Deutsches Theater im 18. Jahrhundert 3484180714

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Deutsches Theater im 18. Jahrhundert
 3484180714

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
I. Die Bühne im 18. Jahrhundert
II. Theaterwesen
III. Schauspielkunst
Anhang
Literaturverzeichnis
Namenregister
Titelregister
Ortsregister
Sachregister
Quellenverzeichnis der Abbildungen

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STUDIEN ZUR DEUTSCHEN LITERATUR

Herausgegeben von Wilfried Barner, Richard Brinkmann und Friedrich Sengle

Band 71

Sybille Maurer-Schmoock

Deutsches Theater im 18. Jahrhundert

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1982

Gedruckt mit Unterstützung der Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT GmbH, Goethestr. 49, 8000 München 2

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Maurer-Schmoock, Sybille: Deutsches Theater im 18. [achtzehnten] Jahrhundert / Sybille Maurer-Schmoock. - Tübingen : Niemeyer, 1982. Studien zur deutschen Literatur ; Bd. 71) NE: GT ISBN 3-484-18071-4

ISSN 0081-7236

© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1982 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany Satz und Druck: Sulzberg-Druck GmbH, Sulzberg im Allgäu Einband: Heinr. Koch, Tübingen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort I. Die Bühne im 18. Jahrhundert 1. Spielorte und Schauspielhäuser 2. Bühnenform 3. Dekoration und Bühnenbild: Kulissensystem und Schauplatzwechsel 4. Kostüm und Requisiten 5. Maschinerie und Beleuchtung 6. Vorhang und Zwischenakt 7. Zuschauerraum: Parterre, Loge, Galerie

VII 1 1 18 32 51 65 73 75

II. Theaterwesen 1. Belegschaft einer Schauspielertruppe 2. Sozialer Status und materielle Situation des Schauspielerstandes 3. Publikum 4. Repertoire 5. Spielzeiten und Eintrittspreise

87 88 102 118 125 135

III. Schauspielkunst 1. Schauspielstil im 18. Jahrhundert 2. Praxis der Schauspielkunst a. Rollenfach b. Improvisation, Probe, Ensemblespiel c. Bewegungen, Gänge, Stellungen, stummes Spiel d. Gestik und Mimik e. Deklamation

149 150 157 157 168 183 191 196

Anhang

203

Literaturverzeichnis

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Register

231 V

Für Peter und für Kristin

Vorwort

»Dazu habe ich nur einen einzigen Gesichtspunkt, aus welchem ich ein theatralisches Stück beurteile: nämlich die Vorstellung. Ich traue weder meiner Empfindung noch meiner Kritik anders, als vor dem Theater.« - so äußerte sich Lessing in einem Brief an den Wiener Staatsrat und Dramatiker Tobias Philipp Freiherrn von Gebler (25. Oktober 1772). Geht man von dieser Lessingschen Auffassung aus, daß sich ein Drama erst in der theatralischen Realisation, in der inszenatorischen Präsentation, im Zusammenspiel von Dramatiker, Schauspieler und Zuschauer voll erschließt, dann ist es erforderlich, diese aufführungspraktischen Rahmenbedingungen bei Interpretation und Analyse der dramatischen Werke mit einzubeziehen. Bedenkt man weiter, daß Theaterautoren wie Lessing und Schiller auf ganz bestimmte Bühnen (Leipzig, Hamburg, Mannheim, Weimar) und Schauspieler (Ekhof, die Hensel, Iffland und Schröder) zugeschrieben und mit ihnen gearbeitet haben, ist es unerläßlich, genauen Aufschluß über diese Bühnen und Schauspielkünstler zu erhalten. Zu diesen Fragen lagen Einzeluntersuchungen vor, die zwar wichtige Hinweise zu Detailfragen lieferten, nicht aber den gesamten Bereich des Theaterwesens berücksichtigten. Ein alle Gebiete der Bühnenpraxis umfassendes Kompendium zum Komplex »Schaubühne im 18. Jahrhundert« als Grundlage für eine szenische Analyse der Theatertexte der Zeit galt es erst zu schaffen. Ein solcher Gesamtüberblick mußte hauptsächlich - neben dem Rekurs auf die einschlägigen Monographien - auf zeitgenössischen Zeugnissen, Quellentexten, Chroniken, Rezensionen, Theaterzetteln, Theaterschriften und lokalen Theatergeschichten basieren. Zu fragen war zunächst nach den äußeren Bedingungen und Gegebenheiten des Schauplatzes: nach den Spielorten, auf denen die Theaterstücke der Zeit zur Aufführung kamen, nach der spezifischen Bühnenform im 18. Jahrhundert und ihrer Funktionsweise bei Veränderungen der Szenerie. Auch über Konvention und Praxis der Kostümierung, die Verwendung von Requisiten sowie die Möglichkeiten der damaligen Theatermaschinerie und Art und Wirkung der Beleuchtungseinrichtungen sollte Aufschluß gewonnen werden. Von Bedeutung erschien darüber hinaus die Verwendung des VorVII

dervorhangs und — damit zusammenhängend — die Ausgestaltung der Zwischenakte. Von Interesse erschien nicht nur die Bühneneinrichtung in ihrer Funktionsweise, sondern ebenso die Theaterpraxis im 18. Jahrhundert: Wie etwa war eine Schauspielertruppe organisiert? Wie war es um die materielle Lage und die gesellschaftliche Reputation des Komödiantenstandes bestellt? und: Lassen sich Wechselbeziehungen zwischen der sozialen Struktur des Publikums und der Repertoiregestaltung der Theaterdirektoren erkennen? Ein dritter Themenkomplex versucht, Fragen der Schauspielkunst und Spielpraxis anhand zeitgenössischer Quellen zu beantworten: Wie hatte sich der Spielstil im Verlauf des Jahrhunderts von der Neuberin bis zu Schröder und Goethe entwickelt? Zu klären war auch die für den internen Theaterbetrieb so bedeutsame Kategorie des Rollenfaches. Weitere Kapitel untersuchen die Frage nach dem Verhältnis der Schauspieler zur literarischen Vorlage: Improvisation oder authentische Wiedergabe? Welche Bedeutung maß man vorbereitender Probenarbeit zu? Kann man von Ensemblespiel sprechen, oder hat man sich die schauspielerische Darstellung der Zeit eher als ein isoliert-solistisches Agieren vorzustellen? Abschließend wurden zeitgenössische Abhandlungen und Aufführungsberichte hinsichtlich ihrer Aussagen über die künstlerische Gestaltung der darstellerischen Ausdrucksmittel — Bewegungen, Gänge, stummes Spiel, Gestik, Mimik, Deklamation — ausgewertet. Um eine befriedigende Antwort auf diese Fragen zu erhalten, war es unumgänglich, die gesamte Zeitspanne des 18. Jahrhunderts zu berücksichtigen, da für die Wanderphase der Schauspielergesellschaften völlig andere Voraussetzungen bestanden als für die Zeit der Konsolidierung und Etablierung fester Ensembles in stehenden Schauspielhäusern. Die vorliegende Studie ging aus der Dissertation »Lessing und die Bühne seiner Zeit« (Tübingen 1980) hervor. Herrn Professor Dr. Walter Jens sei auch an dieser Stelle noch einmal für Anregung, Kritik und Förderung, die diese Arbeit begleitet haben, herzlich gedankt. Tübingen, April 1982

VIII

Sybille Maurer-Schmoock

I. Die Bühne im 18. Jahrhundert

1. Spielorte und Schauspielhäuser

Don Opern-Säufern. £f) bitte wief) (ut Rubric t>iefetf Capi««roof>(einer generaleren Uberfc^rift bu bttmn, unb fiat ber Opern. £(hifet ©dfaubúbnen fefeen fótmen, ba auf ©(bou» imbrutì fe »obi Comœdien al* Opern gehalten twrben, ädern, inbem man (to beut ju $age fo »ie( au* Opera ιηαφί, biefe ουφ (ΙΦ ben Qìorjua bor Coma, dien erworben f>aben, fo babe mitbουφ bei »ornebmften Special· $ituj* an flatt bei General.$itul< bebienet.1 Die Entscheidung des Architekten Penther, in seiner »Ausführlichen Anleitung zur Bürgerlichen Baukunst« nicht allgemein von Schauspielhäusern oder Schaubühnen zu handeln, sondern speziell von »Opern-Häusern«, ist symptomatisch für Zustand und Bewertung der deutschen Schauspielkunst um die Mitte des 18. Jahrhunderts: Die Oper im prächtig ausgestatteten Musentempel, das Schauspiel in der billigen Bretterbude. Genauer: italienische Oper und französisches Schauspiel im Haus, deutsches Theater in der Hütte. Erste große Opernhäuser — neben den in geeigneten Schloßräumen nach französischem Vorbild eingerichteten höfischen Saaltheatern — waren bereits Mitte bis Ende des 17. Jahrhunderts entstanden: 1652 in Wien, 1667 in Nürnberg, Hamburg 1678 (»das weitläuffigste«), Hannover 1690 (»das schöneste«), Leipzig 1693, Dresden 1667 und 1718. Die Aufführungen der italienischen Pracht-Ballette und Fest-Opern bedingten eine — in Italien seit der Renaissance übliche — komplizierte Bühnendekoration mit raffiniertem Kulissenwechsel, Ober- und Untermaschinerie. Dieses technisch äußerst subtil ausgeklügelte System erforderte stabile und entsprechend geräumige Schauburgen. Entworfen, ausgeführt und eingerichtet waren diese verwandlungsspektakulären und szenenpompösen Festspielhäuser meist von italienischen Baumeistern; sie standen, vom Hof finanziert, nur den hochdotierten italienischen Operisten offen. Weder deutsche Schau1

Penther, Bürgerliche Baukunst, S. 92

1

Coupe, du nouvel Opera de Jtultqardt fityw/ie peur en voir (¿jfitwu aueunu mjksde Rrsptcœx

Plan ou Projet de la rejtaur.iùon ¡le l'Opéra, de Jtutti/tirDe. Abb. 1: Stuttgarter Hofoper (1750)

2

spielergesellschaften noch das bürgerliche Publikum hatten Zutritt. Im üppig und verschwenderisch eingerichteten Zuschauerraum waren nach strengstem Rangunterschied und peinlicher Beachtung der Etikette Hof und Höflinge protokollgerecht piaziert. Die Kehrseite der glänzenden Medaille war meist Verschuldung, daraus resultierend Erhöhung der Steuerabgaben und wachsender Unmut und Unverständnis der ausgeschlossenen Bevölkerung angesichts derartigem Luxus. Als ein Beispiel für die maßlose Verschwendung der deutschen Residenzen im Opern- und Ballettbereich die Verhältnisse am Stuttgarter Hof: Herzog Karl Eugen ließ 1750 das Lusthaus in ein komfortables Opernhaus mit ungewöhnlich großer Bühne umbauen. Zwistigkeiten mit der Residenz führten dann jedoch zur Verlegung der Hofhaltung nach Ludwigsburg. Selbstverständlich wollte Serenissimus auch hier nicht auf Oper und Ballett verzichten. 1764 ließ er daher in Ludwigsburg ebenfalls ein kostspieliges, repräsentatives Opernhaus errichten - auch dieses mit einer großflächigen Bühne ausgestattet. Das prunkvolle Stuttgarter Hoftheater blieb 11 Jahre, von 1764 bis 1775, so gut wie ungenutzt. 1775 siedelte der Hof wieder nach Stuttgart über, und seitdem fanden nun im Ludwigsburger Opernhaus nur noch in Ausnahmefällen Aufführungen statt. 2 Ein völlig anderes Bild als bei Polyhymnia und Terpsichore finden wir nun bei Thalia und Melpomene. Keine Paläste, sondern Scheunen und Schenken, Locanden und Bretterbuden bildeten die Heimstatt der rezitierenden Muse. Auch das Publikum dieser Wanderkünstler mußte manche Unbill und Unbequemlichkeit, wie Kälte und schlechte Sitze, in Kauf nehmen. Nicht selten wird deshalb auf dem Theaterzettel eine warme Stube als besondere Annehmlichkeit vermerkt. Frankfurter Komödienzettel können dem Publikum mitteilen: »Der Saal ist durchaus eingeheitzet« und: »Wegen der Kälte ist nichts ferner zu besorgen, weilen in 6 Machinen beständig eingeheitzet wird.« 3 2

3

Vgl. vor allem Sittard 2, S. 4 4 - 6 4 ; Krauß, S. 4 3 - 7 6 . Nicht minder verschwenderisch nehmen sich die Zahlen für den Bau des sogenannten Großen oder Neuen Opernhauses Dresden 1 7 1 8 / 1 9 aus: Friedrich August I. hatte Matthias Daniel Pöppelmann und Alessandro Mauro mit dem Bau beauftragt. Der Kostenvoranschlag belief sich auf 6 1 5 4 6 Taler und 14 Groschen. Um Platz für die Schauburg zu gewinnen, mußten erst Häuser abgerissen werden. Man scheute keine Hindernisse, stellte auswärtige Bauleute ein, organisierte Schichtarbeit, legte Schiffswege und Dämme an. Nach Ablauf eines Jahres beliefen sich die Kosten auf weit mehr als das Doppelte des Voranschlags. Das Ergebnis war allerdings imponierend genug: Das neu entstandene Opernhaus zählte zu den größten und repräsentativsten Theaterbauten Europas. Der ausgesprochen geräumigen Bühne (ca. 42,45 auf 22,64 m) entsprach ein 2 0 0 0 Zuschauer fassendes Auditorium (vgl. Fürstenau, Dresden, Theil 2 , S. 129ff.). Mentzel, Schauspielkunst, S. 5 0 2 , 4 6 0

3

γpi« AxvtfiaActeurr JSbfüdftnbíab/Xttui mήκ\ j&icfj ¡jermchíerfjrn nu-íiriñ v ptñiiíd) Au)) ini ¿Raw f «W. JHn-v ($r ÇtùA «riefe Wrv6 ünííKd) iúgfckfc. in en^r^&lfe.

üiw nurffrfjt.iertnüp nitidi) tedjm, «e? mnt.nnr >0-»· ourfffffig max-fwi. íwfilr IttíUt dpKtfi^'nnnnuiiti^Miudilel, ¡¡jijJMts'^neC Jipar ofatva-adjltl. mi< .^itrréStarken-Mannes< — Künsten vom Soldaten-König Friedrich Wilhelm I. protegiert wurde, hatten besonders seit dem Regierungsantritt des frankophilen Friedrich II. deutsche Wandertruppen wenig Aussicht auf Erfolg. 1755 hatte Theaterdirektor Akkermann mit seinem Ensemble einige Tage in Berlin gastiert, ohne zu reüssieren. Spiellokal war, wie für die meisten Wandergesellschaften dieser Zeit, auf dem Rathaus. 20 Wie war nun die eigentliche Bühne, die Spielfläche dieser Bretterhütten beschaffen? Welche Möglichkeiten hinsichtlich Dekoration, Verwandlung und Maschinerie bot sie? Zieht man die Bühnenanweisungen der damaligen Repertoirestücke heran, so wird deutlich, daß bereits die transportable Bühne der Wandertruppen vielfältigste und schnellste Verwandlungmöglichkeiten bieten mußte. Schon die englischen Komödianten, die Holländer, Gryphius und Christian Weise praktizierten daher ein Schema der Zweiteilung der Bühne in einen vorderen Teil und eine durch einen Mittelvorhang abgetrennte hintere Spielfläche. Dieses zweckmäßige Prinzip eines doppelten Schauplatzes< und einer Zwischengardine läßt sich für das Ballhaus-Theater Veltens von 1679 ebenso nachweisen wie für die Bühneneinrichtung des Neuberschen Schauplatzes.21

18 19 20 21

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Vorstellungen. Ohne Lokalität war das Schicksal der Neuberin besiegelt. Sie mußte ihre Truppe auflösen. (Uber diesen erbitterten Prozeß berichtet neben anderen Quellen zur Theatergeschichte Leipzigs und Monographien über die Neuberin u. a. Reden-Esbeck sehr ausführlich — mit Abdruck sämtlicher Petitionen und Gegeneingaben nach den Akten, S. 1 1 8 - 1 6 9 ) . Vgl. Schütze, S. 27, 32f. Vgl. Reden-Esbeck, S. 67 Zu Berlin vgl. vor allem Plümicke; Brachvogel; Frenzel, Theater im alten Berlin. Vgl. Mentzel, Schauspielkunst, S. 109; Mentzel, Vorgeschichte, S. 41.

Dekorationen und Bühnenbilder mit Kulissen scheinen auf den transportablen bretternen Budentheatern bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts selten gebraucht worden zu sein; man behalf sich, nach Manier der englischen Komödianten, mit Teppichen und Vorhängen. Unter dem Einfluß des großen Konkurrenzunternehmens »Oper« verbesserte sich jedoch gerade das Ausstattungswesen immer mehr, bis schließlich der italienische Kulissenwechsel-Mechanismus auf jeder besseren Wanderbühne gebräuchlich war. Aus den bisher angeführten Beschreibungen und Berichten läßt sich folgendes Bild für die örtlichkeiten der theatralischen Darbietungen zur Zeit der Wanderphase der deutschen Schauspielkunst herauslesen: Zur Nomadenexistenz und ständigen Schauplatzsuche waren die Gesellschaften zum einen dadurch gezwungen, weil ihnen die vorhandenen Opernhäuser und Hoftheater verschlossen waren; zum anderen aber hätte sich zum damaligen Zeitpunkt keine Kompanie - auch keine der führenden und für die weitere Entwicklung relevanten Gesellschaften — auf längere Zeit in einer Stadt aufhalten können, und dies aus Mangel an geeigneten aufführbaren Bühnenwerken. So war der Hauptgrund für das Herumziehen von Ort zu Ort — neben abgelaufenen Bewilligungen und messelosen Zeiten — in vielen Fällen das rapide nachlassende und erlahmende Interesse des Publikums, sobald das Repertoire durchgespielt war und die ersten Wiederholungen angeboten wurden. War es anfangs wirklicher Stückemangel — man denke an die eindringlichen Appelle und Bitten Neubers an den professoralen Protektor und dessen szenenweise Zusendung neuer Gottschedianischer Produkte —, so kam doch auch eine gewisse Bequemlichkeit und Gewöhnung hinzu. Man fuhr mit dem eingespielten, wenn auch eintönig-einseitigen Repertoire im buchstäblichen Sinne ganz gut: war die eine Stadt bespielt, der Stückevorrat durch, stagnierten die Einnahmen, wurde der Thespiskarren weitergezogen. Für die Schauspieldirektoren brachte die Wanderexistenz die mannigfaltigsten Probleme; hier sei lediglich eine Schwierigkeit erwähnt, die mit der Suche nach einer geeigneten Lokalität zusammenhängt: die hohen Transportund Reisekosten, die neben den Ausgaben für Kostüme und Dekorationen einen nicht unwesentlichen Posten im Budget eines Wanderprinzipals darstellten und oft genug durch die Einnahmen nicht gedeckt werden konnten. Generell trug der Prinzipal das finanzielle Risiko, das gerade bei nicht den schlechtesten Komödiantenmeistern häufig zu einem Fiasko ausartete. Der ständige Transport schadete indes nicht nur der Kasse des Direktors, sondern immer auch den mitgeführten theatralischen Utensilien wie Kostümen, Requisiten und insbesondere den gemalten Dekorationen, die ständig restauriert oder erneuert werden mußten, ein Aufwand, der umso komplizierter und kostspieliger wurde, je perfekter sich das Kulissensystem entwickelte. 11

Hinzu kam das Problem der Adaptíerbarkeit der einzelnen Dekorations- und Kulissenteile an die jeweiligen vorgegebenen Räumlichkeiten. So unternahmen immer wieder einzelne Prinzipale, trotz der ständigen Verbesserungen ihrer provisorischen Theaterbauten — oder gerade deshalb, denn die Verfrachtung mußte sich immer schwieriger gestalten — den Versuch, ihre Vorstellungen in den bestehenden Opernhäusern oder Schloßtheatern präsentieren zu dürfen. Schönemann spielte 1745 in Braunschweig auf der kleinen Bühne des Kaffeewirtes Wegener. Als 1746 seiner Bitte um Privilegierung stattgegeben wird und er sich »von Ihrer hochfürstl. Durchlaucht zu Braunschweig und Lüneburg privilegiert« titulieren darf, wagt er den Sprung und reicht ein Gesuch ein, »'seine Schauspiele in Zukunft im hiesigen Opernhause aufführen zu dürfen', das offenbar ad acta gelegt wurde«. 22 Selbst der schon bekannten und renommierten Gesellschaft des Konrad Ernst Ackermann öffneten sich 1763 in Hannover die Tore zu den fürstlichen Spielhäusern nicht. Er gibt seine Vorstellungen wie eh und je im Ballhof. Ein Gesuch, das der Prinzipal 1764 einreicht, die Räumlichkeiten und Dekorationen des Hoftheaters zur Verfügung gestellt zu bekommen, wird abgewiesen.23 Doch es sind auch Ausnahmen zu verzeichnen. Zweimal kam die sonst nicht gerade vom Glück verwöhnte Neuberin in den Genuß, in hochherrschaftlichen Räumen ihr und ihrer Künstlerkollegen Können zu zeigen. 1734 spielte sie auf dem zum Braunschweiger Hof gehörigen Salzdahlumer Schloß;24 anläßlich einer Fürsten-Visite wurde den Komödianten für eine Galavorstellung das große Opernhaus zur Verfügung gestellt.25 Der Auftritt 22

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24 25

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Hartmann, Braunschweigische Theatergeschichte, S. 160; vgl. H. Devrient, Schönemann, S. 120. »Auch hat der sich dorten aufhaltende Comoediante Ackermann, mittelst des Original-Anschlusses uns gebehten, ihm nicht nur ein Privilegium exclusivum zu ertheilen, sondern auch zu verstatten, daß bis dahin, daß auf seine Kosten ein bequehmes Comoedien-Hauß erbauet werden könne, er sich des dortigen Hoftheaters bedienen dürfe. Wie wir nun eines Theils überhaupt nicht geneigt sind, Privilegia exclusiva zu ertheilen, andern Theils auch die Verstattung des Hof-Theaters bey uns Bedenken findet; als werdet ihr dem Supplicanten die Eröffnung thun, daß seinem Gesuch nicht deferirei worden. St. James, d. 19. Juni 1764. George Rex« (Müller, Hannover, S. 39). Vgl. Hartmann, S. 131. In einem Brief vom 15. Februar 1735 rapportiert die solchermaßen ausgezeichnete Prinzipalin an ihren Protektor in Leipzig über dieses ungewöhnliche Ereignis: »an Ew. hochEdelgeb. habe zu berichten das wir morgen mit groser pracht und herrlichkeit auf den grosen Opern Theater Ihren Fleiß zu Ehren Cato vorstellen werden unter lauder an gezündeten wachslichten durch das gantze Theater und der Music von der gantz herzoglichen Capelle ...« (Daunicht, Neuberin, S. 71).

der Neuberschen Truppe im Hamburger Operntheater auf dem Gänsemarkt wurde von den Opernfreunden, die in der Benutzung der hehren Hallen durch die Bretterkomödianten der Fulentwiete eine Entweihung sahen, mit Mißfallen registriert. Indes: das einst viel- und weitgerühmte Hamburger Opernhaus war inzwischen baufällig und abbruchreif geworden, den Ansprüchen etwa italienischer Operngesellschaften keinesfalls mehr gerecht. Hier also durfte die Neuberin den Corneilleschen Polyeuctes und »Das ruchlose Leben und erschreckliche Ende des Welt-bekannten Ertz-Zauberers D. Johann Fausts« dem Hamburger Publikum präsentieren. 26 Zum Hamburger Opernhaus gehörte ein Garderoben- und Dekorationsfundus — allerdings in ähnlich desolatem Zustand wie der ehemalige Prachtbau selbst —, der mit den Räumen zusammen vermietet wurde. 1752 wurde dem Theaterleiter Schönemann wegen akuter Einsturzgefahr das Weiterspielen im Hamburger Operngebäude am Gänsemarkt untersagt. Auch in Hannover wurde den deutschen Schauspielergesellschaften das Opernhaus erst nach beinahe 100 Jahren eingeräumt, als »Boden, Gänge, Stricke und Winden morsch und unbrauchbar geworden« waren. 27 Diese Vergünstigung wurde der Hamburger Gesellschaft deutscher Schauspieler 1768 zuteil; es handelte sich also um ein Gastspiel des Ensembles der Hamburgischen Entreprise, des ersten Versuchs eines deutschen Nationaltheaters. Aber noch war dies entweder die Ausnahme, die durchaus nicht für alle Residenzstädte galt, oder es handelte sich um brüchige, baufällige Einrichtungen, die nun auch wenig Attraktion mehr für die Komödien-Kompanien besaßen, die inzwischen in den meisten Fällen selbst über eine ansehnliche und brauchbare Theatermaschinerie verfügten. Was lag also näher als die Errichtung eigener stehender Schauspielhäuser, die nur der rezitierenden Kunst dienen sollten? Überall wird ab der Mitte des 18. Jahrhunderts das Bestreben erkennbar, der nunmehr geläuterten und durch erstklassige und ernsthafte Künstlerpersönlichkeiten auf eine tatsächliche Stufe der Vollkommenheit gebrachten Schauspielkunst ein bleibendes Heim zu schaffen. Spielplan und Spielstil waren mittlerweile so weit gediehen, dies Vorhaben verwirklichen zu helfen. Die ersten Vorstöße der Prinzipale waren indes noch zum Scheitern verurteilt: Schönemanns Intention, 1742 in Berlin ein stehendes Theater zu gründen, zerschlug sich am Desinteresse des Preußenkönigs. Obgleich bereits der Bauplatz festgelegt, das erforderliche Holzquantum zugestanden war, mißlang das Unternehmen: als Schönemann wegen seines schlechten Verdienstes 26 27

Vgl. Reden-Esbeck, S. 227, 229, 233 f. Nach einer Akte des Staatsarchivs Des. 107 XI vom 22. Dezember 1768 (zitiert nach Heyn, S. 59).

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noch um Erteilung der erforderlichen Bausteine petitionierte, wird dieses Gesuch abgeschlagen. Damit fiel das Bauprojekt eines deutschen Theaters in sich zusammen. Es steht zu vermuten, daß das Interesse des Königs weit mehr durch den eben zu der Zeit durch von Knobeisdorff ausgeführten Bau des großen Opernhauses in Anspruch genommen war, als daß er viel in ein besseres deutsches Komödienhaus hätte investieren mögen. Aus einem Brief Schönemanns an Gottsched von 1743 geht klar hervor, daß es nicht gelungen war, den frankophilen Preußenkönig für die deutsche Schauspielkunst zu gewinnen. Der von Schönemann erwartete und erhoffte Seitensprung war nicht mehr als ein flüchtiger Seitenblick ohne Folgen gewesen. Der Komödiantenmeister berichtet: es ist ein eintziger Umstand im Wege, welcher kein deutsches Theater hier recht wird aufkommen lassen, und das ist das Vorurtheil Sr. Mayt. vermöge deßen Kein deutscher was Sinnreiches oder gutes zu schreiben, noch weniger ein deutscher Comediant auf der Bühne etwas vernünftiges vorzustellen vermögend ist und also ohngeacht aller angewandten Bemühung, auch der Besten Vorstellung von den größesten und angesehensten Männern, bin ich nicht vermögend den König in die deutsche Comedie zu bringen, denn wenn dieses nur einmal geschähe, würde solches sehr glückliche Folgen vor mich haben. [...] Es fehlte die Woche nach Ostern nicht viel, daß der König nicht zu uns auf das Stück gekommen wäre, aber — es war deutsch. 28

Schuchs Vorstoß in Frankfurt am Main scheiterte am erbitterten Widerstand der Geistlichkeit, die eine derartige >Satanskapelle< durchaus nicht in ihren Stadtmauern dulden wollte. Durch seinen Erfolg daselbst ermutigt, hatte Schuch beim Rat der Stadt um ein Privileg auf 10 Jahre nachgesucht und einen Antrag auf Errichtung eines Schauspielhauses gestellt. Die an den damit verbundenen Abgaben interessierten Stadtväter konnten sich jedoch gegen die klerikale Opposition nicht durchsetzen: der Plan eines Komödienhauses für die Messestadt Frankfurt wurde aufgegeben.29 Im theaterfreudigen Breslau hatte der des Wanderdaseins müde Prinzipal mehr Erfolg. Durch das Auftreten des Konkurrenten Ackermann in die Bredouille gebracht, bemühte sich Schuch um ein Privilegium exclusivum, worauf er den Bescheid erhielt, dies ginge nur an, »wenn er sich in Breslau mit Grundbesitz ansässig mache«. 30 Schuch erwarb das Breslauer Bürgerrecht 28

29 30

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H. Devrient, Schönemann, S. 72 f. - Bereits in den dreißiger Jahren hatte der weiland vom Soldatenkönig protegierte Artist und »starke Mann« Eckenberg ein Komödienhaus bauen lassen. Dieses massive Gebäude war das erste stehende Komödienhaus, doch war ihm keine lange Lebenszeit als Musentempel beschieden: »Schon zu Eckenbergs späten Tagen diente es als Gasthaus, auch als nicht eben gerade hochgeachtetes Vergnügungsetablissement« (Erman, S. 9). Vgl. Mentzel, Schauspielkunst, S. 225 f. Schlesinger, S. 42

und ließ auf dem Grundstück »An der kalten Asche« ein Theatergebäude errichten, in dem er von 1755 bis 1764 seine Vorstellungen gab. Nach einer erfolgreichen und gewinnbringenden Rußland-Tournee bewarb sich Κ. E. Ackermann 1753 um das preußische Privileg und faßte den Beschluß, in Königsberg ein Schauspielhaus zu erbauen. Dieses Theaterhaus, in dem auch die Wohnung des Schauspieldirektors untergebracht war, konnte sich vor allem einer vortrefflichen Akustik rühmen. 31 Dies war nicht so bei Ackermanns zweitem Versuch der Seßhaftwerdung in Hamburg 1764/65. Wegen des Einmarsches der Russen hatte Ackermann Königsberg verlassen und den Hauptbestand seiner Theaterausrüstung zurücklassen müssen. Auf seine Wanderfahrt, die ihn durch ganz Deutschland und die Schweiz führte, konnte er lediglich den unbedingt notwendigen Fundus an Kostümen und Dekorationen mitnehmen. Nach einem seiner Gastspiele in Hamburg gedachte er nach Königsberg zurückzukehren, wurde aber von der Lobby der hanseatischen Theaterfreunde zum Bleiben animiert. Problematisch gestaltete sich anfangs die Raumfrage. Auf dem Opernhaus waren, wie schon erwähnt, wegen totaler Baufälligkeit und irreparabler Mängel, seit über 10 Jahren keine Aufführungen mehr erlaubt. Die auf dem Neumarkt aufgestellten Bretterhütten genügten weder bühnentechnischen Anforderungen noch den Ansprüchen des Schauspielpublikums. Interimistisch war Akkermann das von Koch langfristig gemietete alte Marstallgebäude, das sogenannte »Komödienhaus am Dragonerstall«, von diesem überlassen worden, so lange Koch in Leipzig spielte. H. G. Koch, der die Gefahr, die ihm durch den potentiellen Konkurrenten drohte, erkannte, wollte sich Hamburg als weitere Spielmöglichkeit jedoch nicht verscherzen und war daher nicht gewillt, den Mietvertrag zu verlängern. Ende 1764 petitionierte Ackermann beim Senat mit einem 3 Punkte umfassenden Gesuch: 1. er möchte hamburger Bürger werden; 2. er möchte an dem Platze am Gänsemarkt, wo zuvor das Opernhaus gestanden, ein Komödienhaus erbauen; 3. er möchte ein Privilegium auf zwölf Jahre erhalten zur Aufführung von Teutschen Schauspielen. Während er mit seiner Compagnie da wäre, sollten keine andere teutsche Schauspiele in Hamburg geduldet werden. 32

Nach kurzem Interregnum auf einer Behelfsbühne in einem Konzertsaal wurde 1765 mit dem Bau begonnen. Während der sechsmonatigen Bauzeit hielt sich die Ackermannsche Gesellschaft zu einem Gastspiel in Bremen auf. 31

32

Meyer, Biograph des Ackermann-Stiefsohnes Friedrich Ludwig Schröder, weiß zu berichten: »Schröder erinnerte sich nie eine Bühne betreten zu haben, wo es dem Schauspieler so leicht geworden wäre verständlich zu bleiben« (Meyer 1, S. 30). Litzmann, Schröder 1, S. 3 1 0

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Abb. 5: Ackermanns Schauspielhaus am Hamburger Gänsemarkt

Ein vorbildliches G e b ä u d e w a r freilich n i c h t e n t s t a n d e n ; die f e h l e r h a f t e Ausf ü h r u n g m a c h t e in der Folgezeit kostspielige Ä n d e r u n g e n n o t w e n d i g . 3 3 In Berlin e n t s t a n d e n — n e b e n den bereits v o r h a n d e n e n zahlreichen H o f u n d S c h l o ß b ü h n e n — n a c h d e m m i ß g l ü c k t e n V e r s u c h S c h ö n e m a n n s zwei Pri33

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»Das Gebäude ward 59 Fuß breit und 110 Fuß lang, das Neben- oder Angebäude 21 Fuß lang und 48 breit. Die Grundmauer 3 Fuß 9 Zoll unter und eben so hoch über der Erde. Die Höhe des Stenderwerks bis zum Dachstuhle 29V2 Fuß. Das Innre bestand aus der 55 Fuß langen und eben so breiten Bühne, einem mit Oefen an beiden Seiten versehnen Orchestre, mit Bänken besetzten, schräglaufenden Parterre, zwei Reihen Logen (durch Zwischenwände von einander gesondert und mit separaten Thüren) und einer Gallerie« (Schütze, Hamburgische Theater-Geschichte, S. 323).

vattheater: Impresario und Pantomimist Andreas Bergé erbaute 1 7 6 4 ein Theater am Monbijou-Platz. 3 4 Der Sohn des im Zusammenhang mit stabilen Schauspielhäusern bereits mehrfach erwähnten Franziskus Schuch ließ mit dem v o m Vater ererbten Vermögen das zweite Privattheater — ein enges, unbequemes Bauwerk mit kleiner Bühne und kellerartigem Parterre — errichten. 3 5 Obgleich keinerlei Bedürfnis dafür vorhanden war, die Metropole mit 7 Hof- und 2 Privattheatern durchaus versorgt war, ließ der König für seine französischen Favoriten 1 7 7 5 ein Königliches Komödienhaus auf dem Gendarmenplatz errichten. Sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II. quartierte die Franzosen aus und übergab das Haus mit Dekorationen und Kostümen an Doebbelin. Unter der Direktion von Engel und Ramler, später Iffland, wurde dieses Gebäude 1 7 8 7 zum subventionierten Königlichen Nationaltheater. Beinahe um dieselbe Zeit wie Hamburg und Berlin erhielt auch die alte Theaterstadt Leipzig, auf Initiative von Prinzipal Koch, 1 7 6 6 ihr festes Theatergebäude: das mit Unterstützung einiger ortsansässiger Kaufleute erbaute Schauspielhaus auf der Ranstädter Bastei. 3 6 Neben Neubauten wurden auch vielfach bereits vorhandene, nach Platzart und Größe geeignete Gebäude in Schauspielhäuser umgewandelt, so etwa 1 7 6 9 in Frankfurt/Oder das schon früher für Theaterzwecke verwendete 34 35 36

Vgl. Plümicke, S. 148. Vgl. Brachvogel 1, S. 187 f. »Herr Zemisch, und einige andere patriotische Kaufleute dieser Stadt, unternahmen dieses rühmliche Werk. Ein großer Architekt, der Ingenieurobriste Fäsch, erbaute es auf den Ruinen einer Pastey, nach dem Modelle des Churfiirstlichen Theaters zu Dresden. Die Länge des Hauses ist etwa 108 Fuß, und die ganze Breite 64 Fuß. Das Theater ist ohne die vordere vorgehende Rundung desselben an die 45 Fuß tief, und 37 Fuß breit. Die Höhe ist 34 Fuß. Es sind zwey Eingänge, einer für die Zuschauer und einer für die Schauspieler, der gleich auf das Theater führt; auch noch ein Ausgang in den daran stoßenden Garten, in welchen man nur durch das Haus kommen kann. Das Amphitheater ist länglicht rund. Das Parterr hat ein räumliches abgesondertes Orchester, und da es für stehende Zuschauer eingerichtet ist, nur rund herum Bänke. Es liegt etwas tief, weil das Theater nicht sehr erhaben ist, geht aber schräg vom Theater an in die Höhe und kann überlegt werden. Der Eingang ist dem Theater gerade gegen über, und geht einige Stufen herab. Es sind drey Ränge Logen, davon einige sehr geräumig, die kleinsten aber doch auf sechs Personen eingerichtet sind. Darüber ist die Gallerie, welche einen mehr als gewöhnlichen Abstand von der Decke des Hauses hat. Man kann allenthalben das Theater sehen, und auch in den entferntem Logen leidet das Gehör nicht. Die Auszierung des Gebäudes ist, wie es sich für eine Stadt schickt, in der alle schöne Künste blühen« (Schmids Chronologie, S. 154f.). Vgl. die bei Blümner, S. 1 3 2 - 1 3 5 , zitierte Beschreibung von Kreuchauf. Eine detaillierte Darstellung dieses ersten Leipziger Theaterbaus liefert die Studie von Gertrud Rudloff-Hille, Ranstädter Bastei, Leipzig 1969.

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Ballhaus.37 Ein ehemaliges Hospital war 1776 für Mannheim Grundlage eines Musentempels.38 Im einst so theaterfeindlichen Halle wurde ausgerechnet die frühere Schulkirche für ein Schauspielhaus zur Verfügung gestellt.39 Generell kann festgehalten werden, daß ab den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts die großen Theaterstädte über feste, mehr oder minder nobel ausgestattete Schauspielhäuser verfügten. Noch ziehen Truppen durchs Land, noch werden nach wie vor provisorische Podien und Podeste aufgeschlagen,40 aber nun ist das die Ausnahme. Melpomene und Thalia haben ihr Domizil gefunden.

2. Bühnenform Bereits im vorangegangenen Kapitel wurde kurz die Frage nach Art und Ausstaffierung der Buden-Bühne gestreift, und es hatte sich gezeigt, daß die konventionelle zweigeteilte Bühne bei den Wandertruppen seit der Zeit der englischen Komödianten durchaus die Regel war. Die Frage nach der Beschaffenheit der Bühne im 18. Jahrhundert soll nun, ausgehend von zeitgenössischen Beschreibungen, einschlägigen Monographien und den Grundrissen der Theaterhäuser, detaillierter untersucht werden; zusätzlich sollen dabei die Bühnenanweisungen der damaligen Repertoirestücke berücksichtigt werden, die eindeutige Schlüsse auf die Anlage der Bühne zulassen.

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Vgl. Grimm, S. 49. Vgl. Walter 1, S. 163 39 Vgl. Meyer, Halle, S. 175 40 Ein abschließender Rückblick auf das frühere Schausteller-Dasein: SchauspielerDramatiker Brandes läßt in den »Komödianten in Quirlequitsch« eine Wandertruppe im Garten des Barons eine Bühne errichten. Brandes, der selbst jahrelang mit den Gesellschaften von Schönemann und Seyler auf Wanderfahrt war, weiß wovon er spricht, wenn er in der Anweisung zu III/l detailliert vorschreibt: A r b e i t s l e u t e (welche das Theater bereits errichtet haben, sind beschäftigt, nach W a g n e r s Anweisung, auf demselben einen Prospekt, Kolissen und Vorhang zu befestigen.) W a g n e r (bringt Stühle, Bänke in Ordnung und formirt damit den zweyten und dritten Rang.) H i e r o n y m u s (bringt eine rothe Fußdecke und breitet sie vorne am Theater aus.) B e d i e n t e (bringen drey Lehnstühle und setzen solche in den ersten Rang) (Das Orchester wird seitwärts des Theaters, mittelst einer Bank und langen Tafel, aus der Schenke, angebracht. Alles dieß geschieht in möglichster Geschwindigkeit und Ordnung, während den drey ersten Auftritten.) (Sämtliche dramatische Schriften, Bd. 8, 1790) 38

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Die Frage: wie war die Bühne beschaffen, welche Eigenschaften wies sie auf? wird also nun präzisiert: (1) War das Bühnenfeld eine einheitliche oder gegliederte Spielfläche? Wie wurde die Raumverteilung gehandhabt, wie der Spielraum ausgenutzt? (2) Ist ein die Bühne in der Mitte teilender Vorhang nachzuweisen? 1 (3) Welche Ausmaße hatte die gesamte Spielfläche? Wieviel Raum stand den Darstellern zum Spiel zur Verfügung? (4) Wie wurde die Abgrenzung der Bühne nach den Seiten, nach hinten und nach oben erreicht? (5) Welche Auftritts- und Abgangsmöglichkeiten bestanden? 2 Um auf diese Fragen eine möglichst exakte Antwort geben zu können, ist es erforderlich, den Entwicklungsverlauf der Bühne exkursartig zu skizzieren. Dies um so mehr, als Elemente beider entscheidender Formen, des englischen und des italienischen Bühnentypus', im deutschen Theater des 18. Jahrhunderts Eingang fanden. Die Entwicklung von der mittelalterlichen Simultanbühne mit ihrer Standorttechnik der nebeneinander liegenden Spielorte zur neuzeitlichen perspektivischen Kulissen- und Prospektbühne vollzog sich in Italien. Das Spiel unter freiem Himmel wurde in den Saal verlegt. Die ganz andersartigen akustischen und optischen Gegebenheiten im begrenzten Raum bedingen in der Folge umwälzende Neuerungen, lassen eine Bühnentechnik überhaupt erst entstehen. Die neue Bühnenform, verbunden mit dem Namen Sebastiano Serlio, gliedert sich in ein vorderes, horizontales Spielpodium und einen stark erhöhten hinteren Bühnenteil. Dieser ansteigende Abschnitt trägt die Dekorationsaufbauten — für die Darsteller nicht begehbar, da sie auf gleicher Höhe mit der Szenerie die Illusionswirkung der Perspektive beträchtlich gestört hätten. Serlio unterscheidet — hierin dem römischen Architekten Vitruv folgend — drei feststehende Dekorationen entsprechend der Gattung des aufzuführenden Stücks: monumentale Palastbauten aus Stein für die Helden des Trauerspiels; Holzhäuser, Kaufmannsläden und ein Bordell für den kleinen Mann der Komödie — Gestalt gewordenes Ständeprinzip! Für das Satyrspiel schreibt Serlio etwa Bäume, Sträucher, Hügel und Felsen vor. Die rückwärtige Abgrenzung bildete ein jeweils passender perspektivischer Schlußprospekt. 1

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Gemeint ist nicht der die Bühne zum Zuschauerraum hin abschließende Vordervorhang, sondern eine Mittelgardine nach Vorbild der englischen Komödianten. Die Frage nach Existenz und Funktion eines vorderen Vorhangs wird in einem gesonderten Kapitel aufgegriffen (vgl. Kap. I.6.: Vorhang und Zwischenakt). Die Fragen (4) und (5) sollen hier zwar im Zusammenhang gestellt, jedoch erst im folgenden Kapitel über Dekoration und Bühnenbild beantwortet werden.

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Einer am antiken Theaterbau orientierten Bühnenform, Palladlos »Teatro olimpico« in Vicenza mit fester scaena frons, drei Portalöffnungen und plastisch gebauten Straßenzügen, war keine Fortentwicklung beschieden. Die palladieske Statik der Renaissance mußte der Dynamik des Barock weichen. Auch bei Palladio war die Dekorationsbühne von der breiten, aber flachen vorderen Spielfläche getrennt. Die darstellerische Aktion konnte sich nur in der Transversalen entfalten. Vor allem für Operngepränge und Intermezzi genügte diese antikisierende, starre Form einer unbeweglichen Dekoration nicht mehr. An die Stelle des feststehenden und immobilen Szenerieaufbaus traten nun, als Vorläufer der Kulisse, die sogenannten Telari — drehbare, dreiseitige, mit auswechselbaren perspektivischen Leinwandbildern behängte Prismen. In Deutschland wurde diese Verwandlungsbühne durch den Ulmer Architekten Joseph Furttenbach bekannt, der das italienische Dekorationssystem in seinem Reisejournal »Neues Itinerarium Italiae« (1627) ausführlich beschrieb. 3 Zeitgenosse Philipp Harsdörffer schildert in seinem »Frauenzimmer-Gesprechspiel«: »Vom Theatrum oder Schawplatz« Gestalt und Wirkungsweise der neuartigen Erscheinung: Die Wände sind von Holtz / als Bäume oder Häuser gemahlet / und dergestalt gerichtet / daß man jede absonderlich umdrehen / oder durch verborgenes Zugwerk zu rükke / und Felsen oder andere Gebäue dargegen hervorgehen machen kan. Diese Gewerbe / auf welchen die Wände stehen / sind an eine Rollen gerichtet / die in dem iimdrehen / eines vor sich / das andere hinter sich ziehet / und solches geschieht so geschwind / als man eine Hand umwendet. 19. Julia: Wie mag es aber ohne Geräusch und Knirschen geschehen? 20. Reymund: Die Music / Trompeten oder andere dergleichen Getön / kan solches Gerümpel überstimmen. Die Italiäner halten solche Gerüste für sondere Geheimnissen: doch sind sie wol nachzumachen / wann man die Mechanischen Sachen verstehet.4

Den ganz entscheidenden und zukunftsweisenden Schritt tat jedoch erst der Architekt und Ingenieur Giovanni Battista Aleotti mit der Erfindung der Kulisse, 5 die durch seinen Schüler Giacomo Torelli in ganz Europa gebräuchZu Furttenbach vgl. etwa Zielske in »Bühnenformen«, S. 2 9 - 3 3 . * Harsdörffer, S. 16 f. Aus dieser Beschreibung geht hervor, daß Harsdörffer neben der Telari-Bühne bereits den neuen Kulissen-Mechanismus kennengelernt hatte. Beide Systeme bestanden noch einige Zeit nebeneinander, bis sich die funktionalere, weil schnellere und arbeitsökonomischere Kulissentechnik endgültig und überall durchsetzte. 5 Vgl. Hammitzsch, S. 37f. - Über Gebrauch und Funktionsweise der Kulisse auf der Bühne des 18. Jahrhunderts siehe das folgende Kapitel über Dekoration und Bühnenbild. 3

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lieh wurde. Aleottis/Torellis schnellbeweglicher Kulissenwechselmechanismus entsprach voll der Forderung des barocken Theaters, besonders des barocken Musiktheaters, nach Beweglichkeit und unbegrenzter Verwandlungsmöglichkeit.

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Ein Vergleich der Grundrisse von Aleottis »Teatro Farnese« mit Palladlos »Teatro olimpico« (vgl. Abb. 6) zeigt die Neuerung, die dem Übergang von der Renaissance zum Barock entspricht, ganz deutlich: Die schmale Vorderbühne vor einer unflexiblen Architekturfassade hat ihre Funktion als Spielfeld verloren; die starre scaena frons ist gefallen; die bespielbare, praktikable Fläche hat sich bis zum Hintergrund ausgedehnt; der schauspielerischen Aktion steht nicht mehr nur ein reliefartiges Proscenium zur Verfügung, sondern die ganze Tiefe der Bühne mit sechs Kulissengassen. Die plastischen Dekorationsaufbauten verschwinden: das Bühnenbild wird jetzt mit rein malerischen Mitteln gestaltet, wobei es vor allem darauf ankam, den realen Raum der Szene durch die Anwendung der Perspektivmalerei optisch zu erweitern. 6 Diese Erfindung der Kulisse im frühen 17. Jahrhundert wirkte auf lange Zeit bahnbrechend: »Das barocke Prinzip, in einer gerahmten Tiefenbühne durch perspektivische Malerei auf hintereinander gestaffelten flachen Kulissen, Soffitten und Prospekten die Illusion eines Raumes zu geben, behauptete sich bis zu Beginn unseres Jahrhunderts siegreich gegenüber den vielen theoretischen und wenigen realisierten Versuchen, diesen mit Recht als veraltet empfundenen Bühnentypus zu überwinden.« 7 Ganz anders angelegt, von völlig verschiedenen Voraussetzungen ausgehend, mit geradezu konträren Intentionen, stellt sich die Bühne in England dar, die in modifizierter, vor allem vereinfachter Form von Norden her in Deutschland bekannt wurde. Die berühmte Skizze von Arend van Büchel (Arnoldus Buchelius) nach einer Zeichnung Johannes de Witts vom »Swan Theatre« (etwa 1596) in London (vgl. Abb. 6) macht den Hauptunterschied deutlich: hier die weit in den Zuschauerhof ragende, dekorationslose, neutrale Plattformbühne, das von drei Seiten einsehbare Podium ohne Vordervorhang und Kulissen, dort — im Italien der Hochrenaissance — die vom Zuschauerraum getrennte, zurückversetzte, verwandlungsreiche Illusionsbühne mit Vordervorhang und Kulissenausstattung. Im insularen Norden: Wort-Vorstellungen fürs Ohr, im mediterranen Süden: Schau-Darbietungen fürs Auge. Das charakteristische Merkmal der englischen Bühne war die Einteilung in eine großflächige Vorderbühne als Hauptspielort. Dahinter, durch einen Vorhang abgetrennt, ein kleinerer Hinterbühnenraum, auf dem — während die Vorstellung vorne weiterlief — verschiedene Dekorationen für ortsspezifische Szenen schon vorbereitet und beim Aufgehen dieses Vorhangs dem Blick freigegeben werden konnten. Meist handelte es sich dabei um Innenräume, Schlafgemächer, Studierstuben, Höhlen, Grabgewölbe oder Gefängniszellen. Darüber hinaus konnte eine offene Galerie der Bühnenrückwand als »Ober6 7

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Vgl. Schöne, S. 50, 11 Stadler in »Bühnenformen«, S. 202. Vgl. Semper, S. 2 6 f .

bühne« einbezogen werden. 8 Auf diese dekorationslose, neutrale Plattformbühne - unter gelegentlicher Einbeziehung eines hinteren und oberen Spielareals — schrieben Shakespeare und seine Zeitgenossen ihre Stücke zu. Beide der skizzierten Bühnentypen wurden — über die Alpen und über den Kanal — durch die italienischen und englischen Kompanien in Deutschland bekannt. Wie sah die Bühne in Deutschland im 1 8 . Jahrhundert aus? Welche Elemente wurden hier übernommen? Konnte sich ein Typus eindeutig durchsetzen? Die szenentechnischen Anweisungen der deutschen Stücke ergeben für die Frage (1) nach der Raumverteilung der Bühne auf verschiedene Spielfelder ganz eindeutig eine Gliederung der gesamten Bühnenfläche in ein vorderes Spielfeld und, davon abgesetzt, ein hinteres Bühnenteil. Das Handlungsgeschehen wird von den Dramatikern von vornherein auf diese beiden Spielareale: >äußerer< = vorderer, >innerer< = hinterer Schauplatz konzipiert. 9 Direkt beim Namen genannt werden die Gegebenheiten in Schlegels Einakter: »Die M a s k e r a d e « . 1 0 Die ausführliche szenische Vorschrift zum 1. Auftritt verlangt: Der Schauplatz ist ein großer Saal, der das Vorzimmer des Tanzsaals ist, prächtig geschmückt und erleuchtet. Hinten zeigen sich zwo Flügelthiiren, die zum Tanzsaale führen. Auf der Hinterbühne steht an jeder Seite ein Schenktisch und neben denselben Lakeyen, die mit Erfrischungen aufwarten. Weiter hervor stehen viele Spieltische, an welchen maskirte Personen spielen. Viele Masken gehen aus dem Tanzsaale aus und ein. Man hört, als von fern, die Musik, die im Tanzsaale ist. Auf der Vorderbühne befinden sich Lucinde und Lisette, beide maskirt. Diese Einteilung des Spielgeschehens auf eine klar abgegrenzte Hinterbühne, auf der das Mummenschanztreiben vor sich geht, und eine Vorder8

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Die neuere Forschung unterstreicht die Bedeutung der Vorderbühne als Hauptspielfläche und stellt die Existenz einer eigentlichen Hinterbühne in Frage. Vgl. R. Weimann: Shakespeare und die Tradition des Volkstheaters. Berlin 2 1975, S. 355 ff. Auf den noch immerwährenden Streit, ob es sich bei der Hinterbühne um eine in das rückwärtige tiring-house integrierte Spielfläche oder um ein mit Vorhängen versehenes separates Gerüst handelt, kann hier nicht eingegangen werden. Wie auch immer: die Existenz eines Hinter- (und Ober-) Bühnenraumes ist unumstritten und wird von den elisabethanischen Dramatikern auch vielfach verlangt. Die Belege sind im einzelnen in der Dissertations-Fassung »Lessing und die Bühne seiner Zeit« (Tübingen 1980) aufgeführt (S. 47—51). Zugrunde gelegt sind die Repertoirestücke der Schauspielsammlungen der Zeit (z.B. Gottscheds »Deutsche Schaubühne«, das 19bändige »Theater der Deutschen«, die 12bändige »Sammlung von Schauspielen welche auf der Kaiserlich Königlichen privil. deutschen Schaubühne zu Wien aufgeführet werden«, die 12bändige »Deutsche Schaubühne zu Wienn«.) Berücksichtigt wurden dabei auch die Ubersetzungen, die gerade in der zu behandelnden Zeit das Hauptkontingent des Spielplans stellten. Zudem wurden sie vielfach von Theaterpraktikern verdeutscht und verraten gerade deshalb im Hinblick auf die szenentechnischen Anweisungen profunde Bühnenkenntnis. Theater der Deutschen, Bd. 10, 1771

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bühne, auf der die Dialoge stattfinden, zieht sich durch das ganze Stück und taucht in sämtlichen Auftrittsanweisungen wieder auf. Alle Regiebemerkungen besagen dasselbe: Maskentreiben auf der Hinterbühne, das eigentliche Spiel in W o r t und Aktion auf der Vorderbühne. Beispiele aus Dramen Schillers und Goethes machen deutlich, daß noch die »Klassiker« nach diesem durch die Bühne der Zeit vorgegebenen Prinzip der Handlungs- und Personenzuordnung auf einen vorderen und einen rückwärtigen R a u m und der Koordinierung der Bewegungsabläufe auf einen äußeren und einen inneren Schauplatz arbeiten. 1 1 Die Frage (2) drängt sich unmittelbar auf: W a r diese Teilung der Spielfläche nur bühnen- und regietechnisch — sie würde heute die Bewegungs- und Stellungsregie betreffen, oder war sie real existierend, auch für den Zuschauer optisch erkennbar? Kurz: W a r der Bühnenraum durch eine Trennmöglichkeit teilbar? Konnte damit die Bühnenfläche beliebig und problemlos verkleinert oder vergrößert werden? Wenn ja, welche Notwendigkeit stand dahinter, w a r u m und wie wurde ein etwaiger Spielplatzwechsel durchgeführt? Auch zur Klärung dieser Frage können die Bühnenanweisungen — vom Spätbarock bis zur Klassik — Auskunft geben. Hier seien nur die eindeutigsten und typischsten Beispiele angeführt: 1 2 In Christian Reuters Scherzspiel »Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod« 1 3 findet sich ein erster Hinweis auf die Art des Zwischenvorhangs. Für den III. Akt ist vorgeschrieben: »Der Schauplatz bleibet in der Nähe der Stadt/und im Prospecte zeiget sich der Schlampampe verdeckte Schlaff-Cammer.« III/11 : »Der Prospect eröffnet sich/der Schlampampe ihr Schlaffzimmer/allwo sie mit Däfftle in einem Bettkorbe liegt.« Es handelte sich also nicht um einen Abschluß-, sondern

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In der mimischen, an die Commedia dell'arte anknüpfenden, bühnenwirksamen Farce »Die Mitschuldigen« schreibt Goethe in II/l vor: »Das Theater ist von vorn nach dem Fond zu getheilt in Stube und Alkoven« (Goethes Werke. Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. Bd. 9, Weimar 1891). Schiller will in seiner Bühnenbearbeitung des »Macbeth« beim Tarnangriff (V/8) gegen das Schloß des Usurpators die gesamte Spielfläche bis zur letzten Kulisse und zum hintersten Prospekt ausgenutzt wissen: »Ein freier Platz vor der Festung, vorn Gebäude, in der Ferne Landschaft, die ganze Tiefe des Theaters wird zu dieser Szene genommen. Malcolm. Seiward. Seiward Sohn. Macduff. Rosse. Angus. Lenox. Soldaten. Alle rücken aus der hintersten Tiefe des Theaters mit langsamen Schritten vorwärts, die Zweige vor sich her und über dem Haupte tragend« (Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd. 13, Weimar 1949). Schillers Einbeziehung des Hintergrunds der Bühne und sein Alternationsprinzip zwischen kurzer Vorderbühne und langer zusammengenommener Vorder- und Hinterbühne kann exemplarisch am szenenwechselreichen »Wilhelm Teil« verfolgt werden (vgl. Julius Petersen: Schiller und die Bühne, S. 173 f.). Vgl. weiteres Belegmaterial in der Dissertations-Fassung S. 55 f.

um einen Mittel- oder Zwischenprospekt, der beim Aufgehen eine bereits gestellte Situation sichtbar macht. Auch Henrici-Picander geht in seinem für die Leipziger Bühne konzipierten »Academischen Schlendrian« 14 von einem das rückwärtige Theatrum abtrennenden Zwischenvorhang aus: »Die Mittel-Guardine zieht sich auf, und praesentiret ein Lust-Hauß. - Ein Tisch mit Coffée-Zeug, ein Bey-Tisch mit geschnitenen Toback und Pfeiffen.« (1/2) Hinter dieser Gardine konnten die geforderten Möbel und Requisiten schon vor Beginn der Vorstellung aufgebaut werden. Auch die Situation in IV/6 wurde bereits vor Aufgehen des Zwischenvorhangs gestellt: »Es ist Tag, die Mittel-Guardine wird aufgezogen und präsentiret eine Wochen-Stube, wo eine Wöchnerin in einem Bette befindlich, und 3. Weiber zum Besuche sizen.« In III/6 setzt Henrici diesen Trennungsvorhang zu einem recht derben Commedia dell'arte-Intermezzo ein: »Die Mittel-Guardine zieht sich auf und praesentiret eine Gasse, es ist nacht.« Der Bediente Peter wird für sein Geigenständchen übel belohnt: »Bey dem leztern Verse giest Jemand einen bot de Chambre zum Fenster heraus«; daraufhin: »die Fenster werden eingeschmissen, und die Guardine zu gezogen.« Weder von einer »Gardine« noch von einem »Prospekt« spricht Uhlich in »Des berühmten Boockesbeutels Tod und Testament«. 15 Bei ihm heißt es in III/8: »Die Mittelwand gehet auf«. 1 6 Im 2. Auftritt des »Mohren« 1 7 läßt er ein »Mitteltuch« verwenden. O b Mittelgardine, Prospekt, Mittelwand oder -tuch: dieser Wechsel-Mechanismus zwischen äußerem und innerem Schauplatz läßt sich vom 1 7 . bis durch das ganze 1 8 . Jahrhundert verfolgen. Und wie bei der Frage nach der Aufteilung der Bühnenfläche kann auch hier die Linie bis zur deutschen Klassik gezogen werden: Im 4. Aufzug des Singspiels »Lila« 18 schreibt Goethe vor: »Der hintere Vorhang öffnet sich. Man erblickt einen schön geschmückten Garten, in dessen Grunde ein Gebäude mit sieben Hallen steht.« Das Hintergrundtableau in Schillers »Fiesko« 19 , das die 3. Szene des I. Aktes beschließt, erinnert an das bereits angeführte Hinterbühnenbild in Schlegels »Maskerade«: »Rauschendes Allegro, unter welchem die Mittelgardine aufgezogen wird und einen großen illuminierten Saal eröffnet, worin viele Masken tanzen. Zur Seite Schenk- und Spieltische von Gästen besetzt.« 13 14

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Hrsg. von R. Tarot. Stuttgart 1966, S. 1 1 1 - 1 7 2 . Teutsche Schau-Spiele, 1726. - Im Vorbericht an den Leser weist Henrici darauf hin, daß er vorliegende Komödie nicht für den Druck, »sondern zum Dienst, und nach dem Geschmack des hiesigen Schau-Plazes, und derer Zuschauer abgezielt habe«. Erste Sammlung neuer Lustspiele, 1746 So auch in Uhlichs Ubersetzung von Holbergs »Verpfändetem Bauren jungen«: »die Mittelwand gehet auf, Peter liegt auf einem Bette im Hembde u. Hosen, neben ihm liegt sein alter Baurenkittel« (Erste Sammlung, 1746). Erste Sammlung neuer Lustspiele, 1746 Goethe, Weimarer Ausgabe, Bd. 12, 1892 Theater-Fiesko. Hrsg. H. H. Borcherdt. Weimar 1952, S. 29

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In der »Jungfrau von Orleans« 20 hat Schiller bei Aufgehen des Trennungsvorhangs (II/6) einen besonderen Theatereffekt parat: »Der Prospekt öffnet sich. Man sieht das englische Lager in vollen Flammen stehen.«

Die paradigmatisch angeführten Regie- und Bühnenanweisungen bestätigen, daß der Bühnenraum nicht nur spieltechnisch im Sinne einer Stellungsregie in verschiedene Felder aufgeteilt, sondern darüber hinaus durch einen (einfacheren) Mittelvorhang oder einen (komplizierteren) Zwischenprospekt trennbar war, die Bühne also durch diese Einrichtung in die Tiefe verlängert oder nach vorn hin verkürzt werden konnte. Dieses aus den Bühnenbemerkungen der Stücke ableitbare Ergebnis wird durch die vorhandenen Bauzeichnungen der damaligen Schauspielhäuser bestätigt. Bei dem eingangs zitierten Architekten Penther findet sich beispielsweise der Grundriß des alten Hannoverischen Opernhauses. Die — bei Musiktheatern übliche — sehr tiefe Bühne war geteilt in »das vordere Theatrum« H und »das hintere Theatrum« I; die Trennlinie markierten sehr augenfällig »die großen Schiebers das vordere von dem hintern Theatro zu separiren«. 21

Abb. 7: Grundriß des Hannoverischen Opernhauses

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Schiller, Nationalausgabe, Bd. 9, 1948 Penther, Tab. LXXVIII und S. 94. Auch des Architekten eigener Entwurf weist die Trennung der Spielfläche durch einen Zwischenprospekt auf (Tab. XXV).

Dieses Prinzip war durchaus nicht nur den großen Opernhäusern vorbehalten, sondern ließ sich sowohl für die Wandertheater als auch für die neuentstehenden Schauspielhäuser, in denen die erwähnten Stücke zur Aufführung kamen, nachweisen. Eichhorn druckt einen bisher unveröffentlichten Originalplan des Schloßtheaters Gotha ab: »In der vierten Kulissengasse befindet sich ein Graben, in dem ein Prospekt nach beiden Seiten auseinandergezogen werden konnte, um eine Verwandlung nach dem Prinzip der kurzen und langen Bühne zu ermöglichen.« 22

Der Grundriß des Komödienhauses Breslau zeigt wiederum die Trennmöglichkeit zwischen der 3. und 4. Kulisse. 23 22

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Eichhorn, Schloßtheater Gotha, S. 15. Auf dem auf S. 16 abgebildeten Grundriß selbst ist keine Trennlinie eingezeichnet, aber Herbert A. Frenzel, der die teilweise noch erhaltene alte Bühneneinrichtung selbst in Augenschein nehmen konnte, bestätigt: »Man konnte auch den Schlitz in der vierten Kulissengasse erkennen, in dem einmal der Mittelprospekt zur Veränderung der Bühnentiefe lief« (Thüringische Schloßtheater, S. 123). Vom alten Hamburger Opernhaus berichtet Frenzel, daß die Bühne über zwei Zwischenprospekte verfügte (ibid., S. 86). Abb. beigefügt in: Litteratur- und Theater-Zeitung 1783, 1. Theil

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Abb. 9: Breslauer Komödienhaus

Die bereits für die englischen Komödianten, das holländische Theater und die deutschen Wandertruppen belegbare Teilungsmöglichkeit der Bühne durch einen mittleren Vorhang oder Prospekt bleibt also bis hin zu Schiller gebräuchlich. Diese dimensionale Variabilität der Bühnenfläche — im Sinne einer Vergrößerung oder Verkleinerung — bestimmt die szenendramaturgische Struktur der Schauspiele. 24 Verschiedentlich wurden Stimmen laut, die im Gefolge der Gottschedschen klassizistischen Reformbestrebungen eine Vereinheitlichung der Bühnenfläche in ein einziges, unteilbares Feld annehmen. 25 Diese These ist nach Analyse der Bühnenanweisungen nicht haltbar. Schaubühnendramen wie 24 25

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Vgl. die Untersuchungen zu Gryphius (Flemming) und Schiller (Petersen). So etwa Rieck: »Die Neuorientierung des deutschen Dramas am Klassizismus hatte u. a. die Zerstörung des alten Bühnentypus mit Vorder- und Hinterbühne zur Folge, nach dem z. B. die Dramen Weises, Reuters und Henricis eingerichtet waren, um sich der Darstellungsweise und -technik der Truppentheater anzupassen« (W. Rieck, Johann Christoph Gottsched. Eine kritische Würdigung seines Werkes. Berlin 1972, S. 295).

Grimms »Banise«, Uhlichs Pastoral-Idylle »Elisie«, selbst Gottscheds »Cato«, bedienen sich dieses abteilenden Vorhangs. 26 Zudem weist kein Spielplan der Zeit — selbst nicht das Repertoire der mit Gottsched temporär kooperierenden Gesellschaften - ausschließlich regelgemäße ortseinheitliche Stücke auf, denen eine uniforme Bühne genügt hätte. Der Bühnenboden, das sogenannte Podium, stieg nach hinten an. Der Neigungswinkel betrug zwischen V9 (Serlio, Pozzo) und V15 (Opernhaus Hannover) der Gesamtlänge. Im »Handbuch der Architektur« berührt Sem-



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Abb. 10: Längsschnitt des Hannoverischen Opernhauses

per diese Frage der Neigung des Podiums: »In den meisten Theatern ist dasselbe, alter Tradition gemäß, mit einem Gefalle angelegt, welches zwischen 3 und 5 Vomhundert schwankt. Bestimmend hierfür ist namentlich der Gedanke, daß solche Neigung den Besuchern der unteren Plätze, also des Parketts und Parterres, einen besseren Gesichtswinkel sichere, sodann aber auch der 26

Der V. Akt des »Cato« beginnt mit einem Tableau auf der Hinterbühne: »Cato allein, in tiefen Gedanken sitzend und ein Buch in Händen habend. Es liegt neben ihm ein bloßer Degen auf dem Tische; und an der Seite steht ein Ruhbette.« Für den hinteren Schauplatz spricht eindeutig die Anweisung nach Catos Gespräch mit seinem Sohn Portius: »Cato legt sich auf das Bette, um zu schlafen, und der innere Vorhang fällt zu« (V/2).

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andere, daß die Bewegung der Agierenden, in erster Linie des Balletts, dadurch erleichtert werde. Bekanntlich werden die Evolutionen in den Balletten und namentlich diejenigen der Solotänzer und Tänzerinnen stets in der Richtung von dem Hintergrunde nach der Rampe ausgeführt.« 27 Diese Neigung der Bühne zur Rampe hin kann man auch den Längsschnitten durch die Theatergebäude entnehmen (vgl. Abb. 10 und 11). Die Dekorationen mußten

Abb. 11: Längsschnitt des Gothaer Schloßtheaters

diesem Bühnenfall angepaßt werden. Es finden sich konsequenterweise für die vorderen Kulissen höhere Maßangaben als für die hinteren Rahmen: beim alten Breslauer Schauspielhaus etwa betrug die Höhe der vordersten Kulisse 13 Fuß (ca. 3,68 m), die Höhe der hintersten dagegen nur mehr 11 Fuß (ca. 3,11 m) - bei einer Gesamttiefe der Bühne von 35 Fuß (ca. 10 m); 2 8 bei der Bühne des neuen Weimarer Komödienhauses von 1780 nahm die Kulissenhöhe nach hinten um je V4 Elle ab. 2 9 Neben der Wahrung der Perspektive kommt als wesentliches Moment die schauspielerische Aktion hinzu, die aufgrund unvorteilhafter Beleuchtung 27

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Handbuch der Architektur, S. 2 7 2 . — Semper selbst redet einer waagerechten Lage des Bühnenbodens das Wort: »Von diesen Vorteilen fällt zunächst der eine in die Augen, daß alle Stellagen, Bauereien und Satzstücke, ebenso auch Möbel und andere plastische Gegenstände stets ohne Nachhilfe gerade stehen, in welcher Richtung sie auch verwendet werden, während sie bei schrägem Fußboden naturgemäß nur in einer ganz bestimmten Richtung stehen konnten, weil sie zur Anpassung an den schrägen Fußboden unten schräg abgeschnitten sein mußten« (S. 272). Litteratur- und Theater-Zeitung 1783/1, S. 2 2 Sichardt, S. 31

und Disproportion zwischen Darsteller und Dekoration auf der Hinterbühne, durch den Bühnenfall noch begünstigt, in den Vordergrund drängte. Die alte italienische Bühnenform, die streng zwischen bespielbarer Vorderbühne und nicht-bespielbarer Hinterbühne mit Dekorationsaufbau schied, hatte man zwar längst aufgegeben, aber noch war der Schauspielkünstler nicht ins Bühnenbild integriert. So galt es für den Darsteller, nach allen Seiten hin Spiellinien zu beachten, um nicht mit dem perspektivischen Bühnenbild in Havarie zu geraten — eine Beschränkung, die oft genug nicht eingehalten wurde. Hinzu kam, daß die ungünstige Rampenbeleuchtung kein zu weit nach vorn reichendes Spiel gestattete. Für die Maßverhältnisse der Bühne — Frage (3) — gilt generell: die Szene darf nicht so großflächig sein, daß sie von den Stimmen der Schauspieler nicht mehr ausreichend ausgefüllt werden kann; sie muß aber andererseits genügend Raum für personenreiche Auftritte bieten. Für das 17. und 18. Jahrhundert kann grundsätzlich gesagt werden, daß durchaus Tiefe angestrebt wurde, einmal als reale Dimension, zum andern noch verstärkt durch das illusionistische Element der Perspektive. 30 Diese Ausdehnung in die Tiefe — durch die Opernhäuser zuerst realisiert — war einmal durch das barocke Streben nach unendlich scheinendem Hintergrund bedingt, zum anderen erwies sich diese Proportionierung »tief und relativ schmal« als rein technische Notwendigkeit. Mit den damaligen beschränkten Lichtverhältnissen hätte eine breite Bühne nicht ausreichend beleuchtet werden können. 31 Auch das System der perspektivischen Kulissendekoration ließ keine Expansion in die Breite zu. Als konkrete Maßangabe das Beispiel Hamburg: Die Bühne des Ackermannschen Hamburger Schauspielhauses hatte eine Breite von 55 Fuß 3 2 (ca. 15,8 m), die Breite der Bühnenöffnung betrug 37 Fuß (10,6 m). Die ganze 30

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Diese Tiefendimension wurde erst im Klassizismus aufgegeben, zugunsten eines Spieles — wie in der Renaissance - in der Breite auf einer flachen Reliefbühne. Verbunden sind diese Raumbestrebungen vor allem mit dem Namen des märkischen Baumeisters Karl Friedrich Schinkel. Im »Jungen Tischlermeister« fordert Tieck für eine Shakespeare-Inszenierung ein Spiel nur auf dem verbreiterten Proscenium (vgl. Zucker, Klassizismus, S. 16f.). Vgl. das Kapitel über die Bühnenbeleuchtung (I. 5). - Wurde im hinteren Bühnenteil agiert, tauchten neben optischen auch akustische Probleme auf. An einer Rolle Ekhofs wird getadelt, daß er in den ersten Szenen vom hinteren Teil aus nicht wohl verständlich war: »[ . . . ] nicht Ekhofs Aussprache oder die mangelnde Tragweite seiner Stimme trug die Schuld, sondern offenbar die Tiefe der Bühne. Die Akustik der damaligen Theater dürfte allgemein ungeheure Anforderungen an die Stimmkraft der Schauspieler gestellt und sogar Einfluß genommen haben auf die durchschnittliche Lautstärke des Sprechens« (Carla Pietschmann, Ekhof, S. 218). 1 Hamburger Fuß wird mit 0,286 Meter berechnet.

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Tiefe belief sich auf 75 Fuß (21,5 m); die bespielbare Bühnentiefe entsprach der Breite von 55 Fuß, also 15,8 m. 3 3 Bringt man sich noch einmal den Exkurs über die polaren Bühnenformen in Erinnerung, so spricht zunächst die nachgewiesene Zweiteilung in einen äußeren und einen abtrennbaren inneren Schauplatz für eine allgemeine Adaptierung des einfacheren englischen Typus. Das folgende Kapitel wird diese Annahme jedoch entscheidend korrigieren.

3 . Dekoration und Bühnenbild: Kulissensystem und Schauplatzwechsel Das Bühnenbild hat seit jeher die konkrete Aufgabe, den Schauplatz der vorgeführten Handlung zu versinnlichen. Die Art und Weise der Realisation von Ort und Zeit kann dabei von einer bloß andeutenden, stilisierenden über eine typisierende bis hin zur naturalistischen, milieuschildernden Dekoration variieren. Für den zu untersuchenden Zeitraum ist generell festzustellen, daß die Szenerie des rezitierenden Schauspiels — ganz im Gegensatz zum Musikdrama — eine durchaus untergeordnete Rolle spielte. Über einen konventionellschematischen Charakter gelangte das Bühnenbild nicht hinaus; eine suggestiv-schildernde Dekoration wurde in den Schauplatzangaben der Stücke der Zeit gar nicht gefordert. Dies änderte sich erst mit dem Aufkommen des bürgerlichen Dramas, der Ritterspektakel im Gefolge des »Götz von Berlichingen« und besonders der Familien-Rührstücke Ifflandscher und Kotzebuescher Machart mit engem, kleinständischem Interieur. Bis zur Mitte des Jahrhunderts herrscht indes eindeutig eine konventionell-stereotype Bühnenausstattung vor. Den Regeln der tragédie classique folgend, lehnte Gottsched zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine detailliert ausmalende Beschreibung des Schauplatzes ab: »Doch dieses geht den Poeten nicht weiter an, als in so weit er sagt, wo der Schauplatz des Stückes gewesen, darnach sich der Theaternmeister nachmals richten muß.« 1 Auch Gottschedianer Christlob Mylius delegiert derlei bühnentechnische Obliegenheiten an den dafür zuständigen »Aufseher«. 2 33

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Maßangaben in Fuß nach Schütze, S. 323 f. und Litzmann, Schröder 1, S. 317. Zu weiteren Bühnenmaßen der wichtigsten Schauspielhäuser vgl. Beilage 4. Gottsched, Critische Dichtkunst, 3 1 7 4 2 , S. 725 »Die Wahrscheinlichkeit der Vorstellung aber, geht den Dichter gar nichts an, und kann nur von den Schauspielern, und zwar größten theils von dem Aufseher dersel-

Wieder sollen einige der typischen, ständig wiederkehrenden Schauplatzangaben der Repertoirestücke des 18. Jahrhunderts herangezogen werden: Die Werke der Gottschedschen Dramensammlung wahren durchgehend, dem Diktum des >Diktators< folgend, die Einheiten des Ortes und der Zeit. 3 Die Professorengattin Luise Adelgunde Viktorie läßt sämtliche ihrer dramatischen Produkte in einem Zimmer oder Saal stattfinden; Plausibilität des ständigen Zusammentreffens allda wird nicht angestrebt. Selbst Johann Elias Schlegel wahrt in seiner unter Gottscheds Ägide begonnenen poetischen Praxis noch die äußerlichen Einheitsregeln: »Der Schauplatz ist in Sylvesters Hause, in desselben Putzstube. Das Schauspiel währet von ein bis fünf Uhr Nachmittags«, schreibt er für seinen »Geschäfftigen Müßiggänger« vor. 4 Gerade in der Frage der dramatischen Einheiten zeigt sich der Widerspruch in Schlegels Schaffen sehr deutlich: während er in der Praxis noch Gottscheds Direktiven folgt, emanzipiert er sich in der Theorie vom Lehrer und vom Regelzwang. 5 In seinen »Gedanken zur Aufnahme des dänischen Theaters« antizipiert J. E. Schlegel Lessings revolutionären 17. Literaturbrief: »Die Wahrheit zu gestehen, beobachten die Engländer, die sich keiner Einheit des Ortes rühmen, dieselbe großentheils viel besser, als die Franzosen, die sich damit viel wissen, daß sie die Regeln des Aristoteles so genau beobachten.« 6 Quistorps »Austern« spielen in einem Weinhaus, sein »Hypochondrist« nervt seine Mitmenschen »in das Herrn Gottharts Putzstube«. Im »Bock im Processe« wird die

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ben beobachtet werden. Und dieses geschieht alsdann, [ . . . ] wenn sie in der Auszierung der Schaubühne nicht wider die Aehnlichkeit mit dem Orte, welcher durch den Schauplatz vorgestellet wird, verstoßen« (Critische Beyträge, 30. Stück, 1743, S. 3 0 1 f.). Noch Henrici-Picander ließ den Ort der Handlung beliebig wechseln. Im »Academischen Schlendrian« spielt das burlesk-turbulente Geschehen in einem Garten, einem Lusthaus, einer Gasse, in einem »Dorff-Guth oder Wald« (je nach Dekorationsbestand der Truppe!), in einer Wochenstube und in einem Saal. Die für die Dramen der Gottschedianer typischen Angaben der Zeitdauer, die sich an die Bezeichnung des Schauplatzes anschließen, verschwinden mit Gottscheds Einfluß wieder. Ein bezeichnendes Beispiel für die Praxis der präzisen Zeitnennung: Die Gottschedin gibt für »Die Hausfranzösinn« an: »Die Handlung währet von 2 Uhr nach Tische, bis in die Nacht gegen 10. Uhr« (Deutsche Schaubühne, Bd. 5, 1744). Dt. Schaubühne, Bd. 4 , 1 7 4 3 . Vgl. auch sein Trauerspiel »Dido«: »Der Schauplatz ist ein Saal in dem Schlosse zu Carthago. Die Handlung währt einen halben Tag« (Deutsche Schaubühne, Bd. 5, 1744). So äußert er bereits im »Schreiben an den Herrn N. N. über die Comödie in Versen« gegen die Ortseinheit: »Ist es nicht zum Exempel eben so unwahrscheinlich, daß eine einzige Handlung, ohne durch andere Handlungen, welche im gemeinen Leben so oft unsre Geschäffte unterbrechen, gestört zu werden, an einem einzigen Orte geschiehet; daß alle Personen zu eben der Zeit und nach eben den Worten, da wir sie haben wollen, auftreten, welches alles, wenn wir von der äußerlichen Möglichkeit reden wollen, ganz und gar unmöglich ist« (Critische Beyträge, 24. Stück, 1740, S. 627). Schlegel, Werke, Dritter Theil, hrsg. von Johann Heinrich Schlegeln, Kopenhagen/Leipzig 1764, S. 294

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allgemeine Ortsangabe sogleich spezifiziert: »Der Ort ist zu Schöppstädt; die Schaubühne aber ist Hrn. Zankmanns beste Stube.« 7 Die bevorzugten Spielorte der Schaubühnendramen sind bei historisch-antikisierenden Tragödien: Zeltlager und königlicher Schloßsaal. 8 Bei Lustspielen findet das Geschehen meist in einem Zimmer im Hause einer der Dramenfiguren statt. 9 Diese im Anschluß an das Verzeichnis der dramatis personae aufgeführten Schauplatzangaben in Gottscheds »Deutscher Schaubühne« änderten sich — bedingt durch das Diktum der Ortseinheit — während der Dauer des Stückes nicht; sie stellten als Einheitsdekorationen keine großen Anforderungen an die Bühnentechnik, befriedigten aber mit ihrem eintönigen Bühnenbild auch nicht den Geschmack des Publikums, das auf optisch-visuellem

Gebiet

durchaus auf seine Kosten kommen wollte. 1 0 Die durchgängige Stereotypie der Lokalität - Zimmer, Saal, Garten — dies gilt für alle Repertoirestücke 1 1 - läßt auf einen ganz bestimmten, recht begrenzten Dekorationsfundus der Schauspieltruppen schließen, den die Bühnenschreiber kannten und mit dem sie rechnen konnten. Als bevorzugter O r t der Handlung erweist sich der neutrale Gasthaussaal, w o sich noch am ehesten die immer gerade passenden Zusammentreffen motivieren lassen. 1 2 7

8

9

10

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12

34

Nachspiel »Die Austern«, Deutsche Schaubühne 4, 1743; »Hypochondrist«, Deutsche Schaubühne 6 , 1 7 4 5 ; »Der Bock im Processe«, Deutsche Schaubühne 5 , 1 7 4 4 . Gleichermaßen grenzt Straube, Schlegel-Kontrahent im Verse-Streit, bei seiner Übersetzung von Du Frenys »Spielerinn« ein: »Der Schauplatz ist in Prag, in des Herrn von Großenau Hause« (Deutsche Schaubühne 1, 1746). Schon die Gottschedin nannte in ihrer 1736 anonym erschienenen Satire »Die Pietisterey im Fischbein-Rocke« erst Stadt, dann Stube: »Der Schau-Platz ist in Königsberg, in der Frau Glaubeleichtin Hause« (Hrsg. v. W. Martens, Stuttgart 1968). Zeltlager (Übers. Racine: »Iphigenia«, Deutsche Schaubühne 2, 1746; Pitschels »Darius«, 3, 1746; Gottschedin: »Panthea«, 5, 1744) und königlicher Schloßsaal (Übers. Corneille: »Der Cid«, 1, 1746; Schlegels »Dido«, 5, 1744; »Mahomed der IV«, 5, 1744; Gottscheds »Parisische Bluthochzeit«, 6, 1745 und dessen Trauerspiel »Agis«, 6, 1745). Holbergs »Politischer Kanngießer« (Deutsche Schaubühne 1, 1746), dessen »Jean de France« (2, 1746), St. Evremonds »Opern« (2, 1746), Destouches' »Verschwender« (3, 1746), Schlegels »Geschäfftiger Müßiggänger« (4, 1773). Zumindest in den Nachspielen mußte diesem Verlangen nach Schau-Effekten Rechnung getragen werden (vgl. das Kapitel über die Repertoiregestaltung: II.4). Also nicht nur für die angeführten Schaubühnendramen! Die Stücke, die nicht unter Gottscheds Einfluß entstanden, unterscheiden sich hauptsächlich durch einen mehrfachen und nicht nur zwischenaktlichen Szenenwechsel. Nur einige der im Wirtshaussaal spielenden Stücke seien hier genannt: HenriciPicanders »Weiber-Probe« (Weinstube), Quistorps »Austern« (Weinhaus), Regnards »Spieler«, dessen »Menechmen«, Übersetzung Molière: »Der Sprödenspiegel«, Übersetzung de Brueys: »Die Irthümer« und »Der Stumme«, Congreves

Durchmustert man die Nachrichten und Mitteilungen über den Dekorationsbestand einer Wandertruppe bis etwa zur Mitte des 18. Jahrhunderts, so ergibt

sich

in

der

Tat

eine

Kongruenz

dieser

allgemein

gehaltenen

Schauplatzangaben und dem real vorhandenen Fundus. Ruft man sich die im Kapitel über Spielorte und Schauspielhäuser beschriebene Situation der nomadisierenden Wanderexistenz der Kompanien in Erinnerung, so wird von vornherein das Arsenal an Bühnenbildern — aufgrund der Transportprobleme - nicht allzu groß und prächtig zu veranschlagen sein. 1 3 Unabdingbar war für eine Wandertruppe eine Landschaftsdekoration für Wald, Garten und freie Gegenden, und eine zweifache Zimmerdekoration für >Schloßsaal< und »einfache StubegeladenFeuer, Luder! Feuer !< erschallten. Die Hand verschwand, und die Königinn, von dieser gleichsam elektrischen Anfeurung begeistert, ging von dem Augenblick an in den Charakter ihrer Rolle über« (Brandes 1, S. 158).

34

Vgl. Hammitzsch, S. 4 5 ff. Hagen, Magazin, S. 7 2 : Über die Kochische Schauspieler-Gesellschaft

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terweise, der äußerst wichtigen aufführungspraktischen Bedeutung entsprechend, taucht diese Einrichtung ständig in den szenischen Anweisungen der Bühnenwerke auf. Noch nicht unter dem Terminus »Kulisse«, sondern — gemäß dem Sprachgebrauch der Zeit — unter dem Begriff »Flügel« oder »Szene«. 3 6 Die Bühnenanweisungen können sich nur auf eine einzelne Kulisse beziehen; meist setzen sie jedoch die Vorstellung der Gasse zwischen zwei versetzt hintereinander gestellten Kulissen voraus. 37 Dies ist der Fall beim Sprechen noch vor dem eigentlichen Erscheinen auf der Bühne (»noch in der Scene«). Dem Vorgang des Auftretens aus den Kulissen korreliert das Rufen oder Blicken von der Bühne in die Szene, genauer in die Kulissengasse. Auch für die häufig vorkommenden Versteck- und Lauscherszenen erweisen sich die Kulissengassen als bestens geeignet. Vielfach ist der Abgang der einen Person mit dem Auftritt einer anderen so terminiert und koordiniert, daß die beiden in der Kulissengasse zusammentreffen. Für den Schauplatzwechsel erweist sich diese theatertechnische Gegebenheit gleichfalls als vorteilhaft: Requisiten und Versatzstücke lassen sich mühelos aus den Gassen auf die Bühne befördern — und vice versa. Auch das bei der praktizierten offenen Verwandlung leidige Fortschaffen der Verwundeten und Toten von der Bühne läßt sich so weniger problematisch gestalten: die Darsteller der Blessierten oder Sterbenden lassen sich am rechten oder linken Rand der Bühne zwischen die Kulissengassen fallen. Im Gegensatz zu den erwähnten Abgangsmöglichkeiten durch die Kulissengassen stellten die in den Zwischenräumen zweier Kulissen eingebauten praktikablen Seitentüren (neben dem technischen Mehraufwand) aufgrund der Brechung der Perspektive eine beträchtliche Störung der Illusionswirkung dar. Eingesetzt wurden diese funktionablen Türen nur dann, wenn sie eine besondere Verwendung fanden. In diesen Fällen wurden die praktikablen Türen meist schon bei der ersten Angabe des Schauplatzes gefordert. Diese zu verschiedenen Zimmern führenden Türen spielten für den Fortgang der Handlung eine wesentliche Rolle und werden auch durch das Stück hindurch immer wieder benutzt. 38 Angebracht wurden die praktikablen Seitentüren gewöhnlich in der Gasse zwischen der 2. und 3. Kulisse. Die Türen im Hintergrund der Bühne sind 36

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Beim Begriff »Szene« ist Vorsicht geboten. Einmal ist darunter die Bühne allgemein als Ganzes zu verstehen, zum anderen — und nur darauf kommt es hier an — ganz konkret die einzelne Kulisse bzw. die Gasse zwischen zwei Kulissen. Die jeweilige Bedeutung geht jedoch aus dem Text der szenischen Anweisungen klar hervor. Beispiele für die nachfolgend aufgeführten Möglichkeiten, vgl. DissertationsFassung, S. 8 3 - 8 7 Beispiele vgl. Dissertations-Fassung, S. 88 f.

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Abb. 15: Bürgerliches Theater um 1 7 8 0 . (Praktikable Tür und auf eine Kulisse gemaltes Fenster)

entweder als einfache Einschnitte in den abschließenden Prospekt oder aber als praktikable Einsetztür gefertigt. Aus dem Zusammenhang der Stücke geht hervor, daß im Normalfall die rückwärtige Hinter- oder Mitteltür nach draußen führt, während die Seitentüren die Verbindung zu Nebenräumen, Kammern oder Kabinetten herstellen. 39 Eine komplette Dekoration für ein Bühnenbild konnte etwa umfassen: »Das gelbe Zimmer mit Zwey Prospekten, worinnen 3 Thüren befindl., 8 Stck Coulißen und 4 Stck Souffetten; hierzu gehören: Zwey Einsez Thüren in die Coulißen, Ein Alkoven.« 40 Komplementär zum Kulissen-Spalier wurde auch das Deckengehänge, die Soffitten, behandelt: wie der Bühnenboden war auch die Decke vertikal durchbrochen und gegliedert. Die Soffitten bildeten den Abschluß des Bühnenbildes nach oben. Diese bogenförmigen, der Kulissenbemalung entsprechenden Leinwandstreifen verbinden — von der Decke herabhängend — jeweils eine rechte und eine linke Kulisse. Den rückwärtigen Abschluß der Bühne bildete — als Pendant zum Vordervorhang — der Prospekt, eine perspektivisch bemalte, hochziehbare Leinwand. Alle drei genannten Dekorationsteile: Kulissen, Soffitten und Prospekt waren — und dies ist das entscheidende Kriterium der Bühnenform italieni39

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Die Praktikabilität der Seitentüren illustriert anschaulich eine Rechnung von 1 7 7 6 : »Mieding fertigte [ . . . ] zwei große Doppeltüren zwischen die Collisen und an einer Stellasche Feste gemacht daß sie im Schau Schbiel geschwinde können hin und weg gedahn werdenIst der Herr eines Paar schwarz sammtner Beinkleider mächtig?< Konnte diese Frage bejahet werden: so war mindestens die Fähigkeit entschieden, angenommen werden zu können.« 7 Die praktische Zusammenstellung des Kostümbestands war an den einzelnen Rollenfächern orientiert: dem jeweiligen Inhaber des Rollenfaches — dem Helden, dem Liebhaber, dem Intriganten — stand die entsprechende, im Fundus vorhandene Garderobe zur ausschließlichen Verfügung. Auch Ifflands Kleiderreglement von 1792 teilt nach Rollenfächern zu. Die Intendanz legt die Kleiderordnung fest, und gliedert die Schauspielerinnen in »Königinnen und Fürstinnen, Damen, Zofen, bürgerliche Frauenzimmer, Mädchen, 4

»Das römische wie türkische Kostüm war weit entfernt, historisch richtig zu sein. Eine Toga und ein bunter Schurz für die erstere, ein Turban, ein Pelz und Pluderhose stellten die letztere her. Ob man Grieche, Römer, Türke, Ritter oder arkadischer Schäfer, männlicher oder weiblicher Gattung war, ob man Medea, Psyche oder die Bäuerin Lucinde, den Polyeukt, Mohamed, Jupiter, Artaxerxes, oder den Lustspielliebhaber Leander spielte, gepuderte Frisur, Sammethose, Zwickelstrümpfe und Schnallenschuh, Manschette und Galanteriedegen, Reifrock, Fächer, Schnäbbentaille und Taschentuch waren stehende - Anstandsregeln! Der ärgste Mißbrauch wurde mit der damals modernen Kleidung auf der Bühne getrieben; jeder Schauspieler gab ihr irgend eine ungehörige Zuthat, sie neu und effectvoll zu machen« (Brachvogel 1, S. 7 0 f . ; vgl. auch Klara, S. 15).

5

Löwen, Geschichte des deutschen Theaters, S. 2 1 f. Klara, S. 19, Anm. 8 9 Almanach fürs Theater, 1 8 0 7 , S. 143 f. - Vgl. Theater-Lexikon von 1 8 3 9 : »Kaum 5 0 Jahre sind es her, wo in Deutschland ein schwarzseidenes kurzes Beinkleid das einzig nöthige C.-Stück war, in welchem ohne Unterschied Alles gespielt wurde« (s. v. Costüm).

6 7

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Bäuerinnen, Mütter und Vertraute; die Herren in Liebhaber, Alte, Bediente, in altdeutsche Recken, in Ritter, Ganzharnische usw. und bestimmt die dazugehörigen Kostüme auch für türkische und griechische Rollen«. 8 Dem Rationalisten Gottsched waren die erwähnten üblichen Modifizierungen der Zeittracht nicht ausreichend. Seinem obersten Prinzip der Wahrscheinlichkeit gemäß, erwartete er bei einer historischen Dramenfigur ein die8

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Freund, S. 2 0 1 f.

Abb. 20: Kostüme der Mannheimer Bühne von 1795 und 1796

ser Epoche entsprechendes Kostüm. Anachronismen und Zeitverstöße wollte er — wiederum mit Wahrscheinlichkeitsprinzip und Nachahmungsregeln argumentierend — vor allem in geschichtlichen Dramen, von der Bühne verbannt wissen. 9 9

In der »Critischen Dichtkunst« geht er im Anschluß an die Ausführungen zur Auszierung des Schauplatzes auch auf das Garderobewesen ein. Gottsched übt scharfe Kritik an der üblichen Kostümpraxis: »Eben das ist von den Kleidungen zu sagen. Hier sollen von rechtswegen die Personen nach Beschaffenheit der Stücke, bald in römischer, bald in griechischer, bald in persianischer, bald in spanischer, bald in altdeutscher Tracht auf der Schaubühne erscheinen; und dieselbe so natürlich nachahmen, als es möglich ist. Je näher man es darinn der Vollkommenheit bringet, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, und destomehr wird das Auge der Zuschauer vergnüget. Daher ist es lächerlich, wenn einfältige Comödianten die römischen Bürger in Soldatenkleidern mit Degen an der Seite vorstellen: da sie doch lange weite Kleider von weißer Farbe trugen. Noch seltsamer aber ist es, wenn man z. E. alten griechischen oder römischen Helden im Lager, gar Staatsperrücken und

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Unterstützt wurde diese Forderung einer historisch adäquaten Gewandung anstelle der höfisch-französischen Rokoko-Kostümierung vom Gottsched-Adepten Mylius. Mit scharfer Ironie beschwört er den Geist Catos: »Cato, der ernsthafte Cato, würde sich selbst des Lachens unmöglich enthalten können, wenn er sich einmal auf einer der berühmtesten Schaubühnen erblicken und nicht viel vernünftiger vorgestellet sehen sollte, als das Bild ist, welches uns Horaz im Anfange seiner Dichtkunst gemalet hat. Er würde es kaum auf die höchsten Betheurungen kennen, daß er selbst unter einer solchen Person verborgen wäre. Was würde er wohl bey Erblickung der seltsamen dreyeckigten und hoch befiederten Köpfe denken? des abscheulichen bestaubten Haarbusches; der gefalteten Zierrathen und gleißenden Bedeckungen der Hände; des steifen und weiten Schurzes; der weißen Strümpfe und künstlichen Schuhe, und endlich des zu Rom damals nie gesehenen Pariser Schwerdtchens denken? Würde er nicht die itzigen Zeiten einer großen Unwissenheit in den römischen Alterthümern beschuldigen? Würde er es nicht für höchstungereimt halten, ihn in dieser Gestalt zum Muster der Nachahmung vorzustellen; da der Schauspieler niemanden weniger, als ihn vorstellet? Gewiß, er würde die hartnäckigten Liebhaber und Verfechter solcher vermischten Vorstellungen am besten überzeugen, daß sich ein mit Golde verbrämter Hut, eine Zipfelperücke, ein Paar Handblätter und glatte Handschue, ein Paar weiße seidene Strümpfe und ein parisischer Modedegen zwar für einen deutschen Stutzer, aber nicht für einen römischen Cato schicken.« 10

dreyeckigte Hüte mit Federn aufsetzet, und weiße Handschuh anzieht; eine americanische Prinzeßinn mit einem Fischbeinrocke, und eine flüchtende Zaire im Oriente mit einer drey Ellen langen Schleppe; ja endlich einen alten deutschen Herrmann, Segesth u.a.m. wie ihre Todtfeinde die Römer, aber doch mit Perücken, weißen Handschuhen und kleinen Galanteriedegen aufführet, u. d.gl. Hier muß ein verständiger Aufseher der Schaubühne sich in den Alterthümern umgesehen haben; und die Trachten aller Nationen, die er aufzuführen willens ist, in Bildern ausstudiren« (Gottsched, Critische Dichtkunst, 3 1 7 4 2 , 2. Theil, X . Cap., S. 726 f.). 10

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Auch die übliche Kostümierung der Portia entspricht keineswegs dem für dieses historische Stück erforderlichen römischen Gewand: »Für was für ein Thier würde man wohl zu Rom die straßenbreite Portia mit ihrer steifen Hülle, und ihrem papageyfärbigen Kopfzeuge angesehen haben, wenn sie sich in der Tracht, welche ihr die unachtsamen Schauspieler anlegen, daselbst hätte wollen sehen lassen?« (Von der Wahrscheinlichkeit, S. 313 f.). Im Aufsatz über die Schauspielkunst als eine freie Kunst relativiert Mylius die Forderung Gottscheds nach absoluter historischer Treue: »Wenn man Römer in ihrer ordentlichen alten römischen Tracht auf das Theater bringen wollte, so müßte man sie in bloßen Köpfen und mit nackenden Aermen auftreten lassen. Die Peruaner in der Alzire des Herrn von Voltäre müßten beynahe ganz nackend gehen, wenn man die Wahrscheinlichkeit aufs höchste treiben wollte, und ihre Tracht müßte eine Tracht wilder Menschen seyn, welche in einem Trauerspiele gar einen abgeschmackten Anblick verursachen und die Zuschauer unmöglich in den Affect kommen lassen würde, welchen ihre Reden und Handlungen an sich hervorbringen. In diesen und dergleichen Fällen muß eine geschickte Veränderung der Trachten geschehen: sie muß aber so beschaffen seyn, daß sie der Wahrscheinlichkeit, so viel möglich, keinen Abbruch thut« (Beyträge zur Historie und Aufnahme des Theaters, 1. St., 1750, S. 8 f.).

Selbst Schlegel, der in seinen Abhandlungen zur Nachahmungstheorie falsch verstandenen Realismus und kruden Naturalismus ablehnt, setzt sich in seinem »Demokrit, ein Todtengespräch« kritisch mit den Anachronismen und Kostümwidrigkeiten in Regnards »Démocrite« auseinander. 11 1767 beklagt und kritisiert Helfrich Peter Sturz in seinem »Brief über das deutsche Theater an die Freunde und Beschützer desselben in Hamburg« die anachronistische Kostümpraxis vor allem in den häufig auf dem Repertoire stehenden historischen Stücken. 12 Aller eloquenten Attacken ungeachtet - die in ihrer detaillierten Anschaulichkeit die informativsten Exempel für die Kostümierungspraxis darstellen hielten sich Kleiderkonvention und Normentracht mit zäher Beharrlichkeit. Die Gottschedianer, nicht gerade als progressiv bekannt, waren auf diesem Gebiet ihrer Zeit voraus. Weder Prinzipale noch Schauspieler waren gewillt, auf diese Forderung nach stilechter Gewandung, die vom Gros des Publikums gar nicht erwartet wurde, einzugehen. Den Vorschlägen Gottscheds zu einer Reform des Kostüms sperrte sich etwa die Neuberin hartnäckig: »Ihre Helden und Heldinnen der Vorzeit erschie11

Johann Elias Schlegels Werke. Hrsg. von J. H. Schlegel. 3. Theil. 1764. Mit dem Schauspieler-Dramatiker Johann Christian Krüger meldet sich eine Gegenstimme zu Wort. Der Bühnenpraktiker lehnt eine allzu getreue Historisierung des Kostüms als untheatralisches Kriterium ab: »Wie werde ich aber den Einwurf beantworten, daß das buntfleckigte Kleid des Arlequins keine Mode im gemeinen Leben ist? Ich will die Antwort so lange aussetzen, bis man mir beweisen wird, daß es eine wesentliche Nothwendigkeit sey, daß der Diener auf der Bühne ein deutsches Kleid mit Schnüren und Achselbändern anhaben müsse, wenn ich seinen Witz einsehen, und seine Satyre fühlen soll, und daß ein Römischer Brutus in eben einen solchen Aufputze auf die Bühne treten müsse, womit er zu seiner Zeit auf das Capitolium gegangen ist. Wie in allen Künsten, welche die Nachahmung der Natur zum Gegenstande haben, allzuviel Aehnlichkeit die Schönheiten oft verdirbt, und ein wenig Abweichung von der Natur dieselbe zuweilen besser in die Sinnen drückt, so ist es auch der Schauspielkunst erlaubt, wenn sie ihren Zweck durch den Arlequin erhalten kann, ihn sich zu Nutze zu machen« (1. Vorrede, Lustspiele Marivaux, 1747).

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»In Ansehung der Kleidung bin ich nicht so leicht zu befriedigen, Ihnen, meine Herren, ist vielleicht die Ehre vorbehalten, die gesunde Vernunft gegen das ganze Europa zu schützen, die man hierin auf das äußerste mißhandelt. Römische und griechische Helden geschminkt, mit Peruken, und mit dem unbegreiflich lächerlichen Reifrock, sind viel ärger travestirt, als die Helden des Virgils im Style des Scarrons. Der einzige noch übrige Horaz kömmt aus dem blutigsten Zweykampf, mit gekräußelten und gepuderten Haaren, noch zierlicher als vom Balle zurück. Cornelia will die Asche des Pompejus durch das ganze Kriegsheer von Glied zu Glied in einer Hofrobe tragen: Ein Unsinn, dessen Dauer man nur durch die Macht der langen Gewohnheit über die Menschen zu erklären fähig ist. Und wenn noch die Kleidung der Alten unangenehm wäre, wenn ihr das Prächtige mangelte, welches man auf dem Theater begehrt! Aber sie ist in ihrer Einfalt weit schöner, als unsere beladene Modegestalten« (Schriften von Helfrich Peter Sturz. Zweite Samlung, Leipzig 1782, S. 179).

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nen, jene in Allongeperiiken und gesteiften französischen Kleidern, diese in Reifröcken und Fontangen, wie es die M o d e heischte. Sie selbst spielte die Z a i r e nachher jedesmal im Reifrock. Ihr K a t o , was auch Gottsched erinnerte, trug seine Periike und Zwickelstrümpfe so gut, wie ihr König im Schlaraffenl a n d e . « 1 3 Gottscheds Vorschlag, einen Versuch mit einer historisch getreuen Inszenierung zu machen, wurde von der Prinzipalin z w a r aufgegriffen, allerdings nur, u m ihren ehemaligen Protektor, der nun den Konkurrenten Schönemann favorisierte, v o r dem Leipziger Publikum zu desavouieren: Die Neubers kündigten als Nachspiel zu der erwähnten Burleske » D a s Schlaraffenland« den III. Akt des Gottschedschen » C a t o « in historischem G e w a n d an: »Alle Schauspieler waren nicht nur völlig antik gekleidet (sogar bis auf die Füße, die sie mit

fleischfarbener

Leinewand überzogen hatten, um das N a k -

kende auszudrücken) sondern sie affektirten auch etwas Antikes in T o n und Pantomine. So entstand dann eine vollkommene Farce, bey der m a n ungewiß w a r , ob m a n m e h r über Gottsched oder über die Neuberinn lachen sollte.« 1 4 13

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Schütze, S. 2 1 9 . - Über die Garderoben- und Dekorationsverhältnisse bei der Akkermann/Schröderschen Gesellschaft vgl. Eichhorn, Ackermann, S. 1 8 1 - 1 9 1 . Schmids Chronologie, S. 61. - Uber den Verlauf dieser polemisch-satirischen Travestie informiert ein Brief von Johann Peter Uz an Gleim vom 17. Februar 1744: »Ich hab in Leipzig die Neiiberischen vielmals spielen sehen, deren Bande in vielen Theilen dieser Kunst vortreflich ist; in einigen Stücken aber eine Verbesserung bedürfte. Es wurde die Neüberin demnach in dem, vergangene Ostermesse herausgekommenen Theile der Beyträge getadelt, und insonderheit daß sie die Wahrscheinlichkeit in der action, Kleidung ρ nebst den Ihrigen, vielmals beleidige, nahmentlich durch ihre Pariser Kleidermoden, weisse Handschuhe, große Staatsperücken und Federbüsche ρ Etwan vierzehn Tage drauf, nachdem das Hauptspiel aus war, kam gewöhnlicher massen ein Comödiant auf die Bühne, um das Stücke, welches den folgenden Tag sollte aufgeführt werden, anzukünden; und dieser that es folgendermassen: Morgen sollte ein Stück aufgeführt werden, das nach den schärfsten Regeln der Wahrscheinlichkeit, so wie sie von den größten Kunstrichtern unsrer Zeit établiert worden, eingerichtet wäre, und das sollte aus den Cato genommen werden. Ein erschröcklich Gelächter, welches von allen Seiten entstund, hinderte ihn, weiter zu reden. Den folgenden Tag war der Schauplatz gedrängt voll; und da wurd erstlich das Vorspiel aufgeführt, dessen in der Satyre dieses Namens gedacht wird, aber eben nichts enthält, was nicht alle Tadler sowohl angienge als Gottscheden. Darauf wurde der dritte actus des Cato vorgestellt: alle Personen hatten ihres Landes Kleidungen; die Römer und Römerinnen erschienen in bloßen Füßen: welches alles nicht lächerlich war oder schien, als weil man dessen nicht gewohnt ist. Der größte Kunstgriff aber, den sie gebrauchten, Gottschedens Tragödie lächerlich zu machen, war diese: sie sagten alle Verse mit einem falschen und burlesquemäßigen Tone, als wann die Helden lauter Harlekine wären: sie merkten aber nicht, daß alles Lächerliche, welches hiedurch in das Stück kam, nicht Gottscheden, sondern ihnen zukam. Daher auch diese Satyre bey wenigen Beyfall erhielt, und es wenig fehlte, daß an statt Gottschedens, nicht sie selber ausgeklatscht worden wären« (abgedruckt in Daunicht, Neuberin, S. 87).

Dieser Versuch wurde vom Publikum, das durchaus an der zeitüblichen Kostümierung festhalten wollte, mit Hohngelächter quittiert. Prinzipal Heinrich Gottfried Koch war der erste Theaterunternehmer seiner Epoche, der sich ernsthaft um eine charakteristische, Zeit und Geist des Stückes wiedergebende Kostümierung bemühte. Bereits bei der Eröffnungsvorstellung des Leipziger Schauspielhauses auf der Ranstädter Bastei (1766) hatte Koch mit Schlegels »Herrmann« eine Annäherung an ein zeitgerechtes Gewand unternommen; er hatte »lauter neue Kleider im genauesten Kostüme [ . . . ] machen lassen«. 1 S 1774 lautete seine Ankündigung des »Götz von Berlichingen«: »Auch hat man sich, dem geehrtesten Publico gefällig zu machen, alle erforderliche Kosten auf die nöthigen Decorationen und neuen Kleider gewandt, die in den damaligen Zeiten üblich waren.« 16 Dieses Raub- und Ritterspektakulum konnte in der Tat nicht mehr im höfisch-französischen Staatsgewand gegeben werden; diese Fehden ließen sich nicht mehr mit dem Galanteriedegen austragen. Entscheidenden Anteil am durchschlagenden, aufsehenerregenden Erfolg dieser Inszenierung hatte der Kupferstecher Johann Wilhelm Meil, der die Figurinen entworfen hatte und nach dessen Angaben Kostüme und Dekorationen gefertigt wurden. 17 1775 trat Madame Charlotte Brandes im Melodram »Ariadne auf Naxos« in antikem Gewand auf: »Die Kleidung der >Ariadne< war von weißem, der Mantel von rotem Atlas, vollkommen im altgriechischen Geschmack und nach Winkelmann und andern alten Kunstwerken verfertigt, sowie der Kopfputz gleichfalls von einer alten Gemme der Ariadne genommen war.« 18 Der außerordentliche Beifall für diese neuartige Vorstellung galt Künstlerin und Kostüm. Von Mannheim ist Gegenteiliges zu berichten. Dalberg, ein Verfechter des historischen Kostüms, ließ Brandes' Schauspiel »Die Mediceer« im »strengsten Costume« geben, »bewirkte aber, wider Erwarten, wenig Sensation beym Publikum«. 1 ' 15 16 17

18 19

Schmids Chronologie, S. 156 Brachvogel 1, S. 248 f. Der zu dieser Zeit bühnenmüde und des Theaters überdrüssige Lessing schreibt aus Wolfenbüttel an seinen Bruder Karl: »Daß Götz von Berlichingen großen Beyfall in Berlin gefunden, ist, fürchte ich, weder zur Ehre des Verfassers, noch zur Ehre Berlins. Meil hat ohne Zweifel den größten Theil daran. Denn eine Stadt, die kahlen Tönen nachläuft, kann auch hübschen Kleidern nachlaufen« (Brief vom 30. April 1774, L/M 18, S. 109). Ähnlich der Tenor in Nicolais Bericht an den Freiherrn von Gebler nach Wien vom 8. Oktober 1774: »Götz von Berlichingen ist allerdings in Berlin mit großem Zulaufe aufgeführt worden, vielleicht hatten die Kleider und Harnische, ganz neu und im vollkommenen Costüme gemacht, an diesem Beyfalle eben so viel Antheil, als etwas anders« (F. Winter: Die erste Aufführung des »Götz von Berlichingen« in Hamburg. Hamburg/Leipzig 1891, S. 17. Theatergeschichtliche Forschungen, 2.) Hodermann, Gotha, S. 8 »Endlich kam er auf den Gedanken, ob nicht vielleicht eben diese zu strenge Beobachtung des Costume dem Stücke nachtheilig seyn könnte, und das Interesse des59

Zu einer Auseinandersetzung zwischen Dalberg und dem Schauspielerausschuß des Mannheimer Nationaltheaters kam es anläßlich einer Aufführung der Schillerschen »Räuber«. Die Ausschußmitglieder schrieben an den Intendanten: »Ferner halten wir uns für verpflichtet, Ew. Excellenz zu benachrichtigen, daß in Betracht der Räuber die allgemeine Stimme wider das altdeutsche Kostüm sich erklärt hat.« Dalberg, der Schillers Gegenwartsdrama für die Mannheimer Inszenierung in die Zeit des ausgehenden 15. Jahrhunderts verlegt hatte, bestimmt: »Mag die allgemeine Stimme sagen, was sie immer will: Urtheil des Publikums über Stücke kann nur alsdann Eindruck machen, wenn die Stücke erst vorgestellt sind. Hier ist es schiefes Vorurtheil einiger mit Schauspielwirkung wenig vertrauter Köpfe. Die Räuber können nach allen Begriffen vom Theater-Effekt nicht anders als mit idealistischem Anstrich und älteren Kostümen gegeben werden.«20 Diese widersprüchlichen und konträren Reaktionen bei Publikum, Prinzipalen und Schauspielern sind bezeichnend für das Schwanken zwischen der üblichen Kostümierung im Gesellschaftskleid der Zeit und dem Bemühen um eine historisch korrekte, aber ungewohnte und deshalb Befremden hervorrufende Gewandung. Die weitere Entwicklung verlief von Iffland über den Grafen Brühl (beide Nationaltheater Berlin), der das Kostüm verselbständigte, bis hin zur absoluten wissenschaftlich-historischen Kostümtreue der Meininger. Eine andere Forderung wurde immer wieder erhoben: das Kostüm müsse (1) dem Charakter der Rolle, (2) dem Stand und (3) der Situation gemäß sein. (1) Ekhof brachte in seinen Akademiesitzungen neben Organisation und Verwahrung

des

Garderobenfundus

auch

den

aufführungspraktischen

Aspekt zur Sprache. Dem theoretischen Lehrmeister Francesco Riccoboni folgend, wird als erste Regel festgehalten, daß sich jeder Akteur gemäß dem Charakter seines Rollenfaches zu kleiden habe. 2 1 Dieser Gedanke: »Jeder ist

20 21

60

selben, durch die altwelsche Kleidung, welche in der That die Figuren der Schauspieler einigermaßen verunstaltete, geschwächt würde. Um sich nun deshalb außer Zweifel zu setzen, ließ er die zweyte Vorstellung dieses Schauspiels in modernen Kleidern geben, und nun erhielt solche den lautesten Beyfall! Aehnliche Erfahrungen hab' ich selbst, bey Gelegenheit der Aufführung des Trauerspiels, Essex und der Hochzeit des Figaro gemacht. Wegen Mangel an anständiger altbrittischer und spanischer Kleidung mußten beyde Schauspiele in modernen Kleidern gegeben werden. Kenner nannten dieß Verfahren anfänglich zwar unschicklich, widersinnig — mußten aber in der Folge, als sie eben diese Stücke in dem genausten Costume vorstellen sahen, gestehn, daß solche in moderner Kleidung vortheilhafter wirkten, und den Zuschauer zu einer weit lebhaftem Theilnahme reizten« (Vorbericht Brandes, Dramatische Schriften, Bd. 5, S. IX, Xf.). Martersteig, S. 45, 46 »Die Sitzung vom 3. November ist den 24. dieses Monaths in Schwerin gehalten, in derselben mit Wiederholung der Kleider auf das Theater fortgefahren und wegen der Alten, Liebhaber und Frauenzimer, daß ein jedes nach seinem Carakter sich kleiden müsse, geredet, zugleich auch des Herrn Riccoboni Gedanken wegen dieser Kleidung vorgelesen worden« (Kindermann, Ekhofs Schauspieler-Akademie, S. 29).

verbunden, sich zu seiner Rolle dem Charakter gemäß [ . . . ] zu kleiden« , wird sowohl in Schröders Theatergesetzen von 179 8 2 2 als auch im EngagementsKontrakt der Großmannschen Truppe aufgegriffen. 23 (2) Dieses mehr allgemeine Postulat einer dem Rollencharakter entsprechenden Kostümierung wird in der Forderung nach Beachtung des sozialen Status präzisiert: Berücksichtigung des Standes und klassenmäßige Differenzierung der Kleidung24 war besonders bei den weiblichen Darstellern nicht immer gewährleistet; oft erschien die Zofe geputzter als die Herrin, die Bäuerin koketter und modischer als die Dame aus der Stadt. So übertrug Intendant Dalberg dem Ausschuß, der Schauspielerin Mad. Nicola zu bedeuten, »daß sie als Kammermädchen sich mehr diesem Charakter angemessen kleiden soll«. 25 Diese Verwischung der sozial-ständischen Differenzierung wurde durch einen — ebenfalls aus Frankreich übernommenen — Brauch noch gefördert: die Selbstausstaffierung der Schauspieler, die an den meisten Theatern zumindest die moderne Tracht stellen mußten. Allgemein üblich war, daß der Darsteller für Aufputz und Accessoires selbst zu sorgen hatte. 26 Beschränkte sich die Selbstausstaffierung nicht nur auf die Accessoires, sondern umfaßte die Kleidung selbst, war einer willkürlichen Putzsucht Tür und Tor geöffnet; ein die Kostüme aufeinander abstimmender Regisseur kann für den zur Debatte stehenden Zeitraum nicht vorausgesetzt werden. 27 22 23

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25 26

27

Meyer 2, Anhang, S. 235 Schulz, Schauspielerengagement, S. 98, Punkt 2. - Auch Reichards Theater-Kalender auf das Jahr 1775 hatte Wert auf die Kunst, »dem Charakter seiner Rolle gemäß, auf dem Theater zu erscheinen«, gelegt: »Der Schauspieler der die Scene betritt, kann fast keinen größern Beweiß geben, daß er seine Rolle versteht, als wenn sein Aeusserliches damit übereinstimmt« (S. 88). Eine ständische Kleiderordnung von 1680 etwa besagt: »im 1. Stand Doctores, Pröbste, Bürgermeister, vornehme Krämer, Gerichts-Advokaten, Ratspersonen, Stadtschreiber, Richter, Schöffen >und die von den alten GeschlechternSchuh, Handschuh, Hosen, Strümpfe, Schnallen, Fächer, Kopfputz fürs Frauenzimmer, Stock, Degen etc. etc. gibt die Direction, wie gewöhnlich, nichtGalleristen< die Frage gefallen lassen: » W a t schall de K r a m ? « 1 1 Eloesser stellt noch für das 19. Jahrhundert geradezu als Regel auf: »der erfahrene Burgschauspieler pflegt nach der Galerie zu horchen, während er sich gegen die bekannten Insassen der Logen verbeugt.« 1 2 Fr. L. Schröder w a r erklärter Liebling der Galerie. Sein Biograph Meyer erinnert sich: »Es ist mir immer merkwürdig gewesen, daß der Schauspieler, welcher an Feinheit und anständiger Zurückhaltung keinem wich, der Gallerie entschiedenster Günstling w a r und blieb. Dieses Publikum ließ sich, weder durch Sophisterei, noch durch Verläumdung, von ihm abspenstig machen. Es nannte ihn, vorzugsweise, seinen Schröder. Es nahm keinen Anstoß, eben so herzlich über ihn zu weinen als zu lachen.« 1 3

10

11 12 13

82

Wiedergegeben bei H. Devrient, Schönemann, S. 334. - So bezeichnet Schütze Harlekinaden als »Gallerienachstücke« (S. 274). In Schuchs Burlesken »ließ sich Hanswurst beständig sehen und erwarb sich das allgemeine Gelächter der Gallerie« (Brachvogel 1, S. 168). Rezensent Bertram kritisiert: »es ist anjetzt hier der allgemeine Modegeschmack, was sonst Galleriegeschmack hieß« (Ueber die Kochische Schauspielergesellschaft, S. 12; vgl. S. 34). Wie die anderen Theaterunternehmer der Zeit Schloß auch Prinzipal Schönemann Kompromisse mit seinem Publikum: »wenn er dem höheren Geschmack durch eine Aufführung von de la Mottes Standhaftigkeit der Maccabäer (in Versen) das Opfer gebracht, erfreute er die Gallerie mit dem lustigen Nachspiel Arlequin philosophe« (Litzmann, Schröder 1, S. 17). Der junge Iffland ereiferte sich über ein albernes Ballett »Der Kapellmeister« im Anschluß an das Trauerspiel »Rodogune«: »Ich konnte nicht darüber lachen. Es kam einer in einem schwarzen Rocke mit Noten besetzt. Die Gallerie lachte und klatschte Zufriedenheit. Was mögen Antiochus denken und Kleopatra? — Warum schmettern sie nicht diese ungeweihten Lacher mit einer ihrer Königsreden zu Boden? So fühlte ich, und sah gar nicht mehr hin nach den Taubenkrämern im Tempel« (Iffland, Theatralische Laufbahn, S. 11). Ein Rezensent verteidigt das exaltierte Spiel eines Schauspielers mit den Worten: »Was kan er dafür, wenn fast immer das ganze Haus Gallerie ist?« (Ephemeriden 1786, S. 37). Fr. L. Schmidt, Denkwürdigkeiten, S. 231 Schauspieler-Memoiren, S. 17 f. Meyer 1, S. 339. - Als der Rekonvaleszent Schröder nach längerer Krankheit wieder auftrat, »flogen von der Gallerie ins Parterre herab mit beglückwünschenden Reimzeilen bedruckte Quartblätter« (Schütze, S. 602). Auch Maßregelungen Schröders wurden von den Galeriebesuchern verstanden und akzeptiert. »Bei einer

Diese — in groben Zügen dargestellte — Heterogenität der Zuschauermenge läßt die Schwierigkeiten ahnen, mit denen die Theaterunternehmer als Programmgestalter konfrontiert waren. 14 Eine üble Sitte hatte man vom Nachbarland Frankreich, das in Theaterfragen im 18. Jahrhundert als Autorität galt, übernommen: Zuschauern — meist vornehmen und sich gönnerhaft gebenden — wurden Plätze auf der Bühne eingeräumt. 15 Noch deutsche Theaterdirektoren des ausgehenden 18. Jahrhunderts gewährten einigen Auserwählten dieses Vorrecht. So sah sich Fr. L. Schröder genötigt, nach einer Vorstellung der »Minna von Barnhelm« einen Fürsten zu ersuchen, »daß er sich von der Bühne entfernen möge, damit das Ballett anfangen könne.« 16 Die Platzkapazität der Theatergebäude war sehr unterschiedlich. Sie schwankte zwischen etwa 700—3200 Personen. Im Frankfurter Stadtarchiv befinden sich Entwürfe für ein von Theaterprinzipal Joseph Felix von Kurz geplantes dreistöckiges Theatergebäude, das für annähernd 1000 Personen Platz geboten hätte. Dies Vorhaben wurde nicht genehmigt, und Kurz mußte die übliche Bretterhütte auf dem Roßmarkt erstellen, die er allerdings sehr geräumig anlegte. 17 Ackermanns Königsberger

Vorstellung der Minna, rief eine Stimme von der Gallerie dem Just, der sich ein Glas Danziger einnöthigen läßt, Prost! zu; und Schröder wandte bei den Worten: »Er ist doch ein Grobian!« die Augen flüchtig nach der Gegend, woher die Stimme kam. Keiner seiner Winke ward schneller aufgefaßt und allgemeiner beklatscht« (Meyer 1, S. 206). Schröders Weggang nach Wien kommentierte ein Galeriezuschauer: »He speelt wahrhaftig good! aberst nu geiht he weg, de undankboare Kerl! Wie hefft em billd't« (Litzmann, Schröder 2, S. 313). Der Theaterdirektor zeigte sich seinen treuen Anhängern erkenntlich: 1796 sah er sich genötigt, die Eintrittspreise für Logen und Parterre zu erhöhen — das Einlegegeld der Galerie ließ er unverändert (Meyer 2 , S. 137). 14 15

16

17

Vgl. dazu die Kapitel über Publikum und Repertoire (II. 3, 4). In Frankreich selbst kritisiert Diderot diesen illusionsstörenden Brauch, der dem von ihm propagierten natürlichen und lebenswahren Spielstil Abbruch tun mußte: »solange Zuschauer auf der Bühne stören und solange unsere Dekoration unwahr ist, muß unser Bühnenspiel schlecht sein«, schreibt er an Madame Riccoboni, die es als gegeben hinnahm, daß die Pariser Bühnen nur im Hintergrund dekoriert werden konnten, da die Seiten von Zaungästen besetzt waren (Ästhetische Schriften, 1. Band, S. 337). Meyer 1, S. 189. — Eine Ausnahmesituation stellte der ungeheure Publikumsandrang bei Schröders Inszenierung des »Hamlet« dar. »Man ließ ein, was das Haus fassen wollte, doch musten viele Zuschauer wieder weggehen. Auf dem Theater, nicht blos zwischen, sondern vor den Koulissen, standen in festgedrängten Reihen mehr als 100 Zuschauer, bis vornhin auf den Bühnenmittelgrund« (Schütze, S. 5 2 9 f.). Mohr, Frankfurter Theaterleben, S. 57 f.

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Abb. 25: Grundriß der Kurzschen Theaterhütte (1766)

5. Abb. 26: Theatergrundrisse 1. Opéra comique Paris, Mitte 17. Jahr6. hundert 7. 2. Molière-Theater im Palais Royal, 1660 8. 3. Theater in Lyon, 1754 9. 10. 4. Theater in Bordeaux, 1773/80

84

Teatro alla Scala in Mailand, 1778 Hoftheater Hannover, 1690 Hofoper Dresden, 1748/50 Hoftheater Stuttgart, 1750/60 Residenztheater München, 1751/53 Hofburgtheater Wien, 1741/56

Abb. 26: Theatergrundrisse

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Schauspielhaus faßte auf den sechs Reihen Sitzen im Parterre etwa 3 0 0 Personen; das Gebäude bot insgesamt Platz für 7 0 0 - 8 0 0 Menschen. 18 Anders erwartungsgemäß das Fassungsvermögen der höfischen Theatergebäude: Im alten Dresdner Opernhaus von 1 7 1 8 / 1 9 fanden 1 8 0 0 - 2 0 0 0 Menschen Platz. 19 Das Stuttgarter »Lusthaus«, zur Hofoper umgebaut, wies respektable 1200 Sitzplätze und 2 0 0 0 Stehplätze auf. 20 Ein abschließender Blick auf die Grundrisse der Schauspielhäuser zeigt hinsichtlich des Verhältnisses von Bühne und Zuschauerraum, daß rein räumlich das Schwergewicht auf die Bühne gelegt wurde. Die Bühnenfläche des Hannoverischen Opernhauses etwa nimmt von der Rampe bis zum rückwärtigen Abschluß der Hinterbühne zwei Drittel, die das Parterre im Halbrund umschließenden Logenreihen nehmen ein Drittel der Gesamtlänge ein. 2 1 Eine Relation, die typisch ist für die Überbewertung der Bühnenmaschinerie im Spätbarock, die bei den bürgerlichen Schauspielhäusern aber ausgeglichen wurde.

Einer sehr tiefen Kulissenbühne lag ein mehrgeschossiger Zuschauerraum gegenüber; die architektonische Problematik einer für alle Plätze befriedigenden Optik und Akustik liegt auf der Hand. Noch im 20. Jahrhundert kritisierte der Direktor des Bauhauses, Walter Gropius, bei der Tiefenbühne, daß sie den Zuschauer nicht aktiv einbeziehen könne. Sein auf Anregung Piscators entworfenes Totaltheater, eine von amphitheatralisch ansteigenden Zuschauerreihen umgebene Rundarena, kam indes nicht zur Ausführung.22 Seit Piscator und Max Reinhardt rissen die Versuche nicht ab, die Rampe zu überspringen, den Zuschauerraum einzubeziehen, zu aktivieren, die strikte Trennung zwischen den Welten des Seins und des Scheins aufzuheben - bislang jedoch ohne bleibenden Erfolg.

18

19 20 21 22

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Hagen, Preußen, S. 2 7 6 ; Eichhorn, Ackermann, S. 28. - Das bereits im ersten Kapitel über die Schauspielhäuser erwähnte, sehr kleine Schuch-Theater in der Berliner Behrenstraße faßte im ganzen etwa 800 Personen. Im Königlichen Berliner Opernhaus dagegen konnten in den Logen 1350 Personen bequem sitzen und im Parterre 1650 Personen bequem stehen (Brachvogel 1, S. 188; Plümicke, S. 120). Das Komödienhaus der Residenzstadt faßte etwa 1 0 0 0 Zuschauer, von denen sich 3 0 0 auf das Parterre und 7 0 0 auf die geräumigen Logen verteilen konnten (Plümicke, S. 120). Eichhorn weist darauf hin, daß »die Kapazität der Ränge, vor allem der Gallerie, in den meisten Theatern des 18. Jahrhunderts zusammengerechnet wesentlich größer war als die des Parterre« (Ackermann, S. 287). Fürstenau 2, S. 130 f. Kindermann, Theatergeschichte Europas, Bd. IV, S. 586. Penther, Tab. LXXVIII. Kindermann, Bühnenbild 1928 in: »Bühnenformen«, S. 190ff. — Vgl. Erwin Piscator: Das Politische Theater. Neubearbeitet von F. Gasbarra. Reinbek bei Hamburg 1979, S. 1 2 3 - 1 2 8 .

II. Theaterwesen

Dieser Abschnitt über das Theaterwesen im 18. Jahrhundert soll zunächst Auskunft geben über interne Struktur und Organisation der Schauspielerkompanien zur Zeit des Wanderdaseins und der ersten Konsolidierung fester Ensembles in stehenden Schauspielhäusern. Weiter soll sowohl das Verhältnis der Akteure zur Gesellschaft als auch die Einstellung der Öffentlichkeit zu den Wanderkomödianten dargestellt und, damit zusammenhängend, die materielle Lage der Schauspieler beleuchtet werden. Ein 3. Kapitel nimmt Stellung zur Frage nach dem Zuschauerkreis. Wer besuchte das Theater? Aus welchen Gesellschaftsschichten setzte sich das Publikum zusammen? Welchen Bildungsstand konnte man voraussetzen? Was wurde vom Theater erwartet — Belehrung, Erbauung und Ergötzung, Unterhaltung? War es moralische Anstalt oder Vergnügungsinstitution? Diese Fragen leiten über zur Untersuchung der aufgeführten Stücke im 4. Kapitel. Wer zeichnete für das Repertoire verantwortlich? Welche Aspekte wirkten bei der Spielplangestaltung mit? Welche Stücke fanden Aufnahme, welche hatten Erfolg? Ausgewogenheit oder Einseitigkeit des Repertoires? Welche Gesichtspunkte leiteten die Auswahl — künstlerische oder kassenfüllende Intentionen? Was ergeben die Spielplanlisten der einzelnen Truppen zu diesen Fragen? Abschließend, im 5. Kapitel, soll noch — ausgehend von den Theaterzetteln der Zeit — ein Wort über Spielzeiten und Spielverbote sowie über die Festsetzung der Eintrittspreise gesagt werden. Während in Abschnitt I die äußeren, räumlichen und bühnentechnischen Gegebenheiten beschrieben wurden, ist Abschnitt II dem konkreten Bühnenalltag gewidmet — so wie er sich demjenigen darstellte, der im 18. Jahrhundert den Beruf des Komödianten ergriff. Bevor auf interne Zusammensetzung und Organisation der Truppen eingegangen wird, soll eine Genealogie und Filiation der wichtigsten Schauspielergesellschaften des 18. Jahrhunderts ihre wechselseitige Verflechtung, Abhängigkeit und Weiterentwicklung skizzieren. 87

GENEALOGIE DER SCHAUSPIELERGESELLSCHAFTEN im 18. Jahrhundert

Berlin ^

Hamburg

Mannheim

Nationaltheater

Nationaltheater

[Engel, Ramler]

- - Iffland ab 1779 (Intendant Dalberg) Fr. L. Schröder

(ab 1787)

Doebbelin

Hoftheater Gotha (Ekhof)

(1756-1789)

(1774-1778)

Koch

Abel Seyler

(1750-1775)

(1769-1775)

(1771-1780. 1785-1798. 1811-1812)

Ackermann •

(1753-1767/1769-1771)

Schönemann Neuber

.

(1727-1743/1750)

(Debut 1725 bei Förster, 1730 bei Neuberin. 1740 eigene Gesellschaft— 1757)

Elenson/Haack/Hoffmann

Förster

(1709-1723-1725)

Spiegelberg/Denner

t Velten/Veltheimin (1678-1692)

Prinzipal Paulsen (seit 1650)

Englische Komödianten: RobertBrown,ThomasSaxfield,JohnBradstreet,JohnGreen,JorisJolliphus

1. Belegschaft einer Schauspielertruppe Das Mittelalter kannte ein Berufsschauspielertum im eigentlichen Sinn noch nicht. Theatralische Aufführungen wurden von Geistlichen, von Handwerkerzünften, Gilden oder Laiendarstellern ausgerichtet. Säkularisierung des Stoffes, zunehmende Realistik und Komik der Szenen ließ vereinzelt auch Bürger als Darsteller bei geistlichen Spielen mitwirken. Durch die Einbeziehung der ioculatores, der Wandermimen als Vorläufer der Berufsschauspie88

1er, wurden die Stücke durch Mercator- und Krämerszenen weiter verweltlicht und verbürgerlicht. Diese Spielleute kannten den Geschmack des Publikums und wußten, welche darstellerischen Praktiken und sprachlichen Redewendungen bei den Zuschauern ankamen. Vor allem aber fungierten sie für die bürgerlichen Laienakteure als Lehrmeister der schauspielerischen Technik. Der eigentliche Berufsschauspieler im heutigen Sinne erscheint erstmals Ende des 16./Anfang des 17. Jahrhunderts mit dem Auftreten der englischen Komödianten auf dem Kontinent. In England hatten sich bereits im 16. Jahrhundert berufsständische companies herausgebildet, die gegen Ende des Säkulums in den Niederlanden und im Norden Deutschlands ihre Wirkungsstätte zu erweitern suchten. In diese anfangs rein englischen Truppen wurden nach und nach immer mehr deutsche Mitspieler, vorwiegend Studenten, integriert. Angeführt wurden diese Wandergesellschaften von einem Prinzipal, 1 dem sog. Komödiantenmeister, der sich auch gern, der privatkapitalistischen Unternehmensart entsprechend, Directeur oder Entrepreneur zu nennen pflegte. Der auf eigenes Risiko arbeitende Prinzipal war Eigentümer des theatralischen Apparats und Inhaber der nötigen Privilegien.2 So wichtig der Besitz des Privilegs im Sinne einer obrigkeitlichen Spielgenehmigung etwa gegenüber Konkurrenztruppen war, so wenig konnte es eine zuverlässige Garantie zur Existenzsicherung bieten und bedeutete oft lediglich eine Summation nichtssagender Titulaturen des das Privileg ausstellenden Fürsten. Meist war das Privilegium mit dem jeweiligen Herrscher direkt verbunden. Starb dieser, war die Fortsetzung der Unterstützung fraglich. Der Nachfolger konnte entweder überhaupt theaterfeindlich eingestellt sein oder französisch-italienische Gesellschaften bevorzugen; dies Schicksal traf 1692 Magister Velten und seine Truppe. 3 Vielfach befreite jedoch das Privileg von belastenden fiskalischen Abgaben und garantierte bei höfischen Festveranstaltungen oft zusätzliche Besoldung. 4

1 2 3 4

Vgl. Pies, Prinzipale Vgl. Beilage 5 (Abdruck des sächsischen Privilegs) Vgl. Heine, Velten, S. 15 Ein Privileg, das der Neuberin ausgestellt wurde, erwies sich von besonderem Vorteil: 1736 »erhielt ihre Gesellschaft von dem Herzog Carl Friederich zu Kiel, den Titel der Schleswigholsteinischen Schauspieler. Sie bekamen in dieser Bestallung eine gewisse Rangordnung und wurden der fürstlichen Capelle gleich gesetzt, auch von allen städtischen und andern Abgaben frey gesprochen. Die Neuberinn erhielt an jedem Umschlag von dem Herzoge allein 1000 Rthlr.« (Löwen, Geschichte des deutschen Theaters, S. 27). Vgl. Beilage 6

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Dem Komödiantenmeister oblag die Zusammenstellung und Organisation der Truppe, die Schauplatzsuche und der damit verbundene Schriftverkehr, vor allem aber die finanzielle Verwaltung der Gesellschaft. Diese Verbindung von künstlerischer und verwaltungsökonomischer Direktion eines privaten Unternehmers mußte zwangsläufig zu Mißständen führen. Jeder Schauspieldirektor, von Velten bis zu Schröder, sah sich immer wieder vor die Alternative gestellt: Kommerz oder Kunst, Kultur oder Kasse. Schon früh wurden Stimmen laut, die diese Übelstände anprangerten und Abhilfe nur dadurch gewährleistet sahen, daß die Privatunternehmen in eine staatlich subventionierte, öffentliche Institution umgewandelt werden. Mylius führt in seinem Aufsatz »Von der nöthigen Wahrscheinlichkeit bey Vorstellung der Schauspiele« den Reigen an, wenn er schon 1742 die Aufhebung der privaten Prinzipalschaft fordert und die Akteure gar als öffentliche Amtspersonen angesehen haben möchte. 5 1751 schließt sich Geliert an, der im 26. Brief zur »Praktischen Abhandlung, von dem guten Geschmacke in Briefen« den Nationaltheater-Gedanken antizipiert: »Das Theater müßte auf öffentliche Kosten erhalten werden.« 6 J. E. Schlegel spricht sich in seinen 1747 verfaßten und 1764 aus dem Nachlaß veröffentlichten »Gedanken zur Aufnahme des dänischen Theaters« gegen die Machenschaften der gewinn- und rollensüchtigen Prinzipale aus. Um die weitverbreitete Praxis der Prinzipale, von vornherein Anspruch auf das erste Fach zu erheben und sämtliche beifallssicheren Virtuosenrollen an sich zu reißen, unter Kontrolle zu bringen, führen Mylius, Schlegel und Löwen als künstlerischen Leiter einen Nicht-Schauspieler ins Feld, der aber hinreichende Kenntnisse der Bühne besitzen muß - eine Art Dramaturg also. 7 In seiner Ankündigung zur »Hamburgischen Dramaturgie« knüpft Lessing

5 6

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Mylius, Von der Wahrscheinlichkeit, S. 2 9 9 Sammlung der sämmtlichen Schriften, von Herrn C. F. Geliert. Vierter Theil. Wien 1773, S. 2 1 0 »Die Aufsicht über die ganze Komödie und alle dabey zu machende Anstalten, müßte nicht einem Komödianten überlassen seyn; sondern, wie es bey Opern und Komödien zu geschehen pflegt, die an Höfen gespielt werden, einem Manne von einigem Ansehen, der Geschicklichkeit und Wissenschaft genug hätte, gute Stücken auszusuchen, und den schlechten und groben Witz von feinen und artigen Einfällen zu unterscheiden« (Schlegel, Errichtung. In: Werke 3, 1764, S. 254). Dieselbe Forderung wird vom Verfasser der »Zufälligen Gedanken, über die Schaubühne zu Wien« erhoben: »Mir kömmt es vor, daß zu Bildung einer guten Schaubühne durchaus die Aufsicht oder doch die Mitwirkung eines gelehrten Mannes, und zwar eines solchen, der sich in den schönen Wissenschaften genugsam umgesehen, und bey der großen Welt den Zutritt hat, unumgänglich nothwendig ist« (Neuestes aus der anmuthigen Gelehrsamkeit, 1760, S. 525).

direkt an den Vorschlag — Aufhebung der Prinzipalschaft — seines geistesverwandten Vorgängers Johann Elias Schlegel an: Als Schlegel, zur Aufnahme des dänischen Theaters, - (ein deutscher Dichter des dänischen Theaters!) - Vorschläge that, von welchen es Deutschland noch lange zum Vorwurfe gereichen wird, daß ihm keine Gelegenheit gemacht worden, sie zur Aufnahme des unsrigen zu thun: war dieses der erste und vornehmste, »daß man den Schauspielern selbst die Sorge nicht überlassen müsse, für ihren Verlust und Gewinnst zu arbeiten.« Die Principalschaft unter ihnen hat eine freye Kunst zu einem Handwerke herabgesetzt, welches der Meister mehrentheils desto nachläßiger und eigennütziger treiben läßt, je gewissere Kunden, je mehrere Abnähmer, ihm Nothdurft oder Luxus versprechen.8 Als konkretes Ziel steht hinter diesen Reformplänen: ein öffentlich-bürgerliches Nationaltheater als Alternative zum Hoftheater. Die schärfste Attacke geht von J o h a n n Friedrich Löwen aus. In seiner »Geschichte des deutschen Theaters« zergliedert er die Gründe für den schlechten Zustand der deutschen Bühne und führt als erstes Hindernis für eine Beförderung und Aufnahme des Theaters »die schlechte Kenntniß der Principale« an. N a c h Löwens Auffassung ist es für einen Schauspieldirektor unerläßlich, mit den aufzuführenden Stücken vertraut zu sein, um eine angemessene Rollenbesetzung vornehmen zu können. Darüber hinaus sollte er Kenntnisse über das Dekorationswesen besitzen und mit der Kostümkunde vertraut sein. Diesen »Ansprüchen« wird indes das Gros der Komödiantenmeister nicht gerecht. 9 Im Gegensatz zu Mylius, Schlegel und Lessing ist Löwen der Auffassung, nicht allein der Staat, sondern speziell eine Vereinigung kunstsinniger M ä zene könne der Mißwirtschaft bisheriger Privatunternehmer ein Ende bereiten. Die Entrepreneurs des Hamburger Nationaltheaters, auf die Löwen hier 8 9

Ankündigung zur Hamburgischen Dramaturgie. L/M 9, S. 181 f. Löwen, Geschichte des deutschen Theaters, S. 52 f. Ein weiteres Hindernis sieht Löwen in der mangelnden Ökonomie der Prinzipale: »daß unsre Comodienprincipale manchesmal zu geizig; - oft auch am Unrechten Orte verschwenderisch sind, ist auch keins von den geringsten Hindernissen. [ . . . ] Am Unrechten Orte kann ein Principal verschwenderisch seyn, wenn er einmal zu viel auf Nebendinge verwendet, z. E. wenn er mehr auf die Pracht und die Vortrefflichkeit der Ballette, als des wirklichen Schauspiels denkt. Auch das ist Verschwendung für ihn, wenn er keine Summen achtet, um nur in dem Rufe zu stehen, die zahlreichste deutsche Truppe zu haben« (S. 56, 57). Löwens nicht ganz uneigennütziger Vorschlag: »Es würde demnach die Aufnahme unsrer Bühne sehr befördern, wenn man erstlich die Principalschaft ganz aufheben wollte; und wenn der Fürst, oder die Republik, die die Schauspiele schützen, selbst das Direktorium führen, das heißt, einen Mann wählen wollten, dem, da er selbst eine feine Kenntniß der schönen Künste und Wissenschaften besäße, die Annahme der Schauspieler, die Wahl der Stücke, und die ganze Policey des Theaters, ohne daß er selbst Schauspieler wäre, müßte überlassen werden« (S. 68).

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anspielt, wurden diesen Erwartungen in keiner Weise gerecht: Der Prinzipal, in diesem Fall Ackermann, wurde abgeschafft; die Prinzipalschaft blieb in Form eines Dreier-Konsortiums - mit denselben und noch mehr Übeln. Auch und gerade hier waren die Kommanditisten gezwungen, Kommerz vor Kunst gehen zu lassen; das Repertoire des Hamburger Nationaltheaters von 1 7 6 7 - 1 7 6 9 legt beredtes Zeugnis davon ab. 1 0 So blieb das Prinzipalwesen die Organisationsform der Truppen während des ganzen 18. Jahrhunderts. Erst mit der Entstehung der Nationaltheater in Mannheim und Berlin wurden andere ökonomische und verwaltungstechnische Prinzipien praktiziert. Brachvogel kann daher den erzwungenen Rücktritt des ehemaligen Schauspieldirektors Doebbelin als Regisseur des Königlichen Nationaltheaters Berlin kommentieren: »Mit aufrichtigem Bedauern sahen viele alte Theaterfreunde in ihm den letzten Komödianten-Prinzipal von altem Schlage scheiden [ . . . ] mit Theophil Doebbelin endet das gesammte alte Theater-Wesen, die Zopfzeit des Komödiantenthums in Berlin!« 1 1 Nach dem Theaterdirektor als dem Inhaber des (meist) ersten Rollenfaches sowie der künstlerischen und verwaltungsökonomischen Leitung teilte sich die Belegschaft in das eigentliche darstellerische Ensemble und das technische Personal. Die Anzahl der agierenden Mitglieder 12 richtete sich einmal nach der für die Repertoirestücke erforderlichen Personenzahl; diese wiederum entsprach in der Regel den zu besetzenden Rollenfächern. Die Durchschnittszahl für die Rollen des tragischen Faches kann bei 8 bis 10, die für das komische Fach bei 12 angesetzt werden. 13 Im allgemeinen hatten die Schauspieler je ein Fach der Tragödie und der Komödie zu übernehmen. 10 11 12

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Vgl. Kapitel 4 dieses Abschnitts. Brachvogel 2, S. 71 Bei den Angaben der Mitgliederzahlen handelt es sich meist um das Ensemble der Akteure und Aktricen; das Hilfspersonal wird entweder gesondert oder gar nicht aufgeführt. Auch J. E. Schlegel geht von einem 12köpfigen Ensemble aus. Er will diese Zahl schon vom Dramatiker nicht überschritten wissen: »Zu den meisten Komödien werden sechs bis neun Acteurs erfodert, die stärksten Stücke lassen sich mit zwölfen bestreiten; ja diejenigen sind fast alle nicht viel werth, zu deren Aufführung mehrere nöthig sind. Man hat also für die dänische und deutsche Komödie zusammen mehr nicht als zwölf Acteurs zu unterhalten; und unter denselben fünf Actricen und sieben Mannspersonen« (Schreiben von Errichtung eines Theaters in Kopenhagen. In: Schlegels Werke, Theil 3, S. 253 f.). Diebold gibt in seiner Untersuchung über das Rollenfach im 18. Jahrhundert »als Minimalzahl eines ordentlichen Personals die Zwölfzahl der Komödienfächer« an (S. 49). Iffland setzt dieselbe Zwölfzahl für Hauptdarsteller an, ergänzt durch 3 bis 5 Darsteller für Episodenrollen (Diebold, S. 50).

Bezieht man Personalwechsel und Ausfälle durch Krankheiten ein, so erscheint diese Zahl doch sehr gering. Vielfach konnten Stücke aus Mangel an geeigneten Darstellern nicht gegeben werden. 14 Bedenkt man die Ausgaben für Gagen - obgleich nie sehr üppig - und für Reisekosten eines großen Ensembles, so läßt sich vermuten, daß die Wanderprinzipale ihre Belegschaft möglichst klein zu halten trachteten, auch meist die eigene Familie mit einsetzten. 15 Zwei Faktoren werden für die weitere Entwicklung der Ensembles und Personalzahlen der Gesellschaften bis zum Ende des 18. Jahrhunderts entscheidend: Zum einen war durch die Seßhaftigkeit in festen Schauspielhäusern ein stabiler, ständiger Mitgliederstamm möglich geworden. Im Zuge schriftlich fixierter, rechtlich-vertraglicher Festlegung der Engagements wurden Fluktuationen durch Kontraktbrüche seltener; das Personal blieb also wesentlich länger konstant. 16 Als weiternder Faktor kam hinzu, daß diese Stammensembles, bedingt durch die Aufnahme neuer Stücke, gegen Ende des Jahrhunderts erheblich vergrößert werden mußten. Kann man die Durchschnittszahl einer Schauspielergesellschaft des 18. Jahrhunderts mit ca. 20 Mitgliedern angeben, so machten die großen personenreichen Werke Shakespeares, Schillers und Goethes mit beginnendem 19. Jahrhundert eine Erweiterung der Ensembles auf 25 bis 30 darstellende Künstler erforderlich. 17 Nach der allgemeinen Betrachtung der Mitgliederzahl einer Schauspielertruppe sollen im folgenden einige der wichtigsten, für den Theaterbetrieb des 18. Jahrhunderts wesentlichen Funktionen des technischen Personals, der Bühnenhandwerker und Offizianten aufgezeigt werden. 18 Eine wichtige und verantwortungsvolle Rolle spielte der sog. Theatermeister, eine Art technischer Leiter der Bühne. Ihm oblag die Sorge für einen rei14

In der Gesellschaft der Schröder-Ackermann »mußte Destouches Verschwender fast ein Jahr lang liegen bleiben, >wegen der sechs Frauenzimmen. Wenn auch die Besetzung weiblicher Rollen die meisten Nöte bereitete, so ward doch der Mangel guter Acteurs nicht minder beklagt. >Ein guter Acteur thäte aber auch noch nötig«, schreibt Uhlich (6. Juni 1742) an Gottsched, [ . . . ] »und wir sähen es gerne, wenn sich einer von denen Herren Studenten, der die gehörigen Geschicklichkeiten besäße, zu unsrer Lebensart begeben wollte« « (Litzmann 1, S. 30).

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Vgl. Beilage 7 Ekhof, der 17 Jahre in der Schönemannschen Gesellschaft spielte, war die große Ausnahme! (Vgl. Schulz, Schauspielerengagement, S. 45). Vgl. Doerry, S. 31 Schröders Inszenierung des »Götz von Berlichingen« war nur durch mehrere Doppelbesetzungen möglich. Seine Shakespeare-Bearbeitungen reduzierten von vornherein das vorgegebene Personenaufgebot (Litzmann 1, S. 142). Das darstellende Personal bleibt hier außer Betracht. Über den Schauspieler als Berufskünstler wird im folgenden Kapitel gehandelt.

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bungslosen Ablauf bei Dekorationsänderungen; auch Bühnenmaschinerie und Beleuchtungswesen fielen in seinen Zuständigkeitsbereich. In der Akademie-Sitzung vom 9. Februar 1754 bestimmt Ekhof: Der Theatermeister soll angehalten werden, daß die Flügel, Prospecte und Decken, imgleichen alle Maschinen, die zur Beleuchtung erfodert werden, allezeit in Ordnung sind, sie beständig auszubessern, oder wenn sie Schaden bekomen, es dem Principal gleich zu melden, bey Strafe, den Schaden zu ersetzen. Der Principal soll alsdann verbunden seyn, sobald es ihm gemeldet ist, selbige in vorige Ordnung wieder herstellen zu lassen. 19

§ § 1 und 2 der Schröderschen Theatergesetze von 1798 weisen dem Theatermeister die Tätigkeitsmerkmale eines heutigen Inspizienten zu: § 1. Sobald die Musik anfängt, welches, ohne vorher gegebenes Zeichen, zur bestimmten Zeit geschieht, soll er in die Ankleidezimmer schicken, und es ansagen lassen. $ 2. Er soll dafür sorgen, daß er sein Scenarium zu rechter Zeit erhält, und daß die letzten Reden, nach denen er zu verwandeln hat, nicht zu kurz angegeben sind; damit er nicht irren könne. Für eine jede, entweder zu späte oder zu frühe Veränderung, bezahlt er drei Mark Strafe. 20

Nach § 4 fallen ihm auch Aufgaben und Verantwortlichkeiten eines Requisiteurs zu: § 4. Für jedes vergessene, ihm vorgeschriebene Requisit, bezahlt er zwei Mark, wenn sich der Fehler bei der Vorstellung äußert.

Bei der Mannheimer Bühne führten ein Architekt und ein Dekorateur die Oberaufsicht über Dekorationen und Maschinen. In der theaterinternen Hierarchie rangiert hier nach dem Intendanten als dem leitenden Direktor und dem Regisseur als Unterdirektor der Dekorateur oder Maschinist als technischer Direktor. Ihm zur Seite steht der Architekt, mit der »Anfertigung und Ausbesserung der Dekorationen« betraut. Theatermeister und Beleuchter erhalten beim Mannheimer Nationaltheater »ihre Weisungen vom Dekorateur«. Der Theatermeister wiederum hat die Aufsicht über die Bühnenarbeiter. 21 Im Bedarfsfall wurde das technische Personal zu Statisten- oder Episodenrollen herangezogen — selten zum Gedeih der Aufführung, wie zeitgenössische Kritiken hinlänglich erweisen: In Hagens »Magazin zur Geschichte des Deutschen Theaters« wird eine Vorstellung von Goldonis »Neugierigem Frauenzimmer« rezensiert. Maschinist Kirchhöfer agierte als Trivelin: »Er ist Theatermeister, und dabey sollte er bleiben, nicht seine schlechte Figur und 19 20 21

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Kindermann, Ekhofs Schauspieler-Akademie, S. 35 Meyer 2, Anhang, S. 2 4 6 f. Sommerfeld, S. 146 f.

sein abentheuerliches Gesicht zur Schau ausstellen. A m Trivelin ist nichts zu verderben, sonst hätte er auch den verdorben.« 2 2 In Gotters komischer Oper » D i e D o r f g a l l a « hatte obengenannter Maschinenmeister die Rolle des Wirtes übernommen. Lapidarer Kommentar des Kritikers: » W a s kann man von einem Theatermeister verlangen?« 2 3 Ab Mitte des Jahrhunderts führen die Truppen auf ihren Gastspielreisen vielfach einen hauseigenen Dekorationsmaler mit. Neben dem Dekorationsund Maschinenapparat galt es, den K o s t ü m f u n d u s der T r u p p e zu verwahren. So finden sich in den Personallisten der Kompanien schon früh Aufseher über die Garderobe. In Ekhofs Akademie wird einem Chargenspieler der Schönemannschen Gesellschaft die Kostüminspektion übertragen: Diese Aufsicht über die Kleider und Nothwendigkeiten haben der Herr Rainer und seine Frau Liebste freywillig übernohmen. Es ist ihnen ein Theaterschneider bewilliget, der insoweit von ihnen abhänge, daß er die von ihnen ihm angezeigte Kleider ausbessern und in Ordnung erhalte.24 Als Aufgabe wird den Garderobeverwaltern zugeteilt: Die Aufseher über die Kleider, und alles was davon abhängt, sollen schuldig seyn, die Kleider, Hüte etc., was täglich gebraucht wird, allezeit abzukehren, sorgfältig durchzusehen und das etwan Schadhafte reparieren zu lassen, und dem Acteur oder Actricinn beständig ein ganzes und unbeschädigtes Kleid zu liefern, bey Strafe von 4 β.25 Unter der Direktion Schröders waren ein Garderobier mit zwei Gehilfen,

22 23

24 25

S. 59 ibid., S. 67 Schönemann setzt Gottsched von seinen Personalproblemen in Kenntnis: »Von Mannspersonen«, schreibt er in einem Brief von Anfang 1742, »habe noch von alten übrig behalten, Möns. Eckhof, welcher im agiren ziemlich zugenommen und Errler, welcher letzterer derjenige ist, so ich vor einem Jahr mit von Leipzig nahm, nebst mein Theat. Meister, welcher aber zum agiren wegen der österreichischen Sprache nicht sonderlich stark kan gerechnet werden« (H. Devrient, Schönemann, S. 58). Kindermann, Ekhofs Schauspieler-Akademie, S. 31 ibid., S. 35; vgl. H. Devrient, S. 14. Dem reichen und kostbaren Garderobenfundus der Hofoperntheater entsprechend, mußte ein vielseitiges Personal für das Kostümwesen eingesetzt werden. Vom Dresdner Hoftheatér von 1672 berichtet Fürstenau von einem Inventionsschneider, dem später ein Inspektor »über die kostbaren Kleider zu denen Operen« vorgesetzt wurde (1, S. 286). Zusätzlich hatte ein »Hoffederschmücker die Verwahrung und Beaufsichtigung der damals beim Theater sehr reichhaltig in sein Fach schlagenden Artikel« (ibid., S. 223). Im Dresdner Theater-Etat von 1756 sind neben dem »Inspector der Garderobe« noch »2 Garderobenaufwärter« sowie »2 Schneider nebst 2 Gehilfen« aufgeführt (Fürstenau 2, S. 295 f.). 95

eine Garderobiere und zwei Schneider tätig. Schröders Theatergesetze dekretieren den Garderobier betreffend: § 1. Er ist verpflichtet, vor jeder Hauptprobe, die nothigen Kleinigkeiten und Requisiten, die nicht in seiner Verwahrung sind, nach der Kleider- und Requisitenvorschrift, von der Direktion zu fordern, und sie nach der Vorstellung im Probezimmer abzuliefern. Vergißt er ein ihm vorgeschriebenes Requisit, und äußert sich der Fehler bei der Vorstellung, so bezahlt er zwei Mark. 2 6 An weiteren Offizianten sind zu nennen: Kassierer, Billetteure

und

>Contre-Marque-EinnehmerinArbeitsleute< oder eine >Schildwacht< gebraucht. Z u den niederen Theaterbediensteten zählten die Zettelträger und Zettelankleber, die vielfach auch die Funktion des Theaterboten und Probenansagers innehatten. Eine ganz typische Erscheinung des Theaterbetriebs des 18. Jahrhunderts ist der Lichtputzer. Seine Tätigkeit bestand darin, in den Zwischenakten die verrußten Dochte der Talg- und Wachskerzen zu beschneiden, um Qualm und üblen Trangeruch so weit als möglich zu verhindern. Das desillusionierende Auftreten des Lampenputzers in den Pausen nutzte vor allem das studentische Publikum zu Spaßen mit dem >KerzenschneuzerDie Klara hat's!< D a s w a r die Souffleuse. Die w a r auf die Bücher wie der Teufel auf eine Seele. Kurz, ich bekam's n i c h t . « 3 3 E k h o f suchte diesen der Schauspielkunst abträglichen Mißstand einer uneinheitlichen Darstellung, bedingt durch eine uneinheitliche Textvorlage, zu ändern. In seiner Schweriner Akademie führte er Leseproben ein, bei denen die Künstler mit dem Inhalt des ganzen Stückes und der Beziehung der Dramenfiguren untereinander vertraut gemacht wurden, und damit nicht, wie

waget, von der Gewohnheit unser neuern Poeten abzugehen, und dem Handwerksneide unsrer Comödianten einen Stoß zu geben; die gern aus allem was sie spielen, ein Geheimniß machen wollen« (Vorrede zur Deutschen Schaubühne, Bd. 1 , 1 7 4 2 , S. 12 f.). In der 2. Vorrede führt er die Gründe für die Tatsache an, daß viele aufgeführte Stücke nicht veröffentlicht werden: »Daß aber alle diese und vielleicht noch mehrere Stücke, nicht zum Vorscheine kommen, so bald sie vorgestellet werden; daran hat allerdings der bisherige Eigensinn ünsrer Comödianten Schuld gehabt: die theils besorget, sie würden dadurch den alleinigen Besitz der Stücke verlieren, wenn sich auch andre Banden das Gedruckte zu Nutze machen könnten: theils aber auch besorget, es möchten die Zuschauer gar zu klug daraus werden, und sowohl die Gedächtnißfehler der Comödianten; als ihre vorsetzlichen Verstümmelungen der Stücke daraus wahrnehmen lernen« (Vorrede zur Deutschen Schaubühne, Bd. 2 , 1741, S. 16f.). Der spektakuläre Erfolg des Singspiels »Der Teufel ist los« 1743 in Berlin ließ alle Prinzipale danach trachten, in den Besitz eines Exemplars der Operette zu gelangen. Theaterpraktiker J. E. Schlegel sieht das Problem realistisch: »Was endlich den Druck betrifft, so ist es für den Verfasser und für die Komödianten gleich nützlich, wenn ein neuverfertigtes Stück nicht eher, als ein Jahr nach der ersten Vorstellung, bekannt gemacht wird. Aber es würde dem Witze der ganzen Nation, und den Komödianten selbst, schädlich seyn, wenn es gar nicht gedruckt werden sollte. Gedruckte Stücke veranlassen Anmerkungen und Kritiken; und diese machen den Witz und die Regeln bey den Verfassern und bey den Zuschauern bekannter. Je mehr der Zuschauer davon weis, desto öfter besucht er die Schauspiele; und bey den Kritiken derselben gewinnen die Komödianten, wie die Buchhändler bey den Streitigkeiten der Gelehrten« (J. E. Schlegel, Gedanken zur Aufnahme des dänischen Theaters. In: Werke, Theil 3, S. 298). 33

Schulze-Kummerfeld 1, S. 106 f.

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üblich, nur ihre eigene Rolle und vom Mitspieler nur das Stichwort kannten. 34 Indes, von Goethes späterer Weimarer Theaterleitung abgesehen, blieb dies die Ausnahme. Noch in Schröders Theatergesetzen lautete die erste Regel, »den Einhelfer betreffend«: § 1. Er darf bei dem Verlust seiner Ehre keine Handschrift ohne Anfrage weggeben, und muß jede Entwendung zu verhüten suchen, damit Verfasser und Direktion nicht Schaden leiden. 3 S

Damit keiner den vollständigen Text besitzt, soll er — so § 2 — »daher die Rollen einer Handschrift, die ihm überliefert wird, von zwei und mehreren Personen abschreiben lassen« (ibid.). Der Partien- und Rollenschreiber einer Schauspielergesellschaft hatte nach wie vor alle Hände voll zu tun. Von Vorteil, wenn nicht für die Prinzipale und Theaterdirektoren unerläßlich, war, vor allem für die Ausfüllung der Zwischenakte, über ein Musikerensemble zu verfügen. Dem Kapellmeister Johann Ernst Bach unterstanden 1758 am Weimarer Hoftheater 1 Hof-Organist, 10 Hof-Hautboisten, 1 Hof-Pandorist, 8 »musikalische Trompeter« und 2 Pauker. 36 Mit »StadtPfeiffern und Kunst-Geigern« mußte sich die Neuberin in Leipzig begnügen, wie aus einer Archivakte der Stadt hervorgeht. 37 Für Ackermanns Tournee durch die Schweiz mußte ein eigenes Orchester angeheuert werden, »weil dort an wenig Orten taugliche Tonkünstler zu haben waren.« 3 8 Die Personallisten der Schröder/Ackermannschen Gesellschaft weisen in zunehmendem Maße neben den darstellenden auch musizierende Künstler auf: Musikdirektoren, Korrepetitoren, Violinisten, Oboisten, einen Fagotti-

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Vgl. Kindermann, Ekhofs Schauspieler-Akademie, S. 13: »Die Hauptsachen, die in den Sitzungen vorgenomen werden, sollen in folgenden bestehen: (a) In Vorlesungen derjenigen Schauspiele, die gespielt werden sollen, und soll wenigstens kein Stück eher aufgeführet werden, bis es in der Sitzung abgelesen worden«. (Vgl. auch S. 17 und 15). Die Dramenexemplare sollten in ordentlicher Form für die Darsteller zugänglich sein; es wurde daher beschlossen, »daß diejenigen Exemplare, die zum ausschreiben der Rollen und Zusagen bestirnt worden, dazu aufgehoben, besonders gebunden, planirt, und der Band, sowohl der gedruckten als geschriebenen, sowohl mit dem Namen des Stückes, als auch wozu es gebraucht wird, bezeichnet werden sollen, wobey die, welche in Manuscript sind, in einer reinlichen und deutlichen Schrift geschrieben seyn müssen, damit auf diese Art alle Hindernisse aus dem Wege geräumet werden mögen, welche bisher so wohl durch gedruckte als geschriebene Exemplare verursachet worden sind« (S. 2 6 ; vgl. auch S. 3 2 , 3 3 und 37). Meyer 2, Anhang, S. 244 Pasqué 1, S. 16 Reden-Esbeck, S. 3 0 2 Meyer 1, S. 74. Engagiert wurde u. a. ein Korrepetitor und erster Violinist sowie ein Waldhornist (Litzmann 1, S. 155).

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sten; dazu kamen ein Violoncellist und mehrere Flötenspieler. 1811 kann Schröders Bestandsliste an Musikerpersonal aufführen:

»Musikdirektor,

Eule. Erster Violinist, Graff. Eigentliches Orchester, 18 Personen, zu denen noch sieben Rathsmusiker k a m e n . « 3 9 Der Repertoirezusammenstellung entsprechend war für die Schauspielergesellschaften ein Ballettmeister unerläßlich. 4 0 Nicht s o selbstverständlich wie die Einstellung dieser Vertreter der Nachbarkünste war die Beschäftigung eines hauseigenen Theaterdichters. 4 1 Neben Eigenprodukten lieferten diese Poeten im Angestelltenverhältnis hauptsächlich Ubersetzungen und Bearbeitungen. Die Zusammenarbeit von Bühnenkünstlern und

Bühnenhandwerkern

verbesserte sich zunehmend mit der Bildung fester Ensembles in bürgerlichen Schauspielhäusern. Die dadurch gewährleistete Kontinuität anstelle der Fluktuation der Wanderphase wirkte sich im L a u f e der Zeit direkt auf das künstlerische Niveau aus. Anzustreben war - darüber bestand kein Zweifel bei Theaterpraktikern und -theoretikern - ein bürgerlich-egalitäres, öffentlich subventioniertes Nationaltheater als Alternative zum elitären Hoftheater und in Ablösung der durch einen Prinzipal geleiteten Wanderkompanien.

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Meyer 2, S. 290; vgl. u.a. S. 7, 23, 141 f. In Kochs Truppe mußten die Akteure Lektionen sowohl beim Ballett- als auch beim Musikmeister nehmen (Devrient, Schauspielkunst 1, S. 337). Auch bei Schönemann lernte ein Tanzmeister die Neulinge ein. Nicht sehr zum Segen der Schauspielkunst, wie die Brandessche Erfahrung lehrt: »Ich war nun zwar zum Schauspieler angenommen, aber noch nicht dazu gebildet. Die wenige theoretische Kenntniß, welche ich bisher beim Anschauen der Schauspiele und aus Büchern gesammelt hatte, war bei weitem nicht hinreichend; ich mußte nun auch praktische Erfahrungen machen, und dazu war gründlicher Unterricht von geschickten Schauspielern nothwendig. Schönemann hatte mich zwar zu diesem Zwecke an einige der besten Künstler bei seinem Theater verwiesen; allein diesen fehlte es zum Unglück an Zeit oder auch an Lust, sich mit dem Unterricht eines Anfängers in der Kunst zu beschäftigen. Endlich traten ein Paar andre Männer auf, die sich des neuen Lehrlings erbarmten. Der Theatermeister — welcher gemeiniglich über alle Schauspiele und deren Vorstellungen sein Kennerurtheil zu fällen pflegte, und nur selten eins ohne Tadel durchschlüpfen ließ — übernahm meinen Unterricht in der Deklamation; und der Balletmeister, welcher auf mahlerische Gesten, Attitüden, Gruppen u. dgl. sein Augenmerk richtete, erbot sich zu meiner Bildung in der körperlichen Beredsamkeit (1, S. 167 f.). Ich war äußerst lernbegierig, nahm jeden Unterricht, voll Vertrauen auf die tiefen Kunstkenntnisse dieser Männer, ohne Widerspruch an, und befolgte ihn pünktlich. Welch eine Karrikatur aus mir wurde, wird die Folge lehren« (1, S. 168). In der Ackermann/Schröderschen Gesellschaft wirkte 1765 der Theaterpoet Ast; nach dessen Weggang wurde die Stelle erst wieder 1772 durch Bock besetzt. 1790 engagierte Schröder den Theaterdichter Schink (Meyer 1, S. 138, 228; Meyer 2, S. 48).

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2. Sozialer Status und materielle Situation des Schauspielerstandes Gepriesen viel und viel gescholten: mit diesen Extremen sieht sich der Stand der Komödianten seit jeher konfrontiert. Kreativität oder Re-Produktivität; schaffender Künstler oder nachschaffender Handwerker; denkendinterpretierender Vermittler des dichterischen Wortes oder Gaukler, Täuscher, Verstellspieler — diesen Kategorien wird der Akteur im System der Künste zugeordnet. 1

1

Nietzsche faßt den Schauspielerberuf eindeutig negativ als unkünstlerisches Täuschungsspiel auf: »Die Falschheit mit gutem Gewissen; die Lust an der Verstellung als Macht herausbrechend, den sogenannten > Charakter· beiseite schiebend, überflutend, mitunter auslöschend; das innere Verlangen in eine Rolle und Maske, in einen Schein hinein; ein Überschuß von Anpassungs-Fähigkeiten aller Art« — dies sind die Vorwürfe, die er gegen den Schauspieler, den »Meister jener einverleibten und eingefleischten Kunst des ewigen Verstecken-Spielens, das man bei Tieren mimicry nennt« erhebt. (Die fröhliche Wissenschaft. In: Friedrich Nietzsche. Werke in drei Bänden. Hrsg. von Karl Schlechta. Bd. 2, München 1955, S. 234f.) Unselbständigkeit, Unterordnung, Abhängigkeit des darstellenden Künstlers vom dichterischen Wort, rein reproduktives Schaffen charakterisiert die Arbeit des Schauspielers: zu diesem Schluß kommt auch Louis-Sébastien Mercier - »Der Schauspieler macht oft einen ganz besondern Anspruch, welcher verdient bestritten zu werden; er bildet sich nemlich ein, der Dichter hätte ihm die Hälfte seines Ruhms zu danken, und da glaubt er sich noch sehr bescheiden auszudrücken. Sehn wir nicht oft alles Feuer, alle Beredsamkeit einer Personnage vom Akteur verdorben, der seine eigne Gedanken an die Stelle der Gedanken des Verfassers unterschieben wollte? Die Komödianten, unstudierte Leute, wüßten sich weder zu kleiden, noch die Bühne zu verzieren, wenn der Dichter ihnen nicht zu Hülfe käme. [... ] Ist es nicht der Dichter, der den Schauspieler macht, begeistert, anführt, leitet? Er thut keinen Schritt, der ihm nicht vorgeschrieben wäre. Sein ganzer Verstand besteht darinn, sich in den Geist seiner Rolle hinein zu studieren, sich damit anzufüllen. Wenn auch kein einiger Schauspieler mehr auf der Welt wäre, so würde das Theater doch noch in seiner ganzen Schönheit existiren. [ . . . ] Der Schauspieler ist nur der Kopist seines Originals: das Original war vor ihm, und wird nach ihm seyn« (Mercier, Neuer Versuch über die Schauspielkunst, S. 478—482). Anders ließ sich Merciers geistiger Mentor Denis Diderot vernehmen: er sprach dem darstellenden Künstler durchaus Eigenproduktivität und Kreativität zu, ja sogar die Ergänzungsmöglichkeit des dichterischen Textes. Es gibt Stellen, schreibt Diderot, »die man fast ganz und gar dem Schauspieler überlassen sollte. Ihm käme es zu, sich die geschriebene Szene bequem zu machen, gewisse Worte zu wiederholen, auf gewisse Ideen wieder zurückzukommen, einige wegzulassen und andere hinzuzusetzen« (Dorval und ich. Zweite Unterredung. Ästhetische Schriften, Bd. 1, S. 182). Vgl. Lessings Erwartungen vom darstellenden Künstler: »Er muß überall mit dem Dichter denken; er muß da, wo dem Dichter etwas Menschliches wiederfahren ist, für ihn denken« (Ankündigung zur Hamburgischen Dramaturgie, L/M 9, S. 184). Auch Sulzer tritt in seiner »Allgemeinen Theorie der Schönen Künste« als Apologet

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Diese beiden extremen Standpunkte:

Schauspieler

als der

Bezeichnung

»Künstler« unwürdig und Darsteller als sinnlich-schöpferischer Vermittler des geistigen Dichterwortes ziehen sich nicht nur durch die philosophischästhetischen Erörterungen, sondern prägen ganz konkret den gesellschaftlichen Alltag des Schauspielerstandes. Geächteter K o m ö d i a n t oder verherrlichter A b g o t t auf der Bühne, so sah auch der Bürger des 1 8 . Jahrhunderts den Schauspieler. A u f den Brettern beliebt und gefeiert, im gesellschaftlichen Leben gemieden - auf diesen Nenner läßt sich die Frühzeit des deutschen Berufsschauspielertums bringen. W ä h r e n d der französische Virtuosenkünstler und die italienische Primadonna von Existenzsorgen unbeschwert an deutschen Fürstenhöfen in aller M u ß e den Musen huldigten, zog der deutsche Komödiantenkollege, bedrängt von Proskription und Prosekution, von Bude zu B u d e . 2 des geschmähten Standes auf; er bedauert, »daß noch itzt viele Bedenken tragen, dem Schauspieler und seiner Kunst den ehrenhaften Rang, der ihnen gebührt, zu geben. Und doch darf er, sowol wegen der ihm nöthigen Talente, als wegen des nützlichen Gebrauchs, den er davon machen kann, so gut, als irgend ein andrer Künstler auf die Hochachtung seiner Mitbürger Anspruch machen.« Auch der Gegenstand ihrer Kunst hat sich »doch meistentheils itzt weit genug über die ehemaligen Possenspiele empor gehoben, um den Schauspielern ihre völlige Künstlerehre wieder zu geben. [ . . . ] In Ansehung der Talente also kann der gute Schauspieler sowol, als ein andrer Künstler Anspruch auf allgemeine Hochachtung machen« (S. 2 6 2 , Artikel Schauspieler; Schauspielkunst. 4. Theil). Verstehen des dichterischen Werkes, geistige und emotionale Erarbeitung der Rolle, interpretierende Vermittlung und Versinnlichung der Dramenfigur sieht Hegel als die fundamentale Aufgabe des Schauspielkünstlers an: »Man heißt jetzt die Schauspieler Künstler und zollt ihnen die ganze Ehre eines künstlerischen Berufs; ein Schauspieler zu sein ist unserer heutigen Gesinnung nach weder ein moralischer noch ein gesellschaftlicher Makel. Und zwar mit Recht; weil diese Kunst viel Talent, Verstand, Ausdauer, Fleiß, Übung, Kenntnis, ja auf ihrem Gipfelpunkte selbst einen reichbegabten Genius fordert. Denn der Schauspieler muß nicht nur in den Geist des Dichters und der Rolle tief eindringen und seine eigene Individualität im Inneren und Äußeren demselben ganz angemessen machen, sondern er soll auch mit eigener Produktivität in vielen Punkten ergänzen, Lücken ausfüllen, Übergänge finden und uns überhaupt durch sein Spiel den Dichter erklären, insofern er alle geheimen Intentionen und tiefer liegenden Meisterzüge desselben zu lebendiger Gegenwart sichtbar herausführt und faßbar macht« - so lautet die entscheidende Stelle in seiner ästhetischen Abhandlung über die Schauspielkunst (Vorlesungen über die Ästhetik III. In: Werke. Bd. 15. Frankfurt 1970, S. 515). 2

In seiner Sarire »Die verkehrte Welt« prangert König dieses Mißverhältnis an: die Komödianten Harlekin und Scaramutz treffen auf den Advokaten Herrn Vergleich, der sich über ihren Schauspielerstand freudig überrascht zeigt. Die Komödianten, angesichts dieses ungewöhnlichen Verhaltens ihrerseits angenehm berührt, geben zu bedenken: Scaramutz. Ja, aber vielleicht bildt sich der Herr ein, wir wären so glücklich Frantzösische Comödianten zu seyn? 103

Die deutschen Wanderkomödianten wurden mit Marktschreiern, Q u a c k salbern, Spielleuten, Bärenführern, Gauklern und Schlimmerem gleichgesetzt und gleich behandelt. 3 Ein Umstand im frühen 18. Jahrhundert trug vor allem dazu bei, das Schauspielwesen in Mißkredit zu bringen: der rücksichtslose Mißbrauch, den Marktschreier und Q u a c k s a l b e r mit spektakulären und

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Herr Vergleich. Ey was! Harlekin. Der Herr glaubt etwan, daß wir die Ehre haben, Italienische Comödianten zu heissen? Herr Vergleich. Je nicht doch. Harlekin. Wir sind aber nur teutsche Comödianten. Nur teutsche Comödianten. Herr Vergleich. Ey! was aber? was nur? die teutschen Comödianten sind eben diejenigen, die man hier vor allen andern hoch zu schätzen pflegt. Ich kann mich unmöglich enthalten, sie zu umarmen, und mir die Ehre ihrer Bekanntschafft auszubitten. Scaramutz. Bruder das klingt anders, nun ist der Teuffei gar loß. Harlekin. Bis hieher hab ich noch immer einen Zweifel gehabt, ob wir auch würklich hier in die verkehrte Welt gekommen, aber nun bin ich völlig überzeuget. Die teutsche Comödianten allen andern vorzuziehen? solte dieß nicht die verkehrte Welt seyn? richtig, ja, ja, sie ists. (7. Auftritt) Lessing hält seinen Landsleuten den Nachbarstaat Frankreich vor Augen: »Der Franzose hat doch wenigstens noch eine Bühne; da der Deutsche kaum Buden hat. Die Bühne des Franzosen ist doch wenigstens das Vergnügen einer ganzen grossen Hauptstadt; da in den Hauptstädten des Deutschen, die Bude der Spott des Pöbels ist. Der Franzose kann sich doch wenigstens rühmen, oft seinen Monarchen, einen ganzen prächtigen Hof, die größten und würdigsten Männer des Reichs, die feinste Welt zu unterhalten; da der Deutsche sehr zufrieden seyn muß, wenn ihm ein Paar Dutzend ehrliche Privatleute, die sich schüchtern nach der Bude geschlichen, zuhören wollen« (81. Literaturbrief, L/M 8, S. 217). Auch Gottsched verurteilte die Ignoranz der deutschen Nobilität: »Soviel ist aber gewiß, daß die deutschen Comödianten, bey unsern meisten gar zu ausländisch gesinneten Höfen, bisher nicht sonderlich geachtet worden: Außer daß die neuberische Bande einmal die Ehre gehabt, zu Hubertsburg vor Sr. Königl. Majestät etliche Trauerspiele und Lustspiele von der guten Art aufzuführen, und gnädigsten Beyfall zu erlangen« (Vorrede zur Deutschen Schaubühne, Bd. 2, S. 24). Selbst der reformerische Frühaufklärer Christian Thomasius stellte die Frage: »Ob und wieweit Comödianten/Pickelheringe/item Scharffrichters Söhne ad Dignitates Académicas zuzulassen« (Gertrud Schubart-Fikentscher, S. 7, Anm. 1). Auch Christian Wolff legte in seinen »Vernünfftigen Gedancken Von dem Gesellschafftlichen Leben« der Obrigkeit Vorsicht im Umgang mit den Landfahrern nahe: »Durch Quacksalber, Marcktschreyer, Comödianten, Seil-Täntzer, Spieler und andere Land-Läuffer, absonderlich die Glücks-Töpffer, wird viel Geld aus dem Lande gezogen, wenn es Leute sind, die nicht in unser Land gehören. Nun folget freylich vor sich, daß, wenn man das Geld im Lande behalten will, man dergleichen Leute in das Land nicht lassen muß, vielweniger aber für einen kleinen Profit, den die Obrigkeit durch einigen Abtrag von ihnen hat, verstatten könne, daß sie ihr Werck öffentlich treiben und den Unvorsichtigen, Neugierigen und Gewinnsüchtigen das Geld ablocken« ( s 1740, S. 564).

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zugkräftigen komödiantischen Aufführungen trieben, um ihre - meist reichlich dubiosen — Produkte werbewirksam an den Mann zu bringen. Zwei Beispiele belegen recht anschaulich »den gewaltigen Apparat und den Pomp, mit dem um jene Zeit die fahrenden Ärzte bisweilen auftraten«. Das erste Beispiel datiert von 1724: »Am 2. Juli kam ein berühmter Arzt an namens Joh. Chr. Hüber mit 5 Kutschen, darunter 2 sehr prächtig, hatte bei sich 50 Person, darunter Frauen und Kinder, eine Zwergin, 2 Heiducken, 2 Trompeter und verschiedene gute Musicanten, so sich auf den Waldhörnern sehr wol hören ließen, auch 18 Pferde und 2 Kamele. Er hatte sein Theatrum auf dem Ratzengraben, verkaufte seine Waar, spielte vor und nach Comoedien, wie auch zweimal auf dem Salzstadel, hatte höfliche Leute und proper in Kleider. Zum Jahre 1733 heißt es: 13. Juli kam der vor 9 Jahren hier gewesene Arzt Joh. Christian Hüber wieder mit vielen Leuten, darunter waren 30 Musikanten, 1 Mohr, 1 Heiduck, 1 Zwergin, 1 Seildänzer, 6 Laquaien und verschiedenes Frauenzimmer und Personen. Er hatte 14 Tage Erlaubnis und spielte alle Tag Comoedie und zwar recht methodice.« 4 Eine bei Gersdorff abgedruckte Zeittafel der in Kiel agierenden Artisten mit Angabe des Charakters der Truppe gibt eine Vorstellung der Buntschekkigkeit dieses Varieté-Programms. Neben deutschen, englischen und niederländischen Wandertruppen traten auf: Seiltänzer, Marionetten- und Puppenspieler; Hundetheater, Springer, chinesische Künstler, Klopfechter; der Patron Johann Harmsen versprach in der Ankündigung, er mache »allerhand Künste«; der Patron Ludewig Schüler spezialisierte sich auf »Starkemanneskünste«. Nach einem Gastspiel der Ackermannschen Hamburgischen Schauspielergesellschaft trat ein Balanciermeister auf, ein Herr Rediger führte seine »Mechanischen Künste« vor. 5 Auch als sich die ersten Schauspielergesellschaften unter künstlerischen Prinzipalen wie Treu und Paulsen bis hin zur Neuberin und zu Schönemann formierten, Prinzipale, die mit dieser Marktschreierei und Quacksalberei nicht das mindeste gemein hatten, blieben die alten Vorurteile bestehen, 4 5

Th. Hampe, S. 155, 156, Anm. Gersdorff, S. XXI-XXIV. In Schmids »Chronologie« findet sich: »Ein andrer Principal, der um diese Zeit im übrigen Deutschland figurine, ein gewisser Beck, verdient kaum genannt zu werden. Er war Zahnarzt und Hanswurst; was mögen seine Schauspieler gewesen seyn?« (S. 36; vgl. auch Anm. 247). Als weiterer Afterkomödiant zog ein gewisser Herr von Quoten durch die Lande, der den Dänen die deutsche Komödie nahebringen wollte, allein Holberg setzte in seiner Satire »Ulysses von Ithaca« dem Quotenschen Staatsaktionen-Schwulst arg zu, »und so scheiterte dieses Unternehmen gar bald« (Schmids Chronologie, S. 34). Vgl. Beilage 8

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führte das Außenseitertum der Schauspieler, ihre teilweise unleugbare Unbildung und ihre gesellschaftliche Pariaexistenz zu einem sich endlos bedingenden Circulus vitiosus. Auf der einen Seite warf man ihnen vor, ganz im Gegensatz zu ihren französischen Standesgenossen, auf der Bühne, in den sog. Anstandsrollen, in keiner Weise den feinen Ton der Welt zu treffen, 6 andererseits waren ihnen aber auch die Kreise, in denen sie diesen mondänen SalonStil hätten kennenlernen können, von vornherein verschlossen. Die Herkunft der meisten Berufsschauspieler tat ein übriges, den Stand in der allgemeinen Achtung herabzusetzen. Soldat oder Komödiant — vor diese Alternative sahen sich gescheiterte Existenzen gestellt. Das Hauptkontingent der Schauspielertruppen stellten — meist abgebrochene oder verarmte — Studenten. 7 Noch 1787 rät der Verfasser des Aufsatzes »Versuch über den Stand und die Schätzung der Schauspieler« davon ab, den Beruf des Schauspielers zu ergreifen, wenn man sich in der Lage sieht, ein anderes Metier zu wählen, in dem weniger Vorurteile zu überwinden sind. 8 In den Vorreden zu den von

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Das Mannheimer Ausschußmitglied Rennschüb definiert: »Anstand ist Würde in Wort und Geberden. Nach meiner Meinung bedient man sich des Ausdrucks Anstand, um das Benehmen, die Würde des Mannes, aus der großen Welt anzuzeigen; Tanzen, Fechten, Umgang in feinen Kreisen wird dem Anstandsspieler sehr förderlich sein« (Diebold, Rollenfach, S. 93). Risbeck kann in seinen »Briefen eines reisenden Franzosen« über einige der Wanderbanden berichten: »Sie bestehen meistens aus verlaufenen Studenten und liederlichen Handwerkspurschen, die bald auf dem Theater, bald unter den Soldaten, bald im Zuchthaus, bald im Spital sind« (Risbeck 1, S. 79). Prinzipal Schönemann muß aus Erfahrung bestätigen, »daß die meisten, welche den Stand eines Komödianten erwählen, bloß aus Not, weil sie durch ihre Jugendfehler ihren Zustand schlecht gemacht, dieses Brot ergreifen, um sich dadurch anfänglich einer mittelmäßigen Versorgung zu versichern, so habe ich doch auch an vielen gefunden, daß sie vermeinen, wer dem Schauplatz diene, dem stehe alles frei, Verschwendung, Faulheit, Wollust, Betrug, Undank und ein Ehrgeiz, welcher nichts anders als einen recht übermütigen und pöbelhaften Stolz zum Grunde hat. Heißt aber dieses nicht dem Schauplatz Schande angetan?« (Vorrede zum 5. Band zu seiner Schaubühne, zit. nach Fetting, S. 207f.). Diderot stellt im »Paradox über den Schauspieler« die Überlegung an: »Was ist es, das sie auf den Sokkus oder auf den Kothurn bringt? Mangel an Erziehung, Elend und liederliches Leben. Das Theater ist ein Ausweg, niemals freie Wahl. [ ... ] Ich selbst habe als junger Mensch zwischen der Sorbonne und der Komödie geschwankt. Statt fleißig im Atelier des Malers, Bildhausers, kurz des Künstlers, der ihn angenommen hat, zu arbeiten, verliert ein junger Taugenichts die kostbarsten Jahre seines Lebens und steht mit zwanzig Jahren ohne Mittel und ohne Talent da. Was soll aus ihm werden? Soldat oder Komödiant? Er schließt sich einer Schmiere an« (Frankfurt 1964, S. 43, 47). Ephemeriden 1787, S. 280

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Schönemann herausgegebenen Stücken wendet sich dieser gegen pauschale Parteinahme gegenüber dem Komödiantenstand schlechthin. >So undankbar und so unverständig auch die Verachtung unseres Standes scheint, so hoch wird sie doch in Deutschland getrieben. Ich kann es aus meiner Erfahrung beweisen. Ich habe unzählig viele und zwar nicht nur in geringen Ständen gefunden, welche das Vorurtheil nicht nur gehabt, sondern auch zu meinem Schaden haben sehr thätig werden lassen, daß einen Komödianten zu betriegen nicht nur kein Unrecht und keine Schande, sondern so gar ein verdienstliches Werk vor dem Himmel und vor der Erde sey. — Welche Unehre !< >Mir ist es hingegen liebdaß ich auch als Komödiant ein ehrlicher Mann seyn muß und seyn kann.«9 Besonders schwer machten den Schauspielergesellschaften die eingeschworene Feindschaft und Intoleranz der Geistlichkeit zu schaffen. Der für die öffentliche Meinungsbildung sehr einflußreiche Klerus stufte die Komödianten als Außenseiter der Gesellschaft ein. Theater überhaupt wurde in den Predigten als Blendwerk der Hölle verteufelt und verdammt. Sakramentsverweigerungen waren an der Tagesordnung. 10 Die Zahl der Streit-

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Vorrede zum 4. Band, zit. nach H. Devrient, Schönemann, S. 160f. Geradezu erpreßt wurde die Veltheimin auf ihrem Sterbelager. Plümicke bezieht sich auf das Traktat eines zelotischen Geistlichen: »Dabei sich zutrug, daß als daselbst die Veltheimische Wittwe in ein hitziges Fieber gefallen, und aus Angst ihres bösen Gewissens und Furcht des vor Augen schwebenden Todes, sich wegen ihrer sündlichen Profession mit Gott versöhnen wollte, und das heil. Abendmal verlangte, da wolte kein Prediger das Heiligthum dieser Hiindinn geben, ehe und bevor sie an Eides statt angelobet, diese unseelige Lebensart künftighin gänzlich zu quittiren, dafern aus ihrem Siechbette ein Siegbette werden sollte. Welches letztere zwar auch geschehen; aber sie hat ihr Wort schlecht gehalten, sondern ist bald wiederum revertiret« (S. 81). Auch dem Schauspieler-Dichter Uhlich wurde auf dem Totenbette das letzte Abendmahl verweigert. »Uhlich raffte seine letzten Kräfte zusammen und führte noch einen förmlichen öffentlichen Streit mit der Frankfurter Geistlichkeit, besonders dem Senior Starke, verfaßte seine poetische >Beichte eines christlichen Comödianten< und starb darauf in Elend und Raserei« (Devrient, Schauspielkunst 1, S. 437). Im 44. Stück der »Kritischen Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit« von 1751 kündigt Lessing an: »Eines christlichen Comödianten Beichte an GOtt, bey Versagung der öffentlichen Communion«. Der Rezensent kommentiert: »Wir können diesen einzeln Bogen sicher unter den Artikel von Frankfurt setzen, da wir wissen, daß Hr. Uhlich der Verfasser davon ist, welcher auf dem Schuchischen Theater daselbst spielet. Er ist es, welchen der Hr. Pastor Fresenius aus keiner andern Ursache vom Beichtstuhle gewiesen hat, als weil er ein Schauspieler ist. Wir hätten nimmermehr geglaubt, daß ein protestantischer Theologe einer solchen Päbstischen Tyranney fähig seyn könnte« (L/M 4, S. 269). Sarkastisch formuliert Löwen in seiner Vorrede zu Joh. Chr. Krügers Schriften: »Der selige Herr Krüger - Mit Erlaubniß unserer Orthodoxen, daß ich einen als Komödiant gestorbenen Christen selig nenne« (Vorrede, unpag.).

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Schriften u n d Pamphlete einer eifernden Priesterschaft und der Pietisten ist Legion. 1 1 Besonders theaterallergisch hatte sich die H o c h b u r g der Pietisten, die Universitätsstadt Halle, gezeigt. M i t Fanatismus und Intoleranz suchte sie alles, w a s mit Bühne und Schauspiel zu tun hatte, aus ihren heilig-hehren Mauern fernzuhalten. 1 2 Der Klerus sah in den Komödianten nicht nur die Inkarnation eines Gott ungefälligen Lebens, er fürchtete sie darüber hinaus als nicht zu unterschätzende Konkurrenz der Kanzel. 1 3 Konkurrenz für Katheder und Kolleg ließ die Professoren der A l m a mater Leipzig Sorge dafür tragen, daß wöchentlich nur zweimal Vorstellungen gegeben werden durften. Diesem Bannstrahl, der Prinzipal Koch traf, waren bereits mehrere Versuche vorangegangen, Theateraufführungen in Universitätsstädten generell zu verbieten. 11

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Das bekannteste ist wohl das von Plümicke oben (Anm. 10) angefühlte Pamphlet des Pastors Fuhrmann, das sich, »seiner abentheuerlichen Schreibart und des noch abentheuerlichen Inhalts, wegen, von vielen andern Schriften unterschied.« (Plümicke führt den Titel als Beweis an: »Die an der Kirchen Gottes gebauete SatansCapelle, darinn dem Jehova Zebaoth zu Leid und Verdruß und dem Baal-Zebub zur Freud und Genuß [ . . . ] allen christlichen Seelen zur Anschau und Abscheu vorgestellet von Marco Hilario Frischmuth, (Mart. Heinr. Fuhrmann). Gedruckt zu Cölln am Rhein, und verlegt von der heiligen drey Könige Erben« (Plümicke, S. 79, 80; Titel gekürzt). Katastrophen brachte man gerne mit diesen Satans-Kapellisten und luziferischen Beelzebuben, diesen Kindern des Abgrunds, der Finsternis und der Hölle in Verbindung. Ein Beispiel: »Im Jahre 1739 wurde der Veltheimischen Gesellschaft der Schützenwall in der Nähe des Schuldthurms für ihre Vorstellungen eingeräumt, die indeß nicht lange dauerten, da in diesem Jahre ein Blitzstrahl den Pulverthurm (die Braut) an der Weser-Brücke in die Luft sprengte, wobei viele Menschen ihr Leben verloren, und das Volk darin ein Strafgericht Gottes zu erkennen glaubte; welches Buße und Entsagung weltlicher Gelüste predige« (Behncken, S. 8 f.). Die Geisteskrankheit von Ekhofs Frau wurde nach Ifflands Angaben durch einen fanatischen Bremer Geistlichen, der der Schauspielerin drastisch ihren sündigen Stand vor Augen führte, zum Ausbruch gebracht (Vgl. Uhde, S. 164; Litzmann, Schröder 1, S. 314). 1744 sandte das akademische Konzil einen Immediatbericht an den preußischen König, »mit der Bitte, daß Halle von Komödianten und dergleichen Leuthen gäntzlich verschonet bleiben< möge.« Einen weiteren Vorstoß der Pietisten kontert der König: »>Da ist das geistliche Mukerpak schuldt dran. Sie Sollen Spillen, und Herr Franke, oder wie der Schurke heißet, Sol darbei Seindt, umb die Studenten wegen seiner Närischen Vohrstellung eine öfentliche reparation zu thun, und mihr Sol der atest vom Comedianten geschicket werden, das er dargewesen ist< « (Meyer, Halle, S. 34). Der überaus freundliche Empfang der Ackermannschen Gesellschaft in Bremen rief sofort die Geistlichkeit auf den Plan. »Die geistlichen Volksredner wurden eifersüchtig darüber, und sprachen auf ihrem Grund und Boden so heftig dagegen, daß es ihnen von Obrigkeits wegen untersagt werden mußte« (Meyer 1, S. 138).

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Als Nachteile für die akademische Jugend führen die Hochschulen »allerhand Unordnungen«, »Distraction bei denen Studiosis«, »Müßiggang« und »Depensen« ins Feld. 1 4 Aus diesem Grund, so der Appell der Leipziger und Wittenberger Professorenschaft an die staatliche Obrigkeit, seien Auftritte von Komödiantenbanden in Universitätsstädten nicht zu gestatten. Hartnäckigster Feind der Musenjünger blieb jedoch nach wie vor eine orthodox-zelotische

Geistlichkeit.

Das

studentische

Komödienwerk

eines

nachmaligen Pastors war Anlaß zur weitschweifigen Studie: Theologische Untersuchung der Sittlichkeit der heutigen deutschen Schaubühne, überhaupt: wie auch der Fragen: Ob ein Geistlicher, insonderheit ein wirklich im Predigt-Amte stehender Mann, ohne ein schweres Aergernis zu geben, die Schaubühne besuchen, selbst Comödien schreiben, aufführen und drucken laßen, und die Schaubühne, so wie sie itzo ist, vertheidigen, und als einen Tempel der Tugend, als eine Schule der edlen Empfindungen und der guten Sitten, anpreisen könne? von Johan Melchior Goezen, Past. zu. St. Catherinen, E. Hochehrw. Ministerii Seniore, und Ephoro der Schulen in Hamburg. 15 Hauptkläger Goeze brachte zur Unterstützung seiner Vorwürfe ein Gutachten der theologischen Fakultät Göttingen bei. 1 6 Delinquent in diesem Ver14

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Oehlke, Lessing 2, S. 537; Reden-Esbeck, S. 274. 1769 erhält Prinzipal Seyler ein vorteilhaftes Privileg für das Kurfürstentum Hannover. Solchermaßen bevorrechtet, durfte er »die vornehmsten Städte des Churfürstenthums« bereisen, »mit Ausnahme von Göttingen, welches als Universitätsstadt vor der Pest deutscher Komödie fürder durchaus gehütet bleiben sollte« (Uhde, S. 174 f.). Hamburg 1770 Deneke, S. 42 Hinsichtlich des theatergeschichtlichen Materials griff Goeze auf Löwens »Geschichte des deutschen Theaters« zurück. »Eine Überraschung, aber keine angenehme, war es für Löwen, daß 1770 der Hauptpastor Göze in seiner, den berüchtigten Hamburger Theaterstreit einleitenden, zweibändigen, theologischen Untersuchung der Sittlichkeit der deutschen Schaubühne Löwens Theatergeschichte als Arsenal benutzte, um Argumente wider die Bühnenleute daraus zu entlehnen. [ . . . ] Löwen verschmähte es, seinem Gegner direkt zu antworten, machte aber in einem Briefe an Klotz seinen Gefühlen Luft: >Daß der Nachtwächter des Hamburgischen Zions aufs neue in sein Horn gestossen, ist Ihnen vielleicht schon bekannt. Seine Chaneque über die Sittlichkeit der deutschen Bühne, worin nicht einmal eine hausbackene theologische Moral herrscht, hat auch mir die Ehre erwiesen, mich unter das Register der Kinder dieser Welt zu zählen, die dem Theater, dieser grossen Diana, diesem Bordell, diesem von der Pest inficirten Hause, diesem Hurengarten, diesem Bildersaal voll ärgerlicher Schildereyen u. s. w. Opfer und Verehrung bringen. Kaum glaube ich es, daß er aus frommer Einfalt sein Bündel Holz zu den theatralischen Inquisitionsgericht herbey tragen. Sein pasquilantisches Betragen gegen Schlossern ist offenbare Bosheit. Daß er unter Molièrens Stücken den Tartüf für das lehrreichste Stück hält, ist ein Beweiß, daß er selbst der ärgste Tartüf ist« « (Stümkke, Einleitung zu Löwens Theatergeschichte, S. XXXIIIf.).

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fahren war der Bergedorfer Pastor Johann Ludwig Schlosser, Casus belli: dessen Lustspiel »Der Zweykampf«, Advocatus Diaboli: Professor Nölting. Als Richter schaltete sich - nach harten, immer unsachlicheren Attacken der Ankläger - der Hamburger Senat ein, der sich veranlaßt sah, Partei für den Beklagten gegen den Hauptpastor Goeze zu nehmen. Ein Edikt von 1769 verbot alle weiteren Pamphlete in dieser Angelegenheit. 17 Lessings Votum im 2. Anti-Goeze ist bekannt: Als Sie, Herr Hauptpastor, den guten Schlosser wegen seiner Komödien so erbaulich verfolgten, fiel eine doppelte Frage vor. Die eine: darf ein Prediger Komödien machen? Hierauf antwortete ich: warum nicht? wenn er kann. Die zweyte: darf ein Komödienschreiber Predigten machen? Und darauf war meine Antwort: warum nicht? wenn er will. - 1 8

Freunde des Theaters bedauerten bei dieser Fehde am meisten, daß sich im Gefolge dieser Angriffe der Geistlichkeit die Apologeten immer mehr veranlaßt sahen, in erster Linie oder gar ausschließlich die Sittlichkeit und Moralität der Schaubühne zu betonen. Eine Änderung dieses Zustandes, eine Hebung des Standes, soziale Anerkennung und gesellschaftliche Achtbarkeit konnte - neben eloquenten Apologien — nur von den Schauspielern selbst ausgehen. Großes Verdienst kommt in dem Bemühen um bürgerliche Respektabilität durch moralische Lebensführung dem darstellenden Künstler Konrad Ekhof zu, der sowohl durch seine persönliche Integrität als auch mit der Gründung einer Schauspieler-Akademie einen entscheidenden Schritt in diese Richtung tat. Gleiche Rechte und Pflichten sollten den Schauspieler dem Bürger gleichsetzen; den gängigen Vorurteilen wider den Stand sollten die Künstler ein moralisch-ethisch untadeliges Leben entgegenstellen.19 Diesen Bestrebungen Ekhofs trägt Iffland in seiner Gedächtnisrede auf das große Vorbild Rechnung. Für Iffland ist der große Lehrmeister der erste, »welcher der deutschen Schauspielkunst Bemerkung, Wert, Ansehen und Namen erworben hat«. 2 0 Durch ihren persönlichen Umgang mit den darstellenden Künstlern gaben Goethe und Schiller ein positives Beispiel für die Weimarer Bevölkerung ab. In einem Gespräch mit Eckermann vom 22. März 1825 führt Goethe aus: 17

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Vgl. zu diesem zweiten Hamburger Theaterstreit (der erste Strauß wurde bereits 1 6 8 0 / 9 0 in der Hansestadt ausgefochten) die Darstellungen bei: H. Alt, Theater und Kirche, S. 6 3 8 - 6 4 5 ; E. Schmidt, Lessing 1, S. 6 4 1 - 6 4 5 ; Danzel/Guhrauer, Lessing 2, S. 1 4 8 - 1 5 1 . Eine Aufzählung der Streitschriften pro et contra findet sich in Schmids Chronologie, S. 185 f. sowie bei Schütze, S. 349. L / M 13, S. 151 Dies Bestreben findet sich bereits bei der Neuberin, die ihre ledigen Schauspieler in Kost und Logis nahm und auf die noch unverheirateten Aktricen als ihre Pflegetöchter ein wachsames Auge hatte. Fetting, Ekhof, S. 173

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Auch war ich mit den Schauspielern in beständiger persönlicher Berührung. Dadurch brachte ich sie in ihrer Kunst weiter. Aber ich suchte auch den ganzen Stand in der äußern Achtung zu heben, indem ich die Besten und Hoffnungsvollsten in meine Kreise zog und dadurch der Welt zeigte, daß ich sie eines geselligen Verkehrs mit mir wert achtete. Hiedurch geschah aber, daß auch die übrige höhere weimarische Gesellschaft hinter mir nicht zurückblieb und daß Schauspieler und Schauspielerinnen in die besten Zirkel bald einen ehrenvollen Zutritt gewannen. 21 Z w a r gab es noch immer Anfeindungen: der Gießener Professor Christian Heinrich Schmid hatte ein sehr schmeichelhaftes und rühmliches Lobgedicht auf einige Mitglieder der Ekhof-Truppe verfaßt — »ein Unterfangen, welches ihm als >Entweihung der Feder< v o m Universitätsrector so übel genommen wurde, daß eine gerichtliche B e l a n g u n g . . . darauf erfolgte«. 2 2 Im allgemeinen hatte sich jedoch das gegenseitige Verhältnis zwischen Schauspielern und Gesellschaft im Vergleich zum Anfang des Jahrhunderts wesentlich gebessert. 2 3 Ein deutliches Symptom dieser Standesemanzipation läßt sich auch dem Sprachgebrauch der Zeit entnehmen. In amtlichen Dokumenten ist der T o n achtungsvoller geworden: der Ausdruck »Bande« wird ersetzt durch die honorigere Bezeichnung »Schauspielergesellschaft«, der verachtete Komödiant eines proskribierten Theaterproletariats ist zum seriösen Schauspieler avanciert. Und in der Tat, Bildung, Benimm und materielle Lage der Bühnenkünstler werden dieser neuen Einstellung gerecht. N o c h gilt dies zwar nicht für das Gros der Akteure, noch sind es vor allem die herausragenden Einzelpersönlichkeiten, die sich die Achtung des Bildungsbürgertums erworben haben, aber die geänderte Situation kommt dem ganzen Stand zugute. Auch intern hat sich manches zum Besseren entwickelt. Die Organisa-

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Goethes Gespräche. Gesamtausgabe Biedermann, Leipzig 1910, Band 3, S. 168 f. Vgl. Satori-Neumann, S. 187 f. Uhde, S. 188 Der frühe Tod der populären Charlotte Ackermann im Jahre 1775 wurde von den Hamburger Bürgern mit großer Anteilnahme betrauert; Nachrufe und Nekrologe wurden verfaßt. Als der verstorbenen Aktrice gar ein Denkmal gesetzt werden sollte, verbot der Senat, »der es anstößig fand, von einer Schauspielerin soviel Wesens zu machen, [ . . . ] alle ferneren Zeitungsartikel über sie« (Devrient, Schauspielkunst 1, S. 465; vgl. Eichhorn, Ackermann, S. 168). Ganz anders mußte im Jahre 1760 noch die Neuberin unter die Erde gebracht werden: ihr letzter Wohltäter, der Bauer Möhle, zimmerte - so Reden-Esbeck »nach Aussage einer im Jahre 1852 noch lebenden Enkelin, den Sarg und da er Niemand fand, der eine Komödiantin zur letzten Ruhestätte bringen wollte, lud er sie mit Hülfe der Seinigen auf einen Schubkarren und fuhr sie am andern Morgen, Sonntag, den 1. Dezember, nach dem eine halbe Stunde entlegenen Kirchhof zu Leuben, wo Laubegast eingepfarrt ist. Dort angelangt, verweigerte der Pfarrer das öffnen des Kirchhofs und so mußte der Sarg über die Kirchhofsmauer geschafft werden« (S. 342f.).

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tionsformen der Gesellschaften haben sich stabilisiert. In den Zeiten der Wanderexistenz waren Kontraktbrüche von beiden Seiten an der Tagesordnung. Prinzipale gingen selbst - oder schickten loyale Mitglieder - auf Abwerbungsreise, um Publikumslieblinge zu gewinnen. Die Engagements- und Kündigungsmodalitäten waren dieser Fluktuation nur förderlich. Schriftliche Kontrakte waren unüblich; bei der Berufung auswärtiger Darsteller galt meist der Brief als Vertrag. Kündigungsfristen waren — wenn überhaupt — mit 3 bis 6 Wochen äußerst kurz angesetzt. Mit der Seßhaftwerdung der Kompanien wurden die Fristen auf 4 bis 6 M o n a t e verlängert.24 Eine weitere, ganz wesentliche Verbesserung brachten die Bemühungen um eine fundierte praktisch-theoretische Ausbildung der Schauspieler. Geistiger Mentor dieses Akademie-Gedankens war Ludovico Riccoboni mit seiner Abhandlung über die Deklamation. Er plädiert für eine theoretische Unterweisung nach Mustern der Praxis. 2 5 24

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Das Gothaer Pro Memoria entschied: »Wenn ein Schauspieler das hiesige Theater verlaßen, und sein Engagement aufgeben will, so hat er solches 6. Monat vorhero bey dem Herzogl. Ober-Hofmarschallamte zu melden und anzuzeigen« (Hodermann, S. 23). Schröders Theatergesetze von 1798 legen bezüglich der Kündigung fest: »Wenn kein schriftlicher Contract, auf bestimmte Zeit, gemacht ist, so hat eine gegenseitige viermonatliche Aufkündigung Statt. Niemand kann früher abgehn noch entlassen werden, außer im obenerwähnten Falle« (Meyer 2, Anhang, S. 240). Riccobonis Anregung, Kinder zu Schauspielern auszubilden, wird von J. E. Schlegel aufgegriffen. In seinem »Schreiben von Errichtung eines Theaters in Kopenhagen« will er das 12köpfige Ensemble durch »zwey Kinder, welche man zu Acteurs aufziehen, und bey ihnen in die Kost thun könnte«, erweitert wissen (Schlegels Werke, Theil 3, S. 254). Engagierter Befürworter von Theaterschulen war Lessing. Der Wiener Abgesandte Müller sollte den ehemaligen Hamburger Dramaturgen für das Wiener Theater Josephs II. gewinnen. Zweimal weilte das Mitglied der k. k. Nationalbühne 1776 in Wolfenbüttel. Lessing entwickelte seine Vorstellungen über die Einrichtung einer Theater-Philanthropie, die Müller in seinen Reiseaufzeichnungen festgehalten hat. Lessing kritisierte am Wiener Theater insbesondere die unterschiedliche Aussprache der Akteure, die eine harmonisch geschlossene Aufführung verhindert. Auf Müllers Frage, wie diesem Problem abzuhelfen sei, gab Lessing zur Antwort: »Durch eine Schule [ . . . ]. Machen sie ihrem Kaiser Vorstellungen, ein TheaterPhilantropin zu errichten, so wie der Churfürst von der Pfalz gegenwärtig eine Singschule gestiftet hat, die viel Gutes verspricht. Jede Kunst muß eine Schule haben, in der frühesten Jugend durch gute Grundsätze vorbereitet und geleitet werden. Nur dadurch, durch eifriges Studium und mühsamen Schweiß erwirbt sich der darin gebildete Schauspieler das Recht auf die Achtung und Ehre seiner Zeitgenossen. [ . . . ] Wäre der Endzweck des Schauspieles auch nur blos das Vergnügen des Volks, so ist es schon aus diesem Grunde wichtig, dem Volke seine Unterhaltungen nicht durch Idioten und sittenlose Menschen vortragen zu lassen, für welche es aus-

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Mylius, J. E. Schlegel und Lessing waren es, die als weitere entscheidende Basis für eine Verbesserung des Theaterwesens eine höhere und vor allem gesicherte Besoldung der Schauspieler voraussetzten. In welcher materiellen Lage befand sich nun konkret der Bühnenschaffende im 18. Jahrhundert? M i t welcher Gage konnte er rechnen? W a r sein — vermutlich geringes — Einkommen gesichert? Konnte er in irgendeiner Weise Anspruch auf Altersversorgung erheben? Erfährt man die Gagenbezüge der bekanntesten und größten Darsteller des 1 8 . Jahrhunderts, so erweisen sich die erwähnten Forderungen nach höherer und sicherer Besoldung als voll gerechtfertigt: um die ökonomische Situation eines Bühnenkünstlers war es äußerst schlecht bestellt. Ekhof brachte es zeitlebens — auch als Direktor des Gothaer Hoftheaters nicht höher als auf 6 0 0 Taler Gehalt und 9 Klafter H o l z ! 2 6 Die Neuberin zahlte ihren Kunstgenossen im Höchstfall 5 Gulden Wochengage, ein Anfänger mußte mit 2 Gulden auskommen. 2 7 Wenig besser gestellt waren die Mitglieder der Schönemannschen Gesellschaft. Das Rechnungsbuch des Prinzipals gibt die Summe der wöchentlichen Gehälter mit insgesamt 1 6 Talern 18 Groschen a n . 2 8 Ackermann, Heydrich und Frau Schröder beziehen die größten Gagen, wöchentlich zwei Taler. Die geringste ist ein Taler acht Groschen, gerade so viel erhalten die Schneidergehülfen, deren vier beschäftigt sind. Ekhof bekömmt einen Taler sechzehn Groschen, das ist wenig über fünf Groschen auf den Tag, während als Tage-

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ser den Stunden der Geistes-Erholung keine besondere Achtung haben kann« (Müller, Abschied k. k., S. 133 f.). Diese Theatral-Pflanzschule errichtete Müller tatsächlich 1779 in Wien, mußte sie aber, trotz Subskription und Unterstützung des Publikums, bereits 1780 wieder auflösen (vgl. Litteratur- und Theater-Zeitung, 1782/2, S. 334ff.). Eduard Devrient griff mit pädagogischem Impetus diese Anregungen und Postulate auf. In seiner Abhandlung »Über Theaterschule« legt er konkrete Vorschläge für eine umfassende Schauspielerausbildung vor (Dramatische und dramaturgische Schriften, Band 4, 2 1846). Vgl. Devrient, Schauspielkunst 1, S. 421 1766 bezog der verheiratete Ekhof die bescheidene Gage von 300 Talern jährlich, »theilweise in Theaterbillets, die er durch Zwischenhändler auf der Straße erst in Baar umsetzen ließ« (Uhde, S. 154). 1768 gingen die Geschäfte seines Patrons Seyler schlecht und »Ekhof mußte zufrieden sein, statt jeden Sonnabend pünktlich, Mittwochs, falls an diesem Tage die Einnahme es gestattete, seine Gage zu erhalten; doch war die Kasse beständig von Gläubigern umlagert, die ihre Forderungen oft mit lautem Geschrei geltend machten, sodaß Ekhof mit den seinigen den schwersten Stand hatte« (ibid., S. 172 f.). Vgl. Reden-Esbeck, S. 77; Blümner, S. 46: »Koch erhielt gleich Anfangs 5 Fl. und wegen seiner vorzüglichen Brauchbarkeit später 9 Fl., nie mehr.« (Fl.: Zeitübliche Abkürzung für Gulden) Devrient, Schauspielkunst 1, S. 3 1 4

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lohn für den Zettelträger und einen Zimmermann sechs Groschen notiert sind. Auch steht diese Einnahme in einem peinlichen Verhältnisse mit den Preisen notwendiger Bedürfnisse; z.B. findet sich von Schönemann der Posten notiert: >Vor mich ein paar Schuh - ein Taler vier Groschen.< 29

Die Weimarer Schauspieler erhielten bestenfalls 8 bis 9 Taler wöchentlich. 3 0 Diese bescheidenen Bezüge reduzierten sich noch in den Zeiten, in denen theatralische Aufführungen verboten waren oder bei schlechter Finanzlage des Prinzipals. Die Schuchin erscheint mit ihrer Gage geradezu hoch dotiert: Sie erhielt bei Nicolini als Colombine wöchentlich 11 Taler, »welches für die damalige Zeiten sehr viel war«. 3 1 Bei Schuch selbst belief sich die gesamte wöchentliche Gage für seine Mitglieder zeitweilig auf »kaum 4 0 bis 50 Thaler, welches ihm denn erlaubte, bei vorkommenden Verdrieslichkeiten das Theater auf eine kurze Zeit zu verschliessen, oder auch die Gesellschaft in corpore zu verabschieden, so wie beides zum öftern würklich geschehn ist.« 3 2 Zum Vergleich dieser Gagenbezüge der Wanderkomödianten einige Angaben zur Honorierung des Hofopernpersonals: es erforderte »die italienische Oper im Jahre 1718 allein an Gehalten die Summe von 5 5 4 5 1 Thlr. 2 4 Gr., wovon 45 033 Thlr. 8 Gr. auf sechszehn dramatische Künstler — darunter nur ein Deutscher — und zwei italienische Souffleure, dagegen der Rest von 1 0 4 1 8 Thlr. 16 Gr. auf zwei Theaterarchitekten, sechs Maler, fünf Zimmerleute und zwei Dolmetscher — sämtlich Italiener — kamen: außerdem wurden noch manche Vergünstigungen gewährt, wie freie Wohnung, Kost, Licht, Heizung usw.«. 3 3 Auch hier brachten die Konsolidierung des Standes, die Seßhaftwerdung der Kompanien einige Vorteile für die soziale Lage der Schauspieler. Hatte 29 30

31 32 33

ibid. Satori-Neumann, S. 180. — »Aber dennoch konnte ein sparsamer Mann bei solch geringer Gage anständig leben, so beispiellos billig waren die Lebensbedürfnisse; ich z. B. zahlte in einer Familie für Logis, Frühstück, Mittagessen und Bedienung wöchentlich IV2 Taler« (Genast, S. 47). Gallerie, S. 134; vgl. Schmids Chronologie, S. 64 Plümicke, S. 3 7 7 Hammitzsch, S. 136 Vgl. Fürstenau 1, S. 2 3 0 : »Diese Kurfürstlichen Schauspieler erhielten gewöhnlich den Titel eines >Hoff- und Cammer-Bedienten«, mit einem Gehalte von 150 fl., später (1676) 2 0 0 Thlr., für >alles und jedes< « (Vgl. Gagenliste, ibid., S. 309ff.). Bühnen-Baumeister Ferdinando Galli-Babiena wurde 1748 mit einem Jahresgehalt von 2 2 6 6 Talern in höfischen Dienst genommen (Fürstenau 2, S. 256). Servandone wurde gar mit einem Jahressalär von 2 0 0 0 0 Florins am Dresdner Hof gehalten (Beijer in »Bühnenformen«, S. 104). Uber die Verhältnisse am Stuttgarter Hof vgl. Krauß, S. 32, 4 6 sowie die Besoldungslisten bei Sittard 1, S. 32ff., 123f.; 2. Bd., S. 1 9 4 - 2 1 0 .

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beispielsweise die Darstellerin Karoline Schulze 1758 eine Gage von 9 Gulden erhalten, so erhöhten sich ihre Bezüge nach dem Hamburger Theaterbau ihres Prinzipals bis 1767 auf 20 Gulden. 34 Schröder bezog — nach einem temporären Engagement bei Kurz-Bernardon in Mainz - beim Hamburger Nationaltheater eine Wochengage von 16 Talern. Dieses Salär wurde bis zum Ende der Ackermannschen Gesellschaft 1780 nicht erhöht, obgleich Schröder als Ballettmeister, Tänzer, Schauspieler und Ko-Direktor fungierte. Verlockend mußte daher das Angebot des Wiener Nationaltheaters klingen: 2 5 5 0 Fl., Schröders Frau zusätzlich 1450 Fl. 35 Das Pro Memoria für das Gothaer Hoftheater sah wöchentlich nicht mehr als 125 Reichstaler für das Künstlerensemble vor, inklusive Theaterschneider, Friseur und 3 Gehilfen. 36 Eine willkommene Ergänzung der allzu karg bemessenen Entlohnung boten die sogenannten Spielhonorare, besondere Vergütungen für Extraleistungen, zu denen der Schauspieler laut Kontrakt nicht von vornherein verpflichtet war, die aber bei Truppen mit hauptsächlich improvisierten Burlesken à la commedia dell'arte auf dem Programm häufig vorkamen - etwa für den Empfang von Ohrfeigen. Eine Tarifliste derlei Harlekinspossen führt auf:

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Litzmann 1, S. 324 Den Zusammenbruch der Entreprise bekamen die Schauspieler sehr direkt zu spüren. »Bei jeder Oeffnung des Hauses war die Kasse mit Gläubigern, zuweilen mit sehr lauten umgeben. Die Schauspieler wurden zu gewissen Tagen, nach bestimmten Aufzügen bezahlt. Eckhof am Mittwochen. Schröder am Montage, nach dem zweiten Aufzuge. Selbst damit ward nicht Wort gehalten, und Schröder mußte mehr als einmal den Tanz verweigern, um seinen Gehalt zu erlangen. Wie unbedeutende Schauspieler dabei fuhren, läßt sich denken« (Meyer 1, S. 192). Devrient, Schauspielkunst 1, S. 489. Wien war die Ausnahme: »Noch nie hatten sich deutsche Schauspieler in so opulenter und behaglicher Lage befunden. Die Gehalte waren höher als irgendwo im Vaterlande, reiche Geschenke erhöhten noch das Einkommen« (S. 489f.). Eine Gehaltsliste des Wiener Hoftheater-Personals bis zu den »Officianten aller Art« während Schröders Gastjahren findet sich bei Meyer 1, S. 355 f. »Außer dem ersten Acteur, als H. Eckhof, welchen wegen seiner besonderen Meriten wohl wochentl. 12 Rthlr. zu gönnen sind, sollte festgesetzt seyn, daß ein guter Acteur und Actrice zu denen ersten Rollen, als einzelne Personen, wochentl. nicht mehr, als 8 Rthlr. Zwey aber dergl. geheyrathete gute Schauspieler, die nur eine Oeconomie zu halten nöthig haben, zusammen 12 Rthlr. bekämen. Die zu den übrigen Rollen nöthigen Schauspieler müsten nach Beschaffenheit ihrer Eigenschaften ungeheyrathet nicht mehr, als 5. 4. und 3 Rthlr. die Woche, geheyrathete aber, welche beide agiren könnten, 8. 6. und 4 Rthlr. zusammen wöchentlich erhalten. Figuranten, oder neuen Anfängern, so zur Formirung angenommen würden, könnte man nicht mehr, als wöchentlich 2 Rthlr. zutheilen« (Hodermann, S. 19 f.). 115

Für einen Sprung ins Wasser 1 Fl. Für einen detto über eine Mauer oder von einem Felsen herab 1 Fl. Für jede Verkleidung (und Hans Wurst und Bernardon verkleideten sich unzählige Male) 1 Fl. Für Prügel (passiv) 34 Kreuzer Für eine Ohrfeige (detto) oder Fußtritt 34 Kreuzer Fürs aktive Prügeln wurde nichts bezahlt, das Vergnügen daran mußte als Lohn für die Mühe genommen werden. Für jeden erhaltenen schwarzen oder weißen Fleck - 34 Kreuzer Fürs Begießen - 34 Kreuzer

Die Rechnung, die sich ein Akteur am Ende der Woche quittieren läßt, zeigt, daß damit durchaus das geringe Grundgehalt aufgebessert werden konnte: Diese Woche 6 Arien gesungen Einmal in die Luft geflogen Einmal ins Wasser gesprungen Einmal begossen worden 2 Ohrfeigen bekommen 1 Fußtritt bekommen

6 Fl. 1 Fl. 1 Fl. — 1 Fl. —

— — 34 8 34

Kreuzer Kreuzer Kreuzer Kreuzer Kreuzer Kreuzer 3 7

Eine weitere Möglichkeit der Gagenaufbesserung war durch die seit Mitte des Jahrhunderts von den Prinzipalen vielfach genehmigten Benefizvorstellungen gegeben. Benefizabende konnten dem gesamten Ensemble zugute kommen, wurden aber meist zugunsten eines einzelnen Darstellers bewilligt, der dafür verständlicherweise ein Stück wählte, dessen Publikumserfolg ihm sicher war. Ein leidiger Punkt für die Schauspieler war und blieb die Altersversorgung. Auch für die gegen Ende des Jahrhunderts ins Leben gerufenen Pensionsanstalten wurden von den Theaterdirektoren Benefizvorstellungen bewilligt. Die Gründung einer Pensionsanstalt am Gothaer Hoftheater, und damit beispielgebend für andere bürgerliche Bühnen, geht auf die Initiative des unermüdlich um die gesellschaftliche Respektabilität und materielle Absicherung seines Standes bemühten Ekhof zurück. In einem Brief an Schröder, den er in dieser Hinsicht als seinen legitimen Nachlaßverwalter ansah, legte er seine Vorstellungen dar:

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Devrient, Schauspielkunst 1, S. 384 Prinzipal Koch, der in sein Repertoire bevorzugt die komische Operette aufnahm, gewährte seinen Schauspielern für die Übernahme von Singrollen eine Extra-Gratifikation, die sich bei einer Hauptrolle auf 1 Louisdor belief (vgl. u. a. Schulz, Schauspielerengagement, S. 49f.).

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Ich will Ihnen meinen Plan vorlegen, und nach Ihrer Antwort soll das Circulare, an alle mir bekannte Gesellschaften, wegen einer allgemeinen Pensions- und TodtenCasse für alle Deutsche Schauspieler, abgefaßt werden. [ . . . ] Welch eine Wonne für mich, wenn ich auf meinem Sterbebette denken kann: Gottlob! nun kann sich der Mangel zwischen keinem Deutschen Schauspieler und seinem Grabe mehr einschleichen ! Die Aussicht eines gewissen Einkommens, auch nach seinem Tode, wird ihm Credit und Unterhalt verschaffen, und er darf nicht mehr betteln gehn, oder den Bauern zu diesem Behuf die Gänse hüten. 38 Mit der 1 7 9 3 gegründeten Pensionsanstalt trat Schröder dieses Erbe an. Sein Theatergesetz legt fest: Zum Behuf der Almosenkasse, die mit der Straf- und Pensionskasse vereinigt ist, bezahlt jedes Mitglied, das dreihundert und mehr Thaler jährliches Gehalt hat, monatlich, von jedem Thaler, einen halben Schilling. Wer nichts zur Almosenkasse giebt, hat keine Stimme bei allgemeinen Versammlungen: mithin steht auch denen frei zu contribuiren, die kleinere Gehalte haben. 39 Abschließend sollen noch die finanzielle Situation und die ökonomischen Möglichkeiten der Theaterunternehmer bedacht werden. In welcher Relation standen Einnahmen und Ausgaben? Nicht zuletzt davon hing die materielle Existenz der Ensemblemitglieder ab. Das Angebot entschied über Gewinn oder Verlust. Prinzipale, die nur das regelgerechte und harlekinlose Schauspiel in ihrem Repertoire vertreten hatten, konnten ohnehin keine Reichtümer ansammeln. Dies gelang schon eher Afterkomödianten wie etwa Eckenberg, Kuniger und Konsorten. Wichtige Posten im Ausgabenbudget der Theaterunternehmer waren neben den Gagenzahlungen zur Zeit des Wanderdaseins vor allem Transport38

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Meyer 2, Anhang, S. 23, 25 Der in Sachen Pensionskasse geführte Brief- und Aktenwechsel ist bei Hodermann, S. 4 3 - 5 1 , abgedruckt. Meyer 2, Anhang, S. 241. Die Quellen des Pensionsfonds der Hamburger Institution zählt Küstner auf. Danach bestehen sie: »1) in einem jährlichen Beitrage der Direction von 2000 Mark, 2) in Beiträgen der Mitglieder nach Verhältniß der Größe ihrer Gagen und Spielgelder, 3) in den Abzügen von den Gasthonoraren oder Benefizantheilen der auswärtigen Künstler und den Abzügen von den Benefizen oder Benefizantheilen der Mitglieder des Stadttheaters mit 3 Procenten, 4) in den Strafgeldern, 5) in den Zinsen des Stammkapitals, das in keiner Weise angegriffen werden darf, 6) in dem Ertrage eines Benefizes. Zehn Dienstjahre sind erforderlich, um die Pensionsfähigkeit zu erlangen« (Theater-Statistik, S. 77). 1790 hatte Dalberg für die ersten Mitglieder der Mannheimer Bühne lebenslängliche Anstellung sowie die Hälfte des Gehalts als Pension erwirkt (vgl. u. a. Devrient, Schauspielkunst 1, S. 516). Der erste Schauspieler, der in den Genuß einer Altersversorgung kam, war Heydrich, ehemals Mitglied der Neuberschen Truppe. Er folgte 1748 einem Ruf nach Wien und wurde dort 1777 mit 700 Gulden pensioniert (Reden-Esbeck, S. 235 f.).

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kosten, später Mieten und Instandhaltung der Schauspielhäuser, Anschaffung von neuen Dekorationen, Kostümen und Beleuchtung. Nicht immer deckten sich Einnahmen und Ausgaben. 40 Der schon vor Jahrzehnten von Mylius, Schlegel, Löwen und Lessing erhobene Vorwurf gegen die Prinzipalschaft hatte sich durch die Praxis bestätigt gefunden: Kunst und Kasse in den Händen eines Privatunternehmers war und blieb beim besten Willen unvereinbar. Der Weg zum nationalen Theater, zur materiellen Existenzsicherung des Schauspielerstandes mußte zunächst über die Hoftheater führen. Nun aber war es Sache eines emanzipierten, ökonomisch und sozial erstarkten Bürgertums, die tatsächlichen Aufgaben eines deutschen Nationaltheaters, die bereits um die Mitte des Jahrhunderts so klar formuliert worden waren, zu erkennen und zur Realisierung dieser Postulate beizutragen.

3.

Publikum

In diesem Kapitel soll nun, neben der publikumssoziologischen, die Frage nach der Einstellung des Publikums zum Theater überhaupt aufgegriffen werden: Weshalb ging man ins Theater, was wollte man sehen, wie benahmen sich die Zuschauer, wie äußerten sie Kritik, Beifall, Mißfallen? Gab es etwa — wie in Paris — ein Claqueurwesen? Wie stellten sich die Theaterunternehmer zum Publikum? Machten sie Konzessionen der Kasse zuliebe, oder versuchten sie, durch ein künstlerisch wertvolles Repertoire auch pädagogische und nationalbildnerische Intentionen zu verwirklichen? Auf die bildungsmäßige und gesellschaftliche Heterogenität des Theaterpublikums im 18. Jahrhundert wurde bereits in Kapitel 1.7 im Zusammenhang mit der architektonischen Gestaltung des Auditoriums hingewiesen. Ergeben hatte sich eine den ständischen Rängen entsprechende Platzhierarchie: Logen besetzt von den Privilegierten, Parterre fürs Bürgertum, die Galerie dem Pöbel. Nicht kongruent damit hatte sich die Geschmacks- und Urteilshierarchie erwiesen: das Bildungsbürger-Publikum des Parterre entschied

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Von 1748 datiert eine Schönemannsche Supplik an den Breslauer Magistrat um Schulden- und Abgabeerlaß, da den 8 bis 10 Reichstalern Einnahme pro Abend bedingt durch schlechte Frequenz — jedesmal 11 Reichstaler Ausgabe für »Music, Lichte, Zettel, Accisse, Arbeits Leuthe und was dem anhängig« gegenüberstehen (H. Devrient, S. 325). Nicht nur 1 Taler täglich, sondern 1 1 5 8 1 Taler jährlich betrug das Defizit bei Doebbelin, der nach Übernahme des Berliner Nationaltheaters völlig falsch kalkuliert hatte und daraufhin den Platz räumen mußte (Brachvogel, 2 , S. 50).

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über Erfolg oder Nicht-Erfolg eines theatralischen Werkes, die Galeriebesucher schlossen sich meist lautstark dem vorgegebenen Beifall oder Mißfallen an, die Noblen saßen isoliert in ihren Logen und verhielten sich indifferent, bevorzugten jedoch das Rokokohaft-Tändelnde, Unproblematische; nicht zufällig verursachte Shakespeare gerade in den Logen allgemeine Malaise. Das Theater hatte sich von einer elitär-repräsentativen Vergnügungs-Institution des Hofes auf der einen und einem Marktschreier-Spektakulum auf der anderen Seite zum Podium einer breiten bürgerlich-progressiven, sich politisch bewußt werdenden Öffentlichkeit herausgebildet. Z u r Zeit der Wandertheater galt als selbstverständlich, daß die höheren Stände die deutsche Bühne mieden und sich nur — nach Vorbild der Fürstenhöfe - an französischen und italienischen Truppen ergötzten. Das Hauptkontingent des Wanderbühnenpublikums rekrutierte sich aus Unter- und Mittelschicht, stellten also Handwerker, Lehrlinge, Kaufleute, Krämer, Schreiber. Die früher so hermetisch abgeschlossenen Hoftheater öffneten um die Mitte des Jahrhunderts mehr und mehr ihre Pforten für ein zahlendes Publikum. 1 Mit Ausnahme der Hoftheater von Weimar und Gotha hatte sich jedoch die Bedeutung des Theaters als nationale und kulturelle Institution eindeutig auf die neuentstandenen, öffentlichen, bürgerlichen Schauspielhäuser verlagert, die von einem nach wie vor sehr heterogenen Publikum besucht wurden. 2

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Die privaten Theatereinrichtungen des Weimarer Hofes etwa waren auch für Bürger geöffnet (Frenzel, Thüringische Schloßtheater, S. 94). Es waren wohl in erster Linie finanzielle Gründe, die in Dresden das Opernhaus auch einem zwar nicht aristokratischen, aber immerhin zahlenden Zuschauerkreis öffneten: »Bei der Aufführung der Oper Ezio im Januar 1755 blieb die berauschende Traumwelt des für eine privilegierte Schicht erbauten Opernhauses der breiteren Öffentlichkeit nicht mehr so verschlossen, wie dies andernorts oft üblich war. Noch einige Jahre zuvor hatten lediglich die Hofaristokratie und bevorzugte Gäste Zutritt erhalten. 1755 öffneten sich die Türen auch für das zahlende Publikum« (Beijer in »Bühnenformen«, S. 97). Am Stuttgarter Hoftheater dagegen konnte der Eintritt nicht erkauft, »vielmehr nur durch Einladung des Landesherrn erlangt werden. Diese Ehre wurde allen >reputierlichen Personen« zuteil, d. h. außer der Hofgesellschaft den Honoratioren der jeweiligen Residenz. Das Oberhofmarschallamt erließ die nötigen Verfügungen über Zutritt und Sitzordnung, die von Zeit zu Zeit einer Revision unterzogen wurden. Die Abstufungen nach dem Range wurden streng eingehalten: Adel, Offiziere, Beamte, Hofbedienstete, Bürgerstand. Die >gemeinen und geringen Leute< blieben ausgeschlossen« (Krauß, S. 51 f.). »Welch ein Abstand von dem Studenten, der nach sorgfältiger Vorbereitung durch wiederholtes Lesen einer klassischen Dichtung mit dem Buche in der Hand der Darstellung im Parterre folgt, bis zu dem Vornehmen, der nach einem glänzenden Diner gähnend in den Logen des 1. Ranges verdaut; von dem Handwerker, der Sonn-

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Was wollte dieser so verschiedenartig zusammengesetzte Zuschauerkreis sehen? Welche Stücke kamen an? Wie konnte ein Schauspieldirektor mit seinem Programmangebot so konträren Voraussetzungen und Interessen Rechnung tragen? Was die im folgenden Kapitel näher zu analysierenden Repertoirelisten ergeben, darf hier schon vorweggenommen werden: volles H a u s nur bei Hanswurst! 3 Die schier unüberwindlichen Schwierigkeiten, die Neubers mit Einführung der »gereinigten« regelmäßigen Alexandriner-Tragödie zu meistern hat-

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tags seine Familie mit den Ersparnissen der Woche auf die Galerie führt, bis zu dem Musikkenner, der, den Klavierauszug in der Hand, die Leistung des Orchesters und der Sänger beurtheilt. Die höchste geistige Bildung neben der rohesten Vergnügungssucht, der Glanz und die Behaglichkeit der bevorrechteten Stände neben dem Mangel und der niedrigen Neigung!« (Theater-Lexikon 1839, s.v. Publicum.). In den Vorreden zur Schönemannschen Schaubühne wird die Elegie vom Elend des herrschenden Geschmacks gesungen: »Die wenigsten Besucher verfolgen den Zweck, das Stück und die Darstellung genau zu beobachten, >sondern der meisten einzige Absicht ist, hier und da ein ungereimtes Wort zu hören oder eine närrische Geberde zu sehenRäuber< machten eine Ausnahme von der Regel, die waren vogelfrei; da durfte der Bruder Studio sich etwas erlauben, weil die hohen Herrschaften diese Vorstellung nie besuchten« (Genast, S. 104). 1801 wurde der Einladung zum Abonnement die Ermahnung angefügt: »Man verbittet sich [...] ausdrücklich, alles Unanständige, ζ. B. das Auslachen des Acteurs wegen persönlicher Verhältnisse, das Verhöhnen derselben durch unzeitiges und unmäßiges Klatschen, das durch Pochen bezeigte Mißfallen, das Zischen indes andere applaudiren, das lärmende Gespräch in den Zwischenacten und überhaupt alles was die gute Sitte einem jeden untersagt der mit höhern, oder mit seines gleichen, sich irgend wo zusammen befindet« (Weichberger, S. 56).

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und seltene Ehre des Hervorrufs wurde dem beliebten Darsteller Brockmann, Mitglied im Ensemble Schröders, in seiner bewunderten Rolle als Hamlet zuteil. Lautstarker und variabler waren die Möglichkeiten, Mißfallen kund zu tun: Pochen, Trampeln, Zischen und Pfeifen hatten die Akteure zu gewärtigen, wenn sie mit Stück und Spiel nicht ankamen. Eine neue Komödie von Schröders Theaterdichter Bock »hatte das Schicksal, förmlich ausgepocht zu werden, ein damals in Hamburg seltner Fall«. 12 Die Bremer Theaterdirektion sah sich 1799 zu Bemerkungen und Vorschlägen, »die Abstellung der bisherigen Unordnungen in unserm Bremischen Schauspielhause betreffend«, veranlagt, die sich vor allem gegen die grassierende Mode des - zum Teil bestellten — Auspfeifens richteten. In der Tat hatte sich — wiederum nach französischem Vorbild - auch an deutschen Theatern die Unsitte des Claqueurwesens eingebürgert. Wenn Schönemann in der Vorrede zum VI. Band seiner »Schauspiele« die allzu großzügige Verteilung von Freibilletten, mit denen man stimmenstarken Applaus für die Vorstellung erkaufen wolle, attackiert, so weist er mit diesen »unseligen Freibilletfreundschaften« auf den »ganzen unwürdigen Unfug des Erkaufens von Kunsturteilen und Stimmen und Händen im Publikum hin, der in der systematischen Ausbildung der Claque und in der Bestechlichkeit, Voreingenommenheit und gemeinen Ausbeutung der Allgewalt der Presse ihren genialen Höhepunkt noch erreichen sollte«.13 12 13

Schätze, S. 413 H. Devrient, Schönemann, S. 201 Ein Beispiel bringt die »Litteratur- und Theater-Zeitung« von 1779, 3. Theil, S. 462: »Als jiingsthin zu * * * ein neuer Schauspieler auftrat, war ein ganzer Trupp Freunde eines andern Akteurs, in dessen Fach der neue spielte, auf dem Parterre versammelt, welche durch ihr Geschwätz und Gelächter die Aufmerksamkeit der Zuschauer von dem Spiel des neuen Schauspielers abzuwenden suchten.« Anschaulich zeigt sich die Methode des bestellten und programmierten Urteils in Bodmers Vorspiel anläßlich der Neuber-Parodie auf Gottsched: der gewarnte Professor versucht, durch Stimmungsmacher im Publikum die Aufführung für sich zu entscheiden: Ein Vorspiel drohet mir und sucht mich zu bestreiten, Ich muß zugegen seyn. Dein Fuß soll mich begleiten. Bist du noch, wie zuvor, ein Feind der Neuberin, So stelle dich, o Freund, zu den Studenten hin! Und suchet mich das Weib zu lächerlich zu machen, So must du mit Gewalt vor Gottscheds Ehre wachen. Ermanne deinen Muth, pfeif, fang zu scharren an: Dem ersten hat es oft der zweyte nachgethan: Und stimmt der dritte bey, so folgt der ganze Hauffen; So muß die Frau beschimpft von ihrer Bühne lauffen. [...] Das Vorspiel war fast halb, als Gottsched durch den Stab

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Wie sich nun das Repertoire zusammensetzte, das sich bei den privat betriebenen Theaterunternehmen allemal am Publikumsgeschmack und -interesse orientieren mußte, soll im folgenden Kapitel aufgezeigt werden.

4. Repertoire Der Dramenfundus einer Wandergesellschaft brauchte nicht allzu groß zu sein; war das Repertoire durchgespielt, suchte man neue Zuschauer: das ReDem laurenden Corvin aus Angst das Zeichen gab. Dem war schon in der That um den Professor bange, Und zu der Krieges-List währt ihm die Zeit zu lange. Kaum sah er Gottscheds Wink, so scharrte schon sein Fuß; So pfiff auch schon sein Mund. [...] Allein die Neuberin errieth die Arglist gleich, Doch sie erwartete mit Großmuth diesen Streich. Sie fieng zu reden an, man pfiff und scharrte wieder, Und diesesmahl bekam Corvin zween treue Brüder, Die lermten mit. Nie kräht der Hünermann allein. Jedoch: Man drängte den Corvin nebst seinem Häufgen fort; Und ließ nicht eher nach, biß diese sechs Barbaren, Die sich zu tief gewagt, mit Schimpf verjaget waren. [...] So bleich und so bestürzt stund der Professor da, Doch weit betroffener schien noch Victoria. Ihr gröstes Schrecken war erst bey des Vorspiels Ende: Da klopfte jedermann, aus Beyfall in die Hände. (Bodmer, Critische Betrachtungen, S. 63, 65, 66, 67, 68). Die »Ephemeriden« von 1786 sehen sich angesichts der Kabalen der Schauspieler untereinander und des parteiischen Verhaltens des Publikums zu der Feststellung veranlaßt: »Nur sehr selten erschalt ein freiwilliger algemeiner Beifal; mehrentheils ist er verabredet und erkauft - freilich nicht durch Geld, sondern - o, was haben Schauspieler nicht für Mittel, sich Freunde zu machen? und wehe dem in Berlin, dem's an diesen Mitteln fehlt, oder - der sie nicht gebrauchen wil! Der vernünftigere Theil des Publikums last einige Freunde der Schauspieler, mehrentheils junge Leute - die es sich anmassen, den Ton anzugeben - ruhig ihr Wesen treiben, und klatscht mit, wenn er den Beifall verdient findet — wo nicht, so schweigt er, zukt die Achseln, und die tonangebenden Hände bemühen sich, den Abgang zu ersezen, wenn es ihnen auch gleich den Bast von den Fingern kosten solte. Eben so verhält es sich mit den Zeichen des Misfallens« (S. 34). Die Zuschauer verschiedener Theaterstädte miteinander vergleichend, kommt die »Litteratur- und Theater-Zeitung« 1779 zu dem Schluß: »Da ich gerade über die Publikums im Reden bin, so muß ich gestehn, daß das Hamburgische, Gothaische, Berlinische und Dresdensche unter denen, die ich gesehen habe, in Absicht des Geschmacks, auch der Stille und Aufmerksamkeit, die besten sind. In Leipzig läßt es sich schon durch die Kabale leiten. Man klopft, man klatscht, man pfeift auch wohl gar aus, je nachdem viel Partheygänger im Parterr sitzen, oft wohl selbst von dickberühmten Schauspielern aufgehetzt« (4. Theil, S. 739).

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pertoire blieb konstant, die Zuschauer wechselten. Wie nun sah der Stückevorrat der Wandertheater und im Vergleich dazu der Spielplan der ersten Schauspielhäuser aus? Wer wählte aus und stellte zusammen? Wie waren die einzelnen Gattungen vertreten? Wie verteilte sich das Verhältnis von Ubersetzungen ausländischer Werke und deutscher Originalstücke? Was läßt sich den Repertoirelisten über ein Niveaugefälle entnehmen? Wie also sah konkret der Spielplan der bedeutendsten Truppen von der Neuberin bis zu Schröder aus? Die Stückauswahl lag gemeinhin in den Händen des Prinzipals. Trat er und das war im 18. Jahrhundert die Regel — selbst als Schauspieler auf, ging es in erster Linie darum, erfolg- und gewinnversprechende Hauptrollen für sich oder — Paradebeispiel: der nicht-agierende Abel Seyler — für die ehrgeizige Gattin zu beanspruchen. Als Alleinunternehmer stand er vor der Alternative: Kunst oder Kasse. Und mit mehr oder minder Geschick lavierten sich die Theater-Entrepreneurs des 18. Jahrhunderts zwischen diesen Polen hindurch, der eine mehr nach dieser, der andere mehr nach jener Seite tendierend. Die Kun.st ging auch hier nach Brot; und so galt es, dem Publikum einen Spielplan mit attraktiven Repertoire- und Zugstücken 1 anzubieten. Regelgerechte Dramen hatte zuerst die Neuberin auf dem Programm — nach ihrer Konnexion mit Gottsched. In Leipzig sogar anfangs mit Erfolg! Das Neuartige zog an; auch gefiel das Französisierende dieser Stücke, das bisher nur an den Höfen üblich war. Auf Dauer übten jedoch die regelmäßigen, ortseinheitlichen, dem strengen Gottschedschen Normenkodex entsprechenden Dramen kaum Anziehungskraft aus. Sie boten wenig fürs Auge und klangen in ihrer stereotyp zäsierten Alexandriner-Diktion monoton im Ohr. 2

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Brandes unterscheidet: »Repertoirstücke nennen die Schauspieler solche Schauspiele, welche zwar keinen grossen, ins Auge fallenden Glanz, aber innern Werth haben; der Schauspielkasse, gleich bey ihrer ersten Erscheinung, einige gute Einnahmen bringen, und jährlich, mit Zuversicht auf Vortheil, einigemal wiederholt werden können. Zugstücke nennt man solche, welche einen vorzüglich glücklich gewählten, allgemein interessirenden Stoff zur Grundlage haben, nur große und auffallende Charaktere und Situationen enthalten, und den Geist und das Auge der Zuschauer von allen Ständen zugleich befriedigen. Diese können, nach dem Verhältnisse der Volksmenge einer Stadt, sehr oft auf einander gegeben werden, ohne der Oekonomie zu nahe zu treten, und sind lange Zeit Hülfsquellen für die erschöpften Kassen der Schauspieldirektion« (Vorbericht zu Bd. 3 der dramatischen Schriften, S. Xlllf.). Die Zuschauer selbst machten einen Vorschlag, die Monotonie der langen Alexandrinertiraden zu durchbrechen, auf den Neuber eingegangen zu sein scheint: »Nun klingt die Berenize besser als in Leipzig, hier hatten einige vornehme die Verstand davon haben wollen diese Gedanken: Man solte nur in den gar langen Reden

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Das anfängliche Interesse ließ rasch nach, aber dennoch hielt die Neuberin lange Zeit an dem von Gottsched inspirierten Spielplan fest. Aus der Repertoireliste der Neuberschen Gesellschaft geht hervor, welche Trauerspiele vor allem der Spielplan-Reform Bahn brechen sollten: Racines »Iphigenie«, »Cinna« und »Cid« von Corneille, nicht zuletzt das Musterdrama des Meisters »Der sterbende Cato«. Den Ausgleich zu diesen schwerblütigen Trauerspielen bildete neben den Nachstücken die beliebte Gattung des graziös-anakreontischen Schäferspiels. Aber auch die jüngeren sächsischen Stückeschreiber fanden beim Neuberschen Theater ihr Forum: Werke J. E. Schlegels, von Krüger, Martini und Uhlich wurden in Leipzig auf die Bühne gebracht. Im Januar 1748 fand die Uraufführung des »Jungen Gelehrten« statt, dem Erstlingswerk des 19jährigen Theologiestudenten G. E. Lessing.3 Auch Neuber-Nachfolger Schönemann hielt als Theaterleiter konsequent an einem Spielplan mit vorwiegend regelmäßigen Stücken französischen Zuschnitts fest. Geschickt knüpfte er den Kontakt zur Autorität Gottsched: einem ersten Brief von 1740 aus Schwerin fügt er sein bisheriges Repertoire bei, das »im wesentlichen mit dem von der Neuber gespielten und von Gottsched gebilligten Spielplan übereinstimmt«. 4 Schönemann zählt auf: »Nota: Der regelmäßigen Stücke, so wir im Stande sind, aufzuführen: Nr. 1. Der sterbende Cato. | 2. Iphigenia. | 3. Mithridates. | 4. Polyeüctes. | 5. Cinna. | 6. le Cid. I 7. Alzire. | 8. Machabaer. | 9. Herodes und Mariamne. | 10. Alexander und Porus. 111. L'enfant prodigue. 112. Le Jaloux. | 13. le malade imaginaire. 114. Orestes und Pylades. | 15. Der heftige oder ungestüme Freyer.«5

Eine Auflistung der im Anschluß an diese Regeldramen gegebenen komischen und burlesken Nachspiele ließ der taktische Prinzipal wohlweislich weg. Wie schon bei der Neuberin praktiziert, führte auch Schönemann den Brauch des dreigeteilten Theaterabends weiter: einem Vorspiel oder Prolog6 folgte das Hauptstück, als Abschluß wurde in jedem Fall ein heiteres Nach-

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hier und da ab gebrochen und noch eine ander Person haben dazwischen reden lassen, damit der Zuhörer nur einige Veränderung bekäme« (Brief Neubers aus »Hamburg am 28. Jun 1730. In der fühlen Twiete in der Comoedien Bude«; Reden-Esbeck, S. 94). Vgl. u.a. Reden-Esbeck, S. 107, 262f., 292f. Zum Repertoire der Neuberin für die Spielzeit 1746/47 vgl. auch Daunicht, S. 9 5 - 9 8 . Litzmann, Schröder 1, S. 15 f. H. Devrient, Schönemann, S. 22 Vielfach vom Prinzipal oder einem Mitglied der Truppe, dem die Worte zu Gebote standen, verfaßt (Neuberin, Koch, Uhlich, Krüger).

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spiel erwartet, in Form eines Balletts, einer Pantomime oder eines Schwankes. 7 Insbesondere nach Trauerspielen - hier wiederum vor allem nach normiert-monotonen Tragödien französischen Stils - wollte man zum Ausgleich mit einem schnurrigen Schwank oder tränentrocknenden T a n z verabschiedet werden. So boten die Programmzettel etwa nach der Aufführung von Lessings bürgerlichem Trauerspiel » M i ß Sara S a m p s o n « ein pantomimisches Ballett mit den burlesken Helden der C o m m e d i a dell'arte; auf die »Emilia Galotti« mußte selbst bei Schröder noch ein »Zuckerpuppenballett« folgen. 8 Die von Thiele zusammengestellten Theaterzettel des Hamburger Nationaltheaters belegen, daß auch die Entreprise nicht ohne die anfänglich so verschmähten Ballette auskam. Hier mußte ein pantomimischer Tanz des Maestro Curioni, »Die Heu-Erndte«, den tragischen Schluß der » M i ß Sara S a m p s o n « ausgleichen. 9 Schon Mylius hatte diese Gewohnheit getadelt und wenigstens Übereinstimmung von Schau- und Nachspiel verlangt; 1 0 indes, auch mit dieser Forderung war er seiner Zeit voraus. M a n könnte fast die Regel aufstellen: je tragischer das Hauptstück, desto harlekinesker der Abgesang. A m Ende des Jahres 1741 setzte sich Schönemanns Spielplan aus 62 Stükken zusammen; im einzelnen hatte er auf Lager: » 1 7 regelmäßige Tragödien, 7

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Auf den Theaterzetteln wird annonciert: den Beschluß macht ein lustiges oder gar ein sehr lustiges ... (folgt Titel des heiter-harlequinesken Abgesangs). »für den Kassenrapport war es höchst erwünscht, wenn zugkräftige Dinge auf dem Spielplan standen, die dem volkstümlichen Geschmack der breiten Masse angepaßt waren. Und das geschah damals in der Weise, daß man dem regelmäßigen Schauspiel ein mehr oder weniger unregelmäßiges Nachspiel folgen ließ, in dem dann auch der altvertrauten lustigen Person mit ihren volkstümlichen Spaßen ein weites Feld blieb. An solchen Nachspielen hatte Schönemann auf seinem Repertoire: Harlekin, der lächerlich ungeschickte Barbier (von Schönemann selbst); Harlekins singender Hochzeitsschmaus; Der betrogene lächerliche Totenbewahrer; Das verliebte Schusterlieschen; Harlekin, die lebende Uhr; Das bärtige Frauenzimmer; Der zum Advokat gewordene Schuhflicker; Harlekin, der glückliche Schornsteinfeger« (Deneke, S. 10). H. Devrient, S. 274; Schütze, S. 463 Thiele, S. 11 »Ist es denn nun so gar nöthig, daß auf alle Schauspiele ein Nachspiel folgen muß? Ich sehe gar keinen Grund darzu. Müssen sie ja den Beschluß machen, so könnte man doch wenigstens regelmäßige, und solche nehmen, welche die Wirkung des Hauptspieles nicht verhindern. Oder man könnte auch die Zuschauer zum Abschiede mit einem Tanze belustigen, und zwar mit einem solchen, welcher den Hauptcharacter des vorhergegangenen Schauspieles und die vornehmste Leidenschaft und Handlung, die in demselben geherrschet hat, durch geschickte Bewegungen, Schritte, Geberden, und Minen ausdrückte« (Von der Wahrscheinlichkeit, S. 321 f.; vgl. Plümicke, S. 184f.).

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9 regelmäßige Lustspiele, 5 Harlekins-Staatsactionen, 2 Schäferspiele, 1 Comédie larmoyante; der Rest waren Vor- und Nachspiele.« 1 1 Im Hamburger Repertoire von 1750 findet sich keine Harlekinade mehr. Mit der verstärkten Einbeziehung des rührenden Lustspiels und des Schäferspiels konnte die Schönemannsche Gesellschaft ein »vornehmes, feines, wenn auch etwas kraftloses Repertoire« 12 anbieten. Drei Jahre später, 1753, wurde in der Truppe eine tiefgreifende Repertoire-Revision durchgeführt. Initiator war Ekhof. In mehreren Akademiesitzungen wird der Spielplan gesichtet und drei Kategorien zugeordnet: unbesetzte Stücke, solche die Nachlernen erfordern und Stücke, die gleich gespielt werden können. Einige werden gänzlich »cassiret«. Dieses Los trifft neben Haupt- und Staatsaktionen (»Carl des 12ten Tod«, »Papinianus«), Relikten der englischen Komödianten (»Tamerlan« und »Thomas Morus«) vor allem die überlebten Produkte der Gottsched-Schule. Des Meisters »Parisische Bluthochzeit« verschwindet ebenso wie die meisten Schaubühnendramen. Auch bei den unbesetzten Stücken finden sich auffallend viele Werke der Gottsched-Ära, etwa »Alexander der Große«, »Regulus«, Behrmanns »Horazier«, Corneilles Märtyrerdrama »Polyeuct«, Voltaires Trauerspiele »Oedipp« und » Mahomet«. Eine soziologische Verschiebung nach dem Bürgerlichen zu liest Kindermann aus den Ergebnissen der Ekhofschen Spielplandebatten heraus. 13 Diesen positiv-progressiven Bestrebungen war jedoch kein langfristiger Erfolg beschieden. Bereits 1754 ließ Schönemann wieder Pantomimen geben. 1756 zerfiel der Hamburger Spielplan in rührende Lustspiele und bürgerliche

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H. Devrient, S. 49. Das gesamte Repertoire der Schönemannschen Truppe ist bei Devrient im Anhang, S. 3 6 9 - 3 8 0 , abgedruckt. H. Devrient, S. 178, 179 Kindermann, Ekhofs Schauspieler-Akademie, S. 2 2 f f . , 2 8 f f . , 3 8 f . Kindermann, Theatergeschichte Europas, Bd. IV, S. 516 f. - Schönemann-Biograph H. Devrient schlüsselt auf: Destouches 7 Stücke in 9 Aufführungen, Marivaux 6/8, Molière 5/7, le Grand 5/5, Schlegel 3/5, Graffigny 1/5 [Cenie], Geliert 4 / 4 , Regnard 3/3, Voltaire 3/3, Krüger 2/3, de la Chaussée 1/3 (S. 218 ff.). »Die Schönemannsche Gesellschaft hatte im ersten Jahr ihres Bestehens allein elf Alexandriner-Tragödien neu aufgeführt, 1741 noch einmal drei, dann bis 1750 im Jahresmittel etwa eine, seit 1751 überhaupt keine mehr. Sie hatte ihre Tätigkeit zu der Zeit begonnen, als die Gottsched-Neubersche Reform ihren Höhepunkt erreicht hatte, als zugleich der Einfluß der französischen absolutistischen Kultur auf das bürgerliche deutsche Theater am größten war. In der Folgezeit begann sie, sich von diesem Einfluß allmählich zu befreien und an dem Ringen um bürgerliches Bewußtsein teilzunehmen. Das dramatische Mittel dazu waren vor allem die Komödien Molières, seiner französischen und deutschen Nachfolger und Holbergs, aber auch die comédie larmoyante« (Piens, Ekhof, S. 3 1 f.).

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Trauerspiele auf der einen, Ballette und pantomimische Intermezzi auf der anderen Seite. Aufführungsrekord in der Truppe Ackermanns hält Voltaire mit 95 Aufführungen im Zeitraum von 1 7 5 4 - 1 7 7 1 , gefolgt von Chr. F. Weiße und Destouches mit je 69 Aufführungen, Molière mit 63, Goldoni mit 50. An 6. Stelle rangiert Lessing mit 45 Aufführungen, Krüger und Brandes bringen es auf respektable 38 bzw. 28 Vorstellungen. 14 Ackermanns Verdienst um das Repertoire liegt in der bewußten Aufnahme des bürgerlichen Trauerspiels und in Analogie dazu in der Förderung eines realistischen Darstellungsstils. Aufsehen erregte die spektakuläre Uraufführung der »Miß Sara Sampson« am 10. Juli 1755 in Frankfurt an der Oder. 1754 war Moores »Spieler« vorausgegangen, im März 1755 Lillos »Kaufmann von London«. Geradezu programmatisch muten Anfangs- und SchlußVorstellung im Königsberger Schauspielhaus 1756 an: Eröffnet wurde mit Pfeils bürgerlichem Trauerspiel »Lucie Woodwill«, geschlossen wurde die allzu kurze Spielzeit im eigenen Haus mit Lillos »Kaufmann von London«. 1 S Der Spielplan des Hamburger Nationaltheaters von 1767—1769 läßt das Bemühen erkennen, deutschen Originalwerken - die jedoch meist ausländischen Vorbildern nachgearbeitet waren - den Vorzug zu geben. Schlegel, Cronegk, Brawe, Weiße, Sturz und Brandes sind vertreten, ebenso Löwen, Schiebeier und Pastor Schlossers »Zweykampf« — sehr zum Mißfallen von Herrn Senior Goeze. Den Aufführungsrekord hält Lessings »Minna von Barnhelm« mit 16 Vorstellungsabenden. Noch wird das Repertoire hauptsächlich durch die Franzosen gestellt. Molière, Marivaux, Destouches und La Chaussée decken den Bereich des Lustspiels und der comédie larmoyante ab; noch sind auch Trauerspiele von Voltaire vertreten. Thomas Corneilles »Essex«, Zugstück aller Wandertruppen, bringt es nur mehr auf 2 Vorstellungen. Auffällig ist der Rückgang der Alexandriner-Tragödie: Racine ist überhaupt nicht mehr vertreten, Corneilles »Rodogune« wohl nur wegen der Paraderolle der Cleopatra für die Hensel mit 8 Aufführungen, auch Gottscheds »Cato« ist endgültig gestorben. Erfolgreich erweist sich die neue französische Gattung des » drame«: 14

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Eichhorn, Ackermann, S. 263—274. Vgl. die Repertoirelisten bei Meyer 2, Anhang, S. 4 0 - 5 1 : »Verzeichniß der Vorstellungen, welche in den Jahren 1742, 1743 und 1744, unter Schröders Mutter, in Hamburg gegeben sind, und ihrer Einnahmen«, S. 51 —75: »Verzeichnis aller, von der Ackermannschen und Schröderschen Gesellschaft, und ihren Nachfolgern in Hamburg, seit 1754 bis Ostern 1812, gegebenen Schauspiele«. S. 7 6 f f . : »Ballette und Pantomimen«. Eine Auflistung der in Halle von der Ackermannschen Gesellschaft gegebenen Stücke findet sich in der »Abschilderung der Ackermannischen Schauspielern«, S. 22—30. Eichhorn, Ackermann, S. 228

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Beaumarchais' »Eugenie« erreicht vom April 1768 bis Januar 1769 immerhin 10 Vorstellungen, Diderots »Hausvater« kann im Zeitraum vom Juli 1767 bis zum Januar 1769 die Rekordzahl von 12 Theaterabenden verbuchen. Spärlich vertreten sind die Engländer: Colman, Thomson, Lillo und Moore sind die einzigen Repräsentanten. Shakespeare, den man dem Hamburger Publikum nicht zuzumuten wagte, fehlt ganz. 16 Der Verfolg des Repertoires während der zweijährigen Unternehmung läßt vermuten, daß letztlich das dreiköpfige Kaufmanns-Konsortium über die Stückeauswahl entschied: man setzte auf den Spielplan, was mit Sicherheit ankam; Experimente wurden nicht riskiert; Kasse ging vor Kunst; der Dramaturg und Konsulent Lessing konnte allenfalls mit beratender Stimme Einfluß nehmen, Entscheidungsgewalt und Vetorecht gestanden die Kaufleute dem Kenner nicht zu. Der Neuberin großes Problem: Stückemangel und -mediokrität ließ noch 30 Jahre später das Unternehmen eines deutschen Nationaltheaters scheitern. Konträr entwickelte sich die Gestaltung des Stückeangebots der Kollegen und Konkurrenten Ekhof und Schröder — hier: konservativer Spielplan am reaktionären Gothaer Hof, da: progressives Repertoire im liberalen Hamburg. Ekhof als künstlerischer Leiter des Gothaer Hoftheaters zeigte sich gegenüber den neuen Erscheinungen des Sturm und Drang sehr ablehnend, während Schröder die jungen Dramatikertalente durch Ausschreibung von Preisen noch zu fördern suchte. »Emilia Galotti«, in der Weimarer Residenz beliebt, war am Gothaer Hof verpönt und verboten. Den »Götz von Berlichingen« ignorierte man, auch »Stella« war für die Gothaer Hofbühne nicht existent. 17 Mit verantwortlich für diese Entwicklung war das soziologisch verschieden strukturierte Publikum — hier in Gotha nach wie vor französisch orientierte höfische Theaterbesucher, dort in Hamburg bürgerlich-liberale hanseatische Patrizier. Meriten erwarb sich Schröder vor allem um die Einbürgerung Shakespeares auf der deutschen Bühne. In den Jahren 1776—1779 brachte er u. a. die großen Tragödien des Briten — »Hamlet«, »Othello«, »König Lear« und »Macbeth« zur Aufführung. 18 Die andersartigen künstlerischen Aufgaben, vor die sich die Schauspieler angesichts der neuen dramatischen Literatur des Sturm und Drang gestellt sahen, mochten den Darsteller und Direktor Schröder reizen, 16 17

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Schlösser, Theaterspielplan, S. 66 ff. Die Spielpläne von Weimar und Gotha sind abgedruckt bei Schlösser, S. 7 5 - 7 9 ; Hodermann, S. 1 3 0 - 1 7 2 . Auf die Problematik der einschneidenden dramaturgischen Änderungen kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden. Bearbeitungen mußten in jedem Fall für einen glücklichen Ausgang sorgen: Desdemona, Cordelia und Hamlet durften nicht sterben!

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diese junge Dramatik auf dem Theater zu realisieren. So finden sich der junge Goethe (1774 »Clavigo«, »Götz von Berlichingen«; 1776 »Stella«), Klinger (1775 »Die Zwillinge«), Wagner (1775 »Die Reue nach der Tat«) und Lenz (1778 »Der Hofmeister«) auf dem Repertoire. Um 1777 hatten bei Schröder die Stürmer und ihr Vorbild Shakespeare die alte Garde der Franzosen eindeutig in den Hintergrund gedrängt. Zwiespältig war Schröders Verhältnis zu Schiller: die »Räuber« lehnte er kategorisch ab, einzig den »Don Carlos« ließ er gelten. 1787 wurde dieses Werk »mit rauschendem Beifall zum erstenmal vorgestellt, und auf lautes Begehren, gleich am folgenden Tage wiederholt«. 19 Die Frage des Verhältnisses von Tragödie und Komödie kann für alle Truppen, für alle Theater, übereinstimmend beantwortet werden: die Präferenz des Publikums aller Schichten lag beim Lustspiel. Zu Tränen gerührt, auch aufgewühlt werden — ja, aber, und das zeigte bereits die Programmkombination eines Theaterabends, der Ausklang mußte versöhnlich, heiter, unbelastend sein. Theater sollte unterhalten, vergnügen und ergötzen, wie und womit, dabei war man nicht allzu wählerisch. Thalia, die leichte Muse, beherrschte ganz eindeutig das Terrain; die ernste Melpomene war nur geduldet, wenn sie im Verein mit ihrer lustigen Schwester auftrat. Sichtet man beispielsweise das Stückeangebot des Hamburger Nationaltheaters, so entfallen mehr als zwei Drittel auf das Lustpiel. 20 Eindeutig präsentiert sich auch die Gewichtung an der Weimarer Hofbühne unter Goethes erster Direktionszeit vom Mai 1791 bis zum Herbst 1798: zur Aufführung kamen 242 Stücke, davon nur 28 Trauerspiele, 58 Schauspiele, 3 Melodra-

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Meyer 2, S. 29. Zwiespältig überhaupt war das Verhältnis der Theaterdirektoren zu Schiller, als dieser noch kein »Klassiker« war. Die Auseinandersetzungen mit Dalberg sind bekannt. Der Mannheimer Schauspieler Beck als Regisseur »versucht, wo es nur angeht, Schiller auf die Bühne zu bringen, selbst wenn er weiß, daß Dalberg dagegen ist. Mit >Kabale und Liebe< gelingt es ihm nicht; Dalberg schreibt kategorisch: >Dies stück [...] bleibt weg!Fiesko< am 8. Oktober 1783 hier in seiner ursprünglichen Form auf und brachte auch >Kabale und Liebe< am 13. April 1784 zuerst hier zur Darstellung« (Mentzel, Vorgeschichte, S. 60). Erwartungsgemäß mehr als zwiespältig war die Haltung des Stuttgarter Hoftheaters gegenüber dem landesflüchtigen Regimentsmedikus. Immerhin durften die »Räuber« — in Plümickes verwässernder Bearbeitung — bereits 1784, eineinhalb Jahre nach Schillers Flucht, aufgeführt werden. Der nach lOjähriger Festungshaft freigelassene Chr. D. Schubart, auf den der Konflikt der ungleichen Brüder in den »Räubern« zurückgeht, brachte als Theaterleiter dieses Werk 1787 wieder auf die Stuttgarter Bühne. 1792 erfolgte die erste und einzige Aufführung von »Kabale und Liebe« (Krauß, S. 94). Vgl. Schlösser, S. 22

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men und 48 Opern, Operetten, Singspiele. Mit 105 Lustspiel-Aufführungen überwog auch hier ganz eindeutig die komisch-heitere Muse. 21 Das Singspiel als Spezialität wurde vor allem in Kochs Gesellschaft gepflegt. Beliefert vom Librettisten- und Komponistenteam Weiße/Hiller, unterstützt von einem sangesversierten, tanzgeübten Ensemble, war Koch imstande, mit Singspielen und komischen Operetten Haus und Kasse zu füllen. Hinsichtlich des Proporzes von französischen, deutschen und englischen dramatischen Werken ergeben die Spielplanlisten eine zahlenmäßig eindeutige Majorität der Franzosen bis in die sechziger Jahre des Jahrhunderts. Nach Lessings scharfen Attacken in der »Hamburgischen Dramaturgie« ist allenthalben ein deutlicher Rückgang der Franzosen, vor allem Voltaires, zu verzeichnen; gegen Ende des Jahrhunderts erhöht sich die Zahl der vorher nur spärlich vertretenen Engländer; um die Jahrhundertwende zeigen die Spielplanlisten ein überwiegend deutsches Gepräge. 22 Dichtung, Gesang und Tanz, Pantomime und Posse mußten bei einem Theaterabend gleichermaßen vertreten sein, sollte es allen recht getan sein. Das Niveaugefälle der einzelnen Truppen war dabei oft beträchtlich. Die ganze Skala der Gattungen und Nebengattungen wurde durchgespielt. Gegen Ende des Jahrhunderts, als wesentlich mehr und bessere Stücke zur Verfügung standen, sind die Spielpläne geprägt von der Polarität, hier: Klassiker — Schiller, Goethe, Shakespeare und Lessing, dort: tagesproduzierende Trivialdramatiker — Ifflands und Schröders immer gleiche Familien- und Rührstücke, ergänzt durch Kotzebuesche Konversationskomödien. Neben der eigentlichen Stückauswahl - für die darüber hinaus so pragmatische Aspekte wie Ausstattungsaufwand, Personalbestand und Besetzungsrücksichten ausschlaggebend waren - wollte die Reihenfolge der angebotenen Werke hinsichtlich der Art und Gattung bedacht werden; Novitäten und Alt-Bewährtes mußten im Spielplan gleichermaßen vertreten sein. Eine besondere Eigentümlichkeit bei der Bekanntgabe des Repertoires soll abschließend noch kurz erwähnt werden. Neben der öffentlichen Ankündigung durch die Theaterzettel war es üblich, das nächstfolgende Stück dem Publikum im Anschluß an die Abendvorstellung bekanntzugeben. Ein Mit21 22

Vgl. Satori-Neumann, S. 214 Als erfolgreichster Dramatiker erwies sich Destouches mit der überaus beliebten Gattung der comédie larmoyante, gefolgt von La Chaussée. Ebenfalls in jedem Repertoire vertreten sein mußten Molière und Marivaux. Um die Einführung Molières hatte sich bereits Velten verdient gemacht; Marivaux wurde vor allem durch Krügers Übersetzungen bekannt und beliebt. Aber beide erlitten Einbußen in den siebziger Jahren und mußten ihren Platz den nunmehr auf den Plan tretenden englischen Kollegen Goldsmith und Sheridan, vor allem aber dem Erfolgsautor aus Italien, Goldoni, räumen.

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glied der T r u p p e — noch im K o s t ü m der soeben gespielten Rolle — teilt dem Publikum, oft in F o r m einer Schluß- und Dankrede, den weiteren Spielplan m i t . 2 3 Für dieses sog. »Harangieren« schienen einzelne Darsteller besonders prädestiniert: D e m Schauspieler Brückner wird attestiert: »Wenige haranquiren mit größerer S u a d a . « 2 4 Auch M a d . K o c h erntet hier L o b : »Ein Talent, das sie nur mit Wenigen gemein hatte, w a r der Anstand, w o m i t sie harangiren konte, welches ihr bei Prologehalten sehr zu statten k a m . « 2 5 Zwischen der Gesellschaft und dem Auditorium konnte es zur P r o g r a m m absprachen k o m m e n : 1 7 6 8 mußte » M i n n a von Barnhelm« in Breslau auf »das laute Verlangen der Zuschauer, besonders im Parterre, an drei aufeinanderfolgenden Abenden gespielt w e r d e n . « 2 6 Zensur fand statt, besonders unduldsam in Wien. Geistliche als D r a m e n figuren durften auf der Bühne nicht erscheinen: der Patriarch im » N a t h a n « wurde zum K o m t u r , der Klosterbruder zum Bedienten. Schillers W e r k e waren überhaupt als staatsgefährdend v o m Wiener T h e a t e r v e r b a n n t . 2 7 Schwer 23

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Auch diese Sitte fand ihren frühen Kritiker. Löwen ironisiert den Beschluß des Trauerspiels »Simson und Delila«: »Die Philister wurden mit Simson in den Trümmern des Tempels begraben: und kaum hatte Simson Zeit unter den Säulen von gemahltem Papier hervorzukriechen, so verkündigte er schon dem erstaunenden Parterr das Stück des folgenden Tages« (Löwen, Auszug aus einem Briefe eines Freundes. In: Stümcke, S. 77). Schütze rät, diesen desillusionierenden Brauch ganz abzuschaffen: »Stört es nicht auch die Täuschung, wenn er, dem wir als Czaar Peter gerechte Bewunderung zollten, der uns den Schauspielkünstler so ganz vergessen machte, nun in der Kleidung dieses Czaars anredend sein Publikum daran erinnert, die Täuschung urplötzlich hebt, die uns auch nach dem Stücke noch den Abend in der Stimmung erhalten soll, in den uns sein wahrhaft großes Spiel hineinstimmte? — Großmann läßt nach den Stücken, weil doch einmal annoncirt werden muß, nie in der Kleidung und den Charaktern des Stücks abkündigen (Schütze, S. 695). Tatsächlich findet sich auf einem Theaterzettel von 1815 die Notiz: »Da jede Darstellung auf der Bühne als eine in sich geschlossene Kunstleistung angesehen werden muß, so kann es für diese Ansicht nicht anders als störend seyn, wenn, wie bisher der Fall gewesen, eine dazu gehörige Person gleichsam wieder aus derselben heraustritt, und die Ankündigung der Vorstellung des nächsten Schauspiels besorgt. Um diese Störung zu vermeiden, ist von heute an die Einrichtung getroffen worden, daß die nächsten Vorstellungen auf der Schauspiel-Anzeige (KomödienZettel) jedesmal mit benannt, auch beim Ausgange des Theaters der Name des künftigen Stückes auf eine dazu bestimmte Tafel geschrieben werden wird. Die gewöhnlichen Ankündigungen von der Bühne fallen daher künftig weg« (Blümner, S. 3 5 9 f . ) . Schmid, Chronologie, S. 106 Gallerie, S. 80 Schlesinger, S. 62 Vgl. u.a. Knudsen, Theatergeschichte, S. 2 5 6 ; Petersen, Schiller und die Bühne, S. 4 9 ff.

lastete auch die Zensur der Franzosen während ihrer Fremdherrschaft auf dem Hamburger Theater und erschwerte dem Schauspieldirektor Schröder eine interessante Spielplangestaltung. Tauchten im dramatischen Text die Worte >VaterlandFreiheitTyranner

JttniflI.

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Leseproben, bereiteten die Verse größte Schwierigkeiten. Am schwersten taten sich die Darsteller mit dem rhythmisch richtigen Sprechen der Enjambements. Die Unterscheidung, die Goethe anläßlich der Weimarer Aufführung des »Nathan« zwischen Rezitation und Deklamation macht, entspricht der Grundfrage der Schauspielkunst des 18. Jahrhunderts nach Identifikation oder Objektivation, entspricht auch der Schillerschen Differenzierung von Rhapsode und Mime. Goethe versteht Rezitation als objektiv-erzählenden Vortrag »mit Mäßigung und ohne jene leidenschaftliche Selbstentäußerung [...], die bei der Declamation erfordert wird«. 1 0 9 Die Deklamation, als gesteigerte Rezitation, wird ganz vom Gefühl, von der selbstentäußernden Einfühlung getragen: »Hier muß ich meinen angebornen Charakter verlassen, mein Naturell verläugnen und mich ganz in die Lage und Stimmung desjenigen versetzen, dessen Rolle ich declamire.« 110 Schon Gottsched hatte diese zentralen Kategorien der identifizierenden Empfindung oder distanzierenden Darstellung als grundlegend für die Deklamation hervorgehoben: »Endlich kömmt der Vortrag selbst, das ist die Aussprache und die Geberden der spielenden Personen. Hierauf kömmt in der Vorstellung eines Trauerspieles fast alles an. Das beste Stück wird lächerlich, wenn es schlecht und kaltsinnig hergesagt wird: hergegen das elendeste Zeug klingt zuweilen erträglich, wenn eine gute Aussprache ihm zu statten kömmt.« 1 1 1 Er zitiert seinen Gewährsmann Horaz und kommt, hierin auch Boileau, d'Aubignac und Dacier folgend, zu dem Schluß: »Hierinn steckt nun hauptsächlich die Regel: ein guter Comödiant müsse dasjenige erst bey sich zu empfinden bemüht seyn, was er vorzutragen willens ist; welches in der That das beste Mittel ist, eine lebhafte Aussprache und Stellung zu erlan-

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miihevolle Arbeit. Die alten Schauspieler konnten durchaus keine fließende Rezitation der Schillerschen Jamben zu stände bringen; die langen Silben dehnten sie so ungebührlich, daß man glaubte, eine Sägemühle zu hören, und trotz einer Menge Leseproben, welche Goethe hielt, hoben sie immer noch den Vers mit schwerfälliger Absichtlichkeit hervor. Übrigens erlitten auch außerhalb Weimars die Schillerschen Verse arge Behandlung; war es doch sogar anerkannten Schauspielern wie Opitz, Reinecke, Schirmer u. s. w. (bei der Franz Secondaschen Gesellschaft) nicht möglich, eine rhythmisch geschriebene Rolle auswendig zu lernen; dieselbe mußte immer erst in Prosa geschrieben und hinter jeden Vers ein dicker Strich gemacht werden« (S. 5 5 f.). Regeln für Schauspieler, W A 4 0 , S. 1 4 5 . (Der Schillersche »Rhapsode« ist also mit Goethes »Rezitator« identisch.) W A 4 0 , S. 1 4 6 Critische Dichtkunst 3 1 7 4 2 , S. 7 2 6 ibid., S. 7 2 7 Vgl. zu diesem Aspekt einer Theorie der Schauspielkunst die Dissertation der Verf. »Lessing und die Bühne seiner Zeit«, S. 5 6 6 - 5 8 6 .

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Eindeutiges Votum also für eine Identifikation des Schauspielers mit der darzustellenden Person, gerade auch im Hinblick auf die Deklamation. Verfolgt man summarisch die Entwicklung des schauspielerischen mündlichen Vortrage, so läßt sich die Linie ziehen von der outriert-pathetischen, aber monoton-symmetrischen Skandierung des Alexandriners zur Zeit der Neuberin über eine sprachlich-deklamatorische kongeniale Wiedergabe bei Ekhof bis hin zur realistischen Schule Ackermanns und Schröders, die — ihrem bürgerlichen Repertoire entsprechend — eine natürliche, lebensnahe Diktion einführten, und weiter zur Rückkehr Goethes zum französischen Vers und zur rhythmischen Deklamation der Schillerschen Jamben. Ein abschließendes Resümee über das Theater des 18. Jahrhunderts zu ziehen, erweist sich als problematisch. Zu widersprüchlich und vielschichtig sind die Phänomene, und sie sind vor allem nicht einheitlich zu erfassen: die Voraussetzungen und Gegebenheiten zur Zeit der Wanderphase sind von der Situation der ersten stehenden bürgerlichen Schauspielhäuser gänzlich verschieden. Auch innerhalb der einzelnen Gesellschaften waren eklatante Unterschiede festzustellen: etwa hinsichtlich der Spielplangestaltung, dem künstlerischen Niveau der schauspielerischen Leistung, aber auch im Hinblick auf das Dekorations- und Kostümwesen sowie der Bühnentechnik. Eben diese verschiedenen und sich stetig ändernden Erscheinungsformen des Theaterwesens in ihrer Entwicklung während des 18. Jahrhunderts sollten belegt, der Weg von der Bretterbude zum Schauspielhaus, vom Theater als Volksbelustigung zum Theater als Volksbildung aufgezeigt werden. Das Vermächtnis der Aufklärung, der emanzipatorische Anspruch der bürgerlichen Intelligenz des 18. Jahrhunderts an die Institution und Instanz »Bühne« als Kanzel und Katheder, Forum und Tribunal, bleibt nach wie vor einzulösen.

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Anhang

Beilage 1 Boite führt als Beispiel für das übliche Geschäftsgebaren zwischen Spielerlaubnis und Spielplatz suchendem Prinzipal und Munizipalität zwei typische Suppliken an (Ende 17./Anfang 18. Jahrhundert): Eine Truppe sucht darum nach, »in stehenden Dominic unsere Schau-Bühne alhier zu eröffnen, und unsere unärgerliche, Lustige und Sinnreiche Actiones zu repraesentiren« — Antwort des Stadtrates: »Und will E. Raht denen Supplicanten in ihrem desiderio wilfahren, doch daß sie sich aller obscoenen actuum endhalten, auch so lange sie agiren werden, und zwar jedesmahl 10 biß 12 Thlr. der Kämmerey abtragen.« Diese Abgabe jedoch scheint den Komödianten zu hoch; sie bitten um Ermäßigung: »Weiln aber 18 Persohnen nicht ein Weniger Verconsumiren, die Bude auffzurichten, auch auff die 700 fl. Kosten wird, und die tägliche umbkosten als Vor Musicanten, Buchdrücker, Lichter und auffwärthere ein großes Wegnehmen, leben also der tröstl. Hoffnung, daß obgemeldte stücke benebst den betrübten Wittwen Stand unserer Principalin E. W. E. H. W. Rath also erweichen möchte(n)«. - Bescheid des Senats: »Und will E. Raht, fais kein mehrers erhalten werden könte, denen Supplicanten die freyheit zu agiren vor 600 fl. denen Hausarmen zum besten gönnen« (Boke, Danziger Theater, S. 140, 141). Gersdorff berichtet für Kiel über ein Anwachsen der Heuergelder aufgrund der Konkurrenzverhältnisse unter den einzelnen Truppen (S. 173). Die Stadtverwaltung nutzte also geschickt die Wettbewerbssituation der Prinzipale zu ihren eigenen Gunsten aus. In Halle, der Hochburg des Pietismus, waren um 1700 alle theatralischen Aufführungen verboten: »Aber der Magistrat stellte sich auf die Seite der Schauspieler — denn sie erhöhten seine Steuereinnahmen nicht unbeträchtlich - und gab ihnen wiederholt Gelegenheit zum Auftreten. [... ] Anfang 1702 erlaubte der Magistrat mehrmals Possenreißern und Schauspielern, die von der Leipziger Messe kamen, das Auftreten im Stadtkeller, bis sie die Universität mit Hilfe der Magdeburger Regierung verjagte« (Meyer, Halle, S. 12). Die Abgaben verteilten sich im einzelnen auf »Standgeld-, Budenzins- und Conzessionsgeld-Rechnungen« (H. Devrient, S. 25). 203

Beilage 2 Als Beispiel ein Theaterzettel der Neuberschen Truppe:

einem

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Bor t(>re ®aterflabt treu geflnnten Patrioten, Plebfl einem neu baju eerfertigten SBorfpiele, genannt:

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^ocfcigíirfll. SBtaunfd)»eig ítíneb. 9Bo(ffenb. nunmefiro autf) ßocfcgürfti. Scf)(eB»igs£o(flemicf>en $off;Comoedianten. greptagí, ben 2. SUcBember 173e. 3of)amt 01 tuber.

(Reden-Esbeck, S. 199; vgl. S. 178, 203).

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Beilage 3 Gegen den obrigkeitlichen Befehl zu Abbruch und Verlegung ihrer Bretterhütte wehrt sich die bedrängte Prinzipalin in einer verzweifelten Eingabe, deren teilweiser Abdruck vor allem auch aufgrund der darin enthaltenen Aussagen über die üblichen Modalitäten bei der Schaubühnen-Errichtung und über die Schwierigkeiten, mit denen ein Prinzipal jener Zeit konfrontiert werden konnte, gerechtfertigt erscheint: Wie nun an gnädiger Gewehrung dieser meiner demüthigsten Bitte nicht zweifle, so würde doch dabey höchst unglücklich werden müssen, wenn ich die Comödien-Hütte vorher auf einen andern Platz transportiren solte. Verschiedene Uhrsachen machen diesen Transport unmöglich, und wenn Höchstdieselben geruhen sich nur die ersten vortragen zulassen, so werden sich die übrigen selbst zeigen. Die gründlichsten davon sind: Erstlich die kurze Zeit. Die kurzen Tage. Die langsamen und theuren Arbeiter, und endlich mein gänzliches Unvermögen. Der Erdboden ist gefrohren, dass man die Hölzer nicht tüchtig genug eingraben kan. Alles kan der Kälte wegen nicht so gut gebauet werden, dass es hernach bey Veränderung des Wetters im früh Jahre sicher stünde. Zwischen hier und Neu-Jahr ists nach hiesiger BauLeuthe Vermögen nicht möglich bey diesem Wetter und kurzen Tagen eine dergl. Hütte zu transportiren. Ich bin nicht in den Umständen itzo die Hütte völlig zu bezahlen, weil ich den Verdienst nicht dazu gehabt habe, vielweniger aber bin ich bey Vermögen so vielen Arbeits-Leuthen, als bey dieser Jahreszeit nöthig, das Arbeits und Tagelohn zu bezahlen. Vor hundert Gulden Nagel gehen wenigstens verlohren. Beym Frost springt das Bau-Holz und die Diehlen in stücken, dass kaum die Helfte brauchbar bleibt 90 biss 100 fl. wird dass Fuhrlohn ohne die Zimmermans Arbeit betragen. Was wird nicht dabey an Holtz und Diehlen von abhanden kommen, oder auf gut deutsch gestohlen werden, welches man alles durch Geld ersetzen soll, welches Geld ich eben so wenig als das erste dazu habe, und mit einer Gesellschafft von 20 Personen unter der Zeit dennoch leben, und ich dieselben alle Wochen, eben als zur agir Zeit, wie auch sonst Jedermann bezahlen muss. Hiebey will nicht anfuhren wie die Nachbarn an dem Orthe, wo man die Hütte bey itzigen kurzen Tagen und stiller Zeit hintransportiren wolte über das Bauen und klopfen kreischen und schreyen würden, wenn ich auch das Geld dazu hätte. Ew. Wohl- und Hochedelgeb. Gestreng, und Herrlichkt. auch Wohlfüraicht. und Hochweissht. können nun diesen Geld-Kosten, Arbeiten, Klagen, Schwierigkeiten, und meinem gänzlichen Untergange mit einem gnädigen Entschlüsse abhelffen, wenn Höchstdieselben gnädig erlauben und geschehen lassen, dass die Hütte stehen bleiben, und wir nach den Weyhnacht- und Neujahr-Ferien wieder Comödien agiren dürfen. (Mentzel, Schauspielkunst, S. 205 f.)

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Beilage 4 Einige konkrete Maßangaben für die wichtigsten damaligen Theater sollen in knapper Aufzählung angeführt werden: Der auffallend kleinen Bühne des Schuch-Theaters in der Berliner Behrenstraße stehen die Maßzahlen des Opernhauses (1742, von Knobeisdorff) gegenüber: Breite und Höhe der Bühne: 24 Fuß (1 Preußischer Fuß = 0,314 Meter), also ca. 7,5 Meter; die Tiefe betrug 30 Fuß (ca. 91/2 Meter; vgl. Brachvogel 1, S. 188). Das Berliner Opernhaus kann mit anderen Maßzahlen aufwarten: »Das Theater ist vorn beim Proscenium 52 Fus breit. Es hat 80 Fus würkliche Länge. Man kann es aber, wenn es nöthig ist, noch 28 Fus weiter, bis an die Hintermauer des Gebäudes öfnen« (Plümicke, S. 120). Die Akustik scheint trotz der Größe keine Schwierigkeiten gemacht zu haben: das Theater ist »ohngeachtet der vielen Nebenzimmer und des grossen Umfangs, für die Sänger ungemein vortheilhaft« (ibid.). Der Bühnenbreite des Schuch-Theaters von 7,5 Meter stand hier also mehr als das Doppelte (16,3 Meter) gegenüber; die Tiefe der Opernbühne betrug inklusive Hinterbühne annähernd 34 Meter. Auch das Dresdner Opernhaus wies nach den Grundrissen eine beträchtliche Tiefe auf. Nach dem Umbau 1748 durch Giuseppe Galli-Bibiena belief sich die Bühnentiefe auf 45 Meter (Beijer in »Bühnenformen«, S. 92. Vgl. Grundrisse bei Hammitzsch.). Im Rückblick auf die in Kapitel I. 1. erwähnten ersten Spielorte der Wandertheater seien zum Vergleich die ungefähren Maße eines Rathaussaales angegeben: »Da die Grundmaße des Hauptgebäudes auf etwa 10:30 Meter angesetzt werden, so leuchtet ein, wie klein der Raum gewesen sein muß, der für die Aufführung von Schauspielen zur Verfügung stand« (Gersdorff, S. XIII). Die reale Bühnenfläche betrug demnach etwa 7 x 8,5 Meter (ibid., Anm. 2). Beim Leipziger Schauspielhaus von 1766 betrug die Breite des Proszeniums 32 Fuß (1 Sächsischer Fuß = 0,283 Meter), also 9 Meter, die Höhe 30 Fuß (= 8,5 Meter), d.h. eine annähernd quadratische Bühnenöffnung (vgl. Blümner, S. 133). Die Bühnentiefe maß bis zum abschließenden Prospekt 8,5 Meter (vgl. Rudloff-Hille, S. 12). Das Schloßtheater zu Gotha wies eine Bühnenbreite von 11 Meter auf, die Tiefe von der Rampe bis zum Schlußprospekt ist mit 12 Meter angegeben (vgl. Hodermann, S. 32; Frenzel, Thüring. Schloßtheater, S. 117). Sommerfeld rekonstruiert die Bühnenmaße des Mannheimer Nationaltheaters: Länge und Breite betrugen je 16 Meter (S. 11). Diese quadratische 206

Fläche wies keine eigentliche Vorbühne (Proszenium) auf; das Spiel fand also ausschließlich auf der dekorierten Hauptbühne (Vorder- und Hinterbühne) statt. Akustisches Problem: »die Stimmen verfingen sich in den Kulissen« (ibid.). Die Filialbühne in Schwetzingen hatte etwa dieselben Ausmaße (17 x 17 Meter; (ibid., S. 12); dies hatte den Vorteil, daß die Mannheimer Dekorationen bei Bedarf auch hier benutzt werden konnten. Nach demselben Prinzip verfuhr man in Weimar und der Abstecherbühne im Badeort Lauchstädt. Die Weimarer Bühne (Neubau von 1780), auf der ein so raumheischendes Werk wie Schillers »Wallenstein« zur Uraufführung kommen sollte, hatte äußerst bescheidene Ausmaße: Breite = 42 Fuß (11,8 Meter), Tiefe = 43 Fuß (12,13 Meter). (Nach Weichberger: 1 Weimarer Fuß = 0,282 Meter. Vgl. Satori-Neumann, S. 148; Doebber, S. 20.) Zeitgenössische Stimmen beklagen sich über diese beschränkten Räumlichkeiten. Der Weimarer Schauspieler Eduard Genast erinnert sich: »Ich war von Prag gekommen, und schon das kleine Haus in Weimar hatte mich frappiert; wie erstaunte ich aber, als ich in Lauchstädt gar eine große Scheune zum Theater hergerichtet fand! Auch Goethe fühlte darüber, als er zum Besuch dahin kam, ein großes Mißbehagen, und es wurde der Beschluß gefaßt, ein wenn auch noch so kleines Theater auf eigene Kosten zu bauen; ...« (S. 46 f.). Der Intendantur- und Baurat Doebber läßt in seiner theaterbaugeschichtlichen Studie über Weimar und Lauchstädt den Schauspieler Becker mit seiner 1799 geäußerten Klage zu Wort kommen: »Unser Theater hier in Lauchstädt ist so übel beschaffen, daß es, sowohl auf dem Theater, als auf dem Platz der Zuschauer einregnet [ . . . ] . Die Studenten nennen es nur eine Schafhütte, drum fällt auch die Achtung weg, auf die wir Anspruch machen können, weil wir in einem so elenden Hause spielen, in dem sich nichts gut ausnimmt« (S. 45). Durch den 1798 am Weimarer Komödienhaus vorgenommenen Umbau, der sich vor allem auf den Zuschauerraum konzentrierte, wurde unverständlicherweise die Tiefe noch verringert (Doebber, S. 58). Auch hier wieder Übereinstimmung mit dem 1802 in Lauchstädt errichteten Theater: »Beide Bühnen zeigen [ . . . ] im Grundriß fast genau die gleichen Abmessungen und waren darauf berechnet, daß sämtliche Dekorationen und sonstige Zubehörteile ohne weiteres auf jeder von ihnen Verwendung finden konnten« (Doebber, S. 64). Vergleichende Maßtabellen verschiedener europäischer Schauspiel- und Opernhäuser finden sich neben der bei Stieglitz (S. 637) abgedruckten noch in: Langhans, Vergleichung, S. 15 und Semper, S. 290. Vgl. auch Maßangaben bei Hammitzsch. 207

Beilage 5 Das sächsische Privileg der Neuberschen Truppe: Wir Friedrich Augustus von Gottes Gnaden König in Pohlen, Grofz Hertzog in Litthauen, ju Steuden, Greußen, ä>taje»ien, «Samogitien, .ftoemen, SSoUhpnien, Lobelien, ^?obiad)ten, giefflanb, ©moleníco, erien unb Gjerni; d)0Men îc. ßerjog ju iarfd>ilí unb (Shurñírft, üanb=öraf in íhüringen, â)larg;(Braf ju SDleifcen, aud) Eber; unb 9lieber;íaufij, S5urgs(Sra(f ju SDIagbeburg, gefiírjieter ©raf ju |Senneberg, ©rat ju ber üíarf, SHaceníberg unb Sarbo, £err ju SKaoenflein :c. Uhrfunben hiermit, baft 3Bír, nadjbem bte fo genannte £aacfifd)e bande Unferer ehemaligen £off*Comoedianten getrennet werben Johann Neubern unb befen Sf)en>eib Pridericen Carolinen ju Unferen £off Comoedianten auf; unb angenommen, îfyun auef) feícf>cé fiiermit unb £ rafft biefeei offenen SBrieffd bergeflalt unb a(fo, bafi biefelbe nebfl ihrer bande aid Uniere $off Comoedianten vor männiglid) gehalten unb geartet »erben, fie aucf> befugt fepn fetten in Unferen (i'hur; unb Grrb^anben beo unterbotener Seit aller Drthen, ingleicfjen in benen £eipjiger Steffen unb Sldjt Sage cor unb ad)t läge ηαφ ben âJîeffen ungehinbert )u agiren unb jufpielen. 3¡ebod> folien fie bie ©e; wohnlichen Abgaben ju erlegen unb abjuflatten haben, über bie (gebühr aber nicf)t befeueret werben. SSefehlen bemnatf) jebeé Crtf)¿ Ebrigfeit, abfonberlidj benen SKathen in ©tabten fid) f)iernacf) gehorfambft ju acuten unb befagten 9leuber unb fein