' So erklärte beispielsweise der Zimmergeselle Johann Brägel, daß er bei Margaretha Scheiffelhtietin, der Witwe eines Messingarbeiters, in die Cost gegangen, auch daselbsten schlaffe. Der Nachsatz aber nicht in der Scheiffelhütin Bedt zeigt die dieser Lebensweise innewohnende Problematik: Bedingt durch die Arbeitsorganisation waren unbehauste Gesellen zwar eine Realität, sie durchbrachen aber ständische Ordnungsvorstellungen und gerieten daher leicht in den Verdacht eines unehrbaren Lebenswandels. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 6, 13.9.1755. 192 R. Reith, Arbeitsmigration und Gruppenkultur, S. 4. Dies zeigt für die Hildesheimer Bauhandwerke Κ. H. Kaufhold, Das Handwerk der Stadt Hildesheim, S. 82-83. 193 1748 arbeiteten in den 11 Druckereien 85 Gesellen, 1768 waren in 12 Druckereien 93 Gesellen beschäftigt. Vgl. A. Grießinger, R. Reith, Lehrlinge, S. 162. Vgl. auch J. Ehmer, Heiratsverhalten, S. 186. 194 Zur Zahl der erlaubten Gesellen vgl. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, Ordnung von 1716, Art. 6. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 182 schreibt, daß die Meistersöhne nicht unter diese Zahl fielen. In der Ordnung steht jedoch, daß in der Zahl selbst flinff, aber nicht darüber gearbeitet werden dürfe, was bedeutet, daß mit dem Meister nur fünf Personen zugelassen waren. Ausdrücklich wird erläutert, daß auch die das Handwerk führenden Witwen in diese Fünfzahl Inbegriffen seien. In der Ordnung nicht erwähnt sind die sog. Zainer, von denen nach Reith von allen Meistern zusammen drei bis sechs beschäftigt wurden und die für die vorbereitenden Arbeitsprozesse (Schmelzen, Legieren, Gießen, Zainen) zuständig waren. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 185.

103 schlagermeister arbeiteten, waren es 1701 bereits 26 Meister;"5 für 1694 nennt Reith eine Gesellenzahl von mindestens 30; 1765 arbeiteten neun und 1806 nur noch fünf Gesellen."6 Die letztgenannten fünf Gesellen verteilten sich - so Roland Bettger - auf fünf Meisterbetriebe, die anderen neun Meister arbeiteten trotz des aufwendigen und kräftezehrenden Arbeitsprozesses allein."7 Anders als die Lehrlinge dieses Handwerks, wohnten die Gesellen nicht im Haus ihrer Meister. Bei allen anderen von mir untersuchten Handwerken lebten die Gesellen im Meisterhaushalt. Bei den Zinngießern arbeiteten 1721 insgesamt 18 Gesellen bei wohl 16 Meistern (diese Meisterzahl wird für 1720 genannt); 1741 waren es mindestens 18 Gesellen bei 15 oder 16 Meistern (1730 15 Meister; 1755 16 Meister).198 Genaue Angaben zur Verteilung der Gesellen liegen nur für 1806 für die noch bestehenden acht Werkstätten vor: drei Meister arbeiteten ohne Gesellen, vier Meister mit einem und ein Meister mit drei Gesellen."9 Während hier also eine Meisterin drei Gesellen und weitere vier Meisterinnen jeweils einen Gesellen zu versorgen hatten, entfiel dieser Arbeitsbereich für drei Meisterinnen ganz. Bei den Buchbindern führten in den 1730er Jahren 36 Meister zusammen 30 Gesellen; 1761 arbeiteten 29 Gesellen, eine genaue Zahl der Meister liegt für dieses Jahr nicht vor; 1788 beschäftigten dann 33 Meister 22 Gesellen.200 1806 entfielen auf 24 Meister 17 Gesellen, wovon 13 Meister jeweils einen Gesellen führten und zwei Meister je zwei Gesellen, neun Meister arbeiteten ohne Gesellen.201 Wenngleich für die früheren Jahre keine genaue Zuordnung geleistet werden kann, zeigt sich doch, daß der durchschnittliche Gesellenbesatz pro Werkstatt niedrig war und die wenigsten Meisterinnen mehr als einen Gesellen zu versorgen hatten. Genauere Angaben - wenn auch nur zum Anfang und zum Ende des Untersuchungszeitraumes - können für die Bader und die Barbiere gemacht werden. Eine Lista der Gesellen, so bey den Badern alhier zu End deß 1702ten Jahrs, laut von sich gegebner Verzeichnis, in Condition gestanden gibt genaue Auskünfte: 12 Bader beschäftigten 20 Gesellen, wobei sechs Meister je einen Gesellen, vier Meister (darunter eine Witwe) je zwei Gesellen und 2 Meister je drei Gesellen hatten. Für die Barbiere liegt ebenfalls eine solche Liste vor: hier arbeiteten in 17 Barbierstuben 20 Gesellen; ein Meister hatte keinen Gesellen, 12 Meister (darunter wieder eine Witwe) arbeiteten mit je einem Gesellen und vier Meister mit zwei Gesellen.202 Für das Jahr 1806 ermittelte Roland Bettger eine Gesamtzahl von 27 Badern und Barbieren mit zusammen 46 Gesellen: ein Meister arbeitete auch jetzt 195 196 197 198 199 200 201 202

Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 40. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 184. Vgl. R. Bettger, Das Handwerk, S. 193. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 51-52. Vgl. R. Bettger, Das Handwerk, S. 185. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 66. Vgl. R. Bettger, Das Handwerk, S. 191. Vgl. StAA, HWA, Bader, Fasz. 10, jeweils 10.3.1703.

104 allein, zwölf Meister hatten je einen Gesellen, acht Meister je zwei und sechs Meister je drei Gesellen.203 Auch für die Bäcker stehen zwei Eckdaten zur Verfugung, die kaum Abweichungen beinhalten. Die Meisterzahl bewegte sich durch das ganze 18. Jahrhundert hindurch kaum: 1701 gab es 87 Backstuben, 1720 waren es 88, 1730 86, 1755, 1781 und 1789 wieder 88, 1806 schließlich 89, wobei nicht immer alle Handwerksgerechtigkeiten aktiv genutzt wurden. Im Jahr 1715 arbeiteten 23 bis 25 Bäckermeister ohne Gesellen, 52 Meister mit je einem, zehn Meister mit je zwei und zwei Meister mit je drei Gesellen.204 Für 1806 ist das Bild kaum anders: 27 Meister beschäftigten keinen Gesellen, 53 Meister je einen, acht Meister je zwei und ein Meister drei Gesellen.205 Die Mehrzahl der Meisterinnen hatte also einen Gesellen in ihrem Haushalt mitzuversorgen; die hohe Zahl der Meister, die ohne Gesellen arbeiteten, ist - da dies gerade im Bäckerhandwerk, wie noch verschiedentlich zu sehen sein wird, besonders schwierig war - hinsichtlich des Arbeitsaufwandes der Bäckerinnen in den Backstuben besonders aussagekräftig. Höchst problematisch stellte sich das ganze Jahrhundert hindurch die wirtschaftliche Lage der Schneider dar. Die Misere des massiv übersetzten Handwerkes spiegelt sich auch in den Gesellenzahlen, besonders deutlich aber in den Eingaben der Handwerksgeschworenen an den Rat, mit denen sie um Hilfen baten. 1712 erklärten sie diesem, daß auß uns mehr alß 150. Meistere gar wenig seindt, welche daß liebe Brodt in ihrem Hauß gewinnen, die andere arbeiten eintweders alß gesellen, oder können wegen abgang der conten daß Handtwerck gar nicht treiben, [...] Ja unter diser großen anzahl der Meister seind nicht 50. so gesellen setzen}06 1755 zählte das Handwerk 225 Meister, 1803 waren von 204 Meistern etwa 60 nach eigenen Angaben brotlos, und das ganze Handwerk konnte kaum 100 Gesellen beschäftigen.207 Differenzierte Daten liegen wiederum für 1806 vor: 104 Meister arbeiteten ohne Gesellen, 57 Meister mit einem, 21 Meister mit zwei, fünf Meister mit drei, drei Meister mit vier und ein Meister mit fünf Gesellen.208 Es bleibt allerdings unklar, ob und wie viele der Gesellen eigentlich Meister waren und aus Not 'gesellenweise' arbeiten mußten. Bei diesen Personen kann man davon ausgehen, daß sie nach getaner Tagesarbeit zu ihren eigenen Familien zurückkehrten. Wie wenig erhellend für unsere Zwecke Durchschnittswerte sind, zeigt sich, wenn man diese den realen Zahlen gegenüberstellt. Roland Bettger hat für das Jahr 1806 den jeweils durchschnittlichen Gesellenbesatz pro Werkstatt errechnet: dieser lag bei den Zimmerleuten bei 11,2, bei den Goldschlagern bei 0,3, bei den 203 204 205 206 207 208

Vgl. R. Bettger, Das Handwerk, S. 193. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 72-73. Vgl. R. Bettger, Das Handwerk, S. 183. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 9, 31.3.1712. Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 34, 14.3.1803. Vgl. R. Bettger, Das Handwerk, S. 187.

105 Zinngießern, den Buchbindern und den Schneidern bei 0,7, bei den Badern bei 1,7 und bei den Bäckern bei 0,8. 209 Im Jahr 1806 umfaßten die sieben von mir untersuchten Handwerke insgesamt 361 Meister. Von diesen arbeiteten 154 ohne Gesellen, 144 mit einem Gesellen, 40 mit zwei Gesellen, 12 mit drei Gesellen, drei mit vier Gesellen, einer mit fünf Gesellen und nur sieben Meister - allesamt Zimmerleute - mit mehr als fünf Gesellen. Rechnet man die Zimmerleute und Goldschlager nicht mit, da deren Gesellen nicht im Meisterhaushalt lebten, errechnen sich für die restlichen fünf Handwerke 339 Meister, von denen 144 ohne Gesellen, 139 mit je einem Gesellen, 40 mit je zwei Gesellen, zwölf mit drei Gesellen, drei mit vier Gesellen und nur ein Meister mit fünf Gesellen arbeiteten. Das bedeutet für die in diesem Kapitel interessierende Frage, daß 42,5 % der Meisterinnen keinen Gesellen, 41 % einen Gesellen, 11,8 % zwei Gesellen, nur 3,6 % drei Gesellen, 0,9 % vier Gesellen und lediglich 0,3 % fünf Gesellen in ihrem Haushalt zu beherbergen und zu verköstigen hatten.210 Wenngleich diese Zahlen nur den Stand von 1806 konkretisieren und berücksichtigt werden muß, daß sich zu diesem Zeitpunkt viele Probleme der einzelnen Handwerke im Vergleich zu den vorausgegangenen einhundert Jahren noch verschärft hatten, meine ich doch, daß sie zumindest als Richtwerte von Bedeutung sind. Den wohl tiefgreifenderen Einschnitt brachte erst die Gewerbepolitik Montgelas' 1807 mit der Aufhebung der Beschränkung der Lehrlings- und Gesellenzahlen, die eine Polarisierung der wirtschaftlich starken und schwachen Meister brachte und zwischen 1806 und 1818 zu einer beträchtlichen Zunahme der Alleinmeister führte.2"

209 210

2,1

Vgl. R. Bettger, Das Handwerk, S. 183-194. Eine Vergleichszahl bietet Κ. H. Kaufhold, Das Handwerk der Stadt Hildesheim, S. 72: im Jahr 1808 arbeiteten in Hildesheim 430 von 598 zünftigen Betrieben ohne Gesellen, dies entspricht 72 %. Wiederum Durchschnittswerte nennt E. Wiest, Die Entwicklung des Nürnberger Gewerbes, S. 30-31: Im Jahr 1785 arbeiteten im gesamten Nürnberger Gewerbe durchschnittlich 0,86 Gesellen pro Betrieb. Dieser Wert läßt sich jedoch hinsichtlich der von mir untersuchten Handwerke etwas aufschlüsseln: In insgesamt 76 Bäckereien arbeiteten 113 Gesellen (1,5 pro Betrieb), bei 10 Badem waren es 12 Gesellen (1,2), bei 25 Goldschlagern 17 Gesellen (0,7), bei 20 Zinngießern 11 Gesellen (0,55); eine Ausnahme bildeten auch hier die Zimmerleute: bei 10 Meistern waren 80 Gesellen (8) beschäftigt. Angaben zu Buchbindern und Schneidern fehlen in der herangezogenen Tabelle S. 188-189. Wenngleich wir hier also über keine absoluten Zahlen verfugen, zeigt sich doch, daß auch in Nürnberg die Versorgungsarbeit der Meisterinnen für Gesellen relativ begrenzt war. Zu undifferenziert ist die folgende Aussage von M. Stürmer, Herbst des alten Handwerks, S. 160: "In Deutschland galt im 18. Jahrhundert die Regel, daß kein Meister mehr als zwei Gesellen halten durfte. Zwei Gesellen zu halten, deutete bequemen Wohlstand an, wer nur einen hatte, konnte noch etwas beiseitelegen. Keinen Gesellen zu haben, war Zeichen von Dürftigkeit. In den deutschen Großstädten hatte die Mehrzahl der Meister einen Gesellen." Stürmer erweckt mit solchen pauschalen Angaben den Eindruck, es hätte 'das Handwerk', 'den Gesellen' und für alles eine einheitliche Meßlatte gegeben. Vgl. R. Bettger, Das Handwerk, S. 87.

106

Ohne die Arbeit der Meisterinnen für das Putzen, Wäschewaschen und Kochen - wohl die wesentlichsten Arbeiten für den täglichen Bedarf, die oben bereits hinsichtlich des erforderlichen Aufwandes dargestellt wurden - marginalisieren zu wollen, meine ich, daß man davon ausgehen darf, daß nur eine zusätzliche Person keinen wesentlichen Mehraufwand bei Tätigkeiten, die so oder so anfielen, verursacht haben dürfte. Zusammen mit den Meisterinnen, die überhaupt keinen Gesellen zu versorgen hatten, machte diese Gruppe immerhin 83,5 % aller Meisterinnen aus. Daß ledige Gesellen nicht ohne weiteres außerhalb des Meisterhaushaltes wohnen durften, zeigt folgender Fall aus den Protokollen des Handwerksgerichtes: Der Freihandmalermeister Joss zeigte dem Gericht an, daß der Geselle, der bei ihm die Ersitzjahre erstrecken sollte, zu seiner, deß Gesellen Schwester, N. Fleischharkerin [einer geschiedenen Freihandmalerin, Ch.W.] in die Kost gehe, wogegen die Vorgeher seines Handwerks protestierten. Sie erläuterten, daß der Geselle auf seinen, deß Jossens Nahmen geschrieben, der Fleischharkerin aber, wie es unbefugter Weiß geschehe, gezieme nicht einen Gesellen die Ersitz:Jahr zu geben; massen Sie nur auf ihre Hand arbeite. Hier zeigt sich, daß das Mitwohnen der Gesellen im Meisterhaushalt nicht nur aus Gründen einer praktischen Arbeitsorganisation, der Kontrolle eines ehrbaren Lebenswändeis und natürlich der Einhaltung ständischer Ordnungsvorstellungen gewünscht war, sondern daß dies auch ein Weg war, die Arbeitsbereiche und die Arbeitsbefugnis der je betroffenen Personen zu kontrollieren. Das Gericht entschied schließlich doch zugunsten des Gesellen: Werde deß Meisters Jossen Gesell bey ihme selbsten arbeithen, und gleichwohl bey seiner Schwester Kost und Liegerstatt nehmen, so könne mann es von Gerichts wegen geschehen lassen. Sowohl der betroffene Meister als auch die Handwerksvorgeher werden in der Folge streng darauf geachtet haben, daß der Geselle nicht für seine Schwester arbeitete, die ja bereits mit der Sondererlaubnis, auf ihre eigene Hand arbeiten zu dürfen, das Handwerk - so dessen Perspektive belastete.212 Fälle wie dieser blieben die Ausnahme, und es war in Augsburg noch am Ende des 18. Jahrhunderts in den meisten Handwerken üblich, daß ledige Gesellen im Haushalt des Meisterpaares, für das sie arbeiteten, wohnten und dort auch verköstigt wurden.213 Wenngleich Josef Ehmer hinsichtlich der Einbindung der Gesellen in die Meisterhaushalte mitteleuropäischer Städte "im 18. Jahrhundert eine größere Variabilität und mehr Möglichkeiten für Zwischen- und Übergangslösungen" ausmacht, verweist er doch auf eine Vielzahl von Gewerben, in denen die Gesel-

2,2 213

StAA,KGH, 8.10.1725, pag. 406. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 263; R. Bettger, Das Handwerk, S. 134-135 stellt fest, daß erst mit der oben angesprochenen Aufhebung der Betriebsgrößenbeschränkung im Jahr 1807 einherging, daß die Gesellen nicht mehr im Haus ihrer Meister wohnten.

107 len bis weit in das 19. Jahrhundert in hausrechtlicher Abhängigkeit von ihren Meistern standen.214 Insgesamt bleibt in bezug auf den Zeitaufwand der Meisterinnen für die Versorgungsarbeit für das zünftige Gesinde festzuhalten, daß sich dieser in den vielen Werkstätten, in denen überhaupt kein Geselle oder aber nur einer sowie maximal ein Lehrling beschäftigt war, wohl in solchen Grenzen hielt, die der Meisterin durchaus Freiräume für 'nichthäusliche' Tätigkeiten ließen. In den Werkstätten, die eine größere Gesellenzahl aufwiesen, waren sicher auch die finanziellen Ressourcen für weibliches Gesinde vorhanden, das dann wiederum diese Arbeit ausführen konnte.

II. 1.2.3.3 Die Tamilienarbeit' II. 1.2.3.3.1 Die Meisterin als Mutter Wie in den vorausgehenden Kapiteln gezeigt werden konnte, hatten die Ehefrauen der Meister vielfältige Arbeitsfelder zu bewältigen. Wenn ich nun im folgenden noch die 'Familienarbeit' der Frauen thematisiere, geht es mir lediglich darum, einen Einblick in diesen Bereich zu vermitteln, nicht aber statistische Durchschnittswerte zu Kinderzahlen und Familiengrößen zu errechnen. Der Versuch, solche Werte umfassend zu ermitteln, würde - soweit die Archivlage dies überhaupt zuließe - einerseits den Rahmen meiner Arbeit sprengen, andererseits aber zentrale Fragen nicht wirklich klären. Dennoch möchte ich hier die wenigen in der Literatur verfügbaren Zahlen anführen. Anhand des Gewerbekatasters von 1818 konnte Roland Bettger die Kinderzahlen der Augsburger Handwerkerschaft ermitteln: In 2125 Haushalten lebten in diesem Stichjahr 3943 Kinder, woraus sich ein Durchschnittswert von 1,85 Kindern pro Familie ergibt. 27,4 % der gezählten Familien hatten kein Kind, 23,3 % nur ein Kind, 21,2 % zwei Kinder, 11,9 % drei Kinder, 6,7 % vier Kinder, 4,8 % fünf Kinder, 2,4 % sechs Kinder, 1,3 % sieben Kinder, 0,6 % acht Kinder und nur 0,4 % mehr als acht Kinder. Bettger geht davon aus, daß die große Zahl der kinderarmen Familien in der hohen Kindersterblichkeit begründet lag, nicht in der Unfruchtbarkeit der Paare. Seinen Berechnungen zufolge starben 43 % der Kinder bevor sie das erste Lebensjahr vollendeten, weitere 7 % starben vor Erreichen des zehnten Lebensjahres.215 Peter Fassl bezif214

215

J. Ehmer, Heiratsverhalten, S. 199-202. Vgl. dort auch die Tabelle "Handwerksgesellen nach ihrer Stellung im Haushalt, mitteleuropäische Städte, 1774-1880", S. 297-298. Dieser Tabelle zufolge lebten in Konstanz im Jahr 1774 100 % der Schuhmacher-, Schneider-, Tischler-, Schlosser-, Fleischer- und Bäckergesellen im Meisterhaushalt (einschließlich der Söhne der Meister), während 77,8 % der Maurer- und 87,5 % der Zimmergesellen einem eigenen Haushalt vorstanden, 22,2 % der Maurergesellen als Meistersöhne ausgewiesen sind und 12,5 % der Zimmergesellen im Haushalt ihres Meisters lebten. Vgl. R. Bettger, Das Handwerk, S. 100-101.

108 fert fur das ausgehende 18. Jahrhundert "die Familiengröße beim einfachen Handwerker mit ungefähr 3,8 Personen [...], die der übrigen Bürgerschaft lag wohl zwischen vier und fünf Mitgliedern".216 Wenngleich in den in den Handwerkerakten befindlichen Suppliken gelegentlich Angaben über die Anzahl der Kinder des Supplikanten gemacht wurden, ist es unzulässig, hieraus auf durchschnittliche Kinderzahlen pro Familie zu schließen. Soweit konkrete Zahlen genannt werden, sind Familien mit bis zu vier Kindern deutlich in der Uberzahl, nur wenige Familien nannten sechs, acht oder auch zehn Kinder.217 Häufig baten Supplikanten oder Supplikantinnen auch nur, meiner älteren Tochter oder meinem älteren Sohn die Werkstatt übergeben zu dürfen, wobei unklar bleibt, wieviele weitere Kinder noch vorhanden waren. Gerade hinsichtlich der für den Arbeitsaufwand der Meisterinnen relevanten Aspekte nützen - ähnlich wie bei den Lehrlings- und Gesellenzahlen - statistische Durchschnittswerte wenig. Hohe Geburtenzahlen, aber auch eine große Säuglingssterblichkeit, Zweit- und Drittehen mit langen Stiefgeschwisterreihen, der Antritt der Lehre, die Söhne vielfach außerhalb des Elternhauses absolvierten, sowie das Eintreten der Töchter in Gesindedienste sind zentrale Faktoren, die es nahezu unmöglich machen, genaue Zahlen der jeweils in einer Familie lebenden Kinder zu ermitteln.218 Zwar gilt das 18. Jahrhundert als das 'pädagogische Jahrhundert',2" doch bezieht sich das mehr auf den gelehrten Diskurs als auf die Alltagsrealitäten. Die Forschungen über die "Kinderstuben" - so ein Buchtitel von Jürgen Schlumbohm220 - bleiben in ihren Aussagen insgesamt relativ pauschal und lassen sich für das Handwerkermilieu im Ergebnis wohl so zusammenfassen: "Die Regel war, daß die Kinder in der Familie 'nebenbei' aufwuchsen."221 Säuglinge wurden bis zum Alter von etwa neun bis zwölf Monaten straff gewickelt, wobei die Arme so miteingebunden wurden, daß die Kleinen praktisch bewegungsunfähig in ihren Wiegen lagen; mit Schnullern, ja sogar mit betäubenden, zumeist pflanzlichen

216

P. Fassl, Konfession, Wirtschaft und Politik, S. 55; er bezieht sich im wesentlichen auf Angaben von Roland Bettger und Volker Haertel, führte also keine eigenen Untersuchungen durch. 217 R. Lenz, Emotion und Affektion in der Familie, verweist in einem Forschungsüberblick auf die historisch-demographischen Arbeiten von Laslett, Flandrin, Mitterauer, Schuler u.a., die darin übereinstimmen, "daß auch in der Frühen Neuzeit die Kemfamilie [d.i. Eltern und Kinder, Ch. W.] mit vier bis fünf Angehörigen die vorherrschende familiale Sozialform war", ganz entgegen dem "Mythos von der Großfamilie" (Zitat S. 125). 218 Vgl. hierzu auch H. Wunder, "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 100 sowie K. Keller, Zu materiellen Lebensverhältnissen, S. 64-65. Keller stieß für den von ihr untersuchten Zeitraum auf die gleiche Problematik, weshalb sie auf eine Berechnung durchschnittlicher Kinderzahlen verzichtete. 2 " Vgl. z.B. U. Herrmann (Hg.), "Das pädagogische Jahrhundert". 220 J. Schlumbohm, Kinderstuben. 221 J. Schlumbohm, Kinderstuben, S. 217.

109 Mitteln brachte man sie zum Schlafen oder stellte sie zumindest ruhig.222 Sobald die Kinder etwas größer waren, unterstanden sie der Obhut ihrer Geschwister oder Nachbarskinder, wobei "sich ein großer Teil des Kinderlebens auf der Straße abfspielte]".223 Kinder wurden außerdem früh zu Hilfstätigkeiten in der Werkstatt und im Hauswesen herangezogen, was einerseits die geschlechtsspezifische Sozialisation einleitete, aber auch die Möglichkeit in sich bergen konnte, daß Mädchen von ihren Vätern zu handwerklichen Arbeiten angeleitet wurden. Da es aufgrund der Quellenlage nicht wirklich möglich ist, den tatsächlichen Arbeitsaufwand speziell der Mütter zu ermessen, möchte ich im folgenden versuchen, in den Handwerkerakten sichtbar werdende Probleme, mit denen sich frühneuzeitliche Mütter konfrontiert sahen, aufzuzeigen. Dieser Blick auf die Kinder im Kontext einer handwerksgeschichtlichen Quelle offenbart sicher in erster Linie ökonomische Interessen, insbesondere Versorgungsinteressen, aber auch zielgerichtete Argumentationsstrategien, mit denen die Durchsetzung eigener Vorstellungen erreicht werden sollte. Aus einer Vielzahl von Konsensgesuchen zur Werkstattübergabe wird deutlich, daß es ein zentrales Anliegen der Eltern war, zu ihren Lebzeiten möglichst alle ihre Kinder zu verheiraten, was als die beste Möglichkeit der Existenzsicherung gesehen wurde. Je mehr Kinder ein Meisterpaar hatte, desto schwieriger wurde diese Versorgung - besonders wenn es sich um Töchter handelte. Dies zeigt sich beispielsweise im Fall des Schneidermeisters Andreas Stein, der in seinem und im Namen seiner Frau im Februar 1749 den Rat bat, eine seiner fünf Töchter auf das Handwerk verheiraten zu dürfen. Sogar die Vorgeher des Handwerks, die normalerweise alle Dispensationen abzuwehren suchten, mußten gestehen [...], daß dem Mr. Stein in Betracht seiner eigenen und seiner Familie angeführten wahrhafften Umstände, eine Obrigkeitliche Gnade wohl zu gönnen wäre. Auch das Handwerksgericht befürwortete das Gesuch, zudem derselbe noch 5. unversorgte Töchter und keinen Sohn hat, gegenwärtige Gelegenheit aber eine derselben zu verheurathen daher vortheilhafft anscheinet™ Als er aber nach mehreren negativ dekretierten handwerksinternen Heiratsgesuchen für seine Töchter im Februar 1751 erneut eine Supplik einreichte, schrieb das KGH in seinem Bericht an den Rat, daß der Mr. Stein aber, nachdem ihm schon in Ansehung einer Tochter eine Obrigkeitliche Gnade zu ihrer Versorgung auf dem Handwerck wiederfahren, eben dieselbe in Ansehung seiner andern Töchter allzudreiste praetendiere, und

222

223

224

Vgl. H. Möller, Die kleinbürgerliche Familie, S. 37-41; J. Schlumbohm, Kinderstuben, S. 218. Dagegen meint Olwen Hufton - allerdings ohne es näher zu erläutern - , daß das Wikkeln der Kinder "im Laufe der Frühen Neuzeit" langsam aufgegeben worden sei. Vgl. O. Hufton, Arbeit und Familie, S. 49. J. Schlumbohm, Kinderstuben, S. 220. Auf die Bedeutung des gemeinsamen Spiels der Kinder außerhalb des Blickfeldes der Eltern macht auch H. Möller, Die kleinbürgerliche Familie, S. 54-56 aufmerksam. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 30, 14.2.1749.

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dergleichen frequentere Begünstigungen dem Handwerck nicht änderst als höchst beschwerlich fallen würden™ Am problemlosesten gingen die Eheschließungen vonstatten, bei denen die zukünftigen Ehemänner von sich aus alle von ihrem Handwerk zur Erreichung der Meisterschaft erforderlichen Requisiten erfüllten, die also nicht darauf angewiesen waren, durch die Heirat einer Meisterwitwe oder -tochter einen Nachlaß bestimmter Anforderungen zu erhalten - dann allerdings hatten sie auch in der Wahl ihrer Bräute eine so freie Hand, daß tendenziell mittellose Frauen wenig Heiratschancen hatten. Auffällig scheint mir - und dies sei hier nur kurz erwähnt, da es im wesentlichen die Gesellenehen betraf - , daß es für die Erlangung des Bürgerrechts und des Heiratskonsenses von Bedeutung war, ob und wieviel die zukünftige Ehefrau zum Einkommen des Mannes dazu verdienen konnte, wobei von den Ämtern nicht thematisiert wurde, daß baldiger Familienzuwachs die finanzielle Lage aufgrund einer eingeschränkten Arbeitsmöglichkeit der Mütter verschlechtern könnte.226 Dies wirft die Frage auf, ob dem frühneuzeitlichen Wirtschaftssystem mit seinem Nahrungsprinzip das Denken der Unvereinbarkeit von Arbeit und Kinderversorgung fremd war. Eine explizit ausgedrückte Vorstellung einer solchen Unvereinbarkeit von außerhäuslicher Lohnarbeit einer Mutter mit ihren 'christlichen' Erziehungspflichten fand sich nur in einem Fall: Der Schneidermeister Johann Michael Preßler bat im September 1799 den Rat um die Erlaubnis, einen Lehijungen annehmen zu dürfen, obwohl er erst zwei Jahre als Meister tätig war und ein Jungmeister regulär vier Jahre auf seinen ersten Lehrling warten mußte. Er wollte den fünfzehnjährigen Sohn einer verwitweten und mit ihm verwandten Zimmermeisterin in die Lehre nehmen und stellte sein Gesuch als Entgegenkommen dar, weil diese Wittib arm, und durch das Waschen, und Stricken sich kaum selbst den nöthigen Lebensunterhalt zuverschaffen im Stande ist. Weiter stellte er fest, daß die Mutter, immer mit Geschäften von Harne abwesend, nicht vermögend ist, ihren Sohn Christlich und rechtschaffen aufzuerziehen. Daher wage er es, diese Bitte zu stellen.227 Handelte es sich hier um eine wohldurchdachte Argumentationsstrategie, mit deren Hilfe der Supplikant hoffte, seinen Lehrlingsbedarf durchzusetzen, wobei er damit rechnen konnte, daß der Rat ihm zustimmen würde? Kommt hier bereits ein neues, 'bürgerliches' Mutterbild zum Tragen? Die Handwerksvorgeher anworteten auf die Rückfrage des Handwerksgerichtes in dieser Angelegenheit, daß sie keine Einwände hätten, weil ein armer Bürgerssohn durch die Aufnahme in die Lehre ihres Mitmeister Preßlers eine anständige Versorgung finden, auch

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StAA, HWA, Schneider, Fasz. 31, 10.2.1751. So antwortete das Handwerksgericht auf eine Anfrage der Stadt Frankfurt, welche Voraussetzungen in Augsburg für Gesellenehen von Zimmerleuten erfüllt werden müßten, daß - neben anderem - darauf geachtet werde, ob seine Eheverlobte durch weibliche Handarbeiten sich gleich/als einen Verdienst erwerben könne. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8, 22.12.1800. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 19, 18.9.1799.

Ill seiner verwittibten Mutter bey ihrem ohnehin geringen Verdienst eine Erleichterung verschaft würde, wenn der Meister - was Preßler selbst angeboten hatte nach Ablauf der Lehrzeit auf den nächsten Lehijungen sechs statt vier Jahre warten würde.22" Die Vorgeher rekurrierten also auf die ökonomische Notlage der Mutter, nicht aber auf ein 'moralisches' Unvermögen. Preßlers Begründung wäre so zugespitzt auch nicht notwendig gewesen, weil solche Gesuche relativ oft vorkamen und grundsätzlich gute Erfolgschancen hatten. Insofern mag das Mutterbild, das in seiner Supplik sichtbar wird, eher seiner persönlichen Sicht entsprochen haben als daß es als strategischer Schachzug eingesetzt wurde, wenngleich hier doch das Eindringen bürgerlich-pädagogischer Leitbilder zu konstatieren ist.229 Freilich waren Frauen als Mütter auch mit moralischen Ansprüchen zu disziplinieren. Dies versuchte mit Erfolg Georg Christoph Gleich in der Auseinandersetzung mit seiner Frau Anna Barbara, verwitwete Gignoux, die sich nicht bereit zeigte, die nach dem Tod ihres ersten Mannes von ihr geführte Kattunmanufaktur ihrem zweiten Ehemann zu überlassen. Im Versuch, sie in fast allen Lebensbereichen in Verruf zu bringen, warf er ihr öffentlich vor, daß sie ihn hindere, in der mir sehr am Herzen liegenden Kinderzucht die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, da sie wann ich ihnen [seinen Stiefkindern, Ch.W.] befehle, in die Kirche zu gehen von der Mutter in meiner Gegenwart contramandiert werden,230 Auf diesen Vorwurf hin, wurde die Gleichin aufgefordert, für eine christliche Erziehung ihrer Kinder zu sorgen, da der Magistratus ansonsten ex officio den bedacht nehmen würde und müßte, damit mehrgedachte Kinder in der Religion Ihres verstorbenen Vaters zur Gottesforcht und gutten Sitten erzogen würden.231 Dies zeigt, daß es nicht schwer war, eine Mutter unter Druck zu setzen, besonders mit solchen Vorwürfen, die die Obrigkeit schnell auf den Plan riefen und gegen die man sich schwer verteidigen konnte. Neben den elementaren Aufgaben, Kinder mit Nahrung und Kleidung zu versorgen, gehörte es zur elterlichen und wohl insbesondere zur mütterlichen Pflicht, sie in religiösen Belangen zu fördern und darauf zu achten, daß sie sich ihren Weg in die Zukunft nicht verbauten. Aus Sorge um den guten Ruf ihres Sohnes und damit um seine berufliche Zukunft, veranlaßte beispielsweise eine Augsburger Badermeisterin ihren Mann, Jacob Fuhrmann, ihrem in Görlitz arbeitenden Sohn eine schriftliche Warnung vor seiner dortigen Meisterin zukommen zu lassen, woraus sich ein Ehrkonflikt zwischen dem Görlitzer Bader Lindloff und Fuhrmann entwickelte. In Fuhrmanns Stellungnahme heißt es: Ich kann aber nicht 228 229

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StAA, HWA, Schneider, Fasz. 19,4.10.1799. Vgl. z.B. G. Frühsorge, Die Einheit aller Geschäfte, der u.a. auf die Aufnahme pädagogischer Pflichten der Hausmütter in das 1778 erschienene Werk "Die Hausmutter in allen ihren Geschäften" von Christian Friedrich Germershausen hinweist. StAA, HWA, Weber, Fasz. 113, 18.2.1762. Zu diesem Streit vgl. Ch. Werkstetter, Anna Barbara Gignoux. Handlungsfelder, S. 84-88. StAA, HWA, Weber, Fasz. 113, 9.3.1762.

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umbhin meiner Haußfrauen halber, die mich deßhalb ersuchet hat, zu melden, das sie dazumahl da sie gehöret, das ihr Sohn bey dem Herrn in dienst getreten, sehr erschrocken, Indehme Sie von verschiedenen Gesellen gehöret, daß seine Frau eine ErtzCanallie und Jedermann gemein seye, deßwegen sie mich dazumahl auch gebethen ihrem Sohn aufs ernstlichste zu schreiben, das er sich [...] nicht besudeln solte.m Nicht minder wichtig war es, die Ehrbarkeit der Töchter zu schützen, wozu gehörte, sie - wie die Söhne - vor Vergehen 'in Puncto Sexti', also vor Verstößen gegen das sechste Gebot, zu bewahren, aber auch, ihnen in ausreichender Weise Fähigkeiten im 'Haushalten' zu vermitteln. Dies wird jedoch in einem späteren Kapitel zu thematisieren sein.233 Die von Vertretern der historischen Sozialisationsforschung häufig geäußerte Ansicht, daß es in der Frühen Neuzeit keine emotionalen Beziehungen zwischen Ehegatten, Eltern und Kindern gegeben habe,234 hat - neben anderen - insbesondere Rudolf Lenz durch seine Analysen von Leichenpredigten meines Erachtens eindrucksvoll widerlegt.235 Ist es möglich, über eine handwerksgeschichtliche Quelle Einblicke in Eltern-Kind-Bindungen zu gewinnen, die über die ökonomischen Aspekte hinaus- und in die emotionale Ebene hineinreichen? Ich meine ja und möchte es im folgenden zu zeigen versuchen. Immer wieder ist in den Quellen von behinderten Kindern die Rede. Der Begriff 'Presthaftigkeit', mit dem Behinderungen meist gefaßt wurden, konnte geringfügige wie stärkste körperliche Beeinträchtigungen bezeichnen, die die Betroffenen je nach dem mehr oder weniger, aber manchmal auch vollständig in ihrer Arbeitsfähigkeit einschränken konnten. Je umfangreicher die Behinderungen waren, desto größer war wohl der für die Pflege und Versorgung notwendige Arbeitsaufwand der Mütter oder sonstiger Personen. Gerade im Schneiderhandwerk findet sich - sicher wegen der körperlich relativ leichten Arbeit - eine Anzahl von jungen Männern, die hier eine Möglichkeit sahen, sich trotz ihrer Behinderung selbst zu ernähren.236 Völlig arbeitsunfähig war dagegen ein Kind des städtischen Zelt- und Fahnenschneiders Matthias Schech, der in seiner Bitte um eine materielle Unterstützung schrieb, daß er mit 5. unversorgten Kinderen, und darunter mit einem ganz Krüppelhafften, so schon in das 232 233 234

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StAA, HWA, Bader, Fasz. 11, 11.6.1712. Vgl. Kap. II.3. Vgl. z.B. Ph. Aries, Geschichte der Kindheit; E. Shorter, Die Geburt der modernen Familie; M. Mitterauer, R. Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft. Vgl. R. Lenz, Emotion und Affektion in der Familie, S. 140-146 (zum Eltern-Kind-Verhältnis). Als ein Beispiel unter mehreren sei der Fall des Schneidergesellen Johann Georg Stegher genannt, den kein Meister beschäftigen wollte, wegen dem an meinem Rechten armb habendt= zue weilten dermasen anhaltendten defect, daß 3: undt 4. wochen offlmahls keiner arbeith vorstehen kan. Er bat nun, ihn entwedter in eine müldte stüffiung an= undt aufzunehmmen, odter aber, ohne hintemuss deren Maisteren auf meine Handt arbeithen zu därffen. Dies wurde ihm schließlich - auch mit uneingeschränkter Befürwortung der Handwerksvorgeher erlaubt. Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 11, 11.9.1734 und 16.11.1734.

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30te Jahr keinen Tritt gehen, auch fast nit einmahl stehen kan, großen Nahrungsmangel leide.237 Mit dieser sachlich gehaltenen Information untermauerte der Schneider zwar die Berechtigung seiner Bitte, insofern "benutzte' er die Behinderung seines Kindes zur Verdeutlichung seiner Notlage, er gewährt uns aber keinen Einblick, wie er das Leiden des Kindes emotional wahrnahm. Ganz anders die verwitwete Schneidermeisterin Theresia Bacherin: Sie schrieb in einem Bittgesuch an den Rat, daß ihr Mann ihr vier Kinder hinterlassen habe, wovon zwey verunglükte sind, ein Knabe im achten Jahr ist völlig presthaft, meine grosse Tochter aber hat ein Auge verlohren, und ist also zu meinem grösten leidweesen andern Menschen bey diesen Übel nachzusezzen. Es habe sich nun, so berichtete sie, ein rechtschaffener Geselle gefunden, der bereit sei, ihre einaugigte Tochter, nach welcher Gattung der Menschen sich wenige umsehen, zu heiraten und auch den behinderten achtjährigen Sohn in die Lehre zu nehmen. Während in ihrem Bewußtsein ihre beiden Kinder anders, nämlich verunglükte, waren, tat das ihrer Liebe zu ihnen keinen Abbruch, und sie litt unter dem Wissen, daß beide in ihren Möglichkeiten zeitlebens benachteiligt sein würden. Wie erleichtert mochte sie selbst schon längere Zeit so schwer krank, daß sie ihren baldigen Tod erwartete gewesen sein, als sich die Chance bot, beide Kinder gut zu versorgen? Aber sie hatte kein Glück: Da sie zwar die Gerechtigkeit besaß, das Handwerk aber nicht geführt hatte und dem Gesellen erforderliche Requisiten fehlten, wurde das Gesuch abgelehnt.23* Ich meine, daß uns in ihrer Supplik mehr entgegentritt als eine klug gewählte Argumentationsstrategie eines rechtskundigen Schreibers. Hätte die Witwe nur das bloße Faktum der Behinderung ihrer Kinder an diesen herangetragen und der Schriftensteiler daraus zielgerichtet eine aufgebauschte Geschichte verfaßt, warum sollte dies der Verfasser der Supplik des Meisters Schech, der auf die ersuchte Hilfe ebenso dringend angewiesen war, nicht getan haben? Die umgekehrte Entwicklung scheint wahrscheinlicher: Die Bacherin kam auf den Schreiber zu und schilderte ihm ihre persönlichen Verhältnisse und ihre subjektive Sicht, dieser brachte das Gehörte in eine gerichtszulässige Form ohne aber die subjektiven Empfindungen der Frau auszublenden. Meister Schech wird seinem Schreiber die Geschichte neutraler erzählt haben: er habe fünf Kinder, eines davon sei schwer behindert und er brauche dringend finanzielle Unterstützung. Hieraus sollte nicht geschlossen werden, daß er seine Kinder weniger geliebt haben wird, sondern lediglich, daß er es nicht deutlich thematisierte. In beiden Bittgesuchen aber sind der ökonomische und der emotional-fürsorgliche Aspekt untrennbar miteinander verbunden. Hätten wir die Bedeutung des Nahrungsprinzips für die frühneuzeitliche Gesellschaft in ihrer ganzen Dimension erfaßt, wenn wir hier nur materielle Interessen anstatt elterlicher Sorge erkennen wollten? Wer im einzelnen die gesunden wie die kranken Söhne und Töchter - wie viele es auch immer waren - zu betreuen und zu versorgen hatte, ist nicht auszuma237 238

StAA, HWA, Schneider, Fasz. 11, ohne Datum (das Dekret hierauf erging am 20.12.1735). StAA, HWA, Schneider, Fasz. 17,4.10.1786 und 31.10.1786.

114 chen. Zum in Frage kommenden Personenkreis zählten neben den Müttern die Geschwister, die Mägde und gelegentlich wohl auch die Lehijungen. Heide Wunder hat darauf aufmerksam gemacht, daß Frauen nicht nur wechselnde Arbeitsrollen im Sinne paralleler Handlungsfelder, sondern auch im Sinne wechselnder Lebenszyklen innehatten, was beinhaltet, daß sie in der Zeitspanne, in der sie Kleinkinder zu versorgen hatten, für andere Tätigkeiten eingeschränkter zur Verfügung standen. Aber: "Alle Arbeiten - außer der Entbindung - konnten als Lohnarbeit delegiert werden, wenn die Mutter dadurch bessere Verdienstmöglichkeiten gewann."239 II. 1.2.3.3.2 Die Versorgung von alten Eltern Hatten die Eltern eines ihrer zentralsten Ziele erreicht, nämlich ihre Kinder durch eine Ehe endgültig in den Erwachsenenstatus zu entlassen, konnte damit eine Übergabe ihrer Handwerksgerechtigkeit und der Werkstatt an einen Sohn oder eine Tochter und den 'Tochtermann' verbunden sein.240 Damit schieden sie jedoch selbst aus dem Produktionsprozeß aus und mußten in der Regel vor dem Handwerksgericht per Eid auf die Ausübung ihres Handwerkes verzichten.241 Mit der Übernahme des elterlichen Handwerks war der Generationenwechsel vollzogen, wobei sich das junge Meisterpaar häufig verpflichtet hatte, die Eltern oder den noch lebenden Eltemteil zu versorgen. Wenngleich die Akten eine ganze Reihe solcher Werkstattübernahmen enthalten, handelt es sich hierbei um keine grundsätzlich übliche Versorgungsform alter Menschen in der vorindustriellen Zeit. Josef Ehmer geht aufgrund einer breiten Datenerhebung für den mitteleuropäischen Raum davon aus, daß "ganz allgemein die Versorgung von Eltern in den Haushalten ihrer Kinder [...] in den vorindustriellen Städten kaum vorfkam]".242 So fuhrt er beispielsweise Salzburg an, wo im 17. und 18. Jahrhundert "die Versorgung beider Eiternteile durch ihre Kinder völlig unbekannt war und auch bei verwitwe239

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H. Wunder, "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 100; vgl. auch dies., Frauen in der Gesellschaft Mitteleuropas, S. 133. Der Aspekt der Versorgung von alten Eltern bzw. Schwiegereltern durch das junge Meisterpaar soll hier nur kurz aus der Sicht des Meisterpaares angesprochen werden, da dieser Frage in Kapitel II.2.5 aus dem Blickwinkel der Witwen genauer nachzugehen sein wird. Vgl. hierzu z.B. StAA, HWA, Bader, Fasz. 13, 6.4.1747: wird dem Implorirenden Carolo Caffa hiermit erlaubt seine Barbierers Gerechtigkeit und Stuben seiner Tochter und Tochtermann zu Cediren, doch daß er Caffa schuldig und gehalten seyn solle, selbiger bey diesem Gericht zu Renunciren. Decretum in Senatu den 6. Aprilis 1747. Diesen Verzicht mußten nicht nur Handwerksmeister, sondern auch ihre Ehefrauen bzw. Witwen per Eid bekräftigen; siehe beispielsweise StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, 13.1.1763: wirdSuppl. wenn zuvor die verwittibte Gemmerlin bey dem Gewerb- und HwG ihrer Handwerks-Gerechtigkeit wird eidlich renuncirt haben, zu denen gebettenen Mstrrechten dispensando aus Gnaden admittiert. deer, in Sen: den 13. Jan. 1763. J. Ehmer, Sozialgeschichte des Alters, S. 37. Vgl. hierzu auch J. Ehmer, Zur Stellung alter Menschen, S. 212-213 (Erläuterung der Datenbasis).

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ten Vätern oder Müttern nur sehr selten vorkam".243 Auch Michael Mitterauer kommt in seinen zahlreichen Untersuchungen zu Familienstrukturen im Handwerk zu dem Ergebnis, daß es dort für die alten Menschen "in vorindustrieller Zeit keine dem bäuerlichen Ausgedinge vergleichbare Lösung" gegeben hat, so daß es "im städtischen Gewerbe nur ganz ausnahmsweise zu Familienkonstellationen [kam], die dem Zusammenleben von Alt- und Jungbauernpaar mit dessen Kindern entsprachen".244 Obwohl mir eine quantitative Analyse nicht möglich ist, da ich dafür alle Werkstattübergaben eruieren hätte müssen - meinem Themenschwerpunkt entsprechend, habe ich mich aber darauf beschränkt, die Fälle aufzunehmen, bei denen entweder Frauen übergeben haben oder aber Frauen die Übernehmerinnen waren - meine ich, daß die Augsburger Quellen die erwähnten Forschungsergebnisse doch etwas modifizieren. Werkstattübergaben konnten auf verschiedenen Wegen geschehen. In der Regel erfahren wir die vereinbarten Versorgungsmodi aus den Suppliken, mit denen entweder die Eltern oder der verwitwete Elternteil um die Zulassung des Sohnes oder des zukünftigen Schwiegersohnes zum Meisterrecht und um eine Übergabeerlaubnis baten, oder aber aus den Suppliken der Meistersöhne, die um ihre Zulassung zum Meisterrecht und um die mit den Eltern vereinbarte Werkstattübergabe eingaben, oder auch aus den Suppliken von Gesellen, die neben der Zulassung zum Meisterrecht den Heiratskonsens mit einer Meistertochter erbaten, zugleich die Vereinbarung mit den zukünftigen Schwiegereltern zur Werkstattübemahme mitteilten und auch hierfür um den obrigkeitlichen Konsens nachsuchten. Es ist zu bedenken, daß um das Meisterrecht nur dann suppliziert werden mußte, wenn ein Geselle nicht alle Erfordernisse erfüllte, ihm also bestimmte Requisiten fehlten, wenn ihm noch andere Gesellen in der Reihenfolge der Aufnahme vorangingen oder wenn sonstige Besonderheiten vorkamen. Die Chancen für eine Dispensation waren größer, wenn sich auch ein Vorteil für das Gemeinwesen ergab: wenn beispielsweise Personen Versorgung fanden, die anders über kurz oder lang der städtischen Armenfürsorge zur Last gefallen wären. So petitionierte der Buchbindergeselle Franz Ignaz Erb mit dem Argument, daß seine zukünftige Schwiegermutter ohne seine Zulassung zum Meisterrecht ohne weitheren anstandt denen armen Stüfftungen heimfüele, um den Erlaß eines Ersitzjahres und um die Zulassung zum Meisterrecht. Er wollte die Tochter der Witwe heiraten, in deren Werkstatt er drei Jahre gearbeitet hatte und die bereit war, ihm die Werkstatt zu überlassen. Ihre Auflage war, daß - so Erb - ich sie alß Muetter lebenslänglich auf meiner Schüssel zuverpflegen verbunden seyn solle. Für den jungen Meisterhaushalt ergab sich daraus eine doppelte Belastung, denn die Mutter war nicht nur ad dies vitae auß dem Meinigen zu verpflegen, sondern

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J. Ehmer, Sozialgeschichte des Alters, S. 37. M. Mitterauer, Familienwirtschaft und Altenversorgung, S. 200-201.

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sie war auch schon ein Jahr bettlägrig und pflegebedürftig - eine Tätigkeit, die sicherlich von der jungen Meisterin zu leisten war.245 Neben solchen Fällen, in denen das übernehmende Paar zwar eine Versorgungsleistung versprach, deren Umfang aber nicht genau festgeschrieben wurde womit beide Seiten letztlich vom Wohlwollen des jeweils anderen abhängig waren - , finden sich in den Akten Fälle, in denen für den Konfliktfall eine feste, vom jungen Meisterpaar zu zahlende Geldsumme vereinbart worden war, so daß die Eltern sich notfalls wieder eigenständig versorgen konnten. Dem Bericht des Handwerksgerichtes auf die Supplik des achtzigjährigen Schneidermeisters Franz Joseph LeUtenmayr ist zu entnehmen, daß dieser mit seiner Tochter Maria Barbara und seinem zukünftigen Schwiegersohn Thomas Schwanderer vereinbarte, daß sie ihren Vatter lebenslänglich gebührend zu unterhalten, in ferne sie sich aber miteinander nit güttlich verstehen werden. So wollen sie sich anheischig gemacht haben dem selben wöchentlich ohne das geringste Einwenden zu seiner nothwendigen VerAlimentierung 1: fl: 30: xr zu geben.™ Diese Vereinbarung wurde neben der Verpflichtung des Altmeisters zum eidlichen Verzicht auf das Handwerk in das obrigkeitliche Dekret aufgenommen.247 Für die Übergabeerlaubnis war auch noch von Gewicht, daß der alte Meister sowohl mit lehrnung der lehrjungen, als einschreiben der jähr Ersitzere in dem mindesten nicht das Handwerck gravieret, und mit diesen selbiges übersetzet,248 woraus man wohl schließen darf, daß es sich bei der Werkstatt, die er nun übergab, um keine große mit vielen Kunden handelte. Im Konfliktfall hätte die dann zu leistende wöchentliche Auszahlung des Vaters das Budget vermutlich stark belastet. Möglicherweise zwangen solche Ausgaben eine Meisterfrau dann auch zu außerhäuslicher Lohnarbeit oder zum Verzicht auf eine Magd. Von zwei Seiten beleuchtet der folgende Fall die Arbeitsrollen der Meisterinnen: Im Januar 1755 bat Johann Jacob Wiek, ein Schneidermeister, sein Handwerk dem Gesellen Johann Ludwig Kreuchauff gegen Praestirung eines Lebenslänglichen Unterhalts, von wegen meines dermaligen hohen Alters, abtreten zu dürfen. In seiner Supplik schrieb er: wasgestalten ich, nachdem meine Ehewürthin mit Tod abgegangen, in der That habe erfahren müssen, daß ich, als ein 70jähriger Mann, meinem Schneider=Handwerclc alleinig nicht mehr vorstehen kan, es wäre dann, daß ich mir wieder eine eheliche Gehülftin zulegete, worzu aber mich zur zeit aus verschiedenen Ursachen nicht habe entschliessen mögen. Statt dessen wollte er dem Beispiel anderer alt erlebten hiesigen Schneider=Meister, welche sich zur Ruhe begeben und ihre Gerechtigkeit einem Gesellen unter der Bedingung, daß selbiger Ihnen Lebenslänglichen Unterhalt geben

245 246 247 248

StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 3, 27.5.1747. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 13, 31.12.1748. Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 13, 31.12.1748. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 13, 31.12.1748.

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solle, folgen.249 Daß er keine eigenen Kinder hatte, erschwerte seine Lage, denn Werkstattübergaben waren - worauf die Vorgeher auch postwendend hinwiesen sonst nur zum favor derer eigenen Töchter der Cedenten zugelaßen,250 Diesen Einwand vorwegnehmend, wies Wiek in seiner Supplik darauf hin, daß er auch berechtigt wäre, sich erneut zu verheiraten und daß nach seinem Tod seine Witwe sich wiederum auf seine Gerechtigkeit verehelichen könnte, weshalb es in Effectu gleichviel seyn dürfte, wenn ich nicht heyrathe, und obgedachten Schneiders= Gesellen mein Handwerck anjetzo abtrete?1 Das Handwerksgericht folgte dieser Argumentation, wohl besonders, weil sich der Geselle bereit erklärt hatte, eine verwaiste Meistertochter zu heiraten, so daß zwei Personen versorgt wurden. Darüber hinaus versprach der Geselle vor Gericht, den Meister Wiek Zeit seines Lebens bey sich zu haben, mit aller Nothdurffi zu versorgen, und sonst in gesund und krancken Tagen ihm allen getreuen Beystand zu leisten; daferne aber der selbe über kurtz oder lang sich resolvieren sollte, änderst wo sich aufzuhalten, als dann ihm alle Monate fl. 1:20 xr zu reichen,252 Der geringe Betrag rührte vermutlich daher, daß Wiek das Handwerk - so sahen es zumindest die Vorgeher - schon länger nicht mehr wirklich getrieben hatte, also wohl kaum noch ein Kundenstamm vorhanden war. Dieses Fallbeispiel nun zeigt zum einen die Notwendigkeit der Mitarbeit der Ehefrau für den Erwerb einer ausreichenden Nahrung, die hier nicht mehr gewährt war, als die Frau starb, so daß dem Meister in seinen alten kümmerlichen Tagen - so das KGH - eine obrigkeitlich Gnade zu seiner beßeren Versorgung wohl zu gönnen sei.253 Wiederum einer Meisterin im Haus bedurfte es, den alten Mann ausreichend zu versorgen - die junge Meisterin mußte entsprechend in krancken Tagen des alten Meisters einen Mann pflegen, mit dem sie keinerlei verwandtschaftliche Beziehungen verbanden. Daß das Miteinanderwohnen sowie die Versorgungsverpflichtung einerseits und die Versorgungserwartung andererseits allerlei Konfliktpotential in sich barg, liegt auf der Hand. Auch wenn durch das gemeinschaftliche Hausen von Alten und Jungen wohl des öfteren der eheliche Friede in Gefahr geriet,254 lag es im Interesse der Obrigkeit, solche Übergabe- und Versorgungsarrangements zu unterstützen. Dieses Interesse wird vielfach sichtbar, wenn entsprechende Supplikationen unter explizitem Hinweis darauf, daß Personen, die traditionell besonderer obrigkeitlicher 'väterlicher' Fürsorge unterstanden - also insbesondere Witwen und Waisen - zu einer gesicherten Versorgung kommen würden, positiv entschie249 250

251 252 253 254

StAA, HWA, Schneider, Fasz. 14, 27.1.1755. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 14, ohne Datum; das zugehörige Dekret ist dadiert mit 25.9.1755. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 14,27.1.1755. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 14, 25.9.1755. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 14, 25.9.1755. So trug beispielsweise im Scheidungsfall des Wurstmacherehepaares Isaac Burckhardt und Euphrosina Luzin der Einschätzung des Ehemannes zufolge die Schwiegermutter erheblichen Anteil am Scheitern seiner Ehe. Vgl. hierzu unten Kap. Π. 1.4.

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den wurden und zwar oft gegen den heftigen Widerspruch der Vorgeher des jeweils betroffenen Handwerks. Wie sich das aus der Sicht der Witwen gestaltete, wird noch darzustellen sein. Die Absprachen, im Konfliktfall die häusliche Versorgungsleistung in Geldzahlungen umzuwandeln, scheinen mir ein deutlicher Hinweis darauf zu sein, daß die Beteiligten sich bewußt waren, daß ein friedvolles Zusammenleben von alten Eltern und erwachsenen Kindern nicht selbstverständlich oder gar 'naturgegeben' war. Heutige Vorstellungen von der heilen Welt der Vormoderne erweisen sich somit auch in dieser Hinsicht als Klischee. Wenngleich sicher nicht alle Meisterinnen alte Eltern zu versorgen hatten und das Ausmaß der damit verbundenen Arbeit vom jeweiligen Gesundheitszustand der alten Menschen abhängig war, ist dieser Bereich der Fürsorge fiir andere insbesondere bei Pflegefällen wohl weder vom Zeit- noch vom Kräfteaufwand geringzuschätzen. Zu bedenken bleibt aber auch, daß sich dieses Tätigkeitsfeld in der Regel wohl auf wenige Jahre beschränkt haben wird.

II. 1.3 Das Konfliktverhalten der 'Meisterinnen' Nach dem Versuch, die diversen Arbeitsfelder der Meisterfrauen zu eruieren, soll nun nach deren Konfliktverhalten gefragt werden. Wenngleich natürlich in allen Lebensbereichen Konfliktpotential vorhanden sein konnte, müssen wir uns hier auf die Bereiche einschränken, die in den Handwerkerakten sichtbar werden. Im wesentlichen sind das - idealtypisch getrennt - zwei 'Konfliktfelder', nämlich die eher 'häusliche' Ebene, die durch das gemeinsame Leben unter einem Dach gekennzeichnet war, und die Ebene des Handwerks als Grundlage der 'Nahrung'. Daß sich diese beiden Ebenen zwangsläufig überschnitten, zeigen die im folgenden dargestellten Fälle deutlich. Den Ausgangspunkt soll zunächst das Haus bilden. Hier konnten vielerlei Spannungen entstehen, die nicht einfach über die normativ vorgezeichneten Personalbeziehungen der Hausväterliteratur zu lösen waren. Obwohl der Meisterin als Hausmutter nach diesen normativen Ordnungsvorstellungen eine hierarchisch übergeordnete Position über Kindern und Gesinde zukam, kann dies nicht schlichtweg auf die Lebensrealitäten übertragen werden.255 Kam es zum Streit zwischen Lehrlingen, Gesellen, Mägden und der Meisterin, mußten Wege gefunden werden, diesen wieder zu schlichten. Die Wege der Konfliktlösung für Gesellen und Lehrlinge unterschieden sich von denen der Mägde: In den Handwerkerakten finden sich keine Streitfälle zwischen Mägden und ihren Meisterinnen. Der Grund dafür ist sicherlich nicht, daß es solche Konflikte nicht gegeben hätte, er liegt wohl eher darin, daß Mägde nicht wie das Meisterpaar und die Lehrlinge und 255

Dies hat z.B. erneut die Untersuchung von R. Dürr, Mägde in der Stadt, gezeigt.

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Gesellen als zunftfahige Personen galten, so daß das Handwerk und die Handwerksgerichtsbarkeit fur sie nicht zuständig waren, solange die Konflikte nicht auf Tätigkeiten der Mägde in den Werkstätten beruhten. Konflikte von Lehrlingen und Gesellen mit ihren Meisterinnen drehten sich häufig um die Qualität und Quantität der Kost. Andreas Grießinger und Reinhold Reith stellten fest, daß bei diesen Streitigkeiten in der Regel die Lehrlinge über eine nicht ausreichende Kost klagten, während sich die generell weit seltenere Kritik der Gesellen an der Kost gegen die Qualität richtete.254 In dieser Hinsicht scheint das Konfliktpotential mit den Lehrlingen größer gewesen zu sein als mit den Gesellen, die im Streitfall ihre Arbeit leichter aufkündigen konnten, während Lehrlinge verpflichtet waren, die Lehre bei ihrem Meister zu beenden. Dies stellte sich auch aus der Sicht des Meisters so dar, denn dieser konnte einem Gesellen, nicht aber dem Lehrling kündigen, der somit dauerhaft als Esser am Tisch saß, egal ob er aufgrund der Arbeitslage viel oder wenig zur Nahrung beizutragen vermocht hatte.257 "Nur so dürfte" - so Grießinger und Reith - "zu erklären sein, warum das Essen in den Rechtskonflikten eine so herausragende Rolle spielt."25' Sie interpretieren die in zahlreichen Quellen gefundenen Konflikte um die Mahlzeiten - aus der Sicht der Lehrlinge z.B. das Reichen von verdorbenen Resten, zuwenig Essen, mißgünstige Blicke und Bemerkungen, das Auftragen von Botengängen während der Essenszeit - "sozialpsychologisch als verschobene Formen des Konfliktaustrages".259 Wollten sich Lehrlinge gegen als unzumutbar empfundene Bedingungen wehren, konnten sie das Entlaufen aus dem Haus des Meisters als ihr zentralstes Druckmittel einsetzen. Grießinger und Reith stellten bei ihrer Quellenauswertung fest, daß oft nicht Angst und Verzweiflung, sondern die Möglichkeit, ökonomischen Druck auf den Meister auszuüben, das Motiv für das Entlaufen war. In diesem Fall nämlich mußte der Meister den Beweis erbringen, daß er am Weglaufen des Jungen schuldlos war. Bis er das glaubhaft darlegen konnte, fehlte ihm der Junge bei der Arbeit, und er durfte ihn durch keinen anderen Lehijungen ersetzen.260 Wenn, worauf Reith hinweist, "Klagen über Mißhandlungen, meist im Zusammenhang mit Klagen über die Kost, auf Arbeitsmangel hindeuten]",261 bestand das aus Arbeitsmangel und wirtschaftlicher Notlage entstandene Spannungsgefüge zwischen dem Meister und seinem Lehijungen und nicht wie Klagen über schlechte Kost auf den ersten Blick vermuten lassen - ausschließlich zwischen dem Lehijungen und seiner Meisterin. Insofern müssen diese Klagen nicht zwingend als Versagen der Meisterinnen als Hausmütter verstanden werden. In der Terminologie Pierre Bourdieus lautet die hier zu stellende Frage,

256 257 258 259 260 261

Vgl. A. Grießinger, R. Reith, Lehrlinge, S. 168. Vgl. A. Grießinger, R. Reith, Lehrlinge, S. 164-167. A. Grießinger, R. Reith, Lehrlinge, S. 167. A. Grießinger, R. Reith, Lehrlinge, S. 172. Vgl. A. Grießinger, R. Reith, Lehrlinge, S. 177-178. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 188.

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ob mit dieser Argumentation das 'soziale Kapital der Ehre' der Meisterinnen angegriffen werden konnte, obgleich das eigentliche Ziel des Angriffs das 'ökonomische Kapital' des Meisters war.262 Dies kann nur über Fallbeispiele geklärt werden. Im Januar 1730 klagte der Goldschlagermeister Christoph Meixner vor dem Handwerksgericht gegen seinen Mitmeister Tochtermann, bei dem sein Sohn in der Lehre stand. Er schilderte dem Gericht, daß sich sein Sohn mehrmals bei ihm beschwert habe, daß er auß mangel des Metals, und arbeit nichts bey dem Mr. Tochterman erlehrnen könne, die Cost auch sehr schlecht sei, weshalb er oft bei ihm, dem Vater, essen würde. Meixner bat nun, einen anderen Lehrherrn für seinen Sohn suchen zu dürfen. Dagegen erklärte Meister Tochtermann, daß er den Jungen niemahlen auß seinem Hauß verschaffen, sonderen ihme, gleichwohlen wenig oder gar keine arbeit unterweilen zu verrichten ware, seine alte und jederzeit gleiche Cost gegeben, weshalb es keinen Grund gäbe, ihn zu verklagen. Während er also einräumte, daß er zeitweise keine Arbeit hatte - was der Ausbildung des Jungen eindeutig schadete - , wies er den Vorwurf der schlechten Kost mit ebenso knappen Worten zurück, wie der Vater des Lehrlings diesen vorgebracht hatte. Genauso kurz und bündig wurde der Beschluß des Gerichts formuliert: Er junge solle bey dem Meister Tochtermann seine lehrjahr völlig erstehen.2W Die Kost, bei der es sich ja nicht nur um eine Frage des Geschmacks, sondern auch um Geld handelte - der Junge aß angeblich oft bei seinen Eltern, die an sich mit dem Lehrgeld dessen Verköstigung bereits bezahlt hatten - , wurde vom Gericht nicht weiter thematisiert: Weder wurde der Junge zur Bescheidenheit ermahnt, noch wurde der Meister - oder gar seine Frau - zur besseren Versorgung des Lehrlings angehalten. Ein anderer Fall: Johann Matheus Bader, ebenfalls ein Goldschlagermeister, klagte gegen seinen Lehrling David Scheiffelhut, weil dieser seiner Ansicht nach schlechte Arbeit leistete, ihm Arbeitsgeräte verdorben hatte und nun auch noch das letzte halbe Jahr der Lehrzeit erlassen haben wollte. Der Vater des Lehijungen hielt diesen Vorwürfen entgegen, daß noch kein jung bey diesem Meister Bader ausgelernet habe und sein söhn habe auch sehr schlechte Kost bey ihme, zugleich äußerte er sich dahingehend, daß er nicht auf einer Lehrzeitverkürzung beharren würde. Der Junge hielt seinem Meister entgegen, daß er auf vier Jahre eingeschrieben worden sei und diese abgelaufen wären, weshalb er sowohl freigesprochen werden müßte als auch - wie zu Beginn der Lehre vereinbart - zehn Gulden zu erhalten hätte. Gleichzeitig hielt er dem Meister vor, daß sein Werkzeug so schlecht sei, daß ordentliches Arbeiten unmöglich wäre: er habe einen Stein daß er könte eine Suppen daraus essen. Weder der Lehrling selbst noch sein Meister thematisierten die Kost. Tat der Vater dies, weil ihm 'schlechte Kost' als geläufiges Argument im Streit zwischen Meister und Lehrling vertraut war? Das Handwerksgericht jedenfalls ging auf diesen Vorwurf nicht ein, sondern entschied, daß 262 263

Vgl. hierzu P. Bourdieu, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. StAA, KGH, 16.1.1730, pag. 22-23.

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der Junge entweder die Lehre bei seinem bisherigen Meister vollständig beenden sollte, wobei sein Vater das beschädigte Werkzeug zu ersetzen hätte, oder aber unter Verlust der zehn Gulden - die restliche Zeit bei einem anderen Meister auslernen sollte.264 Ich meine, daß diese beiden Fälle zeigen, daß Klagen über die Kost während der normalerweise unkündbaren und daher wohl manchmal quälenden Lehrzeit tendenziell als 'Verstärker1 für andere strittige Aspekte eingesetzt wurden. Daß aber konkrete andere Konflikte 'über' den Streit um die Kost ausgetragen wurden, trifft in diesen Fällen wohl insofern nicht zu, als die Kost nicht wirklich als Streitpunkt verhandelt wurde. Solange aber das Handwerksgericht die Klagen über schlechte Kost nicht so ernst nahm, daß sie im Urteilsspruch berücksichtigt wurden, konnten sie sicherlich die Fähigkeiten der Hausmutter nicht öffentlich desavouieren. Anders als die Klagen der beiden Lehrlinge endete die Klage des Schustermeisters Dominicus Krueg gegen seinen Gesellen. Krueg schilderte dem Handwerksgericht, daß dieser wegen der Kost mit ihm aufsößig worden, und da er zu ihm gesagt wann es ihm nicht anständig, seyen hier alle Statt Thor offen, weshalb er ihm schließlich aus der Arbeit gegangen sei, aber entgegen dem Handwerksrecht nicht die Stadt verlassen habe, sondern bei einem anderen Meister arbeiten wolle. Der Geselle rechtfertigte sein Verhalten, indem er zum einen das schlechte Essen und daß es nie kein Zugemueß gegeben kritisierte, zum anderen aber auch erklärte, daß er zu wenig Arbeit gehabt habe. Die Werkstatt habe er verlassen, weil ihm sein Meister lose wort gegeben und ausgebothen habe. Das Handwerksgericht bestätigte den Bescheid der Vorgeher, nämlich daß der Meister dem gesellen mit monier begegnen, besseres essen geben, und ihn auch mit arbeit förderen solle, wogegen der Geselle angehalten wurde, wieder an seinen alten Arbeitsplatz zurückzukehren oder die Stadt zu verlassen.265 Die Rüge traf also in vollem Umfang den Meister, an dessen Adresse auch die Forderung, gute Kost zu reichen, ging. Anders als beispielsweise in einem Streitfall, bei dem dem Meister aufgetragen wurde, die Grobheiten seiner Frau gegen den Lehijungen zukünftig zu verhindern,266 wurde im obigen Fall die vermutliche Urheberin der schlechten Kost, die Meisterin, nicht erwähnt. Gemeinsam jedoch haben beide Fälle, daß dem Meister die Verantwortung zugewiesen wurde: er hatte sowohl für gute Kost wie auch für ein akzeptables Verhalten der Meisterin zu sorgen oder aber, wenn er hierin versagte, dafür geradezustehen. Auf einer normativen Ebene wird hier die Oberaufsicht' 264 265 266

StAA,KHG, 24.9.1731, pag. 362-364. StAA,KGH, 6.3.1730, pag. 78. Vgl. StAA, K.GH, 4.8.1723, pag. 288-290: Die Vorgeher der Bortenmacher zeigten dem K.GH im Namen des Lehrjungen des Meisters Niclas Fahrmann an, daß dessen Ehewirthin den lehr Jungen so sehr hart tractire, daß der Junge ihm im Wiederholungsfall weggenommen werden müßte. Der geständige Meister wurde entsprechend verwarnt, wobei ihm alles Ernstes aufgetragen wird, sein weib also in schrankhen zuhalten, daß den Jungen hinfiro nicht mehr ibel tractire.

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des Hausvaters über die Hausmutter sichtbar, wenngleich die Konsequenzen eines Fehlverhaltens des einen wie des anderen sowohl im Hinblick auf das soziale wie das ökonomische Kapital der Ehre letztlich beide zu tragen hatten. Hinsichtlich der Kost wog die Klage des Gesellen möglicherweise mehr als die der Lehrlinge, da der Geselle aufgrund seines Status1 viel mehr Bewegungsfreiheit und Durchsetzungsmöglichkeiten - wie eben die Kündigung - hatte. Ein anders gelagerter Konflikt entwickelte sich zwischen dem Schneiderlehrling Georg Abraham Paulmayr und seinem Meister Johann Huber und spitzte sich nach einem längeren Vorlauf so explizit auf die Meisterin und deren Ehrbarkeit zu, daß diese zu einem sehr offensiven Konfliktverhalten gezwungen war. Der Junge war von seinem Meister häufig mit einer Peitsche und einem Ochsenfisel so brutal geschlagen und schikaniert worden, daß ihm das Handwerk bereits erlaubt hatte, seine Lehrstelle zu wechseln.267 Damit war die Sache für ihn aber offenbar nicht erledigt. In einer schriftlichen Erklärung äußerte er sich am 19. Januar 1728 über das im Haus des Meisters Erlebte: Nuhnmehro will ich auch etwas weniges melden von den unzüchtigen Reden so der Meister und der Gesell getrieben in dem der Meister einsmahls zu dem Gesellen gesagt hat habt ihr einen kalden bauren gemacht [onaniert, Ch.W.]. auch hat mich der gesell angereitzet das ich hab müßen die Hunden heben daß der Hund hat können Junge machen sonsten hab ich wenig guts gesehen und gelernet als daß ich hab mißen dem Huren geschwetz zuhören bin auch öfters so bis 1 Wochen in keine Kürch komen dan in der Wochen hat man gefeyert am Sontag aber und feyertag hergegen gearbeit und so ist es mir Jietz und kürtzlich bericht gethan bey meinem Meister ergangen?6* Aus einem bei den Schneiderakten liegenden Auszug aus dem Zucht- und Strafamtsprotokoll vom 24. Januar geht noch eine Steigerung der Beschuldigungen hervor. Der Junge hatte gegen seine Meisterin nun öffentlich so schwerwiegende Vorwürfe erhoben, daß diese sich zu einer Klage veranlaßt sah, die sie infolge der Ehevogtei in Anwesenheit ihres Mannes vorbrachte: Magdalena Huberin, praesente marito, Schneider, klagt contra Abraham Paulmair, ihren gewesten Jung, praesente patre, daß der Jung, vor offenem Handwerck sie bezüchtiget, Sodomitische Sachen mit denen Gesellen getriben zu haben. Bite also Satisfaction. In seiner Vernehmung sagte der beklagte Junge: Die Frau habe eben mit denen Gesellen allerhand böse und garstige Reden gethan, so er nachgesaget, sonsten habe Er nichts gethan.269 Das Zucht- und Strafamt entschied zugunsten der Meisterin, der Junge sollte durch seinen Vater im städtischen Gewölbe mit zwölf Ru-

267

268 269

Auf das Ausmaß "der an Sadismus und Brutalität grenzenden körperlichen Mißhandlung der Lehrjungen", die jedoch von den Zünften durchaus geahndet wurde, verweist E. Schlenkrich, Der Alltag der Lehrlinge, S. 102-105 (Zitat S. 102). StAA, HWA, Schneider, Fasz. 30, 19.1.1728. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 30, 24.1.1728.

123 tenstreichen bestraft werden, außerdem sollte er das Meisterpaar um Verzeihung bitten; die Kläger und der Vater des Lehijungen mußten einander Frid geloben,270 Das eindeutige Urteil gegen den Jungen läßt vermuten, daß seine - entweder aus einem Vergeltungsbedürfnis für die erlittene Behandlung erhobenen oder auch aus seiner subjektiven Sicht zutreffenden - Vorwürfe unberechtigt oder zumindest unbewiesen waren. Ganz offensichtlich aber hatte seine zweite Äußerung eine andere Qualität als die erste, bei der es - wie es den Anschein hat - um nicht viel mehr als um vulgäre Männerreden in einer Werkstatt ging, denn hätte der erhobene Vorwurf die spezifische Geschlechtsehre des Meisters getroffen, hätte dieser wohl selbst beim Zucht- und Strafamt Klage erhoben. Da er dies nicht getan hatte, wäre sein Konflikt mit dem Lehijungen wohl über das Handwerk zu regeln gewesen, wogegen seine Frau - und es ist eindeutig, daß nur sie klagte - das Zuchtund Strafamt, also die Behörde, die für Sexualdelikte zuständig war, in Anspruch nahm: Eine Meisterin, die mit den Gesellen 'sodomitische Sachen getrieben', konnte keine ehrbare Frau sein. In einem solchen Meisterhaus wäre kein 'ehrlicher' Geselle geblieben, er hätte die Arbeit niedergelegt und wäre aus der Werkstatt gezogen, kein anderer Geselle wäre an seine Stelle getreten, was zu einem wirtschaftlichen Schaden geführt hätte. Damit wäre durch die Verletzung des 'sozialen Kapitals der Ehre' das 'ökonomische Kapital' erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Bestrafung des Jungen und die ihm abverlangte Entschuldigung stellte öffentlich die Ehre der Meisterin wieder her.271 Ein über das Haus im engeren Sinn hinausreichendes aktives Konfliktverhalten der Meisterinnen wurde bereits in vorausgehenden Kapiteln deutlich, in denen gezeigt werden konnte, daß die Frauen den Gang zum Handwerksgericht nicht scheuten, wenn es um die Verteidigung bzw. Aufrechterhaltung ihrer individuellen Nahrung ging, wie dies im Fall der Inhaftierung oder einer Krankheit des Meisters sichtbar wurde,272 oder wenn sie das gesamte Handwerk schützen wollten, wie sich dies in der Klage einiger Bäckerinnen gegen die 'ausländische' Konkurrenz der Friedberger und Lechhauser Bäcker zeigte.273 Hier ließe sich eine ganze Reihe weiterer Fälle anführen, die diese beiden Ebenen - die individuelle Aktivität für die eigene Werkstatt wie auch die gemeinsamen Aktivitäten von Zunftgenossinnen - belegen. Ich möchte mich im folgenden jedoch auf zwei Fallbeispiele 270 271

272 273

StAA, HWA, Schneider, Fasz. 30, 24.1.1728. Daß Ehre insbesondere im Zunfthandwerk von größter Bedeutung war, muß nicht betont werden. Ehrverlust übertrug sich auf den Ehepartner und die Werkstatt, oft auf das ganze Handwerk und hatte erhebliche soziale und wirtschaftliche Konsequenzen. Aus der Fülle der neuen Forschungen zum Konzept der Ehre seien hier nur genannt K. Simon-Muscheid, Frauenarbeit und Männerehre; S. Alfing, Weibliche Lebenswelten und die Normen der Ehre; M. Dinges, Ehre und Geschlecht. Vgl. auch meinen Beitrag zu Sexualdelikten und Ehre im Augsburger Zunfthandwerk "... da ich mich leider mit meines Meisters Tochter in Puncto Sexti verfehlet". Vgl. Kap. Π. 1.2.1.1. Vgl. Kap. Π. 1.2.1.4.

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beschränken, die zugleich zeigen, daß wir mit der Zuordnung von Frauen zum 'privaten' Bereich des Hauses und von Männern zum 'öffentlichen' Bereich den Aktionsradius von Frauen nicht angemessen erfassen können. Im November 1745 entspann sich ein Konkurrenzstreit innerhalb des Kürschnerhandwerkes, in den eine Reihe von betroffenen Frauen eingriff. Die Kürschner gehörten zu den Handwerken, die zwar ihre Waren öffentlich verkauften, aber keine eigenen offenen Läden führten. Sie hatten die Möglichkeit, ihre Waren in ihren Werkstätten sowie auf den Jahrmärkten anzubieten und verfügten außerdem Uber eine Etage im Bäckerhaus, wo ihnen erlaubt war, aus Lamm- und Schaffellen hergestellte Waren zu gewöhnlichen Zeiten, und Stunden öffentlich zu verkaufen - anbey auch denen Weibern erlaubt werden solle, daroben zustehen, und zuverkauffen, wan sich mehr Meister deßen bedienen wolten.™ Als die Kürschnerwitwe Elisabetha Spitznerin und ihr Sohn statt sich mit der üblichen Erlaubnis des Aushängens eines Belzes auf dem Becken-Haus zum Zeichen ihres Feilhabens allda, begnügen zu lassen, verschiedene andere Stücke von allerhand Kürschner= Arbeit, so sie ohne Unterschied daselbst feilhaben wollen, öffentlich ausgestellt, kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung mit ihren Konkurrenten und Konkurrentinnen, die die Vorgeher beim Handwerksgericht anzeigten und rechtfertigten. Der Sohn der Spitznerin beschwerte sich dagegen zum einen über gegenseitig eigenmächtiges Verfahren in Sperrung des Beckenhauses durch die Vorgeher, aber auch darüber, daß die von ihm und seiner Mutter ausgestellten Waren einfach hinausgeworfen worden waren. Während die Vorgeher die Sperrung verteidigten, distanzierten sie sich deutlich vom zweiten Vorwurf: an der Hinabwerffung der Waaren aber keinen Theil haben, als welche dem Vernehmen nach von einigen Weibern, ohne ihr mindestes Vorwissen und Einwilligung geschehen seye,275 Die Spitznerin fand zunächst die Unterstützung des Handwerksgerichtes, wobei die Vorgeher wegen ihres unrechtmäßigen Einschreitens gerügt wurden, wegen der geschehenen Hinauswerffung der Waaren aber und etwan daran zugefügten Schadens allenfalls der Spitznerin und ihrem Sohn der Regress an diejenigen, von welchen solche geschehen, wie auch von Gerichts wegen gebührende Ahndung solchen Unfugs vorbehalten.27 läßt sich der von Sylvia Möhle aus ihrer Analyse von Ehekonflikten gezogene Schluß durchaus nachvollziehen, daß die Mitgift für Frauen ein Instrument sein konnte, "um ihre Vorstellungen von einer gemeinsamen Existenz durchzusetzen", daß also die Mitgift eben auch "als Druckmittel benutzt werden [konnte] und [...] der Frau einen gewissen Rückhalt [gab]".326 Daß die Meistertöchter, die in ein Handwerk heirateten - sei es das eigene oder auch ein fremdes - nicht nur konkretes Vermögen in die Ehe einbrachten, sondern darüber hinaus sowohl ihre haushälterischen Fähigkeiten wie auch ihre handwerksspezifischen Kenntnisse, die sie sich im elterlichen Handwerk erworben hatten, und selbstverständlich auch ihre Arbeitskraft, liegt auf der Hand.327 An dieser Stelle schließt sich der Kreis, und es kann hier auf das obige umfangreiche Kapitel über die Meisterfrauen verwiesen werden, da die Meistertöchter mit der Heirat in ein Handwerk diese Funktion einnahmen und die mit ihr verbundenen Aufga324 325 326 327

StAA, HWA, Schneider, Fasz. 19,23.6.1796. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 17, 12.12.1724; vgl. auch oben Kap. Π.2.2.2. S. Möhle, Ehekonflikte, S. 75. "Die Ehefrau verursachte keine 'Kosten' - wie es fälschlicherweise heute unterstellt wird - , sondern 'brachte ein': eine Aussteuer, nicht selten sogar den Betrieb der Eltern oder des ersten Ehemannes, ihre haushälterischen Kompetenzen und vor allem ihre Arbeitskraft." H. Wunder, "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 102.

368 ben zu erfüllen hatten. Freilich bleibt zu bedenken, daß ein solcher Kreis idealtypisch gedacht ist und viele Frauen auch weiterhin zu außerhäuslicher Lohnarbeit oder sonstigem Zuverdienst genötigt waren. Darauf wurde aber auch bereits bei der Darstellung der diversen Arbeitsfelder der Meisterinnen hingewiesen. Für Meistertöchter, die außerhalb des Handwerks heirateten und mit ihren Männern Lohnarbeitspaare bildeten, gestaltete sich der Alltag sicher anders. Keine der Frauen aber, die uns in den dieser Arbeit zugrunde liegenden Quellen begegnen, konnte nach der Eheschließung die Hände in den Schoß legen und nur noch 'Gattin' sein: "Die meisten Frauen" - so Heide Wunder - "wurden durch die Eheschließung nicht 'versorgt', vielmehr brachten Braut und Bräutigam gemeinsam das zusammen, was die Begründung einer selbständigen Existenz als Ehepaar ermöglichte. Diese mußte - meist zeitlebens - durch die Arbeit der Eheleute gesichert werden: durch die Haushaltsführung im engeren Sinne, aber bei Gelegenheit und Bedarf durch alle erdenklichen Arbeiten."324

II.3.8 Zusammenfassung Ziel dieses Kapitels war es, die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Meistertöchtern von der Schulausbildung bis zur Eheschließung darzustellen, wobei der Schwerpunkt im Rahmen dieser Untersuchung auf den von den Zünften beeinflußten Handlungsfeldem lag. Im Hinblick auf die Möglichkeiten der schulischen Ausbildung von Mädchen in der Reichsstadt Augsburg, einem Themenfeld, das eine eigenständige Forschungsarbeit verdienen würde und hier nur am Rande aufgegriffen werden konnte, zeigte sich, daß Mädchen verschiedene Schultypen zur Verfügung standen, die sie - soweit Zahlen vorhanden sind - in nicht geringerem Umfang besuchten als Jungen. In diesen Schulen konnten sie sich sowohl theoretische Kenntnisse Rechnen, Schreiben und Lesen - wie auch praktische Kenntnisse in den sogenannten 'weiblichen Arbeiten' aneignen. Hier wurden zwar geschlechtsspezifisch geprägte Arbeitsrollen eingeübt, die jedoch auf der Bühne des Alltags kaum genügten und oft weit überschritten wurden, da die Mädchen nicht nur mit ihren Lehrerinnen und ihren Müttern arbeiteten, sondern auch bey dem Gewerbe ihres Vaters aufwuchsen. Wenngleich in den Handwerksordnungen keine Lehre für Mädchen vorgesehen war und diese - das belegten die Handwerkerakten deutlich - auch keine zunftrechtlich anerkannte formale Lehre absolvieren durften, erwarben sich die Töchter in den Werkstätten ihrer Väter durchaus handwerkliche Fähigkeiten, was sie selbst mit dem Begriff des 'Lernens' belegten. Wie wir gesehen haben, schlossen 328

H. Wunder, "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 96.

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die Handwerksordnungen der sieben hier untersuchten Handwerke Meistertöchter von keiner Tätigkeit in der Werkstatt aus, und so zeigten auch verschiedenste Fallbeispiele ihre teilweise umfassende und qualifizierte Mitarbeit. Lediglich bei den Zimmerleuten konnte keinerlei Mithilfe nachgewiesen werden, was aber nicht unbedingt heißen muß, daß es dort Uberhaupt keine Mitarbeitsmöglichkeiten für die Töchter gab. Auf der Basis einer Vielzahl von intendierten wie nicht intendierten Quelleninformationen wurde sichtbar, daß die Arbeit der Töchter selbstverständlich war, daß sie, wurde sie öffentlich thematisiert, nicht verteidigt oder verleugnet werden mußte. Diese Feststellung gilt für den gesamten hier untersuchten Zeitraum. Der Arbeitsplatz der Meistertöchter konnte jedoch - dies machte zumindest eine Quelle deutlich - nur in der elterlichen Werkstatt, nicht aber in der Werkstatt eines Mitmeisters sein. Am Beispiel des Bortenmacherhandwerks wurde zudem erkennbar, wie 'verletzbar1 das Arbeitsrecht der Töchter sein konnte: ein sich verengender Arbeitsmarkt und Lohnverfall hatten zu neuen überregionalen Zunftabsprachen geführt, die die ursprünglich relativ umfangreiche Mitarbeit der Meistertöchter dieses Handwerks verboten. Gleichwohl zeigten die Quellen, daß viele Meistertöchter auch nach diesem Arbeitsverbot in der Lage waren, auf den Stühlen zu arbeiten - die Verdrängung der Töchterarbeit war also nur de jure nicht de facto gelungen. Die von der Gesellenschaft dieses Handwerks initiierten massiven Ausgrenzungsmaßnahmen hatten sich, auch das scheint nicht unwichtig, zudem nicht nur gegen die Meistertöchter, sondern auch gegen männliche Konkurrenten gerichtet. Die Frage, ob die Meistertöchter eine intendierte Ausbildung erhielten, ist - so mein Fazit - eindeutig positiv zu beantworten. Wie wir sahen, lernten sie in der Schule einerseits das, was sie später für den kaufmännischen Aufgabenbereich im ehelichen Handwerk benötigen würden, andererseits Dinge, die sie zur Führung einer Haushaltung befähigen sollten. Zu Hause konnten sie ihre diesbezüglichen Kenntnisse in der Zusammenarbeit mit der Mutter vertiefen und weitere durch die Mithilfe bei deren handwerksspezifischen Aufgaben in der Werkstatt erwerben. Gingen die Mütter zudem einer Lohnarbeit nach, konnte dies wohl den Aufgabenbereich von bereits halbwüchsigen Töchtern vergrößern, da sie dann vermutlich stärker zur Mithilfe herangezogen wurden. Sobald ihre Mitarbeit in der Werkstatt notwendig wurde, konnten sie dort Erfahrungswissen sammeln und auch dabei - sonst wären sie keine wirkliche Hilfe gewesen - zentrale Handgriffe und Arbeitsgänge 'abschauen', wie dies auch die männlichen Lehrlinge taten. Diese Überlegungen könnten als zu idealtypisch und spekulativ abgetan werden, hätten wir nicht die dargestellten Fälle von schneidernden Meistertöchtem, verkaufenden Zinngießer- und Bäckertöchtern, mit den verwitweten Müttern das Gewerbe fuhrende Buchbinder- und Badertöchter sowie mitarbeitende Goldschlagerund Goldschmiedetöchter. Aufgrund dieser Quellenbefunde meine ich, daß der Ausbildungsaspekt nicht nur hinsichtlich der als 'weibliche Arbeiten' bezeichneten

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Tätigkeiten wesentlich stärker betont werden muß, sondern auch hinsichtlich ihrer handwerklichen Fähigkeiten, auch wenn diese Ausbildung im Gegensatz zu der der Lehijungen keine formale, von Zunftritualen begleitete und in erster Linie auf das Handwerk ausgerichtete war. Das 'Berufsziel', auf das die Ausbildung hinauslief, war das der 'Meisterin', die einen Meisterhaushalt organisieren und führen können, aber auch in der Werkstatt mitarbeiten mußte. Wechselnde Arbeitsrollen erforderten ein hohes Maß an Flexibilität und Kenntnisse in vielerlei Bereichen. Wie die Quellen weiter zeigten, konnte neben die Tätigkeitsfelder der Meistertöchter in der elterlichen Werkstatt auch eine außerhäusliche Lohnarbeit treten. Der Mägdedienst der Meistertöchter, dessen durchschnittliche Dauer sich anhand weniger konkreter Angaben auf 13,6 Jahre errechnen ließ, fand besonders in Heirats- und Übergabegesuchen Erwähnung, in denen der Fleiß, die Redlichkeit und die Treue der Frauen hervorgehoben werden sollten - Eigenschaften, die in der zeitgenössischen Vorstellung eine gute Hausmutter ausmachten. Wie sich zeigte, war die Lohnarbeit - sei es in Form eines Mägdedienstes oder einer Tätigkeit in einer Manufaktur - keineswegs ein Hindernis für eine spätere Heirat in ein Zunfthandwerk. Die Tatkraft und das Arbeitsvermögen der Meistertöchter war aber auch an anderer Stelle gefordert und zwar an einer Stelle, die man mit Blick auf die schwache Position einer unverheirateten Frau auf der normativen Ebene nicht ohne weiteres vermuten würde: So zeigten diverse Fälle, daß Töchter die Versorgung alter und kranker oder auch verarmter Eltern aus eigenen Mitteln übernahmen. Ihre Unterstützungsleistungen reichten vom familieninternen Kredit über die materielle und pflegerische Versorgung eines Elternteiles bis hin zur alleinigen Ausübung des elterlichen Gewerbes, um den Eltern den benötigten Unterhalt zu verschaffen. Da sich durch diese Hilfeleistungen die eigenen Kapitalreserven der Töchter erheblich verringern konnten, reduzierten sich analog auch ihre Zukunftschancen. Dem Verlust an realem Kapital stand jedoch eine Zunahme ihres sozialen Kapitals gegenüber, was wiederum Anlaß zu obrigkeitlichem Entgegenkommen sein konnte. Zeigte schon diese Versorgungsarbeit, daß Töchter häufig eine wesentlich aktivere Rolle innehatten als oft vermutet wird, konnte auf dem Hintergrund eines Erbstreites, der zugunsten der Tochter ausging, sowie durch die im Schneiderhandwerk in Erscheinung getretenen Gesuche, mit denen um das Meisterrecht für eine Tochter anstelle eines Meistersohnes gebeten wurde, dargelegt werden, daß die Frage 'Tochter oder Sohn - Sohn oder Tochter' keineswegs so grundsätzlich zugunsten der Söhne geklärt war, daß niemand auf die Idee gekommen wäre, die Rechte von Söhnen auch für eine Tochter zu fordern oder im eigenen Handlungsrahmen eine Tochter zu bevorzugen. Im Hinblick auf die Eheschließung der Meistertöchter stellten sich insbesondere die Fragen nach der Partnerwahl und den in die Ehe eingebrachten Gütern. Wie sich zeigte, konnte eine Heirat innerhalb des eigenen Herkunftshandwerkes auf zwei Wegen geschehen: entweder brachte die Braut eine von den Eltern über-

371 nommene Gerechtigkeit ein oder aber der Bräutigam besaß eine ererbte oder erkaufte Gerechtigkeit. Obwohl sicherlich nicht alle Heiraten in den Handwerkerakten erscheinen, weisen sowohl die relativ geringen Zahlen der Werkstattübergaben als auch der nachweisbaren Eheschließungen, die vielfachen Klagen der Schneider und auch der Schuster darüber, daß viele ihrer Töchter nicht darauf rechnen könnten, in ihrem Handwerk heiraten zu können, deutlich daraufhin, daß der Weg in das Handwerk für verhältnismäßig wenige Gesellen Uber die Heirat von Meistertöchtern führte. Diese Erkenntnis relativiert nicht nur eine Rolle, die den Meistertöchtem häufig zugesprochen wird, nämlich die der Tlatzhalterin' für zukünftige Meister, sondern auch die vermutete Funktion, daß diese begünstigten Ehen zur Regulierung der Meisterzahlen gedient hätten. Wenngleich aufgrund der für diese Frage problematischen Quellenlage nicht konkret nachgewiesen werden konnte, wen die Meistertöchter, die nicht in ihrem Handwerk heirateten, ehelichten, ist gleichwohl anzunehmen, daß sie bei einem Handwerkeranteil von 76 % aller heiratenden Männer durchaus die Chance hatten, in ein Handwerk zu heiraten und damit ihren Status aufrechtzuerhalten. Wie die 'Körbe', die Schneidertöchter an einige der um sie werbenden Gesellen vergaben, zeigten, mußten die Frauen nicht jede sich bietende Gelegenheit zur Heirat ergreifen. Dies spiegelte sich auch darin, daß sich weder in den Akten der Handwerke noch in denen des Ehegerichtes Eheverspruchsklagen von Meistertöchtern fanden. Nachdem im Witwen-Kapitel bereits gezeigt werden konnte, daß viele Witwen ihre Handwerksgerechtigkeiten als Aussteuer für ihre Töchter einstuften, wurde in diesem Kapitel im Kontext der Frage nach den in die Ehe eingebrachten Gütern auch nach den Gründen und den Bedingungen für eine Werkstattübergabe von seiten der Väter gefragt. Während sichtbar wurde, daß sich die Gründe für die Übergabe - Alter und Gesundheit - nicht von denen der Witwen unterschieden, wurde - wenn auch an wenigen Fällen - deutlich, daß Männer in der Regel eine höhere Summe für ihre Versorgung festlegten, ohne jedoch ökonomisch besser situierte Werkstätten als die Frauen zu übergeben. Den Wunsch, die Töchter in ihrem Handwerk 'versorgt' zu wissen, teilten sie jedoch mit den Witwen, ebenso wie diesen galt ihnen - wenn sie dies auch weniger explizit zur Sprache brachten - die Handwerksgerechtigkeit als Aussteuer, zumindest dann, wenn sie über keine anderen Mittel verfügten, um der Tochter ein angemessenes Heiratsgut - Haushaltsgeräte, Möbel und Geld - mit in die Ehe geben zu können. Die Zünfte, dies sei ebenfalls noch festgehalten, stellten sich zu den Werkstattübergaben durch Meister nicht anders als zu denen durch Witwen. Brachten die Töchter eine Gerechtigkeit in die Ehe ein, konnten sie meist auch über die vorhandene Werkstattausstattung sowie - zumindest bei Handwerken, die mit einer Realgerechtigkeit verbunden waren - über das Haus, auf dem diese lag, verfügen. Die Vermögenswerte, sei es das elterliche Heiratsgut oder die Ersparnisse, die Frauen aus ihrer Lohnarbeit besaßen, wiesen ein sehr weites Spek-

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trum auf, waren aber nicht in Durchschnittswerte zu fassen. Je nach Höhe konnten sie wohl den innerehelichen Status der Frauen beeinflussen und ihr Mitspracherecht sichern. Neben materiellen Gütern brachten Meistertöchter in der Regel umfangreiche Kenntnisse ein: haushälterisches Können sowie handwerksspezifische Fähigkeiten sicherten nicht nur einen guten Start in die wirtschaftliche Selbständigkeit, sondern waren beständig nötig, um die Nahrung zu sichern.

II.4 Mägde - Gesindedienst zwischen Abhängigkeit und Selbstbestimmung Während Meisterfrauen, Meisterwitwen und Meistertöchter durch ihren familiären Bezug klar definierte Gruppen bildeten, muß der als "Mägde' bezeichnete Personenkreis sowie die Position dieser Personen im Meisterhaushalt zunächst näher bestimmt werden. Johann Lorenz Dorn definierte 1794 Gesinde als diejenigen Personen der häuslichen Gesellschaft, welche sich vermöge des Mietvertrages auf eine bestimmte, anhaltende Zeit verbindlich gemacht haben, andern um Kost und Lohn, auch andern verabredeten Bedingungen geringe häusliche Dienste zu leistenDer Gesindedienst basierte demnach auf einem Arbeitsvertrag, und die Dienste wurden gegen Kost und Lohn geleistet. Dies unterschied die 'gebröteten Dienstboten' von den "Eigenbrötlern1, die - meist heftig kritisiert - einen eigenen Haushalt führten und eigenständig arbeiteten.2 Da in den Quellen unter den Begriff 'Gesinde' auch Gesellen und Lehrlinge subsumiert wurden, bedarf es einer weiteren Differenzierung.3 Inwiefern unterschieden sich die Mägde von Gesellen und Lehrlingen? Der für die vorliegende Untersuchung wichtigste Unterschied lag eindeutig darin, daß die das Handwerk ausübenden Gesellen und Lehrlinge zunftfähig waren, während die Mägde als nicht zur Zunft gehörig galten.4 Daß die Zunftfähigkeit jedoch nicht rein geschlechtsspezifisch definiert war, wurde bereits in den vorausgehenden Kapiteln über die Meisterfrauen, Meisterwitwen und Meistertöchter aufgezeigt. Die Grenze dieser Zunft- oder Handwerksfähigkeit wurde am deutlichsten bei den Meistertöchtern erkennbar: sie durften, da sie handwerksfähig waren, meist im elterlichen

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Johann Lorenz Dorn, Versuch einer ausführlichen Abhandlung des Gesinderechtes, Erlangen 1794, zitiert nach R. Dürr, Mägde in der Stadt, S. 31. Vgl. hierzu unten Kap. Π.4.3. So schrieb beispielsweise eine Schneiderwitwe in ihrem Übergabegesuch, daß sie ihre Werkstatt mit frembden und eigennützigen Gesinde fortsetzen und Treiben müsse, wobei sie sich eindeutig auf die Gesellen bezog. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 11, undatiert, Dezember 1733 oder Januar 1734. Dies geht beispielsweise aus der im folgenden Kapitel genauer darzustellenden Bestimmung in der Goldschlagerordnung hervor. Daß Mägde dem Handwerksgesinde dennoch gleichgestellt sein konnten, zeigt sich in der von I. Titz-Matuszak, "Starcke Weibes-Personen", S. 4041 angeführten Regelung der Goslarer Zimmerleute, die ihren Mägden ein handwerksspezifisches Begräbnis gewährten. In Artikel 4 ihrer Ordnung von 1728 heißt es: Wann einer im Handwerck stirbet, es sey ein Meister, Meisterfrau, Geselle, Lehrjunge, Magd oder Kind, so sollen die Alt-Gesellen den Meister, wie auch eben mäßig die Frau und Kinder zu Grabe tragen, ist es aber ein Gesell, Lehr-Junge oder Magd, so sollen die jüngsten Gesellen um die Gebühr tragen, und welcher nicht zu Grabe mit gehet, soll 3 gr. in die Lade geben (zitiert nach I. Titz-Matuszak). Daß dies gerade bei den Zimmerleuten üblich war, ist angesichts der Tatsache, daß bei diesem Handwerk sehr viel außer Haus gearbeitet wurde, erstaunlich. Für Augsburg konnten keine ähnlichen Bestimmungen gefunden werden.

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Handwerk mitarbeiten; traten sie jedoch außerhalb des Elternhauses einen Mägdedienst an, galten sie bei ihren Dienstherren als nicht handwerksfähige Mägde.5 Die Tatsache, daß Mägdedienste von Meistertöchtern keine Seltenheit waren, weist darauf hin, daß - wie auch Renate Dürr betont - eine generelle Zuordnung der Mägdeschaft zur 'Unterschicht' nicht greift.6 Unterschiede ständischer Art konnte es sowohl zwischen den Frauen geben, die von außerhalb der Reichsstadt kamen und hier arbeiten wollten, als auch zwischen den Augsburger Frauen, die sich als Mägde; verdingten und deren Eltern entweder das Bürgerrecht oder auch nur das Beisitzrecht besitzen und verschiedenen Ständen angehören konnten. Alle Frauen aber, die in den Mägdedienst traten, gehörten nach dem zeitgenössischen Verständnis der ständischen Ordnung, nach dem das 'Haus' analog zur Gesellschaft gegliedert war, unabhängig von ihrem Herkunftsstand fur die Dauer dieses Dienstes zum untersten häuslichen Stand.7 Wenngleich damit die Mägde im Haus verortet sind, bleibt eine weitere Frage: Waren alle Frauen, die in einem Meisterhaushalt lebten und nicht zur Kernfamilie des Meisters gehörten, Mägde? In vielen frühneuzeitlichen Haushalten lebten Kinder verstorbener Verwandter mit, die nicht zwangsläufig in einem Dienstverhältnis standen, aber dennoch mithalfen.8 Auf diese Problematik bezieht sich möglicherweise die Bemerkung der Buchbinder, daß manche Meister ihre Mägde oder so genante bääßlen im Handwerk beschäftigen würden.' Sollte die Bezeichnung eines Mädchens oder einer Frau als Base, und damit als Verwandte, eine unzünftige Person näher an die Meisterfamilie heranrücken und auf diese Weise verbotene Arbeit legitimieren? Da sich aufgrund der Quellenlage das Verhältnis, in dem die Frauen zum Meisterhaushalt standen, nicht immer exakt klären läßt, werde ich hier nur die Frauen als Mägde einbeziehen, die entweder ausdrücklich als Mägde bezeichnet wurden oder deren Tätigkeit mit dem Begriff des 'Dienstes' beschrieben wurde. Damit scheint mir gesichert, daß die betroffenen Frauen in einem längerfristigen Dienstverhältnis standen.

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Vgl. oben Kap. Π.3.4. Dagegen bezeichnet P. Fassl, Konfession, Wirtschaft und Politik, S. 73 die Augsburger Dienstboten unterschiedslos als "traditionelle[r] Unterschicht". Einen griffigen Forschungsüberblick zum Thema 'Gesinde als Unterschicht' gibt R. Dürr, Mägde in der Stadt, S. 24-28. Vgl. hierzu besonders R. Dürr, Mägde in der Stadt, S. 31-37 sowie S. 21-22. Dürr verwendet den Begriff 'Ganzes Haus' als "'analytische' Kategorie" und sieht seine Vorzüge darin, "daß er die unterschiedlichen Ebenen des gemeinsamen Wohnens, Lebens und Arbeitens umfaßt, so daß man mit ihm die verschiedenen Bereiche des gemeinsamen 'Hausens' - neben den statistisch erfaßbaren auch die religiösen, wirtschaftlichen und ordnungspolitischen Ebenen - in den Blick bekommen kann". (Zitat S. 22) Auf die Problematik, die sich hieraus ergab - Annahme einer Waise an 'Kindes Statt', als Pflegekind, in 'Kost' oder als Magd - , verweist ebenfalls R. Dürr, Mägde in der Stadt, S. 3134. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 2, 16.4.1720.

375 Nach diesen teilweise weitgehenden Vorgriffen auf erst noch zu behandelnde Aspekte sollen im folgenden die Bestimmungen der Handwerksordnungen in bezug auf Mägde analysiert werden.

II.4.1 Die Bestimmungen der Handwerksordnungen Auf der normativen Ebene - in den Ordnungen - weisen die hier untersuchten sieben Handwerke sehr unterschiedliche Umgangsweisen mit dem Thema 'Mägdearbeit' auf: Während Mägde in den Ordnungen der Zimmerleute, der Zinngießer und der Bäcker überhaupt keine Erwähnung fanden,10 wurden sie in anderen Handwerken mehr oder weniger negativ thematisiert, indem ihre Tätigkeit entweder stark eingegrenzt oder aber gänzlich verboten wurde. Die Schneider hatten bereits in ihrer Ordnung von 1549 jegliche unzünitige Frauenarbeit unmißverständlich ausgeschlossen: Item ob ain maister: Dorffschneidern, ledigen gesellen, oder Weibspersonen, die nit deß handwerkhs gerechtigkeit hetten, zu arbaitten geben wurde, der oder dieselben so offt solchs beschieht, solle ain halben guldin zu pueß geben.11 Die Ordnung des Jahres 1731 wiederholte dieses Verbot ohne jede Einschränkung.12 In der Ordnung der Bader wurde zumindest ein Arbeitsfeld festgehalten, auf dem Mägde - wie auch verschiedene andere Personen - keineswegs tätig werden durften: So sollten weder der Züchtiger, die Frauenbilder, oder andere dergleichen onbefugte Persohnen Verletzte versorgen. Die Mägde zählten hier sicher zu den 'unbefugten Personen', während die Bezeichnung die Frauenbilder sich wohl eher auf die zunftfähigen Meisterfrauen, -witwen und -töchter bezog.13 Ansonsten wurden Mägde in dieser Ordnung nicht erwähnt. Da sich im Buchbinderhandwerk nach der Interpretation der Zunft allerlei 'Mißbräuche' in Form von unzulässiger Mägdearbeit eingeschlichen hatten,14 wurden in der Ordnimg von 1721 den Mägden auch zuvor bereits untersagte Tätigkeitsbereiche in den Werkstätten noch einmal explizit festgeschrieben: Hingegen wird das Arbeiten von Mägden oder Leuten, so des Handwercks nicht fähig seyn, verbotten, alß nehmlichen: Falten und Heften, und dergleichen Arbeit, womit die Gesellen können entrathen werden, und wordurch große Stümpeleyen erfolgen kan, bey Straff das Erstemal um fl. 2. das andere mal fl. 4. das 3.te mal denen 10

Vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 9, Ordnung von 1756; RZ, Nr. 250, Artikel der Schmiede-Gerechtigkeit 1652-1783 (Zinngießer); HWA, Bäcker, Fasz. 30, Ordnung von 1606 und Ordnung von 1763. " StAA, HWA, Schneider, Fasz. 35, Ordnung von 1549. 12 StAA, HWA, Schneider, Fasz. 35, Ordnung von 1731. 13 StAA, RZ, Nr. 33, Ordnung der Bader und Wundärzte 1682-1781, Art. 28. 14 Vgl. hierzu das folgende Kapitel.

376 Herren Deputirten angezeugt werdend Ob es in der Werkstatt noch andere Tätigkeiten gab, die weiterhin Mägden oblagen, ist der Ordnung nicht zu entnehmen. Auch in der Ordnung der Goldschlager wurde die Mägdearbeit thematisiert. Da sich seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts eine komplexe, teilweise unklare Entwicklung der normativen Bestimmungen zeigt, muß diese genauer nachgezeichnet werden: Im Januar 1693 berichteten die Deputierten über der Goldschlagerordnung dem Rat, daß sie in langwierigen Diskussionen mit der Meisterschaft und den Gesellen versucht hätten, die anhaltenden Streitigkeiten sowohl hinsichtlich der erlaubten Anzahl von Lehrlingen und Gesellen sowie der Umschickung der Gesellen, also der Arbeitsplatzvermittlung, als auch in bezug auf die meist von Frauen ausgeübte Zangenarbeit zu beenden. Aus der sich auf die Mägdearbeit beziehenden Passage des Berichtes läßt sich entnehmen, daß die Mitarbeit der Mägde im Handwerk nach Konflikten zwischen Gesellen und der Meisterschaft im Jahr 1676 verboten worden war." Diesem Verbot war - so Reith - eine Klage der Gesellen vorausgegangen, daß ihnen "das Handwerk in Breslau, Regensburg und Nürnberg keinen Gruß mehr gebe, d.h. sie nicht mehr für rechtschaffene Gesellen anerkenne".17 Für die Meister war die Mägdearbeit jedoch eine Frage des Geldes: Da die Gesellen wesentlich mehr verdienten als die Mägde, die die Zangenarbeit ebenso gut leisten konnten, wollten sie - die Meister - die Mägdearbeit beibehalten. Dieses Argument wurde von den Meistern auch in der erneuten Auseinandersetzung im Jahr 1693 wiederholt: in dem die Maiora darvor gehalten, daß mann schwehrlich dißen Articul, welcher bey gewisser Straff denen dienstbotten, dieße Arbaith verbietet halten könne, sonderbahr bey dermahligen abschlag Ihrer arbeith, Theürung aller victualien und der Gesellen hohen wochenlohn, worbey sie nit bestehen könten, wann sie die Gesellen auf solche arbeith setzen solten. Da sie auf die billigere Arbeit der Mägde nicht verzichten könnten, hätte man sich darauf geeinigt, daß bey disen schwehren und betrübten Zeiten, dißer Articul wol Limitiert werden könt, daß ein Maister einen gebröttenden Dienstbotten, aber mehr nit auf solche Zangen arbeith zu setzen zu gelassen seyn solle. Die bereits für das erste Vergehen gegen diese Regelung vorgesehene hohe Strafe von sechs Gulden verweist darauf, daß der Rahmen, in dem die Mägdearbeit geduldet werden sollte, sehr eng abgesteckt war." Zwar geht Reinhold Reith davon aus, daß der Vorschlag der Meisterschaft umgesetzt wurde," ein Beleg hierfür findet sich aber in den Akten nicht. Ich meine dagegen, daß auf diesen Bericht der Deputierten keine Reaktion des Rates erfolgte, denn im Juli 1700 bat das gesamte Handwerk erneut, einige Änderungen in die Ordnung aufnehmen zu dürfen. Wieder wurde die Mägdearbeit angesprochen, wobei man deutlich machte, daß die

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StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 7, Ordnung von 1721. Vgl. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 2, 3.1.1693. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 197-198. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 2, 3.1.1693. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 198.

377 Meisterschaft trotz des Verbotes in der Ordnung - wider den 7. ten Articul - das Einlegen des Metalls in die Büchlein den Mägden überließ. Dies wollte man nun auch offiziell erlaubt wissen, aber zugleich dahingehend eingrenzen, daß hinfüro zu solcher arbeit mehr nit dann eine Magdt mit und neben denen Gesellen, Meisters Frawen, Töchtern und Kinder, welche der Handtwercks Gerechtigkeit fähig, zu gelassen werden sollte.20 Im Januar 1702 formulierten die Goldschlager schließlich fünf Punkte, deren Ziel es war, das Handwerck in besseren Stand zu bringen. Einer dieser Punkte bezog sich wiederum auf die Zangenarbeit der Mägde, die mit drei Argumenten als unabdingbar dargelegt wurde: Einerseits könne bey diesen schweren Zeiten und schlechten preiße der Wahre die Zangenarbeit nicht den Gesellen übertragen werden, andererseits hätten nicht alle Meister so viele Kinder, daß sie keine Magd für diese Arbeit heranziehen müßten, zum dritten verwiesen sie darauf, daß sie auch im Krankheitsfall von Meisterinnen oder Kindern die Arbeit einer Magd überlassen maßten. Die Vorgeher schrieben daher, daß dieser punct in statu quo verbleiben könte.21 Diese Formulierung weist darauf hin, daß die Arbeit höchstens einer Magd zwischenzeitlich erlaubt worden war, wenngleich sich hierfür kein Dekret findet. Die Mägdearbeit hatte sich zumindest in der Praxis so eingespielt. Um so sonderbarer erscheint es, daß die Ordnung von 1717 das 1676 ausgesprochene Verbot der Mägdearbeit im Handwerk wieder enthält: Es solle hinfuhro die Zangen-Arbeit, oder das Einlegen des Geschlagenen Golds, Silber und Metalls in die Büechlein allein denen Goldschlagers Gesellen, oder denen MaistersFrauen, Töchtern und Kindern, weil selbige der Handwerckhs Gerechtigkeit fähig seind, und Ihnen solches nie verwehrt gewesen, nach Willen und Gefallen der Maister, nicht aber den gedingten Mägden, oder andern, der HandtwerckhsGerechtigkeit unfähigen Personen anvertraut und überlaßen werden. Die festgesetzten Strafen waren nicht unerheblich, so sollten für den ersten Verstoß drei Gulden und für einen zweiten sechs Gulden erhoben werden; ein drittes Vergehen sollte dagegen dem Rat zur Bestrafung angezeigt werden.22 Die Frage, ob die in der Handwerksordnung festgeschriebene Ausgrenzung der Mägde aus der Werkstatt der Goldschlager nun auch umgesetzt wurde, soll im folgenden Kapitel gestellt werden, denn in der Fassung der Goldschlagerordnung von 1716 findet sich bei Artikel 7, dem Artikel, der diese Ausgrenzung festschrieb, am linken Rand der Vermerk bleibt aus. Wann dieser Vermerk angefügt wurde, ist nicht zu klären, so daß nur die Überprüfung der Handhabung Aufschluß geben kann. Darüber hinaus wird im folgenden natürlich auch zu fragen sein, ob 20 21

22

StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 2, 6.7.1700. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 2, 23.1.1702. Wie bereits dargestellt wurde, verwiesen die Goldschlager in diesem Schreiben auch darauf, daß es ohnverandtwortlich [sei,] die Kinder deßhalben auß der Schull zu laßen und dehnen Töchtern nichts alß daß einlegen zu lernen. Vgl. hierzu oben Kap. Π.3.Ι. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, Ordnung von 1716, Artikel 7.

378 Mägde der anderen Handwerke in den Werkstätten mitarbeiteten und, wenn ja, welche Tätigkeiten sie dort ausführten.

II.4.2 Die Mägdearbeit in der Werkstatt Die Mitarbeit der Mägde im Handwerk war, wie die Ordnungen belegen, in den verschiedenen Handwerken keineswegs einheitlich geregelt. Die Arbeit der Mägde konnte - so viel wurde bereits sichtbar - wegen des niedrigeren Lohnes, der ihnen im Vergleich zu Gesellen bezahlt wurde, für die Meister durchaus interessant und notwendig sein. Sowohl wegen dieser Konkurrenz zur Gesellenarbeit als auch aufgrund der potentiellen Konkurrenz, die sie durch die erworbenen Kenntnisse für die Meisterschaft durchaus darstellen konnten, wurde die handwerksspezifische Arbeit der Mägde stets argwöhnisch beobachtet. Welche Tätigkeitsfelder standen ihnen - sei es ordnungskonform oder auch entgegen der Norm - offen? Greifen wir als erstes die oben schon thematisierte Mägdearbeit bei den Goldschlagern auf. Trotz des durch die Meisterschaft mehrfach deutlich zum Ausdruck gebrachten Bedarfes blieb sie offenbar verboten, war aber gleichwohl üblich, wie den Äußerungen der Deputierten über der Goldschlagerordnung vom Januar 1693 zu entnehmen ist: und obwohlen es bißdato starkh verbotten geweßen, habe doch je einer [der Meister, Ch.W.] vor dem andern die sach mehr vertuschen können, da einer da, der ander dort in einen winkhel einen dienstbotten auf solche arbaith gesetzt.23 Dies läßt vermuten, daß die Gesellen - obwohl sie 1676 das Verbot der Mägdearbeit durchgesetzt hatten - nun nicht allzusehr gegen die Zangenarbeit der Mägde opponierten, denn es konnte nicht allen entgangen sein, daß nicht ausschließlich Meisterfrauen oder -kinder, sondern auch Mägde diese Arbeit erledigten. Obwohl auch die mit 1716 datierte Ordnung weiterhin das explizite Verbot der Zangenarbeit der Mägde enthielt, blieb sie offenbar üblich und dies so sehr, daß sie dem Rat ungeniert mitgeteilt wurde: Als der Geselle Samuel Martin Broßer um den Erlaß seiner Ersitzjahre und um die Übemahmeerlaubnis der Werkstatt der Witwe Gimmerlin bat, erläuterte er, daß die Witwe sich zur Übergabe entschlossen hätte, weilen sie ihre Baaß und künftige Erbin, Lucia Freyin von Lindau so 26 Jahr bey ihr als Einlegerin gedienet, durch mich annoch in ihren Lebszeiten gern versorget, und bürgerlich untergebracht sehen möchte?* Wenngleich die Freyin eine Verwandte der Goldschlagerwitwe war, hatte sie in deren Werkstatt doch gedienet, eine Bezeichnung, die für die Mitarbeit der Meistertöchter im elterlichen Gewerbe nicht gebraucht wurde. Das Handwerksgericht schilderte in

23 24

StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 2, 3.1.1693. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, 1.12.1762.

379 seinem Bericht an den Rat den Inhalt der Supplik dergestalt, daß die Witwe seiner Eheverlobten der Lucia Freyin von Lindau, so 26. Jahr bey ihro ehrlich und redlich gedienet, ihre Handwerks-Gerechtigkeit cedieren wolle. Die Vorgeher, deren Stellungnahme die Gerichtsdeputierten ebenfalls darlegten, äußerten sich in keiner Weise zur Zangenarbeit der Freyin, sondern stellten fest, daß dem Broßer zwar die Ersitzjahre fehlen würden, das Handwerk gegen seine Zulassung aber nichts einzuwenden hätte, weil durch die Übernahme keine neue Werkstatt aufkomme.25 Ich meine, daß sowohl die Erklärung des Gesellen Broßer als auch die Darstellung des Handwerksgerichtes und die Nichtreaktion der Vorgeher auf die Zangenarbeit einer unziinftigen Frau unmißverständlich daraufhinweisen, daß die im vorausgehenden Kapitel angesprochene Anmerkung bei Artikel 7 der Ordnung von 1716 bleibt aus, nur so zu lesen ist, daß dieser Artikel, der den Ausschluß der Mägde von der Zangenarbeit festschrieb, nicht mehr verlesen wurde, also keine Gültigkeit mehr besaß. Einen weiteren Beleg hierfür sehe ich im folgenden Fall, bei dem die offiziellen Organe des Handwerks die Arbeit von Mägden auf eine Ebene mit der der Meisterfrauen und -töchter stellten: Nachdem ein Berliner Goldschlagermeister seine Augsburger Kollegen darüber informiert hatte, daß Berliner und Nürnberger Gesellen die Augsburger Gesellen wegen der hier üblichen Frauenarbeit für unehrlich erklärt hätten,26 baten die Vorgeher und Geschworenen des Augsburger Goldschlagerhandwerks den Rat, den Nürnberger Magistrat aufzufordern, die dortigen Gesellen zur Ordnung zu rufen. In ihrer Darlegung verwiesen die Vorgeher zunächst darauf, daß trotz der kaiserlichen Verordnung von 1731 gegen die Mißbräuche im Handwerk solche noch vorherrschten. So erfrechten sich die Gesellen in Berlin, angeleitet von den Nürnbergern, die Augsburger Gesellen unter dem lächerlichen Vorwand, weil sie mittelst Beyhülfe der Weibs=Persohnen arbeiteten als Pfuscher zu erklären. Als hätte nie etwas anderes in ihrer Ordnung gestanden, erklärten die Vorgeher weiter, daß es von jeher bey unserer Profession dahier üblich gewesen, daß im Metall zum Formen einfüllen, besonders auch zum Auslegen Weibs=Persohnen welche unter dem Namen Einlegerinnen bekannt sind gebraucht werden damit der Gesell in seinem Verdienst nicht allzusehr zurück gesezt werde. Daß sich die Nürnberger Gesellen dagegen auflehnten, daß diese Ar25 26

StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, 12.1.1763. Vgl. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 6, 13.11.1779. Der Berliner Meister schilderte die Sachlage: Da er einige Jahre zuvor einen Nürnberger Gesellen angestellt hatte, der keine Erfahrung mit der Zangenarbeit hatte, stellte er eine Frau an, der er diese Arbeit beibrachte. Die Berliner Gesellen, die die Arbeitsverhältnisse in dieser Werkstatt kannten, hatten gegen die Zangenarbeit der Frau keine Einwände vorgebracht. Nachdem der Geselle aus der Werkstatt ausgeschieden war, hatte die Frau zunächst für den Meister gearbeitet. Der schließlich neu angestellte Augsburger Geselle konnte ebenfalls nicht beschneiden, weshalb die Frauenarbeit weiter notwendig blieb. Nun erst erklärten die Gesellen sowohl die Werkstatt als auch alle Augsburger Gesellen für unehrlich. Die Berliner Obrigkeit schritt zwar energisch gegen diesen Verruf ein und erklärte die uneingeschränkte Ehrbarkeit des Meisters und der Augsburger, der Berliner Meister wollte jedoch seine Augsburger Kollegen informieren.

380 beit nicht nur von Meisterfrauen und -töchtern, sondern auch von Mägden erledigt würde, bezeichneten die Vorgeher als wider die gesunde Vernunft laufende Unordnungen und Insolentien und beriefen sich nochmals auf das kaiserliche Patent.27 Stellen wir die Diskussionen und Konflikte um die Zangenarbeit der Mägde der Goldschlager in den Kontext der Entwicklung des Handwerks, zeigt sich die enge Verbindung zu dessen Krisen, und zwar sowohl zu denen, die die Gesellen betrafen als auch zu denen, die die Meisterschaft berührten. Nach Reith sind die Konflikte "auf dem Hintergrund eines seit dem späten 17. Jahrhundert (bis zur Jahrhundertmitte) anwachsenden Arbeitskräftepotentials, eines begrenzten Arbeitsmarktes und starker konjunktureller Schwankungen" zu sehen.2' 1694, 18 Jahre nach dem Verbot der Mägdearbeit, waren bei den Augsburger Goldschlagern mindestens 30 Gesellen beschäftigt;29 die Meisterzahlen bewegten sich zwischen 15 Meistern (1687) und 26 Meistern (1701).30 Die im Stücklohn arbeitenden Gesellen waren bei guter Auftragslage nicht dagegen, daß Frauen das Einlegen und Beschneiden der Blättchen übernahmen, konnten sie doch in dieser Zeit weiterhin Formen ausschlagen, nach deren Zahl sie entlohnt wurden.31 Gegen die Mägdearbeit wandten sie sich, als sie wegen dieser von außerhalb angegriffen wurden (1674); kritisiert wurde sie sowie die entsprechende Arbeit der Gesellenfrauen aber auch bei rückläufiger Konjunktur, wenn die Schlagarbeit weniger wurde (z.B. 1702, 1727, 1740/42, 1748).32 Daß die Mägdearbeit dennoch bestehen konnte, lag wohl einerseits an der ambivalenten Interessenlage der Gesellen, andererseits aber auch im Interesse der Meister, die die Mägde geringer entlohnen konnten als die Gesellen. Diese Situation läßt darauf schließen, daß Artikel 7 der Ordnung, der die Mägdearbeit verbot, schon sehr früh nicht mehr verlesen wurde und damit keine Gültigkeit mehr besaß. Die Zahl der Meister, die bis 1730 auf 40 Meister angewachsen war, sank nach der Jahrhundertmitte zwar erheblich - so arbeiteten 1755 noch 27 Meister, 1781 waren es noch 22 Meister, 1789 dann wieder 24 Meister, 1804 aber nur noch 14 Meister -, 33 überstieg aber bei weitem die Gesellenzahl, denn 1765 arbeiteten lediglich 9 Gesellen, 1806 waren es schließlich nur noch fünf Gesellen.34 Dies bedeutet, daß die meisten Meister als Alleinmeister 27 28 29 30 31

32

33 34

StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 6, 26.11.1779. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 198. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 199. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 40. Nach R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 196 setzte sich der Lohn der Goldschlagergesellen aus einem festen Wochenlohn und einem Stücklohn zusammen: der Wochenlohn erforderte eine festgelegte Anzahl von ausgeschlagenen Formen; was die Gesellen darüber hinaus schaffen konnten, wurde nach der Stückzahl bezahlt. Vgl. hierzu oben Kap. II.4.1 sowie R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 197-199. Die Einbeziehung der Gesellenehefrauen als eigene Frauengruppe war im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht zu leisten und bleibt einem späteren Beitrag vorbehalten. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 40. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 199 sowie R. Bettger, Das Handwerk, S. 193.

381 arbeiteten und somit auf die Mitarbeit entweder ihrer Frauen und Töchter oder aber einer Magd angewiesen waren. Daß ein Gesellenprotest ausblieb, läßt sich mit ihrem Mangel erklären: so wurde beispielsweise 1756 zwei ortsfremden Gesellen die Heirat im Gesellenstand und ihre Niederlassung in Augsburg erlaubt, weil zu diesem Zeitpunkt ein Mangel an guten Gesellen herrschte." Insgesamt wird die Abhängigkeit der handwerksspezifischen Aibeitsmöglichkeiten der Mägde von der wirtschaftlichen Gesamtlage und damit von den Interessen sowohl der Meister als auch der Gesellen recht deutlich. Die Lückenbüßerinnenfunktion der Mägde ist hier zwar nicht zu übersehen, gleichwohl halte ich es für beachtenswert, daß sich ihre Beschäftigung als Einlegerinnen nach einem Verbot gegen Ende des 17. Jahrhunderts wieder durchsetzte und daß sie - auch wenn sie nicht immer unumstritten war - praktisch während des gesamten 18. Jahrhunderts notwendig und üblich blieb. Die explizite Ausgrenzung der Mägdeaibeit im Buchbinderhandwerk im Jahr 1721 ging - anders als bei den Goldschlagern - auf eine Initiative der Vorgeher und Geschworenen zurück, die darüber klagten, daß das Handwerk - welches von kurzer Zeit hero gegen 30. Maistere, da zu vor doch nicht mehr dann Sechs oder Siben geweßen waren - nicht nur unter der erheblichen Steigerung der Meisterzahlen zu leiden hätte, sondern auch darunter, daß einige Unserer Mitmaisteren ganz öffentlich und ungescheichet ihre Mägde oder so genante bääßlen auch andere zum Handtwerckh abrichten, und also darauf mitarbeithen lassen, ohngeachtet, das dergleichen Maistere undt Gesellen, so mit undt neben solchen Weibs Persohnen gearbeithet, wegen dißen Verbrechens von denen Geschwornen zur straff gezogen worden. Verschlimmert würde diese Situation, so die Vorgeher, weillen dergleichen Mägdt undt Bääßlein, da sye von ihren diensten loß worden, sich haimblich in einen winckhl Sezen, solch abgespickhte arbeith fortsezen, mithin nit geringen abtrag und schaden unßerer profession zufiegen. Nach den Angaben der Handwerksvorgeher konnte einem Meister dreimal nachgewiesen werden, daß er solchen Frauen sogar mit Rat und Tat zur Seite gestanden hatte. Um diesen 'Auswüchsen' begegnen zu können, baten sie um die Erlaubnis, daß die jeweiligen Vorgeher und Geschworenen die Meister und Gesellen, die unrechtmäßig mit Frauen arbeiten oder solche unterrichten würden, abstrafen dürften. Daneben forderten sie, die Stillstandsjahre zwischen dem Ausschreiben eines Lehrjungen und der Einschreibung eines neuen Jungen oder aber auch der Anstellung eines Jahrarbeiters zu verlängern sowie die gleichzeitige Beschäftigung eines Lehrlings und eines Jahrarbeiters ganz zu verbieten.36 Obwohl die gewünschten Maßnahmen in bezug auf Lehrlinge und Jahrarbeiter auf Probleme des Handwerks hinweisen - ohne Not hätten solche den Meistern eher geschadet - , wird hinsichtlich der Klage über die stark gestiegenen Meisterzahlen doch eine erhebli35

36

Vgl. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, 29.5.1756 (Bericht des Handwerksgerichtes auf die Gesuche des Johann Michael Scherer sowie des Johann Christoph Lang). StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 2, 16.4.1720.

382 che Übertreibung sichtbar: Im Jahr 1679 arbeiteten 17 Meister als Buchbinder und Futteralmacher, bis 1687 war ihre Zahl auf 19, bis 1701 auf 25, bis 1720 schließlich auf 28 und erst 1730 auf 36 Meister angewachsen.37 Zum Zeitpunkt der Bitte um eine Ordnungsänderung, im April 1720, umfaßte das Handwerk mit 28 Meistern zwar gegen 30. Maistere, daß sie bis kurz zuvor aber nur sechs oder sieben gewesen wären, widerspricht den genannten Zahlen. Die Deputierten über der Kramerordnung, der die Buchbinder und Futteralmacher zugeordnet waren, befanden in ihrem Bericht an den Rat, daß die Absicht der Handwerksvorgeher allein dahingehet wie das Handwerk möchte in beßern stand gebracht, und die eingeschlichene Mißbräuche künfftighin abgethan werden. So rieten sie dazu, den Buchbindern eine entsprechende Überarbeitung ihrer Ordnung zu erlauben.38 Offensichtlich tangierte die Mägdearbeit die Verdienstmöglichkeiten der Gesellen nicht in besonderer Weise, da ansonsten die Initiative gegen diese nicht von den Vorgehern, sondern von den Gesellen ausgegangen wäre. Auch daß besonders viele Lehijungen ausgebildet und zu viele Jahrersitzer angenommen wurden, verweist auf eine insgesamt gute Arbeitslage. Auf diesem Hintergrund wird deutlich, daß das Verbot der Mägdearbeit und die Forderung nach strengen Strafmaßnahmen beim Verstoß gegen dieses Verbot nicht so sehr der Ehrenrettung eines Männerhandwerkes dienen, sondern - wie die Vorgeher und Geschworenen selbst betonten - dem dem ganzen Handtwerckh hegst nachtheilligen Stimpeln Einhalt gebieten sollte.3' Der finanzielle Vorteil, den die billigere Arbeit der Mägde in den Werkstätten bot, wurde nämlich dadurch aufgehoben, daß die Frauen nach ihrem Ausscheiden in der Lage waren, außerhalb des zulässigen Rahmens handwerksspezifische Arbeiten auszuführen, womit sie in direkte Konkurrenz zur Meisterschaft traten. Um dies zukünftig zu verhindern, wurde die Mitarbeit der Mägde in Artikel 20 der Handwerksordnung der Buchbinder von 1721 schließlich dahingehend eingeschränkt, daß sie keine Tätigkeiten mehr ausüben durften, die auch von Gesellen erledigt werden konnten: Hingegen wird das Arbeiten von Mägden oder Leuten, so des Handwercks nicht fähig seyn, verbotten, alß nehmlichen: Falten und Heften, und dergleichen Arbeit, womit die Gesellen können entrathen werden, und wordurch große Stümpeleyen erfolgen kan, bey Straff das Erstemal um fl. 2. das andere mal fl. 4. das 3.te mal denen Herren Deputirten angezeugt werden.40 Wie wirkte sich dieses in die Ordnung aufgenommene Verbot der Mägdearbeit aus? In den gesamten Handwerkerakten dieses Handwerks findet sich für den hier untersuchten Zeitraum nach der Ordnungsänderung nur noch ein Fall, bei dem die Mägdearbeit in einem größeren Rahmen als Konfliktpotential erscheint. Der Konflikt fand jedoch nicht innerhalb des Buchbinderhandwerks statt, sondern zwischen diesem und den Buchdruckern, die sich - so die Buchbinder - unberechtig37 38 39 40

Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 59. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 2, 14.5.1720. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 2, 16.4.1720. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 7, Ordnung von 1721.

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ter Weise des Faltzens, Heßens oder Durchstechens und Beschneidens, ja mit einem Wort die gefälßlete Arbeit [...] mit dem Schnidtmesser und Beschneid=Hobel zu machen sich biß dato unterfangen und dazu sogar ihre Frauen, Töchter und Mägde heranziehen würden. Gegen diese Eingriffe in ihre Nahrung setzten sie sich entschieden zur Wehr und verwiesen auf das Arbeitsverbot für ihre eigenen Mägde: Wenn nun solche Falß=Arbeit sammt dem Futteral=Machen denen Buchdruckern, deren Weibern, Mägden, Winckelhockerinnen und Stimpleren in ihren und andern Häußern umso weniger zusteht und gebühret, alß nicht einmahl wir hierzu berechtigte Buchbindere durch unsere Mägde sothane Arbeit verrichten dürften, sondern deßhalben ein und andere von Buchbindern bereits gestrafft worden, und noch auf Betretten gestrafft werden." In ihrer Gegendarstellung erklärten die Buchdrucker, daß sie keine über ihre Befugnisse hinausgehenden Arbeiten ausüben würden; auf den Vorwurf der unberechtigten Frauenarbeit gingen sie nicht detailliert ein, sondern äußerten sich nur zur Herstellung der Futterale durch die Ehefrau eines Buchdruckers.42 Die Mägdearbeit thematisierten sie ebensowenig wie die beiden Verfasser der vom Rat angeforderten Relationen.43 Weiterführende Quellen, die zeigen würden, wie die Auseinandersetzung letztendlich geschlichtet wurde, sind nicht vorhanden. Dieser Konflikt wäre somit wenig aussagekräftig für unsere Fragen, wenn nicht in seinem Kontext wiederum die Arbeiten benannt worden wären, die nach den Angaben der Vorgeher und Geschworenen der Buchbinder vor der Ordnungsänderung von 1721 die Meister ihren Mägden beigebracht und übertragen hatten: Das Falzen und Heften waren wohl die Tätigkeiten, die hauptsächlich von Frauen ausgeübt wurden oder zumindest ausgeübt werden konnten. Spätestens nach dem bei den Buchbindern festgeschriebenen Verbot der Mägdearbeit waren es vermutlich diese Aufgaben, die in der Regel von den handwerksfähigen Meistertöchtern und Meisterfrauen erledigt wurden. Durch den zwischen den Handwerken entstandenen Streit werden aber nicht nur die 'weiblichen' Tätigkeitsfelder präzisiert, sondern es wird auch sichtbar, daß das Verbot der Mägdearbeit nicht durchgängig befolgt wurde, weshalb schon Mitmeister bestraft worden waren. Zwar muß ein solcher Verweis der Buchbinder auch als Teil ihrer Argumentationsstrategie gelesen werden - wenn schon ihre Mägde die Arbeit nicht ausführen durften, dann doch erst recht nicht die Mägde der Buchdrucker - , gleichwohl lag das Verbot gerade erst vier Jahre zurück, so daß manche Magd die Arbeit noch beherrscht haben und dazu herangezogen worden sein wird.44 41 42

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StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 4, 26.4.1725. Vgl. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 4, 2.5.1725. Zur Arbeit der Meisterin vgl. oben Kap. Π.1.2.1.1. Vgl. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 4, 5.5.1725 und 12.6.1725. In den Protokollen des Handwerksgerichtes der Jahre 1722 bis 1725, die vollständig durchgesehen worden sind, treten zwar keine entsprechenden Klagen und Strafmaßnahmen in Erscheinung, solche Vergehen konnten aber bis zum dritten Mal handwerksintern sanktioniert werden. Vgl. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 7, Ordnung von 1721, Art. 20. Anders als in

384 Insgesamt muß das Verbot der Mägdearbeit bei den Buchbindern im Zusammenhang mit der Art der Tätigkeiten, die sie dort ausüben konnten, gesehen werden: Da es Arbeiten waren, die die unzünftigen Frauen auch außerhalb einer Werkstatt übernehmen konnten, bestand die Gefahr, daß sie sich 'verselbständigen' würden, wenn sie die notwendigen Handgriffe während eines Mägdedienstes erst einmal erlernt hatten. So schien es besser, die Mägde gar nicht erst dazu zu befähigen. Aus genau demselben Grund war im Schneiderhandwerk die Arbeit von Mägden im Bereich der Werkstatt verboten. Eine Anfrage der Hochftirstlich Kemptischen Regierung beim Augsburger Rat, wie es hier hinsichtlich der Mägdearbeit im Handwerk gehalten werde, wurde zum Anlaß für eine eindeutige Stellungnahme.45 Die Vorgeher und Geschworenen der Schneider erklärten nicht nur, daß kein Schneider Meister berechtiget seye, einer Magd die mindeste Arbeit vorzulegen und unter Händen zu geben, sondern legten auch die Gründe dafür dar: ein solches auch dem Handwerck höchst schädlich und nachtheilig, indem dergleichen Mägde, wenn sie ihren Vortheil ersehen, a potiori sodenn sich pflegen in Winckel zu setzen und dem Handwerck mit Pfuschen Eintrag zu thun und beschwerlich zu fallen,46 Die Schneider fanden ständig Grund zur Klage wegen der zahlreichen Eingriffe in ihr Handwerk durch Frauen: ja wenn wir noch betrachten, wie vieles Gesinde weiblichen Geschlechts uns Abtrag thut, so kan jedermann ganz ohnbefangen sich von dem übergrosen Nachtheil der dadurch unserm verarmten Handwerk zuwächst, sattsam überzeugen.*1 Schon die Mädchen lernten das Nähen in der Schule, und viele Frauen verdienten ihren Lebensunterhalt als Näherinnen die Grenze zur Schneiderei war zwar klar definiert, aber dennoch schnell über-

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Augsburg wurden die Mägde des Hamburger Buchbindergewerbes im 18. Jahrhundert - so der Befund von P. Eggers, Frauenarbeit im Handwerk, S. 115 - "teilweise ru Hilfsarbeiten herangezogen". Der hochstiftische Hofschneider Reckh, der eine Dienstmagdt dergestalten auf der Schneider=arbeit völlig hat, daß sie adrien [Adrienne, loses Frauenüberkleid des Rokoko, Ch.W.] ausnähet, Porten auffnähet, und Knopflöcher außmacht und mit der die Gesellen sogar das in der Werkstatt anfallende Trinkgeld teilen mußten, wollte sich diese Mägdearbeit nicht verbieten lassen, weshalb es zunächst innerhalb des Schneiderhandwerks des Hochstifts, dann aber auch zwischen diesem und der Schneidermeisterschaft der Reichsstadt Kempten einen schwerwiegenden Konflikt gab, in dessen Verlauf die Gesellen schließlich die Arbeit niederlegten. Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 29, 30.10.1736 und 13.11.1736. Die von W. Petz, Zweimal Kempten, S. 174-178 nachgewiesene gute Integration von Frauen in das stiftische Weberhandwerk und seine Zunft darf dem Streit um die bloße Mitarbeit der Magd zufolge nicht auf andere Handwerke des Stifts übertragen werden. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 12, 31.1.1737. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 18, 12.9.1789. Mit diesem Schreiben baten die Schneider um die Aushängung eines öffentlichen gedruckten Anschlags unter sammtlichen Stadtthoren wie Ao. 1722, mit dem die Bürgerschaft unter Strafandrohung zum Verzicht auf den Kauf von Pfuscherwaren oder eigene Pfuscherei aufgefordert werden sollte. Das daraufhin gedruckte und ausgehängte Dekret ist datiert auf den 15.12.1789.

385 schritten.4' Obwohl Kenntnisse im Nähen für viele Frauen eine Selbstverständlichkeit waren, erscheinen in den Handwerkerakten der Schneider keine Fälle, die auf die Heranziehung von in einem Schneiderhaushalt arbeitenden Mägden zur Handwerksarbeit hindeuten würden. Auch die Akten der Bader enthalten keine Hinweise auf eine Mitarbeit von Mägden im Bader- bzw. Barbierhandwerk. Dies gilt in gleicher Weise für die Zinngießer und die Zimmerleute. Ob die Mägde tatsächlich gänzlich von Handwerksarbeiten ausgeschlossen waren oder ob diese nur nicht in Erscheinung treten, muß offenbleiben. So ergaben sich beispielsweise bei den Badern Tätigkeiten, die gewöhnlich als 'weibliche' Arbeiten galten, aber doch eng mit dem Handwerk verbunden waren, wie etwa die Vorbereitung und die Reinigung der Bäder.49 Bei den Zinngießern erhielt nach einer Auflistung der Kosten für die Verfertigung des Meisterstückes die Magdt im Haus 30 Kreuzer. Daß dies eine Entlohnung für Handreichungen in der Werkstatt war, scheint aber unwahrscheinlich, da auch dem Jungen 1 fl. bezahlt werden mußte.50 Eher wurde damit die während der Prüfungstage vermehrte Küchenarbeit der Magd entlohnt, denn im Verlauf der Meisterprüfung hatte der Kandidat alle beteiligten Personen zu verköstigen, und diese Essen stellten oft die reinsten Gelage dar, bestanden sie doch meist aus mehreren Braten, Geflügel und Beilagen." Die Zimmerleute beschäftigten neben ihren Gesellen und Lehrlingen eine Reihe ungelernter Arbeitskräfte, die Reith als "Tagwerker, Handlanger und Mörtelrührer" spezifiziert.52 In den Handwerkerakten gibt es keinerlei Hinweise darauf, daß unter diesen ungelernten Arbeitskräften auch Frauen gewesen wären.53 Inwieweit die Bäcker ihre Mägde im Handwerk beschäftigten, ist ebenfalls unklar. Zwar wurde in der Handwerksordnung die Mägdearbeit nicht thematisiert sie wurde also auch nicht ausdrücklich verboten - , doch geben die Handwerkerakten kaum Aufschluß über eine solche Beschäftigung. Lediglich ein Fall könnte als Hinweis darauf gelesen werden, daß Mägde auch im Bereich der Backstube arbeiteten: Im Oktober 1714 wurde dem Amtsbürgermeister ein von Bäckermeister Jo48 49

50 51 52 53

Vgl. hierzu oben Kap. Π.2.2.1.3.2. R. Hoffmann, Die Augsburger Bäder, S. 7 fand in den Steuerbüchern des 14. Jahrhunderts "neben den Badknechten, Scherern, Kratzern, Raibem, auch Kratzerinnen, Raiberinnen und Frauenhiiterinnen, anderwärts Gewandhüterinnen genannt". S. Matthews Grieco, Körper, äußere Erscheinung und Sexualität, S. 64 legt dar, daß sich im Laufe des 17. Jahrhunderts "das Baden eher zu einer medizinischen Kur als zu einer angenehmen Form der Körperpflege" entwickelte, daß es also eng verbunden war mit medizinischen Anwendungen. Dagegen sei die Gewohnheit, sich einfach zu baden, abgekommen. Dies könnte ein Grund dafür sein, daß die Mägdearbeit in der Badstube weniger wurde. StAA, HWA, Zinngießer, Fasz. 3, ohne Datum. Vgl. hierzu R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 215-216. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 200. Demgegenüber konnte beispielsweise Silke Lesemann die Beteiligung von Tagelöhnerinnen in den Hildesheimer Bauhandwerken belegen. Vgl. S. Lesemann, Arbeit, Ehre, Geschlechterbeziehungen, S. 48.

386 seph Wiedemann gebackenes Brot übergeben, weil sich nach dem Anschnitt erwiesen hatte, daß es ausgehöhlt und mit einer nicht recht definierbaren nassen Substanz gefüllt worden war; in der Folge wurde angeordnet, des Wiedemanns Knecht und mägd unter Eid zu verhören.54 Nachdem ihnen vor Amt erklärt worden war, welche Konsequenzen ein Meineid haben würde, wurden Geselle, Lehrjunge und Magd einzeln verfiört. Ursula Rannacherin, die Magd, sagte: Sie wiße gar nichts davon, halte nicht davor, daß solches bey ihrem Meister beschehen seye, indem er nichts solches zuthun pflege und damit ja seine Kundschaffl vertreiben wurde, es müste jemand nur zum Boßen dises naße und schöne Kley hinein gethan haben, dann -wann es mit in dem offen kommen wäre, wäre solches ja auch mit ausgebachen worden, sonsten sie nichts davon wüste noch sagen honte Hätte man die Magd unter Eid verhört, wenn sie in die Arbeitsprozesse der Bäkkerei keinen Einblick gehabt hätte? Hätte sie beurteilen können, ob das Brot lediglich schlecht ausgebacken oder nachträglich gefüllt worden war, wenn sie mit der Bäckerei gar nichts zu tun hatte? Selbst "bessere' Quellen, wie etwa Arbeitsbescheinigungen für eine Magd, tragen nicht zur Klärung der Frage bei, ob die Mägde in den Backstuben mithalfen: Anastasia Schmidin, die sich mit einem zukünftigen Bäckermeister verheiraten wollte, belegte ihre über einährige Mägdezeit mit Zeugnißen. Sie war bei insgesamt fünf Dienstherren, darunter einem Bäcker, beschäftigt; alle fünf bescheinigten ihre Dienstzeit und - mit kleinen Abwandlungen - daß sie während dießer Zeit sich redlich treu und gut aufgeführt habe. Welche Arbeiten in ihrem Aufgabenbereich lagen, wird in keinem der Arbeitszeugnisse angeführt.56 Bei den Küchlebäckem dagegen waren die Mägde ganz offensichtlich in einem solchen Ausmaß mit der Bäckerei betraut, daß hier, wie ich meine und wie auch die Argumentation dieser Mägde zeigt, der Ausbildungsaspekt des Mägdedienstes zu thematisieren ist. Dies soll jedoch in einem eigenen Kapitel geschehen.57 Zuvor ist aber noch ein Fallbeispiel aus den Handwerksgerichtsprotokollen darzustellen, das die eindeutig handwerksspezifische und offenbar nahezu eigenständige Tätigkeit einer Magd in der Werkstatt ihres Dienstherren in einem von mir nicht untersuchten Handwerk belegt, nämlich im Gürtlerhandwerk. Die Gürtler hatten bereits im 16. Jahrhundert nach weitreichenden Streitigkeiten, die sich zwischen dem Straßburger und dem Nürnberger Handwerk ergeben hatten, die Mägdearbeit erheblich eingeschränkt. Nach der 1568 entsprechend ergänzten Nürnberger Handwerksordnung durften sie nun nicht mehr am Amboß arbeiten dies sollte ausschließlich den Gesellen zustehen - , und kein Meister sollte seine Magd "zum Anstreichen und Vergolden der Gürtlerarbeit, wie bisher von etlichen geschehen, verwenden [...], weil es in Nürnberg und anderswo eine Gesellenarbeit 54 55 56 57

StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 11, 24. und 26.10.1714. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 11, 27.10. 1714. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 23, 12. und 20.5.1796. Vgl. unten Kap. Π.4.3.

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sei".58 Daß diese Regelung zumindest teilweise auch im 18. Jahrhundert in Augsburg so galt, aber nicht unbedingt eingehalten wurde, zeigt der folgende Fall. Als der Gürtlermeister Johann Kluger im November 1723 von den Vorgehern angezeigt wurde, weil er seine Magd mit Hammer, und Zangen am Schraubstock arbeiten, auch vergulden lasse, weshalb im Juli bereits Gesellen aus der Arbeit getreten seien, erklärte dieser, daß er zurückliegende Ostern einen Schlaganfall erlitten habe und daher nicht mehr selbst arbeiten könne. Er insistierte jedoch darauf, daß alle seine Gesellen ihren ehrlichen Abschied genommen und ihn vor einem ehrlichen Meister gehalten. Da der Meister selbst den Vorwurf der Mägdearbeit in keiner Weise zu entschärfen suchte - was einem Eingeständnis gleichkommt - , darf die Gegendarstellung der Magd wohl als bewußte Argumentationsstrategie gelesen werden: Die Magd contradiciert, daß sie so arbeithe, wie Kläger vorgeben, außer daß sie vergulde, welches aber ein freyes Wesen seye. Dies rief wiederum den Widerspruch der Vorgeher heraus, die nun aus der Sicht des Handwerks erläuterten, wem welche Arbeiten zustanden: Kläger negieren, daß das Vergulden ein freyes Wesen seye, und dörfften wohl ihre Weiber und Töchter vergulden, aber nicht die Mägd; beharren darauf, daß die Magd mit Hammer und Zangen gearbeitet, und deßwegen die Gesellen aufgestanden; das Kratzen, abschleiffen, und andern dergleichen Behülffs-Arbeiten wären ihr, der Magd, nicht verwehrt. Wir stoßen hier nicht nur wieder auf die Abstufung der Arbeitsberechtigungen - die Hammer- und Zangenarbeit für die Gesellen, das Vergolden für die handwerksfähigen Frauen und 'geringere' Arbeiten für die Mägde - , sondern auch auf die zunftspezifische Bewertung dieser den Frauen zugestandenen Tätigkeiten als Behülffs-Arbeiten, die diese Arbeiten nicht an ihrer Notwendigkeit, sondern Uber einen selbstgeschaffenen Wertekanon bemißt. In der Entscheidung der Klage hielt sich das Handwerksgericht im wesentlichen an die Normen des Handwerks. Es trug dem Meister auf, für die Gürtlerarbeit einen Gesellen einzustellen, die dem Handtwerck ohnpraejudicierliche BeyhiÜff aber seiner Basen, zumahlen in absonderlicher Betrachtung deß Klugers miserablen Zustands ohnverwehrt sein solle." Wenn auch die Magd ihre weit in das Handwerk reichende Arbeit teilweise bestritt, spricht nicht nur der fehlende Widerspruch des Meisters dafür, daß sie die Arbeit tatsächlich verrichtete, sondern auch die Zeitspanne, die zwischen der Erkrankung des Meisters an Ostern und der Klage vor dem Handwerksgericht im November lag: Hätte die Magd wirklich nur vergoldet, ohne daß Neues produziert worden wäre, würde dies eine bis zu einem halben Jahr verzögerte Fertigstellung der Erzeugnisse bedeutet haben. Es bleibt die Frage, wie es kam, daß die Magd 58

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E. Mummenhoff, Frauenarbeit und Arbeitsvermittlung, S. 164. Vgl. hierzu auch R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 136. Zum Arbeitsbereich der Gürtler vgl. ebenfalls Reith, S. 52: sie produzierten "Schnallen, Messingknöpfe, Ringe, Reitzeug und Kutschengeschirr etc." sowie "Sonnenmonstranzen, Rauchfässer und andere Altargeräte aus Kupfer und Messing". StAA, KGH, 10.11.1723, pag. 443-445.

388 nach dem Abschied der Gesellen plötzlich in der Lage war, mit Hammer und Zangen am Schraubstock zu arbeiten, wenn sie dies vorher nie ausprobiert hatte. Waren ihr solche Arbeiten vielleicht doch schon früher anvertraut worden? Wie Reinhold Reith zeigt, arbeiteten die Gürtler mit sehr wenigen Gesellen. Die ebenfalls wenigen verfügbaren Zahlen sind überdeutlich: 1751 wurde insgesamt nur ein Geselle beschäftigt, 1806 waren es vier Gesellen.60 Stellen wir die Meisterzahlen gegenüber: 1701 arbeiteten neun Meister, 1720 nur sieben, danach stieg die Zahl zunächst bis 1755 auf elf Meister und sank dann auf fünf Meister 1781 und 1789, 1806 gab es wieder sechs Meister." Die große Anzahl von Alleinmeistem läßt auf eine umfangreiche Mitarbeit zumindest von Ehefrauen und Töchtern schließen, wovon auch Reith ausgeht, aber wohl auch auf umfassende Mägdearbeit.62 Daß das Handwerksgericht im vorliegenden Fall die Arbeit der Magd mit Ausnahme der Gürtlerarbeit zuließ und keine Übernahme des Vergoldens durch die Meisterfrau - die im gesamten Streitfall nicht erwähnt wurde verlangte, könnte darauf hinweisen, daß der Meister verwitwet war. Dies könnte dann auch bedeuten, daß Mägde unter Umständen die nur Meisterfrauen zustehenden Arbeiten übernehmen durften, wenn in einer Werkstatt keine handwerksfahigen Frauen vorhanden waren. Die Handwerkerakten erlauben jedoch in dieser Frage keine abschließende Antwort. Insgesamt läßt sich festhalten, daß das Spektrum der Umgangsweisen mit der Arbeit von Mägden in den Werkstätten recht weit war: Weder kann von einem durchgängigen Verbot dieser Arbeit noch von einer ebensolchen Zulässigkeit gesprochen werden. War sie zugelassen, bezog sich die erlaubte Arbeit lediglich auf bestimmte Bereiche - so bei den Goldschlagern und den Gürtlern - , war sie generell verboten, hieß dies nicht, daß sie nicht doch stattfand - wie etwa bei den Buchbindern. Konnten keinerlei Hinweise auf handwerksspezifische Tätigkeiten der Mägde gefunden werden, wie dies bei den Zinngießern, den Zimmerleuten, den Schneidern und auch den Badern der Fall war, muß dies nicht unbedingt bedeuten, daß es sie dort nicht in irgendeiner Form oder in bestimmten Situationen doch gab. Belegen läßt sie sich jedoch nicht.

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Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 52 und R. Bettger, Das Handwerk, S. 185. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 51. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 52. S. Lesemann, Arbeit, Ehre, Geschlechterbeziehungen, S. 49 stellt fur Hildesheim fest, daß dort 1751 die schwere Mägdearbeit im Gürtlerhandwerk verboten wurde, um die Einkommensmöglichkeiten der Gesellen nicht zu beschränken.

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II.4.3 Der Ausbildungsaspekt des Mägdedienstes Im Kapitel Uber die Möglichkeiten der schulischen Ausbildung für Mädchen habe ich zu zeigen versucht, daß das, was Mädchen lernten, in einem Spannungsfeld von Ausbildung zu "Berufszwecken1 und Erziehung bzw. Ausbildung zu "häuslichen' Zwecken stand. Wenn die Mädchen in 'weiblichen Arbeiten' unterrichtet wurden, konnte ihnen dies für ihre späteren Aufgabenfelder als Hausmütter nutzen, sie konnten die erworbenen Kenntnisse aber auch 'gewerblich' nutzen: in Gesindediensten oder in sonstigen Bereichen der Lohnarbeit.63 Die Kinder der Handwerker wuchsen schon in jungen Jahren in das elterliche Handwerk hinein, wobei nicht nur Söhne, sondern auch Töchter zu handwerklichen Tätigkeiten herangezogen wurden. Daß Frauen die erworbenen Fähigkeiten durchaus als 'erlernt' betrachteten, daß sie den Begriff des "Lernens' auch für sich anwandten, konnte ebenfalls gezeigt werden.64 Frauen, die in den Mägdedienst traten, seien es Meistertöchter oder Frauen anderer Herkunft, brachten wohl meist bereits mehr oder weniger spezifisches Wissen mit und mußten sich weitere Kenntnisse aneignen, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. "Eine Magd war eine billigere Arbeitskraft als ein Mann und flexibler in Hausarbeit und in der Werkstatt einsetzbar. Sie konnte dafür ausgebildet werden, dort einzuspringen, wo 'Not am Mann' war. Doch sie blieb immer eine Aushilfskraft. Am Ende ihrer Anstellung hatte sie keine allgemein anerkannte Einweihung in die Künste eines Handwerks erhalten, und ihre nächste Anstellung würde sie wahrscheinlich bei einem Meister aus einem ganz anderen Gewerbe finden."65 Mit dem Begriff der 'Ausbildung' umschreibt Lyndal Roper hier nicht das, was Mägde während ihrer Dienstzeit an berufsspezifischen Qualifikationen erwerben konnten, sondern sie konnotiert ihn negativ im Sinne der Ablichtung zu einer Funktion: der verfügbaren Arbeitskraft, die nicht selbst agiert, sondern wie eine Figur auf dem Schachbrett verschoben und eingesetzt wird. Nun hat zwar das vorausgehende Kapitel gezeigt, daß die Arbeitsmöglichkeiten von Mägden im Handwerk einerseits von den Zünften geschaffen oder auch begrenzt wurden, andererseits aber auch von den Interessen der Gesellen und Meister abhingen, insgesamt also von Männern geformt wurden. Dennoch möchte ich im folgenden fragen, inwieweit die Mägdearbeit im Handwerk Ausbildungsaspekte beinhaltete, die den Frauen langfristig nutzten, und ob in den Quellen nicht auch eigene Intentionen der Frauen sichtbar werden. Da in den hier untersuchten sieben Zunfthandwerken zwar eine ganze Reihe von deutlichen Hinweisen auf handwerksspezifische Mägdearbeit, aber wenige an konkrete Personen gebundene Fälle vorhanden sind, möchte ich im folgenden zu63 64 65

Vgl. oben Kap. Π.3.Ι. Vgl. oben Kap. II.3.3.1. L. Roper, Das fromme Haus, S. 44.

390 nächst auf die Akten der Küchlebäcker zurückgreifen, aus denen fur unsere Fragen überraschende Erkenntnisse zu gewinnen sind. Die Küchlebäcker, die zwar - wie schon dargestellt - ein freies Gewerbe bildeten, entwickelten dennoch im 18. Jahrhundert nahezu zunftähnliche Strukturen: Das Gewerbe wurde geschlossen und umfaßte nur noch zehn Gerechtigkeiten; diese Gerechtigkeiten durften nur mit Erlaubnis des Handwerksgerichtes verkauft oder cediert werden, und das Gewerbe durfte erst nach einer Verheiratung ausgeübt werden.66 Aufgrund dieser Vorgaben und weil die Personen, die sich auf dieses Gewerbe verheiraten wollten, ihre berufliche Herkunft und ihr Vermögen genauer nachweisen mußten, gewähren die Akten relativ gute Einblicke in die persönlichen Verhältnisse. Insgesamt baten elf Paare um die Heiratserlaubnis auf die Küchlebäckerei, einige auch um das Augsburger Bürgerrecht. Neun der elf Frauen, die auf die Küchlebäckerei heiraten wollten, standen im Mägdedienst. Von den beiden anderen Frauen, die keine Mägde waren, war eine eine Webertochter, die mit ihrem Gesuch abgewiesen wurde,67 die andere eine Bäckertochter.68 Von den neun Mägden dienten vier bei Küchlebäckern, zwei bei Bäckern, eine weitere zunächst neun Jahre bei ihrem Stiefvater, einem Kuttler, und dann wohl noch kurze Zeit bei einer Küchlebäckerin; nur von zwei Frauen wissen wir nicht, in welchem Gewerbe sie tätig waren. Was konnten die Frauen in ihrem Mägdedienst lernen? Auf das Gesuch des Mühlknechts Johann Schneider und der Dienstmagd Juliana Langin um die Gnade des hiesigen Burgerrechts auf das Küchleinbacken berichtete das Handwerksgericht dem Rat nicht nur, daß der Mann bereits zehn Jahre in Augsburg gearbeitet habe und die Frau sieben Jahre bei dem Küchlebäcker Mühlauer in Diensten gestanden sei, sondern auch, daß er mit dem Mehl wohl umzugehen weiß, sie aber das Küchlenbacken vollkommen verstehet, weshalb kein Zweifel sei, daß sich die beiden wohl fortbringen können.6' Wir wissen nicht, welcher Arbeit Juliana Langin vor ihrer Zeit bei dem Küchlebäcker nachgegangen war oder welchen Beruf ihr Vater ausübte, ihre sieben Dienstjahre hatte sie jedoch gleichsam als Ausbildungszeit genutzt und sich die für das Gewerbe notwendigen Kenntnisse vollkommen angeeignet. Dies gilt auch für Anna Maria Weyerin, die sich 1794 auf die Küchlebäckerei verheiraten wollte. Sie hatte - so der Bericht des Handwerksgerichtes - bey dem bürgerlichen Küchlenbacher Gering bezeugtermaßen 14. Jahre lang in Diensten gestanden, und [...] sich daselbst die zu dißem gewerbe nöthigen

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Vgl. StAA, HWA, Küchlebäcker, Fasz. 1, 7.12.1774 und 7.1.1775. Vgl. StAA, HWA, Küchlebäcker, Fasz. 1, 5.3.1803. Zum Zeitpunkt der Ablehnung war der Nahrungsstand der Küchlebäcker sehr schlecht, und man wollte keine weiteren Paare auf eine so unsichere Nahrung zulassen. Zudem war der Verlobte der Webertochter ein auswärtiger Schneidergeselle, der bereits der Pfuscherei überführt und aus der Stadt gewiesen worden war. Vgl. StAA, HWA, Küchlebäcker, Fasz. 1, 15.4.1795. StAA, HWA, Küchlebäcker, Fasz. 1, 19.2.1753.

391 Kenntniße und Fertigkeit erworben.1" Die Einwände, die die Küchlebäcker wegen der angeblich vorherrschenden schlechten Nahrung gegen die Übernahme einer Gerechtigkeit durch ein weiteres junges Paar erhoben, schwächte das Handwerksgericht mit der Begründung ab, daß die Juliana Henningerin überdieß schon bey einer Küchelbacherin in Diensten gestanden, und sich die zu dießem Gewerb erforderliche Kenntniße und Fehigkeiten erworben hat?x In diesem Fall hatte die Frau also eine Lehrmeisterin, wenn auch nicht im zunftmäßigen Sinne. Auch die Catharina Wolfin hatte einige zeit hero das Küchlenbachen wohl erlehntet,72 und im Fall der Halbaurin sah sich das Handwerksgericht zu einem positiven Gutachten bewogen, weil des Supplicierenden Halbaurs Eheweib 10. Jahr bey einem allhiesigen Kiechelbacher gedienet Ρ Wie wir sehen, hatten sich die Frauen in fünf von neun Fällen während ihres Mägdedienstes alle spezifischen Fähigkeiten angeeignet, die sie zur selbständigen Ausübung ihres Gewerbes benötigten. Und nicht nur sie selbst beziehungsweise ihre zukünftigen Ehepartner hoben dies hervor, das Handwerksgericht betonte diese Tatsache in jedem der Fälle ebenso. Deutlicher läßt sich der Ausbildungsaspekt, der dem Mägdedienst innewohnen konnte, nicht belegen. Zudem lassen die langen Dienstjahre, die die Mägde innerhalb 'ihres' Gewerbes leisteten, wohl auch darauf schließen, daß sie in Erwägung zogen, sich auf dieses Gewerbe zu verheiraten. Die Paare argumentierten nicht nur damit, daß die Frauen die Arbeit erlernt hätten, den Frauen war auch bewußt, daß die langjährigen Dienste ihre Chancen auf das Bürgerrecht und damit auch auf eine wirtschaftliche Selbständigkeit erhöhten.74 Ich meine, daß in diesen Fällen deutlich eine eigenständige und selbstgesteuerte Lebensplanung erkennbar wird. Dies gilt auch für den folgenden Fall: Die von auswärts stammende Barbara Lanzin trat nach ihrer Ankunft in Augsburg einen Mägdedienst bei Johann Knoll, einem Wachsbossierer, an und arbeitete dort 14 Jahre lang, wobei sie sich in dem wachspousiren gänzlichen qualificiret. Nachdem sie den Schlossergesellen Johann Endres kennengelernt hatte, beschlossen die beiden zu heiraten. Gemeinsam besaßen sie ein Vermögen von 400 Gulden, wollten nun einen eigenen Hausstand grUnden und zukünftig das von ihr 'erlernte' Gewerbe ausüben, weshalb sie um den obrigkeitlichen Heiratskonsens baten. Das Handwerksgericht begutachtete die Supplik positiv, weil es nur zwei weitere Wachsbossierer gab und weil die Lanzin billicher massen einer Obrigkeitlichen gnad würdig [...] und in dem wachspousieren gänzlichen qualificiret sei. Johann Endres mußte jedoch per Eid auf die weitere Ausübung seines Handwerks ver-

70 71 72 73 74

StAA, HWA, Küchlebäcker, Fasz. 1, 14.5.1794. StAA, HWA, Küchlebäcker, Fasz. 1,17.9.1789. StAA, HWA, Küchlebäcker, Fasz. 1,28.5.1756. StAA, HWA, Küchlebäcker, Fasz. 1, 28.5.1766. Zur Bürgerrechtsverleihung vgl. das folgende Kapitel Π.4.4.1.

392 ziehten.75 Es war also hier nicht nur der Mann, der sich in das Gewerbe seiner Frau schicken mußte, sondern die ehemalige Magd konnte ihre Ausbildung so weit nutzen, daß das Paar sowie zukünftige Kinder nach der Einschätzung des Handwerksgerichtes eine sichere Nahrung haben würden. Womöglich konnten sie sich schon bald eigenes Gesinde leisten und ihre Kenntnisse weitervermitteln. Nun läßt sich einwenden, daß diese Ausbildung der Mägde eng mit der Tatsache zusammenhängt, daß sowohl die Küchlebäcker als auch die Wachsbossierer ein freies Gewerbe bildeten, das trotz der zunftähnlichen Strukturen die Frauenarbeit in keiner Weise beschränkte. Dies ist unbestritten und wird wohl auch dadurch bestätigt, daß in den Fällen, bei denen die Frauen als Mägde von Bäckern gearbeitet hatten, zwar die langen und treuen Dienste Erwähnung fanden, jedoch keine besondere Qualifizierung der Frauen durch die Nähe zum Bäckerhandwerk thematisiert wurde.76 Auch im Fall der Bäckermeistertochter, die ja als zunftfähige Frau von der Mitarbeit im Handwerk nicht ausgeschlossen war, findet sich keine Bemerkung, die darauf schließen ließe, daß man sie für besonders geeignet gehalten hätte.77 Es gibt aber auch für Zunfthandwerke eindeutige Belege dafür, daß Mägde handwerksspezifische Fähigkeiten erwerben konnten, die ihnen langfristig Nutzen brachten. Einer dieser Belege findet sich für das Weberhandwerk im Kontext einer im Januar 1798 verfaßten Anfrage der Deputierten ob dem Weberhaus beim Rat, ob die neu in das Bürgerrecht aufgenommenen ledigen Frauen den in das Bürgerrecht geborenen Frauen völlig gleichzustellen seien. Der Hintergrund dieser Anfrage war, daß auch in diesem Handwerk die Anzahl der Ersitzjahre, die Gesellen zu leisten hatten, davon abhing, ob sie eine Meistertochter, eine Bürgertochter oder eine fremde Frauen heirateten, und daß vor ihrer Zulassung zum Meisterrecht zu prüfen war, ob sie ihre diesbezüglichen Auflagen erfüllt hatten. Dafür war es erforderlich, eindeutig zu klären, welchen Status die Bräute hatten. Die Deputierten erwähnten die Beweggründe für die Verleihung des Bürgerrechts an ortsfremde Frauen: meistens entweder die viele hier geleistete dienstjahre dieser Supplikantinin, oder ein denenselben von hiesigen Bürgern zugefallenes Erbgut oder auch mehrmalen die Empfehlungen der Webermeisteren, weil diese Person75 76

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StAA, HWA, Conditoren, Fasz. 3, 10.5.1779. So in StAA, HWA, Küchlebäcker, Fasz. 1, 16.9. und 12.11.1785: Anna Margaretha Saurin diente 12 Jahre lang bei Bäckermeister Michael Härtlin und erhielt den Heiratskonsens aufgrund ihrer langjährigen treuen Dienste und weil sie und ihr Bräutigam ein ausreichendes Vermögen besaßen und sich durch Sparsamkeit ausgezeichnet hatten. Fasz. 1, 29.12.1781, 8.2. und 9.2.1782: Bei Victoria Böckin nahm man ihre 15 Jahre währenden Dienste zur Kenntnis, gewährte ihr das Bürgerrecht unter Nachlaß der Hälfte der Gebühr und erteilte den Konsens, da sie und ihr Verlobter eine reguläre Gerechtigkeit übernehmen konnten. Vgl. StAA, HWA, Küchlebäcker, Fasz. 1, 15.4., 8.6., 9.6., 24.6. und 25.6.1795: Das erste Gesuch ihres Bräutigams war abgewiesen worden, da die Lage der Küchlebäcker besonders schlecht war; die Zustimmung zum zweiten Gesuch wurde damit begründet, daß eine Bürgertochter Versorgung fände, nicht aber damit, daß sie durch handwerksspezifische Kenntnisse gegenüber anderen Vorteile hätte.

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nen vorzügliche Kenntnisse in dem Handwerk besitzen. An anderer Stelle heißt es, daß die geborenen Bürgertöchter durch eine Gleichstellung an sich benachteiligt würden, weil die Stuckmeister auf Burgerskirtder wenn sie das Handwerk verstünden immer eine vortheilhafte Verheurathung vor sich haben, indem jene nicht ohne besondere Meriten zu dem hiesigen Burgerrecht gelanget wären.™ Der Rat beantwortete die Anfrage mit einem Dekret, mit dem er verordnete, daß zwischen den Frauen kein Unterschied zu machen seye ™ Wie waren diese Frauen in das Handwerk eingebunden? Seit dem 16. Jahrhundert gab es bei den Webern immer wieder Konflikte wegen Frauen, die als Spinnerinnen, Spulerinnen und Wollstreicherinnen arbeiteten, dies aber nicht in Mägdediensten taten, sondern im Ledigenstand einen 'eigenen Rauch', also einen eigenen Haushalt, führen wollten. Obwohl dies mehrfach verboten wurde, traten nicht alle betroffenen Frauen in eine Stellung als Magd, da sie mit der eigenständigen Arbeit mehr verdienen konnten. Die Weber, die über Mägdemangel klagten, äußerten, daß diese Frauen während der Woche mit jungen Gesellen frei ungescheucht hin und wider spazieren und ihre Mägde aufstacheln würden, ebenfalls frei zu arbeiten.™ Trotz dieser Klagen beschäftigten die Weber auch viele Mägde, die sie selbst fur die Tätigkeiten, die ihnen im Handwerk erlaubt waren, ausbildeten. Manchmal ging die Ausbildung offensichtlich über die gesetzten Grenzen hinaus, denn obwohl den Mägden seit 1610 die Arbeit am Webstuhl verboten war, kam sie - wie die Strafen für Meister zeigen - dennoch vor." Man kann davon ausgehen, daß Webermeister nur solche Frauen zur Aufnahme in das Bürgerrecht vorschlugen, die im Sinne der Zunft rechtmäßig bei einem Meister in Diensten standen. Daß man diesen Frauen bestätigte, vorzügliche Kenntnisse in dem Handwerk [zu] besitzen, weist wiederum sehr deutlich auf den Ausbildungsaspekt des Mägdedienstes hin. Wenn auch diese 'Ausbildung' keineswegs das gesamte Handwerkswissen vermittelte, bedeutete sie für die Frauen doch, daß sie für das Weberhandwerk unverzichtbare Arbeitsprozesse erlernten, 78

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StAA, HWA, Weber, Fasz. 91 (Varia 1796-1804), 12.1.1798. Für den Hinweis auf diese wichtige Quelle danke ich Anke Sczesny. StAA, HWA, Weber, Fasz. 91,16.1.1798. Zitiert nach C.-P. Clasen, Die Augsburger Weber, S. 133-134. Vgl. hierzu auch M. Wiesner, Working Women, S. 176-177. Die Weigerung, sich in einen Herrschaftshaushalt einzufügen, provozierte nicht nur obrigkeitliche Verbote dieser Lebensform, sondern setzte die Betroffenen auch kritischen Predigten aus. So zitiert beispielsweise R. Dürr, Herrschaft und Ordnung, S. 340 den Esslinger Superintendenten Tobias Wagner, den Verfasser des 'Siebenfältigen Ehehalten-TeuffeP (vgl. hierzu unten Kap. Π.4.4.2), der diesen Personenkreis Mitte des 17. Jahrhunderts als '"herrenlose Eigenbrötler1 oder 'Eigenbrötlerinnen' beschimpfte". U. Rublack, Magd, Metz' oder Mörderin, S. 222 stellt dar, daß Eigenbrötlerinnen erstmals 1642 in einem Württemberger Reskript gegen Tieischesverbrechen' als besondere Verdachtsgruppe erwähnt wurden. Vgl. C.-P. Clasen, Die Augsburger Weber, S. 133-134. So wurden allein 1618 15 Meister bestraft, weil sie ihre Mägde am Webstuhl arbeiten ließen. Für unseren Untersuchungszeitraum liegen solche Angaben nicht vor. C.-P. Clasen, Streiks, thematisiert die Mägdearbeit nicht.

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relativ kontinuierliche Beschäftigungsmöglichkeiten hatten und - über die Erlangung des Bürgerrechts wegen ihrer Fähigkeiten und ihrer langjährigen Dienste dafür prädestiniert waren, in das Weberhandwerk zu heiraten oder aber im Ehestand weiterhin für Webermeister zu arbeiten. Auch wenn die Mägde der Weber möglicherweise zwischen der Arbeit im Haushalt und der Arbeit für das Handwerk pendeln mußten, erlernten sie die handwerksspezifische Arbeit und konnten - wie ich sicher nicht zu Unrecht meine - aus dieser Arbeit ebenso Selbstbewußtsein schöpfen wie die Gesellen aus ihrer Webarbeit. Von der Qualität ihrer gesponnenen Fäden hing schließlich auch die Qualität der gewobenen Stoffe ab ein schlechter, unregelmäßiger Faden ergab kein feines Tuch.82 Im Kontext 'meiner1 Handwerke verweist wohl am deutlichsten der Fall der Lucia Freyin, die 26 Jahre lang als Einlegerin im Dienst der Goldschlagerwitwe Gimmerlin stand, auf die dem Mägdedienst immanenten Ausbildungschancen hin. Als sie nach all den Jahren einen Gesellen der Witwe heiraten und deren Werkstatt übernehmen konnte, wodurch sie zur Meisterschaft aufstieg, hatte sie mindestens so umfangreiche Erfahrungen mit der Werkstattarbeit wie mit den im Haushalt anfallenden Arbeiten. Da sie nicht nur die Magd im Haus, sondern auch eine Base der entweder gänzlich, zumindest aber zum Zeitpunkt der Übergabe kinderlosen Witwe war, wird sie bewußt an ihre zukünftige Meisterinnenrolle herangeführt, ja für diese 'ausgebildet' worden sein, eine Rolle, die eben auch umfangreiche Arbeiten im Handwerk enthielt.83 Nicht alle Frauen erreichten ihr Ziel so geradlinig wie Lucia Freyin, die gleichwohl sehr lange auf die Selbständigkeit hatte warten müssen. An einem letzten Fallbeispiel möchte ich zeigen, daß Mägde auch bei wechselnden Dienstplätzen relativ kontinuierlichen Tätigkeiten nachgehen konnten. Als der Bäckergeselle Anton Miller für sich und seine Braut Anastasia Schmidin um das Bürgerrecht bat und Meister werden wollte, legte er als Nachweis ihrer über elfjährigen Mägdedienste insgesamt fünf Zeugnisse vor. Aus diesen Zeugnissen geht nun nicht nur hervor, daß sie eine Wirtstochter war, sondern auch, daß sie ihre Arbeitsplätze wohl relativ gezielt ausgesucht hatte. Nur aus einem der Zeugnisse kann nicht abgelesen werden, welchem Gewerbe der Dienst82

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Die Streitigkeiten zwischen den Webern und den Kattunfabrikanten um die Einfuhr der ostindischen Cottone, die - so die Kattunfabrikanten - von feinerer Qualität waren als die Augsburger Produkte, beruhten wohl erst in zweiter Linie auf der Qualität der Stoffe. Vgl. hierzu C.-P. Clasen, Streiks, S. 172-177 sowie P. Dirr, Augsburger Textilindustrie, S. 46-51. Wenn die Handwerksforschung zukünftig auch die intensive Ressourcennutzung, die weitestgehende Verarbeitung der meist knappen und häufig teuren Rohstoffe in der "handwerklichen Ökonomie [...] in der es kaum 'Abfälle' gab" in den Blick nimmt und "damit auch die ökologische Dimension der handwerklichen Produktion" einbezieht (R. Reith, Praxis der Arbeit, S. 26), so könnte auch dies zu einer Aufwertung der Arbeitsprozesse in der Rohstoffgewinnung und -bearbeitung fuhren (hinsichtlich der damit verbundenen Arbeitsräume, Arbeitsplätze und Arbeitskräfte vgl. ebd., S. 27-31) und m. E. damit auch der in diesem Bereich häufig vorkommenden Frauenarbeit. Vgl. hierzu oben Kap. II.4.2.

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herr nachging, da der Name nicht deutlich lesbar und das Gewerbe nicht angegeben ist. Zweieinviertel Jahre diente sie bei Johannes Widemman sogenanten Bälden wirdt; weitere zweieinhalb Jahre bei Franz Xaver Miller, ebenfalls Wirt; zwei Jahre bei Nicolauß Huppenthall Tracteur. et. Caffetier und schließlich zwei Jahre bei Bäckermeister Mathias Schweighart. In welcher Reihenfolge Anastasia Schmidin die Dienste absolvierte, läßt sich aus den Quellen nicht erschließen; was sichtbar wird, ist jedoch die Tatsache, daß sie im Umfeld des väterlichen Gewerbes blieb - die Wirte und der Cafetier - und in einer Bäckerei diente, in dem Handwerk also, in dem sie durch ihre Eheschließung zur Meisterschaft gelangte.*4 Obwohl in einer Bäckerei andere Arbeiten anfielen als in einer Wirtschaft, werden ihr doch viele der in ihren Diensten erworbenen Fähigkeiten geholfen haben, ihre Aufgaben als Bäckerfrau zu erfüllen. Wenngleich ich mich in diesem Kapitel bewußt auf die Ausbildungsaspekte, die der Mägdearbeit im Handwerk im engeren Sinn immanent waren, konzentriert habe, meine ich, daß der Gesindedienst der Mägde nur dann mit der Lehre der Jungen verglichen werden kann, wenn man ihren gesamten Arbeitsbereich in den Blick nimmt. Daß es aber den Mägden zumindest in manchen Handwerken und Gewerben möglich war, neben der Arbeit im Haushalt handwerksspezifische Arbeiten zu 'erlernen' und auszuüben, belegt, daß sie in unterschiedlichen Bereichen Erfahrungswissen sammeln konnten'3 und - wie die Quellen zeigen - dies auch ganz gezielt taten. Da Frauen aufgrund der Zunftbestimmungen von einer Lehre und der Gesellentätigkeit in einem Handwerk ausgeschlossen waren, blieben ihre beruflichen Möglichkeiten eingeschränkt: sie konnten den Mägdedienst wählen und langfristig den "Beruf der Hausmutter - die vielfältigen Tätigkeitsfelder der Hausmütter scheinen mir diese Bezeichnung zu erlauben - anstreben, was im Bereich des Handwerks bedeutete, über eine Heirat Meisterin zu werden. Insofern würde ich Rolf Engeisings Darstellung, daß der häusliche Dienst "noch im 18. Jahrhundert sowohl für Männer wie für Frauen [...] als Ersatz für eine förmliche und geregelte Ausbildung betrachtet" wurde, dahingehend variieren wollen, daß der Mägdedienst der Frauen nicht so sehr als Ersatz der Ausbildung gesehen wurde, sondern vielmehr eine von den Diensthaushalten zumindest unter dem Aspekt des jeweils eigenen Nutzens intendierte und von den dienenden Frauen mehr oder weniger zielstrebig genutzte Form der Ausbildung war.86 Zwar erkennt Engelsing durchaus an, daß die häuslichen Dienstboten angelernt und geschult wurden, hält dies aber nicht für weitgehend genug, um es "als förmliche Ausbildung" gelten zu lassen.87 Dem ist nicht zu widersprechen, gleichwohl meine ich, daß der GesindeM 85

86 87

StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 23, 12.5.1796. R. Dürr, Von der Ausbildung zur Bildung, S. 197 sieht ebenfalls "in der bewußte[n] Hinfuhrung zu später benötigten Fähigkeiten und Tugenden" einen Ausbildungsaspekt: "In diesem Sinne können die Gesindedienste der Mädchen die Funktion einer 'Ausbildung1 in etwa vergleichbar mit der Lehre der jungen Knaben, übernommen haben." R. Engelsing, Der Arbeitsmarkt der Dienstboten, S. 183. R. Engelsing, Der Arbeitsmarkt der Dienstboten, S. 183.

396 dienst zumindest eine 'informelle' Ausbildung oder Ausbildungsaspekte erkennen läßt: Für die umfangreichen Arbeiten in Handwerk und Haushalt, die einer Meisterin verantwortlich oblagen, konnte der Mägdedienst als Lern- und Übungsfeld dienen, auf dem sie ihren Meisterinnen Arbeitsweisen und Rollenverhalten 'abschauen' konnten. Die in seinem Rahmen enthaltenen Möglichkeiten, sich langfristig verwertbare 'Berufs'-Kenntnisse anzueignen, sollten nicht negiert werden, auch wenn sie nicht unseren Vorstellungen einer selbstbestimmten Berufswahl und -ausbildung entsprechen.

II.4.4 Das Ansehen der Mägde im Spiegel ihrer Dienstjahre II.4.4.1 "langjährig allhier geleistete Dienste" und das Bürgerrecht als 'Lohn'? Wie bereits sichtbar wurde, durften Mägde in wenigen der hier untersuchten sieben Handwerke offiziell handwerksspezifische Arbeiten ausführen. Je weniger Tätigkeiten ihnen in einem Handwerk erlaubt waren, desto notwendiger konnte ihre Arbeit im Haushalt oder im Rahmen der Kinderbetreuung werden, da ein solcher Einsatz die Meisterinnen entlastete und diese dann als handwerksfähige Personen vermehrt Werkstattarbeiten übernehmen konnten. Die Handwerkerakten gewähren in die häuslichen Arbeitsbereiche des weiblichen Gesindes keinen Einblick. Die Mägde erscheinen in diesen Akten im bereits dargestellten Kontext: in den Ordnungen oder in Verhandlungen über Ordnungsänderungen, die ihre Beschäftigung im Handwerk betrafen, sowie in verschiedenen Konfliktfallen, die sich auf ihre Tätigkeit im Handwerk bezogen. Unter diesen Gesichtspunkten wurden sie im vorausgehenden thematisiert. Wenn ich im folgenden danach frage, wie viele Jahre Frauen dem Mägdedienst nachgingen, ob und wie sich langjährige Dienste auf den rechtlichen Status, den sie in der Stadt innehatten, auswirkten und welches Ansehen sie aufgrund ihrer Arbeit genossen, muß ich dafür - wie auch für die später zu stellenden Fragen nach ihrer Partnerwahl und ihrem Vermögensstand - auf die Suppliken zurückgreifen, mit denen sie oder - wie meist - ihre Bräutigame um den Heiratskonsens und die Zulassung zum Meisterrecht baten. Damit erscheinen die Mägde als in ein Handwerk heiratende Frauen - die Quelle findet sich entsprechend in den Akten des Handwerks, dem der Mann angehörte. Dies impliziert einerseits, daß die in Erscheinung tretenden Mägde nicht unbedingt in dem Handwerk, in dem sie nun greifbar werden, auch gedient hatten, und andererseits, daß sich hier fast ausschließlich Mägde erfassen lassen, die in ein Handwerk heirateten. In vielen Fäl-

397 len läßt sich nicht feststellen, in welchen Sparten die Frauen gedient hatten, da häufig nur von ihren Diensten in "bürgerlichen Häusern' oder auch in 'ansehnlichen Häusern' - wohl meist Patrizierhaushalten - die Rede ist. Dies scheint jedoch weniger eine Frage des herangezogenen Quellentyps zu sein als vielmehr Ausdruck der zeitgenössischen Sicht, nach der insbesondere der langjährige Dienst in ein und demselben Haus als besonders lobenswert galt und entsprechend mit genaueren Angaben hervorgehoben wurde. Auf der Basis von 50 in den Handwerkerakten enthaltenen Fällen, bei denen sich Mägde mit Gesellen der hier untersuchten Handwerke verehelichen wollten, soll zunächst die Dauer des Mägdedienstes dieser Frauen eruiert werden. Die Fälle verteilen sich auf die Zimmerleute (23), die Bäcker (9), die Goldschlager (4), die Buchbinder (1) sowie die Schneider (13). Bei den Zinngießern und Badern dagegen findet sich kein Hinweis darauf, daß ein angehender Meister sich mit einer ehemaligen Magd seines oder eines anderen Gewerbes verheiratet hätte." Zu den SO angestrebten Eheschließungen zählen auch die der acht Meistertöchter der Schneider, die sich im Anschluß an ihren Mägdedienst mit Schneidergesellen verheirateten und die Meisterschaft erreichten.*9 In den übrigen 42 Fällen stammten die Frauen größtenteils von außerhalb der Reichsstadt (33), in einigen Fällen handelte es sich aber auch um Bürgertöchter (9), von denen sich nur eine als Tochter eines Schlossermeisters identifizieren läßt. Unter den restlichen acht BUrgertöchtem war eine Pelzhändlerstochter, die anderen Frauen lassen sich aufgrund fehlender Angaben keiner Herkunftsfamilie und damit keinen Berufsgruppen zuordnen. Deshalb wird im folgenden darauf verzichtet, die Meistertöchter von den übrigen Bürgertöchtern getrennt darzustellen. In den Suppliken, in denen die Gesellen ihre und die Verhältnisse ihrer Bräute darlegten, wurde der Mägdedienst der Frauen zwar hervorgehoben, aber - wie schon angesprochen - selten deutlich gemacht, bei wem sie im einzelnen gearbeitet hatten, zudem fehlen oft konkrete Angaben zu den Dienstjahren. So führte beispielsweise der Goldschlagergeselle Lorenz Lorbe in seiner Bitte um das Bürgerrecht an, daß seine Frau - die beiden waren bereits verheiratet - bey der allhiesigen Burgerschaft ihre unverheurathete Jahre mit getreu und fleißigem Dienst zurückgelegt habe.90 Dagegen erwähnte der Bäckergeselle Joachim Mayr immerhin, daß er selbst seit 15 Jahren im Handwerk arbeite und seine Braut, Waldburga Jasnerin, gleichfalls allhier 18: jähre in zerschiedenen allhiesigen Burgers Häuseren 88

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Interessanterweise sind das auch die beiden Handwerke, in denen Mägde so gut wie nicht thematisiert wurden: Während sich bei den Zinngießern wenigstens in einer Quelle ein kleiner Hinweis auf eine Magd im Haus findet, deutet bei den Badern nichts auf deren Mitarbeit hin, wenngleich nicht zu vermuten ist, daß Uberhaupt keine Mägde beschäftigt worden wären. Vgl. oben Kap. Π.3.4.1. Titz-Matuszak, "Starcke Weibes-Personen", S. 215-216 fand in den Goslarer Quellen des 18. Jahrhunderts zwar eine Reihe von Meistertöchtern, die sich nach einem Mägdedienst in ein Handwerk verheirateten, keine von diesen heiratete aber in das Handwerk, aus dem sie stammte. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, 9.11.1778.

398 gediennet habe." Für 36 der insgesamt 50 Mägde - 13 Bürgertöchter und 23 ortsfremde Frauen - wurden die Dienstjahre genau angegeben: gemeinsam absolvierten sie 498 Jahre, das heißt, daß sich die Mägde vor ihrer Heirat durchschnittlich 13,8 Jahre verdingt hatten.92 Dieser Durchschnittswert scheint sich auf den ersten Blick mit den Ergebnissen Michael Mitterauers zu decken, wonach im mitteleuropäischen Raum "der weitaus größte Teil des Gesindes der Altersgruppe der 15- bis 29jährigen angehörte".93 Wenngleich ich nur auf sehr wenige Altersangaben zurückgreifen kann, weist jedoch schon das weite Spektrum der tatsächlichen Dienstzeiten der Augsburger Mägde über die von Mitterauer bezeichnete Lebensphase der Frauen hinaus: So dienten 12 Mägde (33,3 %) zwischen 6 und 10 Jahre, 10 Mägde (27,8 %) zwischen 11 und 15 Jahre, ebenfalls 10 Mägde (27,8 %) zwischen 16 und 20 Jahre, 2 Mägde (5,6 %) zwischen 21 und 25 Jahre sowie weitere 2 Mägde (5,6 %) zwischen 26 und 30 Jahre. Diese Zahlen zeigen, daß 39 % der hier nachweisbaren Mägde länger als 15 Jahre und immerhin noch 11,2 % über 20 Jahre im Gesindedienst verbrachten.*4 Aus den wenigen Fällen, aus denen sich das Alter der Frauen beim Dienstantritt erschließen läßt - dieses Alter wird in keinem der Fälle konkret genannt - , ergibt sich, daß die meisten Frauen mit etwa 15 Jahren in den Dienst traten: So beschrieb beispielsweise das Handwerksgericht in seinem Bericht auf die Supplik des Johannes Heiber, mit der dieser um die Zulassung zum Meisterrecht der Schneider und um eine Heiratserlaubnis mit Catharina Ettlin gebeten hatte, die Ettlin als eine etlich 30. Jährig dann 15. Jahr lang bey allhiesiger Burgerschaft in 91 92

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StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 18, 21.1.1755. Von diesen 50 Mägden erhielten insgesamt drei keinen Heiratskonsens. Nur für zwei von ihnen wissen wir die genauen Dienstjahre, die auch in die folgende Berechnung aufgenommen werden, da sie als geleistete Jahre Bestand haben. Da beide Frauen zum Zeitpunkt ihrer Abweisung schwanger waren, endete ihr Gesindedienst vermutlich. Was aus den Frauen wurde, war nicht zu eruieren. Vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8, 25.10.1781 sowie ebd., 24.5.1773. Ein Abzug der Dienstjahre dieser beiden Frauen würde sich bei der Ermittlung der durchschnittlichen Dienstzeit der Mägde bis zu deren Eheschließung nicht auswirken: danach hätten 34 Frauen 468 Jahre gedient, was wiederum einen gerundeten Mittelwert von 13,8 Jahren ergibt. Im dritten Fall erfolgte die Abweisung, weil das Paar nur ein sehr geringes Vermögen besaß und der Geselle noch nicht lange genug in Augsburg gearbeitet hatte. Möglicherweise wurde ihnen der Heiratskonsens einige Jahre später erteilt. Vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8, 25.2.1802. M. Mitterauer, Gesindedienst und Jugendphase, S. 183-184. Die Datenbasis Mitterauers bezieht sich auf "verschiedene mitteleuropäische Städte, einige österreichische Kleinstädte und Marktorte sowie ländliche Pfarrgemeinden aus dem österreichischen Raum" (S. 181). Eine noch deutlichere Abweichung von Mitterauers Daten zeigen die Ergebnisse von Renate Dürr, die unter dem Gesichtspunkt des Heiratsalters ehemaliger Mägde in Schwäbisch Hall feststellte, daß dort fast zwei Drittel der Mägde erst mit 35 Jahren verheiratet waren: "Erst in diesem Alter hatten also die meisten Ehehalten ihren Dienst beendet." R. Dürr, Mägde in der Stadt, S. 174. Von den Haller Mägden arbeiteten über 70 % länger als 11 Jahre und 18,5 % über 20 Jahre. Ebd., S. 162-163.

399 diensten gestandene Weibs-Person; dies heißt, daß diese in einem Alter von über 15 Jahren ihren Dienst angetreten hatte.93 Auch Anna Veronika Spießmayrin, eine verwaiste Schneidertochter, gab in ihrer Supplik an, schon etlich 30ig Jahre zu sein und 17 Jahre in Mägdediensten zu stehen, so daß auch sie bei ihrem Dienstantritt etwa 15 Jahre alt gewesen sein muß.96 Während sich zwar ein Beleg dafür findet, daß Frauen ihre Jugendphase längst überschritten haben konnten, wenn sie in den Gesindedienst traten - so eine Schneidertochter, die sich erst mit 26 Jahren als Magd verdingte und dann bis zu ihrer Verheiratung 12 Jahre lang diente97 - , fehlen im Rahmen meiner Quellenfunde aber Beispiele, die daraufhinweisen würden, daß ein Alter von 15 Jahren erheblich unterschritten worden wäre.9* Statt dessen scheint man ein gewisses Mindestalter abgewartet zu haben, bevor Mädchen in fremde Dienste gegeben wurden. In diesem Sinne baten beispielsweise die Pfleger der drei verwaisten Goldschlagertöchter Buschele, die älteste auf das väterliche Handwerk verheiraten zu dürfen, besonders weil dadurch der klainisten Buschelischen Tochter, so noch nicht im standt zu dienen ist, in waß könnte geholfen werden.99 Die Waisenhausordnung von 1780 nennt Kriterien, die beim Dienstantritt der Kinder erfüllt sein sollten: Zu Diensten werden solche WaisenMägdlen angestellet, die nicht nur bereits comuniciert haben, und im Christenthum hinlänglich unterrichtet, sondern auch gesund, rein, und nicht mehr bleichsichtig, auch von solchen Sitten, Fähigkeit und Gemuths-Gaben sind, daß man zum voraus versichert seyn kann, daß sie ihrer künftigen Herrschaft ihr Stück Brod ehrlich und gewissenhaft abverdienen können}00 Zwar fand die erste Kommunion in der Regel bereits zwischen dem zwölften und dem fünfzehnten Lebensjahr statt, die Ordnung forderte aber eben auch, daß die körperliche Verfassung den Dienst zulassen und eine gewisse Reife vorhanden sein sollte.10' Da sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen können mußten - auch dies spricht die Waisenhausordnung an können wir wohl davon ausgehen, daß zumindest Mädchen unter zwölf Jahren kaum in den Mägdedienst genommen wurden. Kehren wir zur Frage der Dauer des Mägdedienstes zurück: Während sich, wie gezeigt wurde, im Gesamtdurchschnitt der Gesindejahre aller Mägde eine Dienstzeit von 13,8 Jahren errechnete, ergibt sich ein deutlicher Abstand, wenn wir die Mägdezeit der Bürgertöchter und der ortsfremden Frauen getrennt berechnen: Die 95

StAA, HWA, Schneider, Fasz. 14, 23.8.1755. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 18, 9.9.1790. 97 Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 14, 16.12.1756. 98 Dagegen weist R. Dürr, Mägde in der Stadt, S. 174 nach, daß sich von den Schwäbisch Haller Mägden weit über die Hälfte "früher als fünfzehnjährig" verdingt hatten. M. Mitterauer, Gesindedienst und Jugendphase, S. 184 fand für sein Untersuchungsgebiet, daß der Anteil der unter fünfzehnjährigen am Gesinde "[w]eitaus geringer" war als der der Uber dreißigjährigen. 99 StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 3, 26.5.1739. 100 Waisenhausordnung von 1780, Art. XVI, § 1, zitiert nach Th. M. Safley, Charity and Economy, S. 239, Anm. 45. "" Vgl. hierzu auch Th. M. Safley, Charity and Economy, S. 215. 96

400 Bürgertöchter dienten nämlich im Durchschnitt 15,8 Jahre, die Mägde, die von außerhalb Augsburgs kamen, dagegen nur 12,7 Jahre.102 Da diese Divergenz mit dem unterschiedlichen Heiratsverhalten der beiden Frauengruppen zu erklären ist,103 möchte ich sie hier vorerst vernachlässigen und zunächst danach fragen, inwiefern langjährige Dienste ortsfremder Mägde eine Aufnahme in das Bürgerrecht, wie sie im vorausgehenden Kapitel bereits kurz thematisiert wurde, befördern konnten. Welche Bedeutung besaß das Bürgerrecht überhaupt für diese Frauen? Der Besitz oder die Verleihung des Bürgerrechts oder zumindest die Aufnahme in den Beisitz stellten die wichtigste Voraussetzung dafür dar, daß sich jemand in Augsburg verheiraten und niederlassen durfte. Sehr prägnant formulierte Paul von Stetten in seiner "Beschreibung der Reichsstadt Augsburg" die mit dem Bürgerrecht verbundenen Rechte und Pflichten: Nur Bürger sind fähig, zu Ehrenstellen, zu bürgerlicher Nahrung und Gewerben, auch zu Handwerken und Professionen, oder zum Besitze bürgerlicher liegender Güter zu gelangen, hingegen sind sie auch zu Steuer und Anlage, Wachtgeld und andern bürgerlichen Abgaben verbunden.104 Die selbständige Ausübung eines Handwerkes wie auch der Erwerb eines Hauses waren also an den Besitz des Bürgerrechts gekoppelt. Dieses Bürgerrecht konnte man kaufen, erheiraten, ererben oder unter besonderen Umständen unentgeltlich erhalten.105 Eine für weniger vermögende Personen besondere Hürde bei der Aufnahme in das Bürgerrecht stellten neben dem seit 1730 geforderten Barvermögen in Höhe von 200 Gulden auch die eigentlichen Bürgerrechtsgebühren dar: Bis 1766 betrugen diese Gebühren 25 Gulden pro Person, danach 50 Gulden und ab 1797 sogar 100 Gulden. Für Kinder galten zwar niedrigere, aber nicht gerade unbedeutende Sätze, und ab dem 20. Lebensjahr war grundsätzlich die volle Gebühr zu entrichten.106 Die Bewerber mußten nicht nur ihre Abstammung, ihren gesamten Besitz und ihr Gewerbe amtlich dokumentieren können, sondern auch geloben, innerhalb der nächsten zehn Jahre dem Almosenamt nicht zur Last zu fallen. Diese Auflage 102

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Zwischen 6 und 10 Jahre dienten 2 Bürgertöchter und 9 ortsfremde Frauen, zwischen 11 und 15 Jahre je 5 Bürgertöchter und 5 auswärtige Frauen, zwischen 16 und 20 Jahre 4 Bürgertöchter und 6 fremde, zwischen 21 und 25 ebenso wie zwischen 26 und 30 Jahre jeweils 1 Bürgertochter und 1 fremde Frau. Siehe unten Kap. II.4.5.1. P. von Stetten, Beschreibung der Reichsstadt Augsburg, S. 33. Vgl. P. von Stetten, Beschreibung der Reichsstadt Augsburg, S. 33-34. Vgl. hierzu auch I. Bätori, Die Reichsstadt Augsburg, S. 15 sowie P. Fassl, Konfession, Wirtschaft und Politik, S. 52. Die Sätze für Kinder beliefen sich bis 1766 auf 5 fl. unter 10 Jahren, 10 fl. unter 15 Jahren und 15 fl. unter 20 Jahren; 1766 wurden sie auf 10, 20 und 30 fl. erhöht und 1797 noch einmal verdoppelt. Die ja nicht unerheblichen Gebühren für das Bürgerrecht lagen, so Fassl, trotz der Erhöhungen noch um 1800 "bei weitem" unter den Sätzen von Reichsstädten wie Ulm, Frankfurt, Nürnberg, Aachen. Vgl. P. Fassl, Konfession, Wirtschaft und Politik, S. 52, daneben auch I. Bätori, Die Reichsstadt Augsburg, S. 16.

401 verweist aber nicht nur auf den Aspekt der zehnjährigen Ausgrenzung, sondern zugleich auf den nach dieser Zeit mit dem Bürgerrecht verbundenen Anspruch auf die öffentliche Unterstützung im Falle der Verarmung. Mit dem Bürgerrecht war aber auch ein Anrecht auf die städtische Altersversorgung in den Stiftungen verknüpft, was seinen besonderen Nutzen gerade für Mägde, die sich nicht verheiraten konnten und zeitlebens im Gesindestand blieben, ausmachte.'07 Eine andere Möglichkeit, in der Stadt ein Aufenthalts- und Arbeitsrecht zu erhalten, war durch den sogenannten 'Beisitz' gegeben. Diesen beschreibt Peter Fassl als eine "Art minderes Bürgerrecht". Der Beisitz konnte weder ererbt noch erheiratet werden und wurde an sich nur für jeweils zwei Jahre vergeben, in der Praxis aber großzügiger gehandhabt. Da Beisitzer nicht berechtigt waren, ein Handwerk oder ein sonstiges Gewerbe auszuüben, handelte es sich bei diesen um unselbständige Lohnarbeiter. Sofern sie einen gesicherten Verdienst nachweisen konnten, durften sich Beisitzer auch verheiraten. Die Aufnahmegebühren in den Beisitz beliefen sich seit 1766 auf 10 Gulden und wurden 1775 auf 12 Gulden sowie 1797 auf 22 Gulden erhöht. Daneben wurde statt der üblichen Steuer eine jährliche Gebühr von zwei Gulden erhoben."* Im hier untersuchten Kontext war der Beisitz nur für die Gesellen der Handwerke von Bedeutung, die Gesellenehen duldeten - also für die Zimmer- und die Goldschlagergesellen - und hier wiederum nur für diejenigen, die die Bedingungen für den Erwerb des Bürgerrechts nicht erfüllen oder einfach die hohen Gebühren nicht aufbringen konnten. Die Gesuche um das Bürger- oder Beisitzrecht wurden einerseits vom Steueramt und vom Hochzeitsamt geprüft, aber auch vom Handwerksgericht. Damit sollte sichergestellt werden, daß die aufgenommenen Personen tatsächlich über eine "bürgerliche' Nahrung verfügen und keinen Eingriff in Rechte anderer tun würden. Daß keineswegs alle Personen, die die äußeren Bedingungen zur Aufnahme in das Bürgerrecht erfüllen konnten, auch fraglos aufgenommen werden sollten, zeigen Bestimmungen von 1736 und 1762, mit denen bestimmte Gruppen - beispielsweise "alle 'schlechte und geringe Leuthe' [...] wie Kupferdrucker, Papier· und Leinwandreiber, Schreiber, Fuhr-, Ziegel-, Bleichknechte, Tagwerker, 'Personen, so sich nur mit Stricken, Spinnen, Nähen, Waschen, Feegen fortzubringen gedenken""09 - ausgegrenzt wurden. Trotz dieser doch restriktiven Bestimmungen gab es gleichwohl eine Gruppe, die eine besondere Berücksichtigung erfuhr: Dienstboten sollten das Bürgerrecht für langjährige und treue Dienste zu Sonderkonditionen erhalten. Nach einem Dekret von 1777 sollte ihnen das Bürgerrecht auf Antrag unentgeltlich erteilt werden, wenn sie "eine ununterbrochene Dienstzeit von zehn Jahren in einem bürger107 108

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Vgl. P. Fassl, Konfession, Wirtschaft und Politik, S. 54. P. Fassl, Konfession, Wirtschaft und Politik, S. 66; vgl. auch P. von Stetten, Beschreibung der Reichsstadt Augsburg, S. 33. P. Fassl, Konfession, Wirtschaft und Politik, S. 53. Zu diesen Ausschlußbestimmungen vgl. auch S. F. Eser, Verwaltet und verwahrt, S. 34.

402 liehen bzw. fünf in einem Patrizierhaushalt nachweisen konnten".110 Dieser Weg in die Bürgerschaft war aber keineswegs neu: Seit 1543 gab es bereits die Bestimmung, daß niemand das Bürgerrecht erteilt bekommen sollte, wenn er nicht entweder Vermögen oder aber eine mindestens zehnjährige Dienstzeit in der Stadt nachweisen konnte. 1544 wurde - so Lyndal Roper - "die seit langem bestehende Praxis, Dienstboten die Bürgerschaft zu einem ermäßigten Aufhahmegeld anzubieten" insofern verschlechtert, als dies künftig nur solchen Dienstboten angeboten werden sollte, "die zehn Jahre lang in nicht mehr als zwei oder drei Stellungen gewesen waren und als 'gute' Dienstboten galten".1" Diese Möglichkeit, Dienstboten die Bürgerrechtsgebühren zu erlassen, blieb zwar über die reichsstädtische Zeit hinaus bestehen, wurde aber 1834 "im Zusammenhang mit der bürgerlichen Abschottung vor Fremden und Proletariern" aufgehoben." 2 Die Darstellung der normativen Ebene, die eindeutig formuliert erscheint, läßt eigentlich vermuten, daß es für ortsfremde Mägde, die die geforderten Dienstjahre absolviert hatten, keine Probleme gab, das erbetene Bürgerrecht unentgeltlich zu erhalten. Wie die Bürgerrechtsverleihung im Idealfall aussehen konnte, zeigt der Fall der Anna Maria Hofbäuren, die nach 22 Dienstjahren um die Aufnahme in das Bürgerrecht gebeten und dieses am 19. Februar 1780 auch in gnaden unentgeltlich erhalten hatte. Als sie Ende dieses Jahres den Zainer Albanus Steiner heiraten wollte, der zwar erst seit einigen Jahren für die Goldschlager arbeitete, aber weit mehr als das erforderliche Vermögen besaß, wurde diesem in weitherer rucksicht die Eheverlobte des Supplicanten bereits wegen ihren 22. Jahrig trey geleisteten Diensten das Burgerrecht bereits gratis erhalten, die Heiratserlaubnis und das Bürgerrecht erteilt."3 In diesem Falle beförderte also die Tatsache, daß die Frau bereits 'mit dem Bürgerrecht begnadigt' war, die Supplik des Mannes. Dies war nicht immer so: In den Quellen begegnen uns neben weiblichen Dienstboten, die das Bürgerrecht tatsächlich gratis erhielten, auch solche, die trotz einer sehr viel längeren als der geforderten Dienstzeit mit ihrem Gesuch abgewiesen wurden, und andere, denen nur die Hälfte der Gebühr erlassen wurde oder die sie ohne jeden Nachlaß erlegen mußten. Ich möchte im folgenden anhand von Fallstudien versuchen, die Entscheidungskriterien zu eruieren.

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S. F. Eser, Verwaltet und verwahrt, S. 50. " ' L. Roper, Das fromme Haus, S. 52-53 u. S. 120. 112 S. F. Eser, Verwaltet und verwahrt, S. 50. Mit der Neuregelung von 1834 ging sogar einher, daß auch Bürgersöhne das Bürgerrecht künftig zu erwerben hatten. Wie I. Titz-Matuszak, "Starcke Weibes-Personen", S. 209-210 für Goslar feststellt, mußte das dortige Gesinde seit Beginn des 17. Jahrhunderts nach einer achtjährigen Dienstzeit nur die halbe Gebühr für das Bürgerrecht bezahlen. Allerdings hatten die Mägde zunächst keinen Anspruch auf die Ermäßigung. Erst 1658 "setzte sich der feste Satz in Höhe von 8 fl. für Mägde, die mindestens 8 Jahre in der Stadt gearbeitet hatten, durch". 1796 wurde die Vergünstigung in Goslar jedoch wieder aufgehoben. 113 StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 6, 4.12.1780.

403 Nachdem sich Joseph Wiser, ein ortsfremder Zimmergeselle, und Maria Barbara Theresia Kessbohrerin, eine Magd, miteinander verlobt hatten und sich gehrne häuslich niderlassen wolte[n], supplizierten sie im November 1741 um eine Heiratserlaubnis und umb die Gnadt des Burger-Rechts und zwahr ihm Wiser umb die Gebühr der Kessbohrerin aber gratis. Dem Bericht des Handwerksgerichtes zufolge, machten sich die beiden ein solches zu erhalten um so mehrer Hoffnung [...], als [...] Sie Supplicantin bey hiesiger Burgerschaft in sonderheidt aber bey Antoni Calligari 11. bis 12. jähr treu Ehr= und Redlich [...], Er Wiser aber bey dem allhiesigen Stattziegler schon 10. jähr fleissig und Redlich gedienet habe. Die Vorgeher und Geschworenen der Zimmerleute, die um eine Stellungnahme zu diesem Gesuch gebeten wurden, äußerten sich positiv: Wiser sei als guter Arbeiter bekannt, seine Braut ebenfalls fleißig, beide stünden in langjährigen Diensten man hatte nichts gegen ihren Heiratswunsch einzuwenden. Das Handwerksgericht Schloß sich dieser Sicht an, und der Rat erteilte den Supplikanten das Bürgerrecht gegen die halbe Gebühr in gnaden."* Anders im folgenden Fall, bei dem im Februar 1747 der aus Oberbayem stammende Zimmergeselle Jacob Götschel für sich und seine Verlobte um die Verleihung des Burger Rechts gegen die Gebühr und eine Heiratserlaubnis bat. Obwohl diese Supplik in den Akten fehlt, wissen wir aus dem Bericht des Handwerksgerichtes, daß Götschel darauf hingewiesen hatte, daß er sich bei einem Augsburger Meister einige jähr aufgehalten und seine Braut, die im schwäbischen Zusamaltheim gebürtige Magdalena Hollandin, 12. jähr bey Jacob Mauracher Buchhändler sich ein gutes Lob erworben habe. Die Vorgeher der Zimmerleute reagierten in ihrer Stellungnahme zu diesem Gesuch jedoch negativ: Götschel sei erst ein Jahr in Augsburg und es wären bereits zu viele verheiratete Gesellen im Handwerk. Da sie um seine Ablehnung baten, riet auch das Handwerksgericht zur Abweisung, die schließlich durch den Rat erfolgte. Auf die langen Dienstjahre seiner Braut nahm man keinerlei Bezug.115 Wenige Monate später reichte Götschel ein neues Gesuch ein, aus dem hervorgeht, daß er die Augsburger Gepflogenheiten der Bürgerrechtsverleihung kannte und nicht verstand, warum er und seine Braut keinen Anteil an diesen haben sollten. Dem Bericht des Handwerksgerichtes zufolge schrieb er, daß seine Verlobte durch ihre 12.jährige Dienste in allhiesig 2en Burger Haußeren sich dieser Gnade bereits fähig gemacht, irtdeme denen Dienstbothen, welche sich ehrlich, treu und fleissig solange bey ihren Herrschaften verhalten, das allhiesige BurgerRecht sonsten pfleget geschenckht zu werden. Die Empfehlung zu seiner erneuten Abweisung begründete das Gericht damit, daß er keine neue Merita vorbringen konnte. Auf sein zitiertes Argument ging man nicht ein."6 Erst sein drittes Gesuch, das er ein volles Jahr nach dem ersten wagte, hatte Erfolg. Inzwischen war er in seinem Handwerk besser bekannt, und man be114 115 116

StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 7, 30.11. und 9.12.1741. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 7, 6.2. und 7.2.1747. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 7, 26.10.1747; Abweisung mit Dekret vom 31.10.1747.

404 scheinigte ihm nun, daß er ein guter, fleißiger und treuer Arbeiter sei. Per Dekret wurde dem Paar eine Heiratserlaubnis und - gegen die übliche Gebühr - das Bürgerrecht erteilt."1 An diesen beiden Fallbeispielen wird sichtbar, daß für die positive Entscheidung eines Gesuches um Bürger- oder Beisitzrecht und Heiratserlaubnis das Einverständnis des vom Mann ausgeübten Handwerks von Bedeutung war. Selbst in den Handwerken, in denen im Gesellenstand geheiratet werden durfte, prüfte das Handwerk die Qualifikation und die Requisiten des Gesellen einerseits und den Bedarf des Handwerks an Gesellen andererseits. In der Mehrzahl der Handwerke aber waren Heiratserlaubnis und Bürgerrecht untrennbar mit der Zulassung des Mannes zum Meisterrecht verbunden, so daß eine gründliche Überprüfung des Kandidaten erfolgte. Entsprechend kam also bei den Supplikationen um das Bürgerrecht sowohl die zünftige Zulassungspolitik als auch die obrigkeitliche Entscheidungslogik, die von den Wünschen der Zünfte - wie in anderen Kontexten schon vielfach zu sehen war - durchaus abweichen konnte, zum Tragen. Obwohl beide Frauen einen nahezu gleich langen Gesindedienst absolviert hatten, wurde das Bürgerrecht im ersten Fall gegen den Erlaß der halben Gebühr erteilt - gerechterweise auch dem Mann, der ähnlich lange Dienste vorweisen konnte - , im zweiten Fall aber beiden zukünftigen Eheleuten die volle Gebühr abverlangt. Dies verweist bereits darauf, daß die langjährigen Gesindedienste der Frauen nicht automatisch dazu führten, daß diesen die Gebühren für das Bürgerrecht bzw. den Beisitz erlassen wurden. Ein drittes Fallbeispiel aus dem Zimmerhandwerk, bei dem noch einmal die Zurückstellung des Bürgerrechtsanspruches einer Frau, deren Bräutigam die Bedingungen seines Handwerks noch nicht erfüllt hatte, sichtbar wird, soll die Vergleichsbasis erweitern. Als Mathes Wackherlin, ein Zimmergeselle aus Gersthofen, für sich und seine Verlobte um das Bürgerrecht bat, erklärten die Vorgeher, daß der eben erst ausgelernte Geselle sich zuerst auf die Wanderschaft begeben müsse. Das Handwerksgericht bestand zwar nicht auf der Wanderschaft, befand aber, daß Wackherlin zumindest zwei Jahre als lediger Geselle arbeiten solle."8 Nachdem dieser einige Monate später erneut suppliziert und dargelegt hatte, daß er vor seiner Zimmererlehre bereits das Kistlerhandwerk erlernt hatte und als Kistlergeselle sieben Jahre gewandert war, was die Zimmerer üblicherweise anerkannten, erhielt er per Dekret das Bürgerrecht um die gebühr, dessen Verlobte aber wegen ihres vieljährigen getreuen Dienens als Köchin in dem allhiesigen Hospital aus gnaden gratis erteilt."9 Wenn wir nun von den handwerksspezifischen Komplikationen, die sich zunächst in zwei der drei aufgezeigten Fälle ergaben, absehen und lediglich auf die drei betroffenen Frauen schauen, wird deutlich, daß die Entscheidungskriterien für 1,7 118 119

StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 7, 18.3. und 20.4.1748. Vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 4, 28.4.1734. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 4, 31.7.1734.

405 den Erlaß der Bürgerrechtsgebühren nicht wirklich nachvollziehbar sind: Maria Moserin, die Braut des Wackherlin, hatte zum Zeitpunkt der Supplik einen vieljährigen Dienst als Köchin hinter sich; auch Maria Barbara Theresia Kessbohrerin, die Braut des Wiser, hatte 11. bis 12. jähr gedient; ebenso hatte Magdalena Hollandin, die Braut des Zimmergesellen Götschel, 12 Jahre lang im Gesindedienst gestanden. Alle drei Mägde konnten belegen, daß sie all ihre Dienstjahre bei einem einzigen Dienstherren verbracht hatten, womit eine zentrale Bedingung für den Gebührenerlaß erfüllt war. Während aber Maria Moserin das Bürgerrecht gratis erhielt, mußte die Kessbohrerin die halbe Gebühr und die Hollandin sogar die volle Gebühr bezahlen.120 Da die Rechtslage innerhalb des Zeitraums, in dem diese drei Fälle entschieden wurden - 1734 bis 1748 - , unverändert geblieben war, bietet sie keine Erklärung für die unterschiedliche Gebührenerhebung. Es bleibt jedoch noch die Frage, ob in der Vergabepraxis eine Logik erkennbar wird, wenn wir - obgleich das Bürgerrecht von jeder Person einzeln erworben werden mußte - die Supplikanten paarweise betrachten. Maria Moserin, die aufgrund ihrer treuen Dienste gratis in die Bürgerschaft aufgenommen wurde, war mit Mathes Wackherlin verlobt, der wegen seiner zweifachen Lehre und einer siebenjährigen Wanderschaft wohl nicht allzu viele Jahre in Augsburg gearbeitet hatte. Er mußte für das Bürgerrecht die volle Gebühr erlegen. Maria Barbara Theresia Kessbohrerin hätte an sich neben der Tatsache, daß sie die erforderlichen Jahre in einem Haus gedient hatte, auch darin einen gewissen Vorteil gehabt, daß ihre Eltern schon als Beisitzer in der Stadt gelebt hatten und später Bürger geworden waren - ohne aber für die Tochter das Bürgerrecht zu erwerben. Kindern von Beisitzern oder Bürgern wurden gelegentlich, dies zeigen manche Entscheidungen im Bereich des Handwerks, Vorteile zuerkannt. Auch ihr Partner hatte zehn Jahre bei ein und demselben Meister gearbeitet, fiel aber als Zunfthandwerker nicht unter die Dienstbotenregelung. Daß ihnen nun beiden das Bürgerrecht gegen die Hälfte der Gebühr gewährt wurde, anstatt der Frau gratis und ihm um die volle Gebühr - wie es der Norm entsprochen hätte - , ließe sich so interpretieren, daß man die Umstände des Paares ins Auge faßte und entsprechend entschied. Aber auch dies wurde nicht durchgängig eingehalten, wie beim letzten Paar sichtbar wird: Während Magdalena Hollandin die Bedingungen für eine unentgeltliche Erteilung des Bürgerrechts erfüllte, konnte ihr Verlobter keine besonderen 'Meriten' vorweisen. Demzufolge hätte sie gratis, er um die volle Gebühr zugelassen werden müssen, wie dies bei Maria Moserin und Mathes Wackherlin gehandhabt worden war. Statt dessen wurde ihnen beiden die Bezahlung der gesamten Gebühr auferlegt.

120

Vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 4, 28.4., 29.4. und 31.7.1734 (Moserin); Fasz. 7, 30.11. und 9.12.1741 (Kessbohrerin); Fasz. 7, 6.2., 7.2., 26.10., 31.10.1747 und 20.4.1748 (Hollandin).

406 Im Resümee zeigt sich damit auch für die 'Dienstbotenregelung', was Peter Fassl für die seit 1745 erkennbare freizügigere Aufnahme von Personen mit unselbständigen Berufen feststellt, nämlich daß sich für die Vergabepraxis keine festen Regeln erkennen lassen.121 So bleibt zwar positiv festzuhalten, daß die Mägde durch ihre Treue, die sich ja nicht zuletzt in den Dienstjahren ausdrückte, die Chance hatten, unentgeltlich oder zumindest über eine erhebliche Reduzierung der Gebühren in das Bürgerrecht zu gelangen. Aber es war eben nur eine Chance und kein Rechtsanspruch. Dieser Tatsache entspricht dann auch die in den Dekreten übliche Formulierung, daß das Bürgerrecht aus gnaden gratis - so beispielsweise im Dekret für Maria Moserin - erteilt würde [Hervorhebung von mir, Ch.W.].122 Daß ein Gnadenerweis durch Beziehungen erheblich befördert werden konnte, zeigt der folgende Fall: Auf eine erste Supplik der ledigen Anna Maria Schotterin, die als Stubenmagd bei Felix Anton Joseph Illsung, einem Mitglied des Inneren Rates, diente, erging aufgrund des Berichts der Steuermeister, der wie die Supplik in den Akten fehlt, im Januar 1753 ein Ratsdekret: wird Supplicantin für dermahlen zwahr zur Gedult angewiesen, derselben aber zugleich das Versprechen gegeben, daß man bey sich über kurz oder lang ereignender Gelegenheit ihrer Versorgung dahier, auf ihr abermahlig bittliches Anlangen, mit Ertheilung des Burger=Rechts, in allweeg ihrer ingedenck seyn und auf ihr getreues Dienen die verdiente Reflexion machen werde.123 Da sie zu diesem Zeitpunkt bereits acht Jahre in einem Patrizierhaushalt gedient hatte, waren die Bedingungen für die Erteilung des Bürgerrechts eigentlich erfüllt. Das Versprechen, ihr entgegenzukommen, wenn sie sich verheiraten würde, scheint darauf hinzuweisen, daß man es lieber vermied, mit ledigen zugleich potentiell unversorgte Personen in die Bürgerschaft aufzunehmen. Im November 1753 reichte die Magd eine erneute Supplik ein, in der sie bat, den ortsfremden Schneidergesellen Philipp Höffler zum Meisterrecht zuzulassen, weil dieser sie heiraten wollte und sie dadurch die gewünschte Versorgung finden würde.124 Nach dem Bericht des Gerichtes lehnten die Vorgeher der Schneider dies ab, da der Geselle kein einziges Ersitzjahr geleistet hatte. Das Gericht befürwortete dagegen das Gesuch, weil man der Schotterin dies wegen ihrer 9. Jährig so trey als fleisig geleisteten Diensten bereits versprochen hatte. Aber es gab noch einen weiteren Grund: theils auch Tit: Herrn Felix Antonj Jos: Jllsung des Innern Rahts p. als Einem schon HocherLebten venerierlichen Rahts Glid, in Betracht dessen Recommendation, einigermaßen gratificieret werden könnte.125 In der Folge äußerten die Schneider in einer schriftlichen Vorstellung, daß sie zwar der Magd die Versorgung gerne gönnen würden, daß ihr aber nur das 121 122 123 124 125

Vgl. P. Fassl, Konfession, Wirtschaft und Politik, S. 54. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 4, 31.7.1734. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 14,4.1.1753. Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 14, 29.11.1753. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 31, 4.12.1753.

407 Bürgerrecht iür ihre Person versprochen worden sei. Daraus mache sie nun ein 3faches Begehren, da auch der Bräutigam fremd sei und in keiner Weise den Ansprüchen des Handwerks genüge. Dies fanden die Vorgeher einer Unverschämtheit ähnlich. Wie immer in solchen Streitfällen verwiesen sie auf die Übersetzung ihres Handwerks und seine Armut.126 Auch Anna Maria Schotterin reichte eine weitere Schrift ein und schilderte noch einmal ihr Anliegen. Ihr Dienstherr verlieh diesem durch seine Unterschrift Nachdruck.127 Das Handwerksgericht, um ein erneutes Gutachten gebeten, verwies auf seinen bereits vorgelegten Bericht, in dem auch die Beweggründe angegeben, derenthalhen wir demselben, oder vielmehr der Schaderin die gebetene Dispensations=Gnade gerne gönnen möchten.m Im Gegensatz zu den anderen oben dargestellten Fallbeispielen wurden in diesem Fall also die Belange der Frau eindeutig vor die Interessen des Handwerks gestellt. Daß man damit dem Wunsch ihres Dienstherren Genüge leistete, ist unverkennbar und wurde auch unverhohlen geäußert. Mit Dekret vom 14. März 1754 wurde das Gesuch bewilligt, wobei von einem GebUhrenerlaß keine Rede war. Der Gnadenerweis bestand somit darin, daß man sie letztlich durch die ihr gegebene Zusage zu einer "begehrenswerten1 Partnerin machte, mit deren Hilfe auch ein umfassender Dispens von handwerksspezifischen Erfordernissen erreicht werden konnte. Die Mägde, die über keine herausstechenden Beziehungen verfügten - vermutlich also sehr viele - sahen sich der Problematik ausgesetzt, die sich insgesamt in der Frage der Gebühren für das Bürgerrecht zeigte und die wegen der geringen Berechenbarkeit, die sie für die Betroffenen bedeutete, nicht marginalisiert werden darf. Trotz der grundlegenden Unwägbarkeiten in der Gebührenfrage konnten Frauen, die langjährige Gesindedienste vorzuweisen hatten, davon ausgehen, daß die reichsstädtische Obrigkeit diese in Supplikationsfällen positiv in Rechnung stellen würde. Daß solche 'Gnadenerweise' üblich waren, sofern der gewünschte Dispens keine allzugroße Abweichung von der jeweiligen Ordnung bedeutete, und daß sie häufig auch gegen massive Beschwerden der Zunfthandwerke durchgesetzt wurden, konnte in der vorliegenden Untersuchung bereits vielfach gezeigt werden. Würde man aber generell das Bürgerrecht als 'Lohn' - wenn auch nur im übertragenen Sinne - für langjährig allhier geleistete Dienste einstufen, wäre dies sicherlich eine erhebliche Überinterpretation.

126 127 128

StAA, HWA, Schneider, Fasz. 14, 22.1.1754. Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 14, 22.1.1754. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 31, 4.2.1754.

408

II.4.4.2 "mit aller Treu und Fleiß gedienet": Gesindelob Gesindeschelte Das negative Bild, das in frühneuzeitlichen Schriften vom Gesinde, insbesondere vom weiblichen, gezeichnet wurde, läßt sich mit der Frage "Tiere, Teufel oder Menschen?", die Paul Münch seinem Aufsatz "Zur gesellschaftlichen Einschätzung der 'dienenden Klassen' während der Frühen Neuzeit" voranstellt, pointiert wiedergeben.129 Die diesbezügliche zeitgenössische Diskussion, die in ihrer Schärfe kaum zu übertreffen ist, im 16. und 17. Jahrhundert in der sogenannten Gesindeteufelliteratur kulminierte und erst in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts das Gesinde als Menschen erkennen wollte, steht in einem merkwürdigen Widerspruch zu Inhalten nicht normativer Quellen. Ich möchte im folgenden die Entwicklung dieses Diskurses und der durch ihn kreierten Vorstellungen von den Dienstboten in aller Kürze nachzeichnen und anschließend den Blick auf die im Kontext der Handwerkerakten in Erscheinung tretenden Mägde und ihre Dienstverhältnisse richten. Dabei wird sich zeigen, daß das weibliche Gesinde häufig eine durchaus positive Einschätzung erfuhr, wenngleich die Frauen auch auf dieser Ebene relativ stereotyp beschrieben wurden. Schließlich soll neben die Frage, ob und wann negative Klischees aufgegriffen wurden, die nach obrigkeitlichem Gesindelob in ganz 'realen' Situationen gestellt werden. Renate Dürr hat in ihrer Untersuchung über die Mägde Schwäbisch Halls die Ordnung des Hauses in der Predigt-, Haus- und Traktatliteratur anhand ausgewählter weit verbreiteter Schriften analysiert und deren Bedeutung für das Ansehen der Mägde herausgearbeitet.130 Dabei konnte sie zeigen, daß in einer Vielzahl von frühen Schriften über den christlichen Hausstand zunächst die Normen der 'Oeconomia Christiana' propagiert wurden. Insbesondere der Kleine Katechismus Luthers, anhand dessen Kinder in der Schule das Lesen lernten und der schon allein dadurch eine entsprechende Breitenwirkung erfuhr, bildete eine Grundlage für den religiösen Hausunterricht: Hauseltern sollten ihren Kindern und dem Gesinde den Katechismus regelmäßig nahebringen.131 Durch die Aufnahme der Haustafeln des Neuen Testamentes in den Katechismus wurde die ständische Ordnung und damit die Verortung des Gesindes als unterster Stand im Haus ständig memoriert und war klar im Bewußtsein. Die Haustafeln definierten aber nicht nur das Verhältnis von Hausvater und Hausmutter zueinander, ihrer beider Beziehung zu ihren Kindern und schließlich zu ihrem Gesinde, sondern verwiesen neben dieser deutlichen Darstellung der Hierarchie einerseits auf die Gleichheit der 129 130 131

P. Münch, Tiere, Teufel oder Menschen?. Vgl. R. Dürr, Mägde in der Stadt, S. 54-108 (Kap. 2). So forderte beispielsweise Franz Philipp Florinus in seinem "Oeconomus prudens et legalis" das gemeinsame tägliche Gebet und das Lesen christlicher Bücher; in diesem Zusammenhang ist auch die Rede von der "christlichen Elternschaft für das Gesinde". Vgl. hierzu G. Frühsorge, Einübung zum christlichen Gehorsam, S. 113.

409 Menschen vor Gott - ob Herr oder Gesinde - und andererseits darauf, daß der geforderte Gehorsam um Gottes und nicht der Herrschaft willen geübt werden solle.132 Herrschaft und Gesinde wurde also unmißverständlich die weltliche Hierarchie vor Augen gehalten, ebenso aber auch ihre Gleichrangigkeit vor Gott. Während in der sogenannten Hausväterliteratur ebenfalls idealtypisch die personalen Beziehungen im Haus thematisiert und vordergründig ein harmonisches Bild beschrieben wurde, kamen in solchen Schriften bereits deutliche Kritik und Warnungen vor dem Gesinde zum Ausdruck.1" Johannes Coler beispielsweise, der als der eigentliche Begründer dieser Gattung gilt, warnte in seinem Hausbuch nicht nur vor Vertraulichkeiten mit dem Gesinde, da dieses dann die Herrschaft nicht mehr anerkennen würde, sondern auch vor Diebstählen durch Knechte und Mägde: "Wieviel knecht einer im Hause hat/so viel Diebe hat er auch. In immer neuen Varianten empfiehlt er darum der Hausherrschaft größtmögliches Mißtrauen gegenüber dem Gesinde, wie fromb und trew sichs auch stelle."134 Nach Colers Tod im Jahr 1639 erschien sein Hausbuch als 'Oeconomia universalis' eines 'Colerus redivivus', also eines 'wiederauferstandenen' Coler. In dieser Schrift heißt es wie schon bei Coler selbst - im neunten Kapitel des ersten Buches, das den Mägden gewidmet ist, gleich im zweiten Absatz: Es soll sich aber diß Volck sonderlich fleissig hüten vor Dieberey/ Wäscherey/ Büberey/ Zanck und Hader/fluchen/ schweren/ zaubern/ liegen/ und allem unordentlichen wesen und leben. Außerdem sollten Mägde nicht sonderliche pact und verbündnis mit den Knechten haben/ und der Herrschqffi heimlich abstelen/ was man erstreichen kan/ unnd darnach deß Abends/wenn Herrn/ Frawen und Kinder zu Bette seyn/mit den Knechten sitzen unnd schwelgen/ Sprach halten/ die Herrschafft verleumbden/ fressen und sauffen/ wie gemeiniglich die Köchen und Kellerin/ die es gerne mit einander halten/ wie man sagt/ Brätestu mir die Wurst/ so lesche ich dir den Durst/ zu thun pflegen.™ Die Diffamierung des Gesindes war aber durchaus steigerbar: Man glaubte, daß "das Gesinde den animalischen Existenzen nahe verwandt" sei und verglich es häufig mit Tieren.136 Esel, Hunde, Pferde, Hähne - in zahlreichen Sprichwörtern finden sich die Analogiesetzungen. Das weibliche Gesinde mußte den Tiervergleich nicht nur besonders häufig ertragen, "[d]er Begriff 'Tier' begegnet bis132

133

134 135

136

Vgl. R. Dürr, Mägde in der Stadt, S. 55-59. Zur Bedeutung des Ή β ω β Ι ^ β β ' (status oeconomicus) in der Lehre Luthers vgl. auch J. Hoffmann, Die 'Hausväterliteratur1, S. 34-40. P. Münch, Tiere, Teufel oder Menschen?, S. 88 warnt entsprechend auch davor, sich "durch die ideologischen, das heißt wirklichkeitsverschleiernden Aussagen der Hausväterliteratur, in der das Verhältnis Herr/Knecht bzw. Herrin/Magd gewöhnlich harmonisierend beschrieben wird", täuschen zu lassen. J. Coler, zitiert nach R. Dürr, Mägde in der Stadt, S. 74. J. Colerus redivivus, Oeconomia universalis, 1. Buch, DC. Capitel, S. 7. Zu dieser Stelle vgl. auch die Ausgabe von Colers Oeconomia von 1632, die in Auszügen herausgegeben und kommentiert wurde von Johannes Burkhardt in: J. Burkhardt, Β. P. Priddat, Geschichte der Ökonomie, S. 35-75 (Quellentext; die betroffene Stelle S. 54) u. S. 691-720 (Kommentar). P. Münch, Tiere, Teufel oder Menschen?, S. 88-96, Zitat S. 88.

410 weilen sogar als Synonym für 'Magd'".137 Daß bis in das 18. Jahrhundert hinein "die "Naturen' von Mensch und Tier noch nicht eindeutig definiert waren", was die Diskussion: "Das 'Weib', ein Tier?" und "Ob die Weiber Menschen seyn, oder nicht?" ermöglichte, mag das besondere Betroffensein des weiblichen Gesindes von der Gleichsetzung mit Tieren erklären, wenngleich neben Fremden "auch die marginalisierten oder sozial minder geachteten Gruppen der ständischen Gesellschaft - konfessionelle Außenseiter, Arme, Kriminelle, psychisch Kranke, Bauern, Dienstboten - " als 'Tiere' gesehen wurden.13® Neben den Tieren kam aber auch noch der Teufel ins Spiel und zwar in Form der Gesindeteufelliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts, deren Urheber lutherische Pfarrer waren. Das 'Theatrum Diabolorum', eine Sammlung verschiedener Teufelsbücher, die 1569 erschien, stellte die Gefährdung des Menschen durch eine Vielzahl unterschiedlicher Teufel in aller Dramatik dar. Teufel waren nicht nur für einzelne persönliche Laster - wie etwa das Fluchen (Fluchteufel) und das Spielen (Spielteufel) - verantwortlich, sondern auch für negative Zustände im Haus - der Eheteufel und der Gesindeteufel - und für Mißstände in größerem Rahmen - hier beispielsweise der Pfarrteufel. Während jedoch die meisten 'Spezialteufel' mit dem 16. Jahrhundert untergingen, blieb neben wenigen anderen insbesondere der Gesindeteufel aktuell. Entsprechende Schriften fanden große Verbreitung und wurden immer wieder weitergeführt. Ihre Titel verweisen fraglos auf die zahlreichen listigen Verführer, denen die Verfasser das Gesinde ausgesetzt sahen: So schrieb der Eßlinger Pfarrer Tobias Wagner 1651 den 'Siebenfältigen Ehehaltenteuffel' und Johann Balthasar Schupp 1658 'Sieben böse Geister, Welche heutiges Tages Knechte und Mägde regieren und verführen1. Insbesondere das Teufelsbuch von Schupp erlebte drei Auflagen und mehrere Bearbeitungen. Renate Dürr weist darauf hin, daß die Überarbeitung durch Philemon Menagius selbst wieder drei Auflagen erreichte und 1731 als letztes Teufelsbuch gedruckt wurde am längsten hatte sich also der Gesindeteufel gehalten.139 Knecht vnd Mägd können deß Teuffels Spraach so wol/ als weren sie bey jhm in die Schul gangen.140 Das Gesinde wolle sich nicht verdingen, weil es den Müßiggang und die Freiheit bevorzuge; wenn es sich schließlich verdinge, wähle es gottlose Herrschaften; es hielte sich nicht an die getroffenen Absprachen, sei ungehorsam, faul, zänkisch, verlogen und würde zudem stehlen. "Die Diabolisierung erlaubt es," - so die Interpretation Paul Münchs - "dem Gesinde grundsätzlich jede Schlechtigkeit zu unterstellen", und so "erweisen sich Dienstboten, Knechte 137

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P. Münch, Tiere, Teufel oder Menschen?, S. 93. Die mindere Einschätzung von Mägden fand auch in der Bezeichnung 'das Mensch' ihren Ausdruck. Vgl. U. Gleixner, "Das Mensch" und "der Kerl". P. Münch, Die Differenz zwischen Mensch und Tier, S. 340-341. Vgl. R. Dürr, Mägde in der Stadt, S. 76-93 sowie P. Münch, Tiere, Teufel oder Menschen?, S. 96-98. Christopherus Lehmann, Florilegium Politicum [...], 1637, zitiert nach P. Münch, Tiere, Teufel oder Menschen?, S. 97.

411 und Mägde als unversöhnliche Feinde der gesellschaftlichen Ordnung, deren Funktionieren sie für ihren Teil mit allen Mitteln hintertreiben".141 Obwohl die Gesindeteufelliteratur zu Beginn des 18. Jahrhunderts nicht mehr von großer Bedeutung war, erwiesen sich die durch sie geprägten Stereotypen als langlebig. Zudem folgte ihr eine umfangreiche Traktatliteratur, die 'Mägdeschelte', der mit wohl weniger nachhaltiger Wirkung Schriften zum 'Mägdelob' gegenübergestellt wurden. Wie Renate Dürr in ihrer Analyse zeigt, bezog sich die Mägdeschelte im wesentlichen darauf, daß die Frauen ihre Arbeiten - wie Kochen, Geschirr und Haus reinigen, die Kinder versorgen und dergleichen - vernachlässigen würden; statt dessen würden sie ihre Naschsucht in der herrschaftlichen Küche und deren Keller befriedigen und die Gesellschaft anderer Mägde suchen. Stolz und hoffärtig würden sie versuchen, Handwerksgesellen kennenzulernen und ihren Lohn, ihr "Hurengeld' sowie Diebesgut für ihren Putz aufwenden, um Gesellen oder sogar ihre Dienstherren zu verführen, um schließlich geheiratet zu werden. "Abgesehen von den einzelnen Vorwürfen begründen [...] bildhafte Topoi den überaus aggressiven Tonfall der Traktate. Denn die Autoren verweisen periodisch auf die stinkende Armut der Mägde, vergleichen sie mit Tieren aller Art und bezeichnen sie als Huren."142 Damit erreichte die Gesindeschelte eine neue Dimension: "Die Mägde geraten hier zum Bodensatz der Menschheit."143 Renate Dürr interpretiert die inhaltliche Entwicklung dieser normativen und literarischen Texte als Ausdruck der veränderten Wahrnehmung des 'Ganzen Hauses': Während die Oeconomia Christiana' das Aufeinanderbezogensein der drei Hausstände auf der Basis ständischer Ordnungsvorstellungen und christlicher Normen thematisierte, wichen die Autoren der Teufelsbücher hiervon insofern ab, als sie einseitig das Gesinde in das Zentrum der Kritik stellten und damit zumindest tendenziell das Konzept einer Oeconomia Christiana' in Frage stellten. Die 'Mägdeschelte' schließlich "betraf die Stereotypisierung des 'Mägdeklischees', das im Verlaufe der Jahrhunderte immer feindseligere Züge annahm und das Zusammenleben im 'Ganzen Haus' - zumal in Konfliktsituationen - nachhaltig beeinflußt haben mußte".144 Man sah offenbar das 'Ganze Haus', dem eine gesamtgesellschaftliche Ordnungsfunktion immanent war, durch die Gesindefrage bedroht. In welchem Maß man auch jenseits der Schreibpultperspektive der Traktatverfasser pauschal vorgebrachte Gesindeschelte für geeignet hielt, im Alltag eigene Ziele, die in irgendeiner Hinsicht einen obrigkeitlichen Dispens erforderten, durchzusetzen, wurde bereits im Witwenkapitel und dort im Zusammenhang mit Konflikten in der Werkstatt sichtbar.145 Daß die negativen Stereotypen der Gesindeliteratur aber auch auf der ganz realen Ebene der obrigkeitlich gesetzten Hand141 142 143 144 145

P. Münch, Tiere, Teufel oder Menschen?, S. 97. R. Dürr, Mägde in der Stadt, S. 96-100, Zitat S. 97. R. DÜTT, Mägde in der Stadt, S. 98. R. Dürr, Mägde in der Stadt, S. 104-105. Vgl. hierzu oben Kap. Π.2.2.1.3.3.

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lungsanweisungen eine weitreichende Wirkung entfalteten, daß das Gesinde immer wieder mit diesen konfrontiert wurde, zeigt beispielsweise die Augsburger Käuflerordnung von 1732. Käufler und Käuflerinnen verkauften in ihren Läden die verschiedensten, meist gebrauchten Gegenstände auf Kommission. Da sie deshalb auch Gefahr liefen, unbeabsichtigt Diebesgut weiterzuverkaufen, enthielt ihre Ordnung Anweisungen, wie sie sich verhalten sollten, wenn ihnen gestohlenes oder sonst verdächtiges Gut zum Kauf angetragen würde. In diesem Kontext wurde ihnen generelles Mißtrauen gegen männliches und weibliches Gesinde, wie es fast die gesamte Gesindeliteratur Hausvätern und Hausmüttern anriet - erinnert sei an die oben zitierte Aussage Colers: Wieviel knecht einer im Hause hat/ so viel Diebe hat er auch - , befohlen: Besonders aber sollen sie dißfalls auf die Handwercks=Pursch/ Knecht/ Mägd/ Lehr =Jungen und andere Dienst-Botten/ wann selbige ihnen etwas zu verkauften bringen/ wohl Acht haben/ und sich jedesmahl bey ihren Herrschafflen deßhalben erkundigen.™ Wie wir sehen, waren nicht allein die Mägde dem Diebstahlsverdacht ausgesetzt, sondern auch das zunftfahige Gesinde - insgesamt also alle Personen, die in der Ordnung des Hauses dem untersten Hausstand angehörten. Während das Gesinde einerseits meist unverzichtbarer Bestandteil des Hauses war, setzte es sich andererseits aus Menschen zusammen, die nicht fest zum Haus gehörten, die kamen und gingen, die die Ordnung des Hauses ebenso stützen wie bedrohen konnten. Insofern mag der mißtrauische Blick auf das Gesinde aus der 'Policey'-Perspektive eine gewisse Berechtigung gehabt haben. Gaben die Mägde nun tatsächlich soviel Anlaß zu Mißtrauen und Kritik? Aufgrund der Quellenlage möchte ich mich im folgenden hauptsächlich auf einen Vorwurf konzentrieren, den man den Mägden oft pauschal machte, nämlich daß sie ihre Dienste sehr häufig wechseln würden. Dies wurde einerseits als eine Anzeigung frechen Gemüths, wie Renate Dürr Johann Balthasar Schupp, den Verfasser der 'Sieben böse[n] Geister', zitiert, gesehen und veranlaßte andererseits beispielsweise Johannes Coler, den Hauswirten zu raten, den Lohn der Mägde zurückzuhalten, bis das Dienstverhältnis abgelaufen sei.147 'Colerus redivivus' fugte hinzu: Und solchs umb der Ursachen willen, daz sie durch furcht deß verlusts

jhrer Dienstgelde desto baß angehalten werden, jhre Dienst außzuwarten, und biß ans ende zuerstrecken.148 Die Klage über den häufigen Stellenwechsel der Dienstboten gehört - so Rolf Engelsing - "zu den stehenden Themen der Dienstbotenliteratur".149 Wie hielten es die Augsburger Mägde? Das vorausgehende Kapitel zeigte, daß wir für 36 der insgesamt 50 in den Handwerkerakten der hier untersuchten Handwerke in Erscheinung tretenden Mägde über genaue Angaben zu ihren Dienstjah146 147 148 149

StAA, HWA, Käufler, Fasz. 7, Ordnung von 1732, Art. 14, S. 9-10. Vgl. R. Dürr, Mägde in der Stadt, S. 210 u. S. 213. J. Colerus redivivus, Oeconomia universalis, 1. Buch, IX. Capitel, S. 9. R. Engelsing, Der Arbeitsmarkt der Dienstboten, S. 197.

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ren verfügen. Fragen wir jedoch nach der Dauer ihres Aufenthaltes an einzelnen Dienstplätzen, reduziert sich die Zahl der eindeutig auswertbaren Fälle auf 22, die allerdings sehr aufschlußreich sind: Keine der Mägde diente weniger als zwei Jahre in einem Haus, in sechs Fällen (27,3 %) lag die Dienstdauer zwischen zwei und fünf Jahren, acht Mägde (36,4 %) blieben zwischen sechs und zehn Jahre in einem Haushalt, weitere sieben Mägde (31,8 %) arbeiteten zwischen elf und 15 Jahre und eine Magd (4,5 %) über 25 Jahre bei einer Herrschaft. Damit standen 72,7 % der hier erfaßten Mägde länger als fünf Jahre in jeweils einem Dienst und immerhin 36,3 % sogar über zehn Jahre.130 Selbst wenn man die mit 26 Jahren längste Dienstzeit der aus Lindau stammenden Lucia Freyin weniger gewichten möchte, weil diese eine Base ihrer Dienstherrin war, am Ende ihrer Dienstzeit deren Goldschlagergerechtigkeit übernehmen und sich im Handwerk verheiraten durfte,151 bleibt eine breite mittlere Gruppe von 68,2 % bestehen, die zwischen sechs und 15 Jahre ohne Unterbrechung in einem Haushalt diente. Nur in einem Fall erscheint eine 16jährige Dienstzeit, die bei vier Dienstherren absolviert wurde, was ebenfalls nicht grundsätzlich auf eine besondere Bereitschaft zum Stellenwechsel verweist, denn selbst wenn diese Magd in einem oder zwei Haushalten nur kurze Zeit aushielt, muß sie in einem anderen entsprechend lange geblieben sein.1" Relativ kurze Dienstzeiten finden sich dagegen lediglich für eine Frau, die an zwei Plätzen zwei Jahre, an zwei weiteren zweieinhalb Jahre und an einem zweieinviertel Jahre blieb; sie belegte damit allein fünf der sechs Stellen, die für eine Dienstdauer zwischen zwei und fünf Jahren nachgewiesen wurden.133 Da die Mägde im Haushalt ihrer Dienstherrschaft mitlebten, waren sie eng mit den Verhältnissen eines Hauses verbunden. Sie kannten in der Regel wohl die vorhandenen Probleme wirtschaftlicher und sozialer Art, hatten gute und schlechte Seiten nicht nur der Meisterschaft, sondern auch von Gesellen und Lehrlingen zu ertragen und vermutlich wenig Raum und Zeit, sich zurückzuziehen. War es gerade diese Vertrautheit mit den positiven wie negativen Bedingungen eines Dienstplatzes, die über zwei Drittel der nachgewiesenen Augsburger Mägde ver150

151 152

153

In Schwäbisch Hall blieben in der Zeit von 1635 bis 1690 85 % der Mägde, deren Dienstdauer bei einer Herrschaft konkret belegt ist, länger als fünf Jahre und Uber 36 % zwischen 11 und 20 Jahre bei einer Herrschaft. Ein Fünftel diente sogar Uber 20 Jahre in einem Haus. Demgegenüber geht R. Dürr davon aus, daß die Mägde, deren Dienstjahre nur summarisch angegeben wurden, ihre Anstellung häufig wechselten. Vgl. R. Dürr, Mägde in der Stadt, S. 210-212. Vgl. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, 1.12.1762. Vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 7,27.6.1761. An diesem Fall wird wiederum die Kontinuität der Tätigkeitsfelder sichtbar: drei der vier Dienstherren der Maria Martha Wolinsky waren Wirte; das Gewerbe, das der vierte ausübte, kennen wir nicht. Vgl. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 23, 12.5.1796 sowie oben Kap. Π.4.3, wo der Fall der Anastasia Schmidin bereits als Beispiel für die wohl gezielte Stellensuche einer Magd herangezogen wurde. Als Tochter eines Wirtes stand sie in Augsburg wiederum bei drei Wirten und außerdem bei einem Bäcker in Diensten. In das Bäckerhandwerk heiratete sie schließlich ein.

414 anlaßte, sechs bis 15 Jahre in einer Stellung zu bleiben?154 Oder war es eher das Wissen, daß die Probleme bei einer anderen Herrschaft nur graduell verschieden sein würden? Welche inneren Motive die Mägde veranlaßten, so lange Jahre bei ihrer Herrschaft zu bleiben, läßt sich nicht wirklich klären. Eine äußere Funktion dieser Treue ist sicherlich in der im letzten Kapitel aufgezeigten Chance zu sehen, aufgrund langjähriger Gesindedienste in das Augsburger Bürgerrecht aufgenommen zu werden. Manches Durchhalten wird dadurch motiviert gewesen sein, daß die Mägde wußten, daß langjährige Gesindedienste auch sonstige 'Gnadenerweise' befördern konnten. Die langjährigen Dienstzeiten, die die Mägde absolvierten, stehen also in krassem Widerspruch zu den stereotypen Vorwürfen ihrer Unzuverlässigkeit. Wie die Mägde im Konkreten gesehen wurden, welche Wertschätzung ihre Arbeit erfuhr, soll im folgenden zunächst anhand von leider nur in seltenen Fällen vorhandenen Arbeitszeugnissen ihrer Dienstherrschaften gezeigt werden. Einen besonders interessanten Fall finden wir in Maria Anna Anastasia Schmidin: Unter den Mägden, deren Dienstzeiten wir genau nachvollziehen können, war sie die einzige, die im Zeitraum von elf Jahren fünf Dienstherren hatte. Daß gerade ihre Arbeitszeugnisse noch vorhanden sind, erlaubt einen vergleichenden Blick auf die Wahrnehmung einer Magd durch fünf verschiedene Herren. Diese dokumentierten in den Zeugnissen nicht nur die jeweiligen Dienstzeiten, sondern attestierten daneben mit recht knappen Worten ihr Verhalten: Sigmund Michael Menckh [?] bestätigte ihr, daß sie während dießer Zeit sich redlich treu und gut aufgeführt habe; bei Johannes Widemman [sie!] hatte sie sich getreulich erhalten-, Bäckermeister Schweighart meinte, daß sie sich Recht gut aufgeführt, und verhalten hab; bei Nicolaus Huppenthall hatte sie sich Redelich Treu und gudt auffgeführet und Franz Xaver Miller bestätigte ihr, daß sie in Dinstin gewest. Trei und Erlieh.155 In vier Zeugnissen wurde also ihre Treue angeführt, Redlichkeit bescheinigte man zweimal, gutes Aufführen erscheint dreifach und Ehrlichkeit einmal. Daß diese recht spröde Darstellung nicht als unterschwellige Kritik an der Magd, sondern als Resultat der unübersehbaren Ungeübtheit im Verfassen von Schriftstücken und auch relativ geringer Schreibfähigkeit gelesen werden sollte, meine ich auch dadurch bestätigt zu finden, daß ihr trotz des mehrfachen Stellenwechsels von seiten der Obrigkeit attestiert wurde, daß sie und ihr Mann sich in ihren 12- [die Berufsjahre des Mannes, Ch.W.] und 11.jährigen Diensten allhier manchen Vortheil erworben, und bewandert gemacht haben. Dem Paar wurde

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Daß Mägde manchmal lange Dienstjahre bei Herrschaften aushielten, bei denen es ihnen schlecht erging, konnte Renate Dürr aufgrund der herausragenden Quellenlage für die Haller Mägde zeigen. Vgl. R. Dürr, Mägde in der Stadt, S. 211. Zur besonderen Quellenlage Halls siehe dort S. 45: Von 1635 bis 1802 waren die Haller Pfarreien verpflichtet, in den Totenbüchern Kurzbiographien von allen Verstorbenen aufzuzeichnen. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 23, 12.5.1796.

415 nicht nur das Bürgerrecht zugestanden, sondern es wurde ihm sogar die Hälfte der Gebühr erlassen.156 Offensichtlich positiv dargestellt wurde auch Veronica Scheitle, die drei in den Akten heute nicht mehr vorhandene Zeugnisse vorlegen konnte: Das Handwerksgericht äußerte in seinem Bericht an den Rat, daß die sub Ν. 3, 4 und 5 beygelegte dienstAttestate für die supplikantische Verlobte Veronica Scheitle gut reden."1 Maria Barbara Theresia Kessbohrerin hatte - so ihr Verlobter in seiner Supplik bey Antoni Calligari 11. bis 12. jähr treu Ehr= und Redlich wie auf beygebougnen [sie!] Attestat von obersagten Colligari zu ersechen gedient. Auch dieses Arbeitszeugnis befindet sich nicht mehr in den Akten, wird aber wohl wahrheitsgetreu wiedergegeben worden sein.15* Wiederum bezeichnen Treue, Ehrlichkeit und Redlichkeit die Qualitäten einer guten Magd. Ein in seiner Ausführlichkeit im Rahmen meiner Quellenfunde einmaliges Arbeitszeugnis für eine Magd erhielt Susanna Euphrosina Affhauserin von Susanna Wagnerin, der Witwe des Spitalpfarrers Wagner. Sie bestätigte mit deutlicher Wärme, daß die Affhauserin sich bereits zwölff Jahr in meinem Dienst treu, fleißig und unermiihdet aufgehalten, und sich gleichwie in Lebs zeiten meines Eheherren seel. gewesten Hospital Pfarrers als auch nach seinem Tod bey mir als einer Wittib Christlich und wohlverhalten habe, folgsam ihr herzlich zu gönnen wäre, wann sie durch HochObrigkeitliche Gnade mit ihrem ehelich verlobten August Hahn als eine 36 Jährige Meisters Tochter ihre dermaleinstige Versorgung finden könnte}" Durch Treue, unermüdlichen Fleiß und Wohlverhalten war diese Magd ihrer Herrin offenbar ans Herz gewachsen. Die Äußerung, daß sie ihrer Magd ihre 'Versorgung' wünsche, und der deutliche Hinweis auf deren nicht mehr jugendliches Alter erinnern an den meist von Eltern oder verwitweten Elternteilen vorgetragenen Wunsch, ihre Kinder noch zu ihren Lebzeiten versorgt zu sehen. Obwohl dieses letztgenannte Arbeitszeugnis auch ein Zeugnis persönlicher Nähe zwischen Herrschaft und Magd darstellt, fanden Begriffe Verwendung, die - so zeigen es die angeführten Zeugnisse - offenbar generell zur Beschreibung eines Dienstverhältnisses bzw. des Verhaltens der Dienstbotinnen benutzt wurden. Daß sich auch in positiver Hinsicht zur Charakterisierung der Mägde Topoi ausgebildet hatten, belegen neben den Zeugnissen der Arbeitgeber auch die stets wiederkehrenden Beschreibungen der geleisteten Dienste der Frauen in den Suppliken der heiratswilligen Paare. So schrieb beispielsweise Franz Hauber, daß seine Braut in den honettesten Häusern mit aller Treu und Fleiß gedienet habe und hoffte darauf, daß dies sein Gesuch befördern würde.160 Dorothea Araunerin hatte

156 157 158 159 160

StAA, HWA, StAA, HWA, StAA, HWA, StAA, HWA, StAA, HWA,

Bäcker, Fasz. 23, 3.6.1796. Zimmerleute, Fasz. 8, 23.7.1800. Zimmerleute, Fasz. 7, 30.11.1741. Schneider, Fasz. 14, 16.12.1756. Bäcker, Fasz. 16, 5.11.1771.

416 nach Angaben ihres Verlobten über 10. volle Jahre getreu undßeißig gedienef,m Catharina Albrechtin war ihrem Bräutigam zufolge acht Jahre bei einem Metzger beschäftigt, dem sie getreu= und redlichen gedienet habe}" Auch Marianna Oettlin hatte in die 10. Jahr ehrlich und redlich gedienet,163 und die Verlobte des Schneidergesellen Miller arbeitete bis zum Tod ihrer Dienstherrin Neuhoferin 13 Jahre ehrlich und redlich.164 Ehrlichkeit, Redlichkeit und Treue erscheinen als zentrale Eigenschaften. Daß diese Eigenschaften gleichsam im Selbstlob hervorgehoben wurden, zeigt, daß sie erwartet wurden, daß sie quasi den Sollzustand beschreiben; daß sie aber auch durchgängig in den - wenn auch wenigen - vorhandenen Arbeitszeugnissen bescheinigt wurden, belegt, daß Ist- und Sollzustand zur Deckung kamen oder zumindest zur Deckung kommen konnten. Daß Mägde nicht zur Zufriedenheit ihrer Herrschaft arbeiteten, wird mit Sicherheit ebenso vorgekommen sein, daß aber alle Mägde vom Gesindeteufel besessen gewesen wären, scheinen die Quellen doch zu widerlegen. Ob die Mägde, deren Dienstjahre nur summarisch genannt wurden, wesentlich häufiger ihre Dienste wechselten als die Frauen, von denen wir konkrete Angaben haben, muß aufgrund der Quellenlage offenbleiben. Manche Äußerung weist jedoch darauf hin, daß auch solche Mägde ein gutes Ansehen genossen. Wenn beispielsweise das Handwerksgericht in seinem Gutachten zum Übergabegesuch eines Schneidermeisters hervorhob, daß dessen Tochter etwelche jähr in allhiesig bürgerlich theils ansehnlichen Häuseren gedient habe, zeigt dies nicht nur mehrere Stellenwechsel der Meistertochter an, sondern auch, daß sie dennoch immer wieder gute Stellungen fand.165 Johannes Stöffel, ein Zimmergeselle, der um eine Heiratserlaubnis bat, legte dar, daß sich seine Braut 18 Jahre lang in bürgerlichen, zum Theil auch ansehenlichen Diensten ohntadelhaft aufgehalten.l66 Wenngleich die Bezeichnung 'ansehnliche Dienste' nicht unbedingt auf Patrizierhäuser, aber doch auf Häuser der Oberschicht verweist, wird auch sie gute Dienstzeugnisse vorzuweisen gehabt haben. Nehmen wir neben der Selbststilisierung der Betroffenen und der Bewertung durch die Dienstherrschaft auch die dritte Ebene, nämlich die Obrigkeit, in den Blick, lassen sich ebenfalls eindeutig positive Einschätzungen des weiblichen Gesindes finden. Daß dies auch in bezug auf Mägde, die ihre Stellung öfters gewechselt hatten, gilt, zeigt exemplarisch der folgende Fall: In seiner Supplik um das Bürgerrecht stellte - so der Bericht des Handwerksgerichtes - der Bäckergeselle Joachim Mayr dar, daß seine Braut 18: jähre in zerschiedenen allhiesigen Burgers 161 162 143 164 165 166

StAA, StAA, StAA, StAA, StAA, StAA,

HWA, HWA, HWA, HWA, HWA, HWA,

Zimmerleute, Fasz. 8, 24.5.1773. Zimmerleute, Fasz. 4, 17.5.1738. Schneider, Fasz. 13, 12.6.1745. Schneider, Fasz. 30, 1742 (ohne genaues Datum). Schneider, Fasz. 31, 23.6.1755. Zimmerleute, Fasz. 5, 1.9.1746.

417 Häuseren gediennet undßich jederzeit wohlverhalten habe. Mayr wollte auf sein erlerntes Handwerk verzichten und sich als Küchlebäcker niederlassen. Das Handwerksgericht gutachtete dahingehend, daß in Betracht des beständigen wohlverhaltens dießer beyden Personen in sovieljährigen Diensten [...] ihne in ihrem Gesuch aus Gnaden willfahrt werden könnte.167 Obwohl also auch Waldburga Jasnerin in mehreren Häusern gedient hatte - wie oft sie ihre Stellung gewechselt und wie lange sie bei wem gearbeitet hatte, wissen wir nicht - , tat dies ihrem Ansehen, das sie durch ihre vielen Dienstjahre erworben hatte, keinen Abbruch. Ein den Einzelfall übergreifendes Dienstbotenlob wird in einer Stellungnahme des Handwerksgerichtes auf die Supplik des Bäckergesellen Johann Jacob Bonn, der eine Bäckerei in Pacht genommen hatte und nun um das Bürgerrecht bat, sichtbar. Man legte dar, daß das Handwerk keine Einwände vorgebracht hätte, weshalb dem Gesuch nichts im Wege stünde, zumal auch die Verlobte des Supplikanten bereits über zwölf Jahre in einem sehr guten Dienst stehe: Leute dieser Art pflegen immer mehr an Häuslichkeit und Sparsamkeit gewöhnt zu seyn, und laßen um so weniger das Verderben und die Abnahme ihres Vermögens befürchten als sie bey erprobter sonstiger guter Auffuhrung in ihren Diensthäusern auch auf gute Unterstützung derselben sichere Rechnung machen dürfen .16i Die Deputierten des Handwerksgerichtes gingen also davon aus, daß ein gutes Verhältnis zwischen Gesinde und Herrschaften sogar Uber das Ende des Dienstes hinaus Bestand haben konnte. Darüber hinaus - und für unsere Fragestellung von besonderer Bedeutung - bescheinigten sie dem Gesinde besondere Fähigkeiten zum 'Haushalten', indem sie diesem mit 'Häuslichkeit' und 'Sparsamkeit' zentrale ökonomische Tugenden zusprachen, die als notwendig für den Erwerb und den Erhalt einer ehrlichen, bürgerlichen 'Nahrung' betrachtet wurden.16® Damit nivellierten sie letztlich die in der zeitgenössischen Gesindeliteratur dargestellte riesige, ja unüberbrückbare Kluft zwischen Herrschaft und Gesinde. 'Häuslichkeit' und 'Sparsamkeit' waren nicht vereinbar mit den Lastern und Vergehen, die dem Gesinde gerne unterstellt wurden: Vernachlässigung ihrer Pflichten, eitle Putzsucht, Hurerei und Dieberei. Die positive Einschätzung des Gesindes, die in der Äußerung des Handwerksgerichtes deutlich wird, beruhte auf der täglichen Erfahrung der Gerichtsdeputierten. Sie spiegelt auch die in den Quellen sichtbar gewordene Wertschätzung der Mägde durch ihre Dienstherren und Dienstherrinnen wider.

167 168 169

StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 18, 21.1.1755 (Die Supplik liegt nicht vor). StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 23, 17.10.1796. Vgl. hierzu Ordnung, Fleiß und Sparsamkeit, hrsg. von P. Münch, S. 23-26.

418

11.4.5 Die Eheschließung von Mägden II.4.5.1 Die Partnerwahl Bevor im folgenden nach der Ehepartnerwahl der Mägde gefragt wird, muß noch einmal verdeutlicht werden, aus welcher Perspektive die diesbezügliche Analyse stattfindet: Da der Zugriff auf die heiratenden Mägde Ober die Handwerkerakten erfolgt, treten nur die Frauen in Erscheinung, die sich nach ihrem Gesindedienst mit einem Gesellen der hier untersuchten Handwerke verheiraten wollten. Diese Einschränkung ist sowohl quellen- als auch arbeitstechnisch bedingt und wurde bereits bei der Frage nach den Eheschließungen der Meistertöchter außerhalb des elterlichen Handwerkes erläutert.170 Mägde, die in den Akten der Küchlebäcker erscheinen, weil sie sich auf dieses Gewerbe verheirateten, wurden wegen der besonderen Aussagekraft ihrer Fälle in bezug auf den Ausbildungsaspekt des Mägdedienstes im entsprechenden Kapitel angeführt.171 Hier sollen nun ausschließlich die im Rahmen der sieben herangezogenen Zunfthandwerke eruierten Fälle einbezogen werden. Bereits im vorletzten Kapitel wurde deutlich, daß es insgesamt 50 Mägde waren, die sich mit Gesellen dieser sieben Handwerke verheiraten wollten: Neun Mägde wählten Gesellen aus dem Bäckerhandwerk; 23 Mägde waren mit Zimmergesellen verlobt, von ihnen erhielten drei keinen Heiratskonsens; 13 Mägde wollten Schneidergesellen und vier Mägde Goldschlagergesellen heiraten, eine Magd war mit einem Buchbinder verlobt. Da die Gesellen einiger Handwerke im Gesellenstand heiraten durften, möchte ich zunächst danach fragen, wie viele Frauen in die Meisterschaft heiraten konnten und wie viele eine Gesellenehe einzugehen bereit waren bzw. in ein anderes Gewerbe heirateten: Insgesamt strebten 22 Mägde (44 %) nach einer Ehe mit einem Zunftmeister, 26 Frauen (52 %) wollten sich 'gesellenweise' verheiraten - also de facto ein Lohnarbeitspaar bilden - und nur zwei Mägde (4 %) wollten sich mit einem Gesellen einer Zunft verheiraten, jedoch nicht im urspünglichen Gewerbe bleiben.172 Differenzieren wir diese Angaben nach der Herkunft der Mägde, ergibt sich folgendes Bild: zwölf Bürgertöchter und zehn auswärtige Frauen wollten einen zukünftigen Meister heiraten; vier Bürgertöchter sowie 22 fremde Mägde hatten einen Gesellen gewählt, der weiterhin als Geselle arbeiten würde; eine Bürgertochter war mit einem Bäckergesellen verlobt, der als Backofenbauer arbeiten wollte; eine auswärtige Magd wollte sich ebenfalls mit einem Bäckergesellen ver170 171 172

Vgl. oben Kap. Π.3.7.1.1. Vgl. oben Kap. Π.4.3. Da es in erster Linie um die Wahl der Ehepartner geht, werden die drei letztlich nicht zur Heirat gekommenen Mägde hier nicht ausgeklammert.

419 heiraten, mit diesem aber das Küchlebäckergewerbe ausüben. Berücksichtigen wir das sehr ungleichgewichtige Zahlenverhältnis von BUrgertöchtern und ortsfremden Mägden - nur 17 Bürgertöchtern (34 %) standen nämlich 33 auswärtige Mägde (66 %) gegenüber - zeigen sich sehr aufschlußreiche Abweichungen in der Partnerwahl von Bürgertöchtem und auswärtigen Frauen: 70,6 % der Bürgertöchter (12) waren mit einem zukünftigen Meister verlobt; 23,5 % (4) wollten 'gesellenweise' heiraten, und 5,9 % (1) heirateten einen von seinem Lehrberuf abweichenden Gesellen. Für die ortsfremden Mägde kehren sich die Zahlen nahezu um: Nur 30,3 % (10) konnten durch ihre Heirat Meisterinnen werden; 66,7 % (22) strebten eine Gesellenehe an, und 3,0 % (1) heirateten einen Gesellen auf ein freies Gewerbe. Insgesamt zeigt dies wohl deutlich, daß die Bürgertöchter danach strebten, sich in eine Meisterschaft zu verheiraten, während die fremden Mägde damit zufrieden waren, mit ihrem Mann ein verbürgertes Lohnarbeitspaar zu bilden. Bei der Berechnung der durchschnittlichen Dauer des Gesindedienstes zeigte sich, daß sich die Bürgertöchter deutlich länger verdingten und dadurch in der Regel später verheirateten als die ortsfremden Mägde: Augsburger Frauen dienten im Schnitt 15,8 Jahre, die ortsfremden Mägde dagegen lediglich 12,7 Jahre.173 Um herauszufinden, ob dies vorrangig mit ihrer Partnerwahl zu tun hatte, müssen wir anhand der Frauen, deren genaue Dienstjahre bekannt sind (13 Bürgertöchter und 23 auswärtige Mägde), Gesindedienstzeiten und Partnerwahl vergleichen. Von den 23 ortsfremden Mägden hatten sich 13 mit Zimmergesellen verlobt, die sich - anders als die meisten Handwerker - gesellenweise verheiraten durften. Somit mußten sie weder die Kosten für das Meisterrecht noch für die Einrichtung einer Werkstatt aufbringen; sie hatten keine Ersitzjahre zu leisten, wurden in großer Zahl beschäftigt und konnten sich entsprechend früher verehelichen. Die ortsfremden Mägde, die sie heiraten wollten, hatten eine durchschnittliche Dienstzeit von 12,2 Jahren hinter sich. - Aber auch drei Bürgertöchter heirateten Zimmergesellen, die weiterhin als Gesellen arbeiteten; diese Frauen hatten jedoch im Schnitt 18 Jahre gedient, bevor sie sich verehelichten. Auch die Goldschlager durften nach einer Heirat im Gesellenstand weiterarbeiten, erhielten aber weniger leicht einen Heiratskonsens, da sie in wesentlich geringerem Umfang beschäftigt wurden als die Zimmerer. Eine ortsfremde Magd verehelichte sich mit einem Goldschlager 'gesellenweise': sie stand vor ihrem Heiratsgesuch 22 Jahre im Dienst. Die einzige Bürgertochter, die einen Goldschlagergesellen heiratete, diente jedoch ganze 30 Jahre. Die übrigen fremden Mägde, die sich alle mit Schneidern und Bäckern verheirateten, absolvierten durchschnittlich 10,9 Gesindejahre - die Bräute der Schneider 10,7 und die der Bäcker 11 Jahre während die in diese Handwerke heiratenden Bürgertöchter im Schnitt 14,4 Jahre dienten, wobei - getrennt nach Hand173

Vgl. oben Kap. Π.4.4.1.

420 werken - die zukünftigen Schneiderfrauen 14,5 Jahre, die Bäckerfrauen 14 Jahre arbeiteten. Die einzige Magd, die in das Buchbinderhandwerk heiratete, war eine Bürgertochter und hatte zuvor sechs Jahre gedient. Diese Zahlen zeigen deutlich, daß die Bürgertöchter in allen Sparten länger dienten als ortsfremde Frauen. Dem Erklärungsmodell, daß die ortsfremden Mägde kürzer dienten als die Bürgertöchter, weil sie Gesellenehen eingingen, scheint also zu widersprechen, daß die Bürgertöchter auch bei diesen Ehen länger dienten als die auswärtigen Frauen, während diese in einigen Fällen sogar dann noch kürzere Dienstzeiten aufwiesen, wenn sie in eine Meisterschaft heirateten. Die Frage nach dem Zusammenhang von Dienstjahren und Partnerwahl muß also noch einmal aus einer anderen Perspektive gestellt werden. Da sich bei der teilweise recht geringen Anzahl der Fälle die Problematik der Durchschnittswerte verschärft, sollen von den insgesamt 50 heiratswilligen Mägden die 36, deren Dienstjahre wir konkret kennen, in einer Übersicht dargestellt und nach Bürgertöchtern und fremden Frauen getrennt mit ihren jeweiligen Dienstjahren den Handwerken zugeordnet werden, in die sie heiraten wollten:

Heiratspartner der Mägde Schneider Bäcker Buchbinder Goldschlager (Gesellen) Zimmerer (Gesellen) Durchschnitt

Bürgertöchter Jahre 10; 12; 14; 15; 17; 19; 12; 161; 6; 30; 15; 18; 21; 15,8

fremde Frauen Jahre 7; 9; 16; 6; 8; 11; 12; 182; —

22; 263; 7; 8; 104; 10; 10; 10; 11; 12; 12; 16; 16; 16; 204; 12,7

[' Backofenbauer - keine Meisterschaft; 2 Küchlebäcker - freies Gewerbe; 3 Meisterehe; 4 abgewiesene Frauen]

Obwohl sich bei der hier verringerten Anzahl von Fällen (36 von 50, also 72 % von allen) der prozentuale Anteil von bürgerlichen und fremden Mägden verschiebt (Bürgertöchter von allen 34 %, jetzt 36,1 %; fremde Mägde von allen 66 %, jetzt 63,9 %) bleiben die Gewichtungen deutlich: Von den hier erfaßten Bürgertöchtern heirateten 61,5 % (8) in die Meisterschaft, 30,8 % (4) 'gesellenweise' und 7,7 % (1) gewerbeabweichend. Für die von auswärts kommenden Mägde ergibt sich wiederum fast eine Umkehrung: nur 34,8 % (8) heirateten Meister, aber 60,9 % (14) wollten Gesellenehen eingehen, 4,3 % (1) heirateten gewerbeabweichend.

421 Das Streben der Bürgertöchter nach der Meisterschaft bleibt ebenso unverkennbar, wie in der einzelnen Auflistung der Dienstjahre auf beiden Seiten einige 'Extremwerte' sichtbar werden, die die Durchschnittswerte stark beeinflussen, sich aber kaum handwerksspezifisch erklären lassen. Am auffälligsten erscheinen mir die sehr langen Dienstzeiten der Bürgertöchter, die sich schließlich 'nur* im Gesellenstand verheirateten, aber auch einige sehr kurze Dienstzeiten von auswärtigen Mägden, gleich ob sie Gesellenehen oder Meisterehen eingingen. Trotz der wenigen verfügbaren Informationen zur Situation einzelner Mägde, möchte ich im folgenden an einigen Beispielen fragen, ob gerade in den von den Durchschnittswerten weit abweichenden Fällen individuelle Umstände eine maßgebliche Rolle spielten. Die kürzesten Dienstjahre der ortsfremden Mägde, die sich 'gesellenweise' verheiraten wollten, absolvierte Anna Victorin: Nach nur sieben Mägdejahren wollte sie im Jahr 1802 den Zimmergesellen Jakob Gerbert heiraten. Daß die beiden besondere Umstände vorweisen konnten, belegt der Bericht des Handwerksgerichtes auf ihre Supplik um das Bürgerrecht und die Heiratserlaubnis. Gerbert arbeitete schon mindestens zwölf Jahre als Zimmergeselle in Augsburg, die letzten drei Jahre in der Grätzmühle von Christian Neuß, wo er einen wöchentlichen Verdienst von 16 Gulden hatte. Seine Braut arbeitete zum Zeitpunkt der Supplik bereits sechs Monate ebenfalls bei Neuß; sie hatte sich im Poliren von Silberarbeiten dergestalt ausgezeichnet, daß auch sie, wie Herr Neuß attestirt, bereits einen wöchentlichen Nebenverdienst von fl. 4 erwirbt.11* Wie außergewöhnlich hoch der Verdienst der beiden war, zeigen die Angaben von Roland Bettger, der für Maurer· und Zimmergesellen für die Zeit vor 1798 ein Jahreseinkommen in Höhe von knapp über 125 Gulden ermittelte, das bis 1808 auf etwas über 169 Gulden und danach auf 202 Gulden anstieg.'75 Allein der Lohn der Frau überstieg damit das Jahreseinkommen eines Gesellen dieses Handwerks. Den beiden, die in ihrem Arbeitgeber einerseits einen Fürsprecher hatten, andererseits von diesem langfristige Beschäftigung versprochen bekamen, wurde die Heiratserlaubnis erteilt. Gerbert erhielt das Bürgerrecht um die Hälfte der üblichen Gebühr, seiner Braut wurde sie ganz erlassen.176 So positive Gegebenheiten wie Anna Victorin hatte Elisabeth Reisacherin wohl nicht. Die Augsburger Bürgertochter stand 21 Jahre im Mägdedienst, bevor sie sich mit einem Zimmergesellen verheiraten konnte. Mit einem mehr als fünf Jahre über die durchschnittliche Gesindezeit der verbürgerten Mägde hinausreichenden Dienst absolvierte sie die zweitlängste Dienstzeit ihrer Gruppe. Welche Umstände 174 175

176

StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8, ohne Datum (1802). Vgl. R. Bettger, Das Handwerk, S. 164. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 210 nennt etwa die gleiche Lohnhöhe: in den 1790er Jahren konnten die Maurer- und Zimmergesellen einen Wochenlohn zwischen drei und vier Gulden verdienen. Nur besonders qualifizierte Gesellen erreichten fünf bis sechs Gulden. Vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8, 4.2.1802.

422

dazu führten, läßt sich nicht eruieren. Ihre gesamte Gesindezeit verbrachte sie in nur zwei verschiedenen Stellungen, wo sie sich eine anständige ansfertigimg erwerben konnte.177 Fühlte sie sich einfach wohl in ihrem Dienst, hatte sie keine Lust zu heiraten oder hatte sie in der Hoffnung auf eine 'bessere' Heirat so lange gedient? Mußte sie so lange dienen, um sich wenigstens die finanzielle Basis für eine Gesellenehe zu schaffen? Dieselben Fragen stellen sich im Fall der Bürgertochter Maria Gertraut Gizolin, die sich erst im Alter von 45 Jahren nach einem dreißigjährigen Dienst mit dem Goldschlagergesellen Johann Christoph Lang verheiratete. Lang arbeitete bei Andreas Koppmayr, dem Schwager der Gizolin, die mindestens 23 ihrer 30 Gesindejahre bei Goldschlagern gedient hatte.178 Auch die von auswärts kommende Magd Anna Maria Hofbäuren diente nahezu zehn Jahre länger als der Durchschnitt der fremden Mägde. Sie stand 22 Jahre im Gesindedienst, bevor sie mit dem Bürgerrecht 'begnadigt' wurde und sich mit einem Goldschlagergesellen verheiraten konnte. Ihr Verlobter hatte einen Wochenverdienst von vier bis fünf Gulden und besaß 400 Gulden Vermögen, so daß er für sie möglicherweise eine ebenso gute Partie war, wie sie für ihn. Das Handwerksgericht jedenfalls plädierte für eine Heiratserlaubnis nicht nur, weil der Geselle als fleißiger Arbeiter anerkannt war, sondern auch in Anerkennung der langjährigen Dienste der Braut.179 Die Situation der letztgenannten beiden Mägde, die sich mit Goldschlagergesellen verheirateten, war möglicherweise nicht so unterschiedlich wie es die achtjährige Differenz ihres Mägdedienstes erscheinen läßt. Schließlich lag auch die ortsfremde Magd mit ihrer Gesindedienstzeit so weit über dem Durchschnitt, daß ihre Jugendphase weit überschritten war. Ob die beiden Frauen sich nicht früher verheiraten konnten oder ob sie dies nicht wollten, muß offenbleiben. Erwähnt sei hier noch einmal, daß die 26jährige im Goldschlagerhandwerk absolvierte Dienstzeit der dritten Magd, die einen Goldschlager heiratete, darauf beruhte, daß sie die Erbin der Werkstatt war und mit ihrer Heirat auf die Übergabebereitschaft der mit ihr verwandten Witwe warten mußte."0 Nach diesem Vergleich einiger Fälle aus dem Bereich der Gesellenehen, sollen noch zwei weitere Fälle aus Handwerken, in denen üblicherweise nicht im Gesellenstand geheiratet werden durfte, herangezogen werden. Zunächst das Fallbeispiel einer Bürgertochter: Die Pfleger der verwaisten Maurertochter Regina Ortnerin baten für diese um die Heiratserlaubnis mit einem Bäckergesellen, der jedoch nicht Meister werden wollte, sondern mit dem Einverständnis seiner Zunft aufgrund besonderer Fähigkeiten als Backofenbauer und -reparateur arbeiten wollte, was offensichtlich ein gutes Einkommen versprach. Neben dieser Tätigkeit arbeitete er noch in der Schranne, wo er wöchentlich drei 177 178 179 180

StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8, 4.8.1794. Vgl. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, 6.11.1755, 29.4.1756 und 29.5.1756. Vgl. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 6, 4.12.1780. Vgl. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, 1.12.1762.

423 bis vier Gulden verdienen konnte. Regina Ortnerin hatte - so ihre Pfleger - nach dem Tod ihrer Eltern 16 Jahre lang im Gesindedienst gestanden. Da das Paar gemeinsam lediglich 200 Gulden besaß, wäre den beiden der Erwerb einer Backstube wohl niemals gelungen.m Das geringe Vermögen weist daraufhin, daß Regina Ortnerin von ihren Eltern nur wenig geerbt hatte, so daß die langen Gesindejahre wohl dadurch bedingt waren, daß sie sich die materielle Grundlage für eine Heirat erst mühsam erarbeiten mußte. Nun jedoch ging das Handwerksgericht davon aus, daß das Paar zukünftig eine gesicherte Nahrung haben würde, zumal auch die Frau in Zukunft durch weibliche Arbeiten sich nebenbei etwas zu verdienen gesinnet Eine völlig andere Situation finden wir bei der aus Bayern stammenden Magdalena Dollin: Sie hatte sich nach nur sechs Jahren Mägdedienst bei ihrem in Augsburg als Buchhändler lebenden Bruder mit einem Bäckergesellen verlobt und konnte darlegen, daß sie neben einer anständigen Ausfertigung 600 Gulden Heiratsgut und später noch einiges aus dem Erbe ihrer Eltern zu erwarten hätte. Johannes Krauß, der Bruder ihres Verlobten, ein Augsburger Bäckermeister, hatte für diesen bereits eine Bäckerei gekauft. Er selbst besaß zudem noch 300 Gulden.1*3 Bei so guten Startbedingungen hatten weder das Handwerksgericht noch die Steuermeister Einwände gegen die Heirat und die Erteilung des Bürgerrechtes.114 Dies traf auch für den Fall der Augsburger Bürgertochter Catharina Rosina Botzenhardtin zu, die sich nach nur sechs Dienstjahren mit einem Buchbinder verheiraten konnte, dem sie ein Gesamtvermögen von 1509 Gulden zubrachte. Mit 9,8 Jahren unter der durchschnittlichen Dienstzeit der Bürgertöchter war sie aus der Reihe der hier aufgenommenen verbürgerten Mägde diejenige, die sich nach dem kürzesten Gesindedienst verheiraten konnte."5 Soweit sich in der Gegenüberstellung der angeführten Fälle Gründe für besonders lange oder besonders kurze Dienstjahre der Mägde erkennen lassen, liegen diese in den finanziellen Verhältnissen der Frauen, aber auch in denen ihrer Partner: Während sich einerseits einmal ein ungewöhnlich hoher Verdienst, in anderen Fällen weitreichende finanzielle Unterstützungen durch die Herkunftsfamilien erkennen ließen, wodurch schließlich sehr frühe Ehen möglich wurden, zeigte sich andererseits, daß Frauen, die kein oder nur ein geringes Heiratsgut erhielten und auch keine Erbschaft zu erwarten hatten, offensichtlich sehr lange arbeiten mußten, bis sie sich eine halbwegs tragfähige materielle Basis geschaffen hatten, die eine Heirat ermöglichte. Dies traf sowohl auf die überdurchschnittlich lange dienenden Bürgertöchter zu, die dann aber doch 'nur' Gesellenehen eingehen konnten, als auch auf lange dienende auswärtige Mägde. 181 182 183 184 185

Vgl. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 21, 4.4.1791. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 21, 3.5.1791. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 23, 20.10.1788. Vgl. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 23, 12.11. und 13.11.1788. Vgl. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 6, 17.12.1810.

424 Insgesamt bleibt als zentrales Ergebnis der Analyse der Partnerwahl festzuhalten, daß sich die verbürgerten Mägde vorrangig mit Meistern verehelichten, wohingegen bei der Partnerwahl der ortsfremden Mägde in genau umgekehrtem Verhältnis die Gesellenehen in der Überzahl waren. Die Zahlen seien noch einmal angeführt: 70,6 % der sich verdingenden Bürgertöchter und nur 30,3 % der fremden Mägde heirateten in die Meisterschaft, während lediglich 23,5 % der verbürgerten, aber 66,7 % der fremden Mägde Gesellenehen eingehen wollten; 5,9 % der Bürgertöchter und 3,0 % der von außen kommenden Mägde heirateten gewerbefremd. Dieses Ergebnis legt nun aber nicht nur das Heiratsverhalten der Mägde offen, sondern stützt meine im Kapitel über die Partnerwahl der Meistertöchter dargestellte Annahme, daß es einem großen Teil der Meistertöchter - alle Meistertöchter waren ja ausnahmslos Bürgertöchter - gelingen konnte, sich mit einem Zunftmeister zu verheiraten, sofern sie sich nicht im elterlichen Handwerk verehelichen wollten oder konnten."4 Um ihren Sozialstatus zu erhalten, zogen es Meister·, aber auch andere Bürgertöchter offensichtlich vor, lange Jahre als Magd zu arbeiten, anstatt - wie es viele der ortsfremden Mägde taten - nach einer kürzeren Dienstzeit im Gesellenstand zu heiraten.

II.4.5.2 In die Ehe eingebrachte Güter: Heiratsgut und Sparvermögen Wenn sich Mägde - ob verbürgert oder von auswärts stammend - verheirateten, verließen sie den Gesindestand. In welche soziale Schicht sie einheiraten konnten, war - wie sich im vorausgehenden Kapitel zeigte - nicht unabhängig davon, welche Güter sie mit in die Ehe brachten. So erhöhten die familiäre Unterstützung in Form eines Heiratsgutes sowie die in eigener Arbeit erworbenen Ersparnisse die Chancen auf eine frühe oder wenigstens nicht allzu späte Ehe. Im folgenden soll der Frage nachgegangen werden, wie dieser materielle Hintergrund der heiratswilligen Mägde aussah. Für insgesamt 23 der 50 Mägde, die sich in eines der hier untersuchten sieben Handwerke verheirateten, verfügen wir über Vermögensangaben, wobei die Genauigkeit dieser Angaben variiert. Auffallend ist, daß keine der in das Schneiderhandwerk heiratenden Mägde bzw. ihre zukünftigen Ehemänner in ihren Suppliken um Heiratserlaubnis und Zulassung zum Meisterrecht ihren Vermögensstand darlegten. Acht der 13 betroffenen Frauen waren Meistertöchter, die sich wiederum in das Schneiderhandwerk verheirateten; von den übrigen fünf Frauen waren weitere zwei Bürgertöchter, die anderen drei ortsfremde Mägde. Zehn der Mägde besaßen das Bürgerrecht also bereits, wodurch die Verpflichtung entfiel, das für eine Aufnahme in die Bürgerschaft erforderliche Vermögen nachzuweisen. Die Zulassung ihrer Männer zum 186

Vgl. oben Kap. II.3.7.1.1.

425 Meisterrecht galt offenbar als Bestätigung dafür, daß das Paar eine ausreichende Nahrung finden würde."7 Dies galt entsprechend auch für die auswärtigen Mägde, die sich mit zukünftigen Schneidermeistern verheirateten. Wie die verbürgerten Mägde konnten sie vermutlich nach ihren teilweise sehr langen Gesindejahren eine gewisse Summe an Erspartem vorweisen, auch wenn dies nicht explizit angeführt wurde. Daneben zeigte sich gewissermaßen der Gesindedienst selbst als zentrales, von den Frauen eingebrachtes 'Gut', zumindest dann, wenn das Handwerksgericht langjährige Mägdedienste in die Waagschale legte, so daß sie Einwände der jeweiligen Handwerksvorgeher gegen die Zulassung eines Meisterkandidaten aufwiegen und die Aufnahme des Mannes in die Meisterschaft befördern konnten."8 Obwohl auch die neun Mägde, die sich mit Bäckergesellen verlobt hatten, mit Ausnahme von zwei Sonderfällen in die Meisterschaft heiraten wollten, finden wir hier bei acht von neun Fällen zumindest punktuelle Angaben zum von den Frauen eingebrachten Vermögen. Dies läßt sich handwerksspezifisch erklären, da ein Bäckermeister eine Bäckerei erwerben oder pachten mußte, wofür ein nicht unerhebliches Vermögen erforderlich war."9 Gerade im Zusammenhang mit Pachtverträgen achtete nicht nur das Steueramt, sondern auch das Handwerksgericht darauf, daß die Paare keine allzu geringen Rücklagen hatten. Insgesamt lassen sich sieben Mägde nachweisen, die in die Meisterschaft der Bäcker heirateten: zwei in eine eigene, fünf in eine gepachtete Bäckerei. Das mit weitem Abstand höchste Vermögen aller Mägde, nämlich 3000 Gulden, brachte die aus Bedungen an der Brenz stammende Crescentia Müllerin ihrem Bräutigam, einem ebenfalls ortsfremden Bäckergesellen, der bereits eine Backstube erworben hatte, zu. Da dieser Betrag nur summarisch angegeben wurde, bleibt unklar, ob er zur Gänze elterliches Heiratsgut war oder auch teilweise aus ihrem Verdienst kam.190 Die zweite ortsfremde Magd, die einen Bäckermeister heiratete, wurde bereits im Kontext der Partnerwahl angeführt: Magdalena Dollin erhielt neben einer anständigen ausfertigung, ein Heurath-Guth von 600 fl. Ob und wieviel sie sich in sechs Dienstjahren ersparen konnte, kann nicht geklärt werden; ihr Bräutigam besaß 300 Gulden und eine von seinem Bruder gekaufte Backstube."1 In diesen beiden Fällen trugen die Frauen mit dem von ihnen eingebrachten Vermögen ganz beträchtlich zu einer gesicherten ökonomischen Zukunft bei. 187

188

189 190 191

Gleichwohl überprüfte das Steueramt in der Regel auch in diesen Fällen, ob der Kandidat eine ausreichende finanzielle Basis zur Werkstattgründung besaß. Anders als bei den gesellenweisen Heiraten wird dies jedoch in den Handwerkerakten nur sehr selten thematisiert. Vgl. hierzu beispielsweise den in Kap. Π.4.4.1 angeführten Fall der Anna Maria Schotterin, die aufgrund ihrer treuen Dienste und der mit diesem Dienst verbundenen Beziehungen die Erlaubnis erhielt, ihren Verlobten auf das Meisterrecht der Schneider zu heiraten, obwohl dieser keine Ersitzjahre geleistet hatte und vom Handwerk vehement abgelehnt worden war. Zu Kauf und Pacht von Gerechtigkeiten vgl. oben Kap. Π.2.6. Vgl. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 23, 4.10.1791. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 23, 20.10.1788; vgl. auch oben Kap. Π.4.5.Ι.

426 Fünf weitere Mägde heirateten Bäckergesellen, wobei ihre gemeinsamen Mittel lediglich für die Pacht einer Bäckerei reichten. Eine Augsburger Schlossermeistertochter erhielt vom Vater eine Ausstattung im Wert von etwa 300 Gulden, die zwar nur ungenau spezifiziert ist, jedoch beispielsweise Betten für Dienstboten umfaßte.192 Maria Barbara Schreyerin brachte einen angemeßenen Sparhafen sowie 400 Gulden in bar mit in die Ehe; ihr Bräutigam besaß lediglich 250 Gulden.193 Jeweils 400 Gulden besaßen Anna Barbara Geyerin und ihr Bräutigam Johann Jacob Bonn, die beide ortsfremd waren.1*4 Daß auch Sachwerte wie saitbere Kleidungs Stüke erwähnenswerter Besitz waren, zeigt die Supplik des Anton Miller, dessen Braut zudem 365 Gulden und 59 Kreuzer sowie eine standesmäßige Ausfertigung besaß.195 Im einzigen Pachtfall, der keine Vermögensangaben enthält, wurde der Braut das Bürgerrecht wegen ihrer vieljährigen treuen Dienste kostenlos erteilt. Vermutlich konnte auch sie während ihres Gesindedienstes zumindest eine kleine Summe ansparen.196 Für die beiden übrigen Mägde, die zwar einen Bäckergesellen ehelichten, aber nicht unmittelbar im Handwerk blieben, verfügen wir über keine detaillierten Angaben. Im vorhergehenden Kapitel wurde bereits der Fall der Regina Ortnerin angeführt, die zusammen mit ihrem Verlobten nur 200 Gulden besaß, so daß sie wohl niemals eine Bäckerei hätten erwerben können. Dennoch scheint ihr gemeinsamer Besitz eine für die Heirat ausreichende Basis gewesen zu sein.197 Die ortsfremde Magd Waldburga Jasnerin und ihr ebenfalls von außerhalb kommender Verlobter hatten sich in ihrer 18- und 15jährigen Tätigkeit zusammen 600 Gulden erspart. Sie wollten gemeinsam eine Küchlebäckerei betreiben und waren für dieses Gewerbe wohl vergleichsweise wohlhabend.19* Von den Mägden, die in das Bäckerhandwerk heirateten, waren - wie wir gesehen haben - die beiden Bürgertöchter mit den geringsten Mitteln ausgestattet. Bei dem in die Ehe eingebrachten Barvermögen der ortsfremden Mägde, das sich im wesentlichen zwischen 365 und 600 Gulden bewegte, bleibt zu bedenken, daß die ortsfremden Frauen bei der Aufnahme in das Bürgerrecht noch die damit verbundenen Gebühren zu bezahlen hatten. Wie bereits dargestellt, beliefen sich diese bis 1766 auf 25 Gulden pro Person, danach bis 1797 auf 50 Gulden und ab 1797 immerhin auf 100 Gulden, so daß sich das Vermögen noch erheblich reduzieren konnte. Von den sieben ortsfremden Mägden erhielt nur eine das Bürgerrecht kostenlos, zwei weiteren wurde die Hälfte der Gebühr erlassen, alle anderen

192 193 194 195 196 197 198

Vgl. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 16, 5.11.1771. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 23, 21.4.1801. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 23, 17.10.1796. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 23, 20.5.1796. Vgl. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 21, 9.2.1782. Vgl. oben Kap. Π.4.5.Ι. Vgl. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 18, 19.4.1755.

427 mußten die volle Summe bezahlen.199 Gleichwohl zeigt sich, daß die verbleibenden Summen, die die Mägde, die sich mit Bäckermeistern verheirateten, in die Ehe einbrachten, in fast allen Fällen ausreichten, um eine Auflage der Zunft bzw. des Handwerksgerichtes zu erfüllen: ein junger Meister sollte nämlich nach Abzug der Kosten für Bürger- und Meisterrecht sowie die Meisterstücke wohl 400500 Gulden in Händen haben™ Gelang es einem angehenden Bäckermeister also, die eng mit der Zulassung zum Handwerk verbundenen Kosten aufzubringen, stellte das von den Frauen eingebrachte Gut wohl zugleich das eigentliche Startkapital, aber auch eine gewisse Rücklage dar. Im Zusammenhang mit der Frage nach der Bedeutung des Vermögens für die Partnerwahl und die Dauer des Gesindedienstes wurde bereits das zweithöchste Vermögen, das eine Magd mit in die Ehe brachte, angeführt: Catharina Rosina Botzenhardtin, die sich mit einem Buchbindermeister verheiratete, konnte S00 Gulden baares pflegschaftliches Vermögen sowie 100 Gulden erspartes Capital und ein Mobiliarvermögen von 909 Gulden, insgesamt also 1509 Gulden, nachweisen.201 Die Bezeichnung 'pflegschaftliches Vermögen' und ein Hinweis in der Supplik, demzufolge ihr Vater bereits verstorben sein mußte, verweisen darauf, daß es sich um ein beim Pflegamt angelegtes Erbe handelte. Das hohe Mobilienvermögen stammte wohl ebenfalls aus Familienbesitz, wohingegen ihr erspartes Vermögen aus ihrem Gesindedienst resultiert haben dürfte. Allein ihr Barvermögen, das sie in die Ehe brachte, überstieg bei weitem die durchschnittlichen Kosten für die erforderliche Handwerksausstattung, die 1790 mit 400 bis 500 Gulden angesetzt wurden.202 Von den vier Mägden, die Goldschlagergesellen ehelichten, heiratete nur eine in die Meisterschaft: Lucia Freyin erbte die Handwerksgerechtigkeit und sicher auch das erforderliche Handwerkszeug von ihrer bisherigen Dienstherrin, als deren Base sie bezeichnet wurde. Sie brachte also ihrem Mann das gesamte Handwerk zu.203 Für zwei Frauen, die 'gesellenweise' in das Goldschlagerhandwerk heirateten, verfügen wir über keinerlei Vermögensangaben. Beide beförderten jedoch durch ihre langen Gesindedienste eine Heiratserlaubnis: So gutachtete das Handwerksgericht auf die zweite Supplik des Johann Christoph Lang - die erste war aufgrund des Einspruchs der Vorgeher abgelehnt worden - , daß beynebens seine etlich und 40.Jährige Desponsata gegen die 30. Jahr allhier in Bürgerlichen Diensten gestanden seye, derley vilUährige Dienst Bothen aber von hocher obrigkeith iederzeit gnädig angesechen zu werden pflegen.20* Die zweite Magd, Anna

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201 202 203 204

Zur Entwicklung der BUrgerrechtsgebühren und der mit diesen verbundenen Dienstbotenregelung vgl. oben Kap. Π.4.4.Ι. Bericht der Handwerksvorgeher der Bäcker aus dem Jahr 1790, zitiert nach R. Reith, Arbeitsund Lebensweise, S. 268. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 6, 17.12.1810; vgl. auch oben Kap. Π.4.5.Ι. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 268. Vgl. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, 1.12.1762. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, 8.4.1756 (Abweisung) und 29.5.1756.

428

Maria Hofbäuren, hatte nach 22 Dienstjahren das Bürgerrecht kostenlos erhalten und durfte sich mit Albanus Steiner, der seinerseits 400 Gulden besaß, verheiraten.205 Aufgrund der ausgesprochen langen Dienstjahre hatten die beiden Frauen sicher Ersparnisse vorzuweisen. Die dritte Magd, die eine Gesellenehe anstrebte, besaß neben einer standesmäßigen Einrichtungfl. 500 baares geld.206 Dies war eine Summe, die nahezu für die Ausstattung einer eigenen Werkstatt ausgereicht hätte, und sie versprach dem Lohnarbeitspaar, das sie schließlich bildeten, eine wirtschaftlich gesicherte Zukunft.207 Die 23 Mägde, die sich mit Zimmerleuten verlobt hatten, wollten alle 'gesellenweise' heiraten. Für 13 dieser Frauen liegen Angaben zum Vermögensstand vor, die von etwas erspahret,208 über sehr geringes Vermögen209 bis zu ganz konkret aufgeschlüsselten Summen reichen. Von insgesamt drei Paaren erfahren wir allerdings nur, wieviel sie gemeinsam besaßen, die Beträge lagen in diesen Fällen zwischen 150 und 465 Gulden.210 Detaillierte Angaben zu den von beiden Teilen in die Ehe eingebrachten Gütern finden sich dagegen in vier Fällen: Das insgesamt niedrigste Barvermögen wies mit 100 Gulden Maria Martha Wolinsky nach; ihr Bräutigam besaß jedoch weitere 150 Gulden.211 Zwei Mägde konnten über ein Barvermögen von je 200 Gulden verfügen, einer der Bräutigame konnte zusätzlich 140 Gulden, der zweite 400 Gulden beisteuern.212 Die Bürgertochter Elisabetha Reisacherin, deren Bräutigam seinerseits 301 Gulden nachweisen konnte, hatte sich eine anständige ausfertigung angeschaffet.2'3 Für weitere vier Fälle kennen wir nur die Beträge, die die Frauen einbringen konnten: Mit 160 Gulden besaß Victoria Scheitle vergleichsweise wenig.214 Dorothea Araunerin wollte dem Bürgersohn Gremser 250 Gulden zubringen, sie wurden mit ihrem Gesuch jedoch abgewiesen.215 Maria Anna Villerin erhielt von ihren Eltern 300 Gulden Heirats205 206 207

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2,1 212 213 214 215

Vgl. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 6, 4.12.1780. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, 9.11.1778. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 268: Nach den Angaben der Handwerksvorgeher benötigte 1790 ein Feingoldschlager 600 Gulden, ein Metallschlager 300 Gulden. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 7, 6.2.1747. In diesem KGH-Bericht heißt es, daß die Magd sich ein gutes Lob erworben, etwas erspahret auch sich mit nähen und Stricken einen neben Pfennig verdienen könne. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8, 25.2.1802. Als gemeinsames Vermögen von Johann Rinshoffer und Maria Hartmännin wurde im KGHBericht auf die erste Supplik des Paares ein Betrag von 150 Gulden genannt; im Bericht auf die zweite Supplik ist dann allerdings von 300 Gulden die Rede (vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8, 13.8.1781 und 24.10.1781). Anton Herling und Waldburga Kausin besaßen dagegen immerhin 350 Gulden sowie eine häusliche einrichtung (StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8, 14.10.1785). Mit 465 Gulden konnten Anton Wegmann und Apolonia Hegelin ein ansehnliches Vermögen vorweisen (vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8,31.1.1792). Vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 7, 27.6.1761. Vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8, 29.7.1790 sowie Fasz. 8, 31.8.1799. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8, 4.8.1794. Vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8, 23.7.1800. Vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8, 24.5.1773.

429 gut.2" Maria Anna Knötzingerin, eine Bürgertochter, besaß ebenfalls 300 Gulden bares Vermögen.217 Will man die in die Ehe eingebrachten Vermögen von Männern und Frauen vergleichen, ergeben sich verschiedene Schwierigkeiten: Wie dargestellt wurde, fehlen in vielen Fällen überhaupt differenzierte Angaben, in anderen wurde nur das Vermögen der Frauen angegeben. Kaum einzuschätzen ist auch, was im einzelnen unter der nur von Frauen mitgebrachten 'anständigen Ausfertigung' verstanden wurde und welcher Wert hierfür anzusetzen ist. Dies trifft - wenn auch mit der Einschränkung, daß dies nur bei Meisterehen relevant wurde - analog auf die nicht angeführte Handwerksausstattung zu: mußte sie erst angeschafft werden oder hatten die angehenden Meister die notwendigen Gerätschaften und anderes bereits erworben?21* Verglichen werden kann - mit den genannten Vorbehalten - das Geldvermögen. Dabei tritt dann allerdings zutage, daß im Rahmen aller hier untersuchten Handwerke in lediglich drei nachweisbaren Fällen die Bräutigame gleich viel wie oder mehr Vermögen als die Mägde vorweisen konnten, die sie heiraten wollten.219 In einigen anderen Fällen brachten wiederum die Frauen erheblich mehr Barvermögen in die Ehe ein als ihre Männer.220 Zu den schon angesprochenen Schwierigkeiten des Vergleichs kommen nun neue hinzu: In den Handwerken, in denen 'gesellenweise' geheiratet wurde, also keine teure Werkstattausstattung gekauft werden mußte - bei den Zimmerleuten und den Goldschlagern - finden sich insgesamt fünf Fälle, in denen nur das Vermögen der Frauen angegeben wurde. Zwar handelte es sich bei den Männern zweimal um Bürgersöhne, zweimal um 216 217 218

219

220

Vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8, 16.10.1800. Vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 6,5.3.1805. Dieses Problem wird beispielsweise im Fall der Pelzhändlerstochter Catharina Rosina Botzenhardtin sichtbar, die einen Buchbindermeister heiratete: wahrend sie ohne ihr Sachvermögen noch 600 Gulden besaß, wurde von ihm kein Besitz ausgewiesen. Zu bedenken ist in diesem Fall jedoch, daß Mayr, der von seiner ersten Braut verlassen worden war, seine Meisterprüfung sowie alle erforderlichen Verwaltungsvorgänge bereits auf diese Frau hin absolviert hatte, so daß von ihm nun vermutlich einfach keine Angaben mehr gefordert wurden. In den Buchbinderakten ist der erste Vorgang nicht enthalten. Vgl. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 6, 17.12.1810. So besaß der Zimmergeselle Johann Hartmann mit 400 Gulden das doppelte Vermögen seiner Braut (vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8, 31.8.1799), Christian Huter dagegen nur den eineinhalbfachen Betrag in Höhe von 150 Gulden (vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 7, 27.6.1761). Ein gleich hohes Vermögen konnte dagegen das zukünftige Bäckermeisterpaar Johann Jacob Bonn und Anna Barbara Geyerin nachweisen: sie besaßen beide 400 Gulden (vgl. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 23, 9.9.1796 und 17.10.1796). Während eine vormalige Magd neben ihrem Ersparten noch weitere 400 Gulden besaß, konnte ihr Verlobter, mit dem sie eine Backstube pachten wollte, lediglich 250 Gulden nachweisen (vgl. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 23,21.4.1801). Bei einem weiteren Bäckerpaar verfügte die Frau über 600, der Mann nur über 300 Gulden (vgl. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 23, 20.10.1788). Theresia Braunmayrin besaß mit 200 Gulden 60 mehr als der Zimmergeselle, den sie heiraten wollte (vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8,29.7.1790).

430 Beisitzersöhne und nur einmal um einen ortsfremden Gesellen, dennoch wurde gerade bei einer Gesellenehe das Vermögen genau überprüft, um zu verhindern, daß potentiell nahrungslose Personen Familien gründeten. Aber: Selbst wenn diese Gesellen tatsächlich kaum oder überhaupt kein Vermögen gehabt haben sollten, hätte der angegebene Besitz der Frauen ausgereicht, um - sofern die anderen Voraussetzungen erfüllt waren - einen Heiratskonsens zu erhalten: So besaß die Braut eines Goldschlagers 500 Gulden,221 zwei Zimmergesellenbräute verfügten über 300 Gulden, eine über 250 Gulden.222 Nur eine Frau lag mit 160 Gulden an sich unter dem erforderlichen Vermögen für das Bürgerrecht, das Paar bat entsprechend nur um den Beisitz.223 Aufgrund der Problematik, die diesen Angaben und Vergleichen innewohnt zu viele Aspekte sind nicht wirklich zu klären - , möchte ich statt auf einen Vergleich von Frauen- und Männerbesitz zu insistieren, eher dafür plädieren, das teilweise hohe Vermögen der Mägde in der im vorausgehenden sichtbar gewordenen erheblichen Bedeutung sowohl für den Erwerb des Bürgerrechtes als auch für die Gründung eines Handwerksbetriebes oder aber die wirtschaftliche Absicherung der Lohnarbeit hervorzuheben. Das von den vormaligen Mägden in die Ehe eingebrachte Gut setzte sich, wie wir gesehen haben, aus dem elterlichen Heiratsgut, Sachvermögen und von den Frauen im Gesindedienst Erspartem zusammen. Wie schwer es sein konnte, das erforderliche Mindestvermögen anzusammeln, wenn die familiäre Unterstützung in Form einer Mitgift ausblieb, kann nur an einigen Punkten angedeutet werden, da die Handwerkerakten hierfür praktisch keine Informationen enthalten. Peter Fassl sieht gleichsam aus der Sicht der städtischen Obrigkeit in der für die Aufnahme in das Bürgerrecht gesetzten Vermögensgrenze von 200 Gulden "eine natürliche Barriere", weil diese erst "durch langes eisernes Sparen" überschritten werden konnte.224 Was verdienten die Augsburger Mägde? In der Reichsstadt wurden Dienstverträge als freie Verträge zwischen Dienstherrschaft und Gesinde geschlossen, sie beruhten also nicht auf einer Gesindeordnung.225 Der Mägdelohn war verhandelbar, die Mägde waren aber - anders als die Gesellen, die ihren Lohn als Gruppe aushandeln konnten - nicht organisiert, so daß ihr Lohn uneinheitlich war und somit kaum eruierbar ist.226 Paul von Stetten äußerte in einer Denkschrift aus dem 221

222

223 224 225 226

Vgl. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, 9.11.1778. Diese Summe besaß sie - wie ihr Verlobter schrieb - nebst unser standesmäßigen Einrichtung. Vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 6, 5.3.1805 (Maria Anna Knötzingerin, 300 Gulden); Fasz. 8, 16.10.1800 (Maria Anna Villerin, 300 Gulden); Fasz. 8, 24.5.1773 (Dorothea Araunerin, 250 Gulden). Vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8, 23.7.1800. P. Fassl, Konfession, Wirtschaft und Politik, S. 54. Vgl. P. Fassl, Konfession, Wirtschaft und Politik, S. 72. Daß die Löhne von Frauen erheblich unter denen von Männern lagen, ist in der Forschung unumstritten. So verweist z.B. C. Ulbrich, Frauenarmut in der Frühen Neuzeit, S. 113 schon

431

Jahr 1791, daß der Jahreslohn von Dienstboten einschließlich Kost und Logis 24 Gulden, ohne Kost jedoch 120 Gulden nicht übersteigen sollte.227 Allerdings weist Peter Fassl darauf hin, daß zu diesem Zeitpunkt selbst die Mägde der Weber, die das ärmste Handwerk darstellten, bereits mehr verdienten. Für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts gibt er für Mägde, die gegen Kost und Logis dienten, ein Lohnspektrum von "0-50 fl." an.22* Die Dienstbotenschaft war in sich nicht homogen, was starre Regelungen erschwerte.229 Zudem scheinen solche auch nicht den Wünschen der 'Arbeitgeberseite' entsprochen zu haben, und noch 1823 kam man in der Diskussion um die Festsetzung von Tagelöhnen auf keinen gemeinsamen Nenner: die Löhne im Bereich von Haus- und Landwirtschaft sollten "der freien Concurrenz unbestimmt überlassen werden".230 Wenn wir mit Peter Fassl davon ausgehen, daß Mägde "durchschnittlich etwa 10 fl. pro Jahr" sparen konnten, liegen die Gründe für ihre überwiegend doch sehr langen Gesindedienstjahre auf der Hand.231 Leider finden sich nur zwei Fälle, in denen sowohl das ersparte Kapital als auch die Zahl der Dienstjahre angegeben wurden, so daß für einen aussagekräftigen Vergleich schlichtweg die Basis fehlt. Die beiden Fälle seien dennoch angeführt: Dorothea Araunerin, die über 10. volle Jahre getreu und fleißig gedienet, konnte in dieser Zeit lediglich SO Gulden sparen.232 Dagegen gelang es Regina Botzenhardtin, in nur sechs Gesindejahren 100 Gulden beiseitezulegen. Da sie den Besuch der Elementarschule nachweisen konnte und bei einem Kaufmann beschäftigt war, hatte sie dort möglicherweise

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mit der prägnanten Kapitelüberschrift "Ein Leben in Arbeit und Armut: Frauenlöhne" auf die Bedeutung der niedrigen Löhne und legt dar, daß auch in Deutschland seit dem 16. Jahrhundert die Männer- und Frauenlöhne auseinanderdrifteten (S. 114). In Hildesheim brachte - so S. Lesemann, Arbeit, Ehre, Geschlechterbeziehungen, S. 47-49 - die schlechter bezahlte Frauenarbeit betriebswirtschaftliche Vorteile. Für Augsburg wurde dies beispielsweise im Kontext der Diskussionen um die Zulassung der Mägde zur Zangenarbeit der Goldschlager sichtbar, wenn die Meister betonten, daß sie nit bestehen könten, wann sie die Gesellen auf solche arbeith setzen solten. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 2, 3.1.1693; vgl. auch oben Kap. Π.4.Ι. Auch im überregionalen Streit um die ZulSssigkeit der Frauenarbeit im Bortenmacherhandwerk wurde deutlich, daß die Frauen als billigere Konkurrenz gesehen wurden. Vgl. oben Kap. Π.3.3.2. Im Kontext der außerhäuslichen Lohnarbeit von Meistertöchtern wurde bereits das Lohngefälle zwischen Frauen- und Männerlöhnen im Manufakturbereich angesprochen. Vgl. oben Kap. Π.3.4. Vgl. hierzu P. Fassl, Konfession, Wirtschaft und Politik, S. 72. Vgl. P. Fassl, Konfession, Wirtschaft und Politik, S. 72 u. S. 103. C.-P. Clasen, Streiks und Aufstände, geht auf die Frage der Mägdelöhne nicht ein. Eine Klassifikation der Augsburger Dienstboten wurde 1813 vorgenommen: Zur Klasse I zählten die Kammeijungfem; Klasse Π umfaßte die Hausjungfern, Stubenmädchen und Ladenjungfern; Klasse ΠΙ bildeten die Köchinnen und zur Klasse IV gehörten die Hausmägde, Dienstmädchen, Aufwärterinnen etc. Vgl. P. Fassl, Konfession, Wirtschaft und Politik, S. 73. Zur Hierarchie der Arbeiten vgl. auch R. Dürr, Mägde in der Stadt, S. 148-152. Kommission der Gemeindebevollmächtigten, zitiert nach P. Fassl, Konfession, Wirtschaft und Politik, S. 72. P. Fassl, Konfession, Wirtschaft und Politik, S. 54. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 8, 24.5.1773.

432 besondere Aufgaben, die ihr zu einem guten Verdienst verhalfen.233 Zu bedenken bleibt, daß im ersten Fall der Heiratskonsens im Jahr 1773 erbeten wurde: ein Teil der davor geleisteten zehn Dienstjahre lag also in der Zeit der großen Not- und Hungeijahre um 1770, die von enormen Teuerungen begleitet waren. Die Gesindejahre der Botzenhardtin fielen dagegen in die kriegsbedingt schwierigen Jahre von 1804 bis 1810.234 Wie gelang es den Frauen, ihren spärlichen Lohn zu sparen? Olwen Hufton gibt eine Antwort auf diese Frage, verweist aber auch gleich auf die Problematik: "Der Lohn wurde ausbezahlt, wenn ein Dienstbote die Stellung verließ; dies konnte einem Mädchen dazu verhelfen, etwas anzusparen, aber es war damit auch der möglichen Unzuverlässigkeit seines Arbeitgebers ausgeliefert."235 Mägde konnten also nicht über regelmäßig ausbezahlten Lohn verfügen, sondern mußten ihre Herrschaft um Geld bitten, wenn sie welches benötigten. Auf diese Weise konnte nicht nur ein unerwünschter Stellenwechsel erschwert werden, auch das Konsumverhalten der Mägde war so problemlos kontrollierbar. Obwohl dies natürlich dazu beigetragen haben kann, daß eine ganze Reihe von Mägden trotz ihrer im Vergleich zu den Gesellen wesentlich niedrigeren Entlohnung höhere Vermögen vorweisen konnte, wird in dieser Handhabung evident, wie weit die Entscheidungsfreiheit der Mägde eingeschränkt werden konnte. Eine wohl größere Rolle spielte jedoch, daß die Frauen wußten, wie bedeutsam ihre Sparsamkeit für ihre Zukunft sein würde: je mehr Vermögen sie vorweisen konnten, desto freier waren sie in der Partnerwahl, desto fragloser wurden sie in das Bürgerrecht aufgenommen und desto besser war ihr innerehelicher Status. Erst ab 1803 konnten ärmere ortsfremde Mägde hinsichtlich ihrer Aussteuer auf Unterstützung von außen hoffen, denn in diesem Jahr richtete Anna Barbara von Stetten neben ihrer Bildungs- und Erziehungsanstalt für Mädchen eine Aussteuerstiftung ein.236 Zwar sollte diese in der Hauptsache den Mädchen zugute kommen, die das Stetten'sche Institut besucht hatten, also in der Regel Augsburger Bürgertöchtern, die Stifterin wollte aber - so von Seida -fremde Dienstboten, welche durch eine zehenjährige, in Einem Bürgershause ununterbrochen zugebrachte Dienstzeit sich einen statutenmäßigen Anspruch auf das Augsburgische Bürgerrecht erworben hätten, und deren Fleiß, Treue, Sittsamkeit und rechtschaffene Aufführung offenkündig sey, von dieser Wohlthat nicht ausschließen,237 Die betroffenen Mägde sollten der dritten Klasse der Kandidatinnen zugeordnet werden, was bedeutete, daß sie mit 50 Gulden ausgestattet werden konnten. Daß die Zahl der Nutznießerinnen nicht überschätzt werden darf, macht von Seidas Formulierung deutlich: Selbst hin und wieder sollte eine rechtschaffene fremde Per233 234 235 236 237

Vgl. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 6, 17.12.1810. Vgl. hierzu R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 91-98. O. Hufton, Frauenleben, S. 121. Vgl. hierzu oben Kap. Π.3.1. F. E. von Seida, Historisch-Statistische Beschreibung, S. 497.

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son hievon nicht gänzlich ausgeschlossen seyn, sondern eine kleine Aussteuer erhalten.2311 Die Unterstützung fremder Mägde dürfte also eher Seltenheitswert gehabt haben, und die Bedingungen, die die Mägde erfüllen mußten, weisen eine neue Qualität auf: Neben Treue, Redlichkeit, Fleiß und Sparsamkeit, die den Mägden im Untersuchungszeitraum abverlangt wurden und die ihnen in der Regel auch bescheinigt wurden, tritt hier nun mit der 'Sittsamkeit' eine spezifisch bürgerliche Tugend, die ein verändertes Frauenbild impliziert, in Erscheinung.239

II.4.6 Zusammenfassung Die Handwerkerakten erwiesen sich in bezug auf die Mägde als schwierige Quelle, zum einen weil die Mägde noch weniger als die bisher dargestellten Frauengruppen in Erscheinung traten, zum anderen weil für die Beantwortung aller hier interessierenden Fragen auch ein Perspektivenwechsel erforderlich wurde: Während sich für den ersten Teil des Kapitels der Blick konkret auf diejenigen Mägde richtete, die in den hier untersuchten sieben Handwerken tatsächlich als Mägde tätig waren, konnten die Fragestellungen des zweiten Teils nur anhand von Fallbeispielen beantwortet werden, bei denen Mägde in diese Handwerke heirateten. Aufgrund dieser quellenimmanenten Problematik sind die Protagonistinnen des ersten und des zweiten Teils nicht zwangsläufig identisch. Die Frage, welche Rolle die Mägde in den Handwerken spielten, wurde zunächst auf der normativen Ebene gestellt. In den Handwerksordnungen zeigte sich, daß die Handwerke einen sehr unterschiedlichen Umgang mit der handwerksspezifischen Mägdearbeit übten: Dieser reichte von ihrer Nichterwähnung in der Ordnung - so bei den Zimmerleuten, den Zinngießern und den Bäckern über eine Teilausgrenzung ihrer Tätigkeit - bei den Badern und Goldschlagern bis hin zum ausdrücklichen Verbot ihrer Mitarbeit im Handwerk bei den Schneidern und Buchbindern. Gleichwohl wurde in den Akten sichtbar, daß Verbote nicht bedeuteten, daß es diese Mägdearbeit nicht doch gab. Die Tätigkeitsfelder der Mägde im einzelnen erwiesen sich als schwer eruierbar, am deutlichsten waren sie bei den Goldschlagern zu erkennen, wo das Einlegen des geschlagenen Metalls in die Büchlein konkret als Mägdearbeit thematisiert wurde. Im Konflikt um die Mägdearbeit bei den Buchbindern und den Gürtlern wurde sichtbar, daß manche Mägde - wenn auch verbotenerweise - den Umgang mit Werkzeugen in den Meisterwerkstätten 'lernten' und ihn schließlich so 238 239

F. E. von Seida, Historisch-Statistische Beschreibung, S. 499. Zu den vorwiegend ökonomischen Tugenden, die den Mägden durch ihre Dienstherrschaften und die Obrigkeit bescheinigt wurden, vgl. oben Kap. Π.4.4.2. Zur Herausbildung des bürgerlichen Frauenbildes vgl. beispielsweise Barbara Duden, Das schöne Eigentum, bes. S. 130132.

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gut beherrschten, daß sie - bei den Buchbindern - als direkte Konkurrentinnen ihrer Meister gefürchtet wurden und - bei den Gürtlern - körperlich schwere Gesellenarbeiten verrichten konnten. Während bei den Bäckern wenigstens ein Fall für die Beteiligung von Mägden an der Arbeit im Bereich der Backstube sprach, ergaben sich für die Mägde der Schneider, der Bader, der Zinngießer und der Zimmerleute keinerlei Anhaltspunkte für deren Mitarbeit im Handwerk. Die handwerkliche Tätigkeit der Mägde zeigte sich starte von der Interessenlage der Gesellen und der Meister des Handwerks abhängig: von der konjunkturellen Lage, von den Verdienstmöglichkeiten der Gesellen und davon, ob die Meisterschaft für sich Vorteile sah. So war es bei den Goldschlagern unverkennbar, daß die Mägdearbeit nicht generell aus Gründen männlicher Handwerkerehre verboten werden mußte, denn wenn Gesellen aufgrund von Lohnvorteilen und Meister aufgrund der billigeren Mägdelöhne aus deren Arbeit Vorteile zogen, wurde sie durchaus zulässig. Lehnten die Gesellen die Mitarbeit der Mägde ab, verfügten sie über genügend Druckmittel gegenüber der Meisterschaft, um ein Verbot durchzusetzen. Mägdearbeit, die in Konkurrenz zur Meisterarbeit treten konnte wie dies bei den Buchbindern und Schneidern der Fall war - , wurde vehement untersagt. Im Konflikt zwischen den Buchbindern und den Buchdruckern wurde deutlich, daß die Buchbinder mit der Beschuldigung, die Buchdrucker würden sogar ihre Mägde mit Buchbinderarbeit beschäftigen, das Verwerfliche der an sich schon unrechtmäßigen Eingriffe in ihre Gewerbegerechtsame noch zu unterstreichen suchten. Trotz der aufgezeigten Probleme, mit denen Mägde im Handwerk also konfrontiert waren, hatten sie eindeutig auch die Möglichkeit, Tätigkeitsbereiche zu 'erlernen'. Dies wurde sowohl bei den unzünftigen Küchlebäckern sichtbar, deren Mägde von sich aus ganz offensichtlich zielgerichtet das Gewerbe 'erlernten' was nicht nur ihre eigene Interpretation war, sondern auch vom Handwerksgericht so gesehen wurde - , als auch bei den zünftigen Webern, die Mägden vorzügliche handwerksspezifische Kenntnisse bestätigten. Daß Mägde ihre Dienstplätze gezielt auswählten, sich Kenntnisse aneigneten und schließlich versuchten, sich in 'ihren' Gewerben zu verheiraten, belegt, daß ihrem Handeln ein persönlicher Lebensentwurf zugrunde liegen konnte. Selbst bei wechselnden Dienstplätzen strebten sie offenbar nach der Kontinuität ihrer Tätigkeiten. Die Frage, ob der Mägdedienst als Ausbildungsphase interpretiert werden kann, muß zumindest tendenziell bejaht werden, da sich in verschiedenen Fällen zeigte, daß Mägde in der Lage waren, langfristig verwertbare 'Berufskenntnisse' zu erwerben. Gleichwohl meine ich, daß die handwerksspezifische Arbeit nur einen Teil dieser Ausbildung ausmachte, der andere, nicht weniger wichtige Teil jedoch im Bereich des Haushaltens zu sehen ist. Insgesamt konnten Mägde bei ihren Meisterinnen und - je nach Handwerk oder Bedarf - auch in den Werkstätten Erfahrungswissen sammeln. Sie konnten von ihren Meisterinnen aber nicht nur die Arbeitsweisen, sondern auch

435 deren Rollen- und Sozialverhalten 'abschauen' und hatten somit ganz konkrete Vorbilder fur die von den meisten von ihnen angestrebte Rolle. Nach diesen praxisbezogenen Fragen sollte eruiert werden, welches Ansehen die Mägde genossen. Aus der Perspektive der Handwerkerakten bot sich hierfür zunächst die Ermittlung der Dienstjahre der Mägde an, die wir im wesentlichen aus den Heiratsgesuchen erfahren. Hieran konnte die Frage angeknüpft werden, inwieweit langjährige Dienste mit dem Bürgerrecht "belohnf wurden, da der Erwerb des Bürgerrechtes eine wesentliche Voraussetzung dafür war, daß man sich in Augsburg verheiraten und ein Gewerbe ausüben durfte, aber auch für die Aufnahme in die städtischen Stiftungen, mit der die Altersversorgung verbunden war. Das heißt, es war zu prüfen, in welcher Weise die Verordnung, nach der Gesinde, das mindestens zehn Jahre ununterbrochen in einem Bürgerhaus oder aber fünf Jahre in einem Patrizierhaus gedient hatte, kostenlos in die Bürgerschaft aufgenommen werden konnte, tatsächlich umgesetzt wurde. Im Ergebnis zeigte sich, daß langjährige Mägdedienste - im Durchschnitt dienten die Frauen 13,8 Jahre weder selbstverständlich zur Erteilung des Bürgerrechts für eine ledige Magd noch zum Erlaß der Bürgerrechtsgebühren bei einer Eheschließung führten. Zwar fanden sich eine Reihe von Fällen, bei denen Mägden entweder die ganze oder auch nur die halbe Gebühr erlassen wurde, die Entscheidungskriterien hierfür blieben aber undurchsichtig. Die Frauen hatten keinen Rechtsanspruch auf das Bürgerrecht, sondern konnten darum supplizieren und - mit Glück oder auch Beziehungen - eine obrigkeitliche 'Gnade' erhalten. Hier bestand für die Mägde eine eindeutige Rechtsunsicherheit. Supplizierte eine Magd oder ihr Bräutigam jedoch um einen Heiratskonsens und wurde wegen fehlender handwerksspezifischer Requisiten ein Dispens erforderlich, konnten die Paare damit rechnen, daß das Handwerksgericht und der Rat die Gesindedienste der Frau bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen würden. Mit einem solchen Dispens scheinen allerdings die Ansprüche auf einen Gebührenerlaß abgegolten gewesen zu sein. Da das Gesinde in zahlreichen normativen und literarischen Texten der Frühen Neuzeit in einem nahezu unglaublichen Ausmaß gescholten, mit Tieren gleichgesetzt und geradezu verteufelt wurde, sollte anhand der Augsburger Quellen ein zentraler Vorwurf, nämlich daß das Gesinde den Dienst allzu häufig wechseln würde, hinterfragt werden. Die Analyse der Dienstjahre und der Häufigkeit der Stellenwechsel ergab, daß knapp drei Viertel der Mägde länger als fünf Jahre und über ein Drittel sogar länger als zehn Jahre in einem Dienst blieben. Während diese Zahlen den krassen Widerspruch zu den stereotypen Vorwürfen der Unzuverlässigkeit der Mägde offenlegten, zeigten Arbeitszeugnisse und obrigkeitliche Stellungnahmen, daß die Mägde durchaus geschätzte Arbeitskräfte waren: Ehrlichkeit, Redlichkeit und Treue bildeten die positiven Topoi, mit denen sie beschrieben wurden. Das Handwerksgericht bestätigte dem Gesinde gar, mit den Tugenden der 'Häuslichkeit' und 'Sparsamkeit' zentrale ökonomische Leitbilder verinnerlicht zu haben.

436 Mit der Eheschließung endete der Gesindedienst der Mägde. Die Analyse ihrer Heiratsgesuche belegte, daß weit über zwei Drittel der Bürgertöchter, die als Mägde gedient hatten, in die Meisterschaft heirateten, während ortsfremde Mägde dies in weniger als einem Drittel der Fälle taten; fast genau zwei Drittel von ihnen gingen dagegen Gesellenehen ein, was wiederum nur knapp ein Viertel der verbürgerten Mägde tat. Dies bedeutet, daß die Bürgertöchter eindeutig nach Ehen im Zunfthandwerk strebten, die von auswärts stammenden Mägde aber mit Gesellenehen und der Aufnahme in das Bürgerrecht ihre Ziele erreicht sahen. Der hohe Anteil an Gesellenehen bei den fremden Mägden trug dazu bei, daß sie nach weniger Gesindejahren als sie die Bürgertöchter absolvieren mußten, heiraten konnten. Des weiteren zeigte sich, daß besonders große Abweichungen von den jeweiligen durchschnittlichen Dienstjahren sowohl bei den Bürgertöchtern als auch bei den fremden Mägden auf ihre individuellen finanziellen Umstände zurückzuführen waren. Hinsichtlich der von den Mägden in die Ehe eingebrachten Güter konnte gezeigt werden, daß sich diese sowohl aus Haushaltsgegenständen und Kleidung als auch aus elterlichem Heiratsgut und eigenen Ersparnissen zusammensetzen konnten. Die Angaben zum Vermögen in den Heiratsgesuchen wiesen zwar große Besitzunterschiede auf, insgesamt zeigte sich aber, daß viele der Mägde so viel Vermögen einbrachten, daß die Aufnahmebedingungen für das Bürgerrecht erfüllt waren und das von den Handwerken geforderte Mindestvermögen vorhanden war. Ein Vergleich der Höhe des Barvermögens von Männern und Frauen belegte, daß mehr Frauen ein höheres Vermögen als ihre Männer in die Ehe einbringen konnten als umgekehrt. Gleichwohl bleiben diese Überlegungen problematisch, da viele Vermögensangaben unvollständig und nicht verrechenbar waren. Im Kontext dieser Vermögensfragen stellte sich auch die Frage nach dem Mägdelohn, die jedoch nur äußerst vage zu beantworten war, da die Gesindelöhne in Augsburg auf der Basis einer freien Absprache zwischen Gesinde und Dienstherrschaften beruhten und sich als kaum eruierbar erwiesen. Daß die Mägde bei ihren im Vergleich zu den Gesellenlöhnen wesentlich geringeren Verdiensten dennoch zu teilweise ansehnlichen Vermögen kamen, beruhte einerseits darauf, daß sie ihren Lohn erst am Ende der Dienstzeit ausbezahlt erhielten, andererseits - und wohl hauptsächlich - aber darauf, daß das Wissen der Mägde um die Bedeutung ihres Vermögens für ihre Zukunft ihre Sparsamkeit sicherlich förderte. Im Vergleich mit den Meisterfrauen, den Meisterwitwen und den Meistertöchtern erscheinen die Mägde nicht nur als die Gruppe, die in den Handwerkerakten am wenigsten sichtbar wurde, sondern auch als diejenige, die zunftrechtlich den größten Abstand zum Handwerk hatte. Wie wir gesehen haben, bedeutete dies allerdings nicht, daß sie nicht auch in den Werkstätten als Arbeitskräfte benötigt und eingesetzt worden wären. Ihre Mitarbeit war weniger selbstverständlich und aufgrund ihrer Nichtzunftfähigkeit in größerem Maße kontrolliert und untersagt als die der Meistertöchter. Stärker als diese waren sie in bezug auf die Möglich-

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keit, im Handwerk zu arbeiten, vom Interesse des Handwerks und seiner Gesellen abhängig. Während die Meistertöchter gewissermaßen ihre Familien als 'Lobbyisten' hinter sich hatten und auch die Handwerke als Ganze die Interessen der Meistertöchter - immerhin ihrer eigenen Töchter - zumindest im Rahmen der Zunftinteressen zu vertreten versuchten, waren die Mägde sehr viel ungeschützter den jeweiligen Interessenlagen der Meisterschaft und der Gesellen, die durchaus ambivalent sein konnten, ausgesetzt. In bezug auf die Werkstattarbeit mußte sich kein Handwerk gegenüber den Mägden verpflichtet fühlen.

III. Frauenarbeit im Zunfthandwerk Versuch einer übergreifenden Analyse In den vorausgehenden Kapiteln konnten vielschichtige Erkenntnisse zu Handlungsfeldern und Handlungsbedingungen von Frauen im Handwerk gewonnen werden. Zwar beruhen diese Erkenntnisse auf einer Fülle von Fallstudien, gleichwohl meine ich, daß es sich insgesamt um mehr als um eine Sammlung von bloßen Einzelbeispielen handelt: In der Zusammenschau der Ergebnisse, die sich innerhalb der je untersuchten Frauengruppen fanden, wird sichtbar, daß sich diese gegenseitig bestätigen. So zeigte sich, daß die Kenntnisse, die Meistertöchter im elterlichen Haushalt und der Werkstatt, aber auch im Mägdedienst nachweislich sammeln konnten, tatsächlich die Voraussetzung dafür bildeten, daß sie als Meisterfrauen die ihnen zufallenden Aufgaben erfüllen konnten und daß die von den Meisterfrauen im Rahmen der nachweisbaren Tätigkeiten gewonnenen Erfahrungen diese wiederum befähigten, im Witwenstand das eheliche Handwerk im aufgezeigten Ausmaß und in voller Verantwortung fortzuführen. Im folgenden sollen die im Einleitungskapitel dargelegten und erläuterten Auswahlkriterien für die zu untersuchenden Handwerke, die zugleich als Vergleichskriterien angelegt sind, aufgegriffen werden: Meisterfrauen, Meisterwitwen, Meistertöchter und Mägde waren - dies wurde im Hauptteil der Untersuchung deutlich - in unterschiedlichem Umfang an der handwerksspezifischen Arbeit beteiligt. Da manche Handwerke aus einer traditionell hauptsächlich weiblichen, andere aus einer traditionell stärker männlichen Arbeitssphäre entstanden sein sollen, wurden für die vorliegende Untersuchung Handwerke aus allen Branchen herangezogen, so daß nun auf der Basis der bisherigen Ergebnisse vergleichend gefragt werden kann, ob diese unterschiedlichen Ursprünge die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen in den jeweiligen Handwerken im hier behandelten Untersuchungszeitraum beeinflußten und ob eventuelle Unterschiede wiederum gewerbespezifisch divergierten oder eher allgemeingültig waren. Die beiden weiteren Auswahlkriterien - die Höhe des erforderlichen Kapitalbedarfs sowie die Größe des jeweiligen Handwerkes, also Umfang und Entwicklung der Meisterschaft - sind rein gewerbespezifische Kategorien und sollen sowohl hinsichtlich ihrer Wechselwirkung aufeinander als auch ihrer Wirkung auf die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen in den Handwerken hinterfragt werden. Da diese beiden Kriterien stark aufeinander bezogen sind, werden sie in einem gemeinsamen Untersuchungsansatz analysiert werden, wobei der Kapitalbedarf als Ausgangskriterium gesetzt wird. Sollten sich über diese Auswahl- und Vergleichskriterien Übereinstimmungen zwischen verschiedenen Handwerken herauskristallisieren, ließe sich fragen, ob und inwieweit dies Rückschlüsse auf andere, hier nicht untersuchte Handwerke erlauben würde.

439 Mit "Versuch einer Ubergreifenden Analyse" wird das Kapitel vor allem deshalb überschrieben, weil in dem Bemühen, verallgemeinernde Aussagen zu treffen, besonders deutlich wird, daß die insgesamt gewonnenen Erkenntnisse zwar auf einer seriellen Quellenauswertung beruhen, die jedoch aufgrund der verschiedenartigen Qualitäten der Quelleninhalte keine Quantifizierung zuließ, so daß ein Vergleich nicht ohne Schwierigkeiten bleibt.

III. 1 'Eher weiblich' oder 'eher männlich' - der Handwerkstyp als Parameter für die Möglichkeiten von Frauen? Ausgehend von dem Wissen um den Prozeß, "der im Früh- und Hochmittelalter zur Entstehung einer Vielzahl männlicher Gewerbe aus ursprünglich weiblichen Tätigkeitsbereichen geführt hat", und von der oft zu lesenden Feststellung, daß Frauen "in handwerklichen Familienbetrieben [...] vielfach mitarbeiteten], insbesondere in solchen, die ehemals weibliche Verrichtungen fortsetzten",1 während es "eine gänzliche Ausschliessung der Frauen in solchen Berufen geben konnte, die der typisch männlichen Arbeitssphäre zugeordnet werden",2 wurden die hier untersuchten Handwerke in heuristischer Absicht in der Weise ausgewählt, daß alle sieben Branchen mit je einem Handwerk vertreten sind und somit Handwerken mit ursprünglich 'eher weiblichen' Tätigkeitsfeldern solche mit 'eher männlichen' Tätigkeitsfeldern gegenüberstehen. Mit der Einschränkung 'eher* möchte ich meine Skepsis zum Ausdruck bringen, die - wie ich meine - auch gegen die Annahme eindeutiger geschlechtsspezifischer Arbeitsrollen für frühere Zeiten zu hegen ist. Wenn ich im folgenden von 'eher männlichen' oder 'eher weiblichen' Gewerben spreche, dient dies der besseren Lesbarkeit, bezieht sich jedoch auf die dargestellten Wurzeln der Tätigkeiten im Haus. Wie sind die hier untersuchten Handwerke idealtypisch geschlechtsspezifisch zu kategorisieren? Das Bäckerhandwerk umfaßte als Nahrungsmittelhandwerk Tätigkeiten, die vor der Spezialisierung im Rahmen der Zunfthandwerke als häusliche Arbeiten galten. Dies trifft auch auf das Handwerk der Bader und Barbiere zu, denn die Wundversorgung und die Krankenpflege oblagen vor der Entstehung dieses Handwerkes ebenfalls den Frauen. Auch die Herstellung der Kleidung war

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M. Mitterauer, Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, S. 82 sowie ders., Familie und Arbeitsorganisation, S. 28. Vgl. auch den Beitrag von K. Bodarwö, Von der Frauenarbeit zum Männerberuf. Frauenarbeit im Mittelalter. P. Eggers, Frauenarbeit im Handwerk, S. 110 und dies., Lebens- und Arbeitswelt der Hamburger Handwerksfrauen, S. 277.

440 vor der Herausbildung von spezifischen 'Berufen' von Frauen zu leisten und ging später vollständig in den Zuständigkeitsbereich des zünftigen Schneiderhandwerkes über. Diese drei Handwerke wurzeln also in einer traditionell 'eher weiblichen' Arbeitssphäre.3 Das Buchbinderhandwerk, das in großem Umfang erst entstand, als es längst eine arbeitsteilige städtische Wirtschaft gab und das keinerlei Wurzeln im Bereich des häuslichen Rahmens hatte, muß entsprechend als Gewerbe mit 'eher männlichen1 Tätigkeitsfeldern eingestuft werden.4 Als metallverarbeitendes Gewerbe ist das Zinngießerhandwerk ebenso wie das zu den Kunst- und Veredelungshandwerken zählende Goldschlagerhandwerk der Sparte der 'eher männlichen1 Tätigkeiten zuzurechnen. Das Handwerk der Zimmerleute ging - so Michael Mitterauer - aus den vormals häuslichen Arbeiten von Männern beim Hausbau hervor und ist als 'eher männlich' einzustufen.3 Da sichtbar wurde, daß die Beteiligung der verschiedenen 'Frauengruppen' an der handwerksspezifischen Arbeit unterschiedlich ausgeprägt war, soll die vergleichende Analyse ihrer Teilhabe an 'eher weiblichen' bzw. 'eher männlichen1 Handwerken wiederum aus der jeweiligen Perspektive der Meisterfrauen, Meisterwitwen, Meistertöchter und Mägde vorgenommen werden.

III. 1.1 Meisterfrauen in 'eher weiblichen' bzw. 'eher männlichen' Handwerken Die handwerksspezifischen Arbeitsfelder der Meisterfrauen zeigten sich, soweit die Quellen den Blick auf sie freigaben, vielschichtig. Führten die Gewerbe offene Läden, wie dies die Bäcker, die Buchbinder und die Zinngießer taten, gehörten diese zum Verantwortungsbereich der Meisterinnen. Während die Bäckerinnen auch für den Verkauf auf dem lokalen Brotmarkt zuständig waren, fanden sich keine Hinweise dafür, daß die Frauen der Zinngießer zu den regionalen Jahrmärkten gereist wären.6 In bezug auf den Verkauf im Laden werden keine Unterschiede zwischen den Gewerben mit ursprünglich 'eher männlichen' bzw. 'eher weiblichen' Arbeiten sichtbar. Die Meisterinnen arbeiteten aber nicht nur in den Läden, sondern auch in den Werkstätten. Fragen wir zuerst nach ihren Tätigkeitsfeldern in den 'eher weiblichen' Gewerben: Für die Frauen der Bäcker gibt es eindeutige Belege dafür, daß sie in der Backstube tätig waren, bei Abwesenheit des Mannes die Gesellen kon3

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Vgl. M. Mitterauer, Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, S. 83 und L. Roper, Das fromme Haus, S. 46. Diese Zuordnung erfolgt in Analogie zu den Darlegungen von M. Mitterauer, Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Vgl. M. Mitterauer, Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, S. 83. Vgl. Kap. II. 1.2.1.3.

441 trollierten, aber auch selber Hand anlegten. Auch Schneidermeisterinnen konnten weitreichende Arbeiten im Handwerk Ubernehmen und - so die Aussage einer Meisterfrau - 'der Profession kundig' sein. In die Tätigkeitsfelder der Ehefrauen der Bader gewähren die Handwerkerakten dagegen kaum Einblicke, so daß wir nicht wissen, inwieweit sie Arbeiten in der Badstube übernahmen. Auch in den 'eher männlichen' Gewerben finden sich solche Lücken: So können wir weder für die Frauen der Zinngießer noch für die der Zimmerleute Aussagen darüber treffen, ob sie in der Werkstatt mitarbeiteten. Vermutlich übernahmen sie wie die Frauen der Buchbinder und der Goldschlager zumindest verwaltende Tätigkeiten: das Eintreiben der Forderungen, die Besorgung des Schriftverkehrs und ähnliches. Die Buchbindermeisterinnen konnten sich neben den eher kaufmännischen Arbeiten auch in der Werkstatt ein weites Tätigkeitsfeld eröffnen, da die Herstellung von Futteralen sowie das Falzen und Heften der Druckbögen in ihren Aufgabenbereich gehörten. Den Ehefrauen der Goldschlager oblag neben den 'Verwaltungsarbeiten' mit dem Einlegen und dem Beschneiden des geschlagenen Metalls ein in der Ordnung ausgewiesenes Arbeitsfeld, das sie mit Töchtern und Mägden teilten.7 Im Vergleich wird hier sichtbar, daß wir in bezug auf ein 'eher weibliches' Handwerk und zwei 'eher männliche' Handwerke nicht wissen, inwieweit die Meisterfrauen beteiligt waren. Dieses mangelnde Wissen kann seine Ursache sowohl darin haben, daß die Frauen lediglich in den Quellen nicht sichtbar wurden, als auch darin, daß sie keine entsprechenden Tätigkeiten ausübten, so daß wir sie schlichtweg deshalb nicht sehen können. Wenn jedoch beispielsweise die Baderin Magdalena Deischin kurz nach dem Tod ihres Mannes nicht nur bat, ihren Sohn in der Lehre behalten zu dürfen, sondern anschließend auch ihre Badstube über zehn Jahre hinweg mit Erfolg führte, war dies sicher nicht ohne Erfahrungswissen aus der Zeit ihrer Ehe möglich.' Als sicher gilt, daß die Meisterinnen der Bäcker und der Schneider - also zweier 'eher weiblicher* Gewerbe - ebenso wie die der Buchbinder und der Goldschlager - und damit zweier 'eher männlicher' Handwerke - in den Werkstätten ihrer Ehemänner mitarbeiteten oder mitarbeiten konnten. Erinnern wir uns an die in den Fallbeispielen erkennbar gewordene Mitarbeit der Meisterfrauen, scheint mir die Arbeit der Schneider- und der Bäckerfrauen insofern weitreichender gewesen zu sein, als sie im gesamten Tätigkeitsbereich zu finden waren, während etwa die Goldschlagerfrauen ein eingegrenzteres Aufgabenfeld innehatten und wohl kaum an der eigentlichen Schlagarbeit beteiligt waren - zumindest gibt es hierfür keine Quellenbelege. Von einem normativ fixierten Aufgabenbereich wissen wir auch für die Frauen der Gürtler, die wie die Zinngießer, für deren Frauen wir keine Informationen haben, den metallverarbeitenden Gewerben angehörten.9 7 8 9

Vgl. Kap. Π. 1.2.1.1. Vgl. Kap. Π.2.2.1.2 und Π.2.2.1.3.2. Zu den Gürtlerfrauen vgl. Kap. Π.4.2.

442 Insgesamt gesehen geht meine Einschätzung im Hinblick auf die Beteiligung der Meisterfrauen an der Handwerksarbeit dahin, daß die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in den Handwerken mit ursprunglich 'eher männlichen' Tätigkeitsfeldern doch weitreichender war als in den Gewerben mit vormals 'eher weiblichen' Arbeiten. Damit stimme ich mit Olivia Hochstrasser überein, die meint, daß die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in den Handwerken "der traditionellen weiblichen Arbeitssphäre [...] nicht zwangsläufig so ausgeprägt [war] wie etwa im Bau-, Metall- und Holzgewerbe",10 möchte jedoch auch festhalten, daß sich keine Fallbeispiele fanden, die belegen würden, daß den Meisterfrauen in 'eher männlichen' Gewerben irgendwelche handwerklichen Tätigkeiten konkret verboten worden wären. Eine durchgehende Zwangsläufigkeit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung scheint auch in den traditionell 'eher männlichen' Arbeitsbereichen zu fehlen. Die Augsburger Meisterfrauen übten mit eher graduellen als substantiellen Unterschieden sowohl in 'eher weiblichen' als auch in einigen 'eher männlichen' Handwerken Tätigkeiten aus, die im Rahmen des Herstellungsprozesses notwendig waren und ebenso wie die Arbeiten der Männer der jeweiligen Handwerke bestimmte Qualifikationen erforderten. Es waren diese Qualifikationen, ihr Erfahrungswissen und ihr Einblick in die Gesamtabläufe der Arbeit, die die Meisterfrauen befähigten, nach dem Tod ihrer Männer die eheliche Werkstatt fortzufuhren. In keinem der hier untersuchten Handwerke gab es während des Untersuchungszeitraumes Bestrebungen, die Mitarbeit der Meisterinnen einzuschränken oder gar zu verbieten.

III. 1.2 Meisterwitwen in 'eher weiblichen' bzw. 'eher männlichen' Handwerken Die Witwen der Handwerksmeister besaßen in den hier untersuchten sieben Handwerken - und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit sogar in allen Augsburger Handwerken - ein uneingeschränktes Fortfuhrungsrecht, das während des gesamten Untersuchungszeitraumes in keiner Weise in Frage gestellt wurde. In einigen Handwerken existierte auf der Ebene der Ordnungen die Auflage, daß Witwen das Handwerk mit einem Gesellen oder aber mit einem handwerksfähigen Sohn treiben sollten. In der hier zu diskutierenden Kategorisierung betraf dies in den 'eher weiblichen' Handwerken die Witwen der Bader und der Schnei10

O. Hochstrasser, Hof, Stadt, Dörfle, S. 51. M. Mitterauer, Familie und Arbeitsorganisation, S. 28 hält seine Aussage vage, wenn er darstellt, daß "die Mitarbeit von Frauen wahrscheinlich in jenen Handwerkszweigen, in denen es keine solche Tradition weiblicher Arbeit gab [viel schwächer war]".

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der, in den 'eher männlichen' Gewerben nur die Witwen der Zimmerleute." Für das Schneiderhandwerk existieren jedoch eindeutige Belege dafür, daß Witwen de facto auch ohne Gesellen arbeiteten, ohne dafür belangt zu werden; für die Bader fehlen solche Hinweise. Das Zimmerhandwerk konnte aufgrund des hohen Arbeitskräftebedarfes gewinnbringend nur mit Gesellen betrieben werden, dies gilt wenn auch in wesentlich geringerem Umfang - ebenso für das 'eher weibliche' Gewerbe der Bäcker. Dagegen konnte für das 'eher männliche' Buchbinderhandwerk gezeigt werden, daß Witwen dort gut ohne Gesellen zurechtkommen konnten. Bei den Goldschlagern scheint eine Witwe einige Zeit ohne Gesellen gearbeitet zu haben, allerdings war nicht eruierbar, wie dies funktionierte. Ob und wie die Arbeit einer Witwe ohne Gesellen bei den Zinngießern möglich war, darüber geben die Quellen keine Auskunft.12 Während Merry Wiesner-Hanks das Verbot, Gesellen einzustellen, als einen von mehreren Schritten im Verdrängungsprozeß von Witwen aus den Zünften bewertet, sieht Lyndal Roper die Verpflichtung, Gesellen zu beschäftigen, als Hinderungsgrund für ärmere Witwen, ihr Handwerk fortzuführen.13 Im hier untersuchten Zeitraum scheint mir das Problem anders gelagert zu sein, denn es wurde keiner Witwe verboten, mit einem Gesellen zu arbeiten, andererseits liegt aber auch kein konkreter Konfliktfall vor, in dem eine Witwe zur Führung von Gesellen gezwungen worden wäre. Die Tatsache, daß die Beschäftigimg von Gesellen bei den Zimmerleuten, also einem 'eher männlichen' Bauhandwerk, zur nahrungssichernden Arbeit genauso unumgänglich war wie bei den Bäckern, einem 'eher weiblichen' Handwerk, das den Witwen jedoch keine Gesellen vorschrieb, verweist darauf, daß dieses Erfordernis nicht so sehr mit 'weiblichen' oder 'männlichen' Tätigkeitsfeldern verknüpft war, sondern vielmehr mit der Struktur des Betriebes: Die Vielfalt und die Menge der Tätigkeiten, die schlichtweg mehrere Personen erforderten, waren hierfür maßgeblich, und auch die Meister selbst benötigten in diesen Handwerken in aller Regel Gesellen. Dagegen konnten die Schneider· und die Buchbinderwitwen - obwohl die einen einem 'weiblichen', die anderen einem 'männlichen' Gewerbe angehörten - die einzelnen Arbeitsgänge gut alleine bewältigen. Daß es mit den Buchbindern und den Goldschlagern zwei 'eher männliche' Gewerbe waren, die den Witwen erlaubten, Lehrlinge und Jahrersitzer, die die Hälfte ihrer Zeit bereits vollstreckt hatten, zu behalten, könnte als besondere Unterstützungsmaßnahme gesehen werden. Wenn dies so gewesen wäre, stellte sich allerdings die Frage, warum sogar die Buchbinder, deren Witwen das Handwerk nachweislich alleine ausüben konnten und die nicht einmal de jure zur

" 12 13

Vgl. Kap. II.2.1. Vgl. Kap. II.2.2.1.3.1 und II.2.2.1.3.2. Vgl. M. Wiesner-Hanks, Ausbildung in den Zünften, S. 100 sowie L. Roper, Das fromme Haus, S. 49.

444 Beschäftigung eines Gesellen verpflichtet waren, nicht aber die Zinngießer, die ein schweres Handwerk betrieben, ihren Witwen Jahrersitzer bewilligten.14 Witwen aller Handwerke nutzten de facto ihr Fortfiihrungsrecht. Lediglich für die Zinngießer zeigte sich die Quellenlage in dieser Frage eher dürftig. Der wirtschaftliche Erfolg der Witwen bei der Fortführung ihrer Gewerbe ließ sich im einzelnen nicht exakt eruieren. Sofern die Gewerbe unter wirtschaftlicher Not litten, zeigte sich diese nicht geschlechtsspezifisch markiert, sondern verwies auf eine innerhandwerkliche soziale Differenzierung, die die Meisterschaft - einschließlich der Witwen - in wohlhabendere und ärmere Meister und Witwen teilte. Zwar wurde dies exemplarisch an zwei 'eher weiblichen' Gewerben - den Bäckern und den Schneidern - herausgearbeitet, es gilt aber auch für das 'eher männliche' Handwerk der Goldschlager, in dem eine Witwe erfolgreich ihre Werkstatt weiterführte, während mancher Meister aus Armut gesellenweise arbeitete.15 Insgesamt trifft für die hier dargestellten Witwen der Augsburger Handwerke nicht zu, was Petra Eggers für die Hamburger Frauen desselben Untersuchungszeitraumes feststellte: "Den Witwen vieler Gewerbe wird zwar offiziell die Weiterführung des Betriebes zugestanden, inoffiziell unterliegen sie jedoch weitgehenden Einschränkungen, deren Konsequenz das Herausdrängen der Witwen aus der aktiven Arbeit ist."16 Während sie in der Buchbinderwitwe "eine der wenigen Ausnahmen" sieht, "die entsprechend der offiziellen Bestimmung tatsächlich in eigener Verantwortung den Handwerksbetrieb nach dem Tod ihres Mannes weiterführt",17 ließen sich in der Haltung der sieben Augsburger Handwerke zum Fortführungsrecht der Witwen keinerlei Unterschiede erkennen. Dies beinhaltet natürlich auch, daß es solche auch nicht zwischen den Gewerben mit 'eher weiblichen' und denen mit 'eher männlichen' Tätigkeitsfeldern gab. Auch Olivia Hochstrasser, die für Karlsruhe eine Reihe von Fallbeispielen zur Handwerksfortführung durch Witwen im 18. Jahrhundert anführen kann, fand offensichtlich keine Hinweise auf Unterschiede in den jeweils 'eher männlichen' bzw. 'eher weiblichen' Handwerken - solche thematisiert sie nur für die Ehefrauen der Meister.18 Die Augsburger Witwen, die das eheliche Handwerk fortführten, waren in die Meisterschaft integriert. Kam es zu Konflikten, wichen diese im wesentlichen nicht von den Konfliktpunkten ab, die sich auch zwischen ihren Meisterkollegen 14 15 16

17 18

Vgl. Kap. Π.2.2.1.3.1 und Π.2.2.1.3.2. Vgl. Kap. U.2.2.2. P. Eggers, Lebens- und Arbeitswelt der Hamburger Handwerksfrauen, S. 280. Auch die von M. Wiesner-Hanks, Ausbildung in den Zünften, S. 100 konstatierte Einschränkung der Witwen als ersten Schritt eines umfassenden Ausgrenzungsprozesses von Frauen kann fur Augsburg nicht bestätigt werden. P. Eggers, Lebens- und Arbeitswelt der Hamburger Handwerksfrauen, S. 280. Vgl. O. Hochstrasser, Hof, Stadt, Dörfle, S. 46-52. Auch wenn Hochstrasser vermutet, daß die Witwen das eigentliche Handwerk weitgehend den Gesellen überließen oder überlassen mußten, gab es offenbar keinen Unterschied hinsichtlich des Fortfiihrungsrechtes. Vgl. hierzu oben Kap. Π.2.2.1.1.

445

und den Handwerken ergaben." Die Frauen übten in der Werkstatt - wie zuvor ihre Männer und absolut unabhängig davon, ob es sich um ein Gewerbe mit traditionell 'eher weiblicher1 oder 'eher männlicher1 Arbeitssphäre handelte - Führungsfunktionen aus: Sie waren in allen Handwerken der Ordnung verpflichtet, sie trugen in allen Handwerken die volle Verantwortung für die rechtmäßige Produktion sowohl gegenüber der jeweiligen Zunft als auch gegenüber ihren Kunden, zugleich hatten sie die Verantwortung als 'Arbeitgeberinnen' zu tragen.20

III. 1.3 Meistertöchter in 'eher weiblichen' bzw. 'eher männlichen1 Handwerken Im Hinblick auf die Arbeitsfelder der Meistertöchter im elterlichen Handwerk bleibt zunächst insgesamt festzuhalten, daß im Untersuchungszeitraum kein Handwerk, sei es 'eher weiblichen' oder 'eher männlichen' Ursprungs, Mädchen eine formale, zunftrechtlich gültige Lehre absolvieren ließ. Gleichwohl durchliefen die Mädchen eine 'Ausbildung' und bezogen die Begriffe der 'Lehre' und des 'Lernens' - wie die Quellen zeigten - durchaus auch auf sich.21 Auch für die Meistertöchter gilt, daß eine generelle Unterscheidung in gute Mitarbeitsmöglichkeiten in 'eher weiblichen' Gewerben und eine geringere in 'eher männlichen' Gewerben den Tatsachen nicht gerecht würde. Wenngleich sich in den Aktenbeständen des 'männlichen' Zimmerhandwerkes keinerlei Hinweise auf die Mitarbeit von Meistertöchtern fanden und bei den Zinngießem lediglich die Verkaufstätigkeit sichtbar wurde,22 konnten sie in den anderen 'eher männlichen' Gewerben, bei den Buchbindern und den Goldschlagern, konkrete handwerksspezifische Tätigkeiten ausüben. Während bei den Buchbindern das Falzen und Heften sowie die Futteralherstellung und der Verkauf von den Töchtern mitbesorgt werden konnte, waren die Meistertöchter der Goldschlager zusammen mit ihren Müttern und den Mägden für das Einlegen und das Beschneiden des geschlagenen Metalls zuständig. Auch die Töchter der Goldschmiede, die wie die Goldschlager zu den 'männlichen' Kunst- und Veredelungshandwerken zählten, hatten spezifische handwerkliche Aufgaben zu erfüllen. In den 'eher weiblichen' Gewerben zeigte sich, daß Bäckertöchter nicht nur zum Verkauf, sondern auch zur Mithilfe in der Backstube herangezogen wurden; bei den Badern sah sich eine Meistertochter sogar in der Lage, die Badstube der verstor19 20 21 22

Vgl. z.B. Kap. Π.2.3. Vgl. insgesamt Kap. II.2.2.1. Vgl. Kap.n.3.3.1. Für diese beiden Handwerke bestätigt sich die Feststellung von M. Mitterauer, Familie und Arbeitsorganisation, S. 28, daß "Hinweise auf unterstützende Arbeiten von Frauen" in den männlichen Arbeitssphären entspringenden Gewerben selten sind.

446 benen Eltern ein Vierteljahr im Ledigenstand mit einem Gesellen zu fuhren. Im Schneiderhandwerk wurde eine weitreichende Mitarbeit von Meistertöchtern deutlich, die soweit gehen konnte, daß der Geselle sich zu Hilfstätigkeiten verurteilt sah, während die Tochter die angenehme Arbeit erledigte. Wenngleich sich diese Befunde auf einzelne Fallbeispiele beziehen, machen sie doch das breite Spektrum zugelassener Tätigkeiten sichtbar.23 In den für die vorliegende Untersuchung herangezogenen Handwerken - und damit in 'eher weiblichen' ebenso wie in 'eher männlichen' Gewerben - gab es für den gesamten Untersuchungszeitraum keine Anzeichen dafür, daß die Mitarbeit der Töchter, die gleichwohl nur in der elterlichen Werkstatt stattfinden konnte, kritisiert oder ausgegrenzt worden wäre. Dieses Ergebnis fügt sich zunächst auch in die Feststellung Heide Wunders, daß trotz der "negativen Auswirkungen der handwerklichen Professionalisierung" die Mitarbeit von Meisterfrauen und -kindem unbestritten geblieben sei.24 Wie bei den Meisterfrauen selbst scheint mir auch hinsichtlich der Meistertöchter der Unterschied zwischen ihrer Beteiligung in 'eher weiblichen' und 'eher männlichen' Handwerken stärker graduell als substantiell gewesen zu sein: Während sie in den 'weiblichen' Gewerben tendenziell in allen Arbeitsbereichen zu finden waren, zeigten sie sich in den 'männlichen' Gewerben - mit Ausnahme der Buchbinder, wo sie umfangreiche Arbeiten erledigten, und der Zimmerleute, wo sie nicht in Erscheinung traten - in festgelegten Tätigkeitsbereichen. Im Kapitel 'Umstrittene Töchterarbeit und ihre Verdrängung aus dem Handwerk' zeigte sich jedoch an einem weiteren Zunfthandwerk, dem Bortenmacherhandwerk, unverkennbar, daß die Tätigkeit der Meistertöchter vom Wohlwollen des Handwerks und der Gesellenschaft abhängig war. Die Bortenmacher gehörten als Textilgewerbe zur gleichen Branche wie die Schneider, auch sie können als Handwerk mit 'eher weiblichen' Tätigkeitsfeldern eingestuft werden, wenngleich dieses Handwerk als Luxusgewerbe seine Wurzeln nicht in der häuslichen Produktionssphäre hatte. Wie wir gesehen haben, verboten die Bortenmacher auf Drängen der Gesellenschaft die Mitarbeit der Meistertöchter in ihrem Handwerk am Ende des 17. Jahrhunderts reichsweit. Einige Jahrzehnte später kam es trotz des beibehaltenen Verbotes wieder zu Konflikten wegen der Arbeit von Meistertöchtern, die diese also erneut 'erlernt' hatten, doch blieb ihre Arbeit de jure ausgeschlossen.25 Dieser Ausschluß der Bortenmachertöchter wird ebenso wie die Akzeptanz der Arbeit der Schneidertöchter hinsichtlich der beiden anderen Vergleichskriterien noch einmal zu hinterfragen sein. Hier bleibt aber bereits festzuhalten, daß eine Übertragung von Erkenntnissen über die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen selbst innerhalb einer Branche, die sich aus 'eher weiblichen' Handwerken zusammensetzt, zu deutlichen Fehleinschätzungen führen würde. 23 24 25

Vgl. Kap. 0.3.3.1. H. Wunder, "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 124. Vgl. Kap. Π.3.3.2.

447

III. 1.4 Mägde in 'eher weiblichen' bzw. 'eher männlichen' Handwerken Hinsichtlich der handwerksspezifischen Arbeitsmöglichkeiten der Mägde ergibt sich bei der getrennten Betrachtung der 'eher weiblichen" und 'eher männlichen' Gewerbe auf den ersten Blick ein interessantes Bild: Während die Mägde in den drei Handwerken mit traditionell 'eher weiblichen1 Arbeitssphären kaum in Erscheinung traten, fanden sie in zwei der 'eher männlichen' Arbeitsbereiche durchaus Aufgaben. Die Schneider verboten die Mitarbeit der Mägde streng, und die Handwerkerakten enthalten keine Konfliktfälle, die auf die Übertretung dieses Verbotes verweisen würden. Im Bäckerhandwerk deutet zwar ein Fall darauf hin, daß eine Magd im Bereich der Backstube präsent war, ob diese Präsenz jedoch verallgemeinert werden kann, ist fraglich. Für das Baderhandwerk verfügen wir über keinerlei Hinweise auf Art und Umfang der Beteiligung von Mägden am Handwerk. Anders in den Handwerken mit 'eher männlichen' Arbeitsfeldern: Im Goldschlagerhandwerk oblag den Mägden nach einer Phase des gänzlichen Ausschlusses eine festumrissene Arbeit, wenn auch mit der Einschränkung, daß jeweils nur eine Magd pro Werkstatt mitarbeiten sollte. Zusammen mit oder anstelle von Meisterfrauen und -töchtern konnten sie das Einlegen und Beschneiden des geschlagenen Metalls übernehmen. Die Buchbinder entschlossen sich erst im ersten Jahrhundertdrittel, die Mägdearbeit in den Werkstätten weitgehend zu verbieten, weil die Mägde sich als so lernfähig erwiesen hatten, daß sie für die Meister durch sogenannte 'Pfuscherarbeit' außerhalb der Werkstatt zur ernsten Konkurrenz wurden. Zukünftig durften sie nur noch zu Arbeiten herangezogen werden, die keine Gesellenarbeit war. Für das Handwerk der Zimmerleute sowie für die Zinngießer verfügen wir über keine Informationen, ob und inwieweit Mägde an der handwerklichen Arbeit beteiligt waren.26 Daß auch hier die nicht nachweisbare Beteiligung von Mägden nicht auf die Branchen übertragen werden sollte, wird deutlich, wenn man das schon mehrfach erwähnte Gürtlerhandwerk heranzieht: In diesem Handwerk, das gemeinsam mit den Zinngießern zur Branche der Metallverarbeitungshandwerke - und damit zu den 'männlichen' Gewerben - gehörte, durften Mägde begrenzte Arbeiten in der Werkstatt ausüben. Zumindest in einem Fall zeigte sich, daß diese Tätigkeitsfelder erheblich überschritten werden konnten. In einem weiteren Vergleich - diesmal im Bereich der 'eher weiblichen' Gewerbe - wird die Problematik von handwerksübergreifenden Rückschlüssen erneut sichtbar: Bei den Webern hatten Mägde mit der Vorbereitung der Rohwolle für das Spinnen und dem Spinnen der Garne selbst - also mit der Bearbeitung der wichtigsten Rohstoffe - spezielle Arbeits26

Vgl. Kap. Π.4.2.

448 felder inne, wogegen die Schneider, ein ebenfalls zur Textilbranche gehörendes Handwerk, die Mägdearbeit strengstens ausschlossen.27 Während die starke Beteiligung der Mägde im 'freien Gewerbe' der Küchlebäcker darauf hindeutet, daß sie außerhalb der Zünfte in 'eher weiblichen' Tätigkeitsfeldern weitreichende gewerbliche Mitarbeitsmöglichkeiten fanden,28 verweisen die Quellen darauf, daß die handwerksspezifische Mägdearbeit in den Zunflhandwerken starte von den Gegebenheiten der einzelnen Gewerbe abhing. Die Heranziehung der Mägde war wohl weniger mit der Kategorie 'geschlechtsspezifische Arbeitsteilung' verknüpft als vielmehr mit der Kategorie 'nicht zunftfähige Frauen' im Vergleich zur Beteiligung der zunftfähigen Frauen am Handwerk: Als Arbeit nicht zunftfähiger Frauen wurde sie generell strenger und argwöhnischer kontrolliert und überwacht als die der zunftfähigen Geschlechtsgenossinnen. Erschien sie einem Handwerk jedoch notwendig und akzeptierte die Gesellenschaft dies, spielte das Geschlecht zwar aus ökonomischen Gründen - Mägdearbeit war als Frauenarbeit billiger als Gesellenarbeit - eine wichtige Rolle, nicht aber hinsichtlich eines gewissen Arbeitsschutzes: Mägde blieben von schwerer körperlicher Arbeit nicht verschont. So stellt beispielsweise Silke Lesemann für Hildesheim fest, daß dort Mägde im Gtlrtlerhandwerk, also in dem Handwerk, in dem wir auch eine Augsburger Magd finden, "zumindest bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts zu körperlich schweren Arbeiten herangezogen" wurden. Darüber hinaus konnte sie auch die Beteiligung von Mägden in den Bauhandwerken nachweisen.25 Auf eine bislang weniger reflektierte Form der Arbeitsteilung, die gewohnte Vorstellungen von 'männlichen' und 'weiblichen' Arbeiten auf den Kopf stellt, macht Heide Wunder aufmerksam, nämlich auf die Arbeitsteilung innerhalb der Geschlechter: Während Ehefrauen die "mehr organisatorischen Aufgaben" übernahmen, wurden Mägden und Taglöhnerinnen auch körperlich harte Arbeiten übertragen.30 Für die Arbeit der Mägde spielten die Kategorien 'eher weibliche' oder 'eher männliche' Tätigkeitsfelder eine insgesamt marginale Rolle.

27 28 29 30

Vgl. Kap. Π.4.2. sowie Π.4.3. Vgl. Kap. Π.4.3. S. Lesemann, Arbeit, Ehre, Geschlechterbeziehungen, S. 48-49. H. Wunder, "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 102.

449

III.2 Kapitalbedarf und Meisterzahlen - relevante Kriterien für die Handlungsräume von Frauen? Nach der vergleichenden Gegenüberstellung der Handlungsfelder von Frauen in Handwerken, die aus traditionell 'eher weiblichen' bzw. 'eher männlichen' Arbeitssphären entstanden waren, soll hier den Fragen nachgegangen werden, ob der Kapitalbedarf der einzelnen Handwerke auf die Handlungsräume von Frauen sowie auf die wirtschaftlichen Chancen von Witwen wirkte und ob der Umfang der jeweiligen Meisterschaft die Möglichkeiten von Frauen in einem Handwerk prägte. Um diese Fragen beantworten zu können, wurden die Handwerke zum einen nach niedrigem, mittlerem und hohem Kapitalbedarf, zum anderen nach sinkenden, konstanten und steigenden Meisterzahlen geordnet Schließlich wurden die sieben Handwerke in der Weise ausgewählt, daß eine alle Kriterien umfassende Vergleichsbasis entstand. Kenntnis der Kapitalvoraussetzungen haben wir aufgrund einer Umfrage, die das Handwerksgericht im Jahr 1790 bei allen Handwerken durchführte und die Reinhold Reith in seiner Untersuchung "Arbeits- und Lebensweise im städtischen Handwerk" zusammenfassend darstellt.31 Mit den Schneidern wurde ein Handwerk gewählt, das einen niedrigen Kapitalbedarf und stark steigende Meisterzahlen aufwies; die Zimmerleute hatten ebenfalls relativ niedrige Kapitalvoraussetzungen, verzeichneten aber sinkende Meisterzahlen; einen mittleren Kapitalbedarf hatten die Goldschlager sowie die Buchbinder, in beiden Handwerken stiegen die Meisterzahlen zunächst an, sanken dann aber drastisch; die Zinngießer, die Bader und die Bäcker benötigten alle drei ein hohes Kapital, unterschieden sich aber in der Entwicklung der Meisterzahlen: während bei den Zinngießern die Meisterzahlen im Verlauf des Jahrhunderts zunächst stark anstiegen, dann aber deutlich sanken, blieben die der Bader und die der Bäcker nahezu konstant.

III.2.1 Die Handwerke mit niedrigem Kapitalbedarf Das Schneiderhandwerk hatte mit einem Kapitalbedarf von nur 100 Gulden eine ausgesprochen niedrige finanzielle Zugangsvoraussetzung.32 Obwohl die Ordnung vorsah, daß jährlich nur vier Gesellen zur Meisterschaft zugelassen werden soll-

31 32

Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 268-269. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 269.

450 ten,33 litt das Handwerk während des gesamten Untersuchungszeitraumes an einer stark steigenden Meisterzahl: Von 145 Meistern im Jahr 1701 stieg die Zahl auf 225 im Jahr 1755, belief sich 1789 auf 228 und sank dann bis 1806 auf 191.34 Die wirtschaftliche Lage des massiv übersetzten Gewerbes war schlecht, wenngleich es handwerksintern durchaus eine soziale Differenzierung gab. Es zeigte sich aber, daß keineswegs nur Witwen unter wirtschaftlicher Not zu leiden hatten: eine Vielzahl von Meistern war auf Flickarbeiten angewiesen und so mancher Meister arbeitete als Geselle. Der hohe Anteil von Alleinmeistern, also Meistern, die keinen Gesellen beschäftigen konnten, verweist ebenfalls auf die Probleme des Handwerks. Im Jahr 1712, als sich die Meisterzahl bei etwa 150 bewegte, konnten nach Angaben des Handwerks keine 50 Meister einen Gesellen beschäftigen; dies bedeutet, daß zwei Drittel der Meister als Alleinmeister arbeiteten.35 Dagegen fanden im Jahr 1806 bei insgesamt 191 Meistern immerhin 131 Gesellen Arbeit36 Neben der Tatsache, daß ein Teil der zur Schneiderei gehörenden Tätigkeiten zu den von Frauen generell erwarteten Kenntnissen gehörte, wirkte sich der geringe Gesellenbesatz sicher auch auf die Mitarbeitsmöglichkeiten der zunftfähigen Frauen, die sich in der vorausgehenden Analyse als umfangreich erwiesen haben, aus. Trotz der schlechten Beschäftigungslage für Gesellen opponierten diese nicht gegen die Arbeit der Frauen der Meisterfamilien. Die Maßnahmen, die getroffen wurden, um den Zulauf zur Meisterschaft einzudämmen, zielten neben der Verlängerung der Gesellenzeit auf die Erschwerung von Heiraten außerhalb des Handwerks - die hierfür erhobenen Gebühren wurden mehrmals erheblich erhöht. Die in unserem Zusammenhang wohl drastischste Maßnahme zeigte sich im 1757 erfolgten Übergabeverbot der Werkstätten von Witwen an Kinder, das allerdings - wie belegt werden konnte - nicht stringent eingehalten wurde und wenig Wirkung zeigte - ebenso wie die Gebührenerhöhungen für Heiraten außerhalb des Handwerks.37 In den Akten fanden sich die Fälle von neun Witwen, die sich mit Gesellen ihres Handwerkes verheirateten; 40 Witwen zogen es dagegen vor, ihr Handwerk nach teilweise langen Jahren der Fortführung an die nächste Generation weiterzugeben: in 34 Fällen erhielten Töchter die Werkstatt, nur vier Söhne übernahmen das Gewerbe ihrer Mütter, ein Geselle sowie ein Vetter einer Witwe zeigten sich als weitere Übernehmer.38 Insgesamt konnten 46 Schneidertöchter gezählt werden, die sich im Handwerk ihrer Eltern verheirateten.39 Aufgrund der sehr langen Wartejahre, die auch Meisterund Bürgersöhne, mehr aber noch die ortsfremden Gesellen durchzustehen hatten,

33 34 35 36 37 38 39

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

StAA, HWA, Schneider, Fasz. 35, Ordnung von 1731, Art. 24. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 25. Kap. U.2.2.2.2. R. Bettger, Das Handwerk, S. 187. Kap. Π.2.5.3 und 11.3.7.1.1. Kap. II.2.4.3, II.2.4.4 und II.2.5.2. Kap. II.3.7.1.1.

451 bis sie zum Meisterrecht zugelassen wurden, zeigte sich die Heirat von Witwen oder Meistertöchtern von Vorteil, denn der Ordnung zufolge sollten einem Gesellen bei der Heirat einer Witwe des Handwerks alle vier Ersitzjahre nachgelassen werden, bei der Heirat einer Tochter immerhin ein Jahr.40 Die im Vergleich zu den anderen Handwerken hohe Zahl der Eheschließungen von Meistertöchtern im elterlichen Handwerk relativiert sich jedoch, wenn man den Umfang des Schneiderhandwerks in Betracht zieht. Wenngleich Gesellen also den Weg der Einheirat in das Handwerk nutzten, zeigt sich auch hier, daß diesem keine allzugroße Bedeutung zukam. Trotz der geschilderten Probleme des Handwerks und obwohl der Zugang immer weiter erschwert wurde, blieb dieses wegen des niedrigen Kapitalbedarfes dennoch interessant, denn auch Gesellen ohne großes Vermögen hatten hier die Chance, zur Meisterschaft zu gelangen. Auch die Zimmerleute zählten zu den Handwerken mit insgesamt eher niedrigem Kapitalbedarf, hatten aber hohe Kosten für die Fertigung des Meisterstückes zu tragen, weshalb es immer wieder zu Konflikten kam.41 Die wirtschaftliche Lage der Zimmerleute hing eng mit der Baukonjunktur zusammen, die sich während des ganzen Jahrhunderts wechselhaft zeigte: Einen ersten Rückgang der Bautätigkeit gab es am Ausgang der 1730er und bis Mitte der 1740er Jahre. Dem Bauboom der 1760er Jahre, der bis 1770/72 anhielt, folgten Probleme bis etwa 1775; ein neuer Einbruch begann in den 1780er Jahren und erreichte seinen Tiefpunkt in den 1790er Jahren.42 Die sinkenden Meisterzahlen spiegeln sich unverkennbar in diesen Krisen. Während 1701 noch 15 Meister arbeiteten, waren es 1720 nur noch zehn, 1755 neun, 1781 sogar nur noch sechs und 1806 schließlich acht Meister.43 Die Meister wurden von den Bauherren nicht extra bezahlt, sondern "erhielten für jeden auf dem Bau tätigen Gesellen pro Tag den Gesellengroschen oder -batzen". Dies hatte zur Folge, daß sie daran interessiert waren, mit möglichst vielen Gesellen zu arbeiten und "den Arbeitsmarkt mit möglichst wenig Konkurrenten zu teilen".44 Reith errechnet für das 18. Jahrhundert eine durchschnittliche Gesellenzahl pro Meister von 20 bis 28 Gesellen.45 1806 allerdings arbeiteten die acht Meister mit nur 90 Gesellen.46 Daß keine Mitarbeit der Meisterfrauen und -töchter nachweisbar war, wird zum einen mit der im wesentlichen außer Haus verrichteten Arbeit, zum anderen mit dem hohen Gesellenbesatz zu erklären sein. Daß die Witwen ihr Handwerk fortführen konnten, steht außer Zweifel; ob sich ihr wirtschaftlicher Erfolg mit dem der Meister messen konnte, ließ sich nicht eruieren.

40 41 42 43 44 45 46

Vgl. Kap. Π.2.1 und Π.3.2. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 212-216. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 226-227. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 69. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 212. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 200. Vgl. R. Bettger, Das Handwerk, S. 189.

452 Die Zimmergesellen erhielten die Erlaubnis zur Verheiratung im Gesellenstand in der Regel dann, wenn die Beschäftigungslage einigermaßen gut war, einer als guter Arbeiter galt, seine Braut in der Lage war, ebenfalls zu verdienen, und das Paar ein ausreichendes Vermögen nachweisen konnte.47 Somit stellt sich die Frage, ob das Meisterrecht filr Gesellen bei der krisenhaften Entwicklung des Handwerks überhaupt noch besonders interessant war. Bei der Vielzahl von Gesellen lag es auf der Hand, daß nur ein ganz geringer Teil zur Meisterschaft gelangen konnte. Zugleich gab es aufgrund des niedrigen Kapitalbedarfs und der Bestimmung, daß Gesellen im Anschluß an die Lehre insgesamt nur sechs Jahre im Handwerk arbeiten mußten, bevor sie Meister werden konnten - es gab keine Ersitzjahrregelung - keine größeren Hindernisse für eine Heirat außerhalb des Handwerks. Die Handwerksordnung der Zimmerer sah keine Ermäßigungen für Gesellen vor, die Witwen oder Töchter des Handwerks heirateten. Soweit uns die Handwerkerakten Einblick gewähren, verheirateten sich zwei Witwen mit Gesellen ihres Handwerkes, eine weitere Witwe übergab ihr Handwerk an ihre Tochter, die sich darauf verheiratete.48 Welche Unterschiede zwischen den beiden Gewerben mit jeweils niedrigem Kapitalbedarf bewirkten die gegenläufige Entwicklung der Meisterzahlen, und wie wirkten diese auf die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen? Die Schneider produzierten auf Bestellung für den lokalen Bedarf. In Phasen schlechter Auftragslage konnten auch geringfügigere Aufträge, wie etwa die Ausführung von Flickarbeiten, etwas Geld einbringen und so die Nahrung notdürftig sichern, so daß sich eine Familie, ein verwitweter Meister oder eine verwitwete Meisterin über Wasser halten konnten. Die wenige Arbeit konnte dann gut ohne Gesellen bewältigt werden. Da sie Gegenstände des täglichen Bedarfes herstellten, konnten sie eine an sich durchgängige, wenn auch nicht für alle in gleicher Weise ausreichende Nachfrage vor Ort verzeichnen: Die Not des Handwerks hing entsprechend stärker mit seiner Übersetzung zusammen als mit Konjunkturschwankungen. Dagegen waren die Zimmerleute sehr stark von der lokalen Baukonjunktur abhängig und konnten aufgrund des hohen Arbeitskräftebedarfs weniger flexibel auf Auftragsschwankungen reagieren. Geringfügigere Arbeiten reichten in Krisenzeiten nicht aus, um den Gesellenbestand auf dem gewohnten Niveau halten zu können. Wegen der anders gearteten Gewerbestruktur ließen sich die Konjunkturkrisen der Baugewerbe wohl nur schwer überbrücken, was sich entsprechend an den sinkenden Meisterzahlen im Zimmerhandwerk ablesen läßt. Der Vergleich der beiden hier angeführten Handwerke macht deutlich, daß ein niedriger Kapitalbedarf nicht zwangsläufig dazu führen mußte, daß ein - wie es bei den Schneidern scheint - kaum noch steuerbarer Zulauf zur Meisterschaft ein

47 48

Zu den verheirateten Gesellen vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 207. Vgl. Kap. 11.2.4.3,11.2.5.1 sowie Π.3.7.1.1.

453 Massenhandwerk hervorbrachte. Der bereits angesprochene Unterschied hinsichtlich der Mitarbeit von Frauen ist hier eindeutig auf die verschiedenartige Gewerbestruktur der Handwerke zurückzuführen. An dieser Stelle bietet sich jedoch ein weiterer Vergleich an, da auch die Bortenmacher ein Handwerk waren, mit dem man - so die Vorgeher in der Umfrage des Jahrs 1790 - ohne sonderlich braves Vermögen mit Geschicklichkeit, Sparsamkeit und Fleiß sich ehrlich fortbringen konnte und das bis zur Jahrhundertmitte ebenfalls mit stark steigenden Meisterzahlen zu kämpfen hatte.49 Warum gingen die Bortenmacher so ganz anders mit der Arbeit ihrer Töchter um als die Schneider?90 Die Angabe der Vorgeher der Bortenmacher zum Kapitalbedarf zeigt, daß das Handwerk nur noch im Verlag ausgeübt wurde, denn an sich erforderte es schon wegen der teuren Rohmaterialien, aber auch wegen der langen Produktionsprozesse und des überregionalen Absatzmarktes ein hohes Kapital. Das Meisterrecht selbst und die Werkstattausstattung waren dagegen durchaus erschwinglich: das Handwerk forderte kein Meisterstück, und es mußten "lediglich ein Bandstuhl, eine Winde, ein Spulrad und ein Schweifrahmen [...] angeschafft werden".51 Die Meisterzahlen weisen - wie schon dargestellt - in diesem Handwerk nahezu dramatische Veränderungen auf: Von 138 Meistern im Jahr 1701 stieg die Zahl auf 202 Meister 1750, sank dann bis 1755 auf 170 Meister, bis 1781 weiter auf 114 Meister, erreichte 1789 mit nur elf Meistern einen absoluten Tiefpunkt, stieg dann aber wieder auf 64 Meister im Jahr 1806.5J Anders als die Schneider waren die Bortenmacher ein reines Exportgewerbe. Die Vielzahl der Meister, die zwar zunftrechtlich selbständig waren, aber dennoch gegen Lohn für die Verleger arbeiteten, konkurrierten nicht nur - wie die Schneider - untereinander, sondern hatten neben einer starken regionalen auch überregionale Konkurrenz. Als Luxusgewerbe bedienten sie darüber hinaus einen sehr krisenanfälligen Markt. Wie bereits dargestellt wurde, verschärfte eine technische Innovation - die Erfindung der Bandmühle, die zahlreiche Arbeitskräfte freisetzte - die Konkurrenz weiter. Die Gesellen, deren Arbeitsmarkt stark gefährdet war, konnten zwar ein Verbot der Töchterarbeit durchsetzen, mußten aber hinnehmen, daß die Meister verstärkt Lehrlinge ausbildeten, weil sie die Gesellenlöhne nicht bezahlen konnten.53 Da sich auch viele Schneider die Beschäftigung von Gesellen nicht leisten konnten, diese aber dennoch nicht versuchten, die Töchterarbeit zu verbieten, ist im folgenden zu fragen, ob es Unterschiede zwischen den jeweiligen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Schneider- und der Bortenmachergesellen gab, die ihr unterschiedliches Verhalten erklären können.

49 50 51 52 53

Zitiert nach R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 268. Zur Verdrängung der Bortenmachertöchter aus dem Handwerk vgl. Kap. Π.3.3.2. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 166 u. S. 174, Anm. 60. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 25. Vgl. oben Kap. Π.3.3.2.

454

Die Schneider, die fraglos ein Massenhandwerk darstellten, produzierten überwiegend in kleinen Betrieben, im ganzen stand einer großen Meisterschaft eine ebenfalls große Gesellenschaft gegenüber. "Da es sich um Handwerke [gemeint sind die Massenhandwerke, Ch. W.] handelte, die für den täglichen Bedarf produzierten, waren sie weitverbreitet, und die Gesellen bewegten sich in einem dichten Netz." Die Zuwanderung erfolgte vom Land wie aus den Städten, "[a]m stärksten dürfte der Anteil der aus der Region kommenden Gesellen in dieser Gruppe bei den Schneidern gewesen sein".54 Reith stellt dar, daß die weite Verbreitung gerade der Massenhandwerke in Verbindung mit ihrer Herbergskultur zwar eine weite Wanderung zuließ, sie aber nicht erzwang.55 Die Bortenmacher dagegen gehörten zu einer Gruppe von Handwerken, die es nicht in allen Städten gab: "Die weite Streuung der gewerblichen Standorte forderte lange Wanderabschnitte; die Wanderschaft war in diesen Handwerken daher durch besondere Probleme gekennzeichnet. Neben den üblichen Gefahren der Wanderschaft (Krankheit, Bettel und Soldatenwerbung) gestaltete sich die Arbeitssuche schwierig."56 Die Unterschiede zwischen den Bedingungen des Gesellendaseins bei den Schneidern und den Bortenmachern sind unübersehbar: Wenngleich die Schneidergesellen aufgrund der weit verbreiteten Armut der Meisterschaft wohl eher selten langfristige Beschäftigungen fanden, konnten sie leichter wechseln. Da es nahezu überall eine Vielzahl von Werkstätten gab, mußten sie nicht weit wandern. Anders die Bortenmacher, die - so Reith - angaben, daß sie oft monatelang auf Wanderschaft wären, bis sie einen Arbeitsplatz fänden. Aufgrund dieser Strukturen, die die sogenannten 'geschenkten' oder auch 'gewanderten' Handwerke kennzeichneten, waren die Gesellen auf gegenseitige Unterstützung angewiesen und pflegten eine ausgeprägte 'Gesellenkultur', zu der "vor allem das 'Geschenk', die eigenständige Arbeitsvermittlung und die strengen Vorstellungen von 'Ehre'" gehörten. Als 'Geschenk' wurde sowohl die materielle Unterstützung eines Gesellen bei seiner Ankunft in einer Stadt bezeichnet als auch das gemeinsame Trinken, mit dem jemand in die Gemeinschaft aufgenommen wurde.57 Während die wegen der wenigen Produktionsorte weiten Wanderwege den Gesellen die Arbeitssuche erschwerten, war, "[d]a auch die Zuwanderung Schwankungen unterlag und selbst bei guter Auftragslage nicht immer Gesellen zu bekommen waren, [...] in den geschenkten Handwerken auch die Mitarbeit der Meisterfrauen, Meistertöchter und Mägde üblich gewesen".58 Dies führte bei den Bortenmachern in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts - wie wir gesehen haben - zu heftigen Konflikten: Nachdem die Mitarbeit der Mägde im Handwerk bereits im Jahr 1600 verboten worden war, griffen die Gesellen nun die Töchterarbeit an, weil diese den an sich schon 54 55 56 57 58

R. Reith, Arbeitsmigration und Gruppenkultur, S. 14. Vgl. R. Reith, Arbeitsmigration und Gruppenkultur, S. 15. R. Reith, Arbeitsmigration und Gruppenkultur, S. 17-18. R. Reith, Arbeitsmigration und Gruppenkultur, S. 2. R. Reith, Arbeitsmigration und Gruppenkultur, S. 21.

455 begrenzten und durch die Nutzung der Bandmühle noch zusätzlich belasteten Arbeitsmarkt noch enger werden ließ.59 Während es bei den Zimmerleuten neben der 'eher männlichen' Arbeit wohl auch deren außerhäusliche Verrichtung und der hohe Gesellenbesatz waren, die die Frauen- und Töchterarbeit weitgehend verhinderten, trug bei den Bortenmachern, deren Handwerk - wie die Quellen eindeutig zeigen - sehr gut von Frauen ausgeübt werden konnte, die innere Struktur des Gewerbes dazu bei, daß die Gesellen - aus ihrer Perspektive - gegen die Töchterarbeit agieren mußten, wollten sie ihre schlechten Arbeitschancen etwas verbessern. Die Schneidergesellen fanden aufgrund der anders gearteten Struktur ihres Handwerkes insgesamt bessere Arbeitsmöglichkeiten. Ihre Situation auf dem Arbeitsmarkt verbesserte sich trotz der unangefochtenen Mitarbeit der Meisterfrauen und -töchter langfristig im Vergleich zu der der Bortenmachergesellen, in deren Handwerk im Jahr 1755 170 Meister mit 70 Gesellen arbeiteten, 1806 bei 64 Meistern aber nur noch sieben Gesellen beschäftigt waren. Das Zahlenverhältnis Meister zu Gesellen stand damit im Jahr 1806 bei den Bortenmachern neun zu eins, bei den Schneidern jedoch drei zu zwei. Die Frage, inwieweit der Umfang der Meisterschaft die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen beeinflußte, ist - wie im Vergleich der Schneider und der Bortenmacher sichtbar wurde - nicht einheitlich und nur im Kontext der Frage nach der Lage der Gesellen zu beantworten: Die zahlreiche Bortenmachermeisterschaft durfte ihre Töchter nicht mehr beschäftigen - wenngleich sich, wie der Verlauf des Konfliktes mit den Gesellen zeigte, zumindest in den ersten Jahrzehnten nach dem Verbot viele Meister nicht daran hielten - , die Arbeit ihrer Ehefrauen blieb jedoch erlaubt. Bei den Schneidern war es neben der Art der Arbeit und der Haltung der Gesellen wohl auch die sehr hohe Zahl der Alleinmeister, die gute Arbeitsmöglichkeiten flir Ehefrauen und Töchter des Handwerks bedingte.60 Anders als die Töchterarbeit fand die Mitarbeit der Mägde auch bei den Schneidern keine Akzeptanz. Mit dieser Grenzziehimg zwischen zunftfähigen und nicht zunftfähigen Frauen versuchten auch sie, den Kreis der zur Arbeit berechtigten Personen in ihrem massiv übersetzten Handwerk einzudämmen. Für die zunftfähigen Witwen scheint der Umfang der Meisterschaft dagegen weniger relevant gewesen zu sein als die Art der Arbeit: Eine Fortführung des Handwerks war sowohl bei den Schneidern und den Bortenmachern als auch bei den Zimmerleuten möglich, wenngleich das Bauhandwerk nicht ohne Gesellen ausgeübt werden konnte, so

59 60

Zum Verlauf dieses Konfliktes vgl. oben Kap. Π.3.3.2. Zu den Auswirkungen des Umfangs der Schneidermeisterschaft wie auch limitierter oder offener Gesellenzahlen pro Werkstatt auf die Arbeitsmöglichkeiten von nicht den Meisterfamilien angehörenden, praktisch selbständigen Näherinnen in den Südlichen und Nördlichen Niederlanden sowie in Paris im 18. Jahrhundert vgl. H. Deceulaer, B. Panhuysen, Schneider oder Näherinnen?.

456 daß Witwen, deren wirtschaftliche Lage keine Beschäftigung von Gesellen zuließ, das Handwerk wohl aufgeben mußten. Welche Rolle spielten Kapitalbedarf und Meisterzahlen in bezug auf die Heiratschancen von Witwen und Töchtern im Handwerk? Bei relativ geringem Kapitalbedarf, sinkenden Meisterzahlen und kurzer Gesellenzeit konnten Zimmergesellen die Meisterschaft aus eigener Kraft erwerben. Dies und die Möglichkeit, sich 'gesellenweise' zu verheiraten, bewirkten im Zimmerhandwerk, daß Einheiraten weniger erstrebenswert waren als bei den Schneidern. Bei diesen waren es nicht so sehr die hohen Gebühren für die Heirat außerhalb des Handwerks und auch nicht der ohnehin niedrige Kapitalbedarf, die Gesellen veranlaßten, in das Handwerk zu heiraten, sondern vielmehr die lange Gesellenzeit, zusätzliche Wartejahre nach den Ersitzjahren und die phasenweise rigiden Zugangsbeschränkungen, über die man versuchte, das Massenhandwerk zu reduzieren, zumindest aber nicht weiter wachsen zu lassen. Dennoch zeigt die insgesamt nicht hohe Zahl der Heiraten in das Handwerk, daß die Mehrheit der Gesellen ohne die Vorteile, die diese Heiraten brachten, Meister wurden.

III.2.2 Die Handwerke mit mittlerem Kapitalbedarf Die Ausübung des Goldschlager- wie des Buchbinderhandwerks war mit einem mittleren Kapitalbedarf verbunden. Bei den Buchbindern sollte ein junger Meister nach Abzug der Kosten für das Meisterrecht und die Heirat noch 400 bis 500 Gulden besitzen." Der Umfang dieses Handwerks schwankte im hier untersuchten Zeitraum erheblich: zunächst stiegen die Meisterzahlen von 25 Meistern im Jahr 1701 auf 40 Meister 1755, sanken dann aber bis 1781 auf 33 und schließlich auf 24 Meister im Jahr 1806.62 Die Buchbinder klagten entsprechend während der ersten Jahrhunderthälfte über die steigende Zahl der Meister und eine zunehmende Übersetzung ihres Handwerks, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts aber über Arbeitsmangel und nahrungslose Zeiten.63 Dagegen schien es dem Handwerksgericht 1787 außer Zweifel zu stehen, daß die Profeßion der Buchbinder bei den dermaligen Zeiten, da der Buchhandel in sehr gutem Flor steht, folglich auch die Buchbinder Arbeit sich vermehren und anwachsen muß, eine von den beßern bür-

61 62 63

Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 268. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 59. Vgl. z.B. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 2, 23.7.1693, 16.4.1720; Fasz. 3, 21.4.1742, 25.5. 1765; Fasz. 6,6.7.1787.

457 gerlichen Nahrungen sei, gleichwohl hielt auch das Gericht das Handwerk für übersetzt.64 Von der Anzahl der Werkstätten her gesehen, war das Augsburger Buchbinderhandwerk - so Reith - seit 1720/30 reichsweit führend; erst am Jahrhundertende wurde es von Berlin überholt, während Frankfurt am Main und Leipzig als Zentren des Buchhandels immer noch hinter Augsburg lagen.65 Wie die Bortenmacher gehörten die Buchbinder zu den Gewerben, die es nicht in allen Städten gab, das heißt, daß die Buchbindergesellen mit ähnlichen Problemen - weite und lange Wanderschaften, schwierige Arbeitssuche - konfrontiert waren und als 'geschenktes' Handwerk eine ausgeprägte Gesellenkultur pflegten.66 Die Zahl der beschäftigten Gesellen verweist auf die kleinbetriebliche Struktur, sie lag in Augsburg immer unter der Zahl der Werkstätten: In den 1730er Jahren wurden in etwa 36 Werkstätten 30 Gesellen beschäftigt; 1760 arbeiteten bei 34 Meistern - 30 Männern und vier Witwen - insgesamt 20 Gesellen; für 1788 wissen wir von 22 Gesellen, die sich auf insgesamt 32 Werkstätten verteilten; 1806 arbeiteten in 24 Werkstätten 17 Gesellen.67 Eine ganze Reihe von Werkstätten, darunter auch Witwenwerkstätten, mußte also ohne Gesellen auskommen. Daß dies möglich war, lag sicher nicht zuletzt daran, daß die Meister auf die Arbeitskraft von Ehefrauen und Töchtern zurückgreifen konnten, die - wie die Quellen zeigten - ein weites Betätigungsfeld im Handwerk fanden.68 Der 1721 erfolgte Ausschluß der Mägde von einem großen Teil der Werkstattarbeit, der beschlossen wurde, weil die Mägde außerhalb der Werkstätten 'pfuschten', belegt gerade, in welchem Maß Frauen in der Lage waren, das Handwerk zu betreiben. Anders als bei den Bortenmachern, waren beim Ausschluß der Mägde der Buchbinder jedoch die Meister und nicht die Gesellen die treibende Kraft: Die Arbeit der Mägde entzog in erster Linie den Meistern den Verdienst, so daß diese schneller reagierten als die Gesellen.6' Das umfassende handwerkliche Erfahrungswissen der Frauen war wohl auch der Grund dafür, daß sich Witwen nicht genötigt sahen, sich wiederum zu verheiraten. In den Akten jedenfalls finden sich lediglich zwei verwitwete Buchbinderinnen, die mit Gesellen ihres Handwerkes eine neue Ehe schlossen.70 Die ab 1755 sinkenden Meisterzahlen verweisen bereits darauf, daß die Zulassung von Gesellen zum Meisterrecht restriktiver gehandhabt wurde. 1787 wurden schließlich die Gesellenjahre für diejenigen, die nicht in das Handwerk heiraten wollten, verlän64

65 66 67 68 69 70

StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 6, 3.10.1787. In diesem Bericht ist fur 1787 von 40 Meistern die Rede, während nach R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 59 im Jahr 1781 33 und 1789 32 Meister zum Handwerk gehörten. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 66. Vgl. R. Reith, Arbeitsmigration und Gruppenkultur, S. 17. Vgl. Kap. II.2.2.1.3.1 sowie R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 66. Vgl. Kap. Π.1.2.1.1 undD.3.3.1. Vgl. Kap. Π.4.2. Vgl. Kap. Π.2.4.3.

458 gert; ein zeitgleich für zehn Jahre ausgesprochenes Verbot von jeglichen Dispensationen verzögerte die Zulassung zur Meisterschaft wohl erheblich.7' Dennoch konnten in den Handwerkerakten nur drei Buchbindertöchter ausgemacht werden, die sich im elterlichen Handwerk verheirateten. Alle drei brachten die Gerechtigkeit mit in ihre Ehe: zwei von ihnen erhielten das Handwerk durch die Übergabe ihrer verwitweten Mütter, eine durch die Übergabe ihres Vaters.72 Obwohl die Handwerksordnung vorsah, den Gesellen, die Meisterwitwen oder -töchter heiraten würden, die Ersitzjahre zu erlassen - wobei die Gesellen dennoch volle zwölf Jahre im Handwerk stehen sollten - , beförderte dies deren Willen zur Einheirat in das Handwerk offensichtlich nicht.73 Bei den Goldschlagern war der Kapitalbedarf fur die Eröffnung einer Werkstatt aufgrund der besonderen Bedingungen für die Behausung, die Werkzeuge und das Rohmaterial mittel bis hoch. Das Handwerk produzierte zum einen für den Bedarf vor Ort - Reith nennt die Drahtzieher, Goldschmiede, Bildhauer, Goldpapiermacher, Buchbinder und andere Kunst- und Luxushandwerke - , überwiegend aber fur den über Augsburger Kaufleute abgewickelten Export, da das Goldschlagerhandwerk nur in wenigen Zentren betrieben wurde.74 Da im ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhundert ein Arbeitskräftemangel geherrscht hatte, der durch die Ausbildung zahlreicher Lehijungen abgefangen worden war, stieg in der Folge die Zahl der Gesellen, die dann allerdings auch Meister werden wollten: Während die Meisterschaft 1701 noch 26 Meister umfaßte, arbeiteten 1730 schließlich 40 Meister. Danach aber sank die Meisterzahl auf 27 im Jahr 1755, weiter auf 24 im Jahr 1789 und schließlich bis auf 14 im Jahr 1806.75 Die Anzahl der beschäftigten Gesellen sank von 30 im Jahr 1694 auf neun 1765; 1806 arbeiteten nur noch fünf Gesellen. Trotz der offenbar schwierigen Lage der Gesellen wurde die Mitarbeit der Ehefrauen und Töchter der Meister, die zwar umfangreich, aber im wesentlichen auf bestimmte Bereiche ausgerichtet war, nicht in Frage gestellt. Das von den Gesellen im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts durchgesetzte Verbot der Mitarbeit der Mägde blieb nicht lange bestehen - zu ambivalent war die Haltung der Gesellen, aber auch die der Meister, denn die Mägdearbeit brachte beiden Vorteile, wenn die Auftragslage günstig war.76 1720 zählte Augsburg "zu den bedeutendsten Zentren des Goldschlagerhandwerks im deutschen Reich", bekam aber seit den 1730er Jahren die starke Konkurrenz der Städte Fürth, Nürnberg, Berlin, Dresden und Wien zu spüren.77 Zu71 72 73 74 75 76 77

Vgl. StAA, HWA, Buchbinder, Fasz. 6, 9.10.1787. Vgl. Kap. II.2.5.2 und D.3.7.1.1. Vgl. Kap. Π.2.1 undn.3.2. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 48. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 182-183 sowie S. 40. Vgl. Kap. Π.1.2.1.1, Π.3.3.1 und II.4.2. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 182 u. S. 184.

459 dem klagte das Handwerk nahezu durchgängig Uber die unzünftigen 'Pfuscher* im Augsburger Umland, aber auch über die unzulässige Einfuhr fremder Waren." Die schwierige wirtschaftliche Lage wird seit den 1740er Jahren außerdem in einer wachsenden innerhandwerklichen Konkurrenz, die zu einer starken sozialen Differenzierung führte, sichtbar." 1748 hatten der Klage der Meisterschaft zufolge viele von ihnen keine Arbeit und mußten ihren Lebensunterhalt als Tagwerker verdienen.*0 1754 arbeiteten drei der vier katholischen Meister bei protestantischen Meistern als Gesellen.·1 Ein Jahr später zählte das Handwerk nur noch 27 Meister. Der sich während des ganzen Jahrhunderts immer stärker reduzierende Gesellenbesatz verweist darauf, daß viele Meister als Alleinmeister arbeiten mußten. Möglicherweise wurden in diesen Werkstätten Frauen auch zu körperlich sehr schweren Arbeiten herangezogen. Obgleich eine Witwe ihr Handwerk offenbar einige Zeit ohne Gesellen führte, ist nicht nachzuvollziehen, wie dies möglich war. Eine einigermaßen erfolgreiche Werkstattfortführung konnte sicher nur Witwen gelingen, die finanziell so gut gestellt waren, daß sie Gesellenlöhne bezahlen konnten. Nach der Ordnung der Goldschlager, die für ortsfremde Gesellen immerhin fünf Ersitzjahre vorsah, sollten bei der Heirat einer Witwe vier Jahre nachgelassen werden, bei der Heirat einer Meistertochter dagegen zwei Jahre.82 Aus den Akten gehen drei Eheschließungen von Witwen im Handwerk hervor, sie enthalten aber keinen einzigen Hinweis auf die Heirat einer Tochter in die Meisterschaft.83 Auch in diesem Handwerk wurde der Weg zum Meisterrecht Uber die Einheirat also kaum genutzt. Die zumindest über weite Strecken schwierige wirtschaftliche Lage des Handwerks, die ihren Ausdruck ja gerade in den sinkenden Meisterzahlen fand, sowie das erforderliche mittlere bis hohe Kapital ließ die Meisterschaft offenbar weniger erstrebenswert erscheinen, zumal die Goldschlager zumindest den Gesellen, die sie längerfristig beschäftigen zu können glaubten, erlaubten, sich im Gesellenstand zu verheiraten. Da die Ehefrauen der Gesellen meist ebenfalls erwerbstätig waren, konnten die Paare möglicherweise mit ihrer Lohnarbeit einen sichereren Verdienst erwerben als durch die Meisterschaft. Vergleichen wir die Goldschlager und die Buchbinder, die beide wie die Bortenmacher 'geschenkte' Handwerke waren, so ist zwar eine ähnliche Entwicklung der Meisterzahlen zu verzeichnen, hinsichtlich der Möglichkeiten von Frauen sind jedoch deutliche Unterschiede auszumachen. Während die Buchbindermeister die Mägdearbeit weitgehend ausschlossen, zeigte sich diese für die Goldschlagermeister und ihre Gesellen über weite Strecken als unverzichtbar. Die Gründe hierfür 78 79 80 81 82 83

Vgl. Kap. II. 1.2.1.4 und bes. unten Kap. IV. 1. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 199. Vgl. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 4, 3.2.1748. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 190. Vgl. Kap. Π.2.1 und Π.3.2. Vgl. Kap. II.2.4.3 und Π.3.7.1.1.

460 liegen in den unterschiedlichen Arbeitsprozessen der beiden Handwerke: Die Arbeit der Buchbinder ließ sich - obwohl zur Kategorie 'eher männliche' Tätigkeitsfelder gehörend - ganz offenbar so weitgehend von Frauen erledigen, daß diese zu einer bedrohlichen Konkurrenz für die Meister werden konnten. Dagegen hatten die Mägde der Goldschlager einen streng begrenzten Arbeitsbereich, der sich nicht aus dem vielschichtigen Gesamtproduktionsprozeß, der sehr schwere körperliche Arbeiten umfaßte, ausklinken ließ und somit nicht zu einer die Einnahmen der Meister reduzierenden Eigenproduktion werden konnte, so daß ihre Arbeit gebilligt wurde. Diese so unterschiedlichen Arbeitsprozesse scheinen auch hinsichtlich der Chancen der Witwen relevanter gewesen zu sein als es die Meisterzahlen und das benötigte Ausgangskapital waren: In Zeiten konjunktureller Krisen konnten Buchbinderwitwen notfalls ihre Gesellen entlassen und die Arbeit alleine oder mit ihren Töchtern fortführen. Goldschlagerwitwen dagegen, die nicht über die finanziellen Mittel verfügten, um einen Gesellen bezahlen zu können, hatten kaum Chancen, das Handwerk zumindest nahrungssichernd fortzuführen. Diese Witwen mußten sich wohl früher oder später - wie ihre verarmten Mitmeister - um Lohnarbeit bemühen. War die Auftragslage dagegen so gut, daß die Witwen Gesellen beschäftigen konnten, waren beide Handwerke sicher erfolgreich fortzuführen, zumal die Witwen keinerlei Einschränkungen unterlagen. Hinsichtlich der Arbeitsmöglichkeiten der Meisterfrauen und Töchter erscheinen die Unterschiede zwischen den beiden hier verglichenen Handwerken wiederum eher graduell als substantiell: Ihre Beteiligung bei den Buchbindern reichte tendenziell in alle Arbeitsbereiche hinein, während sie bei den Goldschlagern stärker auf Teilbereiche fixiert war. In beiden Handwerken zeigte sich eine geringe Neigung der Gesellen, in das Handwerk einzuheiraten: Da sich die Kapitalvoraussetzungen und die Zulassungsbedingungen auf einem mittleren Niveau bewegten, war die Meisterschaft für die, die sie anstrebten - was bei den Goldschlagern bereits fraglich erscheint - erreichbar, ohne daß sie dafür auf eine freie Partnerinnenwahl hätten verzichten müssen.

III.2.3 Die Handwerke mit hohem Kapitalbedarf Die Handwerksgerechtigkeiten der Bäcker waren reale Gerechtigkeiten, sie lagen also auf den Gebäuden und durften nicht einfach transferiert werden. Da die Anzahl der Gerechtigkeiten während des gesamten Jahrhunderts konstant bei 88 blieb, mußte das Handwerk entweder erheiratet oder aber gekauft bzw. gepachtet

461 werden, wofür entsprechend hohe Mittel notwendig waren.84 Darüber hinaus erforderten die mit dem Handwerk verbundenen hohen Betriebskosten ein mittleres bis hohes Kapital, so daß ein Meister nach der Betriebsgründung noch über weitere 400 bis 500 Gulden Barvermögen verfügen sollte.'5 Als Produzenten von Grundnahrungsmitteln hatten die Bäcker zwar eine durchgehende Nachfrage, waren aber auch stark mit teuerungsbedingten Krisen konfrontiert, sei es, daß sie selbst kaum Getreide kaufen konnten oder daß ihre Kunden kaum Geld für Brot hatten. Im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage der Bäcker zeigte sich einerseits eine deutliche Kluft zwischen einer kleineren Gruppe wohlhabender Meister und einer großen Gruppe mittelmäßig bemittelter bis armer Meister. Die zahlreichen Klagen Uber eine unzureichende 'Nahrung' rissen während des ganzen Untersuchungszeitraumes nicht ab. Es zeigte sich aber nicht nur, daß die wirtschaftliche Not keineswegs allein oder überwiegend die das Handwerk fortführenden Witwen traf, sondern auch, daß generell von die Witwen ausgrenzenden Maßnahmen der Zunft keine Rede sein kann. Verarmte Bäcker - Meister wie Meisterwitwen - konnten sich zudem auf das Melben verlegen, womit sie sich einen notdürftigen Unterhalt erwerben konnten.86 Die Mitarbeit der Meisterfrauen und der Meistertöchter reichte - wie gezeigt wurde - weit in das eigentliche Handwerk hinein, während eine Beteiligung der Mägde nicht ausreichend nachgewiesen werden konnte. Versuche, die Frauenarbeit zu verbieten, wurden weder von Seiten der Meister selbst noch von Seiten der Gesellen unternommen. Da die Ausübung des Handwerks an sich mindestens einen Gesellen erforderte, aber eine ganze Reihe von Meistern ohne solchen arbeiten mußte, war in den betroffenen Backstuben die Arbeit der Frauen mit Sicherheit wesentlich umfangreicher. Der Gesellenbedarf erschwerte Witwen, die einen Gesellenlohn nicht oder nur mühsam aufbringen konnten, die Fortführung des Handwerkes erheblich. Da das Handwerk an Realgerechtigkeiten gebunden war, bot sich Witwen die Möglichkeit, dieses zu verpachten oder zu verkaufen, sofern sie es nicht führen wollten oder sich nicht dazu in der Lage sahen. Obwohl sie auf diese Weise Versorgung finden konnten, enthalten die Akten lediglich drei Verpachtungsfälle und zwei Fälle von Verkäufen.87 Dagegen verheirateten sich elf Witwen mit Gesellen des Handwerks, die so zur Meisterschaft gelangten. Mit diesen elf von insgesamt 30 in den Handwerkerakten vorgefundenen Witwenheiraten rangierten die Bäkkerwitwen innerhalb der sieben Handwerke auf Platz eins.8* Auch sieben Töchter der Bäcker konnten sich im Handwerk verheiraten, wobei sie die elterliche Ge-

84 85 86 87 88

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Kap. Π.2.4.1 und Π.2.6 sowie R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 73. R. Reith, Arbeite- und Lebensweise, S. 268. Kap. Π.2.2.2.2. Kap. Π.2.6. Kap. Π.2.4.3.

462 rechtigkeit in die Ehe einbrachten.89 Obwohl die Handwerkerordnung der Bäcker die Heirat von Witwen oder von Töchtern nur durch eine Reduzierung der Gebühren, nicht aber durch den Nachlaß von Gesellenjahren begünstigte, konnten sich trotz der insgesamt niedrigen Zahlen - vergleichsweise viele Frauen auf ihr Handwerk verheiraten, wobei sich das Handwerk und/oder das Handwerksgericht durchaus bereit zeigten, den Gesellen fehlende handwerksspezifische Requisiten nachzulassen.90 Das Bäckerhandwerk und der Zugang zur Meisterschaft blieb trotz der teilweise schwierigen Lage des Handwerks für die Gesellen interessant. Da dieses Handwerk sowohl durch die Realgerechtigkeiten als auch durch eine festgesetzte und konstant bleibende Meisterzahl relativ geschlossen war und der Erwerb ein hohes Kapital voraussetzte, bot die Heirat von Witwen und Töchtern einen, wenn auch nicht gerade massenweise beschrittenen, so doch willkommenen Zugangsweg zum Handwerk. Auch die Handwerksgerechtigkeiten der Bader und Barbiere waren Realgerechtigkeiten und durften nur mit obrigkeitlicher Erlaubnis auf andere Häuser übertragen werden. Die Ausübung des Handwerks erforderte einen hohen Kapitaleinsatz, und - so stellt Reith fest - "es [scheint] sich bei den Badern und Barbierern um ein vergleichsweise wohlhabendes Handwerk gehandelt zu haben".91 Daß die Erlangung der Meisterschaft für die Gesellen interessant blieb, zeigen die relativ konstanten Meisterzahlen ebenso wie die offenbar gleichbleibend gute Beschäftigungslage der Gesellen: 1702 beschäftigten zwölf Bader - elf Meister und eine Witwe - und 17 Barbiere - 16 Meister und eine Witwe - je Handwerk 20 Gesellen; 1767 arbeiteten bei 13 Badern 33 Gesellen; 1806 beschäftigten die 27 Bader und Barbiere 46 Gesellen.92 Die durchgängig gute Besetzung der Werkstätten mit Gesellen verweist aber nicht nur auf eine stabile wirtschaftliche Lage, sondern könnte auch die Erklärung dafür sein, daß es nur wenige Hinweise auf die Mitarbeit von Meisterfrauen und -töchtern gibt. Die Fortführung des Handwerks war gewinnbringend vermutlich nur mit Gesellen möglich, so daß auch hier Witwen, die die Lohnkosten nicht aufbringen konnten, wohl schlechte Chancen hatten, sich durch die Handwerksausübung zu ernähren. Als Realgerechtigkeiten durften die Gerechtigkeiten der Bader und Barbiere mit obrigkeitlicher Einwilligung verpachtet und verkauft werden. Während aber nur eine Baderwitwe ihre Gerechtigkeit verkaufte, taten dies neun Barbierwitwen - die Gründe für dieses Ungleichgewicht waren den Quellen nicht zu entnehmen, könnten aber darin liegen, daß die Witwen der Barbiere womöglich weniger Tä-

89 90 91 92

Vgl. Kap. II.3.7.1.1. Vgl. Kap. II.2.1 und II.3.2 sowie II.2.4.3, II.2.4.4 und II.3.7.1.1. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 71. Vgl. Kap. II.2.2.1.3.1 sowie R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 71.

463 tigkeitsfelder fanden als die Witwen der Bader.93 Die Möglichkeit, das Handwerk zu verkaufen, brachte den verwitweten Frauen nicht nur eine größere Entscheidungsfreiheit hinsichtlich ihrer eigenen Zukunft, sondern auch mehr wirtschaftliche Sicherheit. Gesellen, die zur Meisterschaft gelangen wollten, mußten das Handwerk entweder kaufen, pachten oder erheiraten. Neben drei Witwen, die eine weitere Ehe im Rahmen ihres Handwerks eingingen, fanden sich in den Quellen neun Meistertöchter, die in das elterliche Handwerk heirateten. Die Gesellen, die Witwen oder Meistertöchter ehelichten, erhielten einen nicht unerheblichen Gebührennachlaß, des weiteren wurde ihnen eines von zehn geforderten Gesellenjahren erlassen. Aber auch bei den Badern und Barbieren wird sichtbar, daß die Nachlässe, die diese den Gesellen bei der Heirat von Meisterwitwen oder -töchtem einräumten, nicht dazu führten, daß eine Vielzahl von Gesellen diesen Weg in die Meisterschaft gewählt hätte.94 Wie die Bäcker, die Bader und Barbiere benötigten die Zinngießer zur Ausübung ihres Handwerks ein hohes Betriebskapital. Reinhold Reith geht davon aus, daß sich die in diesem Handwerk festzustellende Bildung von 'Handwerkerdynastien' durch die teuren Produktionsmittel erklärt: "Formen, Werkzeug und handwerkliche Techniken wurden oft über Generationen weitergegeben".95 Wie gezeigt werden konnte, rekrutierte sich die Meisterschaft dieses Handwerks weitgehend aus sich selbst, es wurden überwiegend Meistersöhne gelehrt und beschäftigt.96 Dennoch stieg die Meisterzahl von sieben Meistern im Jahr 1701 auf 16 Meister im Jahr 1755 und 18 Meister 1758, sank dann aber bis 1806 auf acht Meister. Während in der ersten Jahrhunderthälfte stets 18 bis 20 Gesellen beschäftigt wurden, waren es - bei immerhin 18 Meistern - 1758 nur noch sechs Gesellen. 1806 arbeiteten ebenfalls sechs Gesellen in acht Werkstätten.97 Die Zinngießer bemühten sich durchgängig, die Meisterwerdung von ortsfremden Gesellen zu erschweren, indem sie beispielsweise forderten, daß kein Meister einem Gesellen, der keine Meistertochter heiraten wollte, die Ersitzjahre ohne Rücksprache und Erlaubnis des Gesamthandwerkes geben dürfte.98 Da sie ihre eigenen Söhne von Ersitzjahren freigestellt hatten, betrafen solche Regelungen nur fremde Gesellen und andere Bürgersöhne. Meistersöhne wurden grundsätzlich von Verschärfungen der Zulassungsbedingungen explizit ausgenommen.99 Ob die bevorzugte Beschäftigung der Meistersöhne ein Grund für die - zumindest den Handwerkerakten zufolge - geringe Beteiligung der zunftfähigen Frauen 93 94 95 96 97 98 99

Vgl. Kap. Π.2.4.1 und Π.2.6. Vgl. Kap. Π.2.1, Π.2.4.3 sowie Π.3.2 und II.3.7.1.1. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 50. Vgl. Kap. Π.2.2.1.3.1. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 51 sowie Kap. Π.2.2.1.3.1. Vgl. StAA, HWA, Zinngießer, Fasz. 2, 1.4.1719. Vgl. Kap. Π.3.2.

464 am Handwerk war, ist schwer zu sagen. Wenngleich einerseits in keinem der hier untersuchten Handwerke die Frauen so wenig sichtbar wurden wie bei den Zinngießern, zeigte sich andererseits keines der Handwerke so stark familienorientiert - oder besser söhneorientiert - wie dieses. Gleichwohl war die Zahl der beschäftigten Meistersöhne zumindest in der zweiten Jahrhunderthälfte nicht gerade hoch, wie die Gesamtzahl der Gesellen am Handwerk belegt. Die Zinngießer gehörten wie die Bortenmacher, die Buchbinder, die Goldschlager und schließlich auch die Gürtler zu den Handwerken, die einerseits kleinbetrieblich produzierten und andererseits nur in wenigen Zentren vorhanden waren. Auch für ihre Gesellen traf zu, daß sie weite Wanderabschnitte bewältigen mußten und nicht überall Arbeit finden konnten. Sie zählten zu den 'geschenkten' Handwerken, bei denen - wie Reith verallgemeinernd feststellt - "Frauenarbeit, d.h. hier Mitarbeit der Meisterfrauen und -töchter, offenbar bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts noch weit verbreitet [war]".100 Während für Augsburg diese Frauenarbeit in den aufgezählten Handwerken auch im 18. Jahrhundert großenteils noch nachweisbar ist, fehlen bei den Zinngießern Hinweise auf ihre Beteiligung - eine Ausnahme stellt nur ihre Verkaufstätigkeit dar. Auch die Tatsache, daß sich eine Reihe von Zinngießermeistern auf die Produktion bestimmter Gegenstände - Teegeschirre, Suppenschalen, Tabaksdosen, diverse Formen - spezialisiert hatte und praktisch gegen Lohn im Verlag für andere Meister arbeitete, muß nicht zwangsläufig dazu beigetragen haben, daß die Frauen des Handwerks relativ außen vor blieben, denn die Arbeit fand dennoch in der Werkstatt der einzelnen Meister statt.101 Reduzierte die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, die schließlich zur Halbierung der Meisterschaft führte, die Chancen von Frauen, im Rahmen dieses Handwerks tätig zu sein? Bei den Zinngießern gab es ein besonders massives innerhandwerkliches Konkurrenzdenken, das sich darin zeigte, daß man vor Intrigen, Unterstellungen und ausgesprochen bösartigen Lügen nicht zurückschreckte. Mehrfach rügte das Handwerksgericht sogar die Vorgeher des Handwerks scharf wegen der Unwahrheiten, die sie auch der Obrigkeit vortrugen.102 Ab der Jahrhundertmitte kam durch die zunehmende Produktion von Fayencen und Porzellan Konkurrenz von außen dazu, die auf den weiten Absatzmarkt der Zinngießer, den Reinhold Reith als lokal (offene Läden), regional (Jahrmärkte, z.B. in München und Salzburg) und überregional ('fremde Herrschaften') beschreibt, drängte.103 100 101 102

103

R. Reith, Arbeitsmigration und Gruppenkultur, S. 21. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 50 u. S. 52. So im Fall der Werkstattübergabe des Meisters Christian Steidle an seine Tochter. Die Vorgeher protestierten mit einem Memoriale gegen die Übergabeerlaubnis des Rates vehement und versuchten, Steidle als Lügner darzustellen. Das Handwerksgericht schrieb an den Rat, daß er aus ihrem Bericht ersehen könne, daß die Meister der Zinngiesser die Sach in ihrem anfangs recensierten Memoriali gantz unanständig und unwahrhafft vorgetragen. StAA, HWA, Zinngießer, Fasz. 2, 18.6.1739. Weitere Beispiele ließen sich anfuhren. Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 50.

465 Diese zusätzliche Konkurrenz brachte vermutlich erhebliche wirtschaftliche Einbußen - dem entspräche zumindest der bereits aufgezeigte niedrige Gesellenbesatz, der kurz nach der Jahrhundertmitte besonders kraß erscheint: während davor im Durchschnitt jede Werkstatt einen Gesellen beschäftigte, arbeiteten 1758 bei 18 Meistern nur sechs Gesellen. Gerade der hohe Anteil an Alleinmeistern spräche an sich für eine relativ starke Beteiligung der Frauen, die jedoch nicht nachweisbar ist. Trotz der zugebilligten Ermäßigung bei einer Heirat in das Handwerk, fanden sich in den Akten nur die Fälle von zwei Meistertöchtern, die sich auf die elterliche Gerechtigkeit verheiraten konnten. So übergab eine Witwe, die ihr Handwerk wohl weitergeführt hatte, dieses schließlich ihrer Tochter; eine weitere Meistertochter konnte sich nach der Übergabe der Gerechtigkeit durch ihren Vater im Handwerk verheiraten. Gegen beide Obergaben erhoben die Vorgeher des Handwerks Einwände - die Zukunft der Töchter des Handwerks schien sie nicht sonderlich zu interessieren.104 Witwenheiraten im Handwerk fanden sich in den Akten nicht.105 Im Gesamtvergleich der Handwerke mit hohem Kapitalbedarf zeigt sich eine Übereinstimmung zwischen den Bäckern und den Badern darin, daß ihre Meisterzahl während des Untersuchungszeitraumes relativ konstant blieb. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die beiden Gewerbe als geschlossene Handwerke galten und zusätzliche Gerechtigkeiten nur mit obrigkeitlicher Erlaubnis hätten vergeben werden dürfen. Eine weitere Gemeinsamkeit lag darin, daß die Bäcker- und die Badergerechtigkeiten Realgerechtigkeiten waren und verpachtet oder auch verkauft werden konnten. Des weiteren benötigten Witwen beider Handwerke für die Ausübung des Gewerbes in aller Regel Gesellen, so daß finanzielle Notlagen, die die Bezahlung von Gesellen unmöglich machten, wohl relativ schnell zur Aufgabe der Werkstatt führten. Im Bäcker- wie im Baderhandwerk finden sich Belege sowohl für die erfolgreiche Handwerksausübung als auch für notbedingte Werkstattschließungen; dies trifft jedoch für Witwen und für Meister zu. Obwohl auch bei den Zinngießern ein uneingeschränktes Fortführungsrecht galt, läßt während des Untersuchungszeitraumes nur ein Fall vermuten, daß eine Witwe dieses nutzte. Einzig ein Fall aus dem Jahr 1812 belegt eine mehrjährige erfolgreiche Werkstattfortführung. Aufgrund dieser Quellenlage müssen wir davon ausgehen, daß die Witwen der Zinngießer mit denen der Bäcker, Bader und Barbiere wohl wenig gemeinsam hatten. Vergleichen wir die Beteiligung der Meisterfrauen und -töchter in den drei Handwerken, weisen die Quellen weitere Unterschiede auf: Die Bäckerakten enthalten eindeutige Belege dafür, daß Ehefrauen und Töchter in relativ großem Umfang mitarbeiteten, für die Bader dagegen ist deren Mitarbeit weniger deutlich 104 105

Vgl. Kap. II.2.5.2 und II.3.7.1.1. Vgl. Kap. Π.2.4.3.

466 nachweisbar. Im Hinblick auf die Teilhabe von Zinngießerfrauen im Handwerk wurde konkret nur die Verkaufstätigkeit einer Tochter im väterlichen Laden sichtbar. Handwerksspezifische Mägdearbeit ließ sich weder bei den Zinngießern noch bei den Badern und Barbieren nachweisen, bei den Bäckern konnte sie nur erschlossen werden. Weder bei den Bäckern noch bei den Badern und Barbieren kam es von Seiten der Gesellen oder der Meister zu Protesten gegen die Mitarbeit von Frauen im Gewerbe. Auch in den Akten der Zinngießer finden sich hierfür keine Belege - ebensowenig wie für eine über den Ladenverkauf hinausgehende Mitarbeit der zunftfähigen Frauen. Der hohe Kapitalbedarf, vielleicht aber noch mehr die Tatsache, daß die Gewerbeausübung an den Besitz einer Realgerechtigkeit in geschlossenen Handwerken gebunden war, führte dazu, daß Meisterwitwen und -töchter der Bäcker, Bader und Barbiere vergleichsweise gute Heiratsmöglichkeiten im Handwerk fanden. Während sich den Handwerkerakten dieser Gewerbe zufolge insgesamt 30 Frauen handwerksintern auf ihre in die Ehe eingebrachte Gerechtigkeit verheiraten konnten, waren es bei den Zinngießem lediglich zwei Frauen. Zwar zeigt auch die ja nicht besonders hohe Zahl der Einheiraten von Bäcker-, Bader- und Barbiergesellen, daß weit mehr Gesellen den 'regulären' Weg in die Meisterschaft nahmen, im Vergleich mit den Zinngießern wird aber auch sichtbar, daß die Tatsache, daß in diesem Handwerk überwiegend mit Meistersöhnen gearbeitet wurde, offenbar bewirkte, daß die Frauen kaum zur Handwerksübernahme und in der Folge zur Heirat im Handwerk gelangten. Die Handwerke mit hohem Kapitalbedarf weisen also kein durchgängiges gemeinsames Heiratsmuster auf.

III.3 'Die Frauen' und 'die Handwerke'? Vergleichsauswertung und Resümee Die Auswahl der zu untersuchenden Handwerke über ihre Kategorisierung in 'eher weiblichen' und 'eher männlichen' Arbeitssphären entwachsene Handwerke, in den für die Ausübung des Handwerks erforderlichen Kapitalbedarf - niedrig, mittel, hoch - und in Handwerke mit sinkenden, konstanten und steigenden Meisterzahlen diente dazu, Vergleichskriterien zu schaffen, anhand derer in einem ersten Schritt mögliche gemeinsame Ursachen für eine eventuell unterschiedliche Beteiligung von Frauen an der Arbeit in den Zunfthandwerken eruiert werden könnten. Während im Hauptteil der Untersuchung (Kapitel II) zunächst die Arbeitsmöglichkeiten, aber auch - in einem weiteren Sinn - die sozio-ökonomischen Bedingungen der verschiedenen 'Frauengruppen' in einer gezielt dichten Quellendarstellung herausgearbeitet wurden, sollte nun eine Analyse dieser Befunde anhand der dargelegten Auswahl- und Vergleichskriterien vorgenommen werden, so

467 daß schließlich die Frage nach einer Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Handwerke beantwortet werden kann. Die vergleichende Analyse der Arbeitsbeteiligung von Frauen in den Handwerken, die aus vormals 'eher weiblichen' bzw. 'eher männlichen' Tätigkeitsfeldern entstanden, brachte interessante Unterschiede hervor, die sich jedoch nicht auf eine eindeutige geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Sinne eines gänzlichen Ausschlusses bei den einen und einer starken Beteiligung bei den anderen Handwerken reduzieren lassen. Gerade in diesem Kontext zeigte sich der Status, den die Frauen innehatten, von Bedeutung. Auch die Kriterien "Kapitalbedarf und 'Meisterzahlen' erwiesen sich als eher begrenzt relevant für die Arbeitschancen von Frauen im Gewerbe. Dennoch führt die Analyse zu insgesamt aufschlußreichen Ergebnissen. In bezug auf die Arbeitsfelder der Meisterfrauen zeigte sich zwar eine stärkere geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in 'eher männlichen' Gewerben, gleichwohl oblagen ihnen auch dort in immerhin zwei von vier untersuchten Handwerken bei den Buchbindern und den Goldschlagern - wichtige handwerksspezifische Tätigkeiten, die bei den Buchbindern in den gesamten Produktionsprozeß hineinreichten, bei den Goldschlagem Teilbereiche der Produktion betrafen. In den 'eher weiblichen' Handwerken, insbesondere bei den Schneidern und Bäckern, übernahmen die Meisterinnen ebenfalls weitreichende gewerbliche Arbeiten im Rahmen der Gesamtproduktion. In den Handwerken, in denen ihre Mitarbeit nachweisbar war, zeigte sich im ganzen also ein eher gradueller als substantieller Unterschied im Ausmaß der von ihnen zu leistenden Handwerksarbeit. In den 'eher männlichen' Handwerken der Zinngießer - wo sie mit den Töchtern die Läden führten - und der Zimmerleute scheint die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung am stärksten ausgeprägt gewesen zu sein, zumindest wurde ihre Mitarbeit in den Quellen nicht sichtbar. Die Frage, ob die Meisterinnen dieser Handwerke - wie die der anderen - verwaltende und kaufmännische Aufgaben Ubernahmen, beantworten die Quellen nicht. Eine offenbar geringe Relevanz für die Beteiligung der Meisterfrauen spielte der für die Gründung eines Handwerksbetriebes erforderliche Kapitalbedarf: Eine umfassende Mitarbeit läßt sich sowohl in Handwerken mit niedrigem (Schneider, nicht aber Zimmerleute) und mittlerem (Buchbinder, Goldschlager) als auch in solchen mit hohem Kapitalbedarf (Bäcker, in geringerem Umfang wohl auch Bader, nicht aber Zinngießer) nachweisen. Als besonders wichtig für die Mitarbeit der Meisterfrauen - wichtiger als der Umfang der Meisterschaft - erwies sich der Gesellenbesatz der Werkstätten: Bei Handwerken mit grundsätzlich hohen Gesellenzahlen (Zimmerleute) wie bei solchen mit durchgängig gutem Gesellenbesatz (Bader) zeigte sich die Beteiligung der Meisterinnen am Handwerk nicht oder in geringerem Umfang. Bei den Schneidern, einem Massenhandwerk mit geringem Gesellenbesatz, wurde dagegen ihre weitreichende handwerkliche Arbeit sichtbar; dies gilt auch für die eher kleinbetrieblich strukturierten Handwerke, die mit we-

468 nigen oder auch ohne Gesellen (Buchbinder, Goldschlager, Bäcker, nicht aber Zinngießer) arbeiteten. Wir sehen also, daß die Spezifika der einzelnen Gewerbe bestimmender waren als die von mir zugrunde gelegten Kategorien. Die größten Ähnlichkeiten hinsichtlich der Arbeitsmöglichkeiten der einzelnen Frauengruppen zeigten sich zwischen Meisterfrauen und Meistertöchtern. Die Töchter waren wie ihre Mütter in die Handwerke integriert, wenngleich es für sie keine Belege für die eben genannten Tätigkeiten im verwaltenden und kaufmännischen Bereich gab. Während sie sowohl in den 'eher weiblichen' als auch in den meisten 'eher männlichen' Handwerken - eine Ausnahme bildete das Handwerk der Zimmerleute - mitarbeiten konnten, zeigte sich die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in den Werkstätten ebenfalls stärker graduell als substantiell. Die Meistertöchter waren - wie ihre Mütter - an der handwerksspezifischen Arbeit vermutlich um so stärker beteiligt, je weniger Gesellen in einer Werkstatt beschäftigt werden konnten.106 Darüber hinaus zeigte sich für die Arbeit der Töchter von Bedeutung, wie sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Gesellen eines Handwerkes gestalteten. Dies konnte besonders deutlich an der unterschiedlichen Haltung der Bortenmachergesellen und der Schneidergesellen gegenüber der Töchterarbeit herausgearbeitet werden. Daß die Bortenmachergesellen ein Verbot ihrer Mitarbeit durchzusetzen versuchten, sollte nicht so sehr als Ausdruck einer negativen Haltung gegenüber Frauen an sich interpretiert, sondern im Kontext ihres massiv bedrängten Arbeitsmarktes gesehen werden. Das schließlich erfolgte Verbot der Töchterarbeit in einem 'eher weiblichen' Gewerbe, das zudem zur gleichen Branche wie die Schneider gehörte, belegt die Bedeutung von gewerbespezifischen Besonderheiten. Während für die Meisterfrauen und die Meistertöchter in einigen der 'Männerhandwerke' eine graduell stärker ausgeprägte, wenn auch keineswegs durchgängige geschlechtsspezifische Arbeitsteilung ausgemacht werden konnte, zeigten die Kategorien 'eher männliche' oder 'eher weibliche' Gewerbe für die Möglichkeiten von Meisterwitwen, das eheliche Handwerk fortzufuhren, kaum Relevanz. Sie genossen in allen Handwerken ein uneingeschränktes Fortführungsrecht, fur dessen Umsetzung es vor allem in Zeiten konjunktureller Krisen oder sonstiger wirtschaftlicher Notlagen von Bedeutung war, ob eine Witwe die Arbeitsprozesse auch allein oder mit Hilfe einer Tochter ausüben konnte. Daß dies nicht so sehr eine Frage von 'eher weiblichen' oder 'eher männlichen' Arbeitsfeldern war, sondern eine der Gewerbestruktur, zeigte sich bei dem 'eher männlichen' Buchbin-

106

Während Silke Lesemann aufgrund der Hildesheimer Quellenlage die Frage, "ob Frauen besonders stark in mit hauswirtschaftlichen Tätigkeiten verwandten Arbeitsfeldern, z.B. im textilen Handwerk und nahrungsmittelherstellenden bzw. verarbeitenden Handwerken, vertreten waren," offen lassen mußte, stellt sie fest, daß die "klein- und zwergbetriebliche Struktur des Hildesheimer Handwerks [...] die Mithilfe der Ehefrauen und Töchter [erforderte]". In diesem letzten Punkt zeigen sich deutliche Übereinstimmungen mit den Augsburger Befunden. Vgl. S. Lesemann, Arbeit, Ehre, Geschlechterbeziehungen, S. 70-71.

469 derhandwerk und dem 'eher weiblichen' Bäckerhandwerk: während ersteres auch gut ohne Gesellen ausgeübt werden konnte, war dies bei letzterem nur sehr schwer möglich. Auch das Zimmer- und das Goldschlagerhandwerk konnten von einer Witwe ohne Gesellen kaum betrieben werden, was aber auch für Meister nicht möglich (Zimmerer) oder zumindest schwierig (Goldschlager, Bäcker) war. Auf diesem Hintergrund erweist sich die Gesellenfrage zwar als sehr bedeutsam für die Chancen von Witwen, das Handwerk tatsächlich ausüben zu können, kann aber - und dies scheint mir sehr wichtig - nicht gleichgesetzt werden mit pauschal an Witwen gestellte Forderungen mancher Handwerke, Gesellen zu führen. Anders stellte sich dies offenbar im Augsburg des frühen 16. Jahrhunderts dar, denn Lyndal Roper stellt für diese Zeit fest, daß "alle Gewerbe verlangten, daß mindestens ein Geselle angestellt werden müsse, wenn die Werkstatt weitergeführt werden sollte", woraus folgte, daß "nur eine Handvoll Witwen" das Handwerk aufrechterhalten konnte.107 Obgleich es im hier untersuchten Zeitraum einer Vielzahl von Witwen möglich war, ihr Handwerk sowohl mit als auch ohne Gesellen fortzuführen, konnte die Gesellenfrage aufgrund gewerbespezifischer Erfordernisse als ausschließendes Kriterium wirken, ohne jedoch als solches von den Handwerken intendiert gewesen zu sein. Während Annemarie Steidl für das oberösterreichische Landhandwerk davon ausgeht, daß "es eher kapitalintensive Handwerke [waren], die den Witwen die Weiterführung des Betriebes auf längere Zeit erlaubten",10' zeigt sich für Augsburg, daß diese beiden Aspekte nicht miteinander verknüpft waren. Die Höhe des für eine Betriebsgründung erforderlichen Kapitals an sich nahm auf die Möglichkeiten von Witwen, ihr Handwerk fortzuführen, keinen Einfluß. Gleichwohl konnte es die Weiterführung erschweren, wenn auf dem Besitz Schulden lasteten, die noch abbezahlt werden mußten. In solchen Fällen konnten sicherlich schon kleinere wirtschaftliche Krisen die Existenz des Betriebes gefährden, so wenn in Handwerken, die nicht ohne Gesellen ausgeübt werden konnten, der Gesellenlohn nicht mehr aufzubringen war. Dies betraf jedoch auch Meister, deren Hab und Gut durch Kredite belastet war. Allerdings konnte ein Meister - je nach Handwerk notfalls wohl länger ohne Gesellen durchhalten als eine Witwe. Da bei zwei der hier untersuchten Handwerke mit hohem Kapitalbedarf - den Bäckern und den Badern bzw. Barbieren - die Gerechtigkeiten auf den Gebäuden lagen, hatten deren Witwen eine größere wirtschaftliche Sicherheit, da sie das Handwerk verkaufen oder verpachten konnten. Der Umfang der Meisterschaft bestimmte zwar das Ausmaß der Konkurrenz und beeinträchtigte damit auch die Chancen, nahrungssichernd arbeiten zu können, hatte aber ansonsten keine erheblichen, allein die Witwen betreffende Auswirkungen.

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L. Roper, Das fromme Haus, S. 50. A. Steidl, Probleme und Möglichkeiten, S. 123.

470 In einer Hinsicht spielten die Größe des Handwerks und die Frage des Kapitalbedarfes dennoch eine Rolle, nämlich für die Chancen der Meisterwitwen und Meistertöchter, sich im Handwerk verheiraten zu können: 14 von insgesamt 30 Witwen, deren Wiederverheiratung in den Handwerkerakten sichtbar wurde, konnten sich in den kapitalintensiven Handwerken der Bäcker und der Bader bzw. Barbiere verheiraten; bei den Töchterehen waren es 18 von insgesamt 68 Eheschließungen, die in diesen Handwerken stattfanden. Im Verhältnis zur Gesamtzahl der nachweisbaren Heiraten wurden überdurchschnittlich viele im Massenhandwerk der Schneider, das die Zugangsbedingungen zum Handwerk kontinuierlich verschärfte, geschlossen: neun Witwen und 46 Meistertöchter verehelichten sich hier mit Gesellen ihres Handwerks. Während sich in den 'eher männlichen' Handwerken nur sieben Witwen mit einem Gesellen verheiraten konnten, waren es in den 'eher weiblichen' Handwerken immerhin 23. Dies bedeutet, daß es bei Eheschließungen mit Witwen nicht vorrangig darum ging, diejenigen Frauen, die als Witwen ein schweres 'Männerhandwerk' zu bewältigen hatten, durch die Einheirat zu entlasten, sondern daß die Heiratswünsche der Männer anders motiviert waren: Während Gesellen durch die Heirat in ein kapitalintensives Handwerk 'billiger1 - und damit schneller - zum Meisterrecht und zur Selbständigkeit gelangten, erhofften sich die Schneidergesellen, die kein Kapital einsparen wollten - der Kapitalbedarf war niedrig - , Dispense von sehr langen Gesellen- und zusätzlichen Wartejahren. Im ganzen erwies sich aber, auch dies sei noch einmal betont, daß die Möglichkeit der Einheirat von den Gesellen relativ wenig genutzt wurde. Die geringste Relevanz zeigten die herangezogenen Vergleichskriterien im Hinblick auf die handwerksspezifische Mägdearbeit. Über Mitarbeit oder Ausschluß entschieden weder, ob die Handwerke 'eher weibliche' oder 'eher männliche' Tätigkeitsfelder umfaßten, noch der Kapitalbedarf und die Meisterzahlen, sondern zum einen, in welchem Maß ihre Arbeit im Produktionsprozeß erforderlich war, zum anderen, ob sie den Meistern oder den Gesellen zur Konkurrenz gereichen konnte oder nicht: Bei den Buchbindern und bei den Schneidern war Mägdearbeit verboten, weil diese außerhalb der Werkstatt nahezu selbständig als 'Stümplerarbeit' ausgeübt werden konnte, sobald die Frauen sie beherrschten. Bei den Goldschlagern, aber auch bei den Webern, war Mägdearbeit erlaubt, weil sie unverzichtbar war, 'nur' Teilbereiche betraf (Bearbeitung der Rohstoffe, Übernahme von Zwischenarbeiten im Produktionsprozeß und Vorbereitung der Ware für den Handel) und weder die Verdienstmöglichkeiten der Meister noch die der Gesellen beeinträchtigte. War letzteres der Fall - wie in der Zeit vor und um 1700 bei den Goldschlagern - wurde die Mägdearbeit kurzerhand verboten. Im Vergleich der Mägdearbeit mit der Töchterarbeit tritt die Bedeutung der Zunftzugehörigkeit der Töchter und der Nichtzugehörigkeit der Mägde deutlich hervor: Während die Arbeit der zunftfahigen Töchter weitgehend akzeptiert wurde, mußten weder Meister noch Gesellen auf die nicht zunftfähigen Mägde Rücksichten nehmen, wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen deren Ausschluß von der

471 gewerblichen Arbeit für geboten hielten. Während die Schneidergesellen im Gegensatz zu den Bortenmachergesellen aus den oben dargestellten Gründen die Töchterarbeit nicht beanstandeten, sahen auch sie in der Mägdearbeit im Handwerk eine unzumutbare 'unzünftige' Konkurrenz. Die Nichtzugehörigkeit der Mägde zur Zunft, von der sie von den im Handwerkerhaushalt lebenden Personen meist als einzige betroffen waren, konnte sich auch darin spiegeln, daß sie in der Hierarchie der Arbeiten an unterster Stelle standen und durchaus auch sehr schwere Tätigkeiten auszuführen hatten. Die Ergebnisse dieser Analyse machen deutlich, daß allgemeingültige Aussagen zur 'Frauen'-arbeit im Handwerk - so schön und insbesondere leichter vermittelbar dies auch wäre - ohne erhebliche Verzerrungen nicht zu treffen sind. Statt dessen erweist es sich als unabdingbar, genau nach dem Status der Frauen zu differenzieren, denn 'die Frauen' als homogene Gruppe gab es auch im Handwerk nicht: Während für die Meisterfrauen und ihre Töchter galt, daß sie im Vergleich mit den Witwen und den Mägden am deutlichsten von der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung betroffen waren und ihre Mitarbeit zudem auch vom Gesellenbesatz abhing, zeigte sich für die Töchter und die Mägde die Haltung der Gesellen zu ihrer Arbeit, für die Mägde zusätzlich auch die Haltung der jeweiligen Meisterschaft sowie ihre Nichtzunftfähigkeit von Belang. Für die Meisterwitwen, die ihr Handwerk in aller Regel unbehelligt mit und ohne Gesellen fortführen durften, konnte es dagegen besonders wichtig werden, ob die diversen Arbeitsgänge in ihrem jeweiligen Handwerk notfalls auch ihre Alleinarbeit zuließen. Die Gesellen spielten - dies ist unverkennbar - eine sehr zentrale Rolle für die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen; gleichwohl gestaltete sich diese Rolle nicht nur zwischen den einzelnen Frauengruppen verschieden, sondern wies auch gewerbespezifische Besonderheiten auf: auch 'die Handwerke' selbst unterschieden sich sehr deutlich. Insgesamt zeigte sich, daß die herangezogenen Vergleichskriterien kein tragföhiges verbindendes Element zwischen den untersuchten Handwerken der sieben Branchen aufdecken konnten, wodurch sich die direkte Übertragung von Einzelerkenntnissen hinsichtlich der Arbeitsmöglichkeiten der verschiedenen Frauengruppen in einzelnen Handwerken auf vermeintlich ähnliche Handwerke als unzulässig erweist, da sie zu irrigen Annahmen führen würde. Der punktuell möglich gewordene Vergleich von Handwerken, die zu ein und derselben Branche gehörten - wie die Schneider und die Bortenmacher sowie die Zinngießer und die Gürtler - bestätigte dies zusätzlich. Die sehr unterschiedlichen gewerbespezifischen Strukturen prägten die Handwerke in einer Weise, die divergierende Lebens- und Arbeitsbedingungen für Meister, für Gesellen und für die mit den Handwerken insgesamt verbundenen 'Frauengruppen' hervorbrachten.

IV. Zur Konstruktion und Reproduktion von 'Geschlecht' im Handwerk Seit die Soziologin Ann Oakley 1972 zur Unterscheidung des physiologischen und des sozialen Geschlechts die Begriffe 'sex' und 'gender" eingeführt hat - '"Sex' is a word that refers to the biological differences between male and female [...] 'gender1, however, is a matter of culture: it refers to the social classification into 'masculine' and 'feminine'"1 wurde dieses Konzept in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen nutzbringend angewandt und hat sich allgemein durchgesetzt. Die Differenzierung zwischen 'sex' und 'gender1 ermöglicht es, die vermeintlich 'natürlichen' Geschlechterrollen als soziale Zuordnungen zu erkennen und deren kulturelle Variabilität sowie deren Wandel und damit auch den historischen Wandel der Geschlechterbeziehungen zu erfassen.2 Gleichwohl ist in dieser Differenzierung eine neue Dichotomie angelegt, die, zumal durch die deutsche Bezeichnung "biologisches Geschlecht' für 'sex', dazu führen könnte, daß - so Gisela Bock - übersehen wird, "daß der weibliche Körper (wie auch der männliche) historisch und kulturell variabel geprägt ist".3 Macht schon diese Kritik deutlich, daß die Kategorie 'sex' zumindest tendenziell wieder in 'gender' aufgeht, so wird spätestens seit Judith Butlers Buch "Das Unbehagen der Geschlechter", einer diskurstheoretischen Dekonstruktion der Geschlechterontologie, bei aller Kritik, die diese Arbeit erfährt, darüber diskutiert, ob und inwieweit auch 'sex', und damit die binäre Zweigeschlechtlichkeit, lediglich diskursiv hergestellt ist.4 Butler interpretiert den Geschlechtsunterschied als "Fiktion" und schlägt unter anderem vor, ihn durch wiederholte performative Akte außer Kraft zu setzen. Dies wiederum veranlaßt Carol Hagemann-White zu der Kritik, daß Butler so tue, "als handele es sich um einen vergnüglichen Maskenball, worin wir alle nach Lust und Laune einmal Frau, einmal Mann sein können".5 Die Auffassung aber, daß die 'sex'-'gender'-

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A. Oakley, Sex, Gender and Society, S. 16. Vgl. hierzu aus der Fülle der zu dieser Thematik vorhandenen Forschungsliteratur den den Stand der Debatte bis 1993 reflektierenden Beitrag von H. Schissler, Einleitung: Soziale Ungleichheit und historisches Wissen; vgl. weiter R. Habermas, Geschlechtergeschichte und "anthropology of gender". Bereits poststrukturalistische Ansätze enthält J. Scott, Gender: A Useful Category of Historical Analysis: "Gender is a constitutive element of social relationships based on perceived differences between the sexes, and gender is a primary way of signifying relationships of power." Ebd., S. 42. G. Bock, Geschichte, Frauengeschichte, Geschlechtergeschichte, S. 378. Bock verweist darauf, daß der Körper "eine Domäne nicht von 'Biologie', sondern von Frauen- und Geschlechtergeschichte [ist]". Zu ihrer weiteren kritischen Auseinandersetzung mit dem Konzept vgl. dies., Challenging Dichotomies: Perspectives on Women's History. J. Butler, Das Unbehagen der Geschlechter. C. Hagemann-White, Die Konstrukteure des Geschlechts, S. 69.

473 Differenzierung verdecken würde, daß auch der Körper lediglich Resultat einer Bezeichnungspraxis ist, prägt mittlerweile die Theoriedebatte.6 Männer und Frauen würden bei ihrer Geburt als solche klassifiziert7 und wären - überspitzt formuliert - von da an damit beschäftigt, sich in dieser Klassifikation zu zeigen: "Es gibt zwei Geschlechter nur insofern, als Individuen andere als Männer oder Frauen wahrnehmen und sich selbst als das eine oder andere darstellen. Das Resultat dieser Praktiken ist eine Welt mit zwei Geschlechtem, denen die einzelnen jeweils ausschließlich und lebenslänglich angehören."* Dies bedeutet, daß wir nicht qua 'Biologie' Frauen oder Männer sind, sondern daß wir etwas dafür 'tun', um nach der erfolgten Geburtsklassifikation weiterhin als Frau oder Mann wahrgenommen zu werden. Gegen diese Theorie einer ausschließlich diskursiv hergestellten Geschlechterdifferenz formuliert Hilge Landweer ihre These, daß "in jeder Kultur in Zusammenhang mit Sterblichkeit und Geburtigkeit die Generativität zu Kategorisierungen von 'Geschlecht1 führt. Wie diese Kategorien im Einzelnen verfaßt sind, ist prinzipiell offen, nicht aber, daß es zwei Kernkategorien gibt, die sich auf die Individuen beziehen, die an dem Vorgang des Geborenwerdens in der charakteristischen Weise beteiligt sind. Welche Relevanz die Geschlechter im gesamten System der jeweiligen Kultur haben, ist starken kulturspezifischen Schwankungen unterworfen."9 Landweer insistiert darauf, daß die Geschlechterdifferenz "nicht erst durch Diskurse produziert [wird], sondern die soziale Differenz treibt ihrerseits Mythen hervor, und zwar sowohl gender-Mythen, die die Eindeutigkeit von 'sex' im Sinne von zwei exklusiven Geschlechtern herstellen, als auch Mythen über eine ursprüngliche Einheit oder eine vollständige Irrelevanz von Geschlecht".10 Sie beschreibt das, was "bei alltäglichen Interaktionen an Geschlechtswahrnehmungen passiert, [...] als Mischtypus aus leiblich-affektiver Betroffenheit und Gestaltwahmehmungen, die mehr oder weniger 'interpretiert' sind in präsentativen symbolischen Formen", also in "nicht-diskursiven Typisierungsverfahren".11 Aus einer anderen Perspektive, nämlich der der 'Körperhistorikerin', argumentiert Barbara Duden entschieden gegen die Theorie, daß Körper und Geschlecht ein reines Diskursprodukt seien, wobei sie ihre Forschungsarbeiten zur Körpererfahrung von Frauen, die vor zwei- bis dreihundert Jahren lebten, anführt und vehe6

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Vgl. z.B. R. Gildemeister, A. Wetterer, Wie Geschlechter gemacht werden; K. Heinsohn, Auflösung der Kategorie 'Geschlecht1?, sowie die Beiträge in Kritik der Kategorie 'Geschlecht'. Vgl. S. Hirschauer, Wie sind Frauen, wie sind Männer?, S. 242-243: Sind "die Genitalien erst als Zeichen einer Geschlechtszugehörigkeit konstruiert", geschieht die "fortlaufende Etablierung dieser Zeichenhaftigkeit [...] etwa bei der Geburt durch eine kontinuierliche medizinische und juristische Registrierungspraxis, die bestimmte Körperteile zum Anlaß einer Körper· und Personenkategorisierung nimmt". G. Lindemann, Wider die Verdrängung des Leibes, S. 44. H. Landweer, Kritik und Verteidigung der Kategorie Geschlecht, S. 36. H. Landweer, Kritik und Verteidigung der Kategorie Geschlecht, S. 37. H. Landweer, Kritik und Verteidigung der Kategorie Geschlecht, S. 40.

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ment darauf verweist, daß sie sich "von keinem Dekonstruktivisten meine Leibhaftigkeit ausreden" lassen wolle.12 Auch Helga Kotthoff, die sich auf die verstehende Kommunikationssoziologie bezieht, geht von einem 'realen' geschlechtlichen Körper aus, wenn sie feststellt: "Existent ist ja zunächst nur das biologische Geschlecht (sex)", um dann zu fragen: "Was sind die Methoden, dieses kulturell relevant zu machen, also 'gender' zu konstruieren?'"3 Wie Geschlecht zu einer sozialen Kategorie wird, ist eine Frage, mit der sich seit langem die Ethnomethodologie beschäftigt, deren Gegenstand 'das methodische Handeln' von Menschen ist.14 Der für die Ethnomethodologie zentrale Begriff der Durchführung - 'doing' - soll betonen, daß es sich bei den Alltagshandlungen wie Reden, Fragen und Argumentieren um ein "stets neu in Gang zu bringendes Tun handelt, das mehr impliziert, als mit dem traditionellen Handlungsbegriff ausgedrückt ist. Mit der Unzahl solcher tagtäglichen Handlungen stellen die Mitglieder ihre soziale Ordnung her."15 In bezug auf die Geschlechterordnung verweist dies darauf, daß 'Geschlecht' hergestellt und reproduziert wird und damit nichts Statisches und Unbeeinflußbares ist. 'Doing gender* ist demnach ein prozessualisierter Geschlechtsbegriff, der - so Stefan Hirschauer - "auf eine fortlaufende Praxis der Herstellung sexuierter Individuen und sozialer Arrangements [verweist], die den (unbequemen) Gedanken der 'Mittäterschaft' noch radikalisiert. Die 'Strukturen' der Persönlichkeit und der Gesellschaft bestehen aus mikrosoziologischer Sicht in den Praktiken durchaus erwachsener Menschen, die sich in ihrem Alltagsleben kontinuierlich zu Frauen und Männern machen und machen lassen."16 Warum aber - so läßt sich dann fragen - haben die unter wie auch immer gearteten sozialen Geschlechterverhältnissen leidenden Frauen und Männer die Asymmetrie der Geschlechter nicht längst überwunden, wenn sie - wir - es doch nur 'tun' müßten? Eine Kritik, die an die Ethnomethodologie heranzutragen ist, ist die, daß sie - wie Helga Kotthoff es formuliert - "das Faktum der Tradition und der Hierarchie zu wenig berücksichtigt". Es sei nicht zu unterschätzen, daß "wir bereits in bestimmte kulturelle Verhältnisse hineingeboren werden, die wir uns interaktiv aneignen. Soziale Verhältnisse bedürfen nicht der permanenten Neuinszenierung, denn sie werden auch in Erwartungsrahmen transzendiert. 'Doing' darf nicht bedeuten, daß den Individuen beliebige Handlungspotenzen zugeordnet werden."17

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B. Duden, Die Frau ohne Unterleib, S. 28. H. Kotthoff, Kommunikative Stile, S. 80. Vgl. hierzu besonders C. West, D. H. Zimmerman, Doing Gender. Ε. Weingarten, F. Sack, Ethnomethodologie, S. 13. S. Hirschauer, Dekonstruktion und Rekonstruktion, S. 56. H. Kotthoff, Kommunikative Stile, S. 80.

475 Ich möchte im nun folgenden auf dem Hintergrund des ethnomethodologischen Konzeptes des 'doing gender1 verschiedene Argumentationsweisen Augsburger Handwerker und Handwerkerinnen danach befragen, ob und wie sie 'Geschlecht' im Bereich der Arbeit thematisierten. Zuvor soll diese Kategorie jedoch noch einmal kurz im ständischen Bezugsrahmen verortet werden. In den vorausgehenden Kapiteln wurden aus verschiedenen Perspektiven unterschiedliche historische Kategorisierungen von Menschen, aufgrund meiner Fragestellungen hauptsächlich von Frauen, sichtbar: Das für Fragen der Geschlechtsvormundschaft zuständige Pflegamt fragte nach dem Familienstand - ledig, verheiratet, verwitwet; Steueramt und Hochzeitsamt interessierte dagegen die Frage, ob Frauen und ihre Partner der Augsburger Bürgerschaft angehörten oder ob sie ortsfremd waren. Aus dem Blickwinkel der Handwerke erschienen die Frauen als Meisterehefrauen, Meisterwitwen, Meistertöchter und Mägde, als handwerksfähige und als nicht handwerksfähige Frauen. Daneben hatten die Handwerke aber auch andere Kategorien: sie unterschieden die Meisterschaft, die neben den Meisterehepaaren auch die verwitweten Meister und Meisterinnen umfaßte, von den Gesellen und noch schärfer vom restlichen Gesinde. Diese hierarchische Kategorisierung fand sich auch im Haus wieder: Das Meisterpaar stand dem Haus vor, und Meister und Meisterin übten gemeinsam Herrschaftsrechte über das im Haus mitlebende Gesinde aus. Das Gesinde - Gesellen, Lehrlinge und Mägde - bildete den untersten häuslichen Stand. In diesem vielfältigen "Geflecht von Gleichheiten und Ungleichheiten",18 das die ständische Gesellschaft der Vormoderne prägte, weist sich 'Geschlecht' also keineswegs als alleinige Ursache der Ungleichheiten aus, spielte aber dennoch keine unerhebliche Rolle. Im Bereich des Handwerks gab es fraglos männliche und weibliche Arbeitsbereiche, die Handlungsfelder von Frauen erwiesen sich aber als relativ weit und von großer Vielfalt, und die Grenzen zwischen diesen Bereichen zeigten sich flexibel: Meisterfrauen hatten unterschiedlichste Aufgaben sowohl im Haushalt als auch in der Werkstatt zu erfüllen; Meisterwitwen traten an die Stelle ihrer verstorbenen Männer und übernahmen das Handwerk mit und ohne Gesellen; Lehrlinge wurden auch zur Hausarbeit herangezogen, Meistertöchter konnten durchaus handwerksspezifische Arbeiten auf hohem Niveau ausführen. Obwohl die Mitarbeit von Frauen vielfach nicht nur notwendig war, sondern - zumindest die zunftfähiger Frauen - auch eine doch weitreichende Akzeptanz fand, zeigte sich ein hierzu gegenläufiger Befund, wenn Frauen in Konfliktfällen immer wieder pauschal und negativ mit ihrer Zugehörigkeit zum gegenüber den Männern als nachrangig interpretierten Geschlecht konfrontiert wurden. Im folgenden Kapitel soll zunächst anhand zweier Fallbeispiele gefragt werden, wie und warum von Männern 'Geschlecht' als Ab- und Ausgrenzungskategorie auf dem Handlungsfeld 'Arbeit' konstruiert wurde; im Anschluß daran möchte

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G. Di Icher, Die Ordnung der Ungleichheit, S. 56.

476 ich in einem weiteren Kapitel nach dem Umgang von Frauen mit 'Geschlecht' im Bereich der Arbeit fragen.

IV. 1 Die Konstruktion von 'Geschlecht' als Strategie konkurrierender Handwerke Im März 1748 reichten die Zuckerbäcker beim Augsburger Rat eine Höchst= nothgedrungene Vorstellung ein, mit der sie einerseits baten, für ihr Gewerbe, das ein sogenanntes 'freies Wesen' war, einen Numerus clausus einzurichten und andererseits den zünftigen Bäckern, die in Abbackung, auch öffentlicher Verkauff= und ungescheiiten Verhaußierung deren sogenannten Schmalz=Zöpflein, und anderen dergleichen theils von gut= und feinem Anis=daig mit Zucker, Mandlen, Weinbeer und Zwibelen verfertigter Mund=Waaren gantz enormiter excediren, den Eingriff in ihre Gewerbegerechtsame zu untersagen. Durch die unberechtigte Konkurrenz der Bäcker, aber auch durch verschiedene andere Personen, die - wie immer in solchen Fällen - als 'Winkelhocker1 bezeichnet wurden, würden sie selbst, so die Klage der Zuckerbäcker, um ihre Nahrung gebracht, zumal auch zu viele Leute in das Gewerbe aufgenommen worden seien." Der Rat reichte das Schreiben dem Handwerksgericht weiter, das von den Bäkkern eine Stellungnahme verlangte. Diese ist zwar in den Akten nur im Konzept und ohne Schlußteil vorhanden, bleibt aber hinsichtlich der Reaktion der Bäcker auf die Klage der Zuckerbäcker für unseren Zusammenhang sehr aufschlußreich: Daß Wir Vorgeher der Becken, auff der vermeinten Zucker Bacher Beschwerden, uns erklerren sollen, als ist vor allem Nethig ihre Herkunfft zu Erklerren, diesse nun kommen von Undencklichen Jahren, von Lautier Weibsbilder, da entweders sie ihre Menner nicht ernehren oder sonsten weilen ihre Menner dienst, und sie in der Krammers Zunjft, weillen sie diesses Schlier werck zu bachen wissenschafft, sich dessen wegen gewinsucht bedint. An späterer Stelle heißt es, die Zuckerbäkker, samtlich bloß von der Krammers Zunjft und zumahl von weibern herkommende Stimpler, wollen sich als ein Handwerck und deß Bachens berechtiget wissen. Das von den Zuckerbäckern für die Bäcker geforderte Verbot, die strittigen Backwaren herzustellen, würde - so die Bäcker - nicht nur dem gemeinen wessen, sondern Unsserm Handwerck der Becken [zur] hechst Schedlichen verderbnuß gereichen. Die Bäcker kritisierten, daß die Kramer Personen aufnehmen würden, die keine sichere Nahrung hätten: daß in der Krammers Zunfft alles so liederlich ohn zu wissen sich zu ernehren darf heurathen. Sie plädierten nun ihrerseits dafür,

15

StAA, HWA, Conditoren, Fasz. 2, 23.3.1748.

477 daß den Zuckerbäckern einhalt gethan werde, da es im geringsten nicht zuzulassen, daß diesse Krammers Leuth im geringsten von Heffen=Deig etwaß bachen.20 Bei dem hier dargestellten Fall handelte es sich eindeutig um einen Konkurrenzkonflikt zwischen zwei Gewerben, deren Produkte so nahe verwandt waren, daß es leicht zu Eingriffen in die Gewerbegerechtsame des jeweils anderen kommen konnte. Diese Problematik war jedoch keine Seltenheit und wurde beispielsweise im schon dargestellten Konflikt zwischen den Buchbindern und den Buchdruckern sichtbar.21 Während im vorliegenden Fall aber die Zuckerbäcker konkret die unrechtmäßige Produktion und den ebensolchen Verkauf durch die Bäcker ansprachen, argumentierten die Bäcker auf einer anderen Ebene: Sie, die sich als höherrangiges - da zünftiges - Handwerk verstehenden Bäcker, hielten den Zukkerbäckern nicht einfach im Gegenzug Gewerbeübertretungen vor oder rechtfertigten die eigenen, sondern sie lehnten es ab, die Zuckerbäcker überhaupt als Handwerk anzuerkennen, da in der Entstehungsphase der Zuckerbäckerei ausschließlich Frauen gebacken hätten. Ein Handwerk - so pointiert die Argumentation - konnte nicht durch Frauen begründet sein. Über diese Abwertung der angeblich ursprünglich von Frauen betriebenen Tätigkeit, versuchte man, das konkurrierende Handwerk mit dem Ziel, für das eigene 'Männer'-Handwerk Vorteile zu gewinnen, als ganzes abzuwerten - die Bezeichnung der Zuckerbäcker als Stümpler zeigt dies deutlich. Der Angriff der Bäcker auf die Kramerzunft weist in verschiedene Richtungen, aber auch hier wird die Herablassung deutlich, wenn unterstellt wird, daß nur die Frauen in der Zunft gewesen seien, während ihre Männer entweder einer für die Ernährung der Familie unzureichenden Tätigkeit nachgegangen seien oder die Frauen aus bloßer Gewinnsucht gebacken hätten. Der Vorwurf, daß die Kramer ihre Gerechtigkeit an Leute vergeben würden, die keine gesicherte Nahrung hätten, und daß Kramer nicht berechtigt seien, Hefe zu verbacken, läuft gleichwohl ins Leere: Auch die Kramergerechtigkeit wurde, wie alle Zulassungen zu einem Gewerbe, nur nach der Überprüfung der Kandidaten und Kandidatinnen durch das Handwerksgericht und das Steueramt vergeben, so daß der pauschale Vorwurf der Bäcker kaum greifen konnte. Zwar konnten die Gerechtigkeiten der Kramer ebenso wie die der Hucker, der Obstler und der Kräutler zusätzlich zu einer anderen Gerechtigkeit geführt werden,22 nicht jeder aber, der eine Kramergerechtigkeit besaß, konnte einfach alle unter die Kramerzunft fallenden Gewerbe ausüben: So waren beispielsweise auch die Buchbinder der Kramerzunft zugeordnet, bildeten aber fraglos ein eigenes mit Lehre und Meisterrecht verbundenes Handwerk. Die Zuckerbäcker führten ebenfalls ein Gewerbe für sich. Wenn dies auch nur ein so20 21 22

StAA, HWA, Conditoren, Fasz. 2, 13.5.1748. Vgl. hierzu oben Kap. Π.1.2.1.1 sowie Kap. Π.4.2. Dies wird beispielsweise bei den Zimmerleuten im Zusammenhang mit der Einführung einer Zimmergesellengerechtigkeit thematisiert. Vgl. StAA, HWA, Zimmerleute, Fasz. 4, 13.5. 1724.

478 genanntes 'freies Wesen' darstellte, bedurfte man für die Ausübung der Zuckerbäckerei einer Erlaubnis durch das Handwerksgericht, einer Gerechtigkeit. Die Feststellung der Bäcker, daß kein Kramer Hefe verbacken dürfte, war zwar als solche nicht falsch, aber in ihrem Bezug absurd - denn nicht die Kramer, sondern die Zuckerbäcker waren ihre Gegner. Den Bäckern war mit ziemlicher Sicherheit bewußt, daß ihr Angriff auf die Kramerzunft sachlich falsch war, insofern ummantelt er eigentlich nur ihr Hauptargument. Da sie eine unliebsame Konkurrenz ausschalten wollten, versuchten sie, die Zuckerbäcker gänzlich zu desavouieren: Nachdem sie ihnen mit der Begründung, daß Frauen mit der Ausübung der Zuckerbäckerei begonnen hätten, abgesprochen hatten, überhaupt ein Handwerk zu sein, negierten sie deren eigengewerbliche Existenz gleichsam, indem sie nur noch von Hefe verbackenden Kramern sprachen. Warum aber sollten Frauen eigentlich kein Handwerk, zumal ein freies Gewerbe, begründen können? Da sich hierfür keinerlei Erklärung findet, gingen die Bäcker offenbar davon aus, daß die Verordneten des Handwerksgerichtes und die Ratsmitglieder, an die sich ihr Schreiben richtete, keine solche brauchten. Ihrer Darlegung lag scheinbar ein für die Zeitgenossen problemlos dechiffrierbarer Code zugrunde. Da Frauen, wie die vorliegende Untersuchung unverkennbar zeigt, durchaus zu handwerklichen Tätigkeiten fähig und berechtigt waren - nicht nur die Zuckerbäckerinnen, sondern auch die Bäckerfrauen waren in der Backstube präsent mußte die der Argumentation der Bäcker immanente Abwertung von Frauen und in der Folge des von diesen - angeblich - begründeten Gewerbes andere Gründe haben. Welche aber? Ich meine, daß in der Argumentation der Bäcker unausgesprochen Vorstellungen einer Geschlechterordnung zum Tragen kamen, die sich aus einem auf die Genesistexte rekurrierenden theologischen Diskurs nährten, der Frauen in der Nachfolge Evas als nachrangig, dem Mann zur Gehilfin geschaffen, als verfuhrbar und verführend, als körperlich und psychisch schwächer konstruierte.23 Diese Sicht auf die Frauen prägte die christliche Anthropologie, die nicht nur in die Ehelehren und die Hausväterliteratur hineinwirkte, sondern beispielsweise auch Einfluß auf den medizinischen Diskurs und auf das Recht - man denke nur an die Begründung der Geschlechtsvormundschaft - nahm.24 "Das Wirkungsfeld der christlichen Anthropologie beschränkte sich" - so Heide Wunder - "nicht auf die Kirche, sondern bot sich auch für die Legitimierung und Stabilisierung weltlicher

23 24

Vgl. H. Schüngel-Straumann, Die Frau am Anfang. Eva und die Folgen. Vgl. z.B. Μ. E. Müller, Naturwesen Mann. Der von Müller konstatierte Wandel von der Subsidiarität zur Komplementarität von Mann und Frau zeigte sich auch im medizinischen Diskurs. Vgl. hierzu E. Berriot-Salvadore, Der medizinische und andere wissenschaftliche Diskurse. Zur Bedeutung für die Geschlechtsvormundschaft vgl. oben Kap. I.

479 Herrschaft an, da sie ebenfalls nicht auf Gleichheit, sondern auf Ungleichheit gegründet war."25 Wenn sich die Bäcker im vorliegenden Fall nicht mit dem eigentlichen Konflikt - der Gewerbeübertretung - auseinandersetzten, sondern auf die Diffamierung der Konkurrenten als von weibern herkommende Stimpler auswichen, setzten sie darauf, daß sich bei den Rezipienten ihrer Schrift das tiefere Wissen um die Zweitrangigkeit der Frauen und deren sittlich-moralische Schwäche gleichsam abrufen ließe und diese dann zu ihren, der Zunftbäcker, Gunsten entscheiden würden. Indem sie diesen Bezug herzustellen versuchten, konstruierten die Bäcker im Konflikt 'Geschlecht' als ausschließende Kategorie auf dem Handlungsfeld 'Arbeit' überhaupt erst, denn zuvor war die Arbeit der Zuckerbäckerinnen und der Zuckerbäcker kein Problem gewesen. Wie das Handwerksgericht in dieser Auseinandersetzung reagierte, wissen wir nicht, da der Fall nicht vollständig in den Akten vorhanden ist. Das Zuckerbäkkergewerbe gab es, wie die Ordnung aus dem Jahr 1682 belegt, jedenfalls schon lange vor der Zeit, in der es angeblich von Frauen geschaffen wurde, und es existierte auch weiterhin.26 Konkurrenzkonflikte zwischen den beiden Handwerken gab es später ebenfalls erneut: Im Streit, der sich im Jahr 1779 entspann, griffen die Bäcker vor allen anderen Zuckerbäckern besonders eine Witwe an, die sich als sehr starke Konkurrentin erwiesen hatte. Per obrigkeitlicher Verordnung wurde ihre Tätigkeit aber nur insoweit eingeschränkt, als sie ihre Gewerbebefiignisse überschritten hatte. Dieser Konflikt wurde bereits im Kontext des Kapitels "Konkurrenzkonflikte von Witwen, Konflikte nur mit Männern?" dargestellt.27 Wiederum um die Ausschaltung unliebsamer Konkurrenz ging es im folgenden Fall aus dem Jahr 1753: Nachdem das Augsburger Taxieramt von verschiedenen Lechhauser Goldschlagern mehrfach geschlagenes Metall konfisziert hatte, weil sie dieses unrechtmäßig in die Stadt gebracht hatten und damit verbotenen Hausierhandel hatten treiben wollen, wandten sich diese an das kurfürstlich bayerische Landgericht zu Friedberg, von wo sie als zu Bayern gehörende Lechhauser Unterstützung erhofften. In den Akten der Goldschlager fmdet sich ein Bericht des Handwerksgerichtes an den Rat,28 der sich auf ein nicht vorhandenes Schreiben des Friedberger Landrichters bezog und zunächst aus der Sicht der Handwerksvorgeher darlegt, warum die Lechhauser Goldschlager anders als die Memminger, Ulmer und Nördlinger nicht berechtigt wären, ihre Waren in Augsburg anzubieten: wie nehmlich erst berührte Memminger, Ulmer und Nördlinger ordentlich und zwar 7. Jahr lang gelernete Meister seyen, weßhalben disen eben so

25

26 27 28

H. Wunder, Normen und Institutionen, S. 60. Heide Wunder verweist jedoch auch darauf, daß die christliche Anthropologie nicht statisch war, sondern durch innerkirchliche Diskussionen in Bewegung gehalten wurde. Vgl. ebd., S. 59-61. Vgl. StAA, HWA, Conditoren, Fasz. 4. Vgl. hierzu oben Kap. II.2.3. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 5, 23.2.1753.

480 wenig als denen Churbayrischen Ordnungsmäßig gelerneten Meistern jemahls verbotten gewesen seye, ihr Metall auf Bestellung hereinzubringen. Mit den Lechhauser Goldschlagern hatte es dagegen eine andere Bewandtnis: sie waren eine äußerst lästige Konkurrenz, saßen sie doch unmittelbar vor der eigenen Haustüre - Lechhausen ist heute ein Stadtteil Augsburgs - und brachten nicht nur bestellte Waren, sondern kamen, um in der Stadt zu hausieren - und dies oft und schon sehr lange. Als zentraler Gnind für die nach Meinung der Augsburger Goldschlager gegen den Wunsch Kurbayerns weiter aufrechtzuerhaltende Ablehnung wurde angegeben: Handel und Wandel hingegen wäre ihnen Lechhauser Goldschlageren als bekandter dingen ungelernete [...] von hiesig hocher obrigkeit um so weniger zugestatten, als gantz billich zu besorgen, daß sie allhiesige Goldschlagern bey Gestattung deßen selbsten im gantzen Reich vor untichtig gehalten. Diese Begründung sollte eigentlich - sofern sie zutraf - ausreichen, um das Begehren der Lechhauser abzuwehren. Die Vorgeher des Handwerks fügten ihrer ablehnenden Äußerung aber noch hinzu, daß die Lechhauser Konkurrenten - und hier ist nun der Inhalt der oben gesetzten Klammer anzuführen - meistentheils von ihren Weibern in dem Hauß=Standt hierin unterrichtete Goldschlager seien. Wie im vorausgehenden Fall die Bäcker, sahen offenbar auch die Goldschlager im Verweis auf die Rolle der Frauen eine Möglichkeit, die Unrechtmäßigkeit des Ansinnens der Gegner noch zu unterstreichen. Wenngleich die Goldschlager die Frauen in weniger aggressiven Tönen, als sie die Bäcker anschlugen, ins Spiel brachten, zielten sie dennoch deutlich auf eine Diffamierung der Lechhauser: von den Ehefrauen im Handwerk angelernt zu werden, konnte wohl nicht nur keine Berechtigung zur Handwerksausübung nach sich ziehen, sondern steigerte das Ausmaß des 'Ungelerntseins'. Nachdem im Bericht des Handwerksgerichtes die Stellungnahme der Vorgeher der Goldschlager wiedergegeben worden war, bezog das Gericht Position: Mit freundlichen und vorsichtig abwägenden Worten legte es dar, daß man zu cultivierung guter Nachbarschafft, dem ansinnen des Hochlöbl. Churfürstlichen Hoffraths sehr gerne deferieren wollte, wann nicht augenscheinlich sowohl allhiesigen Goldschlageren als ihren Gesellen und Kindern der größte JJmsturtz und Nachtheil dann beträngnüße zuwachsete; zudem auch wider die im Römischen Reich wohl hergebrachte Ordnung und Observanz wäre, ungelernete Ordnungsmäßigen und nach Handwercks=Gebrauch gelerneten Meistern gleich zuachten. Die gesamte Argumentation des Handwerksgerichtes baute auf den allgemein gültigen Bestimmungen des Zunftrechtes auf und bezog schließlich auch die Bayerische Landes- und Policey-Ordnung ein, indem gezeigt wurde, daß auch Bayern unter wechselnden Vorzeichen so entscheiden müßte wie die reichsstädtische Obrigkeit. Die Gerichtsverordneten selbst verwiesen mit keinem Wort auf den von den Goldschlagern eingebrachten Vorwurf, daß die Lechhauser bei ihren Frauen lernen würden, und dies war ja auch überflüssig, da die Lechhauser Goldschlager so das Gericht - weder eine ordentliche Lehrzeit und Wandeijahre absolviert noch

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ihre Meisterstücke gemacht hatten. Eine weitere Begründung filr ihren Ausschluß vom Augsburger Markt war nicht erforderlich. Während im Fall der Lechhauser Goldschlager nicht zu überprüfen ist, inwieweit deren Frauen tatsächlich in das Handwerk integriert waren, zeigten im Fall der Zuckerbäcker sowohl die Ordnung aus dem Jahr 1682 als auch die Handwerkerakten des Gewerbes im ganzen, daß die Behauptung, das Gewerbe sei erst vor nicht langer Zeit von Frauen gegründet worden, falsch war. In beiden Konfliktfällen war es von der Sache her völlig überflüssig, in diffamierender Weise auf die Frauen der Handwerke zu verweisen. Auch für die Goldschlager gilt, was für die Bäcker bereits ausgeführt wurde: Die Thematisierung einer umfassenden Teilhabe der gegnerischen Frauen in einem wichtigen Bereich des Handwerks - die jedoch in keinem der Fälle auch bewiesen wurde - , diente dazu, die Gegner gleichsam als 'Weiberhandwerker1 zu verunglimpfen, die eigene Position als einzig rechtmäßige zu exponieren und die Entscheidungsträger im Konflikt zu animieren, die andere Partei auszuschalten. In keinem der beiden Fälle ging es tatsächlich um die Frauen, sie wurden lediglich argumentationsstrategisch benutzt, weil man offenbar sicher war, damit die obrigkeitliche männliche Solidarität gegen solche 'Männer* zu erhalten, die Frauen nicht auf dem ihnen gebührenden Platz in der zweiten Reihe hielten. Warum sich die Augsburger Goldschlager so vehement gegen die Lechhauser Konkurrenten zur Wehr setzten, wird deutlich, wenn wir die Situation dieses Handwerkes im Zeitraum des Konfliktes betrachten: Die Meisterschaft umfaßte im Jahr 1730 insgesamt 40 Meister und hatte damit den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht.29 In den 1740er Jahren wurden Klagen über die schlechte wirtschaftliche Lage laut, die 1748 besonders kraß schien. Im Februar dieses Jahres baten die Vorgeher eindringlich um den Schutz des Handwerks vor einem Übermaß an von außerhalb in die Stadt gebrachten geschlagenen Metalls, das vor allem in den umliegenden Dörfern produziert wurde: Aufgekauft würde die fremde Ware - so die Vorgeher - entgegen einer kaiserlichen Verordnung und mehrerer Ratsdekrete von den Papierdruckern und Papierfabrikanten, die den Preisvorteil nützten, der nur zustande käme, weil die Goldschlager auf den Dörfern billiger leben und auch billiger produzieren könnten. Wegen dieses unerlaubten Handels seien die meisten Goldschlagermeister ohne Arbeit und Nahrung, viele würden sich bereits mit allerhand andern Verrichtungen, ja wohl gar Tagwercken kümmerlich fortbringen,30 Daß diese Klagen mehr waren als gewohnheitsmäßiges und weitgehend grundloses Jammern, spiegelt sich im Rückgang der Meisterzahlen, die von 40 im Jahr 1730 auf 27 Meister 1755 sanken.

29

30

Vgl. R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 40: 1615 bestand das Goldschlagerhandwerk aus nur sechs Meistern, 1679 dann aus zehn Meistern; 1701 gehörten bereits 26 und 1720 38 Meister zum Handwerk. Zur Entwicklung im Goldschlagerhandwerk vgl. auch oben Kap. II.4.2. StAA, HWA, Goldschlager, Fasz. 4,3.2.1748.

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Das Augsburger Goldschlagerhandwerk befand sich also zum Zeitpunkt der Klage gegen die Lechhauser Goldschlager in einem starken Schrumpfungsprozeß und sah keinen anderen Weg, als mit allen Mitteln gegen die auswärtigen 'Pfuscher' vorzugehen.3' Auf dem Hintergrund der wirtschaftlichen Probleme wird schließlich auch deutlicher, warum die Vorgeher soweit gingen, die Konkurrenten nicht nur als ungelernte, sondern als von ihren Weibern in dem Hauß=Standt hierin unterrichtete Goldschlager anzugreifen. Sie wollten sicher gehen, daß die Unrechtmäßigkeit der Arbeit der Lechhauser jedem ins Auge springen würde, und um dies zu erreichen, schien der Hinweis auf die angebliche Lehrmeisterrolle der Ehefrauen ein probates Mittel, 'wußte' doch jeder - ohne daß es einer expliziten Erläuterung bedurfte - , daß Frauen nur zu Gehilfinnen ihrer Männer, nicht zu Meisterinnen geschaffen waren. Die in der christlichen Anthropologie wurzelnde Nachrangigkeit von Frauen konnte problemlos auf das Handwerk übertragen werden und dort eine Ausschlußfunktion Ubernehmen, die im Konflikt deren Männer einbezog. Die Thematisierung von Frauen in den vorausgehenden Fällen erreichte jedoch eine völlig andere Dimension als etwa beim Ausschluß der Meistertöchter von der Mitarbeit im Bortenmacherhandwerk, wo konkret diskutiert wurde, daß die neu erfundene Bandmühle viele Arbeitsplätze kosten würde bzw. bereits gekostet hatte und daß mit der Frauenarbeit niedrigere Herstellungskosten verbunden waren, so daß sie in Konkurrenz zur Gesellenarbeit stand, weshalb die Gesellen diese verboten sehen wollten. Zwar wurde die Mitarbeit der Bortenmachertöchter schließlich - zumindest de jure und eigentlich gegen den Willen der Augsburger Meisterschaft - verboten, und dieses Verbot betraf nur Frauen, aber man hatte in einer wirtschaftlich problematischen Lage eine Entscheidung zugunsten der Gesellenarbeitsplätze getroffen und die Töchter 'als Bauernopfer' dargebracht; man hatte sie ganz sicher auch als Frauen, aber nicht in erster Linie als Frauen, sondern als reale Konkurrentinnen ausgeschlossen, ebenso wie man sehr strenge Ausschlußkriterien für Gesellen entwarf.32 Die Augsburger Bäcker und Goldschlager dagegen brachten die Frauen ihrer Gegner - ohne unwiderlegbare Beweise für ihre Behauptungen zu erbringen - eigentlich nur rhetorisch ins Spiel und zeichneten eine Art verkehrter Welt, wenn sie die Frauen als Gründerinnen eines Handwerks und Lehrmeisterinnen ihrer Männer verdächtigten, und dies nur, um ihre männlichen Konkurrenten abzuwerten und zu diffamieren. Hier wurde sowohl das 'FrauSein' an sich als auch das 'auf-Frauen-bezogen-Sein' von Männern ein negatives Merkmal und 'Geschlecht' zur ausgrenzenden Kategorie.

31 32

Vgl. hierzu auch R. Reith, Arbeits- und Lebensweise, S. 199. Vgl. oben Kap. 11.3.3.2.

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IV.2 'Geschlecht' in Argumentationsstrategien und Handlungsweisen von Frauen Im Verlauf dieser Untersuchung wurde an mehreren Punkten deutlich erkennbar, daß Frauen sowohl im konkreten Handeln wie auch im Argumentieren auf 'Geschlecht' rekurrierten. Dies taten sie in einer Weise, die sichtbar werden läßt, daß sie sich sowohl ihrer realen Handlungsfähigkeit als auch des Theorems der 'weiblichen Schwäche' bewußt waren. Ich möchte dies zunächst noch einmal im Rückgriff auf bereits Dargestelltes reflektieren und dann anhand weiterer Fälle nach der Bedeutung ihres Agierens für den Inhalt einer Kategorie 'Geschlecht' fragen. Im Kapitel über das Konfliktverhalten von Meisterfrauen33 konnte ein sehr diffiziles Wechselspiel zwischen männlichen und weiblichen Akteuren gezeigt werden, bei dem die Frauen im Konflikt ordnungswidriges Verhalten an den Tag legen und sich dann gleichsam auf ihr Trau-Sein' berufen konnten; in gleicher Weise konnten sich aber auch die Männer durch den Verweis auf das von ihnen nicht gebilligte Agieren der Frauen aus der 'Schußlinie' bringen: Im Konkurrenzkonflikt, der sich in einem gemeinsamen Verkaufsraum der Kürschner zwischen einer verwitweten Kürschnermeisterin und verschiedenen Ehefrauen von Kürschnern abspielte, griffen Frauen zur Verteidigung ihrer Nahrung zu nicht unbedingt rechtmäßigen Mitteln. Als die Vorgeher des Handwerks deswegen von der Obrigkeit angegangen wurden, zogen sie sich darauf zurück, daß die Frauen ohne ihr Wissen gehandelt hätten. Da sie vorgaben, diese Frauen nicht gekannt zu haben, deckten sie letztlich deren Aktion - schließlich hatten die Frauen einen Konkurrenzkonflikt für die gesamte Meisterschaft ausgetragen. In einem anderen Fall, dem Aufstand der Weber Ende 1784, wurde das im gemeinsamen Interesse des Handwerks liegende aktive Handeln von Frauen durch ihre Männer nicht nur stillschweigend gebilligt, sondern vermutlich auch gemeinschaftlich geplant, zumindest aber wohl in den Familien besprochen. Nach dem Ende des von Frauen getragenen Konfliktes konnten sich die Männer, die es verstanden hatten, sich während der Aktion im Hintergrund zu halten, auf Nichtwissen und Nichtbeteiligung berufen, die Frauen aber bewegten sich aufgrund der ihnen nicht in vollem Umfang zuerkannten Verantwortungsfähigkeit - schließlich unterstanden sie der Ehevogtei - in einer rechtlichen Grauzone, so daß auch Strafmaßnahmen weniger zu furchten waren. Zusammengenommen verweisen die beiden Fälle darauf, daß sowohl Frauen als auch Männer gemeinschaftlich die auf einer normativen Ebene konstruierte Geschlechterdifferenz letztlich instrumentalisierten, um ihre gemeinsamen Interessen durchzusetzen. Damit griffen sie aber nicht nur ein fremdes Konstrukt auf, um es zu benutzen: vielmehr wirkten sie - da sie ja gerade auf sei-

33

Vgl. oben Kap. Π. 1.3.

484 ne Tragfähigkeit setzten - zugleich an der Reproduktion des Gefälles zwischen Männern und Frauen mit. In anderen Bezügen, aber letztlich in nicht sehr anderer Weise, zeigte sich auch bei den Witwen ein bewußter Umgang mit der Geschlechterdifferenz. Erinnert sei hier an einige im Kapitel über die Konflikte in der Witwenwerkstatt34 dargestellten Fälle, die sowohl auf das repressive Element von 'Geschlecht' als auch auf die Möglichkeit des bewußten Agierens damit hinweisen. Die angesprochenen Fallbeispiele hätten mit gutem Recht auch in diesem Kapitel analysiert werden können, ich habe es jedoch vorgezogen, sie 'in der Witwenwerkstatt' zu belassen, weil mir die Handlungsebene der Witwen als 'Meisterinnen' von Gesellen und Lehrlingen bedeutsamer schien als der Geschlechteraspekt. Im ersten der dort angeführten Fälle wurde eine klageführende Bäckerwitwe, die sich gegen einen aufsässigen - und geständigen! - Gesellen zur Wehr setzte, schließlich nahezu zur Beklagten, von der der neu angenommene Geselle verlangte, daß sie sich ihm gegenüber 'gebührend aufführen' solle, wobei er das Handwerk und das Handwerksgericht auf seiner Seite wußte. Dadurch dominierten letztlich geschlechterideologische Normen die ständische Norm, da der Geselle an sich dem untersten Hausstand angehörte, die Witwe aber an der Spitze des Hauses stand und somit diejenige gewesen wäre, der solche Forderungen zugestanden hätten. Im zweiten Fall argumentierte eine beklagte Geschmeidmacherwitwe, die ihren Lehijungen aufgrund massiver Konflikte vor dem Ende seiner Lehrzeit entlassen wollte, scheinbar geschlechtsrollenkonform: Das Handwerk habe ihr nach dem Tod ihres Mannes nicht zur Seite gestanden, und sie habe nicht gewußt, wie sie sich zu verhalten habe. Es scheint aber, daß sie damals den Rat des Handwerks geradezu gemieden hatte, weil sie wohl angenommen hatte, daß dieser ihren Absichten widersprochen hätte. Ihr zielgerichtetes Vorgehen, mit dem sie sich auch durchsetzte, ließ keineswegs eine unterstützungsbedürftige Witwe erkennbar werden. Neben diesen konkreten Konfliktfällen, die über das Handwerksgericht ausgetragen wurden, konnte im angesprochenen Kapitel anhand eines Fallbeispieles gezeigt werden, wie eine Witwe in ihren Suppliken ihre besondere Schutzbedürftigkeit als Witwe betonte, indem sie eine allgemein gehaltene Gesindeschelte anführte, die sie von der ersten Supplik im Jahr 1733 bis zur schließlich erfolgreichen vierten Supplik 1736 steigerte, um zu unterstreichen, von welch großer Bedeutung ein Übergabekonsens für sie war. So unübersehbar die Beteiligung von Frauen an der Konstruktion und Reproduktion der Kategorie 'Geschlecht', ihr 'doing gender', bereits in den Blick kam, muß dieses aktive Tun in einer Hinsicht noch einmal hinterfragt werden: In den Handwerkerakten der Schneider finden sich nämlich sechs Suppliken von verschiedenen Witwen, die zur Unterstreichung der Dringlichkeit ihres Anliegens al-

14

Vgl. oben Kap. Π.2.2.Ι.3.3.

485 le eine nicht näher konkretisierte Gesindeschelte in nahezu identischen Formulierungen enthalten. Ich möchte hierzu einige Beispiele geben. Als sich Marianna Federlin, eine Schneiderwitwe, 1761 mit einer Supplik an den Rat wandte und um die Übergabeerlaubnis an ihre Tochter bat, schilderte sie, daß sie bereits seit sechs Jahren verwitwet sei und bislang die Werkstatt mit Gesellen weitergeführt habe: Gleichwie aber mehr als zu wohl bekanndt ist, daß Wittwen, zumahlen wann solche schon auf ein hohes Alter gestiegen, nicht allein von den Gesellen meisten Theils schnöde tractirt zu werden pflegen oder Wittwen sich mit solchen Gesellen behelffen müssten, die einer Werckstatt nicht vorstehen können, Also ist von selbsten hocherleucht zuermessen, daß mich binnen bemeldten 6. Jahren gleiches Schicksal angegangen habe.*5 Die erst ein Jahr verwitwete Marianna Meyrtaoferin, ebenfalls eine Schneidermeisterin, bat 1764 um die Obergabeerlaubnis an ihre Tochter: Gleichwie aber mehr als zu wohl bekandt ist, daß Wittwen zumahlen wann sie schon bey Jahren, und sich nicht widerum zu verheurathen willens sind, von denen Gesellen offtmahls schlecht tractiret zu werden pflegen, oder sich mit solchen Gesellen behelffen müssen, die nicht einmahl einer Werckstatt nach erfordern vorstehen können, also ist von Selbsten Hocherleucht zu ermessen daß mich in meinem ferneren Wittibstand gleiches Schicksaal treffen, folgsam das Handwerck zu fuhren mir schwehr und kümmerlich fallen werde.*" Auch in der 1769 verfaßten Übergabesupplik der Schneiderwitwe Maria Eva Mayrin findet sich diese Argumentation: Da nun aber mehr als zu wohl bekandt ist, daß Wittwen zumahlen wann selbige auf Jahren, von denen Gesellen öffters schlecht tractiret zu werden pflegen, oder sich mit solchen Gesellen behelffen müssen, die einer Werckstatt nicht vorstehen können, als ist von Selbsten Hocherleucht zu ermessen, daß auch mich schwehr ankommen müsse, die Werckstatt mit Gesellen in die Länge fortzuführen Die drei zitierten Suppliken sowie drei weitere mit nahezu gleichlautender Gesindeschelte stammen alle aus der Feder von ein und demselben Schriftensteiler, nämlich von Licentiat Fischer. Vergleicht man die von ihm verfaßten Übergabesuppliken miteinander, fällt auf, daß Fischer nicht nur die Gesindeschelte gleichsam wie Textbausteine anführte, sondern daß die Bittschriften im Ganzen fast identisch aufgebaut und begründet waren. Individuelle Unterschiede, die die verschiedenen Fälle zwangsläufig aufwiesen, wurden von Fischer zwar aufgenommen, im wesentlichen aber in seine Textstruktur eingepaßt. Damit stellt sich die Frage, inwieweit die 'Geschichten' der Frauen hier noch sichtbar werden, ob überhaupt noch von deren Argumentationsstrategien gesprochen werden kann.38 Brachten die Witwen, für die Fischer die Suppliken verfaßte, ihrerseits den Vor35 36 37 38

StAA, HWA, Schneider, Fasz. 15, 18.6.1761. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 15, 11.12.1764. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 15, 22.6.1769. Vgl. hierzu die grundsätzlichen Bemerkungen zur Aussagekraft der Suppliken als Egodokumente in der Einleitung sowie C. Ulbrich, Zeuginnen und Bittstellerinnen.

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wurf vor, das Gesinde sei eigennützig, und gab Fischer dieses dann lediglich in seiner Standardformulierung wieder? Was wissen wir über die Verhältnisse der verwitweten Frauen? Eine der sechs Frauen hatte ihre Werkstatt tatsächlich schließen müssen, die Umstände, die dazu gefuhrt hatten, wurden aber nicht konkret benannt: Marianna Becherin war zum Zeitpunkt ihrer Supplik schon 16 Jahre verwitwet, das Handwerk hatte sie elf Jahre vorher im Alter von 59 Jahren aufgegeben; im Mai 1769 bat sie, ihre Tochter auf ihre Gerechtigkeit verheiraten zu dürfen.39 In zwei Fällen erweisen sich die potentiellen Übernehmer, also die Verlobten der Töchter, als die Gesellen, die seit dem Tod des Meisters für die Witwen gearbeitet hatten, was wohl den Schluß zuläßt, daß die Witwen in ihren Gesellen zuverlässige Helfer gefunden hatten. Der Maria Eva Mayrin beispielsweise hatte der Geselle Johann Georg Ortlieb nach ihren eigenen Angaben nach meines Manns seel. Tod mir als Tafel Schneider die Profession mit aller Treu und Fleiß 1 Jahr lang geführet.40 Zwei weitere Witwen hatten die Werkstatt mit Gesellen weitergeführt, eine von ihnen betonte, daß sie sich zwar kümmerlich, aber ohne Schulden hatte durchbringen können.41 Im sechsten Fall konnte die Witwe nach dem Tod ihres Mannes ihren Sohn von der Wanderschaft zurückrufen und ihm die Werkstatt übergeben.42 In mindestens drei der Fälle hatten also die Witwen sicher keinen realen Anlaß zur Klage über die Gesellen. Ob sie dennoch die Urheberinnen der Gesindeschelte waren? Da Heiraten auf die Handwerksgerechtigkeit oder die Übergabe an Kinder an sich normale und übliche Vorgänge darstellten, für die zwar bestimmte Bedingungen erfüllt sein mußten, die aber in der Regel keiner besonders hervorgehobenen Begründung bedurften, scheint die oben angesprochene formelhafte Darstellung des Sachverhaltes gerechtfertigt. Im Schneiderhandwerk allerdings warer 1757 die Werkstattübergaben durch Witwen verboten worden, so daß Übergabegesuchen nicht mehr ohne weiteres stattgegeben wurde.43 Alle Fälle aber, in denen Fischer die hier analysierten Suppliken verfaßt hatte, gehörten zum Schneiderhandwerk und fielen in die Zeit von 1760 bis 1771, also nahezu unmittelbar in die Zeit nach dem 1757 erfolgten Übergabeverbot. Auf diesem Hintergrund scheint es möglich, daß sowohl der Schriftensteiler als auch die Witwen es für sinnvoll und förderlich hielten, in den Suppliken auf den besonderen Schutzbedarf von Witwer zu rekurrieren. Indem Fischer über die Gesindeschelte praktisch darlegte, daß eine Witwe als Haushaltsvorstand und Meisterin von Gesellen so wenig ernst genommen würde, daß dadurch auf Dauer ihre Nahrung in Gefahr geriete, griff er zui

39 40

41

42 43

Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 15, 18.5.1769. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 15, 22.6.1769 (Maria Eva Mayrin); zum zweiten Fall vgl Fasz. 15, 27.7.1771 (Catharina Kastenmüllerin). Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 15, 11.12.1764 (Marianna Meyrhoferin) und Fasz. 15 18.6.1761 (Marianna Federlin). Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 15, 23.2.1765 (Johanna Claußin). Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 14, 1.3.1757 sowie oben Kap. II.2.5.3.

487 Durchsetzung des Anliegens der jeweiligen Witwe Aspekte der Geschlechterideologie auf, von denen er offenbar annahm, daß sie die Entscheidungsträger positiv beeinflussen würden. Instrumentalisierte Fischer diese Geschlechternormen lediglich - sei es im Auftrag der Witwe oder weil er dachte, daß dies fruchten würde - oder glaubte er selbst an diese? Vermutlich spiegeln seine Suppliken ein Stück weit auch seine eigene Sicht auf die Geschlechter, die ihn den Textbaustein 'Gesindeschelte' leichthändig einfügen ließ. Seine Kollegen, die gelegentlich auch mit der Gesellenproblematik argumentierten, taten dies wesentlich variabler44 - griffen sie stärker auf das zurück, was die Frauen schilderten? In der Übergabesupplik der Witwe Marianna Heimin, die von Licentiat Lipp verfaßt wurde, fehlte jegliche Gesindeschelte, statt dessen wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das Gesuch dem Dekret von 1757 zuwider sei, man aber dennoch um die Gnade bitte. In der Supplik wurden mehrere Namen von Jungmeistern angeführt, die in den letzten Jahren trotz des Obergabeverbotes hatten übernehmen dürfen.43 Solche Informationen konnte nur die Witwe beigebracht haben, da der Schriftensteller nicht über alle Einzelentscheidungen in allen Handwerken informiert sein konnte. Ich meine, daß dies wiederum ein Hinweis darauf ist, daß die Frauen mit ihren individuellen 'Geschichten' und mit Argumenten, die für die eigene Sache sprachen, zu einem Rechtsexperten kamen, der dann eine entsprechende Schrift ausformulierte, so daß in der Regel in den Suppliken die Stimmen der Frauen selbst hörbar werden.46 Dies kann durchaus trotz aller Formelhaftigkeit auch für die Suppliken, die Licentiat Fischer verfaßte, gelten. Das Recht, den Schriftensteller selbst auszuwählen, gab den Frauen die Möglichkeit, sich nach jemandem umzuschauen, der - ähnlich wie die selbstgewählten Beistände - das zu vertreten bereit sein würde, was die Mandantinnen selbst wollten. Sie konnten die Erfahrungen von Frauen aus ihrem Umfeld mit dem einen oder anderen Rechtsberater abfragen und schließlich eine Person ihres Vertrauens mit dem eigenen Fall beauftragen. Aufgrund der Tragweite des erbetenen Konsenses mußten Übergabesuppliken auch von den Beiständen der Witwen unterschrieben werden. Wie diese zur implizit vermittelten Realität einer Geschlechterdifferenz standen, läßt sich ebensowenig feststellen, wie der tatsächliche Anteil der Witwen an der Darstellung in den Suppliken. Insgesamt scheint es sich um ein Konglomerat aus persönlichen 'Geschlechter'-Interpretationen und argumentationsstrategischen Darstellungen zu handeln, die weder sauber zu trennen noch anteilmäßig den verschiedenen betei44

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Vgl. hierzu insbesondere oben Kap. Π.2.2.1.3.3 die sukzessive Steigerung der Gesindeschelte in den Suppliken der Euphrosina Meichingerin. Vgl. StAA, HWA, Schneider, Fasz. 15, 12.8.1772. So z.B. in den in Kapitel II.2.2.1.3.3 dargestellten Fällen, aber auch im hier noch folgenden Fallbeispiel der Baderwitwe Pfauzin. C. Ulbrich, Zeuginnen und Bittstellerinnen, S. 218-219 geht davon aus, daß Bittgesuche, die von den Frauen ausgewählte Schreiber verfaßten, eine größere Nähe zu den Frauen aufweisen als etwa Verhörprotokolle von Beklagten und Zeugen, zumal, wenn Zeugenaussagen nicht freiwillig geleistet wurden.

488 ligten Personen zuzuweisen sind. In jedem Fall aber waren die Witwen in diesem Zusammenhang zumindest insofern an der Konstruktion von 'Geschlecht' beteiligt, als sie der Darstellung durch den Schriftensteller offenbar nicht widersprachen und die Suppliken, die ja in ihrem Namen verfaßt waren - die Frauen erscheinen jeweils als die darstellende Person - , unterschrieben. Ich möchte im folgenden an einem - wie ich meine - sehr aussagekräftigen Fall explizieren, wie eine Witwe mit 'Geschlecht' argumentierte und zugleich offenbarte, daß der ihrer Argumentation immanente Appell, sie als im Vergleich zu Männern minderbegabte Frau zu unterstützen, keineswegs ihrem realen Bedarf entsprach. Nachdem der zweite Ehemann von Anna Magdalena Pfauzin, einer Baderin, verstorben war, hatte sie sich zu einer weiteren Ehe entschlossen. Das Bad, das aus ihrer ersten Ehe stammte und nach ihrem sowie dem Tod eines möglichen weiteren Ehepartners an den ältesten Sohn aus dieser Ehe fallen sollte, wollte sie - der Heiratsbrief, den sie von ihrem ersten Mann erhalten hatte, erlaubte ihr dies ausdrücklich - ihrem neuen Bräutigam anheiraten.47 Ihre gleich zu zitierende Argumentation läßt vermuten, daß sie im voraus schon annahm, daß die Deputierten der Bader und Wundärzte ihr keine weitere Ehe auf diese Badstube zubilligen würden, weil ihr Sohn sich bereits längere Zeit auf Wanderschaft befand und bei seiner jederzeit möglichen Rückkehr die Bedingungen für die Zulassung zum Meisterrecht erfüllt haben würde. Tatsächlich sollte das Handwerk später diesen Grund für seine negative Haltung anführen.48 In ihrer Supplik, mit der sie um die Heiratserlaubnis mit ihrem Gesellen bat, legte Anna Magdalena Pfauzin dar, daß sie wieder heiraten wolle, da sie alß Wittib wie von selbst leicht zuerachten mit denen Gesellen das Bad und die Barbierers-Profession nicht wol führen kan. Sie führte weiter aus, daß es für ihren Sohn von Nutzen sei, wenn sie sich wieder verheirate, weil sie, die ich noch in meinen besten Jahren bin, und dem menschlichen ansehen nach noch mehr alß 20. Jahr erreichen kan, in dem Wittibstand das quaestionirte Bad und die BarbierersProfession [...] fortführen solte, aus Mangel genügsamer Direction und Vorstehung, alß worzu ein Manns- Verstand (wie von selbst sich einbilden läßt) erforderlich ist, das bißher wohl renommirte Bad, und was deme anhängig in merklichen Abgang käme, und nach und nach die Kundtschajft verlierte, folglich dem zu seiner Zeit succedierenden Sohn es gar weit gefehlet wäre, und seyn größßester ruin seyn därffte*'

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Dieser Fall wurde in den Teilen, die die Anheiratung der Gerechtigkeit an einen zweiten Ehemann betrafen, bereits oben in Kap. 11.2.4.2 dargestellt. Vgl. StAA, HWA, Bader, Fasz. 11, 6.5.1719. StAA, HWA, Bader, Fasz. 11, 4.4.1719.

489 Die dieser Supplik immanente Argumentationsstrategie ist nicht zu übersehen.50 Hätte Anna Magdalena Pfauzin sich nicht noch einmal verheiraten wollen, hätte sie problemlos ihren Sohn von seiner Wanderschaft nach Augsburg holen und ihm die Badstube ganz überlassen oder mit seiner Unterstützung bis zur vollständigen Übergabe fuhren können. Sie ftihlte sich aber nicht nur so jung, daß sie dachte, sie hätte noch mindestens 20 Jahre vor sich, sondern sie schrieb in ihrer Supplik auch, daß sie das verbriefte Erbrecht ihres Sohnes erster Ehe auch dann nicht anzweifeln würde, wenn sie in einer weiteren Ehe noch Kinder gebären sollte. Wir sehen hier also keine Witwe, die sich nicht mehr zutraute, die Dinge alleine zu regeln, sondern ganz im Gegenteil eine Frau mittleren Alters, die nicht gewillt war, auf einen Ehemann und - nach dem Willen Gottes - vielleicht auch weitere Kinder zu verzichten. Die Pfauzin wollte eine weitere Ehe, und um dies zu erreichen, argumentierte sie geschickt von zwei Seiten her: einerseits betonte sie die Notwendigkeit des Nahrungserhaltes für den erbberechtigten Sohn und andererseits rekurrierte sie auf ihre 'weibliche Schwäche', um deutlich zu machen, daß sie heiraten mußte, wollte sie dem Sohn nicht schaden. Obwohl das Fortführungsrecht, das die Augsburger Handwerkerwitwen uneingeschränkt genossen, davon zeugt, daß man den Witwen durchaus zutraute, die Werkstätten tatsächlich zu führen - das obige Witwenkapitel belegt dies unzweifelhaft - , galten Witwen allgemein als besonders unterstützungsbedürftig. Wenn die Pfauzin also darlegte, daß fiir die rentable Weiterführung der Badstube ein Manns- Verstand notwendig sei, griff auch sie letztlich auf die christliche Anthropologie zurück, die die Schwäche und Bedürftigkeit der Frauen hervorhob.51 Während Anna Magdalena Pfauzin einerseits gezielt das Argument der 'weiblichen Schwäche' aufgriff, um ihren Heiratswunsch durchzusetzen, war sie andererseits doch resolut genug, den mit dem Handwerk entstehenden Streit, der sich über ein halbes Jahr hinzog, durchzustehen. Was weist nun daraufhin, daß uns in ihren Schriften ihre eigene Sicht der Dinge und nicht ausschließlich oder überwiegend die Argumentation ihres Anwaltes entgegen tritt? Um dies beantworten zu können, muß man den weiteren Verlauf des Falles betrachten. Die Bader reagierten auf die Supplik der Witwe zunächst ausschließlich mit der Forderung einer Supplikationsgebühr, so die jenige, so wider die Ordnung suppliciren, zu bezahlen hätten, und taten kund, daß sie vorher nicht bereit seien,

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In einem zwar anders gelagerten Rechtsstreit einer Witwe aus dem ländlichen Bereich interpretiert C. Ulbrich, Zeuginnen und Bittstellerinnen, S. 216 die Tatsache, daß diese Witwe die negative Darstellung ihrer Person durch ihren eigenen Advokaten zugelassen habe, so: "Katharina scheint, indem sie das Argument der blöden Witwe und der unerfahrenen Frau zuließ, von der Differenz zwischen alltäglicher Praxis und juristischem Diskurs einen kreativen Gebrauch gemacht zu haben." Diese im Vergleich zu meiner Bewertung als Argumentationsstrategie freundlichere Formulierung nimmt, so meine ich, in der Sache nichts weg. Vgl. oben Kap. IV. 1.

490 sich zur Sache zu äußern." Die Pfauzin dagegen verweigerte nicht nur strikt die Zahlung dieser Gebühr, sondern hielt dem Handwerk entgegen, daß sie nicht wieder die Ordnung suppliciret, gestalten ein solches aus meinem Memoriali nirgend herausgegrübelt werden kan. Sie verwies auf ihren Heiratsbrief und darauf, daß ihre Handwerksgerechtigkeit mir kein Mensch auf der Welt mit recht zu nehmen capable ist. Aus der Herren Bader nichtigem Schrifftlein meinte sie entnehmen zu können, daß diese aus Neid und Mißgunst darauf abzielten, daß sie als Witwe mit ihrem Bad in Abgang käme." Die gewählte Tonlage sowie die Unterstellung, daß die Bader ihr als Konkurrentin schaden wollten, widersprechen deutlich dem von ihr gezeichneten Selbstbild als Witwe. Nachdem die Bader auch nach diesem Schreiben weiter an der Forderung einer Supplikationsgebühr festhielten,54 legte sie in einer weiteren Gegenerklärung dar, daß die ganze Angelegenheit die Bader überhaupt nichts angehe, sondern vom Oberpflegamt zu prüfen sei: dannenhero gantz wohlglaublich ein Irrthum oder Verstoß darinnen muß geschehen seyn, daß mehr gemeltes mein Memoriale, um vermög Heyraths=Brieff auf mein eigentümliches Bad heyrathen zu därffen, per Decretum denen Badern ist zugefertiget wordenSie scheute sich nun also auch nicht, dem Rat deutlich zu machen, daß er ihres Erachtens eine falsche Anweisung gegeben hatte. Ich meine, daß sich das eigenständige Denken und Handeln der Pfauzin besonders darin zeigt, daß sie sich nicht nur strikt weigerte, die geforderte Gebühr von zehn Gulden, die vermutlich niedriger als die Kosten des Rechtsstreits gewesen wäre, zu bezahlen, sondern daß sie auch - wie ihr die Vorgeher und Geschworenen vorhielten - bey den gewöhnlichen Auflagen auf unser Erfordern nicht erschienenSie widersetzte sich also nicht nur verbal den Forderungen und Anordnungen ihres Handwerks, sondern verhielt sich auch entsprechend. Anna Magdalena Pfauzin sah sich im Recht und dies wollte sie durchsetzen. Mit dieser resoluten Haltung widerlegte sie unübersehbar ihre Argumentation, daß sie zur Sicherung ihrer Nahrung einen Manns- Verstand benötige. Anders als das Handwerk sah das Oberpflegamt, das die Sache schließlich zu entscheiden hatte, keinen Grund, ihr eine weitere Heirat zu untersagen." Niemand nahm jedoch Bezug auf ihre Darstellung, daß sie im Witwenstand das Bad nicht oder nur unter Verlusten fortführen könnte. Ihre Argumentationsstrategie war auf der Sachebene völlig überflüssig, da der vorhandene Heiratsbrief jeglichen Zweifel an ihrem Recht auf eine weitere Heirat ausräumen konnte. Wie in den im vorausgehenden Kapitel dargestellten Fällen, in denen Männer im Bereich des Handwerks die Kategorie 'Geschlecht' konstruierten, indem sie negativ auf die 52 53 54 55 56 57

StAA, HWA, Bader, Fasz. 11,6.5.1719. StAA, HWA, Bader, Fasz. 11, 1.6.1719. Vgl. StAA, HWA, Bader, Fasz. 11, 20.6.1719. StAA, HWA, Bader, Fasz. 11, 27.6.1719. StAA, HWA, Bader, Fasz. 11,18.7.1719. Vgl. StAA, HWA, Bader, Fasz. 11, 5.8. und 19.8.1719.

491 Frauen ihrer Konkurrenten Bezug nahmen, um diese Konkurrenz auszuschalten, thematisierte die Witwe hier 'Geschlecht' in einer Weise, von der sie annehmen durfte, daß sie damit bei den Entscheidungsträgem auf Resonanz stoßen würde. Zwar widerlegte sie mit dem ihr eigenen Durchsetzungsvermögen de facto ihre 'weibliche Schwäche', indem sie aber lautstark und ausdrücklich auf diese Bezug nahm, trug sie dazu bei, das 'Wissen' um die Geschlechterdifferenz im Gedächtnis zu bewahren, es zu tradieren und damit zu verfestigen. Daß Frauen ihre 'Geschichten' nicht nur einfach an einen Juristen Ubergaben, der sie dann nach seinem Gutdünken darstellte, sondern daß sich die Juristen in den Dienst der Frauen stellten und die von diesen erzählten Sachverhalte strukturierten und in eine gerichtsrelevante Form brachten, zeigt nicht nur der Fall der Pfauzin. Vielleicht läßt sich dies sogar noch deutlicher an einem an anderer Stelle bereits angeführten Fallbeispiel nachvollziehen, bei dem die supplizierende Frau zwar auch um obrigkeitlichen Schutz bat, ohne sich jedoch als hilfsbedürftige Frau zu präsentieren:" Nachdem der Ehemann der in zweiter Ehe lebenden Bäkkermeisterin Euphrosina Hurlerin beschuldigt worden war, vor der Eheschließung eine Magd geschwängert zu haben, verbot ihm das Handwerk ordnungskonform für einige Jahre die Beschäftigung von Gesellen und Lehrlingen. In dieser Situation supplizierte nun seine Frau, die die Bäckerei in die Ehe gebracht hatte, und bat, wenigstens einen Gesellen behalten zu dürfen, da das Handwerk ohne Gesellen nicht existenzsichernd zu betreiben wäre. Der Verfasser ihrer Supplik, Notar Walther, ließ sich nun keineswegs hinreißen, ihr Verlangen als demütige Bitte einer Ehefrau darzustellen - was geschlechtsrollenkonform gewesen wäre - , sondern er stellte ihre Sicht der Dinge dar: Euphrosina Hurlerin betonte sehr klar, daß es sich um meine Becken=Nahrung, um meinen höchstbesorglichen Ruin und um mein Becken=Handwerck handelte und daß sie sich als den unschuldigen Theil sah. Sie wolle nicht hoffen, daß sie sich - um den Verlust ihrer Existenz zu vermeiden endlichen genöthiget sehen dürffte, mich von meinem EheMann scheiden und dann mein Becken=Handwerck durch zwey Beckenknechte besorgen zu lassen.59 Obwohl sie eine verheiratete Frau war, sah sie sich als Inhaberin der Handwerksgerechtigkeit, die preiszugeben sie nicht bereit war. Auf einer tieferen Ebene wird gleichwohl auch in diesem Fall eine spezifische Argumentationsstrategie zu konstatieren sein, denn indem die Hurlerin mit einer Scheidung, die ihre Existenz sichern sollte, drohte, appellierte sie indirekt an die Obrigkeit, ihre Ehe nicht durch eine Bestätigung der vom Handwerk verhängten Strafe gegen ihren Mann zu gefährden. Dennoch legte sie - anders als die Pfauzin - selbstbewußt dar, daß sie sich auch ohne Ehemann über Wasser zu halten wüßte. Anna Barbara Gignoux, die sich im Streit um die Leitung der Kattunmanufaktur ihres verstorbenen Mannes, die sie für ihren Sohn bis zu dessen Volljährigkeit führen sollte, vehement gegen die Ansprüche ihres zweiten Ehemannes zur Wehr 58 59

Vgl. hierzu oben Kap. II.3.3.1. StAA, HWA, Bäcker, Fasz. 16, 9.5.1758.

492 setzte, ließ in diesem langwierigen Konflikt keinen Zweifel daran, daß sie sich über ihre Arbeit und ihre Leistung, nicht aber über Geschlechtsrollenzuweisungen definierte: Endlichen stehet Herr Schwarz [einer ihrer Kunden, aber auch ein persönlicher Freund ihres zweiten Mannes, der sich auf dessen Seite gestellt hatte, Ch. W.] zwar in dem Wahn, als ob die Frauens=Personen nicht im Stand wären, einer Cotton=Fabrique vorzustehen, da doch ich in meinem letzteren sechsmonathlichen Wittibstand die ganze Cotton=Fabrique mit vielem Ruhm stadtkündigermaßen dirigiret, und in meinem jetzigen Ehestand alle Farben jedesmahlen selbsten angesetzet habe; wohingegen mein EheMann [...] so faul gewesen, daß Er nicht einmahl aus dem Strazza=Buch meines Buchhalters etwas in besagte beede Bücher eingetragen, geschweige denn, daß Er sich der Direction der ganzen Cotton=Fabrique zu unterziehen nur im Stand gewesen wäre,60 Selbstbewußt stellte sie - und mit ihr der Verfasser ihrer Eingabe, Notar Walther, - ihre eigene Leistung der Unzulänglichkeit ihres Mannes gegenüber: Mann-Sein allein - so ist diese Aussage wohl zu übersetzen - qualifiziert noch nicht fur leitende Funktionen. Die beiden zuletzt angeführten Fallbeispiele führen nicht nur vor Augen, daß die Suppliken durchaus die sehr konkreten Vorstellungen und Argumentationen von Frauen enthalten. Die Fälle zeigen auch, daß 'doing gender1 nicht nur ein eindimensionales Reproduzieren gewohnter Geschlechterrollen sein mußte (und muß), sondern daß Frauen - und natürlich auch Männer - ein von diesen Rollen abweichendes bis gegenläufiges Verhalten an den Tag legen konnten (und können). Hierin wird das verändernde Moment im prozeßhaften Konstruieren und Reproduzieren der Kategorie 'Geschlecht' sichtbar.

IV.3 'Opfer' und 'Mit-Täterin' zusammenfassende Interpretation Wenn im ersten Kapitel dieser Arbeit die Bestimmungen der im 17. Jahrhundert verschärften Geschlechtsvormundschaft und Ehevogtei dargestellt, im vorausgehenden aber der Blick auf das permanente Konstruieren und Reproduzieren von 'Geschlecht' im Bereich des Handwerks durch alle beteiligten Personen gerichtet wurde, markiert dies - wie ich zu zeigen versucht habe - keinen Widerspruch: Geschlechterverhältnisse konstituieren sich nicht allein aus normativen Vorgaben und über Sozialisation, sie werden auch von Menschen in einem interaktiven Prozeß hergestellt. Wie in der Kapiteleinleitung dargelegt, sollte hier unter Berück60

StAA, HWA, Weber, Fasz. 113, 1.3.1762. Zu diesem Konflikt vgl. auch Ch. Werkstetter, Anna Barbara Gignoux. Handlungsfelder, und dies., Anna Barbara Gignoux (1725-1796), Kattunfabrikantin oder Mäzenin?.

493 sichtigung der relativen Begrenztheit der Handlungsspielräume durch Traditionen und Hierarchien das auf 'Geschlecht' bezogene Tun - Reden, Argumentieren und Handeln - auf dem Hintergrund eines ethnomethodologischen Forschungsansatzes analysiert werden. Die Konzentration auf das 'doing gender1 hat, so meine ich, insgesamt zu interessanten Ergebnissen geführt. Die Konstruktion von 'Geschlecht' als Strategie konkurrierender Handwerke konnte anhand zweier Fallbeispiele gezeigt werden: Sowohl die Bäcker als auch die Goldschlager bemühten angestrengt die Frauen ihrer Gegner, um die wirtschaftlichen Konkurrenten - denn Konkurrenz war die Ursache der Konflikte Uber den Vorwurf der bei diesen angeblich stark ausgeprägten Frauenarbeit zu desavouieren und so letztlich auszuschalten. Indem sie diese gleichsam als 'Weiberhandwerker1 darstellten, konstruierten sie 'Geschlecht' als auf dem Handlungsfeld Arbeit relevante Kategorie mit Ausschlußcharakter. Aber nicht nur Männer, auch Frauen thematisierten 'Geschlecht' in ihren Argumentationsstrategien und Handlungsweisen. Dies wurde bereits an unterschiedlichen Stellen dieser Untersuchung sichtbar, sollte aber im Rahmen dieses Kapitels noch einmal pointiert dargestellt werden. Im Hinblick auf die Ehefrauen der Meister zeigte sich, daß diese in Konfliktfällen gelegentlich im Grenzbereich oder jenseits der Grenze des Erlaubten agierten und sich dann quasi in den Schutz der Ehevogtei zurückzogen. Aufgrund ihrer rechtlichen Minderstellung befanden sie sich dort hinsichtlich der Strafverfolgung in einer Art Grauzone. Frauen verstanden es auch, die Argumentationen, mit denen sie auf einer normativen Ebene ins Reich der 'weiblichen Schwäche' abgeschoben wurden, zu instrumentalisieren und geschickt für ihre Zwecke einzusetzen. Wenn sie sich zu hilflosen Witwen stilisierten, um etwa gegen den Willen ihrer Zunft eine Wiederverheiratung durchzusetzen, sollte dies keineswegs einfach mit einer für sie selbst stimmigen Geschlechtsidentität gleichgesetzt werden. Wenngleich sich nicht ausschließen läßt, daß die eine oder andere Frau sich tatsächlich als hilfsbedürftig empfunden hat, meine ich, daß dies dem Tenor der Supplik zu entnehmen wäre. Alle hier sichtbar gewordenen Argumentationsstrategien machten aber nur Sinn, weil sie sich unausgesprochen auf eine tradierte, im allgemeinen Denken relativ fest verankerte Geschlechterideologie beziehen konnten, die ihre Wurzeln in der christlichen Anthropologie hatte. Die durchgehend nicht erklärte und unbegründete Bezugnahme auf 'Geschlecht' wurde von den Empfangern der 'Botschaft' verstanden. In diesem 'tieferen Wissen' um 'Geschlecht' war die Begrenztheit des Handlungsspielraumes, die Einschränkung des 'doing', angelegt. So spannend sich schon allein das Argumentieren von Frauen und Männern in den unterschiedlichen Fällen darstellte, zeigen sich in einer Gesamtanalyse auch noch mehrere Ebenen des 'doing gender': Die in den verschiedenen wissenschaftlichen Diskursen konstruierte, von den einzelnen Menschen mehr oder weniger internalisierte, aber eben auch eigenständig interpretierte Geschlechterdifferenz bestimmte nicht nur das Verhältnis zwischen Männern und Frauen, sondern wurde

494 auch von Männern und Frauen gemeinsam gegen Konfliktgegner auf unterschiedlichen Stufen der Hierarchie genutzt. Im Weberaufstand zeigte sich dies im offenen Protest der Frauen im Zunfthaus der Weber gegen die Vorgesetzten des Handwerks, indirekt aber auch gegen die städtische Obrigkeit. Wenn auch ihre Männer ganz bewußt nicht unmittelbar am Aufstand teilnahmen, agierten die Frauen mit deren Einverständnis ein gemeinsames Interesse sowohl der einzelnen Meisterpaare als auch der gesamten Meisterschaft aus, wobei sie sich auf den Schutz ihrer eingeschränkten rechtlichen Selbständigkeit verließen. Frauen und Männer instrumentalisierten gemeinsam 'Geschlecht' gegen die Obrigkeit. Auch im Konflikt der Kürschnerinnen traten die Frauen nach ihrer Aktion hinter die Männer des Handwerks, vertreten durch die Vorgeher und Geschworenen der Kürschner, zurück. Diese nahmen gleichsam die Funktion der Ehevögte ein, wenn sie vor dem Handwerksgericht betonten, daß sie - ohne daß sie es gesehen hätten - nur wüßten, daß im innerhandwerklichen Konkurrenzstreit 'Weiber' rechtswidrig gehandelt hätten. Wären die Akteure Meister gewesen, hätten diese sicherlich namentlich benannt werden müssen, während die Vorgeher vorschützen konnten, die Frauen nicht im einzelnen gekannt zu haben. Frauen und Männer benutzten gemeinsam 'Geschlecht', um rechtswidriges Handeln 'unstrafbar' zu machen. Im Konflikt zwischen den Zunfthandwerken - hier besser: Männerhandwerken - der Bäcker und Goldschlager und ihren jeweiligen Konkurrenten griffen diese nicht nur indirekt auf 'Geschlecht' zurück, sondern machten es explizit zum Vorwurf, um so diese Konkurrenz auszuschalten. Männer instrumentalisierten 'Geschlecht' konkret gegen andere Männer und deren Frauen. Diese hier sichtbar gewordenen unterschiedlichen Konstellationen belegen ohne Zweifel, daß 'Geschlecht' nicht mehr schlicht als Kategorie verstanden werden darf, mit deren Hilfe Frauen ausgegrenzt werden konnten. Die nicht zu negierende Vielschichtigkeit des Handelns und Argumentierens mit 'Geschlecht' relativiert das Opfersein' und rückt in den Blick, daß Frauen selbst - mal gemeinsam mit ihren Männern, mal ohne diese - als Akteurinnen gegen Männer, gegen Frauen und gegen die Obrigkeit antraten. Frauen konnten 'Geschlecht' sowohl als Waffe einsetzen als auch als Waffe anderer zu spüren bekommen.

V. Resultate und Thesen Die Intention dieser Studie war es, Arbeit, Arbeitsbeziehungen und Geschlechterverhältnisse im Augsburger Zunfthandwerk des 18. Jahrhunderts zu eruieren. Wenngleich sich die einleitend thematisierten Klagen Uber die schwierige Quellenlage zu Frauen im Handwerk in mancher Hinsicht bestätigt haben, erwiesen sich die Quellen insgesamt als ergiebig. Sichtbar wurde eine deutliche Wechselbeziehung zwischen dem Standort der Frauen in der Zunft und ihrem Erscheinen in den Quellen: Je weiter entfernt die im Kontext eines Handwerksbetriebes lebenden und arbeitenden Frauen vom 'obersten* Zunftstatus, der eigentlichen Meisterschaft, standen, um so weniger werden sie in den Akten sichtbar. Die Witwen Ubernahmen durch die Weiterführung des Handwerks gleichsam den ungeteilten Meisterstatus, weshalb sie von den verschiedenen Trauengruppen' am häufigsten erscheinen, verkörperten sie doch nun die Werkstatt allein. Die Meister und ihre Ehefrauen teilten zwar den Meisterstatus, nach außen sichtbar wurden aber weit mehr die Männer, da sie diese Meisterschaft gegenüber der Zunft vertraten. Die Meistertöchter gehörten der Zunft an, waren ihr aber nur mittelbar über die Eltern verbunden, so daß sie seltener als ihre verheirateten oder verwitweten Mütter in Erscheinung traten - sie bildeten erst das zweite Glied. Da die Mägde nicht zunftfähig waren, hatten sie die größte Distanz zum Handwerk und mußten kaum thematisiert werden. Entsprechend selten fanden sich daher Hinweise mit Bezug auf ihre handwerksspezifische Arbeit in den Handwerkerakten. Trotz dieser abgestuften Dichte gewährten die Quellen weiterführende Einblicke in die Lebens- und Arbeitsbedingungen aller vier mit den Handwerken in Verbindung stehenden Frauengruppen. Im folgenden sollen die wichtigsten Erkenntnisse dieser Studie knapp resümiert werden; für eine Fülle von Detailfragen, die an dieser Stelle nicht noch einmal aufgegriffen werden können, sei zusätzlich auf die jeweiligen Kapitelzusammenfassungen verwiesen. Abschließend sind hier zunächst die Handlungsfelder der einzelnen Frauengruppen zu reflektieren und die sich aus den gewonnenen Einsichten ergebenden Neubewertungen zu akzentuieren. Schließlich sollen die Augsburger Befunde mit der in der Forschung kontrovers diskutierten Frage nach der Stellung der Frauen in der Familienökonomie, nach ihrem Status neben ihren Männern, verknüpft werden. Im Anschluß daran bleibt zu fragen, ob und inwieweit die vorliegenden Ergebnisse mit dem in der Einleitung eingeführten Konzept des 'Ganzen Hauses' in Einklang zu bringen sind. Obgleich die Erkenntnisse im einzelnen so vielschichtig sind, daß pointierende Aussagen die Gefahr bergen, diese Vielschichtigkeit wieder zu verdecken, werde ich zum Schluß versuchen, ein Gesamtresümee in Form einiger Thesen zu formulieren. Zunächst sei festgehalten, daß es in Augsburg bis zum Ende des hier untersuchten Zeitraumes, also bis zum Jahr 1806, zu keiner umfassenden Verdrängung

496 der Frauen aus den Zunfthandwerken gekommen ist. Der mit Sicherheit bedeutendste Ausschluß, der in keiner Weise marginalisiert werden soll und der die Frauen zweifelsohne an einer freien und unabhängigen Berufswahl und -ausübung hinderte, zeigte sich in einer in keiner Handwerksordnung festgeschriebenen, aber durchgehend eingehaltenen Ausgrenzung von Mädchen von der formalen Zunftlehre. Diese grundlegendste strukturelle Benachteiligung jedoch als einzigen Maßstab für die Chancen von Frauen im Zunfthandwerk zu setzen, hieße, den Blick auf das breite Spektrum der dennoch vorhandenen Arbeitsmöglichkeiten von Meisterfrauen, Meisterwitwen, Meistertöchtern und Mägden zu verstellen. Obwohl sich in den Handwerksordnungen nur wenige Hinweise auf die Mitarbeit der Meisterfrauen in den Handwerken fanden, ließen sich für diese eine ganze Reihe von wichtigen Tätigkeitsbereichen nachweisen, die auch, aber keineswegs nur auf die vielfältige Pflichten umfassende Haushaltung im engeren Sinn bezogen waren. Neben der Erledigung von Schreib- und sonstigen kaufmännischen Arbeiten waren Meisterfrauen für den Verkauf der Produkte im Laden zuständig. Bei den meisten der hier untersuchten Handwerke standen sie aber auch und offensichtlich nicht selten - in der eigentlichen Werkstatt, wo sie in einigen Handwerken in nahezu allen Bereichen mitarbeiteten, in einigen aber auch fest umrissene Aufgabenfelder hatten. Es mag besonders überraschen, daß sich für eine Zeit, die in der Forschung meist als Phase verstärkter Professionalisierungsbestrebungen gesehen wird, selbst Fälle fanden, in denen die Ehefrauen ihr gewerbliches Erfahrungswissen an ihre Männer weitergaben - und dies nicht nur in 'freien Gewerben' wie etwa bei den Wachsmachern, sondern auch im Zunfthandwerk der Bader. Aber nicht nur das: einigen schuldlos geschiedenen Meisterfrauen wurde sogar die Weiterführung des ehelichen Betriebes anstelle des Mannes erlaubt. Geriet die Nahrung in Gefahr, legten die Frauen ein sehr offensives Konfliktverhalten an den Tag, agierten gegen Konkurrenten und Konkurrentinnen und notfalls auch gegen die Obrigkeit. Neben ihren Tätigkeiten in Haushalt und Werkstatt konnten Meisterfrauen auch einer außerhäuslichen Lohnarbeit nachgehen, ein städtisches Amt - wie etwa das Hebammenamt - übernehmen oder als Käuferinnen ein eigenes Gewerbe führen. Trotz der Notwendigkeit, den gesamten Haushalt zu organisieren, sofern Lehrlinge und Gesellen beschäftigt wurden, diese zu behausen und zu verköstigen, sowie die Kinder und oft auch alte Eltern zu versorgen, forderten die Haushaltsund Familienarbeiten im ganzen nicht so viel Zeit, daß den Meisterinnen kein Raum für die Mitarbeit in der Werkstatt geblieben wäre. Wenngleich es eine deutliche Arbeitsteilung zwischen Meistern und Meisterinnen gab, ist diese nicht absolut zu sehen. Die Meisterinnen hatten vielfaltige mit dem Gewerbe zusammenhängende Arbeitsaufgaben zu erfüllen, und sehr viel mehr als geschlechterideologische Normen bestimmte der situative Bedarf, wer welche Arbeiten übernahm. Während nahezu die gesamte häusliche Arbeit einer Magd übertragen werden konnte, durften Mägde - anders als die Meisterfrauen - nicht selbstverständlich

497 im Handwerk eingesetzt werden, so daß die Arbeitsteilung zwischen zunftfahigen und nicht zunftfähigen Frauen sehr viel weitreichender sein konnte als die zwischen zunftfähigen Frauen und Männern. Die Mitarbeit der Meisterfrauen im Handwerk wurde während des Untersuchungszeitraumes von keiner Seite in Frage gestellt; in den meisten Handwerken erwies sie sich als absolut unverzichtbar. In den sieben hier untersuchten Handwerken, wahrscheinlich aber sogar in allen Augsburger Gewerben, genossen die Meisterwitwen nach dem Tod eines Meisters ein uneingeschränktes Fortführungsrecht, das nachweislich sehr häufig auch in Anspruch genommen wurde. Entgegen der oft zu lesenden Darstellung, daß Meisterwitwen das Handwerk ausschließlich mit Gesellen, die die Werkstattarbeit verrichteten, führen konnten, selbst nicht oder nur geringfügig im Handwerk tätig waren und eigentlich nur die Betriebsleitung innehatten, erwies sich für Augsburger Witwen, daß sie während ihrer teilweise langjährigen Werkstattfortführung sowohl konkrete Führungsfunktionen ausübten als auch selbst als - allerdings nur formal - Ungelernte die 'professionelle' Arbeit ihrer Gesellen als 'Arbeitgeberinnen' leiteten, kontrollierten und bewerteten, selbst in der Werkstattproduktion mitarbeiteten oder sie sogar alleine bewerkstelligten, also das Handwerk auch ohne Gesellen trieben. Wenngleich sie keine Vorgeher- und Geschworenenämter bekleiden konnten, die unumstößlich an Lehre und Meisterschaft eigenen Rechts gebunden waren, und auch keine Lehrlinge ausbilden durften, übten die Witwen doch Kontrollfunktionen in ihrer Werkstatt aus und trugen unabhängig davon, ob sie mit oder ohne Gesellen arbeiteten, die volle Verantwortung bei jedweden Verstößen gegen die Handwerksordnung. Nachgewiesen werden konnte auch ein konkretes Mitspracherecht der Witwen in Handwerksangelegenheiten, und - dies ist besonders wichtig und wird bislang nahezu vollständig negiert - es fanden sich sehr konkrete Hinweise darauf, daß die das Handwerk führenden Witwen an den Quartalssitzen ihrer Zünfte teilnehmen und damit in den innersten Kreis der Handwerke vordringen konnten. Dies aber heißt, daß - zumindest in Augsburg - die 'Männerbastion' Zunft für Frauen nicht so hermetisch verschlossen war, wie dies bislang angenommen wird. Wir können also weder länger davon ausgehen, daß Witwen ihr Handwerk nicht 'selbständig' führen durften oder konnten, noch daß sie von ihren Mitmeistern allenfalls geduldet, nicht aber als gleichwertige Zunftmitglieder akzeptiert wurden. Zahlreiche Fallbeispiele zeigten des weiteren, daß die Witwen weder von der Meisterschaft zur Aufgabe des Handwerks noch gezielt ins wirtschaftliche Abseits gedrängt wurden. Innerhalb der Handwerke erwies sich die Grenze zwischen relativem Wohlstand und materieller Not in aller Regel nicht als geschlechtsspezifisch definiert, und auch Konkurrenzkonflikte, die Witwen auszutragen hatten, waren keineswegs nur Konflikte mit Männern. Entschieden setzten sich Witwen auch gegen die gewerbliche Konkurrenz von Frauen zur Wehr. In bezug auf die Wiederverheiratung und die Partnerwahl der Witwen wurde sehr deutlich, daß viele Frauen sich nicht gezwungen sahen, sehr schnell oder

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überhaupt wieder zu heiraten. Entschlossen sie sich jedoch zu einer neuen Ehe, wählten sie fast ausschließlich Gesellen ihres eigenen Handwerkes. Insgesamt aber erwiesen sich die Nachlässe, die Gesellen bei Witwenheiraten gewährt wurden, jedoch als nicht sehr bedeutsam: die große Mehrheit der Gesellen kam auf dem regulären Weg zum Meisterrecht. Unübersehbar war das Bemühen der verwitweten Frauen, ihre Handwerksgerechtigkeit gleichsam als Heiratsgut einer Tochter zu übergeben - selbst dann, wenn ein Sohn den väterlichen Beruf erlernt hatte. Anhand der Quellen konnte eindeutig gezeigt werden, daß Meistertöchter keineswegs gänzlich von einer handwerksspezifischen 'Ausbildung' ausgeschlossen waren, wenngleich ihnen keine formale zunftrechtlich anerkannte Lehre gewährt wurde. Die Frauen nahmen aber selbst für sich sehr wohl den Begriff des 'Lernens' in Anspruch, was in Äußerungen des Handwerksgerichtes aufgegriffen oder auch vom Gericht betont wurde, so etwa in der Feststellung, daß eine Tochter bey dem Gewerbe ihres Vaters aufgewachsen [sei] und sich in demselben eine ziemliche Fertigkeit erworben habe. Die teilweise weitreichende Mitarbeit der Meistertöchter und die Bestätigung ihrer Qualifikationen von außen zwingen geradezu dazu, das Klischee von der 'unqualifizierten' Frauenarbeit und der 'qualifizierten' - weil erlernten - Männerarbeit zu hinterfragen. Tun wir dies anhand der Quellen, ist - wie sichtbar wurde - die Absolutsetzung der zünftigen Lehre, die nur Jungen offenstand, zu relativieren: auch deren Ausbildung war stark praxisorientiert, beinhaltete keinen theoretischen Unterricht und wurde in kaum einem Handwerk durch eine Prüfung am Ende der Ausbildungszeit kontrolliert. Die Maßnahmen einzelner Handwerke zur Verlängerung der Gesellenzeit - etwa durch die Verlängerung der Wander- und/oder der Ersitzzeit die gerne mit der Notwendigkeit einer verbesserten Ausbildung und damit der Qualitätssicherung begründet wurden, standen immer in engem zeitlichen Zusammenhang mit wirtschaftlichen Krisenphasen, so daß sie als das beschrieben werden müssen, was sie wirklich waren: Maßnahmen, die in erster Linie den Zugang zum Handwerk regeln sollten. Zwischen der 'Ausbildung' der Meistertöchter, die in den elterlichen Werkstätten in entsprechendem Umfang mitarbeiteten - was gleichwohl nicht alle taten, da viele auch außerhäuslicher Lohnarbeit nachgingen - , und der 'Lehre' der Jungen zeigte sich als wesentlichster Unterschied somit folgender: Lehijungen wurden mit Zunftritualen in die Lehre eingeschrieben, mit Zunftritualen freigesprochen und in die Gesellenschaft aufgenommen, während fur Mädchen ein solch formaler Rahmen fehlte. Zwar wurde die handwerksspezifische Mitarbeit der Töchter in keinem der hier umfassend untersuchten sieben Handwerke angegriffen und von Verboten bedroht, das bei den Bortenmachern von den Gesellen durchgesetzte Arbeitsverbot für die Meistertöchter zeigte aber, daß die Mitarbeit der Töchter von der Zustimmung der jeweiligen Zunft und von der Tolerierung der Gesellen abhängig war:

499 änderten sich wirtschaftliche Rahmenbedingungen, konnte der Arbeitsplatz der Meistertöchter gefährdet sein. Wenngleich, wie wir gesehen haben, der einzig legitime Ort für die informelle 'Lehre' und die handwerksspezifische Arbeit der Meistertöchter die elterliche Werkstatt war - was die Bedeutung der Familienökonomie für die Ausbildung der Töchter herausstreicht - , endete die handwerkliche Arbeit dieser Frauen mit der Heirat nicht zwangsläufig: zwar erlosch das Töchterrecht, die Meistertöchter aber, die innerhalb ihres Handwerkes geheiratet hatten, konnten ohne große Brüche weiterarbeiten, zumal Jungmeister häufig keine Lehrlinge ausbilden durften, weshalb die Mitarbeit ihrer Frauen besonders erforderlich sein konnte. Heirateten Meistertöchter dagegen in ein anderes Handwerk, brachten sie auch dort ihr Erfahrungswissen ein und 'lernten' die Dinge, die sie im neuen Handwerk beherrschen mußten, dazu. Aufgrund der Quellenlage konnte nicht detailliert eruiert werden, wohin sich die Meistertöchter im einzelnen verheirateten. Verschiedene Hinweise ließen jedoch den Schluß zu, daß sich ein Großteil der Frauen innerhalb der Augsburger Handwerkerschaft verheiraten konnte. Die Frauen, die das elterliche Handwerk als Heiratsgut erhielten, ehelichten Gesellen ihres Handwerks und wurden Meisterinnen. Die den Gesellen gewährten Nachlässe für die Heirat einer Meistertochter führten - wie bei den Witwen - keineswegs dazu, daß verstärkt in das Handwerk geheiratet worden wäre, so daß diese Nachlässe die ihnen in der Forschung oft zugewiesene Funktion der Zugangsregelung zum Handwerk - und damit einer weitreichenden Abschließung des Handwerks - nicht erfüllten. Obwohl Meistertöchter, Meisterfrauen und selbst Meisterwitwen divergierende Arbeitsrollen innehatten und flexibel agieren mußten, konnten sie - wie in vielen Quellen sichtbar wurde - im Rahmen ihrer Familienwirtschaft eine klare Identität gewinnen, die, wie ich meine, durchaus als eine Art 'Berufsidentität' beschrieben werden kann. Insgesamt ließen diese Augsburger Befunde nicht erkennen, was Merry Wiesner-Hanks verallgemeinernd feststellt, nämlich daß es Meisterfrauen und Meistertöchter im 17. und 18. Jahrhundert aufgrund einer neu entwickelten "Vorstellung vom eigenen Klassenstatus zusammen mit dem, was wir 'bürgerliche Ehrbarkeit' nennen würden", von sich aus vorgezogen hätten, nicht mehr in den Werkstätten zu arbeiten, und daß sich die Lehrstunden der Töchter statt dessen "wohl eher auf das Kissensticken als auf das Tuchweben konzentrier[t]" hätten.1 Die handwerkliche Tätigkeit der Mägde erwies sich als am deutlichsten eingeschränkt und kontrolliert. Wesentlich stärker als die der Meistertöchter war sie von der Interessenlage der Gesellen und der Meister abhängig: von der konjunkturellen Lage, von den Verdienstmöglichkeiten der Gesellen und davon, ob die Meisterschaft aus der billigeren Mägdearbeit Vorteile ziehen konnte oder ob die Gefahr bestand, daß die Mägde sich 'in die Winkel setzen' und 'pfuschen' würden.

M. Wiesner-Hanks, Ausbildung in den Zünften, S. 101 sowie dies., Women and Gender, S. 106.

500

Trotz der Probleme, mit denen Mägde im Handwerk konfrontiert waren, hatten sie eindeutig auch Möglichkeiten, Tätigkeitsbereiche zu 'erlernen' und langfristig verwertbare 'Berufskenntnisse' zu erwerben. Gleichwohl machte die handwerksspezifische Arbeit nur einen Teil dieser 'informellen Ausbildung' aus; der andere, nicht weniger wichtige Teil ist im Bereich des Haushaltens zu sehen, wo sie für ihre spätere Rolle als (Meister-)Ehefrauen Erfahrungswissen sammeln konnten. Durch das Ineinandergreifen von Werkstatt und Haushaltsbereich konnten sie vielfältige Einblicke in Arbeitsabläufe gewinnen und die von vielen Mägden angestrebte 'Meisterinnenrolle' - das Arbeits- und Sozialverhalten einer Meisterin - 'abschauen'. Da das Gesinde, insbesondere die Mägde, in zahlreichen zeitgenössischen normativen Schriften und Sprichwörtern als faul und diebisch verunglimpft wurde, sollte hier aus der Perspektive der Handwerkerakten das tatsächliche Ansehen der Mägde - und damit auch der Frauenarbeit - eruiert werden. Die topoihafte Gesindeschelte erwies sich dabei als kaum vereinbar mit dem realen Mägdelob, im Gegenteil: 'treue' und 'fleißige' Dienste wurden durchaus wahrgenommen und betont; gerade fiir ortsfremde Mägde stellten sie ein zentrales Kriterium für den Erhalt einer Heiratserlaubnis und des Bürgerrechtes dar. Wenngleich die Mägde von den im Bereich des Zunfthandwerkes lebenden und arbeitenden Frauen rechtlich die schwächste Position hatten, wurde in vielen Fällen an ihrer zielgerichteten Wahl der Arbeitsplätze sowie an einer an ihrer 'beruflichen Vorbildung' orientierten Ehepartnerwahl - dies konnte ganz besonders im Bereich der unzünftigen Küchlebäcker gezeigt werden - doch die Möglichkeit einer eigenbestimmten Lebensplanung sichtbar. Auf der Basis dieser Einzelerkenntnisse und im handwerksübergreifenden Vergleich konnte gezeigt werden, daß die Arbeitsfelder und die Akzeptanz der Arbeit von Frauen eng mit ihrem Status in der Zunft - Meisterfrauen, Meisterwitwen, Meistertöchter, Mägde - verknüpft waren. Die Analyse der Befunde der Einzelhandwerke anhand der zugrundegelegten Auswahl- und Vergleichskriterien belegte, daß Kriterien wie vermeintlich geschlechtsspezifisch gebundene Tätigkeitsfelder - in Anknüpfung an vor der Herausbildung der Zunfthandwerke 'eher weibliche' bzw. 'eher männliche' Arbeitssphären - , der für die Gründung einer Werkstatt erforderliche Kapitalbedarf - niedrig, mittel, hoch - und die Entwicklung eines Handwerks - sinkende, steigende, konstante Meisterzahlen - keine wirklich durchschlagende Relevanz für die Arbeitsmöglichkeiten der verschiedenen 'Frauengruppen' hatten. Zwar zeigte sich in bezug auf die Meisterfrauen und die Meistertöchter, daß sie in den 'eher männlichen' Handwerken stärker von einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung als in den 'eher weiblichen' Handwerken betroffen waren, letztlich erwies sich dieser Unterschied jedoch als nur graduell und nicht substantiell. Stärker abhängig schien das Ausmaß der Mitarbeit von Meisterfrauen und -töchtem von der Betriebsstruktur, wie etwa von Art und Umfang der Arbeitsgänge, von speziell Frauen übertragenen Arbeitsbereichen, aber auch vom

501 Gesellenbesatz eines Handwerkes insgesamt wie auch der einzelnen Werkstätten. Je weniger Gesellen verfügbar waren, desto umfangreicher gestaltete sich die Mitarbeit der Frauen. Für eine erfolgreiche Handwerksausübung der Witwen war die Frage 'eher männlicher1 oder 'eher weiblicher1 Arbeitssphären - wie der genaue Vergleich ihrer Arbeitsmöglichkeiten in den verschiedenen Handwerken belegte nicht von Belang: für sie zählte, welche Betriebsgröße eine nahrungssichernde Arbeit erforderte, also wie viele Personen für die Arbeit benötigt wurden, und ob sie die Arbeiten notfalls, wenn ihre wirtschaftliche Lage die Beschäftigung eines Gesellen nicht erlaubte, auch ohne einen solchen oder mit Hilfe einer Tochter bewältigen konnte. Auch für die Mägde war die Kategorie 'eher weibliche1 oder 'eher männliche' Handwerke bedeutungslos; ihre Handlungsräume in den Gewerben waren eindeutig von ihrer Nichtzugehörigkeit zu den Zünften geprägt. Ihre Mitarbeit war davon abhängig, ob sie von den Meistern und/oder den Gesellen geduldet wurde, das heißt ob sie den einen oder den anderen Vorteile brachte oder aber finanziellen Schaden zufügen konnte. Eine wichtige Rolle auch für Handwerke, in denen die Mägdearbeit verboten war, spielten sie insofern, als die Arbeitsteilung zwischen den Frauen - Meisterfrauen, Meistertöchtem und Mägden die zunftfähigen Frauen für die gewerbliche Arbeit freistellen konnte, während die Mägde die Haushaltung versorgten. Ausschlaggebend für die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen in den Handwerken war somit die je spezifische Gewerbestruktur, die aber auch die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Gesellen und damit deren Haltung zur Frauenarbeit bestimmte, wie etwa die Suche nach den Ursachen des unterschiedlichen Umgangs der Schneider- und der Bortenmachergesellen mit der Töchterarbeit unübersehbar belegte. Daß diese beiden Handwerke zur selben Branche gehörten und beide 'eher weibliche' Arbeiten umfaßten, im einen aber die Mitarbeit der Meistertöchter von den Gesellen fraglos akzeptiert, im anderen jedoch vehement untersagt wurde, zeigt, daß Rückschlüsse von einem auf das andere Gewerbe ohne genaue Einzelanalysen zu erheblichen Fehleinschätzungen führen würden. Während einerseits die Familienökonomie die Voraussetzung für eine 'informelle Handwerkslehre' der Meistertöchter, für die in vielen Handwerken sehr weitreichende Mitarbeit der Meisterfrauen im Bereich der Werkstatt und fiir die Möglichkeit der Handwerksfortführung durch die Witwen bildete, war sie andererseits auf deren Arbeitsleistung zur Sicherung der Nahrung angewiesen. Zwar waren Frauen vom formalen Professionalisierungsprozeß ausgeschlossen, dennoch blieb ihre Arbeit unverzichtbar und die männlichen Zeitgenossen waren sich dessen bewußt.2 Daß dieses Bewußtsein für die Bedeutung der Frauenarbeit schließlich gebrochen ist, hat seine Ursache in wirtschaftlichen Veränderungsprozessen: Während 2

Zum Professionalisierungsstreben im Handwerk vgl. H. Wunder, "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 120-125.

502 das Wirtschaften vor dem "Umbruch der ökonomischen Theorie"3 um 1800 von der Vorstellung eines konstanten, nicht vermehrbaren Gütervorrates bestimmt war, der lediglich eine Umverteilung zuließ, was - in den großen wie in den kleinen - Ökonomien kluges und maßvolles Haushalten von 'Hausvater1 und 'Hausmutter1 erforderte, beherrschten nun Fortschritts- und Wachstumsideen das ökonomische Denken." Das "Verhaltensleitbild 'Produktivität'" war entstanden.5 Obwohl - so Irmintraut Richarz - der Ansatz von Adam Smith "von der Arbeit als Quelle für den Wohlstand der Nationen ausging, blieben die in der Oeconomia für die Sicherung der Existenz erbrachten Leistungen weithin ausgeblendet, denn die neue Ökonomik berücksichtigte lediglich solche, die marktrelevant waren".6 Aufgrund der sich verändernden Wirtschaftsweise, die letztlich zur Auflösung des 'Hauses' als räumliche Einheit von Arbeiten und Wohnen führte, verblieben den Haushalten "nur noch Teile minder bewerteter und sich reduzierender Aufgaben",7 sie wurden nun als "Stätte[n] des Konsums für die in der erwerbswirtschaftlichen Produktion erzeugten Güter" definiert, galten also als nicht 'produktiv'.' Dieser Wandlungsprozeß veränderte aber nicht nur die verbleibenden Aufgaben und deren Bewertung, sondern führte dazu, daß 'der Haushalt' nunmehr ausschließlich zur Domäne von Frauen und zu einem Hort bürgerlicher Geschlechterideologie wurde.' In den Worten des Nationalökonomen Lorenz von Stein liest sich dies so: "Das ist kein rechtes Haus, das der Ordnung zu wenig oder zu viel hat. Dies Maß aber zu finden, hat die Natur dem Mann versagt. Mögen Sie ein Haus nehmen welches Sie wollen, Sie werden stets an hundert kleinen Dingen erkennen, ob eine

4

5 6 7 8 9

J. Burkhardt, Der Umbruch der ökonomischen Theorie. Zum Hof als 'Haushalt1, "dem der Fürst wie ein Hausvater vorzustehen hatte", vgl. J. Burkhardt, Art. 'Wirtschaft', S. 557-558; ders., Das Haus, der Staat und die Ökonomie; ders., Der Begriff des Ökonomischen, S. 62-64. J. Burkhardt, Das Verhaltensleitbild 'Produktivität'. I. Richarz, Oeconomia, S. 328. M.-E. Hilger, Der Wandel des Verständnisses, S. 127. 1. Richarz, Oeconomia, S. 328-329. Vgl. auch K. Hausen, Geschlecht und Ökonomie, S. 99. Die Folgen dieses gesamten Veränderungsprozesses waren für die Frauen - wie Heide Wunder aufzeigt - weitreichend, denn es wurde "nicht nur de[r] Haushalt als Raum öffentlicher Herrschaft mediatisiert, sondern damit zugleich Frauen die Grundlage für ihren legitimen Anspruch auf Teilhabe an politischer Herrschaft genommen. Der Haushalt wurde zur Hauswirtschaft im engeren Sinne, die Familie zur kleinsten Zelle des Staates, an deren Spitze der Ehemann als Familienoberhaupt stand. Mit diesem Ausschluß aller Frauen von der politischen Öffentlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft, in der allein Männer die Familie repräsentieren konnten, war die moderne Trennung von 'politisch' und 'privat' vollzogen." H. Wunder, "Er ist die Sonn1, sie ist der Mond", S. 263. Auf den Funktionswandel des "ganzen Hauses" hin zur bloßen "Hauswirtschaft" und den damit verbundenen Wandel im Geschlechterverhältnis verweist jüngst auch B. Stollberg-Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung, S. 145-160. Zur "Ausgrenzung der Frauen vom politischen Leben" bei wachsender Rechtsgleichheit der Männer vgl. ebd., S. 276-278. Barbara Duden sieht in dieser Zeit für Frauen einen "Übergang von einer Stellung relativer Macht zu derjenigen neuer Ohnmacht". B. Duden, Das schöne Eigentum, S. 130.

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weibliche Hand in demselben gewaltet hat. Und dieses stille Walten ist die erste wahrhaft weibliche Aufgabe, jene unscheinbare Harmonie aller Theile, die für alles Ort und Zeit hat und nie ermüdend jedem still und doch mit ruhigem Sinne seine Stelle zuweist.'"0 In einem solchen Haus lebte dann eine 'Gattin', keine resolute Meisterfrau, die im Notfall die Arbeit in der Backstube auch alleine bewältigen mußte, auch keine, die mit ihren Kindern auf dem Arm und im Gefolge anderer Meisterfrauen revoltierend vor das Weberhaus zog, um gegen die Amtsträger des Handwerks - 'amtssüchtige Schlaugel', durch die sie ihre Nahrung gefährdet sah - zu protestieren. Im Handwerk hielt sich das Leben und Arbeiten unter einem Dach zwar noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein, doch dann veränderten sich auch hier Arbeitsbedingungen und Lebensformen. Fragen wir noch einmal zurück, wie die Stellung der Frauen in der frühneuzeitlichen Familienökonomie zu bewerten ist, stoßen wir auf sehr konträre Forschungspositionen, die letztlich von der Feststellung der Egalität bis zur Einschätzung der Position der Frauen als deutlich abhängig und untergeordnet reicht. Einigkeit besteht allerdings darin, daß es sich um eine Komplementarität der Arbeitsrollen handelte. "The family economy" - so Judith Bennett - "was never a haven of rough and ready equality for women; instead, it was shot through with sexual inequality - from its basis as a social construction of a patriarchal society, to its sexual division of household labour, and to its distribution of control over material resources." Lyndal Roper teilt diese kritische Bewertung: "Hinter der Fassade eines geschlechtsneutralen Begriffs der Arbeit als "Nahrung' verbargen sich in Wirklichkeit eine sorgfältige Aufgabenverteilung und deutliche Qualifikationsunterschiede in den Werkstätten; sie unterstrichen, daß die Frauen nur als Springer und Aushilfen tätig waren."12 Ich meine, daß diese Interpretation der "Nahrung' der immensen Bedeutung, die dieser Kategorie in der Ständegesellschaft insgesamt zukam, nicht gerecht wird.13 Beiden Forscherinnen ist darin zuzustimmen, daß es ein Verhältnis der Ungleichheit zwischen den Ehepaaren gab. Wie weit aber ging diese Ungleichheit? Die Geschlechterhierarchie zwischen dem haushaltenden Ehepaar wurde - so die Einschätzung Heide Wunders - "'außerökonomisch' hergestellt und in ungleichen rechtlichen und politischen Kompetenzen festgeschrieben".14 Die rechtliche Stellung der Ehefrau, die von der Vormundschaft ihres Mannes über sie geprägt war, ist nach Wunder von ihrer Position als 'Hausfrau' zu trennen, als solche war sie - so Wunder weiter - wie der Hausvater für die Ordnung im Haus zuständig. 10

Lorenz von Stein, Die Frau auf dem Gebiete der Nationalökonomie, zitiert nach U. Gerhard, Verhältnisse und Verhinderungen, S. 320. " J. Bennett, Medieval Women, Modern Women, S. 155. Einen Überblick über Forschungspositionen zur Komplementarität weiblicher und männlicher Arbeit gibt S. Lorenz-Schmidt, Vom Wert und Wandel, S. 25-28. 12 L. Roper, Das fromme Haus, S. 45. 13 Verwiesen sei hier noch einmal auf R. Blickte, Nahrung und Eigentum. 14 H. Wunder, "Jede Arbeit", S. 29.

504 Der Hausvater vertrat den Haushalt "gegenüber Gemeinde und Herrschaft", die Hausmutter "repräsentierte" diesen Haushalt bei Krankheit und Abwesenheit des Mannes. Während der Mann "nicht nur über Besitz und Vermögen der Ehefrau mit ihrer Zustimmung verfugen [konnte], sondern [...] auch das Budgetrecht fur den gemeinsamen Haushalt [besaß]", hatte die Hausfrau die "Kontrolle über das Vorhandene", d.h. "über 'Kisten und Kasten' im Haus" inne.15 Eine weitere Feststellung Heide Wunders soll noch angefügt werden: "Patriarchalische Herrschaft wird zu leicht mit 'Männerherrschaft' gleichgesetzt. Wie der Begriff besagt, handelt es sich um die Herrschaft der Hausväter über alle dem Haushalt zugehörigen Frauen, Männer und Kinder; die rechtliche Unterordnung der Frauen war also nicht 'frauenspezifisch', vor allem präjudizierte sie nicht ihre wirtschaftliche Abhängigkeit."16 Die Frage nach 'Geschlechterhierarchie und Arbeitsteilung' zwischen einem selbständig wirtschaftenden Ehepaar beantwortet sie so: "Deren Beziehungen als Arbeitspaar waren egalitär angelegt, beide herrschten gemeinsam im Haus.'" 7 Wenngleich ich der Einschätzung Heide Wunders insgesamt weitestgehend zustimme, scheint mir der Begriff der 'Egalität' doch zu weitreichend zu sein, um mit ihm eine - so meine Bewertung - zwar relativ gleichwertige Beziehung18 zu beschreiben, der jedoch Elemente von Unterordnung keineswegs fremd waren. Auch hinsichtlich einer getrennten Betrachtung der Rechtskreise - das Personenrecht, die Frau als Ehefrau, die Frau als Hausfrau - , die ich für eine genaue Analyse als durchaus sinnvoll erachte, meine ich, daß die Anhäufung der Unterordnungsverhältnisse nicht aus dem Blick geraten sollte, denn die Herrschaft der Hausväter über die Haushaltsmitglieder hatte zwar formal keinen frauenspezifischen Aspekt, gleichwohl bedeutete sie für Frauen - Ehefrauen und Töchter aufgrund der zusätzlich bestehenden Geschlechtsvormundschaft auf der normativen Ebene eine doppelte Einschränkung. Gerade in geschlechterideologischen Argumentationsweisen wurde auf die generelle Unterordnungspflicht der Frauen allzugern Bezug genommen. Andererseits waren - und dies betont Heide Wunder deutlich - die Rechte, die Frauen hatten, einklagbar: "Garant der Rechte war der städtische Rat mit seiner Gerichtsbarkeit, die als 'dritte Instanz' über den Parteien Rechtssicherung und Konfliktregelung übernahm und damit die unmittelbare Hausgewalt der Väter und Eheherren erheblich einschränkte." Diese Sicht bestätigen die Augsburger Fallbeispiele zu Ehekonflikten und Ehescheidungen, die im Kapitel über die Meisterinnen dargestellt werden konnten, weitgehend. Zwar wurden auch hier Frauen auf ihre Gehorsamspflichten gegenüber ihren Männern verwiesen und kamen deutlich geschlechterideologisch geprägte Vorstellungen

15 16 17 18

H. Wunder, "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 250. H. Wunder, Zur Stellung der Frau, S. 242. H. Wunder, "Jede Arbeit", S. 29. Auch Heide Wunder spricht von "Gleichheit von Ehefrau und Ehemann im Sinne von Gleichwertigkeit". H. Wunder, "Er ist die Sonn', sie ist der Mond", S. 265.

505 der Ehegerichtsbarkeit zum Vorschein, insgesamt aber zeigte sich, daß es nicht zu pauschalen Maßregelungen der Frauen kam, sondern daß die Einzelfälle letztlich genau geprüft wurden und Frauen durchaus zu ihrem Recht kommen konnten. Gerade auch in der sichtbar gewordenen Möglichkeit, daß 'schuldlos' geschiedene Meisterfrauen das eheliche Handwerk übernehmen konnten, liegt - wie ich meine - ein wichtiges Argument für die Existenz einer relativen Gleichwertigkeit der Eheleute, die nicht einfach nur in den Bereich der Arbeit hineinreichte, sondern sich vielmehr aus diesem nährte. Setzen wir abschließend die Befunde dieser Studie in bezug zum Konzept des 'Ganzen Hauses', so sind aus zwei Perspektiven deutliche Divergenzen zwischen diesem Konzept und der Lebenswirklichkeit des städtischen Handwerks zu verzeichnen.19 Ich möchte zunächst die äußeren Bedingungen anführen: Im Gegensatz zu Brunners 'Ganzem Haus', das zwar nicht völlig autark gedacht war, sondern zumindest geringfügige Marktbeziehungen kannte, war das städtische Handwerk vollständig auf den Markt ausgerichtet. Ein weiteres zentrales Merkmal des 'Ganzen Hauses', das sich im Vorhandensein von Gesinde abzeichnet, über das die Hauseltern Herrschaftsfunktionen ausübten, fehlte in vielen Werkstätten: Im Jahr 1806, dem einzigen Zeitraum, für den durchgängig genaue Gesellenzahlen vorliegen, arbeiteten über 42 Prozent der Meister als Alleinmeister. Mochte im ein oder anderen Meisterhaushalt vielleicht noch eine Magd beschäftigt sein, verhinderte doch die wirtschaftliche Lage von Alleinmeistern zumeist die Beschäftigung von Gesinde zur Gänze, und es gab noch krassere Situationen: In verschiedenen Handwerken - so bei den Schneidern, aber auch bei den Goldschlagern - mußte so mancher Meister aus Not zeitweise in der Werkstatt eines Mitmeisters als Geselle sein Brot verdienen. Könnte man bei Alleinmeistern noch mit Einschränkungen von einem 'Ganzen Haus' sprechen, trifft dies für gesellenweise arbeitende Meister wohl ebensowenig zu wie für Meister, die im Verlag arbeiteten. Einer der offensichtlichsten Brüche zwischen dem Handwerkeralltag und dem Konzept des 'Ganzen Hauses' zeigt sich wohl in der außerhäuslichen Lohnarbeit einer 'Hausmutter', während der sie ihre Pflichten in Haushalt und Werkstatt sicher nur noch mit Einschränkungen erfüllen konnte. Auch die Binnenbeziehungen, insbesondere die Geschlechterbeziehungen, wie sie sich in den Augsburger Werkstätten gestalteten, decken sich kaum mit den in der Hausväterliteratur beschriebenen Personalbeziehungen des 'Ganzen Hauses'. Selbst wenn man die das Handwerk führenden geschiedenen Meisterfrauen außer acht lassen wollte, blieben genügend 'Störfaktoren' übrig. Die verteilten, sich aber durchaus ergänzenden und gelegentlich auch überschneidenden Arbeitsrollen von Meister und Meisterin weisen wohl noch die deutlichsten Konvergenzen mit den Hauslehren, die dem Brunnerschen Konzept des 'Ganzen Hauses' zugrunde liegen, 19

Verwiesen sei hier ohne weitere Einzelnachweise noch einmal allgemein auf O. Brunner, Das "ganze Haus" und die alteuropäische "Ökonomik" sowie auf das Unterkapitel 0.4 der Einleitung.

506 auf. Die schon angesprochene Lohnarbeit von Frauen außer Haus, die diese für die Zeit ihrer Tätigkeit der eheherrlichen Weisungsbefugnis entzog und einem Dienstherren unterstellte, paßte ebensowenig in das eheliche Geschlechterkonzept wie das im Kontext der Frage nach dem Konfliktverhalten der Meisterinnen sichtbar gewordene eigenständige Agieren der Frauen. Dazu kommt ein weiteres: Wenngleich die Ehevogtei für Frauen zweifellos eine rechtliche Unterordnung bedeutete, die von großer Tragweite sein konnte, konnte sie gleichzeitig - dies zeigte mein Versuch, den Umgang mit 'Geschlecht' auf der Basis des 'doing gender"-Konzeptes zu analysieren - von den Ehepaaren auch gegen die Obrigkeit instrumentalisiert werden. Insbesondere im Aufstand der Weber, bei dem nach einer Zuspitzung der Lage der Rückzug der Männer geboten war und den schließlich die Frauen alleine weitertrugen, wurde das gleichwertige und - wenn auch zeitversetzt - gemeinsame Handeln der Paare gegen die Obrigkeit sichtbar, bei dem die 'Hausväter' massiv gegen ihre Pflichten verstießen. In Konfliktfällen wurde das Verhalten von Hausvater und Hausmutter, Meister und Meisterin, oft explizit an den ordnungspolitischen Vorgaben der Hausväterliteratur gemessen und deren konformes Verhalten eingefordert bzw. Fehlverhalten geahndet. Der Alltag gestaltete sich aber so vielschichtig, daß die Einhaltung dieser Normen schlichtweg häufig dem Ziel der Familienökonomie, nämlich gemeinsam die Nahrung zu sichern, zuwidergelaufen wäre. Die im Konzept des 'Ganzen Hauses' angelegten hierarchischen Beziehungen erwiesen sich als kaum kongruent mit den Befunden dieser Studie: Die dem 'Ganzen Haus' immanente Statik verdeckt die vielfältigen Handlungsspielräume seiner Bewohner, ganz besonders die der Frauen. Die sichtbar gewordenen Brüche in den inneren Verhältnissen, aber auch in der äußeren Form verweisen auf die Relativität dieses Konzeptes, das die ökonomische wie die soziale Wirklichkeit nur begrenzt beschreiben kann. Gleichwohl können mit dem 'Ganzen Haus' als analytischer Kategorie gerade die Spannungsfelder und Wechselbeziehungen zwischen normativem Anspruch und häuslicher Realität untersucht werden. Arbeit, Arbeitsbeziehungen und Geschlechterverhältnisse im Augsburger Zunfthandwerk des 18. Jahrhunderts lassen sich nicht auf eine einfache Formel bringen. Dennoch möchte ich versuchen, die zentralen Ergebnisse dieser Studie in einigen Thesen zu bündeln: 1. Den Ehefrauen der Meister, den 'Meisterinnen', oblag keineswegs nur die Besorgung des Haushaltes, vielmehr waren sie sowohl unverzichtbare als auch unangefochtene Arbeitskräfte in der ehelichen Werkstatt. In Zeiten der Abwesenheit des Meisters führten sie das Gewerbe alleine weiter. 2. Die Meisterwitwen arbeiteten aufgrund ihres uneingeschränkten Fortführungsrechtes und der ihnen übertragenen Führungsfunktion sowie der damit verbundenen Verantwortlichkeit als Handwerksmeisterinnen ohne formale Ausbildung. Die Witwen besaßen ein Mitspracherecht in Zunftangelegenheiten, und

507 einige Quellenfunde sprechen dafür, daß die das Handwerk führenden Witwen auch an den Quartalssitzen ihrer Zünfte teilnahmen. 3. Meistertöchtern wurde, wie Frauen Uberhaupt, die formale Ausbildung in den Zunfthandwerken verwehrt. Dennoch erwiesen sich viele von ihnen als 'informelle Lehrlinge' ihrer Väter und Mütter und waren zu qualifizierter Handwerksarbeit fähig, die mit der Arbeit von Gesellen durchaus konkurrieren konnte. 4. Die Mitarbeit der Mägde im Handwerk war als Arbeit nicht zunftfähiger Frauen am stärksten eingegrenzt und kontrolliert; gleichwohl bot sich auch Mägden die Chance einer 'informellen Ausbildung' - wenn auch oft mit stärkerer Betonung des häuslichen Bereiches - und einer selbstbestimmten Lebensplanung. 5. Die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen im Handwerk hingen zum einen von ihrer Zunftfähigkeit, zum anderen von den gewerbestrukturellen Bedingungen (Betriebsgröße, Gesellenbesatz, soziale und ökonomische Lage der Gesellen etc.) des jeweiligen Handwerkes ab. Dagegen zeigten geschlechtsspezifische Generalisierungen ('eher weibliche' und 'eher männliche' Handwerke) keine große Relevanz. 6. Männer und - in keineswegs geringerem Umfang - Frauen konstruierten und reproduzierten 'Geschlecht' auf dem Handlungsfeld Arbeit. Frauen wußten sowohl um ihre realen Handlungsfähigkeiten als auch um das Theorem der 'weiblichen Schwäche' - mit beidem agierten sie sehr bewußt und zielgerichtet. 7. Die Stellung der Frauen in der Familienökonomie war eng mit dem von ihnen geleisteten Beitrag zur "Nahrung' verknüpft. Das gemeinsame Wirtschaften von Meister und Meisterin, die unverzichtbare Arbeitsleistung beider, schuf eine 'relative Gleichwertigkeit' zwischen den Eheleuten. 8. Das Modell des 'Ganzen Hauses' findet sich in der städtischen Handwerksökonomie in seiner äußeren Form nur ansatzweise; die auf einer rein normativen Ebene formulierten Personal- und Geschlechterbeziehungen decken sich nicht mit der Alltagswirklichkeit der Handwerkerschaft. 9. In den frühneuzeitlichen Familienökonomien finden sich neben strukturellen Benachteiligungen von Frauen selbstbestimmte und variable Handlungsfelder sowie verhandelbare Geschlechterbeziehungen.

Anhang

Abb. 1: Augsburger Brotmarkt, Kupferstich von Karl Remshard, um 1720.

511

Abb. 2: Augsburger Stadtszene, Kupferstich von Salomon Kleiner, 1722/32.

512

Abb. 3: Kornschranne, Ausschnitt aus der Stadtszene von Salomon Kleiner, (vgl. Abb. 2).

513

Abb. 4: Augsburger Stadtmetzg, Kupferstich von Simon Grimm, 1681.

514

Abb. 5: Supplik des Bäckermeisters Johann Georg Hurler vom 5.8.1778.

515

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517 Abb. 6: Supplik des Schneidermeisters Franz Joseph Leidenmayr vom 30.4.1748.

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