Franken, Schwaben, Oberpfalz bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts : Erster Teil: Franken 3406048455

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Franken, Schwaben, Oberpfalz bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts : Erster Teil: Franken
 3406048455

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Handbuch der bayerischen Geschichte

HANDBUCH DER BAYERISCHEN GESCHICHTE DRITTER BAND-ERSTER TEILBAND

HANDBUCH DER BAYERISCHEN GESCHICHTE DRITTER BAND

FRANKEN, SCHWABEN, OBERPFALZ BIS ZUMAUSGANG DES 18. JAHRHUNDERTS In Verbindung mit Sigmund Benker, Laetitia Boehm, Walter Brandmüller, Tilmann Breuer, Rudolf Endres, Hanns Fischer f, Alois Gerlich, Johannes Janota, Andreas Kraus, Adolf Layer, Klaus Leder, Bruno Neundorfer, Hans Pörnbacher, Heribert Raab, Franz-Josef Schmale, Hans Schmid, Eckart Schremmer, Wilhelm Volkert, Hildegard Weiß, Walter Ziegler

Herausgegeben von

MAX SPINDLER em. 0. Professor an der Universität München ERSTER TEILBAND

C.H.BECK’SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG MÜNCHEN

ISBN 3 406 04845 5 (Zwei Teilbände)

Zweite, verbesserte Auflage. 1979 Umschlagentwurf von Wolfgang Taube, München © C.H.Beck‫״‬sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck) München 1971

Druck der C. H. Beck’schen Buchdruckerei Nördlingen

Printed in Germany

VORWORT

Gemäß dem im Vorwort zum ersten Band (S. VIII) umrissenen Ziel des Gesamtwerkes wird im vorliegenden dritten Band die Geschichte jener Gebiete behandelt, die, von der Oberpfalz abgesehen, am Anfang des vorigen Jahrhunderts mit dem bayerischen Territorialstaat vereinigt worden sind, voran die Geschichte des heutigen bayerischen Franken und Schwaben. Sie wird im ersten und zweiten Abschnitt des Bandes erstmalig, zusammenfassend, in großem Rahmen und unter Einarbeitung der reichen, modernen Spezialliteratur dargeboten. In einem kleineren dritten Abschnitt folgt die Oberpfalz, die seit dem vierzehntenJahrhundert ein, sich schon im Namen verratendes, von Ober- und Niederbayern wegführendes, dynastisch bestimmtes Sonderschicksal erlebte, dessen Kreise sich erst im achtzehnten Jahrhundert wieder gänzlich schlossen. Auch ihre Geschichte ist noch nicht zum Gegenstand einer großeren geschlossenen Darstellung gemacht worden. Ein den Band abschließender Anhang enthält die jüngere Geschichte der drei altbayerischen Hochstifte (Freising, Regensburg, Passau) und der Reichsstadt Regensburg, die gleich Schwaben oder Franken erst nach 1800 in den bayerischen Territorialstaat eingeordnet wurden. Bei allen betrachteten staatlichen Einheiten ist versucht worden, ihrer eigenständigen und reichen Vergangenheit in vollem Umfang gerecht zu werden. Damit soll zugleich die unerläßliche Voraussetzung für das Verständnis des modernen Bayern gewonnen werden. Seiner Geschichte (von 1800 bis Gegenwart) wird der vierte und Schlußband des Werkes gewidmet sein. München, im Oktober 1971

Max Spindler

Um die Förderung und Vorbereitung des Werks haben sich durch namhafte Zuwendungen besonders verdient gemacht:

Allianz Versicherungs AG, München Bankhaus H. Aufhäuser, München Bayerische Gemeindebank, München Bayerische Hypotheken- u. Wechsel-Bank, München Bayerische Landesbodenkreditanstalt, München Bayerische Staatsbank, München Bayerische Vereinsbank, München Bayerische Versicherungsbank AG, München Bayerische Versicherungskammer, München Bayerische Wasserkraftwerke AG, München Robert Bosch GmbH, Werk Nürnberg Brown Boveri & Cie. AG Commerzbank AG, Filiale München Deutsche Bank AG, Filiale München Dresdner Bank AG, Filiale München Eisenwerk-Gesellschaft Maximilianshütte, Sulzbach-Rosenberg Roland Graf Faber-Castell, Dürenhembach b. Nürnberg Josef Ernst Fürst Fugger von Glätt, Schloß Kirchheim Fürst Thurn & Taxis Bank, München Josef Hebel, Bauunternehmung, Memmingen Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG Bankhaus Merck, Finck & Co., München Karl Friedrich Fürst zu Oettingen-Wallerstein, Wallerstein Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, München Bankhaus Reuschel & Co., München Rhein-Main-Donau AG, München Josef Riepl, Bauunternehmung, München Kugel-Fischer, Georg Schäfer & Co., Schweinfurt Dr. Karl Graf von Schönborn, Schloß Wiesentheid Siemens AG, München Süddeutsche Bodencreditbank AG, München Für die Vermittlung der Spenden wird vor allem Herrn Dr. Dr. Alfred Jamin, Präsident der Bayerischen Staatsbank i. R., ferner Herrn Dr. Dr. h. c. Carl Knott aufrichtiger Dank geschuldet. Die Anregung zur Spendensammlung ist Herrn Ministerialdirigenten a. D. Dr. Philipp Freiherrn v. Brand zu verdanken.

INHALT

Abkürzungen.......................................................................................................... XXI

ERSTER TEIL: FRANKEN A GRUNDLEGUNG: DIE EINGLIEDERUNG THÜRINGENS IN DAS

MEROWINGISCHE FRANKENREICH (BIS 716/19)

I. Die politische Entwicklung. Von

Franz-Josef Schmale

§ I. Franken bis zur Eroberung durch die Merowinger........................................................

5

a) Die Bevölkerung...............................................................................................................

5

b) Das Thüringerreich......................................................................................

‫ך‬

§ 2. Thüringen im Merowingerreich (531-716).......................................................................... 10

a) Die Zeit bis zur Errichtung des Herzogtums (ca. 632)................................................ 10 b) Das thüringische Herzogtum

1L Innere Entwicklung. Von

......................................................................................

12

Franz-Josef Schmale

§ 3. Siedlung und Bevölkerung. Recht und Verfassung............................................................. 18

a) Siedlung und Bevölkerung.............................................................................................. b) Recht und Verfassung

18

....................................................................................................... 19

§ 4. Christentum und Kirche............................................................................................................ 23

B

FRANKEN VOM ZEITALTER DER KAROLINGER BIS ZUM

INTERREGNUM (716/19-1257)

I. Die politische Entwicklung. Von

Franz-Josef Schmale

§ 5. Franken im Karolingerreich................................................................................................... 29

a) Christianisierung und kirchliche Organisation durch Bonifatius (716-741) . . b) Franken als karolingische Königsprovinz (741-817)

........................................... 37

29

VIII

Inhalt § 6. Das «Herzogtum» Franken (888-939)

......................................................................... 46

§ 7. Franken im ottonischen und salischen Reich......................................................................53

a) Festigung der Königsmacht (940-1002).......................................................................... 53 b) Die Gründung des Bistums Bamberg.............................................................................. 56 c) Die Zeit Konrads II. und Heinrichs III............................................................................. 60

d) Der Investiturstreit in Franken (1057-1125)................................................................. 63

§ 8. Das staufische Jahrhundert in Franken.............................................................................. 72 a) Franken nach dem Investiturstreit.................................................................................. 72

b) Vom Regierungsantritt Konrads III. bis zum Tode Heinrichs VI............................. 76 c) Von der Doppelwahl (1198) bis zum Tod Friedrichs II............................................... 84

II. Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Kirche. Von Franz-Josef Schmale § 9. Die karolingische Königsprovinz...................................................................................... 93

a) Die Königsherrschaft undihre Organisation............................................................ 93 b) Wirtschaft, Handel, Sozialentwicklung....................................................................101

§ 10. Vom Ausgang der Karolinger bis zum Ende der Staufcrzeit

................................. 103

a) Der Adel...........................................................................................................

103

b) Das Königtum.................................................................................................................. 107 c) Die Kirche.......................................................................................................................109

III. Das geistige Leben. Von Franz-Josef Schmale, Hanns Fischer, Johannes Janota, Tilmann Breuer, Hans Schmid § ii. Bildung und Wissenschaft, lateinische Literatur, geistige Strömungen (FranzJosef Schmale)....................................................................................................................... 113

a) Karolingische und ottonischc Periode........................................................................113 b) Die Bamberger Domschulc und das Kloster Michclsbcrg..................................... 127 c) Investiturstreit und Kirchenreform............................................................................ 141

§12. Die deutsche Dichtung von den Anfängen bis zum Ende der «mittclhochdcutsehen Blütezeit» (Hanns Fischer, Johannes Janota).............................................. 144 §13. Vorromanik und Romanik (Tilmann Breuer)...........................................................146

a) Karolingische Kunst......................................................................................................146 b) Bamberg und die ottonischc Kunst............................................................................ 148 c) Architektur und Plastik des zwölften Jahrhunderts.............................................. 150

d) Der Neubau des Bamberger Domes und sein Umkreis...................................... 152

§ 14. Musik 800-1200 (Hans Schmid).................................................................................... 156

Inhalt

IX

C

VOM INTERREGNUM BIS ZUM ENDE DES ALTEN REICHS UND ZUR BEGRÜNDUNG DES NEUEN BAYERISCHEN STAATES AM ANFANG DES 19. JAHRHUNDERTS

I. Von Rudolf von Habsburg bis zum Ende des Thronstreits 1322. Von Alois Gerlich

§ 15. Rcichsgutrcvindikationcn Rudolfs und Albrechts I. von Habsburg.................... 161 § ιό. Franken in der Zeit Kaiser Heinrichs VII. und während des Thronstreits (1314-1322)...........................................................................................................................166

II. Frankens Territoriahnächte zwischen Bayern und Böhmen. Von Alois Gerlich § 17. Die Zeit Kaiser Ludwigs IV............................................................................................... 170

§ 18. Der Thronstreit (1346-1349)............................................................................................. 173 § 19. Die Reichs- und Hausmachtpolitik Kaiser Karls IV. in Franken............................. 175

III. Franken im Ringen der Häuser Luxemburg und Wittelsbach. Der Aufstieg der Zollern. Von Alois Gerlich § 20. Der Schwund der Königsmacht um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert 181

§ 21. Frankens Tcrritorialfürsten in derZeit des Konstanzer Konzils und der Hussitenkriege....................................................................................................................................186

IV. Von der Bildung des Fränkischen Reichskreises und dem Beginn der Reformation bis zum Augsburger Religionsfrieden 1555. Von Rudolf Endres § 22. Der Fränkische Reichskreis. Die politische Lage vor der Reformation .... 193

§ 23. Die Ausbreitung der Reformation................................................................................ 196 § 24. Der Bauernkrieg

............................................................................................................. 200

§ 25. Die neue Kirchenverfassung

........................................................................................205

§ 26. Der zweite Markgräflerkricg........................................................................................ 208

V. Vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Dreißigjährigen Krieg. Von Rudolf Endres

§ 27. Der Fränkische Reichskreis............................................................................................ 212 § 28. Die Festigung der neuen Lehre.................................................................................... 216 § 29. Die Gegenreformation..................................................................................................... 219

§ 30. Der Dreißigjährige Krieg................................................................................................. 223

Inhalt

X

VI. Franken in den Auseinandersetzungen der Großmächte bis zum Ende des Fränkischen Reichskreises. Von Rudolf Endres § 31. Franken nach dem Westfälischen Frieden................................................................... 231

§ 32. Franken im Spanischen Erbfolgekrieg

........................................................................235

§ 33. Die preußische Erbfolgefrage......................................................................................... 238 § 34. Franken während der Schlesischen Kriege und des Siebenjährigen Krieges . . 241 § 35. Das Ende des Fränkischen Reichskreises....................................................................... 245

VII. Territoriale Veränderungen, Neugestaltung und Eingliederung Frankens in Bayern. Von Rudolf Endres § 36. Die Koalitionskriege und der Reichsdeputationshauptschluß................................. 250

§ 37. Die Rheinbundzeit.............................................................................................................. 257 § 38. Die Folgen des Wiener Kongresses................................................................................ 261

D DIE INNERE ENTWICKLUNG VOM INTERREGNUM BIS 1800:

STAAT, GESELLSCHAFT, KIRCHE, WIRTSCHAFT

I. Staat und Gesellschaft. Erster Teil: Bis 1500. Von Alois Gerlich § 39. Grundlagen der Territorienbildung................................................................................ 268 § 40. Die Hochstifte

...................................................................................................................274

a) Mainz............................................................................................................................... 275 b) Würzburg.......................................................................................................................277 c) Bamberg........................................................................................................................... 283

d) Eichstätt....................................................................................................................... . 289 e) Der deutsche Orden...................................................................................................... 293

§ 41. Die Burggrafschaft Nürnberg (Markgraftümer Ansbach-Bayreuth).................... 295 § 42, Adel und Ritterschaft

...................................................................................................... 304

§ 43. Die Reichsstädte................................................................................................................... 323

II. Staat und Gesellschaft. Zweiter Teil: 1500-1800. Von Rudolf Endres § 44. Die «Staatlichkeit» in Franken.........................................................................................349

§ 45. Die geistlichen Fürstentümer......................................................................................... 353 § 46. Die Reichsstädte.................................................................................................................. 360 § 47. Die kleineren Fürsten und die Reichsgrafen............................................................... 369

§ 48, Die Reichsritterschaft - Die voigtländische Ritterschaft.......................................... 381

Inhalt

XI

§ 49. Deutscher Orden. Ballei Franken..................................................................................... 39! § jo. Die Markgraftümer.......................................................................................................... 396 § 51. Die preußische Ära (1791-1806).................................................................................... 406

III. Die kirchlich-religiöse Entwicklung von der Mitte des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Von Klaus Leder, Walter Brandmüller § 52. Die evangelische Kirche (Klaus Leder)........................................................................ 416

a) Das Zeitalter der Orthodoxie 1555-1648............................................................... 416 b) Das Zeitalter des Pietismus 1648-1750....................................................................421

c) Die Zeit der Aufklärung 1750-1800........................................................................ 423

§ 53. Die katholische Kirche zwischen Tridentinum und Säkularisation. Das Zusammenleben der Konfessionen (Walter Brandmüller)..................................... 426 a) Der Wiederaufbau bis zum Westfälischen Frieden.............................................. 426 b) Die Schönbomzeit (1642-1746)................................................................................ 436

c) Die fränkischen Bistümer in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts . . . . 443 d) Das Zusammenleben von Katholiken und Protestanten in Franken nach dem Westfälischen Frieden................................................................................................. 450

IV. Das Agrarwesen vom Spätmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Von Hildegard Weiss § 54. Die rechtliche und soziale Lage der Bauern............................................................... 456 § 55. Die landwirtschaftlichen Erzeugnisse............................................................................ 472

V. Die Entwicklung der gewerblichen Wirtschaft und des Handels bis zum Beginn des Merkantilismus. Von Eckart Schremmer § 56. Die Wirtschaftsmetropole Nürnberg...........................................................................478

a) Der Handelsraum. Der Aufbau des Nürnberger Privilegiensystems .... 480 b) Die Handelsgüter und Handelswege....................................................................... 484 c) Die Nürnberger Handwerker..................................................................................... 492

d) Verfassung....................................................................................................................... 495

§ 57. Handel und Gewerbe in den Territorien.................................................................. 498

VI. Gewerbe und Handel zur Zeit des Merkantilismus. Von Eckart Schremmer § 58. Die wirtschaftliche Entwicklung der Reichsstadt Nürnberg................................. 505

a) Die Entwicklung des Gewerbes................................................................................. 505 b) Die Organisationsformen des Gewerbes....................................................................510

c) Die Organisation des Absatzes................................................................................ 511

§ 59. Die Gewerbeförderung in den Markgraftümern Ansbach und Bayreuth . . .512

a) Das Textilgewerbe.......................................................................................................... 516 b) Das metallverarbeitende Gewerbe............................................................................ 520

Inhalt

XII

c) Glasbearbeitende Gewerbe......................................................................................... 521 d) Der Eisenerzbergbau und das Montangewerbe.......................................................522

e) Die Manufaktur als betriebliche Organisationsform.............................................. 523

§ 60. Handelsmerkantilistische Bestrebungen in den Mainterritorien

VII. Die Juden in Wirtschaft und Handel.

525

Von Rudolf Endres

§ 61. Die Juden in Wirtschaft und Handel

530

E

DAS GEISTIGE LEBEN VOM 13. BIS ZUM ENDE DES

18. JAHRHUNDERTS

I. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter bis 1450. Von

Franz-Josep

Schmale § 62. Bildungsstätten und kulturelle Zentren............................................................................ 535

§ 63. Würzburg............................................................................................................................... 539 § 64. Bamberg und Eichstätt...................................................................................................... 544 § 65. Klöster und Orden. Die Mystik......................................................................................... 546 § 66. Nürnberg................................................................................................................................552

II. Gestalten und Bildungskräfte desfränkischen Humanismus. Von Andreas Kraus § 67. Ausstrahlung des fränkischen Humanismus................................................................... 557 § 68. Humanistische Zentren. Geistliche und weltliche Residenzstädte............................. 569

a) Eichstätt

........................................................................................................................... 570

b) Bamberg........................................................................................................................... 572

c) Würzburg

....................................................................................................................... 575

d) Ansbach-Bayreuth und Coburg................................................................................ 580

§ 69. Die Reichsstadt Nürnberg................................................................................................. 582

a) Persönlichkeiten und Strömungen............................................................................ 583 b) Wissenschaftspflege zur Zeit des Humanismus....................................................... 594

III. Der Beitrag Frankens zur Entwicklung der Wissenschaften (1550-1800). Von Andreas Kraus § 70. Die Reichsstadt Nürnberg mit Altdorf............................................................................ 603

a) Die Reichsstadt Nürnberg............................................................................................. 603 b) Die Universität Altdorf................................................................................................. 608

Inhalt

XIII

§ 71. Die Fürstentümer und die übrigen Reichsstädte....................................................

615

a) Schulmänner, Beamte, Ärzte........................................................................................ 615 b) Die Universität Erlangen.............................................................................................623

§ 72. Das geistliche Franken......................................................................................................... 628 a) Das Hochstift Eichstätt................................................................................................. 628

b) Das Hochstift Würzburg.............................................................................................630 c) Das Hochstift Bamberg................................................................................................. 637 d) Die fränkischen Klöster................................................................................................. 640

IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung. Von Laetitia Boehm

§ 73. Territoriale, konfessionelle, bildungsgeschichtliche Grundlagen.......................... 644

§ 74. Hochschulinitiativen im katholischen Franken. Würzburg, Bamberg, Aschaffenbürg.................................................................................................................................... 653 a) Würzburg ................................................................................................................... 653 b) Bamberg........................................................................................................................ 660

c) Aschaffenburg............................................................................................................... 662

§ 75. Künstlerisch-technische und naturwissenschaftliche Akademiebestrebungen. Nürnberg, Würzburg, Schweinfurt............................................................................. 663 § 76. Hochschulpolitik im protestantischen Franken. Nürnberg-Altdorf und AnsbachBayreuth-Erlangen........................................................................................................... 666

V. Das Schulwesen (1500-1800). Von Klaus

Leder, Bruno Neundorfer

§ 77. Das evangelische Schulwesen (Klaus Leder)...............................................................678

a) Vor der Reformation..................................................................................................... 678 b) Im 16. Jahrhundert......................................................................................................... 681 c) Im 17. und 18. Jahrhundert.........................................................................................687

§ 78. Das katholische Schulwesen (Bruno Neundorfer).................................................. 690

a) Das gelehrte Schulwesen............................................................................................ 691 b) Das niedere Schulwesen.................................................................................................696

VI. Literatur, Kunst, Musik. Von Hanns Fischer, Johannes Janota, Hans Pörnbacher,

Tilmann Breuer, Sigmund Benker, Hans Schmid

§ 79. Die deutsche Dichtung vom Ende der «mittelhochdeutschen Blütezeit» bis zuin Ausgang des Mittelalters (Hanns Fischer/Johannes Janota)................................703 § 80. Literatur und Theater von 1550-1800 (Hans Pörnbacher)..................................... 707 a) Die Dichtung des Humanismus

................................................................................708

b) Dichtung in Nürnberg bis zum Ende des 18. Jahrhunderts................................. 709 c) Die Residenzstädte Ansbach, Bayreuth und Coburg im 18. Jahrhundert

. . 713

d) Die geistliche Literatur...................................................................................................715

Inhalt

XIV

§ 81. Gotik in Franken (Tilmann Breuer)............................................................................ 717

a) Anfänge

........................................................................................................................... 717

b) Die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts........................................................................ 718 c) Baukunst und Plastik der Parierzeit und des Weichen Stiles............................. 721

d) Malerei des 14. und 15. Jahrhunderts........................................................................ 725

e) Plastik und Steinmetzkunst am Ausgang der Gotik.............................................. 728

f) Albrecht Dürer und sein Kreis..................................................................................... 735 § 82. Die Kunstentwicklung vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (Sigmund Benker)....................................................................................................................................741

a) Eindeutschung und Krise der Renaissance (ca. 1510-1530)................................. 742 b) Der Manierismus (ca. 1530-1590)................................................................................ 745 c) Später Manierismus (ca. 1580-1640)............................................................................ 751

d) Hochbarock (ca. 1640-1700).........................................................................................759

c) Spätbarock (ca. 1700-1740)......................................................................................... 764

f) Rokoko und Rationalismus (ca. 1740-1780)........................................................... 777

§ 83. Musik (Hans Schmid)

.................................................................................................... 787

a) 1200-1500........................................................................................................................... 787 b) 1500-1800..................................................................................................

790

ZWEITER TEIL: SCHWABEN A

VON DER LANDNAHME BIS ZUM ENDE DES FRANKENREICHS

I. Die politische Entwicklung.

Von Adolf Layer

§ 84. Die alamannische Landnahme............................................................................................. 804 § 85. Unter ostgotischer Schutzherrschaft................................................................................ 809 § 86. Merowingische Oberherrschaft und alamannisches Herzogtum.............................. 811 § 87. Die Karolinger und Ostschwaben.................................................................................... 813

II. Die Innere Entwicklung.

Von Adolf Layer

§ 88. Christianisierung und frühe kirchliche Organisation.................................................. 816 § 89. Siedlung und Bevölkerung in frühmittelalterlicher Zeit.............................................. 824 § 90. Die politische Struktur Ostschwabens in fränkischer Zeit.......................................... 831 § 91. Das kulturelle Erbe der frühmittelalterlichen Zeit.......................................................834

XV

Inhalt B

VON DER GRÜNDUNG DES SCHWÄBISCHEN HERZOGTUMS (911) BIS ZUM ENDE DER STAUFERZEIT (1268)

I. Die politische Entwicklung. Von Adolf

Layer

§ 92. Ostschwaben im Reich der sächsischen Könige........................................................... 841 § 93. Ostschwaben im Reich der salischcn Könige............................................................... 845 § 94. Die Staufer und Ostschwaben........................................................................................ 84S

II. Die innere Entwicklung. Von Adolf Layer § 95. Alte und neue herrschaftsbildcnde Kräfte

................................................................... 854

a) Das Königtum.................................................................................................................. 854 b) Der Adel...........................................................................................................................857 c) Die Kirche

...................................................................................................................... 869

§ 96. Kirchliche Gründungen und Reformen vor und nach der Jahrtausendwende . . 878

§ 97. Siedlung und Bevölkerung in der großen Rodungsperiode..................................... 882

III. Geistiges Leben. Von Adolf Layer § 98. Nach den Ungameinfällen................................................................................................. 890 § 99. Im Zeichen der Reform und der frühstaufischen Kulturblüte................................. 892

IV. Kunst. Von Tilmann Breuer § 100. Vor- und frühromanische Kunst.....................................................................................896 § 101. Das 12. und 13. Jahrhundert.............................................................................................897

C

OSTSCHWABEN IN DER REICHSGESCHICHTE SEIT DEM INTERREGNUM

I. Vom Interregnum bis zum Augsburger Religionsfrieden. Von

Adolf Layer

§ 102. Zwischen Interregnum und Reformation....................................................................... 903 § 103. Im Schwäbischen Reichskreis und im Reich............................................................911 § 104. Die Bauernunruhen und der Bauernkrieg................................................................... 915 § 105. Die Ausbreitung der Reformation.................................................................................... 918 § 106. Schmalkaldischer Krieg und Augsburger Religionsfricde.......................................... 924 II HdBG III, 1

XVI

Inhalt

II. Von der Gegenreformation bis zur Eingliederung in Bayern. Von Adolf Layer § 107. Katholische Reform und Gegenreformation............................................................... 928 § 108. Der Dreißigjährige Krieg................................................................................................. 931 § 109. Zwischen dem Westfälischen Frieden und dem Ende der alten Reichsordnung . 935 § 110. Die Eingliederung Ostschwabens in den bayerischen Staat (1802-1810) . . . . 943

D DIE TERRITORIALSTAATLICHE ENTWICKLUNG BIS UM 1800

I. Geistliche Herrschaftsbereiche. Von Adolf §

iii.

Layer

Hochstift und Domkapitel Augsburg............................................................................ 949 a) Das unmittelbar hochstiftischc Gebiet........................................................................950 b) Das Gebiet des Domkapitels Augsburg................................................................... 955

c) Inkorporierte Klöster und Stifte................................................................................ 957

d) Der innere Ausbau..................................

961

§ 112. Das Fürststift Kempten......................................................................................................963

§ 113. Die Reichsstifte

.................................................................................................................. 968

a) Ottobeuren....................................................................................................................... 968 b) St. Ulrich und Afra in Augsburg................................................................................ 970 c) Elchingen........................................................................................................................... 971

d) Irsee....................................................................................................................................971

e) Kaisheim........................................................................................................................... 972

f) Roggenburg....................................................................................................................... 973

g) Ursberg

........................................................................................................................... 974

h) Wettenhausen.................................................................................................................. 975

i) Buxheim........................................................................................................................... 976

§ 114. Die Güter der Ritterorden................................................................................................. 977

II. Weltliche Herrschaftsbereiche.

Von Adolf Layer

§ 115. Die habsburgischen Besitzungen.................................................................................... 981 § 116. Die wittelbachischen Erwerbungen vor 1800 ............................................................... 988

§ 117. Die Territorien der Grafen und Fürsten von Oettingen..........................................991

§118. Die Besitzungen der gräflichen und fürstlichen Familie Fugger.............................994 § 119. Sonstige hochadlige Territorialherrschaften................................................................... 999 § 120. Die Reichsritterschaft...................................................................................................... 1004

a) Ritterherrschaften des Kantons Kocher....................................................................1007

Inhalt

XVII

b) Ritterherrschaften des Kantons Donau................................................................... 1009 c) Ritterherrschaften des Kantons Hegau, Allgäu und am Bodensee.................... 1027

§ 121. Die Reichsstädte.................................................................................................................. 1030

a) Augsburg................................................................................................................... 1031 b) Donauwörth.................................................................................................................. 1033

c) Kaufbeuren

...................................................................................................................1035

d) Kempten............................................................................................................................ 1035 e) Lindau................................................................................................................................ 1037

f) Memmingen................................................................................................................... 1037

g) Nördlingen....................................................................................................................1038

E INNERE ENTWICKLUNG: SIEDLUNG, BEVÖLKERUNG, KIRCHE, WIRTSCHAFT

I. Siedlung und Bevölkerung.

Von Adolf Layer

§ 122. Siedlung und Bevölkerung von der Wüstungsperiode bis zur Binnenkolonisation im aufgeklärten Absolutismus............................................................................ 1043 § 123. Die Juden und ihre Niederlassungen............................................................................ 1055

II. Die innerkirchliche Entwicklung.

Von Adolf Layer

§ 124. Katholische und evangelische Kirche von der Gegenreformation bis zur Aufklärung............................................................................................................................... 1059

a) Katholische Kirche..................................................................................................... 1060 b) Evangelische Kirche..................................................................................................... 1065

III. Wirtschaft. Von Adolf Layer, Eckart Sciiremmer § 125. Die Landwirtschaft (Adolf Layer)............................................................................ 1067 § 126. Handel und Gewerbe bis zum Beginn des Merkantilismus (Eckart Schremmer) 1073

a) Die obcrschwäbischc Tcxtillandschaft................................................................... 1074 b) Die Wirtschaftsmctropolc Augsburg....................................................................... 1080 c) Regionale Warcnvertcilcrplätze im oberschwäbischen Raum und im Ries. 1096

§ 127. Handel und Gewerbe zur Zeit des Merkantilismus (Eckart Schremmer). . . 1100

a) Die wirtschaftliche Entwicklung der Reichsstadt Augsburg............................. 1101 b) Die wirtschaftliche Entwicklung im Allgäu, im obcrschwäbischcnLand und im Ries........................................................................................................................... 1107 11·

XVIII

Inhalt F DAS GEISTIGE LEBEN VOM 13. BIS ZUM ENDE DES

18. JAHRHUNDERTS

I. Wissenschaft und Bildung. Von Adolf Layer, Andreas Kraus, Laetitia Boehm § 128. Scholastik und Mystik (Adolf Layer)........................................................................ 1121 § 129. Der Humanismus (Adolf Layer)..................................................................................... 1126 § 130. Wissenschaftliches Leben (1550-1800) (Andreas Kraus).......................................... 1138

a) Herrschaften und kleine Reichsstädte........................................................................ 1138 b) Die Reichsstadt Augsburg............................................................................................. 1144

c) Das geistliche Schwaben............................................................................................. 1153

§ 131. Hochschulinitiativen. Augsburg-Dillingen (Laetitia Boehm)................................. 1163 § 132. Das höhere und niedere Schulwesen (Adolf Layer).............................................. 1166

II. Literatur, Kunst, Musik. Von Hanns

Fischer, Johannes Janota, Hans

PÖRNBACHER, T1LMANN BREUER, S1GMUND BENKER, HANS SCHMID

§ 133. Die mittelalterliche deutsche Dichtung (Hanns Fischer/Johannes Janota) .

1174

§ 134. Die Dichtung von 1500-1800 (Hans Pörnbacher).................................................. 1177

a) Die Literatur bis zum Ende des 17. Jahrhunderts.................................................. 1178 b) Das 18. Jahrhundert. Zeit der Aufklärung und der Klassik................................. 1186

§ 135. Die Gotik (Tilmann Breuer)......................................................................................... 1191 a) Der Augsburger Dom und die Zisterzienserkirche Kaisheim............................. 1191

b) Die Kirchen der schwäbischen Reichsstädte........................................................... 1193 c) Plastik und Malerei der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts................................. 1195 d) Die Altarwerkstättcn des 15. Jahrhunderts in den kleineren Reichsstädten

. 1196

e) Augsburger Spätgotik................................................................................................. 1198

f) Ausgang der Gotik in den Allgäuer Reichsstädten.............................................. 1205

§ 136. Die Kunstentwicklung vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (Sigmund Benker)............................................................................................................................... 1208

a) Die Übernahme der antiken Formen (ca. 1515-1530).......................................... 1208 b) Manierismus (ca. 1530-1590).................................................................................... 1211 c) Auf dem Wege zum Barock (ca. 1580-1640)...................................................... 1214

d) Der hohe Barockstil (ca. 1640-1700)....................................................................... 1220 e) Der Spätbarock in Schwaben (ca. 1700-1740)...................................................... 1223

f) Rokoko und Rationalismus (ca. 1740-1780)........................................................... 1229

§ 137. Musik (Hans Schmid)..................................................................................................... 1236

Inhalt

XIX

DRITTER TEIL: OBERPFALZ

A DIE POLITISCHE ENTWICKLUNG VOM 12. BIS ZUM 18. JAHRHUNDERT

I. Pfalz-Oberpfalz-Pfalz/Neuburg. Von

Wilhelm Volkert

§ 138. Namen und Begriffe..........................................................................................................1251

II. Die rheinische Pfalzgrafschafi bis zum Ende des 13. Jahrhunderts.

Von Wilhelm

Volkert

§ 139. DasPfalzgrafenamt und die Pfalzgrafschaft bei Rhein bis zumEnde des12.Jahrhunderts............................................................................................................................... 1254 § 140. Die Pfalzgrafen aus dem Hause Wittelsbach im 13. und 14. Jahrhundert . . 1258

§ 141. Die Territorialpolitik der Wittelsbacher auf dem Nordgau im 13. Jahrhundert 1264

III. Pfalz und Oberpfalz bis zum Tod König Ruprechts. Von Wilhelm Volkert § 142. Der Hausvertrag von Pavia 1329................................................................................ 1271 § 143. Kurpfalz und das «Neuböhmische Territorium»...................................................... 1273 § 144. Die territoriale Entwicklung von Pfalz und Oberpfalz im 14. Jahrhundert . . 1278 § 145. Ausbau und Niedergang «Neuböhmens»..................................................................1281 § 146. Ruprecht ΠΙ., Kurfürst von der Pfalz und deutscher König (1398-1410)

. . 1284

IV. Pfälzische Zersplitterung. Von Wilhelm Volkert § 147. Die Pfälzer Kurfürsten und die Oberpfalz bis zum Landshuter Erbfolgekrieg (1503/05)............................................................................................................................... 1289

§ 148. Der Ausklang der Heidelberger Kurlinie (1508-1556)......................................... 1299 § 149. Kurpfalz zwischen Luthertum und Calvinismus (1559-1620)............................. 1306

§ 150. Die Auswirkungen der Reformation auf die Kuroberpfalz................................. 1317

§ 151. Die pfälzischen Nebenlinien seit dem 15. Jahrhundert......................................... 1323 a) Pfalz-Neumarkt-Neuburg.........................................................................................1323 b) Pfalz-Mosbach.............................................................................................................. 1327

c) Pfalz-Simmem-Zweibrücken.................................................................................... 1329 d) Pfalz-Birkenfeld......................................................................................................... 1333

§ 152. Das Fürstentum Pfalz-Neuburg und seine Nebenlinien vom 16. bis zum 18. Jahrhundert.......................................................................................................................... 1335

Inhalt

XX

B DIE INNERE ENTWICKLUNG: STAAT, KIRCHE, WIRTSCHAFT

BIS ZUM 18. JAHRHUNDERT

I. Staat und Kirche.

Von Wilhelm Volkert

§ 153. Die kleineren Reichsstände im Gebiet der Oberpfalz.............................................. 1353

§ 154. Die staatliche Organisation.............................................................................................. 1357 § 155. Die kirchliche Organisation.............................................................................................. 1366

II. Wirtschaft. Von

Eckart Schremmer

§ 156. Das Oberpfälzer Montangebiet..................................................................................... 1371

a) Das Oberpfälzer Eisengebiet bis zum Beginn des Merkantilismus .... 1371 b) Das Montangewerbe der Oberpfalz zur Zeit des Merkantilismus.................... 1380

ANHANG I. Die altbayerischen Hochstifte Freising, Regensburg, Passau in der Zeit vom Tridentinum bis zur Säkularisation. Von Heribert Raab a) Die Hochstifte und Diözesen Freising und Regensburg.........................

. . . 1393

b) Hochstift und Diözese Passau...........................................................................................1411

II. Die Reichsstadt Regensburg.

Von Walter Ziegler

a) Die Reichsstadt im Mittelalter............................................................................................. 1423 b) Im Spätmittelalter................................................................................................................... 1429 c) Reformationszeit....................................................................................................................... 1432 d) Die Stadt der Reichstage.......................................................................................................... 1435 e) Das Ende der Reichsstadt...................................................................................................... 1438

III.

Die kleineren weltlichen Reichsstände im Bayerischen Reichskreis. Von Wir hei m Volkert

a) Ortenburg.................................................................................................................................... 1439 b) Hohenwaldeck......................................................................................................................... 1441 c) Haag.......................................................................................................................................... 1443 Verzeichnis der Bischöfe. Von Rudolf Endres, Adolf Layer, Walter Ziegler

.

1447

Stammtafeln. Von Wilhelm Volkert, Rudolf Endres................................................. 1455 Hilfsmittel, Quellen, Darstellungen 1. Franken. Von Rudolf Endres............................................................................................1457 2. Schwaben. Von Adolf Layer................................................................................................ 1467

3. Oberpfalz. Von Wilhelm Volkert................................................................................... 1477

Register

1489

ABKÜRZUNGEN AA.................................................. Abdr................................................. Abh................................................... Abh. Berlin, Göttingen, Leipzig, Mainz, München, Wien......... AbM .............................................. ADB .............................................. AGA .............................................. AGF................................................ AGHA ..........................................

AH.................................................. Akad. d. Wiss................................. AKG .............................................. AMK.............................................. Angermeier ................................. Anz................................................... AO ................................................ AÖG .............................................. Arch................................................. ARG................................................ AU ................................................ Augusta 955-1955 .......................

AV.................................................. AZ..................................................

BA.................................................. Baader, Gelehrtes Baiern............. Baader, Lexikon ......................... Backmund, Chorherrenorden .. Backmund, Kleinere Orden ....

Bad. Bibliogr.................................. Bader..............................................

Bauerreiss ......................................

Auctores antiquissimi Abdruck Abhandlungen)

Abhandlungen der Philosophisch-Historischen Klasse der Akad. d. Wiss. Altbayerische Monatsschrift, hg. vom Hist. Ver. v. Ob., 1-15, 1899-1919/26 Allgemeine Deutsche Biographie, hg. von der HK, 56 Bde. mit Registerbd., 1875/1912 Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg Allgäuer Geschichtsfreund Archiv für die Geschichte des Hochstifts Augsburg, im Auftrag des Hist. Vereins Dillingen hg. von A. Schröder, Bde. I-VI, 1909/29 Allgäuer Heimatbücher Akademie der Wissenschaften Archiv für Kulturgeschichte Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte H. Angermeier, Königtum und Landfriede in deutschen Spätmittelalter, 1966 Anzeiger Archiv für Geschichte und Altertumskunde von Oberfranken Archiv für österreichische Geschichte Archiv Archiv für Reformationsgeschichte Archiv des Historischen Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg Augusta 9551955‫ ·־‬Forschungen u. Studien zur Kultur- u. Wirtschaftsgeschichte Augsburgs, hg. von H. Rinn, 1955 Abkürzungsverzeichnis zum Handbuch der bayer. Geschichte Archivalische Zeitschrift

Bezirksamt K. A. Baader, Das gelehrte Baiern s. HB II, AV K. A. Baader, Lexikon, s. ebd. N. Backmund, Die Chorherrenorden und ihre Stifte in Bayern, 1966 N. Backmund, Die kleineren Orden in Bayern und ihre Klöster bis zur Säkularisation, 1974 F. Lautenschlager, Bibliographie der badischen Geschichte, 4 Bde., 1929/63, Bde. III u. IV von W. Schulz K. S. Bader, Der deutsche Südwesten in seiner territorialstaatliehen Entwicklung, 1950 R. Bauerreiss, Kirchengeschichte Bayerns, 7 Bde., 1949/70, I 1958’

XXII

Abkürzungen

Baumann ..................................... F. L. Baumann, Geschichte des Allgäus, 3 Bde., 1883/94 Baumann, Forsch. ....................... F. L. Baumann, Forschungen zur schwäbischen Geschichte, 1899 Bayer. Archivinventare............... Bayerische Archivinventare, hg. im Auftrag des Generaldirektors der Staatl. Archive Bayerns, 1-32-, 1952-1970Bayer. Geschichtsatlas................. Bayerischer Geschichtsatlas, hg. v. Μ. Spindler, Redaktion G. Diepolder, 1969 Bayer. Lit. Gesch........................... Bayerische Literaturgeschichte in ausgewählten Beispielen, hg. v. E. Dünninger u. D. Kiesselbach, 2 Bde., 1965/67 Beih................................................. Beiheft Beil................................................... Beilage Beitr., Beitrr. ............................... Beitrag, Beiträge Beitrr. BK..................................... Beiträge zur Bayerischen Kirchengeschichte (Forts.: ZBKG) Beitrr. WGN............................... Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs, 2 Bde. (Beitrr. zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 11/I u. II) 1967 BF ................................................. J. F. Böhmer, Regesta Imperii V: 1198-1272, bearb. v. FickerWinkelmann, 4 Bde., 1881/1901 BHB ............................................. Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder, hg. von K. Bosl, 4 Bde., I 1967, III1968, IV 1970, II im Druck BHVB........................................... Bericht des Historischen Vereins für die Pflege der Geschichte des ehemaligen Fürstbistums Bamberg Bibi.................................................. Bibliothek Bibliogr........................................... Bibliographie zum Bauernkrieg u. seiner Zeit (Veröff. seit 1974), bearb. v. U. Thomas (Fachdok. Agrargesch. an d. Univ. Hohenheim) 1976/77 Bihlmeyer-Tüchle....................... K. Bihlmeyer-H. Tüchle, Kirchengeschichte, 3 Bde., I 1966■·, II 1968 * ’, III 1969' * BKD ............................................. Bayerische Kunstdenkmale BLF ............................................... Blätter des Bayerischen Landesvereins für Familienkunde BLfD............................................. Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege BlldLG ......................................... Blätter für deutsche Landesgeschichte Bll. f. pfälz. KG ........................... Blätter für pfälzische Kirchengeschichte BLVS ........................................... Bibliothek des litterarischen Vereins Stuttgart Bonifatius, Briefe......................... Die Briefe des hl. Bonifatius und Lullus, hg. v. Μ. Tangl (MG Epistolae selectae 1) 1916 de Boor-Newald ......................... H. de Boor-R. Newald, Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart (s. HB I, AV); dazu IV 1: H. Rupprich, Das ausgehende Mittelalter, Humanismus u. Renaissance 1370-1520, 1970, IV 2: Das Zeitalter der Reformation 1520-1570, 1973 Bosl ............................................... K. Bosl, Die Reichsministerialität s. HB I oder Π, AV Bosl, Bayern ............................... Bayern (Handbuch der hist. Stätten Deutschlands 7), hg. von K. Bosl, 1965 * Bosl, Franken ............................... K. Bosl, Franken um 800. Strukturanalyse einer fränkischen Königsprovinz, 1959, 19692 Bosl, Frühformen ....................... K. Bosl, Frühformen der Gesellschaft im mittelalterlichen Europa. Ausgewählte Beiträge zu einer Strukturanalyse der mittelalterlichen Welt, 1964 Bosl, Würzburg........................... K. Bosl, Würzburg als Reichsbistum. Verfassungsgeschichtliche Grundlagen des staufischen Reichskirchenregiments (Aus Verfassungs- und Landesgeschichte, Festschr. Th. Mayer, I) 1954, 161-182

Abkürzungen

XXIII

Brandmüller.................................. W. Brandmüller, Das Wiedererstehen katholischer Gemeinden in den Fürstentümern Ansbach und Bayreuth (MThStud. I 15) 1963 Braun ............................................ P. Braun, Geschichte der Bischöfe von Augsburg, 4 Bde., 1813/15 Braun, Klerus............................... C. Braun, Geschichte der Heranbildung des Klerus in der Diözese Würzburg, II 1897 Briefe u. Akten ........................... s. HB II, AV Brunner.......................................... O. Brunner, Land und Herrschaft s. HB I oder II, AV Buchner, Eichstätt ....................... F. X. Buchner, Das Bistum Eichstätt. Historisch-statistische Beschreibung, 2 Bde., 1938 Buchner, Schulgcsch..................... F. X. Buchner, Schulgeschichtc des Bistums Eichstätt vom Mittelalter bis 1803, 1956 Büttner, Mainland....................... H. Büttner, Das mittlere Mainland und die fränkische Politik des 7. und frühen 8. Jahrhunderts (WDGB11. 14/15) 1952/53, 83-90 Bundschuh ....................................J. K. Bundschuh, Geographisches, statistisch-topographisches Lexikon von Franken, 6 Bde., 1799/1801, s. u. 1461 BVbll............................................... Bayerische Vorgeschichtsblätter 1931 ff. BWR.............................................. J. F. Böhmer, Wittclsbachische Regesten (1180-1340), 1854 egm.................................................. codex germanicus monacensis Conrad, Rechtsgesch..................... H. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. I: Frühzeit und Mittelalter, 19632, Bd. II: Neuzeit bis 1806, 1966 Const................................................ Constitutiones et acta publica imperatorum et regum s. HB II AV

D (D) ........................................... Diplom(ata),DAm. (Diplom Arnulfs),DH. (DiplomHeinrichs), DK. (Diplom Konrads),DLdK. (Diplom Ludwigs d. Kindes), DO. (Diplom Ottos) DA.................................................. Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters Daniel ............................................ Der Daniel. Heimatkundlich-kulturelle Vierteljahrsschrift für das Ries und Umgebung Dannenbauer................................. H. Dannenbauer, Die Entstehung des Territoriums der ReichsStadt Nürnberg, 1928 Diss. (Masch.)............................... Dissertation (maschinenschriftlich) Dobenecker ................................. O. Dobenecker, Regesta diplomatica neenon epistolaria historiae Thuringiae, 4 Bde., 1894/1939 Doeberl......................................... Μ. Doeberl, Entwicklungsgeschichte Bayerns, 3 Bde., 1906/31, I 19163, II 19283, III hg. v. Μ. Spindler 1931 Dokumente ................................. Dokumente zur Geschichte von Staat u. Gesellschaft in Bayern. Abt. I: Altbayern vom Frühmittelalter bis 1800. Bd. 2: Altbayern von 1180-1550, bearb. v. K.-L. Ay, 1977 Domarus....................................... Μ. Domarus, Würzburger Kirchenfürsten aus dem Hause Schönborn, 1951 DTB .............................................. Denkmäler der Tonkunst in Bayern (= Denkmäler Deutscher Tonkunst 2. Folge), veröffentl. durch d. Gesellschaft zur Herausgabe v. Denkmälern d. Tonkunst in Bayern unter Leitung v. A. Sandberger (36 Bde. 1900/31, 2. rev. Aufl. 1962 ff.), NF hg. v. d. Ges. f. Bayer. Musikgeschichte 1966 ff. Dümmler....................................... E. Dümmler, Geschichte des Ostfränkischen Reiches, 3 Bde., 1887/88, Neudruck 1960

XXIV

Abkürzungen

Duhr .............................................. B. Duhr, Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge, 4 Bde., 1907/28 DVjschrLG.................................... Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte DWG.............................................. Darstellungen aus der Württembergischen Geschichte Epp................................................... Epistolae ebd....................................................ebenda Eberlein I ..................................... H. Eberlein, Grundriß der Heimatkunde des Landkreises Augsbürg, 1959 Eberlein II..................................... H. Eberlein, Grundriß der Heimatkunde des Landkreises Augsbürg, 2. Aufl. neu bearb. von H. Endrös und G. Krausse, 1969 Ehrismann...................................... G. Ehrismann, Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters, 4 Bde., 1918/3 5,119322, unver. Nachdrucke von Teilen 1965/66 Einzelarbeiten............................... Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns Endres, Erbabreden ..................... R. Endres, Die Erbabreden zwischen Preußen und den fränkisehen Markgrafen im 18. Jahrhundert (JffL 25) 1965, 43-87 Erg.-Bd., Erg.-Heft(e) ................. Ergänzungsband, Ergänzungsheft(e) erseh................................................. erschienen Eubel............................................. C. Eubel, Hierarchia catholica medii et recentioris aevi, III 1913/232, IV 1935, V-VI Padua 1952/58, Neudruck PaIdua1960 ev(ang)............................................. evangelisch

F........................................................ Folge f., ff................................................. für, folgend(e) Faber du Faur............................... C. v. Faber du Faur, German Baroque Literature. A catalogue of the Collection in the Yale University, New Haven 1958 FdG ............................................... Forschungen zur deutschen Geschichte, 26 Bde., 1862/86, Neudruck 1968 Fehn................................................ K. Fehn, Siedlungsgeschichtliche Grundlagen der Herrschaftsund Gesellschaftsentwicklung in Mittelschwaben (StGBS 9) 1966 Fehn, Herrschaftsstruktur........... K. Fehn, Die Herrschaftsstruktur des nordöstlichen MittelSchwabens zwischen 1268 und 1806 (ZBLG 28) 1965, 151-189 Festschr............................................ Festschrift Festschr. Hl. Magnus................... Festschrift zum 1200jährigenJubiläum des Hl. Magnus, 1950 Festschr. Ottobeuren................... Ottobeuren, Festschrift zur 1200-Jahrfeier der Abtei, hg. von Aeg. Kolb und H. Tüchle, 1964 FGB................................................ Forschungen zur Geschichte Bayerns (vorher: FKLB), 16 Bde., 1893/1908 FKG................................................ Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte FKLB ........................................... Forschungen zur Kultur- und Literaturgeschichte Bayerns Forsch.............................................. Forschung(en) Forts................................................. Fortsetzung FRA............................................... Fontes rerum Austriacarum, österreichische Geschichtsquellen, hg. von der Historischen Kommission der österreichischen Akad. d. Wiss. s. HB II, AV frank................................................ fränkisch Fränk. Klassiker........................... Fränkische Klassiker. Eine Literaturgeschichte in EinzeldarStellungen mit 255 Abbildungen, hg. v. W. Buhl, 1971

Abkürzungen

XXV

Fredegar ........................................ Chronicarum quae dicuntur Fredegarii scholastici libri IV cum continuationibus, hg. v. B. Krusch (MG SS rer. Mer. 2) 1888,

1-193 FRG................................................ J. F. Böhmer, Fontes rerum Germanicarum, 4 Bde., 1843/68, Neudruck 1969 Friese .............................................. A. Friese, Studien zur Herrschaftsgeschichte des fränkischen Adels (7. bis 11. Jahrhundert), masch. Habil.-Schrift Bochum 1970 gedr.................................................. Ges.................................................... Gesch. GffG GG..................................................

Goeters, KO XIV ....................... GP .................................................. v. Guttenberg...............................

v. Guttenberg I ........................... v. Guttenberg, Reg.......................

v. Guttenberg-Wendehorst II...

GWU ............................................

gedruckt Gesellschaft Geschichte Gesellschaft für fränkische Geschichte B. Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, 2 Bde., 1891/92; 8. vollständig neubearb. Aufl. von H. Grundmann, 4 Bde., 1954/60, Bd. IV = Die Zeit der Weltkriege, von K. D. Erdmann, 1959; 9. neubearbeitete Aufl., hg. von H. Grundmann, 3 Bde. (bis zum ersten Weltkrieg) 1970 Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts: XIV (Kurpfalz) bearb. von J. F. G. Goeters, 1969 Germania Pontificia, hg. von A. Brackmann, I 1911, Ili 1923, II 2 1927, III 1935 E. v. Guttenberg, Die Territorienbildung am Obermain (BHVB 79) 1927, Nachdruck 1966 E. Frhr. v. Guttenberg, Das Bistum Bamberg, i.Teil: Das Hochstift Bamberg (Germania Sacra, 2. Abt., 1. Bd.) 1937 Die Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Bamberg, bearb. v. E. Frhr. v. Guttenberg (VGffG, R. 6, Bd. 2, 5 Lfgn.) 1932/1963 E. Frhr. v. Guttenberg-A. Wendehorst, Das Bistum Bamberg, 2. Teil: Die Pfarrorganisation (Germania Sacra, 2. Abt., 1. Bd.) 1966 Geschichte in Wissenschaft und Unterricht

,H. He.............................................. Heft, Hefte HA.................................................. Historischer Atlas HAB .............................................. Historischer Atlas von Bayern (s. HB I 591 f., Ergänzungen s. u. 1462, 1474, 1478) HA v. Bayer.-Schw...................... Historischer Atlas von Bayerisch-Schwaben, hg. v. W. Zorn (Veröffentlichungen der Schwäb. Forschungsgem. bei der KBL) 1955 Häusser .......................................... L. Häusser, Geschichte der rheinischen Pfalz nach ihren politisehen, kirchlichen und literarischen Verhältnissen, 2 Bde., 1856, Neudr. 1924 Hartung ........................................ F. Hartung, Geschichte des fränkischen Kreises I: Die Geschichte des fränkischen Kreises von 1521-1559, 1910 Hartung, Verfassungsgesch.......... F. Hartung, Deutsche Verfassungsgeschichte vom 15.Jahrhundert bis zur Gegenwart, 1964 * Hauck ............................................ A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands, Bde. I-V 2, 1887/ 1920, 1952/5357‫־‬, Neudruck 1970 HB.................................................. Handbuch HBI, Π Handbuch der bayerischen Geschichte Bde. I und II

XXVI Heidingsfelder Hemmerle, Augustinerklöster .. Hemmerle, Benediktinerklöster .

Hg., hg............. Hist. Ver. (HV) HJb.................... HK................... Hofmann

Hofmann, Adelige Herrschaft ..

Hofmann, Deutschmeisterstaat..

Hofmann, Freibauern ...

HONB ........ HONB Schw. HStA............ HVjschr.......... HVN............. HZ

Jaffe V

Jahresber. Jänner .. Jb.,Jbb. Jb. Mir.

Jedin

JffL ... Jg‫׳‬jBß JGOR Jh. ... JHVD JHVS . JNÖSt........................... Jordan-Bürckstümmer

Abkürzungen F. Heidingsfelder, Die Regesten der Bischöfe von Eichstätt (VGffG, R. 6) 1938 J. Hemmerle, Die Klöster der Augustiner-Eremiten in Bayern (Bayer. Heimatforschung 12) 1958 J. Hemmerle, Die Benediktinerklöster in Bayern (Bayerische Heimatforschung 4) 1951 Herausgeber, herausgegeben Historischer Verein Historisches Jahrbuch der Görresgesellschaft Historische Kommission bei der Bayer. Akad. d. Wiss. München Η. H. Hofmann, Territorienbildung in Franken im 14. Jahrhundert (ZBLG 31) 1968, 369-420 Η. H. Hofmann, Adelige Herrschaft und souveräner Staat. Studien über Staat und Gesellschaft in Franken und Bayern im 18. u. 19. Jahrhundert (Stud. z. bayer. Verfassungs- u. Sozialgesch. 2) 1962 Η. H. Hofmann, Der Staat des Deutschmeisters. Studien zu einer Geschichte des Deutschen Ordens im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (ebd. 3) 1964 Η. H. Hofmann, Freibauern, Freidörfer, Schutz und Schirm im Fürstentum Ansbach. Studien zur Genesis der Staatlichkeit in Franken (ZBLG 23) 1960, 195-327 Historisches Ortsnamenbuch Historisches Ortsnamenbuch Schwaben Bayerisches Hauptstaatsarchiv München Historische Vierteljahrsschrift 1898/1937 Jahrbuch des Historischen Vereins für Nördlingen und Umgebung Historische Zeitschrift

Ph.Jaffd, Bibliotheca rerum Germanicarum V: Monumenta Bambergensia, 1879, Neudr. 1964 Jahresbericht F.Janner, Geschichte der Bischöfe von Regensburg, 3 Bde., 1883/86 Jahrbuch, Jahrbücher Jahrbuch des Historischen Vereins für Mittelfranken, vor 1956: Jahresber. H. Jedin (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte, IV 1967, V 1970 Jahrbuch für fränkische Landesforschung Jahrgang, Jahrgänge Jahrbuch für Geschichte der oberdeutschen Reichsstädte Jahrhundert(e) Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen Jahres-Berichte des historischen Kreis-Vereins im Regierungsbezirke von Schwaben und Neuburg Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik H. Jordan, Reformation und gelehrte Bildung in der MarkgrafSchaft Ansbach-Bayreuth (Quellen und Forschungen zur baye-

Abkürzungen

Just

JVAB

XXVII

rischen Kirchengeschichte), 1. Teil (bis gegen 1560) 1917, 2. Teil (1556-1742) hg. von Chr. Bürckstümmer 1922 Handbuch der deutschen Geschichte, begr. von O. Brandt, fortgef. von A. O. Meyer, neu hg. von L. Just, 4 Bde., 19572ff. Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte

Katalog katholisch Kommission für bayer. Landesgeschichte bei der Bayer. Akad. d. Wiss. Die Kunstdenkmäler des Königreichs Bayern KDB KG . Kirchengeschichte Kist J. Kist, Fürst- und Erzbistum Bamberg, Leitfaden durch ihre Geschichte von 1007-1960, 1962’ Kirchenordnung (en) KO .. Kommission Komm. W. Kosch, Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisches und Kosch bibliographisches Handbuch, 4 Bde., Bem 1949/582, 1968 ff.2 Kraft-v. Guttenberg W. Kraft-E. Frhr. v. Guttenberg, Gau Sualafeld und Grafschäft Graisbach (JffL 8/9) 1943 Kraus, Vernunft u. Gesch. A. Kraus, Vernunft und Geschichte. Die Bedeutung der deutsehen Akademien der Wissenschaften für die Entwicklung der Geschichtswissenschaft im späten 18. Jahrhundert, 1963 Krausen, Zisterzienserorden .... E. Krausen, Die Klöster des Zisterzienserordens in Bayern (Bayerische Heimatforschung 7) 1953 Krauß R. Krauß, Schwäbische Litteraturgeschichte in zwei Bänden, 1897 u. 1899 Kat. kath. KBL

Lebensbilder Schw.

Leder, Altdorf LfD ............... LG................. Lieb, Fugger I

Lieb, Fugger II Liefg...................... Lindner............... Lit.......................... Lit.gesch............... Lkde...................... Lkr......................... Lkr. Dillingen .. Lkr. Donauwörth

Lkr. Mindelheim

Lebensbilder aus dem bayerischen Schwaben, hg. v. G. Frhr. v. Pölnitz, ab Bd. 9 v. W. Zom, 1-9-, 1952-1966- (Veröffentlichungen d. Schwab. Forschungsgein. bei der KBL, Reihe 3) K. Leder, Universität Altdorf. Zur Theologie der Aufklärung in Franken. Die Theol. Fakultät in Altdorf 1750-1809, 1965 Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege Landesgeschichte N. Lieb, Die Fugger und die Kunst im Zeitalter der Spätgotik und frühen Renaissance, I 1952 N. Lieb, Die Fugger und die Kunst im Zeitalter der hohen Renaissance, II 1958 Lieferung(en) P. Lindner, Monasticon Episcopatus Augustani antiqui, 1913 Literatur Literaturgeschichte Landeskunde Landkreis Landkreis und Stadt Dillingen ehedem und heute, 1967 Landkreis Donauwörth. Werden und Wesen eines Landkreises, 1966 Der Landkreis Mindelheim in Vergangenheit und Gegenwart, 1968

XXVIII

Abkürzungen

LL .................................................. Leges Looshom........................................ J. Looshom, Die Geschichte des Bistums Bamberg, 7 Bde, (bis 1808), 1886/1910, Nachdr. I-III 1967/68 LThK ............................................ Lexikon für Theologie und Kirche, hg. v. Μ. Buchberger, 10 Bde., 2. Aufl. mit Reg.-Bd. hg. v. J. Höfer u. K. Rahner 1957/67 Lünig.............................................. J. C. Lünig, Teutsches Reichsarchiv, 24 Bde., Leipzig 1713/22 Lütge, Sozial- u.Wirtschaftsgesch. F. Lütge, Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 19663

MA ................................................ Mittelalter Mainfr. H........................................ Mainfränkische Hefte, hg. von der Gesellschaft Freunde Mainfränk. Kunst und Geschichte, 1-55-, 1948-1971Mainfr. Jb........................................ Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst MAO ............................................ H. Lieberich, Beiträge zur Rechts-, Verfassungs- und Sozialgeschichte Altbayems, 37 Hefte, 1940/50 (Erschienen als Mitteilungen für die Archivpflege in Oberbayern, Masch., HStA) Mayer, Fürsten............................. Th. Mayer, Fürsten und Staat. Studien zur Verfassungsgeschichte des deutschen Mittelalters, 1950 Mayer, Mod. Staat ..................... Th. Mayer, Die Ausbildung der Grundlagen des modernen deutschen Staates im hohen Mittelalter (Herrschaft u. Staat, Wege der Forschung 2) 1960 MB ................................................ Monumenta Boica, hg. von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 1763 ff. Merzbacher.................................... F. Merzbacher, Judicium provinciale ducatus Franconiae. Das kaiserliche Landgericht des Herzogtums Franken-Würzburg im Spätmittelalter (Schriftenreihe 54) 1956 MfA................................................ Mitteilungen für die Archivpflege inBayern Mfr................................................... Mittelfranken MG, MGH ................................... Monumenta Germaniae Historica, 1826 ff. MGB11............................................. Memminger Geschichtsblätter MGG.............................................. Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik. Unter Mitarbeit zahlreicher Musikforscher des In- und Auslandes hg. v. F. Blume, 14 Bde., 1949/68 MHA.............................................. Münchener Histor. Abhandlungen MHF .............................................. Münchner Histor. Forschungen MHStud.......................................... Münchener Histor. Studien, Abt. Bayer. Geschichte, hg. v. Μ. Spindler, 1955 ff. MIÖG............................................ Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, s. MÖIG Mitt.................................................. Mitteilungen) Mitt. Pfalz..................................... Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz MJBK ............................................ Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst MÖIG............................................ Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung (Bde. 39-54, s. MIÖG) Mon. Zollerana ........................... Monumenta Zollerana, Urkundenbuch zur Geschichte des Hauses Hohenzollem, bearb. von R. v. Stillfried u. T. Märker, 8 Bde., 1852/90 Ms..................................................... Manuskript MThStud........................................ Münchener Theol. Studien MVGN.......................................... Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nümberg

Abkürzungen

XXIX

MW .............................................. Monumenta Wittelsbacensia, Urkundenbuch z. Geschichte des Hauses Wittelsbach, hg. v. F. Μ. Wittmann, 1. Bd. (1204 bis 1292) 1857 (= QE 5), 2. Bd. (1293-1397) 1861 (= QE 6)

NA ................................................ Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskünde (Forts.: DA) Nadler............................................ J. Nadler, Literaturgeschichte der deutschen Stämme und ]Landschaften, 4 Bde., 1929’ ff. NB11. Lindau ............................... Neujahrsblätter des Museumsvereins Lindau NDB .............................................. Neue Deutsche Biographie, hg. v. d. HK, 1953 ff, zuletzt IX (erscheint 1972, reicht von Heß bis Ende H) Neudr............................................... Neudruck Neujahrsblätter ........................... Neujahresblätter der Gesellschaft für fränkische Geschichte Newald.......................................... s. de Boor-Newald NF.................................................. Neue Folge NK ................................................ Neuburger Kollektaneenblatt. Jahresschrift des Heimatvereins (Historischen Vereins) Neuburg/Donau nr(r).................................................. Nummer(n) NS, n. s............................................ nova series OA ................................................ Ofr.................................................... Opf................................................... OS ..................................................

Oberbayerisches Archiv Oberfranken Oberpfalz Das obere Schwaben vom Illertal zum Mindeltal

Pastor ............................................ L. v. Pastor, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, 16 Bde. in 22 Teilen, 1885/1930, I 19277, II 192812, III 1924’, IV-XVI 1906/33 in vielen unveränd. Auflagen, Neudr. nach 1945 Pfalzatlas ........................................ W. Alter, Pfalzatlas, 1963 ff., s. u. 1478 phil.-hist. Kl.................................... philosophisch-historische Klasse v. Pölnitz, Julius Echter ............. Götz Frhr. v. Pölnitz, Julius Echter von Mespelbrunn, Fürstbischof von Würzburg und Herzog von Franken 1573-1617 (Schriftenreihe 17) 1934 QE.................................................. Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte s. HB I 571 f. QFGHW ...................................... Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg, hg. v. Th. Kramer, 1-23-, 1948-

1971QFGN............................................ Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Nürnberg (ab 1965 Quellen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nümberg), hg. im Auftrag des Stadtrats zu Nürnberg vom Stadtarchiv, 7 Bde., 1951/67 QFIAB .......................................... Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken, Zeitschrift des Preußischen bzw. Deutschen Hist. Instituts in Rom R........................................................ Rassow .......................................... RB .................................................. Reg...................................................

Reihe P. Rassow, Deutsche Geschichte im Überblick, 1962 * Regesta Boica s. HB I oder II, AV Regesten, Register

XXX

Abkürzungen

Reg. Augsb..................................... W. Volkert-F. Zoepfl, Die Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Augsburg, I 1 1955, I 2 1964 (Veröffentl. d. Schwäb. FG, R. 2 b) Reg. Pfalzgr.................................... Regesten der Pfalzgrafen am Rhein 1214-1508, bearb. von A. Koch und J. Wille, I (-1400), II (Liefg. 1-5) bearb. v. L. Gf. v. Obemdorff, Innsbruck 1912/19 Reicke ........................................... E. Reicke, Geschichte der Reichsstadt Nürnberg, 1896 RGG .............................................. Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 2. Aufl. hg. von H. Gunkel u. L. Zschamack, 5 Bde. u. 1 Reg.-Bd. 1927/32, 3. Aufl. hg. v. K. Galling, 6 Bde. u. 1 Reg.-Bd. 1957/65 Rhein. Vjbfl.................................... Rheinische Vierteljahrsblätter RI....................................................J. F. Böhmer, Regesta Imperii s. HB I 570 Riezler............................................ S. Riezler, Geschichte Baiems, 8 Bde., 1878/1914, I 1927 * in 2 Halbbänden, Registerbd. bearb. v. J. Widemann 1932, Neudruck 1964 RL .................................................. Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte s. HB II, AV Röder ............................................ Μ. Röder, Geographisches Statistisch-Topographisches Lexikon von Schwaben, 2 Bde., 1800/01 Rößler ............................................ H. Rößler, Fränkischer Geist - Deutsches Schicksal. Ideen Kräfte - Gestalten in Franken 1500-1800 (Die Plassenburg 4), 1953 ............................... H. Rößler-G. Franz, Sachwörterbuch zur deutschen Geschichte 1958 Rottenkolber................................. J. Rottenkolber, Geschichte des Allgäus, 1951 RQ .................................................. Römische Quartalschrift RTA .............................................. Deutsche Reichstagsakten, hg. von der HK, Ältere Reihe (1378-1444) 1-19T. 1-, 1867-1969RTA, Jüngere Reihe ................... Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., hg. v. der HK, Bde. I-IV: 1519-1524, bearb. v. A. Kluckhohn u. A. Wrede, 1893/1905, Bd. VII I u. 2: 1527-1529, bearb. v. J. Kühn, 1935 (Neudr. 1962/63), Bd. Vm 1, bearb. v. W. Steglitz, 1970

Rößler-Franz

s......................................................... siehe Sax.................................................. J. Sax, Die Bischöfe und Reichsfürsten von Eichstätt 745-1806, 2 Bde., 1884/85 Sax-Bleicher................................. J. Sax-J. Bleicher, Geschichte der Stadt und des Hochstiftes Eichstätt, 1927 SB Berlin, Heidelberg, München ... Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Klasse der Akad. d. Wiss. zu Sbl.................................................... Sammelblatt C. Scherzer................................... Franken. Land, Volk, Geschichte und Wirtschaft, hg. von C. Scherzer, 2 Bde., 1955,1 19622 Scherzer ....................................... Die Bayerische Ostmark. Land, Volk und Geschichte, hg. von H. Scherzer, 1940, 19432 (unter dem Titel: Gau Bayreuth, Land, Volk und Geschichte) Schiefler ....................................... Th. Schiefler, Winfrid-Bonifatius und die christliche Grundlegung Europas, 1954 Schlesinger ................................... W. Schlesinger, Die Entstehung der Landesherrschaft, Untersuchungen vorwiegend nach mitteldeutschen Quellen, 19642 -J. Schmale, Die Glaubwürdigkeit der jüngeren Vita BurSchmale, Glaubwürdigkeit........ F. chardi (JffL 19) 1959, 4583‫־‬

Abkürzungen

XXXI

Schmale, Würzburg ................... F.-J. Schmale, Das Bistum Würzburg und seine Bischöfe im früheren Mittelalter (ZBLG 29) 1966, 616-661 Schmidt, Herzogtum ................. G. Schmidt, Das würzburgische Herzogtum und die Grafen und Herren von Ostfranken vom 11. bis zum 17. Jahrhundert, 1913 Schottenloher............................... Bibliographie zur Deutschen Geschichte im Zeitalter der Glaubensspaltung 1517-1585, ‫ ך‬Bde., I-VI bearb. v. K. Schottenloher, 1956/58’, VII (Das Schrifttum von 1938-1960) bearb. v. U. Thürauf, 1966 Sehr.................................................. Schrift(en) Schreiber, Weltkonzil ............... G. Schreiber (Hg.), Das Weltkonzil von Trient. Sein Werden und Wirken, 2 Bde., 1951 Schremmer.................................... E. Schremmer, Die Wirtschaft Bayerns. Vom hohen Mittelalter bis zum Beginn der Industrialisierung. Bergbau, Gewerbe, Handel, 1970 Schriftenreihe............................... Schriftenreihe der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayer. Akademie der Wissenschaften Schröder ........................................ A. Schröder, Die staatsrechtlichen Verhältnisse im bayerischen Schwaben um 1801, 1907 (Erstveröffentlichung im Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen 19, 1906) SchrVGB ...................................... Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung Schubert, Landstände ................. E. Schubert, Die Landständc des Hochstifts Würzburg (VGffG, R. 9, 23) 1967 Schw................................................ Schwaben Schwäb. (schwäb.)....................... Schwäbisch(e), schwäbisch(e) Schwäb. Bll..................................... Schwäbische Blätter für Volksbildung und Heimatpflege Schwäb. Mus.................................. Das Schwäbische Museum. Zeitschrift für Kultur, Kunst und Geschichte Schwabens Schweizer Beitrr............................ Schweizer Beiträge zur allgemeinen Geschichte Schw. FG ...................................... Schwäbische Forschungsgemeinschaft SGF ................................................ Schwäbische Geschichtsquellen und Forschungen SHK .. ........................................ Schwäbische Heimatkunde Simon ............................................ Μ. Simon, Evangelische Kirchengeschichte Bayerns, 2 Bde., 1942 (mit Quellenangaben), 1952’ (in einem Band ohne Quellenangaben) Simon, HAB ............................... Μ. Simon, Die Evangelische Kirche (HAB, kirchliche Organisation 1. Teil) 1960 Simon, KO................................... Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, hg. v. E. Sehling, fortgeführt v. Institut für evang. Kirchenrecht der Evang. Kirche in Deutschland zu Göttingen, XI1: Franken, bearb. von Μ. Simon, 1961 Simon, KO XIII ......................... Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, XIII: Bayern, III. Teil Altbayem, bearb. von Μ. Simon, 1966 Slg(n)................................................ Sammlungen) s. o.................................................... siehe oben Sommervogel............................... C. Sommervogel, Bibliothique de la Compagnie de J6sus, 11 Bde., Bruxelles 1891/1932, Bd. 12, Supplement v. E. Μ. Riviire, 1911/30 Spindler, Aufsätze ....................... Μ. Spindler, Erbe und Verpflichtung. Aufsätze und Vorträge zur bayer. Geschichte, hg. von A. Kraus 1966 III HdBG III, 1

XXXII

Abkürzungen

Spindler, Landesfürstentum .... Μ. Spindler, Die Anfänge des bayerischen Landesfürstentums (Schriftenreihe 26) 1937 Spindler, Primordia..................... Electoralis academiae scientiarum Boicae Primordia. Briefe aus der Gründungszeit der Bayer. Akad. d. Wiss., hg. v. Μ. Spindler unter Mitarbeit von G. Diepolder, L. Hammermayer, A. Kraus, 1959 SS.................................................... Scriptores in Folio (MGH) SS rer. Germ................................... Scriptores rerum Germanicarum (MGH) SS rer. Merov................................. Scriptores rerum Merovingicarum (MGH) StA.................................................. Staatsarchiv Städtechroniken........................... Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jh., hg. v. d. HK, 37 Bde., 1861 ff., Neudrucke 1961 ff. Stälin .............................................. Chr. F. Stalin, Wirtembergische Geschichte, 4 Bde., 1841/73, Neudruck 1971 Stamer............................................ L. Stamer, Kirchengeschichte der Pfalz, 3 Bde., 1936/59 StD ................................................ E. v. Steinmeyer, Althochd. Sprachdenkmäler s. HB I, AV StE.................................................. Staufisches Erbe im bayer. Herzogtum, Katalog des HStA zur Konradin-Ausstellung, 1968 Steichele, Arch............................... A. Steichele, Archiv für die Geschichte des Bistums Augsburg, 3 Bde., 1856/60 Steichele-Schröder ....................... A. v. Steichele, Das Bistum Augsburg, historisch und statistisch beschrieben. [Ab Bd. VII]: fortges. von A. Schröder, 1861/ 1932, Bd. IX v. F. Zoepfl 1934/39, Bd. X 1. u. 2. Liefg. 1940 (mehr nicht erschienen) Stein .............................................. F. Stein, Geschichte Frankens, 2 Bde., 1885/86, Nachdruck 1965 StFG .............................................. Studien zur Fuggergeschichte StGBS ............................................ Studien zur Geschichte des bayerischen Schwabens StMBO......................................... Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige Stud.................................................. Studien Sturm ........................................... H. Sturm, Staatsarchiv Neuburg a. d. Donau (Bayerische Archivinventare 1) 1952

ThQ .............................................. Theologische Quartalschrift (ab Jg. 141/1961: Tübinger theologische Quartalschrift) Tyroller, Geneal. Tafeln............. Genealogie des altbayerischen Adels s. HB I, AV UB.................................................. Universitätsbibliothek, Urkundenbuch UB Nürnberg ............................. Nürnberger Urkundenbuch, bearb. von G. Pfeiffer (QFGN 1)

1959 ÜBLE ............................................ Urkundenbuch des Landes ob der Enns, 10 Bde., Wien 1852/ 1906, ii. Bd. bearb. v. E. Trinks, Linz 1933/56 Ufr...................... ............................. Unterfranken Univ................................................. Universität UOS .............................................. Ulm und Oberschwaben. Zeitschrift für Geschichte und Kunst. Mitteilungen des Vereins für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben Urk................................................... Urkunde(n) Urk. Augsb..................................... W. E. Vock, Die Urkunden des Hochstifts Augsburg 769-1420 (Veröffentl. d. Schw. FG, R. 2 a, Bd. 7) 1959 v. .................................................... Vers, von

Abkürzungen

XXXIII

Verein Verh................................................. Verhandlungen Verödend........................................ Veröffentlichung(en) Veröffentl. d. Schwäb. FG ......... Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft bei der Kommission für bayerische Landesgeschichte VF .................................................. Vorträge und Forschungen, hg. vom Institut für geschichtliche Landesforschung des Bodenseegebiets in Konstanz, ab Bd. 6 hg. vom Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschiehte, geleitet v. Th. Mayer, 1955 ff. VGffG............................................ Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte VHN.............................................. Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern VHOR .......................................... Verhandlungen des Historischen Vereins von Oberpfalz und Regensburg Vjbll................................................. Vierteljahrsblätter Vjschr............................................... Vierteljahr(e)sschrift VL .................................................. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon, 5 Bde., begr. von W. Stammler, ab Bd. III hg. von K. Langosch, 1933/55, Neuaufl. 1977ff. VSWG .......................................... Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Wachter ........................................ F. Wachter, General-Personalschematismus der Erzdiözese Bamberg 1007-1907, 1908 WDGB11.......................................... Würzburger Diözesangeschichtsblätter Weber............................................ H. Weber, Geschichte der gelehrten Schulen im Hochstift Bamberg von 1007 bis 1803, 2 Teile (BHVB 42-44) 1880/82 Wegele .......................................... F. X. Wegele, Geschichte der Universität Würzburg, 2 Teile, 1882, Neudruck 1919 Weller............................................ K. Weller, Geschichte des schwäbischen Stammes bis zum Untergang der Staufer, 1944 Wendehorst I............................... A. Wendehorst, Das Bistum Würzburg, Teil 1: Die Bischofsreihe bis 1254 (Germania Sacra NF 1) 1962 Wendehorst II ............................. A. Wendehorst, Das Bistum Würzburg, Teil 2: Die Bischofsreihe von 1254-1455 (Germania Sacra NF 4) 1969 Wendehorst III ........................... A. Wendehorst, Das Bistum Würzburg, Teil 3: Die Bischofsreihe von 1455 bis 1617 (Germania Sacra NF 13) 1978 Wendehorst, Würzburg............ A. Wendehorst, Das Bistum Würzburg. Ein Überblick von den Anfängen bis zur Säkularisation (Freiburger DiözesanArchiv 86) 1966 WF ................................................ Württembergisch Franken WH................................................ W. Wattenbach-R. Holtzmann, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Die Zeit der Sachsen und Salier, 3 Bde., Neuausgabe bes. v. F.-J. Schmale, 1967/71 Winkler ....................................... Bayern, Staat und Kirche, Land und Reich. Forschungen zur bayer. Geschichte, vornehmlich im 19. Jahrhundert. W. Winkler zum Gedächtnis, hg. von den staatl. Archiven Bayerns, 1961 Wiss................................................. Wissenschaft(en) WL ................................................ W. Wattenbach-W. Levison, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger, 4 Hefte mit Beiheft (He. 2-4 bearb. von H. Löwe, Beih.: Die Rechtsquellen, bearb. von R. Buchner) 1952/63 Württ. Vjhe.................................... Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte 111·

XXXIV

Abkürzungen

Z....................................................... Zeile zu, zur, zum ZBKG........................................... Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte (vorher: Beitrr. BK) ZBLG ........................................... Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte ZDA ............................................. Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur ZDPh............................................... Zeitschrift für deutsche Philologie Zeumer......................................... K. Zeumcr, Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Reichs Verfassung in Mittelalter und Neuzeit, 19264 ZGO, ZGORh.............................. Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins ZHVS ........................................... Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben (und Neubürg) ZKG ............................................. Zeitschrift für Kunstgeschichte Zoepfl ........................................... F. Zocpfl, Das Bistum Augsburg und seine Bischöfe im Mittelalter (und) im Reformationsjahrhundert, 2 Bde., 1955/69 Zom, Augsburg........................... W. Zorn, Augsburg. Geschichte einer deutschen Stadt, 1956 Zorn, Bayerisch-Schwaben........ W. Zorn, Handels- und Industriegeschichte Bayerisch-Schwabens 1648-1870, 1961 ZRG ............................................. Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rcchtsgcschichtc, Germanistische Abteilung ZRG KA (ZRG, Kan. Abt.) ... Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung Zschr................................................ Zeitschrift ZWLG........................................... Zeitschrift für württembergische Landesgeschichtc

ERSTER TEIL

FRANKEN

A

GRUNDLEGUNG: DIE EINGLIEDERUNG THÜRINGENS IN DAS

MEROWINGISCHE FRANKENREICH

(bis 716/719)

I

DIE POLITISCHE ENTWICKLUNG

Allgemein. Literatur s. HB I 73. Franken. Quellen: Es gibt keine Quellen, deren Gegenstand die Geschichte Frankens ist, und erst um das Jahr 1100 entstehen mit dem sogenannten Chronicon Wirziburgense und den WeltChroniken Frutolfs und Ekkehards die ersten bedeutenderen historischen Werke innerhalb dieses Gebietes, aber ihr Inhalt ist die Welt- und Reichsgeschichte. Man ist daher auf die Erzeugnisse der merowingischen und karolingischen Geschichtsschreibung und in der Zeit des mittelalterlichen Reiches auf die mehr oder weniger zufälligen Nachrichten in Werken angewiesen, die außerhalb Frankens entstanden. Die innerfränkische Überlieferung setzt zu Beginn des achten Jahrhunderts mit vereinzelten Urkunden ein, die aber zeitlich und räumlich nur punktuelle Einblicke gewähren. Es fehlen die großen Klöster und Stifter, die sich an Alter und Bedeutung mit den bayerischen messen könnten und etwa Traditionsbücher hervorgebracht hätten, wie sie in Tegernsee, Freising oder St. Emmeran entstanden. Die wichtigsten Materialien für Zustände und Vorgänge in Franken bieten auch im Rahmen derartiger Quellen wiederum Aufzeichnungen außerhalb Frankens, die Traditionsbücher von Fulda und Lorsch sowie die Urkunden der Könige und Kaiser. Auch eine fränkische Hagiographie hat sich erst langsam und in nur wenigen Zeugnissen frühestens seit dem Ende des achten Jahrhunderts entwickelt. Franken. Literatur: Moderne wissenschaftliche Darstellungen des gesamten Stoffes gibt es nicht. Stein (1 1-288, II 197-341) ist als einzige Zusammenfassung und wegen der Sammlung der Belegstellen immer noch wichtig und nützlich, aber doch vielfach überholt und ergänzungsbedürftig. B. Schmeidler (Franken u. d. deutsche Reich im MA. Stud. z. landschaftl. Gliederung Deutschlands u. seiner Entwicklung, Erlanger Abh. 7, 1930) und die einschlägigen Arbeiten von H. Weigel (Landesgeschichte; Begrenzung; Epochen, Ostfranken s. u. 10) behandeln einzelne Probleme oder sind nur erst Dispositionen zu einer Gesamtgeschichte, so wertvoll und hilfreich sie auch als solche sind. Für die Kirchengeschichte Gesamtfrankens ist man noch immer auf Hauck angewiesen; die Arbeiten zur Germania Sacra bieten zwar einen gewissen, aber vorerst noch unvollständigen Ersatz.

Der Name Franken bezeichnet heute ausschließlich ein zu Bayern gehöriges Gebiet, das in die Bezirke Unter-, Mittel- und Oberfranken gegliedert ist und sich von der deutsch-tschechischen Grenze beiderseits des Mains westlich bis jenseits des Mainvierecks erstreckt, auf der nördlichen Flußseite die Einzugsgebiete der Mainzuflüsse einschließt, nach Süden aber in der Form eines auf der Spitze stehenden gleichschenkligen Dreiecks beinahe bis an die Donau bei Ingolstadt reicht. Der Raum ist in seinen jetzigen Grenzen das Ergebnis eines ständigen Erweiterungs- und Schrumpfungsprozesses, der erst 1945 zu einem vorläufigen Abschluß gekommen ist, und hat keine volle Entsprechung im Mittelalter. Damals umfaßte er einerseits zeitweise Landschaften, die später zu selbständigen Territorien wurden oder in anderen politischen Gebilden außerhalb Frankens aufgingen; andererseits wurden Gebiete durch Kolonisation oder politische Eingliederung zu fränkischem Land, obwohl sie ursprünglich nicht dazu gehört hatten. Erst seit der Einrichtung des Fränkischen Kreises um 1500 ist der Umfang Frankens einigermaßen konstant. I‫׳‬

4

Franken: A. I. Die politische Entwicklung bis 716/19

Zu Beginn der Geschichte entbehrt der Raum einer einheitlichen Bezeichnung, weil ihm keine einheitliche politische Organisation entsprach.1 Er hatte mit Ausnahme eines kleinen südlichen Streifens, so weit nämlich der Limes den Lauf der Altmühl einschloß, niemals zum Römischen Reich, sondern zu Germanien gehört. Aber weder als Ganzes noch in seinem Kem wurde er zum Siedlungsgebiet eines einzigen germanischen Großstammes, der hätte namengebend werden können. Die zahlreichen geschlossenen Waldgebiete, die erst im Laufe des Hohen und Späten Mittelalters kolonisiert wurden, machten ihn großenteils siedlungsfeindlich und zunächst nur zum Durchzugsgebiet für die in das Römische Reich eindringenden Burgunder und Wandalen. Später wurde er in der Hauptsache von den Rändern her von den Großstämmen der Alamannen im Westen und Südwesten, der Bajuwaren im Süden und Südosten besiedelt oder auch zu einem erheblichen Teil von den Thüringern beherrscht, als diese vorübergehend ihren Einfluß bis an die Donau auszudehnen vermochten. So kann dieser Raum zunächst nur schwer als Einheit erfaßt und benannt werden. Am ehesten ist er negativ als dasjenige Gebiet zu umschreiben, das zwischen den Franken im Westen, den Sachsen und Thüringern im Norden und den Alamannen und Bajuwaren im Süden als gewissermaßen herrenlose Pufferzone ausgespart war. Dieser Umstand ist für die weitere Geschichte entscheidend geworden. Als Chlodwig 507 die Alamannen endgültig niedergeworfen und seine Söhne 531 das Thüringerreich zerstört hatten, gewannen die fränkischen Könige einen dünn besiedelten Raum entlang und südlich des Mains, der aber um der angrenzenden Großstämme willen nun von einer einheitlichen herrschaftlichen Gewalt erfaßt werden mußte. Diese Aufgabe übernahm der fränkische König selbst mit Hilfe von fränkischen Stammesangehörigen, die jetzt erstmalig für dauernd den Rhein überschritten und das Land bis zum Steigerwald, im achten Jahrhundert unter den Karolingern in einer neuen Welle auch über den Steigerwald nach Osten vordringend besiedelten.2 Seitdem stand Franken, abgesehen von einer kurzen Unterbrechung seit der Mitte des sechsten bis zuin Anfang des siebten Jahrhunderts, stets unmittelbar unter der Herrschaft zunächst der fränkischen, dann ostfränkischen und schließlich deutschen Könige. Es dauerte einige Jahrhunderte, bis sich die politischen Verhältnisse auch in einer entsprechenden Benennung niederschlugen. Noch zu Anfang des achten Jahrhunderts als Thuringia bezeichnet,3 wurde zu Ende des Jahrhunderts der Würzburger Raum erstmalig «pars Australium [Francorum]» genannt;4 seit 830/835 wurden seine Bewohner zu den Franci occidentales et Australes gereclinet.5 Von der Reichsteilung im Jahre 843 an 1 E. Frhr. v. Guttenberg, Siedlungsgesch. in Franken als Programm (ZBLG1j) 1949, 83-90; K. G. Hugblmann, Stämme, Nation u. Nationalstaat im deutschen MA, 1950, 119ff.; E. Frhr. v. Guttenberg, Grundzüge d. tränk. Siedlungsgesch. (ZBLG 17) 1953, 1-12; Schreibmüller, Franken in Gesch. u. Namenweit, 1954; J. Dienemann, Der Kult d. hl. Kilian im 8. u. 9. Jh., 1955, 18 ff.; Bosl, Franken 10 ff.

2 v. Guttenberg, Siedlungsgeschichte 86 ff.; Ders., Grundzüge 3 ff. (s. Anm. 1). 3 Annales Mettenses priores, hg. v. B. Simson (MGH SS rer. Germ.) 1905, 26 u. 75. 4 Passio s. Kiliani (s. u. 15 Anm. 1) 4; zur Abfassungszcit vgl. u. 116 f. 9 Annales Bertiniani, hg. v. G. Waitz (MGH SS rer. Germ.) 1883.

§ 1. Franken bis zur Eroberung durch die Merowinger (F.-J. Schmale)

5

wurde dann alles Land nördlich und südlich des Mains zwischen Sachsen, Bayern und Alamannen, sowie auf dem linken Mittelrheinufer, soweit es nicht zu Lothringen gehörte, die Francia, Franken, schlechthin; zum Jahre 1053 ist dafür erstmalig der Name Franconia belegt1, und um diese Zeit erreicht es auch seine größte Ausdehnung. Franken schließt damals die Territorien der späteren Rheinpfalz im Westen, und der Grafschaften Hessen und Nassau im Norden mit ein. Als im zwölften Jahrhundert auch in Franken weltliche und geistliche Territorien sich verfestigten, wurde der Geltungsbereich des Namens Franken eingeschränkt, oder er trat doch in den Hintergrund gegenüber den Namen der Territorien. Vielleicht wäre er ebenso verlorengegangen wie der BegriffLothringen, wenn nicht der Bischof von Würzburg seinen Dukat wenigstens dem Anspruch nach zu einem Herzogtum in Franken umgedeutet hätte. So blieb eine übergreifende Bezeichnung wenigstens im östlichen Teil des ehemaligen Franken erhalten, an die bei der Bildung des Fränkischen Kreises innerhalb der Kreiseinteilung des Reiches im Jahre 1500 angeknüpft werden konnte. Der ganze Westen dagegen verlor seine Zugehörigkeit, wurde Pfalzgrafschaft, Kurmainz oder Hessen und war seit 1500 dem Oberrheinischen oder Kurrheinischen Kreis angeschlossen. Mit geringfügigen Abtretungen war es im wesentlichen der Fränkische Kreis, der seit 1802 zu Bayern kam (s. u. 263). Nur im Westen konnte ihm in der Pariser Konvention vom 3.Juni 1814 und in den bis 1817 folgenden Verträgen einiges Gebiet angeschlossen werden, das auch im Mittelalter schon einmal zu Franken gehört hatte, vor allem das Fürstentum Aschaffenburg im Mainviereck, das aus Teilen von Kurmainz hervorgegangen war. Seit 1837 bürgerte sich für die drei neuen bayerisch-fränkischen Kreise der Name Franken ein2

§ 1. FRANKEN BIS ZUR EROBERUNG DURCH DIE MEROWINGER

K. Zeuss, Die Deutschen u. d. Nachbarstämme, 1837; L. Schmidt, Die Westgermanen, II1970, 101 ff.; Weigel, Begrenzung (s. u. 10) 52 ff.; E. Schwarz, Thüringer, Angeln u. Warnen (JffL 12) 1953, 23-28; Ders., Die elbgermanische Grundlage d. Ostfränkischen (ebd. ij) 1955, 31-67; Ders., Germanische Stammeskunde zw. d. Wissenschaften, 1967, 55 ff.; H. Jakob, Feststellung oberfränk. Siedclplätze zw. Altsteinzeit u. MA. Ein Fundbericht (BHVB 95) 1957, 262-271; Ders., Siedlungsarchäologie u. Slawenfragc im Main-Pegnitz-Gebiet (ebd. 96) 1958, 217-248; P. Endrich, Vor- u. Frühgesch. d. bayer. Untermaingebietes (Veröffentl. d. Gesch.- u. Kunstkreises Aschaffenburg) 1961; R. Wenskus, Stainmesbildung u. Verfassung, 1961; Schlesinger.

a) Die Bevölkerung. Als die Kelten im ersten Jahrhundert die Mainlande verließen und sich hinter Donau und Rhein zurückzogen, benutzten die nachrückenden Germanen die gleichen Siedlungsgebiete. In Oberfranken fand man auf der Flur Grasmerken Zeugnisse aus dem Mesolithikum, der Jungsteinzeit, der Eisenzeit, aber auch Keramik des dritten Jahrhunderts.’ Auf der Kohlstadt bei Scheßlitz♦ lagen frühgeschichtliche > DH. III 303. 2 Schreibmüller (s. o. 4 Anm. 1) 3; Bay. Reg. Bl. 29. Nov. 1837; s. u. 804 u. HB IV. ’Jakob (s. ο.) 211 ff, auch zum folgenden.

♦W. Müller, Die geuuan. Siedclung d. Hermunduren in Scheßlitz (Fränk. Bll. 8) 1956, 9 f.; K. Schwarz, Bandkeramische u. kaiserzeitl. Funde in Scheßlitz (BHVB 95) 1956, 278.

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Franken: A. I. Die politische Entwicklung bis 716/19

Scherben bei einem germanischen Totenhaus. Die einzelnen Funde sind nicht jeweils einer bestimmten ethnischen Gruppe zuzuweisen; das Maingebiet wurde während der Völkerwanderung nicht für dauernd von bestimmten Stämmen besiedelt, sondern vielfach nur als Durchzugsgebiet benutzt. Die geringen schriftlichen und die nur in Grenzen aussagefähigen späteren sprachgeschichtlichen Zeugnisse lassen aber die Zugehörigkeit dieser Germanen hauptsächlich zu den swebischen Völkern erschließen.1 Unter Marbod herrschte amMain markomannischer Einfluß.1 23Tacitus nennt ein Jahrhundert später im Gebiet von Rheinfranken die Völker der Nemeter, der Vangionen nördlich davon und der Mattiaker zwischen Rhein, Main und Taunus, alle innerhalb des Limes,3*der von Miltenberg bis Seligenstadt entlang des Mains verlief und von da ab den unteren Flußlauf einschloß; das Zehntland dagegen soll von Nichtgermanen bewohnt worden sein. * Das übrige Land nördlich des Rätischen Limes, der auch ein Stück später fränkischen Gebietes einschloß, zwischen Limes Germaniae im Westen und den Naristen (Oberpfalz) und Markomannen (Böhmen) im Osten war dagegen in der Hand der swebischenHermunduren, die an der Saale an die Chatten grenzten.3 Um 213 traten am oberen und mittleren Main die swebischen Alamannen auf und durchbrachen von hier aus wenig später den Limes; in den nächsten Jahrzehnten besetzten sie das ganze Dekumatenland; vielleicht hatten sich ihnen auch Hermunduren angeschlossen.6 Im vierten Jahrhundert nennt Ammianus Marcellinus die Bukobanten am Untermain eine alamannische Völkerschaft.7 Der anonyme Geograph von Ravenna bezeichnete noch Ascapha (Aschaffenburg?) und Uburzis (Würzburg?) als alamannische Orte.8 Vielleicht sind die erstmals in karolingischer Zeit bezeugten Ortsnamen auf -ingen im Waldsassengau südwestlich Würzburg auf eine alamannisehe Besiedlung dieser Epoche zurückzuführen. Gleiches könnte von den -ingen-Orten im Süden, im Sualafeld um die Schwäbische Rezat, gelten, falls sie nicht erst der zweiten Epoche alamannischer Herrschaft in diesem Raum im späten fünften Jahrhundert angehören.· Auch die beiden Schwabach bei Nürnberg und Erlangen erinnem, wenn nicht an die Alamannen, so doch wenigstens an swebische Bevölkerung.10 Im dritten und vierten Jahrhundert sitzen am unteren Main die Burgunder; die Wandalen benutzten auf ihrem Marsch nach Gallien und Spanien den gleichen Weg. Aber beide Völker hinterließen keine sichtbaren Spuren. Ob es in dieser Zeit noch Alamannen am Untermain gab oder ob diese erst nach ihrer Verdrängung aus Gallien durch die Burgunder wiederum zurückkehrten, bleibt ungewiß. Sicher ist nur, daß der Druck der Alamannen nach dem Norden sich in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts verstärkte und ihr Einfluß sich bis in die Pfalz und das südliche Rhein1 Schwarz, Stammeskunde (s. o. 5) 65 ff. 2 Ebd. 34 ff. 3 Tacitus, Germ. c. 28. ♦ Ebd. c. 29. 3 Ebd. c. 41; Schlesinger 19; Schwarz, Stammeskunde (s. o.) 39 ff. 6 Schlesinger 19. 7 Rer. Gest. 1, 29, 4. 8J. Schnetz, Anonymi Ravennatis Cosmo-

graphia (Itineraria Romana 2) 1940, 4, 26; Ders., Alamannenorte d. Geographen v. Ravenna (AU 60) 1918,1-79; Ders., ZurBeschreibung d. Alamannenlandes beim Geographen v. Ravenna (ZGORh. 36) 1921. 0 Bosl, Franken 13; Weigel, Epochen (s. u. 10) j ff. 10 E. Schwarz, Schwabach (Beitrr. z. Namenforsch.) 1956, 247 ff.

§ 1. Franken bis zur Eroberung durch die Merowinger (F.-J. Schmale)

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Hessen erstreckte. Ihre weitere Expansion führte zum Zusammenstoß mit den fränkisehen Ripuariern. Erst durch Chlodwigs Sieg wurde es entschieden, «daß nicht ihnen, sondern den Franken die Aufgabe zufiel, die germanischen Stämme zwischen Alpen und Nordsee zur politischen Einheit zusammenzufassen» (Löwe) ;* einen Aufstand im Jahre 506 konnte Chlodwig schnell niederschlagen. Spätestens seit diesem Zeitpunkt gehörten wenigstens der Westen Alamanniens - das linke Rheinufer - und der rechtsrheinische Norden von Neckar und Tauber an bis über den Main zum Frankenreich. Die unmittelbare Unterstellung der neugewonnenen Gebiete unter den fränkisehen König * entsprach nicht nur dem Charakter der Herrschaft Chlodwigs, sondern war auch durch weiterreichende Pläne bedingt, die allerdings erst unter seinen Söhnen verwirklicht werden konnten. Denn als 536/37 auch die südöstlichen und südlichen Teile Alamanniens dem Fränkischen Reich einverleibt wurden - sie hatten sich zunächst unter den Schutz Theoderichs des Großen gestellt, und die Franken hatten das zu Theoderichs Lebzeiten respektiert -, da blieb der früher alamannische Norden von dem Süden getrennt. Das spätere schwäbische Herzogtum konnte sich nicht mehr über diese Gebiete hinaus ausdehnen.

b) Das Thüringerreich.123 Östlich des schwäbischen und schwäbisch-fränkischen Gebietes hatten sich um diese Zeit im Raum der taciteischen Hermunduren neue Völkerschaften herausgebildet. In der Mitte des vierten Jahrhunderts begegnen nördlich der Donau die schwäbischen Juthungen, die 357 nach Rätien vorzudringen suchten;4 einen neuerlichen Einfall wies der Magister Aetius um das Jahr 430 ab.’ Wenig später tritt an der Donau das Volk der Thüringer auf. Thüringer werden zum ersten Mal um 400 erwähnt4*und Thüringer gehörten auch dem Heer an, das Attila 450/51 nach Gallien führte;7 wenig später sollen sie Passau bedrängt haben.8 Das heißt kaum, daß thüringische Herrschaft bis Passau reichte, ebensowenig wie man einen derartigen Schluß aus den Vorstößen der Alamannen bis Passau ziehen kann. Einzelne Beutezüge waren bei der dünnen Besiedlung nördlich der Donau möglich, ohne daß man deshalb von einem thüringischen Reich sprechen müßte, das sich so weit nach Südosten erstreckte. Immerhin bezeichnete aber der Geograph von Ravenna die Flüsse Bac (= Nab?) und Reganus (= Regen) als in thüringischem Land gelegen.’ Das Zentrum 1 GG 1109. 2 Gregor von Tours, Libri historiarum, hg. v. Krusch-Levison (MGH SS rer. Merov. I 1) 19512, II 30. 3 Zum folgenden Schlesingeb 26 ff.; H. Patze, Die Entstehung d. Landesherrschaft in Thüringen I (Mitteldt. Forsch. 22) 1962, 41 ff. 4 Ammianus Marcellinus, Rer. Gest. 17, 6, 1. ’ Wenskus (s. o. 5) 509; Schwarz, Stammeskunde (s. o. 5) 40 f. 4 Vegetius Renatus, Mulomedicina, ed. E. Lommatzsch (Bibi. Teub.) 1903, 33, 6, 3. 7 Apollinaris Sidonius VII v. 323 (MG AA 8, 211).

8 Eugippius, Vita Severini, hg. v.Th.MoMM(MGH SS rer. Germ.) 1898, c. 27. ’ Schlesingeb 29; Patze (s. o. Anm. 3) 9; vgl. auch Eugippius, Vita Sev., daß das Thüringerreich sich bis Regensburg erstreckt haben soll (Patze 42). Die Westgrenze des Thüringerreiches ist weniger gut belegt, auch hier ist sicher zwischen Siedlungs- und Einflußgebiet zu unterscheiden. Als Westgrenze thüringischer Siedlung ist oft die mittelalterliche Grenze zwischen Hessen und Thüringern angenommen worden, doch ist das höchst unsicher; vgl. Schlesinger 28 f., Patze 9 f. sen

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Franken: A. I. Die politische Entwicklung bis 716/19

der thüringischen Macht war dagegen damals ebenso wie später in der heutigen Landschäft Thüringen zu suchen. Das Gebiet unmittelbar nördlich des Donauknies war jedenfalls Jahrhunderte lang bayerisch.1 Das Volk der Thüringer muß sich spätestens im Laufe des vierten Jahrhunderts aus verschiedenen Völkerschaften gebildet haben, vor allem aus den Angeln und Warnen, die aber noch am Beginn des neunten Jahrhunderts unterschieden wurden. Von einem völligen Zusammenwachsen zu einem Stamm nach Art der übrigen deutschen GroßStämme kann daher kaum gesprochen werden? Völlig zu erhellen ist die Geschichte der Thüringer nicht. Durch die Ergebnisse der Sprachgeschichte wird soviel deutlich, daß die Mundart in der Hauptsache dem Swebischen, Elbgermanischen zuzurechnen ist.123 Ein Anteil der ehemaligen hermundurischen Bevölkerung ist also anzunehmen.4 Fraglich ist, ob in dem Namen der Thüringer der der Hermunduren weiterlebt oder ob es sich dabei um eine eigenständige Bezeichnung handelt.5 Für die letzte Annahme spricht der Titel des Thüringischen Volksrechts: Lex Angliorum et Werinorum, hoc est Thuringorum;6 die politische Führung des Volkes müßte demnach bei den Angeln und Warnen gelegen haben, nach Tacitus ursprünglich im Raum von SchleswigHolstein und Mecklenburg ansässigen Völkerschaften, die von der «Wanderlawine» der Sachsen verdrängt, zumindest mit Teilen nach Süden auswichen.7 Die Angeln wurden an der Unstrut seßhaft, wo der Engelingau an sie erinnert, in dem nach der sächsischen, aber glaubhaften Überlieferung der Thüringerkönig Herminafrid sich verteidigte;8 die Warnen werden noch am Ende des sechsten Jahrhunderts als Träger des Widerstandes gegen die Franken genannt.’ Angeln und Warnen zusammen trugen den Namen Thuringi und müssen als der prägende Kern der Thüringer verstanden werden. Von dem Zentrum an der Unstrut her hatte sich im Laufe des fünften Jahrhunderts nach dem Abzug der Burgunder der thüringische Einfluß nach Süden (und Westen?) vorgeschoben. Die Machtausweitung beruhte kaum auf Volkssiedlung, allenfalls auf einer großräumigen Verteilung einer zahlenmäßig geringen adligen Oberschicht. Darauf könnten dieGräber bei Staffelstein aus dem Anfang des sechstenJahrhunderts10 und bei Hammelburg aus dem fünften Jahrhundert deuten,11 deren erstes sicher, deren zweites mit großer Wahrscheinlichkeit als thüringisch angesprochen wird. Nur im Grabfeld, 1 Vgl. HB I 113 f. Wenn dort bayerische Herrschaft nördl. der Donau erst für die Zeit nach der Vernichtung des Thüringerreiches, das bis zur Donau gereicht haben soll, angenommen wird, so scheint doch die Festigkeit dieses «Reiches» zu hoch veranschlagt. Gegen eine Herrschaft der Thüringer in diesem Raum spricht wohl auch der Umstand, daß das Gebiet nördlich der Donau nicht fränkisch wird. 2 Schlesinger 16 ff. 3 Schwarz, Elbgerman. Grundlage (s. o. 5). 4 Schlesinger 25 f. 5 Gegen eine Gleichsetzung von Thüringern und Hermunduren Schlesinger 17 ff.

6 S. u. 19 f. 7 Schlesinger 20 ff. 8 Die Sachsengeschichte d. Widukind v.Korvei, hg. v. Lohmann-Hirsch (MGH SS rer. Germ.) 1935, I 9; Büttner, Mainland 83; Patze (s. o. 7 Anm. 3) 17. ’ Fredegar c. 15; über die Warnen auch Schlesinger 23 f. 10 H. Födisch, Ein Thüringergrab bei Staffelstein (Fränk. Bll. 1) 1948/49, 42 f. 11 H. Müller-Karpe, Das Hammelburger Kriegergrab d. Völkerwanderungszeit (Mainfr. Jb. 6) 1954, 203-216.

§ 1. Franken bis zur Eroberung durch die Merowinger (F.-J. Schmale)

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im Vorfeld des Thüringer Waldes, belegen Ortsnamenbildungen auf -ungen und dem wohl späteren -leben eine dichtere thüringische, wahrscheinlich wamische Besiedlung.1 Vereinzelt treten Ortsnamen dieses Typus bis in den Raum von Würzburg auf; eine genaue Datierung ist allerdings schwierig. Es ist aber möglich, daß die Thüringer zu Anfang des sechstenJahrhunderts die Mainlande bis westlich Würzburg beherrschten, während ihr dauernder Einfluß nach Süden hin in den unbesiedelten Waldgebieten versickerte. Um 500 war das thüringische Reich eine beachtliche und unter der Herrschaft von Königen konsolidierte Macht mit weitgespannten Beziehungen. Als Chlodwig den Krieg gegen die Westgoten vorbereitete, schrieb der Ostgotenkönig Theoderich an die Könige der Warnen, der Heruler und der Thüringer und erinnerte sie, wieviel Dank sie dem verstorbenen König Eurich (f 484) schuldeten, der sie verschiedentlich unterstützt habe, und er warnte, wenn auch vergeblich, vor den Folgen eines Sieges der Franken über die Westgoten, der den Bestand aller gefährde. Schließlich forderte er zu einem allgemeinen Angriff auf, falls Chlodwig sich nicht zum Frieden verstehe.2 Theoderich war also bemüht, auch die Thüringer in die Koalition zur Verteidigung des Status quo einzubeziehen. Das Bündnis wurde durch die Heirat seiner Nichte Amalaberga mit dem König Herminafrid gefestigt, der spätestens in den zwanziger Jahren des sechsten Jahrhunderts zusammen mit seinen Brüdern Baderich und Berthachar über die Thüringer herrschte.3 Die Heirat und die weiteren Ereignisse weisen Herminafrid als den bedeutendsten der Brüder aus. Zu Lebzeiten Theoderichs (f 526) erfüllte das Bündnis seinen Zweck, da die Franken nach dem energischen Eintreten Theoderichs für die Reste der Westgoten in der Provence ihre Expansion unterbrachen, um eine offene Auseinandersetzung mit den Ostgoten zu vermeiden. Aber unmittelbar nach Theoderichs Tod nahmen Chlodwigs Söhne die Eroberungspolitik wieder auf, und ihr erstes Opfer wurden die Thüringer. Es scheint, daß diese unklug genug waren, selbst den Anstoß dazu zu geben. Gregor von Tours berichtet, Herminafrid habe sich zunächst seines Bruders Berthachar entledigt, der mehrere Kinder, darunter die hl. Radegunde, hinterließ. Auf Anstiften seiner Gattin Amalaberga soll er sich sodann gegen seinen zweiten Bruder Baderich gewandt und den Frankenkönig Theuderich eingeladen haben, mit ihm gemeinsame Sache zu machen; Theuderich sollte dafür die Hälfte des Thüringerreiches erhalten. In der Schlacht sei zwar Baderich von den Franken getötet worden, aber Herminafrid habe den versprochenen Lohn vorenthalten. Trotz sagenhafter Züge ist der Erzählung zuverlässig zu entnehmen, daß Theuderich, der nach Chlodwigs Tod im Osten des Frankenreiches herrschte, einen Zug ins Thüringerreich unternahm (529 ?) und daß Baderich - vielleicht König im westlichen Thüringen vor dem Thüringer Wald ? - in der Schlacht fiel, Theuderich diesen Erfolg aber nicht gegen Her1 Diese Zuweisung ist heute fast allgemein anerkannt; vgl. Schwarz, Thüringer (s. o. 5) 23-28; Ders., Thüringer am oberen Main (JffL 22) 1962, 291-297; R.Fiesel, Gründlingszeit deutscher Orte m. dem Grundwort

«leben» (BlldLG90) 1953, 30 ff.; Bosl, Franken 13; Patze (s. o. 7 Anm. 3) 22 f. 2 Cassiodorus, Variae ΙΠ 3 ed. Th. Mommsen (MG AA 12) 1894, 79 £. 3 Gregor v. Tours (s. o. 7 Anm. 2) HI 4.

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Franken: A. I. Die politische Entwicklung bis 716/19

minafrid zu behaupten vermochte.1 Ein Unternehmen gegen das Thüringerreich bedurfte offenbar größerer Macht, als Theuderich allein aufzubieten vermochte. Darum rief er nicht nur seinen Bruder Chlothar zu Hilfe, sondern schloß auch ein Bündnis mit den Sachsen. Dieser Koalition erlag Herminafrid (531), wahrscheinlich bei BurgScheidungen. Er wurde zwar nicht völlig seiner Herrschaft beraubt - einer der Gründe könnte ein Streit der beiden fränkischen Brüder gewesen sein, ein anderer ein Aufstand in der Auvergne, der Theuderich zurückrief -, aber auf den Raum zwischen Harz und Thüringer Wald beschränkt. Die nördlichen Teile erhielten die sächsischen Bundesgenossen, das Gebiet westlich des Thüringer Waldes kam vermutlich unter unmittelbare fränkische Gewalt.2 Radegunde, die Tochter Berthachars, führte Chlothar mit sich und nahm sie zur Frau, ihren Bruder ließ er später töten.3 Als Herminafrid einem Ruf Theuderichs ins Frankenreich folgte, wurde auch er ermordet.4 Damit hatte ein selbständiges Thüringerreich zu bestehen aufgehört.

§2. THÜRINGEN IM MEROWINGERREICH (531-716)

E. Ewig, Die fränk. Teilungen u. Teilreiche 511-613 (Abh. Mainz 9) 1952, 651 ff.; Ders., Die fränk. Teilreiche im 7.Jh., 613-714 (Trierer Zschr. 22) 1953, 85 ff.; Stein I 13 ff., II 217 ff.; H. Weigbl, Begrenzung u. Gliederung d. fränk. Landesgesch. (JffL 1) 1935, 52-62; Ders., Epochen d. Gesch. Frankens (Mainfr. Jb. 5) 1953; Ders., Frankens Werden und Wesen. Ein geschichtl. Überblick (Frankenland NF 6) 1954, 10-15, 37160-168 ,133-141 .46‫ ;־‬Ders., Studien z. Ein derung Ostfrankens in d. merowingisch-karolingische Reich (HVjschr. 27) 1933, 449-502; Ders., Thüringersiedlung u. fränk. Staatsorganisation im westl. Obermainbogen (JffL 11/12) 1953, 29 ff; Schlesinger, 42 ff.; Bosl, Franken; Friese; R. Sprandel, Der merowingische Adel u. d. Gebiete östl. d. Rheins (Forsch, z. oberrhein. Landesgesch. 5) 1957.

a) Die Zeit bis zur Errichtung des Herzogtums (ca. 632). Nach der Beseitigung des thüringischen Königshauses geben nur vereinzelte Nachrichten oberflächliche Kunde. Sie konzentrieren sich auf Thüringen im engeren Sinn; die Mainlande bleiben im dunkeln, ebenso das Gebiet bis zur Donau. Von diesem läßt sich auf Grund der Ortsnamen und einiger späterer Zeugnisse nur annehmen, daß es in seinen südöstlichen Teilen unter den Einfluß der über die Donau vordringenden Bajuwaren geriet. Jenseits des Thüringer Waldes war der Widerstandswille noch nicht völlig gebrochen. 555/5 *5 mußte Chlothar I., einer der Sieger von 531, einen Aufstand der - wie es heißt - Sachsen niederschlagen.5 Möglicherweise handelte es sich dabei um die Sachsen in den abgetretenen nordthüringischen Gebieten, vielleicht sogar um den Sachsen unterstellte Thüringer. Jedenfalls beteiligten sich an dieser Rebellion auch Thüringer, denn deren Land wurde von Chlothar verwüstet. Im Jahre 595 erhoben * Ebd. III 4. 2 Widukind (s. o. 8 Anm. 8) I 9 ff.; Annales Quedlinburgenses, ed. G. H. Pertz (MG SS 3) 1839, 32. Wenn dort nichts über das übrige thüringische Gebiet gesagt ist, so mag das mit dem sächsischen Standpunkt der Annalen Zusammenhängen.

3 Venanti Honori Clementiani Fortunati presbyteri Italici opera poetica, hg. v. F. Leo (MGH AA IV 1) 1881. 4 Gregor v. Tours (s. o. 7 Anm. 2) III 8. 3 Ebd. IV 10, 14.

§ 2. Thüringen im Merowingerreich 531-716 (F.-J. Schmale)

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sich die Warnen gegen die fränkische Gewalt, wurden aber von Childebert II. niedergeworfen.1 Zugleich war Thüringen mehrfach von außen gefährdet. Die Quellen sprechen von Angriffen der Awaren, wahrscheinlich sind darunter von Awaren beherrschte Slawen zu verstehen, die nach der Vernichtung des thüringischen Reiches nach Westen vordrangen. 561/62 konnte Sigebert I. sie an der Elbe schlagen,12 unterlag aber seinerseits 565/66 in derselben Gegend in einer zweiten Schlacht.3 Durch entsprechende Gegenleistungen erlangte er einen Vertrag, in dem ihm zeit seines Lebens Frieden zugesichert wurde. 596 konnte die Königin Brunichilde durch Tributleistung einen neuerlichen Angriffabwehren.4*In all diesen Fällen werden die MainlandeDurchzugsgebiet für die fränkischen Heere gewesen sein. Erst unter der Herrschaft Dagoberts I. tritt dieser Raum in helleres Licht. Nach einer Niederlage der Awaren vor Konstantinopel (626) hatte der fränkische Kaufmann Samo die sich jetzt aus dem Griff der Awaren lösenden Slawen von Böhmen bis Karantanien geeint und herrschte über sie als König. Als fränkische Kaufleute in seinem Reich erschlagen wurden und er die geforderte Genugtuung verweigerte, begann Dagobert im Bunde mit den Alamannen und Langobarden einen Krieg gegen ihn, wurde aber infolge Verrats der Austrasier in seinem Heer bei Wogastiburg (Bürberg bei Kaaden an der Eger?) geschlagen (631/32). Nun schlossen sich auch die Sorben dem Reich Samos an und fielen schon im nächsten Jahr in Thüringen ein, ebenso ins südlich vorgelagerte Franken.3 Die Verhältnisse erzwangen eine grundsätzlich neue Lösung. Dagobert mußte sich zwar wenig später (634) unter dem Druck des austrasischen Adels dazu verstehen, diesem in seinem Sohn Sigebert ΙΠ. einen eigenen König zu geben, Austrasien also den Austrasiem zu überlassen; aber Thüringen wurde trotz des Einspruchs der Austrasier an den neustrischen Reichsteil angeschlossen6 und erhielt in Radulf einen eigenen dux, der an Ort und Stelle die Verteidigung leiten sollte.7 1 Fredegar c. 15. 2 Gregor v. Tours IV 23; Paulus Diaconus, Historia Langobardorum, hg. v. BethmannWaitz (MGH SS rer. Langob. et Ital.) 1878, II 10. 3 Gregor v. Tours (s. o. 7 Anm. 2) IV 29; Paulus Diac. (s. Anm. 2) II 10. 4 Fredegar c. 40; Büttner, Mainland 83 f.; GG 1 108. 3 Fredegar c. 68, 74; Büttner, Mainland 84. Zum Problem der Slawensiedlung in Ostfranken: v. Guttenberg 16 ff.; Ders., Kirchenzehnten als Siedlungszeugnisse im oberen Maingebiet (JffL 6/7) 1940/41, 40-129; E. Schwarz, Das Vordringen d. Slawen nach Westen (Zschr. f. Südostforsch. 15) 1956; Ders., Die slaw. Ortsnamen in Nordbayem u. ihr Verhältnis zum deutschen Landesausbau, dargelegt am Lkr. Kulmbach (Zschr. f. Ostforsch. 5) 1956, 350-363; Ders., Wenden beim Landesausbau in Deutschland (ebd. 7) 1958,

210-230; Ders., Die Stammeszugehörigkeit d. Slawen am oberen Main im Lichte d. Ortsnamen (Sybaris, Festschr. H. Krähe) 1958, 138-145; Ders., Die Stammeszugehörigkeit d. Mainwenden (Forsch, u. Fortschr. 32) 1958, 280-282; Ders., Sprachforschung u. Landesgesch. (BlldLG 99) 1963, 1-24; W. Emmerich, Stand u. Aufgaben II (AO 36) 1952, 52 f.; Jakob, Siedlungsarchäologie (s. o. 5) 217 ff.; Ders., Die Wüstung «Tragemarsdorf». Eine alte Slawensiedlung im Haßgau (Fränk. Land in Kunst, Gesch. u. Volkstum 5) 1957/58 nr. 2; Ders., Abgegangene Siedlungen d. Main- u. Regnitzwenden um Bamberg (Forsch, u. Fortschr. 32) 1958, 304-308; R. Fischer, Erkenntnisse u. Aufgaben d. slaw. Namenforschung (Ber. d. Sächs. Akad. d. Wiss. Leipzig, Phil.-hist. Kl. 105, 1) X959, 3 f.; Bosl, Franken 14 f. 6 Fredegar c. 76, Stemnote S. 159. 7 Ebd. c. 77.

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Franken: A. I. Die politische Entwicklung bis 716/19

b) Das thüringische Herzogtum. Radulf gehörte einer der mächtigsten neustrisch-burgundischen Familien an, wenn es richtig ist, daß sein Vater Chamaro (= Kämmerer?)1 mit dem custos palatii Thesauros Rado identisch ist.1 2 Rado war 613 von Chlothar II. als Hausmeier in Austrasien eingesetzt worden.3 623 hatte er das Amt zwar an Pippin den Älteren abtreten müssen, war aber 629, als Dagobert Alleinherrscher des Gesamtreiches wurde, dessen Kämmerer geworden. Wenn Rado der Vater des dux Radulf war, dann war dieser mit den vornehmsten neustrischen Großen verwandt und befreundet, mit Burgundofara, mit dem Hausmeier Odo und dem Agilolfinger Fara, dessen Familie auch im fränkisch überschichteten Alamannien am Unterlauf des Mains reichen Besitz hatte. Diese Großen gehörten zu den wichtigsten Gegenspielern der um die Vorrangstellung kämpfenden Amulfinger, ihnen gegenüber fühlten sie sich als die eigentlichen Franci.4 Mit Radulf kam vorwiegend neustrischer Adel nach Thüringen5 und mit seiner Hilfe baute er eine erfolgreiche Verteidigung gegen die Slawen auf. Er schlug die Slawen in mehreren Schlachten und schloß FreundschaftsVerträge, brachte sie also wieder in ein vertragliches, loses Abhängigkeitsverhältnis.6 Fredegar berichtet zum Jahr 640, Radulf habe sich empört und König Sigebert - in Wirklichkeit dessen Hausmeier Grimoald - sei deshalb gegen ihn gezogen,7 und man hat gemeint, Radulf habe im Stolz auf seine Erfolge nach Unabhängigkeit gestrebt.8* Genau genommen offenbart der Fredegar-Tcxt hier nur die Tendenz des austrasisehen Bearbeiters,’ und ihr ist auch die Forschung lange gefolgt. Tatsächlich gehörte Thüringen zu dieser Zeit nicht zu Austrasien,10*wenn es auch das Interesse der Amulfinger erregt hatte. Schon Arnulf von Metz hatte mehrere Reisen, zum Teil gemeinsam mit König Dagobert, nach Thüringen unternommen,'1 und Pippins des Älteren Tochter Gertrud hatte in Karlburg ein Kloster gegründet.12 Ihre Interessen im Osten wurden jetzt durch die Stellung des Herzogs Radulf beeinträchtigt. Die Feindschaft mit Fara, dessen Vater von den Amulfingem erschlagen worden war, und der AnSpruch Austrasiens auf Thüringen, der von Radulf zurückgewiesen wurde, dürften zu dem Kriegszug geführt haben, der allerdings kläglich scheiterte. Wohl wurde Fara 1 Ebd. c. 77. 2 Vita Audoini, ed. W. Levison (MGH SS rer. Mer. 5) 1910, 354. Diese Hypothese hat A. Friese in seiner noch unveröffentlichten Bochumer Habil.-Schr. «Studien z. Herrschaftsgesch. d. fränk. Adels» aufgestcllt und m. E. gut begründet; sie vermag jedenfalls viele bisher unverständliche Vorgänge zu erklären, und ich habe dem Verfasser an dieser Stelle dafür zu danken, daß er mir sein Manuskript zur Verfügung stellte. Die von H. Büttneu, Frühes fränk. Christentum am Mittelrhein (AMK 3) 1951, 9-55, vertretene Ansicht, Radulf gehöre der Weissenburger Gründerfamilie an, kann sich erst auf die Verwandtschaft Herzogs Heden II. stützen und gilt allenfalls für ein kognatisches, nicht aber für ein agnatisches Verwandtschaftsverhältnis.

3 Hierzu und zum folgenden Friese 63 ff., wo die ältere Forschung aufgearbeitet und korrigiert ist. 4 Friese 68; Faras Vater Chrodoald war von einem Parteigänger der Amulfinger erschlagen worden (Fredegar c. 52). 3 Friese 39 ff. 6 Fredegar c. 87. 7 Ebd. 8 So vor allem W. Fritze, Untersuchungen z. frühslaw. u. frühfränk. Gesch. bis ins 7. Jh., Diss. Masch. Marburg 1932, 118. ’ WL in. 10 S. o. 11. 11 Vita s. Amulfi, ed. B. Krusch (MGH SS rer. Mer. 2) 1888, 436 f., c. 12;Fredegar c. 58. 12 Schmale, Glaubwürdigkeit 64 ff.

§ 2. Thüringen im Merowingerreich 531-716 (F.-J. Schmale)

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am Untermain überwunden,1 Radulf aber erwartete die Austrasier an der Unstrut und schlug sie vernichtend. Ihm kam die Sympathie zahlreicher Großer aus dem Mainzer Raum im austrasischen Heer zu Hilfe. Mit Recht hatte der Herzog darauf vertraut, daß diese keine Gewalt gegen ihn anwenden würden, weil sie sich mit der Alleinherrschäft ihrer amulfingisch-karolingischen Standesgenossen nicht einverstanden erklären konnten oder auch mit Radulf befreundet waren. Seitdem verhielt sich dieser wie ein König; er sagte sich zwar nicht ausdrücklich von Sigebert los, ließ aber doch keine wirkliche Herrschaft über sich gelten.1 2 Von Radulf selbst hört man danach nichts mehr; für sein angebliches Todesjahr 641/42 gibt es allerdings keine Anhaltspunkte. Auswirkungen seiner Herrschaft in den Mainlanden lassen sich nur mit aller Vorsicht feststellen: Oberer Main und Thüringen stehen erstmalig in einer intensiveren Verbindung mit dem westlichen Frankenreich. Namentlich bekannte Große erscheinen von nun an als Grundbesitzer, und in ersten Ansätzen ist die kirchliche Erfassung dieses Raumes durch die westfränkische Kirche erkennbar. Unter den Nachfolgern verstärkte sich der fränkische Charakter des Landes; denn wie in Austrasien die Amulfinger ihre Positionen ausbauten, so bildeten ihre neustrisch-burgundischen Gegner ein thüringisch-mainfränkisches Herzogtum, das ein knappes Jahrhundert Bestand hatte.3 Das bisherige Bild des thüringischen Herzogtums weist nur einzelne, nicht eindeutig verknüpfbar erscheinende Züge auf.45Die ältere Passio Kiliani nennt eine Herzogsreihe in Vater-Sohnesfolge: Hruodi, Heden der Ältere, Gozbert und dessen Frau Geilana, Heden der Jüngere;’ doch gilt die Passio als weithin unzuverlässig. Die älteste Bonifatiusvita kennt einen Herzog Theobald, den auch eine Inschrift in Nilkheim (Nilkheimerhof: Aschaffenburg) aus der Zeit des Bischofs Ricbert von Mainz nennt,6* und einen Heden (den Jüngeren).’ Der letzte ist Aussteller zweier Urkunden in den Jahren 704 und 716, die außerdem noch seine Gemahlin Theodrada und seinen Sohn Thuring erwähnen;8 aus anderer Quelle ist noch eine Tochter Immina bekannt.’ Ein Herzog Theobald scheint in Widerspruch zu der Reihe der Passio zu stehen, doch wurde auch schon - wohl zu Recht - die Identität von Theobald und Gozbert vermutet.10 Theobald, Theodrada, Immina weisen andererseits so eindeutig in die Gründerfamilie von Echternach und Oeren, daß man zum Unterschied von Radulf in besonderer Weise die fränkische Herkunft der letzten Herzöge betonen zu müssen glaubte und annahm, Theobald und Heden seien bereits Herzöge von Gnaden der Karolinger gewesen, nicht aber mehr Erben Radulfs." 1 Fredegar c. 87; von Radulfs Verhältnis zu Fara sagt Fredegar ebd.: unitum habebat consilium. 2 Fredegar c. 87. 3 S. u. 17. 4 Zum folgenden Schlesinger 43 f.; Patze (s. o. 7 Anm. 3) 44 f.; Büttner, Mainland 85 f. 5 Passio Kiliani (s. u. 15 Anm. 1) 723. 6 Vita Bonifatii auctore Willibaldo, ed. W. Levison (MGH SS rer. Germ.) 1905, 32 c. 9 mit Anm. 4.

’ Ebd. 32 c. 9. 8 Dobenecker I 3 f. nr. 5; 6 nr. 7. ’ Vita s. Burchardi (Die jüngere Lebensbesehr. d. hl. Burkhard, ersten Bischofs zu Würzbürg, hg. v. F. Bendel) 1912, 27; Schmale, Glaubwürdigkeit 70. 10 Stein I 22. 11 GG1152; Büttner, Mainland 86; dagegen mit Recht Friese passim.

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Schon die Einordnung Radulfs in den neustrisch-burgundischen Adel, deren Richtigkeit noch durch weitere Indizien unterstrichen werden kann,1 vertieft das bisherige Bild. Der Versuch, auf dieser Basis noch andere Quellen in die Betrachtung einzubeziehen, scheint die Geschichte des thüringischen Herzogtums noch weiter erhellen zu können. Nach Fredegar hat sich Radulf gegen den Angriff König Sigeberts und der Amulfinger an der Unstrut mitsamt Frau und Kindern verschanzt;12 demnach hatte Radulf mehrere Nachkommen. Identifiziert man den Hruodi der Passio Kiliani mit Radulf, dann ist es ganz unverdächtig, wenn Herzog Heden der Ältere als Sohn Radulfs bezeichnet wird, zumal Heden Nebenform des Namens Ado ist,3 der unter den Verwandten Rados, des vermuteten Vaters Radulfs, vorkommt.4*Herzog Heden wird aber auch in einer anderen Quelle erwähnt, die weitgehende Perspektiven eröffnet. Die wahrscheinlich im zwölften Jahrhundert entstandene Vita der hl. Bilihild, der Gründerin des Klosters Altmünster in Mainz,’ enthält einen alten, glaubwürdig erscheinenden Kem, in dem gesagt wird, ein Herzog Heden sei der Gatte der hl. Bilihild gewesen.6 Der merowingische König habe ihn eines Tages ins westliche Frankenreich gerufen und von dieser Reise sei er nicht mehr zurückgekehrt. Bilihild, die von Heden nur einen früh verstorbenen Sohn hatte, habe schließlich mit Unterstützung ihres Oheims, des Bischofs Ricbert von Mainz, das Kloster Altmünster gestiftet. Dieser Ricbert muß der Ricbert der Nilkheimer Inschrift sein, der Gatte Bilihild demnach Herzog Heden der Ältere. Die Vita läßt Bilihild aus Veitshöchheim stammen; richtig ist, daß Altmünster in Veitshöchheim und Hettstadt bei Würzburg Besitz hatte.7*Bilihilds Name könnte einen weiteren Hinweis auf ihre Herkunft enthalten. Bilihild war auch der Name, den die langobardische Prinzessin Appa als Gattin Theudeberts II. angenommen hatte. * Ihre Schwester Geila war mit dem Agilolfinger Chrodoald, dem Vater von Herzog RadulfsBundesgenossenFara verheiratet.’ Die Ermordung Appa/Bilihilds durch Theudebert Π. scheint dazu beigetragen zu haben, daß Chrodoald gegen Theudebert die Partei Theuderichs II. ergriff.10 Es wäre also nicht auszuschließen, daßHedens Gattin Bilihild nach Appa/Bilihild benannt und eine Angehörige der am Untermain begüterten Agilolfinger, genauerhin eine Verwandte (Tochter?) Faras war, die durch ihre Ehe mit Heden das Bündnis Radulfs mit den Agilolfingem festigen sollte. 1 Friese 72 ff.; s. u. 24 f. 2 Fredegar c. 87: cum uxorem et liberis. 3 Friese 76. 4 Ado hieß der Bruder Rados; vgl. Vita Columbani, ed. B. Keusch (MGH SS rer. Germ.) 1905, 209 f.; Friese 63 f. 3 Vita s. Bilehildis, ed. J. Gropp (Collectio novissima SS et rer. Wirceburgensium I) 1741, 774 f.; zu Altmünster F. Arens, Baugesch. d. Altmünster-Kirche, 1960;Ders.,Darstellungu. Kult d. hl. Bilhildis zu Veitshöchheim bei Würzburg (Mainfr. Jb. 13) 1961; F. Prinz, Frühes Mönchtum im Frankenreich. Kultur u. Gesellschaft in Gallien, den Rheinlanden u. Bayern am Beispiel d. monastischen Entwicklung (4.-8. Jh.), 1965, 188.

6 Vita s. Bilehildis (s. o. Anm. 5) 774. Für die Richtigkeit dieser Überlieferung sprechen die Einträge in der Würzburger Priscillian-Hs. aus dem 7-Jh. (Bischoff-Hofmann, Libri sancti Kijliani, die Würzburger Schreibschule u. d. Dombibliothek im VIII. u. IX. Jh., QFGHW 6, 1952, 89): Bilihilt ... pro eiemosina Etone. Diese Zusammenhänge bei Fbiesb 51, 83 ff. 7 Büttner, Mainland 88; Arens, Kult (s. o. Anm. 5) 63 ff. * Fredegar c. 35. ’Vita Columbani (s. o. Anm. 4) 201 ff.; Fredegar c. 35. 10 Vita Columbani I c. 22.

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Glaubt man der Nachricht, daß Heden der Ältere von Bilihild nur einen frühverstorbenen Sohn hatte, stellt sich die Frage nach der Fortdauer und Weitergabe der herzoglichett Gewalt. Fine politische Situation, die die willkürliche Einsetzung eines neuen Herzogs durch die Karolinger ermöglicht hätte, ist um die Mitte des siebten Jahrhunderts nicht erkennbar. Deshalb kann nicht ohne triftigen Grund ausgeschlossen werden, daß das Herzogtum in der Familie Radulfs blieb. Nimmt man die Identität des Herzogs Theobald der Bonifatiusvita und der Nilkheimer Inschrift mit dem Gozbert der Kilianspassio als gegeben an, dann ist zu prüfen, ob Theobald zu der Familie Radulfs gestellt werden kann. Nach Ausweis der Inschrift muß sich Theobalds Gewalt bis an den Untermain in die Finßußzone Faras erstreckt haben; mit aller Vorsicht kann auch auf ein gutes Verhältnis zu Bischof Ricbert, dem Oheim Bilihilds, geschlossen werden. Die Passio Kiliani bezeichnet Gozbert/Theobald als Sohn Hedens; aber nach der Bilihildvita müßte der Sohn Hedens früh verstorben sein, ohne das Herzogtum erlangt zu haben. Andererseits war nach der Passio Gozbert/Theobald mit der Witwe seines Bruders verheiratet.’ Diese bei den Franken und auch sonst bei den Germanen durchaus übliche Gepflogenheit wurde von Kilian gescholten. Das soll die Ursache für seinen Tod gewesen sein, aber auch zur Entlassung der Gattin Gozberts/Theobalds geführt haben. Ein Brief des Bischofs Megingoz von Würzburg aus dem Haus der Mattonen, die zu den Kognaten der hedenischen Herzöge gehörten,12*verteidigt so ausdrücklich die kanonische Zulässigkeit der zweitenEhe einer Frau, deren erster Mann in Gefangenschaft geraten ist und nicht mehr zurückkehrt, zu einem Zeitpunkt, der möglicherweise mit dem der Erhebung der Gebeine Kilians und der Entstehung der älteren Kilianspassio zusammenfällt, daß man sich an die Situation im thüringischen Herzoghaus erinnert fühlt und den Eindruck gewinnt, Megingoz verteidige in dieser Form die Herzogin und den Herzog gegen die in der Kilianspassio erhobenen Vorwürfe.’ Schließlich muß auch noch darauf hingewiesen werden, daß der Name von Gozbert/Theobalds Gattin Geilana an den Namen von Appa/Bilihilds Schwester Geila, der Frau des Chrodoald, erinnert. All diese Indizien im Zusammenhang mit der Tatsache, daß Radulf nach Fredegar mehrere Kinder hatte, lassen sich zwar nicht in einen unbedingt stringenten Zusammenhang bringen, doch scheinen sie die begründete Vermutung zuzulassen, daß Herzog Gozbert/ Theobald nicht der Sohn Hedens des Älteren, sondern dessen Bruder war und die Frau seines Bruders heiratete, als dieser nicht mehr von seiner Reise zurückkehrte.4 Diese Ehe wäre dann aufgrund der Vorhaltungen Kilians getrennt worden, und erst danach hätte Bilihild das Kloster Altmünster gegründet. Es wäre mehr als verständlich, wenn die Bilihildvita aus den Anschauungen einer späteren Zeit heraus, die eine Ehe zwischen Schwager und Schwä1 Passio Kiliani martiris Wirziburgensis, hg. v. W. Levison (MG SS rer. Mer. 5) 1910, 711-728. 2 Friese 63 ff. ’ Bonifatius, Briefe 272 f. nr. 134; vgl. auch u. 40. 4 Nach der Vita Bilehildis (s. o. 14 Anm. 5) 971 ff. soll Chlodwig Π. (f 657), auf den auch

die Gründungsurkunde von Altmiinster gefälscht ist (Mainzer Urkundenbuch I, bearb. v. Μ. Stimminc, Arb. d. Hist. Komm. £. d. VolksStaat Hessen, 1932, nr. 2b), Heden zu sich gerufen haben. Das Jahr 657 könnte durchaus als terminus post quem für die zweite Ehe Bilihilds akzeptiert werden.

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gerin für unkanonisch hielt, die zweite Ehe verschwieg, weil sie nicht in das Bild einer Heiligen zu passen schien. Theobald muß ebenso wie sein Sohn und Nachfolger Heden II. ein außerordentlich tatkräftiger Mann gewesen sein, der sich auch gegenüber dem fränkisch-thüringischen Grundbesitzeradel energisch durchzusetzen wußte. Wenn sich Nachrichten in Willibalds Bonifatiusvita, die allerdings nicht ganz sicher chronologisch einzuordnen sind, tatsächlich auf Theobald beziehen, müßte es in seiner Zeit zu Unruhen vor allem im eigentlichen Thüringen gekommen sein, die manchem Thüringer Tod und Vertreibung brachten.1 Vielleicht hing es mit solchen Unruhen zusammen, wahrscheinlicher aber doch mit der Ausweitung der Herrschaft bis an den Untermain, wenn Würzburg seit den achtziger Jahren des siebten Jahrhunderts als Hauptort des Herzogtums begegnet, als der Ire Kilian im Maingebiet auftrat. Ist die Identifizierung Kilians mit Kilena richtig,1 2 dann stand Kilian vorher bereits mit den neustrischen Kognaten Theobalds in Verbindung, die den Iren seit langem Sympathien entgegenbrachten. Es ist ausgeschlossen, daß Kilian am Herzogshof noch heidnische Verhältnisse vorfand, wie die Passio glauben machen will; richtig ist aber sicher, daß sie seinen rigorosen Anschauungen nicht entsprachen, vor allem nicht dieEhe Theobalds. Die näheren Umstände von Kilians angeblichem Märtyrertod in Würzburg müssen dagegen völlig offenbleiben.3 Um diese Zeit gingen im Westen entscheidende Veränderungen vor. In der Schlacht von Tertry (687) setzte sich der austrasische Hausmaier Pippin der Mittlere auch in Neustrien durch. Sehr viel schwieriger waren dagegen die karolingischen Ambitionen östlich des Rheins zu verwirklichen. Nichts spricht für eine Unterwerfung des thüringischen Herzogs oder dafür, daß Theobald oder sein Nachfolger Heden mit Pippin sympathisierten.4 Eher sind sie zu den duces zu zählen, die es wie der Alamannenherzog Gottfried ablehnten, den Karolingern zu gehorchen, und sich deshalb lieber abseits hielten, wenn sie den merowingischen Königen schon nicht mehr immittelbar unterstehen konnten.5 Die Heiratspolitik Theobalds, der seinen Sohn Heden mit Theodrada, der Enkelin des dux Theotar, des Vaters der Irmina von Oeren, verheira1 Vita s. Bonifatii auctore Willibaldo (s. o. 13 Anm. 6) 32 c. 9. Möglicherweise enthält die Stelle aber in einer gedrängten Zusammenfassung, deren Chronologie irrig ist, lediglich die Erinnerung an die erste Eroberung Thüringens durch die Merowinger, wenn davon die Rede ist, daß sich Thüringer wegen des harten Regiments Theobalds den Sachsen unterstellten. 2 Dafür tritt nachdrücklich Friese 86 Anm. 2jl ein; seine Annahme gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn das hedenische Herzogshaus von Rado abstammte, zu dessen Freundeskreis Burgundofara, der Förderer Kilenas von Aubigny, gehörte. Vgl. Vita s. Burgundofaronis (Faronis), ed. B. Krusch (MG SS rer. Mer. 5) 1910, 173; Dienemann (s. o. 4 Anm. 1) 23 ff., 108 f.

3 Vgl. u. 25. 4 So wird öfter ohne Rückhalt in den Quellen behauptet (GG I 152; Büttner, Mainland 86; Weigel, Ostfranken 134, s. u. 29 Anm. 1), weil Hedens II. Gattin Theodrada und seine Tochter Immina durch ihre Namen auf Verwandtschaft mit der Gründerfamilie von OerenPfalzel-Echternach weisen (abgeschwächt Schiefper 26). Selbstverständlich besteht kein Zweifel daran, daß sie Franken waren, aber das gilt eben auch schon von Radulf. 5 Liber Hist. Franc., ed. B. Krusch (MG SS rer. Mer. 2) 1888, 328: Cotefridus dux Alamannorum caeterique circumquaque duces noluerunt obtemperare ducibus Franchorum, eo quod non potuerint regibus Meroveis servire,... ideo se unusquisque secum tenuit.

§ 2. Thüringen im Merowingerreich 531-716 (F.-J. Schmale)

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tete,1 steht dem kaum entgegen; denn die Chrodoine können trotz der Heirat Piektruds, einer Tochter Irminas von Oeren, mit Pippin nicht einseitig als Freunde der Karolinger betrachtet werden. Irmina von Oeren, nach der Herzog Heden seine Tochter Immina benannte, mußte ebenso wie ihre Töchter Adela von Pfalzel und Regintrud, die Gemahlin Herzog Theodos von Bayern,1 2 der ebenfalls nicht als Freund der Karolinger zu erweisen sein dürfte, mit Plektrud und Pippin um Besitzungen streiten.3 Deshalb gehört Heden zusammen mit den Alemannen und Bayern in eine Koalition, die den Karolingern reserviert bis feindlich gegenüberstand.4 Von Herzog Heden II. sind zwei Urkunden aus den Jahren 704 und 716 überliefert, die in Würzburg beziehungsweise in Hammelburg ausgestellt sind.5 In beiden Fällen schenkte Heden mit Billigung seiner Gemahlin Theodrada und seines Sohnes Thuring in Gegenwart zahlreicher Großer dem hl. Willibrord Güter, in der ersten Besitz in Arnstadt, den Willibrord erst 726 an Echternach übertrug,6 in der zweiten Besitz an der fränkischen Saale und in Hammelburg, wo ein Kloster errichtet werden sollte. Die Möglichkeit, daß Heden sogar an die Gründung eines Bistums für Willibrord dachte, ist nicht auszuschließen, doch kam keiner der Pläne zur Ausführung.7 Die Urkunde von 716 ist das letzte Zeugnis über Heden und das Herzogtum Thüringen, Heden muß wenig später verstorben sein; er lebte nicht mehr, als Bonifatius 719 erstmals nach Thüringen kam.8 Sein Sohn Thuring hat nicht mehr die Nachfolge angetreten. Die Gründe für das plötzliche Ende des Herzogtums liegen im dunkeln. Die Annahme, Heden und Thuring seien in der Schlacht von Vincy (717) gefallen, entbehrt jeder Grundlage.’ Wahrscheinlicher ist es, daß die Großen des Mainlandes, die meist links und rechts des Rheins begütert waren, sich gegen die Fortdauer eines selbständigen Herzogtums wehrten, nachdem Karl Martell 717 in Vincy und endgültig 719 mit seinem Sieg überEudo von Aquitanien die Alleinherrschaft besaß, und der Hausmaier so leichtes Spiel hatte, das Herzogtum zu beseitigen. Wenn die Passio Kiliani behauptet, die Nachkommen Gozbalds seien aus der Herrschaft vertrieben worden, so mag sich darin noch eine Erinnerung an die tatsächlichen Vorgänge widerspiegeln, auch wenn diePassio alsGrund den Mord anKilian angibt.10 Für Karl Martclls Pläne rechts des Rheins war der Besitz Thüringens von größter Bedeutung, wenn nicht sogar die wichtigste Voraussetzung für deren Gelingen. Schon 718 unternahm er einen ersten Feldzug gegen die Sachsen. 1 Zur Familie zuletzt E. Hlawitschka, Die Vorfahren Karls d. Gr. (Karl d. Gr. I, s. u. 29) 78· 2 Nachweis bei K. A. Eckhardt, Mcrowingerblut (Deutschrechtl. Arch. 11) 1965, II133 f. 3 Friese 78 ff. Wie das Beispiel Theodos zeigt, kann aus Verwandtschaft nicht ohne weiteres auf politische Gleichschaltung geschlossen werden. 4 Wichtig erscheint, daß Heden II. die Urkünde von 716 nach dem Merowinger Chilperich II. datiert, den Karl Martclls Gegner, der neustrische Hausmaier Raganfred, eingesetzt a

HdBGlII, I

hatte, s. C. Wampach, Gesch. d. Grundherrschäft Echternach, 2 Bde., Luxemburg 1929/30, I 2, nr. 26. 5 Dobenecker I 3 ff. nr. 5, 6 nr. 7. 6 Ebd. I 7 nr. 15. 7 Wendehorst I 13. • Vita s. Bonifatii auctore Willibaldo (s. o. 13 Anm. 6) 32 c. 9. ’ So schon Schlesinger 43; für den Tod der letzten Hedcne bei Vincy zuletzt Bigelmair, Die Passio d. hl. Kilian u. seiner Gefährten (WDGB11. 14/15) 1952/53, 1-25. 10 Passio Kiliani (s. o. 15 Anm. 1) c. 9.

II

INNERE ENTWICKLUNG

5 3· SIEDLUNG UND BEVÖLKERUNG. RECHT UND VERFASSUNG

Bosl, Franken 9 ff.; Schlesinger 16 ff., 39 ff.

a) Siedlung und Bevölkerung. Über die Besiedlung und Bevölkerung Frankens, deren Bedeutung für die «Verfrankung» evident ist, fehlen schriftliche Quellen gänzlich; urkundliche Nennungen von Ortsnamen setzen erst vereinzelt zu Beginn des achten, hauptsächlich aber erst seit der Mitte des achten Jahrhunderts ein. Alle Aussagen müssen sich daher auf ein lückenhaftes archäologisches Material sowie auf die Interpretation von Orts- und Landschaftsnamen stützen und bleiben daher nur innerhalb weiter Grenzen verläßlich. Ethnische Zugehörigkeit oder Zusammenhang mit bestimmten Herrschaftsverhältnissen sind nur gelegentlich sicher, meist nur mehr oder weniger wahrscheinlich; die zeitliche Schichtung ist vielfach fraglich. Die erst späten urkundliehen Nennungen lassen nach rückwärts einen Zeitraum von gelegentlich mehreren hundert Jahren. Nur in diesem weiten Rahmen können Aussagen über Bevölkerung und Siedlung in der Merowingerzeit in Franken gemacht werden. In erster Linie interessiert an dieser Stelle, in welchem Umfang die merowingische Eroberung das Siedlungs- und Bevölkerungsbild in Thüringen und am Main verändert hat. Wichtigstes Indiz stellt in diesem Zusammenhang die verhältnismäßig zahlreiche Gruppe der orientierten, sachbezogenen oder personennamenbestimmten -heim-Orte dar. Dieser Typus findet sich vor allem im fränkischen Kerngebiet westlieh des Rheins. Im Altsiedelland am Main bis in das Grabfeld tritt er massiert auf. An vielen Orten mit -heim-Namen findet man Königsgut oder Franken, Angehörige der fränkischen Führungsschicht, als Grundbesitzer. Trotz gelegentlich einschränkender Stellungnahmen scheinen diese Ortsnamen mit der fränkischen Herrschaft über dieses Land in Zusammenhang zu stehen und als Beleg für die Verfrankung dieses Raumes gewertet werden zu müssen.1 Der zeitliche Ablauf bleibt aber im Ungewissen. Angesichts der Quellenlage muß jeder Versuch, vor 750 einen Ortsnamen dieses Typus und das Vordringen der fränkischen Königsmacht oder fränkisch-adeliger Grundherren zu datieren, hypothetisch bleiben. Die Lage innerhalb der Mainlande und deren Verhältnis zum Frankenreich im sechsten Jahrhundert können von den Quellen her so wenig erhellt werden, daß jede bestimmte Äußerung unterbleiben muß. Erst im siebten Jahrhundert, seit dem Herzogtum Radulfs, ist die Anwesenheit 1 Im einzelnen s. u. 93 ff.

§ j. Siedlung und Bevölkerung. Recht und Verfassung (F.-J. Schmale)

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fränkischen, vor allem neustrisch-burgundischen Adels am Main und in Thüringen bezeugt (Agilolfinger, Hedene, Mattonen?),1 läßt sich Königsgut gelegentlich vermuten (Karlburg)12 und kann daher fränkische Überschichtung beschrieben werden. Sicher hat aber keine fränkische Volkssiedlung stattgefunden. Dazu war der fränkische Stamm zahlenmäßig kaum in der Lage, und die Sprachforschung hat gezeigt, daß der ostfränkische Dialekt dem Elbgermanisch-Oberdeutschen angehört, nicht aber dem Fränkischen.3 Dieser Umstand bleibt von Gewicht, selbst wenn im einzelnen Fall Bedenken gegen die Auswertung sprachlicher Zeugnisse für eine weiter zurückliegende Zeit angemeldet worden sind.4 Die Ortsnamen mit -heim können daher erst im Zusammenhang mit reicher fließenden Quellen, das heißt in der karolingischen Zeit, ausgewertet werden.5 So sind für diese Zeit nur wenig differenzierte Aussagen zu machen. Neben einer alamannischen Bevölkerung am unteren Main, einer alamannisch-bayerischen nördlieh der Donau und einer thüringischen im Grabfeld und an der Wem mit einigen Splittern weiter südlich ist eine in der Hauptsache alteingessessene swebisch-elbgermanisehe Bevölkerung anzunehmen, die in einzelnen Fällen, wahrscheinlich erst seit dem siebten Jahrhundert, von fränkischem Adel überschichtet wird. Für größere, die Situation grundsätzlich verändernde Siedlungs- und Bevölkerungsbewegungen, vor allem für eine von Westen her vordringende fränkische Volkssiedlung fehlt jede eindeutige Spur. Die «Verfrankung» vollzieht sich in der Hauptsache auf dem Gebiet der politischen und organisatorischen Erfassung und der kirchlichen Entwicklung der Mainlande. b) Recht und Verfassung. Zur Zeit der Eroberung durch die Franken standen die Thü— ringer zumindest in der zweiten Generation unter der Herrschaft von Königen. Neben Herminafrid, Baderich und Berthachar ist auch deren Vater Bysinus als König bezeugt.6 Es ist ein erbliches Königtum, in das sich einerseits mehrere Söhne teilen können,7 das andererseits aber auch wieder mit Hilfe von Mord unangefochten in einer Hand vereint werden kann. Es gleicht dem Königtum bei den Germanen überhaupt. Über Intensität und Grundlagen der Königsherrschaft sagen die Quellen nichts aus. Widukind erwähnt eine Burg Scheidungen, in der Herminafrid sich verteidigte;· reicher Grundbesitz ist sicher anzunehmen. In die übrigen Verhältnisse gewährt die Lex Thuringorum einen gewissen Einblick. Sie ist in der vorliegenden Form zwar erst 802/3 aufgezeichnet worden,’ muß aber in ihren ersten Teilen noch nicht von 1 S. o. 11 ff. 1 H. Daul, Karlburg. Eine frühfrank. Königsmark, Diss. Würzburg 1961; s. auch u. 20, 2j. 3 S. o. 8. 4 Weigel, Ostfranken (s. u. 29 Anm. 1) 131 m. Anm. 12. 5 S. u. 95. 6 Gregor v. Tours (s. o. 7 Anm. 2) Π 12; Venantius Fort., Carmina (s. o. 10 Anm. 3) 278 App. I; Schlesinger 26 f. 2'

7 Die Herrschaft der Brüder erstreckte sich über eine jeweils eigene regio; Gregor v. Tours (s. o. 7 Anm. 2) ΠΙ 4. • Ebd. ΙΠ 7; Widukind (s. o. 8 Anm. 8) I 9, S. 13. ’ MG Fontes iur. Germ., ed. CI. Frhr. v. Schwerin, 1918, J7ff.; R.Buchner, Die Rechtsquellen (Beiheft zu WL) 1933, 41.

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Franken: A. II. Die innere Entwicklung bis 716/19

fränkischen Vorstellungen beeinflußtes altes Recht repräsentieren. Danach gab es, abgesehen von dem in diesen ältesten Teilen nicht erwähnten König, einen von den übrigen Freien durch den dreifachen Wer- und Bußgeldsatz abgehobenen Adel (Adalingi), der durch vornehme Geburt ausgezeichnet war. Die Vermutung, die Stellung der Adalingi müsse der der Edelinge bei den Sachsen geglichen haben, erscheint nach wie vor richtig. In ihnen sind die Besitzer der von der Archäologie nachgewiesenen Burgen zu sehen,1 und ihnen darf auch der bei Staffelstein bestattete vornehme Thüringer zugerechnet werden.12 Neben der Königsherrschaft war für Thüringen eine sich auf Grundbesitz und Burgen stützende Adel- oder Fürstenherrschaft charakteristisch, die von den Königen noch nicht vollkommen überwunden war. Die fränkische Eroberung beseitigte das thüringische Königtum, brachte aber zunächst kaum tiefergreifende Veränderungen. Das Verhältnis der Thüringer und der in dem von ihnen beeinflußten Raum lebenden Bevölkerung zum Frankenreich ist zwar kaum genau zu bestimmen, unterworfen in dem Sinne einer Minderung der RechtsStellung des einzelnen wurden die Thüringer aber sicher ebensowenig wie irgendein sonst von den Franken besiegtes Volk. Sie scheinen nur als Gesamtheit zu einem Schweinezins verpflichtet worden zu sein, der im elften Jahrhundert erwähnt wird, aber in die fränkische Zeit zurückreichen soll.3 Einzelne Thüringer im gallischen Frankenreich erscheinen als Freie den Franken gleichgestellt. * Zwischeninstanzen zwischen dem König und den Thüringern sind nicht erkennbar. In der Origo Langobardorum wird König Agilolf (590-615), zweiter Gemahl der Königin Theudelinde, vorher Herzog vonTurin.zwar alsAgilolfus duxThuringus bezeichnet.5*Diegelegentliehe Vermutung, er könne Herzog von Thüringen gewesen sein, scheint jedoch abwegig, so lange sonstige Hinweise fehlen und Thuringus sinnvoll als «von Turin» interpretiert werden kann.4 Darum muß es auch offenbleiben, ob die thüringischen Aufstände von 534 und 595 durch das Verhalten königlich-fränkischer Beauftragter veranlaßt wurden. Ohne Bedenken kann aber geschlossen werden, daß der fränkische König den früheren thüringischen Königen im Besitz nachfolgte. Der von König Dagobert eingesetzte Herzog Radulfverteidigte sich gegen Sigebert und Grimoald im gleichen Raum an der Unstrut wie einst Herminafrid; Radulf und Heden II. verschenkten Besitz im Inneren Thüringens und bei Hammelburg,7 wo bald darauf die karolingischen Könige als Eigentümer erschienen; Karolinger sitzen schon im siebten Jahrhundert in Karlburg bei Würzburg.8 Das weist darauf hin, daß es sich dabei wenigstens zum Teil um ehemals thüringisches Königsgut handelt, in das Herzog Radulf bei seinem Amtsantritt eingewiesen wurde und das die karolingischen Hausmaier und 1 H. Dannenbauer, Adel, Burg u. Herrschäft bei den Germanen. Grundlagen d. deutsehen Verfassungsentwicklung (Grundlagen d. mittelalterl. Welt) 1958, iji ff. 2 S. o. 8. 3 Thietmar, Chronicon, hg. v. R. Holtzmann (MGH SS rer. Germ. NS 9) 1935, Neudr. 1955, V 14; Annalista Saxo (MG SS 6) 649, 687; Schlesinger 41.

* Büttner, Mainland 84. 5 MG SS rer. Langob. 1878, 5; HB 1103. 4 L. Μ. Hartmann, Gesch. Italiens im MA Π 1, 1900, 121 Anm. 4. 7 S. u. 21. 8 Schmale, Glaubwürdigkeit 64 ff.; Daul (s. 0. 19 Anm. 2).

§ 3· Siedlung und Bevölkerung. Recht und Verfassung (F.-J. Schmale)

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Könige nach dem Tod Hedens II. wieder übernahmen. Ist das richtig, müßte es auch im sechsten Jahrhundert eine Königsgutsverwaltung gegeben haben, die indessen nicht vor dem achten Jahrhundert genauer erkennbar ist. Mit dem Herzogtum der Hedene beginnt eine besser erhellbare Epoche. Das Herzogtum ist als ein Amtsherzogtum mit vizeköniglicher Gewalt gedacht, das im Auftrag des Königs die Aufgaben der Verteidigung gegen Samo und seine Slawen leisten soll. Nach dem Tode Dagoberts I. gehörte es zum neustrischen Reichsteil unter der bis in die Mitte des achten Jahrhunderts verwendeten Bezeichnung Thuringia. SeinGeltungsbereich erstreckte sich im Osten wahrscheinlich bis zur Saale, im Westen bis an den mittleren Main, unter dem Herzog Theobald bis in den Raum von Aschaffenburg; Nord- und Südgrenze sind dagegen nicht zu bestimmen. Die dingliche Machtgrundlage bildet neben Burgen (Scheidungen, Hammelburg, Würzburg, Erfurt) ein über den ganzen Raum verteilter, in Grundherrschaften organisierter Besitz, der vielfach in Verbindüng zu einer Burg steht. In einer Urkunde von 704 schenkt Heden Π. die Curtes Amstadt undMonra sowie Güter bei dem Kastell Mühlberg an Willibrord. Alle Schenkungen liegen nahe beieinander und lassen einen ausgedehnten Güterkomplex erkennen, von dem nur Teile vergeben wurden. Im einzelnen werden bei Mühlberg drei Höfe übertragen mit einhundert Tagwerken und Manzipien, von der Curtis Monra sieben Hufen, sieben Knechte, vierhundert Tagwerke, ein Drittel des dazugehörigen Waldes, Wiesen mit fünfzig Fuder Ertrag, fünfzig Schweine mit zwei Hirten und zwölf Kühe mit zwei Hirten.1 Auch in Hammelburgwerden im Jahre716zum Kastell gehörigeGüter tradiert.12 WeitereTeile des Herzoggutes um Arnstadt können aus den Bemühungen Erzbischofs Hinkmars von Reims erschlossen werden, der sich um die Mitte des neunten Jahrhunderts um die Sicherung von Reimser Besitz in Thüringen bemühte,3 der nach einer einleuchtenden Vermutung vielleicht schon von Radulf geschenkt wurde: Die Villa Elleben (Helisleiba) bei Arnstadt, die Villae Schonstett und Alterstett bei Bad Langensalza und Nordhus (Nordhausen?).4 Vielleicht gehört auch Töpfleben hierher, das der Kirche von Chälons-sur-Mame zu eigen war.5 Schließlich kann auch in den thüringischen Besitzungen des Klosters Weißenburg, dessen Gründerfamilie Hedens II. Gattin Theodrada entstammte, ehemals herzogliches, beziehungsweise kötägliches Gut gesehen werden, das noch vor dem Auftreten des Bonifatius, vielleicht sogar noch durch Dagobert I. an Weißenburg gelangte, spätestens aber unter Heden II. Nach einer auf Dagobert ΙΠ. gefälschten Urkunde, die aber im Kern für echt gelten muß, soll die Burg in Erfurt (Merwiggesburg) mit Wald, Fischwasser, Getreidezins «et cetera omnia mea in Thuringia» an das Peterskloster auf der Burg geschenkt worden sein. Das Kloster selbst wurde nach dieser Tradition unter Aufsicht eines Weißenburger Mönchs Trutchind errichtet.· Weißenburg hatte überdies Besitz bei 1 Dobeneckeb I 5; patze (9. o. 7 Anm. 3) 45 f. 2 Dobeneckeb I 7. 3 Ebd. I 3. 253. 4 Ebd. I 253; II 25, 79; Friesh 73 f. 3 Dobeneckeb I 265.

· Ebd. I 6; Ann. 9. Petri Erphesfurtensis antiqui, Auctarium Ekkeh. (Monumenta Erphesfurtensia, ed. O. Holdeb-Eggeb, MG SS rer. Germ.) 1899, 25; H. Büttner, Weissenburger Studien (ZGO 54) 1941, 573 ff.; Ders.; Mainland 86 f.; J. Semmler, Studien z. Früh-

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Franken: A. II. Die innere Entwicklung bis 716[ 1p

Hammelburg, in Westheim, Aschach, Fuchsstadt und in Schweinfurt.1 In all diesen Fällen handelte es sich kaum um Allodialgut der Hedene, sondern um als Amtsgut genutztes Königsgut, über das die Herzöge nach Erbrecht verfügten.2 Der ursprüngliehe Amtscharakter des Herzogtums scheint sich infolge der innerfränkischen Wirren und des Gegensatzes zu den Amulfingem sehr schnell verflüchtigt zu haben. Schon Radulf trieb selbständige Außenpolitik, die von Fredegar als Folge der Niederlage Sigeberts und Grimoalds gekennzeichnet wird, und seine Stellung geht nicht nur an seine Nachkommen über, sondern wird von diesen auch noch räumlich nach Westen erweitert. Es ist zutreffend, wenn Fredegar diese Stellung damit kennzeichnet, daß Radulf sich König dünkte. Den Königstitel haben die Herzöge aber sicher nicht geführt. Noch Heden Π. bezeichnet sich mit dem seit der Merowingerzeit amtlichen Titel für eine Stellung, wie er sie innehatte, als vir illuster, beziehungsweise vir illuster dux.3 Reicher Besitz bedurfte der Verwaltung. Bei dem allgemeinen Mangel an Quellen ist sie jedoch kaum zu erkennen. In den Urkunden Hedens II. von 704 und 716 und der Erwähnung eines als Schreiber fungierenden Priesters sind vielleicht die Ansätze einer Kanzlei zu sehen. In der Urkunde von 716 werden als Zeugen zwei Grafen genannt: Cato comes, Sigeric comes. Das ist die einzige Nachricht über comites innerhalb des thüringischen Herzogtums, und sie ist daher schwer deutbar. Während Cato lediglich ein Name bleibt, gehört Sigeric mit großer Wahrscheinlichkeit ebenso wie der in der Urkunde zuvor genannte, aber titellose Hereric einer Familie an, deren Mitglieder im achten und neunten Jahrhundert mehrfach Besitz im Grabfeld, vor allem im Raum von Münnerstadt (Munirihesstat [Muniric?]), in der Wingarteiba und bei Bingen tradieren, aber auch in Zentralfranken nachzuweisen sind und mit den Agilolfingem in Beziehungen stehen.4 Sigeric gehört damit dem gleichen fränkischen Adel an wie das Herzogshaus selbst. Die Vorfahren des Sigeric sind daher wahrscheinlich etwa gleichzeitig mit den Hedenen nach Thüringen gekommen und vor allem im Grabfeld ansässig geworden. Daraus ist aber kaum auf die Einführung königlicher fränkischer Grafen in den Mainlanden zu schließen. Näher liegt es, wenigstens um 716, in Sigeric einen herzoglichen Beauftragten zu sehen, dessen Wirkungskreis entsprechend der Massierung des Familienbesitzes um Münnerstadt im Grabfeld gelegen haben müßte. Er war eher ein «herzoglicher» als ein im politischen Sinn «fränkischer» Graf.9 Mit Vorsicht darf aus der Existenz des comes Sigeric auf herzogliche «Verwaltungsbezirke» (Pagi) geschlossen werden, in diesem Fall das Grabfeld. gesch. d. Abtei Weissenburg (Bll. f. pfälz. KG 24) 1957. I ff·; Fbibsb 74 f. 1 Patzb (s. o. 7 Anm. 3) 46. 2 Schlesinger 46 f. 3 Vgl. Dobenecker I 5, 7; der Titel in den schon oft angezogenen Urkunden entspricht den Formulae Marculfi 14 d u. 17 (MG Formulae) 52, 54. 4 Schlesinger 47 drückt sich zum Problem

der Grafen nicht ganz eindeutig aus, wenn er sagt: «daß Cato und Sigeric ... thüringische Grafen waren, wird durch nichts erwiesen». An den Grafen Cato erinnert der comes Cato, der 802 als Mitbesitzer der Eigenkirche zu Kölleda erscheint (UB Hersfeld nr. 21). Zu Sigeric, Hereric und ihren Kognaten Friese 109 ff. 9 HB I 175.

§ 4. Christentum und Kirche (F.-J. Schmale)

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In Umrissen wird damit wenigstens zu Anfang des achten Jahrhunderts der Charakter des thüringischen Herzogtums erkennbar. Die Herzöge handeln autonom und schließen selbständig außenpolitische Verträge. Sie stützen sich auf ausgedehnte Grundherrschaften und Burgen und werden unterstützt von weiteren Angehörigen der fränkischen Führungsschichten, die in den Mainlanden zu Besitz gelangen, der sicher meist auf königlicher oder herzoglicher Erbleihe beruhte, aber auch Besitz thüringischer Großer gewesen sein kann. In Pagi, in denen ihre Grundherrschaften liegen, üben sie Funktionen von Grafen aus. Eine zahlenmäßig vielleicht kleine Gruppe fränkischer Adeliger mit dem Herzog an der Spitze besitzt unter Verwendung fränkischer Verfassungselemente die politische Führung. In ihrer Herkunft und in den von ihnen angewendeten Organisationsformen liegen, bei sonstiger Selbständigkeit Thüringens, die Elemente der Verfrankung. Das Verhältnis des Herzogs und dieser Führungsschicht zur übrigen Bevölkerung sowie deren Gliederung ist kaum zu klären; vor allem nicht das Schicksal des thüringischen Adels. Daß es ihn gegeben hat, steht außer Zweifel; noch der Biograph des Bonifatius spricht von comites der Thüringer, unter denen thüringische Große verstanden werden müssen.1 Der Biograph will aber auch wissen, daß eine größere Zahl dieser Adeligen, der Adalingi (?), unter den Herzögen beseitigt oder ausgesiedelt, das heißt wahrscheinlich über das Herzogtum verstreut wurde. Gewiß ist diese Schicht nicht völlig ausgerottet worden. Die gleiche Stelle der Vita läßt nämlich auch den Schluß zu, daß Angehörige dieses Adels noch im achten Jahrhundert oder schon wieder zu den «seniores plebis populique principes» * gehörten, wenn sie auch die nicht immer leichte Hand der Herzöge zu spüren hatten. Die Kennzeichnung dieser Schicht mit einem Bibelzitat1 23 erlaubt es allerdings nicht, in ihnen tatsächlich «Fürsten» zu sehen. Die thüringischen Adressaten des Gregor-Briefes Asulfus, Godulavus, Villareius, Gundharius, Alwoldus können Angehörige dieser Schicht und Stammesmäßig Thüringer gewesen sein;4 fränkisch-thüringische Versippung erscheint nicht ausgeschlossen.

§4. CHRISTENTUM UND KIRCHE

Die Ostgotin Amalfreda, Gemahlin Herminafrids, hat als arianische Christin wenigstens dem thüringischen Königshaus die erste nachweisbare Berührung mit dem Christentum gebracht. Ihre Nichte Radegunde, Geisel und später Gemahlin Chlothars I., schließlich Gründerin eines Klosters in Poitiers, scheint bereits im christlichen, wahrscheinlich arianischen Glauben aufgezogen worden zu sein.4 Weitere Nachrichten über die religiöse Situation in Thüringen liegen bis zur Mitte des siebten Jahrhunderts nicht vor. Die Bevölkerung als Ganzes war sicher noch heidnisch, und der fränkische 1 Vita s. Bonifatü auctore Willibalde (s. o. 13 Anm. 6) 32. 2 Ebd. 23, 32. 3 Exod. 2, 14 u. ö.

4 Bonifatius, Briefe I 33 nr. 19. 3 Venantius Fort., Vita (MG SS rer. Mer. 2) 364 fr.

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Franken: A. II. Die innere Entwicklung bis 716)19

Sieg von 531/32 hat daran kaum etwas geändert. Auch die Franken waren damals erst zum Teil Christen, und missionarische Tendenzen gingen den Merowingern ab. Die zahlreichen Martins- und Marienkirchen auf Königshöfen, die erst mit den Sehenkungen an das Bistum Würzburg nachzuweisen sind, können kaum bis in diese Zeit zurückdatiert werden. Erst mit dem Amtsantritt Radulfs wird eine spürbare Verchristlichung begonnen haben; jedenfalls gibt es erst frühestens seit dieser Zeit entsprechende Belege. War Rado der Vater Radulfs, dann hatten bereits dessen Großeltern Authari und Aiga um 610 den hl. Columban beherbergt;1 Audoin, der Bruder Rados, war Bischof von Rouen und Metropolit Neustriens;12*ein anderer Verwandter Ado (=Heden) gründete 630 das Kloster Jouarre an der Marne;’ und Rado selbst soll das Kloster Rueil (Radolium) gestiftet haben.4*Rado, Audoin und Ado beteiligten sich um 635 gemeinsam an der Gründung des kolumbanischen Klosters Rdbais-en-Brie durch Dagobert I., dessen erster Abt Agilus vielleicht ein Agilolfinger war.’ Ein Verwandter von Radulfs Bundesgenossen Fara war Bischof Ricbert von Mainz,4 der die Kirehe von Nilkheim bei Aschaffenburg dotierte. Mit Männern wie Radulf und Fara sowie weiteren fränkischen Adeligen kamen Christen als Herrschaftsträger und Grundherren in das bis dahin weitgehend sich selbst überlassene Land. Vielleicht noch zur Zeit Radulfs, spätestens unter Theobald wurde unter Leitung des Trutchind aus Weißenburg auf der Burg in Erfurt das Peterskloster gegründet;7 es trägt das Patrozinium von Weißenburg. Angeblich soll dort vorher bereits eine Kirche des hl. Blasius gestanden haben, an der ein Incluse Adeodatus lebte, der seinen ganzen Besitz dem Kloster übertrug. Das Remigiuskloster in Reims hatte umfangreichen Besitz im Gebiet nördlich von Erfurt, der am ehesten im siebten Jahrhundert geschenkt worden sein dürfte. Auch die Besitzrechte der Kirche von Chälons-sur-Mame in Töpfleben bei Gotha stammen vielleicht aus der Zeit, als Thüringen noch die zentrale Landschaft des Herzogtums war.8 Die Schenkungen an Weißenburg im Raum von Hammelburg können dagegen auch noch später erfolgt sein. Nimmt man jede der Nachrichten für sich, erscheinen derartige Gründungen oder Schenkungen als Einzelmaßnahmen und sicher nicht als Bestandteile einer zielbewußten Kirchenpolitik. Aber religiöse Aufgeschlossenheit der Herzöge, Bereitschaft und Wille, in dem gefährdeten thüringisehen Gebiet auch die Kirche zu interessieren, sind unübersehbar. Die Bonifatiusvita 1 Vita Columbani (s. o. 14 Anm. 4) I 26 S. 209; Prinz, Frühes Mönchtum (s. o. 14 Anm. 5) 122; Friesb 63. 2 Friese 69. ’ Vita Columbani (s. o. 14 Anm. 4) I 26 S. 210; Vita Audoini (s. o. 12 Anm. 2) III 5; Vita Agili (AA SS Ordinis s. Benedicti 2, cd. J. Mabillon, 1669) 307; Friese 66. 4 Vita Agili 307; zum Wert der Vita s. WL 138. ’ Prinz, Frühes Mönchtum (s. o. 14 Anm. 5) 125. 4 Wenn die Vermutung richtig ist, daß Bili-

hild eine Verwandte des Agilolfingers Fara war (s. o. 14). 7 Oben 21. - Für die Zeit Dagoberts und Radulfs spräche der Anteil, den die Erfurter Überlieferung einem rex christianissimus Dagobert zuschreibt, unter dem sicher Dagobert I. verstanden werden muß, nicht aber ein König Dagobert, den es um 706 gar nicht gab. Für die Zeit Herzog Theobalds spräche der Anteil seines Zeitgenossen Bischofs Ricbert von Mainz; vgl. Ann. s. Petri (s. o. 21 Anm. 6) 25. 8 S. o. 21 Anm. 5.

§ 4· Christentum und Kirche (F.-J. Schmale)

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bestätigt diese Haltung, wenn sie Theobald und Heden als religiosi duces bezeichnet; sie behauptet sogar, daß sie mit Härte vorgingen.1 Es lag nahe, sich bei solchen Bemühungen der Hilfe der fränkischen (neustrischen )Kirche (Reims, Chälon, Mainz?), blutsverwandter kirchlicher Würdenträger und des von Verwandten gegründeten Klosters Weißenburg zu bedienen. Auch Dagobert I. scheint seine Unterstützung dazu geliehen zu haben. Am mittleren Main ist seit der Mitte des siebten Jahrhunderts das Eindringen von Christentum und Kirche belegt. Nach im Kem glaubhafter Tradition lebte vorübergehend Pippins des Älteren Tochter Gertrud, später Äbtissin von Nivelles (f 659), in einem Kloster zu Karlburg am Main, dessen Existenz durch eine Nachricht aus dem Anfang des achten Jahrhunderts erwiesen ist.2 Karlburg war königlicher Besitz, in dessen Nutznießung die Karolinger ebenso gekommen sein können, wie die übrigen Franken in den Mainlanden Besitz erwarben. Ein solcher Versuch, mit Hilfe eines Klosters im Altsiedelland am Main Fuß zu fassen, wie es auch andere Adelsfamilien taten, würde sich in die allgemeine Situation einordnen und gehörte noch im achten Jahrhundert zu den gebräuchlichsten Elementen karolingischer Politik.3 In die letzte Zeit Herzog Hedens I. und in den Anfang der Regierung Theobalds muß das Auftreten des irischen Wanderbischofs Kilian fallen, der in der Hagiographie und im Bewußtsein der Nachwelt als Begründer des Christentums am Main, als Frankenapostel, weiterlebt. Die zu Ende des achten, beziehungsweise in der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts entstandenen wichtigsten Quellen über Kilian, die Passio minor und die Passio maior, sind von legendarischen Elementen und bewußten Tendenzen entstellt und lassen den echten Kem und die tatsächliche Rolle Kilians nur schwer erkennen.4 An der Person des Heiligen und seinem Erscheinen am Herzogshof in Würzburg braucht nicht gezweifelt werden. Schließlich mag auch zutreffen, daß Kilian - und nach der Passio minor auch noch die Gefährten Totnan und Kolonat - den Tod fand. Aber cs ist ausgeschlossen, daß der irische Bischof sich in Rom zur Mission beauftragen ließ,5 falsch, wenn der Herzogshof als noch heidnisch dargestellt wird, kaum glaubhaft, daß die Herzogin, wahrscheinlich die hl. Bilihild, den Bischof erschlagen ließ. Von einem missionarischen Wirken am Main fehlt jede Spur, und der Zeitpunkt von Kilians Tod, den die Würzburger Bischofskataloge auf 687/88 datieren, bleibt ganz ungewiß; er ist eher zu spät als zu früh angesetzt. Es muß erstaunen, daß nach glaubwürdiger Tradition erst zu Anfang des achten Jahrhunderts von Herzog Heden II. eine Kirche gegenüber Würzburg auf dem heutigen Marienberg errichtet worden sein soll, bei der er später für seine Tochter Immina ein Eigenkloster stiftete.4 Man möchte vermuten, daß bereits damals in Würzburg * Vita s. Bonifatii auctore Willibaldo (s. o. 13 Anm. 6) 32. 2 Schmale, Glaubwürdigkeit 64 ff. 3 S. u. 40. 4 S. o. 15; u. 46,116f. 3 Einen etwas anderen Aspekt erhielte die von der Passio berichtete Romreise, wenn Kilian mitKilena von Aubigny identisch wäre,

von dem ebenfalls eine Romreise, allerdings eine Pilgerreise, berichtet ist; vgl. o. 16 Anm. 2. 4 Vita Burchardi (s. o. 13 Anm. 9) II 27, 30; Schmale, Glaubwürdigkeit $9 ff., 70. Zur Marienkirche, deren heutiger Bau nach kunsthistorischem und archäologischem Befund eher in das 10., 11. oder 12. Jh. zu datieren ist,

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Franken: A. II. Die innere Entwicklung bis 716/19

auf der rechten Mainseite eine Kirche bestand, als 704 Willibrord bei Heden weilte und ihm ein Priester Laurentius die von Heden ausgestellte Schenkungsurkunde schrieb.1 Aus der Urkunde von 716 ist die Absicht Hedens ersichtlich, ein Kloster in Hammelbürg zu stiften. Dieser Plan ist aber ebensowenig wie die vermutbaren weitergehenden Pläne, Willibrord an das thüringische Herzogtum zu binden und ihm ein neues Wirkungsfeld zu öffnen, aus dem sich eine kirchliche Organisation des Herzogtums hätte entwickeln können, zur Ausführung gekommen. Aber man kann bei aller Spärlichkeit der Nachrichten annehmen, daß es den Herzögen gelungen war, Thiiringen zu einem ah christlich erscheinenden Land zu machen. Als Bonifatius 719 erstmals hier auftrat, fand er es nicht mehr heidnisch, sondern nur in «häretischem» Irrtum befangen.1 F. H. Oswald, Untersuchungen z. Sakralarchitektur Würzburgs im 11. u. 12. Jh., Diss. Masch. Würzburg 1959, 5 ff.; G. Mildenbebgeb, Ausgrabungen auf d. Marienberg in Würzburg (Mainfr. Jb. 16) 1964, 1-8. 1 Zu dem noch immer strittigen Problem der Lage des castrum Wirciburgense und vor allem der in den Würzburger Bestätigungsurkunden genannten Marienkirche vgl. zuletzt Wende-

I 11 f., der für linksmainische Lage und Identität mit der Marienkirche auf dem Marienberg, und Schmale, Würzburg 619 ff. (vgl. auch Ders., Glaubwürdigkeit 57 ff.), der für eine Marienkirche im rechtsmainischen Castrum eintritt, die von der linksmainischen Marienkirche zu unterscheiden ist. 2 Vita s. Bonifatü auctore Willibaldo (s. o. 13 Anm. 6) 33. hobst

FRANKEN VOM ZEITALTER DER KAROLINGER BIS ZUM INTERREGNUM

(716/19-1257)

I DIE POLITISCHE ENTWICKLUNG

Allgemein. Literatur: G. Tellenbach, Europa im Zeitalter d. Karolinger (Historia mundi 5)

1956; Ders., Kaisertum, Papsttum u. Europa im hohen MA (ebd. 6) 1958; A. Nitschkb, Frühe christl. Reiche (Propyläen Weltgesch. V); F. L. Ganshof, Das Hochmittelalter (ebd.); G. Barraclough, Die mittelalterl. Grundlagen d. modernen Deutschland, 1952z; H. Löwe, Das Zeitalter d. Karolinger (GGI); J. Fleckenstein, Das Reich d. Ottonen im 10. Jh. (GGI); M.-L. Bulst-Thiele, Das Reich vor d. Investiturstreit (GGI); K.Jordan, Investiturstreit u. frühe Stauferzeit (GGI); H. Grundmann, Wahlkönigtum, Territorialpolitik u. Ostbewegung im 13. u. 14.Jh. (GG1); K. Jordan, Deutsches Reich u. Kaisertum (Just I); F. Steinbach, Das Frankenreich (Just I); E. Ewig, Die Karolingerzeit (Rassow); H. Beumann, Die Ottonen (ebd.); Th. Schieffer, Das Zeitalter d. Salier (ebd.); P. Rassow, Stauferzeit (ebd.); HB 1183. Franken. Quellen: Bis zum Ende des 11. Jhs. gilt grundsätzlich unverändert das oben (3) Gesagte; nur in Eichstätt entwickelt sich um die Mitte des 11. Jhs. eine lokale Geschichtsschreibung beim Anonymus Haserensis. Zunehmend an Bedeutung und Zahl wachsen dagegen die Urkunden der Bischöfe und Klöster. Literatur: siehe die einzelnen Kapitel.

§ 5. FRANKEN IM KAROLINGERREICH

Abel-Simson, Jbb. d. fränk. Reichs unter Karl d. Gr., I 18822; II 1883; B. Simson, Jbb. d. fränk. Reichs unter Ludwig d. Fr., I 1874; II 1876; Dümmler; G. Tellenbach, Vom karolingischen Reichsadel zum dt. Reichsfürstenstand (Adel u. Bauern im Staat d. MA, hg. v. Th. Mayer) 1943, 22 ff.; Ders., Die Entstehung d. deutschen Reiches, 1943 *; Karl d. Gr., Lebenswerk u. Nachleben, hg. v. W. Braunfels, 3 Bde., 1965/66; Stein I 25 ff.; II 227 ff; Weigel, Begrenzung; Ders., Epochen; Ders., Frankens Werden u. Wesen (s. o. 10); Schlesinger 44 ff.; Bosl, Franken.

a) Christianisierung und kirchliche Organisation durch Bonifatius (716-741) Schieffer; H. Löwe, Bonifatius u. d. fränk.-bayer. Spannung. Ein Beitr. z. Gesch. d. Beziehungen zw. d. Papsttum u. d. Karolingern (JffL 15) 1955, 85-127; Wendehorst I; Heidingsfelder.

Für Karl Martells Pläne östlich des Rheins besaß das mainfränkisch-thüringische Gebiet eine politische und strategische Schlüsselstellung, die sich nicht mit einem selbständigen Herzogtum vereinbaren ließ. Die direkten Folgen der Veränderungen nach Hedens Π. Abtreten sind allerdings bei dem fast völligen Quelleninangel für die Zeit Karl Martells nicht zu beschreiben. Sicher war das Land jetzt unmittelbar dem Hausmeier unterstellt, muß das Herzogsgut weitestgehend in die Verfügung der Karolinger gekommen sein, müssen «Königshöfe» entstanden und deren Verwaltung organisiert worden sein.1 Das ist aus späteren Quellen, nicht aber in seinem Werden zu beob1 H. Weigel, Ostfranken im frühen MA (BlldLG 95) 1959, 133 ff; Ders., Eingliederung (s. o. 10) 23 ff.

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Franken: B. I. Die politische Entwicklung 716/19-1257

achten. Wenn in der Zeit von Karl Martells Söhnen Karlmann und Pippin das Bistum Würzburg mit 25 Kirchen auf Königshöfen ausgestattet wurde, wovon der größte Teil im mainfränkischen Gebiet lag, dann muß ihre Entstehung natürlich weiter zurückliegen, und sie sind mit einiger Sicherheit das Werk Karl Martells. Dafür würde auch die Lage dieser Kirchen, beziehungsweise der Königshöfe und des sonstigen Königsgutes sprechen, das meist an den großen Straßen in beinahe regelmäßigen Abständen gelegen war. Die Funktion der Königshöfe und des Königsgutes als Rastorte und Verwaltungsmittelpunkte ist offensichtlich.1 Man darf daher von der Bedeutung der Regierung Karl Martells für die weitere Gestaltung und Rolle der Mainlande überzeugt sein, kann sie jedoch nicht konkret fassen. Es ist eine Folge der Quellenlage, wenn in derZeit Karl Martells nicht die politische Entwicklung, sondern die der kirchlichen Verhältnisse in den Mainlanden unter dem Einfluß der Tätigkeit des Bonifatius ganz und gar in den Vordergrund tritt. Im Jahre 719 kam Bonifatius erstmals nach Thüringen.2 Er wandte sich an die thüringisch-fränkischen Großen, um sie auf den rechten Weg des Glaubens zurückzuführen, und suchte gleichzeitig die hier tätigen Priester auf die Canones, die römisehen Vorschriften zu verpflichten. Nach kurzer Tätigkeit in Friesland kehrte er in das rechtsrheinische Germanien zurück und gründete in Amoeneburg das erste Kloster. Nach solchen Erfolgen rief ihn Papst Gregor II. erneut zu sich, weihte ihn zum Bischof (30. November 722) und erteilte ihm entsprechende Vollmachten (1. Dezember 722). Gleichzeitig erging an fünf namentlich genannte thüringische Große, von deren Glaubenstreue Gregor erfahren hatte, ein päpstliches Mahnschreiben, das um Hilfe für Bonifatius warb.3 Ebenso wurde ein Empfehlungsschreiben mit der Bitte, den Bischof bei seinem Wirken östlich des Rheins zu schützen und zu unterstützen, an Karl Martell gerichtet.4 Karl willfahrte und stellte in der Form einer merowingischen Königsurkunde einen Schutzbrief aus.’ Wieder wandte sich Bonifatius der Mission der Hessen zu. Mit der Fällung der Donareiche in Geismar bei Fritzlar setzte er ein Zeichen für die Macht des christlichen Gottes und gewann weitere zahlreiche Anhänger für seinen Glauben. Doch geriet er bald in Konflikt mit Bischof Gerold von Mainz. Dieser hatte sich bisher kaum um die Gebiete östlich seines Bischofssitzes gekümmert, nahm sie aber jetzt für seine Diözese in Anspruch. Obgleich Papst Gregor II. Bonifatius in seinem Tun bestärkte und auch Karl Martell um Hilfe gegen Bischof Gerold (724 Dezember 4) * bat, war Bonifatius zu diesem Zeitpunkt doch schon entschlossen, der unmittelbaren Konfrontation mit Mainz auszuweichen und sich zu den Thüringern zu begeben, denen er in einem päpstlichen Schreiben neuerlich empfohlen wurde.7 1 Den., Straße, Königscentene u. Kloster im karolingischen Ostfranken (J££L 13) 1953,7-33; W. Göbich, Rastorte an alter Straße (Festschr. E. E. Stengel) 1953, 473 ff. 2 Nach der grundlegenden Darstellung von Schieffe» 114 ff, 300 ff. können im folgenden die Einzelbelege auf das Notwendigste beschränkt werden.

3 4 9 4 7

Bonifatius, Briefe 33 nr. 19. Ebd. 33 f. nr. 20. Ebd. 36 ff. nr. 22. Ebd. 41 ff. nr. 24. Ebd. 43 f. nr. 2J.

§ 5· Franken im Karolingerreich (F.-J. Schmale)

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Bonifatius begann seine Tätigkeit östlich des Thüringer Waldes und gründete ein Kloster in Ohrdruf bei Gotha; daß er bald auch die Mainlande in seine Tätigkeit einbezog, kann allenfalls vermutet werden. In Thüringen hatte sich Bonifatius weniger der Heidenmission als der Festigung und der Korrektur eines schon grundsätzlich eingeführten Christentums zu widmen. Willibald berichtet in der Bonifatiusvita von vier Priestern, Torchtwine, Berechtere, Eanbercht und Hunraed, Männern von schlechtem Lebenswandel, die unter dem Vorwand der Religion Häresien verbreitet hätten. Den Namensformen nach könnte es sich um Angelsachsen gehandelt haben; ihre schwer deutbare Häresie dürfte am ehesten in Gewohnheiten bestanden haben, die nicht mit den römischen kirchenrechtlichen Vorstellungen übereinstimmten. Sie wurden von Bonifatius zur Rechenschaft gezogen. Die Zustände, wie sie hier anklingen, waren vornehmlich durch den Priestermangel in einer nur erst roh im Christentum unterwiesenen Bevölkerung zu suchen. Die Mainzer Vita des Heiligen behauptet sogar, in Thüringen östlich der Weser (= Werra) habe es überhaupt nur einen einzigen Priester Winfried gegeben, der allerdings wenigstens mütterlicherseits schon dem thüringischen Stamm angehört zu haben scheint.1 Mögen solche Behauptungen auch übertrieben sein, sicher war es die Hauptaufgabe des Bonifatius, dem Priestermangel abzuhelfen, und die priesterlichen Gehilfen, die er nun nach und nach an sich zog, waren naturgemäß zunächst ebenfalls Angelsachsen. Unter ihnen befanden sich Wigbert, der spätere Abt von Fritzlar, der einige Jahre dem Kloster Ohrdruf vorstand, Lull, der Nachfolger des Bonifatius auf dem Stuhl von Mainz, Burchard, der erste Bischof von Würzburg. Daneben gelang es auch schon, Angehörige des mainfränkisch-thüringischen Adels für den priesterlichen Beruf zu gewinnen. Aus der Familie der Mattonen stammte Megingoz, der zweite Bischof von Würzburg? Wahrscheinlich zu Anfang des Jahres 732 rief Papst Gregor III. Bonifatius erneut nach Rom, ernannte ihn zum Erzbischof, übersandte ihm das Pallium und beauftragte ihn, Bischöfe zu weihen. Dazu kam es jedoch noch nicht, wohl aber zur Gründung von Frauenklöstern in Tauberbischofsheim, Kitzingen und Ochsenfurt,3 deren vornehmster Zweck die Ausbildung eines einheimischen Klerus war.4 Die Nonnen und Vorsteherinnen der Klöster waren zum größten Teil aus England herbeigeholt worden: Lioba als Äbtissin von Tauberbischofsheim, deren Verwandte und Schülerin Thecla als geistliche Leiterin von Kitzingen und Ochsenfurt. In Thüringen wirkte Cunihilt, eine Tante Lulls. Als Schenker des Ausstattungsgutes und nomineller Gründer trat der mainfränkische Adel auf.’ Hadeloga, die Gründerin von Kitzingen und vielleicht eine Mattonin, wurde Laienäbtissin ihrer Stiftung. Vielleicht war aber in Kitzingen auch Karl Martell beteiligt; Kitzingen gehörte zu einem umfangreichen Königsgutkomplex, noch im hohen Mittelalter wurde es als regale monasterium bezeichnet, und späte Überlieferung machte die Gründerin Hadeloga zu einer Tochter Kari Martells.41 2 1 Vita quarta Bonifatü auctore Moguntino, ed. W. Levison (MG SS rer. Germ.) 1905, 95 c. 3. 2 Wendehorst I 25 ff.; Bosl, Franken 64 ff.

3 Bosl, Franken 120 ff. 4 Vita quarta (s. o. Anm. 1) 9$. ’ Bosl, Franken 120 f. 6 Friese 31 ff.; Bosl, Franken 64 ff.

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Im Jahre 737 brach Bonifatius zu seiner dritten Reise nach Rom auf und blieb dort fast ein ganzes Jahr. £r traf mit Franken, Bayern und eigenen Landsleuten zusammen, aus deren Reihen er weitere Mitarbeiter, so den späteren Bischof Willibald von Eichstatt, gewann.1 Wenn es wirklich der Hauptzweck seiner Reise war, die päpstliche ZuStimmung zu einem neuen Aufgabenbereich in Sachsen zu gewinnen,1 2*so beauftragte ihn Gregor III. doch mit der Fortsetzung seiner bisherigen Tätigkeit. Nach Abschluß einer römischen Bischofssynode, wahrscheinlich in der Fastenzeit des Jahres 738, trat Bonifatius die Rückreise an. Der Papst empfahl ihn in einem Schreiben allen Bischöfen, Priestern und Äbten der ganzen Christenheit und forderte diese auf, jeden Priester freizustellen, der sich Bonifatius anschließen wolle.’ An die Hessen und Thüringer, an die Bewohner des Grabfclds und andere richtete Gregor einen weiteren Brief mit der Mahnung, alle Anordnungen des Bonifatius, vor allem die der von diesem geweihten Bischöfe und Priester anzunehmen;4*ein drittes Schreiben an vier Bischöfe in Bayern und Alemannien bezeichnete Bonifatius als päpstlichen Legaten, der beauftragt sei, Mißbräuche abzustellen und Konzilien abzuhalten.’ Dementsprechend führte Bonifatius nach seiner Rückkehr zunächst eine Neuorganisation der bayerisehen Kirche durch, die in wesentlichen Teilen bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 739 abgeschlossen war. Wenig später schritt er zur Errichtung von Bistümern in den Gebieten, die er seit etwa eineinhalb Jahrzehnten missioniert hatte. Als Hauptgrund für das lange Zögern, in Thüringen eine Hierarchie zu errichten, ist mangelnde Unterstützung durch Karl Martell angesehen worden.6 Eindeutige Quellen für diese Ansicht liegen nicht vor. Papst Gregor rühmt aufgrund von Mitteilungen des Bonifatius, daß die Völker Germaniens durch Bonifatius’ und Karls Bemühungen dem Heidentum entrissen worden seien.7 Ablehnung erfuhr Bonifatius dagegen durch Bischof Gerold von Mainz,8 der mit einem gewissen Recht die missionierten Gebiete Thüringens für seinen Sprengel in Anspruch nehmen konnte. Es dürfte kaum möglieh gewesen sein, gegen den Willen des Mainzer Bischofs Bistümer zu errichten, deren Sprengel nur auf Kosten der Mainzer Ansprüche gebildet werden konnten.® Dazu waren die Voraussetzungen erst gegeben, als Bischof Gerold auf dem Feldzug 1 Schieffer 174 ff. 2 Ebd. 171 f., 303 spricht sich gegen Hauck I 463 ff. nur für eine beabsichtigte Erweiterung des Arbeitsgebietes nach Sachsen hinein aus. ’ Bonifatius, Briefe 67 nr. 42. 4 Ebd. 68 f. nr. 43. ’ Ebd. 70 f nr. 44; HB I 16 5 ff. 6 Schieffer 129ff., 199 ff.; Ders., Angelsachsen u. Franken. Zwei Studien z. Kirchengesch. d. 8.Jhs. (Abh. Mainz 20, 1950) 1931; H. Büttner, Die Franken u. d. Ausbreitung d. Christentums bis zu d. Tagen v. Bonifatius (Hess. Jb. f. LG 1) 1951, 23. 7 Bonifatius, Briefe 72 nr. 45; es erscheint als eine vielleicht doch zu einseitige Interpretation, wenn die Stelle «Deus noster ... ad centum milia animas in sinu sanctae matris ecclesiae tuo

conamine et Carli principis Francorum aggregare dignatus est» von Tangl (Bonifatius, Briefe 72 Anm. 1) oder Schieffer 180 ausschließlich auf den Sieg Karls über die Sachsen im Jahre 738 bezogen wird. 8 Bonifatius, Briefe 42 nr. 24. 9 Immerhin muß Thüringen, genauer Erfurt, offenbar schon zur Zeit von Gerolds Vorganger Ricbert, also im 7. Jh., Beziehungen zu Mainz gehabt haben (s. o. 24). Auch Gerolds Teilnahme am Feldzug gegen die Sachsen, als diese in Thüringen eingefallen waren (Vita quarta Bonifatii 90 f., s. o. 31 Anm. 1) könnte auf Bindungen und Ansprüche des Mainzer Bischofs an Thüringen hinweisen.

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gegen die Sachsen im Jahre 738 gefallen war. Vielleicht hatte es Bonifatius nicht einmal selbst sehr eilig mit der Errichtung von Bistümern. Wie will man es sonst erklären, daß der Papst immer wieder und noch 739 geradezu ungeduldig mahnte, Bischöfe zu ordinieren, wenn es nur äußere Schwierigkeiten waren, die entgegenstanden. Bei dem engen und ständigen Kontakt zwischen Bonifatius und Rom hätten sie bekannt sein müssen, Mahnungen dieser Art hätten sich dann erübrigt. In einem undatierten, nach dem Herrschaftsantritt Karlmanns geschriebenen Brief, dessen Inhalt Papst Zacharias am 1. April 743 bestätigte, berichtet Bonifatius, daß er in Germanien drei Bischöfe geweiht, drei Sprengel eingeteilt und als Bischofssitze Würzburg, Büraburg und Erfurt bestimmt habe.1 Würzburg sollte Burchard, Büraburg Witta, beides Angelsachsen, erhalten. Für Erfurt dagegen ist kein Name überliefert,123 ebensowenig eine päpstliche Einzelbestätigung. Es ist möglich, daß ursprünglich Willibald, der spätere Bischof von Eichstätt, dafür bestimmt war.’ Die genaue Datierung dieses für die Geschichte der Mainlande so wichtigen Vorganges ist bis heute strittig. Die erste Nachricht liegt in dem erwähnten Brief des Bonifatius vor, der meist in den Anfang des Jahres 742 gesetzt wird, weil Bonifatius in ihm zugleich Papst Zacharias zu seiner Erhebung gratuliert (2. Dezember 741; Gregor III. f 29. 11. 741), aber auch ein von Karlmann einberufenes Konzil, dessen Akten unter dem Veröffentlichungsdatum des 21. April 742 überliefert sind,4 als noch bevorstehend erwähnt.5 An diesem Konzil hat auch Willibald schon als Bischof teilgenommen, und da er an einem 22. Oktober von Bonifatius unter Assistenz von Burchard und Witta geweiht worden ist,6 müßten die Bistümer im Jahre 741 noch vor dem 22. Oktober und damit zu Lebzeiten Karl Martells gegründet worden sein. Dagegen ist aber geltend gemacht worden, Karl Martell habe es gegenüber Bonifatius stets an Unterstützung fehlen lassen und deshalb habe auch Bonifatius den seit seiner Emennung zum Erzbischof bestehenden päpstlichen Auftrag zu Lebzeiten Karls nicht ausführen können;7 daher seien die Bistümer erst im Jahre 742 unter Karlmann errichtet worden. Karlmann habe auch Würzburg dotiert, und dadurch sei überhaupt erst die Voraussetzung für die Bistumsgründung geschaffen worden. Nur so glaubte man es auch erklären zu können, daß das Antwort- und die erbetenen Bestätigungsschreiben des Papstes alle erst vom 1. April 743 datiert sind.8 Den Bonifatius-Brief auf ein Jahr später anzusetzen, schien keine unüberwindliche Schwierigkeit; nur das Datum des Concilium Germanicum stand dem entgegen. Es wurde für falsch überliefert erklärt, 1 Bonifatius, Briefe 80 ff. nr. jo; H. NotDie Bistumserrichtung in Deutschland im 8. Jh. (Kirchenrechtl. Abh. 96) 1920, Neudr. Amsterdam 1964; A. Bigelmair, Die Gründüng der mitteldeutschen Bistümer (St. Bonifatius - Gedenkgabe) 1954, 247-287; Schieffer 199 ff.; Wendehorst I 14 ff. 2 Schieffer 201 denkt nachdem Vorbild von Tangl (Bonifatius, Briefe 99 Anm. 5) an den sonst nicht weiter bekannten Dadanus, der an dem Concilium Germanicum von742 teilnahm. tarp,

3 HdBG III, i

’ So Stein I 37 f.; II 234 ff.; G. Schnürer, Bonifatius, 1909, 66; dagegen schon Μ. Tangl, Das Bistum Erfurt (Festschr. A. Hauck) 1916, III f. 4 Bonifatius, Briefe 99 nr. 56. 5 Ebd. 82. 6 Vita s. Willibaldi auctore Hugeburg, hg. v. O. Holder-Egge» (MGH SS 15) 1887, 105. 7 Wendehorst I 14 f. 8 Bonifatius, Briefe 86 ff. nrr. 51, 52, 53.

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und das Konzil dementsprechend auf den 21. April 743 verlegt.1 Dennoch wird man mit Löwe an der früheren Ansicht festhalten müssen. Es ist bedenklich, gut überlieferte Daten um allgemeiner Überlegungen willen zu ändern, die ihrerseits nicht zwingend sind.1 2*Für das Jahr 741 liegt überdies eine direkte bisher übersehene Bestätigung vor. Unmittelbar nach dem Tod Karl Martells (29. Oktober 741), als die Aufteilung der Herrschaft unter dessen Söhnen noch nicht vorgenommen war, schrieb Bonifatius an Grifo, für den Fall daß diesem die Macht über Thüringen und die Mainlandc zufalle: ... obsecro ..., ut adiuvare studeas servos dei sacerdotes, presbyteros, qui sunt in Turingia? Sacerdotes unmittelbar vor dem Wort presbyteros kann nur Bischöfe meinen. In der Bedeutung Bischof wird sacerdos auch sonst verwendet, sowohl in den Bonifatius- wie in den Papstbriefen, wie auch in den Bonifatiusviten. Demnach hat es schon vor dem Tod Karl Martells Bischöfe in Thüringen gegeben. Auch der Ausstattung der Bistümer ist in der Datierungsfrage ein falsches Gewicht zugemessen worden. Zwar ist Würzburg frühestens durch Karlmann mit königlichen Gütern dotiert worden,4 aber diese Schenkungen waren keine Voraussetzung für die Gründüng. Büraburg und Erfurt sind von den karolingischen Hausmeiem und Königen überhaupt nicht dotiert worden. Eichstätt hat erst 793 die erste königliche Schenkung erhalten.’ Die Gründung von Bistümern war also auch ohne königliche Dotierung möglich, ohne daß eine sofortige Eingliederung in das Herrschaftssystem erfolgte. Deshalb ist daranfestzuhalten, daß Bonifatius die drei genannten Bistümer im Jahre 741, noch zu Lebzeiten Karl Martells, vielleicht mit dessen Einverständnis, aber ohne dessen direkte Mitwirkung errichtete. Büraburg, ein fränkisches Castrum auf dem Büraberg bei Fritzlar, wurde mit dem bonifatianischen Kloster in Fritzlar verbunden und war als kirchliches Zentrum für die Hessen gedacht; doch hatte es keinen Bestand.6 Nach dem Tod Bischof Wittas vereinigte es Bischof Lull von Mainz mit seiner Diözese. Noch kurzlebiger war das thüringische Bistum Erfurt. Trotz der allgemeinen Bestätigung durch Papst Zacharias ist es vielleicht niemals verwirklicht, spätestens aber, da es nicht mehr als Bistum erwähnt wird, Anfang 742 wieder aufgegeben worden.7 Als Gründe dafür kann man nur mutmaßen, daß dem Hausmeier Karlmann nichts an der kirchlichen Selbständigkeit des engeren thüringischen Stammesgebietes lag und eine Eingliederung in die Mainzer Diözese politisch nützlicher erschien. Die Aufgabe Erfurts war um so leichter 1 Schieffer, Angelsachsen u. Franken (s. o. 32 Anm. 6) 37 ff. 2 Die Datierung des Konzils auf 743 und dementsprechend der Bistumsgründungen auf 742 ist schon vor Schieffer häufig behauptet oder zurückgewiesen worden; vgl. für die ältere Literatur Hauck I 484 Anm. 1. Gegen Schieffer, dem auch Wendehorst I 16 folgt, ist erneut für das überlieferte Konzilsdatum 742 und dementsprechend die Bistumsgründung zum Jahre 741 eingetreten Löwe (s. o. 29) bes. 110 ff. ‫ נ‬Bonifatius, Briefe 77 nr. 48. 4 Die Schenkungen Karlmanns sind nur aus

den Würzburger Bestätigungsurkunden seit Ludwig d. Fr. (Böhmer-Mühlbacher 768, s. HB I 570) erschließbar; vgl. Bicelmair (s. o. 33 Anm. 1) 254 f.; Bosl, Würzburg 161-181. ’ Heidingsfelder 18 nr. 28. 6 Bicelmair (s. o. 33 Anm. 1) 277 f. 7 Längere Existenz des Bistums ist nur anzunehmen, wenn man der unbelegbaren Vermutung folgt, daß der am Concilium Germ, teilnehmende Dadanus Bischof von Erfurt war (Bonifatius, Briefe 99 nr. 56); vgl. auch W. Fritze, Bonifatius u. d. Einbeziehung v. Hessen u. Thüringen in d. Mainzer Diözese (Hess. Jb. 4) !954, 5°.

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möglich, als für den schon ordinierten Willibald, falls dieser der für Erfurt vorgesehene Bischof war, in Eichstätt ein entsprechender Ausgleich gefunden wurde. Von den drei ersten Bistumsgründungen des Bonifatius hatte nur Würzburg unter dem Angelsachsen Burchard Bestand, also das Bistum, das nicht von einem geschlossenen Volksstamm besiedelte und beherrschte, sondern von dem fränkischen Staatsvolk selbst überschichtete, gewissermaßen also fränkische Gebiete umfaßte. Die ÜbereinStimmung der kirchlichen Sprengel1 mit noch nicht völlig frankonisierten Stammesgebieten, wie sie bei Büraburg und Erfurt gegeben und von Bonifatius beabsichtigt war, entsprach offensichtlich nicht den politischen Vorstellungen Karlmanns. Deshalb konnten sich hier die älteren Ansprüche des fränkischen Bistums Mainz durchsetzen. Würzburg dagegen war ein fränkisches Bistum, dessen Existenz keine separatistischen Gefahren in sich barg, vielmehr ein politisch schon zur Francia gehöriges Gebiet auch kirchlich zusammenfaßte, dem für die karolingischen Ziele östlich des Rheins durch seine Mittellage steigende Bedeutung zukam.1 2*Darin sind die Gründe dafür zu suchen, daß allein Würzburg Förderung durch den Hausmeier Karlmann und dessen Nachfolger erfuhr. Mit dem Herrschaftsantritt Karlmanns, der aus dem väterlichen Erbe Austrasien einschließlich der rechtsrheinischen Gebiete erhielt, verlor Franken seine bisherige Randlage; die Nachrichten werden zahlreicher und sagen nicht mehr nur über kirchliehe Vorgänge aus. Gleichzeitig beginnt der Süden Frankens ins Licht zu rücken. Hier brachte ebenfalls die Errichtung des Bistums Eichstätt die entscheidende Wende; aber auch in diesem Fall ist die genaue zeitliche Abfolge der Vorgänge noch umstritten. * Anders als bei den bis dahin von Bonifatius errichteten Bistümern setzt sich der Sprengel von Eichstätt aus Gebieten verschiedener stammesmäßiger und politischer Gliederungen zusammen. Eichstätt selbst und der östliche Teil der Diözese lagen im bayerischen Nordgau, der westliche Teil, das Sualafeld, gehörte zu Alamannien, im Norden griff Eichstätt mit einem schmalen Anteil am Rangau auf fränkisches Gebiet über.4*Gerade dieser Umstand hat zu der strittigen Datierung geführt. Während Willibalds Weihe im Jahre 741, sein Aufenthalt in Eichstätt seit 742, seine Teilnahme am Concilium Germanicum im April 742, auf dem nur Bischöfe aus Karlmanns Reichsteil anwesend waren, die Errichtung des Bistums im Jahre 742 nahelegen,’ wird die Zusammensetzung des Sprengeis als Indiz für eine spätere Gründung gewertet, weil sie eine Abtrennung des westlichen Nordgaus von Bayern voraussetzt. Sie aber soll erst 743/44 möglich gewesen sein, als Herzog Odilo von Bayern durch Karlmann und Pippin besiegt worden war. Dieses Argument hat sich weitestgehend durchgesetzt, und in teilweiser Übereinstimmung mit der Eichstätter Lokaltradition6 wird jetzt 1 Zur Abgrenzung der Sprengel Nottarp (s. o. 33 Anm. 1) 135 f.; Bosl, Franken 136 ff. 2 Μ. Beck, Die Bistümer Würzburg u. Bamberg in ihrer wirtschaftl. Bedeutung für d. deutschen Osten (Stud. u. Vorarbeiten z. GP III) 1937; Bosl, Würzburg; Ders., Würzburg als Pfalzort (JffL 19) 1959, 25-43. ‫ נ‬Heidingsfelder i ff. nr. 1; Nottarp (s. }

o. 33 Anm. 1) 76ff.; Ders., Sachkomplex u. Geist d. kirchl. Rechtsdenkens bei Bonifatius (Bonifatius-Gedenkgabe) 1954, 182 ff.; Bigelmai» (s. o. 33 Anm. 1) 283 f. 4 HB I 169. ’ Heidingsfelder 3 ff. nr. 1; Nottarp (s. o. 3 3 Anm. 1) 79 f.; Bauerreiss 161 f. 6 Vgl. Heidingsfelder 4 nr. 1.

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meist 745 als Gründungsjahr angenommen.1 Jede Ansicht kann sich nur auf Indizienbeweise stützen. Gerade wenn man aber die politischen Veränderungen berücksichtigt, die der Bildung des Eichstätter Sprengeis vorausgegangen sein müssen, sprechen sie dennoch eherfür dasJahr 742. Wenn nämlich infolge der Feldzüge Karl Martells gegen Bayern in den Jahren 725 und 728 die auf dem bayerischen Nordgau gelegenen Höfe Ingolstadt und Lauterhofen an den Karolinger abgetreten werden mußten,12 dann muß man es für möglich und wahrscheinlich halten, daß schon damals der gesamte westliehe Teil des bayerischen Nordgaus von Bayern abgetrennt wurde und damit auch die Gegend von Eichstätt, die von der Römerstraße durchzogen wurde, die zum Donauübergang bei Pförring führte. Als Willibald im Jahre 740 nach Bayern kam, ging er nach einem kurzen Besuch bei Herzog Odilo zu einem Grafen Suitger, der ihn anschließend zu Bonifatius begleitete und diesem die regio Eihstat schenkte.3 Sie wurde Willibald als Aufenthalt und Betätigungsfeld überwiesen, nachdem Bonifatius ihn in der Eichstätter Marienkirche zum Priester geweiht und ihm die Schenkung des Grafen übergeben hatte. Die Existenz eines Grafen Suitger in diesem Raum zu einer Zeit, in der Grafen rechts des Rheins noch außerordentlich selten sind, und sein selbständiges Handeln sprechen eher dafür, daß Suitger ein Beauftragter der Karolinger war.4 Sein Name könnte sogar auf kognatische Beziehungen zu den Altthuring-, Hagbert- und Mattonensippen im ösdichen Mainfranken und Grabfeld weisen.5 Alamannien, in das Eichstätt mit dem westlichen Teil seines Sprengeis, dem Sualafeld, hineinragte, war dagegen schon längst dem karolingischen Einfluß geöffnet. Karl Martell hatte 741 bei der Teilung des Reiches frei darüber verfügt und es Karlmann zugewiesen. Die politischen und herrschaftsrechtlichen Voraussetzungen für die Bildüng der Eichstätter Diözese waren also mit einiger Sicherheit auch schon 742 gegeben, und man darf daher annehmen, daß Bonifatius zwar nicht schon 740, als er Willibald als Priester in Eichstätt einsetzte, an die Errichtung auch eines Bischofssitzes dachte, diese dann aber im Einverständnis mit Karlmann vomahm, um das aus heterogenen Bestandteilen zusammengesetzte südöstliche Herrschaftsgebiet Karlmanns kirchlich zu einen.6 Das war um so wünschenswerter, als die bisherige Tren1 A. Bigelmair, Das Jahr d. Gründung d. Bistums Eichstätt (Festgabe f. K. Schombaum) 195°. 19-35; Ders. (s. o. 33 Anm. 1) 277ff.; Schieffer 201; Bosl, Franken 137. 2 H. Dachs, Der Umfang d. kolonisatorisehen Erschließung d. Oberpfalz bis z. Ausgang d. Agilolfingerzeit (VHOR 86) 1936, 159ff.; Heidingsfelder ‫ צ‬f. nr. 1. Das ist auch schon deshalb anzunehmen, weil Willibald 742 am Concilium Germanicum teilnahm, auf dem nur Bischöfe aus Karlmanns Reichsteil anwesend waren (Heidingsfelder 7 f. nr. 2); vgl. auch K. Bosl, Das kurpfälz. Territorium «Obere Pfalz» (ZBLG 26) 1963, 6 f. 3 Vita Willibaldi (s. o. 33 Anm. 6) c. 5. 4 Vielleicht war er doch ein Graf (= «Kommissar») Karl Martells oder Karlmanns. Wenn

er sich 748 auf die Seite Grifos schlug (Ann. regni Franc. 6, s. u. 39 Anm. 3), so kann daraus doch nicht geschlossen werden, daß er «bayerischer» Nordgaugraf war (HB I 126, 169), zumal dann nicht, wenn er in dem «Eichstätter» Teil des Nordgaus wirkte. 5 Vgl. die Tradentenkreise bei Bosl, Franken 75 ff. 6 Nottarp (s. o. 33 Anm. 1) 79. Wenn Eichstätt mehrfach als coenobium und Willibald als episcopus de monasterio Achistadi (MG Concilia Π 73) bezeichnet wird (Nottaäp 83), so ist Willibald doch nicht als Regionarbischof ohne festen Sprengel zu bezeichnen. Nach 919 wird noch Udalfrid als Bischof Eichstettensis coenobii genannt (DH. I 36), ebenso wie der Bischofssitz selbst im 9. und

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nung von politischer und kirchlicher Zuständigkeit Gefahren in sich barg, solange nämlich der spätere Eichstätter Sprengel herrschaftlich Karlmann unterstand, kirchlich aber mit seiner teilweisen Zugehörigkeit zu Regensburg nach Bayern orientiert war, wo Herzog Odilo auch die Kirchenherrschaft besaß. So scheint denn doch die Nachricht der Mainzer Bonifatiusvita zuzutreffen, die Eichstätter Diözese sei von den Regensburger und Augsburger Sprengeln abgetrennt worden.1 Stärker als bei den übrigen Bistümern muß bei der Gründung Eichstätts der politische Wille des Hausmeiers Pate gestanden haben; dennoch haben weder Karlmann noch Pippin Eichstätt mit Reichsgut ausgestattet. b) Franken als karolingische Königsprovinz (741-817). Nach Karl Martells Tod erhielt sein älterer Sohn Karlmann den austrasischen Reichsteil mit Thüringen und dem noch unsicheren Alamannien, der im Osten und Nordosten an die feindlichen Sachsen, im Südosten an das keineswegs freundliche Bayern grenzte. Schon 742 mußte er einen Feldzug nach Alamannien führen. 743 mußten er und sein Bruder Pippin einen Aufstand der mit Sachsen und Alamannen verbündeten Bayern niederschlagen; noch im gleichen Jahr rückte Karlmann in Sachsen ein und eroberte die Seeburg bei Eisleben, 744, 745, 746 waren weitere Feldzüge nach Sachsen erforderlich. Wenn die erste große Ausstattung des Bistums Würzburg durch Karlmann erfolgte, während Erfurt wieder aufgelassen wurde, Eichstätt und Büraburg aber offensichtlich nichts erhielten, dann war diese Schenkung in dieser politischen Lage begründet. Die Vorgänge sind allerdings nur aus einer Urkunde Ludwigs des Frommen zu erschließen, in der Schenkungen Karlmanns, Pippins, Karls des Großen und mainfränkisch-thüringischer Großerzusammenfassend bestätigt wurden, ohne daß es möglich wäre, den Anteil der einzelnen Schenker genau zu bestimmen.2 Sicher ist aber, daß die Ausstattung Würzburgs von Karlmann begonnen wurde und er die Politik einleitete, die Würzburg zum politisehen Mittelpunkt und stärksten Machtfaktor am Main machte. Nur mit diesen Vorbehalten gegenüber einer unsicheren Chronologie kann die Ausstattung des Bistums Würzburg mit weltlichen Besitzungen und Rechten an dieser Stelle als möglicher Akt Karlmanns angeführt werden.3 Der auffälligste Komplex ist die Übertragung der Kirchen auf 25 Königshöfen, von denen vier außerhalb, 21 innerhalb des Würzburger Sprengeis lagen.4 Neben diesem Besitz aus königlichem Eigentum, der das Recht des Bischofs von Würzburg, Geistliehe einzusetzen, einschloß, wurden umfangreiche Einkünfte übertragen: der Fiskal­ 10. Jh. als coenobium oder monasterium (Belege bei Nottarp 83). 1 Vita quarta Bonifatii (s. o. 31 Anm. 1) 96 c. 4. Unzutreffend ist die Nachricht der Vita, auch Salzburg habe zum Eichstätter Sprengel beigetragen; vielleicht hat sich dieser Irrtum durch Willibalds Weiheort Salzpurc (Vita Willibaldi 105, s. o. 33 Anm. 6) eingeschlieben. Vgl. auch Nottarp (s. o. 33 Anm. 1) 81 ff.

2 S. o. 34 Anm. 4. 3 P. Fraundoreer, Das Territorium d. HochStifts Würzburg I, Die kirchl. Besitzungen v. d. Gründung d. Bistums (741) bis z. Regierungsantritt d. Bischofs Hermann I. v. Lobdeburg (122 j), Diss. Masch. Erlangen 1923; Wendehorst I 15; Schmale, Würzburg 622; Bosl, Franken 136 ff, bes. 141 ff. 4 Böhmer-Mühlbacher (s. HB I 570) 768; Wendehorst I 15 f.

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zehnt in zahlreichen Königsgütem, eine Osterstufe genannte Naturalabgabe der Franken (= «Königsfreie») und Slawen und die Heerbannsteuer.1 Mit dieser Dotierung müssen entsprechend der Art der Gefälle von Anfang an politische Aufgaben verbunden gesesen sein. Würzburg wurde durch sie neben und mit dem Hausmeier als einzige Institution in allen Teilen des ostfränkischen Landes fest verankert; das Bistum nahm als einzige Macht neben Karlmann überall Rechte wahr. Die Schenkungen beweisen die Intensität der karolingischen Herrschaft am Main, aber sie machten den Bischof von Würzburg auch zu einer übergreifenden politischen Institution für ganz Franken, wie sie seit den Tagen der Hedene nicht mehr bestanden hatte. Zahlreiche weitere Schenkungen, teils aus der Hand des Adels, teils aus der Hand der Hausmeier (Kloster Karlburg), sowie Erwerbungen durch den ersten Bischof Burchard haben diese Stellung weiter gefestigt.1 2 Als nach der Resignation Karlmanns (744) Franken unter die Herrschaft Pippins kam, schenkte dieser weiteren Besitz und verlieh dem jungen Bistum die Immunität, er legte damit ein weiteres Fundament für die Stellung der Würzburger Bischöfe.3 Bischof Burchard von Würzburg muß das in ihn gesetzte Vertrauen gerechtfertigt haben. Nachdem er bereits 748 im Auftrag des Bonifatius, vielleicht auch zugleich im Auftrag der gesamtfränkischen Synode vom Vorjahr, in Rom geweilt hatte, holte er 751 zusammen mit Abt Fulrad von Saint-Denis die Zustimmung des Papstes zu Pippins Absichten auf die Königsherrschaft.4*Als er wenig später abdankte,’ war das kirchliche Leben in Franken soweit entwickelt und die politische Bindung des Landes an die Karolinger soweit gefestigt, daß das Bistum nun in die Hände eines aus dem mainfränkischen Adel stammenden Nachfolgers gegeben werden konnte. Bischof Megingaud (Megingoz), Schüler des Bonifatius, Mönch in Fritzlar und Leiter der dortigen Klosterschule, wurde noch zu Lebzeiten Burchards nominiert und von Bonifatius 753 geweiht.6 Er gehörte der zu seiner Zeit wohl mächtigsten mainfränkischen Adelsfamilie, den Mattonen an, die unter anderem wahrscheinlich auch mit den Nachkommen der Hedene, der Altthuringsippe, kognatisch verbunden war. Megingoz und seine Familie, ebenso aber auch andere Adlige wie zum Beispiel Throand, Sandrad, Nanther, Liutfrid, Sterfrid, Gundpert, Agnus, Halldus, Rantulf, Rotpert, Brunicho, Rothard, Rocco, die alle in einem Brief des Papstes Zacharias als Empfänger benannt werden7 und als Grafen, zum Teil auch als Klostergründer (Gundpert/ 1 Zu diesen Steuern Schlesinger 76 ff.; Bosl, Franken 44 ff. 2 Schmale, Glaubwürdigkeit 57 ff. 3 Wendehorst I 16. Daß durch Pippin weitere Schenkungen erfolgten, wie schon Hauck II 4 und noch Dienemann (s. o. 4 Anm. 1) 68 aufgrund von DAm. 69 angenommen haben, ist keineswegs durch v. Guttenberg 2 Anm. 4 richtiggestellt worden, wie Wendehorst (ebd.) meint. Infolge von Guttenbergs Argument «Ich glaube nicht» ohne weitere Belege ist allenfalls ein non liquet möglich.

4 Zu Burchard Wendehorst I 18 ff. 5 Die in der Vita Burchardi (s. o. 13 Anm. 9) II 36 ff. berichtete Abdankung wird von Wendehorst I 23 bestritten; für die Richtigkeit dieser Nachricht Schmale, Glaubwürdigkeit 73 und in Auseinandersetzung mit Wendehorst Ders., Würzburg 625. 6 Zu Megingoz Wendehorst I 25 ff.; Schmale, Würzburg 626 ff.; Bosl, Franken 64 ff; Friese ij ff. 7 Bonifatius, Briefe 18$ nr. 83.

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Ansbach,1 Throand/Holzkirchen12*) wieder begegnen, zeigen, wie sehr die religiöse und politische Ausrichtung der Mainlande bereits den karolingischen Interessen entgegenkam. Dementsprechend findet man Bischof Megingoz wie schon seinen Vorganger Burchard häufig außerhalb seines Bistums in der Umgebung Pippins oder bei sonstigen Reichsangelegenheiten beteiligt. Im Jahre 757 nahm er an der ReichsverSammlung in Compiegne teil, 762 beschwor er mit Willibald von Eichstätt den Totenbund von Attigny und unterzeichnete 762 (August 13) eine Urkunde Pippins für Prüm. Im Jahre 748 benutzte Pippin Thüringen als Aufmarschgebiet für einen Feldzug gegen die Sachsen im Nordschwabengau, an dem sich auf fränkischer Seite auch Slawen beteiligten? Derartige Zeugnisse weisen darauf hin, daß der politische Schwerpunkt weiterhin im nördlicheren Franken lag; der Raum des Bistums Eichstätt wird in den allgemeinen Quellen in dieser Zeit überhaupt nicht genannt. Als Pippin 768 starb und Ostfranken an seinen ältesten Sohn Karl fiel, war die hier in den letzten Jahrzehnten entstandene Ordnung soweit gefestigt, daß von hier aus die Erweiterung des Frankenreiches im Nordosten und Südosten durchgeführt werden konnte. Ausbau und Stärkung der Stellung des Königs bestimmten auch die Politik Karls des Großen in Franken. Wichtigste Grundlage war das ausgedehnte Königsgut, dessen ganzer Umfang erst für diese Zeit annähernd bestimmbar und dessen Organisation erst jetzt genauer erkennbar wird. Die zahlreichen Königshöfe sind die Stützpunkte des Königs und Ausgangsbasis für Siedlung, Länderausbau und Pfarreiorganisation; personell getragen in erster Linie von den Königsfreien, in einem Umfang, daß der Begriff der Staatskolonisation angebracht erscheint. In einer Reihe von Fällen waren solche Königshöfe nachweislich Zentralorte größerer organisatorischer Bezirke (Königsmarken), die mit den Urgauen identisch waren.4 Diese Präsenz des Königtums bildete das wichtigste Gegengewicht gegen den fränkischen Grundbesitzeradel, der dem Königtum auch und gerade in der Zeit Karls des Großen erkennbaren Widerstand entgegensetzte. Der Aufstand des Hardrad und seiner Verbündeten5 aus den Familien der Mattonen und der Fastrada - kognatische Deszendenten des hedenischen Herzogshauses6 - im Jahre 785/86 beleuchtet diese Situation. Die Aufrührer machten in dem folgenden Prozeß geltend, daß sie dem König keinen Treueid geschworen hatten und ihm daher nicht verpflichtet seien. Diese unsichere Lage mag einer der Gründe dafür gewesen sein, daß in den ersten Jahrzehnten von Karls Regierung keine ständigen Grafen, sondern nur solche mit missatischem Charakter festzustellen sind? Mit den verschiedensten Mitteln suchte Karl den Widerstand in Franken zu über1 A. Bayer, St. Gumberts Kloster u. Stift in Ansbach, 1948; W. Scherzer, Der Übergang d. Klosters St. Gumbert zu Ansbach aus d. Besitz Karls d. Gr. in d. Zuständigkeit Bischofs Bemwelf v. Würzburg. Ein Beitr. z. Diplomatik Karls d. Gr. u. Ludwigs d. Fr. (WDGB11. 14/15) 1952/53, 97 ff.; Schmale, Glaubwürdigkeit 72 mit Anm. 152; Wendehorst I 33 f.; Bosl, Franken 124 ff. 2 Bosl, Franken 124; HAB Marktheidenfeld (W. Störmbr).

3 Annales regni Francorum, hg. v. F. Kurze (MGH SS rer. Germ.) 1895, 6. 4 Bosl, Franken passim; s. u. 95. 5 Ann. regni Franc, (s. o. Anm. 3) 71; Einhardi vita Karoli Magni, hg. v. O. HolderEcger (MGH SS rer. Germ.) 1911, 20; Schlesinger 50 f.; Friese bes. 15 ff. 6 Friese 16. 7 S. u. 98 ff.

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winden. Wichtige Hilfe leistete dabei die Kirche. Fast alle Klöster, die fränkische Adlige gegründet hatten, wurden dem König direkt oder indirekt durch Schenkung an Würzburg oder an Fulda übertragen.’ In der Häufung der Fälle wird der königliche Druck deutlich; Handhabe bot der Umstand, daß auch der adlige Besitz vielfach in erblich verliehenem Königsgut bestand. Ebenso ist in der Heirat Karls mit der Ostfränkin Fastrada, der Tochter eines Radulf, der Versuch zu sehen, in Franken Fuß zu fassen und die etwa noch in dieser Familie vorhandenen Traditionen des Herzogtums an die eigene Person zu binden.2 Wenn die Deutung der Erhebung der Gebeine Kilians im Jahre 787/88 im Beisein Karls des Großen und die Datierung und Interpretation der älteren Kilianspassio richtig ist, wie sie jüngst vorgeschlagen wurde,3 dann müssen auch diese Vorgänge als ein vorwiegend propagandistischer Akt mit dem gleichen Ziel gesehen werden. Jedenfalls wurde damals Kilian als der sakrale Repräsentant Frankens herausgestellt; ihm war die Christianisierung Frankens zu danken, während das thüringische Herzogshaus als Heiden und Mörder, als zu Recht Vertriebene geradezu «verunglimpft» wurde; allerdings mit dem Kunstgriff, wenigstens falsche Namen als Decknamen einzusetzen. Die Absetzung Herzog Tassilos von Bayern um die gleiche Zeit bietet einen sprechenden Hintergrund. Durch diese Politik hat sich die karolingische Herrschaft in Franken reiner als sonst irgendwo östlich des Rheins verkörpert. Sie war zugleich die Voraussetzung für die Lösung zweier Aufgaben, die Pippin hinterlassen hatte: die Befriedung und Eingliederung der Sachsen und die Integration Bayerns. Die Lage Ostfrankens mit direktem Anschluß an den fränkischen Kemraum, seine Ost-West-Erstreckung entlang der Südgrenze Sachsens mit dem Main als Wasserstraße und wichtigen Verkehrswegen vom Rhein zur Donau erhellen die Bedeutung Ostfrankens. Seit 772 zog Karl fast Jahr für Jahr gegen die Sachsen; mehrfach rückten Heere von den Mainlanden aus und vereinigten sich mit Truppen, die über den Hell weg angrifFen, zu großen Umfassungsbewegungen. Die dauernde Befriedung und Eingliederung Sachsens in den fränkischen Staat verlangten zugleich die Christianisierung. Träger dieser Aufgabe wurden vorwiegend ostfränkische Kräfte. Noch im Jahre 772 wurde Abt Sturm von Fulda mit der Sachsenmission beauftragt; die Eresburg wurde ihm als Sitz angewiesen.■ * Nach seinem Tod (779) ging der Missionsauftrag im zukünftigen Sprengel von Paderborn an Würzburg über. Nach einer späten Nachricht war Bemwelf, der vielleicht schon seit längerem als Chorbischof von Würzburg wirkte, als Missionsbischof in Paderbom tätig.’ Gleichzeitig wurden in Würzburg weitere Missionare ausgebildet; die ersten Paderborner Bischöfe Hathumar und Badurad, Sachsen der Herkunft nach, gehörten vor ihrem Pontifikat dem Würzburger Domklerus an.6 Es paßt gut zu dem ’ Prinz (s.o. 14 Anm. 5) 23 5 ff. zu allen in Frage kommenden Klöstern; Bosl, Franken 114ff. 2 Ann. regni Franc, (s.o.39 Anm.3) 67. Die Zugehörigkeit der Fastrada und ihres Vaters Radulf zu den Kognaten der Hedene und Mattonen bei Friese 16, 48 f. ‫ נ‬Dienemann (s. o. 4 Anm. 1) passim; s. aber auch u. 116 f.

4 Vita Sturmi, hg. v. G. H. Pertz (MG SS 2) 1829, c- 22, 24. ’ J. G. v. Eckhart, Commentarii de rebus Franciae orientalis et episcopatus Wirceburgensis I, 1711, 711; vgl. 41 Anm. 1. 6 Translatio s. Liborii, ed. G. H. Pertz (MG SS 4) 1841, 151: Vita Meinwerci episcopi Patherbrunnensis, ed. F. Tenckhoff (MG SS

§ 5. Franken im Karolingerreich (F.-J. Schmale)

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überlieferten Pontifikatsbeginn Bernwelfs in Würzburg (794),1 daß Hathumar 795 seine Tätigkeit in Paderborn aufnahm. Er blieb bis zum Jahre 806/07, als in Paderborn ein Bistum eingerichtet wurde, von Würzburg abhängig.2 Mönche der Klöster Amorbach und Neustadt wirkten im Raum des späteren Bistums Verden.3 Auch im Osten, im Volkfeld- und Radenzgau erhielt Würzburg Missionsaufgaben. Hier waren Slawen ansässig geworden, für die bereits vierzehn Kirchen bestanden, die von Karl an Würzburg übertragen wurden.4 Für solche Aufgaben kam Eichstätt infolge seiner Lage weniger in Frage. Dieser Raum war nur vorübergehend im Jahre 787 von größerem Interesse, als an den militärischen Unternehmungen, die der Absetzung Tassilos unmittelbar vorausgingen, eine aus Ostfranken, Thüringern und Sachsen gebildete Heeresabteilung sich bei Pförring sammeln sollte, um in Bayern einzufallen;3 ein zweites Mal im Jahre 793, als Karl der Große zur Erleichterung der umfangreichen Rüstungen für einen Krieg gegen die Awaren einen Kanal bauen ließ, der die Rednitz mit der Altmühl in der Nähe von Eichstätt verbinden sollte.6 Es könnte mit Karls Aufenthalt Zusammenhängen, daß Bischof Gerhoh von Eichstätt (787 ?-806?) 793 (nach August 25) die Abtei Murbach im Elsaß als erste königliche Schenkung erhielt;7 vielleicht fällt auch die Verleihung der Immunität an das Bistum in diese Zeit.’ Schon die Unterwerfung der Sachsen bei Paderborn (794) scheint Deportationen zur Folge gehabt zu haben; angeblich soll damals jeder dritte Mann Sachsen verlassen haben.’ Nach dem Frieden von 804, der wahrscheinlich in der Pfalz Salz abgeschlossen wurde, mußte Nordalbingien von den Sachsen geräumt und den Abodriten überlassen werden.10 Zahlreiche sächsiche Deportierte aus den letzten zehnJahren des Krieges wurden in den Mainlanden als Königsleute auf Königsgut oder zur Rodung angesicdelt.wie die mit Sachsen (-sachsen) zusammengesetzten Ortsnamen bezeugen. "Andererseits werden gelegentlich vornehme Sachsen genannt, die in Ostfranken Besitz rer. Germ.) 1921, 1 ff.; W. Metz, Mainzer, Fuldaer u. Würzburger Einflüsse an d. oberen Weser (Kunst u. Kultur im Weserraum 800 bis 1600 I) 1966, 123 f.; Bosl, Franken 141 ff. 1 Zum Pontifikatsbeginn Bemwelfs Wendehorst I 31, der für 768 eintritt wegen der (unsicheren) Nennung Bernwelfs auf der Römischen Synode des Jahres 768/69 (MG Concilia II 75, 79 ff). Für das Jahr 794 entsprechend der Würzburger Überlieferung und der Tätigkeit des Megingoz als Bischof über das Jahr 768 hinaus Schmale, Glaubwürdigkeit 76 ff; Ders., Würzburg 626 ff. Die beiden Meinungen ließen sich sogar vereinen, wenn man, wie schon vorgeschlagen (Schmale, Würzburg 629) annimmt, daß Bemwelf als Bischof in Paderborn wirkte und vorher schon Chorbischof von Würzburg war. Als solcher hätte er in dieser Zeit ebenfalls als «episcopus Wirceburgensis» bezeichnet werden können (vgl. Th. Gottlob, Der abendländ. Chorepiskopat, Kanonist. Stud. u. Texte I, 1928, 62), zumal Paderborn noch nicht Bistum, sondern nur Missionssprengel war.

2 E. Müller, Die Entstehungsgesch. d. sächs. Bistümer unter Karl d. Gr. (Quellen u. Darst. z. Gesch. Niedersachsens 47) 1938, 51 ff. 3 Ebd. 29 ff.; P. Schöffel, Amorbach, NeuStadt am Main u. d. Bistum Verden (ZBKG 16) 1941, 131 ff; K. D. Schmidt, Die Gründung d. Bistums Verden u. seine Bedeutung (Stader Jb. 1947) 25 ff; Bosl, Franken 143 (Karte). 4 Wendehorst I 32; v. Guttenberg, Kirchenzehnten (s. o. 39 Anm. 3) 40 ff. Grundläge ist eine Urkunde Ludwigs d. Fr. (MG Formulae 317 f. nr. 40). 3 Ann. regni Franc, (s. o. 39 Anm. 3) 78. 6 Ebd. 92; Η. H. Hofmann, Fossa Carolina (Karl d. Gr. I, s. o. 29) 437 ff. 7 Heidingsfelder 18 nr. 28. • Ebd. 14 nr. 23. ’ Ann. Lauriss. min. (= Chron. Lauriss, breve), ed. G. H. Pbrtz (MG SS 1) 1826, zu 794· 10 Ann. regni Franc, (s. o. 39 Anm. 3) 118. 11 Bosl, Franken 15 f.

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erwarben und sich damit in die Reihen des eingesessenen fränkischen Adels eingliederten.1 In zunehmendem Maße übernahmen dessen Angehörige, wie bisher geistliche, nun auch weltliche Ämter. Waren zuvor lediglich missatische Grafen von Fall zu Fall eingesetzt worden (Markbeschreibungen !), * so traten jetzt immer häufiger Grafen auf - z. B. Eburakar, Unwan, Ruadperaht, Poppo -, deren allodialer Besitz in der Hauptsache in Franken lag.3 Die Divisio regnorum von 8064 betrachtete ebenso wie die Ordinatio von 817 und die Neugliederung von 829 Franken als einen Bestandteil der Francia. Erst die Pläne von 831 sahen die Abtrennung und Unterstellung upter die Herrschaft Ludwigs des Deutschen vor, der sich seit dem Sommer des Jahres 833 rex in orientali Francia nannte.5 Dennoch blieb die Herrschaft Ludwigs noch jahrelang lediglich ein Anspruch, der durch die Kämpfe zwischen Ludwig dem Frommen und seinen Söhnen und die Streitigkeiten der Brüder untereinander immer wieder in Frage gestellt war. Auch die geistlichen und weltlichen Großen Frankens setzten Ludwig dem Deutschen Widerstand entgegen, da sie an der Einheit der Francia festhielten. Noch hatten Kirche und Adel Besitz im ganzen Frankenreich links und rechts des Rheins. Erzbischof Otgar von Mainz trat bald für Lothar,6 bald wieder für Ludwig den Frommen,’ aber immer gegen Ludwig den Deutschen auf. Die hattonischen Brüder Hatto und Adalbert waren stets auf der Seite Lothars zu finden;· der dritte Bruder Banzleib, Markgraf von Sachsen, soll von Ludwig dem Deutschen durch den Sachsen Liudolf ersetzt worden sein;‫ ״‬Graf Adalbert fiel 841 in der Schlacht an der Wörnitz auf der Seite der Gegner Ludwigs.10 Die Söhne Gebhards, Graf im Lahngau und Spitzenahn der Konradiner, Udo, Berengar und Berthold mußten zeitweise zu Lothar fliehen." In Fulda wurde unter Abt Rhaban bis zu Ludwigs des Frommen Tod nach dessen Regierungsjahren, danach mit einer Ausnahme nachLothar datiert.12 Ebenso sympathisierten die Popponen mit Ludwig dem Frommen.13 Sie traten allerdings weniger hervor, weil Ludwig der Deutsche sein Interesse aus strategischen Gründen auf die Mainmündung und den Raum von Mainz und Frankfurt richtete; denn hier lag der Schlüssel zur Herrschaft in Ostfranken. Die Popponen konnten daher eine Macht aufbauen, die auch von Ludwig anerkannt werden mußte. Fast alle bisher genannten Vertreter einer ungeteilten Francia fanden sich auf dem Reichstag zu Nimwegen im Sommer 838 ein, auf dem Ludwig der Deutsche erneut ,Ebd. 15 f.; H. Stöbe, Die Unterwerfung Norddeutschlands durch d. Merowinger u. d. Lehre v. d. sächs. Eroberung (Wiss. Zschr. Univ. Jena 6) 1956/57. 153 ff. 2 S. u. 97, 124 Anm. 1. 3 Schlesinger 58 ff.; Friese 102 ff.; u. 98 ff. 4 W. Schlesinger, Kaisertum u. Reichsteilung. Zur Divisio regnorum v. 806 (Festschr. Hartung) 1958, 9-51 (Wiederabdruck: Ders., Beitrr. z. deutschen Verfassungsgesch. d. MA I) 1963, 193-232· 5 Dümmler I 32. 6 Ebd. I 93, 143, 148, 161, 174.

’ Ebd. 108, 126, 137. 8Ebd. 126 ff., 135 f·, !43. 148, 150, 174· * So jedenfalls, ohne Beleg, Stein I 62. 10 Vgl. Dümmler I 129 Anm. 2, 151. 11 Ebd. I 92, 100, 128; II 21. 12 Ebd. 170,105 ff., 110. Die nach Ludwig d. Dt. datierte Urkunde bei C. F. J. Dronkb, Codex diplomaticus Fuldcnsis, 1850, 236. 13 Einhard, Epistolae (MG SS Epp. 5) 130 f. nr. 41 zu 839 (?); vgl. die folgende Anmerkung.

§ 5· Franken im Karolingerreich (F.-J. Schmale)

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auf Bayern beschränkt wurde.1 Da die ostfränkischen Großen zum Kaiser hielten und auch noch die Alamannen abfielen, mußte Ludwig sich trotz seiner Rüstungen nach Bayern zurückziehen. Noch einmal nahm der Kaiser selbst die Zügel in Ostfranken in die Hand. Er ließ das linke Rheinufer sichern und hielt Anfang Mai (840) Hof in der Pfalz Salz;12 am 12. Mai war er in Kissingen,3 am 8. Juni in Frankfurt; in der Nähe von Frankfurt ereilte ihn am 20. Juli der Tod. Keinen Augenblick zögerte Ludwig im Gegensatz zu den letzten Verfügungen des Toten nun die beanspruchten Rechte zu verwirklichen. Er besetzte mit Worms das linke Rheinufer und marschierte von hier aus nach Sachsen. Zwar mußte er sich im April 841, als Lothar mit einem Heer bei Worms den Rhein überschritten hatte, noch einmal nach Bayern zurückziehen, aber nach einer Verständigung mit seinem Halbbruder Karl konnte er am 13. Mai Lothars Anhänger an der Wörnitz im Riesgau schlagen. Nach einem weiteren Sieg im Verein mit Karl über Lothar bei Fontenoye (25. Juni 841) und einem dritten Erfolg bei Koblenz (7.März 842) hatte Ludwig praktisch alle seine Ansprüche durchgesetzt; der Vertrag von Verdun gab ihnen die rechtliehe Form. Die Bestimmungen des Vertrages von Verdun brachten für Ludwig nur mehr die ausdrückliche Bestätigung der bestehenden Verhältnisse, die danach auch nicht mehr grundsätzlich verändert wurden.4 Der Herrschaftsbereich Ludwigs ist in den folgenden Jahrhunderten wohl noch erweitert, aber nicht mehr geteilt worden. Abgesehen von dem rechtsrheinischen Reichsteil wurden ihm auf dem linken Rheinufer die Gebiete um Mainz, Worms und Speyer zugesprochen. Die Behauptung der linksrheinischen Bischofssitze war notwendig, weil ihre Sprengel sich vornehmlich rechts des Rheins erstreckten. Für die linksrheinischen und die rechtsrheinischen Gebiete zwischen Sachsen im Norden und Alamannen und Bayern im Süden entstand nun die gemeinsame Bezeichnung Francia orientalis. Wenn Ludwig in den vorangegangenen Jahrzehnten in Ostfranken eher auf Ablehnung gestoßen war, so fand es sich nun schnell in die neuen Verhältnisse. Eine vorsichtige, von Ressentiments freie Politik hat dies erleichtert. Sie kam bereits in der Ernennung Gozbalds von Würzburg zum Ausdruck,5 noch deutlicher wird sie in der Ernennung Rhabans zumErzbischof von Mainz (847), in der Hinnahme des Abts Hatto von Fulda, der mit einiger Sicherheit zur Sippe der Hattonen gehörte,6 wie denn deren Stellung insgesamt keineswegs geschmälert wurde. Gleiches gilt von Konradinem und Popponen. Sie hatten die vergangenenJahre für sich zu nutzen gewußt: mehrfach hatte Poppo ihm zur Verfügung stehendes Amtsgut gegen fuldische Besitzungen im Grabfeld mit Genehmigung Lud1 Dümmleb I 126; Dobeneckeb I 39 nr. 168. 2 Dümmleb I 136. 3 Dobeneckeb I 42 nr. 183. 4 Zum Vertrag von Verdun HB I 195. 5 Gozbald war vor seiner Erhebung Abt von Niederaltaich und Erzkaplan Ludwigs d. Deutsehen, also dessen Vertrauter, aber er stammte andererseits aus Ostfranken, aus einem um Ochsenfurt begüterten Geschlecht, und war zu-

gleich Abt von Neustadt a. Μ., wie Fmesb 30 f. nachgewiesen hat; vgl. auch Wendehobst 142 ff. Über Gozbalds Vorgänger Humbert und dessen politische Haltung ist wenig bekannt, keinesfalls gehörte er zu den Gegnern Ludwigs d. Fr.; vgl. Wbndehorst 139 ff. Über Humberts und Gozbalds Pontifikate auch Schmale, Würzburg 646 ff, 653. 6 Dümmleb I 176.

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wigs des Frommen getauscht und seine Herrschaft dadurch arrondiert.1 Auch Poppo erlitt keine Einbußen, und seine Nachkommen erfreuten sich bald der besonderen königlichen Gunst. Ludwig machte jetzt Frankfurt neben Regensburg zu seinem bevorzugten Aufenthaltsort; die Verbindung zwischen beiden Sitzen führte durch das südöstliche Franken; die nordöstlichen Gebiete hat er dagegen nicht mehr besucht. Überhaupt hat er wenig aktiv in die Entwicklung eingegrifien, die weiterhin von dem ansässigen Adel getragen wurde.’ Dennoch wurde Frankenjetzt in die Politik verwickelt, die Ludwig als Unterkönig in Bayern begonnen hatte und nun fortführte. Er hatte in den vergangenenjahren mehrfach Kriege gegen das Reich der Mährer geführt und dabei eine gewisse Oberhoheit Bayerns über das Slawenreich erlangt. Im ruhigen Besitz seiner Herrschaft nahm Ludwig diese Politik mit veränderter Stoßrichtung gegen das noch heidnische Böhmen wieder auf; daran wurde jetzt auch Ostfranken beteiligt.’ Andererseits fielen slawische Haufen mehrfach in Ostfranken ein.1*4 An den Kriegszügen war 857 Bischof Otgar von Eichstätt beteiligt;5 er scheint unter den Eichstätter Bischöfen als erster in einer engeren Beziehung zum König gestanden zu haben, bedingt durch die Lage seines Bistums zwischen Bayern und dem Maingebiet. Seit Anfang der siebziger Jahre führte Bischof Arn von Würzburg (855/57-892) mehrere Kriege als Feldherr gegen Böhmen, 872 gemeinsam mit Abt Sigehard von Fulda.6 Die ostfränkische Kirche wurde von Ludwig auf einem Gebiet zum Reichsdienst herangezogen, das ihr bis dahin weitgehend fremd gewesen war. Mit dieser Politik Ludwigs muß auch die Einrichtung einer Mark in Thüringen (839) und im Osten Ostfrankens zusammenhängen. Erstmalig 849, und nochmals 859 wird ein Thachulf dux limitis Sorabici genannt, an einer anderen Stelle derselbe als comes de Boemia bezeichnet; 874 begegnet ein Ratolf als Thachulfi successor, seit 880 ist ein Poppo als comes et dux limitis Sorabici belegt.7 Die Zeit des ruhigen Besitzes Ostfrankens ging sehr plötzlich zu Ende. Im Jahre 858 plante Ludwig noch einen großangelegten Krieg gegen die Slawen entlang der gesamten Ostgrenze seines Reiches, aber er mußte abgeblasen werden, weil der König einem Angebot westfränkischer Großer Folge leistete und 859 einen erfolglosen Zug ins Westfrankenreich unternahm.’ Währenddessen kam es in Bayern zu einem Aufstand des Grafen Emst von der Nordmark, dem sich auch die ostfränkischen Grafen Gebhard vom Lahngau und dessen Verwandte anschlossen. Der Aufstand wurde zwar niedergeschlagen, doch konnte Ludwigs Sohn Karlmann größere Selbständigkeit gewinnen.· Auch in der Folgezeit kam es noch zu Zerwürfnissen, die Ludwig im Jahre 865 zu einer Teilung seines Reiches veranlaßten. Karlmann erhielt Bayern, Karl Schwaben und der älteste Sohn Ludwig derJüngere ganz Sachsen, Ostfranken und Thüringen, 1 Dobenbcker I 41 nrr. 178, 179. 1 Vgl. Friese iii ff. ’ Dümmler I 267 f., 298. 4 Hiermit hängt wohl die Bildung der Sorbenmark in Thüringen zusammen; Stein I 72 ff.; II 73 f.; v. Guttenberg 31 ff. Vgl. auch 45 Anm. 6.

5 Dümmleh I 416 f.; Heidingsfelder 25 nr. 56. 6 Wendehorst I 46 ff.; zur Pontifikatsdauer auch Schmale, Würzburg 644 f. 7 Schlesinger 53 ff.; Klebel (s. u. 46) 81 ff. ’ Dümmler I 426 f. » HB I 167 ff.

§ S- Franken im Karolingerreich (F.-J. Schmale)

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die Verfügung über die Kirche, die Grafschaften und die Krongüter, sowie alle bedeutenderen Rechtsfälle behielt sich jedoch Ludwig der Deutsche auch weiterhin vor.1 Die Entziehung einiger Güter, die Ludwig der Jüngere längere Zeit besessen hatte, und deren Übergabe an Karlmann, führte 866 zu einem Aufruhr, an dem sich die ostfränkischen Rebellen des Jahres 861, aber auch der Poppone Heinrich als Führer der Truppen Ludwigs des Jüngeren beteiligten. Heinrich erhielt den Auftrag, auch die Sorben für den Aufstand zu gewinnen? Der Streit wurde friedlich beigelegt, ohne daß Ludwig der Jüngere in seinen Rechten geschmälert wurde. Eher hat er noch freiere Hand gewonnen; denn der Vater kümmerte sich in Zukunft nicht mehr um die Angelegenheiten Ostfrankens. Die Einrichtung eines Unterkönigtums - darum handelte es sich in der Tat; auch wenn Ludwig der Jüngere nicht den Königstitel trug, hat er doch die Urkunde Ludwigs des Deutschen von nun an mitunterzeichnet1 23 - war von weitreichenden Folgen. Sie hat die von Karl dem Großen gegründete kirchliche Verbindung zwischen Sachsen und Ostfranken durch herrschaftliche Bande verstärkt und wohl auch den Fortgang der deutschen Geschichte beeinflußt. Zu neuen Streitigkeiten zwischen dem König und seinen beiden Söhnen Ludwig und Karl kam es durch eine Veränderung der 865 festgesetzten Reichsteilung infolge des Vertrages von Mersen, der das Ostreich um große Teile Lotharingiens erweiterte. Offensichtlich sollten die beiden Brüder Karl und Ludwig der Jüngere gegen eine EntSchädigung links des Rheins bisher von ihnen beherrschte Gebiete an Karlmann abtreten, doch waren sie dazu nicht bereit und erhoben die Waffen.4 Nur neue Zugeständnisse konnten den offenen Konflikt vermeiden: Die Aussicht auf Erweiterung der Herrschaft Karls im Süden nach dem angeblichen Tod Kaiser Ludwigs II. in Benevent und die Gewährung der versprochenen Lehen an Ludwig den Jüngeren führten im September 871 und endgültig auf einem Reichstag in Forchheim im März 872, der die Teilung von 865 bestätigte und durch lothringische Gebiete erweiterte, zu einem wenigstens äußerlichen Frieden.’ Ludwig der Jüngere herrschte in seinem Gebiet nun fast unabhängig; vielleicht ist deshalb erst 874 wieder ein dux Ratulf, wahrscheinlich ein Poppone, als Tachulfi (f 1. September 873) successor genannt und seit 880 ein Poppo als comes et dux limitis Sorabici.6 In Wahrnehmung seiner größeren Selbständigkeit hat Ludwig der Jüngere offensichtlich seine treuen Parteigänger entschädigt. Der Tod Ludwigs des Deutschen (12. August 875) und weitere Todesfälle in der karolingischen Familie führten Ludwig den Jüngeren in die Bahnen weiter ausgreifender Politik. Ein Versuch Karls des Kahlen, nach seines Bruders Ludwigs des Deutsehen Tod das gesamte linke Rheinufer zu gewinnen, wurde in der siegreichen Schlacht von Andernach abgewehrt; 879 mußten Karls Enkel auch das westfränkische Lothringen an Ludwig abtreten. Im gleichen Jahr fiel nach Karlmanns Tod auch Bayern an Ludwig den Jüngeren. Jetzt wurde Delegation von Aufgaben notwendig: 1 Dümmler II 119 ff. 2 Annales Fuldenses, hg. v. F. Kurze (MGH SS rer. Germ.) 1895, 64 f.; Dümmler II 152 ff. 3 Dazu ebd. II 120 f.

4 Ebd. II 316 ff. ’ Ebd. II 335 ff. 6 Schlesinger 53 f.; Klebbl (s. u. 46) 81.

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Markgraf Ludolf übernahm die Führung in Sachsen. Ludwig war mit dessen Tochter Liudgard verheiratet, die in Franken das Königsgut um Aschaffenburg als Wittum zugewiesen erhielt. In Ostfranken traten die schon bisher von Ludwig begünstigten Großen noch stärker hervor, neben dem Grafen Poppo vor allem Bischof Arn von Würzburg1 und der Poppone Heinrich.2 Am hatte sich seit 871 mehrfach und erfolgreich als Heerführer an den Kriegen gegen die Slawen beteiligt (871, 872) und tat das auch weiterhin vereint mit Heinrich. Dieser selbst wuchs immer stärker in eine führende Rolle hinein. 880 führte er ein ostfränkisches Heer ins Westfrankenreich, während im gleichen Jahr sein Bruder Poppo (II) die Sorben schlug. Nach dem Tode Ludwigs (882), unter dessen Bruder Karl, der noch einmal als Karl III. das Frankenreich als Kaiser in seiner Hand vereinte, erreichte er den Höhepunkt seiner Macht, wurde zum tatsächlichen Führer Ostfrankens und nahm in dieser Stellung weitreichende Aufgaben wahr.3 Fast Jahr für Jahr unternahm er erfolgreiche Kriege gegen die immer lästiger werdende Plage der Normannen, bald in Sachsen, bald am Rhein, 884 im Verein mit Bischof Am, 885 zusammen mit Erzbischof Liutbert von Mainz; 886 ist er vor Paris im Kampf gegen die Normannen gefallen. In seiner Grafschaft im Grabfeld und im Volkfeld sind wenig später seine Söhne (887) nachzuweisen.

§6. DAS «HERZOGTUM» FRANKEN (888-5139)

Stein I 82 ff.; II 278 ff; E. Klebei, Herzogtümer u. Marken bis 900 (DA 2) 1938, 1-53 (überarbeitete Fassung in: Die Entstehung d. deutschen Reiches, Wege der Forschung 1, 1956, 42-93); Wendehorst I 51 ff; G. Zimmermann, Vergebliche Ansätze zum Stammes- u. Territorialherzogtum in Franken (JffL 23) 1963, 379-408.

Unter den Beteiligten an der Erhebung Arnulfs von Kärnten nennen die Quellen neben Sachsen, Bayern und Lothringen auch die Ostfranken, als handle es sich bei ihnen um einen Stamm.4 In der Tat mußte bei der Zusammensetzung des ostfränkischen Reiches vorwiegend aus Stämmen, die zum Teil als Unterkönigtümer Eigenständigkeit entwickelt hatten, das von den ursprünglichen Reichsfranken beherrschte Land den anderen ebenso wie den eigenen Bewohnern als Gebiet eines Stammes erscheinen. Der neue König Arnulf selbst betrachtete es allerdings weiterhin als das eigentliche Reichsland. Neben Regensburg war Frankfurt die wichtigste Residenz, und mehrfach hat er sich in dem auf der Grenze zwischen Bayern und Ostfranken gelegenen * Wendehorst I 47 f. 2 Alle Zeugnisse über Heinrich bei Friese 116 ff. Die Ann. Fuld. (s. o. 45 Anm. 2) nennen ihn zu 866: princeps militiae Ludwigs d. J. 3 Ann. Fuld. 114 zu 886: (marchensis Francorum), qui in id tempus Niustriam tenuit; die Ann. Vedastini z. gleichen Jahr: ducem Austrasiorum. Die Bezeichnungen meinen eher den militärischen Führer als einen (Stammes-)Herzog; vgl. Schlesinger 54. 4 Ann. Fuld. Cont. Ratisp. (s. o. 45 Anm. 2)

115: Franci.. . Saxones et Duringi quibusdam Baiowariorum primoribus at Alamannorum ammixtis; ähnlich ebd. 116 zu 888; W. Schlesincer, Kaiser Amulf u. d. Entstehung d. deutsehen Staates u. Volkes (Die Entstehung d. deutschen Reiches, Wege d. Forschung 1) 1956, 109; 94Ders., Die Anfänge d. deutschen Königswahl (ebd.) 313-385; Μ. Lintzel, Zur Stellung d. ostfränk. Aristokratie beim Sturz Karls III. u. d. Entstehung d. Stammesherzogtümer (ebd.) 153-170.

§ 6. Das «Herzogtum» Franken 888-939 (F.-J. Schmale)

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Forchheim (887, 889 Reichstag, 890, 892, 896),1 wenigstens zweimal auch in der Pfalz Salz (895, 897) * aufgehalten. Ganz besonderer Förderung erfreute sich das bisher von allen Herrschern vernachlässigte Eichstätt, dessen Bedeutung infolge seiner Lage in der Ubergangszone zwischen Bayern und Ostfranken und wegen seiner Nähe zu Forchheim erheblich gestiegen war. Bischof Erchanbald (882?-912), angeblich karolingischer Herkunft,1 23 erhielt zahlreiche königliche Schenkungen und war häufig in der Umgebung des Herrschers.4 Ansonsten aber begnügte sich Arnulf zunächst mit der Anerkennung der bestehenden Verhältnisse. Graf Poppo (II) war nach seines Bruders Heinrichs Tod vor Paris der mächtigste Mann in Ostfranken.5 Seine Familie erfreute sich des besten Verhältnisses zu Bischof Arn von Würzburg; 889 ernannte Arnulf nach dem Wunsch Poppos den Fuldaer Mönche Sunderhold zum Erzbischof von Mainz.6 Das Interesse Poppos war verständlieh, da ein großer Teil seines Einflußbereiches zum Mainzer Sprengel gehörte.7 891 fand auch die Wahl eines neuen Abtes in Fulda im Beisein Poppos statt.8*Im Jahre 892 kam es jedoch zum Bruch mit Arnulf. Während der König gegen Mähren zog, unternahmen Poppo und Am einen Zug gegen die Slawen, auf dem Arn beim ersten Treffen fiel; wenig später wurde Poppo all seiner Ämter und Amtslehen entkleidet.· Ob Entrüstung über den unglücklichen Zug der Anlaß war, wie man behauptet hat, oder ob, wie Arnulf bei der Wiedergutmachung 899 erklärte, eine falsche Anklage einiger Burgwarde den Grund dazu lieferte, muß offenbleiben.10*Vielleicht wurde Arnulf auch die Stellung Poppos zu mächtig, der einige Jahre zuvor seine Herrschaft in einer Fehde mit dem Grafen Egino zu erweitern gesucht hatte, die allerdings mit seiner Niederlage endete." Schließlich kann aber auch der Widerspruch Poppos gegen Veränderungen in Würzburg nach Arns Tod den Anstoß zu dem Zerwürfnis gegeben haben." Seit seiner Ehe mitUda war Arnulf mit den Konradinern verschwägert, die im Lahngau und im ganzen westlichen Ostfranken reich begütert waren." Sie standen außerdem in verwandtschaftlicher Bindung mit einer anderen Sippe, die im zehnten und elften Jahrhundert stellenweise die Nachfolge in Ämtern und Besitzungen der Hattonen antrat und ihrerseits von den Rieneckern abgelöst wurde.14 Dieser Familienverband, der im Westen eine ähnliche Stellung hatte wie die Popponen im Osten, mußte es als beunruhigend empfinden, daß Poppo mit seinem 1 H. Weigel, Der karoling. Pfalzort Forchheim (725-918) (JffL 19) 1959, 135-170, bes. 162 ff. 2 Bosl, Franken 146 ff. m. Lit. 3 Heidingsfelder 29 ff. 4 Ebd. nrr. 72, 75, 79, 81, 83. 5 F. Geldner, Zum Babenberger Problem (HJb. 81) 1962, 1—21; Friese 123 ff. 6 Reginonis Chronicon, hg. v. F. Kurze (MGH SS rer. Germ.) 1890, 134; zu Sünderholt Büttner - Dietrich, Weserland u. Hessen im Kräftespiel d. karoling. u. frühen ottonisehen Politik (Zschr. Westfalen 30) 1952, 133-149> bes· 141 Anm. 60.

7 Dobenecker I 41 nr. 179; Friese 123 hat wahrscheinlich gemacht, daß die Popponen die Vogtei des Klosters Neustadt besaßen und um 870 in Heimerad einen Kognaten als Abt stellten. 8 Dobenecker I 60 nr. 273 a. • DAm. 174; Schlesinger 55 ff. 10 S. Anm. 9. " Ann. Fuld. (s. o. 45 Anm. 2) 95, 100, 109. " Wendehorst I 51 ff. " Stein I 84 ff. 14 O. Schecher, Die Grafen v. Rieneck (Sehr. d. Gesch.-Ver. Lohr am Μ. 8) 1969. 107 ff.

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Eingreifen in Fulda und Mainz auf Positionen im Westen die Hand legte, die ihrer eigenen Interessensphäre angehörten. Nach dem Tod Arns von Würzburg holten die Konradiner zum Gegenschlag aus, indem Arnulf sich dazu verstand, einen der vier damals lebenden konradinischen Brüder namens Rudolf auf den Würzburger Bischofsstuhl zu setzen’ und gleichzeitig Konrad, den ältesten der Brüder, mit den Ämtem Poppos, vor allem dem Dukat, auszustatten.1 2 Nun schienen die Konradiner ihrerseits auf dem besten Weg, eine beherrschende Stellung in Ostfranken zu erringen. Doch hat Konrad sich offensichtlich nicht in den Besitz seiner neuen Würde setzen können; er gab sie zurück, und der König verlieh sie einem nicht näher bekannten Burchard,3 der allerdings erst vom Anfang des zehnten Jahrhunderts an in Thüringen nachzuweisen ist.4 Es wirkt wie ein Eingeständnis seiner Niederlage, wenn Arnulf 899 eine größere Anzahl der 892 entzogenen Güter zu erblichem Besitz an Poppo zurückgab.5 Poppo selbst scheint sich mit dieser Rückerstattung und mit seiner tatsächlichen Machtstellung abgefunden zu haben, anders seine Neffen Adalhard, Adalbert und Heinrieh, die Söhne des dux Heinrich, die überdies mit dem Grafen Egino im Badanachgau verbündet waren, dem Sohn jenes Egino, der der Feind Poppos gewesen war.6 Die sogenannten babenbergischen Brüder waren Grafen im Grabfeld, Gozfeld - in dem auch Würzburg lag -, im Volkfeld und vielleicht auch im Iffgau.7 Bei der Lage dieser Grafschaften, in denen sie vielfach an denselben Orten wie das Bistum Würzburg und der König zumindest durch Lehen begütert waren, kam es fast notwendig zu Reibereien mit dem konradinischen Bischof Rudolf. Auf Rudolfs Seite schalteten sich nach Arnulfs Tod die Brüder des Bischofs ein, und selbstverständlich machte König Ludwig das Kind - der sich völlig unter dem Einfluß der konradinischen Verwandtschaft und des Erzbischofs Hatto von Mainz befand8 - die Sache der Konradiner zu der eigenen. Im Jahre 902 wurden den Babenbergern einige Güter entzogen und Bischof Rudolf gegeben, Konrad erhielt die Grafschaft im Gozfeld. Die popponischen Brüder zogen sich in Adalberts Burg Babenberg zurück und wurden hier 903 belagert. Bei einem Ausfall erhielt der Konradiner Eberhard tödliche Wunden, auf der anderen Seite fiel Heinrich, Adalhard geriet in Gefangenschaft und wurde enthauptet. Dennoch gab Adalbert sich nicht geschlagen. Er fiel im Verein mit dem Grafen Egino in würzburgisches Gebiet ein, vegagte Bischof Rudolf aus seiner Stadt und vertrieb 1 Wendehorst I 51. 2 Regino (s. o. 47 Anm. 6) 140; Ann. Fuld. (s. o. 45 Anm. 2) 122. 3 Regino 140. 4 Schlesinger 55. 5 Dobenecker I 62 nr. 286; DAm. 174: 6 Zum Folgenden H. Wbrle, Titelherzogtum u. Herzogsherrschaft (ZRG 73) 1956, 225 bis 299, bes. 230; Wendehorst I 52ff.; Zimmermann (s. o. 46) 385; Friese 12$ ff; Zu Eginos Grafschaft Dobenecker I 7$ nr. 313; v. Guttenberg 47 ff 7 Stein II 280 ff; Dobenecker I 271, 272, 302, 307, 325.

8 Ich halte es für mehr als wahrscheinlich, daß die Popponen oder ihre Deszendenten angesichts der Lage ihrer Grafschaft, ihrer Stellung, ihres engen Verhältnisses zu Bischof Am Hochstiftsvögte und Burggrafen von Würzbürg waren, auch wenn Quellen darüber fehlen. Das Amt als solches muß es wegen der Immunität der Würzburger Kirche gegeben haben, später findet es sich bei den Grafen von Henneberg. Gerade bei solcher Annahme wäre der Konflikt besonders verständlich. Vgl. Wendehorst I 60 f.; Schmale, Würzburg 654 L

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Witwe und Kinder Eberhards aus ihren Besitzungen bis auf die Westseite desSpessart. Drei Jahre behauptete er seine Eroberungen. Als 906 die Konradiner infolge von VerWicklungen durch ihre lothringischen Güter und Ämter ihre Kräfte teilen mußten, überfiel er Konrad bei Fritzlar, der gleich zu Beginn des Kampfes den Tod fand, und verwüstete hessisches Gebiet. Da er der Vorladung auf einen Reichstag keine Folge leistete, wurde er in seiner Burg Theres eingeschlossen. Nachdem Graf Egino die Partei gewechselt hatte, gab auch Adalbert auf und stellte sich dem Herrscher. Er wurde in Gewahrsam genommen, wobei der bayerische Graf Liutpold und Erzbischof Hatto eine etwas undurchsichtige Rolle gespielt zu haben scheinen;1 ein Gericht der Großen verurteilte ihn zum Tode; am 9. September 906 wurde er enthauptet. Ein Teil der Güter wurde eingezogen, darunter auch Bamberg. Die Macht der Babenberger schien gebrochen. Konrad, der Sohn des bei Fritzlar gefallenen Grafen Konrad, begann den Titel dux zu führen. Seine Stellung schien unvergleichlich, als er 908, nachdem der dux Burchard von Thüringen zusammen mit Bischof Rudolf von Würzburg und Graf Egino vom Badanachgau bei der Abwehr des ersten Ungameinfalls am 3. August 908 gefallen waren, das Herzogtum über Thüringen erhielt? Dennoch blieb die babenbergische Familie im Besitz der meisten Rechte und Güter. Im Grabfeld erscheint seit 908 ein Graf Poppo (ΙΠ), wohl der Sohn des früheren dux von Thüringen;123 906 ist er bereits als Graf im Volkfeld nachgewiesen,4* nach 926 auch im Tullifeld.3 Der 904/06 im Radenzgau genannte Graf Adalhard könnte ebenfalls zu dieser Familie zu stellen sein? Schließlich muß einer der drei in der Babenberger Fehde umgekommenen Brüder einen Sohn Heinrich besessen haben, der ebenfalls in seinem Besitz ungeschmälert blieb (912-934) und mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht nur der Vater des Bischofs Poppo I. von Würzburg, sondern auch der Stammherr der Schweinfurter Grafen und der jüngeren Babenberger wurde.7 Trotz der Niederlage von 906 blieb so viel an Besitz und Rechten bei den Popponen und Babenbergem erhalten, daß ihre Nachkommen wenig später wiederum eine Rolle im östlichen Franken spielen konnten. Vielleicht hatten dabei die Liudolfinger die Hand im Spiele; denn Otto der Erlauchte war mit Haduwich (Hedwig), einer Tochter (?) des dux Heinrich verheiratet.8 Vom Harz aus südlich sowohl in Thüringen vordringend wie in Hessen, wo er noch vor 908 das Kloster Hersfeld als Laienabt erworben 1 Widukind (s. o. 8 Anm. 8) I c. 21. 2 DLdK. 72; Widukind (s. o. 8 Anm. 8) I c. 16; Klebel (s. o. 46) 76 ff. hat im Gegensatz dazu ein Herzogtum Ostfranken konstruiert, das 832 gebildet worden sein und bis etwa 886 bestanden haben soll; für die Zeit von 886 bis 910 möchte er dagegen eine herzogslose Epoche annehmen (87). Klebels Argumente und Belege erscheinen mir als sehr fragwürdig und insgesamt keineswegs überzeugend. 3 Friese 126. 4 DLdK. 46. Nach Friese 124 noch Poppo (II). 3 Friese 126; vgl. auch v. Guttenberg 48. 4 HdBG III, i

6 DLdK. 82. 7 Schlesinger 162; K. A. Eckhard, Genealogische Funde z. allgem. Gesch. (Deutschrechtl. Arch. 9) 19631, 18; Friese 120 ff.; v. Guttenberg 56 ff. betrachtet ihn als möglichen Ahnherrn der Babenberger, geht aber nicht auf Heinrichs Herkunft ein. 8 Widukind (s.o. 8 Anm. 8) 31 Z. 10f.; Eckhardt (s. Anm. 7) 12; vgl. jetzt Friese 119 ff, durch den Gbldner (s. o. 47 Anm. 5) überholt wird, und W. Metz, Die Absta'mmung König Heinrichs I. (HJb. 84) 1964, 278 ff.

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hatte, gehörte Otto zu den Konkurrenten der Konradiner, der mit deren MachtausWeitung ins östliche Franken nicht einverstanden sein konnte. Das Vordringen der Sachsen an der Elbe hat schließlich sogar die thüringisch-ostfränkische Mark überflüssig gemacht. Eberhard, der Bruder des jüngeren Konrad, des späteren Königs, wird 914 zum letzten Mal als Markgraf genannt.1 Der Einfluß der Liudolfinger war inzwischen auch in Thüringen so übermächtig geworden, daß Ottos (f 912) Sohn Heinrich von Liudprand von Cremona als Saxonum et Turingiorum prepotens dux bezeichnet werden konnte.12*Im Schutz der Ottonen bauten die mit den Popponen verwandten Grafen von Weimar/Orlamünde5 ihre Stellung in Thüringen aus. Diese Entwicklung ist durch die Erfolge der Konradiner im Jahre 906 kaum beeinträchtigt worden, wenn auch Konrad und sein Oheim Gebhard die einflußreichsten Laienfürsten am Hof des Königs waren. Mit den Ungarn war überdies eine Gefahr aufgetaucht, die die Aufmerksamkeit vor allem auf den Südosten des Reiches lenkte. Die Last der Abwehr trugen die Bayern unter dem Markgrafen Liutpold,4 aber die allgemeine Furcht war so groß, daß Bischof Erchambert von Eichstätt in einer umfangreichen Schenkung des Königs (5. Februar 908) das Recht erhielt, Befestigungen im Gebiet seines Bistums anzulegen.5 Tatsächlich erschienen die Ungarn 910 im Eichstätter Gebiet;4 915 kamen sie bis Fulda und verwüsteten Franken und Thüringen.7 An dem Abwehrkampf waren auch die Ostfranken unter Graf Gebehard beteiligt, der in der Schlacht fiel. * Von den Adligen, die die Regierung Ludwigs des Kindes getragen hatten, war jetzt nur mehr Konrad übrig, und es war nur folgerichtig, daß nach dem Tod des Königs (20. August 911) auf einem Hoftag in Forchheim Konrad die Königswürde erhielt, nachdem Otto der Erlauchte von Sachsen ein entsprechendes Angebot abgelehnt hatte. * Gemäß seiner Herkunft hielt sich Konrad L, soweit ihm die Verwicklungen in Schwaben und Bayern Zeit dazu ließen, häufig in Franken auf, doch scheint er nicht stärker in die inneren Geschicke vor allem des östlichen Frankens eingegriffen zu haben, ebensowenig sein Bruder, der dux Eberhard.10 Dieser trat 919 bei der Wahl Heinrichs I. in Fritzlar, also in einer konradinischen Grafschaft, als Stimmführer der Ostfranken auf,11 und er kann in einem ähnlichen Sinn wieErchanger und Burchard in Schwaben und Heinrich in Sachsen als dux in Ostfranken betrachtet werden, aber eine Herrschaft über Franken und im besonderen über die östlichen Gebiete hat er nicht ausgeübt. Nach wie vor lag der Schwerpunkt seiner Stellung im Westen, nur hier besaßen die Konradiner Eigentum und Grafenrechte. Möglicherweise machte sich auch hier der Einfluß Heinrichs von Sachsen geltend, gegen den Eberhard sich 1 DK. I 22; Schlesinger 144 ff.;Patze (s. o. 7 Anm. 3) 63 ff. 2 Liudprand, Antapodosis, hg. v. J. Becker (MGH SS rer. Germ.) 1915’, II c. 18. 5 Patze (s. o. 7 Anm. 3) 101 ff. * HB I 204 ff. 5 Heidingsfelder 38 f. nr. 101. 4 Dümmler III 557 f. m. Anm. 1. 7 Ebd. 596.

* Die Annales Alamannici, hg. v. G. H. Pertz (MGH SS 1) 1826, nennen ihn zu 910 dux (Heerführer). * Schlesinger, Königswahl (s. o. 46 Anm. 4) 332 ff 10 Stein I 94 ff.; II 287 ff.; Wendehorst I j6f. 11 Widukind (s. o. 8 Anm. 8) I c. 26.

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vergeblich zu wehren suchte. 915 rückte er in den einst seiner Familie unterstehenden sächsischen Hessengau ein, um die Eresburg zu erobern, wurde jedoch von Heinrich völlig geschlagen, der nun seinerseits in Franken eindrang. Selbst der König, der seinem Bruder zu Hilfe eilte, zog den kampflosen Rückzug vor.1 Die konradinische Macht hatte sich als unzureichend erwiesen, um das Reich und Franken zugleich zu behaupten. Darin mögen die Gründe gelegen haben, die den erbenlosen Konrad bewogen, auf die Bewahrung des Königtums in seiner Familie zu verzichten und seinem Bruder Eberhard zu empfehlen, den Liudolfinger Heinrich zum König zu wählen und ihm die Reichsinsignien nach seinem Tode (23. Dezember 918) zu übergeben.12*45 Ob die Dinge so glatt verliefen, wie die nicht gerade gut unterrichtenden zeitgenössischen Quellen glauben machen, ist fraglich. Es ist nicht auszuschließen, daß zunächst Arnulf von Bayern von den Großen seines Stammes zum König (der Bayern?) erhoben wurde und dies den Ausschlag dafür gab, daß sich im Mai, auffallend lange nach Konrads Tod, Ostfranken und Sachsen in Fritzlar versammelten und Heinrich zu ihrem König wählten.’ Die Erhebung Heinrichs durch die Ostfranken hat sein Verhältnis zu Eberhard voll bereinigt ;♦ mehrfach weilte der Konradiner in der Umgebung des Königs.’ Faßt man die wenigen Quellenaussagen für die Zeit Heinrichs zusammen, die Eberhard mehrmals als dux Francorum bezeichnen,6 und sieht man seine Rolle bei dem Krönungsmahl Ottos I. in Aachen als Vertreter der Franken,7 dann muß Eberhard tatsächlich die Rolle eines dux zugestanden worden sein. Das hätte nur der Politik Heinrichs gegenüber den übrigen Stämmen und Herzögen entsprochen. Tatsächlich ist er im westlichen Franken nur selten anzutreffen und hat hier ebensowenig wie in den übrigen Stammesgebieten unmittelbar eingegriffen. Dennoch darf man Eberhards Stellung nicht im Sinne einer Gewalt über ganz Ostfranken sehen; im östlichen Teil des Landes hat er keinerlei Rolle gespielt. Hier setzte der König die von seinem Vater eingeschlagene Politik fort. 920 weilte er in Fulda und schenkte dem Kloster Eigengüter im Grabfeld, 932 hielt er in Erfurt eine Synode ab, 936 eine Reichsversammlung, auf der die Thronfolge geregelt wurde, 927 hielt er sich in der Pfalz Salz auf, ebenso 931.8 Im übrigen erfreuten sich hier mit Billigung Heinrichs die Popponen und Babenberger nach wie vor des größten Einflusses. Graf Poppo vom Grabfeld intervenierte zweimal zugunsten Würzburgs zwecks Bestätigung der älteren Privilegien’ und war 929 in einem Fuldaer Rechtsstreit tätig.10 Noch näher scheint 1 Dümmler III 596 f. 2 Widukind (s. o. 8 Anm. 8) I c. 2j, 26; Μ. Lintzel, Zur Designation u. Wahl König Heinrichs I. (DA 6) 1943, 379 ff; Schlesinger, Königswahl (s. o. 46 Anm. 4) 336 ff ’ HB I 212 f. 4 Widukind (s. o. 8 Anm. 8) I c. 26: pacem fecit, amicitiam promeruit; Liutprand, Antapod. (s. o. 50 Anm. 2) II c. 20; G. Waitz, Jbb. d. dt. Reiches unter Kg. Heinrich I., 1885’, 222 ff, Exkurs 11. 5 Waitz, ebd. 50 f., 119, 126, 139. 6 In den meist chronikalischen Quellen wird 4·

allerdings neben dem Titel dux unterschiedslos auch die Bezeichnung comes verwendet; vgl. Zimmermann (s. o. 46) 386. 7 Widukind (s. o. 8 Anm. 8) II c. 2. 8 Waitz (s. o. Anm. 4) passim; Stein I 99f. ’ Wendehorst I 57. 10 Dobenecker I 80 nr. 337. Angesichts der erhaltenen Quellen ist die Bezeichnung des Grafen als propinquus Heinrichs I. nur verständlich, wenn Heinrich zu den Popponen gestellt wird.

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dem König der sicher babenbergische Graf Heinrich gestanden zu haben, der zwisehen 912 und 934 mehrfach bezeugt ist und den der König als seinen Verwandten bezeichnete.1 Schon 912 war er bei einer Güterschenkung an Fulda im Iffgau beteiligt, 918 intervenierte er zugunsten des Bischofs Thioto von Würzburg, im gleichen Jahr nahm er an einer Versammlung in Forchheim teil; 920, 927 und 932 in Salz war er in der Umgebung Heinrichs, 931 bei Heinrichs Besuch in Franken und 934 in Nordhausen in Thüringen. Mit großer Wahrscheinlichkeit war er Graf im Radenzgau.12 Das eichstättische Gebiet dagegen gehörte in dieser Zeit nicht zu Franken. Bischof Udalfrid (912-933) erschien nur auf bayerischen Landtagen und Synoden, vielleicht infolge von Zugeständnissen des Königs an Herzog Arnulf von Bayern, der 933 in Starchand auch einen Nachfolger für Udalfrid ernannte.3 Der Tod Heinrichs I. und die Nachfolge Ottos, bei dessen Krönungsmahl Eberhard das Amt des Truchseß versah, schien zunächst Kontinuität zu verbürgen, hat aber dann doch für Franken grundlegende Veränderungen gebracht. Wie schon die Krönung in Aachen andeutete, nahm Otto fränkisch-karolingische Traditionen wieder auf, die unter anderem auch dazu führten, an die Stelle des entstehenden und in Bayern schon vollendeten Stammesherzogtums ein Amtsherzogtum zu setzen. Bayern war 938 das erste Opfer und mußte in Berthold einen Herzog von Königs Gnaden annehmen, Franken wurde das zweite. Der Anlaß schien gering.4 Im Jahre 937 empörte sich gegen Eberhard, der auch im sächsischen Hessengau das Grafenamt erhalten hatte, einer seiner sächsischen Lehnsleute namens Brüning, dessen Burg Hellmern Eberhard daraufhin einäscherte. Otto verurteilte Eberhard zu einer hohen Buße, ließ aber die Sachsen straffrei ausgehen. Diese Kränkung verwand Eberhard nicht. Der Streit zwischen ihm und Brüning lebte wieder auf und weitete sich zu einer allgemeinen Empörung aus, als des Königs Bruder Heinrich sich auf Brünings Seite stellte, Ottos anderer Bruder Tankmar die Partei Eberhards ergriff, Heinrich gefangennahm und an Eberhard auslieferte. Als Tankmar in der Kirche der Eresburg gefallen war, dachte Eberhard schon an eine Unterwerfung und suchte Heinrich als Vermittler zu gewinnen, ließ sich aber von diesem in eine Verschwörung hineinziehen, der sich auch Herzog Giselbert von Lothringen anschloß und die Heinrich das Königtum verschaffen sollte. Als Giselbert und Eberhard nach namhaften Erfolgen, die Ottos Herrschaft ernsthaft zu gefährden drohten, auf einem Plünderungszug rechts des Rheins ihr Heer bei Andernach schon über den Strom gesetzt hatten, selbst aber noch auf dem rechten Ufer weilten, wurden sie von Eberhards Vettern Udo und Konrad, die dem König treu geblieben waren, überfallen. Giselbert ertrank auf der Flucht im Rhein, Eberhard fand im Kampf den Tod. 1 Schlesinger 162 f.; Friese 120 fT. 2 v. Guttenberg 57; danach war Heinrich wahrscheinlich auch Graf im Volkfeld. 3 Heidingsfelder 41 ff., 45 ff.; HB I. 362.

4 Köpkb-Dümmler, Kaiser Otto d. Gr. (Jbb. d. deutschen Gesch.) 1862, 62 f., 71-93 zum Folgenden.

§ ‫ך‬.

Franken im ottonischen und salischen Reich (F.-J. Schmale)

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§7. FRANKEN IM OTTONISCHEN UND SALISCHEN REICH

HB I 206, 216; Stein I 94 ff., II 287 ff.

a) Festigung der Königsmacht (940-1002). Wenn es überhaupt ernsthafte Aussichten auf ein Stammesherzogtum in Franken gegeben hatte, so waren sie mit Eberhards Tod endgültig dahin. Eberhard selbst war ohne Nachkommen gestorben, seine Grafenrechte fielen an seine Verwandten; den Titel eines Herzogs haben weder sie noch sonst jemand wieder getragen. Fester denn je war das Land jetzt in der Hand des Königs. Wie die meisten Konradiner hielten auch die Popponen und Babenberger in Treue zum König, und dieser hat es ihnen gelohnt, indem er sie mit vielen Ämtern ausstattete. Fast das ganze östliche Franken war in der Hand von Angehörigen dieser Sippe. Im Grabfeld waltete Graf Poppo bis zu seinem Tod (945). * Wenn danach die Zeugnisse bis 974 aussetzen, so ist dennoch sicher, daß das Amt bei seiner Familie blieb.1 2Außerdem wurde nach der Absetzung Eberhards von Bayern die Gewalt des bayerischen Herzogs eingeschränkt, indem der bayerische Nordgau mit der böhmischen Mark einem Grafen Berthold übertragen wurde,3 dem Ahnherrn der jüngeren Babenberger, der mütterlicherseits mit den Liutpoldingem verwandt war, väterlicherseits aber mit den Popponen.4*Außerdem wurde er Graf im Radenzgau und im Volkfeld. Auch das Bistum Würzburg kam an einen Popponen. Otto übertrug es seinem Kanzler und Verwandten Poppo,1 der vielleicht der Sohn des namentlich nicht genannten Burggrafen (und Hochstiftsvogtes) von Würzburg war.6 Poppo erhielt für das Domkapitel das Recht der freien Bischofswahl und königliche Eigengüter im Radenzgau (960) ;7 er ist auch nach seiner Erhebung mehrfach in der Umgebung des Herrschers nachzuweisen. Seinem Bruder Heinrich wurde das Erzbistum Trier anvertraut (956-964); ein naher Verwandter, Poppo II., wurde sein Nachfolger in Würzburg (t 983)? Auch dieser trat häufig im Reichsdienst hervor, vor allem unter Otto Π. Im Jahre 974 intervenierte er in Bayern anläßlich eines drohenden Aufstandes des Bayernherzogs zugunsten des Königs, 976 nahm er mit einem fränkischen Aufgebot am Feldzug gegen den rebellierenden Heinrich den Zänker teil, 979 wahrscheinlich an einem Krieg gegen die Slawen, 981 sollte er dem Kaiser im Rahmen des damals von 1 Schlesinger 161; Friese 128. 2 Die zwischen 975 und 1049 im Grabfeld genannten drei Grafen Otto sind sicher Popponen (Schlesinger 161; Friese 128), wahrscheinlich auch der 951 (DO. I 132) belegte gleichnamige Graf, dem der Fiskus Salzgau untersteht. 3 Heidingsfelder 45 nr. 120; HB I 301 ff. 4 Restlos geklärt ist die Herkunft der jüngeren Babenberger noch immer nicht, doch sprechen nach wie vor die gewichtigsten Gründe dafür, daß sie Deszendenten der Popponen sind; so zuletzt W. Metz, Babenberger u. Rupertiner in Ostfranken (JffL 18) 1958, 295-304; Ders.,

Das Problem d. Babenberger in landesgeschichtl. Sicht (BlldLG 99) 1963, 59-81, durch den v. Guttenberg 56 ff. weitgehend überholt ist, und Friesb 13 i ff; vgl. auch K. Lechner, Beim. z. Genealogie d. älteren Österreich. Markgrafen (MIÖG 71) 1963, 246 ff.; F. Gbldner, Zum Babenberger Problem (HJb. 81) 1962, 1—21; Ders., Zur Genealogie d. alten Babenberger (HJb. 84) 1964, 257-270. 5 Wendehorst I 59 ff. 6 Schlesinger 162 ff.; Schmale, Würzburg 654 ff. 7 DDO. I 44, 217. 8 Wendehorst I 63 ff.; vgl. auch Anm. 6.

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Otto II. erlassenen Truppenaufgebots sechzig gepanzerte Reiter zuführen.1 Eichstätt wurde unter Otto I. von seiner vorübergehenden Bindung an Bayern und die bayerisehe Kirche wieder gelöst, wahrscheinlich gleichzeitig mit der Übertragung des Nordgaus an den jüngeren Babenberger Berthold. Bischof Starchand erschien wieder auf den Reichssynoden und Reichstagen;12* sein Nachfolger Reginold (966-991)’ wurde vom Kaiser ernannt.45 Die Politik Ottos I., als Grafen und Bischöfe in Franken die mit ihm verwandten popponischen Deszendenten einzusetzen und ihnen auch bisher Bayern unterstehende Gebiete zu überantworten, hat sich bewährt. Ostfranken ist bei allen Konflikten des Königs mit seinen Verwandten und den Herzogtümern ruhig geblieben und hat ihm seine militärische Kräfte geliehen, war erneut Königsland geworden, in dem ergebene Große die Interessen des Herrschers wahmehmen. In den ersten eineinhalb Jahrzehnten ist Otto verhältnismäßig oft im östlichen Franken gewesen. Allein viermal besuchte er die Pfalz Salz (940,941,947,948), das letzte Mal weilte er 954 in Langenzenn bei Nürnberg, wo der Friede mit den aufständischen Liudolf und Konrad dem Roten geschlossen werden sollte.’ An Stellung und Haltung Frankens hat sich auch unter Ottos I. Nachfolgern Otto II. und Otto III. grundsätzlich nichts geändert. Dieselben Familien wie zuvor, besonders die Popponen, die sich bald von Henneberg nannten,6 blieben die bevorzugten Helfer des Königs. Nach dem Aufstand Heinrichs des Zänkers wurde 976 Luitpold, dem Bruder des Grafen Berthold vom Nordgau, die bayerische Ostmark übertragen; er wurde damit zum Stammvater der österreichischen Babenberger.7 In den Grafschaften des Nordgaus und im Radenzgau und in den zahlreichen sonstigen Besitzungen am mittleren und oberen Main folgte auf den 980 verstorbenen babenbergischen Grafen Berthold dessen Sohn Heinrich.8 Dennoch hat gerade die Regierungszeit Ottos II. wichtige, wenn auch allmähliche Veränderungen herbeigeführt. Es war wohl dem Einfluß der Kaiserin Adelheid und Heinrichs II. von Bayern zuzuschreiben, daß noch 973 Reichsgut um Bamberg an Heinrich übertragen wurde.’ Vielleicht hing es damit zusammen, daß nun für die babenbergische Familie, deutlicher seit dem Tod des Grafen Berthold, die ebenfalls auf Königsgut zurückgehende Burg Schweinfurt10 an Bedeutung gewann und schließlich von Bertholds Sohn Heinrieh an für die Familie namengebend wurde. Zahlreiche Güter im östlichen Franken schenkte Otto II. im nächstenjahr auf Bitten seines Neffen Otto, des späteren Herzogs von Schwaben, an das Stift Aschaffenburg, das Ottos Eltern Liudolf und Ida wahrscheinlich um 955/57 gegründet hatten. Nach dem Tod Herzog Ottos (982), mutmaßlich noch zu Lebzeiten Ottos II., kam das Stift mit all seinen Besitzungen an 1 Const. I 633. 2 Heidingsfelder nrr. 121, 122, 126. ’ Heidingsfelder 48 ff. 4 Köpke-Dümmler (s. o. 52 Anm. 4) 409. 5 Stein I iij; II 306; Köpke-Dümmler 237!. 6 Über die Verbindung der Henneberger mit den Popponen zuletzt Friese 129 f. (m. ält. Lit.).

2 HB I 223 f. 8 v. Guttenberg 69 ff. ’ DO. II 44; v. Guttenbhrg, Reg. 7 f. nr. 8. 10 Zu den Besitzungen der Babenberger, besonders auch um Schweinfurt, Mbtz, Problem (s. o. 53 Anm. 4) bes. 64 ff.

§ 7·

Franken im ottonischen und salischen Reich (F.-J. Schmale)

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Mainz und bildete mit dem dazugehörenden Spessartforst später den größten geschlossenen Komplex des Mainzer Territoriums.1 Mit diesen Besitzveränderungen stärkte Otto II., der 976 überdies Bischof Poppo II. von Würzburg Teile des Königsgutes zu Forchheim und 989 das Krongut Schaippach übertrug,1 2 die Stellung lokaler und partikularer Gewalten. Seine und seines Sohnes Ottos III. auf Italien und Rom gerichtete Politik, gegenüber der die deutschen Verhältnisse an Gewicht verloren, kann ebenso Ursache gewesen sein wie die konsequente Fortsetzung des von Otto I. eingeschlagenen Weges, die geistlichen Institutionen mit immer weitergehenden Rechten auszustatten. In den Auseinandersetzungen um die Nachfolge Ottos Π., der noch kurz vor seinem Tod seinen Kaplan Hugo zum Bischof von Würzburg bestimmt hatte,3 stand Franken gegen die Ansprüche Heinrichs von Bayern auf Seiten Ottos III. Er hat als König diese Treue durch Schenkungen vornehmlich an das Bistum Würzburg vergolten, die zwar ebenfalls nicht der Konsequenz entbehrten, aber doch eine neue Epoche in der Reichskirchenpolitik einleiteten. Sie gingen zum Teil auf die Initiative der Würzburger Bischöfe zurück. Das gilt sicher für die Rückgabe der Klöster und Orte Neustadt, Hombürg, Amorbach, Schlüchtern, Murrhardt und Münsterschwarzach, die zum Teil aufgrund von Fälschungen erfolgte, die Würzburg unter dem Bischof Bernward (990-995) dem König vorlegte.4 Würzburg war seitdem im Besitz sämdicher Männerklöster seiner Diözese. Dieses zielstrebige Bemühen der Würzburger Bischöfe erfuhr unter Bischof Heinrich I. (995-1018) einen ersten Höhepunkt.5 Möglicherweise gehörte zu den Motiven der bischöflichen Politik eine aufkommende Rivalität zu den Angehörigen der popponisch-babenbergischen Sippe. In auffälliger Parallele zu dem Streit nach der Ernennung des Konradiners Rudolf kam es schon unter Bernward zum Konflikt mit Heinrich von Schweinfurt, Graf auch in dem Würzburg benachbarten Volkfeld.6 Während dieser Auseinandersetzung, in der der Würzburger Vasall Ewerker eine Hauptrolle spielte, mußte Graf Heinrich eine Landesverweisung durch den König hinnehmen und konnte erst gegen eine gebührende Entschädigung Ottos III. Gnade wiedererlangen.7 Dennoch wurde 994, als Graf Heinrich und sein Oheim Markgraf Luitpold von der Ostmark auf Einladung des Bischofs in Würzburg weilten, Luitpold durch einen Verwandten Ewerkers getötet, wenn auch versehentlich anstelle seines Neffen. Die unmittelbare Nachbarschaft des Bistums Würzburg und des ehrgeizigen Grafen Heinrich war für Bischof Heinrich von Würzburg hinreiehender Anlaß, sich um größere Macht zu bemühen und den Schweinfurter abzudrängen. Das war um so leichter, als sich Bischof Heinrich im Reichsdienst geradezu aufopferte8 und sich so der Dankbarkeit Ottos ΙΠ. und dessen Nachfolgers HeinrichsII. 1 H. Decker-Hauff, Die Anfänge d. Kollegiatstiftes St. Peter u. Alexander zu Aschaffenburg (1000 Jahre Stift u. Stadt Aschaffenbürg, Aschaffenburger Jb. 4) 1957, 131-151; HAB Aschaffenburg (G. Christ). 2 DDO. II 132, 311. 3 Wendehorst I 67 ff. 4 Zur Sache Wendehorst I 72.

3 Zur Abstammung P. Schöffel, Herbipolis sacra (VGffG IX 7) 1948, 56 ff.; Wendehorst I 74 ff. 6 Thietmar, Chron. (s. o. 20 Anm. 3) IV 21. 7 Ebd.: Rex . . . predictum comitem exilio relegavit et post haec ... apud antistitem digna emendatione reconciliavit. 8 Im einzelnen Wendehorst I 76 ff.

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Franken: B. I. Die politische Entwicklung 716/1^-1237

versicherte. In einer Zeit, in der sich allenthalben die Macht des Adels verfestigte, mußte überdies in den Augen des Königs die Bedeutung des Bistums für die Verklammerung Nord- und Süddeutschlands zunehmen. Schon von Otto III. erlangte Bischof Heinrich im April und Mai des Jahres 1000 die Burg Bernheim im Rangau und den Wildbann in dem zu Bernheim und Leutershausen gehörenden Forst - zum Teil im Tausch mit anderen Würzburger Gütern, wodurch die Würzburger Initiative gesichert erscheint - sowie die Pfalz Salz mit dem dazugehörigen Forst.1 Noch waren solche Forstschenkungen an geistliche Institute etwas Seltenes; fast völlig Neues geschah indessen mit den Schenkungen vom 30. Mai 1000, durch die Würzbürg Grafenrechte im Waldsassengau westlich von Würzburg bis in den Spessart hinein (Neustadt) und im Rangau erhielt.12 Der Regierungsantritt Heinrichs II. bedeutete für Würzburg eine konsequente Weiterentwicklung der zuletzt hervorgetretenen Tendenzen, brachte für das östliche Franken aber auch eine weitgehende Umgestaltung der politischen Verhältnisse. b) Die Gründung des Bistums Bamberg Looshorn I; Hauck ΙΠ 418 ff.; v. Guttenberg ji ff., bes. 72 ff.; Ders., Reg. 1 ff.; v. GuttenH. L. Mikoletzky, Kaiser Heinrich. II. u. d. Kirche (Veröffentl. d. Inst. f. österr. Gesch. 8) 1946, bes. 32 ff.; Kist 9 ff.; Stein 1131 ff.; II314 f.; Th. Mayer, Die Anfänge d. Bistums Bamberg (Festschr. E. Stengel) 1952, 272-288.

berg I;

König Heinrich II. war dem östlichen Franken persönlich verbunden. Sein Vater Heinrich der Zänker hatte, seitdem ihm Bamberg zugefallen war, mehrfach dort geweilt; seinem Sohn, dem späteren König, war dieser Ort ein besonders lieber Aufenthalt geworden.2 So könnte man Heinrich als einen der «ostfränkischen» Großen bezeichnen, der bereits früh mit den dortigen Verhältnissen vertraut wurde. Besonders zu Bischof Heinrich von Würzburg fand er ein enges Verhältnis.4 Bei den umfangreichen Erwerbungen im Mai des Jahres 1000 stand er ihm als Intervenient zur Seite.2 Seine Haltung gegenüber den Babenbergern war zumindest reserviert, verfügte doch der Schweinfurter als Graf im Nordgau über ein Gebiet, das bis vor wenigen Jahrzehnten dem bayerischen Herzog unterstanden hatte, und die jeweiligen Vorfahren des Markgrafen und des Königs hatten kaum ein freundliches Verhältnis zueinander gefunden.6 Es war zu erwarten, daß Bischof Heinrich von Würzburg die Thronkandidatur Heinrichs II. unterstützen würde. Zweifelhaft und nicht ganz ungefährlich angesichts der Gegenkandidatur Ekberts von Meißen7 konnte die Stellungnahme Heinrichs von Schweinfurt scheinen, dessen Unterstützung der König erst durch die Zusage erhielt, ihm das Herzogtum Bayern zu übertragen, wenn er selbst die Königs1 DDO. III 352, 338, 361. Es scheint nicht ausgeschlossen, daß es sich hierbei um Teile der Heinrich von Schweinfurt (s. 0.55 Anm. 7) auferlegten Buße handelte; vgl. Metz, Problem (s. o. 53 Anm. 4) über die Pfalz Salz. 2 DO. III 366.

2Thietmar, Chron. (s. o. 20 Anm. 3) VI 30. 4 Adalboldi Vita Heinrici Π. imperatoris (MG SS 4) 68j; Jaffä V 474. 2 DDO. III 352, 358, 366. 6 HB I 223 ff. 7 Thietmar, Chron. (s. o. 20 Anm. 3) V 4 ff.

§ ‫ך‬.

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kröne gewonnen habe.1 Das Versprechen war kaum ernst gemeint; solche Winkelzüge hat Heinrich II. öfter angewandt, wenn es seinen Zielen diente. Die Erfüllung des Versprechens hätte überdies einen von der bayerischen Ostmark bis an den Main reichenden babenbergischen Machtblock geschaffen. Da Heinrich von Schweinfurt den König mehrfach ohne Erfolg an sein Versprechen erinnert hatte, schloß er sich Boleslaw Chrobry an, der gerade Böhmen besetzt hatte. Sein Vetter Emst, ein Sohn Luitpolds von der Ostmark und Bruder des Markgrafen Heinrich von der Ostmark, verbündete sich ihm ebenso wie des Königs eigener Bruder Bruno. Dennoch brach der Aufstand schnell zusammen, als ihm der Herrscher im Sommer entgegentrat. Heinrich II. nahm noch im August die Burg Ammertal bei Amberg, zu deren Besätzung auch polnische Hilfstruppen gehörten, wenig später die Burg Creussen, die Heinrichs Bruder Burchard verteidigte; Graf Heinrich selbst zog sich in die Burg Kronach zurück, zerstörte aber schließlich die Befestigung und floh zu Boleslaw. Inzwischen waren Bischof Heinrich von Würzburg und Abt Erchanbald von Fulda im Auftrag des Königs gegen Schweinfurt gerückt, um auch diese Burg, in der sich des Grafen Mutter Eila von Walbeck, die Tante des Chronisten Thietmar, aufhielt, niederzulegen. Heinrichs II. erfolgreicher Feldzug gegen Boleslaw im nächsten Jahre veranlaßte den Grafen, sich in Merseburg zu unterwerfen.1 Der mißglückte Aufstand führte zu weitgehender Ausschaltung der ostfränkischen Babenberger aus dem politischen Kräftespiel Frankens. Zwar wurden dem Grafen die beträchtlichen Eigengüter belassen, aber fast alle Reichsämter und Reichslehen mußte er aufgeben.123 Die Grafschaft im Nordgau war bereits 1003 einem Udalschalk übertragen worden,4*die Grafschaft im Radenzgau ging an einen Adalbert,3 die Masse des verliehenen Reichsgutes fiel dagegen an den König zurück. Heinrich von Schweinfurt nahm nicht mehr an Reichsangelegenheiten teil und starb am 18. September 1017. * Der Sturz des Babenbergers scheint für den König den letzten Anstoß gegeben zu haben, in Bamberg ein Bistum zu gründen. Es muß dahingestellt bleiben, ob Heinrich II. diese Absicht schon seit seiner Thronbesteigung hegte;7 denn es fehlten damals die materieilen Voraussetzungen, die erst durch den mißglückten Aufstand geschaffen wurden.’ Aber spätestens im Herbst 1003, als die Niederlage sich deutlich abzeichnete, ist sich der König wohl über die möglichen Konsequenzen klar geworden. Der Beginn des Dombaus in Bamberg muß bereits ein fester Bestandteil in der Verwirklichung des

1 Thietmar, Chron. (s. o. 20 Anm. 3) V 14; v. Guttenberg 70 ff. 2 Thietmar, Chron. V 14, 18, 23, 32-38; VI 2, 16. 3 v. Guttenberg 71 f. 4 DH. II 56 (1003 Sept. 9); DH. II 61. 3 Stein I 141 identifizierte ihn auf Grund des wahrscheinlich verfälschten Michelsberger Güterverzeichnisses aus dem 12. Jh. (Giesebrecht Π3 600) mit dem späteren Markgrafen der Ostmark, der 1018 dem erbenlos verstorbenen Bruder Heinrich von der Ostmark nachfolgte

und damals erst die Grafschaft im Radenzgau abgegeben haben soll; v. Guttenberg 102, 203 ff. hat in ihm wohl zu Recht einen Abenberger gesehen. 6 Thietmar, Chron. (s. o. 20 Anm. 3) VII 63. 7 So allerdings Thietmar, Chron. VI 30 und v. Guttenberg, Reg. 10 nr. 15, doch darf Thietmar, der hier zusammenfassend über die Gründung Bambergs berichtet, nicht zu streng interpretiert werden. • So auch Hauck III 422 Anm. 8.

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Vorhabens gewesen sein,1 mit dem Heinrich 1006/7 an die Öffentlichkeit trat.1 2 Notwendig war aber auch das Einverständnis des Bischofs von Würzburg, aus dessen Sprengel vor allem die neue Diözese gebildet werden mußte.3 Der Bischof erklärte sich schließlich bereit, den Radenzgau und einen Teil des Volkfelds mit Bamberg selbst gegen eine Entschädigung abzutreten, aber doch erst, nachdem ihm der König die erzbischöfliche Würde und die Unterstellung der Bistümer Bamberg und Eichstätt versprochen hatte. Auf einer Synode an Pfingsten 1007 in Mainz erklärte sich Bischof Heinrich unter Zustimmung des Metropoliten Willigis von Mainz offiziell zur geforderten Abtretung bereit4*und gab der königlichen Gesandtschaft, die die Billigung des Papstes zu der Gründung einholen sollte, ein entsprechendes Schreiben mit.3 Da der Wunsch des Würzburger Bischofs auf Erhöhung aber in Rom offensichtlieh gar nicht vorgetragen wurde und die päpstliche Genehmigung der Gründung davon nichts erwähnte,6*weigerte sich der Bischof, die vorgesehene Abtretung zu verwirklichen; damit schien das ganze Vorhaben gefährdet? Aber die Synode vom 1. November 1007 setzte sich dank der geschickten Verhandlungsweise des Königs über die Bedenken, die der Vertreter Heinrichs vortrug, wegen des früher gegebenen Einverständnisses und der päpstlichen Bestätigung hinweg und vollzog die Gründung in feierlicher Form.® Schon am 6. Mai 1007 hatte Heinrich II. sein Eigentum im Radenz- und Volkfeldgau übertragen,’jetzt dotierte er in über sechzig Einzelurkunden das Bistum noch reichlicher mit sechs Klöstern und zahlreichen Gütern, die, nur zu einem geringen Teil im Bamberger Sprengel gelegen, über das ganze Reich, vornehmlich aber im bayerischen Raum verstreut lagen.I0In den folgenden Jahren wurde der Bamberger Besitz durch weitere königliche Schenkungen noch beträchtlich erweitert. Nach Vermittlungsversuchen des Patriarchen von Aquileja und des Bischofs von Halberstadt, der Heinrich von Würzburg an seine frühere Aussage während eines Ritts nach Bamberg erinnerte, daß die östlichen Teile seines Sprengeis für ihn fast wertlos seien und er kaum einmal in diese Gegend komme, gelang endlich Erzbischof Heribert von Köln, dem Bruder des Würzburgers, die Aussöhnung.11 Am 7. Mai tauschten König und Bischof Urkunden über die beiderseitigen Abtretungen aus, die jetzt noch in einigen Punkten zugunsten Würzburgs verbessert worden waren. Auch in der Folgezeit stellte der König noch eine Reihe von Privilegien aus, in denen Würz-

1 Das Jahr 1004 für den Baubeginn des 1007 zuerst erwähnten Domes hat in den Quellen keine unmittelbare Stütze (vgl. v. Guttenberg. Reg. 10 nr. 15), erscheint aber angesichts der politischen Umstände noch immer als das richtigste. 2 v. Guttenberg, Reg. nrr. 19, 20; 13 f. nr. 25 (Pfingstsynode in Mainz, 1007 Mai 25). 3 Ebd. 11 f. nrr. 19, 20; W. Neukam, Das Hochstift Würzburg u. d. Errichtung d. Bistums Bamberg (WDGB11. 14/15) 1952/53, 147-172; G. Kallen, Heinrich II. u. Würzburg (ebd.).

4 v. Guttenberg, Reg. 13 f. nrr. 25, 26. 3 Ebd. nr. 27. 6 jAiri (s. Bd. I AV) 3954; v. Guttenberc, Reg. 15 f. nr. 29; Mayer, Fürsten 254 ff. 7 v. Guttenberg, Reg. 17 nr. 31. ® Ebd. 17 ff. nr. 33. ’ Ebd. nrr. 21, 22. 10 Ebd. 25 ff. nrr. 37ff.; v. Guttenberg 81 ff.; W. Neukam, Territorium u. Staat d. Bischöfe v. Bamberg u. seine Außenbehörden (BHVB 89) 1948/49. 1-35· " v. Guttenberg, Reg. 38 ff. nrr. 74-77.

§ ‫ך‬.

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bürg die Marktrechte in Kreuzwertheim, Großgerau im Tausch gegen die bischöfliehen Kirchen in Hallstadt und einigen anderen Orten, die Grafenrechte in Bessungen, vor allem aber der Wildbann beiderseits des Mains im nördlichen Waldsassengau und im Gozfeld verliehen wurden.1 Mit mehr Erfolg gelang es dem Eichstätter Bischof Megingaud, zu seinen Lebzeiten die Forderung des Königs auf Abtretung eines Teiles des Eichstätter Sprengeis an Bamberg zu verweigern.2 Doch schenkte Heinrich II. seit 1007 bereits so zahlreiche Eigengüter in den zu Eichstätt gehörigen Teilen des Nordgaus an Bamberg, daß sich Megingauds Nachfolger Gundekar 1016 nach kurzem Widerstreben damit einverstanden erklärte, das Gebiet, dessen südliche Grenze im wesentlichen die Pegnitz bildete, an Bamberg zu übergeben.3 Damit war die eigentliche Gründungsepoche für Bamberg noch zu Lebzeiten Heinrichs II. abgeschlossen; zum ersten Bischof der neuen Diözese hatte Heinrich seinen Kaplan Eberhard ernannt und noch am 1. November 1007 weihen lassen.45 Zwei Motive hat Heinrich II. selbst für die Gründung Bambergs angegeben. Einerseits wollte er, da ihm kein Leibeserbe geschenkt war, Gott zu seinem Erben einsetzen, andererseits sollte das neue Bistum das Heidentum der Slawen zerstören.’ Tatsächlich war das bambergische Gebiet, vor allem der Radenzgau, von einer starken Bevölkerung slawischer Herkunft besiedelt, die zwar längst eingedeutscht gewesen sein dürfte, und seit karolingischer Zeit gab es dort auch christliche Kirchen, aber Reste des Heidentums waren selbst noch um die Mitte des elften Jahrhunderts vorhanden.6 Man hat zwar die von Heinrich angegebenen Gründe in Zweifel gezogen und vornehmlich politische Gründe unterstellt, nämlich neben der Eindeutschung der Slawen7 besonders die Auffüllung eines durch den Sturz des Schweinfurter entstandenen Machtvakuums;8 aber dazu besteht kein Anlaß. Bei aller Nüchternheit, politischen Einsicht und Berechnung, die gerade diesen Herrscher kennzeichnen, sind Zweifel an seinen religiösen Impulsen nicht angebracht. Selbstverständlich trugen sie aber die Züge ihrer Zeit und zielten stets auf eine Konkretisierung, die dann auch reale politische Folgen zeitigte. Wie die Entstehung des «Machtvakuums» materielle Voraussetzung für die Verwirklichung des persönlichen und sachlichen Impulses war, so mußte die Gründung wiederum die Ausfüllung dieses Machtvakuums zur Folge haben. Denn die Gründung Bambergs konnte nur in der Form erfolgen, daß das neue Bistum die gleiche Gestalt erhielt, wie sie die übrigen Bistümer besaßen, ein Reichsbistum wurde wie alle andern und daher nicht ausschließlich religiösen Aufgaben im 3 DDH. II 207, 267, 268, 326; vgl. Neukam, Würzburg (s. o. 58 Anm. 3). 2 Heidingsfelder 54 nr. 148. 3 Ebd. 56 f. nr. 155. 4 v. Guttenberg, Reg. 23 f. nr. 36. 5 Vgl. im einzelnen Hauck III 418 f.; v. Guttenberg 73 fr.; Ders., Reg. 20 f. nr. 34; Ders. 129 ff, der politischen Motiven das größte Gewicht beimißt; Kist 16 f. 6 v. Guttenberg, Reg. 144 f. nr. 312.

7 So Hauck III418 mit Belegen, jedoch ohne Überbetonung. 8 So vor allem v. Guttenberg (vgl. Anm. 5; Schmeidler (s. o. 3) 58 ff. Hauck III 421 stellt die persönlichen Motive in den Vordergründ. Den geistlichen Charakter betonen H. Günter, Kaiser Heinrich II. u. Bamberg (HJb. 59) !939; Kist 16 ff. Daß Heinrich II. Bamberg zu einer Hauptstadt des Reiches, zu einem neuen Rom zu machen beabsichtigte, meint O.

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modernen Sinn dienen konnte und sollte.1 Gerade in dieser Hinsicht scheint es wichtig, daß sich der bambergische Besitz aus vielen einzelnen Gütern zusammensetzte, die außerhalb des Sprengeis lagen, und das Bistum zunächst weder Wildbann- noch Grafenrechte erhielt, Ansätze zur Entwicklung einer geschlossenen Territorialgewalt also kaum beabsichtigt waren.2 Man hat zwar angenommen, Bamberg habe noch unter Heinrich die Grafschaft im Radenzgau und in dem zum Bistum gehörigen Teil des Volkfeldes erhalten, doch ist im Radenzgau noch nach Heinrichs II. Tod ein Graf Adalbert (von der Ostmark?) nachgewiesen. Die Bestätigungsurkunde Konrads II., die von Grafenrechten spricht, nennt keine einzige bis dahin bestehende Grafschaft als Eigentum Bambergs.3

c) Die Zeit Konrads II. und Heinrichs III. Die Vorgänge während der Regierung Heinrichs II. hatten den Adel in seiner Bedeutung gegenüber den kirchlichen Institutionen zurückgedrängt. Von den Deszendenten der Popponen besaß nur mehr der im Grabfeld ansässige Zweig derer von Henneberg eine verhältnismäßig geschlossene Stellung.4 Vom Fichtelgebirge bis an den Rhein waren die meisten Rechte in der Hand der Bistümer Mainz, Würzburg und Bamberg, an die sich im Süden das Bistum Eichstätt anschloß; ihm war es ebenfalls gelungen, einen ansehnlicheren hochstiftischen Besitz zusammenzubringen. Kaum irgendwo war zu Beginn des elften Jahrhunderts das Reichskirchensystem deutlicher ausgeprägt als in Ostfranken. Solange der König in vollem Umfang die Kirchenherrschaft behauptete, war Franken das Kernland des Reiches. SchonBischof Heinrich von Würzburg hatte sich, abgesehen von der vorübergehendenVerstimmung wegen Bamberg, häufiger dem Reichsdienst gewidmet als seine Vorgänger. Unter Otto III. war er seit 996 fast ständig in der Umgebung desKaisers, sowohl in Italien wie in Deutschland. Unter Heinrich II. weilte er Meyer, Kaiser Heinrichs Bamberg-Idee im Preislied d. Gerhard v. Seeon (Fränk. Bll. 3) 1951. 76; ebenso G. Zimmermann, Bamberg als königl. Pfalzort (JffL 19) 1959, 207 ff. 1 Vgl. auch Mayer, Fürsten 248 ff. 2 Vgl. Neukam, Territorium (s. o. 58 Anm. 10) 11. - Gegen die Verleihung der Immunität an Bamberg, die v. Guttenberg, Das Gründungsprivileg Johannes XVIII. f. d. Bistum Bamberg (ZBLG 4) 1931 zu beweisen versuchte, Mayer, Fürsten 257 ff, der annimmt, daß die weltliche Stellung der Bamberger Bischöfe zunächst ausschließlich auf Grafenrechten beruhte; vgl. auch die folgende Anm. 3 Diese Frage ist oft behandelt worden, v. Guttenberg 102 f., 177 ff, 196 ff. trat für eine - nicht mehr urkundlich belegbare - Verleihung von Grafschaftsteilen (= Zenten) an Bamberg schon um 1007 ein, die allerdings erst in dem Privileg Heinrichs IV. von 1068 (v. Guttenberg, Reg. 202 nr. 397) namentlich erwähnt werden. Auch Mayer, Fürsten 259 ff, bes. 261 nimmt an, daß dem Bischof eine lehns-

herrliche Stellung in den beiden Grafschaften eingeräumt worden sei, da die Grafen Thiemo (Volkfeld) und Adalbert (Radenzgau) 1015 unter den milites des Bamberger Bischofs aufgeführt sind (v. Guttenberg, Reg. 60 nr. 122). Angesichts der Quellenlage über die Ausstattung des Bistums, bei der das Fehlen eines Privilegs gerade über die Grafenrechte nach wie vor Bedenken erregt, beruhen alle Aussagen nur auf Hypothesen, zumal der Begriff des comitatus in der Bestätigungsurkunde DK. II 206 a noch nicht eindeutig geklärt scheint und Thiemo und Adalbert auch auf Grund anderer Lehen als der Grafschaften Vasallen Bambergs gewesen sein können. So scheint die Annahme von Hauck ΠΙ 426 f. Anm. 4, daß Bamberg Grafschaftsrechte nicht erhielt, sondern «erschlich», noch immer nicht wirklich widerlegt. Vgl. auch u. 64. 4 E. Zickgrat, Die gefürstete Grafschaft Henneberg-Schleusingen (Sehr. d. Inst. f. gesch. Lkde. v. Hessen u. Nassau 22) 1944.

§ ‫ך‬.

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fast Jahr für Jahr monatelang am Hof und nahm auch an den meisten Feldzügen teil.1 Andererseits ist Heinrich II. allein vierundzwanzigmal in Bamberg nachzuweisen; * der erste Bamberger Bischof Eberhard übernahm 1013 das Erzkanzleramt für Italien und hat es bis zu des Kaisers Tod behalten.123 Die enge Verbindung der ostjränkischen Bistümer mit dem König war keineswegs ausschließlich eine Sache der Personen. Sowohl der neue Würzburger Bischof Meginhard (1018-1034),4*wie die Eichstätter Bischöfe Walther (1020/21, gestorben auf dem Romzug)’ und Heribert (1022-1042), letzter ein Verwandter Heinrichs von Würzburg und Heriberts von Köln,6 wie auch der neue König Konrad aus salischem Geschlecht setzten sie fort. Würzburg erhielt auch unter Meginhard königliche Schenkungen, die Macht und Leistungsfähigkeit des Bistums steigerten: den Wildbann im Steigerwald 1023,78 *den Forst Murrhardt 1027,‫״‬ Marktrechte in Würzburg 1030’ und den Forst Mellrichstadt.1011 Gegenüber Bamberg zögerte Konrad mit einer Gesamtbestätigung bis 1034," aber auch er weilte fünfmal in Bamberg und nahm das bambergische Reichskirchengut auf diese Weise stärker in Anspruch als das würzburgische.12 Eichstätt scheint von Konrad das Münzrecht erhalten zu haben.13 Bischof Bruno von Würzburg (1034-1045) war ein Vetter König Konrads und nahm 1038/39 amltalienzug teil, begleitete Heinrich III. 1042 nachBurgund, warb im gleichen Jahr für den König um die Hand der Agnes von Poitou und reiste 1045 mit dem Herrscher nach Ungam.14 Wenn Brunos Nachfolger Adalbero (1045-1090) aus dem Hause der Grafen Lambach/Wels” unter Heinrich ΠΙ. weniger häufig im Rcichsdienst anzutreffen ist, so vielleicht unter anderem deshalb, weil er bei Versuchen, Rechte Würzburgs auf Fulda auszudehnen (1049) und die Rechte der Bamberger Kirche zu beeinträchtigen (1052), zurückweichen mußte.16 Heinrich III., der inBamberg 1045 seinenKanzler Suitger eingesetzt hatte,” hielt dort häufiger Hof als in irgendeinem anderen fränkischen Ort.18 An dem Bischofssitz hatte sich dank einer vorzüglichen Bibliothek, deren Grundstock Heinrich II. gelegt hatte, schnell eine Domschule entwickelt, die in Deutschland ihresgleichen suchte. Mit Vorliebe wurden die hier Ausgebildeten in den Dienst des Königs genommen, unter ihnen Erzbischof Anno von Köln und Bischof Heinrich von Hildesheim.1* Im Jahre 1046 wurde Bischof Suitger nach der Synode von Sutri unter Beibehaltung seines deutschen Bistums Bischof von Rom. Gleichzeitig wuchs auch Eichstätt stärker als bisher in die Rolle eines Reichsbistums hinein. Die Person des Bischofs Gebhard (1042-1057), ein Seiten1 Wendehorst I 76 ff. 2 Bayer. Geschichtsatlas 17c; Zimmermann (s. o. 59 f. Anm. 8) 208 f. 3 v. Guttenberg, Reg. 53 nr. 106; NDB 4, 226. 4 Wendehorst I 89 ff. 3 Heidingsfelder 58 nr. 158 ff. 6 Ebd. 58 ff. 7 DH. II 496. 8 DK. II 107. ’ DK. II 54. 10 DK. II 173. 11 DK. II 206a; v. Guttenberg, Reg. 94(. nr. 206; Kist 23 f.

” Nur zwei Aufenthalte in Würzburg, vgl. Bayer. Geschichtsatlas 17c. ” Heidingsfelder 64 nr. 176. 14 Wendehorst I 92 ff. ”Ebd. 100ff.; Vita s. Adalberonis, ed. I. Schmale-Ott (QFGHW 8) 1954. 16 Wendehorst I 109 ff.; P. J. Jörg, Würzbürg u. Fulda. Rechtsverhältnis zw. Bistum u. Abtei bis z. n.Jh. (QFGHW 4) 1951, 71 ff. ” v. Guttenberg, Reg. 99 nr. 218. 18 Bayer. Geschichtsatlas 17 c. ’· Dazu u. 127 ff.

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verwandter des Königs, mag dazu beigetragen haben.1 Er nahm an Reichsversammlungen und Synoden teil, weilte auch sonst öfter am Hof, begleitete Heinrich III. auf seinem Romzug 1046/47 und wurde schließlich der wichtigste Vertraute des Kaisers.1 2 Unter ihm war Eichstätt erneut Bindeglied zwischen Mainfranken und Bayern; mehrfach griff- Gebhard in die bayerischen Verhältnisse ein.3 Als er 1052 aus Sorge um die Südostgrenze Bayerns gegenüber Ungarn dafür eintrat, das deutsche Heer, das Papst Leo IX. bei seinem Besuch in Deutschland für den Kampf gegen die Normannen geworben hatte, zurückzurufen, fand er ebenfalls Gehör.4 Es war weitgehend auf sein Votum zurückzuführen, daß 1053 Mai/Juni auf einem Hoftag in Goslar Herzog Konrad von Bayern, vornehmlich wegen seiner Haltung in den Kämpfen bayerischer Großer gegen die Ungarn, abgesetzt wurde,5 und als wenige Monate später der dreijährige gleichnamige Sohn des Kaisers das Herzogtum erhielt, wurde Gebhard für den Unmündigen als Verweser bestellt.6 Zum Dank für seine Dienste erhielt er auf dem Tag in Goslar neben dem Marktrecht in Beilngries und Waldkirchen den Ottinger Forst.7 Als Gebhard als Viktor II. auf den römischen Bischofsstuhl kam, behielt auch er sein Reichsbistum. Bei einem Aufenthalt in Deutschland 1056 übertrug der sterbende Kaiser ihm die persönliche Sorge für den unmündigen Erben und wahrscheinlieh auch die Reichsverweserschaft. 8 An politischem Gewicht konnte sich der weltliche Adel Frankens nicht mit der Reichskirche messen. Otto, der Sohn des Heinrich von Schweinfurt, blieb auf die vom Vater ererbten Eigengüter beschränkt. Er genoß zwar das Ansehen eines Fürsten und erwarb sich durch treuen Dienst die Dankbarkeit des Kaisers, aber dieser übertrug ihm kein Amt in Franken, sondern gab ihm 1048 das Herzogtum Schwaben.’ Als er 1057 starb, hinterließ er nur fünf Töchter, durch deren Ehen die Eigengüter völlig zersplittert wurden.10 Nur in dem ausgedehnten Grabfeld wirkte noch eines der führenden altfränkischen Geschlechter, Deszendenten der Popponen, die sich erstmalig nachweisbar 1034 Grafen von Henneberg nennen. Dagegen versuchten die salisehen Könige mit Erfolg im östlichen Franken eine zusätzliche Position aufzubauen. Durch die Schenkungen an Bamberg hatte Heinrich II. fast ganz Ostfranken von unmittelbar genutztem Königsgut entblößt; Heinrich III. begann mit dem Ausbau des zuvor in den Quellen nie genannten Nürnberg einen neuen Rcichsgutkomplex zu formieren." 1050 wurde Nürnberg anläßlich einesHoftags erstmals als Aufenthaltsort genannt.12 Schon Konrad II. hatte inMögeldorf beiNürnberg geweilt (102 j, 103 o),13 von Heinrich III. wurde das bisher zu Fürth gehörige Marktrecht auf Nürnberg übertragen.14 1 Hetdingsfblder 67 ff. 2 P. Kehr, Vier Kapitel aus d. Gesch. Heinrichs III. (Abh. Berlin 3) 1930, 57 ff.; LThK X 769. 3 Heidingsfelder nrr. 186, 189, 191, 193. 4 Ebd. 70 nr. 194. 5 Ebd. 70 nr. 195. 6 Ebd. 72 nrr. 198 ff. 7 Ebd. 71 nrr. 197, 196; weitere Schcnkungen Heinrichs III. ebd. 73 f. nrr. 202, 203. 8 Ebd. 74 nr. 208.

’ Stein I 157 f.; II 328. 10 S. u. 63, 66, 77, 82. 11 K. Bosl, Nürnberg als Stützpunkt staufischer Staatspolitik (MVGN 39) 1944; vgl. auch v. Guttenberg 114. 12 DH. III 253. 13 DDK. II 30, 153. 14v. Guttenberg 114; Ders., Das mittelalterl. Fürth (ZBLG 6) 1933; vgl. auch 63 m. Anm. 3.

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d) Der Investiturstreit in Franken (1057-1125). Die Rivalitäten im Reich nach dem Tod Heinrichs III. und die daraus folgenden allgemeinen Veränderungen bewirkten einen größeren Spielraum der lokalen Gewalten, der durch Nachgiebigkeit und Inkonsequenz der Reichsregierung gefördert wurde. Vor allem Bischof Gunther von Bamberg zog daraus einigen Gewinn:1 1062 erhielt er den von Heinrich III. im Zusammenhang mit dem Aufbau des Reichsgutes um Nürnberg entzogenen Hof Forchheim mit allem Zubehör durch Anno von Köln zurück, * einige Tage später wurde das von Fürth auf Nürnberg übertragene Marktrecht erneut für Fürth verliehen? In dem Konflikt zwischen Anno und der Kaiserin schlug er sich ganz auf die Seite des Erzbischofs und hielt sich, so lange Agnes die Regentschaft ausübte, vom Hof fern.1234* Bischof Gundekar von Eichstätt war fast ausschließlich bei Kirchen- und Altarweihen oder bei Ordinationen von Bischöfen, vornehmlich in Bayern, anzutrefien? nur Adalbero von Würzburg weilte mehrfach am Hof. Dafür hat aber gerade er seine bischöfliche Gewalt in dieser Zeit des Übergangs auszudehnen gesucht und dadurch manchen lokalen Konflikt ausgelöst. Auf einer Bamberger Diözesansynode im Jahre 1059 mußten seine Ansprüche auf den Neubruchzehnt im Bamberger Sprengel - sie stützten sich wohl auf die Würzburg verbliebenen Eigenkirchen in der neuen Diözese - zurückgewiesen werden? Daß eine zweite Bamberger Synode sich 1087 noch einmal damit beschäftigte,7*spricht nicht dafür, daß er sich nach dem Spruch von 1059 zufriedengab. Ebenso versuchte er in den sechziger Jahren erneut, Würzburger Rechte auf Kosten Fuldas auszudehnen. Als ein päpstliches Mahnschreiben (1068) aufgrund einer Fuldaer Klage nicht fruchtete, wurde er wegen unzulässiger Beeinträchtigung Fuldaer Rechte und Besitzungen nach Rom geladen und mußte die Wiederherstellung des Besitzstandes versprechen? Gleichzeitig begann der Adel sich wieder erneut zu regen: 1061/62 kam es zu einer langanhaltenden Fehde zwischen dem Grafen Hermann von Habsberg im Nordgau, der mit Alberata, einer Tochter Ottos von Schweinfurt, verheiratet war, und dem Grafen Gozwin im Grabfeld, wahrscheinlich um das Schweinfurter Erbe.9 Die Kämpfe zogen auch bambergisches Gebiet in Mitleidenschaft. Graf Hermann erhielt Unterstützung durch die Kaiserin, Bischof Gunther dagegen stellte sich auf die Seite Gozwins.10*Wenig später geriet auchWürzburg mit Gozwin in Konflikt: Bischof Adalberos Vasallen haben den Grafen 1065 erschlagen.11 Mit Beginn der selbständigen Regierung Heinrichs IV. wurde die Hand des Königs wieder stärker spürbar. Nach dem Tod Gunthers ernannte der König den Mainzer 1 Zu Gunther v. Guttenberg, Reg. 124 ff. 2 Ebd. 159 f. nr. 334. 3 Ebd. 160 f. nr. 335. 4 Über die Spannungen zwischen Gunther und der Kaiserin Agnes, die entgegen den letztwilligen Verfügungen Heinrichs III. die Rückgabe ehemals bambergischer Güter zu verschleppen suchte, und über das Verhältnis Gunthers zu Anno jetzt v. Guttenberg, Reg. 124 ff. nr. 277 und Erdmann, Studien (s. u. 127 Anm. 1) passim.

5 Heidingsfelder 76 ff.; Bauerreiss I 144ff. 6 v. Guttenberg I 35; Ders., Reg. 144 f. nr. 312. 7 Ebd. 274 nr. 545. 8 Wendehorst I in; Jörg (s. 61 Anm. 16). 9 v. Guttenberg 239; Ders., Reg. nrr. 323, 325. 330· 10 Erdmann, Studien (s.u. 127 Anm. 1) 28f., 284 f. ‫ ״‬Stein I 164 f.; II 330 f.

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Vizedom Hermann, einen in Finanzdingen erfahrenen und gewandten Mann zum neuen Bischof.1 Er war allerdings dem Domkapitel wenig genehm und geriet bald über dessen Besitzungen mit den Kanonikern in Streit, so daß diese schließlich mit Erfolg auf seinen Sturz hinwirkten. Dem jungen König war Hermann eng verbunden, häufig am Hof weilend, hat er den König in vielen Dingen beraten. In den Sachsenkriegen stellte er ebenso wie Adalbero von Würzburg sein Aufgebot dem König zur Verfügung. Tatsächlich kam den fränkischen Bistümern in dieser Zeit erhöhte Bedeutung zu. Die Kaiserin Agnes hatte durch Verleihung des Herzogtums Bayern an den Sachsen Otto von Nordheim1 2 das Königtum jedes unmittelbaren Rückhaltes in einem Stammesherzogtum entblößt. Als Otto aufgrund der falschen Anklage, ein Attentat gegen den König geplant zu haben, abgesetzt wurde und Sachsen zum Aufstand aufrief,3 sein Nachfolger in Bayern, Herzog Welf, sich ebenfalls dem König entfremdete und mit Rudolf von Rheinfelden, dem Herzog von Schwaben, und Berthold von Zähringen verbündete,4 war die Sicherung Frankens, die Verhinderung des Zusammenschlusses der sächsischen und süddeutschen Opposition eine Existenzfrage für den König. Aus dieser Situation zog vor allem Hermann von Bamberg Nutzen. Am 12. August 1068 bestätigte Heinrich in einem Privileg, das der direkten Vorlage entbehrte, dem Bistum die Grafschaften im Radenz-, Saale-, Grabfeld- und Volkfeldgau;5 im Oktober 1069 erhielt Bamberg ein Königsgut im Nordgau,6 im Dezember desselben Jahres einen umfangreichen Wildbann zu beiden Seiten der Rednitz, der den Forchheimer Forst einschloß.7 Einer der Zwecke solcher Schenkungen erschließt sich aus den unter Hermann besonders umfangreichen Belehnungen von Vasallen mit Stiftsgütem, unter anderem wohl aus Anlaß der Sachsenkriege. ’ Da auch Adalbero von Würzburg’ und Gundekar von Eichstätt10 an diesen Kämpfen auf königlieher Seite teilnahmen und sich nicht in den Kreis der Gegner Heinrichs IV. ziehen ließen, schien Franken vermittels der drei Bistümer die ihm zugedachte Rolle als Königsland zu erfüllen. Gerade in diesem Moment aber begannen vornehmlich außerhalb oder in den westlichen Grenzräumen des Reiches erwachsene kirchlich-religiöse Kräfte, jetzt geführt vom römischen Bischof, der sich in den Jahren der Unmündigkeit Heinrichs IV. der Verfügung des deutschen Königs entzogen hatte, auf das Reich einzuwirken. Als sie mit dem Königtum in Konflikt gerieten, mußten sie naturgemäß Ostfranken ganz besonders in Mitleidenschaft ziehen. Schon der erste Zusammenstoß zwischen Papsttum und König traf das Bistum Bamberg. 1 v. Guttenberg, Reg. 193 ff. 2 HB I 240 f. 3 Ann. Altahenses maiores, hg. v. E. v. Oefele (MGH SS rer. Germ.) 1891,76 fr.; Brunos Buch vom Sachsenkrieg, ed. Η. E. Lohmann (MGH Dt. MA 2) 1937, 2j; Lampert, Ann., ed. O. Holder-Egger (MGH SS rer. Germ.) 1894, 113 ff. 4 HB I 248 ff. 5 v. Guttenberg, Reg. 202 nr. 397. 6 Ebd. 204 nr. 405. 7 Ebd. 205 nr. 406.

’ Erdmann, Studien (s. u. 127 Anm. 1) 257; Die Briefe Heinrichs IV., ed. C. Erdmann (MGH Dt. MA 1) 1937, nrr. 24, 25, 27, 32, 35, 41, 45 (vgl. dazu aber auch Quellen z. Gesch. Kaiser Heinrichs IV., hg. v. F.-J. Schmale, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 12, 1963, 9 ff· u. passim, der diese Stücke für mögliehe Fiktionen hält, was wiederum Classen [s. u. 140 Anm. 2] bestreitet); v. Guttenberg, Reg. 194 nr. 173· ’ Wendehorst I 104 f. 10 Heidingsfelder 84 nr. 245.

§ ‫ך‬.

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Bereits 1073 waren die Räte Heinrichs IV. - den König selbst suchte man in Rom noch zu schonen - wegen Simonie gebannt worden.' Der König mied zwar nicht, wie von ihm in Übereinstimmung mit den Canones verlangt worden war, den Umgang mit den exkommunizierten Räten, ließ aber, als die Bamberger Kanoniker in richtiger Einschätzung der rigorosen päpstlichen Haltung ihren längst mißbliebigen BischofHermann in Rom wegen Simonie verklagten,1 2*überraschend schnell seinen bisherigen Vertrauten fallen. Da die Auseinandersetzung mit den Sachsen noch nicht entschieden war, mußte ein gleichzeitiger Konflikt mit dem Papst vermieden werden. Deshalb nahm Heinrich die Suspension der Simonie beschuldigter Bischöfe hin und stimmte auch Hermanns Absetzung zu,2 obwohl der Suspendierte durch das Eingreifen seinerTruppen gegen die Sachsen die siegreiche Entscheidung in der Schlacht von Homburg zugunsten des Königs herbeigeführt hatte.4 Das königliche Investiturrecht wurde dagegen noch nicht grundsätzlich bestritten. In dem Propst Rupert von Goslar ernannte Heinrich IV. einen Nachfolger, der in der Reichspolitik die Linie seines Vorgängers fortsetzte und auch in dessen Stellung beim König eintrat.5 Dank dessen blieb das Bistum in den Stürmen der nächsten Jahrzehnte eine sichere Stütze des vielfach bedrängten Königs. Auch in Eichstätt setzte Heinrich IV. 1075 nach dem Tod Gundekars mit Udalrich I. (1075-1099) einen neuen Bischof ein, der ihm die Treue hielt.6 Selbst als wegen der Übergabe von Eichstätter Besitz an den Sachsen Heinrich den Fetten, die auf Druck des Königs erfolgte, eine Entfremdung eintrat,7 schlug Udalrich sich nicht auf die Seite der Gegner. Schwierig und für den König gefährlich entwickelten sich dagegen die Verhältnisse in Würzburg. Bisher hatte das Verhalten Bischofs Adalbero keinen Zweifel an seiner königs- und reichstreuen Gesinnung aufkommen lassen. Dennoch war Adalbero, wie seine Klostergründungen und seine Freundschaften mit Altmann von Passau und Gebhard von Salzburg bestätigen,8 stärker als mancher seiner Mitbischöfe von den kirchlichen Reformbestrebungen beeinflußt und von der Rechtmäßigkeit der Ansprüche des Reformpapsttums überzeugt, wie sie Gregor VII. vertrat. Als 1076 der Konflikt zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. die deutsche Kirche zur Stellungnähme zwang, ließ Adalbero keinen Zweifel an seiner Haltung. Das Wormser Absetzungsschrciben des deutschen Episkopats unterzeichnete er erst nach vergeblichen Einwänden;’ schon auf der römischen Fastensynode 1076 lag möglicherweise sein Widerruf vor;10 nach der Exkommunikation Heinrichs IV. gehörte er mit Welf von 1 G. Meyer v. Knonau, Jbb. d. deutschen Reichs unter Heinrich IV. u. Heinrich V., 7 Bde., 1890/1909, hier III. 2 Lampert, Ann. (s. o. 64 Anm. 3) 205; Erdmann, Studien (s. u. 127 Anm. 1) 25$ ff., zum Teil berichtigt bei v. Guttenberg, Reg. 224 f. nr. 437. 2 Erdmann, Studien 264 f. 4 Lampert, Ann. (s. o. 64 Anm. 3) 220; Meyer v. Knonau II 500 ff. 5 Erdmann, Studien (s. u. 127 Anm. 1) 268 ff.; v. Guttenberg, Reg. 248 ff.

‫ צ‬HdBG III, I

6 Heidingsfelder 86 ff. 7 Ebd. 90 nr. 268. 8 Wendehorst I 102; über Altmann und Gebhard s. HB I 249. ’ Briefe Heinrichs IV. (s. o. 64 Anm. 8) 65 ff. Anh. C; Lampert, Ann. (s. o. 64 Anm. 3) 254· 10 So Wendehorst 1105 f.; Bonizo, Liber ad amicum (MGH Lib. de lite 1) 607 spricht allerdings nur allgemein von ultramontanis episcopis.

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Bayern und Rudolf von Schwaben zu den Führern der königsfeindlichen Partei, die am 15. März 1077 in Forchheim auf bambergischem Besitz Rudolf von Rheinfelden zum König wählte.1 Monatelang weilte er in dessen Umgebung. Als er nach Würzburg zurückkehren wollte, fand er die Stadt durch die königstreuen Bürger verschlossen. Vergebens bemühte sich Rudolf, die Stadt zurückzuerobern. Fast ein Jahrzehnt hat Adalbero sie nicht mehr betreten, da er alle Versöhnungsangebote Heinrichs IV. zurückwies. Nur der Schwaben zu gelegene südwestliche Teil des Würzburger Sprengeis stand weiterhin Adalbero zur Verfügung. Aber diese Verhältnisse waren nicht konstant. Infolge seiner Mittellage war Franken, besonders Würzburg für beide Parteien zu wichtig - für die Gegner des Königs, um die Verbindung zu ihren sächsischen Verbündeten herzustellen, für Heinrich, um eben diese Verbindung zu verhindern -, als daß nicht beide Seiten versucht hätten, sich durch militärische Operationen zum Herrn dieses Landes zu machen. Als im Sommer 1078 ein schwäbisches Heer unter den Herzögen Welf und Berthold dem von Sachsen aus vorrückenden Rudolf entgegenzog, stellte der König sich bei Mellrichstadt den Sachsen entgegen. Obgleich er die Schlacht verlor, in der auf königlicher Seite Graf Poppo von Henneberg fiel, mußte auch Rudolf den Rückzug antreten. Im Augenblick war die Vereinigung der Gegner verhindert, und Heinrich konnte den Krieg nach Schwaben hineintragen. Im nächsten Jahr durchzog er neuerdings Franken und traf bei Flarchheim auf Rudolf, kurz darauf nochmals an der Elster. Hier konnte Rudolf zwar siegen, wurde aber auf den Tod verwundet. Im Frühjahr 1081 wählte die Opposition in Ochsenfurt bei Würzbürg den Grafen Hermann von Salm zum König. Adalbero war noch immer der Bischof seines Sprengeis, erst nach seinem Erfolg in Rom und seiner Rückkehr nach Deutschland ging Heinrich IV. entschiedener gegen seine Feinde vor. Adalbero wurde abgesetzt und am 25. Mai 1085 der bisherige Bamberger Domscholaster Meinhard zum neuen Bischof ernannt.1 2 Jetzt gab es zwei Bischöfe, die mit wechselndem Erfolg im Bistum regierten. Im Jahre 1086 schlossen Hermann von Salm, Ekbert von Meißen, Herzog Welf und Adalbero Würzburg ein, schlugen ein kaiserliches Ersatzheer bei Pleichfeld und nahmen die von Friedrich von Büren verteidigte Stadt. Für kurze Zeit war Adalbero noch einmal Herr seines Bischofsitzes, aber die Bürger von Würzburg übergaben wenig später schon wieder dem Kaiser ihre Stadt. Da Adalbero jede Unterwerfung ablchntc, mußte er, diesmal für immer, Würzburg verlassen. Die letzten Lebensjahre verbrachte er teils auf dem väterlichen Besitz, teils im südwestlichen Raum seines Bistums, teils in Schwaben (f 6. Okt. 1090). Schon am 20. Juni 1088 war sein Widersacher Meinhard gestorben. Erst am 25. Juli 1089 erhielt dieser in Emehard aus dem Hause der Grafen von Rothenburg (Gründer von Komburg) einen Nachfolger, der sich aber erst nach der Erhebung von Heinrichs IV. Sohn Konrad am 27. März 1093 weihen ließ.’ Wenn er sich trotz seiner Ernennung durch den Kaiser diesem femhielt, war das nur zum Teil 1 Meyer v. Knonau (s. o. 65 Anm. 1) II 673 ff.; z. Folgenden auch Wendehorst I 106 ff. 2 Meyer v. Knonau IV 21 ff, 42 ff.; Erd-

mann, Studien (s. u. 127 Wbndehorst I 117 ff.

’ Ebd. 119 ff.

Anm. 1) 16 ff, 21 ff.;

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6‫ך‬

durch den siebenjährigen Zwangsaufenthalt Heinrichs in Italien bedingt; denn innerlieh neigte er selbst eher der Reformrichtung zu, datierte auch eine Urkunde nach dem aufständischen Konrad * und unterwarf sich 1096 in Frankreich Papst Urban II.2 Zahlreich sind seine Schenkungen von bischöflichen Eigenkirchen an die bistumseigenen Klöster, mit Energie wahrte er durch sein Vorgehen gegen Vasallen und Adel den Frieden in seinem Sprengel. Mit dem Abmarsch Heinrichs IV. nach Italien waren die Kämpfe im Reich abgeklungen, und auch als der Kaiser 1097 zurückkehrte, blieb es ruhig. Welf IV. von Bayern hatte sich mit Heinrich ausgesöhnt, auch in Schwaben war ein Ausgleich gefunden worden. Überall in Süddeutschland war der Kaiser anerkannt und so die Gefahr behoben, daß die nach wie vor in Feindschaft verharrenden Sachsen sich über Franken mit den Süddeutschen zu verbinden suchten. Daß Teile der ersten Kreuzfahrergruppen in dieser Zeit ihren Weg vom Rhein durch Ostfranken nahmen,3 blieb für dieses Gebiet nur Episode. Im Jahre 1099 verkündete der Kaiser in Bamberg einen Landfrieden, wenn auch ohne nennnenswerten Erfolg, wie Frutolf vermerkt,4 und bei Sedisvakanzen konnte er überall Männer seines Vertrauens einsetzen. In Bamberg folgte 1102 auf Rupert des Königs Kanzler Otto;5 in Würzburg erhielt 1105 Erlung, ein Neffe Meinhards und Nachfolger Ottos im Kanzleramt, auf dessen Fürspräche das Bischofsamt.6 In Eichstätt war 1099 Eberhard ernannt worden,7 der als Enkel Ottos von Schweinfurt seinem Bistum die schweinfurtischen Eigengüter im Nordgau einbrachte.8 Oer politisch-militärische Besitz Frankens konnte als gesichert gelten, doch waren die kirchlichen Verhältnisse keineswegs stabilisiert. Keiner der neuen Bischöfe erhielt die Weihe, zumal Erzbischof Ruthard von Mainz, der 1099 zur Opposition übergetreten war,’ sich weigerte, sie vorzunehmen. Schon 1105 begannen für Franken durch den Aufstand Heinrichs V. neue Wirren; denn der junge König stützte sich auf die neuerdings in Bayern entstandene Opposition und suchte auch Sachsen für sich zu gewinnen. Franken, vor allem Würzburg, wurde ein weiteres Mal Streitobjekt zwischen dem Kaiser und seinen Gegnern. Das Überraschungsmoment brachte anfangs Heinrich V. Erfolge. Nach seiner Anerkennung in Sachsen konnte er im Sommer 1105 Würzburg cinnehmen, Bischof Erlung vertreiben und mit Rupert einen Mann seiner Wahl einsetzen.10 Im August mußte dieser, da der Kaiser die Stadt zurückcrobcrtc, wieder Erlung weichen; doch im Oktober war Heinrich V. erneut Herr der Stadt und führte Rupert zurück. Erlung verzichtete und trat in die Kapelle Heinrichs V. ein, erhielt aber schließlich doch nach Ruperts Tod 1106 das Bistum übertragen.’1 Wie Erlung müssen auch Otto von Bam* ÜBLE II nr. 84. 2 Bernold, Chronicon, hg. v. G. H. Pertz (MG SS j) 1844, 464. 3 Frutolfi, Chron. zu 1096 (s. u. 134 Anm. 1). 4 Meyer v. Knonau (s. o. 65 Anm. 1) V 66; v. Guttenberg, Reg. 583. 5 G. Juritsch, Gesch. d. Bischofs Otto I. v. Bamberg, 1889; Looshorn II iff; v. Guttenbbrg I 135 ff; Kist 32 ff; D. Ander-

s

Die Biographien Ottos v. Bamberg, Diss. Freiburg 1950. 6 Wendehorst I 126 ff. 7 Heidingsfelder 91 ff 8 Ebd. 97 nr. 297. ’ Meyer v. Knonau (s. o. 65 Anm. 1) V 28 ff 10 Ebd. V 231 ff; Wendehorst I 124 f. 11 Kaiserchronik (s. u. 134 Anm. 1) zu 1105. nacht,

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berg und Eberhard von Eichstätt sich noch 1105, spätestens auf dem Hoftag in Mainz zu Heinrich V. bekannt haben.1 Beide wurden zusammen mit anderen Bischöfen und Laienfürsten - Otto als Vertreter Frankens, Eberhard als geistlicher Repräsentant Bayerns - als Gesandte an Papst Paschal II. bestimmt, um diesen zu einem Besuch Deutschlands einzuladen.12 Die Gesandtschaft gelangte nicht ans Ziel, weil sie in Trient in Gefangenschaft eines Grafen Adalbert, eines Vasallen Ottos, gerieten. Nur Otto konnte seine Reise fortsetzen; in Anagni weihte ihn Paschal zum Bischof.3 Der Tod des Kaisers, Heinrichs V. scheinbar reformfreundliche Politik und die Aussöhnung mit den Gegnern Heinrichs IV. führten zu weitgehender Normalisierung der Verhältnisse. Bischof Erlung diente dem König als Gesandter beim Papst in der Investiturfrage (1107), nahm ebensowenig wie die anderen deutschen Bischöfe am Konzil zu Troyes teil und wurde deshalb zusammen mit Eberhard von Eichstätt suspendiert,4 weilte auch in den nächsten Jahren häufig am Hof, nahm am Polenfeldzug und am Romzug 1110/11 teil, und den 1109 verurteilten Pfalzgrafen Siegfried von Lothringen übergab der König ihm zum Gewahrsam. Eberhard von Eichstätt war ebenfalls oft in der Umgebung des Königs und beteiligte sich auch am Ungamkrieg 1108. Daran nahm auch Otto von Bamberg teil, ebenso an dem Romzug, doch war er sonst weniger in der allgemeinen Reichspolitik tätig als seine benachbarten Mitbischöfe. Er widmete sich in erster Linie den Angelegenheiten seines Bistums und gründete zahlreiche Klöster, sowohl innerhalb des Bamberger Sprengeis wie auf den anderweitigen bambergischen Besitzungen, und besetzte sie mit Reformern. Seine Haltung war Zweifellos stark von religiösen Motiven geprägt; sie befähigte ihn auch zu einer gewissen Vermittlerrolle zwischen dem Papst und dem König, solange dieser ehrlich um eine Lösung der anstehenden Fragen zwischen Rom und dem Reich bemüht schien; an dem Vertrag von Ponte Mammolo hat Otto offensichtlich keinen Anstoß genommen.5 Dieser Vertrag war dazu gedacht, die Stellung des Königs durch die ausdrückliche Bestätigung seiner Investiturrechte zu festigen.6 Die Verwerfung des Privilegs durch die Lateransynode von 1112 und die Exkommunikation des Kaisers durch den päpstliehen Legaten Kuno von Preneste und Erzbischof Guido von Vienne7 erneuerten den früheren Konflikt und nährten auch eine neue Fürstenopposition. Erzbischof Adalbert von Mainz, von Heinrich V. ernannt und 1111 mit Ring und Stab investiert,“ geriet schon 1112 aus nicht erkennbaren Gründen mit dem Herrscher in Konflikt und wurde gefangengesetzt; er blieb auch nach seiner Freilassung Führer der antiköniglichen Opposition. Durch eine geschickte Klosterpolitik,’ durch Neugründungen vor allem 1 Meyer v. Knonau V 248 f.; Heidingsfel93 f. nr. 276. 2 Ekkehard v. Aura, Chron. zu 1106(s. u. 135 Anm. 3). 3 J Αϊτέ V 247 ff. nr. 131. 4 Heidingsfelder 94 f. nr. 282; nur Otto von Bamberg war nicht betroffen, Meyer v. Knonau (s. o. 65 Anm. 1) VI 52. 5 Vgl. dazu u. 137 u. 142. 6 GGI 355 ffder

7 Meyer v. Knonau (s. o. 65 Anm. 1) VI 231 ff. ’ Wie die Kaiserchronik zu diesem Jahr ausdrücklich hervorhebt. ’ L. Faick, Klosterfreiheit u. Klosterschutz. Die Klosterpolitik d. Mainzer Erzbischöfe v. Adalbert I. bis Heinrich I. (1100-1153) (AMK 8) 1956, 21 ff.; H. Grüneisen, Die KlosterPolitik d. Erzbischöfe v. Mainz bis ins 13. Jh. (Nass. Ann. 68) 1957, 300 ff.

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von Zisterzienserklöstem, die infolge Verzichts auf Exemtion die bischöfliche Gewalt nicht schmälerten, festigte er ebenso seine Macht im Erzstift wie durch die Anlage von Burgen, unter denen namentlich Aschaffenburg erwähnt wird.1 Die veränderte kirchenpolitische Lage beeinflußte am stärksten wiederum Würzburg. Bischof Erlung blieb zunächst dem König treu, als dieser 1115 gegen die erneut offen opponierenden nordwestdeutschen und sächsischen Fürsten ins Feld zog, ließ sich aber im Jahre 1116 doch von den in Köln versammelten Gegnern Heinrichs, die er im Auftrag des Herrschers aufgesucht hatte, von der Unrechtmäßigkeit seiner kirchlichen Haltung überzeugen. Er leistete Buße, verweigerte den Umgang mit dem gebannten Kaiser und trat schließlich offen zu den Gegnern über? Offensichtlich war der Parteiwechsel Erlungs der Anlaß dazu, daß Heinrich V. jetzt die Staufer, seine Vettern, verstärkt in Franken Fuß fassen ließ. Sie hatten bereits zu Anfang des Jahrhunderts das Erbe der Grafen von Rothenburg angetreten,123 nun erhielt Konrad von Staufen eine Würde, die erst jetzt deutlichere Formen annahm. Ekkehard von Aura berichtet zum Jahre 1116, daß Heinrich V. dem Würzburger Bischof zur Strafe für seinen Übertritt den ducatum orientalis Franciae, qui Wirziburgensi episcopio antiqua regum concessione competebat, entzogen und ihn Konrad übertragen habe. Die Institution des ducatus orientalis Franciae, die erstmalig so genannt wird und als eine vom König übertragene und verleihbare Würde bezeichnet wird, ist in ihrem Inhalt und Umfang zu diesem Zeitpunkt schwer zu bestimmen.4 Sicher handelt es sich nicht um ein Herzogtum im Sinne des Stammesherzogtums; sein Inhalt erschließt sich am ehesten aus einer Stelle bei Adam von Bremen, der als Ostfranke aus sicher zutreffender Kenntnis berichtet.5 Es ist offensichtlich eine Würde, die zunächst weniger ausdrücklich verliehen als gewohnheitsrechdich erwachsen ist aus der Verfügung über die ursprünglich königlichen Grafschaften, die die Bischöfe von Würzburg seit dem Pontifikat Heinrichs erhalten hatten. Diese zunächst je einzelnen Grafenrechte, zu denen auch die Forst- und Wildbannrechte zu zählen sind, müssen im Laufe des elften Jahrhunderts im Verständnis auch des Königs zu einem komplexen Recht im Sinne einer vom König delegierten Regierungsgewalt geworden sein, die 1116 dem Bischof entzogen und Konrad übertragen wurde? Nach der Aus1 Ekkehard v. Aura,Chron.zu 1122 (s.u. 135 Anm. 3); Meyer v. Knonau VII 203 m. Anm. 17 (s. o. 65 Anm. 1); K. Dinklage, Burg u. Stadt Aschaffenburg (Aschaff. Jb. 4) 1957. 5! ff 2 Wendehorst I 128 f. 3 K. Bosl, Rothenburg im Stauferstaat (Neujahrsbll. 20) 1947. 4 Mayer, Fürsten 280 ff; Ders., Die Würzburger Herzogsurkunde v. 1168 u. d. österreich. Privilegium minus (Aus Gesch. u. Landeskunde, Festschr. F. Steinbach) 1960, 247 bis 277; H. Werle, Titelherzogtum u. Herzogsherrschaft (ZRG 73) 1956, 225-299; Zimmermann (s. o. 46) Ansätze, bes. 391 ff. - Die u 13/14 entstandene Kaiserchronik behauptet

allerdings zum Jahr 1014, daß die Würde des Ernestus dux orientalis Franciae damals schon dem Bischof von Würzburg übertragen worden sei; E. v. Aura dürfte sich bei seiner Nachricht (antiqua regum concessione) auf die Stelle der Kaiserchronik beziehen. 5 Solus erat Wirziburgensis episcopus, qui dicitur in episcopatu suo neminem habere consortem, ipse cum teneat omnes comitatus suae parochiae ducatum etiam provintiae gubemat episcopus (Magistri Adam Bremensis gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, ed. B. Schmeidler, MGH SS rer. Germ., 1917, 188). 6 Mater, Fürsten 283.

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söhnung Heinrichs V. mitErlung (1119) wurde diese Würde an den Bischof zurückgegeben, erstmalig auch rechtsverbindlich in einer Urkunde umschrieben als dignitas iudiciaria in tota orientali Francia.1 Die Staufer verloren aber ihre Stellung in Franken damit dennoch nicht und nutzten sie bald für ihre eigenen Interessen. Es hat den Anschein, daß sie schon damals eine beherrschende Position in Franken anstrebten; denn während Konrad in den östlichen Mainlanden Fuß faßte, kämpfte sein Bruder Friedrieh gegen den Erzbischof von Mainz, gedeckt durch dessen Feindschaft gegen den Kaiser. Nach der Rückgabe der dignitas iudiciaria an Würzburg behielt Konrad nicht nur den Reichsgutkomplex Nürnberg,12*gemeinsam mit seinem Bruder hatte er auch in Würzburg bereits soviel an Einfluß gewonnen, daß es nach dem Tod Erlungs hier zu einer Doppelwahl kam, bei der Heinrich V. Gebhard von Henneberg ernannte,’ die Staufer aber den von einem Teil des Klerus und des Volks von Würzburg gewählten Rugger unterstützten.4 Allerdings konnte Rugger sich bis zu seinem Tod am 23. August 1125 nur in dem alemannischen Teil des Würzburger Sprengeis halten. Während dieser Zeit war Franken und besonders Würzburg Schauplatz allgemein wichtiger Ereignisse. Schon 1118, während der Kaiser in Italien weilte, hatten seine fürstlichen Gegner einen gemeinsamen Tag in Würzburg beschlossen, auf dem der Kaiser sich verantworten und alle Beschwerden abstellen oder aber im Falle seiner Abwesenheit abgesetzt werden sollte.5 Heinrich verhinderte durch schnelle Rückkehr und Aussöhnung mit Erlung zwar das Vorhaben, aber er sah sich im nächsten Jahr doch gezwungen, mit seinen deutschen Gegnern und Papst Calixt II. zugleich Verbindung aufzunehmen. Je zwölf Fürsten aus beiden Parteien beschlossen 1121 für den 29. September in Würzburg einen allgemeinen Fürstentag, auf dem über den Frieden und die Wiederherstellung der Einheit von geistlicher und königlicher Gewalt verhandelt werden sollte. Die Fürsten erzielten auch eine beschworene Einigung, die zugleich eine Aussöhnung zwischen Calixt und Heinrich vorsah.6 An dieser Versammlung nahm auch Otto von Bamberg teil; in den vergangenen Jahren hatte er Neutralität zu wahren gesucht und es 1118 sogar um seiner Neutralität willen in Kauf genommen, daß die päpstliche Partei ihn von seinem Amt, wenn auch wirkungslos suspendierte.7 Nun aber wurde er zusammen mit Herzog Heinrich von Bayern und dem Grafen Berengar von Sulzbach beauftragt, die in Regensburg versammelten bayerischen Großen, die an dem Würzburger Tag nicht hatten teilnehmen können, über die Beschlüsse zu unterrichten.6 Ungeachtet des Würzburger Schismas sollte im nächsten Jahr am 1. August 1122 ein weiterer Hoftag in Würzburg stattfinden. Eine Gesandtschaft des Kaisers hatte 1 K. F. Stumpf, Die Reichskanzler d. 10., 11. u. 12.Jhs., Innsbruck 1865/83, 3164. 2 Vgl. u. 72. ’ Wendehorst 1132 ff. 4 Ekkehard v. Aura, Chron. zu 1122 (s. u. 13 5 Anm. 3); Wbndehorst I 136 ff; Schmale, Würzburg 660. Rugger scheint mit den von den Staufern beerbten Grafen von Rothenbürg verwandt gewesen zu sein.

5 E. v.Aura, Chron. zu 1119 (s. u. 135 Anm. · 3) 6 Meyeh v. Knonau (s. o. 65 Anm. 1) VII 171 ff. 7 Ebd. Vn 81. 6 E. v. Aura, Chron. zu 1121.

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dem Papst die Bereitschaft zu einem Ausgleich mitgeteilt und war zusammen mit drei Kardinalen nach Deutschland zurückgekehrt, die die endgültige Beilegung des Streites mit dem Kaiser aushandeln sollten. Obgleich ein Teil der Fürsten sich rechtzeitig einfand, trat die Versammlung nicht zusammen. Es kam statt dessen zu kriegerischen Auseinandersetzungen, da Bischof Gebhard und seine Anhänger einen Teil der Teilnehmer als Reichsfeinde überfiel. Die Überfallenen unter Führung von Erzbischof Adalbert gedachten Würzburg überhaupt zu erobern und Rugger endgültig zu inthronisieren, sie begnügten sich dann aber damit, Rugger in Münsterschwarzach zu weihen.1 Otto von Bamberg hatte sich an diesen Vorgängen nicht beteiligt und zog sich neuerdings eine Rüge zu. Nur Adalberts von Mainz Eintreten verhinderte seine Suspension, die andere Teilnehmer der Weihehandlung schon gefordert hatten. Schließlich fanden die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen seit dem 8. September auf einer Synode in Worms und in dem am 23. September des Jahres bei Worms geschlossenen Konkordat ihr formales Ende. Schon am 19. November hielt der Kaiser in Bamberg einen Hoftag ab, auf dem auch die in Worms nicht anwesenden Fürsten ihre Zustimmung zu den Abmachungen gaben. Zugleich wurde hier bei der Einsetzung Udalrichs, des Nachfolgers Erlolfs von Fulda, erstmalig ein Reichsabt nach den neuen Formen mit den Regalien investiert.1 2* Dennoch brachte das Konkordat von Worms weder dem Reich noch Franken echten Frieden. Herzog Lothar von Sachsen machte nach wie vor mit Erfolg Heinrieh V. die königlichen Rechte in Sachsen streitig, auch auf dem sonst gutbesuchten Hoftag, der Anfang Mai 1124 in Bamberg stattfand, erschien er nicht, so daß der Kaiser einen Feldzug gegen den Herzog ankündigte.2 Heinrich hielt sich bereits seit längerem in Bamberg auf; sein Argwohn gegenüber Ottos Zurückhaltung war von neuem entfacht worden, und Otto suchte dem mit zusätzlichem Aufwand über die schuldigen Servitien hinaus zu begegnen.4 Auch in Würzburg blieben die Verhältnisse ungeklärt. Selbst nach dem Tod Ruggers (26. August 1125), als Erzbischof Adalbert wegen der Gefahren, die sich aus der Wahl eines anderen zu ergeben drohten, mit Gebhard sympathisierte, bemühte sich dieser vergeblich um eine kanonische Anerkennung.5 Der päpstliche Legat forderte den Klerus von Würzburg schließlich kurzerhand zur Neuwahl auf und belegte Gebhard mit dem Bann. Ein Versuch, den neuen König Lothar zu bestechen, fruchtete nichts; auch Lothar ordnete eine Neuwähl an. Sie fiel auf seinen Kanzler Embricho, Propst des Erfurter Marienstifts,6 gleichzeitig verzichtete Gebhard endgültig auf seine Ansprüche. 1 Meyer v. Knonau (s. o. 65 Anm. 1) VII 199 ff· 2Ebd. VII 217 f. 2 Ebd. VII 265 f.

4 E. v.Aura, Chron. zu 1124 (s. u. 135 Anm. 3)· 5 Wendehorst I 134 IT. 6 Ebd. 140 ff.

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Franken: B. I. Die politische Entwicklung 716/19-1257 §8. DAS STAUFISCHE JAHRHUNDERT IN FRANKEN

HB 1246; II 7 ff.; GG 1367-476; Stein1194-282; Π 336-350; F.-J. Schmale, LotharIII. u. Friedrieh I.als Könige u. Kaiser (VF 12) 1968,33-53; F. Hausmann, Die Anfänge d. staufischen Zeitalters unter Konrad III. (ebd.) 53-78.

a) Franken nach dem Investiturstreit. Die Wahl Embrichos zeigte, daß Würzburg auch in den Augen des neuen Königs eine Schlüsselstellung einnahm. Lothars eigene Wahl beruhte auf dem Bündnis mit Herzog Heinrich von Bayern;1 Franken war wieder das notwendige Verbindungsglied zwischen Nord und Süd. Überdies waren die Mainlande neben den mittelrheinischen und elsässischen Reichskirchen- und Reichsgutkomplexen das zentrale Gebiet in der Auseinandersetzung mit den Staufern, die sich weigerten, das neben dem eigentlich salischen Erbe in ihrem Besitz befindliche Reichsgut herauszugeben. Verhältnismäßig schnell konnte Lothar sich Würzburgs bemächtigen, aber Nürnberg belagerte er im Sommer 1127 vergeblich. Ein Versuch Konrads, Bamberg zu nehmen, schlug dagegen fehl; nichtsdestoweniger ließ dieser sich am 17. Dezember 1127 in Nürnberg zum König auszurufen. Dennoch reichte die staufische Macht in Franken nicht aus, eine grundsätzliche Wendung herbeizuführen. Schon im Frühjahr 1128 ging Konrad nach Italien; Lothar konnte sich anderen Aufgaben, vor allem in Niederlothringen zuwenden. Wenig später war der Höhepunkt des staufischen Widerstandes überschritten. Anfang 1130 fiel Speyer, das Friedrich von Staufen vorübergehend besetzt hatte, Nürnberg wurde von Herzog Heinrich von Bayern eingeschlossen. Das Osterfest feierte der König in Bamberg, im Oktober 1130 hielt er in Würzburg einen Hoftag, um die gleiche Zeit fiel auch Nürnberg. Die Staufer erklärten sich zwar noch immer nicht für besiegt, aber in Franken ruhte jetzt der Kampf. Häufig hielt Lothar sich hier auf; der Aufbruch zum Romzug im August 1132 erfolgte von Würzburg aus, im September 1133, an Mariä Himmelfahrt 1134 und im August 1136 war er erneut in der Stadt. Bamberg besuchte er 113 2 im Februar, 1135 im März, in Fulda weilte er 1132 im Mai und 1134 im November.1 2 In Bamberg unterwarf sich auch 1135 Friedrich von Staufen und fand die Gnade des Herrschers, der ihm alle Besitzungen und Ämter ließ.3 Lothars Itinerar führte in einer Gleichmäßigkeit, die an die Verhältnisse unter den Ottonen erinnert, durch das gesamte Reich und berührte in auffälliger Häufigkeit besonders Ostfranken.4 Franken hat offenbar in der politischen Konzeption Lothars einen wichtigen Platz eingenommen. Das kann man jedenfalls aus seiner Absicht schließen, Herzog Heinrich dem Stolzen von Bayern auch das Herzogtum Sachsen zu übertragen, sowie aus der Übergabe der Reichsinsignien, die Heinrich als den gewünschten Nachfolger auf dem Königsthron bezeichnete.5 In der Hand eines Herr­ 1 HB I 255. 2 Bayer. Geschichtsatlas 17 c. 3 Im einzelnen W. Bernhardi, Lothar v. Supplinburg (Jbb. d. Deutschen Gesch.) 1879, passim.

4 Th. Mayer, Das deutsche Königtum u. sein Wirkungsbereich (Ges. Aufsätze) 1963, 28-44, bes. 33 ff. 5 Mit dem 1130 eroberten Nürnberg wurde Heinrich der Stolze belehnt; vgl. HB I 256 f.

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schers, der sich in Personalunion auf zwei, in der Entwicklung zur Territorialität befindliche Herzogtümer hätte stützen können, würde eine die Herzogtümer verbindende Königsprovinz Ostfranken dem Königtum eine neue Machtgrundlage gegeben haben. Nach Lothars Tod führte die schnelle Aktion des Staufers Konrad diesen statt Heinrich den Stolzen zum Königtum;’ offenbare Möglichkeiten waren durch mangelnde institutionelle Sicherung des Reiches mit einem Schlage dahin. Die unverminderte Inanspruchnahme Frankens als Reichsland, bei der die Bistümer die Hauptlast trugen, verhinderte indessen nicht eine gewisse Differenzierung, zu der auch neue Kräfte und Tendenzen beitrugen, die nach dem Investiturstreit deutlicher hervortraten. Die Bedeutung Würzburgs für den König sowohl wie dessen Gegner behinderten ohne Zweifel den inneren Ausbau des Bistums,2 wie er zur gleichen Zeit in Bamberg dank seiner Randlage und der u. a. auch dadurch erst ermöglichten Neutralitätspolitik Bischofs Otto zu beobachten ist. Aufenthalte des Königs trafen Würzburg weitaus häufiger, und entsprechend stärker wurden die würzburgischen Mittel in Anspruch genommen. Während die beiden ersten Salier und zunächst auch Heinrich IV. Bamberg häufiger besucht hatten als Würzburg, verschob sich danach das Verhältnis zuungunsten Würzburgs. Vom Regierungsantritt Heinrichs V. bis zum Ende Konrads III. stehen 34 Aufenthalten inWürzburg nur 17 in Bamberg gegenüber.3 Den zahlreichen Gründungen von bambergischen Eigenklöstern in der Zeit Ottos I.4 hat das an sich keineswegs arme Würzburg nichts Vergleichbares an die Seite zu stellen. In einer schwierigen und oft verworrenen Zeit für Würzburg konnte Otto von Bamberg, der durch seinen früheren Aufenthalt in Polen dafür bcstens vorbereitet war, außerdem zweimal auf erfolgreiche Missionsreisen zu den von Polen besiegten und zur Annahme des Christentums verpflichteten Pommern gehen; das erste Mal gewissermaßen privat (1123/24), das zweite Mal zugleich im Auftrag Lothars III. Er legte so den Grund für die Eindeutschung Pommerns, dessen Kirche auch über Ottos Tod hinaus noch lange von Bamberg betreut und mit liturgischen Geräten und Handschriften ausgestattet wurde.5 Das dritte der fränkischen Bistümer, Eichstätt, besaß nach wie vor die geringste Bedeutung für die Reichspolitik, wenn auch seine Bischöfe niemals zu den Feinden des Königs zählten und ziemlich regelmäßig in dessen Umgebung zu finden waren. Neben den Bistümern und Fulda, das trotz seines umfangreichen Besitzes, vor allem auch in Franken, kaum politische Aktivität entfaltete, gewannen einige Gründüngen des noch jungen Zisterzienserordens ein Gewicht, das keines der älteren Klö­ ’ Ottonis episcopi Frisingensis et Rahewini Gesta Frederici seu rectius Cronica, hg. v. -J. Schmale (Ausgew. Quellen z. deutschen F. Gesch. d. MA, Freiherr vom Stein Gedächtnisausg. 17) 1965, I 23. 2 K. Bosl, Würzburg als Reichsbistum. Verfassungsgeschichtl. Grundlagen d. staufisehen Reichskirchenregiments (Aus Verfassungs- u. Landesgesch., Festschr. Th. Mayer I) 1954, 161-181.

3 Bayer. Geschichtsatlas 17 c; vgl. auch K. Bosl, Würzburg als Pfalzort (JffL 19) 1959, 36; F. Geldner, Das Hochstift Bamberg in d. Reichspolitik v. Kaiser Heinrich II. bis Kaiser Friedrich Barbarossa (HJb. 83) 1963, 28-42. 4 S. u. 143. 5 W. Berges, Reform d. Ostmission im 12. Jh. (Wichmann-Jb. 9/10) 1955/56, 31-44 u. o. 67 Anm. 5 genannte Lit.

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ster erreichte. Unter den drei fast gleichzeitigen Gründungen Langheim (Bamberg),1 Heilsbronn (in der Diözese Eichstätt, aber auf bambergischem Besitz)12 und Ebrach (Würzburg) trat besonders die letzte hervor. An der Errichtung Ebrachs war neben Embricho von Würzburg auch Gertrud, die Gemahlin des Staufers Konrad beteiligt, und die Staufer haben Ebrach gewissermaßen als ihr ostfränkisches Hauskloster betrachtet.3Ebrach wuchs schnell und konnte insgesamt sieben Tochterklöster gründen, über die der Organisation des Ordens entsprechend das Mutterkloster das Visitationsrecht und entsprechenden Einfluß behielt. Ebrachs erster Abt Adam (1139-1166) war ein persönlicher Schüler Bernhards von Clairvaux und besaß ein enges VertrauensVerhältnis zu den Staufem. Ebrach wurde ein geistlicher Stützpunkt staufischer Interessen in Franken, Abt Adam einer der wichtigsten Parteigänger Barbarossas, dem er auch im alexandrinischen Schisma die Treue hielt.4 Es mag auch an den allmählich wieder reicher fließenden Quellen liegen, wenn auch der Adel wieder in zunehmenden Maße in Erscheinung tritt. Im Raum des Grabfeldes nahm die Herrschaft der Grafen von Henneberg deutlichere Umrisse an; seit langem waren in dem Geschlecht das Burggrafenamt und die Hochstiftsvogtei von Würzbürg erblich.5 Mit Gebhard, dem Bruder des Burggrafen Poppo und seines Nachfolgers Burchard, wurde 1122 erstmals seit Poppo I. und Poppo II. ein Angehöriger dieser Familie und damit des im Hochstift ansässigen Adels Bischof der Mainmetropole. Trotz seiner erzwungenen Resignation konnte er 1150-1159 den Bischofsitz noch einmal und jetzt legitim einnehmen.6 In Mainz gewann mit dem Grafen Arnold von Loon ebenfalls der Burggraf und Hochstiftsvogt wachsende Bedeutung; die Nachkommen, die Grafen von Rieneck, begannen mit Hilfe dieser Ämter ein Territorium aufzubauen, das sich vor allem nach Osten über den Aschaffenburger Spcssartforst erstreckte.7 Auch in Eichstätt bestieg mit dem 1125 gewählten Bischof Gebhard II. (j1149 ‫ )־‬ein Angehöriger der Familie des Hochstiftsvogtes, der Grafen von Kreglingen-Hirschberg, den Bischofsstuhl.8 Daneben treten weitere Grafen auf, die zwar in agnatischer Linie bald wieder ausstarben, an deren Stelle aber andere als Erben nachrückten. Ihre Titel rührten kaum aus königlichen Grafschaften, sondern aus gewöhnheitsrechtlich wahrgenommenen grafenähnlichen Rechten verschiedensten UrSprungs: die Grafen von Abenberg, die von Höchstadt, von denen Hermann von 1 F. Geldner, Besitz u. wirtschaftl. Entwicklung d. ehern. Cistercienserabtei Langheim bis z. Ausgang d. 14. Jhs. (JffL 5) 1939, 18-72; Ders., Das älteste Urbar d. Cistercienserklosters Langheim, 1952. 2 A. Heidacher, Die Entstehungs- u. Wirtschaftsgesch. d. Klosters Heilsbronn, 1955; Schuhmann-Hirschmann, Urkundenregesten d. Zisterzienserklosters Heilsbronn I (VGffG 3. 3) 1957; Μ. F. Fischer, Das ehern. Zisterzionserkloster Heilsbronn bei Ansbach, Baugesch. 1132-1184 (JffL 24) 1964, 21-109. 3 F. X. Wegele, Monumenta Ebracensia, 1863; H. Zeiss, Reichsunmittelbarkeit u. Schutzverhältnisse d. Zisterzienserabtei Ebrach

(BHVB 8) 1928; F. Geldner, Abt Adam v. Ebrach, d. staufische Königshaus u. d. hl. Bernhard v. Clairvaux (JffL 11/12) 1953,53-66; H. Weiss, Die Zisterzienserabtei Ebrach (Quellen u. Forsch, z. Agrargesch. 8) 1962. 4 W. Ohnsorge, Eine Ebracher Briefsanimlung d. 12. Jhs. (QFIAB 20) 1928/29, 1-39. 5 S. o. 53. Nach Wendehorst I 60, 120 soll das 1091 erstmals belegte Burggrafenamt der Henneberger erst unter Heinrich IV. in deren Hände gekommen sein; dagegen Schmale, Würzburg 656. 6 Wendehorst I 132 ff., 155 ff. 7 Schecher (s. o. 47 Anm. 14) 42 ff. 8 Heidingsfelder 103 ff. nr. 324.

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Stahleck, der Schwager Konrads und Friedrichs von Staufen abstammte, den Konrad III. zum Pfalzgrafen bei Rhein ernannte, oder die mit Konrad verschwägerten Grafen von Sulzbach.1 An Bedeutung übertroffen wurden sie von den Staufern. Zum Jahre 1108 ist letztmals ein Graf von Rothenburg ernannt, in dessen Besitz - dazu gehörte auch Heidingsfeld vor den Toren Würzburgs - sich später die Staufer finden, für die Rothenburg einer der Schwerpunkte ihrer fränkischen Stellung blieb;12 andere Komplexe mögen salisch-allodialer Herkunft sein, wie das vielfach behauptet, aber nicht im einzelnen zu beweisen ist. In der Hauptsache beruhte aber die staufische Macht auf Belehnung mit Reichsgut. Einzelheiten sind auch hierüber kaum bekannt; man kann nur vermuten, daß mit der Übertragung des 1116 Bischof Erlung entzogenen «Dukats» auch die Belehnung mit fast dem gesamten in Ostfranken noch unmittelbar in der Hand des Königs befindlichen Reichsgut verbunden war, das den Staufern auch verblieb, als der Dukat selbst 1120 an Erlung zurückgegeben wurde. Mittelpunkt dieses Reichsgutes war der unter den Saliern ausgebaute Königshof Nürnberg. Dieser Besitz war die Basis zu weiteren Erwerbungen unter Konrad und Friedrich Barbarossa, zu denen auch die Güter und Lehen der sulzbachischen Verwandtschaft im Hochstift Bamberg einen Ansatz boten. Mit den Staufern erlangte erstmals wieder ein einzelnes Adelsgeschlecht die mächtigste Stellung in Franken überhaupt. Die Staufer haben die Situation in Franken jedenfalls entscheidend verändert; einer der Hauptbetroffenen war das Hochstift Würzburg. Neben den geistlichen Institutionen und dem wiedererstarkenden Adel wurden in Ansätzen noch andere Kräfte sichtbar, die sich zwar nicht unbedingt und überall durchsetzten, aber doch die weiteren Geschehnisse beeinflußten. Es sind Angehörige von sozialen Schichten unterhalb des Adels, vielfach vielleicht auch schon unterhalb der Freien überhaupt, die von Hause aus nicht zu politischem Handeln berechtigt waren, in dem vorhergehenden Jahrhundert aber einen sozialen Aufstieg erlebt haben müssen, der sie zu Beginn des zwölften Jahrhunderts unübersehbar und unübergehbar machte. Wenn in den Quellen von Vasallen und Milites der Großen die Rede ist, mag es sich zum Teil um freie Vasallen handeln, oft aber sind eindeutig Ministerialen gemeint. In dem zu 1061/62 überlieferten, aber älteren Bamberger Ministerialenrecht kennzeichnen einzelne Bestimmungen noch die unfreie Herkunft der Ministerialen; insgesamt wird dieser Gruppe aber doch persönliche Rechtsfähigkeit im Rahmen einer Abhängigkeit zugesprochen, die sich bereits völlig in lehenrechtlichen, im Bewußtsein der Zeit also nicht unbedingt unfreien Formen darstellt. Die Vererbbarkeit von Lehen wird als das Normale angenommen.3 Bambergische Ministerialen waren es auch, die 1132 den Grundstock für die Ausstattung der Zisterze Langheim schenkten.4Zu diesen neuen Kräften gehörten in einem ähnlichen Sinne wie die Ministerialen 1 S. u. 103 ff. 2 Bost (s. o. 69 Anm. 3); H. SchreibMüller, Herzog Friedrich IV. v. Schwaben u. Rothenburg (1145-1167) (ZBLG 18) 1955, 213-242. 3 v. Guttenberg 299 ff.; Ders., Reg. 155 f. nr. 329; vgl. auch K. Bosl, Das ius ministeria-

lium, Dienstrecht u. Lehnrecht im deutschen MA (VF 5) 1960, 51-94. 4 Vgl. auch Beck-Büttner, Die Bistümer Würzburg u. Bamberg in ihrer polit, u. wirtschaftl. Bedeutung f. d. Gesch. d. deutschen Ostens (Stud. u. Vorarb. z. GP 33) 1937, 275; s. o. 74 Anm. 11.

6‫ך‬

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auch die Bürger, beziehungsweise die Stadt als ihre politische Institution und Organisationsform. Eine Stadtrechtsverleihung, wie sie Mainz 1122 von Erzbischof Adalbert erhielt, gibt es im östlichen Franken in dieser Zeit zwar nicht, aber grundsätzliche Parallelen lassen sich doch insofern ziehen, als auch in Würzburg ein wachsendes Selbstbewußtsein der Stadtbewohner zu beobachten ist. Ähnlich wie in Speyer oder Worms griffen die Bürger von Würzburg zugunsten des Königs gegen dessen Gegner und ihren eigenen legitimen Bischof zu den Waffen. In den Kämpfen zwischen König Lothar und den Staufern sind in dem um vieles jüngeren Nürnberg die gleichen Verhältnisse zu erkennen.

b) Vom Regierungsantritt Konrads III. bis zum Tode Heinrichs VI. Nach dem Tod Lothars ergriff Konrad von Staufen die Gelegenheit, seinen Wunsch nach dem Königtum, den er in der Erhebung von 1127 zum Ausdruck gebracht hatte, zu verwirklichen. Noch bevor die ordentliche Wahlversammlung zusammengetreten war, die die Fürsten für Pfingsten (22. Mai) nach Mainz einberufen hatten, ließ Konrad sich in Eile und Heimlichkeit durch Erzbischof Albero von Trier, den erwählten Erzbischof von Köln und durch einige wenige lothringische Fürsten unter Mitwirkung des päpstlichen Legaten Dietwin in Koblenz (7. März) zum König wählen und in Aachen krönen (13. März). Dem einmal Gewählten schlossen sich im Verlauf weniger Wochen fast alle Fürsten an. Auf einem Tag in Regensburg erreichte der König, daß Herzog Heinrich ihm die Reichsinsignien auslieferte, wahrscheinlich gegen Zusage der bisherigen Lehen. Abschließend sollte diese Frage, nach der offensichtlich berechtigten Hoffnung Heinrichs doch wohl positiv für den Bayemherzog, auf einem Tag in Augsburg entschieden werden. Dennoch verweigerte der König die gleichzeitige Belehnung mit Sachsen und Nürnberg. Da Heinrich sich wehrte, wurde ihm auch Bayern abgesprochen.1 Jahrelange Kämpfe, die fast die gesamte Regierung Konrads beeinträchtigten, sind daraus erwachsen. Für Konrad war eine Entscheidung in dieser Frage ohne Nachteile unmöglich. Heinrich der Stolze wäre der mächtigste Mann im Reich gewesen, weit mächtiger als der König. Friedrich Barbarossa hat später eine ähnliche Konzeption, wie sie Konrad für unannehmbar hielt, zur Grundlage seiner Politik in Deutschland gemacht, aber trotz besserer Ausgangsbedingungen auch ihr Scheitern erleben müssen. Konrads Entschluß war daher verständlich. Das stark zusammengeschmolzene Reichsgut und das geringe Eigengut Konrads - große Teile des staufischen Hausguts in Schwaben, insgesamt aber geringer als der schwäbische Besitz der Welfen, befanden sich in der Hand des Bruders Friedrich - machte den Verzicht auf Nürnberg unmöglich. Während alle Kämpfe um Sachsen erfolglos blieben, gelang es Konrad, Nürnberg zurückzugewinnen und Franken zum Mittelpunkt der staufischen Herrschaft zu machen. Das war um so notwendiger, als Konrad kein Herzogtum in Personalunion zur Verfügung stand. Den belegten, oft wochenlangen Aufenthalten nach hat kein mittelalterlicher Herrscher häufiger in Franken geweilt, weder in bezug auf die Dauer der 1 HB I 2J7 f.

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Regierungszeit noch absolut. Zwei Schwerpunkte zeichnen sich dabei besonders ab: Würzburg mit 19 und Nürnberg mit neun Aufenthalten; Bamberg steht letztem nur wenig nach (acht Aufenthalte).1 Gleichzeitig besaß Konrad ein ausgezeichnetes Verhältnis zu den Bischöfen. Die häufige Anwesenheit des Königs und das wachsende Gewicht des Reichslandes um Nürnberg wird dabei allerdings als zwingender Faktor zu berücksichtigen sein. Besonders eng gestalteten sich die Beziehungen zu Würzburg.1 2 Bischof Embricho hat bereits an dem ersten Hoftag Konrads (3. April) in Köln als einziger fränkischer Bischof teilgenommen; er wurde zum Vertrauten Konrads. 1141 reiste er nach Rom, um wegen eines Romzugs zu verhandeln, 1145/46 führte er an der Spitze einer Gesandtschaft Bertha von Sulzbach zu ihrer Heirat mit Kaiser Manuel. Er starb auf der Rückreise von Byzanz in Aquileja und wurde dort beigesetzt; in dem Propst des Würzburger Neumünsterstifts, Siegfried von Truhendingen, fand er einen Nachfolger (1146-1150), der das enge Verhältnis zum König fortsetzte.3 Auch Otto von Bamberg hatte sich bald nach der Wahl Konrad angeschlossen; Pfingsten 1138 fand bereits ein Reichstag in Bamberg statt. Gemeinsam mit dem Kardinallegaten Dietwin und Erzbischof Albero von Trier suchte Otto Konrad von Salzbürg für den neuen Herrscher zu gewinnen.4 Allerdings trat der Hochbetagte bis zu seinem baldigen Tod (30. Juni 1139) nicht mehr weiter hervor. Sein Nachfolger, der Bamberger Domdekan Egilbert (1139-1146), ist jedoch schon regelmäßig im Reichsdienst zu sehen und bereitet so gewissermaßen die Rolle seines Nachfolgers Eberhard vor.5 Trotz der starken Inanspruchnahme - die Ausgaben während der königlichen Aufenthalte beanspruchten die Finanzen des Bischofs derart, daß das Bistum später an den Rand des Ruins geriet6 - fand der in Frankreich gebildete und auch literarisch tätige Embricho Zeit für die inneren Angelegenheiten seines Bistums. Durch Gütertausch rundete er den Würzburger Besitz ab; durch Kloster- und Stiftsgründungen, die Zisterzienser und Prämonstratenser bevorzugten, sowie durch die Übertragung von Kirchen an schon bestehende Institute förderte er den kirchlichen Ausbau. Reiche synodale Tätigkeit und die Einteilung der Diözese in acht Diakonate und Landkapital begleiteten den materiellen Ausbau.7 Sein Nachfolger Siegfried (1146-1150) setzte seine Maßnahmen fort. Größere Erwerbungen sind den beiden Bischöfen jedoch nicht vergönnt gewesen, während Bamberg unter Bischof Egilbert das ansehnliche Erbe der Chuniza von Giech (Giech, Lichtenfels) in harter Auseinandersetzung mit derem ehemaligen Gatten Graf Poppo von Andechs (Plessenburg) gewann.8 Konrads III. Tod am 15. Februar 1152 brachte kaum Veränderung für Franken. In Würzburg war 1150 der früher abgesetzte Gebhard von Henneberg Bischof geworden; nachhaltig setzte er sich für die Wahl Friedrichs von Schwaben zum König ein, 1 Bayer. Geschichtsatlas 17c; Schreibmül(s. o. 7J Anm. 2) 216. 2 Wendehorst I 141 ff. 3 Ebd. 151 ff. 4 Jaffe V 529 f. nr. 33. 5 Looshorn II 369 ff.; Kist 38; NDB 4, 336 f. ler

6 S. u. 79 f. 7 Wendehorst I 145 ff. 8 LooshobnII 374 ff.; v. Guttenberg 122ff.; v. Guttenberg I 55; zur Erwerbung des Schweinfurter Eigenguts um Pottenstein noch unter Otto vgl. Guttenberg 158 f.; Neukam, Territorium (s. o. 58 Anm. 10) 11 f.

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der ebenfalls mit Vorliebe in Würzburg Hof hielt (neunzehnmal), wie sich umgekehrt Gebhard geradezu im Hofdienst verzehrte. Noch enger gestalteten sich die Beziehungen zwischen Friedrich und dem hochgebildeten Bamberger Bischof Eberhard II.;1 er überbrachte zusammen mit Abt Adam von Ebrach die Wahlanzeige Friedrichs nach Rom und wurde neben Rainald von Dassel zum wichtigsten Berater des Königs. Der in Abwesenheit Konrads III. gewählte Burchard von Eichstätt * wurde 1153 im Einvernehmen mit dem König durch päpstliche Legaten abgesetzt,1234sein Nachfolger Konrad I. (1153-1171) verdankte seine Promotion einer Wahl am Hof des Königs. Auch Erzbischof Heinrich von Mainz wurde 1153 durch die päpstlichen Legaten abgesetzt; Nachfolger wurde der königliche Kanzler Arnold von Selnhofen.5 Ebenso trat Friedrich hinsichtlich der weltlichen Besitzungen der Staufer und des Reiches in Franken als der Erbe seines Vorgängers auf. Nominell wurde der Sohn Konrads, Friedrich von Rothenburg, mit diesen Gütern ausgestattet, aber angesichts der Unmündigkeit besagte das nicht viel.6 Nach Friedrichs von Rothenburg Tod 1167 wurden diese Besitzungen überhaupt nicht mehr verliehen.7 Zwölf Aufenthalte Barbarossas in Nürnberg unterstreichen die Bedeutung dieses Besitzes. Schon 1152 wurde in Würzburg ein Romzug beschworen, weil Friedrich an der schnellen Gewinnung auch der Kaiserkrone lag. Doch begleitete ihn, als das Heer 1154 aufbrach, aus Franken nur Bischof Eberhard von Bamberg. Der geringe Zuzug und manche Vorgänge während des Königs Abwesenheit in Deutschland zeigten, daß dem äußeren Glanz noch die reale Grundlage fehlte. Als Friedrich 1155 zurückkehrte, galt es zunächst Frieden im Reich zu schaffen.8 Dazu gehörte auch das Verbot zu Unrecht erhobener Zölle auf dem Main, über die sich Bürger und Kaufleute der Städte am Main auf einem Hoftag in Würzburg (29. Oktober 1155)’ beschwerten. Die Beklagten müssen fränkische Herren und Herrschaften entlang des Flusses gewesen sein. Da sie einem Aufruf des Kaisers, Beweise für Zollverleihungen vorzulegen, nicht nachkamen, wurden am 6. April 1156 in Worms alle Mainzölle zwischen Bamberg und Mainz bis auf die nur zu bestimmten Zeiten zu erhebenden Zölle in Kloster Neustadt, Aschaffenburg und Frankfurt verboten; die fränkischen Großen, Gebhard von Würzbürg, Eberhard von Bamberg, Friedrich von Rothenburg, der Würzburger Burggraf Poppo von Henneberg und sein Bruder Berthold, sowie die Grafen von Rieneck und Wertheim bestätigten diesen Spruch.10 Pfalzgraf Hermann von Stahleck wurde wegen Landfriedensbruch in einem Streit mit Erzbischof Arnold von Mainz verurteilt." Tief getroffen gedachte er der Welt zu entsagen und begann auf seinem Besitz in 1 Looshorn II 393 ff.; Kist 38 ff.; Classen (s. u. 140 Anm. 2) passim; O. Meyer, Bischof Eberhard II. v. Bamberg, Mittler im Wandel seiner Zeit (Neujahrsbll. 29) 1964. 2 Heidingsfelder 121 ff. 3 Otto u. Rahewin (s. o. 73 Anm. 1) II 9; Heidingsfelder 128 nr. 402. 4 Ebd. 128 ff. nr. 403. 5 Otto u. Rahewin (s. o. 73 Anm. 1) II 9·

6 Schreibmüller (s. o. 75 Anm. 2) bes. 219 ft. 7 Vgl. u. 83. 8 Otto u. Rahcwin (s. o. 75 Anm. 2) II 45■ 9 Stumpf (s. o. 70 Anm. 1) 3729 u. folgende Anm. 10 Const. I 225 f· nr. 162. 11 Otto und Rahcwin (s. o. 73 Anm. 1) II 45.49·

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Bildhausen ein Zisterzienserkloster zu gründen.1 Mitte Juni feierte der Kaiser in Würzburg die Hochzeit mit Beatrix von Burgund und einen glänzenden Hoftag.12 In dieser Zeit ist zum ersten Mal in einer Urkunde von dem ducatus des Würzburger Bischofs die Rede. Heinrich V. hatte 1120 von der iudiciaria potestas gesprochen, und Bischof Embricho hatte sich auf Münzen als dux bezeichnet,3 Bischof Gebhard verlieh nun am 10. Februar 1156 unter Zustimmung des Kaisers Marktrechte an Schwäbisch Hall: episcopatus quam ducatus nostri potestate.4 Daß spätestens jetzt dieser Begriff ducatus mit Wissen und Willen des Königs verwendet wurde, Bischof Gebhard aber als erster Würzburger Bischof bis dahin noch nicht nachweisbare Regierungsrechte daraus abzuleiten suchte, zeigt ein Streit mit Bamberg (1157), in dem Gebhard vorgeworfen wurde, daß er occasione ducatus sui Rechte im Rangau beanspruche: allodiorum placita, centuriones ponere, de pace fracta iudicare et alia quaeque pro libito suo.5 Die Grafenrechte im Rangau waren im Jahre 1000 dem Bischof von Würzburg übertragen worden, aber im Rangau lagen auch aus Reichsgut stammende Besitzungen der Bamberger Kirche, die als Comitatus bezeichnet wurden und über die der Bamberger Bischof durch seinen Lehensmann, den Grafen von Abenberg, die Grafenrechte ausübte.6 Von Rechten her, die zweifellos um diese Zeit zum Inhalt des ducatus gehörten, suchte Gebhard also einen über die Rechte der bambergischen Grafen hinausgehende Gewalt zu beanspruchen. Durch einen Fürstenspruch wurde dieser Versuch zurückgewiesen, die genannten Rechte wurden als gräflichbambergisch bezeichnet, die Entscheidung am 15. Februar 1160 in Pavia vom Kaiser bestätigt.7 Als Barbarossa im Juni 1158 zu seinem zweiten Italienzug aufbrach, begleiteten ihn alle fränkischen Bischöfe; eine besonders hervorragende Rolle spielte Eberhard von Bamberg. Vom Kaiser erhielt er 1160 das Privileg, daß alle verliehenen Bamberger Burgen, bestehende und noch zu errichtende, bei Erledigung nicht mehr als Lehen ausgetan, sondern in unmittelbarer Verwaltung und Nutzung des Bischofs und des Kapitels verbleiben sollten.8 Gebhard von Würzburg kehrte schon im Winter 1158/59 aus Italien zurück und starb sieben Tage später. Schon unter Gebhards Nachfolger Heinrich II. (1159-1165)’ bezeichnete Barbarossa das Bistum als pro necessitate etservitio imperii ex parte dissipatus.10 Die Hoftage und wochenlangen Aufenthalte Kon1 Krausen, Zisterzicnserorden 7. 2 Otto u. Rahewin (s. o. 73 Anm. 1) II jo. 3 D. Steinhilber, Dux, Fahne u. Schwert auf Würzburger Münzen d. MA (Mainfr. Jb. 7) 1955, 65 ff. Daß Embricho von Lothar III. den Dukat erhielt (vgl. Bernhardi 138 m. Anm. 48, s. o. 72 Anm. 3); E. Rosenstock, Würzburg, das erste gcistl. Herzogtum in Deutschland, HVjschr. 16,1913, 68 ff), ist nicht zu erweisen. 4 Wirtemb. UB II 102. 5 MB 29anr. 500; Stumpf (s. o. 70 Anm. 1) 3888.

6 Nach v. Guttenberg 206 f. wohl im Halsgcrichtssprengel Herzogenaurach; Mayer, Fürsten 289; vgl. auch P. Schöffel, Der Archidiakonat Rangau am Ausgang d. MA (JffL 5) 1939. 132-175; Herzogenaurach. Ein Heimatbuch, hg. v. V. Fröhlich, 1949. 7 Vgl. auch H. Fichtenau, Bamberg, Würzburg u. d. Staufer (MIÖG 53) 1939, 242 ff.; Mayer, Würzburger Herzogsurkunde (s. o. 69 Anm. 4). 8 Stumpf (s. o. 70 Anm. 1) 3887. ’ Wendehorst I 162 ff. 10 MB 29 a nr. 504; Stumpf (s. o. 70 Anm. 1) 3915; Bosl (s. o. 73 Anm. 2).

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rads II. und Friedrichs hatten an den Mitteln Würzburgs gezehrt. Ähnlichen Belastungen war kein anderes Bistum ausgesetzt. Da bei der Regalienverleihung jedesmal Abgaben zu leisten waren und auch die Weihen mit erheblichen Ausgaben verbunden waren,1 wurde das Bischofsgut auch durch die relativ häufigen Wechsel auf dem Bischofsstuhl in den letzten, aber auch noch in den folgenden Jahren (1146,1150, 1159, 1165, 1171) empfindlich geschmälert. Als sich Bischof Heinrich dem Kaiser in Italien anschließen wollte, mußte er das Domkapitel um Mittel angehen und seinerseits alle Höfe und Einkünfte des Bischofs zum Pfand setzen.2 Das Kloster Ebrach lieh ebenfalls Unterstützung gegen Pfänder, die 1164 durch eine Waldschenkung ausgelöst wurden ;3 auch bei den Würzburger Juden mußte Geld aufgenommen werden.4 Heinrich (j‫ ־‬Ende Februar 1165) ist aber nicht mehr in dem Maße im Reichsdienst hervorgetreten wie sein Vorgänger. Gleiches gilt auch von seinem im Juni des Jahres erhobenen Nachfolger Herold.5 Offenbar hatten König und Bischof auf die bedrängte wirtschaftliche Lage Rücksicht zu nehmen. In der Zeit der Sedisvakanz im Mai 1165 fand in Würzburg ein Hoftag statt, auf dem nach dem Tod des kaiserlichen Gegenpapstes Viktor IV., der 1159 gegen Alexander III. erhoben worden war, der deutsche Episkopat eidlich verpflichtet wurde, niemals Alexander III. oder einen von dessen Partei gewählten Papst anzuerkennen.6 Die fränkischen Bischöfe sind während des Schisma Parteigänger des Kaisers gewesen; nur Eberhard von Bamberg bildete insofern eine Ausnahme, als er bei aller Loyalität stets zwischen den Parteien zu vermitteln suchte, wie ähnlich auch Adam von Ebrach. Da sich in Franken keine Gegenkräfte regten - anders war es in Mainz7 -, ist das Land von diesen Fragen nicht unmittelbar berührt worden. Der Katastrophe des kaiserlichen Heeres vor Rom (1167) war auch Friedrich I. Vetter Friedrich von Rothenburg zum Opfer gefallen. Seinen Besitz und seine Lehen in Franken hat der Kaiser damals nicht wieder ausgetan ;8 erst sehr viel später wollte er sie seinem Sohn Konrad übertragen.’ Ein Jahr danach (10. Juni 1168) bestätigte der Kaiser Bischof Herold omnem iurisdictionem seu plenam potestatem faciendi iustitiam per totum episcopatum et ducatum Wirceburgensem et per omnes cometeas in eodem episcopatu vel ducatu sitas.’°Dabei wurden drei Fälschungen benutzt, die unter Bischof Heinrich, vielleicht schon unter Bischof Gebhard in Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen mit Bamberg auf den Namen der Könige Heinrich II., Konrad II. und Heinrich III. angefertigt worden waren. * 1 Anders als in diesen Spurien, in denen bei sonst gleichem Rechtsinhalt vom ducatus orientalis Franciae gesprochen * Vgl. z. B. Heidingsfelder 121 nr. 389; Bosl (s. o. 73 Anm. 2). 2 Stumpf (s. o. 70 Anm. 1) 3913. 3 Wegele (s. o. 74 Anm. 3) 63. 4 UB St. Stephan, bearb. v. Bendel-Heidingsfelder-Kaufmann, 1912, I nr. 189. 5 Wendehorst I 16j ff. 6 Const. I 315 f. nr. 223; Stumpf (s. o. 70 Anm. 1) 4045. 7 R. Jordan, Die Stellung d. deutschen Epi-

skopats im Kampf um d. Universalmacht unter Friedrich I., Diss. Erlangen 1939; LThK II 1122 f. 8 Schreibmüller (s. o. 75 Anm. 2) 240. ’ Vgl. u. 83. 10 Zeumer 18 f.; Stumpf (s. o. 70 Anm. 1) 4095; Fichtenau (s. o. 79 Anm. 7); Mayer, Fürsten, bes. 290 ff.; Zimmermann (s. o. 46) 393 ff ** DH. II 391; DK. II 181; DH. III 245.

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worden war, wurde nun wieder der Begriff iurisdictio verwendet, die in einem mit dem episcopatus (= bischöflicher Besitz) gleichgesetzten territorialen ducatus ausgeübt werden sollte. Das war weniger, als die Würzburger Bischöfe in den letzten Jahrzehnten erstrebt hatten; die Immunitäten Ostfrankens, vor allem Bamberg und der Reichsbesitz, blieben ausgenommen; dennoch enthielt das Privileg Möglichkeiten für die zukünftige Entwicklung. Im Augenblick war die räumliche und inhaltliche Umschreibung der iurisdictio wichtig. Wahrscheinlich ist mit diesem Privileg auch die Würzburger Hochstiftsvogtei der Grafen von Henneberg erloschen.1 Von einer Schonung des Bistums durch den Kaiser möchte man auch unter Herolds Nachfolger Reginhard von Abenberg (1171-1186) sprechen.1 2 Er erhielt Privilegien mit eindeutig wirtschaftlichem Aspekt: Am 22. April 1172 schenkte Friedrich I. einen umfangreichen Wildbann im östlichen Grabfeld;3 am 24. April desselben Jahres wurden die innerhalb der Immunität liegenden Höfe davon befreit, in Zukunft nichtfürstliche Teilnehmer an Hoftagen zu beherbergen.4 Diese Maßnahme berücksichtigte offensichtlich, daß die Domherren 1161 dem Bischof bei der Vorbereitung des Italienzuges zu Hilfe gekommen waren. Schon 1175 mußte Reginhard sie wegen seiner Teilnahme am Italienzug erneut in Anspruch nehmen. Der Kaiser forderte damals das Domkapitel auf, in seinem Besitz befindliche Pfänder der Kirche von Würzbürg im Gesamtwert von 350 Mark dem Bischof zur Verfügung zu stellen, wofür dieser seinerseits aus dem Bischofsgut Pfänder leisten sollte. Der Kaiser und sein Sohn Heinrich verbürgten sich in eigener Person, daß Reginhard oder sein Nachfolger sie zurückkaufen würden.5 In der Frage des Schisma bewahrte Reginhard eine gewisse Vorsicht, insofern er sich erst im Jahre 1178 nach dem Frieden von Venedig weihen ließ.6 In Bamberg war 1170 auf Bischof Eberhard noch an dessen Todestag der bisherige Propst Hermann gefolgt.7 In seine Zeit fällt ein Vertrag mit dem Kaiser, der diesen noch stärker als bisher in Franken Fuß fassen ließ. In einem 1174 in Regensburg getroffenen Abkommen, das am 13. Juli des Jahres geringfügig abgeändert wurde, gab Hermann unter Zustimmung des Dompropstes sein Einverständnis, daß die Söhne des Kaisers nach dem Tod des Grafen von Sulzbach mit dessen Bamberger Lehen gegen Zahlung von 1200 Mark an den Bischof belehnt werden sollten.8 Man mag in dem Vertrag mit Bamberg ein Symptom dafür sehen, daß Friedrich nach dem Scheitern in Italien seine Stellung in Deutschland auszubauen suchte.’ In Franken bot sich dafür nach wie vor einer der besten Ansatzpunkte. Die Ernennung Gottfrieds I. von Spitzenberg-Helfenstein, seit 1172 kaiserlicher Kanzler und an allen wichtigeren Ereignissen der Folgezeit beteiligt, zum Nachfolger Reginhards von Würzburg10 fügt sich in diese Politik ein. Infolge der engen bisherigen Beziehungen mußte Gottfried sich 1 Wendehorst I 167. 2 Ebd. 170 ff.; wichtige Korrekturen zu seiner Biographie bei Friesb 24 ff. 3 Stumpf (s. o. 70 Anm. 1) 4134. 4 Ebd. 4135. 3 Ebd. 4165; Const. I 346 f. nr. 246. 6 HdBG III, I

6 Wendehorst I 171. 7 Looshorn II 479 ff.; Kist 40. 8 Stumpf 4166; v. Guttenberg 185 f. m. Anm. 54. ’ GG I 401 ff 10 Wendehorst I 174 ff.

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auch nach seiner Erhebung mehr dem unmittelbaren Königsdienst als seinem Bistum widmen. Auf dem Hoftag in Mainz am 27. März 1188 nahm er wie der Kaiser das Kreuz und widmete sich in hervorragender Weise der Vorbereitung des Kreuzzuges, auf dem er sich als Heerführer auszeichnete und am 8. Juli 1190 starb. Unter Heinrich VI. wurden die Bindungen zwischen dem König und Würzburg noch enger als bisher. Der junge Herrscher hatte in Abwesenheit seines Vaters und Bischofs Gottfried im August 1189 seinen ersten selbständigen Reichstag in Würzburg abgehalten, auf dem Bischof Otto I. von Bamberg heiliggesprochen wurde; nach dem Tod Gottfrieds ließ er seinen Bruder Philipp, der zum geistlichen Amt bestimmt war, aber noch keinerlei Weihen empfangen hatte, zum neuen Bischof von Würzburg wählen. Doch mußte Philipp noch 1191 zurücktreten, sei es, daß der Papst gegen den höchstens Fünfzehnjährigen Einspruch erhob, sei es, daß der Tod Friedrichs von Schwaben die Pläne Heinrichs VI. änderte.1 Auch Philipps Nachfolger Heinrich III. von Berg (1191-1197) stammte väterlicherseits aus einem schwäbischen, mit den Staufern politisch und vielleicht sogar verwandtschaftlich verbundenen Geschlecht, mütterlicherseits aus dem Haus der Grafen von Andechs. An mehreren Hoftagen sah er Heinrich VI. in seiner Stadt und nahm wie dieser 1195 das Kreuz.1 Bamberg war seit dem Tod Bischof Hermanns in der Hand Ottos II. aus dem Haus Andechs.123 Da die jüngste Tochter Ottos von Schweinfurt, Gisela, einen Grafen von Giech-Andechs geheiratet hatte, waren ihre Nachkommen in den Besitz des auf sie fallenden Anteils am Schweinfurter Erbe gekommen, das hauptsächlich im Radenzgau lag; einer der Mittelpunkte war die Plassenburg. Seit spätestens 1149 waren die Andechser im Besitz der Grafschaft im Radenzgau und als solche die stärksten Konkurrenten der Territorialpolitik der Bamberger Bischöfe.4 Infolgedessen war es schon um die Mitte des zwölften Jahrhunderts zu Auseinandersetzungen gekommen. Die Erhebung Ottos II. ist ein Beweis der Andechser Stellung, zumal auch die unmittelbar auf Otto folgenden Bischöfe meist diesem Haus entstammten. Auch Bischof Otto wurde wie seine Vorgänger von Friedrich zu vielfältigen Aufgaben herangezogen. Als Vertreter seines Bischofs war er bei dem Friedensschluß in Venedig anwesend, 1178 weilte er wieder in Italien am Hof, 1179 nahm er am dritten Laterankonzil teil, 1184 ging er dem Kaiser voraus nach Italien und führte mehrfach Verhandlungen mit dem Papst; erneut nahm er gleiche Aufgaben 1187 wahr, 1191 war er bei der Kaiserkrönung Heinrichs VI. in Rom zugegen. In ähnlicher Weise wie seine Vorgänger war Otto geradezu der Vertraute des Kaisers für Italien und die BeZiehungen mit dem Papsttum und spielte dabei die traditionelle Vermittlerrolle Bambergs. Zugleich bemühte sich Otto um den inneren Ausbau seines Bistums, besonders durch die Förderung des Klosters Michelfeld an der oberen Pegnitz und des Klosters Langheim.’ Auch der Zufall kam ihm zur Hilfe: Als 1189 Graf Friedrich von 1 Wendehorst 1179. 2 Ebd. 179 ff. 3 Looshorn II 515 ff.; Kist 41 ff; K. Hartmann, Zur Gesch. d. Hauses Andechs-Meranien (AO 37) 1956, 3-34, bcs. 24 ff; K. Bost,

Europäischer Adel im 12./13-Jh. (ZBLG 30) 1967, 20-52. 4v. Guttenberg 205 f. ’ Looshorn II 537 L, 560 ff.; Kist 42; v. Guttenberg 167 ff.

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Abenberg, der Letzte eines Geschlechts, das zahlreiche Vogteien über Bamberger Besitz in der Hand hatte, das Kreuz nahm, verpfändete er seine gesamten Vogteien, darunter die über den Markt in Bamberg, über Hallstadt, Kronach, Banz und Theres gegen Zahlung von 40 Mark Gold (400 Mark Silber) unter der Bedingung, daß alle Güter an Bamberg fallen sollten, falls er vor der Rückerstattung des Geldes ohne Erben stürbe. Der Bischof von Bamberg war seitdem uneingeschränkter Herr seiner Stadt.1 Eichstätt dagegen entwickelte sich nach wie vor ruhig vor sich hin. Man kann es als Zeichen seiner geringen Bedeutung für das Reich ansehen, daß Bischof Otto (1182-1196) nicht dem Adel, sondern einem Ministerialengeschlecht entstammte? Nur 1187 nahm er an einem Reichstag in Regensburg, 1189 an dem Reichstag Heinrichs VI. in Würzburg und anschließend in Bamberg und noch einmal 1192 an einem Hoftag in Würzburg teil. Imponierend war seine Tätigkeit innerhalb des Bistums. Sein Pontifikat begann mit einer Diözesansynode im Jahre 1183, der 1186, 1188 und 1191 weitere folgten; 105 Kirchweihen sind für seine Regierungszeit belegt? Unübersehbar ist in diesen Jahrzehnten die wachsende Bedeutung des Adels und der sonstigen nichtgeistlichen Kräfte. Von den staufischen Besitzungen war schon die Rede. Sic nahmen durch die Ministerialenpolitik, die den Adel als Verwaltungsorgan des Reichs- und Hausgutes ausschloß, festere Formen an, wenn sie auch schließlich zu denselben Konsequenzen führte.1 234 In Rothenburg saß ein gemäß der alten HofdienstOrdnung als Reichsküchenmeister bezeichneter Ministeriale,5 in Nürnberg neben dem schon älteren Burggrafen ein Reichsbutigler.6 Eine günstige Ausgangsbasis bot dieses fränkische Staufergut, das nach Westen Anschluß an die Besitzungen in Schwaben hatte, für den Ausbau der staufischen Macht im bayerisch-nordgauischen Oberpfälzer Wald, im fränkischen Fichtelgebirge und dem Egcrland, an dessen Spitze ein Reichsministeriale als iudex provincialis stand. In den wenig besiedelten Waldgebieten in der Hand des Reiches konnte sich durch Burgenbau und Rodung territoriale Herrschäft am reinsten verwirklichen. Die Masse dieses Besitzes war Reichsgut, zum Teil aber auch Hausgut, das 1188 als Ausstattung für Friedrichs I. Sohn Konrad, der eine kastilische Prinzessin heiraten sollte, vorgesehen wurde. Konrad sollte alles Allod, das ihm von seinem Vater und von Friedrich von Rothenburg zukam, erhalten: In Franken Rothenburg und mit allem Zubehör Höfe und Allodien in Stadt und Hochstift Würzburg, Weißenburg mit Zubehör, Wallcrstcin, Dinkelsbühl, Aufkirchen? Neben den Staufern im südlicheren, den Hennebergern im nordöstlichen Franken, den ebenfalls aus frühfränkischem Adel stammenden Abcnbergern im Rangau und den seit Anfang des Jahrhunderts im Radcnzgau ansässigen Andcchsern, sowie den Rieneckern traten im Laufe des Jahrhunderts weitere Adelsfamilien auf. Die Herren, später Grafen von Castell, die von Wertheim, die von Hohenlohe sind wahrscheinlich Deszendenten frühfränkischcr Adelsfamilicn, die sich dank ihres allodialen Besitzes 1 Looshorn II 549 f.; v. Guttenberg 182 ff., 216 ff. 2 Heidingsfelder 147 ff. 3 Ebd. 160 ff. nr. 501. 4 Bosl passim. 6·

5 Ders., Rothenburg (s. o. 69 Anm. 3). 6 GG I 795. 7 Const. I 453 f. nr. 319; Stumpf (s. o. 70 Anm. 1) 4490.

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den edelfreien Stand bewahrten. Solange Einnamigkeit herrschte und der Grafentitel nur aufgrund vom König verliehener Grafschaften geführt wurde, sie aber nicht im Besitz solcher Reichsämter waren, bleiben sie in den Quellen schwer faßbar. Im Laufe des zwölften Jahrhunderts beginnen sie, sich nach ihren Hauptsitzen zu benennen und den Grafentitel zu führen. Uber ihren angestammten Besitz kamen sie durch Landesausbau und Gewinnung von Vogteirechten zu allodialen Herrschaften und einer grafenähnlichen Stellung, als die königliche Grafschaft zunehmend an Bedeutung verlor.1 c) Von der Doppelwahl (1198) bis zum Tod Friedrichs II. Heinrichs VI. einziger Sohn Friedrich war im Dezember 1196 im Alter von kaum zwei Jahren zum König gewählt worden, doch erwies es sich nach des Kaisers Tod als unmöglich, dem Erwählten die Krone zu erhalten. Da der Kölner Erzbischof Adolf von Berg die Wahl eines nichtstaufischen Königs betrieb, sahen sich die staufertreuen, vornehmlich süddeutschen Fürsten im März 1198 veranlaßt, den jüngsten Bruder Heinrichs, Herzog Philipp von Schwaben, zum König zu erheben. Wenige Monate später wählte die kölnische Partei in Otto von Braunschweig einen eigenen König. Philipp schlossen sich, soweit erkennbar, alle fränkischen Fürsten an. Bezeichnend für den Zustand des Reiches war es, daß die Wähler Philipps in einer Wahlanzeige an den Papst ausdrücklich auf die AnWesenheit zahlreicher Reichsministerialen bei der Wahl hinwiesen. * Die lehnsrechtliehen Formen ihres Dienstverhältnisses und der Reichsdienst hatten diese Schicht dem Adel angeglichen. In Franken trat das in den nächsten Jahrzehnten noch deutlicher hervor. Trotz der zunächst einheitlichen Haltung Frankens wirkten sich aber auch hier die Spannungen aus, die sich aus der Existenz zweier konkurrierender Könige ergaben, besonders als Papst Innocenz III. in die deutschen Auseinandersetzungen verwickelt wurde und immer deutlicher für Otto IV. Partei nahm. Nicht ohne eigenes Zutun war während der Thronvakanz Konrad von Querfurt, der Kanzler Heinrichs VI., seit 1094 Bischof von Hildesheim, zum Bischof von Würzbürg gewählt worden und hatte die Wahl angenommen.3 Das war kirchenrechtlich unzulässig, und da Konrad alle Mahnungen Papst Innocenz’ III. in den Wind schlug, wurde er gebannt; in Hildesheim ordnete Innocenz eine Neuwahl an, dem Würzburger Domkapitel entzog er das Wahlrecht. Ohne Zweifel war Konrads Verhalten durch sein Vertrauen in den Erfolg des staufischen Königs getragen, wie Innocenz’ Verhalten durch seine insgeheime Stellungnahme für den welfischen König. Sobald die endgültige Parteinahme des Papstes zugunsten Ottos offen zutage trat, begann auch Konrad einzulenken: im April 1200 unterwarf er sich in Rom; 1201 gab Innocenz den Würzburgern zu verstehen, daß er Konrad als ihren Bischof anerkennen werde, wenn sie ihn erneut postulierten. Als der Papst am 1. März 1201 sich dann offen für Otto IV. ausgesprochen hatte, begann sich auch Konrad von Philipp zurückzuziehen. Im Herbst des Jahres verlor er das Kanzleramt, den offenen Abfall vollzog 1S. u. 106£. 3 Regestum super negotio Romani imperii [RNI] (s. GG I 432) 14.

3 Wbndehorst I 183 fr.; O. Kuhle, Die Neubesetzung d. deutschen Bistümer unter Papst Innocenz III., Diss. Berlin 1935.

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er wahrscheinlich ein Jahr später.1 Sofort rüstete Philipp zu einem Feldzug gegen Würzburg, als er dort eintraf, fand er den Bischof von Ministerialen erschlagen (3. Dez. 1202). Man hat Konrad als den ersten bedeutenden Territorialpolitiker unter den Würzburger Bischöfen bezeichnet.’ Er hat den Marienberg auf dem linken Mainufer gegenüber Würzburg befestigt, der die von Frankfurt kommende Straße beherrschte, an der erst Friedrich Barbarossa einen Königshof errichtet hatte;’ nördlich von Würzburg gründete er die Stadt Karlstadt unter Befreiung von allen gründ- und leibherrlichen Lasten und vom Vogteigericht; er vollendete die Burg Freudenberg am Main und erwarb vom König die Burg Steineck an der fränkischen (?) Saale. Diese Politik brachte ihn aber in Konflikt mit den Ministerialen, und in ihr sind daher auch die Gründe für den Mord zu suchen. Entscheidend für den Streit war die Rückgabe der würzburgischen Reichskirchenlehen durch Philipp im Jahre 1201.12*4 Sie waren durch Ministerialen verwaltet worden, die nun aus der Abhängigkeit des Königs in die des Bischofs gerieten und sich dadurch ständisch gemindert sahen. Sie fügten sich nicht ohne Gegenwehr und stellten zugleich den Bau von Burgen als Verstoß gegen das Reichsinteresse, als offene Rebellion gegen das Reich dar. An den Kämpfen beteiligten sich vor allem Heinrich und Bodo von Rabensburg, Verwandte des Reichsministerialen Marschalls Heinrich von Kaldcn (-Pappenheim), während Konrad von dem in Würzburg ansässigen bischöflichen Ministerialen Eckart (comes) unterstützt wurde. Als die Rabensburger Eckart am 14. Dezember 1200 töteten und Konrad daraufhin ihr Haus in Würzburg zerstören ließ, drangen sie in die Stadt ein und ermordeten den Bischof. König Philipp wagte es aus Furcht vor dem Marschall Heinrich nicht, die Mörder zu bestrafen.5 Nach Konrads Tod blieb das Bistum unter dem neuen Bischof Heinrich, der allerdings niemals die Weihe erhielt (f 1207), in staufischer Hand.6 Staufisch waren auch die beiden anderen fränkischen Bistümer. In Bamberg war auf Otto II. Thiemo gefolgt,7 der auch an der Erhebung Philipps teilgenommen und öfter in dessen Umgebung geweilt hatte. Symptom für seine Haltung war es, daß er dem Protonotar Ottos IV., Walther, eine Pfründe, die dieser an der Bamberger Kirche besaß, entzog.8 Sein Nachfolger Konrad von Ergersheim verstarb schon nach wenigen Monaten, ohne die Weihe erhalten zu haben;’ nun wurde Ekbert von AndechsMeranien, Bruder des Herzogs Berthold, der zu den Hauptwählern Philipps gehört hatte, erhoben.” Sicher war seine Person Philipp genehm, aber da Ekbert noch nicht das kanonische Alter (30 Jahre) besaß und damit die Rechtmäßigkeit seiner Erhebung strittig war, wurden die Verhältnisse in Bamberg ähnlich unsicher wie kurz zuvor 1 H. Tillmann, Papst Innocenz III. (Bonner Hist. Forsch. 3) 1954, bes. 281 ff. 2 K. Bosl, Aus d. Anfängen d. TerritorialStaates in Franken (JffL 22) 1962, 67-88. ’ J. F. Abert, Wo fand 1156 die BarbarossaHochzeit statt? (Fränk. Volksbl. v. 1. 7. 1927). 4 MB 29 a nr. 570; vgl. ebd. nr. 569. 5 Chron. Montis Sereni, ed. E. Ehrenfeuchter (MG SS 23) 1874, 170.

6 Wendehorst I 201 ff. 7 Looshorn II 575 ff.; v. Guttenberg I; Kist 43 f. 8 Potthast (s. HB II AV) 4413. ’ Looshorn II 589 ff. 10 Ebd. 591 ff.; v. Guttenberg I; Kist 44 f.; NDB 4, 427 f.

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in Würzburg. Um in den vollen Besitz seiner bischöflichen Würde zu kommen, bedurfte Ekbert der päpstlichen Dispens und war daher zur Zurückhaltung in den politischen Fragen gezwungen. Sie trug ihm auch die Weihe durch den Papst und auch das Pallium ein, aber da er sich nicht völlig von Philipp löste, wurde er 1205 suspendiert und erst wieder in sein Amt eingesetzt, nachdem er seine Unterwerfung erklärt hatte. Nicht viel anders war schließlich die Lage in Eichstätt. Bischof Hartwig aus dem Haus der Eichstätter Stiftsvögte war ein Vetter Heinrichs VI. und hatte 1196 das Bistum erhalten.1 Wie viele andere wandte er sich 1202 gegen die Einmischung des Papstes in den deutschen Thronstreit und wurde 1203 der Nachfolger Konrads von Querfurt als Kanzler.1 2 Doch verlor er das Amt schon ein Jahr später, weil er sich von Philipp zurückzuziehen begann. In den folgenden Jahren hat er sich fast ausschließlich den inneren Angelegenheiten seines Bistums gewidmet. Im Jahre 1208 waren die Verhandlungen Philipps mit dem Papst soweit fortgeschritten, daß die Anerkennung durch Innocenz in greifbarer Nähe stand. Die Abmachungen sahen unter anderem die Heirat einer der Töchter Philipps, die bereits dem Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach versprochen war, mit einem Neffen des Papstes vor. Gekränkt darüber erschlug Otto von Wittelsbach am 21. Juni 1208 den König in Bamberg, wo Philipp die Hochzeit seiner Nichte Beatrix mit dem Herzog Otto von Andechs-Meranien feierte.3 Der Tod Philipps leitete den weitgehenden Rückzug der Königsherrschaft aus Franken ein. Dem Bischof Otto I. von Würzburg, der schon wenige Tage nach dem Tod Bischof Heinrichs IV. einstimmig gewählt worden war (1207),4*hatte es die Situation zum Zeitpunkt seiner Erhebung erlaubt, in der Umgebung Philipps zu weilen, aber auch das Vertrauen des Papstes zu genießen. Innocenz III. beauftragte ihn nach Philipps Tod damit, bei den Fürsten für die Wahl Ottos IV. zu werben,1 doch machte der Bischof seine eigene Entscheidung davon abhängig, daß Otto ihm die Wiedergutmachung von Schäden in Höhe von 1000 Mark jährlich zusicherte, die das Bistum angeblich während der Regierung Heinrichs VI. und Philipps erlitten hatte.6 Auch Hartwig von Eichstätt schloß sich dem Welfen an. Beide Bischöfe begleiteten den König wenig später zur Kaiserkrönung nach Rom.7 Ekbert von Bamberg befand sich währenddessen in einer äußerst schwierigen Lage. Otto von Wittelsbach war nach dem Mord an Philipp zu Ekbert geflüchtet und dann ungehindert entkommen. Ekbert wurde daher verdächtigt, mit dem Mörder im EinVerständnis gestanden zu haben. Um den Folgen dieser Beschuldigung und einer Verurteilung, die ein Fürstentag 1209 aussprach, zu entgehen, war er zu seinem Schwager König Andreas von Ungarn geflüchtet. Während der Kaiserkrönung weilte aber auch

1 Heidingsfelder 162 ff. 2 Ebd. 169 nr. 527. 3 Über den Bamberger Dom-Neubau als Sühne für die Ermordung und den Bamberger Reiter als Darstellung Philipps H. Fiedler, Dom u. Politik, 1937; O. Hartig, Der Bamberger Reiter u. sein Geheimnis, 1939; Bosl (s. o. 82 Anm. 3) 37. Vgl. u. 154f.

4 F. Herberhold, Otto v. Lobdeburg, Bischof v. Würzburg 1207-1223 (AU 70) 1935/ 1936, 1-1J2; Wendehorst I 204 ff. 3 RNI (s. o. 84 Anm. 2) 162, 164. 6 Amoldi Chron. Slav., ed. Μ. Lappenberg (MG SS 21) 245; Herberhold (s. o. Anm. 4) 30 ff., 134 ff. 7 Heidingsfelder 174 f. nr. 548 ff.

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er in Rom, um seine Rehabilitierung zu betreiben, die er wenig später, wenigstens von päpstlicher Seite, erhielt.1 Das Einschwenken Ottos IV. in die Bahnen der Staufer veranlaßte Innocenz III., die Neuwahl Friedrichs von Sizilien, des Sohnes Heinrichs VI., zu betreiben. Während süddeutsche Fürsten sich schon im September 1211 in Nürnberg für Friedrich entschieden, zögerten die fränkischen Bischöfe mit dem offenen Übertritt. Otto von Würzburg wurde deswegen sogar durch den päpstlichen Legaten Siegfried von Mainz abgesetzt. Die Ministerialen von Rabensburg vertrieben ihn aus der Stadt und setzten Heinrich von Rabensburg als neuen Bischof ein, doch konnte Otto die Stadt bald zurückerobern und die Rabensburg niederlegen.12 Als aber Friedrich im Herbst 1212 in Deutschland erschien, traten auch die Bischöfe zu ihm über. Hartwig von Eichstätt besuchte im Februar 1213 Friedrichs II. ersten Hoftag in Bayern;3 Otto von Würzburg erschien 1213 in Eger, bezeugte am 12. Juli die sogenannte Goldbulle von Eger4 und beteiligte sich an Feldzügen gegen Otto IV. Schon 1216 auf einem Hoftag in Würzbürg erhielt er für seine Dienste ein Privileg, in dem Friedrich II. auf das Spolien- und Regalienrecht gegenüber der Würzburger Kirche verzichtete.5 Noch höher stieg der Bischof, als im April 1220 Friedrichs siebenjähriger Sohn Heinrich (VII.) in Frankfurt zum König gewählt wurde und Friedrich II. wenig später Deutschland für viele Jahre verließ. Man hat vermutet, daß Otto unmittelbar auf die Bestimmungen der auf diesem Hoftag beschlossenen confoederatio cum principibus ecclesiasticis Einfluß genommen hat, die unter reichsrechtlicher Fixierung ihres Besitzstandes die geistlichen Territorien dem Einfluß des Königs entzog.6 Es erscheint wie eine erste Anwendüng des § 5 der confoederatio, wenn Otto nach dem Tod des Würzburger Burggrafen Berthold von Henneberg die mit dessen Amt verbundenen Kirchenlehen einzog und erfolgreich verteidigte.7 Außerdem wurde Otto als einer der Vormünder berufen, die für den unmündigen König Heinrich bestellt wurden. Als solcher leitete er die Nachwahl, die anläßlich der Krönung in Aachen (8. Mai 1222) stattfand,’ führte die Verhandlungen über die Auslieferung des in der Schlacht von Bornhöved gefangenen Königs Waldemar von Dänemark und garantierte für den König dieEinhaltung der geschlossenen Verträge. Das war schon mehr als Reichsdienst imherkömmlichen Sinn, doch wurde zweifellos die Rolle des Würzburger Bischofs - Ottos übernächster Nachfolger und Neffe Hermann von Lobdeburg (1225-1254) hat sie fortgesetzt - durch die bisherige Bedeutung Würzburgs für das Königtum gefördert. Bei Ekbert von Bamberg ist dagegen zunächst der herkömmliche Reichsdienst noch stärker ausgeprägt. Nach der Wiedereinsetzung in seine Rechte schloß er sich ebenfalls 1 Bosl (s. o. 82 Anm. 3) 36; Looshorn II 601 ff. 2 Wendehorst I 205 f. 3 Heidingsfelder 179 nr. 565. 4 BF 705; Const. II nr. 46 ff. 5 BF 856. 6 E. Klingelhöfer, Die Reichsgesetze v. 1220, 1231/32 u. 1235. Ihr Werden u. ihre Wirkung im deutschen Staat Friedrichs II.

(Quellen u. Stud. z. Verfassungsgesch. 8, 2) 1955. 47 ff·; H. Koller, Zur Diskussion über d. Reichsgesetze Friedrichs II. (M10G 66) 1958, 51; 29P. Zinsmaier, Zur Diplomatik d. Reichsgesetze Friedrichs II. (1216, 1231/32, 1235) (ZRG 80) 1963, 82-117; TextConst.il nr. 73. 7 Zickgraf (s. o. 60 Anm. 4) 85. ’ Herberhold (s. o. 86 Anm. 6) 104 ff.

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Friedrich II. an und war bei dessen Krönung und verschiedenen Hoftagen zugegen. Nach seiner Rückkehr vom Kreuzzug (1216-1218) nahm er 1225 an den Verhandlungen Friedrichs II. mit dem Papst in S. Germano teil, wo er dem Kaiser und seinem Sohn die Portenau gegen 4000 Mark Silber überließ, war 1227 schon wieder beim Kaiser und begleitete ihn bis nach Palermo. In Franken wurde er durch die Verwandtschäft der Andechser mit den Hennebergem in deren Fehde mit dem Bischof von Würzburg verwickelt. In dem Frieden zu Schmalkalden, den Erzbischof Siegfried von Mainz im Auftrag des päpstlichen Legaten vermittelte, mußte er sich im August 1230 verpflichten, den Würzburgern 1000 Mark als Entschädigung zu zahlen. Von Ende 1231 bis Mitte 1232 hielt er sich schon wieder in Italien auf. In seinen letzten Jahren werden noch einmal die Unterschiede seiner eigenen Haltung gegenüber der des Würzburger Bischofs deutlich. Ottos übernächster Nachfolger in Würzburg, Hermann von Lobdeburg, war wie sein Vorgänger Otto einer der Vertrauten König Heinrichs.1 Auf das statutum in favorem principum von 1231 und das Reichsmünzgesetz, die die Territorialherrschaft stärkten, nahm er erheblichen Einfluß.1 2*In dem Konflikt König Heinrichs mit seinem kaiserlichen Vater suchte er zunächst noch zu vermitteln, nahm aber schließlich eindeutig Partei für den König und hielt sich selbst nach dessen Unterwerfung noch bis zum Hoftag in Augsburg (August 1237)’ vom Kaiser fern. Ekbert von Bamberg dagegen stand ebenso eindeutig auf des Kaisers Seite. Er wurde 1236 mit der Vollstreckung der Reichsacht gegen Friedrich von Österreich beauftragt und beteiligte sich in Wien auch an der Wahl des neuen Königs Konrad, des erst neunjährigen zweiten Sohnes des Kaisers. Zum Lohn für seine Dienste wurde er als Statthalter in Österreich eingesetzt und ist als solcher in Wien (5. Juni 1237) gestorben. Bischof Hermann von Würzburg beteiligte sich nach seiner Aussöhnung mit dem Kaiser an dessen Unternehmungen gegen die Lombarden im Sommer 1238, aber kaum aus vollem Herzen; denn im Oktober des Jahres übernahm er es, dem Kaiser die Klagen des Papstes vorzutragen,4 zog sich wenig später wieder in sein Bistum zurück und verpflichtete sich im Mai 1240 gegenüber Papst Gregor IX., Beistand gegen den Kaiser zu leisten, falls dieser den Frieden von S. Germano nicht einhalte.5 Folgerichtig gehörte er nach der Absetzung Friedrichs durch das Konzil von Lyon (1245) zu den Wählern des Gegenkönigs Heinrich Raspe, der wegen der staufischen Haltung der Würzburger Bürgerschaft statt in der Bischofsstadt am 22. Mai in Veitshöchheim erhoben wurde.4 Heinrich Raspe bezahlte diese Hilfe mit dem Versprechen, das Bistum nicht zu beschweren, und mit der Verpfändung der Würzburger Judensteuer für 2300 Mark Silber.7 Als konsequenter Gegner des Kaisers wurde Hermann vom Papst Innocenz IV. beauftragt, staufisch gesonnenen Klerikern und

1 Wendehorst I 211 ff.; K. Bosl, Bischof Hermann v. Lobdeburg, B. v. Würzburg (Fränk. Lebensbilder 3) 20-34. 2 S. o. 87 Anm. 6. 5 BF 2268.

4 5 4 7

BF 2401. MG Epp. s. XIII 1, nr. 768/V. BF 4864 d. BF 4867, 4884, 488$.

§ 8. Das staufische Jahrhundert in Franken (F.-J. Schmale) Laien seiner Diözese ihre Pfründen und Lehen zu entziehen. Auch an der Wahl Wilhelms von Holland war er führend beteiligt. Seine Haltung und Stellung im Reich ermöglichten ihm eine ungewöhnlich erfolgreiche Territorialpolitik,1 in deren Rahmen er zahlreiche Burgen sowie andere BesitZungen und Rechte innerhalb seiner Diözese aufkaufte. Um die Mittel für den Erwerb des Besitzes der hennebergischen Linie von Botenlauben zu erhalten, verpfändete er die Münze und sonstige Einkünfte an das Domkapitel; um der Zerschlagung des hennebergischen Gutes willen, das den Zusammenhang der würzburgischen Besitzungen im Nordosten zerriß, scheute er selbst den Krieg nicht. Trotz einer militärischen Niederlage - der Bischof von Bamberg, die Grafen von Castell und von Wertheim, die sich durch Hermanns Politik ebenfalls beeinträchtigt sahen, hatten sich mit den Hennebergern verbündet - erreichte er in Vergleichen dennoch erhebliche Teilerfolge, die in den folgenden Jahren so konsequent durch Lehensauftragungen erweitert wurden, daß sich die Henneberger zusammen mit denen von Castell im Januar 1250 als der Landeshoheit und Jurisdiktion des Bischofs unterworfen erklärten.1 2 Weniger glücklich verlief die Entwicklung Bambergs. Bischof Ekberts aufopfernder Dienst hat seinem Bistum nur wenig eingebracht. Das erste Jahrzehnt seines Pontifikats war von Unsicherheit erfüllt, später war er zu oft von Bamberg abwesend und hatte sich fast mehr um die österreichischen Besitzungen Bambergs gekümmert als um die fränkischen. Als nach einem kurzen Zwischenspiel - der nach Ekberts Tod erwählte Sigfried von Oettingen resignierte nach wenigen Wochen3 - mit dem bisherigen Dompropst Poppo erneut ein Andechser erhoben wurde,4 konnte auch dieser die nachteilige Entwicklung nicht aufhalten. Ekbert hatte dem Bistum so viele Schulden hinterlassen, daß Poppo sich nur mit weiteren Verpfändungen zu helfen wußte, sein politischer Stellungswechsel nach der Exkommunikation des Kaisers stürzte ihn vollends ins Unglück. Eine starke staufische Partei im Domkapitel betrieb seine AbSetzung und wählte spätestens Anfang 1242 in dem kaiserlichen Protonotar Heinrich von Bilversheim einen neuen Bischof;» ein kaiserliches Hofgericht erklärte alle Handlungen Poppos für unrechtmäßig. Da er die Weihen nicht empfangen hatte, kam das der Absetzung gleich. In der Person des neuen Bischofs machte der Kaiser noch einmal den Versuch, seinen Einfluß wenigstens in einem Teil Frankens zu erhalten; um Heinrichs Stellung zu stärken, verlieh er ihm das Recht, in Villach eine neue Münze zu errichten.6 Der Elect suchte erst im Spätsommer 1243 sein Bistum auf, widmete sich dann aber dessen Angelegenheiten mit beachtlichem Erfolg. Er konnte nicht nur einige verpfändete Güter cinlösen, im Februar 1244 bestätigte ihm der Kaiser auch das Recht auf alle Silbervorkommen im bambergischen Gebiet? Dennoch unterwarf er 1 Wendehorst I 217 ff.; Bosl (s. o. 88 Anm. 2). 2 So Wendbhorst I 220; anders W. Fusslein, Hermann I. Graf v. Henneberg u. d. Aufschwung d. hennebergischen Politik (Zschr. Ver. Thür. Gesch. NF 11) 1899, 169 ff. 3 Looshorn II 665 ff.; v. Guttenberg I; Kist 45.

4 Looshorn II 668 ff. 3 Looshorn II 675 ff.; v. Guttenberg I;Kist 45 f.; vgl. auch O. Krenzer, Heinrich I. v. Bilversheim (Programm d. Neuen Gymnasium in Bamberg) 1907, 1908, 1909. 6 MB 31a, 575. 7 Ebd. 579.

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sich nach der Absetzung Friedrichs II. durch das Konzil von Lyon schnell dem Papst. Im Herbst 1245 bestätigte Innocenz IV. daraufhin seine Wahl und erteilte ihm persönlich die Weihe. Sonst aber brachte ihm der Parteiwechsel Schwierigkeiten. Er hatte vom Papst den Auftrag übernommen, die Zustimmung des Landgrafen Heinrieh Raspe von Thüringen zu seiner Wahl zum König zu erwirken. Auf dem Weg dahin geriet er in die Gefangenschaft des Grafen Günther von Käfernburg und mußte gegen hohes Lösegeld seine Freiheit erkaufen. Neue Verpfändungen bambergischen Besitzes waren die Folge.1 Da er inzwischen durch die erlittene Unbill und mehrfache Besuche beim Papst die Ehrlichkeit seines Gesinnungswandels bewiesen hatte, verlieh Innocenz ihm im Oktober 1247 die Verwaltung des Bistums Chiemsee, um seine Schuldenlast mindern zu helfen.1 2 Aber neue Ereignisse stürzten ihn auch in neue Unannehmlichkeiten. Im Juni 1248 starb mit Herzog Otto das Haus Andechs-Meranien im Mannesstamm aus. Um die bambergischen Lehen der Andechser entbrannte nun eine heftige Auseinandersetzung mit den Erben, den Grafen von Truhendingen und von Orlamünde sowie dem Burggrafen Friedrich von Nürnberg und dem von Otto reich mit Gütern, darunter auch ursprünglich bambergischen, bedachten Kloster Langheim.3 Lange zog sich der Streit hin, erst Heinrichs Nachfolger Berthold von Leiningen konnte ihn beenden. So schritt die Verschuldung weiter fort. Heinrich konnte aber wenigstens die Burgen Niesten und Giech und das kaiserliche Landgericht, das ehemalige Grafengericht im Radenzgau, sichern.4*Am Ende seiner Regierung (f 1257) steht somit trotz allem eine Verfestigung der territorialen Macht des bambergischen Bischofs. Das Bistum Eichstätt lag auch in dieser Epoche mehr im Schatten als Würzburg und Bamberg. Nach Hartwigs Tod (f 1223) war es insofern zu einer irregulären Wahl gekommen, als an der Erhebung seines Nachfolgers Friedrich auch Ministerialen beteiligt waren und Friedrichs Wahl deshalb für unkanonisch erklärt wurde; wahrscheinlich hat der Erwählte resigniert.’ Auch Bischof Heinrich I. regierte nur kurz (f 1228),6 wurde aber 1226 zusammen mit Hermann von Würzburg und anderen in den unter Führung des Herzogs Ludwig von Bayern für König Heinrich (VII.) gebildeten Kronrat berufen.7 Seine Mitwirkung an zahlreichen Reichsangelegenheiten führte zu häufiger Abwesenheit von seinem Bistum, dennoch konnte er eine in Rom von der Eichstätter Kirche geschuldete Summe in Höhe von 1500 Mark abtragen’ und auch bei den Grafen von Oettingen eichstättischcn Besitz auslösen.’ Auch die folgenden Eichstätter Bischöfe Heinrich II. (1228-1232) und Heinrich III. (1233-1237),10 der das Hofgerichtsurteil Friedrichs II. von November 1234 gegen Übergriffe der Vögte erwirkte," waren Ministerialen, der letzte ein Sohn des Heinrich von Rabens1 Looshorn II 686 ff. 2 Ebd. 689. 3 E. v. Aufsess, Der Streit um d. meranische Erbschaft in Franken (BHVB 50) 1893. 4 v. Guttenberg 205 ff. ’ Heidingsfelder 187 ff. 6 Ebd. 192 ff.

7 BF 4009 a. ’ Heidingsfelder 198 nr. 656. ’ Ebd. 198 nr. 658. 10 Ebd. 199 ff., 202 ff. " Const.II22 nr. 187; Heidingsfelder 207 f. nrr. 684 f.

§ 8. Das staufische Jahrhundert in Franken (F.-J. Schmale)

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bürg,1 der in den Mord Konrads von Würzburg (1202) verwickelt gewesen war. Bemüht um die Ordnung der Eichstätter Finanzen, erwirkte er beim Papst Gregor IX. das Privileg, freiwerdende, seinem Besetzungsrecht unterstehende Pfründen auf drei Jahre unbesetzt zu lassen und die Erträgnisse zur Schuldentilgung zu verwenden.12 Die Zahl der Kanonikerpfründen konnte er von 50 auf 30 im Sinne einer Gesundung der finanziellen Lage des Bistums reduzieren.3 Eichstätt hatte also mit den gleichen Problemen wie die anderen Bistümer zu kämpfen. Ebenso strebten die Bischöfe, das Territorium auszubauen. Unter dem Bischof Friedrich II. aus einem bayerisch-herzogliehen Ministerialengeschlecht kam es infolgedessen zu schweren Auseinandersetzungen mit den Grafen und Eichstätter Hochstiftsvögten von Hirschberg; Friedrich wurde sogar aus seiner Stadt vertrieben.4 Diese Vorgänge beleuchten rückwirkend noch grell das Interesse seines Vorgängers Heinrich III. an dem kaiserlichen Urteil von 1234. Friedrich kam 1245 zu einem wenigstens erträglichen Vergleich.’ Bemerkenswert ist seine lange Zeit kaisertreue Haltung, für die er die Exkommunikation auf sich nahm, bevor er 1243 zur päpstlichen Partei übertrat. Sein Nachfolger Heinrich IV. von Württemberg (1247-1259) wurde durch den päpstlichen Legaten eingesetzt. An Reichsangelegenheiten nahm er während seines ganzen Pontifikats nicht teil.6 Auch die weltlichen Herrschaftsträger versuchten ihre Stellung zu festigen und auszubauen, aber nennenswerte Erfolge blieben solchem Bemühen versagt, das überdies nur auf Kosten der Bistümer hätte gehen können. Diese aber waren in den meisten Fällen schon zu stark. Bischof Hermann von Würzburg konnte sich selbst der vereinten Kräfte der Herren von Wertheim, Castell, Rieneck und Henneberg erwehren. Die ältesten und mächtigsten unter ihnen, die Grafen von Henneberg, wurden zudem durch die Aufspaltung in verschiedene Linien mit unterschiedlicher Politik geschwächt. Es gelang ihnen nicht, aus verstreuter Allodialherrschaft, Lehen und Vogteirechten, die sich durch ihre Vereinzelung als wenig sicher erwiesen, geschlossene Herrschaften zu bilden. Für die Grafen von Rieneck im Westen und die Herzöge von AndechsMeranien im Osten schien die Ausgangslage günstiger. Die Vogteirechtc der Rienecker über das geschlossene Gebiet des Spessart boten einen verheißungsvollen Ansatzpunkt, den die Grafen durch die Errichtung von Burgen auszubauen trachteten. Aber bereits in der ersten Hälfte des zwölften Jahrhunderts wurden sic eben deshalb in einen Zweifrontenkrieg mit Würzburg und vor allem mit Mainz verwickelt, das seine herrschaftlichen Rechte zurückzugewinnen suchte und im Spessart - neben dem Odenwald - das gegebene Feld territorialer Politik sah. Die Andechser waren durch denBesitz des Landgerichts im Radenzgau und durch ihre nach Osten gegen ein Ausbaugebiet offene Lage begünstigt; ihre Herrschaft wurde durch Aussterben zersplittert. Die einzelnen Teile ihres Erbes haben später zur Ausbildung anderer Territorien beigetragen. Die stärkste Veränderung brachte das Zurücktreten der Königsmacht für das zum Teil stark zersplitterte staufische Reichsgut. Nachfolger des Königs im Reichsgut 1 Er war 1212 vorübergehend der Gegenbischof Ottos von Lobdeburg in Würzburg. 2 Heidingsfelder 208 f. nr. 686. 3 Ebd. 206 f. nrr. 676 f., 209 nr. 689.

4 Ebd. 216 f. nr. 706. 5 Ebd. 226 f. nr. 738. 6 Ebd. 229 iE.

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wurden Adel, Ritterschaft und Stadt, der Adel vornehmlich von einem Punkte aus. Der bedeutendste Stützpunkt des Königtums war der Reichsgutkomplex um Nürnberg. Infolge seines verhältnismäßig hohen Alters war er noch durch einen adligen Interessenvertreter, einen Burggrafen verwaltet worden. Ende des zwölften Jahrhunderts kam das erblich gewordene Amt durch Heirat an das schwäbische Geschlecht der Zollern. Ihr Aufstieg zum weltlichen Territorialherren in Franken erfolgte um die Wende vom zwölften zum dreizehnten Jahrhundert, als sie durch Heirat in den Besitz der im Mannesstamm erloschenen, hauptsächlich im Rangau ansässigen Grafen von Abenberg kamen. In die abenbergische Kadolzburg haben sie noch in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts ihren Hauptsitz verlegt, seitdem die Könige Nürnberg zunehmend privilegierten und die Rechte des Burggrafen in der Stadt damit schmälerten. Wiederum durch Heirat erwarben die Zollern seit 1248 einen großen Teil des Andechser Erbes, zuerst das Gebiet um Bayreuth, später durch Vertrag auch den Erbteil um Kulmbach, der an die Grafen von Orlamünde gefallen war. Das meiste Königsgut wurde durch Reichsministerialen nach Lehnrecht verwaltet. Dies war das wirksamste Mittel unmittelbarer Königsherrschaft, solange der Dienstgedanke bei den Ministerialen überwog. Mit dem Erbgedanken verbundenes Lehnrecht und tatsächliche Herrschaftsausübung brachten die Reichsministerialen schon gegen Ende des zwölften Jahrhunderts in eine adelsähnliche Stellung, die vom König kaum mehr in Frage gestellt werden konnte, wie dieErmordung Konrads von Querfurt und die Rolle des Marschalls von Pappenheim zeigt. Nach Heinrichs VI. Tod hatte das Königtum weitgehend seine Initiative verloren und war bereits von dem guten Willen wenigstens der mächtigsten Ministerialen abhängig geworden. Nun verselbständigten sich die einzelnen ministerialischen Herrschaften, auch wenn sie nicht zu Territorialherrschaften wurden. Parallel dazu entwickelte sich auf bis zuletzt unverliehenem Reichs- und staufischcm Hausgut die Stadt als selbständige Macht in Franken. Die dem König unterstehenden und von ihm privilegierten Markt- und Gerichtsgemeinden, Gebiete eigenen Rechts, in denen ein königlicher Schultheiß die Interessen des Königs vertrat, nämlich zu Rothenburg und Nürnberg - beide außerdem Sitz eines Landgerichts -, Dinkelsbühl und Weißenburg, konnten in der gleichen Weise wie die Reichsministerialen als Gesamtheit zusammen mit den übrigen Reichsstädten die Reichsstandschaft gewinnen. Am Ende der staufischen Epoche hatte die politische Landschaft Frankens damit ihre endgültige Gestalt gewonnen, die im wesentlichen bis zum Ende des Alten Reiches erhalten blieb.1 1 Zu diesem gesamten Komplex u. 161 ff., 277 ff., 283 ff.

II STAAT, GESELLSCHAFT, WIRTSCHAFT, KIRCHE

Allgemein. Literatur: HB I 268 ff., II 476 ff. Franken. Quellen: Neben den für die politische Geschichte Frankens heranzuziehenden Quellen (vgl. o. 3, 29) sind hier besonders zu nennen MGH Diplomata; Dronke, Traditiones et antiquitates Fuldenses, 1844; Ders., Codex diplomaticus Fuldensis, 1850; E. E. Stengel, Urkundenbuch d. Klosters Fulda (Veröff. d. hist. Komm. f. Hessen u. Waldeck) I 1, 1913; I 2, 1956; K. Glöckner, Codex Laureshamensis, 1929 ff.; C. Zeuss, Traditiones possessionesque Wiceburgenses, 1842; Dobenecker I, II; MB 37 ff. (Würzburg); 49 f. (Eichstätt); Heidingsfelder; v. Guttenberg, Reg.; F.J. Bendel, Urkundenbuch d. Benediktinerabtei S. Stephan in Würzbürg, 1932. Literatur. Bosl, Franken; W. Metz, Das karolingische Reichsgut, 1960; HAB Teil Franken I, II; Bosl; v. Guttenberg; Hist. Stätten v. Bayern; Hauck; GP; Bauerreiss I-III; Schlesinger. Einige Fragen, die in diesem Abschnitt zu behandeln wären, sind in die Darstellung der politischen Geschichte aufgenommen worden, da sie unmittelbare Folge oder Voraussetzung politischen Handelns oder aber (z. B. Bistumsgründungen, Reichskirche, Adel) unlösbarer Bestandteil der allgemeinen Geschichte dieses Zeitraums sind. Im Folgenden wird daher nur noch darauf verwiesen. Die für den jeweiligen Zeitraum charakteristischen allgemeinen Prinzipien und Verhältnisse (z. B. Grundherrschaft, allgemeine Wirtschaftsentwicklung, Adelsherrschaft usw.), in die auch die besondere Entwicklung Frankens einzubetten ist, sind ebenfalls schon hinreichend nach dem gegenwärtigen Forschungsstand dargclegt (HB I 280 ff, II 476 ff.) und sollen nicht wiederholt werden. Lediglich die konkreten fränkischen Ausformungen werden berücksichtigt.

§9. DIE KAROLINGISCHE KÖNIGSPROVINZ

a) Die Königsherrschaft und ihre Organisation. Als Prozeß ist die «Verfrankung», die sich durch Siedlung und Übertragung heimischer Organisationsformen der Stammesfranken vollzog, infolge der Quellenlage nicht darstellbar. Der Beginn kann im siebten Jahrhundert gelegen sein - gelegentlich ist sogar das sechste Jahrhundert genannt worden -, und die Einrichtung des thüringischen Amtsherzogtums muß selbst als ein Indiz dafür gewertet werden, genauer können aber doch erst seit der Mitte des achten Jahrhunderts die Ergebnisse dieses Prozesses in einer zuständlichen Beschreibung dargcstellt werden. Infolgedessen sind weder die Leistung des Herzogtums und die inneren Verhältnisse Frankens zur Zeit des Herzogtums, noch die Vorgänge in den ersten Jahrzehnten der Herrschaft der karolingischen Hausmeier und Könige im einzelnen zu erkennen. Nur soviel ist sicher richtig, daß vieles später Vorhandene karolingischer Initiative zuzuschreiben ist und diese kaum überschätzt werden kann. Mit Heden II. erlosch nicht nur die Funktion des Herzogtums, auch die in dem hedenischen Herzogtum liegende Möglichkeit zur Ausbildung eines umgrenzbaren, politisch organisierten Raumes, der sich in besonderer Weise in und vom Frankenreich unterschied, wurde zunächst unterbrochen. Anders als 788 in Bayern wurde die

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Identität des Herrschaftsraumes nicht durch die Einsetzung einer Amtsgewalt wie die des Präfekten Gerold bewahrt; die Herrschaft des Herzogs wurde unmittelbar vom König, beziehungsweise dem Hausmeier übernommen, die Mainlande wurden in die fränkische Königsherrschaft integriert. Damit war eine Entwicklung eingeleitet, die abgelesen werden kann an der Benennung der Mainlande, deren Bewohner um 788 als «pars Australium Francorum» bezeichnet und zwischen 830 und 835 unter dem Sammelbegriff «omnes Franci occidentales et Australes» mitverstanden wurden.1 Dabei handelt es sich zweifellos nicht nur um «Wanderung, Wandlung und ideologische Sättigung eines Landschafts- und Volksnamens»,12*sondern auch um den exakten Ausdruck der Tatsache, daß die Führungsschicht der Mainlande Reichsfranken waren und das fränkische Königtum den Raum und seine Bewohner nach seinen eigenen Interessen in einem Maße politisch organisiert hatte, daß Franken in den Reichsteilungen des neunten Jahrhunderts aus eigenem Antrieb an der Zugehörigkeit zur Francia festhielt. Infolge der Quellenlage werden die inneren Verhältnisse Frankens während der Regierung Karls des Großen zwar auch nur in Teilgebieten des Gesamtraumes, aber doch soweit sichtbar, daß ihre allgemeine Struktur beschrieben werden kann. Karl Bosl hat sie kürzlich in einer Vollständigkeit untersucht, daß hier nur mehr - wenigstens in der Hauptsache - seine Ergebnisse wiederholt werden brauchen,2 ohne daß dabei allerdings die Frage hätte entschieden werden können, wieweit die Voraussetzungen bereits durch die Herzöge und in ihrer Zeit geschaffen wurden. Eindrucksvoll hebt sich die Leistung der karolingischen Herrschaft heraus. Durch eine systematische und fast lückenlose Organisation haben sic dem Land den Stempel aufgedrückt. Als Eroberer, Nachfolger der thüringischen Könige und der hedenischen Herzöge war der König der größte Grundbesitzer des Landes, Grundbesitz war die Voraussetzung, seine Organisation das wichtigste Mittel der Herrschaft über das Land. Als tragendes Eiement dieser Organisation erscheinen die zentralen Königshöfe (fisci dominici) ;4 meist an oder in unmittelbarer Nähe von Altstraßcn (vgl. besonders Frankfurt - Aschaffenbürg - Würzburg) gelegen,5 Wirtschafts- und Sicdlungsmittclpunkte, Ansatzpunkte des weiteren Landesausbaus und der frühen Pfarreiorganisation6 sowie Rastorte des 1 Vgl. die Belege bei Klebel, Herzogtümer 76 ff; Dienemann (s. o. 4 Anm. 1) 18 ff; Bosl, Franken 10 f. Den Schlußfolgerungen Klebels über die Existenz eines Herzogtums Ostfranken im karolingischen Reich stehen wohl doch noch erhebliche Zweifel entgegen. 2 Bosl, Franken 11. 2 Ebd. (Lit. u. Belege); von den älteren zusammenfassenden Untersuchungen immer noch wichtig v. Guttenberg für das später bambergische Gebiet; Schlesinger für das Grabfcld; Metz, Reichsgut (s. o. 92). 4 Metz, Reichsgut passim; Bosl, Franken 29 ff 5 Dazu auch Weigel, Straße (s. o. 30 Anm. i) ; Ders., Königshofen im Grabfeld. Eine

Studie z. System d. ostfränk. Königshöfe (ebd. 14) 1954, 67-86; Ders., Forchheim (s. o. 47 Anm. 1). 6 Daul (s. o. 19 Anm. 2); P. Schöffel, Pfarreiorganisation u. Siedlungsgesch. im mittclalterl. Mainfranken (ZBKG 17) 1942, 1 ff; allgemein und besonders über die Patrozinienkünde in diesem Zusammenhang G. Zimmermann, Patrozinienwahl u. Frömmigkeitswandel im MA. Dargestellt an Beispielen aus d. alten Bistum Würzburg I (WDGB11. 20) 1958, 126, 24bes. 101 ff; H. Weigel, Das Patrozinium d. Heiligen Martin. Versuch einer Grundlegung v. Ostfranken aus (BlldLG 100) 1964, 106. 82-

§ g. Die karolingische Königsprovinz (F.-J. Schmale)

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Königs zugleich. Bei der Ausstattung des Bistums Würzburg wurden Kirchen in 26 solchen Königshöfen übertragen, doch muß ihre Gesamtzahl weit größer gewesen sein; im Sualafeld an der Grenze gegen Schwaben und Bayern1 sowie im Grabfeld an der Grenze gegen Thüringen und Sachsen treten sie ebenso massiert auf wie im Raum um Würzburg. Deutlich ist darin der politische Zweck der Königsgutorganisation zu erkennen, einige der Königshöfe, wie Salz und Forchheim,12 wurden später zu Pfalzen ausgebaut. In welch unmittelbaren Formen sich von diesen Höfen der königliche Einfluß ausbreitete, ist deutlich abzulesen. Vielfach sind sie von einem Kranz von -heim-Orten umgeben, die eindeutig als das Ergebnis fränkischer «Staats»kolonisation erwiesen werden konnten,3 unter denen aber den orientierten -heimOrten, bezogen auf einen zentralen Königsort (Ickelheim —► Sondheim —> Westheim; Kaltennordheim - Kaltensundheim - Kaltenwestheim / Grabfeld; Nordheim Ostheim - Sondheim - Westheim / Grabfeld; Dettelbach-Münsterschwarzach —► Nordheim u. ä.) eine besondere Bedeutung zukommt. Es dürfte richtig sein, daß die mit einem Grundwort gebildeten -heim-Namen einer ersten, die orientierten einer zweiten (karolingischen?), die häufigen -hofen-Orte einer dritten (8.Jh.) «Verfrankungs»-, Siedlungs- und Ausbauwelle zuzuordnen sind. Auf denselben Vorgang weist die Entstehung der Gaue und ihrer Namen hin. Charakteristisch für Franken sind die -feld(= Mark)-Gaue wie Sualafeld, Volkfeld, Gozfeld, Aschfeld, Grabfeld usw.; sie sind ursprünglich Königsmarken (vgl. Hammelburger und Würzburger MarkbeSchreibungen), d. h. Königsgutsbezirke (Herzogsgutsbezirke?), die sich mit fortschreitendem Landesausbau ausdehnten.4 Ihnen gleichzustellen sind die nach Flüssen benannten Gaue (Ran[ach]-Gau, Radenz-, Iff-, Wem-, Saalegau usw.),’ ausgehend von frühen und begrenzten Ansatzpunkten der Staatskolonisation, die sich mit dem von den alten Zentren vorgetragenen Landesausbau zusammen erweitern, unter Beteiligung der königlichen Kanzlei, die zur Lokalisierung auch der neu hinzukommenden Orte einen Gaunamen benötigte. Kolonisation, Ausbau und Herrschaft bedurften der Menschen; vornehmlich zweier Gruppen, Schichten bzw. Stände - sieht man einmal von den Leibeigenen ab - bediente sich das Königtum, des Adels und der freien Franken (= Franci homines), heute vielfach «Königsfreie» genannt, deren ständische Qualität umstritten ist. Das in unmittelbarer Regie genutzte Königsgut ist zu der Zeit, in der die Quellen - vornehmlieh handelt cs sich um Fuldaer und Lorschcr Traditionen - reichlicher fließen, soweit cs nicht von auf den Königshöfen sitzenden mancipia (Unfreien) bewirtschaftet wird, in Hufen (mansi) aufgcteilt, die von «Königsfreien» bebaut wurden. Es sind Wehrbauern, die aufgrund des an sic in Erbpacht oder Erblcihc ausgetanen Landes zu allerlei Diensten und Abgaben für den König verpflichtet sind. Sic zahlen tributa (Kopf1 E. Frhr. v. Guttenberg, Stammcsgrenzen u. Volkstum im Gebiet d. Rednitz u. Altmühl (JffL 8/9) 1943, i ff. 2 Weigel, Forchheim (s. o. 47 Anm. 1). 3 Über die ostfrankischcn «Heimortc» jetzt Bosl, Franken 12 ff. (Lit.).

4 Über Vermarkung in Ostfranken Schle62 ff.; Bosl, Franken 13 f., 39 ff. 5 Zuerst v. Guttenberg, Stainmesgrenzen (s. o. Anm. 1) bes. 28 ff.; jetzt vor allein Metz, Reichsgut (s. o. 93) 162 ff.

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steuern), census (Grundzins), unterliegen der Heerfahrtpflicht, die durch HeerbannZahlung abgegolten werden kann, und leisten andere Steuern, die von königlichen Fiskalbeamten (exactores, iudices) an bestimmten Hebestellen (z. B. Königshof GroßUmstadt) entgegengenommen werden. Als Bargilden (bar = frei) und Barschalken begegnen sie ebenso (Marktbergeln im Königsgutbezirk Burgbernheim!) wie als Karle (Karlburg nördlich Würzburg!) und freie Franken (Würzburger Markbeschreibung). An der Spitze eines Königsgutbezirkes und seiner Menschen stehen als Beauftragte des Königs exactores, actores, villici und iudices (= centenarius ?), wobei letztere zugleich darauf hinweisen könnten, daß der Königsgutbezirk auch (Nieder-) Gerichtsbezirk (centena) war, wenn auch keine hochmittelalterliche Zent bisher eindeutig mit der fränkischen centena identifiziert werden konnte.1 Es ist anzunehmen, daß in vielen Fällen Angehörige des Adels Träger dieser Funktionen waren.12 Um 800 ist diese Staatsorganisation in einer Umwandlung begriffen, deren sichtbarer Beginn mit der Dotierung des Bistums Würzburg einsetzt. Die umfangreichen Schenkungen von bis dahin unmittelbar bewirtschafteten Königsgütem und Einkünften sowie der «Königsfreien» mitsamt ihren Leistungen an die Kirche, vornehmlieh an Würzburg, aber auch an Fulda, setzte wenigstens zum Teil an die Stelle unmittelbarer Königsherrschaft mittelbare Herrschaft durch die Kirche. Würzburg für seine Aufgaben in und gegen Sachsen instandzusetzen, war ein Grund, einer anderer die Veränderung des Kriegswesens. Da nicht mehr auf dem Fußsoldaten, sondern dem gepanzerten Reiter das waffentechnische Schwergewicht ruhte, der einzelne die dafür notwendigen Mittel aber nicht mehr aufzubringen imstande war, wurden «Königsfreie» in großer Zahl der Kirche geschenkt - die belegten Fälle von Selbstschenkungen entspringen den gleichen wirtschaftlichen Motiven. Während die bisherigen verschiedenen Leistungen zu einem erträglichen Wachszins zusammengefaßt wurden, übernahm die Kirche gegenüber dem Königtum die Leistungen, die bisher von den «Königsfreien» erwartet wurden, während diese selbst durch solche Schenkungen ihre bisherige «Freiheit» verloren und zur obersten Schicht der Unfreien wurden.3 Staatskolonisation durch «Königsfreic» war aber nur die eine Form der Königsherrschaft. Längst nicht alles Land wurde vom König in dieser Weise unmittelbar genutzt, ein mindest ebenso erheblicher Teil wurde durch Erbleihe undBelehnung an den fränkischen Stammesadel ausgetan.4 Soweit cs sich feststellen läßt, und die Zeug1 H. Dannenbauer, Hundertschaft, Centena u. Huntari (HJb. 62/69) 1949, 187; W. Metz, Zur Gesch. d. fränk. centena (ZRG 74) 1937, 234-241 spricht sich für einen engen Zusammenhang aus. - Vgl. Anm. 3. 2 Zur Organisation des Reichsguts, seine Bewirtschaftung und Verwaltung jetzt Metz, Reichsgut (s. o. 93), wo auch das ostfränkische Material verarbeitet ist. 3 Zum Problem der «Königsfreien» und der Leibeigenen in Franken: Bosl, Franken 43 ff. (Lit.); für Mittelfranken vgl. auch H. Dannenbauer, Königsfreie u. Ministerialen (Grundlc-

gung d. mittelalterl. Welt, Skizzen u. Studien) 1958, bes. 340 f. - Zusatz des Herausgebers: Zu den sog. Königsfreien vgl. jetzt die Kritik und Modifizierung von H. Krause in seinem Aufsatz «Die liberi der Lex Baiuvariorum» (in: Festschr. Μ. Spindler, 1969, 41-73), den der Verfasser dieses Beitrags nicht mehr verwerten konnte. Zu den «Herzogsfreien» (HB I 277 f., 290) vgl. gleichfalls Krause (ebd.). 4 Hierher dürften die mit Personennamen gebildeten Namen der Heimorte gehören, vgl. Bosl, Franken 26.

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nisse liegen naturgemäß spät, ist der in Franken grundbesitzende Adel neustrischer und austrasischer Herkunft und ist auch im achten und neunten Jahrhundert noch im linksrheinischen und alamannischen Raum begütert und versippt. Er gehört also von Hause aus der reichsfränkischen Führungsschicht an und kann nur durch Belehnung mit Land und Leuten durch den König (und Herzog?) in Ostfranken zu Besitz gekommen sein, den er in der gleichen Weise, wie sie für das Königsgut beschrieben wurde, nutzte und ausbaute.1 Die Güter des Adels in Franken können in zahlreichen Fällen eindeutig auf ursprünglich königlichen Besitz zurückgeführt werden;2 nach Ausweis der Ortsnamen gehört auch der adlige Besitz in seinen einzelnen Komplexen den gleichen zeitlichen Schichten wie das Königsgut an. Auch er hat mit Eigenleuten am Landesausbau teilgenommen (captura/bifang, vgl. hibiscesbiunta in der Würzburg-Heidingsfelder Markbeschreibung),3 zahlreiche mit Personennamen gebildete Ortsnamen (Münnerstadt = Munirichesstatt; Megingaudeshusen; Gunzenhausen) zeugen von grundherrlicher Siedlung. Aus einem lückenhaften, und weil es nur Besitzveränderungen bei Schenkungen an die Kirche registriert, auch zufälligen Material wird dieser Adel in seinen kognatischen Bindungen, in Sippen und mit seinem umfangreichen und weitverstreuten Besitz greifbar. Karl Bosl hat die Struktur dieses Adels, ermittelt aus Tradentenkreisen, bloßgelegt; einige dieser Kreise werden als Sippen über mehrere Generationen hinweg deutlich. Zu den vornehmsten und mächtigsten gehören die Mattonen mit Besitz im Rheingau (Geisenheim), im Grabfeld (Stockheim, Sülzfeld, Herpf, Schwallungen, Rannungen, Diedorf und Wenkheim), im Aschfeld, Waldsassengau (Birkenfeld), Werngau (Raum Karlstadt), Gozfeld (Schwanfeld, Eisenheim, Pleichfeld, Haid). Weitere kognatisch verbundene Tradentenkreise können aufgrund gemeinsamen Besitzes an gleichen Orten, durch gegenseitige Bezeugung von Besitzübertragungen anhand von in diesen Personengruppen wiederkehrenden Leitnamen umschrieben werden: eine Altfrid (Adal-, -frid)Sippe im Raum vornehmlich von Rannungen, ein Münnerstädterkreis (-olt), um Meiningen eine P(e)raht-Gruppe und viele andere. Sie sind die maiores natu, nobiles, nobiliores terrae, optimates, fast alle auch untereinander versippt (Beweis für das hohe Alter des Grundbesitzeradels in Franken!), leisten einander Zeugendienste und stellen die Schöffen im Grafengericht, den comitatus im conventus publicus. Seine umfangreichen Güter, die durch weitere Belehnungen mit Königsgut vermehrt werden, das ebenfalls in die Erblichkeit gerät, bewirtschaftet er in ähnlicher Weise, wie auch das Königsgut bewirtschaftet wird. Wenn im achten Jahrhundert bäuerliche Wirtschaft durch Manzipien absolut vorzuherrschen scheint, falls nicht die ausschließliche Sehenkung von unverhuftem Land an die Kirche ein unzutreffendes Bild entwirft, das auf zeitgebundener Schenkungsgepflogenheit beruht, so muß sich zu Beginn des neunten 1 W. Metz, Austrasische Adelsherrschaft d. 8. Jhs., Mittelrhein. Grundherren in Ostfranken (HJb. 87) 1967, 257-304; Friese passim; vgl. auch Büttner, Mainland; Metz, Babenberger u. Rupertiner (s. o. 53 Anm. 4); Ders., Reichsgut (s. o. 93) 23 ff. 7 HdBG III, i

2 Beispiele bei Bosl, Franken, bes. 64-114. 3 Bosl, Würzburg (s. o. 73 Anm. 3) 30 ff.; Metz, Reichsgut (s. o. 93) 213 ff.

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Jahrhunderts nach dem Vorbild der Krongüter auch im Bereich der adligen Grundherrschaft, teils im Zusammenhang mit herrschaftlicher Rodungstätigkeit (-husenOrte), die Villikationsverfassung durchgesetzt haben; denn zunehmend werden seit dieser Zeit auch Hufen verschenkt.1 Die Belehnung fränkischen Adels in Ostfranken war als ein Mittel der königsherrschaffliehen Erfassung des eroberten Raumes gedacht, doch hing die Wirksamkeit dieses Mittels davon ab, ob das Königtum stark genug war, ein Gegengewicht gegen adliges, nicht abgeleitetes Herrschaftsdenken zu bilden.1 2 Insofern spielte der Adel keine ein für allemal gleichbleibende Rolle. Gewisse Gegenmaßnahmen in der Zeit Karls des Großen weisen darauf hin, daß der Adel in einer Periode der Schwäche des Königtums die ursprünglichen Bindungen gelockert, sich zu früherem Herrschaftsdenken zurückgewandt hatte und im Land eingewurzelt war.3 Ähnlich wie das Königtum selbst und der fränkische Reichsadel in den Stammlanden hatte er in der Zeit des hl. Bonifatius eigene Klöster gegründet, die nicht nur als Versorgungsstätten für Sippenangehörige dienten, sondern auch kultische Mittelpunkte der Familientradition bildeten.4 Karls des Großen Propaganda gegen das hedenische Herzogshaus, wie sie in der älteren Kilianspassion zum Ausdruck kam, der Aufstand des Hradrad im Jahre 786, die Argumentation der Verschwörer, daß sie kein Treueversprechen an den König binde, Karls Heirat mit der Ostfränkin Fastrada, die den fränkischen Adel kognatisch an den Herrscher binden sollte, weisen auf die Verselbständigung des Adels hin, den das Königtum nun wieder in den fränkischen Staat zu integrieren hatte. Man möchte annehmen, daß die überaus umfangreichen Schenkungen an das Kloster Fulda, die zu erheblichem Teil aus ursprünglichem Königsgut bestanden, wie die Schenkungsvorgänge im Beisein von Grafen bezeugen, ebenso unter dem Einfluß des Königs stattfanden, wie die Auftragungen der adligen Eigenklöster an den Herrscher, der auf diese Weise Traditionsmittelpunkte des Adels zerstörte und die Kirche als Interessenträgerin des Königtums verstärkte.5 In den Rahmen des spannungsreichen Verhältnisses zwischen König und Adel ist auch das Problem der Grafschaft in Franken zu stellen. Es muß auffallen, daß in der Karolingerzeit Grafen zunächst nur ganz vereinzelt erwähnt sind; dabei können die 1 Bosl, Franken 50 ff.; instruktiv das von Friese 7 ff. herausgearbeitete Hofrecht von Neustadt. 2 Bosl, Franken 64 f. (Lit.). 3 S. o. 39 f. 4 Bosl, Franken 64 ff. über die Eigenklöster der Mattonen (bzw. ihrer Kognaten) - Einfirst/ Mattenzell, Wenkheim, Kitzingen, Megingaudeshausen - (Münster)-Schwarzach, Milz und 114 ff. über die sonstigen adligen Eigenklöster; vgl. auch Prinz, Frühes Mönchtum (s. o. 14 Anm. 5) passim (Lit.); K. Lübeck, Fuldaer Nebenklöster in Mainfranken (Mainfr. Jb. 2) 1950, i ff.; A. Wendehorst, Die Anfänge d. Klosters Münsterschwarzach (ZBLG 24) 1961, 163-173. Über Neustadt Friese i ff, das ent-

gegen Wendehorst I 2j ff. nach wie vor als Mattonenkloster betrachtet werden muß. - Im Bereich der Diözese Eichstätt ist neben Soinholen (s. u. 119) vor allem Herrieden zu nennen (Adamski, s. u. 126 Anm. 4; Heidingsfelder passim; Bosl, Franken 130 ff.), das ein Cadolt gründete und dessen Name auf adligen Landesausbau - in Nähe von Königsgut - hinweist. Sein Besitz macht nach dem Übergang an Eichstätt (Heidingsfelder nr. 27) einen wesentliehen Teil des Hochstifts aus. - Das ebenfalls auf adlige Gründung zurückgehende Kloster Gunzenhausen wurde 823 an Ellwangen geschenkt; vgl. Bosl 126 ff. 5 Vgl. Friese 17.

§ g. Die karolingische Königsprovinz (F.-J. Schmale)

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im Sammelbegriff comites genannten thüringischen Großen in der Vita sancti Bonifatii Willibalds kaum verwertet werden.1 In der auf Karlmann zu 747 gefälschten Grenzbeschreibung Fuldas sind drei praefecti Zeugen, die mit einem weiteren in der zwischen 809 und 812 Karl dem Großen zur Bestätigung vorgelegten, zu 753 auf Pippin gefälschten Fuldaer Urkunde genannt werden.12 Es sind Throand, Liutfrid, Rocco und Rantulf; die Namen sind identisch mit denen fränkischer Großer, die 748 von Papst Zacharias angeschrieben wurden,3 möglicherweise sind die Namen aus diesem Brief in die Fälschungen übernommen worden, und der praefectus-Titel ist so vielleicht nicht verwertbare Zutat. Liutfrid wird aber auch in einer von diesen Belegen unabhängigen Tradition im Zusammenhang mit der Resignation Bischof Burchards von Würzburg als comes genannt.4 Er gehörte möglicherweise in den Kreis der alemannischen Etichonen und wäre demnach ein «landfremder» Graf gewesen.5 Das gilt wohl auch von dem Grafen Rocco, dem Bruder des Grafen Hatto,6 sowie Brunicho, dem Bruder eines Moricho, die an der Schenkung der Marken Rasdorf und Soisdorf an Fulda beteiligt sind (um 780),’ und einem Rantulf, der zu Bodenheim an Fulda schenkt unter der Zeugenschaft eines comes Uoto.8 Ebenfalls nicht in den ostfränkischen Adel einzuordnen sind die Grafen Nidhard und Heimo in der Hammclburger Markbeschreibung von 777.0 Es hat, soweit man aus so wenigen Zeugnissen, mehr aber noch aus dem Fehlen von Zeugnissen Schlüsse ziehen darf, ganz den Anschein, als seien zunächst nur vereinzelt, und zwar zur westfränkischen und alemannischen Reichsaristokratie gehörige Große als missatische Grafen, königliehe Kommissare mit lediglich befristeten Aufträgen eingesetzt worden. Von einer Grafschaftsverfassung könnte unter solchen Umständen jedenfalls noch nicht die Rede sein.10 In der Hauptsache erst seit den achtzigerjahren mehren sich die Belege für Grafen in Ostfranken, genauer gesagt nach dem Aufstand des Hradrad. Damals wurden die nicht aktiv am Aufstand Beteiligten zum Treueid gezwungen, also zusätzlich und enger an den König gebunden; bald darauf begegnet man in Ostfranken Grafen in größerer Zahl. Einige von ihnen, wie der seit 819 im Grabfeld belegte Poppo und seine Nachkommen gehören mit großer Wahrscheinlichkeit wie die früher angeführten Grafen westfränkischen Familien an (Rupertiner), sind aber nun, wie ihre Sehenkungen beweisen, selbst in Franken durch weitgestreuten Besitz begütert.11 An die Stelle der früheren missatischen Grafen sind also nun ständige Grafen aus dem Kreis 1 Vita s. Bonifatii auctore Willibaldo (s. o. 13 Anm. 6) 32. 2 Urkundenbuch d. Klosters Fulda I, bcarb. v. E. E. Stengel (Veröffentl. d. Hist. Komin, f. Hessen u. Waldeck 10, 1) 1913/58 5 f., 10, 20. 3 Bonifatius, Briefe 185 nr. 83. 4 Schmale, Glaubwürdigkeit 72 f. 5 F. Vollmer, Die Etichonen. Ein Beitr. z. Frage d. Kontinuität früher Adelsfamilien (Stud. u. Vorarbeiten, hg. v. G. Tellenbach) 1957, !37-184, bes. 163; korrigierend Friese 105 f. 6 Bosl, Franken 93 ff. 7'

7 Ebd. 92 f. 8 Friese 75. ’ Ebd. 107 ff.; vgl. auch Schlesinger 58 ff; Bosl, Franken 114 ff. Auch Throand, Gründer des Klosters Holzkirchen, gehört in diese Gruppe; vgl. Friese 105. 10 Diese Feststellung steht nicht in Widerspruch zu Schlesinger 58, dessen Belege für die von ihm angenommene Durchsetzung der Grafschaftsverfassung alle nach 780 liegen. 11 Metz, Babenberger u. Rupertiner (s. o. 53 Anm. 4) 295 ff; Friese iii ff.

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der Reichsaristokratie getreten, die mit Amtslehen ausgestattet und damit in die Reihen des oft fränkischen grundbesitzenden Adels eingetreten sind. Zu dieser Gruppe dürften auch comites wie Nanthere, Warin, Rudhard, Unruoch gehören, die nicht für dauernd in Ostfranken Fuß faßten. Davon muß vielleicht eine andere Gruppe von ständigen Grafen unterschieden werden, die jüngere Angehörige des schon länger in Ostfranken ansässigen, zum Teil aber ebenfalls mit der westfränkisehen Aristokratie versippten Adels sind (z. B. der Mattone Madalgaud/goz), die sich nun zur Zusammenarbeit mit dem König bereiterklärt haben.1 Zusammenfassend gewinnt man den Eindruck, daß die Auseinandersetzungen zwischen König und ostfränkischem Adel, abgeschlossen durch das Treueversprechen nach dem Aufstand des Hradrad, den König zu einer Neustrukturierung seiner Herrschaft veranlaßten. Sie bestand darin, daß ständige Vertrauensleute (Grafen) eingesetzt wurden, deren Hauptaufgabe der Vorsitz im conventus publicus, die Erhebung der öffentlichen Abgaben1 2*‫׳‬und die militärische Führung der durch Treueid gebundenen Großen war. Sie wurden teils landfremder Reichsaristokratie entnommen und durch Amtslehen ansässig gemacht, teils handelte es sich um kollaborationswillige ostfränkische Adelige. Zu Beginn des neunten Jahrhunderts können sie noch zum Teil durch ihre Aszendenz unterschieden werden, sonst aber sind sie infolge ihrer Funktionen und ihres Grundbesitzes zu einer einheitlichen Schicht verschmolzen, deren Stellung in gleicher Weise auf erblich gewordenem, ursprünglich königlichem Grundbesitz und ebenfalls erblich gewordenen königlichen Ämtern beruhte und in der Zeit erneuter Schwäche des Königtums im neuntenjahrhundert eine verbesserte Ausgangsposition zur Gewinnung von autogener Herrschaft wurde, weil der Adel staatliche Ämter als Herrschaft verstand. Zu Königsgut, Adel, Grafschaft als Instrumenten der Königsherrschaft trat seit der Mitte des achten Jahrhunderts die Kirche. In vereinzelten Fällen hatten die Karolinger schon als Hausmeier gleich dem übrigen Adel durch Klostergründungen auf ursprünglichem Königsgut Fuß gefaßt.’ Die unbestrittene Alleinherrschaft und das Wirken des hl. Bonifatius eröffneten ihnen neue Möglichkeiten, die Kirche unter anderem auch als Instrument ihrer Herrschaft zu verwenden. Bistümer und Klöster wurden dazu in der gleichen Weise herangezogen. Unter den letzten spielte zweifellos das am Rande Frankens gelegene Fulda die größte Rolle, dessen Fundus Bonifatius mit Hilfe Karlmanns (Königsgut!) erworben,4 das Papst Zacharias unter päpstlichen Schutz genommen und mit geistlicher Immunität ausgestattet hatte und das die Karolinger gegen jede Minderung des Rcchtsstatus gegenüber Mainz und Würzburg als Königskloster verteidigten. Die zahllosen Schenkungen an Fulda aus Königsgütern und ehemaligem, inzwischen vom Adel benutzten Königsgut, die über das ganze 1 S. o. 39 f. 2 Eine Oberaufsicht der Grafen über die königlichen Regiegüter nimmt K. Bosl (vgl. Art. Grafschaft, Rössler-Franz 370) an; sie wird bestritten von Metz, Reichsgut (s. o. 93) 174 ff., 227 ff. Die Frage scheint noch offen.

3 Vgl. Karlburg; Daul (s. o. 19 Anm. 2). 4 UB Fulda (s. o. 99 Anm. 2) I 1 ff.; H. Büttner, Bonifatius u. d. Kloster Fulda (Fuld. Geschbll. 30) 1954, 66 ff.; E. E. Stengel, Zur Frühgesch. d. Reichsabtei Fulda (DA 9) 1952, 513 ff. (Lit.).

§ $. Die karolingische Königsprovinz (F.-J. Schmale)

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Ostfranken verteilt lagen, sich aber im Grabfeld besonders massierten,1 faßten die Leistungen des Königsguts an einer Stelle zusammen und bewahrten es vor der Gefahr der Entfremdung, solange die Kirchenherrschaft in der Form des Obereigentums am Reichskirchengut bewahrt werden konnte. Es war nur folgerichtig, wenn kleinere Klöster durch Übertragung an Fulda in dieses System eingefügt wurden (Holzkirchen).2 Eine ähnliche Funktion hatte im Südwesten Frankens das Kloster Lorsch, und in den gleichen Zusammenhang gehört die Auftragung des Klosters Neustadt, das Bischof Megingoz unter Mitwirkung des Grafen Hatto gegründet hatte. Wichtiger waren noch die Bistümer, in erster Linie Würzburg, das im Westen in einer schnell sich verfestigenden Linie an Mainz, Worms, Konstanz, Augsburg grenzte, nach Osten und Südosten jedoch zunächst nicht festgelegt war3 und dessen politische Funktion von allem Anfang an durch die umfangreiche Dotation mit Königsgut außer Zweifel stand. Sie ist im Rahmen der politischen Geschichte bereits hinreichend behandelt worden.4 Ein durchschaubares, aber vielfältiges System von Bindungen, basierend auf unmittelbarem und mittelbarem Eigentum an Land und auch an Treue und Lehnrecht orientierten personalen Banden, machte auf dem Höhepunkt der karolingischen Herrschaft Franken in seiner Gesamtheit zu einem Königsland und hat damit die weitere Entwicklung festgelegt, solange cs ein wirksames Königsgut gab.

b) Wirtschaft, Handel, Sozialentwicklung. Um 800 hatte sich auch in Franken die Grundherrschaft als Form der Herrschaft über Menschen und als Form des Wirtschaftens durchgesetzt.5 Infolge von Ausweitung des ursprünglichen Besitzes durch Kolonisation und Rodung bisher unbebauten Landes, teils unmittelbar durch Leibeigene, teils durch die Gewährung der notwendigen Mittel durch einen Herrn, aber auch als Folge von Streubcsitz und Schenkung war die Grundherrschaft an die Stelle ursprünglich ausschließlichen Herreneigentums am Menschen mit seinem persönliehen Abhängigkeitsverhältnis getreten. Dabei war der König im Bereich des Königsgutes fast notwendigerweise vorausgegangen, Adel und Kirche folgten. Daraus ergab sich eine weitgehende Differenzierung der bisherigen Leibeigenen in verschicdcnc unfreie Schichten, wie umgekehrt Freie zu «Unfreien» («Königsfreien») wurden infolge des Herrencigcntums an Grund und Boden. Durch die Urbare und Traditionen vornehmlich des Klosters Fulda werden diese verschiedenen, in der Hauptsache zwei Schichten deutlich. Die eine Schicht bilden die unbehausten servi, servientes, die im Haus des Grundherrn leben und die unbehausten Manzipicn, die die Eigenwirtschaft des Grundherrn (Fronhof) in ungemessenem oder zum Teil schon 1Vgl. Bosl, Franken passim, bcs. 132 ff.; T. Werner-Hasselbach, Die älteren GüterVerzeichnisse d. Reichsabtci Fulda (Marburger Stud. z. ält. deutschen Gesch., R.2, Stück 7) 1942; D. Heller, Quellenstudien z. Frühgesch. d. Klosters Fulda, 1949; K. Lübeck, Fuldaer Nebenklöster in Mainfranken (Mainfr. Jb. 2) 1950, i ff.; W. Metz, Bemerkungen z. karoling. Güterverzeichnis d. Klosters zu Fulda (Fuld. Geschbll. 32) 1956, 88-101.

2 Über das Verhältnis Würzburg-Fulda Beck-Büttner (s. o. 75 Anm. 4) 12 ff.; P. J. Jörg, Würzburg oder Büraburg. Der erste Diözesanbischof d. Klosters Fulda (WDGB11. 16/17) 1954/55. 131 ff·‘. D. Heller, Würzburg u. Fulda (ebd.) 146 ff. 3 Bosl, Franken 136 ff.; v. Guttenberg, Stammesgrenzen (s. o. 95 Anm. 1) 1 ff. 4 S. o. 37 ff. 5 HB I 275 ff. (Lit.).

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gemessenem Dienst betreiben. Sie gehören nicht zu Grund und Boden, sondern stehen noch gewissermaßen in dem älteren Abhängigkeitsverhältnis, werden persönlieh mit Namen verschenkt und genießen eine gewisse Freizügigkeit, die entscheidend wird für die hochmittelalterliche Sozialentwicklung.1 Die andere Schicht sind unfreie Manzipien, die auf ausgeschiedenen Hufen in eigenen Hofstellen (Behauste, casati, homines manentes) gegen einen Zins selbständig wirtschaften, aber ungenannt mit ihren Hufen als Schollegebundene verschenkt werden. In ihre Nähe rücken um 800 bereits die «Königsfreien», die zwar gelegentlich noch liberi und ingenui genannt, aber doch bereits verschenkt und im Rahmen der Grundherrschaft als Grundhörige, coloni, lidi, tributarii bezeichnet werden. Bäuerliches Wirtschaften war absolut vorherrschend. Neben dem Anbau der üblichen Getreidearten wurde Viehzucht (Rinder, Schweine) betrieben, an vereinzelten Stellen ist Weinbau belegt (Würzburger Markbeschreibung),1 2 der aber gewiß weiter verbreitet war, als die zufälligen Quellen zu zeigen scheinen. Inwieweit der Handel eine Rolle neben der bäuerlichen Wirtschaft spielte, ist wiederum infolge der wenigen Quellenbelege schwer zu bestimmen.3 Gewiß wurden die meisten Bedürfnisse nach nicht unmittelbar agrarischen Erzeugnissen im Rahmen der Grundherrschaft befriedigt, durch Handwerker aus dem Kreis der servi; andererseits kann man sich eine Bischofsstadt wie Würzburg, die im neunten Jahrhundert als civitas bezeichnet wird und schon durch ihren Namen (-bürg) auf ihren städtischen Charakter und auf die hier vorhandenen Gelegenheiten zur Deckung des Warenbedarfs hinweist,4*nicht ohne Handel vorstellen. Würzburgs Bedeutung als Handelsplatz ist darüber hinaus nicht nur aus seiner Lage am Schnittpunkt wichtiger Ost-West- (Hallstadt/Forchheim, Regensburg) und Nord-Süd-Straßen zu erschließen.’ Vor 832 erhielt Bischof Wolfger den Zoll in Würzburg, den zuvor schon ein Graf Wicbold als königlicher Beauftragter eingezogen hatte.6 Im Diedenhofener Capitulare von 805 werden Hallstadt und Forchheim, beides Königspfalzen, als Handelsplätze für den Warenverkehr mit den Slaven genannt, der eine dem Mattonen Madalgaud, der andere dem Grafen Audulf unterstellt.7 Rudimentäre Anfänge einer gewissen «Industrie» lassen sich aus Namen wie Salz und Salzgau entnehmen, die auf die salzhaltigen Quellen im Gebiet der Saale hinweisen, deren Wasser mit dem Holz des Salzforstes zwecks Salzgewinnung gesotten werden konnten.8 1 Im einzelnen Bosl, Franken 50 ff. (Lit.). 2 StD 24: danän duruh den Frcdthantes uuingarton, s. auch u. 124. 3 Vgl. Metz, Reichsgut (s. o. 93) 142 ff. 4 MG SS rer. Mer. 5, 717; zur Interpretation der Stelle W. Schlesinger, Burg u. Stadt (Aus Verfassungs- u. Landesgesch., Festschr. Th. Mayer) 1954, 197-150, bes. 109; Ders., Stadt u. Burg im Lichte d. Wortgesch. (Studium generale 16) 1963, 433-444; Ders., Städtische Frühformen zw. Rhein u. Elbe (Stud. zu d. Anfängen d. deutschen Städtewesens, VF 4) 1958, 287-362; vgl. auch K. Withold, Die frühge-

schichtl. Entwicklung d. Würzburger Stadtplanes (ebd.) 363-388. ’ Withold (s. Anm. 4) 366. 6 Zu erschließen aus DK. I 35. 7 MG Capit. 1, 123 nr. 44; v. Guttenberg 27 ff.; Weigel, Forchheim (s. o. 47 Anm. 1) 137 ff· 8 Bosl, Franken 146. - Auf offene Fragen vornehmlich der Verfassungsgeschichte macht W. Schlesinger, Die Franken im Gebiet östl. d. mittleren Rheins. Skizze eines ForschungsProgramms (Hess. Jb. f. LG 15) 1965, 1-22 aufmerksam.

§10. Vom Ausgang der Karolinger- bis zum Ende der Stauferzeit (F.-J. Schmale)

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§10. VOM AUSGANG DER KAROLINGER- BIS ZUM ENDE

DER STAUFERZEIT

a) Der Adel. Die Loslösung von der Francia und die Eingliederung in ein Reich, das sich als ostfränkisches aus dem fränkischen ausgliederte und zum Deutschen Reich wandelte, bedeutete für Franken keinen abrupten Bruch. Franken blieb Königsprovinz; Königtum, sowie diesem zugeordnet, Adel und Kirche waren weiterhin die Träger der Herrschaft. Aber Franken war zugleich auch ein «stammesloser» und wegen seines Charakters als Königsprovinz zugleich herzogloser Raum; es gab außer dem König keinen auf dem ganzen Raum und seine Menschen gerichteten politischen Willen wie in Bayern oder Sachsen oder auch in Schwaben. Die Karolinger hatten jede Tradition dieser Art beseitigt. Infolgedessen blieb Franken in seiner weiteren Entwicklung stets und in besonderem Maße von der jeweiligen Lage des Königtums abhängig.1 Die Wirren im karolingischen Herrscherhaus seit dem Regierungsantritt Ludwigs des Frommen schufen die Bedingungen, unter denen sich die partikularen Interessen ungehinderter entfalten konnten. Adel und Kirche hielten zwar bis zum Vertrag von Verdun jeweils zu dem Herrscher, der Herr der Francia war, die tatsächliche Lage beseitigte aber doch für Jahrzehnte so gut wie jeden aktiven Einfluß des Königtums. Nutznießer dieser Situation war in erster Linie der Adel. Aus germanischen Traditionen heraus neigte er dazu, neben Lehen auch das Amt, in Franken das Grafenamt, als Herrschaft zu verstehen und es zur Erweiterung der Allodialherrschafi zu benutzen. Im Grunde hatte Karl der Große bereits diese Entwicklung eingeleitet, als er in Franken Grafschaften nur an Angehörige des Adels verlieh, deren Geschlechtern sie der König nicht mehr entziehen wollte oder konnte. Damit wurden diese Ämter gewissermaßen erblich, sie hoben ihre Inhaber durch ihre Macht über andere Stammesgenossen hinaus und lösten sie als erste aus den bisherigen kognatischen Verbänden. Deutlich ist dieser Vorgang vornehmlich bei zwei Adelsverbänden im Osten und im Westen Frankens zu beobachten. Waren im Grabfeld 784 zwei Grafen Rocco und Eborakar, 788 ein Graf Matto, 814 ein Graf Berenger genannt, so begegnet in der folgenden Zeit zwischen 819 und 840/41 öfter ein Graf Poppo, dessen Grafschaft sich - wenn aus der Lage seiner Güter in den Gauen Volkfeld, Gozfeld, Weringau und Salegau, Amtsgut im Waldsassengau und Spessart ein Schluß zu ziehen ist - tatsächlich weit über das Grabfeld hinaus erstreckte? Seine Feindschaft zu Ludwig dem Deutschen kostete ihn zwar einiges Amtslehen3, und nach seinem Tod begegnen im Grabfeld vorübergehend andere Grafen, sicher Vertrauensleute des ostfränkischen Königs, die 1.Für die folgenden Ausführungen sind die Arbeiten des HAB und die Darstellung der politischen Geschichte (s. o. 42 ff.) heranzuziehen, wo sich auch die Einzelbelege für die hier gegebene Zusammenfassung finden. Die Grundlinien der entscheidenden verfassungsgeschichtlichen Vorgänge unter Berücksichti-

gung Ostfrankens, besonders in Hinblick auf Königtum und Adel, bei Schlesinger, bes. 130 ff. Erweiterung und Vervollständigung des Materials über die wichtigsten fränkischen Adelsgeschlechter bei Friese, passim. 2 Schlesinger 58 ff. 3 Dobenecker I 40 f. nrr. 177 f.

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nicht den Popponen zuzuordnen sind; Ludwig versuchte also der Grafschaft noch einmal ihren Amtscharakter wiederzugeben. Aber schon Poppos Söhne sind wieder als Inhaber derselben Grafschaften genannt, so daß es fraglich erscheinen muß, ob sie die Herrschaft über die mit der Grafschaft verbundenen Königsgüter jeweils tatsächlich aufgegeben haben. Heinrich, marchensis Francorum und dux Austrasiorum, ist Graf im Badanachgau, seine Neffen Poppo und Adalbert sind Grafen im Grabfeld, Poppo ist zugleich, wenn auch nur vorübergehend, marchio und dux der Sorbenmark. Um 900 besitzen die Popponen die Grafschaft fast im ganzen östlichen Franken bis vor die Tore Würzburgs. Vorübergehende Rückschläge unter dem Einfluß des Königtums sind möglich, so als zum Beispiel 892 Poppo die Sorbenmark und einige Königsgüter durch Arnulf entzogen wurden; aber sie wurden wenig später zurückgegeben, wenn auch nicht das Amt. Eine ähnliche Entwicklung ist am westlichen Rand Frankens bei den Konradinern zu beobachten. Während der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts und zu Beginn des zehnten Jahrhunderts scheinen diese beiden Familien große Teile Frankens zu beherrschen. Ihre Güter und Amtsgüter sind noch immer weitgestreut, doch ist eine deutliche Konzentration in zwei Räumen zu beobachten. Noch sind sie nicht aus der Einnamigkeit herausgetreten, aber die Erblichkeit ihrer Grafschaften fördert schon deutlich erkennbar die Ausbildung agnatischer Strukturen. Es dürfte nicht ausschließlich an dem Mangel an Quellen, sondern doch auch an dem Besitz durch Grafschaft gewonnener Herrschaft in diesen beiden Familien liegen, wenn der übrige Adel Frankens daneben so gut wie gar nicht in Erscheinung tritt, so daß es immer noch schwer ist, den hochmittelalterlichen Adel genealogisch an die frühmittelalterlichen Kognatenverbände anzuschließen.1 Am Beginn des zehnten Jahrhunderts ist jede der beiden Familien auf dem Sprung, die andere auszuschalten; entscheidendes Mittel dazu ist die Sicherung des Einflusses im Bistum Würzburg, dessen umfangreicher hochstiftischer Besitz die beiden Räume adliger Herrschaft am Main noch trennt und noch eine Bastion des Königtums darstellt. Verlauf und Ergebnis dieses Versuches ist bereits geschildert worden, sein Scheitern ist darin begründet, daß mit dem Übergang der Krone auf die sächsischen Liudolfinger die Periode der Schwäche des Königtums endet. Wenn die Grafschaft neben Allod und Lehen ein so wesentliches Element der Herrschäft der Popponen und Konradincr ist, wie cs den Anschein hat, stellt sich die Frage nach dem Charakter der Grafschaft. Die Quellenlage erlaubt keine erschöpfende Antwort, aber einige Feststellungen lassen sich für die fränkischen Verhältnisse seit dem neunten Jahrhundert treffen. Auch in Franken werden in Königs- und Traditionsurkunden Ortsnennungen rjach dem Schema in pago N. in comitatu N. comitis üblich.1 Da es sich dabei fast immer um Königsgut handelt, ist wohl doch mit Recht geschlossen worden, daß Grafschaft Aufsicht und Herrschaft über Königsgut (Land und Leute) zum Inhalt hat, weil Veränderungen offenbar immer nur unter Mitwir1 Fortschritte in der Lösung dieses Problems bei Fbiese, bes. 100-142.

2 Beispiele in großer Zahl bei Dobeneckeb I; vgl. Metz, Reichsgut (s. o. 93) 172 f.

§ 10. Vom Ausgang der Karolinger- bis zum Ende der Stauferzeit (F.-J. Schmale)

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kung des Grafen möglich sind.1 Dagegen ist ein oft behaupteter Zusammenhang zwischen Grafschaft und Gau nicht zu erkennen. Im gleichen Gau gelegene Güter können zu verschiedenen Grafschaften gehören, andererseits erstreckte sich die Grafschäft der Popponen über Güter in verschiedenen Gauen. Grafschaft kann daher nicht vom Ursprung her mit dem Gau korrespondieren und darf sicher nicht territorial verstanden werden als eine Herrschaft, die sich vom Ursprung her auf einen Gau erstreckt. Grafschaft ist eine an die Person gebundene Herrschaft, deren Geltungsbereich unterschiedlich groß sein kann je nach dem Umfang des Besitzkomplexes, der ihr durch den König unterstellt wurde und deren Teile durch Benennung des Gaues lokalisiert wurden.12 Diese mit Hilfe auch der Grafschaft gewonnene Herrschaft ist zu Beginn des zehnten Jahrhunderts noch nicht verfestigt, die Eigentumsrechte des Königs sind noch nicht erloschen. In der Babenberger Fehde sind der König und die adligen Konkurrenten der Popponen stark genug, die Grafschaft der Popponen zu beschränken und ihr große Teile zu entziehen. Durch das Einlenken der Ottonen in die karolingischen Traditionen erfährt der in der Grafschaft liegende Amtsgedanke neuerliche Belebung und hat sich in der Verbindung mit dem Lehnrccht noch lange behauptet. Andererseits mußte aber gerade das Lehnrecht seinerseits wieder darauf hinwirken, die Grafschäft nicht mehr dem Geschlecht zu entziehen, das sie nun einmal besaß. Nach dem Tod der babenbergischen Brüder ist ein Graf Heinrich, ohne Zweifel ein Verwandter, im Besitz ihrer Rechte. Otto I. setzte in Würzburg zwei Bischöfe mit dem Namen Poppo ein, von denen der eine als Sohn des Würzburger Burggrafen bezeichnet wird, der ebenfalls ein Poppone gewesen sein muß. Sicher ist, daß die Grafen von Hcnncbcrg Deszendenten der Popponen sind, mit einiger Wahrscheinlichkeit Poppos (II.), des marchio und dux der Sorbenmark. Ebenso müssen die Schweinfurter Grafen auf die Popponen zurückgeführt werden. Dem kognatischen Verband der Popponen sind also die einmal innegehabten Grafenrechte grundsätzlich erhalten geblieben.3 Dennoch kann man nicht etwa schon von einem durchgehenden Leihezwang sprechen, nicht einmal von unbedingter Erblichkeit. Die der Grafschaft unterstehenden Gebiete und Güter waren im Kern immer noch Gebiete unmittelbarer königlicher Herrschaft, in denen sich der König durch den Grafen lediglich vertreten ließ.4 Die Wiederbelebung königlicher Rechte unter den Ottonen erlaubte es Otto III., dem Würzburger Bischof Grafschaft zu übertragen, die vorher vielleicht Heinrich von Schweinfurt innegehabt hatte. Nach dem Aufstand Heinrichs hat König Heinrich II. nicht nur die Grafenrechte eingezogen, sondern auch zahlreiche der Grafschaft bisher 1 Vgl. Mf.tz, Reichsgut (s. o. 93) 174. Ungeklärt ist noch das Verhältnis der Grafschaft zum königlichen Regiegut, doch scheint dieser Zusammenhang zu Unrecht bestritten ebd. 174; vgl. Dobenecker I 74 nr. 309, wo die Oberaufsicht des Grafen offenbar in einer vasallitisehen Bindung des exactor in Stockheim ihren Ausdruck findet. 2 Zu dieser Frage allgemein auch J. Prinz,

Pagus u. Comitatus in d. Urkunden d. Karolinger (AU 17) 1942, 329-358; Metz, Reichsgut (s. o. 93) 170 ff. Für Ostfranken scheint die grundsätzliche Beziehungslosigkeit von Gau und Grafschaft allerdings unabweisbar. 3 Vgl. W. Goez, Der Leihezwang, 1962, bes. 20 ff für den hier behandelten Zeitabschnitt. 4 Schlesinger 189.

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unterstehende Güter an Bamberg geschenkt. In Teilen der Grafschaft Heinrichs von Schweinfurt erscheinen nach 1003 als Grafen Adlige, die zuvor noch nicht hervorgetreten sind wie Graf Dietmar/Thiemo (1007-1023) im Volkfeld und der Graf Adalbert (1007-1035) im Radenzgau, dessen Nachkommen sich Grafen von Abenberg nennen. Sie führen den Grafentitel zweifellos als königliche Grafen, wenn auch vielleicht schon gewissermaßen mediatisiert, wenn es richtig ist, daß der Bischof von Bamberg ein Aufsichtsrecht besaß,1 aber sie können sicher nicht genealogisch an die Popponen, Schweinfurter oder Henneberger, d. h. an die Verwandtschaft der bisherigen Inhaber der Grafenrechte angeschlossen werden. Eher könnte Dietmar auf jenen Diotmar zurückgehen, dem 960 Güter im Radenzgau abgesprochen wurden,1 2 und auf einen Ditmar, der 981 Güter in Biebelried und Heidingsfeld tauschte;3 er würde dann zu den Deszendenten spätkarolingischer hochfreier Tradentenkreise zu zählen sein, denen jetzt - ähnliches geht zu derselben Zeit in Lothringen vor4 - der Aufstieg in die Schicht der Dynasten gelingt. In diesen Kreis gehören auch jene Grafen ohne nachweisbare Beziehungen zur königliehen Grafschaft. In Ostfranken sind verschiedene Grafen Reginboto (verwandt mit Sigeboto ?) mit Allod in Zeublitz bei Lichtcnfels und Pettstadt bei Bamberg belegt,5 von denen Reginboto (III.) nach 1120 durch Heirat in den Besitz des schweinfurtisehen Gutes in Gt'ec/i-Lichtenfels gelangte und sich seitdem danach nannte. Ein Sohn Reginbotos (I.) ist möglicherweise der comes Thiemo von Dettnang bei Rothenburg. Zu den Verwandten Reginbotos (III.) und der Grafen von Abenberg sind die Grafen von Wertheim (Lcitname Wolfram) zu zählen, die zugleich mit den Hennebergern verschwägert sind und gelegentlich deren Leitnamen Poppo führen. Zugehörigkeit zur Deszendenz fränkischer Adliger des neunten Jahrhunderts mit den Leitnamen Sic-, Regen-, Hramwolf kann zwar auf Grund der Namenähnlichkeit allein nicht bewiesen werden, ist aber möglich und wahrscheinlich.6 In den gleichen Personenkreis gehören die Herren, seit 1205 Grafen, von Castell am Westhang des Steigerwaldes im Volkfeld, deren Leitnamen Rupert auf die untitulierten Edelfreien Rupreth/Robrath mit Besitz im Königsgut Volkach weisen könnte, das später denen von Castell eigncte.7 Gemeinsam ist dieser Gruppe, daß ihre Aszendenten wegen des Fehlens von Reichsämtern nicht im einzelnen belegt werden können, ihr Besitz vornehmlich allodialcr Art ist, ihre Titel nicht auf ältere königliche Grafschaften zurückgeführt werden können, die territorialen Herrschaften sich vornehmlich ins Ausbauland erstrecken und sich dementsprechend aus Allodial- und Vogteirechten zusammensetzen; soweit erkennbar ist, schließt ihr Besitz auch ursprüngliches Königsgut ein (Wertheim: z. B. Königheim; Castell: z. B. Volkach). Mit dem älteren Rcichsadel bilden sie insofern eine Schicht, als sie demselben Geburtsstand angehören und zum Konnubium mit dem 1 Mayer, Fürsten 257 ff. 2 DO. I 217. 3 Dobenecker I 61 nr. 280. 4 Vgl. G. Droege, Lehnrecht u. Landrecht am Niederrhein u. d. Problem d. Territorialbildung im 12. u. 13. Jh. (Aus Gesch. u. Lan-

deskunde, Forsch, u. Darst., Fcstschr. F. Stein1960, 278-307. 5 v. Guttenberg 191, 243. 6 Friese 135 ff. 7 Ebd. 138 f.

bach)

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Reichsadel fähig sind, den gleichen Titel führen und eine grundsätzlich gleichartige Herrschaft ausüben, die wie bei den «echten» Grafen vor allem Vogtei, Schutz und Schirm, Gerichtsrechte umfaßt. Es ist nicht auszuschließen, daß in einzelnen Fällen auch die Versippung mit älteren Grafengeschlechtem oder Herkunft aus solchen Ursache für die Führung des Grafentitels ist.1 Alte Grafengeschlechter greifen dagegen im elften und zwölften Jahrhundert weit über ihren ursprünglichen Herrschaftsbereich hinaus. Die Grafen von Henneberg gewannen weitere Herrschaft durch Rodung bis in den Thüringer Wald,1 2 faßten aber auch im Bereich der ehemaligen Besitzungen der Robertiner, der Vorfahren der Popponen, im Raum von Lorsch-Worms-Speyer Fuß, vielleicht schon mit Abt Poppo von Lorsch (1006-1018),3 deutlicher zu Beginn des zwölften Jahrhunderts durch die Heirat des Würzburger Burggrafen Godebold von Henneberg mit Luitgard von Hohenberg, der Erbtochter der Lorscher Vögte. Graf Gunther von Henneberg war 1146-1161 Bischof von Speyer; durch die Ehe des Pfalzgrafen Konrad bei Rhein mit Irmgard von Henneberg ging die Lorscher Vogtei an die Staufer.4 Die Grafen von Abenberg führten im zwölften Jahrhundert so häufig den Namen Rapoto, daß Verbindung mit den Rapotonen in der Mark Cham aus dem Haus der Diepoldinger angenommen werden muß.5 Es ist bezeichnend, daß die ersten Mönche von Bronnbach, dessen Vogtei die Wertheimer später innehatten6 und dessen erster Abt Reginhard von Abenberg war, aus Waldsassen kamen, einer Gründung der Diepoldinger? Durch die Heiratsverbindung mit Giech-Lichtenfels kam das bayerische Geschlecht der Grafen von Andechs zu Besitz in Ostfranken, der durch Rodung erweitert wurde. Der Besitzstand dieser Dynasten ist seit dem zwölften Jahrhundert, abgesehen von Erweiterungen durch Landesausbau, nur mehr durch Erbschaft und Heirat verändert worden, nicht aber mehr durch Eingriffe des Königs. Adlige Herrschaft, gleich welchen Ursprungs, war in ihrem gesamten Umfang erblich geworden und dem unmittelbaren Einfluß des Königs entzogen.

b) Das Königtum. Durch die Ausbildung und Verfestigung der Adelsherrschaft sind weite Teile Frankens aus der alten Königsprovinz ausgeschieden, wenn man diesen Begriff mit dem in der Karolingerzeit gültigen Inhalt füllt. Der König wirkte dieser Entwicklung durch den konsequenten Ausbau des Reichskirchensystems entgegen, das in Franken seine Vollendung findet. Die Leistungen der Würzburger Kirche bis an den Rand des Bankrotts, die der bambergischen und Eichstätter bis zu hoher Verschuldung machen die hochstiftischen Gebiete - nimmt man Hoftage, Spolienrecht, Investitur der Bischöfe hinzu - zu solchen unmittelbarer Königsherrschaft selbst noch 1 O. v. Düngern, Adelsherrschaft im Mittelalter, 1927; v. Guttenberg 242 ff. 2 Zickgraf (s. o. 60 Anm. 4) 82 f. 3 DH. II 327, 335, 350, 358, 367. 385. 4 Friese 139. 5 F. Prinz, Bayerns Adel im Hochmittelalter (ZBLG 30) 1967, 53-112.

6 A. Friese, Die Zisterzienserabtei Bronn· bach (B. Reuter, Baugesch. d. Abtei Bronn■ bach, Mainfr. H. 30) 1958, 3 ff. Friese 138.

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Franken: B. II. Staat, Ceseilschaft, Wirtschaft, Kirche 716/19-1257

im zwölften Jahrhundert. Unverkennbar hat aber bereits früh die Trennung von Bischofs- und Kapitelgut' die Leistungsfähigkeit eingeschränkt, und das Verhältnis der Kirchen zum König war durch den Investiturstreit vorübergehend schon tatsächlich, seit dem Wormser Konkordat schon grundsätzlich in Frage gestellt. Es war daher nur folgerichtig, wenn sich der König seit dem elften Jahrhundert wieder stärker den ihm noch verbliebenen Reichsgutsbezirken zuwandte. Den Beginn dieser Bemühungen kennzeichnet der Ausbau von Nürnberg unter Heinrich III.,1 2 der dabei nur insofern einen Fehler beging, den sein Sohn später in Sachsen zu vermeiden suchte, als er in Nürnberg einen adligen Burggrafen als seinen Interessenvertreter einsetzte, der selbstverständlich ebenfalls den Weg der übrigen Dynasten einschlug und eigene, vom König nicht mehr beeinflußbare Herrschaft gewann. Nach einem vorübergehenden Rückschlag während der Regentschaft der Kaiserin Agnes erfolgte im Anschluß an den Nürnberger Reichsgutkomplex der energische .Awstaw des Reichslandes in Franken, besonders im nordöstlichen Waldland unter der Leitung der Staufer.3 Als Konrad von Staufen 1120 den ihm 1116 übertragenen Dukat an den Bischof von Würzburg zurückgeben mußte, da scheint er dennoch in dem Besitz des ihm wohl gleichzeitig verliehenen Reichsgutes uni Nürnberg geblieben zu sein. Wie gefährdet aber dadurch und gerade hier die Stellung des Königs dennoch war, zeigt das Verhalten der Staufer in den letzten Jahren Heinrichs V., in denen sie bereits eine gelegentlich oppositionelle, ganz den eigenen Interessen dienende Politik betrieben. Nach Heinrichs V. Tod gingen sie ganz offensichtlich davon aus, daß das gesamte ihnen übertragene Reichsgut ihre eigene erbliche Herrschaft war.4 Sie vertraten also die gleichen Prinzipien wie der übrige Adel. Wenn Konrad III. gegenüber Heinrieh dem Stolzen noch einmal auf seine königlichen Rechte zu pochen schien, als er ihm Nürnberg verweigerte, so war seine Haltung nur scheinbar eine andere, weil staufischadlige und königliche Interessen gewissermaßen zufällig zusammenfielcn. Schon nach Konrads Tod gingen Staufergut um Rothenburg und Reichsgut als erbliehe Herrschaft an Konrads Sohn Friedrich, den dux von Rothenburg, dessen ducatus im Sinne der Zeit die potestas iudiciaria zum Inhalt gehabt haben dürfte. Immerhin konnte aber Barbarossa als Vormund Friedrichs und nach dessen Tod als sein Erbe direkten Nutzen aus dem Reichsgut ziehen.5 Rcichsgut und Allodialbcsitz wurden einheitlich organisiert mit denselben Mitteln, wie sie auch Adel und Kirche anwandten. Ministerialen wurde unter den Formen des Lehnrechts von zentralen Burgen aus die Verwaltung, d. h. Herrschaft übertragen.6 An der Altmühl wirkte das Ministerialengeschlccht von Pappcnheim, das 1193 die erbliche Marschallwürdc erhielt, im Reichs1 In Würzburg könnte man an eine Trcnnung im Zusammenhang mit der Umwandlung des Andreasstifts in das Burchardskloster denken (vgl. Wendehorst I 69); für Eichstätt hat man eine solche Trennung unter Bischof Heribert vermutet (vgl. Heidingsfelder 62 nr. 173). 2 S. o. 62. 3 Bosl.

4 Vgl. Pfeiffer, Stud. z. Gesell, d. Pfalz Nbg. (JffL 19) 1959, 305 ff., doch scheint der Ausdruck «Familicnerbe» (306) mißverständlich. 5 Ebd. 306 f.; Schreibmüller, Herzog Friedrieh (s. o. 75 Anm. 2). 6 Über die Anfänge des Ministerialcneinsatzes Bosl i passim; Pfeiffer, Pfalz Nürnberg (s. o. Anm. 4) 307 f.

§10. Vom Ausgang der Karolinger- bis zum Ende der Stauferzeit (F.-J. Schmale)

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gut Nürnberg ein ministerialischer Reichsbutigler, aber auch im staufischen, nicht eigentlich zum Reichsgut gehörigen Rothenburg ein Ministeriale mit dem Titel Reichsküchenmeister.1 Andererseits wurde in dem Vertrag Friedrichs I. mit Alfons von Kastilien (1188)1 2 als Morgengabe für Berengaria, die Braut von Friedrichs Sohn Konrad, einheitlich als Allod bezeichneter Besitz vorgesehen, der sich in Wirklichkeit auch aus Reichsgut zusammensetzte. So vermischten sich auch hier die Grenzen zwisehen Königsherrschaft und Adelsherrschaft, so erscheint die Königsherrschaft in Franken nur deshalb noch als verhältnismäßig intensiv, weil die Staufer zugleich Könige sind. Tatsächlich ist auch dieser Teil Frankens auf dem Weg, zu einem Raum adliger, dem König entfremdeter und nicht mehr unter seinem Einfluß stehender Herrschaft zu werden. Ministerialen und adliger Burggraf von Nürnberg üben bereits am Ende des zwölften Jahrhunderts eine Herrschaft aus, die sich nicht mehr grundsätzlich von der der Dynasten unterscheidet. Nur die Stadt und ihre Bürger haben wegen der fehlenden ständischen Qualität, die den Reichsministerialen um diese Zeit schon zukommt, diese Stellung noch nicht erreicht. Schließlich bedarf noch der Versuch der staufischen Könige Erwähnung, ihre Möglichkeiten dadurch zu verstärken, daß sie von der Kirche Lehen nahmen. Als 1188 die mit den Staufern versippten Grafen von Sulzbach ausstarben, fiel ihr Besitz an die Eichstätter Hochstiftsvögte, die Grafen von Hirschberg, ihre Bamberger Kirchenvogteien kamen dagegen auf Grund eines Vertrages, den Barbarossa 1174 mit Bamberg geschlossen hatte, an die Staufer, nominell an die Kaisersöhne (z. B. Hersbruck, Pegnitz, Auerbach/Opf.).3 Auch von der Würzburger Kirche besaßen die Staufer Lehen, die aber vielleicht noch aus der salischen Epoche stammten (Marktsteft).4 Hier ist also nicht der König Lehnsmann der Kirche, sondern seine Angehörigen sind die Belehnten. Die Frage ist also nicht oder noch nicht eindeutig zu beantworten, inwieweit Kirchenlehen ein Mittel der Königsherrschaft in Franken darstellten. Im Erbgang sind sie an die letzten staufischen Könige gekommen. In einer - allerdings angefochtenen - Urkunde König Philipps aus dem Jahr 1201 wird die Rückgabe staufischer Kirchenlehen an Bischof Konrad von Würzburg erwähnt.’ c) Die Kirche. Die Kirche, Bistümer und Klöster, ist nicht nur geistliche Institution mit religiösen Zielsetzungen, die in ihrer inneren Organisation von Rechtsformen und Rechtsnormen des allgemeinen abendländischen Kirchenrechts geprägt ist, sondem ebenso Instrument der königlichen Herrschaft und zugleich kraft königlichen Auftrags und eigenen Besitzes Träger eigener Herrschaft. In diesem Punkt unterscheidet sie sich grundsätzlich nicht vom Adel, der seinerseits wenigstens die höheren Amtsträger der Kirche stellt und ihnen sein Standesethos mitgegeben hat. Nur in ihrer wechselseitigen Beeinflussung gesehen erklären diese Faktoren die Entwicklung und die 1 Bosl passim. 2 Const. I 452ίΓ. nr. 318; P. Rassow, Der Prinzgemahl (Quellen u. Stud. z. Verf. gesch. d. deutschen Reiches in MA u. NZ VIII1) 1950 mit Text des Vertrags nach spanischen Kopien.

3 S. o. 81; Stumpf (s. o. 70 Anm. 1) 4166; HAB Teil Altbayem 10: Herzogtum Sulzbach, Landrichteramt Sulzbach (Piendl) 1957. 4 BF 3947. ’ S. o. 85.

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inneren Verhältnisse in Franken; keiner dieser Faktoren hat zu irgendeinem Zeitpunkt isoliert gewirkt. Alle fränkischen Bistümer gehörten zum Metropolitanverband von Mainz, das mit dem Stift Aschaffenburg selbst an Franken Anteil hatte. Dieser Metropolitanverband hatte jedoch wenig Einfluß auf die konkrete Situation der Bistümer. Würzburg versuchte zwar anläßlich der Gründung Bambergs aus diesem Verband auszuscheren und selbst Metropolitansitz zu werden, aber der Mißerfolg brachte ebensowenig Nachteile, wie Vorteile eines etwaigen Erfolgs zu erkennen sind, sieht man einmal von der möglichen Rangerhöhung ab, die für das Mittelalter allerdings keine geringe Rolle spielte. Eichstätt behielt trotz seiner Zugehörigkeit zur Kirchenprovinz Mainz Bindüngen an Bayern, wie sie sich aus seinem starken Anteil am bayerischen Nordgau ergaben und wie sie gelegentlich auch dem Königtum nützlich erschienen. Der Eichstätter Bischof besuchte bayerische Synoden und Landtage, und mancher Bischof war persönlich, politisch oder kirchlich stark nach Bayern hin orientiert. Daß die Hochstiftsvögte von Eichstätt, die Grafen von Hirschberg, ebenfalls aus dem bayerischen Nordgau kamen, mag für diese Verhältnisse nicht ganz unwichtig gewesen sein. Erst seit dem dreizehnten Jahrhundert ist Eichstätt eindeutiger nach Mainz hin orientiert, und die Bischöfe, die seit dem zwölften Jahrhundert das Rationale tragen, beanspruchten nun den ersten Platz nach dem Erzbischof und das Kanzleramt des Erzstuhls.1 Auch Bamberg gehörte zur Mainzer Kirchenprovinz, unterstand zugleich aber auch dem unmittelbaren Schutz des Papstes, wie er sonst nur Reichsklöstern zuteil wurde. Dieser Schutz bedeutete keine Exemtion, wie es der Wortlaut der Urkunde des Papstes Johannes eindeutig beweist,2 war aber doch wohl Ursache dafür, daß fast alle Bamberger Bischöfe sich mit Erfolg bemühten, vom Papst persönlich geweiht zu werden, und daß sie meist auch das Pallium erhielten. Am ehesten wirkten sich die Mainzer Rechte noch in schismatischen Zeiten aus, wenn die Metropoliten sich wegen unterschiedlicher kirchenpolitischerStellungnahmen weigerten, Suffragane zu weihen. Dem Bistum Würzburg waren in besonders hohem Maße von der Gründung an neben und mit den religiösen zugleich politische Aufgaben im Rahmen der Königsherrschaft gestellt worden, und immer zeigt sich bei der religiösen Erfassung des Sprengeis - bei allen Bistümern - auch politische Wirkung. Würzburg hat seine politischen Aufgaben auch in spätkarolingischer Zeit erfüllt und war nur zu Anfang des zehnten Jahrhunderts in Gefahr, zu einem Annex der konradinischen Herrschaft zu werden. Die Ottonen haben diese vage Möglichkeit nicht nur verhindert, sondern durch weitere umfangreiche Schenkungen von Reichsgut und königlichen Rechten, besonders unter Otto III., Würzburg zum wichtigsten Stützpunkt des Königtums in Franken gemacht. Die Rolle Eichstätts, das wesentlich weniger Reichsgut erhalten hatte, unterschied sich davon graduell, aber nicht grundsätzlich; auch Bamberg hat sich in dieses System eingefügt. Das ist hier nicht mehr zu behandeln, es ist unmittelbarer Bestandteil der Geschichte der Königsprovinz, die sich in den Bistümern am deutlichsten und längsten darstellt. 1 Vgl. Heidingsfelder 247 nr. 791.

v. Guttenberg, Reg. 15 f. nr. 29.

§10. Vom Ausgang der Karolinger- bis zum Ende der Stauferzeit (F.-J. Schmale)

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Abgesehen von Fulda, das als Reichskloster und auf Grund einer gleichartigen Ausstattung (Wildbann- und Forstrechte) eine den Bistümern vergleichbare Rolle spielte, haben die Klöster in Franken für den König und politisch kaum Gewicht. Karl der Große hatte sich zwar die meisten Klöster, auch die vom Adel gegründeten, auftragen lassen; Neustadt, Amorbach, Münsterschwarzach, Herrieden erscheinen im neunten Jahrhundert unter den Reichsabteien, wie vor 800 auch Ansbach; aber gegen Ende des zehnten Jahrhunderts waren sie alle teils auf Grund von Schenkungen, teils auf Grund von Fälschungen im Besitz der Bistümer Würzburg und Eichstätt oder Fuldas und insofern nur mehr im mittelbaren Besitz des Königs. Alle später entstandenen Klöster sind dagegen überhaupt nur mehr als bischöfliche Eigenklöster gegründet oder von ihren adligen Stiftern der Kirche übergeben worden. Versuche einzelner Klöster, so der alten Reichsabtei Neustadt, den ehemaligen Rechtszustand mit Hilfe von zum Teil nur formalen Fälschungen wieder herzustellen, führten zu keinem Erfolg.1 Infolge von Grundbesitz und übertragenen Rechten übt auch die Kirche Grundherrschaft und Gerichtsherrschaft von der gleichen Art wie der Adel aus. Der Einfluß des Königs auf die Besetzung der Bischofsstühle, die trotz der Einschränkungen durch das Wormser Konkordat bis ins dreizehnte Jahrhundert behauptet werden kann, hält das Eigentumsrecht des Königs am Reichskirchengut noch wach, und dieses Recht verlangt der Kirche noch erhebliche Leistungen ab, aber die Entwicklung der geistliehen Territorialherrschaft wird dadurch nicht verhindert, sondern nur verzögert. Im übrigen ist die Entwicklung der geistlichen Herrschaften bestimmt von der Konkurrenz des Adels, von der Auseinandersetzung mit der Ministerialität und von dem Gegensatz zwischen Bischof und Domkapitel. Der Adel ist sowohl als geographischer Nachbar der Kirche wie vor allem in seinen Funktionen als Vögte und Burggrafen der Konkurrent im Wettstreit um die Ausdehnung der Herrschaft, vornehmlich der Schutzvogtei als der wichtigsten Grundlage der territorialen Herrschaft in Franken. Für diese Seite des Prozesses bietet die Entwicklung der iudiciaria potestas des Würzburger Bischofs zum territorial auf den hochstiftischen Besitz bezogenen Dukat das eindrucksvollste Beispiel. Für alle Bistümer gleichermaßen wichtig war die Auseinandersetzung um das Korrelat der geistlichen Immunität, die Vogtei in der Hand des Adels, meist verbunden mit dem Burggrafenamt in der Bischofsstadt. Die adligen Vögte der Mainzer Kirche, die Grafen von Loon-Rieneck drohten mit Hilfe der Vogtei auf hochstiftischem Besitz ein eigenes Territorium im Spessart aufzubauen und die Streitigkeiten zwischen den Eichstätter Bischöfen und ihren Vögten war der konkrete Anlaß für das unter Friedrich II. ergangene Urteil gegen die Vögte; Entvogtung war eines der wichtigsten Ziele geistlicher Politik. In den fränkischen Bistümern ist sie erst gegen Ende der staufischen Epoche voll gelungen. Entsprechend der im ganzen Reich zu beobachtenden Entwicklung spielen auch in den geistlichen Herrschaften die Ministerialen eine seit dem elften Jahrhundert zu1 E. E. Stengel, Das gefälschte GründlingsPrivileg Karls d. Gr. f. d. Spessartkloster NeuStadt am Main (MIÖG 58) 1950, 1-30; ergänz-

ter Wiederabdruck: Ders., Abh. u. Untersuchungen z. mittelalterl. Gesch., 1960, 285 bis 317; weiterführend Friese i ff.

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Franken: B. Π. Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Kirche 71611^—12^7

nehmend wichtige Rolle.1 Verwaltung der Herrschaft durch Dienstmannen aus dem Kreis der persönlich abhängigen Dienstmannen hat ebenso zur Ausbildung der Ministerialität geführt wie die militärische Inanspruchnahme des Reichskirchengutes, das von den Bischöfen als Dienstlehen an unfreie Vasallen ausgegeben wurde. Diese Ministerialen versuchten in der gleichen Weise wie die Reichsministerialen eigene Herrschaft zu gewinnen und gefährdeten damit die Territorialherrschaft der Bischöfe, die sich wie der Würzburger Bischof Konrad von Querfurt ihrer nur mit Mühe und keineswegs mit vollem Erfolg erwehren konnten. Im Hochstift Eichstätt gewannen Ministerialen sogar Einfluß auf die Bischofswahl, und die Bischöfe selbst kamen häufig aus ihren Reihen. Einen weiteren Konkurrenten um die Herrschaft des Bischofs bildeten schließlich die Domkapitel, deren Einfluß seit dem zwölften Jahrhundert in allen fränkischen Hochstiftem zunahm, wenn er sich auch erst im dreizehnten Jahrhundert voll ausformte. Trennung des bischöflichen Gutes vom Kapitelgut, die auch in Franken zu allerdings unbekanntem Zeitpunkt durchgeführt wurde, bildete eine der wichtigsten Grundlagen des Mitregiments der Domkapitel. Als die wirtschaftlichen Mittel des Würzburger Bischofs für die gesteigerten Ansprüche des Reiches während der Zeit Barbarossas nicht mehr ausreichten, kam es zu zeitweiliger wirtschaftlicher Abhängigkeit des Bischofs von seinem Kapitel. Bischof Hermann von Lobdeburg mußte 1225 die erste Wahlkapitulation ausstellen? Ein anderer wesentlicher Grund lag in dem seit dem Wormser Konkordat zunehmend an Gewicht gewinnenden Wahlrecht des Kapitels. 1 Für Bamberg v. Guttenberg, bes. 299 ff.; f. Würzburg neben Bosl jetzt Reimann, Besitz- u. Familiengesch. (s. u. 275); Dies., Ministerialen (s. u. 274). Die Frage der Doppelministerialität (hochstiftische und Reichsministerialität) ist noch nicht eindeutig geklärt; vgl. Bosl passim und Reimann passim.

2 MB 37 nr. 205; J. F. Abert, Die Wahlkapitulationen d. Würzburger Bischöfe bis z. Ende d. 17. Jhs. (AU 46) 1904, 57 ff. Die erste Wahlkapitulation wurde in Eichstätt 1259 aufgestellt; vgl. Heidingsfelder 246 f. nr. 790; Bruggaier, Wahlkapitulationen (s. u. 275).

III

DAS GEISTIGE LEBEN

§11. BILDUNG UND WISSENSCHAFT, LATEINISCHE LITERATUR, GEISTIGE STRÖMUNGEN

Μ. Manitius, Gesch. d. lat. Literatur, 3 Bde., 1911/31; Hauck I-IV; Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter (WH, WL); H. Grundmann, Geschichtsschreibung im MA. Gattungen, Epochen, Eigenart, 1965; A. D. von den Brincken, Stud. z. lat. Weltchronistik bis in d. Zeitalter Ottos v. Freising, 1957; B. Bischoff, Panorama d. Handschriftenüberlieferung aus d. Zeit Karls d. Gr. (Karl d. Gr. II, s. o. 30) 233 ff.; J. de Ghbllinck, L’essor de la litterature latine au Xlle sifecle, 19522; Ders., Le mouvement thdologique de XIIe sifecle, 19482; P. Lehmann, Über Perioden d. lat. Schrifttums im MA (Erforsch, d. MA V) 1962, 246 ff.; Bauerreiss Ι-ΙΠ; K. Hallinger, Gorze-Cluny. Studien zu den monastischen Lebensformen u. Gegensätzen im Hochmittelalter (Studia Anselmiana 22/23) 2 Bde., 1950/51; H. Jakobs, Die Hirsauer. Ihre Ausbreitung u. Rechtsstellung im Zeitalter d. Investiturstreites (Kölner Hist. Abh. 4) 1961.

a) Karolingische und ottonische Periode. Die Nachrichten über die vorkarolingische Zeit Frankens lassen keine detaillierte Antwort auf die Frage nach dem geistigen Leben dieser Epoche zu.1 Es gab Christentum, punktuelles kirchliches Leben, Kenntnis der lateinischen Sprache am Hof Herzog Hedens. In der zweiten Hälfte des siebten Jahrhunderts wird die Verbindung zu den zentraleren Gebieten des Frankenreiches, zu den dort herrschenden Verhältnissen und den dort wirkenden Kräften stärker. Die Sehenkung von Gütern in Thüringen an die Kirche von Reims und Chälons und um Hammclburg an das elsässische Kloster Weißenburg, das Auftreten des Iren Kilian2 und des Angelsachsen Willibrord in Würzburg zeugen für die religiöse Aufgeschlossenheit der hedenischen Herzöge und ihren Willen, das Land mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu verchristlichen. Aber alles das gestattet keinen Einblick in die volle historische Situation. Umfang, Intensität und Wirkung solchen Strebens bleiben im Dunkel und stets auf die Herzöge beschränkt. Weder scheint der grundbesitzende Adel daran beteiligt noch entstanden Zentren, in denen solche Anstöße aufgenommen, gepflegt und weitergegeben werden konnten. Auch für die Betrachtung dieser Seite des geschichtlichen Lebens ist der Beginn der karolingischen Herrschaft der Ausgangspunkt. Die Bindung der Mainlande an das karolingische Frankenreich schuf den Rahmen, in dem Franken durch das Wirken des hl. Bonifatius an die abendländische christlich-lateinische Kultur angeschlossen wurde. 1 Hier werden nur die fränkischen Belege behandelt, auf eine allgemeine Kennzeichnung der Epochen wird bewußt verzichtet; vgl. dazu HB I 427 ff., II 720 ff, zur politischen und sozialen Umwelt auch o. 30 ff. 8 HdBG III, I

2 Über das angebliche Evangeliar Kilians Bischoff-Hofmann, Libri s. Kyliani (QFGHW 6) 1952, 5, 92. Vgl. auch A. Gwynn, The Continuity of the Irish Tradition at Wurzburg (WDGB11. 14/15) 1952/53, 5782‫־‬.

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Wie sich erst durch die Karolinger ein einheitlicher Wille gegenüber allen Bewohnem Frankens durchsetzte und das Land einer überall gleichartigen Organisation unterwarf, ging auch Bonifatius von Intentionen aus, die sich zwar entsprechend der sozialen Verfassung in erster Linie an den grundbesitzenden Adel wendeten, aber diesen doch in seiner Gesamtheit zu gewinnen suchten. Da in dieser historischen Situation alle nicht rein materielle, über die Befriedung der leiblichen Bedürfnisse hinausgehende Kultur an das Christentum gebunden war, ist auf diesem Sektor die entscheidende Tat in der Schaffung kirchlich-religiöser Zentren zu sehen, in denen sich zuerst eine kontinuierlichere geistige Tätigkeit entfalten konnte. Solche Zentren waren zuerst die Klöster, besonders die von Bonifatius selbst oder doch während seiner Tätigkeit gegründeten; denn über die innere Situation der etwas älteren Klöster der Hedene auf dem Marienberg bei Würzburg und der Karolinger in Karlburg ist nichts auszumachen. Erst die Nonnenklöster zu Tauberbischofsheim, Kitzingen und Ochsenfurt haben eine erkennbare Rolle im geistigen Leben Frankens gespielt.1 An ihnen wird erstmalig die Teilnahme breiterer Kreise des Adels am religiösen Leben erkennbar, und sie vermitteln Religion und Bildung. Bonifatius selbst hatte, wie es in den angelsächsischen Klöstern üblich war, neben der theologischen auch eine Ausbildung in den Trivialfächem erhalten, war selbst Lehrer gewesen und hatte unter anderem eine grammatische Schrift verfaßt? Die angelsächsischen Traditionen wurden von ihm während seiner Tätigkeit in Deutschland weiter gepflegt. Zahlreiche seiner Briefe in sein Heimatland enthalten Bitten um Bücher, die Heiligen Schriften und Kommentare dazu, aber auch um die Werke Bedas,1 23 das Register Gregors des Großen und Libri cosmographorum.4*Es war eine der wichtigsten Aufgaben der Klöster, auch der Frauenklöster, diese Traditionen zu pflegen und einen Klerus aus den Reihen der Franken heranzubilden.’ Bedeutender noch waren die Männerklöster in Fritzlar, Hersfeld und Fulda. Seit der Zeit Karls des Großen übernahm Fulda unter Rhabanus Maurus vorwiegend zwar in den Formen der Rezeption, aber doch auch schon mit selbständigeren Leistungen auf dem Gebiet der GeschichtsSchreibung und Hagiographie durch Rudolf von Fulda,6 die geistige Führung nördlich des Main. Es lag zwar schon außerhalb des heutigen Franken, hatte aber doch zwisehen Mainz und Werra so zahlreiche Besitzungen, darunter auch die Klöster Holzkirchen, Thulba, Wenkheim, Milz, daß seine Wirkung auch auf Franken ausstrahlen 1 Zu den Klöstern im einzelnen Prinz (s. o. 14 Anm. 5). 2 Ars grammatica, ed. A. Mai (Classicorum auctorum e Vaticanis codicibus editorum tom. VII) 1835, 475-548; N. Fickermann, Der Widmungsbrief d. hl. Bonifatius (NA 50) 1935, 210-221; P. Lehmann, Ein neuentdecktes Werk eines angelsächs. Grammatikers vorkarolingischer Zeit (Erforsch, d. MA IV) 1961, 148 ff; Ders., Die Grammatik aus Aldhelms Kreise (ebd.); W. Levison, England and the Continent in the Eighth Century, 1946, 70 ff; Schieffer 103 ff.

3 Bonifatius, Briefe nrr. 30, 34, 35, 54, 63, 75, 76, 91, 116. 4 Ebd. nr. 124; vgl. auch Schieffer 224 f. ’ Vitae Bonifatii (s. o. 13 Anm. 6) 138; Μ. C. H. Talbot, The Anglo - Saxon Missionaries in Germany, London 1954. 6 WL 178; für Franken vor allem wichtig (Hammelburg!) die Translatio s. Alexandri (MG SS 2) 673-681; ed. B. Krusch (Nachrichten Göttingen) 1933, 405-437.

§11. Bildung und Wissenschaft, lateinische Literatur, geistige Strömungen (F.-J. Schmale) 115 mußte, wenn sie auch nicht im einzelnen deutlich wird.1 Besser erkennbar ist die Rolle des Klosters Fritzlar an der Person des zweiten Bischofs von Würzburg, Megingoz. Er war in Fritzlar ausgebildet worden und hatte schließlich selbst die Leitung der Klosterschule übernommen, bevor er auf den Würzburger Stuhl berufen wurde/ Wenn die drei Briefe, die unter seinem Namen in der Briefsammlung des Bonifatius erhalten sind, Bigendiktat sind, muß er eine gute sprachliche Bildung, Kenntnis der Heiligen Schrift und der patristisch-kanonistischen Tradition besessen haben.1 23 In der ersten Generation nach dem Eintreffen des Bonifatius lag naturgemäß die Initiative noch ganz bei den Angelsachsen; der angelsächsische Anstoß war für Franken das wichtigste Faktum der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts. Er war entscheidend für die Gründung der Bistümer, in erster Linie in Würzburg, die aber zugleich Entlassung dieses Teils Frankens in die Eigenständigkeit bedeutet. Nur Eichstätt blieb durch das lange Wirken seines ersten Bischofs Willibald (j787 ‫ )?־‬und seiner Geschwister Wunibald und Walburga in Heidenheim, dem zunächst einzigen Kloster der Diözese (Walburga f 779), noch länger unmittelbar an die Angelsachsen gebunden. Die in Heidenheim nach 778 entstandene Vita der Brüder Willibald und Wunibald, in der allerdings die Nachrichten über die Pilgerfahrt des Willibald in das Heilige Land besonders großen Raum einnehmen, ist noch von der angelsächsischen Nonne Hugeburc im Stil Aldhelms abgefaßt;4 aber diese Lebensbeschreibung ist doch das älteste erhaltene umfangreichere literarische Denkmal, das in Franken entstand und Einblick in die gelehrte Tätigkeit eines solchen Klosters gewährt. Würzburg dagegen gewann schneller eine selbständige Rolle, die jedoch weniger an literarischen Leistungen als an den Aufgaben erkennbar ist, die ihm die Politik der Karolinger und hier besonders die Karls des Großen stellte. Schon Bischof Burchard hatte entsprechend den Verhältnissen in England, wo mit den Bischofskirchen stets ein Kloster verbunden war, dessen Insassen das Domkapitel darstellten, auf der linken Mainseite gegenüber Würzburg ein mit der Kathedralkirche verbundenes Kloster der Heiligen Maria, Andreas und Magnus gegründet. Hier bemühte sich Burchard um den Aufbau einer Bibliothek besonders für den liturgisehen Gebrauch, aus deren Bestand noch einige Handschriften insularen Ursprungs erhalten sind.5 Es müssen aber auch schon aktuelle Aufzeichnungen vornehmlich urkundlicher Art über Schenkungen und Erwerbungen zum Beispiel des ImminaKlosters aufdem Marienberg angefertigt worden sein.6 Mit dem Kloster war eine Schule verbunden, die der Ausbildung des Klerus diente. Ihre Bedeutung wird besser erkennbar unter Burchards Nachfolger Megingoz, als das Bistum Würzburg von Karl den!

1 Zu den Klöstern auch Bosl, Franken passim; WL. 2 Bonifatius, Briefe 65 nr. 40. 3 Ebd. 267 ff. nr. 130; 272 t. nr. 134; 274 t nr. 136. 4 MG SS 15, 86-106; ed. A. Bauch, Biographien d. Gründungszeit (Quellen z. Gesch.

d. Diözese Eichstätt I) 1962, 22 ff. (Willibaldvita); MG SS 15, 106-117; ed. Bauch a. a. O. 134 ff. (Wynnebaldvita). Vgl. auch HB I 433, 435· 5 Bischoff-Hofmann (s. o. 114 Anm. 2) passim. 6 S. u. 136.

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Großen den Missionsauftrag in dem Sprengel des späteren sächsischen Bistums Paderbom erhielt. Sicher waren der in Paderborn tätige Würzburger Chorbischof und Nachfolger des Megingoz, Bernwelf,1 ebenso die gebürtigen Sachsen Hathumar und Badurad hier ausgebildet, die nach Bemwelfs Berufung auf den Würzburger Stuhl dessen Tätigkeit fortsetzten und die beiden ersten Paderborner Bischöfe wurden? Ähnliche Aufgaben übernahmen die mainfränkischen Klöster Amorbach und Neustadt, das erste eine rheinfränkische, grundherrliche Stiftung,1 23 das zweite eine Gründung des Bischofs Megingoz mit Hilfe des rheinfränkischen Grafen Hatto; beide waren zeitweise in Personalunion verbunden und betreuten den Missionssprengel des späteren Bistums Verden. Dessen erste Bischöfe waren zugleich Äbte von Amorbach.4 Solche Tätigkeit weist Würzburg, Amorbach und Neustadt als geistige Zentren von beachtlicher Leistungsfähigkeit aus, doch hat keines von ihnen eigene literarische Denkmäler hervorgebracht. In Würzburg hat es zwar ein Scriptorium gegeben, das die Bemühungen der Würzburger Bischöfe um die Vervollständigung der Bibliothek unterstützte. Unter diesen ragt durch die verhältnismäßig große Zahl von Nachrichten Humbert (833-842) hervor. Er stand in lebhaftem Verkehr mit Rhaban von Fulda, der ihm seine Schriften übersandte, und wechselte mit ihm zahlreiche Briefe.5 In einem derselben griff er sogar selbst zu Versen,6 so wie möglicherweise auch Rhaban ihm einige Gedichte gewidmet hat.7 Aber sonst hat man in Würzburg nicht zu eigener schöpferischer Arbeit gefunden, die sich literarisch niedergeschlagen hätte. Außer Hinweisen auf die Existenz von Totenrodeln8 und Nekrologen® und vereinzelten AufZeichnungen über die Gründungs- und Besitzgeschichte10 fehlt jede Spur von etwa Verlorenem. Die Bemühungen der sogenannten karolingischen Renaissance haben in Franken keine direkt erkennbaren Spuren hinterlassen, sieht man von der gegen Ende des Jahrhunderts eindringenden karolingischen Minuskel ab. Die historisch-hagiographischen Schriften, von denen wenigstens einige in Würzburg entstanden sein könnten und die für lange Zeit die einzigen literarischen Denkmäler bleiben, die Viten der Heiligen Kilian und Burchard, sind zu anspruchslos, als daß sie als Zeugen spezieller karolingischer Bildungsbestrebungen in Franken gewertet werden könnten. Die Passio sancti Kiliani liegt in zwei Versionen vor, in einer älteren Fassung und deren vielleicht nur wenig jüngeren Bearbeitung.11 Die Entstehungszcit der ersten ist noch 1 Unter Bemwelf scheint der angelsächsische Einfluß nachgelassen zu haben; Bemwelf hing offenbar der von Chrodegang von Metz ausgehenden Klerikcrreform an und scheint das Andreas-Kloster in ein Stift umgewandclt zu haben. Hierin dürfte die eigentliche Ursache für die von der jüngeren Burchardvita (s. u. 136) 46 berichteten Auseinandersetzungen mit Megingoz liegen. Zahlreiche Mönche sollen damals unter Mitnahme liturgischer Bücher und Geräte das Kloster verlassen haben und nach Neustadt gegangen sein. 2 S. o. 40 f. 3 H. Büttner, Amorbach u. d. Pirminus-

legende (AMK 5) 1953, 101 ff.; 700Jahre Stadt Amorbach, 1953. 4 Schöffel (s. o. 41 Anm. 3); über die Verbindung Neustadt-Würzburg jetzt vor allem Friese i ff. 5 MG Epp. 5, 439 ff., 523 ff. 6 Ebd. 439 nr. 26. 7 E. Dümmler, Hrabanstudien (SB Berlin 1898) 1, 35· 8 Bonifatius, Briefe 228 f. nr. 150. ’ Wendehorst I 28. 10 S. u. 136. 11 Passio Kiliani (s. o. 15 Anm. 1) 711-728; F. Emmerich, Der hl. Kilian, 1896, 3-10.

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strittig; früher meist in die erste Hälfte des neunten Jahrhunderts gesetzt,1 hat man sie jüngst mit der Erhebung der Gebeine des hl. Kilian im Jahre 788 in Zusammenhang gebracht, als ihren Verfasser den Abt Rato von St. Vaast vermutet und in ihr eine politische Propagandaschrift im Auftrag Karls des Großen gesehen, mit deren Hilfe das in der Passio noch heidnisch und in unkanonischen Eheverhältnissen lebende Herzogshaus, das den Tod des Heiligen verschuldet haben soll, abgewertet und die karolingische Herrschaft aufgewertet werden sollte.123Wäre das richtig - der Beweis hängt weitestgehend davon ab, ob man die möglichen, aber nicht direkt verifizierbaren allgemeinen politischen Vermutungen akzeptiert -, dann wäre diese Passio kaum ein Dokument literarischer Tätigkeit in Würzburg, sondern ein Stück politischer Literatur des karolingischen Hofes. Andererseits ist aber der frühere zeitliche Ansatz der Passio um 840/45 noch nicht widerlegt? Inhaltlich ist die Passio wenig wertvoll. Einzelne Züge, wie die angebliche Romreise Kilians, sind aus Anschauungen heraus, die nicht für das siebte Jahrhundert galten, frei erdichtet4 und erinnern ebenso wie die angegebene Ursache des Konflikts zwischen Kilian und dem Herzog Gozbald (= Theobald?) auffällig an die Vita Corbiniani des Arbeo von Freising.5 Sie spiegelt allenfalls die zur Zeit ihrer Entstehung gültige, aber doch sehr dürftige und bereits von legendenhaften Elementen umgeprägte Tradition wider. Mit größerer Wahrscheinlichkeit ist ein würzburgischer Anstoß für die jüngere Kilians-Passio und die ältere Lebensbeschreibung des hl. Burchard anzunehmen, die um die Mitte des neunten Jahrhunderts verfaßt wurden. Um diese Zeit regierte in Würzbürg Bischof Gozbald, Eigenkirchenherr von Ochsenfurt, Abt von Niederalteich, Chorbischof von Passau, Erzkaplan Ludwigs des Deutschen, Abt von Neustadt am Main, Verwandter des Bischofs Hariulf von Langres, des Gründers von Ellwangen. Ermenrich von Ellwangen6 bezeichnet Gozbald als seinen Lehrer - wohl in Anspielung auf die gemeinsame Tätigkeit in der Hofkapelle, der Ermenrich als Kaplan angehörte - und als einen überaus gelehrten Mann, dem er seine Vita Hariulfi zur Begutachtung schickte. Auf Gozbald darf vielleicht auch die Anregung zu der Neufassung der Kilians-Passio und zu der ersten Lebensbeschreibung des ersten Würzburger Bischofs zurückgeführt werden. Die Konsolidierung und Pflege der Bistumstradition würde gut zu dem Mann passen, der die Übertragung des Klosters Münsterschwarzach an Würzburg durchsetzte, in Anknüpfung an die ehemalige monastische Tradition seine Eigcnkirchc zu Ochsenfurt zu fördern suchte und 845 durch Ludwig den Deutschen die Bestätigung der Würzburger Privilegien erhielt,’ Schreiber aus Nieder1 WL 145. 2 Dienemann (s. o. 4 Anm. 1) 111 ff. 3 Vgl. auch o. 40. 4 Vgl. aber auch o. 25. 5 WL 144 f.; Repertorium fontium historiae medii aevi I ff, Romae 1962 ff, hier II 384. 6 W. Zeller, Der Ellwanger Mönch Ermenrieh u. sein Werk (Ellwanger Jb. 14) 1947/49, 19-26; Ders., Über d. Gründungszeit d. Klosters Ellwangen (ebd.) 27-30; Ders., Stammt

die «Lebensbeschreibung Hariolis» v. dem Mönch Ermenrich? (ebd. 17) 1955/57, 18-21; W. Schwarz, Die Schriften Ermenrichs v. Eilwangen (ZWLG 12) 1953, 181-190; (ebd. 15) 1956, 279 ff.; V. Burr, Ermenrich v. Ellwangen (Ellwanger Jb. 16) 1956, 19-31; B. Bischoff, Eine verschollene Einteilung d. Wissenschaften (Archivcs d’histoire doctrinale et Littcrairc du moyen äge 33) 1959. ’ S. o. 43.

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alteich nach Würzburg holte und für die Vervollständigung der Dombibliothek sorgte.1 Neues über Kilian weiß die jüngere Passio gegenüber der älteren nicht zu berichten; sie erschöpft12 sich in der Erweiterung des Vorgegebenen durch den Versuch, zuvor nur Angedeutetes oder nur ganz allgemein Ausgedrücktes zu konkretisieren, geht aber dabei gelegentlich so weit in die Irre, daß Falsches entsteht. Auch die Vita sancti Burchardi3 ist inhaltlich wenig wertvoll, manches ist falsch und anderes Stereotype Wiederholung üblicher hagiographischer Topik; die noch später in Würzburg vorhandenen Quellen zur Biographie Burchards wurden dagegen nicht benutzt. Beide Schriften sind das Werk ein und desselben, bisher anonym gebliebenen Autors, der aber nicht unbedingt in Würzburg zu suchen ist. Auffällig ist jedenfalls, daß die ältesten Überlieferungen St. Galier und Reichenauer Ursprungs sind, überhaupt die Masse der Handschriften dem bayerisch-alemannischen Raum angehört.4 Die Situation in dem anderen fränkischen Bistum Eichstätt ist in dieser Epoche noch weniger gut erkennbar, da ihm nicht die umfassenden Aufgaben gestellt wurden wie Würzburg. Deutlicher wird am Bischofssitz selbst aufgrund von erhaltenen HandSchriften lediglich die Sorge der Bischöfe um die Bibliothek.5 Insgesamt ist aber auch im Eichstätter Sprengel in der Epoche der Konsolidierung die Rückbesinnung auf die jeweiligen Anfänge ein allgemeineres Charakteristikum. Wie in vielen Klöstern und Bistümern damals Viten der Gründer - Pirmin, Lioba, Gallus, Kilian, Burchard entstanden, erhielt auch die Zelle Solnhofen bei Eichstätt eine Gründervita durch den aus Franken stammenden Ermenrich von Ellwangen. Sein Leben vollzog sich zwar außerhalb der heutigen politischen Grenzen Frankens, aber seine persönlichen BeZiehungen erklären hinreichend die Zusammenhänge.6 Seine Ausbildung hatte Ermenrich im Kloster Fulda bei Rudolf erhalten, Ende der dreißiger Jahre gehörte er dem Konvent von Ellwangen an, zehn Jahre später weilte er vorübergehend auf Anordnung seines Abtes Grimald von Ellwangen, St. Gallen und Weißenburg, Kanzler Ludwigs des Deutschen, in St. Gallen und in Reichenau bei Walahfrid Strabo. Hier erhielt er den Auftrag, den Walahfrid nicht mehr hatte ausführen können, das Leben des hl. Gallus zu besingen. Ebenfalls verfaßte er hier seine umfangreichste Schrift, die Epistola ad Grimaldum,7 in der er ohne rechten inneren Zusammenhang seine ganze, allerdings stupende Gelehrsamkeit auf den verschiedensten Wissensgebieten von der Grammatik und Dialektik bis zur Mathematik, Exegese und Dogmatik ausbreitete. Noch in Ellwangen hatte er zwei andere kleine Werke geschrieben, in einfacherer Sprache, aber ebenfalls nicht frei von gelehrtem Manierismus und selbstgefälliger Attitüde. Zwischen 845 und 855 entstand in Dialogform eine wenig Sachliches enthaltende Vita Hariulfi, des Gründers von Ellwangen, die er an Bischof Gozbald von

1 Bischoff-Hofmann (s. o. 114 Anm. 2) 18 ff., 170 ff. 2 Teilweise ed. W. Levison (MG SS rer. Mer. 5) 711ff.; vollständig bei Emmerich (s. ο. 116 Anm. 11) 11-25. 3 MG SS 15, 44-62; WL 177. 4 Gemeinsame Überlieferung mit den Wer-

ken Ermenrichs von Ellwangen könnten an diesen als Verfasser denken lassen. 5 Vgl. Heidingsfelder 19 nr. 36; 29 nr. 67; 45 nr. 118. 6 Vgl. o. 117 m. Anm. 6. 7 MG Epp. 5, 534579‫·־‬

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Würzburg sandte.1 Wenig früher war sein ältestes, inhaltlich ebenso anspruchsloses Werkchen entstanden, eine Vita des hl. Sualo oder Solus, des Gründers von Solnhofen (t 794) ·1 2 Sualo hatte seine Stiftung mit allem Zubehör an das Kloster Fulda übertragen, das hier im neunten Jahrhundert eine Propstei einrichtete. Nach 836 hatte diese Stelle der ehemalige Fuldaer Mönch und Kaplan Ludwigs des Deutschen Gunthram erhalten, und Gunthram hatte um 838/39 durch Bischof Altwin von Eichstätt die Erlaubnis bekommen, das Grab Sualos zu öffnen, d. h. dessen Gebeine zu erheben und ihn damit zu kanonisieren. Sicher im Zusammenhang damit bat er seinen Konfrater Ermenrich, die Taten des Sualo aufzuzeichnen und die Schrift an Rudolf von Fulda zur Korrektur zu schicken. In der erhaltenen Fassung besteht das Werkchen aus dem Widmungsbrief an Gunthram, dem Schreiben Gunthrams, Versen in zweihebigen Kurzzeilen (Metrum bipedale) an Rudolf, dem Brief an Rudolf mit der Bitte um Korrektur, der eigentlichen Vita und einem Akrostichon auf den Einsiedler Solus. Rund ein halbes Jahrhundert später gab in Eichstätt Bischof Erchambald, der ebenso fromm wie literarisch interessiert war, aber auch als Verwandter Kaiser Arnulfs eine bedeutende politische Rolle spielte, einen neuen Anstoß. Erchambalds Vorgänger Otger hatte 870/79 die Gebeine der Walburga erhoben und von Heidenheim nach Eichstätt übertragen lassen. Dabei waren die üblichen Wunder geschehen, und rasch entfaltete sich der Kult der Heiligen.3 Erchambald ließ 893 das Grab erneut öffnen und einen Teil der Gebeine in das Kloster Monheim überführen;4 gleichzeitig beauftragte er den Priester Wolfhard von Herrieden mit der Aufzeichnung der Wunder der Heiligen, um die Gläubigen zu erbauen und den Kult zu fördern. In vier Büchern löste Wolfhard diese Aufgabe und widmete das Werk Bischof Erchambald. Abgesehen von einem einleitenden Überblick über die Vita der Heiligen zu Beginn des ersten Buches werden in jedem der Bücher je zwölf Wunder dargestellt, das jüngste mit einiger Wahrscheinlichkeit datierbare (IV, 11) aus dem Jahre 896. Die Darstellung ist sachlich und enthält zahlreiche konkrete und verifizierbare Angaben zu Personen und Orten.5 Ebenfalls im Auftrag Erchambalds, den dabei die gleichen Zielsetzungen leiteten, verfaßte Wolfhard ein umfangreiches Martyrologium, die erste LegendenSammlung des Abendlandes.6 Als er dennoch später bei Erchambald in Ungnade fiel und in Gewahrsam genommen wurde, dichtete er ein Responsorium über das Leben der hl. Walburga,’ durch das er Freiheit und Gnade des Bischofs wiedererlangte. 1 MG SS 10, n-14; Μ. Beck, Quellenkrit. Studien z. Gesch. d. Abtei Ellwangen (StMBO 52) 1934, 73-117; H.Frank, Hariolf, der Gründer d. Abtei Ellwangen (ebd.) 252-254; O. Häcker, Die Entstehung d. Klosters Ellwangen (Ellwanger Jb. 12) 1935, 9-39; W. Schwarz, Studien z. ältesten Gesch. d. Benediktinerklosters Ellwangen (ZWLG 11) 1952, 7-38. 3 MG SS 15, 153-163; Heidingsfelder 9 f. nr. 7; die aus dem 9.Jh. stammende Legende des angeblichen Gründers u. 1. Abtes von Herrieden, Deodecar, jetzt bei Μ. Adamski (s. u. 126 Anm. 4).

3 Heidingsfelder 27 f. nr. 63. 4 Ebd. 33 f. nr. 76. 3 Miracula s. Walburgae (J. P. Migne, Patrologia latina 129) 867-890; Auszüge ed. O. Holder- Egger (MG SS 15) 538-55; kritische Edition fehlt. Vgl. auch VL IV 1057 f. 6 Kritische Edition fehlt, Teile bei B. Pez, Thesaurus anecdotorum novissimus VI 1, 90 bis 92; Pertz, Archiv d. Ges. f. ältere deutsche Geschichtskunde V, 1824, 559-565; vgl. H. Quentin, Les martyrologes historiques du moyen ige, Paris 19083, 675, 685. ’ MG SS 15, 533.

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Überliefert sind Wolfhards Werke nur im bayerisch-schwäbischen Raum, entsprechend der politischen Orientierung des Bistums in dieser Zeit. Die bisher genannten literarischen Zeugnisse aus Franken, alle ausschließlich hagiographischer Art, neben denen nur noch wenig Verlorenes anzunehmen ist, bleiben für sehr lange Zeit auch die einzigen. Eichstätt hat dabei den Vorrang vor dem reicheren und größeren Würzburg. Man möchte den Grund dafür in der größeren Nähe zu Schwaben und zu Bayern suchen. Gemessen an den erhaltenen Zeugnissen ist jedoch diese Blüte im Vergleich zu Schwaben und Bayern, sowohl was schöpferische Leistungen wie Bibliotheken angeht, höchst bescheiden. Sieht man auf Fulda an der Grenze Frankens, St. Gallen, Reichenau, St. Emmeram, Niederalteich, so scheint sich in Franken das völlige Fehlen wirklich bedeutender großer Klöster negativ auszuwirken. Dieser Mangel ist, von Bamberg und dem späteren Kloster Michelsbcrg einmal abgesehen, nie mehr beseitigt worden. Während in anderen Gebieten des Reiches die Ungarneinfälle am Ende der karolingischen und zu Beginn der sächsischen Zeit eine deutliche Zäsur im kulturellen Leben bedeuten, ist in Franken kaum zwischen einer karolingischen und einer ottonisch-salischen Epoche zu unterscheiden. Zwar waren die Würzburger Bischöfe und die Kräfte des Bistums durch Ludwigs des Deutschen und Arnulfs Ostpolitik stark beansprucht, die Babenberger Fehde brachte weitere Unruhe, und die Ungameinfälle zogen auch Franken in Mitleidenschaft, aber angestrengter Reichsdienst und örtliche Fehden haben zu anderer Zeit im Mittelalter Wissenschaft und Bildung nicht unmöglich gemacht, und die Ungarn haben in Franken nur vergleichsweise geringen Schaden angerichtet. Hierin können kaum die Gründe für die Armut an literarischem Niederschlag schöpferischer oder rezeptiver Tätigkeit liegen. Bei Licht besehen unterscheidet sich diese Zeit, die andernorts als Übergangsepoche erscheint, in Franken überhaupt nicht von der vorhergehenden, die ihrerseits keineswegs reicher gewesen ist. Die sichtbaren Leistungen Frankens sind insgesamt in der Karolingerzeit so gering, daß eine für sich genommen so vereinzelte Erscheinung wie Wolfhard geradezu unveränderte Kontinuität bezeugt. Wie nahtlos karolingische und ottonische Epoche ineinander übergehen, zeigt auch Bischof Starchand von Eichstätt (933-966), der Freund Ulrichs von Augsburg. Er sorgte für den weiteren Ausbau der Bibliothek und bemühte sich persönlich um die Ausgestaltung des Breviers, das er durch zahlreiche Orationen und vor allem dadurch erweiterte, daß er auch den einzelnen Wochentagen Vigilien gab, für die er selbst die Antiphonen und Responsorien dichtete.1 Bischof Reginold (966-991) war ein an Bildüng noch überlegener Nachfolger, der der griechischen und hebräischen Sprache mächtig und ein Musiker von Rang war. Ein Officium zum Fest des hl. Nikolaus, das noch im fünfzehnten Jahrhundert weit verbreitet war, soll ihm die Bischofswürde verschafft haben.1 2 Das Officium Reginolds ist der älteste Beleg für das Eindringen des 1 Heidingsfelder 45 nr. 118; Anonymus Haserensis, ed. L. Bethmann (MG SS 7) 1846, ‫צג‬7· 2Ebd.; P. Lehmann, Staindel-Funde (HZ ui) 30; Heidingsfelder 48 nr. 130. Nach

C. W Jones, The Saint Nicholas Liturgy and Its Literary Relationship, Berkely/Los Angeles 1963, soll die von Reginold verfaßte, auf der Vita des Johannes Diaconus beruhende sog. Historia s. Nicolai «die Entstehung der ersten

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Nikolaus-Kultes in Deutschland, der im Abendland bis dahin nur erst in Italien, durch unteritalienisch-griechische Vermittlung, verbreitet war. Reginold muß eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung der Nikolaus-Verehrung zugeschrieben werden; der morgenländische Heilige wurde bald Patron zahlreicher Kirchen in Süddeutschland. Die rheinischen Nikolauspatrozinien dürften dagegen eher auf Theophanos Einfluß zurückzuführen sein.1 Den Kult eines weiteren morgenländischen Heiligen förderte Reginold durch ein Officium zum Fest des hl. Blasius,2 der bis dahin nördlich der Alpen ebenfalls nur wenig verehrt wurde, aber vielleicht um 960 Patron des von einem Reginbert gegründeten Klosters St. Blasien im Schwarzwald geworden war.3 Außer einem weiteren Officium zu Ehren des hl. Wunibald ist sein interessantestes liturgisches Werk ein Officium auf Willibald aus Anlaß der Übertragung der Gebeine des Heiligen in die neue (West-) Krypta des Domes. Um die verschiedenen Länder zu kennzeichnen, in die Willibald auf seiner Pilgerfahrt ins Heilige Land gekommen war, fügte Reginold den ungewöhnlich langen Responsorien der Terz, Sext und Non noch Sequenzen in lateinischer, griechischer und hebräischer Sprache an, deren Melodien er selbst komponierte.4 In Eichstätt sind die gelehrten Bischöfe lebendige Zeugen für die ungebrochene Kontinuität literarischen Bemühens auf dem Gebiet der Hagiographie und Liturgie von der Karolingerzeit bis in die ottonische Epoche hinein. Doch deutet sich dabei in der Übernahme bisher hauptsächlich in Italien verbreiteter Kulte (Nikolaus, Blasius) eine Bereicherung an, die das geistige Leben, wie überall in Deutschland, so auch in Franken durch das Ausgreifen der ottonischen Politik über die Alpen hinweg erfuhr. Deutlicher wird das noch in Würzburg, das überhaupt erst jetzt einen Ruf als Bildungszentrum gewonnen zu haben scheint. Der Aufschwung der Würzburger Domschule ist durch von außen kommende Anstoße bedingt. Politisch ist sic mit der engen Bindung des Bistums an die ottonische Politik verknüpft, die 941 Ottos I. Verwandten Poppo auf den Bischofsstuhl von Würzburg brachte. Wahrscheinlich war cs Otto, der Poppo noch vor 956 veranlaßte, den in Pavia als Lehrer tätigen Stephan von Novara, von wo wenige Jahre zuvor auf Drängen Ottos bereits der gelehrte Gunzo über die Alpen gekommen war, nach Würzburg zu holen. Es ist schwer, sich von Stephans Gelehrsamkeit ein genaueres Bild zu machen, denn außer zwei Epitaphien und einem Gedicht hat er nichts Eigenes hinterlassen, an sonstigen Nachrichten über ihn besitzen wir nur einige Stellen in Otlohs Leben des hl. Wolfgang.5 Otloh berichtet, wie Poppos Bruder Heinrich, der spätere Erzbischof von Trier (956-964), und der spätere Bischof Wolfgang von Regensburg, die in Reichenau die Schule besuchten, um Stephans willen nach Würzburg gingen, um dort ihre Studien fortzusetzen. Stephan hat fast zwanzig Jahre in WürzNikolausspielc in Hildesheim» bzw. Niederalteich unter Godehard veranlaßt haben. « LThK VII 994 f· (Lit.). 2 Heidingsfelder 48 nr. 130. 3 LThK IX 135 f- (Lit.). 4 Ms. Trier Dombibi. F. 5, bisher nicht ediert. Nach Heidingsfelder 48 nr. 130 wäre das in derselben Handschrift überlieferte Wyn-

ncbaldofficium das Reginolds. Vielleicht ist bercits wenig später die sog. 3. Vita s. Willibaldi (MG SS 15,90-106) entstanden; vgl. Μ. Coens (Analecta Bollandiana 59) 1941, 332; J. Szöv£rffy, Die Annalen d. lat. Hymncndichtung I, 1964, 336 £. 5 Otloh, Vita Wolfkangi, ed. G. Waitz (MG SS 4) 1841, 528; WH I, 7, 215.

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bürg gewirkt; wahrscheinlich ist er im Jahre 970 unter Zurücklassung seiner Bücher und eines auf den 16. Juli 970 datierten Abschiedsgedichtes1 nach Novara zurückgekehrt. Objektiven Niederschlag, an dem die tatsächliche Leistung abzulesen wäre, hat die Würzburger Schule trotz Stephan von Novara aber auf Jahrzehnte hinaus nicht gefunden. Wenn Heinrich von Trier von Reichenau nach Würzburg ging, dürfte ihn dazu auch der Umstand bestimmt haben, daß sein Bruder Poppo dort Bischof war. Als Bischöfe haben sich Heinrich und Wolfgang nicht in erster Linie durch die Gelehrsamkeit, sondern durch ihre kirchliche Reformtätigkeit ausgezeichnet, zu der sie aber im damaligen Würzburg kaum einen Anstoß erhalten konnten. Die Reformbewegung, die von Lothringen her in das Reich eindrang, deren Fortschritte aber völlig von der persönlichen Einstellung der Eigenkirchenherren, König und Bischöfe in erster Linie, abhingen, fand im Würzburger Sprengel allem Anschein nach erst mit BischofHugo (983-990) Eingang. Hugo reformierte das längst darniederliegende und vielleicht schon von Bischof Bemwelf in ein Kanonikerstift umgewandelte Andreas-Kloster, indem er es wieder Mönchen übergab, mit Besitz, Geräten und Büchern ausstattete und am 14. Oktober 986 die Gebeine des hl. Burchard dorthin überführte, der jetzt zum neuen Patron des Klosters wurde.12*4 Die Reformbestrebungen gewannen unter dem folgenden Bischof Bernward offensichtlich an Intensität; denn wenn Bernward die Übertragung auch der letzten Klöster in seinem Sprengel - darunter so alte und ehemals bedeutende wie Neustadt, Amorbach, Münsterschwarzach’ - an das Bistum erreichte, zum Teil mit Hilfe von Fälschungen, die sie als ehemals würzburgisches Eigentum «erwiesen», so bedeutete das zunächst einmal Vermehrung der bischöflichen Macht, aber den Gewinn der Jurisdiktionsgewalt nutzte Bernward doch zur Durchsetzung der Reform. * Wenigstens Amorbach ist um 990 durch eine Reform von Lorsch aus an die lothringische Bewegung angeschlossen worden.5 Weniger für Bernwards Bildungsstand als für seine Reformgesinnung zeugt es, daß ihm der Priester und Mönch Theoderich von Fleury6 Libelli de consuetudinibus et statutis monasterii Floriacensis duo7 übersandte. Theoderich hat während eines reichen Wanderlebens mit häufiger Abwesenheit von Fleury unter anderem nach 1002 in Rom im Auftrag der Kanoniker von St. Peter ein Leben des Papstes Martin geschrieben; in Rom entstanden außerdem eine Predigt über die vierzig Märtyrer, eine Passio des hl. Anthimius und seiner Genossen, eine Translatio des Hauptes des hl. Damianus nach Rom und eine Passio Tryphonis et Respicii. Bei einem Besuch in Monte Cassino schrieb er auf Bitten der Mönche das Leben des hl. Firminus neu. Nach 1010 hat er sich bis wenigstens nach 1018 in Amor1 MG Poetae V 555; Bischoff-Hofmann (s. o. 113 Anm. 2) 114 Anm. 8$. 2 Wendehorst I 69. 5 Ders., Die Anfänge d. Klosters Münsterschwarzach (ZBLG 24) 1961, 163-173; DO. III 140. 4 Vgl. Wendehorst I 73 (Lit.). 5 Halunger (s. o. 113) 199 ff.; 700 Jahre Amorbach, 1953, 35.

6 WH I 205, 215, 309, 329; Manitius (s. o. 113) II 449455‫·־‬ 7 Trithemius, Annales Hirsaug. 134. Das Werk selbst ist nicht erhalten, vgl. A. Poncelet, La vie et les oeuvres de Thierry de Fleury (Analecta Bollandiana 27) 1908, 5-27.

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bach niedergelassen. Seine Schrift für Bernward dürfte also mit der Reform in Amorbach Zusammenhängen und Bernward müßte Beziehungen zu Fleury besessen haben, das eine Mittlerstellung zwischen Cluny und der lothringischen Reform einnahm.1 Auch in Amorbach ist Theoderich noch literarisch tätig gewesen. Auf Veranlassung des Abtes Richard von Amorbach1 2*schrieb er hier eine Illatio sancti Benedicti über die Übertragung der Gebeine des hl. Benedikt nach Fleury.’ Als Richard Abt von Fulda geworden war (1018), widmete Theoderich ihm einen Kommentar zu den Katholischen Briefen.4 Dieses Werk ist nicht eigentlich exegetischer Natur, sondern behandelt die Unsitten der eigenen Zeit; es ist eine die moralische Besserung des Mönchtums intendierende Schrift, die aber auch die anderen Stände und Schichten nicht verschont. Selbstverständlich war Amorbach durch Theoderich noch keine Stätte der Gelehrsamkeit. Theoderich war nur ein Gast, der hier seine gewohnte schriftstellerisehe Tätigkeit fortsetzte. Die Reform scheint in Franken überhaupt nicht zu einer nennenswerten Belebung wissenschaftlicher Bestrebungen geführt zu haben. Man kann Amorbach nur als moralisch-religiöses Reformzentrum ansprechen, denn von hier aus strahlte die Mönchsreform auf weitere Klöster aus.5 Abt Richard von Amorbach wirkte 1015 bei der Erneuerung des klösterlichen Lebens in Schlüchtern mit,6 1018 berief ihn Kaiser Heinrich II. aus Gründen der Reform nach Fulda. Aus Amorbach kamen auch die ersten Mönche und der erste Abt des 1015 gegründeten Klosters auf dem Michelsberg bei Bamberg.7 Aber in all diesen Fällen läßt sich nur die Tatsache der Reform feststellen, von ihrer konkreten Wirkung ist kaum etwas zu sagen. Deutlicher wird nur die Rolle der Reform für die Baukunst; denn viele der erneuerten Klöster haben damals auch neue Kirchen errichtet. Der Beitrag Amorbachs zur Erneuerung des Mönchtums fällt zur Hauptsache in die Regierungszeit des Bischofs Heinrieh von Würzburg; dennoch richtete sich seine ganz persönliche Initiative eher auf 1 Vgl. Hallinger (s. o. 113) passim; LThK IV 167 (Lit.). 2 Über Richard Hallinger 200. ’ Unvollständig ed. I. a Bosco, Floriacensis vetus bibliotheca I, Lugduni 1605, 219-229; I. Mabillon, AASS OSB IV 2, 350-355; E. Dümmler, Über Leben u. Schriften d. Mönches Theoderich (v. Amorbach) (Abh. Berlin 1894) 26 ff. 4 Nur Teile bei Dümmler (s. Anm. 3) 28 bis 38. 5 Ob es einen heute verlorenen Text eines «Ordo Amerbacensium» gegeben hat, wie R. Kengel (700 Jahre Amorbach, 1953) 90 gemeint hat, ist unsicher; die beiden einzigen Stellen in Ebos Vita Ottos II. (Jatf£ V 609, 620) setzen das nicht zwingend voraus. 6 Wendehorst I 85; LThK IX 421. 7 Diese Frage ist heute strittig. Nach Halunger (s. o. 113) 336, 345 f. kamen die Michelsberger Mönche aus Amorbach, später glaubte Hallinger, Junggorzer Reformbräuche aus St.

Stephan in Würzburg (WDGB11. 25) 1963, 93-112, an eine Belegung des Michelsberges durch Münsterschwarzach. W. Brandmüller dagegen (Stud. z. Frühgesch. d. Abtei Michelsberg. Mit Abdruck d. Kalendare aus d. HandSchriften Bamberg Lit. 1 u. Karlsruhe 504, BHVB 100, 1964, 94-135) glaubte aus den Heiligen der Michelsberger Kalendarien auf Besetzung von Fulda aus, allenfalls unter Amorbacher Beteiligung, und nach 1018, nicht 1015, wie Frutolf zu 1015 berichtet, schließen zu müssen. Ich halte die Michelsberger Tradition (Frutolf, Ebo) nach wie vor für entscheidend. Da Richard Abt von Amorbach und Fulda war, scheint es durchaus erklärlich, daß aus der kulturell überlegenen Abtei Fulda liturgische Bücher nach Michelsberg kamen und vielleicht auch Fuldaer Mönche. Die Quellen sind im übrigen so spärlich, daß sich Einzelheiten des Gründungsvorganges unserer Kenntnis entziehen.

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die Gründung von Klerikerstiften, von denen zwei - Stift Haug und St.Stephan - unmittelbar vor den Toren der Bischofsstadt entstanden1, ein drittes in Ansbach.» Sie folgten allerdings noch der alten Chrodcgangrcgel und waren noch kaum von der sich bald entfaltenden Klerikerreform berührt.3 Von der Würzburger Schule hört man in dieser Zeit nichts. Daß Bischof Heinrich einem aus Fulda stammenden Evangeliar der Dombibliothek einen neuen Einband mit Elfenbeinschnitzereien geben ließ4 und aus Fulda ein Sakramentar leihweise erhielt, das dann nach Vercelli gelangte,5 kann kaum als Beweis für gelehrte und literarische Interessen gelten. Sie sind erst wieder bei seinem Nachfolger Meginhard sichtbar, der gegen Ende der zwanziger Jahre den bereits als Kalligraphen bekannten Otloh, späteren Mönch von St. Emmeram, zwecks Anfertigung von Handschriften nach Würzburg holte.6 Die Würzburger Domschule stand damals unter dem Magister Pemolf, der wahrscheinlich am Rhein oder in Frankreich seine Ausbildung erhalten hatte, ganz sicher aber nicht aus der Würzburger Schule hervorgegangen war. Denn Bischof Heribert von Eichstätt (1022-1042), der in Würzburg bei Pemolf studiert hatte, äußerte sich bei seinem Amtsantritt in Eichstätt über die dortige Domschule und ihren Lehrer Gunderam gerade deshalb sehr abfällig, weil Gunderam nicht in Frankreich oder am Rhein, sondern nur in Eichstätt die Schule besucht hatte. Heribert soll deshalb sogar Gunderams Absetzung beabsichtigt und davon erst Abstand genommen haben, als Pemolf bei einem Besuch in Eichstätt ein positives Votum über den Eichstätter Scholaster abgab.7 Einen konkreten Einblick in die Bildungssituation Würzburgs um diese Zeit vermittelt der exercitii causa vor 1030 in Briefform geführte gelehrte Streit zwischen der Wormser und der Würzburger Domschule, an dem sich die Scholaster, Domherren und Schüler beteiligten.8 Die Stücke sind in Worms aufgründ von Originalen, Abschriften und Konzepten zu der sogenannten älteren Wormser Briefsammlung zusammengestellt worden. Das Material dokumentiert beiderseits eine solide, aber jedes ungewöhnlichen Gedankens bare, auf Kenntnis der üblichen antiken Schulautoren beruhende grammatisch-rhetorische und rein formale Bildung. Worms fühlte sich entschieden überlegen und scheint in einem allerdings nicht erhaltenen Gedicht in etwas gehässiger Weise Würzburg herabgesetzt zu haben, so daß sich ein damals in Würzburg weilender Tegemseer Mönch - wahrscheinlich Abt Ellinger - veranlaßt sah, in einem umfangreicheren Gedicht Würzburg zu vertei1 Wendehorst I 85 f. Das Stift wurde 1057/ 58 in ein Kloster umgewandelt und von Münsterschwarzach aus besiedelt; vgl. Hallinger, Junggorzer Reformbräuche (s. o. 123 Anm. 7). 2 Wendehorst I 86; A. Bayer, St. Gumberts Kloster u. Stift in Ansbach, 1948. 3 Die Klerikerreform hat überhaupt kaum Eingang in Franken gefunden; lediglich in Triefenstein gründete um 1088 (?) der Würzburger Kanoniker Gerung, ein Anhänger Adalberos, mit Billigung Bischofs Emehard ein Stift nach der Augustinerregel; vgl. Wendehorst I 121 f.

4 Bischoff-Hofmann (s. o. 113 Anm. 2) 68 Anm. 23, 118; in ihm sind die Würzburger Markbeschreibungen überliefert (E. v. Steinmeyer, Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler, 19631 2, 24). 5 WH I 202; Wendehorst I 87. 6 Othloni liber visionum (MG SS 11) 379. 7 Anonymus Haserensis (MG SS 7) 621; vgl. auch unten 126. 8 Die ältere Wormser Briefsammlung, ed. W. Bulst (MG Briefe d. dt. Kaiserzeit 3) 1949.

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digen: Alle geistig Gebrechlichen werden eingeladen, in Würzburg Heilung zu suchen; mit zahlreichen Vergleichen wird Würzburgs Überlegenheit über Worms darzutun versucht und die miserable Verskunst der Wormser bloßgestellt; Sachsen, Bayern, Schwaben und selbst die himmlischen Heerscharen würden Würzburg in seinem Kampf beistehen.1 Das Gedicht ist in erster Linie ein Dokument für Ellinger, nicht für die Leistung der Würzburger Schule. Ellinger hat während seines Würzburger Aufenthalts noch zwei weitere Gedichte auf Kaiser Heinrich II. (nach 1022?) geschrieben. In seiner Apologie für die Würzburger Schule hat er auch Bischof Meginhard als Dichter gerühmt, doch ist darüber sonst nichts bekannt. Damit brechen die Nachrichten über die Würzburger Schule ab. Nachdem inzwisehen auch noch nachgewiesen ist, daß die Meginhards Nachfolger Bruno zugeschriebenen exegetischen Werke teils Schriften Alkuins sind, teils erst dem zwölften Jahrhundert angehören,12 scheint Würzburg nach 1030 jegliche Bedeutung als wenigstens zeitweise überregionales Bildungszentrum verloren zu haben. Rückblickend erweist sich die schöpferisch-literarische Leistung - sieht man einmal von der selbstverständliehen Ausbildung des Diözesanklerus ab - als gering. Keiner der hier wirkenden Bischöfe oder Scholaster hat eine kontinuierliche, zu sichtbaren Ergebnissen führende Tradition begründen können, mag auch der Mangel an Quellen das Fazit negativer erscheinen lassen, als cs vielleicht tatsächlich war. Der literarische Beitrag Würzburgs beschränkt sich auf zwei, höchstens drei hagiographische Werke aus der Mitte des neunten Jahrhunderts. Daneben kann allenfalls noch das Werk des Rheinfranken Heribert von Eichstätt für Würzburg und den dort erreichbaren Ausbildungsstand sprechen. Allerdings verrät sein Werk zugleich eine ausgesprochen persönliche Begabung, die nicht allein auf die Wirkung der Schulbildung zurückgeführt werden kann und die auch bei seinem Verwandten Williram von Ebersberg durchschlägt. Heribert war einer der vortrefflichsten Dichter seiner Zeit. Neben sechs weitverbreiteten Hymnen von dichterischer Kraft3 hat er noch fünf Orationen auf Maria und zwei weitere Gesänge geschrieben, die leider nicht erhalten sind.4 Sein Nachfolger Gebhard war kaum weniger gelehrt, vorzüglich auf dem Gebiet des Rechts, hat sich aber selbst nicht literarisch betätigt.5 Eichstätts Leistung hatte unter den bisherigen Bischöfen und durch deren persönliche Beteiligung auf dem Gebiet der Liturgie und Hagiographie gelegen; Gebhards Nachfolger Gundekar II. (1057-1075), in Eichstätt erzogen, setzte diese Tradition durch ein Werk fort, das im mittelalterlichen Deutschland seinesgleichen sucht: durch den Liber pontificalis Eichstetensis, der auf Gundekars Geheiß in der Eichstätter Schreibschule entstand. Die Prachthandschrift diente vornehmlich liturgischen Zwecken, enthält aber auch eine Liste der Eichstätter Bischöfe mit Miniaturen und kurzen 1 Die Tegernseer Briefsammlung, ed. K. Strecker (MG Epp. sei. 3) 1925, 125 ff.; HB I 452 f. (Lit.). 2 Wendehorst I 98. 3 G. Μ. Dreves, Analecta Hymnica 50, 1907, 290-296; zu dem Vesperhymnus von Allerheiligen vgl. auch Hallinger, Junggorzer Re-

formbräuche (s. o. 123 Anm. 7) 99 ff.; Szöv£rffy (s. ο. 121 Anm. 4) 369 f. 4 Anonymus Haserensis (s. o. 124 Anm. 7) 261; Heidingsfelder 63 f. nr. 175; V. Schupp (Mittellat. Jb. 5) 1968, 29-41 sieht in H. auch den Verf. d. «Modus Licbinc». 5 Anonymus Haserensis 263 ff.

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historischen Nachrichten in Versform bis auf Gundekar, die allerdings kaum mehr als ein erweiterter Bischofskatalog sind; in das Pontifikale ist auch ein Sermo synodalis Gundekars eingetragen. Am Ende des zwölften Jahrhunderts wurde die Arbeit an diesem Buch erneut aufgenommen und durch Bischofsviten immer wieder bis zum Jahre 1697 fortgesetzt.1 Das Pontifikale Gundekars ist eine Leistung in erster Linie der Eichstätter Schreibschule, für die noch ein zweites für Gundekar angefertigtes Werk zeugt, das zugleich seine eigenen Intentionen erläutert: eine Handschrift des Decretum des Burchard von Worms.12*Sie enthält auch das sogenannte Sendrecht der Main- und Rednitzwenden, doch ist dieses Sendrecht nicht Eichstätter Ursprungs, sondern der Beschluß einer Würzburger Diözesansynode aus der Zeit vor dem Jahre 939? Einer der engsten Mitarbeiter Gundekars war der leider namenlos gebliebene sögenannte Anonymus Haserensis, ein Eichstätter Kanoniker, der Herrieden als seine Heimat angibt und daher in diesem Kloster ausgebildet worden sein dürfte, ein Verwandter des Bischofs Woffo von Merseburg (1055-1058). Nach Gundekars Tod begann der Anonymus ein größeres Geschichtswerk in mehreren Büchern, von denen eines über die Kaiserin Agnes handelte, deren Kaplan Bischof Gundekar vor seiner Erhebung gewesen war, ein zweites das Leben Gundekars beschreiben sollte. Erhalten ist lediglieh der Anfang des Gundekar-Buches, das die Geschichte von Gundekars Vorgängern und einigen Personen, die mit diesem in Beziehung standen, behandelt; mit dem Jahre 1058 bricht das Fragment ab.4 Der Verlust dieses ersten größeren Ceschichtswerkes, das überhaupt in Franken entstand, zugleich die einzige Geschichte der Bischöfe eines fränkischen Bistums aus dem früheren Mittelalter, ist um so mehr zu bedauern, als die erhaltenen Teile durchweg von guter Zuverlässigkeit sind und das Bemühen uni historische Wahrheit erkennen lassen; der Verfasser muß unter anderem auch die in Eichstätt vorhandene archivalische Überlieferung herangezogen haben. In den gegen Ende von Gundekars Amtszeit schon sich deutlicher abzeichnenden AuseinanderSetzungen zwischen dem Papsttum und dem Königtum nimmt der Anonymus eindeutig und mit scharfen Worten gegen Gregor VII. Stellung. Mit diesem Werk scheint aber auch in Eichstätt die gelehrte Tradition abzubrechen, ebenso wie schon Jahrzehnte zuvor in Würzburg. Um diese Zeit waren beide Bistümer als Zentren gelehrter Studien bereits von Bamberg abgelöst und weit übertroffen. 1 Auszüge: MG SS 7, 242-253; J. G. SurrTabula Leonrodiana Eystettensis explicata et illustrata (Festschr. F. L. von Lconrod) 1867; MG SS 25, 591-609; A. Hirschmann (Analecta Bollandiana 17) 1898, 395-401; eine kritische Gesamtausgabe fehlt; Faksimile bei A. Chroust, Monumenta palaeographica I. Ser. Liefg. 22, Tafel 5-9. 2 Heidingsfelder 77 nr. 219; O. Meyer, Überlieferung u. Verbreitung d. Dekrets d. Bischofs Burchard v. Worms (ZRG KA 24) 1935· ner,

3 MG LL 3, 486; Heidingsfelder 77 nr. 219. 4 De episcopis Eichstetensibus (MG SS 7) 254-267; WH II 474. Μ. Adamski, Herrieden, Kloster, Stift u. Stadt im MA (Sehr. d. Inst. f. frank. Landesforsch, an d. Univ. Erlangen, Hist. R. 5) 1954, 53 ff. möchte den Anonymus mit dem Propst und Archidiakon Heysso identifixieren; E. Μ. Werner, Anonymus Haserensis v. Eichstätt. Studien z. Biographie im Hochmittelalter, Diss. München 1966 denkt dagegen eher an Bischof Udalrich von Eichstätt. Völlig überzeugend ist keine der Identifikationen.

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b) Die Bamberger Domschule und das Kloster Michelsberg. Erstaunlich schnell entfaltete sich in der Gründung Heinrichs II. auch das geistige Leben, der Ruf der Bamberger Domschule überflügelte bald den aller anderen Bildungsstätten im Deutschen Reich. Die junge Stiftung erhielt von Heinrich zahlreiche Handschriften aus eigenem Besitz und dem seines Vorgängers Otto III. Darunter befanden sich auch Codices italienisehen Ursprungs und unter diesen wiederum viele mit Profanliteratur der Antike und auch solche historischen Inhalts.1 Damit war nicht nur eine entscheidende VorausSetzung für jegliche gelehrte Tätigkeit gegeben, und zwar von allem Anfang an in einem Umfang und einer Vollständigkeit, wie sie nur noch an wenigen Stellen im Reich möglich war, vielmehr scheinen damit zugleich auch die besondere Richtung der Bamberger Schule bestimmt und ihre charakteristischen Leistungen ermöglicht worden zu sein: Aufnahme des antiken Bildungsgutes, Ausrichtung der Sprache auch an selteneren lateinischen Schriftstellern und wissenschaftliche Geschichtsschreibung kennzeichnen das Besondere der literarischen Produktion Bambergs. Heinrich II. steht noch in anderer Hinsicht am Anfang der Geschichte Bambergs als eines kulturellen Zentrums. In ein Evangeliar für den Herrscher wurden um 1012 zwölf Verse eingetragen,12*und der Diakon Bebo schrieb zwei Briefe, die er für Heinrieh II. bestimmten, in Bamberg angefertigten Codices mit dem Isaias-Kommentar des Hieronymus und Gregors des Großen Moralia beifügte ;‫ נ‬in dem umfangreicheren ersten Brief gab Bebo unter anderem eine Schilderung des Besuchs Papst Benedikts VIII. in Bamberg. Beide Stücke sind stilistisch durch biblische Sprache und konsequente Anwendung der Reimprosa gekennzeichnet. Von entscheidender Bedeutung war auch Heinrichs Bemühung um einen geeigneten Leiter der Bamberger Domschule. Diese Aufgabe wurde schließlich Durand, einem gelehrten Kleriker aus Lüttich, wahrscheinlich Schüler Egberts von Lüttich, übertragen.4 Schon seit langem besaß Lüttich eine der berühmtesten und glänzendsten Schulen, wo auch ein Rather von Verona ausgebildet worden war. Die Verbindung mit Lüttich erscheint auch später noch mehrfach5 und läßt sich auch an Handschriften der Bamberger Bibliothek nachweisen. 1 Leitschuh-Fischer, Katalog d. Handschriften d. königl. Bibliothek in Bamberg, 3 Bde., 1895 ff.; Mittelalterl. Bibliothekskataloge (s. u. 537 Anm. 4) 321 ff; H. Fischer, Die königl. Bibliothek in Bamberg u. ihre Handschriften (Zentralbl. f. Bibi.wesen 24) 1907, 364 ff.; WH I 216; C. Erdmann, Studien z. Briefliteratur Deutschlands im n.Jh. (MG Schriften 1) 1938, passim; Fauser-Gerstner, Jubiläumsausstellung d. Staat!. Bibliothek Bamberg z. Feier ihres 150jähr. Bestehens, 1953; T. Struve, Lampert v. Hersfeld (Hess. Jb. f. LG 19) 1969, 25 ff. 2Jaffe V 482 f. - Von Bambergs Ruhm spricht auch Gerhard von Seeon in seinem Carmen in laudem Bambergensis civitatis, hg. in MG Poetae 5, 397 und von O. Meyer, Kaiser Heinrichs Bamberg-Idee im Preislied des

Gerhard v. Seeon (Fränk. Bll. 3) 1951, 75 ff. Vgl. dazu auch R. Bauerreiss, Seeon in Oberbayem, eine bayer. Malschule d. beginnenden n.Jhs. (StMBO 50) 1932, 529-555 passim; R. Klauser, Der Heinrichs- u. Kunigundenkult im mittelalterl. Bistum Bamberg (Festgabe d. HVB) 1957, 75-78. 5 Jaffe V 484-496; die Verse ed. K. Strecker (MG Poetae 5) 399; dazu Bauerreiss (s. o. Anm. 2). 4 WH I 144 f.; v. Guttenberg, Reg. 25 nr. 36 a. Zu der Verbindung Bamberg-Lüttich vgl. auch Annalista Saxo (MG SS 6) 686 und u. 129. 5 v. Guttenberg, Reg. 135 f. nr. 294; 128 nr. 279; Erdmann, Studien (s. o. Anm. 1) passim.

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Noch unter Bischof Hermann erinnerte man sich, daß die Grundlagen der Bamberger Religiosität durch hervorragende Männer der Lütticher Kirche gelegt worden waren.1 Die Wirkung des Durandus ist nicht unmittelbar nachweisbar, der konkrete Einfluß der Lütticher Schule auf die bambergische überhaupt noch nicht untersucht. Durand wurde schon 1021 Bischof von Lüttich, sein wahrscheinlich erster Nachfolger in Bamberg war ein Rökier, der um 1024 (?) einmal als Urkundenzeuge genannt ist.12 Auf ihn folgte eine Reihe bedeutender Lehrer, deren Chronologie allerdings nicht eindeutig feststeht. Vor seiner Ernennung zum Propst von SS. Simon und Judas in Goslar (1054) leitete der spätere Kölner Erzbischof Anno, der auch in Bamberg seine Ausbildung erhalten hatte, die Bamberger Domschule;3 ihm vorangegangen war Egilbert, 1055-1080 Bischof von Minden;4*vor diesem versah möglicherweise Williram von Ebersberg das Amt des Domscholasters,3 obgleich die Nachrichten über ihn -Babenbergensis scholasticus Fuldensis monachus in der Breslauer Handschrift; frater noster in Nekrologien des Bamberger Michael-Klosters - sich nicht völlig vereinbaren lassen.6 Es muß offenbleiben, ob Willirams bedeutendstes Werk, das er als Abt von Ebersberg (1048-1085) schrieb, die Paraphrase zum Hohen Lied, in einen konkreten Zusammenhang mit seiner Bamberger Tätigkeit oder der Bamberger Schultradition gebracht werden kann.7 Das gilt ebenso von seinen Gedichten, der Grabschrift für seinen Verwandten Heribert von Eichstätt und von seiner eigenen Grabschrift. Jedenfalls hatte die Bamberger Domschule in ihm einen in den Artes und der Exegese trefflieh gebildeten Lehrer. Darüber hinaus zeigt sein Hauptwerk mit der Paraphrase in deutsch-lateinischer Mischprosa eine Eigentümlichkeit, die zwar nicht einseitig für Bamberg in Anspruch genommen werden kann, da mit dem elften Jahrhundert deutschsprachige Literatur allgemein wieder an Boden gewinnt, die aber doch in einen anscheinend charakteristischen Zug der Bamberger Schule in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts hineinpaßt, so daß die Anregung durch Williram nicht völlig ausgeschlossen erscheint; darauf ist noch kurz zurückzukommen. Besser erkennbar in ihren Leistungen wird die Domschule seit Anno von Köln. Um 1050 nennt Anselm von Besäte die Urbs nova Babenberc, sed non rudis artis et expers8, und unter Anno oder doch etwa in dieser Zeit haben zwei der bedeutendsten deutschen Historiker des elften Jahrhunderts, beide gebürtige Franken, die Bamberger Schule besucht: Lampert von Hersfeld’ und Adam von Bremen.10 Ihre Werke haben 1 v. Guttenberg, Reg. 208 nr. 413. 2 Ebd. 25 nr. 36 a; 84 nr. 181; MG Neer. 4,789. 3 v. Guttenberg, Reg. 100 nr. 219; 110 nr. 244; 120nr. 266; R.KLAUSER.BambergerÜberlieferungen um Erzbischof Anno v. Köln (JffL 15) 1955, 243-254; zu den Beziehungen des Anno-Liedes zu Bamberg vgl. E. Ploss, Bamberg u. d. deutsche Lit. d. 11. u. 12. Jhs. (JffL 19) 1959, 287 f. 4 v. Guttenberg, Reg. 100 nr. 219. 3 Ebd. 6 Erdmann, Studien (s. o. 127 Anm. 1) 102 f. Anm. 4.

7 VLIV985-996; u. 130. 8 WH I 217. ’ Struvb (s. o. 127 Anm. 1) bes. 12 ff. 10 B. Schmeidler (MG SS rer. Germ.) 1917, LIII ff. Die Belege für Adams fränkische Herkunft und Ausbildung in Bamberg, die Schmeidler (ebd.) beigebracht hat, sind so gewichtig, daß die Bedenken von Erdmann, Studien (s. o. 127 Anm. 1) 115 kaum überzeugen, da sie sich ausschließlich auf fehlende Stilverwandtschaft mit Meinhard und Lampert stützen; einige der von Schmeidler nicht verifizierten Quellen Adams (MG SS rer. Germ.

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sie zwar an ihren späteren Wirkungsorten geschrieben, Adam als Domscholaster in Bremen, Lampert als Leiter der Klosterschule in Hersfeld, und beide sind in ihrer politischen und geistigen Haltung so grundverschieden, daß diese nicht als Symptom des in Bamberg herrschenden Geistes gewertet werden kann. Gemeinsam aber ist ihnen das vorzügliche Latein und die umfassende Kenntnis klassischer und spätantiker Autoren, wie sie in Bamberg aufgrund der vorzüglichen Bibliothek erworben werden konnten. Zusammen mit Anno war auch Bischof Gunther (1057-1065) Mitglied der Domschule gewesen; im Jahre 1054 wurde er italienischer Kanzler, 1056 Nachfolger Annos als Propst in Goslar; etwa um 1060 muß er die Leitung der Domschule Meinhard übertragen haben, einem Franken von unbekannter Herkunft, der dieses Amt mehr als zwei Jahrzehnte versah.1 Er hatte seine Ausbildung zum Teil in der Lütticher Schule erhalten2 und zu ihr hielt er auch als Scholaster von Bamberg die Beziehungen aufrecht: seinen eigenen Neffen Erlung empfahl er dorthin zur Fortsetzung der Studien.3 Als Domscholaster war Meinhard zugleich der Diktator seiner Bischöfe und des Domkapitels und einzelner Domkanoniker; in seinen als Sammlung erhaltenen * Briefen, die er nur zum geringeren Teil in eigenem Namen geschrieben hat, wird seine geistige Persönlichkeit faßbar: ein korrekter, ja pflichtbewußter Kleriker, der seine Kollegen und selbst seine Bischöfe zu einem vorbildlichen geistlichen, der Theologie aufgeschlossenen Leben anhielt. Dieser Seite seines Wesens entsprechen auch seine theologischen Arbeiten, deren er wenigstens drei verfaßte, von denen aber nur eine Schrift De fide erhalten ist.3 Zugleich war er ein im Sinne der Artes hochgebildeter Mann6 von großer Ausdrucksfähigkeit und überaus reicher und geläufiger Kenntnis der antiken Autoren, die sich auch auf die Benutzung der bambergischen Bücherschätze stützte. Cicero war sein bevorzugter Prosaautor, Terenz und Horaz waren die für seine Latinität wichtigsten Dichter. Politisch repräsentierte er in dem Konflikt zwischen König und Papsttum, der in seiner Bamberger Zeit ausbrach, die gleiche königstreue Haltung, wie sie die bambergische Kirche überhaupt vertrat. Sie ermöglichte es ihm, sich 1085 zum Gegenbischof Adalberos von Würzburg erheben zu lassen (J 1088). Aufschlußreich sind einige Briefe Meinhards an Gunther für die LVII ff.) scheinen auf Werke in Bamberger Handschriften hinzuweisen. 1 Erdmann, Studien (s. o. 127 Anm. 1) passim; v. Guttenberg, Reg. passim. 2 Meinhards Beziehungen zur Lütticher Domschule und umgekehrt, wie sie aus Meinhards Briefen (S. u. Anm. 3) hervorgehen (220 ff. nr. 24, 129L nr. 80, 116 nr. 69), lassen die bloß beiläufige Bemerkung von Erdmann, Studien 19 Anm. 2 als zu schwach erscheinen; vgl. auch v. Guttenberg, Reg. nrr. 294, 295, 311. Daneben hat Meinhard mit Sicherheit die Reimser Schule (Erdmann, Studien 18 ff.) und vielleicht noch zuvor die Bamberger besucht. 3 Brief 220 ff. nr. 24 (s. u. Anm. 4); vgl. Schmale, Heinrich IV. (s. u. 132 Anm. 2) 43 f. 9 HdBG III, I

4 Ausgabe von C. Erdmann (MG Briefe d. deutschen Kaiserzeit 5) 1950; zur Datierung der beiden Briefe, die Meinhard im Namen von Bischof Hermann schrieb (231 f. nr. 33, 240 ff. nr. 40) G. B. Bortno, La lettera di Ermanno, vescovo di Bamberg a Gregorio VII (1075) (Studi Greg. 6) 1959/61, 311 ff. 3 Evangelistarium Μ. Maruli Spalatensis, Coloniae 1529 u. 1532, 533 ff.; der Widmungsbrief MG Briefe d. deutschen Kaiserzeit 5, 238 ff. nr. 39; vgl. Erdmann, Studien (s. o. 127 Anm. 1) 23; ebd. über Meinhards Ablehnung der Lehre Berengars von Tours. 6 Über eine verlorene dialektische Schrift Meinhards (De maxima propositione) Eri>mann, Studien 22 f.

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geistige Welt des Bischofs. Der Scholaster tadelte den Bischof wegen seiner Vorliebe für (deutschsprachige) höfische Epen, die von Spielleuten vorgetragen wurden; Etzel und Dietrich von Bem (Nibelungenlied?) werden besonders genannt.1 Nicht nur der Stoff, sondern vor allem die deutsche Sprache scheint Gunther angezogen zu haben. Den Domherrn Ezzo, vielleicht ebenfalls Lehrer an der Domschule, beauftragte er, ein deutschsprachiges Lied auf die Wunder Christi zu dichten, möglicherweise im Zusammenhang mit der Kreuzfahrt Gunthers; ein Willo, in dem man den späteren Abt von Michelsberg (1082-1085) hat sehen wollen, komponierte eine Weise zu dem Liede.1 2 Trotz des Tadels durch Meinhard sind aber die Interessen Gunthers nicht außergewöhnlich, jedenfalls nicht für Bamberg, sieht man sic im Zusammenhang mit Willirams Paraphrase zum Hohen Lied und der Dichtung des Domherrn Ezzo, besonders wenn Ezzo ebenfalls die Bamberger Schule durchlaufen haben sollte.3 Läge in der Pflege auch der deutschen Sprache eine Eigentümlichkeit der Bamberger Domschule um die Mitte des elften Jahrhunderts vor, dann wäre sie allerdings durch Meinhard abgebrochen worden, der die Studien wieder einseitig in die Pflege der Artes einmünden ließ. Nicht zu Unrecht erscheint Meinhard heute in erster Linie als Briefautor. Das Abfassen von Briefen und Urkunden hat ohne Zweifel einen wesentlichen Bestandteil seines Unterrichts ausgemacht; denn in der Zeit Heinrichs IV. hat Bamberg nicht nur Personal für die königliche Kanzlei geliefert4 - darunter den späteren Kanzler und Bischof von Würzburg Erlung, einen Neffen Meinhards -, Briefe und Briefsammlangen charakterisieren seit Meinhard überhaupt das geistige Leben im Umkreis der Domschule. Im Rahmen eines solchen Unterrichts sind wahrscheinlich schon von Anfang an Briefe und Urkunden gesammelt und als Muster verwendet worden, die später in die umfangreichste der Bamberger Briefsammlungen eingegangen sind. Die erste erhaltene bambergische Briefsammlung entstand nach 1095 und hatte einen ausgesprochen politischen und zeitgeschichtlichen Charakter. Neben Briefen, die vornehmlich die Reichsgeschichte und die Auseinandersetzung des Königtums mit dem Papsttum betreffen, enthält sie auch Streitschriften und Aktenstücke, die in erster Linie die Position des Königtums vertreten.’ Manches Material ist bereits in der Form von Sammlungen, die sich noch rekonstruieren lassen oder gar andernorts erhalten 1 Brief 120 f. nr. 73 (s. o. Anm. 4); v. GutReg. 157 f. nr. 331. Ob Gunther sich selbst als Dichter versucht hat, wie Erdmann, Fabulae Curiales, Neues zum Spielmannsgesang u. zum Ezzo-Liede (ZDA 73) 1936, 87-98 vermutet, hängt von der Konjektur einer verderbten Stelle des Briefes ab; vgl. zusammenfassend Ploss (s. o. 128 Anm. 3) 280. 2 Ausg. v. Henschel-Pretzel, Die kleinen Denkmäler d. Vorauer Handschrift, 1963, Beiläge i ff.; v. Guttenberg, Reg. 176 f. nr. 359; vgl. auch K. Hauck, Pontius Pilatus aus Forchheim (JffL 19) 1959, 187ff.; F. Maurer, Die relig.Dichtungend. ii.u. 12. Jhs., 11964, 269ff. tenberg,

3 Zur deutschsprachigen Literatur in Bamberg Ploss (s. o. 128 Anm. 3) 275-302. 4 Vgl. Fichtenau (s. o. 79 Anm. 7); J. Fleckenstein, Die Hofkapelle d. deutschen Könige (MG Sehr. XVI 2) 1968. ’ «Codex I» der Hannoverschen BriefhandSchrift; Analyse mit Druckorten und Teilausgäbe von C. Erdmann (MG Briefe d. deutsehen Kaiserzeit 5) 249-258; dazu Erdmann, Die Bamberger Domschule im Investiturstreit (ZBLG 9) 1936, 1-46, bes. 24 ff.

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sind, nach Bamberg gelangt; wenigstens eine rekonstruierbare Sammlung aus der Zeit Gregors VII. ist bereits bambergischer Provenienz und müßte demnach unter Meinhard zusammengestellt worden sein.1 Die politische Tendenz dieser Sammlungen beweist, daß der Unterricht in Bamberg sich nicht auf die Formalien beschränkt haben kann, sondern auch in einer für Heinrich IV. günstigen Weise politisch ausgerichtet war; darin mag ein Grund für die Bevorzugung von in Bamberg geschultem Kanzleipersonal zu sehen sein. Diese bambergischen Bemühungen gipfeln in dem Codex Udalrici, den um 1125 ein Bamberger Kleriker namens Udalrich, vielleicht identisch mit dem Domkustos Udalrich, zu Unterrichtszwecken zusammenstellte und dem Würzburger Bischof Gebhard von Henneberg widmete.12 Etwa um 1134 ist die Sammlung noch einmal um weiteres Material ergänzt worden. Das kürzere erste Buch enthält neben Gedichten und einem metrischen Papstkatalog eine Sammlung von Salutationen, Grußformeln für Briefe, die den im zweiten Buch enthaltenen Schreiben entnommen sind und an denen der Unterrichtszweck des Werkes deutlich wird. Das zweite Buch enthält Urkunden, zum Teil reine Formulare, und rund 250 Briefe, von denen die Masse der Zeit Heinrichs IV. und Heinrichs V. angehört. Eine durchgehende Ordnung ist nicht erkennbar, doch ist vielfach zeitlich oder sachlich Zusammengehöriges zueinandergestellt, oft ist die Anordnung der von Udalrich ausgewerteten Sammlungen wenigstens teilweise erhalten. Der Codex Udalrici ist ausschließlich sekundären Charakters. Die früher gelegentlich geäußerte Annahme, er sei offiziell und stehe in Zusammenhang mit der Reichskanzlei, ist nachweislich falsch, doch bleibt das Werk als Quelle wichtig, weil viele Stücke nur hier überliefert sind. Gelegentlich hat Udalrich seine Vorlagen sprachlich oder gar sachlich verändert, und es ist nicht völlig ausgeschlossen, daß sich unter den Briefen auch Fiktionen befinden.3 Der Codex Udalrici und manche Briefe, die die Bemühungen um neue Domscholäster zu Beginn des zwölften Jahrhunderts erkennen lassen,4 bezeugen den Fortbestand der Bamberger Domschule, aber der Codex selbst ist bei aller Bedeutung als Quelle doch eben nur mehr das Zeugnis des Sammlerfleißes. Als geistige Leistung bedeutsamer sind zwei andere etwas ältere Werke, die nicht mit voller Sicherheit, aber doch mit einiger Wahrscheinlichkeit mit Bamberg in Verbindung gebracht werden können und für die Erlung als Verfasser in Frage kommt. Das eine Werk ist das Carmen de bello Saxonico, das in 294 Hexametern, deren Latinität an Ovid, Lucan 1 Ebd. 24 ff. 2 Ausgaben von J. G. v. Eckhart, Corpus Historicum Medii Aevi II, 1723, 1-374 und JaeeiS V 17-469 (Auszüge). Exzerpte aus antiken rhetorischen Schriften, die Udalrich mit einigen einleitenden Versen zu einem Libellus kompilierte, hg. von F. Bittner, Eine Bamberger Ars dictaminis (BHVB 100) 1964,154-171. Der vom Herausgeber gewählte Titel ist leicht irreführend, insofern diese Schrift mit der um die gleiche Zeit in Italien bereits in Blüte stehenden Ars dictaminis nichts zu tun hat. 9*

3 Aus der umfangreichen Literatur sei zitiert: H. Hussl, Die Urkundensammlung d. Codex Udalrici (MIÖG 36) 1915, 422-447; WH II 439-442; H. Koller, Zur Echtheitsfrage d. Codex Udalrici (Mitt. d. Wiener DiplomataAbt. d. MGH 3) 1953, 402-419; WH ΠΙ zu S. 439 ff.; Bittner (s. Anm. 2) 146 ff. 4jAFrfV 197 nr. 109; 199 nr. 110:226 nr.114; v. Guttenberg, Reg. 295 ff. nrr. 591 f.

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und Horaz orientiert ist, Heinrichs IV. Auseinandersetzung mit den Sachsen bis zum Sieg des Jahres 1075 besingt.1 Schon früh ist die sprachliche Verwandtschaft des Carmen mit dem Werk Lamperts von Hersfeld aufgefallen, die bei der Gegensätzlichkeit der politischen Einstellung des Carmen-Autors zwar eindeutig gegen eine früher vermutete Autorschaft Lamperts, aber doch für eine Schulverwandtschaft spricht. Auf der anderen Seite ist aus sprachlich-stilistischen und inhaltlichen Gründen ein einheitlicher Verfasser für das Carmen und die anonyme Vita Heinrichs IV. anzunehmen.12 Dieses zweite der hier zu nennenden Werke ist kurz nach dem Tod Heinrichs IV. von einem anonymen Anhänger des Kaisers in der äußeren Form eines Briefes als Totenklage geschrieben worden und zeichnet sich bei vielfach ungenauer oder auch unrichtiger Darstellung der Tatsachen durch höchste sprachliche und darstellerische Meisterschaft aus.3 Das ganze Leben des frommen und immer nur das Gute erstrebenden Kaisers wird wegen seines unglücklichen und auch ungerechten Schicksals unter dem unberechenbaren Einfluß der launischen Fortuna gesehen. Alle Indizien, die überhaupt zur Identifizierung des Verfassers führen können, weisen auf den Bischof Erlung von Würzburg, der damit am ehesten auch als Verfasser des Carmen zu vermuten ist.4 Die Nähe des Carmen zu Lamperts Werk wäre somit in der gemeinsamen bambergischcn Schultradition begründet, auf Bamberg weist auch das Fortuna-Motiv, das bei sonst seltenerer Verwendung in dieser Epoche fast nur in Bamberg vorkommt.5 Ist die Interpretation dieser Anzeichen richtig, zu denen auch die für Bamberg selbstverständliche Königstreue zu zählen wäre, dann hätte der Kanzler Heinrichs IV., Kaplan Heinrichs V. und Bischof von Würzburg, Erlung, zwei der literarisch anspruchsvollsten Werke zur Geschichte Heinrichs IV. geschrieben, die das glänzendste Zeugnis für die unter Meinhard in Bamberg erreichbare Bildung abGegen Ende des elften Jahrhunderts entwickelte sich das 1015 gegründete bischöfliehe Eigenkloster auf dem Michelsberg in Bamberg zu einem zweiten geistigen Zentrum, das auf einer Reihe von Gebieten schnell die Domschule überflügelte und das einzigefränkische Kloster von überregionaler Bedeutung wurde. Der Aufstieg des Klosters erfolgte recht plötzlich: in den ersten Jahrzehnten nach seiner Gründung hörte man so gut wie nichts von ihm. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß das auch die Folge der Besetzung mit Amorbacher Mönchen war, denen cs ihrerseits an entsprechenden Traditionen völlig mangelte. Die Bibliothek des Klosters, wichtigste 1 Hg. von O. Holger-Egger (MG SS rcr. Germ.) 1889; zuletzt von F.-J. Schmale, Quellen z. Gesch. Kaiser Heinrichs IV. (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 12) 143-189. 2 Schmale (s. Anm. 1) 20 ff., bes. 24 ff. 3 Ausgabe von Wattenbach-Eberhard (MG SS rcr. Germ.) 18993; Schmale (s. o. Anm. 1) 407-467. 4 K. Pivec, Studien u. Forschungen z. Ausgäbe d. Codex Udalrici (MIÖG 45) 1932, 457 f. Zur Vita vgl. auch S. Hellmann, Die Vita Heinrici IV. u. d. kaiserl. Kanzlei (HVjschr. 28)

1934, 273-334 (Wiederabdruck in S. HellAusgew. Abh., 1961, 231-292); H. F. Haefble, Fortuna Heinrici IV. imperatoris. Untersuchungen z. Lebensbeschreibung d. dritten Saliers (Veröffentl. d. Inst. f. österr. Geschichtsforsch. 1$) 1954; Schmale (s. o. Anm. 1) 35 ff.; H. Beumann, Zur Handschrift d. Vita Heinrici IV. clm. 14095 (Speculum Historialc, Festschr. J. Spocrt) 204-223. 5 Vgl. die Zusammenstellung bei Haefele (s. Anm. 4) 49 ff.

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Grundlage aller Gelehrtentätigkeit, war nach Ausweis der erhaltenen Bibliothekskataloge gegen Ende des elften Jahrhunderts noch recht bescheiden,1 und von den in der Dombibliothek bereitliegenden Schätzen scheint man im Kloster kaum Gebrauch gemacht zu haben. Zu Beginn der siebzigerJahre des elften Jahrhunderts befand sich der Konvent überdies in einer inneren Krise.12 Im Jahre 1071 trat der aus St. Emmeram stammende Abt Ruodbert nach sechsjähriger Amtszeit zurück und machte dem Münsterschwarzacher Ekkebert Platz, der aber ebenfalls bald wieder sein Amt aufgegeben haben muß, ohne daß seine Tätigkeit erkennbare Spuren hinterlassen hätte. Im Jahre 1086 übernahm dann Thiemo die Leitung der Abtei; er kam wie auch sein Nachfolger Gumbold (1094-1112) aus St. Emmeram, wo gelehrte Beschäftigung der Mönche seit Jahrhunderten eine Selbstverständlichkeit war. Ihnen darf daher der entscheidende Anstoß zugeschrieben werden, wenn jetzt, wie die erhaltenen mittelalterlichen Bibliothekskataloge erweisen, die Bücherbestände des Klosters rasch vermehrt wurden. Es ist noch nicht untersucht, aber es gibt mancherlei Hinweise dafür, daß HandschriftenVorlagen aus St. Emmeram kamen und der Michelsberg durch St. Emmerams Vermittlung auch in den Besitz historischer Werke aus Bayern und Schwaben gelangte, die nun den Ansatz zu einer klostereigenen Geschichtsschreibung boten.3 Abgesehen von einigen Weihenotizen4 hatte es auf dem Michelsberg zunächst so gut wie gar keine historischen Aufzeichnungen gegeben, bevor um 1080 eine Ableitung der Reichenauer Kaiserchronik, mit einiger Wahrscheinlichkeit über St. Emmeram, in das Kloster gelangte und hier mit einem Katalog oder Nekrolog der Würzburger Bischöfe kompiliert wurde,5 weswegen das nicht als Quelle, aber als Grundlage weiterer Annalen und als Zeugnis der Reichenauer Kaiserchronik wichtige Werk bis vor kurzem denn auch fälschlich als Chronicon Wirziburgense bezeichnet wurde.6 Dennoch war damit aber noch keine Tradition begründet, und wenn wenig später gegen Ende des Jahrhunderts eines der bedeutendsten Geschichtswerke des Mittelalters überhaupt von dem Michelsberger Prior Fruto/fgeschrieben wurde, so ist der Anstoß dazu nicht in erster Linie von dem sogenannten Chronicon Wirziburgense ausgegangen, doch war es eine so wichtige Quelle für Frutolf, daß dessen Werk ohne das Chronicon nicht möglich gewesen wäre. 1 Mittclaltcrl. Bibliothekskataloge (s. u. 537 Anm. 4) 357 ff.; H. Bresslau, Bamberger Studien (NA 21) 1896, 139-234. Über das Scriptorium O. Meyer, Das Michelsberger Exemplar d. Psalmenkommentars Augustins. Ein Blick in d. Michelsberger Scriptorium auf Grund neuer Funde (StMBO 79) 1968, 399 ff. 2 Hallinger (s. o. 113) 347 ff. 3 S. auch u. 142. 4 Aus der Chronik Frutolfs zu erschließen. 5 Zu diesem Katalog zuletzt Schmale, Würzbürg 630 ff. 6 Neue Ausgabe auf Grund aller Handschriften von H.-J. Beyer, Das Chronicon Wirziburgense, Masch. Magisterarbeit Bochum

1967. 47-167. Vgl. G. Buchholz, Die Würzburger Chronik. Eine quellenkrit. Untersuchung, 1879; die von Buchholz versuchte Rekonstruktion der nicht selbständig erhaltenen Teile für die Jahre nach 1057 ist zwar gründsätzlich richtig, aber im einzelnen stark korrekturbedürftig. A. Duch, Das Geschichtswerk v. Reichenau in seiner Überlieferung (H. Oesch, Berno v. Reichenau als Musiktheoretiker, Publikationen d. Schweizer. Musikforschenden Ges., Ser. II 9) 1961, 184-203; Ders., Eine verkannte Handschrift d. Chronicon Wirziburgense (DA 8) 1951, 488-497; WH III zu S. 477 Anm. 13; demnächst F.-J. Schmale und I. Schmalb-Ott in MG SS 33.

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Gewisse sprachliche Eigentümlichkeiten lassen vermuten, daß Frutolf bayerischer Herkunft war, näherhin aus dem Regensburger Raum.1 Offensichtlich war ihm im Kloster die Sorge für die Bibliothek anvertraut, für deren Erweiterung er auch durch eigene Schreibtätigkeit sorgte. Die von ihm geschriebenen oder in Auftrag gegebenen Codices haben ihren inhaltlichen Schwerpunkt eindeutig auf dem Gebiet des Quadrivium;12 möglicherweise haben die Artes des Quadrivium überhaupt erst durch Frutolf einen bedeutenderen Platz innerhalb der Klosterschule gewonnen. Auch die Werke, die Frutolf sicher oder doch mit einiger Wahrscheinlichkeit zugeschrieben werden können, die Rythmimachia3 - Anweisung zu einem Spiel mit Zahlensteinen und die Musica,4 vor allem aber die große Weltchronik liegen auf diesem Gebiet; denn die Chronographie, die wissenschaftliche Geschichtsschreibung, ist im Mittelalter ein Teilgebiet der Komputistik, die im Rahmen des Quadrivium gelehrt wurde.5 Frutolfs Chronik, die im Jahre 1098 etwa bis zur Hälfte gediehen war und mit dem Jahre 1099 abgeschlossen wurde, ist neben der Chronik des Marianus Scottus6 die erste Weltchronik auf deutschem Boden, die fast den gesamten in ihrer Zeit verfügbaren historischen Stoff für eine Geschichte seit Erschaffung der Welt heranzog und mit großer Sorgfalt und mit kritischem Verstand in eine chronologische Ordnung zu bringen suchte. Für die älteste Zeit dienten Isidor, Beda und Hieronymus als Grundlage für das zeitliche Gerüst, doch wurde daneben alles an Literatur benutzt, was in Bamberg im St. Michaels-Kloster und in der Dombibliothek erreichbar war. Ein großer Teil der von Frutolf verwendeten Handschriften ist auch heute noch erhalten und gewährt damit einen in dieser Genauigkeit sonst nur selten möglichen Einblick in die Arbeitsweise des Chronisten.7 Ziel Frutolfs ist die sachliche und chronologische Ordnung des Stoffes; geschichtstheologische Gesichtspunkte wie bei Augustinus oder bei Otto von Feising fehlen fast völlig. Bedas Weltalter, der von Frechulf übernommene Translationsgedanke,8 die Weltreichslehre gelten nie als metaphysisch verankerte, den Ablauf der 1 Die bisher einzige Ausgabe von G. Waitz (MG SS 6) ist unzulänglich; die folgenden Ausführungen stützen sich auf die demnächst erscheinende Neuausgabe von F.-J. Schmale und I. Schmale-Ott (MG SS 33), durch die auch die bisherige Literatur weitgehend überholt ist; vgl. auch F.-J. Schmale, Zur Abfassungszeit von Frutolfs Weltchronik (BHVB 102) 1966, 81 ff.; Ders. und I. Schmale-Ott, Die Chroniken Frutolfs und Ekkehards. Die anonyme Kaiserchronik (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 15) 1971, Einleitung; WH ΙΠ zu 491 ff. 2 Mittelalterl. Bibliothekskataloge III 3 (s. u. 537 Anm. 4) bes. 360. 5 R. Peiper, Fortolfi Rythmimachia (Abh. z. Gesch. d. Mathematik 3 = Zschr. f. Mathematik u. Physik 25, Supplementheft z. hist.-lit. Abt.) 1880, 169ff. 4 P. C. VtVELL, Frutolfi Breviarium de musica et Tonarius (SB Wien 188/2) 1919, 26 ff;

Ders., Das Breviarium de musica des Mönchs Frutolf v. Michelsberg (StMBO 34) 1913, 423 ff.; Schmale-Schmale-Ott (s. o. Anm. . 1) Ein weiteres von Bresslau, Studien (s. o. 133 Anm. 1) 223 ff. Frutolf zugeschriebenes Werk (Liber de divinis officiis) ist kaum von diesem. 5 Vgl. O. Meyer, Weltchronistik u. Computus im hochmittelalterl. Bamberg (JffL 19) 1959, 241-260. 6 Vgl. zu diesem ganzen Komplex A.-D. von den Brincken, Studien z. latein. Weltchronistik bis in d. Zeitalter Ottos v. Freising, 1957, passim; WH III passim. 7 Eine große Anzahl von Nachrichten Frutolfs ist Regensburger Ursprungs; die Lesarten der von ihm verwendeten Vorlagen beweisen, daß ihm Regensburger Handschriften oder deren Abschriften zur Verfügung standen. 8 W. Goez, Zur Weltchronik d. Bischofs Frechulf v.Lisieux (Festgabe P. Kim) 1961,93 ff.

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Weltgeschichte bestimmende Prinzipien, sondern erscheinen nur als faktische und rein immanente Ordnungsfaktoren, als Gliederungselemente. Frutolfs Chronik ist wissenschaftliche Geschichtsschreibung im mittelalterlichen Sinn, nicht Zeitgeschichtsschreibung. Zwar werden die Berichte mit Beginn des elften Jahrhunderts scheinbar selbständiger, doch trügt der äußere Eindruck, der nur durch den Verlust der von Frutolf benutzten Überlieferung bedingt ist; ebensowenig ist sein Werk von einer politischen Tendenz bestimmt. Wenn Frutolf im Gegensatz zu seinem Fortsetzer Ekkehard als königstreu und konservativ bezeichnet worden ist, so ist das nur insofern richtig, als er noch ungebrochen dem politischen Weltbild der Mitte des elften Jahrhunderts verhaftet ist, innerhalb dessen dem deutschen König als Nachfolger des römischen und fränkischen Kaisertums die führende Rolle im Rahmen einer in der Abfolge von Weltreichen sich vollziehenden Geschichte zukommt. In der originalen Gestalt hat Frutolfs Chronik keine Verbreitung gefunden, sieht man einmal davon ab, daß in Bamberg bald nach Abschluß des Werkes das Chronicon Wirziburgense mit Hilfe der Frutolf-Chronik fortgesetzt und angereichert wurde, bevor es zur Grundlage weiterer Annalen wie der Annales S. Albani, - Rosenfeldenses,- Hildesheimenses und des Honorius Augustodunensis wurde.1 In der Verbindung mit der ersten Fortsetzung durch Ekkehard von Aura in Frutolfs Autograph bildete es außerdem den Grundstock für die Annalen von St. Pantaleon in Köln.1 2 Größte Wirkung erzielte es dagegen durch die Verbreitung der vollständigsten Fassung der Ekkehard-Chronik, in die Frutolfs Chronik voll aufgenommen wurde. Durch sie wurde das Werk zur Grundlage der meisten späteren Weltchroniken, auch der Historia Ottos von Freising; keine von ihnen hat Frutolf an Stoffreichtum übertroffen. Frutolfs Fortsetzer Ekkehard, ein Edelfreier aus bayerischem Geschlecht, vielleicht aus der Familie der Aribonen, war ursprünglich wohl Weltpriester, trat aber nach der Teilnahme am Kreuzzug um 1102 in Tegernsee als Mönch ein und schloß sich nach dem Aufstand Heinrichs V. der Umgebung des jungen Königs an, den er während des Jahres 1105 viele Monate begleitete.3 Spätestens um diese Zeit lernte er auch Bischof Otto von Bamberg kennen, als dessen Gast er Ende 1105/Anfang 1106 auf dem Michclsberg weilte. Hier geriet er an Frutolfs Chronik, deren wenige Nachrichten über den Kreuzzug dem Kreuzfahrer nicht genügten. Deshalb ersetzte er zunächst Frutolfs Bericht zu 1098 und 1099 durch eine ausführliche Darstellung des ersten Kreuzzuges und setzte die Chronik dann bis zum Anfang des Jahres 1106 fort, bis zu dem Zeitpunkt, da Heinrichs V. Herrschaft durch den Tod des Vaters endgültig gesichert war und Ekkehard selbst zusammen mit Otto von Bamberg und anderen im Auftrag Heinrichs V. als Gesandte nach Rom gingen (Rezension I). 1 Vgl. dazu die Einleitung der Neuausgabe (s. o. 134 Anm. 1). 1 Vollständige Ausgabe als Cronica regia s. Pantaleonis bei v. Eckhart (s. o. 13 i Anm. 2) 683 ff 3 Die bisherige Literatur ist überholt durch I. Schmale-Ott, Unters, zu Ekkehard v. Aura u. z. Kaiserchronik (ZBLG 34) 1971; die fol-

genden Ausführungen stützen sich auf diesen Aufsatz und die Neuausgabe der Chronik durch -J. Schmale-Schmale-Ott (MG SS 33); vgl. F. auch WH III zu S. 491 ff., 498 ff. Die Ausgabe von Waitz (MG SS 6) ist teilweise unbrauchbar, Neuausgabe aller Rezensionen von 1093 an durch F.-J. Schmale-Schmale-Ott (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 1$) 1971.

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Ekkehard nahm an den Ereignissen seiner Zeit, die er von einem ausschließlich religiös-moralischen Standpunkt aus betrachtete, leidenschaftlichen Anteil: Der entscheidende Gesichtspunkt für sein Urteil war die Gemeinschaft mit dem römischen Bischof, die er geradezu unbedingt forderte, während zum Beispiel die Frage der Laieninvestitur für ihn nicht die geringste Rolle spielte. Bei solcher Gesinnung mußte Ekkehard ebenso entschieden Heinrich IV. verurteilen, wie die Regierung Heinrichs V. begrüßen. Mit dieser Haltung ordnet er sich in die geistige Welt der Hirsauer ein, denen er auch persönlich nahegestanden haben muß, bevor er 1108 von Otto von Bamberg zum ersten Abt des neugegründeten Klosters Aura an der Saale berufen wurde, dessen Konvent Hirsauer Mönche bildeten. Noch gegen Ende des Jahres 1106, spätestens Anfang 1107 verfertigte Ekkehard ein Exemplar der Frutolf-Chronik mit seiner eigenen Fortsetzung, die nun aber bis zum Ende des Jahres 1106 geführt wurde, und überreichte es unter seinem eigenen Namen Heinrich V. (Rezension II). In den folgenden Jahren scheint der Chronist sich vornehmlich im Burchardus-Kloster in Würzburg aufgehalten zu haben; als Gastgeschenk hinterließ er eine Überarbeitung der älteren Burchardsvita, die er aufgrund heute verlorenen Materials wesentlich erweiterte und damit zu einer wichtigen Quelle der würzburgischen Bistumsgeschichte machte.1 Um 1116 griff er erneut als Chronist zur Feder. Im Auftrag des Abtes Erkembert von Korvey fertigte er ein neues bis 1116 geführtes Exemplar seiner Chronik an (Rezension III), für das er neben seiner eigenen Chronik eine inzwischen von einem anonymen Autor verfaßte Kaiserchronik für Heinrich V. und die Weltchronik Sigeberts heranzog. Die Kreuzzugsnachrichten nahm er dabei aus den laufenden Berichten heraus und stellte sie am Schluß als eigenen Libellus unter dem Titel Hierosolimita - «Der Jerusalempilger» - zusammen. Sein eigenes Handexemplar hat er in den nächsten Jahren bis zum Tode Heinrichs V. (1125) fortgesetzt; in dieser Gestalt hat sein Werk schließlich auch die größte Verbreitung gefunden (Rezension IV). Ekkehards Chronik ist das wichtigste Geschichtswerk über die Zeit Heinrichs V., zwar in schiechtem Latein geschrieben, aber vorzüglich in seiner Zuverlässigkeit und seinem Streben nach Wahrheit. In diese Gruppe von Chroniken gehört noch ein drittes Werk, das schon kurz erwähnt wurde, eine anonyme bis 1114 reichende Kaiserchronik, die lange für eine eigene Rezension der Ekkehard-Chronik gehalten wurde, die bis etwa zu den Berichten über die letzten Jahre des elften Jahrhunderts in erster Linie auch tatsächlich von der Rezension II, daneben noch von Sigebert von Gembloux, abhängig ist, dann aber zunehmend, von 1107 an völlig selbständig wird.2 Ekkehard hat sie ihrerseits als Vorläge für seine Rezension III verwendet, erstens in formaler Hinsicht - Einteilung in Bücher, Herauslösung der Kreuzzugsnachrichten aus dem laufenden Text -, zweitens 1 Früher einem Engelhard zugeschrieben; vollständige Ausgabe von F. Bendel, Vita sancti Burkardi, 1912; nur teilweise, aber mit besserem Text ed. O. Holder-Egger (MG SS 15); Nachweis der Verfasserschaft Ekkehards bei Schmale, Glaubwürdigkeit 47 ff.

2 Im einzelnen I. Schmale-Ott, Untersuchungen (s. o. 135 Anm. 3); Teiledition vom Jahre 1095 an bei F.-J. Schmale-Schmale-Ott (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 15); vollständige Ausgabe demnächst in MG SS 3 3.

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indem er die Jahresberichte 1107-mi wörtlich, andere zum Teil übernahm. Die Kaiserchronik stellt die Geschichte seit dem Auftreten der Franken dar. Das allgemeine Thema ist die durch Karl den Großen geschaffene unauflösliche Verbindung von Romanum imperium und Teutonicum regnum; für die Zeit Heinrichs V. ist die Investitur als ein von Papst Hadrian I. an Karl den Großen verliehenes Recht der Könige und Kaiser das besondere Thema. Der anonyme Autor stand Heinrich IV. ebenso wie Heinrich V. nahe, aber auch Bischof Erlung von Würzburg; er befand sich in einer unabhängigen Stellung, seine Sprache ist im Gegensatz zu der Ekkehards klassisch geprägt. Seine Identifizierung ist nicht gesichert, aber auf jeden Fall muß man ihn in Franken suchen und vieles spricht für Bischof Otto von Bamberg. Die wissenschaftliche Geschichtsschreibung, die mit Frutolf begann und mit ihm auch ihren Höhepunkt erreichte, wurde in den ersten Jahrzehnten des zwölften Jahrhunderts noch fortgeführt, allerdings mit dem eindeutigeren Akzent auf der Chronographie und der Komputistik unter Vernachlässigung des historischen Stoffes. Der Michelsberger Prior Burchard, der sich außerordentliche Verdienste um die Bibliothek durch die Vermehrung der Bücherbestände und sorgfältige Katalogisierung erwarb, galt als compotistarum studiosissimus,1 der langjährige Leiter der Bamberger Domschule (1122-1155) Dudo (Tuto) als talium rerum perspicacissimus.1 2 Um 1122 hielt sich auf dem Michelsberg vorübergehend Bernhardus Hispanus auf, der de arte calculatoria allerlei zu lehren wußte, was man apud vulgatos compotistas obscura et intricata . . . falsata gefunden hatte.3 Fußend auf dem Wissen aller Genannten schrieb der Priester Heimo von St. Jakob in Bamberg 1135 sein Werk De decursu temporum und widmete es dem Prior Burchard.4 Er wollte das Problem klären, weshalb die Jahre Christi und der Welt in den bis dahjn vorhandenen Chronographien, angefangen von den Berechnungen des Dionysius, nicht mit den Angaben der Bibel übereinstimmten. Da er mit der ersten Fassung nicht zufrieden war, veranstaltete er wenig später noch eine zweite Ausgabe, in der in sieben Büchern die Weltalter, die Kaiser und Päpste, die Geschichte der Menschheit nach dem Sündenfall und die der menschliehen Freiheit durch die Erlösung dargcstcllt wurden. Im Vordergrund steht die Chronologie, die sich jedoch oft in Zahlenspielereien ergeht; an historisch wertvollen Nachrichten ist wenig enthalten. Heimo steht bereits am Ende der bambergischen wissenschaftlichen Geschichtsschreibung; auf dem Michelsberg und an St. Peter entstanden nur noch kurze annalistische Aufzeichnungen von insgesamt geringem Wert.3 Lediglich die schnell einsetzende Verehrung des Bischofs Otto und der Heinrichsund Kunigunden-Kult haben noch einige literarisch ansprechende und als Geschichtsquellen teilweise wichtige Werke hervorgebracht. Schon bald nach Ottos Tod war auf dem Michelsberg, wo Otto auch beigesetzt worden war, eine relatio de piis operibus Ottonis episcopi Bambergensis, vielleicht von 1 Jaffü V 541. 2 Ebd. 542. 3 Ebd. 619; Meyer, Weltchronistik (s. o. 134 Anm. 5) 241 ff., 254 ff.

4 Bisher nur Teile ediert in MG SS 10, 2-4 und bei Jaef£ V 541-552; vgl. Meyer (s.o. 134 Anm. 5). 3 jAFrf V 549-554.

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dem Prior Thiemo, verfaßt worden,1 die wenig später einer Laudatio rythmica aus 34 gereimten trochäischen Strophen zur Vorlage diente.12 Nach der Vita des Prüfeninger Mönchs Wolfger, der aus dem Kloster Michelsberg nach Prüfening gekommen war,3 entstanden in den fünfziger Jahren kurz nacheinander gleich zwei Lebensbeschreibungen in dem Bamberger Kloster. Um 1155 schrieb der Mönch Ebo, der Otto noch selbst gekannt hatte, eine ausführliche und stoffreiche, von Verehrung getragene Vita in schlichtem, aber ansprechendem Stil ;4 neben vorhandenen Aufzeichnungen wie die Relatio und Briefe lieferte ihm mündliche Mitteilung den Stoff. Diese LebensbeSchreibung wurde wenige Jahre später neben weiteren Augenzeugenberichten des Prior Thiemo und des Mönchs Sefrid, letzter Begleiter Ottos in Pommern, von dem Mönch Herbord verwertet, als er das literarisch anspruchsvollste Werk über Otto schrieb.5 Herbords Sprache ist anders als die Ebos an klassischen Vorbildern, vor allem Cicero orientiert; fingierte Reden kennzeichnen das literarische Wollen ebenso wie die äußere Form. Der Dialogus de Ottone episcopo Babenbergensi in drei Büchern ist ein Wechselgespräch des Verfassers mit dem Prior Thiemo und dem Mönch Sefrid, von denen sich Herbord, der Otto nicht mehr persönlich gekannt hatte, berichten läßt; auch die inserierten Briefe werden von den Gesprächsteilnehmem vorgetragen. Die Verehrung Ottos in Bamberg fand in der Kanonisation im Jahre 1189 ihre Krönung. Ähnliche Bemühungen wie Otto galten in Bamberg Kaiser Heinrich II. Spuren eines Gedächtnisses an den Gründer, das sich bereits stark der Verehrung als Heiliger 1 Nur fragmentarisch erhalten, Ausgabe in MG SS 15, 1156-1166; Mircula Ottos von einem unbekannten Michelsberger Mönch in MG SS 12, 917-919. 2 MG SS 12, 910 f.; Gedächtnisrede des Bischofs Embricho von Würzburg in MG SS 20, 769-771; D. Andernacht, Die Biographen Ottos v. Bamberg, Diss. Masch. Frankfurt 1950. 75 ff-, 79 f· vertritt die allerdings kaum haltbare Meinung, die Laudatio (Commendatio pii Ottonis) sei im Zusammenhang mit der Heiligsprechung Ottos (1189) entstanden und von der Prüfeninger Vita abhängig. 3 Ausgabe von A. Hofmeister, Die Prüfeninger Vita d. Bischofs Otto v. Bamberg (Denkmäler d. Pommerschen Gesch. 1) 1924; Neue Ausgabe von J. Wikarjak (Monumenta Poloniae historica NS VII 1) Warszawa 1966, kommentiert von C. Liman; vgl. auch J. Wikarjak, Kilka uwag do tekstu Vita Prieflingensis Ottona, biskupa bamberskiego (Bem. z. Textausg. der Vita Prieflingensis des Bischofs Otto v. Bamberg) (Studia frödlosnawcze, commentationes 4) 1959, 169 ff. - Die Verfasserschaft Wolfgers stellte H. Fichtenau, Wolfger v. Prüfening (MIÖG 51) 1937, 313357‫־‬ fest; Bedenken gegen Wolfger als Autor meldet Andernacht (s. o. Anm. 2) 80 f., 120 ff. an, der die Vita überdies von Ebos Werk be-

einflußt erklärt und sie deshalb auf 1155 datiert. Wie alle Thesen Andernachts bedarf auch diese der Überprüfung. 4Jaff£ V 588-692; neue Ausgabe von J. Wikarjak (Sw. Ottona biskupa bamberskiego Zywot pi6ra Ebbona, Monumenta Poloniae historica NS VII 2) Warszawa 1966; vgl. Andernacht (s. o. Anm. 2) 27 ff. - Eine metrische Bearbeitung der Vita Ebos aus dem 15. Jh. in Pommem ed. A. Hofmeister (Balt. Studien NF 33) 1931. 5 jAirf V 705-83 5; Neuausgabe von J. Wikarjak (Sw. Ottona biskupa bamberskiego Zywot piöra Herborda, Monumenta Poloniae historica NS VII 3) Warzawa 1966. Nach J. Petersohn, Überlieferung u. ursprüngl. Gestalt d. Kurzfassung v. Herbords Otto - Vita (DA 23) 1967,93 ff., ist der sog. Anonymus Canisii, dessen ursprünglicher Text sich aus neuentdeckten Handschriften erschließen läßt, für die Textkonstituierung der Herbord-Vita heranzuziehen. - Vgl. auch Andernacht (o. Anm. 2) 62 ff. - Über die Otto-Viten vgl. auch E. Wienecke, Untersuchungen z. Religion d. Westslawen, 1940, passim; K. Liman, Stan badän nad fywotami iw. Ottona z. Bambergu (Studia frodlosnawcze, commentationes 3) 1958, 23 ff.

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annähert, begegnen bei Meinhard von Bamberg; schon in der Mitte des elften Jahrhunderts entstanden besondere Meßformulare für den Todestag des Kaisers.1 Im Jahre 1135 ordnete Abt Hermann vom Michelsberg für jeden Montag eine Gedachtnisfeier für den Kaiser an, durch dessen Hilfe man die ewige Seligkeit zu erlangen hoffte;12 zehn Jahre später wurde vom Bischof Egilbert, vielleicht nicht ohne Anregung, sicher aber mit dem Einverständnis König Konrads III. ein Kanonisationsverfahren in Rom beantragt, das im März 1146 mit der offiziellen Heiligsprechung durch Eugen III. endete. Dieses Kanonisationsverfahren war der Anlaß zu einer Vita, in deren erstem Buch das Leben Heinrichs aus bekannten Quellen dargestellt wurde, deren zweites Buch über die Wunder am Grab des Herrschers berichtete und mit der Mitteilung über die Einleitung der Kanonisation endete.3 Das Werk ist als Quelle zur Geschichte Heinrichs II. ohne jeden Wert und dürfte als Bericht über Leben und Wunder, wie er schon damals für Heiligsprechungen gefordert war, in Rom vorgelegt worden sein. Während der Regierung Bischof Eberhards, vielleicht erst um 1170, wurde diese Vita durch Interpolation von Urkunden zu einer dokumentarisch belegten Gründungsgeschichte des Bistums Bamberg umgestaltet, deren Entstehung aus dem in Gurk überlieferten Konzept zu erkennen ist. Man hat den zwischen 1170 und 1184 urkundlich belegten Diakon Adalbert, der auf einer Miniatur der Reinschrift dieser zweiten Fassung den Heiligen Heinrich, Kunigunde und Bischof Otto ein Buch darreicht, als Verfasser beider Fassungen ansehen wollen.4 Es ist aber möglich, daß in den beiden Werken verschiedene anonyme Autoren tätig waren und Adalbert überhaupt nur der Schreiber der Reinschrift ist. Etwa um 1200 entstand noch im Zusammenhang mit dem am 3. April 1200 abgeschlossenen Kanonisationsprozeß eine Vita der Kaiserin Kunigunde.5 In ihr steht das kaum mehr an biographischen Daten orientierte geistige Leben der Heiligen nach dem Tod ihres Gatten in dem von ihr gegründeten Kloster Kauffungen im Vordergrund. Die literarische Produktion Bambergs beschränkt sich seit der Mitte des zwölften Jahrhunderts ausschließlich auf das Hagiographische. Dabei stehen die Viten Ottos von Bamberg in jeder Hinsicht weit über den Viten des Kaisers und der Kaiserin. Die literarische Schulung muß sich im Kloster Michelsberg länger auf einer gewissen Höhe gehalten haben als im Umkreis der Domschule. Ein allgemeines Nachlassen der gelehrten Tätigkeit ist unverkennbar. Bamberg teilte das Schicksal fast aller deutscher Schulen, die in einer Zeit vorwiegend grammatisch-rhetorischer Bildung und der Übernahme spätantiker und christlicher Literatur Bedeutung besessen hatten und in dieser Epoche auch mit anderen abendländischen Bildungszentren konkurrieren konnten, jetzt aber ganz provinziell wurden, nachdem mit der Entwicklung der 1 R. Klauser, Der Heinrichs- u. Kunigundenkult im mal.Bistum Bamberg 1937, 31 ff., bes. 34 u. 36 ff., Text der Missa specialis 181. 2 Klauser 181 f. 3 Zu diesen Fragen Klauser 71 ff.; zu einer Teilfrage G. Zimmermann, Karlskanonisation u. Heinrichsmirakulum. Ein Reliquienzug d. Barbarossazeit v. Aachen über Doberlug/Lau-

sitz nach Plozk (BHVB 102) 1966, 127-148. Die verschiedenen Fassungen der im Folgenden behandelten Viten sind in den bisherigen Editionen - maßgebend MG SS 4, 794-814 nicht berücksichtigt. 4 Klauser 83 ff.; doch ist diese Frage noch nicht abschließend geklärt. 5 Ebd. 92 ff.; Ausgabe MG SS 4, 821 ff.

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Frühscholastik und der Universität das Gewicht sich ganz einseitig zugunsten Frankreichs und Italiens verlagert hatte. Schon im elften Jahrhundert meinte Heribert von Eichstätt, daß wahre Gelehrsamkeit nur im Westen zu erwerben sei. Im zwölften Jahrhundert wurde das Studium in Frankreich und in Italien für viele Deutsche bereits eine Selbstverständlichkeit, und mancher wurde hier Anhänger der frühscholastischen Theologie. Aber es entstanden daraus keine neuen geistigen Zentren in Deutschland, in denen diese Ansätze weiterentwickelt oder auch nur kontinuierlich tradiert worden wären. Selbst die gelehrten, in Frankreich oder Italien gebildeten Bischöfe der Zeit vermochten die eigenen Kathedralschulen nicht mehr auf das Niveau der auswärtigen zu heben. Einer noch eher als herkömmlich zu bezeichnenden Richtung gehörte Embricho von Würzburg an, der Freund des Hugo Metellus. Er war in Frankreich oder vielleicht auch Italien ausgebildet worden und dichtete eine Confessio in 102 leoninischen Versen. Von der Würzburger Schule dagegen hört man weder während seines Pontifikats etwas noch danach.1 Auch Eberhard von Bamberg hatte mit einiger Wahrscheinlichkeit sowohl in Italien (Bologna?) wie in Frankreich studiert.2 Er war ein gelehrter Jurist, der das Römische Recht kannte, aber auch ein gemäßigter Parteigänger der Frühscholastik, der deren begriffliches Instrumentarium beherrschte und manche ihrer Gedanken teilte, wenn auch nicht die extremsten. Theologisch stand er zwischen dem konservativen Gerhoch von Reichersberg3 und dem Propst Folmar von Triefenstein, der sich ganz der frühscholastischen Richtung angeschlossen hatte,4 aber erkennbare Impulse auf die Domschule sind von Eberhard nicht ausgegangen.5 So scheinen 1 W. Wattenbach, Bericht über eine Reise durch Steiermark im August 1876 (NA 2) 1877, 404-407. - Gelegentlich ist Embricho eine Vita Mahumeti (letzte Ausgabe von G. Cambier, Embricon de Mayence, La Vie de Mahomet, Latomus 32, 1961) zugeschrieben worden, so zuletzt von Wendehorst I 149; dafür gibt es keine Gründe. Vgl. auch WH III 450. - Bischof Gottfried von Würzburg (1186-1190) soll mit dem Gotefridus capellanus identisch sein, der um 1177 De sanctitate meritorum et gloria miraculorum b. Caroli Magni (ed. G. Rauschen, Publikationen d. Ges. f. rhein. Geschichtskunde 7, 1890) im Auftrag Barbarossas verfaßte, vgl. Wendehorst I 175; doch hat das Werk in keinem Fall etwas mit Franken zu tun. Nach K. Zimmert, Reichskanzler Gottfried, Bischof v. Würzburg (NA 26) 1901, 198-202, soll Gottfried auch der Verfasser der Epistola de morte Friderici imperatoris (ed. A. Chroust, MG SS. rer. Germ. NS 5, 1928, 173-178) sein. Vgl. dazu auch F. Patetta, Di alcuni manoscritti posseduti dalla R. accademia delle scienze di Torino (Atti Torino 53) 1917/18, 549f.; A. Hofmeister, Zur Epistola de morte Friderici imperatoris (NA 41) 1917/19, 705-708.

2 P. Classen, Gerhoch v. Reichersberg, 1960, 122; Meyer (s. o. 78 Anm. 1) 10 f. 3 Classen (s. Anm. 2) passim; Meyer (s. o. 78 Anm. 1) 20 ff. Wichtigstes Zeugnis der Brief Eberhards an Gerhoch bei Migne PL 193, 532-541; W. Föhl, Bischof Eberhard II. v. Bamberg, ein Staatsmann Friedrichs I., als Verfasser v. Briefen u. Urkunden (MIÖG 50) 1936,73‫־‬131· 4 Über Folmar vgl. Classen (s. Anm. 2) passim, bes. 250 ff. Zu Bischof Eberhards Briefwechsel mit Hildegard von Bingen (Migne 197, 167 f.) jetzt: Hildegard v. Bingen, Briefwechsel. Nach d. ältesten Handschriften übersetzt u. nach d. Quellen erläutert v. A. Führkötter, 1965, 66-71; vgl. auch L. Ott, Untersuchungen z. theolog. Briefliteratur d. FrühScholastik unter bes. Berücksichtigung d. Viktorinerkreises (Beitrr. z. Gesch. d. Phil. u. Theol. d. MA 34) 1937, 105, 546. 3 Dies ist gemeint im Sinne einer produktiven Teilnahme an der Frühscholastik, etwa im Sinne der Tätigkeit Folmars. Kenntnis hat man dagegen in Bamberg von der neuen Theologie genommen, wie frühscholastische Handschriften in Bamberg beweisen; vgl. Mittelalterl. Bibliothekskataloge (s. u. 537 Anm. 4) 342 ff.

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seit der Mitte des zwölften Jahrhunderts schöpferisches geistiges Leben und literarische Produktivität rasch abzunehmen. Embricho, Eberhard, Folmar und der Abt Adam von Ebrach1 waren Männer von Bildung und geistiger Potenz, aber sie blieben einzelne, die ihre geistige Gestalt weder aus fränkischen Grundlagen gewonnen hatten, noch neue Traditionen begründeten.

c) Investiturstreit und Kirchenreform. Franken war in die politischen Verwicklungen, die teils unmittelbare Folge der Auseinandersetzung des Königs mit dem Papsttum waren, teils zeitlich mit ihr zusammenfielen, zutiefst verstrickt. Bischof Hermann von Bamberg wurde wegen angeblicher Simonie abgesetzt, Würzburg erlebte durch den Widerstand Adalberos gegen die Kirchenpolitik Heinrichs IV. ein langes Schisma, während Bambergs und Eichstätts Bischöfe mitsamt ihrem Klerus zuverlässige Parteigänger des Königs waren. Dennoch sind kaum Spuren einer geistigen AuseinanderSetzung mit den damals die Welt erregenden, durch die Kirchenreform und das Papsttum grundsätzlich aufgeworfenen Fragen zu erkennen, außer daß in Bamberg Materialien - Briefe und vereinzelte Streitschriften - gesammelt wurden, die vorwiegend die Position des Königtums vertraten; eine eigene Stimme hatte Franken nicht. Erst in zwei relativ späten Werken der Geschichtsschreibung formte sich eine bestimmte Haltung auch im Wort aus: Die Chronik des Bayern Ekkehard von Aura vertrat in hirsauischem Geist unter Absehung von allen rechtlichen Problemen und Formen die unbedingte Einheit von Papsttum und Königtum unter Vorrang des Papsttums. Die Kaiserchronik für Kaiser Heinrich V., die man als eine Streitschrift im Gewand einer Chronik betrachten könnte, weil sie mit Entschiedenheit das Investiturrccht des Königs vertritt, sicht in dem Bestreiten dieser Rechte durch den Papst den ausschließlichen Konfliktgegenstand und wird dadurch in die Lage versetzt, eine positive Haltung sowohl zum Königtum wie auch zum Papsttum einzunehmen, da Rechtsfrage und religiöse Aspekte unterschieden und auseinandcrgchaltcn werden.2 In historisierender Betrachtung kehren ähnliche Gedanken noch einmal in den Viten des Bischofs Otto von Ebo und Herbord wieder.’ Selbst noch die Haltung des Bischofs Eberhard von Bamberg läßt sich unter den veränderten Bedingungen seiner Zeit mit solchen Vorstellungen verknüpfen.4 In diesen Zeugen und Zeugnissen wird eine Vorstellungswelt und ein Bewußtsein von gewisser Konstanz, von Profil und typischem Gehalt erkennbar, die keineswegs nur an einzelne Personen gebunden oder lokal begrenzt sind, wie es auf den ersten Blick erscheinen könnte. Sie gehören aber ohne Zweifel schon einer Spätphase der (Bücherverzeichnis der Dombibliothek um 1200); A. Μ. Landgraf, Einführung in d. theolog. Lit. d. Frühscholastik, 1948, passim. Strittig ist Eberhards Beziehung zu den sögenannten Trierer Stilübungen; vgl. N. Höing, Die «Trierer Stilübungen», ein Denkmal d. Frühzeit Kaiser Friedrich Barbarossas (Arch. f. Dipl. 1) 1955, 257-329; (ebd. 2) 1956, bes. 212 ff.; Dcrs., Der angebliche Briefwechsel

Papst Hadrians IV. u. Kaiser Friedrichs I. Ein Werk aus d. Kreis um Bischof Eberhard II. v. Bamberg (ebd. 3) 1957, 162-202. 1 W. Ohnsobge, Eine Ebracher Briefsammlung d. 12. Jhs. (QFIAB 20) 1928/29, 1-39. 2 S. o. 136 f. ’ jAirf V 595 ff., 828 f. 4 Vgl. Meyer (s. o. 78 Anm. 1) bes. 13 ff.

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Kirchenreform an. Ohne sich begrifflich so klar zu artikulieren wie bei Ivo von Chartres, drückt sich vorwiegend im praktischen Verhalten ein Unterscheidungsvermögen zwischen einem politisch-rechtlichen und einem religiösen Bereich aus, das es erlaubt, sowohl den königlichen Standpunkt in den für den Herrscher wichtigen Belangen zu verteidigen, also einen stärker konservativ oder vielleicht besser traditionsbewußt erscheinenden Standpunkt einzunehmen, wie in einem jetzt deutlicher als früher davon abgrenzbarem religiös-kirchlichen Bereich neuere Strömungen aufzunehmen. Es mischen sich traditionelle und modernere Züge in einer Weise, daß man auf den ersten Blick hin versucht sein könnte zu sagen, hier bestehe noch die politische Religiosität der Zeit vor dem Ausbruch des Investiturstreites; dennoch wird diese Haltung von einer anderen Bewußtseinslage her verwirklicht, da sie nicht mehr wie auf dem Höhepunkt des Investiturstreites zu einer einseitig parteiischen Stellungnähme oder Einordnung führt. Die Mönchs- und Klosterreform hatte seit der Jahrtausendwende im Würzburger Sprengel Eingang gefunden. Der Anschluß an die lothringische Reform in Amorbach oder Münsterschwarzach vollzog sich ohne Konflikte,1 aber doch auch ohne erkennbare Auswirkungen und ohne das geistige Gesicht Frankens zu prägen. Die lothringische Reform dieser Zeit war überdies noch unberührt von Tendenzen, wie sie sich unter der Regierung Heinrichs III. zu zeigen begannen.1 Darum konnte aus der Zugehörigkeit zu dieser Reformbewegung auch für die fränkischen Klöster kaum ein Anlaß zu einer entschiedeneren Stellungnahme im Investiturstreit liegen. Der Mangel an Quellen läßt nicht erkennen, wieweit die Reform überhaupt in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts noch eine lebendige Kraft darstellte. Die Ernennung Abt Ekkeberts von Münsterschwarzach auch zum Abt des Klosters Michelsberg in Bamberg bleibt ein bloßes Faktum,1 23 und die kulturelle Leistung dieses Klosters in den Jahrzehnten um 1100 kann kaum mit eigentlichen Reformtendenzen verknüpft werden, so hoch man auch die Anregungen der aus St. Emmeram stammenden Michelsberger Äbte einschätzen mag. In der frühen Reformphase gewinnt Franken keine deutliche Gestalt. Von wesentlich größerer Bedeutung ist zweifellos die Spätphase der Kirchenreform in dem soeben dargclcgtcn Sinn, vornehmlich durch ihren wichtigsten Repräsentanten in Franken Bischof Otto von Bamberg und sein ungewöhnlich langes Wirken. Die Reduzierung des kirchenpolitischen Streits auf die reine Investiturfrage bei Otto einerseits4 und der Vorrang des moralisch-religiösen Aspekts bei relativer Glcichgültigkeit gegenüber konkreten Rechten gerade bei den damals modernsten Reform1 S. o. 136 f. 2 Über diese zweite lothringische, die sögenannte junggorzische Reformströmung Hallinger (s. o. 113) passim. 3 Trotz der Spannungen, unter denen der Konvent auf dem Michelsberg während der Tätigkeit Ekkeberts stand (vgl. Lampert, Ann. 128 f.). Zu den Beziehungen Münsterschwarzach-Michelsberg, teilweise korrekturbedürftig, Hallinger, Junggorzer Reformbräuche

(s. o. 123 Anm. 7); Brandmüller (s. o. 123 Anm. 7). 4 Nur so scheint Ottos Verhalten unter Heinrieh IV. und Heinrich V., seine Königstreue einerseits, die ihn selbst die Suspension hinnehmen läßt, und seine Frömmigkeit, Reformgesinnung und missionarische Tätigkeit andererseits, verständlich. £s ist genau die Haltung, die auch die Kaiserchronik durchzieht.

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Strömungen,1 haben es möglich gemacht, daß diese nun in Franken Eingang fanden. In großer Zahl hat Otto, zum erheblichen Teil allerdings auf bambergischem Besitz außerhalb Frankens, Klöster und Klerikerstifte gegründet, die ohne Ausnahme den damals strengsten Observanzen übergeben wurden. In Aura (1108), Michelfeld (1119) und Münchaurach (1130/33) hielten Hirsauer Einzug;12 kurz nach der Gründung von Ebrach stiftete Otto die Cisterzen Langheim und Heilsbronn (1132) ;3 Vessra4 und Tückelhausen5 wurden Prämonstratenser-Stifte. Ältere Institute wie Michelsberg (1112), Banz (1140), Theres (1120), St. Getreu in Bamberg (1124/26) übernahmen ebenfalls die Hirsauer Gewohnheiten.67Mit Verspätung gegenüber der Initiative Ottos und nicht so umfassend wirkte Embricho von Würzburg im gleichen Sinn. Münchsteinach (1133) und Münsterschwarzach (1136) wurden hirsauisch, in Oberzell entstand ein Prämonstratenser-Stift, in Ebrach das erste und bedeutendste Zisterzienser-Kloster in Franken, das auch von Embrichos Nachfolgern weiter gefördert wurde? Zwischen Bamberg und Würzburg ist aber doch bereits ein deutliches Gefälle zu erkennen; in noch stärkerem Maße aber gegenüber Eichstätt. In dem mittelfränkischen Sprengel ist es allein das Kloster Kastl, das um 1102 durch die Grafen von Sulzbach und Hirschberg, vielleicht vornehmlich auf Anregung der Mitgründerin Gräfin Liudgard aus dem Hause Zähringen, gestiftet, Hirsau angeschlossen und dem Papst übertragen wurde.8*Der Versuch Bischof Gebhards (1125-1149),in Heidenheim, das offenbar in schleichender Entwicklung zu einem Kanonikerstift geworden war, das Mönchtum wieder einzuführen, hatte infolge des Widerstandes des Adels, aber auch des Bischofs Burchard (1149-1153) erst nach langen Wirren Erfolg; erst nachdem der Papst Bischof Eberhard von Bamberg und Abt Adam von Ebrach mit der Angelegenheit befaßt hatte und diese den Adalbert aus dem Kloster Michelsberg als Abt eingesetzt hatten,» konnten Mönche und hirsauische Gewohnheiten Einzug halten.10 Immerhin besaßen seit den ersten Jahrzehnten des zwölftenjahrhunderts diejüngeren Reformorden zahlreiche Stützpunkte in Franken; es gab jetzt fast mehr Reformklöster und -Stifter, als es vorher überhaupt Klöster in Franken gegeben hatte. Neugrün1 Vgl. Jakobs (s. o. 113) bes. 190 ff.; manches wurde allerdings bereits von Hauck III 873 richtiger gesehen: «So kam für die Hirsauer fast allein die religiöse Seite des Streites in Betracht». Vgl. - auch zur vorigen Anmerkung auch I. Schmale-Ott (s. o. 135 Anm. 3). 2Jakobs (s. o. 113) passim; G. Pfeiffer, Die Gründung d. Klosters Münchaurach (WDGBll. 26) 1964, 18 ff. 3 S. o. 74. 4 N. Backmund, Monasticon Praemonstratense, I 1949/50, 138 ff. u. ö.; LThK X 757. 5 Backmund (s. Anm. 4) 130 f. u. ö.; LThK X 394; W. Wiesener, Tückelhausen, 1963. 6Jakobs (s. o. 113) passim. 7 Wendehorst I 145 f. 8 K. Bosl, Das Nordgaukloster Kastl (VHOR 89) 1939, 1-186; F. Tyroller, Die Herkunft

d. Kastler Klostergriinder (ebd. 99) 1958, 77 bis 163. » Von Adalbert liegt ein Bericht über diese Vorgänge vor: Relatio, qua ratione sub Eugenio III pontifice monasterium Heidenheimense ad ordinem s. Benedicti redierit, gedr. bei J. Gretser, Philippi ecclesiae Eystettcnsis episcopi de eiusdem ecclesiae divis tutelaribus ..., Ingolstadt 1617, 317-368 (= J. Gretser, Opera omnia 10, Regensburg 1737, 805-824). Von Adalbert stammt auch eine bis 1159 reichende Eichstätter Chronik: Chronicon s. Wunnibaldi, cd. Gretser, ... de divis tutelaribus, 318-363, deren kritische Edition noch aussteht. 10 W. S. Mathes, Heidenheim, Diss. Würzbürg 1956; Heidingsfelder nrr. 352, 377, 378, 39b 394. 395·

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düngen und die Einführung neuer Observanzen förderten auch überall die Bautätigkeit als Ausdruck der neuen Impulse, die auch auf das allgemeine geistige Leben in den Klöstern einwirkten: Die Organisation der neuen Orden teils in der Form gemeinsamer Observanz und der Gebetsverbrüderung, so bei Hirsau, teils durch straffe Über- und Unterordnung bei Zisterziensern und Prämonstratensem, förderten den Austausch zwischen den Klöstern und schlossen Franken an die anderen deutschen Gebiete und schließlich auch an Frankreich an. Im einzelnen ist das allerdings nur schwer zu verfolgen; starke, zum Teil völlige Verluste von Bibliotheken und Archiven vornehmlich im Bauernkrieg verwehren einen intimeren Einblick. Nur mehr oder weniger zufällig können an dem Weg einzelner Werke (zum Beispiel Frutolf, Ekkehard) und deren Handschriften solche Zusammenhänge (MünsterschwarzachZwiefalten/ Schönau-Heilsbronn / Aura-Münsterschwarzach/ Michelsberg-Prüf ening) erkannt werden. Ebenso schwer ist es aus den gleichen Gründen, etwas über die konkrete religiöse und geistige Situation in den Klöstern zu sagen oder deren Wirkung auf die Umwelt zu bestimmen; einzig die Briefsammlung des Abtes Adam von Ebrach gewährt hier einen bescheidenen Einblick.1 Aber ein Moment scheint doch charakteristisch zu sein. Im Vergleich mit Schwaben und Bayern oder auch mit den Rheinlanden und Westfalen fällt in Franken die eindeutige Initiative einiger weniger Bischöfe in den Blick. Klammerte man Ottos von Bamberg Einfluß aus, würde man kaum mehr voji einer Reformwelle sprechen können. Nur in wenigen Fällen geht der Anstoß zu Neugründungen von Laien, vom Adel aus, und auch dann mehrfach in der Form, daß lediglich der Wille zur Errichtung eines Klosters vorhanden ist, den Bischöfen aber die Festlegung der Observanz überlassen bleibt. Darum ist die Epoche der Gründungen im wesentlichen auf die Zeit des Pontifikats des hl. Otto beschränkt. Zur Veränderung der allgemeinen religiösen Situation, zur Begründung neuer religiöser Aktivitäten und Traditionen scheinen diese Klöster wenig beigetragen zu haben, wenn sic auch selbstverständlich wie zu allen Zeiten immer wieder Schcnkungen auf sich gezogen haben. Wenn für Bayern gesagt werden konnte, daß die Reformen des elften und besonders des zwölften Jahrhunderts die Umwelt abgaben, aus der sich immer wieder bedeutende Einzelpersönlichkeitcn und -leistungen heraushoben, so gilt das für Franken mit Gewißheit nicht.2 512. DIE DEUTSCHE DICHTUNG VON DENANFÄNGEN BIS ZUM ENDE DER «MITTELHOCHDEUTSCHEN BLÜTEZEIT»3

Im Gegensatz zu dem literarisch so früh mündigen Altbayern4 bleibt das bayerische Franken in der Karolingerzeit noch so gut wie ohne Stimme. Alle wesentlichen (sprachlich) ostfränkischen Denkmäler des althochdeutschen Schrifttums stammen aus dem hessischen Fulda, dem Heimatkloster des großen Hrabanus Maurus. Würzburg, 1 Ohnsorgb (s. o. 141 Anm. 1). 2 HB I 460 ff. 3 Nach dem Tode Hanns Fischers im Jahre 1968 übernahm die Betreuung seiner Beiträge

im Handbuch sein Schüler und ehemaliger Assistent Johannes Janota. 4 S. HB I 506 ff.

§ 12. Deutsche Dichtung his zum Ende der «mittelhochdeutschen Blütezeit» (Fischerljanota) 145 das historisch so bedeutende geistliche Zentrum Mainfrankens, hat dagegen an deutsehen Texten nur zwei Markbeschreibungen1 (von 779) - eine dritte stammt aus Hammelburg - geliefert, die zur Literatur zu rechnen nur eine sehr weitherzige Auslegung dieses Begriffs erlaubt. Eine deutsche Dichtung tritt erst ums Jahr 1060 hervor und zwar im Bamberg12 des literaturkundigen Bischofs Gunther,3 der seinen Dom zum archimedischen Punkt des frühmittelhochdeutschen Dichtungsaufbruchs macht. Diese erste fränkische Dichtung, die außer in der (unvollständigen) alten Fassung noch in einer zur Reimpredigt umstilisierten und erweiterten Neubearbeitung erhalten ist, nennen wir nach ihrem Verfasser, dem Scholasticus Ezzo,4 das Ezzolied.1 Es ist ein hymnischer Kursus der Weltheilsgeschichte von hohem künstlerischen und theologischen Ansprüchen dem wir zum ersten Male das neue heilsgeschichtliche Denken wirksam sehen, das auch auf die christliche Bewältigung der eigenen Gegenwart reflektiert. Nach den Angaben des Prologs zu schließen, ist es als Festhymnus - auch eine Melodie dazu hat existiert - zur Einweihung des regulierten Kollegiatstifts St. Gangolf (1063) entstanden. Die spätere Verwendung als eine Art Prozessionslied auf dem Pilgerzug des Jahres 1165 ist durch die Vita Altmanni6 bezeugt. Einer nur wenig jüngeren Zeit scheint eine eigenartige Dyas anzugehören, die in der Literaturgeschichte unter den Titeln Bamberger Glaube und Beichte1 und Himmel und Hölle * geführt wird. Überlieferung und Mundart weisen sie nach Bamberg. Der erste Text steht in dem aus althochdeutscher Zeit herüberreichenden Traditionsström deutscher Beichtformeln und ist eines der umfänglichsten und differenziertesten Beispiele des Typs; man möchte daher in diesem Frömmigkeitszeugnis einen repräsentativ öffentlichen (Gründonnerstag) neben einem privaten Gebrauch erkennen.’ Der zweite ist eine auf dualistische Entgegensetzung gebaute Jenscitsschau von großer Eindringlichkeit und bedeutender sprachlicher Kraft. Was beide Denkmäler verbindet - und dies hat auch den Gedanken an eine Verfasseridentität bestärkt - ist die eigentümliche Form, in der sic geschrieben sind: eine kunstvoll gefügte rhythmische Prosa, hinter der wir wohl lateinische Vorbilder sehen müssen. Von nun an wird es auf mehr als hundert Jahre wieder still in Franken, denn Wolfram von Eschenbach10 müssen wir gemäß seiner eigenen Aussage als Bayern betrachten, und auch Wirnt von Grafenberg (aus dem Jurastädtchen Gräfenberg nordöstlich von Nürnberg), dessen Wigalois in der Umgebung der Grafen von Andechs entstand,

1 Althochdeutsches Lesebuch, hg. v. Brau1969'5, 6-8. 2 E. Ploss, Bamberg u. d. deutsche Literatur d. ii. u. 12.Jhs. (JffL 19) 1959, 275-302. 3 VL V 317E 4 VL I 594-598; V 220; De Boor I 145-147; H. Rupp, Deutsche relig. Dichtungen d. 11. u. 12.Jhs., 19712, 33-83; E. E. Pi oss (Fränk. Klassiker) 23-33, 7531· 5 Ausgabe wie Anm. 1, 144-151; Die relig. Dichtungen d. n.u. 12.Jhs.,hg. v. F. Maurer, I 1964, 269-303. 6 MGH Script. XII 230. ne-helm-Ebbinghaus,

10 HdBG HI, I

7 Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler, hg. v. E. v. Steinmeyer, 1916 (Nachdr.), 125-152; De Boor I 149f.; VL P 593‫־‬596. 8 Hg. v. F. Wilhelm, Denkmäler deutscher Prosa d. 11. u. 12.Jhs., 1914 (Nachdr. 1960), 31—33; VL II 455457‫ ;־‬De Boor I 149; I. Schröbler, Zu «Himmel und Hölle» (Festsehr. G. Bacsecke) 1941, 138-152. ’ H. Pörnbacher, Bamb. Glaube u. Beichte u. d. kirchl. Bußlehrc im u.Jh. (Festschr. Μ. Spindler) 1969, 99-114. 10 S. HB I 531.

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ist der altbayerischen Literaturgeschichte zuzuschlagen.1 So stoßen wir erst wieder um 1210/20 mit der Wnsiecke-Dichtung,2 die uns in das südwestlich von Nürnberg gelegene Städtchen Windsbach führt, auf ein fränkisches Literaturdenkmal: jedenfalls interpretiert die Forschung den handschriftlichen Titel «der Winsbeke» meist als Verfasserangabe (der Windsbacher). Bei diesem J7strophigen Gedicht (später erweitert, parodiert und durch ein weibliches Pendant Winsbeckin ergänzt) handelt es sich um ein Lehrgespräch, in dem ein Vater seinen Sohn über die ethischen Grundlagen des ritterlichen Lebens (Gottes-Dienst, Frauen-Dienst und Waffen-Dienst), aber auch über seine praktischen Forderungen und Bedingungen unterrichtet. Der Winsbecke mit seiner strophischen Form steht an der Grenze zwischen Sprechdichtung und Sangdichtung, was seine Überlieferung in den großen Liederhandschriften erklärt. An eigentlichen Liederdichtern bringt Franken in dieser Zeit nur Otto von Botenlauben1 hervor, einen Sproß des Henneberger Grafengeschlechts, der sich nach seiner bei Bad Kissingen gelegenen Burg benannte. Als Dichter vertritt er den Typ des vornehmen Dilettanten, wie er sich in der Frühzeit des Minnesangs im staufischen Kreise manifestierte (auch urkundlich im Gefolge Heinrichs VI. bezeugt!). Seine Liederdichtung scheint sein ganzes Leben (bis 1244?) zu begleiten; nur so wird das eigenartige Nebeneinander von Frühem, Klassischem und Spätem verständlich.

§13. VORROMANIK UND ROMANIK Vgl. HB I (Hilfsmittel): A I 1, A II 2, 3, A III, C 10 (bes. Bibliographie d. Kunst in Bayern). S. u. 1464: Bayer. Kunstgeschichte II, Eichhorn, Die Kunst d. fränk. Raumes, Stange, Kunsttopographie Frankens, v. Reitzenstein, Franken. KDB III: Reg. Bez. Ufr. 1911/27; V: Reg. Bez. Mfr. 1924 ff. (bisher erschienen die Stadt- u. Lkr. Eichstätt, Hilpoltstein, Dinkelsbühl [nur Stadt], Weißenburg, Gunzenhausen, Rothenburg o. d. T. [nur Stadt i.Teil], Hersbruck und zuletzt Lauf. - Reg. Bez. Ofr. 1954 ff. (bisher erschienen die Stadt- u. Lkr. Wunsiedel [mit Marktredwitz] und Pegnitz. - BKD, 1958 ff. (bisher erschienen die Stadt- u. Lkr. Ansbach, Bayreuth, Dinkelsbühl, Erlangen, Feuchtwangen, Forchheim, Fürth, Hof, Kronach, Kulmbach, Lichtenfels, Münchberg, Naila, Neustadt/Aisch, Nürnberg, Rehau-Sclb, Rothenburg, Scheinfeld, StadtSteinach, Staffclstein, Uffenheim. - D. Dehio, HB d. deutschen Kunstdenkmäler, I: Mitteldeutschland, 1905; H. Mayer, Die Kunst im alten Hochstift Bamberg u. seinen nächsten Einflußgebieten, 2 Bde., 1952 u. 1955. - Weitere allg. Literatur siehe HB I 536, II 884.

a) Karolingische Kunst E. Lehmann, Der frühe deutsche Kirchenbau, 1938; Vorromanische Kirchenbauten, hg. v. Zentralinstitut f. Kunstgesch., 1966-1971.

Das Kernland Frankens, das alte Bistum Würzburg, war nicht arm an karolingischer Architektur, berichtet doch Thietmar von Merseburg, Bischof Arno von Würzburg (855-892) habe - außer dem Dom - in zehn Jahren neun Kirchen in seinem Bistum ■ S. HB I 532f. 2 Hg. v. Leitzmann-Reiffenstein, 1962’; VL IV 1011-1016; De Boor II 408f.; F. V. Spechtler (Fränk. Klassiker) 85-95, 756f. 3 Hg. in C. v. Kraus, Liederdichterd. 13.Jhs.,

1952,307-316; VL111675-677, V 831; DeBoor II 325-327; H. Kuhn, Minnesangs Wende, 19672, 81-84; J. Kröll (Fränk. Klassiker) 74-84, 756; K. D.Jaehrling, Die Lieder Ottos v. B., 1970.

§ 1j. Vorromanik und Romanik (T. Breuer)

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errichten lassen.1 Aber die Geschichte hat die Spuren der karolingischen Architektur in diesem Land mehr verwischt, die Forschung ihre Reste weniger deutlich machen können als etwa in den Gebieten von Rhein und Weser. Vom ersten Würzburger Dom, in der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts an der Stelle des nachmaligen Neumünster errichtet und vielleicht 788 geweiht, wissen wir nichts, wenig vom zweiten, um ein Jahrhundert jüngeren Dom an der Stelle des heutigen.12 Als unwahrscheinlich erwiesen hat sich die Identifizierung der Rundkapelle auf dem Marienberg über Würzburg mit einer angeblich 706 errichteten Kapelle,34doch ist im nahen Holzkirchen eine Rotunde für das achte Jahrhundert durch Quellen belegt, deren Gestalt wir allerdings nicht keimen. Die bewußte Anwendung antiker Formen ist das eine, die freien Kombination von Raumelementen das andere Kennzeichen karolingischer Architektur - auch in Franken, soviel wir über sie vermuten können. So waren die sieben rechteckigen kreuzförmig aneinandergefügten Raumkompartimente, die im späten achten Jahrhundert die erste Klosterkirche von Neustadt am Main bildeten, innen so geschieden, daß nur von Raumzellen, nicht von Schiffen, gesprochen werden kann. Es scheint sich hier um eine Grundform von Kirchen zu handeln, die dem Adel, der dem karolingischen Herrscherhaus nahe stand, zu eigen waren. * In Brendlorenzen, 823 genannt, scheint sich die spätkarolingische Grunddisposition nur in einem durchgreifenden Umbau des dreizehnten Jahrhunderts erhalten zu haben. Neuerdings brachten Grabungen auch einige kleinere Kirchen zur Kenntnis, darunter einen Saalbau anstelle des späteren Doms in Bamberg.5 Leider fehlt uns die Kenntnis der karolingischen Profanarchitektur in diesem Raum; von der so bedeutsamen Pfalz in Forchheim können wir nur den Platz erschließen. Die liturgischen Bücher, die im Würzburg der Karolingerzeit benutzt wurden, stammten in ihren besten Stücken aus der insularen Heimat der Missionare; allerdings regten diese Exemplare zu einer bescheidenen heimischen Produktion an;6 im zweiten Viertel des neunten Jahrhunderts blühte dann das Skriptorium des nahen Fulda auf, von Anregungen auch der dem Kaiserhof nahestehenden Ada-Schule gespeist; es lieferte eines seiner besten Werke nach Würzburg.7 1 Thietmar, Chron. (s. o. 20 Anm. 3) 8, 9. 2 Die aufschlußreichen Ausgrabungen, die am Würzburger Dom während seines Wiederaufbaues von B. H. Röttger und H. Schulze gemacht wurden, harren noch der dringlich erwarteten Veröffentlichung; eine sehr knappe Zusammenfassung (mit Plan und Angabe von Einzelveröffentlichungen) geben RöttgerSchulze, Zu einer Baugesch. d. Kiliansdomes u. seiner Vorgänger (Ecclesia Cathedralis. Der Dom zu Würzburg) 1967, 49-52 u. 94-95; ebenfalls zusammenfassend Vorromanische Kirchenbauten (s. o. 146) 382 f. 3 F. Oswald, Würzburger Kirchenbauten d. 11. u. 12.Jhs., 1966, 32. 4 W. Boeckelmann, Grundformen im frü10·

hen karoling. Kirchenbau d. östl. Frankenreiches (Wallraf-Richarts-Jb. 18) 1956, 27-69, bes. 38 u. 60 f.; Ders., Die Stiftskirche zu NeuStadt am Main, 1965 (hg. v. Η. E. Kubach, der in seinem Vorwort einige kritische Notizen beigesteuert hat). 5 Vorläufige Veröffentlichung: u. a. W. Sage, Die Ausgrabungen in d. Domen zu Bamberg u. Eichstätt 1969-1972 (Jahresber. d. Bayer. Bodendenkmalpflege 17/18) 1976/77, 178-234. 6 Bischoff-Hofmann (s. o. 14 Anm. 6). 7 Würzburg, Univ.-Bibl., Μ. p. th. f. 66. Vgl. E. H. Zimmermann, Die Fuldaer Buchmalerei in karoling. u. ottonischer Zeit (Kunstgeschichtl. Jb. d. k. u. k. Zentralkommission 4) 1910, 72-78.

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b) Bamberg und die ottonische Kunst H.Jantzen, Ottonische Kunst, 1947, 19591 2. Lehmann (s. o. 146); Kirchenbauten (s. o. 146).

Mit der Gründung Bambergs durch Heinrich Π. 1007 sollte das östliche Franken zum Mittelpunkt des Reiches werden, und zwar nicht nur bildlich, sondern realiter. Vielleicht schon unter Heinrich II. fand das seinen Ausdruck in einer vor dem Bamberger Dom aufgestellten Säule, jedenfalls glaubte noch in der Neuzeit das Volk, daß die vom dreizehnten Jahrhundert bis 1779 auf dem Domplatz nachzuweisende sog. Tatermannsäule die Mitte Deutschlands bezeichne.1 Zugleich ist aber diese Säule Mittelpunkt eines riesigen Kreuzes gewesen, das sich über die Stadt Bamberg spannt und dessen Endpunkte von den großen ottonischen und salischen Stiften St. Stephan, St.Michael, St. Gangolf und St. Jakob gebildet werden. Das zwölfte Jahrhundert wußte, daß dieser Kreuzesform der Stadtanlage schützende Kraft innewohnte,2 vielleicht war sie schon von Heinrich Π. so vorgesehen. Aus diesen weit auseinanderliegenden, selbständigen Zentren wuchs Bamberg zusammen, noch heute in seiner Weiträumigkeit das Bild einer typisch ottonischen Stadt bietend.3 Etwas seitab vom Zentrum, in seiner Lage dem seitwärts geneigten Haupte des gekreuzigten Christus vergleichbar, erhob sich der Dom Heinrichs, 1012 geweiht, auf römische Art eine Basilika mit Westquerhaus.4*Die Vierung war offenbar nicht ausgeschieden, das Langhaus zeigte Stützenwechsel im Rhythmus abba.’ Der rund geschlossene Westchor besaß eine wahrscheinlich hallenförmige Krypta, der Ostchor - und nur dieser - war von zwei Türmen flankiert; auch unter diesem Chor befand sich eine Krypta. Der Grundriß der einschiffigen Kollegiatskirche St. Stephan, zwischen 1007 und 1009 gegründet, näherte sich dem griechischen Kreuz; für diese zentralisierende Form war kaum nur Platzmangel verantwortlich,0 vielmehr ist zu vermuten, daß eine «Kopie» des römischen S. Stefano rotondo gegeben werden sollte. Das Bild der henricianischen Kirchen Bambergs wäre unvollständig ohne den Hinweis auch auf den Glanz, den die kaiserliche Ausstattung diesen Bauten gab, besonders bei der liturgischen Feier selbst. Die Geräte, Bücher und Gewänder, die als kaiserliehe Stiftungen vor allem aus den Werkstätten der Reichenaü und Regensburgs in den Bamberger Domschatz7 kamen, gehören noch heute zum Kostbarsten, was aus jener Zeit erhalten ist; die Frage, ob manches, wie das Heinrichsportatile mit gravierten und durchbrochenen Arbeiten aus vergoldetem Silberblech, vielleicht doch in Bam1 J. J. Mobpeb, Bamberg, die Mitte DeutschTands. Zur Reichssymbolik d. Tatermannsäule, 1957· 2 O. Lehmann-Bbockhaus, Schriftquellen z. Kunstgesch. d. 11. u. 12.Jhs., 1938, Textband 26. 3 Vgl. E. Hebzog, Die ottonische Stadt, 1964, bes. 171 ff. 4 Mayes (s. o. 146) I 29 ff. Vgl. o. $8. 3 Der Einbau einer Heizung veranlaßte im

Bamberger Dom 1969 ff. umfangreiche, vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (W. Sage) durchgeführte Ausgrabungen, die wichtige Ergebnisse erwarten lassen, derzeit (1971) jedoch noch nicht abgeschlossen sind. 6 Mayhb (s. o. 146) I 234 ff. 7 E. Bassekmann-Jobdan-W. Μ. Schmid, Der Bamberger Domschatz, 1914; W. Messebeb, Der Bamberger Domschatz, 1952.

§ 1J. Vorromanik und Romanik (T. Breuer)

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berg selbst entstanden ist, bleibt immer noch offen;1 der in der gleichen Technik gearbeitete Tragaltar aus Watterbach12 dürfte in der gleichen Werkstatt entstanden sein. Die Elfenbeinreliefs, die die Deckel der von Heinrich geschenkten kostbaren Bücher schmückten, waren dann im späten elften Jahrhundert Vorbilder für Bamberger Elfenbeinschnitzer.3 In Bamberg ist, wenn aus äußeren Anhaltspunkten geschlossen werden darf, vielleicht auch der um 1019 gestiftete Stemenmantel Kaiser Heinrichs II. gestickt worden, der die kaiserliche Macht sinnfällig dartat, indem er mit seinen Sternen auf purpurvioletter Seide den Herrscher wie ein ganzer Weltkreis umgab.4 Die Wände des Domes waren mit Wandmalereien überzogen, nach dem Brand von 1081 mußten sic durch Bischof Otto I., den Heiligen, erneuert werden.5 Von der plastischen Ausstattung des Domes ist dagegen nichts ausdrücklich überliefert, Reflexe scheinen sich aber in Werken des dreizehnten Jahrhunderts erhalten zu haben, etwa in der eigentümlich lockeren Räumlichkeit, in der sich die Reliefs an den Seitenwänden der Tumba Papst Clemens II. (j1047 ‫ )־‬ausbreiten6 und die in ähnlicher Weise die Grabplatte Bischofs Gunther (f 1065) bestimmt; die Seitenwände der hierzu gehörigen Tumba mit ihren Einlcgarbeiten gehen sogar auf das elfte Jahrhundert selbst zurück? Von der 1015 gegründeten Michaclskirche in Bamberg wissen wir, daß sie vierundzwanzig «Statuen» um den Chor, vielleicht die Apostel und Propheten, besaß. * Welcher Art diese Statuen waren, ist schwer zu sagen, im Hinblick auf die späteren Chorschranken des Domes ist die Annahme verlockend, doch nicht zu erhärten, daß es sich um Chorschranken gehandelt hat. Das Relief mit dem hl. Johannes dem Täufer, zwischen 1034 und 1046 für dicjohanneskirche in Großbirkach geschaffen, mag einen Eindruck geben, wie man sich solche Statuen vorzustcllcn hat: der Heilige groß, fremd, entrückt; die menschliche Figur ganz in ihrer Gebärde aufgegangen. Die Gebanntheit des staunenden Blickes entspricht der Starrheit von Gliedern und Volumen, sic scheinen von außen bewegt, nicht von ihnen belebt. Am Anfang des überlieferten Bestandes süddeutscher Steinplastik stehend, ist dieses Relief vermutlich im Benediktinerklostcr Münstcrschwarzach entstanden, wo auch das etwas jüngere Krcuzigungsrclicf.das sichjctzt im nahegelegenen Dimbach befindet, gemeißelt worden sein dürfte? 1 Schatzkammer d. Residenz München, Katalog 19703, 41 f. 2 F. Müthericii, Der Wattcrbachcr Tragaltar (Münchener Jb. d. bildenden Kunst 3. Folge 15) 1964, 55-62 konnte nachweisen, daß es sich bei dem im Bayerischen Nationalmuseum München bewahrten Stück um die Fragmente des frühesten bekannten Portatilcs in Kastenoder Altarform handelt. 3 A. Goldschmidt, Die Elfenbcinskulpturcn aus d. Zeit d. karoling. u. sächsischen Kaiser, II 1918, 10 f., 45 ff. (nrr. 148-152). 4 Sakrale Gewänder d. MA (Ausstcllungskatalog) 1955, 18 f. 5 Mayer (s. o. 146) I 32. 6 Auf die Möglichkeit solcher Zusammenhänge macht A. v. Reitzenstein, Das Clemens-

grab im Dom zu Bamberg (Münchner Jb. d. bildenden Kunst NF 6) 1929, 216-275, bes. 263 ff. aufmerksam; er hat jedoch neuerdings diesen seinen Hinweis selbst wieder abgeschwächt in dem Beitrag: Papst Clemens u. sein Grabmal im Bamberger Dom (S. MüllerChristensen, Das Grab d. Papstes Clemens im Dom zu Bamberg) 1960, 9-31, bes. 23. ‫ ל‬S. Müller-Christensen- C. Th. Müller, Die Grabtumba d. Bischofs Gunther im Bamberger Dom (Festschr. E. Hanfstängl) 1961, 10. 3* Lehmann-Brockhaus (s. o. 148 Anm. 2) 543· 9 Zu diesen Zusammenhängen vgl. zuletzt R. Wbsenberg, Das Dimbacher Krcuzigungsrclief (Festschr. H. v. Einem) 1965, 318-320.

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Franken: B. III. Das geistige Leben 716/19-1257

Nördlich schließt sich an den Bamberger Dom der kaiserlich-bischöflichePalast; wenige Reste, vor allem die der oktogonalen, zweigeschossigen Andreaskapelle, in der Mitte des elften Jahrhunderts geweiht, und spätmittelalterliche Zeichnungen vermitteln ein Bild der Anlage.1 Bald nach der Jahrhundertmitte wurde dann im Osten Bambergs St. Gangolf gegründet; gegen 1070 wurde im Westen der Stadt Ost- und Westbau von St. Jakob begonnen, das Langhaus fügte allerdings erst Bischof Otto am Anfang des zwölften Jahrhunderts ein. In Würzburg, wo schon im frühen zehnten Jahrhundert als zweiter Dom an gegenwärtiger Stelle ein Bau mit Westwerk entstanden war, zeigt die Architektur des elften Jahrhunderts ein reiches Bild? Um die Jahrtausendwende wuchs dann bereits ein dritter Dom auf; etwa gleichzeitig dürfte auf dem Marienberg die Rundkapelle errichtet worden sein; in der Frühzeit des elften Jahrhunderts entstand St. Stephan als reicher Gruppenbau mit zwei Querhäusern und einem von Türmen flankierten Westchor mit Krypta, wenig später St. Burkard, ebenfalls mit zwei Chören, Osttürmen und Westquerhaus. Die bestimmende Bautätigkeit am Dom begann unter Bischof Bruno mit der Krypta im Osten? Um die Jahrhundertmitte wurde dann auch die Stiftskirche des Neumünsters neben dem Dom neu gebaut. Vielleicht ließ noch derselbe Bischof die Doppelturmfassade im Westen aufwachsen, die, wie in Speyer, das Ziel einer triumphalen Prozessionsstraße wurde. Um 1040 entstand auch die Krypta von St. Gumpertus in Ansbach; dort werden ebenfalls Beziehungen zu Speyer vermutet? Die rustikale Hallenkrypta von Roßtal erinnert dagegen an italienische Beispiele, sie dürfte ebenfalls dem elften Jahrhundert angehören? Schon gegen 974 war in Aschaffenburg ein bescheidener Kapellenbau zum Chor einer aufwendigen Stiftskirche mit Querhaus und Westbau geworden? Diese ottonische Stiftskirche blieb maßgebend auch bei allen späteren Veränderungen, lediglich das Langhaus wurde nach einem Brand im zwölften Jahrhundert verlängert wieder aufgebaut. c) Architektur und Plastik des zwölfien Jahrhunderts K. Bahmann, Die roman. Kirchenbaukunst in Regnitzfranken, 1941; Oswald (s. o. 147 Anm. 3); F. Radziejewski, Die roman. Steinplastik in Franken, Diss. Würzburg 1925.

Das zwölfte Jahrhundert brachte die Ausgestaltung des Würzburger Domes; an den Osttcilcn wurde vieles umgebaut, das Langhaus scheint als weite Pfeilerbasilika fast völlig neu entstanden zu sein;1 2345*7 die Einzclformcn hatte vermutlich dic Praemonstra1 H. Mayer, Bamberger Residenzen, 1951, II ff. 2 Oswald (s. o. 147 Anm. 3) gibt eindringende Monographien der stadtwürzburgischen Bauten, leider unter Ausschluß des Domes. 3 Zum Würzburger Dom vgl. o. 142 Anm.2. 4 H. Christ, Die Krypta d. Gumbertuskirchc in Ansbach (Jb. Mfr. 77) 1957, 8-25. 5 Die Datierung der Krypta in die zweite Hälfte des io.Jhs. - H. Paulus, Ein Beitr. z. Datierung d. regnitzfränk. Krypten Roßtal u.

Seußling (Erlanger Bausteine z. fränk. Heimatforsch. 5) 1958,97-100 u. (ebd. 7) 1960, 14-18 überzeugt nicht. Die Datierung der spätgotisehen Unterkirche in Seußling in das 11. Jh. ist abwegig. 6 Μ. Klewttz, Die Baugesch. d. Stiftskirche St. Peter u. Alexander zu Aschaffenburg (Veröffcntl. d. Geschichts- u. Kunstvcr. Aschaffenbürg 2) 1953. 7 Vgl. o. 142 Anm. 2.

§ 13. Vorromanik und Romanik (T. Breuer)

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tenserklosterkirche Oberzell aus Frankreich vermittelt. Diese Bauuntemehmungen waren aufwendig, doch ohne neue, kühne Baugedanken. Auffällig ist das weit ausladende Querhaus, das durch den Hinweis auf die Hersfelder Stiftskirche kaum hinreichend erklärt wird; vielmehr stellt sich die Frage, ob nicht auch hier eine karolingische Grundlage maßgebend war. Nicht vom Bau der Kathedralen, sondern von den monastischen Reformbewegungen gingen im zwölften Jahrhundert die entscheidenden Impulse auf die fränkische Kirchenarchitektur aus.1 Schon der Neubau von St. Burkard in Würzburg war davon berührt. Nachdem dann die Reform in Hirsau einen weitausstrahlenden Stützpunkt gefunden hatte, häufen sich die Bauten, deren Gestalt von den liturgischen Forderungen der Reformbenediktiner mitbestimmt ist. Als erste Kirche dieser Art wurde im frühen zwölften Jahrhundert die des reformierten Klosters Neustadt am Main2 errichtet; im östlichen Franken fand diese Bewegung in Bischof Otto I. von Bamberg einen eifrigen Förderer. Otto, der am Bau des Speyerer Domes beteiligt war und dessen Bedeutung für die fränkische Architektur kaum zu überschätzen ist, ließ nach dem Erdbeben von 1117 die Bamberger Michaelskirche mit Nebenchören, also mit Bauteilen, die für Reformkirchen typisch sind, wiederaufbauen. Als Pfeilerbasilika mit Dreiapsidenschluß ist diese Kirche mit der vom gleichen Bischof gegründeten Prüfeninger Klosterkirche zu vergleichen; die noch von Otto entscheidend geförderte Anlage von Heilsbronn und die jüngere Münchaurach stehen zwar als Säulenbasiliken den schwäbischen Hauptkirchen der Reformbewegung näher, doch fehlen in Heilsbronn wie in St. Michael in Bamberg die «hirsauischen» Osttürme; darüber hinaus ist Heilsbronn durch die Anlage seines Querhauses dem Würzburger Dom verbunden? Als Ausläufer der Reformrichtung kann auch die Klosterkirche in Münchsteinach mit ihrem gegen 1180 als Pfeilerbasilika errichteten Langhaus angesehen werden.4 Die Kirche des Würzburger Schottenstiftes ist in den gleichen Zusammenhang zu stellen; die Gemeinsamkeiten mit der Regensburger Mutterkirche sind besonders eng. Von besonderer Art sind die Kirchen zweier Frauenkonvente, die nach den Regeln des hl. Bernhard lebten, ohne doch dem Zisterzienserorden anzugehören: Wechterswinkel und Bamberg, St. Theodor. In Wcchterswinkel, vor 1143 begonnen, war zu seifen des Presbyteriums in großen Emporen, die sich in Pfcilerarkaden öffneten, Platz für die Klosterfrauen geschaffen;’ in der Bamberger Kirche teilten Emporen für die Klostertrauen die Seitenschiffe in ganzer Länge - nur fragmentarisch erhalten, ist der Kirchenbau dieses dem staufischen Hause besonders eng verbundenen Konventes durch seine Zier besonders ausgezeichnet. 1 K. Bahmann (s. o. 150) hat bereits die Vielfalt der Beziehungen, in der die fränkische Sakralarchitektur der Romanik steht, aufgezeigt. Weiterführend und präzisierend ist W. Hoffmann, Hirsau u. d. Hirsauer Bauschule, 1950, der vor allem auf die Bedeutung des Bamberger Bischofs Otto I., des Heiligen, nachdrücklich hinweist. Zur Tätigkeit Ottos am Bamberger Dom (Ostkrypta mit Stuckkapitellcn) vgl. Sage (s. o. 147 Anm. 5).

2 Oswald-Plagemann, Die ehern. Benediktinerabteikirche in Neustadt ant Main (WDGB11. 30) 1968, 228-250. J Fischer (s. o. 147 Anm. 3). 4 W. Haas, Die Kirche u. d. ehern. Benediktinerkloster in Münchsteinach, 1970 ( = Große Baudenkmäler 248). 9 Die Darstellung KDB Mellrichstadt (K. Gröber) 150 ff. hat die höchst bemerkenswerte Emporenanlage völlig übersehen.

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Die baulichen Spuren aus der Frühzeit der Zisterzienser selbst,1 des strengsten der Reformorden, sind, wenn man von der besonders gearteten Heilsbronner Kirche absieht, in Franken gering. Vom ersten Ebracher Bau ist nichts bekannt, über den Gründungsbau von Langheim können nur Mutmaßungen angestellt werden. Die Kirche des 1154 gegründeten Klosters Bildhausen war eine Pfeilerbasilika mit Querhaus und fünf gestaffelten Apsiden. Nach ähnlichem Plan wurde unter dem Einfluß des Mutterklosters Waldsassen 1157 die Bronnbacher Kirche begonnen, erhielt aber bald nach dem Vorbild von Maulbronn platt geschlossene Querhauskapellen. Im Langhausquerschnitt zeigen sich dann südfranzösiche Einflüsse? Seit der Mitte des zwölften Jahrhunderts mehren sich auch in Franken die Zeugnisse monumentaler Plastik. In der Steinplastik führt Kräftigung des Reliefs und Straffung der Zeichnung zu monumentaler Erscheinung, etwa bei den um 1170 entstandenen Reliefs des Neumünsterkreuzganges in Würzburg? Die Qualität der würzburgischen Plastik bleibt allerdings zunächst hinter der der westdeutschen Zentren zurück, das Grabmal des Bischofs Gottfried von Spitzenberg (j1190 ‫)־‬, am Anfang der großartigen Tradition fränkischer Grabplastik, ist geradezu provinziell zu nennen. Um 1200 wächst dann mit Tympanen in Würzburg und Aschaffenburg die Bedeutung der mainfränkischen Steinplastik,1 2*4 in der sich Beziehungen zu den Werkstätten des Oberrheins zeigen. Isoliert steht der großartige Holzkruzifixus der Aschaffcnburger Stiftskirche,5*es ist schwer zu entscheiden, ob in ihm Frühmittelalterliches nachklingt oder, wie es für die Zeit um 1200 denkbar ist, wiederaufgenommen wird. d) Der Neubau des Bamberger Domes und sein Umkreis Nachdem A. Weese 1897 den Bamberger Domskulpturen eine erste, größere Veröffentlichung gewidmet hatte (Die Bamberger Domskulpturen, Straßburg 1897), war Bau- und Ausstattungsgeschichte des Bamberger Domes Gegenstand heftiger kunstwissenschaftlicher Auscinandersetzungen, die mit dem Buch W. Pinders, Der Bamberger Dom u. seine Bildwerke, 1927, und dem Aufsatz A. v. Reitzenstein, Die Baugesch. d. Bamberger Domes (Münchner Jb. d. bildenden Kunst NF 11) 1934, 113-152 einen vorläufigen Abschluß fanden. Erst in jüngster Zeit wurde die Bamberger Problematik mit neuen Gesichtspunkten wieder aufgcrollt: W. Boeck, Der Bamberger Meister, 1960; E. Verheyen, Die Chorschrankenrclicfs d. Bamberger Domes, Diss. Würzburg 1961; E. Wagner, Die Gnadenpforte am Dom zu Bamberg, Diss. Würzburg 1965; H. Siebenhüner, Die Ostkrypta d. Domes in Bamberg (BHVB 102) 1966, 149-176; V. Kähmen, Die Bauornamentik d. Bamberger Domes, Diss. Würzburg 1966; T. Breuer, Der Dom zu Bamberg, 19778 (= Große Baudenkmäler 223). - D. v. Winterfeld, Untersuchungen z. Baugesch. d. Bamberger Domes, Diss. Bonn 1972; J. Zink, Der Bamberger Dom u. seine plastische Ausstattung bis z. Mitte d. 13. Jhs. (Kunstchronik 28) 1975, 387-405, 425-448 berichtet über ein 1975 durchgeführtes Colloquium, von dem Referate abgedruckt sind in ZKG (39) 1976, 105-192. Stellung hierzu nimmt bereits Μ. Gosebruch, Vom Bamberger Dom u. seiner geschichtl. Herkunft (MJBK 3. F. 28) 1977, 28-58, Argumente für die Frühdatierung des Baubeginns und für

1 H. Hahn, Die frühe Kirchenbaukunst d. Zisterzienser, 1957, 231 f., 248 ff. 2 B. Reuter, Die Baugesch. d. Abtei Bronnbach, 1958. 1 Diese in Franconia Sacra (Ausstcllungskatalog) 1952, 30 gegebene Datierung am überzeugendsten.

4 K. Aug. Wirth, Das Wcstportaltympanon d. Aschaffenburger Stiftskirche. Zur ReliefStruktur d. spätroman. Plastik im Rhein-MainGebiet (Aschaffenburger Jb. 4) 1957, 405-437. 5 C. Th. Müller, Der Aschaffenburger Kruzifixus (ebd.) 391-404.

§

jj.

Vorromanik und Romanik (T. Breuer)

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frühe Beziehungen zu Frankreich beitragend. Heranzuziehen ist auch die Arbeit v. W. Wieme», Die Baugesch. u. Bauhütte d. Ebracher Abteikirche (1200-1285) (JffL 17) 1957, 1-86; ferner W. Schlink, Zur liturg. Bestimmung d. Michaelskapelle im Kloster Ebrach (Architectura 1) 1971, 146-182. - Zum Umkreis vgl. noch Bahmann (s. o. 150).

Der Neubau des Bamberger Domes, zu dem der Brand von 1185 Anlaß gab, war eine willkommene Gelegenheit, das staufische Anliegen der Restauration des ottonischsalischen Imperiums monumental zu dokumentieren. Sicher nicht zufällig wirkt der Ostbau des Bamberger Domes wie eine bereicherte Neufassung eines Themas, das unter Heinrich IV. bei der Umgestaltung des Speyerer Domes angeschlagen wurde. Allerdings konnte sich der Bauherr jetzt eines Schmuckreichtums bedienen, den die Werkstätten an Ober- und Niederrhein * als Erben jener kaiserlichen Dombaukunst entwickelt hatten. Mehr noch, in jenen Werkstätten waren die Architekten Plastiker geworden, und es ist wahrscheinlich, daß die Fülle figürlicher Plastik, die den Bamberger Dom vor allem auszeichnet, schon in jener ersten Phase der Domemeuerung wenigstens vorgesehen war. Nachdem die Brandruine von 1185 notdürftig geflickt worden war, nahm man den Neubau vielleicht schon um 1200 in Angriff; richtig in Gang gekommen ist die Bautätigkeit jedoch erst im zweiten Jahrzehnt des dreizehnten Jahrhunderts.2 Die altertümlichsten Formen finden sich in der Ostkrypta. Beim Aufbau entschloß man sich nur zögernd zu einer Wölbung, die über die östlichsten Teile hinausging, obwohl man die Technik einer modernen, sechsteiligen Wölbeform beherrschte; es gab offenbar die Anschauung, daß der Heinrichsdom getreu, und das hieß hier ohne Wölbung, zu rekonstruieren sei. Daß dieses Zögern nicht auf Unkenntnis modernster Entwicklungen beruhte, zeigt die Kapitellplastik, die vom westlichen Joch des Ostchores an deutlich Einflüsse der französischen Kathedralgotik zeigt. Erst als Bauleute der Zisterzienser, die im nahen Ebrach begonnen hatten, deren alte Klosterkirche durch einen Neubau im Stil einer ins Karge und Strenge gewendeten, doch an modernsten Strömungen orientierten Gotik neu zu erbauen, auch in Bamberg einzogen, entschloß man sich endgültig zur Wölbung des Baues mit vierteiligen Kreuzrippengewölben, wobei man dann die Kargheit zisterziensischer Formen auch an der Kathedrale, an Westquerhaus und Westchor, in Kauf nahm. Die Würde der Kathedrale dokumentierten zunächst nur die Querschiffsrosen, die man den Hochschiffsrosen der Chartreser Kathedrale nachzeichnete - darin folgten die Ebracher Zisterzienser dann dem Bamberger Dom in ihrer Chorstimrose, und die Errichtung eines dritten und vierten Turmes im Westen - mit dem Westturmpaar mußte die Erinnerung an die rheinischen Kaiserdome evoziert werden. In einer letzten, von der Zisterzienserkunst nun wieder unabhängigen Ausbaustufe, beim Aufbau der Obergeschosse eben dieser Westtürme blühte dann aber der Kathedralstil in ’ Kähmen (s. o. 152). 2 Das Problem der Bamberger Dombaugeschichte liegt vor allem darin, daß die Kombinationen, die v. Rettzenstein (s. o. i 52) an die schriftliche Überlieferung schließt, zu zwei nur schwer annehmbaren Folgerungen führen :ein-

mal, daß die Formen, mit denen der Bau begönnen worden ist, als ausgesprochen altertümlich angesehen werden müßten, zum andem, daß ein ungemein rascher Baufortgang vorausgesetzt werden müßte.

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seiner ganzen Pracht auf, indem man für diese Obergeschosse die Grundform von der Kathedrale in Laon übernahm, wenn auch mit einer entscheidenden Veränderung: statt des Hochdranges, der in Laon die großen Turmfenster zwei Geschosse durchschießen ließ, blieb man hier, den älteren Osttürmen entsprechend, im kleinteilig Gelagerten; an die Stelle frühgotischer,zusammengefaßter Kühnheit setzte man goldschmiedehafte Feinheit, oder, wenn man will, spätromanische Pracht. Um 1237, als man den Dom weihte, wird er im wesentlichen fertig gewesen sein. Wie genau man die Werke Frankreichs kannte, zeigt der Baldachin über der Marienfigur des nördlichen Seitenschiffes, der die Form der Türme in Laon genau wiedergibt. Aber nicht die Übernahme der Form, des Motivs, war das wesentliche Neue, sondern der Sinn für das plastische Leben, das Bauteile zu Gliedern und Bilder zu Figuren machte. Diesen Sinn hatten die französischen, an der Antike unmittelbar geschulten Meister bei ihren deutschen Genossen geweckt. Dennoch blieben auch jene Bamberger Bildhauer, die mit den Leistungen der französischen Kathedralkunst vertraut waren - auch und gerade der führende Meister - in älteren Zusammenhängen verankert. Es muß ja wohl ein solcher Meister gewesen sein, der letztlich für alle Figuren, die stilistisch mit dem Reiter und der Visitatiogruppe verbunden werden können, verantwortlich war.1 Die Vorstufen dieses Meisters können nicht, wie beim Meister von Straßburg, unmittelbar aufgezeigt werden; Frühwerke wurden nicht, wie beim Naumburger Meister, gefunden. Aus der französischen Kunst läßt er sich nicht allein erklären. Denn wie man sich auch die Bamberger Visitatiogruppe in ihrer ursprünglieh vorgesehenen Aufstellung denkt, zur Gewändegruppe eines Portals fehlt ihr die Verbindlichkeit; das vereinzelt Persönliche ist zu bedeutend, die plastische Wucht zu groß; eine reliefhafte Folge, wie die, in der das Reimser Vorbild steht, würde gesprengt. Die Unmittelbarkeit der Wirkung, die von den Bamberger Figuren ausgeht, konnte es auch geschehen lassen, daß der Name des Reiters im neunzehnten Jahrhundert verlorenging.12 Er ist nur er selbst, nicht wiederholbares Abbild - welch unsinnige 1 Auf die Scheidung von Hauptmeister und Nebenmeister in der Bamberger Domplastik ist viel Scharfsinn verwendet worden, jedoch ist erst in jüngster Zeit (vgl. Boeck, s. o. 152) mit Nachdruck darauf aufmerksam gemacht worden, daß diese Frage innerhalb des hochmittelalterlichen Hüttenbetriebes in einem ganz anderen Licht erscheinen muß als bei den Werken neuzeitlicher, autonomer Künstler. Die Frage der «Händescheidung» verliert dadurch an Relevanz; sie führt auch nicht in gleicher Weise in das Wesen der Werke ein wie beim neueren Kunstschaffen. Diese Konsequenzen werden allerdings auch in den neuesten Arbeiten kaum gezogen. 2 Im 18. Jh. sah man im Bamberger Reiter den hl. Stephan von Ungarn, vielleicht doch nicht mit Unrecht, denn daß der Bauherr, Ekbert von Andechs-Meranien, der Beziehungen

Heinrichs II. zu Ungam gedachte, ist doch in seiner eigenen Situation nicht ganz unwahrscheinlich. Unsicher in der Benennung wurde man erst, als man im frühen 19. Jh. unbedingt ein Grabmal für den im Dom beigesetzten König Konrad III. identifizieren wollte. Hieran entzündete sich dann eine nicht enden wollende Diskussion, die viel hochinteressantes Material zutage förderte. Einen wirklich neuen, von einem überlieferten Detail des Bamberger Domes ausgehenden Gedanken lieferte erst wieder H. v. Einem, Fragen um den Bamberger Reiter (Stud. z. Gesch. d. europ. Plastik. Festschr. Th. Müller) 1965, 55-62, freilich ohne sich in der Benennung eindeutig festzulegen. Vgl. zuletzt J. Traeger, Der Bamberger Reiter in neuer Sicht (ZKG 33) 1970,1-20 und ders.. Zur Frage eines zweiten Reiters im Bamberger Dom (Raggi 10) 1970 ,62-77.

§ lj. Vorromanik und Romanik (T. Breuer)

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Verkehrung sind die würdelosen Wiederholungen! 1 Umgekehrt ist das Eindringen in das Einmalige, Persönliche der Figur auch die Voraussetzung für die Porträthaftigkeit, mit der diese Figuren vor uns hintreten. Unser «Bild» von Heinrich und Kunigunde wird eben von den Figuren der Adamspforte mitbestimmt, und daß Adam und Eva auf das Gewand verzichten, bedeutet zweifellos, daß sie auf Schönheit verzichten, um an eindringlicher Unmittelbarkeit zu gewinnen. Wo Werke von dieser Dichte vor uns stehen, ist der Geist des Meisters unmittelbar zu spüren, selbst wenn ein Faltenzug durch einen Gesellen weniger lebendig und konventioneller geführt ist. Freilich flüchten auch in Bamberg schwächere Kräfte in die Konvention, das beseligte Lächeln der meisterlichen Figur ist vom konventionellen Lächeln, das zur Grimasse entarten kann, gut zu unterscheiden - wir beobachten es am Fürstenportal, dessen mühevolle, durch die Anfänge gebundene Fertigstellung den Meister selbst kaum länger als unbedingt notwendig fesseln konnte. Wie wir glauben, liegen die Wurzeln dieser Werke eben doch vornehmlich in Bamberg selbst, in den Aposteln und Propheten der Georgenchorschranken, im Tympanon der Gnadenpforte und an den Gewänden des begonnenen Fürstenportales. In diesen Werken ist wie nirgend anders, freilich auf einer Stufe, die von der Plastik der Reimser Westfassade noch nicht berührt ist, die Eindringlichkeit des Persönlichen, die isolierende plastische Wucht, die oft selbständige, aber immer bedeutsame Führung der Gewänder und der Gebärden vorgebildet. Diese Eigenschaften sind es ja, die das Gegeneinander des Dialogs bei den Aposteln und Propheten der Chorschranken ermöglichen. Damit ist allerdings jene Frage nach den Ursprüngen jenes Bamberger Meisters zurückverlegt in einen Bereich, in dem die Beantwortung noch schwerer fällt. Wenn sich auch schon auf dieser Stufe Vergleiche mit der französischen Kunst, allerdings mit einer früheren Stufe, anstellen lassen/ enger scheinen uns diese Bamberger Arbeiten doch mit den Traditionen der deutschen Romanik verbunden zu sein. Vom altertümlichsten bis zum fortschrittlichsten Werk dieser Gruppe, von den Kämpferfiguren der Gnadenpforte bis zum Jonas-Daniel-Relief der Georgenchorschranken lebt eine Freude am Ornamentalen, die sich allerdings ähnlich mit einem Sinn für große Form verbindet, wie sich der Schmuckreichtum des Bamberger Doms mit imperialer Monumentalität verbindet. So wird die Frage nach der Herkunft der «älteren» Bamberger Plastik einerseits eng mit der Frage nach der Herkunft der Architektur des Ostchores im Ganzen und im Einzelnen zu verbinden sein, andererseits darf nicht vergessen werden, daß die enge stilistische Verwandtschaft mit Buchmalereien erklärt werden muß. In dieser Hinsicht waren die realen Beziehungen sicher enger, als eine streng scheidende Theorie der Kunstgattungen annehmen kann. Gleichzeitig mit der Domerneuerung blühte die Bamberger Buchmalerei, die schon auf eine gewisse Tradition zurückblicken konnte, auf. Zwei Psalter der Bamberger 1 Der Mißbrauch, der mit dem Bamberger Reiter getrieben wird, ist nicht denkbar ohne den ideologischen Unterbau der diesem Kunstwerk angehängten Fehlinterpretationen. Vgl. hierzu B. Hinz, Der «Bamberger

Reiter» (Das Kunstwerk zw. Wiss. u. Weltanschauung) 1970, 26-44. » Treffende Beobachtungen bei Gosebruch (s. o. 152).

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Staatsbibliothek, einer davon wohl schon um 1200 entstanden, das bedeutendste Werk der Bamberger Buchmalerei, zeigen solche Beziehungen zur Plastik der Gnadenpforte und der Chorschranken.1 Bereits in seiner Frühstufe wirkte der Bamberger Dombau auf den Chomeubau der Klosterkirche Münchsteinach;12 in seiner Spätstufe wirkte er nach Nürnberg, wo der Westbau der Sebalduskirche in einigen Eigentümlichkeiten dem Bamberger Westchor nachfolgt.3 Einer der konventionellen Bildhauer der Bamberger Dombauhütte muß schließlich nach Magdeburg gezogen sein, um dort das Reiterdenkmal Ottos des Großen zu schaffen; er ist dort zweifellos an der Bedeutung der Aufgabe gewachsen. Im Jahre der mutmaßlichen Vollendung des Bamberger Domes beginnt in Würzbürg der Umbau der Ostteile des Domes, bei dem nun auch die Osttürme hochgeführt werden. Der stilistische Wortschatz dieser Türme ist romanisch und scheint geradezu im Protest gegen den französisch-gotischen Einschlag in Bamberg benutzt, dennoch liegt in der unverhüllten Polygonalität ein im Sinne deutscher Gotik moderneres Formgefühl als in den Bamberger Westtürmen. Gleichzeitig war das Neumünster, ein doppelchöriger Bau des elften Jahrhunderts, umgestaltet worden; der polygonale Turm dieser Kirche prunkt mit reichen, der Wand jedoch eng verhafteten Gliederungen. Die barocke Spätphase rheinischer Romanik hat hier einen östlichsten Vertreter gefunden. Barockisierende Spätromanik verbindet sich auch in derfränkischen Buchmalerei des dreizehnten Jahrhunderts mit frühgotischen Anklängen.4 Nach Bamberg hatte dann um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts Würzburg die Führung übernommen, die Tradition des damals weit verbreiteten Zackenstiles in der Gewandbildung pflegend. Wie der um 1250/55 für das Würzburger Agnes-Kloster geschriebene Psalter zeigt, war aber der Würzburger Buchmalerei vor allem die feine Zeichnung reich verknoteten Rankenwerks wichtig; kleine Figuren und Drölerien sind darin eingesponnen, französisch-englische Einflüsse machen sich hier geltend.5

§ 14. MUSIK 800-1200

MGG (Personal- u. Ortsartikel ni. WerkVerzeichnissen u. ausführl. Literaturangaben); Riemann, Musik Lexikon, 3 Bde., 12. völlig neu bearb. Aufl., Personenteil hg. v. W. Gurlitt 1959/61, Sachteil begonnen v. W. Gurlitt, fortgef. u. hg. v. H. Eggebrecht 1967,2Erg.-Bde. hg. v. C. Dahlhaus 1972/75; R. Eitner, Biogr.-Bibliograph. Quellenlexikon d. Musiker u. Musikgclchrten, 10 Bde., 1900, 19592; H. J. Moser, Gesch. d. deutschen Musik, I: Von d. Anfängen bis z. Beginn d. Dreißigjähr. Krieges, 1920, 19305. 1E. Lutze, Die fränk. Buchmalerei iin ersten Drittel d. 13. Jhs. u. ihre Beziehungen zu d. Bamberger Georgenchorschranken (Münchner Jb. d. bildenden Kunst NF 9) 1932, 339 bis 350; H. Swarzenski, Die latein. illuminierten Handschriften in d. Ländern an Rhein, Main u. Donau, 1936, Textband 63 ff 2 Haas (s. o. 151 Anm. 4).

3 E. Lutze, Die Nürnberger Pfarrkirchen St. Sebald u. St. Lorenz, 1939, 14 ff. 4 Ders., Studien z. fränk. Buchmalerei im 12. u. 13. Jh., Diss. Halle 1931. 5 Swarzenski (s. o. Anm. 1) 72 und zuletzt: E. Steingräber, Ein illuminiertes fränk. Psalterium d. 13. Jhs. (Anzeiger d. German. Nationalmuseums) 1963, 23-27.

§ 14■ Musik (H. Schmid)

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Uber die Musik der in Franken ansässigen Bevölkerung vor dem Einzug des Christentums ist uns nichts Näheres bekannt. Die mit dem Christentum ins Land gekommene primär liturgische Musik der Kirche wird, abgesehen von gelegentlichen Erwähnungen im Schrifttum der Zeit, tatsächlich erfaßbar erst mit dem Beginn ihrer Aufzeichnung und nicht nur derjenigen der zugehörigen Texte, die selbstverständlich auch schon vor ihrer schriftlichen Verbindung mit Notenzeichen musikalisch vorgetragen wurden. Wie im ganzen mitteleuropäischen Kulturkreis fällt der Beginn solcher Musikaufzeichnung ins neunte Jahrhundert, auch wenn uns aus diesen Gebieten keine so frühen genau datierbaren Zeugnisse erhalten sind wie etwa aus dem altbayerischen Raum,1 allgemein üblich wird die Aufzeichnung der Melodien hier wie anderswo etwa seit der Jahrtausendwende. Wie überall nördlich der Alpen und östlich desRheins bedient man sich auch hierzulande der linienlosen und die Melodien ohne Rücksicht auf eine exakte Andeutung der Tonhöhenunterschiede nachzeichnenden S trichneumen des nach seinen wichtigsten Denkmälern sogenannten St. Galier Typs, und ähnlich wie im altbayerischen Gebiet dauert es ebenfalls einige Jahrhunderte, bis diese linienlosen Notenzeichen endgültig von der Erfindung Guidos von Arezzo, die Tonhöhen durch Linien genau zu bezeichnen, verdrängt werden, obwohl die Schriften Guidos hier keineswegs weniger oder später bekannt wurden als anderwärts. Nicht ohne Einfluß auf diese liturgisch-gregorianische Musikpflege war dabei, daß ganz Franken (wie übrigens auch ganz Schwaben), mit Ausnahme des einige Zeit nach seiner Gründung exempten Bistums Bamberg, dem Erzbistum Mainz unterstellt war. Gemeinsamkeiten der Choraltradition verbanden die bis in die Neuzeit territorial so zersplitterten Gebiete und hoben sic zugleich von dem anderer Choraltradition verpflichteten Altbaycrn ab. Selbstverständlich gilt dies am wenigsten für die primär ihrer Ordenstradition folgenden Klöster, doch konnte sich selbst hier gelegentlich, wie das Beispiel Amorbach zeigt, der spezifische Mainzer Choral Eingang verschaffen. Welch wichtige Rolle man der Musik im Rahmen der (kirchlichen) Allgemeinbildüng einräumtc, bekunden uns auch hier wieder die erhaltenen musiktheoretischen Handschriften. So haben wir, um nur einige Beispiele zu nennen, aus Eichstätt den Tonar des Bcrno von Reichenau in einer auf die fast dreifache Zahl von Antiphonen (nahezu 1450) erweiterten und zudem vollständig mit Ncumen versehenen Fassung (diese großen, nach Tonarten geordneten Zusammenstellungen liturgischer Gesänge wurden sehr oft nur teilweise neumiert), die auf Bischof Gundekar (1057-75) zurückgeht,12 und aus Bamberg eine Abschrift der beiden umfangreichsten und bedeutendsten damals existierenden Musiktraktatc (Boethius und Musica Enchiriadis, letztere sogar doppelt) in noch auf die Erstausstattung des Bistums bei seiner Gründüng zurückgchendcn Exemplaren.3 Kein Kloster, keine Domschule war eben damals ohne Musikausübung denkbar und der allgemeine Aufschwung der freien Künste (und in deren Gefolge der zu diesen gehörenden Musik), der allenthalben um die Jahrtausendwende zu erkennen ist, macht sich auch hier bemerkbar. Wie überall 1 Vgl. HB I 552. 2 Das sog. Gundekarianum, heute im bischöfl. Ordinariatsarchiv Eichstätt.

3 Bamberg, Staatsbibliothek, Cod. HJ. IV. 19 u. 20.

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spiegelt er sich am deutlichsten in den Bibliotheksbeständen wider, die aus diesem Gebiet allerdings nur mehr in Einzelfällen wie etwa in Bamberg heute noch mit der Geschlossenheit greifbar sind wie der in der Staatsbibliothek zu München vereinte altbayerische Klosterbesitz. Doch nicht nur Musiklehre und Musikausübung waren allgemein verbreitet, auch an eigenen Beiträgen zu Theorie und Praxis fehlte es nicht. So erforderten neue, örtlich besonders verehrte Heilige neue und natürlich musikalisch ausgestaltete Offizien (z. B. der Hl. ‫־‬Willibald in Eichstätt,1 der Hl. Kilian in Würzburg12 u. a. m.) und die Beschäftigung mit überkommener und zeitgenössischer Musiklehre führte zu eigener Auseinandersetzung wie in den Schriften des dem Bamberger Kloster Michelsberg angehörenden Frutolf (f als dortiger Prior 1103).3 Für die nichtkirchliche Musikpflege haben wir leider keine unmittelbaren Quellen. Daß eine solche in einem Lande vorhanden war, in dem gelegentlich Kaiser und Fürsten residierten oder durchzogen, in dem wir zahlreiche Adelssitze verstreut finden und in dem es alte und neugegründete, im Laufe der Zeit immer mehr aufblühende Städte in nicht unerheblicher Zahl gab, darüber dürfte kaum ein Zweifel bestehen. In diesem Zusammenhang mag es vielleicht kein Zufall sein, daß der bekannteste deutsche Minnesänger (modern gesagt: Lieder-Dichter und -Komponist4) Walther von der Vogelweide in Würzburg seine letzte Ruhestätte fand. Ebensowenig dürfte es zweifelhaft sein, daß in den damals zumeist auch Zentren des Kunsthandwerkes bildenden Klöstern auch die Anfänge des Instrumentenbaues zu suchen sind, zumindest der nicht zur volkstümlich-profanen Musikausübung gehörenden, sondern für Gottesdienst und Unterricht gebrauchten Glocken, Orgeln und Monochorde. 1 Ein Willibalds-Officium aus einer Handschrift der Trierer Dombibliothek abgebildet in MGG, Art. Eichstätt. 2 Eine Kilians-Sequenz aus einem Graduale des Stiftes Haug abgedruckt bei E. Federl, Spätmittelalterl. Choralpflege in Würzburg u. in mainfränk. Klöstern, 1937, 83-85.

3 Hg. v. C. Vivell, Frutolf! Breviarium de musica et Tonarius (SB Wien II, Bd. 188, 2. Abh.) 1919. Über Frutolf s. o. 133 ff. 4 Als Beispiel für die stets enge Verbindung von Dichtung und Musik sei auch an das in Bamberg entstandene Ezzolicd erinnert. Vgl. o. 130 u. 145.

VOM INTERREGNUM BIS ZUM ENDE DES ALTEN REICHS UND ZUR BEGRÜNDUNG DES NEUEN BAYERISCHEN STAATES

AM ANFANG DES 19.JAHRHUNDERTS

I VON RUDOLF VON HABSBURG BIS ZUM ENDE

DES THRONSTREITS 1322

515. REICHSGUTREVINDIKATIONEN RUDOLFS UND ALBRECHTS I.

VON HABSBURG

HB II 84, 91; O. Redlich, Rudolf v. Habsburg, 1903; A. Hessel, Jahrbücher d. Deutschen Reichs unter König Albrecht I. v. Habsburg, 1931. A. Gerlich, Studien z. Landfriedenspolitik König Rudolfs v. Habsburg, 1963; Ders., Königtum, rhein. Kurfürsten u. Grafen in d. Zeit Albrechts I. v. Habsburg (Geschichtl. Landesk. Veröffentl. d. Inst. f. Geschichtl. Landesk. an d. Univ. Mainz V 2 = Festschr. L. Petry, 2) 1969, 25-88 (Lit.); über den für Franken weniger bedeutsamen König Adolf von Nassau: s. HB Π 104-110; Überblick: Kraft (C. Scherzer II) 45 f.

Als Revindikationen bezeichnet man Versuche spätmittelalterlicher Herrscher, Gerechtsame wieder in ihre Verfügung zurückzunehmen, die vordem einmal vom Königtum genutzt worden, dann aber in andere Hand gelangt waren. Seit der Wahl Rudolfs von Habsburg unterstellte man als «Normaljahr» dieses Besitzstandes gelegentlich 1245 oder auch 1250. Der Theorie nach sollte der König also alle während des Interregnums ihm entglittenen Rechte und Einkünfte wieder an sich ziehen. In Franken hätte das die Wiederherstellung eines Zustands bedeutet, wie er etwa um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts herrschte. Jener war das Ergebnis des Mißerfolges Heinrichs (VII.) im Ringen um Konsolidierung und Expansion der Reichsgutkomplexe am Ochsenfurter Mainknie, im Taubergrund und Bauland, im Steigerwald und in den westlichen Haßbergen, aber auch in anderen Regionen. Seit Heinrichs (VII.) Sturz 1235 und noch stärker nach dem Wegzug seines Bruders und Nachfolgers Konrad IV. nach Italien 1251 vollzog sich im rund zwanzigjährigen Intenegnum die Auseinandersetzung um territoriale Vorteile ohne wesentliche Einflußnahme des Königtums. Die Frage an die Zukunft lautete, ob der Kronträger noch eine hinreichend starke Basis in Franken finden könne, um neben den Landesherren aufzutreten. Bleibende Elemente der Landesgeschichte waren in diesem Raum geworden die Rivalität der Burggrafen von Nürnberg mit den von Süden andrängenden Wittelsbachem, die Auseinandersetzungen des Hochstiftes Würzburg mit den Herren von Hohenlohe und mit den Zollern, von Westen her die aus der Pfalzgrafschaft und aus dem Mainzer Oberstift wirkenden Impulse, im Osten das Verhältnis der Przemysliden und dann der böhmischen Könige aus dem Hause Luxemburg zu ihren Nachbam. Franken bot die Heimstatt für eine Unzahl von Machtkemen, zeigt einen lange unausgewogenen Pluralismus von Regionalkräften und ähnelt so in vielem Schwaben II HdBG π, i

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Franken: C. I. Von Rudolf von Habsburg bis zum Ende des Thronstreits 1322

oder Thüringen. Das Erlöschen des Hauses Andechs-Meranien und der Staufer in den Jahren 1248 und 1268 zeitigte insbesondere im Osten des Raumes heftige Auseinandersetzungen. Erben der Andechscr waren auf dem Wege der Verschwägerung die Burggrafen von Nürnberg, die Herren von Truhendingen und die Grafen von Orlamünde. Der Bischof von Bamberg versuchte, seine im Vergleich mit anderen Hochstiften unter ungewöhnlichen Umständen begründete Landesherrschaft1 durch den Einzug von Lehen nachträglich zu konsolidieren. Die Erben erhoben begründete AnSprüche auf das Eigen der Andechser, auf eine höhere Ebene des Reichsrechtes hingegen gehörte die Frage nach dem Fortbestand des Herzogtums? Die Grafen von Orlamünde nahmen sofort die Kulmbacher Komplexe im Frankenwald und Fichtelgebirge an sich, die Truhendinger besetzten Giech, Scheßlitz und einige Positionen an der Baunach, die Zollern rückten in den Bayreuther Raum ein? Der Bamberger Bischof nahm den Kampf auf, konnte aber trotz eines zwölfjährigen und zeitweise erbitterten Ringens einen nur bescheidenen Teilerfolg erzielen? An das Hochstift kamen nur der Hauptsmoorwald unmittelbar östlich von Bamberg, ferner Steinach, Niesten und Lichtenfels. Die Bezeichnung des Grafschaftslehens als «iudicium provinciale» war Ausdruck eines Anspruches, der nicht verwirklicht werden konnte. Im Südosten Frankens wurden nach dem Tode Konradins von Staufen die Herzöge von Bayern aktiv. Die Brüder Ludwig und Heinrich teilten im Vertrag von Atfhausen am 28. September 1269 das Konradinische Erbe und projektierten mit dem gemeinsamen Erwerb von Burg und Stadt Nürnberg, des Ortes Lauingen sowie der Stadt Nördlingen ein weitreichendes Ausgreifen? Als Zielräume bayerischer Expansion wurdenRegionen angesprochen, in denen sich die Grafen von Öttingen und die zollerischen Burggrafen von Nürnberg seit langem festgesetzt hatten. In Nürnberg war die Bürgerschaft zur eigenständigen Trägerin von Hoheitsrechten emporgestiegen, dort war aber auch der Einfluß des Burggrafen sehr stark? In der Abwehr der Initiativen sowohl der Wittelsbacher als auch der Zollern behauptete die Stadt ihren Aufstieg zur Reichsunmittelbarkeit und begünstigte dann die Revindikationen des Königs Rudolf von Habsburg? Rudolfs von Habsburg Wahl zum römischen König entbehrt nicht der Bezüge auf Franken. Die Reichsvakanz seit dem 2. April 1272 traf den Pfalzgrafen Ludwig II. inmitten von Aktionen, die der Verstärkung der Positionen auf dem Nordgau und dem Ausbau des Konradinischen Erbes dienten? Sofort entwickelte der Wittelsbacher den Plan seiner eigenen Thronkandidatur, als Mittelsmann wirkte bei den anderen 1 Mayer, Fürsten 248-275. 2Dazu: W. Goez, Der Leihezwang, 1962, 197 L 3v. Guttenberg 121ff; K. P. Dietrich, Territoriale Entwicklung im Gebiet um Bayreuth bis 1903, 1958, 36-64. ♦ Engel, «Stadtverderben» (s. u. 324) bes. 540 ff. 3 MW I, 234-236 nr. 99. 6 Schultheiss, Achtbücher (s. u. 267) 28 ff.;

HAB Nürnberg (Η. H. Hofmann) 32 ff.; Nürnberg-Fürth (Ders.) 26; Ders., Nobiles (s. u. 324) 60. Pfeiffer, Pfalz Nürnberg (s. o. 108 Anm. 4) 306 u. 313; vgl. a. bereits MW 1, 235 Anm.8, Rudolfs Urkunde vom 1. März 1274 ebd. 269 bis 271 nr. 113. • Vgl. MW 1, 236 nr. 100; 241 nr. 101; 251 nr. 103; 258 nr. 106; 262-269 nr. 108-113.

‫י‬

§ 15■ Reichsgutrevindikationen Rudolfs und Albrechts I. (A. Gerlich)

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Kurfürsten Burggraf Friedrich III. von Nürnberg. Erst als die Widerstände im Kolleg zu groß geworden waren, schlug die Stunde für Rudolf von Habsburg. Mit ihm wurde ein König erhoben, der zwar in Franken keinen Eigenbesitz aufzuweisen hatte, gerade hier wie in Österreich aber die Revindikationstendenzen vorantrieb. In den Jahren 1273 und 1281 wurde Friedrich III. belehnt mit der «comitia burcgravie» und dem «iudicium provinciale», die territorialen Erwerbungen der vorausgegangenen Jahrzehnte erhielten reichsrechtliche Unanfechtbarkeit.1 Durch die Königsurkunde vom 1. März 1274 wurde die Konradinische Erbschaft dem Hause Wittelsbach bestätigt. Bischof Berthold von Bamberg, noch 1273 Leiter der böhmisehen Gesandtschaft, die gegen Rudolfs Wahl protestierte, schloß sich dem König während des Nürnberger Hoftages vom Folgejahr an, auf dem die Reichsgutrevindikation als Programm verkündet worden ist. Bei den Zollern, aber auch in den Hochstiften am Main,12 brachte die Bestätigung der Landgerichtsbarkeit durch den König den vorläufigen Abschluß der vorausgegangenen Rechtsentwicklung. Die Landgerichte waren nicht säuberlich voneinander geschieden, sondern überschnitten sich häufig. Von Westen her wirkten das Landgericht Rothenburg und das Hofgericht Rottweil nach Ostfranken hinein. Sicherstellung der Fürstenrechte und Arrangement mit ihnen waren Voraussetzung jeglicher Revindikation und bezeichnen den nur noch kleinen Spielraum, der dem Königtum hier übrigblieb. Eingebettet in diesen komplexen Kreis von Problemen muß auf die Fragen der spätmittelalterlichen Reichsgutgeschichte hingewiesen werden. Die Könige aus dem habsburgischen Hause betrieben eine konservativ anmutende Revindikation. Kaiser Karl IV. hat dann mit seiner Reichslehen- und Vogteipolitik in Franken so viele ältere Verhältnisse verwischt, daß man oft nur schwer zu den früheren Zuständen zurückgelangen kann.3 Durch die siedlungs- und friedensgeschichtlichen Forschungen hat die «rückschreitende» Methode die härtesten Stöße erlitten; denn man hat Unterschiede und Wandel im Siedlungswesen und mit ihnen die Möglichkeiten von Rechtsunterschleifen und Besitzumgestaltungen herausgearbeitet. Deren Opfer konnten Königsrechte leichter werden als Ansprüche eines Landesherrn mit seiner stets präsenten Beamtenschaft.4 Zudem war in den Reichsgutbezirken in Franken das Gerüst der Burgen als Kristallisationszentren der Königsherrschaft nicht in gleicher Dichte vorhanden wie etwa am Rhein oder in der Wetterau. Während dort Rudolf von Habsburg bei der Neuorganisation von um die Reichsburgen gelegenen Gerechtsamen die aufsässigen Ministerialensippen durch Grafengeschlechter überwachen ließ,3 sind aus Franken derartige Vorgänge nicht bekannt. Reichsbesitz ging auf in 1 A. Schwammberge«, Die Erwerbspolitik d. Burggrafen v. Nürnberg in Franken bis 1361, 28-38; Pfeiffer, Comicia (s. u. 295). 2 Zu Bamberg vgl. v. Guttenberg I passim; zu Würzburg Merzbacher, Iudicium provinciale (s. ο. XXVIII). 3 K. Bosl, Probleme d. Reichsgutforschung in Mittel- u. Süddeutschland (JffL 20) 1960, 305-324. 11

4 Vgl. Bades, Mittelalterl. Dorf (s. u. 267). Ders., Dorfgenossenschaft (ebd.); Von den älteren Forschungen noch immer wichtig H. Niese, Verwaltung d. Reichsguts im 13. Jh., 1905, 222-261, bes. 237; C. Frey, Die Schicksale d. königl. Gutes in Deutschland, 1881. 3 Niese (s. Anm. 4) 222-261.

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Franken: C. I. Von Rudolf von Habsburg bis zum Ende des Thronstreits 1322

den Positionen des Deutschen Ordens, der Herren von Hohenlohe, der Grafen von Öttingen, der Burggrafen von Nürnberg, um nur diese herauszugreifen. In deren Territorien kann man, zumindest zu wesentlichen Teilen, Transformationsprodukte des staufischen Reichslandes sehen. Der Zwang zu Rücksichtnahmen hemmte in jenen Gebieten die Revindikationen. Weggaben in der Zeit Konrads IV. und Konradins - etwa Nördlingens an die Grafen von Öttingen, Rothenburgs an die Herren von Hohenlohe, Creussens an die Nürnberger Burggrafen - konnten aus eigener Kraft des Königtums nicht mehr an das Reich zurückgebracht werden, meist glückte das nur auf dem Wege der Selbstauslösung der Städte1 aus der jeweiligen Pfandschaft. Den Wandel im Beziehungsgefüge der Reichsministerialität sollen nur wenige Beispiele verdeudichen helfen. Die Herren von Eschenau und von Gründlach etwa gingen um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts in der bambergischen Ministerialität auf. Der ursprünglich auf Nürnberg hingeordnete Verband zersplitterte, wobei um Altdorf und Schwabach die Zollern dessen Angehörige ihrer Macht unterordneten, weiter östlich die Wittelsbacher? Im Ansbacher Raum wurden um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts die Herren von Domberg regional hervorstechende Machthaber, ihre Territorialisierungsansätze brachen 1288 mit dem Erlöschen der Sippe ab; Rudolf von Habsburg mußte Erbrechte der Grafen von Öttingen achten.’ Sozialgeschichdich nicht zu unterschätzen ist die in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts von diesen Familien entwickelte Fähigkeit, vom Hochadel echte Lehen zu empfangen. Die Reichsministerialität entglitt durch diese Bindungen dem direkten Einfluß des Königtums. Rudolfs, Adolfs, Albrechts und Heinrichs VII. Rückforderungen nahmen meist den Stand von 1245 als Norm. Eingezogener Reichsbesitz mußte jedoch zum überwiegenden Teil wieder an Parteigänger ausgetan werden. Für Revindikationen in Franken ist die Quellenlage im ganzen schlecht, doch bietet das sogenannte Nürnberger Reichssalbüchlein * wenigstens für eine Region Einblicke. Entstanden ist es wahrscheinlich erst zu Beginn des vierzehntenJahrhunderts, möglicherweise auf Initiative des Landvogts Dietegen von Castell.’ Aufgezählt werden 1 Diese Städte, die zu Enklaven in fremdherrischen Gebieten wurden, wirkten konservierend auf ländliche Reichsgerechtsame. Für den Raum Nördlingen-Dinkelsbühl-Weißenbürg vgl. Endres, Reichsgut (s. u. 316 Anm. 1) 38; zur Lage in der Reichsvogtei Schweinfurt H. Mackh, Die fränk. Reichsdörfer, dargest. an d. beiden ehern. Reichsdörfem Gochsheim u. Sennfeld bei Schweinfurt, Diss. Erlangen 1951, 40 ff. u. 42 ff; Hahn (s. u. 324). Über Reichsdörfer nördlich von Eichstätt s. a. F. Heidingsfelder, Die Zustände im Hochstift Eichstätt am Ausgang d. MA u. d. Ursachen d. Bauernkrieges, 1911, 89 ff. 2 In Lauf erleichterte die Verwandtschaft der nach dem Ort benannten Ministerialen mit den bayerischen Wildensteinem möglicherweise das Vordringen der Wittelsbacher; im Herzogsurbar von 1275 wird Lauf aufgezählt. Vgl.

zusammenfassend W. Kraft (W. KraftW. Schwemmer, Kaiser Karls IV. Burg u. Wappensaal zu Lauf) 1960, 3 ff. ’ Bosl, Reichsministerialität (s. u. 304) 36 ff.; Ders. 627. Vgl. a. Bayer (s. u. 166 Anm. 4) 92 ff. Über die Beerbung durch die Herren von Deeg s. u. 317 f. 4 Const. ΙΠ 627, nr. 644; UB Nürnberg I 632-637, nr. 1073; Niese (s. o. 163 Anm. 4) 284 ff.; W. Schultheiss, Über spätmittelalterl. Gerichtsbücher aus Bayern u. Franken (Festsehr. H. Liermann) 1964,274; W. Küster, Das Reichsgut in d. Jahren 1273-1313, Diss. Leipzig 1883, 100-105; dazu ebd. 14 ff., 17 ff., 63 ff., 66 ff, 79 u. ö. 1 Ebd. 118. Zur Unterscheidung der durch die Zusammenfassung verwischten Schichten der Entwicklung vgl. bes. Niese (s. o. 163 Anm. 4) 205 ff.; Dannenbauer 4-27.

§ 1j. Reichsgutrevindikationen Rudolfs und Albrechts I. (A. Gerlich)

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Ämter in Altdorf, Schwabach, Heroldsberg, Berngau und Neumarkt, eine Vogtei1 in Hersbruck mit Schutzansprüchen über Bamberger Kirchengut, der Markt Velden mit einem Dutzend Dörfern und Burg Hohenstein, die Nürnberger Reichswälder die Burgen Floß und Parkstein, Vogteien in Amberg und Vilseck sowie noch einige Orte in der Umgebung. Die Verzahnung mit den zollerischen und wittelsbachischen Positionen springt in die Augen. Jede von den Reichslandvögten - neben Dietegen von Castell seien noch Heinrich von Nortenberg und Albert von Hohenlohe genannt - betriebene Rücknahme von Gerechtsamen in deren Verwaltung mußte zu Reibereien mit den Burggrafen und den Bayemherzögen führen.2 Verwickelte Pfandgeschäfte, wie in Schwabach, Altdorf und Heroldsberg, wo zeitweise sogar das landfremde Haus Nassau eine Rolle spielte, hemmten die Revindikationen. Den Zusammenhang mit größeren Entwicklungsabläufen macht das Auftreten des Landvogts Dietegen deutlich. Er war der Prototyp des rücksichtslosen Verwaltungsbeamten, den Albrecht I. gegen den Pfalzgrafen Rudolf einsetzte, nachdem er diesen zuvor am Mittelrhein besiegt hatte? Überall stützte der Landvogt antiwittelsbachische Kräfte. Im Jahre 1306 aber mußte sein königlicher Auftraggeber in den Auseinandersetzungen mit dem Eichstätter Bischof4 um das Erbe der Grafen von Hirschberg die Pflöcke wieder zurückstecken. Auch dieses Ringen zwischen König und Großen konnte den Reichsgutschwund nur kurz aufhalten? Albrechts I. Nachfolger, Heinrich VII. von 1 Die verfassungsgeschichtliche Problematik der fränkischen Reichsvogteien im Spätmittelalter kann hier nur als eines der noch offenen Anliegen benannt werden. Monokausale Ableitung von staufischen Prokurationen in Schwaben (vgl. Niese, s. o. 163 Anm. 4) führen nicht weiter. Die Reichsvogteien sind im Blick auf Entstehungszeit und Kompetenzen durchaus nicht einheitlich; deren Genese ist immer Ergebnis regionaler Konstellationen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Vgl. dazu: Th. Mommsen, Die ältesten Rothenburger Königsurkunden. Ein Beitr. z. Gesch. d. Landgerichts u. d. Landvogtei inRothenburg v. Rudolf I. bis zu Ludwig dem Bayern (ZBLG 10) 1937, 19-64, hier 24ff.; Feine (s. u. 269 Anm. 6) 148-235; Schultheiss (s. o. 164 Anm. 4) 271 ff. Die wichtige, allerdings erst unter Albrecht I. entstandene Reichslandvogtei Nurnberg behandeln: Dannenbauer 96; Hessel (s. ο. 161) 189 ff; HAB Nümberg-Fürth (Η. H. Hofmann) passim; Hofmann 399. Zum Vogteibegriff zuletzt Ders., Freibauern 318 ff. u. 321 ff; Hofmann 399 ff. 2 Als Beispiel aus dem Raum Bemgau-Neumarkt vgl. J. B. Kurz, Die Stadt Neumarkt. Ihre geschichtl. Bedeutung im bayer. Nordgau, 1954, 11 ff.;HAB Nümberg-Fürth (H.H.Hofmann) 29 ff. Das Reichsgut in diesem und im Egerer Gebiet hatte seit Friedrichs II. Wahl in den staufisch-przemyslidisch-andechsisch-wit-

telsbachischen Auseinandersetzungen stets die Rolle des wechselseitigen Pfandobjektes gespielt; Bost, Rcichsministerialität (s. u. 304) 84 ff. 3 Geruch, Königtum (s. ο. 161) 48, 60. 4 In Südfranken hielten sich Reichsgutreste auffallend lang, dies vielleicht infolge der unausgetragenen Gegensätze Habsburg-Wittelsbach-öttingen-Pappenheim-Eichstätt, in die immer wieder die Zollern eingriffen. Vgl. zu diesen komplizierten Einzelheiten: HAB Gunzeuhausen-Weißenburg (Η. H. Hofmann) 34, 62; W. Stürmer, Der Raum Markt Bergel-Windsheim im frühen MA(ZBLG 25) 1962, 312-3 51; Kraft-Guttenberg 110-218, bes. 129 f. u. 144. Zur spätmittelalterlichen Verfassungsentwicklung in diesen Gemeinden vgl. bes. Hofmann, Freibauern 195-327, bes. 276ff., 318 ff. 5 Allgem.: Hessel (s. ο. 161) 189 ff. Dazu: Küster (s. o. 164 Anm. 4) 116 ff.; Schultheiss, Achtbücher (s. u. 267) 30♦ f. - Die Wellen der Revindikationen und der Abgänge hängen eng zusammen mit der Unterbrechung des habsburgischen Königstums (Hofmann 400) durch die Wahl Adolfs von Nassau und die Wendung der Kurfürsten in die luxemburgische Richtung 1308; im Zuge solcher Wechsel setzte sich immer wieder Böhmen im ostfränkischen Reichsland fest. Vgl. auch H. Gradl, Gesch. d. Egerlandes, 1893,91-113,134-150;^ Sturm,Eger. Gesch. einer Reichsstadt, 1951, 81 ff.; F. Seibt (BHB I) 356ff.; H. Grundmann (GG !)412 ff.

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Franken: C. I. Von Rudolf von Habsburg bis zum Ende des Thronstreits 1322

Luxemburg, mußte sich verpflichten, keine Amtsleute vom Schlage eines Dietegen einzusetzen, sondern auf den Willen der Fürsten in solchen Personalentscheidungen Rücksicht zu nehmen. $ 16. FRANKEN IN DER ZEIT KAISER HEINRICHS VII. UND WÄHREND DES THRONSTREITS (1314-1322) Zu Kaiser Heinrich VH.: A. Geblich (NDB 8) 1969, 329-334 (Quellen u. Lit.). Über den Aufstieg Kaiser Ludwigs IV.: HB II131 ff.; Geruch, Königtum (s. ο. 161) 49 ff. Allgemein: H. Bansa, Studien z. Kanzlei Kaiser Ludwigs des Bayern vom Tag d. Wahl bis z. Rückkehr aus Italien (1314-1329) 1968 (Lit.).

Der auf Grund antihabsburgischer Affekte gewählte König Heinrich von Luxembürg1 kam im Frühjahr 1309 aus Oberschwaben nach Nürnberg. Er sammelte in Franken Parteigänger, zog bisher Unentschiedene auf seine Seite. Graf Eberhard von Württemberg blieb der in Süddeutschland einzige Gegner von Gewicht, während der Ausgleich mit den Habsburgem gelang. Den Grafen kreisten Parteigänger des Königs ein und führten gegen ihn einen bis 1316 währenden Krieg;12 die Fehden belasteten die Übergangszone zwischen Westfranken und Schwaben. Die Familien spalteten sich in den Parteinahmen. So kam es zur merkwürdigen Konstellation im Raum Ansbach-Herrieden, daß Graf Ludwig VII. von Öttingen als Beauftragter des Königs 1311 nicht nur den Württemberger, sondern auch die mit ihm sympathisierenden Konrad IV. von Öttingen und Kraft von Hohenlohe besiegte.3 Andererseits wurde Albrecht von Hohenlohe vom König in Stadt und Reichsvogtei Rothenbürg begünstigt. In Franken nahm der König Verbindung mit Kräften auf, die nach dem Erlöschen der Przemysliden Böhmens Übergang an die im Reich jetzt regierende Familie begünstigten. Mit ihnen verhandelte er im August in Heilbronn, im September 1309 in Speyer. Im Juni 1310 einigte sich endgültig Heinrich VII. mit Reichsfürsten und böhmischen Vertretern. Am 31. August 1310 belehnte er seinen Sohn Johann mit Böhmen und vermählte ihn mit Wenzels II. vierter Tochter Elisabeth. Einer der Schrittmacher der luxemburgischen Herrschaft im fränkisch-thüringisehen Grenzgebiet wie auch in Böhmen war Graf Berthold VII. von HennebergSchleusingen. Von seinen eigenen Positionen4 her war er zum Mittelsmann zwischen den großen Dynastien bestimmt. Ähnlich dem Nürnberger Burggrafen am Ende des Interregnums war er 1308 am Ausgleich zwischen der neuen Herrscherfamilie und den Habsburgem und Wittelsbachem beteiligt; dann spielte er von Böhmen aus eine Rolle beim Arrangement mit den Wettinern.’ Ihm verpfändete Heinrich VII. 1310 1 Über diesen zusammenfassend Geblich (NDB 8) 1969, 329-334. 2 H. Haebing, Der Reichskrieg gegen Graf Eberhard den Erlauchten v. Württemberg in d. Jahren 1310-1316 u. seine Stellung in d. allgern, deutschen Gesch., Diss. Berlin 1910 (auch Württ. Jb. f. Statistik u. Lkde. 1910, 43 ff.). 3 A. Bayer, Aus Herriedens Kloster- u. Stiftszeit (Frankenl. 11, 2) 1959.

4 Zickgrae (s. o. 60 Anm. 4) 77-10$; F. Kobbnbb, Die Lage u. d. Besitzstetigkeit d. Machtkeme in Thüringen während d. ausgehenden MA (Wiss. Veröffentl. d. dt. Inst. f. Länderk. NF 17/18) 1960, 167-187, hier 170 ff. 1 G. Rummel, Berthold VH. d. Weise, Graf v. Henneberg 1284-1340, Diss. Würzburg 1904·

§ 16. Franken von Heinrich VII. (1308-1313) bis 1322 (A. Gerlich)

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die Reichsgerechtsame in Schweinfurt1 und stärkte damit erneut die Stellung des Hauses am Main. Expansionsmöglichkeiten des Würzburger Hochstiftes wurden auf diese Weise gehemmt. Reaktionen des Bischofs haben möglicherweise zu den merkwürdigen Einschränkungen im Privileg vom 25. Juli 1310 geführt,12 durch das dem Grafen nur die Würde, nicht aber die vollen Rechte eines Reichsfürsten verliehen wurden.3* Die Offenheit der fränkischen Mächte gegenüber der Königspolitik zeigt deren Teilnahme an Böhmenunternehmen. * Hauptmann des Reichsaufgebotes, das den luxemburgischen Aspirationen auf die Wenzelskrone gegen die Ansprüche des Herzogs von Kärnten zum Sieg verhalf, war Pfalzgraf Rudolf; Burggraf Friedrich IV. von Nürnberg spielte im Heer eine große Rolle. Von geistlichen Reichsfürsten standen dem Mainzer Erzbischof der Bischof von Eichstätt und der Abt von Fulda bei. Als 1315 im böhmischen Landadel Unruhen ausbrachen, griffen auf luxemburgischer Seite der Landgraf von Leuchtenberg und der Graf von Castell ein. Der mit Abstand wichtigsten Reichsstadt in Franken, Nürnberg, lag an einer Beruhigung der Verhältnisse in Böhmen, weil sie nur so ihre Zwischenhandelsfunktionen erfüllen konnte. In mehreren Urkunden, besonders im Pisaner Diplom vom 11. Juni 1313 verbriefte der Kaiser die Freiheiten der Stadt; damit wurde die gesamte seit 1219 vorangeschrittene Entwicklung der Stadtverfassung rechtlich untermauert.5 König Johann von Böhmen förderte seinerseits die Verbindungen zwischen der Reichsstadt, dem Amberger Erzrevier und Böhmen.6 Die Geldnot Heinrichs VII. machte es den Ratsboten leicht, die Verbriefungen ihrer Gerechtsame förmlich einzukaufen. Andererseits wurde die Teilnähme so manches fränkischen Herren an böhmischen Unternehmen beflügelt durch die finanzielle Notlage infolge des Wandels der Wirtschaftsstruktur und von Mißernten am Beginn des vierzehnten Jahrhunderts.7 Kriegsdienste waren nur noch in bescheidenem Maße lehensrechtlich einzufordern, die Bereitwilligkeit hierzu wurde immer stärker aktiviert durch die Aussicht auf Sold in klingender Münze. Königsverbundenheit und Reichsbewußtsein waren in ihrer Intensität davon abhängig, welche Geldquellen ein Kronträger, seine Sippengenossen oder die großen Parteigänger erschließen konnten, um den Adel für die Hecrcsfolge oder den Hofdienst zu gewinnen. Zollern und Leuchtenberger bieten nur besonders signifikante Beispiele in einer rund zweihundertjährigen Zeitspanne, die mit dem Interregnum anhebt. Am 24. August 1313 starb in Italien Kaiser Heinrich VII. Nach intensivem Ringen um die Kandidaturen wählten die untereinander zerstrittenen Kurfürsten am 19. und 20. Dezember 1314 Friedrich den Schönen von Österreich und Herzog Ludwig von 1 Materialreich, aber ohne kritischen Apparat Stein (s. u. 324) 136 ff. - Jüngst Hahn (s. u. 324) 25 ff. 2 Const. IV 3 52, nr. 404. 3 £. E. Stengel, Land- u. lehnrechtl. Grundlagen d. Reichsfürstenstandes (ZRG 66, 1948, jetzt in: Abh. u. Untersuch, z. mittelalterl. Gesch. 1960, 133-173, bes. 171). * Rummel (s. o. 166 Anm. 5) 13 f., 16 f. u.21.

5 Const. IV 1042, nr. 999. - Dazu SchultAchtbücher (s. u. 267) 30 f; Pitz (s. u. 324) 135 ff. 6 G. Hirschmann, Nürnbergs Handelsprivilegien (Beitrr. WGN 1) 1967, 1-48, bes. nrr. 12/13, 15/16, 17, 28, 36, 49. 7 F. Lütge, Das I4./15.Jh. in d. Sozial- u. Wirtschaftsgesch. ONÖSt. 162) 1950, 161-213. heiss,

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Franken: C. I. Von Rudolf von Habsburg bis zum Ende des Thronstreits 1322

Oberbayern.1 Im Reich brachen allenthalben die Gegensätze auf, der Krieg des Grafen von Württemberg mit seinen Nachbarn floß mit diesen Fehden zusammen und griff auf das westliche Franken über.1 Von Süden her machte sich die Rivalität der Häuser Habsburg und Wittelsbach bemerkbar. Zunächst war es unsicher, ob Ludwig als der Raumnähere in Franken die Vorhand gewinnen werde, obwohl er seit dem Gammelsdorfer Sieg über die Habsburger deren Einfluß in Niederbayern zurückgedrängt und großes Prestige errungen hatte. Die Parteinahmen beschränkten sich zunächst nur auf die mittleren und südlichen Teile Frankens. In den Main-Hochstiften war, ausgenommen nur das Spessartgebiet von Kurmainz, die Lage undurchsichtig, weil in Würzburg Gottfried III. von Hohenlohe zwischen den kirchen- und rcichspolitischen Lagern lavieren mußte, dann bis zu seinem Tod am 4. September 1433 gegen den Wittelsbacher eingestellt war.’ Im Bamberger Hochstift regierte bis 1318 ein habsburgisch gesinnter Bischof aus Kärnten, ohne aktiv Partei ergreifen zu können; in den nächsten vier Jahren verhinderten ein Bistumsschisma und eine lange Sedisvakanz jede nennenswerte Initiative. Demgegenüber sticht die Lebhaftigkeit der Auseinandersetzungen in der ehemaligen Reichslandzone ab. Seit der Jahreswende standen dort auf wittelsbachischer Seite Burggraf und Reichsstadt von Nürnberg, die vordem luxemburgisch gesinnten Mächte Henneberg und Leuchtenberg, der Eichstätter Bischof und Mitglieder der Familien Öttingen und Weinsberg.1*4 Die schwäbischen Reichsstädte hielten zuerst zu Ludwig, wurden aber 1316 gezwungen, auf Friedrichs des Schönen Seite überzutreten. Züge des Wittelsbachers gegen Kraft von Hohenlohe, dann gegen Eßlingen änderten nichts am Gesamtzustand.5 Nutznießer dieser Phase der Kraftproben wurde der Eichstätter Hochstiftsherr. Des Pfalzgrafen Rudolf I. Tod am 13. August 1319 befreite Ludwig von lästiger Rivalität im eigenen Hause und brachte ihm zudem neue, wenn auch vorläufig schwache, Möglichkeiten des Wirkens am Mittelrhein und in Westfranken. Gegen die Habsburger konnte der Wittelsbacher zunächst nichts militärisch Entscheidendes unternehmen, obwohl diese im Kampf mit den Eidgenossen in der Schlacht bei Morgarten unterlagen und vorläufig geschwächt waren. Die Partei des Wittelsbachers zeigte von 1319 an in Franken den Beginn von Abfällen; die Häuser Öttingen, Weinsberg und Henneberg gingen ihre eigenen Wege oder standen abseits.6 Nur die Nürnberger Burggrafschaft und das Eichstätter Hochstift standen dem Bayern offen. Den Wandel brachte erst am 28. September 1322 die Niederlage der Habsburger in der Schlacht bei Mühldorf. Der Gegenkönig fiel in Ludwigs Hand. Den Sieg verdankte Ludwig nicht nur der eigenen Kraft, sondern der militärischen Hilfe Böhmens und Kurtriers, den nordgauischen Kontingenten unter der Führung des Landgrafen 1 Grundmann (GG I) 427 ff. 1 Bader 95 ff. ’ Stein 335 ff.; Hauck V 1150. 4 v. Guttenberg I 197 ff., 200 ff. 5 Riezler Π 318 ff. - H. Schrohe, Der Kampf d. Gegenkönige Ludwig u. Friedrich um d. Reich bis z. Entscheidungsschlacht bei

Mühldorf, 1902, Neudr. Vaduz 1965, 94 ff. 6 Schrohe (s. Anm. 5) 11 ff., 18 ff. u. 26 ff. - Eine Übersicht über die Stellung der fränkisehen Mächte im Thronstreit nach 1314 gibt W. Kraft (C. Scherzet II) 49 ff. - Dazu noch immer Riezler 332 ff. u. 342 ff.

§ 16. Franken von Heinrich VII. (1308-1313) bis 1322 (A. Gerlich)

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Ulrich von Leuchtenberg, besonders aber dem Eingreifen des Burggrafen Friedrich IV. von Nürnberg. Nach dem Mühldorfer Treffen wurde Ludwig in Franken allgemein anerkannt als der, der im Kampf das Feld behauptet und Gottes Gutheißung erfahren hatte. Im diplomatischen Ringen mit dem Habsburger treten während der nächsten vier Jahre Burggraf Friedrich IV. von Nürnberg und Graf Berthold VII. von Henneberg als Vermittler auf, abermals so eine ihnen spezifische Funktion in der Reichspolitik erfüllend. Der Zoller empfing von der Schlacht bei Mühldorf bis zu seinem Tod am 19. Mai 1332 mannigfache Gunstbeweise des Kaisers, die fast alle dem Ausbau des Territoriums dienten. Eine Phase wittelsbachisch-zollerischen Nebenund Miteinanders im fränkischen Raum ergänzte Friedrichs IV. Wirken für den Herrscher auf anderen Schauplätzen der Reichspolitik. Graf Bertold VII. von Henneberg wurde Landeshauptmann in der seit 1324 wittelsbachischen Kurmark Brandenburg; seine Aktivität dort wechselte mit Interventionen in Sachsen, Thüringen und Franken ab.1 Er überlebte fast alle Helfer des wittelsbachischen Kaisertums aus der früheren Generation. 1 W. Wiessner, Die Beziehungen Kaiser Ludwigs d. Bayern zu Süd-, West- u. Norddeutschland, Diss. Erlangen 1932, 32 ff.

FRANKENS TERRITORIALMÄCHTE ZWISCHEN BAYERN

UND BÖHMEN

§ 17. DIE ZEIT KAISER LUDWIGS IV. Quellen: HB Π 141. - Riezleb Π; Phegeii, Schwalm, Hetzeneckeb, Schbohe s. HB ebd.; Wiessneb (s. o. 169 Anm. 1; H. O. Schwöbel, Der diplomat. Kampf zw. Ludwig dem Bayern u. d. röm. Kurie im Rahmen d. kanonischen Absolutionsprozesses 1330-1346, 1968.

Unmittelbar nach der Wahl, dann verstärkt in den auf den Mühldorfer Sieg folgenden Jahren griff Ludwig im fränkischen Reichsland ein. Als dessen Zentren erwiesen sich immer mehr die Städte. Deren Unabhängigkeit von den Territorialherrschaften wurde durch Zuweisung von Reichsgerechtsamen innerhalb der Mauern und im Umland gestützt. Die Privilegienbestätigungen folgten einander nach der Doppelwahl von 1314 in unterschiedlich großen Abständen.1 Nürnberg steht mit einem Diplom vom 5. Januar 1315 an der Spitze, unmittelbar gefolgt von Rothenburg am 30. Mai; Windsheim erhielt seine Zusage ein Jahr später; die Urkunden für Dinkelsbühl, Weißenburg und Nördlingen wurden erst zwischen 1324 und 1340 ausgestellt. Die Fälle Nürnberg und Rothenburg sind beispielhaft. Das privilegium de non evocando war das beste Mittel, um die Bürgerschaft an den Herrscher zu binden. Stadtgerichte wurden gestärkt gegen die geistlichen Gerichte, aber auch gegen Landgerichte der Territorialnachbam. Steuererleichterungen, Spitallegate, aber auch die Inanspruchnähme von Krediten durch den Kronträger festigten die Beziehungen der Einwohner zum Königtum. Rothenburg wurde zunächst an Hohenlohe überlassen, als Gesamttendenz ist aber deutlich erkennbar, daß Ludwig die Unabhängigkeit dieser Reichsstadt wünschte, weil sie für ihn ein Vorposten im stärker wittelsbachisch gesinnten Westfranken gegen das vorwiegend habsburgisch beeinflußte Schwaben sein sollte. In Nürnberg wurde der Dualismus Reichsstadt-Burggrafschaft vertieft/ um über den ehemaligen Nordgau hinaus den Einfluß des Hauses Wittelsbach auszuweiten. Mit 74 Herrscheraufenthalten steht in Ludwigs Regierungszeit Nürnberg an der Spitze aller Städte. Doch darf man den qualitativen Wandel von der Königsgastung in einer Pfalz der Stauferzeit zur Quartiemahme in einem Patrizierhause nicht übersehen. Die Verwaltung des Reichsgutes wurde umgcstaltet. Rothenburgs Selbstauslösung aus der hohenlohischen Pfandschaft scheint 1335 den Anlaß zur Reform geboten zu haben. Als Amtsbereich wird Rothenburg zusammen mit Nürnberg genannt; Hein1 Wiessneh (s. o. 169 Anm. 1) 11 ff., 17 ff. 1 Schultheiss, Achtbücher (s. u. 267) 30*

bis 3$*; Ρεεπέββ, Pfalz Nürnberg (s. o. 108 Anm. 4) 312 ff.

§17■ Die Zeit Kaiser Ludwigs IV. (A. Gerlich)

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rieh von Dürrwangen wird manchmal einfach nur als Reichslandvogt in Franken bezeichnet.1 Offenbar war der Reichsbesitz so zusammengeschmolzen, daß Ludwig die Ämter vereinigte. Symptome für diesen Vorgang sind auch 11‫ ץ‬Nürnberg das Verschwinden des Butiglers und die Aushöhlung der Schultheißenbefugnisse durch den Stadtrat. Exemptionen von den Kompetenzen des Landvogtes weisen auf den Zerfall der Reichsgutorganisation hin. Im Blick auf die weltlichen Territorialherren in Franken mußte der Kaiser auch nach dem Ableben des habsburgischen Rivalen am 13. Januar 1330 vorsichtig taktieren? Den Zollern gewährte er freie Hand im Regnitzland und im Gebiet von Hof; die Herren von Hohenlohe erhielten Crailsheim und mancherlei Vorteile in den Regionen zwischen Main und Neckar. Graf Ludwig von Öttingen wurde vielfach in diplomatischen Missionen gebraucht. Die Kleinterritorienbildung der Herren von Schlüsselberg wurde gefördert, erlag aber imTodesjahre des Kaisers demZangengriffder MainHochstifte. Die Beziehungen zu den geistlichen Fürsten wurden beeinflußt vom Kampf zwischen Kaiser und Papst. Im Bamberger Hochstift’ übten zunächst die Zollern und Henneberger gemeinsam mit dem Herrn von Aufseß eine Sequesterverwaltung aus, das Staatswesen war zeitweise in kaiserfreundliche Bündnisse eingefügt. Seit der Wahl des Bischofs Wemtho Schenk von Reicheneck am 16. April 1328 aber wurde der Zustand labil. Gegenüber der Stadt Bamberg unterstützte der Kaiser den Landesherm. Der am 10. Mai 1335 gewählte Leupold II. von Egloffstein gehörte wieder zur kaiserlieh gesinnten Bischofsgruppe. Während seiner Amtszeit entstand 1339/40 in Bamberg der «Tractatus de iuribus regni et imperii Romanorum» des Domherren Lupoid von Bebenburg (s. u. 541), eines Nachfahren der reichsministerialischen Sippe der Küchenmeister von Nortenberg. Lupoid griff auf die Grundsätze des Reichsrechtes zurück und leitete eine Neubesinnung ein, die in der unangreifbaren Herrschaftstheorie der Goldenen Bulle kulminieren sollte.1 *4 Lupolds enge Beziehungen zum Trierer Kurfürsten Balduin deuten auf den Fortbestand einer böhmisch-luxemburgisehen Gruppe in der Führungsschicht des Hochstifts wie auch anderer Territorien in Ostfranken hin. Verworren war die Lage am mittleren Main.’ Der Kaiser aktivierte gegen den Bischof Gottfried III. von Hohenlohe in Würzburg den Burggrafen von Nürnberg und den Abt von Fulda. Dieser Zustand hielt auch während der Amtszeit des Bischofs Wolfram von Grumbach an. Der Bischof schloß auf Druck des Papstes 1325 ein Bündnis mit Herzog Leopold von Österreich und dem habsburgisch gesinnten Mainzer Kurfürsten Matthias von Buchegg. Von den Territorialpartikeln des kaisertreuen Deutschen Ordens im westlichen Franken aus konnte der Würzburger Hochstiftsherr kontrolliert werden. Als Wolfram einlenkte, verlieh ihm Ludwig für 1 Mommsen (s. o. 165 Anm. 1) 42-45. 1 Wiessner (s. o. 169 Anm. 1) 35-38; HAB Höchstadt-Herzogenaurach (Η. H. Hofmann) 15; Endres, Geleitstraßen (s. u. 295) 137. ’ v. Guttenberg I 200-207; Kloos (’·u■ 275) 353 ff·. 362 ff. u. 370 ff. 4 Quellen u. Lit. s. u. 267 f. u. 274 f.;

R. Most, Der Reichsgedanke d. Lupoid v. Bebenburg (DA 4) 1941, 444-48$. > Hauck V 486 Anm. 4, 493 Anm. 1,1150; Wiessner (s. o. 169 Anm. 1) 39 ff.; Jüngst: Wendehoest Π 45-56; Hofmann, Deutschmeisterstaat 59 ff.

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Franken: C. II. Die Territorialmächte zwischen Bayern und Böhmen (1323-1378)

Iphofen und Würzburg städtische Privilegien, schlug also eine andere Richtung als im Hochstift Bamberg ein. Die Stärkung des städtischen Elements am mittleren Main zeitigte ihre Konsequenzen während der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Das Würzburger Hochstift war in seiner Struktur dem Mainzer Oberstift ähnlicher als dem Bamberger Bischofsstaat. In der Endphase der Regierungszeit Kaiser Ludwigs entstanden am Main neue Wirren infolge des im Wüzrburger Bistum ausbrechenden Schismas.1 Sein Kanzler wurde am 3o.Juli 1333 gewählt, starb aber bereits am 21. März 1335. Dessen Gegner Otto von Wolfskeel ins Lager des Kaisers zu ziehen, kostete viel Mühe; unter anderem kam damals das Kloster Ebrach zum Würzburger Territorium, das so einen bleibenden Vorteil gegenüber Bamberg davontrug. Die der Stadt Würzbürg gewährten Privilegien führten zu neuem Streit mit dem Bischof. Otto von Wolfskeel vereinte sich 1344 mit dem Burggrafen von Nürnberg und dem Grafen von Henneberg gegen die bürgerschaftlichen Emanzipationstendenzen, die dem Kaiser interventionsmöglichkeiten boten. Die engen wechselseitigen Beziehungen in der Landschaft waren wirkungsvoller als überregionale Konstellationen der Parteien von Kaiser oder Papst. Die hohenlohische Stellung am Ochsenfurter Mainknie1 konnte eingeengt werden. Ein anderes Bild als die Hochstifte am Main zeigt die Einordnung des Eichstätter Territoriums in Ludwigs Machtgefüge.1*3 Die Fehden im Übergangsgebiet zwischen Bayern, Franken und dem nordösdichen Schwaben bis zur Mühldorfer Entscheidung, besonders die Zwiste der Grafen von Öttingen mit den Herren von Hohenlohe, schlugen zugunsten der Eichstätter Hochstiftsexpansion aus.4 Erst damals konsolidierte sich ein geistliches Territorialgebilde in Südfranken.3 Das Erbe der Grafen von Hirschberg und dazu kleinere Zugänge anderer Provenienz wurden gesichert. Solche Umstände aber machten ein Zusammengehen mit dem König notwendig. Ludwig fand in Eichstätt günstigere Voraussetzungen für sein Wirken. Zwar lagen in der Aufeinanderfolge der Bischöfe auch hier Gefahren, aber die Haltung des Domkapitels ließ für eine Oppositionsbewegung gegen den Kaiser keinen Raum. Bischof Gebhard III. von Graisbach war ein entschiedener Anhänger Ludwigs und wurde am gleichen Tag wie die Verfasser des «Defensor pacis» exkommuniziert; während des Italienzuges starb er am 14. September 1327 in Pisa.6 Sein Tod löste eine Folge von Bistumsschismen aus, das Hochstift aber verblieb im Gefüge der wittelsbachischen Machtstellungen. Der Deutschordensbesitz ergänzte die Positionen des Herrschers. Unter den Räten des Kaisers nahmen die Deutschmeister erstrangige Plätze ein; die Nürnberger Dekla1J. Hetzenecker, Studien z. Reichs- u. Kirchenpolitik d. Würzburger Hochstifts in d. Zeiten Kaiser Ludwigs d. Bayern (1333-1347), Diss. Würzburg 1901, 13-58. - Wendehorst Π 5772‫·־‬ 1 Vgl. allgem. Weller, Hohenlohe II (s. u. 305) 381-440. 3 Die Tendenz zeigt bereits das Bündnis von 1308. Const. IV 1230, nr. 1176. - Zur an-

schließenden Entwicklung Angermeier (HB Π 158 f.). 4 Zu Ludwigs Gunstbeweisen: 1315 Verpfändung Weißenburgs, 1330 Schutzerklärung vgl. Wiessner (s. o. 169 Anm. 1) 44 ff. 3 Grundlegend die beiden HAB-Arbeiten: Eichstätt (G. Hihschmann), GunzenhausenWeißenburg (Η. H. Hofmann). 6 Hauck V 493, 515 u. 1141.

§ 18. Der Thronstreit 1346-1341) (A. Gerlich)

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rationen von 1323 und die Sachsenhäuser Appellation wurden in Ordenshäusem erarbeitet, die Höfe der fränkischen Kommenden standen stets dem Kaiser zur Verfügung. Im regionalen Bereich übten sie die Gastungsfunktion des Reichsgutes alten Stils. Wiederholt hat Ludwig für Orte des Ordens Markt- und Stadtrechte verliehen, unterstützte aber in Streitigkeiten mit deren Einwohnern stets die Territorialisierung; diese wurde auch durch die Zuweisung von Resten des Reichsgutes in jenen Jahrzehnten gefördert.

§18. DER THRONSTREIT (1346-1349) Grundmann (GG I) 451 ff.

Ursachen und Anfänge des Gegenkönigtums sind außerhalb Frankens zu suchen. Karls IV. Aufstieg wurde mitverursacht von der Konvergenz der von der Kurie ausgehenden Impulse mit der Wendung der rheinischen Kurfürsten gegen Ludwig den Bayern. Der Trierer Kurfürst Balduin von Luxemburg betrieb die Wahl seines Großneffen Karl von Mähren, dem 1340 die böhmischen Stände anstelle des erblindeten Vaters gehuldigt hatten. Der im April 1346 im Mainzer Erzbistum durch päpstliche Provision vorgenommene Personalwechsel ermöglichte den funktionsgerechten Ablauf der Neuwahl am 11. Juli 1346 in Rhens. Das wittelsbachische Bundnissystem im Kreise der weltlichen Reichsstände bestand im wesentlichen weiter. Zu ihm gehörten in Franken Lutz von Hohenlohe und die Burggrafen von Nürnberg.1 Die Zollern erhielten Neustadt an der Donau und Vohburg als Pfandschaften. Dagegen schlossen sich die Bischöfe von Würzburg und Bamberg Karl IV. an? Eine bewaffnete Auseinandersetzung drohte besonders in den südfränkisch-oberpfälzischen Regionen, aber außer einem Scharmützel bei Cham kam es zu keinen nennenswerten Zusammenstößen. Ehe sich der Krieg ausdehnen konnte, erlag Ludwig der Bayer am 11. Oktober 1347 einem Schlaganfall. Im wittelsbachischen Lager scheint man zunächst die Wahl des Burggrafen Albrecht von Nürnberg zum römischen König erwogen zu haben. In klarer Erkenntnis seiner von der Hausmacht her nur beschränkten Möglichkeiten eines Wirkens im Reich hat aber der Zoller offenbar von sich aus diesem Projekt den Boden entzogen.’ Der Friede in Franken wurde gesichert durch den Waffenstillstand, den am 18. Juni 1348 die Wittelsbacher in der Pfalzgrafschaft und der Oberpfalz, die Zollern, die geistlichen Reichsfürsten am Main und die Grafen von Wertheim, Rieneck und Brauneck abschlossen. In Unterfranken sicherte man sich außerdem vor der im Mainzer Erzstift schwelenden Fehde.1 2*4 Nach ergebnislosen Sondierungen in England und Meißen fanden die Wittelsbacher schließlich im Grafen Günther von Schwarzburg 1 Riezler II 493-498. 2 Hetzenecker (s. o. 172 Anm. 1) 65 ff.; v. Guttenberg Π 212 ff; Wendehorst Π 77f. ’ Schwammberger (s. o. 163 Anm. 1) 64 f.

4 G. Stein, Die Einungs- u. Landfriedenspolitik d. Mainzer Erzbischöfe z. Zeit Karls IV., Diss. Mainz 1960, 25 f., 30.

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Franken: C. II. Die Territorialmächte zwischen Bayern und Böhmen (1323-1378)

einen Kandidaten, der in die Wahl einwilligte.1 Jetzt entstand eine akute Kriegsgefahr in der fränkisch-thüringischen Übergangszone, weil der Graf von Henneberg seinen Nachbarn unterstützte. Karls IV. Spaltung des wittelsbachischen Lagers, Günthers Krankheit und Tod am 14. Juni 1349 brachten das Ende des Gegenkönigtums. Während des wittelsbachisch-luxemburgischen Thronstreites trafen in Nürnberg die Parteien aufeinander. Karl IV. fand hier nicht nur Gegner seines HerrschaftsanSpruches, sondern auch als regionale Komplikation den Dualismus Reichsstadt-Burggrafschaft. Im Blick auf beide Mächte stand Karl unter dem Zwang des Entgegenkommens. Die Zollern wurden mit erheblichen Geldzahlungen auf die luxemburgisehe Seite gezogen. In der Reichsstadt hatten die Handwerker, die wittelsbachisch gesinnt waren, einen Aufstand gemacht? In den Unruhen der Jahre 1348/49 sind indessen keine sozialgeschichtlich scharfen Fronten erkennbar? Bei den Handwerkern hielten manche zur patrizischen Führungsschicht, Patrizierfamilien blieben in der Stadt und stellten sich auf guten Fuß mit dem neuen Regiment. Die Rebellen schlugen sich auf die Seite der wittelsbachischen Partei in Franken. Karl IV. vereinigte sich daher mit den Ausgefahrenen und verhängte Sanktionen über die Stadt. Durch den Ausgleich mit den Wittelsbachem und Zollern isolierte er die Aufständischen, für die Hilfe bei der Rückführung ließ er sich von den Patriziern reichlich bezahlen. Der Rat nahm an den Gegnern keine blutige Rache und bewies viel politisches Geschick; die Rädelsführer wurden meist mit Stadtverboten bestraft? Von damals an datiert das trotz gelegentlich recht fühlbarer Inanspruchnahme der städtischen Finanzkraft gute Verhältnis Karls IV. zu Nürnberg, das er nicht weniger als 52mal besuchte? In diesen Kreis der auf Böhmen orientierten Mächte Ostfrankens wurden auch die Zollern eingeordnet. Für die Territorialisierung der Burggrafschaft hatten Karls IV. Maßnahmen - obwohl er mit ihnen ursprünglich ganz andere Zwecke verfolgte1 23*6 nachhaltige Konsequenzen. Im Juni 1348 wurde das Landgericht aus Nürnberg nach Cadolzburg verlegt. Das aus der Reichsgutorganisation erwachsene Gericht mit dem Anspruch auf «grenzenlose» Zuständigkeit wurde zum Instrument der zollerischen Territorialpolitik? Unter Karl IV. und mit dessen Billigung setzt dieser Prozeß der reichsrechtlichen Verfestigung eines «ungeschlossenen Territoriums in Streulage» ein,· einer der vielschichtigsten und reizvollsten Vorgänge im weiten Rahmen spätmittelalterlicher Verfassungsgeschichte. 1 E. Werunsky, Gesch. Kaiser Karls IV., II, Innsbruck 1880, 106 ff, 118 ff. u. 144; Riezler ΠΙ 12 ff.; Hetzenecker (s. o. 172 Anm. 1) 59 bis 75; K. Janson, Das Königtum Günthers v. Schwarzburg, 1880; F. Trautz, Die Könige v. England u. d. Reich 1272-1377, 1961, 344-352. 2 Reicke, hier bes. 292ff.; Über Nürnberg u· 333344‫·־‬ 3 H. Lentze, Der Kaiser u. d. Zunftverfassung in d. Reichsstädten bis z. Tode Karls IV., !933· Neudr. 1964, 216-224. ♦ Schultheiss, Achtbücher (s. u. 267) 71 ♦ff.

- Zur Sozialgeschichte der ratsfähigen Familien: Hofmann, Nobiles (s. u. 324) 78 ff. ’ H. Liermann, Die Goldene Bulle u. Nümberg (MVGN 47) 1956, 107-123; Pfeiffer, Pfalz Nürnberg (s. o. 108 Anm. 4) 313; Heimpel (s. u. 324). 6 S. u. 176 f. 7 Μ. Hofmann, Fürth (s. u. 195) 49 ff.; Hofmann 382 ff. • Zur Terminologie und Forschungsgeschichte Hofmann, Adelige Herrschaft 10 ff.

$ ip. Die Reichs- und Hausmachtpolitik Kaiser Karls JK in Franken (A. Gerlich)

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§19. DIE REICHS- UND HAUSMACHTPOLITIK

KAISER KARLS IV. IN FRANKEN HB II 182. - Über «Neuböhmen» vgl. ebd. 207 ff. und u. 178 ff.

Wert und Bedeutung Frankens für Kaiser Karl IV. spiegelt die Goldene Bulle.1 Zum weitaus größeren Teil ist sie in Nürnberg beraten und am 10. Januar 1356 verkündet worden, wahrscheinlich in Form eines Inhaltsreferats in deutscher Sprache.123Im Nürnberger Gesetzesteil wurden die Geleitspflichten der Bischöfe am Main, der Nümberger Burggrafen, der Familien von Hohenlohe, Brauneck und Wertheim sowie der Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg und Windsheim festgelegt, die dem nach Frankfurt reisenden Böhmenkönig zu leisten waren? Dieselben Aufgaben hatten sie neben anderen Reichsständen gegenüber den Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg zu erfüllen,4 wenn diese der Weg zur Königs wähl über fränkisches Gebiet führte. Im Metzer Teil des Reichsgesetzes vom 25. Dezember 1356 wurden dann die protokollarischen Angelegenheiten geregelt, die in Franken die Marschälle von Pappenheim, Küchenmeister von Nortenberg und Schenken von Limpurg als Funktionsträger bei Reichstagen und anderen Versammlungen betrafen.5 Noch bedeutsamer war die BeStimmung, daß der erste Reichstag eines Herrschers in Nürnberg abgehalten werden solle.6 Dies wird als altes Herkommen erklärt, ist aber weder historisch absolut sicher begründbar noch wurde der Anspruch Nürnbergs, die Erstreichstagsstadt zu sein, von den späteren Herrschern immer beachtet. Reichsrechtliche Normen haben bei dieser Festsetzung nicht Pate gestanden, sondern Karls IV. allerwege zu beobachtende Vorliebe für diese einzige Großstadt7 in Franken, die direkt am Weg von Prag ins süddeutsche Reichsgebiet lag und von der aus die wichtigsten Handelsbeziehungen nach Böhmen aufgebaut worden waren.8 Nürnberg sollte gleichsam einen territorialstaatsfreien Raum in Ostfranken für die Begegnungen zwischen Kaiser und Reichsangehörigen bilden.’ Als das Haupt derfränkischen Reichsstadt-Gruppe wurde Nürnberg gestützt, um neben den Zollern, den Wittelsbachern und den jeweiligen Herren der 1 Zeumer 192-214 nr. 148. 2 Liermann (s. o. 174 Anm. 5) 107-123, bes. 119f.; Ders., Die Goldene Bulle v. 1356 u. Franken (ZBLG 21) 1958, 1-17. 3 Goldene Bulle (GB) c. I 8; Zeumer 195. 4 GB c. I 12; Zeumer ebd. 5 GB c. XXVII i u. 6; XXX 3; Zeumer 2II f. 213. 6 GB c. XXIX i; Zeumer 212. 7 Zum in Franken allein auf N. anwendbaren Begriff «Großstadt» vgl. bes. H. Ammann, Wie groß war die mittelalterl. Stadt? (Studium Generalc 9) 1936, 202-206. - Für das 14. Jh. fehlen Zahlenangaben, die für Berechnungen taugen; vgl. aber C. Ott, Bevölkerungsstatistik in d.

Stadt u. Landschaft Nürnberg in d. ersten Hälfte d. 15.Jh., 1907. 8 Zu Nürnbergs Wirtschaftsgeschichte s. u. 324. Grundlegend noch immer P. Sander, Die reichsstädt. Haushaltung Nürnbergs, dargest. auf Grund ihres Zustandes v. 1431 bis 1440, 2 Bde., 1902. Den jüngsten Stand der Forschung bieten: Endres, Nümberg-Nördlinger Wirtschaftsbez. (s. u. 324); Ders., Messestreitigkeiten (Ebd.) 1-19; H. Lentze, Nürnbergs GeWerbeverfassung im MA (JffL 24) 1964, 207 bis 281. Zuletzt das Sammelwerk: Beitrr. WGN 1967; Stromer, Hochfinanz (s. u. 479). ’ Vgl. Liermann, Goldene Bulle u. Franken (s. o. Anm. 2) 12 f.;PEEnTBR(s.o. 108 Anm. 4)313.

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Franken: C. II. Die Territorialmächte zwischen Bayern und Böhmen (1323-1378)

Hochstifte einen Ansatzpunkt und ein Instrument der Reichspolitik zu besitzen. Der patrizische Rat, der mit Karls Hilfe die Krise von 1348/49 überstanden hatte und sich hinfort im sozialgeschichtlichen Befund1 von den Führungsgremien der anderen Reichsstädte unterschied, betrieb stets eine Politik des Ausgleichs und der Vermittlung,12 die Nürnbergs Verhalten abhebt vom Radikalismus der kleineren Städte.3 Verpfändungen des Reichsschultheißenamtes sowie der Bann-, Zoll- und Münzrechte an die Zollern 1365 hemmten zwar die Entwicklung des Kommunalrechts, zwanzig Jahre später aber konnte die Stadt diese Gerechtsame wieder aus eigener Kraft an sich bringen und in die ihr eigene Rechtssphäre einschmelzen.4 Sogar bis in den religiösen Bereich hinein wurde das Empfinden für den Eigenstand gestaltet: in der Sebaldsverehrung entwickelte man dieLiturgie eines typisch reichsstädtischen Heiligen. Das Reimoffizium «Nuremberg extolleris» ist ein politisch-repräsentativer Gebetstext. In den um 1340 kompilierten Lektionen wurden politische Ansprüche und Vorstellungen weiter präzisiert. Gegen das Bistum Eichstätt, aber auch gegen die Burggrafen ist die Tendenz der Legende gerichtet.’ Die Dynamik der Königspolitik offenbaren Karls IV. Beziehungen zu den Zollern. Man kann starke Ansätze für den Neubau eines Königsstaates in Franken erkennen.6 Der Kaiser plante nach jeder Geburt eines Sohnes in Nürnberg, eine Zollemtochter als Gemahlin für diesen 7!1 gewinnen, um eine luxemburgische Anwartschaft auf die Burggrafschaft zu begründen. Als jedoch Friedrich V. Söhne geboren wurden, für die der Burggraf eine neue Hausordnung mit genauen erbrechtlichen Bestimmungen aufstellen ließ, lenkte Karl seine Initiative auf größere Ziele in der Mark Brandenburg und in Ungarn. Man sollte aber nicht nur vom faktischen Ergebnis her ein Urteil über Karls IV. Politik fällen, sondern auch die Projekte berücksichtigen, in denen zwischen 1348 und 1373 die Idee der Erfassung Frankens aufscheint. Ein Vierteljahrhundert lang standen Hausinteressen und Reichsdurchdringung in einem Wechselverhältnis. Die Ziele des Kaisers sind in den Urkunden für die Burggrafen erkennbar. Am 6. April 1362 wurde Friedrich V. für die Dauer der Abwesenheit Karls IV. zum Reichshauptmann in Franken ernannt. Das bedeutendste Privileg wurde am 17. März 1363 ausgestellt: Der Kaiser erhob den Burggrafen und dessen Sippe in den Reichsfürstenstand.7 Dieser Akt war für die Zollern der vorläufige Abschluß eines zäh seit anderthalb Jahrhunderten verfolgten Aufstieges. Zwischen den Privilegien für die Zisterzen in Franken und der Fürstung der Zollern besteht eine Affinität.8 Ähnlich den Schutzbestimmungen in den Urkunden für die unter der Reichsvogtei stehenden Zisterzen sollte 1 Den jüngst behandelten Problemen kann hier nicht weiter nachgegangen werden. Die Forschungspositionen markieren: E. Pitz,Ratsherrschaft (s. u. 324); Hofmann, Nobiles (s. ebd.); Julie Meyer, Patriziat (s. ebd.); Hirschmann (s. o. 167 Anm. 6). 2 Auch persönliche Beziehungen haben mitgewirkt, vgl. P. Schöffel, Nürnberger in Kanzleidiensten Karls IV. (MVGN 32) 1934, 47-68. 3 Überblick: Heimfbl (s. u. 324).

4 Zusammenfassend: Schultheiss, Achtbüeher (s. u. 267) * -35 ;30 HAB NürnbergFürth (Η. H. Hofmann) 26-31 u. 51-74; Schultheiss, Satzungsbücher (s. u. 267) 1965. Dazu als Vorstudie: Ders., Weistum(s. u. 324). ’ Borst (s. u. 324) bes. 36 ff., 65 ff. 6 Dazu: Hofmann, Freibauern, hier bes. 297 Anm. 274. 7 Mon. Zollerana 4, 1-8 nrr. 1 u. 2. 8 Hofmann, Freibauern 307 ff.

§ jp. Die Reichs- und Hausmachtpolitik Kaiser Karls IV. in Franken (A. Gerlich)

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für die Nürnberger Burggrafen mit dem Fürstenprivileg ein Instrument gegeben werden, mit dem sie als Sachwalter und Verbündete des Kronträgers im chaotischen Herrschaftsgewirr Frankens Keimzellen staatlicher Konzentration schaffen konnten. Diesem an Böhmen herangeführten Machtgebilde war eine zeitlang Karl IV. sogar bereit, die kleineren Reichsstädte zu opfern. Besitzkäufe der Zollern und Eigentumserwerb anderer Art, Schutzmaßnahmen in Hinsicht der Freien ließen Menschen und Güter den burggräflichen Gerichten zugeordnet werden.1 Inwieweit die Streugerechtsame der Burggrafschaft in eine flächenhafte Staatlichkeit eingebracht werden konnten, war von 1363 an die wesentliche Frage, die den Zollern in Franken zu lösen aufgetragen war. Karl IV. aber wollte mit der Verleihung der Fürstenwürde nicht nur eine Rangerhöhung aussprechen, sondern eine Funktionsintensivierung erreichen. Die Burggrafen von Nürnberg sollten eine auf Eigenbesitz und Reichsgutgrundlage ruhende, aber mit weiten Kompetenzen ausgestattete Position im Vorfeld des böhmisehen Königreiches erhalten. Zeitweise wurde die Kooperation mit Friedrich V. auch auf den Reichsbesitz in Schwaben und im Elsaß ausgedehnt.1 2 Karl IV. suchte auch dort den Burggrafen von Nürnberg als Helfer einzusetzen. Vielgestaltiger als die Beziehungen des Kaisers zu den Zollern war Karls IV. Bau einer territorialen Verbindung zwischen Prag und Franken.3 Das Unternehmen fand seine Motive im Machtkalkül und persönlichen Erleben: Der Herrscher mußte sich 1346 mühevoll und streckenweise heimlich in den Rheinlanden und in Franken durchschlagen, um wieder nach Wahl und Krönung seine Erblande zu erreichen. Um solchen Erschwernissen für die Zukunft vorzubeugen und eine stets sichere Verbindungslinie zu den rheinischen Kurfürsten in der Hand zu haben, sollte - wie es in einem Lehensbrief für Heidingsfeld vom Neujahrstag 1367 ausgesprochen wird4 eine Kette von Territorien, Städten und Burgen geschaffen werden, die vom Böhmerwald bis an den Mittelrhein reichte. Die ersten und gleich erheblich raumgreifenden Schritte in dieser Richtung gestatteten ihm dynastische Konstellationen und Glücksfälle: Am 4. März 1349 heiratete Karl die Pfalzgräfin Anna, am 1. Mai 1351 löste der König den Pfalzgrafen Ruprecht II. aus der Gefangenschaft beim Kurfürsten von Sachsen, in die dieser als Karls Bundesgenosse während der Kämpfe um den falschen Woldemar geraten war. Der durch die Heirat erworbene Block der Ämter Hartenstein, Auerbach, Velden, Piech und Neidsstein wurde durch Pfandschaften 1351 erweitert; zwei Jahre später wurde gegen ein Darlehen weiterer Besitz dazugeschlagcn (s. u. 179f.). Um schwierigen Problemen des Reichsrechtes bei einigen dieser Stücke aus dem Weg zu gehen, verlieh diese Karl als römischer König an die Krone Böhmen unter formaler, wenn auch nicht gerade kleinlicher, Wahrung der Reichsleheneigenschäft.5 Willebriefe der Kurfürsten folgten 1354/55, der Gesamtkomplex dieser nach1 Ebd. 248 ff. 2J. Becker, Gesch. d. Reichslandvogtei im Elsaß v. ihrer Einrichtung bis zu ihrem Übergang an Frankreich (1273-1648), 1903, 45; Th. Schön, Die Landvögte d. Reiches in Ober- u. Niederschwaben bis 1486 (MIÖG Erg.-Bd. 6) 1901, 280-292, hier 291. 12 HdBG III,

3 Η. H. Hofmann, Karl IV. u. d. polit. Landbrücke v. Prag nach Frankfurt (Zw. Frankfurt u. Prag, hg. vom Collegium Carolinum) 1963, 74· 514 Hofmann (s. Anm. 3) 52. 5 S. Grotefend, Die Erwerbungspolitik Kaiser KarlsIV., 1909,21-33; Hofmann (s. 177

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Franken: C. II. Die Territorialmächte zwischen Bayern und Böhmen (1323-1378)

mals sogenannten neuböhmischen Lande in der Oberpfalz und in Ostfranken wurde der corona regni Bohemiae inkorporiert.1 Schließlich bestätigte er am 3. März 1361 nochmals als Kaiser die von ihm als König vorgenommenen Rechtsakte.2 Mit diesem Vorgehen sicherte Karl IV. die zwar nicht ununterbrochene, aber recht dicht mit eigenen Positionen besetzte Verbindung zwischen dem ebenfalls der Wenzelskrone am 3. und 4. Dezember 1360 inkorporierten Egerland2 und Nürnberg.4 Mit den Privilegierungen der Zollern führte Karl IV. seine Einflußnahme in Franken mit anderen Mitteln weiter westlich und südlich fort. Gleichzeitig mit diesem Ausgriff in den Nürnberger Raum begann die Expansion im Fichtelgebirge. Der Aufbau des burggräflichen Teilgebietes im Gebirge wurde überlagert, auch das Hochstift Bamberg tangiert. Karls Maßnahmen blieben jedoch bescheiden, dem Nürnberger Raum galt in erster Linie seine Initiative. Von dort aus setzte 1358 der große Brückenschlag westwärts ein. Er führte entlang den für das Wirtschaftsleben des Reiches wie die militärische Kontrolle des Großraumes Franken wichtigen Straßen von Nürnberg über Würzburg und das Mainzer Oberstift in das Rhein-Main-Gebiet.5 Stark durchsetzt wurde der Südteil des Würzburger Hochstifts: Markt Bibart, Iphofen, Heidingsfeld und Homburg waren die wichtigsten Orte in diesem Abschnitt, jeder umgeben von einer Anzahl von Burgen.6 Die Kleinterritorien der Grafen von Wertheim und Rieneck wurden ebenfalls in dieses System einbezogen,7 weil sie Flußübergänge beherrschten und von ihnen aus die Hochstifte am Main kontrolliert werden konnten. Schutz und regionale Ergänzungen boten der Landbrücke die Reichsstädte und der Deutschordensbesitz. In das Mainzer Oberstift und die östlichen Teile der Pfalzgrafschäft konnte Karl IV. trotz der Schwächeerscheinungen in beiden Kurstaaten zu Anfang seiner Regierungszeit nicht eindringen. Den verfassungsrechtlichen Dualismus König-Kurfürsten spiegelt diese unregelmäßige Streuung der böhmischen Positionen in Franken. Im Gefüge der Landbrücke Karls IV. stellte das Hochstift Bamberg das dritte Eiement von hervorstechender Bedeutung dar. Anfang November 1347 huldigte Bischof Friedrich I. von Hohenlohe, das Hochstift erhielt mit dem privilegium de non evocando eine zusätzliche Festigung seiner Eigenstaatlichkeit; als päpstlicher Bevollmächtigter für die Rekonziliation von Anhängern Kaiser Ludwigs trug der Bamberger BiAnm. 3) 52 ff. - Über den Begriff des «böhmischen Lehens» vgl. H. Liebmann, Franken u. Böhmen. Ein Stück deutscher Rechtsgesch., 1934, 80 ff. sowie bes. H. Hofmann, «Böhmisch Lehen vom Reich». Karl IV. u. d. deutschen Lehen d. KroneBöhmens (Bohemia, Jb. d.Coll. Carolinum 2) 1961, 112-124. 1 H. Sanman-v. Bülow, Die Inkorporationen Karls IV. Ein Beitr. z. Gesch. d. Staatseinheitsgedankens im späteren MA, 1942, 51 ff.; W. D. Farrz, Kurfürstl. Willebriefe aus d. Jahren 1348-1358 (DA 23) 1967, 171-187. Zum Begriff «Neuböhmen» Hofmann (s. o. 177 Anm. 3) 71 Anm. 15.

2 Winkelmann (Hg.), Acta imperii inedita, II 1885, 553 nr. 867. 3 Sanman-v. Bülow (s. Anm. 1) 52. 4 Zur wirtschaftl. Bedeutung von Oberpf. Ostfranken s. u. § 156. 5 Hofmann (s. o. 177 Anm. 3) 53 mit Karte zwischen 64 u. 6$. 6 Gbotefend (s. o. 177 Anm. 5) 54-60. 7 Vgl. HAB Karlstadt (E. Riedenaueb) 33. Nicht angewandt auf diese entfernter liegenden Besitzpartikel westlich von Nürnberg wurde das Institut der Inkorporation: vgl. dazu Sanman-v. Bülow (s. o. Anm. 1) 52.

§ 1Q. Die Reichs- und Hausmachtpolitik Kaiser Karls IV. in Franken (A. Gerlich)

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schof dazu bei, die dynastisch und kirchenpolitisch bedingten Gegensätze zu beseitigen. Die Finanzlage des Hochstiftes besserte sich fühlbar; die Eingriffskompetenz der Zollern auf Grund der alten Judenschulden wurden verringert.1 Lupoid III. von Bebenburg hat die Territorialpolitik seiner Vorgänger fortgeführt, seine Erhebung war das Werk der mit Karl IV. liierten Bamberger Domherren. Das Kerngebiet des Bistumslandes an Regnitz und Obermain blieb zwar außerhalb der böhmischen Erwerbszonen, aber im Bereich des Pegnitzlandes mußte Lupoid von Bebenburg erhebliehe Verzichte zugunsten des böhmischen Königs leisten.1 2 Diese standen wohl in Zusammenhang mit Lupolds Ernennung und auch mit den Übereinkünften zwischen Karl IV. und den Wittelsbachem. Es mochte scheinen, als ob die Gebiete wieder den bayerischen Herzögen entgleiten sollten, in denen sie als Erben Konradins Raum gegriffen hatten und damals Ottokar Π. zuvorgekommen waren. Das Bamberger Hochstift erfüllte in Karls IV. Zeit die Aufgabe, den böhmischen Ausgriff nach Franken zu sichern und im Blick auf Thüringen als Stabilisierungsfaktor zu wirken. Den Wünsehen des Kaisers konnten bei Neubesetzungen des Bischofsstuhles die Domherren keinen ernsthaften Widerstand entgegensetzen.3 Bistum und Hochstift waren fest dem böhmischen Kraftfeld angeschlossen; zeitweise war es sogar wahrscheinlich, daß Bamberg Suffragan des 1344 zum Erzbistum erhobenen Prag würde.45 Auch in rechtsgeschichtlicher Hinsicht muß Karls IV. Herrschaftsaufbau in Franken betrachtet werden. Wie überall durchsetzte das Geldwesen das vordem jahrhundertelang agrarisch strukturierte Lehensrecht.’ Böhmens reiche Edelmetallvorkommen ermöglichten die Vergabe von Geldlehen, Zinsen und Renten. Karl hat auch als Herr eines früh institutionalisierten Staatswesens versucht, die alten Leitbilder ministerialischer Pflichten, die zugunsten des Lehensträgers abgebaut und auf das Offnungsrecht6 konzentriert worden waren, durch amtsrechtliche Vorschriften zu ersetzen? Der locker gebaute westliche Teil der Landbrücke zwischen dem Nürnberger Raum und dem Mittelrheingebiet unterscheidet sich wesentlich von der massiven «Brückenauffahrt» im ostfränkischen-oberpfälzischen Neuböhmen, wo kompakte Ämter zusammengeschlossen waren. Im Westen konnte nicht mehr erreicht werden als der Bau von Pfeilern. Östlich von Nürnberg aber tauchten in den fünfziger und sechziger Jahren die Umrisse eines Staatsgebildes auf, das in Franken zur Vormacht aufgestiegen wäre, hätte sich auf dem Erbwege die Vereinigung mit den Zollernterritorien verwirklichen lassen. Den sinnfälligsten Ausdruck fand Karls IV. Vorrang1 v. Guttenberg I 213 ff. 2 Vgl. v. Guttenberg 186 ff.; Ders. I 220; HB II 71 ff., 79 ff. 3 Über diese «Prälatenschübe» als Element der Reichspolitik vgl. F. Vigener, Kaiser Karl IV. u. der Mainzer Bistumsstreit (Westdt. Zschr. f. Gesch. u. Kunst, Erg.-H. 14) 1908, 18-149; A. Geruch, Die Anfänge d. großen abendländ. Schismas u.d. Mainzer Bistumsstreit (Hess. Jb. f. LG 6) 1956, 27-76, bes. 27 ff. 4 v. Guttenberg I 224. 5 Die Bedeutung des Lehensrechtes im Terriia·

torialstaat muß noch eingehender erforscht werden. Über die meist um die Mitte des ij.Jhs. abschließenden Darstellungen geht wegweisend hinaus: E. Klbbel, Territorialstaat u. Lehen (VF 5) 195-228. Vgl. auch Hofmann (s. o. 177 Anm. 3) 66 ff. 6 Richtungweisend Pfeiffer, Offenhäuser (s. u. 324) 153-179. 7 Indiz sind Belehnungen «in Amtmannsweise», auf die Hofmann (s. o. 177 Anm. 3) 66 hingewiesen hat.

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Franken: C. II. Die Territorialmächte zwischen Bayern und Böhmen (1323-1378)

und Herrschaftsstreben in den zur Krone Böhmen gezogenen «Landen in Franken und Bayern» in dem vom Kaiser um 1360 zu Lauf an der Pegnitz erbauten Wappensaal.1 Begünstigt wurde Karls IV. Machtaufbau durch die Volksgeschichte: Die Züge des Schwarzen Todes hatten Franken zunächst nicht erfaßt,2 belasteten die böhmischen Stellungen nicht durch Verluste an Menschen, besteuerbarer Wirtschaftsleistung und militärisch nutzbarer Kraft. Erst das letzte Viertel des vierzehnten Jahrhunderts brachte die Nivellierung im Verhältnis zu den anderen Reichsteilen. 1 Schwemmes-Kraft, Kaiser Karls IV. Burg u. Wappensaal zu Lauf, 1960. Zu den personalgeschichtlichen Aspekten der Verwendung böhmischer Dienstmannen in Ostfranken und deutscher in Böhmen zusammenfassend Hofmann (s. o. 177 Anm. 3).

2 Die Einzelheiten der Bevölkerungsgesch. müssen noch näher herausgestellt werden. Grundlegend: Lütgb (s. o. 167 Anm. 7) 161 bis 213. Anregend für Ufr. H. Hoffmann, Die Würzburger Judenverfolgung v. 1349 (Mainfr. Jb. 5) 1953,91114‫·־‬

III FRANKEN IM RINGEN DER HÄUSER LUXEMBURG

UND WITTELSBACH. DER AUFSTIEG DER ZOLLERN

§20. DER SCHWUND DER KÖNIGSMACHT UM DIE WENDE VOM 14. ZUM 15. JAHRHUNDERT

Babthgen (GGI) 514 ff.; Straub (HB II) 185-268 (Lit.); Zimmermann (s. u. 267) 228 ff; H. Wngel, Männer um König Wenzel (DA 5) 1942,112-177; A. Geruch, Habsburg-Luxemburg-Wittelsbach im Kampf um d. deutsche Königskrone. Studien z. Vorgesch. d. Königtums Ruprechts v. d. Pfalz, 1960; E. Reck, Reichs- u. Territorialpolitik Ruprechts v. d. Pfalz (1400-1410), Diss. Masch. Heidelberg 1950.

Während der Regierungszeiten der Könige Wenzel und Ruprecht trat der Kampf um die Krone in ein neues Stadium. Das abendländische Schisma und der Aufstieg Burgunds stellten überschwere Aufgaben. Wenzel erbte eine der stattlichsten Hausmächte in Europa, vom Regierungswechsel des Jahres 1378 an und besonders nach dem Herrschaftsantritt des Pfalzgrafen Ruprecht II. am 6. Januar 1390 war dann jedoch der König der immer schärferen Rivalität der Wittelsbacher ausgesetzt. Die WiederherStellung des wittelsbachischen Königtums wurde auf dem Wege über eine Sammlung der geistlichen Kurfürstengruppe betrieben. Die Initiative der Habsburger im Reich blieb vergleichsweise schwach und konzentrierte sich stärker auf die Hausmachtkonsolidierung. Im Reich entluden sich die lange aufgestauten Antipathien zwischen Städten und Fürsten in einem Krieg, auf dessen Verlauf der König nicht mehr mit nennenswerter Eigenkraft einwirken konnte. Franken war Schauplatz der dem Krieg vorausgehenden Ausgleichsversuche, vom Kampfgeschehen selbst blieb es im wesentliehen verschont. Nürnberg neigte als Anführerin der fränkischen Reichsstädte mehr dem Ausgleich als einem radikalen Austrag des Streites zu. Zwar waren die geistlichen Reichsfürsten gegenüber den Städten in den Hochstiften, allen voran Würzburg, stets mißtrauisch und standen wie die Burggrafen von Nürnberg oder die Landgrafen von Leuchtenberg, die zeitweise in jenem Spannungsgefüge als Kommissare des Königs zu wirken versuchten, stets zur Herrenpartei, nirgends gab es hier jedoch Fürsten von gleich harter Städtefeindlichkeit, wie etwa der Graf von Württemberg und Pfalzgraf Ruprecht II. Mit den Stallungen von Heidelberg und Mergentheim versuchte man am 26. Juli 1384 und 5. November 1387, den offenen Kampf zu vermeiden.1 Mit dem Bamberger Bischof und dem Landgrafen von Leuchtenberg traten die 1 RTA 1,438-448 nr. 246 u. 588-595 nr. 324. Dazu H. Weigel, König Wenzels pcrsönl. Politik (DA 7) 1944, 133-199■

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Franken: C. III. Im Ringen der Häuser Luxemburg und Wittelsbach. Der Aufstieg der Zollern

Herren von Hohenlohe und Deutschmeister Siegfried von Venningen auf der Herrenseite, als einer der Städteboten der Rothenburger Bürgermeister Heinrich Topler hervor. Ihre Vermittlungsversuche scheiterten jedoch. Unter Lamprecht von Brunn, zeitweise Wenzels Kanzler, rückte das Bamberger Hochstift in ähnlicher Weise vom umfangmäßig wie innerlich geschwächten Neuböhmen ab wie die Burggrafschaft Nürnberg. Auch der Bischof von Würzburg ging seine eigenen Wege. Infolge dieser Divergenz von Entwicklungen konnte Franken nicht zum Zentrum einer Opposition gegen den König werden, wohl aber wurden die im Großraum zwischen Main, Neckar und Donau beheimateten Mächte anfällig für die Agitation der Kurfürsten am Rhein. In den miteinander verfilzten Streitigkeiten zwischen den Reichsstädten und deren landsässigen Schwestern auf der einen, den Zollern, dem Würzburger Bischof und dem Pfalzgrafen Stephan auf der anderen Seite, auch in Rivalitäten der Landgerichte Nürnberg, Rothenburg und Würzburg konnten die landschaftlichen Kräfte selbst keinen Ausgleich finden. So gespannt die Beziehungen im einzelnen waren, jeder Interventionsversuch des Königs begegnete Mißtrauen und Eifersucht. Die Anlässe und Entscheidungen im militärisch zugunsten der Fürsten endenden Städtekrieg der Jahre 1387/88 lagen außerhalb Frankens; Feldzüge und Wirtschaftskämpfe wirkten allerdings auch hier in einzelnen Regionen schädlich.1 Als Ergebnis zähen Feilschens wurde am 5. Mai 1389 der Landfrieden von Eger formuliert? Wenzels Friedenspläne wurden in Franken gut aufgenommen und weckten mancherlei Hoffnungen? Hausmachtaufgaben in Böhmen und Ungarn aber lähmten die Initiativen des Königs, die inkonsequent in den Methoden und eigentümlieh stoßhaft, von meist langen Intervallen der Abwesenheit unterbrochen wurden. In Franken selbst überwogen partikuläre Tendenzen die Möglichkeiten politischer Zusammenschlüsse. Die Reichspolitik der fränkischen Fürsten und Herren wurde erst 1394 wieder stärker belebt, als am 8. Mai Markgraf Jost von Mähren den König in Böhmen gefangennahm und nach Österreich bringen ließ. Die Pfalzgrafen, die Zollern, alle Hochstiftsherren des Großraumes sowie die Grafen von Öttingen und Wertheim traten in Nürnberg1*34 in Verbindung mit den rheinischen Kurfürsten und dem Markgrafen Wilhelm von Meißen. Sie alle waren mit dem König unzufrieden, wollten ihn aber nicht zum Spielball der böhmischen Parteien werden lassen. Borziwoi von Swinar als Pfleger von Auerbach, Ruprecht III. von der Pfalz und Burggraf Friedrich V. von Nürnberg waren die agilsten Unterhändler. Pfalzgraf Ruprecht II. erklärte sich zum Reichsvikar.5 Am Mittelrhein und in Franken bereitete man sich auf eine bewaffnete Intervention in Böhmen vor. Ehe es aber dazu kam, lenkte Jost in den Budweiser Verhandlungen mit Ruprecht III. ein und gab den König wieder frei? An den Ausgleichsbemühungen zwischen Wenzel und Jost beteiligten 1 Th. Lindner, Gesch. d. Deutschen Reiches unter König Wenzel IL, 1880, 8 ff. Für die südliehen Teile Frankens Pfeiffer, Weißenburg (s. u. 324). 1 RTA 2, 157-172 nrr. 72-74. 3 Weigel (s. ο. 181 Anm. 1) 137 ff., 141 f.( 161 f., 181 ff., 185 f. u. 189 ff.

4 Zur Konferenz dort Ende Mai vgl. GerLICH (s. Ο. 181) 23. 5 RTA 2, 389-391 nr. 222. 6 Geruch (s. ο. 181) 24-48.

§ 20. Der Schwund der Königsmacht (A. Gerlich)

183

sich neben dem Ingolstädter Herzog die Zollern und der Bamberger Bischof. Eine den fränkischen Pluralismus überbrückende Tendenz erwuchs aus diesen Vorgängen nicht. Durch die neue Verschärfung des Gegensatzes zwischen den rheinischen Kurfürsten und König Wenzel vom Frühjahr 1397 an geriet Franken in eine prekäre Zwischenlage.1 Pfalzgraf Ruprecht III. wurde zum Anführer einer Oppositionsgruppe, als deren eigentlicher Einpeitscher von damals an der Mainzer Erzbischof Johann Π. von Nassau agierte. Borziwoi von Swinar und der Bamberger Bischof, wohl auch ein Teil der Herren von Hohenlohe und der Grafen von Ottingen, standen zu Wenzel. Zwischen den Lagern lavierten Gerhard von Schwarzburg in Würzburg und die Zollern. Als Wenzel im September 1397 endlich aus Böhmen kam, bildeten die Territorien des Bamberger Hochstifts, der Burggrafschaft Nürnberg und der Landgrafschaft Leuchtenberg die Basis seines Wirkens; zu ihm hielten auch die Reichsstädte in Franken.1 2 Im Streit Gerhards von Schwarzburg mit der Bürgerschaft von Würzburg und den Städten im Hochstift trieb Wenzel eine würdelose Schaukelpolitik.3 Er nahm die Hochstiftsstädte in seinen Schutz und unterstellte sie der Vogtei des Borziwoi von Swinar. Die Maßnahme erinnert an Karls IV. Auftreten am Main. Für den Augenblick heimste Wenzel regionale Vorteile ein. Von echter Revindikation, einem Wiedererstarken der böhmischen Position in Franken oder auch nur nachhaltigem Einfluß auf das sich ausbildende Territorialsystem am Main konnte aber keine Rede mehr sein. Mit dem 1398/99 aufscheinenden Projekt einer königlichen Sequesterverwaltung des Würzburger Hochstifts4 wird deutlich, daß Wenzel versuchte, in Franken den Kurfürsten entgegenzutreten; deren Einung selbst aber konnte er nicht mehr sprengen. Den Rückweg vom letzten Aufenthalt in Deutschland nach Böhmen nahm Wenzel im Spätsommer 1398 von Forchheim nach Eger. Der König umging die Territorien seiner Widersacher, unter denen am Rhein wie in Franken Ruprecht III. von der Pfalz hervorragte. Sachwalter des Hauses Wittelsbach wurde in der Oberpfalz nach Ruprecht Pipans Tod am 25. Januar 1397 dessen jüngerer Bruder Ludwig III., der zum Gehilfen seines Vaters wie in den großen Anliegen der Reichspolitik’ so auch in den Fragen der territorialen Position im Grenzraum zwischen Franken und Böhmen emporstieg. In den Zollernlanden brachten Regierungswechsel und Hausteilung des Jahres 1397 die politische Differenzierung: Burggraf Johann III. suchte als Herr des Bayreuther Gebiets bis zu seinem Tod 1420 Anlehnung an Böhmen, Friedrieh VI. richtete sich vom weniger bedeutenden «niederländischen» Gebiet während des nächsten Jahrzehnts auf die Kooperation mit den rheinischen Wittelsbachem ein.6 1 Ebd. 106-129. 2 Vgl. RTA2,484-485 nr. 302 u. 486nr. 303. 3 Geruch (s. ο. 181) 173-219; zu Wenzels Absichten im Blick auf die Hochstifte am Main vgl. RTA 3, 51 nr. 21 Art. 5. Über die Gesamtentwicklung: H. Heimpel, Aus d. Vorgesch. d. Königtums Ruprechts v. d. Pfalz (Von Land u. Kultur. Festschr. R. Kötzschke) 1937, 170-183. 4 Wendehorst II 107.

’ W. Holtzmann, Die englische Heirat Pfalzgraf Ludwigs III. (ZGO NF 43) 1930, 1-38; L. Petry, Das polit. Kräftespiel im pfälz. Raum vom Interregnum bis z. franz. Revolution (Rhein. Vjbll. 20) 1955, 83. 6 Über dessen Stellung: Engel (s. u. 296 Anm. 8) 64 ff.; Endres, Geleitstraßen (s. u. 295) 107 ff. Dazu allgemein Geruch (s. ο. 181) 274 ff. Zur Konstellation im bayerischen

184 Franken: C. III. Im Ringen der Häuser Luxemburg und Wittelsbach. Der Aufstieg der Zollern

Der in Bamberg Ende 1398 erhobene Graf Albrecht von Wertheim schloß sich der Kurfürstenopposition an, zwei Jahre später trat in Würzburg Johann I. von Eggloffstein bald nach der Wahl in enge Beziehungen zu Ruprecht.1 Als die rheinischen Kurfürsten im August 1400 mit dem Pfalzgrafen Ruprecht einen der ihren zum König erhoben, war diesem Franken insgesamt noch nicht sicher, er besaß aber von Anfang an auch hier Anhänger. Ruprechts von der Pfalz Königtum war zum Scheitern verurteilt, weil die Hausmachtbasis zu schmal und die Einkünfte aus dieser wie auch aus den restlichen Reichsgutkomplexen zu gering waren.2 Die Aufgaben überstiegen die Kräfte, im Marbacher Bund von 1405 bezogen fast alle Territorialanrainer Stellung gegen den Kronträger. Wenzel war in Böhmen erheblichen Schwierigkeiten ausgesetzt, blieb aber von Deutschland aus faktisch unangreifbar. Franken stand zunächst in Gefahr, Kriegsschauplatz im Kampf um das Reich zu werden. Infolge der Beanspruchungen beider Rivalen in weit auseinanderliegenden Ländern kam es jedoch nicht zum Zusammenstoß, sieht man von Scharmützeln im oberpfälzisch-ostfränkisehen Übergangsgebiet ab. Dies war wohl hauptsächlich Folge der von den Zollern betriebenen Politik nach beiden Seiten hin, durch die ein Waffengang vermieden wurde. Der wichtigste Exponent böhmischer Politik in Franken, Borziwoi von Swinar, blieb auf sich allein gestellt, wurde aus dem Würzburger Hochstift verdrängt und in seiner Auerbacher Pflegschaft zemiert. Die Anerkennung Ruprechts von der Pfalz in Franken vollzog sich in einer langen und unregelmäßigen Reihe von Akten. Zu den von Anfang an im Gefolge des Wittelsbachers stehenden Mächten zählte der Deutsche Orden. Dessen Streuterritorium hatte vielfach Kontakt mit pfälzischen Ämtern; als Ruprecht nach der Krönung am 6. Januar 1401 nach Nürnberg zog, konnte er die Ordenspositionen im westlichen Franken nutzen. In Nürnberg ließ sich der Rat zunächst alle Privilegien bestätigen, ehe man nach sorgfältigem Kalkül aller Gefahren Ruprecht huldigte und erst am 27. Januar 1401 die Gehorsamsaufkündigung an Wenzel abschickte. Rücksichtnahmen auf die politische Konstellation in der territorialen Umwelt, besonders auf die Parteinahme des Burggrafen Friedrich VI., mögen den Ausschlag gegeben haben.’ Der Bamberger Bischof schloß daraufhin am 13. Februar 1401 mit Ruprecht ein Bündnis gegen Wenzel.4 Dem Eichstätter Bischof erteilte der König während des Nürnberger Hoftages die Regalien.’ Auch mit den Marschällen von Pappenheim nahm damals Ruprecht Verbindung auf. Der neue König konnte die Reichsstände zwischen Donau und Fichtelgebirge in seine Gefolgschaft einordnen. Die Reste des neuböhmischen Staatsgebildes Karls IV. wurden fast gänzlich beseitigt. Die Beteiligung an den Aufgeboten für den 1401/02 unternommenen Italienzug blieb in Franken verhältnismäßig bescheiden. Zu nennen sind Burggraf Friedrich VI. Zweig des Hauses Wittelsbach 1399/1400 Th. Straub, Herzog Ludwig d. Bärtige v. BayernIngolstadt u. seine Beziehungen zu Frankreich in d. Zeit v. 1391-141S, 1965, 18 ff.; Ders. (HB Π) 216 fT. 1 v. Guttenberg 1242; Wendehorst II129. 2 W. Zorn, Anm. zu Reichspol. u. Wirt-

Schaftskraft z. Zt. Kg. Ruprechts (Speculum Historiale. Festschr. J. Spörl) 1965, 486-490. ’ RTA 4, 284-293 nrr. 243-248. 4 RTA 4, 329 nr. 381; v. Guttenberg I 242. ’ Klebel (s. u. 275) 34J ff■; Volkert, HB II 543 f-

§ 20. Der Schwund der Königsmacht (A. Gerlich)

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von Nürnberg und Herzog Ludwig VII. von Ingolstadt,1 das Gros bildete der weithin aufgabenlose Niederadel. Die Finanzierung des Unternehmens stand von vomeherein auf schwachen Füßen.2 - Schon wenige Monate nach Ruprechts Rückkehr aus Italien lief die auf den Marbacher Bund zielende Entwicklung in Süddeutschland an. Der Mainzer Erzbischof schaltete sich im Winter 1402/03 in das Spiel fränkischer Kräfte mit Abmachungen in Würzburg und Eichstätt sowie mit den Grafen von Öttingen und den Burggrafen von Nürnberg ein. Ziel seiner Interventionen war die Neutralisierung der fränkischen Großen in einer Auseinandersetzung zwischen König und Kurfürst. Dank der Interessendivergenz der Marbacher Vertragspartner konnte Ruprecht die Krise seines Königtums meistem. Wie anderwärts arbeitete man am Heidelberger Hof mit partikulären Absprachen dem Mainzer Einkreisungsplan entgegen, in Franken waren zudem in subsidiärer Funktion vom Sommer 1403 an Landfrieden nützlich. Helfer des Königs waren vor allem Friedrich Schenk von Limpurg und der Zoller Friedrich VI. Rothenburgs Abweisung der Ansprüche des kaiserlichen Landgerichts Nürnberg, verknüpft mit dem Beitritt der Reichsstadt zum Marbacher Bund und Anlehnungsversuchen an Böhmen zeigen zwar die ganze Kompliziertheit der Verhältnisse, konnten aber nicht Ruprechts Herrschaft in Frage stellen. Bürgermeister Heinrich Topler büßte diese merkwürdige Eskapade reichsstädtischer Politik mit Niederlage und Hinrichtung. Die aufsässige Reichsstadt niedergezwungen zu haben, war nicht das Verdienst des Königs? Gemeinsamkeiten fürstlichen Standesbewußtseins ließen unter burggräflicher Führung ein Heer aus den drei fränkischen Hochstiften, aus Bayern und sogar aus Meißen zum Erfolg gelangen. Gleichsam als Kadenz der Regierungszeit Ruprechts von der Pfalz in Franken wirkt die für das Zollemhaus zukunftsträchtige Wendung in der Politik des Burggrafen Friedrieh VI. Ihn hatte die Rothenburger Fehde in größte Geldnot gestürzt; seinem königliehen Schwager stand er zunächst noch als Rat und Vermittler in den komplizierten Beziehungen des Reichsoberhauptes zu den Reichsgliedem zur Verfügung. Neimenswerte Mehreinkünfte aber konnte ihm Ruprecht nicht bieten. Angeblich soll Friedrieh bereits erwogen haben, die eigene Hofhaltung aufzulösen und zum Bruder nach Kulmbach zu übersiedeln. In dieser Situation holte ihn der andere Schwager, Sigismund von Ungarn, an seinen Hof. Die zollerischen Niederlande empfahl Friedrich Ruprechts Schutz. Am Gesamtzustand schien sich nichts geändert zu haben. Doch schon ein Jahr später starb Ruprecht. Im Reich begannen die Wahlverhandlungen, bei denen Friedrich als Gesandter des Ungamkönigs in den Vordergrund trat. Sigismund und Jost vonMähren waren die Kandidaten der Kurfürstengruppen, nach demTod des ,RTA 5, 212-219 nr. 168; 242 nr. 181; 229-232 nr. 175, dazu Straub, Hg. Ludwig (s. o. 183 Anm. 6) 30 ff.; Soldpläne RTA 4, 461-470 nrr. 387391‫·־‬ 2 Vgl. Zorn (s. o. 184 Anm. 2) 486. - Die Kontingente RTA 5, 232-237 nr. 176. W. Sehring, Die finanziellen Leistungen d. Reichsstädte unter Ruprecht v. d. Pfalz, Diss. Greifswald 1916.

3 Zum Niedergang des Rothenburger Landgerichts: H. Schreibmüller, Das Rothenburger Landgericht u. sein Achtbuch (Franken in Gesch. u. Namenwelt) 1934, 45-52; Ders., Die Rothenburger «Pfahlbürger» (ebd.) 52 ff.; Mommsen (s. o. 165 Anm. 1) 53 ff. u. Schultheiss, Gerichtsbücher (s. o. 164 Anm 4) 271 ff. - Zu Einzelheiten vgl. auch Hintze (s.u. 295).

186 Franken: C. III. Im Ringen der Häuser Luxemburg und Wittelsbach. Der Aufstieg der Zollern

Markgrafen vereinten sie dann ihre Stimmen auf den ersteren. Das Reich und mit ihm das bunte Gefüge der fränkischen Territorien traten in einen neuen Abschnitt ihrer Geschichte. §21. FRANKENS TERRITORIALFÜRSTEN IN DER ZEIT DES KONSTANZER KONZILS UND DER HUSSITENKRIEGE

Baethgen (GG I) 527-554 (Lit.); B. Schmeidler, Das spätere MA v. d. Mitte d. 13. Jhs. bis z. Reformation, Wien 1937 (Nachdr. Darmstadt 1962) 148-161,192-199. Zur geistes- u. sozialgesch. Bedeutung des Hussitismus F. Seibt, Hussitica, 1965; H. Heimpel, Drei Inquisitions-Verfahren aus d. J. 1425,1969 (Lit.). - Weitere allgem. Lit. HB II227 u. 241; F. v. Bezold, König Sigmund u. d. Reichskriege gegen d. Hussiten, 3 Bde., 1872/77; E. Brandenburg, König Sigmund u. Kurfürst Friedrich I. v. Brandenburg 1409-26, 1891; H. Finke, Sigmunds reichsstädt. Politik 1410-1418, Diss. Tübingen 1880; H. Heimpel, Zur Handelspolitik Kaiser Sigmunds (VSWG 23) 1930, 156; 145A. Werminghoff, Die deutschen Reichskriegssteuergesetze v. 1422 u. 1427 u. d. deutsche Kirche, 1916. - Vgl. auch HB I § 36.

Die Rückkehr der Krone an das Haus Luxemburg infolge der Wahlen von 1410/n hätte sich ohne nennenswerte Relevanz zur fränkischen Landesgeschichte vollzogen, wären nicht die Vorzeichen der Kirchenpolitik im Reich von Sigismund anders gesetzt worden als von Ruprecht von der Pfalz. Durch die Erhebung eines dritten Papstes in Pisa am 17. Juni 1409 waren in die Kirche des Abendlandes noch größere Wirren als zuvor eingekehrt. Gegensätze der Obödienz verquickten sich allenthalben mit regionalen Streitigkeiten. In den fränkischen Reichsstädten verschanzten sich die Räte hinter dem Argument, sie verstünden nichts von diesen geistlichen Streitfragen; in Wirklichkeit versuchten sie, einen Neutralitätskurs zu steuern. Anders war die Lage in den Territorien. Ruprecht wollte, entsprechend der Lehrmeinung seiner Heidelberger Theologen,1 das Reich auf die römische Obödienz festlegen.12 Auch darin widerstrebte der Mainzer Kurfürst, jetzt als Haupt der Pisaner in Deutschland, dem König. Die Fürsten nahmen die Kompetenz in Anspruch, die Obödienz ihrer Hintersassen zu bestimmen. Zu den von diesen Vorgängen Betroffenen gehörten alle frönkischen Bischöfe.3 Vom römischen Papst ließ sich der König Vollmacht erteilen, über Pfründen von Pisanern zugunsten eigener Parteigänger zu verfügen. Die weltlichen Gewalten waren ohnehin darauf aus, kirchliche Gerechtsame in den Verband ihrer Territorialherrschaften einzuschmelzen; Vorgänge solcher Art kamen beispielsweise in der Burggrafschaft Nürnberg seit rund einem Jahrhundert vor.4 Angesichts dieser Entwicklungen schlossen die Bischöfe von Bamberg, Würzburg und Eichstätt und deren Domkapitel auf dem Reichstag zu Nürnberg im April 14x0 einen Obödienzvertrag zugunsten des römischen Papsttums? Als dann wenige Monate später Sigismunds 1 G. Ritter, Die Heidelberger Universität, I 1936, 239 ff. u. 256 ff. 2 K. R. Kötzschke, Ruprecht v. d. Pfalz u. d. Konzil zu Pisa, Diss. Leipzig 1889. 3 A. Geruch, Territorium, Bistumsorganisation u. Obödienz (Zschr. f. KG 71) 1961, 46-86, auch für das Folgende.

4 Für die Sprengel der Archidiakonate Kronach, Hollfeld und Nürnberg-Eggolsheim bringt die Einzelnachweise v. GuttenbergWendehorst II. ’ RTA 6, 740 nr. 408.

§21. Die Zeit des Konstanzer Konzils und der Hussitenkriege (A. Cerlich)

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Kandidatur feststand, wechselten die fränkischen Bischöfe sofort zur pisanischen Obödienz über. Ihre Kehrtwendung provozierte Interventionen des Pfalzgrafen Ludwig III. Bis zum Vorabend des Konstanzer Konzils stand der Pfarrklerus unter dem doppelten Druck der Landesherren und der Bischöfe. Erst als während des Konzils die rheinischen Wittelsbacher mit König Sigismund zusammenarbeiteten, hörten diese Wirren in den Gemeinden auf. In Franken, wo sich die Territorien mit den Bistumssprengeln vielfach überschnitten, ging das Obödienzgezänk zu Ende. Die Verbindung des neuen Königs mit Franken war zunächst locker. Stabilisierend im ganzen wirkten die Beziehungen des Burggrafen Friedrich VI. von Nürnberg zu den Pfalzgrafen, die schon die Wahlverhandlungen erleichtert hatten.1 Im Oktober 1410 war Ansbach kurz der Ort, von dem aus Friedrich VI. die Propaganda für Sigismund entfaltete, Nürnberg und Rothenburg wurden als Zentren der Nachrichtenübermittlung genutzt.1 2 Nürnberg erstrebte loyale Beziehungen zu Sigismund, weil die vom König über Venedig verhängte Handelssperre3 das Wirtschaftsleben der Stadt empfindlich schädigen konnte. Die Hochstifte am Main sanken im Wechselspiel der Politik als Partner des Herrschers fühlbar ab. Der Würzburger Bischofsstaat fiel unter dem lang regierenden Johann II. von Brunn wieder in eine Phase der Schwäche.4 Vielleicht noch miserabler waren die Zustände in Bamberg. Die notwendigsten Maßnahmen auf dem Felde der interterritorialen Beziehungen entsprangen der Initiative der Zollern und Wettiner, die so die Verbindungslinien vom Nürnberger Raum nach Thüringen sicherten.5 Infolge der Schwäche der Hochstifte entstanden mannigfache Spannungen. Zollaufschläge in Würzburg wurden mit Boykottvereinbarungen der Nachbarmächte beantwortet. Im Raum Bayreuth-Bamberg verschärften sich Zwiste zwischen Hochstift und Burggrafschaft. Für die geistlichen Gebiete war es ein Glück, daß die Zollern durch die Brandenburger Frage, Fehden mit Ludwig VII. von BayernIngolstadt, Auseinandersetzungen mit der Reichsstadt Nürnberg, vor allem aber durch die Hussiten zu sehr in Atem gehalten wurden, um in Richtung Bamberg und Würzbürg nachhaltiger aktiv werden zu können. König Sigismund hielt sich in Franken erst vier Jahre nach der Wahl auf. In Nümberg verweilte er nur kurz,6 ehe er nach Aachen zur Krönung und dann nach Konstanz zum Konzil zog. Überall, auch mit einem am 30. September 1414 erlassenen Landfrieden, zeigte der Kronträger an, er wolle sich nicht in die zermürbende Kleinarbeit des territorialpolitischen Alltags einlassen, sondern seine Kräfte auf die großen Aufgaben in Reich und Kirche konzentrieren. Den Vorschlägen zur Errichtung eines Städtebundes begegneten die Ratsherren allenthalben mit Mißtrauen. Durch die Begünstigung der Ritterschaft weckte er Animositäten im Kreise der Fürsten. 1 J. Leuschner, Zur Wahlpolitik im Jahre 1410 (DA 11) 1954/55. 506-553. 2 RTA 7, 47 nr. 32; 51 nr. 35; 52 nr. 36; 71 nr. 51. 3 Vgl. H. Klein, Kaiser Sigismunds Handelssperre gegen Venedig u. d. Salzburger AlpenStraße (Beitrr. z. Siedlungs-, Verfassungs- u. Wirtschaftsgesch. v. Salzburg) 1965, 617-^29.

4 Wendehorst II153 ff. 5 v. Guttenberg 1242 ff.; Neukam, Register (s. u. 295); Ders., Geleite (s. u. 295). 6 RTA7,214-217nrr. 151-155. Dazu allgem. A. Μ. Drabek, Reisen u. Reisezeremoniell d. röm.-deutschen Herrscher im Spätmittelalter, Diss. Wien 1964.

j 88 Franken: C. III. Im Ringen der Häuser Luxemburg und Wittelsbach. Der Aufstieg der Zollern Aufenthalte in Konstanz, die Reise nach Frankreich und England, weitreichende Pläne in Italien ließen die Verbindung des Königtums mit Franken lockerer als je zuvor werden. Symptomatisch ist der Auslauf der Landfriedensinitiative in den zwanziger Jahren. Die Territorialmächte versuchten, durch Verträge und Bünde aller Art ihre Gegensätze zu überbrücken, eine gemeinsame Haltung im Blick auf die Ritterschaft zu finden und der aus Böhmen drohenden Gefahr zu begegnen. Das Zusammenwirken des Königs mit dem Burggrafen führte zum Erwerb der Kurmark Brandenburg durch das Zollemhaus.1 Die 1411 verliehene Hauptmannschaft war verbunden mit Geldabreden, deren Sinn nur erklärlich wird, wenn man das Projekt im Sinne einer Übertragung auch der Kurstimme, die sich Sigismund zunächst noch vorbehielt, interpretiert.1 Auf dem Konstanzer Konzil half Friedrich gemeinsam mit dem Pfalzgrafen Ludwig HL, die durch Johannes (XXIII.) Flucht ausgelösten Wirren zu beheben. Den auf vielen Feldern der Reichspolitik Erfolgreichen belehnte der König am 30. April 1415 mit Markgrafschaft und Kurfürstentum Brandenburg.123 Friedrichs I. von Brandenburg Standeserhöhung kann nicht ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Belohnung gewürdigt werden. Entscheidender sind die Antriebe aus der Hauspolitik. Sie wurde ursprünglich mitgeprägt durch Aufgaben der Reichsgutverwaltung, Königsdienst und Territorialisierungsprozeß gingen wie bei keiner anderen fränkischen Macht ineinander über; die Kontakte mit den Kurfürsten ließen den Wunsch erstarken, in den Kreis dieser vornehmsten Reichsglieder zu gelangen. Symptomatisch für die Absicht, unmittelbaren Einfluß auf die Königswahl, vielleicht einmal die Krone für das eigene Haus zu erlangen, wurde wenig später Friedrichs Intervention in Kursachsen 1423 nach dem Erlöschen der Askanier.4 Seit 1411/15 waren die fränkischen Lande, auf die die Bezeichnung der Markgrafschaft ebenfalls angewandt wurde,5 Glied eines größeren Bezugssystems des Hauses und Gegenstand umfassenderer Verträge und Teilungen. Der finanziell schlecht ausgestattete Burggraf hatte die heruntergekommene und zerrüttete Kurmark übemommen, weil seine Position im Rahmen der Reichsverfassung besser als auf Grund des Privilegs von 1363 wurde. Die fränkischen Lande blieben im Rahmen der Gesamtgeschichte des Zollemhauses zunächst die ertragreicheren und gewichtigeren Teile. Schon Friedrich I. gab hierfür ein Beispiel: Als 1420 sein Bruder Johann III. starb, vereinigte er die auf Grund der Teilung von 1397 getrennten Gebiete wieder und überließ die Regierung der Mark seinen Söhnen unter Vorbehalt der Kurstimme für sich selbst. Der ambivalenten Herrschaftsübung im ersten Jahrfünft nach dem KonStanzer Lehensakt ging die Emanzipation aus der Abhängigkeit von Sigismunds Maßnahmen zur Seite; die abermalige Belehnung vom 14. April 1417 und auch Friedrichs Ernennung zum Reichsvikar am 2. Oktober 1418 waren nicht geeignete Mittel, 1 Hintzb (s. u. 295) 72 ff., 76ff. u. 79; J. Schultze, Die Mark Brandenburg, Π 1961, 223 ff. 2 Über die rechtsgeschichtlichen Aspekte der Besitzänderungen in Brandenburg seit Karl IV. vgl. W. Goez, Der Leihezwang, 1962, 96 Anm. 10, 144 Anm. 22 u. bes. 177 Anm. 30.

3 Mon. Zollerana 7, nr. 1; Schultze (s. o. Anm. 1) ΙΠ 12 ff. 4J. Leuschner, Der Streit um Kursachsen in d. Zeit Kaiser Sigismunds (Festschr. K. G. Hugelmann I) 1959, 315344‫·־‬ 5 Librmann, Goldene Bulle (s. o. 175 Anm. 2) bes. 15.

§ 21. Die Zeit des Konstanzer Konzils und der Hussitenkriege (A. Gerlich)

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den Anlauf dieser neuen Phase in Friedrichs Verhalten zu hemmen. Von 1420 an tritt diese Eigenständigkeit der Zollern profilierter zu Tage. Sie gipfelte in zeitweisem Bündnis mit Polen gegen den von Sigismund begünstigten Deutschen Orden auf Grund des Krakauer Vertrages vom 8. April 1421. Die Hauspolitik selbst behielt auch nach 1415/20 ihren kühl ab wägenden und rechenhaftigen Charakter. Die fränkischen Lande waren mit Brandenburg lediglich von 1411/15 bis 1437 und dann nur nochmals zwischen 1469 und 1486 in einer Hand vereinigt. Alle Entwicklungen in Franken während Sigismunds Regierungszeit wurden überschattet vom Geschehen in Böhmen. Dort war der Streit um die Lehre des Hus in eine kritische Phase getreten. Nach der Hinrichtung des Theologen in Konstanz 1415 brachen Aufstände aus.1 Auch im Reich sympathisierte man mit der neuen Lehre? König Sigismund, seit Wenzels Tod am 16. August 1419 Erbe des böhmischen Reiches, wurde ob seiner Haltung in Konstanz von Utraquisten und Taboriten abgelehnt. Nur mit Mühe konnte er 1420 nach Prag vorstoßen und gekrönt werden. Für Franken wie für alle anderen Regionen in Böhmens Nachbarschaft wuchs die Gefahr, zum Kriegsschauplatz zu werden. Daß nicht die volle Wucht der Hussitenzüge (vgl. u. 191) Franken traf, diese vielmehr in der Hauptsache auf Schlesien und Sachsen zielten, war wohl die Folge der Einschätzung der Lage durch die Anführer. Auch in Böhmen konnte man sich ein Bild vom desolaten Zustand der Hochstifte machen, die wütenden Fehden Herzog Ludwigs des Bärtigen von Ingolstadt mit dem Markgrafen Friedrich I. wurden als eine jede Aktion im Westen hemmendes Geschehen beobachtet.1 23 Die zeitweilige Bündnissuche des Zollern in Polen brachte den Hussiten die Gewähr, daß dieser nicht mehr unbedingter Anhänger Sigismunds war. Der Nürnberger Reichstag im April 1421 offenbarte alle diese Schwierigkeiten, brachte aber den ersten Zusammenschluß antihussitischer Kräfte. Da der König abwesend blieb, schlossen die rheinischen Kurfürsten einen Bund zur Ausrottung der Ketzerei in Böhmen und in ihren Territorien. In den nächsten Wochen traten die Bischöfe von Würzburg und Bamberg sowie die Markgrafen von Meißen bei.4 Im Kern blieb die Koalition eine Mainz-Meißener Angelegenheit infolge der Schwäche der Hochstifte am Main und des Abseitsstehens der Zollern. Der Ring der Hussitengegner in Franken blieb offen. Erst im Sommer des folgenden Jahres trat ein im Blick auf das Ganze bescheidener Wandel ein. Friedrich I. näherte sich der rheinischen Kurfürstengruppe; um ihn wieder fester an sich zu binden, aus den polnischen Beziehungen zu lösen und die Rivalität der Kurfürsten zu kräftigen, ernannte ihn Sigismund am 5. September 1422 zum Hauptmann des Reichsheeres.’ Das Kriegsvorhaben wurde schon an der Basis beeinträchtigt durch die Ingolstädter Fehden. Die Markgrafschaft, die Oberpfalz und die Territorien von Eichstätt, Heideck und Öttingen wurden solange beunruhigt, bis Ludwig VII. gegenüber seinen Münchner Vettern eine Niederlage erlitt, die zeitweise seine Angriffslust lähmte. Sigismunds Initiative erschöpfte sich bei allen jenen 1 Seibt, Hussitica (s. o. 186) 92 ff. 2 Heimpel (s. o. 186); Ders., Stadtadel u. Gelehrsamkeit (Adel u. Kirche, Festschr. G. Tellenbach) 1968, 417-435.

3 v. Guttenberg I 248 ff.; Wbndehohst Π 152 ff; Straub (HB II) 237 ff, 244 u. 252 ff. 4 RTA 8, 28-34 nrr· 28-32. 5 RTA 8, 184 nr. 162.

ipo Franken: C. III. Im Ringen der Häuser Luxemburg und Wittelsbach. Der Aufstieg der Zollern

Vorkommnissen auf Beschwichtigungsversuche. Durch solche Umstände konnte der Hussitenkampf nicht erfolgreich werden. Die fränkischen Reichsstädte kaschierten ihre Zahlungsunwilligkeit mit Ausflüchten, ihre Räte ließen sich auch nicht mit Sigismunds Bundesprojekt ködern. In den Anschlägen der Kontingente treten die fränkischen Reichsstände insgesamt relativ bescheiden auf; erhebliche Unterschiede ergeben sich zwischen Anforderungen und tatsächlichen Leistungen im Blick auf das Sonderuntemehmen des Entsatzes der Burg Karlstein.1 Wesentliche Truppenkörper stellte nur Markgraf Friedrich I. Das Gros der Streitkräfte aber war ein bunt zusammengewürfelter Haufen, berechnet nach völlig veralteten Rekrutierungsunterlagen und organisiert ohne Kenntnis der damals modernen taktischen Gesichtspunkte der Truppenführung. In Ostfranken, dem selbst innerlich zerrütteten Sammelraum, kam nur etwa ein Neuntel der aus dem Reich erwarteten Truppen an. In Böhmen gelang nicht die Vereinigung mit den meißnischen Kräften; dann verließ der Oberkommandierende plötzlich das Heer, um in Wittenberg in die kursächsische Erbfolgefrage einzugreifen. Aus anderen Erwägungen kehrten auch die Bischöfe von Würzburg und Bamberg aus dem Krieg vorzeitig zurück. Johann II. von Brunn schlug sich mit Bürgerschaft und Domkapitel herum, bis fast ein Jahrzehnt später die Intervention der Kurfürsten von Mainz, Pfalz und Brandenburg sowie des Deutschmeisters zum Kitzinger Vergleich von 1432 führte; da aber die alten Gegensätze nicht überbrückt werden konnten, hielt der latente Kriegszustand am Mittelmain bis zu Johanns II. Tod am 9. Januar 1440 an? Der weitere Verlauf des Hussitenkrieges hat für die fränkische Landesgeschichte kein neues Element gebracht. Seit dem Weggang vom Nürnberger Reichstag im September 1422 hielt sich der König fast nur in Ungarn und in den äußersten Gebieten des Reiches im Südosten auf. Die Zentren des politischen Geschehens lagen außerhalb Frankens am Mittelrhein, am Königshof und in Böhmen. Den Anläufen zur Erneuerung der Kurfürstenfronde mit dem Höhepunkt im Binger Kurverein von 1424, an dem auch Friedrich I. von Brandenburg teilnahm, blieb eine den Ereignissen von 1399/1400 vergleichbare Wirkung in Franken versagt, weil die Zerwürfnisse im Würzburger Raum und die Unruhen in den Ubergangsgebieten nach der Oberpfalz und Bayern hin zuviele Kräfte verzehrten, als daß die dort beheimateten Gewalten hätten Anschluß an ein gegen den König gerichtetes Vertragssystem finden können. Die Spannungen zwischen König und Kurfürsten verringerten sich, dies nicht zuletzt infolge des Ausgleiches zwischen Friedrich I. und Sigismund vom ιό. März 1426, durch den die aus der sächsischen Frage entstandenen Differenzen beseitigt wurden. Die fränkischen Reichsstände versuchten am 15. Januar 1427 durch das Bamberger Manifest3 eine Belebung des Ketzerkrieges. Von jenem Bamberger Tag gingen Impulse aus, die sich mit Sigismunds Plan eines konzentrischen Angriffs auf Böhmen trafen. Alle Anstrengungen aber waren umsonst. Bei Mies und Tachau liefen die ,RTA 8, 156-165 nr. 145; 166 nr. 147; nr. 156/157.

2 Wendehobst II 146-159. 3 RTA 9, n-14 nr. 9.

§ 21. Die Zeit des Konstanzer Konzils und der Hussitenkriege (A. Gerlich)

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deutschen Truppen, unter ihnen wieder Kontingente aus den fränkischen Landen Friedrichs I., davon, ehe der Kampf überhaupt begonnen hatte. Durch die militärische Katastrophe im Sommer 1427 wurden zwar große Projekte geweckt, das erste Reichskriegssteuergesetz mit einer Nürnberger Zentralkasse zeugt davon, am 22. März 1428 wurde der Kurfürst von Brandenburg abermals zum Feldhauptmann bestellt,1 einen Erfolg konnte man auchjetzt nicht erzwingen. Vielmehr drangen die Hussiten wiederholt in die Oberpfalz3 und die Markgrafschaft Bayreuth ein. In den Plänen des Königs und Friedrichs I. traten erhebliche Unterschiede zutage: Der Zoller, die oberpfälzischen Wittelsbacher und der Nürnberger Rat arbeiteten statt auf neue Intervention in Böhmen auf Ausgleichsversuche mit den Hussiten hin. Durch die Konfessionsformalisten wurden die Friedenssondierungen hintertrieben. Immerhin wurde Sigismund von den Kriegsnachrichten so beeindruckt, daß er im Sommer 1430 wieder einmal nach Franken kam. Abermals wurden große Pläne gemacht. Das mühsam zusammengebrachte Heer ergriff aber am 14. August 1431 bei Taus die Flucht. Von damals an gelang es niemand mehr, ein großes Aufgebot im Reich aufzubringen, der Krieg wurde wieder offensiv von den Böhmen geführt. Den Ausgleichsverhandlungen im Verlaufe des Basler Konzils und schließlich den von Sigismund angestrebten Kompaktaten mit den in Böhmen über die Radikalen siegreichen Kalixtinern und Altgläubigen standen Friedrich von Brandenburg und wohl auch die fränkischen Nachbarn wohlwollend gegenüber. Auf den Papst übte der Kurfürst mit der Drohung einer Intervention der Reichsstände Druck aus, den Hussitenvertretem sicherte er das freie Geleit nach Basel zu. Er tat dies, obwohl sein Bayreuther Territorium, dann auch die Mark Brandenburg 1430 und 1432 verheert worden waren. Der Kurfürst, das Hochstift Bamberg und der Nürnberger Stadtrat mußten große Summen als Brandschatzungen zahlen. Doch wurde dank dieser hinhaltenden Taktik Franken, abgesehen von den Grenzregionen, im wesentlichen vom Krieg mit den Böhmen verschont. Den Schlußpunkt dieser Entwicklungen setzten Ereignisse der Jahre 1436/37. Veränderungen in den mittelrheinischen Kurfürstentümern gingen einher mit der Erschütterung der geistlichen Prädominanz im Kolleg. Auf dem Reichstag in Eger sagte Sigismund eine weitere Versammlung in Nürnberg, seiner Geburtsstadt, an; am 9. Dezember 1437 aber ereilte ihn der Tod. Auf den Kurfürsten Friedrich I. von Brandenburg richteten sich eine zeitlang die Nachfolgeerwartungen. Der aber half dazu, daß die in Eger vorbereitete Nachfolge des Habsburgers Albrecht II. Wirklichkeit wurde. Bei alledem handelte Friedrich noch aus den fränkischen Traditionen seines Hauses und eigenen Erfahrungen heraus. Der Verbleib der Krone im Südosten des Reiches wurde zum dauernden Element deutscher Geschichte der Neuzeit. Bestätigt wurde das Hausmachtkönigtum, das zwar mit Franken, Schwaben und den Rheinlanden in einem Geflecht politischer Beziehungen verbunden blieb, in diesem seinem «Reich» aber schon lange keinen territorialen Eigenstand mehr besaß. 1 RTA9,136-138nr. 108;zumVergleichmit der Ernennung vom 5. September 1422 Kerler (s. u. 361) 64, 137 Anm. 2 u. 138 Anm. 1-3.

1Zum Kriegsverlauf vgl. Straub (HB II) 254.

1g2 Franken: C. III. Im Ringen der Häuser Luxemburg und Wittelsbach. Der Aufstieg der Zollern

Die Wahl Albrechts II. in Frankfurt am 18. März 1438 brachte im Blick auf die fränkische Landesgeschichte einen deutlichen Einschnitt: Das Königtum war fortan weder ein in diesem Raum beheimateter noch ein ihm unmittelbar benachbarter Faktor. Fs zog sich auf die österreichische Machtbasis zurück, von der aus eine Politik betrieben wurde, die nicht mehr Positionen im Reich selbst nutzen konnte, sondern auf das mühevolle Geschäft hin angelegt war, Stände aller Rangordnung in Koalitionen zusammenzuhalten, die mehr dem Hause Habsburg als anderen Dynastien zuneigten. Antriebe für das Handeln der Territorialmächte gab aber nicht das Königtum, diese lagen vielmehr in den regionalen Machtgegensätzen begründet. Der Austrag des erneut verschärften Gegensatzes zwischen Fürsten und Städten, das große Problem der Reichsreform, die Frage einer allgemeinen Friedensordnung, die Auseinandersetzung zwischen Papalisten und Konziliaristen in der Kirche, sie alle wirkten zwar auf die fränkischen Territorien und Herrschaften ein, wurden aber nicht von diesen maßgeblich beeinflußt oder gar noch in Lösungsversuchen mitgestaltet. Viel wichtiger als die distanzierten Beziehungen der Herrscher zu den fränkischen Kräften wurden für Albrecht II. und Friedrich III. die Auseinandersetzungen mit den Kurfürsten. Die Türkenabwehr in Ungarn, der Aufstieg Burgunds, das Erstarken der Eidgenossenschaft und das böhmische Königtum Georg Podiebrads beanspruchten die Hilfsmittel in einem derart starken Maße, daß ein Kronträger in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts in die fränkischen Konstellationen nicht mehr direkt eingreifen konnte. Symptomatisch ist das Scheitern der Ansätze zur Reichsreform auf den beiden Nürnberger Reichstagen von 1438. Friedrich III. erzielte dort 1444 kein besseres Ergebnis. Für volle siebenundzwanzig Jahre kehrte er dem Reich den Rücken. Ohne daß das Reichsoberhaupt auch nur einen Tag in Franken weilte, traten während dieser Zeit in hartem Ringen die in den beiden vorangegangenen Jahrhunderten gewachsenen Mächte (s. u. 265-348) des Raumes gegeneinander in die Schranken.

IV

VON DER BILDUNG DES FRÄNKISCHEN REICHSKREISES UND DEM BEGINN DER REFORMATION BIS ZUM AUGSBURGER RELIGIONSFRIEDEN 1555

§22. DER FRÄNKISCHE REICHSKREIS. DIE POLITISCHE LAGE

VOR DER REFORMATION Reichskreis. Quellen. F. C. v. Moser, Sammlung d. Hl. Röm. Reichs sämtlicher Crays-Abschiede u. anderer Schlüsse, vom Anfang d. Craysverfassung bis 1600, ‫ נ‬Bde., 1747/48; Zeumer. - Literatur. J.J. Moser, Von d. teutschen Crais-Verfassung, 1773 (unentbehrlich);}. S. Pütter, Literatur d. teutschen Staatsrechts, III 1783; E. Langwerth v. Simmern, Kreisverfassung Maximilians I. u. d. schwäb. Reichskreis in ihrer rechtsgeschichtl. Entwicklung bis 1648, 1896 (fehlende Quellengrundläge, zu sehrjuristisch-dogmatisch); Hartung, Verfassungsgeschichte; R. Fester, Franken u. d. Kreisverfassung (Neujahresbll. 1) 1905 (darin summarisches Inventar der Kreisakten in den einschlägigen Archiven und weitere Forschungshilfen); H. Beck, Gesch. d. fränk. Kreises v. 1500 bis 1533 (AU 48) 1906, 1-186 (wenig ergiebig); Hartung (grundlegend, mit umfangreichem Quellenteil); Η. H. Kaufmann, Der Gedanke fränk. Gemeinschaftsgefühls in Politik u. Gesch. d. fränk. Reichskreises (AU 69) 1931/34, 190-242 (gedankenreich und weiterführend); H. Rössler, Der Fränk. Reichskreis (Rößler) 13-33; Hofmann, Reichskreis (s. u. 231); Ders., Grenzen u. Kernräume in Franken (Hist. Raumforschung 7) 1969; Endres, Zur Gesch. d. fränk. Reichskreises (WDGB11. 29) 1967, 168-183; Stein II 3-16; Meyer, Burggrafschaft Nürnberg (s. u. 295) 99 ff; Dannenbauer bes. Teil II, Kap. 6, 169-207. Reformation. Allgem. Bibliographien, Quellensammlungen, allgemeine Darstellungen vgl. HB II 295. Quellen. Aktenstücke z. ersten Brandenburgischen Kirchenvisitation 1328, hg. v. K. Schornbäum (Einzelarbeiten 10) 1928; H. Dannenbauer, Die Nürnberger Landgeistlichen bis z. 2. Kirchenvisitation 1360/61 (ZBKG 2-4,6-9,25) 1927/56; BayreuthischesPfarrerbuch (s.u. 1458); Ansbachisches Pfarrerbuch (s.ebd.); Die fränk. Bekenntnisse. Eine Vorstufe d. Augsburgischen Konfession, bearb. v. Schmidt-Schornbaum 1930; Simon, KO: Markgrafschaft BrandenburgAnsbach-Kulmbach, Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Schweinfurt, Weißenburg, Windsheim; Grafschaften Castell, Rieneck u. Wertheim; Herrschaft Thüngen, 1961 (Lit.), Bd. XII Bayern, II. Teil: Schwaben (u. a. Dinkelsbühl), 1963; Quellen z. Nürnberger Reformationsgesch. Von d. Duldung liturgischer Änderungen bis z. Ausübung d. Kirchenregiments durch d. Rat Juni 1324-Juni 1525, bearb. v. G. Pfeiffer (Einzelarbeiten 45) 1968; Nümbergisches Pfarrerbuch (s.u. 1458); Die ev.KO d.XVI. Jhs.,hg. v.E.Sehling, 1. Abt. Sachsen u.Thüringen,nebst angrenzenden Gebieten, I. Hälfte: Die Ordnungen Luthers. Die Emcstinischen u. Albertinischen Gebiete, 1902 (betrifft die Ortslande Franken). Literatur. S. Skalweit, Reich u. Reformation, 1967; Simon; Ders., HAB; Bauerrebs VI; G. Bossert, Beitrr. z. Gesch. d. Reformation in Franken (Theol. Stud. aus Württemberg I) 1880, 173-212, 253-280 und III 1882, 181-198; L. Michel, Der Gang d. Reformation in Franken (Erlanger Abh. 4) 1930 (dazu K. Schornbaumki ZBKG4,1931,44 ff.); Stein II; H. Rössler, Gesch. Frankens (C. Scherzer) 71-110; E. Riedenauer, Reichsritterschaft u. Konfession (Schriften z. Problematik d. deutschen Führungsschichten in d. Neuzeit 2, hg. v. H. Rößler) 1965, 1-63; Hartung. - Markgraftümer: L. Kraussold, Gesch. d. ev. Kirche im ehern. Fürstentum Bayreuth, 13

HdBG III, 1

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Franken: C. IV. Reichskreise und Reformation bis 1555

1860; K. Schornbaum, Die Stellung d. Markgrafen Kasimir v. Brandenburg z. reformator. Bewegung in d. Jahren 1524-1527, 1900; Ders., Zur Politik d. Markgrafen Georg v. Brandenburg vom Beginne seiner selbst. Regierung bis z. Nürnberger Anstand 1528-1532, 1906; J. B. Götz, Die Glaubensspaltung im Gebiet d. Markgrafschaft Ansbach-Kulmbach in d. Jahren 1520-1535 (Erläuterungen u. Erg. zu Janssens Gesch. d. deutschen Volkes V 3, 4) 1907. - Würzburg: J. W. Schornbaum, Reformationsgesch. v. Unterfranken, 1880; Wendehorst, Würzburg. - Barnberg: Looshorn IV; Kist. - Eichstätt: Sax; Buchner; J. G. Suttner, Beitrr. z. Gesch. d. Protestantismus im Bistum Eichstätt (Eichstätter Pastoralbll.) 1869 u. 1870. - Nürnberg: F. Roth, Die Einführung d. Reformation in Nürnberg, 1885; A. Engelhard, Die Reformation in Nümberg (MVGN 33) 1936, 4-258; (34) 1937, 1-402; (36) 1939, 1-84; G. Pfeiffer, Die Reformation in Nürnberg als bekenntniskundl. u. rechtsgeschichtl. Problem (BlldLG 89) 1952, 112-133; Ders., Warum hat Nürnberg die Reformation eingeführt? (Ev. Studienzentrum Heilig Geist) 1967; Pfeiffer, Nürnberg, Gesch. einer europ. Stadt (s. u. 324).

Die territorialpolitische Einheit Franken, die sich unter Rudolf von Habsburg andeutete und die im Landfrieden von 1340 erstmals deutlicher erkennbar war,1 erfuhr im ausgehenden Mittelalter durch das Königtum im Zuge der Reichsreform eine dauernde landschaftliche Zusammenfassung. Am 2. Juli 1500 wurden auf dem Reichstag zu Augsbürg als Kompromiß zwischen Kaiser Maximilian und den Reichsständen unter Führung Berthold von Hennebergs12 sechs Kreise geschaffen: Franken, Schwaben, Bayern, Niederrhein, Westfalen und Niedersachsen, in welchen die Stände der Hauptlande des Alten Reiches vereinigt wurden.3*Zunächst bestand die Aufgabe der Bezirke nur darin, einen Teil der Räte für das dem König aufgezwungene Reichsregiment zu entsenden; sieben Jahre später erhielten die Stände der Kreise das Recht, auch die Beisitzer für das Reichskammergericht zu wählen. Allerdings scheiterte der gleichzeitige Versuch Maximilians, den Kreisen auch die Exekution der Urteile des Reichskammergerichts gegen Landfriedensbrecher zu übertragen. So versagten sie kläglich an der Vollstreckung der Reichsacht an dem aufständischen Reichsritter Franz von Sickingen und später an der Niederschlagung des Bauernaufstandes. Beide Aufgaben übernahm der ständische Schwäbische Bund. Eine weitere Festigung erfuhr die noch junge Institution der Kreise auf dem Reichstag zu Worms 1521 :♦ das Verfahren für die Wahl der Kammergerichtsbeisitzer wurde genau geregelt, die Pflicht zur Ausführung der Urteile des obersten Reichsgerichts festgelegt und die Aufstellung eines Kreishauptmanns angeordnet, der die Kräfte des Kreises gegen Friedensbrecher mobilisieren und führen sollte. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Fränkische Kreis - der Name taucht erstmals 1522 auf,5 während die Kreise vorher nur Nummern trugen - auch seine geographische Abgrenzung und räumliche Geschlossenheit weitgehend erlangt, die bis zum Ende des Alten Reiches nur mehr geringfügig geändert wurde. Der Kreis umfaßte das Flußgebiet des mittleren und oberen Mains, mit Ausnahme der kursächsischen Pflege 1 Vgl. Geruch, Landfriedenspolitik (s. o. 161); Angermeier; G. Pfeiffer, Die kgl. Landfriedenseinungen in Franken (VF 14) 1971, 229-254. 2 Vgl. K. S. Bader, Kaiserliche u. ständ. Reformgedanken in d. Reichsreform d. endenden 15. Jh. (HJb. 73) 1954, 7494‫ ;־‬Ders., Ein Staatsmann vom Mittelrhein. Gestalt u. Werk d.

Mainzer Kurfürsten u. Erzb. Berthold v. Henneberg, 1954. 3 Zeumer nr. 177, 297 ff. 1512 wurde die Zahl der Kreise um weitere 4 vermehrt. 4 Ebd. nrr. 183 und 184, 324 ff. 3 «Der Fränckisch Kreyß» in § 5 der Erklärung des Landfriedens, Zeumer 327.

§ 22. Bildung der Fränkischen Reichskreise. Politische Lage (R. Endres)

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Coburg1 und Teilen des Stiftes Fulda um Hammelburg12*sowie der zum Kurfürstentum Mainz gehörigen Gebiete um Aschaffenburg und Miltenberg. Dagegen ragte der Kreis mehrfach über das Einzugsgebiet des Mittel- u. Oberlaufs des Mains hinaus, mit dem Fichtelgebirge, dem Vogtland, dem Bereich der oberen Werra, dem Gebiet der oberen und mittleren Altmühl, mit dem Taubertal und dem Jagst-Kocher-Gebiet. Denn im schwäbisch-fränkischen Grenzraum hielten sich die Grafen von Hohenlohe und die von Wertheim sowie die Schenken von Limpurg zum Fränkischen Kreis, desgleichen seit 1517 der Deutschmeister. Selbst die im Odenwald ansässigen Reichsgrafen von Erbach schlossen sich nicht dem Oberrheinischen sondern dem Fränkisehen Kreis an, da sie sich durch den Mainzer Kurfürsten bedroht sahen. Dafür traten die Reichsstädte Hall, Dinkelsbühl, Wimpfen und Heilbronn - die beiden letzteren waren noch 1517 zum Fränkischen Kreistag eingeladen worden, nahmen aber nur unter Protest teil - zum Schwäbischen Kreis. Der Fränkische Kreis umfaßte somit in der Hauptsache den Bereich der drei Hochstifte (Bamberg, Würzburg, Eichstätt), der beiden zollerischen Fürstentümer (Ansbach, Kulmbach) und der fünf Reichsstädte (Nürnberg, Rothenburg, Windsheim, Schweinfurt, Weißenburg) samt der beiden Reichsdörfer Gochsheim und Sennfeld sowie die in Franken ansässigen Grafen und Herren. Die Ritterschaft hielt sich von Anfang an fern und konstituierte bald ihren eigenen Ritterkreis, der sich nicht mit dem Reichskreis deckte. Mit dem Fränkischen Kreis und seiner geographischen Ausdehnung hatte sich der historische Raumbegriff «Franken» konsolidiert, denn der Kreis schuf in seinen Ordnungsfunktionen eine bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts währende politische, kulturelle und sozioökonomische Schicksalsgemeinschaft, die auch ein echtes fränkisches Gemeinschaftsgefühl erzeugte. Die politische Lage in Franken vor der Reformation war bestimmt von den Gegensätzen der bedeutendsten Mächte. Ansbach und Kulmbach, die sich seit 1495 in der Hand des Markgrafen Friedrich IV. (1486-1536) befanden, standen in heftigem Konflikt mit den wieder erstarkten Würzburger Bischöfen, den «Herzögen von Franken», um die Vorherrschaft in Franken. Dazu kam die traditionelle Rivalität zwischen den Burggrafen und der Reichsstadt Nürnberg, die 1502 sogar anläßlich des KirchweihSchutzes im Weiler Affalterbach zu einer offenen Schlacht ausartete, die mit dem Sieg des jungen Markgrafen Kasimir endete.’ Zwei Jahre später, im Landshuter Erbfolgekrieg, waren die beiden Kontrahenten schon wieder Bundesgenossen im Kampf gegen Ruprecht von der Pfalz.4 Dieser bayerische Erbfolgestreit brachte der Reichsstadt den Gewinn der pfälzischen und bayerischen Ämter Betzenstein-Stierberg, Velden, Hersbruck, Hilpoltstein sowie Lauf und Altdorf. Mit dem Erwerb des größten reichsstädtischen Landgebiets in Deutschland stieg Nürnberg endgültig zu einer der 1 Die Ortslande Coburg kamen zum 1512 geschaffenen Obersächsischen Kreis. 2 Dem Fränkischen Landfrieden von 1340 hatte Fulda angehört, doch bei der Kreiseinteilung schloß sich die Fürstabtei dem Rheinisehen Kreis an.

’ A. Haase, Die Schlacht bei Nürnberg vom 19. Mai 1502, 1887. 4 S. HB II 291 ff.

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Franken: C. IV. Reichskreis und Reformation bis ijjj

führenden Territorialmächte in Franken auf. Das wiederum rief den Neid des benaclibarten Markgrafen hervor, dem die Nürnberger nicht zu Unrecht unterstellten, daß er insgeheim und teilweise sogar unverhüllt die gegen die Reichsstadt gerichteten Fehden von Strauchrittem und Plackem, wie Götz von Berlichingen und Thomas von Absberg, unterstütze, deren wirtschaftliche Schäden nicht unterschätzt werden dürfen.1 Die Verschwendungssucht des «sorglosen Hausvaters» Friedrich, der die beiden Markgraftümer in schwere Schulden stürzte, woran auch seine zahlreichen Kriegszüge teilhatten, brachte seine Söhne, voran den skrupellosen Kasimir, dazu, ihn 1515 auf der Plassenburg einzusperren, angeblich wegen Geisteszerrüttung. Die Regierungsgewalt in Ansbach und Kulmbach lag fortan bei Kasimir, da die anderen Brüder sich zumeist außer Landes befanden; so auch Albrecht, der letzte Hochmeister des Deutschen Ordens und erste Herzog in Preußen?

J23. DIE AUSBREITUNG DER REFORMATION

Die Reformation, die sich sehr schnell zu einer nationalen Bewegung ausweitete und die seit dem Wormser Edikt von 1521 zu einem Prüfstein für die Reichsstände geworden war, begann in Franken offen mit der Besetzung der erledigten Propststellen an den beiden Hauptkirchen Nürnbergs mit Männern aus dem Wittenberger Kreis um Luther. Die Reichsstadt Nürnberg, die zu dieser Zeit ihren politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Höhepunkt erlebte, strebte auch nach Verselbständigung auf kirchlichem Gebiet. So hatte der Rat bereits die Patronatsrechte, die Aufsicht über große Teile des Kirchenvermögens und über die Lebensführung der Geistlichen sowie die Armenfürsorge, das Schqjwesen und die Sittenpolizei in seiner Hand; das landeskirchliche Prinzip war also in Nürnberg schon vor der Reformation weitgehend verwirklicht.123 Geistig vorbereitet wurde die Reformation in Nürnberg besonders durch die «Staupitzgesellschaft»,4 dann «Augustinergesellschaft», einem religiös interessier1 Vgl. Verhandlungen über Thomas von Absberg und seine Fehden gegen den Schwäbisehen Bund 1319 bis 1330, hg. v. J. Baader, (BLVS 114) 1873; J. Kamann, Götz v. Berlichingen u. d. Reichsstadt Nürnberg, 1887; Ders., Die Fehde d. G. v. B. mit d. Reichsstadt Nürnberg u. dem Hochstifte Bamberg 1312 bis 1514, 1893; Endres, Nümberg-Nördlinger Wirtschaftsbez. (s. u. 478). 2 W. Hubatsch, Albrecht v. BrandenburgAnsbach, Deutschordens-Hochmeister u. Herzog in Preußen (Stud. z. Gesch. Preußens 8) 1960; Albrecht v. Brandenburg-Ansbach u. d. Kultur seiner Zeit (Kat. d. Ausstellung im Rhein. Landesmuseum Bonn) 1968, mit zahlreichen Beiträgen. 3 Siehe A. Stahl, Nürnberg vor d. Reformation. Eine Studie z. religiös-geistigen Ent-

wicklung d. Reichsstadt, Diss. Masch. Eriangen 1949; I. Höss, Das religiös-geistige Leben in Nürnberg am Ende d. 15. u. am Ausgang d. 16. Jhs. (Miscellanea Historiae Ecclesiasticae 2) 1967, 17-36. 4Johannes Staupitz, der Generalvikar der Augustinereremiten, weilte mehrfach inNümberg und fand mit seinen Predigten großen Anklang. E. Wolf, Staupitz u. Luther (Quellen u. Forsch, zur Reformationsgesch. 9) 1927. Der Nachfolger von Staupitz wurde Wenzel Linck, der Luther besonders nahestand und seit 152$ in Nürnberg als Prediger der neuen Lehre wirkte. W. Rbindell, Doktor Wenzeslaus Linck aus Colditz 1483-1347, 1892; zuletzt B. Klaus, Veit Dietrich, Leben u. Werk. (Einzelarbeiten 32) 1958, hier 36 f.

§ 23■ Die Ausbreitung der Reformation (R. Endres)

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ten Humanistenkreis, dem die bedeutendsten und führenden Männer der Reichsstadt angehörten: der Ratskonsulent Dr. Christoph Scheuri,1 die Ratsherren Hieronymus Ebner, Kaspar Nützel und Anton Tücher, der Ratsschreiber Lazarus Spengler,1 2 Willibald Pirckheimer,3 Albrecht Dürer4 und andere mehr. «Die Martinianer», wie sie sich bald nach Luther nannten, standen in enger Verbindung mit Wittenberg.5 Kaspar Nützel hatte Luthers 95 Thesen ins Deutsche übertragen, und von Nürnbergs Druckereien aus fanden sie rasche Verbreitung wie auch die anderen Werke Luthers. Bezeichnenderweise waren es neben dem Eichstätter Domherren Bernhard Adelmann von Adelmannsfelden die beiden Nürnberger Spengler und Pirckheimer, die von Johannes Eck in die bekannte Bannandrohungsbulle «Exurge domine» eingesetzt wurden.6 Die neuemannten Pröpste in Nürnberg beriefen nun entschieden evangelische Prediger an ihre Kirchen: Andreas Osiander7*und Dominikus Schleupner, die bald großen Anhang in der reichsstädtischen Bevölkerung und bei den Teilnehmern der beiden Nürnberger Reichstage 1522/23 und 1524 fanden. Die Reichsstadt Windsheim hatte schon im Jahr 1521 einen evangelischen Prediger angestellt,’ und im Jahr darauf erbat sich Graf Georg von Wertheim von Luther selbst einen Prediger.’ Zur gleichen Zeit genehmigte Dinkelsbühl die evangelische Abendmahlsfeier,10 wie 1524 Schwabach," Coburg und Königsberg im Grabfeld evangelische Gottesdienstordnungen annahmen.12 In Nürnberg wurde erst nach dem Abzug des Reichsregiments am 5. Juni 1524 eine evangelische Gottesdienstordnung eingeführt. Dies brachte zwar den Pröpsten die Suspension durch den Bamberger Bischof ein, doch kümmerte sich niemand darum; sie blieben weiterhin im Amt.13 Auch die Reichsstadt Weißenburg schützte ihren lutherischen Prediger gegen den zuständigen 1 Scheuri, Briefe (s. u. 587 Anm. 6); W. Graf, Doktor Christoph Scheuri v. Nürnberg, 1930. 2 H. v. Schubert, Lazarus Spengler u. d. Reformation in Nürnberg (Quellen u. Forsch, z. Reformationsgesch. 17) 1934. 3 E. Reicke, Willibald Pirckheimers Briefwechsel (Veröffentl. d. Komm. z. Erforschung d. Gesch. d. Ref. u. Gegenref., Humanistenbriefe 4 u. 5) 1940 u. 1956; Will. Pirkheimer 1470/1970, hg. von W.-P.-Kuratorium Nbg., 1970· 4 Vgl. H. Rupprich, Dürers Stellung zu den agnoetischen u. kunstfeindl. Strömungen seiner Zeit (SB München 1) 1959. Die Ausführungen von H. Lutz, Albrecht Dürer in d. Gesch. d. Reformation (HZ 206) 1968, 22-44 können nicht voll überzeugen. 5 Christoph Scheuri war von 1507-1512 Professor in Wittenberg, ehe er als Ratskonsulent nach Nürnberg zurückging. 6 Zur Bannangelegenheit vgl. H. Westermayer, Zur Bannangelegenheit Pirckheimers u. Spenglers (Beitrr. BK 2) 1896, 1-8; K. Schornbaum, Nürnberg u. d. Bulle exurge domine (ZBKG 10) 1935, 91-96.

7 Zuletzt G. Seebass, Das reformatorische Werk d. Andreas Osiander (Einzelarbeiten 44) 1967; Ders., Andreas O. (Fränk. Lebensbilder 1) 1967, 141-161. • J. Bergdolt, Die freie Reichsstadt Windsheim im Zeitalter d. Reformation 1520-1580 (Quellen u. Forsch, z. bayer. KG, hg. v. H. Jordan 5) 1921, 22 ff. ’ F. Kobe, Die Reformation in d. Grafschaft Wertheim, 1922. 10 Ch. Bürckstümmer, Die Gesch. d. Reformation u. Gegenreformation d. ehern, freien Reichsstadt Dinkelsbühl (Sehr. d. Ver. f. Reformationsgesch. 119/120) 1921. 11 H. Clauss, Die Einführung d. Reformation in Schwabach 1521-1530 (Quellen u. Forsch, z. bayer. KG 2, hg. v. H. Jordan) 1917· 12 A. Greiner, Die Einführung d. Reformation in d. Pflege Coburg, 1938; A. Wendehorst, Das Würzburger Landkapitel Coburg z. Zeit d. Reformation (Veröffentl. d. MaxPlanck-Instituts f. Gesch. 13) 1964. 13 G. Seebass, Die Reformation in Nürnberg (MVGN 55) 1967/68, 252-269.

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Bischof von Eichstätt.1 Selbst in den Hochstiften fand die lutherische Lehre rasche Verbreitung, sowohl unter dem Klerus wie unter der Bevölkerung. In Bamberg regierte der Humanistenfreund und Förderer der Künste Georg III. Schenk von Limpurg (1502-22), der sich ernsthaft um Reformen bemühte.12 Er war zwar kein direkter Anhänger Luthers, aber er ging nicht energisch genug gegen die reformatorische Bewegung vor, deren Überzeugungskraft er unterschätzte. Auch sein Nachfolger Weigand von Redwitz (1522-56),3 obwohl Mitglied des Regensburger Bundes, scheute vor scharfen Maßnahmen zurück, wenn er auch gewillt war, der Ausbreitung des Luthertums entgegenzutreten. Doch konnte er nicht einmal die lutherfreundliche Partei in seinem Domkapitel ausschalten. Auch in den Bistümern Würzburg und Eichstatt waren es die humanistisch gebildeten Domherren, die mit zu den frühesten und eifrigsten Anhänger Luthers gehörten.4 Im März 1524 war auf dem dritten Reichstag zu Nürnberg unter dem entscheidenden Einfluß des Nürnberger Stadtschreibers Lazarus Spengler und des ansbachischen Sekretärs Georg Vogler ein Nationalkonzil in Aussicht gestellt worden, auf dem alle anstehenden Religionsfragen geklärt werden sollten. Daraufhin ließen der Markgraf Kasimir von Ansbach-Kulmbach und die fränkischen Reichsstädte, mit Ausnahme von Weißenburg, sowie die Grafen und Herren von Henneberg, Wertheim, Erbach, Limpurg und Schwarzenberg durch theologische Gutachten das in Aussicht genommene Konzil vorbereiten.5 Man strebte ein einheitliches Auftreten des Fränkischen Kreises an, doch konnte auf dem Tag zu Windsheim keine Einigung erzielt werden.6 Nachdem das kaiserliche Verbot des Konzils eine nationale Lösung unmöglich machte, mußte es weiterhin zu territorialen und lokalen Lösungen und Regelungen der religiösen Probleme kommen. Zur Überwindung und Beseitigung von Unklarheiten dienten in erster Linie Religionsgespräche, die an mehreren Orten, in Franken vor allem in Nürnberg im März 1525, stattfanden. Die Wortführer in Nürnberg waren Osiander und der Karmelitenprior Andreas Stoß, ein Sohn des bekannten Bildhauers Veit Stoß.’ Im Anschluß an das Religionsgespräch verbot der Rat den katholischen Gottesdienst und katholische Predigten; Andreas Stoß wurde ausgewiesen. Insgesamt aber vollzog sich überall in Franken der Übergang vom Alten zum Neuen in geordneten Bahnen; es kam zu keinen Bilderstürmereien. Die evangelischen Obrigkeiten zogen das Kirchengut ein und verwendeten es zur Errichtung von Schulen oder im «Großen Kasten» für die Armenfürsorge und Sozialpolitik, wobei Nürnberg 1 K. Ried, Die Durchführung d. Reformation in d. ehern, freien Reichsstadt Weißenbürg i. B., 1915. 2 F. F. Leitschuh, Georg III. Schenk v. Limpurg, 1888. 3 O. Erhard, Die Reformation d. Kirche in Bamberg unter Bischof Weigand 1522-1556, 1898. 4 Der Würzburger Weihbischof Johannes Pettendorfer trat sogar 1525 zur neuen Lehre

über und heiratete in Nürnberg. Vgl. J. Kist, Zur Lebensgesch. d. Würzburger Weihbischofs Johann Pettendorfer, 1512-1525 (WDGBU. 13) 1951, 1950. 1 Teilweise abgedruckt in «Fränk. Bekenntnisse», s. o. 193. 6 Vgl. Hartung. ’ R. Schaffer, Andreas Stoß, Sohn d. Veit Stoß, u. seine gegenreformator. Tätigkeit, 1926.

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mit seiner Almosenordnung von 1522 wiederum als Vorbild wirkte.1 Überall leerten sich die Klöster, lösten sich auf, selbst in den Hochstiften, und stellten der Landesherrschäft ihren Besitz zur Verfügung. Wo dies nicht der Fall war, wurden sie durch das strikte Verbot der Neuaufnahme zum Aussterben verurteilt. Vor allem mehrere Frauenklöster wollten sich der neuen Ordnung nicht beugen, wie Himmelkron im Kulmbachischen oder St. Katharina und besonders St. Klara in Nürnberg, wo die gebildete und tiefreligiöse Äbtissin Charitas Pirckheimer, eine Schwester des Humanisten Willibald Pirckheimer, einen bewundernswerten Kampf gegen den neugläubigen Stadtrat führte, der den Frauen evangelische Prediger und Beichtväter aufzwang.12 Die Reformation, die als Volksbewegung begonnen hatte, gewann sehr schnell an innerer Festigung. Die Obrigkeiten bekannten sich bald offen zur Lehre Luthers und nahmen die vollständige Durchführung der Reformation von oben her in die Hand. Die Reichsritterschaft, die ganz im Bestreben stand, ihre Selbständigkeit und reichsfreie Stellung zu behaupten, sah in der Reformation eine für ihre Politik überaus günstige Möglichkeit. Zum Schutz ihrer Unabhängigkeit gegenüber der vordringenden Fürstenmacht und dem wirtschaftlich florierenden bürgerlichen Städtewesen hatten sich schon einige fränkische Ritter an der Sickingerfehde beteiligt. Doch auf einem Strafzug des Schwäbischen Bundes und Markgraf Kasimirs gegen die aufständischen Adligen im Oberland wurden zahlreiche Burgen eingenommen und zerstört.3 Von dem Zusammenbruch des Ritteraufstandes wurde auch Ulrich von Hutten mitgerissen, der sprachgewaltige Humanist und leidenschaftliche Kämpfer gegen das Papsttum, der auf der engen fränkischen Burg Steckelberg bei Hanau geboren war.4 Nach dem Erscheinen von Luthers großer Reformschrift «An den christlichen Adel deutscher Nation», die weit mehr war als die Übernahme der alten Gravamina, bekannten sich viele Ritter aus echter, tiefer Überzeugung offen zu Luther. Hierzu gehörten in Franken Silvester und Adam von Schaumburg,’ Johann von Schwarzenberg,6 Friedrich von Seinsheim und die Herren von Egloffstein. Auf der Grundlage ihrer Patronatsrechte reformierten sie sogleich auch ihre Untertanen. 1 Abgedruckt bei Simon, KO 23-32; vgl. W. Rüger, Mittelalterl. Almosenwesen. Die Almosenordnungen d. Reichsstadt Nürnberg (Nürnberger Beitrr. zu den Wirtschafts- u. Sozialwissensch. 31) 1932 (hier auch Druck der Ordnung 76-90); R. Endres, Zur Einwohnerzahl u. Bevölkerungsstruktur Nürnbergs im 15./16. Jh. (MVGN 57) 1970. 2 C. Höfler, Der hochberühmten Charitas Pirckheimer ... Denkwürdigkeiten aus d. Reformationszeitalter, 1852; J. Pfänner, Die «Denkwürdigkeiten d. Charitas Pirckheimer» (Charitas Pirckheimer-Quellenslg. II) 1962; Ders., Briefe von, an u. über Charitas Pirckheimer (ebd. III) 1966; Ders., C. P. (Fränk. Lebensbilder 2) 1968, 193-216; J. Kist, Charitas Pirckheimer. Ein Frauenleben im Zeitalter d. Humanismus u. d. Reformation, 1948. 3 Es wurden etwa 20 Burgen gebrochen, die

alle den Helfern des H. Th. v. Absberg und G. Μ. von Rosenberg gehörten. Vgl. Verbandlungen über Thomas v. Absberg u. seine Fehde gegen d. Schwab. Bund 1519 bis 1530, hg. v. J. Baader (BLVS 14) 1873, Neuauflage 1931; R. Fellner, Die fränk. Ritterschaft v. 1495-1524 (Hist. Stud. 50) 1905, hier 284 ff.; E. Bock, Der Schwab. Bund u. seine Verfassungen 1488 bis 1534, 1927. 4 H. Grimm, Ulrich v. Hutten, 1971. ’ Der junge Silvester von Schaumberg hatte schon im Sommer 1520 Luther seinen Schutz angetragen (F. Kipp, Silv. v. Schaumburg, 1911). 6 Vgl. W. Scheel, Johann v. Schwarzenberg, 1905; F. Merzbacher, Schwarzenberg in Würzburg. Diensten (ZRG 69) 1952; H. Rössler, Der starke Hans: Johann von Schwärzenberg (Rößler) 156-165. S. u. 375.

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Doch der Bauernkrieg brachte einen schweren Rückschlag, nicht nur bei den Reichsrittem und in den Reichsstädten, auch die Fürsten und Herren hielten sich nun mehr zurück.

§24. DER BAUERNKRIEG Quellen. H. Barge, Der deutsche Bauernkrieg in zeitgenössischen Quellenzeugnissen, 2 Bde., o. J. (Bd. II behandelt den Aufstand in Franken und im Odenwald); Quellen z. Gesch. d. Bauernkriegs aus Rothenburg an d.Tauber, hg. v.F.L. Baumann (BLVS 139) 1878; Lorenz Fries, Die Gesch. d. Bauem-Krieges in Ostfranken, hg. v. Schäffler-Henner, 2 Bde., 1883. Ergänzungen zur Chronik des L. Fries bringen W. Stolze, Die Supplemente zu Lorenz Fries’ Chronik (Arch. f. Reformationsgesch. 5) 1908, 191-212, und A. Bechtold, Zur Gesch. d. Bauernkriegs. Ein unbekanntes Manuskript v. L. Fries (AU 71) 1937, 162-169; Μ. Cronthal, Die Stadt Würzburg im Bauernkrieg, hg. v. Μ. Wieland, 1887; Quellen zum Bauernkrieg in Bamberg, hg. v. A. Chroust, Chroniken d. Stadt Bamberg (VGffG R. I, Bd. I 2) 1910; G. Franz, Der deutsche Bauernkrieg, Aktenband, 1935; Ders., Quellen z. Gesch. d. Bauernkrieges, 1963. - Literatur. W. Zimmermann, Allgem. Gesch. d. großen Bauernkrieges, 3 Bde., 1843, Neuausgaben 1890, 1933 u. 1939 (mit Kürzungen). Hierzu H. Haussherr, Wilhelm Zimmermann als Geschichtsschreiber d. Bauernkriegs (ZWLG 10) 1951, 166-182; Η. Hantsch, Der deutsche Bauernkrieg, 1925; G. Franz, Der deutsche Bauernkrieg, 1933, 197510 (Lit. auch ungedr. Diss. zu Spezialfragen); H. Buszello, Der deutsche Bauernkrieg v. 1525 als polit. Bewegung (Stud. z. Europ. Gesch., hg. v. Herzfeld-BergesSchulin-Trautz, 8) 1969; W. E. Peuckert, Die große Wende. Das apokalyptische Saeculum u. Luther, 1948; A. Waas, Die große Wendung im deutschen Bauernkrieg (HZ 158/159) 1939; Ders., Die Bauern im Kampf um Gerechtigkeit 1300-1525, 1964; H. W. Bensen, Gesch. d. Bauernkriegs in Ostfranken, 1840; H. Angermeier, Die Vorstellung des gemeinen Mannes von Staat u. Reich (VSWG 53) 1966, 329-343; F. F. Oechsle, Gesch. d. Bauernkrieges in d. schwäb.fränk. Grenzlanden, 1844 (Bensen und Oechsle behandeln fast ausschließlich das Rothenburger und Hohenloher Gebiet); Μ. Heid, Der Bkr. im Reichskreis F., 1873; P. Braun, Der Bkr. in F., 1925; R. v. Thüngen, Der Bkr. in F. unter Conrad III., B. v. Würzburg 1926; R. Krebs, Der Bkr. in F., 1933; A. Scarbath, B. Conrad III. v. Würzburg u. d. Bkr. in F., Diss. Würzburg 1935; W. Engel, Der große Bkr. (Bilder aus d. bayer. Gesch., hg. v. A. Fink) 1953,143-152; R. Endres, Probleme d. Bkrs. im Hochstift Bamberg (JfFL 31) 1971; Ders., Der Bkr. in F. (BlldLG 109) 1973; Bibliogr. (für Franken bes. die nrr. 9, 51, 61, 119-123, 163-170, 186, 387, 389, 417, 423-427).

Der Bauernkrieg, die größte politisch-soziale Massenbewegung in der deutschen Geschichte, von der marxistischen Geschichtsschreibung als Vorbild für klassenbewußte Kämpfe hingestellt,1 beruhte auf unterschiedlichen Entwicklungen und Ursachen, die schon in zahlreichen Unruhen des Spätmittelalters zu erkennen waren. Für Franken sind unter den Vorläufern des Bauernaufstandes die Ereignisse um den Pfeifer von Niklaushausen symptomatisch? Im allgemeinen werden als die eigentlichen Gründe für den Bauernkrieg die neuen Forderungen der Landesherrschaft, die Rezeption des römischen Rechts und die generelle Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Stadt und Land genannt. Durch die reformatorische Bewegung, speziell durch einige mißverstandene Schriften Luthers?

1 Vgl. den Katalog der Berliner Ausstellung «Der große deutsche Bauernkrieg» im Jahr 1955; vor allem aber Μ. Steinmetz, G. Vogler, A. Laube, S. Hoyer u. a. in Bibliogr. nrr. 2-17, 82-88, 67-69.

1 Vgl. Bibliogr. nrr. 123, 415, 507. 3 Siehe hierzu P. Althaus, Luthers Haltung im Bauernkrieg (Wissenschafti. Buchges., Sonderausgabe) 1952; F. Lütge, Luthers Ein-

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fand die Kritik an den bestehenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen1 und kirchliehen Verhältnissen neue Nahrung. Imfränkischen Raum erwuchs der Bauernkrieg vor allem aus der wachsenden Unzufriedenheit der überlasteten Bauern. Angesichts der Fixierung der Grundrenten, der Naturalleistungen, der Zehnten und Geldgülten, deren realer Wert infolge der «Preisrevolution» ständig absank, mußten die Grundherren auf die nicht festgelegten Leistungen, wie die Fronden, ausweichen oder neue indirekte Steuern erheben, so z. B. das «Boden- und Klauengeld» auf Wein und Vieh; weiterhin beschränkten sie die bäuerlichen Nutzungsrechte am bisherigen Genossenschaftsgut und nutzten dieses selbst. Schließlich kamen noch die neuen Reichssteuem hinzu, die vom Landesherm im Namen des Reichs von den Untertanen eingezogen wurden. Gegen diese Vielzahl übersteigerter Forderungen und neuer «Zumuthungen» der Grundherrschaft richtete sich in Franken in erster Linie der Bauernaufstand, und nicht gegen die Landesherrschäft als solche.2 Ihren Anfang nahm die Bewegung im Hochsommer 1524 im südlichen Schwarzwald, von wo sie bald auf den Bodenseeraum Übergriff; im Januar 1525 entzündeten sich die Gegensätze in Oberschwaben und im Allgäu. Noch wollten die Bauern verhandeln. Man verfaßte als Revolutionsmanifest die «Zwölf Artikel», die sogleich im Druck verbreitet wurden.’ Doch die bedrohten Fürsten, Herren und Städte verschlossen sich den Forderungen. Der Schwäbische Bund drängte unter Führung des bayerischen Kanzlers Leonhard von Eck4 auf blutige Niederwerfung des Aufstandes. Auch bei den Bauern setzte sich jetzt der radikale Flügel durch. Seit Mitte März 1525 rührte sich die Revolution auch in Franken. Ausgangspunkt war das umfangreiche Landgebiet der Reichsstadt Rothenburg, wo die Bauern am 21. März den Aufstand begannen. Die Schuld daran gaben die Gegner dem Andreas Bodenstein, gen. Karlstadt, der nach seiner Vertreibung aus Kursachsen nach Rothenbürg gekommen und dort verstecktgehalten worden war.5 Drei Tage nach dem Atifstand der Bauern entmachteten die Handwerkszünfte in Rothenburg den patrizischen greifen in d. Bauernkriege in seinen sozialgesch. Voraussetzungen u. Auswirkungen (JNÖSt. 158) 1943, 369-401; Bibliogr. nrr. 223-226. 1 Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Bauernschaft siehe O. Marks, Beitrr. z. Gesch. d. religiösen u. sozialistischen Bewegung in d. Stiften Mainz, Würzburg u. Bamberg (AU 49) 1907, 135-158; E. Gothein, Die Lage d. Bauernstandes am Ausgang d. MA, vornehml. in Südwestdeutschland (Westdt. Zschr. f. Gesch. u. Kunst 4) 1895; H. Heerwagen, Die Lage d. Bauern z. Zeit d. Bauernkrieges in d. Taubergegenden, Diss. Heidelberg 1899; F. Graf, Die soziale u. wirtschaftl. Lage d. Bauem im Nürnberger Gebiet z. Zeit d. Bauernkrieges (Jb. Mfr. 56) 1909, 1-162; zuletzt H. Heimpel, Fischerei u. Bauernkrieg (Fcstschr. P. E. Schramm) 1964, 353-372; F. HeidingsFelder, Die Zustände im Hochstift Eichstätt am

Ausgang d. MA u. d. Ursachen d. Bauemkrieges (Würzb. Stud. z. Gesch. d. MA u. d. Neuzeit, hg. v. A. Chroust, 3) 1911; J. Prössl, Die Beschwerden d. bischöfl. bamberg. Untertanen im Bauernkriege 1525, Diss. München 1901; Endres (s. o. 200). 2 Hier unterscheidet sich Franken v. manchen anderen dt. Landschaften; vgl. W. P. Fuchs, Der Bauernkrieg (GG II) § 19; Arch. f. Reformationsgesch.; Endres (s. o. 200). ’ G. Franz, Die Entstehung d. 12 Artikel (36) 1939; E. Walder, Der polit. Gehalt d. 12 Artikel v. 1525 (Schweiz. Beitr. z. allgem. Gesch. 12) 1954; Bibliogr. nrr. 105-110. 4 W. Vogt, Die bayer. Politik im Bauernkrieg u. d. Kanzler Dr. Leonhard v. Eck, 1883; zuletzt H. Lutz (HB II) 313; Bibi. nr. 162. 5 H. Barce, Andreas Bodenstein v. KarlStadt, 2 Bde., 1905.

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Rat und verbündeten sich mit der Landbevölkerung.1 Innerhalb weniger Tage beherrschte der «Tauberhaufen» das gesamte Flußtal, wobei einige radikale sozialrevolutionäre evangelische Prädikanten wie Dr. Teuschlein12 die Führung übernahmen. Unter dem Einfluß der Vorgänge im Taubertal rotteten sich einige Zeit später die Bauern und Bürger der Amtstädte im Grabfeld, nördlich von Schweinfurt, zusammen. Sie nannten sich nach einem Kloster «Bildhäuser Haufen». Ihnen fehlte allerdings eine geeignete Führung, wie sie auch praktisch ohne Programm waren. Aufruhr brach Ende März auch in der Reichsstadt Windsheim aus, doch konnte hier eine Nürnberger Ratsbotschaft vermittelnd eingreifen.3 Am 26. März schlossen sich die Bauern des Odenwaldes und des Baulandes zusammen zum «Odenwälder Haufen». An ihre Spitze traten so zielbewußte Männer wie der ehemalige hohenlohische Kanzleisekretär Wendel Hipler,4 der Mainzer Rentamtmann Friedrich Weigandt5 und der Gastwirt Georg Metzler. Von Anfang an war in Franken der Ton der Auseinandersetzungen scharf, die Hoffnung und die Möglichkeit für einen Ausgleich gering. Die Taubertaler forderten sogleich die Beseitigung von Adel und Klerus als bevorrechtigten politischen Stand; sie wollten nur den Landesherm als einzige Obrigkeit anerkennen. Die endgültige «Reformation» aber sollte den «Hochgelehrten der Hl. Schrift» überlassen werden. Doch keiner der Fürsten erkannte die Chance, die ihnen mit dem Programm eines einheitlichen Untertanenverbandes geboten wurde. Inzwischen stürmten die Bauern Amtshäuser, Burgen und Klöster, wobei sie nicht nur über Keller und Vorratskammern herfielen, sondern auch über die Bibliotheken und Archive, weil dort die verhaßten Steuerlisten und Zinsbücher aufbewahrt wurden. Vereinzelt steht der Mord von Weinsberg (16. April), der die Bauern die letzten Sympathien kostete. Klugerweise gaben die meisten Adligen in Franken zunächst den Forderungen der Bauern nach und lieferten freiwillig Geschütze, Waffen, Getreide und Wein ab. So hatte sich bereits Ende März der Deutschordenskomtur zu Mergentheim mit den Aufständischen verglichen und die Grafen von Hohenlohe und die von Löwenstein erschienen mit gezogenen Hüten vor den Bauemführem und ließen sich mit «Bruder» anreden. Sogar der mächtige Graf Wilhelm von Henneberg mußte sich mit seinen Bauern verbrüdern. Auf diese Weise konnte zwar weiteres Blutvergießen vermieden werden, die Burgen brannten aber trotzdem. Seit Februar 1525 rüsteten die Fürsten, die bald ein zahlenstarkes Heer beisammen hatten. Meist waren es aus Italien herbeigeholte, kriegserprobte Landsknechte, die 1 P. Schattenmann, Bauernkrieg u. Reformadon im Gebiet d. Reichsstadt Rothenburg o.T. (ZBKG 3) 1928, 208-214; Ders., Die Einführung d. Reformation in d. ehern. ReichsStadt Rothenburg ο. T., 1928. 2 Th. Kolde, Dr. Joh. Teuschlein u. d. erste Reformationsversuch in Rothenburg o. d. T. (Festschr. d. Univ. Erlangen f. Prinzregent Luitpold) 1901, 37-83. 3 J. Bergdolt, Die freie Reichsstadt Winds-

heim im Zeitalter d. Reformation 1520-1580 (Quellen u. Forsch, z. bayer. KG 5) 1921, 62 f. 4 F. G. Bühles, Wendel Hipler als hohenlohischer Kanzler (WF 10) 1877, 152-164; G. Wunder, Hipler u. Ulrich Greiner im Mainhardter Wald (ebd. NF 30) 1955, 89-102. 5 A. Kluckhohn, Über das Projekt eines Bauemparlamentes u. die Verfassungsentwürfe von Fr. Weigandt u. W. Hipler (Nachr. der Ges. d. Wiss. Göttingen 7) 1893.

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unter der kundigen, straffen Leitung des Georg Truchseß von Waldburg, des militärischen Führers des Schwäbischen Bundes, standen. Den Bauernhaufen dagegen fehlte Einheit, Kampferfahrung und Führung. Daran änderten auch Götz von Berlichingen,1 der nicht ganz freiwillig zum Bauernheer gestoßen war, und der idealistisch gesinnte Florian Geyer1 als «Hauptleute» nichts, da ihnen das Talent zum echten Feldherrn abging. Vergeblich suchten sie Zucht und Ordnung in das Bauemheer zu bringen.123 Nachdem Truchseß die einzelnen Haufen im Schwäbischen im Laufe des April und Mai geschlagen und an Weinsberg ein hartes Strafgericht verübt hatte, rückte er mit seinem Heer nach Mainfranken vor. Dort hatte im April der Aufstand auch die beiden Bistümer Würzburg und Bamberg erfaßt, während das Markgrafentum Kulmbach, die wittelsbachische Oberpfalz und das Territorium der Reichsstadt Nürnberg fast völlig verschont blieben.4 An die 60 Burgen und 20 Klöster waren im Bistum Würzburg niedergebrannt worden.5 Einzig die Stadt Würzburg und die Veste Marienberg, das Schloß des Fürstbischofs Konrad von Thüngen, hielten stand. Ihre Eroberung wurde daher für die Bauern zu einer Prestigefrage. Ende April rückten die drei bislang streng geschiedenen fränkischen Bauemhaufen vor die Stadt, insgesamt fast 20000 Mann, freilich in sich uneins. Die militärische Führung lag bei einem fünfzehnköpfigen Ausschuß, dem Florian Geyer und Götz von Berlichingen vorstanden. Am 5. Mai verließ der Bischof die Stadt, um aus Heidelberg Hilfe herbeizuholen. Die auf der Festung verbliebene starke Besatzung wehrte alle Anstürme ab, nachdem der Vermittlungsversuch des Grafen Georg von Wertheim gescheitert war.6 Die Stadt Würzbürg selbst, in der es seit Ende Februar Unruhen gegeben hatte, wobei unter den Anführem auch Tilman Riemenschneider genannt wurde, verbündete sich am 7. Mai mit den Bauern, die es sich daraufhin in der Stadt gutsein ließen. Schließlich zog Götz von Berlichingen mit dem Odenwaldhaufen dem Fürstenheer entgegen, um den Übergang an der Tauber zu sperren. Am 2. Juni stieß das Heer des Truchseß von Waldburg, 3000 Reiter und 9000 Landsknechte, bei Königshofen an der Tauber auf das Bauemheer. Vor allem der Kavallerie waren die Bauern nicht gewachsen, so daß bald eine panikartige Flucht einsetzte, doch nur wenige konnten sich retten. Die Anführer in Würzburg schickten nun einen noch größeren Bauemhaufen aus, der am 4. Juni bei Sulzdorf mit dem Fürstenheer zusammentraf. Da auf ausdrücklichen Befehl des Truchseß an diesem Tag keine Gefangenen gemacht wurden, zählte man abends rund 5000 tote Bauern. Nur eine kleine Truppe von Landsknechten hatte sich in die Schloßruine Ingolstadt zurückgezogen, die der Familie des Florian Geyer gehörte, 1 H. Ulmschneider, Götz v. Berlichingen. Ein adeliges Leben d. Renaissance, 1974; Bibliogr. nr. 119. 2) 1916. 2 Vgl. zuletzt W. P. Fuchs, F. Geyer (Fränk. Lebensbilder 3) 1969. 5 Siehe die Feldordnung der fränk. Bauern im Lager bei Ochsenfurt, an der wahrscheinl. Florian Geyer mitgewirkt hat. Druck: Fries (s. o. 200) I 143-149; G. Franz, Quellen zur Gesch. d. Bauernkriegs, nr. lio, 347353‫·־‬

4 L. P. Buck, The Containment o£ Civil Insurrection: Nürnberg and the Peasants * Revolt, 1524-1525, Diss. Ohio State University 1971. 5 Wendehorst III; R. Endres, Adelige Lebensformen in Franken z. Zeit d. Bauemkrieges (Neujahresblätter 35) 1974. 6 R. Kern, Die Beteiligung Georgs II. v. Wertheim am Bauernkrieg (ZGO 55) 1901, 81 ff., 388 ff., 579 ff.

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und leistete dort bis zuletzt Widerstand. Florian Geyer selbst weilte in Rothenburg zu Verhandlungen mit dem Markgrafen. Als er nach Norden zu entkommen suchte, wurde er bei Rimpar von einem Knecht des Wilhelm von Grumbach überfallen und ermordet. Am 7. Juni mußte sich die Stadt Würzburg auf Gnade und Ungnade ergeben. Der Krieg war zu Ende, denn der Bildhäuser Haufen hatte sich bereits am 4. Juni dem Kurfürsten Johann von Sachsen überantwortet. Was in den nächsten Wochen folgte, war strenges Gericht oder blutige Rache. So unternahm Markgraf Casimir, der sich zunächst vorsichtig abwartend zurückgehalten hatte, einen grausamen Rachezug durch sein Land, auf dem er allein in Kitzingen 60 Bürger blenden ließ.1 Einen unterschiedlichen, eigentümlichen Verlauf nahm der Bauernkrieg im Bistum Bamberg. Schon im Sommer 1524 hatten die Gemeinden Herzogenaurach und Forchheim die üblichen Zehntleistungen verweigert und freies Fisch- und Jagdrecht verlangt. Obwohl die aufständischen Bürger von Bauern aus der Umgebung verstärkt worden waren, konnte der Aufruhr bald niedergeschlagen werden. Am 9. April 1525 brach in Bamberg der Aufstand aus, und zwar als eine religiöse und politische Bewegung der Bürgerschaft. Die Bürger der Residenzstadt forderten neben der freien Predigt des Evangeliums und größeren Selbstverwaltungsrechten vor allem die AusSchaltung des Domkapitels; der Bischof sollte erblicher Herzog und das Bistum säkularisiert werden. Nachdem durch Zugeständnisse des klugen Bischofs Weigand von Redwitz, der von diesem überraschenden Säkularisierungsangebot keinen Gebrauch machte, zunächst alles geregelt schien, kam es Mitte Mai zu einer zweiten Unruhewelle. Diesmal wurde das Hochstift erfaßt, während es in der Hauptstadt relativ ruhig blieb. Fast 200 Burgen und 6 Klöster, darunter Banz und Langheim, wurden von den Bauern zerstört? Einige Ausläufer des Aufstands griffen sogar in die Randgebiete des Fürstentums Bayreuth über, konnten aber bald unterdrückt werden. Bischof Weigand war nun, gegen seinen Willen, gezwungen, das Heer des Schwäbisehen Bundes zu Hilfe zu rufen, das im Hochstift dann beinahe genauso brutal hauste wie die aufständischen Bauern. In den fränkischen Grenzlanden, im Ries und im Bistum Eichstätt, waren die Unruhen lediglich abgeschwächte Folgeerscheinungen der Aufstände in den benachbarten Gebieten. Am 17. April hatten sich die limpurgischen Bauern in Gaildorf zusammengerottet und anschließend Ellwangen geplündert? die Reichsstadt Dinkels1 L. Böhm, Kitzingen u. d. Bauernkrieg (AU 36) 1893, 101 f. Auch der Fürstbischof von Würzburg übte ein strenges Gericht, wenn auch nicht mit solchen Exzessen wie der Markgraf. Siehe E. Hoyer, Fürstbischof Konrad III. v. Thüngen als Richter (WDGB11. 14/15) 1952, 433477‫ ;־‬Bibliogr. 168. 1Vgl. die in den Fränk. Blättern, 3-Jg., nr. 12,46-64, abgedruckte Aufstellung, die wesentliche Berichtigungen gegenüber Hantsch (s. o. 200) 415 ff. und den Chroniken der Stadt

Bamberg (s. 200) II 321 ff. bringt. Die erstaunliehen Erfolge waren nur möglich, weil die Burgherren mit ihren waffenfähigen Leuten dem Aufgebot des Bischofs gefolgt waren, so daß die Burgen kaum besetzt waren. Wo wirklicher Widerstand geleistet werden konnte, wie auf Marloffstein, Neideck, Rabenstein, wurde der Ansturm der Bauern abgewehrt. Endres, Probleme (s. o. 200). 3 F. Pietsch, Die Artikel d. Limpurger Bauem (ZWLG 13) 1954, 120-149.

§ 2$. Die neue Kirchenverfassung in Franken (R. Endres)

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bühl öffnete den Bauern freiwillig die Tore. Graf Ludwig von Oettingen mußte sogar mit dem Bauemhaufen ziehen. Doch am 8. Mai schlug Markgraf Casimir die Riesbauern in einem Gefecht bei Ostheim vernichtend.1 Im Bistum Eichstätt rotteten sich zwar auch 8000 Bauern zusammen, doch als ein Fürstenheer heranrückte, zerstreuten sie sich, ohne daß es zu irgendwelchen Kampfhandlungen gekommen war. Wie die Gründe und der Verlauf des Bauernkrieges so waren auch seine Folgen vielfältig und landschaftlich recht unterschiedlich. Neben den großen Menschenverlüsten und beträchtlichen Einschränkungen des rechtlichen Status des Bauernstandes war die wirtschaftliche Schädigung der Bauernschaft besonders schwerwiegend und einschneidend, wenn auch nicht von langer Dauer, was ja im Interesse der Grundherren selbst lag. Die Bauern mußten erhebliche Straf- und Entschädigungsgelder bezahlen, durch die mancher verarmte Adlige sich sanierte. Noch entscheidender aber war, daß der Bauer nach dem mißglückten Aufstand für Jahrhunderte zum bloßen Untertan wurde und kaum mehr eine nennenswerte politische Rolle spielte.1 2 Der eigentliche Sieger des Bauernkrieges in Franken war das Landesfürstentum, selbst wenn es nicht alle gebotenen Chancen ausnützte. Es entmachtete die Städte und Gemeinden, nahm ihnen ihre Privilegien und hob die bäuerliche Autonomie praktisch völlig auf. Auch für die Geschichte der Konfessionen blieb der Bauernkrieg nicht ohne nachhaltige Folgen. Durch die radikale Absage Luthers an die Volksbewegung hatte seine Lehre sehr an Popularität verloren. An Stelle des geforderten ursprünglichlebendigen Gemeindechristentums kam es zur Ausbildung des landesherrlichen Kirchenregiments. §25. DIE NEUE KIRCHENVERFASSUNG

Quellen. Simon, KO; Schmidt-Schornbaum (s. o. 193); G. Berbig, Die Wiedertäufer im Amt Königsberg i. Fr. i. J. 1527/28. Aktenmäßig mitgeteilt (Deutsche Zschr. f. Kirchenrecht 35) 1903, 291-353; Ders., Die Wiedertäuferei im Ortsland zu Franken, im Zusammenhang mit d. Bauernkrieg (ebd. 44) 1912, 378-403; K. Schornbaum, Quellen z. Gesch. d. Wiedertäufer II: Markgraftum Brandenburg (Quellen u. Forsch, z. Reformationsgesch. 16) 1934; Ders., V: Bayern, Π. Abt., Reichsstädte: Regensburg, Kaufbeuren, Rotenburg, Nördlingen, Schweinfurt, Weißenburg (ebd. 23) 1951. - Literatur. Simon; Ders., HAB; Bauerreiss V; G. Pfeiffer, Nürnbergs kirchenpolit. Haltung im Frühjahr 1530 (ZBLG 33) 1969,183-200; s. o. 193 f.: Michel, Schornbaum (Mgf. Kasimir); Ders. (Mgf. Georg); Götz; Wendehorst III; Würzb.; Kist; Ders.ENGELHARD (s.o. 194).

Der Speyerer Reichstag von 1526 brachte infolge der neuerlichen Kämpfe zwischen Karl V. und Franz I. von Frankreich wieder eine Besserung für die reformatorische Bewegung, indem er dem einzelnen Reichsstand die Einhaltung des Wormser Edikts so überließ, wie er es vor Gott und seinem Gewissen verantworten könne. Damit war für die evangelische Kirche eine Rechtsgrundlage geschaffen. In Ansbach-Kulmbach 1 C. Jäger, Markgraf Casimir u. d. Bauernkrieg in d. südl. Grenzämtem d. Fürstentums (MVGN 9) 1892, 17-164. 2 Gegen diese in der bisherigen Literatur stets vertretene These erhebt H. Rössler, Über

die Wirkungen v. 1525 (Wege u. Forsch, d. Agrargesch., Festschr. G. Franz, hg. v. Haushofer-Boelcke) 1967 Einspruch, doch können seine Darlegungen nicht völlig überzeugen. Gleiches gilt für P. Blickle (Bibliogr. nr. 18).

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übernahm 1527 Markgraf Georg, der sich bisher fast stets in seinen schlesischen BesitZungen aufgehalten hatte,1 die alleinige Regierung. Er griff sogleich energisch die evangelische Bewegung auf, während sein Bruder Kasimir, der seit 1522 die Alleinherrschaft in Franken geführt hatte, aus Rücksicht gegenüber dem Kaiser sich zurückgehalten hatte; außerdem war Kasimir religiös indifferent und an der Reformation nur insoweit interessiert, als sie ihm politische Vorteile brachte. Markgraf Georg, der später den Beinamen «der Fromme» erhielt, führte nun in enger Zusammenarbeit mit dem bisherigen politischen Rivalen Nürnberg im ganzen Land die Reformation durch. Er zog das Kirchengut, ja sogar die Kirchenkleinodien ein und verwendete den Gewinn zur teilweisen Abdeckung der Landesschulden und zum Festungs- und Straßenbau. Zur Klärung und Ordnung des allgemeinen Zustandes und des evangelischen Kirchenwesens wurden Kirchenvisitationen durchgeführt.’ Eine gleiche NeuOrdnung des Kirchenwesens erfolgte im wettinischen Ortsland Franken, wo die Reformation sehr früh Eingang gefunden hatte, durch kursächsische Kirchen- und Schulvisitationen 1528/29? Diese Bestandsaufnahmen waren nicht zuletzt gegen die Bewegung der Täufer gerichtet.4 Das Täufertum, das ein Jahr nach dem Bauernkrieg von Hans Hut,’ dem früheren Kirchner von Bibra, nach Franken getragen worden war, unterschied sich in seiner religiösen Verinnerlichung deutlich von den sozialrevolutionären Vorsteilungen des Thomas Münzer. Dabei war das Täufertum fast ausschließlich eine Laienbewegung, die besonders in den städtischen und ländlichen Unterschichten große Verbreitung fand. Rasch entstand eine relativ große Zahl von Gemeinden, die über ganz Franken verbreitet waren, mit gewissen Schwerpunkten im Regnitz- und Aischtal und im Grabfeld. Sie wurden jedoch brutal unterdrückt und grausam verfolgt; selbst zu mehreren Hinrichtungen kam es in diesem Zusammenhang. An der Verfolgung der Täufer waren gleichermaßen die weltliche Obrigkeit wie auch die katholische und die junge lutherische Kirche beteiligt, was nicht zuletzt mit Ursache war für die Einengung der reformatorischen Bewegung in die enge kirchliche Orthodoxie. Der zweite Reichstag zu Speyer 1529 hob angesichts der gewandelten außenpolitischen Verhältnisse den für die Reformation so günstigen Reichstagsabschied von 1526 wieder auf. Unter den dagegen protestierenden Mächten waren auch Markgraf 1 Vgl. E. Kober, Beziehungen zw. Ansbach u. Schlesien (Jb. Mfr. 75) 1955, 23-40; K. Müller, Markgraf Georg v. BrandenburgAnsbach-Jägemdorf (Jb. d. schles. Kirche u. Kirchengesch. NF 34) 1955. ’ Vgl. H. Westermayer, Die brandenburgisch-nümbergische Kirchenvisitation u. Kirchenordnung 1528/33, 1894; K. Schornbaum, Zur brandenburg.-nümberg. Kirchenvisitation 1528 (Beitrr. BK 11) 1905, 218-228; G. Kolde, Zur brand.-nümb. Kirchenvis. 1528 (ebd. 19) 1913, 275-281; Druck bei Simon, KO 135 fr. ‫ ג‬G. Berbig, Die erste kursächs. Visita-

tion im Ortsland Franken, 3 Teile (Arch. f. Reformationsgesch. 3) 1906, 336-402; (4) 1907, 370-408; (j) 1908, 398-435; A. Wendehobst, Das Würzburger Landkapitel Coburg zur Zeit d. Reformation, 1962, 10-12. 4 G. Bauer, Anfänge täufer. Gemeindebildüngen in Franken (Einzelarbeiten 43) 1966; -D. H. Schmid, Täufertum u. Obrigkeit in Nürnberg (Nürnberger Werkstücke 10) 1972. ’ Vgl. W. Neuses, Hans Hut, Leben u. Wirken bis zum Nikolsburger Religionsgespräch, 1913; G. Seebass, Hans Denk (Fränk. Lebensbilder 6) 1975.

§ 25. Die neue Kirchenverfassung in Franken (R. Endres)

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Georg der Fromme und die Reichsstädte Nürnberg, Weißenburg und Windsheim. Die selben fränkischen «Protestanten» unterschrieben auch auf dem Reichstag zu Augsburg im folgenden Jahr die «Confessio Augustana»; die Vertreter Weißenburgs waren zumindest bei der Verlesung anwesend.1 Die auf dem Augsburger Reichstag verabschiedete Verordnung, wieder zur katholischen Kirche zurückzukehren, wurde in Franken lediglich von Dinkelsbühl beachtet, und auch da nur für kurze Zeit.1 2 In den folgenden Jahren bis 1546 stand Franken außerhalb der großen politischen Ereignisse. Dem Schmalkaldener Bündnis schlossen sich nur die Schwarzenberg an.3 Markgraf Georg und auch Nürnberg verweigerten aus Rücksicht gegenüber dem Kaiser ihren Beitritt und hielten sich auch allen weiteren Bündnisbestrebungen fern. So konnte sich seit dem Nürnberger Anstand von 1532,4 der das weitere Vordringen des Protestantismus förderte, die Reformation in Franken nach innen und außen festigen. Zunächst erließ Markgraf Georg zusammen mit Nürnberg 1533 eine Kirchenordnung, die zum Fundament protestantischen kirchlichen Lebens in Franken und zum Vorbild für viele andere Territorien wurde.5 In dieser Zusammenfassung der reformatorischen Lehre, einer Ordnung für Gottesdienst und Amtshandlungen und einem weiten Programm kirchlicher Verwaltung wurde die bisherige bischöfliche Jurisdiktion endgültig durchbrochen und an ihre Stelle rückte die Kirchenhoheit der weltlichen Obrigkeit. Das landesherrliche Kirchenregiment erlangte Gültigkeit, auch wenn die Durchführung der Kirchenordnung zu einem länger dauernden Kampf wurde. Im Jahr 1541 führten die Hohenlohe offiziell ein evangelisches Kirchenwesen ein6 und um etwa die gleiche Zeit auch die Herrschaft Limpurg.‘1 Nach dem Scheitern des Regensburger Religionsgespräches weitete sich die reformatorische Bewegung sprunghaft aus. Am 21. September 1542 wurde in Schweinfurt ein evangelischer Pfarrer installiert und gleichzeitig auch in den Reichsdörfern Gochsheim und Sennfeld die Reformation eingeführt.· Auf Drängen seiner Ritterschaft mußte selbst der Fürstabt von Fulda eine weitgehend evangelische Kirchenordnung erlassen. Von den Grafen und 1 K. Schornbaum, Die Politik d. Reichsstadt Nürnberg vom Ende d. Reichstages zu Speyer 1529 bis z. Übergabe d. Augsburger Konfession 1530 (MVGN 17) 1906, 178-245; H. v. Schubert, Bekenntnisbildung u. Religionspolitik 1529/30, 1910; Ders., Die Anfänge d. ev. Bekenntnisbildung, 1928. 2 Ch. Bürckstümmer, Gesch. d. Reformation in d. ehern, freien Reichsstadt Dinkelsbühl, I 1914· 3 E. Fabian, Die Entstehung d. Schmalkaldisehen Bundes 1529-1531/33, 1956. 4 Vgl. A. Engelhardt, Der Nürnberger Religionsfriede v. 1532 (MVGN 31) 1933, 17-123. 3 Druck bei Simon, KO 140-283; zum Einflußbereich der KO vgl. ebd. 122 ff.

6 Schottenloher III nrr. 30619 v-30620; F. Weller, HohenlohischeReformationsgesch., 1903■ 7 A. Rentschler, Einführung d. Reformation in d. HerrschaftLimpurg (Bll. f. württemb. KG 20) 1916, 97-134; (22) 1918, 3-41. • Schweinfurt war die letzte der fränkischen Reichsstädte, die sich der evangelischen Bewegung anschloß. Der Grund hierfür ist in der Lage innerhalb des Hochstifts Würzburg zu suchen. S. Schöffel, Die Kirchenhoheit d. Reichsstadt Schweinfurt (Quellen u. Forsch, z. bayer. KG 3) 1918; F. Weber, Gesch. d. fränk. Reichsdörfer Gochsheim u. Sennfeld, 1913; Simon, KO 619 ff. (Lit.).

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Franken: C. IV. Reichskreis und Reformation bis 1535

Herren waren die Schwarzenberg bereits offen evangelisch,1 Rieneck schloß sich 1543/44 an1 2 und zur gleichen Zeit auch der Landgraf von Henneberg-Schleusingen.3 Die Grafschäft Castell reformierte 1546,45gleichzeitig mit den Marschällen von Pappenheim.3 1544 erklärte sich auch die Reichsstadt Rothenburg wieder für evangelisch, nachdem sie nach der Niederschlagung des Bauernaufstandes zur alten Kirche hatte zurückkehren müssen.6* Einen erneuten Rückschlag brachte der Schmalkaldische Krieg 1546/47, in dem Franken Durchzugsgebiet war. In den von den Kaiserlichen eroberten Grafschaften Oettingen-Oettingen und Oettingen-Harburg’ sowie in den Reichsstädten Dinkelsbühl und Schweinfurt wurde jegliches evangelische Wesen strikt untersagt und der katholische Gottesdienst zwangsweise eingeführt, während die Durchführung des Interims in den anderen protestantischen Gebieten auf größten Widerstand stieß.8 Doch brachten der Fürstenaufstand und der Passauer Vertrag bald die WiederherStellung der kirchlichen Verhältnisse aus der Zeit vor dem Schmalkaldner Krieg, bis dann der Augsburger Reichstag von 1555 das evangelische Kirchenwesen endgültig reichsrechtlich anerkannte. Zunächst aber stürzte der sogenannte Zweite Markgräflerkrieg in diesen Jahren Franken in schwerste Zerrüttung.

§26. DER ZWEITE MARKGRÄFLERKRIEG

Quellen. Krieg d. fränk. Einigungs-Verwandten gegen Markgraf Albrecht v. Brandenburg, hg. v.J. Baader (BHVB 33) 1870, 81-206; (34) 1871, 1-146; (35) 1872, 1-141 (mit einem Verzeichnis der vom Markgrafen eingeäscherten und gebrandschatzten Nümbergischen Orte). Zur Geschichte des markgräfl. Krieges v. 1553/54 in Franken: Hohenzollerische Forschungen IV 179-208, V 298 bis 368, VI 52-107 (offizielle Nürnberger Darstellung); Quellen zur Markgrafenfehde in Bamberg = Chroniken d. Stadt Bamberg, hg. von A. Chroust (VGffG, R. I, Bd. 12) 1910; Gesch. d.

1 K. Schornbaum, Zur Einführung d. Reformation in d. Herrschaft Schwarzenberg (Jb. Mfr. 58) 1911, 136 f.; R. Herold, Zur Gesch. d. Schwarzenberger Pfarreien (Beitrr. BK 5) 1899. 75‫־‬90. 2 A. Ph. Brück, Notizen z. Reformationsgesch. d. Grafschaft Rieneck (WDGB11. 16/17) !954/55. 368-70; Simon, KO 695 ff. (Lit.). 3 Zusammen mit Henneberg-Schleusingen wurde auch das Amt Meiningen reformiert, das 1542 gegen das Amt Mainberg vom Hochstift Würzburg cingetauscht worden war. Schottenloher III nrr. 30 259-30 264; Wendehorst (s. o. 197 Anm. 12) 13 f. 4 A. Sperl, Castell. Bilder aus d. Gesch. eines deutschen Dynastengeschlechtes, 1908; Simon, KO 681 ff. (Lit.). 5 K. Schornbaum, Der Beginn d. Reformation im Altmühltale (Beitrr. BK 16) 1910, 1-27; W. Kraft, Die Einführung d. Reformation in d. Herrschaft Pappenheim (ZBKG 11) 1936, 1-32, 98-117. 129-145·

6 P. Schattenmann, Die Einführung d. Reformation in d. ehern. Reichsstadt Rothenbürg ο. T. 1520-1580 (Einzelarbeiten 7) 1928, 92 ff. 7 Gg. Grupp, Oettingische Gesch. d. Reformationszeit, 1894. 8 Während sich die Reichsstädte unter kaiserlichem Druck relativ rasch formell dem Interim anschlossen, scheiterte vor allem in den Markgraftümern und im Coburgischen die Durchsetzung des Kompromisses am Widerstand der Geistlichen, obwohl sie z. B. Albrecht Alcibiades mit Macht durchzusetzen suchte. Vgl. Kraussold, Gesch. (s. o. 193); Ch. Meyer, Zur Gesch. d. Interims im Fürstentum Brandenburg-Ansbach (Jb. Mir. 40) 1880, 29-53; G. Pfeiffer, Die Stellungnahme d. Nürnberger Theologen z. Einführung d. Interims 1548 (Festschr. W. v. Loewenich) 1968.

§ 26. Der zweite Markgräflerkrieg (R. Endres)

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Belagerung d. Veste Plassenburg in d. Jahren 1553 u. 1554 v. G. Thiel (Hohenzoll. Forsch. III) 332-384; (ebd. IV) 145-168. - Literatur.]. Voigt, Markgraf Albrecht Alcibiades v. BrandenburgKulmbach, 1852; E. Büttner, Der Krieg d. Markgrafen Albrecht Alcibiades in Franken 1552 bis 1555 (AO 23, H. 3) 1-164; Hartung; E. Mummenhoff, Altnümberg in Krieg u. Kriegsnot I: Der zweite markgräfl. Krieg, 1916 (Darstellung aus Nürnberger Sicht und vornehmlich der Nümberger Belange); O. Kneitz, Albrecht Alcibiades Markgraf v. Kulmbach 1522-1557 (Die Plassenbürg 2) 1951 (eine nicht völlig zufriedenstellende Biographie); H. Rössler, Dämonische Kräfte: Albrecht Alcibiades v. Brandenburg-Kulmbach (Rößler) 139—147; H. Grimm, Die Verwüstung d. Hochstifts Bamberg im Markgrafenkrieg 1552/54 (Fränk. Bll. 6) 1954, 21 ff.; F. Ortloff, Gesch. d. Grumbachischen Händel, 4 Bde., 1868/70; G, Pfeiffer, Die landesgesch. Funktion d. Plassenburg (JffL 29) 1969, 245-259; Gesch. Thüringens, hg. v. Patze-Schlesinger, III 1967·

Im Markgraftum Kulmbach war Albrecht, der Sohn Kasimirs, 1541 mit Erreichen der Majorennität an die Regierung gelangt, nach einer zügellos-ausschweifenden Jugend und mangelhafter Erziehung.1 Er erhielt von Schmeichlern aus seiner Umgebung den Beinamen Alcibiades. Seit 1543 in kaiserlichen Diensten, kämpfte er im Schmalkaldischen Krieg zusammen mit Herzog Moritz von Sachsen2 gegen die eigenen Glaubensgenossen und entwickelte sich zu einem gefürchteten Söldner- und Reiterführer. Nachdem er sich von Karl V. hintergangen fühlte, wechselte der machiavellistische Condottiere, der sein egoistisches Treiben mit wechselnden religiöskonfessionellen und nationalen Thesen zu verbrämen suchte, zum antikaiserlichen Fürstenbund über und vermittelte den Vertrag von Chambord (15. Januar 1552) mit Frankreich. Dann wandte er sich auf eigene Faust Franken zu, wo er ein von ihm beherrschtes Herzogtum Franken schaffen wollte unter Zerstörung der wirtschaftliehen Vormachtstellung Nürnbergs und Säkularisierung der Hochstifte. Anfang Mai 1522 forderte er die fränkischen Stände ultimativ auf, sich dem Fürstenbund anzuschließen, unbeachtet der Verhandlungen zwischen Moritz von Sachsen und König Ferdinand, die bald zum Passauer Vertrag führten. Zunächst zemierte Albrecht Nürnberg, dann überfiel er mehrere bambergische Ämter, ja bedrohte sogar die Bischofsstadt. So schlossen am 19. Mai Bischof und Kapitel mit dem Markgrafen einen schmählichen Frieden, demzufolge neben hohen Kriegsentschädigungen mehr als die Hälfte des Fürstbistums, insgesamt zwanzig Ämter, an Alcibiades abgetreten wurden? Auch Würzburg wurde, unter Vermittlung des Ritters Wilhelm von Grumbach, zur Leistung hoher Geldsummen gezwungen.4 Nürnberg mußte sich schließlich von der grausamen Verwüstung seines Landgebietes loskaufen. Albrecht zog daraufhin auf seinem Raubzug weiter nach Mainz und Trier und schließlich nach Metz zu Heinrieh II. von Frankreich, mit dem er sich aber diesmal nicht einigen konnte. 1 Sein Vormund Georg der Fromme, dem die Erziehung oblag, weilte zu oft in seinen schlesischen Besitzungen, um sich ernstlich um Albrecht kümmern zu können, der seit dem Wegzug seiner Mutter Susanne von Bayern nach München, meist allein, auf der Plassenbürg aufwuchs. Georg sah seine Erziehungsaufgäbe darin erfüllt, Albrecht nicht mit dem Katholizismus in Berührung kommen zu lassen. 14 HdBGIII, I

Er lehnte aber auch die Versuche Herzog Albrechts von Preußen ab, Einfluß auf den jungen Markgrafen zu nehmen. 2 H. Baumgarten, Moritz v. Sachsen, 1941. 3 Druck des Vertrags mit der Aufzählung der abgetretenen Ämter: Quellen z. Markgrafenfehde in Bamberg (s. o. 208) 554. 4 Es handelte sich um 200000 fl. und 20000 grober Münze. Druck des Vertrags: ebd. 555 f.

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Franken: C. IV. Reichskreis und Reformation bis 1555

Kaiser Karl V. hatte inzwischen die erzwungenen Verträge mit den fränkischen Ständen für nichtig erklärt und die Betroffenen zum Abschluß eines Schutzbundnisses aufgefordert, das zwischen den drei Hochstiften, dem Deutschmeister und den Reichsstädten Nürnberg, Rothenburg und Windsheim zustande kam.1 Um bei der Belagerung von Metz Albrechts Dienste in Anspruch nehmen zu können, mußte der Kaiser seine Nichtigkeitserklärung wieder kassieren. Gestützt auf den kaiserlichen Widerruf zog Albrecht nach Franken, um die Einhaltung des Gebietsabtretungsvertrags mit Gewalt durchzusetzen. Die Verwirrung im Reich, speziell in Franken, über die zweideutige Haltung des Kaisers wuchs noch mehr, als Karl im Frühjahr 1553 seine Kassation der fränkischen Verträge wiederum widerrief und Albrecht am 1. Dezember in die Reichsacht erklärt wurde. Mit der Rückkehr Albrechts anfangs 1553 begann erst die eigentliche Verwüstung Frankens, wobei auf beiden Seiten mit bisher beispielloser Grausamkeit Krieg geführt wurde. Albrecht und sein Söldnerheer brandschatzten «halb türkisch» das Hochstift Bamberg und besetzten die Hauptstadt.1 2 Dann wandte sich der Kriegshaufen wieder gegen Nürnberg. Da die Reichsstadt mit ihren starken Mauern nicht eingenommen werden konnte, hauste man im Landgebiet, wobei die Landstädte Lauf und Altdorf besonders schwer zu leiden hatten. Schließlich überrumpelte Albrecht die Reichsstadt Schweinfurt. Mehr als 90 Schlösser und 170 Dörfer sanken in Asche. Um dem Mordbrennen ein Ende zu bereiten, berief König Ferdinand die fränkischen Bundesverwandten sowie Kurfürst Moritz von Sachsen, und Herzog Heinrich von Braunschweig nach Eger, wo die militärische Vernichtung Albrechts beschlossen wurde. Um dem zuvorzukommen, verlegte Alcibiades den Kriegsschauplatz nach Norddeutschland, wo er am n.Juli 1553 in der Schlacht von Sievershausen vernichtend geschlagen wurde; dabei fand allerdings Moritz von Sachsen den Tod. In Franken wurde Albrecht von den Bundesständen überwältigt. Kulmbach, Hof3 und Bayreuth4 gingen verloren, die Plassenburg wurde belagert und bald völlig zerstört.5 Albrecht zog sich nach Schweinfurt zurück, aus dem er mit Not vor dem großen Brand entkommen konnte.6 Er floh zunächst nach Frankreich und fand schließlich Asyl bei seinem Schwager, dem Markgrafen Karl von Baden, wo er am 8. Januar 1557 verstarb. Nach Beendigung des Markgräflerkricges fiel zunächst das gesamte Fürstentum Kulmbach an die fränkischen Bundesverwandten, bis es auf Druck Sachsens unter kaiserliche Sequester gestellt und im Wiener Vertrag von 1558 demjungen Markgrafen Georg Friedrich übertragen wurde. Georg Friedrich, der Sohn Georgs des Frommen, regierte bereits seit einem Jahr in Ansbach sowie in dem schlesischen Herzogtum 1 Hartung 208 fF. 2 Bekannt ist Albrechts Ausspruch, «daß der Brand den Krieg ziere wie das Magnifikat die Vesper». 3 Vgl. J. Schlemmer, Gesch. d. Belagerung d. Stadt Hof im Jahre 1553 (Hohenzoller. Forsch. III) 1894.

4 Siehe F. Apel, Beschreibung d. Belagerung v. Bayreuth im Jahre 1553 (ebd.) 385-400. 5 Vgl. E. Storch, Die Plassenburg in d. fränk. Baugesch., 1951. 6 E. Saffert, Die Reichsst. Schweinfurt 1554-1615, Masch. Diss. Würzb. 1951.

§26. Der zweite Markgräflerkrieg (R. Endres)

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Jägerndorf und dem Pfandbesitz von Oderberg-Beuthen.1 Er verlangte von den Bundesverwandten eine hohe Entschädigung für die seinem ererbten Territorium Kulmbach zugefügten Schäden, vor allem für die Zerstörung der Plassenburg, für die dann zum größten Teil Nürnberg aufkommen mußte.12 Ein trauriges Nachspiel hatte der für Franken so verheerende Zweite Markgräflerkrieg noch in den sog. Grumbachischen Händeln. Wilhelm von Grumbach, einer der zwielichtigen Gefolgsleute des Markgrafen Albrecht, hatte noch alte Forderungen an das Hochstift Würzburg, diejedoch von Bischof Melchior von Zobel nicht anerkannt wurden. Als sich der Ritter der Person des Bischofs zu bemächtigen suchte, wurde dieser am 15. April 1558 auf dem Weg zur Marienburg von einem Helfer Grumbachs ermordet. Grumbach hatte inzwischen für sein erpresserisches Werk sogar mächtige Bundesgenossen gefunden. Von Sachsen-Gotha aus eroberte er ungehindert im Oktober 1563 Würzburg und erzwang die Freigabe seiner bisher besetztgehaltenen Eigengüter.3 Um erneute Wirren in Franken zu verhindern, verhängte Kaiser Ferdinand über Grumbach und seine Helfer die Reichsacht, die wenige Jahre später auch von Kurfürst August von Sachsen rigoros vollzogen wurde. 1 Schottenloher nrr. 29 129-29 145; NDB 6, 205 ff. 2 Die fränk. Bundesstände mußten eine Schadensersatzsumme von 175000 fl. aufbringen. Insgesamt brachte der Zweite Markgrafenkrieg für das Bamberger Hochstift einen Schaden von mehr als 2 Mill. fl. und für Nümberg rund 4 Mill, fl. Verluste, von denen sich

die fränk. Stände kaum mehr erholen konnten. Alcibiades wird deshalb nicht zu Unrecht als «Frankens schlimmster Schädling» bezeichnet. Μ. Hofmann, Kontributionen bamberg. Amter im Sommer 1552 (Fränk. Bll. 9) 1957, nr. 2, 5-8. 3 A. Bechtold, Zum Grumbach’schen Einfall (AU 66) 1927, 1-47.

VOM AUGSBURGER RELIGIONSFRIEDEN BIS ZUM DREISSIGJÄHRIGEN KRIEG §27. DER FRÄNKISCHE REICHSKREIS Quellen und Literatur: s. o. § 22; ergänzend: F. C. Moser, Des hochlöblichen Fränckischen Crayses Abschide u. Schlüsse, vom Jahr 1600 bis 1748, 2_Bde., 1752 ;_B. Sicken, Das Wehrwesen d. fränk. Reichskreises, 2 Bde., 1967 (photomech. Würzburger Diss. 1966, bes. Kap. 2); R. Endres, Z. wirtschaftl. u. soz. Lage in Franken vor d. Dreißigjähr. Krieg (JffL 28) 1968, 5-52; Pfeiffer, Nürnberg (s. u. 324). W. Mogge (Nürnb. Werkstücke 18) 1976; F. Magen, Reichsgräfl. Politik in Franken, 1975·

Unter dem Eindruck der Wirren des zweiten Markgräflerkrieges erfuhr die noch junge Institution des Fränkischen Kreises, die während der Reformationszeit heftiger Spannungen und Bewährungsproben ausgesetzt war, eine wesentliche Verstärkung und Konsolidierung. Die Reichsexekutionsordnung von 15551 übertrug den zehn Kreisen ausschließlich die Aufgabe der Unterdrückung und Bestrafung aller Friedensbrüche und der Vollstreckung der Kammergerichtsurteile. Das neugeschaffene Amt des Kreisobristen war allerdings nicht, wie ursprünglich geplant, ein kaiserliches Kommissariat, sondern es wurde nach erfolgter Wahl durch die Kreisstände dem vornehmsten weltlichen Stand übertragen. Die Landfriedenswahrung erfolgte also im Namen des Kreises, was einen Sieg der «teutschen Libertät»1 2*über die Zentralisierungsversuche des Kaisers bedeutet. Die Kreishilfe wurde allein auf die in jedem Fall eigens einzuberufenden Kontingente der Stände gegründet, wobei der Kreisoberst die Truppe - sie bestand zunächst im einfachen Anschlag aus 250 Reitern und 1282 FußSoldaten - nicht einmal selbständig aufbieten durfte, vielmehr war er auf die Zustimmung der von den Ständen bestimmten Kriegsräte angewiesen. Wurde diese von einer Seite verzögert oder gar versagt, war die Funktionsfähigkeit des Kreises blökkiert. Nicht ganz zu Unrecht wurde die Kreisverfassung für diesen Zeitpunkt als «ein überaus umständlicher Apparat zur Verhütung von Taten» charakterisiert.’ Nach dem Versagen des Kreises beim Überfall Grumbachs auf Würzburg wurde das Kreishilfewesen jedoch entschieden gestrafft und beschleunigt. Im Notfall konnte der Kreisobrist nun sofort von sich aus die Doppelhilfe aufbieten und die Nachbarkreise zur Hilfe verpflichten.4 1 Zeumer nr. 189, 341 ff; s. hierzuJ. MülDie Entstehung d. Reichsexekutionsordnung vom Jahre 1555 (MIÖG 40) 1925, 243 bis 271. 2 Vgl. hierzu G. Pfeiffer, «Christliches Verständnis» u. «teutsche Libertät», Reformatio u. ler,

Confessio (Festschr. W. Maurer) 1965, 98-112. ’ K. Brandi, Göttinger gelehrte Anzeigen, 1898, nr. 10, 795. 4 Neue u. vollständigere Sammlung d. Reichs-Abschiede . .., hg. v. E. A. Koch, 1747, III 27, 205 f·

§ 2‫ך‬. Der Fränkische Reichskreis (R. Endres)

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Mit der langsamen Konsolidierung der Kreise nach 1333 konnte das Reich ihnen weitere Aufgaben zuweisen, die es selbst nicht mehr erfüllen wollte oder konnte. Dies gilt als erstes für die vollständige Überlassung der Münzaufsicht im Jahre 1559.1 Dies wiederum stärkte das Eigenverständnis und Gemeinschaftsgefühl des Fränkischen Kreises und provozierte weitere Selbständigkeit im Handeln. So übernahm der Fränkische Kreis teils im Auftrag des Reiches, mehr aber kraft eigener Machtvollkommenheit das Polizeiwesen und erließ 1572, als einziger Reichskreis, eine eigene PolizeiOrdnung.1 Um Münz- und Polizeibeschlüsse wirksam durchführen zu können, trafen 1564 die drei Kreise Franken, Schwaben und Bayern gemeinsame Absprachen, die bald zu einer ständigen Einrichtung wurden.1 *3 Wenige Zeit später ging man gemeinsam gegen die ungerechtfertigten Zollerhöhungen des Pfalzgrafen von NeuburgZweibrücken vor sowie gegen die Gesellenverbände und Handwerksschenken4*und traf gemeinsame Regelungen über den Wollenkauf und die Wollausfuhr zum Schutze der einheimischen Textilindustrie.’ Die drei Kreise schlossen sich also zu einer Wirtschaftsunion zusammen. Die projektierte Zollunion und der gemeinsame Getreidemarkt während der Mißwuchsjahre 1570 bis 1574, die ganz Süddeutschland umfaßt hätten, scheiterten letztlich nur am Widerstand der Reichsritterschaft, die auf dem Wege der Wirtschaftspolitik eine Beeinträchtigung ihrer Unmittelbarkeit befürchtete. Der Fränkische Kreis jedoch wurde während der Notjahre zur besseren Überwindung der Versorgungsschwierigkeiten zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum zusammengefaßt, in dem sämtliche Binnenzölle für Getreide aufgehoben, Höchstpreise für die verschiedenen Getreidesorten festgelegt und eine gemeinsame Vorratswirtschaft durchgeführt wurde. Seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts füllte sich also die zunächst «leere Form»6 der Kreise mit Inhalt. Aus bloßen geographischen Wahlbezirken waren wichtige Glieder der Reichsverfassung und Reichsverwaltung geworden sowie für einige wichtige Belange Selbstverwaltungskörper.'’ Dem Fränkischen Kreis unterstand neben dem Polizeiwesen und einem wichtigen Teil des Reichsheerwesens die Kontrolle über das Münzwesen und die Wirtschaftsordnung; weiterhin war er Mittelstufe für die Reichsauflagen: die Römermonate, die Türkensteuem und die Kammerzieler, die Unterhaltsbeiträge zum Reichkammergericht, für das er auch die Beisitzer stellte. Wichtigste staatliche Funktionen übte also der Fränkische Kreis aus, der sich stets 1 Ebd. 197; siehe auch F. Schrötter, Brandenburg-Fränk. Münzwesen II, 1929; H. J. Kellner, Die Münzen d. freien Reichsstadt Nürnberg, 1957. 1 Endres (s. o. 212) 42 f. 3 K. S. Bader, Der Schwäbische Kreis in d. Verfassung d. Alten Reiches (UOS 37) 1964,19. 4 B. Schoenlank, Sociale Kämpfe vor 300 Jahren, Leipzig 1894, Kap. 6 u. 7; H. Proesler, Das gesamtdeutsche Handwerk im Spiegel d. Reichsgesetzgebung v. 1530 bis 1806 (Nümberger Abh. zu den Wirtschafts- u. Sozialwiss. 5) 1954. 49 ff-

5 H. Haacke, Wirtschaftspolizeiliche BeStimmungen in d. Reichsabschieden (JNÖSt.) 1921, 475 ft.; R. Endres, Kapitalistische Organisationsformen im Ries in d. zweiten Hälfte d. 16. Jhs. (JffL 22) 1962, 89-100. 6 Hartung 135. 7 *J e größer der kreiseigene Wirkungskreis wurde, um so deutlicher wurde aus der Provinzialorganisation die selbständige Gebietskörperschaft»·, Bader (s. Anm. 3) 20.

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bemühte, seine Aufgaben als Verwalter und Organ des Reiches mit aller Gewissenhaftigkeit zu erfüllen. Hieß es doch, daß der Fränkische Kreis «der erst undfurnembst» sei, «uf den andere ir Aufachtung haben und sich darnach pflegen zu regulim».1 Im Gegensatz zu den anderen Reichskreisen, die entweder durch die Sonderinteressen der Großmächte blockiert wurden12*oder durch eine hemmende Vielzahl von Kleinstherrschaften,’ war der Fränkische Kreis gekennzeichnet von einem Gleichgewicht der Kräfte. Von den größeren Mächten war keine stark genug, um eine beherrschende Rolle zu spielen, es war aber auch kein Stand zu klein, um nicht mitreden zu können. Deshalb mußte alles Interesse auf eine gemeinsame Erledigung gemeinsamer Aufgaben ausgerichtet sein. Alle Kreisstände erkannten, trotz aller Gegensätze und Zwietracht, letztlich doch die Verpflichtung an, die eigenen Absichten «secundum aequum et debitum zu reguliren und diesem Kreis als dem Vaterland zu dienen».4 Das Gleichgewicht der Kräfte, das in Franken «ein tiefes staatliches Bedürfnis befriedigte»,5 spiegelt auch die innere Ordnung und Organisation des Kreises wider. Von der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts an, dem Zeitpunkt also, seit dem der Kreis als funktionsfähig und -willig bezeichnet werden darf, blieb seine innere Gliederung, die Zahl seiner Stände und Stimmen bis zum Ende des Alten Reiches fast unverändert. Die geistliche Fürstenbank bildeten Bamberg, Würzburg, Eichstätt und der Hoch- und Deutschmeister. Zur weltlichen Fürstenbank, die sich von der Grafenbank bewußt absetzte, gehörten die beiden zollerischen Häuser Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Kulmbach-Bayreuth und die drei Linien der gefürsteten Grafen von Henneberg, Henneberg-Schleusingen, Henneberg-Römhild und Henneberg-Schmalkalden; fernerhin seit 1674 die kurz zuvor in den Reichsfürstenstand erhobenen Schwarzenberg, seit 1712 die (kathol.) Linie Löwenstein-Wertheim-Rosenberg und seit 1746 das Haus Hohenlohe-Waldenburg. Auf der Grafen- und Herrenbank saßen die HohenloheNeuenstein, die Löwenstein-Wertheim-Vimeburg, die Castell, Rieneck, Erbach, die Schenken von Limpurg, die Schwarzenberg wegen der Herrschaft Seinsheim und seit 1671 die Schönborn als Inhaber der Herrschaft Reichelsberg. Neuaufnahme fanden auch noch die Grafen von Wolfstein, die Dernbach, die Giech und einige Personalisten.6 Die Städtebank bildeten die Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Windsheim, Schweinfurt und Weißenburg. Im Gegensatz zum Reichstag, dem die Organisation des Kreises nachgebildet war, besaß jeder der Stände im Kreistag eine volle Stimme. Infolge Veränderungen durch Erbgang bei einigen Kreisständen erhielten auch Mitglieder anderer Kreise Sitz und Stimme im fränkischen Konvent. So waren die 1 Kaufmann (s. o. 193) 195. 2 Vgl. W. Schmidt, Gesch. d. niedersächs. Kreises vom Jahre 1673 bis z. Zusammenbruch d. Kreisverfassung (Niedersächs. Jb. f. Landesgesch. 7) 1930; P. Casser, Der niedersächsischwestfäl. Reichskreis (Der Raum Westfalen II 2) 1934; Der Bayerische Kreis wurde völlig vom Herzog bzw. Kurfürsten von Bayern beherrscht. Vgl. H. Rall, Kurbayem in d. letzten Epoche d. alten Reichsverfassung 1745-1801, 1952, !57 ff·

5 Der Schwäbische Reichskreis zählte 68 weltliche, 40 geistliche Territorien und 31 Reichsstädte. Vgl. Bader 191 ff. Zum Oberrheinischen Kreis s. T. Malzan, Gesch. u. Verfassung d. Oberrhein. Kreises v. d. Anfängen bis z. Beginn d. 30jähr. Krieges, Diss. Mainz 1951· 4 Kaufmann (s. o. 193) 240. 5 Fester (s. o. 193) 20. 6 S. u. 47.

$ 2‫ך‬. Der Fränkische Reichskreis (R. Endres)

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Wettiner und Kurhessen als Erben der Henneberger im Fränkischen Kreis stimmberechtigt und Kurmainz als Erbe der Rieneck. Verflechtungen mit dem Schwäbischen und dem Bayerischen Kreis bestanden durch die Grafen von Löwenstein und die von Wolfstein. Diese personalen Verbindungen mit den benachbarten Kreisen erlangten um 1700 bei der Assoziationspolitik der Reichskreise große Bedeutung. Wie die Zusammensetzung so blieb auch die innere Ordnung und Verfassung des Fränkischen Kreises weitgehend unverändert. Sie war wiederum der des Reichstages angeglichen. Die Stände stimmten im Konvent nach Bänken, allerdings waren dann Mehrheitsbeschlüsse bindend.1 Bei getrennten Beratungen fungierte der jeweils vorderste Stand jeder Bank, das waren Bamberg, Ansbach oder Bayreuth, HohenloheNeuenstein und Nürnberg, als Direktor. Als Aufrufender hatte Bamberg stets die letzte Stimme. Das Plenum,1 2 das spätestens alle zwei Jahre zusammentreten mußte, wurde bald zu einem ständigen Gesandtenkongreß, wobei die Vertretung mehrerer Stände durch einen Bevollmächtigten die Regel war. Tagungsort war vorrangig das zentral gelegene Nürnberg. Das Direktorium und das wichtige Ausschreibeamt, das die Kreisversammlung einzuberufen hatte, waren von Anfang an zwischen Bamberg und den Markgrafen umstritten. Unter Hinweis auf seine exemte Stellung in der deutschen Reichskirche konnte sich der Fürstbischof durchsetzen, während den Zollern 1559 lediglich ein Mit-Ausschrciberecht zugestanden wurde.3 Nur bei anstehenden konfessionellen Tagungsproblemen lag das Ausschreibeamt stets getrennt bei Bamberg und den Markgrafen. Als Direktor des Kreises hatte der Fürstbischof von Bamberg das Recht zur Eröffnung und Leitung des Konvents wie zur Zusammenfassung und Veröffentlichung seiner Beschlüsse. Seit dem ausgehenden siebzehnten Jahrhundert nahm der Graf von Löwenstein-Rosenberg als spezieller Beauftragter des Kaisers einen QuasiEhrenvorsitz ein. Das Direktorium führte den Schriftverkehr; aus diesem Grund befanden sich auch Kreiskanzlei und Kreisarchiv in Bamberg. Als Ausgleich für das nichterhaltene Kreisdirektorium bekamen die Zollern das Amt des Kreisobristen zugestanden, das zumeist von Bayreuth ausgeübt wurde. Allerdings wurde der Kreisoberst in seiner Tätigkeit von den fünf Kriegsräten kontrolliert, von denen die geistliehen Fürsten zwei und die weltlichen Fürsten, die Grafen und Städte je einen stellten. Die Münzstätten des Kreises waren für die geistlichen Fürsten in Bamberg, für die weltlichen in Schwabach, für das Grafenkolleg in Wertheim und für die Reichsstädte in Nürnberg. Hier befand sich auch die Kreiskasse, die die Kammerzieler einsammelte und für das Reich bzw. später für den Kreis die Römermonate in dem jeweils festgelegten Anschlag. Diese betrugen beispielsweise im Simplum für Bamberg 1088 Gulden, für Würzburg 1456, für Ansbach und Bayreuth nur je 516, für die Schwarzenberg 38 Gulden, dagegen für Nürnberg 1480 und für Rothenburg 380 Gulden. Da der 1 Stimmte ein Mitglied mit dem Beschluß nicht überein, so hängte er an das Conclusum eine Protestation, die jedoch ohne weiteren Einfluß blieb. 2 Neben der Versammlung aller Kreisstände

kannte man noch einen engeren Kreistag und Deputationstage der Vertreter der Direktorialstände der 4 Bänke. 3 Druck des Vertrags bei Lünig V 312.

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Matrikelanschlag 1521,1 also in der Blütezeit der oberdeutschen reichsstädtischen Wirtschatt fixiert worden war, entsprach er bald nicht mehr der tatsächlichen Finanzkraft der Stände. So bildete die Frage der Moderationen, die Anpassung an die realen Verhältnisse, ein ständiges vor allem von den Reichsstädten forciertes Thema der Kreisberatungen. Die Römermonate gaben aber auch die Richtlinien für die militärischen Leistungen jedes Kreisstandes zum Reichsheer, nachdem die Wormser Matrikel für jeden Reiter 12 Gulden und für jeden Fußsoldaten 4 Gulden veranschlagt hatte. Die zunehmende Bedeutung des Kreises und das wachsende Gewicht seiner Organe vermehrten aber auch die Auseinandersetzungen und Streitigkeiten um Ämterbesetzungen, Kompetenzen und Befugnisse.1 2 Weniger durch die schwerfällige Verfassung und die Umständlichkeit bei der Beschlußfassung als vielmehr durch vom Prestige bedingte Intrigen, Eifersüchteleien und offene Rivalitäten wurde die Tätigkeit und Wirksamkeit des Kreises äußerst belastet. Wenn nötig, besann sich der Reichskreis, in dessen Rahmen sich vorrangig das politische Leben der fränkischen Stände abspielte, doch immer wieder auf seine Gemeinsamkeit und Einheit.

§28. DIE FESTIGUNG DER NEUEN LEHRE

Quellen. Simon, KO; E. Sehling, Sachsen u. Thüringen, nebst angrenzenden Gebieten (s. o. 193) bes. Einführung 81 ff.; Ders., Schwaben (ebd.). - Literatur. Simon; Ders., HAB; Bauerreiss VI; W. Löhe, Erinnerungen aus d. Reformationsgesch. v. Franken, 1847; K. Schornbaum, Die 2. Unterschreibung d. Formula Concordiae in d. Markgrafschaft Brandenburg (ZBKG 4) 1929, 240-235; Ders., Die Einführung d. Konkordienformel in d. Markgrafschaft Brandenburg (ZBKG 5) 1930, 176-209; Ders., Zur Gesch. d. Katechismus im Fürstentum Brandenburg-Ansbach (ZBKG 9) 1934, 149-152; F. Vogtherr, Die Verfassung d. ev.-luth. Kirche in d. ehern. Fürstentümem Ansbach u. Bayreuth (Beitrr. BK 2) 1896, 209-221; E. Hirschmann, Das Konsistorialrecht d. ev.-luth. Kirche im ehern. Fürstentum Bayreuth, Jur. Diss. Masch. Erlangen 1949; K. Schornbäum, Nürnberg im Geistesleben d. 16. Jhs. Ein Beitr. z. Gesch. d. Konkordienformel (MVGN 40) 1949. 1-96; B. Klaus, Veit Dietrich (Einzelarbeiten 32) 1958; J. W. Holle, Georg Friedrich, Markgraf v. Ansbach u. Bayreuth 1557-1603 (AO 7, H. 1) 1857,1-28; W. Kampf, Preußen, Polen u. d. Reich im 16. Jh. (Altpreuß. Forsch. 19) 1942, 213-233; H. Rössler, Ein Staatsmann d. Friedens: Georg Friedrich v. Ansbach-Kulmbach (Rößler) 187-196; J. Petersohn, Markgraf Georg Friedrich v. Brandenburg-Ansbach u. -Bayreuth als Herzog in Preußen 1578-1603, Diss. Masch. Bonn 1959; Ders., Staatskunst u. Politik d. Markgrafen Georg Friedrich v. Brandenburg-Ansbach u. -Bayreuth (ZBLG 24) 1961, 229-276; H. Gürsching, Der Oberkanzler Wolf v. Kotteritz u. d. Geistlichen Güter in d. fränk. Markgrafschaften 1560-1562 (Festgabe f. Landesbischof D. Hans Meiser) o. J., 9-44; Pfeiffer, Nürnberg s. u. 324.

Nachdem das evangelische Kirchenwesen im Augsburger Religionsfrieden mit dem Grundsatz, daß der Landesherr über die Konfessionszugehörigkeit seiner Untertanen bestimme, anerkannt worden war, konnten in aller Ruhe die letzten Klärungen und Festigungen durchgeführt werden. Zunächst wurden die Reste des aufgezwungenen 1 Zeumer nr. 181, 313 ff. 2 So legte z. B. der Streit zwischen Ansbach und Bayreuth um das Ausschreibeamt den Kreis in den Jahren 1655-63 praktisch lahm.

W. Schneider, Die Politik d. Fränk. Kreises nach d. Dreißigjähr. Kriege (Erlanger Abh. 8) 1931, 52 ff.

§ 28. Die Festigung der neuen Lehre (R. Endres)

21‫ך‬

Interims abgebaut;’ nur Dinkelsbühl behielt den Zwischenzustand bei. Dann kam es überall zum weiteren Ausbau und schließlich zum Abschluß der Kirchenverfassung und des evangelischen Lehrgebäudes, was nicht ohne theologische Kämpfe und Dienstentlassungen abging. So wurde Ansbach von dem Lehrstreit des Georg Karg,1 2 die Pflege Coburg von den Flazianem,34*Nürnberg von dem Philippistischen Streit und Weißenbürg wegen derElevation in theologische Wirren gestürzt. Sektiererische Bestrebungen dagegen, wie in Nürnberg der «Schwenckfeldische Schwarm» * wurden sofort unterdrückt. In dem Fürstentum Ansbach wurde mit der Synodalordnung von 1556 der Grundstein zu einer fest organisierten Landeskirche gelegt. Das ganze Fürstentum wurde in zehn Kapitel unter je einem Superintendenten geteilt;’ 1565 kamen noch zwei Kapitel hinzu.6 Die Kapitelsordnung wurde 1572 auch auf das Fürstentum Kulmbach übertragen.7 Die zollerischen Fürstentümer hatten das Glück, in Markgraf Georg Friedrich einen überaus tüchtigen und tatkräftigen Landesherm zu besitzen. Er führte nicht nur gründlegende Reformen auf dem Gebiet der Verwaltung, der Staatswirtschaft und der Rechtspflege durch, sondern war auch an den religiösen Fragen höchst interessiert. Mit Hilfe bürgerlicher Räte und Beamten schuf er eine straffe Staatsorganisation, wobei die Landstände fast völlig ausgeschaltet wurden. Die erzielten Finanzsteigerungen ermöglichten ihm eine prunkvolle Hofhaltung und rege Bautätigkeit, wobei vor allem das Renaissanceschloß in Ansbach und der Ausbau des ehemaligen Klosters Wülzburg zu einer landesherrlichen Festung zu erwähnen sind. Höchste Beachtung schenkte der Markgraf dem Bildungswesen, das in der Errichtung der Heilsbronner Fürstenschule 1582 gipfelte, die er mit einem reichen Stipendienfonds für das ganze Land ausstattete.’ Seit 1577 war Georg Friedrich als Vormund seines geisteskranken Neffen Herzogs Albrecht Friedrich in Preußen als Administrator tätig, wo er nach fränkischem Muster, teilweise mit Hilfe fränkischer Räte, eine Neuordnung des Staates durchführte. Unter seinem straffen Regiment, das die fränkischen Fürstentümer zu einer seltenen wirtschaftlichen und finanziellen Blüte führte, konnte sich die lutherische Landeskirche nach innen und außen festigen und organisieren. In Ansbach, wo seit 1533 Geistliche als «verordnete Examinatoren» die Aufsicht über Lehre und Wandel der Geistlichkeit führten, bestand seit 1556 ein Konsistorium, das als Ehegericht fungierte. Ein solches wurde 1567 auch in Kulmbach errichtet. Das 1 Nürnberg hatte schon im Mai 1553 das Agendbüchlein des Veit Dietrich wieder eingcführt, das im nümbergischen Gebiet nach seinem Erscheinen 1543 praktisch die KirchenOrdnung von 1533 außer Kraft gesetzt hatte. 2 G. Wilke, Georg Karg, sein Katechismus u. sein doppelter Lehrstreit, 1905; K. Schornbäum, Zur Gesch. d. Kargschen Katechismus (Beitrr. BK 31) 1925, 111-113. 3 Zur Lehre und Bedeutung der Gnesiolutheraner RGG II 971. 4 A. Müller, Die Zensurpolitik d. ReichsStadt Nürnberg v. d. Einführung d. Buch-

druckerkunst bis z. Ende d. Reichsstadtzeit (MVGN 49) 1959, 87; Reicke 936. 5 Die 10 Kapitel waten in: Crailsheim, Cadolzburg, Gunzenhausen, Wassertrüdingen, Feuchtwangen, Schwabach, Uffenheim, Kitzingen, Leutershausen und Wülzburg. Die Residenzstadt Ansbach stand außerhalb der Superintendenturen. 6 Neustadt a. d. Aisch und Baiersdorf. 7 Sitze der Superintendenten wurden Bayreuth, Kulmbach, Hof und Wunsiedel. • Jordan-Bürckstümmer I 2, 1-70.

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Franken: C. V. Vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Dreißigjährigen Krieg

Ehe-Konsistorium und die Abteilung für geistliche Sachen wurden in Ansbach unter dem Einfluß der württembergischen Kirchenordnung 1580 verbunden, so daß nun das Konsistorium als Behörde des vollständigen Kirchenregiments entstanden war.1 Ein gleiches Konsistorium wurde 1594 in Kulmbach errichtet und eine endgültige Konsistorialordnung nach sächsischem Vorbild erlassen? Gleichermaßen kam auch in den Reichsstädten die Kirchenverfassung zum Abschluß: in Weißenburg 1554, in Windsheim und Schweinfurt 1555 und in Rothenburg, wo Jakob Andreä dem Kirchenwesen Gestalt verlieh, 1554/59? Nur in Nürnberg kam es nicht zur Ausbildung einer eigenenBehörde, da der Rat das Kirchenregiment fest in seinen Händen hatte, und zwar schon seit vorreformatorischer Zeit. Der Rat ließ die Kirchengewalt einfach von den ihm unmittelbar untergeordneten Ämtern ausüben; für Ehesachen bestand ein eigenes Ehegericht. Nach der Teilung der Ernestinischen Lande (1572) wurde auch in Coburg ein eigenes Konsistorium geschaffen, nachdem zuvor der «Generalsuperintendent in Franken», gemeint sind die Ortslande, dem Konsistorium in Jena angehört hatte. Auch die anderen lutherischen Landesherren in Franken errichteten Konsistorien: 1574 Henneberg-Schleusingen, 1577 Erbach und 1579 Hohenlohe? Mit dem Augsburger Religionsfrieden war die Ausbreitung der Reformation noch nicht zum Stillstand gekommen, vielmehr machte sie auch jetzt noch Fortschritte. So wandten sich erst jetzt viele Reichsritter dem Luthertum zu, um sich auf diesem Weg der bischöflichen Macht zu entziehen. Vor allem im Hochstift Bamberg kam es in den sechziger und siebziger Jahren zu schweren Verlusten der Alten Kirche. Dabei richtete die evangelisch gewordene Ritterschaft oftmals erst im Bedarfsfall und damit sehr spät eigene kirchenregimentliche Stellen ein. In der Abwehr gegen die Wiederherstellungsversuche der Alten Kirche gingen Markgraf Georg Friedrich und Nürnberg gemeinsam vor? während sich in anderen religions- und außenpolitischen Fragen - sofern eine Unterscheidung bei der damaligen intimen Verflechtung von Politik und Religion überhaupt möglich ist - die Reichsstadt mehr an dem kaiser- und reichstreuen Kursachsen orientierte. So lehnte Nürnberg die politische Aktivität des kalvinistischen Pfälzers und seines Anhangs ab, nicht nur weil es bis 1583 das einzige protestantische Mitglied des Landsberger Bundes war,123*6 sondern weil es auch Rücksichten auf den Kaiser zu nehmen hatte und vor allem weil es eine Verschärfung der Gegensätze im Reich befürchtete, die Nürnberg allein schon aus handelspolitischen Gründen nicht brauchen konnte. Auch in der Frage der Konkordienformel ging man getrennte Wege. Während sie Markgraf Georg 1 H. Gürsching, Die Entstehung d. Ansbaeher Konsistoriums (ZBKG 4) 1929, 13-48. 2 Druck in Simon, KO 379-396; Corpus Constit. (s. u. 1460) I 253-284. 3 Siehe die einschlägigen Abschnitte bei Simon, KO. ♦ Simon 308 ff. * Vgl. K. Braun, Nürnberg u. d. Versuche z. Wiederherstellung d. alten Kirchen im Zeitalter d. Gegenreformation 1555-1648 (Einzelarbeiten 1) 1925.

6 Am 28. Mai 1557 war Nürnberg zusammen mit den anderen fränkischen Bundesverwandten aus dem 2. Markgräflcrkrieg, Bamberg und Würzburg, dem Landsberger Bund beigetreten; Windsheim und Weißenburg folgten wenig später, verließen aber bald wieder den Bund. W. Goetz, Beitrr. z. Gesch. Herzog Albrechts V. u. d. Landsberger Bundes 1556—1598 (Briefe u. Akten V, s. HB II AV) 1898; Franz, Nürnberg (s. u. 324).

§ 2g. Die Gegenreformation (R. Endres)

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Friedrich 1577 unterzeichnete, lehnte sie Nürnberg unter dem Einfluß der starken philippistischen Partei ab. Traditionsgemäß folgten die kleineren Reichsstädte Weißenburg und Windsheim dem Beschlüsse Nürnbergs. Dagegen wurde die Konkordienformel von den unabhängigeren Städten Rothenburg und Schweinfurt angenommen, desgleichen von den Grafen von Schwarzenberg.

§29. DIE GEGENREFORMATION

Quellen. Gropp 11741 (s. u.353); Sammlung d. hochfürstl.-wirzburgischen Landesverordnungen I 1546-1728, 1776; F. X. Himmelstein, Synodicon Herbipolense. Gesch. u. Statuten der im Bistum Würzburg gehaltenen Concilien u. Diözesansynoden, 1855; Η. E. Specker, Die Landkapitel im Bistum Würzburg zu Beginn d. 17. Jhs. (WDGB11. 24) 1962, 285-292; W. Hotzelt, Matricula Ordinatorum in Civitate Bamberga 1525-1598 (BHVB 77) 1919/21, 33-102; Nuntiaturberichte aus Deutschland (s. HB II AV) IV. Abt., 1892 ff. - Literatur. H. Jedin, Gesch. d. Konzils v. Trient, 2 Bde., 1949/57; Schreiber, Weltkonzil; zur Entstehung und Entwicklung des Begriffs Gegenreformation vgl. H. Jedin, Kath. Reform oder Gegenreformation?, 1946 (Lit.); E. W. Zeeden, Zur Periodisierung u. Terminologie d. Zeitalters d. Reformation u. Gegenreformation. Ein Diskussionsbeitrag (GWU 7) 1956, 433437‫ ;־‬Schubert, Gegenreformationen in Franken (JffL 28) 1968, 275-307. - Bamberg. Looshorn V; Kist; J. Kist, Bamberg u. d. Tridentinum (Schreiber, Weltkonzil) II 119-134; G. Wurm, Bischöfe u. Kapitel im Hochstift Bamberg u. d. Gegenreformation, Diss. Masch. Erlangen 1945; G. Zagel, Die Gegenreformation im Bistum Bamberg unter Fürstbischof Neithard v. Thüngen, 1591-1598, 1900; G. v. Pölnttz, J. Ph. von Gebsattel u. d. deutsche Gegenreformation 1599-1609 (HJb. 50) 1930, 47-69; L. Bauer, Der Informativprozeß für den Bamberger Fürstbischof Johann Philipp v. Gebsattel (JffL 21) 1961, 1-27; Ders., Fürstbischof Joh. Ph. v. Gebsattel im Urteil d. Nachwelt (BHVB 100) 1964, 407-413; Μ. v. Deinlein, Johann Gottfried v. Aschhausen (BHVB 38) 1876, 3-31; H. Weber, Johann Gottfried v. Aschhausen, 1889; J. Setterl, Die Ligapolitik d. Bamberger Fürstbischofs Joh. Gottfr. v. Aschhausen in d. Jahren 1609-1617 (BHVB 72) 1914, 23-122; (73) 1951, 57-101; L. Bauer, Die Bamberger Weihbischöfe Johann Schöner u. Friedrich Fömer. Beitrr. z. Gegenreformation in Bamberg (BHVB 101) 1965, 305-530 (Bibi.). - Würzburg. Wendehorst, Würzburg; Schornbaum, Unterfranken (s. o. 194) (enthält auch wichtiges Material zur Gegenreformation); v. Pölnitz, Julius Echter; Th. Henner, Julius Echter v. Mespelbrunn, Fürstbischof v. Würzburg u. Herzog v. Ostfranken (Neujahrsbll. 13) 1918; Η. E. Specker, Die Reformtätigkeit d. Würzburger Fürstbischöfe Friedrich v. Wirsberg 1558-1573 u. Julius Echter v. Mespelbrunn 1573-1617 (WDGB11. 27) 1965, 29-125; Bigelmair, Konzil v. Trient (Schreiber, Weltkonzil II) 85 f.; F. Hefele, Der Würzb. Fürstbischof Julius Echter v. Mespelbrunn u. d. Liga, Diss. Würzburg 1912. - Eichstätt. Sax; Buchner; Ders., Das Bistum Eichstätt u. d. Konzil v. Trient (Schreiber, Weltkonzil II) 93-117; K. Ried, Moritz v. Hutten, Fürstbischof v. Eichstätt, u. d. Glaubensspaltung 1539-1552, 1925; E. Reiter, Martin v. Schaumberg, Fürstbischof v. Eichstätt, (1560-1590) u. d. Trienter Reform (Reformationsgeschichtl. Stud. u. Texte 91/92) 1965 (grundlegende Abh. über die gegenreformatorische Epoche); Pfeiffer, Nürnberg (s. u. 324); Mogge (s. o. 212). Vgl. auch u. § 53 u. § 78.

Mit dem Augsburger Religionsfrieden hatte die reformatorische Bewegung in Deutschland einen vorläufigen Abschluß gefunden. Der besonders im Trienter Konzil wiedererstarkte Katholizismus versuchte erwartungsgemäß, die Verluste wieder rückgängig zu machen. Zunächst aber galt es die Schäden festzustellen. So hatte die Reformation auch in den Hochstiftem reiche Gewinne erzielen können. In der Diözese Bamberg waren von den 190 selbständigen Pfarrkirchen im Lauf des sechzehnten Jahrhunderts 105 mit den meisten Filialkirchen samt allen Pfründen dem Protestantismus für die Dauer zugefallen, und zwar 44 landesherrliche in dem Markgraftum

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Franken: C. V. Vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Dreißigjährigen Krieg

Kulmbach, 21 in der Reichsstadt und im Landgebiet Nürnberg und 40 reichsritterschaftliche Pfarrkirchen sowie 23 bepfründete Burgkapellen.1 Hinzu kam ein starker moralischer Verfall der im Amt verbliebenen Priester, wie die Visitation des päpstliehen Gesandten Nikolaus Elgard1 2*ergab. Die in den protestantischen Gebieten gelegenen Klöster waren alle säkularisiert und selbst von den hochstiftischen Klöstern waren zahlreiche an Nachwuchsmangel eingegangen, wie Neunkirchen am Brand, Schlüsselau oder St. Theodor in Bamberg. In Eichstätt, dem kleinsten fränkischen Bistum, konnte selbst die Regierung des frommen und fähigen Bischofs Moritz von Hutten (1539-52) die großen Verluste an die protestantischen Territorien Ansbach, Nürnberg und Pfalz-Neuburg nicht verhindern. Der Gesamtverlust betrug schließlich 209 Pfarreien. Außerdem war der Priestemachwuchs auf ein Minimum herabgesunken.’ Mit Martin von Schaumburg (1560-90) aber erhielt Eichstätt einen wahrhaften Reformbischof, der als einziger die Restauration des Katholizismus ohne Hilfe der weltlichen Macht durchsetzte. Allerdings kam ihm die unmittelbare Nachbarschaft Bayerns sehr zustatten. Schaumburg ließ sogleich die Reformbeschlüsse des Trienter Konzils durchführen und errichtete 1564 als erster in Deutschland das vom Konzil geforderte Priesterseminar (s. u. 429). In Würzburg war der nach der Ermordung Melchior Zobels an die Regierung gelangte Bischof Friedrich von Wirsberg (1558-73) schon ganz vom Geist des Reformkonzils geprägt (s. u. 430). Mit seinen weitreichenden Reformen legte er die religiösen und geistigen Grundlagen für die umfassende Reformarbeit seines Nachfolgers Julius Echter von Mespelbrunn (1573-1617), dessen Wirken bereits als junger Dekan Aufsehen erregt hatte. Der hervorragend ausgebildete Bischof ging zunächst sehr vorsichtig ans Werk, doch bereits die Reform des Klosters Banz zeigte, daß er entschlossen war, die Gegenreformation entgegen allen Widerständen und nötigenfalls auch mit harten Maßnahmen durchzusetzen.4 Auch in den Fuldaer Händeln kümmerte er sich wenig um fremde Rechtsstandpunkte, sondern drückte die Gegenreformation und den Vorteil des Staates mit Gewalt durch. Im Hochstift Fulda nämlich, das praktisch völlig evangelisch geworden war, versuchte der junge Konvertit Fürstabt Balthasar von Dernbach mit Gewalt die Rekatholisierung, wobei er sich auch über die Declaratio Ferdinandea hinwegsetzte. Dies mobilisierte den Widerstand der Stände und der Ritter. Echter, dem von den protestantischen Ständen und der protestantischen Ritterschäft die Administration übertragen wurde, ließ 1576 den Fürstabt einkerkem und zur Resignation zwingen. Mit diesem Gewaltakt brachte er den Papst und das Reich gegen sich. 1602 wurde Echter sogar vom Reichshofrat zum Schadensersatz verurteilt und Dernbach wieder als Fürstabt eingesetzt.5 Aktive Gegenreformation betrieb 1 v. Guttenberg I 92. 2 W. E. Schwarz, Die Nuntiatur-Korrespondenz Kaspar Groppers nebst verwandten Aktenstücken 1573-1576 (Quellen u. Forsch, aus d. Gebiet d. Gesch. 5) 1898; L. Drehmann, Der Weihbischof Nikolaus Elgard, eine Gestalt d. Gegenreformation (Erfurter theol. Stud. 3) 1958.

’J. B. Götz, Die Primizianten d. Bistums Eichstätt 1493-1577. 1934· 4 Hess (s. u. 426 Anm. 4); Wendehorst III 196 ff. 5 Schottenloher III nr. 30 139-30 148; v. Pölnitz, Julius Echter 129-164, 566 ff. - Andere Beurteilung Echters u. 432 u. Anm. 4; Wendehorst III 162ff, bes. 182ff.

§ 2g. Die Gegenreformation (R. Endres)

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Julius Echter auch nach dem Aussterben der Henneberger 1583. So wurde das 1542 eingetauschte Amt Mainberg rekatholisiert, desgleichen die im Gebietsaustausch mit Sachsen angefallenen Orte, die das Hochstift vorteilhaft abrundeten.1 Auch um die würzburgischen Lehen der 1556 ausgestorbenen Grafen von Wertheim kam es zu Auseinandersetzungen, die 1612 mit der gewaltsamen Rekatholisierung der heimgefallenen Wertheimischen Gebiete endeten.1 2 Seine außenpolitischen Erfolge, seine Vormachtstellung in der Reichspolitik wie im Verhältnis zu den fränkischen Nachbarn waren weniger durch seine führende Stellung im Landsberger Bund begründet, durch den er sich in seiner Entscheidungsfreiheit keineswegs einengen ließ, sondern durch sein straffes, zentralistisches Regiment in seinem Territorium. Das Domkapitel, das ihn nur mit knappster Mehrheit gewählt hatte, verurteilte er zur Bedeutungslosigkeit. Die Reichsritterschaft, die seinen Staatskörper durchlöcherte und die zudem noch weitgehend konfessionell verschieden war, versuchte er zu Landsassen herabzudrücken.3 Er vermehrte erfolgreich die Wirtschaftskraft des Landes, reformierte das Steuer- und Finanzwesen und stärkte so den Staatshaushalt. Außerdem reorganisierte er das Rechts- und das Bildungswesen. Schon Friedrich von Wirsberg hatte die Bedeutung der Bildungspolitik für die Gegenreformation erkannt, Echter aber hatte nun auch die Mittel, das Schul- und Erziehungswesen neu zu gestalten. Nicht nur der theologisch ungebildet und den Zölibat mißachtende Klerus4 (s. u. 428) mußte von Grund auf reformiert werden, wozu er das Konvikt in ein Priesterseminar entsprechend den Vorschriften des Tridentinums umwandelte,5 auch einen zuverlässigen Beamtenapparat mußte er sich schaffen. So errichtete er in Münnerstadt im verlassenen Augustinerkloster ein weiteres Gymnasium (1617) und vor allem, gegen den heftigsten Widerstand seines Domkapitels, in Würzburg 1582 eine Universität.6 Die offiziellen Einweihungsfeierlichkeiten der Universitätskirche am 8. Sept. 1591 gestalteten sich zu einem Treffen der oberdeutsehen Gegenreformation, voran Herzog Wilhelm V. und sein Sohn Maximilian. Mit gleichem Eifer widmete sich Julius Echter dem Kirchenbau.7 Außerdem schuf er über dreißig neue Pfarreien sowie eine Neugliederung der Landkapitel. Mit der Gründung des Juliusspitals in Würzburg,8 dessen Insassen er 1579 ein klosterähnliches Statut gab, schuf er sich ein bleibendes charitatives und soziales Denkmal. 1 Durch den Trappstadter Rezeß vom 12. 9. 1599 wurde die Grenze zwischen Würzburg und Sachsen-Coburg (mit Sachsen-Eisenach) purifiziert. Zuletzt K. v. Andrian-Werburg, Die coburgische Südgrenze 1599-1920 (Coburgs Weg nach Bayern, Ausstellungskat. d. bayer. staatl. Archive 4) 1970, 9-13. 2 H. Neu, Die Fehde d. Würzburger Fürstbischofs gegen d. Grafen v. Löwenstein-Wertheim in d. Jahren 1598 bis 1617 (Deutsch-Ev. Bll. 28) 1903, 471-489. 3 Schubert, Landstände; Ders., Julius Echter s. u. 432 Anm. 4. 4 Z. B. Wendehorst, Würzburg 70.

5 Staab, Fürstbischof Julius u. d. Stiftung d. Geistl. Seminars (Julius Echter v. Mespelbrunn, eine Festschr., hg. v. C. Hessdörfer) 1917, 57‫־‬85· 6S.u. §74a; S. Merkle,Julius Echter u.s.Universität (ebd.), wiederabgedruckt S. Merkle, Ausgew. Reden u. Aufsätze (QFGHW 17) 1965, 342-360; Wendehorst III 213ff. (Lit). 7 S. u. 751 f., 755; v. Freeden-Engel (s. u. 751). 8 UmfassendeBibliographiebeiE. Stahleder, Dasjuliusspital zu Würzburg u. seine GeschichtsSchreibung (WDGB11. 20) 1958, 186-202; A. Wendehorst, Dasjuliusspital in Würzburg I: Kulturgesch., 1976.

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Franken: C. V. Vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Dreißigjährigen Krieg

In der Diözese Bamberg brauchte die Durchführung der Gegenreformation längere Zeit. Verantwortlich dafür waren die schwachen Landesherren, die kurz aufeinander folgten, und das Domkapitel, das sich gegen jegliche innere und äußere Reform stemmte. Dagegen wirkten die Weihbischöfe Lichtenauer, Feucht und Ertlin ganz im Sinne der Gegenreformation.1 So war Bischof Veit II. von Würzburg (1561-77) * trotz aller Ermahnungen erst 1571 bereit, die Beschlüsse des Trienter Konzils zu publizieren. Allerdings berief er die Jesuiten nach Forchheim und entsandte junge Kleriker zur Ausbildung ans Collegium Germanicum, die sehr bald im Hochstift aktiv wurden. Die Errichtung eines Priesterseminars verhinderte das Domkapitel. Erst Ernst von Mengersdorf konnte 1586 in Bamberg ein Seminar eröffnen.1*3 Auf Fürspräche Echters wurde 1591 Neidhart von Thüngen, obwohl persönlich umstritten, zum Bischof gewählt. Er drückte sogleich nach Würzburger Vorbild mit scharfen Vorschriften die Gegenreformation durch, vor allem in den Teilen der Diözese, in denen er auch Landesherr war. So vertrieb er nicht nur die lutherischen Pfarrer, Räte und Beamten, sondern stellte ganz allgemein die Alternative zwischen Auswanderung oder Rückkehr zur Alten Kirche. Mit Hilfe zahlreicher Regierungsmandate suchte er einen konfessionell einheitlichen Untertanenverband zu schaffen. Das schroffe Vorgehen provozierte allerdings die protestantischen Stände im Fränkischen Kreis, ja sogar das eigene Kapitel, das daraufhin 1598 mit Johann Philipp von Gebsattel einen sehr zwiespältigen, auch moralisch keineswegs einwandfreien Mann zum Nachfolger wählte. In engem Einvernehmen von Maximilian von Bayern und Julius Echter kam 1609 Johann Gottfried von Aschhausen an die Regierung, der über alle Bedenken erhaben war.4 Er schloß sich kurz nach der Amtsübernahme der Liga an,5 säuberte sogleich seinen Beamtenapparat, entsetzte Weihbischof Schoner und setzte an seine Stelle Friedrich Fömer, der in den nächsten Zwei jahrzehnten überaus segensreich für die Diözese wirkte.6 Wichtige Maßnahmen zur Beseitigung der Mißstände folgten den Pfarrvisitationen, die eine erschreckende sittliche Verwahrlosung weitester Teile der Diözese offenbarten. Zur Berufung der Jesuiten s. u. 434 u. 692f. Nach dem Tode Julius Echters, der in seiner 44jährigen Regierung eine der herausragenden Gestalten der Reichskirche und des Reiches vor dem Großen Krieg war, wählte das Würzburger Kapitel, entsprechend den Wünschen Echters, den Bischof von Bamberg zu seinem Nachfolger. Damit waren die beiden Mainbistümer erstmals in einer Hand, was zu einer wesentlichen Verstärkung der katholischen Partei im Fränkischen Kreis beitrug. Ihr standen vor allem die Mitglieder der Union gegenüber, 1J. Metzner, Emst v. Mengersdorf, Fürstbischof v. Bamberg; die Weihbischöfe Jakob Feucht u. Johann Ertlin, 1886. * W. Hotzelt, Veit II. v. Würtzburg, Fürstbischof v. Bamberg (1561-1577), 1918. 3 Schmitt (s. u. 430 Anm. 6). 4 L. Bauer, Die Rolle Herzog Maximilians v. Bayern bei d. Wahl d. Bamberger Fürstbischofs Johann Gottfried v. Aschhausen 1609 (ZBLG 25) 1962, 558-571.

5 Hierzu umfassend F. Neuer-Landfried, Die Kath. Liga. Gründung, Neugründung u. Organisation eines Sonderbundes 1608-1620 (MHStud.) 1968, mit erstmaligem Druck der Gründungsurkunde. 6 L. Bauer, Friedrich Fömer (Fränk. Lebensbilder 1) 1967, 182-209.

§ 30. Der Dreißigjährige Krieg (R. Endres)

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die sich am 4./14. Mai 1608 in Auhausen an der Wörnitz konstituiert hatte: Joachim Ernst von Ansbach und Christian von Kulmbach sowie Philipp Ludwig von PfalzNeuburg, Christian von Anhalt, der Herzog von Württemberg und der Markgraf von Baden.1 Nürnberg trat dem Bund im folgenden Jahr bei, die anderen fränkischen Reichsstädte folgten bald danach.12* Die Annäherung der Protestanten des Fränkischen Kreises an die aktive kalvinistisehe Partei im Reich hatte schon unter Markgraf Georg Friedrich sich angebahnt, der seit seinem Regierungsantritt in enger Verbindung mit dem politischen Protestantismus im Reich stand.’ Er hatte sich im Straßburger Kapitelstreit energisch für Markgraf Johann Georg von Brandenburg verwendet und sich an den politischen Einigungsbestrebungen der deutschen protestantischen Fürsten beteiligt, die von dem militanten Pfälzer Kurfürsten Johann Casimir angeregt wurden. Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang auch die regen Beziehungen Georg Friedrichs zu Heinrich von Navarra.4 Da Georg Friedrich kinderlos war, richtete sich seine Politik stärker auf die Belange des zollerischen Gesamthauses aus. So übertrug er seinen Berliner Vettern im Geraer Hausvertrag von 15995 auch die Nachfolge in den beiden fränkisehen Fürstentümern. Tatsächlich folgten nach seinem Tode 1603 die zwei jüngeren Brüder des Kurfürsten von Brandenburg, Joachim Ernst und Christian, die Ansbach und Kulmbach unter sich auslosten. Beide, vor allem der draufgängerische Joachim Ernst von Ansbach neigten der protestantisch-kalvinistischen Partei unter kurpfälzischer Führung zu.

§30. DER DREISSIGJÄHRIGE KRIEG

Quellen. J. Gropp, Wirtzburgische Chronik. Deren letztere Zeiten, 1748; H. Weber, Bamberg im 30jähr. Krieg (BHVB 48) 1886, 1-132 (nach einer Chronik aus dem Jesuitenkolleg); F. K. Hümmer, Bamberg im Schwedenkrieg (BHVB 52/53) 1890/91,1-168,169-230 (Tagebuch der Dominikanerin Maria Anna Junius); vgl. auch W. Scherzer, Verzeichnis d. im Landesarchiv Gotha befindl. Archivalien d. Sächsisch-weimarischen Herzogtums Franken v. 1633/34 (Mainfr. Jb. 14) 1962, 246-252. - Literatur. Dickmann (s. u. 231); G. Franz, Der Dreißigjährige Krieg u. d. deutsehe Volk. Untersuchungen z. Bevölkerungs- u. Agrargesch. (Quellen u. Forsch, z. Agrargesch., hg. v. F. Lütge, 7) 1961’ (Lit. speziell zu den Kriegsschäden in Franken 42 fF. und zu den Neusiedlern 65 ff-.); F. L. v. Soden, Gustav Adolf u. sein Heer in Süddeutschland 1631-1635, 3 Bde., 1965/69 (Matcrialfülle); K. G. Scharold, Die Gesch. d. königl.-schwed. u. herzogl. sachsen1 Noch immer gültig Μ. Ritter, Gesch. d. Deutschen Union von d. Vorbereitungen bis z. Tode Rudolphs II. (1598-1612), 2 Bde., 1867/73. 2 H. Gürsching, Die Unionspolitik d. Reichsstadt Nürnberg vor d. Dreißigjähr. Kriege 1608-1618 (Einzelarbeiten 14) 1932. ’ Vgl. K. Schornbaum, Markgraf Georg Friedrich v. Brandenburg u. d. EinigungsbeStrebungend.prot. Stände 1556-1559(ARG 17) 1920, 105-131, 161-182; Ders., Mgf. G. Fr. als Vermittler zw. d. ev. Fürsten 1567-1570 (ARG 26) 1929, 204-249; Ders., Mgf. G. Fr. v.

Brandenburg u. d. ev. Stände Deutschlands 1570-1575 (ARG 22) 1925, 268-300. 4 W. v. Waldenfels, Diplomat. Sendung d. markgräfl. brand. Geh. Rates Christoph v. Waldenfels zu Heinrich IV. (AO 22) 1905, 60-90. 5 Eine vorzügliche Interpretation der zollerisehen Hausverträge von 1473 und des Geraisehen Vertrages gibt H. Schulze, Die Hausgesetze d. regierenden deutschen Fürstenhäuser, 1883, III 562 ff., 572 ff.; hier auch Druck der Verträge. Vgl. Endres, Erbabreden 43 ff.

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Franken: C. V. Vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Dreißigjährigen Krieg

weimar. Zwischenregierung im eroberten Fürstbistum Würzburg, in bes. Beziehung auf d. reformierte Religions-, Kirchen- u. Schulwesen (AU 7 u. 8) 1842/43/45 (auch selbst.); A. Beck, Emst der Fromme, Herzog zu Sachsen-Gotha u. Altenburg, 1865; G. Droysen, Bernhard v. Weimar, 2 Bde., 1885; J. Kretzschmar, Der Heilbronner Bund 1632-35, 3 Bde., 1922; H. Weigel, Franken, Kurpfalz u. d. Böhm. Aufstand 1618-1620, I. Teil: Die Politik d. Kurpfalz u. d. ev. Stände Frankens Mai 1618 bis März 1619, 1932; Ders., Franken im dreißigjähr. Krieg. Versuch einer Überschau v. Nürnberg aus (ZBLG 5) 1932, 1-50, 193-218; I. Bog, Die bäuerl. Wirtschaft im Zeitalter d. Dreißigjähr. Krieges. Die Bewegungsvorgänge in d. Kriegswirtschaft nach d. Quellen d. Klosterverwalteramtes Heilsbronn (Sehr. d. Inst. f. fränk. Landesforsch. 4) 1952; H. Burkard, Das Hochstift Würzburg unter schwedisch-weimarischer Zwischenregierung (Das Bayemland 42) 1931; O. Dürr, Philipp Adolf v. Ehrenberg, Fürstbischof v. Würzburg, 1623-1631 (ZBKG 6) 1931, 65-74; W. Griesshammer, Zur Gesch. d. sachsen-weimarischen ev. Konsistoriums in Würzbürg 1630-34 (ZBKG 7) 1932, 28-35; C. Deinert, Die Schwed. Epoche in Franken v. 1631-1635, Diss. Würzburg 1966 (Offsetdruck); Wendehorst, Würzburg; Looshorn VI; Kist; Μ. v. Deinlein, Zur Gesch. d. Fürstbischofs Johann Georg II. (BHVB 40) 1878, 1-41; V. Loch, Fürstbischof Johann Georg II. als Präsident d. Kaiserl. Commission f. den fränk. Kreis z. Durchführung d. Restitutionsedicts im Jahre 1629 (BHVB 39) 1877, 33-103; G. Hübsch, Das Hochstift Bamberg u. seine Politik unmittelbar vor dem ersten Einfall d. Schweden 1631, 1885; H. Dietz, Die Politik d. Hochstifts Bamberg am Ende d. Dreißigjähr. Krieges (BHVB, Beih. 4) 1968; F. Buchner, Ruinen, Not u. Notverordnungen infolge d. 30jähr. Krieges im Bistum Eichstätt (Sbl. Eichstätt 48) 1933, 9-52; J. W. Holle, Das Fürstentum Bayreuth im Dreißigjähr. Kriege (AO 4 H. 1-3) 1848/50; E. Sticht, Markgraf Christian v. Brandenburg-Kulmbach u. d. 30jähr. Krieg in Ostfranken 1618-1635 (Die Plassenburg 23) 1965 (vergleichbares Werk für Ansbach fehlt); F. L. v. Soden, Kriegs- u. Sittengesch. d. Reichsstadt Nürnberg vom Ende d. 16. Jhs. bis z. Schlacht bei Breitenfeld 7./17. Sept. 1631, 3 Bde., 1860/62; S. Donaubauer, Nürnberg in d. Mitte d. Dreißigj. Krieges (MVGN 10) 1893; E. Mummenhoff, Altnümberg in Krieg u. Kriegsnot, 2. Teil: Aus den schlimmsten Tagen d. dreißigjähr. Krieges, 1917; K. Gartenhof, Die Politik d. Reichsstadt Schweinfurt im Dreißigjähr. Kriege, Diss. Würzburg 1908; J. Heinz, Die hohenlohisehen Lande während d. Dreißigjähr. Krieges, 1892; H. Glaser, Die Politik d. Herzogs Johann Casimir v. Coburg (Zschr. d. Ver. f. thür. Gesch. 17) 1895; W. Dietze, Die bevölkerungspolit. u. wirtschaftl. Wirkungen d. dreißigjähr. Krieges in d. Pflege Coburg u. d. Wiederaufbau nach d. Kriege (Coburger Heimatk. u. Heimatgesch., hg. v. d. Cob. Landesstiftung u. d. Cob. Heimatver. 18) 1941; H. Jäger, Der Dreißigjähr. Krieg u. d. deutsche Kulturlandschaft (Wege u. Forsch, d. Agrargesch., Festschr. G. Franz) 1967, 130-145 (Mittelpunkt der Untersuchung das heutige Ufr.). - Exulanten. Zusammenfassend Franz (s. o. 223) 68 ff. (Lit.); K. Gröschel, Exulanten in Franken (JffL 2) 1936, 80-87; W. Lehnert, Die oberösterreich. Exulanten im ehern. Brand.-Ansb. Oberamt Stauf-Landeck. Versuch einer volkskundl.-hist. Eingliederungsforschung (Freie Schriftenfolge d. Ges. f. Familienforsch, in Franken 14) 1962; G. Barth, Verz. d. oberösterr. Exulanten im Bezirk d. ev.-luth. Dek. Thalmässing im 17. Jh. (ebd.); G. Rusam, Österreich. Exul. in Franken u. Schwaben, 1952 (wenig ergiebig); Pfeiffer, Nbg. (s. u. 324); Magen (s. o. 212).

Von den Unruhen in Böhmen, die den Beginn des Großen Krieges bildeten, wurde Franken an sich nicht unmittelbar betroffen. Doch mit der Wahl Friedrichs von der Pfalz zum König von Böhmen durch die protestantischen Stände wurde die Union, deren Direktorium der Kurfürst inne hatte, in diese Wirren mit hineingezogen. Auch die Liga unter Maximilian von Bayern, der sich zunächst zurückhielt, wurde mit dem Münchner Vertrag vom 8. Okt. 1619 in die ursprünglich rein böhmischen Auseinandersetzungen mit einbezogen. So begann Johann Gottfried von Aschhausen, eines der eifrigsten Mitglieder der Liga, noch im gleichen Herbst mit Rüstungsvorbereitungen und -beihilfen, was wiederum die süddeutschen Unionsmitglieder zu ähnlichen Maßnahmen herausforderte. Mit dem Ulmer Vertrag vom 5. Juli 1620 konnte jedoch der Krieg auf Böhmen lokalisiert und die Neutralität der Union und der Liga im Reich sichergestellt werden. Zunächst zog zwar Markgraf Joachim Emst von Ansbach mit

§ 30. Der Dreißigjährige Krieg (R. Endres)

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dem Unionsheer den spanischen Hilfsvölkern in der Pfalz entgegen, aber nach der Schlacht am Weißen Berg (8. 11. 20) schloß auch er einen Vertrag mit dem Kaiser. Nach dem Ausscheiden der Reichsstädte - voran das vorsichtig lavierende, kaisertreue Nürnberg - löste sich die Union am 4. Mai 1621 völlig auf. In den folgenden Jahren war Franken zwar nicht unmittelbarer Kriegsschauplatz, aber doch infolge seiner zentralen geographischen Lage im Reich ständiges Durchzugsgebiet, wobei alle Heere, gleich auf welcher Seite sie kämpften, gleichermaßen hohe Kontributionen und Brandschatzungsgelder erpreßten und grausame Exzesse verübten. Vor allem Wallenstein, der den Grundsatz kreierte, daß der Krieg den Krieg ernähren müsse, erklärte Franken, speziell Nürnberg, mehrfach zum Musterungsplatz, woraufhin die Reichsstadt die Verpflegung, Waffen und Munition für die angeworbenen Truppen zu stellen hatte. Nach den bedeutenden Erfolgen Tillys und Wallensteins in Norddeutschland konnte Kaiser Ferdinand zur lange vorbereiteten Politik der Restauration der katholischen Kirche übergehen. Kraft eigener Machtvollkommenheit erließ der Kaiser am 6. März 1629 das sog. Restitutionsedikt, das den bislang umstrittenen geistlichen Vorbehalt generell in Kraft setzte. Demzufolge sollten alle seit 1552 eingezogenen geistliehen Güter wieder herausgegeben werden, wodurch - nach Leopold von Ranke die Axt an die Wurzeln der Reformation gelegt worden wäre. Auf der Grundlage des Restitutionsedikts forderten sofort die fränkischen Bischöfe zahlreiche Klöster und Pfarreien zurück, vor allem von der Ritterschaft. Den größten Gewinn konnte dabei Philipp Adolf von Ehrenberg in Würzburg erzielen mit der Auslösung und sofortigen Rekatholisierung der seit 1443 an Brandenburg-Ansbach verpfändeten Stadt Kitzingen,1 der nach Schweinfurt größten protestantischen Enklave im Hochstift. Dabei kam dem Bischof die ansbachische Vormundschaftsregierung zupasse,1 deren Schwäche schon wenige Jahre zuvor bei der gewaltsamen Rekatholisierung der Grafschaft Schwarzenberg mit Hilfe der berüchtigten Schönburger Reiter ausgenützt wurde. Der Versuch, auch in Schweinfurt die Gegenreformation durchzusetzen, dagegen mißlang. In Bamberg konnte der Bischof nach der Schlacht am Weißen Berg auch wieder über die in seinem Sprengel gelegenen oberpfälzischen Pfarreien verfügen.3 Weiterhin erwirkte Johann Georg Fuchs von Dornheim (1623-33) bereits 1624 ein kaiserliches Mandat, in welchem die hochstiftische Ritterschaft auf gefordert wurde, ihre Pfarreien wieder der Alten Kirche zurückzugeben, was zu zahlreichen Vertreibungen protestantischer Geistlicher führte. Ferner reklamierte er u. a. die Nürnberger Klöster St. Egidien, das Franziskanerkloster und die Frauenklöster St. Klara und St. Katharina, da deren letzte Insassen erst nach 1552 verstorben * Bachmann-Pfrenzinger, Gesch. d. Stadt Kitzingen, 1899; R. Herz, Chronik d. Ev.Luther. Kirchengemeinde Kitzingen, 1963; F. Bendel, Zur Gesch. d. Gegenreformation im Gebiet d. Bistums Würzburg (ZBKG 8) 1933, 233-237 bringt eine zeitgenössische Liste der Pfarreien, die Bischof Adolf restituieren wollte. 15 HdBG III, I

2 Joachim Ernst von Ansbach starb 1625 und hinterließ 3 unmündige Söhne, Friedrich, Albrecht und Christian; die Vormundschaft führten die Witwe Sophie, geb. Gräfin Solms, und deren Vetter Graf Friedrich von Solms. 3 Vgl. F. Lippert, Gesch. d. Gegenreformation in Staat, Kirche u. Sitte d. OberpfalzKurpfalz z. Zeit d. Dreißigjähr. Krieges, 1901.

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Franken: C. V. Vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Dreißigjährigen Krieg

waren.1 Letztlich strebte Fuchs von Domheim, der vom Kaiser mit der Durchführung des Restitutionsedikts im Fränkischen Kreis beauftragt worden war, danach, das ius dioecesanum als Grundlage für den Konfessionsstand durchzusetzen. Ehe jedoch seine Ansprüche geklärt oder gar verwirklicht werden konnten, hatte sich mit dem Sturz Wallensteins um der «Teutschen Libertät» willen und vor allem mit dem Schwedeneinfall die politische Lage grundlegend geändert. Nach der Schlacht bei Breitenfeld im September 1631, in welcher das kaiserliche Heer unter Tilly eine schwere Niederlage erlitt und für die Leipziger Bundesangehörigen, die Dritte Partei im Reich, eine bewaffnete Neutralität unmöglich geworden war, rückten die Schweden nach Franken vor. Bereits Mitte Oktober hatten sie Würzburg eingenommen und selbst die für unbezwingbar gehaltene Festung Marienberg mühelos gestürmt.1 2*Die Schätze der Residenz wurden eine Beute der Soldateska, die reiche Bibliothek Julius Echters wurde nach Schweden ausgelagert.’ Nach der widerstandslosen Besetzung des Hochstifts begann die Neuordnung des Landes. Zur sofortigen Zusammenarbeit mit den Schweden war die fränkische Reichsritterschaft bereit, die durch das Restitutionsedikt besonders gefährdet war, da die Bischöfe mit Hilfe gegenreformatorischer Maßnahmen sie zu Landsassen herabdrücken wollten. Sie erhofften sich von Gustav Adolf die Befreiung aus ihrer schwierigen Lage und schlossen sich daher, gegen Zusicherung der Reichsunmittelbarkeit, der Unabhängigkeit und der protestantischen Konfession, sogleich an den Schwedenkönig an, der die einheimischen Adligen auch wieder in die Landesorganisation übernahm, aus der sie dem gegenreformatorischen Druck hatten weichen müssen. Dagegen gelang es Gustav Adolf zu seiner großen Enttäuschung nicht, die großen fränkischen Kreisstände sofort völlig auf seine Seite zu ziehen. Vor allem Christian von Bayreuth und Nürnberg wahrten zunächst eine wohlwollende Neutralität und fanden sich nur zu geheimgehaltenen Darlehen bereit. Gegenüber den ultimativen Ermahnungen des Königs schoben sie den Fränkischen Kreis als Ganzes vor. Erst unter dem Druck der Öffentlichkeit schloß der Nürnberger Rat im März 1632 die gewünschte Spezialallianz mit Schweden und stellte Truppen, Gelder und Kanonen zur Verfügung. Mit diesem Militärbündnis war Nürnberg endlich offen auf die Seite der Schweden getreten, was Gustav Adolf mit reichen Schenkungen honorierte. Die von Gustav Adolf gewünschte militärische und politische Allianz mit dem gesamten Fränkischen Kreis dagegen kam nicht zustande. So lehnten die Stände, auch die evangelischen, Gustav Adolfs Vorschläge zur Einführung der schwedischen Kupferwährung, d. h. die Aufgabe der Münzhoheit des Kreises, ab,4 wie auch die Einsetzung Krafts von Hohenlohe als Generalstatthalter des Fränkischen Kreises, mit dessen Hilfe der 1 K. Braun, Nürnberg u. d. Versuche d. Wiederherstellung d. alten Kirche im Zeitalter d. Gegenreformation (Einzelarbeiten 1) 1925, bes. 81 ff 2 Vgl. Μ. H. v. Freedbn, Festung Marienberg (Mainfr. Heimatkunde j) 1952, 150 ff ’ Siehe Seufferth, Die Reclamation d. im Dreißigjähr. Kriege nach Schweden entführten

Bücher (AU 10, H. 2 u. 3) 1850, 206-263; P· Wittmann, Würzburger Bücher in der k.schwed. Universitätsbibliothek zu Upsala (AU 34) 1891, 111-160. 4 C. F. Gebert, Beitrr. z. Fränk. Münzkunde. Die Einführung schwed. Kupfermünzen in Franken 1632 (Mitt. d. Bayer. Numismat. Ges. 25) 1906.

§ 3°. Der Dreißigjährige Krieg (R. Endres)

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Schwedenkönig Einfluß auf den Kreis gewinnen und die Reichskreisverfassung ändern wollte. Der Fränkische Kreis als Lebens- und Gemeinschaftsordnung wahrte seinen Bestand in allen Belastungsproben. So beschränkten sich die Schweden in ihrem direkten Einfluß weitgehend auf das eroberte Hochstift Würzburg, wo sie eine weltliche Landesregierung einsetzten, allerdings unter fast unveränderter Übernähme der bisherigen Verwaltungs- und Behördenorganisation. Nur stellte Gustav Adolf neben die zivile Verwaltung noch das militärische Kommando des GeneralStatthalters Kraft von Hohenlohe. Das erneute Eingreifen Wallensteins und die Vereinigung seines Heeres mit dem Maximilians von Bayern zwangen Gustav Adolf dazu, im Sommer 1632 in und um Nürnberg ein gewaltiges Lager aufzuschanzen, entsprechend den neuesten Fortifikationslehren.1 Wallenstein, dessen Heer 60000 Man gezählt haben soll, schlug sein Lager am linken Ufer der Rednitz bei der Alten Veste auf. Vergeblich versuchte der Schwedenkönig, der infolge der schwierigen Versorgungslage eine Entscheidung herbeiführen mußte, Wallenstein aus seiner Defensivhaltung herauszulocken oder sein Lager zu erstürmen. Daraufhin zog Gustav Adolf mit der Masse seines Heeres nach Thüringen und Sachsen, wodurch sich der Kriegsschauplatz aus Franken nach Mitteldeutschland verlagerte. Am 15. November 1632 fand Gustav Adolf in der Schlacht von Lützen den Tod, was für die evangelische Sache einen schweren Schlag bedeutete. Die Weiterführung von Gustav Adolfs Politik in Deutschland übernahm der Kanzler Oxenstiema. Er verbündete sich im Frühjahr 1633 mit den protestantischen Ständen der vier oberen Reichskreise im sog. Heilbronner Bund. Auch die Landesregierung in dem besetzten Hochstift Würzburg hatte er übernommen, schenkte aber im Juni 1633 die beiden Hochstifte Würzburg und Bamberg als schwedische Erblehen dem einflußreichen General im schwedischen Heer Herzog Bernhard von SachsenWeimar. Dieser hielt am 17. Juli in Würzburg seinen Einzug, übergab aber wenige Tage später seinem Bruder Ernst die Regierungsgewalt, da er selbst wieder zum Heer ging. Während sich Herzog Ernst in Würzburg sofort durchsetzen konnte, stieß er in Bamberg auf heftigsten Widerstand. Die Hauptstadt wurde zwar eingenommen, und auf dem Land lösten sich die schwedischen und kaiserlichen Besetzungen mit ihren für die Bevölkerung so verheerenden Folgen mehrfach ab, doch die Landesfestungen Forchheim und Kronach konnten sich halten. So blieb die Herrschaft Herzog Ernsts in Bamberg mehr nominell, auch wenn er statt des Bischofs die Stimme und Funktion des Kreisdirektors wahmahm, was aber zu erneuten Differenzen mit Christian von Bayreuth führte. Dagegen konnte sich die schwedische Landesregierung in Würzburg ungehinderter auswirken. Wahrscheinlich nach Weimarer Vorbild gestaltete Herzog Ernst die gesamte Landesverwaltung grundlegend um.’ Die Verwaltungsspitze wurde in Regierung (Kanzlei), Kammer und Konsistorium, in dessen Kompetenzbereich auch das Schul- und Bildungswesen gehörte, dreigeteilt, womit sich das Gewaltenteilungs* Vgl. zuletzt Η. H. Hofmann, Die Nümberger Stadtmauer, 1967. 1 Vgl. U. Hbss, Geheimer Rat u. Kabinett in !5·

d. Emestinischen Staaten Thüringens (Veröff. d. thür. Landeshauptarchivs 6) 1962.

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Franken: C. V. Vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Dreißigjährigen Krieg

prinzip des modernen Verwaltungsstaates bereits andeutete. Auf unterer Ebene, in der Ämterverwaltung, wurden über die bisherigen Ämtereinteilungen sog. Hauptmannschäften als Mittelbehörden gelegt.’ Hauptleute waren Ritter, und zwar zumeist aus Franken. Die Hauptkirchen übergab man allerorts den Protestanten, so auch den Dom in Würzburg. Aber gerade in der Religionsfrage kam es zu einer permanenten Opposition der treu katholischen Bevölkerung. Auf ähnliche Ablehnung stießen die sog. «Donationen»,2 die zu nicht unwesentlichen territorialen Veränderungen führten. Es handelte sich hier um die Vergabe eingezogener Abteien, Stifter, ja ganzer Ämter, womit die stets zögernden Kreisstände gekauft oder verdienstvolle Persönlichkeiten belohnt werden sollten.3 So war es vor allem unter Oxenstiema zu einem förmlichen Ausverkauf der Hochstifter gekommen. Besonders reich bedacht wurden neben den Reichsstädten die Grafen von Löwenstein-Wertheim und die Hohenlohe.4 Die rigorose Territorialpolitik, die Übernahme von Kreisfunktionen, vor allem aber die straffe Neuorganisation der Behörden und ihre Kirchenpolitik zeigen, daß die Sachsen ein dauerndes, völlig protestantisches Herzogtum in Franken schaffen wollten. Doch dauerte die Schwedische Epoche in Franken nur drei Jahre. Denn noch vor der entscheidenden Schlacht bei Nördlingen (6. Nov. 1634) wurde der Großteil des Hochstifts Würzburg von den Kaiserlichen zurückerobert. Mit dem Prager Frieden 1635 fand das schwedische Zwischenspiel in Franken, dessen Folgen nicht übersehen werden dürfen, sein Ende. Nach dem Prager Frieden war Franken zunächst nicht mehr unmittelbarer KriegsSchauplatz, aber infolge seiner Mittellage hatte es auch weiterhin unter Truppendurchzügen, Einfällen, Einquartierungen, erpresserischen Kontributionen und kurzzeitigen Besetzungen zu leiden. Zeitweilig diente der Fränkische Kreis Schweden und Reichstruppen zugleich als Quartier und Nachschubbasis. Es ist daher verständlich, daß die fränkischen Stände mit zu den ersten und energischsten gehörten, die das Kriegstreiben und Morden beenden wollten. Die Friedensverhandlungen in Westfalen, die seit 1643 liefen, wurden für Franken vor allem durch diePerson des neuen Würzburger Bischofs Johann Philipp von Schönborn (1642-73) wichtig.5 Sein Bestreben lief dahin, zunächst das Land, das völlig verwüstet war, wieder von fremden Truppen zu befreien und möglichst schnell den ■ Als Vorbild dienten vielleicht die Bayreuther Hauptmannschaften, die ebenfalls echte Mittelbehörden waren, auch wenn ihre endgültige Ausbildung erst noch erfolgte. Vgl. Hofmann, Außenbehörden (s. u. 275). Im Würzburgischen wurden insgesamt 8 Hauptmannschaften eingerichtet, und zwar in Würzbürg, Karlstadt, Ochsenfurt, Gerolzhofen, Fladungen, Königshofen i. Gr., Ebern und Mainberg. 2 Vgl. auch A. Ph. Brück, Schwed. «Donationen» aus Kurmainzer Besitz (Hess. Jb. f. LG 7) 1957, 230-258. 3 Als Rechtsgrundlage diente den Schweden das ius belli des Hugo Grotius (vgl. H. Gro-

Tius, De Jure belli ac Pacis Libri Tres. Dt. Text u. Einleitung v. W. Schätzel, 1950). So erhielt beispielsweise Graf Reinhard von Solms von Gustav Adolf die Grafschaft Schwarzenberg geschenkt und Generalfeldmarschall Hom den Hoch- und Deutschmeisterstaat Mergentheim. 4 Die Löwenstein-Wertheim gelangten in den Besitz aller geistlichen Güter und Einkünfte in ihrer Grafschaft und Kraft von Hohenlohe erhielt die Klöster Schönthal und Schäftersheim. 5 Zu ihm Wild, Johann Philipp v. Schönbom (s. u. 231); Mentz, Johann Philipp v. Schönbom (s. u. 231); s. u. 378.

§ ja. Der Dreißigjährige Krieg (R. Endres)

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Krieg zu beenden. Hierzu betrieb er eine eigenständige Politik, wofür er Anlehnung an Frankreich suchte, mit dessen Unterstützung er auch zum Kurfürsten von Mainz gewähltwurde (19. November 1647).1 Als Kurerzkanzler war er inMünster undOsnabrück handlungsbevollmächtigt. Er machte sich dabei vor allem für die kleineren Reichsstände stark, auf deren Kosten sich die Großmächte sanieren wollten. In dem Würzburger Diplomaten Johann Philipp von Vorburg und dem Bamberger Gesandten Cornelius Göbel12 hatten die fränkischen Stände sehr geschickte Vertreter, nachdem der Versuch, den Reichskreis als Ganzes an den Friedensverhandlungen zu beteiligen, gescheitert war. Unter den zahlreichen Bestimmungen des Westfälischen Friedens wurde für Franken vor allem die Festsetzung des Stichtages 1. Januar 1624 für die Konfessionsgrenzen wichtig. Damit mußten alle Errungenschaften des Restitutionsedikts zurückgenommen werden. Unberücksichtigt blieb das Normaljahr in der Oberpfalz, aber auch in einigen fränkischen Gebieten, wie in der Grafschaft Schwarzenberg und in Thüngen. Besonders betroffen war Bamberg, das nun endgültig alle nürnbergischen, markgräfliehen und ritterschaftlichen Pfarreien und die in diesen Gebieten gelegenen Klöster verlor. Nur der Deutsche Orden konnte sich in Nürnberg halten. Dem ausgelaugten Fränkischen Kreis legte der Friedensschluß neue schwere Lasten auf. Der Kreis mußte an Schweden Kriegsentschädigungen in Höhe von rund 600000 Reichsthalern bezahlen, zu deren Sicherstellung und Eintreibung 160 schwedische Kompanien in Franken stationiert blieben. Unerledigt gebliebene Einzelfragen und Probleme der Exekution der Friedensbestimmungen sollten auf dem «Friedensexekutionskongreß» geregelt werden, der im April 1649 in Nürnberg zusammentrat. Er rückte Nürnberg noch einmal in den Mittelpunkt öffentlichen Geschehens und verlieh der Reichsstadt für kurze Zeit den alten Ruf und Glanz europäischer Politik und Geschichte. Erst nach Unterzeichnung des Friedensexekutionsrezesses am 16./ 26. Juni 1650 auf der Nürnberger Burg zogen die Schweden, und das auch nur sehr zögernd, aus Franken ab. Der Wiederaufbau konnte beginnen. Die Bestandsaufnahmen ergaben ein verheerendes Bild der kriegsbedingten Bevölkerungsverluste und materiellen Schäden. Allerdings läßt sich eine einheitliche Aussage für Franken noch nicht treffen, da nur einzelne genauere Angaben vorliegen und die Verluste sicher regional sehr unterschiedlich waren. Eine schwedische Aufstellung nennt 47 Schlösser, 26 Städte und 313 Dörfer im Fränkischen Kreis als zerstört.3 Im Durchschnitt muß mit einem BevölkerungsVerlust von 20-40% gerechnet werden. In manchen Gebieten, wie z. B. dem Coburger Raum, erreichten die Verluste 70-80% der Bevölkerung.4 Am stärksten wurden 1 Siehe V. Löwe, Frankreich, Österreich u. d. Wahl d. Erzbischofs Johann Philipp v. Mainz im Jahre 1647 (Westdt. Zschr. f. Gesch. u. Kunst 16) 1897, 172-188. 2 Eine eingehende Würdigung der Personlichkeit und Leistung bei Dibtz (s. o. 224) 24 ff. 3 W. Schneide», Die Politik d. Fränk. Krei-

ses nach d. Dreißigjähr. Krieg (Erlanger Abh. 8) 1931, 10 mit Anm. 8. 4 Dietze (s. o. 224); Herzog Johann Casimir hatte sein Territorium bis 1632 weitgehend aus den Kriegsereignissen heraushalten können. Dann aber wurde die Pflege Coburg, wo sich wichtige Heeresstraßen schnitten, schwer heimgesucht. Gustav Freytags bekannte düstere

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Franken: C. V. Vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Dreißigjährigen Krieg

die Städte und Märkte betroffen, da die den Kriegsereignissen folgenden Hungersnöte und Seuchen erst eigentlich die Bevölkerung dezimierten. So sollen in der Reichsstadt Nürnberg, hinter deren feste Mauern sich besonders viele geflüchtet hatten, allein auf dem Höhepunkt der Pestwelle 1634 rund 20000 Menschen verstorben sein.1 In den offenen Durchzugsgebieten lagen nachweislich 60-80% der Höfe wüst, während in entlegeneren Gebieten, abseits der Heerstraßen, wesentlich geringere Verluste zu verzeichnen waren.2 Bis zu 80% des Ackerlandes war in manchen Regionen wüst geworden, was einen nachhaltigen Verfall der agrarischen Kulturlandschaft bedeutete und zu Veränderungen im Siedlungsgefüge führte. Die materiellen Verluste waren ungeheuer. Allein Nürnberg hatte der Große Krieg eine Verschuldung von rund 6 Mill. Gulden gebracht und damit den städtischen Wohlstand und die reichsstädtische Macht weitgehend zerstört.’ Ein Beweis für die außergewöhnlich hohen Menschenverluste sind die zahlreichen Emigranten. Man schätzt, daß etwa 150000 Exulanten in Franken aufgenommen wurden, wobei die Einwanderer aus Oberösterreich, von wo sie wegen ihrer Konfession vertrieben worden waren, überwogen.4 Ein Teil, vor allem die Adligen und Reichen, ließen sich in den Reichsstädten, besonders in Nürnberg nieder.’ Viele Exulanten nahm der Markgraf von Ansbach auf, wo sie in manchen Orten des Ansbacher, Gunzenhauser oder Wassertrüdinger Raumes bald die Hälfte der Bevölkerung ausmachten. In fast keinem Ort fehlten schließlich die Österreicher. So nennen die Kirchenbücher allein in den Pfarreien des Dekanats Thalmässing rund 1250 Exulanten. Da die Emigranten ihr eigenes Brauchtum, ihr besonderes Wirtschaftsleben und ihren eigenen Lebensstil mitbrachten, wirkten sie auch stark verändernd auf ihre Umgebung ein, wodurch allerdings die Unterschiede zwischen den katholischen und evangelischen Gemeinden noch mehr vergrößert wurden. Nur für einige Ritter spielte die Konfessionszugehörigkeit ihrer Neusiedler keine Bedeutung. Sie warben Emigranten planmäßig an, «peuplierten», und stellten ihnen wüste Höfe zu billigem Preis zur Verfügung.6 Schilderung des Großen Krieges basiert auf den Ereignissen und Verhältnissen der Pflege Coburg. 1 Endres, Einwohnerzahl (s. o. 199 Anm. 1). 2 So waren z. B. in dem bamberg. Amt Senftenberg im Regnitztal 1 Marktflecken und 10 Dörfer völlig zerstört und weiterhin 1 Kirche, 68 Häuser, 45 Städel und 1 Mühle niedergebrannt, während in dem entlegenen Juragebiet der Vogtei Wolfsberg «nur» 3 Dörfer, 4 Häuser, 5 Städel und 2 Mühlen zerstört waren. H. Mayer, Die Zerstörungen d. dreißigjähr. Krieges im Hochstift Bamberg (Bamberger Bll. f. Kunst u. Gesch. 4) 1927, 71 f.; vgl.

auch die Einzelangaben bei Franz (s. o. 223) 46 f. ’ W. Schwemmer, Die Schulden d. ReichsStadt Nürnberg u. ihre Übernahme durch d. Bayer. Staat (Beitrr. z. Gesch. u. Kultur d. Stadt Nbg. 15) 1967. 4 Franz (s. o. 223) 70. 5 G. W. K. Lochner, Österreich. Exulanten in Nürnberg (Anz. f. Kunde d. Deutschen Vorzeit NF 3) 1855. 6 W. Dannheimer, österr. Emigranten im ehern. Gebiet d. Henen v. Leutersheim auf Obersteinbach (BLF 9) 1931, 76 ff.

VI FRANKEN IN DEN AUSEINANDERSETZUNGEN DER GROSSMÄCHTE BIS ZUM ENDE DES FRÄNKISCHEN REICHSKREISES

§31. FRANKEN NACH DEM WESTFÄLISCHEN FRIEDEN Quellen. F. C. v. Mose«, Des hochlöbl. Fränck. Crayses Abschide u. Schlüsse, vom Jahr 1600 bis 1748, 2 Bde., 1752; Vollst. Sammlung aller v. Anfang d. noch fürwährenden Teutschen ReichsTags de Anno 1663 biß anhero abgefaßten Reichs-Schlüsse . . ., hg. v. J. J. Pachner v. Eggenstorff, 4 Teile, 1740/77; Neue u. vollst. Sammlung d. Reichs-Abschiede . .., hg. v. E. A. Koch, 2 Bde., 1747, Nachdr. 1967. - Literatur. J. J. Moser, Von d. Teutschen Crays-Verfassung, 1773; J. A. Kopp, Gründl. Abh. v. der Association derer vordem Reichs-Craysse ..., 1739; G. L. Knapp, Actenmäßige Erläuterungen über d. deutsche Reichs- u. Kreis-Matrikularwesen bes. d. Fränk. Kreis betr. . . ., 1794; B. Erdmannsdörtfer, Deutsche Gesch. vom Westfäl. Frieden bis z. Regierungsantritt Friedrichs d. Großen, 2 Bde., 1892; Η. E. Feine, Zur Besetzung d. Reichsbistümer vom Westfäl. Frieden bis z. Säkularisation 1648-1803 (Kirchenrechtl. Abh. 97/98) 1921; Ders., Zur Verfassungsentwicklung d. Heiligen Röm. Reiches seit d. Westfäl. Frieden (ZRG 52) 1932, 133; 65E. Klebel, Reich u. Reichsidee (Jb. d. Ranke-Ges.) 1954; Pax optima rerum, hg. v. E.Hövel, 1948; F. Dickmann, Der Westfälische Frieden, 1959; R. Fester, Die armierten Stände u. d. Reichskriegsverfassung 1687-1696, 1886; Ders., Die Augsburger Allianz v. 1686, 1893; K. Wild, Johann Philipp v. Schönbom, gen. der Deutsche Salomo, ein Friedensfürst z. Zeit d. dreißigjähr. Krieges, 1896; L. v. Pragenau, Johann Philipp v. Mainz u. d. Marienburger Allianz (MIÖG 16) 1895; G. Mentz, Johann Philipp v. Schönbom, Kurfürst v. Mainz, Bischof v. Würzbürg u. Worms 1605-73, 2 Bde., 1896; P. Dirr, Zur Gesch. d. Reichskriegsverfassung u. d. Laxenburger Allianz, Diss. Erlangen 1901; K. Wild, Lothar Franz v. Schönbom, Bischof v. Bamberg u. Erzb. v. Mainz 1693-1729. Ein Beitr. z. Staats- u. Wirtschaftsgesch. d. 18. Jhs. (Heideiberger Abh. z. mittleren u. neueren Gesch. 8) 1904; H. Helmes, Übersicht z. Gesch. d. fränk. Kreistruppen 1664-1714 (Darst. z. Bayer. Kriegs- u. Heeresgesch. 14) 1905; Ders., Aus d. Gesch. d. Würzburger Truppen 1628-1802 (Neujahrsbll. 4) 1909; W. Schneider, Die Politik d. fränk. Kreises nach d. Dreißigjähr. Kriege (Erlanger Abh. 8) 1931; H. Polster, Der Markgraf Christian Emst v. Brandenburg-Bayreuth u. seine Rolle in d. Reichskriegen 1689-1707 (ebd. 23) 1935; G. v. Pölnitz, Johann Philipp v. Schönbom (Nassauische Lebensbilder 2) 1943, 91-108; F. Andraschko, Der Fränk. Kreis zu Beginn d. 3. Raubkrieges 1688/89, Diss. Erlangen 1955; Hartung, Verfassungsgesch.; Boc, Reichsmerkantilismus (s. u. 504); Η. H. Hofmann, Reichskreis u. Kreisassoziation. Prolegomena zu einer Gesch. d. fränk. Kreises, zugleich als Beitr. z. Phänomenologie d. deutschen Föderalismus (ZBLG 25) 1962, 377-413 (grundlegend, Lit.); H. Angermeier, Die Reichskriegsverfassung in d. Politik d. Jahre 1679-1681 (ZRG 82) 1965; R. Endres, Zur Gesch. d. fränk. Reichskreises (WDGB11. 29) 1967, 76-91; B. Sicken, Das Wehrwesen d. fränk. Reichskreises. Aufbau u. Struktur 1681-1714, 2 Bde., 1966, Fotodruck (eingehend, aufschlußreich).

Der Westfälische Friede, die erste große europäische Regelung, bildete die Grundläge und den Ausgangspunkt für alle weitere Politik im Reich, wie auch im Fränkisehen Kreis im speziellen. Mit dem Normaljahr 1624 waren die konfessionellen Rechts- und Besitzverhältnisse, die in dem konfessionell gemischten Franken zu

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Franken: C. VI. Franken zwischen den Großmächten (1648-1806)

schweren Wirren geführt hatten, endgültig fixiert. Mit der Anerkennung des ius territorialis und dem Bündnisrecht - einem Sieg der «reichsständischen Libertät» - waren auch das verfassungsrechtliche Verhältnis der Stände zu Kaiser und Reich und die Beziehungen zum Ausland festgelegt. Schließlich, und dies war für Franken besonders wichtig, übernahm das Reich als Rechts- und Friedensordnung weiterhin die Garantie für die Existenz und Unabhängigkeit der mittleren und kleineren Stände. Die Reichsorgane, voran die Reichskreise, deren Reintegration ausdrücklich in! Friedensabschluß festgelegt war,1 wahrten auch im pluralistisch gewordenen Reich die alte Einheit und leisteten positive Arbeit auf den verschiedensten Gebieten. Zunächst stellte sich dem Fränkischen Kreis als vordringlichste Aufgabe die Überwindung der schweren wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Schäden, die der Große Krieg hinterlassen hatte. Einschneidende Maßnahmen zur Sicherheit auf den Straßen, zum Schutz und zur Förderung von Handel und Gewerbe und zur Sanierung des Münzwesens wurden erlassen. Erstaunlich schnell konnten die materiellen wie die Bevölkerungsverluste ausgeglichen werden. Etwa nach einem Menschenalter schon hatten die straffer verwalteten geistlichen Staaten den allgemeinen Stand vor dem Kriege erreicht, während es bei den weltlichen Territorien etwas länger dauerte? Besonders Johann Philipp von Schönborn drängte auf wirtschaftliche Wiedergesundung und Stabilität als Voraussetzung für politische Handlungsfreiheit. Sein Ziel war eine kaiserunabhängige reichsständische Politik gegenüber den dynastischen Interessen Habsburgs, vor allem der Spanischen Linie. In einem Ausgleich der großen internationalen Gegensätze und einer Zusammenfassung der mittel- und mindermächtigen Reichsstände, gleichsam als dritte Partei, zwischen den europäischen Mächten sah er die beste Möglichkeit, seinen Landen den so dringend nötigen Frieden zu sichern. Diese Gleichgewichtspolitik zwang ihn zu ständigem Lavieren, was ihm den Beinamen «Deutscher Salomo» eintrug. Als Bischof von Würzburg (seit 1642) und Worms und Kurfürst von Mainz (seit 1647) war er Mitglied des Fränkischen, Kurrheinischen und Oberrheinischen Kreises und stellte damit einen wichtigen machtpolitischen Faktor im Reich dar. Der von ihm 1658 gegründete Rheinische Bund,123 dem auch Frankreich beitrat, aus Franken jedoch nur Würzburg und Hessen-Kassel angehörten, sollte die Neutralität des Reiches sichern. Aus der ursprünglichen Anlehnung an Frankreich erwuchs aber bald eine stärkere Abhängigkeit. Seit dem Beginn der Devolutionen, seit dem Wildfangstreit und der Übernahme des Hochstifts Worms (1663) aber distanzierte sich Johann Philipp mehr und mehr von Ludwig XIV. und verweigerte 1668 sogar die Verlängerung des Rheinbundes. Vergeblich suchte er mit dem sogenannten Ägyptischen Plan, den der von ihm geförderte Leibniz vorlcgte, Frankreich von seiner Reichspolitik abzulenken.4 1 Instr. Pac. Osn. VIII 3 : redintegrandis circulis. 2 Vgl. Morlinghaus (s. u. 525). 3 F. Wagner, Frankreichs klassische Rheinpolitik, der Rheinbund 1658, 1941; R. Schnur, Der Rheinbund v. 1658 in d. deutschen Verfassungsgesch., 1955.

4 Vgl. P. Ritter, Leibniz’ ägyptischer Plan, 1930; K. J. Krappmann, Johann Philipp v. Schönborn u. d. Leibnizsche Consilium Aegyptiacum (ZGO NF 45) 1931; F. Jürcensmf.ifr, Joh. Phil. v. Schönborn (1605-1673) u. d. Röm. Kurie, 1977; Ders., Joh. Phil. v. Schönborn (Fränk. Lebensbilder 6) 1975.

31. Franken nach dem Westfälischen Frieden (R. Endres)

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Im Fränkischen Kreis hatte Johann Philipp den stärksten Gegenspieler in dem vorsichtigen Markgrafen Christian von Bayreuth, der die frankreichfreundliche Politik ablehnte und befürchtete, in lothringische Konflikte gezogen zu werden. Bei dem jungen, ehrgeizigen und geltungsbedürftigen Christian Ernst, der 1661 nach der preußischen Vormundschaftsregierung die Leitung seines kleinen Territoriums übernommen hatte, konnte der Schönborn leichter seine Politik durchsetzen, vor allem nachdem der Türkensturm die große Gefahr auch für das Reich offenkundig machte. Ansbach und Bayreuth legten ihren Streit um das Kreismitausschreibeamt bei, Christian Ernst wurde zum Kreisobristen gewählt,1 sogleich aber vom Kreis in seinem ungestümen Tatendrang zurückgehalten. Entsprechend dem Beschluß des Reichstags in Regensburg entsandte der Kreis 1664 je ein Regiment zu Pferd und zu Fuß, insgesamt fast 2500 Mann, an die Türkenfront. Würzburg und Hessen-Kassel ließen jedoch ihre Truppen mit dem Rheinbundkontingent marschieren, was zu heftigen Spannungen und Auseinandersetzungen im Fränkischen Kreis führte. Nach dem Frieden von Vasvar dankten die meisten Kreisstände ihr für diesen Kriegszug angeworbenes Kontingent sogleich wieder ab. Man wollte nicht als armierter Stand den Großmächten, besonders Frankreich, irgendwelche Vorwände für ein Eingreifen liefern. Eine erneute Aufstellung von Kreistruppen erfolgte durch Kreisschluß 1672. Dem Defensivbündnis zwischen Kaiser und Kurbrandenburg waren zunächst nur Johann Philipp und Christian Ernst von Bayreuth beigetreten, alle anderen fränkischen Stände hielten sich zurück. Als jedoch der Reichskrieg gegen Ludwig XIV. erklärt wurde, setzte der Kreis nach langen Verhandlungen ein Duplum fest und selbst Peter Philipp von Dernbach, der seit 1673 Fürstbischof von Würzburg war, unterstellte seine Truppen wieder dem Fränkischen Kreis. Christian Ernst als Kreisobrist hielt mit dem Kreiskürassierregiment die Streifkommandos des Marschalls Turenne in Unterfranken so lange hin, bis Montecuccoli mit der Hauptarmee die Franzosen zurückwarf. Für diese tapfere, aber keineswegs entscheidende militärische Tat wurde der Markgraf mit hohen Auszeichnungen bedacht. Obwohl der Fränkische Kreis seine Reichsstcuern bezahlte und für die Reichskriege gegen die Türken und Frankreich seine militärischen Kontingente abstellte, mußte er laufend überaus belastende und kostspielige Winterquartiere durch brandenburgische und österreichische Truppen ertragen und wurde als Durchzugsgebiet und Verbindungsglied zwischen den habsburgischen Erblanden und den umkämpften Besitzungen am Rhein ständig zu aussaugenden Fuhr-, Verpflcgungs- und Fourageleistungen gepreßt. Nicht zuletzt diese Erfahrungen gaben den Anstoß zur letzten großen Reichsreform, der Reichsdefensionalordnung von 1681.2 Der Grundgedanke der Reichsarmatur war der Entzug des gesamten Militärwesens aus der freien Verfügungsgewalt des Kaisers und der Willkür der anderen armierten Stände. Statt dessen sollte das Reichsheer1 Es war dies wohl mehr Ausdruck des Dankes für die fast 50jährige verdienstvolle Tätigkeit seines Großvaters Markgraf Christian in diesem Amt.

2 Μ. E. schätzt H. Angermeier die Rolle Bischof Dernbachs für das Zustandekommen der Reichsdefensionalordnung zu hoch ein; vgl. auch G. Wunschel (s. u. 355 Anm. 3).

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Franken: C. VI. Franken zwischen den Großmächten (1648-1806)

wesen in die Hände des Reiches gebracht werden. Dabei verzichtete man auf eine einheitliche Reichsarmee und machte die Stände zu den Trägem der Defensionsorganisation. Als Simplum des Reichsheeres wurden 40000 Mann, davon 12000 Berittene, festgelegt. Der Verteilerschlüssel für die einzelnen Kreise war festgelegt, die weitere Ausmittlung blieb den einzelnen Rcichskreisen selbst überlassen. Da jedoch die armierten Großmächte nicht bereit waren, sich in die Reichsordnung einzufügen,1 war die Reichskriegsverfassung nicht in vollem Umfang durchführbar. Somit wurde die Reichsarmatur zur Militärorganisation der kleineren und mittleren Reichsstände vornehmlich der vorderen Kreise, also des Reiches im eigentlichen Sinne. Zwei Jahre nach der Reichsarmatur unterhielt der Kreis als ständige Truppen schon ein Regiment zu Pferd und zwei Regimenter zu Fuß, zu je 1500 Mann. 1692 aber hatte der Kreis 12000 Man unter Waffen stehen. Allerdings gab es bedeutende Unterschiede zwischen der Sollstärke und der Iststärke (Usualfuß). Die Mannschaften für das stehende Heer hatten die einzelnen Stände zu stellen, wobei sich sehr nachteilig bemerkbar machte, daß die kleineren Mitglieder sich weigerten, ihren geringen Truppenanteil durch Zahlungen an den Kreis abzulösen, wofür sich Peter Philipp von Dernbach und Leibniz vergeblich einsetzten.1 Die Wehrverwaltung, das Sanitätswesen und das überaus wichtige Obermarschkommissariat, das den Nachschub mit einem eigenen Fuhrpark besorgte, unterhielt der Kreis insgesamt. Auch die Offiziere der Kreistruppe wurden vom Kreis verpflichtet,123 Generalfeldmarschall war der Kreisobrist. Mit den Kreisregimentern kämpften zumeist auch die Kompanien der Reichsritterschaft, unterstanden jedoch nicht dem Kreiskommando. Nicht weniger als dreißig Feldzüge verzeichneten die Kreistruppen in den Jahren 1683-1714, wobei vor allem der ehrgeizige Kreisobrist Markgraf Christian Ernst sich auszeichnete, der sein Land rücksichtslos als militärische Hilfsquelle ausbeutete,4 was Wien mit bloßen Titeln und Auszeichnungen honorierte. Mit der ständigen Kreisarmatur begann für den Fränkischen Kreis eine neue entscheidende Phase seiner Geschichte. Nachdem der Versuch, das ganze Reich in die Kriegsverfassung von 1681 einzubeziehen, am Widerstand der armierten Mächte gescheitert war, mußten sich die Kreise militärisch und politisch zusammenschließen, um nicht nur ständig ausgenütztes Objekt für die Politik der Großmächte zu sein. Vor allem die nachfolgenden weltweiten Auseinandersetzungen zwischen Habsburg, Frankreich und England um die Hegemonie in Europa machten eine autonome Kreispolitik unbedingt notwendig, sollten die mittel- und mindermächtigen Kreisstände durch die hohe Politik nicht völlig ausgezehrt und aufgerieben werden. Sogleich mit der Kreisarmatur begannen daher auch die Verbündnisse der Kreise, die sog. «Assoziationen», «Assignationen» oder «Konjunktionen», die in der Korrespondenzpflicht der Reichsexekutionsordnung von 1555 und 1564, in den zahlreichen 1 Vgl. hierzu Μ. Wehners, Die Reichspolitik d. Großen Kurfürsten 1679-1684, Diss. Bonn 1937. 2 G. W. Leibniz, Welchergestalt securitas publica interna et externa und status praesens im Reich jetzigen Umständen nach auf festen

Fuß zu stellen (Sämtl. Sehr. u. Briefe, hg. v. d. Preuß. Akad. d. Wiss., 4. R., I) 1931. 3 Der bekannteste Offizier beim Fränkischen Kreis war wohl Balthasar Neumann. 4 H. Rössler nennt dies «ein Opfer für das Reich» (l).

§ 32. Franken im Spanischen Erbfolgekrieg (R. Endres)

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Münzabsprachen, in der erfolgreichen wirtschaftspolizeilichen Zusammenarbeit sowie in den personalen Verflechtungen der Kreise und vor allem in der Politik Johann Philipps von Schönborn mit dem Ziel einer neutralen dritten Partei bereits vorgezeichnet waren. Die Bereitschaft zu einer engeren militärisch-politischen Union wurde schließlieh noch gefördert durch die Reunionspolitik Ludwigs XIV. mit dem spektakulären Fall Straßburgs, der eine Welle bisher nicht gekannten Nationalgefühls und des Reichspatriotismus hervorrief.1 Erstmals bewährte sich das System der Assoziationen 1682, als der Kaiser in Laxenbürg dem Bündnis des Fränkischen und Oberrheinischen Kreises als nur gleichberechtigter Vertragspartner beitrat. In der Augsburger Allianz von 1686 war die Union der Kreise bereits anerkannter Partner der armierten Großmächte Europas. Mit dem Beitritt zur großen Haager Allianz von 1695 sprengten die assoziierten Kreise sogar die Reichsverfassung, da im Westfälischen Frieden nur den Reichständen, nicht aber den Reichskreisen, das ius foederis mit ausländischen Mächten zugestanden worden war. Damit aber war das System der Reichskreise endgültig zu selbstverantwortlichen Hoheitsträgern und selbständigen politischen Faktoren geworden, von vom Kaiser abhängigen Provinzialorganisationen zu unabhängigen Selbstverwaltungskörpern, die wesentliche staatliche Funktionen nach innen und außen ausübten. Damit aber tat sich die Möglichkeit einer föderativ bestimmten Reichsreform auf, und zwar auf der Grundläge der «Triasidee». Ein geheimes Wiener Gutachten stellte lapidar fest: «Das System der Assignationen würde dem Reich den Charakter einer Oligarchie geben.»2 Aus diesem Grund bemühte sich Wien mit allen Mitteln, um den gefährlichen Bund der fünf westlichen Reichskreise, der sich auf dem Frankfurter Tag im Januar 1697 konstituiert hatte, wieder zu zerschlagen. Diese Frankfurter Assoziation der Kreise Franken, Schwaben, Oberrhein, Kurrhein und Westfalen schuf sich ein stehendes, gut ausgerüstetes Heer unter gemeinsamem Oberkommando und Offiziersstab, mit gemeinsamer Artillerie und einheitlich organisiertem Magazin- und Nachschubwesen. Wien wollte auf jeden Fall verhindern, daß die noch verbliebenen Reichsteile sich selbständig förderierten, gleichsam ein vom Kaiser unabhängiges Rumpfreich bildeten, ein drittes Deutschland neben Habsburg einerseits und den anderen armierten Groß- und Mittelmächten mit Brandenburg an der Spitze andererseits. Und tatsächlich blieb schon im Frieden von Ryswijk die Kreisassoziation unberücksichtigt. §32. FRANKEN IM SPANISCHEN ERBFOLGEKRIEG

Quellen. S. o. 231: Moser; Neue 11. vollst. Sammlung (s. o. 231). - Literatur. Kopp (s. o. 231); Wild, Lothar Franz v. Schönborn (s. o. 231); Helmes, Kreistruppen (s. ebd.); K. Staudinger, Gesch. d. kurbayer. Heeres unter Kurfürst Max II. Emanuel 1680-1726 (Gesch. d. Bayer. Heeres, hg. vom K. B. Kriegsarchiv, II 2) 1905; G. W. Sante, Die kurpfälz. Politik d. Kurfürsten Johann Wilhelm vomehml. im Span. Erbfolgekrieg 1690-1716 (HJb. 44) 1924, 19-63; H. Polster, Der Markgraf Christian Emst v. Brandenburg-Bayreuth u. seine Rolle in d. Reichskriegen 1689-1707 (Erlanger Abh. 23); Diss. Erlangen 1935; H. Rössler, Das Opfer f. d. Reich: Christian Emst v.

1 H. J. Berbig, Nürnberg, Franken u. d. Reich. Eine Untersuchung d. Nationalen im 17. Jh. (Jb. Mfr. 84) 1967/68.

‫ ב‬Endres, Reichskreis (s.o. 231) 87, 112; Η. H. Hofmann, Reichsidee u. Staatspolitik (ZBLG 33) 1970.

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Franken: C. VI. Franken zwischen den Großmächten (164S-1806)

Bayreuth (Rößler) 237-251; G. A. Süss, Gesch. d. oberrhein. Kreises u. d. Kreisassoziationen in d. Zeit d. span. Erbfolgekrieges 1697-1714 (ZGO 103/4) 1955/56, 317-425; 145-224; J. Wiercimok, Die Territorialerwerbungen d. Reichsstadt Nürnberg im span. Erbfolgekrieg, Diss. Erlangen 1959 (auch für den allgem. Verlauf der Kriegshandlungen in Franken aufschlußreich); R. A. Wines, The Franconian Reichskreis and the Holy Roman Empire in the War of the Spanish Succession, Diss. Columbia University, New York 1961 (Deutsche Zusammenfassung in ZBLG 30, 1967, 337354‫ ;)־‬B. Sicken, Das Wehrwesen d. fränk. Reichskreises, 2 Bde., 1967; R. Endres, Markgraf Christian Emst v. Bayreuth (Fränk. Lebensbilder 2) 1968, 260-289; Ch. Hutt, Maximilian Carl Graf zu Löwenstein-Wertheim-Rochefort u. d. fränk. Kreis 1700-1702. Eine Studie z. Reichs- u. Kreispolitik, 2 Bde., Diss. Würzburg 1969 (Fotodruck). - Pfeiffer, Nürnberg s. u. 324.

Mit dem Tod König Karls II. von Spanien am 1. November 1700 bahnten sich neue europäische Verwicklungen an. Der Haager Allianz des Kaisers und der Seemächte traten sehr bald das dem Wiener Hof verpflichtete junge Königreich Preußen und mehrere andere größere Reichsstände bei. Der Fränkische und der Schwäbische Reichskreis hatten sich im Heidenheimer Rezeß vom 23. November 1700 erneut zusammengeschlossen und sogleich ihre Neutralität erklärt. Vor allem Lothar Franz von Schönborn, seit 1693 Bischof von Bamberg und 1695 Kurfürst von Mainz, wollte die von den letzten Reichskriegen noch völlig erschöpften und ausgebluteten Kreise aus den internationalen Verwicklungen heraushalten. Nur Markgraf Christian Emst von Bayreuth begann sogleich mit neuen Aufrüstungen, da er sich dessen bewußt war, daß Franken infolge seiner geographischen Mittel- und Durchgangslage sowie seiner unmittelbaren Nachbarschaft zu Böhmen unmöglich neutral bleiben konnte. Die sich abzeichnende Defensivallianz der Kreise, die für den Kaiser den Verlust Süddeutschlands als Operationsbasis und Rekrutierungsgrundlage bedeutet hätte, wurde durch intensive diplomatische Tätigkeit Wiens aufgesprengt, wobei sich besonders derkaiserliehe Gesandte beim Kreis Maximilians Carl Graf zu Löwenstein-Wertheim-Rochefort hervortat. Es gelang, Lothar Franz zur Sinnesänderung und zur vollen Loyalität zum Kaiserhaus zu bewegen. Nach dem politischen Wechsel des Schönborn gab auf dem Nördlinger Assoziationstag der fünf vorderen Kreise im März 1702 auch der Fränkische Kreis insgesamt seine Neutralität auf und trat zusammen mit den anderen Reichskreisen der Haager Allianz bei. Franken sah sich nun einem Zweifrontenkrieg ausgesetzt. Trotzdem ging Markgraf Christian Ernst, entgegen dem erklärten Willen der Kreismitstände, noch im Sommer 1702 als erster kaiserlicher General an die Rheinfront, wo er mit Hilfe preußischer Truppen die Festung Landau eroberte. Erst im Herbst dieses Jahres wurde auf seine Veranlassung hin eine Sicherungslinie gegenüber der Oberpfalz aufgebaut, da man ständig mit einem Angriff Max Emanuels von Bayern auf Franken rechnete, besonders nachdem er Pfalz-Neuburg erobert hatte. Vor allem die geistlichen Fürstentümer und die Reichsstädte befürchteten Säkularisierung und Mediatisierung durch Bayern.1 Zur treibenden Kraft im Fränkischen Kreis gegen Max Emanuel wurde Nürnberg, wenn auch stets unter dem Deckmantel der Kreispolitik, da inmitten seines Territoriums die beiden bayerischen Festungen Rothenberg und Schloß Hartenstein lagen, die seit Jahrhunderten dem Rat ein Dorn im Auge waren. Die von Bayern drohende Gefahr wurde jedoch durch das Eingrei1 Vgl. G. Pfeiffer, Ein französ.-bayer. Mediatisierungsplan 1687/88 (ZBLG 27) 1964, 245-258.

§ J2. Franken int Spanischen Erbfolgekrieg (R. Endres)

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fen der kaiserlichen Armee unter Schlick und Styrum beseitigt. Styrum, dem sich die fränkischen Kreistruppen angeschlossen hatten, konnte das bayerische Heer bei Dietfurt am 8. März 1703 zurückschlagen und anschließend die Festung Neumarkt erobern. Max Emanuel zog daraufhin selbst in die Oberpfalz und schlug das sich ihm entgegenstellende Heer bei Schmidmühlen, wobei der Markgraf Georg Friedrich von Ansbach den Tod fand. Überraschenderweise mußte der bayerische Kurfürst sich wieder seinen südlicheren Landesteilen zuwenden, so daß die unmittelbare Gefahr für den Fränkischen Kreis vorbei war. Die in der Oberpfalz eroberten bayerischen Orte und Ämter wurden dem Fränkischen Kreis zur Nutznießung überlassen, während Nürnberg alles daran setzte, um in den Besitz des Amtes und der Veste Rothenberg zu kommen, deren Belagerung und schließliche Schleifung fast ausschließlich von der Reichsstadt getragen wurde. Doch die anderen Kreisstände mißgönnten Nürnberg die Eroberung und so kam es wegen der Konfessionsfrage zu Mißstimmigkeiten. Durch Geheimverhandlungen mit Wien erhielt Nürnberg 1707 schließlich doch die böhmischen Lehen Rothenberg und Hartenstein zugesprochen.1 Ähnliche Schwierigkeiten ergaben sich wegen des Klosters Weißenohe, einer Pertinenz des Rothenbergs, zu dessen Schutzherren sich Lothar Franz als zuständiger Diözesanbischof aufschwang. Nürnberg gab sich schließlich mit der Territorialgewalt zufrieden und garantierte die Unantastbarkeit der katholischen Konfession. Mit dem Sieg Prinz Eugens und Marlboroughs bei Höchstädt am 13. August 1704 war für den Fränkischen Kreis die von Bayern ausgehende Gefahr endgültig beseitigt. Die Kriegsschauplätze verlagerten sich an den Rhein, nach Oberitalien und in die Niedcrlande. Markgraf Christian Ernst war im Frühjahr 1704 der Titel eines evangelischen Rcichsgcneralfeldmarschalls verliehen worden, worauf sein Ehrgeiz schon lange hingezielt hatte. Er verdankte die Auszeichnung aber in der Hauptsache dem König in Preußen, der auf diesem Weg Einfluß auf die Reichskriegsführung zu nehmen gedachte. Nach dem plötzlichen Tod Ludwig Wilhelms von Baden1 2 erhielt der Bayreuther Markgraf sogar das Oberkommando über das Reichsheer, das sich jedoch in denkbar schlechtem Zustand befand und von ständigen Querelen geschwächt wurde. Christian Ernst war kein genialer Feldherr und Heerführer, seine Stärke lag in der Technik des Krieges, im Magazinwesen, in der Organisation des Nachschubs, womit er sich bestens mit dem «Türkenlouis» ergänzt hatte. So war er, zudem durch Alter und Krankheit geschwächt, in seinem neuen hohen Amt überfordert. Bei dem Ansturm Villars’ auf die Stollhofener und Bühler Linie 1707 ließ er sich von der köpflosen Flucht mitreißen und öffnete ganz Süddeutschland den französischen Truppen. Gebrochen und zutiefst verletzt zog sich Christian Emst nach Erlangen zurück, wo er sich der Verwaltung seines total verschuldeten Ländchens3 widmen wollte. Da er jedoch mehr und mehr unter den Einfluß seiner jungen Frau Sophie geriet, der Stief1 Generell F. X. Lommbk, Die böhm. Lehen in d. Oberpfalz, 2 Teile, 1907/09. 2 Zu ihm A. Schulte, Markgraf Ludwig Wilhelm v. Baden u. d. Reichskrieg gegen Frankreich, 2 Bde., 1892.

3 Bei seinem Tod betrugen die Landesschulden mehr als 1 Mill. fl.

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Franken: C. VI. Franken zwischen den Großmächten (1648-1806)

Schwester König Friedrichs in Preußen,1 die als «preußischer Statthalter» im eigentlichen das Regiment führte, wurde durch eine Reichskommission unter dem Vorsitz von Lothar Franz von Schönbom und des Reichsvizekanzlers Friedrich Karl die Mitregierung des Thronfolgers Georg Wilhelm1 2 offiziell festgesetzt, auf dessen Seite sich schon lange die Beamtenschaft und die Bevölkerung des Fürstentums gestellt hatten. Die Truppen des Fränkischen Kreises, rund 12000 Mann, kämpften inzwischen weiter, vor allem an der Rheinfront, was dem Kreis ungeheure Lasten auferlegtc. Zwischen 1701 und 1715 schrieb die permament tagende Kreisversammlung insgesamt 20433/4 Römermonate aus, das sind 8175000 Gulden. Am Ende des Spanischen Erbfolgekrieges schätzte man im Fränkischen Kreis die Kriegslasten auf rund ιο’/2 Mill. fl. Als Dank dafür wurde der Kreis, der solch hohe Opfer für Kaiser und Reich erbracht hatte, wieder einmal im Frieden von Rastatt und Baden im Stich gelassen. Selbst die oberpfälzischen Eroberungen des Kreises und speziell Nürnbergs gingen mit der völligen Restitution Bayerns wieder verloren. Zum Trost der Betrogenen trat der Kaiser der am 19. Dezember 1714 geschlossenen Assoziation von Franken, Schwaben, Kur- und Oberrhein bei, welche die Vorlage für alle bis zum Ende des Alten Reiches geschlossenen Konjunktionen bildete. Die Assoziationen blieben so dem bestimmenden Einfluß des Kaisers unterworfen, der jegliche Eigenentwicklung der Kreise und eine selbständige Politik entsprechend der Idee der dritten Macht unmöglieh machte. Zwar wurde das stehende Heer von den Kreisen auch nach 1715 beibehalten - die Kreistruppen übernahmen beispielsweise die Besetzung der Reichsfestungen Philippsburg und Kehl3 -, doch das Nachlassen des äußeren Drucks lockerte auch das innere Gefüge. Gleichzeitig jedoch wurde durch das Herauswachsen der Großmächtc aus dem Reichsverband und den Aufstieg der Mittelmächte die Idee des Reiches immer mehr zu einer Fiktion, bis sie schließlich nur noch in den vorderen Reichskreisen als Realität erhalten blieb, die sich selbst als «das Reich» verstanden. Friedrich Carl von Moser kennzeichnet diese Situation trefflich: «Die Erhaltung des Reichssystematis hängt großentheils ab von der Verfassung, Einigkeit und Zusammensetzung derer vorderen Reichscrayse, die wegen dieses gemeinschaftlichen Bandes vorzüglich das Reich genannt werden.»4

533. DIE PREUSSISCHE ERBFOLGEFRAGE

Quellen. V. Loewe, Preußens Staatsverträge aus d. Regierungszeit König Friedrichs I. (Publik, aus d. Preuß. Staatsarchiven 92) 1923; H. Schulze, Die Hausgesetze d. regierenden deutschen Fürstenhäuser III, 1883. - Literatur. N. H. Gundling, Injure et facto gegründete species facti..., 1718; Hänlein-Krbtschmann, Staatsarchiv d. Königl. Preuß. Fürstenthümer in Franken I, 1797; C. Höfler, Die Bemühungen d. Könige in Preußen, Friedrichs I. u. Friedrich Wilhelms I., die

1 Elisabeth Sophie war eine verwitwete Herzogin von Kurland. Sie war die dritte Frau Christian Emsts. 2 Zu ihm J. W. Holle, Georg Wilhelm, Markgraf v. Bayreuth, 1712-1726 (AO 6, H. 3) 1856, 1-45.

3 Die Besetzung der Reichsfestungen verursachten für den Kreis rund 100 Römermonate an Kosten jährlich. 4 v. Moser, Crays-Abschiede (s. o. 193) Vorrede zu Teil 1.

§ 33■ Die preußische Erbfolgefrage (R. Endres)

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Mainlinie zu erlangen (SB Wien 60) 1869; A. Berney, König Friedrich I. u. d. Haus Habsburg, 1929; H. Hantsch, Reichsvizekanzler Friedrich Karl Graf v. Schönbom (Salzburger Abh. u. Texte aus Wiss. u. Kunst 2) 1929; Endres, Erbabreden (Lit.).

Die Wirren des Spanischen Erbfolgekrieges suchte die neue Königsmacht Preußen für ihre eigene expansive Politik auszunützen und ihren Einfluß auch auf Süddeutschland auszudehnen. Auf mehrfache Weise suchte Preußen im süddeutschen Raum Fuß zu fassen: einmal durch den Anspruch auf die gesamte oranische Erbschaft, auf Neufchätel, auf Hanau und Mömpelgard, dann - und dies war für Franken gefährlich die Expektanzen auf die Grafschaft Wolfstein, auf die Grafschaft Hohenzollem und die Herrschaft Haigerloch, die Anwartschaften auf Teile der Grafschaft LimpurgSpeckfeld sowie auf die Nachfolge der Grafen von Geyern. Weiterhin wurde der Fränkische Kreis durch die Beihaltung der preußischen Winterquartiere in der Oberpfalz und vor allem durch die Besetzung der Plassenburg und Kasernierung weiterer preußischer Truppen im Fürstentum Bayreuth zutiefst beunruhigt.1 Denn mit dem Festsetzen Preußens befürchtete man die Sprengung des Fränkischen Kreises nach dem Vorbild des Bruchs der westfälischen und niedersächsischen Kreisverfassung.1 2 Besonders aber wurde Franken von den Erbabsprachen zwischen König Friedrich und Ansbach-Bayreuth aufgeschreckt. Da Ansbach nach dem Tod Georg Friedrichs nur auf zwei Augen stand und der Bayreuther Erbprinz Georg Wilhelm nur eine Tochter hatte, kam, entsprechend den zollerischen Hausverträgen, die Anwartschaft auf die Nachfolge in den beidenfränkischen Fürstentümern zunächst der sogenannten Kulmbacher Linie zu, die von Georg Albrecht, dem zweiten Sohn Markgraf Christians von Bayreuth, gegründet worden war. Der älteste der drei Kulmbachischen Prinzen, Christian Heinrich, bezog nur eine sehr dürftige Apanage und war völlig verschuldet. Durch Vermittlung Markgraf Christian Emsts und seiner Frau Sophie war Christian Heinrich bereit, gegen eine angemessene Entschädigung auf seine Erbfolgerechte zugunsten Preußens zu verzichten, was mit dem sog. Schönberger Vertrag vom 23. November 1703 vollzogen wurde.3 Der König übernahm die großzügige Versorgung der ganzen Familie, besonders aber die Erziehung der beiden jungen Prinzen, Georg Friedrich Karl und Albrecht Wolfgang, die er nach Weferlingen im Amt Halberstadt holte.4 Unter Zuhilfenahme des zweiten Kulmbacher Prinzen Karl August und des Bayreuther Erbprinzen Georg Wilhelm gelang es den beiden Schönbom Lothar Franz und Friedrich Karl durch äußerst geschicktes, intrigenreiches diplomatisches Vorgehen und juristische Spitzfindigkeiten die reichsrcchtlich notwendige Zustimmung des Kaisers zu diesem Erbvertrag zu hintertreiben, zumal mit den Kaisern Josef I. 1 Nach einem Vertrag vom 7. Februar 1705 zwischen Preußen und Bayreuth sollten je 100 Mann preuß. Truppen nach Neustadt/Aisch und Erlangen verlegt werden und 300 Soldaten auf die Plassenburg und in die Stadt Kulmbach, Endres, Erbabreden Anm. 2$. 2 Als 1680 Magdeburg dem Großen Kurfürsten zufiel, wurde er damit Kreisdirektor des niedersächsischen Kreises. In dieser Eigenschaft

sprengte er wenig später den Kreistag. Als Kreismitstand des niederrhein.-westfäl. Kreises (Cleve) kümmerte er sich nicht weiter um den Kreis. 3 Das baufällige Schloß Schönberg b. Lauf, eine ansbach. Exklave, war der Wohnsitz Christian Heinrichs. 4 Die genauen Bestimmungen des VerzichtVertrags bei Endres, Erbabreden $0.

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Franken: C. VI. Franken zwischen den Großmächten (1648-1806)

und Karl VI. eine grundlegende Wandlung in der Politik Wiens gegenüber Berlin eingetreten war. Außerdem hatte die Heirat der Prinzessin Caroline1 mit dem Kurprinzen Georg von Hannover, dem späteren König von England, in Ansbach einen politischen Umschwung in den Beziehungen zu Berlin eingeleitet. Selbst ein verlockender Bestechungsversuch der Preußen konnte Lothar Franz nicht von seinem Wege abbringen. In einem zweiten Anlauf nach 1715 machten die beiden Schönborn, sie nannten es ihr «Meisterstück», endgültig die preußische Erbfolge in Ansbach-Bayreuth zunichte, nachdem sie schon 1708 Preußen die Stimme der Grafen von Geyern beim Kreis verweigert und 1713 mit militärischer Gewalt die preußischen Truppen aus den Limpurgischen Gebieten vertrieben hatten. Die beiden Weferlinger Prinzen, vor allem der ältere Georg Friedrich Karl, wollten ihren Erbverzicht rückgängig machen, was die beiden Schönborn sofort aufgriffen. Es gelang dem Reichsvizekanzler in Wien, den Prinzen Eugen einzuschalten, der aus militärisch-strategischen Gründen die unmittelbare Nachbarschaft Preußens zu Böhmen, die sich mit der Nachfolge in Bayreuth ergeben hätte, als äußerst gefährlich für das Haus Habsburg hinstclltc und auf die Konsequenzen, die sich aus einem Festsetzen Preußens im Fränkischen Kreis für die habsburgische Reichspolitik ergeben würden, nachdrücklich aufmerksam machte. Die beiden Weferlinger Prinzen entzogen sich dem Einfluß des Soldatenkönigs und begaben sich unter die Obhut der Schönborn und des gesamten Fränkischen Kreises, die auch ihre Versorgung übernahmen. König Wilhelm I. mußte schließlich erkennen, daß er in Franken mit seinen Plänen nicht durchkommen würde. Deshalb einigte er sich in dem sog. Jüngeren Pactum successorium Culmbacense von Rothenburg vom 22. Dezember 1722 mit der Kulmbacher Linie dahingehend,2 daß Preußen den Schönberger Vertrag für nichtig erklärte und gegen eine Abschlagszahlung von mehr als einer halben Million Gulden den Weferlingern die Nachfolge in den fränkischen Fürstentümern zugestand. Für die Entschädigungssumme kam schließlich der gesamte Reichskreis durch eine außerordentliche Anleihe auf, was die Liquidität des Kreises auf Jahrzehnte hinaus aufs schwerste belastete. Die Schönborn aber konnten erleichtert feststellen, daß «zur rechten Zeit die Hand Gottes dem Franken-Land diese Straf-Ruthen (gemeint ist Preußen) nicht empfinden lassen» wollte.3 Nach dem Tod des Markgrafen Georg Wilhelm 1726 konnte der Weferlinger Georg Friedrich Karl ohne Schwierigkeiten die Nachfolge in Bayreuth antreten. Nachdem Preußen aus Franken hinausgekauft worden war, suchte König Wilhelm seine Süddcutschlandpläne, die auf eine Schlüsselposition im Reich hinauslicfen, mit Hilfe der Heiratspolitik zu verwirklichen. Er verheiratete zunächst 1729 seine Tochter Friederike Louise mit dem Ansbacher Erben Karl Wilhelm Friedrich, der mit seiner Vitalität beim Soldatenkönig bestens angesehen war, und dann 1731 Wilhelmine mit Erbprinz Friedrich von Bayreuth. Beide Ehen, besonders die Ansbacher, waren nicht glücklich. 1 Siehe H. Rössler, Frankens größte Tochter: Caroline v. Ansbach (Rößler) 264-274. H. Dallhammer, Caroline von Ansbach (Fränk. Lebensbilder 3) 1969, 225-249.

2 Druck: Loewe (s. o. 238) 256-275. 3 Ausführliches Zitat bei Endres, Erbabre· den 72.

§ 34■ Franken während der preußisch-österreichischen Kriege 1740/63 (R. Endres)

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§ 34■ FRANKEN WÄHREND DER SCHLESISCHEN KRIEGE

UND DES SIEBENJÄHRIGEN KRIEGES Quellen s. o. 231. - Literatur. Kopp (s. 0.231); Moser, Crays-Verfassung (s. 0.193); C.A. Schweitzer, Der preuß. Einfall im Bamberger Fürstbisthume in d. Jahren 1757-1759 (BHVB 28) 1865, 1-71; B. Kilian, Dritter Einfall d. Preußen in d. Hochstift Bamberg während d. Siebenjähr. Krieges im Mai d. Jahres 1759 (BHVB 40) 1878, 187-301; Ders., Vierter Einfall d. Preußen ... im November 1762 (BHVB 41) 1879, 1-64; Looshorn VII; G. Sommerfeldt, Die Kriegszüge d. Preußen nach Bamberg u. Franken 1757-1759 in d. Schilderungen d. Augenzeugen Hartmann aus Würzburg, Guardian d. Kapuzinerklosters zu Bamberg, 1900; W. Hofmann, Die Politik d. Fürstbischofs v. Würzburg u. Bamberg Adam Friedrich Grafen v. Seinsheim v. 1756 bis 1763. Ein Beitr. z. Gesch. d. Siebenjähr. Krieges, 1903; R. Rüthnick, Die Politik d. Bayreuther Hofes im siebenjähr. Kriege (AO 22, H. 3) 1905, 118-234; C. Weber, Die äußere Politik d. Markgrafen Karl Wilhelm Friedrich v. Brandenburg-Ansbach 1729-1757, Diss. Erlangen 1907; H. Helmes, Kurze Gesch. d. fränk. Kreistruppen 1714-1756 u. ihre Teilnahme am Feldzug v. Roßbach 1757 (Einzelabdruck aus Darst. aus d. Bayer. Kriegs- u. Heeresgesch. 16) 1907; Ders., Die fränk. Kreistruppen im Kriegsjahr 1758 u. im Frühjahrsfeldzuge 1759 (ebd. 17) 1908; A. Sahrmann, Die Frage d. preuß. Sukzession in Ansbach u. Bayreuth u. Friedrich d. Große, 1912; W. Paulus, Markgraf Carl Wilhelm Friedrich v. Ansbach 1712-1757. Ein Zeitbild d. fränk. Absolutismus, Diss. Erlangen 1931; O. Brandt, Staat u. Kultur d. fränk. Markgrafschaften im Zeitalter Friedrichs d. Großen (ZBLG 4) 1931, 417-438; H. Ssymank, Fürstbischof Adam Friedrich v. Seinsheims Regierung in Würzburg u. Bamberg 1755-1779, Diss. Masch. Würzburg 1939; K. H. Büttner, Die Reichspolitik d. Grafen Friedrich Carl v. Schönbom als Fürstbischof v. Bamberg u. Würzburg 1729-46 (BHVB 87) 1941 (nicht besonders aufschlußreich); Hofmann, Reichskreis (s. o. 231); O. Brunner, Die polit. Stellung d. fränk. Reichskreises im Siebenjähr. Krieg, Diss. Erlangen 1965 (wenig ergiebig); Endres, Erbabreden; Ders., Reichskreis (s. o. 231); G. Christ, Das Hochstift Würzburg u. d. Reich im Lichte d. Bischofswahlen v. 1673 bis 1795 (WDGB11. 29) 1967, 184-206; E. Sticht, Der Siebenjähr. Krieg in Ostfranken (Beilage z. Jahresber. d. Kaspar-Zeuß-Gymn. Kronach) 1966/67; B. Sicken, Der Schweinfurter Kreistag 1744/45. Ein Beitr. z. Gesch. d. fränk. Reichskreises (Mainfr. Jb. 20) 1968, 266-329; Ders., Der Fränk. Reichskreis. Seine Ämter u. Einrichtungen im 18. Jh. (VGfTG Fotodruckreihe 1) 1970.

Als der junge Friedrich von Preußen 1740 in Schlesien einmarschierte und damit der schon lange latente Dualismus Österreich-Preußen offen zum Ausbruch kam, erklärte der Fränkische Kreis den casus belli nicht für gegeben und verhielt sich, gleich den anderen vorderen Kreisen, neutral. Der Kreis erklärte auch durch den Tod des Kaisers die Assoziation von 1714 und 1727 für erloschen und verweigerte Maria Theresia die gewünschte Erneuerung des Bündnisses. Bezeichnend für die Haltung in Franken ist der Ausspruch des ehemaligen Reichsvizekanzlers Friedrich Karl von Schönborn, der seit 1729 Bischof von Bamberg und Würzburg war, «daß der kaiserliehe Hof allezeit nur österreichische und keine tcutsche Politik treiben will».1 Unter Führung des politisch und persönlich überragenden Schönborn wandte sich «das Reich» aber auch gegen Friedrich von Preußen, der die Neutralitätsarmee der Kreise unter preußisches Kommando nehmen und gegen Wien führen wollte.12 Nicht zuletzt 1 Wild, Staat u. Wirtschaft (s. u. 525) 7 f. 2 Friedrich der Große unternahm zu diesem Zweck sogar eine ausgedehnte Reise durch Süddeutschland. Friedrich Karl von Schönbom wich einer Begegnung aus. Die beiden re16 HdBGIlI, 1

gierenden Markgrafen von Ansbach und Bayreuth erklärten bei einem Zusammentreffen mit dem Preußenkönig erneut ihre strikte Neutralität.

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die lautgewordenen Säkularisationspläne Friedrichs trugen zu dieser Ablehnung bei.1 Selbst in Bayreuth, wo das Markgrafenehepaar Friedrich und Wilhelmine den Tod Georg Friedrich Karls an dem vom Pietismus geprägten Hof als Befreiung empfunden hatten, wollte man sich für den Wittelsbacher Kaiser stark machen, von dem man sogar das Universitätsprivileg für Erlangen verliehen erhielt. Doch dann neigte sich auch Bayreuth aus Reichstradition wieder zu Wien. Markgräfin Wilhelmine machte 1745 der durchreisenden Kaiserin Maria Theresia in Emskirchen ihre Aufwartungen, und Markgraf Friedrich deckte den populären Zeitungsschreiber Johann Gottfried Groß, einen Agenten Maria Theresias und erbitterten Feind des Preußenkönigs.12 Es kam sogar zu einem zeitweiligen Bruch zwischen Wilhelmine und ihrem Bruder in Potsdam, die ansonsten mehr als nur geschwisterliche Liebe verband. Erst gegen Ende der vierzigerJahre neigte sich der Bayreuther Hof unter dem Einfluß des Ministers Rothkirch wieder Preußen zu. 1751 kam ein französisch-bayreuthischer Subsidienvertrag zustande und 1752 wurde, zusammen mit Ansbach, das Pactum Fridericianum mit der Hauptlinie in Berlin abgeschlossen, das eine Vereinigung der fränkischen Fürstentümer mit der Krone Preußen festlegte, für den Fall, daß die fränkischen Linien im Mannesstamm abgehen sollten.3 Durch den Abschluß dieses Erbvertrages trat auch eine kurzzeitige Verbesserung der Beziehungen zwischen dem ehrempfindlichen, stets auf seinen Rang bedachten Markgrafen Karl Wilhelm Friedrich von Ansbach und Bayreuth ein, die unter dem Streit um die Führung im Kreis sehr gelitten hatten. Zudem hatte sich unter dem leitenden Minister Christoph Ludwig von Seckcndorff4 in Ansbach die kaisertreue Partei durchgesetzt, die auch ein besseres Einvernehmen mit den geistlichen Staaten in Franken und mit der Reichsritterschaft suchte und fand.5 Im Bund mit den geistlichen Fürstentümern suchte Ansbach politische Anlehnung und die dringend benötigten Subsidiengeldcr bei den Seemächten und bei Wien. Bei Ausbruch des Siebenjährigen Krieges verhielt sich Ansbach, dessen Hof um den jungen Erbprinzen Karl Alexander auch eine starke preußenfreundliche Partei hatte, zunächst zurück, doch nach der Erklärung des Reichskrieges gegen Preußen im Januar 17576 schwenkte der «Wilde Markgraf» offen in die Koalition gegen Friedrich ein und schloß Ende März 1757, nach dem «renversement des allianccs» einen Subsidienvertrag mit Frankreich, dem neuen Partner Wiens. Dagegen hielt Markgraf Friedrieh von Bayreuth, der als Kreisobrist die fränkischen Truppen zur Rcichscxekution gegen seinen Schwager Friedrich aufzustellen hatte, sein eigenes Kontingent fern mit der fadenscheinigen Begründung, auf dem Sammelplatz seien ansteckende Krank1 Vgl. F. Wagner, Stimmen z. Reichsidee unter Kaiser Karl VII. (Stufen u. Wandlungen d. deutschen Einheit, Festschr. K. A. v. Müller) 1943· 2 Siehe A. Ernstberger, Johann Gottfried Groß 1703-1768, Maria Theresias polit. Agent bei d. Reichsstadt Nürnberg (Schriftenreihe 61) 1962. 3 Zunächst aber sollte eine fränkische Linie die andere beerben! Eine Einsetzung nachgeborener Söhne der Hauptlinie, wie zuletzt 1603,

sollte nicht mehr erfolgen. Vollständiger Abdruck des Vertrages bei Schulze, Hausgesetze (s. o. 238) III 740-750. 4 Vgl. zu ihm Endres, Erbabreden 75 Anm. 226. 5 So schloß Ansbach 1748 einen Vertrag mit Bamberg, Würzburg, Wien, die Niederlande und England ab, Weber (s. o. 241) 20 ff. 6 Siehe A Brabant, Das heilige röm. Reich Deutscher Nation im Kampfe mit Friedrich d. Gr., 3 Bde., 1904 ff.

§ 34■ Franken während der preußisch-österreichischen Kriege 1740/63 (R. Endres)

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heiten ausgebrochen. Erst Ende des Jahres stellte Bayreuth seinen Truppenanteil zur Reichsarmee ab, doch warb Markgräfin Wilhelmine weiterhin Soldaten für ihren Bruder an und der Markgraf gratulierte dem Preußenkönig stets zu seinen Siegen. Auch bei allen anderen protestantischen Ständen in Franken genoß Friedrich von Preußen große Sympathien, zumal die Konfessionsfrage propagandistisch hochgespielt wurde. Doch wagte keiner den offenen Bruch mit dem Kaiser. Nur der junge Karl Alexander, der nach dem plötzlichen Tod des «Wilden Markgrafen» im Hochsommer 1757 in Ansbach die Regierung übernahm, mußte von Friedrich dem Großen selbst ermahnt werden, keine Schritte zu unternehmen, die für ihn und sein Fürstentum verderblich sein könnten,1 d. h. offiziell aus der Koalition gegen Preußen auszuscheren. Völlig kaisertreu war Bischof Adam Friedrich von Seinsheim von Würzburg, der von Friedrich Karl von Schönborn, seinem Oheim und großen Förderer, gelernt hatte, daß die Erhaltung des Reiches und damit der geistlichen Staaten nur in engem Einvernehmen mit Wien zu bewerkstelligen sei. Adam Friedrich war der erste Reichsfürst, der sich auf die Seite Österreichs stellte und dem Kaiser noch im September 1756 seine Haustruppen überließ. Er war auch, vor allem nachdem er dank des Einflusses Wiens 1757 noch Bischof von Bamberg wurde, Österreichs treueste Stütze im Fränkischen Kreis. Vergeblich bemühte sich Hannover, das wenige Zeit zuvor mit ihm einen Subsidienvertrag geschlossen hatte, ihn wenigstens zur Neutralität zu bewegen, doch die Furcht vor der Säkularisation bestimmte die Politik der geistlichen Fürsten. Friedrich von Preußen, der über die politischen und militärischen Verhältnisse in Franken selbstverständlich bestens unterrichtet war, sah in Franken die günstige Möglichkeit, einmal die Koalition der «Kreiser» zu sprengen und zum andern seine eigene beschränkte Versorgungs- und Nachschubbasis zu erweitern. Der erste preußische Vorstoß erfolgte bereits im Mai und Juni 1757 durch das Freikorps Mayr, das nur 1500 Mann Fußvolk, 300 Husaren und 5 Kanonen umfaßt haben soll. Da Mayr jedoch systematisch das Gerücht verbreiten ließ, er sei nur die Vorhut der großen preußischen Armee, stürzte er Franken in allgemeine Verwirrung. Der «Wilde Markgraf» floh aus Ansbach, Bayreuth verhielt sich abwartend und nur Bischof Adam Friedrich organisierte eine Abwehr. Mayr versuchte zunächst erfolglos Nürnberg zu erpressen, zog dann ungehindert an Erlangen vorbei ins Bambergische und durch die Fränkische Schweiz bis schließlich vor Kronach. Bayreuth, dessen Gebiet geschont wurde, sah sich der allgemeinen Verdächtigung ausgesetzt, die Preußen nach Franken gerufen zu haben. Als endlich die Kreistruppen an den Obermain zogen, wich Mayr sofort nach Thüringen aus. Nach der verlorenen Schlacht von Roßbach strömten die geschlagenen Truppen in den Fränkischen Kreis, um hier Winterquartier zu nehmen und einen Riegel gegen Mitteldeutschland zu errichten, mit Kronach und Königsberg als Bastionen; auch die Plassenburg wurde von Reichstruppen besetzt. Im Frühjahr 1758 aber zog die österreichische Heeresführung die Truppen zum Schutze der Erblande nach Böhmen ab 1 Siche D. Kerles, Markgraf Carl Alexander u. sein Hof iin Jahre 1758 (Jb. Mfr. 45) 1896. 10·

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und ließ Franken praktisch völlig ungeschützt zurück, was zu heftigen Beschwerden vor allem von Bischof Adam Friedrich, dem Kreisdirektor, führte. Bereits Ende Mai drängten preußische Truppen in das militärische Vakuum ein, etwa 6000 Mann der in Sachsen operierenden Armee des Prinzen Heinrich. Die wenigen reichischen Schutztruppen zogen sich zurück, Bamberg kapitulierte. Bald wurde offenkundig, daß der Vorstoß lediglich der besseren Heeresversorgung diente: Bamberg mußte alle Magazine und sonstigen Vorräte übergeben und sollte 2 Millionen Gulden Kontribution bezahlen; dann aber gaben sich die Preußen mit rund 200000 Gulden auch zufrieden. Als die Gefahr drohte, daß Reichstruppen vom Rhein nach Franken verlegt würden, zogen die Preußen sofort über Bayreuth wieder ab. Im Frühjahr 1759 erfolgte ein erneuter Vorstoß der in Sachsen liegenden Armee des Prinzen Heinrich. Wiederum zogen sich die Reichstruppen zurück und wichen einer offenen Schlacht aus. Die Preußen unter General Knobloch und schließlich unter Prinz Heinrich selbst zogen durch Bayreuth, wo man vor dem Schloß salutierte, und errichteten bei Hollfeld ihr Hauptlager. Überall im Land wurden hohe Brandsteuern und Kontributionen erhoben und Fouragelieferungen erzwungen. Besonders hart wurde Bamberg erpreßt, während ein Vordringen nach Unterfranken abgewehrt werden konnte. Selbst das Markgraftum Bayreuth wurde diesmal nicht geschont. Alle Beute wurde schnellstens eingeholt, denn an ein längeres Festsetzen in Franken war auch diesmal nicht gedacht. Am 24. Mai verließen die Preußen Bamberg unter Mitnahme mehrerer Geiseln und zogen sich nach Sachsen zurück. Dreimal waren die Preußen in Franken eingefallen. Das politische Ziel, die Neutralität des Kreises zu erzwingen, konnte nicht erreicht werden, selbst Bayreuth verweigerte seine Unterschrift. Doch die materielle Ausbeute war sehr reich. Die Kreisstände, voran Bischof Adam Friedrich, beschwerten sich laufend in Wien, das den Kreis schutzlos den Preußen überließ und dann alle Winter von neuem mit schweren Einquartierungen belastete. Im Hochsommer 1762 zog die vor Seydlitz fliehende Reichsarmee wiederum durch Franken, wobei es zu schweren Ausschreitungen und Exzessen kam. Generalmajor von Kleist, der den flüchtenden Reichstruppen folgte, konnte sogar Nürnberg einnehmen und erpreßte fast eine halbe Million Gulden an Konstribution.1 Endlich fand sich auch der Bischof von Würzburg und Bamberg, der sich von Wien verraten fühlte, zu einer Neutralitätserklärung bereit, verzögerte aber den Abschluß, bis im Februar 1763 die allgemeine Neutralitätserklärung der deutschen Reichsfürsten erfolgte. Bei den anschließenden Friedensverhandlungen ging Franken, das so schwere Schäden erlitten hatte, wieder einmal leer aus. Selbst Adam Friedrich von Seinsheim konnte das gewünschte «privilegium de non appellando» nicht erlangen. Ein Punkt der Verhandlungen zum Hubertusburger Frieden war die preußische Erbfolge in Franken, deren Verzicht Wien verlangte, was aber Friedrich der Große strikt ablehnte. So erwarteten die fränkischen Stände und Wien, die über den Wortlaut des Pactum Fridericianum nicht genau unterrichtet waren, zunächst 1763 nach dem 1 Siehe H. Bingold, Die reichsstädt. Haushaltung Nürnbergs während u. nach d. siebenj. Krieg 1756-1776, Diss. Erlangen 1911.

§ 35· Das Ende des Fränkischen Reichskreises 1806 (R. Endres)

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Tod Markgraf Friedrichs wie 1769 nach dem Ableben des Sonderlings Friedrich Christian die Nachfolge Preußens in Bayreuth. Der König von Preußen sicherte sich den Anfall der fränkischen Fürstentümer, die seit 1769 unter Karl Alexander vereinigt waren, durch eine Garantieerklärung Katharinas II. von Rußland1 und schließlich die völkerrechtlich und reichsrechtlich verbindliche Anerkennung im Frieden von Teschen 1779^

§35. DAS ENDE DES FRÄNKISCHEN REICHSKREISES Literatur. K. O. Frhr. v. Aretin, Heiliges Röm. Reich 1776 bis 1806, Reichsverfassung u. StaatsSouveränität, 2 Bde. (Veröffentl. d. Inst. f. Europ. Gesch. Mainz 38) 1967 (Bibi.), vgl. hierzu die Rezension v. E. Riedenauer (WDGB11. 31) 1969, 227-237; K. Süssheim, Preußens Politik in Ansbach-Bayreuth 1791-1806 (Hist. Stud. 33) 1902; F. Tabrasch, Der Übergang d. Fürstentums Ansbach an Bayern (Hist. Bibliothek 32) 1912; K. H. Zwanziger, Friedrich Adolph v. Zwanziger, Gräflich Castellscher Geheimrat u. Kreisgesandter 1745-1800 (Neujahrsbll. 11) 1916; H. Scheel, Süddeutsche Jakobiner. Klassenkämpfe u. republikanische Bestrebungen im deutschen Süden Ende d. 18. Jhs. (Deutsche Akad. d. Wiss. Berlin, Sehr. d. Inst. f. Gesch., R. I 13) 1962; Η. H. Dunkhase, Das Fürstentum Krautheim. Eine Staatsgründung um Jagst u. Tauber 1802 bis 1806 (1839), Diss. Würzburg 1968 (Fotodruck); E. Riedenauer, Gesandter d. Kaisers am Fränk. Kreis. Aus d. Korresp. d. Grafen Schlick zw. Fürstenbund u. Reichskrieg (ZBLG 28) 1965, 259-367; Ders., Reichsverfassung u. Revolution. Zur Persönlichkeit u. Politik d. fränk. Kreisgesandten Friedrich Adolph v. Zwanziger (ZBLG 31) 1968, 124-196, 501-574 (aufschlußreich); Sicken, Fränk. Reichskreis (s. o. 241). S. u. § 50, bes. § 51.

Als nach dem freiwilligen Verzicht Markgraf Karl Alexanders die zollerischen Fürstentümer Ansbach und Bayreuth 1792 ohne Widerspruch von außen dem preußisehen Staat angegliedert wurden, führte dieser Wechsel im Fränkischen Kreis zu schwerwiegenden Konsequenzen, denn das bisherige Gleichgewicht der Mächte war nunmehr gestört. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, daß das weitverbreitete abwertende Urteil über das Funktionieren und die Bedeutung der Kreisorganisation im achtzehnten Jahrhundert123 für den Fränkischen Reichskreis nicht aufrechterhalten werden kann. Denn der Fränkische Kreis nahm auch gegen Ende des Alten Reiches noch wesentliche staatliche Aufgaben wahr, und zwar mit Erfolg. So lag mit dem Recht der Subrepartition, also der Auslastung der Matrikelanteile, und deren Einziehung die Steuerhoheit beim Kreis. Gerade im Kreiskassenwesen, das längere Zeit nur dadurch funktionieren konnte, weil die Bistümer ihre Kapitalien sowie die ihrer Domkapitel, Stiftungen und Klöster beim Kreis stehen hatten, war 1788 eine durchgreifende Reform beschlossen und mit der Amortisation der Schulden erfolgreich begonnen worden. Weiterhin hielt der Kreis ein stehendes Heer unter Waffen, übte also auch die Wehrhoheit im Krieg und Frieden aus. Er war weiterhin 1 Der Wortlaut des Zusatzartikels des Vertrags vom 23. Okt. 1769 bei Endres, Erbabreden 83 Anm. 272. 2 § 10 des Teschener Friedensvertrages, Endres (ebd.) 86 ;hier auch die zahlreichenTauschProjekte, in die die fränk. Fürstentümer einbe-

zogen wurden. Vgl. auch K. O. v. Aretin, Kurfürst Karl Theodor 1778-99 u. d. bayer. Tauschprojekt (ZBLG 25) 1962, 745-800. 3 So schreibt etwa H. Rössler (Rößler) 13, daß der Fränk. Kreis nach seinem Höhepunkt um 1690 «ins Nichts absank».

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bis zu seinem £nde zuständig für die Landfriedenswahrung, d. h. für die innere Sicherheit,1 für die Ordnung des Münzwesens und seit 1731 für die Durchführung der sog. Reichshandwerksordnung.12 Außerdem leisteten die Reichskreise gerade im Zeitalter der Aufklärung Bedeutendes auf dem Gebiet des Medizinalwesens der Wohlfahrtspflege,3 des Rechts, des Handels und der Wirtschaft und des Straßenbaus.4 «Die Kreise waren diejenige Institution, die allein das alternde Reich noch zu praktischen Leistungen befähigt haben.»5 Die Krisensituation seit 1791/92, die Gefahr der französischen Revolutionsheere brachten sowohl für die Reichsverfassung wie für die Kreisorganisation nochmals intensives Leben. Der seit ljgi permanent tagende Fränkische Kreistag handelte ein letztes Mal als eigenständige politische Institution zwischen Kaiser und Reichstag einerseits und den einzelnen Ständen im Kreis andererseits. Hardenberg, der für die Reichsverfassung «keine drei Kreuzer mehr gab», hatte nun die Bayreuther und Ansbacher Stimme beim Kreis wahrzunehmen. Sogleich beanspruchte er für die Königsmacht das Direktorium beim Kreis, was jedoch von Bamberg und den anderen Kreisständen abgelehnt wurde. Daraufhin versuchte Hardenberg die EinheitsfrontgegenPreußen zu sprengen, was ihm mit den Präliminarkonventionen mit Bamberg und Würzburg auch teilweise gelang. Er entzog auch die markgräflichen Truppen dem Kreis und schwächte damit das Kreisheerwesen; doch hatte auch Bischof Erthal die Bamberger und Würzburger Regimenter durch Militärkonvention direkt dem kaiserlichen Heer und Kommando unterstellt. Der schwierigste Gegenspieler erwuchs Hardenberg, dessen Ziel auf die Vorherrschäft im Kreis und auf die Schaffung von Abhängigkeiten gerichtet war, in Friedrich Adolph von Zwanziger, der in den durch die Französische Revolution verursachten Verwicklungen (s. u. § 36) zum Anwalt der von den preußischen Revindikationen und Reunionen bedrohten mindermächtigen Stände und der Reichsritterschaft wurde. Zwanziger, ein aufgeklärter Nationalökonom und überaus geschickter Politiker, war der Gesandte mehrerer kleinerer Kreisstände. Er bestimmte weitgehend die Geschicke im Kreis. 1791/92 suchte er den Kreis zunächst neutral zu halten, um ihn vor den Kriegslasten zu schützen, und ihn zu verstärkter gemeinschaftlicher Politik als dritte Kraft zwischen Preußen und Österreich zu führen. Er trug auch nicht zuletzt die Verantwortung für die Ablehnung von Hardenbergs Plan, das bewährte System der Kreisassoziationen zu erneuern, allerdings diesmal unter preußischer Führung. Der Fränkische Kreis, voran Franz Ludwig von Erthal als Bischof von Bamberg und Würzburg, lehnte es auch ab, sich nach dem Basler Frieden der Neutralitätspolitik Preußens anzuschließen. So brachte der Vorstoß der Maas-Sambre-Armee unter Jourdan, der bald die vorhandenen frankophilen Neigungen dämpfte, die Existenz1 Vgl. beispielhaft E. Sticht, Das Gauner-, Räuber- u. Zigeunerunwesen d. 18. Jhs.u.seine Bekämpfung (Gesch. am Obermain 3) 1965/66. 2 Abgedruckt in H. Prösslbr, Das gesamtdeutsche Handwerk im Spiegel d. Reichsgesetzgebung v. 1530-1806 (Nürnberger Abh. zu den Wirtschafts- u. Sozialwiss. 5) 1954, 54 ff. 3 Wild (s. u. 525) 187fr.; R. Endrfs, Das

Armenproblem im Zeitalter d. Absolutismus (JffL 34/35) 1974/75; wieder abgedr. in: Aufldärung, Absolutismus u. Bürgertum in Deutschland, hg. v. F. Kopitzsch (utw 24) 1976. 4 Vgl. G. Zöpfl, Fränk. Handelspolitik im Zeitalter d. Aufklärung, 1894. 5 Hartung 5.

§ 35■ Das Ende des Fränkischen Reichskreises 1806 (R. Endres)

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frage für den Kreis. Eine Kreisgesandtschaft unter Anführung Zwanzigers unterzeichnete am 7. August 1796 mit dem General Ernouf einen Wajfenstillstandsvertrag,' wobei man zwar hohe Kontributionen auf sich nahm, dafür aber verfassungsrechtliche Zugeständnisse erwarb. Allerdings verwarf Jourdan dieses Abkommen. Hardenberg, der sich durch das Vorgehen des Kreises desavouiert fühlte, zog seinen Gesandten beim Kreistag zurück.1 2 Die Kreisgesandten Zwanziger und Rhodius reisten nun direkt nach Paris, um doch noch zu einer vertraglichen Regelung zwischen der Revolutionsregierung und dem Fränkischen Kreis zu kommen. Zwanziger arbeitete sogar unter Anwendung revolutionärer Ideen einen Reformplan aus, was ihm die Apostrophierung als «Demokrat» und «Jakobiner» einbrachte. Ihm wird auch der Plan einer selbständigen «fränkischen Republik» unter französischem Protektorat zugeschrieben, was sich jedoch nicht sicher beweisen läßt.3 Es kam auch in Paris am 16. September zum Abschluß eines nicht näher bekannten Vertrages, der jedoch durch den militärischen Sieg Wiens hinfällig wurde. Der Kreis aber, unter der Leitung Zwanzigers, handelte bei diesen Verhandlungen mit der Republik Frankreich ein letztes Mal als selbständiges politisches Organ. Der Kreis wollte «weder preußischer noch kaiserlich-österreichischer Satellit sein».4 Auf dem Rastatter Kongreß konnten die fränkischen Stände mit Unterstützung Österreichs ihre Integrität wahren, nachdem zuvor Pläne einer Entschädigung des Hauses Oranien und Preußens in Franken durch Säkularisationen diskutiert worden waren. Franken wurde nun mehr und mehr zum Objekt der Entschädigungs- und Erweiterungsabsichten Preußens und Bayerns. Nur hatte Bayern die Unterstützung Frankreichs und Rußlands, die gegen eine preußische Ausdehnung in Süddeutschland und für die Stärkung der Position Bayerns waren. 1801, als sich nach dem Frieden von Luneville eine endgültige Entscheidung für den Fränkischen Kreis anbahnte, besetzte Hardenberg wieder die Stelle des Kreisgesandten. Er erhob sogleich erneut AnSprüche auf das Direktorium, das aber nach dem Reichsdeputationshauptschluß von Bayern als Nachfolger Bambergs wahrgenommen wurde. Mit dem Reichsdeputationshauptschluß und der Rheinbundakte, mit Säkularisation und Mediatisierung, war die Reichsverfassung zu Ende gegangen. Am 1. August 1806 schloß der Reichstag zu Regensburg seine Sitzungen und am 6. August legte Kaiser Franz die Krone des Reiches nieder. Damit war auch die Kreisverfassung beendet. Doch im Fränkischen Kreis fand sogar eine förmliche Auflösung statt. Zunächst wollte Preußen selbst nach dem Übergang Ansbachs an Bayern noch seine an Ansbach haftenden Kondirektorialrcchte wahrnehmen. Doch Bayern entsandte Anfang Juli 1806 Tautphöus als neuen Gesandten beim Kreis und ließ von ihm die Direktoriumsgeschäfte ausüben. Der bayerische Gesandte bat am 3. August in München um die Auflösung der Kreisversammlung und erhielt hierzu von Montgelas am 11. August die 1 Die wesentlichsten Bestimmungen bei Riedenaueh, Reichsverfassung (s. o. 245) 514 ff; vgl. u. 251. 2 Hardenberg hatte sogar die Bamberger Sedisvakanz von 1795 dazu ausgenützt, um

dem Domkapitel eine Art Kondirektorium für den Kreis abzuringen. 3 Eingehend zu diesem nicht völlig zu lösen' den Problem Riedenaubr (ebd.) 501 ff. 4 Ebd. 536.

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Franken: C. VI. Franken zwischen den Großmächten (1648-1806)

Genehmigung. Tautphöus jedoch zögerte, da er sich nicht sicher war, wer die Auflösung offiziell vorzunehmen habe, nachdem die Direktorialbefugnisse umstritten waren. Am 15. August setzte Baron Hügel,1 kaiserlicher und zugleich würzburgischer Kreisgesandter, die Kreisversammlung von der Abdankung des Kaisers in Kenntnis und erklärte seine Tätigkeit beim Kreis für abgeschlossen. Daraufhin erklärte am 16. August Tautphöus die Kreisversammlung im Namen seiner Königlichen Majestät von Bayern für aufgelöst und alle Kreisgeschäfte für beendet. Die Kreiskasse und das Kreisarchiv nahm Bayern in Verwahrung. Über die Tilgung der Kreisschulden - rund 1,3 Mill. Gulden - wollte man später mit den einzelnen Ständen in Verhandlungen treten. Die kleineren Stände waren jedoch mit dieser Lösung nicht einverstanden und forderten Preußen auf, einen Gesandten nach Nürnberg zu schicken, damit man unter seiner Leitung weiter tagen könne. Preußen jedoch leimte ab, da cs den Antagonismus in Franken nicht auf die Spitze treiben wollte. Damit hatte der Fränkische Reichskreis zu existieren aufgehört. 1 U. Μ. Dorda, Johann Aloys Joseph Reichsfreiherr v. Hügel 1754-1825. Ein Leben zw.

Kaiser u. Reich im napoleonischen Deutschland, 1969.

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TERRITORIALE VERÄNDERUNGEN, NEUGESTALTUNG UND EINGLIEDERUNG FRANKENS IN BAYERN

Quellen. Regierungsblatt f. d. churpfalzbayer. Fürstentümer in Franken 1803-1805; Kgl. bayer. Regierungsblatt (Titel wechselnd) 1806-73; Großherzoglich würzburg. Regierungsblatt 1806-14; Adrcß-Handbuch d. fränk. Fürstentümer Ansbach u. Bayreuth 1801; C. Μ. Frhr. v. Aretin, Chronolog. Verzeichnis d. bayer. Staatsverträge, 1838; P. Bailleu, Preußen u. Frankreich v. 1759-1807 (Publik, aus d. preuß. Staatsarch. 29) 1887; G. Döllinger, Sammlung der im Gebiete d. inneren Staatsverwaltung d. Königreichs Bayern bestehenden Verordnungen systematisch geordnet, 20 Bde., 4 Reg.-Bde., 1835 ff. (hier wichtig 1 u. 2); G. Μ. Kletke, Die Staatsverträge d. Königreichs Bayern I, Abt. X, XII, 1860; J. L. Klüber, Akten d. Wiener Kongresses, 8 Bde., 1815/18; P. A. W1NKOPP, Versuch einer topograph. Beschreibung d. Großherzogtums Frankfurt, 1812; Ders., Der rhein. Bund, 18 Bde., 1806/11; Zeumer. - Literatur. Propyläen-Weltgesch. VII: Die Franzos. Revolution, Napoleon u. d. Restauration 1789 bis 1848, 1929; Die Neue Propyläen Weltgesch. V: Die Alte u. d. Neue Welt im Zeichen v. Revolution u. Restauration, 1943; Propyläen Weltgesch. - Eine Universalgesch. VIII: Das Zeitalter d. Franz. Revolution u. Napoleons, 1960, 59-192; H. Herzfeld, Die moderne Welt 1789-1945,1: Die Epochen d. bürgerl. NationalStaaten 1789-1890 (Westermanns Studienhefte) 19572; H. Kramer, Die Großmächte u. d. Weltpolitik 1789-1945, 1952; W. Mommsen, Gesch. d. Abendlandes v. d. Franz. Revolution bis z. Gegenwart 1789-1945, 1951; W. Andreas, Das Zeitalter Napoleons u. d. Erhebung d. Völker, 1955; K. O. Frhr. v. Aretin, Heiliges Röm. Reich 1776-1806. Reichsverfassung u. Staatssouveränitat (Vcröffentl. d. Inst, für Europ. Gesch. Mainz 38), 2 Bde., 1967 (Bd. II Lit.); Gentner, Geograph.-statist. Beschreibung der nach d. Friedensvertrage zu Luneville v. Deutschland an Frankreich abgetretenen u. den ehern. Besitzern als Entschädigung dagegen ertheilten Lande, 1803; C. W. v. Lancizolle, Übersicht d. deutschen Reichsstandschafts- u. Territorialverhältnisse vor d. franz. Revolutionskriege, der seitdem eingetretenen Veränderungen u. der gegenwärtigen Bestandteile d. deutschen Bundes u. d. Bundesstaaten, 1830; H. Berhaus, Deutschland seit 100 Jahren. Abt. I: Deutschland vor 100 Jahren, 2 Bde., 1859/60, Abt. II: Deutschland vor 50 Jahren, 3 Bde., 1861/62; L. Häusser, Deutsche Gesch. vom Tode Friedrichs d. Gr. bis z. Gründung d. Deutschen Bundes, 1854/57; K. Th. v. Heigel, Deutsche Gesch. vom Tode Friedrichs d. Gr. bis z. Auflösung d. alten Reichs, 2 Bde., 1899/1911; F. Meinecke, Das Zeitalter d. deutschen Erhebung 1795-1815, 1906; F. Schnabel, Deutsche Gesch. im 19.Jh., I 1929, 1959’ (unverändert); H. v. Srbik, Deutsche Einheit, Idee u. Wirklichkeit vom Heiligen Reich bis Königgrätz, I 1935; E. Marcks, Der Aufstieg d. Reiches, Deutsche Gesch. v. 1807-1871/78, I 1936; Μ. Braubach, Der Aufstieg Brandenburg-Preußens 1640-1815 (Gesch. d. führenden Völker 15) 1933; W. Andreas, Das Zeitalter Napoleons u. d. Erhebung d. Völker, 1955; H. Rössler, Österreichs Kampf um Deutschlands Befreiung, 2 Bde., o. J.; A. Ernstberger, Österreich-Preußen v. Basel bis Campoformio 1795-1797, Teil I: Der Westen, Krieg u. Frieden mit Frankreich, 1932; K. v. BeaulieuMarconnay, Karl v. Dalberg u. seine Zeit, 2 Bde., 1879; E. Hölzle, Der deutsche Südwesten am Ende d. alten Reiches (mit Kartenbeilagen) 1938; E. Wallner, Die kreissässigen Reichsterritorien am Vorabend d. Lun6viller Friedens (MIÖG Erg.-Bd. 11) 1929, 681-716 (Zahlen nicht immer zuverlässig); Doeberl II; L. Maenner, Bayern vor u. in d. Franz. Revolution, 1927; Ders., Die süddeutschen Mittelstaaten zw. Frankreich u. Österreich im Jahre 1805 (ZBLG 11) 1938, 188-221; Th. Bitteraup, Gesch. d. Rheinbundes, I: Die Gründung d. Rheinbundes u. d. Untergang d. alten Reiches, 1905 (noch immer grundlegend, mehr nicht erschienen); O. Bezzel, Gesch. d. kgl. bayer. Heeres VI 1 (unter König Max Joseph), 1933; Η. K. v. Zwehl, Der Kampf um Bayern 1805, I: Der Abschluß d. bayer.-franz. Allianz, 1937 (mehr nicht erschienen); E.

250 Franken: C. VII. Territoriale Veränderungen, Neugestaltung und Eingliederung Frankens Hölzle, Das Alte Recht u. d. Revolution. Eine polit. Gesch. Württembergs in d. Revolutionszeit 1789-1805, 1931; Ders., Württemberg im Zeitalter Napoleons u. d. Deutschen Erhebung, 1937; Ders., Das napoleonische Staatssystem in Deutschland (HZ 148) 1933, 277-292, abgedruckt in: Neue Wissenschafti. Bibliothek 17, 1967; L. Doeberl, Maximilian v. Montgelas u. sein Prinzip d. Staatssouveränität beim Neubau d. «Reiches Bayern» (Die Entstehung d. modernen souveränen Staates) 1967, 273-290; L. Zimmermann, Die Einheits- u. Freiheitsbewegung u. d. Revolution v. 1848 in Franken (VGffG R. IX, 9) 1951; Μ. Spindler, Der neue bayer. Staat d. 19. Jhs. (Unser Geschichtsbild. Wege zu einer universalen Geschichtsbetrachtung, hg. v. K. Rüdinger) 1954, 161-180, abgedr. in: AO 40, 1960 u. in Spindler, Aufsätze; Hofmann, Adelige Herrschaft. HAB Franken R. I u. II; Bayer. Geschichtsatlas.

§ 36. DIE KOALITIONSKRIEGE

UND DER REICHSDEPUTATIONSHAUPTSCHLUSS

Literatur. J. W. Graf v. Soden, Die Franzosen in Franken 1796, 1797; F. J. A. Schneidawind, Carl, Erzherzog v. Österreich, rettet Franken, befreit Nürnberg, Bamberg, Würzburg, Aschaffenburg u. entsetzt Mainz v. den Franzosen . . . 1796, 1835; Ders., Gesch. d. Feldzugs d. Franzosen in Deutschland 1796-1797, 3 Bde., 1837/38; C. Hutzelmann, Die franz. Invasion in Franken im Jahr 1796, 1883; A. Memminger, Die Franzosen in Franken 1796, 1896; H. Frhr. v. Massenbach, Amberg u. Würzburg 1796. Ein Säkular-Beitr. z. Kriegsgesch., 1896; Hofmann, . . . sollen bayer. werden. Die polit. Erkundung d. Majors v. Ribaupierre durch Franken u. Schwaben im Frühjahr 1802, o. J.; G. Heilmann, Der Feldzug v. 1800 in Deutschland, 1886; E. Walter, Das Ende d. Alten Reiches, d. Reichsdeputationshauptschluß v. 1803 u. d. Rheinbundakte v. 1806 nebst zugehörigen Aktenstücken, 1948; A. Scharnagl, Zur Gesch. d. ReichsdeputationshauptSchlusses (HJb. 70) 1951, 238-259; L. Günther, Der Übergang d. Fürstbistums Würzburg an Bayern (Würzburger Stud. z. Gesch. d. MA u. d. Neuzeit 2) 1910; E. Probst, Würzburg - vom Hochstift z. Rheinbundstaat (Mainfr. Jb. 9) 1957, 70-102; Neukam, Übergang (s. u. 353); Μ. Renner, Regierung, Wirtschaft u. Finanzen d. Kaiserl. Hochstifts Bamberg im Urteil d. bayer. Verwaltung 1803 (JffL 26) 1966, 307-350; W. Engel, Aus d. letzten Tagen d. Hochstifts Würzbürg (Mainfr. Jb. 6) 1954, 253-262; Dettelbacher (ebd. 21) 1969, 205-341.

Drei Heere stellte die französische Revolutionsregierung im Frühjahr 1796 gegen Österreich auf, am Niederrhein unter Jourdan, am Oberrhein unter Moreau und in Oberitalien unter Napoleon Bonaparte, die sich nach Carnots Plan vor Wien vereinigen sollten. Österreich und die vorderen Reichskreise hatten gegen Jourdan, dessen Weg nach Wien entlang der Lahn und mainaufwärts führen sollte, rund 90000 Mann unter Erzherzog Karl,' dem Bruder des Kaisers, mobilisiert. Durch die unerwarteten Erfolge des genialen Napoleon in Oberitalien kam die gesamte österreichische Abwehrstrategie ins Wanken. Die österreichischen Truppen am Oberrhein mußten nach Italien abgezogen werden, und Erzherzog Karl sollte mit seiner Hcercsmacht allein die beiden Fronten in Süd- und Mitteldeutschland halten. Doch seine beiden verkleinerten Heeresgruppen wurden von den französischen Heeressäulen zurückgedrängt. Während Erzherzog Karl vor Moreau bis nach Donauwörth zurückwcichen mußte, wurde die nördliche Heeresgruppe unter v. Wartensleben von Jourdan am 9. Juli bei Friedberg in der Wetterau geschlagen, mußte sich nach Franken zurückziehen und schließlich bis in die Oberpfalz. Die Fürstbischöfe von Würzburg und 1 F. J. A. Schneidawind, Erzherzog Carl u. d. Österreich. Armee, 2 Bde., 1840; ADB 15, 322.

§ 36. Die Koalitionskriege und das Jahr 1803 (R. Endres)

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Bamberg flohen nach Böhmen.1 Das ganze nichtpreußische Franken stand nun in der Gewalt der Franzosen. Der fränkische Kreis, selbstverständlich unter Ausnahme der zollerischen Fürstentümer, schloß zwar mit dem französischen Generalstabschef Ernouls einen Waffenstillstand, in dem sich die Stände zu hohen Geld- und Sachleistungen bereit fanden,12 doch Jourdan verweigerte diesem Abkommen die ZuStimmung, so daß Franken den unbemessenen französischen Requisitionen und Kontributionsforderungen offenlag. Allein die Reichsstadt Nürnberg bezifferte den ihr durch die französischen Einquartierungen entstandenen Schaden auf mehr als 3 Mill. Gulden.3 Da zudem Raub, Plünderungen und brutale Ausschreitungen der zügellosen Soldateska zur Tagesordnung gehörten, hatte sich bald die Begeisterung über den Einmarsch der «Neufranken in Altfranken» gelegt.4 Mitte August standen sich bei Amberg die Heere Jourdans und des Generals Graf Wartensleben erneut gegenüber, als Erzherzog Karl völlig überraschend seine Heeresgruppe von der Donau abzog, sich mit Wartensleben vereinigte und Jourdan zurückwarf. Am 3. September kam es vor Würzburg zur Schlacht,5 bei der Jourdan besiegt wurde und sich eiligst mit dem Rest seines Heeres an den Mittelrhein zurückziehen mußte. Erzherzog Karl wollte nun, von Norden vorstoßend, Moreau einkreisen, doch dieser hatte sich bereits durch einen meisterhaften Rückzug durch den Schwarzwald dem Zugriff entzogen. Im Herbst kehrten die geflohenen Fürstbischöfe in ihre Lande zurück; doch blieb die politische Lage weiterhin gespannt und unsicher. Daran änderten auch die Friedensverhandlungen von Campoformio und der Rastatter Kongreß nicht viel. Die Schäden des ersten Einfalls der «Sansculotten» waren noch nicht einmal überwunden, als es 1799 zu einem erneuten Krieg zwischen den Koalitionsmächten und dem revolutionären Frankreich kam. Wiederum, wie schon 1796, stieß das französische Volksheer in drei Heeressäulen nach Osten vor. Höchst unglücklich kämpften die Österreicher in Oberitalien und am Oberrhein, so daß Moreau bald bis nach München vordrang und Teile seines Heeres das Fürstbistum Eichstätt besetzten, nachdem Fürstbischof Joseph nach dem neutralen Ansbach geflohen war. Wesentlich größere Schwierigkeiten hatte die nördliche Heeresgruppe unter Augereau zu überwinden, die bis zum Waffenstillstand von Parsberg (15. Juli 1800) nur sehr mühsam in Franken vorangekommen war. In diesem Abkommen, in dem Österreich praktisch ganz Süddeutschland den Franzosen preisgab, wurde der Fränkische Kreis in zwei EinflußSphären geteilt, wonach alles Land links der Rednitz-Regnitz bis zur Einmündung in den Main und links des Mains bis zur Rheineinmündung den Franzosen zugesprochen 1 A. Seuffbrt, Die böhm. Fluchtreise d. Fürstbischofs Georg Karl v. Fechenbach zu Würzburg mit seinem geh. Referendar u. Kabinettsekretär Johann Michael Seuffert vom 18. Juli 1796 bis 23. August 1796 (Mainfr. Jb. 17( 1965. 54‫־‬93· 2 Nach der Konvention vom 7. Aug. mit Emoul wollten die fränk. Stände 6 Mill. Livres in bar und 2 Mill, in Naturalien stellen. 3 Anonym, Die Franzosen im nümbergisehen Gebiet im Augustmonat 1796. Ein Bei-

trag zur künftigen Geschichte des französischteutschen Kriegs, 1797; E. Mummenhoff, Altnümberg in Krieg u. Kriegsnot, ΙΠ 3: Aus d. Franzosenzeit, 1919. 4 Anonym, Anekdoten und Charakterzüge aus dem Einfalle der Neufranken in Altfranken im Jahre 1796 von einem Augenzeugen, 1797. 5 R. Frhr. v. Bibra, Die Schlacht bei Würzbürg am 3. Sept. 1796 (AU 39) 1897, 221-252; H. Helmes, Aus d. Gesch. d. Würzburger Truppen 1628-1802 (Neujahrsbll. 4) 1909.

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Franken: C. VII. Territoriale Veränderungen, Neugestaltung und Eingliederung Frankens

wurde, während alle Gebiete rechts dieser Linie unter österreichischem Einfluß blieben. Da jedoch dieser strategisch zu weit vorgeschobene Vorposten im rechtsmainisehen Franken unmöglich gehalten werden konnte, zog sich die österreichische Armee bald an die Donau zurück. Nach dem entscheidenden Sieg Moreaus über die Alliierten bei Hohenlinden am 3. Dezember 1800 konnte Frankreich in dem am 25. Dezember abgeschlossenen Waffenstillstand die Bedingungen diktieren und die völlige Überlassung Frankens, auch der Veste Marienberg, verlangen. Die Städte Bamberg, Schweinfurt und Würzburg blieben sogar bis weit in das Frühjahr hinein von französischen Truppen besetzt, obwohl bereits am 9. Februar 1801 Frieden geschlossen war. In diesem Friedensschluß von Lundville' wurde der Verlust der linksrheinischen Gebiete nun auch durch die Reichsstände anerkannt. Die Entschädigung der Betroffenen sowie des Großherzogs von Toscana, des Herzogs von Modena und des Fürsten von Nassau-Oranien hatte das Reich in seiner Gesamtheit zu tragen, womit der alte Plan der Säkularisation der geistlichen Staaten und der Mediatisierung der ReichsStädte Gestalt annahm. Es bestand kein Zweifel, daß die unter französischer Aufsicht vorzunehmenden Entschädigungen das politische wie territoriale Bild Deutschlands gewaltig umgestalten würde. Zur genauen Festlegung der Entschädigungen wurde durch Reichsabschluß vom 2. Oktober 1801 eine sog. Reichsdeputation, ein Ausschuß von Gesandten der Reichsstände, eingesetzt, die die Modalitäten eines französisch-russischen Entschädigungsplanes zu bearbeiten hatte. Die größeren Mächte im Reich, Preußen, Bayern, Württemberg und schließlich auch Österreich aber sicherten sich durch direkte Verhandlungen in Paris, «der ungeheuerlichen Börse geistlicher Güter», ihre Entschädigungen. Die Reichsdeputation nahm am 8. September 1802 praktisch ohne Änderung den von Frankreich und Rußland gemeinsam vorgelegten Verteilungsplan an, dessen endgültiges Ergebnis dann am 25. Februar 1803 im sog. Reichsdeputations-Hauptschluß1 publiziert wurde. Dieser bestimmte auf der Grundlage der Beschlüsse des Rastatter Kongresses und des Friedens von Luneville in Franken: § i.Der Erzherzog-Großherzog von Toscana erhielt als Kurfürst von Salzburg als österreichische Sekundogenitur in souveränem Besitz das Bistum Eichstätt (Unterstift), ohne die ansbachischen und bayreuthischen Landen eingeschlosscnen Zugehörungen, das sog. Oberstift. § 2. Der Kurfürst von Pfalzbayern erhielt das Bistum Würzburg mit einigen Ausnahmen, das Bistum Bamberg, die Abtei Ebrach, die Reichsstädte Rothenbürg,’ Windsheim, Weißenburg1 234 und Schweinfurt sowie Nördlingen und Bopfingen und die Reichsdörfer Sennfeld undGochsheim’unddieTeile desFürstbistums Eichstätt, die dem Großherzog von Toscana nicht zugesprochen waren. 1 Auszug bei Zeumer $08. 2 Druck in E. R. Huber, Dokumente z. Deutschen Verfassungsgesch. I, 1961, 1-26; Zeumer 509. 3 H. Beuschel, Die Folgen d. Reichsdeputationshauptschlusses (1803) f. d. ehemals freie

Reichsstadt Rothenburg ob d. Tauber, Diss. Erlangen 1936. 4 L. Götz, Der Übergang d. ehern. Reichsstadt Weißenburg a. S. an Kurpfalz-Bayem, 1903. 5 F. Weber, Gesch. d. fränk. Reichsdörfer Gochsheim u. Sennfeld, 1913, bes. 276-300.

§ 36. Die Koalitionskriege und das Jahr 1803 (R. Endres)

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§ 3. Das ursprünglich in den Ardennen beheimatete Haus Salm-Reifferscheidt-Bedburg erhielt das um die Jagst gelegene mainzische Amt Krautheim mit den Gerichtsbarkeitcn über die Abtei Schönthal sowie eine Geldrente auf Amorbach, die jedoch bald vertraglich mit Leiningen gegen das würzburgische Amt Grünsfeld, die Abtei Gerlachsheim und die Ortschaft Distelhausen eingetauscht wurde, so daß das Fürstentum Krautheim zweigeteilt um Jagst und Tauber entstand.1 § 14. Der Fürst von Löwenstein-Wertheim erhielt die würzburgischen Ämter Rothenfcls und Homburg, die Abtei Holzkirchen sowie weitere würzburgische Rechte und Einkünfte und die mainzischen Orte Wörth und Trennfurt; der Graf von Löwenstein-Wertheim bekam das Amt Freudenberg, das Kloster Triefenstein, die Karthausc Grünau und die Dörfer Mondfeld, Trennfeld, Rauenberg und Wessenthal. §18. Der Fürst von Hohenlohe-Bartenstein bekam die ehemals würzburgischen Ämter Laudenbach, Jagstberg, Haltenbergstetten und Braunsbach und einige weitere kleinere Besitzungen, mußte aber Pfalzbayern eine direkte Militärstraße Rothenburg-Würzburg zur Verfügung stellen. Der Fürst Hohenlohe-Neuenstein erhielt das Dorf Amrichshausen und die fremden Anteile an Künzelsau. - Der Fürst von Hohenlohe-Ingelfingen erhielt nur das Dorf Nagelsberg. § 20. Der Fürst von Leiningen erhielt die mainzischen Ämter Miltenberg, Buchen, Seligenthal, Amorbach und Bischofsheim (Tauberbischofsheim), die von Würzbürg getrennten Ämter Grünfeld, Lauda, Hardheim, Rippberg, die pfälzischen Ämter Boxberg und Mosbach und die Abteien Amorbach und Gerlachsheim. Das neue souveräne Fürstentum Leiningen, zusammen mit dem Fürstentum Krautheim, mit die letzten staatlichen Neuschöpfungen des Alten Reiches, zog sich somit in einem weiten Bogen zwischen Main, Neckar, Jagst, Kocher und Tauber hin.1 § 25. Der Kurfürst-Erzkanzler erhielt die Fürstentümer Regensburg und Aschaffenbürg. Aschaffenburg umfaßte das bisherige Oberamt Aschaffenburg sowie die mainzischen Ämter Aufenau, Lohr, Orb, Stadtprozelten, Klingenberg rechts des Mains und das würzburgische Amt Aura.2 Für Nürnberg wurde § 27 wichtig, der besagte, daß die verbliebenen Reichsstädte in dem ganzen Umfang ihrer Gebiete die volle Landeshoheit genießen sollten. Die bayerische Militärbesitzergreifung der genannten Gebiete war schon im August 1802 erfolgt, die Zivilbesitzergreifung geschah am 29. November und folgende Tage des gleichen Jahres, also lange vor der Publizierung des ReichsdeputationshauptSchlusses und seiner Ratifikation durch den Reichstag und den Kaiser. Mit den kaiserliehen Hochstiften, den Reichsabteien und mit den freien Städten fiel, was seit Jahrhunderten fast allein das Heilige Römische Reich noch ausgemacht hatte. Nur die unmittelbare freie Ritterschaft blieb zunächst in den vorderen Reichskreisen noch erhalten. 1 Η. H. Dunkhase, Das Fürstentum Krautheim. Eine Staatsgründung um Jagst u. Tauber 1802 bis 1806 (1839), Diss. Würzburg 1968.

2 Eingehend HAB Aschaffenburg (G. Christ) 169-189 (Der Dalbergstaat).

2§4

Franken: C. VII. Territoriale Veränderungen, Neugestaltung und Eingliederung Frankens

Mit den großen territorialen Veränderungen um die Jahrhundertwende war neben Preußen die zweite starke und für die Zukunft entscheidende Macht nach Franken gelangt, Bayern. Schon seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts hatte Kurbayern seinen Druck gegen die wirtschaftlich wie politisch erstarrte, schwer verschuldete Reichsstadt Nürnberg verstärkt. Als Kurfürst Karl Theodor das Prinzip des geschlossenen Flächenstaates proklamierte, wurden nürnbergische Enklaven und Streubesitzungen in den kurbayerischen Gebieten gewaltsam unterworfen. Schließlich erklärte München sogar alle seit dem Kölner Frieden von 1505 geschlossenen Verträge und Abkommen mit der Reichsstadt für ungültig, strengte erneut mit dem ganzen Fragenkomplex der Landeshoheit in Franken ein Verfahren vor dem Reichskammergericht an und besetzte militärisch 1790-92 einen Teil des Nürnberger Landgebietes, vor allem des Pflegamtes Velden. Die Reichsstadt konnte gegen dieses Vorgehen, das gegen die kaiserlichen Privilegien Nürnbergs verstieß und dem reichsrechtlich garantierten Territorialstaatsrecht fränkischer Observanz widersprach, bei Kaiser und Reich nur protestieren, jedoch keinerlei machtpolitische Interventionen erreichen.1 In den folgenden Jahren störte Kurbayern entschieden Hardenbergs Pläne in Franken. So hatte 1796 Preußen auch die fränkischen Bistümer Würzburg und Bamberg sequestrieren wollen, sie dann für das Haus Oranien vorgesehen, was Bayern aber jeweils verhindern konnte, das selbst auf diese geistlichen Fürstentümer spekulierte. Es hatte hierbei die volle Unterstützung Frankreichs, mit dem es am 24. August 1801 einen Friedens- und Freundschaftsvertrag abgeschlossen hatte, das in einem verstärkten Mittelstaat Bayern ein Gegengewicht zu Österreich und den Kristallisationskern einer von Paris abhängigen dritten Macht im Reich sah. Im gleichen Sinne wurde Bayern von Rußland unterstützt. Da nun beide Großmächte keineswegs auf eine Stärkung der Stellung Preußens in Süddeutschland hinarbeiten wollten, erhielt Bayern im Rcichsdeputationshauptschluß die beiden geistlichen Fürstentümer zugesprochen, und Kurfürst Max Joseph konnte sich den Titel eines «Herzog in Franken» zulegen. Mit dem Verlust der preußischen Vormachtstellung war die Politik der nächsten Jahre im fränkischen Kreis bestimmt von der Rivalität und dem Antagonismus zwischen den beiden Mächten, während die noch übriggebliebenen oder sogar erst neu geschaffenen kleineren Mächte kaum von Bedeutung waren. Dies gilt sowohl für den nun mit der Hauptmasse außerhalb des Kreisgebietes liegenden Dalbergstaat und das toscanische Eichstätt wie auch für den nochmals davongekommenen Hoch- und Deutschmeister und die bankrotte Reichsstadt Nürnberg sowie die zersplitterte Reichsritterschaft, die sich in ihrer Existenz noch keineswegs als gerettet betrachten durften. Denn Bayern, das nun endgültig in Franken festen Fuß gefaßt hatte, drängte weiterhin auf eine Ausweitung und Arrondierung seiner NeuerWerbungen. Vor allem suchte Montgelas, der seit dem Regierungsantritt des Kurfürsten Max Joseph (1799) die bayerische Politik leitete und dessen erklärtes Ziel die Schaffung eines mächtigen geschlossenen Staates war, nach einer durchgehenden Verbindung der Stammlande mit den fränkischen Provinzen. Noch vor der bayerischen 1 HAB II 2, 41 nr. 1; ebd. 4, 195; Pfeiffer, Nürnberg (s. u. 324) 310 ff.

§ 36. Die Koalitionskriege und das Jahr 1803 (R. Endres)

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Zivilbesitzergreifung der Neuerwerbungen in Franken schloß Hardenberg, der plötzlich mit bayerischen Enklaven im Ansbachischen rechnen mußte, in München am 22. November 1802 drei Verträge ab,1 die die Gebietsvermischungen und -überschncidungen beendeten. Diese Separatabschlüsse waren Modifizierungen zu dem generellen «Haupt-Landes-Grenz- und Purijikationsvergleich», der erst nach dem Reichsdeputationshauptschluß, spätestensjedoch am 1. Juli 1803, in Kraft treten sollte. Dieses Abkommen brachte nach jahrhundertelangem Streit endlich feste Grenzlinien und purifizicrte moderne Flächenstaaten. Ein geheimer Zusatzartikel sah auch gleich die für die Zukunft vorzunehmende Aufteilung des Nürnberger Landgebietes vor. Die heftigen und erbitterten Proteste Nürnbergs blieben wirkungslos. Mehr Erfolg hatte dagegen die Reichsritterschaft, die im Zuge der Säkularisationen von Kurbayem im Oktober 1803 zur «pfalzbayerischen Ritterschaft in Franken» erklärt und mit militärischer Gewalt unterworfen worden war.2 Die anderen Mächte in Franken waren dem Beispiel gefolgt. Auf die verzweifelten Proteste der reichsunmittelbaren Ritterschaft, der letzten Stützen der zu Ende gehenden Kaisermacht, erließen Kaiser und Reich am 23. Januar 1804 ein Konservatorium, zu dessen Exekutoren Kursachsen, der Kurerzkanzler, Baden und der Erzherzog von Österreich ernannt wurden. Die Okkupationsmächtc gehorchten zwar, doch erfolgte die Wiederherstellung nur sehr dilatorisch und nur teilweise. Vor allem wurden die ritterschaftlichen Untertanen durch WirtSchaftsboykotte isoliert und ruiniert. Den indemnisierten Mächten kam nun nach den Territorialerwerbungen die Aufgäbe zu, die heterogenen Neuerwerbungen mit den Stammlanden zu verbinden und eine innere Konsolidierung herzustellen. Dies war nur möglich durch die Schaffung klarer Landesgrenzen und durch den Aufbau eines neuen gleichförmigen Staatsapparates. Besonders wichtig für die Gleichschaltung der älteren mit den neueren Staatsgebieten war die uneingeschränkte Ermächtigung zu Säkularisationen, die der Rcichsdeputationshauptschluß ohne Rücksicht auf Verluste links des Rheins oder auf die Konfession allen Reichsständen generell zugestanden hatte. Kurbayern errichtete zunächst ein fränkisches Generallandeskommissariat, organisierte die Landesdirektionen und Hofgerichte als Oberbehörden in den Provinzen Bamberg und Würzburg und überzog dann die beiden Provinzen mit dem bereits 1802 in Altbayem eingeführten System der Landgerichte als Unterbehörden für Justiz und Verwaltung samt den dazugehörigen Rentämtern, womit das in Franken bisher herrschende Territorialgewirr in klare Sprengel gegliedert war. Vermischungen zwischen beiden Provinzen wurden durch eine neue Verwaltungsgrenze aufgehoben. Auch das Fürstentum Eichstätt wurde, soweit es dem nunmehrigen Kurfürsten von Salzburg unterstand, durch die toscanischen Behörden neu organisiert und rationalisiert, während in Aschaffenbürg wie in den meisten kleineren Herrschaften das alte Verwaltungssystem beibehalten wurde. Lediglich das neue Fürstentum Leiningen erhielt durch Theodor Kretschmann, der von Sachsen-Coburg-Saalfeld geholt wurde, eine modernere Behörden­ 1 HAB II 2, 44 f. nr. 8.

2 Hofmann, Adelige Herrschaft 225 ff.; Müller (s. u. 381) bes. Kap. VI, 119 ff.

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Franken: C. VII. Territoriale Veränderungen, Neugestaltung und Eingliederung Frankens

Organisation.1 Neu waren in Franken auch die evangelischen Grafen von Ortenburg, die durch Tausch von Niederbayern nach Oberfranken versetzt wurden in die Herrschäft Tambach, die aus Klosterbesitz und würzburgischen Gütern neu gebildet wurde.1 2 Durch die übereilten Säkularisationen,3 die Kurbayern entsprechend der Befugnisse des Reichsdeputationshauptschlusses sowohl in den Stammlanden wie in den neuen Provinzen vornahm, wurde unter der Bevölkerung sehr viel böses Blut und äußerste, noch lange andauerndeEmpörung gegen München hervorgerufen. Montgelas sanierte durch die rigorosen Liquidationen zwar die Staatsfinanzen4 und beseitigte zugleich den Prälatenstand und das Mönchtum, doch wurden die bisherigen Rechte und Aufgaben der Kirche und des Klerus sowie die religiösen Gefühle und das Brauchtum des Volkes zuwenig berücksichtigt oder gar pietätlos unterdrückt. Außerdem tobten sich in den eigens einberufenen Spezial-Kommissionen vielfach Haß, Neid, Gier und Habsucht aus. Unschätzbare kulturelle Werte und Kunstwerke gingen bei dieser barbarischen Aktion zugrunde oder wurden billigst verschleudert. Ganze Bibliotheken verschwanden5 und herrliche Kirchen fielen der Spitzhacke zum Opfer.6 Viele Kunstschätze, die man der Aufbewahrung für Wert befand, wurden nach München transportiert. Für die katholische Kirche brachte die Säkularisation zu den katastrophalen kulturellen Verlusten aber auch das Ende der aristokratischen Kirchenverfassung, den Beginn der Demokratisierung der Geistlichkeit, und der Anpassung an eine veränderte Welt sowie den Ausgangspunkt für eine innere Besinnung und Bewegung. 1 G. Wild, Das Fürstentum Leiningen vor u. nach d. Mediatisierung, Diss. Mainz 1954. 2 H. Jacobi, Die Standesherrschaft Tambach hist.-statist. topograph., u. Gesch. d. herzogl. u. gräfl. Gesammthauses Orttenburg, 1845. 3 Vgl. A. Μ. Scheglmann, Gesch. d. Säkularisation im rechtsrhein. Bayern, 3 Bde., 1903/ 1908 (grundlegend). Letzte umfassende Darstellung bei v. Aretin, Heil. Röm. Reich (s. o. 245) Kap. V, 372-452; für Franken: (G. v. Tannenberg), Beobachtungen ohne Brille über d. Säkularisation d. geistl. Bistümer u. Besitzungen, bes. in Hinsicht auf d. Bistümer in Franken, Würzburg u. Bamberg, v. einem Einwohner dieser Länder, 1803 (bitterböse Schilderung); K. Th. Heigel, Zur Gesch. d. Säkularisation d. Hochstifts Bamberg (BHVB 53) 1891, 1-16; Μ. Pfeiffer, Beitrr. z. Gesch. d. Säcularisation in Bamberg, 1907; E. Bauernfeind, Die Säkularisationsperiode im Hochstift Eichstätt, 1927; Wendehorst, Würzburg, Kap. II: «Quae tristis desolatio»; G. Frhr. v. Pölnitz, Der erste Entwurf z. bayer. Säkularisation, Sept. 1801 (Staat u. Volkstum, Festgabe K. A. v. Müller)

1933, 190-206; W. Hess, Die Säkularisation d. Klosters Banz, 1915. Zu dem Kampf in der Öffentlichkeit um das Problem der Säkularisationen und ihrer Folgen siehe P. Wende, Die geistl. Staaten u. ihre Auflösung im Urteil d. zeitgenöss. Publizistik (Hist. Stud. 396) 1966; R. von Oer, Zur Beurteilung d. Säkularisation v. 1803 (Festschr. H. Heimpel) 1971, 511 ff. 4 So A. Frhr. v. Ow, Streiflichter z. Gesch. d. Säkularisation in Bayern (ZBLG 4) 1931, 187-206. 5 Allein aus dem Bistum Bamberg sollen rund 1100 Handschriften, 3000 Inkunabeln und etwa 45000 Bücher an München abgetreten worden sein, ganz zu schweigen von den kaum abzuschätzenden Verlusten durch VerSchleuderung, Diebstahl und Veruntreuung. J. Wolf, Die Säkularisierung d. Stifts- u. Klosterbibliotheken im Gebiet d. Erzbistums Bamberg, Diss. Masch. Erlangen 1952. 6 Vgl. beispielhaft A. Wendehorst, Der Untergang d. alten Abteikirche Münsterschwarzach 1803-1841 (Mainfr. H. 17) 1953.

§ yj. Die Rheinbundzeit (R. Endres)

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§37. DIE RHEINBUNDZEIT J. A. P. Weltrich, Erinnerungen f. d. Einwohner d. ehern. Fürstenthums Bayreuth aus d. Jahren d. franz. Okkupation 1806-1810, 1819; Schilling, Nachrichten über d. Ereignisse in d. Kreishauptstadt Bayreuth u. d. vormaligen Fürstenthum gleichen Namens vom Anfang d. Monats October 1806 bis z. Einführung d. Magistrats unter d. k. bay. Regierung (AO 14, H. 3) 1880, 27-110; C. de TouRNON, Die Provinz Bayreuth unter franz. Herrschaft 1806-1810, übers, v. L. v. Fahrmbacher, 1900; Frhr. v. Lüttwitz, Personen u. Zustände in d. Ansbach-bayreuther Landen im Zeitalter d. Napolconismus (Hohenzoller. Forsch., hg. von C. Meyer) 1894, 233-252; Zwanzicer, Bayreuth vor hundert Jahren (AO 24, H. 2) 1910, 1-23; F. Tarrasch, Der Übergang d. Fürstentums Ansbach an Bayern, 1912; U. Thürauf, Die öfFentl. Meinung im Fürstentum Ansbach-Bayreuth z. Zeit d. franz. Revolution u. d. Freiheitskriege, 1918; E. Deuerling, Das Fürstentum Bayreuth unter franz. Herrschaft u. sein Übergang an Bayern 1806-1810 (Erlanger Abh. 9) 1932; W. Müller, Festschrift z. 150. Jahresfeier d. Übergangs d. Fürstentums Bayreuth an Bayern, 1960; H. Liermann, Das Fürstentum Bayreuth im Jahre 1810. Schicksalswende eines deutschen Landes (AO 40) 1960, 206-218; K. Müssel, Die Grundlegung Oberfrankens im Mainkreis v. 1810 (AO 40) 1960, 219-257; K. Hartmann, Gesch. d. Stadt Bayreuth im 19. Jh., 1954. Großherzogtum Würzburg: A. Chroust, Das Großherzogtum Würzburg (1806-1814). Ein Vortrag (Neujahrsbll. 8) 1913; Ders., Das Würzburger Land vor Hundert Jahren. Eine Statist.ökonomische Darstellung in amtl. Berichten u. Tabellen. Festschr. z. Jahrhundertfeier d. Vereinigung Würzburgs mit d. Königr.Bayern (VGffG) 1914; Ders., Eine Österreich. Sekundogenitur in Franken (ZBLG 2) 1929, 395-444; Ders., Gesch. d. Großherzogtums Würzburg (1806-1814). Die äußere Politik d. Großherzogtums (VGffG, R. IX, 1) 1932; vgl. die Besprechung I. Striedinger, Das Großherzogtum Würzburg (ZBLG 6) 1933, 250-256; W. Bilz, Die Großherzogtümer Würzburg u. Frankfurt. Ein Vergleich, Diss. Würzburg 1968.

Am 9. August 1805 trat Österreich in Überschätzung der eigenen finanziellen und militärischen Macht der englisch-russischen Offensivallianz gegen Napoleon bei und vertrieb den bayerischen Kurfürsten, der sich im Vertrag von Bogenhausen erneut Napoleon angcschlosscn hatte, mit seinen Truppen indic fränkischen Provinzen. Aus strategischen Gründen marschierte Marschall Bernadotte auf ausdrücklichen Befehl Napoleons durch das neutrale Ansbach und schloß das österreichische Heer in Ulm ein. Die Verletzung der preußischen Neutralität, die keine Provokation darstellte, rief in Berlin einen Sturm der Entrüstung hervor, hatte aber weiter keine Konsequenzen.1 Der Sieg bei Austerlitz (2. 12. 1805) brachte Napoleon die Hegemonie in Europa. Im Vollgefühl des Sieges versprach der französische Kaiser den verbündeten süddeutschen Mittelmächten öffentlich die volle Souveränität und gestand ihnen bei den anschlicßenden Fricdcnsvcrhandlungcn in Preßburg weitere Arrondierungen zu. Schon durch den Tagesbefehl des Marschalls Bcrthier vom 19.Dezember 180512 war die Rcichsrittcrschäft auf Anordnung Napoleons in den Staatsgebieten der drei Verbündeten Bayern, Württemberg und Baden mit militärischer Gewalt endgültig unterworfen worden. Der Friede von Preßburg (26. 12. 18‫ס‬5(‫ נ‬übergab das toscanische Territorium Eichstätt an Bayern, das dafür dem Habsburger Ferdinand * das Fürstentum Würzburg als Groß1 Diese komplizierten und oft fehlgedeutcten Ereignisse sind eingehend und überzeugend dargelegt bei Tarrasch (s. o. ) 40 ff. 2 Gedr. bei Picard-L. Tudey, Correspondance inddite de Napoleon, I 1912, nr. 237; HAB II 2, 51 f. nr. 14. 17 HdBG III, i

‫ נ‬Auszug bei Zeumer 531; HAB ebd. 52L nr. 15. 4 Erzherzog Ferdinand war vordem Großherzog von Toskana und seit dem Frieden von Luneville Kurfürst des säkularisierten Salzburg. Zu seiner Biographie siehe A. Chroust, Fer-

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Franken: C. VII. Territoriale Veränderungen, Neugestaltung und Eingliederung Frankens

Herzogtum überlassen mußte. Die Durchführung dieser Bestimmungen brachte jedoch eine Menge Schwierigkeiten mit sich. Erst unter massivem französischen Druck räumte Österreich, das hausgesetzliche Rechte geltend machte, Eichstätt, und Bayern übergab das Fürstentum Würzburg im Besitzstand von 1802, d. h. cs behielt sich unter recht eigenwilliger Auslegung der Vertragsbestimmungen die inzwischen mit der Provinz Würzburg vereinigten ehemaligen Reichsstädte Schweinfurt und Rothenburg sowie die Reichsdörfer Sennfeld und Gochsheim vor, desgleichen die Güter des säkularisierten Klosters Ebrach und die Besitzungen der Reichsritterschaft sowie des Deutschen Ordens und des Johanniterordens. So entstanden in dem neuen Großherzogtum Würzburg erneut viele Vermischungen und bayerische Enklaven. Unter der milden Regierung der von der Bevölkerung begeistert begrüßten österreichischen Secundogenitur mischten sich bayerische, österreichische und mit der Trennung von Verwaltung, Justiz und Finanzen auch preußische Verwaltungs- und Regierungsformen. Besonders zeichnete sich die toscanische Regierung durch eine großherzige Behandlung des ehemaligen Reichsadels aus. Verständlicherweise strebte das seit dem 1. Januar 1806 zum Königreich erhobene Bayern nach seinen großen Gewinnen in Franken danach, auch noch die preußischen Provinzen zu erringen, wobei den Absichten Monteglas’ nach einem geschlossenen Staatsgebiet die unsichere, doppelzüngige Kabinettspolitik Preußens entgegenkam. Schon am 15. Dezember 1805 hatte Haugwitz, der unmittelbarer Zeuge des Drei-Kaiser-Sieges von Austerlitz geworden war, Napoleon im Schloß Schönbrunn die Abtretung des Fürstentums Ansbach gegen das nur besetzte Kurfürstentum Hannover zugesagt, woraufhin einen Tag später Ansbach im Vertrag von Brünn Kurbayern zugesagt wurde, im Tausch gegen das Herzogtum Berg. Im Pariser Vertrag vom ;5. Februar 1806' trat Preußen endgültig das Fürstentum Ansbach ab, allerdings erfolgte die tatsächliche Übernahme verspätet und unter größeren Auseinandersetzungen, denn die Bevölkerung wollte bei Preußen bleiben. Der auf Seiten Frankreichs ausgetragene dritte Koalitionskrieg hatte den süddeutsehen Mittclstaatcn die volle und uneingeschränkte Souveränität und weitere territorialc Geschlossenheit gebracht. Diese neue Machtstellung entsprach den Plänen Napoleons, der ein System föderativ zusammengeschlosscner Mittclstaatcn schaffen wollte, die die neue Ordnung in Europa sichern sollten. Allerdings gingen die süddeutschen Verbündeten nur zögernd auf Napoleons Vorstellungen ein, da sic um ihre neugewonnene Souveränität fürchteten. Erst als Napoleon damit drohte, die noch verbliebenen kleinen Rcichsständc und die Reichsstädte in die eigene Hand nehmen und damit ganz Süddcutschland mit französischen Stützpunkten überziehen zu wollen, brach der Widerstand der Mittclstaatcn. So wurden am 12. Juli 1806 in Paris die «Confoederationsakte der rheinischen Bundesstaaten1«‫ ׳‬unterzeichnet, womit sich die sechzehn vertragschließenden Mächte unter den! Vorwand der «Befestigung der dinand, Großherzog v. Würzburg, 1769-1824 (Lebensläufe aus Franken 4) 1930, 142-172. 1 Druck bei v. Ranke, Denkwürdigkeiten (s. u. 406) II 489; HAB II 2, 53 f. nr. 16.

2 Französischer Text bei E. R. Huber, Dokumente z. Deutschen Verfassungsgesch. I 26-32.

§37■ Die Rheinbundzeit (R. Endres)

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inneren und äußeren Ruhe»,1 noch vor der Niederlegung der Kaiserkrone durch Franz II. aus dem Verband des Deutschen Reiches lösten. Sie unterstellten sich mit diesem völkerrechtlichen Vertrag dem Protektorat Napoleons, mit dem sie eine Offensiv-und Defensivallianz schlossen; außerdem vollzogen sie eine Reihe zwischenstaatlicher Tcrritorialverschiebungen und teilten die noch verbliebenen Reichsstände unter sich auf. In Franken fiel die Reichsstadt Nürnberg mit den Resten des Landgebietes an das Königreich Bayern. Außerdem erhielt der König die Souveränität über die Fürstentümer Öttingen und Schwarzenberg, über die Grafschaft Castell, die Herrschäften Speckfeld und Wiesentheid und über die Oberämter Schillingsfürst und Kirchberg der fürstlichen Linien Hohenlohe sowie über einige Kommenden des Deutschen Ordens. Der Großteil der hohenlohischen Lande kam mit den links der Jagst liegenden Teilen des Fürstentums Krautheim an Württemberg,12 die andere Hälfte von Krautheim und das Fürstentum Leiningen, das sich kurz zuvor durch einen Schutzund Erbvertrag mit Bayern noch der Mediatisierung hatte entziehen wollen,3 an den Großherzog von Baden. Die verstreuten Gebiete der Fürsten und Grafen von Löwenstein-Werthcim kamen unter die Souveränität von Württemberg, Baden, Hessen und des Fürstprimas Dalberg, der auch die Grafschaft Rieneck an sich zog. Damit waren in Franken die letzten Reichsstände und die erst vor wenigen Jahren als Entschädigungsterritorien geschaffenen Neubildungen von den Mittelstaaten mediatisiert und aufgesogen worden. Für die entmachteten Standesherren, die durch Deklaration vom 19. März 1807 zu «Patrimonialherren» in Bayern wurden, brachte die Mediatisierung schwere wirtschaftliche Schäden mit sich, da ein Großteil ihrer bisherigen Einnahmen und Gefälle wegfiel; zudem hatten sie durch die Säkularisation ihre bisherige Stellung in der Kirche verloren. Bei der letzten Aufteilung im Sommer 1806 wirkte sich sehr nachteilig aus, daß das Großherzogtum Würzburg nicht beteiligt war. Denn erst am 25. September 1806 wurde das Großherzogtum in den Rheinbund mit aufgenommen,4 so daß dem Kurfürsten nur mehr die Unterwerfung der eingeschlossenen Reichsritterschaft verblieb, während die ebenfalls enklavierten Schönborn und Castell bei Bayern verblieben. Überhaupt wurden in den folgenden Monaten mehrere Tauschverträge zwischen den Rheinbundmächten abgeschlossen,5 da cs durch vorschnelle Besetzungen und unklare Vertragsbestimmungen zu erneuten Überlappungen und Überschneidungen gekommen war. Dies gilt vor allem für das zu spät gekommene Großherzogtum Würzburg, das durch Ländertausch seine Grenzen bereinigte,6 wobei es sich allerdings gegenüber den bayerischen Ansprüchen nicht durchsetzen konnte. 1 Austrittserklärung der Rheinbundstaaten vom 1. August 1806, ebd. 32 f. 2 Dunkhase (s. o. 253 Anm. 1) schildert (199) eindringlich die Schwierigkeiten bei der Württemberg. Besitzergreifung. 3 G. Wild, Das Fürstentum Leiningen vor u. nach d. Mediatisierung, Diss. Mainz 1954,49-53. 4 Chboust, Neujahrsbll. (s. 0.257) 30; HAB II 2, 56 f. nr. 19. 17*

5 29. Sept. 1806 Ausgleichsvertrag zwischen dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt und dem Dalbergstaat (ebd. 57 nr. 20); 6. Okt. 1806 Staatsvertrag zwischen Großherzogtum Hessen-Darmstadt und dem Großherzogtum Baden wegen einiger ehemals löwensteinischcr Orte (ebd. nr. 21). 6 1807 Mai 17 Staatsvertrag zwischen dem Großherzogtum Würzburg und dem Groß-

260 Franken: C. VII. Territoriale Veränderungen, Neugestaltung und Eingliederung Frankens Größere und entscheidendere Gebietsveränderungen brachte, unmittelbar nach dem Ende des Alten Reiches, der Krieg Napoleons gegen Preußen, das überstürzt den Entschluß zum Kampf getroffen hatte. Noch im Herbst 1806 wurde das preußische Fürstentum Bayreuth okkupiert und unter französische Militärverwaltung gestellt. Im Frieden von Tilsit schließlich (9. Juli 1807), der den Zusammenbruch Preußens besiegelte, mußte Berlin neben anderen hohen Verlusten diese fränkische Provinz endgültig abtreten, die sich Napoleon neben Fulda, Hanau, Erfurt und Katzenelnbogen als «pays reserves» selbst vorbehielt. Die in den genannten Gebieten gelegenen landcsherrlichen Domänen - im Bayreuthischen waren es hauptsächlich die großen Forste im Fichtelgebirge - wurden als außerordentliches Krongut des Kaisers beschlagnahmt und unter eigene Regie gestellt. Napoleon betrachtete die pays reserves nur als etwas Vorübergehendes, was sich allein schon daran zeigt, daß er die bisherige Verwaltungsorganisation unverändert beließ. Für ihn waren diese Gebiete lediglich als Objekt für künftige Landverschiebungen und militärische Versorgungs- und Nachschubbasen von Wert, wozu er sie auch rücksichtslos ausnützte. Im November 1806 traf in Bayreuth der junge Intendant Camille de Tourtion1 ein, der als erste Regierungsmaßnahme eine Kontribution in Höhe von 2,5 Mill. Francs einzutreiben hatte. Der kluge und ehrenwerte Intendant konnte nach anfänglichen Schwierigkeiten bald das Vertrauen der Bayreuther Beamtenschaft und Bevölkerung gewinnen, deren Los er nach Kräften zu erleichtern suchte. Doch die hohen TruppenUnterhaltungskosten und der Niedergang der heimischen Textilindustrie infolge der Kontinentalsperre stürzten das Land in eine schwere Krise.2 Dagegen blieb die am 12. Dezember 1808 erlassene Bauernbefreiung nach französischem Muster ohne größere Auswirkungen, da die Stellung der Bauern sozial und rechtlich keineswegs bcdrückend war. Tournon konnte, bei all seiner Beliebtheit, nicht verhindern, daß beim Aufstand Österreichs im Frühjahr 1809 die einmarschierenden böhmischen Truppen, die kurzzeitig sogar eine österreichische Militärintendantur errichteten, und die eiligst zusammengestcllte «Fränkische Legion»3 in Bayreuth mit ähnlicher Begeisterung herzogtum Baden (ebd. 58 f. nr. 24); 1807 Juni 12 Schweinfurter Übereinkunft zwischen Würzburg und Bayern über die Abteilung der interponierten ritterschaftlichcn Güter (Chroust, Neujahrsbll. 32-36, s. o. 257; HAB ebd. 59 nr. 25); 1807 Juni 16 Staatsvertrag zwischen Würzburg und dem Herzogtum Sachsen-Hildburghausen (ebd. nr. 26); 1808 Juni 20 Staatsvertrag zwischen Würzburg und dem Herzogtum Sachsen-Meiningen und Sachsen-Gotha-Altcnburg (ebd. 60 f. nr. 28); 19. Aug. 1808 Staatsvertrag zwischen Würzbürg und dem Fürstprimas (ebd. 61 f. nr. 29); 26. Mai 1810 Pariser Vertrag zwischen Würzbürg und Bayern: es wurde eine neue Grenzlinie festgclcgt (Chroust, Neujahrsbll. 39-44, s. o. 257; HAB II2,65 nr. 3 5). Vollzugsrezeß vom /9■ September 1810 (Chroust, ebd. 44-49). 4-

1J. Moulard, Le Comte Camille de Tournon, 3 Bde., 1927 ff.; H. Haberstroh, C. de Tournon, Intendant d. Fürstentums Bayreuth 1806-1809 (AO 40) 1960, 172-205. 2 Die Kosten, Lasten und Schäden der Franzosenzeit werden auf mehr als 7 Mill. Gulden geschätzt (Deuerling 52, s. o. 257). Zur Lage der Bayreuther Tcxilindustrie siehe Bayer!ein (s. u. 512). 3 Der Gründer der Fränkischen Legion und ihr Führer während des Krieges war Johann Georg Karl von Nostiz und Jänckcndorf. Er gehörte dem Kreis um Stein, Gneisenau und Scharnhorst an, s. A. Ernstberger, Die deutsehen Freikorps 1809 in Böhmen, 1942, 299 bis 345. Von Franken aus sollte schon einige Zeit vorher eine Unternehmung gegen Napoleon gestartet werden, die jedoch fehlschlug, s.

§ 38. Die Folgen des Wiener Kongresses (R. Endres)

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empfangen wurden wie in Bamberg oder Nürnberg, wo der bayerische Generalkommissar Graf Thürheim von der aufgebrachten Bevölkerung fast gelyncht worden wäre. Die mehr und mehr sich ausbreitende nationale Bewegung und Ressentiments gegen München wirkten hier zusammen. Auf dem Fürstentag zu Erfurt hatte Napoleon dem König von Bayern das Fürstentum Bayreuth für den Preis von 25 Millionen Francs angeboten, der schließlich auf 15 Millionen heruntergehandelt werden konnte. Nur durch schuldhafte Verzögerung wurde der Übergang Bayreuths an Bayern bereits zu diesem Zeitpunkt verpaßt, der Preis war München durchaus nicht zu hoch.1 Nach der Niederwerfung der Erhebung Österreichs erhielt Bayern im Pariser Vertrag vom 28. Februar 18102u. a. die gewünschte Provinz Bayreuth keineswegs billiger, denn es mußte sich nach langwierigen Verhand1 ungen in einem Geheimvertrag verpflichten, die kaiserlichen Domänen um 15 Millionen Francs abzulösen. Durch die im Anschluß an den Pariser Vertrag im Frühjahr 1810 abgeschlossenen Einzelverträge mit dem Königreich Württemberg3 und dem Großherzogtum Würzburg * purifizierte das Königreich Bayern seine Westgrenze. Dabei ging, wiederum erst unter französischem Druck, das altansbachische Gebiet um Crailsheim an Württemberg verloren, ebenso ein Teil des Rothenburger Landgebietes und das hohenlohische Kirchberg. Das Großherzogtum Würzburg erhielt mehrere von Bayern zurückgehaltene Enklaven, vor allem einen Landstrich am Main mit der ehemaligen Reichsstadt Schweinfurt und die Mainhäfen im Bereich seines Staatsgebietes. Mit der Grenzbereinigung zwischen Bayern und dem Herzogtum SachsenCoburg-Saalfeld im Sommer 18115 fanden die Territorialverschiebungen und der «Seelen-Schacher» der Rheinbundzeit in Franken ein Ende. Selbstverständlich machten die ständigen Territorialveränderungen auch eine Umorganisation der Verwaltung notwendig, die mit der neuen Gebietseinteilung des Königreiches Bayern am 2j.September 1810 auch weitgehend vollzogen wurde.

§38. DIE FOLGEN DES WIENER KONGRESSES H. Griewank, Der Wiener Kongreß u. d. Neuordnung Europas 1814/15, 1942, 2. Aufl. unter dem Titel: Der Wiener Kongreß u. d. europ. Restauration, 1954.

Durch die Konvention von Ried war Bayern nach langem Zögern aus dem Rheinbund zur Koalition gegen Napoleon übergewechselt, nicht zuletzt aus Sorge um die neuerworbenen fränkischen Provinzen, die sich massiven preußischen Drohungen ausgesetzt sahen. Wien, das seit dem Teplitzer Bündnis die deutsche Befreiung leitete, Ders., Eine deutsche Untergrundbewegung gegen Napoleon 1806/1807 (Schriftenreihe 52) 1955· 1 So überzeugend Deuerling (s. o. 257) 82 f. 2 Ders. 89; HAB II 2, 64 nr. 33. Die Militärbesetzung durch die bayerischen Truppen er-

folgte im April, die förmliche Überweisung erst im Juni 1810. Die Domänen wurden sogar erst am i.Jan. 1811 übergeben. 3 Ebd. nr. 34. 4 S. o. 259 Anm. 6. ’ HAB II 2, 65 f. nr. 37.

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Franken: C. VII. Territoriale Veränderungen, Neugestaltung und Eingliederung Frankens

kam Bayerns Wunsch nach Aufstieg zu einer europäischen Macht entgegen, denn cs wollte selbst Bayern so stark erhalten, daß es einer Anlehnung an Frankreich nicht mehr bedurfte. Außerdem suchte Österreich nach Verbündeten in dem mehr und mehr offenkundig werdenden Dualismus mit Preußen. Der Vertrag von Ried am 8.Oktober 1813 garantierte daher Bayern seine bisherige Stellung und versprach weitere Entschädigungen. Als im Dezember 1813 das Großherzogtum Frankfurt zerfiel,1 erhob Bayern Anspruch auf das Fürstentum Aschaffenburg. In den Ausführungsverträgen nach dem ersten Pariser Frieden (30. Mai 1814) erhielt Bayern im Austausch für seine Abtretungen an das Kaiserhaus dann auch Aschaffenburg und das Großherzogtum Würzburg zugesprochen.1 2 Weiterhin sicherte Österreich dem König von Bayern das im Bayreuthischen liegende böhmische Amt Redwitz zu, eine alte Enklave des Egerlandes, und versprach seine Unterstützung der bayerischen Wünsche hinsichtlieh Mainz, der Rheinpfalz und bei TauschVerträgen mit den Benachbarten sowie in bezug auf eine Territorialbrücke zu den rheinischen Besitzungen, die durch die Neukonstituierung der freien Stadt Frankfurt samt Landgebiet notwendig geworden war. Doch war die Regelung dieser territorialen Probleme aufs engste verflochten mit der Neuordnung Europas und der Entwicklung der Deutschen Frage. Und der nach zähem Ringen entstandene Deutsche Bund der souveränen Staaten stand bereits unter dem Schatten des europäischen Gleichgewichts und des deutschen Dualismus. Da Bayern gegenüber der Siegermacht Österreich und den anderen umgebenden konsolidierten Mächten keinerlei Gebietsansprüche mehr geltend machen konnte, lag die einzige Ausdehnungsmöglichkeit in dem von Napoleon neu geschaffenen Ländergewirr im Westen Frankens. Zudem war der ehemalige Herzog von Zweibrücken besonders daran interessiert, die früheren wittelsbachischen Gebiete am Rhein wieder in seine Hand zu bekommen. Auf dem Wiener Kongreß (Oktober 1814 - Juni 1815) erhielt zwar Bayern Gebiete am Linksrhein, doch die angestrebte Landbrücke wollte nicht zustande kommen. Die Abkommen mit Österreich vom April 1813p die Bayern wesentliche Ausdehnungen gegen Württemberg und am Untermain sowie den Anfall der rechtsrheinischen Pfalz versprachen, scheiterten am Widerstand der beteiligten Mächte. In der Wiener Schlußakte (9. Juni 1815) wurde deshalb Bayern nur der Anfall von Aschaffenburg und Würzburg endgültig zugestanden, während die noch nicht vergabten Gebiete am Untermain und Rhein in die Hand Österreichs gelegt wurden. Aus dieser Restmasse wurde Bayern, trotz verzweifelter diplomatischer Anstrengungen, nur relativ gering entschädigt. In dem unter militärischem Druck zustande gekommenen Münchner Vertrag am 14. 4. 1816p erhielt Bayern «das Land Überrhein» und in Franken das böhmische Amt Redwitz sowie den österreichischen Besatzungsanteil am früheren Fürstentum Fulda, nämlich die Ämter Hammelburg, 1 P. Darmstädter, Das Großherzogtum Frankfurt, 1901. 2 Pariser Konvention zur Erläuterung des Vertrages von Ried vom 3. Juni 1814. Chroust, Neujahrsbll. (s. o. 257) 49; HAB II 2, 66, nr. 18. Ferner eingehend H. Ketterer, Das Fürstentum Aschaffenburg u. sein Übergang

an d. Krone Bayern, 1914/15; R. Böhl, Die Einverleibung Aschaffenburgs in Bayern u. ihre Auswirkung, vomehml. auf d. Verwaltungswesen, 1934. 3 HAB II 2, 67 Anm. 10. 4 Ebd. 67 f. nr. 39.

§ 38. Die Folgen des Wiener Kongresses (R. Endres)

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Brückenau,1 Weyhers und mehrere Ortschaften des Amtes Bieberstein. Weiterhin versprach Österreich, sich bei Hessen-Darmstadt für die Abtretung der Ämter Alzenau, Amorbach, Miltenberg und Kleinheubach zu verwenden und bei Baden für die Herausgabe eines Teiles des Amtes Wertheim. Außerdem wurde für den Frankfurter Territorialkongreß eine Entschädigung für die nicht zustande gekommene Länderbrücke an den Rhein zugesichert, wofür in einem geheimen Zusatzartikel der badisehe Main- und Tauberkreis in Aussicht gestellt wurde. Die zugesicherten hessischen Abtretungen erfolgten am 7. Juli 1816.2 Allerdings modifizierte die Darmstädter Regierung die Abmachungen ausgesprochen einseitig und behielt vier ehemalige ritterschaftliche Dörfer zurück, die Bayern im Januar 1817 gegen drei altmainzischaschaffenburgischc Dörfer eintauschen mußte.3 Der «Frankfurter Generalrecess» * bestätigte nochmals alle seit dem Wiener Kongreß abgeschlossenen Einzelverträge. Er brachte für Bayern aber nicht die versprochene Landverbindung zur Pfalz, denn entgegen allen Zusicherungen erkannte Österreich die Erbfolge der Nebenlinie Hochberg in Baden an. Mit der internationalen Anerkennung dieser Beschlüsse auf dem Aachener Kongreß 1818 mußte sich Bayern abfinden. Damit war die Epoche der großen territorialen Umschichtungen und der Flurbcrcinigung beendet, die Bayern einen abgerundeten Länderblock in Franken eingebracht hatte. Mit dem Abschluß der territorialen Neuformung hatte das Königreich Bayern seine neuen Grenzen in ihrem vollen Umfang gefunden. Im Westen mit Aschaffenburg griff Bayern über das Gebiet des alten Reichskreises hinaus, dagegen waren altfränkische Teile verlorengegangen, wie die Hohenloher Lande und Mergentheim an Württemberg, die gefürstete Grafschaft Henneberg an die Wettinischen Erben und einige Landstriche an Baden. 1 Vgl. K. Gartenhof, Der Übergang d. Fuldaischen Amtes Brückenau an Bayern (Mainfr. Jb. 3) 1951, 223-251.

2 HAB II 2, 68 nr. 40. 3 Ebd. 68 f. nr. 41. 4 Ebd. 69 nr. 42.

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DIE INNERE ENTWICKLUNG VOM INTERREGNUM BIS 1800: STAAT, GESELLSCHAFT, KIRCHE, WIRTSCHAFT

I STAAT UND GESELLSCHAFT

ERSTER TEIL: BIS 1500 Bibliographien s. u. 1457 Quellen. Vgl. HB I 570 ff.; Chroniken deutscher Städte (HB II, AV Städtechroniken) Bde. 1-3, 1862/64, u. 10-11, 1872/74; UB Nürnberg I; W. Schultheiss (Hg.), Nürnberger Rechtsquellen, Lfg. 1-3, 1959/65: Acht-, Verbots- u. Fehdebücher 1285-1400, Satzungsbücher u. Satzungen d. Reichsstadt Nürnberg a. d. 14. Jh.; Ders., UB d. Reichsstadt Windsheim 741-1400, 1963; F. Stein, Monumenta Suinfurtensia Historica, 1875; Mon. Zollerana; F. V. v. Gudenus, Codex diplomaticus Anecdotorum res Moguntinas illustrantium, 5 Bde., Göttingen-Frankfurt-Leipzig 1743/68; G. G. JoANNis, Rerum Moguntiacarum Scriptores, Frankfurt 1722; S. A. Würdtwein, Diocesis Moguntina in archidiaconatus distincta, 4 Bde., Mannheim 1769/77; Monumenta episcopatus Wirciburgensis (MB 37-46) 1864 ff. (Reg.: 60); H. Knapp, Die Zenten d. Hochstifts Würzburg I 1, 2, 1907; H. Hoffmann, WürzburgerPolizeisätze 1125-1495, 1955; v.GuttenbergWendehorst, Urbare u. Wirtschaftsordnungen d. Domstifts zu Bamberg I, 1969; K. Weller, Hohenlohisches UB, 3 Bde., 1899/1912; P. Wtttmann, Monumenta Castellana, 1890; H. Reimer, UB z. Gesch. d. Herren v. Hanau, 3 Bde., 1891/94; J. F. Schannat, Fuldischer Lehenshof, Frankfurt 1726; Schöppach-Bechstein-Brückner, Hennebergisches UB, 7 Bde., 1842/77; Böhmer-Will, Reg. z. Gesch. d. Mainzer Erzbischöfe bis 1288, 2 Bde., 1877/86 (veraltet); GP III 3: Dioceses Strassburgensis, Spirensis, Wormatiensis, Wirciburgensis, Bambergensis, 1935; Dobenecker; W. Engel, Reg. Herbipolensia I: Urkundenregesten z. Gesch. d. Stadt Würzburg 1201-1401, 1952, II: Urkundenregesten z. Gesch. d. kirchl. Verwaltung d. Bistums Würzburg im hohen u. späten MA 1136-1488, 1954, III: Urkundenregesten z. Gesch. d. Städte d. Hochstifts Würzburg 1172-1413, 1956; Ders., Würzburger Urkundenregesten vor d. Jahre 1400, 1958; v. Guttenberg, Reg.; Heidingsfelder; Vogt-Otto-Vigener, Reg. d. Erzbischöfe v. Mainz 1289-1396, I I, 2, II I (bis 1374, mehr nicht erseh.) 1913/35, Namensverzeichnis bearb. v. W. Kreimes, 1958. Allgemeine Darstellungen. Eine neuere Geschichte Frankens fehlt; die starke territoriale Zersplitterung, die damit zusammenhängende Streuung der Quellen und die Ungleichmäßigkeit der Editionen lassen eine Darstellung in umfassender Gesamtschau stets schwierig sein. Erste Zusammenfassung: F. Stein (materialreich, positivistisch, in vielen Einzelheiten, bes. verfassungsgeschichtlicher Art, überholt, dennoch immer noch heranzuziehen). Extrakt aus Steins Werk: Ch. Meyer, Gesch. Frankens (Slg. Göschen 434) 19222. Zum breiten und methodologisch nachwirkenden Vorstoß im Sinne einer reichsgeschichtl. Betrachtungsweise der Vergangenheit des Großraunis setzte an Schmeidler, Franken u. d. deutsche Reich (s. o. 268). Nuancierend die Ausführungen von Weigel, Begrenzung (s. o. 10); Ders., Epochen (s. o. ebd.). Dazu W. Engel, Mainfranken in seiner geschichtl. Entwicklung (Mainfr. Heimatkunde 2) 1950, 40-69; aus raumund zeitbedingten Gründen knapp: E. Frhr. v. Guttenberg, Die polit. Mächte d. MA, 8.-14. Jh. (H. Scherzer 214-275); W. Kraft, Geschichtl. Entwicklung vom 11. bis 15.Jh. (C. Scherzer 17-70); Überblicke: Uhlhorn, Die Territorien d. Frankenlandes (GG II) 499-504 (Lit.); Bosl, Bayern XV-LXXI, bes. LVII-LXIII; Ders., Aus d. Anfängen d. Territorialstaates in Franken (JffL 22) 1962, 67-88. - Jüngst: G. Zimmermann, Franken (G. W. Sante, Gesch. d. deutschen Länder I) 1964, 211-243; Hofmann. Verfassungsgeschichte. Allgemein. Bader; Ders., Volk-Stamm-Territorium (H. Kämpf, Hg., Herrschaft u. Staat im MA, 1956, 243-283; Ders., Territorialbildung u. Landeshoheit (BlldLG 90) 1953, 109-131; Ders., Bauemrecht u. Bauemfreiheit im späteren MA (HJb. 61) 1941,51-87; Ders., Das mittelalterl. Dorf als Friedens- u. Rechtsbereich, 19672 (unverändert); Ders., Dorfgenossenschaft u. Dorfgemeinde, 1962; Brunner; F. Körner, Die Lage u. Besitzstetigkeit d.

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Machtkeme in Thüringen während d. ausgehenden MA (Wiss. Veröffentl. d. deutschen Inst. f. Länderkunde NF 17/18) 1960, 167-187; Mayer, Mod. Staat; W. Schlesinger, West u. Ost in d. deutschen Verfassungsgesch. d. MA (Festgabe P. Kim) 1961, ni-131; Ders., Verfassungsgcsch. u. Landesgesch. (Hess. Jb. f. LG 3) 1953, 1-34. - Franken, v. Guttenberg; Hofmann, Adelige Herrschäft; Μ. Hofmann, Die mittelalterl. Entwicklung d. Gerichtsverhältnisse im alten Amte Fürth, 1932; H. Lieberich, Zur Feudalisierung d. Gerichtsbarkeit in Bayern (ZRG 71) 1954, 243-338; Ders., Das fränk. Element in d. baier. Innenpolitik d. 15. u. 16. Jhs. (WDGB11. 26) 1964, 164-176; W. Störmer, Probleme d. spätmittelalterl. Grundherrschaft u. Agrarstruktur in Franken (ZBLG 30) 1967, 118-160. Grundlagenforschung u. Untersuchungen zur Geschichte einzelner Räume. HAB u. HONB s. u. 1462f.; H.Häussler,Die Entwicklungd.herrschaftl.u.recht!. Verhältnisse auf d.Territoriumd. heutigen Landkreises Mellrichstadt v. Beginn d. fränk. Landnahme bis z. Ende d. Alten Reiches, Diss. Würzburg 1964; L. Meier, Der Lkr. Hammelburg in seiner herrschaftsgeschichtl., kirchl. u. territorialstaatl. Entwicklung, Diss. Würzburg 1964. Zum historischen und geographischen Rauinbegriff «Franken»: H. Schreibmüller, Wanderungen u. Wandlungen d. Raumbegriffs Franken, 1934 (Festschr. Schreibmüllcr 1-5, 1954); Hofmann, Nobiles (s. u. 324) 58; Schlesinger, West und Ost (s. o.) 117; A. Welte, Die räuml. Grundlagen d. geschichtl. Entwicklungen in Franken (ZBLG 9) 1936, 349-375; Hartung 107-110, 118, 120; Schmeidler, Franken u. d. Reich (s. o. 267) 65-89, bes. 69 ff. u. 86 ff. Zur Bestimmung der Geschichtslandschaft vgl. a. B. Schmeidler, Franken, seine Mächte u. seine Lage im alten deutschen Reich (Jb. Mfr. 66) 1930, 185-201; Bosl, Bayern I 127 ff.; Dazu auch: O. Berninger, Die landschaftl. Gliederung Frankens (JffL 1) 1935, 44-51; K. Troll, Die natürl. Landschaften d. rechtsrhein. Bayerns (Geograph. Anz. 27) 1926, 5-18; A. Welte, Das geograph. Wesen v. Nordfranken (AU 69) 1934, 120-132; Ders., Zur Entstehung d. mainfränk. Städte (Petermanns Geograph. Mitt. 87) 1941, 233-250; Methodologisch allgem. wichtig: K.-G. Faber, Was ist eine Geschichtslandschaft? (Geschichtl. Lkde. V 1 = Festschr. L. Petry I) 1968, 1-28 (Lit.); Karten s. Bayer. Geschichtsatlas. - S. auch o. 161-192.

§ 39. GRUNDLAGEN DER TERRITORIENBILDUNG

Seit Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts verfügte das Königtum nicht mehr über Kraft und Ansatzpunkte für ein in den Landschaften unmittelbar wirksames Handeln. Die Machtkonstellationen wurden fast nur noch vom Verhältnis der Territorien untereinander bestimmt. Die Territorialisierung vollzog sich uneinheitlich. Man kann im Vergleich mit Vorgängen im Süden und Osten des Reiches zunächst nur feststellen, daß in Franken keines der Territorien zum «Land» im Sinne der Analysen und Ergebnisse moderner Erforschung spätmittelalterlicher Verfassungsstrukturen wurde. Man findet hier weder die Zugehörigkeit von Adel und Herrschaften zu einem Fürstentum auf der Grundlage außcrlchensrcchtlichcr Bindungen1 noch eine Polarität der BeZiehungen zwischen Landesherr und Landherren im Rahmen des deren Lebenssphäre umgreifenden und verklammernden Landrechts.12 Wahrung von Sonderrechten, ständische Emanzipationen und die Verteidigung personenverbandsrechtlicher wie korporativer Privilegien ließen kaum einmal die institutionelle Integration bis zum Ende gedeihen und verhinderten die Bildung mehr oder minder einheitlicher Untertanenschaften? Ein Seitenblick auf Bayern4 läßt die Vielgliedrigkeit fränkischer Terri1 Vgl. E.Klebel, Vom Herzogtum zum Territorium (Aus Verfassungs- u. Landesgesch., Festschr. Th. Mayer I) 1954, 205-222. 2 Brunner.

3 Bosl, Anfänge (s. o. 267) 67-88. 4 Μ. Spindler, Die Anfänge d. bayer. Landesfürstentums (Schriftenreihe 26) 1937; HB II 118-131, bes. 130 (Lit.); P. Fried, Verfas-

§ 3p. Grundlagen der Territorienbildung (A. Gerlich)

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torialrechtsgebilde schärfer konturiert hervortreten. Im Gegensatz zu Bayern fehlte im spätmittelalterlichen Franken ein Herzogtum. Der Würzburger Dukat konnte nie den Vergleich mit jenem aushalten, der hohenzollerische Herzogstraum des Albrecht Achilles deutet nur die Richtung an, in der man von Ansbach aus den Anspruch auf Überordnung vorantreiben wollte. Wenn im folgenden Hauptelemente werdender Staatlichkeit im Franken des vierzehnten und fünfzehntenjahrhunderts bezeichnet werden sollen, geschieht dies immer auf die Gefahr hin, daß im Laufe der Zeit Änderungen der Aussagen eintreten können oder sich diese Übersicht als unvollständig erweist. Der Begriff der in der älteren Literatur mit dogmatischer Selbstsicherheit aufgefaßten Landeshoheit erweist sich als brüchige Konstruktion. Zwischen dem «Personenverbandsstaat» und dem «institutionellen Flächenstaat» als normativen Leitbildern gibt es viele Zwischenstufen mit gleitenden Übergängen.1 Für die Territorienbildung in Franken konnten je nach Lage der Dinge wirksam werden der landgerichtlichc Grafschaftsverband, der Grenzenmangel der terra imperii des Hochmittelalters, patrimoniale Adelsherrschaften oder abgestreifte königliche Stadtherrschaften, indem Einzelgerechtsame oder Akkumulationen von solchen durch Gerichts- und Marktzwang verklammert wurden. Die durchgehende flächenhafte Ausformung von Herrschaften, wie sie anderwärts auf dem Weg über die Blutgerichtsbarkeit vor sich ging, scheiterte.2 Auch die hohe Gerichtsbarkeit’ war nur ein Hoheitsrecht neben anderen und noch nicht einmal das wichtigste. Sie wurde in ihrer signifikanten Bedeutung für die volle Landeshoheit nach dem Eindringen römischer Rcchtsbegriffe erst seit Beginn der Neuzeit in völlig ahistorischer Weise überschätzt.4 Mit dem Instrumentarium der herkömmlichen Verfassungsichre sind die Probleme der Territorienbildung in Franken nicht zu lösen. Auf der Suche nach prägenden Kräften’ stößt man auf das Landgericht und die damit verbundenen Begriffe. An Landgerichten gab es in Franken eine große Zahl: Nürnberg, Rothenburg, Schweinfurt, Wimpfen, Würzburg, Bamberg und Hirschberg sind hier zu nennen.6 Doch schon ihre Bezeichnung als «kaiserliche» Landgerichte mit dem sungsgesch. u. Landcsgcschichtsforsch. in Baycrn. Probleme u. Wege d. Forschung (Zur Gesch. d. Bayern, hg. v. K. Bosl, Wege d. Forschung 60) 1965, 528-564. 1 Vgl. a. Bader, Volk (s. o. 267) 243-283. Zur Weiterbildung der von Th. Mayer gcprägten und für die Forschung wegweisenden Begriffe vgl. bes. Bader, Territorialbildung (ebd.) bes. 128 ff; Schlesinger im Hess. Jb. (s. o. 268) 111-131, bes. 120; s. auch HB II 13, Anm. i; Η. H. Hofmann, Ständische Vertretungen in Franken (JffL 24) 1964, 111-118, bes. in; Ders., Territorienbildung 369-420, bes. 385 m. Anm. 22. 2 Mayer, Fürsten 312; Ders., Analekten z. Problem d. Entstehung d. Landeshoheit, vornehmlich in Süddcutschland (BlldLG 89) 1952, 87-111, bes. 99. 3 Sehr oft wird in Franken die hohe Gerichts-

barkeit «Fraisch» genannt. Auf die regionalen Unterschiede und Herleitungen aus Grafenrechten, Erbrecht in Rodungsherrschaften, Immunität des Königsgutes, kaiserlichen Privilegien in den jüngeren Sprcngeln oder auch aus grundherrlichen Gerechtsamen kann hier ebensowenig cingegangcn werden wie auf die Verschicdcnartigkciten der Organisation. Viel Material enthalten die Arbeiten zum HAB. Als Beispiel besonders instruktiv ist HAB Höchstadt-Herzogenaurach (Η. H. Hofmann) 16ff. Allgemein bedeutend und richtungsweisend für die einschlägige fränkische Forschung Μ. Hofmann, Außenbehörden (s. u. 275). 4 Vgl. Dannenbauer 258. 5 Dazu jüngst zusammenfassend Hofmann 403 ff6 Η. E. Feine, Die kaiserl. Landgerichte in Schwaben im MA (ZRG 66) 1948, 148-235.

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damit gegebenen Anspruch auf Hinauswirken über den eigenen Machtbereich hätte stutzig machen müssen. Denn hier wurden Kompetenzen intendiert, die nur komplementär zu den territorialrechtlich agglomerierten Gerechtsamen hinzutreten konnten, nicht aber aus deren eigentlicher Sphäre stammten. Die Landgerichte konnten sich zu privilegierten Gerichten der höheren Stände im überterritorialen Rahmen entwickeln,1 im fünfzehnten Jahrhundert haben sie infolge der den Rittergesellschaften12 gewährten Exemptionen den Territorialisierungsprozeß gestört. Bei Nürnberg3 und Rothenburg4 liegt die Herkunft aus der Domanialgerichtsbarkeit des ehemaligen Reichsgutes zutage. Zuständig waren diese Landgerichte für Entscheidung über Erb und Eigen auf dem Weg der Rechtserkenntnis im Blick auf die aus hochmittelalterliehen Vorstufen entwickelteErbzinsleihe als vorherrschender Besitzform der Bauern;5 aus lehensgerichtlichen Funktionen entfalteten sie ihre Kompetenz als Standesgerichte des Adels und bewahrten diese am längsten. In der Strafgerichtsbarkeit erfuhren sie mit regionalen Unterschieden Abbruch durch die Landfriedens- und besonders durch die Zentgerichte. Nicht die Landgerichte, sondern die vom zweiten Viertel des vierzehnten Jahrhunderts an privilegierten Halsgerichte und die Zenten erwiesen sich, im Verein mit anderen Rechten im Verband der Vogtei, als Kristallisationspunkte der Territorienverfcstigung. Differenzierungen der sachlichen Zuständigkeiten und sozialgeschichtlich bedingte Sonderkompetenzen nur für bestimmte Personengruppen und -verbände ließen die Landgerichte in Fürstenhand nicht zu Instrumenten der Herrschaftsverflächung werden, sondern nur zum mit recht unterschiedlichem Erfolg angewandten Mittel, Machtansprüche in einer theoretisch unbegrenzten Weite zu erheben. Auf der Suche nach einem Element der Territorialisierung von allgemeinerer Bedeutung als die bisher genannten Rechte muß man in «tiefere» Schichten hinabsteigen. Basis aller Befugnisse, Nutzungen und Verwaltungskompetenzen, deren Summe zur Integration eines Territorialstaatsgebildes führte, war die Grundherrschaft, sie sogar noch nicht einmal als Herreneigentum am Boden, sondern in Form der Schutz- und Schirmfunktionen über die jene bewirtschaftenden Menschen.6 Damit ist die Vogtei in ihrer spezifisch fränkischen Art und spätmittelalterlichen Gestalt angesprochen. Auch sie entzieht sich jedoch in der Vielfalt ihrer Spielarten der einfachen Definitionsmöglichkeit im Sinne der älteren Verfassungslehre.7 Es sind zwei Komponenten zu 1 Vgl. Mayer, Fürsten 295 f. u. 311; LiebeFeudalisierung (s. o. 268) 257. Zu denken geben müßte auch die gelegentlich sehr späte Ersterwähnung, wie etwa im Falle Hirschberg; dazu Feine, Landgerichte (s. o. 269 Anm. 6) 228 ff, sowie H. O. Müller, Das «kaiserl. Landgericht d. ehern. Grafschaft Hirschberg», 1911, bes. 37 ff. u. 68 ff. 2 Vgl. Obenaus (s. u. 304) 141 ff. 3 Zur Forschungsentwicklung in Nürnberg: Dannenbauer 135 ff; W. Neukam, Bruchstück eines verlorenen Achtbuchs d. ehern. Kaiserl. Landgerichts Nürnberg aus d. i.Viertel d. 14. Jhs. (Jb. Mfr. 67) 1931/37, 3-31; F. rich,

Ruf, Acht- u. Achtverweise im alten Land- u. Stadtgericht Nürnberg (MVGN 46) 1955, 1-139;Feine (s.o.269Anm. 6) 220ff.;zum gesamten Problemkreis Schultheiss, Achtbüeher (s. o. 267). 4 Th. E. Mommsen, Die ältesten Rothenburger Königsurkunden. Ein Beitr. z. Gesch. d. Landgerichts u. d. Landvogtei in R. von Rudolf I. bis zu Ludwig dem Bayern (ZBLG 10) 1937. 19-64. 5 Zum folgenden s. Hofmann 404 f. 6 Ebd. 408. 7 Über diese terminologischen und kartographischen Schwierigkeiten vgl. Bayer. Ge-

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unterscheiden: Erstens die vogteiliche Strafgerichtsbarkeit, zum anderen die obrigkeitlichc Rechtssetzung auf den Gassen und in der Gemarkung. Im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert war jedoch die Agglomeration der Einzelteile dessen, was später alles mit dem BegriffVogtei gemeint sein konnte, noch im vollen Gange.1 Die Frevelgerichtsbarkeit stand damals noch im Bereich des Blutgerichts und wurde erst an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit zur Vogtei herübergezogen. Die Pflichten zur Wehrfolge und Steuerleistung, auch sie aufzufassen als Pertinenzen einer gründherrschaftlichen Rechtsordnung im Sinne von Gegenleistungen für den vom Herren gewährten Schutz, wurden ebenfalls in den Bereich der Vogtei eingegliedert. Ferner ist zu beachten, daß der Begriff, selbst in unmittelbar benachbarten Räumen, recht verschiedenartig im Inhalt war. Er konnte die Schutzfunktion über ein Gericht bezeichnen, dessen Ursprung in ganz anderen Rechtsbereichen zu suchen ist. In ihm konnte sich die Verschmelzung von Gerichtskomptenzen aus einer alten Edel- oder Hochvogtei mit den niedergerichtlichen Zuständigkeiten eines Grundherren verbergen, wie dies im Bamberger Hochstift zu beobachten ist. Mit ihm konnte auch das Ergebnis der Verdrängung eines geistlichen Grundherren durch eine in weltlicher Hand befindliche Schirmkompetenz umschrieben werden. Ihrem Wesen nach ist sie weit stärker auf den Ausbau von Gerichtsrechten und Verwaltungskompetenzen hin ausgerichtet, denn auf den Erwerb von Gefällen hin angelegt. Aus solchen Gerichtsbarkeiten aber wuchs «mit der fortschreitenden Ausbildung der Staatlichkeit dem Schirmherrn folgerichtig auch die volle Landesherrschaft zu».2 Ebenso war die vogteiliehe Schirmherrschaft in ihrer Intensität unterschiedlich, je nach Lage innerhalb oder am Rande eines Herrschaftsbereiches. Auf keinen Fall darf man sich die Entwicklung in gestrecktem Ablauf vorstellen, sondern muß mit erheblichen Schwankungen rechnen. Erst seit dem sechzehnten Jahrhundert bietet das Wort Vogtei die gemeinfränkische Bezeichnung (s. u. 350) für die gesamte sogenannte Niedergerichtsbarkeit unter Einschluß des Zivil- und Strafrechts, allerdings ohne die den Zenten oder schichtsatlas 103 f., Karte 33a. - Vogteiämter sind vorwiegend aus herrschaftlichen Rechten erwachsen und wurden zum wichtigsten Organ der öffentlichen Verwaltung, dem sich später andere Einrichtungen, wie etwa die Kastenämter, anfügen ließen. Diesen nachgeordneten Verfassungsinstitutionen kann nicht näher nachgegangen werden. Ihr Name rührt vom herrschaftlichen Getreide - «Kasten» ( = SchüttSpeicher) her; in Weinbaugebieten heißen sie Kellereien. Kastenämter und Kellereien konnten für mehrere Vogteien zuständig sein. In ihre Kompetenz gerieten Geldzinse der Grundholden, Stadtsteuem der Bürger, Verwaltung von Forsten, Bergwerken und Fischweihern. Während des 15. Jhs. tritt das bürgerlichkaufmännische Element beim Personal stärker hervor, s. Μ. Hofmann, Außenbehörden (s. u. 275) 52-96, bes. 71 ff. - Die Form der Steuererhebung war verschieden. So hat beispiels-

weise das Hochstift Bamberg eigene Steuerbehörden ausgebildet, während die unmittelbar benachbarten Burggrafen von Nürnberg die Steuereinnahmen den aus der grundherrliehen Sphäre stammenden Institutionen überließen und wohl auf diese Weise eine aus der Zeit der staufischen Reichsgutverwaltung stammende Tradition fortführten. Für diese aus großer Zahl herausgegriffenen Beispiele vgl. etwa HAB Neustadt-Windsheim (Η. H. Hofmann) 20 sowie Neukam, Territorium (s. u. 275) bes. 22 f.; vgl. Mayer, Fürsten 296. 1 Die südwestdeutsche Bezeichnung «Zwing und Bann» kommt in Franken nicht vor. Als die nächststehende terminologische Entsprechung findet sich «Vogtei», wenn auch wieder mit Inhaltsunterschiedcn. Vgl. Hofmann, Freibauem. 2 Ebd. 302.

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Fraischgerichten überlassenen vier hohen Rügen.1 Die spätmittelalterliche Vogtei, sie selbst ein Verschmelzungsprodukt, wurde zum tauglichsten Instrument der Landesherren für den Bau ihrer Territorien. Zu den wichtigeren Elementen der spätmittelalterlichen Territorialstaatsbildung in Franken gehört die Stadt. Gemeint sind hier nicht die Reichsstädte,1 2 sondern die sehr viel größere Zahl von Gemeinden nicht-dörflicher Art und nicht rein agrarischer Wirtschaftsstruktur innerhalb der Territorien, die in rechtlicher Abhängigkeit von einem Landesherren standen. Auch Stadtherrschaft ist zu begreifen als eine Spielart der Vogtei.3 In ihr konnten enthalten sein ausgedehnte Leiherechte an Grund und Boden, ungleich mehr aber als in den Dörfern wurden bürgerliche Selbstverwaltung und Gerichtsbarkeit geachtet; die Steuern wurden pauschal erhoben und von den städtischen Behörden auf die Einwohner umgelegt, im Wehrwesen ist die Selbstverteidigung anzutreffen; persönliche Rechte und Freizügigkeit waren besser ausgeprägt als auf dem Lande. Oft hatte das Ratskollegium einer solchen Stadt Funktionen zu üben in den verschiedenen Stufen des Gerichtswesens nicht nur über die Bürger, sondern auch über Bauern in einem zugeordneten Amt. Damit wird die administrative Aufgabe der Stadt im Territorium sichtbar. Sie war aufgrund natürlicher VorausSetzungen und ihrer Ausstattung mit geistigen und kulturellen Zentren von regionaler Reichweite besser als das Dorf geeignet, Sitz von Behörden zu sein. Die Zahl alter Städte in Franken ist klein. Vor das dreizehnte Jahrhundert weisen nur die Bischofssitze und einige Verwaltungszentren im Verband des Reichsgutes, die Masse stammt aus den beiden nächsten Jahrhunderten.4 Die meisten Städte sind in der Zeit entstanden, in der die Verdichtung von Gerechtsamen aller Art zur Landesherrschäft am intensivsten voranschritt. Territorienbildung und Schichtung des Städtewesens stehen in engem Zusammenhang. Das Bild wird noch detailreicher, wenn auch die von der jüngeren Forschung behandelten Minderstädte berücksichtigt werden.5 Sehr oft, wenn auch nicht immer, waren Burgen Ansatzpunkte für die Stadtentstehung. Das neue Gemeinwesen erhielt die Funktion der Großburg oder wuchs in diese Aufgabe eines Schwerpunktes der Verteidigung hinein. In Räumen besonderer MachtZerklüftung, die zum Nebeneinander relativ kleiner Territorien führte, ist die Streuung von landesherrlichen Städten dicht, während der größer dimensionierte Flächenstaat wie Altbayem sich mehr mit dem Markt begnügen konnte. Die Streuungsuntcrschiede zwischen Franken und Altbayem sind Ergebnisse dieser Verschiedenartigkeit der Entwicklungen. Während aufgrund nicht mehr sicher zu erklärender biologischer 1Ebd. 314 fr.; Vgl. dazu auch Μ. HofAußenbehörden (s. u. 275) 63 bis 7°· 2 Über diese s. u. 323-348. 3 Hofmann 409 ff. 4 Als Zusammenfassung aus jüngster Zeit vgl. Karte 22 mit den Erläuterungen S. 81 ff. von Hiereth-Diepolder, Bayer. Geschichtsatlas. Über Begriff, Entstehung und Ausbreitung der Stadt vgl. als Zusammenfassung der mann,

jüngsten Forschung den Sammclband von Haase (s. u. 323). 5 H. Stoob, Die Minderstädte. Formen d. Stadtentstehung im Spätmittelalter (VSWG 46) 1959, 1-28; Vgl. hierzu F. Uhlhorn, Beobachtungen über d. Ausdehnung d. sog. Frankfurter Stadtrechtskreises (Hess. Jb. f. LG 124-134 ,1955 (‫ ;צ‬Uhlhorn-Hebel, Zur Karte «Stadtrechtsfamilien» im hessischen Atlas (ebd. 10) 1960, 97-131.

§ 39■ Grundlagen der Territorienbildung (A. Gerlich)

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Schwundvorgänge im Südosten die Mehrzahl der alten Grafengeschlechter ausstarb, hielten sich diese in Franken in erheblich größerer Zahl, die noch erhöht wurde durch die in landesherrlichen Rang aufsteigenden Ministerialensippen; aus diesem Nebeneinander kamen die Antriebe nicht nur zum Burgen-, sondern auch zum darüber hinausführenden Städtebau.1 Die geistlichen Reichsfürsten ebenso wie die Domkapitel haben früh die Bedeutung der Städte für die Sicherung ihrer Herrschaftsgebiete erkannt. Daß allerdings gerade in diesen landsässigen Stiftsstädten der Würzburger und Mainzer Gebiete Unruhen ausbrechen sollten, durch die die Krise insbesondere des Bischofsstaates am Mittclmain vertieft wurde, gehört zu den Auswirkungen der Sozialgeschichte jener Orte, wie sie während der Gründungszeit nicht voraussehbar waren. Maßgeblich für das Hineinwachsen eines Ortes in die Sphäre des Städtewesens war oft landesherrlicher Selbstbehauptungswille in Konkurrenzräumen. Hinzu kamen wirtschaftliche Gesichtspunkte im Sinne nicht nur der Pflege von Handwerken, sondern der Steigerung von Abgaben. Die Gewährung von Schutz bedingte auch hier die Gegenleistungen auf militärischem und wirtschaftlichem Gebiet. Durch die Lage an Flüssen und Straßen war die Kontrolle des Verkehrs möglich, das Geleit brachte ebenfalls einen Zuwachs an Geldeinkünften für die wachsend fiskalisierten Territorialverwaltungen. Kaiser Ludwigs IV. Freigebigkeit in der Ausstellung städtischer Privilegien für Fürsten und Adel in Franken hat solchen Entwicklungen Vorschub geleistet. Karl IV. hat den Versuch unternommen, Klein- und Minderstädte zu regionalen Mittelpunkten seiner Herrschaft zu machen. Unabhängig von solchen Einzelcntwicklungen und ihnen gemeinsam ist die Eigenschaft der Stadt in allen Territorien, zentraler Ort der Herrschaftsverdichtung im Regionalbereich zu sein. Auf der Verlicrcrscite in der vom dreizehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert andauernden Entwicklung stand die Gemeinde. Gelegentlich kommen Vogtwahlfreiheiten noch bis in die Neuzeit vor, erstarrten jedoch zur leeren Formsache. Man kann von solchen Ausnahmen nicht auf einen allgemeinen Zustand in den Beziehungen zwischen Gemeinde und Vogtei während des Spätmittelalters schließen. Zur fast völligen Kompetenzcntlecrung der Gemeinden kam es in den Hochstiften am Main. Gcmcindcgcrechtsame in der Friedenswahrung auf den Gassen und Plätzen, auf dem bewehrten Kirchhof, in den Wirtshäusern und in der Gemarkung wurden beseitigt? Hatte der Inhaber des Schirmrcchtcs genug Macht, konnte er über den Grund- und Niedergerichtsherren im Dorf wie auch über der Gemeinde als solcher eine überge1 Höhl (s. u. 1461). Zum Forschungsstand zuletzt Petry, Stufen (s. u. 323). 2 Angesprochen sind hier Probleme der Weistumsforschung. Die eigentlichen Weistümer als Rechtssetzungen, in denen die Beziehungen bäuerlicher Dorfbewohner zur Herrschäft sowie die der Gemeinde-Eingesessenen untereinander geregelt werden, müssen getrennt werden von den frühneuzcitlichenDorfOrdnungen, in denen die Herrschaftsrechte fixiert wurden. Weistümer gab es im heutigen Unterfranken, in Mittel- und Oberfranken sind 18 HdBGni, i

sic dagegen selten. In den östlichen Teilräumen hatten die bäuerlichen Rcchtsbekundungen nur geringes Ansehen. Vgl. K. Dinklage, Fränk. Baucmweistümcr, 1954. Auf die Unterschiede der Weistumsinhalte im Würzburger Hochstifts- (Dukats-)bereich und in den Regionen der ehemaligen terra imperii macht aufmerksain Hofmann, Bauer (s. 11. 456) 11 ff. Eingehende Sacherklärungen bietet H. Liermann, Das geschichtl. Bauemrecht nach d. fränk. Weistümem (ZBLG 10) 1937, 374-394.

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ordnete Gewalt aufrichten und aus der vogteilichen Strafkompetenz eine Ordnungsgewalt im Bereich der Kollektivflächen der gesamten Bewohnerschaft ableiten. * Die Landesherrschaft wurde um so lückenloser, je mehr Einzelrechte aktiven wie passiven Charakters in den Sphären des Schirms, der Halsgerichte, des Kirchenwesens und der Alltagsverwaltung miteinander verschmolzen und in die obrigkeitliche Vogtei eingcbracht werden konnten, die durch den Reichsschluß des Jahres 1500 auch zur Festsetzungs- und Einzugsbehörde für die Reichs- und Kreissteuern aufstieg.2 Daß hinter der gesamten Entwicklung in allen ihren Teilbereichen der Zug zur Verdinglichung steht, braucht hier als die die Vielfalt der Phänomene verbindende und überwölbende Gemeinsamkeit nur mit einem Hinweis bedacht zu werden. Im ganzen gesehen aber war die Vogtei nur darauf hin angelegt, Einzelgerechtsame umzuwandeln, einander anzugleichen und im Herrschaftsrechteverbund zu festigen, sie aber nicht zu «verflächen».3 Auch von daher ist die Arteigentümlichkeit des in Franken im Spätmittelalter vorhandenen «ungeschlossenen» Territoriums zu erklären. Über den «institutionellen Personenverbandsstaat» ist die Entwicklung nicht hinausgekommen.■ * Wegen der mangelnden «Verflächung» ist denn auch die «Staatlichkeit» Frankens auf der Karte nicht darstellbar.1

§40. DIE HOCHSTIFTE Mainzer Oberstift. Überblick über die Grundlagen: Μ. Stimming, Die Entstehung d. weltl. Territoriums d. Erzbistums Mainz, 1915; E. Fenner, Die Erwerbspolitik d. Erzbistums Mainz v. d. Mitte d. 13. Jhs. bis z. Mitte d. 14. Jhs., Diss. Marburg 1915; T. Humpert, Die territoriale Entwicklung v. Kurmainz zw. Main u. Neckar, Diss. Würzburg 1913; A. Klein, Studien z. Territorienbildung am unteren Main. Grundlagen u. Anfänge d. Mainzer Besitzes im Spessart, 1938; N. Höbelheinrich, Die 9 Städte d. Mainzer Oberstiftes, 1939; G. Christ, Hubgerichte d. Kollegiatstiftes St. Peter u. Alexander am Untermain (ZBLG 25) 1962, 111-162; C. Cramer, Landeshoheit u. Wildbann im Spessart (Aschaffenb. Jb. 1) 1952, 51-123; K. Dinklage, Burg u. Stadt Aschaffenburg bis z. Ausgang d. 14. Jhs. (Festschr. Aschaffenburg 1957) 49-74; F. Merzbacher, Betrachtungen z. Rechtsstellung d. Aschaffenburger Kollegiatstiftes St. Peter u. Alexander im MA (ebd.) 299-320. - Würzburg. Wendehorst II; G. Zimmermann, Die Cyriacus-Schlacht bei Kitzingen in Tradition u. Forschung (JffL 27) 1967, 417-425; J. Hetzenecker, Studien z. Reichs- u. Kirchenpolitik d. Würzburger Hochstifts in d. Zeiten Kaiser Ludwigs d. Bayern (1333-1347), Diss. Würzburg 1901; W. Engel, Passio dominorum. Ein Ausschnitt aus d. Kampf um d. Landeskirchenherrschaft u. Türkensteuer im spätmittelalterl. Franken (ZBLG 16) 1951, 265-316; J. F. Abert, Die Wahlkapitulationen d. Würzburger Bischöfe bis z. Ende d. 17. Jhs., 1225-1698 (AU 46) 1904, 27-186; S. Rietschel, Das Burggrafenamt u. d. hohe Gerichtsbarkeit in d. deutsehen Bischofsstädten d. früheren MA, 1905; Schmidt, Herzogtum; Merzbacher; Ders., Die Würzburger Halsgerichtsordnungen (Stud. z. Strafrechtswiss., Festschr. U. Stutz) 1966, 27-43; J. Reimann, Die Ministerialen d. Hochstifts Würzburg in sozial-, rechts- u. verfassungsgeschichtl.

1 Hofmann, Bauer (s. u. 456) 15 u. 17; Ders. 409. 2 Hofmann, Bauer (ebd.) 17. 3 Hofmann 410. 4 Über die weiteren Entwicklungen vgl. Hofmann, Adelige Herrschaft. 1 Um auf eine Darstellung nicht völlig verzichten zu müssen, wurde ihr als Aushilfsmittel

im Bayer. Geschichtsatlas der von Η. H. Hofmann erarbeitete Begriff der «Dorf- und Gemeindeherrschaft» zugrunde gelegt (s. Bayer. Geschichtsatlas 98). Der Unterschied in der politischen Struktur des wittelsbachischen Territorialstaats und der fränkischen «Staatlichkeit» ist auf der Karte von 1789 (30/31/32) drastisch sichtbar.

§ 4°· Die Hochstifte (A. Gerlich)

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Sicht (Mainfr. Jb. 16) 1964, 1-266; Dies., Zur Besitz- u. Familiengesch. d. Ministerialen d. HochStifts Würzburg (ebd. 15) 1963, 1-117; Schubert, Landstände; Μ. Tischler, Die Leibeigenschäft im Hochstift Würzburg vom 13. bis z. beginnenden 19. Jh., 1963. Wichtigste Reihe: Th. Kramer (Hg.), Quellen u. Forschungen z. Gesch d. Hochstifts Würzburg (QFGHW 1 ff.) 1948 fF. - Bamberg. Looshorn (in der Darstellung sehr breit und antiquarisch, aber wegen seiner Fülle an Nachrichten noch immer unentbehrlich); v. Guttenberg I; neuere Nachweise bei: Kist; v. Guttenberg-Wendehorst II. Zum Verhältnis der Meranier zum Hochstift: v. Guttenberg, Polit. Mächte (s. o. 267) 269 ff.; J. Kist, Das Bamberger Domkapitel 1399-1556, 1943; Ders., Die Matrikel d. Geistlichkeit d. Bistums Bamberg 1400-1556, 1955/67; Μ. Hofmann. Die Außenbehörden d. Hochstifts Bamberg u. d. Markgrafschaft Bayreuth (JffL 3) 1937, 96; 52(4) 1938, 53-103; W. Neukam, Territorium u. Staat d. Bischöfe v. Bamberg u. seine Außenbehörden (BHVB 89) 1949, 1-35; Ders., Immunität u. Civitas in Bamberg v. d. Gründung d. Bistums Bamberg 1007 bis z. Ausgang d. Immunitätenstreites 1440 (BHVB 78) 1925, 189-371; A. Reindl, Die vier Immunitäten d. Domkapitels zu Bamberg (BHVB 105) 1969, 213-509; B. Schimmelpfennig, Bamberg im MA. Siedelgebiete u. Bevölkerung bis 1370, 1964; G. Weigel, Die Wahlkapitulationen d. Bamberger Bischöfe 1328-1693, 1909; S. Bachmann, Die Landstände d. Hochstifts Bamberg (BHVB 98) 1962, 1-337 (auch separat Bamberg 1962); F. Grünbeck, Die wcltl. Kurfürsten als Träger d. obersten Erbämtcr d. Hochstiftes Bamberg (BHVB 78) 1925, 1-187; R· Μ. Kloos, Eine hebräische Urkunde z. Finanzwesen d. Hochstifts Bamberg im 14.Jh. (ebd. 103) 1967, 341-386. - Eichstätt. Buchner; Sax (inhaltsreichen manchen Einzelheiten überholt); Sax-Bleicher (durch die Arbeiten zum HAB teilweise überholt); L. Bruggaier, Die Wahlkapitulationen d. Bischöfe u. Reichsfürsten v. Eichstätt 1259-1790, 1915; F. Heidingsfelder, Die Zustände im Hochstift Eichstätt am Ausgang d. MA u. d. Ursachen d. Bauernkrieges, 1911; T. Eisenbrand, Ehehaftsordnungen im Hochstift Eichstätt, Diss. Erlangen 1938; E. Klebel, Eichstätt zw. Baiem u. Franken (Schriftenreihe 57) 1957, 341-344; Μ. Adamski, Kloster, Stift u. Stadt Herrieden im MA bis z. Eroberung durch Ludwig den Bayern im Jahre 1316, 1954. Deutscher Orden. Hofmann, Deutschmeisterstaat, dazu E. Weise (HZ 203) 1966, 681-685; Beispiel einer Einzeluntersuchung: K. H. Lampe, Die Entstehung d. Deutschordenskommende Prozelten (Wertheimer Jb. 1955) 1956, 39-45; Ders., Das Zins- u. Gültregister d. Deutschordenskommende Prozelten, 1965.

Man hat die ansprechende Vermutung geäußert, daß Teile der staufischen Reichsgesetze von 1220 bis 1231/32 durch das geistliche Fürstentum in seinen fränkischen Gliedern verursacht worden sind.1 Tatsächlich besaßen die Machtkeme der geistlichen Rcichsfürsten infolge der besseren Ausstattung mit Administrationsorganen einen erheblichen Vorsprung im Territorialisierungsprozeß im Vergleich mit den Gebilden in weltlicher Hand. Die Verteilung im Gesamtraum Frankens ist sehr ungleichmäßig: Drei Hochstifte liegen am Main, eines mit erheblicher Retardierung der Territorialkonsolidation weit im Süden, die erst seit Anfang des dreizehnten Jahrhunderts entstandenen Partikel des Deutschordensgebiets in breiter Streulage in den mittleren und westlichen Regionen. Abtcigebiete sind nicht über Mediatspositionen innerhalb der Hochstiftc hinaus gediehen. a) Mainz. Das Erzstift gehört mit Teilen seines Territoriums am unteren Main als mittclrheinische Macht auch zur Staatcnwelt Frankens. Eine der Grundlagen des Herrschaftsaufbaucs bildete das Eigentum am Aschaffenburger Forst.2 Die ersten 1 E. Klingelhöfer, Die Reichsgesetze v. 1220, 1231/32 u. 1235. Ihr Werden u. ihre Wirkung im deutschen Staat Friedrichs II., 1955· 18·

2 Cramer (s. o. 274); über Begriffsinhalt und rechtliche Bedeutung der fest umgrenzten Forsthoheit, die im Unterschied zur Immunität nur für ein bestimmtes Gebiet galt, vgl. bes.

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Gegner waren grundherrliche Gewalten, sie aber waren meist entmachtet, ehe die territoriale Expansion großen Stils begann, die in das Gesamtgebiet des Mainvicrccks und stellenweise weit über dasselbe hinausführte. Verhältnismäßig still blieb die Auseinandersetzung mit dem Würzburger Hochstifte. Erbittert waren die Kämpfe der Erzbischöfe mit dem Hause Rieneck, dem nicht nur das 1221 letztmals als solches genannte Mainzer Burggrafenamt, sondern auch der zweite Siedlungsgürtcl und das Innere des Spessarts abgerungen wurden. Die landesgeschichtlich wichtigen EntScheidungen fielen in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts; nur noch ausgestaltende Bedeutung kam dann regionalen Auseinandersetzungen des Aschaffenburger Stiftes mit den Grafen zu, die sich bis in das fünfzehnte Jahrhundert hinzogen.1 Auch in den Machtproben mit den Herren von Jossa, Steckelberg, Thüngen und Hutten blieb das Erzstift Sieger.2 Die Hauptmasse des Forstes eignete sich das Erzstift an auf dem Weg vom Wildbann in einem wenig erschlossenen Gebirgsland über die Anwärterschaft auf eine Gebietshoheit zur Territorialherrschaft im bewußt siedlungsarm gehaltenen Raum. Am Mainabschnitt zwischen Miltenberg und Wertheim rückte seit dem Anfang des dreizehnten Jahrhunderts die Mainzer Kirche in Stellungen des Königtums ein und machte sich die Herrschaft Klingenberg lehnbar.3 Dadurch wurde die Verbindung mit den älteren Stellungen an der Tauber intensiviert. Die Erzbischöfe aus dem Hause Eppstein, die mit nur kurzen Unterbrechungen von 1200 bis 1305 den Mainzer Stuhl besetzten, führten die Territorialpolitik mit den Mitteln vielfähigen Erwerbs von allen möglichen Gerechtsamen, des Burgenbaus, der Übernahme von Lehensrechten und des Aufkaufes von Herrschaften zum Erfolg. Wertvoller Zugang war die Herrschaft Düm, die das verkehrswichtige Ostvorland des Odenwaldes und damit die Übergänge in die Gebiete an Neckar, Jagst und Kocher an Mainz brachte.4 Wie die Rienecker wurden die Grafen von Wertheim zwischen den Gebieten der Erzbischöfe und des Würzburger Hochstiftes eingeklemmt. Der Gegensatz Mainz-Pfalz, ein Wesenselement mittelrheinischer Geschichte, wirkte sich auch in den westlichen Teilen Frankens aus. Im Mainzer Machtbereich zeigt das Auftauchen der Zentorganisation in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts die innere Konsolidation der Territorialherrschaft an, aber auch hier waren wichtiger Vogteicn, Kellereien und Ämter als das administrative Instrumentarium, das im folgenden Jahrhundert verfeinert wurde. Trotz zeitweise langdauernder und schwerer Belastungen und über die für den Kurstaat gefährliche Krise in der Stiftsfehde von 1461/63 hinweg konnte das Mainzer Erzstift seinen Rang als Territorialmacht in den fränkisch-mittelrheinischen Übergangszonen behaupten. Zwischen Miltenberg, Tauberbischofsheim und Krautheim war Kurmainz die die Geschicke des Baulandes bestimmende Macht bis zum Ende des alten Reiches.’ Mayer, Mod. Staat, bes. 325 ff. Vgl. auch Klein (s. o. 274) zusammenfassend HAB Aschaffenburg (G. Christ) 12-18, 53 ff 1 Christ, Hubgerichte (s. o. 274) ui bis 162. 2 HAB Gemünden (K. Richter) 23, 35 f.

3 HAB Marktheidenfeld (W. Stürmer) passim. 4 Engel, Mainfranken (s. o. 266) bes. 51 ff ’ Einzelnachweise: Humpert (s. o. 274); Fenner (s. ebd.).

§ 40. Die Hochstifte (A. Gerlich)

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b) Würzburg. Das Hochstift war infolge seiner Lage im Altsiedelland mit den fruchtbaren Böden der offenen Gaulandschaftcn beiderseits des mittleren Mains das für die fränkische Landesgeschichte wichtigste geistliche Territorium. Auch hier boten mannigfache Ausstattungen, hauptsächlich durch die Kaiser Otto III. und Heinrich II., die ersten Grundlagen der Raumerfassung. Am auffälligsten ist bei diesem Glied der Rcichskirche das 1168 durch Friedrich Barbarossa verliehene Herzogtum, die nachmals oft berufene «Güldene Freiheit». Sie hat die Forschung oft beschäftigt, sei es im Blick auf ihre im herzoglosen Raum langsam erwachsenen Vorstufen der dignitas iudiciaria in tota orientalis Francia,1 sei es hinsichtlich der Frage, ob dieser Dukat für die Ausgestaltung des Bischofsstaates Wert besessen habe. Neuerdings haben eindringende Erörterungen über die Verfassung des Dukats, das Gerichtsverfahren und materielle Rechte zu den Ergebnissen geführt, daß im Unterschied zu anderen kaiserliehen Landgerichten nicht von einem theoretischen Grenzenmangel gesprochen werden kann, sondern sich das Würzburger kaiserliche Landgericht vielmehr als landesfürstliches Obergericht erweist, als ein territoriales Forum nur dort und insoweit, wo der Bischof zuvor und mit anderen Rechtsinstrumenten seine landesherrliche Gewalt hatte durchsetzen können.12 Auch in der Verhinderung von Appellationen an andere Gerichte oder an das Reichsoberhaupt unterschied sich das Würzburger Landgericht von den gleichnamigen Einrichtungen. Da es in der Hand eines geistlichen Reichsfürsten lag, den einer der Domherren vertrat, beschränkte sich das Würzburger Landgericht auf den Bereich des Zivilrechtes, weil Kleriker auf Grund der kanonisehen Vorschriften nicht den Blutbann empfangen durften. Strafrechtskompetenzen wurden zwar grundsätzlich in Anspruch genommen, in der Praxis aber den Zenten überlassen.3 Grafen und Ministerialenfamilien wie die Hohenlohe, selbstverständlich bis zu ihrem Erlöschen die Herzöge von Andechs-Meranien, widerstanden diesem Würzburger Gericht, schränkten den Dukat des Bischofs ein und durchlöcherten ihn.4 Die eigentlichen territorialbildenden und durch Agglomeration die Landesherrschäft verdichtenden Gerechtsame waren ähnlich wie bei den anderen fränkischen Mächten die in der Vogtei zusammengeschlossenen Kompetenzen.5*Hinzu kamen auch hier Sonderrechtsverleihungen für Markt und Stadt, Zölle und Geleite, Lehen- und

1 Th. Mayer, Die Würzburger Herzogsurkünde v. 1168 u. d. Österreich. Privilegium minus. Entstehung u. verfassungsrechtl. Bedeutung (Aus Verfassungs- u. Landesgesch., Festsehr. F. Steinbach) 1960, 247-277; Ders., Fürsten 282-294, 3112 Merzbacher 201 ff. 3 Zum Stand der Forschung Ders., Halsgerichtsordnungen (s. o. 274). 4 Hofmann 372 ff, 404 ff.; Zimmermann (s. o. 46) 379-408, bes. 391 ff. u. 402 ff. 5 Einzelnachweise (Auswahl): HAB Karlstadt (E. Riedenauer) 18 ff, 20 ff. (Austausch

v. Eigenleuten), 23 ff. (Burgenbau u. Befestigungsrecht), 38 ff. u. 45-50; HAB Gemünden (K. Richter) 23 ff. u. 31 ff.; HAB Marktheidenfeld (W. Störmer) 55-62. - Als Übersicht über die Entwicklungen von der Mitte des 14. bis zur Mitte des 15. Jhs. geeignet Schmidt, Herzogtum. Zur Erfassung der das Land bewirtschaftenden Menschen, zum Austausch von Hintersassen, dem sozialgeschichtlichen Ausgleich seit der Wende vom 13. zum 14. Jh., der durch die Eingliederung in die Gerichtsbarkeit gefördert wurde, vgl. Tischler (s. o. 275).

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Eigengerichtsbarkeit, Grundherrschaftsrechte aller Schattierungen. Heinrichs (VII.) Anweisung an die Amtleute seiner Reichsgutverwaltung umreißt durch ihre Übergriffsverbote den Katalog dieser landesherrlichen Rechte. Nicht übersehen darf man die territorialverdichtenden Funktionen der geistlichen Gewalten des Sends und der mit dem Klosterschutz verbundenen Steuern monastischer Institutionen. Durch Entvogtung und defensio specialis bauten die Bischöfe Klöster und deren Besitz ihrem Territorium ein. * Die Abtei Ebrach bietet das instruktive Beispiel für einen Kampf um die Herrschaftsrechte selbst wie für die Auseinandersetzungen zweier Hochstifte um ein Kloster.1 2 Der Landesherrschaft des Bischofs erwuchsen zeitweise gefährliche Konkurrenzen und Emanzipationstendenzen im Domkapitel, in den Stiftsstädten und der Ministerialität. Seiner differenzierten Struktur nach steht das Hochstift Würzburg dem Mainzer Kurstaat vergleichsweise näher als den einfacher gearteten Bischofsterritoricn von Bamberg und Eichstätt. Das Domkapitel konnte seine Position im Territorium wie in der Verwaltung des geistlichen Sprengeis früh ausbauen. Schon aus dem Jahre 1225 liegt eine Wahlkapitulation vor; damals wie später sind nur die Domherren, nicht andere geistliche oder auch weltliche Personenkreise, Vertragspartner des Elektcn.3 War die älteste Wahlabsprache Konsequenz der finanziellen Inanspruchnahme der Würzburger Kirche durch den Reichsdienst, so fordern vom vierzehnten Jahrhundert an die Domherren Steuer- und Zollbefreiungen, ihren festen Platz im Rat des Landesherm, Sicherheit für den Kapitelsbesitz als Sondervermögen, Einfluß auf das Münzwesen und die geistliche Gerichtsbarkeit. Der Kreis der Domherren - sie entsprossen der adligen Führungsschicht der spätmittclalterlichen Gesellschaft - festigte seine im Laufe der Zeit zusammengekommenen Einzelrechte in jeder Vakanz durch summarisehe Bestätigungen. Von 1345 an wurden sogar das Bündniswesen des Bischofs und dessen Beziehungen zum Papst Gegenstände der Kapitulationen. Die reichspolitischen Erschütterungen im Kampf Kaiser Ludwigs IV. mit der Kurie wirkten sich bis auf die Beziehungen des Bischofs zu den Kapitularen aus. Während des vierzehnten und besonders im zweiten Viertel des folgenden Jahrhunderts wurden harte AuseinanderSetzungen über die Rechtsansprüche der Kapitulare auf der einen, Absolutionsversuche der Bischöfe beim Papst und zeitweise auch beim Konzil auf der anderen Seite ausgetragen. Das Kapitel beharrte erfolgreich auf seiner Position im Hochstift. Von 1446/55/66 an wurden die Kapitulationen nur noch in Einzelheiten verfeinert. Der Dualismus Bischof-Domkapitel hat sich als Element der Hochstiftsverfassung gefestigt. Zeitweise ungeheure Verschuldungen infolge der Abgaben an die Kurie, Doppelwahlen, aus ihnen und vielen anderen Gründen entstehende Fehden, die 1 Vgl. HAB Karlstadt (E. Riedenauer) 3 5 ff. 2 H. Zeiss, Reichsunmittelbarkeit u. SchutzVerhältnisse d. Zisterzienserabtei Ebrach v. 12. bis 16. Jh. (BHVB 80) 1928, 1-102; Weiss, Ebrach (s. u. 456) 91 ff. u. 112ff; W. Engel, Vogtei-Irrungen d. Abtei Neustadt am Main 1150 bis 1474 (ZRG, KA 67) 1950, 399-415.

3 Abert (s. o. 274) hier bes. 42-77. Jüngste Zusammenfassung des Forschungsstandes: Schubert, Landstände 21 ff.; Wendehorst II 46 ff, 52-56, 62-71, 84-92, 109-123.

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Schwächung der Wirtschaftskraft infolge der Seuchenzüge ließen immer wieder die Forderungen des Kapitels wirklichkeitsentsprechende Ansatzpunkte und Gelegenheit zur Ausweitung finden. Sonderrechte und Eigenbesitz der Kapitulare aber standen einer Verflachung des Staatswesens im Wege und ließen nur die geistliche Spielart des spätmittelalterlichcn institutionellen Personenverbandsstaats mit seinen sozialgeschichtlichen Differenzierungen zu. Die Anfänge der territorialstaatlichen Konsolidierung brachten Stadtgründungen und Burgenbau. In Würzburg selbst läßt das Nebeneinander bürgerschaftlicher Siedlung und der Marienburg die Härte der Spannung zwischen dem Landesherrn und den Bewohnern der Stadt deutlich hervortreten. * Der Gegensatz der Stadt zum Bischof durchzieht wie ein roter Faden die Geschichte des Hochstiftes im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert. Zunächst fanden sich Bürgerschaft und Grafen von Henneberg,2 nach deren Abdrängung suchte jene das Bündnis mit anderen Gegnern des Bischofs.3 Den ersten schweren Waffengang brachte das Jahr 1254; Würzburgs AnSchluß an den rheinischen Städtebund erwies sich als nutzlos, deutet aber die Tendenz an, im Verbund mit Reichsstädten zu bleiben und die bischöfliche Herrschaft abzuschütteln. Der Bischof konnte zwar 1261 die Stadt niederringen,4 aber noch viele Jahrzehnte gingen die Kämpfe um Selbstverwaltung und Steuerhoheit, Siegel und Münze sowie um das Recht der Handwerker zum Zusammenschluß in Zünftenweiter. Im fränkischen Landfrieden Kaiser Ludwigs von 1340 erscheint Würzburg als selbständiges Mitglied. Ein halbesjahrhundert lang blieb der Gegensatz unausgetragen und wurde verschärft durch den Zusammenschluß Würzburgs mit den anderen Städten im Hochstift. Diese Konstellation zwang Kaiser Karl IV. zur Intervention im Sinne der Sicherung seiner fränkischen Positionen;5 sein Sohn Wenzel erlag der Versuchung, die Städte einer königlichen Amtmannschaft zu unterstellen, um sie als Faktor im Kampf mit der Opposition der Kurfürsten benutzen zu können. Noch ehe man am Rhein zur Absetzung des Königs schritt, erlitten die Städte im Januar 1400 in der Schlacht bei Bergtheim eine vernichtende Niederlage.6 Die Stadt Würzburg schied als eigenständige Größe aus Frankens Geschichte aus, in Strömen von Blut wurde ihr Lebenswille erstickt. Mit der dritten Komponente im Aufbau des würzburgischen Herrschaftsgefüges neben dem Bischof als Landesfürsten, der Ministeriatität, ist der Begriff des institutionellcn Pcrsoncnvcrbandsstaatcs ebenso verbindbar wie mit dem ihr sozialgeschichtlich adäquaten Domkapitel.7 Die Auflassung der Kirchlehen seitens der Staufer ’ Über Würzburg und die Städte im Hochstift vgl. zusammenfassend Schubert, Landstände 34 ff. 2 Rietschel (s. o. 274) 135-142, 135 Anm. 1 (ält. Lit.), vgl. 301 u. 314. 3 W. Füsslein, Das Ringen um d. bürgerl. Freiheit im mittelalterl. Würzburg d. 13. Jhs. (HZ 134) 1926, 267-318; Ders., Zwei Jahrzehnte würzburg. Stifts-, Stadt- u. Landesgesch. (1254-1275), 1926, 33 ff, 43-66.

4 Zur Schlacht bei Kitzingen vgl. FussZwei Jahrzehnte 123-146. 5 Lentze, Zunftverfassung (s. u. 323) 58-62; Stein, Einungs- u. Landfriedenspolitik (s. o. 173 Anm. 4) 66. 6 Schubert, Landstände 53 ff.; Wendehorst II 120 ff. 7 Schubert, Landstände 27-34. lein,

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in und nach dem Thronstreit an der Wende vom zwölften zum dreizehnten Jahrhundert hat sicher Teile der Reichsministcrialität in die Dicnstmannschaft des HochStiftes überwechseln lassen. Dafür, daß diese Vorgänge höchst spannungsgeladen waren,1 zeugt die Ermordung des Bischofs Konrad von Querfurt, ein Prototyp des frühen Territorialmachtstrebens, im Jahre 1202 durch Angehörige der Rcichsministerialität. Auf die Absicht, zu klaren Trennungen zu gelangen, deuten die Übereinkünfte von Landesherren hinsichtlich der Ehen und Kinder von Ministerialen, wie sie zwischen 1220 und 1243 vom Würzburger Bischof mit seinen Standesgcnossen in Bamberg, Fulda undEichstätt geschlossen wurden.12 Mit den Mitteln des Ehekonsenses und der Kinderteilung versuchte man zu einer Bereinigung in der Verfügung über Personenkreise zu gelangen, deren administrative Kenntnisse und Erfahrungen die Landesherren beim Aufbau der Territorien zu nutzen trachteten.3 Seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts verlieren die landesherrlichen Verträge über Ministerialenehen an Bedeutung. Lehensbeziehungen der Würzburger Ministerialen zu fast allen im Hochstift und in dessen Nachbarschaft beheimateten Dynasten wie auch zu den anderen geistlichen Territorien Frankens sind vom dreizehnten Jahrhundert an die Regel. Diese vielseitigen Bindungen und Rückversicherungen trugen dazu bei, den Eigenstand der Ministerialität zu stützen. Im Öffnungsrecht an den Burgen errang der Bischof zwar meist regional nutzbare Ansatzpunkte seiner Territorialhcrrschaft, zur vollen Integrierung des ministcrialischen Personenverbandes und zur Herrschaftsvcrflächung der fürstlichen Gewalt über dessen Besitz ist es jedoch nicht gekommen. Der Adel konnte seine Sonderrechte entsprechend dem Charakter des territorium non clausum fränkischer Art wahren. Auch die eigentlichen ministcrialischen Funktionen - angefangen bei der zum Beratungsrecht umgestaltetcn Pflicht zu Rat und Hilfe, Bürgschaften und Eideshilfen, über Burghut und Teilnahme am militärischen Aufgebot des Hochstiftes bis zur Ausübung der Hofämter und dem Urtcilfinden im Landgericht - waren ihrer Natur nach darauf hin angelegt, Sonderrechte zu schaffen. Hatte das Jahr 1400 immerhin den Zusammenbruch der städtischen Komponente im Spiel der Kräfte gebracht, blieben mit Bischof, Domkapitel, Hochadel und Ministerialität im Bereich des Hochstiftes am Mittclmain mehr als genug Träger von Rechtsresiduen, ausbaufähigen oder wandelbaren Gerechtsamen und gcgeneinanderlaufcnden Tendenzen, um im fünfzehnten Jahrhundert das Würzburger Territorium ein vielgliedriges und im inneren Wirkmechanismus der Einzelkräfte höchst empfindlichcs Gebilde bleiben zu lassen. Die Verstrickung des Würzburger Hochstifts in die reichs- und kirchenpolitischen Kämpfe des vicrzehntcnjahrhunderts hatte zu der für jene Zeit ungeheueren Schuldenlast von rund 2’/2 Millionen Gulden geführt, die dem Stift viele Fehden zuzog und «das Movens für die schweren Wirren der folgenden Zeiten» wurde.4 Für den territorialen Zustand bezeichnend ist cs, daß die Adclsherrschaftcn von den Steuer1 Bosl, Anfänge (s. o. 267) 67-88. 2 Hierzu wie auch zum Folgenden die Forschungen von Reimann, Besitz- u. Familiengesch. (s. o. 275); Dies., Ministerialen (ebd.).

3 Vgl. etwa Engel, Mainfr. Heimatkunde 2, 59 ff4 Schubert, Landstände 57.

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erhebungen ausgcklammert blieben, wohl aber der Klerus im zur Landesherrschaft verfestigten Gebiet der fürstlichen Gebotsgewalt zu den Abgaben herangezogen wurde. Trotz der finanziellen Abhängigkeit des Bischofs von der Wirtschaftskraft der Städte und den Erträgnissen seines Staatsgebildes hat sich indessen während des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts keine landständische Organisation im Hochstift Würzburg ausgebildet.' Vielmehr suchte man das Heil in Sonderverträgen und Pflegschäften; in das vom Kampf des Bischofs mit dem Domkapitel zerrissene Territorium wirkten abermals die Nachbarmächte von 1432 an ein, im Streit um die Regentschaft traten die Ambitionen der Grafen von Wertheim kraß hervor? Domherren und Adel, obwohl der gleichen Sozialsphärc entstammend, gerieten in den Verhaltensgegensatz von institutionalisierter Herrschafts- und Kontrollfunktion und ständischer Initiative.3 Der sogenannte Runde Vertrag von 1435 brachte die Einsetzung einer Pflegschaft von 21 Mitgliedern aus dem Kapitel, Grafen-, Herren- und Ritterstand, stieß auch über die tagespolitischen Gesichtspunkte hinausschreitend zu einem Schuldentilgungsplan vor, wurde allerdings nicht zu einem dauernden Instrument der Hochstiftsverfassung. Vielmehr konnte nach neuen Zerwürfnissen Bischof Johann II. von Brunn seine angeschlagene Position als Landesherr wieder zeitweilig festigen. Die Zerrüttung der Verhältnisse griflf dann noch weiter um sich, als die Vakanz des Jahres 1440 durch die Einführung Sigismunds von Sachsen beendet wurde, hinter dem nicht nur wettinische Hausmachttendenzen, sondern auch die Protektion durch den Kurfürsten Friedrich I. von Brandenburg und damit zunächst ein Rückhalt an den fränkischen Zollcrnlanden wirksam waren. Allen Ernstes wurde damals im Domkapitel erwogen, das heruntergekommene Hochstift dem Deutschen Orden zu übertragen. Nach drei Jahren zermürbenden Ringens wurde der Wettiner mit Kitzingen abgefunden. Im Zusammenwirken des Königs mit Papst Eugen IV. wurde schließlich Gottfried IV. Schenk von Limpurg zum Bischof erhoben. Mit dessen Regierung tritt die Geschichte des Hochstifts Würzburg in ihre spätmittelalterliche Endphase ein. Vorauslicgendc Entwicklungsansätze gediehen zur Reife.4 Der territoriale Umwandlungsprozcß seit dem Ausgang des vicrzehntenjahrhunderts hatte zu Spannungen im Personenverband des Stiftes geführt und zwei Menschenalter später den Kampf mit Markgraf Albrecht Achilles grundgelegt. Seit Johann II. von Brunn läßt sich beobachten, daß der Würzburger Dukat - in seinen Ansprüchen sinnfällig ausgedrückt durch die Aufnahme in die fürstliche Titulatur5 - zum Programm der Hochstiftspolitik gemacht wird. Zunächst nur sporadisch geführt, kehrt er regelmäßig seit Gottfried IV. in den Urkunden wieder. Dadurch wurden die Zollern in ihrer Herrschaftsstcllung angegriffen, ein besonderes Spannungsmoment bot die Frage der würzburgischen Lehenshoheit über Ansbach.6 In der Abwehr derartiger 1 Ebd. 61. 2 Ebd. 80. 3 Wendehorst II 155 ff. 4 Eine Darstellung des Wirkens Gottfrieds IV. für das Territorium bieten Knapp-Kohler, Die Würzburger Zentgcrichts-Reformation 1447, o. J. (1909), 1-17; Wendehorst II 173 bis 186.

5 Schubert, Landstände 93; Merzbacheb 70 ff. über den Bischof als Herzog im Gericht; Nachweise des Hcrzogstitcls bei Wendehorst II 133, 153, 166, 177. 6 Schubert, Landstände 94 m. Anm. 9.

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Bedrohungen sollten die Markgrafen dann nicht nur auf die herkömmlichen Mittel der Auseinandersetzung im territorialen Rahmen zurückgreifen, sondern auch mit der Kontrolle geistlicher Maßnahmen in ihrem gesamten Herrschaftsbereich die Grundlagen schaffen für den Bau ihrer Kirchenhoheit. Der Krieg mit Albrecht Achilles brach 1460 aus und zog sich mit Intervallen jahrclang hin. Unter Johann von Grumbach war die Würzburger Position im Vergleich mit den Krisenjahrzehnten Johanns von Brunn bereits fühlbar gefestigt. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung war das Verhalten des mainfränkischen Adels, der sich dem Werben des Markgrafen Albrecht Achilles versagte und 1461 im sogenannten Gnadenvertrag mit dem Bischof fand. In ihm verpflichtete sich Johann von Grumbach zur Wahrung der Adelsrechte und zur gemeinsamen Friedenswahrung.1 Das Ringen der main- und mittelfränkischen Fürsten endete mit dem Kompromiß, daß die Aisch und die Bergler Steige als die Grenze burggräflicher und würzburgischcr Gerichtsbarkeit festgesetzt wurden. Die beiden Mächte hatten in einem Krieg, der vergleichbar ist den zeitlich parallelgehenden Auseinandersetzungen des Pfälzer Kurfürsten Friedrich des Siegreichen mit dem Mainzer Erzstift, ihre Kräfte gemessen und waren zur Erkenntnis gelangt, daß keine die andere vernichten konnte. Ein Zustand verhältnismäßiger Ruhe kehrte ein während der 1466 anhebenden fast dreißigjährigen Amtszeit des Bischofs Rudolfs II. von Scherenberg. Von ihm ging der Plan eines Dreibundes Würzburg-Bamberg-Ansbach aus, um so ein Übergewicht über die Menge der kleinen Reichsstände und fränkischen Lokalgewalten herzustellen und die Streitigkeiten aus der Welt zu schaffen.1 2 An der Verschiedenartigkeit der politischen Tendenzen scheiterte zwar das Projekt,3 Würzburg aber behauptete sich als eine der Vormächte im fränkischen Trialismus. In seiner geographischen Gestalt bietet das Würzburger Hochstift am Ende des Mittelalters ein wenig kompaktes Bild. Durch die Übernahme des Besitzes der Grafen von Henneberg-Botenlauben wuchs der Bischofsstaat bis ins Rhöngebiet, allerdings fehlte ihm bis zum Ende des Reiches die natürliche Ergänzung durch die zum Territorium der Reichsabtei Fulda gehörenden Gebiete von Hammelburg und Brückenau. Ebenso wie die Grafen von Rieneck in ihrer Restposition am Main hielten sich an der Sinn die Herren von Thüngen. Gemengelage mit hennebergischem und ritterschaftlichem Eigen bestimmte das Bild in den Haßbergen und an deren nordöstlichen Abhängen. Die Reichsstadt Schweinfurt sperrte den Weg aus den Hochstiftstcilen am Main in jene Außenpositionen. Ähnlich verzahnt wie im Nordosten waren die Gerechtsame des Hochstiftes und anderer Herrschaften um das Ochsenfurter Mainknie. Dort traf das Hochstift auf Vorposten des Markgraftums Ansbach und Besitz der Herren von Castell, Seinsheim und Schwarzenberg, der Schenken von Limpurg und anderer ritterschaftlicher Familien. In diesen Landstrichen wirkten sich die Entscheidungen der 1 Ebd. 98. 2 A. Werminghoff, Ludwig v. Eyb d. Ä., 19!9> 197 ff. 3 Sehr gute Einblicke in das Wechselspiel der Würzburger Reichs- und Territorialpolitik

bietet F. Merzbacher, J. v. Aliendorf, Stiftspropst v. St. Burkard u. bischöfl. Kanzler (1400-1496), 1955.

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Rcgionalkräfte während der Spätstaufcrzeit nachhaltig aus und verhinderten das Ausgreifen des geistlichen Territoriums nach Süden. Die Auseinandersetzung mit dem Bamberger Hochstift um das Ebracher Gebiet ließ den Steigerwald großenteils zum Würzburger Herrschaftsraum werden. c) Bamberg. Das Hochstift stellt eine andere Raumindividualität dar. Seine Geschichte ist in mancherlei Hinsicht charakterisiert durch Verzögerungen, die sich bei Vergleichen mit Mainz und Würzburg ergeben.1 Die Gerechtsame dieser Spätgründüng im Verband der Reichskirche hatten einen besonderen Zuschnitt bekommen. Bamberg erhielt keine Immunität, wohl aber eine verfassungsrechtlich nicht mehr ganz sicher erfaßbare Überordnung über die Grafen im Volkfeld- und Radenzgau. Nicht Heraushebung aus der rechtlichen Struktur des Reichsbaues, sondern Dienst als Werkzeug eines auf Zentralisierung der Herrschaftsfunktionen des Kronträgers hin angelegten Planes Heinrichs II. gab die Richtschnur für das Handeln des Bischofs.1 2 Grundherrschaften, Eigenkirchenrecht und Rechte als Diözesanbischof boten während der salisch-staufischen Entwicklungsphase nur eine magere Herrschaftsbasis. Die Grafschaftsrechte wurden durch die Lehensleute dem Bischof stärker entfremdet, als dies bei einer Immunität möglich gewesen wäre. Wie in Würzburg zogen die Staufer zur Ergänzung ihrer Reichslandzonen Kirchenlehen an sich.3 Allerdings trafen diese Vorgänge Bamberg härter als das von Natur aus reichere Hochstift am Mittelmain.4 Fast erdrückend wirkte der Herrschaftsaufbau des Hauses Andechs-Meranien, der die Anlage zur einheitlichen Raumordnung des heutigen Oberfranken in sich trug und daneben für Bamberg einen nur bescheidenen Platz als Regionalgewalt ließ. Schlagartig änderte sich die Lage, als 1248 das Haus Andechs-Meranien erlosch und in Oberfranken dadurch Möglichkeiten der Territorialisierung freigesetzt wurden (s. o. 162).5 Der Erfolg des Bischofs, der im Sommer 1249 mit den Erben, den Burggrafen von Nürnberg, den Grafen von Orlamünde und den Herren von Truhendingen eine länger als zehn Jahre dauernde Fehde begann, war bescheiden.6 Neben dem 1 Die aus dem Frühmittelalter herrührenden Voraussetzungen behandelt grundlegend v. Guttenberg 176-359; Ders., I 29-92; BeckBüttner (s. u. 498); v. Guttenberg-Wendehorst II. Übersicht über die Entwicklung der Forschung bei H. Zimmermann, Gründung u. Bedeutung d. Bistums Bamberg für d. Osten (Südostdeutsches Arch. 10) 1967, 35-49, dazu Bayer. Geschichtsatlas 74. 2 Mayer, Fürsten 262 f. Zur Ortsfunktion: G. Zimmermann, Bamberg als königl. Pfalzort (JffL 19) 1959, 203-222; K. Hauck, Miszellen z. Gesch. d. Pfalzorte Bamberg u. Nürnberg (JffL 20) 1960, 293-304. 3 Über die Bamberger Kirchenlehen im Nordgau vgl. Dannenbauer 27-46. 4 Mayer, Fürsten 273 ff. - Zum Abgang der Außenpositionen in der Ortenau an die Zähringer und dann an die Staufer vgl. kurz Niese (s. o. 163 Anm. 4) 48 f. Außerhalb der

Erörterungen müssen hier die zeitweise besser konsolidierten Territorien des Hochstifts im Ostalpenraum bleiben. Dazu E. Klebel, Bamberger Besitz in Österreich u. Baiern (Schriftenreihe 57) 289-304; H. Koller, Bamberg u. Villach (Festschr. K. Pivei) Innsbruck 1966, 223-233. 5 Zusammenfassung bei Kist 46-56; Bayer. Geschichtsatlas 88. - Das Landgericht (iudicium provinciale) der Andechser, das der Bischof an sich nahm, hat den Territorialisierungsprozeß nur begleitet, nicht begünstigt, wie Engel (s. o. 267), bes. 54 f. gegenüber festzuhalten ist, der allerdings richtig die nur keimhaften Ansätze zu einem nach dem Würzburger Muster entworfenen Bamberger «Herzogtum» richtig charakterisiert. 6 E. Frhr. v. Aufsess, Der Streit um d. Mcranische Erbschaft in Franken (BHVB 55) 1893,1-48; P. Scheffer-Boichorst, Der Bam-

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Würzburger Bischof traten die Grafen von Henneberg sowie die Herren von Castell und Hohenlohe auf den Plan, 1253 vorübergehend auch die Herzöge von Bayern. Schließlich mußte der Bischof den größten Teil seiner Ansprüche aufgeben. Im Langenstadter Vertrag vom 14. Dezember 1260 anerkannte Berthold von Leiningcn als die Besitzer der Herrschaft Plassenburg die Grafen von Orlamünde, des Bayreuther Gebiets die Zollern, der um die Giechburg und Lichtenfcls konzentrierten Gerechtsame die Herren von Truhendingen.1 Während der Auseinandersetzungen in der vorangegangenen Zeit des heftigsten Kampfes war der Bischof zeitweise in Kärnten, die kontinuierliche Beharrungstendenz lag beim Domkapitel.2 Die Bamberger Selbstbehauptung beschränkte sich im wesentlichen auf die Stadt und ihr Umland am Nordausgang des Regnitztalgrabens. In der Methode des Aufbaues einer territorial verdichteten Machtbasis waren die Bamberger Bischöfe fortan auf die mühselige Kleinarbeit des Erwerbs von Grundherrschaften, der Entvogtung von kleineren KlöStern und Stiften und des Zusammenfügens administrativer und judikatorischer Kompetenzen in der spätmittelalterlich-fränkischen Vogteigewalt angewiesen.3 Der charakteristische Unterschied zu anderen geistlichen Reichsfürstentümern war auch hier mit dem Mangel an königlicher Bannleihe gegeben; vielmehr war die Verfügung über Zent- und Halsgerichte oft Grundlage des Vorgehens, das in vielen Einzelfällen nur dadurch begünstigt wurde, daß die Gegner weniger mächtig waren.4 Burgenbau und Burghutverträge, auch die Konsolidierung von Ämtern, sind weitere Mittel der territorialen Verklammerung.s Die spätmittelalterliche Vogtei zeigt bei dem allen ihre rechtsvcrschmelzende und -umformende Kraft. Das Hochstiftsurbar6 von 1323/27 zeigt den Versuch, den Besitz zu gliedern und Verwaltungsmittelpunktc zu schaffen. Ihm folgt dann 1348 ein im nächsten Jahrzehnt noch ergänztes zweites Gesamturbar. Die Unterschiede deuten an, wie man die administrativen Möglichkeiten erprobte und umgestaltete; nur die Zenten blieben meist unverändert. Die Bamberger Hochstiftskonsolidation erregt um so mehr Aufmerksamkeit, als diese Kirche, wohl infolge der verfassungsrechtlichen Eigenheiten seit der Bistumsgründung, in starkem Maße zum Rcichsdienst herangezogen worden und seit der Spätstauferzeit verschuldet war.7 Offenbar konnte das Hochstift in vielen Fällen eine noch ärgere Verschuldung seiner Verhandlungspartner oder auch in bestimmten regioberger Schüler über d. meranischen Erbfolgestreit. Friedrich III. v. Zollem-Nümberg als Edler v. Osterhofen (MIÖG 13) 185 ff. (auch in: Zur Gesch. d. 12. u. 13. Jhs. Diplomat. Forschlingen, 1897, 319-325). 1 Der Ausgleich im Vertrag von 1260, einem der für die Territorialgeschichte Oberfrankens wichtigsten Abkommen, wurde erleichtert durch die Verwandtschaft des Bischofs Berthold sowohl mit dem erloschenen Haus Andechs-Meran, vgl. J. Kist, Die Nachfahren d. Grafen Berthold I. v. Andechs (JffL 27) 1967, 48 nr. 57, als auch mit dessen eigentlichen Allodialerben.

2 Vgl. Krenzer (s. o. 89 Anm. 5). 3 Hofmann 378 ff., auch für das Folgende. 4 Über die biologischen Schwunderscheinungen im fränkischen Adel des Spätmittelalters vgl. Hofmann 381, Tabellen, Stammtafeln und Einzeluntersuchungen zu den Standes Verhältnissen der Ministerialen: v. Guttenberg I 395-444. 5 Nbukam, Territorium (s. o. 275). 6 v. Guttenberg I 360 ff. 7 S. o. 162, 171 u. 283. Auf das Nebeneinander von Besitzerwerb und Verschuldung weist wiederholt Kist 48 ff. hin.

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nalcn Konstellationen deren Schutzbedürfnis gegenüber der ungestümen Territorialcxpansion der Burggrafen von Nürnberg nutzen und schließlich aus einer Anlehnung die Aufnahme dieser Positionen in das Herrschaftsgefüge gestalten. Nicht gering achten darf man hierbei die sozialgeschichtliche wichtige Verbindung des Adels mit dem Domkapitel.1 Die beiden größeren Expansionen des Hochstiftes im vierzehntenJahrhundert waren das Ergebnis günstiger Konstellationen in den Verhältnissen des Bischofs zu Nachbarn und Reichsoberhaupt. Als in Würzburg und Bamberg gleichzeitig Angehörige des Hauses Hohenlohe geistliche Fürsten geworden waren und diese sich mit den Burggrafen von Nürnberg 1347 gegen die Herren von Schlüsselberg zu gemeinsamem Vorgehen fanden, konnte das Hochstift bei der Aufteilung der Beute in die Herrschaften Waischenfeld und Ebermannstadt einziehen und sich eine Reihe von Burgen sichern.1 2 Dadurch wurden Stationen auf dem Weg vom Hauptort zu den Außenpositionen Pottenstein, Neuhaus, Velden und Vilseck erworben.3 Um jedoch die Abfindungskosten für die Schlüsselberger Erben bezahlen zu können, mußten Erlangen und Teile des Veldener Forstes an Karl IV. verkauft werden. Auf dem Tauschwege erhielt Bamberg später Würzburger Rechte im unteren Talabschnitt der Rauhen Ebrach. Erst gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts glückte die zweite BesitzerWerbung von nennenswerter Einzelbedeutung. Bischof Lampert von Brunn brachte das Streuterritorium der Herren von Truhendingen mit der Giechburg, der Zent Scheßlitz, dem Halsgericht Arnstein und der Zent Baunach auf dem Vertragswege 1390 an das Hochstift. Die verhältnismäßig kleinen Partikel waren für das Territorium des Bischofs wichtig, weil mit ihnen der Zugang vom Bamberger Umland in das Jurabergland fortan ungehemmt offenstand. Diese Expansion wurde zudem vorteilhaft ergänzt durch den Finanzzusammenbruch des Klosters Langheim, dessen Besitz und Hoheitsansprüche in den achtziger Jahren an Bamberg gelangten.4 An den Außenrändem der auf diese Weise zusammengebrachten Landesherrschäft kann fast nirgends von einer scharf bestimmbaren Grenze gesprochen werden.5 Im Tal der Rodach und an der Westabdachung des Frankenwaldes hielt sich Adelsbesitz,6 der gemeinsam mit den burggräflichen Gerechtsamen in der Kulmbacher Region die Vereinigung der nordöstlichen Außenstellungen7 mit dem beiderseits des Maines zwischen Burgkunstadt und Bamberg konzentrierten Hochstiftsteil verhinderte. 1 Ausdruck dieser Verbindung ist auch die Vergabe der vier Hofämter, die seit dem 12.Jh. genannt werden und sich zu erblichen Würden in der Hand ministerialischer Familien entwickelten; v. Guttenberg 162 f. Die Erbämter waren Afterlehen der eigentlichen Amtsinhaber im Kreis der Kurfürsten; dazu: Grünbeck (s. o. 275). 2 v. Guttenberg I 59. 3 Hierzu und zu den Bamberger Beziehungen zum bayerischen Herzogtum vgl. ebd. 51. 4 Zu den Einzelheiten: HAB Stadtsteinach

(v. Guttenberg-Hofmann) 19; HAB Lichtenfels-Staffelstein (H. Weiss) 1959, 9-14. 5 Zur Besitzzersplitterung in diesem Raum vgl. z. B. HAB Stadtsteinach 27 ff. 6 Zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des Adelsbesitzes zusammenfassend v. Guttenberg I 65 f. und Hofmann 380 f. 7 K. Heinold-Fichtner, Die Bamberger Oberämter Kronach u. Teuschnitz. Territorialgeschichtl. Untersuchungen (BHVB 90) 1951 278. 95-

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Wie in anderen Hochstiften entwickelte sich in Bamberg die Mitregierung des Domkapitels.' Schon an der Wende zum dreizehnten Jahrhundert steht die Mitsprache in Besitz- und Lehenrechtsfragen fest, die in Münz- und Marktangelegenheiten folgte rasch. Der Dualismus Bischof-Domkapitel bestimmte die Geschicke des aus der Andechser Phase in eine gefährliche Krisenzeit tretenden Hochstifts während der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts. Den Einfluß der Ministerialität auf die Bischofswählen hatte das Kapitel spätestens 1245 zurückgedrängt und dadurch auch diesem Personenkreis zunächst viel an politischer Wirkmöglichkeit genommen. Zu ersten schriftlich fixierten Vereinbarungen über die Regierung des Hochstifts in Form von Wahlkapitulationen gelangte man in Bamberg erst 1328 und 1355; damals standen der Kampf gegen das päpstliche Provisionswesen und Sonderrechte bei Steuern und Zentgerichtsbarkeit im Vordergrund.1 2 Im Statutum perpetuum vom 11. Februar 1422 wurden die Sonderrechte weiter verstärkt. Trotz energischer Versuche der Bischöfe, die Beschränkungen ihrer landesherrlichen Kompetenzen mit Hilfe des Papstes abzuschütteln, baute die Körperschaft der Domherren ihre Ansprüche aus und forderte schließlich die Gleichberechtigung bei Entgegennahme von Erbhuldigungen und BcSetzung der Amtsstellen. Diese Verstärkung der Kapitelsposition ist das Ergebnis von zwei miteinander verbundenen Entwicklungsabläufen: Um der Geldnot des Hochstifts in der ersten Hälfte des fünfzehntenjahrhunderts zu steuern, wurden mehrfach, ähnlich wie in Würzburg, wenn auch mit weniger tiefen Erschütterungen, Stiftspfleger eingesetzt. Der Adel gewann nicht nur auf Grund seiner patrimonialcn Gerichtsrechte, sondern auch infolge seines sozialgeschichtlich begründeten Verbunds mit den Domherren an Bedeutung; auf diesem Umwege aber erlangte das Kapitel innerhalb des Hochstiftes ein erheblich größeres Gewicht. Aus der Errichtung von Pflegschaften, einer Art territorialstaatlicher Kuratel, zog die Ritterschaft Vorteile, weil ihre Standesvertreter zu vermittelnden Elementen zwischen Bischof und Domkapitel wurden.3 Symptomatisch für die damals voranschreitende Zersetzung des Territoriums war 1435 die Erklärung der Reichsunmittelbarkeit der Abtei Langheim; nur mit Mühe konnte man der Eigenentwicklung steuern.4 Einen der Spitzenpunktc derartig krisenhafter Auseinandersetzungen brachte das Jahr 1442 mit der Verweisung Antons von Rotenhan nach Kärnten. Die nach dessen vorzeitiger Rückkehr ausbrechenden Streitigkeiten lockten den Markgrafen von Ansbach-Bayreuth zu Intcrventionen; er ermunterte den großenteils auch von ihm lehensabhängigen Adel zu eigenständigem Vorgehen. Entscheidenden Einfluß gewannen im Hochstift jene Kräfte, als Bischof Georg I. von Schaumberg das den Zollern freundliche Verhalten seines Vorgängers aufgab und an Würzburgs Seite in den Kampf gegen den Markgrafen Albrecht Achilles 1460 eintrat. Unter Führung des Johann Truchseß von Pommersfelden setzten sie sich 1462 gegen die Kriegspartei im Domkapitel durch. Ihr Handeln verhinderte ein Umsichgreifen der Fehde.5 Rund zwanzig Jahre später erzwangen 1 v. Guttenberg I 61 ff., ihm folgt weitgehend Kist, Domkapitel (s. o. 275) 78 ff. 2 Weigel, Wahlkapitulationen (s. o. 275) 31-75.

3 v. Guttenberg I 71. 4 HAB Lichtenfels-Staffelstein (H. Weiß) 12 f. 5 Vgl. Bachmann (s. o. 275) 81-92, dazu

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dann in den Streitigkeiten über die Gültigkeit der Wahlkapitulationen des Philipp Graf von Henneberg (1475-1487) Ritterschaft und Landschaft die Vermittlung, die 1482 zu einer abgeänderten Fassung des Vertrags zwischen Bischof und Kapitel führte.1 Überlagert wurden diese Vorgänge durch die von Ansbach ausstrahlcnden Impulse und besonders durch die landeskirchlichen Tendenzen der Regierung des Markgrafen. Im Vertrag von Neustadt an der Aisch brach 1482 Albrecht Achilles diese AuseinanderSetzung ab. Die Grundtendenz der rund vierzig Jahre später erfolgreichen Absicht, das Markgraftum aus der geistlichen Iurisdiktion der Mainbistümer herauszulösen, ist schon damals eindeutig hervorgetreten. Das Hochstift erwies sich, besonders in den zerlappten Außengebieten, als anfällig für derartige Einwirkungen von außen. Nicht zuletzt trug dazu die Lockerheit der Verfassungsstrukturen im fünfzehnten Jahrhundert bei. Ein Gebilde, dessen Zusammenwachsen immer wieder «infolge des Kampfes der Stände und Gruppen um den Anteil an der Staatsführung vielfache Störung erleidet, kann nicht die scharfen Züge eines von dynastischem Machtgefüge getragenen weltlichen Erbstaatcs zeigen»? Das Domkapitel blieb rein konservativ eingestellt und erschöpfte seine Initiative meist in der Bevormundung des Fürsten. Der Adel beschritt schließlich zum größten Teil den Weg in die Reichsunmittelbarkeit der Ritterschaft und durchsetzte mit seinen Kleinherrschaften an vielen Stellen das HochStiftsterritorium. Die Städte erfüllten eine nur wirtschaftliche Funktion. Sie waren zum Teil auf Altbesitz der Bischofskirche entstanden, wie etwa Forchheim,3 zum Teil aber auch Ergebnisse der Raumorganisation durch Vorbesitzer, wie beispielsweise der Andechscr in den Fällen Lichtenfels oder Scheßlitz, der Schlüsselfelder in Ebermannstadt und Waischenfeld. Die mit Stadtrecht begabten Orte wurden von den Bischöfen sorgfältig in der Landsässigkeit gehalten.4 Im Unterschied zu den Städten in den Zollernlanden erlangten die Bamberger Territorialstädte keine Hochgerichtsrechte, sondern blieben den Zenten cingeordnet. Vom Bischof erhielten sie die Erlaubnis zum Mauerbau, er setzte markt- und gewerberechtliche Vorschriften und stellte Steuerforderungen. Die Städte waren Großburgen und Vcrwaltungssitzc, vor allem aber verhältnismäßig sichere Finanzquellen, auf die man angesichts der chronischen und durch die Judenpogrome nur vorübergehend gemilderten Verschuldung angewiesen war. Von einer politischen Bedeutung der Städte im Bamberger Territorium, wie sie in den beiden anderen Mainhochstiften zeitweise erreicht wurde, kann nicht gesprochen werden. Die Einwohner erhielten mancherlei wirtschaftliche Vorteile, waren aber in ihrem politischen Status kaum von den Bauern auf dem Lande unterscheidbar, deren genossenschaftliche Freiheiten in nur einem einzigen Dorf erhalten blieben.5 Auch die die Quelleneditionen vom Statut 1440 bis zu den Friedensverhandlungen mit Brandenburg 1461/62, ebd. 198-296. 1 Kist 66. 2 Μ. Hofmann, Außenbehörden (s. o. 275) JffL 3, bes. 59. 3 Zu den hier angesprochenen Problemen

vgl. HAB Höchstadt-Herzogenaurach (Η. H. Hofmann) 14; HAB ebd. 34 f., 57-66; HAB Forchheim (I. Boe) 12 ff.; Ders., Dorfgemeinde (s. u. 456) 30 Anm. 155. 4 v. Guttenberg I 67. 5 Hofmann, Freibauern 263 ff. Zu den meist erst im 15. u. 16. Jh. auf Veranlassung der Lan-

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Stadt Bamberg bietet kein wesentlich anderes Entwicklungsbild, denn auch hier kam es zu keiner Emanzipation aus dem territorialen Rechtsgefüge.1 Als Hauptort des Bistums gehörte sie zu den kleinen Mittelstädten und brachte nie die wirtschaftliche Kraft auf wie etwa Würzburg oder gar Nürnberg. Seit dem Heimfall der Lehen der Grafen von Abenberg, unter ihnen auch der Stadtvogtei, an der Wende vom zwölften zum dreizehnten Jahrhundert, besaß der Bischof die Stadtherrschaft.2 Schultheiß und Schöffen waren Beauftragte des Bischofs; das Stadtgericht hatte zwar Kompctenzen in den Angelegenheiten des Zivil- und Marktrechtes, in gewissem Umfange auch im Strafwesen, im Blick auf die Blutgerichtsbarkeit aber blieb Bamberg der Zent untergeordnet.3 Von dieser wenig profilierten Rechtsstruktur her war kein Ansatzpunkt gegeben für eine Fortentwicklung in Richtung auf die Freiheit der Stadt von der Herrschaft des Bischofs. Dem privilegium de non evocando König Heinrichs (VII.) von 1234 und Kaiser Friedrichs II. Jahrmarktsverleihung von 1245 eignete keine das Territorialrechtsgefüge sprengende Kraft. Der Stadtrat, der zu Beginn des vierzehnten Jahrhunderts neben dem Schöffenkollegium auftritt, blieb auf die Regierung des Bischofs hingeordnet. Eine nur unzulängliche Befestigung ließ zudem höchstens punktartige Widerstandsmöglichkeiten zu; erst in den Hussitenkriegen wurde die Stadt ummauert. Das Verhältnis zwischen dem Stadtherrn und der Bürgerschäft war in Bamberg, im Unterschied zu den anderen Bischofsstädten Süddeutschlands, merkwürdig farblos. Eigentliche Ursache von Spannungen waren die Immunitäten4 von vier Dom- und Stiftsbezirken sowie die des Klosters Michelsberg. Den Einwohnern lästig wurden die niederen Sondergerichtc5 dieser Institutionen, mehr aber noch war ihnen die Steuerfreiheit der Immunitätseinwohner ein Dorn im Auge. Das Domkapitel baute eine Art Neben-Stadtherrschaft auf und wurde zum eigentliehen Rivalen des Bischofs. An diesem komplizierten Zustand änderten nichts die Verfügungen König Sigismunds, auch sie geboren aus der Not der Hussitenzcit und auf die Vereinheitlichung des Stadtbercichs im Blick auf Steuern und Gerichtswesen hinzielend. Denn trotz aller Zwiste untereinander waren sich schließlich Bischof Anton von Rotenhan, Domherren und niederer Klerus einig in der Abwehr bürgerlicher Prätensionen. Im beiderseits halsstarrig geführten Immunitätenstreit6 von 1435 bis 1460 siegte schließlich der Bischof, weil die kirchen- und reichspolitischen EntWicklungen sein Verhalten begünstigten. Auch die im Streit vermittelnden Nachbarmächte unterstützten nicht die städtischen Forderungen, sondern arbeiteten nur auf eine Beteiligung der Kirchen an der Tilgung der Stadtschuldcn hin. Seitdem trat der desherrschaft entstandenen Dorfordnungen, in denen von Seiten der Obrigkeit praktische Normen für alle Lebensbereiche gesetzt wurden, vgl. G. Schrepfer, Dorfordnungen im Hochstift Bamberg, Diss. Erlangen 1941. 1 G. Höhl, Bamberg. Eine geograph. Studie d. Stadt (Mitt. d. Fränk. Geograph. Ges. 3) 1957. 1-16; Dies. (s. o. 273 Anm. 1) 58 ff. 2 Schimmelpfennig, Bamberg im MA, 1964, 57 ff·

3 Ebd. 61 h. 4 Neukam, Immunität (s. o. 275), bes. 214ff., 313 ff., 323 ff., 343 ff. u. 346 ff. 5 Ebd. 227 ff. - Vgl. a. H. Straub, Die gcistl. Gerichtsbarkeit d. Domdekans im alten Bistum Bamberg v. d. Anfängen bis z. Ende d. 16.Jhs., 1957· 6 v. Guttenberg I 254 ff.

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bürgcrschaftlichc Gestaltungswillen in Bamberg hinter die in ödem Formalismus erstarrende Herrschaft des bischöflichen Landesherren und die Ansprüche geistlicher Institutionen in deren Sonderrechtsbezirken zurück. Das Hochstift Bamberg bietet in der Spätstufe seiner territorialen Entwicklung das auch von anderen Machtgebilden in Süddeutschland her bekannte Bild der steckengebliebenen Arrondierung, der zcrlappten und regional ungleichgewichtigen Lage, der vielfachen Rechts- und Anspruchsüberlagerungen in den Grenzzonen. Ergebnis der hochmittclalterlichen Auseinandersetzungen ist die exzentrische Lage des Hauptortes im Westen. Gegenüber Würzburg, das seine Vorposten bis nach Eltmann und Ebern vorschob und behauptete, war eine Expansion nicht möglich. Einigermaßen geschlossener Besitz lag beiderseits der Regnitz von Forchheim abwärts. Die typische Verzahnung mit Adclsherrschaftcn konnte weder in den Tälern der aus dem Steigerwald fließenden Bäche noch im fränkischen Jura beseitigt werden. Territorial besser ausgestaltet war das Hochstift am Main bis in die Region von Burgkunstadt. Nur brüchig war die Verbindung zu den Territorialteilen im Frankenwald. Völlig isoliert blieben die Außenstellungcn an den Oberläufen von Pegnitz und Vils. Im Norden pendelte sich das Kräfteverhältnis der Tcrritorialmächte ein, nachdem die Grafen von Hcnncbcrg nicht ihre Position als einer auch in Franken einflußreichen Macht hatten behaupten können und im Coburger Raum an der Mitte des vierzehntenJahrhunderts vom Hause Wcttin abgelöst worden waren. d) Eichstätt. Im Süden Frankens, in den an Bayern und Schwaben grenzenden Durchdringungszonen, lag das Hochstift Eichstätt. Seine Bedeutung als werdende Tcrritorialmacht war in der späten Stauferzeit geringer als die Würzburgs und selbst noch Bambergs. Die Ausstattung des Bistums, die sich in der Verdichtung zum territorialen Substrat eines Hochstiftes hätte nutzen lassen, war von Anfang an bescheiden.1 Eine Wildbannschenkung Kaiser Heinrichs IV. von 1080 war nicht geeignet, eine Machtbasis gegenüber der territorialen Konkurrenz der Grafen von Graisbach und Hirschberg abzugeben. In die zähen Auseinandersetzungen des Bischofs mit dem Hirschbcrgcr Hochstiftsvogt schaltete sich 1234 Kaiser Friedrich II. mit einer Schutzurkunde für die Eichstätter Kirche ein. Das Diplom sollte einen Kompromiß in dem Sinne ermöglichen, daß zwar der Vogt in Eichstätt selbst keine Abgaben erheben dürfe, in den anderen Städten, Märkten und Dörfern aber an seiner Stelle ein weitlichcr Richter zu wirken habe. Durch die Umbrüche und Wirren der nächsten Jahrzehnte wurde dieser Ausgleich bald überholt. Schon 1245 mußte Bischof Friedrich II. von Parsberg dem Grafen Gebhard V. von Hirschberg unter anderem die gemeinsame Steuererhebung in Eichstätt und Berching zugestehen. Daß das Grafenhaus1 2 noch seine Positionen zu sichern versuchte, zeigt eine für die Stadtverfassung Eichstätts wichtige Urkunde vom 29. April 1291. In ihr räumten die Grafen von Hirsch­ 1 Vgl. auch für das Folgende HAB Eichstätt (G. Hirschmann) 22-32. 2 P. Fried, Zur Herkunft d. Grafen v. Hirschberg (ZBLG 28) 1965, 82-98; H. Ka19 HdUG III, i

lisch, Die Grafschaft u. d. Landgericht Hirschberg (ZRG 34) 1913, 141-194. Zusammenfassend Klebel (s. o. 275).

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berg unter Vermittlung des Bischofs den Einwohnern die bürgerschaftlichen Rechte der Ratsverfassung und derWahl von Geschworenen ein und übertrugen ihnen Marktbefugnisse; aufschlußreich ist der Vorbehalt des Hochgerichts für die Grafen und die Beschränkung des Bischofs auf das Niedergericht, das dieser durch einen Vitztum oder den - seit 1283 nachweisbaren - Stadtrichter ausüben ließ. In Eichstätt selbst war am Ende des dreizehnten Jahrhunderts die Stellung des Bischofs bescheiden, die Einwohnerschaft und der Graf von Hirschberg einigten sich auf seine Kosten. Die Wendung wurde zum guten Teil verursacht durch die Schulden des Grafen. Noch 1291 setzte er den Bischof gegen die Übernahme seiner Verbindlichkeiten zu seinem Erben ein. Die Vogteirechte in Berching und Eichstätt, seit einem halben Jahrhundert umkämpfte Gerechtsame, wurden 1296 dem Bischof vermacht. Als 1305 die Grafensippe der Hirschberger erlosch, setzte der Kampf tim die Hinterlassenschaft ein. Ansprüche erhoben die Herzöge von Bayern und der Nürnberger Reichslandvogt Dietegen von Kastel, der die Gelegenheit zu größeren Revindikationen zu nutzen trachtete. König Albrecht I. von Habsburg griff in die Auseinandersetzung ein, um dem Vordringen der Wittelsbacher zu steuern.‘ Im Gaimersheimer Spruch vom 19. Oktober 1305 sowie in einem Entscheid vom 8. September 1306 behauptete der Bischof seine Ansprüche auf das Hirschberger Erbe großenteils. Schon zuvor am 28. April 1305 hatte ihn der König mit den Regalien der Eichstätter Kirche belehnt. Die rasch aufeinanderfolgenden Bischöfe Johann I. von Dürbheim und Philipp von Rathsamhausen sicherten vom Hirschberger Erbe die Dörfer und Dorfgerichte, die Vogtei über die vormals gräflichen Grundholden.1 2 Nicht in ihre Gewalt bringen konnten die Bischöfe das Landgericht, das die Wittelsbacher an sich brachten. Ob die Grafschaft mit ihrem erst 1302 als iudicium provinciale erwähnten Landgericht vom König oder vom Bayernherzog zu Lehen ging war strittig. Als Albrecht I. entschied, das Landgericht solle an Herzog Rudolf L, alle anderen Gerechtsame des Grafen in 122 Orten auf Grund des Testaments an den Bischof übergehen, ergaben sich zwischen Bayern und Eichstätt gespaltene Kompetcnzen. Daraus mußte weiterer Streit erwachsen? Dem Bischof kam die Unsicherheit im Reich während des Doppelkönigtums zwischen 1314 und 1322 zustatten. Die Bcdeutung des Landgerichts wurde langsam ausgehöhlt. Kaiser Ludwig, der darauf bedacht sein mußte, die Territorialmächte im Vorland seines bayerischen Herzogtums aus einem Zusammenwirken mit seinem österreichischen Gegner hcrauszuhalten, befreite die eichstättischen Städte und Märkte 1320 vom Gerichtszwang des Landgerichts. Im fünfzehnten Jahrhundert wurden schließlich kaiserliche Kassationsdekrete von den Bischöfen erwirkt, die das Gericht zeitweise völlig lahmlcgten. Anders verlief die Auseinandersetzung zwischen dem Hochstift und dem Landgericht LechsgemündGraisbach, das zunächst ebenso wie das Hirschberger mit den Ansprüchen des Bischofs konkurrierte. Das aus der alten Grafschaft erwachsene Gericht befand sich als Reichs1 Vgl. Geruch, Königtum (s. o. 161) bes. 56 ff. mit Anm. 137. 2 Hofmann 387. 2 H. O. Müller, Das «Kaiserliche Landge-

richt d. ehern. Grafschaft Hirschberg», 1911, 37128‫ ;־‬Lieberich (s. o. 268) 243-338, bes. 257.

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lclicn in Händen der Grafen von Graisbach.1 Als deren Haus 1324 erlosch, machte sich der Bischof trügerische Hoffnungen, auch hier ein Erbe antreten zu können. Das Landgericht kam an die Bayernherzöge. Diese aber verpfändeten es von der Mitte des vierzehntcnjahrhunderts an bis 1416 immer wieder. Während der Kämpfe zwischen Bayern und der Markgrafschaft Ansbach um die Mitte des nächsten Jahrhunderts verlor dies Landgericht zusehends an Wert und schrumpfte auf die Herrschaft Graisbach ein, die schließlich seit 1504 zur sogenannten jungen Pfalz gehörte. Das Ergebnis dieser Teilentwicklung war, daß zwar die Bischöfe nicht das Landgericht in ihre Hand bringen konnte, von diesem aus aber auch nicht die Territorialisierung des Hochstiftes zu beeinträchtigen war. Die Herrschaftsverdichtung stellt auch im Falle Eichstätt einen höchst komplexen Vorgang dar. Zusammen mit älterem Besitz bildete das Hirschberger Erbe die Grundläge für das spätere Oberamt Beilngries-Hirschberg; aus den ursprünglich gräflichen Kompetenzen in Eichstätt wurde eine Landvogtei gebildet. Durch die sogenannte Philippinische Handveste vom 25. November 1307 wurden die Beziehungen der Stadt zum bischöflichen Landesherrn geregelt. Einen Schulfall territorialer Expansion im Schatten größerer Auseinandersetzungen bietet die Eingliederung Herriedens in das Hochstift.12 Dort führten im dreizehnten Jahrhundert Propst und Gemeinde die auch anderwärts üblichen Auseinandersetzungen, die Grafen von Öttingen waren Vögte über den Stiftsbesitz auf Grund einer Belehnung durch den Bischof; durch die zielStrebig verfolgte Entvogtung kam der geistliche Reichsfürst in Ort und Umland zum Vorteil. Herriedens Eroberung durch Kaiser Ludwig gegen habsburgische Parteigänger, denen sich die Stadt angcschlossen hatte, schlug zugunsten des Bischofs aus. Im vierzehntenJahrhundert brauchten dann nur noch Landesherr und Stift ihre BeZiehungen untereinander zu regeln. Am Oberlauf der Altmühl schob sich damit eine ansehnliche Exklave des geistlichen Staates in den Lebensraum der Burggrafschaft Nürnberg vor. Erwerbungen in Südfranken konnte das Hochstift während des gesamten Spätmittelalters machen, genannt seien nur Greding, Thannhausen, Brunneck, Dollnstein und Arnsberg; aktiv war im letzten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts Bischof Wilhelm von Reichenau, der das Hochstift arrondierte, ohne indessen die Verspätung des Territorialisicrungsprozcsses einholen und das Eichstätter Hochstift in denRcgionen von Gunzenhausen und Weißenburg zum Abschluß bringen zu können.3 Für dieEigenart und Vielfalt der Territorialgebilde spricht nicht zuletzt der Fortbestand eines Halbdutzcnds von Reichsdörfern.♦ Auf der grundherrlichen Ebene hielten sich im mittleren und unteren Stift neben dem Besitz des Bischofs solcher des Domkapitels, mehrerer geistlicher Institutionen in Eichstätt und des Klosters Plankstetten. Infolge dieser Entwicklungen gliederte sich schließlich derEichstätter Bischofsstaat indas näher an Bayern gelegene Unterstift und in das stärker gegliederte südfränkische Oberstift. * 1 Kraft-v. Guttenberg. 1 Adamski (s. o. 275). 3 Über die Herrschaften Sandsee und Pleinfeld vgl. HAB Gunzenhausen-Weißenburg (Η. H. Hofmann) 33. 19·

4 HAB Eichstätt (G. Hirschmann) 22-32. 5 Überblick über die Besitzverhältnisse bei Heidingsfelder (s. o. 275).

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Franken: D. I. Staat und Gesellschaft. Erster Teil. Bis 1500

Die Struktur des Hochstifts ähnelte der anderer geistlicher Staaten.1 Neben dem Bischof wahrte sich das Domkapitel eine starke Stellung. Von der ersten Wahlkapitulation des Jahres 1259 an bauten die Domherren ihre Kompetenzen immer umfassender aus,1 2 so daß man schließlich von einer Nebenregierung sprechen kann. Während des fünfzehnten Jahrhunderts beginnt das Kapitel, seine Grundholden aus der Herrschaft des Bischofs herauszulösen. Die Ausbildung der eigenen Ettergerichtsbarkeit3 in den Dörfern ist allerdings erst ein Vorgang der frühen Neuzeit. Die Halsgerichtsbarkcit konnten die Kapitulare nie dem Bischof entwinden. Ähnlich gestalteten sich die BeZiehungen zum Besitz der Klöster. Am Anfang des vierzehnten Jahrhunderts lehnte sich Eichstätt an Habsburg an. Infolge der Konvergenz der Königspolitik mit den Absichten Papst Clemens V. konnte Albrecht I. kurz hintereinander in das Bistum zwei seiner Vertrauten einführen und so den habsburgischen Einfluß in der bayerischfränkischen Übergangszone für einige Jahre stärken.4 Krisenhaft wurden die inneren Machtkämpfe in der Zeit Kaiser Ludwigs, als die Päpste ihnen genehme Kandidaten auf den Bischofsstuhl bringen wollten, dadurch aber den Widerstand des Domkapitels weckten. Die Wirren setzten sich um die Mitte des vierzehntenjahrhunderts mit einer Stiftsprokuration und in einem Bistumsschisma fort, das durch den im Zollernhaus seltenen Vorgang charakterisiert wird, durch die Einführung eines Burggrafensohnes in Eichstätt das Hochstift eng mit dem Ansbacher Herrschaftsraum zu verbinden. Durch die Reichspolitik Kaiser Karls IV. wurde diese bis zum Tod Bischof Bertholds 1365 andauernde Konstellation begünstigt. Nach einer öttingischen Periode von 1383 bis 1415 blieb während des fünfzehnten Jahrhunderts die Anlehnung an die Zollem in den Amtszeiten von Bischöfen aus den Familien von Heideck,5 Hohenrechberg, Eich und Reichenau durchgehender Zug des Verhaltens. Das Hochstift blieb stärker auf die bunte Territorien weit Frankens hingeordnet als auf das bayerische Herzogtum. Für seine Konsolidierung und einen im ganzen ruhigeren Entwicklungsablauf im Vergleich zu Würzburg und Bamberg sprechen die Niederschriften der dort a\s Ehehaftsordnungen bezeichneten Weistümcr, in denen immer wieder die Absicht zutage tritt, Zivil- und Strafrecht, Gerichtsverfassung und Dorfordnung, Gewerbewesen und Abgaben an die Herrschaften zu vereinheitlichen.6 Am Ende des Mittelalters verstärkte sich die Tendenz, die Halsgerichtsrechte zu sichern.7 Wichtiges Mittel der Tcrritorialkonsolidierung war die Ordnung der Stadtrechte in Eichstätt und in den anderen Städten des Hochstifts.8 Auf dem flachen Lande verdichteten sich im fünfzehnten Jahrhundert die Dorfvogteien; eine Umschichtung des Besitzes setzte ein, die während der frühen Neuzeit mit dem Auskauf des fremdherrischen Eigens und im FalleEichstätt zum Hochstift ohne eingesessenen Adel als Besonderheit der geistlichen Staatenwelt führte. 1 HAB Eichstätt (G. Hirschmann) 54 ff. 2 Bruggaier (s. o. 275). 3 Zusammenfassend: H. Lieberich, Etter (Erler-Kaufmann-Stammler, Handwörterbuch z. deutschen Rechtsgesch. I) 1968, Sp. 1025 ff. 4 H. Hörnickb, Die Besetzung d. deutschen Bistümer während d. Pontifikats Klemens’ V., Diss. Berlin 1919, 34 ff.

5 Zur Wahl von 1415 vgl. bes. F. Kummer, Die Bischofswahlen in Deutschland z. Zeit d. großen Schismas 1378-1418, 1892, 94 ff. 6 Eisenbrand (s. o. 275). 7 F. Merzbacher, Das «Alte Halsgerichtsbuch» d. Hochstiftes Eichstätt (ZRG 73) 1956, 375‫־‬396. 8 Hofmann 388, auch für das Folgende.

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e) Der Deutsche Orden: Zum Bereich dieser Art Staatsgebilde gehört als von den Ursprüngen her jüngste und im Blick auf ihre äußere Gestalt merkwürdige Erscheinung die Territorialherrschaft des Deutschen Ordens in der im Namen an die staufisehe Reichslandzone erinnernden Ballei Franken.1 In Nürnberg entstand bereits 1209 aus einer Schenkung Ottos IV. ein Spital,12 dem in Deutschland bald Vorrang zukam. Bis zum Ende des Interregnums kamen zwischen Main, Neckar und Donau noch zehn weitere Niederlassungen von unterschiedlicher Größe hinzu; bis 1330 gesellten sich zu ihnen elf weitere. Schon diese dürre Aufzählung läßt ein wenig von der Freisetzung der territorialen Eigenkräfte nach dem Wegfall des staufischen Raumgestaltungswillens ahnen. Noch mehr offenbart dies ein Blick auf die regionale Verteilung. Ein großer Besitzkomplex lag um Nürnberg; demgegenüber blieb der Erwerb im Schweinfurter Raum mäßig, weil hier wohl die Konkurrenz der benachbarten Mainhochstifte keine besseren Gelegenheit zum Einnisten ermöglichte.3 Um Würzburg hemmte der Aufbau des Bischofsstaates die Ausbildung größerer Ordenskomplexe. An der Tauber hingegen kam mit dem Schwerpunkt Mergentheim eine Ballung zustande, die in der Hauptsache zurückgeht auf Reichslehenschenkungen des ministeriafischen Adels und die als solche auf die ehemalige Reichsgutlandschaft hinweisen.4 An der Wörnitz bei Dinkelsbühl und von dort bis in die Umgebung Nördlingens ziehen sich in lockerer Aufreihung weitere Komplexe hin. Nördlich von Weißenbürg sowie nordöstlich von Rothenburg liegen erhebliche Agglomerationen, mit ihrer Randlage zu reichsstädtischen Gebietsherrschaften die gemeinsame Abkunft aus der terra imperii indizierend.5 Sieht man von den Außenpositionen um MünnerStadt ab, befanden sich fast alle territorialrcchtlich verdichteten Ordensbesitzungen in Franken im Bereich dieser ehemaligen Reichslandzone in der Nachbarschaft mit den auf ihre Weise auf sie zurückzeigenden Gebieten der Herren von Hohenlohe, der Burggrafen von Nürnberg, der Reichsstädte und der Grafen von Ottingen. An Zugangen aus späterer Zeit fehlt cs nicht. Musterbeispiel hierfür ist der Aufbau einer neuen Stellung am Mainviereck. Dort entstand seit dem Jahre 1317 auf dem Kaufwege um Stadt-Prozeltcn am Main eine starke Konzentration von Ordenseigentum,6 die im späten fünfzehnten Jahrhundert durch eine der imposantesten Burganlagen Süddeutschlands gestützt wurde? Im Zuge der Auseinandersetzungen um die Vormacht in der Region Miltenberg-Wertheim ging die Kommende 1483 an Kurmainz über.8 Der Territorialaufbau des Deutschen Ordens ähnelt in der Rechtsstruktur den Hochstiften. Infolge der Verspätung der Anfänge allerdings war nur noch HerrSchaftsaufbau in teilweise weit auseinanderliegenden Positionen möglich. Die Er1 Hofmann, Deutschmeisterstaat 58 ff.;Ders. 396 f. 2 HAB Nürnberg-Fürth (Η. H. Hofmann) 27■ 3 Materialreich Stein, Schweinfurt (s. u. 324) 95 ff, 367; Engel (ebd.) 534-543; Hahn (ebd.). 4 Bosl, Probleme (s. o. 163 Anm. 3) bes. 321·

5 HAB Gunzenhausen-Weißenburg (Η. H. Hofmann) 31. 6 Lampe, Entstehung (s. o. 275). 7 Hofmann, Deutschmeisterstaat 60; Einzelnachweise: Lampe, Zinsregister (s. o. 275 ). 8 Zur Geschichte dieser Kommende bes. HAB Marktheidenfeld (W. Stürmer) 42-54.

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Werbetätigkeit konzentrierte sich um die Kommenden Ellingen und Nürnberg; Virnsberg blieb stets auf den zollerischcn Machtbereich in Mittelfrankcn hingeordnet.1 Mit den Grundherrschaften gelangten Niedergerichtsbarkeiten in die Hand des Ordens. Durch die Reichspolitik Kaiser Ludwigs, dessen Appellationen in Häusern der Deutschherren beraten und verkündet wurden, nach ihm Karls IV., der die Ballci Franken an seine Landbrücke zwischen Böhmen und dem Mittelrheingebict heranführte, ergaben sich die Gelegenheiten zum Erwerb von Privilegien, die den Tcrritorialausbau nachhaltig förderten. Halsgerichtsbarkeiten, Markt- und Stadtrechte traten zu den älteren Gerechtsamen hinzu. Mehr noch als die eben genannten Orte wurde durch diese Entwicklungen die auf Ausstattungsgut der Herren von Hohenlohe zurückgehende Niederlassung Mergentheim1 2*begünstigt, die durch Kaiser Ludwigs Privileg von 1342 zum charakteristischen Herrschaftsgebilde einer Korporation in einem blühenden bürgerlichen Gemeinwesen wurde.’ Pestwellen und allgcmeine agrarwirtschaftliche Niedergangserscheinungen ließen in der zweiten Hälfte des vierzehntenjahrhunderts wie in den anderen Territorien Krisen entstehen. Trotz der auch beim Orden zu beobachtenden Verschuldung genoß er weiterhin großes Ansehen; das in Würzburg auf dem Höhepunkt der Zerrüttung aufscheinende Projekt, das gesamte Hochstift dem Orden zu übertragen, spricht für sich. Hauptpunkt der Verwaltung der fränkischen Streugebiete wurde dank der Maßnahmen Ludwigs Mergentheim, während die Ordenshäuscr in den früheren Königsstädten diese Funktionen administrativer Zentralen einbüßten.4 Zum Sitz des Landkomturs wurde Ellingen, der Meister in deutschen und welschen Landen residierte vom Ende des vierzehnten Jahrhunderts an in dem Franken benachbarten Neckargebiet. Der nur in wenigen Blöcken verdichtete und flächenmäßig höchst unvollkommen arrondierte Staat des Deutschmeisters zeigt in Franken den Charakter als «Prototyp ungcschlossener und dennoch zu Reichsfürstenwürde und meist voller Landeshoheit gelangender Territorialität». Trotz der Kleinheit der zur Ballei Franken gehörenden Gebiete erfüllte der Deutsehe Orden wichtige Funktionen innerhalb des Großraumes. Solange das Königtum zwischen Main und Donau noch selbst Positionen innehatte, war er aus alter Verbundenheit mit dem Herrscher immer wieder im eigenen Verhalten auf diesen ausgerichtet und vermittelnde Kraft zwischen Krone und landschaftlichen Kräften. In Landfrieden und Verträgen aller Art spielt der Deutsche Orden eine Rolle, die über seine eigentliche Territorialposition hinausweist. In den interterritorialen Systemen tritt er fast stets auf, weil seine Angehörigen der adligen Führungsschicht entstammten, die gleichermaßen in den weltlichen Territorien wie auf dem Wege über die Domkapitel in den Hochstiften an den Schaltstellen der Politik wirkten. Besonders Süd- und Mittelfranken werden als historische Raumindividualitäten gekennzeichnet 1 HAB Neustadt-Windsheim (Η. H. Hof17. Zu Ellingen vgl. auch Deeg, (s. u. 316 Anm. 2) 77-81. 2 Whlleb, Hohenlohe (s. u. 305) I 21 ff., 110ff., 116ff., 124-149; II 385 ff.

mann)

’ Hofmann, Deutschmeisterstaat 60 m. Anm. 41. 4 Hofmann 397, auch für das Folgende, dort auch das Zitat.

§41. Die Burggrafschaft Nürnberg (A. Gerlich)

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nicht nur durch das Nebeneinander der Zollernherrschaft und des Hochstifts Eichstatt, sondern durch die in buntem Gemenge mit reichsstädtischen und ritterschaftliehen Stcllungsgefügcn liegenden Kommenden. Das unterscheidet sie graduell von den Regionen am Main und wesenhaft von den bayerischen Herzogssprengeln.

§41. DIE BURGGRAFSCHAFT NÜRNBERG (MARKGRAFTÜMER ANSBACH-BAYREUTH)

Vgl. 163, 176 u. 188. Allgcm. Grossmann-Berner-Schuster-Zingeler, Die Genealogie d. Gesamthauses Hohenzollern, 1905. Aus der älteren Forschung: O. Hintze, Die Hohenzollem u. ihr Werk, 19152 (großliniger Überblick über die ältere Geschichte: 1-30); Chr. Meyer, Gesch. d. Burggrafschaft Nürnberg u. d. späteren Markgrafschaften Ansbach u. Bayreuth, 1908; Ders., Hohenzollcrische Forschung I, 1892. - Verfassungs- und besitzgeschichtliche Voraussetzungen seit Beginn des 13. Jhs., sowie genealogisch bedingte Erbschaften: O. v. Düngern, Adelsherrschaft im MA, 1927, Neudr. 1967, 21 ff.; L. Schmid, Die älteste Gesch. d. erlauchten Gesamthauses d. königl. u. fürstl. Hohenzollem, III 1888, 148-176, 207-228; H. Schreibmüller, Die Österreich. Grafen v. Raabs als Burggrafen v. Nürnberg u. Konrad v. Riedfeld (Franken in Gesch. u. Namenweit) 1954, 28-45. Zu untersuchen ist noch die zollerischc Ministerialität. Dazu allgemein Bosl; Bosl (s. 304) 51-82. Zum Reichsgut s. Niese und Frey (s. o. 163 Anm. 4); zur Territorienbildung besonders wichtig: G. Pfeiffer, Comicia buregravie in Nurenberg (JffL 11/12) 1953, 45-52; R. Endres, Ein Verzeichnis d. Geleitstraßen d. Burggrafen v. Nürnberg (JffL 23) 1963, 107-138; W. G. Neukam, Ein Einbruch in d. burggräfl. Geleite in d. Nähe Egers durch d. Landgrafen v. Leuchtenberg u. seine Helfer 1413 (MVGN 42) 1951, 98-144. Zur Vogtei: Hofmann Freibauern. Für einen Teilraum vgl. auch H. Rauschert, Dorfordnungen in d. Markgrafschaft Ansbach, Diss. Erlangen 1952. Über die Struktur der Herrschaftsrechte: Bog, Dorfgemeinde (s. u. 456). Zusammenfassungen in HAB. Dazu A. Schwammberger, Die Erwerbspolitik d. Burggrafen v. Nürnberg in Franken bis 1361, 1932; C. Lehmann, Die Burggrafen v. Nümberg-Zollem in ihrem Verhältnis zu Kaiser Karl IV., Diss. Halle 1913; K. P. Dietrich, Territoriale Entwicklung, Verfassung u. Gerichtswesen im Gebiet um Bayreuth bis 1603, 1958; E. Frhr. v. Guttenberg, Die älteste Landesbeschreibung d. Herrschaft Plassenberg (Plassenburg-Jb.) 1938, 12-27; Ders., Polit. Mächte (s. o. 267) 271 ff; HONB Land- u. Stadtkreis Kulmbach (v. Guttenberg) 72 ff; O. Herding, Die polit. Landcsbeschrcibungen in d. Markgrafschaft Ansbach (JffL 4) 1938, 26-52; W. G. Neukam, Ein burggräfl. Register über Gericht u. Stadt Münchberg 1408, 1951; Μ. Hofmann, Fürth (s. o. 268). - Für die Politik der Zollern im 15. Jh. gründlegend: A. Werminchoff, Ludwig v. Eyb d. Ä., 1919; zusammenfassend Koeppel-Schuhmann, Ludwig v. Eyb d. Ä. (G. Pfeiffer, Hg., Fränk. Lebensbilder 2) 1968, 177-192. Zur Auscinandersetzung des Markgrafen Albrecht Achilles mit dem Würzburger Bischof-Herzog s. o. (282): Wendehorst, Engel u. Merzbacher (Lit.).

Von der Burggrafschaft Nürnberg aus entfalteten die Zollern in Franken ihre Macht und wurden Widersacher der Hochstiftc und des Adels. Dem Sog ihres rastlosen Erwerbstrebens konnte sich kaum einer ihrer Nachbarn entziehen: Von Königen, geistliehen Reichsfürsten und Grafen, Städten und Niederadel nahmen sie Gerechtsame aller Art, wie cs gerade die Gelegenheit bot, als Lehen, Kauf- oder Tauschobjekt, Kriegsbeute und Faustpfand. In diesem Ringen sind drei Phasen voneinander zu trennen: Die erste reicht vom Einzug in die Regionen um Nürnberg und des Aischtales zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts bis zur Behauptung des Andechser Erbes im Kampf gegen Bamberg 1260. Die zweite Zeitspanne wird erfüllt von rund hundertjährigem Anwachs territorialer Rechts- und Besitzstrukturen, schließlich überhöht

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durch die Erhebung in den Reichsfürstenstand 1363. Ihr folgt das Jahrhundert herrschaftsverdichtenden Zusammenfügens, des Aufstiegs in den Kreis der Kurfürsten und schließlich der Auseinandersetzungen mit der Reichsstadt Nürnberg und dem Hochstift Würzburg. Bis in den letzten Abschnitt hinein ist ihr Wirken beeinflußt von Impulsen der Königspolitik. Ein Überblick über die Territorialgeschichte der Burggrafschaft muß ausgehen von der Aufeinanderfolge der Zeitabschnitte und der geographischen Gliederung ihrer Herrschaftsbereiche in Mittel- und Oberfranken.1 Keime der Herrschaft bildeten die Reichsämter der Nürnberger Burggrafschaft und des Landgerichts. Sic waren an die Zollern gelangt, nachdem diesen die Allode der Grafen von Raabs und von Abenberg zugefallen waren. Sie verfügten damit über militärische und richterliche Befugnisse in einem der fränkischen Reichsgutbczirkc.1 2 Von Anfang an war der Dualismus mit der Stadt Nürnberg als ein die Staatsbildung der Zollern belastender Faktor gegeben, während die Gegensätzlichkeit zum Ministerialenadel schließlich überwunden werden konnte. Ein Musterbeispiel für diese Auseinandersetzungen bieten die Herren von SeckendorfF.3 Sie erlagen den Zollern während der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts in Emskirchen, Hoheneck und Ipsheim. Vorausgegangen waren wichtigere Erwerbungen, wie die der Herrschaft Virnsbcrg aus hohenlohischcr Hand, der alten Reichsvogtei Burgbernheim sowie Marktbergels von den Herren von Truhendingen, Teilen der von Wertheim ererbten Bergtheimer Hinterlassenschäft um Dachsbach.45Die schon zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts bestehenden Machtkerne um Neustadt- Windsheim und Abenberg-Cadolzburg * wurden ergänzt. Für die bis zum Ende des Interregnums zwischen Regnitz und Steigerwald erzielten Erfolge sprechen die Gründung Neustadts an der Aisch 1287 neben dem alten Königshof Riedfcld und die Organisation der inzwischen agglomerierten Gerechtsame in einem Vitztumamt. Die eigenen Stellungen wurden ergänzt durch Schutzvogteien über die Klöster Heilsbronn, Münchaurach, Münchsteinach und Birkenfeld.6 Im Nürnberger Raum stießen die Burggrafen auf Positionen der Bamberger Kirche.7 Ein Beispiel der für die Zollern erfolgreichen Auseinandersetzungen bietet Roßtal. Am Ausgang des dreizehnten Jahrhunderts sind sie bereits die Vormacht im ehemaligen Rangau, verfügen allerdings noch nicht über Ansbach. In etwa drei Menschenaltern sind sic zu weltlichen Gegenspielern von Gewicht gegen die Hochstifte am Obermain emporgestiegen,8 während im Süden die Rivalität mit den Grafen von Hirschberg und anderen Adclsfamilien bestand. Das Hochstift Eichstätt wurde erst vom zweiten Viertel des vierzehnten Jahrhunderts an ein crnstzunchmcndcr Gegner.’ Diese Ent1 H. Schreibmüller, Ober-, Nieder- u. Unterland in Franken (Franken in Gesch. u. Namenwelt, hg. v. G. Schuhmann) 1954, 135-138. 2 Herding (s. o. 295) 26-52, bes. 28 ff. 3 Vgl. Schwammberger (s. o. 295) 5 ff. 4 Nachweise HAB Neustadt-Windsheim 17. 5 Schwammberger (s. o. 295) 13 ff. 6 Η. H. Hofmann HAB: Nürnberg-Fürth

24 f., Ncustadt-Windsheim 17 und HöchstadtHerzogenaurach 16. 7 Vgl. Μ. Hofmann, Fürth (s. o. 268) 54 ff. Über Roth und Roßtal vgl. Deec (s. u. 316 Anm. 2) 156 ff. 8 Zum Kräftespiel vgl. Engel, Mainfranken (s. o. 267) bes. 55 ff. ’ S. o. 289 ff.

§ 41· Die Burggrafschaft Nürnberg (A. Gerlich)

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wicklung wurde allerdings gestört durch die Schenkungen des Burggrafen Konrad des Frommen. Der in seinem Verhalten von den Grundlinien zollerischen Erwerbsstrebens merkwürdig abstehende Burggraf übertrug mit anderen Gerechtsamen der Bamberger Kirche die Vogtei in Fürth und schwächte die Stellung seines Hauses im Nürnberger Raum.1 Während des vierzehnten Jahrhunderts glückte in weiter abgelegenen Regionen die Expansion.1 2 Zwischen 1331 und 1399 erwarben die Zollern Ansbach, Schwabach, Gunzenhausen, Wassertrüdingen, Feuchtwangen, Uffenheim und Crailsheim. Die nachmals sogenannten Ober- und Unterlande entwickelten sich in breiteren Dimensionen, entbehrten jedoch stets der natürlichen territorialen Vereinigung, weil der Selbstand der Reichsstadt Nürnberg nicht zu beseitigen war. Das iudicium provinciale der Burggrafen wanderte von Nürnberg, wo es ursprünglich Domanialgericht des Reichsgutkomplexes war, unter Aufnahme von Landfriedenskompetenzen über den Machtkern Cadolzburg schließlich nach Ansbach.3 Begleitet wurde dieser Vorgang von heftigen Auseinandersetzungen des Kurfürsten Friedrich I. mit Herzog Ludwig dem Bärtigen von Bayern-Ingolstadt, der das Landgericht Graisbach gegen die Zollern verteidigte. Durch diese Fehde wurde in Nürnberg eine gewisse territoriale Flurbereinigung gefördert: Die Burggrafen verkauften 1427 dem Rat ihre Burg und den Reichswald, behielten sich jedoch Wildbann und Geleit vor. Im Kräfteverhältnis zwischen Reichsstadt, Zollern und Wittelsbachern änderte sich nichts, doch bildete der Verkauf der Feste den symbolstarken Schlußpunkt des Rückzuges aus der Stadt, die ursprünglieh dem Herrschaftsbereich der Sippe den Namen verliehen hatte. Die in den Ansbachcr Raum verlagerte Initiative der Zollern richtete sich zunächst noch gegen Ludwig den Bärtigen und nutzte die wittelsbachischen Wirren aus; die Gefangennahme und Auslieferung des Herzogs an seine Gegner in Bayern 1445 bezeichnen dann den Zeitpunkt, von dem an in den nächsten drei Jahrzehnten der Regierung des Markgrafen Albrecht Achilles die Frontstellung gegen das Hochstift Würzburg in den Vordergründ trat.4 Seit dem Interregnum war in Ansbach die Position der Würzburger Kirche durch Pfandvergaben gelockert; im faktischen Besitz der Stadt lösten die Vögte von Dornberg, die Grafen von Öttingen und schließlich 1331 die Zollern einander ab. Deren Residenz wurde 1385 von der Cadolzburg hierher verlegt. Albrecht Achilles konnte im Vertrag mit dem Würzburger Bischof 1463 dessen AnSprüche in Dornberg und Ansbach beseitigen. Das Gumbertstift und die zollerische höhere Beamtenschaft bildete von der Mitte des vierzehntenjahrhunderts an die herr1 Herding (s. 0.295)28 ff.; Schwammberger (Ebd.) 49-52· 2 Hofmann, Freibauern 248 ff.; HAB Gunzenhauscn-Weißenburg (Η. H. Hofmann) 28 f. u. 32 f. - Zum Erwerb ursprünglich Kornburger Besitzes zwischen dem Main und Schwäbisch Hall vgl. W. Engel, Würzburg u. Hohenlohe, 1949, 64-78. Zusammenstellung der Einzelnachweise territorialer Expansionen bei Schwammberger (s. o. 295) 40 ff, 56ff. u. 69 ff.

3 Μ. Hofmann, Fürth (s. o. 268) 49 ff. - Die Verlegung des Landgerichts nach Kadolzburg im Juni 1349 gehört zusammen mit einer Reihe anderer Maßnahmen in die erste Phase der KoOperation Karls IV. mit den Zollern; vgl. darüber Lehmann (s. o. 295) 10 ff, 27 ff. u. 33 ff.; Hofmann (s. o. 177 Anm. 3) 64 ff. 4 A. Bayer, St. Gumbcrts Kloster u. Stift in Ansbach, 1948, 155 ff. - Zu den bayerischen Vorgängen Straub (HB II 263-267).

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schaftstragende sozialgeschichtliche Einheit einer Personengruppe, aus der sich später das Kirchenregiment in der Markgrafschaft entfalten sollte.’ Das Land der Zollern im Gebirge geht in der Hauptsache zurück auf den Erbfall nach Erlöschen des Hauses Andechs-Meranien 1248 und die Übernahme auch des Orlamünder1 2 Erbteils 1338. Die Burggrafen erhielten damals Hoheitsrechte und Besitzungen um Bayreuth und Kulmbach als Basis für die weitereExpansion in einem Gebiet, das verhältnismäßig weit vom Nürnberger Ausgangsraum entfernt lag. Durch die Zollem wurden die bambergischen Pläne im Norden und Nordosten des Hochstiftes gehemmt. Die Rodungsherrschaften Schwarzenbach, Naila, Schauenstein, Helmbrechts, Münchberg, Stammbach und Stein erlagen dem zähen Erwerbsstreben der Zollern. Bis zum Beginn der Neuzeit blieben neben dem Hochstift und der Markgrafschäft nur einige reichsritterschaftlichc Gebiete bestehen.3 Bayreuth wurde 1265 dem Stift Ellwangen als Lehen aufgetragen, der Vorgang ist zu verstehen als eine rechtssichernde Maßnahme im Kampf mit dem Bamberger Hochstift.4 Burggraf Friedrichs III. enge reichspolitische Verbindung mit König Rudolf von Habsburg trug auch im regionalen Geschehen Früchte, da die Zollernlande Teile der gegen Ottokar II. gerichteten Kräftekonstellation bildeten und nach dessen Sturz ausgebaut werden konnten. Reichslehen in Creussen, Wunsiedel und anderen Orten wurden vom ersten habsburgischen König wie im nachmaligen Niederland so auch in den Zuwachsgebieten verliehen.’ Ein zweiter Stoß der Herrschaftsverdichtung fällt in die Zeit Kaiser Ludwigs, der dem Burggrafen Friedrich IV. und dessen Sohn Johann II. verpflichtet war.6 Nach dem Einzug der Zollern auf der Plassenburg und in Kulmbach mehren sich in auffälliger Weise Lehensauftragungen des Adels. Die Herren von Weissenstein, Aufseß, Guttenberg, Hertenberg, Schaumberg, Giech, Rabenstein und Wolfstriegel seien genannt. Im Raum um Hollfeld und an der Pegnitz überwiegen die Zugänge an Besitz die Abtretungen.7 Karl IV. beließ die Zollern in den von Kaiser Ludwig verliehenen Reichspfandschaften. In einer Art Landesbeschreibung stellten sic ihre Gerechtsame im Gebiet von rotem und weißem Main 1398 zusammen.’ In urbarialen Aufzeichnungen tauchen damals sozialgeschichtliche Befunde auf, die RückSchlüsse auf Rodung und Siedeltätigkeit in der Andechser Zeit erlauben und in der Bayreuther Region eine zum Niederadel aufschließende mittlere Führungsschicht erkennen lassen, der das Burgbaurecht auf Eigengut bei Öffnungsvorbehalt der Landesherrschaft gewährt wurde.’ Unter den Mitteln des Territorialstaatsaufbaues der Zollern fehlt nicht das Stadtrecht. Nach den Verleihungen Kaiser Ludwigs ist das für sechs Orte, unter ihnen Wunsiedel, 1355 von Karl IV. gewährte Sammclprivileg zu nennen, das eine der Gegenleistungen des Kaisers für die Überlassung von Positionen 1 W. Engel, Die mittelalterl. Seelbücher d. Kollegiatstiftes St. Gumbert zu Ansbach, 1950. 2 Zum wenig später in Thüringen einsetzenden Niedergang der Grafen von Orlamünde vgl. die Übersicht bei Körner, Machtkeme (s. o. 267) 170. 3 HAB Stadtsteinach (v. Guttenberg-Hofmann) 2 f.

4 Schwammberger (s. o. 295) 23 ff. ’ Ebd. 28 ff, 38 ff. 6 Ebd. 55-65. 7 Ebd. 66 ff.; Dietrich (s. o. 295) 67. 8 v. Guttenberg, Plassenberg (s. o. 295) 12-27. ’ Bog, Dorfgemeinde (s. u. 456) 28 f., 48.

§ 41■ Die Burggrafschaft Nürnberg (A. Gerlich)

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zum Aufbau Neuböhmens darstcllt. Die Zentralortsfunktionen der Städte im Territorium werden verstärkt durch Münzrechte, die wie in Kadolzburg und Neustadt an der Aisch auch in Bayreuth und Kulmbach bestanden. Die Position der Zollern in Ostfranken wurde schließlich ausgeweitet durch den Erwerb des Regnitzlandes und des Gebietes um Hof im Jahre 1373. Sie wurden damals Anrainer der noch recht unruhigen Territorienwelt Obersachsens. Anwachsprozesse konzentrieren sich um Schauenstein, Helmbrechts und Münchberg. Die Amtsorganisation ist in jenen Orten bis 1410 im wesentlichen abgeschlossen. Die Adelsterritorien an den Nahtstellen zwischen der Burggrafschaft, dem Bamberger Hochstift und Vogtland erlagen dem Zugriff der Zollern, des Bischofs und auch der Vögte von Weida-Gcra. Splitteranteile des ehemaligen Neuböhmen wurden von König Wenzel den Burggrafen überlassen.1 In etwas kleinerem Ausmaße als bei den vom Landeshauptmann Borziwoi von Swinar begünstigten Transaktionen im ostfränkisch-oberpfälzischen Übergangsraum2 wurden die Zollern Besitznachfolger des böhmischen Königs. Alle diese Erwerbungen bis zurück zum Andechser Erbe bildeten die in anderthalb Jahrhunderten zusammengefügte Basis für das Wirken des Kurfürsten Friedrieh I. in der Hussitenzeit. Die verfassungsgeschichtliche Struktur dieses auf zwei Flügel verteilten und nie zur durchgehenden Verflächung gediehenen Herrschaftsraumes der Zollern entwickelte sich nicht kontinuierlich. Eine Zeitspanne intensiver Verdichtung von Gerechtsamen aller Art bildete die zweite Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts. Während des Interregnums setzte der Machtschwund des Königtums auch in der Nürnberger Burggrafschäft die seit langem grundgelegten Eigenkräfte der Territorialisierung frei.3 König Rudolfs von Habsburg Goldbulle vom 4. September 1281, eine inhaltlich erweiterte Fassung des unmittelbar nach der Wahl acht Jahre zuvor verbrieften Besitzstandes, sicherte den Erwerb der vergangenen Jahrzehnte. Offensichtlich hat sich der Burggraf im Interregnum das Landgericht angeeignet, ein in seinem theoretischen Grenzenmangel brauchbares Instrument, um auch in den Territorien der Nachbarschaft Ansprüche erheben zu können. Das Amt des Nürnberger Butiglers wurde im letzten Jahrzehnt des dreizehnten Jahrhunderts mit dem des viceiudex provincialis gekoppelt und zu einer Verwaltungseinrichtung der Burggrafschaft gemacht. Der König mußte sich also mit der Reichslandvogtei eine neue auf ihn bezogene Administration schaffen. Rudolfs Privilegien für die Zollern berufen sich auf Verleihungen seiner Vorgänger. Im Blick auf die comicia burgravic kann nur eine Urkunde Konradins und Ludwigs des Strengen gemeint sein, in der sie 1267 den Burggrafen mit einem burgraviatus in Nürnberg belehnten. Nach König Rudolfs Tod erteilten die Kurfürsten die Legalisierung jener Vorgänge in ihren Willebriefen; aus der Burggrafenwürde entwickelte sich eine comicia als Territorialgrafschaft. Durchgehender Zug jenes wechselvollen Geschehens ist das in zähem Beharren auf Besitzerweiterung und Territorialrechtsagglomerationen bedachte Streben der Zollern, in jeder Entwicklungsstufe 1 Neukam, Register (s. o. 295) bes. 6 ff. 2 Liermann, Franken u. Böhmen (s. o. 177 Anm. 5) 79.

3 Pfeiffer, Comicia (s. o. 295) 45-52.

joo

Franken: D. I. Staat und Gesellschaft. Erster Teil. Bis 1500

ihren Machtzuwachs durch Einordnung in die Reichspolitik der Herrscher zusätzlich zu sichern. Aus dem Zueinander von Herrscher und Burggraf erwuchs die Erhebung in den Reichsfürstenstand am 17. März 1363. Karls IV. Privileg, angelehnt an zisterziensische Vorstellungen von Vogtei und aktiver Immunität,1 wurde in der Hand der Zollern zum Instrument beschleunigter Machtausbreitung. Die mit den herkömmlichen Methoden des Kaufes oder Tausches erwirkten Besitzzugänge wurden verbunden mit Schutzmaßnahmen für die in den Einflußbereich der Burggrafen geratenen Mensehen; selbst wenn diese nur mit Teilen ihres Eigens den Gerichten und Verwaltungszwängen des Fürstentums zugeführt werden konnten, entstanden nutzbare Ansatzpunkte, um Schutz- und Herrschaftsrechte in bisher verschlossene Bereiche voranzutreiben. Die Zollern warfen ein durch konsequentes Gütererwerbsstreben stetig verdichtetes Netz von Positionen und Ansprüchen aus.1 2*4Zur Möglichkeit, überall dort aufzutreten, wo einmal Reichsgut bestanden hatte, und Landgerichtskompetenzen im Sinne der Privilegien Rudolfs von Habsburg geltend zu machen,1 kam die intensive Anwendung von Regalien * und - im regionalen Machtkampf noch wertvoller als Mittel der Herrschaftsdurchdringung -, «die ausschließliche Gerichtsbarkeit über alle ihre mittel- und unmittelbaren Hintersassen».1 Kristallisationspunkte des Herrschaftsaufbaues waren die landsässtgen Städte als Sitze der Gerichte und Märkte. Die Burggrafschäft Nürnberg blieb auch in der fürstlichen Zeit ein territorium non clausum.6 Regionale Unterschiede der Herrschaftsverflächung bestanden zwischen dem Land im Gebirge, wo stellenweise aus Siedlungsgeschichte und Wirtschaftsentwicklung heraus bessere Voraussetzungen hierfür bestanden, und den Gebieten im Mittelfränkischen, in denen von vomeherein die differenziertere Machtgliederung eine stärkere Konkurrenz mit Nachbarkräften hatte entstehen lassen. Das mühselig und in vielen Einzelaktionen zusammengebrachte Territorium wurde durch vernünftige Hausgesetze vor Zerplitterungen bewahrt. Hervorgehoben seien die Abkommen von 1341 und 1357. Im ersten Vertrag beschlossen Johann Π. und sein Bruder Albrecht die gemeinsame Regierung ihrer Hauslande zunächst während der nächsten sechs Jahre; dann sollte entschieden werden, ob eine Realteilung durchgeführt würde. Für den Fall einer Teilung durfte kein Besitzstück ohne Zustimmung der anderen Linie veräußert werden, dieser wurde ein unbedingtes Vorkaufsrecht zugestanden. In jedem Falle dynastischer Änderungen sollte das Vorrecht des MannesStammes gelten? Vielleicht infolge der unsicheren Lage nach Kaiser Ludwigs IV. Tod ist der Teilungsvertrag von 1347 nur ein Projekt geblieben. Die Brüder regierten ge1 Hofmann 384 ff. * HAB Gunzenhausen-Weißenburg (Η. H. Hofmann) 28. 1 Hofmann 382. 4 Zur Ausdehnung von burggräflichen Geleitsrechten in die Oberpfalz, über DeutschOrdensgebiete hinweg und im Westen in hohenlohischen Ämtern vgl. Endres (s. o. 295) 107-138; Ders., Nümberg-Nördlinger Wirt-

Schaftsbeziehungen (s. u. 478); Einzelstudie: Neukam Geleite (s. o. 295). Über die Bannleihe Liebeiuch (s. o. 268) 243-338. Zur Bedeutung von Regalien s. o. 163, 171, 176 u. 299 1 Hofmann 384. 6 Ebd. 385. 7 Über die Linien vgl. Gbossmann u. a. (s. o. 295).

§ 41. Die Markgraftümer Ansbach-Bayreuth (A. Gerlich)

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meinsam bis zu Johanns II. Tod 1357. Burggraf Friedrich V. vereinte von 1361 an wieder den Gesamtbesitz in seiner Hand, zwei Jahre später bildete er die Grundlage seiner fürstlichen Stellung.1 Die Hausgesetze von 1372 und 1385 spiegeln die sorgfaltig kalkulierte Verhaltensweise der Zollern. In einer Zeit, die gekennzeichnet wird durch intensivere Erwerbstätigkeit und Vermittlung zwischen den Nachbarmächten, wurde die zollerische Familienpolitik durch den Burggrafen Friedrich V. präzisiert durch die Verfügung, die Hauslande niemals in mehr als zwei Teile zu zerlegen. Das «Oberland» mit gewissen Pertinenzen im Nürnberger Raum und das «Niederland» wurden zu fast konstanten Größen. Die Bestimmung, aus den fränkischen Landen nur zwei Teile für die Ausstattung der Linien zu schaffen, wurde in die späteren Hausgesetze übernommen, nachdem der Gesamtbesitz von 1420 bis zu Friedrichs VI. (I.) Tod nochmals vereinigt worden war. Seit dem von einem formalen Verpfändungsakt zur definitiven Belehnung ausgeStaketen Einzug der Zollern in die Mark Brandenburg1 2 mußten die Hausgesetze gleichermaßen nordostdeutsche und fränkische Belange berücksichtigen. Die fränkischen Lande waren mit der Mark Brandenburg von 1415 bis 1437 und von 1469 bis 1486 vereinigt, vom Kurfürstentum wurde die neue Bezeichnung als Markgraftümer übernommen.3 In der Zeit Kurfürst Friedrichs I. und wohl auch noch im späteren fünfzehnten Jahrhundert überwiegen die süddeutschen Gebiete an Wert die Mark. Im Hausvertrag von 1437 ist neben dem Grundsatz der Zweiteilung in Franken die Alternation von Besitzzuweisungen an Friedrichs I. vier Söhne zu beobachten, die RückSchlüsse auf die Bewertung der Hausmachtanteile zuläßt. Denn der älteste Sohn Johann erhielt das Oberland zusammen mit Erlangen und Neustadt an der Aisch, der Zweitgeborene das Kurfürstentum, Albrecht Achilles als dritter das restliche Niederland mit Ansbach als Hauptort, der jüngste die Neumark. Albrecht Achilles beerbte 1464 seinen Bruder Johann und erhielt 1470/71 als der einzig Überlebende seiner Generation auch die brandenburgischen Gebiete. Die nach ihm benannte Dispositio Achillea von 1473, das dem Range nach bedeutendste Hausgesetz der Zollern,4 setzte in Franken die Zweiteilung in die Markgraftümer Ansbach und Bayreuth fort, während damals die nordostdeutschen Gebiete vereint blieben. Albrecht Achilles entfaltete politische Agilität und militärisches Machtstreben mit höchster Vehemenz. Die stärksten Antriebe für ihn lagen wohl in der Ausstattung mit dem nur ertragsarmen Niederland. Nach der Auseinandersetzung mit Ludwig dem Bärtigen von Bayem-Ingolstadt in den Jahren 1440-1445 nahm er überwiegend seine Residenz in Ansbach. Von dort aus versuchte er, das kaiserliche Landgericht konkurrierend mit den Gerichten der Territorialnachbam in deren Gebiete vorzuschieben. Damit rief er zunächst die Aktivität der Würzburger geistlichen Gerichtsbarkeit im markgräflichen Lebensbereich wach, förderte die Besinnung auf die Dukatsansprüche des Nachbarn in Mainfranken und die Berufung auf eigene kaiserliche Landgerichte sowohl in den Hochstiften als auch in der Oberpfalz. Der Markgraf 1 Schwammberge» (s. o. 295) 81-84. 2 Vgl. Goez, Der Leihezwang, 1962, 177.

3 Vgl. Liermann, Goldene Bulle (s. o. 175 Anm. 2). 4 Herding (s. o. 295) 28 ff.

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Franken: D. I. Staat und Gesellschaft. Erster Teil. Bis 1300

entwickelte Hegemoniebestrebungen in Franken' in regionalen Entwicklungsablaufen und mit Intervallen, die abhängig waren von reichspolitischen Konstellationen und der Stärke seiner Position im eigenen Hause. Charakteristikum der Politik des Markgrafen Albrecht Achilles ist die Partnerschaft mit Kaiser Friedrich III. Auffällig sind die Methodenunterschiede der habsburgischzollerischen Kooperation im Vergleich mit den Regierungen der Könige Rudolf und Albrecht I. Während damals der Herrscher noch Ansatzpunkte für ein Wirken im Lande selber besaß, wurde jetzt die Verbindung zwischen Kronträger und Reichsfürst im äußeren Bilde bestimmt durch die Distanz Frankens zu Österreich-Steiermark als Hauslanden Friedrichs III., die Kooperation ihrem Wesen nach getragen durch die Einordnung des Markgrafen in einen Kreis von Bundesgenossen, die aus unterschiedliehen Ursachen zum Kaiser hielten. Der Markgraf griff zunächst, noch in der Schlußphase seiner Auseinandersetzungen mit Ludwig dem Bärtigen, Nürnberg an, das sich 1443 dem zwei Jahre zuvor gegründeten Bund schwäbischer Städte, hierin dem Beispiel Rothenburgs folgend, angeschlossen hatte. Der Ansbacher Raum wurde zum Zentrum von kriegerischen Unruhen. Während der nächsten sechs Jahre verschärften sich die Gegensätze. Der Kaiser unternahm 1450 einen ersten Vermittlungsversuch. Vom nächsten Jahre an aber fand Albrecht Achilles Stütze und Rückendeckung im Bund mit den beiden mittelrheinischen Kurfürsten, Württemberg und Baden, einem in sich spannungsgeladenen und tatsächlich später wieder aufgelösten Zusammenschluß von Mächten. Des Hochstifts Würzburg Einkreisung wird bereits erkennbar. Die Nürnberger Fehde endete 1453 auf der Grundlage des status quo. Von Friedrich III. ließ sich der Markgraf 1456 bestätigen, er sitze zu Gericht an des Kaisers statt, von Pius Π. gar als Herzog zu Franken bezeichnen. Albrecht Achilles griff zurück auf die Rechtstheorie des Grenzenmangels seines Landgerichts, das personal auf die Holden in der terra imperii bezogen war und keine feste UmSchreibung kannte. Der Würzburger Dukat wurde in Frage gestellt. Als Zivilgericht über Erb und Eigen, meist sogar nur in Fällen der Rechtsverweigerung, als Standesgericht des Adels und als Berufungsinstanz schien es dem Zollern noch als Instrument tauglich zu sein, um Einfluß und Macht in die Nachbarterritorien vorzuschieben? Der Adel entging durch geschicktes Taktieren zwischen jeweiligem Landes- und Lehensherm der Gefahr zu starker Bindung. Dem Landgericht wurden durch das Hofgericht des Herrschers, später durch das Reichskammergericht, Kompetenzen entwunden. In den sechziger Jahren verschärften sich die landschaftlichen Gegensätze. Die Auseinandersetzungen mit Würzburg schienen leichter geworden zu sein, als in Kurmainz alle Kräfte des potentiellen Bundesgenossen des Bischofs durch die große Stiftsfehde gelähmt wurden und in der Pfalzgrafschaft die alten Feindschaften mit dem mittelrheinischen Rivalen wie mit dem württembergischen Widersacher erneut hervortraten. Die Koalition der bayerischen und rheinischen Wittelsbacher mit den beiden Main-Hochstiftsherren fand Unterstützung beim Böhmenkönig Georg Podiebrad; hinter dem Bund des Markgrafen mit Württemberg und Baden stand der 1 Häutung 177 ff.

Hofmann 384, 386.

§ 41· Die Markgraftiimer Ansbach-Bayreuth (A. Gerlieh)

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Kaiser.1 Jederzeit konnte aus diesen Gegensätzen ein Krieg entstehen, der ganz Süddeutschland erfaßt hätte. Glücklicherweise wurde durch die vielseitige Inanspruch‫־‬ nähme eines jeden Partners in diesen Auseinandersetzungen der Kampf auf die Mainlande beschränkt und brachte keine Entscheidung. Als 1463 Kursachsen und Böhmen vermittelnd auftraten, konnte dank der Erschöpfung auf beiden Seiten ein Friedensabschluß herbeigeführt werden. Kurfürst Friedrichs von der Pfalz Sieg bei Seckenheim über Albrechts Parteigänger am Rhein hat zur Beruhigung Frankens beigetragen. Im Prager Frieden vom 22. August 1463 verzichtete der Markgraf unter anderem auf alle landgerichtlichen Ansprüche in Bayern.1 2 Der im Wechsel der landschaftlichen Konstellation konstante Gegensatz Ansbach-Würzburg ließ zwei Jahre später nochmals den Markgrafen, der inzwischen zudem das obergebirgige Fürstentum erhalten hatte, zu einem Waffengang ansetzen. Gelegenheit dazu bot ihm die Verlockung, im Mainzer Oberstift zu intervenieren. Rudolfs von Scherenberg Festigkeit, vor allem aber die Haltung des Kurfürsten von der Pfalz nahmen jedoch im Sommer 1467 die Ansatzpunkte für eine Einmischung des Markgrafen.3 Infolge dieser unausgetragenen Spannungen wurde das Zueinander des Würzburger Bischofs und der Reichsstadt Nürnberg gefestigt.4 Durch den Schwund an politischer Bedeutung der Reichsstädte seit der Machtprobe um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts’ sank allerdings der Wert dieser Verbindung. Die Trias der Mainhochstifte und der Zollem-Markgrafschäft wurde als feststehendes Element der fränkischen Landesgeschichte bestätigt. In den Fehden des Markgrafen mit den geistlichen Reichsfürsten am Main treten starke Tendenzen hervor, in das Herrschaftsgefüge auch ein landesherrliches Kirchenregiment einzugliedem. Sobald man von Würzburger Seite in der Kontroverse über den Herzogsanspruch des Zollern die geistliche Gerichtsbarkeit im Ansbacher Raum als Mittel der Beeinflussung zu aktivieren trachtete, setzte Albrecht Achilles die Organe seiner Landesherrschaft zur Kontrolle der Sendrichter ein. Durch den Geleitszwang erreichte er die Überwachung der Würzburger Emissäre.4 Sein Staatskirchenherrliches Wunschbild kleidete Albrecht Achilles in die Worte: «wir wollen herr im haus sein dieweyl wir leben». Schon in den Jahrzehnten des abendländischen Schismas hatten die Landesherren in Franken wie in den anderen Teilen des Reiches Bereitschaft und Vermögen zum Aufbau neuer Kirchenorganisationsformen gezeigt, die die alten Diözesen sprengen konnten. Albrecht Achilles offenbarte in seinem Handeln, welche Brisanz diesen Entwicklungen innewohnte. Vom Klerus wurden bei allen möglichen Gelegenheiten Geld- und Sachabgaben erhoben, so etwa für Albrechts Beteiligung am Reichskrieg gegen Burgund und die Aufstellung eines Reichsheeres gegen die Türken. 1 F. Ernst, Reichs- u. Landespolitik im Süden Deutschlands am Ende d. MA (HVjschr. 30) 1935. 720-731, über Albrecht Achilles bes. 722 u. 727. 2 Werminghoff (s. o. 295) 72 ff., 84-94; zusammenfassend Doeberl I 320-324. Jüngst: Koefpel-Schuhmann (s. o. 295). 3 Vgl. I. Most, Schiedsgericht, Rechtlicheres Rechtsgebot, Ordentliches Gericht, Kammer-

gericht. Zur Technik fiirstl. Politik im 15.Jh. (Aus Reichstagen d. 15. und 16.Jhs.) 1938, 116-153. 4 Vgl. Häutung 120. ’ Weigel, Epochen (s. o. 10) 19 ff. 4 W. Engel, Zur Gesch. d. spätmittelalterl. Sends im Bistum Würzburg (WDGBll. 14/15) 372‫ז‬95‫ג‬/53< 357‫־‬, bes. 360ff.; Werminghoff (s. o. 295).

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Franken: D. I. Staat und Gesellschaft. Erster Teil. Bis 1500

Während des Nürnberger Reichstages von 1480 kam es deswegen zu heftigen Kontraversen; der Würzburger Bischof appellierte später an den Papst, der Markgraf rückte seine Reichstreue beim Kaiser ins rechte Licht. Alle fränkischen Bischöfe traten gegen Albrecht auf, in Ämtern und Pfarreien wurde hartnäckig selbst um kleinste Positionen gerungen. Erst im Neustädter Vertrag vom 10. August 1482 kehrte man zum status quo zurück. Noch jahrelang, bis zum Tod des Markgrafen, der 1486 während der Wahlverhandlungen für Maximilian starb, zog sich ein Flugschriftenstreit hin.1 Wenn auch noch keine grundstürzende Umgestaltung der Kirchenorganisation eintrat, die Ereignisse von etwa 1460 an zeigen doch, daß im Markgraftum erprobt wurde, wie man sich mit den Bischöfen im Kampf um die Stellung des Klerus zur weltlichen Herrschaft messen konnte. Durch die Einvernahme von Patronaten und anderen geistlichen Gerechtsamen in das Herrschaftsgefüge bereiteten die Zollern hier wie im obergebirgigen Territorialteil den Boden für die Errichtung ihrer Landeskirche. Mit der Inanspruchnahme der cura religionis als vornehmstem Regal wurde ein Menschenalter später der Weg eröffnet für die Reformation. Ihr Erfolg wurde grundgelegt durch die Entwicklung des fünfzehnten Jahrhunderts, die eine immer deutlichere Hinordnung des Kirchenwesens auf die Obrigkeit gebracht hatte. Nicht zuletzt durch diese Vorgänge wird die Landesgeschichte Frankens im Bereich der Markgraftümer charakterisiert, wurde der Dualismus zwischen ihnen und den Hochstiften verschärft und schließlich in der Verschiedenheit der Konfessionen mit jahrhundertelangen Nachwirkungen vertieft.

§42. ADEL UND RITTERSCHAFT Erforschung wegen der territorialen Zersplitterung ungleichmäßig, im einzelnen ungleichwertig. Befriedigende Gesamtdarstellung fehlt. Materialreich, in der Grundhaltung aber antiquarisch sowie in verfassungs- und sozialgeschichtlichen Fragen überholt ist K. H. Frhr. Roth v. Schreckenstein, Gesch. d. ehern, freien Ritterschaft in Schwaben, Franken u. am Rheinstrome, 2 Bde., 1859/71. Trotz neuerer Untersuchungen (vgl. etwa Julie Reimann, s. o. 274) stellen die Beziehungen zwischen Reichs- und Territorialherrschaftsministerialitäten Desiderate der Forschung, besonders im Blick auf rechts- und sozialgeschichtliche Vergleichsmöglichkeiten, dar. Die Verbindüngen des reichsstädtischen Patriziats mit der ministerialischen Führungsschicht eines Umlandes hat am Nürnberger Beispiel Hofmann (s. u. 324) herausgearbeitet. Wichtig wäre eine Untersuchung des Aussterbens vieler Geschlechter im Spätmittelalter mit seinen besitzgeschichtlichen Konsequenzen. Monographie über Standeseinungen: B. Heydenreich, Ritterorden u. RittergeSeilschaften, Diss. Würzburg 1960. Zum Vergleich H. Obenaus (s.u. 1005 Anm. 2); forschungsgeschichtlich und methodologisch wichtig noch immer U. Stutz, Zum Ursprung u. Wesen d. niederen Adels (SB Berlin 27) 1937, 213-257. Für Franken vgl. Bosl, zuvor Ders., Reichsministerialität als Träger stauf. Staatspolitik in Ostfr. u. auf d. bayer. Nordgau (Jb. Mfr.) 1941. Überblicke: O. Eberbach, Die deutsche Reichsritterschaft in ihrer staatsrechtlich-polit. Entwicklung v. d. Anfängen bis 1495, 1913; R. Fellner, Die fränk. Ritterschaft v. 1495 bis 1524 (Hist. Stud. 50) 1905. Jüngste Zusammenfassungen und Akzentuierungen, wenn auch mit mehr Gewicht auf der früheren Neuzeit als auf dem späteren Mittelalter, bieten Η. H. Hofmann, Der Adel in Franken (H. Rössler, Hg., Deutscher Adel 1430-1555) 1965, 95-126 (zuvor Ders., HAB Teil Franken R. II. nr. 1a, 1956, 33 ff.) und bes. G. Pfeiffer, Studien z. Gesch. d. fränk. Reichsritterschaft (JffL 22) 1962, 173-280. Für genealogische Fragen: W. Möller, Stammtafeln westdeutscher Adelsge­

1 Engel, Passio (s. o. 274).

§42. Adel und Ritterschaft (A. Gerlich)

3°5

schlechter im MA, 3 Bde., 1922/36. Bibliographische Nachweise zu den Hochstiften o. 274 f.; ergiebig die Hinweise zur Gesch. des Adels in der Opf. von Volkert (s.u. 1355,1479). Über den Adel in landständischer Funktion am Beispiel des Würzburger Hochstiftes vgl. bes. Schubbrt, Landstände, Reimann (s. o. 275) u. Merzbacher. - Für Teillandschaften: K. Lübeck, Die Ministerialen d. Reichsabtei Fulda (ZRG KA 66) 1948, 201-233; E· Frhr. v. Guttenberg, Titel u. Standesbezeichnungcn d. oberiränk. Adels seit dem n.Jh. (Familiengesch. Bll. 24) 1926, H. 4/$, Sp. 97-104 u. 134-140; Ders., Über Ministerialität u. Adel in Oberfranken (Mitt. St. Michael 21) 1926, nr. 2, 1-7; G. VoiT, Der Adel am Obermain (Die Plassenburg 28) 1969. Grafenfamilien. Schmidt, Herzogtum u. Merzbacher. J. Aschbach, Gesch. d. Grafen v. Wertheim, 2 Bde. (mit ÜB), 1843; P. P. Albert, Die Herkunft d. Grafen v. Wertheim (Mainfr. Jb. 3) 1951». 94-105; A. Friese, Die ältesten Steuerverzeichnisse d. Grafschaft Wertheim (Jb. Alt-Wertheim 1954) 1955, 46-66; Ders., Der Lehenhof d. Grafen v. Wertheim im späten MA, 1955; E. Langguth, Wertheim in d. Reichsgeschichte (Jb. Alt-Wertheim 1947) 1949, 25-32; O. Kienitz, Die fürstl. Löwenstein-Wertheimischen Territorien u. ihre Entwicklung (ebd.) 1919, 33-104; Η. H. Weber, Die Grafen v. Wertheim u. d. Herrschaft Breuberg im 14. Jh. (ebd. 1956) 1958, 48; 30K. Mader, Entstehung u. Entwicklung d. Stadt Wertheim (Mainfr. Jb. 4) 1952, 91-126. K. Weller, Gesch. d. Hauses Hohenlohe, 2 Bde., 1903/08; Prosper Graf zu Castell-Castell-H. H. Hofmann, Die Grafschaft Castell am Ende d. alten Reiches (HAB Teil Franken R. Π nr. 3) 1955; W. Engel, Haus u. Herrschaft Castell (Castell, Beitr. z. Kultur u. Gesch. v. Haus u. Herrschaft, Neujahrsbll. 24) 1952, 1 ff; Ders., Das älteste Lehenbuch d. Grafschaft Castell (ebd.) 104 ff. Immer noch heranzuziehen F. Stein, Gesch. d. Grafen u. Herren zu Castell, 1058-1528, 1892. Füsslein, Hermann I. Graf v. Henneberg (s. o. 89 Anm. 2) 56-109, 151-224 u· 295-342. Unvollständig Ders., Berthold VII. Graf von Henneberg. Ein Beitr. z. Reichsgesch. d. 14. Jhs., 1905; G. Rummel, Berthold VII. d. Weise, Graf zu Henneberg 1284-1340. Ein Beitr. z. Reichs- u. Territorialgesch. im 14. Jh., Diss. Würzburg 1904; Zickgraf (s. o. 60 Anm. 4). - K. Fürst zu Schwarzenberg, Gesch. d. reichsständ. Hauses Schwarzenberg, 2 Bde., 1963/64; Fried (s. o. 289 Anm. 2); Kraft-v. Guttenberg; W. Kraft, Das Urbar d. Reichsmarschälle v. Pappenheim, 1929; Ders., Über Weißenburg u. d. Weißenburger Wald in ihren Beziehungen zu d. Marschällen v. Pappenheim (Jb. Mir. 66) 1930, 145-174. - Ritterschaftliche und freiherrliche Familien (in Auswähl): S. Frhr. v. Crailsheim, Die Reichsfreiherren v. Crailsheim, 2 Bde., 1905; G. Frhr. v. und zu Egloffstein, Chronik der .. . Grafen und Freiherm von und zu Egloffstein, 1894; W. Engel, Die fränk. Geschlechter v. Brunn um 1400 (Mainfr. Jb. 3) 1951, 106-126; Ders., Lebens- u. Kulturbilder aus d. Gesch. d. fränk. Geschlechts von Guttenberg (VGffG R. IX) 1958; A. Friese, Eine Urkunde z. Gesch. d. Schenken v. Klingenberg (Mainfr. Jb. 6) 1954, 227-231; F. Hausmann, Die Edelfreien v. Crumbach u. Rothenfels (Festschr. K. Pivec) 1966, 167-200; L. Helldorfer, Die Herren v. Königsfeld. Ein Beitr. z. Gesch. d. jurafränk. Ministerialen- u. Beamtenadels (BHVB 100) 1964, 185-207; H. Frhr. v. Hessberg, Über d. Truchsesse zu Wildberg (Mainfr. Jb. 10) 1958,42-69; Ders., Über die v. Wildberg u. über Mainberg (ebd. 11) 1959, 79-91; W. Hotzelt, Familiengesch. d. Fhm. v. Würtzburg, 1931; H. Liebler, Die Edelherren v. Dürn (700 Jahre Stadt Amorbach) 1953, 67-80; H. Liermann, Achthundertfünfzigjahre Aufseß (JffL 25) 1965, 381-391; O. Puchner, Zur Gesch. d. Schenk v. Geyern u. ihres Territoriums (Bayer. Archivinv. 11) 1958, 1-15; H. Frhr. v. Reitzenstein, Gesch. d. Frhm. v. Reitzenstein, 1891 ;J. Frhr. v. Rotenhan, Gesch. d. Familie Rotenhan ä. L., 1865; R. Frhr. v. Thüngbn, Das rcichsrittcrl. Geschlecht d. Frhm. v. Thüngen, Lutzische Linie, 2 Bde., 1926.

Charakteristisch für die fränkische Geschichte seit dem Spätmittelalter ist die Bedeutung des Adels. Nur in gerafftem Überblick kann auf Familien eingegangen werden, die weniger im Blick auf ihre Anteile am Territorialisierungsprozeß als auf ihre sozial- und verfassungsgeschichdichen Funktionen hervorgehoben werden müssen. Die Grafen von Rieneck, Wertheim und Hohenlohe bildeten eine Westgruppe. Die Rienecker waren ähnlich wie die Wertheim, Henneberg und Castell wahrscheinlich in spätsalischer Zeit emporgestiegen und hatten sich am Rande eines Königsgutbezirks im Spessart festgesetzt. Relikt ihrer Stellung bildete eine Reichsvogtei über 20

HdBG III, I

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Franken: D. I. Staat und Gesellschaft. Erster Teil. Bis 1500

Freibauern.1 Als Ausgangsbasis ihrer Grundherrschaft ist wohl der Raum von der unteren fränkischen Saale bis zur Lohrmündung anzusprechen. Durch Vogtei und Burggrafschaft der Mainzer Kirche wurde der Herrschaftsbereich ausgeweitet, die namengebende Burg entstand auf würzburgischem Boden. Die Kette der Besitzungen zog sich von der Nahe bis in den Steigerwald, von der Kinzig bis an Tauber und Jagst.12 Das fester umrissene Einflußgebiet umfaßte segmentförmig den Spessartnordrand von der Saale und Sinn über das Lohrtal und den oberen Biebergrund bis in das Kahlgebiet, Bruchstücke lagen an der Elsava.3 Um das Jahr 1225 löste sich die fränkische Linie von der brabantischen der Grafen von Looz, die Trennung läßt auf eine Konzentration der Initiativen auf das Mainviereck schließen. Im Kampf um die regionale Position fing damals ein neuer Abschnitt an, der mit dem Niedergang der Herrschaftsstellung enden sollte. Das Erzstift Mainz schüttelte die Burggrafschaft ab, sie wird 1221 letztmals erwähnt;4*gegen die Würzburger Ansprüche konnten sich die Grafen als Inhaber des Erbtruchsessensamtes besser behaupten.3 Durch die Beerbung der Herren von Grumbach in der Zent Rothenfels und der Vogtei über Kloster Neustadt wurde der Rienecker Besitz sogar noch einmal verstärkt.6 Aber von 1260 an rang der Mainzer Erzbischof die Rienecker nieder. Da die Grafen mit den Herren von Hanau versippt waren, wurde der Niedergang aufgehalten, doch rückten die Hanauer nach dem Erlöschen der Rothenfelser Linie 1339 in deren Besitz ein. Die Bedeutung der Grafen von Rieneck noch in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts spiegeln die Familienverbindungen nicht nur mit dem Adel in der Wetterau und der Pfalz, sondern auch mit den Wittelsbachem und Askaniern. Im Jahre 1256 wurde kurz eine Kandidatur des Grafen Gerhard IV. für das Königtum erwogen. Nach der Erschütterung der Macht im Kampf mit dem Mainzer Erzstift blieben diese Anläufe zu überregionaler Geltung erfolglos. Auch die Errichtung der würzburgischen Lehensherrschaft in Gemünden und die Zertrümmerung der rienekkischen Hoheitsrechte in den Orten am Main trafen die Grafen schwer. Als die Rothenfelser Linie erlosch, konnte Würzburg sein Heimfallsrecht an Stadt und Burg Gemünden durchsetzen. Dort hatte zuvor Kaiser Ludwig IV. die Gegensätze zum Versuch genutzt, sich selbst einzunisten; aber weder er noch seine wittelsbachischen Erben konnten die zur Behauptung des Besitzes erforderlichen Gelder aufbringen. Zur Zersetzung der Rienecker Macht hatten nicht zuletzt die Ministerialen beigetragen, so die Voite und die Diemar von Rieneck sowie auch die Herren von Thüngen. Seit der Mitte des vierzehntenJahrhunderts mußten die Grafen versuchen, sich durch Rechtsbindungen nach allen Seiten zwischen den stärkeren Nachbarn zu behaupten. Den Pfalzgrafen trugen sie ihre Besitzpartikel im Elsavatal zu Lehen auf;7 ein Teil der 1 Bosl, Reichsgutforschung (s. o. 163 Anm. 3) hier bes. 320. 2 Cramer (s. o. 274) 51-123, 82 u. 86 ff. 3 Einzelnachweise s. außer bei Cramer im HAB Karlstadt (E. Riedenauer) 26 u. Gemünden (K. Richter) 30, 36-56.

4 Vgl. C. Hegel, Die Grafen v. Rieneck und Loos als Burggrafen v. Mainz (FdG 19) 1879, 571‫־‬587· ’ Schmidt Herzogtum. 6 Hausmann (s. o. 305). 7 HAB Aschaffenburg (G. Christ) 55 f.

§ 42. Adel und Ritterschaft (A. Gerlich)

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Grafschaft kam 1366 in Lehensabhängigkeit von Mainz. Die Rienecker waren seitdem Mannen des Erzbischofs, gehörten jedoch als Herren in Franken den meisten Einungen dieses Raumes an. Der Machtschwund nötigte sie zur Konzentration ihres Besitzes auf die alten Herrschaftskerne Rieneck und Lohr.1 Nicht beseitigt wurden die Hausteilungen, die eigentliche Ursache des Zerfalls. Als Klein-Territorium am Main lag die Grafschaft bis zum Erlöschen der Sippe im Jahre 1559 eingekeilt zwischen den Hochstiften Mainz und Würzburg. Durch Nutzung des Heimfallrechts gelangte sie an das mittelrheinische Kurfürstentum. Ähnlich war die Zwischenlage der Eigenstellung bei den Grafen von Wertheim. * Der Herrschaftsanfang hing mit Aufgaben der Krongutverwaltung und Lehensbegabungen durch die Abtei Fulda im Bach- und Waldsassengau zusammen? Wertheim, mit seiner um 1130 erbauten Burg bald Hauptort der Sippe und 1306 mit Stadtrecht ausgestattet, Zollstation und Ausgangspunkt von Geleiten, wurde zum Mittelpunkt des Herrschaftsgefüges4 im Main-Tauberraum, dessen Aufbau das staufische Königtum förderte und in das bereits früh Lehen der Würzburger und Eichstätter Kirchen eingebaut wurden. Durch den Kauf der Herrschaft Prozelten gemeinsam mit Hanau schien sich 1275 eine fühlbare Konsolidierung gegenüber dem von Norden her vordringenden Mainzer Erzstift anzubahnen, die Erwerbung aber ging dann an den Deutschen Orden über. Bis zur Mitte des vierzehnten Jahrhunderts ergänzten Klostervogteien in Holzkirchen,Bronnbach und Grünau die Eigenposition; seitdem läßt sich in Form von Lehensaufkäufen und Zentorganisationen eine stark ausgeprägte Arrondierungstendenz erkennen. Damals kam als Ausdruck der SelbsteinSchätzung und Anspruch gegenüber den Nachbarn der Ausdruck Grafschaft Wertheim auf. Die Grafen selbst bezeichneten die Zentherrschaft als den Kem ihrer Grafschäft in einer Rechtserläuterung ihrer Stellung in Neubrunn und in Weistümem an anderen Orten. Tatsächlich jedoch reicht diese monokausale Begründung nicht aus; denn von verschiedenen Seiten übernommene Bannherrschaften, Straßen- und Flußregalien, Grundherrschaften und Niedergerichte wirkten innerhalb der Zenten herrschaftsverdichtend. Die konsequente Politik der Besitzkonzentration und -Sicherung mündete ein in das Zusammenwirken mit Karl IV., als dieser die Landbrücke von Prag nach Frankfurt einrichtete.5 Stadt und Burg Wertheim wurden 1362 der Krone Böhmen zu Lehen aufgetragen, die Grafen erhielten zusätzliche Privilegien, Zölle und Münzrecht.6 Schon bevor Sigismund 1422 die Zent Wertheim von allen Landgerichten freite, hatten die Grafen selbst diese als solches bezeichnet. Schließlich tituliert 1480 sogar der Würzburger Bischof die Grafen als Landesfürsten. - Die Wertheimer waren seit 1401 Erbkämmerer der Würzburger Kirche. Ihre Einflußnahme auf das Hochstift war stets stark in der Intention, doch glückte nie die Wahl eines Grafen zum 1 HAB Gemünden (K. Richter) 36-56. Materialreich, aber ohne Einzelnachweise F. Stein, Gesch. d. Stadt Lohr am Main, 1898, 97-102. 2 Wichtig noch immer Aschbach (s. o. 305). 20'

5 HAB Marktheidenfeld (W. Störmer) 38, 43 u· 45 f· 4 Mader (s. o. 305). 5 Hofmann 390; Ders. Landbrücke (s. o. 177 Anm. 3). 6 Außer Hofmann vgl. Langguth (s. o. 305)

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Bischof. Immerhin erreichten sie von 1433 an zwei Sdftspflegerschaften. Wertheims Arrondierungsabsichten richteten sich, im Ergebnis ohne Brfolg, auf das würzburgische Amt Homburg. Diese Vorgänge sind nur Teil und Symptom einer allgemeinen Verschärfung im Verhältnis zum Bischof-Herzog.1 Das Ringen um die Zentrechte führte schließlich zum Vertrag von 1505, in dem die Grafen ihre Position behaupteten und durch den die fremden Grundherrschaften ausgehöhlt wurden. Die Lehen von Fulda, Eichstätt und der umhegenden Klöster hatte man allodialisiert.12 Wertheim zeigt im Endergebnis das Bild eines kleinen Territoriums von erstaunlichem Beharrungsvermögen gegenüber den beiden Hochstiften, von denen man fast allseits umgeben war, deren Rivalität jedoch der Grafschaft die Möglichkeit des Überlebens bot. - Eine Außenposition bildete der 1321 erheiratete Teil der Herrschaft Breuberg im Odenwald.3 Als 1497 die Wertheimer Hauptlinie erlosch, folgten ihr die Breuberger Verwandten bis 1556. Wichtig für die Bestandswahrung wurde ein Hausgesetz von 1398, das die Sukzession nur jeweils eines Sohnes vorschrieb und die Brüder dem geistlichen Stande zuwies. Infolgedessen sind Grafensöhne immer wieder in den Hochstiften an Main und Rhein anzutreffen,4 aber nur einmal glückte ihnen in Bamberg der Aufstieg zum geistlichen Reichsfürstentum. Auffallend groß ist der Umfang des Lehenshofes. Ihm gehört der Adel nicht nur im Westen der ehemaligen staufischen Reichslandzone Frankens an, die Verbindungen reichen vielmehr vom Odenwald bis in den Nürnberger Raum und von der Kinzig bis an den Neckar.’ Die Anlage von drei Steuerverzeichnissen in der Zeit des Grafen Eberhard I. (1355-1373) ist Symptom für die territoriale Konsolidationstendenz4*und Ausdruck kühl berechnenden Wirtschäftens, das die Wertheimer den Zollern vergleichbar macht, dies allerdings in bedeutend engeren Dimensionen. Im Westteil Frankens, zwischen Main und Jagst, entwickelten die Herren von Hohenlohe ein ansehnliches Territorium und stiegen zur regionalen Vormacht empor. Die aus der staufischen Reichsministerialität stammende Familie hatte ihren Allodialbesitz durch Heiraten vermehrt. Dazu verstanden sie es, in den Methoden den Zollern vergleichbar, auf dem Weg über Reichslehen und mit Kirchenvogteien ihren Besitz auszuweiten und relativ früh zu verdichten.7 In ihrem Territorium ging die Hauptmässe der Reichsgutkomplexe im westlichen Franken auf.® Territorialpolitisch vorübergehend nutzbares Instrument waren die Betreuungen mit Reichslandvogteien in Rothenburg, Wimpfen und Nürnberg nach dem Interregnum. Die Jahre des Doppelkönigtums 1314-1322 und 1346/47 brachten entgegengesetzte Optionen der Ange1Vgl. noch immer Schmidt, Herzogtum 77‫־‬85· 3 HAB Marktheidenfeld (Stürmer) 62-77, 83-86 u. 91-93. 3 Weber (s. o. 305) 30-48. 4 Vgl. Engel (s. o. 274) 53 f. ’ Friese, Lehenhof (s. o. 305) 6 ff., Druck d. Lehensbücher v. 1444 u. 1454 (ebd.) 10-24 u· 25-44, Regesten nach dem Lehensbriefkopiar v. !453 (ebd.) 45-56.

6 Ders. Steuerverzeichnisse (ebd.). 7 Vgl. zusammenfassend W. Engel, Würzbürg u. Hohenlohe, 1949, 64. Materialreiche Übersicht über die lehensrechtlichen BeZiehungen bringt K. Weller (s. o. 305) II 358 bis 371. 8 Auf diese Zusammenhänge deutet zutreffend Hofmann 395 f. hin.

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hörigen des Hauses, doch fand man rasch wieder zur traditionellen Gemeinsamkeit des Verhaltens, sobald die Konstellationen im Reich sich durch die Überlegenheit Kaiser Ludwigs und dann Karls IV. vereinfacht hatten.1 Allerdings verstand es die Reichsstadt Rothenburg in den Jahren der Unsicherheit nach Kaiser Heinrichs VII. Tod, durch Schirmverträge mit den Grafen von Öttingen und den Burggrafen von Nürnberg der Gefahr der Einordnung in das hohenlohische Territorium zu begegnen.1 2 Die Herrschaft Hohenlohe blieb stets ein Machtgebilde ohne städtischen Hauptort. Verwaltungsmittelpunkte blieben Burgen und die mit diesen Zusammenhängenden Märkte, für die man erst in sekundärer Entwicklungsstufe Stadtrechte erstrebte. Typen solcher Orte waren Möckmühl, Weikersheim, Ingelfingen, Forchtenberg, Sindringen und Creglingen, auch das nur bis 1390 hohenlohische Crailsheim.3 Von 1234 an wurden die Auseinandersetzungen mit dem Würzburger Hochstift um die Herrschaft Langenburg hart. Sie verschmolzen mit den Kämpfen zwischen Friedrieh II. und Heinrich (VII.). Der Kaiser scheint Schenkungen aus dem Besitz ehemaliger Anhänger des Sohnes geleistet zu haben.4 Gottfried von Hohenlohe war eine der wichtigsten Personen in Konrads IV. Regenschafts- und eigenständiger Regierungszeit. Nach dem Zerfall des staufischen Reichskirchenlehengefüges behaupteten sich die Hohenlohe gegenüber Domkapitel und den Stiftern Neumünster und Haug in Würzburg. Nach langwierigen Rechtsauseinandersetzungen in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts wurden die Vogteigerechtsame über das Eigen der Würzburger Stifte als Lehen des Bischofs definiert.5 Die Möglichkeit einer Südausweitung des Hochstiftes wurde dadurch abgeschnitten. Für die Überlagerung von Gerechtsamen und die Verzahnungen im Territorialgefüge bieten die sechs Dörfer am Ochsenfurter Mainknie ein Musterbeispiel; dort zogen sich die Herren von Hohenlohe 1448 aus den Verwicklungen, indem sie ihre Rechte an den Ansbacher Markgrafen Albrecht Achilles verkauften. - Gottfried von Hohenlohe (f 1254) wurde zum Stammvater einer Linie, die sich stärker auf Franken konzentrierte, während sein Bruder Konrad von Brauneck durch die Vermählung mit Petrissa von Büdingen einen Zweig des Hauses schuf, der infolge wiederholter Verschwägerungen mehr auf Entwicklungen am Rhein ausgerichtet war,6 aber bereits Ende des vierzehnten Jahrhunderts erlosch.7 Charakteristisch für Hohenlohe ist ein stets lebendiges Zusammengehörigkeitsgefühl. Die beiden Hauptlinien teilten sich zunächst. Durch das Aussterben der Vettern in Brauneck 1390, Haltenbergstetten im folgenden Jahre und Hohlach 1412 aber fiel der Großteil des Eigens an das Haus Weikersheim. Viele Besitzteile splitterten ab und kamen über die Herren von Hardeck an die Zollern, die Grafen von Castell 1 Weller (s. o. 305) II 7-114. 2 Mommsen, Rothenburger Königsurkunden (s. o. 165 Anm. 1) 29 m. Anm. 38 ff., zur Reichslandvogtei Franken 1346/47 ebd. 54. Über die landgerichtlichen Verhältnisse zu Rothenburg und Würzburg vgl. Schmidt, Herzogtum 95 ff. 3 Weller (s. o. 305) II 440 ff. 4 Ebd. I 21-109.

3 Engel (s. o. 308 Anm. 4) 7-35. 6 Über den für diese Verhaltensweise signifikanten Gottfried von Hohenlohe-Brauneck vgl. Engel (ebd.) 66 f. u. 70. 7 Über die Linien des Hauses vgl. Weller (ebd.) II 115-313; die Kleriker im Deutschen Orden, den Domkapiteln Würzburg, Bamberg, Mainz und Worms, gelegentlich auch in Freising ebd. 265 ff.

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und die Schenken von Limpurg. - Der Grafentitel kommt im Hause Hohenlohe regelmäßig erst seit Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts vor, er wurde jedoch gelegentlich auch früher gebraucht. * Zur nachhaltigen Steigerung des Prestiges mögen bereits im dreizehnten Jahrhundert die durch Kampf, Kauf und Tausch erreichten Expansionen beigetragen haben, deren Leidtragende nicht nur das Würzburger Hochstift, sondern auch die Schenken von Limpurg, die Herren von Schüpf, die Regensburger Kirche in der zum Herzstück des Hausbesitzes werdenden Landschaft Öhringen, der Niederadel im Südwestteil des Steigerwaldes wurden. Die Reichslehen der Herren von Düm wurden 1323 ererbt. Zielpunkte des Besitzstrebens im nächsten Jahrhundert wurden, wenn auch mit Unterschieden des Erfolgs, Gailnau, Iphofen, Kropfsberg, Hohenlandsberg, Wemsberg und Möckmühl, Ingelfingen, Lobenhausen, Schillingsfürst, Forchtenberg und Sindringen.2 Charakteristisch für die hohenlohische Hauspolitik waren die Teilungen nicht nach bestimmten Regionen, sondern stets in Gemengelage; die Notwendigkeiten gemeinsamen Handelns wurden auf diese Weise verstärkt. Mitten in Franken, in der Zone stärkster Überschneidungen von Machtansprüchen, lebten die Herren von Schlüsselberg, Castell und Schwarzenberg. Für die Zollern wie für die Bischöfe von Bamberg und Würzburg waren die Schlüsselberger1 gleichermaßen lästige Nachbarn. Sie besaßen Geleite im Ebermannstädter Grund und auf der Straße nach Hollfeld über die Albhochfiäche. Ihre rigorosen Zoll- und Geleitsforderungen beeinträchtigten den Femhandel und führten Burggrafen und Bischöfe zusammen. Anlehnung an den Herrscher war auch in diesem Falle das Auskunftsmittel, mit dem man der Einkreisung begegnen konnte. Nachdem aber Konrad von Schlüsselberg nach Kaiser Ludwigs Tod seinen kaiserlichen Schützer und Verbündeten verloren hatte, griffen die drei Mächte 1347 sofort zu. Die Bischöfe, Gebrüder aus dem Hause Hohenlohe, führten den Zangengriff gegen die weiter westlich gelegenen Stellungen durch, während die Zollern stärker auf die Ausschaltung des Störenfrieds im Jura bedacht waren. Der letzte Schlüsselberger fand beim Kampf um Burg Neideck den Tod. Das Geleit auf der Straße durch die Alb sicherten sich die Burggrafen und ließen es, neben anderen Gerechtsamen, durch Karl IV. am 31. Oktober 1347 bestätigen.4 Für das Bamberger Hochstift bedeutete die Ausschaltung der Herrschaft Schlüsselberg den Wegfall eines gefährlichen Konkurrenten. Denn jene Familie hatte von Adelsdorf aus ihren Besitz am Oberlauf der Reichen Ebrach ausgeweitet. Sie lieferte ein Beispiel für die «Territorienbildung im Landesausbau»5 in Teilen des Steigerwaldes. Das 1260 gegründete Hauskloster Schlüsselau wurde reich dotiert und erhielt eigene Hochgerichtsbarkeit. Die Zent Schnaid hatten die Schlüsselberger als Eigen inne und behaupteten allen ihren Besitz als Herrschaft.4 Die Teilung dieser Gerechtsame unter die Sieger von 1347 beseitigte einen störenden Faktor im Grenzgebiet zwischen Bamberg und Würzburg. * O. Frhr. v. Düngern, Adelsherrschaft im MA, 1927, Nachdr. 1967, 35. 2 Weller (s. o. 305) Π 381-440. 3 Hofmann 393.

4 Endres (s. o. 295) 137. 5 Hofmann 393. 4 HAB Höchstadt-Herzogenaurach (Η. H. Hofmann) 15.

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Zur im Bannkreis der Würzburger Macht verharrenden Adelsgruppe gehörten die Grafen von Castell. Sie sind während des zwölften Jahrhunderts im Gefolge der Bischöfe und der Staufer nachweisbar, von 1205 an führen sie den Grafentitel. Die Herrschaftsrechte lagen während des späteren Mittelalters überwiegend zwischen dem Westhang des Steigerwaldes und dem Main, Vorposten jenseits des Flusses sind nennenswert nur in der Region Obereisenheim-Volkach. Streubesitz zog sich bis in den Raum Schweinfurt, vor die Tore von Würzburg und im Süden in die Umgebung von Rothenburg hin.· In die erste Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts fällt eine entscheidende Machtprobe mit dem Würzburger Bischof. Für die Grafen brachte die Verschwägerung mit dem Hause Henneberg die Verschärfung des Gegensatzes zum Hochstift, an das 1230 die Abtei Münsterschwarzach verlorenging. Hinter einer Hausteilung von 1251 standen politische Differenzierungen: Eine Linie hielt stärker zu den Zollern, die andere neigte mehr Würzburg zu, dessen Erbschenkenamt in Castells Hand diese Beziehungen verdichtete. Als die sogenannte «Unterschlösser» Linie 1331 erlosch, wurde der Gesamtbesitz wieder in einer Hand vereinigt.1 Charakteristisch für Castells Stellung in Mainfranken waren die Geleitsrechte von Würzburg bis Bamberg, vielleicht ein Rudiment der älteren Reichsgutorganisation. Verschiedene Vogteien bildeten ein Substrat der Landesherrschaft, die fast allseits vom Würzburger Hochstift eingeschlossen wurde.123*- Merkwürdigerweise kamen die Grafen von Castell kaum in den Domkapiteln vor; das läßt auf eine andere Verhaltensweise gegenüber den benachbarten geistlichen Reichsfürstentümem im Vergleich mit Wertheim Hohenlohe oder Henneberg schließen. Durch die Art der Erbregelungen auf Grund von Hausgesetzen wurde im vierzehntenJahrhundert der Familienbesitz zusammengehalten. Auch später kam es zu keiner Teilung der Grafschaft, wohl aber zwischen 1435 und 1457 zu starken Besitzabgängen.♦ Im letztgenannten Jahre wurde die ganze Grafschaft dem Würzburger Hochstift lehenbar gemacht. Dieser Vorgang war ein Detail der in ihre volle Schärfe eingetretenen Auseinandersetzung des Würzburger Bischofs mit Markgraf Albrecht Achilles.’ Die Reichsstandschaft blieb von dieser Entwicklung unberührt. Im gleichen territorialen Lebensraum behaupteten zäh die Herren von Seittsheim und dann von Schwarzenberg ihre Position.6 Der Namenswechsel fällt in das Jahr 1421, in dem Erkinger von Seinsheim auf Stephansberg bei Volkach die Burg Schwarzenberg erwarb. Lehensrechtliche Beziehungen zum Würzburger Bischof, mit denen seit 1406 auch die Obeijägermeisterwürde im Herzogtum verbunden war, sowie Dienstnähme bei König Sigismund, die am 10. August 1429 zur Erhebung in den Reichsfreiherrenstand führte, bestimmten Erkingers Politik. Scheinfeld und die Zent waren sein Besitz, vom Hochstift Würzburg hatte er Dorf Domberg und Burg Hohenlands1 Graf Castell-Hofmann (s. o. 305). 2 Stein, Castell (s. o. 305). 3 Engel, Castell (s. o. 305); Ders. Lehenbuch (ebd.) 109-146. ♦ Hofmann 392 f. ’ Vgl. Schmidt, Herzogtum 89-94.

6 K. Fürst zu Schwarzenberg (s. o. 305); Μ. Schwab, Gesch. d. Stadt u. Pfarrei Scheinfeld im ehern. Fürstentum Schwarzenberg, 1912, 13 f£, 32 f.

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berg zu Lehen. Seine Familie baute systematisch ein überregionales Beziehungsgefüge auf, sei es im Blick auf das Domkapitel in Eichstätt und den Deutschen Orden, sei es in Gestalt von Verschwägerungen mit den Grafenhäusem Nellenburg, Öttingen und Rieneck oder auch mit den Schenken von Erbach. Erkingers Söhne und Enkel nahmen Dienste bei den Habsburgem und den fränkischen Hohenzollem.1 Bedeutender Sproß der Freiherrenfamilie war Johann II., der die Bamberger Halsgerichtsordnung verfaßte, die auf die Carolina weiterwirkte, zumal Kaiser Karl V. den fränkischen Adligen in seine Dienste nahm. Im Norden und Nordosten Frankens gab es eine Dynastengruppe, bei der an erster Stelle die Grafen von Henneberg zu nennen sind. Die ihnen in der Salierzeit zur Kontrolle der mittleren Mainlande12 und zur Stärkung des Königseinflusses übertragene Burggrafschaft in Würzburg wurde, wie im Mainzer Erzstift die Stellung der Rienecker, während des ersten Drittels des dreizehnten Jahrhunderts ausgehöhlt. Die Bischöfe aktivierten alte Immunitätsrechte, führten eine konsequente Entvogtung durch und ersetzten das Burggrafengericht durch das Schultheißengericht an der alten Brücke. Von etwa 1220 an begannen sich die Territorialbereiche voneinander abzuschichten: Henneberg behauptete seine Machtkeme in Thüringen, mußte aber in den Mainlanden die voranschreitende Schwächung seiner Position hinnehmen.3Hennebergs zähes Beharrungsvermögen bewirkte Verzögerungen im Aufbau des Würzburger Hochstiftes,4 die Seitenlinie Botenlauben jedoch übertrug ihren Besitz an Würzbürg. Diese Vorgänge, zu denen König Heinrich (VII.) den lehensherrlichen Konsens erteilte, sind Teil des Endkampfes der Staufer in Franken. Im Mai 1240 vermittelte König Konrad IV. einen Ausgleich zwischen Hochstift und Henneberg. Sechs Jahre später standen die Grafen als Schrittmacher des Gegenkönigtums im antistaufischen Lager. Die Ursachen ihres Gesinnungswandels sind nicht mehr erkennbar. Das Jahr 1247 brachte den Anlauf zu einem hennebergischen Gegenkönigtum, das am Widerstand Würzburgs scheiterte und in den in Hessen beginnendenErbfolgeverwicklungen mit dem Erwerb der Herrschaft Schmalkalden zu einer Art Abfindung führte.5 Herrmann I. konzentrierte seine Energie auf die Sicherung von Erbschaften aus thüringischem, meranischem und wildbergischem Nachlasse.6 Dann wurde er Partner der Reichspolitik König Rudolfs von Habsburg. Die Auseinandersetzungen mit Würzbürg stellen in dieser Gesamtentwicklung einen wichtigen Teil dar, lassen aber im Vergleich zu den thüringischen Vorgängen mehr den Defensivcharakter dieser Maß1 Johann I. trug seine Zentrechte König Sigismund auf, der Scheinfeld das Gelnhäuser Stadtrecht verlieh. In der zweiten Hälfte des 15. Jhs. drängten sich die Zollern als Zwischenlehensherren zwischen Kaiser und Freiherren, s. Schwab (s. 311 Anm. 6) 35 ff. 3 Vgl. Zickgraf (s. o. 60 Anm. 4) 77-105. 3 Einzelheiten der Auseinandersetzungen am Mittelmain sowie im Raum zwischen Spessart und Rhön, auch des Lavierens der Herren von Thüngen, die wahrscheinlich ehemals hennebergische Ministerialen waren, aber auch zum

Würzburger Hochstift enge Beziehungen hatten, enthalten die HAB Karlstadt (E. Riedenauer) 26 u. Gemünden (K. Richter) 33. 4 Füsslein (s. o. 89 Anm. 2) 56-109, 151 bis 224, 295-342. 5 Ebd. 189-224. 6 Zur Auseinandersetzung der Henneberger mit Fulda und Hessen sowie zum Verhältnis der Linien Schleusingen und Römhild vgl. Zickgraf (s. o. 60 Anm. 4) 105 ff., 108 ff., 112 ff.

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nahmen zutage treten.1 Rund drei Jahrhunderte lang standen am Main wie in der fränkisch-thüringischen Übergangszone Henneberg und Würzburg als tödlich verfeindete Gegner einander gegenüber, während das Verhältnis der Grafen zum Bamberger Hochstift weniger stark gespannt war.’ - Die ersten Hausteilungen scheinen sich noch wenig auf die äußere Machtstellung ausgewirkt zu haben, wohl weil man nur den Grundbesitz aufgliederte, die Hoheitsrechte jedoch ungeteilt ließ. Erst der Vertrag von Münnerstadt hat wahrscheinlich 1287 drei selbständige Herrschaften gebracht. Graf Berthold VII. (1284-1340)1 *3 versuchte, eine Senioratsverfassung im Verhältnrs der Linien durchzusetzen. In der nächsten Generation überwog die Realteilungstendenz,4 weil die Schwiegersöhne aus Meißen, Württemberg und der Burggrafschaft Nürnberg die Erbteile ihrer Gemahlinnen anderweitig zu nutzen trachteten.5 Vom vierzehnten bis ins sechzehnte Jahrhundert kämpfte Würzburg um die Sicherung der Verbindung zwischen Mellrichstadt und seinen Hochstiftsvorposten in Meiningen und drang auch im Gebiet der oberen Werra vor. Die weitgespannten Pläne der Bischöfe überschritten jedoch die finanzielle Leistungsfähigkeit des Hochstiftes. Henneberg konnte Würzburgs Staatskrise in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts nutzen und bis zum Beginn der Neuzeit im Raum Meiningen die Gerechtsame des Hochstiftes an sich bringen. Die Grafschaft wuchs definitiv in die thüringisch-sächsische Staaten weit hinein. Bei ihrer auf Vogtei und Zent gestützten Entwicklung der Landesherrschaft6 zeigten sich mancherlei Analogien zu den in Franken vorhandenen Strukturen. Infolge der wettinischen Verschwägerung kam das ursprünglich aus Andechser Erbe von den Hennebergem übernommene Coburger Teilgebiet1 an die Markgrafen von Meißen im Jahre 1353. Nicht zuletzt dadurch wurde die Teilnahme der Wettiner an fränkischen Landfrieden in der Zeit Kaiser Karls IV. verursacht. Zur Nordost-Gruppe des Hochadels in Franken gehörten weiterhin die Grafen von Orlamünde und die Herren von Truhendingen. Beide waren im Unterschied zu ihren Besitzvorgängern, den Herzögen von Andechs-Meran, stärker dem Territorialgeschehen als der Reichspolitik verhaftet. Ihre Stellungen gingen allerdings noch im vierzehntenJahrhundert in benachbarten Machtbereichen auf und haben infolge dieser 1 Füsslein (s. o. 89 Anm. 2) 334 ff.; Ders., Zwei Jahrzehnte (s. o. 279 Anm. 3). ’ Auf diese Unterschiede weist bereits Stein I 302-309 hin. 3 Rummel (s. o. 305) bes. 8-13, 18-24,32-38, 42-55. 4 Zu den daraus resultierenden Verschiebungen vgl. Körner, Machtkeme (267) 170, 175. 5 Als Beispiel sei auf Münnerstadt hingewiesen, vgl. K. Dinklage, Fünfzehn Jahrhunderte Münnerstädter Gesch., 1935, 13-127. 6Zickgraf (s. o. 60 Anm. 4) 131-167; über die Zenten und gelegentliche Oberhofansprüche des Würzburger Brückengerichtes vgl. auch Schmidt, Herzogtum 71, 74 f. Den 1310 verliehenen Fürstentitel führten die Henneberger

in Schleusingen erst seit dem 15. Jh., dies ein Zeichen ihrer Emanzipation vom Würzburger Herzogsanspruch. Die anderen Linien, die 1310 nicht die fürstlichen Vorrechte erhalten hatten, blieben in landrechtlichen Bindungen an den Bischof-Herzog. Allgem. Schmidt, Herzogtum 5977‫ ·־־‬Aus der jüngeren Forschung: G. Engelbert. Die Erhebungen in d. Reichsfürstenstand bis zum Ende d. MA, Diss. Masch. Marburg 1948, 55,110 ff.; auf ihn bezieht sich E. E. Stengel, Land- u. lehnrechtl. Grundlagen d. Reichsfürstenstandes, 1948, jetzt in: Abh. u. Untersuchungen z. mittelalterl. Gesch., 1960, 133 bis 173, bes. 154, 170 f. 7 Vgl. Füsslein, Jahrzehnte (s. o. 297 Anm. 3) 78-95·

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relativen Kürze ihres Individualdaseins nur verhältnismäßig wenig Spuren hinterlassen. Dies gilt in erster Linie für die Orlamünder, die mit Kulmbach und der Piassenburg Besitz im Frankenwald und Fichtelgebirge erworben hatten. Alles aber gaben sie 1338 an die Burggrafen von Nürnberg weiter und zogen sich in ihren thüringisehen Ausgangsräum zurück.1 Sie haben im Gesamtablauf des Geschehens insofern Bedeutung, als sie zur Verdichtung der Zollemherrschaft im Jura beitrugen, wo damals die Burggrafen sich auch gegenüber anderen Adelsfamilien durchsetzten.2 Die Truhendinger nannten sich seit dem Interregnum Grafen und erreichten das Konnubium mit bedeutenden Sippen.3 Ihre ursprüngliche Besitzstreuung erstreckte sich zunächst auf Vogteien in Solnhofen und Heidenheim als Lehen vom Bischof von Eichstätt, über das als Grablege dienende Kloster Langheim, reichte bis in den ehemaligen Nordgau und das später hohenlohische Gebiet. Schenkungen an die Klöster Herrieden, Heilsbronn, Seligenpforten und Sulz, auch die ansehnliche Zahl von Ministerialen spiegeln die überregionale Bedeutung. Das Eigen im Radenzgau wurde gegen das Hochstift Bamberg im Andechser Erbfolgekampf behauptet. Lehen des Bamberger Bischofs waren unter anderem die Burgen Giech und Neuhaus bei Königsfeld sowie Dörfer im Raum Scheßlitz-Hollfeld und an der Baunach. Im Hochstift Würzburg hatten sie das Jägermeisteramt inne. Als hohe Zeit ihrer Geltung sind das zweite und dritte Viertel des dreizehnten Jahrhunderts anzusprechen: Das Haus Truhendingen war verschwägert mit den Herzögen von Andechs-Meran, stand auf der Seite der Bayemherzöge, als diese das Konradinische Erbe verteidigten, vermittelte in Streitigkeiten der Wittelsbacher und trat schließlich in die Gefolgschaft König Rudolfs von Habsburg ein. Überanstrengung der Kräfte in solchen reichspolitischen Engagements mögen mit zum Niedergang beigetragen haben. Eine Besitzzerlegung nach 1290 hat eher schwächend, denn in den Teilräumen herrschaftsintensivierend gewirkt. Die wichtigsten Gerechtsame gingen durch Verkauf an das Bamberger Hochstift,4 das trotz seiner Verschuldung noch immer finanzkräftiger war als die Truhendinger. Die Grafen richteten ihr Verhalten aus auf die Kaiser Ludwig IV. und Karl IV., im Herrschaftssystem des letzteren war für wenige Jahre die Vereinigung ihrer Positionen mit dem Bamberger Hochstift in der Amtszeit Bischof Friedrichs von Truhendingen ein wichtiges Detail.3 Aber neue Teilungen schwächten die Stellung der Sippe, ehe sie 1424 erlosch.6 Damit wurde der Schlußpunkt hinter eine gewisse territoriale Vereinfachung Oberfrankens gesetzt, die faktisch bereits viele Jahrzehnte vorher eingetreten war und äußerlich etwa mit den Vorgängen nach der Niederringung der Schlüsselberger verglichen werden kann, im ganzen gesehen aber die politische Zerklüftung des Raumes7 nicht mehr aufheben konnte. Im Süden Frankens bestand zu Beginn der Zeitspanne, die den Aufbau der Territorien brachte, eine Adelsgruppe, deren besitzrechtliche, dynastische und politische 1 2 3 4 3

Hofmann 383. Schwammberger (s. o. 295) 66 ff. Hofmann 393. S. o. 284 f. v. Guttenberg I 223 ff.

6 Noch immer wichtig S. Englert, Gesch. d. Grafen v. Truhendingen, 1885, hier bes. 150-156 und die Reg. 37-111, nrr. 169-516. 7 Zusammenfassend G. Diepolder (Bayer. Geschichtsatlas) 86 ff.

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Beziehungen in die benachbarten Landschaften Oberbayems, der nachmaligen Oberpfalz und Schwabens wiesen. Zwei Familien, die Grafen von Hirschberg und von Graisbach-Lechsgemünd, sind 1305 und 1324 ausgestorben,1 auf die hier nicht eingegangen zu werden braucht. Hingegen kommt fortdauernde Bedeutung für die fränkische Landesgeschichte den Grafen von öttingen zu. Eine Grenzbeschreibung ihres Herrschaftsbereiches aus dem Jahre 1315 schließt das Riesbecken ein und bezeugt die rechtlichen Übergänge von einer ehemaligen Reichsgutorganisation der Stauferzeit zur Grafschaft? Welchen Wert man auf diese Zirkumskription auch später legte, zeigt die Bestätigung, die 1419 König Sigismund erteilte. In der Grenzbeschreibung wirkt die Abschichtung Schwabens von Franken im Waldgebiet nördlich von Dürrwangen nach? Durch den Akt von 1419 ließen sich die Grafen von Öttingen - ganz anders als die auf dem Grenzenmangel ihrer landgerichtlichen Ansprüche beharrenden Burggrafen von Nürnberg - zugleich auch ihren Geleitsbezirk als territoriale Raumgroße bestätigen und damit nachhaltig stabilisieren. Die Ottinger nutzten die Geleitshoheit als wesentliches Mittel ihres Landesaufbaues.1 2*4*Der von den Grafen be­ herrschte Raum war eine Durchgangsregion, in der sich die Femstraßen von den Zentralalpen an den Rhein und nach Thüringen mit den Verbindungen zwischen dem Westen des Reiches und Böhmen kreuzten. Während des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts gelang den Grafen die Machtausweitung im Bereich des Landgerichts Graisbach. Vogteirechte auf Reichsgütem in Harburg, Aufkirchen, Gosheim, Monheim, Wassertrüdingen, Feuchtwangen, Herrieden und Wartberg waren mit Eichstätter Lehen gemischt und ließen die öttingischen Stellungen erstarken. Auch der ständige Wechsel der Pfandinhaber erleichterte das Vordringen der Grafen. Nicht alle Positionen ließen sich halten. Im vierzehntenJahrhundert wurden im Kampf um die regionale Vorherrschaft die Burggrafen von Nürnberg zu den gefährlichsten Widersachern; diese erhoben ihre Ansprüche im Rahmen der kaiserlichen Landgerichtsbarkeit? In Feuchtwangen mußten die Ottinger vor den Zollern zurückweichen. In Aufkirchen hingegen konnten sie die seit 1251 bestehende Reichspfandschäft6 uneinlösbar machen. Die Anlehnung an Ludwig IV. und Karl IV. begünstigte dies Erwerbsstreben. Bopfingen entging ihnen, doch bildeten die ehemals staufischen Burgen Wallerstein und Flochberg einen gewissen Ersatz? Bemühungen, auch die Reichsstädte Weißenburg und Nördlingen in die Grafenherrschaft einzubeziehen, scheiterten trotz oft rigoros gehandhabten Druckes, weil die Wirtschaftskraft der 1 Vgl. zusammenfassend Volkert (HB Π) 504 u. 543 f. - Über das Hochstift Eichstätt als Nutznießer dieser Vorgänge s. o. 289 ff. Zum reichspolitischen Hintergrund,den AuseinanderSetzungen König Albrechts I. mit dem Pfalzgrafen Rudolf Π. und dem damaligen Verhalten Herzog Ludwigs von Bayern, vgl. Geruch, Königtum (s.o. 161) 25-88, bes. 56 ff, Anm. 137. 2 Vgl. Hofmann 388. ‫ נ‬Kraft-v. Guttenberg. 4 Endres, Niimberg-Nördlinger Wirtschaftsbeziehungen (s. u. 478) 84.

5 Kraft-v. Guttenberg 86 ff. 6 Vgl. dazu auch Knöpp (s. u. 323) 16, 69. 7 Als weiteres Beispiel sei Spielberg genannt, das ursprünglich Sitz einer edelfreien Sippe war, vielleicht einer Seitenlinie der Truhendinger, und nach wechselvollem Schicksal 1360 von den Grafen von Öttingen gekauft wurde; nach der Verpfändung an die Pappenheimer 1436-1493 wurde es Hauptort einer Ottinger Linie, s. HAB Gunzenhausen-Weißenburg (Hofmann) 33.

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Gemeinwesen stärker war.1 - Öttingens Position wurde durch die Ergebnislosigkeit von Teilungsabsichten begünstigt. Der Gesamtbesitz fiel meist nach kurzer Zeit wieder an eine Linie zurück, die die anderen Familienzweige überlebte. Gefährliche Aspekte zeitigten im letzten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts Heiraten mit Töchtern aus den Häusern Zollern und Württemberg. Erst im fünfzehnten Jahrhundert entwickelten sich auf Dauer die Linien Öttingen, Wallerstein und Flochberg. Infolge der Beerbung der Herren von Domberg wurde Öttingen Partner auch in den mannigfachen VerWicklungen zwischen dem Hochstift Würzburg, den Zollern und den Herren von Hohenlohe,1 wesenhafter aber blieb die Konzentration auf das fränkisch-bayerischschwäbische Übergangsgebiet. Charakteristisch für die Politik der Grafen sind auch die zahlreichen Münzkonventionen des fünfzehnten Jahrhunderts mit den Habsburgern, den Augsburger Bischöfen, den Grafen von Württemberg sowie den ReichsStädten in Schwaben und Franken.123 Die staufische Reichsgutorganisation in Franken hat die Voraussetzung für den Aufstieg auch der Marschälle von Pappenheim geboten. Aus einem Kranz von Reichsdienstmannengeschlechtem schoben sich die Pappenheimer in den Vordergrund.4 Ihre Reichslehen umfaßten das Amt Weißenburg mit Wetteisheim und Pleinfeld, seit dem Ausgang des zwölften Jahrhunderts auch die Herrschaft Pappenheim und die Burggrafschaft über den Reichsbesitz im Raum um Neuburg an der Donau, ferner Positionen im Altmühltal.5 Ihr Amtsbereich zog sich in großem Bogen südlich um den staufischen Reichsgutkomplex Nürnberg und trug zur Abschichtung Frankens von Bayern bei.6 Mit dem Reichsmarschall Heinrich von Kalden-Pappenheim erlosch die ältere Familie. Ihr folgten wohl im zweiten Jahrzehnt des dreizehnten Jahrhunderts die Verwandten aus der Biberacher Sippe von Heinrichs Mutter, die den Namen Pappenheim annahmen.7 Seit in der Goldenen Bulle Kursachsen das Amt des Reichserbmarschalls zugesprochen wurde, galten die Pappenheimer als Vizemarschälle, Burg und Stadt Pappenheim als sächsisches Lehen. Im Blick auf die Hoheitsrechte der Marschälle aber blieb diese Entwicklung ohne Konsequenz, nur daß bei Streitigkeiten zwischen diesen und ihren Holden das sächsische Oberhofgericht zur Oberinstanz wurde. Zu den Merkwürdigkeiten gehört es, daß die Pappenheimer später, wohl als Nachwirkung ihrer ministerialischen Funktionen, trotz der Erhebung zur Grafenwürde keinen Reichs- oder Kreisstand erhielten. Die Herrschaft blieb der Reichsritterschaft inkorporiert, jedoch nicht dem nahegelegenen Kanton Altmühl, sondern dem schwäbischen am Kocher.’ Sozialgeschichtliche Sonderformen in der Pappen1 Endres, Messestreitigkeiten (s. u. 478); Ders., Die Bedeutung d. Reichsgutes u. d. Reichsrechte in d. Territorialpolitik d. Grafen v. Üttingen (Jb. Mfr. 80) 1962/63, 36-54, bes. 42 u. 45 ff. 2 Vgl. D. Deeg, Die Herrschaft d. Herren v. Heideck, 1968, 163-181, bes. 168. 3 Zum Vorangehenden vgl. W. Frhr. Löffelholz v. Kolberg, Oettingiana, o. O. u. J. (Wallerstein 1833), 1-10. 4 HAB Gunzenhausen-Weißenburg (Hofmann) 23. Einen knappen Überblick über die

Adelswelt des Raumes im Hochmittelalter gibt HONB Weißenburg (Strassner) 19 ff. 5 Vgl. Kraft (C. Scherzer) II 23. 6 Landes- und wirtschaftsgeschichtlich aufschlußreich ist W. Kraft, Die Nadelherstellung im Raume Monheim-Pappenheim-Weißenburg (JffL 25) 1965, 209-271. 7 Vgl. dazu Kraft, Urbar (s. o. 305) 10 ff., 30 ff.; Bosl 484 ff. ’ HAB Gunzenhausen-Weißenburg (Hofmann) 73.

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heimer Bauernschaft deuten auf eine lebhafte Beteiligung an der Rodebewegung des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts hin.1 Das Urbar der Reichsmarschälle zeigt drei Komplexe der Herrschaftsbildung: Im Südwesten Burg und Amt Neuburg, die Herrschaft Rechberg und das Pappenheimer Gebiet. Ein Vergleich mit den älteren bayerischen Herzogsurbaren ergibt Einzelheiten für das Vordringen der Wittelsbacher als Erben der Staufer an der Donau.1 2 Von Osten und Norden her wurden die Pappenheimer durch die Burggrafen von Nürnberg und das Hochstift Eichstätt in die Zange genommen. Von der Fürstung der Zollern 1363 an bis zu Albrecht Achilles allseitig gesteigerter Aktivität reicht die Zeitspanne, in der wie andere Adelsfamilien in Mittelund Südfranken auch die Pappenheimer an vielen Orten zurückweichen mußten. Das Territorium der Eichstätter Bischöfe wurde durch den zielstrebigen Auskauf der Adelsfamilien zum unbequemen Nachbarn.3 In Stadt und Reichsforst Weißenburg übten sie im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert eine Reichspflegeschaft;4 diese Gerechtsame gaben aber keine Basis ab, von der aus die Stadt in das Territorium hätte einbezogen werden können. Weißenburg selbst, vom Interregnum bis 1360 oft und in buntem Wechsel Pfandobjekt deutscher Herrscher, konnte sich aus diesen Pfandschäften lösen und, gestützt durch Nürnberg, seinen Eigenstand wahren.5 Ähnlich wie im Verhältnis der Grafen von Öttingen zu Nördlingen glückte es den Marschällen von Pappenheim nicht, ein reichsstädtisches Gemeinwesen als Hauptort ihres Territoriums zu gewinnen. Die Pappenheimer behaupteten eine regional beachtliche Territorialherrschaft im mittleren Altmühltal;6 ein Vergleich mit den Hochstiften oder auch den Landgebieten der fränkischen Reichsstädte macht jedoch die Bescheidenheit ihrer Machtstellung deutlich. Im Überschneidungsgebiet der in Richtung und Intensität wechselnden Einflüsse aus Franken, Bayern und der Oberpfalz befand sich das Territorium der Herren von Heideck^ Zur Adelswelt Frankens gehörten sie aufgrund gemeinsamer Abkunft mit den Grafen von Hirschberg, der zusammen mit diesen betriebenen Rodetätigkeit und aus ihr folgender Besitzverzahnung, 8 des Einzugs in die Herrschaften Lichtenau und Vestenberg durch Beerbung der Vögte von Domberg,’ der alten Vasallität zur Eichstätter Kirche. Nach dem Erlöschen des Hirschberger Grafenhauses gingen dessen Allodien in der Hauptmasse an das Hochstift Eichstätt, viel Streubesitz aber scheint an die Heidecker gelangt zu sein.” Anlehnung an das Königtum und Dienstnahme bei Herrschern und Fürsten gehörten auch im Hause Heideck zum charakteristischen Verhalten spätmittelalterlichen Adels." Die Intervention in denNürnberger Wirren beim 1 Bog, Dorfgemeinde (s. u. 456) 43, im AnSchluß an Kraft, Urbar (s. o. 305) 52 ff. 2 W. Metz, Staufische Güterverzeichnisse, 1964, 77-93; Spindler (s. o. 268 Anm. 4) 135 ff. Über die Herrschaft Neuburg in den bayerischen Hausstreitigkeiten der ersten Hälfte des 15. Jhs. vgl. HB II 235 u. 263 ff. 3 Vgl. Hofmann 388. 4 Kraft, Weißenburg (s. o. 305). 5 Pfeiffer, Weißenburg (s. u. 324) 7 ff. 6 Hofmann 395.

7 Deec (s. o. 316 Anm. 2); Hofmann 393 f. 8 Deec (s. ebd.) 83, 96 f., 98 mit Anm. 27, 140 f. * Ebd. 163-181. ” Infolge der neuen Machtverteilung gaben die Heidecker allerdings Teile ihres eigenen Besitzes an der Anlauter und Altmühl an die niederbayerischen Wittelsbacher. Deec (s. o. 316 Anm. 2) 87, 93. " Ebd. 35.

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Zusammenbruch der Reichsherrschaft Ludwigs zugunsten Karls IV. lohnte dieser mit Jagdrechten im Weißenburger Forst;1 auf diese Weise wurde die Verbindung zu den 1350 erworbenen Herrschaften Dollnstein und Monheim erleichtert, zehn Jahre später kam Wellheim hinzu.1 In die neuböhmische Machtstellung Karls IV. wurde am 23. November 1360 die Herrschaft Heideck durch Lehensauftragung eingefügt.1*3 Marktrechtsverleihungen, wie etwa 1387 für Dollnstein durch König Wenzel, gehören in den Kreis reichsrechtlicher Sicherungen der territorialen Stellung. Mit Beginn des vierzehntenJahrhunderts setzte dann der langsame Niedergang ein: Familienstreit, wirtschaftliche Wandlungen und wachsender Druck der benachbarten Mächte sind als Ursachen anzusprechen. Nutznießer war teilweise die Reichsstadt Nürnberg, zu deren Patriziat die Heidecker mannigfache, auch lehensrechtlich unterbaute4*Beziehungen besaßen. Heidecker Positionen wurden in das Landgericht der Reichsstadt einbezogen.1 Die Herrschaft Dollnstein mußte 1440 an das Hochstift Eichstätt verkauft werden.6 Das ungestüme Machtstreben des Markgrafen Albrecht Achilles führte dann zum Zusammenbruch. Als der Zoller seine landgerichtlichen Ansprüche auch auf Heideck ausdehnen wollte und dessen Herrn an der Ausübung des Bergregals hinderte, brach eine Fehde aus, von deren finanziellen Folgen sich die Herrschaft nicht mehr erholen konnte? Infolge eines Pfandvertrags von 1455 fiel 1471 Heideck an die Landshuter Linie des bayerischen Herzogshauses.6 In den beiden nächsten Jahrzehnten erwarb das Hochstift Eichstätt neben einer Reihe lokaler Positionen die Heidecker Bürger- und Bauemlehen sowie einen Teil des Ritterlehenshofes? Die Herrschaft Heideck nimmt sich, auf die Endphase ihrer Territorialgeschichte gesehen, als eine Partikel in der fränkisch-oberpfälzischen Übergangszone aus, die den Herzögen von Bayern im weiten Bereich zwischen Neuburg an der Donau und Sulzbach das Vordringen nach Norden ermöglichte. In den bereits im Anfang des vierzehnten Jahrhunderts erworbenen Gerechtsamen, wie etwa im Landgericht Graisbach, ist noch lange die Unsicherheit der unmittelbaren Nutzung durch Organe des Herzogtums zu beobachten. Die Heidecker Positionen aber brachte das Haus Wittelsbach direkt in die machtpolitischen Auseinandersetzungen zu Beginn der Neuzeit ein. Bayern umfaßte das Hochstift Eichstätt, ohne jedoch dessen Hinordnung auf die fränkische Staatenwelt unterbrechen zu können.

Ritterschafi. Eine der charakteristischen Erscheinungen der fränkischen Landesgeschichte, darin verwandt der schwäbischen und mittelrheinischen, bildet der Eigen1 Ebd. 181 ff. 1 Ebd. 109, 185-196. 3 Ebd. 107 f. Die Burg gehörte zur südlichen Sicherung des von Karl IV. kontrollierten Straßensystems, Hofmann, Landbrücke (s. o. 177 Anm.3) 53, Karte 64/65. 4 Zum Lehenshof der Heidecker, in dem auch das Nürnberger Patriziat häufig vorkommt, vgl. Deeg (s. o. 316 Anm. 2) 102-106, 197-229·

9 Ebd. 40. 6 Über den Wandel im Verhältnis zu den Zollern und die Fehde mit Albrecht Achilles ebd. 115-120. 7 Ebd. 42, 121 ff. 6 Ebd. 43, 84. 7 Vgl. die sozialgeschichtlichen Beobachtungen zum Verhalten des Eichstätter Domkapitels im 15-Jh. bei Hofmann, Adel (s. o. 304) 105, 119■

§ 42· Adel und Ritterschaft (A. Cerlich)

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stand der zur Reichsunmittelbarkeit aufsteigenden Ritterschaft.1 Von der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts an schlossen sich Ritter und Edelknechte in regionalen und oft nur kurzlebigen Gesellschaften zusammen. Solche Einungen lassen sich nur schwer auf einen allgemeinen Nenner bringen, weil man den Adel als Führungsschicht in den verschiedenen Großräumen deutscher Geschichte stets vor dem Hintergrund der landschaftlichen Einzelentwicklung würdigen muß. In Altbayem war diese Schicht bis zum Ende des vierzehntenjahrhundcrts stammesmäßig homogen. Dann aber traten zusammen mit anderen auswärtigen Elementen Angehörige fränkischer Adelssippen, wie der Egloffstein, Pappenheim, Seckendorff und Schaumberg, aus der Eichstätter Durchdringungszone Absberg und die Schenken von Geyern, auf.1 2 Andererseits konnten die Wittelsbacher als Erben der Andechser und Staufer zwar seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts weit nach Franken und Schwaben vordringen, sie erreichten aber keine nachhaltige Bindung der Reichsministerialen und der Andechser Dienstmannenschaft. Nur der Eichstätter und Augsburger Stiftsadel verband sich eng mit dem altbayerischen Adel. Die Rivalität der Zollern und Wittelsbacher spiegelt sich in der Distanz der Ritterschaften in Franken und Bayern im Spätmittelalter. Während in Altbayem der niedere Adel mediatisiert wurde, entwickelte er sich in Franken und Schwaben, ausgehend von Bünden und Tumiervereinigungen, zur Reichsritterschaft.3 Die Gesellschaften des vierzehnten Jahrhunderts nannten sich meist nach einem äußeren Abzeichen ihrer Mitglieder.4 So entstand auf Veranlassung des Grafen von Wertheim 1379 eine «Greifen-Gesellschaft», die jedoch keine größere Wirksamkeit entfalten konnte.3 Bedeutender waren die sogenannten «Fürspranger», die ihren Namen nach der in der Nürnberger Frauenkirche verwahrten angeblichen Gürtelspange Mariens gewählt hatten. Die Rittergesellschaften wurden von den Territorialfürsten argwöhnisch beobachtet. Gegen die aus der Wetterau nach Franken vordringenden «Schlegler» entstand 1395 ein Fürsten- und Städtebund, dem die Bischöfe von Würzbürg und Bamberg sowie Burggraf Friedrich V. von Nürnberg angehörten. Von 1382 an breitete sich die Gesellschaft «St. Georg» von Schwaben bis nach Bayern, in die Oberpfalz und in das Egerland aus, ihr traten viele Ritter südlich vom Thüringer Wald und in Mainfranken bei; eine Einung an der Baunach wird als Teilorganisation der fränkischen Georgsrittcr 1398 erwähnt. In den Jahren 1402 und 1410 schlossen sich Einungen von mehr als hundert Mitgliedern und einem Fünferausschuß an der Spitze zusammen, die Benennung nach St. Georg schwand zu Anfang des fünfzehnten 1 Die Forschungslage ist stark unterschiedlieh und im ganzen schwierig; vgl. dazu jüngst Hofmann (ebd.) 95-126, bes. Anm. 1. 2 Vgl. Lieberich, Fränk. Element (s. o. 268) auch für das Folgende. 3 Ebd. 176. 4 Roth v. Schreckenstein (s. o. 304): erste Zusammenschlüsse ebd. I 309 ff., Ritterbünde und Gesellschaften 447 ff., Standeseinungen von 1398 bis 1419, 601 ff.

5 Diese und die folgenden Einungen nennt bereits Stein I 373 ff., 386, jetzt Hofmann, Adel (s. o. 304) 108 ff. Überholt, aber noch immer brauchbar O. Eberbach, Die deutsche Reichsritterschaft in ihrer staatsrechtl.-polit. Entwicklung v. d. Anfängen bis z. Jahre 1495, 1930, bes. 29 ff., 47, 70 u. 116 ff. Guter Überblick über die Gesellschaften und Analyse ihres politischen Verhaltens Schubert, Landstände 76, 6694-100.

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Jahrhunderts. Verträge von 1398 und 1402 zeigen die Partnerschaft mit fränkischen Fürsten und Grafen. Von einer unwandelbaren Tendenz der Einungen gegen das Fürstentum kann keine Rede sein; harte Gegnerschaft und Wille zum Zusammenwirken konnten, je nach der augenblicklichen Konstellation in einer Landschaft, als Triebkräfte hinter derartigen standespolitischen Zusammenschlüssen stehen. Jene Schwingungsbreite der ritterschaftlich-fürstlichen Verhältnisse hat der fränkische Adel gemeinsam mit seinen schwäbischen Standesgenossen. Auch dort empfand sich die Gesellschaft als Friedensgemeinschaft und Rechtshilfegenossenschaft, die die «rechte Fehde» durchaus als legitime Rechtsinstitution * nutzte, als Trägerin der Schiedsgerichtsbarkeit bei Zwisten ihrer Mitglieder.1 2*Andererseits gestattete die Einung ihren Angehörigen, in Städten das Bürgerrecht, meist auf Zeit, zu erwerben oder bei Fürsten Dienste anzunehmen. Von den Gemeinden wurden Adlige gern als Söldnerführer angeworben, die Fürsten brauchten ihre Dienste in der Diplomatie; der Adel benötigte umgekehrt die finanziellen Einkünfte aus solcher Tätigkeit.’ Die Gesellschaft stand in vorrangig empfundenen Rechtsbindungen an das Reich, jedoch darf der zeitweilige Einklang der Königspolitik und der Anliegen der Ritterschaft nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich Intentionen des Kronträgers und Absichten des Adels unterschieden.4 Die Einung der Ritterschaft ist anzusehen als Verfassungsinstrument einer Ubergangszeit, die bereits den fürstlichen Territorialaufbau, noch nicht aber die Einordnung des Adels in diese Umwelt und den Schutz durch das Reich kannte.5 Auf Grund recht massiver Interessen waren Fürsten und Adel intensiv aneinander gebunden: Allein in den fränkischen Markgraftümem wurden zwischen 1421 und 1439 nicht weniger als 541 Ritterlehen an 162 Familien gegeben.6* Das Bild der rechtlichen Strukturen Frankens ist im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert viel differenzierter als das Altbayems und nicht zuletzt auch in deren kartographischer Darstellbarkeit schwieriger.’ Die Herrschaften der ritterschaftlichen Familien komplizierten die territorialgeschichtlichen Entwicklungen in bestimmten Regionen: Sie liegen meist an den Rändern der größeren Territorien, sei es der Hochstifte, sei es der Markgraftümer Ansbach und Bayreuth oder auch der Hohenloher Gebiete. Sie bilden einen erheblichen Anteil an den Schütterzonen zwischen den relativ großen Staatsgebilden. Für diesen Befund lassen sich nur in Ausnahmefällen geographisch-morphologische Voraussetzungen und Gründe anführen. Vielmehr muß man von anderen Überlegungen ausgehen, die tief in das politische Gefüge der jeweils angesprochenen Landschaft eindringen. In Franken wurden die Territorien nicht zu Ländern, in die Adlige und deren Herrschaften eingeordnet werden oder in denen Landesherren und «Landherren» im Sinne einer rechtlichen Aufeinanderbezogenheit Zusammenwirken konnten.8 Die fränkischen Adligen lebten in einer Vielseitigkeit 1 Vgl. bes. Brunner ii ff., 41-105. 2 Obenaus (s. u. 1005 Anm. 2). ’ Ebd. 208 ff., 216 ff. 4 Ebd. 226. - Für Franken: Hofmann 402. 5 Obenaus (s. u. 1005 Anm. 2) 227. 6 Roth v. Schreckenstein (s. o. 304) 1624. Über die Unterschiede der Stellung des Adels

zu den Landesherm in beiden Markgraftümem vgl. Hofmann, Adel (s. o. 304) 106. ’ Diepolder (Bayer. Gcschichtsatlas) 87. 8 Dies hat die Diskussion der Ergebnisse von E. Klebel und O. Brunner durch Hofmann 386 ergeben.

§ 42. Adel und Ritterschaft (A. Gerlich)

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rechtlicher Bezogenheiten wie ihre Standesgenossen an Mittel- und Oberrhein, in Schwaben oder Thüringen. Doppel- und oft auch Mehrfachvasallitäten, das Lavieren zwischen Landes- und Lehensherren gaben ihnen Mittel und Methoden an die Hand, mit denen sie ihre Nachbarn gegeneinander ausspielen und die Integrierung in eines der Territorien verhindern konnten. Der Adel lebte in der Vielfalt seiner Aufgaben in Fürsten- und Städtedienst, in Domkapiteln1 und im Deutschen Orden, in der Ubernähme von Amtmannsstellen und zugleich in der Sorge um das Familiengut. Herren, Ritter und Knechte traten seit dem Ausgang des vierzehnten Jahrhunderts in ihren Einungen und Gesellschaften zusammen, um Mediatisierungstendenzen entgegenzuwirken. Die Vogtei über Grundholden in den einzelnen Dörfern war auch für den Adel das wichtigste Instrument zur Errichtung seiner Herrschaften ;12 andere Gerechtsame, von der reichslehenbaren Halsgerichtsbarkeit angefangen bis zum auf Stiftung oder Erwerb aus dritter Hand beruhenden Kirchenpatronat konnten hinzutreten. Quantität des Besitzes und Intensitätsgrad der Wirkungsmöglichkeiten am Ort, Zustände also im engsten Lebensbereich, gaben den Ausschlag, ob sich eine reichsritterschaftliche Dorfherrschaft aufbauen und halten ließ oder nicht. In den Zonen, in denen sich landgerichtliche Ansprüche von Fürsten überschnitten, gediehen in Anbetracht dieser Konkurrenzen ritterschaftliche Kleinherrschaften besonders gut.3 Dort konnte man auch leichter dem Einbau in eine Landstandschaft entgehen. Dies gilt sowohl für Territorien in weltlicher Hand4 als auch für Hochstifte, die geistliche Unterlandesherrschaften einzugliedcrn vermochten, es aber nicht verstanden, sich «eine Adelsgenossenschaft zu integrieren».5 Durch die von Ludwig IV. und Karl IV. reichlich verteilten Stadt-, Markt- und Halsgerichtsprivilegien sowie durch Lehensauftragungen an den König wurden die kleinregionalen Herrschaften der Ritterschaft gefestigt.6 In die zunächst unübersichtliche Vielfalt und Zersplitterung brachten biologische Schwundvorgänge bis zum Ausgang des Mittelalters eine starke Vereinfachung.7 Wohl konnten Fürsten und Herren beim Erlöschen einer Familie oft Lehen cinziehen und ihre Territorialität vorschicben, mindestens ebenso häufig aber traten die Verwandten in die Rechte ihrer verstorbenen Sippengenossen. Die Wandlungen von der älteren Ministcrialität zum spätmittelalterlichen Niederadel spiegeln sich seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts in der Urkundensprache. In der betonten Anerkennung der Ritterwürdc stimmen so etwa Bamberger, Orlamünder, Truhendinger und zollerischc Urkunden überein. Berufskriegertum, gründherrliche Lebensweise, Lehensfähigkeit und Ritterwürde führten in den sozialen 1 Hofmann 378, 381. 2 Vgl. Hofmann, Adel (s. o. 304) 122. 3 Hofmann 377. 4 Ebd. 383, 396. 5 Ebd. 381; Ders., Adel (s. o. 304) weist (106) auf «das Vakuum, das die staufische wie die luxemburgische Konzeption hier hinterließen», hin und macht auf die Bedeutung der Wirtschaftskrise an der Wende vom 14. zum 15. Jh. 21 HdBGUI.l

für das Geschick der ritterschaftlichen Herrschaftsgebilde aufmerksam. 6 Hofmann 400. 7 Ebd. 3 80. Auf ähnliche Schwunderscheinungen im Westen weist hin H. Gensicke, Der Adel im Mittelrheingebiet (H. Rössler, Hg., Deutscher Adel 1430-1553, 1965) 127-152, bes. 128 ff.

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Wandlungen seit der Stauferzeit von der Ministerialität hin zum niederen Adel. Für diesen wird die ursprünglich den Edelfreien vorbehaltene Bezeichnung «nobilis» gebraucht; ein weiteres Indiz ist die Aufführung der Ritterwürde für Ministeriale in den Zeugenreihen. Das Streben der Kanzleisprache nach Steigerung der Begriffe führte dann im Laufe des Vierzehntenjahrhunderts zu doppelten Attributen. Zu den älteren Worten «gestreng» und «vest» tritt der Ausdruck «ehrbar» als immer eindeutigere und schließlich ständische Bezeichnung.1 Die «reichsfrey ohnmittelbare Ritterschaft Landes zu Francken» gliederte sich in die sechs Kantone oder Ritterorte Odenwald, Gebirg, Rhön-Werra, Steigerwald, Altmühl und Baunach. Die Kantone waren das Ergebnis langwieriger Entwicklungen und Einungen * und erhielten erst ihre entscheidende Verfestigung während der maximilianeischen Reichsreform: Im Jahre 1496 wurden Rittertage der sechs Orte ausgeschrieben, der erste Entwurf einer Ritterordnung stammt von 1511. Auf den Rittertagen wurden alle Angelegenheiten der Organisation besprochen, angefangen von der Wahl der Vorstände über die Festsetzung der Steuerbeiträge bis zur Ratitizierung von Abmachungen mit Reich, Reichsständen und anderen Ritterkantonen. Gemeinsame Tagungen eines ganzen Kreises, auf denen mit kaiserlichen Gesandten verhandelt, gemeinsame Maßnahmen beraten, Kassenprüfungen und Übergaben des turnusmäßig wechselnden Vorsitzes von einem zum anderen Kanton vorgenommen wurden, kamen selten vor. Der Status der Reichsritter war abhängig von zwei VorausSetzungen: Dem Besitz eines Gutes, das in Form der Immatrikulation in die Liste der einem Kanton steuerbaren Adelsbesitzstücke eingetragen war, dann der Zulassung zu den Beratungen in diesem Kanton mit Sitz und Stimme in Gestalt der Inkorporation. Die Reichsunmittelbarkeit der Ritterschaft machte deren Reichslehen zum letzten Rest des Reichsgutes, über das der Fiskal des Kaisers auf dem Wege über die subsidia charitativa, der letzten im Reich zuverlässig nutzbaren Geldquelle, verfügen konnte. Auf den Reichs- und Kreistagen der Neuzeit war die Ritterschaft weder viril noch kurial vertreten. Ohne rechtlich klar erkennbar ein Glied des Reiches zu sein, stellten sie de facto die letzte Gruppe echter «Untertanen» desselben dar. Das Einungswesen entwickelte sich über die älteren Gesellschaften hinaus in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts. Damals begann man sich als Standeseinung zu organisieren und damit das Fernbleiben aus dem späteren Kreisverband vorzubereiten.3 König Sigismund verlieh ihnen 1422 das Recht, sich miteinander zu verbinden, wie ihnen das am besten dünkte. Acht Jahre später verbanden sich die fränkischen Rittereinungen mit dem schwäbischen Georgenschild-Bund und der bayerischen Gesellschaft vom Einhorn. Das Verhältnis zwischen Ritterschaft und Landesfürsten in Franken hing stets von machtpolitischen Zuständen der regionalen Konstellation ab. So brachte etwa der sogenannte runde Vertrag von 1435 im Hochstift Würzburg Rechte von der Art eines Landtags.4 Auch die Kämpfe des Markgrafen Albrecht Achilles mit dem Würzburger Hochstift bis 1463 trugen zur Stärkung des 1 v. Guttenberg, Titel (s. o. 305) Sp. 97 bis 104, 134-140, bes. 135 ff. 1 Vgl. Pfeiffer (s. o. 304).

3 Häutung 116. 4 H. Knapp, Die Zenten d. Hochstifts Würzbürg II, 1907, 64-71.

§ 43■ Die Reichsstädte (A. Gerlich)

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Adels bei.1 Die Gerichtsbarkeit des Bischofs und seines kaiserlichen Landgerichts entwickelte sich damals zu einer Art Austrägalgerichtsbarkeit, wobei der Bischof den Vorsitz in diesem Standesgericht führte.1 2 Später übernahm diese Funktion der Ritterkanton für die Angehörigen der reichsfreien Ritterschaft in Franken. Hoch- und Niederadel standen damals zeitweise eng zusammen. Die Einung von 1460 umschloß Henneberg, Wertheim, Thüngen, Hutten und andere Ritterfamilien.3 Erst die Ausbildung der Kreistage und der Reichsstandschaft ließ die Interessen wieder auseinandertreten.4

§43. DIE REICHSSTÄDTE

Allgemein. H. Planitz, Die deutsche Stadt im MA, 1954 (Lit.); W. Rausch (Hg.), Die Städte Mitteleuropas im 12. und 13. Jh., 1963. - Forschungsberichte: C. Haase, Gegenwärtiger Stand u. neue Probleme d. Stadtrechtsforschung (Westfäl. Forsch. 6) 1943/J2, 129-144; E. Keyser, Erforschung u. Darstellung d. deutschen Städtegesch. 1945-1965 (Beitrr. z. Wirtschafts- u. Stadtgesch., Festschr. H. Ammann) 1965, 1-26; L. Petry, Stufen u. Formen d. Städtewesens (Geschichtl. Lkde., Veröffentl. d. Inst. f. Geschichtl. Lkde. a. d. Univ. Mainz ΠΙ 2 = Festschr. J. Bärmann Π) 1967, 1-36; Allgem. wichtig Übersichten von E. Keyser: (BlldLG 95) 1959, 290-329; (97) 1961, 228-259; (99) 1963, 321-349; (101) 1965, 305-326; (103) 1967, 109-237. Zusammenstellung von Arbeiten zur Forschungsentwicklung: C. Haase (Hg.), Die Stadt d. MA I, 1969. - Beziehungen zum Königtum. F. Knöpp, Die Stellung Friedrichs Π. u. seiner beiden Söhne zu d. deutschen Städten, 1928; G. Landwehr, Die Verpfändung d. deutschen Reichsstädte im MA, 1967 (Lit.); F. Zander, Beitrr. z. Gesch. d. königl. Einflusses auf d. inneren reichsstädt. Angelegenheiten z. Zeit Ludwigs d. Bayern u. Karls IV., Diss. Halle-Wittenberg 1911; H. Lentzb, Der Kaiser u. d. Zunftverfassung in d. Reichsstädten bis z. Tode Karls IV., 1933, Neudr. 1964. - Politik und Sozialgeschichte. G. Mandel, Studien z. «Außenpolitik» d. Reichsstädte im Spätmittelalter nach d. deutschen Reichstagsakten v. Wenzel bis Friedrich ΙΠ., Diss. Heidelberg 1951; I. Bog, Betrachtungen z. korporativen Politik d. Reichsstädte (UOS 34) 1955, 87-101; Ph. Dollinger, Les villes allemandes au moyen äge. Leur Statut juridique, politique et administratif (La ville 1 = Recueil de la Sociati J. Bodin 6) Brüssel 1954; Ders., Les villes etc., Les groupements sociaux (ebd. 7) 1955; J. Schneider, Les villes etc. Competence administrative et judiciaire de leur magistrats (ebd. 6) 1954; Ders., Les villes etc. Les institutions economiques (ebd. 7) 1955; Έ. Maschkb, Verfassung u. soziale Kräfte in d. deutsehen Stadt d. späten MA, vomehml. in Oberdeutschland (VSWG 49) 1959, 289-349, 433-476; W. Zorn, Die polit, u. soziale Bedeutung d. Reichsstadtbürgertums im Spätmittelalter (ZBLG 24) 1961, 460-480; H. Ammann, Wie groß war die mittelalterliche Stadt?, 1956, Neudruck (Haase, s.o.) 408-415. R. Mols, Introduction ä la Demographie Historique des Villes d’Europe du XTVe au XVÜIe si^cle, 3 Bde., Löwen 1954/56 (grundlegend, dazu: Fr. Lütge, SB München, 1957, allgem. auch J. C. Russell, Recent advances in mediaeval demography, Speculum 40, 1965, 84-101); B. Kirchgässner, Währungspolitik, Stadthaushalt u. soziale Fragen südwestdeutscher Reichsstädte im Spätmittelalter. Menschen u. Kräfte zw. 1360 u. 1460 (Jb. Gesch. d. oberdeutschen Reichsstädte 11) 1965, 90-127; Ders., Probleme quantitativer Erfassung städt. Unterschichten im Spätmittelalter, bes. in d. Reichsstädten Konstanz u. Eßlingen (Maschke-Sydow, Gesellschaft!. Unterschichten in d. südwestdeutschen Städten) 1967, 75-89; A. Erler, Bürgerrecht u. Steuerpflicht im mittelalterl. Städtewesen mit bes. Untersuchung d. Steuereides, 19632; W. Ebel, Der Bürgereid als Geltungsgrund u. Gestaltungsprinzip d. deutschen mittelalterl. Stadtrechts, 1958;

1 Über diese Entwicklungen im Bereich der Markgrafschaft Ansbach vgl. HAB NeustadtWindsheim (Η. H. Hofmann) 16, 19. 2 Hauptsächlich aus Würzburger Quellen gearbeitet und auf Mainfranken bezogen noch immer wichtig Fellner (s. o. 304); über Auseinandersetzungen des Adels mit den Fürsten, 21'

den Gerichtsstand und den Kampf um die Austrägalgerichtsbarkeit ebd. 154-216. 3 Beispiele bieten v. Hessberg, Truchsesse (s. o. 305) 42-69; Ders. Wildberg (ebd.) 79-91· 4 Vgl. HAB Karlstadt (E. Riedenauer) 30, 63, 31 ff. u. 35; HAB Marktheidenfeld (W. Störmbr) 79-83.

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Franken: D. I. Staat und Gesellschaft. Erster Teil. Bis 1500

H. Schmidt, Die deutschen Städtechroniken als Spiegel d. bürgerl. Selbstverständnisses im Spätmittelalter, 1958; J. B. Menke, Geschichtsschreibung u. Politik in deutschen Städten d. Spätmittelalters (Jb. d. Kölner Geschichtsver. 33) 1958, 1-84; (34/35) 1960, 85-194. Einzelne Reichsstädte. Nürnberg: E. Reicke (in Einzelheiten veraltet); G. Pfeiffer (Hg.), Nümberg, Gesch. einer europ. Stadt (modernes, umfassendes wiss. Sammelwerk), 2 Bde. (davon 1 Bildbd.), 1970/71; v. Stromer,Hochfinanz (s. u.479); A.Borst,Nbg.,deutsche Reichsstadt undeurop. Bürgertum (Fränk. Städte, hg. v.W. Buhl) 1970,9-44; Dannenbauer, E. Franz, Nürnberg, Kaiser u. Reich. Stud. z. reichsstädt. Außenpolitik, 1930(hierbes.Einleitung); H.Heimpel, Nürnberg u. d.Reich d. MA (ZBLG 16) 1951, 231-264; G. Pfeiffer, Der Aufstieg d. Reichsstadt Nürnberg im 13. Jh. (MVGN 44) 1953, 14-24; Ders., Die OfFenhäuser d. Reichsstadt Nürnberg (JffL 14) 1954, 153-179 (wichtig im Blick auf die Methoden der Territorialisierung des Stadtgebiets); Schnelbögl, Wirtschafti. Bedeutung (s. u. 479); J. Meyer, Die Entstehung d. Patriziats in Nürnberg,(MVGN 27) 1928, 1-96; E. Pitz, Die Entstehung d. Ratsherrschaft in Nürnberg, 1956; G. Pfeiffer, Nürnberger Patriziat u. Reichsritterschaft (Norica. Beitrr. z. Nürnberger Gesch., Festschr. Bock) 1961, 35-55; Η. H. Hofmann, NobilesNorimbergenses. Beobachtungen z. Struktur d. reichsstädt. Oberschicht (ZBLG 28) 1965, 124-150, erweitert in VF 11, 53-92; H. Lentze, Nürnbergs GeWerbeverfassung im MA (JffL 24) 1964, 207-281; Endres, Nümberg-Nördlinger Wirtschaftsbez. (s. u. 478); Ders., Messestreitigkeiten (s. ebd.); P. SANDER, Die reichsstädt. (Haushaltung Nümbergs 1431-1440, 2 Bde., 1902 (grundlegend); W. Schultheiss, Die Einwirkung d. Nürnberger Stadtrechts auf Deutschland, bes. Franken, Böhmen u. d. Oberpfalz (JffL 2) 1936, 18-54; H. Liermann, Nürnberg als Mittelpunkt deutschen Rechtslebens (ebd.) 1-17; H. Espig, Das Bauemgericht v. Nürnberg, Diss. Erlangen/Würzburg 1937; C. Ott, Bevölkerungsstatistik in Stadt u. Landschäft Nürnberg in d. 1. Hälfte d. 15. Jhs., 1907; Μ. Mendheim, Das reichsstädt., bes. d. Numberger Söldnerwesen im 14. u. 15. Jh., 1889; W. Schultheiss, Kaiser Karl IV. u. d. Reichsstadt, Nürnberg. Streiflichter z. Territorialpolitik in Ostfranken. (MVGN 52) 1963/64, 42-53; H. Schreibmüller, Die Nürnberger «des Reichsoberhauptes getreueste Bürger» (MVGN 46) 1955, 511-517; A. Gemperlein, Konrad Groß, Der Stifter d. Nürnberger Heiliggeistspitals u. seine BeZiehungen zu Kaiser Ludwig (MVGN 39) 1944, 83-126; W. Schultheiss, Das Weistum über d. Schultheißenamt aus d. Jahre 1385 (MVGN 35) 1937, 61-88; L. Veit, Nürnberg u. d. Feme. Der Kampf einer Reichsstadt gegen d. Jurisdiktionsanspruch d. westfäl. Gerichte, 1955; A. Borst, Die Sebaldslegenden in d. mittelalterl. Gesch. Nürnbergs (JffL 26) 1966, 19-178. - Rothenburg: J. U. Ohlau, Der Haushalt d. Reichsstadt Rothenburg ob d. Tauber in seiner Abhängigkeit v. d. Bevölkerungsstruktur, Verwaltung u. Territorienbildung (1350-1450), Diss. Erlangen 1965. Schweinfurt: F. Stein, Gesch. d. Reichsstadt Schweinfurt I: Von d. ältesten Zeiten bis z. Erwerbung d. deutschherrischen Besitzes zu Schweinfurt, 1900; W. Engel, Das Schweinfurter «Stadtverderben» um 1250 (Festschr. E. E. Stengel) 1952, 534-543; H. W. Dirian, Das Schweinfurter Stadtregiment während d. Reichsstadtzeit (Veröfientl. Hist. Ver. u. Stadtarchiv Schweinfurt, Sonderreihe, H. 1) 1954; Ders., Über d. Schweinfurter Stadtrecht u. seine Verbreitung (Neujahrsbll. 26) 1954. 53-98; H. Hahn, Das Reich, d. Grafen v. Henneberg u. Schweinfurt. Gedanken z. Genesis d. Reichsstadt Schweinfurt (Mainfr. Jb. 19) 1967, 18-31. - Weißenburg: R. Nagel, Das Recht d. Reichsstädte Weißenburg u. Nürnberg, Diss. Erlangen-Nürnberg 1963; G. Pfeiffer, Weißenburg als Reichsstadt (Neujahrsbll. 32) 1968 (Lit.); F. Blendinger, Weißenburg im MA (Jb. Mfr. 80) 1962/63, 1-35; Kehler (s. u. 361); W. Kraft, Über Weißenburg u. d. Weißenburger Wald in ihren Beziehungen zu d. Marschällen v. Pappenheim (Jb. Mfr. 66) 1930, 145-174. - Windsheim: W. Schultheiss, Windsheims Entwicklung vom Markt d. Hochstifts Würzburg z. Reichsstadt im 13. Jh. (Beitrr. z.Territorialpolitik d.Reichs u. d. Bischöfe v. Würzburg inOstfr. (Jb. Mfr. 73) 1953,17-47.

Im historisch gewachsenen Machtgefüge Frankens standen neben den Landesherrschäften die Reichsstädte. In Franken ist, ausgedrückt in den für das Spätmittelalter gültigen Kategorien, nur Nürnberg als Großstadt anzusprechen und als solche vergleichbar mit Straßburg, Köln, Metz, Augsburg oder Prag. Die anderen, Rothenburg Schweinfurt, Windsheim und Weißenburg, gehören in die Gruppe der sogenannten kleinen Mittelstädte, deren Einwohnerzahl um 2000 schwankte.1 Reichsstädte waren Vgl. Amman (s. o. 323) 202-206.

§ 43■ Die Reichsstädte (A. Gerlich)

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in ihrer Vorform der königlichen Städte zunächst «gewissermaßen das Knochengerüst der Reichslandesherrschaften».1 Ihre Bedeutung lassen die gegen die Städte gerichteten Bestimmungen der Constitutio in favorem principum erkennen: Königsstadtmärkte schädigten andere Märkte in den benachbarten Herrschaften, in jenen Gemeinwesen ansässige Königsbeamte wirkten in die um Gestalt und Inhalt ringenden Herrschaften hinein. Andererseits wurden die in den Städten wohnenden Hintersassen der Landesherren zu Mauerbau und Wacht herangezogen. König Heinrichs (VII.) Verordnung von 1234 ist hauptsächlich an Beamte in Franken gerichtet, die in Städten saßen. Entscheidend für das Gedeihen der Städte seit der Spätstauferzeit und dem Interregnum waren die Wehrkraft ihrer Einwohner und in den AuseinanderSetzungen mit den benachbarten Landesherren die Intensität von Vogteigerechtsamen der städtischen Obrigkeit über eigene Hintersassen sowie die Ausweitung solcher Kompetenzen über die Holden fremder Herren innerhalb der Mauern. Lenkersheim bietet ein Beispiel für einen bereits in den Anfängen steckengebliebenen Ansatz zu einer munizipalen Eigenentwicklung im Rahmen der Reichsgutgeschichte; Nürnberg, Rothenburg und Weißenburg stellen als Stadtstaaten die Produkte einer Emanzipation aus dem Reichsgut dar. Daß Würzburg und die kleineren Städte dieses HochStiftes in sekundärer Stufe der Entwicklung noch bis um 1400 ohne Erfolg den AnSchluß an das Reichsstädtewesen erstrebten, braucht nur angemerkt zu werden. Das Steuerwesen der Städte war besser entwickelt als das der Territorien. Unabhängig von Schwankungen der Einwohnerzahl wurden die Abgaben an das Reichsoberhaupt meist als Pauschalbeträge geleistet. Abgesehen von der Herbergspflicht fielen die bis zum Ausgang des zwölften Jahrhunderts üblichen Lasten hinweg. Die beiden ersten habsburgischen Könige und Adolf von Nassau haben mit Rücksicht auf die Erhaltung der städtischen Steuerkraft überwiegend die Abgabenfreiheit geisdichen Besitzes verneint. Erst seit Heinrich VII. von Luxemburg wurden in größerem Maße Exemptionen hingenommen. Inzwischen war aber auch die kommunale Unabhängigkeit von Einflüssen des Königtums gewachsen. Für Reichstage und Heerfahrten wurden immer wieder außerordentliche Vermögensabgaben, oft 3%, erhoben. Derartige Erträgnisse blieben die wichtigste Einkunftsquelle des Kronträgers, während das schmaler werdende und der spätmittelalterlichen Versteinerung der Grundherrschaften unterliegende Reichsgut an Bedeutung verlor.1 Die städtischen Reichssteuern insgesamt konnten jedoch den Einkünften großer Fürsten in- und außerhalb Deutschlands nicht die Waage halten? Die hündischen Zusammenschlüsse und die politisch-wirtschaftliche Partnerschaft der Einzelstadt mit dem Königtum standen in einem nie klar ausgetragenen SpannungsVerhältnis. Die Herrscher arrangierten sich je nach Lage der Dinge mit Städtebünden. Hingewiesen sei auf das Abkommen König Wilhelms mit dem rheinischen Städtebund 1255, dem in Franken Würzburg, Nürnberg und Aschaffenburg, auf der Herrenseite 1 Niese (s. o. 163 Anm. 4) 57, auch für das Folgende. 2 Niese (ebd.) 95-107, 118 u. 124 f. 3 W. Zorn, Anmerkungen zu Reichspolitik

u. Wirtschaftskraft z. Zeit König Ruprechts v. d. Pfalz (Speculum Historiale, Festschr. Spörl) 1965, 486-490.

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Franken: D. I. Staat und Gesellschaft. Erster Teil. Bis 1300

der Mainzer Erzbischof, der Bischof von Würzburg, der Graf von Wertheim sowie die Herren von Dürn und Trimberg beigetreten waren.1 Genehmigungen von Bünden durch einen Herrscher bildeten die Ausnahme. Ein Beispiel hierfür bietet die Einung, die am 4. März 1344 Nürnberg, Windsheim, Weißenburg und Würzburg schlossen; dem Bund, der bis zwei Jahre nach des Kaisers Tod dauern sollte, stimmte Kaiser Ludwig zu. * Rothenburg trat diesem Bündnis erst bei, nachdem es sich von dem Wittelsbacher hatte zusichem lassen, daß durch die Einung seinem Landgericht kein Eintrag geschehe. Rothenburgs Verhalten wurde beeinflußt durch die Spannungen zwischen der Reichsstadt und dem Würzburger Bischof. Die Gegner des Bundes vereinigten sich am 15. April 1344. Bischof Otto von Würzburg, Graf Heinrich von Henneberg sowie die Burggrafen Johann und Albrecht von Nürnberg waren die Widersacher jenes fränkischen Städtebundes.’ Einen ähnlichen Zusammenschluß stellte 1368 der Bund von Nürnberg, Rothenburg, Weißenburg und Windsheim dar, der sich seit der Selbstauslösung der beiden kleineren Gemeinwesen aus der Pfandschaft bei den Burggrafen acht Jahre zuvor angebahnt hatte. Kaiser Karl IV., der überdies noch mit jeder Stadt Einzelbünde abschloß und die künftige Unverpfändbarkeit zusicherte, genehmigte ihn.4 Auch mit solchen Maßnahmen stützte Karl IV. das Gleichgewicht der Kräfte in Franken, wo Böhmens Macht gerade auf ihrem Höhepunkt stand. Bereits ein Jahrzehnt später war die reichspolitische Konstellation für die fränkisehen Reichsstädte völlig anders. Der große Zusammenschluß der Reichsstädte besaß seine Schwerpunkte außerhalb Frankens.5 Hier wirkte im Blick auf die Gegensätze zur Herrenpartei - ähnlich wie am Oberrhein Straßburg oder in der Wetterau Frankfurt-Nürnberg mäßigend auf die kleinen Gemeinwesen seines Einflußraumes ein.6 Reibereien mit Fürsten und Adel sind Anfang der achtziger Jahre im Westteil Frankens zu verzeichnen, wo die Einflüsse aus Schwaben unmittelbar wirksam waren. Verhandlungsorte für die sogenannten Stallungen von 1384 zwischen den Städte- und Fürstenbünden waren Heidelberg und der Deutschordenssitz Mergentheim. Daß der Städtekrieg, der infolge der Intransigenz auf beiden Seiten dennoch ausbrach, sich in Franken vergleichsweise weniger schädlich auswirkte, war die Folge verschiedener Umstände. Den rheinischen Städten war an einem Engagement ihrer Kräfte in Franken nichts gelegen. Von 1384 an wurde Nürnberg zum diplomatischen Vermittlungspunkt zwischen König und Reich. Landgraf Hermann von Leuchtenberg trat hier wiederholt als Wenzels Bevollmächtigter für die Verhandlungen mit den Städten auf. Die Ansätze zu einer Kooperation des Königs mit den Städten, wie sie 1387 in den Konferenzen zu Würzburg und Nürnberg aufschimmerten, wurden durch die fürstliehen Siege bei Döffingen und Pfeddersheim überholt. Ihre Entwicklung führte schließlich zum Landfrieden von Eger 1389, an dessen Ausarbeitung gerade die vermittlungswilligen Kräfte Frankens einen erheblichen Anteil hatten.7 1 Allgemein: E. Bielfeldt, Der Rheinische Bund v. 1254. Ein erster Versuch einer Reichsreform, 1937. * Blendinger (s. o. 324) 23. ’ Mommsen (s. o. 165 Anm. 1) 45 f.

4 Blendinger (s. o. 324) 26. 5 W. Messerschmitt, Der rhein. Städtebund v. 1381 bis 1389, Diss. Marburg 1906. 6 Zusammenfassend: Bog (s. o. 323) 87-101. 7 Vgl. o. 182.

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Das vierzehnte Jahrhundert brachte Anläufe zu weitreichenden politischen Zusammenschlüssen der Reichsstädte. Sie waren getragen von einem «echten, wagnisbereiten Machtdenken in eigener Sache», allerdings entwickelte sich «keine neue politisehe Idee des Reiches mit maßgeblicher Rolle der Reichsstädte», es entstand «kein über die engeren Abwehrinteressen hinausführender Reichsreformgedanke».1 Argwohn und Vorsicht gegenüber den Fürsten und Herren bestimmten die Maßnahmen der Reichsstädte. Besonders die Nürnberger Äußerungen während des Markgrafenkrieges von 1449/50 machen dies deutlich. Infolge der örtlich verschiedenen sozialgeschichtlichen Differenzierungen war das politische Verhalten des reichsstädtischen Bürgertums uneinheitlich. Auf der Seite des Landadels spiegeln Tumierzulassungsbestimmungen des fünfzehnten Jahrhunderts in manchen Regionen die Abschichtung vom Patriziat. So konnte keine Gentry im Sinne einer vermischt adlig-bürgerlichen Mittelschicht als Funktionsträgerin in Verwaltung, Rechtsprechung und Wirtschaftsführung sowohl der Städte als auch der Territorien entstehen. Nur Nürnbergs Eigenheit konnte auch in dieser Hinsicht gewahrt werden, weil es nach der Niederwerfung des Zunftaufruhrs von 1348 in Franken die einzige, rein patrizisch regierte Großstadt blieb, die sich von den unter gemischten Magistraten stehenden kleinen Schwesterstädten schon in den strukturellen Voraussetzungen des Verhaltens abhob. Gerade die Nürnberger Patrizier führten ein im Stil dem des Landadels entsprechendes Leben, waren mit ihm durch das connubium vielfach verbunden und stellten in Verhandlungen mit Fürsten und Herren die geeigneten Partner. In der Landfriedenspolitik, auf Tagungen der Städtebünde und in den diplomatischen Missionen zu König und Fürsten suchten sie ihre Aufgaben. Sie vermochten diese zu erfüllen, weil sie es sich leisten konnten, einen beträchtlichen Teil des Jahres auf Reisen zu sein und die notwendigen Ausgaben aus eigener Tasche zu bestreiten.1 2 In den zünftisch regierten Städten bildete sich bald nach den Umbrüchen eine neue Führungsschicht. Sie distanzierte sich von den Forderungen der radikalen Unterschicht, ihre politischen Initiativen aber wurden zum großen Teil durch die weiterschwelenden Auseinandersetzungen absorbiert. Insgesamt haben, wenn auch mit erheblichen Unterschieden im Vergleich der einzelnen Gemeinwesen,3 Kapitalanhäufungen und Wehrkraft die Reichsstädte zu besonderen Faktoren im spätmittelalterlichen Franken gemacht. Merkwürdig bleibt jedoch auch hier, daß Standesselbsteinschätzungen des Bürgertums fehlen; schon damals deutete sich trotz der wirtschaftlichen Bedeutung dessen politisches Versagen an.4 Die sozialgeschichtlichen Komponenten in der Verfassungsentwicklung der ReichsStädte waren vielfältig. Führer der Zunftbewegung kamen nicht selten aus dem Patriziat. Inwieweit sie die Handwerker zügeln konnten, hing oft von orts- und äugenblicksgebundenen Umständen ab. So scheint der Rothenburger Bürgermeister5 Hein1 Zorn (s. o. 323) 468. 1 Maschke (s. o. 323) 289-349, 433-476, bes. 327 ff. u. 467 ff. 3 Auf diese Verschiedenartigkeiten macht aufmerksam Maschke (s. ebd.) 454 ff. u. 475 ff.

4 Zorn (s. o. 323) 474. 5 Schnurrer-Toppler (Fränk. Lebensbilder, hg. v. G. Pfeiffer 2) 1968, 104-132.

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rieh Topler «neben anderen Gründen daran gescheitert zu sein, daß er eine Demokratisierung der Zunftverfassung erstrebte».1 Hier blieben die Zünfte, ähnlich wie etwa in Regensburg oder Schwäbisch Hall, gegenüber den alten Ratsfamilien im Hintertreffen.12*Vielleicht waren Einflüsse aus Nürnberg wirksam. Von Ort zu Ort verschieden war die Bereitwilligkeit der alten Ratsfamilien, in ihren Kreis neue Elemente aus anderen Bevölkerungsschichten aufzunehmen? Das damit angesprochene Problem der sozialen Mobilität im Bereich des spätmittelalterlichen Bürgertums kennt auch in Franken kein festes Begriffsschema. In Nürnberg war der Übergang einzelner ins Patriziat möglich, aber er vermochte nicht, das Aufstiegsstreben einer breiten Schicht zu befriedigen. Das sozialgeschichtliche Ergebnis dieser Konstellation bildete die Gruppe der sogenannten Ehrbaren, der die «nichtpatrizischen Nichthandwerker», in der Hauptsache reiche Kaufleute und Angehörige der freien Berufe, angehörten.4 In den Kleinstädten fehlten bei der Beschränktheit der Verhältnisse die zahlenmäßigen Voraussetzungen für die Entstehung einer solchen Mittelschicht. Durch die mehr oder weniger gewaltsame Einführung der Zunftverfassung wurde das Verhältnis zwischen den neuen Magistraten und den territorialen Mächten der Nachbarschaft nicht verändert. Die zur Führungsschicht Aufgestiegenen brachten die Voraussetzungen für ihren neuen Sozialstand mit oder schufen sich diese, den modus vivendi mit Fürsten und Herren durften sie mit Rücksicht auf ihre gerade gewonnene Eigenposition nicht antasten. Zutreffend hat man festgestellt, daß «auch die Stadt der Zunftverfassung in ihrer Führung eine Stadt der Kaufleute war».5 Je bedeutender Wirtschaftsvermögen und Wehrkrfat eines Gemeinwesens waren, um so gelassener konnte es sich in seiner politischen Umwelt bewegen. Eine Gemeinsamkeit reichsstädtischer Geschichte stellen Verpfändungen durch die Herrscher dar. Bei Zahlung eines Darlehens ermächtigte der Kronträger einen Territorialherren, die städtischen Erträgnisse so lange einzunehmen, bis ihm vom Herrscher, von dritter Seite oder von der Stadt selbst die Pfandsumme zurückbezahlt wurde; auch kam es vor, daß der König aus den städtischen Abgaben im Laufe der Zeit das Darlehen wieder abtragen ließ. Die Rolle der verpfändeten Stadt selbst in derartigen Rechtsgeschäften hat man mit dem Wort «Erfüllungssurrogat» gekennzeichnet.6 Pfandleihen dieser Art bargen für die Territorialherren den Anreiz, auf dpm Wege über ein Geldgeschäft mit dem König ein Gemeinwesen mit größerer Wirtschaftskraft auf längere Zeit dem eigenen Staatsgebildc anzufügen oder cs gar diesem einzugliedem. Beispiele für den Weggang aus Reichsbesitz bieten Aufkirchen, dessen sich die Grafen von Öttingen durch ihre Pfandgeschäftc mit Ludwig IV. und Karl IV. versicherten, ebenso die an Hohenlohe gelangten Gerechtsame in Crailsheim sowie Feuchtwangen, wo die Grafen von Öttingen schließlich den Burggrafen von Nümberg unterlagen. Dagegen ließ bürgerschaftlicher Sclbstbehauptungswille in Nordlingen, Weißenburg und Windsheim ebenso wie in Rothenburg und Schweinfurt die Reichsunmittelbarkeit weiterbestehen, gelegentlich durch gewaltige Anspannung der 1 Maschkb (s. o. 323 )305. 2 Diese Vergleiche ebd. 309. 5 Ebd. 475 ff.

4 Ebd. 460. 5 Ebd. 475. 6 Landwehr (s. o. 323).

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Finanzkräfte in Selbstauslösungen. 1 Möglicherweise wurde durch derartige Auseinandersetzungen mit den Territorialnachbam der Übergang Dinkelsbühls zur schwäbischen Städtegruppe gefördert. Denn zunächst im Kampf mit den Ottinger Grafen durch Selbstauslösung nur vorübergehend gesichert, wehrte sich diese Stadt gegen die landgerichtlichen Ansprüche der Nürnberger Burggrafen mit dem Hinweis, sie liege auf schwäbischem Erdreich und gebrauche daher schwäbisches Recht.1 2*Zur fränkischen Reichsstädtegruppe gehörten schließlich nur Rothenburg und Verhältnismäßig weit abgelegen Schweinfurt, allen voran aber Nürnberg mit seinen Satelliten Windsheim und Weißenburg. Rothenburg war früh Mittelpunkt eines Reichsgutkomplexes im westlichen Franken und namengebend für das sogenannte Herzogtum’ Friedrichs, des Sohnes Konrads III., das von 1188 bis 1196 nach der Übertragung des Ortes an Friedrichs I. Sohn Konrad kurz wiedererstand. Rothenburg wurde Sitz und Ausgangspunkt einer Ministerialengruppe, deren Aufgabe es in der späteren Stauferzeit wurde, die auf Besitzausweitung nach Süden hin angelegte Territorialisierung des Hochstiftes Würzbürg abzuwehren.4 In diesen raumgebundenen Voraussetzungen lag bereits der Dualismus Rothenburg-Würzburg begründet, der während des gesamten Spätmittelalters ein nur im Grade seiner Intensität schwankendes, nicht aber in seiner grundlegenden Bedeutung aufhebbares Element fränkischer Landesgeschichte bleiben sollte. Für die Verwaltung der Stadt war ein Schultheiß zuständig, dessen 1219 erstmals feststellbares Amt während des ganzen dreizehnten Jahrhunderts in der Hand eines Angehörigen der Küchenmeister von Nortenberg lag. Auf die große Wirtschaftsfunktion Rothenburgs deutet der verhältnismäßig hohe Anschlag im Reichssteuerverzeichnis von 1241.5 Während des Interregnums erwuchs die Gefahr, daß die Stadt infolge einer Verpfändung Konrads IV. an Gottfried von Hohenlohe aus dem Reichsgutverband herausgelöst werden könnte. Erst die Revindikation König Rudolfs von Habsbürg beendete diesen Zustand. Durch die Königsurkunde vom 15. Mai 1274, in der das Landgericht anders als das Nürnberger aus einer Zent abgeleitet und dieAbgaben der Stadtbewohner an das Reich geregelt werden,6 wurde Rothenburg zur ReichsStadt im Rechtssinne. Die von Rudolf von Habsburg damals genehmigte Abgabenfreiheit des Schultheißenhauses wurde am 3. Februar 1295 vom Nachfolger im Königtum, Adolf von Nassau, nicht mehr anerkannt. In den Königsurkunden spiegeln sich Tendenzen, die auf den Aufbau einer innerstädtischen Selbstverwaltung gerichtet waren? Das in der Urkunde vom 15. Mai 1274 enthaltene privilegium de non evo1 Einzelnachweise ebd. 396-448. 2 L. Schnubrer, Das Territorium d. ReichsStadt Dinkelsbühl (Jb. Mfr. 80) 1962/63, 55-86, bes. 75 ff. ’ Werlb, Titelherzogtum (s. o. 48 Anm. 6) 225-299, bes. 253 ff. u. 289 ff. 4 Bosl 385 f.; Ders., Rothenburg im StauferStaat, 1947, 17 f., 33. 1 Dazu jüngst W. Metz, Staufische GüterVerzeichnisse, 1964, 103, 108, in, 113.

6 Const. m 63 8, nr. 650. (s. o. 165 Anm. 1) 19-24. Zum Behördenaufbau in Rothenburg, der stimuliert wurde durch die Streitigkeiten mit dem Bischof von Würzburg und dem Burggrafen von Nürnberg jetzt Schultheiss, Gerichtsbücher (s. o. 164 Anm. 4) 265-296, bes. 271 ff.

‫ י‬Mommsen

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cando legte den Grund zu Rothenburgs Aufstieg zu einem die regionalen Machtverhältnisse im westlichen Franken während des nächsten Jahrhunderts mitbestimmenden Faktor. Rudolf von Habsburg errichtete außerdem die Reichslandvogtei, als deren Inhaber von der Jahrhundertwende an die Küchenmeister von Nortenberg, dann Albrecht von Hohenlohe bezeugt sind. Landrichteramt und Landvogtei wurden später miteinander vereinigt; als die Reichsgerechtsame zusammenschmolzen, wurde 1340 die Rothenburger mit der ebenfalls stark reduzierten Nürnberger Reichslandvogtei vereinigt.1 Auf die Reichslandvogtei richteten sich die Erwerbsabsichten der Rothenburger Bürgerschaft als Konsequenz des Dualismus zwischen Reichsgutorganisation und der sich vom Reichsgut abhebenden Stadt. Kaiser Ludwig gestattete 1315, daß die Bürger in den Vakanzen des Königtums die Vogtei in Besitz nehmen dürften. Mit diesem Entgegenkommen suchte der Wittelsbacher die Bundesgenossenschaft der Stadt zu gewinnen, während diese Friedrich der Schöne an Kraft von Hohenlohe verpfändete.1 2 Zunächst bewährte sich das Zusammengehen der Bürger mit Ludwig; nach der Mühldorfer Entscheidung von 1322 aber brauchte der Wittelsbacher keine Rücksicht mehr zu nehmen, gab Rothenburg einer mit Kraft verfeindeten Linie des Hauses Hohenlohe in Schirm und verpfändete es dieser drei Jahre später. Von 1331 bis 1343 zogen sich die Privilegierungen hin, durch die Kaiser Ludwig das Stadtrecht Rothenburgs in seiner Eigenentwicklung bestätigte und vorantrieb.3 Die Stellung der Bürgerschaft gegenüber Hohenlohe wurde auf diese Weise wieder gestärkt. Der Rat baute seine Herrschaft über die adligen Ausbürger auf dem Lande aus.4*Zwischen 1333 und 1335 löste sich Rothenburg selbst aus der Pfandschaft und ertrotzte vom Kaiser außer einer siebenjährigen Steuerfreiheit das Unverpfändbarkeitsversprechen. Aus dem Thronstreit von 1346 bis 1349, während dessen die Bürger zunächst zum Wittelsbacher gehalten hatten und erst nach Karls IV. reichspolitischen Erfolgen zu diesem übergetreten waren, ging Rothenburg ohne Einbußen hervor. Auch der Luxemburger bestätigte die Rechte, hielt aber vorsichtig den Gegensatz des Rothenburger Landgerichts zum Herzogtum des Würzburger Bischofs in der Schwebe und baute die Reichsstadt dem böhmischen Machtgefüge in Franken ein.’ Das Gleichgewicht der Kräfte ermöglichte es Rothenburg, während der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts - mit Vorsprung also vor dem ungleich wirtschaftsstärkeren Nürnberg - aus den Gerechtsamen der langsam dahinschwindenden Reichslandvogtei, Ansprüchen aus der kaiserlichen Landgerichtsbarkeit und mannigfachen anderen Besitzagglomerationen ein für fränkische Verhältnisse großes und innerlich geschlossenes städtisches Herrschaftsgebiet zu schaffen.6 1H. Schmebmüller, Das Rothenburger Landgericht u. sein Achtbuch (Franken, s. u. Anm. 4) 1954, 4552‫·־‬ 2 Const. V 172, nr. 186. ‫ נ‬Mommsen (s. o. 165 Anm. 1) 35 ff.; die Urkunde von 1331 ebd. 57-64 nr. 2. 4 Vgl. zusammenfassend mit Blick auf den Endzustand im 18.Jh. H. Schreibmüller, Die

Rothenburger «Pfahlbürger», 1947 (jetzt in: Franken in Gesch. u. Namenwelt, hg. v. G. Schuhmann) 1954, $2 ff. ’ Mommsen (s. o. 165 Anm. 1) 53 ff. 6 H. Woltemnc, Die Reichsstadt Rothenbürg ob d. Tauber u. ihre Herrschaft über d. Landwehr (Jb. Ver. Alt-Rothenburg 1) 1965/ 66.

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Der mühsam bewältigte Aufstieg zum regionalen Machtfaktor im westlichen Franken wurde in Frage gestellt durch den in der persönlichen den Katastrophe endenden Kampf des Bürgermeisters Heinrich Topler gegen die vom Burggrafen Friedrich VI. erhobenen Ansprüche des kaiserlichen Landgerichts Nürnberg. Die lokale Situation wurde durch Rothenburgs Beitritt zum Marbacher Bund und die Liaison mit Wenzel von Böhmen zum Glied einer reichspolitischen Parteiung. Eine Fürstengruppe fand sich zusammen, deren Angriff Topler - nicht zuletzt auch auf Grund der innerhalb der Stadtmauern unvermittelt scharf aufbrechenden Rivalitäten der um das Ratsregiment kämpfenden Sozialschichten - erlag.1 Der Ausgleich von Mergentheim 1408 ließ das Territorium der Reichsstadt unversehrt, aber fortan spielte das kaiserliche Landgericht keine Rolle mehr. Gegensätze zwischen Patriziat und Handwerkern, denen im Rahmen der Stadtrechtsentwicklung im zweiten Viertel des vierzehnten Jahrhunderts 1336 das volle Bürgerrecht gewährt worden war, lebten infolge des Drucks der Geldlasten wieder auf, die die Fürstenfehde und der Hussitenkrieg Rothenburg aufbürdeten; sie entluden sich in zunftrevolutionären Aufständen in den Jahren nach 1450. Einen Wiederaufstieg der Reichsstadt zur einstmaligen Bedeutung im westlichen Franken konnte der neue Rat nicht mehr erzwingen. In den Dimensionen kleiner bemessen war die reichsstädtische und territoriale Geschichte Schweinfurts. Hemmend wirkten in der bereits 1017 als civitas bezeugten Stadt die Rivalitäten zwischen der Eichstätter Kirche, den über einen Reichsgutkomplex als Schutzherren verfügenden Grafen von Henneberg, dem die Zentgerichtsbarkeit beanspruchenden Würzburger Bischof und schließlich dem einen Teil der Eichstätter Gerechtsame übernehmenden Deutschorden.12*Während der Auseinandersetzungen Heinrichs (VII.) mit den Fürsten erlitt die Stellung des Reiches in Schweinfurt Schaden, 1234 verzichtete der König auf seine Münzrechte. Im Verlauf des meranischen Erbfolgestreites wurde die Stadt zerstört.’ König Wilhelms Versuch, auf dem Wege über den Wiederaufbau in Schweinfurt Einfluß zu gewinnen, scheiterte. Würzburg und Henneberg strebten wenig später im Vertrag vom 6. Februar 1259 an, Eichstätt aus Schweinfurt zu verdrängen und die Reichsrechte an sich zu bringen. Dadurch wurde die Eigenständigkeit der Stadt in Frage gestellt. Erst Rudolfs von Habsburg Revindikationen haben das Absinken in die Landsässigkeit verhindert. Das Reichsgut war indessen stark geschwunden; in nur fünf Orten gab es noch freie Leute, für die das Schweinfurter Landgericht zuständig blieb.4 Das vierzehnte Jahrhundert, in Rothenburg die Zeitspanne des Aufstiegs und der Konsolidation, brachte für Schweinfurts reichsstädtische Entwicklung erhebliche Verzögerungen. Zunächst konnten die Grafen von Henneberg als Helfer Heinrichs VII. und Schrittmacher luxemburgischer Politik in Böhmen, Thüringen und Oberfranken ihre Position durch den neuen Erwerb von Reichspfandschaften wieder verstärken.5 Sie hielten ihre Stellung trotz der Gerichtsurkunde Kaiser Ludwigs. Dann allerdings wurden die Schweinfurter Rechte und Pfänder Gegenstände der Haus1 Vgl. o. 185. 2 Grundlegend noch immer Stein (s. o. 324) hier bes. 1, 78 ff., 95 ff, 105 ff. u. 112 ff.

’ Engel (s. o. 324). 4 Niese (s. o. 163 Anm. 4) 191. 5 Stein (s. o. 324) I 136 ff, 153 ff u. 163 ff

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teilung von 1347, durch die ein fühlbarer Machtschwund der Grafen eingeleitet wurde.1 Andererseits erwarb das Hochstift Würzburg 1354 eine Hälfte dieser Gerechtsame auf dem Umwege über den Grafen Eberhard von Württemberg, dem diese von seiner Gemahlin zugebracht worden waren. Henneberg verkaufte daraufhin den ihm in der Stadt verbliebenen Besitz an den Schultheißen Friedrich Smit, der sich seinerseits zum Amtmann im würzburgischen Teil ernennen ließ. Damit war die Möglichkeit gewachsen, daß Schweinfurt dem Hochstift Würzburg einverleibt werde. Die Angehörigen der patrizischen Oberschicht unterhielten gleichermaßen Beziehungen zum Bischof und zur Bürgerschaft von Würzburg; auch die Verbindüngen mit den Grafen von Henneberg rissen nicht ab, während man in Richtung Bamberg offenbar weniger stark engagiert war? Die in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts entstandene Schweinfurter Stadtrechtsfamilie123 mit ihren zahlreichen Gliedstädten im Nordteil des Würzburger Hochstiftes und in den Henneberger Teilgrafschaften ließ interterritoriale Verbindungen den persönlichen Beziehungen zur Seite treten. Die Ffandschaften konnte Schweinfurt erst während der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts beseitigen; die patrizische Führungsschicht nutzte beim Einsatz ihrer finanziellen Kräfte die reich- und territorialpolitische Entwicklung. Im Jahre 1361 wurde der ehemals Henneberger Pfandschilling abgelöst, anschließend verschaffte man sich Privilegien Karls IV. Konrad von Seinsheim wurde der erste Reichsamtmann freier Wahl. Zehn Jahre später durfte die Stadt die neben dem Deutschordenshaus stehende alte Burg abbrechen. Durch den Kaiser wurden die Vorgänge hingenommen, weil Schweinfurt Teil des vielgliedrigen böhmischen Positionsgefüges in Franken war und in größerer Eigenständigkeit dem Herrscher mehr nützte als in der Abhängigkeit von anderen Mächten. Als 1380 König Wenzel entgegen den Zusagen seines Vaters die Reichsstadt verpfändete, wählte die Bürgerschaft zum Schutzherren den Burggrafen Friedrich V. von Nürnberg. Auch am Obermain bot man dem schärfsten Rivalen des Bischofs im Kampf um territoriale Stellungen in Franken einen Ansatzpunkt, von dem aus dieser dem Hochstift entgegenwirken konnte. Unter Friedrichs V. Protektion konnte die Stadt 1386 die Verpfändung auslösen und die Orte Forst, Gochsheim, Sennfeld und Rottershausen erwerben. Die Reichsamtmannschaft kam 1440 an die Grafen von Henneberg-Schleusingen zurück. Für die Stadt bedeutete das aber keine Gefahr mehr. Denn einerseits schritt der Machtzerfall der Henneberger weiter voran, andererseits wählte der Rat immer wieder andere Schutzherren und nutzte die Machtgegensätze im regionalen Bereich für seine Zwecke.4 Er erwarb 1436 Oberndorf, ein Jahr darauf das Deutsche Haus und alle Ordensgüter. Auf diese Weise wurde das bescheidene reichsstädtische Territorium geschaffen.5 Dieses lag, eingekeilt zwischen dem Würzburger Hochstift und Henneberger Außenbesitz im Osten sowie umgeben von reichsritterschaftlichen Dörfern 1 Hahn (s. o. 324) 18-31, auch für das Folgende. 2 W. Engel, De Swinfurte (Mainfr. Jb. 11) 1959. >54‫־‬78.

5 Dkian, Stadtrecht (s. o. 324) (Karte). 4 Stein (s. o. 324) II 32 ff. 5 Ebd. I 367 ff; Π 3 ff.

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und Kondominaten, wie ein Querriegel zum Main. Infolge der Kontrollmöglichkeiten im Blick auf Flußübergang und Schiffahrt blieben Reichsstadt und Gebiet außerhalb der Mauern ein für die Territorialnachbam lästiger Fremdkörper. Der Hauptgegner der Stadt blieb das Würzburger Hochstift. Als es 1463 dem Grafen Wilheim III. von Henneberg-Schleusingen gelang, zum Reichsamtmann gewählt zu werden und mit diesem Amt die Schirmherrschaft zu verbinden,1 bot diese Vereinigung von Kompetenzen für Schweinfurt sogar wieder einen gewissen Schutz gegen den Bischof. Im letzten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts lag die Reichsstadt eingebettet in den Mächtetrialismus Würzburg-Bamberg-Markgraftum Ansbach, den Albrecht Achilles mit seinen Fehden nicht hatte beseitigen können. Die mit weitem Abstand bedeutendste Reichsstadt Frankens war Nürnberg.12 Als signifikant für ihren besonderen Rang hat man immer wieder auf die Bestimmung der Goldenen Bulle hingewiesen, jeder König müsse seinen ersten Reichstag in Nürnberg veranstalten.3 Man hat des weiteren hervorgekehrt, seit der spätluxemburgischen Zeit sei Nürnberg Aufbewahrungsort für die Reichsinsignien gewesen. Außerdem wurde oft auf die Aufenthalte von Herrschern und auf die enggliedrigc Kette von Tagfahrten und Versammlungen aufmerksam gemacht, bei denen sich Kurfürsten und andere Reichsstände in dieser Stadt trafen. Vorgegeben allen diesen rechtlichen Fixierungen und Ereignissen aber, das muß betont werden, war der Aufstieg des Gemeinwesens aus eigener Kraft, der es zu einem der zentralen Orte der Reichsgeschichte im SpätmiUelalter machte. Karls IV. Vergünstigung war eine von vielen, sie war zweifellos von für das Prestige der Stadt nicht zu unterschätzendem Wert, auch wenn sich nicht alle Herrscher an die Vorschrift der Goldenen Bulle gehalten haben. Die auf Nürnberg bezüglichen Stellen des Gesetzes von 1356 spiegeln des Kaisers Initiative in Franken: Die Reichsstadt an der Pegnitz, deren Führungsschicht in engem Kontakt mit dem Prager Hof stand,4 war einer der wichtigsten Faktoren in einem Kräftespiel, auf das Karl IV. lange und erstaunlich erfolgreich Einfluß nahm. Für die Aufenthalte der Herrscher wurden imponierende Zahlen ermittelt: Kaiser Ludwig IV. war bei 74 Anlässen, Karl IV. bei 52 in Nürnberg. Nur bedingt aber kann man diese Ereignisse mit Itinerarbeobachtungen im Blick auf die Salier und Staufer vergleichen. Nach dem Interregnum war es nicht mehr die königliche Pfalz, sondern die Stadt als membrum imperii, die den Herrschern ihre Pforten öffnete.5 Kronträger, Fürsten und Herren sowie die Gesandten der reichsstädtischen Schwestern wußten die Annehmlichkeiten zu schätzen, wie sie nur ein wirtschaftlich blühendes Gemeinwesen in seinen Bürgerhäusern und Handelshöfen im Schutze der uneinnehmbaren Mauern bieten konnte. 1 Ebd. II 37 ff. 2 S. o. 324: Reicke; Franz; Heimpel; Pfeiffer, Aufstieg d. Reichsstadt; v. Stromer, Hochfinanz (s. u. 479). 3 Die Vorschrift wurde erst in den Metzer Teil vom 25. Dez. 1356 aufgenommen: Cap. XXIX § 1; Zeumer 212; Zur Promulgation des Nürnberger Gesetzesteils vgl. Liermann

(s. o. 174 Anm. 3) 107-123, bes. 119 ff. 4 P. Schöffel, Nürnberger in Kanzleidiensten Karls IV. (MVGN 32) 1934, 47-68; W. G. Nbukam, Eine Nürnberg-Sulzbacher Plattenlieferung f. Karl IV. in d. Jahren 1362 bis 1363 (ebd. 47) 1936, 124-139. 5 G. Pfeiffer, Stud. z. Gesch. d. Pfalz Nümberg (JffL 19) 1939, 313.

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Nürnberg ist das hervorstechende Beispiel für den Aufstieg einer Stadt in einer von der Natur wenig begünstigten Landschaft allein auf Grund des Untemehmergeistes der Führungsschicht, händlerischen Wagemutes und handwerklichen Fleißes der Einwohnerschaft.1 Mit der Urkunde Friedrichs Π. von 1219 begann die Herauslösung der Stadt aus dem Verband des Reichsgutes.12 Erstmals 1256 werden die Ratmannen genannt; von ihnen wurden die Aufgaben der Verwaltung und die Funktionen als Gerichtsschöffen übernommen. Neben den Butigler traten Schultheiß und Stadtgemeinde. Die führenden Geschlechter nahmen im Umland hochstiftische Güter Bambergs und Eichstätts in Pfand, nicht selten auch Teile adligen und ministerialisehen Besitzes.3 Andererseits strebten die führenden Ministerialen den Erwerb des Bürgerrechtes an.4 In verschlungenen Einzelentwicklungen mit lange fließenden Übergängen bildete sich von der Mitte des dreizehnten bis zur Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts ein in seiner Art Nürnberg kennzeichnendes Ständewesen. Die 20 «alten» und die von ihnen als ebenbürtig anerkannten ‫« ך‬neuen» Geschlechter, zu denen dann noch zwischen 1440 und 1504 weitere 15 «zugelassene» Familien traten, waren allein ratsfähig. Sie schlossen im fünfzehnten Jahrhundert alle anderen «Ehrbaren» von der Stadtobrigkeit aus. Dadurch erlosch die soziale Mobilität der Führungsschicht. Dem zweiten Stand gehörten die Kaufleute im Großhandel an, wenn sie «Genannte» des größeren Rates waren und ein ererbtes Geschäft mit eigenen Geldmitteln auf ihre Gefahr betrieben. In ihrer Hand lag der Handel mit Edelmetall, Eisen, Kupfer, Zinn und Zink, Rauchwerk, Spezereien und Textilien; sie finanzierten und betrieben den Verlag der Nürnberger Manufakturen. Im dritten Stand lebten Kauf- und Handelsleute, die ebenfalls «Genannte», aber weniger reich waren oder als Angestellte galten. Dieser Schicht rechnete man auch die 8 Ratsmitglieder aus den Handwerken zu. Den vierten und fünften Stand bildeten, abgestuft entsprechend ihrer Zugehörigkeit zum Genannten-Kolleg und ihren Funktionen innerhalb des Gemeinwesens, die erst seit kurzem selbständigen Handelsleute, Angestellte, Krämer, Handwerker und alle übrigen Einwohner. Die Ausbildung der Ratsherrschaft zog sich vom dreizehnten bis ins fünfzehnte Jahrhundert hin.3 Mit der Urkunde von 1219 wurde noch nicht die Rechtsstellung einer Reichsstadt geschaffen, wenn man überhaupt diesen Begriff als Hilfe zur Verdeutli1 Zur Nürnberger Wirtschaftsgesch. s.u. §56. Zusammenfassungen des Forschungsstandes: Aubin, Kunze, Schultheiss (Beitrr. WGN) 1967. Jüngst: v. Stromer, Hochfinanz (s. u. 479)· 2 Zur landesgeschichtlichen Entwicklung allgem. s. o. 164 f., 296; Einzelnachweise HAB Nümberg-Fürth (Η. H. Hofmann) 23-26; Ders., Nürnberg, Gründung u. Frühgeschichte (JffL 10) 1950, 1-35, bes. 32 ff. Jüngst Schultheiss, Acht-, Verbots- u. Fehdebücher (s. 0.267) 28 ff.; Die Urkunde von 1219 behandelt Knöpf (s. o. 323) 22 ff. 3 Im Blick auf die Sachaufschlüsse wie auch methodengeschichtlich wichtig durch die Kri-

tik an Sombarts Theorie der Vermögensbildüng und Genese der städtischen Führungsschicht ist noch immer Meyer (s. o. 324). Ein Beispiel für eine Sippengesch. u. f. moderne Sozialforschung: G. Hirschmann, Die Familie Muffel im MA. Ein Beitr. z. Gesch. d. Nümberger Patriziats, seiner Entstehung u. seines Besitzes (MVGN 41) 1950, 257-392. 4 Zu dieser sozialgeschichtlichen Durchdringung: Hofmann, Nobiles (s. o. 324). Zur Methodologie der Editionen: I. Boc, Die Quellen z. Wirtschafts- u. Sozialgesch. d. Reichsstadt Nürnberg (Beitrr. WGN 2) 1967, 830-850. 3 Pitz (s. o. 324).

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chung des Entwicklungsablaufes für die Spätstauferzeit gebrauchen darf. Friedrich Π. verbreiterte nur den in Nürnberg sitzenden Kaufleuten mit dem Schutz vor dem Zugriff der königlichen Kammer, der Freistellung vom gerichtlichen Zweikampf und der Sicherung von Pfandrechten und Lehensbesitz die rechtliche und wirtschaftliehe Grundlage der Existenz. Noch rund ein Menschenalter lang gab es in Nürnberg nur reichsrechtlich begründete Gewalten, keine eigene bürgerliche Rechtsordnung. Der seit 1200 nachweisbare königliche Schultheiß war damals der einzige Vertreter des Kronträgers in der Stadt. Dieser Zustand wurde 1219 ausdrücklich als geltendes Recht erklärt. Die Stadt bildete einen besonderen Gerichtsbezirk, ihre Einwohner eine eigene Gerichtsgenossenschaft. Auf diese Weise wurde der Burggraf von der Handhabung der Gerichtsbarkeit ausgeschlossen. Schultheiß und Stadtbewohner standen gemeinsam gegen ihn. Der Dualismus wurde verschärft durch Vorgänge außerhalb der Mauern: Einerseits verlor um 1220 der Burggraf auch die Verwaltungsbefugnisse im Umland der Stadt, andererseits erstarkte die Stellung der Zollern von 1248 an infolge der Übernahme von Teilen des meranischen Erbes und der dadurch entscheidend vorangetriebenen Tendenz, das Reichsamt zur Landesherrschaft umzubauen. ’ Während des Interregnums wurde die Gemeinde Trägerin selbständiger Hoheitsrechte, aber auch der Einfluß des Burggrafen wuchs wieder. Der Butigler geriet in das Machtgefüge der Burggrafschaft, der Schultheiß in die Abhängigkeit von den sich ausgestaltenden Bürgerschaftsbehörden. Durch die 1219 getroffenen Regelungen war eine Art von Steuerumlegungsausschuß nötig geworden, andere VerfassungsInstitutionen folgten: Das Verfahrensrecht des Stadtgerichts geriet in die Bahnen einer vom Landrecht verschiedenen Stadtrechtsbildung.1 2 Nach der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts begegnet dann das Kolleg der 13 Gerichtsschöffen. Erstmals 1265 tritt als höchstes und vornehmstes Organ des Stadtwesens der Kreis der 13 «consules» auf, deren Kompetenz die gesamte außergerichtliche Verwaltung der Stadt und die Sorge um die «Außenpolitik» Nürnbergs war. Seitdem setzte sich die oberste Gemeindebehörde aus der Schöffenbank und der Ratsbank zusammen.3 Die Konsuln hatten die Stadtsteuer - ein während des Interregnums «herrenloses Gut» - in der Hand, sie überspielten in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts sowohl den Schultheißen als auch die Schöffen. Sie begegneten allen Gefahren, daß Nürnberg in die Landsässigkeit absinken könnte; in der Unterordnung unter das Königtum, aus der sich eine Partnerschaft zum Kronträger gestaltete, lagen die Leitlinien der Ratspolitik beschlossen. Seit 1282 verschwindet der Butigler aus den Quellen, dem Burggrafen wurde die Möglichkeit genommen, auf dem Umwege über diesen in städtische Angelegenheiten einzugreifen. Diese administrative Entwicklung zeigt, daß bereits damals die Entscheidung gefallen war zugunsten der Reichsfreiheit, der Einfluß der 1 HAB Nürnberg-Fürth (Hofmann) 27-31; Überblick über die Rechte der Burggrafen: Schwammberceh (s. o. 295) 86-91. 2 HAB Nümberg-Fürth (Hofmann) 51-74. 3 Zu scharf trennt Pitz (s. o. 324) 44 ff. die

administrativen Unterschiede; ergänzend und sozialgeschichtlich weiterführend Schultheiss, Achtbücher (s. o. 267) 28 * ff. sowie Hofmann, Nobiles (s. o. 324) 60.

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Burggrafen von Nürnberg in der für sie eigentlich namengebenden Stadt immer weiter ins Schwinden geriet. Zwischen 1273 und 1323 wurden die Kollegien der «consules» und «scabini» zu einem einzigen Stadtrat mit 26 Mitgliedern verschmolzen, die Verteilung auf die beiden Bänke blieb für die Geschäftsführung bedeutungslos. Der Rat nutzte die reichspolitischen Umstände, die im zweiten Jahrzehnt des vierzehnten Jahrhunderts angesichts dauernder Geldnot und der Auseinandersetzungen zwischen den großen Dynastien den Herrschern das Eingehen auf die aus Nürnberg an sie herangetragenen Wünsche geboten scheinen ließen. Kaiser Heinrich VII. sanktionierte mit dem Privileg vom 11. Juni 1313 die seit dem Interregnum eingetretenen Wandlungen der Stadtverfassung,1 besonders im Blick auf das Verhältnis zwischen Rat und Schultheiß.1 2 Kaiser Ludwig IV. befreite dann am 5. Januar 1315 die Bürger von der Zuständigkeit des Hof- und eines Landgerichts sowie von der geistlichen Gerichtsbarkeit des Bamberger Bischofs.3 Am 29. Juni 1320 fügte er noch die eigenständige Gerichtsbarkeit in Strafsachen und die Blutgerichtsbarkeit hinzu.4* Diese kontinuierliche Linie im Wechselspiel verfassungsrechtlicher Neuerungen und deren Anerkennungen durch die Herrscher wurde gestört, nachdem sich Kaiser Ludwig im Kampf um das Reich gegen den habsburgischen Rivalen durchgesetzt hatte. Da er den Zollern zu Dank verpflichtet war, wurde die kommunale Entwicklung in Nürnberg gehemmt. Am 20. April 1324 verpfändete Ludwig den Burggrafen Reichsschultheißenamt, Judengeld und Reichssteuer. Der Rat suchte so rasch wie möglich die Zollern wieder aus der Stadt zu drängen. Zunächst erreichte man nur eine Bestätigung der Urkunden Ludwigs aus den Jahren 1315 und 1320. Schließlich wurde der alte Zustand nur auf dem Wege über finanzielle Regelungen wieder hergestellt: Der Bürger Konrad Groß löste 1337 das Reichsschultheißenamt samt Bann, Zoll und Münze wieder von dem Burggrafen und ließ sich am 16. März 1339 für 6000 Pfund Heller diese Gerechtsame vom Kaiser verpfänden.3 Am 1. Mai 1365 wurden die von Konrad Groß freigekauften Gerechtsame abermals von Karl IV. an die Zollern gegeben. Erst zwanzig Jahre später konnten die Bürger deren Geldverlegenheit nutzen und die verpfändeten Rechte wieder in ihre Gewalt bringen. Vor diesem Hintergrund ist das am 5. September 1385 errichtete Weistum über das Schultheißenamt zu sehen.6 Von den alten Zuständigkeiten des Schultheißen ist nicht mehr viel übrig; durchgängig herrscht die Tendenz vor, das Amt einzuschränken auf wenige innerstädtische und marktrechtliche Kompetenzen, um die mit den Ansprüchen des Rates konkurrierenden Schultheißenrechte auszuhöhlen und das Amt für 1 Pitz (s. o. 324) 135-140. 2 Const. IV 1042, nr. 999. 3 Nürnberg gelang im 14. und 15. Jh. die Befreiung von auswärtigen Gerichten sowohl im Blick auf die westfälische Feme als auch auf das geistliche Gericht in Bamberg. Vgl. Veit (s. o. 324). Im Kampf gegen das geistliche Gericht fand der Rat beim Papsttum Hilfe und legte so den Grund zu einer Kirchenhoheit, in der die Überwachung der Seelsorge zum Prärogativ der weltlichen Obrigkeit wurde. Die

Anstöße zur Klosterreform des 15. Jhs. gingen vom Rat aus. Vgl. J. Kraus, Die Stadt Nümberg in ihren Beziehungen z. röm. Kurie während d. MA (MVGN 41) 1950, 1-154; J. Kist, Klosterreform im spätmittelalterl. Nürnberg (ZBKG 32) 1963, 31-45· 4 Schultheiss, Achtbücher (s. o. 267) 30 * bis 3$ , * auch für das Folgende. 3 Gemperlbin (s. o. 324). 6 Schultheiss, Satzungsbücher (s. o. 267) 327-330.

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den Fall einer abermaligen Verpfändung möglichst untauglich als Ausgangsbasis fremder Interventionsversuche zu machen. Im fünfzehntenjahrhundert wurde schließlieh der Schultheiß zur Repräsentationsperson, zum Gesandten und Anführer der städtischen Söldner und des Bürgeraufgebots. 1 In Verlauf und Ergebnis individuelles Ereignis der Nürnberger Geschichte war der Aufstand in den Jahren 1348/49. Vor dem Hintergrund des Kampfes Karls IV. um das Königtum, zunächst mit Ludwig IV., dann mit Günther von Schwarzburg, spaltete sich die Bürgerschaft der Reichsstadt. Soziologisch klar definierbare Fronten sind nirgends erkennbar. Es gab patrizisch gesinnte Handwerker auf der einen Seite, reiche Handwerker und Händler als Anführer der Aufständischen auf der anderen.12 Während der Unruhen blieben viele Patrizier mit ihren Angehörigen in der Stadt und arrangierten sich mit dem neuen Regiment. Die anderwärts zu beobachtende Neigung zur Gewaltlösung trat in Nürnberg zurück. Das erleichterte erheblich den späteren Ausgleich. Dieser war in den Grundlinien von dem Augenblick an festgelegt, als sich der im Ringen um die Krone erfolgreiche Karl IV. mit den Ausgefahrenen verband und Sanktionen über die Stadt verhängte. Für Karl IV. lagen die Anstöße seines Handeins im reichspolitisch beachtensnotwendigen Umstand begründet, daß die Aufständischen zur wittelsbachischen Partei in Franken hielten. Sein Ausgleich mit den Bayernherzögen nahm den neuen Machthabern in Nürnberg den Rückhalt. Von den Ausgefahrenen ließ er sich überdies reichlich bezahlen. Da die Patrizier auf eine blutige Rache verzichteten und sich im allgemeinen mit der Exilierung’ ihrer Widersacher begnügten, ging der zweite Machtwechsel erschütterungsfrei vonstatten und hinterließ keine unüberbrückbaren Ressentiments. Nürnberg blieb eine Stadt mit patrizischer Ratsverfassung. Die Handwerker wurden in ihrem wirtschaftlichen Verhalten und ihrer politischen Gesinnung fortan aufmerksam beobachtet. Ämter und Handwerke, die später entstanden, waren keine Zünfte, sondern vom Rat geschaffene W irtschaf tsorganisationen. An der Wende vom vierzehnten zum fünfzehntenjahrhundert erhielt der Stadtrat die Gestalt, die im wesentlichen bis 1806 bestehenblieb. Er umfaßte 34 Patrizier und 8 Handwerker; das Regiment führte das 26er Kollegium, das aus je 13 älteren und jüngeren Bürgermeistern bestand. Sie alle, das kennzeichnet die sozialgeschichtliche Eigenart der Gruppe, mußten den «ratsfähigen» Geschlechtern entstammen. Ein Ausschuß von 7 Mitgliedern des 26er Kollegiums fungierte als «geheimer» Rat und führte die eigentliche Regierung der Reichsstadt. Die Amtsperiode des Rates insgcsamt betrug ein Jahr, die 26 Bürgermeister übernahmen paarweise je vier Wochen den Vorsitz. Neben diesem «inneren» stand der «äußere» Rat, dem etwa 200 der «Genannten» angehörten. Diese fungierten als Eidhelfcr, Gerichtszcugen und Urkundspersonen. Bedeutung hatte das große Gremium besonders für die Wahl des 1 Ders., Weistum (s. o. 324) bes. 67, 72, 77 f.; Lentze, Gewerbe Verfassung (s. o. 324) 207 bis 226. 2 Lentze, Zunftverfassung (s. o. 323) 216 bis 224, auch für das Folgende; Ders., GewerbeVerfassung, bes. 226 ff. 22 HdBGIII, i

3 Über die Stadtverbote allgem. vgl. SchultAchtbücher (s. o. 267) 71 * ff.; Druck der Achtbücher 1-92, die Stadtverweisungen 1349 ebd. 71 ff.

heiss,

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«inneren» Rates, die im 14. Jahrhundert an Walpurgis, später am Mittwoch nach Ostern stattfand.1 Das Ganze bildete also ein differenziertes System von Instanzen und Funktionsträgem, die sich untereinander kontrollierten und die politischen Willensbildungen innerhalb ihrer Sozialschicht zu Ausgleich und Wirklichkeit zu führen hatten. Kontrollen und dirigistische Eingriffe in das Gerwerbewesen ließen nach 1349 rasch ein beinahe planwirtschaftliches System entstehen. Ansätze zu frühindustriellen Werkformen und Arbeitsteilungen wurden unterbunden oder mindestens gehemmt. Dessenungeachtet ist jedoch das Verhalten des Nürnberger Rates im Spätmittelalter positiv zu bewerten. Denn er trat, aufs Ganze gesehen, den Gruppeninteressen entgegen und wirkte zum Wohle der Stadt mehr als dies an anderen Orten mit gemischter Ratsverfassung und größerer Anfälligkeit für Aufläufe und Rebellionen möglich war.1 2 Nürnbergs Gewerbeverfassung wurde sogar zum Modell im Böhmen Karls IV., im Österreich Rudolfs IV. sowie in den bayerischen Herzogtümern; allerdings wirkten in jenen Großterritorien die Landesherren auf ihnen genehme Änderungen der Rechtsstruktur der Handwerke in den landsässigen Gemeinden hin. Unter dem unmittelbaren Einfluß des Nürnberger Gewerberechtes standen die fränkischen ReichsStädte, aber auch in landesherrlichen Städten der Burggrafschaft und der Oberpfalz kommen Übernahmen solcher Normen vor.3 Während die Stadtrechtsfamilie weniger bedeutsam war als etwa in Lübeck oder Magdeburg, entfaltete Nürnberg eine weitreichende Initiative auf dem Felde des Handelsrechtes. Als einer der führenden Wirtschafts- und Finanzplätze4 in Süddeutschland mit besonders hervorstechenden Vermittlungsfunktionen zwischen Venedig und Mitteldeutschland sowie Böhmen besaß die Stadt einen derart starken Einfluß, daß man allenthalben ihre Handelsrechtsnormen übernahm. Oberhoffunktionen erfüllte Nürnberg nicht nur für die anderen Reichsstädte in Franken, sondern während des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts auch für Dutzende landesherrlicher Gründungen in fast allen Territorien der Nachbarschaft, Lösungserscheinungen gehören späterer Zeit an; die Prager Städtegruppe machte sich 1389 selbständig, erst im fünfzehnten Jahrhundert erhoben die Zollern ihr Hofgericht zur recht weisenden Stelle in den Markgrafschaften. Andererseits wirkten dann die Bestimmungen der Nürnberger Reformation von 1479 auf die Landesrechte nicht nur der fränkischen, sondern auch der schwäbischen und hessischen Territorien ein.5 Von überregionaler Bedeutung war in Nürnberg die Judengemeinde, deren Bildung in der Zeit Konrads III. Ergebnis der Pogrome in den rheinischen Bischofsstädten vor 1 Zusammenfassung: R. Nagel, Das Recht d. Reichsstädte Weißenburg u. Nürnberg, Diss. Erlangen-Nürnberg 1963, 10 ff. 2 Vgl. Lentze, Gewerbeverfassung (s. o. 324) 608. 3 Ebd. 613 ff. 4 Zu Nürnbergs lange unterschätzter Bedeutung als Geldplatz und der Rolle der patrizisehen Bürger als Geldgeber für Kaiser Ludwig und eine Reihe süddeutscher Fürsten jetzt

W. Schultheiss, Geld- u. Finanzgeschäfte Nürnberger Bürger vom 13. bis 17. Jh. (Beitrr. WGN 1) 1967, bes. 69 ff. 5 Schultheiss, Einwirkung d. Nürnberger Stadtrechts (s. o. 324); Liermann, Nürnberg (s. o. 324) 1-17. Über Nürnberger Stadtrecht in Böhmen vgl. W. Weizsäcker, Egerer u. Nürnberger Stadtrecht (Jb. Ver. Gesch. Dt. in Böhmen 3, 1930/33) 1934, 265-289; Liermann, Franken u. Böhmen (s. o. 177 Anm. 5) 42-56.

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dem zweiten Kreuzzug und Begleiterscheinung der auf Franken gerichteten Initiativen dieses Königs war. Die Rolle der Juden als Geldleiher fränkischer Fürsten und Herren muß noch untersucht werden. Die interterritorialen Konsequenzen derartiger Finanzgeschäfte, die mit der Bevogtung durch die Burggrafen gegeben waren, wurden bereits am Beispiel des Hochstifts Bamberg dargestellt.1 Vom Ende des dreizehnten Jahrhunderts an sind in Franken in Wellen Verfolgungen nachweisbar, deren Ursachen nicht nur in den ineinander übergehenden Bereichen der Religion und des Aberglaubens zu suchen sind, sondern auch im Streben, sich der Gläubiger zu entledigen. Das Königtum kam mit den seit Kaiser Ludwig nachweisbaren SchuldStreichungen als eines Mittels der vom Hofe betriebenen Manipulationen1 2 derartigen Tendenzen entgegen. Die Verfolgungen der Jahre 1298/99 erfaßten die Territorien und Reichsstädte in Franken, die 1336 ausgebrochenen Pogrome wurden möglicherweise durch soziale Unruhen mitverursacht, 1349 lösten Geißlerzüge im nördlichen Franken die Vernichtung der Ghettos aus. Auch die 1356 und 1363 auf Franken übergreifenden Pestwellen stimulierten den Judenhaß.3 In Nürnberg erbaute man an Stelle der Synagoge eine Kirche mit dem auch anderwärts für derartige Gründungen üblichen Marienpatrozinium. Die Judengemeinde überstand jene Notzeit und hat vielleicht einen gewissen Aufschwung genommen, als von 1355 an Pfalzgraf Ruprecht I. in der Oberpfalz den Juden Schutzurkunden ausstellte, in denen die Usancen des Geldhandels und der Pfandleihpraxis sowie die Errichtung von Synagogen genehmigt wurden.4 Die Nürnberger Judenschaft war ebenfalls in einer Region wirtschaftlich engagiert, in der das Kapital der patrizischen Familien eine gewichtige Rolle spielte. Judengemeinden bestanden in Amberg, Neumarkt, Berching, Lauf, Hersbruck und anderen Orten. Als 1391 Pfalzgraf Ruprecht III. die Juden aus seinen Territorien ausweisen ließ, ging ein Teil der Amberger Gemeinde nach Nürnberg. Aber auch dort scheinen sie in der Folge ihre Initiative nicht mehr voll haben entfalten zu können. Denn die Judenschuldengesetze König Wenzels von 1385 und 1390 haben ihre Bedeutung im Geldhandel empfindlich getroffen. In Nürnberg schwächte dann die Ratsgesetzgebung des fünfzehnten Jahrhunderts die Wirtschaftsfunktion der Judenschaft. Die Folge waren Abwanderungen sowohl nach der Oberpfalz als auch nach Fürth, wo unter Förderung durch die Markgrafen von Brandenburg und das Bamberger Domkapitel ein neues Zentrum des Geld-, Vieh- und Naturalienhandels entstand.5 Die Austreibung von 1499 setzte der mittelalterlichen Geschichte der Nürnberger Judenschaft das Ende. Das Territorium der Reichsstadt Nürnberg ist im Vergleich mit den landesherrschaftliehen Gebilden der Regionen an Pegnitz und Regnitz spät entstanden.6 Seitdem die Zollern um 1200 nach Franken gekommen waren, hemmte deren aus dem Reichsamt zur Landesherrschaft umgeformte Machtstellung die städtischen Expansionsten­ 1 Vgl. Kloos (s. o. 275) 341-386. Vgl. o. 171, 179. 2 Vgl. Kloos (ebd.) 362 f., 383 Nr. 4. 3 Vgl. Hoffmann, Judenverfolgung (s. o. 180 Anm. 2). 22'

4 Volkert, Juden (s. u. 1370 Anm. 2). 5 G. Michelfelder, Die wirtschaftl. Tätigkeit d. Juden Nürnbergs im Spätmittelalcer (Beitrr. WGN 1) 1967, 236-260. 6 Dannenbauer.

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denzen. Das Hochstift Bamberg und andere kleinere Adelsherrschaften waren demgegenüber weniger mächtig als Rivalen. Nürnbergs Territorialaufbau vollzog sich in einer Landschaft, deren politisches Gefüge stets durch den Dualismus Burggrafschaft-Reichsstadt, aber auch durch das lange lebendige Gegeneinander der Zollern und des Adels ministerialischer Provenienz und durch die Einsprengsel hochstiftischer Besitzteile geformt wurde. Infolge der regionalen Konstellationen wurde der Aufbau des Nürnberger Herrschaftsraumes im Westen erheblich stärker gehemmt als im Osten. Beim Besitzerwerb lag zunächst die Initiative bei einzelnen Personen und Familien,1 erst sekundär wurde der Rat als obrigkeitliche Korporation auch in diesen Bereichen der Stadtpolitik aktiv. Damit, aber auch mit dem allgemeinen Wandel der Rechtsinstitutionen, hängt der Wechsel der Methoden beim Herrschaftsaufbau zusammen. Im letzten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts, also nach der ersten Konsolidierung der städtischen Eigenstellung während des Interregnums, beginnt der Ausgriff kapitalkräftiger Geschlechter in das Umland. Sie erreichen beispielsweise im Raum nördlich des Aischbogens die Belehnung oder Verpfändung Bamberger Besitzes und den Erwerb von Eigengut und Passivlehen verarmter oder erlöschender Adels- und Ministerialensippen. Durch Aufkauf von Grundherrschaften setzen sie sich in den Spätsiedelgebieten des Keuperwaldes und am Saum der Bamberger Ämter im Bereich von Neustadt und Windsheim fest. Sie durchdrangen so auch die bürggräflichen Ämter im Raum von Dachsbach und Markt-Erlbach bis hin an die Rezat und ins Biberttal.12 Die Lehensgüter aber stifteten sie den Kirchen und Klöstern ihrer Stadt, entzogen sie so dem direkten Einfluß der bisherigen Oberlehensherren und unterstellten sie der Aufsicht des Stadtrats.3 Im Pegnitztal östlich von Nürnberg lag zunächst ein engverzahntes Gemenge von Besitz der Burggrafen, patrizischer Geschlechter und des Bamberger Hochstiftes.4 Als man 1240 aus der im Interdikt befindlichen Stadt das Dominikanerinnenkloster nach Engelthal verlegte, erhielt die Territorialisierung nachhaltige Anstöße. Denn das der Aufsicht des Rates unterliegende Frauenkloster wurde in seiner Erwerbstätigkeit und Wirtschaftsführung nicht durch einen geistlichen Oberen, sondern durch die Stadtobrigkeit überwacht, war also einer der herrschaftsverdichtenden Faktoren im Umland. Man kann diese Funktion mit den territorialen Aufgaben vergleichen, die in schwäbischen Städten den Spitälern gestellt wurden. Der Verbund von Nümberger Grundherrschaften war im Osten schon frühzeitig stärker als im Westen. Auch das Reichssalbüchlein läßt für den Anfang des vierzehnten Jahrhunderts diese Ungleichgewichtigkeit erkennen. In diese östlich der Stadt gelegenen Landstriche drang seit dem Interregnum das Nürnberger Kapital ein; andererseits siedelten von dort 1 DANNENBAUER 122 ff., 155168‫־‬. 2 Über das von burggräflichem und eichstättischem Besitz eingeschlossene Pflegeamt Lichtenau vgl. Dannenbauer 148 ff.; F. Schnelbögl, Nürnbergs Bollwerk Lichtenau (Altnürnberger Landschaft, Sonderh.) 1955. Zur Vorbereitung des Erwerbs im Jahre 1406 und zu den Lehensrechten des Würzburger

Bischofs vgl. jetzt Dbbg (s. o. 316 Anm. 2) 162 ff., 168, 172 ff. 3 Vgl. die Beispiele in HAB HöchstadtHerzogenaurach (Η. H. Hofmann) 15; HAB Neustadt-Windsheim (Ders.) 18. 4 Vgl. J. Weber, Siedlungen im Albvorland v. Nürnberg (Mitt. Fränk. Geogr. Ges. 11/12) 1964/65, 141-263, hier bes. 221-228.

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viele Reichsministerialen in die Stadt über und gewannen Anschluß an die patrizisehe Führungsschicht, erinnert sei nur an die Muffel, Kühdorfer, Waldstromer, Breitensteiner und Roter. Sie alle brachten ihren Besitz der Stadt zu.1 Von einem auch nur einigermaßen einheitlichen Territorialgebilde kann bis weit in das vierzehnte Jahrhundert hinein keine Rede sein. Die Nürnberger Stellung beruhte auf einem außergewöhnlich differenzierten Konglomerat von Einzelherrschaften in der Hand stadteingesessener Familien und der Aufsicht des Rates unterliegender kirchlicher Institutionen. In jeder Einheit entwickelte sich die Bevogtung von Hintersassen mit herrschaftsverdichtender und rechtsverschmelzender Konsequenz. Sie wurden geeint durch die Zugehörigkeit ihrer Besitzer zum Rat oder die Unterstellung der Institutionen unter seine Weisungen. Der Methodenwechsel im Herrschaftsaufbau begann um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts. Seitdem nutzte der Rat das aus dem Westen des Reiches nach Franken vorgedrungene Öffnungsrecht: Die Besitzer oder Lehensinhaber von Burgen und burgähnlichen Anlagen behielten ihre Eigenrechte, mußten aber reichsstädtischen Streitkräften Zutritt und Nutzung gewähren. Offnungsverträge dieser Art trugen zunächst defensiven Charakter, erst vom Ende des vierzehntenJahrhunderts an traten sie in den direkten Zusammenhang mit Territorialisierungstendenzen des Stadtrats.1 2 Das Öffnungsrecht war besser als die anderwärts von den Reichsstädten betriebene Pfahlbürgerannahme. Diese hat Nürnberg nur in wenigen Fällen praktiziert. Der Stadtrat umging so alle reichsrechtlichen Schwierigkeiten, wie sie durch die von den Königen immer wieder ausgesprochenen Pfahlbürgerverbote gegeben waren. Streitigkeiten mit den fürstlichen Nachbarn wurden vermieden. Die reichsstädtische Territorialbildung Nürnbergs zeigt in Methoden und zeitlichem Ablauf ein anderes Bild als die Rothenburgs3 oder beispielsweise Straßburgs.4 Das Öflhungsrecht, an wenigen militärisch wichtigen Punkten gehandhabt, erwies sich als brauchbares Instrument der Herrschaftsverdichtung in Krisenzeiten.5 Es war selbstverständlich bei den Nümberger Herrensitzen in der Umgebung, deren Zahl im vierzehnten Jahrhundert noch verhältnismäßig klein war. Erst nachdem 1427 die Reichswälder in die Hand des Rates gelangt waren, konnte man in größerem Umfang burgähnliche Wehranlagen im Eigentum patrizischer Geschlechter errichten und dort jeweils das Öffnungsrecht der Stadtobrigkeit vorbehalten. Den militärischen Wert dieser Bauten sollte man angesichts der allgemeinen waffentechnischen Entwicklung im fünfzehnten Jahrhundert dann nicht mehr hoch veranschlagen. Die Wehranlagen waren teils ursprüngliche Sitze von Reichsministerialen, teils aber auch Gründungen aus späterer Zeit.6 1 Vgl. SCHNELBÖGL (s. O. 324) 26I-3I7, bes. 288 ff.

2 Rechtsgeschichtlich grundlegend Pfeiffer, Offenhäuser (s. o. 324). 3 S. o. 329 f. 4 G. Wunder, Das Straßburger Gebiet. Ein Beitr. z. rechtl. und polit. Gesch. d. gesamten städt. Territoriums vom 10. bis z. 20. Jh., 1965;

Ders., Das Straßburger Landgebiet. Territorialgesch. d. einzelnen Teile d. städt. HerrSchaftsbereiches vom 13. zum 18. Jh., 1967. 5 Darauf weist hin Liermann, Goldene Bulle (s. o. 175 Anm. 2) 113, 122 Anm. 21. 6 Vgl. zusammenfassend W. Schwemmer, Herrensitze um Nürnberg (Altniimberger Landschaft, Sonderh. 2) 1959, 1-12.

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Nürnbergs Territorialbestrebungen waren in Erfolg oder Mißlingen abhängig von reichspolitischen Konstellationen.1 Dies gilt in erster Linie für den Kampf um die Forstaufsicht in den Reichswäldern beiderseits der Pegnitz. Hier boten die Urkunden Ludwigs IV. und Karls IV. die Rechtsgrundlage für die Verbindung der Lorenzer und Sebalder Forste mit der Stadt. Karls IV. Begünstigungen waren Glied der auf Franken und die Oberpfalz gerichteten ncuböhmischen Machtexpansion. Reichsstadt und Burggrafschaft hielt er in regionalem Gleichgewicht.1 2 Die Reichsburg befand sich seit der Regierungszeit Kaiser Heinrichs VII. nicht mehr in der Hand der Burggrafen, sondern anderer Herren. Wie einen Pfahl im Fleisch aber empfand die Bürgerschaft die Burggrafenburg.3 Sie war Ansatzpunkt und Ziel gegenseitiger Schikanen. Im Jahre 1367 mauerte die Bürgerschaft die Zollemburg regelrecht ein, erst neun Jahre später kam es darüber zu Verhandlungen vor dem Kaiser. Karl IV. bemühte sich, in diesem Streit neutral zu bleiben. In den nächsten Jahrzehnten gewann die Stadt an Boden und bereitete die Auseinandersetzung mit den Zollern um deren letzte Position innerhalb der Mauern vor.4 Schließlich verkauften die Markgrafen 1427 ihre Stadtburg an den Rat, dessen Kapitalkraft diesen Prestigesieg5 erzwang. Im Wechselverhältnis mit den Auseinandersetzungen in der Stadt stand derMachtkampf im Umland.6 Der Rat nahm systematisch Gelegenheiten wahr, differenzierte Rechtsstrukturen zu vereinfachen und Konkurrenzen auszuschalten. Seit 1343 wurden die Hintersassen ausschließlich vor das Bauemgericht gezogen, das in Rivalität mit dem burggräflichen Landgericht entstanden war und sich schließlich durchsetzte.’ Von den Kolem wurde 1372 ein Forstmeisteramt erworben, das der Waldstromer folgte 1396. Die Burggrafen verkauften 1427 zusammen mit ihrer Burg auch ihren Forstmeisteranteil im Sebalder Wald; sie behielten nur Wildbann, Lchensrechte, Geleite und die materielle Waldnutzung. Sonderrechte in dritter Hand wurden zielstrebig ausgeschaltet. Nach dem Markgrafenkrieg um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts wurde eine Landwehr angelegt, die in weitem Zug den dritten Bering der Stadt umlief. In Großgründlach und Gostenhof wurden die territorialen Rechte verdichtet. Der Herrschaftsbereich des Rates überlagerte Sitze, Halsgerichte und Marktgerechtsame der Geschlechter, zahllosen Grundbesitz von Einzelpersonen und Stiftungen. Zur Steuer- und Wehrerfassung wurde er in Hauptmannschäften organisiert. In der «Nürnberger Reformation» faßte man das gesamte Zivilrecht 1 Heimpel (s. o. 324). 2 C. Lehmann, Die Burggrafen v. Nümberg-Zollem in ihrem Verhältnis zu Kaiser Karl IV., Diss. Halle 1913, 69-89. 3 Gerade damals nutzte der Rat in seiner breit ausgebauten Agitation gegen die Burggrafen alle Möglichkeiten bis hin zur politisehen Religiosität in der Sebaldsverehrung, Bobst (s. o. 324) 65-69. Abbild dieser allein auf die Stadt bezogenen Reflexionen sind auch die - in ihrem Eigenwert nicht besonders hochstehenden - Ansätze zur Geschichtsschreibung in Nürnberg. Schmidt (s. o. 324) 46 ff.

4 Pitz (s. o. 324) 140 ff. s Das Ansehen der Stadt wird unterstrichen durch die ihr von König Sigismund 1424 gewährte Aufbewahrung der Reichskleinodien. Diese blieben dann dreieinhalb Jahrhunderte in der Hl. Geist-Kirche, einer unter dem Patronat des Rates stehenden Institution, s. J. Schnelbögl, Die Reichskleinodien in Nürnberg 1424 bis 1523 (MVGN 51) 1962, 78-159. 6 HAB Nümberg-Fürth (Hofmann) 27-31; Ders., Nobiles (s. o. 324) 61. ’ Hofmann 398.

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zusammen.1 Sondergerichtsbarkeiten bestanden weiter für den Handel, das Bauwesen, Anliegen der Handwerker, den Schutz der Waisen; spezielle Bedeutung für das Landgebiet hatten die Forst- und Zeidelgerichte.1 2 Von den Pflegeämtem wurde die freiwillige Gerichtsbarkeit übernommen. Diese Ämter wurden auch zu Fraischsprengeln, in denen die Hochgerichtsbarkeit geübt wurde. Die Reichsstadt folgte damit einer Entwicklung, die in der Markgrafschaft und im Hochstift Bamberg bereits eingetreten war.3 Auch nach dieser Organisationsstraffung lag im Territorium der Reichsstadt allenthalben Besitz patrizischer Eigenherren und der Stiftungen, der administrative Sonderheiten und niedere Gerichtsrechte umfaßte. Im Verhältnis zu den Territorialnachbam bot erst der Landshuter Erbfolgekrieg die entschlossen genutzte Möglichkeit, an der Pegnitz die Vormacht der Stadt zu sichern und das Gebiet weit ausgreifend im Südosten abzurunden.4 Lauf und Altdorf wurden erobert und im Kölner Frieden unter hohen Geldopfem behauptet. Auch Hersbruck und Velden wurden den Wittelsbachem entwunden, zwei Orte, die in wechselvollem Geschick aus staufischer Hand an die Bayemherzöge gekommen, zeitweise Glieder Neuböhmens waren und bis zum Ende des Reiches Nürnberger Vorposten gegenüber der Oberpfalz sein sollten. Das größte Territorium einer Reichsstadt in Franken hat damit erst an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit seine definitive Konsolidation erfahren. Mit den in Franken tiefgreifenden Einschnitten der landesgeschichtlichen Entwicklung der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts hängt die Entstehung von Quellen zusammen, die Aufschlüsse im Blick auf Finanz- und Wehrkraft, die Volkszahl und das Rechnungswesen bieten.5 Spätmittelalterliche Aussagen über Bevölkerungssummen sind meist sehr ungenau, Zählergebnisse wurden sogar geheimgehalten. In Nürnberg erzwangen die Hussiteneinfälle eine genaue Bestandsaufnahme, weil der Rat Unterlagen haben mußte für die Ausrüstung der wehrfähigen Bürger, die Soldneranwerbung6 und die Verproviantierung der Einwohner und Flüchtlinge. Die Auszählung der von 1429 an gesammelten Unterlagen ergibt eine waffenfähige Mannschäft von 7146 Mitgliedern. Für das Jahr 1431 läßt sich eine Gesamtbevölkerung von rund 22000 ermitteln, in der Zahl eingeschlossen sind mehr als 6000 Kinder unter 12 Jahren und knapp 400 Personen, die nach geistlichem Recht lebten. Die Summe der Häuser belief sich auf knapp 3600. Ähnliche Ergebnisse erbrachte eine Zählung im Jahre 1449, die wohl aus Anlaß der Markgrafenfehde7 veranstaltet wurde. Sie zeigt 1 Zu Rechtsentwicklung und Gerichtswesen, besonders den Halsgerichtsordnungen von 1294, 1485 u. 1526 vgl. H. Knapp, Das alte Nürnberger Kriminalvcrfahrcn bis z. Einführung d. Carolina, Diss. München 1891, 50 ff., 144 ff., 155 ff.; Ders., Das alte Nümbergcr Kriminalrecht, 1896, bes. 141-169. 2J. Bischoff, Die Zeidclhuben u. Bienenpflege im Scbalder Rcichswald zw. Erlangen u. Nürnberg in sicdlungs- u. waldgcschichtl. Sicht (JffL 16) 1956, 29-107, bes. 51 ff. 3 Zum Wesen der Fraisch in Ostfranken vgl. etwa HAB Höchstadt-Herzogcnaurach (Hof-

mann) 16 ff.; HAB Stadtsteinach berg-Hofmann) 33 ff. Allgem.

(v. Guttenu. für die Weiterentwicklung wichtig Μ. Hofmann, Außenbehörden (s. o. 275) 66 ff. Über die Behördenentwicklung in Nürnberg Schultheiss, Gerichtsbücher (s. o. 164 Anm. 4 275 ff· 4 Dannenbauer 169-207. 5 Sander (s. o. 324). 6 Mcndhcim (s. o. 324). 7 Nürnberger Auseinandersetzungen mit Albrecht Achilles von 1447 an schildert P. J0ACH1MS0HN, Gregor Heimburg, 1891, 121

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eine Summe von 15500 Personen weltlichen Standes über 12 Jahren, hinzu kamen noch 381 Kleriker und Klosterinsassen beiderlei Geschlechts.1 Mit diesen Zahlen gehörte Nürnberg zur Spitzengruppe der spätmittelalterlichen Großstädte in Deutschland, vergleichbar mit Metz, Straßburg oder Köln oder auch mit Lübeck, Magdebürg, Prag und Wien.2 Zu den in ihrem reichspolitischen Verhalten am Ende des Mittelalters von Nümberg abhängigen Städten gehörten Windsheim und Weißenburg.3 Im Falle Windsheims ist dies um so erstaunlicher, als die Distanz zu Rothenburg klein, die Entfernung zur Großstadt an der Pegnitz jedoch recht groß ist. Rothenburg vermochte nicht, die Schwestergemeinde an der oberen Aisch an sich zu binden, besonders nicht mehr nach der Einflußdämpfung im Fürstenkrieg zu Anfang des vierzehntenJahrhunderts. Windsheim war nie wesentlich über den unteren Schwellenwert gewachsen, der die sogenannten kleinen Mittelstädte bezeichnet.4 Am Ausgang des vierzehnten Jahrhunderts zählte es höchstens knapp 3000 Einwohner, also etwa die Hälfte Rothenburgs oder ein Sechstel Nürnbergs. Sein Gebiet umfaßte nur Klein-Windsheim, Obernund Untemtief, erst im sechzehnten Jahrhundert kamen Anteile von vier anderenDörfern dazu. Bei der aktiven Handhabung des Landfriedenswesens wirkte Windsheim mit, brach eine Reihe von Burgen und verschaffte sich im Umland einen gewissen Spielraum für seine Initiative.3 Windsheim bildete ursprünglich wie die anderen Reichsstädte einen Teil des staufischen Reichslandes, doch war hier auch alter Besitz der Würzburger Kirche vorhanden. Der Ausbau des Marktes durch den Bischof hatte den Gegensatz zu den Reichslandprojekten der Staufer geschaffen, die hier wie in Karlstadt durch Konrad von Querfurt aufgeführten Mauern ihn weiter verhärtet. Von staufischer Seite antwortete man 1200 mit der Gründung Lenkersheims als eines Vorpostens des Nürnberger Reichslandbezirks. Das Würzburger Hochstift nutzte die Reichsgesetze von 1220 und 1231/32 zum Ausbau der Stadt und zur Stärkung ihrer Marktfunktion. Der Erlaß König Heinrichs (VII.) von 1234 nennt erstmals diesen Markt. Alle Vorzeichen deuteten darauf hin, daß Windsheim eine der würzburgischen Hochstiftsstädte würde. Aber Kaiser Friedrich II. nutzte offenbar die Konstellation nach der Niederwerfung Heinrichs (VII.), um vom Würzburger Bischof die Herausgabe Windsheims zu fordern.6 Der Ort ergänzte die Reichsgutpositionen, die Konkurrenz zu Lenkersheim wurde wieder aufgehoben. Während der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts erstarkte die Marktfunktion Windsheims, das seit der Rücknahme an das Reich als Stadt heranreifte. In und nach dem Interregnum vollzog sich die Emanzipation aus der Reichsgutverwaltung. Während Lenkersheim bis 143. Auf die Bündnissuche beim Bischof von Würzburg und bei den Wittelsbachem macht Hhimpel (s. o. 324) 258 ff. aufmerksam. 1 Ott (s. o. 324) 44, 56, 74, 76 u. 96; R. Endres, Zur Einwohnerzahl u. Bevölkerungsstruktur Nürnbergs im 15./16. Jh. (MVGN J7) 1970, 242-271. 2 Zusammenfassend Ammann (s. o. 323) 205. 3 Pfeiffer, Weißenburg (s. o. 324) 9. 4 Ammann 204.

3 HAB Neustadt-Windsheim (Hofmann) 18; Einblick vermittelt auch H. Rössler, Die Reichsstadt Windsheim v. d. Reformation bis z. Übergang an Bayern (ZBLG 19) 1956, 236-248. 6 Schultheiss, Weistum (s. o. 324); Zur Stadtgeschichte vgl. auch Ders., UB d. ReichsStadt Windsheim v. 741 bis 1400, 1963, Einleitung 9 ff. u. 16 ff.

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als weniger wertvoller Teil des Reichsbesitzes den Zollern überlassen wurde, scheint Rudolf von Habsburg die Erhebung Windsheims zur Stadt im Rechtssinne vollzogen zu haben. Sein Nachfolger Adolf von Nassau verlieh 1295 das Privilegium de non evocando und eximierte Windsheim von benachbarten Landgerichten. Die Reaktion der Zollern bestand in der um 1280 anzusetzenden Gründung von «Neustadt» an der Aisch. Die Reichsstadt erhielt eine städtische Gegnerin in territorialer Gebundenheit an die Nürnberger Burggrafen. In den dem Ort angemessenen bescheidenen Summen diente Windsheim, manchmal zusammen mit Weißenburg, dem Königtum wiederholt als Pfandobjekt, auch hier kommen, wie etwa 1302, Selbstauslösungen vor.1 In Herrscherurkunden von 1342, 1365 und 1401 werden stufenweise die Ausgestaltungen der Stadtverfassung anerkannt, 1433 folgte die ausdrückliche Bestätigung der Gerichtshoheit, 1464 die des Blutbannes. DieEinwohnerschaft hat Kapitalien oft in Güterkäufen angelegt, zugunsten von Kirchen und Sozialstiftungen kommen Übereignungen vor. Windsheim fügt sich mit dieser Anwendung von Hilfsmitteln territorialrechtlicher Verdichtung seiner Herrschaft dem üblichen Bilde ein.12 Im Bündniswesen der Reichsstadt und in den Landfrieden ist keine individuelle Note zu bemerken, die Vorrangstellung Nürnbergs war auch auf diesem Felde zu beherrsehend, als daß sie Sonderheiten ermöglicht hätte. Auf Reichstagen des fünfzehnten Jahrhunderts votierten die Windsheimer Gesandten nach dem aus Nürnberg erteilten Wink, nach der Großstadt richtete man sich auch während des Bauernkrieges und in der Reformationszeit. Die Gewerbestruktur wurde stark bestimmt durch Lederverarbeitung und Weberei; in sozialgeschichtlicher Hinsicht ist die im fünfzehnten Jahrhundert verhärtete Absonderung der Ratsfamilien vom Gros der Bevölkerung fcstzuhalten, wobei die Verbindungen nach Nürnberg und Rothenburg noch untersucht werden müssen.3 Das Verhältnis der Stadt, die eingeschlossen war von Ansbacher und Kulmbacher Gebietsanteilen der Markgrafen, ritterschaftlichen Dörfern und der Deutschordenskommende Vimsberg, zum kaiserlichen Landgericht Nürnberg blieb lange unausgetragen. Erst 1496 wurde im sogenannten Harrasischen Vertrag die Lösung gefunden, daß der Markgraf die volle Gerichtshoheit des Rats innerhalb der Mauern anerkannte, in dem kleinen Landgebiet aber nur die Pfahlbürger vom Landgericht ausgenommen blieben. Mit Windsheim zusammen wird oft Weißenburg * genannt in Einungen und bei Verpfändungen. Dieser Umstand ist nicht begründbar mit einer geographisch bedingten Lebensgemeinschaft, er ist vielmehr abzuleiten von Ambitionen der Pfandnehmer aus dem Zollemhause. Diese erstrebten beide Reichsstädte als Erwerbsobjekte, konnten sich aber nicht wie in Feuchtwangen durchsetzen. Weißenburg war zunächst in den Reichsgutverband eingeordnet und wurde zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts von den Marschällen von Pappenheim verwaltet. Auslösung aus der ehemaligen Reichslandzone und Entwicklung der städtischen Sonderposition gingen nur 1 Vgl. Landwehr (s. o. 323) 446 ff. 2 HAB Neustadt-Windsheim (Hofmann) 18. 3 Vgl. Rössler (s. o. 344 Anm. 5) 236 ff. u. 244 f.

* Blendinger (s. o. 324); Pfeiffer, Weißenbürg (s. o. 324) 7 ff; Kerler (s. u. 361).

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langsam vonstatten. Für die Bedeutung in spätstaufischer Zeit sprechen Heinrichs (VII.) Aufenthalte 1228/29 während dessen Auseinandersetzung mit dem Vormund Ludwig dem Kelheimer von Bayern. Staufische Gesinnung der Einwohner wird zehn Jahre danach durch den Gegensatz zum Legaten Albert Behaim bezeugt, 1241 erscheint die Stadt im Reichssteuerverzeichnis.1 Damals tritt zusammen mit den ministerialischen Sippen das bürgerschaftliche Element hervor. Eine Stadtrechtsverleihung läßt sich nicht mehr urkundlich nachweisen; die Entfaltung städtischen Rcchtswesens dürfte ungefähr parallel zu der Entwicklung in Nürnberg nach 1219 vorangeschritten sein. Schwere Belastungen brachte die Feindschaft zwischen den Marschällen von Pappenheim und den Herzögen von Bayern, als Ludwig der Strenge die Vormundschaft über Konradin und dann dessen Testament zur Expansion wittelsbachischer Macht nutzte. Trotz einer Zerstörung im Jahre 1262 konnte Weißenburg seine Unabhängigkeit wahren. Die Eigenständigkeit der Stadt wurde durch die Revindikationsbemühungen Rudolfs und Albrechts von Habsburg gefördert. Am 18. Mai 1310 bestätigte König Heinrich VII. die Gerichtsrechtc der Stadt, wie sie sich bis dahin entwickelt und gefestigt hatten. Vorausgegangen waren 1296 die Exemtion vom Landgericht Graisbach und sechs Jahre danach die Kompctenzanerkenntnis im Blick auf die Steuererhebung.12 Kaiser Ludwig fügte am 26. März 1316 das Ius de non evocando hinzu. Ähnlich wie in Windsheim unterstützte Nürnberg auch in Weißenburg die Selbständigkeit von den benachbarten Landesherren.3 Allen Tendenzen, die Stadt dem Reiche zu entfremden, mochten diese von den Grafen von Öttingen, den Burggrafen von Nürnberg, dem Hochstift Eichstätt oder von den Herzögen von Bayern ausgehen, konnte so begegnet werden. Mit dem 1318 verliehenen Recht zur Wahl des Reichsamtmanncs war Weißenburg faktisch im Vollbesitz der Gerechtsame einer Reichsstadt, auch wenn cs erst 1339 als solche bezeichnet wurde. Kaiser Ludwig übereignete ihr 1338 den Reichswald, der fortan als Stadtgebiet im Besitz der Gemeinde bleiben sollte. Die Privilegierungen wurden von Karl IV. fortgesetzt, jedoch auch die Pfandvergabe. Weißenburg kam an die Zollern, konnte sich aber gemeinsam mit Windsheim am 8. Januar 1360 wieder selbst auslösen. Seitdem wurde die Stadt nicht mehr verpfändet. Diese Unabhängigkeit hat die Entwicklung der eigenen Kommunalverfassung begünstigt. Schon seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts ist das Stadtgericht nachweis* bar, 1296 wird dessen ausschließliche Zuständigkeit für die Bürgerschaft durch den König fcstgestcllt. Die Stadtrechtsentwicklung ist stark beeinflußt durch Nürnberg, aber viele Normen wurden eigenständig gestaltet. Am 28. April 1377 regelte Weißenburg seine inneren Verhältnisse in einer Verfassungsurkunde. Vorausgegangen waren soziale Unruhen in der Bürgerschaft; die Zünfte hatten, möglicherweise am Vorbild der schwäbischen Städte orientiert, Beteiligung am Regiment verlangt. Der 1 Kraff (s. o. 305); Metz (s. o. 329 Anm. 5) 88 ff. 2 HAB Gunzenhausen-Weißenburg (Hörmann) 30 f.

3 Pfeiffer, Weißenburg (s. o. 324) 9. * Ebd. 7 f.

§ 43■ Die Reichsstädte (A. Gerlich)

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Kompromiß bestand in der Einsetzung eines neuen Rates mit 26 Mitgliedern bei gleichen Quoten der patrizischen Familien und der Handwerker. Als Kompetenzen dieses großen Rates wurden die Finanzverwaltung, Strafrechtspflege, Ämterbesetzung und die Überwachung des sogenannten inneren Rates, der 13 Angehörige besaß, festgestellt.1 Das recht ausgewogene Verfassungsinstrument scheint nicht allseits Anklang gefunden zu haben. Denn sieben Jahre später beunruhigten neue Aufstände die Bürgerschaft.2 Jetzt aber, auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen der Reichsstädte mit den Fürsten, griff Nürnberg ein, um den Zwisten im eigenen Lager zu steuern. Es brachte die Angelegenheiten vor den schwäbischen Bund, dem Weißenburg am 16. Januar 1383 beigetreten war. Die Einung griff, ohne dazu förmlich berechtigt zu sein, in Weißenburg wie übrigens auch aus ähnlichen Anlässen in Windsheim und Nördlingen ein; durch einen Spruch des Bundes wurde am 8. September 1384 die Ratsverfassung von 1377 bestätigt. Sie hat sich von da an bis zum Untergang der Stadtfreiheit am Ende des Reiches gehalten. Vom Städtekrieg bis zum Ausgang des Mittelalters erscheinen in Weißenburgs Stadtgeschichte, gleichsam auf engstem Raum zusammengerückt, Kräfte, die Frankens Vergangenheit gestalteten. Während für Nürnberg und Windsheim Hauptgegner die Zollern waren, mußte sich Weißenburg gegen die Wittelsbacher im IngolStädter Herzogtum und in der Oberpfalz zur Wehr setzen. Nicht minder hart waren territoriale Reibereien mit dem Deutschen Orden und dem Hochstift Eichstätt. Während der Fehden des Herzogs Ludwig des Bärtigen von Bayern-Ingolstadt suchte Weißenburg Rückhalt in einer Städtekoalition mit Rothenburg, Nördlingen, Dinkelsbühl und Bopfingen. Diese Einung schloß dann einen Vertrag mit Markgraf Friedrich I. von Brandenburg, um gegen die ungestüme Aktivität des Wittelsbachers in Franken den geeigneten fürstlichen Helfer zu gewinnen. Nürnberg hielt sich aus diesen Verwicklungen heraus. Weißenburgs Verhalten wurde bis in die 1440er Jahre durch die Feindschaft gegen den Ingolstädter Herzog bestimmt. Nachdem dieser niedergerungen worden war, erwachte sofort wieder der Gegensatz zu den Zollern. Gegen sie suchte man Schutz bei Nürnberg. Die Besetzung Donauwörths durch Bayern bewirkte den noch engeren Anschluß Weißenburgs an die große Reichsstadt. In die regionalen Entwicklungen griff das Reichsoberhaupt kaum noch ein. Als letzter Akt ist in diesem Zusammenhang die Verleihung des Blutbannes durch König Sigismund am 3. Septemner 1431 zu nennen; die Rechtsentwicklung der Reichsstadt wurde abgeschlossen, an der Machtverteilung im fränkisch-bayerischen Übergangsgebiet jedoch nichts mehr geändert. Weißenburgs Verhältnis zu den Marschällen von Pappenheim als Inhaber der Reichspflege pendelte sich während des vierzehnten Jahrhunderts ein.3 Zu späten Auseinandersetzungen kam es 1456 durch den Kauf der Dörfer Suffersheim und Schambach. Geleitzwiste muten wie ein schwacher Nachklang des alten Spannungsgefüges an. In der kleingekömten territorialen Schütterzone Südfrankens ergab sich für den Aufbau eines reichsstädtischen Landgebietes kaum noch Gelegenheit. Dazu fehlten vor 1 Kbrler (s. u. 361). 2 Pfeiffer, Weißenburg 19.

3 Kraft (s. o. 305) 155 ff., 159 ff.; Pfeiffer, Weißenburg 17.

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Franken: D. I. Staat und Gesellschaft. Erster Teil. Bis 1500

allem die finanziellen Voraussetzungen. Denn Weißenburg blieb stets eine kleine Mittelstadt - die Anschläge zu Landfriedensaufgeboten und Reichssteuem machen diese Größenordnung deutlich - mit dem Schwergewicht der Erwerbstätigkeit auf den Sektoren des Handwerks und der Landwirtschaft, nicht aber des Femhandels. Infolge der enormen politischen und militärischen Anstrengungen sowie einer zum Vermögen der Stadt im Mißverhältnis stehenden Bautätigkeit geriet Weißenburg, bei einer Schuldenlast von 180000 Gulden im Jahre 1482, in Zahlungsunfähigkeit.1 Durch den Kaiser und die Reichsstädte in Schwaben und Franken wurde das Entschuldungsproblem jahrelang erörtert. Mitten in diesen Erwägungen tauchte 1490 in Nürnberg das Projekt auf, die Obrigkeit in Weißenburg an sich zu reißen und durch einen Ratskommissar in der Nebenstadt das Regiment ausüben zu lassen. Das Vorhaben wurde überholt durch neue Schuldentilgungspläne. Er zeigt aber auf seine Weise an, daß die kleinen Reichsstädte zu versteinerten Rudimenten eines lange zurückhegenden Herrschaftsgefüges geworden waren, in dem das Königtum ursprünglieh den ersten Platz eingenommen, dann aber Fürsten und Herren in mühsamem Ringen ihre Territorien errichtet hatten. 1 Ebd. 19 f., auch für das Folgende.

II

STAAT UND GESELLSCHAFT. ZWEITER TEIL:

ijoo-1800

§44. DIE «STAATLICHKEIT» IN FRANKEN Brunner; Ders., Adeliges Landleben u. europ. Geist. Leben u. Werk Wolf Helmhards v. Hohberg 1612-1688, 1949; Mayer, Moderner Staat; Ders., Analekten zum Problem d. Landeshoheit, vornehmlich in Süddeutschland (BlldLG 89) 1952, 87-111; Bader; Ders., Territorialbildung (s. o. 267); Ders., Dorf (ebd.); v. Guttenberg (Überbewertung der Hochgerichtsbarkeit); Μ. Hofmann, Außenbehörden (s. o. 275); Ders., Dorfverfassung (s. u. 456); Ders., Cuius regio? (s. u. 427 Anm. 1); O. Herding, Untersuchungen z. Verfassungs- u. Verwaltungsgesch. markgräfl. ansbachischer Ämter mit bes. Rücksicht auf Cadolzburg, Langenzenn u. Roßtal (ungedr. Erlanger Habil.schrift) 1943; Bog, Dorfgemeinde (s. u. 456); Η. H. Hofmann, Herzogenaurach. Die Gesch. eines Grenzraums in Franken (Sehr. d. Inst. f. fränk. Landesforsch. 2) 1930; Ders., Freibauern; Ders., Der Adel in Franken (Deutscher Adel 1430-1555, Büdinger Vorträge I) 1963,95-126; Ders., Bauer u. Herrschaft (s. u. 456); Ders., Adelige Herrschaft (hier bes. 47,94), umfassende Literaturverweise, vor allem auch auf die barocken Staatsrechtslehrer; die dort im Abschnitt I zusammengefaßten und eingehend dargelegten Erkenntnisse sind hier, teilweise in enger Anlehnung, übernommen; Ders., Grenzen u. Kemräume (s. 193); Die Entstehung d. modernen souveränen Staates, hg. v. Η. H. Hofmann (Neue Wissenschaftl. Bibi. 17) 1967; K. Bosl, Die historische Staatlichkeit der bayerischen Lande (ZBLG 25) 1962, 1-19 (Vergleich der unterschied!, staatl. Vergangenheit der einzelnen bayer. Landesteile); Einleitung zu Bosl, Bayern; HAB Teil Franken, R. I und bes. R. II; Schlesinger; R. Endres, Zum Problem d. Landeshoheit in Franken (MVGN 61) 1974; Η. H. Hofmann, Stand, Aufg. u. Probleme fränk. Landesgesch. (ZBLG 35) 1972. Vgl. o. § 39.

In Franken, dem «klassischen Boden territorialer Zersplitterung»,1 haben sich die Grundlagen der «Staatlichkeit» im wesentlichen in einem überaus komplizierten Prozeß um die Wende des Mittelalters zur Neuzeit herausgebildet. Nach dem Zusammenbruch der staufischen Königsstaatskonzeption war in Franken ein Gewirr kleinsträumiger und personal bezogener Herrschaftsgebilde zurückgeblieben; der fränkische Raum war eine Adelslandschaft verblieben. Weder die Bischöfe von Würzburg hatten die im Herzogsprivileg von 1168 liegende Chance einer staatlichen Konzentration durch Bildung einer geistlichen Landesherrschaft verwirklichen können noch die Bamberger Bischöfe mit Hilfe ihres Landgerichts. Auch die Zollern hatten kein «Land» zu schaffen vermocht, da ihr «Kaiserliches Landgericht Burggrafentums Nürnberg» von Anfang an nur personal bezogen war. Auch die andere Möglichkeit zu flächenhafter Territorienbildung, nämlich die Verfestigung und «Verflachung» des Netzes von Hochgerichten, wozu der Ewige Landfriede von 1495 die allmählich sich ausbildenden Landesherrschaften befugte, konnte in Franken nicht wirksam werden. Zwar waren die Fraischsprengel (Hochgerichtssprengel) topographisch genau festgelegt und «versteint», doch wurde der Blutbann unter dem Einfluß des römischen Rechts zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts auf die vier hohen Rügen (Mord, 1 v. Guttenberg IX. Der «Fränkische Merkur» von 1797 nennt Franken «ein Durcheinander, für das man keinen Namen hat».

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Franken: D. II. Staat und Gesellschaft. Zweiter Teil: 1500-1800

Brand, Raub, Notzucht) eingeengt, sank also zur inneren Landessicherheitswahrung ab. Damit schied die Hochgerichtsbarkeit als herrschaftsbildendes Element aus, obwohl die Markgrafen von Ansbach und Kulmbach mit aller Macht diese Entwicklung zu verhindern suchten und die Malefizobrigkeit als das wichtigste Element der landesfürstlichen Obrigkeit definierten. Tatsächlich galt anderwärts, in den geschlossenen institutionellen Flächenstaaten, die Blutgerichtsbarkeit als das Summum ius des Landesherm; in Franken dagegen, dem Rechtsbereich des «territorium inclausum», fungierte die Fraisch bis zum Ende des Alten Reiches gleichsam überterritorial.1 Die Masse der Gerichtsbarkeit aber - nämlich die ganze Zivilgerichtsbarkeit, die bisher den personal verbliebenen alten Landgerichten über Erb und Eigen zugestanden war, und die mittlere Strafgerichtsbarkeit - strömte in die Vogtei ein und fiel nun der Grundherrschaft zu, die von sich aus seit dem ausgehenden Mittelalter neue Formen der Herrschaft entwickelt hatte. Diese «Vogtei» ergänzte sich mit der grundherrschaftlich-niedergerichtlichen Komponente von «Gebot und Verbot» als der Grundlage des Gesetzgebungs- und Verordnungsrechts. Hervorgegangen waren «Gebot und Verbot» aus der «Twing- und Banngewalt» des mittelalterlichen Grundherrn, aus der Weisungsbefugnis der Schirmherrschaft und aus dem Aufsichtsrecht des Stadt- und Marktherm. Aus vogteilichem Gebot und Verbot aber entwickelte sich seit den Reichspolizeiordnungen des sechzehnten Jahrhunderts unter dem Einfluß der zentralistischen Staatsrechtslehren Frankreichs und auch der modernen Volkswirtschaftliehen Theorien das neue Gesetzgebungs- und Verordnungsrecht des Landesfürsten mit dem Recht der öffentlichen Bekanntmachung. Hieraus erwuchs weiterhin der ganze Komplex der «Polizey», d. h. der weite Bereich der inneren Verwaltung mit den strengen Aufsichts- und Konzessionsrechten für das ganze Wirtschaftsleben. Mit der allumfassenden Polizei, für die Johann Jodokus Beck, der hervorragende fränkische Staatsrechtslehrer des achtzehnten Jahrhunderts, den Begriff der «unmittelbaren vogteiliehen Obrigkeit»1 2 prägte, war der Aufgabenkreis des sich nun entfaltenden Obrigkeitsstaates weitgehend umrissen. Zur Jurisdiktion und zur Administration kam den Landesherrschaften seit dem Augsburger Reichstag von 1500 auch die Ausmittlung der Reichsumlagen zu, die Leistung von Römermonat und Matrikelbeitrag. Mit dem Aufbau des Reichssteuerwesens und der Reichspolizeigesetzgebung wurden die unmittelbar zum Reich gehörigen Stände genau festgelegt, nämlich auf Fürsten, Grafen, Herren und reichsfreie Städte und Ritter, wobei letztere allerdings nicht die Reichsstandschaft besaßen, wohl aber dem Reichsoberhaupt unmittelbar zugeordnet waren. Diesen nun genau fixierten Reichs1 Hofmann, Adelige Herrschaft 48 f., bes. Anm. 17. Im Ansbachischen, Bayreuthischen und Nümbergischen ist die Bezeichnung «Fraisch» für die Hochgerichtsbarkeit üblich, während in den Hochstiftem Würzburg und Bamberg vorrangig «Cent» verwendet wurde. 2 J. J. Beck, Tractatus de jurisdictione vogteica immediata, Von d. onmittelbaren vogteiliehen Obrigkeit wie sie heutigen Tages in

Francken, Schwaben u. anderen unbeschlossenen Reichslanden v. denen Immediatvogteiherren über deren vogteil. Untertanen exerciert zu werden pflegt, 1738; Ders., Praxis aurea de jurisdictione superiori, criminali et centena, vulgo von d. Ober-Gerichtsbarkeit, Centgericht, hohen Malefiz- oder fraißlichen Obrigkeit u. Blutbann, 1730.

§ 44■ Die «Staatlichkeit» in Franken (R. Endres)

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ständen kam die Steuerhoheit und das Steuerwesen zu, das schließlich zum Hauptmerkmal der landesherrlichen Gewalt in den kleineren Reichsterritorien wurde. Zur Steuerhoheit trat als weitere wesentliche Komponente die Wehrhoheit. «Den inneren Landfrieden schützen in Franken die wehrfähigen Ausschüsse der Blutgerichtssprengel, der Centen; den äußeren Frieden aber garantiert die reichsständische Wehrhoheit mit Leistungs- und Abgabepflicht, mit Reis, Robot, Steuer, Musterung».1 Eine weitere Verstärkung erfuhr die Herrschaftsbildung der Grundherrschaften durch die Reformation. Wo es kein «Land» gab, konnte auch der bekannte Grundsatz «Cuius regio, eius religio» nicht wirksam werden.1 2 Die Reformation ging in Franken vielmehr von dem Patronatsrecht über Pfarreien und von der Vogtei über Klöster und Stiftungen aus, war also unabhängig von irgendwelchen territorialen Grenzen. Die reformatorische Bewegung übergab den größeren und kleineren Herrschaften das «ius circa sacra» und den reichsunmittelbaren Landesherren das neue «ius episcopale et consistoriale», also die volle Kirchenhoheit. Weiterhin aber brachten die reformatorischen Säkularisationen, auch in altgläubigen Territorien, den Landesherrschaften mit dem reichen Kirchen- und Klostergut das gesamte Kultus- und Sozialwesen zu. Die gegenreformatorischen Spannungen und Auseinandersetzungen schließlich hatten die Straffung und Konzentration der staatlichen Kräfte im Gefolge, wobei die vom Luthertum metaphysisch untermauerte «christliche Obrigkeit» die Unter- und EinOrdnung der Untertanen in den Staat ideell vorbereitet hatte. Nach der Entmachtung der bäuerlichen Gemeinde durch den frühneuzeitlichen Territorialstaat erlangte mit der Unterdrückung der genossenschaftlichen Dorfgerichte (Rüg- oder Ehehaft-Gerichte3) die Dorf- und Gemeindeherrschaft (s. u. 466f.), eine Sonderentwicklung der Vogtei, in Franken eine besondere Bedeutung. Als Jurisdiktion zu Dorf, Feld und Gassen und als Kontrolle der Selbstverwaltung und des dörflichen Wirtschaftslebens wurde sie in Franken das auffallendste Zeugnis der Landeshoheit.4 Zumeist, wenn auch nicht generell, konnte der stärkste Grund- und Vogteiherr im Dorf auch die Dorf- und Gemeindeherrschaft durchsetzen, manchmal auch nur alternierend mit anderen Vogteiherren oder kumulativ. Ergänzt und abgerundet wurden die bisher genannten wesentlichen Staatsgrundrechte durch die verschiedenen Regalien, wie Wildbann, Forsthoheit, Zoll und Geleit, Bergrecht, Marktrecht und Judenschutz; unbedingt notwendig waren sie jedoch für die Landeshoheit nicht. Sinnfälliger Ausdruck der Landeshoheit war die Erbhuldigung der Untertanen vor dem Landesherm. Die Huldigung ist an sich ein Relikt des mittelalterlichen Lehensrechts, doch das Lehenrecht war schon im sechzehnten Jahrhundert zur leeren Form erstarrt; das bäuerliche Lehen war bei der allgemein in Franken vorherrschenden Erbzinsleihe zu einem entpersönlichten Annex der Grundherrschaft geworden, zu einem bloßen Einsetzungsrecht. Entscheidendfür die Beurteilung der «Staatlichkeit» in Franken aber ist, daß all diese 1 Bosl, Staatlichkeit (s. o. 349) 14. 4 R. Endres, Ländl. Rechtsquellen als sozial2 Vgl. Hofmann (s. u. 427 Anm. 1). gesch. Quellen (Dt. ländl. Rechtsquellen, hg. 3 Vgl. hierzu HAB Eichstätt (G. Hirsch- v. P. Blickle) 1977. mann) 49-53.

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Franken: D. II. Staat und Gesellschaft. Zweiter Teil: 1§00-1800

Rechts- und Herrschaftskreise nicht klar geschieden nebeneinander bestanden, sondern sich verschränkten, vermischten und überschnitten. Damit galt in Franken, wie auch in Schwaben und am Rhein, also im «Reich», das Prinzip des «territorium non clausum»,1 das Territoriengewirr in Gemengelage, das erst durch die revolutionären Eingriffe Hardenbergs und Montgelas’ zu einer «bereinigten Ackerflur» wurde. Während in anderen Gegenden Deutschlands der spätmittelalterliche Landesstaat durch die Übernähme neuer Aufgaben bis zum absolutistischen Polizei- und Verwaltungsstaat heranwuchs, blieb in Franken diese Entwicklung auf halbem Weg stecken. Die volle Gebietshoheit und auch der moderne Staatsaufbau konnten sich nicht durchsetzen. Vielmehr gründete sich die landesherrliche und landesfürstliche Gewalt, die potestas territorialis, in Franken auf die höhere Vogtei oder Obervogtei der reichsimmittelbaren Stände über mittel- und unmittelbare Untertanen, auf die «Territorialjurisdiktion», wie es im Sprachgebrauch der Zeit heißt. Da also die Staatlichkeit in Franken mit der Obervogtei letztlich auf der bevogteten Grundherrschaft basierte, mußte sie konsequenterweise ungeschlossen bleiben und konnte nur die Form eines «institutionellen Personenverbandsstaates»2 ausbilden. Kernstücke der Landeshoheit in Franken waren also neben der abgestuften Gerichtsbarkeit die allumfassende Polizei und das Gesetzgebungs- und Verordnungsrecht, verbunden mit Steuer- und Wehrhoheit, dem Kennzeichen der Reichsunmittelbarkeit. Ergänzend fielen meist die anderen landesherrlichen Regalien dem modernen Obrigkeitsstaat zu, fast immer auch die höchste Episkopal- und Kirchengewalt mit der Aufsicht über Schul- und Erziehungssachen. Der allgemeine Wandel von der personal bezogenen spätmittelalterlichen Landesherrschaft über die Obrigkeit bis zur «verflächten» Hoheit schlug sich auch in einem Wandel der Terminologie nieder: aus dem «ius territoriale» wurde die «superioritas» (Obrigkeit) und seit 1648 die «superioritas territorialis» (Landesobrigkeit) oder «Territorialsuperiorität» der Reichsstände, für deren weiterentwickelte Form sich seitJohann Jakob Moser der Begriff «Landeshoheit» durchsetzte.3 In den «ungeschlossenen Territorien» des «Reichs» aber konnte sich eine solche Hoheit nicht über Gebiete erstrecken, konnte sich der Flächenstaatsgedanke nicht durchsetzen. «In Franconia non est ius, sed observantia»,4 galt als Grundsatz, der jedoch den Denkkategorien des achtzehnten Jahrhunderts widersprach, die auf einen rationalen Staatsaufbau hinzielten, so daß Ritter von Lang schließlich feststellen konnte: «Die Landeshoheit geht von keinem vernünftigen Prinzip aus, aber sie geht auf eines hin».5 1 Hofmann, Adelige Herrschaft 11. In der Privilegienbestätigung Ferdinands I. für Nümberg von 1559 werden die in Franken vorherrsehenden Verhältnisse folgendermaßen ausgedrückt: «daß am Nordgau, im Land zu Franken und sonderlich in den Gegenden allenthalben um Nürnberg mancherlei Herrschaft Leut und Güter durcheinandergemenget und gemischt seien und je eine Herrschaft in der anderen hohen fraißlichen peinlichen Malefizobrigkeit Leut und Güter haben, auch daselbst von alters je allweg und noch also gehalten, herkommen und gebraucht, daß ein jede Herrschaft auf ihr

und der ihren Leut, auch derselben Güter, alle niedere Gerichtsbarkeit, Frevel, Straf, Gebot, Verbot und Herrlichkeit, auch Steuer, Anlag, Dienst, Fron, Reis, Umgeld hat, unverhindert, ob dieselben in eines andern hohen Malefizoberkeit wohnen, sitzen und gelegen», v. Wölckebn, Historia Norimbergensis diplomatica, 1738, nr. 446. 2 Hofmann, Grenzen (s. o. 193) 36. 3 Hofmann, Adelige Herrschaft 62 f. (Lit.). 4 Beck (s. o. 350) Vorrede zu Tractatus. 3 Zitiert bei Hofmann, Adelige Herrschaft 69.

§ 45· Die geistlichen Fürstentümer (R. Endres)

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§45. DIE GEISTLICHEN FÜRSTENTÜMER

Quellen. J. P. Ludewig, Geschicht-Schreiber v. dem Bischoffthum Wirtzburg, 1713; Des Hochlöbl. Stiffts Würtzburg u. Hertzogthums zu Francken Kayseri. Land-Gerichts-Ordnung .. 1733; L Gropp, Collectio Novissima Scriptorum et Rerum Wirceburgensium..4 Bde., 1741/50; Sammlung d. hochfürstl.-wirzburg. Landesverordnungen, hg. v. Ph. Heffner, 3 Bde., 1776/1802; Des Kayseri. Hochstifts u. Fürstenthums Bamberg verfaßtes Land-Recht, 2 Teile, 1769; Μ. Pflaum, Entwurf z. neuen Bambergischen peinlichen Gesetzgebung, 17932, vgl. hierzu A. Sagstbtter, Der Pflaumsche Entwurf z. neuen Bambergischen peinlichen Gesetzgebung v. 1792 (BHVB 90) 1951, 1-91; Vatikan. Quellen s. u. 433 Anm. 2; Quellen z. Gesch. d. Barocks in Franken (s. u. 764). - Literatur. Schnürer, Kath. Kirche (s. u. 1389); Veit-Lenhart, Kirche u. Volksfrömmigkeit im Zeitalter d. Barock, 1956; H. Jedin, Die Reichskirche d. Schönbomzeit (Trierer Theolog. Zschr. 65) 1965, wiederabgedr. in: H. Jedin, Kirche d. Glaubens, Kirche d. Gesch., 1966, I 4558^4‫ ;־‬P. Wende, Die geistl. Staaten u. ihre Auflösung im Urteil d. zeitgenöss. Publizistik (Hist. Stud. 396) 1966; Η. E. Feine, Die Besetzung d. Reichsbistümer vom Westfäl. Frieden bis z. Säkularisation 1648-1803 (Kirchenrechtl. Abh., hg. v. U. Stutz, 97, 98) 1921, Nachdr. 1964; Ders., Kirchl. Rechtsgeschichte I: Die kath. Kirche, 19644; Zoepfl (s. u. 505); Reuter (s. ebd.); H. Rössler, Die Fränk. Bistümer (Rößler) 36-61; J. v. Sartori, Geistl. u. weltl. Staatsrecht d. deutschen kath. geistl. Erz-, Hoch- u. Ritterstifter, 4 Bde., 1788/91; Η. H. Hofmann, Ständische Vertretungen in Franken (JffL 24) 1964, 111-118. Bamberg. Pfeufer (s. u. 1461); F. A. Schneidawind, Versuch einer Statist. Beschreibung d. kaiserl. Hochstifts Bamberg, 1797; Roppelt (s. u. 1461); Jäck (s. ebd.); J. H. Jäck, Pantheon d. Literaten u. Künstler Bambergs, 1812/15; Ders., Zweites Pantheon d. Literaten u. Künstler, 1843; Looshorn V-VII; A. Eckstein, Gesch. d. Juden im ehern. Fürstbistum Bamberg, 1890; Μ. Lingc, KulturGesch. d. Diösese u. Erzdiözese Bamberg, 1900 (beruht auf Visitationsprotokollen des 17.Jhs.); A. Altmann, Der Staat d. Bischöfe v. Bamberg, 1906; H.-J. Schmitt, Die geistl. u. weltl. Verwaltung der Diözese u. des Hochstifts Bamberg z. Zt. des Bisch. Weigand v. Redwitz (BHVB 106) 1970; Wild, Lothar Franz v. Schönbom (s. o. 231); Ders., Staat u. Wirtschaft (s. u. 525); F. Hartung, Das Zeitalter d. Absolutismus im Fürstentum Bamberg (Deutsche Geschichtsbll. 9) 1908, 119-133; K. Geyer, Die öffentl. Armenpflege im kaiserl. Hochstift Bamberg mit bes. Berücksichtigung d. Stadt Bamberg, 1909; W. Güssregen, Die Wehrverfassung d. Hochstifts Bamberg im 18. Jh., 1936; Hofmann, Außenbehörden (s. o. 275); Ders., Dorfverfassung (s. u. 456); H. Puff, Zur Verfassungsgesch. d. fürstbischöfl.-bamberg. Amts Senftenberg-Eggolsheim, 1939; Morunghaus (s. u. 525); G. Neundörfer, Die Obergerichted. Hochstifts Bamberg im 18. Jh., 1939; Neukam, Territorium (s. o. 275); Ders., Einleitung zu: Staatsarchiv Bamberg. Rechnungen d. Hochstifts Bamberg (Bayer. Archivinventare 6) 1956; Ders., Der Übergang d. Hochstifts Bamberg an d. Krone Bayern 1802/03 (Winkler) 243-291 ;Meyer, Lothar Franz v. Schönbom (s.u. 370); K. Heinold-Fichtner, Die Bamberger Oberämter Kronach u. Teuschnitz, Territorialgeschichtl. Untersuchungen (Sehr. d. Inst. f. tränk. Landesforsch. 3) 1951; Kist; W. Kern, Die Finanzwirtschäft d. Hochstifts Bamberg nach d. Dreißigjähr. Kriege 1648-1672, Diss. Erlangen 1967; Weigel, Wahlkapitulationen (s. o. 275); Bachmann (s. o. ebd.); E. Μ. Weber, Bamberger Hofleben im 18. Jh., 1939; Leitschuh, Erthal (s. u. 448 Anm. 2); N. Konrad, Franz Ludwig v. Erthal, Fürstbischof v. Würzburg u. Bamberg 1779-1795. Ein Organisator d. Volksschule d. Aufklärung, 1932; Kramer (s. u. 441 Anm. 2). Würzburg. Wendehorst, Würzburg; Schöpf (s. u. 1461); Abert (s.o. 274); F. Knapp, Die Zenten d. Hochstifts Würzburg, 2 Bde., 1907; Helmes, Würzburger Truppen (s. o. 231);Schmidt (s. o. ebd.); S. Merkle, Würzburg im Zeitalter d. Aufklärung (AKG 11) 1914,166-195; wiederabgedruckt in: Merkle, Ausgew. Reden u. Aufsätze (QFGHW 17) 1965, 421-441 (gründlegend); W. Liese, Reform u. Blüte d. öffentl. Wohlfahrtspflege in d. Fürstentum Würzburg u. d. Hochstift Bamberg unter Fürstbischof Franz Ludwig v. Erthal 1779-1795 (Sociale Kultur 39) 1919, 209-240; F. Heinrich, Das fürstl. würzburg. Gebrechenamt. Ein Beitr. z. Organisation d. Zentralbehörden im Hochstift Würzburg vom Beginn d. 16. Jhs. bis z. Säkularisation (AU 68) 1929, 1-142; Scherf (s. u. 767 Anm. 3); H. Ssymank, Fürstbischof Adam Friedrich v. Seinsheims Regierung in Würzburg u. Bamberg 1755-1779, Diss. Masch. Würzburg 1939; v. Freeden, Würzburgs Residenz (s. u. 764); Ders., Kunst u. Künstler (s. u. 765 Anm. 1); Abert (s. u. 764); W. Engel, Mainfranken in seiner geschichtl. Entwicklung (Mainfr. Heimatkunde 2) 1950; aj HdBGIII, 1

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Franken: D. II. Staat und Gesellschaft. Zweiter Teil: 1500-1800

W. Schwaecermann, Der Staat d. Fürstbischöfe v. Würzburg um 1700 (Mainfr. Jb. 3) 1951, 330334‫ ;־‬Renner, Erthal (s. u. 448 Anm. 2); Domarus; H. Flurschütz, Die Verwaltung d. Hochstifts Würzburg unter Franz Ludwig v. Erthal 1779-1795 (VGffG, R. IX 19) 1965; Schubbrt, Landstände; Goy (s. u. 440 Anm. 7); Μ. Renner, Franz Ludwig v. Erthal 1730-1795 (Fränk. Lebensbilder 1) 1967, 286-312; v. Freeden, Reiche d. Schönbom (s. u. 370); G. Lohmeier, Adam Friedrich v. Seinsheim, Fürstbischof v. Würzburg, Herzog in Franken (ebd.) 259-268. Eichstätt. J. Sax, Versuch einer Gesch. d. Hochstifts u. d. Stadt Eichstätt, 1858; Ders.; Brugcaier (s. o. 275); Sax-Bleicher; E. Bauernfeind, Die Säkularisationsperiode im Hochstift Eichstätt. .. 1790-1806 (Histor. Forsch, u. Quellen 9) 1927; E. Buckl, Josef Graf v. Stubenberg, der letzte Fürstbischof v. Eichstätt, Diss. München 1948 (in Fortsetzungen abgedr. in «Heimgarten», Heimatbeilage d. Eichstätter Volkszeitung ab Jg. 1950-Jg. 1954); Buchner, Schulgeschichte; HAB Eichstätt. Beilngries-Eichstätt-Greding (G. Hirschmann).

Die innere Entwicklung und Geschichte der drei geistlichen Fürstentümer des Fränkischen Kreises nach 1648 war bestimmt von zwei Merkmalen: einmal vom Versuch, einen modernen, absolutistisch regierten Staat aufzubauen, ähnlich den großen weitliehen Territorien; zum anderen von den Auseinandersetzungen der Bischöfe mit ihren Domkapiteln, die sich gegen den angestrebten fürstlichen Absolutismus zur Wehr setzten. Bei den Auseinandersetzungen zwischen dem Bischof als dem Landesherm und der Korporation der Domherren ging es letztlich um die Macht in den geistlichen Wahlstaaten. Durch die Wahlkapitulationen, deren detaillierte Bestimmungen jeder neugewählte Bischof noch vor der Besitzergreifung des Hochstifts unterzeichnen und beschwören mußte, war die Stellung und die Macht des geistlichen Fürsten empfindlich eingeschränkt. Der Bischof erscheint so nie als völlig absoluter Souverän, sondern er war stets auf die Mitregierung der Domkapitulare angewiesen, die sich seit dem Dreißigjährigen Krieg sogar «condomini» und «conregnantes» nannten. Ursprünglich hatten dem Bischof der Adel, die Prälaten der Klöster und Stifter, das Domkapitel und die Vertreter der Städte und Märkte und des flachen Landes als «Landschaft» gegenübergestanden. Doch während des allgemeinen Umbruchs der Renaissance schied der weitgehend protestantisch gewordene Adel durch die vom Kaiser geförderte Verselbständigung aus dem geistlichen Territorialverband aus und wurde selbst zum Landesherm im Rahmen der Kreise und Kantone der reichsfreien unmittelbaren Ritterschaft. * Seit der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts waren daher die «Landtage» nur noch von den Prälaten und Vertretern der Bürger und Bauern, d. h. zumeist den zuständigen Amtsleuten u. den Bürgermeistern der Städte beschickt.2 Geistlichkeit und «Landschaft» aber standen in zu enger Bindung zum Bischof, um einen echten Dualismus tragen zu können. Ihre Kompetenz erstreckte sich fast ausschließlich auf die Steuerbewilligung, die sie dann während der außergewöhnlichen Notzeiten des Großen Krieges oder kurz danach auch noch ver* Dabei wurde der Bischof auch weiterhin aus dem katholisch verbliebenen Adel gewählt. Um die durch die Reformation entstandene Lücke auszufüllen, kamen entweder auswärtige Familien nach Franken, wie z. B. die Schönbom, oder es wurden sogar landsässige Familien

in die Domkapitel aufgenommen, wie z. B. die Stadion. 2 In Bamberg nahm die Ritterschaft 1560 zum letzten Mal an einem allgemeinen Landtag teil und in Würzburg 1566. S. u. 382.

§ 45· Die geistlichen Fürstentümer (R. Endres)

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loren. So beharrte in Bamberg der energische Voit von Rieneck (1653-72) auf den 1652 genehmigten Steuern,1 berief keine weiteren Landtage mehr ein, verbot alle eigenmächtigen Beratungen und sperrte aufbegehrende Prälaten einfach ein. Nach der Ausschaltung der Landstände erlangten daher die Domkapitel als Gegenpol zu dem nach fürstlichem Absolutismus strebenden Landesherm eine um so größere Bedeutung. Aufgrund der Wahlkapitulationen, die seit dem dreizehnten Jahrhundert systematisch erweitert worden waren, kam dem Kapitel seit etwa der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts eine institutionelle Teilhabe am Regiment des Stifts zu. Das Domkapitel stellte die engsten Berater des Bischofs, besetzte die wichtigsten Staatsstellen, die Präsidenten und Vizepräsidenten in den Oberbehörden; es war zur Steuerkontrolle und zur Finanzaufsicht befugt, besaß die Oberaufsicht im Forstwesen, wachte über das Lehenswesen und die landesherrliche Gesetzgebung und beanspruchte ein Mitbestimmungsrecht bei der Ernennung der Beamten und beim Abschluß von Bündnissen, bei Fehden, Krieg und Heerfahrten und der Aufstellung von Truppen. Neben dem Bischof beanspruchte es sogar die Erbhuldigung der Untertanen, wie ihm unbestritten die Handhabung der Stiftsverwaltung bei Sedisvakanz zustand. Im Jahr 1596 wurden in Bamberg sogar alle bischöflichen Erlasse für ungültig erklärt, die nicht die Zustimmung des Domkapitels besaßen. Diese in den Wahlkapitulationen manifestierte entscheidende Teilhabe des Domkapitels an der Staatsgewalt war jedoch in der Praxis abhängig von der Persönlichkeit, von der Härte oder Schwäche des jeweiligen Bischofs, praktisch von der Frage, inwieweit er sich an die unterschriebenen Bestimmungen gebunden fühlte oder durch geschicktes Verhandeln oder entsprechende Machtansprüche seinen eigenen unabhängigen Regierungsstil durchzusetzen vermochte. So schoben in Würzburg schonJulius Echter2 und vor allemJohann Philipp von Schönbom das Domkapitel beiseite, wobei letzterer auf seine überragende Machtstellung als Kurfürst und Kurerzkanzler zurückgreifen konnte. Der überaus energische Peter Philipp von Dernbach (1672/75-83) nützte die Bedrängnis durch die Raubkriege Ludwigs XIV. geschickt aus, setzte Steuern ohne Befragen der Landstände und des Domkapitels an und ließ 1677 den Anspruch des Kapitels auf Mitregierung durch den Kaiser für rechtswidrig erklären.3 Nach seinem Tode setzten sich die Domkapitel beider Mainbistümer einfach über den kaiserlichen Spruch hinweg und erneuerten ihre Ansprüche gegenüber schwachen Bischöfen. Doch Johann Gottfried von Guttenberg focht den Kampf mit dem Würzburger Kapitel durch und erreichte in der «Innocentiana» (1695) und der «Leopoldina» (1698) das generelle Verbot der Wahlkapitulationen durch Papst und Kaiser. Allerdings blieben auch danach Konflikte mit dem Domkapitel nicht aus, das nun «Projekte» als Ersatz für die Kapitula1 Unterstützung fand hierbei der Bischof bei § 180 des Jüngsten Reichsabschieds von 1654, der die Steuerpflicht der Landstände über den Bereich der Reichs- und Kreishilfen hinaus auch auf die Aufgaben ausdehnte, die bisher dem Landesherm allein oblagen. Selbstverständlieh suchten die Fürsten, diese Bestimmung noch weiter zu ihren Gunsten auszudehnen. 23‫׳‬

K. Lohmann, Das Reichsgesetz vom Jahr 1654 über d. Steuerpflichtigkeit d. Landstände, 1893. 2 1583 entmachtete Julius Echter die Obereinnahme und zog die Steuer direkt zur bischöflichen Kammer. 3 G. Wunschel, Die Außenpolitik Peter Philipp v. Dernbachs, Bischofs v. Bamberg u. Würzburg, Diss. Masch. Erlangen 1970.

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tionen vorlegte. Jedoch konnten in Franken die Schönbom mit ihrem massiven Nepotismus, ihrer beherrschenden Stellung in der Reichskirche und mit ihrem privaten Reichtum den Einfluß der Kapitel weitgehend zurückdrängen. Die vor den Reichsgerichten ausgefochtenen Auseinandersetzungen Friedrich Karls mit dem Bamberger Kapitel - Bamberg hinkte oft hinter Würzburg hinterher - fanden schließlich 1748 einen Ausgleich, wobei auch weiterhin wichtige Rechte dem Domkapitel verblieben, so daß sich der fürstliche Absolutismus weder in Bamberg noch in Würzburg völlig durchsetzen konnte. Gänzlich unberührt von irgendwelchen inneren oder äußeren Einflüssen blieb das Mitregiment des Domkapitels in Eichstätt, das alle Schlüsselpositionen des Hochstifts fest in Händen hielt. Da der eingesessene Stiftsadel seit dem Sechzehntenjahrhundert praktisch vom Fürstbischof und dem Domkapitel aufgekauft worden und der südfränkische Adel zur Reformation übergetreten war, mußte man den fehlenden Nachwuchs für die Domherrenstellen von auswärts holen, und zwar hauptsächlich aus der Diözese Augsburg, aus dem Elsässischen und aus dem Habsburgischen.1 Dagegen verwehrte man dem bayerischen Adel den Zutritt, da man dem Kurfürsten keine Einflußmöglichkeiten geben wollte. Die größeren Schwierigkeiten beim Aufbau eines modernen absoluten geistlichen Staates erwuchsen nicht einmal so sehr aus dem Widerstand der Domkapitel als vielmehr aus der inneren Zersplitterung, aus dem Fehlen innerer Geschlossenheit, was die angestrebte rationale Staatsorganisation sehr erschwerte und hemmte. Die Territorien der geistlichen Fürstentümer waren durchsetzt und durchlöchert von Grafschaften, von vielen reichsritterschaftlichen Besitzungen,12 von denen einige sogar mit Halsgerichtssprengeln ausgestattet waren (Aufseß,3 Wildenstein,4*Guttenberg), von zahlreichen Mediatbesitzungen der Domkapitel und in Bamberg auch des Dompropstes, der vielen Stifter und Stiftungen und der zahlreichen Klöster, die alle als eigene «Staatskörper»,’ als Unterlandesherrschaften mit Steuerhoheit und Vogtei, als selbständige «Staatlichkeiten» in den Hochstiftem lagen.6 Diese innere Uneinheitlichkeit spiegelte auch die Verwaltungsorganisation und der Behördenaufbau wider. Im Hochstift Würzburg mit seinen 90 QMeilen und rund 1 So setzten sich im 18. Jh. unter tätiger Mithilfe des Kaisers die Österreich. Adelsgeschlechter der Strasoldo und Stubenberg durch. 2 Im Hochstift Bamberg gab es am Ende des 18. Jhs. trotz zahlreichen Lehenheimfalls noch 64 freie Rittergüter. 3 O. Frhr. v. u. zu Aufsess, Gesch. d. uradeliehen Aufseß’schen Geschlechtes in Franken, 1888, 381-386. 4 Μ. von Lerchenfeld, Die von Wildenstein und ihr Gericht zu Presseck (AO 16, H. 3) 1884, 30-89. ’ Bundschuh IV Sp. 61. 6 Im Hochstift Bamberg waren folgende Ämter «Staatskörper»: die dompropsteilichen Ämter Büchenbach, Burgellern, Döringstadt, Fürth, Maineck und das domkapitelischc Amt

Staffelstein; dann die Ämter Rattelsdorf und Frensdorf des Klosters Banz und die Kloster Langheimischen Ämter Langheim und Tarnbach. Sie strebten zeitweilig sogar, ähnlich der Reichsritterschaft, nach eigener Landeshoheit. Über die bis zur Säkularisation dauernden Auseinandersetzungcn zwischen Kloster Ebrach und dem Hochstift Würzburg um die Frage der Land- und Reichsstandschaft der Abtei s. die Schrift des letzten, sehr gelehrten, historisch u. verfassungsrechtlich versierten Abtes Eugen Montag über die Frage «ob der Abtei Ebrach in Franken das Prädikat Reichsunmittelbar gebühre . ..» 1786; J. Jäger Kloster Ebrach. Aus der Zeit des letzten Abtes E. Μ. u. der Säkul. des Klosters, 1922.

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250000 Einwohnern1 zählte man im achtzehnten Jahrhundert 54 Ämter, die jeweils von einem Keller oder Amtskeller verwaltet wurden, der richterliche, finanzwirtschaftliche und Verwaltungsaufgaben zu erfüllen hatte. Außerhalb dieser ÄmterOrganisation standen die Stadt Würzburg, die Juden und die Besitzungen des Domkapitels (2 Städte und 18 Dörfer), des Ritterstifts St. Burkard (4 Dörfer) des Stifts Haug (10 Dörfer), des Stifts Neumünster (2 Dörfer), der Universität (7 Dörfer), des Juliusspitals (13 Dörfer), der Jesuiten (2 Dörfer), des Domstifts (2 Dörfer), des Bürgerspitals (2 Dörfer) und der 15 Abteien, die, in ihren Rechten vielfach abgestuft, als «Staatskörper» alle nur mittelbar der Würzburger Regierung unterstellt waren. Es gab kaum eine klare Abgrenzung der Aufgabengebiete der einzelnen Behörden, was zu ständigen Kompetenzkonflikten führte. Für die Zentgerichtsbarkeit existierte eine gesonderte gerichtliche Organisation, wobei die 50 Zentsprengel keineswegs mit den Ämtern zusammenfielen. Die Juden hatten ihre eigene Gerichtsbarkeit, wie sie auch als Nichtbürger eine eingeschränkte Selbstverwaltung wahmahmen; in allen wichtigen Angelegenheiten entschied der Judenamtmann, ein Mitglied der weltlichen Regierung in Würzburg. Noch mehr zersplittert und verworren war das Hochstift Bamberg, dessen Territorium man auf 65 QMeilen mit 150000 bis 195 000 Einwohnern schätzt. «Verwaltet und regiert» wurde das Hochstift am Ende des Alten Reichs von 54 Vogteiämtem, 24 Kastenämtem, 46 Steuerämtem und 29 Zentämtem; dazu kamen noch die Forstämter und die kirchlichen Verwaltungsbehörden. Diese Ämter überzogen keineswegs das Staatsgebiet in gleichförmigen Sprengeln, ganz abgesehen von den vielen Enklaven, vielmehr durchlöcherten und überschnitten sich die Verwaltungs-, Gerichts- und Steuersprengel, was auch die Ämterreformen der beiden Schönborn-Bischöfe, die für einen bestimmten Sprengel alle Befugnisse in einer Hand vereinigen wollten, nicht einschneidend ändern konnten. Selbst die Residenzstadt Bamberg mit ihren verschiedenen Immunitäten konnte erst im recessus perpetuus von 1748 zu einer Verwaltungseinheit zusammengefaßt werden. Rationaler und in den Kompetenzen klarer abgegrenzt als auf der unteren Ebene waren die Zentralbehörden gegliedert, Mittelbehörden existierten nicht. Die Staatsspitze war, mit etwas variierenden Namen und Formen, in allen drei Bistümern gleich. Vorbild der Organisation der Zentralbehörden war Österreich bzw. die Verwaltung des Reichskammergerichts. Die Regierungsspitze wurde durch drei Kollegien gebildet: den Hof- oder Regierungsrat, die Hofkammer und den Geistlichen Rat. Die geistliche Regierung mit dem Vikariat und dem untergeordneten Domdechaneigericht bestand völlig unabhängig neben der weltlichen Regierung und Staatsverwaltung. * Die «Regierung», die für Verwaltung und Justizangelegenheiten gleichermaßen zuständig war und sie einheitlich zusammenfaßte, setzte sich etwa gleich stark aus adligen wie bürgerlich-gelehrten Regierungs-, Hof- oder Geheimen Räten zusammen unter12 1 W. Schwasgebmann (s. o. 354) gibt für die Zeit um 1700 rund 170000 mittelbare und unmittelbare Untertanen an. 2 Vgl. hierzu H. Straub, Die geistl. Gerichts-

barkcit d. Domdekans im alten Bistum Barnberg v. d. Anfängen bis z. Ende d. 16. Jhs (MThStud. ΙΠ 9) 1957.

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der Leitung des Regierungspräsidenten, der vom Domkapitel gestellt wurde.1 Der Zuständigkeit der Regierung waren unterstellt als verschiedene Senate das Hofgericht als oberste Appellationsinstanz für Zivilsachen, das Malefizamt für KriminalSachen und der Lehenshof für die Lehensangelegenheiten. Daneben bestanden noch weiterhin die alten «kaiserlichen Landgerichte» in Würzburg und Bamberg,2 diejedoch sehr viel von ihrer ursprünglichen Bedeutung eingebüßt hatten und sich schließlich nur noch auf Leumundklagen, Erbschafts- und Vormundschaftsangelegenheiten und Einkindschaften erstreckten. Das Finanzwesen hatte schon sehr früh in der Hofkammer eine eigene Behörde erhalten, die die Kameralgefälle, die Domanialeinkünfte und die Einnahmen aus den Regalien zusammenfaßte, während für die Staatssteuem und die Matrikularbeiträge als Zentralamt Ende des sechszehntenJahrhunderts die Obereinnahme geschaffen worden war. Verständlicherweise baute der Fürst die Stellung der Hofkammer gegenüber der Obereinnahme aus, da die Obereinnahme vom Kapitel kontrolliert wurde, während auf der Hofkammer seine Finanzherrschaft beruhte. Zu den genannten Oberbehörden traten von Fall zu Fall Spezialkommissionen, wie z. B. eine Polizeikommission oder eine Schulkommission. Über all diesen Kollegialbehörden stand die Geheime Hofkanzlei oder das Geheime Kabinett mit dem Geheimen Referendar bzw. dem Hofkanzler an der Spitze. Zwischen die fürsdiche Kanzlei, von der alle Anweisungen ausgingen, und die übrigen Behörden schob sich schließlich noch die Geheime Staatskonferenz oder der Geheime Staatsrat ein, ein Kollegium, das zunächst vom Fürsten nur bei wichtigen Angelegenheiten eigens einberufen wurde, später aber auch eine Art Kontrollfunktion gegenüber dem absolutistisch regierenden Fürsten wahrnahm. Trotz der fehlenden Trennung von Justiz und Verwaltung wiesen die oberen Instanzen doch eine einigermaßen rationale, überschaubare Regelung auf, während dies auf der unteren Ebene, wie gezeigt, nicht der Fall war. Die Schönbom-Bischöfe und ihre Nachfolger versuchten zwar die Zentralisation und Vereinheitlichung des Staates, ein neuer Staatsaufbau wie in einigen protestantischen Territorien gelang ihnen jedoch nicht. Mit Hilfe eines neuen, gut ausgebildeten, geprüften Berufsbeamtentums aus meist landfremden Adligen und einheimischen Bürgerlichen konnten sie einige wichtige Reformen durchführen, wie die Steuerreform 1716 oder die Landgerichtsordnungen in Bamberg von 1707 und 1769 und in Würzburg 1720, doch fehlte es an der nötigen Unterstützung aller Unterbeamten und der Bevölkerung, um eine noch größere Straffung, Rationalität und Effektivität zu erreichen. So konnte die Omnipotenz des Staates in den Wahlfürstentümem nicht übertrieben werden. Erst Bayern brachte eine einheitliche Administration mit klaren Kompetenzen und eine Vereinfachung des Instanzenzuges. 1 Siehe hierzu auch Μ. H. Schuberth, Hist. Versuch über d. geistl. u. weltl. Staats- u. Gerichtsverfassung d. Hochstifts Bamberg, 1790, mit Nachträgen 1792.

2 Vgl. O. Rieder, Das Landgericht an dem Roppach in neuer urkundl. Beleuchtung mit Exkursen über andere Landgerichte (BHVB 57) 1896, ι-no; Merzbacher.

§ 4S■ Die geistlichen Fürstentümer (R. Endres)

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Gemäßigt waren so auch die merkantilistischen Tendenzen (s. u. § 60) der geistlichen Fürstentümer. Dem Zuge der Zeit folgend war die innere Politik der Hochstifte auf die Ausbildung eines aufgeklärten Wohlfahrtsstaates ausgerichtet. Während Johann Philipp von Schönborn zunächst die tiefen Schäden des Großen Krieges zu beseitigen und zu überwinden hatte,1 gingen seine Nachfolger auf eine systematische Förderung der Wirtschaft nach kameralistischen Grundsätzen aus. Vor allem mußte die Landwirtschaft gefördert werden, denn die Hochstifte waren überwiegend Agrarstaaten, wozu Lothar Franz von Schönbom eine großangelegte Getreideschutzpolitik betrieb und den Obst- und Weinbau förderte. Weiterhin kam es vor allem unter Erthal zu einer sinnvollen Verbesserung der Bodenbewirtschaftung. Zusätzlich wurde durch die Aufteilung von Gemeinbesitz und durch Kultivierung von Ödflächen die Emährungsbasis erweitert. Sehr begrüßt wurde von der Landbevölkerung die Verminderung des Wildbestandes, wodurch die außerordentlich hohen Flurschäden eingedämmt wurden.12 Die systematisch gepflegte Forstwirtschaft ermöglichte die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Brenn- und Nutzholz und reichen Export.3 Mit der Förderung des Handels gingen Verbesserung des Durchgangsverkehrs und Straßenbau Hand in Hand. Unter Friedrich Karl von Schönbom und Adam Friedrich von Seinsheim wurden die ersten Kunststraßen angelegt, besonders durch den Spessart, und in Eichstätt war es der fortschrittliche Raimund Anton von Strasoldo, der großzügig Chausseebauten anlegen ließ. Die Mainschiffahrt - der Main war bis Bamberg schiffbar - wurde verstärkt ausgebaut, nicht zuletzt zugunsten der Flößerei; mit den Nachbarn wurden entsprechende Münz-, Zoll- und Handelskonventionen getroffen. Um den einheimischen Händlern aufzuhelfen, wurden Vorkehrungen gegen Schwarzhändler und besonders gegen den jüdischen Handel getroffen. Im Handwerk kam es zum Kampf gegen das Pfuscherunwesen und zum Versuch einer allgemeinen Leistungssteigerung. Neben der Agrarwirtschaft gab es in den fränkischen Hochstiftem auch eine gewisse Industrie (s. u. 57). Für Bamberg verdienen hier besondere Erwähnung die Kärntner Besitzungen, die Erzgruben, Bleibergwerke, Schmelzhütten und Eisenhämmer aufwiesen; doch kamen deren Einkünfte hauptsächlich Kärnten zugute. Die Versuche von Lothar Franz, die Gruben bei Kupferberg wieder auszubeuten, scheiterten.4 Dagegen brachte der Ausbau der «Modebäder» Kissingen5 und Bocklet mehr Erfolg. Und doch brachte auch die gezielte Wirtschaftsförderung, die alle Kräfte des Staates mobilisieren wollte, nur halben Erfolg, denn die Bürger und Bauern waren mittel1 Nach rund einem Menschenalter waren in den geistlichen Territorien die materiellen wie Bevölkerungsverluste überwunden. Bis 1730 vermehrte sich die Bevölkerung um etwa 30%, um sich dann bis zur Säkularisation durchwegs zu verdoppeln. Bei den weltlichen Territorien dauerte die Überwindung der Schäden des Großen Krieges etwas länger, was auf die weniger straffe allgemeine Innenpolitik zurückzuführen ist, s. Mobunghaus (s. u. 525) 66 ff. 2 Vgl. J. Dietz, Jagdrechte im kaiserl. Hoch-

stift Bamberg, Diss. Masch. Erlangen 1922. 3 L. B. Hellmuth, Forstrecht im kaiserl. Hochstift Bamberg, Diss. Masch. Erlangen 1923■ 4 Haupt, Materialen z. Gesch. d. Bergbaues im ehern. Hochstift Bamberg (BHVB 30) 1867, 143-273. 9 H. Pfisteh, Bad Kissingen vor vierhundert Jahren (Mainfr. H. 19) 1954; E. G. Kbenig, Bad Kissingen. Bilder aus seiner Gesch. (Mainfr. H. 41) 1964.

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alterlichem Denken verhaftet und vor allem war durch die territoriale Zersplitterung, die keinen geschlossenen Wirtschaftskörper zuließ, jede moderne Wirtschafts- und Zollpolitik unmöglich. Vorzügliches leisteten die Fürstbischöfe auf dem Gebiet des Bildungswesens. (Über das Schulwesen und die Universitäten s. § 74, 78, über die Wissenschaftspflege s. § 72.) Entsprechend der in der Aufklärung liegenden starken Betonung der moralischen Aufgaben des Menschen, der vordringenden Toleranz und des empfindsamen Rufes nach humanitärer Betätigung nahm im achtzehnten Jahrhundert auch die Sozialpolitik einen weiten Raum ein. Schon unter Friedrich Karl war die Wohlfahrtsstaatliehe Tendenz deutlich erkennbar geworden, die im aufgeklärten Absolutismus der «geistlichen Polizeistaaten» 1 dann zum Prinzip erhoben wurde. Friedrich Karl errichtete ein Arbeitshaus und ein Armeninstitut, mit deren Hilfe er das Bettelunwesen zu beseitigen hoffte. Unter den aufgeklärten Kirchenfürsten suchte man die Quellen der Armut selbst zu beseitigen, indem man das Quartierwesen, die Arbeitsbeschaffung und die Neuaufnahme von Untertanen neu regelte. Zudem entstanden in den immer besser ausgestatteten Armeninstituten fast modern anmutende Organisationen zur umfassenden Betreuung der Bedürftigen,1 2 wenn auch so die Sozialstruktur der Länder nicht grundlegend geändert werden konnte. Das soziale Verantwortungsbewußtsein der Fürstbischöfe zeigte sich im Gesundheitswesen. Man nahm sich der körperlichen Ertüchtigung der Jugendlichen an, legte großen Wert auf die Ausbildung der Ärzte und aller in der Krankenpflege Tätigen, ging gegen die Kurpfuscher vor, baute die Heilstätten aus und errichtete die ersten allgemeinen Krankenhäuser. Neben den Kranken und Armen galt die besondere Fürsorge des Landesvaters den Witwen und Waisen, die durch eine eigens gegründete Witwen- und Waisenkasse finanziell abgesichert wurden. Hohe Beachtung verdienen auch die kirchlich-religiösen Leistungen (s. § 53) der durchwegs tief gläubigen und moralisch integren Kirchenfürsten. Ihre Eigenständigkeit und ihr hohes Selbstbewußtsein erwies sich auch im Verhältnis zu Rom (s. u. 444). Den meisten Ruhm brachte den geistlichen Fürstentümern in Franken im Zeitalter des Barock und Rokoko die Pflege der Kunst (s. u. § 82), die nicht umsonst dem ganzen Zeitabschnitt die Bezeichnung «Schönbomzeit» eintrug. Zum letzten Mal manifestierte sich indengeistliehen Staaten des achtzehntenjahrhunderts dieEinheit von Kunst, Religion undPolitik.3

§46. DIE REICHSSTÄDTE

Allgemein.].]. Moser, Reichsstättisches Handbuch, 2 Teile, 4 Bde., 1732; Ders., Von der reichstätt. Regimentsverfassung, 2 Bde., 1772; Ders., Reichsstätt. Magazin, 2 Bde., 1774/75, hierzu K. S. Bader, J.J. Moser u. d. Reichsstädte (Eßlinger Stud. 4) 1958,43-60;J. G. F. Jacobi, Geographie d. sämtl. Kaiserl. freien Reichsstädte in Teutschlands Kreisen, 1786; G. W. Hugo, Die Mediatisierung 1 G. v. Pölnttz, Johann Philipp v. Schönbom 1606-1673 (Nassauische Lebensbilder 2) 1943. 103■ 2 Vgl. J. F. Abert, Vorschläge Karl Theodor v. Dalbergs z. Verbesserung d. Armen-

polizei im Hochstift Würzburg 1779 (AU 54) 1912, 183-216. 3 Über die Unbegreiflichkeiten des Hexenwahns und der Hexenprozesse s. u. 435

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d. deutschen Reichsstädte, 1838; G. V. Schmid, Die mittelalterl. freien Reichsstädte Teutschlands, 1861; Bader, Reichsstädte (s. u. 1031 Anm. 5); Ders., Die oberdeutschen Reichsstädte im alten Reich (Eßlinger Stud. 11) 1965, 23-42; G. Pfeiffer, Der Augsburger Religionsfriede u. d. ReichsStädte (ZHVS 61) 1955, 213-231; B. Moeller, Reichsstadt u. Reformation (Sehr. d. Ver. f. Reformationsgesch. nr. 180, Jg. 69) 1962; O. Brunner, Souveränitätsproblem u. Sozialstruktur in d. deutschen Reichsstädten d. frühen Neuzeit (VSWG 50) 1963, 329-360 (abgedruckt O. Brunner, Neue Wege d. Verfassungs- u. Sozialgesch., 19682); O. F. Winter, Die Wiener Reichsbehörden u. d. fränk. Reichsstädte (JffL 24) 1964, 455-471; Ders., Die Gesch. d. oberdeutschen Reichsstadt aus d. Sicht d. Wiener Haus-, Hof- u. Staatsarchivs (Eßlinger Stud. 11) 1965, 166-183; Zorn, Reichsstädte (s. u. 1031 Anm. 4); Ders., Die polit, u. soziale Bedeutung d. Reichsstadtbürgertums im Spätmittelalter (ZBLG 24) 1961, 460-480; Deutsches Patriziat, Büdinger Vorträge 1965, hg. v. H. Rössler (Sehr. z. Problematik d. deutschen Führungsschichten in d. Neuzeit 3) 1967 (darin besonders E. Riedenauer, Kaiserl. Standeserhebungen f. reichsstädt. Bürger 1519-1740, 27-98); H. Rössler, Die Reichsstädte (Rößler) 105-126; O. Borst, Die Kulturbedeutung d. oberdeutsehen Reichsstadt am Ende d. alten Reiches (BlldLG 100) 1964, 159-246 (Revision des bisherigen Bildes); Ders., Zur Verfassung u. Staatlichkeit oberdeutscher Reichsstädte am Ende d. Alten Reiches (Eßlinger Stud. 10) 1964, 106-196; F. Schnblbögl, Die fränk. Reichsstädte (ZBLG 31) 1968, 421-474 (Lit.). Nürnberg. Reicke; Dannenbauer; Franz (s. o. 324); E. Kusch, Nürnberg, Wesensbild einer Stadt, 1950 * (populär); W. Schultheiss, Kleine Gesch. d. Stadt Nürnberg, 1966; Monographien Deutscher Städte, hg. v. E. Stein, Bd. 23, Nürnberg, 1927; G. Pfeiffer, Nürnbergs Selbstverwaltung 1256-1956 (MVGN 48) 1958, 1-25; Hofmann, Nobiles (s. o. 324); G. Hirschmann, Das Nürnberger Patriziat (Deutsches Patriziat, Büdinger Vorträge 3) 1967, 257-276; Kraus, Bürgeri. Geist (s. u. 1144); Die Zeit d. Aufklärung in Nürnberg 1780-1810 (Beitrr. z. Gesch. u. Kultur d. Stadt Nürnberg 6) 1966; G. Schröttbr, Die letzten Jahre d. Reichsstadt Nürnberg u. ihr Übergang an Bayern (MVGN 17) 1906; Schwemmer, Schulden (s. o. 230 Anm. 3); Die Nürnberger Hochschule im fränk. Raum (mit hist. Beiträgen v. G. Pfeiffer u. H. Proesler) 1955; Nürnberger Gestalten aus neun Jahrhunderten. Ein Heimatbuch z. 900 Jahrfeier d. ersten urkundl. Erwähnung Nürnbergs. Hg. vom Stadtrat, 1950. BKD 10: Die Stadt Nürnberg, 1961; HAB NürnbergFürth (Η. H. Hofmann) 1954; Pfeiffer, Nürnberg, Gesch. (s. o. 324) (Bibi.). - Rothenburg. H. W. Bensen, Hist. Untersuchungen über d. ehern. Reichsstadt Rothenburg ο. T., 1837 (noch immer beste Zusammenfassung); J. D. W. v. Winterbach, Gesch. d. Stadt Rothenburg ο. T. bis zu deren Ende als freie Reichsstadt, 1905; KDB Mir. 8: Rothenburg o. d. T., Kirchliche Bauten, bearb. v. A. Ress, 1959 (hist. Einleit. v. F. Schnblbögl); K. Holstein, Rothenburger Stadtgesch., 1963 (volkstümlich); Μ. Weigel, Rothenburger Chronik, 1923; K. Heller, Rothenbürg ob d. Tauber in Wehr u. Waffen, 1920; L. Schnurrer, Die Rothenburger Stadtgeschichtsforschung nach d. 2. Weltkrieg, 1945-1965 (Eßlinger Stud. 11) 1965, 210-225. - Windsheim. Chr. W. Schirmer, Gesch. Windsheims u. seiner Nachbarorte, 1848; H. Rössler, Die ReichsStadt Windsheim v. d. Reformation bis z. Übergang an Bayern (ZBLG 19) 1956, 236-248; HAB Neustadt-Windsheim (Η. H. Hofmann) 1953; A. Estermann, Bad Windsheim. Gesch. einer Stadt in Bildern, 1967. - Schweinjurt. Mühuch-Hahn, Chronik d. Stadt Schweinfurt, 1817; H. Ch. Beck, Chronik d. Stadt Schweinfurt, 2 Bde., 1836/41; Monumenta Suinfurtensia Historica, hg. v. F. Stein, 1875; F. Stein, Geschichte d. Reichsstadt Schweinfurt, 2 Bde., 1900; Dirian (s. o. 324); C. Dittmar, Die Einnehmerrechnungen d. freien Reichsstadt Schw., 1554-1802 (ebd. 4) 1961; 700 Jahre Schw., 1254-1954 (Neujahrsbll. 26) 1954; Μ. Hahn, Schweinfurts Drucker, Buchbinder u. Buchhändler (Archiv f. Gesch. d. Buchwesens 10) 1969; E. Saffert, Schweinfurter Stadtgeschichtsfg. 1947-1966 (Eßlinger Stud. 14) 1968, 127-134; Ders., Die Reichsst. Schw. i. 17. Jh. (Nova Acta Leopoldina ΝΓ 198) 1970, 28-78, Lit.; Weißenburg. KDB Mfr. 5: Stadt u. BA Weißenburg, bearb. v. Mader-Gröber, 1932 (hist. Einleitung v. K. Ried) ; G. Voltz, Chronik d. Stadt Weißenburg im Nordgau . .., 1835; Ch. Mbyer, Chronik d. Stadt Weißenburg i. B., 1904; Kerler, Zur Vetfassungsgesch. d. Stadt Weißenburg im Nordgau (AZ 6) 1881, 199-202; A. Schönmetzler, Das Stadtrecht v. Weißenburg in Bayern, Diss. Erlangen 1948; HAB Gunzenhausen-Weißenburg(H.H.Hofmann) 1960; Pfeiffbr (s. o. 324); Uuizinburc-Weißenburg 867 bis 1967. Beitr. z. Stadtgesch., hg. v. d. Arbeitsgemeinschaft Weißenburger Heimatforschung, 1967.

Die fünf Reichsstädte des Fränkischen Kreises, Nürnberg, Rothenburg, Windsheim, Schweinfurt und Weißenburg, denen in vielerlei Hinsicht noch Dinkelsbühl zugezählt

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werden kann, obwohl es beim Schwäbischen Kreis immatrikuliert war,1 hatten zwar viele Gemeinsamkeiten, allein schon durch ihre verfassungsrechtliche Stellung zu Kaiser und Reich, doch kann man keineswegs von der fränkischen Reichsstadt sprechen. Vielmehr handelte es sich um vielfach abgestufte Individualitäten, bedingt durch ihre andersartige Entstehung und Geschichte, ihre verschiedene innere Struktur, ökonomische Stärke und politische Größe. Nürnberg, das im Spätmittelalter und in der Renaissance ohne Zweifel eine Großstadt von europäischem Rang war und zu den volkreichsten und bedeutendsten Städten im Reich gehörte,12*verdankte seine herausragende Stellung seiner Wirtschaftskraft, seinem reichen Exportgewerbe, seinem weitweiten Handel, seiner hohen Kulturblüte und nicht zuletzt seiner einzigartigen Verbindung von wissenschaftlichem Geist und bürgerlichem Gewerbe mit ihren unvergleichlichen Auswirkungen für Wissenschaft und Kunst (Franz Schnabel’). Dagegen waren Windsheim, Weißenburg und Schweinfurt nach Umfang und Bevölkerungszahl Kleinstädte mit Mittelpunktsfunktionen in reichen Agrargebieten.4 Nur Rothenbürg kann wegen seines umfangreichen Landgebietes als Mittelstadt bezeichnet werden. Ihre unterschiedliche Bedeutung kam auch in der Rangfolge der fünf fränkischen Reichsstädte im Städtekollegium des Reichstages zum Ausdruck, wo sie auf der Schwäbischen Bank, welche insgesamt 37 oberdeutsche Reichsstädte umfaßte, saßen: Nürnberg hatte die 3. Stelle und Stimme, Rothenburg die 8., Schweinfurt die 19., Windsheim die 21. und Weißenburg die 30.5 Im Fränkischen Kreis, der fast ausschließlieh in den Reichsstädten tagte, bildeten die fünf freien Städte unter dem Vorsitz Nümbergs die Städtebank, wobei die korporative Politik6 und die vielen gemeinsamen Interessen ein reichsstädtisches Zusammengehörigkeitsgefühl schufen,das sich besonders in Zeiten der Gefahr und Not, wie 1730 beim Windsheimer Stadtbrand, bewährte.7 Gemeinsam war vor allem allen Reichsstädten, unabhängig von ihrer Größe und Macht, die unmittelbare Stellung zu Kaiser und Reich, die sich im Führen eines eigenen Wappens und Siegels, in der freien Ämterbesetzung, im Gesetzgebungsrecht, im 1 Hofmann, Adelige Herrschaft 73; P. Gluth, Dinkelsbühl, 1958. 2 Nürnberg hat im 16.Jh. rund 40000 Einwohner gezählt. Vgl. Endres, Einwohnerzahl (s. o. 199 Anm. 1). ’ Vgl. sein Urteil in einem Festvortrag 1951: «Keine andere Stadt hat dies [diese Verbindung] großartiger den künftigen Geschlechtern vorgelebt als Nürnberg ... In Nürnberg ist dies alles zuerst in das volle Licht des Lebens getreten» (jetzt in: F. Schn., Abh. u. Vorträge 1914 bis 1963, hg. v. H. Lutz) 1970, 254 f. 4 Windsheim zählte 1341 rund 2 800 E., Schweinfurt 1557 etwa 3000 E. (E. Safpert, Die älteste Bürgerliste v. Schweinfurt = Veröffentl. d. Hist. Ver. u. d. Stadtarch. Schweinfurt, Sonderreihe 3, 1961). Rothenburg zählte vor dem 30jähr. Krieg etwa 6000 E. und am Ende des Alten Reichs rund 3 800 (F: Schnelbögl, Einleitung zu KDB Ufr. 17, 26 f.). Die

Angaben bei E. Wallner, Die kreissässigen Reichsterritorien am Vorabend d. Luniviller Friedens (MIÖG Erg.-Bd. 11) 1929, 693 sind zu hoch gegriffen. 5 Deutschland 1789, im Auftr. d. Akad. f. Raumforsch, u. Landesplanung, bearb. v. G. Franz, 1932, 38. Seit 1462 war das Mitspracherecht der Reichsstädte im Reichstag gesichert, seit 1495 hatten sie echte Mitwirkung, bis dann 1648 dem Kollegium ein «votum Decisivum» zugestanden wurde. Vgl. H. Conrad, Die verfassungsrechtl. Bedeutung d. Reichsstädte im deutschen Reich (Studium generale 16, 8) 1963, 493-300. 6 I. Boc, Betrachtungen z. korporativen Politik d. Reichsstädte (UOS 34) 1953, 87-101, weist nach, daß die Reichsstädte auch nach 1648 noch korporative Politik trieben. 7 Von den aus dem ganzen Reich eingehenden Spenden gab Nürnberg allein fast ein Viertel.

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eigenen Haushaltungsrecht und anderem mehr auswies. Reichsstädtische Solidarität bestand aber auch in der Angst vor der Bedrohung durch die fürstlichen Staaten, deren ständig wachsendes Übergewicht eine dauernde Phobie erzeugte und zur Politik der Kompromisse und Anpassung und zur ständigen Anlehnung an den Kaiser zwang, als den Schutzherrn und Garanten der Freiheit, dessen Rechtshilfe laufend in Anspruch genommen werden mußte.1 Diese Furcht vor dem Verlust der Unabhängigkeit war keineswegs unbegründet, wie der Fall von Münster (1661), Erfurt (1664) und Magdebürg (1666) beweisen. Ständiger Streitpunkt mit den Territorialfürsten waren besonders die reichsstädtischen Landgebiete. Während Rothenburg in einem Territorium, das aus einer kaiserlichen Landvogtei hervorgegangen und von der «Landhege» umschlossen war, praktisch unbehelligt alle Hoheitsrechte wahmehmen konnte,1 2 war die Landeshoheit auf den Markungen, in den Dörfern und auf den Streubesitzungen der kleineren Reichsstädte heftig umstritten, bis schließlich im achtzehnten Jahrhundert verschiedene vertragliche Regelungen, besonders mit den Markgrafen, getroffen werden konnten.3 Das Nürnberger Territorium, mit sechs Städten (Lauf, Hersbruck, Velden, Altdorf, Gräfenberg, Betzenstein) und zahlreichen Märkten und Dörfern das größte aller deutschen Reichsstädte, war in seiner Hauptmasse im Landshuter Erbfolgekrieg 1503/04 (s. o. 195 f.) erobert worden und wurde, wahrscheinlich nach italienischem Vorbild, von patrizischen Pflegern verwaltet.4*Über weite Teile allerdings, besonders über die sog. Reichswälder, wurde die dem Rat zugewachsene Landesherrschaft über Untertanen von den Markgrafen angefochten unter Hinweis auf die in ihrer Hand befindliche Fraisch (s. o. §§ 39, 44). In diesem grundlegenden Verfassungsstreit brachten auch die Prozesse, die seit dem Sechzehntenjahrhundert vor den Reichsgerichten anhängig waren, keine endgültige Lösung.3 Nürnberg wurde auf Grund seines bedeutenden Landgebiets, seiner überragenden Wirtschaftskraft, seiner führenden Stellung in der Politik, seiner Funktion als Nachrichtenzentrum,6 als Hüterin der Reichsinsignien und Tagungsort von Reichs- und Kreistagen und des Reichsregiments und ganz allgemein wegen seines hohen Ansehens von den anderen vier Reichsstädten unbestritten in allen Zweifelsfragen als Autorität anerkannt. Dies führte in Franken zu einer wesentlich geschlosseneren Haltung und Gruppierung der Reichsstädte als in Schwaben, wo sich Augsburg und Ulm um den Führungsanspruch stritten. Dieses deutliche Übergewicht Nürnbergs, das sich in vielen freundnachbarlichen Ratschlägen und Empfehlungen in fast allen wichtigen Belangen niederschlug,7 war vor allem gegenüber den kleineren Reichsstädten so 1 Nürnberg führte allein mit den Markgrafen von Brandenburg-Kulmbach mehr als 300 überaus kostspielige Prozesse am Reichshofrat. 2 H. W0LTER1NG, Die Reichsstadt Rothenbürg u. ihre Herrschaft über d. Landwehr(Jb. d. Ver. Alt-Rothenburg 1965/1966). 3 Vgl. HAB, R. I, 2 u. 8. 4 Überden wirtschaftlichen, aber auch politisehen Wert des Nürnberger Territoriums siehe

Schnblbögl, Wirtschafti. Bedeutung (s. u. 479). 3 Hofmann, Adelige Herrschaft 56 f. Die Arbeit von W. Koch, Der possessorische Fraischprozeß u. d. Begriff d. Landeshoheit, Diss. Erlangen 1950, befriedigt nicht völlig. 6 L. Sporhan-Krempel, Nbg. als Nachrichtenzentrum, 1968. 7 Vgl. R. Wenisch, Nürnbergs Bedeutung als Oberhof im Spiegel seiner Ratsverlässe

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stark, daß Weißenburg und Windsheim wohl ohne Übertreibung als Trabantenstädte Nürnbergs bezeichnet werden können. Dagegen nahm Rothenburg, dank seines eigenen Territoriums und vor allem wegen seiner durch die Randlage bedingten Mittelstellung gegenüber den schwäbischen Reichsstädten, eine unabhängigere Stellung ein, die ihr größeren politischen Spielraum gewährte,1 was in abgeschwächter Form auch für Schweinfurt zutraf. Vielgestaltig und verschieden, wenn auch nicht im Grundsätzlichen, war auch die innere Lage und Verfassung der fünf fränkischen Reichsstädte. Der eigentliche Stadtherr war der Kaiser, der den jeweiligen Rat nur als genossenschaftliches Selbstverwaltungsorgan ansah und nicht als Obrigkeit über die Bürger, die bezeichnenderweise auch nur einen Gehorsamseid und nicht einen Untertaneneid leisten mußten. Tatsächlich aber trat der Obrigkeitscharakter des Rates, wenn auch nicht offiziell proklamiert, in den Stadtrepubliken immer stärker hervor. Der Rat wurde in Nürnberg, Schweinfurt, Windsheim und Rothenburg ausschließlich von patrizischen Geschlechtern besetzt, wobei sich in Rothenburg jedoch seit der Zunftrevolution von 1450/55 das Patriziat auch aus der Handwerkerschicht ergänzte. Einzig in Weißenburg besaßen die Handwerker einen entsprechenden Einfluß im Stadtregiment, doch beschränkte sich die Ratsfähigkeit seit dem sechzehnten Jahrhundert nur auf einige wenige Handwerkerfamilien. In Nürnberg hatten sich die ratsfähigen Familien schon im Spätmittelalter sozial abgeschlossen, bis sie schließlich mit dem Tanzstatut von 15212 zur «stadtadeligen Kaste» erstarrten. Mit der Verleihung des Prädikats «edel» 1697 erhielten die Geschlechter vom Kaiser auch das Recht der Kooptierung neuer Familien, wovon sie auch Gebrauch machten, als hintereinander mehrere alte Patrizierfamilien ausstarben, nicht zuletzt biologisch bedingt durch die vielen Verwandtenehen. Unter den im achtzehnten Jahrhundert neu aufgenommenen Familien befanden sich mehrere bewährte Juristenfamilien, die in wachsendem Maße das reichsstädtische Regiment übernommen hatten.’ Denn etwa seit der Mitte des Sechzehntenjahrhunderts hatten sich (MVGN 51) 1962, 443-467; E. Neuschütz, Die Nürnberger Reformation u. d. Recht d. Reichsstädte Dinkelsbühl u. Rothenburg 1936; R. Nagel, Das Recht d. Reichsstädte Weißenbürg u. Nürnberg, ein Beitr. z. vergleichenden Stadtrechtsforschung, Diss. Erlangen 1962; H. W. Dirian, Über d. Schweinfurter Stadtrecht u. seine Verbreitung (Neujahrsbll. 26) 1954, 53‫־‬98. 1 L. Schnurrer, Rothenburg im Schwäb. Städtebund (Eßlinger Stud. 15) 1969, 9-48. 2 Abgedruckt und interpretiert bei Th. Aign, Die Ketzel (Freie Schriftenf. d. Ges. f. Familienforsch, in Franken 12) 1961, 100-117; wichtig Hofmann, Nobiles (s. o. 324) 136 ff. ’ Ausgestorben waren u. a. die Derrer, Groland, Nützel, Rieter und Pfinzing. Neu aufgenommen wurden die Gugel, Oelhafen, Peßler, Scheuri, Thill, Waldstromer, Peiler, Praun undWoelckem.Die alten Geschlechter waren:

Behaim, Fürer, Ebner, Geuder, Grundherr, Haller, Harsdörffer, Holzschuher, Imhof, Kreß, Löflelholz, Pömer, Stromer, Tücher, Volckamer und Welser. Die Gerichtsfähigkeit besäßen die Familien Endter, Murr, Petz, Viatis und Winkler; s. J. G. Biedermann, Geschlechtsregister d. Hochadelichen Patriciats zu Nümberg . . ., 1748; weitergefiihrt von Ch. F. W. v. Volckamer, Joh. Gottf. Biedermanns Geschlechtsregister d. Patriciats. . ., 1854 und W. v. Imhoff, Genealog. HB d. z. Zeit lebenden rats- u. gerichtsfähigen Familien d. vormaligen Reichsstadt Nürnberg, 1900. Zur kaiserlichen Nobilitierung der Pfinzing und Schürstab, wie zum Problem des Patriziats allgemein: eingehend E. Riedenauer, Kaiser u. Patriziat. Struktur u. Funktion d. reichsstädt. Patriziats im Blickpunkt kaiserl. Adelspolitik v. Karl V. bis Karl VI. (ZBLG 30) 1967,526-653, bes. Kap. 6.

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die Nürnberger Patrizier vom Handel zurückgezogen und waren zu feudalen Landadligen mit Herrensitz und Eigenherrschaften über bäuerliche Hintersassen geworden.1 Ihre Landgüter und ihr hohes ständisches Ansehen sowie ihre anerkennenswerten Leistungen in kaiserlichen Diensten12 ermöglichten ihnen im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert zum Teil sogar die Immatrikulation bei der fränkischen Reichsritterschaft (Geuder, Rieter, Kreß, Welser, Tücher und Holzschuher). Diese GleichStellung des Patriziats mit dem Reichsadel galt nur für Nürnberg, nicht aber für die Geschlechter der vier anderen Reichsstädte.3 In den Händen der patrizischen Familien lag die gesamte Führung der Reichsstädte, die Außenpolitik, die Gerichtsbarkeit, das Finanzwesen, die Kirchenhoheit, das Schulwesen und die Sozialfürsorge, die Wehrhoheit, die «Polizey» (im Gesamtumfang des Begriffs der Zeit), die in alle Lebensbezirke der Einwohner regulierend eingriff, die Wirtschaftspolitik und die Verwaltung des Landgebietes. In Nürnberg waren die Legislative, die Exekutive und die Jurisdiktion in sämtlichen Spitzenfunktionen und Führungsstellen auf die aus nur 23 Familien stammenden 26 Mitglieder des «inneren Rates» verteilt, die in kaum zu überschauender Ämterhäufung die Geschicke der Stadt leiteten. Die dem inneren Rat auch noch zugehörenden 8 Handwerker waren in ihrer Mitwirkung sehr beschränkt und erfüllten eigentlich nur repräsentative Funktion. Ähnlich bedeutungslos war der «große Rat» der Genannten, der ständisch zusammengesetzt war und die gesamte Bürgerschaft vertreten sollte. Diese Korporation von etwa 300 Honoratioren wurde nur bei außergewöhnlich schwerwiegenden politischen Entscheidungen4 oder bei einschneidenden Steuererhöhungen einberufen. Standesinteressen des stadtadligen Rates, Festklammern an ertragreiche Ämter und Pfründen und das hohe Lebensalter der regierenden Herren infolge der vorgeschriebenen Ämterlaufbahn und -hierarchie hatten das reichsstädtisehe Wesen im achtzehnten Jahrhundert in Verfassung, Wirtschaft und Politik erstarren lassen, denn die aristokratische Oligarchie war nicht fähig, sich an die allgemeinen Veränderungen anzupassen und Gefahren abzuwenden. So engten die benachbarten Landesfürsten den Wirtschaftsraum und die wirtschaftliehen Möglichkeiten der Reichsstädte immer mehr ein, vor allem nachdem das staatskapitalistische System des Merkantilismus eine bessere ökonomische Abschließung der Territorien ermöglichte. Der Handelsstadt Nürnberg bereitete die Schutzzollpolitik der Fürsten im achtzehnten Jahrhundert nur schwer zu bewältigende Schwierigkeiten, zumal die Fürsten bei Differenzen nicht vor Wirtschaftssanktionen und sogar Lebensmittelboykotten zurückschreckten. ’ Neben dem Rückgang des Handels machte 1 Über die Landsitze der Patrizier behielt sich der Rat allerdings das öffiiungsrecht vor. Pfeiffer, Offenhäuser (s. o. 324). Da die meisten der patrizischen Eigenherren zugleich im Rat saßen, konnte die reichsstädtische Landeshoheit auch über die Hintersassen der Patrizier ausgedehnt werden. Η. H. Hofmann, Die Einrichtung d. Nürnberger Landpflegeamts (Mitt, d. Altnümb. Landschaft 12) 1963, $7-64. 2 Eine zusammenfassende Darstellung über die Bedeutung des Nürnberger Patriziats in

kaiserlichen Diensten fehlt. Beispielhaft vgl. K. F. v. Frank zuDöfering, Die Kressen. Eine Familiengesch., 1936, bes. 363-390, joiff., 867-886. 3 Pfeiffer, Nürnberger Patriziat (s. o. 324). 4 So z. B. bei dem Religionsgespräch, das die Reformation einleitete, oder 1632 vor dem AbSchluß des Bündnisses mit Gustav Adolf. ’ Vgl. Μ. Domarus, Der Kommerzienstreit Schweinfurt-Würzburg 1726-1729 (Neujahrsbll. 26) 1954, 127-140; R. Endres (JffL 28) 28 fF.

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sich in den Städten auch der Kapitalmangel äußerst nachteilig bemerkbar; denn die großen Geldgeschäfte wurden nun mit Hilfe der Hoffaktoren an den Höfen abgewikkelt. Außerdem verhinderten die starren engen Gewerbeordnungen, die noch aus den Blütezeiten der reichsstädtischen Gewerbe stammten und in denen Kartelle oder Produktionsgenossenschaften strikt verboten waren, weitgehend den arbeitssparenden technischen Fortschritt, während gleichzeitig in der unmittelbaren Umgebung der Reichsstädte neue Gewerbe und Produktionsstätten mit moderneren Fertigungsmethoden entstanden, wie beispielsweise in Erlangen, Stein,1 Schwabach oder Allersberg. Doch gab es in den Reichsstädten noch immer gediegene handwerkliche Tradition und Qualitäten wie auch technischen Erfindungsreichtum,12 wenn auch die Leistungen nicht mehr mit denjenigen des fünfzehnten und sechzehntenJahrhunderts verglichen werden können. Der große Zug und Schwung von früher fehlte. Der trotz allem nicht zu leugnende Rückgang der Wirtschaft schlug sich besonders deutlich in den städtischen Finanzen nieder. Der entscheidende Einschnitt lag in den überaus hohen Verlusten des Dreißigjährigen Krieges, durch die der Wohlstand der Städte, die vor allem die Lasten des Krieges zu tragen hatten, gebrochen wurde. So betrugen die Schulden Nürnbergs am Ende des Krieges 7,5 Mill, fl., die allerdings durch freiwillige Kapitalreduktionen auf 3 Mill, vermindert werden konnten, was Ausdruck sowohl eines erstaunlichen Opferwillens der Einwohnerschaft, als auch von noch vorhandenen bürgerlichen Vermögen ist.3 Die kleineren Reichsstädte konnten sogar ihre Schulden durch die haushälterische Politik ihrer Ratsherren weitgehend abtragen,4 doch in Nürnberg nahm, was auch der Verkauf von Kunstwerken nicht abwenden konnte,5 die Verschuldung immer mehr zu. Daran waren nicht nur der Rückgang der Wirtschaftskraft der ehemaligen Metropole schuld, sondern vor allem die enorm hohen Opfer für Kaiser und Reich in den Kriegen gegen die Türken und Frankreich. Da sämtliche Leistungen für das Reich auf der Matrikel von 1521 basierten, als die Reichsstädte auf dem Höhepunkt ihrer Macht standen, und die Ausmittlung im achtzehnten Jahrhundert nur geringfügig moderiert wurde, hatten die ReichsStädte insgesamt gut ein Drittel aller anfallenden Kosten für den fränkischen Reichskreis zu zahlen, Nürnberg allein wiederum mehr als das Doppelte des Kontigents der anderen vier Reichsstädte zusammen. Rund 20% ihres städtischen Haushalts stellten die Reichsstädte für Kaiser und Reich im Frieden zur Verfügung und mehr als die Hälfte in Kriegszeiten. Die allein von Nürnberg im Reichskrieg gegen Friedrich den 1 G. Hirschmann, Stein bei Nürnberg. Gesch. eines Industrieortes, 1962 (Bleistiftmaeher!); s. allgem. § 58. 2 So wurde in Nürnberg die erste Feuerspritze mit kontinuierlichem Wasserstrahl gebaut, ein Verfahren zur Ätzung des Glases entwickelt, die Klarinette erfunden und eine Spiegelpoliermühle errichtet. Vgl. Naturwissenschäft, Medizin und Technik in Nürnberg, Ausstellungskatalog der Stadtbibliothek, Nr. 55, 1967; Wiest (s. u. 505); E. Nickel, Der Holzinstrumentenbau in d. Freien Reichsstadt

Nürnberg, 1971. 3 Auf die unternehmerische Tätigkeit in den Reichsstädten auch noch nach 1648 verweist H. Kellenbenz, Unternehmertum im süddeutsehen Raum zu Beginn d. Neuzeit (GemeinsamesErbe, hg. v. K. Rüdinger) 1959, 105-128. 4 Vgl. J. Greiner, Dinkelsbühl, ein Führer, o.J., 21. 5 So wurde u. a. der bekannte Neptunbrunnen nach Rußland verkauft. E. Mummenhoff, Der Neptunbrunnen zu Nürnberg, seine Entstehung u. Gesch., 1902.

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Großen aufgewendeten vier Millionen Gulden hätten ausgereicht, um die gesamte Schuldenlast der Reichsstadt mit einem Mal zu tilgen.1 Diese bewundernswerten und viel zu wenig gewürdigten Leistungen und Opfer für Kaiser und Reich lassen die gern vertretene Meinung, daß die Reichsstädte im ausgehenden Alten Reich versagt hätten und bedeutungslos gewesen seien,1 2 nicht aufrecht erhalten. Auch darf der Ausspruch vom Vorherrschen eines «negativen Reichsbewußtseins»3 nicht zu wörtlich genommen werden, denn es gab in den Reichsstädten durchaus noch einen lebendigen Reichspatriotismus, gerade in Nürnberg während der Zeit der Kriege gegen die Türken und gegen Ludwig XIV.4 Doch war das Vertrauen zum Reichsoberhaupt, von dem man konfessionell getrennt war, geschwunden, da der Kaiser zwar hohe Forderungen erhob, diese dann jedoch nicht honorierte. Letztlieh war dies der Grund für die vielgeschmähte reichsstädtische Politik des Lavierens: einerseits waren die Städte gezwungen, sich zur Wahrung ihrer Freiheit an den Kaiser anzulehnen, andererseits mußten sie darauf sehen, nicht ständig für fremde politische Ziele ausgenützt zu werden. Damit aber ging ihnen die frühere politische Aktivität verloren. So kam es, daß Beharren und Bewahren zum Kem der Politik der ReichsStädte wurden, die um so antiquierter wirkte, je intensiver und moderner die Territorialstaaten ausgebaut wurden und die städtische Politik auf die Reichskreise zurückgedränkt und beschränkt wurde. «Man lebte im Windschatten der Geschichte»5 nicht aber auf kulturellem Gebiet. Denn mit der Einführung der Reformation war den Reichsstädten die gesamte Kulturpflege zugefallen, in der Nürnberg und seine Bürger Unvergängliches leisteten (s. u. Teil E). Gerade auf kulturellem Gebiet waren die Beziehungen der Reichsstädte untereinander sehr eng und vielseitig, wobei die kleineren Reichsstädte weiterhin in gewissem Maße im Bann des Nürnberger Vorbildes standen. Seit der Schönbomzeit aber waren unverkennbar die finanzstärkeren Fürstenhöfe zu den internationalen Zentren der Kunst in Franken geworden, wie auch die ReichsStädte in der breiten pädagogischen Bewegung der Aufklärung von den TerritorialStaaten mit ihrem intensiven Bildungsstreben überholt wurden. Typisch hierfür ist 1 Siehe H. Bingold, Die reichsstädt. Haushaltung Nürnbergs während u. nach d. siebenjähr. Krieg (1756-1776), 1911; R. Endres, Fränk. Reichskreis u. Fränk. Reichsstädte (Frankenland, 8. Heimatkundl. Seminar 1967) 1968, 6-12. 2 Aus der Vielzahl der negativen Wertungen seien nur einige Beispiele herausgegriffen: B. Erdmannsdörfer (Deutsche Gesch. vom Westfäl. Frieden bis z. Regierungsantritt Friedrichs d. Gr., I 1892, 81 ff.) spricht von den stehengebliebenen «Reststücken» und ihrer «mumienhaften Fortdauer». G. Österreicher, Verfassungsgesch. vom Ende d. MA bis z. Ende d. alten Reiches (GG II 1955, 343) schreibt: «Sie (Reichsstädte und Reichsritter) versagen in politischer und wirtschaftlicher, aber auch in sozialer und kultureller Beziehung.» Nach H.

Rössler (Reichsstädte 105, s. o. 361) wurden die Reichsstädte «alle seit dem 16./17. Jh. fürs deutsehe Ganze bedeutungslos». 3 Bader $8; Bader hat inzwischen seine frühere Aussage selbst weitgehend eingeschränkt (vgl. Eßlinger Stud. 11, 32 und UOS 32, 65 ff.). 4 H. J. Bbrbig, Das Nationalgefühl in Nümberg nach d. 30jähr. Krieg, Diss. München 1960; Ders., Franken u. d. Franzosengefahr im Jahre 1688 (JffL 26) 1966, 9-17; Ders., Nümberg, Franken u. d. Reich. Eine Untersuchung d. Nationalen im 17. Jh. (Jb. Mfr. 84) 1967/68, 2039‫ ;־‬J. Jansen, Patriotismus u. Nationalethos in d. Flugschriften u. Friedensspielen d. 30jähr. Krieges, Diss. Köln 1964, bes. Kap. 6, 149 ff· 5 Borst, Eßlinger Stud. 10, 110 (s. o. 361).

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Franken: D. II. Staat und Gesellschaft. Zweiter Teil: 1500-1800

das Ab wandern vieler Altdorfer Professoren an die neue Universität Erlangen. Alle kulturellen Leistungen der Reichsstädte am Ende des Alten Reiches konnten nicht ihre politische Ohnmacht und den Rückgang ihrer Wirtschaftskraft, den Verlust der reichsstädtischen Geltung allgemein, verdecken. So standen die Reichsstädte in ständiger Spannung zwischen ihren traditionellen Ansprüchen und ihrer wirklichen Macht, wobei man den Verfall zu kaschieren suchte. Zu den äußeren Schwierigkeiten kamen auch noch innere Auseinandersetzungen zwischen dem oligarchischen Regiment und der selbstbewußt auftretenden Bürgerschaft, die gegen die Cliquen- und Mißwirtschaft und die laufenden Steuererhöhungen des exklusiven Rates Klage vor den Reichsgerichten erhob, was der kaiserlichen Autorität nochmals verstärkten Einfluß in den Reichsstädten verschaffte.1 In Nürnberg, wo der seit 1730 vor dem Reichshofrat anhängige sog. Kaufmannsprozeß keine Entscheidung gebracht hatte, kam es am Ende des Jahrhunderts zu einem grundsätzlichen Verfassungsstreit, wobei in dem 1794 abgeschlossenen Grundvertrag1 2 das Genanntenkolleg die Rolle eines Parlaments zugesprochen erhielt. Diese Verfassungsänderung kam nicht zuletzt unter dem Eindruck der revolutionären Ereignisse in Frankreich zustande, über die man in Franken durch die Zeitungen trotz magistraler Zensur bestens informiert war und die in allen fünf Reichsstädten zu frankophilen Neigungen und revolutionären Bewegungen geführt hatten.3*In Nürnberg wurde außerdem 1797 eine kaiserliche SubdelegationsKommission eingesetzt, die schwerwiegende Eingriffe im Ratsregiment vornahm und damit die Machtstellung der Patrizier noch mehr erschütterte.♦ Eine daraufhin gcschaffene ständische Vertretung der adligen Geschlechter, der «Selekt», konnte immerhin 1806 nach der Okkupation durch Bayern mit großem Erfolg die patrizischen Belange in München vertreten.5 Während sich also in den letzten Jahren der reichsstädtisehen Freiheit eine Lösung der inneren Probleme anzubahnen schien, wurde dieUnabhängigkeit der fränkischen Reichsstädte durch das Vorgehen Bayerns und Preußens 1 Von den 52 Reichsstädten führten 30 kostspiclige Prozesse zwischen Magistrat und Bürgerschaft vor den Reichsgerichten, s. Bader, Reichstädte 56 (s. o. 361); modellhaft G. Mödl, «Weißenburg contra Weißenburg». Ein Beitr. z. Verhältnis zw. Rat u. Bürgerschaft (Uuizinburc s. o. 361) 105-110. 2 Abgedruckt in: Aufklärung (s. o. 361) 102 ff. 3 A. Ernstberger, Nürnberg im Widerschein d. Franz. Revolution 1789-1796 (ZBLG 21) 1958, 409-471 (Nachdruck: Franken-Böhmen-Europa, Ges. Aufsätze = Sehr. d. Inst. f. fränk. Landesforsch. 1) 1959, II 457-526. H. Scheel (s. o. 245) interpretiert als marxistischer Geschichtsforscher vor allem die Vorgänge in Nürnberg als bedeutsame und typische «Klassenkämpfc», wobei er gegen Ernstberger den Vorwurf erhebt, dieser würde als bürgerlicher Historiograph die Ereignisse verharmlosen. G. Hjrschmann, Beitr. z. Gesch. d. Nürnberger

Patriziats am Ende d. Reichsstadtzeit (MVGN 52) 1963/64, 275 dagegen betont, «daß Scheel die revolutionäre Gärung in Nürnberg weit überschätzt hat». E. Riedenauer, Reichsverfassung u. Revolution (ZBLG 31) 1968, 185 f. weist darauf hin, daß sich die Unruhen in Nürnberg weniger gegen den Rat als Institution wandten, sondern gegen ganz konkrete Mißstände. 4 F. Buhl, Der Niedergang d. rcichsstädt. Finanzwirtschaft u. d. Kaiser). SubdelegationsKommission v. 1797-1806 (MVGN 26) 1926, 111-278. 5 Hirschmann (s. o. Anm. 3) 275-286. Den Übergang Nürnbergs an Bayern charakterisiert H. Liermann, Der Übergang d. Reichsstadt Nürnberg an Bayern im Jahr 1806, eine rcchtsgcschichtl. Betrachtung (MVGN 48) 1958, 259-277: «Es war ein Gewaltakt, der ein souveränes Staatswesen der eigenen Staatshoheit bedingungslos unterstellte» (266).

§ 47■ Fürsten und Reichsgrafen (R. Endres)

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unter Hardenberg, unmittelbar bedroht, bis dann schließlich Napoleon allen den Untergang bereitete. Der fast widerstandslose Verlust der reichsstädtischen Freiheit ist nur durch die weitgehende politische Passivität, den Mangel an Selbstvertrauen und die allgemeine Untergangsstimmung zu erklären, die im achtzehnten Jahrhundert ständig wachsend die Reichsstädte ergriffen hatten, so daß man die Mediatisierung gleich einem unausweichlichen Naturereignis hinnahm.1 Jedoch wirkte noch vieles vom reichsstädtischen Geist und Lebensgefühl im neunzehnten Jahrhundert fort und bestimmte weitgehend das politische Leben in den fünf fränkischen Städten, bis das reichsstädtische Bewußtsein zu einer oft glorifizierenden und romantisierenden Erinnerung an die Reichsstadtzeit sich abschwächte.2

§47. DIE KLEINEREN FÜRSTEN UND DIE REICHSGRAFEN

Allgemein. J. D. A. Hoeck, Materialien zu d. Gesch., Statistik u. Topographie d. deutschen Reichsgrafenschaften I, 1792; J. G. Biedermann, Genealogie d. hohen Fürstenhäuser im Fränk. Crayse, 1745; I. W. Imhof, Hist. Stammtafel d. kayserl. königl. u. fürstl. Geschlechter, 1701; J. Ch. Lünig, Thesaurus Juris derer Grafen u. Herren d. Heil. Röm. Reiches, 1725; J. J. Moser, Von d. Teutschen Reichs-Ständen, 1767; Ders., Von d. Landeshoheit derer teutschen Reichsstände überhaupt, 1773; Stein II 135-155; H. Gollwitzer, Die Standesherren. Die polit, u. gesellschaftl. Stellung d. Mediatisierten 1815-1918. Ein Beitr. z. deutschen Sozialgesch., 19642; Hofmann, Adelige Herrschäft, bes. Kap. I 1 u. 2; E. Vehse, Gesch. d. kleinen deutschen Höfe VIII: Die Mediatisierten, 1858; F. Prinz zu Sayn-Wittgenstein, Fürstenhäuser u. Herrensitze, 1956 (darin: Schönbom, Hohenlohe, Ellingen u. a.); Ders., Durchläuchtige Welt. Fürstenhäuser u. Herrensitze in Hessen u. am Main, 1959; Ders., Schlösser in Franken, 1974. Henneberg-Coburg: J. A. v. Schultes, Sachsen-Coburg-Saalfeldische Landesgesch., 3 Bde., 1818/22; J. F. E. Lotz, Übersichtl. Darstellung d. Coburgischen Landesgesch., 1832; A. Beck, Gesch. d. Regenten d. Gothaischen Landes, 1868; A. Lotz, Coburgische Landesgesch. v. d. ältesten Zeiten bis z. Gegenwart, 1892; K. Bohley, Die Entwicklung d. Verfassungsfrage in SachsenCoburg-Saalfeld v. 1800 bis 1821 (Erlangen Abh. 13) 1933; Zickgraf (s. o. 60 Anm. 4). - Hohenlohe: J. Ch. Wibel, Hohenlohische Kyrchen- u. Reformations-Historie, 1752; J.J. Herwig, Entwurf einer genealog. Gesch. d. Hohen Hauses Hohenlohe, 1796; J. Albrecht, Münzgesch. d. Hauses Hohenlohe vom 13. bis z. 19. Jh., 1846; A. Fischer, Gesch. d. Hauses Hohenlohe, I, 1866; II 1, 1868; II 2, 1871; Ders., Zur Gesch. d. Grafen u. Fürsten v. Hohenlohe (Württ. Vjhe.) 1898, 363-419; W. Fischer, Das Fürstentum Hohenlohe im Zeitalter d. Aufklärung (Tübinger Stud. z. Gesch. u. Politik 10) 1958 (Lit.); H. Heuss, Hohenloher Barock u. Zopf, 1937; R. Schmidt, Hohenloher Land (Deutsche Lande-Deutsche Kunst) 19602; R. Schlauch, Hohenlohe-Franken. Landschaft, Gesch., Kultur, Kunst, 1964 (populär); H. Prinz zu Hohenlohe-Schillingsfürst und F. K. Erbprinz zu Hohenlohe-Waldenburg, Hohenlohe. Bilder aus d. Gesch. v. Haus u. Land (Mainfr. H. 44) 1965; Der Lkr. Öhringen. Amtl. Kreisbeschr. Hg. vom Stat. Landesamt BadenWürtt., 11961; HAB Teil Franken, R. II, H. 1a (Hofmann); Magen (s. o. 212). - Schwarzenberg: Statist. Tabellen über d. Fürstentum Schwarzenberg. Denkwürdigkeiten d. Staatenkunde Teutschlands 1,1808; A. Berger, Das Fürstentum Schw. (Österreich. Revue 4, H. 11) 1866; F. Blaschko, Die Ahnenreihe (Schwarzenberg. Jb. 1950) 7-62; Fürst K. zu Schwarzenberg, Schwarzenbergisches Ortsnamenbuch (Schwarzenberg. Almanach 1962) 149-280 (darin Zusammenstellung des Gesamtbesitzes); Ders., Gesch. (s. o. 305); E. Graf v. Fugger, Die Seinsheim u. ihre Zeit, 1893. Löwenstein-Wertheim: Aschbach (s. o. 305) I; F. Wibel, Zur Münzgesch. d. Grafen v. Wertheim

1 Der Weißenburger Stadtchronist berichtet in gleichem Atemzug von dem Ende der reichsstädtischen Freiheit, von einer Mäuseplage, einem späten Schneefall und von großer Teuerung; s. Schnelbögl (s. o. 361) 473. 24 HdBG III, I

2 Vgl. hierzu G. Hirschmann (Frankenland. 8. Heimatkundl. Seminar 1967) 1968, 30-33; Ders., Fortleben reichsstädt. Bewußtseins in Franken nach 1806? (JffL 34/35) 1975.

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Franken: D. II. Staat und Gesellschaft. Zweiter Teil: 1500-1800

u. d. Gesamthauses Löwenstein-Wertheim, 1880; Kienitz (s. 0.305); H. Rössler, Die Reichsgrafschaften - Löwenstein-Wertheim (Rößler) 87-104; HAB Marktheidenfeld (W. Stürmer) (Lit.). - Castell: Monumenta Castellana (s. u. 1459); Viehbeck (s. u. 1462); A. Sperl, Castell. Bilder aus d. Vergangenheit eines deutschen Dynastengeschlechtes, 1908; F. Stein, Gesch. d. Grafen u. Herren zu Castell .. . von 1058 bis 1528, 1892; Castell. Beitrr. z. Kultur u. Gesch. v. Haus u. Herrschaft (Neujahrsbll. 24) 1952 (darin Engel, s. o. 305); P. Graf zu Castell-Castell-Hofmann (s. o. ebd.) (mit Lit.). - Schönborn: Wild, Johann Philipp v. Schönborn (s. o. 231); G. Mentz, Johann Philipp v. Schönbom, Kurfürst v. Mainz, Bischof v. Würzburg u. Worms, 1605-1673, 2 Bde., 1896/99; Wild, Lothar Franz v. Schönbom (s. o. 231);Ders., Staat u. Wirtschaft (s. u. 525); Scherf (s. u. 767 Anm. 3); J. F. Abert, Die Jugendzeit d. Bischöfe Johann Philipp Franz u. Friedrieh Karl v. Schönbom, 1914; Domarus; Ders., Rudolf Franz Erwein v. Schönbom (1677-1754), Graf u. Herr zu Wiesentheid, 1954; Ders., Marquard Wilhelm Graf v. Schönbom, Dompropst zu Bamberg u. Eichstätt (1683-1770), 1961; O. Meyer, Kurfürst Lothar Franz v. Schönbom inmitten der Gesch. seiner Zeit u. seines Hauses, 1957 (Lit.); H. Rössler, Politik und Kunst: Friedrich Karl v. Schönborn (Rößler) 252-263; Endres, Erbabreden; Ders., Versuche Wiens zur Einflußnähme auf Kronprinz Friedrich v. Preußen (JffL 29) 1969, 1-17. Kunst und Kultur der Schönbornzeit: Kurfürst Lothar Franz v. Schönborn. Kat. d. Gedächtnisausstellung z. 300-Jahrfeier seines Geburtstages, 1955 (Lit.); Quellen z. Gesch. d. Barocks in Franken s. 764; Μ. H. v. Freeden, Die Barockzeit - Die Kunst (Bilder aus d. bayer. Gesch., hg. v. A. Fink) 1953, 190-199; Ders., Im Reiche der Schönborn (Bayer. Kirchenfürsten, hg. v. L. Schrott) 1964, 191-212; H.Jedin, Die Reichskirche d. Schönbornzeit (Kirche d. Glaubens - Kirche d. Gesch., Ausgew. Aufs. u. Vorträge I) 1966, 455-468. S. auch o. 353 u. 436fF. - Dernbach: Μ. E. Domarus, Die Gesch. v. Dernbach, 1926; Μ. Domarus, Die Grafen v. Dernbach (Mainfr. Jb. 16) 1964, 267-281. - Rieneck: Μ. Wieland, Beitrr. z. Gesch. d. Grafen, Grafschaft, Burg u. Stadt Rieneck (AU 20, H. 1 u2) 1870,61-368; F. Stein, Die Reichslande Rinek u. d. übrigen Besitzungen ihres Dynastengeschlechts (AU 20, H. 3) 1870, 1-136; O. Schecher, Die Grafen v. Rieneck. Stud. z. Gesch. eines mittelalterl. Hochadelsgeschlechtes in Franken, Diss. Würzburg 1963. - Limpurg: H. Prescher, Gesch. u. Beschreibung der zum fränk. Kreis gehörenden Reichsgrafschaft Limpurg, 2 Teile, 1789/90; K. O.Müller, Das Geschlecht d. Reichserbschenken zu Limpurg bis z. Aussterben d. Mannesstammes (1713) (ZWLG 5) 1941, 215-243. - Erbach: G. Simon, Gesch. d. Dynasten u. Grafen zu Erbach, 1858; G. Killinger, Die ländl. Verfassung d. Grafschaft Erbach u. d. Herrschaft Breuberg ini 18.Jh. 1912; Chr. Müller, Gesch. d. gräfl. Hauses Erbach, 1955.

Die kleineren Reichsstände, die Grafen und Herren, bildeten ihrem reichsrechtlichcn Status wie ihrer Machtstellung nach ein Mittelglied zwischen den großen geistlichen und weltlichen Territorialfürstcn und der unmittelbaren Reichsritterschaft. Meist aus der Ritterschaft aufgestiegen, trachteten die Grafenhäuser alle danach, Wappen und Rang zu erhöhen und schließlich in den Rcichsfürstenstand aufgenommen zu werden, was in Franken nur den Schwarzenberg, den Hohenlohe und den Löwenstein gelang, und letzteren auch nur als Personalisten. Der Weg zur Standcserhöhung führte über außergewöhnliche Verdienste um Kaiser und Reich. Zur engen Anlehnung und Bindung an das Rcichsoberhaupt waren die fränkischen Grafen schon infolge der beschränkten Machtbasis ihrer relativ kleinen, zersplitterten Territorien gezwungen. Denn die auf Rodungsherrschaften beruhenden Grafschaften des Steigerwaldcs (Schwarzenberg, Castell, Limpurg, Wiesentheid) und des Odenwalds und Spessarts (Rieneck, Erbach, Löwenstein-Wertheim) sowie Henneberg an der Grenze nach Thüringen und Hohenlohe an der Südwestgrenze des fränkischen Reichskreises waren von den umgebenden Machtblöcken ständig in ihrem territorialen Bestand und in ihrer Reichsfreiheit gefährdet. Sic mußten unter den besonderen Schutz des Kaisers treten, wenn sic nicht in ähnliche oder noch stärkere Abhängigkeit geraten wollten wie die Castell 1457 durch ihre Lehensauftragung an das Hochstift Würzburg. Der

§47■ Fürsten und Reichsgrafen (R. Endres)

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Kaiser umgekehrt war sehr auf die Erhaltung der kleineren Herrschaften bedacht, da sie ihm treu ergebene Stützpunkte im Reich darstellten, anders als die großen Territorien, die ihre eigene Außenpolitik trieben. In ihrer räumlichen Beschränktheit zeigten und bewahrten die kleineren Stände viel deutlicher noch als die absolutistischen Fürstenstaaten die typischen Merkmale adlig-feudaler Lebensauffassung und Lebensformen. In der Enge und Überschaubarkeit des Duodezfürstentums waren Staat und Gesellschaft, Privates und Öffentliches, Politik, Wirtschaft, Religion und kulturelles Leben noch aufs engste miteinander verbunden. Die patriarchalische christliche Obrigkeit, der Landesherr persönlich, bemühte sich um das irdische Wohl praktisch jedes einzelnen seiner Untertanen und um sein ewiges Heil, zumal den evangelischen Grafen seit 1555 der Summepiscopat und die Leitung ihrer Landeskirchen zugewachsen war. Durch zahlreiche detaillierte PolizeiVerordnungen wurde das Leben der Untertanen bis ins Kleinste und bis in die private Sphäre hinein reglementiert, wobei durch die Beschränktheit der Verhältnisse die Einhaltung der vielen Vorschriften auch genau überwacht werden konnte. Bezeichnenderweise erfaßte die Aufklärung die Kleinstaaten erst mit einiger Verspätung und auch dann drang sie selten bis zur Bevölkerung vor. Oftmals artete die Durchführung der Vorstellungen und Ziele der Aufklärung in überstürzte Reformsucht um jeden Preis aus und in rastlose Imitation der auf ganz anderen Voraussetzungen beruhenden Maßnahmen der größeren Territorien. Vorbilder waren dabei weniger Österreich oder Preußen, sondern vor allem die beiden Fürstbistümer Würzburg und Bamberg. Dies gilt besonders für die Würzburger Schulreformen, die nach Wertheim und Scheinfeld gewirkt, aber auch die Castell’sehe Studienanstalt und die Lateinschule in Kirchberg sowie das Lehrerseminar in Öhringen beeinflußt haben. Es trifft aber auch für den umfangreichen Komplex der Sozialfürsorge zu mit der Errichtung von Versieherungsgesellschaften, Witwen- und Waisenkassen und Zucht-, Arbeits- und Waisenhäusem. Das beste Beispiel hierfür ist wohl das 1782 in Neuenstein gegründete «Institut», wo sich soziale und ethisch-pädagogische Ziele mit ganz vordergründig ökonomischen Absichten vereinten. In den kleinen Ländern der «Schlösser und Bauerndörfer» fehlte mit den größeren Städten auch eine breitere bürgerliche Schicht im Bevölkerungsaufbau und damit das gebildete, aufgeschlossene, unruhige Element, welches hauptsächlich das Ideengut der Aufklärung in den anderen Territorien verbreitete und verwirklichte. Daher waren es nicht die «Gelehrten», sondern zumeist die Pfarrer, wie der bekannte Reformer der Hohenloher Landwirtschaft, Johann Friedrich Mayer aus Kupferzell,1 die die konservative ländliche Bevölkerung mit neuen Wirtschaftsmethoden (Stallfütterung, Kleeanbau, künstliche Düngung) und Erwerbsmöglichkeiten bekannt und vertraut machten, ein Zeichen auch für den Wandel der Theologie im achtzehnten Jahrhundert ins Utilitaristisch-Eudämonistische. Fast allen Kleinstaaten gemeinsam war das ständige Suchen nach neuen Geldquellen. Denn die pracht- und prunkvollen Schloßbauten des Barock und Rokoko und der 1 K. Schümm, Pfarrer Johann Friedrich Mayer und die hohenlohische Landwirtschaft im 18. Jh. (WF, NF 30) 1955, 138-167; Ders., 24·

Johann Friedrich Georg Hartmann Mayer (Lebensbilder Schw. 6) 1956, 139-152.

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Franken: D. II. Staat und Gesellschaft. Zweiter Teil: 1300-1800

dementsprechend aufwendige und verschwenderische feudale Lebensstil, der hohe Personalaufwand, die schwerfällig-unrationelle Verwaltung und vorherrschende Cliquenherrschaft sowie die allzu übertriebene Betonung der reichsständischen Stellung und des Prestiges erforderten Mittel, die die Einnahmen des Fürsten oder Grafen und seines Herrschaftsbereiches weit überstiegen. Da, mit Ausnahme der Grafen von Castell, nicht zwischen Allod und «Land» unterschieden wurde und es in den Grafschäften keine Landstände gab, fehlte die Möglichkeit, um der Verschuldung und ständigen Aushöhlung der finanziellen Grundlagen der Länder infolge Verkauf oder Verpachtung wichtigster Staatseinnahmen, wie Zoll, Umgeld, Monopole, Lotto usw. wirksam entgegentreten zu können. Jüdische Hoffaktoren und die vielen mehr oder weniger betrügerischen Projektemacher gehörten so unausweichlich zum Hofleben auch der fränkischen kleinen Herren des achtzehnten Jahrhunderts. Selbstverständlich waren der Reichtum, der Lebensstil und das ständische Prestige der einzelnen Grafengeschlechter verschieden, wie auch der Wohlstand ihrer Untertanen. Während z. B. die Schwarzenbergischen Untertanen, deren Fürstenhaus in österreichischen Diensten zu Reichtum und Würden gelangte und in den Stammlanden nicht einmal mehr residierte, berechtigten Grund zu Klagen hatten, wurden Hohenloher Weinbauern und Viehhändler zu den großen Kreditgebern ihrer Landesherren. Unterschiedlich in Größe, Besitz, Ansehen und in ihrer politischen und kulturellen Bedeutung waren die patrimonial-patriarchalischen Herrschaftsgebilde der Grafschaften entscheidend mit dafür verantwortlich, daß die adlige Welt in Franken bis zum Untergang des Alten Reiches vorherrschend und prägend erhalten blieb. Ihre Duodez-Residenzen mit den reichen Bibliotheken und Gemäldesammlungen und den weiten nach französischen Vorbildern gestalteten Parkanlagen waren nicht nur kulturelle Zentren, nicht nur «geträumte Geschichte», vielmehr hatten die Grafen- und Fürstenhäuser noch immer hohen Anteil am politischen und militärischen Geschehen im Reich. Erst die von Napoleon diktierten Rheinischen Bundesakte vom 12. Juli 1806 unterstellten die Reichsgrafschaften und kleineren Fürstentümer der Souveränität der Mittelmächte. Mit der Rcichsunmittelbarkeit verloren die alten Dynastengeschlechter ihre Landeshoheitsrechte und ein Gutteil ihrer bisherigen Einnahmen, während ihnen als mediatisiertcn Standesherrcn die mittlere und niedere Zivil- und Kriminaljurisdiktion, die Patronatsrechte und einige andere unwesentliche Rechte und Feudalgefälle von den neuen Landesherren belassen wurden. Henneberg. Zu den ältesten und bedeutendsten Grafengeschlechtern in Franken zählten die 1310 gefürsteten Grafen von Henneberg, deren Besitzstand jedoch durch mehrfache Teilungen und häufige Verpfändungen merklich geschmälert wurde. So war um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts die «Pflege Coburg» mit Hildburghausen, Eisfeld, Königsberg in Franken und Coburg an Sachsen-Meißen gekommen und bildete fortan die «sächsischen Ortslande in Franken», die 1512 zum Obersächsischen Reichskreis gezogen wurden. Mit dem Tod des letzten Grafen Georg Ernst im Jahre 1583 fielen die hennebergischen Lande gänzlich auseinander. Die Herrschaft Schmalkalden kam auf Grund eines Erbvertrages von 1521 an die Landgrafen von Hessen-Kassel, alle anderen Gebiete fielen infolge Erbverbrüderun-

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gen an das Haus Wettin, das die Erwerbungen bis 1660 gemeinsam und ungeteilt besaß. Erst dann wurden die Güter zwischen dem albertinischen Kurhaus und den sechs ernestinischen Linien geteilt, von denen das Haus Gotha-Römhild 1710 ausstarb, was zu weiteren komplizierten Teilungen führte. Auch die sieben Söhne des Ernestiners Herzog Ernst des Frommen von Sachsen-Gotha teilten 1680/81 und begründeten eigene Linien, die sie nach ihren Wohnsitzen benannten, darunter Meiningen, Hildburghausen und Coburg-Saalfeld, so daß mehrere ernestinische Teilherzogtümer dem Fränkischen Kreis zugehörten. Wie sehr diese Kleinstaaten und ihre bescheidenen Residenzstädte von dem Herrscherhaus und seinem Hof geprägt wurden, zeigt eindrucksvoll das Beispiel Coburg. Allein Herzogjohann Casimir,1 dem großen Förderer von Kunst und Wissenschaft, verdankt Coburg den repräsentativen Umbau der Ehrenburg, das Zeughaus und die Kanzlei sowie das Gymnasium «Casimirianum»,1 2 womit der Renaissancefürst die heute noch entscheidenden städtebaulichen Akzente gesetzt hat (s. u. 753 f.). Hohenlohe. Ein weiteres dem hohen Adel zugehöriges Geschlecht waren die Hohenlohe, die sich, um die Mitte des zwölften Jahrhunderts erstmals erwähnt, nach der Burg Hohenlohe bei Uffenheim nannten, welche die wichtige Straße AugsburgFrankfurt kontrollierte. Um den laufenden Erbteilungen, Zersplitterungen und Verlüsten ein Ende zu bereiten und die Substanz der Grafschaft zu bewahren, wurde 1511 durch ein Hausgesetz die Unveräußerlichkeit des Territorialbesitzes festgelegt, womit jedoch nicht weitere Teilungen innerhalb des Hauses ausgeschlossen waren.3 So legte die sog. Hauptlandesteilung von 1553/55 die Grundlagen für die ganze spätere Entwicklung, indem sich das gräfliche Haus Hohenlohe in die beiden Hauptlinien Waldenburg und Neuenstein trennte, die ihrerseits sich wiederum mehrfach aufspalteten. Die Neuensteiner Linie untergliederte sich in die Unterlinien Neuenstein, Weikersheim, Künzelsau, Öhringen (= seit 1861 Herzöge von Ujest), Langenburg, Ingelfingen und Kirchberg; die Waldenburg’sehe Hauptlinie teilte sich in Waldenburg, Bartenstein, Schillingsfürst (= seit 1840 Herzöge von Ratibor und Fürsten von Corvey) und die beiden nur kurzzeitigen Linien Pfedelbach und Jagstberg. Das Gesamthaus hatte sich 1533 mit einer eigenen Kirchenordnung der Reformation zugewandt, doch traten 1667 die Linien Bartenstein und Schillingsfürst zum Katholizismus über,4 was 1744 mit der Erhebung in den Reichsfürstenstand honoriert wurde, während die 1 Herzog Johann Casimir von Sachsen-Cobürg. Ausstellungskatalog zur 400. Wiederkehr seines Geburtstages, 1964 (mit mehreren Beiträgen und Lit.); F. G. Kaltwasser, Die Schloßbibliothek des Herzogs Johann Casimir von Sachsen-Coburg 1564-1633 (Jb. d. Coburger Landesstiftung) 1961, 13-26; ADB 14 369-372. 2 Lit. zum Casimirianum s. u. 616 Anm. 2. 3 Von den einzelnen Linien wurden erst im Laufe des 18. Jhs. Primogeniturordnungen aufgestellt. Vgl. F. Ulshöfer, Die Hohenlohisehen Hausverträge und Erbteilungen. Grund-

linien einer Verfassungsgesch. der Grafsch. Hohenlohe seit d. Spätmittelalter, 1960. Die Erbeinigung von 1511 s. 124 ff. 4 K. Schümm, 700 Jahre Stadt Waldenburg, 1954; N. Schoch, Die Wiedereinführung und Ausübung des öffentlichen katholischen Gottesdienstes in der Grafschaft Hohenlohe-Waldenburg im 17. und 18. Jh., verglichen mit den Bestimmungen des Westfälischen Friedens und den Hohenlohischen Hausverträgen, Diss. Masch. Tübingen 1958, teilw. abgedr. unter dem Titel: Eine Gegenreformation in Hohenlohe (WF, NF 40) 1966, 304-333.

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Franken: D. II. Staat und Gesellschaft. Zweiter Teil: 1500-1800

protestantisch verbliebenen Häuser erst zwanzig Jahre später den Fürstenrang zuerteilt erhielten. Rund 100000 Einwohner in 17 Städten, ‫ ך‬Märkten und etwa 250 Dörfern und Weilern umfaßte im achtzehnten Jahrhundert das ganze Land, dessen Reichtum Viehzucht und Obst- und Weinbau bildeten,1 während Manufakturen noch sehr selten waren. Da die Besitzungen unter die vielen, meist 6 Linien zersplittert waren - lediglich der Lehenshof und das Archiv waren gemeinschaftlich2 -, entschieden letztlich die Persönlichkeit und Verdienste des einzelnen Herrschers über Rang und Ansehen der jeweiligen Familie und des gesamten Hauses. Bemerkenswert ist die Weite des Wirkungsfeldes der Hohenlohe. Philipp von Neuenstein (j1606‫ )־‬zeichnete sich als Reiterführer und Diplomat in den Diensten der Oranier aus, während Georg Friedrich von Neuenstein, durch Heirat in Böhmen reich begütert, zum Leiter des Kriegswesens der aufständischen böhmischen Stände und zum Verlierer der Schlacht am Weißen Berg wurde. Als Parteigänger Gustav Adolfs avancierte er schließlich zum schwedischen Generalstatthalter im Schwäbischen Kreis, während sein Bruder Kraft in gleicher Funktion im Fränkischen Kreis tätig war. Friedrich Wilhelm von Kirchberg (j1796 ‫ )־‬trat in österreichische Dienste und war als Heerführer maßgeblich an der Vertreibung der Türken aus Siebenbürgen und an den militärischen Erfolgen im ersten Koalitionskrieg beteiligt. Friedrich Ludwig Fürst von H.-Ingelfingen (j1818 ‫ )־‬dagegen wechselte nach dem siebenjährigen Krieg, an dem er auf Seiten Österreichs teilgenommen hatte, in das Heer Friedrichs von Preußen über und stieg dort zum hochgeachteten Feldmarschall auf, der in den beiden ersten Koalitionskriegen hohe militärische Erfolge verzeichnen konnte. Nachdem er die Schlacht bei Jena gegen Napoleon verloren hatte, zog er sich als gebrochener Mann völlig zurück. Friedrich Ludwig von Ingelfingen war es zuvor auch gelungen, Hohenlohe 1796 in den Frieden von Basel mit einzubeziehen und die somit neutralen Lande von Kontributionen und Marodeurs freizuhalten. Aber sogar er konnte die Bauernunruhen nicht verhindern, die in den letzten Jahren des Alten Reiches unter dem Eindruck der Revolution in Frankreich ausgebrochen waren, mit der man seit der Einquartierung der «Emigrantenlegion Mirabeau»3 besonders engen Kontakt hatte. Doch waren die Forderungen der aufständischen Bauern nur feudal-rechtlich und ökonomisch motiviert und richteten sich primär gegen neue Lasten; keineswegs wollten die reichen Bauern an den Grundlagen des Staates und der bisherigen GesellSchaftsordnung rütteln, wie die mißglückte Wahl von Landesdeputierten 1801 zeigt.4 Fürst Friedrich Ludwig konnte auch trotz seines hohen Ansehens und seiner hervorragenden Verbindungen zu den europäischen Höfen und zur Frankfurter 1 W. Saenger, Die bäuerliche Kulturlandschäft der Hohenloher Ebene und ihre Entwicklung seit dem 16. Jh. (Forsch, z. deutschen Lkde. 101) 1957; E. Schremmer, Die Bauernbefreiung in Hohenlohe (Quellen u. Forschungen z. Agrargesch. 9) 1963; H. Trumpfheller, Die Finanzwirtschaft in Hohenlohe z. Zeit d. Kameralismus (1700-1806), Diss. Masch. Tühingen 1959.

2 F. Bechstein, Die Beziehungen zw. Lchensherr und Lehensträger in Hohenlohe seit dem 13. Jh., Diss. Tübingen 1965. 3 W. Wühr, Die Emigranten der franz. Revolution im bayer. und fränk. Kreis (Schriftenreihe 27) 1938, 121-137. 4 Vgl. K. Weller, Hohenloher Landständc (WF, NF 15) 1930, 41-43.

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Union der mindermächtigen Stände nicht verhindern, daß auch das Haus Hohenlohe 1806 mediatisiert und alle Souveränitätsrechte über die hohenlohischen Lande den Königen von Württemberg und Bayern übertragen wurden.1 Schwarzenberg. In die weltliche Fürstenbank des Fränkischen Reichskreises rückten 1672 auch die Schwarzenberg, die zwei Jahre zuvor in den Reichsfürstenstand erhoben worden waren und 1674 aus der Bank des fränkischen Grafenkollegiums beim Reichstag überwcchselten in den Reichsfürstenrat, wo sie eine Virilstimme erhielten. Hervorgegangen war das fränkische Uradelsgeschlecht aus dem Geschlecht der von Seinsheim, die zu Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts auch die Burg und Herrschaft Schwarzenberg am Steigerwald erworben und dem Reich zu Lehen aufgetragen hatten.1 2 Das bekannteste Mitglied dieser Familie war Johann (der Starke) von Schwärzenberg (1463-1528), Jurist, Schriftsteller, nationaler Humanist und begeisterter Anhängcr Luthers. Seine «Bamberger Peinliche Halsgerichtsordnung» (1507) wurde fast unverändert auch in Brandenburg-Ansbach und Kulmbach eingeführt (1516) und wurde schließlich zum maßgeblichen Vorbild für die «Constitutio Criminalis Carolina» von 1532.3 Schloß und Herrschaft Schwarzenberg fielen 1588 an die katholische Linie des seit 1566 gräflichen Hauses, wobei allerdings die Untertanen protestantisch verblieben. Die katholische rheinische Linie war schon früh in kaiserliche Dienste getreten und Adolf von Schwarzenberg hatte es in den Türkenkämpfen an der Raab bis zum Feldmarschall gebracht. Am erfolgreichsten aber war wohl Johann Adolf (1615-83), der zum Präsidenten des Reichshofrats aufgestiegen war und die Standeserhöhung (1671 gefürstete Grafschaft) durchsetzen konnte. Unter ihm war die Herrschaft Seinsheim an das Haus Schwarzenberg gefallen, dem er auch die volle Gerichtsbarkeit sicherte, indem er die Exemtion des gesamten fränkischen Hausgutes von allen Landgerichten erlangte. Sein Hauptinteresse aber galt den neuen reichen und ausgedehnten Besitzungen in Südböhmen, mit dem wenig später erworbenen Herzogtum Krumau als Mittelpunkt, und in der Steiermark, wo der Fürst sogleich den Abbau und die Verwertung der Eisenerzvorkommen in Angriff nehmen ließ.4 Durch Eheschließungen kamen weiterhin noch umfangreiche Güter im Westfälischen an das Haus Schwarzenberg sowie die Grafschaft Sulz und die Landgrafschaft Klcggau (Klettgau), so daß die Fürsten seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts 1 Vgl. Η. B. Graf v. Schweinitz, Hohenlohe u. die Mediatisierung in Franken u. Schwaben, Diss. Masch. Tübingen 1953, Teilabdruck unter dem Titel: Die staatsrechtliche Stellung der Mediatisierten unter der Rheinbundverfassung in Württemberg (WF, NF 28/29) 1953/54, S. 269-286. 2 F. Andraschko, Schloß Schwarzenberg im Wandel der Zeiten (Schwarzcnbg. Almanach 1959)133-242. 3 H. Rössler, Der starke Hans: Johann von Schwarzenberg (Rößler) 156-165; W. Scheel, Johann von Schwarzenberg, 1905; F. Merzbacher, Johann Freiherr zu Schwarzenberg in

Würzburgisclicn Diensten (ZRG 69) 1952, 363 bis 371; Ders., Johann Freiherr zu Schwarzenberg (Fränk. Lebensbilder 4) 1971, 173-185; E. Wolf, Große Rechtsdenker d. deutschen Geistesgesch., 1963■ *; ADB 33, 305 f.; Looshorn IV (knappe und zu ungünstige Würdigung). S. o. 199. 4 F. Blaschko, Die böhin. Besitzungen (Schwarzenberg Jb. 1950) 267-308; Ders., Der Eisenbergbau auf der Herrschaft Murau (Schwarzenb. Almanach 1968) 33-158; S. Duscher, Versuch einer Wirtschaftsgesch. der Schwarzenberg’schen Forste (Schwarzenb. Jb. 1950) 267-308.

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noch Mitglieder des Grafenkollegiums des Schwäbischen Reichskreises waren wie auch des niederösterreichischen Herrenstandes. Durch diese außerfränkischen Interessen und durch die ständigen Verpflichtungen und vielen Ämter der Fürsten am kaiserlichen Hof wurden ihre nur von Amtsleuten verwalteten fränkischen Stammlande oftmals spürbar vernachlässigt, so daß sich die fränkischen Untertanen (etwa 65 000) mehrfach mit Beschwerden an die Reichsstände und Reichsbehörden wandten, und zwar wegen wirtschaftlicher Mißstände und nicht zuletzt wegen verspäteter gegenreformatorischer Repressalien. Besondere Förderung erfuhr im Zeitalter des Merkantilismus lediglich das erst 1643 erworbene Marktbreit, das zu einem ansehnliehen Handels- und Umschlagsplatz ausgebaut wurde,1 mit Zoll und Stapelrecht und mit zahlreichen Juden.12*Die eigentliche, überregionale Bedeutung des Hauses Schwarzenberg liegt in der Vielzahl hervorragender Persönlichkeiten, die es als Diplomaten, Verwaltungsfachleutc und Heerführer für Kaiser und Reich zur Verfügung stellte. Es sei hier nur auf den kaiserlichen Obersthofmeister Josef I. Adam (1722-82) und den Feldmarschall Karl Philipp (1771-1830)’ hingewiesen, der sich als Diplomat wie als militärischer Führer der kaiserlichen Armee gegen Napoleon gleichermaßen auszeichnete. Löwenstein-Wertheim. Im Jahre 1712 wurde das Haus Löwenstein-Wertheim-Rochefort nach der im Jahr zuvor erfolgten Erhebung in den Reichsfürstenstand ebenfalls zur fränkischen Fürstenbank zugelassen. Allerdings wurde das Stimmrecht nur ad personam erteilt, da kein entsprechendes Territorium zur Verfügung stand. Die Standeserhöhung war eine Dankesgeste an Maximilian Carl Graf zu Löwenstein-Wertheim, der als kaiserlicher Gesandter im Fränkischen und Oberrheinischen Kreis, als Administrator im besetzten Bayern, als Prinzipalkommissar am Reichstag zu Regensbürg und als Gouverneur des Herzogtums Mailand ständig Gelegenheit hatte, seine außergewöhnliche politische Begabung, seine charakterliche Integrität und vor allem seine aufopferungsvolle Treue zum Hause Habsburg unter Beweis zu stellen.4 Das Haus Löwenstein entstammte der Verbindung des Kurfürsten Friedrich von der Pfalz mit Klara Tott und nannte sich nach der Grafschaft Löwenstein nördlich Heilbronn im Schwäbischen Kreis, die 1504 unter die Landeshoheit Württembergs gekommen war. Nach dem Tode des letzten Grafen von Wertheim, einem alten Dynastengcschlecht mit reichem Besitz im Odenwald und im Spessart, im Jahr 1556 fiel die Grafschaft im Erbgang über die Grafen von Stolberg 1574 an Graf Ludwig II. von Löwenstein, den Präsidenten des Reichshofrats. Das gräfliche Haus, das sich nun 1 G. Vogel, Der Schwarzcnbcrgischc Verkehrs- u. Handelsplatz Marktbreit am Main, 1933· 2 Die Marktbreiter Judengemcinde war die größte und bedeutendste auf Schwarzenberger Gebiet. Sie wurde von den Familien Oppenheimer und Wertheimer bestimmt, die fürstl. Hoffaktoren waren, aber auch mit dem kaiserl. Hof in Wien in Geschäftsbeziehungen standen. K. Fürst zu Schwarzenberg, Judengemeinden

Schwarzcnbergischcr Herrschaften (Schwärzenb. Almanach 1968) 283-300. 3 A. Prokesch v. Osten, Denkwürdigkeiten aus d. Leben d. Fürsten Schwarzenberg, 18612; ADB 33, 306-311. 4 C. Hutt, Maximilian Carl Graf zu Löwcnstein-Wertheiin-Rochefort u. der fränk. Kreis 1700-1702, 2 Bde., Diss. Würzburg 1969 (eingehende Würdigung). Vgl. o. § 32.

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Löwenstein-Wertheim nannte, mußte sogleich seine protestantische Konfession’ und seine territoriale Unabhängigkeit gegen Julius Echter von Würzburg verteidigen. Ludwigs Söhne gründeten die Linie Virneburg und die jüngere Rocheforter Linie in Wallonien. Die beiden Häuser regierten die Grafschaft Wertheim gemeinsam, was durch Beschluß der Westfälischen Friedensversammlung nochmals eigens bestätigt wurde. Beide Familien besaßen je ein Schloß und eine Kanzlei mit entsprechendem Apparat in der Residenzstadt Wertheim, was Anlaß zu unaufhörlichen Streitigkeiten war, zumal die jüngere Linie 1621 zum Katholizismus übergetreten war. Nur die katholische Rocheforter Linie wurde auch gefürstet, während die ältere Familie protestantisch blieb und erst 1812 von den Königen von Bayern und Württemberg den Fürstentitel erhielt. Unter den Regenten des achtzehnten Jahrhunderts verdient vor allem der katholische Reichsgeneralfeldmarschall Fürst Carl Thomas besondere Beachtung. Bestens begabt und hervorragend gebildet - er war korrespondierendes Mitglied der Academie Franchise - wandelte er sein Fürstentum in einen modernen aufgeklärten absolutistischen Staat um, mit sauberer, rationeller Verwaltung, mit durchgreifenden Wirtschaftsmaßnahmen (Ausbau der MainschifFahrt!) zur Hebung der Wohlstands der Bevölkerung und systematischer Förderung der Bildung und Sittlichkeit der Untertanen. Für kurze Zeit erreichte Wertheim, das sich nach 1795 ebenfalls der preußischen Neutralitätspolitik angeschlossen hatte, sogar ein weitgehend arrondiertes, geschlossenes Territorium, da es im Frieden von Luneville für seine linksrheinischen Verluste reich mit günstig gelegenen Würzburger und Mainzer Besitzungen entschädigt worden war. Doch der Rheinbund machte diesem blühenden Staatswesen ein Ende. Das mediatisierte Fürstentum Wertheim wurde unter die Mittelmächte Bayern, Württemberg, Baden, Hessen und den Dalbergstaat auf-

Castell. Zu den ältesten Dynastengeschlechtem in Franken gehörten die seit dem elften Jahrhundert nachweisbaren Castell. Im Spätmittelalter hatten die Grafen schwere territoriale Verluste hinnehmen müssen, so daß sie schließlich gezwungen waren, die ganze Grafschaft 1457 dem Bischof von Würzburg als Lehen aufzutragen. Dabei blieb allerdings die Reichsstandschaft der Castell unberührt, auch wenn dies Würzbürg später anfocht. Durch mehrere heimgefallenc Lehen konnten die Grafen ihr Territorium bald wieder merklich vergrößern. Vor allem die Wcrtheim’sche Erbschäft führte dazu, daß sich 1597 die zwei Linien Remlingen und Rüdenhausen bildeten. Die Landeshoheit über das Territorium der Grafschaft lag bei den jeweils regierenden Herren der beiden Linien gemeinsam, die Lehensadministration dagegen wurde vom Senior des Gcsamthauscs wahrgenommen. Um 1800 war die Grafschaft in vier Ämter cingeteilt und zählte rund 10000 Untertanen in etwa dreißig geschlossenen Ortschaften, acht Kondominatsorten und in vielen fremdherrischen Dörfern und Weilern. Zu diesen territorialen Gegebenheiten trat als besonders erschwerend hinzu, daß bis zur Einführung der Primogenitur (Rüdenhausen 1747, Remlingen 1797) für die jeweiligen Agnaten sog. «Landesportionen» geschaffen wurden, also 1 H. Neu, Gesch. d. evang. Kirche in der Grafschaft Wertheim, 1903; Μ. Simon, Zur

Reformationsgcsch. der Grafschaft Wertheim (ZBKG 29) 1960, 121-144.

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der Besitzstand unüberschaubar zersplittert wurde. Jeder der «mitregierenden Herren» unterhielt seine eigene Kanzlei mit entsprechend aufgeblähtem Personalbestand und sogar sein eigenes Konsistorium, so daß oftmals wirklich «barocker Zopf» in diesen kleinen und kleinsten Herrschaften regierte. Unter den üblichen Maßnahmen zur Landesverbesserung während der Aufklärung verdient die auf Anregung des damaligen Kanzleidirektors und späteren Kreisgesandten Friedrich Adolph von Zwanziger1 erfolgte Gründung einer «Landes-Credit-Casse» (1774)12*besondere Hervorhebung, da sie heute noch als Castell-Bank besteht. Erwähnung verdient auch das «Regiment Castell», das auf allen Schlachtfeldern des Reiches und des Hauses Osterreich kämpfte. Kurz vor der Mediatisierung, im Jahre 1803,’ starb die Rüdenhausener Linie aus. Die beiden Remlinger Brüder Albrecht Friedrich Carl und Christian Friedrich wurden die Begründer und Ahnherrn der Familien (Neu)-Castell-Castcll und (Neu)-Castell-Rüdenhausen, die 1901 vom Prinzregenten von Bayern für die Primogenitur beider Linien gefürstet wurden. Schönborn. Das Haus Schönborn kam mit dem Erwerb der reichsständischen Herrschäft Wiesentheid 1702 sogar in den Besitz einer zweiten Stimme im Grafenkolleg des Fränkischen Kreises.4 Denn schon 1671 hatte Kurfürst Johann Philipp von Schönbom als Bischof von Würzburg seinem Bruder Philipp Erwein die heimgefallene Reichsherrschaft Reichelsberg zu Lehen übertragen, wobei allerdings zunächst die Grundherrschaft und die Territorialrechte beim Hochstift verblieben. 1678 erlangten die Schönbom vom Kaiser die Reichsgrafenwürde und 1684 auch die Zustimmung des Kreises, in die Grafenbank einzurücken. Damit hatte das seit dem Mittelalter im Westerwald ansässige Rittergeschlecht endgültig in Mainfranken Fuß gefaßt und stieg innerhalb kürzester Zeit zu einer der angesehensten Familien nicht nur in Franken, sondern im Reich auf. Innerhalb dreier Generationen, zwischen 1642 und 1756, hatten sechs Schönborn vierzehn Fürstenthronc inne, so daß man, bei dem vorherrschenden ausgeprägten Familiensinn, zu Recht von einer einzigartigen Dynastiebildung der Schönborn sprechen kann. Mit dem Kurfürstentum Mainz (Johann Philipp und Lothar Franz), Kurtrier (Franz Georg), Worms (Johann Philipp und Franz Georg), Speyer und Konstanz (Kardinal Damian Hugo),5 Bamberg (Lothar Franz und Friedrich Karl) und Würzburg (Johann Philipp,6 Johann Philipp Franz und Friedrich Karl) beherrschte die Familie Schönborn weitgehend die Reichskirche, die auch nach dem Tridentinum Adelskirche geblieben war, und gab einer ganzen Epoehe den Namen. Weiterhin befanden sich noch die gefürsteten Propsteien Prüm und Ellwangen (Franz Georg) in ihrer Hand, wie sic auch im Malteser-Orden und im 1 K. H. Zwanziger, Friedrich Adolph von Zwanziger, gräflich Castell’schcr Geheimrat u. Kreisgesandter 1745-1800. (Ncujahrsbll. 11) 1916 (knapp). Eingch. Riedlnauer, Reichsvcrfassung (s. o. 245). 2 E. Krause, 175 Jahre Fürstlich CastcH’schc Bank, Credit-Cassc 1774-1949, 1949. 5 Prosper Graf zu Castell-Castell, Die Mcdiatisierung der Grafschaft Castell (Mainfr. Jb. 2) 1950, 246-269.

4 Μ. Domarus, Wiesentheid - seine Gesch. und seine Bedeutung, 1953; Ders., Territorium Wiesentheid. Urkunden z. Gesch. der reichsständischen Herrschaft (Grafschaft) 1681-1806, 1956 (wird den verfassungsgeschichtlichcn Problemstellungen nicht völlig gerecht). 5 Ο. B. Roegele, Die drei Berliner Missionen d. Grafen Damian Hugo v. Schönborn (ZGO 203) 1955, 426-467 (m. d. älteren Lit.). 6 Jurgensmeier (s. o. 232 Anm. 4).

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Deutsch-Orden vertreten waren, dazu als Dignitäre in fast allen Kapiteln der südund westdeutschen geistlichen Fürstentümer. Mit dem Reichserzkanzler- und dem Reichsvizekanzleramt (Friedrich Karl)1 hatten sie auch unmittelbaren Einfluß auf die Geschicke des Reiches; zudem konnten sie mehrere Reichshofräte und kaiserliche Geheime Räte und einen kaiserlichen General (Anselm Franz) stellen. Eine Fülle geistlicher und weltlicher Macht befand sich in den Händen der weitverzweigten Familie, die so aber auch die Mittel erhielt für ihr reiches Mäzenatentum1 23und zur Verwirklichung ihrer hochgespannten künstlerischen Pläne, die sie bei ihrem beschränkten Eigenbesitz (rund ioooo Untertanen) nie hätte durchführen können. Kein weitlichcs Fürstenhaus hat, nach dem Urteil Georg Dehios, im Zeitalter des Barock mehr für die bildende Kunst getan als das Haus Schönbom. Den künstlerischen Höhepunkt stellt wohl das Privatschloß Pommersfelden dar, das Kurfürst Lothar Franz mit der Dotation für seine Mitwirkung bei der Kaiserwahl 1711 errichten ließ.·’ Von dem hohen Selbstverständnis der Schönborn zeugt am eindrucksvollsten das Hochaltarbild der Schloßkirche zu Gaibach, wo die führenden Persönlichkeiten der Familie in der Glorie zu Füßen der Trinität dargestellt sind.4 Dernbach. Auch das Geschlecht der von Dernbach war aus der Rheinischen Ritterschäft hervorgegangen und stieg nach der Reformation zu hohen geistlichen und weltlichen Würden auf. Gleich den Grafen von Schönborn füllten sie eine Lücke auf, die durch das Ausscheiden der protestantischen Angehörigen der fränkischen Reichsritterschaft in den Dom- und Stiftskapiteln und in den Ämtern der geistlichen Fürstentümer entstanden war. Unter Peter Philipp von Dernbach, der als Bischof von Bamberg und Würzburg (1672/73-83) die beherrschende politische Figur im Fränkischen Kreis war, erreichte das Geschlecht den Aufstieg in den Reichsgrafenstand.5 Kraft kaiserlicher Machtvollkommenheit wurden die von den Dernbach in und um Wiesentheid erworbenen reichsritterschaftlichen Güter von Leopold I. zum Reichstemtorium erklärt, was reichsrechtlich an sich nicht möglich war. Daraufhin erlangten die Dernbach die Kreis- und Reichsstandschaft; mit der Ritterschaft wurde gegen eine entsprechende Abstandssumme ein Vergleich gefunden. Als die Familie 1697 ausstarb, wurden die Schönbom ihre Haupterben, was zu neuen Auseinandersetzungen mit dem Hochstift Würzburg führte, da dieses die neugebildete Grafschaft nicht dulden wollte, bis auch hier ein Ausgleich gefunden werden konnte. Ein Teil des Dernbach’schen Erbes wurde testamentarisch zur Gründung eines adligen DamenStiftes, St. Anna in Würzburg, verwendet, das heute als Pfründestiftung fortbesteht.6 1 H. Hantsch, Reichsvizckanzler Friedrich Karl v. Schönborn (1674-1746). Einige Kapitel z. polit. Gesch. Kaiser Josefs I. u. Karls VI., 1929. 2 Vgl. Abert, Mäcenatentum (s. u. 764); F. Zobeley, Rudolf Franz Erwein Graf von Schönborn (1677-1754) u. seine Musikpflege (Neujahrsbll. 21) 1949; v. Freeden, Würzburger Residenz (s. u. 764); Ders., Kunst u. Künstler (s. u. 765 Anm. 1). 3 Hofmann, Pommersfelden (s. u. 765 Anm.

;2) A. Schröcker, Besitz u. Politik d. Hauses Schönborn (Mitt. d. österr. Staatsarchivs 26) 1973· 4 Abgebildet bei Domarus, Marquard W. Graf v. Schönborn (s. o. 370), 16 f. 5 Vgl. Wunschel (s. o. 355 Anm. 3). 6 Vgl. Μ. Domarus, Abtissin Eva Theresia von Schönbom u. das Adelige Damenstift zur Heiligen Anna in Würzburg (QFGHW 16) 1964.

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Franken: D. II. Staat und Gesellschaft. Zweiter Teil: 1500-1800

Rieneck. Zu den alteingesessenen Grafengeschlechtern in Franken gehörten ferner noch die Rieneck und die Schenken von Limpurg. - Die Grafschaft Rieneck war nach dem Tod des letzten Grafen 1559 mit Ausnahme des Hanauer Viertels und einiger Würzburger Exklaven von Kurmainz als heimgefallenes Lehen eingezogen worden, das zudem zwei Jahre später auch noch die Allodien durch Kauf erwarb. Kurmainz führte auch Sitz und Stimme für Rieneck sowohl auf den Reichs- als auf den Kreistagen. Im Jahr 1673 verkaufte der Kurfürst von Mainz die Grafschaft Rieneck an den böhmischen Kanzler Graf Johann Hartwig von Nostiz, behielt dabei aber das reiche Amt Lohr ein. Das aus der Lausitz stammende, in österreichischen Hof- und Kriegsdiensten aufgestiegene Haus von Nostiz erwarb Rieneck lediglich, um damit die Reichsstandschaft zu erlangen. Es kümmerte sich auch nicht weiter um die neue Grafschäft, sondern ließ sie mehr oder weniger erfolgreich von einem Amtmann verwalten. Die Kreisstandschaft war nach 1673 zwischen Kurmainz und den Grafen von Nostiz-Rieneck geteilt. Limpurg. Die Reichserbschenken von Limpurg hatten 1441 eine Erbteilung in die drei Linien Gaildorf, Schmiedelfeld und Speckfeld-Obersontheim durchgeführt, die im Mannesstamm 1657, 1690 und 1713 erloschen, nachdem sie kurz zuvor in den Grafenstand erhoben worden waren. Haupterbe war zunächst Preußen, das jedoch nach heftigem Widerstand der fränkischen Kreisstände seine Rechte an Ansbach abtrat, von dem die Allodialerben bis zum Jahr 1746 nach langwierigen Prozessen und Verhandlungen anderweitig entschädigt und abgefunden wurden. Das Allodialerbe der Limpurg, die ihre Stammburg schon 1541 an die Reichsstadt Schwäbisch Hall verkauft hatten, zerfiel schließlich nach mehrfachen komplizierten Teilungen in achtzehn verschiedene Teile und an siebzehn verschiedene Herren. Erbach. Die Grafen von Erbach im Odenwald, die aus einem rheinfränkischen Reichsdienstmannengeschlecht hervorgegangen und 1532 in den Reichsgrafenstand erhoben worden waren, hatten sich wegen der massiven Bedrohung durch die Mainzer Kurfürsten nicht dem Oberrheinischen, sondern dem Fränkischen Reichskreis angeschlossen. Nachdem einige Landesteilungen nur von kurzer Dauer waren, kant es im Jahr 1748 zu einer Nutzteilung in die drei Linien Erbach, Schönberg und Fürstenau. In das fränkische Grafenkollegium fanden seit der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts noch einige weitere neue Mitglieder Eingang. So erfolgte 1668 die Aufnahme der Grafen von Wolfstein, die eigentlich dem Bayerischen Kreis zugehörten, und 1726 die der Grafen von Giech,1 denen 1740 nach dem Aussterben der Wolfstein auch noch deren Kreisstimme, zusammen mit Hohenlohe-Kirchberg als den Allodialerben der Wolfstein, zufiel. 1693, acht Jahre nach ihrer Erhebung in den Grafenstand, erhielten auch die Geyer von Giebelstadt Sitz und Stimme im Fränkischen Kreis. Sie starben aber schon 1707 aus, wobei ihr Besitz aufgrund kurz zuvor geschlossener Verträge an Preußen fiel.1 2 Nach den! heftigen und erfolgreichen Widerstand der Kreisstände 1 Vgl. U. v. Pezold, Die Herrschaft Thurnau im 18. Jh. (Die Plassenburg 27) 1968, 35ff. 2 Loewe (s. 238) 31 ff. u. 71 ff; Verträge

vom 14. April 1703 und 27. Okt. 1705. H. Bauer, Die Grafschaft Geyer (WFG, 1) 1862, 1-16.

§ 48. Die Reichsritterschaft (R. Endres)

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gegen ein Eindringen Preußens in den Fränkischen Kreis1 gab König Friedrich Wilheim I. diese Erbschaft seiner nach Ansbach verheirateten Tochter als Heiratsgut mit (1729). Aus Limpurgischem Allodialerbe kam die Herrschaft Welzheim an den Grafen von Grävenitz,2 bzw. an Württemberg, das somit auch im Fränkischen Kreis stimmberechtigt war. Als reine Personalisten wurden ferner noch die Grafen Ursin von Rosenberg, die ältere Linie der Grafen von Starhemberg, die Grafen von Windischgrätz, die Grafen von Wurmbrand und die Grafen von Pückler auf Burgfarrnbach in das Grafenkolleg aufgenommen.

§48. DIE REICHSRITTERSCHAFT DIE VOIGTLÄNDISCHE RITTERSCHAFT

J. C. Lünig, Des teutschen Reichsarchivs pari. spenc. cont. III, Die freie Reichsritterschaft in Schwaben, Franken u. am Rheinstrom, 1713; J. S. Bürgermeister, Bibliotheca equestris, 2 Bde., 1720; Ders., Codex diplomaticus equestris, 1721; Gedruckte Sammlungen der Ritterprivilegien: Des Heiligen Römischen Reichs ohnmittelbahr-freyer Ritterschafft d. sechs Ort in Francken emeuert-vermehrt u. confirmirte Ordnungen samt deroselben . . . Privilegien u. BefreyungsBrieffen auch Kayseri. Rescripten, 1720 u. 17722; J. J. Moser, Vermischte Nachrichten v. d. reichsritterschaftl. Sachen, 1772/73; Ders., Neueste Gesch. d. unmittelbaren Reichsritterschaft, 2 Bde., 1775/76; J- Mader, Reichsritterschaftliches Magazin, 13 Teile, 1780/90; J. F. Brandis, Über d. reichsritterschaftl. Staatsrecht u. dessen Quellen, 1788; J. G. Kerner, Allgemeines positives Staatsrecht d. unmittelbaren freien Ritterschaft in Schwaben, Franken u. am Rheine nebst einer Einleitung in d. Staatsrecht d. unmittelbaren freien Ritterschaft überhaupt, 3 Bde., 1786/89 (noch wichtig); J. G. Biedermann, Geschlechtsregister d. reichsfrey unmittelbaren Ritterschaft Landes zu Franken, löblichen Orts, 1747/51; Bundschuh IV, Anhang: Versuch einer . . . Beschreibung . . . d. Reichsritterschaft in Franken; H. Bauer, Der Ritterkanton Odenwald (WF 8, 1) 1868, 115 ff.; G. Seyler, Personalmatrikel d. Ritterkantons Rhön-Werra (AU 21) 1871, 347-397; Roth v. Schreckenstein (s. o. 304); Fellner (s. o. 304, vornehmlich nach Würzburger Quellen); H. Müller, Der letzte Kampf d. Reichsritterschaft um ihre Selbständigkeit 1790-1815 (Hist. Stud. Ebering 77) 1910; E. Frhr. v. Guttenberg, Reichsimmediat oder Landsaß? Beitr. z. Adelsgesch. Frankens (AO 24, H. 2) 1910,24-50; Th. Knapp, Der schwäb. Adel u. d. Reichsritterschaft (Württ. Vjhe. NF 33) 1922/24; K. S. Bader, Zur Lage u. Haltung d. schwäb. Adels am Ende d. Alten Reiches (ZWLG 5) 1941, 335-389; Pfeiffer, Nürnberger Patriziat (s. o. 324); Ders., Reichsritterschäft (s. o. 304); Bachmann, Landstände (s. o. 275); Hofmann, Adelige Herrschaft, bes. 95-106; Ders., Adel (s. o. 304); E. Riedenauer, Reichsritterschaft u. Konfession (Deutscher Adel 1555 bis 1740, Büdinger Vorträge 1964) 1965, 1-63; Ders., Die fränk. Reichsritterschaft (Frankenland, 8. Heimatkundl. Seminar 1967) 1968, 16-22; Ders., Probleme d. sozialen Aufstiegs bei d. fränk. Reichsritterschaft (ebd.) 24-30; Ders., Kontinuität u. Fluktuation im Mitgliederstand d. fränk. Reichsritterschaft. Eine Grundlegung z. Problem d. Adelsstruktur in Franken (Festgabe K. Bosl) 1969, 87-152 (Zusammenschau, Qu. u. Lit.); Schubert, Landstände; Hofmann, Ständ. Vertretungen (s. o. 353); Heinritz-Heller-Wirth, Wirtschafts- u. Sozialgeograph. Auswirkungen reichsritterschaftl. Peuplierungspolitik in Franken (Ber. z. deutschen Lkde. 41, H. 1) 1968, 45-72. - HAB Teil Franken, R. I u. R. II; bes. wichtig R. II, H. 1 a mit einer Karte, u. R. I, H. 9. - Zur Voigtländischen Ritterschaft. Holle, Die Streitigkeiten d. Markgrafen v. Bayreuth mit d. Ritterschaft über d. Reichsunmittelbarkeit (AO 8, H. 2) 1861, 55-95 (erfaßt noch nicht die eigentümliche Problematik); H. G. May, Die vogtländ. Ritterschaft. Eine verfassungsgeschichtl. Studie, Diss. Masch. Erlangen 1951 (grundlegend); Hofmann, Adelige Herrschaft 108 f. 1 Vgl. Endrbs, Erbabreden.

2 Der Graf von Grävenitz war der Bruder der Mätresse des Herzogs von Württemberg.

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Franken: D. II. Staat und Gesellschaft. Zweiter Teil: 1500-1800

Franken war eine Adelslandschaft schlechthin, wie es sonst nirgendwo im Heiligen Römischen Reich eine gab, und die aristokratisch-feudale Welt, in welcher der Adel den Staat, die Kirche und die Gesellschaft prägte und beherrschte, blieb weitgehend uneingeschränkt bis zum Ende des Alten Reiches erhalten. Neben den mächtigeren Landesherren bestimmten vor allem die mehr oder weniger vermögenden Edelleute auf dem flachen Land mit ihren zahlreichen Burgen, Schlössern und festen Sitzen das Gesicht der fränkischen Landschaft und drückten der Verfassungs- und Gesellschaftsentwicklung in diesem Raum ganz entscheidend ihren Stempel auf. In den fränkischen wie in den südwestdeutschen Gebieten des Reiches, den alten staufischen Reichsterritorien, war die ehemalige Reichsministerialität und auch der werdende Stiftsadel nie wirklich landsässig geworden. Er schloß sich vielmehr zu Rittereinungen zusammen, wobei die schwäbischen Ritterbünde bald zu politischen Korporationen wurden,1 während die Entwicklung in Franken langsamer verlief. Erstmals trat die fränkische Ritterschaft, d. h. die Zusammenfassung des gesamten Niederadels in diesem Raum, als eigene politische Korporation bei den Vcrhandlungen um den «Gemeinen Pfennig» auf, wobei allerdings schon die Organisationsform der Kantone erkennbar wurde. Wenige Jahre später, 1515 auf dem Ritterkonvent in Windsheim, erscheint sie erstmals in ihren sechsOrten. Weder der Adelsaufstand unter Sickingen noch die Reformation brachten einen Auseinanderfall der Adelskorporation,1 2 die sich zwischen 1540 und 1570 gegen den heftigsten Widerstand der Landesfürsten aus den jeweiligen Landständen und Landtagen der sich vollendenden landesherrlichen Territorien löste und ausschied.3 Im Augsburger Religionsfrieden von 1555 wurde die Ritterschaft auf Reichsebene erstmals den reichsunmittclbaren Reichsständen gleichgestellt und ihre Immedietät anerkannt.4 Der Augsburger Religionsfriede gestand ihr die Kirchenhoheit zu, ein wichtiges Attribut ihrer Territorialstaatlichkeit, die 1559 durch das Reichsoberhaupt eine formale Bestätigung erfuhr.5 1590 gab sich die fränkische Ritterschaft eine eigene Ordnung, nachdem ihr 1566 bereits das ius collectandi durch kaiserliches Privileg zugewachsen war. 1608 wird erstmals eine gemeinsame Ortskasse genannt, und durch kaiserliche Privilegien von 1609 und 1626 wurde der Güterbestand der Reichsritterschäft als territorienähnlich deklariert und der Ritterschaft darin das Stcucrrccht und das Einstandsrecht vorbehalten. Nach den Wirren des Dreißigjährigen Krieges, der die Ritter in ihrer wirtschaftlichen Existenz schwer geschädigt hatte, bestätigte Ferdinand III. nochmals den bisherigen Sonderstatus der freien Ritterschaft. Das Jahr 1555 mit dem Beitritt der Buchischen Ritterschaft6 brachte auch die Konsolidierung des äußeren Rahmens, des geographischen Raumes, den die fränkische 1 Vgl. Mau, St. Jörgenschild (s. u. 1005 Anm. 2); Obenaus, St. Jörgenschild (s. u. ebd.). 2 Vgl. Riedenauer, Reichsr. u. Konfession (s. o. 381) 60. 3 Die Ritterschaft erschien 1560 zum letzten Mal auf einem Bamberger Landtag (BachMann, Landstände 264 Anm. 11, s. o. 275), 1566 letztmals in Würzburg (Schubert, Land-

stände 139 f.); seit 1540 fehlten sic in Ansbach (A. Jegel, Die Tätigkeit der Landstände in Ansbach-Bayreuth 1534-41, 1910, 37 ff.). 4 Zeumer 347. 5 Druck bei Lünig (s. o. 381) 9. 6 Die bündnische Ritterschaft, die sich dem Kanton Rhön-Werra angeschlossen hatte, wurde allerdings erst 1656 vom Abt .von Fulda

§ 48. Die Reichsritterschaft (R. Endres)

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Ritterschaft umspannte; lediglich das endgültige Ausscheiden der Voigtländischen Ritterschaft zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts bedeutet eine gewisse Einbuße. Der fränkische Ritterkreis, der neben dem Reichskreis stand und diesen an Ausdehnung weit übertraf, erstreckte sich im Norden über den Vogelsberg und das Werratal hinaus, im Westen über den Odenwald hinweg, nach Süden bis ins Vorland der Schwäbischen Alb, während er sich nach Südwesten in den Schwäbischen und Kurrheinischen Kreis hinein aufsplittertc wie im Osten gegenüber den oberpfälzischen und ncuburgischen Ämtern.1 Organisiert war die «reichsfrey ohnmittelhare Ritterschaft Landes ztt Francken», in den sechs Kantonen oder Ritterorten Odenwald, Gebürg, Rhön-Werra, Steigerwald, Altmühl und Baunach.2 Die beiden anderen Ritterkreise Schwaben und Rheinstrom umfaßten je fünf bzw. drei Kantone. Die Kantone, die aus landschaftlich begrenzten Einungen unter König Wenzel erwachsen waren - lediglich Altmühl und Gebürg scheinen erst bei den Auseinandersetzungen um den «Gemeinen Pfennig» gebildet worden zu sein3 -, waren die ursprünglichen Einheiten, der eigentliche Grundverband der reichsritterschaftlichen Korporation. Der Ritterkreis mit dem jeweils wechselnden Spezialdirektorium war nur ein Überbau mit delegierten Kompetenzen, dem lediglich repräsentative, koordinierende und vollziehende Funktion zukam, gleich dem korporativen Zusammenschluß der drei Ritterkreisc unter einem turnusgemäß wechselnden «Gcneraldirektorium» ohne eigene Behörde und Weisungsbefugnis. In den Kantonen, die trotz aller überterritorialer Verbindungen die eigentliche genossenschaftliche Organisationsform der Reichsritterschaft waren, fanden regelmäßige allgemeine Rittertagc statt, zu denen alle persönlich immatrikulierten Mitglieder cingeladcn wurden und dort aktives und passives Stimmrecht besaßen. Auf den Plenar-Konventen wurden alle wichtigen und entscheidenden gemeinsamen Aufgaben und Anliegen besprochen, die Steuern ausgemittelt, die Ortsvorstände oder Bevollmächtigte gewählt und die Außenpolitik des Kantons festgelegt. Jeder Kanton hatte seine eigene Organisation und Behörde, bestehend aus dem Vorstand, der sich aus dem Rittcrhauptmann, mehreren Ritterräten4 und einem Ausschuß von zwei bis vier «jüngeren Deputierten» zur Kontrolle des Hauptmanns zusammensetzte. Dieser Vorstand (= engerer Konvent), der häufiger zu Beratungen zusammentrat, hatte zunächst die Aufgabe, die vom Ritterrat beschlossenen Maßnahmen auszuführen, die Gelder des Kantons zu verwalten und die Interessen der Ritterschaft gegenüber Kaiser und den Reichsständen wahrzunchmen. Im Laufe der Zeit jedoch weitete sich sein Aufgaben- und Kompetenzbereich aus und es wuchs ihm das Schwergewicht der Arbeit der Ritterschaft zu. Mehr und mehr wurde der Vorstand zum Vertretungs­ als reichsunmittclbar anerkannt. Vgl. A. Hofmann, Studien z. Entwicklung des Territoriums d. Reichsabtci Fulda (Sehr. d. Hess. Landesamts f. gesch. Lkdc. 25) 1958, 188-197. 1 Siehe hierzu Bundschuh, Sp. 71 und Atlas II/ia mit der Sonderkarte. 2 Diese offizielle Reihenfolge beruht auf der Stcuerlcistung der Kantone und wurde bei

allen turnusmäßigen Geschäften eingehalten. 3 Pfeiffer, Reichsritterschaft (s. o. 304) 175. 4 Seit 1718 wurden der Ritterhauptmann und die Ritterrätc jeweils mit dem Prädikat «kaiserliehe Räte» ausgezeichnet. - Nicht mehr berücksichtigt: v. Mauchenheim gen. Bechtolsheim, . . . Ritterschaft zu Franken im /18.Jh., 17. Diss. Masch. München 1970.

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organ der Ritter eines Kantons nach innen und außen und für den Kaiser zum Exekutivorgan seiner politischen Interessen. Dies wiederum machte einen entsprechenden Verwaltungsapparat notwendig. So wurde eine Ortskanzlei geschaffen, die sich beim Ritterhauptmann befand, mit einem Archiv, und mit dem nötigen Personal besetzt: ein Ortsadvokat oder Konsulent, ein Ortssyndicus, Kanzlisten und Sekretäre für die Justizangelegenheiten, Truhenmeister, Rechnungsführer oder Ortskassier für das Kassenwesen, Trompeter und Boten für Kurier- und Polizeidienste. «Ein reichsritterschaftlicher Kanton muß sowohl als personaler Verband wie als dinglicher territorialen Güterverband, als Rechts- und Gütergemeinschaft betrachtet werden.»1 Die Kantone waren zunächst ein genossenschaftlicher Zusammenschluß von Ritterfamilien, die sich von der landesherrlichen Obrigkeit der Reichsstände freihalten konnten, sich mit ihrem Besitz direkt dem Kaiser unterstellten und nicht 1521 in die Reichsmatrikel aufgenommen worden waren. Mitglied eines Reichsritterschaftliehen Kantons war, wer persönlich bei diesem Kanton mit Sitz und Stimme zugelassen war, den Rittereid abgelegt hatte und im Besitz eines Ritterguts im Wert von 6000 fl. war, das der ritterschaftlichen Matrikel immatrikuliert war und dem Kanton steuerte. Zur Inkorporation war neben adligem Besitz und Lebensstil ein Adelsnachweis erforderlich von sechzehn bzw. seit 1750 acht ritterbürtigen Ahnen.1 2 In Franken unterschied man weiterhin noch zwischen Realisten und Propriisten, wobei die Rcalisten über steuerbare Untertanen verfügten, während diePropriisten ersatzweise eigene Hofgüter versteuerten. Die Personalisten, die in Franken weder Wahl- noch Stimmrecht im Konvent besaßen, versteuerten zunächst ein bestimmtes Kapital, bis sie ein entsprechendes ritterschaftliches Gut erwerben konnten. Bürgerliche Rittergutsbesitzer gehörten nicht zum Adelsverband, hatten weder Sitz noch Stimme, während Neuadlige zu minderem Recht und Rang zugelassen waren. Außerdem waren die vielen Institutionen und juristischen Personen, in deren Besitz ritterschaftliche Güter standen, wie z. B. die Reichsstadt Nürnberg, die drei Hochstifte, die Universität Würzburg, das Juliusspital Würzburg oder Kloster Banz usw.,3 nicht persönlich rezipiert. Die in die Reichsstandschaft aufgestiegenen Familien Schwarzenberg, Schönbom und Castell dagegen waren inkorporiert und mit jeweils einem Mitglied der Familie als Vertreter auch persönlich rezipiert. In Franken erstreckte sich die Adelsqualität auch auf das Nürnberger Patriziat, das sogar seinen Ratsstand beibehalten durfte; allerdings blieb ihre Ebenbürtigkeit umstritten.4 Vor allem gegen Ende des Alten Reiches zu, als man es mit der Ahnenprobe nicht mehr so genau nahm, kam es zu einer gesteigerten Fluktuation im Mitgliederstand. Doch erhielt sich, besonders im Kanton Gebürg, ein breiter Stamm alter Familien bis zum Untergang der Reichsritterschaft. Insgesamt waren im Laufe der rund dreihundertjährigen Geschichte etwa 1 Riedenauer, Kontinuität (s. o. 381) 95 (Zitat leicht abgewandelt). 2 F. Herrmann, Juristische Abh. von der Aufnahme in die Reichsritterschafti. Genossenschäft. Zur Erläuterung d. Heilbronner Rezeptionsstatus vom Jahr 1750 u. d. allgem. Heil-

bronner Korrespondenz-Abschieds vom Jahr 1762, 1792. ‫ נ‬Riedenauer (ebd.) 128 f. bringt eine AufStellung aller Institutionen, die im Besitz reichsritterschaftlicher Güter waren. 4 Vgl. Pfeiffer, Patriziat (s. o. 324).

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tausend Familien bei der fränkischen Reichsritterschaft immatrikuliert,1 dazu noch zahlreiche weltliche und geistliche Institutionen als Besitzer von Rittergütern. Bei der Rezeption neuer Familien, die seit den Statuten von 1727 und 1750 prinzipiell von der Zustimmung aller drei Ritterkreise abhängig gemacht wurde, sah man kaiserlicherseits auf eine gewisse Stärkung des katholischen Elements.1 2 Der Kaiser nahm nämlich für sich das Recht in Anspruch, verdienstvolle Persönlichkeiten durch ihre Einführung in die Reichsritterschaft besonders auszuzeichnen. DieStandeserhöhungen, die ebenfalls in diese kaiserliche Politik der besonderen Auszeichnung gehören, hatten keine Exemtion aus dem ritterschaftlichen Verband zur Folge, außer bei der Erhebung der Dernbach, die allerdings ihre ritterschaftliche Steuerpflicht durch eine einmalige Abstandszahlung ablösen mußten.3 Auf diese Weise war eine Fixierung des ritterschaftlichen Herrschaftsbestandes erreicht, vergleichbar der Reichsmatrikel bei den Reichsständen, «De facto und de jure bildete somit der gesamte ritterschaftliehe Güterbesitz und Territorialverband ein reichsunmittelbares Territorium, wenn auch ungeschlossen und geographisch zersplittert, jedoch rechtlich zusammengehörig und rcichsverfassungsmäßig anerkannt.»45Dabei waren sich selbst die Juristen des achtzehnten Jahrhunderts keineswegs darüber einig, ob die Reichsritterschaft auf diesen ihren «Ritterterritorien» * nun die Landeshoheit nur beanspruchte oder auch wirklieh besaß, zumal nicht alle Ritter im Besitz der Hochgerichtsbarkeit waren, die allerdings nach den Bestimmungen des Westfälischen Friedens auch nicht unbedingt notwendig war. Doch verfügten die Reichsritter über die private Erbhuldigung, das sichtbarste Zeichen und Hauptmerkmal der Landeshoheit.6 Ursprünglich waren die Ritterkantone lediglich genossenschaftliche Verbände des Niederadcls einer bestimmten Region, doch im Laufe des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts waren sie auf dem besten Weg, selbständige «Staatskörper»7 zu werden. In dem langwierigen Prozeß fortschreitender Territorialisierung wuchsen dem Kanton mehr und mehr öffentlich-rechtliche Aufgaben und staatliche Hoheitsrechte zu, bis er schließlich zu einer «Föderativherrschaft»8 wurde, in der obrigkeitliche Rechte zwischen Kanton und Einzelmitgliedem geteilt waren. Zunächst übte der Kanton seit 1566 das Steuerrecht aus, während seinen immatrikulierten Mitgliedern nur die Subkollektation zukam. Weiterhin nahm der Kanton die Militärhoheit im Namen der einzelnen Ritterschaften wahr und unterhielt Truppen unter den Waffen, wie er auch das Marsch-, Einquartierungs- und Kontributionswesen regelte. Schließlieh vertrat der Kanton die Ritterschaft nach außen, indem er Rezesse mit Benachbarten abschloß. Im Innern erließ der Kanton eigene Gerichts- und Austrägalordnungen, verwaltete bankrottgegangene Güter und übernahm die Schutzfunktion 1 Vgl. das Mitglieder Verzeichnis bei RieKontinuität (s. o. 381) 121 ff. 2 Ders., Reichsr. u. Konf. (s. o. 381) bes. 58. 3 Domarus, Territorium (s. o. 378 Anm. 4) 1956, 20 ff, 37 ff. 4 Riedenauer, Kontinuität (s. o. 381) 94 Anm. 19 (Zitat leicht abgeändert). 5 Diese Bezeichnung wird im 18. Jh. häufig denauer,

25 HdBG III, 1

gebraucht, vgl. Bundschuh, Journal von u. für Franken, 1791, 544. 6 Zum Problem der Landeshoheit der Reichsritter eingehend Hofmann, Adelige Herrschaft 96 ff., 102 ff. 7 Bundschuh IV, Sp. 61. 8 Pfeiffer, Reichsritterschaft (s. o. 304) 191.

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für Witwen und Waisen und die «Verzichtstöchtcr», während der Judenschutz noch bei dem einzelnen Ritter lag. Im Januar 1652 gestand der Kaiser den Kantonen das Recht der Exekution gegen säumige Steuerschuldner zu und das Einstandsrecht der Rittergenossen bei Alienierung von Gütern außerhalb des corpus equestre. 1688 erreichten die Kantone auch die Gleichstellung ihrer Handwerkerzünfte mit den städtisehen und landesherrschaftlichen Innungen und im achtzehnten Jahrhundert diskutierte man im fränkischen Ritterkreis, ganz im Sinne eines aufgeklärten WohlfahrtsStaates, sogar die Errichtung von Arbeits-, Waisen- und Zuchthäusern, die Schaffung einer BrandVersicherung und die Gründung einer eigenen Ritterakademie.1 Auch wurden von der Reichsverwaltung die Reichsverordnungen betreffs Straßenbau, Münz- und Postwesen, Seuchenpolizei usf. stets an die Kantone gerichtet, die so die allgemeinen Aufgaben der Reichs- und Landespolizei wahmahmen und zur Appellationsinstanz bei Verwaltungs- und Polizeiangelegenheit wurden. Allerdings konnten die Kantone ihrer Tendenz, echte und volle «Staatskörper» zu werden, nicht zu Ende führen; ihr Ausbau zu obrigkeitlichen Territorien kam nur selten über das Stadium der Planung hinaus, es fehlten die entsprechenden überordnenden Funktionen. Gleichermaßen scheiterte auch der im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert mehrfach unternommene Versuch der fränkischen Reichsritterschäft, als Korporation die Reichsstandschaft und damit Sitz und Stimme auf den Kreis- und Reichstagen zu erlangen. In diesem Zusammenhang machte sich neben mangelnder eigener Energie und fehlendem Interesse von Seiten des Kaisers vor allem der Widerstand der Reichsstände, besonders der Reichsstädte, hemmend und nachteilig bemerkbar? Die einzigartige Stellung und Selbständigkeit der Reichsritterschaft, deren Status reichsrechtlich weder genau und eindeutig definiert noch anerkannt war, beruhte auf ihrer Reichsunmittelbarkeit und dem Besitz der immediatvogteilichen Obrigkeit, der Landeshoheit im territorium inclausum mit allen dazugehörigen Regalien. Der Kanton als adliger Personalverband und der einzelne Ritter kraft seines Rittereides erkannten allein im Kaiser ihr Oberhaupt an. Dies bedeutete, daß der Gerichtsstand der Reichsritter unmittelbar vor den beiden Reichsgerichten oder den Kantonalinstanzen war, außer bei Lehensangelegenhciten. Doch auch gegenüber den Lehensgerichten der Stände nahm der Kaiser für sich und die reichsritterschaftlichen Direktorien die alleinige und ausschließliche Gerichtsgewalt in Anspruch. Die Ritter besaßen weiterhin aufgrund ihrer Unmittelbarkeit Freiheit von Arrest und Schatzungen, von Zöllen und Steuern für ihre Kameralgüter und weitgehend für ihre vogteilichen Untertanen. Außerdem waren sie von aller Botmäßigkeit, wie Wildführen und Frondienste, gegenüber den Ständen befreit, von der Präsenzpflicht auf den Landtagen, wie ihnen auch der Besuch der Rittertage freistand.1 23 Die ritterschaftliche Landeshoheit unterschied sich somit von der Vollgewalt der Reichsstände lediglich durch die Einschränkungen infolge der speziellen Rechte des Kaisers und des Kantons. Die Reichsritter 1 Pfeiffer, Reichsritterschaft (s. o. 304) 193. 2 Ausführlich dargestellt ebd. 184 ff.

3 Ausführlicher Katalog der ritterschaftl. Hoheitsrechte bei Hofmann, Adelige Herrschaft 102 Anm. 271.

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nahmen letztlich die gleichen Rechte im Reich wahr wie jeder Reichsstand, hatten aber nicht deren Pflichten. Verständlicherweise blieben die Selbständigkeit und die Sonderrechte der Reichsritter nicht unangefochten. Im Bayreuthischen wurde ein Teil der ansässigen Ritter zum privilegierten Landsassiat der Voigtländischen Ritterschaft herabgedrückt. Bis in das achtzehnte Jahrhundert hinein gab es ständig Auseinandersetzungen mit den Reichsständen um «Immedietät oderLandsässigkeit».1 Neben Lehensstreitigkeiten bildeten das Kollektationsrecht samt seinen Zugehörungen und vor allem die Frage der Hochgerichtsbarkeit einen ständigen Konfliktstoff. Zunächst wurde der Reichsritterschäft der Besitz der Cent grundsätzlich und prinzipiell abgesprochen, doch schließlieh wurde ihr die sog. «limitierte Cent» zuerkannt, d. h. das Einfangrecht mit Auslieferungspflicht. Die entsprechenden vertraglichen Zugeständnisse wurden zunächst 1700/07 von Fürstbischof Lothar Franz dem Kanton Gebürg gemacht, denen bald gleiche Verträge mit den anderen Kantonen folgten; Würzburg und Ansbach schlossen ähnliche Rezesse, die alle praktisch die völlige Lösung der Reichsritterschaft aus der landesherrlichen Überordnung brachten und die Anerkennung ihrer territorialstaatlichen Unabhängigkeit? Bei den ständigen Bedrohungen durch die benachbarten Reichsstände hätte die Reichsritterschaft wahrscheinlich noch vor dem Untergang des Alten Reiches ihr Ende gefunden, wenn sie nicht in einem so engen, gegenseitigen Verhältnis zum Kaiser gestanden und er sie nicht unter seinen besonderen Schutz genommen hätte. Der Kaiser besaß aus mehreren Gründen höchstes Interesse an der Erhaltung der Reichsritterschaft. Er genoß ihre Charitativsubsidien, deren Wert bei der fränkischen Ritterschaft fast das Zehnfache des Simplums des Fränkischen Reichskreises ausmachte123 und die bald zur letzten Finanzquelle des Kaisers im Reich wurden. Zum anderen stellte der Niederadel aus dem Reich dem Reichsoberhaupt einen Großteil seiner Offiziere, Beamten und Diplomaten.4 Außerdem verhinderte die Reichsritterschaft in Franken, Schwaben und am Rhein die Ausbildung geschlossener Territorien und sicherte damit diese Räume als Einflußsphären für das Reichsoberhaupt. Und schließlieh nahm der Kaiser mit Hilfe des Niederadels, der die Kapitel der Hochstifter und die reichen Kollegiatsstifter und Ordenskommenden in Franken und am Rhein beherrschte, indirekt Einfluß auf deren Politik,5 wie über die Beamten, Offiziere und Staatsdiener aus der Reichsritterschaft, die in den Führungsstellen der weltlichen Höfe und Landesverwaltungen standen. Allein in den 3 fränkischen Hochstiftern standen 114 adlige Domherrenstellen dem katholischen Reichsadel offen.6 1 v. Guttenberg (s. o. 381) 271; I. v. KünssStreit um das Jus armorum zw. Karl Friedrich Erdmann Frhr. v. Künßberg u. Friedrich Markgraf zu Brandenburg-Bayreuth 1752-1756 (AO 16, H. 3) 1886, 1-29. 2 S. Hofmann, Adelige Herrschaft 104-101 (Einzelbclege). 3 Hofmann, Der Adel in Franken (s. o. 349) 123; G. C. Winkler von Mohrenfels, De ortu et progressu subsidii charitativi, 1728. berg,

25·

4 Vgl. v. Aretin, Heil. Röm. Reich (s. 0.245) 7689. 5 S. Μ. Domarus, Der Reichsadel in den geistlichen Fürstentümern, und H. Rössler Ergebnisse und Ergänzungen (Deutscher Adel 1555-1740, Büdinger Vorträge 1964) 1965, 147 bis 199. 6 Riedenauer, Kontinuität (s. o. 381) 99.

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Um die Bedeutung und den außergewöhnlichen Einfluß des Adels zu verdeutlichen, seien einige Familien der fränkischen Ritterschaft exemplarisch herausgegriffen.1 Allein die Familie der von Aufseß stellte in den drei Jahrhunderten der Neuzeit 12 hohe Offiziere, darunter 2 kaiserliche Generalfeldmarschälle, sowie zahlreiche führende Beamte in kaiserlichen, bambergischen, bayreuthischen, bayerischen und preußischen Diensten und fünfzehn ·Domherren.12 Das Geschlecht der Freiherrn von Thüngen - Lutzische Linie - stellte in dem genannten Zeitraum 1 kaiserlichen GeneralFeldmarschall, 1 Generalmajor, 1 Feldzeugmeister und 6 andere hohe militärische Chargen in des Kaisers Diensten sowie 13 hohe Offiziere in den Diensten anderer europäischer Großmächte; weiterhin kann sie 2 Fürstbischöfe und 14 Domherren, 17 höhere Beamte in der Landesverwaltung (Oberamtleute, Amtsleute und Vögte), i Reichskammergerichtspräsidenten, 1 Landrichter in Franken, 1 Deutschordenskomtur, 2 Ritterhauptleute und 1 Ritterrat vorweisen sowie zahlreiche Ehrenämter, Hofämter und Titel.3*Das Haus Egloffstein verzeichnete in diesem Zeitraum 4 Domherren, mehrere Ritter des Deutschen Ordens, 2 Ritterhauptmänner und 1 Ritterrat, 1 kaiserlichen Rat, 1 Generalmajor in fränkischen Diensten und zahlreiche höhere Offiziere vor allem im preußischen Heer? Zu den ohne Zweifel einflußreichsten Familien in Franken gehörte das weitverzweigte Geschlecht der von Seckendorff mit den 3 Hauptstämmen Aberdar, Gudent und Rinhofen.’ Hans von Seckendorff (f 1535) hatte großen Einfluß auf die Einführung der Reformation in Franken und Veit Ludwig (1626-1692), der gelehrte Kanzler der Universität Halle, wurde «deutscher Staatserzieher».6 Das ganze achtzehnte Jahrhundert hindurch beherrschten die Seckendorfffast alle Regierungs- und Verwaltungsspitzen des Markgraftums Ansbach. Zunächst war es Christoph Friedrich von Seckendorff-Sugenheim, der während der Vormundschaftsregierung Charlottes und unter dem jungen Markgrafen Carl Wilhelm Friedrich als Geheimer Rats-Präsident und Premierminister die Regierung in Ansbach leitete. Da er preußisch gesinnt war, verlor er seine Stellung an den österreichisch orientierten Christoph Ludwig von Seckendorff von Obernzenn.7 Er wiederum büßte unter dem Druck der preußenfreundlichen Partei seinen Einfluß an Friedrich Carl von Seckendorff ein, bis dieser schließlich einer Kabale der Lady Craven zum Opfer fiel. In Ansbacher Diensten hatte zunächst auch der österreichisehe Feldmarschall Friedrich Heinrich Reichsgraf von Seckendorff-Gudent gestanden, eine der umstrittensten Persönlichkeiten des achtzehnten Jahrhunderts, der lange 1 Eine Untersuchung über den Einfluß des fränk. Reichsadels auf die Politik der weltlichen Territorien Frankens fehlt. 2 9 bambergische Räte und Amtmänner, 7 brandenburg. Amtmänner, 1 kaiserl. Geheimen Rat, 2 kurbayerische Landrichter. O. Frhr. v. u. zu Aufsess, Gesch. des uradelichen Aufseß’schen Geschlechtes in Franken, 1888. 3 R. Frhr. v. Thüngen, Das reichsritterliche Geschlecht der Freiherrn v. Thüngen-Lutzische Linie, 2 Bde., 1926.

4 Μ. Frhr. v. Egloffstein, Gesch. des gräfliehen u. freiherrlichen Hauses von Egloffstein, 1863; G. Frhr. v. Egloffstein, Chronik d. vormaligen Reichsherren, jetzt Grafen und Freiherm von u. zu Egloffstein, 1894. 5 J. Meyer, Die Seckendorffer. Zur Erinnerung an den Familientag d. Jahres 1907, 1907 (befriedigende Familiengesch. fehlt). 6 Rössler 226-236. S. o. 199 u. 375. 7 Endres, Erbabreden 75 Anm. 226 (Versuch einer Neubeurteilung).

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Jahre als intrigenreicher Gesandter Österreichs am Hofe des Soldatenkönigs in Berlin tätig war.1 Bei der außergewöhnlichen Bedeutung des unmittelbaren Niederadels für Kaiser und Reichskirche und Reich mußte das Vorgehen der Reichsstände gegen diese letzten Stützen und Garanten der Reichsverfassung den Aufbau des Alten Reiches an der Wurzel treffen. Den Anfang der gewaltsamen Unterdrückung der freien Ritterschaft, machte in Franken die moderne Militärmacht Preußen, der wenig später, nach der Säkularisierung der Hochstifte, Bayern folgte. Den modernen staatsabsolutistischen Regierungen in Berlin und München, die auf eine rücksichtslose Beseitigung der inklavierten Reichsrittergüter drängten, machten es, mit Genehmigung Napoleons, die anderen südwestdeutschen Fürsten und Mittelmächte nach, bis schließlich das Generaldirektorium der Reichsritterschaft in Ehingen am 20. Januar 1806 die Auflösung der Reichsritterschaft offiziell bekanntgab.12 Die Voigtländische Ritterschaft. Zu einer eigenartigen Zwischenform zwischen reinem landsässigem Adel und freien Reichsrittem führte die Entwicklung einen Teil des Niederadels in dem obergebirgischen Fürstentum Brandenburg-Kulmbach-Bayreuth. In den Rodungsgebieten des Regnitzlandes und des Fichtelgebirges war im Spätmittelalter im allgemeinen der aus der Ministerialität der Meranier, der Orlamünde, der Vögte von Weida und dann der Zollern hervorgegangenen Ritterschaft die Niedergerichtsbarkeit zugewachsen, teilweise sogar die Blutgerichtsbarkeit. Im Zuge der allgemeinen Umschichtung der Gerichtsbarkeit und der beginnenden Herausbildung der Landesherrschaft mußten die Markgrafen Casimir und Georg während der internen Wirren im Hause Kulmbach im sog. «Plassenburger Vertrag» von 1515 dem Adel des Hofer und Wunsiedler Bezirks offiziell alle Gerichtsfälle über ihre Untertanen und Hintersassen zugestehen, ausgenommen die Fälle, die «Hals und Hand» betrafen. Diejenigen Adligen jedoch, die ihr eigenes Halsgericht besaßen, durften dieses auch weiter behalten. Die Landsässigkeit blieb allerdings unbestritten. Nachdem die Reichsritterschaft aus dem Landesverband ausgeschieden war, versuchte sie auch die Voigtländische Ritterschaft auf ihre Seite zu ziehen. Doch der energische Markgraf Georg Friedrich, der mit dem Kanton Gebürg in harten AuseinanderSetzungen stand, griff seinem eingesessenen Adel gegenüber hart durch3 und kassierte sogar einen Teil der bisherigen Privilegien und Sonderrechte. Das Verhältnis zum Landesherrn änderte sich jedoch sogleich, als mit Markgraf Christian 1603 die neue Regentenlinie an die Macht kam. In dem am 9. Oktober 1615 abgeschlossenen «Submissions-Agnitions-Rezeß»4 erkannte die voigtländische Ritterschaft ausdrücklich die Unterwerfung unter die landesfürstliche Botmäßigkeit an, wofür der Landesherr den 1 Freiin v. Seckendoref-Gudent, Graf Seckendorff u. sein Prozeß, Diss. Masch. Wien 1961; R. Endres, Versuche Wiens z. Einflußnähme auf Kronprinz Friedrich v. Preußen (JffL 29) 1969, 1-17 (Biographie des Feldmarschalls fehlt noch immer). 2 Zum Gesamtkomplex H. Müller (s. o. 381) Kap. VIII: Der Ausgang der Reichsritterschäft 178-201.

3 So ließ Markgraf Georg Friedrich den Ritter Georg Christoph von Schirnding zu Röthenbach wegen seiner Teilnahme an einem Rittertag der Reichsritterschaft in Festungsarrest werfen. 4 Ausführliche Inhaltswiedergabe bei May (s. o. 381) 16-18.

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korporativen Zusammenschluß zur «Voigländischen Ritterschaft» endgültig sanktionierte und ihr einen eigenen verfassungsrechtlichen Status verlieh. Aufgrund dessen erhielten die Ritter die Religionsfreiheit und Steuerfreiheit zugestanden sowie die Beibehaltung der bisherigen Jurisdiktions- und Immunitätsgerechtsame, d. h. die gesamte Zivilgerichtsbarkeit, die volle niedere und mittlere Strafgerichtsbarkeit, die Blutgerichtsbarkeit, soweit bislang im Besitz,1 und die gesamte örtliche Polizei. Mehrfach wurden diese Privilegien von den späteren Herrschern bestätigt und sogar noch ergänzt.12 Besonders die Rezesse vom Jahr 1662,3 die von dem jungen Markgrafen Christian Ernst unterzeichnet wurden, brachten eine ganze Reihe wirtschaftlicher Zugeständnisse. Gerade nach den schweren Schäden des Dreißigjährigen Krieges, der den Niederadel in seiner wirtschaftlichen Existenz aufs schwerste getroffen hatte, verfehlten diese Vergünstigungen und Freiheiten ihre Anziehungskraft nicht; die milde Form des Landsassiats erwies sich wirtschaftlich als äußerst vorteilhaft, weshalb die Ritterschaft der Bezirke Bayreuth, Kulmbach und Neustadt a. d. Aisch sich 1663 als «assoziierte Voigtländische Ritterschaft» der Korporation anschloß.4 Alle Privilegien, Rechte und Freiheiten der Voigtländischen Ritter gingen an die Neuhinzugetretenen uneingeschränkt über. Im Gegensatz zur Reichsritterschaft war die voigtländische Ritterschaft kein Personalverband, sondern nur eine Gütergemeinschaft. Die Mitgliedschaft hing allein am Gut, so daß auch nichtadlige Beamte und Juristen, die ein entsprechendes Rittergut erwarben, voll immatrikuliert waren. Fast 100 Rittergüter gehörten gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts zum Corpus Voigtlandicum.5 Nach dem Vorbild der Ritterkantone gab sich die Voigtländische Ritterschaft 1626 auch eine eigene korporative Verfassung, mit einem Hauptmann oder Direktor an der Spitze, mit Ritterräten als den Deputierten eines jeden Bezirks, mit einem Konsulenten als Syndikus, Sekretär und anderem Personal; auch unterhielt sie ein eigenes Archiv.6 Die «Jura Voigtlandica», die Rechte und Freiheiten der Voigtländischen Ritterschaft, bestanden neben dem eigenen Ritterlehengericht vor allem in der Freiheit von Verbrauchssteuern, Abzugsgeld und Zöllen. Seit 1662 hatten sie allerdings zu den Landschaftssteuem und zu den Reichs- und Kreisabgaben einen Beitrag zu leisten, was in Form eines Subsidium charitativum, ähnlich den Leistungen der Reichsritterschaft an den Kaiser, geschah. Außerdem gaben die Voigtländischen Ritter «Jahrgelder» und in bestimmten Sonderfällen, wie bei Hochzeiten des Landesherm, «Dons gratuits» und Donative. Im Laufe der Zeit konnten die Ritter ihre weitgehende Freiheit von landesherrlichen Abgaben auch auf ihre Hintersassen und Schutzverwandten ausdehnen, die zudem grundsätzlich vom Militärdienst frcigestellt waren. Sämtliche Rittergüter waren weiterhin von den häufigen und schweren Quartierlasten befreit, so wie sie auch 1 Holle (s. o. 381) 60, führt namentlich 16 Rittergüter an, welche die Blutgerichtsbarkcit besessen hatten. 2 Die wichtigsten Rezesse aus den Jahren 1626, 1662 und 1729 sind bei May als Anhang A, B, C im Wortlaut angeführt. 3 2. Hauptrezeß vom 8. 6. 1662 und der

«Höfische Neben-Rezeß» vom gleichen Datum, s. May (s. 381) 22-24 und Anhang B. 4 Assoziations-Rezeß vom 8. 11. 1663 (May 25 f.). 5 Namentlich aufgeführt bei May 33-38. 6 Das Archiv ging verloren.

§ 4g. Deutscher Orden. Ballei Franken (R. Endres)

39*

keine Festungsbaulasten zu tragen hatten. Alle Beiträge zur Landesverteidigung waren freiwillig.1 Dem Landesherrn dagegen kam die Huldigung der Voigtländischen Ritter zu, die Letztinstanz im Gerichtswesen, die Legislative und die Landespolizei. Gerade Letzteres führte dazu, daß die Ritterschaft im Zeitalter des Absolutismus voll in den modernen Verwaltungsstaat integriert werden konnte. Das Ende dieses zwar hochprivilegierten, aber letztlich doch landsässigen Adels, der sonst nirgends in Franken mehr vorkam, kam mit der preußischen Ära. Gleich nach der Besitzergreifung durch Preußen legte die Voigtländische Ritterschaft ihre alten Privilegien und Freiheiten zur Bestätigung vor. Doch Hardenberg erklärte 1796 alle Vorrechte der Ritterschaft, gleich welchen Status, für Usurpation. In der «Königlieh Preußischen Ritterschaft des Fürstentums Bayreuth» gab es keine Unterschiede mehr zwischen ehemals freier und landsässiger Ritterschaft, sie war nur noch die «ausgezeichnetste Klasse seiner (= des preuß. Königs) Untertanen».2

§49· DEUTSCHER ORDEN. BALLEI FRANKEN Ältere Zeit s. § 40e. J. Voigt, Gesch. d. Deutschen Ritterordens in seinen 12 Balleien in Deutschland, 2 Bde., 1857/59 (als Materialsammlung wichtig); K. H. Lampe, Die europ. Bedeutung d. Deutschen Ordens (BlldLG 88) 1951, 110-149; Μ. Hellmann, Neue Arbeiten z. Gesch. d. Deutschen Ordens (HJb. 75) 1956, 201 ff.; K. H. Lampe, Die Auflösung d. Deutschordensarchivs zu Mergentheim (AZ 57) 1961, 66-130; Μ. Tumleb, Der Deutsche Orden, 19722; Ders., Der Deutsche Orden im Werden, Wachsen u. Wirken bis 1400 mit einem Aufriß d. Gesch. d. Ordens v. 1400 bis z. neuesten Zeit, 1955; Acht Jahrhunderte Deutscher Orden in Einzeldarstellungen, hg. v. K. Wieser (Quellen u. Stud. z. Gesch. d. Deutschen Ordens 1, Fcstschr. Μ. Turnier) 1967; R. ten Haaf, Deutschordensstaat u. Deutschordensballeien, 1951; K. Wieser, Bibliographie d. Dt. Ordens bis 1959, !975· - Territoriales Meistertum und Ballei Franken. J. K. Bundschuh, Beytrag zu einer Statist. Topographie d. Teutschmeisterthums (Journal v. u. für Franken IV 2) 1792; J. Μ. Fuchs, Nachweise über d. Besitzungen d. Deutschordens in Mittelfranken (Jb. Mfr. 19) 1850, 1-20; K. Heck, Der Deutsche Ritterorden mit bes. Berücksichtigung d. Gesch. seiner Niederlassung in Mergentheim, o. J.; F. Diehm, Gesch. d. Stadt Bad Mergentheim. Äußeres Schicksal u. innere Verhältnisse, 1963; J. Link, Das Schulwesen in d. ehern. Deutschordensballei Franken, Diss. Erlangen 1935; Hofmann, Deutschmeisterstaat (grundlegend u. umfassend mit einer Statist.-topogr. Übersicht über Meisterstaat und Ballei Franken im Jahr 1788, entsprechend dem Schema des HAB; Lit.); Vorstudie: Ders., Die Verfassung d. Deutschen Ordens am Ende d. Alten Reiches (ZBLG 27, Festschr. K.A. v. Müller) 1964, 340-389; HAB, R. I, bes. Bde. 2, 4, 8; H. Schnee, Hoffaktoren d. Deutschen Ordens am Fürstenhof zu Mergentheim (Acht Jahrhunderte Deutscher Orden, s. o.) 455-464; B. Demel, Das Priesterseminar d. Dt. Ordens zu Mergentheim, 1972.

In dem 1198 im Hl. Land gegründeten geistlichen Ritterorden erreichten schon seit dem dreizehnten Jahrhundert der Deutschmeister und die Ordensprovinzen im Reich, die sog. Balleien, eine weitgehend autonome Stellung neben dem Hochmeister und seinem zum Tcrritorialstaat ausgebauten preußischen Ordensland. Mit dem Thorncr Frieden von 1466 und schließlich 1525 mit der Umwandlung des Ordenslandcs in ein weltliches Herzogtum durch den letzten Hochmeister Markgraf Albrecht ,Eingehende Aufzählung der Jura Voigtlandica bei Holle (s. o. 381) 62 ff. 2 C. de T0URN0N, Die Provinz Bayreuth

unter franz. Herrschaft (1806-1810), übersetzt u. bearb. v. L. v. Fahrmbacher, 1900, 38.

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Franken: D. II. Staat und Gesellschaft. Zweiter Teil: 1500-1800

von Brandenburg1 fanden die auseinanderstrebende Entwicklung und die Verselbständigung von Hoch- und Deutschmeistertum ihren Abschluß. Der Staat des Deutschmeisters konnte sich trotz empfindlicher Verluste durch reformatorische Säkularisationen behaupten. Kaiser Karl V. setzte nämlich den Deutschmeister, der seit 1494 dem Reichsfürstenstand angehörte, auch als «Administrator des Hochmeistertums»2 ein, d. h. er machte ihn zum Haupt des noch bei der alten Kirche verbliebenen gesamten Ordens. Unter rückhaltloser Anlehnung an den Kaiser faßte der Deutschmeister alle Ordensbesitzungen im Reich zusammen und rettete sie vor dem Zugriff der Landesstaaten gleich welcher Konfession. Damit blieb der Deutsche Orden als geistlich-ritterliches Versorgungsinstitut für den Niederadel erhalten, wie auch in der inneren Struktur und in der politischen Zielsetzung des Ordens enge Verwandtschaft mit der Reichsritterschaft bestand. Als sich der Orden einer Verlegung an die ungarische Front gegen die Türken widersetzte (1576/77), übernahm Habsburg 1584/85 unter offenem Bruch der Ordensregeln die Leitung der Adelskorporation und erzwang bald darauf eine Neufassung der Statuten (1606). Erst seit der zweiten Hälfte des siebzehntenjahrhunderts konnte sich der Orden dem Drucke Österreichs wieder mehr entziehen und wurde in der Form einer Gemeinschaft des Nicderadels mit traditionell geistlichem Charakter auch von den Hochmeistern aus den Häusern Wittelsbach, Lothringen und selbst Habsburg fortan respektiert, auch wenn diese den Orden mehr als eine Art Nebenfürstentum für apanagierte Prinzen betrachteten. Die Gesamtkorporation des Ordens wurde von 11 Balleien gebildet, darunter die Ballei Franken mit 15 Kommenden und 18 bzw. seit 1791 19 Rittern. Alle Ordensmitglicder, auch die geistlichen, wie das Ordensgut waren bestimmten Balleien zugeteilt, die eigene regionale Abteilungen unter einem Landkomtur bildeten. Hochmeister, Balleien und Gesamtorden standen in einem überaus komplizierten Zuordnungsverhältnis zueinander. Gegenüber dem Orden waren die Balleien völlig autonom, sowohl in der Verwaltung des Besitzes wie in der Kooptation neuer Mitglieder. Voraussetzung für die Aufnahme als Ordensritter war die Zugehörigkeit zum niederen Rcichsadel und der Nachweis von sechzehn ritterbürtigen Ahnen. Fürstlicher Abkunft durfte allein der Hochmeister sein, womit ein Aufstieg aus der Ordcnsgcmcinschäft praktisch ausgeschlossen war. Die Ordcnspricstcr gehörten nicht der adligen Korporation an, sic kamen aus dem Alumncum in der Ordensresidenz Mergentheim und wurden nach ihrer Ausbildung in die zahlreichen Ordcnspfarrcicn versetzt. Da jedoch meist der Nachwuchs nicht ausreichte, konnten auch würdige Wcltpricstcr in den Dienst des Ordens treten. Die jeweilige Zahl der Ritter war durch die wirtschaft1 Markgraf Albrecht, der dritte Sohn des Markgrafen Friedrich von Ansbach-Kulmbach, war seit 1511 Hochm. des Dtsch. Ordens. W. Hubatsch, Albrecht v. BrandenburgAnsbach, Deutschordcns-Hochmeistcr u. Herzog in Preußen (Stud. z. Gesch. Preußens 8) 1960; H. Freiwald, Markgraf Albrecht v. Ansbach-Kulmbach u. seine landständ. Politik als Deutschordenshochmeister u. Herzog in

Preußen während d. Entscheidungsjahrc 1521 bis 1528 (Die Plasscnburg 15). 2 Der offizielle Titel lautet seit !$26 «Administrator des Hochmeistcrtums in Preußen, Meister in teutschen und welschen Landen», doch setzte sich die inoffizielle Form «Hochmeister» durch u. wurde seit Erzhzg. Maximilian (1589-1618) üblich. Titel «Hoch- u. Deutschmeister» erst seit 1834.

§ 49■ Deutscher Orden. Ballei Franken (R. Endres)

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liehe Leistungskraft der einzelnen Balleien genau festgelegt. Denn die Kommenden als Besitzeinheit waren einem Ritter als Komtur zum standesgemäßen Unterhalt zugewiesen. Viele Ritter standen zudem noch in den Diensten von Fürsten und vor allem des Reichs, wo sie sich besonders als militärische Führer der Kreise hervortaten. Der Landkomtur, der von dem Balleikapitel aus allen Komturen gewählt wurde und der Ballei vorstand, besaß die besonders ertragreiche Landkommende und verwaltete die Balleikasse für gemeinsame Aufgaben. Die Ballet Franken nahm innerhalb der Staatsverfassung des Deutschen Ordens eine besondere Stellung ein. Seit dem Jahr 1444, anläßlich eines Wahlstreits, waren die Ballei Franken und das Meistertum aufs engste personell, sachlich und staatsrechtlich miteinander verbunden. Mit der Ballei Franken war der Deutschmeister Reichs- und Kreisstand geworden und leistete sein matrikelgemäßes Aufgebot, wie er auch hierfür mit den Regalien vom Kaiser belehnt wurde.1 Von Reichs wegen galten somit Ballet Franken und Meistertum als eine Einheit, wobei die Landeshoheit dem Hoch- und Deutschmeister zukam. In allen anderen Balleien nahm der jeweilige Landkomtur die Landeshuldigung der bevogteten Untertanen entgegen, denn er übte alle staatlichen Rechte aus; in Franken mit dem einzigartigen Doppelkörper von Meistertum und Ballei lag die Landesherrschaft über die reichsimmediaten Besitzungen des Ordens beim Meister, während die landkomturliche Behörde inBllingen letztlich nur Mittelinstanz (und Oberbehörde für die nachgeordneten Ämter) war. Im Bewußtsein der Untertanen allerdings galt der Landkomtur in Ellingen als Vertreter des Ordens eigcntlich als Landesherr. Die Ballei Franken umfaßte die Landkommende Ellingen mit dem Vogtamt Absberg und die Kommenden Nürnberg, Blumenthal, Donauwörth, Gangkofen, Heilbronn, Kapfenburg, Kloppenheim, Mainz, Münnerstadt, Öttingen, Regensburg, Ulm, Virnsbcrg und Würzburg. Die wirtschaftliche Bedeutung und Ertragsfähigkeit wie vor allem der staatsrechtliehe Status der einzelnen Kommenden war höchst unterschiedlich. Während die drei kurbayerischen Kommenden Blumenthal, Gangkofen und Regensburg im vollen Umfang landsässig waren, besaßen die fränkischen Kommenden in stark abgestufter Form die landcshoheitlichen Rechte. Die Kommenden in Ellingen, Nürnberg und Virnsbcrg, die den Kern der Ballei darstellten, hatten die auf der Grundherrschaft basierende unmittelbare vogtcilichc Obrigkeit inne und damit die volle Landesherrschäft und teilweise sogar die Blutgerichtsbarkcit, wie in der 1647 angefallcnen reichslchenbarcn Adclshcrrschaft Absberg. Die größte geschlossene Herrschaft war dem Orden mit Virnsbcrg zugcfallen, dessen «versteintc» Fraischgrcnzcn sogar von den zollcrischcn Markgrafen 1731 bzw. 1754 vertraglich anerkannt wurden.2 Die beiden mainfränkischen Kommenden in Würzburg und Münnerstadt waren vom Bauernkrieg und der gegenreformatorischen Konsolidierung der landesfürstlichcn Herrschaft des Hochstifts Würzburg schwer getroffen und so in ihren Rechten eingeschränkt 1 Auf dem Reichstag besaß der Deutsche Orden eine Virilstimmc, die er nach den Erzbischöfen als 5. der geistlichen Bank des Reichsfürstenrats abgab; beim Fränkischen Kreis ran-

gierte er als 4. geistlicher Fürst nach den Bischöfen. S. o. 214. 2 HAB, R. I 2, bes. 64 f.

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worden, daß eine weitere Entwicklung nicht möglich war, wie bezeichnenderweise das Ordenshaus in Würzburg seit dem ausgehenden sechzehntenjahrhundert nicht mehr mit einem Komtur besetzt wurde.1 Infolge der Finanznot nach dem Dreißigjährigen Krieg hatte der Orden eine der ältesten und wertvollsten Kommenden verkaufen müssen, nämlich die seit der Reformation heftig umstrittene Kommende in Rothenburg? Den stärksten Bcsitzblock in Franken bildete die Landkommende in Ellingen, * die durch ständige Personalunion mit der Kommende Nürnberg verbunden war; sie war zudem aufs engste mit dem Administrationsapparat der Ballei verknüpft. Die enge Verflechtung mit Nürnberg war möglich, weil das dortige Kommendeamt lediglich kamerale Funktionen ausübte, während die Gerichtsbarkeit von der Landkomturci Ellingen aus wahrgenommen wurde. Mit Nürnberg, dessen Spital St. Elisabeth als Hauptspital des Ordens in ganz Deutschland galt, rechneten auch das Obervogteiamt Dinkelsbühl sowie das Stadtvogteiamt Eschenbach und das Vogteiamt Schneidheim ab. Somit kam dem Kasten in Nürnberg eine ebenso hohe wirtschaftliche Bedeutung zu wie dem in Nördlingen für die Ämtergruppe und die reichen Besitzungen in und um das Ries. Mit seinem über ganz Süddeutschland verteilten Netz von Grundherrschaften konnten das Meistertum und die damit eng verbundene Ballei Franken über rund 10000 LJntertanenanwesen oder gut 80000 Seelen in etwa 1550 Orten verfügen und jährlich fast i Mill, fl an Einnahmen verzeichnen. Von dem Reichtum des Ordens und speziell seiner Ballei Franken in den Zeiten wirtschaftlicher Sanierung und Blüte zeugen die prachtvollen und repräsentativen Bauten, wie das barocke Schloß in Ellingen1 234 oder die Kirche St. Elisabeth in Nürnberg, deren Errichtung in der protestantischen ReichsStadt ein Politikum war.5 Nicht hoch genug können auch die charitativen Leistungen des Ordens eingeschätzt werden, seine vielen Hospitäler und die vielfältige Armenfürsorge in Stadt und Land. In den Sechzigerjahren des achtzehntenjahrhunderts wurde die seit 1444 andauernde enge Verbindung von Meisterstaat und Ballei Franken aufgelöst, womit ein langer latenter Prozeß der Verselbständigung der Ballei und der Institutionalisierung der Territorialherrschaft einen Abschluß fand. Die kurzzeitige Lösung brachte der Ballci ein Höchstmaß an subordinierter Landeshoheit, vor allem das volle Stcuerrecht und die Malefizgerichtsbarkcit. Als Regierungsbehörde fungierte die Balleikonfercnz in Ellingen. Mit allen Mitteln spätmerkantilistischer Wirtschaftspolitik und den Verwaltungsformen des aufgeklärten Absolutismus sollte die Ballei zu einem modernen 1 A. Herzig, Die Deutschordenskommende in Würzburg im MA 1219-1549 (Mainfr. Jb. 18) 1966, 1—120; Ders., Urkunden zum Würzburger Deutschordensbesitz 1219-1500 (ebd. !9) 1967, 32-67. 2 W. Sylge, Die Dcutschordenskomturci in Rothenburg ο. T. im Zeitalter d. Reformation, d. Gegenreformation u. d. 30jähr. Kriegs, 1944. 3 HAB, R. I 8, 69 ff.; R. Grill, Die Deutschordenslandkommende Ellingen, Diss. Masch.

Erlangen 1957 genügt weder den verfassungsgeschichtlichen noch den besitzgeschichtlichen Problemstellungen und Anforderungen. 4 A. Schlegel, Die Deutschordensresidenz Ellingen u. ihre Barockbaumeister, 1935. 5 G. Schrötter, Die Kirche d. Hl. Elisabeth in Nürnberg, 1903; K. Ulrich, Die Nürnberger Deutschordcnskoinmende u. ihre Bedeutung f. d. Katholizismus seit d. Glaubcnsspaltung, 1935.

§ 49· Deutscher Orden. Ballei Franken (R. Endres)

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Landesstaat ausgebaut werden. Dies scheiterte nicht nur an der weitverstreuten Lage der Kommenden und Ämter, sondern vor allem mußte der verspätete Versuch der Ballei zu eigener territorialstaatlicher Existenz neben dem Meistertum zu verstärkten Auseinandersetzungen mit den benachbarten konsolidierten Landesherrschaften fiihren, so besonders mit Ansbach-Bayreuth, Kurbayern und Öttingen.1 Endlich aber mußte diese hochgespannte Territorialpolitik die Eigenkräfte und -mittel der Ballei Franken völlig überfordern. So konnte der entschieden geschlossenere Territorialstaat des Deutschmeistertums um Mergentheim die hochverschuldete Ballei Franken vollständig inkorporieren, die somit unmittelbar dem Hoch- und Deutschmeister unterstellt wurde. Sogleich nach der vertraglichen Inkorporation am 5. 1. 1789 ließ der regierende Hochmeister die bisherige Ballei Franken voll und ganz in den MeisterStaat eingliedern; nur die Prärogativen und Würden der Ballei blieben unangetastet. Nach der vollständigen Inkorporation suchte Max Franz,1 2 ein Bruder Kaiser Josefs II., seit 1780 Inhaber des Meisteramtes, seit 1784 Kurfürst und Fürstbischof von Köln und Münster, Reformer nach dem Vorbild der beiden Mainbistümer, auch die Ballei Franken von einem aristokratischen Institut in ein modernes Staatsgebilde umzuwandein. Die bisherige Balleiadministration Ellingen wurde nun zu einem Oberamt umgewandelt, das als Mittelbehörde für die unterstellten Ämter fungierte; dabei gingen die Ämter Würzburg und Münnerstadt an das Oberamt Mergentheim und die Kommende Heilbronn an das Oberamt Homeck verloren. In der Finanzverwaltung nahm das Oberamt Ellingen lediglich Kontrollfunktionen wahr, während die Rechnungslegung direkt in Mergentheim erfolgte. Eine geplante umfangreiche Grenzpurifikation mit Ansbach kam aus reichsrechtlichen Gründen nicht zustande, was dann dazu führte, daß der Ordensstaat von den preußischen Okkupationen 1796 schwerst getroffen wurde. Alle Gebiete und Landeshoheitsrechte innerhalb der nun von Hardenberg neu festgelegten ansbach-bayreuthischen Landesgrenzen gingen verloren, bis auf den Fraischbezirk von Vimsberg. Das Oberamt Ellingen wurde nun in ein preußisches Kriminalgericht und zur Appellationsinstanz in zivilrechtlichen Fragen umgewandelt.3 Alle Proteste des Hochmeisters, der über die ausbleibende Hilfe Wiens zutiefst verbittert war, waren umsonst. Als Hochmeister folgte 1801 Erzherzog Karl Ludwig von Österreich nach, der kaiserliche Generalfeldmarschall und Sieger von Amberg und Würzburg. Mit ihm hatte der Orden einen überaus tatkräftigen undhochangesehenen Protektor gefunden. Andererseits aber war dem Hause Habsburg mit dem Meistertum eine wichtige politische und militärische Position im Reich zugewachsen. Mit gutem Grund galten der Deutschorden und die Reichsritterschaft als «die letzte Vormauer der Reichsverfassung»,4 nachdem 1803 die Reichskirche untergegangen war. Im Preßburger Frieden wurde der nach den vielen Säkularisationen 1 F. Platz, Der Streit zw. d. Fürsten v. öttingen u. d. Deutschen Orden im Jahre 1765 (ZHVS 24) 1897, 24-44; J. Hopfenzitz, Kommende öttingen Dt. Ordens (1242-1805), 1975· 2 Μ. Braubach, Maria Theresias jüngster Sohn Max Franz, letzter Kurfürst v. Köln u.

Fürstbischof v. Münster, 1961; H. Schnee Kurfürst Max Franz v. Köln als Hoch- u. Deutschmeister d. Deutschen Ordens (Bonner Geschichtsbll. 19) 1965, 66-106. 3 HAB, R. I 8, bes. 185 ff. 4 Hofmann, Adelige Herrschaft 239 ff, 230.

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auf Mergentheim eingeschränkte Ordensstaat zu einer österreichischen Secundogenitur gleich dem Großherzogtum Würzburg. Die Institution des Ordens blieb nach außen hin erhalten, doch beanspruchte das Kaiserhaus jetzt das Eigentumsrecht am gesamten Ordensgut. In den folgenden Jahren kam es laufend zu Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen um den Bestand und Erhalt des Mediatfürstentums, bis dann im Verlauf des Krieges gegen Österreich Napoleon am 24. April 1809 den Deutschen Orden in allen Staaten des Rheinbundes aufhob.1 Das Gebiet um Mergentheim fiel an Württemberg, wobei sich im Sommer 1809 die Bevölkerung gegen die neue württembergische Regierung erhob, doch wurde der Aufstand blutig niedergeschlagen. Der Mergentheimer Vertrag von 1815 regelte dann die Versorgung der Ordensmitglieder durch die Nachfolgemächte, womit der Orden außerhalb Österreichs endgültig liquidiert war. Die in der habsburgischen Monarchie verbliebenen Reste wurden 1834 als «Deutscher-Ritter-Orden» neu zusammengefaßt, aus dem 1928 der heute noch blühende rein geistliche «Ordo S. Mariae Teutonicorum» hervorging.

§50. DIE MARKGRAFTÜMER Quellen, v. Falckenstein, Antiquitates (s. u. 1459) III 1743; Corpus Constitutionum (s. ebd.); Adreßbuch f. d. fränk. Fürstentümer Ansbach u. Bayreuth (1737/68: Hochfürstl. Brandenb.Culmbach. Adreß- u. Schreibkalender; 1770/91: Hochfürstl. Brandenb.-Onolzbach.- u. Culmbachischer Genealogischer Kalender u. Adreßbuch; ab 1792 Adreßbuch ...); Memoiren d. Markgräfin Wilhelmine v. Bayreuth, erstmals 1810 (deutsch u. franz.), seitdem zahlr. Auflagen. Quellenwert sehr umstritten, vgl. d. Kritik von Pertz, Über d. Denkwürdigkeiten d. Markgräfin v. Bayreuth, 1850; L. v. Ranke, Über d. Glaubwürdigkeit d. Memoiren d. Markgräfin v. Baireuth (Sämtl. Werke 24) 1876; J. G. Droysen, Gesch. d. Preuß. Politik IV 4, 1870. Ranke bezeichnet die Memoiren als «abenteuerlich» (66), Droysen als «entstellt und gefälscht» (76). Gleichfalls abwertend K. Bernbeck (Gießener Stud. auf d. Gebiet d. Gesch. 6) 1894. Dabei setzt die Kritik jeweils an den Schilderungen des Berliner Hofs und der preuß. Politik an. Die Aussagen über die fränk. Verhältnisse erscheinen, bei aller Subjektivität, in vielem glaubwürdiger. G. B. Volz, Friedrich d. Gr. u. Wilhelmine v. Bayreuth, I: Jugendbriefe 1728-1740, 1924, II: Briefe d. Königszeit 1740-1758, 1926; Μ. Burrell, Thoughts for Enthusiasts at Bayreuth, 1891 (mit Tagebuch d. Ital. Reise der Markgr.); C. L. v. Pöllnitz, Nouveaux Mdmoires du baron de Pöllnitz, 1738; H. Clairon, Memoires de Mademoiselle Clairon, 1798 (deutsche Ausg.: Betrachtungen über sich selbst u. über d. dramatische Kunst, 2 Bde., 1799); E. Craven, Memoirs of the Margravine of Anspach, 1826, deutsch: Denkwürdigkeiten d. Markgräfin v. Anspach, 1826 (mit Vorsicht zu benützen); G. Schrötter, Verfassung u. Zustand d. Markgrafschaft Bayreuth im Jahre 1769 (AO 22/23) 19θ5/ο7; G. Schuhmann, Markgraf Carl Alexander v. Ansbach-Bayreuth in d. Sicht seines Leibarztes (Jb. Mfr. 72) 1952, 29-56 (Tagebuch aus den Jahren 1788-91); Ders., Ausklang d. Markgrafenzeit. Die biograph. Aufzeichnungen d. ehern, ansbach.-bayreuth. Ministers Carl Frhr. v. Gemmingen (ebd. 85) 1969/70, 104-136. Literatur. Stieber (s. u. 1461); Fischer (s. ebd.); J. G. Koppel, Briefe über d. beiden fränk. Fürstenthümer Bayreuth u. Ansbach, 4 H., 1794/96; G. W. A. Fikenscher, Leitfaden beim Vortrag d. Topographie d. Fürstenthums Bayreuth, 1807; K. H. Lang, Neuere Gesch. d. Fürstenthums Baireuth (1486-1603), 3 Teile, 1798/1811; G. Schanz, Zur Gesch. d. Kolonisation u. Industrie in Franken (Bayer. Wirtsch.- u. Verwaltungs-Stud. 1) 1884; J. Meyer, Beitr. z. Gesch. d. Ansbacher u. Bayreuther Lande, 1885 (Aufsätze); Ders., Erinnerungen an d. Hohenzollemherrschaft in Franken, 1890; Ders., Onoldina, 4 Bde., 1908/11; F. Hartung, Hardenberg u. d. preuß. Verwaltung in Ansbach-Bayreuth v. 1792-1806, 1906; Meyer (s. o. 295); F. H. Hofmann, Die Kunst 1 Dekret Napoleons, s. HAB, R. II 2, 62 f., nr. 31.

§ 5°■ Die Markgraftümer (R. Endres)

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am Hofe d. Markgrafen v. Brandenburg. Fränk. Linie (Stud. z. Deutschen Kunstgesch. 32) 1901; Brandt (s. o. 241); W. Paulus, Markgraf Carl Wilhelm Friedrich v. Ansbach 1712-1757. Ein Zeitbild d. fränk. Absolutismus, 1932; F. Pöhlau, Staat u. Wirtschaft in Ansbach-Bayreuth im Zeitalter Friedrichs d. Gr., 1934; A.Jegel, Gesch. d. Landstände in d. ehern. Fürstentümern Ansbach-Bayreuth 1500-1533 (AO 24, 25) 1910/12/13; Ders., Tätigkeit d. Landstände in Ansbach-Bayreuth 1534-1541 (Progr. d. kgl. Realgymn. Nürnberg) 1910; F. Schuh, Der Markgraf Christian Emst u. d. landständ. Verfassung d. Fürstentums Bayreuth, 1929; O. Veh, Die Bayreuther Landstände unter d. Markgrafen Christian 1603-1655 (AO 33, 34) 1938/39; H. Rössler, Die Fürstentümer d. Hohenzollem (Rößler) 62-86; F. Herrmann, Markgrafenbüchlein. Kurz zusammengefaßte Gesch. d. Markgrafen Ansbachs u. Bayreuths, 1902, 19342 (Anekdoten u. Skandale); Jordan-Bürckstümmer; H. Schreibmüller, Das Ansbacher Gymnasium 1528-1928, 1928; K. Müssel, Das Gymnasium Christian-Emestinum in Bayreuth 1664-1964, Festschr. z. 30ojähr. Bestehen, 1964; Hofmann, Außenbehörden (s. 0.275); O- Herding, Die Ansbacher Oberämter u. Hochgerichte im 18. Jh. (JffL 5) 1939, 102-131; H. Liermann, Die rechtsgelehrten Beamten d. fränk. Fürstentümer Ansbach u. Bayreuth im 18. Jh. (JffL 8/9) 1943, 255-292; K. P. Dietrich, Territoriale Entwicklung, Verfassung u. Gerichtswesen im Gebiet um Bayreuth bis 1603 (Sehr. d. Inst. f. fränk. Landesforsch. 7) 1958; Chr. Arneth, Verfassung u. Recht d. Handwerker nach d. Innungsordnungen u. Gesetzen d. Markgrafschaft Bayreuth im Zeitalter d. Absolutismus, Diss. Masch. Erlangen 1948; H. Berold, Das peinliche Recht im Oberland d. Fürstentums Bayreuth, insbes. im 17. u. 18. Jh., Diss. Masch. Erlangen 1950; H. Caselmann, Das Finanzwesen d. Markgrafschaft Bayreuth unter Markgraf Christian 1603-1655, Diss. Masch. Erlangen 1950; H. Beyer, Albrecht V. Markgraf v. Brandenburg-Onolzbach 1639-1667, Diss. Masch. Erlangen 1950; O. Veh, Markgraf Johann Friedrich v. Ansbach 1667-1686 (Wiss. Beilage z. Jahresber. 1955/56 d. Human. Gymn. Fürth) 1956; Ders., Markgraf Christian Emst v. Bayreuth 1655-1712, 1949; K.-S. Kramer, Volksleben im Fürstentum Ansbach u. seinen Nachbargebieten (Beitr. z. Volkstumsforsch. 13) 1961; R. Endres, Markgraf Christian Emst v. Bayreuth (Fränkische Lebensbilder 2) 1968, 260-289; Ders., Erbabreden; G. Schuhmann, Markgraf Carl Alexander v. Ansbach-Bayreuth 1736-1806. Kat. d. Gedächtnisausstellung in d. Residenz Ansbach u. im Schloß Bayreuth z. 150. Wiederkehr seines Todestages, 1956; Ders., Markgraf Alexander v. Ansbach-Bayreuth (Fränk. Lebensbilder 1) 1967, 313-336; E. Riedenauer, Gesandter d. Kaisers am Fränk. Kreis. Aus d. Korresp. d. Grafen Schlick zw. Fürstenbund u. Reichskrieg (ZBLG 28) 1965, 259-306; E. Sperl, Der Protestant. Kirchenbau d. 18. Jhs. im Fürstentum BrandenburgOnolzbach (Einzelarbeiten 24) 1951; Ders., Die Grundlagen d. Kultusbaulast im Bereich d. Brandenburg-Ansbacher Rechts (ebd. 36) 1962; Thiel (s. u. 771 Anm. 4); Brandmüller (bes. Abschnitt III).

Die beiden Fürstentümer der Hohenzollem in Franken, Ansbach und Bayreuth, die seit dem Ausgreifen der Burggrafen nach der Mark Brandenburg auch als «Markgraftümer»1 bezeichnet wurden, waren bei aller familiären Bindung an das kurfürstliche, seit 1701 königliche Haus in Berlin selbständige Staatsgcbilde geblieben. Dies hatten allein schon die Hausgesetze, die Dispositio Achillea von 1473 und der Geraer Vertrag von 1599 ausdrücklich festgelegt, die auch eine weitere Zerteilung der Hohenzollemstaaten verhinderten? Auch in der Politik wahrten die fränkischen Hohenzollern, die sich keineswegs als zweitrangig gegenüber der Hauptlinie fühlten,3 ihre 1 Die Bezeichnung «Markgrafschaft», die reichsverfassungsrechtlich nicht haltbar ist, war in Franken nicht üblich. In den zeitgenöss. Quellen heißt es stets «Markgraftümer» oder «Burggraftum» oder «Fürstentum». Markgr. Christian hatte zu Beginn des 17. Jhs. seine Residenz nach Bayreuth verlegt, da die wieder aufgebaute Plassenburg seinen Ansprüchen nicht entsprach. Seitdem trug das «Fürstentum

ob dem Gebürg» die Bezeichnung «KulmbachBayreuth» oder nur noch «Bayreuth». 2 Vgl. hierzu H. Schulze, Die Hausgesetze d. regierenden deutschen Fürstenhäuser, 1883, III 562 ff.; Endres, Erbabreden 43 ff. 3 Erst in dem Hausgesetz von 1752, dem «Pactum Fridericianum», wurde die Übereinkunft getroffen, daß künftig die beiden fränk. Markgr. Berlin von allen wichtigen politischen

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Unabhängigkeit von der Kurlinie, die lediglich in Ansbach infolge der mehrmaligen Vormundschaften etwas stärkeren Einfluß gewinnen konnte. Doch drang diese Einflußnahme nicht einmal auf den inneren Landesausbau und die TerritorialVerwaltung vor; das änderte sich erst mit der Tätigkeit Hardenbergs in Franken. Ansbach und Bayreuth blieben, während die Hauptlinie zur europäischen Großmacht aufstieg, in ihrer politischen Aktivität fast ausschließlich auf den Fränkischen Kreis und die benachbarten Territorien beschränkt, in reichstraditioneller Anlehnung an den Kaiser. Diese unterschiedlichen politischen Dimensionen und Blickrichtungen führten mehrfach zu einer unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Politik zwischen der Kurlinie und den Vettern in Franken, wobei es allerdings nie zu einem längeren radikalen Bruch der gegenseitigen Beziehungen kam. Wie gegenüber Berlin so wahrten die beiden Fürstentümer auch untereinander ihre Eigenständigkeit, wobei die Auseinandersetzungen um den Vorrang im Fränkischen Kreis oftmals sogar die besten Kräfte lähmten. Beide Staaten blieben auch dann streng voneinander getrennt, wenn sie in Personalunion vereinigt waren, wie unter den Markgrafen Friedrich (1486-15), Georg (1527-41), Georg Friedrich (1556 bis 1603) und Karl Alexander (1769-91). So ergaben sich trotz aller inneren Verbundenheit und Gemeinsamkeit der beiden zollerischen Fürstentümer, wie dem gemeinsamen Haus, der gemeinsamen Konfession, dem gemeinsamen Kampf gegen die katholischen Kreismitstände usw. viele grundlegende Unterschiede, vielfach schon bedingt durch die verschiedenen naturräumlichen Gegebenheiten und Voraussetzungen. Das Fürstentum Kulmbach-Bayreuth, das wie Ansbach zu den kleineren Territorien im Reich gehörte, hatte bei der Teilung zwischen Georg dem Frommen und seinem Neffen Albrecht Alcibiades im Jahr 1541 eine Ausdehnung von rund 660 QMeilcn. Dieser territoriale Bestand änderte sich nur mehr unwesentlich durch Purifikationen mit Anrainern oder durch kleinere Erwerbungen. Als besonders nachteilig erwies sich die Tatsache, daß das Fürstentum durch Bamberger und Nürnberger Gebiete praktisch in zwei Teile zerfiel. Es war dies einmal das sog. «Oberland», welches das Fichtelgebirge, den Frankenwald und Teile der Fränkischen Schweiz umfaßte, mit der Landeshauptmannschaft Hof, den Amtshauptmannschaften Bayreuth, Kulmbach und Wunsiedel1 sowie den Oberämtern Lichtenberg,2 Schauenstein,3 Creußen, Pegnitz,4 Neustadt am Culm,5 Gefrees, Osternohe6 und der Exklave Streitberg.7 Es war Veränderungen in Kenntnis setzen sollen. Doch bezeichnenderweise hielt sich Markgr. Karl Wilhelm Friedrich beim Abschluß des Subsidienvertrages mit England 1755 und bei Ausbruch des 7jähr. Krieges nicht an diese Klausel, s. Paulus (s. o. 397) 153 ff. 1 Die Amtshauptmannschaft der sog. Sechsämter Wunsiedel, Hohenberg, Weißenstadt, Selb, Thierstein und Kirchenlamitz; seit 1744 umfaßte sie auch die Sparnecker Reichslehenadministration. Vgl. hierzu W. Stadelmann, Kurze Gesch. d. 6 Ämter (AO 8 H. 1) 1860, 19-50 2 Wurde 1778 der Landeshauptmannschaft Hof eingegliedert.

3 Existierte nur in den Jahren 1747-72, wo es wieder der Amtshauptmannschaft Kulmbach zugeteilt wurde. 4 Wurde 1750 bei Ankauf des Rittergutes Schnabelwaid neu errichtet durch Abspaltung aus der Hauptmannschaft Bayreuth. Künftig HAB, Ebermannstadt-Pegnitz (R. Endres). 5 1772 der Amtshauptmannschaft Bayreuth eingegliedert. 6 1766 mit dem Oberamt Pegnitz vereinigt. 7 Ein Kastenamt in der Amtshauptmannschaft Bayreuth. Zu Beginn des 16. Jhs. durch getarnten Kauf erworben, s. künftig HAB ebd.

§ $0. Die Markgraflürner (R. Endres)

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ein rauhes, steiniges, wenig fruchtbares Land, das allerdings große Wälder und Erzfunde als besonderen Reichtum vorweisen konnte.1 Im Gegensatz dazu stand das «Unterland» mit der Landeshauptmannschaft Neustadt a. d. Aisch und der Amtshauptmannschaft Erlangen12 sowie den Oberämtern Baiersdorf, Hoheneck, Neuhof und Eschenau.3 Hier war der Boden fruchtbar und trug reiche Ernten. Die natürliche Gegensätzlichkeit prägte auch die Mentalität der Bewohner des Fürstentums, das um 1500 rund 60000 Einwohner zählte, im Jahr 1754 ohne die Hintersassen der Ritterschäft bereits 105000 Seelen und am Ende des achtzehnten Jahrhunderts fast 140000 unmittelbare Untertanen und 25000 mittelbare.4 Im Fürstentum Ansbach waren die natürlichen Voraussetzungen ähnlich denen im Unterland Bayreuths. Das «Fürstentum unterm Gebürg» war ein reicher Agrarstaat mit relativ wohlhabender Bevölkerung. Es umfaßte am Ende des Alten Reiches 689 QMeilen und ca. 130000 unmittelbare und 60000 mittelbare Untertanen.5 Hinzu kamen noch die im Westerwald gelegene Grafschaft Sayn-Altenkirchen, die 1741 auf dem Erbwege an Ansbach gefallen war, und einige kleinere Exklaven in Unterfranken. Allerdings war das Ansbacher Staatsgebiet wesentlich stärker zerrissen und mit mehr fremden Enklaven durchsetzt als Bayreuth. Hier lagen einmal die beiden Reichsstädte Rothenburg und Weißenburg mit ihren Territorien, dann das Oberstift des Fürstbistums Eichstätt und viele kleinere Enklaven der Reichsstadt Nürnberg,6 des Deutschen Ordens, der Reichsritterschaft und anderer Herren, die dem Land seine Geschlossenheit nahmen. Verwaltungstechnisch war das Ansbacher Staatsgebiet gegliedert in die 15 Oberämter Burgthann, Cadolzburg, Colmberg, Creglingen, Crailsheim, Uffenheim, Feuchtwangen, Gunzenhausen, Wassertrüdingen, Windsbach, Hohcntrüdingen, Roth, Schwabach, Stauf und Ansbach. Darunter standen rund 60 Vogt-, Richter-, Stadtvogtei- und Klosterämter. - Der Behördenaufbau der Territorialverwaltung des Fürstentums Ansbach entsprach der auch anderenorts üblichen Organisation.7 Unter dem bis 1792 als Kollegialbehörde fungierenden Ministerium und Geheimen Rat, in dem der Markgraf persönlich den Vorsitz führte, stand der in 1 Vgl. hierzu: G. Eccardt, Hist.-dogmatisehe Studie zum Bergrecht im vormaligen Fürstentum Bayreuth, 1907; A Solbrig, Bergrecht d. Fürstentums Bayreuth unter Berücksichtigung d. allgem. bergrechtl. Entwicklung in Deutschland, 1909; O. Köhl, Zur Gesch. d. Bergbaues im vormaligen Fürstentumc Kulmbach-Bayrcuth mit bes. Berücksichtigung d. zum Frankenwalde gehörigen Gebiete, 1913; E. Sciimidtill, Zur Gesch. d. Eiscnbergbaucs im siidl. Fichtelgebirge (Die Plassenburg 18) 1963. 2 Wurde 1708 errichtet. Druck des Dekrets, Corpus Constitutionum (s. u. 1460) Teil 2, Bd. II, 663/64. 3 1752 bei der Besitzergreifung des ursprüngl. nürnberg. Marktes errichtet. 4 Hardenberg gibt 1792 137919 unmittelbare und 25000 mittelbare Untertanen an in seinem

«Versuch eines ohngefähren Abrisses der äußeren und inneren Verfassung der brandenburgisehen Länder in Franken»; Vgl. Hartung, Hardenberg (s. o. 396) 10. 5 Hardenberg nennt 1792 in dem genannten «Versuch» 132123 unmittelbare und 60 000 mittelbare Untertanen. Durch die vonHardenberg durchgeführten «Revindikationcn» erhöhte sich die Zahl der Untertanen dann auf schätzungswcisc 410000, darunter 270000 unmittelbare. 6 Vor allem die nümbcrgische Festung Liehtenau vor den Toren Ansbachs war ein ständiges Ärgernis für die Markgrafen. 7 Vgl. hierzu vor allem die anschauliche Darstellung von G. Schuhmann, Aus kleinen Residenzen (Die Scholle 21) 1953, 643 ff. sowie HAB Ncustadt-Windsheim und Gunzenhauscn-Weißenburg (Η. H. Hofmann).

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zwei Senate geteilte «Hof-, Regierungs- und Justizrat», dem die Aufsicht über das Justizwesen und die Verwaltung oblag.1 Seine Aufgaben, die sog. Landespolizei, wurden in zahlreichen Sonderdeputationen oder Departements des ersten Senats wahrgenommen. Die Lehensangelegenheiten behandelte der Lehenshof, der sich weitgehend verselbständigt hatte. Die oberste Finanzverwaltung lag bei der Kammer, die seit 1752 mit der «Landschaft» zu einem Kollegium vereinigt war. Dem Konsistorium, das dem Landesherrn als summus episcopus direkt unterstellt war, unterstanden das landesherrliche Kirchenregiment, das Schulwesen und die Ehegerichtsbarkeit. Eine gewisse überterritoriale Bedeutung kam noch dem alten «Kaiserlichen Landgericht Burggraftums Nürnberg unter- und oberhalb Gebürgs» zu, indem es zur höchsten richterlichen Instanz der beiden Fürstentümer und zum Standesgericht der hohen Beamtenschaft geworden war. Zwar gab es im ansbachischen Verwaltungsaufbau keine echte Mittelinstanz, doch übten die fünfzehn Oberämter eine Art oberste Aufsicht für Verwaltung, Wirtschaft und Rechtsprechung aus. Bei ihnen lag die Leitung der Landespolizeisachen, dem weitgefaßten, wichtigsten Instrument des absolutistisehen Staates. Ihre Amtssprengel waren zumeist mit den alten Blutgerichtsbezirken identisch. - Die eigentlichen Lokalverwaltungsbehörden aber waren die Ämter. Sie waren seit dem vierzehntenJahrhundert zum eigentlichen Instrument des TerritorialStaates herangewachsen. Unter den ansbachischen Ämtern sind zwei Hauptgruppen zu unterscheiden: einmal die Jurisdiktionsämter, oft auch «Fraischämter» genannt, die für die peinliche Gerichtsbarkeit zuständig waren sowie in erster Instanz in Strafund Zivilsachen und für die gesamte untere Landes- und Sicherheitspolizei; zum anderen die «Kamcralbehördcn», die das gesamte Finanzwesen und die Verwaltung des herrschaftlichen Kammergutes einschließlich der Einkünfte aus Domänen und Forsten besorgten. Dazu gehörten auch die seit der Reformation unter landesherrliche Verwaltung gezogenen geistlichen Güter, die oftmals, wie z. B. das Klosterverwalteramt Heilsbronn,12 recht bedeutende Wirtschaftseinheiten darstellten. Allerdings waren die Jurisdiktionsämter und die Kameralämter weitgehend miteinander vermengt und durch häufige Personalunion gekoppelt. Überhaupt waren die Ämter kein Netz rational geordneter und räumlich streng voneinander getrennter Verwaltungskreise, vielmehr sich überlappende, zufällige Ergebnisse historischer Entwicklungen. Erst unter der Ära Hardenberg trat hier ein revolutionärer Wandel ein. - Neben den genannten Behörden bestanden noch das «Burggrafliehe Ratskollegium», das vor allem der Verteidigung der zollcrischen Gerechtsame gegenüber Nürnberg diente, dann die «Obrist- und Forstmeisterei», das «Geheime Archiv», der «Fürstliche Hofstaat» mit der Obriststallmeistcrei, das Militärwesen und seit 1780 die «Hof-Banco-Direktion», aus der später die Bayerische Staatsbank hervorging.’ 1 Beachtenswert ist die zeitweilige Trennung von Justiz und Verwaltung unter Markgraf Karl Wilhelm Friedrich; doch wurde die Gewaltenteilung bald wieder aufgehoben. 2 Siehe I. Bog, Die bäuerl. Wirtschaft im

Zeitalter d. 30jähr. Krieges (Sehr. d. Inst. f. fränk. Landesforsch. 4) 1952. ’ F. Steffen, Die Bayer. Staatsbank 1780 bis 1955. Zur 175. Wiederkehr d. Gründungsjahres (hg. vom Staatsbankdirektorium) 1955.

§50. Die Markgraftümer (R. Endres)

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In Bayreuth, wo der unrationelle, nur schwer überschaubare Aufbau der zentralen Behörden weitgehend gleich dem in Ansbach war, traten neben den Geheimen Rat noch zwei gesonderte Geheime Kabinette, ein deutsches und ein französisches für die besonderen Belange der eingewanderten Hugenotten. Die untere Regierungs- und Vcrwaltungsebene wies im Bayreuthischen im ganzen 195 Dienststellen in 86 Amtssitzen auf. Bemerkenswerterweise waren jedoch die Hauptmannschaften und Oberämter echte Mittclinstanzen. Die bürgerliche Oberbeamtenschaft in beiden zollerischen Territorien kam weitgehend von den drei wcttinischen Universitäten, die bayreuthischen Theologen studierten vorrangig in Wittenberg, später in Jena,1 die ansbachischen Theologen in Tübingen, bis dann die Neugründung Erlangen als Landesuniversität die Ausbildung des Nachwuchses an Landesbeamten und Theologen übernahm.12 Für die Staatsfinanzen, das wohl unerfreulichste Kapitel der kleineren absolutistisehen Staaten, waren zunächst die Kammer und das Landschaftkollegium zuständig. Lange Zeit waren die Landstände in Ansbach, trotz des Ausscheidens der Reichsritterschäft und der Prälaten um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, eine starke Körpcrschaft, wenn auch nicht von dem gleichen Einfluß wie die Domkapitel in den geistlichen Wahlfürstcntümern. Vor allem mit Hilfe des Stcucrbewilligungsrechtcs konnte das Landschaftdirektorium wirkungsvoll die Interessen der Untertanen gegenüber dem Landesfürsten vertreten. Doch schon Markgraf Georg Friedrich umging das Stcucrbcwilligungsrecht der Landstände und erließ kurzerhand Steuerausschreibungen. Durch die großen Verluste des Dreißigjährigen Krieges und die Zusammenfassung aller staatlichen Kräfte zur Überwindung der Schäden trat die Bedeutung des Landtages immer mehr zurück, bis er 1701 schließlich zum letzten Mal tagte. Seitdem lebte der Name der Landschaft nur noch in der Bezeichnung des «Landschafiskollegiums» fort, dessen Aufgabe die bloße Verwaltung der landschaftlichen Einnahmen war und dessen Zusammensetzung allein vom Fürsten bestimmt wurde, bis es schließlieh 1752 mit der Kammer vereinigt wurde. Etwas stärker war die Stellung der Landstände in Bayreuth, wo seit dem sechzehnten Jahrhundert die Vertreter der Städte und Märkte und die Bauernsyndici als Vertreter des flachen Landes im großen und mittleren Ausschuß saßen. Doch wurde seit dem ausgehenden sicbzehntenjahrhundert nur noch der «engere Konvent», d. h. die Abordnungen der Hauptstädte3 des Fürstentums, cinbcrufen, dessen Funktion sich in der Zustimmung zur fürstlichen Finanzpolitik erschöpfte, zumal seit der Verschmelzung von Kammcrgcfällen und Landschaftssteuern unter Christian Ernst eine echte Kontrolle überhaupt nicht mehr möglich war. An der ständigen Finanzmisere der beiden zollerischcn Fürstentümer waren nicht so sehr die hohen Kosten für den ständig wachsenden, unrationellen, aufgeblähten Vcrwaltungsapparat schuld und auch nicht das fürstliche Militär wie bei den armierten 1 Siche Gesch. d. Univ. Jena 1548/58 - 1958 (Festgabe z. vierhundertjähr. Universitätsjubiläum) 1 1958. 2 Eine Verordnung von 1769 schrieb sogar vor, daß jeder markgräfl. Untertan, der in den beiden Fürstentümern in den höheren Dienst 26 HdBG 111,1

cintretcn wollte, mindest 2 Jahre in Erlangen studiert haben mußte. 3 Es waren dies Kulmbach, Bayreuth, Hof, Wunsiedel, Neustadt a. d. Aisch und seit 1708 auch Christian-Erlang.

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Großmächten, denn die von Ansbach und Bayreuth - mit Ausnahme unter Christian Ernst - unter Waffen gehaltene Truppenmacht diente weitgehend zu Wachtparaden und zur Repräsentation.1 Ausschlaggebend für die ruinöse Zerrüttung der Finanzen waren vielmehr die Prunksucht und das übersteigerte Prestigebedürfnis, die barocke Baufreudigkeit, die verschwenderische Hofhaltung und der luxuriöse Lebensstil der Regenten, die seit dem ausgehenden siebzehnten Jahrhundert es den großen Höfen, vor allem dem Sonnenkönig, nachzutun bestrebt waren. Dabei wurde die finanzielle Kraft und Leistungsfähigkeit der kleinen Territorien weit überzogen. Die sich absolutistisch gerierenden Landesherren wirtschafteten unbedenklich aus dem vollen, errichteten in unverantwortlicher Weise Luxusbauten und frönten kostspieligen Liebhabereien, wie der «Wilde Markgraf» in Ansbach der Falknerei, die jährlich allein rund i Zehntel des gesamten Kammeretats verschlang.1 2 Somit wurden die Hofjuden, die laufend neue Kredite herbeischaffen mußten, zu einer ständigen Erscheinung an den beiden zollerischen Höfen. In Ansbach waren es vor allem die rivalisierenden Familien Model und Fränkel, die den Hof, das Militär und den Staat weitgehend finanzierten, während die Tragödie des Residenten Isaac Nathan, an dem Markgraf Karl Wilhelm Friedrich wegen eines Betruges grausame Rache übte, traurige Berühmtheit erlangte.3 In Bayreuth4 finanzierte hauptsächlich der Kammerresident Moses Seckel den kostspieligen «Glanz des Rokoko»56unter der bekannten Markgräfin Wilhelmine. Doch konnten weder die Kredite der Hoffaktoren noch die vielen Sondersteuem die Staatsbilanzen ausgleichen, so daß die Landesverschuldung ständig wuchs, bis sie schließlich unter dem Wilden Markgrafen in Ansbach 2,3 Mill. Reichstaler ausmachte und unter Friedrich von Bayreuth rund 2,4 Mill. Erst die sparsame Hofhaltung und Verwaltung des integren Markgrafen Karl Alexander brachte die fast völlige Tilgung der Landesschulden, allerdings nicht zuletzt mit Hilfe von Soldatenverkäufen nach Amerika aufgrund eines Subsidienvertrages mit England \‫ךךך‬.^ Mit vorsichtigen Ansätzen zum Kameralismus seit dem siebzehntenjahrhundert und mit gewissen Tendenzen zum Merkantilismus (s. u. § 59) im achtzehnten Jahrhundert 1 In Ansbach betrug die Friedensstärke des «Kriegsstaates» rund 500 Mann, wobei man nicht zwischen Haus- und Kreistruppen unterschied, vgl. B. Sicken, Truppenstärke u. Militäretat d. Fürstentums Ansbach um 1730 (Jb. Mfr. 84) 1967/68, 60-82. 2 Im Jahr 1751 betrug das Falknerkorps des Markgrafen 51 Personen, s. K. Lindner, Ein Ansbacher Beizbüchlcin aus d. Mitte d. 18. Jhs. (Quellen u. Stud. z. Gesch. d. Jagd 11) 1967. 3 Vgl. Haenle (s. 11. 530). 4 Eckstein (s. ebd.). 5 Titel eines Sonderbandes anläßlich des 200. Todestages der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth (= AO 38) 1958. 6 Der Subsidicnvcrtrag hat lange Zeit als der große Makel in der aufgeklärten Regierung des Fürsten gegolten; vgl. Meyer, Ansbacher u. Bayreuther Truppen in Amerika (Beiträge,

s. o. 396) 177-234; objektiver beurteilt den Vertragsabschluß O. Bezzel, Ansbach-Bayreuthcr Miettruppen im Nordamerika!!. Freiheitskrieg 1777-1783 (ZBLG 8) 1935, 185-214, 377-424. Rehabilitiert wird der Markgraf von E. Städtler, Die Ansbach-Bayreuther Truppen im Anicrikan. Unabhängigkeitskrieg 1777 bis 1783 (Freie Schriftcnfolge d. Ges. f. Fainilicnforsch. in Franken 8) 1956, indem er nachweist, daß die Subsidicngeldcr ausschließlich zur Tilgung der Landcsschulden verwendet wurden. Außerdem erhielten die Invaliden eine ausreichende Versorgung sowie die Angehörigen der Kriegsteilnehmer und die Hinterbliebenen angemessene Unterstützungen. Mit einem ansbach. Bataillon reiste 1782 auch der Leutnant August Gneisenau, der spätere preußische Gencralfeldmarschall, nach Amerika.

§ 5°■ Die Markgraftümer (R. Endres)

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suchten die Landesherren neue Einnahmequellen zu erschließen. Dabei blieben die fränkischen Zollern, trotz aller merkantilistischen Zeitideen, in ihrer Wirtschafts- und Handelspolitik doch recht vorsichtig gegenüber Neuerungen. Lediglich die Ansiedhingen hugenottischer Emigranten nach 1685 in Erlangen1 und Schwabach zur Hebung der Volkswirtschaft und der Finanzkraft des Staates genossen besondere Förderung und sprengten den üblichen Rahmen des Agrarmerkantilismus. Durch landesherrliche Privilegien wurden den Neuansiedlern neben der Glaubensfreiheit und der völligen staatsbürgerlichen Gleichstellung auch weitgehende Zoll- und Steuerfreiheit und die fast uneingeschränkte Selbstverwaltung zugesichert. Die von den Hugenotten begründeten Spezialindustrien (s. u. 513 f.), wie die Gold-, Silber- und EisendrahtherStellung in Schwabach sowie die Leder- und Textilverarbeitung in Erlangen, wurden bald zu den industriellen Zentren der beiden Markgraftümer, die rund ein Drittel der gesamten Landesproduktion und des Exports deckten.2 Vor allem unter dem gebildeten, wclterfahrenen und von den Ideen der Aufklärung beseelten Markgrafen Karl Alexander erfuhren Industrie und Manufakturen reiche Förderung. Er errichtete sogar eine eigene Landesökonomiedeputation, von der aus alle staatlichen Maßnahmen gelenkt und geleitet wurden. Darüber hinaus aber vergaß er auch die Agrarwirtschaft nicht, vor allem die Viehzucht, die durch die Einführung der wertvollen Merinoschafe sowie die Errichtung des Gestüts und der Meierei Triesdorf entschieden angehoben wurde. Doch schließlich waren alle diese territorialwirtschaftlichen Ansätze zu schwach, zu sehr auf momentanen Gewinn bedacht. Vor allem aber ließ die territoriale Zersplitterung, die sich in ständigen Auseinandersetzungen mit den Nachbarn wegen Straßenführungen, Stapelrechten, Zoll- und Geleitsfragen äußerte, keine geschlossene Merkantilwirtschaft aufkommen. Eudämonistische Wirtschaftspolitik war ein Kennzeichen des aufgeklärten Staates. Die dem Ziel des Wohlfahrtsstaates entsprechenden Wirtschaftsmaßnahmen, die vor allem der Sicherstellung der Nahrungsversorgung dienten, gehörten allerdings schon weitgehend in den großen Bereich der «Landespolizei». Mit Hilfe von PolizeiverOrdnungen, die bis in die private Sphäre eingriffen und die individuelle Freiheit spürbar beschnitten, sorgte der Staat für die öffentliche Sicherheit, für Arbeit, für die Gesundheit und Bequemlichkeit seiner Untertanen. In diesem Sinne wurden Edikte gegen Diebe, Bettler und Zigeuner erlassen sowie gegen Luxus und Ausschweifungen.3 Zur individuellen Sicherstellung wurden Witwen- und Waisenkassen und allgemeine Brandversicherungen gegründet, ferner strenge Feuerordnungen und baupolizeiliche Vorschriften erlassen. Der landesherrlichen Fürsorge für das Gesundheitswesen dienten 1 Unter Einschaltung eines Griinderkonsortiums wurde südlich der bisherigen Siedlung Erlangen eine neue Stadt errichtet, die seit 1701 nach Markgraf Christian Emst von Bayreuth «Christian-Erlang» genannt wurde. S. u. 672, s. Bayer. Geschichtsatlas Karte 12/13, Text 64/65, Lit.; K. Hintermeier, Selbstverwaltungsaufgaben u. Rechtsstellung d. Franzosen im Rahmen d. Erlanger Hugenottenkolonisa26·

tion 1686 bis 1700, Diss. Masch. Erlangen 1949. 2 In Erlangen, das 1698 bereits 1265 Einwohner zählte, schätzt man für diese Zeit den Gewerbeumsatz auf 200000 Gulden. 3 Hierher gehört auch die Errichtung des bayreuth. Zucht- und Arbeitshauses in St. Georgen. K. Hartmann ,Gesch. d. Stadt Bayrcuth in d. Markgrafenzeit, 1949, 137.

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Hebammen-, Apotheker- und Medizinalordnungen, deren Einhaltung von einem eigens gegründeten Collegium medicum kontrolliert wurde. Ganz im Geiste der Aufklärung stand die «Neue revidierte und verbesserte Polizeiordnung», die 1746 in Bayreuth erlassen wurde, mit ihrem Kampf gegen den Aberglauben und dem Verbot des Duells. Aus dem gleichen Geist kam auch das Verbot der Folter durch Karl Alexander, der hierin seinem Vorbild, Friedrich dem Großen, nacheiferte. Dem Bürgertum der beiden Fürstentümer fehlte lange ein entsprechendes Bildungsund Ausbildungswesen, um den geistigen Standort der Reichsstädte oder die Bildungsbreite einzelner größerer Territorien, wie z. B. Sachsen, zu erreichen. (Über Schulwesen, Universität, Wissenschaftspflege §§ 77c, 76, 71.) Das im 18. Jahrhundert verbesserte Schul- und Ausbildungswesen wurde noch durch eine Kunstakademie in Bayreuth sowie durch Münzkabinette und öffentliche Bibliotheken in beiden HauptStädten12 ergänzt, durch die das Gedankengut der Aufklärung dem gelehrten Bürgertum eröffnet und nahegebracht wurde. Weiterhin gab es mehrere Zeitungen, von denen die «Erlanger Real-Zeitung» die bedeutendste und verbreitetste war.3 Zeichen der religiösen Tolerenz der Aufklärung war die Zulassung zunächst der Reformierten und dann katholischer Gemeinden in den beiden protestantischen Fürstentümern (s. u. 453). In Bayreuth gründete Markgraf Friedrich selbst 1741 die «Schloßloge». 4 In der Kultur- und Kunstgeographie Frankens spielen die protestantischen Markgraftümer durchaus eine selbständige, bedeutsame Rolle gegenüber dem katholischen mainfränkischen Reichsbarock der Schönborn-Zeit. Das reiche, ja oft versehwenderische Mäzenatentum derLandesherrn (s. u. § 82, bes. § 770 ff.) ließ sowohl in Ansbach5 wie in Bayreuth6 neue prächtige Residenzschlösser mit glanzvoller Innenausstattung entstehen und um die Hauptstädte einen ganzen Kranz von Lust- und Jagdschlössern (Bruckberg, Schwaningen, Triesdorf,7 Kaiserhammer,8 Eremitage,’ Sanspareil)10 mit 1 In Bayreuth erlebte unter dem pietistischen Markgrafen Georg Friedrich Karl und seinem Hofprediger Johann Christoph Silchmüller das von beiden nach dem Vorbild der pietistischen Einrichtungen August Hermann Franckes in Halle gegründete Waisenhaus mit einer Armenschule einen gewissen Aufschwung, der jedoch nicht lange anhielt. Hierzu J. Batteiger, Der Pietismus in Bayreuth (Hist. Stud. 38) 1903; F. Bruckmeier, Die deutsche Schule Bayreuths im 18. Jh., 1932. 2 G. Schuhmann, Ansbacher Bibliotheken vom MA bis 1806. Ein Beitr. z. Kultur- u. Geistesgesch. d. Fürstentums BrandenburgAnsbach (Sehr. d. Inst. f. fränk. Landesforsch. 8) 1961. 3 Vgl. J. Bischoff, Grundlagen z. Gesch. d. Erlanger Real-Zeitung 1741-1829 (A. Sauerteig, Coburger Zeitungsgesch.) 1949, 175-194; A. Ernstberger, Johann Gottfried Groß 1703 bis 1768. Maria Theresias polit. Agent bei d. Reichsstadt Nürnberg (Schriftenreihe 61) 1962;

R. Endres, Der Nachdruck d. Erlanger Realzeitung durch einen Wiener Buchdrucker 1786 (Erlanger Bausteine 11) 1964, 27-31. 4 B. Beyer, Gesch. d. Großloge z. Sonne in Bayreuth, 3 Bde., 1954/55. 5 Vgl. Bayer, Hofbaumeistcr (s. u. 742); Krieger, Ansbacher Fayence (s. u. 786 Anm.6); Ders., Die Ansbacher Hofmaler d. 17. u. 18. Jhs. (Jb. Mfr. 83) 1966. 6 F. H. Hofmann, Bayreuth u. seine Kunstdenkmale, 1902; Merten (s. u. 778 Anm. 3). 7 Braun, Triesdorf (s. u. 772 Anm. 1). 8 K. MÜSSEL, Bauten, Jagden u. Feste d. Bayreuther Markgrafen in Kaiserhammer (AO 41) 1961, 271-344. ’ G. Hübsch, Der fürstl. Lustsitz Eremitage bei Bayreuth in d. Tagen seiner Vergangenheit, 1924; E. Bachmann, Eremitage zu Bayreuth (Amtl. Führer) 19622. 10 Ders., Felsengarten Sanspareil, BurgZwernitz (Amtl. Führer), 19622; Pfeiffer (s. 777 Anm. 6).

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ausgedehnten Garten- und Parkanlagen als architektonischen Bestandteilen der großzügigen Gesamtanlagen.1 Das kultivierte Hofleben des Barock und Rokoko forderte auch neue Theaterbauten (Bayreuth, Erlangen), in denen französische und italienische Künstler Konzerte gaben und prunkvoll ausgestattete Opern, Schauspiele und Ballette vorführten.12 Dabei blieb das künstlerische Leben keineswegs nur auf die Hauptstädte beschränkt, sondern strahlte auch auf das flache Land aus. Allein unter Markgraf Karl Wilhelm Friedrich entstanden im Fürstentum Ansbach 56 neue Pfarrhäuser und Kirchen.3 Die kulturelle Blüte Bayreuths zur Zeit der Markgräfin Wilhelmine verfiel sehr rasch, als nach dem Anfall des Landes an Ansbach 1769 der Bayreuther Hof aufgelöst wurde.4 Die UniversitätsstadtErlangen dagegen erlebte unter der Markgräfin Sophie Caroline Marie, der zweiten Gemahlin Friedrichs, die hier bis 1817 ihre Witwenjahre verlebte, eine späte Nachblüte musischen Lebens.5 Ihren inneren und äußeren Höhepunkt erreichten die beiden zollerischen Staaten ohne Zweifel im achtzehnten Jahrhundert unter dem Regiment des lange verkannten6 «Wilden Markgrafen» Karl Wilhelm Friedrich von Ansbach (1729-57) und Friedrichs von Bayreuth (1735-63) sowie unter Markgraf Karl Alexander, der seit 1769, nach dem Tod des schrulligen, regierungsunfähigen Sonderlings Friedrich Christian7 beide Fürstentümer in seiner Hand vereinigte. Karl Wilhelm Friedrich, kraftstrotzend, derb und jähzornig, dem Trunk ergeben, bekannt durch seine zahlreichen Liebesaffären mit Mädchen aus dem Volke,8 erwarb sich hohe Verdienste um sein Land, war, wenn auch mit gewissen Abstrichen, ein tüchtiger Regent. Auch Markgraf Friedrich von Bayreuth, der gerne im Schatten seiner geistvollen Gemahlin Wilhelmine gesehen wird,9 die im kulturellen Leben Bayreuths um die Mitte des achtzehntenJahrhunderts den Ton angab,10 war bestimmt von der Sorge um sein kleines Fürstentum und wollte 1 Vgl. U. Frenzel, Beitrr. z. Gesch. d. barocken Schloß- u. Gartenanlagen d. Bayreuther Hofes, Diss. Erlangen 1958 (photomech. Nachdruck). 2 Vgl. G. Rudloff-Hille, Die Bayreuther Hofbühne im 17. u. 18. Jh. (AO 33, H. 1) 1936, 67-138; Hartmann, Musikpflege (s. u. 790); Schmidt, Musik (s. u. ebd.); Ders., Johann Balthasar Kehl u. Johann Wilhelm Stadtler. Ein Beitr. z. Musikgesch. Bayreuths im 18. Jh. (AO 46) 1966, 183-240; I. Sander, Johann Pfeiffer. Leben u. Werk d. letzten Kapellmeisters am markgräfl. Hof zu Bayreuth (AO 46) 1966, 129-182. 3 Siehe die Aufstellung bei Sperl (s. o. 397); über die «Markgrafenkirchen» s. u. 771 ff. 4 K. Hartmann, Die Kunstpflege in Bayreuth nach d. Rcsidenzzeit 1769-1806 (AO 33, H. 2) 1937, 1-71; A. Ertbl, Theaterpflege in Bayreuth nach d. Residenzzeit 1769-1806 (AO 43) 1963, 199-236. 5 H. Reichold, Sophie Caroline Marie v. Brandenburg-Bayreuth 1757-1817 (Jb. Mfr.77) 1957, 159‫־‬227■

6 Vgl. das abwertende Urteil bei K. H. Ritter v. Lang, Gesch. d. vorletzten Markgr. v. Brandenburg-Ansbach, 1848. 7 Vgl. J. W. Holle, Friedrich Christian, d. letzte Markgraf v. Bayreuth (AO 5, H. 2) 1853, 1-54; Ch. Meyer, Der letzte Markgraf v. Bayreuth (Hohenzoll. Forsch. 2) 1893, 456-477. 8 Besonders bekannt ist seine heimliche Heirat mit Elisabeth Wünsch, der er das Schloßchen Georgental überließ und deren Kinder er adelte (von Falkenhausen). 9 R. Fbster (Die Bayreuther Schwester Friedrichs d. Gr., 1902, 77) unterstellt ihm sogar «fast weinerliche Willenlosigkeit» und A. Ernstberger (s. 404 Anm. 3) nennt ihn (18) charakterschwach und wankelmütig. Μ. E. zu Recht bemühen sich um eine gewisse Rehabilitierung des Markgrafen K. Müssel, Markgraf Friedrich v. Brandenburg-Bayreuth, 2 Teile (Jahresber. d. Gymn. Christian-Emestinum Bayreuth 1953/54 u■ 1955/56) sowie Pfeiffer (Festschr. Liermann, 1964) 160-176. 10 Wilhelmine dichtete und komponierte selbst, malte und fertigte Architekturentwürfe,

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seinem Volk ein guter Landesvater sein. Übertroffen wurden beide aber von dem verdienstvollen Markgrafen Karl Alexander, dessen Wahlspruch «Salus publica salus mea» symptomatisch für seine aufgeklärte Regierung war. Und doch war auch er nicht ohne Widersprüchlichkeit. Auf einer seiner vielen Auslandsreisen lernte er in Paris die gefeierte, dreizehn Jahre ältere Tragödin Hippolyte Clairon kennen. Sie brachte französischen Lebensstil nach Ansbach, wo sie wegen ihrer Zurückhaltung und Uneigennützigkeit geehrt und geachtet wurde. Dann aber wandte sich der unglücklich verheiratete Markgraf der wesentlich jüngeren Lady Eliza Craven1 zu, die bald die ältere Rivalin verdrängte und sich intrigenreich in die Regierungsgeschäfte einmischte. Sie bedrängte den kinderlosen Markgrafen, die Regierung niederzulegen, zumal der Erbfall an Preußen seit dem Hausvertrag von 1752 beschlossene Sache und im Frieden von Teschen 1779 reichsrechtlich bestätigt worden war. Der Ausbruch der Französischen Revolution, deren Übergreifen nach Franken der Markgraf befürchtete, förderte die Bemühungen der Lady. So wurde die Abdankung gegen eine Leibrente von 300000 Gulden jährlich in einem Geheimvertrag mit Preußen am 16. Januar 1791 festgelegt. Seit Juli 1790 weilte der ehemalige braunschweigische Minister Karl August von Hardenberg in Ansbach, um die Übernahme vorzubereiten. In Bordeaux unterzeichnete am 2. Dezember 1791 Karl Alexander das Abdankungspatent, das im Januar des folgenden Jahres, zugleich mit dem preußischen Besitzergreifungspatent, den überraschten Untertanen bekannt gegeben wurde.2

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Staatsarchiv f. d. kgl. preuß. Fürstentümer in Franken, hg. v. Hänlein-Kretschmann, 3 Bde., 1797; Ch. S. Krause, Sammlung sämtl. Verordnungen f. d. preuß. Provinzen in Franken seit ihrer Vereinigung mit d. preuß. Staat, I (1791-92), 1802; J. A. P. Weltrich, Erinnerungen f. d. Einwohner d. Fürstentums Baireuth aus d. Preuß. Regierungs-Jahren v. 1792 bis 1807, 1808; J. G. Koppel, Beschreibung einer hist. u. Statist. Reise durch d. fränk. Fürstenthümer Bayreuth u. Ansbach I, 1795; G. E. A. Mehmel, Briefe eines Weltbürgers über d. Regierungsveränderungen in Ansbach u. Bayreuth, 1792; K. H. Ritter v. Lang, Annalen d. Fürstentums Ansbach unter d. preuß. Regierung v. 1797 bis 1806, 1806; Ders., Memoiren, 2 T., 1841/42; L. v. Rankt, DenkWürdigkeiten d. Staatskanzlers Fürsten v. Hardenberg, I 1877; Ders., Hardenberg u. d. Gesch. d. preuß. Staates 1793-1813, 3 Bde., 1879/81 (2. leicht veränderte Aufl. d. Darstellungen Rankes zu den «Denkwürdigkeiten»); Zoepfl, Fränk. Handelspolitik (s.u. 505); Ch. Mf.yer, Hardenberg u. seine Verwaltung d. Fürstentümer Ansbach u. Bayreuth (Hohenzoll. Forsch., hg. v.

sie besaß eine umfangreiche Bibliothek und stand in reger geistiger Verbindung zu ihrem Bruder in Berlin und zu Voltaire, vgl. hierzu: Markgräfin Wilhelmine v. Bayreuth u. ihre Welt (Ausstellungskat. 1959, mit zahlreichen Beiträgen); Im Glanz des Rokoko (AO 38) 1958; G. Horn, Voltaire u. d. Markgräfin v. Baireuth, 1865; E. Bracker, Markgräfin Wilhelmine v. Bayreuth u. d. geistige Welt Frankreichs (Erlanger Abh. NF 4) 1940. Eine umfassende Biographie der Markgräfin fehlt; wichtig das knappe Werk von Fester (s. o. 405

Anm. 9); die Darstellung von H. Thiel (Wilhelmine v. Bayreuth. Die Lieblingsschwcstcr Friedrichs d. Gr., 1967) ist ohne Wissenschaft). Apparat; vgl. auch Endres, Versuche Wiens (s. o. 370); zuletzt G. Pfeiffer, W. v. B. (Fränk. Lebensbilder 6) 1975, 205-222. 1 W. Waldenfels, Lady Elisa Craven 1750 bis 1828 (Lebensläufe aus Franken 3) 1927, 46-53; H. Ley, Die literar. Tätigkeit d. Lady Craven, 1904. 2 Endres, Erbabrcdcn bes. 43 fT., 78 ff.

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C. Meyer, I) 1892, 1-159 (darin Hardenbergs Generalbericht vom 10. Juni 1797 über seine Verwaltung in Franken), etwas abgewandelt erneut erschienen unter dem Titel: Preußens innere Politik in Ansbach u. Bayreuth in d. Jahren 1792-1797 (Hist. Stud. 49) 1904; F. Hartung, Hardenberg u. d. preuß. Verwaltung in Ansbach-Bayreuth v. 1792 bis 1806, 1906; H. Haussherr, Hardenberg. Eine polit. Biographie. I: 1750-1800. Aus dem Nachlaß hg. v. K. F. Born, 1963 (wichtige landesgcschichtlichc Literatur nicht berücksichtigt). Enthält die Denkschriften H.s vom 10. Jan. (225-240) u. vom März 1799 über das Finanz- und Rechnungswesen in den fränk. Fürstentümem (240-255); P. G. Thielen, Karl August v. Hardenberg 1750-1822, 1967 (mit Hardenberg-Bibl.); Chr. Meyer, Gesch. d. Burggrafschaft Nürnberg u. d. späteren Markgrafschaften Ansbach u. Bayreuth (Tüb. Stud. f. Schwäb. u. Deutsche Rechtsgesch., hg. v. F. Thudichum, II 1) 1908; G. Sciimoller, Preuß. Verfassungs-, Verwaltungs- u. Finanzgesch., 1921; H. Rössler, Die Fürstentümer d. Hohenzollem (Die Plassenburg 4) 1953, 62-86; K. Süssheim, Preußens Politik in Ansbach-Bayreuth 1791-1806 (Hist. Stud. 33) 1902; Hofmann, Freibauern; Ders., Die preuß. Ära in Franken (Jb. Mfr. 79) 1960/61, 224-244, in veränderter Form in: Hist. Raumforschung, 1963, und Neue Wissenschafti. Bibliothek 17, 1967; Ders., Adelige Herrschaft; U. Thürauf, Die öffentl. Meinung im Fürstentum Ansbach-Bayreuth z. Zeit d. franz. Revolution u. d. Freiheitskriege, 1918; Sperl, Kultusbaulast (s. o. 397). Vgl. o. § 35 u. 36.

Am 28. Januar 1792 übernahm der bisherige markgräfliche Dirigierende Minister Karl August Freiherr von Hardenberg, der seit dem Patent von Ostende vom 9. Juni 1791 praktisch mit vizeköniglichen Vollmachten ausgestattet war, die beiden zollerischen Fürstentümer Ansbach und Bayreuth für den König von Preußen in Besitz. Hardenberg sah sich bei der endgültigen Übernahme der fränkischen Fürstentümer vordringlieh zwei großen Aufgaben gegenübergestellt: der Schaffung eines geschlossenen Staatsgebiets, was bei der durch die Reichsverfassung garantierten Struktur der fränkischen Territoria inclausa allerdings ohne Rechtsbruch und Gewaltanwendung nicht möglich war, und einer Neuorganisation der Behörden, die nicht weniger tief einschneidende Maßnahmen erforderte. Mit beiden Problemen auf engste verbunden war die Frage des Adels. Hardenberg empfand die Reichsritterschaft als «Staat im Staate»,1 deren unabhängige Stellung er nicht mehr dulden wollte. Gegen die Widerstände und Bedenken der einheimischen Räte,12 die zum Großteil selbst dem niederen Adel entstammten, ging Hardenberg gegen die Ritterschaft vor, wobei die im Bayreuthischen ansässigen, ja schon weitgehend mediatisierten Ritter weit weniger Widerstand leisteten als die im Ansbachischcn eingesessenen, «der reichsfrei unmittelbaren Reichsrittcrschaft» aufgcschworcncn Barone. Als sich Hardenberg bei den für den Reichskrieg gegen das revolutionäre Frankreich anfallenden Kontributionen und Quartierleistungen einfach über die vielfältig verfilzten und vermischten Rechte hinwegsetzte und auch über die fremdherrischen Untertanen großzügig verfügte, rief die Ritterschäft den Kaiser um Hilfe. Wien ergriff zwar angesichts der augenblicklichen Spannung innerhalb der Koalition der Großmächte gegen Frankreich die Partei der Ritter, und selbst Berlin wollte wegen der anstehenden Polnischen Teilung nachgeben, doch 1 Hardenbergs Gcneralbericht (Gen. Ber.) § 18 (Hohcnzoll. Forsch., hg. v. Ch. Meyer, 1) 36 f. S. o. § 48. 2 Den aus der Beamtenschaft stammenden Vorschlag, der reichsfreie Adel möge auf seine Stcuerrcchtc verzichten und dafür geschlossene Besitzungen einhandcln, in denen ihm, selbst-

verständlich unter Anerkennung der preußisehen Lchenshoheit, die weitere Ausübung bisheriger Hoheitsrechte zugestanden würde, lehnte Hardenberg ab, da er voraussah, welche Gefahren Immunitätssprengel im Territorium clausum bringen würden. Vgl. Hofmann’ Adelige Herrschaft 169 f.

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Hardenberg blieb fest und legte die Einsprüche des Reichshofrats «zu den Akten».' Dabei kam ihm allerdings zugute, daß sich Kurbayern, das ja gegenüber Nürnberg selbst Sequestrationen vorgenommenhatte.ausder ganzen Sache heraushiclt, ja eigentlieh Hardenberg durch wohlwollende Neutralität in seinen Absichten unterstützte.1 2 Als Preußen im Separatfrieden von Basel am 5. April 1795 sich Neutralität gegen Frankreich verschafft hatte und praktisch aus dem Reich ausgeschieden war,3 gewann Hardenberg in Franken die alles entscheidenden Vorteile. «Die Politik überwog nun das Recht.»4 Mit den vom Kriegsschauplatz im Westen zurückgekehrten Regimentem des Generalleutnants Hohenlohe erhielt Hardenberg auch die nötige militärische Macht zur Durchführung seiner Absichten. Bisher war Hardenberg mit seinen Plänen in Berlin aus den verschiedensten politischen und persönlichen Gründen auf Mißtrauen, ja Widerstand gestoßen.5 Doch nach eingehenden Besprechungen am Königshof wurde Hardenberg durch Instruktion vom 12. April 1796 angewiesen, bei seinem Vorgehen in allen Fällen von Widerstand Truppen cinzusetzen und allen Protesten, Reklamationen und selbst gerichtlichen Maßnahmen keinerlei Beachtung zu sehenken.6 Der Kernsatz aller Forderungen Hardenbergs war, die preußischen Fürstentümer seien «in all ihren Bestandteilen ein ganz geschlossenes Territorium, innerhalb dessen Grenzen alles der vollen und uneingeschränkten Landeshoheit unterworfen sei».7 Alle Gerichtsbarkeit, alle lehensherrlichen Rechte, die Kirchengewalt sowie die Wehr- und Steuerhoheit wurden ausschließlich, unter Berufung auf frühere Verhältnisse, für die Krone Preußen beansprucht. Lediglich die grundherrlichen und gewisse jurisdiktionclle Rechte, soweit sie durch besondere Abkommen mit dem Hause Brandenburg genehmigt seien, sollten unangetastet bleiben. Als Landesgrenzen wurden von Hardenberg die auf ganz anderen Grundlagen beruhenden Hochgerichtsgrenzen, und zwar in ihrer umstrittenen weitest möglichen Ausdehnung, in Anspruch genommen, womit der Jahrhunderte alte Streit um das Verhältnis von Hochgerichtsbarkeit und Landeshoheit in Franken zugunsten Preußens radikal entschieden wurde. Die historisch-juristischen Argumente für die nun vorgenommenen «Revindikationen» lieferten vor allem Karl Hänlein und der frühere Jenaer Staatsrechtslchrcr Theodor Kretschmann,8 der in Dienste Hardenbergs getreten war und seit 1792 eingehende 1 Süssheim (s. o. 407) 57 fF. 2 Hofmann, Adelige Herrschaft 171 Anm. 37· 3 F. Zierke, Die deutsche Politik Hardenbergs in d. ersten Periode seines Staatsmann. Wirkens 1770-1807, Diss. Frankfurt a. Μ. 1932, bes. 62-75; W. Real, Der Friede v. Basel (Basler Zschr. f. Gesch. u. Altertumskunde 50/51) 1951/52,27 fF. u. 115 fF.; H. Haussherr, Hardenberg u. d. Friede v. Basel (HZ 184) 1957, 292335‫ ;־‬W. Real, Von Potsdam nach Basel. Stud. z. Gesch. d. Beziehungen Preußens zu d. europ. Mächten vom Regierungsantritt Friedrich Wilhelms II. bis z. Abschluß d. Friedens v. Basel 1786-1795 (Basler Beitrr. z. Geschichtswiss. 70) 1958.

4 Hofmann, Adelige Herrschaft 171. 5 Vor allem Minister Fr. W. Graf von Schulenburg bereitete Hardenberg große Schwierigkeiten und war streng darauf bedacht, daß Hardenberg seine Vollmachten nicht überschritt, vgl. Süssheim (s. o. 407) 78 ff. 6 Ebd. 166. 7 § I der Instruktion Hardenbergs an die Regierung von Bayreuth unter dem Datum vom 24. Juni 1796; Weltmch (s. o. 406) 26. 8 Der schon von den Zeitgenossen zwicspältig beurteilte Kretschmann leitete nach 1801 die staatliche Neuordnung des Herzogtums Coburg, vgl. O. Mutzbauer, Die BehördenOrganisation d. Herzogtums Coburg im 19. Jh. (Jb. d. Coburg. Landesstiftung 1958) 13-58;

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Untersuchungen über den früheren Territorialbestand der zollerischen Fürstentümer in Franken angcstellt hatte. Die Ergebnisse dieser einseitigen rechtsgeschichtlichen Arbeiten gab Hardenberg unter bewußtem Einsatz der Publizistik in einer Fülle von Deduktionen den fränkisehen Ständen bekannt.1 Auf der Grundlage dieser angeblichen Beweise des preußisehen Rechts ließ Hardenberg im Sommer 1796 frühere Lehen einziehen, mit militärischcr Gewalt gegen die eingeschlossenen reichsrittcrschaftlichen Streubesitzungen vorgehen sowie gegen den Hauptteil des Nürnberger Landgebiets,2 gegen die eichstättischen Exklaven3 und gegen die Besitzungen des Deutschen Ordens.4 Auflehnungen gegen die militärisch abgesicherten Aktionen wurden als Majestätsbeleidigungen bezeichnet und dementsprechend geahndet. Die Ritter wie ihre Untertanen wurden zur Huldigung vorgeladen, die Eidesleistung oftmals förmlich erpreßt; Beamte, die sich widersetzten, wurden vertrieben oder gar gefangengenommen; die Ämterkanzleien wurden besetzt und die Kassen beschlagnahmt.5 Als weitere Maßnahme ließ Hardenberg alle alten Verträge mit Benachbarten, die nicht von der Berliner Hauptlinic genehmigt waren, kassieren. So wurde u. a. auch der 1699 mit den Grafen von Gicch auf Thurnau geschlossene Landeshoheitsvertrag für die Krone Preußen für unwirksam erklärt. Durch kluge Verhandlungen erreichte das gräfliche Haus am 10. November 1796 in den Assekurations-Akten eine modifizierte Landeshoheit («superioritas territorialis subordinata»), wie cs sie bisher schon besessen hatte.6 Mit den Nachbarn, die sich den preußischen Ansprüchen fügten, schloß Hardenberg Ausgleichsverträge, durch die alle Vermischungen aufgehoben wurden; so mit den kleineren Anrainern Hohenlohe-Neuenstein,7 Ottingen-Spielberg8, mit der Reichsstadt Rothenburg,’ mit der Grafschaft Pappenheim,10 mit der gefürsteten Grafschäft Schwarzenberg11 und schließlich im Haupt-Landes-Purifikationsvcrgleich vom 30. Juni 1803 mit Kurpfalzbayern12, der eine durchgehende Territorialgrenze festlegte K. Bohley, Die Entwicklung d. Vcrfassungsfrage in Sachscn-Coburg-Saalfeld v. 1800 bis 1821 (Erlanger Abh. 13) 1933; K. Frhr. v. Andrian-Werburg, Der Minister v. Kreischmann. Versuch einer Staatsorganisation in Sachscn-Coburg-Saalfeld (Jb. d. Coburg. Landesstiftung 1965) 27-88. S. o. 255 1 Zum Großteil sind diese Deduktionen zusammengefaßt im Staatsarchiv der kgl. Preuß. Fürstentümer in Franken. Große Bedeutung kam auch der unter einem Pseudonym von C. L. Lange herausgegebenen «Deutschen Reichs- u. Staatszeitung» zu, die wegen ihres scharf anti-österreichischen Kurses aus Nümberg verwiesen worden war, s. Thürauf (s. o. 407) 86 ff. 2 Μ. v. Oesfeld, Gesch. d. Okkupation d. freien Deutschen Reichsstadt Nürnberg u. deren Vorstädte durch Preußen im Jahr 1796, 1876; HAB Nürnberg-Fürth (Η. H. Hofmann) 195 ff.; Pfeiffer, Nbg. (s. o. 324); s. o. 368.

3 HAB Eichstätt (G. Hirschmann) 159 ff. 4 HAB II 2, 42 nr. 2. 5 Vgl. Hofmann, Adelige Herrschaft 178 ff. 6 Vorbild für die Giechsche subordinierte Landeshoheit war die Stellung der Grafen Stolberg-Wernigerode, wie sie Preußen im Vertrag von 1714 zugestand (s. ebd. 196); Gollwitzer (s. o. 369); U. v. Pezold, Die Herrschaft Thurnau im 18. Jh. (Die Plassenburg 27) 1968, 64 ff. 7 Abgcdr. bei Hänlein-Kretschmann (s. o. 406) I 231-234; HAB II 2, 42 f. nr. 3. 8 Hänlein-Kretschmann (s. o. 406) II 117; HAB II 2, 43 nr. 4. ’ Ebd. nr. 5. 10 Ebd. nr. 6: Der Solnhofcr Distrikt fällt an Pappenheim. 11 Ebd. 44 nr. 7. Dieser Vertrag kam nicht mehr zum Vollzug, sondern wurde durch die politischen Ereignisse überholt. 12 Abgedr. bei v. Aretin, Staatsverträge

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und alle bisherigen Rechts- und Besitzvermischungen zwischen beiden Territorien an allen Berührungsstrecken beseitigte. Diese großzügige Abgleichung mit Kurbayern nach den Bestimmungen des Friedens von Luneville rundete das preußische Gebiet vorteilhaft ab. Sie brachte an Gewinn vor allem die ehemaligen ReichsstädteWeißcnbürg, Windsheim und Dinkelsbühl sowie das Eichstätter Oberland. Außerdem wurde mit dem Straßendistrikt von Eschenau nach Pegnitz Preußen auf Kosten Nürnbergs großzügig eine Militärstraße durch das bayerische Gebiet zugestanden.1 Mit den sog. Revindikationen und militärischen Okkupationen, einem «schlechthin revolutionären Akt»,2 war die Staatsbildung vollzogen. Dadurch, daß man unter zynischem Bruch des Reichrechtes die Fraischgrenzen zu Landesgrenzen erklärte, konnte Hardenberg das hohenzollerische Territorium in Franken um fast ein Drittel erweitern, 113 000 neue Untertanen und rund 200000 fl. Mehreinnahmen hinzugewinnen. Kaiser, Kurkolleg und Reichgerichte protestierten zwar gegen diese Willkürmaßnahmen, doch Preußen ging darüber einfach hinweg. Diese durch alte Rechtstitel nur mühsam verbrämte einseitige okkupatorische Machtpolitik Hardenbergs im Sommer 1796, von Friedrich Engels nicht zu Unrecht als ein Paradebeispiel für die Rolle der Gewalt in der Geschichte angeführt,2 konnte nur deshalb Erfolg haben, weil zur gleichen Zeit die französischen Revolutionstruppen den Rhein überschritten und unter Jourdan den Fränkischen Kreis überfluteten. Damit waren die seit dem Frieden von Basel neutralen preußischen Gebiete zu Inseln des Friedens geworden und zur Zuflucht nicht nur vieler fränkischer Grafen und Ritter, sondern sogar des Bischofs von Eichstätt. Aus eben diesem Schutzbedürfnis stellten sich auch die von preußischem Staatsgebiet völlig umklammerten Reichstädte Windsheim und Weißenburg vorübergehend unter preußisches Protektorat und bot selbst unter dem Druck der Bevölkerung die altehrwürdige Reichsstadt Nürnberg, bis vor deren Mauern unter Vorwegnahme der Vorstädte Hardenberg das preußische Staatsgebiet vorgerückt hatte, ihre Unterwerfung an. Doch Berlin lehnte aus Rücksichtsnahme gegenüber Österreich und Rußland und vor allem aus Angst vor der ungeheuren Schuldenlast der Stadt4 diese Unterstellung ab, obwohl Hardenberg den Subjektionsvcrtrag am 2. 9. 17965 schon unterzeichnet hatte. Die Bevölkerung in den okkupierten Gebieten wußte nicht nur den Schutz zu schätzen, den Preußen gegenüber den französischen Truppen bot, sie lernte auch bald weitere Vorzüge des preußischen Regiments kennen: eine geordnete Justizpflege, saubere Verwaltung, neues Beamtenethos, vernünftige Steuer- und Finanzpolitik und eine (s. o. 249) 482. Im Regierungsblatt Franken 1804, 9, ist lediglich das bayer. Besitzcrgreifungspatent vom 26. 9. 1803 veröffentlicht. HAB II 2, 48 ff. nr. 10 führt die einschlägigen Bestimmungen genau auf. 1 Vgl. Η. H. Hofmann, Zwischen Macht u. Recht. Der Eschcnaucr Straßendistrikt im Streit zw. Preußen, Kurpfalzbaycm u. d. Reichsstadt Nürnberg, 1805-06 (MVGN 53) 1965, 13-59■ 2 Hartung, Hardenberg (s. o. 407) 38.

3 F. Engels, Die Rolle d. Gewalt in d. Gesch. (Karl Marx-Friedrich Engels, Werke, 21) 1962, 443· 4 Im Jahr 1806 betrug die Gesamt verschuldüng der Stadt schließlich fast 14 Mill. Gulden; W. Schwemmer, Die Schulden d. Reichsstadt Nürnberg u. ihre Übernahme durch d. bayer. Staat (Beitrr. z. Gesch. u. Kultur d. Stadt Nürnberg 15) 1967, 12 f. 5 Abgedr. in Hänlein-Kretschmann (s. o. 406) II 483-491.

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systematische Förderung der Gewerbe in den von der Wehrpflicht befreiten Städten. Denn gleich nach Abschluß der Revindikationen baute Hardenberg den nun geschlossencn Staat auch verwaltungspolitisch rational aus. Schon das Organisationspatent vom 3. Juli 1793 hatte in den Behördenspitzen nach französischem Vorbild die Scheidüng von Justiz und Verwaltung vollzogen. In jeder der beiden Provinzen wurden als höchste Instanzen für die Justiz Regierungskollegien mit zwei Senaten geschaffen, von denen der erste Senat die eigentliche Straf- und Zivilgerichtsbarkeit und die JustizVerwaltung wahrnahm und der andere den Lehenhof, das Konsistorium und das Vormundschaftswesen. Außerdem waren ab 1. Januar 1796 das preußische allgemeine Landrecht und die allgemeine Gerichtsordnung verbindend.1 Auf der unteren Ebene wurde die Gerichtsbarkeit ausschließlich Justizämtern übertragen, während die Verwaltung, auch die Finanzverwaltung, den Kammerämtern unterstand. Im ersten Halbjahr 1797 wurde eine grundlegende Neuorganisation des gesamten Staatsapparates in allen Ebenen vorgenommen. Mit der Durchführung dieser Aufgabe wurde F. L. Kircheisen, der spätere preußische Justizminister, beauftragt. Bei klarer Gliederung der Behörden und ihrer Kompetenzen und bei strenger Trennung von Justiz und Verwaltung in all ihren Instanzen wurde das gesamte Staatsgebiet in einheitliche Gerichtsund Verwaltungsbezirke unterteilt, zwischen denen nun nach dem modernen Flächenprinzip keine Vermischung mehr bestand.1 2 Die eigentlichen Träger der Staatshoheit nach innen und außen waren die Kreisdirektorien als Mittelbehörden der je sechs Kreise in jedem der beiden Fürstentümer. Der Kreisdirektor hatte die Aufsicht über alle Zweige der Verwaltung, er überwachte die Unterämter und die genehmigten Patrimonialgerichte und das Marschquartierwesen. Er war jedoch reiner Beamter im Gegensatz zum preußischen Landrat, dessen Befugnisse er zudem weit überschritt. Die sechs Kreise setzten somit sowohl räumlich wie in ihrer verwaltungstechnischen Mittelstellung die Tradition der markgräflichen Oberämter und Hauptmannschaften fort. Während der Formation der Kreise aber die alten Hochgerichtssprengel zugrunde gelegt waren, ging der Zusammenschluß der flächenmäßig bereinigten Justiz- und Kammerämter ausschließlich auf der Grundlage der bisherigen grundhetrlichen Vogteiämtcr vor sich, obwohl dieses Prinzip eigentlich von Hardenberg abgelehnt wurde. Gänzlich fremd für Franken war die nun nach preußischem Vorbild durchgeführte verschiedene Behandlung von Stadt und Land. Die großen Städte bekamen Stadtmagistrate als Selbstverwaltungskörper, Stadtgerichte und Stadtrendaturen zur Finanzvcrwaltung; die mittleren Städte erhielten Polizei-Bürgermeister, und selbst noch die kleinen Städte und Märkte wurden mit Verwaltungsaußenstellen versehen.3 1 J. Babczinski, Die Einführung d. preuß. allgem. Landrechts in d. Markgrafschaft Bayrcuth während d. Zeit 1791-1806, Diss. Masch. Erlangen 1947, bes. 28. 2 «Es war eine Departementseinteilung im kleinen Maßstab» Hartung, Hardenberg (s. o. 407) 96. 3 Ende 1797 hatte Hardenbergs Werk einen gewissen Abschluß gefunden, weshalb er eine ausführliche Denkschrift über seine Tätigkeit

in Franken verfaßte, den sog. «Generalbericht» (ediert u. kommentiert von Ch. Meyer, s. o. 406). Zwei Jahre später überzeugte sich der König bei einem Besuch in Franken von dem Geleisteten und schenkte Hardenberg in Anerkennung seiner Verdienste das erledigte Lehen Altenmuhr, was einer Rehabilitierung gegenüber den Vorwürfen Schulenburgs gleichkam.

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Nach vollzogener Bereinigung zwischen beiden Fürstentümern wurde 1802 die völlige Trennung in zwei Provinzen mit der alleinigen Spitze des Berliner Landesministeriums verfügt. Ganz selbstverständlich wurde auch das preußische KantonalSystem eingeführt, demzufolge jede Provinz ein Infanterieregiment zu tragen hatte und beide zusammen ein Jäger- und Husarenbataillon. Im Zuge der von oben her vereinheitlichten Staatsführung wurde auch die kirchliche Organisation gleichgeschaltet, indem man die Konsistorialbereiche den bereinigten Provinzgrenzen anpaßte und die ritterschaftlichen Pfarreien den jeweiligen Dekanaten und Superintendenturen zuordnete.1 Dem Adel blieb nur das Patronatsrecht in seinen Pfarreien. Da die preußisehen Revindikationen von den drei fränkischen Bischöfen nicht anerkannt wurden, trug sich Hardenberg sogar mit dem Gedanken, für die okkupierten katholischen Untertanen einen eigenen katholischen Landesbischof berufen zu lassen.1 2* Dieses Bild einer völligen Assimilation an die preußische Provinzial- und Kreisvcrfassung täuscht jedoch. Denn letztlich verhinderte die eigentümliche besitzrechtliche und soziale Struktur Frankens, vor allem die typisch fränkische Grundherrschaft,’ die Nivellierung auf der unteren Staatsebene. Hier liegt auch der Unterschied zum Neuaufbau der Rheinbundstaaten, denen die totale Gleichschaltung zumindest kurzzeitig gelang. Dem ritterlichen Adel hatte man durch Zusage die Unterwerfung zu erleichtern gesucht. Die Deklaration vom 12. Juli 17964 gestand allen Rittern, die ihren Huldigungseid ablegten, die Allodifikation und Arrondierung der Güter zu, d. h. die Bildüng von großen und geschlossenen Mediatbezirken, in denen die genehmigte Patrimonialgerichtsbarkeit den königlichen Justiz- und Kammerämtern gleichgeordnet war. Allerdings unterlagen die adligen Gerichtshalter nun der staatlichen Qualifizierung. Die persönlichen Prärogativen des Adels blieben unangetastet. Doch war angesichts des passiven Widerstands des Adels und der weiten Streuung der Grundherrschäften die Bildung «geschlossener Grundherrschaften» nur selten möglich. Daran änderte sich auch nichts, als durch Deklaration von 1801 in Nachfolge der Voigtländisehen Ritterschaft eine neue «Ritterschaft des Fürstentums Bayreuth» gebildet wurde, die alle Rittergutsbesitzer, gleich, ob adlig oder bürgerlich, umfassen sollte. Diese Corporation, die keinesfalls den alten ständischen Dualismus wieder aufleben lassen wollte, stand praktisch nur auf Papier, während man im Ansbachischen gar nicht den Versuch unternahm, die heftig opponierende stolze Ritterschaft nach den preußischen Vorstellungen zusammenzufassen. Zum Widerstand des Adels kamen bald weitere innere und äußere Schwierigkeiten, die das große Reformwerk Hardenbergs hemmten. Vor allem machte sich der Wandel in der allgemeinen politischen Lage nachteilig bemerkbar, der zu ständigen Rück1 W. Strödel Die Grundsätze d. preuß. Religionspolitik in Ansbach-Bayreuth (ZBKG 11) 1936, 65 ff.; Sperl (s. o. 397). 2 Gen. Ber. § 104 = Hohenzoll. Forsch. 1 (s. o. 406 Mayer) 73 f. ’ Vgl. Bog (s. u. 457); Lütge, Mittcldeutsehe Grundherrschaft (s. ebd.).

4 Für dieses Publikandum zeichnete Kreischmann als Referent verantwortlich. Mit etwas verändertem Wortlaut gedruckt im Gen. Ber. § 20 = Hohenzoll. Forsch. 1 (s. o. 406 Meyer) 37 f. Hartungs Interpretation (Hardenberg 44 ff., s. o. 407) überholt. Vgl. Hofmann, Adelige Herrschaft 181 ff.

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sichtsnahmen auf Wien zwang. Hinzu kam Hardenbergs zunehmende Vorliebe für die Außenpolitik und die Verärgerung der Berliner Zentrale über zu hohe Ausgaben in Franken, bis schließlich die reaktionäre Hofkammarilla um den neuen König Friedrich Wilhelm III. Hardenbergs Degradierung zum Provinzialminister im Generaldirektorium durchsetzte.1 Es fehlte aber auch der organisatorische Schwung der Anfangsjahre, man begnügte sich mit dem Erreichten, der Abrundung des in seinen Außengrenzen geschlossenen Staates. Anders dagegen in der Wirtschaftspolitik, die ebenfalls Hardenbergs großem Ziel, die zollerischen Fürstentümer zu einem Stützpunkt der preußischen Politik in Süddcutschland auszubauen, diente. In der Agrarwirtschaft konnte Hardenberg auf den großen Leistungen unter Markgraf Karl Alexander aufbauen. Hardenbergs Bestreben ging dahin, durch Landwirtschaftsinspektoren wahrgenommene Verbesserungen nicht durch Zwang, sondern durch Ermunterung zu erreichen. Unter diesem Aspekt standen auch die staatlichen Maßnahmen: Musterwirtschaften, Import von hochwertigem Samenvieh und eigene Züchtungen in Triesdorf und der Abschuß des reichen Wildbestandes zum Schutz der Landwirtschaft.1 2 Hinter der blühenden und relativ reichen Landwirtschaft, die durch die strichweise Aufteilung von Gemeindeländereien und die Einführung der Fruchtwechselmethode und der Stallfütterung weitere Gewinne erzielte,3 stand allerdings die Industrie merklich zurück. Trotz aller Anstrengungen zur Förderung der Industrie, besonders der Exportindustrie, lehnte Hardenberg auch hier einen engen Staatsdirigismus ab, vielmehr wollte er mit geeigneten Mitteln die Privatinitiative anregen.4 Lediglich in der Montanindustrie, die seit 1795 unter der Leitung des Oberbergrats Alexander von Humboldt stand, kam es zu unmittelbaren staatlichen Eingriffen, die zu einem beschleunigten Aufschwung führen sollten. Alexander von Humboldt, 1795 zum vortragenden Rat für Bergwerks-, Manufaktur- und Kommerzsachen im Landesministerium befördert, gründete in Stebcn eine Bergschule zur Ausbildung des Nachwuchses.5 Insgesamt ist Hardenbergs Wirtschaftspolitik mehr durch ihre Intentionen als durch ihre faktischen Er1 Die intrigenreiche Kamarilla am Berliner Hof schaffte es schließlich, Hardenberg als fränkischen Landesminister abzusetzen. In einem Reglement vom 10. Dez. 1798 wurde ein fränkisches Departement des Gencraldircktoriums errichtet, in welchem Hardenberg die Finanz- und Lehenssachen erledigte, während der 2. Senat der Ansbacher Kammer zum Landeshoheitskollegium, Lehenshof und Konsistorium für beide Fürstentümer bestimmt wird. Dadurch konnten zwar einige Kosten gespart werden, doch waren damit die fränk. Provinzen in den preußischen Behördenorganismus eingegliedert, was sich bald als sehr nachteilig erwies. Hartunc, Hardenberg (s. o. 407) 142 ff. 2 Η. H. Hofmann, Beobachtungen z. preuß. Landwirtschaftsförderung in Franken (Wege u. Forsch, d. Agrargesch., Sonderbd. 3 d.

Zschr. f. Agrargesch. u. Agrarsoz.) 1967, 181 bis 196. 3 J. C. Yelin, Versuch über d. Aufhebung u. Verteilung gemeinschaftl. Hut- u. Weideplätze, 1797· 4 Gen. Ber. § 129 ff. = Hohenzoll. Forsch. 1 (s. o. 406 Mayer) 81 ff. Hier legt Hardenberg die Grundsätze seiner Wirtschaftspolitik dar. Reuter, Manufaktur (s. u. 505) 129 ff. überbewertet den Wirtschaftsliberalismus Hardenbergs, der kein reiner Anhänger der Ideen des Adam Smith war. Vgl. die Kritik von S. Jacob, Chemische Vor- u. Frühindustrie in Franken (Technikgesch. in Einzeldarst. 9) 1968, bes. 15. 5 v. Humboldt, Zustand des Bergbaus, eingcl. u. bearb. v. H. Hühnert (s. o. 504) (informativ); E. Burisch, Alexander v. Humboldt u. d. Bergwesen. Zu seinem 100. Todestage (AO 39) 1959, 245-291.

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Franken: D. Π. Staat und Gesellschaft. Zweiter Teil: 1500-1800

gebnisse interessant. Denn für die angestrebte Schaffung eines geschlossenen Wirtschaftsraumes fehlte der große und wichtige Wirtschaftskörper Nürnberg, von dessen Annexion sich Hardenberg nachhaltige Impulse für Handel und Gewerbe versprochen hatte. Bedeutendes hat Hardenberg dagegen auf den Gebieten des Gesundheits- und Medizinalwesens erreicht, darunter die Einführung der allgemeinen Impfpflicht gegen die Pocken. Im Bildungswesen erfuhren die Volks- und Mittelschulen besondere Förderung. Desgleichen nahm unter seiner Ägide die Universität Erlangen großen Aufschwung.1 In der Finanzverwaltung hat Hardenberg erstaunliche Ergebnisse erzielt. Trotz der Rente von jährlich 300000 Gulden für den abgetretenen Markgrafen konnte Hardenberg erhebliche Überschüsse erwirtschaften, die er für Verbesserungen im Lande verwendete.12 Doch 1798 wurden die beiden fränkischen Fürstentümer in die preußische Finanzverwaltung eingegliedert, so daß sämtliche Überschüsse nach Berlin flössen und zu den preußischen Staatsausgaben beitragen mußten. All diese Leistungen hätte Hardenberg nicht erzielen können, wenn er nicht den entsprechenden Beamtenapparat zur Verfügung gehabt hätte. Nach dem Affront von 1793 hatten die Reichsritter in der markgräflichen Oberbeamtenschaft zum Großteil ihre Entlassung eingereicht oder waren höchst ehrenvoll entlassen worden. Zunächst wurde nun die Staatsvereinheitlichung mit Hilfe von Beamten aus der preußischen Verwaltung, wie Präsident von Schuckmann, geschaffen. Dann aber formte sich Hardenberg einen Kreis junger Oberbeamten, die überwiegend aus Franken und aus der bürgerlichen Schicht der kleinen territorialen Beamten kamen. Unter Hardenberg avancierte diese elitäre Gruppe, die ehrgeizig und übereifrig oft in ihren Reformmaßnahmen über das Ziel hinausschoß und deshalb bei der Bevölkerung nicht sehr beliebt war. Aus dieser «Fränkischen Schule» gingen eine ganze Reihe nachmaliger tüchtiger bayerischer Verwaltungsbeamten hervor,3 darunter der bekannte, wegen seiner scharfen Feder gefürchtete Ritter von Lang,4 und vor allem mehrere spätere preußische Minister,5 die ganz entscheidend mitbeteiligt waren am großen Reformwerk in Preußen unter Stein und Hardenberg. Bei einer Gesamtwürdigung der preußischen Ära in Franken muß zunächst festgehalten werden, daß Preußen mit dem Fußfassen im «Reich» einen strategisch überaus wichtigen Stützpunkt gegen Österreich erhielt. Hardenberg schuf über den ständischen Dualismus und die territoriale Zersplitterung hinweg aus den beiden Fürsten1 Fichte, der ein Semester (1805) in Erlangen las, arbeitete für Hardenberg «Ideen für die innere Organisation der Universität Erlangen» (1805/6) aus. W. Germann, Altenstein, Fichte und die Universität Erlangen, 1889; H.-J. Schoeps, Skizzen z. Erlanger Universitätsgesch. (JffL 25) 1965, 421-462, hier 439-445. 2 Von 1791-1798 konnte Hardenberg trotz gesteigerter Auslagen einen Gewinn von rund 350000 Gulden erzielen, s. Hartung, Hardenberg (s. o. 407) 180 205 ff. 3 Siehe W. Schärl, Die Zusammensetzung

d. bayer. Beamtenschaft v. 1806 bis 1918 (MHStud. 1) 1955. 4 Memoiren (s. o. 407); zuletzt Η. H. Hofmann, Der Ritter v. Lang (1764-1835) (Jb. Mfr. 82) 1964/65; H. v. Mosch, Karl Heinrich Ritter v. Lang (Jb. Mfr. 89) 1978. 5 Preußische Minister wurden: Schuckmann, Kircheisen, Altenstein, Bülow und Nagler; dazu kam noch Langermann als Chef des preuß. Medizinalwesens. Vgl. Hofmann, Adelige Herrschaft 176 f., 271.

§51. Die preußische Ära 1791-1806 (R. Endres)

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tümcrn innerhalb weniger Jahre unter zynischem Bruch von Reichsrecht und ReichsVerfassung aus dem «Personenverbandsstaat postfeudaler Prägung»1 den geschlossenstcn aller deutschen Landesstaaten, wogegen Kaiser und Reich nur protestieren konnten. Zukunftsweisend waren die strikte Trennung von Verwaltung und Justiz, der streng durchgegliederte bürokratisch-rationale Behördenaufbau und die Schaffung eines elitären Beamtenapparats mit modernem Berufsethos. Trotz vieler Anklänge war das Werk Hardenbergs in Franken im letzten doch keine Vorstufe der Stein-Hardenbergschen Reformen in Preußen.1 2 Denn es fehlte bei aller Gleichheit der Untertanen die staatsbürgerliche Mitverantwortung der Bürger, die erst der Rcichsfreiherr vom Stein dem preußischen Reformwerk hinzugefügt hat. Da zudem sehr vieles von Hardenbergs Intentionen in Franken Stückwerk blieb, war die preußische Herrschaft in Franken letztlich nur eine «Episode», «ein Intermezzo»,3 zwischen dem allmählich zu Ende gehenden Alten Reich und dem neunzehnten Jahrhundert. 1 Ders., Preuß. Ära (s. o. 407) 226. 2 H. Hausherr, Die Stunde Hardenbergs, 1943 betont ausdrücklich die Neuordnung in Franken als Vorspiel der preußischen Reformen,

überzeugend dagegen Hofmann, Preuß. Ära (s. o. 407) 242; Ders., Adelige Herrschaft 188. 3 Ebd. 207.

III

DIE KIRCHLICH-RELIGIÖSE ENTWICKLUNG VON DER MITTE DES 16. BIS ZUM ENDE DES 18.JAHRHUNDERTS

§52. DIE EVANGELISCHE KIRCHE Corpus Constitutionum Brandenburgico-Culmbacensium (s. u. 1460); Archivinventarc Ansbach, Bayreuth (s. u. 1457); Simon, KO; Ders., HAB; Beitrr. BK 1-32, 1895/1925; ZBKG; Einzclarbciten, darin Pfarrerbücher, die eine Fülle personen-, orts-, kirchcn- u. kulturgeschichtlichen Stoffes u. alle wichtige Literatur bieten: Ansbachischcs, Bayreuthisches u. Nürnbcrgischcs Pfarrerbuch (s. u. 1457), ferner W. Dannheimer, Verzeichnis der im Gebiete d. freien Reichsstadt Rothenburg ο. T. v. 1544-1803 wirkenden ev.-luth. Geistlichen (Einzelarbeiten) 1952; E. Schoener, Pfarrerbuch d. Grafschaft Pappenheim (ebd.) 1956; Μ. Simon, Pfarrerbuch d. Reichsstädte Dinkelsbühl, Schweinfurt, Weißenburg i. B. u. Windsheim, sowie d. Reichsdörfer Gochsheim u. Sennfeld (ebd.) 1962; Will-Nopitscii (s. u. 1458); G. Will, Bibliotheca Norica Williana, 8 Bde., Altdorf u. Nürnberg 1772/93. E. Medicus, Gesch. d. cv. Kirche im Königreich Bayern diess. d. Rheins, Erlangen 1863; H. Beck, Das kirchl. Leben d. ev.-luth. Kirche in Bayern, 1909; Simon (i. Aufl. m. Lit.); G. Schröttel, Johann Michael Dilherr u. d. vorpietistische Kirchenreform in Nürnberg, 1962; Leder, Altdorf; K. E. Haas, Die Ev.-Ref. Kirche in Bayern. Ihr Wesen u. ihre Gesch., 1970.

a) Das Zeitalter der Orthodoxie 1555-1648. Franken, in seinen Grenzen sich weitgehend deckend mit dem fränkischen Reichskreis, war um 1555 überwiegend ein cvangelisches Land geworden. Es wurde im wesentlichen von den Hochstiften Würzburg, Bamberg, Eichstätt und der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach-Kulmbach gebildet; dazu kamen die Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Schweinfurt, Weißenbürg und Windsheim, die Reichsdörfer Gochsheim und Sennfeld, die Gebiete mehrcrer Grafen und die zahlreichen rcichsrittcrschaftlichen Territorien.1 Für sic alle brachte der Augsburger Rcligionsfricdc im Jahre 1555 die rechtliche Gleichstellung zur katholischen Kirche; der Landesherr bestimmte über die Konfessionszugehörigkeit seiner Untertanen. Da die Territorien nicht geschlossen waren (s. §§ 39. 44),zeigten sich hier schwierige Probleme und der konfessionelle Besitzstand erfuhr nach 1555 etliche Umgruppierungen. Viele Einzclgcmcindcn, z. B. im Hoheitsgebiete von Brandenburg-Ansbach, in den Gebieten der Reichsstädte und der Reichsritterschaften, wurden erst nach 1555 evangelisch. Die enge Nachbarschaft und Durchsetzung der cvangelisehen Herrschaftsbereiche mit dem Katholizismus förderte und hemmte zugleich die Entwicklung des innerkirchlichen Lebens und gab dem fränkischen Luthertum bis heute eine ganz besondere Prägung.2 Die innere Entwicklung im Zeitalter der Orthodoxie (1555-1648) wurde durch die auf der Bckenntnisgrundlagc der Augsburgi1Ein Überblick bei Simon, KO 3 f.; das karthographische Material bei Simon, HAB.

2 Einzelheiten bei Simon II 277-294 u. Ders., Der Augsburger Rcligionsfricdc, 1955.

§ $2. Die evangelische Kirche (K. Leder)

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sehen Konfession1 basierenden reformatorischen Kirchenordnungen bestimmt. Die von bedeutenden Theologen ihrer Zeit ausgearbeiteten und von der weltlichen Obrigkeit erlassenen fränkischen Kirchenordnungen2 legten die neuen Formen fest, in denen sich das Leben der evangelisch gewordenen Gemeinden vollziehen sollte. Sie enthielten die reformatorisch-biblische Lehre, versahen die Gemeinden mit den liturgischen Formularen für Gottesdienste und Kasualien,3 sorgten sich um den Katechumenat in Kirche, Schule und Haus,4 beschäftigten sich mit Ausbildung, Prüfung, Anstellung und Besoldung der Geistlichen, regelten Vermögensverwaltung und innerkirchliche Aufsicht5 und so das gesamte innerkirchliche Leben. Die ihnen zu- und nachgeordneten Synodal-, Kapitels- und Konsistorialordnungen, Eheartikel und Mandate zu den verschiedensten Problemen regelten die innerkirchliche Praxis für fast drei Jahrhunderte.6 Ihre Entstehung verdankten diese Ordnungen den Erfahrungen, die man bei den ersten Kirchenvisitationen gewonnen hatte; die Visitationen kontrollierten auch ihre Einhaltung. Die - nur teilweise erhaltenen - Visitationsprotokolle gewähren detaillierten Einblick in das kirchliche Leben der einzelnen Gemeinden.’ Sie geben 1 Text in: Die Bekenntnisschriften d. ev.luth. Kirche, 19594, 33-137; zum lokalen H. Kressel, Die Augsb. Konfession in d. ehern. Reichsstadt Schweinfurt (ZBKG 5) 1930, 93 bis 103; H. Clauss, Augustanafeste u. -festschriften, vorwiegend im markgräfl. Franken (ebd.) 67-91; P. Schattenmann, Jubelfeiern der C. A. in Rothenburg (ebd.) 91-93. 2 Simon hat die jeweiligen Kirchenordnungen ausführlich eingelcitet und kommentiert; durch die reichen Literaturangaben findet man hier lokale Kirchengcschichtcn en miniature vor; wegweisend für viele Ordnungen wurde die Nürnberger von 1533: Simon, KO 140 bis 283; Eigenart und Verfasser der KO v. 1543 untersuchte H. Kressel (ZBKG) 32) 1963, 93-110. 3 Die gottesdienstliche Gestaltung an einzelncn Orten skizziert Simon, KO 301-305; besondere liturgische Bedeutung bekam Veit Dietrichs Agcndbüchlcin von 1543 (ebd.) 481 ff.; dazu grundlegend B. Ki aus, Veit Dietrieh. Leben u. Werk, 1958, 402-409; über die Gottesdienste u. Kasualien in Nbg. informiert Μ. Herold, Alt-Nürnberg in seinen Gottesdicnstcn. Ein Beitr. z. Gesch. d. Sitte u. d. Kultus, 1890, 82 ff. Weitere Untersuchungen fehlen. 4 Eine umfassende Darstellung über den Katechumenat fehlt immer noch; im Ms. liegt vor: K. Leder, Kirche u. Jugend in Nürnberg u. seinem Landgebict vom MA bis 1806; immer noch wichtig ist C. Chr. Hirsch, Nümbcrgischc Katechismus- u. KinderlehrenHistorie, Nürnberg 1752; Μ. Reu, Zur katechetischen Literatur Bayerns im 16. Jh. (Beitrr. BK 13) 1907, 122-149 u. (ebd. 14) 1908, 127 27 HdDG III, i

bis 136; K. Schornbaum, Zur Gesch. d. Katechismus im Fürstentum Brandenburg-Ansbach (ZBKG 9) 1934, i42-i52;Jordan-Bürckstümmer; W. Dannheimer, Die Heilsbronner Fürstcnschüler v. 1582-1631 (ZBKG 28) 1959, 154-183· 5 Zur Pfarrstellenbesetzung im Nümbergisehen K. Dumrath, Jus examinandi - Jus reversalium (Besetzung von Patronatspfarreien) (ZBKG 32) 1963,183-200 u. Μ. Simon (ZBKG 24) 1955, 209-211; Th. Kolde, Die Berufung d. Kaspar Greter als Stiftsprediger nach Ansbach (Beitrr. BK 5) 1899, 197-226; G. Braun, Eine Pfarrbesetzung aus d. Jahre 1611 (ebd. 6) 1900, 31-42; R. Dollinger, Zur Stellung d. markgräfl. Pfarrer im öffentl. Leben (ZBKG 15) 1941, 85-97; zur Pfarrbesoldung fehlen Untersuchungen, einiges bei K.-S. Kramer, Volksleben im Fürstentum Ansbach u. seinen Nachbargebieten 1500-1800. Eine Volkskunde auf Grund archival. Quellen, 1961, 166 ff.; wichtiger Teil der Besoldung war die freie Wohnung: über die damit zusammenhängenden Baulastfragen grundlegend E. Sperl, Die Grundlagen d. Kultusbaulast im Bereich d. Brandenburg-Ansbacher Rechts, 1962; zur Vermögensverwaltung, z. B. der Pfründe- und Kirchenstiftungen, fehlen Untersuchungen, ein Überblick bei Simon I 310-313; zur Aufsicht F. Vogtherr, Die Verfassung d. ev.-luth. Kirehe in d. ehern. Fürstentümern Ansbach u. Bayreuth (Beitrr. BK 2) 1896, 209-221, 269 bis 287; H. Gürsching, Die Entstehung d. Ansbacher Konsistoriums (ZBKG 4) 1929, 13-48. 6 Alle diese Ordnungen bei Simon, KO. 7 Simon I 309 f.; H. Westermeyer, Die

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Franken: D. III. Kirchlich-religiöse Entwicklung von 1550 bis 1800

Aufschluß über Gottesdienstbesuch, Kirchenzucht, Katechumenat, kirchliche Gebräuche, Vermögensverhältnisse, Aberglauben und vieles andere.1 Die erstmalig in Franken eingeführten Kirchenbücher dienten primär als Hilfsmittel zur Aufrechterhaltung kirchlicher Zucht und Ordnung.2 Bekenntnisgrundlage war bis 1555 die Augsburgische Konfession; sie wurde in Brandenburg-Ansbach und Nürnberg durch die «Norma doctrinae» von 1573 ergänzt.3 Ihre abermalige Modifizierung durch die Konkordienformel und das Konkordienbuch im Jahre 1580 entzündete heftige theologische Differenzen in den fränkischen Territorien.4 Während z. B. Brandenburg-Ansbach,5 Schweinfurt6 und Rothenburg7 sich diesem lutherischen Bekenntnis anschlossen, verweigerten Nürnberg,8 Windsheim,9 Weißenburg und Ortenburg10 ihre Unterschriften. Besondere Förderung erfuhr das kirchliche Leben natürlich durch einzelne Theologen; strahlten in den ersten Jahrzehnten der Reformationszeit Männer wie Veit Dietrieh und Andreas Osiander" großen Einfluß aus, so traten nun die Vertreter der sog. lutherischen Orthodoxie in den Vordergrund. Besondere Erwähnung verdient dabei z. B. für Nürnberg und sein ausgedehntes Landgebiet J. Ch. Leibnitz, der zusammen mit Johann Säubert Visitationen durchführte, Kirchenkonvente einrichtete und sich darum bemühte, die kirchliche Jugendunterweisung auszubauen, während Säubert um eine möglichst lutherische Interpretation der Norma doctrinae und die Hebung der Volksfrömmigkeit Sorge trug.12 Brandenburgisch-Nümbergische Kirchenvisitation u. Kirchenordnung 1528-1533, Erlangen 1894; K. Schornbaum, Die erste Brandenburgische Kirchenvisitation 1528, 1928; Μ. Simon, Zur Visitation d. Nürnberger Landpfarreien (ZBKG 35) 1966, 7-41; einen Überblick über die zweite Nürnberger Visitation von 1560 von G. Hirschmann mit Lit. (ZBKG 32) 1963, m-132; A. Peter, Zu den Nürnberger Kirchenvisitationen d. 17. Jhs. (Beitrr. BK 25) 1918, 97-107, 145-161; Μ. Weigel, Brandenburgisch-Rothenburgische Kirchenvisitationen (ebd. 4) 1898, 30-37 u. A. Schnizlein, Aus Rothenburger Konsistorialakten (ebd. 15) 1909, 139; 131Ders., Rothenburger Kirchenvisitationen auf d. Land i.d. Jahren 1642-1669 (ebd. 16) 1910, 216-231, 267-283; H. Clauss, Aus Gunzenhäuser Visitationsakten d. 16. Jhs. (ebd. 31) 1925, 101-110 u. (ebd. 32) 1926,32-39, 87-96; Ders., Kirchenvisitationen d. 16. Jhs. im Dekanat Ncustadt/Aisch (ZBKG 9) 1934, 164. 1521 R. Dollinger, Ev. Kirchendisziplinen in den fränk. Kirchen (ZBKG 14) 1939, 36-58. 2 Μ. Simon, Zur Gesch. d. Kirchenbücher (ZBKG 29) 1960, 1-24; (ebd. 33) 1964, 164 bis 174; (ebd. 36) 1967, 99-105. 3 Simon I 349 f.; K. Schornbaum, Philippisten u. Gnesiolutherancr in Brandenburg-Ansbach (Beitrr. BK 18) 1912, 97-110; Schriften zu

den «Libri Normales» in Nürnberg bei Will, Bibi. Norica (s. o. 416) II nrr. 334-376. 4 K. Schornbaum, Nürnberg im Geistesleben d. 16. Jhs. Ein Beitr. z. Gesch. d. K011kordicnforinel (MVGN 40) 1949, 1-96; dazu Simon I 350-354. 5 Simon, KO 287-305 (Lit.). 6 Ebd. 619-622 (Lit.). 7 Ebd. 561-565; P. Schattenmann, Die Einführung d. Reformation in d. ehern. ReichsStadt Rothenburg ο. T. 1520-1580, 1928, 140 bis 149. 8 Simon, KO 486 f. u. Ders., Nürnberger Pfarrerbuch, 111. viel Lit. (s. u. 1458). 9 Simon, KO 671-673. 10 Simon I 352 f. 11 B. Klaus, Veit Dietrich. Leben u. Werk, 1958; G. Seebass, Das reformator. Werk d. Andreas Osiander, 1967; Μ. Simon, Wie kam Osiander nach Nürnberg (ZBKG 36) 1967, 1-7· . 12 Überblick u. weiterführende Lit. bei Schröttel (s. o. 416); K. Braun, Der Nümberger Prediger Johannes Säubert u. d. Augsburgische Konfession (ZBKG 6) 1931, 1-24, 74-86,145-163; O. Brombierstäudl, Johannes Säubert, Diss. Masch. Erlangen 1952; P. Genrich, Lutherische Laienfrömmigkeit in Franken in d. zweiten Hälfte d. 17. Jhs. (ZBKG 15) 1940, 160-187.

§ $2. Die evangelische Kirche (K. Leder)

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Die Gottesdienste verliefen weithin nach den Formularen der brandenburgischnürnbcrgischcn Kirchenordnung von 1533; aber auch württembergische Einflüsse sind nachweisbar.1 Im Mittelpunkt des evangelischen Gottesdienstes stand die Predigt über die altkirchlichcn Perikopen, ganze biblische Bücher oder auch den Katechismus Martin Luthers. Während die Geistlichen an den Stadtkirchen ihre Predigten selbst ausarbeiteten, wurde auf den Dörfern vielfach aus Postillen vorgelesen.1 2 Wo Gesangbüchcr vorhanden waren und die Gemeinde lesen konnte, wurde gesungen;3 mehr und mehr trat die Orgel als Begleitinstrument hinzu; besonders zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts erschienen zur häuslichen Erbauung viele Gesang- und Gebetbücher.4 Zu den hervorragendsten Kirchenliederdichtern dieser Zeit zählt Martin Schalling,5 zu den bekanntesten Kirchenmusikem Hans Leo Haßler.6 Neben der Allgemeinen Beichte erfolgte, z. B. in Nürnberg und seinem Landgebiet, bei der Anmeldung zum Abendmahl ein Glaubensexamen; in dieser Form erhielt sich die Privatbeichte.7 Erstmalige Zulassung der Kinder zum Sakrament war an besondere Unterweisung und Prüfung zwischen dem zehnten und vierzehnten Lebensjahr gebunden. Über die Beteiligung am Abendmahl unterrichten die Kommunikantenbücher.8 Die kirchliche Jugendunterweisung in Kirche, Schule und Haus lag nach vielversprechenden Anfängen in der Reformationszeit ’ weithin danieder, so daß man von einem katechetischen Vakuum um 1600 sprechen muß. Besonders die Nöte des Dreißigjährigen Krieges brachten den «Religionsunterricht» in den Schulen zum Erliegen. Das Nürnberger Kindcrlehrbüchlein von 1628 war die Frucht einer katechetisehen Neubesinnung.10 Die Drangsal des Krieges hatte dieEinführung von Betstunden und Bußtagen zur Folge.11 Durch Visitationen und Errichtung neuer Seelsorgestellen versuchte man das innerkirchliche Leben wieder anzuregen.12 1 Simon I 317 f. 2 Predigten aus Nürnberg u. seinem Landgebiet bei Will, Bibi. Norica (s. o. 416) II nrr. 548-1225; Einzeluntersuchungen fehlen. 3 Eine exemplarische Gesangbuchstudie schrieb E. Schmidt, Die Gesch. d. ev. Gesangbuches d. ehern, freien Reichsstadt Rothenburg ο. T., 1928; Material zu Nürnberger Gesangbiiehem bei Will, Bibi. Norica (s. o. 416) II nrr. 436-547; Bibliographie u. Nachrichten über Nürnberger Gesangbuchdrucker u. -verleger im 17. Jh. bringt Th. Wohnhaas (Stäblein-Festschr.) 1967, 301-315; Chr. Geyer, Hofer Gesangbücher d. XVI. u. XVII. Jhs. (Beitrr. BK 4) 1898, 63-94, 102-123 ; D. WölFEL, Nürnberger Gesangbuchgesch. 1524-1791 (Nbger Werkstücke 5) 1971. 4 Erste Untersuchungen zur Orgelgeschichte in Franken von Fischer-Wohnhaas, Beitrr. z. Orgelgesch. v. Leutershausen (Jb. Mfr. 84) 1967/68, 212-227; F· Krautwurst, Die erste Orgel d. St. Jakobskirche in Rothenburg ο. T. (JffL23) 1963,155-176;archival. Material in den Pfarramtsregistraturen reichlich vorhanden. 5 Zu Leben u. Werk von Schalling Trenkle 27♦

(Beitrr. BK 17) 1911, 28-33 “· (ebd. 18) 1912, 180-185; Simon (ZBKG 24) 1955, 24-34 u· (ebd. 33) 1964, 180 f. 6 Zu Haßler s. Will-Nopitsch (s. u. 1458)11 44 u. Musik in Gesch. u. Gegenwart 5, Sp. 1798-1811, Kassel-Basel 1956. 7 Beichtbücher aus Nürnberg bei Will, Bibi. Nor. (s. o. 416) II nrr. 1479-1484; ausführlich behandelt bei Leder (s. o. 417 Anm. 4). 8 Zu den K.-büchem Simon (ZBKG 33) 1964, 169-174 u. (ebd. 36) 1967, 99-105. ’ Klaus (s. o. 418 Anm. 11) 381-393 für Nürnberg und sein Gebiet; Süddeutsche Katechismen bei J. Μ. Reu, Quellen z. Gesch. d. kirchl. Unterrichts in d. ev. Kirche Deutschlands zw. 1530-1600, I 1, 1904. 10 Vgl.0.417 Anm. 4! Generalbibliographie bei Leder (s. o. ebd.). 11 F. Seggel, Die Pfarrei Unterringingen im Kesseltal während d. 30jähr. Krieges (ZBKG 21) 1952, 16-44; über die Kriegszeit in Schwabach berichtet H. Reber (ZBKG 35) 1966, 169-178; Schriften zu Bußtagen bei Will, Bibi. Nor. (s. o. 416) II nrr. 400-403. 12 Simon II 451.

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Franken: D. III. Kirchlich-religiöse Entwicklung von 1550 bis 1800

Besondere Bedeutung für das evangelische Kirchenwesen in Franken fiel der 1575 in Altdorf bei Nürnberg gegründeten Akademie zu, die durch ihre Erhebung zur Universität 1623 Theologische Fakultät wurde;1 hier bekamen bis 1809 die Studenten die theologische und praktische Zurüstung für das geistliche Amt und den Dienst in den Schulen, wurden examiniert und seit 1583 auch ordiniert. Der innerkirchlichc Einfluß der hier lehrenden Professoren melanchthonischer Observanz in Franken und besonders in den fränkischen Reichsstädten kann nicht hoch genug veranschlagt werden.1 Gehemmt und befruchtet zugleich wurde die Entwicklung durch theologische Auseinandersetzungen über die Abendmahlslehre,2 Annahme oder Ablehnung der Konkordienformel,3 den Exorcismus bei der Taufe,4 den Osiandrischen Streit,5 flazianisehe und sozinianische Irrlehren.6 Sekten, wie Weigelianer, stifteten Unruhe in den Gemeinden.’ Als größte Bedrohung erwies sich die katholische Gegenreformation. Sie vollzog sich in zwei Perioden und brachte für die evangelische Kirche in Franken eine gewaltige Schmälerung des Besitzstandes mit sich;’ besonders im Hochstift Würzburg mußten viele Gemeinden, meist unter massivem wirtschaftlichem Druck und bei Entlassung ihrer Geistlichen, zum katholischen Glauben überwechseln.’ So war das Kirchenwesen durch Gegenreformation und Krieg in eine Verfassung geraten, welche Reformen dringend erforderte. * S. Frhr. v. Scheurl, Die theolog. Fakultät Altdorf im Rahmen d. werdenden Universität 1575-1623, 1949; Leder, Altdorf; zu Ordinationen in Bayreuth H. Engelhardt, Das Bayreuther Ordinationsbuch (1612-1821), 1934. 2 Simon I 344. 3 K. Schornbaum, Die Einführung d. Konkordienformel in d. Markgrafschaft Brandenbürg (ZBKG 5) 1930, 176-208 u. Ders., Aus d. Briefwechsel G. Kargs (Beitrr. BK 19) 1913, 119-138, 172-176; F. Roth, Bericht über d. Ansbacher Konkordisten (ebd. 17) 1911, 49-70, 105-123; die Auswirkungen dieser Differenzen zeigt K. Thiermann, Abendmahlsgänge Altdorfer Studierender nach Oberferrieden u. Leimburg am Ende d. 16. u. Anfang d. 17. Jhs. (ZBKG 2) 1927, 21-34; K· Schornbaum, Die 2. Unterschreibung d. Formula Concordiae in d. Markgrafschaft Brandenburg (ZBKG 4) 1929, 240-255. 4 Schriften zum Exorcismusstreit bei Will, Bibi. Nor. (s. o. 416) II nrr. 377-382. 5 Schriften zum Osiandrischen Streit ebd. nrr. 344-353; Seebass (s. o. 418 Anm. 11) passim. 6 Ausführliche Darstellung bei Scheurl (s. o. Anm. 1) 150-172; Simon I 339-346. 7 H. Clauss, Weigelianer in Nürnberg (Beitrr. BK 21) 1915, 267-271. • Von 1570 bis zum 30jähr. Krieg bei Simon

II 384-401; während des Krieges ebd. 424-438: Simon gibt den Gesamtverlust der cvang. Kirehe in Bayern mit ca. 600 Pfarreien bei einem Gesamtbestand von ca. 1200 evang. Pfarreien um 1585 an. ’ S. Kadner, Drei Aktenstücke z. Gesch. d. Gegenreformation in Unterfranken (Beitrr. BK 6) 1900, 270-273; F. H. L. Fichtbauer, Die Gegenreformation im Dekanatsbezirk Rüdenhausen (ebd. 9) 1903, 227-231; Schwarz, Bischof Julius Echter u. d. Reichsdorf Gochsheim (ebd. 14) 1908, 243-253; Ch. Geyer, Nürnberg u. d. Gegenreformation (ebd. 12) 1906, 241-258; K. Braun, Nürnberg u. d. Versuche z. Wiederherstellung d. alten Kirche im Zeitalter d. Gegenreformation 1555-1648, 1925 u. Ders. (ZBKG 2) 1927, 144-153; H. Bauer, Die Gegenreformation im Pegnitzer Bezirke (ZBKG 4) 1929, 123-132; K. Schornbäum, Zur Gesch. d. Gegenreformation im Amte Hoheneck u. d. Kommende Vimsberg (Beitrr. BK 12) 1906, 141-181; F. Griessbach, Die Gegenreformation im Hilpoltsteinischcn Gebiet im Jahre 1628 (ZBKG 13) 1938, 194 bis 215; G. Wunder, Zur Gegenreformation in Staffelstein (ZBKG 20) 1951, 16-25; A. Gabler, Gegenreformatorische Bestrebungen in d. Umgebung v. Dinkelsbühl (ZBKG 20) 1951, 40. 26-

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b) Das Zeitalter des Pietismus 1648-1750. Innerkirchliche, den Pietismus vorbereitende Reformbewegungen setzten bereits während des Dreißigjährigen Krieges ein. In Rothcnburg ο. T. versuchte der Superintendent Johann Hartmann eine Wiederbelebung kirchlicher Sitte bei Sonntagsheiligung, Kirchenzucht, Kinderlehre, Kirchenvisitationen und Pfarrsynoden; durch theologische Publikationen wurde er auch über seine Superintendentur hinaus von Einfluß.1 In Bayreuth drang der Generalsuperintendent Christoph Althofer auf Abstellung mancher Mißstände.1 2 Am wirksamsten jedoch schuf Johann Michael Dilherr in Nürnberg durch scharfe Kritik und unermüdliche Reformvorschläge die Voraussetzungen dafür, daß die pietistische Reform im Herzen Frankens Fuß fassen konnte. Als Direktor des Melanchthongymnasiums, Leiter des gesamten Nürnberger Schulwesens, Stadtbibliothekar und Hauptprediger an St. Sebald publizierte er zahlreiche Schriften überwiegend pädagogischer und erbaulicher Art; einige seiner Lieder wurden in damalige Gesangbücher rezipiert.3 Sechs Jahre nach seinem Tod erschien 1675 Johann Jakob Speners Schrift «Pia Desideria»; sie fand, besonders in Windsheim, durch Speners Schwager Pfarrer Jobann Heinrich Horb dankbare Aufnahme. Auch in Bayreuth, Ansbach, Coburg und Nürnberg bildeten sich pietistische Gruppen spenerscher Observanz, die zu wöchentlichen Erbauungsstunden zusammentrafen. Da die Geistlichkeit in diesen Konventikeln eine Gefahr erblickte, erhoben sich literarische Auseinandersetzungen. Die Obrigkeit griff"scharf durch, besonders als sich radikale Elemente zeigten.4 Johann Georg Rosenbach wurde auf Anraten des Altdorfer Theologieprofessors Christoph Sonntag in Nürnberg verhaftet und in den Turm gelegt. Bis ins Coburgische pflanzten sich die Rosenbachischen Händel fort.5 Der Führer des radikalen Pietismus, Johann Wilhelm Petersen, gewann in Coburg, Erlangen und Nürnberg Anhänger; sein Freund Hochmann von Hohenau wurde in Nürnberg verhört.6 Separatistische Züge nahm die pietistische Bewegung in der Person des Perückenmachers Johann Tennhardt an.7 Her1 Erster Überblick bei Simon II 477-481; P. Schattenmann, Dr. Johann Ludwig Hartmann, Superintendent v. Rothenburg (1640 bis 1680). Ein Beitr. z. Kirchengesch. d. 17. Jhs. (Jahresber. Alt-Rothenburg) 1920/21 u. in Fränk. Lebensbilder (s. u. 1465) I 210-220; Ders., Hartmann als prakt. Theologe (Beitrr. BK 31) 1925, 90-101; Ders., Eigenart u. Gesch. d. deutschen Frühpietismus mit bes. Berücksichtigung v. Württcmbergisch-Franken (Bll. f. württemb. Kirchengesch. NF 40) 1936. 2 Simon II 465. 3 Schröttel (s. 0.416) mit Bibliographie und umfangreichem Lit.Verzeichnis zu diesem Problemkreis. 4 Th. Kolde, Zur Gesch. d. Pietismus in Franken (Beitrr. BK 8) 1902, 266-283; P· Schattenmann, Briefwechsel Hartmanns mit Spener (ZBKG 6) 1931, 207-216 u. (ebd. 7) 1932, 36-44; zahlreiche Urkunden zur Geschichte des Pietismus in Franken veröffent-

lichte Th. Wotschke (ZBKG 6) 1931, 38-44, 97-108, 234-251; (ebd. 7) 1932, 44-55, 102 bis 113, 181-187; (ebd. 9) 1934, 112-123, 173-178, 236-252; (ebd. 10) 1935, 165-177; (ebd. 11) 1936, 228-233; (ebd. 12) 1937, 49-59, 176-179; eine grundlegende Untersuchung über Entstehung und Verlauf der Bewegung im Aischtal von P. Schaudig, Der Pietismus u. Separatismus im Aischgrund, 1925; dazu K. Schornbäum, Zur Gesch. d. Separatismus im Bayreuthcr Unterland (ZBKG 16) 1941, 209-229; (ebd. 23) 1954, 10-16. 5 F. Fritz, Joh. Georg Rosenbach (ZBKG 18) 1949, 21-59; A. Peter, Die Beerdigung eines Separatisten im Jahre 1737 (Beitrr. BK 15) 1909, 213-217. 6 Simon II 480 f. 7 F. Braun, Joh. Tennhardt. Ein Beitr. z. Gesch. d. Pietismus, 1934; H. Clauss, Separatisten im Oettingischen (Beitrr. BK 18) 1912, 265-281.

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umreisende Propheten der Camisarden und Schwärmer, wie Johann Friedrich Rock, stießen jedoch nirgends auf größeren Anklang.1 Die Obrigkeiten gingen gegen die Separatisten energisch vor; man erließ z. B. in Ansbach 1708 und in Nürnberg 1714 ein «Pietisten-Edikt».1 2 Eine deutliche Scheidung von den separatistischen Bestrebungen und eine bedeutsame Stärkung der kirchlich gerichteten Kreise brachte der Besuch August Hermann Franckes anläßlich seiner Reise nach Süddeutschland im Jahre 1718 mit sich. Er weilte in Ansbach und Nürnberg, trat in Versammlungen auf und führte mit seinen Anhängern wichtige Gespräche. Eine große Anzahl von Männern, die in Halle als Lehrer am Waisenhaus mit Francke in Berührung gekommen waren, übertrugen dessen Anliegen später in ihren fränkischen Lebenskreis.3 Nikolaus Graf von Zinsendorf erwarb sich besonders durch seinen ausgedehnten Briefwechsel mit Erweckten in Franken Freunde der Brüdergemeinde.4*Wanderprediger, wie Johann Konrad Lange, schufen in Nürnberg, Fürth, Schwabach, Erlangen und Ansbach festorganisierte Gemeinschaften; an vielen Orten ergingen daraufhin Verbote gegen diese Konventikel.’ Unter dem pietistischen Einfluß verschiedendster Observanz wurden die in der Spätorthodoxie begonnenen Reformen weitergeführt. Man drang auf verstärkte Sonntagsheiligung,6 Märkte und Kirchweihbelustigungen wurden auf Wochentage verlegt. Man vermehrte die Gottesdienste, führte Betstunden und Passionsandachten ein; auch Jahresschlußgottesdienst und Erntedankfest sind Kinder des Pietismus. Durch Hausbesuche versuchten die Pfarrer das christliche Leben zu fördern.7 Charakteristikum pietistischer Frömmigkeit ist die Bewährung des christlichen Lebens nach außen hin. Witwen- und Waisenhäuser verdanken dieser Gesinnung ihr Entstehen; fromme Stiftungen wurden errichtet.8 Die bereitwillige Aufnahme Zehntausender wegen ihres evangelischen Glaubens aus dem Salzburgischen verjagten Exulanten muß ebenfalls in diesem Zusammenhang 1 H. Clauss, Die Beziehungen J. F. Rocks Entstehung d. Hermhutertums im frank.zu den Separatisten in Schwaben u. Franken schwäb. Raum (ZBKG 32) 1963, 219-229 u. (ebd. 17) 1911, 49-81; K. Schornbaum , Sepa- Ders., H. J. Deubler u. sein Briefwechsel mit ratisten im Bibertgrund (ZBKG 19) 1950, 176 Herrnhut (ZBKG 34) 1965, 113-169; Simon II 500-508 zeigt im Überblick Herrnhuts Einfluß bis 196. 2 Simon II 493-496; K. Schornbaum, Sepa- in Franken. 5 K. Schornbaum, Religiöse Bewegungen ratisten in Fürth (Beitrr. BK 17) 1911, 1-27; H. CIauss, Untersuchungen z. Gesch. d. Pietisim Markgrafentum Brandenburg-Ansbach im mus in d. Markgrafschaft Ansbach (ebd. 26) 18. Jh. (Beitrr. BK 16) 1910, 145-168, 193-216; auch noch später kam es zu Verfolgungen herm1920, 97-139■ 3 Simon II 497-499 bietet einen Überblick; hutisch gesinnter Pfarrer: Μ. Simon, J. SchwinW. Gussmann, A. H. Francke in Bayern del (ZBKG 23) 1954, 17-94. (ZBKG 3) 1928, 17-40. 6 Zur Sonntagsheiligung in Nürnberg Ma4 Einzelheiten bei J. Batteicer, Zur Gesch. terial bei Will, Bibi. Norica (s. o. 416) II nrr. d. Pietismus in Bayreuth (Beitrr. BK 9) 1903, 1539-1542; F. Hauck, Pietismus in Unteraltertheim 1718-1724 (Beitrr. BK 21) 1915, 153-189, 210-227 u. (ebd. 11) 1905, 35-45; K. Schornbaum, Herrnhuter in Franken (ebd. 38-42· 24) 1918, 23-39, 81-95; (ebd. 26) 1920, 13-17 7 Einzelheiten bei Simon II 511, 514. u. (ZBKG 4) 1929, 171-173, 255 f.; (ZBKG 22) 8 Ebd. 513 f.; Stiftungen in Nürnberg: Will, Bibi. Nor. (s. o. 416) II nrr. 1487-1496. 1953, 44199-216 ,5*4‫ ;־‬P. Schattenmann, Zur

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gesehen werden; die innerkirchliche Bedeutung der Exulanten ist nicht gering.1 Die besondere Aufmerksamkeit pietistischer Geistlicher galt dem Katechumenat; um den Kindern das Wort Gottes nahe bringen zu können, gründete man Armenschulen. Die Fürstenschule in Neustadt a. d. Aisch besaß ein hohes Ansehen und wurde durch ihre in Halle ausgebildeten Pädagogen eine Hochburg des Pietismus.2 Der größeren Erbauung diente auch die Konfirmation, die sich nach und nach in den Gemeinden einbürgerte.3 Neue Gesangbücher verbreiteten pietistisches Liedgut. Dem gesteigerten Bedürfnis nach häuslicher Erbauung kam man mit Bibelausgaben und zahlreichen Andachtsbüchern entgegen. Neue Agenden deuteten den Umbruch an, den die Aufklärung bringen sollte.4 c) Die Zeit der Aufklärung 1750-1800. Philosophisch und theologisch hatte die Aufklärung auch in Franken ihre Brunnenstuben vor allem in den Theologischen Fakultäten; hier wurde um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts der Umformungsprozeß besonders evident. An den beiden fränkischen Universitäten Altdorf und Eriangen muß deshalb auch Entstehung und Werdegang dieser theologiegeschichtlichen Epoche studiert werden.5 S. auch u. §§ 70, 71. 1 Einen Überblick zur Exulantenfrage bei Simon II 528-531; Exulantenverzeichnisse ediert von H. Ci.auss, Ein Nürnberger Verzcichnis österr. Exulanten vom Jahre 1643 (Beitrr. BK 13) 1907, 226-247, 271-290; A. Gümbel, Exulanten Verzeichnisse (ebd. 15) 1909, 193-199, 242-246, 268-275; Gg. Rusam, Ocsterr. Exulanten in Franken u. Schwaben, 1952; zu den Exulanten im Nürnberger Gebiet K. Pilz, Zwei Kelche aus Siebenbürgen (ZBKG 33) 1964, 129-163; Gg. Kuhr, Die Bedeutung d. Exulanten f. d. Reichsstadt Weißenburg (Uuizinburc-Weißenburg 867-1967. Beitrr. z. Stadtgesch.) 1967, 62-731 zur zahlenmäßigen Stärke der Einwanderer in BrandenburgAnsbach Μ. Simon (ZBKG 30) 1961, 226-232: Simon berechnete 55000 Exulanten für Brandenburg-Ansbach; W. Lehnert, Die oberösterr. Exulanten im ehern. BrandenburgischAnsbachischen Oberamt Stauf-Landcck, 1962; eine kritische Auseinandersetzung mit Lehnert brachte Simon (ZBKG 31) 1962, 169-178. Vgl. o. 230. 2 In Neustadt wurde auch J. A. Urisperger ausgebildet: H. Weigelt (ZBKG 33) 1964, 67-105; Μ. Düllner, Das Schülerverzeichnis d. Ncustädtcr Fürstcnschule, 1955; Chr. Beck, Zur Einwirkung d. Halleschcn Pietismus auf d. Erzichungswesen in Franken, 1932; zu den Armcnschulen fehlen neuere Untersuchungen: vgl. deshalb J. Chr. Siebenkees, Nachrichten v. Nürnbcrgischcn Armcnschulen u. Schulstiftungen, Nürnberg 1793.

3 Zur Geschichte der Konfirmation in Franken existieren bisher nur Teiluntersuchungen: Th. Kolde, Zur Gesch. d. Konfirmation (Beitrr. BK 4) 1898, 189-192; Ders., Konf. in Oettingen (ebd. 5) 1899, 235-237 u. (ebd. 6) 1900, 126-133; F· Zindel, J. E. Cramer zu Obersteinach 1705-1720 (ebd. 10) 1904, 200 f.; A. Peter, Einführung d. Konf. in Altdorf 1734 (ebd. 21) 1915, 57-64; H. Clauss, Wann wurde d. Konf. im bayer. Franken eingeführt (ebd. 22) 1916, 171-177; weitere Aufsätze zur Konfirmation in Franken (ebd. 23) 1917, 177 bis 198; (ebd. 24) 1918, 146-148; (ebd. 28) 1922, 62-64 (Pappenheim); Th. Zahn, Zur Gesch. d. Konf. im Unterfränkischen (ZBKG 4) 1929, 132-167; P. Schattenmann, Konf. im Gebiete Rothenburgs (ZBKG 10) 1935, 162 bis 164; dazu K. Schornbaum (ZBKG 11) 1936, 120-124; E. Dorn zur Konf. in Erlangen (ZBKG 11) 1936, 43-50; K. Schornbaum, Zur Gesch. d. Konf. im Gebiete d. Reichsstadt Rothenburg (ZBKG 19) 1950, 196-198; Μ. Simon, Die erste Konf. in d. Markgrafschaft Brandenburg-Bayreuth (ZBKG 27) 1958, 52-57· 4 Simon II 512-516. 5 Bereits der Anmerkungsapparat bei Pietismus u. Aufklärung läßt im Vergleich zur Zeit von Reformation und Orthodoxie erkennen, wie ungleichmäßig über diese einzelnen Epochen gearbeitet wurde; besonders die Aufklärung ist großenteils noch unerforscht. Als spezielle Untersuchung über die Aufklärung in

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Als Wegbereiter der theologischen Aufklärung wirkten die Repräsentanten der sog. Vernünftigen Orthodoxie, in Altdorfvertreten durchJohann Balthasar Bernhold, Johann Bartholomäus Riederer und in exemplarischer Weise durch Johann Augustin Dietelmaier; letzterer vereinigte das vernünftige Anliegen des Wolffianers Sigmund Jakob Baumgarten mit dem orthodox-kirchlichen seines Lehrers Bernhold und dem pietistisehen des Erbauungsschriftstellers Johann Jakob Rambach. Bis um 1775 wurde Dietelmaier unter die größten Theologen seiner Zeit gerechnet.1 Bemerkenswert aus seiner vierzigjährigen Altdorfer Wirksamkeit sind seine dogmengeschichtlichcn Untersuchungen, seine Forderung nach Dogmengeschichte als eigener Disziplin und seine Beschäftigung mit der Praktischen Theologie in wissenschaftlicher Weise. Unter Anknüpfung an Altdorfer Universitätstraditionen gründete er die ersten theologischen Seminare und darf als Vater des modernen Seminarbetriebes gelten. Durch sein Festhalten an den lutherischen Bekenntnisschriften und den orthodoxen Kompendien, nicht zuletzt aber durch seine Berufungspolitik hat er den Einzug der radikalen Aufklärung in Franken gehemmt. Sein gefühliger, zum Teil auch rationaler Pietismus wurde von seinen neologischen Schülern übernommen und mündete später in die fränkische Erweckungsbewegung ein.2 Auch Dietelmaiers Schüler Johann Christoph Döderlein gehörte zu den berühmtesten Theologen des achtzehnten Jahrhunderts.3 Durch seine exegetische und dogmatische Arbeit wollte er die Vernünftige Orthodoxie überwinden und dem drohenden Rationalismus Einhalt gebieten. Der historisch-kritischen Methode und ihren Ergebnissen verschaffte er mit seinen exegetischen Schriften bei weiten Kreisen Eingang. Seine Auseinandersetzung mit Lessing ließen ganz Deutschland nach Altdorf blicken. Seine Anregungen zur Reform der Liturgie, der Gesang-, Gebet- und Andachtsbüchcr haben seine Schüler, die «praktisch-reformierenden Neologen», in die Tat umgesetzt. Hier ist besonders Ch. G. Junge zu nennen, der sich maßgeblich für die Abschaffung der Privatbeichtc einsetzte,4 1791 für Nürnberg ein neues Gesangbuch zusammenstellte und durch seine Andachts- und Schulbücher, besonders aber durch seine Franken liegt vor: Leder, Altdorf; hierin wird die von W. Maurer gebrauchte Periodisicrung (Vernünftige Orthodoxie - Neologie - Rationalismus u. Supranaturalismus) fortgeführt; einen Überblick bietet Simon II 535-559; für die Erlanger Fakultät F. W. Kantzenbach, Die Erlanger Theologie, 1960, 23-731 Ders., Zur Theologie d. Aufklärung in Franken (ZBKG 34) 1965, 198-202; P. Schattenmann, Georg Adam Michel, Generalsuperintcndent in Octtingen u. sein gelehrter Briefwechsel. Ein Beitr. z. Kirchengesch. d. 18. Jhs., 1962; Pietismus u. Aufklärung in einer kleinen Gemeinde untersucht K. Schornbaum, Gesch. d. Pfarrei Alfeld. Ein Beitr. z. Gesch. d. Nürnberger Umlandes, 1922, 126 ff.; Quellenauszüge z. Theologie d. Aufklärung in Franken, bearb. v. K. Leder (Die Zeit d. Aufkl. in Nürnberg 1780/1810.

Quellen z. Gesch. u. Kultur d. Stadt Nürnberg VI) 1966, 76-86. S. u. § 70. 1 Leder, Altdorf 75-157. 2 Ebd. 141; B. Klaus, Die Anfänge d. Praktischen Theologie in Erlangen (ZBKG 32) 1963, 296-314; H. Weicelt, Erweckungsbewegung u. konfessionelles Luthertum d. 19. Jhs. Untersucht an Karl v. Raumer, 1968: Weicelt ersetzt den bisher üblichen Begriff «luthcr. Restauration» durch «konfessionelles Luthertum». 3 Leder, Altdorf 157-244. 4 E. Hopp, Die Einführung d. allgcin. Beichte in d. Grafschaft Pappenheim (ZBKG 6) 1931, 170; 164G. Pfeiffer, Oie Einführung d. allgern. Beichte in Nürnberg u. seinem Landgcbiet (ZBKG 20) 1951, 40-67, 172-183; F. Segcel, Zur Einführung d. allgcm. Beichte in Bayreuth (ZBKG 26) 1947, 213-216.

§52■ Die evangelische Kirche (K. Leder)

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Agende von 1801 der Aufklärung den Weg bis in die letzte Dorfgemeinde ebnete.1 Die Struktur der Volksfrömmigkeit in Franken wurde wesentlich davon geprägt, daß die Neologic von dem vorsichtigen Schüler Döderleins popularisiert wurde.12 Neben Döderlein und Junge in Altdorf zählte Georg Friedrich Seiler in Erlangen zu den bedeutendsten fränkischen Aufklärungstheologen; als akademischer Lehrer, Verfasscr zahlreicher liturgischer und katechetischer Schriften und Mitarbeiter an wichtigen Zeitschriften übte er auf die innerkirchliche Entwicklung einen starken Einfluß aus.3 Döderleins rationalisierend-exegetische Linie hat sein Schüler Georg Lorenz Bauer in den Rationalismus ausgezogen;4 in den Kreis dieser radikaleren Aufklärer reihen sich auch Wilhelm Friedrich Hufnagel in Erlangen, Valentin Karl Veillodter und Johann Heinrich Witschel in Nürnberg und Heinrich Stephani ein.5 An Döderleins kirchlich-positive Position haben die Spätneologen, besonders Johann Philipp Gabler in Altdorf, angeknüpft; für ihn standen Vernunft und Offenbarung in idealer Harmonie. Da sowohl Rationalismus wie Supranaturalismus diese Harmonie zerstören und Theologie und Kirche gefährden, erklärt sich Gabler als deren erbitterter Feind.6 In ihrer Not retten sich die Spätneologen zu den kirchlichen Bekcnntnisschriften und sind damit auf dem geraden Weg zur Erweckungsbewegung des neunzehnten Jahrhunderts. Die Predigten des zuerst Altdorfer und später Erlanger Theologen Gottlieb Wilhelm Meyer lassen eine warme kirchliche Frömmigkeit spüren.7 In Gablers Altdorfer Kollegen Paul Joachim Sigmund Vogel, der seit 1808 in Eriangen lehrte, vollzog sich, nicht ohne Einfluß der Romantik, der bruchlose Übergang der Spätncologie in die Erweckungsbewegung und das konfessionelle Luthertum des neunzehnten Jahrhunderts.8 In der letzten Phase der Aufklärung trittjedoch eine Auflösung mancher kirchlicher Formen zutage. Privatbeichte und Kirchenzucht, Feiertage, Gottesdicnstc und wertvolles Liedgut sowie auch die liturgischen Gewänder fallen der harten Kritik der Aufklärer zum Opfer.’ Die geringere Abendmahlsbeteiligung muß als Alarmzeichen für die sinkende Kirchlichkeit angesehen werden. Doch ging 1 Leder, Altdorf 258-272. 2 Chr. Geyer, Das kirchl. Leben in Nürnberg vor u. nach dein Übergang d. Reichsstadt an Bayern 1806 (Beitrr. BK 12) 1906, 1-21, 100-131. 3 O. Jordahn, Georg Friedrich Seiler (1733 bis 1807). Ein Beitr. z. Gesch. d. Prakt. Theologie u. kirchl. Praxis z. Zeit d. Aufkl. in Deutschland, Diss. Masch. Erlangen 1966. 4 Leder, Altdorf 321-324; vgl. auch F. Hauck über Burkhardts rationalistischen Katechismus von 1794 (Beitrr. BK 27) 1920, 43-52. 5 W. Sperl, Dr. Heinrich Stephani, Schulu. Kirchenrat, dann Dekan in Gunzenhausen, d. Führer d. Rationalismus in Bayern 1761 bis 1850, 1940; G. Geitz, Johann Heinrich Witschel. Ein Beitr. z. Gesch. d. fränk. Rationalismus, 1924.

6 Leder, Altdorf 273-312. 7 Ebd. 313-318. 8 Ebd. 318-336. ’ Überblick bei Simon II 542-551; über die Amtskleidung Simon, Vom Pricstcrrock zum Talar u. Amtsrock (ZBKG 34) 1965, 19-61; R. Herold, Das gottesdicnstl. Leben im Kapitel Uffenheim (Beitrr. BK 1) 1895, 49-67; Th. Kolde, Zur Gesch. d. Gottesdienstes in Nümberg (ebd. 3) 1897, 190 f. u. H. v. Schubert, Der Streit über d. Lauterkeit d. Nürnbergisehen Cercmonien in d. Mitte d. 18. Jhs. (ebd. 3) 1897, 197-226; W. Wirth, Kirchengüter u. Ornate zu Hersbruck im Jahre 1593 (ebd. 12) 1906, 38-44; zum Kirchbau dieser Zeit vgl. W. Sperl, Der Protestant. Kirchenbau d. XVIII. Jhs. im Fürstentum BrandenburgOnoltzbach, 1951.

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Franken: D. III. Kirchlich-religiöse Entwicklung von :550 bis :800

gerade von den Gemeinden selbst energischer Widerstand gegen die Destruktion der Aufklärung aus; man wehrte sich gegen die neuen Agenden und Gesangbücher.1 In Franken sammelte der Kaufmann J. T. Kießling die Anhänger von Urispergers Christentumsgesellschaft um sich. Pietistische Strömungen drangen von neuem in das Leben der Gemeinden.2

§ 53. DIE KATHOLISCHE KIRCHE ZWISCHEN TRIDENTINUM UND SÄKULARISATION. DAS ZUSAMMENLEBEN DER KONFESSIONEN

Allgemein: HB II 295, 335, 340, 346, 405, 636 f.; Jedin IV, V; Duhr I-IV; Gesamtdarstellungen mit Bibliographie: Kist 84-132, 160-165 (Lit.); Looshorn V u. VI; Wachter; Wendehorst, Würzburg, Sax II; Sax-Bleicher. Über die konfessionellen Bcsitzverhältnisse: Simon, HAB; Bayer. Geschichtsatlas 26-28. - Vgl. auch §§ 29, 45.

a) Der Wiederaufbau bis zum Westfälischen Frieden. Jenes blühende religiöse Leben, das dem katholischen Franken der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg sein Gepräge gegeben hat und noch in der Gegenwart seine Wirkung spüren läßt, war das Ergebnis langwierigen und mühevollen Wiederaufbaus. Noch Jahrzehnte nach dem Konzil von Trient war der Prozeß des Übertritts zum Luthertum im Gange: Albrecht von Rosenberg führte in seiner Herrschaft um 1560 die Augsburgische Konfession ein,3 die Benediktinerabtei Banz hing zwischen 1561 und ca. 1575 Luther4 an, und im Eichstätter Sprengel waren um 1589 Übertritte zur Reformation nicht selten.5 Von den ca. 536 Benefizien des Bistums vor der Reformation waren im Jahre 1611 noch ca. 150 katholisch besetzt.6 Noch um diese Zeit ist eine Reihe von Fällen bekannt, in denen protestantische Grundherren mit Erfolg versucht haben, in ihren Patronatspfarreien oder in anderen den katholischen Gottesdienst via facti abzuschaffen.7 Im wesentlichen waren es die in den weltlichen Territorien der Bischöfe gelegenen Pfarreien, die katholisch blieben. Doch selbst hier hatten sich dank dem Ius reformandi des Augsburger Reichstags von 1555 lutherische Enklaven bilden können, da die Reichsritterschaft in der Ausübung des Reformationsrechts ihre Gleichstellung mit den Reichsständen durch Ferdinand II. nachdrücklich zu demonstrieren vermochte.8 ■Simon II 553 f.; Leder, Altdorf 151 f., 260-262. 2 Simon II 554-559; grundlegend immer noch G. Thomasius, Das Wicdcrerwachcn d. ev. Lebens in d. luth. Kirche Frankens, 1867; neuerdings Weigelt (s. o. 424 Anm. 2). 3 O. Friedlein, Die Reformation im Oberamt Boxberg (WDGB11. 29) 1967, 149-167. 4 S. Hess, Das Kl. Banz in seinen Bezieh, zu d. Höchst. Bamberg u. Würzburg unter Abt Burkhard (StMBO Erg. Heft 10) 1935. 5 Reiter, Schaumburg (s. o. 219) 40. 6 H. Weber, Das Bistum u. Erzb. Bamberg, seine Einteilung in alter u. neuer Zeit u. seine Patronatsvcrhältnissc, 1895, 151 f., vgl. a. 220;

W. Zeissner, Altkirchl. Kräfte in B. unter Bf. Weigand v. Redwitz (BHB Bcih. 6) 1975. D. Verluste d. Bistums Eichstätt an d. Reformation bei Sax-Bleicher 301-303. Für Würzburg scheint eine ähnl. Zus.Stellung zu fehlen. 7 Μ. Lingg, Kultur-Gesch. d. Diözese u. Erzdiözese Bamberg seit Beginn d. 17. Jhs., I: Das 17. Jh., 1900, 18 f.; K. Braun, Nürnberg u. d. Versuche z. Wiederherstellung d. alten Kirche im Zeitalter d. Gegenreformation 1555 bis 1648 ( Einzclarbeiten 1) 1925. 8 E. Frhr. v. Guttenberg, Reichsimmediat oder Landsaß (AO 24) 1910, 24-50; auch E. Riedenauer, Rcichsritterschaft u. Konfession (Deutscher Adel 1555-1740, hg. v. H. Rössler)

53■ Die katholische Kirche zwischen 1545/63 und 1805 (IV. Brandmüller)

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Die territoriale Zersplitterung des Fränkischen Reichskreises war sein konfessionelles Schicksal geworden.’ Freilich wird man sich hüten müssen, für die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts schon jene konfessionelle Geschlossenheit anzunehmen, die das siebzehnte Jahrhundert kennzeichnet. Die Erfolge der Reformation selbst in protestantischen Orten waren nicht endgültig zu nennen, wenn noch um 1580 Wallfahrten aus protestantischcn Orten des Eichstätter Sprengeis nach St. Salvator in Bettbrunn zogen, und wenn der Abt von Kaisheim um 1590 fast alljährlich um Beichtvollmacht für Eichstättcr Diözesanen bat, die aus Gebieten zu ihm kamen, die schon seit 1542/43 protestantisch waren.2 Ähnliches gilt von Würzburg und Bamberg, wo «es zumeist die Ehrbarkeit der Städte und Dörfer war, Gerichtsgeschworene, Ratsherren, Bürgermeister und Schultheißen, die die lutherische Botschaft aufgenommen hatten»? Ein Analogon, teilweise auch Folge der vielfach kontroversen sich gegenseitig überlagernden Jurisdiktionen an den einzelnen Orten, war die bekenntnismäßige UnSicherheit weiter Bevölkerungskreise, ja sogar der Geistlichen. Nicht selten präsentierten sich lutherische Glaubenselemente im Gewände katholischer Kultformen, während bewußt katholisches Bekenntnis sich durchaus mit der Forderung von Laienkelch und Priesterehe vertragen konnte.4 Der aus dem würzburgischen Gerolzhofen stammende lutherische Pfarrer Kaspar Klee war zwar lutherisch erzogen worden, hatte aber auch den Katechismus des Canisius gelernt sowie an Messen, Chorgebet und Wallfahrten teilgenommen. In solchem Milieu konnte man durchaus bei einer katholischen Prozession das Lied singen: «Es ist das Heil uns kommen her aus Gnad’ und lauter Güte, die Werk’ die helfen nimmermehr . . .».5 Selbst bei der einfacheren Bevölkerung war durch wandernde Buchhändler protestantische religiöse Literatur weit verbreitet.6 Ursache und Folge solch konfessionellen Wirrwarrs zugleich waren die häufigen Mischehen, gegen die 1587 ein wenig wirksames Bamberger Mandat erging.7 Innerhalb der Schicht von Gebildeten, die von der starken Strömung späthumanistischer, erasmischer Geistigkeit erfaßt war, hatte die Gemeinsamkeit der klassischcn Bildungsgüter die Grenzen des Glaubensbekenntnisses weithin eingeebnet.8 Franken lag mitten in dieser Strömung: Der Würzburger Domherr Erasmus Neustetter erscheint gar als «der größte Mäzen der Humanisten in Deutschland»’ und 1965, 1-63; Simon, HAB 55-60, 147-164 (die Familien der Ritterschaft in alphabetischer Reihenfolge); Pfeiffer, Fränk. Reichsritterschäft (s. o. 304) 214 ff. 1 Μ. Hofmann, Cuius regio (JffL 11/12) 1953■ 345 f·; Reiter (s. o. 219) 41-55; Simon, HAB 48-50. 2 Reiter 62 f. ’ Schubert, Gegenreformationen (s. o. 219) 291. 4 Vgl. E. W. Zeeden, Die Entstehung d. Konfessionen. Grundlagen u. Formen d. Konfcssionsbildung im Zeitalter d. Glaubenskämpfe, 1965, 68-94; Wendehorst, Landkapitcl Coburg (s. o. 206 Anm. 3) 13 f.;

Simon, HAB 46-48; Schubert (s. o. 219) 288 f.; A. Frank, Zur Konfessionsgesch. d. Amtes Liebenau-Steppach (Fränk. Bll. 7) 1955, 92, 8995-96. Vgl. W. Störmer, Obrigkeit u. ev. Bewegung (WDGB11. 34) 1972, 113 ff. 5 H. Beck, Kaspar Klee v. Gerolzhofen (Sehr. d. Ver. f. Ref. gesch. 71) 1901, 3 f. 6 So um 1610 von Bamberg bezeugt (Lingg 30 f., s. o. 427 Anm. 7). 7 Schubert (s. o. 219) 287. 8 F. W. Kantzenbach, Das Ringen um d. Einheit d. Kirche im Jahrhundert d. Reformation, 1957, passim. ’ Schubert (s. o. 219) 283-286.

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Franken: D. III. Kirchlich-religiöse Entwicklung von 1550 bis 1800

Abt Lotichius von Schlüchtern wurde in ihren Kreisen hochgeschätzt.1 Im Gegensatz zur Schicht der Gebildeten war die breitere Bevölkerung in Stadt und Land zumeist katholisch geblieben, so daß von einer protestantischen Volksbewegung in Franken kaum die Rede sein kann.12 Gleichwohl lagen religiöses und sittliches Leben darnieder. Die Ursachen des Verfalls hierfür sind zum großen Teil beim Klerus zu suchen, der hinsichtlich seiner Bildung und geistlichen Lebensführung den Anforderungen seines Amtes häufig nicht genügte. Die seit Luther nicht mehr verstummte Polemik gegen den Zölibat, und die durch das Interim, das die Priesterehe gebilligt hatte, vermehrte Unsicherheit in deren Beurteilung, ließen das Konkubinat kaum mehr als verwerflieh erscheinen.3 Von 26 befragten Priestern des Bistums Eichstätt waren nur 7 ihrer Verpflichtung zur Ehelosigkeit treu geblieben, etwa nur die Hälfte von ihnen betete das Brevier.4 Die Visitation des Landkapitels Karlstadt am Main ergab ein ähnliches Bild: Von den 29 visitierten Pfarrern lebten 24 im Konkubinat.5 Hingegen wurde, dem Geist der Zeit entsprechend, eifrig gepredigt.6 Als Predigtlitcratur dienten die Werke von Johann Eck, Johann Herolt, Johann Hoffmeister, Friedrich Nausea, Jakob Schopper und Georg Witzei.7 Im argen lag die Sakramentspraxis, da die KrankenSalbung fast in Vergessenheit geraten war, und die Firmung nur sehr selten gespendet wurde.8 Besonders drückend war der Mangel selbst an so ungenügenden Priestern. Ihm konnten auch die Abteien der Benediktiner, Zisterzienser, Augustiner und der Chorherrenorden9 nicht abhelfen. Die Reformation mit ihrer maßlosen Polemik gegen das Mönchtum, der Bauernkrieg und zuletzt der Markgräflerkrieg hatten viele Klöster entvölkert und zum Teil in Trümmer gelegt. Dem äußeren Ruin entsprach weithin der des monastischcn, religiösen Lebens. Am schlimmsten stand cs wohl mit den Zistcrzicnserkonventen von Ebrach und Bildhausen.10 Auch Banz, Münsterschwarzach und St. Stephan in Würzburg fanden erst in dem bedeutenden Abt Johannes Burckhard ihren Reformer.11 Die Abtei Schlüchtern war unter Abt Peter Lotichius ein Musterbeispiel der schon erwähnten konfessionellen Mischformen geworden, nach 1564 wurde sic zu einer protestantischen Schule umgcstaltet.12 Auf 1 A. Kaspar, Reform u. Reformation in Schlüchtern unter Abt Petrus Lotichius (1534 bis 1567) (WDGB11.26) 1964,268-289, hier 269. 2 Schubert (s. o. 219) 290 f.; Wendehorst, Landkapital Coburg (s. 0.206 Anm. 3) mit Kartenmaterial zu den Konfessionsverhältnissen. 3 Reiter (s. o. 219) 105. Die folgenden Angaben fußen auf der Visitation von 1565. Vgl. dazu A. Franzen, Zölibat u. Priesterehe in d. Auseinandersetzung d. Reformationszeit u. d. kath. Reform d. 16. Jhs. (Kath. Leben u. Kirchenreform im Zeitalter d. Glaubensspaltung nr. 29) 1969. 4 Reiter (s. o. 219) 107 f. 5 Wendehorst, Würzburg 70; Meier (s. u. 432) 105-107. 6 Reiter (s. o. 219) 300-302. 7 Ebd. Mit Ausnahme von Eck und Nausea sind die Autoren als Ireniker bekannt. Vgl. die

Charakteristik Hoffmeisters und Witzeis bei Kantzenbach (s. o. 427 Anm. 8) 160-163, 176-202. 8 Reiter (s. o. 219) 300; für Bamberg galt: «ignoti (sc. sacramenti) proinde nulla cupido» (Lingg 38, s. o. 426 Anm. 7). 9 Dazu: Hemmerle, Benediktinerklöster; Krausen, Zisterzienserorden; Backmund, Chorherrenorden ;J. Schmidlin, Die Diözesanrelation d. Fürstbischofs v. Würzburg Julius Echter nach Rom (WDGB11. 7) 1940, 24-31, hier 28; A. Graf, Ein Briefwechsel ReinEbrach-Ingolstadt 1561-1565 (CisterzicnscrChronik 68) 1961, 65-93. 10 A. Bigelmair, Das Konzil v. Trient u. d. Bistum Würzburg (Schreiber, Weltkonzil II) 85 f. 11 Vgl. Hess (s. o. 426 Anm. 4). 12 Vgl. Kaspar (s. o. Anm. 1).

§ 53· Die katholische Kirche zwischen 1545/63 und 1803 (W. Brandmiiller)

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dem Bamberger Michelsberg1 und in Langheim1 2 scheinen bessere Zustände geherrscht zu haben. Auch die Frauen von St. Walburg in Eichstätt hatten sich aus dem allgemeinen Verfall heraushalten können.3 Von den einst zahlreichen Zisterzienserinnenklöstern Frankens hingegen bestand um 1570 kein einziges mehr.4 Solcherart etwa war der Boden, auf dem die Saat des Konzils von Trient aufgehen sollte. Neue Einsichten gestatten cs, im Ablauf der durch das Tridentinum ausgelösten fürstbischöflichen Aktivität5 drei verschiedenartige Phasen zu unterscheiden.6 Deren erste war eine Konsequenz der Geistliches wie Weltliches umfassenden Sorge der bischöflichen Landesherren für das Wohl ihrer Untertanen: eine «.obrigkeitlich - patriarchalische» Form der Gegenreformation. Ihr entsprach es, den Katholiken den Besuch von Gottesdienst und Predigt in der lutherischen Nachbarschaft «zu ihrer Wolfart und Seelenheil» ebenso zu verbieten wie Lästerreden und Exzesse in Spiel, Tanz und Trunk. Die Durchsetzung solch obrigkeitlicher Mandate «war weit entfernt von Gewaltanwendung und Gewissenszwang»? Indessen kam auf diesem Weg nur Fürstbischof Martin von Schaumberg von Eichstätt (1560-1590) ans Ziel; vor allem deswegen, weil er mehr als die obrigkeitliche die bischöfliche Seite seines Amtes sah.8 Durchsetzung des bischöflichen Rechts auf Besetzung der Pfarreien, kanonische Visitation des Bistums schon im Jahr nach Abschluß des Konzils (1565)’ und vor allem die Gründung des Collegium Willibaldinum10 im Jahr 1564 waren seine ersten entscheidenden Maßnahmen. Die von ihm, nicht zuletzt kraft seiner edlen priesterlichen Persönlichkeit erzielten Anfangserfolge wurden durch seine Nachfolger vertieft. 1593 ließ Kaspar von Seckendorf (1590-1593/95) auf Drängen des päpstlichen Legaten Graf Hieronymus Portia einen Teil des Bistums durch Friedrich Staphylus d. J. und Weihbischof Eiszepf visitieren.11 Wiewohl der Typ eines prachtvolle Repräsentation liebenden Fürsten entsprach auch der weitgereiste und welterfahrene Johann Konrad von Gemmingen (1593/95-1612) den religiösen Anforderungen seines Amtes, wie seine Maßnahmen zeigen.12 In Bamberg ließen die Erfolge am längsten auf sich warten. Bischof Veit von Würzburg (1561-1577), der erst nach dem Tod seiner Konkubine 1 A. Lahner, Die ehern. Bcnedictiner-Abtei Michelsberg zu Bamberg, Bamberg 1889, 234-252. 2 Der Konvent war im Stande, das im Bauernkrieg zerstörte Kloster samt der Wallfahrtskirche von Vierzehnheiligen wieder aufzubauen und unter Abt Konrad I. Haas (1538 bis 1556) eine reichhaltige Bibliothek einzurichten (F. Geldner, Langheim. Wirken u. Schicksal eines fränk. Zisterzienserklosters, Die Plassenbürg 25, 1966, 234). 3 Reiter (s. o. 219) 273 f. 4 Krausen, Zisterzienserorden, passim. 5 Die Bischöfe: Eubel III für Würzburg: 208 f.; für Bamberg: 128, für Eichstätt: 193; sowie IV für Würzburg: 201; für Bamberg: 109; für Eichstätt: 184. 6 So neuestens Schubert (s. o. 219).

7 Ebd. 277. 8 So das Ergebnis von Reiter (s. o. 219). 9 Ebd. 95-109; H. Jedin, Einführung, in: Die Visitation im Dienste d. kirchl. Reform, hg. v. Zeeden-Molitor (Kath. Leben u. Kirchenreform, s. o. 428 Anm. 3. 25/26) 1967, 1-4; ebd. 57 bzw. 104. Verzeichnis der gedruckten und archivalischen Quellen zu den Visitationen des Bistums Eichstätt. 10 400 Jahre Collegium Willibaldinum, hg. v. d. Professoren der Phil.-theol. Hochschule Eichstätt, 1964, 26-40, darin die Aufsätze von A. Bauch u. E. Retter. 11 Sax-Bleicher 166-268; Sax 471-479. 12 F. X. Buchner, Das Bistum Eichstätt u. d. Konzil v. Trient (Schreiber, Weltkonzil II) 112f. (Lit.); Sax-Bleicher 269-275; Sax 479 bis 492.

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Franken: D. III. Kirchlich-religiöse Entwicklung von 1550 bis 1S00

1566 die Priester- und Bischofsweihe empfing,1 überließ die Initiative zur Kirchenreform seinem tüchtigen und energischen Generalvikar Paul Neydecker (j1565 ‫)־‬ und nach dessen Tod den hervorragenden Weihbischöfen Friedrich Lichtenaucr (1562-1570)1 2 und dem gerade dreißig Jahre alten Jakob Feucht (1571-15 80).3 Letzterer, ein hochgebildeter Theologe, wirkte vor allem als Prediger und Schriftsteller. Beide hatten, wie noch lange Zeit die Reformer, gegen den Widerstand des Domkapitels anzukämpfen.4 Noch 1575 ergab eine durch Nikolaus Elgard, den Delegaten des Nuntius Johann Schopper, durchgeführte päpstliche Visitation des Bistums ein niederdrückendes Resultat.5 Eine klare Wendung zum Guten nahm Bambergs kirchliche Entwicklung erst mit der Wahl des dreißigjährigen Ernst von Mengersdorf (1583 bis 1591) zum Bischof. Sein zukunftsträchtiges Werk war die Gründung eines tridentinischen Seminars im Jahre 1586.6 In Würzburg waren bereits unter Melchior Zobel von Giebelstadt (1544-1558) erste, allerdings durch Markgräflerkrieg und Grumbachsehe Händel behinderte Reformversuche unternommen worden.7 Indes, der Tiefpunkt der Entwicklung war noch nicht erreicht, von dem aus ein Neubeginn möglieh wurde.8 Friedrich von Wirsberg (1558-1573) war es, der vor seiner Wahl eine Wahlkapitulation mitabgefaßt und unterschrieben hatte, deren Inhalt erstmals vom Geist des Konzils geprägt war. Noch mehr galt das von seinem «epochemachenden» Hirtenbrief von 1560. Wirsberg, als Landesherr weniger glücklich, ließ nicht nach, dem hohen und niederen Klerus die Ideale priesterlichen Lebens vor Augen zu stellen, wie sie sich aus den Lehrdekreten des Konzils ergaben. Eine Reihe von Reformmandaten hatte die Hebung von Glaube und Sitte im Volk zum Ziel.’ Zur Visitation des Bistums scheint Wirsberg jedoch nicht geschritten zu sein.10 So blieb sein Pontifikat noch im Vorfeld der eigentlichen Reform stehen. Dennoch wurde durch ihn jenes geistige, religiöse Klima geschaffen, in dem das Werk seiner Nachfolger gedeihen konnte. Die Professio fidei Tridentina durch Domkapitel, Klerus, Lehrer- und Beamtenschaft setzte der Unsicherheit hinsichtlich des Glaubensinhalts mehr und mehr ein Ende." Von einer eigentlichen Verkündigung der Konzilsdekrete war indes nur in Bamberg die Rede.12 Ursache hierfür wie für das langsame Voranschreiten der Reform 1J. Kist, Bamberg u. d. Tridentinum (Schreiber, Weltkonzil II) 120 f. (Lit.). 2 Kist 85; bes. Bauer,Weihbischöfc (s. 0.219) (m. Bibi.), hier 320-323. 3 J. H. Jäck, Pantheon d. Literaten u. Künstler Bambergs, 7 Hefte, Bamberg 1812/16, hier: II 269-271. 4 Bauer, Weihbischöfc (s. o. 219) 321 f. 5 Kist, Tridentinum (s. o. Anm. 1) 122 f. 6 L. C. Schmitt, Gesch. d. Emestinischen Klerikalseminars zu Bamberg (BHVB 20) 1857, 1-492. Kist, Tridentinum 125-127 (Lit.); Ders., Jugend u. Studienzeit d. Bamberger Bischofs Ernst v. Mengersdorf (Münchener Theol. Zschr. 1) 1950, 59-65. 7 Bigelmair (s. o. 428 Anm. 10) 72 f. 8 Specker, Rcformtätigkeit (s. o. 219) 39-43.

Specker beurteilt Zobel günstiger als Wendehorst, Würzburg 64 f. ’ Specker, Reformtätigkeit

(s. o. 219) 43-53; Wendehorst, Würzburg 65-67. 10 H. E. Specker, Nachtridentinische Visitationen im Bistum Würzburg als Quelle f. d. kath. Reform (Die Visitation im Dienste d. kirchl. Reform (s. o. 429 Anm. 9) 38. 11 Die Professio wurde abgelegt: in Würzbürg im November 1569 und im März 1570 (Specker, Reformtätigkeit 49, s. o. 219), in Bamberg: auf Grund eines Beschlusses des Domkapitels vom 22. Dezember 1572 (Kist, Tridentinum 121, s. o. Anm. 1), in Eichstätt ab 1571 (Retter 80-89, s. o. 219). 12 Das Kapitel erklärte sich mit der Publikation der Dekrete am 5. März 1571 cinverstan-

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überhaupt war nicht zuletzt die Unterlassung einer Provinzialsynode durch den Mainzer Metropoliten.1 Die zweite Phase, die der «territorialstaatlichen Gegenreformationen»2, umfaßt die Pontifikate Julius Echters von Mespelbrunn in Würzburg (1573-1617),3 Neitharts von Thüngen in Bamberg (1591-1595)4 sowie Gottfrieds von Aschhausen, der, 1609 Bischof von Bamberg, nach Echters Tod auch das Bistum Würzburg übernahm, der erste Fall der späterhin noch mit gutem Erfolg geübten Personalunion der beiden Mainbistümer.5 Das Charakteristikum dieser Phase bestand in der Nutzbarmachung des Ius reformandi für die Durchsetzung der tridentinischen Reform in einem konfessionell geschlossenen Territorialstaat.6 In paradigmatischer Weise ging hierbei Julius Echter ans Werk.7 Sein staunenswertes administratives Talent wie seine unbeugsame Energie stellte er ganz in den Dienst dieser Aufgabe. Das Programm für seine Reformen hatte Echter, nach etwa zehnjährigem Abwarten, in den Statuta Ruralia von 15848 und in der Kirchenordnung von 1589 niedergelegt. Mit der Neucinteilung der Ruralkapitel durch die Statuta wurde eine übersehbare kirchliche VerwaltungsStruktur geschaffen, die zugleich erlassene Pastoralinstruktion sollte die Seelsorge auf der Basis der Tridentiner Dekrete neu aufbauen. In der Kirchenordnung’ hingegen wurde das gesamte liturgisch-sakramentale und sittliche Leben wie auch das Brauchtum der dörflichen und städtischen Gemeinschaften bis in Einzelheiten hinein obrigkeitlich reglementiert. Indes wird aus vielen dieser Bestimmungen deutlich, daß sie geistliches, religiöses Leben wecken und fördern, nicht nur einen perfekten kirchlichen Apparat in Gang setzen wollten. Vor allem aber sollte das ganze Hochstift wieder dem katholischen Glauben zugeführt werden, indem die protestantischen Einwohner entweder von diesem überzeugt oder zur Auswanderung gezwungen wurden. Als bevorzugtes Organ für die Durchführung dieses Programms hatte Echter sich den Geistlichen Rat geschaffen, der aus wenigen aber hochqualifizierten Personlichkeitcn bestand.10 Auch die weltlichen Beamten wurden für die Zwecke der Kirchenreform in Dienst genommen. Außer dem Fürstbischof selbst und den Geistliehen Räten, die häufig auf Visitationsreisen gingen,11 waren es vor allem die Jesuiten, den (Kist, Tridcntinum 121, s. 430 Anm. 1). In Eichstätt wurden sic nur formlos «insinuiert» (Reiter 80-89). Das Ehcdckrct «Tametsi» wurde in Eichstätt 1585 auf Drängen der Jesuiten publiziert (ebd. 92-94). 1 Reiter (s. o. 219) 312 f. 2 Schubert (s. ebd.) 278. 3 Wendehorst, Würzburg 67-73; Specker, Reformtätigkeit (s. o. 219) 53-125 (grundlegend mit erschöpfender Bibliographie); v. Pölnitz, Julius Echter; W. Engel, Aus d. Jugendzeit d. Fürstbischofs Julius Echter (WDGBll. 11/12) 1949/50, 217-219. 4 Kist 91-93; Ders., Tridcntinum (s. o. 430 Anm. 1) 127-130; Zagel, Gegenreformation (s. o. 219); Zu Weihbischof Ertlin, im Amte 1581-1607, vgl. Bauer, Wcihbischöfc (s. ebd.) 323-328 (Lit.).

5 Kist 96-99 (Lit.); Bauer, Weihbischöfe 410-453 (Lit.); H. Weber, Johann Gottfried v. Aschhausen, Würzburg 1889. 6 Specker, Reformtätigkeit (s. o. 219) 72-74. 7 Ebd. 79-125. Vgl. das Werk des Zeitgenossen Weihbischof Eucharius Sang., Triumphus Franconiae ob veterem in ca religionem ante plurcs annos restitutam . . ., Wirccburgi 1618. 8 Text bei Himmelstein (s. o. 219) 321-384. Dazu Specker, Reformtätigkeit (s. ebd.) 87-89; Ders., Landkapitcl (s. ebd.); K. J. Barthels, Die Statuten d. Landkapitcls Lohr 1618 (Heimatland 11) 1952. ’ Text bei Himmelstein (s. o. 219) 384-404. Dazu Specker, Reformtätigkeit (s. ebd.) 90 bis 99■ 10 Ebd. 74-78. 11 Bald visitierten auch die Dekane der Land-

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die unermüdlich predigten und visitierten. Von den mit allem landesherrlichen Nachdruck durchgeführten «Gegenreformationen» waren in Würzburg keineswegs 50000-70000 Protestanten betroffen, wie man bislang meinte. Schließlich waren cs, das Amt Münnerstadt ausgenommen, etwa 600, die um 1586 ihres Augsburgischen Bekenntnisses willen das Hochstift verlassen mußten. Ein Vielfaches davon war die Zahl derer, die unter dem Eindruck der Missionspredigten und der fürstlichen Mandate wieder katholisch wurden.1 Ein ausgewogenes historisches Urteil über diese heutigem Denken suspekten Bekehrungsmethoden wird indes nicht von heutigen Voraussetzungen ausgehen dürfen. Es wird vielmehr berücksichtigen müssen, daß lange vor Echter die protestantischen Fürsten die konfessionelle Geschlossenheit ihrer Territorien - eine wesentliche Voraussetzung des absolutistischen Tcrritorialstaats auf die nämliche Weise erreicht hatten.2 Alsdann handelte cs sich, gerade wenn cs 11m die Rückkehr zur alten Kirche ging, weniger um erzwungene Preisgabe einer eindeutigen Glaubensüberzcugung. Die vielen bekanntgewordenen Formen konfessioncllcr Mischung in Glauben und Kult lassen vielmehr den gcgcnreformatorischcn Zwang eher als Zwang zu klarer bekenntnismäßiger Scheidung und Entscheidung erscheinen.3 Jetzt erst nach Abschluß der «Gegenreformationen» war als dritte Phase auch die Durchführung der tridentinischen Reformen möglich. Man wird Echtcrs Persönlichkeit kaum gerecht, wenn man in ihm nur den skrupellosen absolutistischen TerritorialPolitiker sehen will. Religiöse Überzeugung und bischöfliches Pflichtbewußtscin erscheinen deutlich als Motive seines Handelns.4 Darin war er auch seinem ehedem keineswegs ideal gesinnten Bamberger Nachbarn Neithart von Thüngen (1591-1598) zum Vorbild geworden, der nach seiner Wahl zum Bischof redlich versuchte, Echters Fußstapfen zu folgen.5 1594 erließ er sein Religionsmandat, das allen HochstiftsUntertanen die Rückkehr zur katholischen Kirche gebot, den Widerspenstigen aber Amtsenthebung und Ausweisung androhte. Im Jahr darauf wurde mit einer Visitakapitel ihre Pfarreien (Specker, Visitationen 40 ff., s. o. 430 Anm. 10). Ein Beispiel aus dem Jahre 1612: E. Markert, Ein Visitationsbericht aus Julius Echtcrs Zeit (WDGB11. 14/15) 1952/ 53, 537-554. J. Meier, Die kath. Erneuerung d. Wbg. Landkap. Karlstadt (ebd. 33) 1971, 51 bis 125 (Qucllenanhang). 1 Schubert (s. o. 219) 290 f. Paradigmatisch: B. Remi.inc, Die Gesch. d. Pfarrei Thüngersheim in d. Zeit v. 1353 bis 1803 (WDGB11. 31) 1969, 64-142, hier 73-101. 2 J. Lecler, Gesch. d. Religionsfreiheit im Zeitalter d. Reformation, I, 1965, 392-400. 3 Schubert (s. o. 219) 281. 4 In diese Richtung weist die Darstellung des umstrittenen Verhaltens Echters in dem «Fuldaer Handel» durch Wendehorst, Würzburg 68 f. Dernbach «ging, ohne Augenmaß für das im Augenblick Mögliche, an die gewaltsame Rekatholisierung des Landes. Als seine prote-

stantischen Nachbarn mit den ebenfalls meist protestantischen Fuldaer Ständen bereits über seine Absetzung verhandelten», habe schließlieh Echter cingcgriffcn, um Bestand und Fortgang der Gegenreformation in Fulda sichcrzustellen. Anders Schubert (s. o. 219) 296 f. und in: Fränk. Lebensbilder 3, 1969; vgl. auch o. 220. Auch O. Schaffrath, Fürstabt Balthasar v. Dernbach u. seine Zeit (Veröffcntl. d. Fuldaer Geschichtsvcr. 44) 1967, 49-69 wendet sich gegen die Auffassung von Pölnitz und Wendehorst. Gegen Schubert m. guten Gründen H. Kallfelz (WDGB11. 32) 1970, 202. 5 Details der Reformtätigkeit seit Thüngen im Frankenwald bei G. Fehn, Chronik v. Kronach III, 1953, 143-170. Hinsichtlich der nürnbcrgischcn Gebiete vgl. Braun, Nürnberg (s. o. 426 Anm. 7).

§ 38■ Die katholische Kirche zwischen 1545/63 und 1803 (W. Brandmüller)

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tion des Bistums begonnen.1 Da aber, so bemerkte der Nuntius Portia mit unverhüllter Kritik, das Volk nicht sosehr durch einleuchtende Argumente überzeugt, sondern eher durch gewalttätigen Einsatz landesherrlicher Autorität zum katholischen Glauben zurückgeführt worden sei, blieb diesem Reformansatz der eigentliche Erfolg versagt.1 2 Noch kaum von der Reform innerlich erfaßt, wählte das Bamberger Kapitel den notorischen Konkubinaricr Johann Philipp von Gebsattel (1599-1609), Thüngens erbitterten Widersacher, zu dessen Nachfolger. Religiös gleichgültig und moralisch skruppellos verstand er es,3 durch betrügerische diplomatische Winkelzüge seine Stellung dem Papst gegenüber zu behaupten. Er starb, als man eben in Rom den Absetzungsprozeß gegen ihn eröffnen wollte. Seine Regierung war ein schwer zu heilender Schlag für die kirchliche Erneuerung des Bistums Bamberg. Den vereinten Bemühungen Echters und des bayerischen Hofes gelang cs, die Wahl des 34jährigen Johann Gottfried von Aschhausen zu Gebsattels Nachfolger (1609-1622) durchzusetzen.4 Dieser, «das Muster eines Priesters», gab «seinem Hofe ein fast klösterliches Gepräge» und setzte dadurch einen neuen Maßstab für die sittliche und religiöse Lebensführung von Domkapitel und Hochstiftsklerus.5 Nun war auch die Stunde des von Gebsattel gehaßten Gcrmanikers Dr. Friedrich Förner (j1630 ‫ )־‬gekommen; er wurde 1610 zum Gencralvikar und 1612 zum Weihbischof ernannt.6*Die von ihm umsichtig vorbereiteten und ungeachtet größter Strapazen durchgeführten Visitationen des ganzen Bistums (scit 1611) zeigten die Ausmaße der Verwahrlosung des kirchlich-religiösen Lebens, die Gcbsattcl hinterlassen hatte.’ Für Förner war sie indes Ansporn für einen leidenschaftlichen Einsatz im Dienste der Reformen von Trient, der seinen Niederschlag auch in einem umfangreichen schriftstellerischen Werk gefunden hat.8 Aschhausens Nachfolger Johann Georg II. Fuchs von Dornheim (1623-1633) ging in der von seinem Vorgänger gewiesenen Richtung weiter voran.’ Eigentlichen Erfolg aber hatten die Rcformbcstrcbungcn im Bistum Bamberg zunächst nur in den größeren Städten wie Bamberg, Forchheim, Kronach, Hollfeld, Scheßlitz u. a.10 Auf dem flachen Lande zeigte sich noch kaum eine Spur der Besserung.11 Ganz anders lagen die Verhältnisse im Hochstift Würzburg, wo bereits zu Lebzeiten Julius Echters ein, aufs Ganze gesehen, frommer, eifriger und um theologische Bildung bemühter Klerus am Werke war. Dementsprechend war auch ein religiös-sittlicher Aufstieg beim Volke 1 Kist, Tridentinum (s. 0. 430 Anm. 1) 128 f. 2 L. Bauer, Vatikanische Quellen z. neueren Bamberger Bistumsgcsch. (BHVB 99) 1963, 172-316, hier nr. 36. 3 Ders., Die Kurie u. Johann Philipp v. Gebsattcl, Bisch, v. Bamberg (1608/09) (QFIAB 40) 1960, 89-115; Ders., Informativprozeß (s. o. 219); Ders., Urteil d. Nachwelt (s. ebd.); Kist 94 f.; Bauer, Vatikanische Quellen (s. o. Anm. 2) nrr. 10-78. 4 Bauer, Maximilian (s. o. 222 Anm. 4). 5 Kist 98; dazu Lit. o. 431 Anm. 3. 6 Bauer, Wcihbischöfc (s. o. 219) 361-372, 410-471, 495-519■ 28 HdBG III, I

’ Lingo (s. o. 426 Anm. 7) 39-46. 8 Verzeichnis seiner Werke: Bauer, Weihbischöfe (s. o. 219) 495-502; Jäck (s. o. 430 Anm. 3) II 278-280. 9 Kist 100-103 ; Seine Pastoralinstruktioncn 1623 u. 1631 bei L. C. Schmitt, Die Bainberger Synoden (BHVB 14) 1851, 190-197. 10 Lincg (s. o. 426 Anm. 7) (passim) hebt die fast durchwegs besseren Verhältnisse in den Städten hervor. 11 Einige zusätzliche Details bei G. Denzler, Die religiöse Entwicklung Deutschlands im Drcißigjähr. Krieg verdeutlicht am Beispiel d. Bistums Bamberg (BHVB 164) 1968, 383-405, hier 3954°3‫·־‬

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Franken: D. III. Kirchlich-religiöse Entwicklung von 1550 bis 1800

festzustellen.1 Ähnliches gilt von Eichstätt. Dort hatte Bischof Johann Christoph von Westerstetten (1612-1636) weitere Maßnahmen zur Hebung der Seelsorge getroffen. Die Neueinteilung des Bistums in acht Dekanate und die Einführung von Dekanatskonferenzen («Kapitelskongresse») unter dem Vorsitz des Bischofs oder des Generalvikars, für die ab 1621 eigene Statuten erlassen wurden («puncta in capitulo ventilanda»), zeitigten gute Frucht.1 Eine entscheidende Rolle bei der kirchlichen Erneuerung Frankens spielten die Jesuiten. Mit der Berufung (s. u. 692 f.) des jungen, von kraftvollem Elan getragenen Ordens in die drei fränkischen Bistümer war eine der wesentlichen Voraussetzungen für den nun anhebenden religiösen Regenerationsprozeß geschaffen, der durch Exerzitien1 23 und Ausbildung des Nachwuchses erst die Priesterschaft, dann aber auch vermittels großangelegter Volksmissionen, 4 Gründung von Marianischen Kongregationenfür die verschiedenen Stände5 und die Pflege beliebter Frömmigkeitsformen auch die Bevölkerung des Hochstiftes nachhaltig erfaßte. An die Seite der Jesuiten traten bald die Franziskaner6 und vor allem die Kapuziner. Ihre Ausbreitung in Franken vollzog sich aufs Ganze gesehen in drei Abschnitten: Zuerst entstanden Niederlassungen in den Bischofsstädten (Würzburg 1616, Eichstätt 1623, Bamberg 1627), von da aus griff der Orden auf die Landstädte über (Kitzingen 1630, Lohr a. Main 1635, Ochsenfurt 1646, Karlstadt und Königshofen 1647), knapp hundert Jahre später folgten die Wallfahrtsorte Gößweinstein (1723) und Mariabuchen (1727) sowie weitere kleinere Niederlassungen.7* Als hemmende Kräfte standen der kirchlichen Erneuerung die feudalen Domkapitel entgegen. Es ist jedoch zu fragen, ob sich deren Resistenz nicht eher gegen die Entwicklung der Hochstifte zu absolutistischen Territorialstaatcn gerichtet und der Kirchenreform nur insofern Hemmnisse bereitet hat, wie diese mit Hilfe absolutistischer Regierungspraxis der bischöflichen Landesherren durchgeführt werden sollte.9 Die größte Gefährdung für das kirchliche Reformwerk bedeutete jedoch der Dreißigjährige Krieg, der Franken schon durch Truppendurchzüge und die berüchtigten Be1 Lingg (s. o. 426 Anm. 7) 48-53 u. ö. 2 Sax-Bleicher 275-296, hier 277; Sax 492 bis 527. 3 Von 1617-1650 erschienen im Reichsgebiet (Köln, Mainz, Ingolstadt, München, Innsbruck) 14 Ausgaben von Kommentaren zum Exerzitienbuch (J. Iparraguirre, Comcntärios de los Ejercicios Ignacianos, Roma 1967, 313). 4 Vom Würzburger Kolleg aus wurden Missionen abgchaltcn 1569 in Ochsenfurt und Schwarzach, 1571 in Neustadt, 1573 in Forchheim. Die Mission in Neustadt dauerte ein Jahr (Duhr I 475). 3 In Würzburg bestanden 1615 Kongrcgationen für Akademiker und Herren (1), für Gymnasiasten (2), 1643 kam eine für Handwcrker dazu (Duhr II I, 163). In Bamberg bestanden 1639 3 Kongregationen (ebd. 168) und in Eichstätt seit 1614 ebensoviele (ebd. 238).

6 Für Würzburg vgl. Wendehorst, Würzbürg 85 f. Das Bamberger Kloster hatte sich in der Reformation zu behaupten gewußt (Bavaria Franciscana Antiqua I 460-472). 1646 kam die Niederlassung Maricnweihcr dazu (ebd. II 571-603), Kronach 1649 (ebd. 1 473 bis 500), Glosbcrg 1745 (ebd.I 502-508), Burggrub 1735 (ebd. I 510-514), Forchheim 1643 (ebd. V 526-550). 7 Wendehorst, Würzburg 84 f. Dazu A. Eberl, Gesch. d. bayer. Kapuzinerordensprovinz, 1902, 51-53, 102 f., 148-151, 244 f., 262 f., 265!., 484-486. Zu Bamberg: ebd. 141 f., 261 f., 264 f. Eichstätt: 92 fF. Der Beginn der Ordenstätigkeit an den einzelnen Orten wird nicht immer einheitlich angegeben, doch sind die Differenzen unerheblich. 9 Schubert (s. o. 219) 281 f.

§ 55· Die katholische Kirche zwischen 1545/63 und 1803 (W. Brandmiiller)

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Satzungen («Preß- und Freßreuter») hteimsuchte, ehe es selbst Kriegsschauplatz und dann schwedisches Besatzungsgebiet wurde.1 Nicht selten jedoch zeigten sich neugefestigter katholischer Glaube und christliche Liebe gerade in der Not und Gefahr des Krieges. So stießen die nach dem Tode Gustav Adolfs einsetzenden Protestantisierungsversuche der sachsen-weimarischen Regierung in Würzburg,12 zu deren Durchführung man den bekannten Ireniker Georg Calixt aus Helmstedt herbeigerufen hatte, auf den geschlossenen Widerstand der Bevölkerung.3 Der Klerus bewährte sich in einzelnen Fällen selbst im Martyrium.4 In unermüdlicher Seelsorge und Pflege von Seuchenkranken zeichneten sich namentlich die Jesuiten aus, von denen manche ihrem Einsatz zum Opfer fielen.5 Auch der aus religiösen Quellen gespeiste Heldenmut bei der Verteidigung von Stadt und Festung Kronach gegen die Schweden (1632 und 1634) verdient der Erwähnung.6Nichtsdestoweniger waren die Folgen des Zusammcnbruchs geregelter Seelsorge und geregelten Schulunterrichts im Bistum Bamberg besonders verhängnisvoll, da hier das tridentinische Reformwerk kaum in Gang gekommen war als es durch die Kriegsläufte wieder unterbrochen wurde. AmEnde des Krieges standen für 110 Pfarreien nur noch 64 Priester zur Verfügung.7 Der unermüdlich und zielbewußt zupackende Melchior Otto Voit von Salzburg (1642-53) gründete darum 1647 die aus dem Seminarium Ernestinum hervorgehende Academia Ottoniana (s. u. 661), um Zahl und Qualität des Klerus zu heben. Die Jesuiten stellten Rektor und Lehrer. Das Erleben jener Unheilsjahre wühlte wohl auch jene Tiefen der Volksseele auf, in denen noch vorchristliche Dämonenangst schlummerte, die geweckt, sich im Hexenwahn der ersten Jahrhunderthälfte ausgewirkt hat.8 Allzu leicht und allzu schnell 1 H. Weigel, Franken im Dreißigjähr. Krieg (ZBLG 5) 1932, 1-80, 193-218; Kist 100-105; H. Weber, Bamberg im Dreißigjähr. Krieg (BHVB48) 1886,1-132;F. Hümmer, Bamberg im Schweden-Kriege (BHVB 52) 1890, 1-168; (ebd. 53) 1891, 169-230; Eichstätt im Schwedenkrieg. Tagebuch d. Augustinemonne Clara Staiger, Priorin d. Kl. Mariastein, über d. Kriegsjahre 1631-1650, hg. v. J. Schlecht, Eichstätt 1889; Sax-Bleicher 287-296; Wendehorst, Würzburg 73-78 (Lit.); R. Weber, Die Schweden in Schweinfurt u. Würzb. 1631 39) 1977, 167-182; vgl. a. A. Ernstberger, Eine dt. Reichsstadt zw. d. Fronten v. Reformation u. Gcgenref. (Dinkelsbühl 1634/35) (JffL 27) 1967, 15-30. Vgl. a. o. 226. 2 C. G. Sciiarold, Gesch. d. königl. schwed. u. herzoglich sachsen-weimarischen Zwischenregierung im eroberten Fürstbisthume Würzbürg, Würzburg 1844; C. Braun, Gesch. d. Heranbildung d. Klerus in d. Diöcese Wirzbürg II, Mainz 1897,1-68; W.Scherzer, Kloster Münstcrschwarzach in d. Zeit d. schwedischen u. sächsisch-weimarischen Zwischenregierung (WDGB11. 25) 1963, 185-194. Neuestens mit * 2S

guter Bibi. Ch. Deinert, Die schwed. Epoche in Franken v. 1631-1635, Diss. Würzb. 1966. 3 H. Schussler, Georg Calixt - Theologie u. Kirchenpolitik, 1961, 103 f.; Braun, Würzbürg II 30 f.; Wendehorst, Würzburg 77. 4 So etwa der Pfarrer Liborius Wagner von Altenmünster am 9. Dezember 1631 (Dokumente z. Lebens- u. Leidensgesch. d. Dieners Gottes Liborius Wagner, 2 Bde., 1930/33; V. Brander, Liborius Wagner d. Märtyrerpfarrer v. Altenmünster, 19613). Andere Fälle von Ermordung von Priestern; Weber (s. o. Anm. 1) 37-39; N. Haas, Gesch. d. Pfarrei St. Martin zu Bamberg, Bamberg 1845, 308f.; Braun (s. o. Anm. 2) II 5 f. 5 So drei Bamberger Jesuiten (Weber 86 bis 88, s. o. Anm. 1). Belege für die Pflichttreue des Würzburger Klerus bei Braun II 6-11. 6 E. Sticht, Zerrissene notvolle Heimat. Ein Beitr. z. Gesch. d. 30jähr. Krieges im Raum Kronach-Kulmbach (Jahresber. d. Oberrealschule Kronach) 1959/60, 53-76. 7 Weber, Bistum (s. 0.426 Anm. 6) 190-193. 8 F. Merzbacher, Die Hexenprozesse in Franken (Schriftenreihe 56) 1957.

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Franken: D.III. Kirchlich-religiöse Entwicklung von 1550 bis 1880

war selbst die geistige Elite der Zeit bereit, die durch Bibel und Kirchenlehre immer festgehaltene Möglichkeit teuflischer Einwirkung auf den Menschen im konkreten Fall als Tatsache anzunehmen.1 Da nun seit jeher das crimen magiae mit dem Tode bestraft und auch unter den kanonischen Begriff der Häresie subsumiert wurde, kam es zu massenweiser Hexeninquisition, zu grausamer Tortur und zu Hunderten von Todesurteilen über «Hexenpersonen» ohne Ansehen von Alter, Geschlecht und Stand, auch in den Hochstiftem Frankens.1 Ihren Höhepunkt erreichte die Hexcnverfolgung in Würzburg unter Philipp Adolf von Ehrenberg, in Bamberg unter Johann Georg II. Fuchs von Dornheim, in Eichstätt unter Johann Christoph von Westerstettcn. Von der Cautio criminalis Friedrichs von Spee überzeugt, schaffte der 1642 zum Bischof von Würzburg gewählte Johann Philipp von Schönbom - eine seiner ersten Regierungsmaßnahmen - die fatalen Prozesse ab (s. u. 658). Etwa zu gleicher Zeit fanden sie unter Melchior Otto Voit von Salzburg in Bamberg ein Ende. Damit und mit dem Frieden von 1648 fällt, aufs Ganze gesehen, der Abschluß des organisatorischen und religiösen Wiederaufbaus der Kirche Frankens zusammen. Freilich hatte diese jenen erstaunlich tiefgehenden und nachhaltigen Regenerationsprozeß nicht aus eigenen Kräften speisen können. Auch Franken hat seine kirchliche Wiedergeburt den spirituellen Kräften des nachtridentinischen Rom zu danken.3

b) Die Schönbornzeit (1642-1746).4 Verdienst und Bedeutung der vier Bischöfe aus dem Hause Schönborn, die fränkische Bistümer innehatten, bestanden darin, die Saat von Trient in Franken zu Blüte und Reife gebracht und so das Bild des fränkischen Katholizismus bis in das zwanzigste Jahrhundert maßgeblich bestimmt zu haben. 1642 wurde Johann Philipp Bischof von Würzburg (f 1673), 1693 erhielt sein Neffe Lothar Franz das Bistum Bamberg (‫־‬j1729 ‫)־‬. Er hat drei seiner Neffen zu Bischöfen geweiht: Friedrieh Karl, der ihm in Bamberg nachfolgte und auch Würzburg innehattc (j1746 ‫)־‬, Johann Philipp Franz 1719-1724 Bischof von Würzburg, den Kardinal Damian Hugo von Speyer und Konstanz, und den Trierer Kurfürsten Franz Georg, seit 1732 auch Fürstbischof von Worms. Hinzu kam, daß Glieder der gleichen Familie Dignitäten und Kanonikate an fränkischen Domkirchen innehatten.5 Der Umstand, daß sowohl 1 Z. B. Weihbischof Fömer (Bauer, Weihbischöfe 509 f., s. o. 219; Ders., Vatikanische Quellen nr. 75, s. o. 433 Anm. 2). 2 Zum historischen Verlauf Merzbacher (s. o. 435 Anm. 8) 30-58. 3 Bauer, Vatikanische Quellen (s. 0.433 Anm. 2) nrr. 23-74 passim; Schmitt, Seminar (s. o. 430 Anm. 6) 341-343; Buchner (s. o. 429 Anm. 12) 112, 116; vgl. auch die fränkischen Betreffe in den Berichten der Kölner Nuntien. Über die Editionen der Nuntiaturberichte unterrichtet H. Raab, Nuntiaturberichte (LThK VII2) 1071 f.; B. Schneider, Die Jesuiten als Gehilfen d. päpstl. Nuntien u. Legaten in Deutschland z. Zeit d. Gegenreformation (Miscellana Historiae Pontifi-

ciae 21) Romae 1959, 269-303. Über die fränkischcn Germaniker A. Steinhuber, Gesch. d. Kollegium Germanikum Hungarikum in Rom I, 190ό12,269-285. Eine Charakteristik der nachtridentinischen Frömmigkeit bietet Zeeden (s. o. 427 Anm. 4) 142-152. 4 Diese Bezeichnung wird von F. J. Abert, Aus Würzburgs Vergangenheit, 19242, 110 überliefert. Territorien-Übersicht: Bayer. Geschichtsatlas 30-32. Allg. Lit. HB II 410 f., 652. Sowie Ph.Jak. v. Huth, Versuch einer Kirchengesch. d. 18. Jhs., 2 Bde., Augsburg 1807/ 1809. 5 Domarus, Marquardt v. Schönborn (s. o. 370); Ders., Eva Theresia v. Schönbom u. d. adelige Damenstift z. hl. Anna in Würzburg,

53· Die katholische Kirche zwischen 1545I63 und 1805 (IV. Brandmüller)

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Johann Philipp, seit 1663 auch Bischof von Worms, als auch Lothar Franz zugleich Kurfürsten und Erzbischöfe von Mainz und damit Erzkanzler des Reiches, und Friedrieh Karl fünfundzwanzig Jahre lang Reichsvizekanzler waren, rückte ihre fränkischen «Heiniatbistümer» ins Zentrum des kirchlichen und politischen Geschehens ihrer Zeit.1 Entscheidend aber war, daß die Schönbom-Bischöfe, anders als etwa die geistliehen Prinzen aus dem Hause Bayern, ohne Ausnahme Männer von beispielhafter Amtsauffassung, religiöser Gesinnung und Lebensführung waren, und so das tridentinische Bischofsideal eindrucksvoll verwirklichten. Dem widersprach die vom Tridcntinum verpönte Häufung mehrerer Bistümer in einer Hand nur dem Buchstaben nach, da deren Nachteile sowohl durch Fähigkeiten und Einsatzbereitschaft der einzelnen Bischöfe wie auch durch deren gute Hand bei der Wahl ihrer Weihbischöfe und Generalvikare ausgeglichen wurden.2 Allen voran war es Johann Philipp, der sowohl als Staatsmann von europäischem Ansehen wie auch als religiöse, priesterliche Persönlichkeit hervorragte.3 Indes waren auch die Bamberger Bischöfe Philipp Valentin Voit von Rieneck (1653-1672), Peter Philipp von Dernbach (1672-1683), seit 1675 auch Bischof von Würzburg, und Marquardt Sebastian Schenk von Stauffenberg (1683-1693) gebildete, eifrige und religiös hochstehende Persönlichkeiten.4 Vermutlieh gilt das auch von den Würzburger Bischöfen dieser Zeit, die nicht aus der Familie Schönborn stammten. Dennoch stehen Johann Hartmann von Rosenbach (1674 bis 1676), Johann Gottfried von Guttenberg (1676-1686), Johann Philipp von Greiffenklau (1699-1719) und Christoph Franz von Hutten (1724-1729)5 im Schatten Johann Philipps von Schönborn, wohl nicht zuletzt deswegen, weil keiner von ihnen bisher einen Biographen gefunden hat. Obwohl durch die enge Verbindung mit der Universität Ingolstadt und durch den Umstand, daß weite Teile des Bistums bayerisches Territorium waren, eng mit Kurbayern verbunden, wahrten sich doch die Bischöfe von Eichstätt ihre Unabhängigkeit. Versuche, bayerische Prinzen in Eichstätt mit geistlichen Würden (Koadjutor, Bischof) auszustatten, wurden vom Eichstätter Domkapitel stets vereitelt.6 Die Bischöfe, die in dieser Zeit dem Bistum des hl. Willibald vorstanden,7 waren ihrer geistlichen Aufgabe durchaus gewachsen. Marquardt Schenk von Castell verstand es in seinem fünfzigjährigen fruchtbaren Pontifikat die geistigen und religiösen Erschütterungen des großen Krieges zu überwinden.8 Die gleiche Familie stellte seinen Nachfolger, Johann Eucharius, für das folgende Jahrzehnt;’ 1697-1704 regierte Johann Martin von Eyb.10 Von der Reihe dieser gewissen­ 1964. Außerdem ist nicht zu vergessen, daß auch die späteren Bischöfe vor ihrer Wahl jeweils Kanonikate in den Domkapiteln innehatten. 1 Mentz, Johann Philipp (s. o. 231); HanTsch (s. o. 370); W. Tunk, Kurfürst Lothar Franz v. Schönbom 1655-1729. Gedächtnis-Ausstellung z. 300-Jahr-Feier seines Geburtstags (Katalog), 1955; Meyer, Lothar Franz (s. o. 370); Wild, Lothar Franz (s. ebd.). 2 Hinsichtlich der Weihbischöfe vgl. 438 Anm. 4-6.

3 Domabus 21-106. 4 Eubel IV 109; V 113; Kist 108-113. 5 Eubel IV 201; V 2181. zu Hutten: W. Fleckenstein, Gesch. d. Hochstifts Würzburg unter d. Regierung d. Fürstbischofs Christoph Franz v. Hutten (1724-1729), Diss. Masch. Würzburg 1924. 6 Sax-Bleicher 354. 7 Eubel IV 184; V 197 f.; VI 212. 8 Sax-Bleicher 297-313; Sax 527-563. ’ Ebd. 563-571; Sax Bleicher 313-318. 10 Ebd. 318-325; Sax 571-588.

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Franken: D.III. Kirchlich-religiöse Entwicklung von 1330 bis 1800

haften Oberhirten hebt sich nur die etwas zwielichtige Gestalt Johann Anton Knebels von Katzenellenbogen unvorteilhaft ab. Obwohl auch er der Verdienste keineswegs entbehrt, hatte er sich doch in undurchsichtige finanzielle Abhängigkeit begeben, aus der auch für die weltliche und geistliche Regierung des Bistums üble Folgen erwuchsen, vor allem weil sie das Ansehen des Bischofs empfindlich schmälerte.1 Ihm folgte der tüchtige, ernste Franz Ludwig Schenk von Castell (1725-1736).12 In die Zeit Johann Antons von Freyberg (1736-1745) fiel das Millennium der Bistumsgründung, das der fromme Bischof mit aller Prachtentfaltung feiern ließ, zumal im Jahr zuvor die lange verschollenen Reliquien des hl. Willibald in der Mensa des Petersaltars im Dom wieder aufgefunden worden waren.3 Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, die fränkischen Bistümer seien im Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden zwar nicht immer und überall von hervorragenden Persönlichkeiten, wohl aber von fast ausnahmslos tüchtigen, integren und frommen Bischöfen geleitet worden. Gleiches gilt von den meist bürgerlichen, aber auch dem adligen Beamtentum entstammenden Weihbischöfen von Würzburg,4 Bamberg5 und Eichstätt,6 denen ein Gutteil der geistlichen Leitung der Diözesen oblag. Das weitverbreitete Klischee des verweltlichten, in fürstlichem Luxus schwelgenden Barockprälaten bedarf, wenigstens für das Franken des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, dringend der Korrektur durch die historische Wirklichkeit. Hauptgegenstand der pastoralen Sorge war den Bischöfen die Ausbildung der kiiiiftigen Seelsorger. Hatten die Jesuiten hierbei die Schwierigkeiten des Ncubeginns mciStern helfen, so konnte man in der folgenden Generation zur Heranbildung des Diözcsanklerus durch Priester des eigenen Bistums übergehen. Eine Zwischenstufe stellt die Übertragung des Würzburger Seminars und des 1661 gegründeten Gymnasiums zu Münnerstadt7 an die Weltpriestergemeinschaft Bartholomäus Holzhausers durch Johann Philipp von Schönborn im Jahre 1654 dar.8 Bis 1680 wirkten die Bar1 Ebd. 588-611; Sax-Bleicher 325-327. 2 Ebd. 353-362; Sax 611-623. 3 Ebd. 623-650; Sax-Bleicher 362-374. 4 Weihbischöfe von Würzburg waren Johann Melchior Söllner (1648-1666), Stephan Weinberger (1667-1703), Johann Bernhard Mayer (1705-1747). Vgl. N. Reininger, Die Weihbischöfe v. Würzburg (AU 18) 1865, hier 233-270. 5 In Bamberg wurde nach Förncrs Tod erst 1705 wieder ein Weihbischof ernannt: Johann Werner Schnatz (1660-1723); er war Sohn des Bürgermeisters und Dompropsteikastners Johann Sch., Dr. theol., Germaniker (Wachter nr. 8998; Haas 595-598 ,s. o. 435 Anm. 4; Schmitt, Seminar 173 f., s. o. 430 Anm. 6. Nach elfjähriger Pause folgt Franz Joseph von Hahn (1699-1748) im Jahre 1734. Er war Sohn des Würzburger Lehenspropstes Dr. iur.Philipp v. H., nach Studien in Wien, Melk, Göttweig Sekretär Friedrich Karls von Schönborn in Wien, dann auch Gcneralvikar in Bamberg

(Wachter nr. 3670; Haas 598-601; Schmitt, Seminar 173-175). 1748 folgt ihm Heinrich Joseph von Nitschke (1708-1778), Sohn des Mainzisch-Bambergischcn Hofkammerrats Johann Georg v. N., Studien in Mainz, Salzbürg, Erfurt (Wachter nr. 7156; Haas 601 f.; Schmitt, Seminar 176-183). 6 In Eichstätt waren Weihbischöfc Wilhelm Ludwig Benzi von 1655 wohl bis ca. 1684 (Eubel IV 384 bzw. 173), Franz Christoph Rinck von Baldenstein seit 1684, j1707 ‫( ־‬Eubel V 424 bzw. 82), von 1708-1744 der Germaniker Dr. Johann Adam Nieberlein, der 1662 in Eichstätt geboren, 1748 verstarb (Eubel V 424 bzw. 185; Steinhuber II103, s. o. 436 Anm. 3). 7 J. Gutenäcker, Gesch. d. Gymnasiums in Münnerstadt I, Würzburg 1835. 8 Die Übertragung des Seminars an die Bartholomiten bedeutete nach den Zerstörungen des Krieges de facto einen Neuaufbau (über die Jahre 1635-1654 Braun II 79-98, s.o. 435 Anm. 2, über die Bartholomitcn ebd. 98-150.

§ 53· Die katholische Kirche zwischen 1545I63 und 1803 (W. Brandmüller)

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tholomiten - wegen ihrer vita communis auch Communistae genannt - hier mit großem Erfolg. Die enge Bindung der von den Bartholomiten ausgebildeten Priester an das Holzhausersche Institut war für Peter Philipp von Dernbach jedoch ausschlaggebend dafür, daß er ihnen die Leitung des Seminars wieder entzog.1 Nun übemahmen Priester des Bistums ihre Aufgabe? In Bamberg war dies schon 1652 geschehen? 1685 wurde das dortige Seminar in den Pfarrhof von St. Martin gelegt, der Pfarrklcrus übernahm dessen Leitung und die pastorale Ausbildung der Alumnen? Auch in Würzburg verfuhr man in dieserWeise.5 Die Verbindung von theologischer Ausbildung und seelsorglicher Praxis, die durch die Aufnahme der Alumnen in Pfairhöfe hergestellt wurde, entsprach dem berühmten Vorbild von St.-Sulpice in Paris.6 So blieb es in Bamberg bis der imponierende Seminarbau Friedrich Karls von Schönborn durch Balthasar Neumann (1732/38), heute das Rathaus auf dem Maxplatz, einige Änderungen in den Statuten des Seminars notwendig machte. Die enge Bindüng an die Pfarrei blieb jedoch erhalten? Uber die wissenschaftlichen Leistungen des fränkischen Klerus s. u. § 72. In der theologischen Ausbildung trat seit dem Frieden von 1648 die Polemik zugunsten der systematischen und historischen Fächer zurück. Studienordnungen von 1731/34 legten besonderen Nachdruck auf die Kirchengeschichte. Deren Methode, in der Schule J. K. Barthels7® auf das kirchliche Verfassungsrecht angewandt, ermöglichte durch die historisch-relativierendeEinsicht «Olim non erat sic» die Unterscheidung von Essentialia und Accessoria des päpstlichen Primats. So sah man im Rückgriff auf die Zeit der Reformkonzilien des fünfzehnten Jahrhunderts und die Epoche vor Gregor VII. den Ausweg aus dem Scheindilemma zwischen dem absolutistischen «Non debet esse status in statu» und dem Jurisdiktionsanspruch des päpstlichen Primats. Damit war nicht nur für Febronius, sondern auch für die historisch-relativierende Sicht von Offenbarung und Kirche durch die radikale Aufklärung der Boden bereitet. Der Einfluß der Barthel-Schule auf fast alle geistigen Zentren im Reich sicherte diesem kanonistischen theologischen Denkansatz Anerkennung und Erfolg? Dienten der religiösen Förderung des jüngeren Klerus von Würzburg und Bamberg die Gründung einer eigenen Kongregation (1632) sowie die turnusweise Abhaltung von Exerzitien,9 so standen regelmäßige Konferenzen - «Kapitelskongresse» -

Dazu auch Μ. Arneth, Bartholomaeus Holzhauser u. sein Weltpricsterinstitut, 1959, 33 ff. mit einigen Korrekturen an Braun). 1 Über die Gründe für den Wechsel in der Seminarleitung vgl. Bischof Peter Philipp von Dernbach an Nuntius Pallavicini in Köln, Bamberg, 18. September 1680 (Bauer, Vatikanische Quellen nr. 240, s. o. 433 Anm. 2). 2 Indes wurden nach Dernbachs Tod die «Kommunisten» wieder mit der Leitung des Seminars betraut, und auch das Institut Holzhausers im Bistum wicderhergestellt (Braun II 173-183, s. o. 435 Anm. 2). 3 Schmitt, Seminar (s. o. 430 Anm. 6) 81

bis 84, 167. 4 Ebd. 85 f. 5 Hier war es die Pfarrei St. Peter (Braun II 183-193, s. o. 435 Anm. 2). 6 F. Heyer (Die Kirche in ihrer Gesch. HB, hg. v. Schmidt-Wolf) 1963, 37 (Lit.); Μ. Arneth, Das Ringen um Geist u. Form d. Priesterbildung im Säkularklerus d. 17.Jhs., 1970, 122-161. ’ Schmitt, Seminar (s. o. 430 Anm. 6) 87 bis 108. Statuten Fr. Karls v. 1734 ebd. 435-444. F. Merzbacher, Joh. Kasp. Barthel (WDGB11. 39) 1977, 183-201 (Porträts). 8 Vgl. H. Raab (Jedin V) 488-491 (Lit.). ’ Braun (s. 435 Anm. 2) II 169-171, 161 ff.

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des Landklerus im Dienste der Belebung und Vereinheitlichung von Seelsorge und Kirchendisziplin. Seit der Neuorganisation der Landkapitel im Bistum Bamberg im Jahre 1613 wurden sie für das gesamte siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert vor allem dank der regelmäßigen Visitation durch die Landdekane zu einem wirksamen Instrument der Reform von Klerus und Volk.1 Der Bamberger Germaniker Johann Friedrich Karg von Bebenburg schuf ein in beiden Hochstiften für diese Konferenzen gebrauchtes Handbuch,12*der Würzburger Regens Johann Georg Herlet ein Enchiridion parochorum.’ Bemerkenswert ist auch die erstaunlich reiche in bambergischen und würzburgisehen Offizinen gedruckte religiöse Literatur. Johann Philipp von Schönborn selbst trat als religiöser Autor und Herausgeber einer deutschen Bibel hervor. Das bedeutendste Werk aus seiner Feder ist das «Katholisches Sonn- und Feiertägliches Evangelienbuch».4 Von besonderer Bedeutung für das tägliche kirchliche Leben waren die liturgischen Bücher. Den Anfang mit deren Neuausgabe hatte Johann Philipp mit seinem 1671 erschienenen auch für Mainz und Worms verbindlichen Rituale gemacht.5 1724 löste auch in Bamberg das neue Rituale Romano-Bambergcnse jenes ältere Ernsts von Mengersdorf aus dem Jahre 1587 ab. Dieses, bei aller Anpassung an den Römischen Ritus sehr selbständige Werk zeichnete sich durch theologisch wie seelsorglich beispielhafte Ansprachen und andere volkssprachlichc Texte wie durch vorbildliche Instruktionen für Predigt, Katechese, Sakramentenspendung und Pfarramtsverwaltung aus.6 In der Hand des sangesfreudigen Frankenvolkes waren seit Johann Leisentritts Gesangbuch (Bamberg 1576) das noch oftmals aufgelegte Gesangbuch des Kaplans von St. Martin in Bamberg Johann Degen, das erstmals 1628 erschien.7 1649 ersetzte Johann Philipp von Schönborn das 1627/28 hcrausgegebene Würzburger Gesangbuch durch eine Neufassung.8 Dadurch wurde die im Fränkisehen seither ununterbrochene Tradition des «Deutschen Amtes» begründet, das besonders auf dem Lande, wo in Gregorianischem Choral und «Figuralmusik» geschulte Sänger häufig fehlten, in Übung war. Dem Verständnis der lateinischen Liturgie dienten Übersetzungen der Sonntagsevangelien und -epistcln und anderer Texte9 1 Über die Gegenstände der Konferenzen s. ebd. 163-165; Sax-Bleicher 316, 321; G. Kanzler, Die Landkapitel im Bistum Bamberg (BHVB 83) 1931, I-71, (84) 1934, 1-119; hier: (84) 34-62. Dort (91-107) Texte von Statuten von Kapitelsfratcmitätcn und eine VisitationsInstruktion von 1641 (107-109). 2Isagoge parasceuastica ad conferendas clericales Bambergenses et Herbipolenscs, Herbipoli 1683. Über Leben und Schrifttum J. Fr. Kargs v. Bebenburg vgl. Jäck (s. o. 430 Anm. 3) III 527‫־‬537· ’ Enchiridion parochorum sive assertiones pastorales . . ., Herbipoli 1683. - Für Eichstätt wurden am 10. Nov. 1700 «Puncta synodalia» mit Instruktionen für die Seelsorge erlassen (Sax 572 f.).

4 1651, 1671’, s. Domarus 75-92. 5 Ebd. 79; H. Reifenberg, Lothar Franz v. Schönborn u. d. Liturgie iin Bistum Bamberg (BHVB 103) 1967, 419-446 (Lit.). 6 Ebd. 421-437; W. Schonatii, Die liturgischen Drucke d. Bistums 11. späteren Erzbistums Bamberg (BHVB 103) 1967, 387-418, hier: 399-401. 7 Ebd. 404 f., 416; Jäck (s. o. 430 Anm. 3) I 197; J. Dünninger, Das Lied v. St. Heinrich u. St. Kunigunde des Johann Degen v. 1626 (Rhein. Jb. f. Volkskunde 11) 1960, 152-194. 8 Domarus 76; K. Kügler, Die deutsche Singmesse im Bistum Würzburg (WDGB11. 6) 1938, 50-106. 9 Vgl. die Rubrik «Liturgica» im Bambcrgcnsicn-Rcpertorium der Staatsbibi. Bamberg.

§ 53. Die katholische Kirche zwischen 1545163 und 1803 (W. Brandmüller)

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sowie Erklärungen der liturgischen Zeremonien. Hinzu kamen zahlreiche Gebet- und Erbauungsbücher, deren manche noch im neunzehnten Jahrhundert neu aufgelegt wurden.1 In dieser Literatur spiegeln sich auch die besonderen Andachtsformen der Zeit: Ewige Anbetung (sc. der Eucharistie),12 Verehrung der Todesangst Christi am Olberg, Marienverehrung, und der Kult der Bistumspatrone wie der Ordensheiligen der Jesuiten, Kapuziner, Franziskaner und Karmeliten u. a. m. Oftmals war die Pflege solch spezieller Andachten mit der Zugehörigkeit zu einer Bruderschaft, einem «Dritten Orden» oder einer Kongregation verbunden. Auch Berufsstände (Fischer, Schiffer, Gärtner, Häcker etc.) bildeten zugleich religiöse Gemeinschaften.3 Den zeitlichen Rahmen, in dem sich das religiös-kirchliche Leben des barocken Franken entfaltete, bot der Ablauf des Kirchenjahres, das geistlich und weltlich in gleichem Maße begangen wurde.4 Daß die dramatische Darstellung der großen Festmystericn - etwa das Aufziehen der Heilandsfigur am Himmelfahrtstag, Hostien- und Wasserregen, auch Herabwerfen von brennenden Wergflocken an Pfingsten - in die offizielle Liturgie des Rituale Romano-Bambergense Eingang gefunden hatten,5 zeigt ebenso wie die Prachtentfaltung bei den in Franken besonders beliebten Prozessionen6 den Drang nach greifbar-sinnlichem Ausdruck dessen, was den Gläubigen innerlich bewegt.7 Höhepunkte im Jahresablauf bildeten die Gruppen- und Gemeinschaftswallfahrten zu den fränkischen Wallfahrtsorten Walldürn, Vierzehnheiligen (die beiden bedeutendsten), Dettelbach, Marienwcihcr und Gößweinstein. Noch heute sind die Wallfahrtswege durch Bildstöcke des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts mit der Darstellung des jeweiligen Gnadenbildes markiert.8 Von der Blüte dieser Wallfahrten

1 So etwa «Marianischer Liliengarten oder vollständiges christkatholisches Gebetbuch» erstmals ca. 1755, sowie das Werk des Jesuiten Marquardt von Rothcnhan, Unterschiedliche Andachtsübungen . . ., 1733. zahlr. Aufl. bis 1844; Veit-Lf.nhardt, Kirche u. Volksfrömmigkeit im Zeitalter d. Barock, 1956; S. v. PÖ1.N1TZ, Nachtridcntinischc Kult- u. Frömmigkeitsformen am Obermain. Vortrag anläßlich d. 319. Stiftungsfestes d. Phil.-Theol. Hochschule Bamberg, 1966; B. Goy, Aufklärung u. Volksfröminigkcit in d. Bistümern Würzburg u. Bamberg (QFGHW 21) 1969. 2 In Kronach/Ofr. schon 1621 belegt (Fehn III 160, s. o. 432 Anm. 5), in Bamberg 1684 (Kist 112) bzw. 1759 (Schonath 402, s. o. Anm. 3) offiziell cingeführt in Würzburg 1736 (Domarus 210-213; Ders., Zwei religiösc Höhepunkte d. Schönbornzeit, WDGB11. 14/15. 1952/53. 555-564, hier ab 559). 3 Vgl. etwa die bei St. Martin in Bamberg bestehenden Bruderschaften bei Haas (s. o. 435 Anm. 4) 187-200; über die weit verbreitete Todesangst-Christi-Brudcrschaft vgl.

Duhr III654-659; Goy (s. o. 441 Anin. 1) 191 f. 4 Reiches Material bei K. S. Kramer, Volksleben im Höchst. B. u. im Fürstentum Coburg, 1967, 80-122; Ders., Bauern u. Bürger im nachmittelalterlichen Ufr., 1957, 1oo-12r; Ders., Kirchl. Brauchtum im Maindreieck im Zeitalter d. Gegenreformation (Kultur u. Volk. Festschr. G. Gugitz) 1954, 153-163. 5 Vgl. Inhalt des Processionale-Teils des Ritualc Romano-Bambcrgcnse (vgl. o. 440 Anm. 5). Staatsbibliothek Bamberg Msc. RB 186 (17.-18.Jh. Dom), 187 (18.Jh. Michelsberg), 188 (18.Jh. Dominikanerkloster). Belege aus dem Jahr 1615 aus dem Würzburgisehen bei Kramer, Unterfranken (s. Anm. 2) 113-115; Schonath (s. o. 440 Anm. 6) 401 f. 6 Kramer, Unterfranken 115-119; K. Schnapp, Fronleichnamsoktavprocession bei Alt-St. Martin (Bamberg) (Fränk. Bll. 4) 1952, 47‫־‬51· 7 Kramer, Volksleben (s. o. Anm. 4) 165. 8 Grundlegend: J. Dünninger, Die Marianisehen Wallfahrten d. Diözese Würzburg, 1960; H. Dünninger, Processio peregrinationis.

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zeugen nicht zuletzt die glanzvollen Kirchenbauten von Gößweinstein (1739) und Vierzehnheiligen (1743-1772).’ Zur Hebung des religiös-sittlichen Niveaus der Bevölkerung bedienten sich die Bischöfe, dort wo sie Landesherren waren, mit Vorliebe des Mittels landesherrlicher Mandate, die sich gegen Mißachtung der Sonn- und Feiertage, Fluchen und Lästern, Unzucht und Trunksucht richteten, und auch übertriebenen Aufwand in der Lebensführung untersagten (Familienfeste, Kleidung). Die Durchführung dieser Mandate und Ahndung von Verstößen gegen sie oblag den weltlichen Hochstiftsbeamten.2 Diese «Sittenpolizei» entsprach nicht nur der Vereinigung von weltlicher und geistlicher Gewalt in der Hand des einen Fürstbischofs, sondern auch dem zu einer reinliehen Scheidung von weltlichem und geistlichem Bereich kaum fähigen Lebensgefühl das barocken Menschen. Nachhaltige Wirkung auf das religiöse Leben hatten jeweils die eine oder zwei Wochen dauernden Volksmissionen der Jesuiten, für deren Durchführung der damalige Domdekan und spätere Fürstbischof von Bamberg Franz Konrad von Stadion ein Kapital von 2000 fl. stiftete, das sich durch weiteren Spendenzuwachs bis 1773 um das zehnfache vermehrt hatte.3 Auch Exerzitien wurden für die verschiedenen Gruppen der Bevölkerung, insbesondere für Gesellen, Gymnasiasten und Studenten gehalten und zahlreich besucht.4 Ein Ereignis wie die Reise des berühmten Kapuzinerpredigers Marco d’Aviano durch Franken im Oktober 1680 hatte geradezu eine religiöse «Erweckung» zur Folge.5 Von besonderer Bedeutung war - weil jeden Sonn- und Feiertag zu halten - die Predigt. Nicht nur die stattliche Anzahl der in Bamberg und Würzburg erschienenen, nicht selten vielbändigen Bibelkommentare spricht dafür. Auch eine autochthone fränkische Predigtliteratur ist vorhanden und harrt wissenschaftlicher Untersuchung. Die Reihe homiletischer Autoren aus dem fränkischen Klerus des Barock dürfte wohl der Prölsdorfer Pfarrer Johann Hesselbach mit seiner bereits 1617/18 erschienenen Postille eröffnet haben. Ihm folgten der Würzburger Dompfarrer Thomas Höflich, der Prämonstratenser Franz Heffner von Oberzell, Wolfgang Zumsteeg SJ, der Kapuziner Edelbert von Rotenfels und der originelle, humorvoll-sarkastische Laurenz Helbig, Autor der zeit- und kirchcnkriVolkskundl. Untersuchungen zu einer Gesch. d. Wallfahrtswesens im Gebiete d. heutigen Diözese Würzburg (WDGB11. 23) 1961, 53 bis 176; (24) 1962, 52-188; W. Brückner, Die Verehrung d. Heiligen Blutes in Walldürn (Veröffentl. d. Geschichts- u. Kunstver. Aschaffenburg 3) 1958 (methodisch vorbildlieh); D. Harmening, Fränk. Mirakelbücher. Quellen u. Untersuchungen z. histor. Volkskünde u. Gesch. d. Volksfrömmigkeit (WDGBll. 28) 1966, 25-240 (gesamte Wallfahrtsliteratur des 16.-19. Jhs. u· erschöpfende neuere Lit.); J. Dünninger, Pilgerzeichen v. Vierzehnheiligen (BHVB 100) 1964, 391-396; Ders., Pilger u. Walleute in Franken, 1964; L. Helldorfer, Die Jahrtag- u. Guttäterbüchlein sowie d. Mirakelakten d. Gößweinsteiner

Wallfahrt (BHVB 99) 1963, 133-169 (mit Karte des Einzugsgebiets der Wallfahrt); Kramer, Volksleben (s. o. Anm. 2) 166 f.; J. Dünninger, Die St. Ursula-Wallfahrt zu Alsleben (WDGB11.26) 1964, 314-324; B. Neundorfer, Burgwindheim u. seine Wallfahrt, 1965. 1 Vgl. Geldner, Langheim (s. o. 429 Anm. 2) 224-226; s. auch u. § 82. 2 K. Wolkenau, Die Seelsorge im Fürstbistum Bamberg in d. Zeit vom Abschluß d. Westfälischen Friedens bis z. Ende d. Fürstbistums, (Diss. Straßburg) Bamberg 1911. 3 Ebd. 47-52. 4 Ebd. 52-55. 5 Er war von Karg von Bebenburg begleitet, der sein Dolmetscher war, und einen Bericht

§ 55· Die katholische Kirche zwischen 1545/63 und 1803 (W. Brandmüller)

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tischen Satire «Parochus duodenario pressus pondere», Pfarrer von Haßfurt und Würzburgischer Geistlicher Rat.’ Das Bild, das aus der Zusammenschau dieser vielfältigen seelsorglichen Bemühungen entsteht, wäre trügerisch, würde man die zu den vielen hellen Lichtern kontrastierenden dunklen Töne aussparen. Nach wie vor kämpften Bischöfe und Seelsorger gegen den Aberglauben,2 der sich gerade dort leicht ansiedeln konnte, wo Himmlisches und Irdisches einander am intensivsten durchdringen: bei den Sakramenten und Sakramcntalicn. Immer wieder begegnen Klagen über sakrilegischen Gebrauch bzw. abergläubisches Verständnis von Weihwasser, Palm- bzw. Kräuterbüscheln, Lichtmeßkerzen, Ostcrspeisen, Stallsegen u. a. m. Das Preisgegebensein an Krankheit und Schmerz, an eine undurchdringliche Zukunft, an unabwendbare Armut und die Abhängigkeit von der Witterung veranlaßten nicht immer nur zum Gebet um Gottes Hilfe und die Fürsprache der Heiligen, sondern auch zu «eigenmächtigem» Eingreifcnwollen vermittels magischer Praktiken. Nachgiebigkeit gegenüber dem stürmisehen uneinsichtigen Fordern des Volkes und die Lockung dafür gebotenen Geldes mochten da und dort auch den Klerus am geforderten Widerstand gegen das dunkle Treiben hindern.3 So suchte man durch Wetter- und Frostläuten Gewitterdämonen zu bannen, unter Verwendung von Leichenteilen Gehenkter oder Verstorbener namentlich in der Andreas-,Christ- oder Dreikönigsnacht Schätze zu finden oder die Zukunft zu erforschen. Geweihtes Brot diente zur Stillung von Feuersbrunst, und dergleichen mehr. Auch gegen die verbreiteten Unsitten des Fluchens, Schwörens oder Lästerns mußten immer wieder bischöflich-landesherrliche Mandate ergehen. Erst gegen Ende des siebzehntenjahrhunderts war die Heiligung der Sonn- und Feiertage durch Gottesdienst und Arbeitsruhe zur Selbstverständlichkeit geworden. Dennoch finden sich Klagen über bzw. Maßnahmen gegen die Mißachtung der Sonntagsruhe durch Arbeit4 oder Veranstaltung von Märkten.5 - Trotz allem dürfte die FestStellung berechtigt sein, daß christliches, katholisch-christliches Denken im einzelnen wie in der Gemeinschaft feste Wurzeln geschlagen hatte. Das tiefe Wissen um das Gebundensein an eine göttliche Ordnung war Grundlage des individuellen wie des gemeinschaftlichen Lebens. Was gegen diese Ordnung geschah, entsprang jenem Strom außer- und vorchristlicher religiöser Elemente, die immer wieder über seine von der Kirche mit aller Mühe abgesicherten Ufer zu treten versuchten.6 c) Diefränkischen Bistümer in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der Übergang von jener mit dem Hause Schönborn untrennbar verbundenen Blüte und Reife des tridenüber diese «diplomatische Predigtreise» veröffcntlichte (A. Ernstberger, Marco d’Aviano in Franken, Oktober 1680, Monumentum Bambergense. Festgabe B. Kraft, 1955, 543-471). 1 A. Wendehorst, Besprechung v. «Bayerische Barockprediger etc., besorgt v. Georg Lohmcier, München 1961» (WDGB11.27) 1965, 161-163, weist auf eine Reihe bedeutender fränkischer Predigtautoren hin. Über den Trunstädter Pfarrer Martin Marquard («Sie-

beilfacher Jahrgang zweyter Marianischer Lobreden», 1780/81) s. Wachter nr. 6415. 2 Kramer, Volksleben (s. u. 441 Anm. 4) 170-183; Ders., Unterfranken (ebd.) 125 f. 3 Wolkbnau (s. o. 442 Anm. 2) 11. Noch 1776 wurden zwei Geistliche deswegen streng bestraft (Looshorn VII 2, 413-415). 4 Wolkenau passim. 5 Ebd. 16 f. 6 Kramer, Unterfranken (s. o. 441 Anm. 2) 123-125; Ders., Volksleben 169.

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tinischen Katholizismus im Franken des Barock zur Epoche der Aufklärung vollzog sich vorerst kaum bemerkbar. Sieht man von Strasoldo,1 dessen langer Pontifikat für Eichstätt auch in religiöser Hinsicht gute Früchte brachte, ab, so sind cs erst Seinsheim (j1779 ‫ )־‬und Erthal (J 1795), die, jeder auf seine Weise, das Gesicht des katholisehen Franken in der Endphase der Reichskirche geprägt haben. Unter Seinsheims bischöflicher Leitung bewegte sich das kirchliche Leben der fränkischen Bistümer in den von den Vorgängern vorgezeichneten Bahnen.2 Zeigte auch sein fürstlicher Lebens- und Regierungsstil in zunehmendem Maße Züge des Absolutismus,3 sowar er dessenungeachtet ein gewissenhafter und frommer Bischof.4 Sein Testament ist ein eindeutiges Zeugnis für den barocken Charakter seiner Frömmigkeit.5 Besonderen Wert legte er auf den Religionsunterricht. Für Kinder und Jugendliche waren jeweils getrennte sonntägliche Katechesen in den Pfarrkirchen üblich, zur Begründung der Glaubenswahrheiten, insbesondere der Kontroverslehren wurde vornehmlich biblisch argumentiert.6 Hinsichtlich der Predigt machte Seinsheim 1766 den Vorschlag, in katechetischen Zykluspredigten die Glaubensund Sittenlehre der Kirche systematisch darzulegen.7 Um der religiösen UnterWeisung und »Erweckung« des Volkes willen sorgte er auch nach der Aufhebung des Jesuitenordens für die Fortführung der Jesuitenmissionen, deren seelsorglicher Erfolg unbestrittene Anerkennung fand.8 Als eigentlich aufklärerische Maßnahme ist hingegen die im Einverständnis mit dem Papst im Jahre 1770 in beiden Bistümern durchgeführte Feiertagsbeschränkung anzusehen. Sowohl Klerus als Volk setzten ihren Widerstand dagegen noch lange fort.’ Eine weitere Frage gilt der Stellung Seinsheims zu den episkopalistischen Tendenzen seiner Zeit. Zunächst ist festzustellen, daß es im Verkehr mitPäpsten und Kurie zu keinerlei Spannung gekommen zu sein scheint. Als der «Febronius» erschien und der Nuntius ein Breve des Papstes, in dem er das Werk ablehnte, überbrachte, reagierte Seinsheim sogleich mit der Erklärung, es sei dieses Buch weder an seinen Universitäten zugelassen noch werde dessen Nachdruck in seinen Bistümern gestattet. Am 11. bzw. 13. März 1765 folgte das offizielle Verbot des Febronius.10 Damit schien es Adam Friedrich allerdings ver­ * Besondere Erwähnung verdient die weitschauende Pastoralinstruktion Strasoldos vom Jahre 1768, die in mehrfacher Neufassung bis 1902 in Geltung blieb (vgl. A. Fleischmann, Die Instructio Pastoralis Eystettensis, Collegium Willibaldinum 133-139, s. o. 429 Anm. 10). Auch für die Auswahl und Ausbildung der Priesteramtskandidaten erließ Strasoldo 1759 wirksame Vorschriften (ebd. 55). 2Looshorn VII 2, 197-471. Eine merkwürdige und seltene Ausnahme stellt der religiössittliche Ruin des Klosters Michelsberg in Bamberg dar, der seit dem Preußenausfall von 1762 unaufhaltsam war. Nur wenige Konventualen konnten die monastischcn Ideale bewahren (Lahner, Michelsberg 376-400, s. o. 429 Anm. 1).

3 So die leider nur die weltliche Regierung Seinsheims darstellende Arbeit von Ssymank (s. o. 353). 4 Looshorn 251, 274, 381-383; s. ebd. «Ewige Anbetung», Herz-Jesu-Fest; prunkvolle Konsekrierung von Vicrzchnheiligen 1772■ 3 Reifenberg (s. o. 440 Anm. 5) 437 f. 6 Wolkenau (s. o. 442 Anm. 2) 28-41. 7 Ebd. 8 Looshorn 401. ’ Goy (s. o. 441 Anm. 1) 55-68. 10 Bauer, Vatikanische Quellen (s. o. 433 Anm. 2) nr. 550; Verbot des Febronius nr. 560; H.J. Berbic, Das kaiscrl. Höchst. Bamberg u. d. Hl. Röm. Reich v. Westfäl. Frieden bis z. Säkularisation, 1976, 203-212.

§ 53■ Die katholische Kirche zwischen 1545/63 und 1803 (W. Brandtnüller)

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einbar, gegen des Papstes ausdrücklichen Willen auch die Arbeitsruhe an den Patroziniumstagcn abzuschaffen und die Vigilfasten auf den jeweils folgenden Samstag zu verlegen.1 Auch kam es zu Spannungen zwischen Seinsheim und der Kölner Nuntiatur, die der Fürstbischof nur mit großem Widerstreben als Zwischeninstanz zwischen Bistum und Papst anerkennen wollte? In dem Umstand, daß man in kanonistisehen Gutachten (Schott) weit radikaler war als im tatsächlichen Verhalten, spiegelt sich die Unsicherheit wider, mit der Seinsheim der Frage des Tages gegenüberstand.1 2 Hingegen ist zu beachten, daß in Bamberger und Würzburger Offizinen nach 1774 die zahlreichen von jansenistischem Geist geprägten Werke des Pierre Nicole in deutscher Übersetzung erscheinen konnten, ohne daß die Zensurbehörde einschritt.3 Zweifellos das einschneidendste Ereignis im Pontifikat Seinsheims war die Aufhebung des Jesuitenordens durch die Bulle Dominus ac redemptor Clemens’ XIV. vom 21. Juli 1773.4 Sie wurde in Würzburg anfangs September publiziert, das Vermögen des dortigen Kollegs inventarisiert und den Patres die Fortsetzung des klösterlichen Gemeinschaftslebens verboten. Nur teilweise wurden sie in den Dienst des Bistums übernommen und in der Seelsorge eingesetzt. Laienbrüder schickte man mit einem Zehrgeld auf Wanderschaft, von den sechs Professoren der Theologie blieben drei im Amt.5 Auch in der Form rücksichtsvoller verfuhr man in Bamberg, wo die Jesuiten nach wie vor in hoher Achtung standen. Von den zwölf Professoren der Akademie und des Gymnasiums blieben sieben nun als Weltgeistliche in ihren Funktionen, ebenso die beiden dem Orden angehörenden Domprediger.6 In Eichstätt versuchte Fürstbischof Strasoldo sogar eine gemeinsame Aktion mehrerer Bischöfe mit dem Ziel, wenigstens das Eichstätter Kolleg zu erhalten, zustande zu bringen. Allein Seinsheim lehnte wie auch die übrigen angegangenen Bischöfe eine Beteiligung mit dem Hinweis auf die Autorität des Papstes ab. De facto wurde jedoch das Ziel wenigstens für Eichstätt erreicht, da Strasoldo alle Jesuiten, nunmehr als Priester des Bistums Eichstätt, in ihren Lehrämtern beließ.7 In Bamberg behielt man die religiösen Andachten, die die Jesuiten cingeführt hatten, und die Marianischen Kongregationen, die sehr volkstümlich waren, bei.8 Seinsheim und sein Weihbischof waren selbst der 4000 Mitglieder zählenden 1764 in Würzburg von den Jesuiten gegründeten Aloysius-Bruderschäft beigetreten.’ Noch 1772 hatte er persönlich den Grundstein für ein neues Schulgebäude der Bamberger Jesuiten gelegt, denen in diesem Zusammenhang großzügige Schenkungen seitens des Adels und der Michelsberger Benediktiner zuteil wurden.1· Solche Beobachtungen dürften es verbieten, von einer Jesuitenfeindschaft des Fürstbischofs und des Bamberger Klerus und Volkes zu sprechen. Im Priesterseminar zu 1 Wolkenau (s. o. 442 Anm. 2) 16 f. 2 Brandmüi.ler 152-173. Daraus ergibt sich zugleich, daß d. Verhalten v. Kurie u. Nuntius keinen Grund f. gereizte Reaktionen Seinsheims geboten hatte. Berbic 207f.; 473-483. 3 W. Deinhardt, Der Jansenismus in deutsehen Landen (Münchener Stud. z. hist. Theologie 8) 1929, HO f. 4 Zum Ganzen vgl. Pastor XVI 3, 160-214. 5 Braun (s. o. 435 Anm.2 ) II 244-249.

6 Weber 126-132. ‫ י‬Sax-Bleicher 378-380. Zu den Folgen der Aufhebung s. auch u. 695. 8 Weber 139 f. ’ Duhr IV 1,189, 192. Beachtliche Vermehrung der Kommunikanten u. damit der Beichtenden von 1705 (38000) - 1769 (67900) in Würzburg, u. Bamberg (40000 auf 75000) beleuchtet Tätigkeit u. Ansehen der Jesuiten, 10 Looshorn VII 2, 390 f.

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Würzburg wurde sie jedoch seit Jahr und Tag durch die Regenten Barthel und Günther sowie den Seminarökonomen Ignaz Michael Schmidt genährt.' Sofern man von einem Einschnitt sprechen kann, der im katholischen Franken die Zeit des Barock von jener der Aufklärung trennt, wird er durch den Regierungsantritt Franz Ludwigs von Erthal (1779-1795) markiert.1 23Unter seinem Pontifikat konnte sich an den drei gelehrten Zentren des hochstiftischen Franken, Würzburg, Bamberg und Banz, die Auseinandersetzung der neuen «aufgeklärten» Philosophie und Theologie mit dem Denken und der kirchlichen Praxis des Barock in großer Freiheit vollziehen. Ein Vergleich der Eigenart dieser drei Mittelpunkte der Aufklärung ergibt, daß sich darin zugleich die einzelnen Entwicklungsphasen jenes vielschichtigen Phänomens «katholische Aufklärung», soweit Franken in Frage kommt, spiegeln. Seine Wurzeln liegen in der noch vor der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts zu Würzburg betriebenen kirchenrechtsgeschichtlichen Forschung, die von hier studierenden Banzer Mönchen auch in ihrer Abtei heimisch gemacht wurde? Die mehr und mehr radikal vollzogene Anwendung historischer Kategorien auf Kirche, Theologie und Offenbarung führte konsequent von dem kanonistischen «olim non erat sic» der BarthelSchule zu der religionsgeschichtlichen Paralysierung der Offenbarung überhaupt durch Franz Berg. Doch war dieser wohl der einzige unter den «aufgeklärten» Theologen Frankens, der solch extreme Positionen bezog. Sein Einfluß gerade auf die begabteren Studenten, die seine, durch eine esoterische Sprache verhüllten Angriffe auf Glauben und Kirche verstanden, war nichtsdestoweniger äußerst destruktiv.4 Als zweite Entwicklungsphase der Aufklärung in Franken darf man wohl die Rezeption der «Methodus mathematica» oder «scientifica», der Philosophie Christian Wolffs, in den philosophischen und theologischen Lehrbetrieb in den beiden der Aufhebung der Gesellschaft Jesu vorangehenden Jahrzehnten bezeichnen. Im Grunde eine popularisierte und simplifizierte Scholastik, vermochte die Wolffsche Philosophie jedoch durch Anleihen bei neueren Denkern sich den Anschein des Modernen und Besseren zu geben? Bereits 1753 schrieb der Banzer Konventual Dominikus Schramm seine an Wolff orientierte «Philosophia eclectica», 1768 folgte ein nach gleicher Methode abgefaßtes Compendium Theologiae.6 Der Würzburger Jesuit Nikolaus Burkhäuser beschritt mit seinen «Institutiones logicae», die jedoch bereits auf die Kritik der mittlerweile an Locke und Hume orientierten Banzer stießen,7 denselben Weg. In einer dritten Phase, die man mit der Ablösung der Wolffschcn Philosophie durch den 1 Braun (s. o. 435 Anm. 2) II 232-238. 2 Publikationen der Zeit sowie Literatur fast erschöpfend bei Goy (s. o. 441 Anm. 1) 304 bis 314. Allgemeine Literatur HB II985 f., dazu Heyer (s. o. 439 Anm. 6) 66-73; Kurzbiographien der meisten fränkischen Aufklärungstheologen bei. O. Volk (Hg.), Professor Franz Oberthür. Persönlichkeit u. Werk (Quellen u. Beitr. z. Gesch. d. Univ. Würzburg II) 1966, «Verzeichnis der Personen um Oberthür» 102 bis. 130 (zit.: Volk, VP). 3 W. Forster, Die kirchl. Aufklärung bei d.

Benediktinern d. Abtei Banz im Spiegel ihrer v. 1772-1798 herausgegebenen Zeitschrift (StMBO63) 1951, 172-233 ;(64) 1952,110-233, hier 190. 4 J. B. Schwab, Franz Berg, Geistl. Rat u.Prof, d. KG a. d. Univ. Würzb., 1869, z. B. 179 f. 5 J. Hirschberger, Gesch. d. Philosophie II 1955’, 239 f. 6 Forster (StMBO 63) 188 f., s. o. Anm. 3. 7 Forster (StMBO 64) 127 f., s. o. Anm. 3.

5 3. Die katholische Kirche zwischen 1545/63 und 1803 (W. Brandmiiller)

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Kantianismus kennzeichnen kann, bildet Bamberg die Avantgarde.1 Hier waren es Dattnt und Batz, die die Methode der kritischen Philosophie Kants auf die Theologie anzuwenden versuchten, noch ehe Franz Ludwig von Erthal den Würzburger Benediktincr Maternus Reuß123nach Königsberg sandte, damit er Kants Philosophie aus unmittelbarer Begegnung mit ihm kennenlerne. Nach seiner Rückkehr verstand es Reuß, unter den Studenten einen wachsenden Enthusiasmus für die Philosophie Kants zu wecken. Begeistert registrierte denn auch die Banzer Zeitschrift deren unaufhaltsames Vordringen. Mit Kant verwirft man die Möglichkeit eines «demonstrativen» Gottesbeweises und hält den moralischen Gottesbeweis Kants für völlig ausreichend. Weitergehende Konsequenzen jedoch, denen zufolge das Christentum in die Grenzen der rein natürlichen Religion verwiesen werden sollte, stießen auf entschiedene Ablcbnung der Banzer Kritiker? Sie traten vielmehr für die Unfehlbarkeit der Kirche ein, für den Primat des Papstes in den von Barthel und Neller gezogenen Grenzen, und engagierten sich für Zölibat und Ordensgelübde, für die der Zeit fast jedes Verständnis fehlte. Auch gegenüber rationalistischer Bibelkritik verhielt man sich reserviert oder ablehnend.4 Erst nach dem Tode von Ildefons Schwarz wurde auch die Banzer Zeitschrift zum Sprachrohr jener Aufklärung, die jede Offenbarungsreligion als Aberglauben bekämpfte.5 In engem Zusammenhang mit dieser Entwicklung stand auch der innere Zerfall des klösterlichen Lebens in Banz, der auch anderswo zu beobachtcn war. Im allgemeinen jedoch war in der katholischen Aufklärung Frankens das Bemühen erkennbar, den Weg zu einer Synthese zwischen verpflichtender und unaufgebbarer Überlieferung und «aufgeklärtem Selbstdenken» zu suchen. Daß dem Bemühen nur ein teilweises Gelingen beschieden war, ist freilich weder zu bezweifeln noch zu verargen. Nichtsdestoweniger erhob sich auch gegen eine so verstandene Aufklärung mancher Widerstand. Teils äußerte er sich in Intrigen bei Fürstbischof und geistlicher Regierung,6 teils jedoch in ernsthafter theologischer AuseinanderSetzung.7 Wie weit die bedeutende, streckenweise meisterhafte Auseinandersetzung Bcrgiers mit der radikalen Aufklärung, deren Übersetzung 1788-1792 bei Göb1 Haas (s. o. 435 Anm. 4) 87-92; Weber 226-258. 2 K. E. Mötsch, Matern Reuß. Ein Beitr. z. Gesell, d. Frühkantianismus an kath. Hochschulen, 1932. 3 Forster (StMBO 64) 147-153, s. o. 446 Anm. 3. 4 Ebd. 153-174, 217-225. Hingegen hegte man für den Jansenismus uneingeschränkte Sympathien (ebd. 123-127). So übersetzten die Banzer Mönche Vollert und Schad die 12 Bände von de Sacys «Erklärung der Hl. Schrift . . .»; Deiniiardt (s. o. 446 Anm. 3). 5 Forster (StMBO 64) 232 f., s. o. 445 Anm. 3. Zu den Lcbcnsschicksalcn apostasierter Mönche vgl. etwa den Banzer Roman Schad (J. B. Schad, Lebens- u. Klostergcsch. v. ihm selbst beschrieben, Erfurt 1803 - dazu Forster ebd. 226-229) und den ehemaligen Miltenber-

ger Franziskaner Schmitt, dem ein Nachkomnie eine Biographie widmet: R. Schmitt, Simon Joseph (Gabriel) Schmitt (1766-1855), Mönch d. Aufklärungszeit, franz. Funktionär, deutscher Priester, Dozent d. Philosophie u. Gutsbesitzer, 1966. - Dazu R. Reinhardt (WDGB11. 30) 1968, 260 f. Vgl. auch die Verhältnissc auf dem Michelsbcrg (s. 444 Anm. 2). Dazu der Banzer Mönch Benedikt Martin, Meine Überzeugung von der heutigen Verfassung der Klöster (und andere Aufsätze) teilweise gedruckt in: Mayntzer Monatsschrift von geistlichen Sachen, II 1787, 728-744; I 1788, 133-149, sonst: Staatsbibi. Bamberg RB Msc. 198. 6 Braun (s. o. 435 Anm. 2) II 316-322. 7 Vgl. Forster (StMBO 63) 184 f., 207-210, s. o. 446 Anm. 3.

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Franken: D. III. Kirchlich-religiöse Entwicklung von 1550 bis 1800

hardt in Bamberg und Würzburg erschien, in Franken Leser fand, wäre wichtig zu wissen.1 Entscheidende Bedeutung für die Entwicklung des geistigen Lebens kam der Haltung Franz Ludwigs von Erthal zu.12 Ein großzügiger Freund von Wissenschaft und Bildung, ließ er den Universitäten alle denkbare Förderung angedeihen.3 Er handhabte die kirchliche Zensur mit größter Behutsamkeit und verteidigte seine Profcssoren gegen Angriffe von Gegnern der Aufklärung. Gegen Lehren, deren Widersprüchlichkeit zum Glauben der Kirche er erkannte, schritt er jedoch entschieden ein. Daß Erthal dennoch einen Mann wie Franz Berg berief und stützte, erklärt sich einmal aus dessen Geschick, seine wahre Gesinnung zu verbergen, dann aber aus der gesamten unklaren geistigen Situation der Zeit, in der Erthal ebensowenig die Lehre der Kirche preisgeben wie den Fortschritt der Erkenntnis hindern wollte. Daß er darum von den einen wie von den anderen Kritik erfuhr, kann nicht verwundern. Nach seiner ganzen Haltung war Erthal kein Aufklärer, wiewohl er die Vokabel «Aufklärung» häufig gebrauchte. Vielmehr erscheint er als vorbildlich gläubiger und frommer Bischof. Seine strenge asketische Haltung mag allerdings auch der Grund seiner Sympathien für die Kantsche Ethik wie für den sittlichen Rigorismus der Jansenisten4 gewesen sein. In der Erfüllung seiner bischöflichen Pflichten5 ging er ohne Rücksicht auf sich selbst vor, bis zur völligen physischen Erschöpfung. In der beständigen AnSpannung seines aufreibenden Lebens dürfte wohl der eine oder andere neurotische Zug seines Wesens Erklärung finden.6 Gegenüber dem seit langem schwelenden Konflikt zwischen den episkopalistischcn Tendenzen in der Reichskirche und der Römischen Kurie bzw. den päpstlichen Nuntien hielt Erthal eine merkliche Distanz. Gewiß war auch er auf Wahrung seiner bischöflichen Rechte bedacht, doch hinderte ihn das nicht an persönlicher Ergebenheit gegenüber dem Papst und an vertrauensvoller Zusammenarbeit mit Kurie und Nuntien, bei denen Erthal in höchstem Ansehen stand.7 Im eigentlichen Nuntiatur1 Nicolas-Sylvestre Bercier, Hist. u. dogmatische Abh. v. d. wahren Religion, nebst Wiederlegung d. Irrthümer, welche derselben in den verseh. Jahrhunderten entgegengesetzt worden sind (übersetzt v. J. G. Beigcl), 12Bde., Bamberg 1788/92 (dazu LThK II 221 f.). 2 Reiches Material bei Schwab (s. o. 446 Anm. 4) 72-111 sowie Braun (s. o. 435 Anm. 2) II 252-316. Zur Biographie: D. Kerler, Zum Gedächtnis d. Fürstbischofs Franz Ludwig v. Erthal. Mitteilungen aus Obcrthürs Nachlaß u. anderen zcitgenöss. Quellen (AU 37) 1895, 1-77; F. Leitschuh, Franz Ludwig v. Erthal, Fürstbischof v. Bamberg u. Würzburg, Herzog v. Franken, Bamberg 1894; Μ. Renner, Franz Ludwig v. Erthal, Pcrsönlichkcitscntwicklung u. öffentl. Wirken bis z. Regierungsantritt als Fürstbischof v. Bamberg u. Würzburg (1730-1779) (WDGB11. 24) 1962, 189-284; Looshorn VII.

3 H. Raad, Der Bericht d. Mainzer Professoren Hcttcrsdorf u. Frank über d. Würzburger Universitätsjubiläum (WDGB11. 16/17) 1954/ 1955, 380-387. 4 Es konnten während seiner Regierung in Bamberger und Würzburger Verlagen ÜberSetzungen von fünf Werken Pierre Nicoles u. eines Werkes von Cervcau über Nicole erscheinen (Deinhard 110-117, s. o. 445 Anm. · 3) 5 Die Manuskripte seiner Predigten, die er ad verbum schriftlich vorbereitete, liegen in der Staatsbibi. Bamberg (RB Msc. 199). Auszugsweiser unkorrekter Druck: F. L. v. Erthal, Predigten bey Gelegenheit d. Pfarrvisitationen . .., Bamberg 1797, 18412. Dazu: Μ. Renner, Zu d. Predigten Franz Ludwigs v. Erthal (BHVB 102) 1966, 531-549. 6 Schwab (s. o. 446 Anm. 4) 76-78. 7 «II sommo credito di cui gode merita-

§ 5J. Die katholische Kirche zwischen 1545/63 und 1803 (W. Brandmiiller)

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streit, der zur Emser Punktation von 1786 führte, hielt er sich den Bestrebungen der Metropoliten fern, um so mehr als er sich der Exemtion seines Bistums Bamberg durchaus bewußt war und überdies durch eine Ausweitung der metropolitanen Jurisdiktion eher eine Beeinträchtigung zu fürchten hatte als durch die Kurie, deren Loyalität er eben erst in der Auseinandersetzung mit dem Markgrafen von AnsbachBayreuth um die Kirchenhoheit über die katholische Gemeinde zu Erlangen erfahren hatte.1 Die Haltung des Fürstbischofs zu den die Zeit bewegenden Strömungen hatte zur Folge, daß zerstörende rationalistische Einflüsse von der breiten Masse der Gläubigen fcrngchaltcn wurden. Zwar ist ein gewisses Vorwiegen des Intellektuellen, der moralisehen Ermahnung, ein Zug zum Pädagogischen in der Seelsorgspraxis jener Jahrzehnte feststellbar.2 Neuschöpfungen von Ritualien, Gesangbüchern3 und Katechismen verraten derlei Tendenzen. Doch ist darin von einer Preisgabe katholischer Glaubensinhalte im allgemeinen nichts zu bemerken. Die Abgeschmacktheit und Plattheit mancher Lieder- und Gebetstexte stand freilich jener der kritisierten Vergangenheit kaum um etwas nach.4 Zweifellos verkannte auch der Intellektualismus der aufgeklärten Kreise, die mit publizistischen und administrativen Mitteln überkommene Formen von Brauchtum, Heiligenverehrung, Prozessionen, Wallfahrten und Sakramcntalicn5 bekämpften, die Notwendigkeit leibhaft-sinnenhaften Ausdrucks des Glaubens. Dadurch wurde gewiß manchem Mißbrauch gesteuert. Aber stereotyp wiederholte Anklagen gegen hohlen kirchlichen Mechanismus und Aberglauben des breiten Kirchenvolkcs früherer Zeit überzeugen nicht angesichts unserer Kenntnis der pastoralen Bemühungen in Wort und Schrift zur Verinnerlichung des Glaubens - gerade in der Barockzeit. Das Volk hing nach wie vor an den überkommenen Formen der Frömmigkeit, und so erfuhren die mannigfachen pastoralen BeStrebungen der Aufklärung jene gesunde Abklärung, die ihre Auswüchse, nicht aber ihre guten Folgen auf die Dauer verhinderte.6 Mochten darum die Nachfolger Erthals - Christoph Franz von Buscck7 in Bamberg und Georg Karl von Fechenbach8 in Würzburg - auch nicht das Format Erthals besitzen, das sie befähigt hätte, den schädliehen Folgen des Zusammenbruchs der Reichskirche in der Säkularisierung wirksam zu begegnen, so war doch die christliche Gläubigkeit, durch die nachtridentinische mente in tutto ]’Imperio il sudetto prelato ehe risplendc oggigiorno sopra ogni altro principe ecclesiastico in pietä, dottrina e perizia di affari ...» (Nuntius Garampi über Erthal, Brandmüller 160). ■ Ebd.152-173; Wendehorst, Würzburg 93· 2 Ein charakteristisches Beispiel bei BrandMüller 193-205; Ders., Das Tagebuch des Erlanger Kuratcn. Dr. Ludwig Busch 1793-1801 (BHVB 99) 1963, 319-357■ 3 Zur Gesangbuchreform vgl. Goy (s. o. 441 Anm. 1) 245-273. Zum dt. Rituale von Ludwig Busch vgl. Brandmüller 203-205. 4 Beispiele bei Goy (s. o. 441 Anm. 1) 260f. 29 HdDG III, i

5 Einzelheiten bieten die einschlägigen Kapitcl ebd. u. Dünninger-Schopf, Bräuche 11. Feste int fränk. Jahrcslauf (Die Plasscnburg 30) 1971; S. v. Pölnitz, Vicrzchnhciligen. Eine Wallfahrt in Franken, 1971. 6 Die Aufnahme und Abwehr der Aufklärung durch das Volk ist mit reichem Quellenmaterial en detail dargcstcllt ebd. 7 Christoph Franz Amand Veit Christian Daniel v. Buseck (1724-1805): Kist 128-139; Wachter nr. 1322. 8 Georg Karl von Fechenbach, Neffe Busecks (1749-1808), 1795 Fürstbischof von Würzburg, 1805 Bischof von Bamberg (Volk, VP 108, s. o. 446 Anm. 2).

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Franken: D. III. Kirchlich-religiöse Entwicklung von 1550 bis 1800

Reform eingepflanzt, noch so tief im Volk verwurzelt, daß sie ohne größere Schäden die Zeit bis zur kirchlichen Erneuerung des nächsten Jahrhunderts überdauern * konnte. d) Das Zusammenleben von Katholiken und Protestanten in Franken nach dem Westfälischen Frieden. Nach den erbitterten Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen, die zuletzt im Dreißigjährigen Krieg ihren Höhepunkt erreicht hatten, ebbte die polemische Literatur katholischer Theologen Frankens mit dem Frieden von 1648 ab. Nun griff sachliche Auseinandersetzung Raum. Bereits vor dem großen Krieg war es möglich gewesen, daß der evangelische Ansbacher Historiker Dr. Veit Erasmus Hoßmann sein Werk «Kurtze Beschreibung S. Gumprechts Stift in der fürstlichen HauptStadt Onoltzbach (ebenda 1612) mit einer Widmung an Julius Echter erscheinen ließ.12* Der späterhin von Johann Adam Möhler mit so großem Erfolg beschrittene Weg vergleichender Darstellung der authentischen Symbolschriften wurde in Franken, noch während des Krieges, vom Würzburger Jesuiten Balthasar Hager mit seiner «Collatio Confessionis Augustanae et Oecumenici Concilii Tridentini cum verbo Dei» (Würzbürg 1627) eingeschlagen.’ Mehr noch, wir begegnen im Bamberg des Friedensjahres einer erstaunlichen ökumenischen Initiative von Seiten des bedeutenden französischen Jesuiten Henri Marcellius.4 1648 erschienen seine «Principia generalia concordiae christianae», denen bis 1659 noch mehrere Werke dieser Art folgten. Sein Lebenswerk «Sapientia pacifica filiorum Dei politicorum vanitati opposita» (3 Bde., Köln 1657/59) diente der konfessionellen Wiedervereinigung. Da Marcellius zugleich Beichtvater des Fürstbischofs Melchior Otto Voit von Salzburg war, ist kaum anzunehmen, daß dieser seinen Intentionen innerlich ferngestanden sei.5 Melchior Otto war cs denn auch, der zu der feierlichen Eröffnung der von ihm gestifteten Academia Ottoniana Ende August 1648 die Professoren der protestantischen nürnbergischen Universität Altdorf einlud.6 Dieser Bamberger Initiative entsprachen die Bemühungen der Universität Altdorf um die Berufung Joh. Georg Calixts, des bedeutenden Helmstädtcr Irenikers, die leider fehlschlugen.7 1 Eine Untersuchung der verfassungs- und theologicgeschichtlich wichtigen Zeit um die Jahrhundertwende steht noch aus. 2 W. Engel, Die mittelalterlichen Seelbücher des Kollcgiatstifts St. Gumbcrt zu Ansbach, 1950, 11.

des nachfolgenden Voit von Rieneck (ebd. 428). 6 Weber 105-109; Ratsverlaß vom 30. August (alten Stils) 1648, vom 1. September (a. St.) 1648 (Staatsarchiv Nürnberg, Ratsvcrlasse 2349 fol. 15 v, 32 v, dazu ein Dankschrci’ SOMMERVOCEL IV 19 f. ben an den Fürstbischof vom 2. September (a. St.) 1648; ebd.: Nürnberger Briefbücher 4 Ebd. V 517-521; Jäck (s. o. 430 Anm. 3) V 755757‫ ·־‬Gegen Μ. schrieb der ev. Coburger nr. 277 fol. 792 v - 793 v; ausführlich A. MarTheologe Johann Christoph Sei d (1612-1676) tinet, Quellenmäßige Gesch. d. Stiftung u. seine «Topica Marcelliana» (Coburg 1648) und feicrl. Eröffnung d. Alma Academia Ottoniaseinen «Anti-Marccllius» (ebenda 1649) sowie na, 1847. Umgekehrt war die Einladung von eine «Discussio fundamentorum generalium Katholiken zur Eröffnung der Universität Alt. . .» (Ort u. Erscheinungsjahr nicht ermittelt). dorf 1623 noch nicht möglich gewesen Vgl. Sommervogel V 520;Jöchbr, Gelehrten(Ernstbercer 109-122, s. u. 669 Anm. 3. S. lexikon IV 488 f. auch Weber 728 f.. Ex. in Staatsb. Bbg). 5 Looshorn VI416; er war auch Beichtvater 7 Schussler s. o. 435 Anm. 3.

§ 33■ Das Zusammenleben der Konfessionen (IV. Brandmüller)

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Wenig später setzten die Bemühungen des Mainzer Hofes um die religiöse Wiedervereinigung ein, die von Männern getragen wurden, deren Konversion zur katholischen Kirche Schönborn gefördert hatte. Ihnen, nicht Schönborn selbst, ist der bekannte Unionsplan vom 15. September 1660 zuzuschreiben, der aber seiner theologisch nicht vertretbaren Forderungen wegen von Rom abgelehnt wurde. Gleiches geschah nach längerem Überlegen mit Schönborns Vorschlag, zur Gewinnung der Protestanten den Laicnkclch zu gestatten. * In diesen Jahren meldete sich ein weiterer fränkischer Autor zum Wort, der ehemalige Germaniker Johann Friedrich Karg von Bebenburg (1647-1719), der Geheimer Rat von mehreren katholischen Fürsten des Reiches war.12 Sein Werk «Friedreiche Gedanken über die Religions-Vereinigung in Teutschland...» erschien 1679 in Würzburg. Zu gleicher Zeit bereiste Cristobal Rojas y Spinola die deutschen Fürstenhöfe, um sie für seine Wiedervereinigungspläne zu gewinnen.3 Grundlage all dieser theologischen Versuche war die von beiden Seiten anerkannte Autorität der Hl. Schrift, der Kirchenväter und der Konzilien der Alten Kirche (Consensus quinquesaecularis!), sowie des ebenfalls beiderseits zu neuen Ehren gekommenen Aristoteles.4 Eine philosophisch und theologisch gemeinsame Basis von solcher Breite hat kein ökumenisches Gespräch der Folgezeit mehr gehabt. Ein kaum mehr wiederkehrender verheißungsvoller Augenblick verging, ohne Frucht zu bringen, mit der Geistigkeit des Barock. Was jedoch Bestand hatte, war die bisher gepflegte irenische Gesinnung. Sie ließ etwa einen Nürnberger Superintendenten nicht zögern, den dänischen Gesandten Graf Christian von Rantzau mit seinen religiösen Problemen an die Bamberger Jesuiten zu verweisen.5 Der Herzog von Lauenburg empfahl ebenso Konvertiten an den Fürstbischof von Bamberg,6 den auch mit Herzog Wilhelm von Sachsen-Weimar ein freundschaftliches Verhältnis verband.7 Dieser wiederum hatte keine Bedenken, seine Söhne in Bamberg am Gottesdienst der Jesuiten teilnehmen zu lassen.8 Uberhaupt scheint die Zugehörigkeit zum gleichen Stande die Beziehungen der Fürsten untereinander mehr bestimmt zu haben als die Verschiedenheit des Glaubensbekenntnisses. Entgegenkommen in dieser Hinsicht bot sogar eine bevorzugte Möglichkeit 1 Domarus 59-63; A. Ph. Brück, Der Mainzer ,,Unionsplan“ aus d. Jahre 1660 (Jb. f. d. Bistum Mainz 8) 1958/60, 148-162; F. JÜRCENSMF.1ER, Joh. I’h. v. Schönborn u. d. röm. Kurie, 1977, 279-288; Allgemeiner Überblick mit Lit, bei Heyer (s. o. 439 Anin. 6) 22-26. Grundlegend H. Raab (Jedin V) 554-570, (Lit.). 2 Wachter nr. 4990; Jäck (s. o. 430 Anm. 3) III 527-537; seit 1673 Bambergischer Geistlicher Rat. Μ. Braubach, Kurkölnische Miniaturen, 1954, 78-104; L.Jadin, L’Europe au ddbut du XVIIIe siöcle. Correspondance du Baron Karg de Bebenbourg, . . . avec le Cardinal Paolucci, Secretaire d’Etat (1700-1719), 2 Bde., Bruxelles-Rome 1968. ‫ נ‬Vgl. Anm. 1. 29♦

4 Schussler (s. o. 435 Anm. 3) 164-168 (Lit.). 5 Looshorn VI 431 f. Er konvertierte bald darauf (A. Räss, Die Convertiten seit d. Reformation VI, Freiburg 1868, 366-401). 6 Looshorn VI 430. 7 Ebd. 8Ebd.

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Franken: D. III. Kirchlich-religiöse Entwicklung von 1550 bis 1800

zum gegenseitigen Erweis von Höflichkeiten.1 Solch irenischcr Mentalität, der dennoch religiöser Indifferentismus fernlag, entsprachen auch Pastoralinstruktion und Studienordnung1 2 Friedrich Karls von Schönborn, die alle konfessionelle Polemik untersagten und die positive Darlegung der katholischen Glaubenswahrhcit der Bestreitung protestantischer Positionen vorzogen. Neuere volkskundliche Forschungen zeigen, daß auch die einfache Bevölkerung im alltäglichen Handel und Wandel um die konfessionellen Unterschiede wohl wußte, dessenungeachtet aber zu einem im allgemeinen störungsfreien nachbarlichen Verhältnis fand.3 Ursache dafür war wohl auch die mehrmals eingeschärfte bischöfliche Weisung, bei Kontroverspredigten die christliche Liebe nicht zu verletzen.4 Dies hinderte nicht, daß es dennoch zu konfessionellen Konflikten kam. Auch das Instrumentum Pacis Osnabrugense, das die reichsrechtliche Gleichstellung der drei Konfessionen festgestellt, die Rechte der konfessionellen Minderheiten mit dem Begriff des Exercitium religionis publicum, privatum oder domesticum mehr oder minder genau umschrieben5 und damit eine von beiden Seiten prinzipiell respektierte Basis des Zusammenlebens geschaffen hatte, vermochte nicht, Auseinandersetzungen vorzubeugen. Das durch die Staatsräson mehr als durch das Glaubensbekenntnis motivierte Streben der Landesherren nach einem auch konfessionell geschlossenen Territorium, und der Umstand, daß nur mit dem Exercitium religionis publicum auch das Recht auf die Vornahme der sogenannten Actus parochiales durch einen Geistlichen der Minderheits-Konfession gegeben war, verursachten Fälle konfessioneller Unterdrückung.6 Hierbei ging es einmal um die extensive oder restriktive Interpretation des Friedensvertrags, dann aber auch um die Tatsachenfrage, in welchem Umfang der konfessionelle Besitzstand im Normaljahr bewiesen werden konnte. Daraus ergibt sich, daß hierfür nicht sosehr eigentlich religiöse Motive maßgeblich gewesen sind. Es war vielmehr das reichsrechtlich verankerte Territorialprinzip, das Grund für Auseinandersetzungen bot.7 Es ging primär nicht um den rechten Glauben, sondern um das Recht, nicht zuletzt auch um das Recht auf die Stolgebühren, wenn um die Zuständigkeit zur Vornahme von Taufen, Trauungen, Krankenprovisuren und Begräbnissen gestritten wurde. Dementsprechend vollzogen sich dergleichen Konflikte auf der Ebene der Pfarrer und unteren Beamten, allenfalls der Geheimen Räte, wenn 1 Ebd. VII 76 f., bzw. 93 f.; Brandmüller 43 f., s. auch Pastoralinstruktion (ebd. 41). 2 Braun (s. o. 435 Anm. 2 )II 217. 3 K. S. Kramer, Volksleben im Fürstentum Ansbach u. seinen Nachbargebieten, 1961, 159 f.; Ders., Protestantisches in d. Volkskultur Frankens. Konfessionelle Rivalität u. Nachbarschaft (Hess. Bll. f. Volkskunde 60) 1969, 77-92. Das gilt auch für das Oberfränkische (Ders., Volksleben 259 f., s. o. 441 Anm. 4). Aus Unterfranken gibt es nur spärliche Nachrichten über konfessionellen Hader (Ders., Unterfranken 125, s. ebd.). 4 So eine Bamberger Kabinettsordre von

1708 (Wolkenau 45, s. o. 442 Anm. 2; Lingg 97, s. o. 426 Anm. 7). Weitere bischöfliche Aufforderungen zur Toleranz gegenüber Protestanten ergingen auch durch Stadion und Seinsheim (Seebercer 31, s. u. 453 Anm. 3). 5 J. B. Sägmüller, Der Begriff d. Exercitium religionis publicum, privatum u. der devotio domestica im Westfälischen Frieden (Tübinger theol. Quartalschrift 90) 1908, 255-279. 6 Brandmüller 5 f.; zur Praxis: passim. 7 K. Schlaich, Der rationale Territorialismus. Die Kirche unter d. staatsrechtl. Absolutismus um d.' Wende vom 17. zum 18. Jh. (ZRG, Kan. Abt. 85) 1968, 269-340.

§ 53■ Das Zusammenleben der Konfessionen (IV. Brandmüller)

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Fragen der Landeshoheit berührt wurden.' Sie waren denn auch für Fälle konfessioneller Unterdrückung verantwortlich, die die durch den Friedensschluß garantierte persönliche Gewissensfreiheit mißachteten und verletzten.1 2 Dabei fällt auf, daß die protestantischen Minderheiten in den Hochstiften Würzburg und Bamberg weit großzügiger behandelt wurden als die Katholiken in den brandenburgischen Fürstentümern und in der Reichsstadt Nürnberg. Eine große Erleichterung gewährten die nach 1650 nicht seltenen Abkommen zwischen evangelischen und katholischen Landesherren, die die seelsorgliche Betreuung von kranken und sterbenden Angehörigen der jeweiligen Minderheit durch Geistliche ihres Glaubens ermöglichten.3 Der wirtschaftliche und kulturelle Wiederaufbau nach dem Dreißigjährigen Krieg hatte zur Folge, daß in den brandenburgischen Fürstentümern und in der Reichsstadt Nürnberg der Prozeß katholischer Gemeindebildung in Gang kam.4 In Bayreuth sammelten sich die katholischen Hofchargen, Offiziere, Künstler, Handwerker, Soldaten und Dienstboten um die seit 1712 bestehende Schloßkapelle des dem Geheimen Rat von Lüschwitz gehörenden Ritterguts Glashütten. Von 1714 an bestand sodann die rechtlieh als privates Religionsexerzitium des katholischen Obersthofmeisters Graf Hermann Friedrich von Hohenzollern-Hechingen, eines Schwagers des Markgrafen Christian Ernst, begründete «Missio aulica Baruthana», die von dem Jesuiten P. Anton Lang von 1714-1728 in vorbildlicher Weise versehen wurde. Bereits 1722 hatte diese in der von Markgraf Georg Wilhelm erlassenen Konzessionsurkunde5 eine neue, breitere Rechtsgrundlage erhalten. In Ansbach gelang es den Katholiken erst 1775 von dem persönlich toleranten Markgrafen Karl Alexander die Erlaubnis zur privaten Religionsausübung und zum Bau eines Oratorium privatum zu erreichen, da die Behörden des Konsistoriums und des Hofrats energischen Widerstand leisteten. Es war schließlich die in Ansbach lebende französische Tragödin Hippolyte Clairon, deren Haus zum Sammelpunkt der Katholiken der Stadt wurde.6 Hier fanden auch die ersten katholischen Gottesdienste statt. Der Vorgang der Emanzipation der Erlanger Katholiken wurde durch den Einfluß der Universität und reformierten Gemeinden mehr gehemmt als in Ansbach. Die endgültige Konzessionsakte für den katholischen Privatgottesdienst in Erlangen wurde am 30. Januar 1785 ausgestellt.7 Allen drei Konzessionsurkunden für die Katholiken 1 Vgl. auch etwa den Überfall bayreuthischer Truppen auf das Guttenbergsche Schloß Steinenhausen am 23. November 1738, dessen Ziel die Zerstörung der katholischen Schloßkapclle war. Hierfür darf aber keineswegs religiöser Fanatismus verantwortlich gemacht werden. Vielmehr entschied sich am freien Religionsexercitium im Schloß die Frage «Rcichsimmediat oder Landsaß»! (v. Guttenberg, Reichsimmediat, s. o. 426 Anm. 8). Ähnliches bei Simon 507 f.; Deinert (s. o. 435 Anm. 2) 33, 38. 2 Beispiele bei Brandmüller. 3 Seeberger (ohne Vornamen), Über d.

Lage d. Protestanten in Bamberg vom Westfälischen Friedensschluß bis z. Säkularisation d. Hochstifts Bamberg (Beitr. BK 14) 1908, 28-36; Domarus 56 f., 145, 177-179; Simon 453· 4 Ausführlich bei Brandmüller. 5 Ebd. 225 f. 6 W. Brandmüller, Das Testament d. ansbachischen Hoffechtmeisters Joseph Sicard an seine Söhne v. 1774 (Jb. Mfr. 80) 1962/63, 212 bis 220. 7 Brandmüller 234 fr.; vorläufige KonZessionsurkunde 31. März 1784.

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Franken: D. III. Kirchlich-religiöse Entwicklung von 1550 bis 1800

in Bayreuth, Ansbach und Erlangen war es gemeinsam, von einzelnen Unterschieden abgesehen, daß sie zwar das Exercitium religionis privatum gestatteten, dieses aber so einschränkten, daß die Existenz einer katholischen Gemeinde nach außen hin mögliehst wenig sichtbar war, und die summepiskopalen Rechte des Landesherrn, wenigstens de iure, auch über diese Gemeinden anerkannt wurden. In ein neues Stadium trat der Prozeß der Katholikenemanzipation durch den Zuström von Emigranten der Französischen Revolution, der anfangs 1793 cinsetztc.1 An den konkreten Fällen des gemeindlichen Alltags zeigte sich immer mehr die Unzulänglichkeit der bisherigen staatsrechtlichen Grundlage der katholischen Seelsorge, stand doch den Kuraten in Ansbach, Bayreuth und Erlangen noch immer nicht das Recht zu, ihre Gläubigen selbst zu taufen, zu trauen und zu beerdigen. Der eigentliche Brennpunkt der Kontroversen war das Territorialprinzip mit seiner Verschmelzung von Landeshoheit und Summepiskopat in der Person des protestantischen Fürsten. Einen - ungeeigneten und nie durchgeführten - Versuch zur Lösung dieses Problems unternahm nach dem Anfall der fränkischen Fürstentümer an Preußen Karl August von Hardenberg mit dem Plan, von Rom die Schaffung eines eigenen kirchlichen Jurisdiktionsbezirks für die Katholiken im preußischen Franken zu erreichen. Außer in den drei brandenburgischen Residenzstädten gab es auch in der Reichsstadt Nürnberg eine katholische Minderheit. Sie fand ihren religiösen Rückhalt an der Niederlassung des Deutschen Ordens, dessen reichsrechtliche Stellung den Bestand des Nürnberger Deutschen Hauses gewährleistet hat? Endgültige Regelung erfuhren die Verhältnisse der Katholiken in den protestantischen Territorien Frankens erst, als diese durch Napoleon dem neuen Bayern zugeschlagen wurden. Nun erlangte das Montgelas’schc Religionsedikt von 1803 auch in den neubayerischen Gebieten Geltung und zeitigte die weniger beabsichtigte Nebenwirkung der konfessionellen Gleichstellung auch der katholischen Minderheiten Frankens. Demzufolge errichtete Montgelas 1807 die Pfarrei Ansbach, 1812 jene in Bayreuth, und 1813 die Pfarrei Erlangen. Einen analogen Prozeß evangelischer Gemeindebildung im katholischen Franken hat es, soviel zu sehen ist, nicht gegeben. Die Protestanten in den Hochstiften Würzbürg und Bamberg besaßen vielmehr auf Grund des Normaljahrs eine beträchtliche Anzahl von regulären Pfarreien.3 Das Kuriosum an der Situation dieser Pfarreien ergab sich aus dem hierin mit dem lutherischen Kirchenverständnis Zusammentreffenden Reichsrecht: beides machte die katholischen Fürstbischöfe in ihrer Eigenschaft als Landesherren zu Summi episcopi ihrer protestantischen Untertanen. Folge davon war, daß deren Pfarrer von den bischöflichen Behörden examiniert und angestcllt 1 W. Wühr, Die Emigranten d. Franz. Revolution im Bayer, u. Fränk. Kreis (Schriftenreihe 24) 1938; Einzelheiten bei W. BrandMüller, Das Tagebuch d. Erlanger Kuraten Dr. Ludw. Busch aus d. Jahren 1793-1801 (BHVB 99) 1963, 319-357· 1K. Ulrich, Die Nürnberger Deutschordenskommende in ihrer Bedeutung f. d. Katholizismus seit d. Glaubcnsspaltung, 1935;

L. Bauer, Die Italien. Kaufleute u. ihre Stellung iin Protestant. Nürnberg am Ende d. 16. Jhs. (JffL 22) 1962, 1-18; Η. H. Hofmann, Der Besitz d. Deutschordenskommcnde Nümberg um 1800 (MVGN 46) 1955, 557 bis 558. 3 Im Hochstift Bamberg 6 (Simon, HAB 96 f.), im Hochstift Würzburg 31 (ebd. 143 f.).

§ 53· Das Zusammenleben der Konfessionen (IV. Brandmüller)

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wurden.1 Die Pfarrer der protestantischen Gemeinden waren einfach in die jeweiligen Landkapitel eingcgliedcrt. Sie entrichteten die jährlichen Kapitelsbeiträge, wurden von den Dekanen visitiert, nahmen aber auch an der Wahl der Dekane teil.12 Auch war für die Ehcfälle der Protestanten das bischöfliche Konsistorium zuständig, das diese nach protestantischen Grundsätzen zu entscheiden pflegte.3 Auch den verstreut im Hochstift Bamberg lebenden Protestanten ließen die Fürstbischöfe ein im Vergleich zur Situation der Katholiken im Brandenburgischen erstaunliches Maß an religiösem Entgegenkommen angedeihen, das weit über den Buchstaben des Westfälischcn Friedens hinausging.45 Charakteristisch für die konfessionellen Verhältnisse der nachtridentinischen Ära ist die Konversionsbewegung, die bis über die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in Franken nicht wenige, überwiegend dem Adel und dem gebildeten Bürgertum angehörende Protestanten zur katholischen Kirche führte.3 Von einer vergleichbaren Zahl von Übertritten zum evangelischen Glauben ist nichts festzustellen. Das auf Betreiben des bekannten Predigers Dilherr 1658 zu Nürnberg errichtete Konvertitenhaus hatte keinen Bestand.6 Auch scheint man sich innerhalb des fränkischen Protestantismus nicht literarisch mit dem Wiedervereinigungsproblem beschäftigt zu haben. Einen Wandel leiteten «Dogmenverdrossenheit» und Toleranzenthusiasmus der Aufklärung ein. 1778 veröffentlichte der Dettelbacher Franziskaner Jakob Berthold zu Würzburg seine «Cogitationes pacis et unionis inter religiones christianas», etwa zur gleichen Zeit sollte Ignaz Michael Schmidt in Würzburg7 - wohl von dem Fuldaer Unionskreis8*- für solche Bestrebungen gewonnen werden. Er lehnte indes ab. Oberthür und Onymus hingegen glaubten, durch Preisgabe aller «Bestimmungen und Fassungen des Dogma, die ihm durch die Zeitverhältnisse gegeben wurden» zur Wiedervereinigung der Konfessionen zu kommen.’ Echo fanden sie damit in Würzbürg nicht. Auch die Haltung der Banzer Zeitschrift zu Unionsfragen war bemerkenswert nüchtern.10 1 Ebd. 51. 2 Kanzler, Landkapitel (s. o. 440 Anm. 1) 45 f. Anm. 469. 3 Simon, HAB 52. 4 Zahlreiche Details in dem Aufsatz des ev. Bamberger Kirchenrats Seeberger, Über die Lage der Protestanten in Bamberg vom Westfälischcn Frieden bis zur Säkularisation des Hochstifts Bamberg (Beitrr. BK 14) 1908, 28-36; dazu Domarus 56 f., 145, 177 ff. 5 A. Räss, Die Convertiten seit d. Reformation, 10 Bde., Freiburg i. B. 1866/71, Reg.Bd. ebd. 1872, 3 Erg.-Bde., ebd. 1873/80. Überblick über die erste Hälfte des 17. Jhs. bei Duhr II 2, 66-73. Speziell fränkische Konversionen: Simon 450 f., 506 f.; Sax 608 ff.; Wendehorst, Würzburg 87 (Lit.); Förderung der Konversionen durch die Schönborn:

Hantsch (s. o. 379 Anm. 1) 361 f., 435 Anm. 38;Domarus 178; Motivierung: Simon 450, anders Duhr III 637-640; Zahl um die Mitte des 18. Jhs. in Bamberg u. Würzburg: Duhr IV 192, 189. 6 Simon 451. 7 F. Oberthür, Michael Ignaz Schmidt’s des Geschichtsschreibers der Deutschen Lebensgeschichte, 1802, 167-173. 8 G. Richter, Ein «Fuldaer Plan» z. WiederVereinigung d. christl. Konfessionen in Deutschland (Fuldaer Geschichtsbll. 10) 1911, 1-8, 17-32, 57‫־‬64· ’ Schwab (s. o. 446 Anm. 1) 243-249. 10 Forster (StMBO 64) 179-185, s. o. 446 Anm. 3.

IV DAS AGRARWESEN VOM SPÄTMITTELALTER BIS ZUM ENDE DES 18. JAHRHUNDERTS

§54. DIE RECHTLICHE UND SOZIALE LAGE DER BAUERN W. Abel, Gesch. d. deutschen Landwirtschaft v. frühen MA bis zum 19. Jh., 1962; Ders., Agrarkrisen u. Agrarkonjunkturen in Mitteleuropa v. 13. bis zum 19. Jh., 19662; F. Lütge, Gesch. d. deutschen Agrarverfassung v. frühen MA bis zum 19. Jh., 19662 (mit umfangreicher Bibliographie); Ders., Freiheit u. Unfreiheit in d. Agrarverfassung (HJb. 74) 1955; Ders., Die mitteldeutsche Grundherrschaft, 19572; Ders., Das 14./15. Jh. in d. Sozial- u. Wirtschaftsgcsch. (JNÖSt. 162) 1950; Bader, Baucmrecht (s. 0.267); Ders., Mittelalterl. Dorf (s. ebd.); Ders., Dorfgenossenschäft (s. ebd.); G. Franz, Quellen z. Gesch. d. deutschen Bauernstandes im MA, 1967; Ders., Quellen z. Gesch. d. deutschen Bauernstandes i. d. Neuzeit, 1963; K. Bosl, Freiheit u. Unfreiheit. Zur Entwicklung d. Unterschichten in Deutschland u. Frankreich während d. MA (VSWG 44) 1957; Ders., Dienstrecht u. Lchnrecht (VF 5) 1960; A. Waas, Die Bauern im Kampf um Gcrechtigkeit, 1300-1525, 1964; W. Schlesinger, Mitteldeutsche Beitrr. z. deutschen Vcrfassungsgcsch. des MA, 1961; Büttner-Fecer-Meyer (Hgg.), Aus Vcrfassungs- u. Landcsgesch., 2 Bde., 1954/55; O. Brunner, Land u. Herrschaft, 1939, 19594; A. Dopsch, Die Grundherrschaft im MA, 1941; Th. Mayer (Hg.), Adel u. Bauern im deutschen Staat des MA, 1943; K. H. Quirin, Herrschaft u. Gemeinde, 1952; R. Kötzschke, Bauer, Bauerngut u. Bauernstand (Handwörterbuch d. Staatswiss. II) 19244; G. Aubin, Der Einfluß d. Rezeption d. röm. Rechts auf d. deutschen Bauernstand JNÖSt. 3. F., Bd. 44) 1912; Th. Knapp, Gesammelte Beitrr. z. Rechts- u. Wirtschaftsgcsch., 1902. Η. H. Hofmann, Bauer u. Herrschaft in Franken (Zschr. f. Agrargesch. u. Agrarsoz. 14) 1966, 1-29; Ders., Freibauern; I. Bog, Dorfgemeinde, Freiheit u. Unfreiheit in Franken (Quellen u. Forsch, z. Agrargesch. 3) 1956; Ders., Geistliche Herrschaft u. Bauer in Bayern u. die spätmittelalterl. Agrarkrise (VSWG 45, 1) 1958, 62 ff.; Ders., Die bäuerl. Wirtschaft im Zeitalter d. 30jähr. Krieges, 1952; H. Weiss, Die Zisterzicnscrabtci Ebrach (Quellen u. Forsch, z. Agrargesch., hg. v. F. Lütge u. a., 8) 1962 (mit detailliertem Quellen- u. Lit. verz. zum hier behandelten Thema 130 ff); H. Lif.rmann, Das geschichtl. Bauemrecht nach den fränk. Wcistümcm (ZBLG 10) 1937; Ders., Zur mittelalterl. Rcchtsgcsch. Frankens (JffL 5), 1939; K. Dinklage, Fränk. Bauernweistümer (VGffG X, 4), 1954; F. Löwe, Die recht!. Stellung d. fränk. Bauern im MA, 1888; J. J. Beck, Tractatus de Jurisdictione vogtcjica immediata, Nürnberg 1738; Schneide, Thesaurus Juris Franconici I, Nürnberg 1798; A. Memmincer, Zur Gesch. d. Bauernlasten mit bes. Beziehung auf Franken u. Bayern, 1908; E. Frhr. v. Guttenberg, Fränk. Urbare (ZBLG 7, H. 2) 1934; Ders., Die älteste Landesbcschrcibung d. Herrschaft Plasscnbcrg (Plassenburg-Jb. 1938); Μ. Hofmann, Die Dorfverfassung im Obcrmaingcbict (JffL 6/7) 1941, 140-196; Ders., «Cuius regio?» (s. o. 427 Anm. 1); F. Schmitt, Ländliche Rechtsverhältnisse in Nordfranken nach Wcistümcrn u. Dorfordnungen (AU 69) 1934; G. Schrepfer, Dorfordnungen im Hochstift Bamberg, 1941; K. Hf.rboi.sheimer, Allmenden in Oberfranken, 1929; J. B. Mayer, Abhandlung über Abgaben u. Steuern in Bamberg, 1795; A. Hertrich, Die bäuerlichen Lasten u. Abgaben im ehern, fürstbischöfl. Amt Wachenroth, 1928; Geldner, Besitz Langheim (s. o. 74 Anm. 1); W. Lorf.nz, Campus Solis (Sehr, d. Inst. f. fränk. Landesforsch. 6) 1955; G. Hufnagel, Die Entwicklung d. Rechts- und Herrschaftsformcn in Stadt- u. Landkreis Schweinfurt, 1959; K. P. Dietrich, Territoriale Entwicklung, Verfassung u. Gerichtswesen im Gebiet um Bayreuth bis 1603 (Sehr. d. Inst. f. fränk. Landesforsch. 7) 1958; K. Wild, Staat u. Wirtschaft in den Bistümern Bamberg und Würzburg, 1906; K. S. Kramer, Bürger u. Bauer im mittelalterl. Unterfranken (Beitrr. z. Volkstumsforsch. 11) !957; Ders., Bauern u. Bürger im nachmittclalterl. Unterfranken (VGffG IX, 12) 1957; Μ. Tisch­

§ 54■ Die rechtliche und soziale Lage der Bauern (H. Weiß)

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Die Leibeigenschaft im Hochstift Würzburg v. 13. bis z. beginnenden 19. Jh. (ebd. 18) 1963; F. Remus, Untersuchungen über d. Entstehung d. Bauernkrieges im Hochstift Würzburg, 1925; A. Graf, Die soziale u. wirtschaftl. Lage d. Bauern im Nürnberger Gebiet z. Zt. des Bauernkrieges, 1908; I. Bog, Die bäuerl. Wirtschaft d. Nürnberger Umlandes am Ende d. alten Reiches (AltNürnberger Landschaft 3) 1954; G. Vorr, Geschichte d. Klosters Engelthal, 1965; A. Heidacher, Die Entstehungs- u. Wirtschaftsgesch. d. Klosters Heilsbronn, 1955; W. Arlt, Die bäuerl. Leihe im Recht d. Klosters Heilsbronn, 1938; W. Scherzer, Besitz u. Vogtei d. Ansbacher Stifts St. Gumbert zu Ottenhofen (JffL 11/12) 1953; Th. Eisenbrand, Ehehaftsordnungen im Hochstift Eichstätt, 1938; siehe vor allem die einschlägigen Art. im: HAB Teil Franken, R. I, H. 1 ff., 1951 ff. - G. P. Hönn, Sachsen-Coburgische Historia I-II, Leipz.-Coburg 1700; J. G. Gruners hist.-Statist. Beschreibung d. Fürstenthums Coburg, 4 Bde., Coburg 1783/93; Corpus Constitutionum Brandenburgico-Culmbacensium I u. II, Bayreuth 1747. ler,

Das Massensterben des Schwarzen Todes von 1347 bis 1351 - eine der furchtbarsten Pestkatastrophen, von denen Europa je heimgesucht wurde - war nur der Anfang einer langen Reihe weiterer Seuchewellen, die sich bis in das fünfzehnte Jahrhundert hinein im Abstand von wenigen Jahren wiederholten. In Franken dürfte bereits dem Großen Sterben um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts mehr als ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer gefallen sein. Diese Menschenverluste zogen einschneidende wirtschaftliche Wandlungen und, in kausaler Folge, fundamentale Veränderungen des rechtlichen und sozialen Status der bäuerlichen Bevölkerung nach sich. Die Landbewohner, von den immer wieder auftretenden Seuchen nicht weniger stark dezimiert als die Stadtbevölkerung, waren rar geworden. Zahlreiche Bauernstcllen standen leer. Da es zu wenig Menschen gab, die den Boden bearbeiteten, kam cs zu jener großen Anzahl an Wüstungen, die man später oft irrig erst als Auswirkung des Dreißigjährigen Krieges angesehen hatte.1 Die Grundherren, deren Einkommen aber zu einem großen Teil aus den Leistungen (Abgaben und Diensten) bestand, die sie von ihren Bauern für die ihnen überlassenen Lehengütcr zu fordern berechtigt waren, sahen angesichts der verminderten Zahl der bäuerlichen Untertanen und der weiten Flächen ungenutzten Bodens ihre wirtschaftliche Existenz gefährdet. Zwar kam cs trotz der Verringerung der Bauernstcllen und der bearbeiteten Bodenfläche während dieser Zeit zu einer Überproduktion an Agrarerzeugnissen; da die Preise für ländliche Waren jedoch stetig absanken, während diejenigen für gewerbliche Produkte sprunghaft anstiegen («Preisschere»), vermochte auch diese Überproduktion den durch den krisenhaften Prcisvcrfall beschleunigten Rückgang der bäuerlichen und damit zwangsläufig auch der grundherrlichen Einkünfte nicht mehr auszuglcichcn.2 Verursacht durch die Menschcnvcrlustc, durch die dem Grundherrn eine Verödung seiner Güter drohte, war für den Bauern, als wichtige Komponente im Rahmen des grundherrlichen Einkommens, eine relativ günstige Situation entstanden: er war, da cs nur wenig bäuerliehe Arbeitskräfte gab, nicht nur imstande, höhere Forderungen des Grundherrn abzuwehren, sondern vielfach erfolgreich eine Minderung der Belastungen zu erwirken, vor allem auf eine Besserung seiner allgemeinen Rechtsstellung, insbesonders seiner 1 W. Abei., Die Wüstungen d. ausgehenden MA, 19552; Ders., Wüstungen u. Preisfall im spätmittelalter]. Europa (JNÖSt. 165) 1953.

2 Ders., Agrarkrisen (s. o. 456); Lütge, Das 14./15. Jh. (s. ebd.) 161 ff.

458 Franken: D. IV. Das Agrarwesen vom Spätmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts

Besitzrechte, zu dringen. Denn es war nicht nur der Grundherr, der mit Zugeständnissen um die bäuerliche Arbeitskraft warb, um eine Abwanderung in andere Grundherrschaften, die vorteilhaftere Verträge boten, zu verhindern. Die nun aufblühenden, z. T. erst Jahrzehnte vorher gegründeten Städte1 versuchten durch Zuzug vom Lande ihre großen Bevölkerungsverluste auszugleichen; die Zusicherung des Stadtbürgerrechtes, das dem Neubürger, verglichen mit seinem ehemaligen Rechtsstatus innerhalb des grundherrlichen Verbandes, vermehrte Freizügigkeit garantierte («Stadtluft macht frei»), blieb als Verlockung in dem konkurrierenden Werben um den Landbewohner nicht selten siegreich. - Nicht zuletzt aber bot auch die nun wieder verstärkt einsetzende Kolonisationstätigkeit dem bäuerlichen Menschen Veränderungsmöglichkeiten zu günstigen Bedingungen. Die Lokatoren in den Rodungsgcbicten des Frankenwaldcs, des Fichtelgebirges und der großen fränkischen Binnenforstc, aber auch die Herrschaften in den weiten Kolonisationsgebieten Ostmitteldeutschlands warben mit dem Versprechen vorteilhafter Siedlungsrechte und zwangen dadurch die einheimischen Grundherrschaften auf indirektem Wege zu Zugeständnissen, wenn diese der Abwanderung ihrer Untertanen erfolgreich entgegentreten wollten.2 In dieser Lage blieb den Grundherren des Altsiedellandes letztlich nur die Möglichkeit, die Rechtslage ihrer Grundholden zu verbessern, um den Grundrentenbezug sicherzustellen, selbst wenn sich aus dem Verzicht auf bisherige Rechte vorerst für sie eine gewisse wirtschaftliche Schwächung ergab. In kausalem Zusammenhang mit der Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation des einzelnen Bauern wurde auch die korporative Selbständigkeit der Dorfgemeinen angehoben und die hinzugewonnenen Rechte in den uns aus dieser Zeit zahlreich überlieferten Weistiimern manifestiert.3 Das Zusammenwirken dieser verschiedenen Faktoren schuf die Voraussetzung für einen Entwicklungsprozeß, in dessen Verlauf es der bäuerlichen Bevölkerung Frankens gelang, sich in weitgehendem Maße aus einem Zustand rechtlicher und wirtschaftlicher Unsicherheit zu lösen. Völligjref'cs Eigentum der Bauern, unbelastet von Verpflichtungen irgendwelcher Art, gab es zu dieser Zeit nur noch in geringen Ausnahmen. Das Land lag überwiegend in Händen größerer und kleinerer Herrschaften, die es den Bauern zu unterschiedlichen Bedingungen zur Bearbeitung und Nutzung überließen. - Um die Mitte des vierzehntenJahrhunderts war die kurzfristige Verleihung eines Wirtschaftsobjektes der noch immer am häufigsten geübte Leihemodus, obwohl die Quellen aus dieser Zeit nun in zunehmendem Maße auch Nachrichten über die Überlassung von Lehen auf Lebenszeit, zu «Leibgeding», übermitteln. Die Verleihungsfrist, zu der ein Lehen kurzfristig ausgegeben wurde, betrug im ungünstigsten Fall für den Bauern nur ei« Jahr, in besser gelagerten Fällen drei, sechs, ab und zu auch zwölf Jahre. (Die Fristen zu drei, sechs bzw. zwölf Jahren sind durch die damalige Form der Bodennutzung, die Dreifelderwirtschaft, bedingt). Diese Leiheform - in den verschiedenen Teilen Frankens unterschiedlich als Baurecht, Zimmerrecht, 1 In Franken waren allein zwischen 1250 und 1325 zwanzig neue Städte gegründet worden. Vgl. Bog, Gcistl. Herrschaft (s. o. 456) 66 f.

2 Bog, Dorfgemeinde (s. o. 456) 49f ., 56, 80. 3 Dinklage (s. ebd.).

§ 54■ Die rechtliche und soziale Lage der Bauern (H. Weiß)

45g

Freistift u. ä. bezeichnet - gestand dem Beliehenen an dem von ihm bewirtschafteten Objekt nicht mehr als ein zeitpachtähnliches Besitzrecht zu. Er war zu Jahreszinsen in Form von Naturalien, teils auch zu Geldgaben, jedoch nicht zu individuellen Leistungen wie Fron- oder Scharwerksdiensten verpflichtet. Nach Ablauf der vereinbarten Frist hatte der Herr das Recht, das Zeitlehen zurückzunchmen und es zu gleichen oder veränderten Bedingungen neu auszugeben. Sprach er dem bisher Belehnten das Lcihegut ab, so hatte dieser «zur stunde» Haus und Hofrait zu verlassen. Diese Belchnungsform bot dem Herrn den Vorteil, die Verleihungsbedingungen innerhalb kurzer Zeitspannen nach eigenem Ermessen zu modifizieren; der Lehensnehmer dagegen war dadurch einer ständigen wirtschaftlichen Bedrohung ausgesetzt. Bei guter Wirtschaftsführung lag es zwar durchaus im Interesse der Herrschaft, das Leihegut nach Ablauf der Frist wiederum dem bisherigen Lehensmann zu überlassen, vorausgesetzt, dieser erklärte sich mit etwaigen Veränderungen der Vertragsgrundlage einverstanden. - Gesicherter war die Lage desjenigen Grundholden, dem die Herrschaft das Lehen auf Lebenszeit, als «Leibgeding», zusprach; relativ häufig beschränkte sichdie Verleihungsfrist dieser Vitallehen nicht allein auf die Lebenszeit des Lehensträgers, sondern darüber hinaus auch auf die Lebenszeit der Ehefrau oder auf die eines Sohnes oder Bruders («auf zween Leib»). Die Vermutung, daß bei Neuverleihungen von Zeitlehen die Descendenten des verstorbenen Inhabers bevorzugt wurden, findet sich in den Quellen wiederholt bestätigt;‘ nicht nur Vitallehen, sondern z. T. auch nur kurzfristig ausgcgebcnc Zeitlehcn, hielten sich häufig nachweisbar Generationen hinweg in der Hand einer Familie, - waren demnach in gewissem Sinne schon «erblich», bevor sich der für den Bauern günstige Verleihungsmodus der Erbzinsleihe als Rechtsform endgültig durchgesetzt hatte. - Verschiedentlich wurden zu dieser Zeit Güter auch zu «Teilbau» ausgegeben. «Es hat den Anschein, als habe, während sich die Erbzinsleihe noch ausbreitete, eine Gegenbewegung eingesetzt, u. a. ausgelöst von der rapiden Entwertung der Grundrente. Die Teilbauverträge, auf ein oder einige Jahre befristet, mußten den Herrschaften erstrebenswert sein, weil sie gestatteten, die Grundrente zu regulieren auf dem verhältnismäßig geringen Teil des Bodens, den sie noch in vollem Eigentum hielten».2 Bei Überlassung von Gütern zu «Teilbau» forderten die Herrschaften in der überwiegenden Zahl der Fälle ein Drittel des Ernteertrages, seltener die Hälfte oder nur ein Viertel. Wurden später die im Rahmen der Erbzinsleihe in ihrer Höhe fixierten Abgaben ohne Rücksicht auf das Ernteergebnis geleistet, so traf beim Teilbausystem der aus Mißernten erwachsende Schaden belastend auch den Herrn; dem «geteilten Unternehmergewinn» stand ein «adäquates Risiko» gegenüber.3 Dies, und möglicherweise auch die aus dem Teilbausystem resulfierenden großen Schwankungen des herrschaftlichen Jahreseinkommens dürfte die frühe Abkehr von der Überlassung zu Teilbau erklären, obwohl dieses System «seincr Natur nach angetan gewesen (wäre), die Agrarverfassung Frankens maßgeblich 1 Scherzer, St. Gumbert (s. o. 457) 157; Geldner, Besitz Langheim (s. o. 74 Anm. 1) 57 f.; Heidacher, Heilsbronn (s. o. 457) 72; Weiss, Ebrach (s. o. 456) 36.

2 Bog, Dorfgemeinde (s. o. 456) 54 für den gesamtfränkischen Raum. 3 E. Jenny, Der Teilbau, 1913, 28.

460 Franken: D. IV. Das Agrarwesen vom Spätmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts

zu verändern».1 Schon gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts verringern sich entsprechende Nachrichten darüber in den Quellen; bereits um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts ist kaum mehr ein Teilbaugut nachzuweisen. - Mit Ausnahme kleinerer Reste im Gebiet von Eichstätt und im Raum des Hochstiftes Würzburg werden jetzt auch ehemals leihherrliche Verhältnisse in zunehmendem Maße beendet; in Franken haben die eingangs geschilderten Ereignisse auch die Voraussetzung für das Ende der Leibeigenschaft geschaffen, »welche die ersten Jahrzehnte des sechzehnten Jahrhunderts nicht überlebte».1 2 Als sichtbares Kriterium einer für den Hintersassen günstigen Entwicklung, die etwa um die Mitte des vierzehntenJahrhunderts begann (s. o. 457 f.), setzte sich nun die Erbzinsleihe durch. In manchen Herrschaftsbereichen, so etwa im Gebiet der zwisehen Würzburg und Bamberg gelegenen Zisterzienserabtei Ebrach, war der Ubergang von Vital- zu Erbzinsleihe schon um das Jahr 1400 vollzogen. Die erbliche Verleihung von Klostergut war hier bereits zu diesem Zeitpunkt die Regel; Ubertragungen von Gütern bis zum Lebensende des Empfängers erfolgten nur noch in Ausnahmefällen.34Dagegen bestand nach Aussage eines Heilsbronner Salbuches v. J. 1505 im Interessengebiet dieser im mittelfränkischen Raum gelegenen Klosterherrschaft das Verhältnis von erblich zu zeitlich verliehenen Gütern noch immer 2:1.♦ Für die oberfränkische Klosterherrschaft Langheim wurde nachgewiesen, daß sich das Erbrecht hier erst im Laufe des fünfzehnten Jahrhunderts allmählich durchsetzen konnte; in der weltlichen Herrschaft Plassenberg (Ofr.) dauerte cs noch bis zur Wende vom fünfzehnten zum sechzehntenjahrhundcrt, bis die Verleihung zu Erbrecht «beinahe zur Regel» geworden war.5 Überall aber war die endgültige Verdrängung der befristeten Leiheformen im Grunde genommen nur noch eine Frage der Zeit. Anders jedoch als in Altbayern, wo der Übergang zu günstigeren Beleihungsformen wegen des starken Widerstandes der Grundherren nur zögernd erfolgte, vollzog er sich in Franken relativ reibungslos.6 Spätestens um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts war die Erbzinsleihe schließlich «zum vorherrschenden bäuerlichen Recht am Boden Frankens» geworden.7 Verglichen mit der Vielfalt unterschiedlicher bäuerlicher Besitzrechte, wie sie in anderen deutschen Gebieten (Mittel-, West- undSüdwcstdcutschland, aber auch Altbayern) zeitlich nebeneinander noch bis in das neunzehnte Jahrhundert fortbestanden, hatten sich zu diesem Zeitpunkt die Besitzverhältnisse in Franken mit geringen Ausnahmen auf diese für den Bauern vorteilhafte Rcchtsform nivelliert. Bei Einhaltung der zwischen Herrschaft und Bauer abgesprochenen Vertragsbcdingungen konnte nun das Lehen dem Untertanen nicht mehr entzogen werden. Er war dadurch nicht mehr der Bedrohung des «Abstiftens», d. h. der Gefahr eines willkürlichen Lehensentzuges durch die Herrschaft, ausgesetzt. Der Lehensträger hatte 1 2 3 4 5

Boc, Dorfgemeinde 57. Ders., Geistl. Herrschaft (s. o. 456) 69. Weiss, Ebrach (s. ebd.) 40, 120. Heidacher, Heilsbronn (s. ebd.) 72. Geldner, Urbar Langheim (s. o. 74

Anm. 1) 40 ; * Frhr. v. Guttenberg, Älteste Landesbeschreibung (s. o. 456) 15. 6 bog, Geistl. Herrschaft (s. o. 456) 67. 7 Ders., Dorfgemeinde (s. ebd.) 80; dort eine zusammenfassende Darstellung der kausalen Zusammenhänge.

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das Recht, das ihn! übertragene Lehen zu vererben, zu teilen und, dies allerdings nur mit Einverständnis des Herrn, zu verkaufen. Durch das Zugeständnis der Vererbbarkeit verlor die Herrschaft die Möglichkeit, die ehemals als Voraussetzung für die Verleihung geforderten Bedingungen bei Übernahme durch den nachfolgenden Lehensträger zu ihren Gunsten zu modifizieren, wie dies bei Neuverleihungen im Rahmen der Zeitlcihc möglich und üblich gewesen war. Das Rechtsverhältnis, das nun zwisehen Grundherrn und Grundholden bestand, basierte auf einer aus Leistung und Gegcnleistung bestehenden Wechselwirkung. De iure behielt der Herr an dem von ihm ausgcgcbcncn Lehen zwar weiterhin das dominium directum (Obereigentum), während dem Lehenträger am Leihegut nur das dominium utile (Untereigentum) zuerkannt war, eine Bestimmung, die jedoch für die rechtliche Lage des Bauern mehr oder weniger nur von formaler Bedeutung war. Der Herr überließ dem Grundholden das Lehen zur vollen Nutznießung und sicherte ihm Schutz und Schirm zu; der Lehensmann verpflichtete sich seinerseits, den Vorteil seines Herrn nach besten Kräften zu fördern, ihn unter Einsatz von Leib und Gut vor Schaden zu bewahren, sich nicht gleichzeitig einer anderen Herrschaft zu unterwerfen, vor allem aber versprach er eine gute Bewirtschaftung des Leihegutes. Über diese generellen Zusicherungen hinaus verpflichtete er sich zu jährlichen Abgaben, meist auch noch zu verschiedenen Diensten, deren Art, Höhe und Abgabe- bzw. Ableistungsmodus im Lehensvertrag fixiert waren; hinzu kam die Verpflichtung zur Zahlung einer Besitzwechselabgabe (Handlohn, Laudemium; s. u. 464), wenn das Lehen in die Hand eines neuen Lehenträgers überging. Alle diese Leistungen des Grunduntertanen, und darauf ist mit Nachdruck hinzuweisen, hatten realen, nicht personalen Charakter. Sie ruhten nicht auf der Person des Pflichtigen, sondern auf dem Anwesen, den Liegenschaften oder der Herdstelle, waren also in jedem Fall Real-, nicht Personallasten. Die Verpflichtung erlosch, sobald sich der Lehensmann von dem mit Abgaben und Diensten verbundenen Objekt löste.1 Das fränkische Erbzinsgut ist seinem Rechtscharakter nach nicht der «Emphyteuse» im römisch-rechtlichen Sinn gleichzusetzen, trotzdem es in den Quellen sehr häufig unter dieser Bezeichnung belegt wird. Die Verbindlichkeiten, zu welchen der Lehensinhaber verpflichtet war, sind durchweg als Gegenleistung für das zur vollen Nutznießung überlassene Eigentum des Herrn zu verstehen, während nach römischem Recht die Leistungen «des Emphyteut-Manncs lediglich den Zweck hatten, das zugrunde liegende Rechtsverhältnis immer wieder neu zu bekräftigen.»12 Über diesen rein rechtsformalen Unterschied hinaus lag nach allgemeiner Beobachtung der Kaufpreis für eine Emphyteuse im römisch-rechtlichen Sinn beträchtlich höher als dies im Rahmen des «deutschen Erbzinsverhältnisses üblich und möglich war»? Vermutlich bezog sich das Vererbungsrecht ursprünglich nur auf die Ehefrau, die Kinder oder nächsten Blutsverwandten des Lchensmannes,4 so daß das Gut bei Aussterben dieses engeren Kreises von Erbberechtigten wieder an den Obereigentümer 1 Weiss, Ebrach (s. o. 456) 128. 2 Lütge, Mitteldeutsche Grundherrschaft (s. ebd.) 89 f.; für Franken besonders: Schneidt (s. ebd.) Abschn. I, 3592 f.

3 Lütge, ebd. 4 Die Lehenverträge sprechen im allgemeinen ohne spezifische Einschränkung nur von den «Erben» schlechthin.

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heimgefallen sein dürfte. Erbberechtigt waren nach dem Ableben der Eltern alle Kinder des Lehensmannes. Die Folge dieser vermögens- und erbrechtlichen GleichStellung der Söhne und Töchter war im Erbfall die Teilung des gesamten Besitzes auf alle Erbberechtigten: die Realteilung (s. u. 463 Anm. 3). - Im Laufe der Entwicklung zu besseren bäuerlichen Besitzverhältnissen war dem Erbrecht als positive Ergänzung auch die Veräußerungsfreiheit zur Seite getreten. Zwar bedurfte der Verkauf des Lehens der herrschaftlichen Zustimmung, die jedoch nicht versagt wurde, wenn derjenige, der seinLeihegut verkaufen wollte, «an andernorthen ... sein sach verbessern» konnte und der Käufer ein «homo nobis aptus», ein der Herrschaft annehmbar erscheinender neuer Lehensmann war.1 Der Grundholde war schollengebunden, d. h. er bedurfte, um sich aus dem grundherrlichen Verbände zu lösen und vomGutc abziehen zu können, der herrschaftlichen Genehmigung. Meist sicherte ihm bereits ein entspreehender Passus im Lehensvertrag zu, daß ihm auf Wunsch der «Abzug» nach ordnungsgemäßer Lösung des bestehenden Rechtsverhältnisses gewährt werde.12 Damit verliert die sich mit der Bezeichnung «Schollengebundenheit» verbindende Vorsteilung von der Beschränkung der persönlichen Freiheit des Untertanen doch wesentlich an Schärfe. Bedeuteten herrschaftliche Zugeständnisse wie Vererbbarkeit, Teilungs- und Veräußerungsmöglichkeit für den bäuerlichen Rechtsstatus ohne Zweifel einen wesentliehen Fortschritt, so setzte nun infolge der freieren Verfügbarkeit des Bauern über sein Gut jene Besitzzersplitterung (Freiteilbarkeit, Realteilung) ein, die sowohl in Franken als auch in anderen Gegenden Deutschlands lange Zeit hindurch so konscquent durchgeführt wurde, bis die als Ergebnis entstandenen Wirtschaftseinheiten kaum mehr existenzfähige Zwerggüter waren und es im wahrsten Sinne des Wortes schließlich nichts mehr zu teilen gab.3 Es ist hier nicht möglich, Vor- und Nachteile der Freiteilbarkeit gegenüber dem in anderen deutschen Landschaften gebräuchlichen Anerbenrecht, nach dem der Hof ungeteilt in die Hand eines einzigen Erben überging, abzuwägen und zu diskutieren. Es sei lediglich darauf hingewiesen, daß sich dieses Prinzip der Freiteilbarkeit keineswegs auf Franken beschränkte, sondern sich zur gleichen Zeit in wachsendem Maße auch in weiten Gebieten West- und Südwestdeutschlands durchsetzte und, trotz energischer Versuche zu Gegenmaßnahmen seitens der Territorialherren, während des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts eindeutig auch in Mitteldeutschland im Vordringen begriffen war.4 Soweit jedoch in diesem Zusammenhang für Franken bereits entsprechende Untersuchungen vorliegen, spiegeln die dabei hcrangezogenen Quellen eine weitgehend übereinstimmende und erwähnenswerte Entwicklung wider: Mit dem Zugeständnis von Erb-, Teilungs- und Veräußerungsfreiheit setzte sich Freiteilbarkeit bzw. Realteilung mit steigender Tendenz bis etwa zur Mitte des sechzehnten Jahrhunderts durch. Um diese Zeit setzte ohne direkte Einflußnahme durch die Grundherren eine Reaktion gegen weitere Be1 Instruktive Beispiele für solche RechtsSatzungen u. a. StA Würzburg, Standbuch 501 f 5 (ao. 1608), f 7’ (ao. 1674). 2 Weiss, Ebrach (s. o. 456) 121; Löwe (s. ebd.) 17.

3 Vgl. dazu vor allem die Einzelangaben in den Bänden d. HAB, Teil Franken, Reihe I u. II. 4 F. Lütge, Das Bauerntum im Wandel d. Gesch. (Studium Generale 11, H. 6) 1958, 385.

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sitzzersplitterungen ein; aufgrund bäuerlicher Initiative kam es zu Zusammenlegungen kleiner Teilgüter, zum Wiedererstehen von Vollbauernstellen durch Rückkauf dismembrierter Stücke, nicht selten sogar zu Güteranhäufung in einer Hand.1 Nachweisbar anhand der grundherrlichen Besitzverzeichnisse, der Urbare, ergänzt durch Erbschafts- und Handlohnsprotokolle, ist die Aussage gerechtfertigt, daß in vielen Teilen Frankens größere und mittlere Wirtschaftseinheiten ab diesem Zeitpunkt wieder ungeteilt an einen Erben übergingen, der die vom Hof weichenden Erben auszuzahlen hatte. Da nahezu alle diese Anwesen über eine gewisse Anzahl walzender Feldstücke verfügte, wurde dem Übernehmer des Hofes die Abfindung der Miterben erleichtert. Ein Anwesen, das ungebundene, d. h. nicht zum Leihegut gehörige (walzende) Grundstücke besaß, konnte damit weichende Erben auszahlen und sich auf diesem Wege trotz des Prinzips der Realteilbarkeit die Geschlossenheit der Betriebsgröße bewahren? Da die mit den Erbzinsgütem verbundenen Verpflichtungen bei Teilung anteilmäßig von den verkleinerten Einheiten übernommen wurden, bedeuteten die Teilungen für die Herrschaft keine Schmälerung ihrer Ansprüche. Im allgemeinen entsprach die Summe der auf die Teile umgelegten Lasten nicht nur dem Ausmaß der Verpflichtungen, wie sie das Gut in seiner ursprünglichen Größe zu tragen gehabt hatte, sondern erhöhte sich sogar in manchen Fällen; vor allem dort, wo eine exakte Teilung der Abgabe- oder Dienstverpflichtung praktisch nicht möglieh war3 und die Teilverpflichtung dann zugunsten der Herrschaft nach oben aufgerundet wurde. Damit erhebt sich die Frage nach den Belastungen, die der bäuerliche Untertan zu tragen hatte. Sie bestanden aus einer bestimmten Menge von Abgaben und gewissen Arbeitsleistungen. Mit Ausnahme einiger kleinerer Reste von Verpflichtungen, die auf ehemals leibherrlichen Verhältnissen beruhten, waren, wie oben bereits gesagt, alle in Franken vorkommenden Abgaben und Dienste des Grundholden Real-, nicht Personallasten. Für die Überlassung von Grund und Boden erwarb der Herr das Recht, übernahm der Untertan die Pflicht einer bestimmten Menge von Leistungen, deren Umfang im allgemeinen in Relation zum Wert der überlassenen Güter festgelegt war. Der Anspruch des Herrn sowie die Verpflichtung des Untertanen erloschen, sobald eine Rücknahme bzw. Rückgabe des Wirtschaftsobjektes erfolgte. Durch Vertrag oder durch Nachweis auf den Brauch nach altem Herkommen hatte der Empfangsberechtigte seinen Anspruch auf die bäuerlichen Leistungen notfalls zu beweisen. Da der Modus der Erbzinsleihe im Gegensatz zur Zeitleihe bei Besitzwechsel keine Veränderung der herrschaftlichen Forderungen zuließ, blieben die einmal im Lehensvertrag für ein Objekt festgesetzten Leistungen Jahrhunderte hinweg in ihrem Umfang nahezu unverändert erhalten. Je nach Übereinkommen wurden die Abgaben in Form von Naturalien geliefert, wenn sie nicht im beiderseitigen Einverständnis ganz 1 Weiss, Ebrach (s. o. 456) 44 ff.; für andere Gebiete Deutschlands: Th. Knapp, Die Grundherrschaft im südwestl. Deutschland (ZRG 22) 1901, 98; E. Gothein, Die Hofverfassung auf dem Schwarzwald (ZGO 40, NF 1) o. J., 292. 2 Nachweise für andere deutsche Land-

schäften bei Lütge, Mitteldeutsche Grundherrschäft (s. o. 456) 67. 3 Weiss, Ebrach (s. ebd.) 47 Anm. 264: das Kloster hatte aufgrund solcher Teilungen An24 Sprüche auf halbe u. viertel Eier oder auf ‫תך‬ Hühner.

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oder teilweise in Geldzinse umgewandelt worden waren; ähnlich war an die Stelle der Fron, d. h. des tatsächlich zu leistenden Realdienstes, häufig die Zahlung eines Dienstgeldes getreten; dies vor allem bei jenen Herrschaften, die im Laufe der Zeit ihre Eigenwirtschaften reduziert oder völlig aufgegeben hatten und nun die Frondienste ihrer Bauern kaum mehr benötigten. Die Frage, ob Geld- oder Naturallcistungen für den Pflichtigen eine größere Belastung darstellten, läßt sich jeweils nur unter Berücksichtigung der temporären Gegebenheiten beantworten: bei den Geldabgaben trug der Empfangsberechtigte das Risiko der Geldwertverändcrung, bei den Naturalabgaben der Abgabepflichtige das Risiko des Ernteausfalles. - Eine exakte Aussage über das Ausmaß der Gesamthelastungen ist meistens nur für den Einzclfall möglich, da die an die Untertanen gestellten Forderungen nicht nur von Herrschaft zu Herrschaft, sondern häufig auch innerhalb des gleichen grundherrlichen Verbandes von sehr unterschiedlicher Höhe waren. Dies hatte z. T. weit zurückreichende Gründe. So waren z. B. ehemals freieigene bäuerliche Einheiten, um hier nur ein Beispiel zu nennen, die von ihren Eigentümern aus Frömmigkeit oder im Bestreben nach Schutz und Schirm einer geistlichen oder weltlichen Herrschaft übereignet und aus deren Händen als Lehen zurückempfangen worden waren, oft deshalb nur geringfügig belastet, weil die Tradenten an ihre freiwillige Übereignung die Bedingung minimaler Belastungen für sich und ihre Nachkommen knüpfen konnten. Die im Zuge solcher Abmachungen erreichten Vergünstigungen blieben meist auch dann mit dem Hofgut verbunden, wenn es eines Tages nicht mehr an direkte Erben des ehemaligen Tradenten verliehen wurde. Neben den jährlichen Reichnissen an «Zins und Gült», einer in Höhe und Art festgelegten Menge von Feldfrüchten und anderen bäuerlichen Erzeugnissen, hatte der Grundherr auch Anspruch auf den sogen. «Handlohn» (Laudemium), eine Abgabe, die bei Besitzwechsel (Kauf-, Tausch-, Erb-, Übernahme- und Heiratsfällcn) der Übernehmer des Hofes zu entrichten hatte. Sie betrug in Franken unterschiedlich 510%‫ ־‬des Gutswertes, ohne Anrechnung der fahrenden Habe, des Viehbestandes und des Saatgutes auf den Feldern. Zum Vergleich sei hier darauf hingewiesen, daß in anderen Gebieten Deutschlands (und in ganz vereinzelten Fällen auch in Franken) zusätzlich zu dieser Zahlung des neuen Lehensmannes bei Übernahme des Gutes (= Handlohn in «dienender Hand») noch eine Laudemialabgabe in «herrschender Hand»), d. h. bei Übernahme der Herrschaft durch einen neuen Lehensherrn, vom Bauern geleistet werden mußte, eine Doppelbelastung, die von den Betroffenen als besonders drückend empfunden wurde.1 Als besonderes Zeichen der Anerkennung seiner Grundherrschaft reichte der fränkische Grundholde das sogen. «Faßnachtshuhn». Die Fronverpflichtungen waren, soweit nicht bereits in Geldabgaben umgewandclt, zum größeren Teil «gemessene» Leistungen, d. h. sie waren zeitlich (Anzahl der Frontage) oder real-qualitativ (Schlagen einer festgelegten Menge an Holz u. ä.) begrenzt; nur zu einem kleineren Teil bestanden die Fronden aus «ungemessenen» 1 F. Lütge, Untersuchungen über d. Laudemialabgabe i. d. bayer. Agrarverfassung (JNÖSt !53) 1941.

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Pflichten. Aber auch diese konnten nicht nach Willkür der Herrschaft in unbegrenztem Maße gefordert werden, da zumindestens die Art des Dienstes vertraglich festgelegt war und sich daraus in jedem Fall eine gewisse qualitative oder quantitative Begrenzung ergab. Die Frage, wieviele Tage pro Jahr der fränkische Bauer zu fronen hatte, läßt sich generell, ähnlich den Abgabeverpflichtungen, nicht beantworten; selbst im Bereich derselben Grundherrschaft war die jährliche Frondauer für gleiche Hofgrößen von unterschiedlicher Länge. Eine der größten geistlichen Herrschaften Frankens, die Zisterzienserabtei Ebrach, forderte von den Inhabern ganzer Höfe Frondienste, deren Dauer, von Ort zu Ort verschieden, 8 bis 16 Tage pro Jahr betrug; Halbhof- und Kleingutbesitzer waren entsprechend geringer mit 6 bis 12 Frontagen belastet.1 Dies liegt weit unter den Forderungen, wie sie uns z. B. für Herrschaften im Norden Frankens (Raum Coburg) mitgeteilt werden, wo die jährliche Frondauer auf 52-56 Tage ausgedehnt war.1 2 Zum Vergleich sei hier erwähnt, daß Grundherrschäften im Gebiet von Kärnten und Steiermark bis zu 156 Tage pro Jahr Fronarbeit fordern durften.3 In vielen Fällen wurde die Fronpflicht der fränkischen Bauern auch dadurch erleichtert, daß sie Verköstigung (bei Spanndiensten auch für die Zugticre) oder eine Gcldzuwendung bis zur Höhe eines Tagelohnes erhielten (Präbenden). - Neben dieser Dienstpflicht dem Grundherrn gegenüber konnte der Bauer in Zeiten allgemeiner Landesnot vom Landesherrn zu Dienstleistungen im Rahmen der LandesVerteidigung herangezogen werden (Transport-, Boten-, Wach- und Baudienste). Verschicdcntlich hatten die Landesherrn auch Anspruch auf Jagd- und Fuhrdienste. Im Laufe der Zeit waren diese allerdings häufig durch die Grundholden selbst oder mit Hilfe ihrer Grundherrschaften in Form einmaliger Abfindungen oder durch regelmäßige kleine Geldzahlungen abgelöst worden. - Nahezu jeder bäuerliche Untertan leistete von einem Teil seines Besitzes Zehentabgaben (Groß- und Kleinzehent von Früchten; Blutzehent vom Viehbestand; Wein-, Heuzehent, später auch Kartoffelund Tabakzehent). Zur fraglichen Zeit hatte der Zehent seinen ursprünglichen Charaktcr einer rein kirchlichen Abgabe bereits weitgehend verloren; Ansprüche auf Zehentrcichnissc wurden wie Nutzungsrechte anderer Art zwischen geistlichen und weltlichen Herren verkauft, getauscht, verpfändet. - Verließ der bäuerliche Untertan seinen zuständigen Gerichtsbezirk oder fielen durch Heirat oder Erbschaft Vermögenswerte in andere Vogteibereiche, so konnte der Gerichtsherr einen gewissen Prozentsatz (maximal 10%) des außer Landes gehenden Vermögens einbehalten (= Nachsteuer; auch Abzugsgeld, Nachschoß, Abschoß u. ä. bezeichnet), sofern sich nicht einzelne Gcrichtsherrschaften im gegenseitigen Interesse auf nachsteuerfreien Abzug ihrer Untertanen geeinigt hatten.4 Der Gerichtsherr hatte ferner von jedem, der eine eigene Herdstelle besaß, Anspruch auf eine kleine jährliche Geld- oder NatUralabgabe (Rauchpfund, Rauchhuhn). 1 Weiss, Ebrach (s. o. 456) 69 ff., 123. 2 Lorenz (s. ebd.) 165 fr.; G. Franz, Beschwerden d. Hintersassen d. Kl. Sonnefeld (Zschr. d. Ver. f. Thür. Gesch. u. Altertumskd. NF 31) 1934, 46 ff. 3 Hofkammerarchiv Wien, rote Nr. 29. 30 HdBGIII, i

4 In Altbayem ist diese Abgabe als «Census emigrationis» bekannt: Lütge, Die bayer. Grundherrschaft. Untersuchungen über d. Agrarverfassung Altbayems im 16.-18.Jh., !949. !54·

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Zwei Arten von bäuerlichen Verpflichtungen gelten heute im allgemeinen als Kriterien für das Bestehen eines persönlichen Abhängigkeits- und Hörigkeitsverhältnisses des Bauern von seinem Herrn: die Verpflichtung zur Zahlung eines Sterbhandlohnes und die Leistung von Besthaupt bzw. Gewandfall. Beim Tod des Bauern oder der Bäuerin hatte der Herr das Recht, das beste Stück Vieh des Bauern bzw. das beste Gewand (oder Tuch, Leinwand) der Frau für sich zu beanspruchen. In Franken beschränkt sich das Vorkommen dieser Zeichen alter leibherrlicher Bindungen, soweit bisher bekannt, auf einige herrschaftliche Verbände im Gebiet des Hochstiftes Würzbürg und nahe Eichstätt.1 Von diesen, aus gründ-, gerichts-, zehnt-, teils auch leibherrlichen Beziehungen resultierenden Dienst- und Abgabepflichten ist begrifflich scharf die öffentliche Steuerpflicht zu trennen, die im allgemeinen alle Anwesen und Liegenschaften betraf, mit Ausnahme jener, für die besondere Privilegien bestanden. Die Steuer an den Landesherm wurde im fränkischen Gebiet nach Schätzung des Ertragswertes bemessen, anders also als im Altbayerischen, wo die Berechnung nach einem System bestimmter Anwesensgrößen (Hoffuß) erfolgte. Das landesherrliche Besteuerungsrecht hatte sich erst allmählich herausgebildet. Seit Ende des zwölften Jahrhunderts wurden Stadtund Landsteuern zwar mit einer gewissen Regelmäßigkeit, jedoch in größeren zeitliehen Abständen und in besonderen Notfällen erhoben (so etwa der «Gemeine Pfennig» von 1495 oder die wiederholten Türkensteuern). Dem Landesherrn nicht steuerpflichtig waren die ihm lediglich «centbaren» Grunduntertanen des Adels, über die sich das landesherrliche Steuerrecht nur in Ausnahmefällen durchsetzen ließ.1 2 Jedoch waren die dem Adel zugehörigen Hintersassen trotzdem nicht steuerfrei. Schon seit dem sechzehnten Jahrhundert besaßen die Ritterkantone der fränkischen Reichsritterschaft eigene Steuerinstitutionen, die die Steuern der adligen Grundholden sammelten und, soweit diese nicht zur Deckung öffentlicher Belange benötigt wurden, unmittelbar an den Kaiser in Form der «Subsidia charitativa» abführten. Von allen sich im Dorf überschneidenden Rechtstiteln berührten «Dorf- und Gemeindeherrschaft», genauer auch als «Dorf-, Flur- und Gemeindherrschaft» bezeich * net, das tägliche Leben des bäuerlichen Menschen am engsten. Die Schaffung dieser Rechtsinstanz war erst nach dem großen Umschichtungsprozeß der Gerichtskompctenzen, Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, notwendig geworden, nachdem die Frevelgerichtsbarkeit aus dem Kompetenzbereich der (hochmittelalterlichen) Blutgerichtsbarkeit eliminiert und unter die Zuständigkeit des Ko^teigcrichtcs gefallen war. In Händen der Vogtei lag nun (mit Ausnahme der Kapitalverbrechen) die gesamte zivil- und streitrechtliche Gerichtsbarkeit samt den in der grundherrlichen Gerichtsbarkeit wurzelnden Aufsichtsrechten über Liegenschaften und Anwesen, über Gewerbe und Zunftwesen, Bräu- und Schenkgerechtigkeit, Maß und Gewicht. Der 1 Krambr, Bauern u. Bürger im nachmittelalterl. Unterfranken (s. o. 456) 77; Bog, Dorfgemeinde (s. ebd.) 49 ff. 2 Im Laufe d. 17./18. Jhs. wurden auch die

Kirchengüter, die vorher nur zur Leistung von Kleriker- und Weihsteuem verpflichtet waren, steuerpflichtig; steuerfrei blieben nur kirchliche Stiftungen (Hospitäler, Siechenhäuser u.

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Einfluß, den der Grund- und Vogteiherr auf das bäuerliche Leben nehmen konnte, war demnach ungleich größer als der der Landesherrn. Wo diese nicht auch die Vogteilichkeit über eigene oder mittelbare Grunduntertanen besaßen, mußten sie zur Verdichtung ihrer Machtgrundlagen einzelne, in den Bereich der Vogtei gehörige Gerechtsame erst zu erringen versuchen.1 Da sich die vogteiliche Gerichtsbarkeit der Grundherren jedoch nur auf den unmittelbaren Bereich ihrer Lehen (auf die «4 Pfähle», «inner etters» u. ä. bezeichnet) beschränkte, mußte Anfang des sechzehnten Jahrhunderts für die auf «Dorf, Feld und Gassen», d. h. gemeindeeigenem, nicht grundherrlichem Boden vorkommenden Händel eine Rechtsinstanz geschaffen werden. Schon während des fünfzehnten Jahrhunderts hatten der oder die stärksten Grundherrn des Dorfes unter der Bezeichnung «Hirtenstab» oder «Hirtenrecht» über die von der Gemeinde (= Realgemeinde aller Grundbesitzer) ausgeübte Selbstverwaltung ihrer Liegenschaften, über ihr Fürsorgewesen und andere innergemeindliche Belange eine gewisse Aufsicht geführt. Die aus dem Rechtsumbruch zu Beginn des sechzehntenjahrhunderts resultierende Zunahme vogteilicher Aufgaben in Händen der Grundherrn, dazu der für die Bauern unglückliche Verlauf des Bauernkrieges, mehr noch aber später der Dreißigjährige Krieg, der «weitgehend ja auch die alten noch volksrechtliehen bäuerlichen Ordnungen durch vorübergehende Verödung und Überfremdung beseitigte»,1 2 weiteten die Machtbefugnisse der im Dorf begüterten Grundherren zunehmend auf den Rechtskomplex der Dorf- und Gemeindeherrschaft aus. Zwar zeigen die aus dieser Zeit zahlreich überlieferten Dorfordnungen formal ein gewisses Bemühen um die Herstellung eines Ausgleiches zwischen herrschaftlichem Recht und den althergebrachten Gerechtsamen der Dorfbewohnerschaft; trotzdem ist im Vergleich zu früheren Jahrhunderten der verstärkte herrschaftliche Zugriff auf den dörflichen Verband unverkennbar. In Händen der «Dorf- und Gemeindeherrschaft» lagen die vogteiliche Strafgerichtsbarkeit und Rechtssatzung zu Dorf und Flur, ferner die Kontrolle der gemeindlichen Selbstverwaltung, des Gemeindevermögens, das Recht zur Bestätigung des Gemeindehirten, die Aufsicht über Hutrechte, ortspolizeiliehe Befugnisse, darüber hinaus alle Angelegenheiten, «die eines überörtlichen und somit herrschaftlichen Schieds bedurften».3 Nur vereinzelt hatten sich einige Gemcinden gewisse Sonderrechte aus der Zeit größerer Selbständigkeit bewahren könncn. Wo alle auf die Dorf- und Gemcindeherrschaft übergegangenen Rechtsmittel von dieser mit Konsequenz genutzt wurden, konnte sie letztlich «fast pro superioritate territoriali» angesehen werden,4 vor allem dort, wo sie diesen Rechtskomplex mit keinem anderen im Dorf begüterten Grundherrn zu teilen hatte. In Orten mit gemischter Dorfherrschaft dagegen wurde die Wirksamkeit des herrschaftlichen Ein1 Systematische Bestrebungen in dieser Richtung unternahmen vor allem die Markgrafen von Ansbach; vgl. HAB Neustadt-Windsheim (Η. H. Hofmann) 21 f.; Boe, Dorfgemeinde (s. o. 456) 50. 2 HAB Höchstadt-Herzogenaurach (Hofmann) 20 ff.; Μ. Hofmann, Dorfverfassung (s. o. 456) 140. 30·

3 H.H. Hofmann, Freibauern (s. o. 456) 218; K. S. Bader, Entstehung u. Bedeutung d. oberdeutschen Dorfgemeinde (ZWLG NF I 2) !937. 284 ff.; Quirin (s. o. 456) 53 ff. 4 J. S. Strebel, Franconia illustrata; zit. nach Hofmann, Freibauern 219.

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flusses, ob die Herrschaft nun abwechselnd (alternative)1 oder gemeinsam (cumulativc) ausgeübt wurde, aufgrund der immer wieder aufkommenden Streithändel zwischen den Dorfherren wesentlich abgeschwächt. - Der rechtlichen Struktur des Dorfes entsprechend lag die Dorfregierung zum einen Teil in Händen von Gemeindeorganen (Bürger-, Dorf- oder Bauernmeister sowie der Gemeindeversammlung), zum anderen in Händen der Schultheißen als den Vertretern der Herrschaften. Wurde der Schulze von der Herrschaft für sein Amt ausgewählt und eingesetzt, so erfolgte die Bestellung der Bauern-, Bürger- oder Dorfmeister durch Wahl der Gemeindeversammlung. Aktives und passives Wahlrecht genossen ursprünglich nur die Vollbauern. Jedoch hatte sich um die Mitte des sechzehntenjahrhunderts die Anzahl der Kleingutbesitzcr (Realteilung) schon so weit erhöht, daß ihnen nunmehr in vielen Orten die unmittelbare Teilnahme an der Gemeindeführung nicht länger vorenthalten werden konnte und seit dieser Zeit neben dem Dorfmeister, gewählt aus der Reihe der Vollbauern, auch häufig ein Kleingutinhaber als Dorfmeister mitfungierte. - Soweit die Lenkung des dörflichen Geschickes noch nicht durch herrschaftlichen Zugriff beeinträchtigt war, wurde sie von den Mitgliedern der Dorfgenossenschaft1 2 bestimmt. Vollberechtigter Dorfgenosse war jeder Inhaber eines «Gemeinderechtes» (=Nutzungsrccht an den gemeindeeigenen Liegenschaften), selbst dann, wenn er, ebenfalls eine Folge der Realteilung, nur noch einen Bruchteil dieses Rechtes besaß. Dieses Gemeinderccht war an die Hofstätte, nicht an die Person des Inhabers gebunden. Damit war die Anzahl der am Gemeindeland Nutzungsberechtigten («Rechtler» oder auch «Nachbarn» gcnannt) auf einen geschlossenen Personenkreis beschränkt. Wer Inhaber eines Gemeinderechtes war, nahm teil an der Verwaltung der gemeindlichen Angelegenheiten und war nutzungsberechtigt an der Allmende. Ursprünglich dürfte die Teilnahme an der Allmende für jeden Gemeindegenossen zwar ein persönliches Recht, der Anteil am Gemeindeland jedoch nicht von gleichmäßiger Größe, sondern abhängig vom Umfang des Besitzes, vom Bedarf, von der Größe des Viehbestandes u. a. gewesen sein. «Im Laufe der Zeit ist dann, namentlich unter grundherrlichem Einfluß, auch eine Abgrenzung der Genußanteile erfolgt, der Art, daß individuell ... die Anteile der einzelnen am Gemcinland verhältnismäßig bestimmt wurden.»3 Im übrigen war die Allmende ein Sektor, auf dem die Selbstverwaltung der Gemeinde zu allen Zeiten durch Grund- und Dorfherrschaften nahezu unbeeinträchtigt blieb. Regelungen über die Gemeinlandbenutzung, über die Art der Bewirtschaftung (Verfügungen etwa über die offene und geschlossene Zeit der Äcker, Benützung der Brache) wurden in fast uneingeschränkter Selbständigkeit von den Nutzungsberechtigten getroffen. «Auf wenigen Gebieten weist die Erkenntnis des öffentlichen Rechts der Gegenwart so geringe geschichtliche Unterbauung auf, wie bei der Frage der Gemeindebildung und der Entstehung kommunaler Selbstverwaltung.» 4 Einzeluntersuchungen zum Fragen1 Der Wechsel erfolgte in Zeitabständen von i oder 2 Jahren; die Reihenfolge wurde meist durch das Los bestimmt. 2 Zur Begriffsbestimmung von «Dorfgenossenschaft», «Gemein» u. ä. Bezeichnungen für

Franken: Bog, Dorfgemeinde (s. o. 456) 63 ff.; ferner Bader (s. o. 467 Anm. 3) 271 ff. 3 Herbolsheimer (s. o. 456) 31 f. 4 Bader (s. o. 467 Anm. 3) im Hinblick auf den oberdeutschen Raum.

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komplex der Dorf- und Gemeindeherrschaft, der Gemeindebildung, der Dorfgenossenschaft und ihrer Verwaltung mit dem Ziel «konkreter Ergebnisse im Lokalen» würden auch im fränkischen Gebiet lohnende Aufgaben stellen. Um die vorangegangenen Überlegungen über die rechtliche und soziale Lage der bäuerlichen Bevölkerung Frankens mit der herrschenden Lehre zu konfrontieren, sei abschließend zu der Frage übergeleitet, ob bei der in Franken vorkommenden Form der «Grundherrschaft» von einem Typ eigenständiger Prägung gesprochen werden kann oder ob sie einer der bisher in der agrarsoziologischen Literatur vorgestellten Typen zuzurechnen ist.1 Werden bei einer derartigen Überprüfung die beiden übergeordneten Termini «Grundherrschaft» und «Gutsherrschaft» zugrunde gelegt, so steht außer Frage, daß die fränkische Agrarstruktur keinerlei gutsherrliche Spezifika aufweist. Die Gutsherrschaft, wie sie sich seit Ausgang des vierzehntenJahrhunderts vor allem in den ostelbischen Gebieten entwickelt hatte, erfaßte den Bauern in einem ungleich stärkeren Maße als die Grundherrschaft. Der Gutsherr besaß in seinem Bereich neben seinen gründ- und gerichtsherrlichen Ansprüchen weitreichende hoheitsrechtliehe Gewalt über seine Bauern. Dieses «Territorialprinzip», das als ein wesentliches Charakteristikum der Gutsherrschaft gilt, findet sich im Bereich der Grundherrschaft nicht. Selbst dort, wo der Grundherr gleichzeitig Vogtei- und Dorfherrschaft innehatte, eine in Franken ja besonders häufige Verbindung, vereinigte er lediglich diese einzelnen, dem Prinzip nach voneinander getrennten Rechtskomplexe in Personalunion auf sich. In keinem Fall, und hierin besteht ein grundsätzlicher Unterschied zur Gutsherrschaft, handelte es sich «um ein einheitliches Recht . .., sondern um eine Summierung von verschiedenen selbständigen Rechten in der Hand eines Empfangsberechtigten».2 Die Kombination zweier oder mehrerer Rechtskomplexe erbrachte dem Inhaber zwar vermehrte Einkünfte und größeren Einfluß, gab ihm aber keine Möglichkeit zum Ausbau einer territorialen Stellung. Auch aus der für Franken typisehen engen Verflechtung verschiedener Rechtsansprüche ergab sich, von geringen Ausnahmen abgesehen, für den Herrn nur eine Summierung von Anrechten, nicht aber eine Potenzierung dieser Rechte im Sinne des Territorialprinzipes. - Beim Versuch, die grundherrlichen Verhältnisse Frankens mit denjenigen anderer deutschen Landschaften zu vergleichen, lassen sich, wenn man die Typenlehre F. Lütges zugründe legt, gewisse Übereinstimmungen mit der Mitteldeutschen Grundherrschaft nachweisen; so etwa das fast völlige Fehlen von echter Unfreiheit (Leibherrschaft), obwohl nachweisbar sowohl in Mitteldeutschland als auch in Franken während der früheren Jahrhunderte unfreie oder gewisse minderfreie Verhältnisse bestanden hatten. In Mitteldeutschland hatte sich die Leibherrschaft frühzeitig und ohne Reste aufgelöst. «In Franken . . . sog die Grundherrschaft die Leibherrschaft bis zum Ende des Mittelalters vollkommen auf.»3 Selbst der Name erlosch, mit Ausnahme kleinerer Reste im Eichstätter Gebiet und einiger Relikte im Bereich des Hochstiftes Würzburg. Hier gab es wohl noch eine größere Zahl von Leibeigenen, deren Rechtslage sich im wesent1 Lütge, Deutsche Agrarverfassung (s. 0.456) 188 ff.; vgl. ferner andere einschlägige SpezialUntersuchungen des gleichen Autors (s. ebd.).

2 Ders., Mitteldeutsche Grundherrschaft (s. ebd.) 293, 297. 3 Bog, Dorfgemeinde (s. ebd.) 49.

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liehen aber von der eines grundherrlichen Bauern nur dadurch unterschied, daß Abgaben und Dienste, zu denen er seinem Herrn verpflichtet war, an seiner Person hafteten, während die Leistungspflicht des grundherrlichen Bauern «Reallasten» waren, die nicht mit der Person des Bauern, sondern mit seinem Leihegut verbunden waren. Da sich die Leibeigenschaft hier also darauf beschränkte, daß der Leibeigene gewisse Abgaben von der Person (dem «Leibe») zu leisten verpflichtet war, bedeutete diese Form von Leibherrlichkeit für den Leibeigenen bereits keinen sozial diffamierenden Status mehr. In derartigen leibherrlichen Bindungen standen im übrigen nicht nur Bauern, sondern auch Handwerker, Hoforganisten, Schulmeister u. a.1 Es ist erwähnenswert, daß dieses leibherrliche Verhältnis nicht nur durch Freilassung oder Freikauf beendet werden konnte, sondern daß der Leibeigene seine Freiheit erhielt, wenn ihm sein Herr in der Not nicht zu Hilfe kam, eine Regel, wie sie bereits im «Schwabenspiegel» verankert ist.1 2*Vorkommen von Personalbelastungen (Bcsthaupt, Sterbhandlohn) rührten nur zu einem Teil aus ehemaligen Verhältnissen von Un- oder Minderfreiheit her; in vielen Fällen waren derartige Reichnisse auch Resultat schützherrlicher Übereinkommen zwischen Herrn und Bauern. Was die Agrarverfassung im Gebiet der Mitteldeutschen Grundherrschaft und im Raume Franken jedoch wesentlich voneinander unterscheidet, ist einerseits die Tatsache, daß Mitteldeutschland neben dem Erbzinsrecht (wie es in Franken vorherrscht) noch günstigere Besitzrechtc kennt, vor allem aber, daß sich, anders als in Franken, noch ein relativ großer Teil des Bodens als freies Eigentum in bäuerlichen Händen befand. Dagegen zeigen beide Gebiete in Hinblick auf die generelle bäuerliche Rechtslage, Erbsitten, Höhe und Modus der Leistungen u. a. deutliche Übereinstimmung; besonders stark verwandte Züge konnten für die Agrarverhältnisse der an Thüringen grenzenden nördlichen Teile Frankens nachgewiesen werden.’ - Die früher4 vertretene These, welche Franken, aber auch Mitteldeutschland und Hessen, dem Gebiet der Südwestdeutschen Grundherrschaft zurechnen wollte, ist inzwischen völlig widerlegt. In Südwestdeutschland vereinigte der Landesherr in weitgehendem Maße Grund-, Gerichts- und Leibherrschäft auf sich, ein Tatbestand, der mit der fränkischen Rechtsstruktur kaum einen Anhaltspunkt zu Vergleichsmöglichkeiten bietet.5 Auch ein Vergleich der Agrarvcrfassung Frankens mit derjenigen Althayerns zeigt mehr Divergenzen als gemeinsame Züge. Zwar steht auch im Gebiet der Bayerischen Grundherrschaft das Erbzinsgut an führender Stelle; im Gegensatz zu Franken jedoch, das seit etwa 1500 kein schlechteres Besitzrecht mehr kennt, finden sich auf altbayerischem Boden Leibrecht und das ungünstige Besitzrecht von Freistift in nicht minder dominierender Position.6 Die Be1 Tischler (s. o. 456 f.) 62 ff. 2Ebd. ’ R. Kötzschke, Staat u. Bauerntum im thüringisch-obersächs. Raum (Adel u. Bauern im deutschen Staat d. MA) 1943, 267 ff; Lorbnz (s. o. 456). 4 Namentlich vertreten von C. J. Fuchs, s. Art. «Bauer» (Wörterbuch d. Volkswirtschaft I) 19314, 271 f·

5 Hier kann nur generell auf die Arbeiten von Th. Knapp, O. Reinhard, K. S. Bauer und die dort angegebene Literatur verwiesen werden. 6 E. Klbbbl, Bauern u. Staat in Österreich u. Bayern (Adel u. Bauern im deutschen Staat d. MA) 1943, 213 ff., 241 f.; G. Kirchner, Probleme d. spätmittelalterl. Klostergrundherrschäft in Bayern (ZBLG 19) 1956, 1 ff.

§ 54■ Die rechtliche und soziale Lage der Bauern (H. Weiß)

471

lastungen, die die Bauern des südostdeutschen Gebietes zu tragen hatten, waren durchaus höher als die der bäuerlichen Bevölkerung Frankens.1 Mehr als die Hälfte der Bauern im Bereich der Bayerischen Grundherrschaft (weiter gefaßt auch als «Südostdeutsche Grundherrschaft» bezeichnet) stand unmittelbar unter der Gerichtsherrschäft des Landesherrn, eine Gegebenheit, die ebenfalls in Franken keine Parallele hat. - Soweit die Ergebnisse bisheriger Untersuchungen ein gewisses abschließendes Urteil erlauben, wird man der bisher in der deutschen Agrarsoziologie verwendeten Typologie die Verhältnisse Frankens aufgrund spezifisch eigenständiger Charakteristika durchaus als eine «eigene Kategorie»1 hinzufügen dürfen. Der fränkische Bauer hatte zwar keinen Anteil am politischen Leben, wie dies etwa im Gebiet der Dithmarschcn Bauern oder in einigen Teilen der Schweiz der Fall war. Mit dem vierzehnten Jahrhundert beginnend hatte sich jedoch deutlich ein rechtlicher und sozialer Aufstieg vollzogen: mit Ausnahme einiger Reste alter Leibherrschaft waren alle ehemaligen unfreien Verhältnisse aufgelöst; der fränkische Bauer besaß sein Wirtschaftsobjekt zu einem der günstigsten Leiherechte; die damit verbundenen Lasten waren in Art und Umfang vertraglich fixiert und damit von selten der Herrschaft nicht mehr modifizicrbar; der Gefahr einer willkürlichen Ausnutzung durch die ihm übergeordneten Instanzen war er nicht mehr ausgesetzt. Im Gegensatz zum modernen Staat, der als Quelle oder zumindestens als Träger aller Hoheitsfunktionen das öffentliche Leben beherrscht, war der Staatsverband bis zum Ende des Alten Reiches, der in manchen Auswirkungen noch bis 1848 fortbestand, «ein Ncbencinanderwirken von Hoheitsrechten in verschiedenen Händen und verschiedenen Gruppierungen».3 Alle diese gründ-, gerichts-, schütz-, zehnt- und z. T. noch leibherrlichen Verhältnisse wurden in den deutschen wie auch in vielen nichtdeutschen Ländern während des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts durch eine vom Geist des Liberalismus getragene Agrarreform, die «Bauernbefreinng», beseitigt. Anders als etwa in Frankreich vollzog sich die Umbildung in Deutschland nicht schlagartig, sondern erstreckte sich bis zur endgültigen Tilgung der verschicdcncn Hoheitsansprüche über Jahrzehnte hinweg. In Franken erfolgten maßgebliehe Reformen schon wenige Jahre nach den! Übergang an Bayern (1807,1808,1812, 1818; s. HB IV). - Das bisher auf ständischer Differenzierung beruhende Feudalsystem wurde mit der Schaffung einer allgemeinen Staatsuntertänigkeit durch eine Ordnung rechtlicher und politischer Gleichheit aller abgelöst. Der Bauer wurde allen anderen Staatsbürgern gleichgestellt mit dem Ergebnis, daß «der Gedanke der Herrschäft mit seiner im Prinzip wechselseitigen sittlichen Verpflichtung ... als tragende Basis der gesamten Ordnung beseitigt» war.4 Er erhielt die gleichen Rechte, d. h. er unterstand nun keinen Sonderrechten mehr. Aus dem Grundherrn wurde der bloße Grundcigentümer, mit dessen Grundbesitz sich jedoch keine Sonderstellung mehr verband. Die ehemals personalen Bindungen zwischen Herrschaft und Untertan verengten sich auf einen kleinen Sektor rein Sachen-, arbeits- und schuldrechtlicher Beziehungen. ■Lütge, Agrarverfassung (s. o. 456) 195. 2 Hofmann, Bauer und Herrschaft (s. ebd.) 21.

3 HAB Höchstadt-Herzogenaurach (Ders.) 24. 4 Lütge, Agrarverfassung 268.

472 Franken: D. IV. Das Agrarwesen vom Spätmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts

Es bleibt die Frage, ob dieser strukturelle Umbruch für den Bauern auch eine Verminderung seiner bisher aus den verschiedenartigen herrschaftlichen Bindungen herrührenden dinglichen Belastungen bedeutete, eine Frage, die sich beim heutigen Stand der Forschung nur von Fall zu Fall beantworten läßt. Zwar entfielen jetzt für den Bauern die Leistungen von Zins und Gült, Zehnten, Frondiensten und andere Verpflichtungen; an ihre Stelle aber traten Ablösungsrenten, Steuern, Hypothekenzinsen, Kreditkosten u. ä., die häufig härter als die ehemals den Feudalherren zustehenden Abgaben und Dienste eingefordert wurden. Indes für das benachbarte Hohenlohe hat sich nach weisen lassen, daß die großen Reformen des kommenden Jahrhunderts nicht nur auf rechtlichem und sozialem Gebiet, sondern auch auf wirtschaftlichem positive Ergebnisse zeitigten, indem sie trotz vorübergehender, vermehrter Belastungen sowohl eine absolute als auch prozentuale Entlastung des bäuerlichen Bruttoeinkommens brachten, wie an einzelnen Beispielen sich zeigen ließ.1 Für Franken liegen noch keine Untersuchungen vor.

§55. DIE LANDWIRTSCHAFTLICHEN ERZEUGNISSE

Für das Folgende siehe auch die z. T. schon im vorangegangenen Abschnitt angegebene Literatur. Ferner: Franz-Abel-Cascorbi, Der deutsche Landwarenhandel, 1960; R. Bertold, Einige Bemerkungen über d. Entwicklungsstand d. bäuerl. Ackerbaus vor d. Agrarreformen d. 19. Jhs. (Beitrr. z. dt. Wirtschaft»- u. Sozialgesch. d. 18. u. 19. Jhs., Schriften d. Inst. f. Gesch., R. 1, Bd. 10) 1962; A. Fries, Die landwirtschaftl. Wirtschaftssysteme im rechtsrhein. Bayern, Diss. Würzburg 1924; H. Dörfler, Der Bamberger Gau. «Bauern, das Bauernland» I, Freising (o. J.); H. Hümmer, Landeskunde d. bayr. Frankenwaldes, Diss. Würzburg 1935; A. Krug, Landwirtschaft u. Bauerntum in Nordostoberfranken (Bayerland 47) 1936; H. Pettirsch, Die fränk. Randzone zw. Rothenbürg u. Gunzenhausen als wirtschaftsgeogr. Problem (Nürnberger Wirtschafts- u. Sozialgeogr. Arbeiten 3) 1960; P. Gluih, Dinkelsbühl, eine Stadtgeographie auf wirtschaftsgeogr. Grundlage, 1958; Der Landkreis Coburg. Beitr. z. Gesch., Kultur u. Wirtschaft d. Coburger Landes, 1950; A. Kraemer (Bearb.), Weinfrohes Franken. Das Frankenwein-Jahrbuch 1956/57, 1955; H. Weber, Bamberger Weinbuch (BHVB 46) 1884; A. Jehle, Das Bier in Bayern, 1948; J. N. Köstler, Hist. Aspekte einiger Waldlandschaftcn Bayerns (Speculum Historiale, Fcstschr. J. Spörl) 1965. - Vgl. vor allem die einschlägigen Artikel «Wirtschaft» i. d. fortlaufenden Bänden d. HAB Franken, R. I.

Franken ist ein Gebiet mit völlig verschiedenen Agrarlandschaftcn. Dieser Gegebenheit entsprechend sind generell für den gesamten Raum geltende Aussagen über Landbebauung und Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse kaum möglich. (Hinzukommt, daß sich im Rahmen dieses Beitrags die Hinweise auf die Agrarcrzcugnisse nur auf die wichtigsten ihrer Art beschränken müssen). Mit einer Getreidefläche von ca. 60% zeigt das fränkische Kcupcrbccken und Teile des Rednitztales das Bild eines intensiv genutzten Bauernlandes; der Anbau von Roggen, Hafer, Dinkel, Hirse, Gerste, Hülsenfrüchte, später auch der Kartoffel, stand hier etwa im gleichen Anbauverhältnis. Dagegen nahmen auf den schlechten Böden des Hochlandes (Frankcnalb, Fichtelgebirge) Roggen, Fcldfuttcrfrüchtc und Kartof1 E. Schremmer, Agrareinkommen u. Kapitalbildung (JNÖSt. 176) 1964, 196 ff.; Ders.,

Die Bauernbefreiung in Hohenlohe, 1963, 173 ff

£ ii. Die landwirtschaftlichen Erzeugnisse (H. Weiß)

473

fein mehr als 70% des Ackerlandes ein. Nur auf den lehmigen Böden der Albüberdeckung konnte ca. 30% des Ackerbodens für den Anbau von Gerste1 genutzt werden, während im Raum der südlichen Alb der Weizenanbau eine vorrangige Stellung cinnahm. Gleichermaßen günstige Bodenverhältnisse für Gersten- und Weizenbau besaß das Kulmbach-Bayreuther Gebiet.2 Neben den natürlichen Gegebenheiten der Agrarlandschaft, wie Bonität des Bodens und Klima, hat auch die bäuerliche Betriebsgröße entscheidenden Einfluß auf den agrarwirtschaftlichen Charakter eines Raumes, auf die Art und Intensität seiner Bewirtschaftung. Das Ergebnis einer jahrhundertealten Entwicklung waren in Franken bäuerliche Betriebe, die in der Mehrheit der Fälle nur wenig über der Grenze ihrer Selbständigkeit lagen. Im östlichen Franken, in der Oberpfalz, im Frankenwald und auf der Frankenalb mußte die Bauernstelle durchschnittlich mit etwa 18-20 ha Grund ausgestattet sein, um nicht nur die Existenz der Familie zu gewährleisten (= Ackernahrung), sondern um bei intensivster landwirtschaftlicher Nutzung noch einen gewissen Uberschuß zu erzielen; im Obermaingebiet und in der unteren Naabsenke dürften aufgrund besserer Bodenverhältnisse 15 ha genügt haben, wälirend im fruchtbaren Tertiärhügelland für Betriebsgrößen mit nur 10-15 ha Liegenschaften sehr gute Erträge nachzuweisen sind. Das vorherrschende Bodennutzungssystem war nahezu im gesamten Untersuchungsgebiet die Dreifelderwirtschaft, bei der in dreijährigem Wechsel Wintergetreide, Sommergetreide und Blattfrucht (Feldfutterpflanzen, Hackfrüchte) aufeinanderfolgten. Eine Fruchtwcchsclwirtschaft mit jährlichem Wechsel von Halm- und Blattfrucht, wie sic nach dem Stand der heutigen Ackerbautechnik vielfach geübt wird, machte vor allem die sich über Jahrhunderte entwickelte Flurverfassung der Gewanndörfer mit ihren Folgeerscheinungen (Gemengelage der Felder und Zersplitterung des bäuerliehen Besitzes in kleine Teilstücke) unmöglich.3 Zudem mußte in ackerbaufeindliehen Regionen (Fichtelgebirge, nördlicher Frankenwald) die Dreifelderwirtschaft aus klimatischen Gründen noch dahingehend abgewandelt werden, daß auf den Anbau von Hackfrucht unmittelbar die Bebauung mit Sommergetreide folgte, da der zeitliche Zwischenraum zwischen der späten Hackfruchtcrntc im Herbst und der Aussaat des Wintergetreides zu kurz war.4 - Beispielhaft für den durch intensivste Bodennutzung möglichen Ertrag sind die heute wie damals weltberühmten Gärtnereibetriebe des Bamberger Umlandes. Bereits in den Urkunden des zwölften Jahrhunderts wird der Begriff «hortus» nachdrücklich von der Bezeichnung «ager» untcrschicdcn. Der Anbau von Gemüsen, Arzneipflanzen und Kräutern wurde hier Jahrhunderte hindurch fast ausnahmslos allein mit familieneigenen Arbeitskräften in Klein- und Kleinstbetrieben bewältigt. Boden und Klima erlaubten schon in früher Zeit eine zwei- bis dreifache jährliche Nutzung verschiedener Gemüsearten, die, abhängig von Vegetationsdauer und Reifezeit, jeweils zu mehreren Sorten auf demselben Beet gezogen wurden. Eine Landschaft mit ähnlich intensiver Bebauung von 1 S. u. 474 f. 2 Ebd.

3 Vgl. über Realteilung, Erbsitten o. 462 f. 4 Fries (s. o. 472).

474 Franken: D. IV. Das Agrarwesen vom Spätmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts

Feldgemüse (vor allem Meerrettich, Spargel und Weißkohl) ist das nahe Nürnberg gelegene «Knoblauchsland», dieRcdnitzsenke, das Gebiet um Forchheim, Baiersdorf und der Aischgrund. Wohl zu den bedeutendsten landwirtschaftlichen Erzeugnissen Frankens gehört der Wein. Schon die Quellen aus karolingischer Zeit nehmen mehrfach auf den Weinbau in Franken Bezug. Im Jahre 777 erhielt die Abtei Fulda mit dem Schloß Hammelburg acht Weinberge, die nach Aussage des Schenkungsdiploms am berühmten Saalecker Berg gelegen waren. In der auf Befehl Karls des Großen wenige Jahre später (14. Oktober 780) in deutscher Sprache abgefaßten Markungsbeschreibung von Würzburg ist auch vom Weinbau im Maintal die Rede.1 Durch entscheidende Einwirkung der Kirche wurde in der Folgezeit der Weinbau nicht nur in Hinblick auf seine Ausbreitung über nahezu das gesamte fränkische Gebiet, sondern vor allem bezüglich der Veredelung der Reben maßgeblich beeinflußt. In ihrer im Jahre 1179 verfaßten «Physik» räumte die Abtissin von Bingen, die hl. Hildegard, dem Frankenwein seiner heilsamen Wirkung wegen vor anderen Weinen einen bevorzugten Platz ein; Jahrhunderte später ist immer wieder der Frankenwein rühmend erwähnt worden.12*Aus den fränkischen Wirtschaftsquellen ist eindeutig nachgewiesen, daß sich der Weinbau jahrhundertelang nicht nur auf das noch heute berühmte Weinbaugebict am Main, an der Tauber und Saale beschränkte. Er erstreckte sich auch über die Hänge an Werra und Sinn; ja selbst in Gegenden, die dem Rebstock wenig günstige Bedingungen boten (Fichtelgebirge, Steigcrwald, Spessart und Rhön), wurde Weinbau in reichlichem Umfang betrieben. Erst seit dem sechzehnten Jahrhundert gab man in verschiedenen Landstrichen Frankens (im Banzgau, auch im Gebiet von Coburg) die Rebenkulturen nach und nach zugunsten des Getreide- und Obstanbaues fast völlig auf; sowohl der Anbau von Getreide als auch die Baumobstzucht mit Untcrkulturen von Beerenobst und Gemüse gewährten, da weniger witterungsbedingt, eine größere Sicherheit des Ertrages.’ Trotz der Tatsache, daß im Laufe der Jahrhunderte aus verschiedencn Gründen (Klima, Bodenverhältnisse, pflanzliche und tierische Schädlinge, Unrentabilität, Anwachsen der Industrie) die fränkischen Rebflächen reduziert wurden, galt Franken noch 11m 1870 als bedeutendes deutsches Wcinland. Die mit Weinstöcken bepflanzte Fläche betrug zu diesem Zeitpunkt rund 11000 ha; zum Vergleich sei erwähnt, daß die Pfalz, heute das größte deutsche Weinbaugebiet, im gleichen Jahr eine ca. 10500 ha große Rebfläche besaß.4 In verschiedenen Gegenden verdrängte der Hopfen den Rebstock. Ähnlich dem Weinstock kann auch die Hopfenpflanze nur auf einem nährstoffreichen, tiefgründigen, lockeren Boden mit hohem Kalkgehalt gedeihen. So gehen z. B. die Anfänge des wegen seiner Qualität weit über Bayern hinaus berühmten Spalter Hopfens auf den hier früher betriebenen Weinbau zurück. Schon während des sechzehnten Jahrhun1 Die Markungsgrenze verlief «durch den fredthantes wingarten», d. h. durch den Weingarten eines Häckers namens Fredthant. 2 Kraemer, Geheimnis Wein (Weinfrohes Franken, s. o. 472) 19 ff.

’ HAB Lichtenfels-Staffelstein (H. Weiss) 26. 4 Kraemer (s. o. Anm. 2).

§ 55■ Die landwirtschaftlichen Erzeugnisse (H. Weiß)

475

dcrts war die Güte des Spalter Hopfens weithin bekannt, so daß der Fürstbischof von Eichstätt im Jahre 1538 der Stadt zum Schutze des Produktes vor Fälschungen ein eigenes Hopfcnsiegel verlieh. * Auch im Gebiet des heutigen Oberfranken wurde dem Hopfenbaucr seitens der Grundherrschaften weitgehende Förderung und Vergiinstigung zuteil. Des hohen Arbeitsaufwandes wegen, den der Hopfenanbau erfordert, wurden hier Geldprämien für je 12 Zentner gebauten Hopfens ausgesetzt; bei neuen Hopfenkulturcn gewährten die Grundherren (so etwa die ehemalige Abtei Langheim) für die Dauer von fünfzehn Jahren Steuer- und Zehntfreiheit. Die Brauereien von Kulmbach, Bamberg, Lichtenfels u. a. haben noch heute einen guten Namen.2 Mehr als andere landwirtschaftliche Erzeugnisse wurde der Hopfen, da An- und Verkauf fast ausschließlich in Händen von Zwischenhändlern lag, im Laufe der Zeit zu einem außerordentlichen Spekulationsobjekt. (Allein in der Stadt Bamberg gab es im Jahre 1910 etwa 100 Hopfenhändler.) - Schon während der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts bemühte sich eine Reihe fränkischer Grundherren um die Einführung der Kartoffel, wie aus einem Schreiben (1766) des Amtmanns von Höchstadt a. d. Aisch an Frhrn. v. Rotenhan ersichtlich ist.3 Wenige Jahre darnach mehren sich auch in Berichten anderer Ämter Hinweise auf eine deutlich ansteigende Tendenz des Kartoffelanbaues. Die Viehwirtschaft wurde im allgemeinen nur als notwendige Ergänzung für die Feldbestellung und zur Fleischvcrsorgung, nicht aber unter dem Aspekt eines bestimmten Produktionszieles (etwa Aufzucht und Verkauf von Mastvieh) betrieben. Noch bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts trieb man das Vieh bei jeder Jahrcszcit aus; Stallfütterung war den Bauern noch weitgehend fremd. Erst an der Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert wurde sie vereinzelt eingeführt. Schafhaltungen von bedeutendem Ausmaß, die bereits seit dem fünfzehnten Jahrhundert einen regen Handel mit Wolle ermöglichten, wurden vor allem von den geistliehen Grundherrschaften angelegt. Die Klöster waren es auch, die sich vornehmlich um Förderung und Verbesserung der Fischzucht und um eine sorgsame Hegung des Fischbestandes bemühten. Wenn auch dem fränkischen Bauern in früherer Zeit die Kenntnis wirtschaftlicher Zusammenhänge, das Wissen um Abstimmung von Produktion und Nachfrage, Rationalisicrungsmöglichkeiten u. ä. noch weitgehend fehlten, so war er doch imstande, nicht nur den Eigenbedarf des Landes zu decken, sondern einen Uberschuß seiner z. T. qualitativ hervorragenden Erzeugnisse (Wein, Hopfen, Gemüse, Obst; nicht zuletzt sei hier auch der im Schwabacher Umkreis gebaute Tabak erwähnt) auszuführen. In diesem Zusammenhang ist abschließend darauf hinzuweisen, daß Franken schon in früher Zeit ein relativ gutes Straßensystem besaß, das einen raschen Absatz der landwirtschaftlichen Produkte nicht nur innerhalb des Untersuchungsgebietes ge’ Fries (s. o. 472) 193; Pbttirsch (s. ebd.). 2 Weiss, Ebrach (s. o. 456) 25 f. 3 K. S. Kramer, Volksleben im Hochstift Bamberg u. im Fürstentum Coburg (ijoo bis

1800) (Beitrr. z. Volkstumsforsch., hg. v. Inst. f. Volkskunde d. KBLG 15) 1967, 66; s. auch die dort angegebenen Quellen.

476 Franken: D. IV. Das Agrarwesen vom Spätmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts

währleistete, sondern auch einen regen Handel mit weit jenseits der Landesgrenzen gelegenen Gebieten (Böhmen, Ungarn, Polen; Holland) erlaubte. Zusätzlich bot der Main, der das Kemland Frankens in großen Bögen durchfließt, vor allem nach der Einmündung der Regnitz, eine natürliche Ost-West-Südverbindung, die den Versand der landwirtschaftlichen und industriellen Erzeugnisse Frankens erleichterte und das Land dem europäischen Femhandelsnetz anschloß.

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§ 56. DIE WIRTSCHAFTSMETROPOLE NÜRNBERG

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§ 56. Die Wirtschaftsmetropole Nürnberg (E. Schremmer)

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Vergleicht man die wirtschaftliche Entwicklung und Bedeutung von Nürnberg und Augsburg, so fällt zunächst zweierlei auf: Erstens, die fränkische Reichsstadt gehörte schon während des vierzehnten und fünzehnten Jahrhunderts, also vor der Blütezeit Augsburgs, zu den großen europäischen Wirtschaftszentren; zweitens, in Nürnberg gab es zwar auch weithin bekannte Kaufmannsfirmen, wie z. B. im vierzehnten Jahrhundert die Holzschuher (Handlungsbuch der Holzschuhcr von 1304 bis 1307) oder im fünfzehnten Jahrhundert die Tücher und Imhof und Stromer,1 doch besaß cs keine so mächtige und politisch so einflußreiche, mit Monopolmacht versehene Handelsgeschlechter wie Augsburg.1 2 Letzteres liegt möglicherweise mit begründet in der unterschiedlichen Stadt-Verfassung und der unterschiedlichen innerstädtischen Wirtschaftspolitik der beiden Städte. Nürnberg besaß nach einem Aufstand der Handwerker im Jahre 1348/49 und nach dessen Niederwerfung eine patrizische 1 Chroust-Proesler (s. (s. o. 478); Stromer, (s. o. 479). 2 Über das Eingreifen Mächtigen-Herren» in die

o. 478); s. Grote Handelsgesellschaft der «Groß-GeldPolitik s. insbeson-

dere Stromer, Hochfinanz (s. o. 479); als «Groß-Geld-Mächtige-Herren» bezeichneten sich Anton Fugger und seinesgleichen; s. ebd. I 6 Anm. 8.

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Franken: D. V. Die Entwicklung der Wirtschaft bis zum Beginn des Merkantilismus

Verfassung; die volle Herrschaft lag in der Hand der Geschlechter,1 im Gegensatz dazu stand eine verfassungsmäßig abgesicherte Zunftherrschaft in Ulm; Augsburg hatte eine Zwischenstellung: die Verfassung war weder rein zünftlerisch noch rein patrizisch.1 2 In Augsburg konnten zugewanderte Personen (z. B. die Fugger) von unten aufsteigen; die Stadt gab ihren Bürgern und Kaufmanns-Unternehmern volle individualistische Wirtschaftsfreiheit, eine Freiheit hin bis zur Monopolbildung durch private Unternehmer (Einfluß von Peutinger);3 Zünfte und Geschlechter standen nebeneinander. Nürnbergs Stadtregiment dagegen, der patrizische Rat, war Neulingen gegenüber zurückhaltend;4 er belegte die Zugezogenen zeitweilig mit höheren Steuern und Abgaben als die Heimischen; dann wiederum änderte er diese Haltung, förderte schubweise einzelne Gewerbezweige (z. B. die Anwerbung oberschwäbischer Barchentweber im Jahre 1488 und die Aufnahme holländischer Färber) und machte den Zugewanderten besondere Zugeständnisse. Diese von allen jeweiligen Erfordernissen abhängige, im Grunde aber Neuerungen gegenüber eher vorsichtigprüfende und skeptisch-ablehnende Haltung blieb ein Grundzug der innerstädtischen Wirtschaftspolitik der Reichsstadt, selbst wenn man berücksichtigt, daß die Stadt im Verlauf des Ausbaus ihres auf Gegenseitigkeit beruhenden Handelspräferenz-Systems5 die im zwölften und dreizehnten Jahrhundert noch ausgeprägte Fremdenfeindlichkeit bis ins sechzehnte Jahrhundert aufgab.6 So wird z. B. die im vierzehnten Jahrhundert noch sehr begrenzte Aufenthaltsdauer fremder Kaufleute in Nürnberg am Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts auf ein Jahr ausgedehnt, bis dann in den 50er Jahren Beschränkungen dererlei Art ganz aufgehoben wurden. Um dieselbe Zeit konnten Nürnberger Bürger auch mit Fremden Handelsgesellschaften gründen, was bis dahin untersagt war. Der Detailhandel blieb indes auch im scchzehntenjahrhundert nur den Nürnbergern Vorbehalten, eine Regelung, die jedoch auch andere Städte trafen. - Gemessen an der Bevölkerungszahl stand Nürnberg mit über 20000 Einwohnern im fünfzehnten Jahrhundert an der Spitze der Städte auf dem Gebiet des späteren Deutschen Reichs. Nur Köln beherbergte mehr Personen in seinen Mauern; Frankfurt a. Μ. (7000-10000 Einwohner) und Nördlingen (5000-6000 Einwohner) fielen deutlich ab; die Zahl der Einwohner Augsburgs betrug um 1550 etwa 40000 Personen.7 a) Der Handelsraum. Der Aufbau des Nürnberger Privilegiensystems. Das 1040 erstmals erwähnte Nürnberg (Errichtung von Burg und Markt)8 bildete sich, ähnlich wie 1 Vgl. Lütge, Sozial- u. Wirtschaftsgesch. 160 f., 205 f., 298. 2 Vgl. Zorn, Augsburg 132 ff; Lentze, Gewerbeverfassung (s. o. 324) 207 ff; Ch. Meyer, Gesch. d. Stadt Augsburg, 1907, 52 ff; Batori (s. u. iroi) 30 ff 3 S. u. 1095. 4 Vgl. Lütge, Sozial- u. Wirtschaftsgesch. 298. 5 S. u. 480 ff.

6 S. Jegel (s. o. 478) 14; über die Meldeordnung für Gäste s. Lentze, Gewerbeverfassung (s. o. 324) 241. 7 Vgl. Lütge, Heiltumsmesse (s. o. 478) 195; Elsas, Gesch. d. Preise (s. o. 477) I 79. 8 Lentze, Gewerbeverfassung (s. o. 324) 208; UB Nürnberg nr. 9; über die Gründung und Frühgeschichte Nürnbergs s. Hofmann, Nümberg (s. o. 478) 1 ff.; Heimpel (s. o. 478) 231 ff, 337·

§ 56. Die Wirtschaftsmetropole Nürnberg (E. Schremmer)

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Augsburg, zu einer Mischung von Transithandels- und Gewerbeexport-Stadt heraus. Bereits 1112 war Nürnberg in ein von westdeutschen Reichsstädten um Worms gebildetes Privilegiensystem eingegliedert. Wenig später zeigt eine 1163 von Kaiser Barbarossa ausgestellte Urkunde, daß die Nürnberger Kaufleute Sicherheit und freien Handel im ganzen Reich zugesprochen erhielten; Nürnberg war damit schon um diese Zeit eine Transit-Fernhandelsstadt.1 Im vierzehntenjahrhundert wurde Nürnberg im Zusammenhang mit dem Aufblühen des oberpfälzischen Montangewerbes und des einige Jahrzehnte später aufblühenden eigenen Buntmetallgewerbes auch eine Gewerbeexportstadt. Während der ersten beiden Jahrhunderte sind die Handelsbeziehungen der Nümberger vorwiegend nach Mittel- und Westeuropa gerichtet;123sie basieren ebenso wie das seit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts ausgebaute östliche Handelsnetz auf einem äußerst geschickt aufgebauten System von Handelsfreiheiten und Zollbefreiungen Nürnberger Kaufleute in anderen (Reichs-)Städten; die Kaufleute der PartnerStädte erhielten regelmäßig ähnliche Vorrechte in Nürnberg, so daß man fast von einem großen wirtschaftlichen Städtebund mit Nürnberg als Mitte sprechen kann. Der erste Ansatz zu einem solchen System zeigt sich in dem Privileg Kaiser Heinrich IV. von 1074, das Worms Zollfreiheiten gewährt u. a. in Frankfurt, Boppard und Dortmund; in den Kreis dieser Städte wurde Nürnberg 1112 durch Heinrich V. aufgenommen? Nach der Verleihung von Handelsrechten in der oben erwähnten Urkünde von 1163 erhob 1219 Kaiser Friedrich II. Nürnberg zur Reichsstadt;4 der Freiheitsbrief bestätigt alte Zollfreiheiten (z. B. in Speyer, Worms); er gewährt ferner - und das darf als erste Hinwendung Nürnberger Kaufleute nach dem Osten gewertet werden - Zollbefreiung auf der Donau zwischen Regensburg und Passau. Doch noch liegt der Schwerpunkt der Handelstätigkeit westlich der Reichsstadt; 1264 kommt es zu privilegierten Verbindungen mit Mainz,5 1311 zu zollfreiem Verkehr mit Löwen, Brüssel, Antwerpen, Vilworde, Nivelles und Genep (Privileg des Herzogs Johann von Lothringen);6 1332 (großes Privileg Kaiser Ludwigs) galten ZollPräferenzen auch in einigen flandrischen Städten? Damit begann Nürnberg nach Norden (Nordwesten) zu den Tuchstädten Brabants und Flanderns und zum Niederrhein vorzudringen und erhielt 1362 das große Flandernprivileg;8 seit 1332 besteht Zollfreiheit in Lübeck;’ Nürnberg stößt damit in den Kernraum der Hanse10 vor und hat seit 1361 die gleichen Vorrechte in Brügge, Gent und Ypern wie seit 1315 die Hanse;" 1 Vgl. Hirschmann (s. o. 478) Reg.nr. 2. Zwei Karten über Nürnbergs Handelsprivilegien, die eine «aus der Stauferzeit» (nach H. Ammann), die andere «seit dem 14. Jh.» (nach G. Hirschmann) bei Stromer, Hochfinanz (s. o. 479) III, vor 461. 2 S. zum folgenden grundlegend Lütge, Handel Nürnbergs (s. o. 478) 320 ff.; einen zusammenfassenden Überblick bei van KlaVEREN (s. O. 477) 79 ff., III ff., 162, 24O ff. 3 UB Nürnberg nr. 26. 4 Hirschmann (s. o. 478) Reg.nr. 3; UB 31 HdBGIII, r

Nürnberg nr. 178; vgl. aber Roth (s. o. 479) I 8, 12 ff.; Heimpel (s. o. 324) 239. 5 Hirschmann (s. o. 478) Reg.nr. 5. 6 Ebd. Reg.nr. 18. 7 Ebd. Reg.nr. 38; Veit (s. o. 479) 13. 8 S. hierüber Stromer, Hochfinanz (s. o. 479) I 18 ff., 21, 38. 9 Nordmann (s. o. 478) 1. 10 Vgl. Uncer (s. o. 479) 8 ff. 11 Nordmann, Oberdeutschland (s. o. 477) 16 f.; Roth (s. o. 479) I 28; Ergänzung bei Stromer, Hochfinanz (s. o. 479) I 21 Anm. 15.

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einige Jahre später sind Nürnberger in England1 und bedrängen den Brügger, wie schon zuvor den Kölner Zwischenhandel. Etwa um die gleiche Zeit gelingt es ihnen im Ostseeraum, im Elsaß, in Lothringen, der Schweiz und Südwestdeutschland Fuß zu fassen, in der zweiten Hälfte des vierzehntenJahrhunderts im Rhönetal, in Südfrankreich und in Spanien.12 Im Süden sind die Nürnberger etwa seit der Wende vom dreizehnten zum vierzehntenJahrhundert in Venedig bezeugt,3 das um diese Zeit für Oberdeutschland vermutlich der Hauptstapelplatz für Orientwaren war.45Schon wenige Jahrzehnte später forderten sie im Fondaco dei Tedeschi, dem Kaufmannshaus der deutschen Kaufleute an der Riva del Ponte di Rialto, den ersten Platz, den bis dahin die Regensburger'Kaufherren innehatten.’ - Weitere Zollprivilegien ebneten zu Beginn des vierzehnten Jahrhunderts den Weg nach Südwesten, nach Bern und Genf, wo sich insbesondere nach dem Niedergang der Champagne-Messe italienisehe, französische und deutsche Kaufleute trafen.6 1387 sicherten sich Nürnberg und St. Gallen gegenseitige Zollpräferenzen zu. Mit dem Aufkommen der DiesbachWatt-Gesellschaft, einer Vereinigung St. Gallener und Berner Kaufleute (gesicherte Existenz 1428-1458), begann das Privileg seine Früchte zu tragen. Als Peter von Watt 1428 das Nürnberger Bürgerrecht erhielt, bekam St. Gallen noch stärker als zuvor über Nürnberg Anschluß an das große Nürnberger Handelsnetz nach Osten (Warschau, Krakau).7 Der «St. Galier Fernhandel stand gewissermaßen auf den Schultern Nürnbergs».8*- Eine ähnliche Interessengemeinschaft verband Nürnberg mit der großen Ravensburger Handelsgesellschaft (1380-1530).’ Das öberschwäbische Handelshaus vertrat Nürnberger Kaufleute in Spanien (Metallwaren), während Nürnberg als Gegenleistung Waren des Ravensburger Handelshauses (z. B. Leinwand, Safran) im Osten (Polen) und im Donauraum vertrieb. Selbst ihre Messegeschäfte in Nördlingen und Frankfurt wickelten die Ravensburger über Nümberg ab.10 Mit dem Ausbau und der hartnäckigen Verteidigung des Osthandels, der die Richtung Nordost-Südost cinbezog, sicherte sich dann Nürnberg seine Mittelstellung im kontinentalen Europa. Die für die Stadt so wichtig gewordene Öffnung nach dem 1 Schultheiss, Nürnberg u. England (s .0. 479) 3· 2 Vgl. etwa Müller, Handcisgebiet (s. o. 478) 2 ff. 3 Vgl. S1MONSFELD (s. O. 478) II 14, 71 f., 73 f.

4 Über die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und anderen italienischen Städten (etwa Mailand) ist noch wenig bekannt; zusammenfassend Braunstein (s. o. 478) 377 ff.; Wirtschaftsbeziehungen zwischen Nürnberg und der Iberischen Halbinsel bei Kellenbenz (s. o. 478) 456 ff. 5 Vgl. Veit (s. o. 479) 7 (ohne Beleg); vgl. Simonsfeld (s. o. 478) II 46 f., 73 ff, 80 f. Verbindung deutscher Kaufleute mit Italien im Spätmittelalter s. allgemeiner Stromer, Hochfmanz (s. o. 479) 47 ff.

6 Vgl. Veit (s. o. 479) 12; über die BeZiehungen zu Lyon (vorwiegend im 15./16. Jh.) s. Pfeiffer, Bemühungen (s. o. 478) 407 ff. 7 Vgl. Ammann, Diesbach-Watt (s. u. 498); Peyer (s. o. 477); UB Nürnberg nr. 68 f., II 32 f. 8 Peyer (s. o. 477). ’ S. hierüber Schulte (s. o. 478); s. ferner den Überblick bei Bosl, Frühformen 440 ff., 451· 10 Vgl. Schulte (s. o. 478) I 300 f., 428 ff.; über die umfangreichen Beziehungen der Ravensburger zu Italien, Spanien, Frankreich und dem Nordsceraum s. ebd. 236 ff, 285 ff, 360 ff.

§ $6. Die Wirtschaftsmetropole Nürnberg (E. Schremmer)

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Osten ist im Zusammenhang zu sehen mit der deutschen Ostwanderung zwischen dem zwölften und vierzehnten Jahrhundert. * Die Krönung dieser Bemühungen waren die Privilegien der Böhmenkönige Johann und Karl IV. sowie Kasimir der Große von Polen (1365)/ mit der Bestätigung durch die polnisch-litauischen Könige Wladislaus II. Jagiello und dessen Sohn Wladislaus Wamensis (gest. 1444) in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts.3 Jetzt hatten die Nürnberger Frachtwagen besondere Präferenzen auf den Straßen nach Breslau, Posen, Frankfurt/Oder sowie nach Krakau und Lemberg (Zusammentreffen mit den Hansen), von hier dann nordwärts auf den Wegen nach Danzig, Thom, Elbing, also weit in das Hansegebiet hinein; damit waren die schon älteren Verbindungen nach Böhmen (Prag) und Ungam (u. a. Privilegien von 1337, 1357, 1364, 1370, 1383)4 erheblich erweitert worden. Sie reichten jetzt nach Polen, Ungarn, Mähren, Österreich und Schlesien. Und in den Karpaten gab es Bunt- und Edelmetalle. 1332 besaß Nürnberg in 72 Städten und Orten Zollfreiheit und sonstige Handelsvorrechte, meist auf Gegenseitigkeit.5 «Es gab keine Stadt, deren Bürger so oft wie der Nürnberger sagen konnte: Hier bin ich frei vom Zolle.»6 Nürnberg war dank seiner geschickten Außenhandelspolitik im Zentrum eines Freihandelsgebietes (im Sinne eines weitgehend zollfreien Handelsraumes).’ Dazu kamen noch Zusagen anderer Orte und Gebiete, die bestehenden Zollsätze für die Nürnberger nicht zu erhöhen; die Privilegien der böhmischen und polnischen Könige bedeuteten nämlich keine Zollfreiheit, wie sie Nürnberg weitgehend im westlichen Privilegiensystem genoß, sondern die Zusicherung, daß der herkömmliche Zoll nicht erhöht werde.8 All das bedeutete für die Nürnberger Kaufleute eine Sicherung ihres Handelsverkehrs mit eigenen Exportwaren und Transithandelsgütern und einen Kostenvorsprung gegenüber ihren Konkurrenten. Im fünfzehnten Jahrhundert umfaßte der Nürnberger Handel alle Wirtschaftsräume Europas und im sechzehntenJahrhundert war Nümberg die Metropole des mitteleuropäischen Handels. «Keine Stadt ist in unseren Quellen so häufig genannt wie Nürnberg; überall ist Nürnberg das Maß und Ziel aller Dinge; Münze, Maß und Gewicht von Nürnberg der Vergleichspunkt, der Fels im Meer der örtlichen Gewichts- und Maßunterschiede. Das Ziel unzähliger Preisberechnungen ist die Feststellung, wie hoch eine bestimmte Ware kommt, bis sie in Nürnberg auf den Markt gebracht werden kann.»’ * S. Heimpel (s. o. 324) 235. 2 Hirschmann (s. o. 478) Reg.nr. 101; über die Beziehungen zu Eger (1303, 1305), einer wichtigen Station nach Prag, s. ebd. Reg.nr. 12, 13. 15· ‫ נ‬Birkner (s. o. 478) 51; s. auch Ammann, Wirtschaftsbeziehungen (s. o. 477) 433 ff 4 Roth (s. o. 479) I 37; Stromer, Hochfinanz (s. 0.479) I 19; s. auch die zahlreichen Angaben bei Nübling (s. o. 477) 178, 18j ff, 201, 304 f. 5 Lütge, Handel Nürnbergs (s. 0. 478) 139; die Städte sind ebd. Anm. 16b genannt; 31'

Nordmann, Oberdeutschland (s. o. 477) 15; Roth (s. o. 479) 125; IV 3 ff. Über die Urkunde von 1332 s.bes. Stromer, Hochfinanz (s.o.479) I 13 f. 6 Schulte (s. o. 478) I 448. 7 Lütgb, Heiltumsmesse (s. o. 478) 211. 8 Vgl. Ders., Handel Nürnbergs (s. o. 478) 146. ’ Müller, Welthandelsbräuche (s.o. 477) 86; Angaben über Nürnberger Handels- und Geleitverträge auch bei Nübling (s. o. 477) 185 ff, 304 f.

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b) Die Handelsgüter und Handelswege. Bei den Haupthandelsgütem ist zu unterscheiden zwischen Transithandelsgütern, z. B. Gewürze, Orientwaren, Vieh (Rinder) und Textilien, und Gewerbeexporterzeugnissen, vor allem Metalle und Metall waren; man darf jedoch die Unterscheidung nicht zu scharf sehen, da Überschneidungen infolge der Weiterverarbeitung bezogener Produkte vorkamen (Veredelungsgewerbe Nümbergs). An erster Stelle der Warenliste der Transithandelsgüter stehen im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert wohl die von italienischen Zwischenhändlern bezogenen Gewürze, wie Pfeffer, Anis, Ingwer, Nelken, Zimt, Safran, Lorbeer, Thymian, dann auch orientalische Seidenstoffe, Perlen, Teppiche, Schmuckstücke. Diese Güter gelangten auf dem Landweg von den italienischen Handelskolonien am Schwarzen Meer (Kaffa auf der Krim, gegründet 1270, dann Tana/Asow an der Donmündung) über Wladimir-Wostok, seit der Mitte des vierzehntenJahrhunderts dann über Lernberg, nach Mitteleuropa: teils über Krakau, Breslau und speziell über Nürnberg. Gerade der wichtige Durchgangs-Stapelplatz Lemberg (ab 1444 Sperrstapel) war die Verbindungsstelle für italienische, armenische und Nürnberger Kaufleute (Stromer u. a.).1 Daneben bestand nach wie vor die alte Süd-Handelsroute von Venedig über den Tauempaß nach Nürnberg. Diese Route tritt seit dem ausgehenden vierzehntenJahrhundert mehr und mehr in den Vordergrund (Zerstörung von Tana durch die Tataren), bis dann um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts (1453 Eroberung Konstantinopels durch die Türken, endgültiger Verfall der italienischen Handelsplätze am Schwarzen Meer) Venedig zum (fast) alleinigen Einfalltor für orientalische Waren nach Oberdeutschland wird. Die Ost-West-Handelsstraße über Lemberg wurde durch den Süd-Nord-Weg Venedig-Nürnberg ersetzt.2 Durch diese Umlenkung des Warenstroms aus dem Orient hat aber Nürnberg seine Vermittlerrolle im Gewürzgeschäft nicht verloren, sondern vielleicht eher noch verstärkt. Die seither von Lemberg aus mit Spezereien versorgten östlichen Gebiete (Polen, Walachei, Moldau, Siebenbürgen, Ungarn) mußten diese Waren jetzt in steigendem Maße von Venedig her über Nürnberg beziehen. Der Strukturwandel fiel in eine Zeit, in der sich mit als Ergebnis der zweiten Ostkolonisation in diesen Ostgebieten eine steigende Nachfrage nach Produkten des Westens und des Südens bemerkbar machte; dabei wurde in den Ostgebieten (Polen, Ungarn, dann auch Podolien) in den Rindern (Schlachtvieh) ein Exportgut gezüchtet,3 das auf eine heute kaum vorstellbar hohe Nachfrage der Bevölkerung in West- und Mitteleuropa und z. T. Norditalien mit seinen Städten und Höfen als große Konsumzentren stieß. Mit den zu Zehntausenden nach Westen ziehenden Rindern war der Waren-Gegenstrom gegeben, mit dem der «Osten» einen Gutteil seiner eingeführten Waren bezahlte. Die Rinderherden zogen zu einem erhebliehen Teil durch Nürnberger Territorium. Die steigenden Fleischpreise in den westliehen Verbrauchsgebieten machten trotz der langen Transportwege den Verkauf rentabel. Es soll in der Geschichte des Abendlandes keine andere Zeit gegeben haben, in 1 S. HB II, Art. Schremmer und die dort angegebene Literatur; Ders., Wirtschaft Bayerns (s. o. 477 f.) 149 f.

2 Lütge, Strukturwandlungen (s. o. 477) 98 ff. 3 S. Klier (s. o. 478) 195 ff.

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der der Handel mit Schlachtvieh eine so große Bedeutung erreichte wie im fünfzehnten und sechzehntenJahrhundert in dem Austausch zwischen Osteuropa und Mittelund Westeuropa.1 Bis zu 70000 ungarische Ochsen jährlich sollen um diejahrhundertwende durch Nürnberger Händler an mitteleuropäische Aufkäufer weitervermittelt worden sein. Doch ist die Zufuhr an Vieh seit den dreißiger und vierziger Jahren deutlich rückläufig; eine große Viehseuche in Ungarn 1518, der Einfall der Türken in diesem Gebiet (Mohäcs 1526), die den Viehexport offenbar mit Ausfuhrzöllen belegten, und die langen wechselvollen Kriege in Ungarn und Österreich sind dafür verantwortlich. Das dritte große Transithandelsgut Nürnbergs waren Textilien. Wohl bei kaum einem anderen Gut Nürnberger Kaufleute wechselte Herkunftsort, BeStimmungsgebiet und Warenart (Wolltuche, Barchent und Leinen) so rasch und kaum ein anderes Gut stellte ähnlich hohe Ansprüche an die Anpassungsfähigkeit der Händler an sich rasch ändernde Marktverhältnisse. Mit ihrem Vordringen nach Flandern und Brabant vermittelten die Nürnberger Kaufleute, wie dem ältesten deutschen, heute noch erhaltenen Handelsbuch der Holzschuher von 1304-1307 zu entnehmen ist, dort hergestellte Qualitätstuche; dazu kamen einige Jahrzehnte später aus England direkt importierte Stoffe. Es gelang Nürnberg, wenigstens teilweise, den Kölner und Brügger Zwischenhandel auszuschalten. Noch in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts übernahmen Nürnberger Zwischenhändler Transporte englischer Tuche nach Italien, doch mußten sie sich infolge der vormerkantilistischen Wirtschaftspolitik Englands (1463 Tuchexportverbot durch Fremde) aus diesem Exportzweig zurückziehen und handelten daraufhin vorzugsweise von Antwerpen aus.1 2 In der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts errang Nürnberg die führende Rolle im Wolltransithandel zwischen Nordwesteuropa und den Märkten Mitteleuropas (Wolle aus Franken, Hessen, dann England und Nordwesteuropa); sie verdrängten Ulmer und Augsburger Kaufleute aus diesem Geschäftszweig.3 Das scheint ohne größere Schwierigkeiten und Kämpfe möglich gewesen zu sein, da sich insbesondere Augsburg in jener Zeit mehr und mehr dem Barchent-, Bergbau- und Bankgeschäft zuwandte4 und den Wollhandel etwas zu vernachlässigen schien; es gab ihn aber nie ganz auf. Die Nürnberger nutzten diese Situation geschickt aus. Nach der Eroberung Antwerpens durch die Spanier (1576) ging Nürnbergs Großhandel in flämischen und englischen Tuchen fast schlagartig zurück.5 Englische Kaufleute besaßen 1564/65 Stapelrechte in Emden und erhielten 1567 Handelsprivilegien in Hamburg; doch erst 1611 setzten sich die Merchant Adventurers in Hamburg fest 1 Lütge, Strukturwandlungen (s. o. 477) 35. 2 S. Endres, Wirtschaftsbeziehungen (s. o. 478) 143 ff.; ferner Bog, Wachstumsprobleme (s. o. 477) 520 ff. 3 Wolltuche nach Böhmen vermittelte Nümberg schon um 1290, Nübling (s. o. 477) 213. 4 Mit dem verstärkten Aufkommen des Barchents im frühen 14. Jh. fanden sich auch Nümberger Händler, die den Vertrieb dieses Produktes übernahmen. Barchent blieb für Nümberg hauptsächlich ein Zwischenhandelsgut; es

ist nicht verwunderlich, daß Nürnberg diesen Handelszweig in der zweiten Hälfte des 15. Jhs. weitgehend an die Barchentproduktions-Städte Ulm und Augsburg verlor; dort lagen Baumwollimport, Weberverlag und Barchentvertrieb(-Export) in einer Hand. Nach Nübling (s. 0.477) 77 entstanden (erst) 1488 eigene BaumWollwebereien in Nürnberg; vgl. ebd. 303. 5 S. Endres, Wirtschaftsbeziehungen (s. o. 478) 160 ff.

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und versuchten selbst den Handel mit englischer Wolle zu übernehmen.1 Sie unterhielten vorübergehend eine eigene Niederlassung in Nürnberg.1 2 Die Nürnberger Textilkaufleute hatten für diesen Verlust jedoch im Leinenhandel schnell einen Ersatz gefunden. Die Blütezeit des Nürnberger Leinenhandels dauerte etwa von der Mitte des sechzehnten bis zum Beginn des siebzehntenJahrhunderts. Zwar vertrieben die Nürnberger schon im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert Leinwand und Barchent aus oberdeutschen Städten (Nördlingen), dem Ries, insbesondere auch aus St. Gallen, und brachten Textilien im Austausch gegen Fisch (Hering, Stör, Hecht), Wachs und Bernstein in den Ostseeraum (Lübeck), doch verlor Nürnberg diesen Handel zum großen Teil in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts an die Baumwoll-Barchent-Kaufleute Ulms und Augsburgs. Nürnberg verlor auch einen Großteil seines Barchentverlags im Ries an die Kaufleute dieser beiden Städte.3 Selbst die daraufhin erfolgte Hinwendung zu den Westfälischen («Osnabrücker») Leinenstoffen,4*die z. T. im Mittelmeergebiet abgesetzt wurden, blieb nur ein Zwischenspiel. Die große Chance Nürnbergs im Leinwandhandel war dann, daß es das Entstehen einer «Qualitätsschere» auf dem Textilsektor rechtzeitig erkannte und dann mit Geschick und dem Einsatz von Macht und Kapital (Betriebskredite an die Weber) den Weber-Verlag in der jetzt aufstrebenden, neuen Leinenlandschaft des östlichen Mitteldeutschlands (Sachsen, Böhmen, Schlesien, Obere Lausitz, Rochlitz, Colditz, Schweidnitz, Breslau) betrieb.’ Mit ihren dort eingerichteten Faktoreien vermochten die Nürnberger für einige Jahrzehnte eine nahezu monopolartige Stellung als Aufkäufer (Zunftkäufe) der billigen, leichten, für den Export in die spanischen und portugiesischen Kolonien bestimmten Roh-Gewebe einzunehmen. Schlesiens Leinwand ging über Nürnberg nach Italien, Spanien und Portugal und vor allem in die Kolonien; schlesische Leinwand tauchte auch in Polen und Rußland auf.6 Schätzungen nach dürfte die Ausfuhr Sachsens in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts bei etwa 70000 Stück Leinen von 24 Ellen Länge gelegen haben. Anfang des siebzehnten Jahrhunderts arbeiteten allein für die größte Nürnberger Verlegerund Handelsfirma Viatis und Peiler 2000 Meister und Gesellen? Die Weber waren in Finanzierung und Absatz von Nürnberg abhängig. Bartolomäus Viatis hinterließ bei seinem Tode im Jahre 1624 1125000 Gulden; er galt zu dieser Zeit als der reichste Mann Deutschlands.’ Während bei den oberdeutschen und fränkischen Barchentund Leinewebern der Verleger überwiegend nur den Absatz der Produkte übernahm 1 Lütge, Sozial- u. Wirtschaftsgesch. 334; Bog, Reichsmerkantilismus (s. u. 504) 61. 2 Unger (s. o. 479) 20 ff, 24 ff 3 Endres, Wirtschaftsbeziehungen (s. o. 478) 139· 4 Ebd. 140; Peyer (s. o. 477) I 529 ff. und II 25, 60 weist noch für 1486/87 und 1507 den Export St. Galier Leinwand nach Nürnberg nach; Preisangaben für Kemptener, Wangener und St. Galier Leinwand ebd. 1451, II25. ’ Grundsätzliches über Altnümbergs Verlagswesen bei Aubin (s. o. 478) 620 ff; auf

S. 635 Angabe derjenigen 21 Gewerbearten, in denen der Verlag eine Rolle spielte; den Verlag gab es vermutlich seit dem späten 13.Jh.; ebd. 62$. Über die «Qualitätsschere» s. u. 1084 ff. 6 Hildebrandt (s. o. 477) 230 f.; s. auch Angaben bei Hettz (s. o. 478) 23 ff.; vgl. auch Endres, Wirtschaftsbeziehungen (s. o. 478) 140 f.; Kunze, Leinwand (s. o. 478) 13. 7 Ebd. 30 f.; s. auch Schultheiss, Peiler (s. o. 479) I ff. 8 Bog, Wachstumsprobleme (s. o. 477) 517.

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und die Finanzierung der Produktion eher zu den Ausnahmefällen gehörte, war der Nürnberger Verleger in den mittleren ostdeutschen Gebieten vor allem auch Kreditgeber der Weber; sein Verlagsgeschäft war sehr viel kapitalintensiver * als das der oberschwäbischen Verleger; entsprechend war die Verleger-Abhängigkeit der mitteldeutschen Weber - das drückte sich in dem niedrigen Einkommensniveau aus - größer als in Oberschwaben. Charakteristisch war für das Leinwandgeschäft, daß mit dem Transithandel ein Veredelungsgewerbe gekoppelt war: Die rohen Leinenstoffe wurden in Nürnberg gefärbt. Die Nürnberger Färbereien färbten schon seit dem vierzehntenJahrhundert von auswärts kommende Textilien ein.2 1363 waren in Nürnberg bereits 34 Färber, 1487 deren 80 ansässig. 1533 konnte binnen kurzer Zeit die Zahl der gefärbten Stücke von 30000 auf 60000 erhöht werden? Im letzten Drittel des Sechzehntenjahrhunderts nahm Nürnberg mindestens 90 geflüchtete Färber und Bereiter auf, die in zwölf privilegierten Färbereien mit Indigo nach englischer Manier färbten.4 Das bedeutet, daß nicht nur der Kaufmannsstand, sondern auch heimisches Gewerbe aus dieser Geschäftsverbindung mit den mitteldeutschen Leinengebieten Einkommen bezog. Bei diesem Veredelungsgewerbe kam es Nürnberg sehr zustatten, daß es schon zu Beginn des vierzehntenJahrhunderts einen umfangreichen Handel in Färbestoffen betrieb: Schirwitz (Scharlachlaus) aus Brandenburg, Polen und Rußland ging nach Westdeutschland und Italien; die Waidpflanze kam aus dem Hinterland von Köln und Erfurt. Die Blütezeit des Nürnberger Leinwandverlags endete mit dem Eindringen Leipziger, Hamburger und englischer Handelshäuser nach Mitteldeutschland am Ende des sechzehnten und zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts? War die gefärbte Leinwand schon kein reines Transitgut mehr, wie Vieh und die Spezereien, tritt uns in den Nürnberger Metallwaren das für diese Stadt charakteristischste Gewerbeexporterzeugnis entgegen.6 Wie das Transitgut (Safran, Pfeffer) wurde auch das innerhalb der Stadt selbst hergcstellte bzw. veredelte Produkt einer strengen Qualitätsüberwachung (Schau) unterzogen. - Bei dem Metallwarengewerbe ist zu unterscheiden zwischen dem älteren eisen- und dem jüngeren buntmetallverarbeitenden Gewerbe. Eisen wurde in der Form von Knüppeln und Stäben aus der erzreichen Oberpfalz (Sulzbach, Amberg) seit der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts bezogen (Regensburg, Ulm, Passau).’ Spätestens im vierzehntenJahrhundert erwarben Nürnberger Patrizier Hammerwerke in der Oberpfalz; sie waren Mitglieder der 1387 abgeschlossenen Oberpfälzer Hammereinung.8 25 der 60 Schien’ Kunze, Leinwand (s. o. 478) 15; vgl. Jahn (s. o. 477) 178. 2 Hildebrand (s. o. 477) 229; ausführlich zu diesem Themenkreis Kunze, Textil- u. Färbereigewerbe (s. o. 478) 669 ff. ’ Aubin-Kunze (s. o. 477) 34, 38; Kunze, Textil- u. Färbereigewerbe (s. o. 478) 675; hier auch Angaben über die Ausrüstung von Tuchen. 4 Bog, Wachstumsproblcme (s. o. 477) 527; Schultheiss, Nürnberg-England (s. o. 479) 77 ff.

5 Endres, Wirtschaftsbeziehungen (s. o. 478) 141; Bog, Reichsmerkantilismus (s.u. 504) 9; Aubin-Kunzb (s. o. 477) 285 f· 6 S. viele Angaben bei Dettling (s. o. 478) 16. 7 Viele Angaben über die Beziehungen zwisehen Nürnberg (Regensburg, Ulm, Passau) und der Oberpfalz bei Ress (s. o. 477) 125 ff.; ferner Sprandel (s. o. 478) 164 ff.; s. u. 1371. 8 Fröhlich(s.o.478) 121 f.;femers.u. 1373f.

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und Stabeisenhämmer, die in der Oberpfälzer Hammereinung zusammengeschlossen waren, lieferten 1557 ihre Halbfabrikate nach Nürnberg.1 Steierische Eiscnhändler scheinen erst mit dem sechzehntenJahrhundert nach Nürnberg gekommen zu sein.1 2 Die Schmiedemeister - in Nürnberg gab es ausgangs des vierzehntenjahrhunderts allein 45 verschiedene Arten von Schmiedehandwerken - machten aus dem Halbzeug Nägel, Bolzen, Nadeln, Schaufeln, Zangen, Beile, Messer, Pflüge, Sensen, Blechteller und Näpfe, alle Arten von Handwerkszeug, Hellebarden, Stich- und Hiebwaffen, Kettenhemden, wie überhaupt mannigfaltiges Kriegsmaterial für den wachsenden Bedarf der Heere in Deutschland, Böhmen, Niederlande, Skandinavien, England, Italien. Bei den Schwarzblech (später auch Weißblech-) Harnischen, Helmen, Eisenschienen für Roß und Reiter kam zu dem reinen Gebrauchshandwerk noch Kunsthandwerk hinzu. Im ausgehenden fünfzehnten Jahrhundert sollen fast alle norddeutschen Städte und Fürsten, selbst die skandinavischen Länder, von Nürnberg aus mit Waffen versorgt worden sein.3 Die Ravensburger Handelsgesellschaft nahm für den Transithandel nach Spanien einen großen Teil der Metallwaren ab; u. a. Nähnadeln, Stecknadeln, Schustemägel, Messer, dazu Weiß- und Messingbleche, Kupfer- und Messingdraht.4 Gerade Bleche waren ein sehr begehrter Artikel, der von Nürnberg Vorzugsweise über Antwerpen (Brügge), Lübeck, Riga und Thom, dann Genua, Valencia vertrieben wurde. Beachtenswert ist, daß sich in Nürnberg kein bedeutendes BlechVerzinnungsgewerbe entwickelte, obwohl der Stadt böhmisches Zinn zur Verfügung stand;5 Nürnberg war auf die Amberger Verzinnerei, die zeitweise ein Monopol erringen konnte (Zinnhandelsgesellschaft 1617-1622) angewiesen. Infolge der ständig drohenden Türkengefahr und der spanischen Aufkäufe profitierte Nürnbergs Rüstungsgewerbe: Spieße, Hauben, Haken gingen zu Hunderten in den Handel. Konstanz erhielt 1552 15000 Hakenbüchsen.6 Hauptmarkt für Mitteleuropa war Frankfurt, für den schwäbisch-fränkischen Raum das von den Eisenhändlern und -krämem besonders gern besuchte Nördlingen. Trotz der erstaunlich großen Verarbeitungskapazität Nürnbergs konnte die Stadt nicht alles Obcrpfälzcr Eisen selbst verarbeiten. Zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts führte cs 50% des vorwiegend von der Oberpfalz bezogenen Eisens und 25% der eingeführten Schwarz- und Zinnblechc unverarbeitet aus (Zwischenhandel)7 vorwiegend über Nördlingen nach Württemberg und Schwaben. Dabei ist nicht das Eisen einbegriffen, das von der Oberpfalz aus direkt nach Wunsiedel (Blechverzinnerei) und Nördlingen (Messe), dann, seit dem fünfzehnten Jahrhundert Nördlingen im Eisengeschäft allmählich verdrängend, in verstärktem Ausmaß nach Ulm (z. T. 1 Boc, Wachstumsprobleme (s. o. 477) 516, gestützt auf Ress (s. o. 477) 139; über die Verbindung Nürnbergs mit dem Eiscngebict der Oberpfalz s. ferner Sprandel (s. o. 478) 164 ff.; s. u. 1372 ff. 2 Über Nürnberger Montanuntemehmer in der Steiermark s. Kunnert (s. o. 478) 229 ff. 3 Veit (s. o. 479) 19; ausführlich Scheibe (s. o. 479).

4 Schulte (s. o. 478) I 447 ff., II 194 ff., 107 ff; Veit (s. o. 479) 19: Zwischen 1467 und 1480 gingen über die Große Ravensburger GeSeilschaft u. a. 980000 Stecknadeln und fast eine Million Nähnadeln nach Barcelona. 5 Vgl. u. 1376 f. 6 Dettling (s. o. 478) 215, 224. 7 Endres, Wirtschaftsbeziehungen (s. o. 478) 122 f.

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über Regensburg) ging.1 Das Aufkommen Ulms als Eisenhandelsstadt hängt mit seinem Aufschwung im Baumwoll- und Barchentgeschäft zusammen. Viele Textilien gingen per Schiff in die Donauländer, wobei dann als Rückfracht Eisen, u. a. auch aus der Steiermark und Kärnten, geladen wurde. Ulm bezog das Eisen von zwischenhandelnden Amberger und Regensburger Kaufleuten (16. und 17. Jh.). Inwieweit hierbei auch Nürnberger Kaufleute beteiligt waren, ist nicht ganz geklärt. Von Ulm ging das Eisen dann bis in das Bodenseegebiet, in die Schweiz, zum Oberrhein, nach Italien. Bis in die ersten Jahre des Dreißigjährigen Krieges hinein blühte die steierische Stahlhandelsgesellschaft der Bosch, Forenberger, Semler und Co.1 2 Die Steiermark war neben der Oberpfalz ein zweites Hauptbezugsgebiet für Eisen3* in Mitteleuropa. Kaum schwieriger als der Ankauf des nahegelegenen Eisens gestaltete sich der Bezug von Buntmetall. * Die Versorgung der städtischen Gewerbe mit diesem Produkt war immer gedeckt. Kupfer, das für die Legierung Messing wichtig war, kam überwiegend aus dem Mansfeldischcn, aus Böhmen und Ungarn und zum geringen Teil auch aus Tirol. In den dreißiger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts lieferten die Mansfelder Saigerhütten etwa 10000 Zentner Kupfer. Damit gingen mehr als 40% der gesamten Produktionskapazität nach Nürnberg; Ungarn lieferte etwa 12 000 Zentncr und Böhmen kaum mehr als 1000 Zentner. Nürnberger Kaufleute besaßen Kapitalantcile an den Kupferhütten. 1537 betrug z. B. die Beteiligung an der Amstädter Saiger-Gescllschaft 100000 fl. Die Kapitalbeteiligungen wurden trotz gelegentlicher Spannungen mit den böhmischen Kupferproduzenten, den Fuggern, nach 1546 auch mit den Manlich, Poller, Weiß (Ungarn), deren Vormachtstellung Nürnberg in diesem Gebiet nicht auszuschalten vermochte (vielleicht auch nie ernstlich versuchte), bis zum Beginn des siebzehntenjahrhunderts aufrechterhalten.5 Der Buntmetallhandel Nürnbergs umfaßte Roh-, Halb- und Fertigprodukte; wie beim Eisen bestand eine Verbindung von Transit- und Gewerbeexportgeschäft. N ümberg stellte im sechzehnten Jahrhundert neben Aachen die bekanntesten Messingwaren her.6 Arm- und Beinreifen gingen seit der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts, wie auch von Augsburg aus, in die portugiesischen Kolonien. Töpfe, Schüsseln, Mörser, Mctallschildchcn, Münzgewichte wurden über Frankfurt, Antwerpen, die Ostseestädte, dann über Lyon, Venedig, Genua und Barcelona sowie über Breslau, Krakau, Lemberg, Wien, Budapest in alle Welt verkauft. - Die Deckung des regionalen Bedarfs geschah weitgehend auf der Nördlingcr Landschaftsmcssc, die im Gegensatz zum Eisengeschäft ihre Stellung im Kupferhandel bis ins siebzehnte Jahrhundert halten konnte. 1 Ebd. 122 f.; ferner Stahl, Amberg (s. o. 1371) 86 ff., insbes. 91 f. 2 Bog, Wachstumsprobleme (s. o. 479) 517. 3 Die Steiermark war neben der Oberpfalz ein weiterer wichtiger zentraleuropäischcr Eisenproduktionsplatz; vgl. Rubner, Forstgeschichtc (s. 1371) 141 ff, ferner Dettling (s. o. 478) 214 ff

4 S. auch Blaich (s. o. 477) 107 ff. 5 Möllenberg (s. o. 478); über das Buntmetall-Oligopol oberdeutscher Firmen im Karpatenraum s. vor allem Stromer, Hochfinanz (s. o. 479) I 130, 139 ff. 6 Strieder, Das Reiche Augsburg (s. o. 478) 161.

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Besonders berühmt wurde Nürnberg durch seine unbestrittene europäische Vormachtstellung auf dem Gebiet der Feinmechanik:' Standuhren, Taschenuhren (Peter Henlein, «Nürnberger Eier»), Glockenspiele, Kompasse, medizinische, astronomische und nautische Präzisionsinstrumente wie Waagen, Meßinstrumente, Geheimschlösser, Zirkel, kunstvolle Brillengestelle fanden ihren Weg in europäische Fürstenhöfe, Residenzen und die Kapitänskajüten großer Schiffe.1 2 Neben Brunnen-, Röhren- und Pumpsystemen für künstliche Wasserwerke und -spiele wurden für den Export auch Investitionsgüter hergestellt: Einrichtungen für Stampf- und Pulvermühlen, für Säge- und Polierwerke (-mühlen) und Zainmühlen. Die technisch-mathematische Seite der aufblühenden Wissenschaft zur Zeit der Renaissance gewann schnell AnWendungsgebiete im Handwerk. Es muß hier nicht besonders hervorgehoben werden, daß die aufgeführten Handelsgüter nur eine Auswahl darstellen; in Kaufmannsbüchern finden sich nahezu alle Produkte, mit denen in jener Zeit Handel getrieben wurde, u. a. Silber aus Sachsen und Böhmen,3 Blei (für die Saigerhütten) aus Polen, Quecksilber aus Idria (Spanien) für Antwerpen und Lyon, Honig aus dem Nürnberger Reichswald (Lebkuchenbäckerei), Pelze aus dem Osten (Krakau),4 Fische und Bernstein aus den Ostseestädten (Lübeck), wobei viel Bernstein in Nürnberg verarbeitet wurde, das im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert neben Lübeck5 eine bedeutende Rosenkranzmacherstadt gewesen sein muß; Nürnberg handelte des weiteren mit Wachs aus Polen und Rußland (Kiew, Lemberg); nicht zu vergessen sind Flachs aus Riga für Ulms Barchenter,6 die Farbstoffe Waid und Safran, dann die zur Versorgung der im Jahre 1500 etwa 25000 Einwohner zählenden Stadt notwendigen Lebensmittel; Viktualien brachten vor allem die Bauern aus dem Ries, die ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse in der Stadt eintauschten. Nürnbergs Handel war primär Warenhandel, auch wenn er mit Geldgeschäften (z. B. Verlegerkapital) gekoppelt war. Auf dem Nürnberger Geldmarkt wurde der Nürnberger Warenfemhandel abgerechnet, auf Nürnberg gezogene Wechsel wurden verrechnet und eingelöst. Die Heiltumsmesse war der herausragende Zahlungstermin. Dem reinen Geldhandel schenkten die Nürnberger Patrizier im Vergleich zu Augsburg vermutlich etwas weniger Aufmerksamkeit. Sie hielten sich bei Anleihen für Landesherren eher vorsichtig zurück.7 So große Kapitalverluste, wie sie Augsburger Handelshäuser bei Staatsbankerotten hinnehmen mußten,8 trafen deshalb Nürnberg nicht. Der 1 Vgl. etwa Schulte (s. o. 478) 479; Mum(s. O. 477) 36. 2 S. ausführlich Werner, Erzeugung (s. o. 479) 70 ff. 3 In den 80er Jahren des 15. Jhs. hatte Nümberg sogar das Alleinhandelsrecht für sächsisches Silber, den sogenannten sächsischen Silberkauf; Zimmermann (s. o. 479) 12 ff. 4 Endres, Wirtschaftsbeziehungen (s. o. 478) 176 ff.; Veit (s. o. 479) 20. 5 Nordmann, Nürnberger Großhändler (s.o. 478) 127 ff. MENHOFF

6 Zimmermann (s. o. 479) 12 fF. 7 Wie umfangreich dennoch der Geldverkehr war, beleuchtet zusammenfassend Stromer, Hochfinanz (s. o. 479) II 436 ff. 8 Vgl. 1093f.;Stromer,HochfinanzI 178ff.; II 26 f., 219 ff.; über Wechselstuben ebd. II 343 ff.; Ders., Handel u. Geldgeschäfte (s. o. 479); ferner Schultheiss, Beiträge zu den Finanzgeschäften; Ders., Geld- u. Finanzgeschäfte (s. o. 479) und die in beiden Arbeiten angeführte Literatur.

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1621 in Nürnberg gegründete Banco Publico, eine der berühmten Bankgründungen im Reich, diente nicht primär dem Kreditgeschäft, sondern führte über die Verrechnungseinheit Mark Banko eine Art von Verrechnungsgiro der Einleger untereinander ein. Die Münzunsicherheiten während der (zweiten) Kipper- und Wipperzeit sollten auf diese Art für die Bankkunden verringert werden.1 Bei dem ausgedehnten und weitverzweigten Warenhandel war die Übermittlung ",von Informationen eine notwendige Voraussetzung für den kontinuierlichen Ablauf der Geschäfte. So finden sich schon in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts (1449) Nachweise über regelmäßig verkehrende Briefboten zu Pferd zwischen den einzelnen oberdeutschen Messe- und Stapelplätzen? Besonders wichtig wurde die Route Nümberg-Augsburg-Venedig; 1553 wurde eine Botenanstalt für den Nachrichtenverkehr zwischen Nürnberg und St. Gallen gegründet, deren Botennetz 1575 bis Lyon verlängert wurde. Das Nachrichtenübermittlungssystem wurde bald für eine einzelne Stadt zu teuer. Deshalb kam es zur Gründung eines gemeinsamen Botenwesens durch Kaufleute aus Nürnberg, Nördlingen, Ulm, Augsburg, Biberach, Ravensburg, Lindau, St. Gallen; es war die sogenannte «Nürnberger oder Deutsche Ordinarii».3 Ihre Boten verkehrten vor allem auf den folgenden, von Nürnberg ausgehenden Straßen und bildeten damit ein dichtes Nachrichtennetz zumindest über mittlere Distanz:4 1. drei bayerische Straßen (nach München, Landshut, Regensburg), 2. vier schwäbische Straßen (nach Augsburg, Ulm, Hall, Rothenburg), 3. die Frankfurter Straße, 4. die hessische Straße (nach Höchstadt a. d. A., Schweinfurt, Fulda), 5. zwei Thüringer Straßen (nach Erfurt, Leipzig), 6. die Vogtländer oder Bayreuther Straße, 7. die böhmische oder Prager Straße. Die normale Reisezeit einer Kutsche zwischen Ulm und Nürnberg betrug 4 Tage; schnell reitende Boten benötigten für die Strecke NürnbergLübeck 10 Tage.5 Aus dem zumindest teilweise gemeinsam betriebenen Botenwesen läßt sich erkennen, daß sich die oberdeutschen Städte bei aller Konkurrenz, allen Rivalitäten und Spannungen im einzelnen doch immer wieder auf einer Basis gemeinsamen Interesses gefunden haben. Ohne daß immer direkte Absprachen untereinander getroffen worden wären, läßt sich rückblickend eine Art faktisches Ergänzungsverhältnis feststellen, das langfristig die Schärfe des Wettbewerbs milderte. Im Textilgeschäft waren 1 Vgl. Fuchs (s. o. 478) 1 ff.; infolge des begrenzten Aufgabenbereichs der Bank hatte sie im 18. Jh. vermutlich keine große überterritoriale Bedeutung mehr. Roth (s. o. 479) IV 320 bemerkt denn sehr treffend: «Die hiesige Bank, wie sie gegenwärtig eingerichtet ist, fällt dem Staate zwar nicht lästig (Anm.: gemeint ist vermutlich die zweite Hälfte des 18. Jhs.), aber für den Handel entspricht sie nicht mehr ihrer Bestimmung, besonders seit der Konventionsmünzfuß eingeführt worden ist (Anm.: !753. 1763) und keine so schlechten Münzsorten mehr in der Menge, wie ehehin, zirkulieren.»

2 Vgl. Müller, Hauptwege (s. o. 478) 14 f.; Endres, Wirtschaftsbeziehungen (s. o. 478) 75; ferner Weitnauer (s. o. 478) 117ff. 5 Endres, ebd. 76; s. auch Sessler (s. o. 479). 4 Vgl. Müller, Hauptwege 1 ff., 16; Ders., Handelsgebiet 1 ff. (s. o. 478). 5 Nordmann, Nürnberger Großhändler (s. o. 478) 142; s. auch zahlreiche Angaben bei Müller, Welthandelsbräuche (s. o. 477); Angaben über Nürnberger Botenlöhne im Spätmittelalter bei Müller, Hauptwege (s. o. 478) 14 ff.; Lütge, Sozial- u. Wirtschaftsgeschichte 241 f., 247.

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Augsburg, Ulm und früher auch Konstanz tätig; den Gewürzhandel teilten sich für Oberdeutschland insbesondere Augsburg und Nürnberg; Würzburg war Getreideund Wein-Handelsplatz; Frankfurt hatte die große zentraleuropäische Messe, hinter der die Reichsmesse in Nürnberg zurückstand;1 Nördlingen war die schwäbischfränkische Landmesse; das Eisen- und Buntmetallgewerbe lag in der Hand Nürnbergs, zeitweise Ulms, die Kupferproduktion zumindest zeitweise bei Augsburg; der Ochsenhandel von Ungarn ging dann wieder über Nürnberg, wie überhaupt der Handel nach dem Osten besonders von Nürnberg aus betrieben wurde. Augsburg war führend im Geld-, Kredit- und Wechselgeschäft; neuere Untersuchungen zeigen indes, daß die Bedeutung des Nürnberger Geldmarktes gelegentlich unterschätzt wurde.12 Trotz mancher Konkurrenzverhältnisse, die sich sowohl aus dem Warensortiment ergaben, als auch aus dem Zusammentreffen der Kaufleute in gemeinsamen Bezugs- und Absatzgebieten, darf man kaum von einer ausgesprochen ruinösen Konkurrenz der oberdeutschen Handelsgeschlechter untereinander sprechen; dazu waren ihre Interessen viel zu sehr ineinander verwoben. Sie waren innerhalb des gegenseitigen Privilegiensystems aufeinander angewiesen. Kampfmaßnahmen, wie die gegenseitigen Aussperrungen, die in England und Rußland gegenüber den Hansen vorkamen, oder wie die erbitterte Gegenwehr der norddeutschen Städte gegen die Merchant Adventurers, waren unter den oberdeutschen Kaufmannsfirmen kaum zu beobachten.

c) Die Nürnberger Handwerker. Das Ansehen Nürnbergs beruhte zu einem sehr großen Teil auf der Leistungsfähigkeit seiner Handwerker. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Bürgerschicht war größer als ihr politischer Einfluß auf die Verwaltung und die Politik der Stadt. Regiert wurde die Stadt vom Stadtregiment der Patrizier, dessen Mitglieder aus dem Kreis der «Ehrbaren», den Großhandels- und Grundherren, stammten.3 Ihre Rechte leiteten die Patrizier ab aus einem nicht näher feststellbaren «Herkommen». Gefestigt wurde dieser Anspruch durch die rechtlichen Folgen der mißlungenen Zunftrevolution von 1348/49, dem großen, vergeblichen Putschversuch der Handwerker gegen die Inhaber der Sitze im Stadtregiment (Alter Rat).4 - Der Alte Rat löste auf Befehl des Kaisers alle zu diesem Zeitpunkt existierenden Zünfte und zunftähnlichen Handwerkervereinigungen auf. Seit dieser Zeit gab es in Nürnberg keine Zünfte mehr in der üblichen Bedeutung des Wortes und seit dieser Zeit ist die Entwicklung des Handwerkerstandes, des Handwerksrechts und der Wirtschaftsverfassung der Stadt insgesamt in einem bemerkenswerten Maße von dem Willen und 1 Über die Reichsmesse in Nürnberg s. LütHeiltumsmesse (s. o. 278) 208 ff. Die Diskussion um die Bedeutung dieser Messe ist noch nicht abgeschlossen. 2 S. o. 490 Anm. 7. 3 Vgl. Jegel (s. o. 478) i und die 637 f. reichlich angegebene Literatur; dann ausführlieh Lentze, Gewerbeverfassung (s. o. 324) 208 ff. und Meyer (s. o. 478); Definition der Ehrbaren bei Stromer, Hochfinanz (s. o. 479) II 296 f.: dort wird im Kapitel «Reichtum und ge,

Ratswürdc in Nürnberg», S. 295 ff. ausführlich über ständischen Aufbau und politische RangOrdnung gesprochen; Sander (s. o. 324) 39 ff, 78 ff. 4 Vgl. Mummenhoff (s. o. 477) 42 ff., 46; dann ausführlich: Chroniken der deutschen Städte, Nürnberg, Teil IV, Beilage III; Lentze, Gewerbeverfassung (s. o. 324) 226ff.; Maschke, Verfassung (s. o. 477) 289 ff., 433 ff.; über die Entstehung der Ratsherrschaft im 13. u. 14. Jh. dann Pitz (s. o. 478).

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den Zielvorstellungen des Stadtregiments und damit der Großkaufleute geprägt.‘ Wohl in kaum einer anderen großen Reichsstadt läßt sich ein ähnlich starkes Abhängigkeitsverhältnis feststellen wie in Nürnberg. Bis zum Jahre 1535 begnügte sich der Rat, seine Ordnungsvorstellungen über die Handwerker in einer Vielzahl von EinzelVorschriften’ auszudrücken; dabei beließ er die «Handwerke», die an die Stelle der vormaligen Zünfte traten, möglichst lange im Zustand der «Freien Kunst». Von den am Ende des vierzehntenJahrhunderts gezählten 242 verschiedenen Handwerksbranchen (Gewerken) hatten erst etwa 100 eine Ordnung; die übrigen gehörten zur «Freien Kunst» ;‫ נ‬noch bis weit in das sechzehnte Jahrhundert hatten die wichtigsten Handwerke keine Satzung.4 Seit dem vierzehnten bis zum frühen neunzehnten Jahrhundert kennt somit das Nürnberger Handwerk die zwei großen Gruppen:5 Das «Geschworene Handwerk» und die «Freien Künste». 1. Das geschworene Handwerk. Analog zu den Zünften anderer Städte waren in Nürnberg Handwerker derjeweils gleichen Branche zu «geschworenen Handwerken» zusammengeschlossen. An der Spitze eines solchen Handwerkes standen die von den Meistem aus ihrer Mitte gewählten Geschworenen; die Wahl bedurfte der Bestätigung durch den Rat. Die Handwerke hatten jeweils eine Ordnung; sie wurde von der obersten gerichts- und gewerbepolizeilichen Behörde der Stadt, dem von Angehörgen des Stadtrats besetzten Rugamt, ausgearbeitet.6 Die geschworenen Handwerke gliederten sich in «geschenkte», «ungeschenkte» und in «gesperrte». In den Gesellen-Herbergen wurden die wandernden Gesellen der geschenkten Handwerke mit Geldbeträgen (Geschenken) unterstützt. Eng verknüpft mit den «Geschenken» war die ArbeitsVermittlung der Gesellen (Zuschick-Gesellen),7 die sich in den Herbergen unter den Gesellen im Laufe der Zeit herausbildete. Die für den kontinuierlichen Betriebsablauf eines Meisterbetriebs notwendige Mitarbeitergruppe der Gesellen wechselte in regelmäßigem Turnus. Der Meisterbetrieb hatte keinen festen Stamm von «Facharbeitern». In dem Maße, in dem die Gesellen eines geschenkten Handwerks zu einem über das ganze Reich und die Schweiz ausgedehnten Bund mit gleichen Gewohnheiten und Gebräuchen wurden (Gesellenbünde), bestand die Gefahr eines Mißbrauchs der Macht, die die Gesellen in dem möglichen Arbeitsvermittlungsmonopol besaßen. Ihnen zurecht oder zu unrecht mißliebige Handwerksmeister wurden «geschmäht», sie erhielten keine Gesellen mehr zugeschickt; eine Geschäftsschädigung des Meisters war die Folge - zumal er innerhalb des festen Zunftreglements keine Möglichkeit besaß, (Rechtens) auf anderweitige Arbeitskräfte auszuweichen. Seit dem sechzehnten Jahr1 S. auch Schoenlank (s. o. 479) 338 f., 343; ferner Lentze, Gewerbeverfassung (s. o. 324) 216 ff. 2 U. a. Ratsverlässe, Eintragung in den Ratsbüchem, sie sind zumeist abgedruckt bei Baadeb (s. o. 478). 3 Vgl. Jecel (s. o. 478) 4; bis zum Jahre 1592 hat sich die Zahl der einzelnen Gewerbezweige auf 277 erhöht; Mummbnhoff (s. o. 477) 27.

4 Ebd. 28. 5 Vgl. auch Wiest (s. u. 505) 38 f., 65 ff. 6 Zum Rugamt s. u. a. Mummenhoff (s. o. 477) 44■ 7 Über die Reichsverordnungen des 16. Jhs. gegen das Schenk- und Zuschickwesen s. ebd. 82 ff.; über die Arbeitsvermittlung s. Schoenlank (s. o. 479) 596; über häufige Lohnkämpfe ebd. 603 ff.

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hundert sah sich deshalb das Reich gezwungen, in zahlreichen Erlassen gegen das Schenk- und Zuschickwesen einzuschreiten, z. B. in der Reichspolizeiordnung von 1548, im Reichsabschied von 1551, bis hin zur Reichsgewerbeordnung von 1731. Die Reichshandwerkergesetzgebung war - folgt man dem heutigen Sprachgebrauch eher eine Verbots- als eine Mißbrauchsgesetzgebung. Ihr Erfolg war nicht groß. Im Gegensatz zu den «geschenkten» Handwerken erhielten bei den «ungeschenkten» Handwerken die wandernden Gesellen keine Geschenke; für «ungeschenkte» Handwerke bestand zumeist kein Wanderzwang. Für die Angehörigen der «gesperrten» Handwerke bestand ein Wanderverbot, um deren meist hochqualifizierte und spezialisierte handwerkliche Kenntnisse nicht außerhalb der Stadt zu verbreiten. Es handelte sich dabei häufig um Handwerke, die ein Exportgewerbe betrieben, z. B. die Brillenmacher, Fingerhuter, Gold- und Silberdrahtzieher und -Spinner, Kompaßmacher, Sanduhr- und Schellenmacher, Scherenmesserer, Trompetenmacher. Das Institut der Sperrung zur Wahrung von Betriebsgeheimnissen («Patenten») ist eine Nürnberger Spezialität. Arbeitete ein gesperrter Handwerker in einer fremden Werkstatt, wurde er unehrlich. Der Vorteil der Geheimhaltung von Fabrikationsgeheimnissen konnte im Zeitablauf die aufkommenden Nachteile der freiwilligen Selbstisolierung nicht ausgleichen.1 2. Die «Freien Künste». Zu den Freien Künsten gehörten Handwerksbranchen, für die es keine spezielle Ordnung gab, allenfalls die sogenannten «Gesetzlein».2 Die AusÜbung der freien Künste stand grundsätzlich jedermann offen; insofern war für diese Berufe in Nürnberg der Zugang eines Produktionswilligen zum Markt offener und freier als in vielen anderen Städten, vorausgesetzt, daß er das Stadtrecht zugesprochen bekam. Die freien Künste hatten es deshalb schwerer als das geschworene Handwerk, gegen Pfuscher und Stümper vorzugehen. Die «Freien Künste» wurden erst durch den Erlaß einer Handwerkerordnung zu «Geschworenen Handwerken»; damit ließ sich der Rat häufig lange Zeit. Es gab auch Fälle, in denen die Angehörigen der freien Künste selbst kein Interesse an einer Umwandlung in ein geschworenes Handwerk hatten, wie z. B. die Bierbrauer, Branntweinbrenner, Buchdrucker, Hefner, Papiermacher.3 Sie zogen die Bindungslosigkeit mit der Chance der raschen Expansion der Unternehmen der gesicherten «Zunft»satzung mit ihren mannigfachen Beschränkungen vor. Auch in dieser Hinsicht war die Gewerbeverfassung der Stadt liberaler als in manchen anderen Städten; dennoch wird man kaum von einer «Zwangsliberalität» sprechen können, obwohl noch zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts das Gesuch einiger «Freien Künste», zum geschworenen Handwerk zugelassen zu werden, vom Rat zurückgewiesen wurde.4 Den Handwerkern wurde beschieden, sie sollten eine freie Kunst bleiben, wie es von alters her gewesen sei. Das bedeutete letztlich, daß in diesen «ungeordneten» Handwerken der Wettbewerb besonders intensiv sein konnte. Möglicherweise hängt es mit der damit verbundenen schärferen Auslese zusammen, daß im ausgehenden achtzehnten Jahrhundert die Angehörigen der Freien ,Über die gesperrten Berufe im 16. Jh. s. Mummenhoff (s. o. 477) 84 f. 2 Vgl. ebd. 31.

3 Vgl. Wiest (s. u. 305) 38 Anm. 117. 4 So Mummenhoff (s. o. 477) 28 f.; Beispiele bei Pilz, Handwerk (s. o. 478) 9.

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Künste (9,5% aller Betriebe, 1797) am wohlhabendsten waren.1 Neben diesen beiden großen Gruppen, die das «eigentliche» Nürnberger Handwerk repräsentierten, gab es noch die Freimeister, die Stadtmeister und die Störer. 3. Die Freimeister. Sie wurden vom Stadtrat z. T. gegen den Willen und die Ordnungen der Handwerke eingesetzt; sie kamen jedoch selbst nach dem Dreißigjährigen Krieg selten vor.1 2 4. Die Stadtmeister. Das waren Handwerker, die für die Stadt im öffentlichen Interesse arbeiteten (z. B. Kaminfeger, Brunnenfeger); sie konnten eine beamtenähnliche Stellung erringen. 5. Bei den Störern handelte es sich um eine heterogen zusammengesetzte Gruppe von Gewerbetreibenden, die außerhalb der organisierten Handwerke standen und nicht der «Freien Kunst» angehörten. Sie ließen sich zum Gutteil außerhalb der Stadtmauern nieder. Unter den Störern fanden sich ewige Gesellen, herabgesunkene Meister, Stückwerker und arbeitende Frauen ebenso wie Landhandwerker.

d) Verfassung. Die Bezeichnung «Zunft» bürgerte sich zwar seit der zweiten Hälfte des siebzehntenjahrhunderts in Nürnberg langsam wieder ein, aber mit dem Neuauftauchen des Namens lief keine Änderung der Rechtstellung der Gewerbetreibenden einher; sie blieben nach wie vor in Abhängigkeit vom Rat.3 Dreißig Jahre nach dem Aufstand von 1348/49 berief der damals noch aus 26, 1370 dann aus 34 Patriziern bestehende Rat acht Handwerker in den neugebildeten erweiterten Rat und wußte sich so ein demokratisches Aussehen zu geben.4 Der Rat begann «eine Kommandowirtschaft» aufzubauen, «eine obrigkeitlich dirigierte Planwirtschäft» . . ., «in der planmäßig die Freiheit des wirtschaftenden Menschen immer mehr eingeschränkt wurde»;5 inwieweit diese Aussage generell zutrifft, muß untersucht werden. 1502 entbindet der Rat die Handwerker des erweiterten Rats auf deren Bitte hin von dem lästigen «täglich zu Rat zu gehen»;6 die Handwerker wollten die Störung ihrer Verdienstmöglichkeiten durch die Ratssitzungen nicht mehr haben. Das kann gedeutet werden als ein Zeichen von Resignation, als ein Einsehen der «Genannten von den Handwerkern», daß sie Entscheidungen von Belang kaum mehr beeinflussen konnten; es mag aber auch das Ergebnis eines grundsätzlichen Einvernehmens sein zwischen Patriziat und Bürgertum: «Aus den verschiedenen Nachrichten ergibt sich unzweideutig: Trotz manchmal geübten, menschlich begreiflichen Widerspruchs einer Innung oder Einzelperson fühlt sich die große Masse (der Handwerker, Bürger) unter dem Schutz des Rates geborgen, weil sie gut verdient.»’ Die schwache rechtliche Stellung der Handwerker hat indes «dem Gedeihen des Handwerks in Nürnberg 1 Wiest (s. u. 505) 51. 2 Generell zum Institut der Freimeister s. Schremmer, Wirtschaft Bayerns (s. o. 477 f.) 226 ff., 231 ff. 3 Weitere Angaben über Gewerbevcrfassung, Gewerbepolizei, Berufswahl, Meisterrecht usw. s. Wiest (s. u. 305) 38 ff, 59 ff, 63 ff, 73 ff.

4 Vgl. Jegel (s. o. 478) 2; Pilz, Handwerk (s. o. 478) 5. 3 Lentze, Gewerbeverfassung (s. o. 324) 253. Nach Stromer, Hochfinanz (s. o. 479) II 299 war die Vertretung der Bürgergemeinde «politisch ganz einflußlos»; ferner 303 f. 6 Jegel (s. o. 478) 3. ’ Ebd. 4.

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keinen Eintrag getan, im Gegenteil: da die egoistischen und zentrifugalen Bestrebungen dadurch eingedämmt wurden, konnte das ganze dabei nur gewinnen».' Es fragt sich aber, ob wirklich «das ganze» im Sinne der Gesamtheit der Nürnberger Bevölkerung an dem Reichwerden der Stadt anteilsgerecht partizipierte oder ob nicht ähnlich wie in Augsburg eine breite Bevölkerungsschicht arm war und arm blieb. Möglicherweise gibt eine noch vorzunehmende Untersuchung über den Wohnplatz der Handwerker einen ersten Anhaltspunkt: Nach einem Gesetz von 1407 ließ man nur diejenigen sich in der Vorstadt ansiedeln, die mindestens 100 fl. Vermögen hatten; wollte jemand in die innere oder rechte Stadt ziehen, mußte er mehr als 200 fl. Vermögen nachweisen.2 1535 erfolgte die große Kodifizierung der Nürnberger Handwerkenechte im Rahmen der Gewerbeverfassung, wie sie den Rechten des Nürnberger Schultheißenamtes von 1385 zu entnehmen ist;3 sie wurde 1629 erneuert,4 erheblich erweitert5 und vom Rügamt nach Anhörung der Gewerbetreibenden abgefaßt. Die damit erfolgte Fixierung der Handwerkerrechte und Handwerkerpflichten machten den engen eigenen Handlungsspielraum der Gewerbe deutlich: z. B. durften die Handwerke ohne Zustimmung des Rats keine Briefe an auswärtige Zünfte richten; Schreiben auswärtiger Zünfte an Nürnberger Handwerke mußten ungeöffnet dem Rugamt abgeliefert werden; ihre Beantwortung geschah nur im Einvernehmen mit dem Rat;6 wenn es die Handwerkerrechte nicht ausdrücklich erlaubten, war es den Handwerken verboten, sich ohne besondere obrigkeitliche Genehmigung und ohne die Anwesenheit eines Vertreters des Rugamtes zu versammeln; kein Handwerk durfte selbständig Auftreibzettel an fremde Zünfte versenden, in denen die Namen Nürnberger Gesellen verzeichnet waren, die gegen Nürnberger Gesetze verstoßen hatten (die fremden Zünfte sollten diese Gesellen nicht aufnehmen). Dem Nürnberger Handwerksgesetzbuch kommt an Umfang und Präzision im Detail die Ordnung keiner anderen Stadt gleich. Neben den zahlreichen Passagen, die die Abhängigkeit der Handwerke vom Rat bestätigen, weist es andererseits eine Fülle von Vorschriften aus, die anderswo in Zunftordnungen enthalten sind:7 z. B. VorSchriften über Lehrlinge, Gesellen und Meister. - Nach diesen Vorschriften wurde nur Lehrling, wer männlichen Geschlechts (gelegentliche Ausnahmen waren möglich) und ehelicher Geburt war, dessen Vater einen ehrlichen Beruf ausübte und wer die ' So Mummenhoff (s. o. 477) 44; s. auch Bost., Frühformen 449 f.: «In Nürnberg ist besonders sichtbar geworden, daß der Aufstieg des städtischen Bürgertums eine Erweiterung des Kulturuntcrgrundes ... im Gefolge hatte»; steigende durchschnittliche Realeinkommen, konstante oder wachsende Einkommensdifferenzierung und die Veränderung der politisehen Einflußmöglichkeiten können sich in unterschiedlichen Situationen zueinander unterschiedlich entwickeln. 2 Mummenhoff 27; auf ungleich wohlhabende Stadtviertel im 18. Jahrhundert weist auch Wiest (s. u. 505) 35 f. hin. Eine umfas-

sende Arbeit über die Einkommens- und Verrnögensverteilung in Nürnberg fehlt noch immer; eine nicht speziell Nürnberg behandelnde Untersuchung der sozialen Unterschichten in Städte veröffentlichte Maschke, Unterschichten 1 ff. 3 S. Lentze, Gewerbeverfassung (s. o. 324) 210 ff. 4 S. vor allem die Quellenpublikation von Jegel (s.o.478), die die Zeit von 1629 bis zum Ende der Reichsstadtzeit behandelt. 3 Ebd. 4 ff.; Wiest (s. u. 505) 66. 6 Dadurch ist der Schriftverkehr überliefert; s. Ress, Briefbücher (s. o. 479) 803 f. 7 Vgl. Jegel (s. o. 478) 12 ff, 35 f., 37 ff.

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protestantische Konfession nachweisen konnte; die Bestimmung, daß der Möchtegern-Lehrling «deutscher Junge» sein müsse, wurde in Süd- und Westdeutschland weniger häufig beobachtet als im Osten und Norden des Reichs.1 Der Rat der Stadt achtete darauf, daß der Zugang zu einem Beruf nicht mißbräuchlich erschwert wurde; deshalb wurden Findelkinder nicht vom Handwerk ausgeschlossen. Kost und Logis erhielt der Lehrling - wie auch der Geselle - bei dem Meister, der ihm Arbeit gab.1 2 Erfolgte nach mehrjähriger erfolgreicher Lehrzeit (2 bis 7 Jahre, je nach Art des Berufes) im Rugamt die «Ledigzählung», arbeitete (und wanderte) der junge Handwerker als Geselle3*je nach Gewerbezweig zwischen 6 und 12 Jahre (Wanderjahre und Sitzjahre). Hatte sich der Geselle während dieser Jahre ehrbar benommen - wobei der Rat sowohl auf das Berufs- als auch auf das Privatleben der Handwerker achtete konnte der Möchtegern-Meister in der Werkstatt eines selbständigen Meisters zur Fertigung seines Meisterstücks einsitzen. Beurteilten die Prüfer das Prüfungsstück positiv, wurde der Geselle zum Jungmeister angesagt und erhielt das Meisterrecht; * er durfte das erworbene Meisterrecht indes erst dann selbständig ausüben, wenn er i. eine Meisterstellc (Werkstatt) nachweisen konnte bzw. von der Obrigkeit zugewiesen bekam, 2. die Stadt ihm das Bürgerrecht verlieh und er 3. verheiratet war. Solange diese Voraussetzungen nicht erfüllt waren, arbeitete er «gesellenweis»; das konnte mehrere Jahre dauern. Je nach dem Grad der von den Geschworenen angenommenen Übersättigung eines Gewerbezweiges wurde dem Jungmeister der Fortgang im Beruf mehr oder weniger erschwert. Söhne von Meistern gelang es offenbar am ehesten, in einen freiwerdenden Meisterbetrieb hineinzukommen, wenn nicht der Möchtegern-Meister schon während seiner Gesellenzeit fürsorglich eine Meisterwitwe heiratete, um dadurch einen unmittelbaren Rechtsanspruch auf den HandWerksbetrieb des verstorbenen Mannes seiner Frau gleichsam als Mitgift zu bekommen. - Altes Nürnberger Recht war es auch, daß ein Jungmeister oder MöchtegernMeister unentgeltlich das Bürgerrecht der Stadt bekam, so er eine «arme» oder «gemeine Tochter» des Fraucnhauscs heiratete.5 Die Eheschließung war in jedem Falle eine notwendige Voraussetzung zur Erlangung des Bürgerrechts. - Die Regelung des Zugangs Produktionswilliger zum Markt, das Abschließungsbestrcben der Handwerke, die steigende Zahl der Sitzjahrc und die dadurch aufkommende Frage nach der Verwendung und der sozialen und rechtlichen Stellung der ewigen Geseilen und Jungmeister gehörten zu den schwierigsten und von Zunft und Obrigkeit nur unvollkommen gelösten Problemen.6 Gleichwohl fehlte es in Nürnberg an dramatischen Arbcits- und Lohnkonflikten.’ 1 Damit sollten die Wenden und Slaven vom Handwerk ausgeschlossen werden; sie galten als «unfrei geboren»; vgl. Mummenhoff (s. o. 477) 53· 2 Gesellen, die ohne Kost und Wohnung arbeiteten, waren die sogenannten Stückwerker; ebd. 76. 3 Über die Stellung der Gesellen s. allgemein Schoenlanck (s. o. 479); dort auch Angaben 3a HdDG III, i

über Gcsellenordnungen 357 ff; Lentze, GcWerbeverfassung (s. o. 324) 274 ff 4 S. auch Pilz, Handwerk (s. o. 478) 14 ff 5 Mummenhoff (s. o. 477) 101. 6 S. dazu u. a. Schoenlank (s. 0.479) 612 ff; ferner allgemeiner Schremmer 446 ff; Lentze, Gcwcrbcvcrfassung (s. o. 324) 266 ff, 274 ff 7 Vgl. ebd. 281. Zahlreiche Angaben über die Lage der Handwerker im ausgehenden 18.Jahr-

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§57. HANDEL UND GEWERBE IN DEN TERRITORIEN

H. Ammann, Die Diesbach-Wattgesellschaft (St. Gallener Mitt. z. Valisländ. Gesch. 37) 1928, 133-181; Beck-Büttner, Die Bistümer Würzburg u. Bamberg in ihrer polit, wirtschaftl. Bedeutung f. d. Gesch. d. deutschen Ostens (Stud. u. Vorarb. z. GP III 2, hg. v. A. Brackmann) 1937; Fr. A. Deuber, Grundriß d. Bamberger Handelsgesch., 1818; R. Grimm, Handel u. Gewerbe d. Stadt Aschaffenburg vom 14. Jh. bis z. Ende d. 30jähr. Krieges, Diss. Insbruck 1964; v. Guttenberg; Hoffmann, Würzburger Polizeisätze (s. o. 477); Ders., Würzburgs Handel u. Gewerbe im MA, 1. allg. TL, 1941; R. K. Hummel, Die Mainzölle v. Wertheim bis Mainz bis z. Ausgang d. 15. Jhs., Diss. Bonn 1892; Köberlin (s. o. 477); Lütge, Heiltumsmesse (s. o. 478); Peyer (s. o. 477); Stahl, Amberg (s. u. 1372); Μ. Stimming, Die Wahlkapitulationen d. Erzbischöfe u. Kurfürsten v. Mainz (1233-1788), 1909.

Franken war keine typische Gewerbelandschaft wie etwa die Oberpfalz (Montangewerbe) oder Oberschwaben (Textilgewerbe); es bezog vielmehr seinen Wohlstand aus dem Agrarsektor; neben dem Getreide und Holz ist an erster Stelle der Frankenwein zu nennen.1 In Franken gab es auch keine herausragende Landschaftsmesse von der Bedeutung Nördlingens. Das ist um so erstaunlicher, als es durchaus denkbar gewesen wäre, daß sich an irgendeinem Ort an der Main-Wasserstraße, z. B. in den geistlichen Territorien von Mainz, Würzburg oder Bamberg, ein solcher Zentralmarkt hätte bilden können, der dann die Versorgung zumindest Nordfrankens übernommen hätte und zwar ohne Rücksicht auf die territorial-politische Zersplitterung des Gebietes; für das Aufblühen Nördlingens war eine solche Zersplitterung ja auch kein unüberwindliches Hemmnis gewesen; vermutlich lagen jedoch Frankfurt und Nürnberg als große Messeplätze zu nahe. Die Versorgung Oberfrankens mit (Import-) Waren übernahmen stattdessen drei, seit dem ausgehenden Sechzehntenjahrhundert fünf regionale Verteilermärkte: Bamberg, Würzburg, Mainz, dann (später hinzukommend) Marktbreit und Kitzingen. Bereits im Jahre 1030 bestätigte der Kaiser dem Bischof von Würzburg2 das Recht eines täglichen Marktes und gewährte das Recht zur Abhaltung einer Messe (KilianiMesse); 1227 erhielt die Stadt durch Heinrich VII. die Allerheiligen-Messe und rund hundert Jahre später die sogenannte St. Galier (später Fasten-)Messe.3 Die MesseOrdnung und die dazugehörigen Gelcitssicherheiten wurden mindestens bis zum Jahr 1538 immer wieder erneuert. Trotz dreier Messen und trotz günstiger Flußlage an der Strecke zwischen Nürnberg und Frankfurt wurde Würzburg nie eine lebhafte MesseStadt. Die konservative geistig-geistliche Stadt vermochte die ihr gegebenen bürgerlich-kaufmännischen Privilegien nicht zu nutzen (oder wollte sie es nicht?); es gelang ihr weder das Stapelrecht zu erringen, wie Mainz, Miltenberg und Bamberg, noch hatte sie im Aushandeln von gegenseitigen Zollfreiheiten mit anderen Städten nen­ hundert und vor allem im frühen 19. Jahrhundert s. bei Held (s. u. 505) 3 ff.; dort finden sich im Anhang Gewerbelisten der Jahre 1803, 1809 und 1823. 1 Hoffmann, Würzburgs Handel (s. o. 498) 22; Lutz (s. o. 512); Bassermann-Jordan (s.o. 477); s. a. o. 474.

2 Vgl. Hoffmann, Würzburgs Handel (s. o. 498) 22. 1 Ebd. 29; über die Ordnungen im Handelsund Gewerbewesen zwischen 1125 und 149$ s. Ders., Würzburger Polizeisätze (s. o. 477) 26 ff.

§ 57■ Handel und Gewerbe in den Territorien (E. Schremmer)

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nenswerten Erfolg.1 Ihre ängstliche Finanzpolitik gewährte kaum Zollprivilegien an fremde Städte und erhielt deshalb selbst keine zuerkannt. Zollfreiheiten für Wein und Getreide scheinen im wesentlichen nur eine Reihe von (Zisterzienser-)Klöstern (Ebrach, Heilsbronn, Bronnbach, Langheim, Schönthal, Himmelpforten) erhalten zu haben (1299). Nach dem ältesten (?) Schöffengerichtsbuch von 1333-1335 treten in diesen Jahren die Würzburger Kaufleute auf der Frankfurter Messe zurück und machen Mainzer und Nürnberger Messebesuchem Platz.12 Seit etwa 1357 läßt sich dann ein ständiges Abwandern von Bürgern aus dem Bistum in «weltoffenere» Reichsstädte verzeichnen, um dort ihren Handelsgeschäften erfolgreicher nachgehen zu können. In einer Periode, in der andere Reichsstädte wuchsen und aufblühten, sank in Würzburg die Zahl der Steuerpflichtigen zwischen 1398 und 1456 von 2595 auf 1417, die Bevölkerung verminderte sich im gleichen Zeitabschnitt von etwa 12200 (?) auf 6593 Einwohner.3 Auch als Transithandelsstadt war Würzburg kein Zentrum am Main; zwar wird zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts von nach Enns und Wien durchreisenden Kölner, Aachener und Maastrichter Kaufleuten berichtet und für das Jahr 1211 ist in Würzburg ein «Hof Augsburg» belegt, doch scheint diese Route später nicht weiter ausgebaut worden zu sein. Die nach Frankfurt ziehenden Ulmer und Augsburger Kaufleute zogen den Landweg über Eßlingen und Darmstadt dem kombinierten Land-Wasser-Weg über Würzburg vor.4 Dagegen zogen Nürnberger Kaufleute gelegentlich über Würzburg nach Köln und Flandern. Die schwache wirtschaftliche Stellung Würzburgs ist auch deshalb erstaunlich, weil die mittleren Maingebiete mit ihrem Getreide- und besonders ihrem Weinanbau zwei begehrte Exportgüter hervorbrachten, die in die internationalen Handelsströme einflossen. Daraus erklärt sich die große Zahl von 23 Müllem (9 Mühlen in der Stadt und 12 in den Vorstädten), 65 Bäckern, 13 Weinmessem und bereits 1373 10 Winzerzünften (von insgesamt 37 Zünften).’ Aber nicht heimische Kaufleute besorgten den Export, sondern es wird von Mainzer Kaufleuten berichtet, die das Getreide aufkauften, und von Bamberger Schiffern, die im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert stark am Weinhandel beteiligt waren. Der Frankenwein, eine Quelle des Reichtums für Mainfranken, gelangte nach Bayern und konkurrierte dort mit italienischen, ungarischen und österreichischen Weinen. Sachsen (Zwickau) und Thüringen, wohin der Wein durch Kulmbacher, Bamberger und Würzburger Fuhrleute gebracht wurde, waren weitere Absatzgebiete. Zu Schiff kam er nach Frankfurt und Mainz, dann rheinabwärts bis nach England. Nürnberg kaufte ihn auf zum Selbstverbrauch und zum Transithandel nach dem Süd-Osten. Wein und Getreide, ferner Sandstein, der in der Nähe von Würzburg gebrochen wurde, waren die Tauschwaren für Flachs und Baumwolle, Textilien, Metallwaren, für Heringe, Stockfische, Pelze, Wachs, Tran, Spezereien aller Art und für Gewürze. 1 Vgl. Hoffmann, Würzburgs Handel (s. o. 498) 104, 121. 2 Ebd. 37 f. 3 Ebd. 121. 32'

4 Ebd. 5 Ebd. 45, 121; s. auch die zahlreichen Hinweise bei Hoffmann, Würzburger Polizeisätze (s. o. 477).

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War auch Würzburg weder eine bedeutende Messe- noch Transit-Handelsstadt (auch von einem nennenswerten Gewerbeexport kann nicht gesprochen werden), so war es doch ein wichtiger Verteilermarkt, auf dem Krämer und die bäuerliche und handwerkliche Landbevölkerung die eingeführten Erzeugnisse beziehen konnten. In größerem Ausmaß als Würzburg übernahm Bamberg, die Residenzstadt des 1007 gegründeten Bistums,1 die Funktion eines regionalen Verteilermarktes. Bamberg war seit dem elften Jahrhundert der große Umschlagplatz für Hölzer des Frankenwaldes und für Walderzeugnisse wie Pech, Lohe, Holzkohle und für die große Zahl der Weinbergpfähle aus dem oberen Maingebiet;1 dazu kamen landwirtschaftliche Produkte wie Hopfen, Malz, Wachs, Unschlitt, Öl und Fette. Das ansässige Gewerbe fertigte, über den Eigenverbrauch hinaus, Zehntausende von Weinbergpfählen, hölzerne Kufen, Fuhrwerke sowie eichene Transportschiffe für den Mainverkehr. Bamberg war auch Stapelplatz für oberpfälzisches Eisen, das von hier mainabwärts nach Frankfurt befördert wurde. Mainaufwärts kamen dagegen Kupfer, Zinn, Blei, dann Schiffsladungen mit Gewürzen und Spezereien.1 23 Obwohl für Bamberg keine MessePrivilegien wie für Würzburg bekannt zu sein scheinen,4 besaß es neben Mainz und Miltenberg den dritten Mainstapel und vermochte ähnlich wie Nürnberg, wenn auch in erheblich geringerem Umfang, einen Verbund von gegenseitigen Zollfreiheiten mit anderen Städten aufzubauen. In einer Urkunde von 1163’ für Nürnberg erhalten die Bamberger die Zollfreiheit der Nürnberger Kaufleute zuerkannt. Jetzt konnte Bamberg zollbevorzugt Waren austauschen mit einer ganzen Anzahl von Städten von München bis Lübeck, von Passau bis in die Niederlande, Frankfurt mit eingeschlossen. Dennoch ist es verfehlt, in Bamberg - Ausnahmen kamen vor - eine gewichtige Schicht von Fernhandelskaufleuten zu vermuten. Die Bamberger handelten in der Regel nicht weiter als bis Nürnberg, Frankfurt und Mainz; dort nahmen fremde Kaufleute die angebotenen Landesprodukte auf, und die Bamberger nahmen auf dem Rückweg die einzuführenden Waren - das gleiche Sortiment wie es von Würzburg bekannt ist - mit. Auf dieser Grundlage war Bamberg wohl neben Mainz der bedeutendste Verteilermarkt Oberfrankens. Das Erzstift Mainz, das mit dem Oberstift sich ins heutige Unterfranken herein erstreckte, war das Durchgangsland für die Frankfurter Messewaren, die von Osten kamen und nach dem Osten gingen. Die Haupthandelsroute verlief von Nürnberg über Külsheim nach Miltenberg und dann mainabwärts. Für das obere Erzstift war das 1367/68 von Kaiser Karl V. an die Stadt Miltenberg verliehene Stapelrecht die wichtigste Einnahmequelle.6 Weitere monetäre Einnahmen bezog das Erzstift aus den Zöllen, die auf dem Rhein und auf dem Main in Höchst, Aschaffenburg, Klingenberg und Miltenberg erhoben wurden.7 Ohne diese Finanzeinnahmen hätte das Kurfürstentum Mainz vermutlich seine regelmäßig passive Handelsbilanz nicht ausgleichen 1 Beck-Büttner (s. o. 498) 188 f.; v. GutTENBERG. 2 Köberlin (s. o. 477) 4 ff.; dann Deuber (s. o. 498). 3 Hoffmann, Würzburgs Handel (s. o. 498) $4; Köberlin 8 f.

4 So Hoffmann, Würzburgs Handel (s. o. 498) 104. 5 Vgl. u. 481. 6 Pattloch (s. u. 525) 5. 7 Hummel (s. o. 498) j.

§ 57■ Handel und Gewerbe in den Territorien (E. Schremmer)

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können.1 Außer Buchholz, Wein und Getreide hatte es wenig auszuführen; von Frankfurt wurden praktisch alle Kaufmannswaren, darunter viele Luxusgüter für die Hofhaltung, eingeführt. Das heimische Gewerbe deckte kaum mehr als den Grundbedarf der Landesbevölkerung; zum Export blieb wenig übrig, allenfalls etwas Glas von den seit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts im Spessart nachweisbaren Glashütten: in Wiesthal, Rothenbuch, Heigenbrücken, Neuhütten und Kronthal. Im sechzehntenJahrhundert wurden bei guter Agrar- und Baukonjunktur (Butzenscheiben) weitere Hütten in Habichtsthal, Heinrichsthal, Jakobsthal, Rupertshütten und in dem großen Frachtführer- und Speditionsort Frammersbach1 2*errichtet. Das Kupferbergwerk Haibach, dessen Nutzung der Erzbischof als Inhaber der Schürf- und Abbaurechte an Privatpersonen verpachtete, brachte nur geringe Einkünfte.’ - Beim Handwerk findet sich, wie allenthalben in den deutschen Territorien im sechzehnten Jahrhundert, ein zunehmendes, reglementierendes Eindringen des Landesherm in die gewerblichen Belange. Die letzten großen Zunftunruhen zur Zeit der Mainzer Stiftsfehde 1461/634 endeten mit einem Sieg der Territorialgewalt. Die Mainzer Zünfte verloren an politischem Einfluß und büßten einen Teil ihrer vormaligen Privilegien ein. Die Albertinische Ordnung von 1526 schränkte schließlich in Aschaffenburg, der Residenzstadt des Oberstifts, die noch verbliebenen Rechte der Zünfte weiter ein. In den Jahrzehnten danach, vor allem zwischen 1580 und 1601, erhielten zahlreiche Zünfte neue, landesherrlich kontrollierte Ordnungen, die eine gewisse Vereinheitlichung des Zunftwesens in Kurmainz mit sich brachten.5 Erzbischöfliche Amtsträger überwachten jetzt die Zünfte und bestimmten deren Politik. Mainz vermochte seine vorzügliche Handelslage an dem Zusammenfluß von Rhein und Main trotz vorhandener Messe-, Zoll- und Stapelrechte nicht voll auszunutzen. Es versuchte immer wieder, vor allem während der Religionskriege, von der Reichsstadt Frankfurt den Messehandel abzuziehen, sogar den Frankfurtern das Messerecht streitig zu machen; aber die Versuche mißlangen. Die Mainzer Messe blieb eine Kümmermesse, ein regionaler Verteilermarkt, der zusammen mit den drei Jahrmärkten in Aschaffenburg eine Art Großmarktfunktion für das geistliche Territorium übernahm. Die wirtschaftliehe und politische Macht von Kurmainz war zu gering, als daß es eine länger anhaltende Blockade der Zufahrtsstraßen durch Mainzer Territorium nach Frankfurt hätte durchsetzen können, um so den großen Konkurrenten wirtschaftlich zu treffen; das zeigte sich auch bei der von Albrecht von Brandenburg 1522 durchgeführten Zufuhrsperre von (Bau-) Holz nach Frankfurt mit dem Ziel, so die Gegenreformation in der Messestadt zu erzwingen.6 Bei der Wichtigkeit der Zolleinnahmen (Einfuhr-, Ausfuhr- und Transitzoll) für den Ausgleich der kurmainzischen Zahlungsbilanz schlugen solche und ähnliche Sperrmaßnahmen sehr bald zum Nachteil von Mainz selbst aus. Nachdem Mainz einsehen mußte, daß seine Messe nicht mit der in Frankfurt konkurrieren konnte, bemerkte es, daß trotz mancherlei «Irrungen» auf vielen Gebieten 1 Vgl. Pattloch inf. 2 Ebd. 77; Strieder, Frammersbach (s. o. 478). ’ Ebd. 7J f.

4 Scheel (s. u. 525). 5 Vgl. hierzu näher Pattloch (s. u. 525) 57 fF., 64 ff., 71 f.; Stimming (s. o. 498). 6 Pattloch 92, 109.

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Franken: D. V. Die Entwicklung der Wirtschaft bis zum Beginn des Merkantilismus

eine wirtschaftliche Interessenähnlichkeit zwischen ihm und Frankfurt bestand: Je mehr die Frankfurter Messe im sechzehntenJahrhundert aufblühte (Kulminationszeit etwa 1560-1590), desto stärker nahm der Transitwarenstrom durch Mainzer Gebiet zu und desto höher stiegen die Geleit-, Zoll- und Stapeleinnahmen in dem geistlichen Territorium. So wurde die Förderung der Transithandelspolitik in der speziellen Ausgestaltung der Zollpolitik, der Straßenbaupolitik und des Geleitschutzes zu einem bevorzugten Feld der landesherrlichen Wirtschaftspolitik. Die immer wieder aufkommenden «Irrungen» betrafen einmal Kontroversen mit Frankfurt wegen des Geleitwesens, der Marktschiffahrt und der Holztransporte, zum anderen Kontroversen mit Nürnberg wegen des Stapels Miltenberg und zum dritten Streitigkeiten mit der Kurpfalz (Heidelberg) wegen Zollrechten und Zollsätzen. Die Ausübung des Geleitrechtes lag in den Händen des Geleitherrn, des Erzbischofs von Mainz. Er stellte die Geleitbriefe aus, erhielt dafür von den Geleiteten die Geleitgebühr, sorgte für die Geleitordnung der Geleitreiter und übernahm die Haftung für Schäden, die den geleiteten Kaufleuten und ihrer Ware auf dem Durchzug durch das kurmainzische Territorium entstanden. Das Schutzgeleit war ein Zwangsgeleit; die Kaufleute konnten es nicht ausschlagen und durften mit ihren Wagenzügen nur bestimmte Straßen, die sog. Kaufmanns- oder Geleitstraßen benutzen. Eine ständige Absprache war zwischen Kurmainz und den Anrainerstaaten notwendig, um die Geleits- und Straßenbaupolitik zu koordinieren und um die Geleits- und Jurisdiktionsrechte auf dem Main gegenseitig abzugrenzen (u. a. Vertrag von 1584 zwischen Mainz und Frankfurt). In unruhigen Zeiten konnte das Geleitrecht als Vorläufer der Transport(zwangs)verSicherung zu einem hohen Risiko für den Geleitsherm werden.1 - Mainzer Bürger nutzten die handelsmäßig gute Lage ihrer Stadt durch die Aufnahme von Speditionsund Kommissionshandel auf dem Rhein - vor allem mit Wein und Holz. Mainz wurde ferner zu einem Sammelplatz für Flöße (vom Frankenwald) zum Niederrhein und nach Holland.12 Von einiger Bedeutung war die Rangschiffahrt zwischen Bamberg und Köln.3 An diesem genossenschaftlichen Verbund beteiligten sich Unternehmer aus Bamberg, Schweinfurt, Würzburg, Lohr, Miltenberg, Aschaffenburg, Frankfurt und Mainz. An jedem der genannten Orte wechselte die Besatzung der Schiffe, so daß eine Art Stafettentransport zu Wasser entstand. - Analog zu dem vormerkantilistisehen Eindringen des Territorialherren in zünftlerische Bereiche stellte der Landesherr auch die Marktschiffahrt auf dem Main unter seine Aufsicht (Ordnungen von 1474, 1573).4Mit der Ordnung von 1573 wurden die Marktschiffer landesherrliche Schiffer, sie wurden zu «Dienern» des Erzbischofs. Neben den großen geistlichen Territorien am Main: Bamberg, Würzburg und Mainz, gab es noch eine ganze Reihe kleinerer territorialstaatlicher Einheiten, die die wirtschaftlichen, besonders die landespolitischen Verhältnisse in diesem wichtigen Transitgebiet besonders komplizierten. An der südlichen Schleife des Maindreiecks zwischen Würzburg und Bamberg lagen das ansbachische Kitzingen (1610 etwa 400 1 Vgl. ebd. 112 f., 129 ff., 138 ff. 2 Angaben über die Mainschiffahrt s. ebd. 85, 87 ff.

3 Vgl. Grimm (s. o. 498) 48 f. 4 Pattloch (s. u. $2$) 88 f., 90 f.

§57■ Handel und Gewerbe in den Territorien (E. Schremmer)

5°3

Einwohner) und das vormals reichsritterschaftliche Marktbreit (1557 etwa 700-800 Einwohner). Unter Georg Ludwig von Seinsheim (153 9-91) blühte es auf und wuchs bis 1613 rasch auf 1300 bis 1400 Einwohner an.1 Beide Marktorte versorgten weite Teile der ländlichen Bevölkerung im württembergischen und ansbachischen Gebiet, wobei Marktbreit besonders für die evangelischen Gebiete um Uffenheim, Windsheim und Rothenburg das Marktzentrum bildete. Auf diesen erst 1557 zum Marktflecken erhobenen Ort Marktbreit, mit seinen vier jährlichen Märkten und den «gewöhnlichen kaiserlichen Freiheiten»12 sei an dieser Stelle schon hingewiesen. Der Main-Ort entwickelte sich bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts zu dem großen Handels- und Markt-Zentrum Mainfrankens.3 1 Vogel (s. u. 525) 4 f. 2 Ebd. 4.

3 S. u. 526, 529.

VI

GEWERBE UND HANDEL ZUR ZEIT DES MERKANTILISMUS

I. Bog, Der Reichsmerkantilismus, 1959; Ders., Der Merkantilismus in Deutschland (JNÖSt. 173) 1961; Ders., Oberdeutsche Kaufleute zu Lyon, 1650-1700. Materialien z. Gesch. d. oberdeutschen Handels m. Frankreich (JffL 22) 1962, 19-66; Μ. Edlin-Thieme, Studien z. Gesch. d. Münchner Handelsstandes im 18. Jh., 1969; H. Erbe, Die Hugenotten in Deutschland, 1937; G.Fischer (Hg.), Fränkisches Handwerk. Beitrr. zu seiner Gesch., Kultur u. Wirtschaft, 1958; G. Franz, Der Dreißigjähr. Krieg u. d. deutsche Volk, 1961‫ ; נ‬R. Fuchs, Der Banco Publico zu Nürnberg, 1955; E. J. Häberle, Der Kurbayer. Mautverband. Untersuchungen z. merkantilist. AußenwirtschaftsPolitik in Kurbayem u. z. wirtschaftl. Integration d. oberen wittelsbach. Erbländer v. 1765 bis 1807, Diss. München 1970; E. F. Heckscher, Der Merkantilismus, 2 Bde., 1932; HAB Unterfranken u. Aschaffenburg m. d. Hennebergischen u. Hohenlohischen Landen (Hofmann) ; HAB Grafschaft Castell (Ders.); HAB Mittel- u. Oberfranken (Ders.); HAB Franken seit d. Ende d. alten Reichs (Ders.); A. v. Humboldt, Über d. Zustand d. Bergbaus u. Hüttenwesens in d. Fürstentümern Bayreuth u. Ansbach im Jahre 1792, hg. v. Kühnert 1959; J. J. van Klaveren, Fiskalismus-Merkantilismus-Korruption. Drei Aspekte d. Finanz- u. Wirtschaftspolitik während d. Ancien Regime (VSWG 47) 1960; F. Morgenstern, Die Fürther Metallschlägerei. Eine mittelfränk. Hausindustrie u. ihre Arbeiter, Diss. Tübingen 1890; O. Reuter, Die Manufaktur im Fränk. Raum, 1961; Rössler, G. Rusam, österr. Exulanten in Franken u. Schwaben, 1952; H. Schnee, Die Hoffinanz u. d. moderne Staat, 6 Bde., 1953/67; Schnelbögl (s. o. 361); E. Schremmer, Die Bauernbefreiung in Hohenlohe, 1963 ; Ders., Beginnender Strukturwandel im Transportgewerbe an d. Wende z. 19. Jh., selbstsubventioniertes bäuerl. Fuhrwesen im Nebenberuf oder kostendeckende hauptberufl. Transportgewerbe in landesherrl. Regie (Festschr. Spindler, hg. v. D. Albrecht u. a.) 1969; Ders. (s. o. 477 f.); Ders. (Hg.) in Zusammenarbeit mit W. R. Ott u. H. Loreth, Handelsstrategie u. betriebswirtschaftl. Kalkulation im ausgehenden 18. Jh. Der süddeutsche Salzmarkt. Zeitgenöss. quantitative Untersuchungen u. a. v. M. Flurl u. J. L. Wolf (Deutsche Handelsakten d. MA u. d. Neuzeit, hg. v.d.HK.XIV) 1971 ;G. Slawinger, Die Manufaktur in Kurbayem, 1966; G. Zoepfl, Fränk. Handelspolitik im Zeitalter d. Aufklärung, 1894.

Franken gehörte, ähnlich wie Schwaben, das Elsaß, Hessen, Böhmen und Brandenbürg zu den Zerstörungsgebieten des Dreißigjährigen Krieges (Bevölkcrungsverluste zwisehen 40-50%). Die Landesherren begannen, nachdem sic im Friedensschluß von Münster und Osnabrück (1648) die volle Souveränität für ihre Länder errungen hatten, sich stark um wirtschaftliche Belange zu kümmern; sie ergriffen Maßnahmen, um die Schäden des Krieges zu beheben. Die Planziele waren vor allem: Steigerung der Bevölkerungszahl, Wiederaufbau der zerstörten Städte und Orte, Förderung des darniederliegenden Gewerbes und der Landwirtschaft sowie Wiederanknüpfen der verlorenen Handelsbeziehungen. Dabei weist die merkantilistische Wirtschaftspolitik in den einzelnen fränkischen Territorien - von der Landwirtschaft abgesehen - unterschiedliche Züge auf: In den Territorien von Ansbach und Bayreuth standen die gewerbefördernden Maßnahmen im Vordergrund, verbunden mit Exportbestrebungen, während in Main-Franken (Schwarzenberg, Würzburg, Bamberg), bedingt durch die günstige Lage an der Bin­

§ 58. Die wirtschaftliche Entwicklung Nürnbergs (E. Schremmer)

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nenwasserstraße Main, die Förderung des (Transit-) Handels in Verbindung mit dem Speditions- und Fuhrwesen auffällt. Nach den bis jetzt vorliegenden (ergänzungsbedürftigen) Studien über die gewerbliche Entwicklung der Bistümer Würzburg und Bamberg lag jedoch deren wirtschaftliches Schwergewicht auf dem Agrar(Wein-)Sektor.1 Die Wirtschaftspolitik der Reichsstadt Nürnberg war eher ausgerichtet auf eine Förderung des Gewerbes und des Gewerbe-Exportes als auf eine Förderung des Transithandels. - Generell läßt sich sagen, daß die territorialstaatliche Zersplitterung - ähnlich wie in Schwaben - eine abgestimmte wirtschaftliche Entwicklung des gesamten fränkischen Raumes sehr erschwerte. «Solange es nur des Sprungs oder Wurfs über den nachbarlichen Hofzaun bedurfte, um Waren zwischen Territorien zu verschieben, war an Staatswirtschaft nicht zu denken.»1 2 Eine Koordinierung der einzelnen wirtschaftspolitischen Entscheidungen der souveränen Herrscher unterblieb zumeist. Das hemmte (vermutlich) das Wirtschaftswachstum auch in dem einzelnen Territorium. Ob eine die Territoriengrenzen überschreitende dezentrassierte Produktions- und Absatzorganisation von Verlegern die raumwirtschaftliche Zersplitterung nennenswert abmildern konnte, ist zweifelhaft.

§58. DIE WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG DER REICHSSTADT NÜRNBERG A. Bartelmess, Die Nürnberger Kattundruckerei 1782-1788 u. ihre Nachfolger (MVGN 53) 1965. 345-362; H. Bingold, Die reichsstädt. Haushaltung Nürnbergs während u. nach d. Siebenjähr. Krieg 1756-1776, Diss. Erlangen 1911; Μ. Held, Das Arbeitsverhältnis im Nürnberger Handwerk von d. Einverleibung d. Stadt in Bayern bis z. Einführung d. Gewerbefreiheit, 1909; HAB Nümberg-Fürth (Η. H. Hofmann) ; L. Sporhan-Krempel, Nürnberg als NachrichtenZentrum zw. 1400 u. 1700 (Nürnb. Forsch. 10) 1968; P. Wiessner, Die Anfänge d. Nürnberger Fabrikindustrie, Diss. Frankfurt/Main 1929; E. Wiest, Die Entwicklung d. Nürnberger Gewerbes zw. 1648 u. 1806, 1968; W. Woerthmueller, Die Nürnberger Trompeten u. Posaunenmacher d. 17. u. 18. Jhs., Diss. Erlangen 1954.

a) Die Entwicklung des Gewerbes. Nürnberg blieb von den Folgen des Krieges nicht verschont. Seine Einwohnerzahl sank etwa urrj ein Drittel.3 Die einst mächtige Transithandels- und Gewerbccxport-Stadt, die in der ersten Reihe der großen curopäischen Städte gestanden hatte, sank in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung innerhalb des gesamteuropäischen Raumes auf einen nurmchr mittleren Rang zurück. Im Kreis der süddeutschen Reichsstädte nahm sic gleichwohl weiterhin eine führende Position ein. Aber es waren nicht mehr, wie im Mittelalter und der frühen Neuzeit, die Reichsstädte, die dem umliegenden Land ökonomische Impulse gaben. Die Landesfürsten prägten mehr und mehr die Entwicklung der Wirtschaft im zentraleuropäischen Raum. Ihre Wirtschaftspolitik war im ganzen gesehen nicht mehr weltoffen1 Vgl. Wild (s. u. 525). 2 Hofmann, Preußische Ära (s. u. 512) 92; s. ebd. die drei Karten der Fürstentümer (dann preußischen Provinzen) Ansbach und Bayreuth; allgemeine Angaben über wirtschaft-

liehe Förderungsmaßnahmen in Franken s. Ders., Adelige Herrschaft 131 f. 3 Wiest (s. o. 505) 112; Müller, Hauptwege (s. 0. 478) 13·

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Franken: D. VI. Gewerbe und Handel zur Zeit des Merkantilismus

handelsfreundlich, sondern eher binnenwirtschaftlich orientiert; Autarkiebestrebungen kamen auf und verstärkten sich. Die Reichsstädte wurden dadurch, ganz abgesehen von den Folgen des großen Krieges, wirtschaftlich in die Defensive gedrängt. Nürnberg bildete dabei, wie auch Regensburg, keine Ausnahme. Je intensiver sich die Landesherren der die Städte umschließenden Territorien um wirtschaftliche Belange kümmerten, um so mehr klagten die Reichsstädte über eine handelspolitische Abschnürung; hohe Durchgangszölle, Mautsysteme und Handelsverbote hemmten ihre wirtschaftliche Entwicklung.1 Bedenkt man diese Gesamtsituation, so ist es erstaunlich, wie überaus widerstandsfähig das Nürnberger Gewerbe während des Dreißigjährigen Krieges und der nachfolgenden Zeit des Merkantilismus geblieben ist. Der Anteil der Gewerbetreibenden an der Gesamtzahl der Bevölkerung lag 1621 bei 9,3% (1622 etwa 40000 Einwohner), 1797 bei 9,6% (1806 ca. 25 200 Einwohner).1 2 Eine relative säkulare Schrumpfung des Gewerbesektors trat also nicht ein, wenngleich sie absolut genommen festzustellen ist. Die Zäsur war der Dreißigjährige Krieg. Innerhalb des zahlenmäßig dezimierten Gewerbestandes fand sich während der ganzen Betrachtungsperiode mit etwa 200 verschiedenen Berufen eine solche Vielzahl von Gewerbezweigen, wie sie in dieser Spezialisierung in kaum einer anderen Stadt des Reiches anzutreffen war.34Die langfristige Entwicklung verlief in den einzelnen Gewerbezweigen unterschiedlich. Einen überdurchschnittlichen Rückgang der Gewerbestellen verzeichneten die Metallgewerbe (Eisen- und Nichteisenmetalle), die Textilgewerbe (Weber) und das Baugewerbe; absolut expandierende Berufe waren die des Papier-, Holz- und des graphischen Gewerbes; dazwischen bewegten sich, teils stagnierend, teils leicht rückläufig, die Versorgungsgewerbe, die Glasgewerbe und die Verarbeiter tierischer Produkte. Dieser säkulare Vorgang vollzog sich innerhalb zweier Konjunkturzyklen: * Schon in der zweiten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges, seit 1635, zeichnete sich eine Aufschwungphase ab, die bis 1675 andauerte; sie lag begründet in den Wiederaufbaumaßnahmen nach dem Krieg, einem geringeren Absinken der Auslands- als der Inlandsaufträge bei Nürnberger Handwerksbetrieben und einer Produktionsumsteilung auf billigere Massenartikel.5 - Während der Jahre 1675 bis 1715 vollzog sich die erste Abschwungphase. Sie wurde eingeleitet durch kaiserliche Handelsverbote während der Reichskriege (1676, 1689,1693, 1702).6 Offenbar trafen die Verbote den 1 Über entsprechende Klagen, die vor dem Reichstag in Regensburg behandelt wurden, s. Schremmer 655 ff.; Häberle (s. o. 504) 1. Anm. 164, Anm. 292 (die Angaben beziehen sich auf die angenommene, noch nicht publizierte Dissertation). 2 Wiest (s. o. 505) 112. Allgemeines über die Bevölkerungsbewegung s. W. Jungkunz, Die Sterblichkeit in Nürnberg 1740-1850, Diss. Erlangen 1951. 3 Ebd. 6 ff. 4 Ebd. 20 ff., 28 ff. 5 Vgl. auch Roth (s. o. 479) II 145; über das

Nürnberger Warensortiment in der zweiten Hälfte des 18.Jhs.: «Fast alle Nürnberger Warenartikel sind bloß Gegenstände zum Gebrauch des gemeinen Mannes für den täglichen Hausbedarf, zum Spielen für Kinder; alles wohlfeil.. . alles weit davon entfernt, den Forderungen des Luxus, der Moden und der Launen der Menschen zu entsprechen und mitunter unentbehrliche Werkzeuge für Gelehrte, Handwerker und Künstler». 6 Vgl. Wiest (s. o. 505) 24 f. Anm. 58, 64; Bog, Reichsmerkantilismus (s. o. 504) 1$, 76, 108,131,136.

§ 58. Die wirtschaftliche Entwicklung Nürnbergs (E. Schretnmer)

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Handel der Reichsstadt stärker als den der deutschen Territorien in ihrer Gesamtheit, weil letztere eine Politik der Ausweitung ihres Binnenmarktes betreiben konnten (Peuplierung, Gewerbeförderung, Schutzzölle). Nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges kam es während der langen Friedenszeit von 1715 bis etwa 1765 zu der zweiten Aufschwungphase, die ab etwa 1815 von dem zweiten Abschwung abgelöst wurde. Jetzt machte es sich deutlich bemerkbar, daß Nürnbergs Gewerbe nicht mit der technischen Entwicklung Schritt gehalten hatte. Die oft beschriebene Engherzigkeit der Handwerke («Zünfte») hat daran ebenso Anteil wie der «schwankende, energielose Rat».‘ Die schwierige Finanzlage der Stadt zwang den Rat zu immer neuen Steuererhöhungen. Erst nach der Aufhebung der Handelsbehinderungen durch die Kontinentalsperre verbesserte sich die Situation des Gewerbes der Stadt, die nunmehr dem Königreich Bayern eingegliedert war und verstärkt zur Versorgung dieses großen Binnenmarktes herangezogen wurde. Die Berufsgliederung innerhalb des Gewerbesektors sah in der Spätzeit des Merkantilismus (1785) folgendermaßen aus:2

Gewerbetreibende und Beschäftigte in%

Gewerbetreibende

Beschäftigte

Gewerbetreibende und Beschäftigte

Gewerbetreibende in%

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467 642 451 367

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Franken: D. VI. Gewerbe und Handel zur Zeit des Merkantilismus

Aus diesen Zahlen läßt sich der Erfolg der merkantilistischen landesherrlichen Wirtschaftspolitik deutlich ablesen. Es war gelungen, in dem Land eine bedeutende Exportindustrie aufzubauen. Allein die «Manufakturen und Fabriken» der Erlanger und Bayreuther Wirtschaftszentren wiesen 1792 einen Gesamtproduktionswert von 485000 Gulden aus, von denen 436000 Gulden aus Exporterlösen stammten. RohStoffe (u. a. Baumwolle, Metalle) wurden eingeführt, Fertigwaren ausgeführt. Aber gerade diese hohe Exportabhängigkeit war ein Hauptgrund für den Verfall vieler Manufakturbetriebe während und nach den napoleonischen Kriegen. Es ist nicht möglich, hier alle Gewerbezweige einzeln darzustellen; lediglich die beiden umfangreichsten, das textil- und metallverarbeitende Gewerbe, sollen anhand von Beispielen skizziert werden.

a) Das Textilgewerbe. Das Spinnen des Leinen-, Woll- und Baumwollgarnes geschah bis in das frühe neunzehnte Jahrhundert hinein regelmäßig in handwerklicher Heimarbeit für einen Verleger. Die Versuche von Landesherr und privaten Unternehmern, Spinnhäuser zu gründen, hatten nur dort einigen (Anfangs-)Erfolg, wo die Insassen von teilweise nur zu diesem Zweck gegründeten Waisenhäusern und Strafanstalten dazu herangezogen werden konnten. Die Ausbringungsmenge solcher Spinnhäuser war aber unbedeutend. Während die Schafwollmaschinenspinnerei erst 1817 im Lande eingeführt wurde,1 finden sich bereits 1792 die ersten 30 Baumwollspinnmaschinen in einer Kattunmanufaktur in Schwabach; 1803 arbeiteten in 6 Spinnereien 63 Jenny-Spinnmaschinen mit etwa 3700 Spindeln;12 der lang gehegte Wunsch des Landesherm, den Import von sächsischen und englischen Maschinengamen einzuschränken, war damit erfüllt worden. Für die verlagsmäßig dezentralisierte Wolltuchweberei, verbunden mit einer manufakturmäßig zentralisierten Färberei und Druckerei, war Wunsiedel vom frühen achtzehnten Jahrhundert bis zum Beginn der 1790er Jahre von Bedeutung. Gefärbte Futter- und Flanellstoffe wurden vor allem für «Priestergewänder» nach Italien exportiert.3 Von dem Verlust des Hauptabsatzmarktes Italien (italienischer Krieg 1792) vermochte sich die Tuchweberei nicht mehr zu erholen. Nach Hardenbergs Denkschrift arbeiteten im Fürstentum Bayreuth: in Wunsiedel 136 Stühle, in Hof 50, in Neustadt/B. 12, in Erlangen 7 und in Lichtenfels 6 Stühle. In den 1790er Jahren wurden in den beiden Fürstentümern 6 weitere Wolltuchbetriebe gegründet, die insgesamt etwa 500 Arbeitskräfte beschäftigten.4 Man kann geradezu von einer Gründungswelle im Schutze der französischen Wirtschaftsblockade gegenüber England sprechen; die Gründungsneigung wurde unterstützt durch die liberale Wirtschafts1 In der landesherrlichen Tuchmanufaktur des Strafarbeitshauses auf der Plassenburg bei Kulmbach. Reuter (s. o. 504) 27, 31. 2 Ebd. 25, 35. Nach Bayerlein 97 betrug im Fürstentum der tägliche Spinnlohn (ohne nähere Angaben) im Jahre 1793 12 bis 13 kr. Das entsprach einem Realwert von 1% Pfund Schweinefleisch oder 6% Maß Bier. 1 Pfund

Schafwollgarn kostete vor 1793 bis zu 1 fl. 30kr., i fl. 45 kr. (Schwabach), ebd. hi. Um 1810 lag der Taglohn eines Webers im Fürstentum Bayreuth durchschnittlich bei 24 bis 30 kr, im günstigsten Fall bei 36 bis 40 kr, ebd. 109. 3 Rbutbr (s. o. 504) 28. 4 Ebd. 28.

§ 59· Die Gewerbeförderung in Ansbach und Bayreuth (E. Schremmer)

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politik Hardenbergs. - Die Textilien wurden nach Österreich, Böhmen und in die Schweiz ausgeführt. Aber trotz der importierten Merinoschafe und der herbeigerufenen niederländischen Tuchmacher, Walker (sie brachten z. T. ihre Gerätschaften mit) konnten die Betriebe nach Beendigung der Kontinentalsperre der englischen und holländischen Konkurrenz nicht standhalten. Das oberfränkische Textilgebiet, das sich heute bis nach Weiden in der Oberpfalz fortsetzt, zeichnete sich schon im frühen achtzehnten Jahrhundert mit seiner weitverzweigten Baumwolltveberei im Fürstentum Bayreuth ab. Ein Zentrum bildete sich um Hof. Nachdem sich bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges die Hofer «Schleierwürkerei» besonders gut hielt,1 verfiel dieser Gewerbezweig nach dem Krieg. Die Mode hatte sich gewandelt, es wurden Flöre getragen; das waren einfache, schwarz gefärbte Baumwollgewebe, die, in Stücke geschnitten und vernäht, als Halsbinden für «gemeine Leute» dienten. Die Hofer Weber stellten sich auf diesen neuen Massenartikel um, der dann rund 100 Jahre - so lang etwa bestand die Mode ein «gutes Geschäft» war. Die Blütezeit der Hofer Florweber lag zwischen 1680 und 1720; jährlich wurden zwischen 80000 und 200000 Ballen Flöre vor allem nach Schweden, Salzburg, Bayern und donauabwärts nach Österreich und Ungarn, ferner nach der Schweiz, Italien und Frankreich versandt.2 In diesem Produktionszweig beschränkte sich die landesherrliche Förderung auf ein Minimum. In den 1760er Jahren schrumpfte die Florweberei:3 Weber im sächsischen Plauen machten die Hofer Flöre nach, gleichzeitig begannen seidene Halstücher die einfacheren Baumwolltücher zu verdrängen, und Österreich sperrte sich zunehmend gegen die Einfuhr fremderBaumwollwaren. Etwa zur gleichen Zeit stellten die Hofer Weber ihre Produktion auf baumwollene Tüchlein um, vor allem auf bunte Hals- und Schnupftücher sowie auf Schürzen. Die Marktlage wurde abermals richtig antizipiert. Verleger, die an dieser Produktionsumstellung maßgeblich beteiligt waren, importierten die notwendige Baumwolle. Zu Beginn der 1790er Jahre betrug die durchschnittliche Jahresproduktion etwa 45 000 Tüchlein, 2000 Stück Kattune zu 25 bis 26 Ellen, etwa 8000 Stück Zitze und noch immer etwa 30000 Flöre.4 Die Absatzgebiete waren Deutschland, Schweden, Holland, Frankreich, die Schweiz, Italien, die Levante, Rußland, Österreich und Tirol.’ Allein mit dem Baumwollspinnen waren um diese Zeit in Hof und Umgebung etwa 1000 Personen beschäftigt, davon 800 hauptberuflich.6 Rohbaumwolle kam aus St. Domingo (über Amsterdam), Macedonien und der Levante (über Wien) sowie aus Ostindien (über Venedig und Triest).7 Die Spinner vermochten indes nicht den Gambedarf der Weber zu decken. Deshalb mußten türkische Garne eingeführt werden, die immer mehr von zum Teil in Elberfeld eingefärbten englischen roten Garnen verdrängt wurden.“ Die in den neunziger Jahren gemachten Versuche, eine eigene Gamschererei ansässig zu machen, schlugen fehl. In Hof und Umgebung standen 781 Webstühle’ für Baumwollwaren; das war etwa ein Fünftel aller Stühle 1 Schmid (s. o. 512) 1 f. 2 Ebd. 5; Bayehlein (s. o. 512) 84. 3 Schmid 9. 4 Ebd. 10; s. auch Bayehlein 83 ff. ’ Ebd. 85.

6 7 ’ ’

Schmid (s. o. 512) 12. Bayehlein (s. o. 512) 85. Dietlein (s. o. 512) 173. Schmid 12.

518

Franken: D. VI. Gewerbe und Handel zur Zeit des Merkantilismus

in beiden Fürstentümern zusammengenommen. 1 Die Napoleonischen Kriege sowie die italienischen, holländischen und französischen Einfuhrsperren (1806) trafen Hofs Weber empfindlich. Hinzu kam, daß die Weber im sächsischen Vogtland (Plauen) nach der Florweberei jetzt auch die Tüchleinherstellung betrieben und so den Markgräflern erheblich Konkurrenz machten. Aber noch war das Gewerbe durch die Kontinentalsperre vor Englands überlegener Textilindustrie geschützt; die eigentliehe Krise kam erst mit Aufhebung der Sperre und dem Einströmen billiger englischer Stapelware in die Absatzgebiete oberfränkischer Weber. Am raschesten von allen landesherrlich geförderten Gewerbezweigen breitete sich seit den 1680er Jahren die in Deutschland bis dahin fast unbekannte Strumpfwirkerei aus;12 es bildeten sich Zentren in und um Erlangen (Wilhelmsdorf), Schwabach und Fürth. Das Betriebssystem war nahezu ausnahmslos der Verlag.3 Bedingt durch die Mode der langen Strümpfe und kurzen Hosen hatten die Strümpfe besonders in Holland gute Absatzchanzen. - Erlangen gehörte zu den ersten deutschen Städten, in denen, dank französisch-hugenottischer Hilfe, der um 1589 in England erfundene Wirkstuhl Eingang fand. Die Zahl der Wirkstühle stieg in Erlangen bis 1698 auf 97 (141 ?) an und wuchs dann weiter auf 161 im Jahre 1706; sie wurden von 90 Meistem und ihren Gesellen und Lehrlingen betrieben. In Schwabach standen 100 Stühle, in Wilhelmsdorf50.4 Die Strumpfwirkerei expandierte so heftig, daß es in dieser Branche im ersten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts zu einer kleinen «Gründerkrise» mit zahlreichen Konkursen kam.’ 1701 wurde in Schwabach, 1706 im Fürstentum Bayreuth der Zugang von Strumpfwirkern zum Markt eingeschränkt. Für die Vorhändenen Weber mußten Produktionsmaxima und Beschränkungen in der Zahl der Geseilen und Lehrlinge eingeführt werden. Preisreglements sicherten diese Verordnungen ab. Die kurze Periode der «Gewerbefreiheit» hatte ihren Zweck, Gewerbetreibende anzulocken, erfüllt, und die Handwerker (weniger der Landesherr!) kehrten (wieder) zu den eher konservativen zünftlerischen Vorstellungen zurück. Nach einer Periode der Konsolidierung (Gesundschrumpfen), setzte sich die Aufwärtsentwicklung bis zur Jahrhundertwende fort. 1775 zählte man im Raum um Erlangen und Schwabach6 580 Stühle. 1792 stellten allein in Erlangen 350 Meister mit 180 Gesellen und 89 Lehrlingen 420000 Paar gefärbte Baumwollstrümpfe her.7 In den vorgelagerten Handwerkszweigen waren beschäftigt: 1500 Spinner, 268 Blumennäherinnen für den Zubehör der modischen Damenstrümpfe, 200 Näherinnen zum Zusammennähen der Strümpfe, 161 Kartätscher, 49 Zurichter, Packer usw. In Schwabach gab es 1734 etwa 120 Strumpfwirkermeister, 1756 deren 180 mit ungefähr 400 Stühlen; * 1800 Beschäftigte arbeiteten in Nebenhandwerkszweigen. 1 S. die Übersicht o. 515. Nach Bayerlein 91 f. gab es im Jahre 1789 im Fürstentum Bayreuth 2036 Webstühle für Baumwolle, 277 für Leinwand und 86 für Wollwaren; ebd. 96 einige Preise für Baumwollwaren und Wolltuche. 2 Vgl. Schanz (s. o. 512) 72 ff, 89 f. 3 Reuter (s. o. 504) 32.

4 Schanz 77. 5 Vgl. ebd. 80 ff. 6 Die Strumpfwirkerei sollte nach den landesherrlichen Vorstellungen möglichst wenig auf dem flachen Lande betrieben werden. 7 Ebbe (s. o. 504) 82. * Schanz (s. o. 512) 296 f.

§ ßp. Die Gewerbeförderung in Ansbach und Bayreuth (E. Schremmer)

5l9

Die Kattunherstellung und die Kattundruckerei hatten ihre Zentren um Schwabach und Erlangen. Dieser Produktionszweig gedieh bis zur Wende zum achtzehnten Jahrhundert trefflich; die bedruckten Kattune konnten in Sachsen, Süddeutschland, Böhmen, Italien und in der Schweiz verkauft werden.1 Nach den Handwerkstabellen betrug die Zahl der Leinen- und Baumwollweber im Fürstentum Bayreuth im Jahre 1802 3063 Meister, 697 Gesellen und 297 Lehrlinge; dazu kamen etwa 9000 bis 10000 Spinner. * Trotz vieler Bemühungen der Ansbacher Fürsten, in ihrem Territorium ein ähnlich breitgestreutes, blühendes Textilgewerbe wie im Nachbargebiet Bayreuth heimisch zu machen, blieb ihnen auch nach der 1719 auf Initiative des Markgrafen Wilhelm Friedrich gegründeten Schwabacher KattunWeberei ein durchschlagender Erfolg auf breiter Basis versagt. Dieses landesherrliche Manufakturuntemehmen wurde zur größten Textilmanufaktur der fränkischen Fürstentümer, nachdem sie 1740 (Übergang an die Stadt) bzw. 1766 (Kauf durch einen privaten Kattundrucker) privatisiert wurden und 1766 mit einer Kattundrukkerei verbunden wurde. 1797 arbeiteten in diesem «Fabrik-Komplex» 480 Arbeiter an 30 Spinnmaschinen, 60 Webstühlen und 50 Druckstöcken.123 Mit dieser und neun weiteren zwischen 1744 und 1801 gegründeten kleineren Kattundruckereien wurden die beiden Fürstentümer zu einem international angesehenen Zentrum des Kattundrucks, das den Augsburger Kattundruckem Konkurrenz zu machen verstand. Durch die seit den 1780er Jahren immer stärker aufkommende sächsische Konkurrenz und durch den billigeren Walzendruck in England gingen die Druckereien zwischen 1800 und 1830 ein.4* Auf die Tätigkeit der Hugenotten, deren gewerblicher Schwerpunkt im TextilSektor lag, geht auch die Hut-Herstellung zurück, die sich um Erlangen seit 1687 aus kleinsten Anfängen zu einem jahrzehntelang blühenden Gewerbe entwickelte. Auf seinem Höhepunkt um 1770 bis 1785 wurden in etwa iöManufakturwerkstätten ungefähr 300 Personen beschäftigt, die etwa 72000 Hüte jährlich herstellten.’ Nach dem Ausbruch der französischen Revolution verminderte sich die Ausfuhr nach Frankreich stark, so daß 1792 nur noch von 13 Betrieben mit einer Produktion von 40000 Hüten berichtet wird (Produktionswert 144000 Gulden).6 Schon aus dem Verbrauch von 100000 Hasenbälgen hierzu ist zu ersehen, daß die vorwiegend französischen Weißgerber (die Rotgerber waren vorwiegend Deutsche) eine wichtige Rolle im gewerblichen Leben spielten, zumal sie die gleichfalls ganz in französischen Händen liegende Handschuhfabrikation7 mit den notwendigen Ziegenfellen versorgen mußten. Wie in vielen Residenzstädten wurden auch in Schwabach und Erlangen Gobelinmanufakturen mit finanzieller Unterstützung der Landesherren gegründet. Sie mußten 1 Ebd. 90 ff, 298 f. 2 Ebd. 214; Bayerlein (s. o. 512) 67; über den Einfluß der Kontinentalsperre auf das Textilgewerbe s. Ders. 88 ff, 98 ff. 3 Reuter (s. o. 504) 36 ff, 39 f. 4 Demgegenüber stand Hof mit 20 Stadtmeistem im Jahre 1784 und 36 Stühlen im

Jahre 1791 weit hintenan; vgl. Diehein (s. o. $12) 124. ’ Schanz (s. o. 512) 92 f. 6 Reuter 67; Schanz 204 ff. 7 1774 Produktion von 120000 Paar Handschuhen durch 8 Verleger und 200 Näherinnen; Erbe (s. o. $04) 82.

520

Franken: D. VI. Gewerbe und Handel zur Zeit des Merkantilismus

ihren Betrieb bald wieder einstellen. Die von Hugenotten nach 1685 erstellte Wandund Teppichwirkerei wird als eine der ersten in Deutschland angesehen; sie soll den Gobelinmanufakturen in Wien, Berlin, Dresden und Stuttgart als Vorbild gedient haben.1

b) Das metallverarbeitende Gewerbe. Neben dem Textilgewerbe waren es vor allem die metallverarbeitenden Gewerbezweige, und dabei besonders die Nadler (Nadelmacher) und die Edeldrahtmacher und -wirker (Tressen- und Bortenherstellung) aus Roth und Schwabach, die unter den kurfürstlichen Förderungsmaßnahmen besonders gediehen.1 - Mit der konischen Drahtmanufaktur wurde in Roth zwischen 1726 und 1730 mit Hilfe der Territorialherren von einem entwichenen Nürnberger Drahtzieher ein neuer überaus prosperierender Gewerbezweig eingeführt.1*3 Die im achtzehnten Jahrhundert gegründeten vier Schmuck-Drahtwerke in Roth und Schwabach nutzten die durch die prunksüchtige Mode gegebene gute Konjunkturlage so geschickt aus, daß sie bis zur Jahrhundertwende ihre schärfsten Konkurrenten in der Oberpfalz, Allersberg und Freystadt überrundet hatten;4 von dort warben sie zahlreiche Facharbeiter ab; in den 1790er Jahren kamen allein von Allersberg etwa 100 Fachkräfte nach Roth.5 Unter teilweiser Umgehung Nürnberger Kaufleute konnten die Manufakturen die Mittelmeerländer als Hauptabsatzgebiete gewinnen. - Wiederum, wie bei den Spiegelmanufakturen, wuchs eine wichtige Branche aus dem Einfluß bereich des Kurfürstentums Bayern hinaus, ohne daß die Landesherren eingegriffen hätten. Im Gegensatz zu den meisten anderen merkantilen Gründungen vermochte dieser Produktionszweig seine Bedeutung bis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein beizubehalten. Neben dem Edeldrahtgewerbe kam auch die Nadelherstellung aus dem Gebiet von Nürnberg, aus Pappenheim, Weißenburg, Monheim und Dürrwangen.6 Bereits 1633, also noch während des Dreißigjährigen Krieges, machte sich ein Weißenburger Nadlermcistcr, der nach Kriegsende noch weitere Weißenburger Fachkräfte nachzog, in Schwabach seßhaft. 1725 werden bereits 27 Meister gezählt, und in den 80er Jahren werden in etwa 100 Werkstätten mehrere Millionen von Näh- und Stecknadeln hergestellt.7 Nach Hardenbergs Bericht’ wurden um jene Zeit in Schwabach etwa 14 Millionen runde und Schneidernadeln fabriziert sowie 3 Millionen Nadeln für Strumpfwirkstühle. Der Produktionswert lag bei 13000 Gulden. Um 1800 waren im Schwabacher Nadlcrgewerbe rund 1500 Personen beschäftigt.’ Der Nadeldraht mußte zum allergrößten Teil importiert werden, vorzugsweise aus Altena 1 Vgl. Reuter (s. o. 504) 33 und die dort Anm. 64 angegebene Literatur. Über eine weitere «Prestigegründung», die markgräflichc Porzellanmanufaktur Ansbach s. ebd. 43 f.; Angaben über Fayenceherstellung ebd. 46 ff 1 Einen guten allgemeinen Überblick über diesen Produktionszweig gibt Beckh (s. o. 478) i ff, 10 ff 3 Reuter (s. o. 504) 55 ff.

4 Vgl. Schremmer 562 f.; Tausbndpfund (s. o. j 12) 2 5 ff, 166. 5 Reuter 38, 55. 6 Schanz (s. o. 512) 300. 7 Die ebd. S. 303 für 1787 angegebene Zahl von 190 bis 200 Millionen ist vermutlich zu hoch. • Meyer (s. o. 512) 106. ’ Reuter (s. o. 504) 54.

§ 59· Die Gewerbefi'rderung in Ansbach und Bayreuth (E. Schremmer)

$21

in Westfalen, zum geringeren Teil aus Salzburg. Erst als der 1764 von Markgraf Karl Alexander gegründete Kupferhammer in Roth 1778 an einen Schwabacher Kaufmann verkauft wurde und dieser im Besitz eines privilegiums exclusivum den Hammer für die Eisendrahtherstellung umbaute, konnte 1792 etwa ein Drittel des Gesamtbedarfs von rund 42 Tonnen feinem Nadeldraht im Inland gedeckt werden.1 - Die MetallSchlägerei konzentrierte sich in Fürth,1 das im achtzehnten Jahrhundert in unmittelbarer Nachbarschaft von Nürnberg ein bemerkenswertes Wirtschaftswachstum erzielte. c) Glasbearbeitende Gewerbe. Obwohl im Fichtelgebirge das Glasmachergewerbe eine jahrhundertealte Tradition besaß, und obgleich das Fürstentum Bayreuth die für diesen Gewerbezweig notwendigen Rohstoffe besaß, blieb die Erzeugung von Hohlglas, Tafelglas und Glasknöpfen im Lande gering.1 23 Die böhmische und die bayerische Konkurrenz war zu stark. Dagegen entwickelte sich, wie auch in der Oberpfalz, ein beachtliches glasbearbeitendes und glasveredclndes Gewerbe. Dieses bezog sein Rohglas aus den genannten Konkurrenzgebieten. Die Kunst des Spiegelmachens - das Schleifen, Polieren und Belegen flacher Gläser - brachten um 1705 französische Flüchtlinge ins Land (Krummennaab, Erbendorf, Windischeschenbach), die Kunst der Herstellung der dazu notwendigen Zinnfolien (Spiegelfläche) dürfte aus Venedig gekommen sein.4 Am Ende des achtzehnten Jahrhunderts gehörte das Gewerbe der Spiegelmacher, mit seinem Zentrum um Fürth und einer 1744 in Blayen gegründeten Manufaktur zu den bedeutendsten der beiden Fürstentümer. Die enorme Nachfrage nach allen möglichen Arten von Spiegeln, vom kleinen Taschenspiegel, über drehbare Boudoirspiegel bis hin zu kunstvoll verzierten Wandspiegeln, führte zu einem starken Ansteigen der Glaserzeugung. In diesen Geschäftszweig wußten sich Nümberger Großhändler einzuschalten, indem sie sowohl in der Oberpfalz5 als auch im Ansbachischen Fürth Zulieferbetriebe an sich zogen.6 1804 gab es in und um Fürth 22 Glasschleif- und Glaspolierwerke, die 14 Nürnberger und ‫ ך‬Fürther KaufmannsVerlegern zugehörten. Das Belegen der Glasscheiben mit Zinnfolie erfolgte in besonderen Werkstätten in Fürth und Nürnberg. In Fürth wurden schließlich von 540 verlegten Handwerkern die Spiegel-Rahmen hergestellt, vergoldet, gefärbt und geschnitzt.7 Wie schon vor dem Dreißigjährigen Krieg vermochte die Stadt die ErStellung von Roh- und Halbfertigprodukten außerhalb ihres Territoriums zu halten und zog es vor, die besonders gewinnbringende Endfertigung (teilweise) und den Handel (nahezu vollständig) in ihre Stadt zu bringen. - Die Brillenfertiger machten Fürth neben Nürnberg (?) zu einem «internationalen Zentrum der Herstellung optischer Gläser».8 Dabei konnte Fürth auf die Brillenschleiferei in den Strafarbeitshäusem St. Georgen, Bayreuth und Schwabach zurückgreifen. Fürth legte um jene 1 Ebd. 60; über das fränkische Montanrevier um Wunsiedel s. u. 522. 2 Zahlreiche Angaben bei Morgenstern (s. o. 504) 7f., 14, 16, 21, 43. 2 Reuter 48 f.

4 5 6 7 8

Vgl. Slawincer (s. o. 504) 245 Anm. 84. S. u. 1385 f. Vgl. Slawinger (s. o. 504) 245. Reuter (s. o. 504) 50. Ebd. J3.

522

Franken: D. VI. Gewerbe und Handel zur Zeit des Merkantilismus

Zeit den Grund für seine überraschend schnelle industrielle Aufwärtsentwicklung im neunzehnten Jahrhundert.1

d) Der Eisenerzbergbau und das Montangewerbe. Der Eisenerzbergbau und das Montangewerbe in den fränkischen Fürstentümern Ansbach und Bayreuth waren, gemessen an dem monetären Ertrag für den Landesherm, von nur mäßiger Bedeutung. Aber für die Versorgung der einheimischen Nadler war es zumindest seit dem letzten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts von großer Wichtigkeit. Am Ende des achtzehnten Jahrhunderts, als beide Fürstentümer an Preußen kamen, zeigten sich folgende Mängel in diesem Sektor:12 geringe Leistungsfähigkeit der Hochöfen, zu hoher Kohleverbrauch, Beschickung mit schlecht gebrannter Holzkohle und mit zu viel Kalk; veraltetete Konstruktion der Hochöfen und unzureichende Blasvorrichtungen. Das Fürstentum Bayreuth war damals in die drei Bergämter Naila (einschließlich der Exklave Lauenstein), Goldkronach und Wunsiedel aufgeteilt. In diesen drei Bergämtem waren 1792 beschäftigt:3

Naila

Goldkronach Wunsiedel

Zusammen

Bergleute 164 Hütten- und Hammerleute 112

51 60

140 139

355 3‫״‬

276

III

279

666

Zusammen

Diese Berufsstruktur zeigt, daß im Amt Naila das Schwergewicht der Tätigkeit bei der Urerzeugung lag (Bergbau), im Amt Goldkronach auf dem weiterverarbeitenden Sektor (Hütten- und Hammerwerke). 1 Fürth wurde infolge der Förderung durch den Ansbacher Markgrafen zu einem «hervorragenden Gewerbeplatz», Hofmann, Deutschlands erste Eisenbahnlinie (s. u. 529 Anm. 5) 51; in Fürth fand mancher Handwerker aus Nümberg Unterschlupf; s. auch die demnächst erscheinende Arbeit von H. Mauersberg über Fürth. 2 Berichte des kgl. preuß. Bergassessors Alexander von Humboldt an sein Ministerium,

abgedruckt in: Humboldt (s. o. 504) 175 ff.; während Hardenberg obrigkeitliche Eingriffe in das Gewerbe- und Manufakturwesen minimierte, unterlag der Montansektor unter der Leitung von A. v. Humboldt einer umfassenden obrigkeitlichen Lenkung; vgl. Hofmann, Preußische Ara (s. o. 512) 101. 3 Ebd. 86 f., 139; ohne nebenberuflich im Montansektor tätige Bauern, Frachtführer, Tagelöhner.

§ 39· Βίε Gewerbeförderung in Ansbach und Bayreuth (E. Schremmer)

523

Die Förderung von Eisenerzen1 betrug (Mindestmengen): Jahresdurchschnitt

Revier Wunsiedel 1767-1777 1780-1789 1790 Revier Naila 1790

7900 Seidel1 2 15600 Seidel 13600 Seidel

10700 Seidel

Trotz der durch Humboldt aufgezeigten Mängel nahm die Erzförderung in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts spürbar zu. Für die Verarbeitung der Erze standen im Jahre 1798 zur Verfügung: 11 hohe Öfen, 5 Blau-Öfen, 28 Frischfeuer, 7 Zainhämmer, 1 Blechhammer, 6 Drahtzüge und 21 Kalköfen. Die durchschnittliche Roheisenerzeugung in den Revieren Wunsiedel und Naila betrug in den frühen 1790er Jahren je «Campagne von ca. 40 Wochen» etwa 4000 bis 5000 Zentner.3 Das entsprach einem Produktionswert von 8000 bis 10000 Talern. Bei der Verhüttung lag das Mengenverhältnis von eingebrachter Meilerkohle zu Eisenerz bei * 5:1.

e) Die Manufaktur als betriebliche Organisationsform. In die vorliegende Betrachtungsperiode fällt das Aufkommen der von den Landesherren stark geförderten Manufaktur;s sie kann unter dem produktionstechnischen Aspekt durchaus als ein Charakteristikum des Merkantilismus angesehen werden. Bis zur Eingliederung der Territorien in Bayern lassen sich deutlich zwei Perioden mit Gründungshäufungen feststellen: 1. Die Zeit um 1690 bis 1710; typisch ist die breite Streuung der Gewerbearten. In den 1650er und 1660er Jahren häuften sich die Zulassungen für Kattundrucker. Ein leading sector bildete sich indes nicht heraus. 2. Die zweite Gründungswelle zeigt sich deutlich während der «liberalen Jahre» zwischen 1792 und 1806 unter preußischer Oberhoheit.6 Doch haben gerade diese Neugründungen eine hohe Konkurszifier während der Krisenjahre nach 1805. Von den «vielen» in Literatur und Quellen angegebenen «Fabriken und Manufakturen» (etwa 300) konnten nach neuerer Untersuchung zwischen 1680 und 1830 nur 98 Manufakturgründungen aufgespürt und die restlichen Gewerbe in den Bereich des Verlages verwiesen werden. Damit hatten die zwei kleinen Fürstentümer eine 1 Über den grenzüberschreitenden Erzversand s. ebd. 86, 139; s. ferner Baybblein (s. o. 512) 46 ff. statistische Angaben über das Bergbauwesen um 1810. 2 Der Wert je Seidel lag bei etwa 12 Grosehen. 3 Ebd.

4 Nach Bayeblhen (s. o. 512) 49 lag um 1810 die Roheisenerzeugung im Fürstentum Bayreuth insgesamt bei etwa 36000 Zentnern. 1 Reuteb (s. o. 504) 126 ff 6 Über die preußische Manufakturpolitik s. ebd. 129 ff; ferner allgemein Hofmann, Preußische Ära (s. o. 407).

;24

Franken: D. VI. Gewerbe und Handel zur Zeit des Merkantilismus

etwa ebenso hohe Manufakturdichte wie Kursachsen, das um jene Zeit als eines der fortschrittlichsten Territorien auf dem gewerblichen Sektor galt. Diese 98 Manufakturen verteilten sich auf folgende Produktionszweige:1

Produktionszweig

Zahl der Manufakturen

Textil Tabak Glas Draht Keramik Verschiedene Papier (ohne Papiermühlen)

Anzahl der Arbeitskräfte 2200 400 380 350 370 240 60

44 U 13 10 8 7 3

Die Manufakturgründer kamen vor allem aus der Schicht des Bürgertums; auffallend wenig Gründungen unternahmen der Landesherr und seine Beamten:2 Gründer

Kaufleute Handwerker Landesherr Adel Beamte Verschiedene Unbekannt

1680-1830

Betriebe

38 34 8 4 2 ‫ך‬ 5 98

Die Mehrzahl der Manufakturarbeiter waren angelernte Arbeitskräfte;3 sie stammten regelmäßig aus der Markgrafschaft selbst, bzw. aus dem Ort, in dem die Manufaktur ihren Sitz hatte. Ihrer sozialen Stellung nach kamen sie aus den armen und ärmsten Volksschichten; Frauen, Kinder, Tagelöhner, Soldaten und Invaliden fanden sich neben verarmten Bürgern, Handwerkern und Krüppeln. Die wirtschaftliche Lage dieser besitzarmen Schicht war trotz sehr vereinzelter freiwilliger Sozialmaßnahmen (UnterStützung bei Krankheits- und Todesfällen) ungesichert. Die zum Teil erheblich besser bezahlten gelernten Fachkräfte (Meister, Gesellen), auf die keine Manufaktur verzichten konnte, stammten teils aus dem Inland, teils waren sie im Ausland abgeworben. Trotz der im Vergleich zu anderen deutschen Territorien hohen Manufakturdichte in Ansbach und Bayreuth blieb der Anteil der manufakturmäßig hergestellten Waren 1 Reuter (s. o. 504) 10. 2 Ebd. 74.

3 Über die Manufakturarbeiter s. ebd. 81-99, 146 f., 1J4 f.

§ 60. Die Wirtschaft in den Mainterritorien (E. Schremmer)

525

gegenüber den handwerklich-verlagsmäßig produzierten, gemessen an Beschäftigungszahl und Wert, gering. In den beiden geistlichen Territorien Bamberg und Würzburg war der Anteil sogar noch weit geringer. Die vorherrschende Produktionsform Frankens, dessen Wirtschaftsstruktur, und das darf nicht übersehen werden, überwiegend agrarisch war, bildete nach wie vor der Verlag. Nahezu alle über den regionalen Konsum hinaus arbeitenden Handwerker waren von Verlegern ab-

5 60. HANDELSMERKANTILISTISCHE BESTREBUNGEN

IN DEN MAINTERRITORIEN

A. Benker, Die Entwicklung d. Textilgewerbe in Oberfranken u. ihre heutige Lage, Diss. Eriangen 1924; Η. H. Hofmann, Adelige Herrschaft; Ders., Preußische Ara (s. o. 407); Ders., Erste Eisenbahn (s. u. 529 Anm. 5); H. Ketterer, Das Fürstentum Aschaffenburg u. sein Übergang an d. Krone Bayerns, 1914/1$; Lutz, Weinbau in Würzburg (s. o. 477); O. Morunghaus, Zur Bevölkerungs- u. Wirtschaftsgesch. d. Fürstbistums Bamberg im Zeitalter d. Absolutismus, Diss. Erlangen 1940; B. Pattloch, Wirtschafts- u. Fiskal-Politik im Kurfürstentum Mainz vom Beginn d. Reformation bis z. Ausbruch d. jojähr. Krieges, Diss. München 1968; G. Schanz, Die Mainschiffahrt im 18. Jh. u. ihre zukünftige Entwicklung, 1894; Th. Scheel, Die Zunftunruhen in Mainz, Diss. Rostock 1881; Schremmer, Strukturwandel im Transportgewerbe (s. o. 504); G. Vogel, Der Schwarzenbergische Verkehrs- u. Handelsplatz Marktbreit a. Μ. v. 1648-1740 u. d. fränk. Verkehrs- u. Handelspolitik, 1933; K. Wild, Staat u. Wirtschaft in d. Bistümern Würzburg u. Bamberg. Eine Untersuchung über d. Organisator. Tätigkeit d. Bischofs Friedrich Karl v. Schönborn, 1693-1729 (Heidelberger Abh. z. mittl. u. neueren Gesch. 15) 1906.

Gegenüber der Gewerbepolitik der Markgrafen von Ansbach und Bayreuth hebt sich der ausgeprägte Handelsmerkantilismus in den am Main gelegenen Territorien deutlich ab.12 Hier mußten die Waren, die vom Niederrhein (Antwerpen, Amsterdam), Köln, Mainz, Frankfurt (Messegüter) den Main aufwärts in Richtung Würzbürg, Bamberg gebracht wurden, den Rhein-Main-Wasserweg verlassen und zum Erreichen des fränkischen Hinterlandes (Nürnberg), Oberschwabens (Augsburg, Donauwörth, Anschluß an den Donauwasserweg) und Bayerns zu Lande weiter transportiert werden.3 Geographisch besonders geeignet war hierfür das Gebiet um das südliche Mainknie bei Würzburg. In dieser Gegend kreuzte sich die wichtige niedersächsische, in ihrer Verlängerung italienische, Route von Hamburg/Bremen 1 Vgl. Reuter 142 ff. 2 Das Territorium von Kurmainz wurde 1803 aufgespalten. Ein Teil dieses Gebiets, das Fürstentum Aschaffenburg, fiel an Bayern. Über den Stand des Gewerbes in diesem überwiegend landwirtschaftlich orientierten Gebiet s. die Angaben bei Ketterer (s. o. 525) 24 ff., insbes. die Gewerbetabelle S. 46. Dort finden sich auch einige Angaben über die Glashütten im Spessart, das kleine Montangebiet um Laufach/Huckelheim und die Salinen Orb und Soden. Das Textilgewerbe war, gemessen an der Zahl der beschäftigten Personen, das

größte im Land: 706 Leinenweber, 3 8 Strumpfweber, 19 Wollenweber, 12 Färber, 4 Walkmüller und 3 Tuchmacher; Stand 1808. Viel Information über die dem Merkantilismus unmittelbar vor- und nachgelagerten Perioden bei Köberlin, Obermain (s. o. 477); Ders., Die Mainschiffahrt im 19. Jh. u. ihre künftige EntWicklung, 1894. 3 Über das Transportgewerbe stehen noch Untersuchungen aus. Einige Angaben über bäuerliches Fuhrwesen in Bayern bei Schremmer, Transportgewerbe (s. o. 504) 577 ff.

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Franken: D. VI. Gewerbe und Handel zur Zeit des Merkantilismus

über Hannover, Fulda, das Frankenland, Donauwörth, Augsburg, Venedig/Triest mit der sächsischen Route von Leipzig nach Würzburg, dann weiterführend nach Heilbronn und Straßburg. In dieser Gegend konnte ein Dienstleistungs-, speziell Speditions- und Fuhrgewerbe entstehen, und hier war eine gute Möglichkeit gegeben, Transitzölle zu erheben. Während die Landesherren von Ansbach und Bayreuth1 zunächst vorwiegend eine gewerbefördemde Politik betrieben und die geistlichen Territorialherren von Bamberg und Würzburg den Agrarsektor, insbesondere den Weinbau, förderten sowie den Ausbau der inneren Verwaltung betrieben/ bemühte sich das kleine Fürstentum Schwarzenberg mit seiner Ortschaft Marktbreit am Main besonders intensiv und erfolgreich um das Heranziehen des Warenverkehrs und das Umladen der Kaufmannsware von Mainschiffen auf Landfuhrwerke. Was für Ansbachs Gewerbe die herbeigeholten Hugenotten bedeuteten, waren für Schwarzenbergs Handel die Juden.3 Die Herren von Schwarzenberg lebten lange Zeit am Hof in Wien; sie nahmen dort merkantilistisches Gedankengut auf4 und kamen in Verbindung mit den dortigen Oberhoffaktoren Oppenheimer und Wertheimer.3 Trotz zahlreicher Proteste der Einheimisehen holte Johann Adolf unmittelbar nach dem westfälischen Frieden Juden in sein Territorium. Er bot ihnen besondere steuerliche Privilegien. Schwarzenberg mußte den Juden gegenüber den geistlichen Territorien von Bamberg und Würzburg als eine freihändlerische Oase erscheinen. Die Zahl der Juden wuchs rasch an; 1740 befanden sich bereits 140Juden in Marktbreit.‘ Aus dem Zusammentreffen einer rührigen Schicht christlicher und jüdischer Kaufleute mit den dem Handel aufgeschlossenen Landesherren, die auch die technischen, organisatorischen und rechtlichen Voraussetzungen für den Handel schufen - Bau von Be- und Entladeeinrichtungen (Kranen), Waageplätze, Lagerhallen, Ausbau der Zufahrtswege, Betreiben einer NiedrigZoll-Politik - entwickelte sich Marktbreit nach 1648 bis etwa 1740 zu einem bedeutenden Handels- und Warenumschlagsplatz.7 Es gelang den Schwarzenbergern, trotz vieler Streitigkeiten mit den umliegegenden Territorialherren um Geleit- und Stapelrechte, Straßen- und Marktzwang und nicht zuletzt um Main-Schiffahrtsrechte,8 1 Ansbach berührte mit der kleinen Exklave Marktsteft den Main. 2 Ausbau des Steuersystems, Schuldentilgungsprogramme, Aufbau eines Beamtenapparates. Wild (s. o. 525) 41 ff., 108 ff., 169. Von Bamberg wird berichtet, daß es auf dem fruchtbaren flachen Land kaum Weber gegeben habe, s. Moblinghaus (s. o. 525) 87. Die 1784 errichtete Leinwandmanufaktur für Stadt und Land Bamberg scheint ebenso eine Einzelerscheinung ohne weitergehende Bedeutung geblieben zu sein wie die Wollspinnereien und kleineren Tuchmanufakturen in den Ämtern Nordhalben, Enchenreuth, Wartenfels, Vilseck und Weismain, vgl. ebd. 99 ff. Über die geringe Gewerbetätigkeit im Fürstentum Würzbürg s. Wild 169-186.

3 Morunghaus (s. o. 525) 95. Einige Angaben über die Hoffaktoren in den fränkischen Territorien bei Schnee (s. o. 504) 11 ff., 26 ff., 35 ff.; über sog. «Schnorr- und Handelsjuden» s. auch Hofmann, Adelige Herrschaft 131 f. 4 U. a. war die Schwarzenberger Polizeiordnung der Wiener nachgebildet. 3 Vogel (s. o. 525) 72 f. 6 Ebd. 73. 7 Ebd. 70 ff. 8 Sehr knapp dazu Hbckscheb (s. o. 504) I J7 f., ausführlicher Zobpfl (s. o. 504) 35 ff., 58 ff., 94 ff.; s. auch die politische Verkehrskarte dort im Anhang.

§ 60. Die Wirtschaft in den Mainterritorien (E. Schremmer)

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einen Großteil des Warenumschlags vom Rhein-Main-Wasserweg zum Landverkehr an sich zu ziehen. Marktbreit wurde der bevorzugte Umschlagsplatz bei Bergund Talfahrten. Rhein- und main-aufwärts kamen Kolonialwaren (Baumwolle, Gewürze, Zucker, Tabak), Leder, Metalle, besonders Blei und englisches Zinn, Bleche, Schrott, Öle und Fische sowie gewerbliche Produkte aller Art für Franken, Schwaben, Bayern und Tirol; flußabwärts wurden Bergwerksprodukte aus Österreich und Ungarn versandt, Hopfen, Textilien, Federn und Glaswaren aus Böhmen, Eisen und Nägel aus der Oberpfalz, Pech, Papier und Hirschhorn aus Sachsen und Thüringen; dazu kamen Exportgüter aus Ansbach und Bayreuth (Textilien, Metallwaren). In Marktbreit wurden ferner Agrarprodukte umgeschlagen: Wein aus Würzburg, Ansbacher und Schwarzenberger Orten, Getreide aus der reichen fränkischen Komkammer,1 Butter und Schmalz aus der Gegend von Ansbach, Rothenburg und Bayreuth. Aus den Rednitz- und Mainländem kamen ferner große Mengen von getrockneten Zwiebeln und Dörrobst als Proviant für Seeleute auf englischen und holländischen Schiffen; zum Schiffsbau bestimmt war Holz - vorwiegend eichene Astgabeln für Deckstützen -, das auf Flößen Holland erreichte.2 Mit dem Aufblühen von Marktbreit wuchs seit den 1730er und 40er Jahren das Interesse der Territorialherren von Würzburg, Bamberg und Ansbach an diesen von ihnen bisher in ihrer Bedeutung nicht erkannten Verdienstmöglichkeiten aus dem Handel, dem Speditions- und Fuhrwesen.3 Mit der für das ansbachische Marktsteft 1727 erlassenen Zollfreiheit4 für aus Holland anlandende Schiffe, deren Waren per Achse weitergeleitet wurden nach Nürnberg, Regensburg, Wien, Augsburg und München, nahm Ansbach den Kampf gegen das benachbarte schwarzenbergische Marktbreit auf. Zuvor hatte es bereits eine eigene, wenn auch bescheidene Schiffahrt nach dem Niederrhein gegründet. In den 50er Jahren gewährte Marktsteft allen fremden Gütem dieselben Zollprivilegien wie Marktbreit. Die in dem exportabhängigen Territorium von Ansbach hergestellten Waren wurden damit über einen eigenen «Hafen» geleitet, der auch das Hauptimportgut des Landes, Baumwolle, aufnahm. In der Regierungszeit der Fürsten Adam Friedrich von Seinsheim (1755 bis 79) und Franz Ludwig von Erthal (1779 bis 95) begann Würzburg zeitweise gemeinsam mit Bamberg seine handelspolitische Offensive im Main-Ort Kitzingen unweit von Marktsteft zu verstärken.1 Charakteristisch ist eine Äußerung des Fürstregenten: «... in jetzigen Zeiten sollte dem publico nichts angelegentlicher sein, als Handel zu treiben, zu vermehren und zu behaupten.»6 Die Hauptstraßen, Anlande- und Lager1 Die Produkte kamen teils direkt vom Erzeuger, teils aus den zur Preisregulierung errichteten herrschaftlichen Kornkammern, teils direkt von Großhändlern aus dem Kreis der adeligen Großgrundherren (Hohenlohe, Hutten, Crailsheim); der Korn- und Weinhandel lag vorwiegend in der Hand derer von Oppenheim und Wertheim; einige Angaben über den Agrarreichtum Hohenlohes bei Schremmer, Bauernbefreiung (s. o. 504) 29 f., 131 ff;

vermutlich kam auch Wein aus Hohenlohe, s. ebd. 33, 142. 1 Hofmann, Adelige Herrschaft 88 f. 1 Wild (s. o. 525) 116 f., 135 ff. 4 Zoepfl (s. o. 504 )39. 1 Über den vorausgegangenen «Zollkrieg» zwischen Würzburg und Ansbach s. Wild 135 ff· 6 Zoepfl (s. o. 504) 113 Anm. 3.

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Franken: D. VI. Gewerbe und Handel zur Zeit des Merkantilismus

einrichtungen wurden ausgebaut und eine regelmäßige TransportschifFahrt zwischen Kitzingen und Frankfurt/Mainz/Köln eingerichtet. Auswärtigen Schiffern wurde die Ansiedlung in Kitzingen erlaubt, so sie das «nötige Geschirr» mitbrachten und versprachen, den «nordischen, orientalischen und italienischen commercio getreulich» zu «bedienen».1 Eine Art Würzburger Navigationsakte aus dem Jahre 1746, wonach die in Kitzingen ankommenden Güter talabwärts nur mit Kitzinger Schiffen transportiert werden konnten, wurde wiederbelebt und gab diesem Dienstleistungszweig für kurze Zeit ein Transportmonopol.12 Bamberg schloß sich dieser Linie mit der ErÖffnung einer regelmäßigen Frachtfahrt zwischen Würzburg und Bamberg an.3 In einem Vertrag von 1766 zwischen Mainz, Würzburg, Bamberg und Ansbach/ Bayreuth wurde beschlossen, die Zölle um ein Drittel zu senken, eine allgemeine Organisation der Schiffer und Fuhrleute ins Leben zu rufen und eine Landanschlußroute von Würzburg über Kitzingen nach Nürnberg zu bauen.4 Der große Gedanke war, über eine Art Gebiets- und Konditionskartell die Mainschiffahrt gemeinsam zu betreiben und die Rhein-Main-Flußroute für die Versorgung Oberschwabens, Bayerns und Österreichs wieder attraktiv zu machen.5 Obwohl das Zolleinigungsprojekt wegen des Austritts von Mainz,6 das den Obermainhandel für nicht so lukrativ hielt wie den von ihm besonders geförderten (Rhein-) Handel nach Südwesten, nicht in der vorgesehenen Weise durchgeführt wurde, bildete sich dennoch in etwa ein Ergänzungsverhältnis zwischen den einzelnen Handelsplätzen am zweiten südlichen Mainknie heraus: 1. Das würzburgische Kitzingen war Hauptplatz für den oberfränkischen und böhmischen Handel mit Landesprodukten (Holz, Getreide, Pottasche, Salpeter, Wein) und schaltete sich in zunehmendem Maße in den Transithandel von Hamburg, Bremen und Stade nach Schwaben, Bayern und Österreich ein? Mit 14 Schiffsmeistern besaß Kitzingen Ende des achtzehnten Jahrhunderts eine der größten Schifferzünfte am Main; etwa 30 bis 40 Familien betrieben Speditionsgeschäfte, die in der Regel mit dem Kommissionshandel verbunden waren.8 - 2. Das ansbachische Marktsteft unterhielt neben dem Getreidehandel viel Kolonialwarenhandel; es besaß eine große Niederlage für aus Holland kommende Güter und vermittelte darüber hinaus neben den Gewerbe- und Manufakturprodukten des eigenen Territoriums vorwiegend Spezereien und Franken- und Rheinweine. Marktsteft war vor allem der Umschlagort für Güter der Rhein-Main-Donau-Route. Nach der Französischen Revolution versuchten englische Firmen, ihre Produkte entlang dieser Route nach Konstantinopel zu bringen. - 3. Das schwarzenbergische Marktbreit fiel an Bedeutung etwas zurück. Es war eine bedeutende Getreidesammelstelle; ein großes Handelshaus verfügte über Beziehungen nach Holland und England. 1 Zoepfl (s. o. 504) 95. 2 Ebd. 94 f. 3 Ebd. 97 f. 4 Ebd. 176; in Würzburg wurde die Schiffslände ausgebaut; vorübergehend machte der Fürst damit seinem eigenen Hafen Kitzingen Konkurrenz. 5 Ausbau des Triester Hafens; über die Ein-

gliederung der fränkischen Land- und WasserStraßen in das große mitteleuropäische System von Transportrouten s. Schkemmbr 616 ft‫־‬., 624 ff. 6 Z0EPFL (s. O. 504) 200 f.

‫ י‬Ebd. 306. 8 Ebd.

§ 60. Die Wirtschaft in den Mainterritorien (E. Schremmer)

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Das Volumen des Warenumschlags auf der Main-Wassertraße in Richtung Donau stagnierte im letzten Vierteides achtzehntenJahrhunderts. Der zwar etwas langsamere, aber billigere Rhein-Neckar-Donau-Transportweg trat in den Vordergrund. Kaufleute und Spediteure begannen den Main zu meiden.' Das lag mit an der Förderung der Rhein-Neckar-Route durch den bayerischen Kurfürsten nach dem Anschluß der Kurpfalz an Bayern. Zur Förderung des Mannheimer Hafens wurden seit 1778 Waren nach Bayern über diesen Weg zollbegünstigt in das Land eingeführt.12 Die für den Verkehr durch Main-Franken ungünstige Situation änderte sich erst mit dem AnSchluß dieser Gebiete an das Königreich Bayern. Der bayerische König verlor das Interesse an dem Handelsweg über Mannheim, und die Rhein-Main-Donau-Verbindüng wurde für Bayern wieder wichtiger. Der «Verbund» von Marktbreit, Marktsteft, Kitzingen und Würzburg strebte während des neunzehnten Jahrhunderts die Stellung eines Warenverteilerzentrums für das südliche und südöstliche Deutschland an, wie es Mannheim für den Süden und Südwesten beinahe konkurrenzlos war. Zu Beginn des Allgemeinen Deutschen Zollvereins wurde Marktbreit das Haupteinfalltor Bayerns für Kolonialwaren, vor allem für Kaffee. Der im Volksmund «Klein-Holland» genannte Ort blühte so sehr auf, daß er 1843 von allen deutschen Städten, die dem Zollverein angehörten und mehr als eine Million Zollpfund Kaffee verzollten, hinter Stettin und Danzig an 16. Stelle lag.3 Nur so ist es verständlich, weshalb Bayerns Bisenbahnpionier Joseph v. Baader die erste deutsche Eisenbahnlinie in einem kühnen Projekt zwischen Marktbreit und Donauwörth bauen wollte.4 Diese Verbindung mußte jedoch hinter der sehr viel kürzeren Versuchsstrecke Nümberg-Fürth zurückstehen, zumal jetzt im Ludwig-Donau-Main-Kanal der alte Plan Karls des Großen realisiert wurde.5 1 Ebd. 228 ff232 ,.‫ ;־‬über den schlechten Zustand des Main-Schiffahrtsweges an der Wende zum 19. Jh. s. Schanz (s. o. 312) 3 ff‫־‬. 1 Näheres hierüber s. bei Μ. Edlin-Thieme (s. o. 304) 7 ff104 ,.‫ ־‬f.; Schremmer 628 f.; Hofmann, Adelige Herrschaft 89. Das Mannheimer Speditionsbeneficium wurde 1783 ergänzt durch ein gleichlautendes Beneficium für eine HandelsgeseUschaft in Lauingen. Nachgelassen wurden 50% der bayerischen Import- und 75% der bayerischen Transit-Accise.

3 Zoepfl (s. o. 504) 319 Anm. 3; Vogel (s. o. 525). 4 Zoepfl 317, mit Verweis auf Lutz, Bayerisch. Eisenbahnen (s. o. 512). 5 König Ludwig I. hatte bereits 1828 den Plan des Frhrn. v. Pechmann für einen «Handelskanal» angenommen; s. Η. H. Hofmann, Deutschlands erste Eisenbahn als Beispiel untemehmerischer Planung (Raumordnung im 19. Jh., 2. TI.) 1967, 49-60.

VII

DIE JUDEN IN WIRTSCHAFT UND HANDEL

§61. DIE JUDEN IN WIRTSCHAFT UND HANDEL

S. Haenle, Gesch. d. Juden im ehern. Fürstentum Ansbach. Mit Urkunden u. Regesten, 1867; H. Bauer, Israeliten im Württemberg. Franken (WF 1859/61 (‫( צ‬Abriß einer Gesch. der Judengemeinden, besonders in den Städten Rothenburg ο. T., Heilbronn, Hall, Mergentheim, Aub, Röttingen, Uffenheim, Öhringen, Weikersheim); H. Barbeck, Gesch. d. Juden in Nürnberg u. Fürth, 1878; A. Eckstein, Gesch. d. Juden im ehern. Fürstbistum Bamberg, bearb. auf Grund v. Archivalien nebst urkundl. Beilagen, 1898; Ders., Gesch. d. Juden im Margrafentum Bayreuth, 1907; Μ. L. Bamberger, Ein Blick auf d. Gesch. d. Juden in Würzburg, 1905; Ders., Hist. Berichte über d. Juden d. Stadt u. d. ehern. Fürstentums Aschaffenburg, 1900; D. Weger, Die Juden im Hochstift Würzburg während d. 17. u. 18. Jhs., Diss. Würzburg 1920; Μ. Bohrer, Die Juden im Hochstift Würzburg im 16. u. am Beginn d. 17. Jhs., Diss. Freiburg 1922; F. Solleder, Die Schutzjuden d. Juliushospitals zu Würzburg (Bayerland 37) 1926; E. Günther, Das Judentum in Mainfranken 1789-1816, Diss. Würzburg 1943/44; H. Friedrich-Brettingbr, Die Juden in Bamberg, 1962 (für unseren Zeitraum kursorischer Überblick); Schnee, Hoffinanz (s. u. 504) IV; S. Schwarz, Die Juden in Bayern im Wandel d. Zeiten, 1963; Η. H. Hofmann, Ländl. Judentum in Fr. (Tribüne 7, H.27) 1968, 2890-2904; R. Endres, Juden in Franken, 1977. Vgl. o. 357, 376, 391. 402.

Nach den schweren Judenverfolgungen des Spätmittelalters (s. o. 339) brachten die Unruhen des Bauernkrieges erneute Schikanen und Austreibungen für die in ganz Franken verstreut lebende Judenschaft, und zwar teils aus religiösen, teils aus wirtschaftlichen Gründen. Die Reichsstädte,' die geistlichen Gebiete und auch viele weitliehe Territorien waren ihnen nun ganz verschlossen. Und doch konnten sich noch zahlreiche jüdische Gemeinden in Franken halten, vor allem in den reichsritterschaftliehen Besitzungen. Der reichsfreie Niederadel hatte, ohne daß es sich genau belegen läßt, im Laufe des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts vom König das Judenregal erlangt, das ihn ermächtigte, Juden aufzunehmen und von ihnen Steuern und andere Abgaben zu erheben. Diese ländlichen Judenschaften waren fast ausschließlich im Klein- und Hausierhandel tätig, vor allem der Viehhandel lag weitgehend in ihren Händen. Doch sind auch schon vor dem Dreißigjährigen Krieg jüdische «Faktoren» an den kleineren Höfen nachzuweisen, wo sie den kostspieligen Lebensstil der Hofgesellschaft finanzieren und als Hoflieferanten und Hofjuweliere die gewünschten 1 In Nürnberg erfolgte im Winter 1498/99 die Ausweisung der zahlreichen Juden, die sich dann in der Hauptsache in Prag, Frankfurt und Höchstadt a. d. Aisch niederließen. Erst im 19. Jh. wurden wieder Juden aufgenominen. A. Müller, Gesch. d. Juden in Nürnberg 1146 bis 1945 (Beitrr. z. Gesch. u. Kultur d. Stadt

Nürnberg 12) 1968. In Dinkelsbühl genehmigte man inmitten des Dreißigjährigen Krieges eine geringe Judenniederlassung aus rein fmanziellen Gründen. L. Schnurrer, Zur Gesch. d. Juden in d. Reichsstadt Dinkelsbühl (Jb. Mfr. 84) 1967/68, 170-184.

§ 61. Die Juden in Wirtschaft und Handel (R. Endres)

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Luxusgüter beischafien mußten. Während der langen Kriege des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts schließlich wurden die Juden als Münz- und Heereslieferanten, als Organisatoren und Finanziers der umfangreichen Material-, Fourage- und Quartierforderungen unentbehrlich. Gleichermaßen aber wuchs auch ihre Bedeutung an den Höfen. Kein Hof kam ohne jüdische Faktoren aus. Sie finanzierten weitgehend die aufwendige Hofhaltung, das übersteigerte Prestigebedürfnis der DuodezFürsten und auch die kulturelle Blüte während des Barock und Rokoko, wie sie oft auch die wachsenden Ausgaben für die aufgeblähte Territorialverwaltung zu tragen hatten. Die jüdischen «Creditoren», wie die Familien Model, Fränkel, Schwabacher, Wertheimer, Uhlfelder, Samson, Seckel, Marx, Heßlein, Hirsch u. a. spielten so in der gesamten Staats-, Wirtschafts- und Finanzgeschichte der fränkischen geistlichen und weltlichen Territorien eine überaus wichtige Rolle. Trotz aller Begünstigungen der Hofjuden waren die Territorialregierungen jedoch stets bestrebt, die Juden auf den Kleinhandel zu beschränken und sie durch eigene Judenzölle und andere Sonderveranlagungen als Konkurrenz der christlichen Kaufleute und Handwerker auszuschalten. Als Schutzverwandte besaßen die Juden sowieso nur einen minderen Rechtsstatus, bis das bayerische Judenedikt vom 10. Juni 1813 die Emanzipation einleitete. Die trotz allem vorhandene starke, wirtschaftlich begründete Animosität gegen die Juden fand Ausdruck in den ständigen Klagen und Forderungen der Landschaftsvertreter und in entsprechenden judenfeindlichen VerOrdnungen der Obrigkeit. Noch schlechter und schwieriger war zumeist die Lage der Juden in den ritterschaftlichen Besitzungen, wo sie oftmals nur als Einnahmequelle angesehen und ausgebeutet wurden. Gerade im Zeitalter des Merkantilismus, in dem eine planmäßige Peuplierung Mode war, nahmen zahlreiche Ritter weitere Juden auf, ohne die nötigen Voraussetzungen für deren Existenzmöglichkeiten zu schaffen. Diese Juden waren dann gezwungen, durch rücksichtsloses Geschäftsgebahren als vielgeschmähte «Schnorr- und Betteljuden», als örtliche Geldleiher und Gütermakler, ihr Dasein dahinzufristen.1 In Franken hatten die Juden ihre eigene korporative Verfassung und beschränkte Selbstverwaltung. Während einige Territorien für ihre Juden besondere AufsichtsOrgane, «Judenvögte» oder «Judenamtmänner», cinsetzten, beriefen andere sogar einen «Judenrat» oder ein «Landrabbinat» als Repräsentanten aller ansässigen Juden. Diejudengemeinden selbst wählten ihre Vorstände, dieBamossen, unterhielten eigene Schulen, Bäder, Schlachthäuser und Synagogen sowie fortschrittliche Sozial- und Fürsorgeeinrichtungen.12 Alle innerjüdischen Angelegenheiten, auch die niederen Gerichtsfälle, entschieden die zuständigen Rabbinate.3 Diese korporative Sonderstellung verstärkte allerdings die Gegensätze zur Umwelt, die durch die religiösen, politischen und wirtschaftlichen Unterschiede an sich schon sehr groß waren. Zwar gab es in 1 H. Heller, Die Peuplierungspolitik d. Reichsritterschaft als soz.geogr. Faktor im Steigerwald (Erlanger Geogr. Arb. 30) 1970. 2 So wurde 1763 in Fürth ein eigenes jüd. 34'

Waisenhaus gegr. 3 Siehe das «Reglement für die gemeine Judenschaft in Fürth» v. Jahre 1719, gedr. bei Bakbeck (s. o. 530) 55 ff.

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Franken: D. VII. Die Juden in Wirtschafi und Handel

Franken keine geschlossenen Gettos, doch lebten die Juden eng in eigenen Vierteln und Gassen beisammen, oftmals unter kaum vorstellbarer Wohnraumenge und dementsprechenden hygienischen Verhältnissen.1 Insgesamt lebten in ganz Franken am Ende des Altes Reiches etwa 30000 Juden; das waren rund 3% der Gesamtbevölkerung. Das Markgraftum Ansbach hatte etwa 3000 jüdische Schutzverwandte aufzuweisen, das Hochstift Würzburg 3600, das Fürstentum Bamberg etwa 1500 und 2500 domkapitelische Juden in Fürth. Im Markgraftum Bayreuth hatten vor allem die untergebirgischen Landesteile um NeuStadt a. d. Aisch und die Amtsstadt Baiersdorf sehr viele Juden, während sich in der Residenzstadt erst nach der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts unter dem Regiment des toleranten Karl Alexander eine größere Gemeinde bildete.1 Der Großteil der Juden aber lebte in den kleineren Territorien und in den Dörfern und Flecken der Reichsritter. Dabei erreichte in manchen Orten der jüdische Anteil an der Einwohnerschäft eine beträchtliche Höhe: in Hagenbach saßen 209 Juden neben 143 Christen, in Hüttenbach 285 Juden neben 299 Christen und in Altenkunstadt 389 Juden neben 391 Christen. Ähnlich starke Judengemeinden wiesen etwa Adelsdorf mit 223 Juden, Schnaittach mit 234 oder Burgkunstadt mit 285 Juden auf. Die größte und bedeutendste israelitische Gemeinde aber hatte Fürth mit seinen rund 2500 Juden, die eine einzigartige Stellung einnahm auf Grund besonderer Privilegien.123 Sie stand unter der eigenen Regierung eines «Kahl», der von 11 Bamossen, 3 Kassierern und 5 Deputierten gebildet wurde, die sämtlich den oberen Vermögensklassen entstammten. Das geistliche Regiment führte der vom Kahl bestellte Oberrabbiner zusammen mit 5 Rabbinern. Als besondere Auszeichnung aber besaß die Fürther Gemeinde neben mehreren Synagogen eine traditionsreiche Talmudhochschule (neben Prag, Hambürg und Frankfurt), aus der eine ganze Reihe führender Talmudgelehrter hervorgegangen ist. 1 Um 1800 lebten in Fürth rund 2300 Juden in 100 kleinen und kleinsten Häusern (HAB Nümberg-Fürth 73). 2 1759 wohnten in Bayreuth 10 jüdische Familien, 4 Jahre später bereits 34 Familien und 1776 waren es schon 600 Personen mit einem Gesamtvermögen von mehr als 130000 fl.

3 Die Fürther Juden besaßen außer dem Niederlassungsrecht auch das aktive und passive Wahlrecht zum Oberbürgermeisteramt; sie durften auch 2 Deputierte in die christliche Gemeinde entsenden. Schwarz (s. o. 530) 90 bis 93; A. ScHWAMMBERGBR, Fürth von A bis Z, 1967,186 ff. (Lit.),

E

DAS GEISTIGE LEBEN VOM 13. BIS ZUM ENDE DES

18. JAHRHUNDERTS

I WISSENSCHAFT UND BILDUNG IM SPÄTMITTELALTER BIS 1450

HB II719; E. Michael, Culturzustände d. deutschen Volkes während d. dreizehntenJhs. II (Gesch. d. deutschen Volkes) 1899; Buchner, Schulgesch.; H. Grundmann, Religiöse Bewegungen im MA. Untersuchungen über d. geschichtl. Zusammenhänge zw. d. Ketzerei, den Bettelorden u. d. religiösen Frauenbewegung im 12. u. 13. Jh. u. über d. geschichtl. Grundlagen d. deutschen Mystik, Anhang: Neue Beitrr. z. Gesch. d. relig. Bewegungen im MA, 19611; G. Gieraths, Die deutsche Dominikanermystik d. 14. Jhs., 1956. Eine umfassende Darstellung des spätmittelalterlichen Geisteslebens ist beim gegenwärtigen Forschungsstand nicht möglich; moderne bildungs- und schulgeschichtliche Untersuchungen fehlen fast völlig, ebenso eine Untersuchung der in diesem Zusammenhang besonders aufschlußreichen spätmittelalterlichen Bibliotheksbestände. Darum kann im folgenden nicht mehr als ein erster Versuch, vorwiegend auf der Grundlage der literarischen Produktion in Franken, untemommen werden.

§62. BILDUNGSSTÄTTEN UND KULTURELLE ZENTREN

Schon im Laufe des zwölften Jahrhunderts hatten die Bildungsstätten und Zentren gelehrter Tätigkeit in Franken an Bedeutung verloren. Die Generalstudien in den romanischen Ländern - Studien von überörtlicher Bedeutung wie die Universitäten sind seit dem dreizehnten Jahrhundert die Ordenshochschulen - liefen ihnen den Rang ab, weil an ihnen über die Artes und die traditionelle Theologie hinaus scholastische Theologie, Jurisprudenz und Medizin gelehrt wurden; die Domschulen, die bisher höchsten Bildungszentren, waren damit zu solchen zweiten Ranges erklärt. Sie selbst und ihr Lehrstoff waren jetzt im eigentlichen Sinne des Wortes provinziell, ohne daß sie selbst sich unmittelbar verändert hätten. Man könnte geradezu von einer Abschichtung der traditionellen Schulen sprechen. Ebenso bedeuteten jetzt Erwerb von Handschriften herkömmlicher Inhalte und literarische Produktion im gewöhnten Rahmen nicht mehr Teilhabe an der höchsten Kultur. Der Rückgang des geistigen Lebens bestand also in erster Linie darin, daß in Franken keine Generalstudien entstanden, offensichtlich deshalb, weil hier wie fast in ganz Deutschland - sieht man von Köln und Erfurt ab - die sozialen Voraussetzungen fehlten, an die die Generalstudien überall in dieser Zeit gebunden waren.1 1 Vgl. P. Classbn, Die Hohen Schulen u. d. Gesellschaft im 12. Jh. (AKG 48) 1966, 255 ff.; allgemein zum Problem der Universitäten S. Stelung-Michaud, L’histoire des universitds

au moyen äge et le renaissance au cours de vingt-cinq demiers anndes (XI® Congrds International des Sciences Historiques, Rapports I) Uppsala 1960 (Lit.).

536

Franken: E. I. Wissenschaft und Bildung im Spatmittelalter bis 1450

Natürlich existierten die Domschulen weiter und kamen ihrer Aufgabe nach, die Masse des Diözesanklerus auszubilden. Domscholaster sind in allen drei fränkischen Bistumsstädten belegt,1 aber auch hier zeichnete sich ein Wandel ab. Die Domscholasterie ist jetzt in erster Linie eine Pfründe, offenbar eine der vornehmsten im Rahmen des Domkapitels1 2*und mancher Scholastikus besaß sie neben anderen? Die Scholaster übten wohl nur mehr in den seltensten Fällen das Lehramt selbst aus; sie stellten andere Lehrer an und beschränkten sich auf eine Teilnahme an den Prüfungen.4 Den Anspruch auf Aufsicht über das gesamte Schulwesen der Diözese dürften sie in Franken ebensowenig durchgesetzt haben wie das andernorts gelang; selbst in ihrem unmittelbaren Wirkungsbereich, der Domschule, mußten sie ihre Kompetenzen mit anderen, vor allem dem Kantor teilen.5 Der Rang- und Bedeutungsminderung der Domschulen - für die Klosterschulen gilt in ihrem Rahmen dasselbe - steht als Positivum eine erhebliche Vermehrung der Schulen im späteren Mittelalter gegenüber, die jetzt auch Bevölkerungskreise erfaßten, die zuvor kaum Gelegenheit zur Bildung erhalten hatten.6 In erster Linie sind es die Klöster, deren Zahl seit dem dreizehnten Jahrhundert durch die Gründungen der Bettelorden, der Karthäuser und Augustiner noch einmal erheblich vermehrt wurde, vor allem in den Bischofsstädten, aber auch in Nürnberg und in einer Reihe von Marktorten. Ihren Unterricht besuchten nicht nur die Novizen und Novizinnen der betreffenden Konvente, sondern auch externe Schüler und solche, die keine geistliche Laufbahn erstrebten. In den Städten wurde es üblich, daß auch Laien eine gewisse Bildung erlangten oder doch wenigstens Lesen und Schreiben erlernten. Von nicht geringer Bedeutung für die Verbreitung einer rudimentären, noch immer vorwiegend lateinischen und religiösen Bildüng7 waren die grundsätzlich geforderten, wenn auch längst nicht überall, aber seit dem fünfzehnten Jahrhundert doch in den meisten Marktorten vorhandenen Ffarrschulen, an denen ein vom Pfarrer eigens bestellter Schulmeister unterrichtete.8 In den Städten gab es daneben noch von der städtischen Gemeinde eingerichtete und unterhaltene Lehranstalten.’ Auch diese Schulen waren in der Hauptsache Lateinschulen. Wie weit daneben auch in deutscher Sprache unterrichtet wurde, ist bei dem Fehlen an einschlägigen Untersuchungen noch nicht annähernd festzustellen. Literaturfähig war die deutsche Sprache auch bei gebildeten Klerikern und für gelehrte Stoffe schon im elften Jahrhundert, und die große Zahl deutschsprachiger Schriften im späteren 1 Für Eichstätt vgl. Buchner, Schulgesch. 17 f.; für Bamberg Weber; für Würzburg fehlt eine entsprechende Arbeit, einzelne Nachrichten bei Wendehorst II passim. 2 Der spätere Bischof von Würzburg, Berthold II. von Sternberg, war erst Domscholaster, dann Dekan; vgl. Wendehorst II 20. In Eichstätter Urkunden wird der Scholaster fast regelmäßig unmittelbar nach dem Dekan genannt; vgl. Heidingsfelder passim. 2 Vgl. z. B. Wendehorst II 50. 4 Vgl. z. B. MB 50, 509 fF. (1361); Buchner, Schulgesch. 21 fF.

5 Ebd. 19 fF. 6 Ein Gesamtüberblick über die allgemeinen Schulverhältnisse in Franken fehlt bisher, nur für die Diözese Eichstätt reiches Material bei Buchner, Schulgesch. 7 Vgl. ebd. passim. 8 Zahlreiche Belege für Eichstätt passim ebd. ’ Die ebd. 20 verzeichneten Schulmeister (rector, provisor, Kindermeister) scheinen an einer städtischen Schule unterrichtet zu haben.

§ 62. Bildungsstätten und kulturelle Zentren (F.-J. Schmale)

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Mittelalter ist ohne einen entsprechenden Unterricht ebenfalls kaum zu erklären. Für Eichstätt wird zum Jahre 1460 berichtet, daß eine Färberstochter die Schrift gelernt und andere Mädchen und Schulkinder «teutsch schreiben und lesen» gelehrt habe.1 Die Nachricht erhellt überdies, daß es neben den gewissermaßen institutionellen Schulen Privatschulen gab, von denen auch sonst öfter die Rede ist,1 23und daß selbst Mädchen eine gewisse Bildung erhalten konnten und erstrebten. Deutschsprachig dürfte sicher auch in erheblichem Umfang der Unterricht in den Frauenklöstem gewesen sein.’ Der Katalog der im fünfzehnten Jahrhundert im Privatbesitz der Dominikanerinnen in Nürnberg befindlichen Handschriften enthält fast ausschließlich deutschsprachige Bücher, gleiches gilt von der umfangreichen Bibliothek des Klosters.4 Aufschluß über die Bildungsinhalte und die geistigen Interessen im späteren Mittelalter, wenigstens im Bereich der Klöster, geben die Bibliotheksbestände. Das Dominikanerinnenkloster in Nürnberg besaß im fünfzehnten Jahrhundert neben Bibeln und Evangeliaren vornehmlich Andachts- und Predigtbücher, solche mit geistlichen Betrachtungen und mystischen Inhalts; sie zielten also vornehmlich auf eine gemüthafte religiöse Bildung. Die Bibliotheken der Männerklöster dagegen waren nach wie vor theologisch-wissenschaftlich ausgerichtet. Die Unterlagen sind zu spärlich und daher zu zufällig, um einen darüber hinausgehenden Vergleich zwischen den Bibliotheken der Klöster der verschiedenen Orden durchzuführen. Es verdient aber vielleicht Erwähnung, daß im Franziskanerkloster zu Nürnberg der Anteil der Ordenstheologen, allen voran Bonaventura, aber auch die Schriften des Thomas von Aquin, also gewissermaßen der «Moderne», verhältnismäßig groß erscheint,’ während im Kloster Michelsberg ebenso wie im Ägidienkloster in Nürnberg die große Zahl von Codices rechtlichen Inhalts überrascht.6 So wenig es in Franken noch eine Schule von dem überragenden und überregionalen Ruf Bambergs im elften und beginnenden zwölften Jahrhundert und entsprechenden Leistungen gab, so wenig hebt sich selbst innerhalb Frankens irgendeine Schule heraus. Der bloßen Zahl nach sind die literarischen Erzeugnisse als der objektive Niederschlag des geistigen Lebens zwischen 1200 und 1450 kaum geringer als in der Zeit zwischen 800 und 1200. Unter ihnen befinden sich sogar ansprechende und zum Teil für den deutschen Raum und seine geistige Situation charakteristische Leistungen. Aber diese Leistungen sind ausschließlich an die Persönlichkeit des Autors gebunden und in keiner Weise typisch für das allgemeine Niveau oder gar eine Schultradition. Immerhin erscheinen die Bischofsstädte und ihr engerer Raum, in erster Linie Würzbürg, in beschränktem Umfang und vorübergehend Eichstätt, Bamberg dagegen so gut wie gar nicht mehr, noch als kulturelle Zentren innerhalb Frankens, und die meisten Autoren sind in diesen Städten tätig. Aber es sind nicht die Schulen, die die Bedingungen dafür schaffen, die Gelehrten anziehen oder die produktiven Fähigkeiten 1 Ebd. 20. 2 Über diese sogenannten «Winkelschulen» Michael (s. 0.535) II 395 ff; Buchner, Schulgcsch. passim. 3 Vgl. Grundmann (s. o. 535) 439 ff.

4 Mittelalterl. Bibliothekskataloge Deutschlands u. d. Schweiz III 3, Das Bistum Bamberg, 1939, 578 ff., 599 ff 5 Ebd. 755 ff. 6 Ebd. 382 ff, 430 ff.

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Franken: E. I. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter bis 1450

eines Menschen anregen und formen. Der Eindruck entsteht einzig und allein infolge der sozialen Rolle der Bischofsstadt. Genau genommen sind es die Pfründen und Ämter des Domkapitels und der bischöflichen Verwaltung, weil diese vornehmen Männern übertragen oder von solchen erstrebt werden, die zugleich aufgrund ihrer sozialen Herkunft eine Ausbildung an den Universitäten genossen haben und ihren literarischen Neigungen auch in ihren Ämtern nachgehen. Zu trennen von diesen Verhältnissen ist die Tätigkeit und die geistige und Uterarische Produktivität von Ordensleuten in der Stadt. Unter ihnen spielen die Angehörigen der älteren Orden, der Benediktiner und ihres zisterziensischen Zweiges, so gut wie gar keine Rolle mehr; sie sind abgelöst von den Dominikanern und Minoriten. Die Zielsetzung dieser Orden, Predigttätigkeit und Volksseelsorge,1 in deren Rahmen sich auch das gelehrte Tun dieser Orden einfügt, hat die Stadt - in Franken die drei Bischofsstädte und die Reichsstädte - zu ihrem natürlichen ‫־‬Wirkungsfeld gemacht. Dennoch sind sie nicht von den Gegebenheiten der jeweiligen Stadt oder der einzelnen Niederlassung geprägt und getragen, sondern von den allgemeinen Bedingungen des Ordens und seiner Generalstudien, aus deren Geistigkeit heraus die individuelle Leistung und Wirkung des einzelnen Dominikaners oder Minoriten zu verstehen sind. Die größte kulturelle Kraft von durchaus eigenem Zuschnitt entfaltet sich im späteren Mittelalter in der bedeutendsten Stadt Frankens, in Nürnberg. Nürnberg ist der einzige Ort in Franken, in dem es seit dem Ausgang des vierzehntenJahrhunderts Bildung und kommunikatives geistiges Leben, literarische und gelehrte Produktion gibt, die nicht importiert und daher «zufällig» erscheinen, sondern Kontinuität und Tradition bezeugen, weil sie das gleichbleibende Wollen von Gruppen trägt, die über Generationen konstant und in sich kohärent bleiben, da sie mit einer bestimmten sozialen Schicht identisch sind. Da es in Nürnberg weder ein klerikales Zentrum gab, das Ämter und Pfründen bot, noch einen Hof, noch eine Schule vom Rang auch nur einer Domschule, ist die Stellung dieser Stadt im geistigen Leben Frankens allein aus dem kulturellen Wollen des auch die politische Verantwortung tragenden Bürgertums unter den Gegebenheiten der freien Groß- und Handelsstadt zu verstehen. Die grundlegende Bedeutung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse auch für das geistige Leben erhellt, abgesehen von der im Kreis des Bürgertums entstandenen Literatur, aus dem Vergleich mit den bischöflichen Städten und den anderen freien Reichsstädten Frankens, allen voran Rothenburg. Weder allein in der Stadt als Sozialgcbilde noch in der Vcrfaßtheit der freien Bürgergemeinde waren die Voraussetzungen schon gegeben; Größe der Stadt und der Einwohnerzahl, zahlenmäßige Größe und Reichtum der politisch und wirtschaftlich führenden Schicht, deren weltweite Handelsbeziehungen und Weltläufigkeit mußten hinzutreten; das heißt Bedingungen, wie sie sich vergleichsweise auch in den großen Städten Italiens fanden und dort zu ganz ähnlichen Ergebnissen führten. 1 Vgl. Gbundmann (s. o. 535) passim, bes. 127 ff, 135 ff; LThK III 483 ff (Lit.); IV 274 ff (Lit.).

§ 63· Würzburg (F.-J. Schmale)

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§63. WÜRZBURG

Wie im übrigen Franken ist auch in Würzburg literarische Tätigkeit von einer gewissen Kontinuität und unmittelbaren Bindung an den Ort ihres Entstehens vornehmlieh im Bereich der Geschichtsschreibung zu beobachten. Die Verfestigung der Territorien, hinter denen das Reich, überhaupt übergreifende historische Gebilde in zunehmendem Maße zurücktreten und an Binfluß und Erfahrbarkeit verlieren, machte die Geschichte des eigenen Territoriums zum wichtigsten Gegenstand der Historiographen. Natürlich erfolgt die geistige Bewältigung des Bestehenden immer mit einer gewissen Verzögerung. Wie die deutschen Chronisten erst seit der Mitte des elften Jahrhunderts die Verbindung von deutschem Königtum mit römischem Kaisertum durch Otto d. Gr. in ihr Geschichtsbild aufnahmen, so ist ein vergleichbarer Prozeß in Würzburg erst in der Mitte des vierzehntenJahrhunderts - rund 100 Jahre nach Hermann von Lobdeburg - zu erkennen. Die sogenannten Annales Herbipolenses, wenig wertvolle Notizen für die Jahre 1125-1158,1202-1204 und 1215 meiner Handschrift der Chronik Ekkehards von Aura,1 halten sich noch in dem größeren Rahmen hochmittelalterlicher Geschichtsschreibung. Gleiches gilt von den Annales Herbipolenses minores, dürftigen Auszügen für die Jahre 688-1266 aus der Chronica minor des Erfurter Minoriten mit nur zwei lokalen Notizen zu 1241 und 1400? Erstes würzburgisches Ereignis, das eine unmittelbare Darstellung in Würzburg selbst erfuhr, war die Schlacht von Kitzingen 1266,’ die Gegenstand einer nicht erhaltenen Reimchronik oder eher eines historischen Liedes war. Um die Mitte des Jahrhunderts lebte als Kanoniker am Neumünster der magister artium Heinrich (Henricus poeta), ein gebürtiger Schwabe, der sich in den Jahren 1261-1264 am Hof Urbans IV. aufhielt und hier angeblich auf Anregung des Papstes ein lateinisches Gedicht De statu curiae Romanae in Dialogform verfaßte, in dem er in 515 Distichen die Verhältnisse am römischen Hof beschrieb.12*4 Da Heinrich darin den einen der beiden Gesprächspartner das, was Abträgliches an der Kurie in Umlauf war, vorbringen läßt, während der andere die Zustände verteidigt, ist das ganze Gedicht als Satire zu betrachten. Drei andere Gedichte, die nicht erhalten sind: Lacrimae 1 Annales Herbipolenses, ed. G. H. Pertz (MG SS 16) 1859, i—12; Wattenbach II 386. 2 Annales Herbipolenses minores, ed. G. Waitz (MG SS 24) 1879, 828 f.; O. Lorenz, Deutschlands Geschichtsquellen im MA seit d. Mitte d. 13. Jhs., 2 Bde., 1886/87’, 1156. ’ W. Füsslein, Zwei Jahrzehnte würzburgischer Stifts-, Stadt- u. Landcsgesch. 1254-1275 (Neue Beitrr. z. Gesch. d. deutschen Altertums 32) 1926, 3 ff.; G. Zimmermann, Die Cyriacus-Schlacht bei Kitzingen (8. 8. 1266) in Tradition u. Forsch. (JffL 27) 1967, 417-425. 4 H. Grauert, Magister Heinrich d. Poet in Würzburg u. d. röm. Kurie (Abh. München 27) 1912, 20-63, 107-197, 254-323, Text 65

bis 106; R. v. Heckel, Die Organisation d. kurialen Behörden u. ihr Geschäftsgang. Erläuternder Kommentar zum Kuriengedicht (ebd.) 206-254; H. Grauert, Magister Heinrieh d. Poet. Ein Hinweis mit Nachträgen z. Kulturgesch. u. Organisation d. Kurie (HJb. 33) 1912, 936; P. Lehmann, Zur Disputatio Gaufredi et Aprilis de statu curiae Romanae (HVjschr. 17) 1914/15, 86-94; K. Wenck, Die röm. Kurie in d. Schilderung eines Würzburger Stiftsherm aus d. Jahren 1263/64 (HZ 124) 1921, 448-465; Lbhmann-Glauning, Mittelalterl. Handschriftenbruchstücke der UB u. des Gregorianum München, 1940, 108.

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ecclesiae, Gesta Johannis apostoli und De septem Germaniae columpnis (über die sieben Kurfürsten) könnten dagegen in Würzburg entstanden sein. Erst etwa im zweiten Drittel des vierzehntenJahrhunderts vermehren sich geradezu schlagartig die Zeugnisse, so daß man mit einem gewissen Recht von einer Blütezeit in Würzburg sprechen könnte. Es ist zugleich eine auch politisch bewegte Zeit für Würzburg, eine Zeit der Auseinandersetzungen der Bischöfe mit ihrer Stadt, der Bemühungen Bischofs Otto von Wolfskeel um Verfestigung und Organisation der Territorialherrschaft und zugleich die Zeit des Konflikts Kaiser Ludwigs mit der Kurie, dessen Wellen auch nach Würzburg hineinschlagen. Inhaltlich wenig bedeutsam, da sekundär, ist eine Chronik, die um 1340 ein Mönch von St. Stephan schrieb, die aber für die allgemeine Situation insofern als charakteristisch erscheint, als sie sich, beginnend mit Kilian, in der Hauptsache auf Nachrichten über die Würzburger Bischöfe beschränkt.1 Es wäre noch zu prüfen, ob ihr Verfasser identisch ist mit Johannes de Luterbach, der um die gleiche Zeit im Stephanskloster die Viten Kilians und Burchards in zweizeilig gereimte Leoniner brachte? Beherrscht wird die geistige Bühne Würzburgs aber in der Hauptsache von drei Männern, die etwa gleichzeitig und gleichaltrig wichtige Positionen am bischöflichen Hof innehaben: Lupoid von Bebenburg, Michael de Leone und Hermann von Schildesche. Lupoid von Bebenburg und Michael de Leone stehen sich nach Ausbildung, Neigung und der Art ihrer Tätigkeit außerordentlich nahe, doch ist Lupoid ohne Zweifel der Bedeutendere, weil Selbständigere von beiden. Er gehörte einem Reichsministerialengeschlecht aus Bemberg bei Rothenburg an, hatte 1314 bis 1322 in Bologna römisches und kanonisches Recht studiert, war Propst in Erlangen und Bingen, Domherr in Mainz und Bamberg, seit 1323 auch in Würzburg und seit 1340 Offizial der bischöfliehen Kurie; als Bischof von Bamberg (1353-1363) hat er sein Leben beschlossen? Trotz seiner Pfründen an den verschiedensten Orten weilte er doch in der Hauptsache in Würzburg und verfaßte auch hier seine verschiedenen Werke, von denen der Liber privilegiorum, eine chronologisch geordnete Sammlung der Würzburger Urkünden, den Interessen der Würzburgischen Kirche dienen sollte. Doch dringt selbst in dieser Urkundensammlung in der Vorrede etwas von der Haltung durch, die seine anderen Arbeiten auszeichnet und die seine Bedeutung ausmachen, wenn er betont, daß Würzburg seine Rechte von den Kaisern erhalten hat und diesen stets zur Dankbarkeit verpflichtet ist.1 2*4 Den historischen Inhalt der Einleitung zum Liber privilegiorum hat Lupoid dann noch einmal zu einem selbständigen historischen Werk Liber de ortu, cursu et occasu Karolimagni et suorum successorum imperatorum et regum Romanorum, einer Kaisergeschichte, verarbeitet.’ 1 Lorenz (s. o. 539 Anm. 2)1 155. 2 Texte bei I. Gropp, Collectio novissima SS Wirciburgensium I, 1741, 795-800, 800-808; Emmerich,Hl.Kilian (s.o. 116Anm. 11) 28-37. ’ S. Krüger, Untersuchungen zum sog. Liber privilegiorum d. Lupoid v. Bebenburg (DA 10) 1954, 96-131; W. Brauns in VL V 634-641 (Lit.).

4 Noch ungedruckt, vgl. Krüger (s. Anm. 3) 96 f. ’ Buder, Nützliche Sammlung verseh, meistens ungedruckter Schriften, 1735, 456-473; Schluß des Werks auch bei J. Hetzenecker, Studien z. Reichs- u. Kirchenpolitik d. Würzburger Hochstifts, Diss. Würzburg 1901, 86 bis 88. Diese Schrift Lupolds ist identisch mit der

§ 63. Würzburg (F.-J. Schmale)

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Diese kaiser- und reichstreue Gesinnung, deren Wurzeln sicher auch in seiner reichsministerialischen Herkunft zu suchen sind, bestimmt in gleicher Weise die Schriften, mit denen Lupoid sich in der Auseinandersetzung Ludwigs von Bayern mit dem avignonesischen Papsttum zu Wort meldet und die seinen eigentlichen Ruhm ausmachen. Der wohl bald nach dem Frankfurter Reichstag von 1338 und in Anlehnung an Wort und Geist des Decretum de iure imperii entstandene Tractatus de turibus regni et imperii Romani, den Lupoid dem Erzbischof Balduin von Trier (1307-1354) widmete,1 vertritt mit den Argumenten des römischen, kanonischen und Naturrechts die Ansicht, daß der von den Kurfürsten gewählte König aufgrund der Wahl über alle königlichen und kaiserlichen Rechte in den zum Reich gehörigen Gebieten verfügt. ' Mit logischer Schärfe und kenntnisreich werden die Ansprüche des Papsttums, dem er dennoch ein Interesse zubilligt, aber auch der Egoismus der Reichsfürsten zurückgewiesen. In einer allegorischen Dichtung, die der Minneallegorie, besonders der Minneburg, nahesteht, dem Ritmaticum querulosum et lamentosum dictamen de modernis cursibus et defectibus regni ac imperii Romanorum von 1341 hat er dieselben Gedanken nochmals in poetischer Form wiederholt.2 Dem gleichen Ziel, das Ansehen des Reiches wiederherzustellen, dient der Herzog Rudolf I. von Sachsen-Wittenberg gewidmete Libellus de zelo christianae religionis veterum principum Germanorum, der den Reichsfürsten das Vorbild ihrer Vorfahren vor Augen stellt.3 Wahrscheinlich verfaßte Lupoid auch das Schreiben des Würzburger Domkapitels an Kaiser Ludwig in dem Streit, der zwischen Bischof Albrecht von Hohenlohe und dem Kaiser dadurch entstanden war, daß Ludwig die Weigerung Albrechts, von dem Gebannten die Regalien zu nehmen, mit der Drohung beantwortete, Regalien und Privilegien zu entziehen. In vermittelnder Haltung werden darin sowohl die Haltung Ludwigs zurückgewiesen als auch die Pflichten des Bischofs gegenüber dem Reich betont.4 Lupolds Zeitgenosse Michael de Leone war der Sohn des über Köln nach Würzburg eingewanderten Michael Jud aus Mainz. Er hatte wie Lupoid in Bologna fünf Jahre lang die Rechte studiert, war Kanoniker und Scholastikus am Neumünster und bis zu seinem Tod (1355) als Protonotar der Bischöfe Otto von Wolfskeel und Albrecht von Hohenlohe tätig.9 Er ist vornehmlich als Sammler zu charakterisieren, der in seinem Hausbuch6 und in dem ähnlich gearteten, aber vornehmlich lateinische Texte enthaltenden Manuale7 die verschiedensten Texte zusammentrug, ohne daß sich ein eindeutiger Schwerpunkt seiner Interessen erkennen ließe: neben Medizinischem, gelegentlich - so noch bei Lobenz (s. o. 539 Anm. 2) I 1$$ f. - als Chronicon Wirzburgense breve a Karolo Magno ad Karolum IV. bezeichneten Quelle. 1 Kritische Ausgabe fehlt, Erstdruck durch J. Wimpheling, Argentorati 1508. 2 Bell-Guddb, The Poems of Lupoid Hombürg (University of California, Publications on Modem Philology XXVII, 4) Berkeley and Los Angeles 194$, 266-270.

3 A. Sbngbb, Lupoid v. Bebenburg (BHVB 63,1904) 1905, 113-177. 4 Kbügbb (s. o. 540 Anm. 3) 109 f. 9 G. Rosenhagen, VLΙΠ 382-38$; vgl. auch Lobenz (s. o. 539 Anm. 2) 1156 ff. 6 Ungedruckt als Ganzes, die Hs. ist aber zu zahlreichen Einzelausgaben mit herangezogen worden. 7 Nur Teile sind daraus gedruckt; vgl. die folgenden Anm.

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Franken: E. I. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter bis 1450

Juristischem - darunter einiges von Lupoid - und Historischem vor allem mittelhochdeutsche Poesie, aber auch das «Würzburger Kochbuch»1 und das bis ins neunzehnte Jahrhundert handschriftlich verbreitete, ursprünglich lateinisch abgefaßte und bald ins Deutsche übersetzte «Pelzbuch», das aufgrund schriftlicher Quellen seit der Antike sowie des praktischen Wissens seiner Zeit den Wein-, Obst- und Blumenbau behandelt und dessen Verfasser Gottfried von Franken zwar nicht unbedingt in Würzbürg gelebt hat, aber doch wenigstens aus dieser Gegend stammen muß.1 2 Michaels wichtigstes eigenes Werk ist eine Schrift über die Taten Bischofs Otto, in dem sich auch seine juristischen Neigungen niederschlagen, da darin die zahlreichen RechtsSatzungen des Bischofs Aufnahme fanden. An das Buch, das wohl ursprünglich mit einem Lob auf den neuen Bischof Albrecht schloß, fügte er später noch einige Nachrichten aus dessen Regierungszeit an.3 Wesentlich geringer ist schon sein eigener Anteil an einem zweiten historischen Werk. De aonicis temporum hominum modernorum beginnt mit einer vielleicht gar nicht von ihm selbst stammenden Bearbeitung des Berichts über die Schlacht von Kitzingen; den übrigen bis 1343 reichenden Partien liegt in der Hauptsache Lupolds Liber de ortu etc. zugrunde.4 Schließlich stammt noch aus seiner eigenen Feder eine Übersetzung der Kiliansvita ins Deutsche.5 Seine eigene Leistung als Autor, seine schöpferische Kraft ist also nur sehr gering, doch ordnet sich seine Schriftstellerei mit den anderen historischen Werken seiner Zeit zu einem relativ geschlossenen Bild der Besinnung auf die engere würzburgische Geschichte in der Mitte des vierzehntenJahrhunderts, während seine Sammlungen einen guten Eindruck von der zu seiner Zeit in Würzburg erreichbaren und gelesenen zeitgenössischen Literatur vermitteln. Neben den beiden Juristen Lupoid von Bebenburg und Michael de Leone wirkte seit etwa 1340 der Augustinereremit Hermann von Schildesche als Lehrer und erster Inhaber des von Bischof Otto geschaffenen Generalvikariats. Der gebürtige Westfale kam als geprägter Mann nach Würzburg. Er war um 1290 geboren, wurde 1320 Lektor seines Ordens in Magdeburg und Erfurt, 1334 Doktor der Theologie in Paris und versah 1337/39 das Amt eines Provinzials. Seine zahlreichen Werke zur Theologie, Dogmatik, Exegese, Pastoral und zum kanonischen Recht tragen fast alle den Charakter von Hand- oder Wörterbüchern; sie verdanken ihre Entstehung also offensichtlich in erster Linie Lehr- und Unterrichtszwecken und liegen wohl weitgehend vor seiner Würzburger Zeit.6 Nur eine seiner Schriften entstand unmittelbar aus seiner Tätigkeit 1 Ehrismann, Schlußband 650 (Lit.). 2 S. Sudhoff, VL V 267-270 (Lit.). Ebenfalls hier überliefert eine, wohl die älteste, Schrift de principiis seu regulis artis aedificatoriae; vgl. Lorenz (s. o. 539 Anm. 2) I 159 m. Anm. 2. 3 Zusammen mit verstreuten historischen Notizen bei J. F. Böhmer, Fontes rerum Germanicarum I 1843, 451-479 (456-464); vgl. auch K. Ruland, Die Ebracher Handschrift d. Michael de Leone mit Einschaltung d. wichtigsten Stücke (AU 13) 1854, 67-108. Erwähnt

sei in diesem Zusammenhang auch Fridericus Barbarus, Kanoniker in Ansbach, der ein Carmen de laude domini Ottonis episcopi Herbipolensis et Prothonotarii sui (Michael de Leon) sowie ein Carmen de laudibus quatuor de Hohenloch germanorum schrieb, hg. v. J. Hetzenecker (s. o. 540 Anm. 5) 82-84, 86. 844 Lorenz (s. o. 539 Anm. 2) I 159. 5 Vgl. o. 541 Anm. 5. 6 A. Zumkeller (LThK V) 253 (Lit.).

§ 63■ Würzburg (F.-J. Schmale)

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als Generalvikar heraus. Als er 1342 einen Prozeß gegen den Magister Conrad zu führen hatte, der waldensische Lehren vertrat,’ verteidigte er in einem Tractatus contra Leonistas seu pauperes de Lugduno et suorum sequaces dicentes missae comparationem esse speciem simoniae die Einrichtung von Meßstipendien.’ Im Tractatus contra hereticos negantes emunitatem et iurisdictionem sanctae ecclesiae griff Hermann in den kirchenpolitischen Streit seiner Zeit ein. Im Geiste der in seinem Orden auf die Lehre des Ägidius von Rom festgelegten theologischen und kirchenrechtlichen Doktrin vertrat er darin einen ausgesprochen kurialistischen Standpunkt? Die Abhandlung entstand zwar schon 1332, also lange vor Hermanns Würzburger Zeit, aber sie verdient hier Erwähnung, weil sie zeigt, daß Würzburg in ihm ebenfalls einen profilierten kirchenpolitischen Theoretiker besaß, dessen Meinung entschieden von der Lupolds abwich. Die Berufung Hermanns unmittelbar nach der Entstehung von Lupolds Tractatus entbehrt nicht ganz der Delikatesse. Wie weit Bischof Otto mit einer der beiden Ansichten, von denen die Lupolds auch die des Domkapitels gewesen sein dürfte, identifiziert werden kann, ist bei dem vorsichtigen Taktieren des Politikers zwischen den Parteien im Interesse seiner landesherrlichen Stellung schwer zu sagen.4 Die Breite und Intensität der kirchenpolitischen Diskussion und ihr Echo bezeugt auch Otto Baldemann aus Karlstadt, Pfarrer in Ostheim bei Aschaffenburg (?), der Lupolds Ritmaticum querulosum schon 1341 zu einem deutschen Gedicht «Von dem Romschen Riehe eyn klage» im Stil der geblümten Rede umformte, das sich durch einige Erweiterungen und poetische Stimmung von Lupolds Gedicht unterscheidet? Baldemanns Umdichtung diente dann ihrerseits dem Laien Lupoid von Hornburg aus Rothenburg zur Vorlage, als er 1348 seine Rede von «Des Ryches clage» dichtete, die er auf dem Fürstentag von Passau vorzutragen beabsichtigte? Wie Lupoid von Bebenbürg ging es Hornburg um eine Beeinflussung der Reichsfürsten, denen er auch in der «Landpredigt», die auf Michaels de Leone Chronicon modernorum hominum (Lupolds Liber de ortu ... ?) fußt, den Spiegel vorhielt. In der Landpredigt kommt ebenso wie in dem Gedicht «Der Zunge Streit» eine deutliche Abneigung gegen Karl IV. zum Ausdruck. Fast alles, was hier an Literatur genannt werden konnte und einen Einblick in die geistige Situation gewährt, wobei das aus der Literatur gewonnene Bild niemals vollständig sein kann, aber doch wenigstens das der Fixierung für wert Erachtete enthält, drängt sich in etwa ein Jahrzehnt zusammen. Das vollkommene Schweigen unmittelbar danach und mit geringen Ausnahmen sogar für mehr als ein Jahrhundert, läßt erkennen, in welchem Maße geistige Lebendigkeit an wenige Einzelpersonen gebunden ist, wie groß aber auch der Anteil eines von außen kommenden Anstoßes ist. Was 1 MB 40, 386 ff. nr. 155. ’ A. Zumkelleb, Schrifttum u. Lehre d. Hermann v. Schildesche, 1959, 101 ff. 3 Teilweise ed. R. Scholz, Unbekannte Streitschriften aus d. Zeit Ludwigs d. B. (Bibi, d. Preuß. Hist. Inst, in Rom 10) 1914, 130-135. 4 Vgl. Wendehobst Π 60 ff.

5 E. Valli, Otto Baldemann, Von dem Romischen riche eyn klage (Ann. Academiae scientiarum Fenicae, SB T. m/ι) Helsinki 1957; Text ebd. 77-93. 6 Text bei Bell-Gudde (s. o. 541 Anm. 2) 199-218, dort auch die anderen Gedichte.

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Franken: E. I. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter bis 1450

danach noch aus Würzburg zu nennen ist, beschränkt sich auf ein paar Reimchroniken oder historische Lieder aus der Zeit Bischofs Gerhard von Schwarzburg über den Würzburger Städtekrieg * und eine kleine Schrift des Klerikers Konrad Schelle, in der dieser im Jahre 1400 den Bischof zur Milde gegenüber den unterlegenen Würzburger Bürgern mahnt.12

§64. BAMBERG UND EICHSTÄTT

In dem einst so glänzenden Bamberg, sowohl im Bereich des Domstifts wie des Klosters Michelsberg, ist seit dem dreizehnten Jahrhundert jede literarische Tätigkeit so gut wie erloschen, denn die wenigen Gedächtnisverse aus der Zeit zwischen 1278 und 1349 in einem Bamberger Kalendar wird man kaum als solche bezeichnen können.3 Die Reden, die Markward von Randeck, der spätere Bischof von Augsburg und Patriarch von Aquileja, in den Jahren 1335,1337 und 1344 im Auftrag Kaiser Ludwigs vor den Päpsten Benedikt ΧΠ. und Clemens VI. hielt,4 kann man nicht deshalb schon mit Bamberg in Beziehung setzen, weil Marquard unter einer Reihe von Pfründen gleichzeitig auch die des Bamberger Dompropstes besaß. Akten wie das Registrum Burghutariorum ecclesiae Bambergensis5 und der sogenannte Codex Fridericianus6 des Bischofs Friedrich von Hohenlohe (1344-1352) sind ausschließlich Zeugnisse des Bemühens um die Territorial Verwaltung. So ist aus dem gesamten spätmittelalterliehen Zeitraum in unserem Zusammenhang nur Hugo von Trimberg zu nennen (ca. 1230/35 bis nach 1313). Hugo stammte aus dem Würzburgischen, hatte sich ansprechende Kenntnisse im Trivium erworben, ohne jedoch eine Universität besucht zu haben, und wirkte über 40 Jahre als rector scholarum am Gangolf-Stift in Bamberg.7 Von seinen sieben deutschen und fünfeinhalb lateinischen Büchern, die er als seine Werke nennt, ist nur wenig erhalten: neben seiner wichtigsten Schrift «Der Renner»9 ein Registrum multorum auctorum, eine Literaturgeschichte in Versen auf der Grundlage des Dialogus Konrads von Hirsau;’ ein metrisches Heiligenkalendar Laurea sanctorum™ und Bruchstücke eines Solsequium, einer Sammlung von Exempla, wie sie in Predigten verwendet werden konnten.11 Alle drei Schriften waren zweifellos für den Schulunterricht 1 Unter ihnen ist die Reimchronik des Bemhard von Utzingen (?) von Wert; vgl. R. v. LnjENCEON, Die hist. Volkslieder d. Deutschen vom x3.-16.Jh., hg. v. d. HK, 4 Teile, 1865/69, hier I nr. 40; Wendehorst Π 120 ff. 2 A. Wendehorst, Ein Fürstenspiegel f. Fürstbischof Gerhard von Schwarzburg (WDGB11. 26) 1964, 131-139. 3 Versus memoriales Babenbergenses, ed. Ph. Jaff£ (MG SS 17) 1861, 639 f. 4 G. Wunder, Markward v. Randeck, in: Lebensbilder aus Schwaben und Franken (Schwab. Lebensbilder 7) 1960, 1-17. 5 C. Höfler, Deutsche Zustände im XU. u.

XIV. Jh. vom fränk. Standpunkte aus (BHVB 18) 1853. 6 Hg. v. C. Höfles (Quellensammlung f. fränk. Gesch. ΙΠ) 1852. 7 Vgl. u. 704. 8 S. u. ebd. 9 K. Langosch, Das Registrum multorum auctorum des Hugo v. Trimberg. Untersuchungen u. kommentierte Textausgabe (Germ. Stud. 23$) 1942. 10 Ed. H. Grotefend (Anzeiger f. Kunde d. deutschen Vorzeit 17) 1870. 11 Hg v. E. Seemann (Münchner Texte 9) 1914; B. Bischoff, Das rhythmische Nach-

§ 64■ Bamberg und Eichstätt (F.-J. Schmale)

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bestimmt, sie waren Schulbücher und geben damit einen aufschlußreichen Einblick in einen Teil der Unterrichtsstoffe an einer Stiftsschule und in die normale Klerikerbildung um das Jahr 1300. Eichstätt besaß seit den Zeiten Bischof Gundekars in dessen Liber pontificalis ein Werk, das eine kontinuierliche historiographische Tätigkeit und damit ein ständiges Bewußtsein von der Geschichte des Bistums wenigstens im Umkreis des bischöflichen Hofes sicherte. Die Lebensbeschreibungen der Bischöfe sind denn auch das ganze Mittelalter hindurch, meist von den Leitern der Kanzlei, bis in die frühe Neuzeit hinein fortgesetzt worden.1 Eine gewisse Intensität des geistigen Lebens, die aber wiederum nur an wenigen Persönlichkeiten hängt, ist in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts zu beobachten. Den größten Anteil daran besaß Bischof Philipp von Ratsamhausen.1 Der Elsässer aus einem Ministerialengeschlecht ist vielleicht in seiner Jugend schon einmal in Eichstätt gewesen, da er nach eigenem Zeugnis an der Willibald-Translation im Jahre 1256 teilgenommen haben will. Wenig später trat er in die Zisterzienserabtei Pairis ein, deren Abt er 1301 wurde, nachdem er in Paris studiert hatte und Magister in theologia geworden war; 1306 erhielt er das Bistum Eichstätt. Zisterziensische Frömmigkeit von mystischer Grundstimmung und frühscholastische Methode bestimmen gleichermaßen die zahlreichen Werke, die er als Bischof von Eichstätt schrieb, eine zugleich beträchtliche Arbeitsleistung angesichts seiner überaus erfolgreichen Tätigkeit als Landesherr. In seinen theologisch - asketisehen Schriften, vorwiegend über das Gebet, bedient er sich mit großer Umsicht, ja geradezu mit Akribie der Exegese, klare Gliederung und Gelehrsamkeit zeichnen sie ebenso aus wie innige Frömmigkeit; alle dienen sie letzten Endes der Seelsorge. Das gilt auch von seinen beiden historischen Werken, den Lebensbeschreibungen der Eichstätter Bistumsheiligen Willibald3 und Walburga,4 die Philipp schon bald nach seinem Amtsantritt verfaßte. Es war seine erklärte Absicht, alles über die Heiligen erreichbare Material zusammenzutragen und zu verarbeiten; auch die verschiedenen Translationen hat er mit einbezogen. Die Arbeitsweise in den Viten ist in ihrer «Wissenschaftlichkeit» durchaus identisch mit der der theologischen Schriften, wenn auch chronologische und sachliche Irrtümer dadurch nicht ganz ausgeschlossen waren. Ebenso ist auch der Zweck dieser Viten ein praktischer: sie sollten in erster Linie die Verehrung der Heiligen fördern. In die Widmung der Walburga-Vita an Agnes von Ungarn, die Tochter König Albrechts I. und Freundin der bedeutendsten Mystiker ihrer Zeit, spricht Philipp dies deutlich aus. In den Auseinandersetzungen Kaiser Ludwigs mit der Kurie hat man sich in Eichstätt nicht in der entschiedenen Weise literarisch engangiert wie in Würzburg, nur ein wenig umfangreiches Gedicht eines Unbekannten gehört in diesen Zusammenhang.5 Entschieden kommt aber die positive Einstellung zu Ludwig, wie sie für wort Hugos v. Trimberg zum Solsequium (ZDPh. 70) 1947/50, 36-54· 1 Vgl. o. 126 Anm. 1. 2 K. Langosch, VL V 896-900 (Lit.). 3J. Gretser, Opera omnia X, Regensburg 1737, 710-742. 35 HdBG III, 1

4 AA SS Febr. III 553-563. 5 J. Schlecht, Ein kirchenpolit. Gedicht aus d. Zeit Ludwigs d. B. (HJb. 42) 1922, 303 bis 304■

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Franken: E. I. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter bis 1450

Eichstätt grundsätzlich aus den politischen Ereignissen zu erkennen ist, in dem bedeutendsten Eichstätter Geschichtswerk zum Ausdruck, das in den Jahren 1347/64 entstand. Während man diese Eichstätter Chronik über die Ereignisse der Jahre 1294 (1288)-1362, als deren Autor sich ein Heinricus bezeichnet, wegen ihrer Überlieferung in einem Rebdorfer Codex einem Heinrich von Rebdorf zuschrieb, später dann zwei Verfasser mit dem Namen Heinrich annahm, von denen der erste um 1347/48 den früheren Teil bis 1343, den Rest ein Heinricus (Surdus) um 1362 verfaßt haben sollte, gilt heute Henricus Surdus (Heinrich Taube) als der Autor der ganzen Chronik.1 Heinrich war ebenso wie Philipp von Ratsamhausen ein «Landfremder»; er stammte aus Seelbach bei Siegen, studierte in Bologna und wurde 1336/39 Kaplan am Willibaldschor, später Notar, Official und Poenitentiar des Bischofs Berthold von Hohenzollem (1351-1365). Diese Papst- und Kaiserchronik, dem Genus nach besser als Annalen zu bezeichnen, war als Fortsetzung der Flores temporum gedacht. Heinrich hat bis etwa 1343 zahlreiche schriftliche Quellen - die dritte Fortsetzung der Chronik Hermanns von Niederalteich, die Chronik Johanns von Viktring, Urkunden und anderes - benützen können. Sein Werk enthält viele nur hier überlieferte Nachrichten zur Geschichte Kaiser Ludwigs, dessen Herrschaft als legitim, die des Papstes Johannes XXII. dagegen als schismatisch betrachtet wird. Die Güte der Chronik nimmt nach 1343, seitdem Heinrich vorwiegend auf eigene Beobachtungen und Kenntnisse angewiesen war, deutlich ab, und der Berichtsraum wird zusehends lokaler. Für den Liber pontificalis Gundekars schrieb Heinrich sechs Bischofsviten,1 darüber hinaus sind noch sieben Homilien überliefert. Mit Heinrich Taube endet ähnlich wie in Würzburg um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts auch in Eichstätt die literarische Produktion. Eine Übersetzung der Chronica pontificum et imperatorum des Andreas von Regensburg, die Leonhard Hefft von Eichstätt unter dem Titel Imago mundi anfertigte,’ bezeugt nicht mehr als die Existenz eines gewissen historischen Interesses einzelner.

§65. KLÖSTER UND ORDEN. DIE MYSTIK

In den Benediktinerklöstern Frankens, deren aktiver Beitrag zum geistigen Leben bereits im früheren Mittelalter auffallend gering war und in denen auch die Reformen des elften und zwölften Jahrhunderts in dieser Hinsicht keinen Wandel schufen, lassen allenfalls die Bibliotheksbestände erkennen, daß es wenigstens eine gewisse rezeptive Teilnahme an den Gedanken der gelehrten Theologen und Juristen des späten Mittelalters gab.4 An Eigenem ist nicht mehr zu nennen als eine bei dem Michelsberger Abt Andreas Lang überlieferte fabelhafte Fundatio des Klosters Banz aus 1 Die Chronik d. Heinrich Taube v. Selbach mit den v. ihm verfaßten Biographien Eichstätter Bischöfe, ed. H. Bkesslau (MG SS rer. Germ. NS 1) 1922 mit ausführlicher Einleitung. * Ebd. 123-132.

3 H. Ankwicz, Eine Abschrift d. Weltchronik d. Leonhard Hefft v. Eichstätt in d. Innsbrucker Universitätsbibliothek (FGB 16) 1908, 286-290. 4 Vgl. o. 537.

§ 6j. Klöster und Orden. Die Mystik (F.-J. Schmale)

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der Zeit um 1300? Eine Besserung der Verhältnisse trat erst gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts unter dem Einfluß neuer Reformen und frühhumanistischer BeStrebungen ein. In den Zisterzienserklöstem war es grundsätzlich nicht besser bestellt. Angehörige des Klosters Ebrach lehrten zwar an den Universitäten Heidelberg und Wien, aber weder diese gelehrte Ausbildung noch ihr Wirken stehen in einem unmittelbarenZusammenhang mit ihrem heimischen Kloster.1 2 Nur über Heilsbronn kann das Urteil etwas günstiger lauten. Die recht ansehnliche Bibliothek des Klosters zeugt von geistigem Austausch mit Zisterzienserklöstem des deutschen Südwestens, so z. B. mit Schönau.3 Die Ekkehardhandschrift des Klosters, neben einer verlorenen aus Münsterschwarzach die einzige in Franken,4 und einzelne historische Notizen in verschiedenen Codices5 lassen ein wenigstens minimales historisches Interesse erkennen, das sich zweimal sogar in zusammenhängenden annalistischen AufZeichnungen verdichtete. Zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts schrieb ein Anonymus Annalen der Zeit von der Gründung des Klosters bis zum Jahre 1313 ;6 zu Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts ein anderer Annalen über die Jahre 1302 bis 1404? Daneben verdient noch ein Bericht über die wunderbare Errettung des Klosters aus den Händen Herzogs Stephan Π. von Bayern (1342) Erwähnung.’ In der Umgebung literarisch offenbar völlig untätiger Klöster benediktinischer Richtung (einschließlich der Schotten- und Zisterzienserklöster) kommt bereits einem bescheidenen Annalenwerk eine gewisse Bedeutung zu, dokumentiert es doch wenigstens Aufgeschlossenheit über die Welt des eigenen Klosters hinaus. Den relativen Rang von Heilsbronn zu Beginn des vierzehnten Jahrhunderts macht es indessen aus, daß sich hier die erste fränkische Stimme innerhalb der deutschen Mystik erhebt. Die Schriften der Mystik und ebenso ihre Verfasser unterscheiden sich von allem bisher Behandelten in einigen wesentlichen Punkten. Beiträge zum geistigen Leben in Franken im früheren Mittelalter können durchaus sinnvoll nach Schulen oder noch allgemeiner nach Entstehungsorten geordnet behandelt werden, weil entweder die Tradition einer Schule oder das individuelle historische Gebilde (Bistum, Kloster, Reich) geistige Beschäftigung unmittelbar anregten oder doch wenigstens die günstigen sozialen Bedingungen für den potentiellen Autor boten. Im späteren Mittelalter fällt in Franken die Schule, weil zweit- oder gar drittrangig, fällt die gelehrte Tradition einer Institution als wichtiger und zugleich prägender Anreiz wenigstens für die bedeutenderen Köpfe fort, während die Elite überhaupt nicht nach Franken findet. 1 Hg. v. O. Holder-Egger (MG SS 15) 1033-1039· 2 LThK III 636 (Lit.). 3 Heute zum großen Teil in der UB Eriangen; vgl. H. Fischer, Die lat. PergamenthandSchriften der UB Erlangen I, 1929; vgl. auch R. G. Stillfried, Kloster Heilsbronn. Ein Beitr. zu den hohenzollerschen Forschungen, 1877· 35

4 Erlangen UB 406. 5 Sog. Ann. Halesbrunnenses, ed. G. Peutz (MG SS 16) 1859, 13 f. 6 Sog. Ann. Halesbrunnenses maiores, G. Waitz (MG SS 24) 1879, 43-48. 7 Fälschlich von Wattz als Continuatio den vorigen zusammengefaßt in MG SS 49‫־‬51· ’ MG SS 24, 51 f.

H.

ed.

mit 24,

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Franken: E. I. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter bis 1450

Eine individuelle, irgendwo erworbene, in der Hauptsache formale und methodische Bildung, die sich in beliebigen und verschiedensten Aufgaben bewährt, wie sie sich bei zunehmender Freizügigkeit für den einzelnen eher zufällig aus seinem jewelligen Betätigungskreis ergeben, oder aber individuelle Neigungen, die keine Tradition stiften, bestimmen mehr und mehr die Situation in Franken. Insofern wird es schwer, einen überindividuellen Zusammenhang etwa der Literatur in Franken zu erkennen, wenn man einmal die volkssprachliche Dichtung oder die bloße Gemeinsamkeit literarischer Genera ausnimmt. Andererseits lassen die Anziehungskraft der institutionellen Gebilde und ihre günstigen sozialen Bedingungen es dennoch zu, von kulturellen Zentren zu sprechen und die Erscheinungen des geistigen Lebens durchaus sinnvoll entsprechend zu gruppieren. Für Zeugnisse und Autoren der Mystik gelten die zuletzt genannten Bedingungen natürlich auch oder wenigstens teilweise, aber andere, die nur für sie zutreffen, sind wichtiger. Ihre grundlegende Gemeinsamkeit, die durch unmittelbares Aufeinandereinwirken bedingt ist, besteht in dem stets gleichbleibenden religiösen Ziel, das auch den wesentlichen Inhalt bestimmt: aufgrund eigenen Wissens und eigener Erfahrung die Erfahrbarkeit der Realität Gottes darzustellen und zu lehren.1 Dieses gleichbleibende Ziel, diese Inhalte, diese Erfahrungen prägen eine Tradition von größter Konsistenz, die an keine lokale oder ganz bestimmte soziale Bedingung geknüpft ist und die der einzelne immer schon vorfindet. Mystische Literatur und mystisches Denken sind daher immer von diesem Zusammenhang geprägt; Traditionsstrom und dessen willentliche geistige Aneignung durch den einzelnen sind die primären Kennzeichen. Neben der volkssprachlichen Dichtung ist die Mystik die einzige gesamtabendländische geistige Bewegung, die nicht nur von außen nach Franken hineinwirkt, sondern hier auch im soeben gekennzeichneten Sinn aktives Mittun evoziert. Angesichts der zahlreichen und ungelösten Einzelfragen können die Gründe dafür noch nicht genannt werden, mehr als vorsichtige Hinweise sind nicht möglich, aber die entscheidenden Ursachen dafür liegen gewiß im Charakter der Mystik. Das allgemeinste Kennzeichen ist vielleicht dies, daß sie als die größte Geistesbewegung des Mittelalters alle Mensehen über die sozialen und Bildungsschranken hinaus zu erfassen vermochte: auf der Höhe des scholastischen Denkens stehende Gelehrte und weniger Gebildete, Theologen und Laien, Männer und Frauen, weil die Erfahrbarkeit Gottes über alle sonstigen Unterschiede hinweg jeden Christen angehen, jedes Christen Wunsch sein konnte. Um zu einer so umfassenden Bewegung zu werden, bedurfte sie aber auch der Vermittlung und der Vermittler. Hier scheint es nun wichtig - sicher ist das eine nicht vom anderen zu scheiden -, daß die Seelsorge seit dem zwölften Jahrhundert immer ernster genommen wird. Die Zisterzienser, allen voran Bernhard, drängten sich nach der Seelsorge, nach der Predigt, und verteidigten ihren Anspruch darauf gegen den 1 Es kann in diesem Rahmen selbstverständlieh nicht näher auf die Mystik eingegangen werden; einige wichtige Gesichtspunkte gerade für unseren Zusammenhang bei Grundmann, Bewegungen (s. o. 535) passim, wo jedoch die im einzelnen noch nicht hinreichend unter-

suchten sozialen Zusammenhänge zu kurz kommen zugunsten einer zu einseitigen Spiritualisierung; für weitere allg. Literatur vgl. die Artikel «Mystik» (LThK VII) 732 ff.; «Deutsehe Mystik» (LThK ΙΠ) 266 ff.

§ 65. Klöster und Orden. Die Mystik (F.-J. Schmale)

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Weltklerus.1 Einige Jahrzehnte später sahen und erhielten Dominikaner und Minoriten in der Predigt, der religiösen Unterweisung, der Seelenführung, ihre eigentliche Aufgabe? Ihre Seelsorge wandte sich in Wort und Schrift, die begierig aufgenommen und verbreitet wurden, unter Kenntnis und Verwendung des scholastischen Denkens an die Gebildeten, in der Muttersprache an das Volk; sie gab sich für Männer systematischer und begrifflicher, sprach bei den Frauen stärker die gemüthaften Kräfte an. In der Verbindung dieser Faktoren wurden Zisterzienser die Träger einer frühen mystischen Bewegung, führten Dominikaner und Franziskaner ihre Blüte herauf. Von Inhalt und Zielen sowie von der Art der Vermittlung her besaß die Mystik alle Voraussetzungen zu einer alle Schichten umfassenden Wirkung, wie sie in diesem Maße die philosophisch-theologische Scholastik in ihrer reinen Form nie gewinnen konnte; sie war nicht wie diese an eine wissenschaftliche Methode, an Studium und Schule gebunden. Insofern waren für eine derartige geistige Strömung auch in Franken alle notwendigen Voraussetzungen gegeben; ihr Eindringen ist im einzelnen aber noch nicht geklärt. Vielleicht ging die erste und wichtigste Anregung überhaupt von der Verbreitung mystischer Schriften aus - die Werke Bernhards wären bereits unter diesem Gesichtspunkt zu berücksichtigen -, doch könnte darüber nur eine genaue Kenntnis der Überlieferung Auskunft geben. Im einzelnen ebenfalls noch zu untersuchen, aber mit Gewißheit eine ständige Quelle des Einwirkens in Wort und Schrift waren die Klöster der Dominikaner und Franziskaner, die schon bald nach der Gründung der Orden auch in Franken errichtet wurden. Dominikanerklöster entstanden in Würzburg (1239), Eichstätt (1271), Nürnberg (nach 1270), Bamberg (1310); Niederlassungen der Dominikanerinnen in Engelthal (1240), Frauenaurach (1267), Rothenburg (1258), Nürnberg (1294), Bamberg (um 1310). Franziskanerkonvente bestanden in Bamberg (vor 1223), Würzburg (1221), Nürnberg (1224), Rothenburg (1281); Klarissen gab es in Bamberg (1240) und Nürnberg? Ihre Schulen und ihre Predigttätigkeit, die zahlreichen Frauenklöster, die jetzt erstmals auch einer größeren Zahl von Frauen ein religiöses Leben ermöglichten? gaben ihrem Wirken eine Ausstrahlung, die als weit größer angenommen werden muß, als an vorhandenen oder fehlenden literarischen Zeugnissen abgelesen werden kann. Die literarisch fixierte und unmittelbare Wirkung fällt naturgemäß nicht immer unter einen strengen Begriff von Mystik, sondern rückt oft fast oder ganz in den Bereich allgemeiner spätmittelalterlicher Frömmigkeit, aber die Übergänge sind fließend, und die Wurzeln sind nicht grundsätzlich verschieden. Die ersten Zeugnisse mystischer Literatur kamen indessen nicht aus diesen Klöstern, soweit es der augenblickliche Wissensstand erkennen läßt, vielmehr waren Zisterzienser ihre Verfasser. Als Elsässer kann Philipp von Ratsamhausen,5 den nur die Be1 Vgl. K. Fina, Anselm v. Havelberg. Untersuchungen z. Kirchen- u. Geistesgesch. d. 12. Jhs., Diss. Würzburg 1954, bes. 63-101, wo der Streit um die Seelsorge sehr ausführlich behandelt ist. 2 Vgl. die Artikel «Dominikus» (LThK QI) 478 f.; «Dominikanerorden» (ebd.) 478 ff.

(Lit.); «Franziskaner» (LThK IV) 274 ff. (Lit.). 3 Für die Literatur über die einzelnen Klöster wird auf die allgemeine Literatur und die bekannten Nachschlagewerke verwiesen. 4 Vgl. vor allem Gbundmann, Bewegungen (s. o. 535) 199 ff· (Lit.). 5 S. o. 545.

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Franken: E. I. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter bis 1450

rufung in das bischöfliche Amt nach Eichstätt führte, nicht eigentlich als Repräsentant der Mystik in Franken betrachtet werden. Doch verbreitete er deren Gedankengut durch seine Schriften, die alle erst in Eichstätt entstanden, und noch mehr durch seine deutschen Predigten; wenigstens zu den Anregern darf er daher gezählt werden. Wie weit um diese Zeit aber mystisches Denken in Franken selbst schon Fuß gefaßt hatte, zeigen einige Schriften aus Heilsbronn, über deren Verfasserschaft noch keine volle Klarheit besteht. Für eine weitverbreitete Predigtsammlung, als deren Autor gelegentlieh in Handschriften und in der Literatur ein Soccus bezeichnet wurde, dürfte heute Abt Konrad von Brundelsheim (1303-1306, 1317-1321) als Verfasser feststehen, der daneben noch wenigstens eine Anleitung für Novizen zum Vollkommenheitsstreben (Cgm. 2689) und andere theologisch-asketische Schriften abfaßte.1 Für «Die sieben Grade» und das oft überlieferte «Buch der sechs Namen des Fronleichnam», die eine Schrift in Versen, die andere in Prosa, nennt die Überlieferung nur einen «Mönch von Heilsbronn» als Autor.1 23Die sieben Grade (= Gebetsstufen) zeigen sich beeinflußt von David von Augsburg, kennen aber auch Bernhard von Clairvaux und die Viktoriner - die sechs Namen auch Albert d. Gr. - und teilen wesentliche Grundgedanken mit Bonaventura, vereinen also die mannigfaltigsten Strömungen. Christine Ebner hat das Buch gekannt. Starke Berührungspunkte mit den Sermones Konrads machen es wahrscheinlich, daß der Mönch von Heilsbronn in Wirklichkeit Konrad von Brundelsheim ist, der dann vielleicht auch noch ein nicht mehr erhaltenes «puchlein von der minne» geschrieben hat. Früher wollte man dem «Mönch» auch die «Tochter Syon» und «St. Alexius» zuweisen, die zusammen mit seinen Schriften überliefert sind; das ist sicher nicht richtig, wohl aber Entstehung in Heilsbronn im gleichen Zeitraum? Die dominikanische Mystik fand den besten Nährboden im Raum von Nürnberg. Die Stadt, namentlich die «Großstadt» bot auch im Mittelalter die größte Gefahr für den orthodoxen und herkömmlichen Glauben. Eine im Vergleich zur Landbevölkerung relativ hohe Bildung und eine geistige Beweglichkeit, wie sie enge und vielfältige Kommunikation geradezu erzwang, förderten eine individuelle Religiosität, die stets in Gefahr stand, die von der Orthodoxie gezogenen Grenzen zu überschreiten; gerade darin lag ja auch der Grund dafür, daß Dominikaner und Franziskaner ausschließlich in der Stadt ihr Betätigungsfeld suchten.4 Andererseits aber konnte gerade aus eben diesen Gründen auch die Mystik hier am leichtesten Wurzel schlagen. Im Kloster Engelthal, dessen Nonnen ebenso wie die des Katharinenklosters in Nürnberg meist Töchter der Stadt aus reichen Bürgersfamilien waren, entfaltete sie sich beson1 VL V 543 f., 555; verfehlt R. Bauerreiss, Wer ist der mittelalterl. Prediger Soccus (StMBO 65) 1953/54; Bauerreiss IV 197. 2 VL III427 ff.; ebd. V 690 f. (Lit.); LThK V 147 f■ 3 Es scheint erwägenswert, ob Konrad als der Verfasser der Annales Halesbrunnenses maiores in Frage kommt. 4 Es trifft nicht ganz den Kem der Sache,

wenn Grundmann, Bewegungen (s. o. 535) bes. 519 ff., «soziale Aspekte der religiösen Bewegung» verneint, weil er sie ausschließlieh im Sinne der Verbindung mit einer bestimmten sozialen Schicht, und das heißt bei Grundmann Unterschicht, sieht. Hier ist sozial im Sinne von gesellschaftlich gemeint.

§ 6j. Klöster und Orden. Die Mystik (F.-J. Schmale)

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ders reich.1 Auf Anregung ihres Beichtvaters Konrad von Füssen begann 1317/24 die Priorin Christine Ebner (1277-1355)’ die Niederschrift ihrer bis in das Jahr 1314 zurückgehenden gedankentiefen Visionen und Zwiegespräche mit Christus und setzte sie bis ins hohe Alter fort («Leben und Gesichte»).3 Die mystische Atmosphäre ihres Konvents erhellt aus ihrem anderen Buch «Von der Gnaden Überlast», in dem sie die mystischen Erfahrungen ihrer verstorbenen Mitschwestem beschrieb. 4 Schon zu Lebzeiten genoß sie einen so großen Ruf, daß Karl IV. sie 1350 besuchte. Heinrich von Nördlingen übersetzte für sie Mechtilds von Magdeburg «Fließendes Licht der Gottheit» und machte sie mit den Gedanken Taulers und Seuses bekannt. Unmittelbar von ihr beeinflußt schrieb ihre jüngere Mitschwester Adelheid Langmann die innig frommen «Offenbarungen», in denen Gott und die Seele die Ehe eingehen.5 Nach Engelthal oder vielleicht auch ins Katharinenkloster von Nürnberg gehört wahrscheinlich das Gedicht «Der Minne Spiegel», in dem in vier Dialogszenen die Seele lyrische Zwiesprache mit Christus hält (geschrieben um 1345), Gedanken Meehtilds von Magdeburg anklingen und der Geist Bernhards von Clairvaux spürbar wird.6 Im Kreis der Männerklöster des Predigerordens ist keines der bedeutenderen mystischen Werke entstanden. Predigten und sonstige theologisch-asketische Literatur lassen sowohl den spekulativen wie visionären Aufschwung vermissen, mystische Bilder sind in flachere Allegorien umgemünzt, weil hier weniger das subjektive Erleben als die praktisch-religiöse Formung der Vielen im Vordergrund steht. Der Dominikaner Einhard von Nürnberg schrieb zu Anfang des vierzehntenJahrhunderts eine «Sterbekunst» in lateinischer und deutscher Sprache;7 im fünfzehnten Jahrhundert verfaßte der Nürnberger Lesemeister Rudolf Goltschlacher Predigten in erbaulicher Allegorese,8 die auch das umfangreiche und weitverbreitete Werk - Deutsche Predigten, wenigstens zwölf lateinische theologische Werke als Predigthilfen - des gebürtigen Nürnbergers Johannes Herolt kennzeichnet,’ der Beichtvater des Katharinenklosters und Prior des Nürnberger Dominikanerkonvents (1380/90-1468) war.10 Ähnliches gilt wohl auch von den Predigten und Traktaten des Lesemeisters Heinrich Tröglein in Eichstätt (um 1426)." ’ LThK III 882 (Lit.). 2 E. Krebs, VL 1481 f.; ebd. V 161; vgl. auch Ehrismann, Schlußband 627 f. 3 Leben u. Gesichte d. Christina Ebner, Klosterfrau zu Engelthal, hg. v. G. W. K. Lochner, 1872 (unvollst.). 4 Der Nonne v. Engelthal Büchlein von der Gnaden Überlast, hg. v. K. Schröder (BLVS 108) 871. 5 Ph. Strauch, Die Offenbarungen d. Adelheid Langmann, 1878; J. Prestel, Die Offenbarungen d. Margaretha Ebner u. d. Adelheid Langmann (Mystiker d. Abendlandes IV) 1939 (Übers.); Ehrismann, Schlußband 628; VL III 22 f. 6 Hg. v. K. Bartsch (Die Erlösung, mit

einer Auswahl geistl. Dichtungen) 1858,242ff.; VL V 687 ff. 7 VL I 525. 8 VL II 59. ’ VL II 424-427. 10 Von ähnlichem Zuschnitt sind die zahlreichen erbaulichen Schriften des Nürnberger Patriziersohnes und Kartäusermönchs Ehrhart Groß von Kloster Marienzelle bei Nürnberg; vgl. VL II 102-106. " Buchner, Schulgesch. 43. Der Dominikaner Peter Schwarz, Verfasser einer ersten hebräischen Grammatik - neben zahlreichen theologischen Werken - gehört nicht nach Eichstätt (so Buchner 43); VL IV 130-134.

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Die Mystik selbst barg im Sinne der Orthodoxie die Gefahren der Häresie in sich wegen der Folgerungen, die aus der visionär erfahrenen oder spekulativen Einigung mit Gott gezogen werden konnten. Hermann Kuchener aus Nürnberg, der zeitweilig auch in Würzburg wirkte und dort im Jahre 1342 zum Widerruf verurteilt wurde, folgerte aus der vollen Einung der Seele mit Gott die Aufhebung der Sittengesetze. Berthold von Rohrbach, der zunächst ebenfalls in Würzburg, dann in Speyer tätig war und dort wegen seiner Lehre hingerichtet wurde, leugnete aus den gleichen Erwägungen den Wert kirchlicher Handlungen und Ordnungen.' Sie waren beide eindeutig Mystiker, überschritten aber die Grenze zur Häresie und kamen zu Ansichten, zu denen andere Gruppen, z. B. die Waldenser, von einem anderen Ausgangspunkt, nämlich von der Bibel her, gekommen waren. Solche Gruppen und Anschauungen hatten in Franken im vierzehntenJahrhundert, also zur Blütezeit der Mystik, beträchtlichen Erfolg. Um 1270 schon mußten die Dominikaner in Würzburg gegen Ketzer predigen; waldensische Ideen in Würzburg zur Zeit Bischofs Otto von Wolfskeel wurden schon erwähnt. Großen Anhang müssen sie um 1332 in Nürnberg erlangt haben; 90 Anhänger, darunter drei Mitglieder der Familie Tücher, wurden aus der Stadt vertrieben. 42 werden für diese Zeit für die Diözese Eichstätt erwähnt? Damit ist natürlich der Kreis der eigentlichen Mystik überschritten, aber es wäre kaum richtig, diese Gruppen zu isolieren und den Rahmen der Rechtgläubigkeit, der vor der Gegenreformation so ungenau fixiert und kaum sicher zu erkennen war, zum entscheidenden Merkmal zu machen. Berthold von Rohrbach und Kuchener zeigen, wie fließend die Übergänge waren. Mystiker und Ketzer wurden von den gleichen religiösen Sehnsüchten getrieben, die im späteren Mittelalter vor allem für die Mensehen im Umkreis der Stadt charakteristisch zu sein scheinen.

§66. NÜRNBERG

Seit der Mitte des vierzehntenJahrhunderts, seit die literarischen Zeugnisse - auch im Bereich der Mystik und der volkssprachlichen Dichtung - fast in ganz Franken, selbst in den Bischofsstädten aussetzen, scheint sich das gesamte geistige Leben, wiederum nach den literarischen Belegen zu urteilen, in Nürnberg zu konzentrieren. Es wird mit Ausnahme der religiösen Literatur ausschließlich vom Bürgertum getragen. Alle Repräsentanten, alle Autoren sind Laien und bürgerlichen Standes, die Inhalte aller Schriften sind ausschließlich der bürgerlichen Welt entnommen oder lassen sich in den spezifischen Interessen der Bürger und der Stadt begründen. Schon das älteste Nürnberger Denkmal von einiger Bedeutung, das Handlungsbuch der Holzschuher für die Jahre 1304 bis 1307,3 das älteste Handlungsbuch Deutschlands 1 Vgl. Hauck V 412. 2 Ebd. 401 f. 3 Chroust-Proesler, Handlungsbuch (s. u. 478); W. Kraft, Zum Holzschuherbuch. Be-

merkungen u. Ergänzungen z. Ausgabe Chroust-Proesler (MVGN 32) 1935, 5-37; A. Diehl, Die Geldgeschäfte d. Holzschuher (ebd.) 3945‫·־‬

§ 66. Nürnberg (F.-J. Schmale)

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überhaupt, verdankt seine Entstehung der vorzüglichsten Betätigungsform des Bürgers im Mittelalter, dem Handel, und läßt erkennen, daß Bildung und Schriftlichkeit eng mit den beruflichen Erfordernissen verknüpft sind.1 Durch Handel erworbener und vermehrter, vererbter Reichtum, verbunden mit der politischen Führungsrolle, schufen ein Selbstbewußtsein, das sich bereits im vierzehnten Jahrhundert in Selbstdarstellungen in der Form von Familiengeschichten niederschlug. Ulman Stromer (1329-1407), mehrfach Ratsmitglied der Stadt, schrieb ein «Puechel von mein geslechet und von abentewr», das Nachrichten über die eigene Person und Familie - für die Frühzeit scheint die Familientradition Legendarisches zu enthalten - mit wichtigen Ereignissen vor allem in der Stadt verknüpfte. Nach einer ersten knapperen Fassung schrieb Ulman Stromer eine zweite erweiterte, die sein Sohn Jörg nach seinem Tod ergänzte? In der dürren Form einer in Prosa erzählten Stammtafel schrieb auch Konrad Paumgartner (1380-1464) eine Familiengeschichte.123 Endres Tücher, Sohn des Hans Tücher, begann im Jahr seiner Hochzeit mit Margarete Paumgartner (1421) ein bis zu seinem Tod (1440) fortlaufend geführtes «Memorial».4 Im Tucherschen «Memorialbuch» (1386-1454) schrieb sein Sohn Endres die Lebens- und Familiengeschichte seines Onkels Berthold Tücher nach dessen eigener Erzählung nieder.5 Seine Pilgerfahrt nach Jerusalem beschrieb Georg Pfinzing, der zusammen mit dem Arzt Johann Lochner 1436 ins Heilige Land wallfahrtete.6 Andere Familien wie die Tücher und Eyb taten später das gleiche.7 Hans Rieter (1564-1626) konnte ein Reisebuch seiner Familie zusammenstellen, das von Pilgerfahrten vom Jahr 1384 an bis zum Jahr 1479 berichtet; ältere Aufzeichnungen müssen ihm also vorgelegen haben.8 Diese Pilgerbücher hielten nicht nur Selbsterlebtes für die eigene Erinnerung fest, sie sollten zugleich zukünftigen Pilgern als Reiseführer dienen. Sie stehen damit schon in der Nähe der Sach- und Handbücher. Der Büchsenmeister Hans Hentz beschrieb um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts im «Rüst- und Büchsenmeisterbuch» das Kriegs- und Belagerungsgerät. ’ Als Inhaber desselben Amtes bearbeitete Hans Formschneider um 1440 das Weitverbreitete deutsche «Feuerwerksbuch».10 Das älteste «Baumeisterbuch» des Stadtbaumeisters Hans Graser (1441-1452) enthielt noch vorwiegend bloße Kostenangaben und ist noch nicht als Literatur zu betrachten," aber schon sein Nachfolger Lutz Steinlinger beschrieb ausführlich dengesamten Wirkungskreis dieses Amtes und benutzte zu diesem Zweck auch ältere Auf1 R. Rörig, Die europ. Stadt u. d. Kultur d. Bürgertums im MA, hg. v. Rörig-v. Brandt, 1964· 2 Hg. v. K. Hegel (Städtechroniken I) 21 bis 106; Ergänzungen aus anderen Quellen ebd. 111-312, 473-476; VL IV 300-304; V 1072. (Lit.). 3 VL ΠΙ 840 f. 4 Hg. v. Th. v. Kern (Städtechroniken II) 9-30; K. Fischer, Nürnberger Gestalten aus 9Jahrhunderten, 1950, 29ff; VL IV 509-511. 5 Hg v. Th. v. Kern (Städtechroniken X) 14-26; VL IV 509-511. Nach diesem Vorbild

schrieb Konrad Herdegen (geb. 1406), Kaplan im Aegidienkloster, von 1440 an seine «DenkWürdigkeiten» über den Zeitraum seit 1412 bis 1479; Th. v. Kern, Nürnberger Denkwürdigkeiten d. Konrad Herdegen, 1874; Lorenz (s. o. 539 Anm. 2) I 169 f. 6 VL V 892. 7 Vgl. Ehrismann, Schlußband 523. 8 Röhricht-Mhisner, Das Reisebuch d. Familie Rieter (BLVS 168) 1884. ’ VL II 409 (Lit.). 50 VL I 637 (Lit.). " VL V 307 f. (Lit.).

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Franken: E. I. Wissenschaft und Bildung im Spätmittelalter bis 1430

Zeichnungen, Urkunden und Verträge.1 Eine umfassende Darstellung, die ausdrücklieh sowohl die früheren Zustände festhalten will und damit schon so etwas wie eine Behördengeschichte darstellt, wie aber auch Anleitung für die Amtsnachfolger sein soll, schrieb der schon erwähnte jüngere Endres Tücher zwischen 1464 und 1470.2 Die Familiengeschichten stehen nach Inhalt und Absicht bereits an der Grenze zur Geschichtsschreibung im herkömmlichen Sinn, die in Nürnberg im vierzehntenJahrhundert in reicherer Überlieferung einsetzt. Für die ältere Zeit ist nur ein historisches Lied auf das Jahr 1298 bekannt3 und das von Isak ben Samuel um 1296 zusammengestellte, später bis 1349 fortgesetzte Martyrologium in hebräischer Sprache, das im Memorbuch der Nürnberger Judengemeinde enthalten ist und die Namen der Juden festgehalten hat, die seit 1096 in Verfolgungen umgekommen waren.4 Im vierzehnten Jahrhundert sind dann sogleich zwei verschiedene Stränge der Historiographie zu unterscheiden, ein amtlicher und ein privater. Die Zeugnisse der amtlichen GeschichtsSchreibung sind zunächst nur Binzelberichte, die in Rechnungsbücher eingetragen wurden und so gewissermaßen die Illustration der Aufwendungen abgeben, die der Stadt wegen der in ihnen dargestellten Ereignisse entstanden. Die älteste Erzählung betrifft den «Zug gen Beheim auf die Hussen von irs Unglauben wegen» (1421),’ eine andere den Hussitenfeldzug von 1427.4 Auch die Übertragung der Reichskleinodien und Reichsheiltümer nach Nürnberg (1424)7 sowie ein Zug gegen Raubritter im Jahre 1444 («Zug für Lichtenburg» = Lichtenberg/Sachsen) wurden in dieser Form geschildert.’ An dieser letzten Aufzeichnung hat bereits Erhard Schür(r)stab, Ratsmitglied und Kriegshauptmann der Stadt, als Verfasser Anteil, der die «Ordnungen», Maßnahmen der Stadt im sogenannten Markgräflerkrieg mit Albrecht Achilles von Brandenburg (1449/50) sammeln ließ,’ wahrscheinlich den Bericht über den ersten Markgräflerkrieg,10 sicher aber den Bericht über den «Streit bei Weier» (Schlacht bei Pillenreut, n.März 1450) mit gewandter Feder schrieb. * 1 Auch die annalistische Darstellung der Verhandlungen Nürnbergs mit Friedrich III. in den Jahren 1440-1444 gehört noch in diese Kategorie. * 2 Wie erwähnt, hatte gelegentlich UlmanStromer in seiner Familiengeschichte auch allgemeineren Ereignissen Aufmerksamkeit geschenkt. Seit den zwanziger Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts schrieb ein unbekannter Nürnberger an Hand von älteren Werken, die aber im einzelnen nicht identifiziert sind, die sogenannte «Chronik aus ’ VL V 1066 f. 2 Μ. Lbxer, Endres Tuchers Baumeisterbuch d. Stadt Nürnberg (BLVS 64) 1862; Fischer (s. o. 553 Anm. 4); VL IV 509-511. 3 Oetter, Gesch. v. Nürnberg II 312; vgl. Potthast, Bibliotheca II 961. 4 S. Salfeld, Martyrologium des Nümberger Memorbuches (Quellen z. Gesch. d. Juden in Deutschland III) 1898, 3-94; Übersetzung ebd. 259-308. 3 Städtechroniken 2, 33. 6 Ebd. 46. 7 Ebd. 42; vgl. auch Lorenz (s. o. 539 Anm. 2) I 165.

’ Städtechroniken 2, 64-68; Lorenz I 165. Diese Nachrichten dürfen in ihrer Bedeutung nicht überschätzt werden, sie finden sich in ähnlicher Art auch in Stadtbüchem anderer Städte in Franken, doch fehlt noch eine genaue Übersicht. ’ Städtechroniken 2,121 ff.; VL IV 120 f. 10 Städtechroniken 2, 108 ff. " Ebd.; einige der bisher behandelten Ereignisse bilden auch den Gegenstand von Sprüchen des Hans Rosenplüt; vgl. Lhjencron (s. o. $44 Anm. 1) I nrr. 61, 68, 93, 109, 110; VL ΠΙ 1092-1110. 12 Städtechroniken 3, 353.

§ 66. Nürnberg (F.-J. Schmale)

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Kaiser Sigmunds Zeit» (1126-1434) mi£ wertvollen Nachrichten zur Nürnberger Stadtgeschichte; andere haben sie bis 1441 fortgesetzt.1 An Ulman Stromers «Puechlein» und die Chronik aus Kaiser Sigmunds Zeit knüpften später zwei Annalenwerke an, deren Entstehungszeit aber schon außerhalb unseres zeitlichen Rahmens liegt? Schon vorher (1459) hatten die beiden Nürnberger Schreiber Johannes Plattenberger und Theoderich Truchseß eine Weltchronik ab orbe condito bis auf ihre Zeit geschrieben und damit zur großen historiographischen Form gefunden? Sigismund Meisterlin benutzte diese Weltchronik, als er in den achtziger Jahren eine GesamtdarStellung der Nürnberger Geschichte im Auftrag des Rats schrieb und damit gewissermaßen amtliche und private Geschichtsschreibung zur ersten Stadtchronik vereinte? Manches von dem, was in Nürnberg, in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts hauptsächlich, entstand, erscheint noch als unvollkommen, trägt auch die Spuren des Anfangs und noch des Ringens um die rechte Form für das, was ausgesagt werden soll. Es beweist auch, daß das, was die Bürger selbst zu sagen hatten, vornehmlich die Welt ihres Alltags betraf, daß sich ihr geistiges Bemühen vornehmlich darauf richtete. Aber diese Zeugnisse aus nur wenig mehr als einem halben Jahrhundert sind schon erstaunlich zahlreich, vielfältig in der Form und im Inhalt, zeigen bereits Traditionen literarischen Ausdrucks in einzelnen Familien (Tücher), zeigen auch die Breite der Schicht, von der sie getragen werden. Nimmt man die volkssprachliche Dichtung und das religiöse Schrifttum derselben Zeit hinzu, berücksichtigt man die Nachrichten über Bibliotheken, die damals schon von Bürgern zusammengetragen wurden, wie von dem 1410 geborenen Hermann Schedel oder dem noch etwas älteren Franz * Pirkheimer, betrachtet man den vielfältigen Bestand auch der Ratsbibliothek, so gab es fast nichts, dem sich der Geist Nürnberger Bürger verschloß. Damit war die Grundläge geschaffen, auf der Nürnbergs führende Rolle im deutschen Humanismus beruhte. 1 Ebd. 1, 344-410, weitere Nachrichten zu einzelnen Ereignissen ebd. 411 ff., 419 ff, 470 ff; Lorenz (s. o. 539 Anm. 2) I 164. 2 Sog. Nürnberger Jbb., hg. v. Th. v. Kern (Städtechroniken 10) 118-316, 316-386; ebd. 11, 456-507, 511-531; vgl. auch H. Schmidt, Die deutschen Städtechroniken als Spiegel d.

bürgerl. Selbstverständnisses im Spätmittelalter (Schriftenreihe 3) 1958. 3 Städtechroniken 3, 269 ff; VL III 901 f. 4 Lorenz (s. o. 539 Anm. 2) I 171 f.; VL III 345349‫ ;־‬u. 598 f. 5 Mittelalterl. Bibliothekskataloge III 3 (s. o. 537 Anm. 4) 800 ff., 796 f.

GESTALTEN UND BILDUNGSKRÄFTE DES FRÄNKISCHEN HUMANISMUS

Allgemeine Literatur (in den Anm. nicht mehr zitiert). G. Voigt, Die Wiederbelebung d. elastischen Alterthums oder d. erste Jahrhundert d. Humanismus, 2 Bde., 19604; W. Dilthey, Auffassung u. Analyse d. Menschen im 15. u. 16. Jh. (Ges. Schriften Π) 19647,1-89; Chastel-Klein, Die Welt d. Humanismus. Europa 1480-1 $30,1963 ;J. Delumeau, La civilisation de la Renaissance, Paris 1967; A. Buck, Zu Begriff u. Problem d. Renaissance, 1969; W. Andreas, Deutschland vor d. Reformation, 19396; H. Rupprich, Die Frühzeit d. Humanismus u. d. Renaissance in Deutschland, 1938; Ders., Humanismus u. Renaissance in d. deutschen Städten u. an d. Universitäten, 19642; Paulsen (s. u. 646 Anm. 1); W. Spitz, The religious Renaissance of the German Humanists, Cambridge Mass. 1963; P. Joachimsen, Der Humanismus u. d. Entwicklung d. deutschen Geistes (DVjschrLG 8) 193a, 419-480; G. Ritter, Die geschichtl. Bedeutung d. Humanismus, 1958; Nadler; G. Elunger, Gesch. d. neulat. Lit. Deutschlands im 16.Jh.,3 Bde., 1929 u. 1933; W. Stammler, Von d. Mystik zum Barock, 195ο2; W. Creizenbach, Gesch. d. neueren Dramas Π/ΠΙ, 19232; R. Newald, Humanismus u. Reformation (Annalen d. deutschen Lit., hg. v. Η. O. Burger) 19622, 287-338; H. Rupprich, Die deutsche Lit. vom späten MA bis z. Barock, 1971; R. Newald, Probleme u. Gestalten d. deutschen Humanismus, 1963; H. Drewing, Vier Gestalten aus d. Zeitalter d. Humanismus, 1946; F. Stbjscal, Die Gestalt d. Dichters im deutschen Humanismus, Diss. Masch. Wien 1937; C. Bursian, Gesch. d. elastischen Philologie in Deutschland, 2 Bde., 1883; E. Fueter, Gesch. d. neueren Historiographie 1936’ (Neudr. 1968); F. X. Wegele, Gesch. d. deutschen Historiographie seit d. Auftreten d. Humanismus, 1885; H. v. Srbik, Geist u. Gesch. vom deutschen Humanismus bis z. Gegenwart, 2 Bde., 1950; O. Lorenz, Deutschlands Geschichtsquellen im MA, 2 Bde., 1886/87’; P. Joachimsen, Geschichtsauffassung u. Geschichtsschreibung in Deutschland unter d. Einfluß d. Humanismus, 1910; E. Menke-Glückert, Die GeschichtsSchreibung d. Reformation u. Gegenreformation, 1912; F. Schnabel, Deutschlands geschichtl. Quellen I, 1931; H. Schmidt, Die deutschen Städtechroniken als Spiegel d. bürgerl. Selbstverständnisses im Spätmittelalter, 1938; G. Strauss, Sixteenth-Century Germany. Its Topography and Topographen, Madison 1959; R. Stintzing, Gesch. d. deutschen Rechtswissenschaft 1, 1880; G. Sarton, Introduction to the history of science I/II, Washington 1927/31; Ch. Singer, A short History of Scientific Ideas, 1959; B. R. Taton, Histoire gäi&ale des Sciences Π. La Science modemede1430ä 1800,19692; W. P.D. Wightman, Science and theRenaissance, 2 Bde., EdinburghLondon 1962; Μ. Boas, Die Renaissance d. Naturwissenschaften 1450-1630. Das Zeitalter d. Kopemikus, Deutsche Ausgabe 1965; E. Zinner, Gesch. u. Bibliographie d. astronom. Lit. in Deutschland z. Zeit d. Renaissance, 19642; Ders., Die Gesch. d. Sternkunde, 1931; Ders., Astronomie. Gesch. ihrer Probleme, 1951; Ders., Deutsche u. niederländ. astronomische Instrumente d. 11. bis 18. Jhs., 19672; J. L. E. Dreyer, A History of Astronomy from Thales to Kepler, New York 19532; A. Pannekoek, A History of Astronomy, London 1961; Bagrow-Skelton, Meister d. Kartographie, 1963; W. Bonacker, Das Schrifttum z. Globenkunde, Leiden 1960; L. Bagrow, Gesch. d. Kartographie, 1951; H. Harms, Künstler d. Kartenbildes, 1962; A. Fauser, Altere Erdu. Himmelsgloben in Bayern, 1964; Μ. Cantor, Vorlesungen über d. Gesch. d. Mathematik II, 1900 (Nachdr. 1965); D. E. Smith, History of Mathematics, 2 Bde., Boston 1923/25; J. F. Scott, A History of Mathematics, London 19602; D. J. Struik, Abriß d. Gesch. d. Mathematik, 19632; E. Howard, An Introduction to the history of Mathematics, New York 19642; Μ. Curtze, Urkunden z. Gesch. d. Mathematik im MA u. in d. Renaissance, 1902; vgl. auch HB II 779-781. Stein; Rössler; K. Eisenmann, Studien über Voraussetzungen u. Rezeption d. Humanismus in d. Fränk. Territorien Würzburg, Bamberg u. der Markgrafschaft Ansbach-Bayreuth, Diss. Masch.

§ 6‫ך‬. Derfränkische Humanismus im deutschen Rahmen (A. Kraus)

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Würzburg 1953: E· Dünninger, Deutscher u. fränk. Humanismus in Drucken d. 15 u. 16. Jhs. (Mainfr. jb. 12) 1960, 288-292; E. Zinner, Die fränk. Sternkunde im 11. bis 16. Jh. (17. Ber. d. naturforsch. Ges. in Bamberg) 1934; K. H. Burmeister, Sebastian Münster, 19692; Ders., Georg Joachim Rhetikus, 3 Bde., 1967/69; Der Briefwechsel d. Konrad Celtis, hg. v. H. Rupprich, 1934; A. Kraus, Die benedikt. Geschichtsschreibung im neuzeitl. Bayern (StMBO 80) 1969, 205-230

§67. AUSSTRAHLUNG DES FRÄNKISCHEN HUMANISMUS

Keine Landschaft des Alten Reiches, abgesehen von Sachsen und Thüringen mit ihrer dichten Häufung von Universitätsstädten, hat die großen Anregungen der humanistisehen Bewegung mit gleicher Bereitschaft aufgenommen wie Franken; es ist nicht zu gewagt, angesichts des Reichtums an führenden Gestalten dieser Bewegung sowie im Hinblick auf die lebendigen Zentren, welche die fränkischen geistlichen Residenzen und die Reichsstadt Nürnberg bildeten, von Franken als der idealen Heimstätte des Humanismus zu sprechen. Alle wesentlichen Züge im Erscheinungsbild des Humanismus, wie er sich in seiner deutschen Sonderart darstellt, finden sich in besonders markanter Ausprägung bei den Vertretern, die Franken der Welt geschenkt hat. Der deutsche Humanismus war wie der italienische eine elitäre Bildungsbewegung, welche in der Überzeugung, daß sich nur ein einziges Mal, im klassischen Altertum, die Humanität voll und rein geoffenbart habe, und daß deshalb in der Literatur dieser Epoche verpflichtende Normen für die Gestaltung der eigenen Kultur und des eigenen Lebens enthalten seien, darauf gerichtet war, durch die Nachahmung der antiken Form und die Aneignung des geistigen Gehalts der antiken Schriften in der eigenen Zeit die Wiedergeburt von Literatur, Philosophie und Kunst jener idealen Welt zu bewirken.1 Keine andere Epoche zwischen der Väterzeit und der Aufklärung hat so entschieden auf neue Grundlagen in der Erziehung hingearbeitet und so bewußt das ganze Leben auf geistige Bildung abgestellt. Das Bildungsziel dieser pädagogischen Bewegung war jedoch nicht literarisch-wissenschaftlich oder ästhetisch, sondern entsprach der Definition der Humanitas bei Cicero; Celtis nennt einmal die «ratio bene beateque vivendi»,3 immer wieder werden angesprochen: virtus, sapientia, boni mores. Eleganz der lateinischen Diktion, dichterische Gestaltungskraft, literarische Kenntnisse waren nicht Selbstzweck, Beherrschung des Lebens durch Maß und Grenze, in Haltung und Würde erst vollenden die Humanitas. Eines der wichtigsten Kennzeichen der humanistischen Bewegung ist allerdings gerade die individuelle Einstellung zu Geist und Bildung; die disparaten Erscheinungen unter ein gemein1 Diese Definition stammt im wesentlichen von J0ACH1MSEN, Humanismus (s. o. 556) 419; zustimmend W. Näp, Aus d. Forschung z. Gesch. d. deutschen Humanismus (Schweizer Beitrr. z. Allg. Gesch. 2) 1944, 214, ebenfalls Spitz (s. o. 556) 4 f., O. Herding, Probleme d. frühen Humanismus in Deutschland (AKG 38) 1956, 345; vgl. auch K. Burdach, Reformation, Renaissance, Humanismus, 19262, 91 f.;

J. Μ. Romein, Versuche einer neuen Interpretation d. Humanismus (Schweizer Beitrr. z. Allg. Gesch. 18/19) 1960/61, 254-266. 2 In der «Oratio in Gymnasio in Ingolstadio publice recitata»; 1492, hg. v. Rupprich, 1932 (wieder Humanismus, s. o. 556) 228; vgl. dazu auch Seidlmbyer, Celtis (s. u. 562 Anm. 1) 405 ff.

Franken: E. II. Gestalten und Bildungskräfte desfränkischen Humanismus

sames Kennzeichen zu subsumieren ist deshalb kaum möglich, zu bedenken ist ferner, was gern übersehen wird, daß sich die Ausbildung der Gesamtbewegung, und nicht nur in Deutschland, über einen langen Zeitraum erstreckte und über mehrere Phasen hinzog. Der Streit um die Frage der Kontinuität zwischen Mittelalter und Humanismus in Deutschland * erledigt sich, wenn der Humanismus nicht als zeitlose Größe betrachtet wird. Der Einfluß mittelbarer und unmittelbarer Anregungen aus Italien auf die kraftvolle spätmittelalterliche Bildungsbewegung in Deutschland, die sich im Bürgertum zu regen begann und als die sich vor allem das monastische Reformstreben vielfach deuten läßt, hat bis zur Jahrhundertwende aus Eigenem und Fremdem ein neues Ganzes entstehen lassen. Wie sich aus der Analyse dieser Ganzheit selbst und aus ihrer weiteren Entwicklung zeigt, war damit jedoch nicht die Überwindung des Mittelalters angestrebt, so gern auch mit dem Sieg des Humanismus das Ende der Scholastik, das heißt die Befreiung von dogmatischen Fesseln verbunden und der Humanismus überhaupt als eine religiös-politische Freiheitsbewegung gesehen wird.1 2 Die Auseinandersetzung mit der Scholastik war, wenig anders als einst der Einbruch der Scholastik in den Bildungsbetrieb des hohen Mittelalters, großenteils ein Ringen innerhalb der kirchlichen Bildungsträger selbst und ging, wo nicht nur die Generationen um den Besitz der Lehrstühle kämpften, nicht um die Errichtung eines eigenen metaphysischen Systems, nicht um neue Dogmen, sondern um die Verlegung der Schwerpunkte und um die Form der Lehre. Eine grundlegende religiös-weltanschauliehe Auseinandersetzung zwischen Kirche und Humanismus hat in Deutschland nicht stattgefunden, es ging der Mehrzahl der Humanisten im Gegenteil um die Wiederherstellung der rechten Gestalt auch der Kirche.3 In diesem Bestreben haben sie erst jene entscheidende Zustimmung der Nation gefunden, die der gesamten Bewegung in den ersten beiden Jahrzehnten des Sechzehntenjahrhunderts ihre Durchschlagskraft verliehen hat. Daß in Deutschland diese Kraft schließlich in so hohem Maße der Reformation zugute kam, dank der humanistischen Kritik an Klerus und Kurie, dank jener nationalistischen Unterströmung, die von der Abwehr des Überlegenheitsgefühls der italienischen Humanisten bis zur Konstruktion eines germanisch-deutschen Führungsanspruchs ging, darf nicht dazu verleiten, das Zeitalter des Humanismus in Deutschland schlechterdings auf die Bedeutung einer Vorstufe zur Reformation 1 Buck (s. o. 556) 17 ff., 27, jj, 96 (Lit.). 2 Vgl. Ritter (s. o. 556) 9 ff. Besonders kraß (und unhistorisch) sind die Thesen von Paulsen (s. u. 646 Anm. 1) 1 ff, 73 ff, der sowohl die religiöse Komponente des deutschen Humanismus wie den tiefen religiösen Gehalt des Florentiner Platonismus ignoriert, wie auch die These von der Auflösung der Metaphysik bei W. Dilthey (s. o. 556) II 16, 40 ff. Von einer Aufklärungsbewegung spricht auch, im AnSchluß an Joachimsen (s. o. 556), Spitz (s. o. 556) 3, 83, der aber die spätmittelalterliche Reformbewegung zu wenig kennt. Als eine politische Freiheitsbewegung sieht den Humanismus G. Strauss, Nürnberg (s. u. 582), der

betont, der «konservative» Nürnberger Rat habe sich aus Befürchtung um Herrschaft und Ordnung der Rezeption des Humanismus entgegengestellt. 3 Stellvertretend für viele sei angeführt J. Huizinga, Erasmus, Basel 19514; zusammenfassend Spitz (s. o. 556) 268, für Italien Μ. Seidlmeyer, Religiös-ethische Probleme d. italienischen Humanismus (Wege u. Wandlungen d. Humanismus) 1965, 273-294 (Lit.). Auch in Frankreich war diese Strömung stark ausgeprägt, vgl. J. Dagens, Humanisme et Evangilisme chez Lefivre d’Etaples (Courants Religieux et Humanisme ä la Fin du XVe et au Debüt du XVI® Siicle) Paris 1959, 121-134.

§ 6‫ך‬. Derfränkische Humanismus im deutschen Rahmen (A. Kraus)

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herabzudrücken. Die Reformation hat nicht einmal «dem deutschen Humanismus das Grab geschaufelt» (Srbik).1 Ein solches Urteil ist nur möglich, wenn man in Deutschland einen ähnlich vollständigen Sieg des Humanismus in Staat, Gesellschaft und Kirche erwartet wie in Italien. Hier bleiben der Orator, der Poeta und der Philosophus noch lange beherrsehende Gestalten, während in Deutschland eine tiefgreifende Wandlung erfolgt. Die große Gemeinschaft derer, die lateinische Verse machen konnten, zerbrach in den Stürmen der Reformationszeit, die Dichterkrönungen, die den Poeta neben den König stellten, fanden ein Ende, kaum daß man sie auf Deutschland übertragen hatte, die Humanisten als Gesandte (Oratores) machten wieder den gelehrten Juristen und den gewandten Höflingen Platz, schließlich hatte auch die Philosophie nicht weniger als vordem in den Dienst der Theologie zu treten. Das lange Zeit denkbare «Gleichgewicht von Humanismus und Reformation» wie bei Melanchthon2 war nicht zu behaupten gewesen. Was blieb, war eine neue Entwicklungsstufe jenes Bewußtseins vom Eigenwert und der Eigenberechtigung der weltlichen Kultur, das mit der frühen Stauferzeit bereits eingesetzt hatte, parallel dazu eine Steigerung des bürgerlichen Selbstbewußtseins,3 das sich nicht nur auf Reichtum und wachsende politische Macht berufen konnte, wie im Jahrhundert zuvor, sondern jetzt auch auf die Tatsache, daß neben den Kleriker der Bürger als vollgültiger Träger geistiger Bildung getreten war. Die neue Wertschätzung der weltlichen Bildung, die sichtbar wird auch in den Bibliotheken und in den Erzeugnissen der Buchdruckerkunst,4 führte gleichzeitig zu ihrer Institutionalisierung, protestantische Fürstenschulen wie Jesuitenschulen übernehmen das humanistische Bildungsideal, ein völlig neuer Bildungsgrund wird gelegt, der tragfähig blieb bis zur Gegenwart. Eine Steigerung erfuhr vor allem die Rolle der Universitäten. Der Humanismus selbst wird dabei, seit er die philosophischen Fakultäten erobert und sich in der Jurisprudenz durchgesetzt hat, in Wesen und Erscheinungsbild weitgehend umgewandelt, er gerät in gelehrte Bahnen, auch die neulateinisehe Dichtung wird reine Gelehrtendichtung, die humanistischen Zirkel werden überflüssig, der Gedankenaustausch, dem bisher zumeist der geistvolle, elegant geformte Brief diente, vollzieht sich in den gelehrten Abhandlungen, in denen sich der Fachmann an seinesgleichen wendet. Auch diese Verengung des weitgespannten humanistischen Bildungshorizonts ist ein unmittelbares Ergebnis der Entwicklung im Humanismus selbst; das Erwachen des kritischen Geistes im fünfzehnten Jahrhundert führt zur Umwandlung der bisher bereits gepflegten Wissenschaften und zur Entstehung neuer Zweige, neue Methoden bilden sich aus, wachsende StofFmassen kom1 H. v. Sbbik, Geist u. Geschichte 1,1950, 66; ▼gl. auch B. Mobile■, Die deutschen Humanisten u. d. Anfänge d. Reformation (Zschr. f. KG 70) 1959, 47-61; zur Vorstufe der Reformation wird der deutsche Humanismus letzten Endes auch bei Ritte■ (s. o. 556) 35 ff. Vgl. dagegen Bubdach (s. o. 557 Anm. 1) 125 f., J. Huizinga, Das Problem d. Renaissance (Parerga),Zürich-Brüssel 1945,118 f.; W.Kaegi.Human. Kontinuität im konfess. Zeitalter, 1954.

2 Dilthey (s. o. 556) 162. 3 F. Schnabel, Humanismus u. bürgerliches Denken (Neue Rundschau 53) 1942, $47-554. 4 P. Lehmann, Grundzüge d. Humanismus deutscher Lande, zumal im Spiegel deutscher Bibliotheken d. 15. u. 16. Jhs. (Aevum 31) 1957, 255-268; J. Benzing, Die Buchdrucker d. 16. u. 17. Jhs. im deutschen Sprachgebiet, 1963; P. Bissels, Humanismus u. Buchdruck, 1965. Zu einzelnen Bibliotheken s. auch 575 f., 584.

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Franken: E. II. Gestalten und Bildungskräfte desfränkischen Humanismus

men hinzu, beides läßt sich nur nach eingehender Spezialausbildung meistem. Der humanistische Beitrag zur Entwicklung der neuzeitlichen Wissenschaften, besonders der Mathematik und Astronomie, bestand nicht nur in der Bereitstellung von Texten antiker Autoren, sondern auch in der kritischen Schulung, noch mehr wohl im Grundanhegen der Renaissance, der pythagoreisch-platonischen Suche nach Harmonie und rechtem Maß in Leben und Kunst.1 Humanistische Haltung ist zwar mehr als nur Pflege der Wissenschaft, aber der bleibende Einfluß der großen pädagogischen Bewegung des Humanismus läßt sich überzeugend vor allem an den großen Trägem der wissenschaftlichen Entwicklung zeigen. Daß der fränkische Humanismus in jeder Hinsicht, ob es um die werbende Kraft lebendiger Zentren der neuen Bewegung geht, um Begeisterungsfähigkeit für die Ideen der Zeit, um die Eroberung wissenschaftlichen Neulands, ideales Spiegelbild von Wesen und Gestalt des deutschen Humanismus ist, hängt zweifellos damit zusammen, daß Franken, damals noch eine Landschaft ohne Universität, nicht die Abgeschlossenheit einer besonderen Kulturprovinz zeigte, sondern geistige Einflüsse aus allen Richtungen aufnahm, sowohl durch seine Studenten, die gezwungen waren außer Landes zu ziehen, als auch infolge seiner bedeutenden Straßen, die für ein Jahrhundert zu den Hauptschlagadern europäischen Handelsverkehrs geworden waren. Diese Straßen waren es wohl auch, welche das Land zu einer kulturellen Einheit zusammenschlossen, trotz der heftigen politischen Gegensätze. Nicht einmal Ansbach-Bayreuth, das zu allen anderen politischen Gebilden Frankens in ständigem Spannungsverhältnis lebte, vermochte sich völlig abzusondem; sein Territorium unterstand dem kirchlichen und damit auch kulturellen Einfluß der fränkischen Bischöfe, nicht anders als die Reichsstadt Nürnberg, deren enge Beziehungen zu Eichstätt und Bamberg sich gerade im Rahmen der humanistischen Bewegung besonders fruchtbar erwiesen. Franken hat in diesen Jahrhunderten aber nicht nur genommen. Die Ausstrahlung des fränkischen Humanismus auf ganz Deutschland hat auf seine gesamte Richtung tiefgreifenden Einfluß gewonnen, nicht nur durch die Schriften und Briefe, die etwa von Nürnberg ausgingen, mehr noch durch die große Zahl begabter Studenten, die an fremden Universitäten, die sie zum Studium aufgesucht hatten, als Lehrer festgehalten wurden, wie überhaupt dank jener großen Persönlichkeiten unter den führenden deutschen Humanisten, die der fränkischen Erde entstammten. Schon der Auftakt des Humanismus in Deutschland sieht einen Sohn der Reichsstadt Schweinfurt in der vordersten Reihe. Es ist jene Phase des Humanismus, die auf den Konzilien die ersten engen Kontakte mit der italienischen Bildung brachte, in welcher die deutsche Jugend begann, nicht mehr allein um der juristischen Promotion willen, sondern auch aus Interesse für die Studia Humanitatis nach Italien zu ziehen, auch wenn dann noch keine breite Bewegung daraus erwuchs. Es ist jene Phase des Frühhumanismus, die auch den Kampf um die Beherrschung der Universitäten noch nicht kennt. Humanisten dieser Phase stehen im öffentlichen Dienst, bei Fürsten *Vgl. G. Weise, Der Humanismus u. d. Prinzip d. klassischen Geisteshaltung (Zu Be-

griff u. Problem d. Renaissance, hg. v. A. Buck) 1969, 280-325.

§ 67· Derfränkische Humanismus im deutschen Rahmen (A. Kraus)

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oder Städten, sie öffnen das Land erst allmählich dem neuen Einfluß. Zu ihnen gehört auch Gregor Heimburg (1400-1472),1 der in Padua zum Doktor juris utriusque promoviert worden war, aber auch mit den antiken Klassikern vertraut in seine Heimat zurückkehrte. Auch wenn seinem literarischen Werk der eigentliche humanistische Einschlag fehlt, wie auch das humanistische Briefwerk, so zeigen doch seine StreitSchriften und Gutachten in ihrer gesuchten Originalität die bewußte Anwendung der Kunstmittel der antiken Rhetorik, auch die von Enea Silvio an ihm so gerühmte Beredsamkeit war in Deutschland nicht gewöhnlich. Unter die Bahnbrecher des Humanismus in Deutschland rechnet er jedoch nicht.1 2 Im Dienst von Mainz, Nümberg, Würzburg, des Grafen von Tirol und schließlich des Königs von Böhmen stehend, vom Kaiser wiederholt zu Rate gezogen, hat er seit dem Konzil von Basel viel getan, um die Empörung gegen die Kurie in Deutschland ins Maßlose zu steigern, aber er hat nicht versucht, Jurisprudenz und Humanismus zu verschmelzen, wie das einer späteren Generation gelingt. Um so eindrucksvoller ist die Leistung des ersten großen fränkischen Humanisten, der nicht weniger ruhelos von Ort zu Ort zog wie Heimburg, des Mathematikers und Astronomen Johann Müller (1436-1476), nach seiner Heimat Königsberg genannt Regiomontanus.3 Er ist der erste deutsche Astronom, der seine Wissenschaft in kritischen Studien der antiken Mathematik und Astronomie weiterentwickelt hat, angeregt durch seinen Wiener Lehrer Peuerbach und durch den großen Platoniker Kardinal Bessarion, dem er nach Italien folgte, wo er zu Venedig die mathematischen Werke des Diophant entdeckte und mit den führenden italienischen Mathematikern und Astronomen in Verbindung trat. Vorübergehend in ungarischen Diensten, am Hofe von König Matthias und an der Universität Preßburg, ließ er sich 1471 in Nürnberg nieder und eröffnete eine eigene Druckerei, um mathematisch-astronomische Werke herausbringen zu können. Vier Jahre später von Sixtus IV. nach Rom berufen, um bei der geplanten Kalenderverbesserung mitzuwirken, ist er dort gestorben. Einige seiner Äußerungen lassen auf die Vorwegnahme der Erkenntnisse des Kopemikus schließen. Im wesentlichen beruht seine Bedeutung als Astronom auf der konsequenten Anwendung der von Nikolaus von Kues empfohlenen naturwissenschaftlichen Methode der Beobachtung und mathematischen Auswertung der gewonnenen Ergebnisse und auf der Bereitstellung von Observa1 P. J0ACH1MS0HN, Gregor Heimburg, 1891; Voigt, Wiederbelebung (s. o. 556) II 284ff.; Rupprich, Frühzeit (s. o. 556) 44 ff.; E. Meuthen, Die letzten Jahre d. Nikolaus v. Kues, 1958,92 u. ö. (Lit.); Ders., Das Trierer Schisma v. 1430 auf d. Basler Konzil. Zur Lebensgesch. d. Nikolaus v. Kues, 1964,196, 213. Zur Tätigkeit im Dienste Georgs von Böhmen s. BHB I 549· 2 S. u. 584. 1 E. Zinner, Leben u. Wirken d. Johannes Müller v. Königsberg, gen. Regiomontanus, 1938 (Nachdr. 1968); Ders., Entstehung u. Ausbreitung d. Coppemicanischen Lehre, 1943, 101-136; Ders., Einige Handschriften d. Johan36 HdBG III, I

nes Regiomontan (BHVB 100) 1964, 315-323; Drewinc (s. o. 556) 29-59; Newald, Probleme (s. o. 556) 163-181; Regiomontanus u. d. Reichsstadt Nürnberg (Das Bayerland 47) 1936; A. Drbsler, Regiomontans Nürnberger Kalender v. 1474 u. d. erste astronomischmathemat. Verlag (Mitt, aus d. Stadtbibi. Nümberg 8/9) 1959/60; Μ. C. Zeller, The development of trigonometry from Regiomontanus to Pitiscus, Diss. Ann. Arbor 1944; Regiomontanus on Triangles. De triangulis omnimodis, übers, u. hg. v. B. Huches, Univ, of Wisconsin Press 1967 (Lit.); Curtze (s. o. 556) 1185-336 (Briefwechsel); K. Matthäus (Arch. f. Gesch. d. Buchwesens 9) 1968, 965-1396.

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tionsinstrumenten sowie Tabellen zur Auswertung der Ergebnisse. Diese Tabellen, seine zu Nürnberg 1474 gedruckten Ephemerides, die bis 1506 den wahren Ort von Sonne und Mond sowie der Planeten verzeichneten, waren außerordentlich begehrte Hilfsmittel, benützt an den Hochschulen, vor allem bei der Navigation; auchKolumbus und Amerigo Vespucci sollen sich ihrer bedient haben. Nicht weniger groß war seine Bedeutung für die Mathematik; er hat als erster die Trigonometrie systematisch dargestellt und Lösungsvorschläge entwickelt, welche grundlegend geblieben sind. Sicher stellt Regiomontan nicht in jenem vollkommenen Sinn die Idealgestalt des humanistischen Philosophus dar, dazu war er zu einseitig, doch galt er als der größte Astronom seiner Zeit, der größte in einer Wissenschaft also, die dem Humanismus besonders viel verdankt. Identifiziert hat sich die Zeit selbst jedoch nicht mit dem Vertreter irgendeiner Wissenschaft, die stets nur einem Teil der angestrebten großen Schau der Dinge gelten kann, sondern allein mit dem Dichter, der das Ganze schaut und zu gestalten weiß. Als das größte dichterische Genie des deutschen Humanismus, Konrad Celtis (145-1508)1 an die Öffentlichkeit trat, war die Zeit bereits reif, doch daß die Eroberung der deutsehen Universität für den Humanismus gerade durch den Dichter Celtis vollendet wurde, war kein Zufall; der Poeta war jetzt, um 1500, die humanistischeidealgestalt. Celtis (Bickel),2 zu Wipfeld (bei Schweinfurt) geboren, nach langen Jahren des Lernens und Lehrens, die ihn durch nahezu alle deutschen Universitäten führten, nach bewegten Reisen durch viele Länder, bis Florenz und Rom, stand seit 1487 mit der Dichterkrönung durch Friedrich III. zu Nürnberg, der ersten nördlich der Alpen, an der Spitze der deutschen Humanisten; «Erzhumanist» nannte ihn der Biograph Ulrich von Huttens.2 Keiner ist so stürmisch wie Celtis für das neue Bildungsideal eingetreten Der große Propagator des Humanismus hat wohl auch, 1492 in seiner Ingolstädte 1 F. v. Bezold, Konrad Celtis, «der deutsche Erzhumanist», 1959 (erstmals HZ 49, 1883); L. W. Spitz, The Philosophy of Conrad Celtis (Studies in the Renaissance 1) 1954; Ders., Conrad Celtis, The German Arch-Humanist, Cambridge Mass. 1957; Ders., The religious Renaissance (s. o. 556) 81-109; Μ. Seidlmayer, Konrad Celtis (JffL 19) 1959, 395-416; Ders., Wege u. Wandlungen d. Humanismus, 1965, 174-196; Drewing (s. o. 556) 60-124; R. Füllner, Natur u. Antike. Untersuchungen zu Dichtung, Religion u. Bildungsprogramm des Conrad Celtis, Diss. Masch. Göttingen 1956; F. Pindter, Die Lyrik d. Conrad Celtis, Diss. Masch. Wien 1930; V. Gingerich, The Ludus Diane of Conrad Celtes (The Germanic Review 15) 1940, 159-180; A. Schütz, Die Dramen d. Konrad Celtis, Diss. Masch. Wien 1949; H. Kindermann, Der Erzhumanist als Spielleiter. Zum 500. Geburtstag v. Konrad Celtis (Maske u. Kothurn 5) 1959, 33-43; D. Wuttke, Unbekannte Celtis-Epigramme zum Lobe Dürers (ZKG 30) 1967, 321-325;

Ders., Ein unbekannter Einblattdruck mit Celtis-Epigrammen zu Ehren der Schutzheiligen v. Österreich (Arcadia 3) 1968, 195-200. Ausgaben: Quattuor Libri Amorum secundum quattuor latera Germaniae, hg. v. F. Pindter, 1934; Fünf Bücher Epigramme, hg. v. K. Hartfelder, 1881; Libri Odarum quattuor. Liber Epodon. Carmen saeculare, hg. v. F. Pindter, 1937; Ludi Scaenici, hg. v. F. Pindter, Budapest 1945; Der Briefwechsel d. Konrad Celtis, hg. v. H. Rupprich, 1934 (dazu G. Leidinger, ZBLG 8, 1935, 475-480); A. Werminghoff, Conrad Celtis u. sein Buch über Nürnberg, 1921; vgl. auch 586 f. 2 Die Latinisierung beruht auf einem MißVerständnis von Job XIX 24, wie P. Melcher, Die Bedeutung d. Konrad Celtis f. d. Namenforschung (Namenforschung. Festschr. A. Bach) 1965, 160-167 gezeigt hat; statt «celte» muß es in der Vulgata nach den besten Hss. «certe» heißen. 2 D. F. Strauss, Ulrich v. Hutten, 1858/60 *.

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Antrittsvorlesung, die tiefste und gleichzeitig eleganteste Begründung für die humanistischen Studien in Deutschland geboten.1 Mit ihm beginnt die humanistische Glanzperiode an der Universität Ingolstadt, wie auch die Universität Wien, die ihn 1497 berufen hatte, einen neuen Aufschwung nahm. Sein hinreißender Enthusiasmus, der sich vor allem am Gedanken auch der kulturellen Ebenbürtigkeit der Deutschen mit den Italienern entzündete und nicht wenig beitrug zur Weckung des deutschen Nationalbewußtseins,123machte jedoch halt vor dem großen Anliegen der Nation, der Reform der Kirche. Nicht zuletzt deshalb wurde er bald vergessen, so tief angelegt auch, trotz seines Spottes über den Klerus und seines eigenen lockeren Wandels, seine neuplatonisch beeinflußte Naturfrömmigkeit auch war. Seine eigene Zeit hat ihn hochgeschätzt wegen der reichen Anregungen, die von ihm ausgingen. Sie betrafen die Erforschung des deutschen Altertums, die Ausarbeitung einer Germania illustrata nach dem großen Vorbild der Italia illustrata des Flavius Blondus (1458), für die Celtis mit seiner Ausgabe des Ligurinus (1507) und mit der Auffindung der Tabula Peutingeriana selbst Material bereitstellte und für die er in seiner «Norimberga» (1502) ein erstes Muster schuf. Gerade dieses Werk zeigt jedoch, neben der Größe des Celtis, auch seine Grenzen; die Beschreibung der Reichsstadt Nürnberg, welche die ganze lebendige, bunte Gegenwart der Stadt einfängt, ist ohne historische Tiefe. Seine Stärke war nicht die Wissenschaft, sondern das Lied. Seine Oden (1513), obgleich oft wörtliche Übernahme ganzer Verse aus Horaz, sind Liebesgedichte, die nicht selten tiefer empfunden sind als die Vorbilder, fremde Bestandteile und das eigene Werk verschmelzen zu neuer Einheit; auch in den «Amores» (1502), jener Nachahmung des Ovid, in welcher erotische Dichtung, Reiseerinnerungen und geographische Anmerkungen zu einem ungewöhnlichen Gebilde zusammengefügt sind, herrscht lebendige Anschauung und individuelle Empfindung. Auch als Dramatiker versuchte sich Celtis, der in seinen Vorlesungen die Tragödien Senecas interpretierte und der 1501 die zu St. Emmeram in Regensburg gefundenen Dramen der Roswitha von Gandersheim herausgab. Sein «Ludus Dianae», 1307 vor Kaiser Maximilian I. aufgeführt, hat jedoch nichts gemein mit dem antiken Drama, sondern ist eine locker gefügte Folge von Szenen, ein allegorisches Spiel, das bereits hinführt zum barocken Jesuitentheater. Celtis war nur schwer in hergebrachte Ordnungsformen zu binden, doch hat gerade sein Wirken am meisten dazu beigetragen, die humanistische Bewegung institutionell zu festigen, mit dem Ergebnis, daß dem Humanismus die Zukunft gehörte, nämlich die Schulen. Nicht von Dauer war dagegen der zeitweilige Einfluß bedeutender Humanisten auf die Gestaltung der fürstlichen Politik, wie er bei Reuchlin begegnet oder bei Johannes Cuspinian (1473-1529)? Aus Schweinfurt stammend, mit dem bürgerlichen Namen Spießheimer, war er, für seine Person, wohl am höchsten 1 S. o. 557 Anm. 2. 2 L. Sponagel, Konrad Celtis u. d. deutsche Nationalbewußtsein, 1939. 3 H. Ankwicz-Kleehoven, Der Wiener Humanist Johannes Cuspinian. Gelehrter u. Diplomat z. Zeit Kaiser Maximilians I., 1959; 36*

DasTagebuch d. Cuspinian, hg. v. H. AnkwiczKleehoven (MIÖG jo) 1909, 280-326; Johann Cuspinian! Briefwechsel, hg. v. dems., 1933; Documenta Cuspiniana, hg. v. dems. (AOG 121) 1957, 181-331; A. Lhotsky, Osterreichische Historiographie, 1962, 6$ ff.

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emporgestiegen unter den bürgerlichen Humanisten Deutschlands, bis zum Rat des Kaisers. Er glänzte nicht nur als Orator, sondern seinem staatsmännischen Blick und seinen diplomatischen Fähigkeiten war auch die Doppelhochzeit von 1515 zu danken, welche die Grundlage legte für die Monarchie Ferdinands I. Unter Maximilian I. war ein solcher Aufstieg für einen Humanisten möglich; Cuspinian, der zunächst an der Domschule in Würzburg tätig gewesen war und 1492 nach Wien ging, um dort Medizin zu studieren, der 1493 aus der Hand des Kaisers den Dichterlorbeer empfangen hatte, dann an der Universität Wien über Poesie und Rhetorik las, seit 1499 auch über Medizin, war bald die hervorragendste Erscheinung im historisch orientierten Humanistenkreis um Maximilian I. Der kaiserliche Befehl öffnete ihm die Archive und Bibliotheken für seine Editionen und Geschichtswerke, welche die antike und die byzantinische Kaiserzeit ebenso umspannten wie das deutsche Mittelalter. Am wichtigsten waren unter seinen Editionen wohl die Ravennatischen Consularfasten und Otto von Freising (1514). Seine bedeutendsten Werke erschienen erst nach seinem Tod: das bis zu Maximilian I. reichende Kaiserbuch (De Caesaribus atque Imperatoribus Romanis) 1540, das Buch über die römischen Konsuln (De Consulibus Romanis Commentarii), die Liste der Konsuln bis 519 mit einem ungemein reichen und gelehrten Kommentar, zusammen mit der Austria, der Landesbeschreibung Österreichs, 1553. Ausgedehnte Quellenkenntnis zeichnet all diese Werke in besonderem Maße aus, die kritische Würdigung der Quellen führt bereits über in eine neuehistoriographische Epoche, so tief Cuspinian auch durch seine Gestaltung der Kaiserviten als moralische Exempel der humanistischen Tradition seit Petrarca und Boccaccio verhaftet war. Cuspinian zählte in der universalen Spannweite seiner geistigen Interessen unter die wenigen Idealgestalten der humanistischen Bewegung, doch in engerem Bereich haben auch andere fränkische Gelehrte der Zeit Einfluß genommen auf die allgemeine Geistesentwicklung in Deutschland. Dazu gehört Adam Riese (1492-1559), der «Rechenmeister des deutschen Volkes» aus Staflelstein,1 dessen klassisches Rechenbuch «Rechnung nach der Lenge auff den Linichen und Feder» (1550) noch im sechzehnten Jahrhundert etwa 94 Auflagen erlebte. Riese war kein Humanist, aber er hat die Wissenschaft, die im humanistischen Zeitalter ihren bedeutendsten Aufschwung erlebte, durch den pädagogischen Aufbau seiner Bücher weitesten Kreisen zugänglich gemacht. Kaum weniger bedeutend, von den Zeitgenossen zum Teil neben Regiomontan gestellt, war der Rechenmeister Simon fakob aus Coburg (j2,(1564 ‫ ־‬der in Frankfurt wirkte. Johann Böhm3 aus Aub a. Gollach steht am Anfang der deutschen Volkskunde als systematischer Wissenschaft. Er war Humanist; allgemeine Bedeutung erlangte er durch seinen Versuch von 1520 (Omnium Gentium Mores, Leges et Ritus), die Lebensgrundlage, die Bräuche und die Gesetze aller Völker Afrikas, Asiens und 1K. Vogel, Adam Riese, der deutsche Rechenmeister, 1959; W. Roch, Adam Ries, des deutschen Volkes Rechenlehrer, 1959; F. Deubnbr, Adam Ries, der Rechenmeister d. deutschen Volkes (Zschr. f. Gesch. d. Naturwiss., Technik u. Medizin 1) 1960, 11-44 (Lit.); vgl. auch Sudhoffs Archiv 1970.

2 Krieg (s. u. 580) I 51 f. 3 E. L. Schmidt, Johannes Böhm aus Aub. Die Entstehung d. deutschen Volkskunde aus d. Humanismus (ZBLG 12) 1939/40, 94-111; Ders., Deutsche Volkskunde im Zeitalter d. Humanismus u. d. Reformation, 1904, 60 ff.

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Europas zu untersuchen und in einem Buch zusammenzustellen, das dreißig lateinisehe und zahlreiche Auflagen in Französisch, Englisch und Italienisch erlebte. Das literarische Vorbild dafür waren die kosmographischen Werke des Enea Silvio, an Prägnanz kam Böhm, etwa in seiner meisterhaften Schilderung des taciteischen Deutschland, über sein Vorbild hinaus. Neben ihm verblaßt eine Gestalt wie Christophorus Hoffmann (Ostrofrancus)1 aus Rothenburg, der Geschichtsschreiber des Klosters St. Emmeram und der Bischöfe von Regensburg. Nach 1520 ist Böhm verstummt; bei jener Generation um 1500, für welche nicht mehr der Humanismus die Verlockung des Neuen darstellte, sondern die Reformation, zeigen vor allem viele Kleriker ein ähnliches Bild: Katechese und Polemik verdrängen die humanistischen Interessen, nur selten bewährte sich etwa der historische Sinn des Humanisten auch unter den mächtigen Eindrücken der Zeitwende von 1520 und wird dann der Geschichte eben dieses Umbruchs zugewendet, wie bei Spalatin, Funck und Myconius auf der Seite Luthers, bei Cochlaeus auf der Gegenseite. Georg Burckhardt aus Spalt, genannt Spalatin (1484-1545)/ war die bedeutendste Gestalt aus diesem Kreis, als Sekretär und Hofkaplan Friedrichs d. W. nicht wegzudenken aus den politischen und organisatorischen Anfängen der Reformation, schließlieh auch ihr erster Geschichtsschreiber, auch wenn dann die «Annales Reformationis» erst 1718 in Druck erschienen sind. Als Student dem Erfurter Humanistenkreis zugehörig, hat Spalatin die historiographischen Neigungen seiner Anfänge, die schon 1510 den offiziellen Auftrag des Kurfürsten zur Abfassung einer sächsischen Chronik zur Folge hatten, bewahrt bis zu den Jahren weitgehender Muße nach dem Tode Friedrichs d. W., die wichtigste Frucht war neben den Annalen die «Chronica und Herkörnen der Kurfürsten und Fürsten des löblichen Hauss zu Sachsen» (1541). Wie Aventin und Albert Krantz, doch ohne ihren weiten Blick und ihr Verständnis für das Ganze, auch ohne ihre Gestaltungskraft, hat Spalatin ein reiches Quellenmaterial durchgearbeitet, das auch allein seinen Werken Dauer verliehen hat. Ohne allgemeine Bedeutung waren die Werke zur Reformationsgeschichte aus der Feder des Reformators von Thüringen Friedrich Myconius (f 1546),3 der aus Lichtenfels stammte, und des Johann Funck (f 1566)4 aus Wöhrd, der im Dienste Albrechts von Preußen 1 B. Bischoff, Studien z. Gesch. d. Klosters St. Emmeram im Spätmittelalter 1324-1525 (StMBO 65) 1953/54,167-187 (wieder: Mittelalterl. Studien Π, 1967); O. Kbonsedeb, Christophorus Hoffmann, gen. Ostrofrancus, 1899; A. Kraus, Die Bibliothek v. St. Emmeram, Spiegelbild d. geistigen Bewegungen d. frühen Neuzeit (Thum- u. Taxis-Stud. 7) 1971, 7; W. Ziegler, Das Benediktinerkloster St. Emmeram zu Regensburg in d. Reformationszeit (ebd. 6) 1970, 178 ff. 11. Höss, Georg Spalatin 1484-1545. Ein Leben in d. Zeit d. Humanismus u. d. Reformation, 1956; H. Volz, Bibliographie der im 16. Jh. erschienenen Schriften G. Spalatins (Zschr. f. Bibliothekswesen 5) 1958, 83-119;

Der Abendmahlstraktat Spalatins v. 1525, hg. v. E. O. Reichest (N. Zschr. f. syst. Theol. 1) 1959, 110-137; W. Ulsamer, Spalatins BeZiehungen zu seiner fränk. Heimat (JffL 19) 1959, 425-479; W. Flach, Georg Spalatin als Geschichtsschreiber (Zur Gesch. u. Kultur d. Elb-Saale-Raumes. Festschr. W. Möllenberg) 1939, 211-230. 3 P. Scherffig, Friedrich Myconius, 1909; H. U. Delius, Friedrich Myconius, 1959; Der Briefwechsel des Friedrich Myconius, hg. v. H. U. Delius, 1960. 4 E. Gebauer, Zwei Missionen d. Hofpredigers Μ. Johannes Funk an Herzog Albrecht d. Aelteren (N. Preuß. Provinzialbll. 9) 1850, 218-224; Menke-Glückebt (s. o. 556) 65.

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umkam. Vielleicht hätte eine andere Zeit in Spalatin jene Anlagen reicher zur Entfaltung kommen lassen, die ihm anfangs einen Platz unter den ersten Humanisten zu sichern schienen, bei Cochläus (1479-1552) * dürfen wir das sicher annehmen. Johannes Cochläus (Dobeneck) stammte aus Wendelstein nahe Nürnberg, 1510 wurde er dort Rektor der Schule zu St. Lorenz, hier entfaltete er seine ganze pädagogische und wissenschaftliche Begabung im Dienste der Schule. £r verfaßte £inführungswerke in Sprache und Kultur der Antike; von Bedeutung für die Aufnahme des Unterrichts in Geographie war seine Edition der Kosmographie des Pomponius Mela mit dem berühmten Anhang der «Brevis Germaniae descriptio» (1514), dem ersten Versuch einer geographisch-historischen Beschreibung Deutschlands. Als Begleiter der Neffen Pirckheimers ging Cochläus 1515 nach Italien, wurde dort zum Priester geweiht, kam in Verbindung mit einflußreichen Persönlichkeiten der Kurie und trat, anfangs von Luther begeistert, seit 1520 in wachsender Schärfe politisch wie literarisch gegen ihn auf, seit 1528 als Hofkaplan Georgs von Sachsen, nach dessen Tod als Domherr von Breslau. Zeitweilig weilte er auch in Eichstätt. Er wirkte 1530 bei der Abfassung der Confutatio mit wie bei den großen Religionsgesprächen; von seinen zahlreichen meist polemischen und theologischen Werken haben am stärksten nachgewirkt die «Commentaria de actis et scriptis Martini Lutheri» (1549), der unerbittliche Versuch, Luther durch die Geschichte seines Lebens und die Analyse seiner Schriften als Zerstörer der Kircheneinheit zu erweisen. Cochläus hat dabei ein Zerrbild geschaffen, doch sind die von ihm benutzten Originalzeugnisse nicht verdreht und verfälscht,1 sondern nur aus ihrem Zusammenhang gerissen und ohne Verständnis für die Grundanliegen Luthers interpretiert. Nicht an Gelehrsamkeit, doch an kirchenpolitischer Bedeutung ebenbürtig war Cochläus der Wiener Bischof Friedrich Nausea (1490-1552)3 aus Waischenfeld nahe Forchheim, der nach humanistischen Anfängen in Italien ebenfalls völlig im religiösen Ringen der Zeit aufging und als Sekretär des Kardinallegaten Lorenzo * H. Jedin, Johannes Cochlaeus (Schles. Lebensbilder 4) 1931, 18-28; G. v. Kress, Die Berufung d. Johannes Cochläus an d. Schule bei St. Lorenz in Nürnberg im Jahre 1510 (MVGN 7) 1888, 19-38; A. Herte, Die Lutherbiographie d. Johannes Cochläus, 1915; Ders., Die Lutherkommentare d. Johannes Cochläus. Krit. Studie z. Geschichtsschreibung im Zeitalter d. Glaubensspaltung, 1935; Ders., Das kath. Lutherbild im Banne d. Lutherkommentare d. Cochläus, 1943; J. Lortz, Die Reformation in Deutschland I, 19483, 261 ff.; Π 154-160; H. Jedin, Gesch. d. Konzils v. Trient I/II, 1951’/57; K. Langosch, Zur Germania des Johann Cochlaeus (Liber Floridus. Mittellat. Studien, Festschr. P. Lehmann) 1950, 373-384; F· W. Kantzenbach, Das Ringen um d. Einheit d. Kirche, 1957, 143-150; Ausgaben: Brevis Germaniae descriptio (1512), hg. v. K. Langosch, 1960.

1 Das betonen zu Recht H. Jedin, Wandlungen d. Lutherbildes in d. kath. KirchengeSchichtsschreibung (Wandlungen d. Lutherbildes. Stud. u. Ber. d. Kath. Akad. in Bayern 36) 1966, 82 f.; und R. Bäumer, Adolf Herte. Seine Verdienste um d.ReformationsgeschichtsSchreibung (Theol. u. Glaube 4/5) 1970, 383, 385. ‫ נ‬L. Cardauns, Zur Gesch. d. kirchl. Unionsu. Reformbestrebungen 1538/42, Rom 1910, 25-31, 131-138; Jedin, Trient (s. o. Anm. 1) I 301 f. u. ö.; H. Gollob, Friedrich Nausea. Probleme d. Gegenref., 1952; Dies., Der Wiener Bischof Friedrich Nausea (Wiener Geschichtsbll. 22) 1967, 139-144; H. Jedin, Das konziliare Reformprogramm Friedrich Nauseas (HJb. 77) 1958, 229-253; Briefe: Epistolarum miscellanearum 1. X, Basel 1550; W. Friedbnsburg, Beitrr. zum Briefwechsel d. kath. Gelehrten Deutschlands im Ref.zeitalter VII (Zschr. f. KG 20/21) 1900/01.

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Campeggio wie als Ratgeber Ferdinands I. um das Konzil als wichtigstes Mittel für die Reform der Kirche und die Wiedervereinigung zugleich bemüht war (Rerum Conciliarium libri V, 1538). Zu Trient ist er dann gestorben. Wie sich zeigt, sind alle Wandlungen des deutschen Humanismus im Schicksal und im Werk auch seiner fränkischen Vertreter abzulesen, selbst wenn es sich nur um jene Ausnahmen handelt, denen die Heimat nicht das erwünschte Wirkungsfeld bot. Mochte die große Welle des Humanismus auch bald nach 1520 schon einmünden in die reformatorische Bewegung, so war sie doch jetzt schon kräftig genug, ihren wichtigsten Wesenszug zu behaupten, den unbedingten Anspruch auf Durchsetzung des klassischen Bildungsideals an den Schulen. Dieses Ziel setzte die endgültige Etablierung der klassischen Studien an den Universitäten voraus, in der Tat treffen wir nach 1500 an den deutschen Universitäten allenthalben Lehrstühle Jur Rhetorik und Poetik, die künftigen Lehrstühle der klassischen Philologie. Fränkische Humanisten sind auch an dieser Durchdringung der Universität mit humanistischem Geist führend beteiligt,1 in Wien nach Celtis und Cuspinian Andreas Misbeck aus Mergentheim, der eine große Reihe von klassischen und patristischen Werken herausgegeben hat, in Wittenberg lehrte Paul Eber (1511-1569)/ der aus Kitzingen stammte und das Nürnberger Gymnasium besucht hatte, Grammatik und lateinischen Stil. Als Sekretär Melanchthons hatte er Eingang in den Lehrkörper der Universität gefunden, zuletzt war er Generalsuperintendent zu Wittenberg. Sein «Calendarium historicum» (1550), das auf Anregung Melanchthons entstand, eine Übersicht über die wichtigsten historisehen Ereignisse mit möglichst genauem Datum, leitete geradezu eine neue historische Gattung ein. Hieronymus Ziegler (1514-1562)3 aus Rothenburg, der Herausgeber der Annalen Aventins, lehrte nach kurzem Zwischenspiel zu St. Anna in Augsburg seit 1540 zu Ingolstadt; von ihm stammen klassische Editionen, Übersetzungen unddramatische Schöpfungen zum Schulgebrauch. Leipzig war besonders bevorzugt. Schon Celtis hatte sich dort versucht; vor der Jahrhundertwende lehrte dort Ivo Wittich (j1507 ‫ )״‬aus Hammelburg, der Herausgeber der Epitomata des Lucius Florus und erster Übersetzer des Livius, nach ihm Georg Dott (j1537 ‫ )״‬aus Meiningen, der Senecas ■ Dazu Rupprich, Humanismus (s. o. 556); Lit. auch bei Ritter (s. o. 556) 14; G. Bauch, Die Rezeption d. Humanismus in Wien, 1903; J. Aschbach, Gesch. d. Wiener Universität, 3 Bde., 1865/88; W. Friedensburg, Gesch. d. Universität Wittenberg, 1917; G. Bauch, Die Universität Erfurt im Zeitalter d. Fnihhumanismus, 1904; F. W. Kampschulte, Die Universität Erfurt in ihrem Verhältnis zu dem Humanismus u. d. Reformation, 2 Bde., 1858/60; P. Kalkoff, Humanismus u. Reformation in Erfurt, 1926; H. Abe, Der Erfurter Humanismus u. seine Zeit, Diss. Masch. Jena 1953; F. W. Krapp, Der Erfurter Mutiankreis u. seine Auswirkungen, Diss. Masch. Köln 1954; J. Haller, Die Anfänge d. Universität Tübingen (1477-1537). 2 Bde., 1927.

2 G. Buchwald, D. Paul Eber, der Freund, Mitarbeiter u. Nachfolger d. Reformatoren, 1897; J. Kirchner, Paul Eber, der Schüler Melanchthons (Beitrr. z. Lit gesch. 42) 1907; E. Celani, Un Calendario di Paolo Eber (La Bibliofilia 15) 1913/14, 365-374; Th. Wotschke, Paul Ebers märkischer Freundeskreis (Arch. f. Ref.-Gesch. 28/29) 1931/32· 3 K. Prantl, Gesch. der Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt, Landshut, München II, 1872, 494 f.; K. Goedekb, Grundriß z. Gesch. d. deutschen Dichtung II, 1886, 137; A. Sperl, Castell, 1908, 94-96; K. Köberlin, Gesch. d. Human. Gymnasiums bei St. Anna in Augsburg, 1931,40; Buchner, Schulgesch. 25.

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«De beata vita» (1496) herausgab und Aristoteles ins Lateinische übersetzte, schließlieh Veit Werler aus Sulzfeld, der Herausgeber des Plautus, Lukian und Valerius Maximus, oder Johann Beussel aus Rothenburg, der Dichter des Riesenepos «Musithias», das für eine Weile in den Lehrplan der Leipziger Universität aufgenommen wurde. Auch die glänzendste Humanistenpersönlichkeit an der Universität Leipzig, der bedeutendste deutsche Gräzist seines Jahrhunderts, Joachim Camerarius (1500 bis 1574),1 berühmt auch als Dichter und Geschichtsschreiber, kam aus Franken. Er stammte aus Bamberg, sein Vater Joachim Kammermeister war dort Ratsherr. Nach Studienjahren zu Leipzig, Erfurt und Wittenberg, die gleichzeitig bereits Lehrjahre waren, trat er 1526 auf Empfehlung Melanchthons die Leitung des Gymnasium Aegidianum in Nürnberg an, 1536 folgte er einem Ruf nach Tübingen, das durch ihn neben Oxford zu einem Zentrum humanistischer Studien wurde, seit 1541 lehrte er in Leipzig. Camerarius hat vor allem dem wissenschaftlichen Studium des Griechischen in Deutschland Bahn gebrochen durch reich und scharfsinnig kommentierte Ausgaben; die wichtigsten betreffen Homer, Sophokles, Theokrit, Herodot, Thukydides und Galen. Auch die lateinische Philologie verdankt ihm Anregungen sowie kritische Editionen. Als Dichter meisterte er mit besonderem Erfolg die kleine Form der Idylle. Auch dem Geschichtsschreiber gelang nicht so sehr die große Gestaltung, etwa die Geschichte des Schmalkaldischen Kriegs (in Griechisch) oder die Geschichte der böhmischen Brüder, die apologetischen Zwecken diente, als die Biographie. Hier war er Meister; unter den Lebensbeschreibungen von zeitgenössischen Fürsten und Humanisten beeindruckten vor allem die seiner Freunde Melanchthon und Eobanus Hessus. Worauf es ihm ankam, konnte er hier zeigen, Studium als Weg zur sittlichen Bildung, Humanismus als Einheit von Pietas, Doctrina und Virtus. Große Gestalten wie Camerarius haben den Sieg des Humanismus auf den deutsehen Schulen entschieden. Wie vollkommen dieser Sieg war, zeigt die Durchdringung auch der übrigen Fakultäten mit humanistischem Geist. In Tübingen lehrte ein Astronom aus Nürnberg, Johannes Stöffler (1452-1531)/ auf der Grundlage des Ptolemaios, dessen Angaben für Deutschland er für die Kosmographie seines Schülers Sebastian Münster als erster berichtigte und ergänzte. Seine astronomische Vorhersage der großen Sintflut 1524 hat jedoch seinen Ruhm geschmälert. Der Astrologie ergeben war auch der Mediziner Martin Pollich (1450-1513)’ aus Mellrichstadt, Professor zu Leipzig, dann Leibarzt Friedrichs d. W. und erster Rektor zu Wittenb erg. Sein Ein1 E. Kroker, Aufsätze z. Stadtgesch. u. Reformationsgesch., 1929, 113-120; F. Stählin, Humanismus u. Reformation im bürgerl. Raum. Untersuchung der biogr. Schriften d. Joachim Camerarius, 1936; Rössler, 166-176; Dilthey (s. o. 556) II 114, 163; H. Wendorf, Joachim Camerarius 1500-1574 (Herbergen d. Christenheit 2) 1957, 34-84; Briefe: Epistolae familiares, Frf. 1583; Novus libellus epistolarum, Frf. 1568; Epistolae familiares (posth.), Frf. 1595; Briefe vonj. Rhctikus: Burmeister, Rhetikus (s. o. 557).

2 Burmeister, Münster (s. o. 557) 27; K. Kesten, Copemicusu. seine Welt, 1948, 23 8. 3 Zinner, Fränk. Stemenkunde (s. o. 557)95 K. Sudhoff, Die medizin. Fakultät zu Leipzig im ersten Jahrhundert d. Universität, 1909, 131 ff.; T. Grüneberg, Martin Pollich v. Mellerstadt, d. erste Rektor d. Wittenberger Universität (450 Jahre Martin-Luther-Univ. I) 1952, 87-92; G. Eis, Martin Pollichs Vorhersage für 1490 (Libri 4) Copenhagen 1954, 103-128; Ruppricii, Briefwechsel (s. o. 557) i 11. ö.

§ 68. Humanistische Zentren (A. Kraus)

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fluß war bedeutsam für die Rezeption von Hippokrates und Galen, er war befreundet mit Celtis und versuchte sich auch als Dichter. In Wittenberg lehrten für kurze Zeit auch die Nürnberger Juristen Apel und Scheurl, die sich beide zum Humanismus bekannten. Scheurl wie Apel kehrten nach wenigen Jahren akademischer Tätigkeit wieder nach Nürnberg zurück, Regiomontan, Celtis, Cochläus, Camerarius, Cuspinian haben auch, zum Teil Jahre hindurch, in ihrer engeren Heimat gewirkt. Das Fehlen von Universitäten im fränkischen Raum bedeutet nicht, daß er ein Raum ohne eigene Kulturzentren und ohne eigene Bildungstradition war. Franken hat die Geschichte des deutschen Humanismus nicht nur mitgestaltet durch die großen Persönlichkeiten, die an Höfen und Universitäten die neue Bildungsidee durchgesetzt haben, es hat auch ein Beispiel gesetzt durch die zum Teil außerordentliche Entfaltung des neuen Geistes in den großen Zentren des Landes, den Bischofsstädten und in der Reichsstadt Nürnberg.

§68. HUMANISTISCHE ZENTREN. GEISTLICHE UND WELTLICHE

RESIDENZSTÄDTE

Die fränkischen Humanisten, die an den großen Brennpunkten des geistigen Ringens ihrer Zeit wirkten, außerhalb ihrer Heimat, wird man weder in ihrer Lebensführung noch in ihrer geistigen Eigenart als typische Vertreter einer fränkischen Sonderentwicklung des Humanismus bezeichnen wollen. Bemerkenswert ist jedoch, daß sich, im Gegenteil, nahezu alle denkbaren Erscheinungsformen humanistischer Haltung bei ihnen zeigten. Das wird nicht verwundern, wenn man bedenkt, daß in der Fremde alle Bezogenheit auf die heimische Umwelt, damit alle Beschränkung und Einengung wegfiel, daß sich die persönliche Entwicklung in einem weit geöffneten Freiheitsraum vollzog, der kaum andere Grenzen aufwies als solche der eigenen Fähigkeiten. In den vielen Bedingtheiten der heimischen Existenz herrschten andere Entwicklungsgesetze; die geistlichen und weltlichen Fürstenhöfe boten wenig Anreiz, noch weniger Entfaltungsmöglichkeit für humanistische Literaten, hier brauchte man den Staatsmann und geschulte Verwaltungsfachleute, juristisches Können also, für die Domschulen genügten Lehrer mit traditionellen Kenntnissen, nur ein Sitz im Domkapitel bot in der Regel genug Muße für sorgenfreien Umgang mit der geistigen Welt der Alten. Auch die Klöster, einst nahezu die einzigen Träger klassischer Bildung, bedurften für ihre geistlichen Zwecke einer intensivierten Beschäftigung mit den Schriften des Altertums nicht. Es fehlten also wesentliche soziologische Voraussetzungen für eine selbstverständliche Blüte des Humanismus im geistlichen und fürstlichen Franken, es fehlte die Universität, es fehlte das bürgerliche Bedürfnis, durch gehobene Bildung dem Adel und Klerus ebenbürtig gcgcnübcrtrctcn zu können. Trotzdem kann jene fränkische Landschaft, die vom Lauf des Main, von Rhön und Frankenwald sich bis Eichstätt und nahe an die Donau erstreckt, welche die alten Hochstifter Würzburg, Bamberg und Eichstätt und die fränkischen Fürstentümer wie das Herzogtum Cobürg umschließt, den Vergleich mit nahezu jeder anderen deutschen Landschaft der

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Zeit bestehen, soweit es Aufgeschlossenheit gegenüber dem Humanismus, intensive Erfassung und Mitgestaltung der neuen Bildungsidee betrifft. Obwohl insgesamt die deutschen Klöster wenig Begeisterung für die Rezeption des Humanismus aufbrachten, waren in Franken doch wenigstens die bedeutendsten Klöster bereit zu jenem Maß an intensivierter Wissenschaftspflege, welche das Reformprogramm der jeweiligen Orden vorschrieb; die Windesheimer Reform (Holland) hatte 1458 im Stift Rebdorf Fuß gefaßt, die Benediktinerklöster am Main traten der Bursfelder Kongregation bei. Bezeichnend ist, daß es jeweils die Förderer des Humanismus unter den Fürstbischöfen waren, die sich auch mit Nachdruck für die Einführung der Klosterreform (s. HB II § 119) einsetzten, Johann von Eych in Eichstätt, Georg von Schaumberg in Bamberg, Peter von Schaumberg in Augsburg.

a) Fürstbistum Eichstätt A. Strauss, Viri scriptis, eruditione ac pietate insignes, quos Eichstadium vel genuit vel aluit, 1799; J. G. Suttner, Bibliotheca Eystettensis diözesana, Progr. Eichstätt 1866/67; Sax; Buchner; SaxBleicher; Buchner, Schulgesch.; Rupprich (s. 556) Frühzeit, 25-31; F. Heidingsfelder, Die Zustände im Hochstift Eichstätt am Ausgang d. MA, 1911.

Wenn auch die drei fränkischen Bistümer miteinander enger verbunden waren als mit anderen, etwa dadurch, daß die gleichen Geschlechter in den Domkapiteln saßen, zum Teil sogar die gleichen Kleriker in zwei oder allen drei Domkapiteln gleichzeitig, so waren doch auch die Unterschiede spürbar; Eichstätt, dessen Bischof Kanzler der Universität Ingolstadt war, zu dessen Diözese ein großer Teil des nördlichen Bayern gehörte, stand in engerer Verbindung zum Herzogtum Bayern als die Bistümer am Main, auch liefen viele Fäden hinüber zum benachbarten Augsburg, ja selbst bis Wien. Dorther kam der erste große Förderer des Humanismus auf dem Stuhl des Hl. Willibald, Johann von Eych,1 Bischof von 1445 bis 1464. Nach Studien in Italien war er 1435 Professor für kanonisches Recht in Wien geworden, dann Kanzler der Herzöge Albrecht V. und Albrecht VI. wie österreichischer Gesandter zu Basel, dort und später zu Wien war er in enge Beziehungen zu Enea Silvio getreten, der ihm seinen Traktat «De miseriis curialium» widmete. Mit Nikolaus von Kues arbeitete er bei seinem energisch vorangetriebenen Reformprogramm zusammen, ebenfalls mit dem Bewunderer des Cusanus, dem Tegemseer Prior Bernhard von Waging, mit dem er um 1460 eine echt humanistische literarische Fehde austrug über den Gegensatz von Seelsorge als Sorge für den Menschen und Weltflucht. Er bildete den Mittelpunkt eines Humanistenkreises, der freilich literarisch und wissenschaftlich nicht von sich reden machte.1 Domherr zu Eichstätt war auch Bernhard Adelmann von Adelmannsfelden 1 Aschbach (s. o. 567) I 583 f., 607; V. RedTegernsee in d. deutschen Geistesgesch. im 15. Jh., 1931, 112 u. ö.; J. Lechner, Die spätmittelalterl. Handschriften d. Abtei St. Walburg, 1937, 2-8; Μ. Grabmann, Bernhard v. Waging (SB München 60) 1946, 82-98; R. Wilpert, Vita contemplativa u. vita activa (Festschr. Bischof Landesdorfer) 1953,209-226; lich,

J. Koch, Nikolaus v. Cues u. seine Umwelt (SB Heidelberg) 1948, 19 f., 121; Meuthen, Die letzten Jahre (s. o. 561) 232 u. ö. Korrespondenz mit Enea Silvio: FRA LXI nrr. 79, 166, 190; LXVII nr. 43. 2 Zu nennen wäre vielleicht der Kanzler Johann Mendel (j1484 ‫ )־‬aus Amberg, der in Wien einst Vorlesungen über klassische Au-

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(1457-1523),1 ein Humanist der nächsten Generation, 1498 wurde er auch ins Augsburger Domkapitel berufen. Er gehörte zu den Bewunderern Reuchlins und des Erasmus, war befreundet mit Pirckheimer und stand schon vor 1517 in Spannung zu Johann Eck. Er vermittelte Ecks «Obelisci» an Luther, gab 1519 die Gegenschrift des Oekolampadius gegen Eck «Canonici indocti Lutherani» in Druck und wurde schließlich von Eck auf die Bannbulle gesetzt. In Augsburg stand er Peutinger und dessen Kreis nahe, er gab den Ligurinus in Druck, den Celtis entdeckt hatte, von ihm selbst sind nur Briefe erhalten von schlichter, zurückhaltender Prägnanz. Ein lebendiger Humanistenkreis in Eichstätt ist erst wieder nachweisbar unter Gabriel von Eyb,1 dem Neffen Albrechts, Fürstbischof von 1496 bis 1535, der in seinen italienischen Studienjahren in den Kreis der Humanisten getreten war, denen er, selbst ein leidenschaftlicher Sammler antiker Münzen und Inschriften, verbunden blieb durch feinen Geschmack und die Vorliebe für geistreiche Gespräche. Aus diesen Gesprächen berichtet vor allem einer seiner engsten Vertrauten, Kilian Leib (1471-1553),’ Prior von Rebdorf, um den sich ein Kreis bildete, von dem vor allem die Briefe Leibs zeugen.4 Zu Beginn der dreißiger Jahre finden wir in Eichstätt auch den späteren GeschichtsSchreiber der Regensburger Bischöfe Lorenz Hochwarth (1500-1570)’ aus Tirschenreuth als Domprediger, der sich in seinen sehr summarischen Geschichtswerken an Weite des Geistes, Schärfe der Beobachtung und sprachlicher Gestaltungskraft mit Leib in keiner Weise vergleichen läßt. Auch Leib gehört nicht zu den großen Geschichtsschreibem seiner Zeit, doch war er «ein Mann von nicht gewöhnlicher gelehrter Bildung und hervorragender Befähigung» (Wegele), der weitum hohes Ansehen genoß. Er stammte aus Ochsenfurt, seit 1503 stand er dem Chorhermstift toren gehalten hatte, dann der Dompropst Wilhelm v. Reichenau, der spätere Bischof von Eichstätt; zeitweise weilten dort auch Albrecht v. Eyb (s. u. 573) und Johann Pirckheimer (s. u. 585); vgl. Aschbach (s. o. 567) I 353 f.; Μ. Herrmann, Zwei Briefe d. Kanzlers Johannes Mendel (Sbl. d. Hist. Ver. Eichstätt 3) 1888, 13-19; zum ganzen Kreis s. Strauss, Eichstätt (s. o. 570 )165 ff. 1 F. X. Thurnhofer, Bernhard Adelmann v. Adelmannsfelden. Humanist u. Luthers Freund (1457-1523), 1901; J. Zeller, Die Brüder Bernhard, Konrad u. Kaspar Adelmann v. Adelmannsfelden als Stiftherren v. Ellwangen (Ellwanger Jb.) 1922/23, 75-85; G. S. Graf Adelmann v. adelmannsfelden, Das Geschlecht des Adelmann v. Adelmannsfelden, 1948; Jedin, Trient (s. o. 566) I 145 f. 2 Th. Neuhofer, Gabriel v. Eyb, Fürstbischof v. Eichstätt, 1934. ’ J. Deutsch, Kilian Leib, Prior v. Rebdorf, 1910; E. Reiche, Neues von Kilian Leib. Seine Beziehungen zu Pirckheimer u. Luthers Aufenthalt in Nürnberg 1518 (Beitrr. BK 16) 1910, 122-137; F. Klemm, Über d. meteorolog. Be-

obachtungen d. Priors Kilian Leib im Augustinerstift Rebdorf (Meteor. Rundschau 20) 1967, 72-77; E. Reiter, Kilian Leib (Fränk. Lebensbilder 2) 1968, 217-236; Kilian Leib, Briefwechsel u. Diarien, hg. v. J. Schlbcht, 1909; Annales Maiores: 1502-1523, hg.v.J.Ch. v. Aretin (Beytr. z. Gesch. u. Litt. 7, 9) 1806/ 07; 1524-1548, hg. v. I. v. Döllinger (Beitr. z. polit., kirchl. u. Cultur-Gesch. 2) 1863, 445 bis 611; Die kleinen Annalen d. Kilian Leib, Priors zu Rebdorf, hg. v. J. Schlecht (Sbl. Hist. Ver. Eichstätt 2) 1887, 39-68, Nachträge (ebd. 14) 1899, 167-169. 4 Angeführt werden der Domdechant Erhard Truchseß v. Wetzhausen (f 1519), femerKonrad Adelmann v. Adelmannsfelden (s. o. Anm. 1), Cochläus (s. o. 566) und Venatorius (s. u. 593); vgl. Deutsch (s. o. Anm. 3) 30, 33; Schburl, Briefbuch (s. u. 587) I 141 f.; II 15, 37. 9 Zum Aufenthalt in Eichstätt s. Strauss, Eichstätt (s. o. 570) 191 f.; Ribzlbr VI 417 f.; Deutsch (s. o. Anm. 3) 107; W. Rohmeder, Die geschichtl. Werke v. Lorenz Hochwart (VHOR 80) 1930, 149-172.

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Rebdorf vor, das sich der Windesheimer Kongregation angeschlossen hatte, dem Reformprogramm gemäß galt seine Sorge besonders der Pflege der Studien und derErweiterung der Bibliothek. Früh schon trat er in die Bekanntschaft mit der Literatur seiner Zeit ein, er führte auch, in echt humanistischer Art, eine lebhafte Korrespondenz mit einer ganzen Reihe von führenden Männern der Zeit, im Dunkelmännerstreit ergriff er die Partei Reuchlins. Die Reformation zwang auch ihn zur Entscheidung; nach anfänglichen Sympathien für Luther wandte er sich mit ungewöhnlicher Entschlossenheit gegen ihn, eine lange Reihe von polemischen Schriften, die ihn wohl auch 1530 zur Mitarbeit an der Confutatio, 1546 als Teilnehmer des Regensburger Religionsgesprächs empfahlen, zeugt davon. Humanist war er auch darin, daß seine Theologie nicht mehr einseitig scholastisch war, sondern biblisch; er beherrschte, von Pirckheimer unter die führenden deutschen Theologen gerechnet, Griechisch wie Hebräisch und Aramäisch. Auch zur Geschichtsschreibung führte ihn ein weitgehend religiöser Antrieb; ihm ging es darum, den Nachfahren begreiflich zu machen, wie es zur Spaltung der Kirche und zum Elend der Gegenwart kommen konnte; seine Kritik an den Mißständen der Zeit schließt niemanden aus. Seine Annales maiores sind Zeitgeschichte; ohne zeitgenössisches literarisches Vorbild, aber doch der mittelalterlichen Annalistik durch seine Fähigkeit zu lebendigerErzählung, durch die Weite seines Gesichtskreises und durch den Willen zur Erkenntnis der Ursachen überlegen, hält Leib fest, was ihm an Ereignissen auf kirchlichem und politischem Gebiet wichtig erscheint, Kirche und Reich stehen im Vordergrund. Wertvoll sind seine Annalen durch zahlreiche scharf beobachtete kulturhistorisch interessante Besonderheiten. Vor allem die Annales minores und seine Tagebuchnotizen halten die kleine Welt der lokalen Erscheinungen fest. Wie lebendig der Eichstätter Humanistenkreis unter Gabriel von Eyb gewesen sein mag, wissen wir nicht, doch kennen wir aus den Diarien Leibs die Anteilnahme des Bischofs selbst an den Ereignissen der Zeit und dem geistigen Ringen. Nach seinem Tod versandet die Bewegung; es scheint nicht, als hätten die nicht unbedeutenden Namen, die von Fürstbischof Moritz von Hutten an die Eichstätter Domschule berufen wurden, Vitus Trolmann, gen. Amerbach (1503 bis 1557)' aus Wemding und Hieronymus Ziegler,2 beide wenige Jahre später Inhaber von Ingolstädter Lehrstühlen, noch einmal eine humanistische Erneuerung gebracht.

b) Bamberg Looshorn IV; J. Kist, Das Bamberger Domkapitel v. 1399-1556, 1943; Eisenmann (s. o. 556) 30 ff.

Von wenigen Gestalten hingen Aufschwung und Niedergang der humanistischen Epoche in Eichstätt ab, ein Zeichen für den aristokratischen Charakter der ganzen 1 L. Fischer, Veit Trolmann v. Wemding, gen. Vitus Amerpachius. Jugendzeit u. Studien1917 (Beitrr. z. Gesch. d. Renaissance u. Ref.) jahre, 84-95; Ders., Veit Trolmann v. Wemding, gen. Vitus Amerpachius, als Professor in

Wittenberg, 1926; Buchner; Bauerreiss VI nof.; Elunger (s. o. 556) I 208 f.; Prantl (s. o. 567 Anm. 3) Π 212 f.; Deutsch (s. o. 571 Anm. 3) 118 f. 2 S. o. 567.

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Bewegung, die stets auf Ausnahmeerscheinungen abgestellt war, ihrer bedurfte und wenigstens in der Frühzeit und in den Jahren der vollen Entfaltung auch wieder nur die Bildung von Eliten zur Absicht hatte. Nicht weniger deutlich wird dieser Sachverhalt im Hinblick auf das Bistum Bamberg. Hier gab es keinen Johann von Eych, damit keine ausgeprägte frühhumanistische Phase; trotz der humanistischen Neigungen des Bischofs Georg von Schaumberg (1459-1475) steht Albrecht vonEyb einsam unter den tüchtigen Juristen und Diplomaten Hertnid von Stein und Dr. Peter Knorr, Räten des Markgrafen Albrecht Achilles, die trotz ihres Studienaufenthalts in Italien vom Humanismus unberührt scheinen.1 Auch die neue Kunst des Buchdrucks, die bereits kurz nach der Jahrhundertmitte in Bamberg ihren Einzug hielt,12 brachte zwar schon 1461 einen Druck des Ackermann aus Böhmen, doch wurde kein humanisti‫־‬ sches Programm entwickelt, sondern man druckte, wie das nach den Absatzverhältnissen nicht anders zu erwarten war, vor allem liturgische Schriften. Mit einer einzigen Gestalt also können wir den humanistischen Einfluß in Bamberg vor 1500 identifizieren, mit dem Domherrn Albrecht von Eyb (142O-1475)3 aus altem fränkischem Geschlecht. Fast ein Jahrzehnt hat dieser begeisterte Humanist in Italien zugebracht, einen nicht geringen Teil seiner Bibliothek hat er eigenhändig abgeschrieben, bedeutend ist auch seine Übersetzungstätigkeit, besonders verdient gemacht hat er sich um die Werke des Plautus. In seinen Früh Schriften gestaltete er italienische Vorbilder nach, im berühmten «Tractatus de speciositate barbarae puellulae» von 1452 Enea Silvio, in anderen Schriften dieser Zeit Leonardo Bruni oder Poggio-Bracciolini. Die «Margarita poetica» von 1459, eine Sammlung der schönsten Stellen aus dem klassischen lateinischen Schrifttum, 1472 erstmals im Druck erschienen, wird zu einem beliebten Nachschlagewerk für Redner und Epistolographen. Nach seinem zweiten Aufenthalt in Italien fand er zur eigenen Art und wurde zum großen Verkünder der humanistischen Weisheit, aber nicht mehr im humanistischen Latein, sondern in meisterhaft geformtem Deutsch. Sein Ehebüchlein von 1472, bis 1540 in zwölf Auflagen erschienen, war erfolgreich nicht nur wegen der tiefen Auffassung von Glück und Leid des Ehebundes, sondern vor allem wegen der Einarbeitung der berühmtesten Humanistennovellen. Das letzte seiner Werke, der Spiegel der Sitten 1474, 1511 zu Augsburg erschienen, eine Zusammenstellung von Zitaten und Beispielen aus der antiken Literatur und aus den Kirchenvätern, ist die reifste Frucht seiner humanistischen Studien, in deren Zentrum die Virtus steht, als Kunst, recht zu leben und recht zu sterben. Albrecht von Eyb blieb unter den Domherrn in Bamberg 1 Kist (s. o. 572) 292 f.; Looshorn IV 301 u. ö.; Meuthen, Die lezten Jahre (s. o. 561 Anm. 1) 75, 253 u. ö.; J. Kist, Peter Knorr (Fränk. Lebensbilder 2) 1968, 159-176. 2J. Benzinc, Die Buchdrucker d. 16. u. 17. Jhs. im deutschen Sprachgebiet, 1963, 24 f.; F. Geldner, Die Buchdruckerkunst im alten Bamberg 1458/59 bis 1519, 1964; Ders., Die deutschen Inkunabeldrucker, I. Das deutsche Sprachgebiet, 1968. ‫ נ‬Μ. Herrmann, Albrecht v. Eyb, 1893;

G. Gailhofer, Der Humanist Albrecht v. Eyb (Sbl. d. Hist. Ver. Eichstätt 42) 1927, 28-71; J. A. Hiller, Albrecht v. Eyb, Medieval Moralist, Washington 1939; H. Schöne, Der Stil d. Albrecht v. Eyb, Diss. Masch. Greifswald 1945; Μ. Hofmann, Albrecht v. Eybs «Lobspruch auf die Stadt Bamberg» (Schönere Heimat 45) 1956, 183-190; Ehiusmann II 666 ff. - Deutsche Schriften des Albrecht v. Eyb, hg. v. Μ. Heermann, 1891.

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wie in Eichstätt Ausnahme, hier wie dort gab es noch lebendiges Interesse, aber keine große Begabung mehr. Der Domscholaster Leonhard von Egloffstein (1450-1514), * der fünf Jahre zu Bologna studiert hatte, besaß als einziger literarischen Ehrgeiz, seine Elegien, wohlgeformte Nachahmungen Ovids, oder sein Panegyrikus auf Bischof Heinrich Groß von Trockau, ein rhetorisches Prunkwerk voll klassischer Reminiszenzen, blieben jedoch ungedruckt. Um Lorenz Beheim (1457-1521)1 2 aus Nürnberg, der lange Jahre in Rom am Hof Alexanders VI. verbracht hatte, der humanistisch gebildet, kenntnisreich und voll weltlicher Urbanität, mit Pirckheimer und Dürer befreundet war, mag sich ein lockerer Kreis gebildet haben, doch bedeutsame Anstöße gingen von ihm nicht aus. Die kraftvollste Gestalt am Bamberger Hof, das erstaunlichste Beispiel für die mitreißende Wucht der humanistischen Bildungsidee war vielmehr der Hofmeister und Kanzler desBischofs, Johann von Schwarzenberg (1465-1528),3 der zuletzt, seit 1522, im Dienst der Hohenzollem stand. Er konnte nicht Latein, doch der pädagogische Impetus des Humanismus kommt bei niemandem kräftiger zum Ausdruck als bei ihm, und gerade ihm ist die wirkungsvollste Eindeutschung Ciceros zu verdanken (Officien, 1531; Der teutsche Cicero, 1534), auch seine selbständigen deutschen Schriften sind durchtränkt vom geistigen Erbe der Antike, die stoisch betonte Ethik, die er Cicero entnimmt, ist besonders gerichtet auf tätige Teilnahme am Leben des Staates und selbstlose Hingabe für das Gemeinwohl. Die ciceronianische Verbindung der Idee der Gerechtigkeit mit dem Gemeinwohl war auch die leitende Idee Schwarzenbergs bei seiner großen gesetzgeberischen Tätigkeit in Bamberg, die ihn berühmt gemacht hat. Seine größte Leistung ist die «Bambergische Peinliche Halsgerichts-Ordnung» von 1507, das unmittelbare Vorbild der Carolina, deren erster Entwurf von 1521 ebenfalls von Schwarzenberg stammt. Seine Ordnung von 1507 ist ein Rechtsbuch nach Art der deutschen Rechtsspiegel, die Herausarbeitung des geltenden Rechts, aber die Zusammenfassung zu einem Rechtssystem, wobei er sich leiten ließ durch die BegrifFsbildung der oberitalienischen Kriminalisten und durch die Deliktstypen des römischen Rechts, macht sie, eine «denkerische Leistung hohen Ranges», zu einem «Markstein und Wendepunkt der deutschen Strafrechtsentwicklung» (Wolf). Humanistischer Geist ohne die fachliche Bildung, die gewöhnlich erst das volle Verständnis erschließt, wird sich außer bei Johann von Schwarzenberg nicht 1 Ch. Beck, Der Bamberger Frühhumanist Leonhard v. Egloffstein aus seinen Schriften (Beitrr. BK 29) 1923, 13-36. 3 E. Reicke, Der Bamberger Kanonikus Lorenz Beheim, Pirckheimers Freund (FGB 14) 1906; Andreas (s. o. 556) 606; Ch. Schaper, Lorenz u. Georg Beheim, Freunde Willibald Pirckheimers (MVGN 50) 1960,120-221; zum Kreis Eisenmann (s. o. 556) 86, ohne Beweis (108 dagegen: Beheim habe in Bamberg keine Freunde gehabt); für die Annahme spricht nur die Mitarbeit Beheims an der Cicero-Übersetzung Schwarzenbergs. Dem Humanismus standen nahe die Domherrn Andreas u. Jakob Fuchs v. Walburg u. Fürstbischof Georg Schenk v.

Limpurg (Kist, Domkapitel 98,181,185.270L; Beck 14 f., s. o. 572 bzw. Anm. 1). 3 W. Scheel, Johann Freiherr v. Schwarzenberg, 1905; G. Radbruch, Verdeutschter Cicero. Zu Johann v. Schwarzenbergs OfficienÜbersetzung (Arch. f. Rechts- u. Sozialphil. 35) 1942, 143-154; Nadler I 288 ff; F. MerzBacher, Ein Schmählied auf Johann Freiherm zu Schwarzenberg (Mainfr. Jb. 3) 1951, 288 bis 298; Ders., Johann Freiherr zu Schwarzenberg in Würzburgischen Diensten (ZRG 69) 1952, 363-371; E. Wolf, Große Rechtsdenker d. deutschen Geistesgesch., 1963«, 102-137; Rössler 156-165.

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leicht mehr finden. In Bamberg jedenfalls, das einen Joachim Camerarius hervorgebracht hatte, stehen die wenigen Zeugnisse bemerkenswerter geistiger Regsamkeit, die sich noch feststellen lassen, mit einer Ausnahme nicht im Zusammenhang mit dem humanistischen Streben am Hof. Diese Ausnahme war der Bamberger Stadtphysikus Eberhard Schleusinger,1 der in Wien studiert hatte und bereits die gleiche Stellung in Basel und Zürich bekleidet hatte, ein namhafter Astronom, der 1473 einen «Tractatus de cometis» veröffentlichte. Im bürgerlichen Bereich findet sich sonst nur das kräftige Fortleben altüberlieferter Chronistik.» Anders als im Ausstrahlungsbereich von Eichstätt fehlen ausgeprägte humanistische Einflüsse, die von Bamberg ausgegangen wären, auch bei den Klöstern im Stadtbereich oder in der Nähe. Bei den Benediktinern auf dem Michelsberg oder bei den Zisterziensem inEbrach, wo gerade im Zeitalter des Humanismus die historiographische Tradition kulminierte, fällt das am meisten auf. Abt Andreas vom Michelsberg (1440 bis 1502),1 *3 gebürtig zu StafFelstein, der Verfasser eines Katalogs der Äbte seines Klosters wie der Bischöfe von Bamberg oder, in drei Bearbeitungen der mittelalterlichen Überlieferung, einer Vita Ottos von Bamberg, stand dem humanistischen Geist fern, doch die ungewöhnlich reiche quellenmäßige Fundierung seiner Werke machen sie wertvoll bis heute. Ein ähnliches Verhältnis waltet vor bei dem Prior von Ebrach Johannes Nibling (f 1526)4 aus Volkach. Die kunstlosen historischen Versuche Niblings, die vierbändige Chronik, eine Komplikation, dazu seine Diarien, stellen «eine der wertvollsten Fundgruben» (Engel) für die Geschichte Ebrachs dar. Nicht unberührt vom formalen Einfluß des Humanismus sind seine deutschen geistlichen Lieder. c) Würzburg Bauerreiss V 129 ff, 140, i $8 ff; Eisenmann (s. o. 556) 9 ff.; A. S. Stumpf, Kurze Nachrichten v. merkwürdigen Gelehrten d. Hochstifts Würzburg in d. vorigen Jahrhunderten, Frankfurt u. Leipzig 1794; Wegele I 35-40; Schmidt (s.653 Anm. 1); E. Schubert, Rudolf von Scherenberg (Fränk. Lebensbilder 2) 1968, 133-158.

Im Gegensatz zu Bamberg, wo Domkapitel und bischöflicher Hof mit Albrecht von Eyb und Johann von Schwarzenberg über ein halbes Jahrhundert hin die hervorra1 Zinner, Fränk. Sternkunde (s. o. 557) 98; Ders., Regiomontan (s. o. 561 Anm. 3) 157f.; Bauch, Wien (s. o. 567 Anm. 1) 131; Briefe an Celtis bei Rupprich, Briefwechsel (s. o. S. 575) 324 f., 366 (Vorname «Heinrich» ist falsch). 1 O. Erhard, Der Bauernkrieg in Bamberg, 1895; Chroniken d. Stadt Bamberg, hg. v. A. Chroust, 1910. 3 J. Fassbinder, Der catalogus sanctorum Ordinis Sancti Benedicti des Abtes Andreas v. Michelsberg, 1910; A. Lahner, Die ehem. Benedictiner-Abtei Michelsberg zu Bamberg (BHVB 51) 1889, 206 ff; Lorenz (s. ο. 556) I

153 f.; P. Ruf, Mittelalterl. Bibliothekskatalöge Deutschlands u. d. Schweiz ΠΙ/3: Bistum Bamberg, 1939; C. A. Schweitzer, Das Urkundenbuch d. Abtes Andreas im Kloster Michelsberg bei Bamberg (BHVB 16/17) 1854/55; Catalogus, hg. v. H. Bresslau, Bamberger Studien (NA 21) 1896, 139f.; Vitae Ottonis Episcopi Bambergensis, hg. v. R. Koepke (MGH SS XII) 19231, 721-919. 4 P. Wittmann, Johannes Nibling, Prior in Ebrach, u. seine Werke (StMBO 17/18) 1896/ 97; W. Engel, Varia Ebracensia. Aus dem «Hausbuch» d. Priors Johannes Nibling (WDGB11. 11/12) 1949/50, 213-216.

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gendsten Gestalten aufwiesen, die zu den führenden Humanisten ganz Deutschlands zählten, lebte der berühmteste Vertreter des Humanismus in Würzburg in einem der Klöster der Stadt, im Schottenkloster St. Jakob. Wie weit er auf Stadt und Hof Einfluß genommen hat, wo besonders durch das Scheitern der Universitätspläne des frühen fünfzehnten Jahrhunderts wesentliche Voraussetzungen für eine geistige Blütezeit vergeben worden waren, ist schwer zu sagen, die Spuren sind dürftig; auf jeden Fall reichte aber auch in den stillen Würzburger Jahren der Einfluß des Benediktinerabtes Johann Trithemius (1462-1516)1 immer noch bis in die letzte humanistische Studierstube, er gehörte, wie Reuchlin, Celtis oder Erasmus zu den großen Trägern der humanistischen Idee. Er stammte aus Trittenheim an der Mosel, sein Familienname war Zeller? Bereits als Student zu Heidelberg wurde er in den Humanistenkreis von Johann von Dalberg aufgenommen, dem damals auch Celtis angehörte. Bald nach seinem Eintritt in Sponheim, 1483, wurde er zum Abt gewählt, in wenigen Jahren war das Kloster berühmt wegen der humanistischen Gastfreundschaft des Abtes und wegen der aufs großzügigste ausgebauten Bibliothek. Innerklösterliche Spannungen, aber auch solche politischer Art bewogen ihn dazu, 1506 Sponheim zu verlassen und das Angebot des Würzburger Fürstbischofs auf Übernahme der Abtei St. Jakob in Würzburg anzunehmen. Er war wohl der produktivste deutsche Historiker seiner Zeit, er bearbeitete die Geschichte von Sponheim, von St. Jakob in Würzburg, von Hirsau, schrieb eine Chronik der Herzöge von Bayern und Pfalzgrafen bei Rhein, der «Catalogus illustrium virorum Germaniae» (1495), auf Anregung Wimphelings aus dem Buch über die kirchlichen Schriftsteller zusammengestellt, ist «die erste deutsche Literaturgeschichte» (Rupprich). Was ihn zur Geschichte führte, waren die großen Anliegen der Zeit; Trithemius ging es darum, das Mönchtum wieder zurückzuführen zur alten sittlichen Höhe, der erfolgreichste Weg dazu «chien ihm die Beschäftigung mit der Wissenschaft, die Geschichte hielt er für den entscheidenden Wegweiser, als Ansporn zum Streben nach Ruhm und Unsterblichkeit, als Führer zu Klugheit und Tugend. Das war ein rein humanistisches Anliegen, nur dadurch gewann Trithemius das Ohr der Nation. Imponierend war allerdings auch seine einzig11. SlLBERNAGBL.JohannesTrithemius, 18852; P. Volk, Abt Johannes Trithemius (Rhein. Vjbll. 27) 1962, 37-49; P. Chacornac, Grandeur et adversiti de Jean Trithime, Paris 1963; I. Fischer, Der Nachlaß d. Abtes Johannes Trithemius v. St. Jakob in Würzburg (AU 67) 1928, 41-82; B. Thommen, Die Prunkreden d. Abtes Johannes Trithemius (Jb. d. Kant. Lehranstatt Samen) 1934/35; H. Endres, Johannes Trithemius u. Burkard v. Homeck. Eine theol. Gelehrtenfreundschaft (Mainfr. Jb. 9) 1957, 159-169; A. Behrendt, Abbot John Trithemius, a spiritual writer of the fifteenth Century (American Benedictine Review 10) 1959, 67 bis 85; R. Ambblain, Le cristal magique ou la magie de Jean Trithfeme, Abbi de Spanheim et de Wurtzbourg, Paris 1962; H. Büttner, Tri-

themius u. ein Privileg Urbans II. für Hirsau (ZWLG 26) 1967, 132-141; Andreas (s. o. 556) 126 ff. u. ö.; Rupprich, Briefwechsel (s. o. 557) ; B. Frank, Ein Entwurf . .. (StMBO 80) 1969, 145-204. - Korrespondenz: Epistolarum familiarium 1. II, Hagenau 1536. Bibliographie: Silbernagel (s. o.) 236-250; StMBO 37, 1926, 293 ff. - Die wichtigsten Ausgaben: Opera historica, 2 Bde., hg. v. Μ. Freher, Frf. 1601 (Neudr. 1966); Opera pia et spiritualia, hg. v. J. Busaeus, Mainz 1605; Annales Hirsaugienses, St. Gallen 1690; De viris illustribus O.S.B., Köln 1575; Des Abtes Joh. Trithemius Chronik d. Klosters Sponheim, hg. v. C. Velten, 1969. 1 P. Volk, Der Familienname d. Abtes Trithemius (AMK 2) 1950, 309-311.

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artige Gelehrsamkeit. Kein deutscher Historiker seiner Zeit verfügte über eine gleiche Kenntnis der echten Quellen. Von seinen zahlreichen Entdeckungen sind wenigstens zu nennen die Briefe des Hl. Bonifatius, die Fuldaer Annalen, Regino und Otfrid von Weißenburg. Der überwältigende Reichtum an Quellen war freilich der Durchformung seiner Geschichtswerke nicht förderlich; Trithemius hat zwar seine Quellen nicht einfach ausgeschrieben, sondern bereits kritisch benützt, aber die Erzählung nicht nach großen literarischen Vorbildern gestaltet, wie etwa Aventin, sondern eilfertig vorangetrieben. Auch Flüchtigkeiten und Irrtümer konnten nicht ausbleiben, doch der große Vorwurf, der ihm bis heute gemacht wird, betrifft vor allem seine berüchtigten Fälschungen, die Chronik des Hunibald und den Meginfried.1 Das Urteil darüber beginnt sich zu beruhigen; die hohe moralische Zielsetzung des GeschichtsWerkes, das exempla von virtus und doctrina zu bringen hat, aber sein Ziel nicht erreicht durch eine lückenhafte Gestaltung, gibt dem Historiker das gleiche Recht wie dem Hagiographen oder dem Prediger, die Lücke zu schließen und dem moralischen Anspruch auch konkrete Beispielhaftigkeit zu geben? Trithemius war kein unmoralischer Fälscher. Was sonst noch mitgespielt haben mag, Ruhmsucht, Gelehrteneitelkeit, nationale Begeisterung, war für den Abt von Sponheim weniger von Gewicht, als die Verlockung durch eine ungewöhnlich starke Phantasie. Ihre dunkelsten Blüten trieb sie in den Werken, die ihn zu seiner Zeit vor allem berühmt gemacht haben, in der Polygraphia, der Steganographie, dem Antipalus maleficorum, in dem Traktat über die sieben Planetgeister, den er für Kaiser Maximilian I. geschrieben hat. Reuchlin hatte ihn mit der kabbalistischen Zahlenmystik bekannt gemacht, durch die Florentiner Platoniker war er eingeführt worden in die geheimnisvolle Welt des Hermes Trismegistos, Dionysius Areopagita war noch lebendig aus spätmittelalterlicher Tradition. Trithemius, den man zuletzt mit dem Doktor Faustus verglich, den er selbst am eindrucksvollsten geschildert hat, war nicht wunderlicher’ als Rudolf Agricola, Agrippa von Nettesheim oder Celtis, die wie viele Humanisten gleichfalls der Faszinarion dieser Geheimlehren erlagen, er hat nur unbefangener davon geschrieben. Der Ruhm, den er genoß, der Eifer, mit dem ihm selbst Fürsten Gefälligkeiten anboten, zeigt, wie sehr er in voller Übereinstimmung mit seiner Zeit lebte. 1 A. Lhotsky, Apis Colonna. Fabeln u. Theorien über d. Abkunft d. Habsburger (M10G 55) 1944, 212 f. bestritt erstmals wieder den Fälschungscharakter des Hunibald unter Hinweis auf den bei Thomas Ebendorfer ebenfalls genannten Wastaldus als Gewährsmann des Hunibald; diese These ist nur in sehr abgeschwächter Form aufrechterhalten: österreich. Historiographie, 1962, 66; Quellenkünde z. mittelalterl. Gesch. Österreichs, 1963, 450. Zum ersten Vorwurf gegen Trithemius, der bereits vom Wiener Humanisten J. Stabius erhoben wurde, s. zuletzt A. Wendehorst, Wien u. Würzburg. Eine Gelehrtenfehdc a‫!׳‬s dem Anfang d. 16. Jhs. (Die Mainlandc 6) 1055, nr. 7. 37 HdBG III, i

2 K. Schreiner, Abt Johannes Trithemius (1462-1516) als Geschichtsschreiber d. Klosters Hirsau (Rhein. Vjbll. 31) 1966/67, 72-138 (Klärung des Fälscherproblems in meisterhafter Analyse gleichzeitiger Geschichtswerke und der spätmittelalterl. Predigtlit.); P. Lehmann, Merkwürdigkeiten d. Abtes Johannes Trithemius (SB München) 1961 (präzise Quellenanalyse mit Nachweis, daß sehr oft nur Fehler u. Mißverständnisse vorliegen). Völlig überholt: H. v.Jan,JohannesTrithemius, ein Historiker u. Geschichtsfälscher (Bll. f. pfälz. KG 18) 1951. 33‫־‬43· ’ Bezold (s. o. 562 Anm. 1) 91: «der wunderlichc Abt Trithemius».

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Trithemius war nicht der einzige Vertreter des Humanismus in Würzburg, Bischof Lorenz von Bibra (1495-1519), der ihn nach Würzburg geholt hatte, stand selbst in enger Verbindung mit der humanistischen Bewegung, wie denn der Dombereich und der Hof des Fürstbischofs bis über die Mitte des Sechzehntenjahrhunderts hinaus das einzige Zentrum humanistischen Lebens in Würzburg darstellten. Vor allem unter den Würzburger Dom- und Stiftsherm gab es seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts bereits immer wieder Träger humanistischen Ideenguts, auch wenn berühmte Namen fehlten. Zur Bildung einer Humanistengemeinde, wie jener in Bichstatt, ist es in Würzburg jedoch nie gekommen; der Dompropst Kilian von Bibra (f 1494),1 der in Italien studiert hatte, Rat und Gesandter des Fürstbischofs, war trotz ausnehmender Beredsamkeit kein Humanist im eigentlichen Sinn. Zur breiten Rezeption des Humanismus kam es erst gegen 1500. Als erster Humanist im hohen Würzburger Klerus begegnet jetzt der Dekan von Neumünster, Engelhard Funk (t 12(!1‫ צ‬aus Schwabach, der sich Scientilla nannte. Seine Gedichte, Moralia und Erotica, sind jedoch ohne überzeugende Kraft. Aus dieser ersten Epoche des Humanismus in Würzburg kennen wir nur noch den Leiter der Domschule, Mag. Petrus Popon,1 23*auch er hinterließ wenig originelle Elegien in der Art des Ovid. An der Würzburger Domschule lehrte 1491/92 auch Cuspinian. Für die breite Durchsetzung des Humanismus im neuen Jahrhundert waren jedoch nicht Dichter und Gelehrte in untergeordneter Stellung von Bedeutung, sondern, auch wenn ihnen selbst literarische Begabung fehlte, die hochgestellten Förderer. Dazu gehörte, neben den Fürstbischöfen, der Weihbischof Augustinus Marius (1485-1543),♦ den ein bewegtes Leben auf Empfehlung des Erasmus 1539 nach Würzburg geführt hatte, ein gelehrter Theologe, der 1530 bei der Ausarbeitung der Confutatio beteiligt war, dann der Dompropst Daniel Stibar von Buttenheim (1503-1555),5 der mit Camerarius befreundet war und mit Erasmus von Rotterdam korrespondierte, schließlich auch der Dechant des Domkapitels Erasmus Neustetter, gen. Stürmer,6 der ebenfalls mit Camerarius in Beziehungen stand. Auf diesem Hintergrund von Sympathie und bereitwilliger Protektion entfaltete sich dann in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, vor allem um die Jahrhundertmitte, auch in Würzburg lebendiges geistiges Leben im Zeichen des Humanismus. Die schöpferischen Kräfte in Würzburg wurden seither ausschließlich von Laien gestellt, Beamten am Hof oder in der Verwaltung des Fürstbistums. Der Ranghöchstc unter ihnen war der Geheime Rat Sebastian von Rotenhan (1478-1532)7 aus Rentweinsdorf, der in Ingolstadt noch 1 S. Zeissner, Dr. Kilian von Bibra, Dompropst v. Würzburg (Mainfr. Jb. 2) 1950, 78 bis 121. 2 Bauch, Erfurt (s. o. 567) 84-86. 3 G. Scheps, Magistri Petri Poponis Colloquia de Scholis Herbipolensibus. Ein Beitr. z. Gesch. d. Würzburger Hochschule, 1882; Ders., Die Gedichte d. Magisters Petrus Popon (AU 27) 1884, 277-300. ♦ J. Birkner, Augustinus Marius, Weihbischof v. Freising, Basel u. Würzburg (1485 bis

1543). Ein Lebensbild, 1930; Bauerreiss VI 327 f· 5 Kist (s. o. 572) 295; E. Mayer, Daniel Stibar v. Buttenheim u. Joachim Camerarius (WDGB11. 14/15) 1952, 80-100. 6 Schubert (s. o. 219) 283-286. 7 W. Μ. Brod, Frankens älteste Landkarte, ein Werk Sebastians v. Rotenhan (Mainfr. Jb. n) 1959. 121-142; Ders., Sebastians v. Rotenhan Geographiebuch (ebd. 12) 1960, 69-78; Ders., Opera geographica Sebastian! a Roten-

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Celtis gehört hatte und mit Aventin, Erasmus und anderen Humanisten befreundet war. Von allgemeiner Bedeutung ist seine Edition des Regino von Prüm (1521) und sein Versuch von 1520, die Namen der Völkerschaften, Wälder, Gebirge und Flüsse im alten Germanien, soweit sie den antiken Historikern zu entnehmen waren, im gegenwärtigen Deutschland zu lokalisieren. Berühmt wurde er durch seine Karte von Franken, die Petrus Apian 1533 veröffentlicht hat und die Sebastian Münster für seine Kosmographie verwertete. An literarischer Fruchtbarkeit überlegen war ihm Michael Beuther (1522-1587)’ aus Karlstadt, ein Polyhistor von außerordentlicher Gelehrsamkeit, der in Greifswald einen Lehrstuhl für Mathematik und Poesie inne hatte, bevor er von Fürstbischof Zobel von Giebelstadt als fürstlicher Rat nach Würzburg berufen wurde. Auch während seiner Tätigkeit für Würzburg studierte er zu Paris und Padua, 1559 folgte er einem Ruf nach Heidelberg, 1565 nach Straßburg. Literarisch tätig war er vor allem als Historiker; von ihm stammt ein Buch über römische Altertümer, besonders erfolgreich waren seine «Ephemerides Historicae» (1551), ein GeSchichtskalender nach der Art Ebers, der mehrere Auflagen erlebte, die gleiche Absicht für die alte Welt verfolgten seine «Fasti Hebraeorum, Atheniensium et Romanorum» (1556). Zu nennen ist auch noch der Leibarzt Zobels, Johannes Sinapius (1561),2 ein Korrespondent Vadians, der Lukian übersetzte und für die Kosmographie Münsters eine historische Beschreibung seiner Vaterstadt Schweinfurt verfaßte. Von großter Bedeutung für die Geschichte Würzburgs war schließlich in dieser Epoche ebenfalls ein fürstlicher Beamter, Lorenz Fries (1491-1550)’ aus Mergentheim, seit 1520 bischöflicher Rat, Geheimsekretär und Archivar, ein Bewunderer Aventins und Mitarbeiter Sebastian Münsters. An neuzeitlichen Gestaltungen der Würzburger Geschichte fand er den Bischofskatalog des Trithemius vor, eine kunstlose, rasche Arbeit; aus dem städtischen Bereich haben wir auch chronikalische Aufzeichnungen,4 doch das humanistisch geformte Geschichtswerk schuf erst Fries. Für die Frühzeit stützt er sich auf humanistische Literatur, aber erstaunlich zurückhaltend, ohne präzise Kritik, aber auch ohne Vertrauen vor allem in Aventins Frühgeschichte. Verlässig wird sein Bild seit der Karolingerzeit mit dem vollen Einsetzen der GeschichtsSchreibung des Mittelalters, die Fries vorzüglich kannte, und mit deren Hilfe, unter Einfügung zahlreicher Urkunden, er in reich bewegter Erzählung die Geschichte der han (Ber. z. deutschen Lkdc. 28) 1961, 95-122; I. Maierhofer, Sebastian v. Rotenhan (Fränk. Lebensbilder 1) 1967, 113-140; W. Μ. Brod, Studiengang . . . (Mainfr.Jb.22) 1970,155-170. 1 G. Rommel, Wertheim in d. Dichtungen d. Michael Beuther v. Karlstadt (Jb. d. Hist. Ver. Alt-Wertheim) 1948/49, 45-51; O.Jung, Dr. Michael Beuther aus Karlstadt, 1957. 2 H. Holstein, Joh. Sinapius, ein deutscher Humanist (Jahresber. Wilhelmshaven 19) 1901, 19; Burmeister, Münster (s. o. 557) 144. 3’ W. Engel, Magister Lorenz Fries (1491 bis 1550), 1951; F- Merzbacher, Lorenz Fries als bischöfl. Lehensträger (Mainfr. Jb. 2) 1950, 334-338; Burmeister, Münster (s. o. 557) 134; 37*

H. Friess, Bll. f. fränk. Fam. 9 (1970) 418-434. Werke: Historie der Bischöfen zu Wirtzburg (J. P. Ludewig, Geschichtschreiber von dem Bischofthum Wirtzburg) Frankfurt 1713, 373 bis 866 (Neudr. 1961; weniger gute Ausgaben 1848 u. 1924); Die Gesch. d. Bauernkrieges in Ostfranken v. Mag. Lorenz Fries, hg. v. Schäffler-Henner, 1883. 4 W. Engel, Die Rats-Chronik d. Stadt Würzb., 1950; Die Stadt Würzb. im Bauernkriege. Von Martin Cronthal, Stadtschreiber zu Würzb. Nebst einem Anhang: Gesch. d. Kitzinger Bauernkriegs v. Hieron. Hammer, Bürger v. Kitz., hg. v. Μ. Wieland, 1887.

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Würzburger Bischöfe bis 1495 gestaltet, in einem eigenen Werk dann die Würzburger Geschichte des Bauernkriegs. Fries war zweifellos der größte fränkische Geschichtsschreiber des sechzehnten Jahrhunderts, unerreicht vor allem von seinem mutmaßlichen Fortsetzer, dem Dompräsenzmeister Johann Reinhart, der einen Auszug aus der Chronik von Fries machte und sie wahrscheinlich fortführte bis 1546." d) Ansbach-Bayreuth und Coburg J. A. Vocke, Geburts- u. Todten-Almanach Ansbachischer Gelehrter, Schriftsteller u. Künstler, 2 Bde., 1796/97; G. W. A. Fkenscheh, Gelehrtes Fürstenthum Baireuth, 12 Bde., 1797/1805; Jordan-Bürckstümmbr I; K. Schornbaum, Nachträge zu Jordans Buch über «Reformation u. gelehrte Bildung in d. Markgrafschaft Ansbach-Bayreuth» (Beitrr. BK 14) 1918, 205-221; G. Lenckner, Reformation u. gelehrte Bildung in d. Markgrafschaft Ansbach-Bayreuth. Ein Nachtrag zu H. Jordans 1917 erschienenem Buch (ZBKG 8) 1933, 206-207; Götz, Glaubensspaltung (s. o. 194); G. Schuhmann, Ansbacher Bibliotheken vom MA bis 1806, 1961; K. Schornbäum, Zur Politik Markgraf Georgs v. Brandenburg, 1906; T. Krieg, Das geehrte u. gelehrte Coburg, 3 Tie., 1927/31, hier I; F. Knorr, Human, in Coburg (Bayerland 58) 1956, 106-112.

Geistige Bewegungen wirken nur in geeigneten Medien; Raum und Zeit müssen für sie bereit sein. Im geistlichen Franken, obgleich Universitäten fehlten, waren für die Aufnahme des Humanismus wesentliche Voraussetzungen vorhanden, in den weitliehen Fürstentümern Frankens gab es weder Universitäten noch Domschulen, die Bedürfnisse in Rat und Verwaltung wurden, wo gelehrte Kräfte erforderlich schienen, durch Berufung geeigneter Kleriker gedeckt, auch die Städte, unter denen Bayreuth erst seit 1542, Coburg erst seit 1543 Residenzscharakter trugen, hatten noch nicht den Entwicklungsstand der reichen Handelszentren erreicht, auch sie boten dem Humanismus keinen Ansatzpunkt. Nur die klösterlichen Bildungsmittelpunkte im Land kamen dafür in Betracht, doch St. Gumbert in Ansbach12 und das Stift zu Feuchtwangen dienten mit den besten Pfründen zur Ausstattung fürstlicher Räte wie des Dr. Peter Knorr (f 1478) aus Kulmbach, eines der Ratgeber des Markgrafen Albrecht Achilles, und das geistig lebendige Zisterzienserstift Heilsbronn,3 die Grablege der fränkischen Hohenzollem, war trotz der humanistischen Neigungen seiner Äbte seit der Jahrhundertmitte, die besonders für den Ausbau der Bibliothek sorgten, kein Zentrum humanistischer Ausstrahlung, so wenig wie das andere Klöster dieser Epoche waren. Ein einziger Schriftsteller ist bekannt, Abt Sebald Baumberger,4 ein Korrespondent von Celtis; seine Aufzeichnungen zur Geschichte des Landshuter Erbfolgekrieges haben jedoch nur lokale Bedeutung. 1 Vgl. Engbl, Fries (s. o. 579 Anm. 3) 33; E. Mayer, Der Würzburger Dompräsenzmeister Johann Reinhart (Mainfr. Jb. 3) 1951, 310 bis 314. Druck bei Ludewig (s. o. 579 Anm. 3); I. Gropp, Collectio novissima scriptorum et rerum Wirceburgensium III, 1748. 2 A. Bayer, St. Gumberts Stift u. Kloster in Ansbach, 1948. 3 Μ. Grabmann, Wisscnschaftl. Bestrebun-

gen im ehern. Cisterzienserstift Kloster Heilsbronn (Sbl. d. Hist. Ver. Eichstätt 23) 1908, 100; 90Reimann, Die älteren Pirckheimer (s. u. 584) 162 f.; Baubrreiss V 130 f. 4 R. G. Sthjried, Kloster Heilsbronn, 1877, 43 ff.; Wegele, Histor. (s. o. 556) 166; Rupprich, Briefwechsel (s. o. 557) 515 ff.; Reimann (s. o. Anm. 3) 163.

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Erst spät erreicht unter diesen Umständen die humanistische Strömung auch das Herrschaftsgebiet der Hohenzollem in Franken. Die sog. «Humanistische Schule» auf der Plassenburg1 unter Markgraf Johann d. Alchimisten (1403-1464) existierte keine zwei Jahre, ein gewisser Arriginus, der 1456/57 hier weilte, hat nicht mehr vermittelt als vielleicht dürftige Anregungen, dann verschwindet er aus der Geschichte. Der fürstliche Hof wurde kein humanistisches Zentrum wie etwa Heidelberg, wohin der Geschichtsschreiber Friedrichs d. S. Matthias von Kemnath, einer der Teilnehmer an diesem ersten Humanistenkreis auf der Plassenburg, 1457 ging. Das lag nicht an fehlenden geistigen Interessen des Markgrafen oder an seinen Beratern; Albrecht von Eyb war zeitweise für ihn tätig, sein Bruder Ludwig von Eyb d. Ältere (1417-1502),1 2* sein wichtigster Ratgeber, gehört, obgleich ohne humanistische Schulung, zu den fruchtbarsten Schriftstellern aus dem fränkischen Adel. Die echt humanistische Überzeugung, daß aus den Erfahrungen der Geschichte, zumal der selbst erlebten und selbst gestalteten, künftige Geschlechter Grundsätze und Ziele ihrer eigenen Politik zu gestalten vermöchten, bewog ihn zur Niederschrift seiner «Denkwürdigkeiten brandenburgischer Fürsten» (1500), einer der wichtigsten Quellen zur Geschichte des Markgrafen Albrecht Achilles, lebendig erzählt, treffsicher in der Charakteristik der handelnden Personen, nüchtern und präzis in der Erfassung der politischen Linie. Einen romantischen Zug erhielt diese ritterliche Literatur durch seinen Sohn Ludwig von Eyb d. J. (1450-1521),’ der ebenfalls zeitweilig in Hohenzollemschen Diensten stand. Er kannte Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg, seine Werke, eine Reisebeschreibung ins Heilige Land, ein Tumierbuch und ein Kriegsbuch, vor allem die «Geschichte und Taten des Wilwolt von Schaumburg», des Feldhauptmanns Albrechts von Sachsen, stammen aus einem anderen Kreis von Vorbildern als die zweckbestimmten Geschichtswerke seines Vaters. Bewußte Kulturpolitik im Fürstentum Ansbach-Bayreuth ist erst festzustellen in den Jahren des reformatorischen Umbruchs. Zur Gründung einer Universität in Ansbach oder in Feuchtwangen kam es trotz mehrfacher Ansätze nicht, doch erlangte die von Markgraf Georg 1528 gegründete Ansbacher Lateinschule mit der Berufung des Humanisten Vinzentius Heidenecker (j1539 ‫)־‬, der sich Obsopoeus4 nannte, sehr rasch das Niveau einer hohen Schule. Obsopoeus gehörte zu den hervorragendsten 1 Voigt (s. o. 556) II 293, fußend auf W. Wattenbach, Peter Luder, der erste human. Lehrer in Heidelberg (ZGO 22) 1869, 33-127 (90-96 Briefe des Arriginus). 2 E. Vogel, Des Ritters Ludwig v. Eyb d. Älteren Aufzeichnungen über d. kaiserl. Landgericht d. Burggraftums Nürnberg, 1867; Ch. Meyer, Aus d. Gedenkbuch d. Ritters Ludwig d. Älteren v. Eyb, 1890; A. Werminghoff, Ludwig v. Eyb d. Ä. (1417-1502), 1919; Koeppel-Schuhmann, Ludwig v. Eyb d. Ä. (Fränk. Lebensbilder 2) 1968, 177-192; Lorenz (s. o. 556) I 161 ff. - Denkwürdigkeiten, hg. v. W. Höfler (Quellensammlung f. Fränk. Gesch. I) 1849.

’ E. Kuphal, Ludwig v. Eyb d. Jüngere (AO 30) 1927, 6-58; R. Herd, Ein fränk. Ritterspiegel aus d. Jahre 1507 (Gesch. am Obermain 4) 1966/67, 87-100. Drucke: Die Pilgerfahrt Ludwigs d. Jüngeren v. Eyb nach d. heiligen Lande (1476), hg. v. Ch. Geyer (AO 21) 1901, 1-54; Gesch. u. Taten d. Wilwolt v. Schaumburg, hg. v. A. v. Keller (BLVS 50) 1859■ 4 L. Schiller, Die Ansbacher gelehrten Schulen unter Markgraf Georg v. Brandenbürg, 1875; K. Schornbaum, Wann starb Vinc. Obsopoeus? (ZBKG 2) 1927, 169.

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Gräzisten, ihm ist eine ganze Reihe von Ausgaben griechischer Autoren zu danken, auch eine Wiedergabe von Teilen der Ilias in lateinischen Versen, wie er sich auch als Imitator Ovids versuchte. Als Lektor für Latein und Hebräisch wurde 1529 auf Empfehlung Luthers Bernhard Ziegler (f 1552)’ gewonnen, der damals der hervorragendste Hebraist auf protestantischer Seite war. Er stammte aus Grävemitz bei Meißen, 1540 folgte er einem Ruf auf den theologischen Lehrstuhl nach Leipzig, außer Thesen hat er nichts publiziert. Neben Ziegler lehrte für wenige Jahre auch Johann Serranus (Seger) aus Kempten, der dann in den Pfarrdienst überging, von ihm stammen einige lexikographische Schriften. Der bedeutendste Gelehrte, der damals zu Ansbach lehrte, war der Mediziner und Botaniker Leonhard Fuchs (f 1566)2 aus Wemding; bis 1535 war er, gleichzeitig Leibarzt des Markgrafen, an der Ansbacher Schule tätig, dann folgte er einem Ruf nach Tübingen. Fuchs gehört zu den Begründem der Botanik als selbständige Wissenschaft (Historia stirpium, 1545), die Fuchsie trägt von ihm ihren Namen. Als Pfarrer und Organisator des evangelischen Kirchenwesens in der Markgrafschaft begegnet der Humanist Andreas Althammer (j1539 ‫’)־‬ aus Brenz bei Gundelfingen. 1529 (15 3 62) schloß er die Vorarbeiten zu einem Kommentar zu Tacitus ab, die er als Student aufgenommen hatte. Sein Kommentar, der philologische und geographische Erläuterungen zu Tacitus aus antiken und humanistischen Werken bietet, blieb die einzige Frucht seiner humanistischen Gelehrsamkeit, alle anderen Schriften seit 1526 dienten der Festigung der Reformation oder der Vertiefung der biblischen Theologie. Für ein Territorium von dem politischen Anspruch der fränkischen Markgrafschaft war sein Anteil an dem geistesgeschichtlich bedeutsamsten Umbruch seit der Scholastik gering. Erst im Zeitalter der Aufklärung tritt es voll in die Auseinandersetzung ein.

$ 69. DIE REICHSSTADT NÜRNBERG Will-Nopitsch (s. u. 145 8) ;Bauerreiss IV 136ff, 148 ff. ;ReickbjE. Kusch, Nümberg.Wescnsbild einer Stadt, 1950; Nürnberger Gestalten aus neun Jahrhunderten, hg. v. Nürnberger Stadtrat, 1930; Nürnberg - Gesch. einer europ. Stadt, hg. v. G. Pfeiffer, 1971; G. Strauss, Nuremberg in the sixteenth Century, New York 1966; Μ. Herrmann, Die Reception d. Humanismus in Nümberg, 1898; E. Borkowsky, Nürnberg u. Augsburg, zwei Städte d. deutschen Renaissance (E. Borkowsky, Aus d. Zeit d. Humanismus) 1905, 221-241; E. Reickb, Reformation u. Humanismus in Nürnberg (Die Reformation in Nürnberg) 192$, 25-49; K. Schornbaum, Beitrr. z. Gesch.

1 Bayer (s. o. 580 Anm. 2) 180; K. SchornEin Brief Osianders (Beitrr. BK 17) 1910/11, 124-125; W. Friedensburg, Zwei unbekannte Briefe an Luther (ARG 27) 1930, 117-118. 1E. Stübler, Leonhard Fuchs, Leben u. Werk, 1928; Ders., Leonhard Fuchs (Schwäb. Lebensbilder 1) 1940, 208-215; H. Marzell, Leonhard Fuchs u. sein New Kreuterbuch (1543), 1938; R. Bobbbl, Die Herzmittel im «Hortus sanitatis» des Johann v. Cube u. bäum,

«New Kreuterbuch» des Leonhard Fuchs, Med. Diss. Erlangen 1957; C.-E. Kohlbauer, Zwei bedeutende Ansbacher Wissenschaftler (Bayerland 66) 1964, 112-115; Th. Puschmann, HB d. Gesch. d. Medizin II, 1903, 10 f.; Μ. Möbius, Gesch. d. Botanik, 1937. 1 Th. Koldb, Andreas Althammer, der Humanist u. Reformator in Brandenburg-Ansbach, 1895 (Neudr. 1967); Strauss, Topography (s. o. 556) 31 f.; Joachimsen, GeSchichtsauffassung (s. o. 556) 146-150.

§ 6g. Die Reichsstadt Nürnberg (A. Kraus)

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d. Reformationszeitalters in Nürnberg (MVGN 44) 1953, 286-316; B. Hartmann, Konrad Celtis in Nürnberg (MVGN 8) 1889, 1-68; G. Th. Strobel, Beyträge z. Litteratur, bes. des 16. Jhs., 2 Bde., 1784/85; Ders., Neue Beyträge, 5 Bde., 1790/94; G. W. Panzer, Annalen d. älteren deutsehen Literatur, 2 Bde., Nürnberg 1788/1805; G. W. K. Lochner, !Lebensläufe berühmter . .. Nürnberger, 1861; G.Bauch, Die Nürnberger Poetenschule 1496-1509 (MVGN 14) 1901, 1-64; H. Steiger, Das Melanchthon-Gymnasium in Nürnberg (1526-1926). Ein Beitr. z. Gesch. d. Hum., 1926.

a) Persönlichkeiten und Strömungen. Die humanistische Literaturgattung des Städtelobs hat schon sehr früh Nürnberg als Objekt gefunden; der erste Autor eines wohlgefügten Loblieds auf die gastliche, machtvolle Stadt war Gregor Heimburg, die großartigste Form hat Konrad Celtis, die eleganteste Eobanus Hessus gefunden. Die Königin unter den Städten des südlichen Deutschland, den Mittelpunkt Germaniens, nannte Enea Silvio die Stadt an der Pegnitz, auch Hutten nannte sie 1518 in einem Brief an Pirckheimer die erste unter den deutschen Städten, ein zweites Athen war sie für Melanchthon.1 Auch in der «Brevis Germaniae descriptio» des Cochläus von 1512 wird Nürnberg das Zentrum Europas genannt. Das Lob gilt der Stadt der Kaufleute und Künstler, den hochragenden Mauern und Türmen wie dem Reichtum der Bürger, dem Zusammenfluß der Straßen, der schon Regiomontan die Formel vom Mittelpunkt Europas gebrauchen ließ, aber die Bezeichnungen «Florenz des Nordens» oder «deutsches Athen» zeigen doch, daß nicht weniger die Stadt der großen Künstler und der Humanisten gemeint ist. In der Tat begann um 1500 Nürnberg Wien abzulösen, wenige Jahre später war der Vorrang Augsburgs dahin, und obwohl Basel bis 1529 einen Erasmus hatte, konnte es doch mit Nürnberg an Glanz und Fülle bedeutender Geister nicht wetteifern. Zum Ausgang des Zeitalters Maximilians I. stand Nürnberg in seinem «goldenen, perikleischen Zeitalter» (Schubert), selbst Städte mit blühenden Universitäten machten ihr den geistigen Vorrang nicht streitig. Die humanistische Bewegung traf in Nürnberg auf ungewöhnlich günstige Voraussetzungen, die wichtigste war der Reichtum der großen Geschlechter, des eigentlichen Trägers der humanistischen Bildung; ihr Reichtum gewährte ihnen die notwendige Muße für jene Verfeinerung des Lebens und jenen Sinn für geistige Kultur, die zum Ausdruck kommen in der entscheidenden Funktion einer aristokratischen Führungsschicht, im Mäzenatentum und in der behutsamen Lenkung der Entwicklung. Dem 1 Vgl. Spitz (s. o. 556) 155 f.; ZusammenStellung auch bei Werminghoff, Celtis (s. o. 562 Anm. 1) 12 ff. Herrmann (s. o. 582), welcher der Auffassung von einem Vorsprung Nürnbergs bei der Aufnahme des Humanismus entgegentreten will, begründet seinen Vorwurf ungewöhnlich langer Ablehnung durch den Rat mit der Tatsache, daß Doctores aus ihm femgehalten wurden («Mittel der konservativen Regenten in Nürnberg, den modemen Geist von allen Regierungsangelegenheiten fern zu halten», S. 34). Obwohl diese Ansicht irrig ist - es ging um das Femhalten einer Schicht, die den Rat hätte spalten können,

um die Führung zu erlangen, die juristischen Dienste, die man sehr wohl schätzte, erkaufte man sich lieber - nehmen Joachimsen, GeSchichtsauffassung (s. o. 556) 87, Eisenmann (s. o. 556) 44 u. Rössler 107 die These auf, ungemein vergröbert Strauss, Nürnberg (s. o. 582) 231 ff., bes. 244. Widerspruch gegen Herrmann E. Reiche, Reformation u. Human, in Nürnberg (s. o.) 34. Ein Vergleich mit den Angaben bei Rupprich, Frühzeit (s. o. 556) u. Rupprich, Humanismus (s. o. 556) zeigt, daß von ungewöhnlicher Zurückhaltung nicht die Rede sein kann.

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Rat oblag die Sorge für die Stadtbibliothek,' sie wurde öffentlich zugänglich gemacht und wuchs durch Käufe und Zuwendungen, Privatbibliotheken12 von Ruf entstanden, auch einige Klosterbibliotheken hatten namhafte Bestände. Noch vor derJahrhundertwende hatten drei Buchdrucker3 in Nürnberg ihr Auskommen, darunter der große Anton Koberger, dessen humanistische Drucke denen Amerbachs in Basel die Waage hielten. Drei Lateinschulen gab es in der Stadt, die Klöster schlossen sich im Verlauf des fünfzehnten Jahrhunderts größtenteils den Reformrichtungen an, waren also geöffnet für wissenschaftliches Streben. Nürnberg war in vieler Hinsicht bereit, doch auf einen einzigen Anstoß hin hat sich der Humanismus nirgends in Deutschland durchgesetzt, mehr als politische und soziale Strömungen bedarf eine geistige Bewegung, die sich an wenige richtet, der Zeit zur Entfaltung. In Nürnberg lassen sich die ersten Regungen humanistischen Interesses mit dem zweiten Aufenthalt Gregor Heimburgs datieren, nach 1444 also. Martin Mayr, der spätere Landshuter Staatsmann und Gründer der Universität Ingolstadt,4 war damals ebenfalls wie Heimburg Rechtsberater der Stadt, auch der Jurist und langjährige Diplomat in sächsischen, kurmainzischen und kaiserlichen Diensten Dr. Heinrich Leubing5 aus Nordhausen, von 1444 bis 1463 Stadtpfarrer zu St. Sebald, stand Heimburg nahe, und schließlich bekannte auch der Ratschreiber Niklas von Wyle (f 1478)6 aus Bremgarten im Aargau, daß er Heimburg einen Hinweis für seine Übersetzungen verdanke. Für die Annahme eines Humanistenkreises reichen die Zeugnisse jedoch nicht aus.7 Selbst diese schwache Regung des humanistischen Geistes in Nürnberg war nicht Erzeugnis autochthoner Kräfte, doch gerade um diese Zeit begannen auch diese sich zu regen. Sie waren noch nicht schöpferisch, nur rezeptiv; Söhne Nürnberger Geschlechter sammelten in ihren italienischen Studienjahren Briefe, Reden und Traktate italienischer Humanisten, kopierten Handschriften von antiken Autoren und tauschten Briefe aus, in denen sie mit klassischen Lesefrüchten glänzten. In diese Reihe gehören der Arzt Hermann Schedel (j1485 ‫)־‬,’ der Eichstätter und Regensburger Domherr Thomas Pirckheimer (j1473 ‫)־‬,’ der als Orator in bayerischen Diensten stand, und sein 1J. Petz, Urkundl. Beitrr. z. Gesch. d. Bücherei d. Nürnberger Rates 1429-1538 (MVGN 6) 1886, 123-174; Η. K. Goldmann, Sechshundert Jahre Stadtbibi. Nürnberg, 1957. 2 Ruf (s. o. 575); zur Bibi. Schedels s. u. 585. 3 Strauss, Nürnberg (s. 0. 582) 260; Geldner (s. o. 573 Anm. 2) 161 ff; L. Febvre-H.J. Martin, L’apparition du livre, 1958, 186ff.; K. Goldmann, Anton Koberger. Schöne Büeher u. Einbände seiner Offizin, 1963; O. v. Hase, Die Koberger, 19673. 4 S. HB II 279 ff. 5 W. Loose, Heinrich Leubing. Eine Studie z. Gesch. d. 15.Jhs. (Mitt. Ver. f. Gesch. d. Stadt Meißen 1) 1883; Joachimsohn, Heimbürg (s. o. 561 Anm. 1) 101; Jänner III 518. 6 B. Strauss, Der Übersetzer Nikolaus v. Wyle, 1912; P.Joachimsohn, Frühhumanis-

mus in Schw. (Württ. Vjhe. NF 5) 1896; G. Bürger, Die südwestd. Stadtschreiber im MA, 1960, 272; H. Butz, N. v. Wile (Jb. f. G. d. obdt. Rst. 16) 1970. - Translationen d. Niklas v. Wyle, hg. v. A. v. Keller (BLVS 57) 1861. 7 Aeneas Sylvius, Epistolae, Nürnberg 1487, nr. 120; Kard. Carvajal an G. Heimburg (FRA II t. 20) 1860, 377 f. • P. Joachimsohn, Hermann Schedels Briefwechsel (BLVS 196) 1893; R. Stäuber, Die Schedelsche Bibliothek, 1908, 11 ff., 35 ff. 9 A. Reimann, Pirckheimer-Studien, 1910; Ders., Die älteren Pirckheimer, 1944, 60-102; Meuthen, Die letzten Jahre (s. o. 561) 52 u. ö.; B. Kraft, Andechser Studien I (OA 73) 1937, 194 f., 210 ff; H. Lieberich, Die gelehrten Räte (ZBLG 27) 1964, 158 f.

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Bruder, der Kaufmann und Nürnberger Ratsherr Hans Pirckheimer (j1492 ‫)־‬.* Einen sichtbaren Umbruch bewirkten sie in Nürnberg jedoch noch nicht. Auch durch Regiomontan tritt der Humanismus noch längst nicht als beherrschende Kraft in Erscheinung, doch die Beziehungen verdichteten sich immer mehr, insofern etwa Bernhard Walther das Erbe Regiomontans durch eigene Beobachtungen vermehrte oder zur gleichen Zeit der Stadthauptmann Wilhelm von Himkofen,1 23gen. Renwart, auf Bitten des Rats den Traktat «De miseriis curialium» übersetzte, den Enea Silvio Johann von Eych gewidmet hatte. Noch einmal wurde um 1465 eine ganze Reihe von Patriziersöhnen zum Studium auf italienische Universitäten geschickt und dort vom Humanismus begeistert,’ Georg Pfinzing, der die Tragödien Senecas abschrieb, Johann LöfFelholz, Georg Tetzel und Johann Pirckheimer, der Sohn des Hans, der unermüdlich an klassischen Autoren abschrieb, was er ereichen konnte, ferner Hartmann Schedel, der nicht dem Patriziat angehörte. Sie kehrten nicht heim, um in die Stadt hineinzuwirken, sondern traten in fremde Dienste, Pfinzing, LöfFelholz und Pirckheimer als juristische Berater verschiedener Fürsten, Schedel ließ sich als Arzt in Nördlingen nieder. Der bedeutendste unter ihnen war Johann Pirckheimer (fijoi)4 einer der frühesten Kenner des Griechischen nördlich der Alpen und stark vom Florentiner Platonismus beeinflußt, ein unermüdlicher Büchersammler, wie sein Vater, der Verfasser einer Enzyklopädie des gesamten römisch-kanonischen Rechts. Er trat 1466 in Dienste des Fürstbischofs von Eichstätt, seit 1475 war er Rat Albrechts IV. und Sigismunds von Tirol, bis er 1588 wieder nach Nürnberg zurückkehrte. Vielleicht hat gerade er dem humanistischen Einfluß im Patriziat zum Durchbruch verholfen, jedenfalls wurde auf seine Anregung hin 1496 die Poetenschule errichtet, die völlig als humanistische Erziehungsanstalt gedacht war. AuchJohann Löffelholz (j1509 ‫ )־‬kehrte nach langen Jahren der Tätigkeit in der kaiserlichen Kanzlei sowie als Rat im Dienste von Bamberg, dann des Landshuter Herzogs, 1476 nach Nürnberg zurück, er gehörte später zu den eifrigsten Korrespondenten des Celtis. Wenige Jahre später, 1484, ließ sich auch Hartmann Schedel (1440-1514)5 in seiner Vaterstadt als Arzt nieder. Berühmt war seine Bibliothek, entstanden durch reiche Einkäufe und unablässige AbSchriften klassischer und humanistischer Werke, aber auch von historischen Aufzeichnungen aus bayerischen Klöstern. Diese Generation, die zwanzig Jahre zuvor ihre humanistischen Studien begonnen hatte, leitete durch ihre Rückkehr die große Zeit des Nürnberger Humanismus ein. Dazu kam noch der Arzt Hieronymus Münzer (j6(1508‫־‬ aus Feldkirch, der sich 1478 in Nürnberg niederließ, ein namhafter Geograph, und der Losungsschreiber Georg Alt,1 der aus Ulm stammte. In Nürnberg selbst war aber das Interesse inzwischen ebenfalls weiter gewachsen. Der Patrizier Hans Tücher 1 Reimann (s. o. Anm. 9). 2 Joachimsohn, Meisterlin (s. u. $98 Anm. 6); Wuttke (s. u. 599 Anm. 4) 285. 3 G. v. Kress, Gelehrte Bildung im alten Nürnberg u. d. Studium d. Nürnberger an italien. Hochschulen (Altes u. Neues aus d. Pegnesischen Blumenorden 2) 1893, 14 bis 50.

4 Reimann (wie Anm. 1); Lieberich (s. o. Anm. 9) 158; vgl. auch 570 Anm. 2). ’ Stäuber, Bibi. (s. o. 584 Anm. 8); P. Lehmann, Eine Gesch. d. alten Fuggerbibliotheken I, 1956, 54 ff., 60 f., 94; s. auch 559. 6 S. u. 596. 7 Werminghoff, Celtis (s. o. 562) 31 f. u. ö. Rupprich, Briefwechsel (s. o. 557) 159.

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(j1,(1491 ‫ ־‬der selbst keine gelehrte Bildung besaß, regte das Buch «Von den Kaiserangesichten» (1487) des Lesemeisters bei den Franziskanern Stephan Fridolin an, einer Reihe von Kaiserbiographien zu einundvierzig Kaisermünzen im Besitz der Tücher, von ihm selbst stammt die Beschreibung seiner Reise nach Palästina (1492), Anteil hat er auch am Tucher-Buch, den Aufzeichnungen zur Geschichte seines Geschlechts. In den achtziger Jahren hatte sich so eine ansehnliche Humanistengemeinde in Nürnberg gesammelt, ihre Seele war Sebald Schreyer (1446-1520),1 der feinsinnige Mäzen, Inhaber vieler städtischer Ämter, darunter das des Kirchenmeisters bei St. Sebald, dessen Initiative und finanzieller Mithilfe das Sebaldus-Grab Peter Vischers zu danken ist und der die Grablegung Adam Krafts stiftete. Dieser Kreis von Nürnberger Patriziem und Ratsverwandten war, Schedel ausgenommen, selbst noch nicht in jenem Maße schöpferisch wie die nächste Generation. Ihre wichtigste Aufgabe sahen diese älteren Nürnberger Humanisten, wie es scheint, in der Förderung von Leistungen anderer. So entstand 1488 im Auftrage des Nümberger Rates das erste humanistische Geschichtswerk der Stadt durch den Augsburger Benediktiner und einstigen Prediger zu St. Sebald Sigismund Meisterlin,3 der damals für wenige Jahre Pfarreien in der Nähe von Nürnberg versah. Auch der Auftrag zum großen Globus des Martin Behaim, der damals gerade für einige Jahre in seiner Heimat weilte, stammt vom Nürnberger Rat. Schreyer dann hat wenig später die Anregung zum prunkvollsten deutschen Geschichtswerk der Zeit gegeben, das bei Koberger in Druck ging, und dafür das finanzielle Risiko getragen, die Weltchronik Hartmann Schedels von 1493. Michael Wohlgemut, der Meister Dürers, schuf dafür die Illustrationen, das erste große Beispiel in Nürnberg von der Verbindung von Humanismus und Kunst. In diese Jahre fällt auch, Symbol für die Stellung, die Nümberg im deutschen Geistesleben zuzukommen schien, die erste deutsche Dichterkrönung 1487 auf der Nürnberger Burg durch Friedrich III., vollzogen an Konrad Celtis. Auch die 1491 einsetzende Phase der Zusammenarbeit und des geistigen Austausches mit Konrad Celtis, von welchem spürbare Anstöße ausgingen, steht hauptsächlieh im Zeichen Sebald Schreyers. Mit ihm war die Nürnberger Korrespondenz von Celtis am dichtesten, Celtis lieferte ihm die Verse für die Wandbilder, die Schreyer in seinem Hause anbringen ließ, er feierte ihn in einer Ode und schrieb auf seine Bitte hin die poetische «Vita Sancti Sebaldi» (1495). Schreyer versuchte Celtis für große Themen zu begeistern, der Grundgedanke zu den Plänen des Celtis, in einer «Germania illustrata» die «Italia illustrata» (1458) des Blondus zu übertreffen, das Grundwerk der neueren Geschichtswissenschaft, scheint in diesem Zusammenhang entstanden zu sein.4 Was davon blieb, war die «Norimberga» des Celtis selbst, das 1 P. Joachimsohn, Hans Tuchers Buch von 2 Reimann, Die älteren Pirckheimer (s. o. $84) i75;Hartmann(s. 0.583)21 ff.;Rupprich, den Kaiserangesichten (MVGN 11) 1895; L. Grote, Die Tücher, 1961; W. Schwemmer, Briefwechsel (s. o. 557) 142 (Lit.); E. Caesar, Das Mäzenatentum d. Nürnb. Patrizierfam. Sebald Schreyer, ein Lebensbild aus d. vorreTücher vom 14.-18. Jh. (MVGN 51) 1962, form. Nürnberg (MVGN 56) 1969, 1-213. 1559‫ ■־‬Vgl. U. Schmidt, P. Stephan Fridolin, ‫ נ‬S. u. 598 Anm. 6. 1910; St. Fridolin, Der Schatzbehalter, hg. v. 4 Vgl.Rupprich, Humanismus (s. 0.556) 50f. R. Bellm, 1962.

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«Meisterstück humanistischer Städtebeschreibung» (Rupprich); 1495 erhielt der Rat die erste Fassung, 1502 erschien das Gedicht im Druck, * Georg Alt erhielt den Auftrag, es ins Deutsche zu übersetzen. Angeregt durch Celtis und Schreyer wollte auch der junge Nürnberger Jurist Peter Dannhauser123der schon als Dichter hervorgetreten war, den Wettbewerb mit Blondus wagen; er hatte die Absicht, die «Roma triumphans» (1459) des Blondus noch zu übertreffen, doch seine Pläne kamen nicht zur Ausführung. Dannhauser edierte die Werke Anselms von Canterbury, Wilhelms von Paris und den Lebensspiegel des Dionysius von Roermond, 1500 wurde er als Jurist nach Wien berufen. Zum Nürnberger Freundeskreis gehörte auch ein junger Arzt, Dietrich Ulsenius2 aus Krampen in Overijssel, der im Stil Virgils medizinische Lehrgedichte verfaßte, auch Gedichte von ihm an Celtis sind erhalten. Sein «Vaticinium in epidemicam scabiem» (1496) ist illustriert durch das sog. Pestbild Dürers. Von 1493 etwa bis 1502 wirkte er in Nürnberg. Nahe stand Celtis auch der Mathematiker Johannes Werner,4 den Celtis auf den Lehrstuhl für Griechisch in Wien berufen wollte. Celtis an Nürnberg zu binden, durch die Übertragung der Leitung der neu gegründeten Poetenschule, gelang nicht, aber es war ein N ümberger, der ihn 1492 für die Ingolstädter Professur empfohlen hatte, Sixtus Tücher (1459-1507),’ der Bruder des Losungers Anton Tücher, des Stifters des Englischen Grußes in St. Lorenz. 1487 wurde er Kanonist zu Ingolstadt, 1496 Propst von St. Lorenz in Nürnberg. Er war befreundet mit dem Wormser Bischof Johann von Dalberg, dem Haupt des Heidelberger Humanistenkreises, von seiner am Neuplatonismus eines Pico della Mirandola und eines Rudolf Agricola orientierten tiefen Schau der Dinge zeugen seine «Vierzig Sendbriefe» (1515), die sein Neffe Christoph Scheuri in Druck gegeben hat. Mit Scheuri (1481-1542)’ tritt die letzte Generation der Nürnberger Humanisten in die Öffentlichkeit, eine Generation freilich, für die zum Teil der Humanismus bereits ererbter Besitz war, nicht mehr in harten Studien erworben und begeistert propagiert; als Patrizier bekannte man sich jetzt selbstverständlich zur humanistischen Bildungsidee, das bedeutet ihre volle ungehemmte Entfaltung unter Förderung von Seiten des Rats, aber die große geistige Leistung ist auch jetzt beschränkt auf wenige. Christoph Scheuri gehört in diesen Kreis, obgleich ihm jene Stellung versagt blieb, die er mit aller Energie anstrebte; einer der ersten Humanisten Deutschlands ist er nicht geworden, so sehr er sich auch in einer Unzahl von Briefen an nahezu alle führenden Hu1 E. Reicke, Konrad Celtis u. d. Ehrengabe für seine Norimberga (MVGN 35) 1937, 89 bis 10$; Hartmann (s.o. 583); Werminghoff (s. o. $62 Anm. 1); H. Rupprich, Konrad Celtis u. d. Nürnberger Ratsherr Hieronymus Haller (MVGN 32) 1934, 69-77. 2 Aschbach (s. o. $67 Anm. 1) II 104 f.; Reimann, Die älteren Pirckheimer (s. o. $84) 16$; G. Bauch, Die Anfänge d. Humanismus in Ingolstadt, 1901, 28; Stäuber (s. o. $84 Anm. 8) 81 f.; Rupprich, Briefwechsel (s. o. $$7) 23, 216. 3 Ebd. 90.

4 S. u. 597. ’ Rupprich, Briefwechsel 28. 6 W. Grap, Doktor Christoph Scheuri v. Nürnberg, 1930; G. Bauch, Christoph Scheuri in Wittenberg (Neue Mitt, aus d. Geb. hist.antiqu. Forsch. 21) 1903, 33-42 (Autobiographie); Christoph Scheurls Briefbuch, hg. v. Soden-Knaake, 2 Bde., 1867/72 (Neudr. 1962); G. Bauch, Zu Christoph Scheurls Briefbuch (Neue Mitt, aus d. Geb. hist.-antiqu. Forsch. 19) 1898, 400-436; zu seinen hist. Werken s. u. 601.

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manisten mühte, in diesem Kreis anerkannt zu werden. Ihm fehlte, trotz außerordentlieh rührigen Strebens, die große Form wie die weite Sicht. Sein Leben verlief jedoch nicht ohne Höhepunkte; als Student in Bologna war er Syndikus der deutsehen Nation, ihren Lobpreis, gestützt vor allem auf Tacitus, enthält die festliche Rede, die er bei seinem Amtsantritt hielt (Libellus de laudibus Germaniae, 1506). Von 1507 bis 1511 hatte er einen juristischen Lehrstuhl in Wittenberg inne, den er Staupitz und seinem Onkel Sixt Tücher verdankte, seit 1512 war er Ratskonsulent in Nürnberg, stark beansprucht durch diplomatische und juristische Geschäfte. Im Staupitz-Kreis hatte er die Führung inne. Bei dem entscheidenden Religionsgespräch, das 1525 den Übergang der Reichsstadt zur Reformation brachte, führte er den Vorsitz, ohne doch selbst, befreundet mit Eck und lange bemüht, Eck und Luther zu versöhnen, den Schritt mitzuvollziehen. Die Isolierung, in die er daraufhin geriet, war vielleicht der Anlaß zur folgenden Intensivierung seiner historischen Studien.1 Mit der Geschichte des Nürnberger Humanismus verbindet sich, nicht nur im Bewußtsein der Historiker, vor allem ein Name, der des Willibald Pirckheimer (1470 bis 1532).1 2 Schon unter den Zeitgenossen war sein Ruhm unbestritten; Maximilian I. schätzte ihn als den «gelehrtisten Doctor, der im Reich ist», ihn, Erasmus und Reuchlin hielt Cochläus für die drei Sterne am Himmel des deutschen Humanismus, Erasmus, Trithemius, Beatus Rhenanus würdigten ihn ihrer Freundschaft, der Kreis seiner Korrespondenten umfaßte alle Namen von Rang im deutschen Geistesleben. Berühmt war seine Bibliothek. Er war tatsächlich, in höherem Maße als Erasmus, dem er freilich an Klarheit des Geistes, Eleganz der Sprache und eigener schöpferischer Kraft nachstand, die Idealgestalt des Humanisten, Orator, Poeta und Philosophus in einem; in seinem universalen wissenschaftlichen Interessenkreis, in seinem Kunstsinn und Musikverständnis, in der harmonischen Verbindung von geistiger Kultur und staatsmännischem Wirken war Pirckheimer noch mehr, die bemerkenswerteste Verwirklichung des Renaissanceideals in Deutschland. Pirckheimer, in Eichstätt geboren, studierte lange Jahre in Padua und Pavia, auch Rom lernte er kennen; in Florenz schloß er Freundschaft mit G. F. Pico della Mirandola, dem Neffen des großen Vertreters der Florentiner Akademie. 1495 kehrte er aus Italien zurück, seither gehörte er fast drei Jahrzehnte dem Nürnberger Rat an, für den er viele diplomatische Missionen 1 S. u. 601. 2 E. Reicke, Willibald Pirckheimer, Leben, Familie, Persönlichkeit, 1930; C.J. Burckhardt, Willibald Pirckheimer (Gestalten u. Mächte. Reden u. Aufsätze) 1941, 47-69; F. Kirchner, Willibald Pirckheimer’s Verhältnis z. Reformation, Diss. Masch. Wien 1950; G. Krodel, Nürnbergs Humanisten am Anfang d. Abendmahlstreits. Eine Untersuchung z. Verhältnis Pirckheimers u. Dürers zu Erasmus v. Rotterdam (ZBKG 25) 1956, 40-50; H. Rupprich, Willibald Pirckheimer. Beitr. zu einer Wesenserfassung (Schweizer Beitrr. z.

Allgem. Gesch. 15) 1957, 64-110; Rössler 129-138; Spitz (s. o. 556) 155-196; H. Apffel, Ein wiederentdecktes Humanistengedicht auf Willibald Pirckheimer (Hist. Bll. f. Stadt u. Lkr. Eichstätt 13) 1964, 5-8; J. J. Spielvogel, Willibald Pirckheimer and the Nuemberg City Council, The Ohio State Univ. 1967; H. Rupprich, Willibald Pirckheimer (Fränk. Lebensbilder 1) 1967, 94-112 (Lit.). - Opera politica, historica, philologica et epistolica, hg. v. Μ. Goldast, Frankfurt 1610; W. Pirckheimers Briefwechsel, hg. v. E. Reicke, 2 Bde., 1940/56.

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erfolgreich erledigte, 1499, im Schweizer Krieg, führte er als Feldhauptmann das Nürnberger Kontingent. Zu seinem Aufgabenbereich gehörte auch die Betreuung der Schulen, auf seine Empfehlung hin wurde Gregor Haloander (1501-1551)1 aus Zwickau, ein Schüler Agricolas, durch ein städtisches Stipendium unterstützt, als er die Absicht äußerte, seinen Codex Justinianus (1530) in Nürnberg herauszubringen, die erste Edition, die sich in der Textgestalt von der mittelalterlichen Tradition löste und deren historische Bedeutung «nicht hoch genug angeschlagen» werden kann (Stintzing). Pirckheimer, der bewußt wie kein anderer deutscher Humanist nach allgemeiner Entfaltung der eigenen Persönlichkeit strebte, blieb es gerade deshalb nicht erspart, mit seiner Zeit in härteste Konflikte zu kommen. Zunächst setzte ihn Eck, der durch die Pirckheimer zugeschriebene Satire «Eckius dedolatus»1 2 von 1520 aufs tiefste betroffen war, zusammen mit Luther, Adelmann von Adelmannsfelden und L. Spengler auf die Bulle «Exsurge Domine»; nur unter großen Demütigungen konnte sich Pirckheimer aus dem Bann lösen. Nach anfänglicher begeisterter Zustimmung zu Luther geriet er in scharfen Gegensatz auch zu den Vertretern der reformatorischen Lehre, zum Teil aus dogmatischen Gründen, zum Teil in Verteidigung seiner Töchter und Schwestern, die in Nürnberger Klöster eingetreten waren und nach 1525 dort dem Zugriff des Rats ausgesetzt waren, darunter die hochgebildete, tapfere Äbtissin des Klara-Klosters in Nürnberg, Charitas Pirckheimer.3 Ausschlaggebend für die nie mehr überbrückten Spannungen zur Reformation war aber wohl die eigentlich humanistische Haltung Pirckheimers, die ihm mit Erasmus gemeinsam war, die stoisch bestimmte Moralität, die in der uneingeschränkten Freiheit des Willens wurzelte, und der dem antiken Erbe wie der eigenen aristokratischen Haltung gemäße Sinn für Maß und Würde, den pöbelhafte Tumulte wie die aufgeregte konfessionelle Polemik beleidigen mußten. Man wird aber auch seine Einstellung zur kirchlichen Tradition nicht übersehen dürfen, die ungleich positiver war als die Luthers. In jenem Brief an Lorenz Beheim vom August 1517, der seiner Ausgabe des Piscator von Lukian vorausgeht und in dem er für Reuchlin eintrat und Luther unter die ersten deutschen Theologen setzte, hat er auch sein Glaubensbekenntnis abgelegt, es ist das der VerSchmelzung von Humanismus und Christentum, der Ansatzpunkt liegt dort, wo beide sich aufs engste durchdringen, bei Platon und bei den griechischen Kirchenvätern. Pirckheimers staunenswertes literarisches Lebenswerk erhält von diesem humanistisehen Grundanliegen her seine innere Einheit; Platonismus als Streben zur wissenschaftlichen Durchdringung des Ganzen der Welt in all ihren Ausprägungen ist bei 1 O. Clemen, Der Lebensausgang Gregor Haloanders (Festschr. A. Tille) 1930, 179 bis 189; Bursian (s. o. 556) I 190 f.; Stintzing (s. 0.556) I 180-203; F. Wieackbr, Privatrechtsgesch. d. Neuzeit, 1952, 81, 85 f. 2 Die Verfasserschaft ist nach wie vor nicht geklärt (Spitz, s. o. 556), trotz S. Szamatölski, Eckius dedolatus, 1891 (Edition). P. Merker, Der Verfasser des Eccius dedolatus und anderer Reformationsdialoge, 1923, hält Nikolaus Gerbelius, Jurist u. Druckereikorrek-

tor zu Straßburg, für den Autor, H. RuppDer Eckius dedolatus u. sein Verfasser, 1931, nimmt Beteiligung Pirckheimers an, Verfasser Fabius Zonarius aus Goldberg in Schlesien, Freund Huttens u. häutig Gast bei Pirckheimer; keine der Thesen überzeugt. 3 J. Kist, Charitas Pirckheimer, 1948; Die «Denkwürdigkeiten» der Caritas Pirckheimer, hg. v. J. Pfänner, 1962; Ders., Caritas Pirckheimer (Fränk. Lebensbilder 2) 1968, 193-216. mch,

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den Kirchenvätern überhöht durch ihre Einbeziehung der Offenbarung, beides seiner Zeit zu vermitteln sah Pirckheimer als seine Aufgabe an. Er wurde damit zum bedeutendsten Wegbereiter des griechischen Geistes im Deutschland seiner Zeit. Seine Übersetzungen des Platon, Xenophon, Plutarch, Lukian, Sokrates und Theophrast ins Latein, die Umgangssprache der Humanisten, erschlossen dem gebildeten Deutschland erstmals in voller Breite diese nur wenigen bekannte Welt. Übersetzungen der griechischen Kirchenväter, des Gregor von Nazianz, Johann Chrysostomus, Johann Damascenus und Nilos fügten sich an. Das Vorbild für diese Übersetzungstätigkeit war zweifellos Marsiglio Ficino, das Haupt der Florentiner Schule; für den neuplatonisch-mystischen Einfluß, der von ihm ausging, ist bezeichnend vor allem die Übersetzung der «Hieroglyphica» des Horapolio (1514), die Pirckheimer auf Wunsch Maximilians I. vomahm und die Dürer illustrierte.1 Platonischen Gedankenkreisen entstammte auch eine eigenständige philosophische Arbeit Pirckheimers, das «Colloquium de animae post mortem statu» (1501). Auch in seine Briefe strömte davon vieles ein. Alle anderen selbständigen Schöpfungen, soweit sie nicht poetischer Art waren wie die elegante, geist- und humorvolle «Apologia seu podagrae laus» (1522) oder seine Elegien, darunter das ergreifende Klagelied von 1528 auf den Tod Dürers, gehörten der Wissenschaft an; auch als Geschichtsschreiber leistete er Hervorragendes.1 2 Sichtbar werden in dieser Vielgestaltigkeit von Pirckheimers Lebenswerk auch seine Grenzen; auf vielen Gebieten hat er ein großes Talent erprobt, aber doch nirgends andere Normen gesetzt als die seiner großen Vorbilder und in jener Verdünnung, die das Kennzeichen des vermittelnden Geistes stets ist. So hat der engste Freund Pirckheimers, Albrecht Dürer,3 mit Recht in ungleich höherem Maße die Nachwelt bewegt als der in seinen Grenzen keineswegs geringe Humanist. Dürer war wie kein anderer Nürnberger Künstler, mehr auch als Holbein d.J. in Basel, der Gedankenwelt des Humanismus verbunden, nicht nur, indem er Aufträgen zur Illustration humanistischer Werke nachkam, der Amores des Celtis, des Pestbuchs des Ulsenius, mehrerer Werke von Pirckheimer, auch des Theuerdank Maximilians L, auch durch die symbolhaft verdichtete Gestalt des Hieronymus wie durch Humanisten-Porträts von tief einfühlender Charakterisierungskunst. Auch auf dem eigentlichen Feld des Humanismus hat Dürer seinen großen Rang behauptet, auf dem Gebiet der Theorie. In zwei Büchern «Underweisung der Messung mit dem Zirckel und Richtscheyd» (1525) und im Buch über die menschlichen Proportionen (1528), das er Pirckheimer widmete, hat er versucht, nach dem unmittelbaren Vorbild des großen italienischen Kunsttheoretikers Leon Battista Alberti zurückzufinden zu den durch Euklid und Vitruv aufgestellten Grundgesetzen der Geometrie als Teil der Technik des Künstlers wie der 1 G. Boas, The Hieroglyphics of Horapolio, New York 1930; K. Dannenfeldt, Egypt and Egyptian Antiquities in the Renaissance (Studies in the Ren. 6) 1939. 2 S. u. 601. 3 Nur Arbeiten, die Dürers Beziehungen zum Humanismus behandeln: P. Schubring, Albrecht Dürer u. d. Antike (Schule u. Wiss.)

1927, 399-406; E. Rosenthal, Dürers Buchmalereien f. Pirckheimers Bibliothek (Jb. d. Preuß. Kunstslg., Beih. zu Bd. 49) 1929; G. Weise, Dürer u. d. Ideale d. Humanisten, 1953. - Μ. Zucker, Albrecht Dürer in seinen Briefen, 1908; Tagebücher u. Briefe, hg. v. Gg. Müller, 1927. Zum Mathematiker Dürer s. 397.

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künstlerischen Proportion als Abbild der Harmonie des Alls. Für viele seiner Erkenntnisse hatte er erst die Wortentsprechung auf Deutsch zu formen, Bedeutendes hat er dabei auch geleistet für die Entwicklung der Geometrie selbst. Eines der feinsinnigsten Beispiele der humanistischen Verbindung von Eloquentia und Pictura, wie sie einst Enea Silvio postuliert hatte, zeigt uns Dürer nicht im Zusammenhang mit einem der Großen unter den Humanisten, wie Pirckheimer, sondern mit einem sehr wenig bekannten Nürnberger Dichter jener Zeit, dem Schottenmönch Benedikt Chelidonius (f 1521). * Von ihm stammen viele Widmungsgedichte, welche die Ausgabe humanistischer Werke begleiteten, für Cochläus, Cuspinian, Celtis und Trithemius, auch eine Gründungsgeschichte und Abtreihe des Nümberger Schottenklosters in Versen ist erhalten, mit all dem empfahl er sich Dürer, dem er die Texte für die kleine und große Passion und das Marienleben zusammenstellte, die Verse der kleinen Passion und des Marienlebens sind seine eigene Schöpfung, darunter nicht wenige Stücke von dichterischer Kraft und echter Tiefe der Empfindung. 1515 wurde er zum Abt des Wiener Schottenklosters gewählt, im gleichen Jahr führte er durch die Schule des dortigen Konvikts vor dem späteren Kaiser Karl V. ein Drama auf, «Voluptatis cum virtute disceptatio», das durch den ausgewogenen Aufbau, den Reichtum der Motive und die Straffheit der Handlungsführung an künstlerischem Rang dem «Ludus Dianae» des Celtis gleichkommt. Mit Chelidonius tritt eine Gestalt aus jenem Bereich der Nürnberger humanistisehen Bewegung ans Licht, der als Erscheinung wie in seiner Wirkung leicht übersehen wird, weil nach 1525 kaum jemand mehr an ihn dachte. So wenig wie andernorts haben auch in Nürnberg die Klöster den Humanismus ausdrücklich propagiert, es kam sogar zu erheblichen Spannungen zwischen den ersten Vertretern des Schulhumanismus in Nürnberg, dem Leiter der Poetenschule Grieninger, und den Dominikanern, doch gerade der Nürnberger Dominikanerkonvent war im fünfzehnten Jahrhundert zum Ausgangspunkt einer kraftvollen Reformbewegung geworden, die auch die Wissenschaftspflege einschloß, auch die übrigen Mendikantenklöster in Nürnberg wurden von der Reformbewegung ergriffen und wiesen im fünfzehnten Jahrhundert nicht wenige Persönlichkeiten von großer Gelehrsamkeit und asketischer Strenge auf, die man bereits dem Frühhumanismus zurechnen kann.1 2 Ein Nürnberger Kartäuser, Georg Pirckheimer,3 der Besitzer einer erlesenen Bibliothek klassischer Autoren und neuerer Humanisten, steht bereits dem Humanistenkreis um Celtis 1 Th. Hillmann, Benedictus Chelidonius v. St. Ägidien in Nürnberg (StMBO 58) 1940, 139-145; Μ. Reiterer, Die Herkulesentscheidüng v. Prodikos u. ihre frühhumanist. Rezeption der Voluptas cum virtute disceptatio d. Benedictus Chelidonius, Diss. Masch. Wien !957; Μ. Dietrich, Chelidonius’ Spiel: Voluptas cum virtute disceptatio, Wien 1515. Versuch einer Rekonstruktion d. Inszenierung (Maske u. Kothurn 5) 1959, 44-59; B. G. Winkler, Die Sonette d. Benedictus Chelidonius zu A. Dürers Marienleben u. ihr Verhält-

nis zum Marienleben d. Kartäusers Philipp, Diss. Masch. Wien 1960; Μ. Kisser, Die Gedichte d. Benedictus Chelidonius zu Dürers Kleiner Holzschnittpassion. Ein Beitr. z. Gesch. d. spätmittelalterl. Passionsliteratur, Diss. Masch. Wien 1964; H. Kindermann, Theatergesch. Europas II, 1959, 254-257; Wuttke (s. u. 599) 212 ff. U. ö.; AnKWICZ (s. O. 563) 12J. 2 Rupprich, Frühzeit (s. o. 556) 24, 42 f.; Bauerreiss V 92 f. ‫ נ‬Reimann (s. o. 584 Anm. 9) 181 ff.

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nahe, regt Peter Dannhauser zu seinen Editionen an und verfaßt selbst ein Marienloh in neuplatonisch getönten Wendungen. Bis 1520 war auch einer der bedeutendsten deutschen Franziskaner seiner Zeit Guardian in Nürnberg, Kaspar Schatzgeier.' Es hat also nicht an eindrucksvollen Gestalten unter den zahlreichen Ordensleuten in Nürnberg gefehlt; sie waren zweifellos im fünfzehnten Jahrhundert wissenschaftlich bedeutender als die gelehrten Laien, doch sie waren nicht in der Lage, sich Gehör zu verschaffen, sie trafen, oft noch in der Spätscholastik aufgewachsen, trotz ihrer Offenheit für den Humanismus nicht den Ton, den die Zeit sich ersehnte. Das war das Geheimnis, das die Initiatoren der sog. Staupitz-Gesellschaft1 2 in Nürnberg so einflußreich werden ließ, Johann von Staupitz selbst, den Generalvikar der deutschen Observantenkongregation der Augustiner-Eremiten, und den Prior des Nürnberger Klosters Wenzeslaus Linck,3 der kein Humanist im eigentlichen Sinn war. Die Predigten von Staupitz undLinck.die 1516/17 einen großen Zuhörerkreis erfaßten, sind aber auch für die humanistische Bewegung in Nürnberg von außerordentlicher Bedeutung geworden, da ihre wichtigsten Vertreter unter den Ratsmitgliedem der Societas Staupitziana angehörten;4 diese wieder leitet unmittelbar über zur Reformation. Die Staupitz-Runde war 1525 bei den entscheidenden Religionsgesprächen voll vertreten, Scheuri, der die Gesellschaft zusammengehalten hatte, führte den Vorsitz. Kaspar Nützel übersetzte die Thesen Luthers ins Deutsche, Spengler, der die Tischgespräche von Staupitz aufgezeichnet hatte, war die treibende Kraft bei den gesamten Vorgängen, Linck, der die «Obelisci» Ecks an Luther gesandt hatte, wurde noch 1525 Pfarrer der neuen protestantischen Gemeinde. Die Reformation hat den Humanismus in Nürnberg im Wesen völlig verändert. Von jetzt an wurde er eine Sache der Schulen, nur formale Bildungselemente verbanden den größten Teil der Humanistengeneration, die Luther folgte, noch mit der Geisteswelt eines Erasmus. Diese Spannungen zeigen sich bei Lazarus Spengler (1479-1534),5 dem Nürnberger Stadtschreiber, der seine hohen stilistischen Fähigkeiten von Anfang an in den Dienst der Sache Luthers stellte; auch er hatte als Humanist begonnen, mit einer Dürer gewidmeten «Ermahnung und Unterweisung zu einem tugendhaften Leben» (1519). Seither trat er mit leidenschaftlicher Feder für Luther ein. Von der Darstellung Spenglers vom Speyrer Reichstag war selbst Melanchthon der Ansicht, daß sie nicht gestaltet sei nach der Art 1 S. HB II 775; H. Klomps, Kirche, Freiheit u. Gesetz bei dem Franziskanertheologen Kaspar Schatzgeyer, 1957. 2 Erste Erwähnung 1517 I 2 (Scheurls Briefbuch II1, s. 587 Anm. 6); vgl. weiter ebd. 24, 36, 42 f., 176; Graf (s. o. 587) 65 f.; Schubert (s. u. Anm. 5) 11 fF.; Strauss, Nürnberg (s. o. 582) 160 ff. 3 W. Reindell, Doktor Wenzeslaus Linck aus Colditz 1483-1547, 1892. 4 Wohl auch Pirckheimer, der bei Scheuri nicht genannt ist; Beziehungen zu Linck weist Reindell (s. o. Anm. 3) 66 nach. 3 H. v. Schubert, Lazarus Spengler u. d.

Reformation in Nürnberg, 1934; O. Tyszko, Beitrr. zu den Flugschriften Lazarus Spenglers, 1939; Μ. Simon, Lazarus Spengler (Nümberger Gestalten aus neun Jahrhunderten) 1950, 74-78; H. Burger, Ein reformationsgesch. Handakt Lazarus Spenglers (ZBKG 31) 1962, 30-39; E. W. Kohls, Die Durchdringung von Humanismus u. Reformation im Denken d. Nürnberger Ratsschreibers Lazarus Spengler (ZBKG 36) 1967, 13-25; G. Pfeiffer, Albrecht Dürer u. Lazarus Spengler (Festschr. Μ. Spindler) 1969, 379-400.

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eines Geschichtsschreibers.1 Auch Thomas Venatorius (j 1551),2 der einst dem Humanistenkreis zu Eichstätt angehört hatte, Prediger zu Nürnberg seit 1522, hat seit dieser Zeit zur Hauptsache theologische Werke vorgelegt, doch ist ihm auch die erste Druckausgabe des Archimedes in Deutschland zu verdanken (1544), auf Grund einer Handschrift im Nachlaß Pirckheimers, wie er auch einige von Pirckheimer vorbereitete griechische Texte nach dessen Tod ediert hat. Venatorius hat 1544 die Reformation in Rothenburg eingeführt. Ebenfalls an den Anfängen der evangelischen Bewegung in Nürnberg steht Andreas Osiander (f 1J52)3 aus Gunzenhausen. Er hatte begonnen als Kenner des Hebräischen und der Kabbala, seine Vorbilder waren Reuchlin und Pico della Mirandola; von hier war er zur biblischen Theologie gelangt, schon 1522 war er mit einer Ausgabe der Hl. Schrift hervorgetreten, für die er hebräische Handschriften beigezogen hatte, 1537 veröffentlichte er eine Evangelienharmonie. Auf dem Religionsgespräch von 1525 trat er als Wortführer der siegreichen Richtung auf, diesen Rang konnte er auch in der Folgezeit behaupten. Sein aus den neuplatonisehen Anfängen rührendes Interesse für Astrologie und Astronomie veranlaßte Joachim Rhetikus, ihn mit der Überwachung des zu Nürnberg geplanten Druckes des Hauptwerkes von Kopemikus zu betrauen, Osiander veränderte eigenmächtig den Titel, tilgte die ursprüngliche Vorrede und ersetzte sie durch die eigene, in welcher er die Erkenntnis des Kopemikus bis zur Bedeutungslosigkeit abschwächte. 1548 wich er vor dem Interim nach Königsberg aus, wo er nach erbitterten theologischen Streitigkeiten mit seinen früheren Freunden, auch mit Melanchthon, vereinsamt starb. Im Zusammenhang mit der Reformation kam auch der Ratskonsulent Johann Apel (j4(1536 ‫ ־‬nach Nürnberg, der kurze Zeit Chorherr von Neumünster zu Würzburg gewesen war, sich dann aber verheiratet hatte und einen juristischen Lehrstuhl in Wittenberg angenommen hatte, ehe er 1530 einer Berufung als Kanzler nach Königsberg folgte. Apel war ein juristischer Schriftsteller von Namen, einige seiner Werke hatten nicht geringen Einfluß auf die Entwicklung von Teilgebieten der Jurisprudenz. Kurze Zeit gehörte auch Bartholomäus Amantius (Pelten)’ aus Landsberg a. L. diesem Kreis an; er hatte zu Tübingen und Greifswald einen Lehrstuhl für Rhetorik innegehabt und war bekannt geworden durch eine Sammlung klassischer Inschriften (1534). Auch Sebastian Franck, der Geschichtsphilosoph der Reformation, der aus Donau1 Brief an Hier. Baumgartner, 1529 (StroII, 1785, 469, s. o. 383). 1 Th. Kolde, Thomas Venatorius, sein Leben u. seine literar. Tätigkeit (Beitrr. BK 13) 1907, 97-121, 157-186; Deutsch(s.o. 571) 159; Burmeister, Rhetikus (s. o. 557) 37. ‫ נ‬Μ. Simon, Andreas Osiander (Nürnbergs Gestalten aus neun Jahrhunderten) 1950, 100 bis 103; G. Seebass, Das reformator. Werk d. Andreas Osiander (Einzelarbeiten 44) 1967; Ders., Andreas Osiander (Fränk. Lebensbilder 1) 1967, 141-161; H. Kesten, Copemicus u. seine Welt, 1948, 357 («kolossalischer Betrug», «tempelschänderische Fälschung»); G. Harig, Kepler u. d. Vorwort v. Osiander zum Haupt-

bel

38 HdBG III, I

werk v. Kopemikus (Zschr. f. Gesch. d. Naturwiss., Technik u. Medizin 1) 1960, H. 2, 13 bis 26. 4 Wegele, Univ. Würzburg 55 f.; StinTZING (s. O. 556) I 287-296; F. W1EACKER, Einflüsse d. Humanismus auf d. Rezeption. Eine Studie zu Johann Apels Dialogus (Gründer u. Bewahrer) 1959, 44-91; Ders., Privatrechtsgesch. d. Neuzeit, 1952, 80f., 83 ff.; F. Merzbacher, Johann Apels dialektische Methode d. jurist. Unterrichts (ZRG, rom. Abt. 75) 1958, 364-374■ s Burslan(s.o. 556) 1167 f.; Jordan-BürckSTUMMER I 290 ff.

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wörth stammt,' war 1527 als Prädikant nach Gustenfelden bei Nürnberg gekommen, doch auch diese Station seines bewegten Wanderlebens mußte er, in seiner Stellung außerhalb der Konfessionen von allen Seiten angefeindet, in Kürze wieder aufgeben. Zum Nürnberger Humanistenkreis scheint er lose Beziehungen aufgenommen zu haben. Noch während des Ausklangs der humanistischen Bewegung in Nürnberg wurde auf Initiative Spenglers und durch unmittelbares Eingreifen Melanchthons jene Schule gegründet, die trotz gelegentlicher Schwächeperioden das humanistische Erbe in Nürnberg überJahrhunderte hin zu bewahren vermochte, das Gymnasium Aegidianum, Nachfolgeeinrichtung der kaum mehr frequentierten Poetenschule. Der Niedergang der Nürnberger Schulen, der 1496 erst gegründeten Poetenschule, aber auch der Schulen St. Sebald und St. Lorenz, lag sicher nicht, wie man oft lesen kann, nur an dem mangelnden Interesse der Eltern und den ungebärdigen Schülern, sondern auch an den meist wenig sorgsam ausgewählten Lehrern. Zu den namhaften Humanisten zählte nur Cochläus, zeitweilig Rektor zu St. Lorenz? Vorbildhafte Bedeutung weit über Nürnberg hinaus erhielt das Gymnasium durch die großen Humanisten, die seine Anfänge bestimmten, Joachim Camerarius,1 *3 der die Leitung hatte,Johann Schöner,4 der Mathematik lehrte - was an keiner Schule der Epoche noch üblich war -, und Helius Eohanus Hessus (1488-1540),5 das stärkste Talent des Erfurter Dichterkreises. Er hatte die römischen Dichter zu interpretieren, deren Sprache außer Celtis niemand so glänzend nachzugestalten vermochte wie er, und deren Geisteswelt er in kongenialer Nachempfindung tiefer erfaßte als alle gelehrten Philologen. Er hat auch große römische Vorbilder in den eigenen poetischen Werken wieder zum Leben erweckt, Virgil in den elf Eklogen des Boucolicon (1509), zarten, stimmungsvollen Idyllen, Ovid in den christlichen Heroiden (1514), poetischen Briefen großer christlicher Frauen der Frühzeit. Mit den sechs Elegien auf Martin Luther (1521) mündet sein Werk in die Reformation ein. 1532 ist er auch durch eine eigene «Noriberga»6 in den Wettbewerb mit Celtis eingetreten, ohne seinem Vorbild gleichzukommen, so hingerissen er auch die Wunderwerke der Nürnberger Künstler zu preisen wußte. 1533 kehrte er nach Erfurt zurück, ein Jahr ehe Camerarius Nürnberg verließ, damit war die erste und die größte Epoche des Nürnberger Gymnasiums zu Ende. b) Wissenschaftspflege zur Zeit des Humanismus. Wenn der Siegeszug des Humanismus in Nürnberg auf den ersten Blick den Anschein erweckt, als hätte es sich bei ihm, da vom Rat propagiert und von der Mehrzahl seiner Mitglieder gefördert, um eine politisch-aristokratische Bildungsbewegung mit einseitig humanistisch-literarischem 1 S. u. 1180; zum Nürnberger Aufenthalt: Lochner (s. o. 583); R. Stupperich, Seb. Franck (Fsch. K. v. Raumer) 1966, 144-162; H. Weigelt, Seb. Franck (ZBKG 39) 1970, 3-19■ 3 Nicht ohne Kenntnisse waren der Rektor d. Poetenschule, Heinr. Grieninger, u. jener d. Schule v. St. Sebald, Joh. Roming; s. Bauch, Poetenschule (s. 583) 43 ff., 56 ff; Wuttkb (s. u. 599 Anm. 4) 78 ff. (Abdr. u. Interpret.

der «Epistola de virtutis laude» von 1509). ‫ נ‬S. o. 568. 4 S. u. $96. 5 C. Krause, Helius Eobanus Hessus. Sein Leben u. seine Werke, 2 Bde., 1879; H. Steiger, Eobanus Hesse u. Albrecht Dürer (Bayer. Bll. f. d. Gymnasialschulw. 66) 1930, 72-81. 6 Noriberga illustrata u. andere Städtegedichte, hg. v. J. Neff, 1896.

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5g$

Charakter gehandelt, so sprechen dagegen vor allem die eigentlichen wissenschaftlichen Ergebnisse dieses Zeitraums, die von außerordentlicher Bedeutung sind, aber zumeist, von wenigen Ausnahmen wie Pirckheimer und Dürer abgesehen, von einer Schicht stammen, auf die im allgemeinen nicht das Licht der Öffentlichkeit fällt. Das gilt für die beiden wissenschaftlichen Bereiche gleichmäßig, in welchen Nürnberg im Zeitalter des Humanismus eine Rolle gespielt hat, im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich und in der Geschichte. Wenn Deutschland in der Astronomie wie in der Mathematik und Kartographie nächst Italien in diesem Zeitraum die Führung in Europa hatte, so war das in erster Linie Nürnberg zu danken.1 Die naturwissenschaftliche Blüte hatte nicht nur rein wissenschaftliche Voraussetzungen, etwa den Einfluß des großen Regiomontan, der sich 1471 in Nürnberg niedergelassen hatte; Regiomontan wurde im Gegenteil von Nürnberg angezogen, da es dank seiner günstigen Lage Einflüssen von allen Seiten offen war, und da es der hohe Stand der Feinmechanik in Nürnberg erwarten ließ, daß astronomische und mathematische Geräte von besonderer Qualität hergestellt wurden. Das war für ihn ausschlaggebend, denn er war nach Nürnberg gekommen, um ein Geschäft zu eröffnen, nicht um pädagogischen Impulsen nachzugeben. Gewerbliche Interessen haben in der Tat auch in der Folgezeit die wissenschaftliche Entwicklung begünstigt, wenngleich gerade die fähigsten Gelehrten diesem Bereich völlig fentstanden. Schon Bernhard Walther (f 1504),1 2 sein Kompagnon, hat keinen Vorteil mehr aus der Fortführung der wissenschaftlichen Beobachtungen Regiomontans gezogen, der ersten ununterbrochenen Reihe von Beobachtungen in Europa. Die humanistische Komponente in dieser ersten Phase neuzeitlicher Naturwissenschaft in Nürnberg bestand in der Bereitstellung und Beiziehung antiker Autoren für den eigenen Erkenntnisprozeß durch Regiomontan, doch ging er bereits darüber hinaus, indem er dem literarischen Bild die Wirklichkeit der eigenen Beobachtungen entgegenstellte. Er war ein genialer Mathematiker, doch sein eigentliches Interesse galt der Astronomie, das sollte lange so bleiben; man bedurfte ihrer, um den Kalender zu kontrollieren, Schiffe sicher übers Meer zu bringen oder die geographische Lage zu bestimmen, vor allem, um die Zukunft zu enthüllen. Die Astrologie war vielleicht der mächtigste von allen denkbaren Antrieben. Das Bedürfnis nach unmittelbarer Verwertung naturwissenschaftlicher Erkenntnis hat auch noch im fünfzehnten Jahrhundert jene Schöpfung hervorgebracht, die bis heute so eigentümlichcs Staunen erregt, den Globus des Martin Behaim (1459-1506).3 Das Staunen 1 Vgl. Pannekoek (s. o. 556) 179 ff.; Taton (ebd.) II 28 ff; Delumeau (ebd.) 491 ff; Wightman (ebd.) 22 ff; ohne Wertung Boas (ebd.) 21 ff, 38 ff u. ö. Vgl. vor allem E. Zinner, Nürnbergs wissenschaftl. Bedeutung am Ende d. MA (MVGN 50) 1960, 113-119. 2 Zinner, Regiomontan (s. o. 561 Anm. 3) 133; Ders., Coppemicus (ebd.) 113; Pannekoek (s. o. 556) 181. 3 Nur wissenschaftlich begründete Arbeiten: W. Schultheiss, Martin Behaim (Nürnberger Gestalten aus neun Jahrhunderten) 1950, 51-55; 38·

Ders., Des Seefahrers Martin Behaim Geburtsu. Todestag (MVGN 42) 1951, 353357‫ ;־‬Ders., Die Entdeckung Amerikas u. Nürnberg (JffL !5) 1955> 171-200; Martin Behaim u. die Nürnberger Kosmographen. Ausstellung anläßlich d. 450. Todestags v. Martin Behaim im Germ. Nationalmuseum Nürnberg, 1957; G. Jacob, Zum gegenwärtigen Stand der MartinBehaim-Forschung (Forschungen u. Fortschritte 31) 1957, 218-221; O. Berninger, Martin Behaim, zur 500. Wiederkehr seines Geburtstages am 6. Okt. 1459 (Mitt. d. fränk. Geogr.

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gilt immer noch weniger dem Werk, dem ältesten erhaltenen Globus, als der Legende1 um den Mann, der ihn gefertigt hat. Ohne mathematische und astronomische Kenntnisse war es freilich nicht möglich, den Globus herzustellen; eine Ausnahmeerscheinung war Behaim auf jeden Fall. Als Kaufmann war er 1479 nach Antwerpen gegangen, 1481 weiter nach Lissabon, dort scheint er dank seines astronomischen Interesses Zugang zu jener Gruppe von Astronomen und Mathematikern gefunden zu haben, die von Fall zu Fall zur sog. Junta dos Mathematicos zusammenberufen wurden vor allem, um Expeditionen über See vorzubereiten. Als weitgereister Mann kehrte er 1490 nach Nürnberg zurück, Mitglieder des Rats regten 1491 an, ihn mit der Konstruktion eines Globus zu beauftragen, der 1492 fertiggestellt war. Behaim stützte sich dabei auf antike, mittelalterliche und humanistische Quellen, zur Seite stand ihm auch Hieronymus Münzer (f 1508)2 aus Feldkirch, der Verfertiger der Deutschlandkarte für die Chronik Schedels, der ersten, die in Druck erschien, auf der Grundlage der Karte des Nikolaus von Kues. Von ihm stammt auch die geographisehe Beschreibung einer Reise durch Frankreich und Spanien. Nachdem Kolumbus die neue Welt entdeckt hatte, schrieb Münzer am 14. Juli 1493 König Johann Π. von Portugal einen Brief mit dem Vorschlag, eine Expedition nach China auszuschicken und zwar auf dem Westweg, wie das Behaim anrate, doch von weiterer Anspruchnähme des Nürnberger Kaufmanns bei der Entdeckung der neuen Welt ist trotz dieser Empfehlung nichts bekannt. Die großen Mathematiker, auf welche ganz Deutschland sah, standen dieser Welt des Abenteuers fern, sie wurden von einer Schicht gestellt, die auch mit den patrizischen Kaufleuten nichts gemein hatte, sie waren außer Dürer ausnahmslos Angehörige des Klerus und ließen sich durch kein anderes Interesse leiten als durch ihre Begeisterung. Der berühmteste war wohl Johann Schöner (1472-1547)3 aus Karlstadt, der nach wenigenJahren der Seelsorgstätigkeit in Bamberg 1526 als Lehrer für Mathematik an das Ägidien-Gymnasium berufen wurde. Durch ihn wurde Nürnberg eines der drei wichtigsten astronomischen Zentren in Deutschland, neben Tübingen, wo Stöffler lehrte, ebenfalls ein Nürnberger, und Ingolstadt mit Peter Apian. Joachim Ges. 6) 1959, 141-151; G. R. Crone, Martin Behaim, navigator and cosmographer Figment of Imagination or historical personage?, Lissabon 1961; T. G. Werner, Nbgs. Erzeugung . . . wissensch. Geräte (MVGN 53) 1965, 69-149. - Der Behaim-Globus zu Nbg. (Ibero-Amerik. Arch. 17) 1943. 1 Der entschiedenste Widerspruch stammt von E. G. Ravenstein, Martin Behaim. His life and his globe, London 1908; portugiesische u. spanische Lit. bei H. Kellenbenz, Portugiesische Forschungen u. Quellen z. Behaimfrage (MVGN 48) 1958, 79-95. Anlaß zu Zweifeln geben vor allem Angaben auf dem Globus, die mit den Ergebnissen der Entdeckungsreise von 1484 nicht übereinstimmen. 2 O. Hartig, Der Brief d. Dr. Hieronymus Münzer vom 14. Juli 1493 über d. Westfahrt

nach Kathay in portugiesischen Druckausgaben (HJb. 29) 1908, 334-337; E. Webner, Hieronymus Münzers «Itinerarium Gallicum et Germanicum» (Arch. f. d. Studium d. neueren Sprachen u. Lit. 152) 1927, 220-222; E. P. Goldtschmidt, Hieronymus Münzer u. seine Bibliothek, London 1938; Schultheiss, Entdeckung Amerikas (s. o. Anm. 3) 179 ff; Kellenbenz (s. o. Anm. 1). 3 E. Reicke, Aus d. Leben d. Johannes Schöner (Abh. d. Naturhist. Ges. Nürnberg) 1907, 41-59; W. Schultheiss, Der fränk. Humanist Johannes Schöner u. Amerika (Fränk. Bll. 1) 1948/49; W. Bonacker, Der Erdglobus v. Johannes Schöner aus d. Jahre 1520 (MVGN 51) 1962, 441-442. - Opera Mathematica, hg. v. Andreas Schöner, Nürnberg 1561.

§ 6g. Die Reichsstadt Nürnberg (A. Kraus)

Rhetikus, der Freund des Kopemikus, widmete ihm seine «Narratio prima» von 1541, den ersten Bericht über die Entdeckung des Kopemikus, und betraute ihn zusammen mit Osiander mit der Aufsicht über den Druck von dessen Buch. Schöner hatte zuvor schon die nachgelassenen Schriften des Regiomontan herausgegeben (1531-44), Aufsehen erregten vor allem seine Globen, die er seit 1515 serienmäßig herstellte und die 1523 bereits Australien und die Magalhäes-Straße zeigten. Seine Erläuterungen zu den Globen gehörten zu den wichtigsten geographischen Publikationen der Zeit. Unverdient im Schatten Schoners stand der Vikar zu St. Johannis, Johannes Werner (1468 bis 1528),1 der sich, neben geographischen Studien, vor allem mit Mathematik befaßte. Er war befreundet mit dem Wiener Mathematiker Stabius und mit Celtis, Peter Apian schätzte ihn hoch. Beeinträchtigt hat sein Ansehen der Angriff *, den Kopemikus gegen seinen Traktat «De motu octavae spherae» (1522) richtete, doch den Hauptvorwurf, daß Werner den Ptolemaios unzuverlässiger Beobachtimgen und schwerer Fehler bezichtigte, hätte Kopemikus selbst später nicht mehr erhoben. In höherem Maße den humanistischen Grundlagen seiner Wissenschaft aufgeschlossen als Schöner - er übersetzte griechische mathematische Schriften, darunter Euklid - stand er trotzdem auch der praktischen Anwendung seiner Wissenschaft nicht fern, von ihm stammt der Vorschlag zu einer Verbesserung der Kartenprojektion, zu einem neuen Verfahren der geographischen Längenbestimmung durch Berechnung der Mondentfernung sowie eine Verbesserung des Jakobstabes, auch stellte er Jahre hindurch regelmäßige meteorologische Beobachtungen an. Von größtem Einfluß auf die WissenSchaftsentwicklung waren jedoch seine mathematischen Schriften, sein «Libellus super viginti duobus elementis conicis» (1522), das erste systematische Werk über Kegelschnitte im Abendland, sowie sein Verfahren zur Ersetzung der Multiplikation durch Addition und Subtraktion, ein Verfahren, das ähnliche Dienste leistete wie die Logarithmen. Den Nachlaß Werners betreute der Vikar von St. Sebald, Johannes Hartmann (j1 2,(1545 ‫ ־‬ebenfalls ein bekannter Mathematiker, dem Kopemikus eine Schrift gewidmet hatte. Hartmann machte wichtige Beobachtungen auf dem Gebiet des Magnetismus und gilt als Entdecker der Inklination. Mit Werner arbeitete vor allem Albrecht Dürer zusammen, dessen «Unterweisung der Messung» (1525) nicht nur eine große kunsttheoretische Leistung darstellt, sondern bahnbrechend war auch in der reinen Geometrie.3 Dürer war der erste, der «die Näherungskonstruktionen mit vollem Bewußtsein ausgeführt hat» (Cantor), als Konstruktionen, die in der Aus1 K. Schottenloher, Der Mathematiker u. Astronom Johann Werner aus Nürnberg (Festgäbe H. Grauert) 1910, 147-155; H. Kressel, Hans Werner, d. gelehrte Pfarrherr v. St. Johannis, d. Freund u. Wissenschaft!. Lehrmeister Albrecht Dürers (MVGN 52) 1963/64,287-304; S. Bachmann, Johannes Werner, kaiserl. Hofkaplan, Mathematiker u. Astronom zu Nümberg, als Chronist d. Jahre 1506 bis 1521 (BHVB 102) 1966, 315-337; Zinner, Coppemicus (s. o. 561 Anm. 3) 423-448. 2 Burmeister, Rhetikus (s. 0.557) 38, 78.

3 P. Diercke, Zwei Probleme d. Kartenwissenschaft u. ihre Beziehungen zu Albrecht Dürer (Geogr. Anz. 30) 1929, 146-156; Μ. Gebhardt, Albrecht Dürer als Mathematiker (Waldenburger Sehr. 8) 1929, 166-184; Μ. Steck, Dürers Gestaltlehre d. Mathematik u. d. bildenden Künste, 1948; Ders., Albrecht Dürer als Mathematiker u. Kunsttheoretiker (Nova Acta Leopoldina) 1954; F. Winkler, Albrecht Dürer. Leben u. Werk, 1957, 330 ff.; E. Panofsky, The life and art of Albrecht Dürer, 19674, 242 ff.

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Franken: E. II. Gestalten und Bildungskräfte desfränkischen Humanismus

Übung von Nutzen seien, aber in der Theorie nur Annäherungswerte liefern könnten. Von besonderer Bedeutung sind auch seine Studien zur Spirale. Das Ergebnis der Zusammenarbeit mit Werner ist auch die Karte Dürers von 1505. Auch Dürer hat den außerordentlich lebendig entwickelten geographischen Interessen in Nürnberg * Rechnung getragen, wie sein Freund Pirckheimer in seiner Erklärung des Ptolemaios, wie Cochläus durch die Veröffentlichung der Erdbeschreibung des Pomponius Mela. Durch Schöner und Werner, die nach humanistischer Weise von den antiken Geographen ausgingen, aber dabei nach präzisen mathematisch-astronomischen Berechnungen arbeiteten, erhielten die gewerbsmäßigen Kartographen in Nürnberg, die dank der Blüte des graphischen Gewerbes und Buchwesens wie des Instrumentenbaus12 - es genügt an Peter Henlein zu erinnern - weithin mit Absatz rechnen konnten, bedeutsame Anregungen. Zu nennen sind hier der Kompaßmacher Erhard Etzlaub (j3,(1532 ‫ ־‬der 1492 die älteste deutsche politische Karte vorlegte, oder die berühmte Rom-Wegkarte zum Hl. Jahr 1500 wie die Deutsche Straßenkarte von 1501, Erhard Reich mit seiner Karte der Oberpfalz (1540), Christoph Zell, der die Karten seines berühmten Verwandten Heinrich Zell (j4* (1564 ‫ ־‬druckte, die Karten von Nürnberg und Umgebung des Organisten Jörg Nöttelein (f 1567), die Karten von Ungarn, Belgien und Holland des Matthes Zündt (j1572 ‫)־‬. Keine geringe Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Kartographie hatte auch der aus Nümberg stammende Augustin Hirschvogel (j1553 ‫ ’)־‬mit seinen Karten von Österreich (1542) und Ungam (1563), der zuletzt in Wien tätig war und der für seinen Plan von Wien (1549) erstmals die Methode der Triangulation anwandte. Diese kartographische Tradition ist in Nürnberg bis ins späte achtzehnte Jahrhundert nicht mehr abgerissen. Eine Stellung, wie sie die Nürnberger Mathematiker und Astronomen wie die Kartographen in der Geschichte ihrer Wissenschaft einnahmen, blieb jedoch Ausnähme. Die Geschichtsschreibung erfuhr in Nürnberg zwar eine kaum weniger intensive Pflege als die Naturwissenschaften, doch ein Vergleich mit italienischen Historikem, wie er bei den Mathematikern durchaus angebracht ist, zeigt nur den gewaltigen Abstand; in Auffassung, Methode und Darstellungskunst setzte sich hier der humanistische Geist am wenigsten durch. Mit Sigismund Meisterlin6 begann auch in 1 Aufgang d. Neuzeit. Deutsche Kunst u. Kultur (Ausstellung d. Germ. Nationalmuseums Nürnberg) 1952; F. Schnelbögl, Zur Gesch. d. älteren Nürnberger Kartographie, 3 Tie. (MVGN 49/51) 1959/62; Ders., Dokumente z. Nürnberger Kartographie, 1966. 2 K. Maurice, Von Uhren u. Automaten (Bibi. d. Germ. Nationalmuseums Nürnberg 29) 1968; vgl. auch Delumau (s. o. 556) 200. 3 A. Wolkenhauser, Der Nürnberger Kartograph Erhard Etzlaub (Deutsche Geogr. Bll. 30) 1907; H. Krüger, Die Romweg-Karte E. Etzlaubs (Petermanns Geogr. Mitt. 88) 1942, 285-296; Ders., Ein Jubiläum Nürnberger Kartographie (MVGN 39) 1944, 127-154; Ders., Das Heilige Jahr 1500 u. E. Etzlaubs Rom-

wegkarte (Erdkunde 4) 1950, 137-144; Ders., Des Nürnberger Meisters E. Etzlaub älteste Straßenkarten v. Deutsch). (JffL 18) 1958, 1 bis 286; F. Schnelbögl, Life and work of .. . E. Etzlaub (Imago Mundi 20) 1966, 11-26. 4 L. Bagrow, Der deutsche Kartograph Heinrich Zell (Petermanns geogr. Mitt. 72) 1926, 63-66; W. Horn, Die Karte v. Preußen d. Heinrich Zell (Erdkunde 4) 1950, 67-81; Ders., Sebastian Münster’s Map of Prussia and the Variants of it (Imago Mundi 7) 1951, 66-73. 5 K. Schwarz, Augustin Hirschvogel, ein deutscher Meister d. Renaissance, 1917; D. Brinkmann, Augustin Hirschvogel u. Paracelsus (Geschichtsver. f. Kärnten) 1957. 6 P. Joachimsohn, Die humanist. Geschiehts-

§ 69■ Die Reichsstadt Nürnberg (A. Kraus)

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Nürnberg der Einzug der humanistischen Art, Geschichte zu betrachten und zu gestaken, doch gerade weil die «Nierobergensis chronica» Meisterlins von 1488, «das wichtigste historische Erzeugnis des deutschen Frühhumanismus» (Joachimsohn) ist, zeigt es auch alle Schwächen dieser ersten Phase. Enea Silvio und Flavius Blondus stellten die Vorbilder Meisterlins dar, doch nur im literarischen Ansatz, nicht für die historische Kritik. Den Versuch des Blondus, zu objektiven Kriterien zu kommen, nimmt Meisterlin nicht wahr; wo er mittelalterliche Gründungsfabeln zurückweist, erfindet er neue, die er in römische Zusammenhänge einspannt. Bemerkenswert ist jedoch die nicht geringe Belesenheit, vor allem sein Kausalbedürfnis, das die Gegenwart aus der Vergangenheit zu erklären sucht, vor allem in verfassungsrechtlichen Fragen, und das Vermögen zu überzeugender Charakterisierung der handelnden Personen. Die Bildung einer historiographischen Schule blieb Meisterlin versagt, da sein Werk, auf Bestellung des Nürnberger Rates verfaßt, von diesem aus politischen Bedenken zurückgehalten wurde, seine früheren Werke zur Augsburger Geschichte jedoch besitzen noch nicht die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung der Nürnberger Chronik. Beherrscht wird damit das Bild der Nürnberger Geschichte weiterhin von den älteren Chroniken und Aufzeichnungen,1 die als Geschichtsquellen außerordentlieh wertvoll sind, doch der nach literarischen Zwecken gestalteten Form, dem wichtigsten Kennzeichen der neueren Geschichtsschreibung, völlig entbehren. Das sind typische Erzeugnisse bürgerlichen Geistes, wie die zahlreichen Familienbücher,2 an denen Nürnberg ebenso reich ist wie Augsburg. Historischer Sinn in seiner ursprüngliehen Gestalt, das Bedürfnis nämlich, die Folge der Generationen festzuhalten, die Leistung der einzelnen Glieder für die Familie, den Zusammenhang der Familien, kommt in diesen Aufzeichnungen am reinsten zum Ausdruck, es ist jener Sinn, der auch den wesentlichsten Antrieb zur Abfassung von chronikalen Aufzeichnungen im bürgerlichen Bereich darstellt.1 Einflüsse humanistischer Pragmatik, noch weniger Nachahmung antiker oder humanistischer Historiker darf man in diesem Kreis nicht suchen. Wie lebendig aber das Echo war, das diese Geschichtswerke in Nürnberg erweckten, zeigt die Vielfalt der Rezensionen und Abschriften; die Geschichte war Angelegenheit der ganzen Stadtgemeinde. Die letzten Zeugnisse dieser bürgerlichen Chronistik reichen tief ins humanistische Zeitalter Nürnbergs herein; die stofflich wertvollen Aufzeichnungen des städtischen Zeremonienmeisters Pangratz Bemhaupt, gen. Schwenter (1481-1555),4 die von 1517 bis 1554 reichen, sind nicht anders gestaltet Schreibung in Deutschland, I. Die Anfänge: Sigismund Meisterlin, 1895. - Drucke: StädteChroniken III. Zur Geschichtsschreibung in Nürnberg allgemein: E. Mummenhoff, Nümbergs Ursprung u. Alter in d. Darstellung d. Geschichtsschreiber u. im Licht d. Gesch., 1908; Lorenz (s. o. 556) II163 ff.;Schmidt (s. o. 556) 24 ff. u. ö.; Strauss, Nürnberg (s. o. 582) 253 ff. 1 Städtechroniken 1/2, 5. 2 Familienbücher u. ä. kennen wir von Ulman Stromer (14. Jh.), von Endres Tücher,

Nikolaus Muffel (f 1468), von den Haller, Holzschuher, Schnürstab, Fürer; auch Dürer hinterließ eine Familienchronik, besonders kostbar war das Tucherbuch: vgl. H. S. AmBürger, Die Familiengesch. der Koeler (MVGN 30) 1931 ,153-288; Schmidt (s. o. 556) 128 ff. (hier die Leugnung historischen Sinnes als Antrieb). 1 Städtechroniken 4, 45-386; ebd. 545-706; vgl. dazu Schmidt (s. o. 556) 38-50. 4 A. Bauch, Pankraz Schwenter, d. Freund Peter Vischers d. Jüngeren (MVGN 13) 1899,

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Franken: E. II. Gestalten und Bildungskräfte desfränkischen Humanismus

als die älteren Chroniken, obgleich Schwenter in seiner «Histori Herculis» (1515), der deutschen Nachdichtung eines lateinischen Herkulesdramas, das vielleicht von Sebastian Brant stammt, durchaus Verständnis für die Gedankenwelt und Themenkreise des Humanismus zeigt. So wie Schwenter noch in der Spätphase des Nürnberger Humanismus auf der einen Seite humanistische Vorbilder verständnisvoll aufzunehmen wußte, auf der anderen Seite aber völlig in der lokalen historiographischen Tradition wurzelte, wo es um die Erstellung eines Geschichtswerkes ging, hat auch einer der ersten Nümberger Humanisten, Hartmann Schedel, den Auftrag, eine Weltchronik zu verfassen, nicht anders zu bewältigen gewußt als in den hergebrachten Denkformen dieser Literaturgattung. Ihre Überlieferung war in Nürnberg nicht unbekannt, in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts noch faßten der Losungsschreiber Johann Plattenberger d. J. und der Kanzleischreiber Dietrich Truchseß Exzerpte aus dem Speculum Historiale des Vinzenz von Beauvais zu einer deutschen Weltchronik zusammen.1 Der «Liber chronicarum» (1493) Schedels2 hat dagegen bereits zwiespältige Züge. Vinzenz von Beauvais gehört auch zu den Autoritäten Schedels, aber auch Enea Silvio und Tacitus wirken auf sein Werk ein; zur Hauptsache ist es jedoch eine Bearbeitung des «Supplementum Chronicarum» (1483) des Jacobus von Bergamo, das zusammengestellt ist aus mittelalterlichen Weltchroniken, daneben aber scharf gezeichnete Charakterbilder und hervorragende Städtebeschreibungen aufweist. Die Humanistenviten daraus hat Schedel fast wörtlich übernommen, ebenso die Auffassung von der Stadt als Schauplatz der Geschichte; die fünfzig Abbildungen europäischer Städte verleihen der Chronik besonderen Wert. Angesichts der Verwendung der humanistisehen Vorbilder als reiner Vorlage, die abgeschrieben, nicht nachgeahmt werden, ist sie jedoch noch der ersten Phase der humanistischen Geschichtsschreibung in Deutschland zuzurechnen, wie die Chronik Meisterlins. Die zweite Phase, welcher die mittelalterlichen Quellen bereits Gegenstand kritischer Untersuchung werden, ergreift Nürnberg schon um die Jahrhundertwende, wohl nicht ohne Führung durch Celtis. Es ist gleichzeitig jene Phase, in welcher Tacitus allgemein bekannt wird; Cochläus wertet ihn erstmals in Nürnberg wissenschaftlich aus. Zu den ersten umfassenden Interpretationsversuchen gehört die «Exegesis Germaniae» (1518) des Franz Irenicus (Friedlieb)3 aus Ettlingen, der in diesen Jahren vorübergehend in Nürnberg weilte. 276-285; D. WuTTKE.PangratzBemhaubt gen. Schwenter, d. Nürnberger Humanist u. Freund d. Gebrüder Vischer (MVGN 50) 1960, 222 bis 257; Ders., Die Histori Herculis des Nümberger Humanisten u. Freundes d. Gebrüder Vischer, Pangratz Bemhaubt, gen. Schwenter, 1964, - Druck: Städtechroniken 2, 123 ff, 3, 26 ff. ; 4, uoff.; 5, 779 ff. 1 Ebd. 3, 257-308; dazu Joachimsohn, MeiStettin (s. o. 598 Anm. 6) 152 ff.; Lorenz (s. o. 556) Π 172. 2 J0ACH1MSEN, Geschichtsauffassung (s. o. 556) 87ff.; J. Sfrenglbr, Hartmann Schedels Welt-

hronik, 1905; Fueter (s. o. 556) 184 f.; Wegele (s. o. 556) 50 ff; Schnabel(s. o. 556) 81; Stäuber (s. o. 584 Anm. 8) 74 ff.; I. Ramsbger, Die Städtebilder d. Schedelschen Weltchronik. Ihre geistigen u. künstlet. VoraussetZungen im MA, Diss. Masch. Berlin 1943; E. Schaffer, The Nuremberg Chronicle, 1950; O. Meyer, Hartmann Schedel (Unbekanntes Bayern 7) 1962, 177-192. 3 Strauss, Topography (s. o. 556) 3439‫;־‬ J0ACH1MSEN, Geschichtsauffassung (s. o. 556) 169 bis 183; W. Steinhäuser, Eine deutsche Alter-

§ 6ff. Die Reichsstadt Nürnberg (A. Kraus)

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Sein Werk ist ungeformt und fehlerreich, aber ein stürmisches Bekenntnis zur Größe der Nation und dadurch nicht weniger von Einfluß wie durch seinen Materialreichtum. Pirckheimer hat dann 1530 einen Ausschnitt aus dem Gesamtthema noch einmal bearbeitet, seine «Germaniae ex variis scriptoribus perbrevis explicatio», erstanden aus der Beschäftigung mit der Geographie des Ptolemaios, ist der Versuch, die antiken geographischen Namen mit den modernen zur Deckung zu bringen, eine Arbeit, die mehr kritisch-philologisch als historisch ist. Als Historiker ist Pirckheimer nach seiner Geschichte des Schweizerkriegs 1 zu beurteilen, die nach 1526 entstand, seiner «bedeutendsten schriftstellerischen Leistung» (Schnabel). Als Geschichte der eigenen Zeit und der eigenen Leistung konzipiert, bot sie sich in ganz anderem Maße als die Germania an zu einem großen Exempel humanistischer Geschichtsschreibung, und tatsächlich ist sie «von allen deutschen Geschichtswerken am reinsten im Stil der italienischen humanistischen Historiographie gehalten» (Fueter). Stilistisches Vorbild war Lionardo Bruni, der Florentiner Staatskanzler, der am Anfang der zeitgeschichtliehen humanistischen Annalistik steht. Dank seiner Stellung besaß er ein lebendigeres Verhältnis zur Politik als ein Gelehrter wie Blondus, den die deutschen Humanisten im allgemeinen nachahmten. Pirckheimer stand damit in einer großen Tradition, die bis zu Thukydides zurückführt. Nicht den Erlebnisbericht eines Augenzeugen zu bieten war sein Anliegen, so wertvoll auch jene Partien sind, die auf ihn allein als Quelle zurückgehen, sondern er versuchte, aus seiner Erfahrung als Staatsmann und Truppenführer das ganze Geschehen mit den Kategorien der humanistischen Pragmatik zu durchdringen. Das ist seine eigentliche Leistung, die in der deutschen Historiographie ohne Beispiel ist. Die Nürnberger Geschichtsschreibung der Humanistenzeit klingt aus mit den zeitgeschichtlichen Darstellungen von Christoph Scheuri. Das große «Geschichtsbuch der Christenheit»,2 eine kurze Geschichte der entscheidenden Jahre der Reformation, geschrieben aus einem weiten Gesichtskreis, reich an guten Nachrichten und sachlich zurückhaltend, ist seine beste Leistung. Von Scheuri stammt auch eine Geschichte seines eigenen Geschlechts, des Geschlechts der Fürer, die Vorrede zum Tucher-Buch, die Lebensbeschreibung des Anton Kress und die Ausgabe der Briefe von Sixtus Tücher. Wertvoll ist seine Darstellung der Nürnberger Verfassung, die er 1516 Staupitz übereignet hat. Diese Rückkehr zur lokalgeschichtlichen Enge ist nicht Zufall, sie spiegelt die absinkende Kurve in der Entwicklung des Nürnberger, ja des gesamten deutschen Humanismus wider. Der einstige Reichtum an großen Gestalten und tumskunde aus d. Anfang d. 16. Jhs. (ZDA 66) 1929, 25-30. 1 Bellum Suitense sive Helveticum (Opera, hg. v. Μ. Goldast) Frankfurt 1610, 63-92; maßgeb. Edition: Willibald Pirckheimers Schweizerkrieg, hg. v. K. Rück, 1895. Vgl. dazu O. Markwart, Willibald Pirckheimer als Geschichtsschreiber, 1886; Wegele (s. o. 556) 116fF.; Fueter (s.0.556) 199 ff.; Schnabel (s. 0.556) 86 ff; Feller-Bonjour, GeschichtsSchreibung d. Schweiz I, 1962, 155 ff.

2 Druck :Christoph Scheurl’s Geschichtbuch d. Christenheit v. 1511-1521 (Jbb. d. deutschen Reichs u. d. deutschen Kirche im Zeitalter der Ref., hg. v. J. K. F. Knaake, I) 1872, 1-179; vgl. dazu Wegele (s. 556) 239 f., 297. Verfassung d. Reichsstadt Nürnberg: J. Ch. Wagenseil. De civitate Noribergensi commentatio, Nürnberg 1697, 191-201; Städtechroniken 5, 781-804 (deutsche Übersetzung); Werminghoff, Celtis (s. o. 562 Anm. 1) 212-227.

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Franken: E. II. Gestalten und Bildungskräfte desfränkischen Humanismus

großen Ideen in der Geschichte des Nürnberger Humanismus, dessen Höhepunkt einsetzte mit dem Einfluß des Konrad Celtis und seinem Bemühen um die deutsche Geschichte und um die lebendige Erneuerung des antiken Geistes in Leben, Dichtung und Philosophie, der durch Pirckheimer zu seiner idealen Gestalt gelangt war, der in Dürer eine einzigartige Verbindung mit der Kunst eingegangen war, dann die Blüte der Naturwissenschaften, hatte unter den deutschen Städten nicht seinesgleichen. Wie einzigartig die Stellung Nürnbergs war, zeigt auch ein Blick auf die übrigen fränkisehen Reichsstädte, unter denen nur Rothenburg und Schweinfurt überhaupt zu nennen sind, diese als Heimat von Cuspinian und Sinapius, mit einer gut geführten Lateinschule,1 Rothenburg, das in der ersten Hälfte des Sechzehntenjahrhunderts auch zwei lokale Geschichtsschreiber von kräftiger Eigenart hervorbrachte, vor allem als Geburtsort von Hieronymus Ziegler und Ostrofrancus.2 Nicht Bürgertum und Stadt schlechthin sind also der humanistischen Kultur zuzuordnen, nur die volkreiche Handelsstadt bietet alle Voraussetzungen zu ihrer Entfaltung. So war Nürnberg allein von den fränkischen Reichsstädten in der Geschichte des deutschen Humanismus von Bedeutung. Früh drang der Humanismus auch in die fränkischen Bischofsstädte ein, unter dem Klerus der Domkapitel, auch in einzelnen Klöstern, begegnen Gestalten von so einmaligem Rang wie Albrecht von Eyb oder Johannes Trithemius. Bei den großen fränkischen Humanisten schließlich, denen die Heimat zu eng geworden war, vor allem bei Regiomontan, Celtis und Cuspinian, wird die ganze Mannigfaltigkeit der Erscheinungen wie die volle geistige Spannweite humanistischer Existenz beispielhaft sichtbar. 1 V. Völcker, Gesch. d. Studienanstalt Schweinfurt, Programm Schweinfurt 1882; unter die Humanisten ist zu rechnen der Stadtschulmeister Johannes May aus Römhild, er ist der Verfasser einer fingierten Briefsammlung und einer Anleitung zur Abfassung von Versen (s. Eisenmann 98 f., s. o. 556. Als vielseitig gebildet u. literarisch interessiert wird eine Frau gerühmt, O. F. Morata. S. u. 708; D. Vor-

Länder, Olympia Fulvia Morata, eine evangel. Humanistin in Schweinfurt (ZBKG 1970 (9 ‫נ‬, 95113‫ ·־‬Zu Cuspinian s. 363, zu Sincpius s. 559. 2 Quellen z. Gesch. d. Bauernkriegs aus Rotenburg an d. Tauber, hg. v. F. L. v. Baumann (BLVS 139) 1878; A. Schnizlein, Zur Lebensgesch. d. Rothenburger Stadtschreibers Thomas Zweifel (BeittT. BK 14) 1918, 9-22. Zu Hoffmann s. 565, zu Ziegler s. 567.

III DER BEITRAG FRANKENS ZUR ENTWICKLUNG

DER WISSENSCHAFTEN (1550-1800)

HB II 779-781, zu den Akademien ebd. 780, 835, 999 f.; s. auch 556 f. Zinne» (s. o. 557); Μ. Rbes, Uber d. Pflege d. Botanik in Franken v. d. Mitte d. 16. bis z. Mitte d. 19. Jhs., 1884; Ch. Schafe», Aus dem Kreis d. Weigel-Schüler in Franken (AO 39) 1959, 141-155; Schreibmüller, Franken (s. u.); Schnelbögl (s. o. 361); Borst (s. 1138).

§70. DIE REICHSSTADT NÜRNBERG MIT ALTDORF

a) Die Reichsstadt Nürnberg Will-Nopitsch (s. u. 1458); Bock-Mose», Sammlung v. Bildnissen gelehrter Männer u. Künstler, nebst kurzen Biographien, 2 Bde., 1791/98; G. W. Lochne», Lebensläufe berühmter u. verdienter Nürnberger, 1861; Nürnberger Gestalten (s. 582); G. Pfeiffeh, Nürnberg im Spiegel deutschen Geisteslebens (Die Stimme Frankens) 1955, 22-24; H. J. Berbig, Das Nationalgefühl in Nürnberg nach d. Dreißigjähr. Krieg, Diss. München 1960; Ders., Nürnberg, Franken u. d. Reich. Eine Untersuchung des «Nationalen» im 17. Jh. (Jb. Mfr. 84) 1967/68, 20-39; Barock in Nürnberg (Anz. d. German. National-Museums) 1962; R. van Dülmen, Sozietätsbildungen in Nürnberg im 17.Jh. (Festschr. K. Bosl) 1969, 153-190; Kreiner (s. u. 608); O. Böhm, Die Nümbergische Anwaltschaft um 1500 bis 1806, Jur. Diss. Masch. Erlangen 1949; H. Liermann, Nürnberg als Mittelpunkt deutschen Rechtslebens (JffL 2) 1936, 1—17; F. W. Elunger, Die Juristen d. ReichsStadt Nürnberg vom 15.-17. Jh. (Freie Schriftenfolge d. Ges. f. Familienforsch, in Franken 6) 1954; R. Wenisch, Nürnbergs Bedeutung als Oberhof im Spiegel seiner Ratsverlässe (MVGN 51) 1962, 443-467; Steigbr (s. o. 583); W. Schultheiss, Schöpferische u. Wissenschaft! Leistungen d. Reichsstadt Nürnberg u. d. Univ. Altdorf (Festschrift d. Diesel-Ges.) 1964; Kraus (s. 1144); K. Goldmann, Straßburg u. Nürnberg (MVGN 46) 1955, 524-532; Ders., Geschichte der Stadtbibliothek Nürnberg, 1957; Die Zeit der Aufklärung in Nürnberg 1780-1810 (Quellen z. Gesch. u. Kultur d. Stadt Nürnberg 6) 1966; F. Schnelbögl, Dokumente zur Nürnberger Kartographie, 1966; H. Harms, Die Künstler d. Kartenbildes, 1962, 27 ff.; Pfeiffer, Nürnberg (s. o. 324); Μ. Simon, Nümbergisches Pfarrerbuch, 1965.

Die Entfaltung der bürgerlichen Kultur vollzog sich in Deutschland seit dem späten Mittelalter in immer neuen Wellen. Schon auf der frühesten Entwicklungsstufe wurde Franken erreicht, doch im vollen Strom standen zuerst nicht die Residenzen der Brandenburger oder der Fürstbischöfe zu Würzburg, Bamberg oder Eichstätt, die erst während der Kulturbewegung des Aufklärungszeitalters die bürgerliche Literatur und Wissenschaft ganz für den Suat zu nutzen wußten, sondern die Reichsstädte, allen voran Nürnberg. Bekannt zumeist nur als reiche und mächtige Handelssudt, berühmt durch seine Künstler, Meistersinger und Humanisten, hat Nürnberg aber auch in jenem Zeiulter seine bedeutende Stellung bewahrt, da überall die Bürger sich der wissenschaftlichen Bewältigung der Welt zuwandten. Lange Zeit, auch dann noch, als die

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Franken: E. III. Der Beitrag Frankens zur Entwicklung der Wissenschaften 1550-1800

benachbarten Territorien der konfessionsverwandten Brandenburger und Pfälzer den gleichen kultursoziologischen Typ darstellten, war das Gebiet der Reichsstadt Nümberg eine deutlich unterscheidbare Bildungseinheit, die gesonderte Betrachtung verdient. Auch in Nürnberg ist es seit dem Späthumanismus der gelehrte Stand - Juristen, Ärzte, Schulmänner, Theologen -, der die Wissenschaftsentwicklung trägt, nicht mehr der vereinzelte Humanist mit universalem Interessenkreis. Ausnahmen bildeten unabhängige Patrizier wie der berühmte Kartograph Paul Ffnzing,1 der eine Karte des Nürnberger Gebiets entwarf und ein gelehrtes Werk über die Feldmeßkunst schrieb (1598), oderJakob Wilhelm Imhof, der «mit Sachkunde und Einsicht» (Wegele) die Genealogie der führenden Geschlechter des Reiches behandelte (1684) - sein Hauptwerk, das 1732 in fünfter Auflage erschien - und die Fürstenhäuser Europas genealogisch untersuchte. Imhof war Jurist, aber er lehnte es ab, eines der zahlreichen Ämter zu übernehmen, die in Nürnberg in den Händen gelehrter Juristen lagen. Schon im späten sechzehnten Jahrhundert waren Juristen von größtem Ansehen in Nürnberger Diensten, Reichsstädte und Herrschaften ringsum holten ihren Rat ein; die ersten Professoren der Altdorfer Universität stellten weitgehend die Juristen der Reichsstadt selbst. Neben der Universität zeichneten sich freilich nur wenige Vertreter dieses Standes wissenschaftlich aus. Der aus Thüringen stammende Christian Leonhard Leucht, Nürnberger Ratskonsulent, wurde vor allem berühmt durch die Schriften, die er unter den Namen Cassander Thucelius und Anton Faber herausgab, darunter die bis 1801 fortgeführte «Europäische Staats-Kantzley» (1697), die er selbst noch bis 1716 auf 61 Bände brachte; mehr als bloße Journalistik, stand die von Leucht betriebene Sammeltätigkeit doch nur am Rande der Wissenschaft. Wissenschafdich bedeutend war der Ratskonsulent Lazarus Karl v. Wölckem, der Geschichtsschreiber der Stadt. Seine «Historia Norimbergensis diplomatica» (1738), seine kleineren Werke zu Einzelproblemen der Nürnberger Stadtgeschichte gehören zu den bedeutendsten Zeugnissen für das Eindringen der von den Maurinem beeinflußten Historiographie in Franken. Wie Leucht neigte mehr zur journalistischen Behandlung der Geschichte der Nürnberger Zollamtmann Christoph Gottlieb v. Murr, ein überaus fruchtbarer Schriftsteller; seine «Beschreibung der sämmtlichen Reichskleinodien» (1790), einige Aufsätze zur Diplomatik und Stadtgeschichte zeigen auch wissenschaftliches Verständnis. Vertreter dieses Standes hatten zu Beginn der Neuzeit die Chronisten gestellt? Von alters her in gelehrtem Ansehen standen die Mediziner. In Nürnberg schlossen sie sich früh an die naturwissenschaftliche Bewegung an, die den wissenschaftlichen 1 E. Gagel, Der Vortel, ein kartograph. Hilfsgerät Pfinzings (Petermanns geograph. Mitt. 92) 1948, 179-181; Ders., Pfinzing, Kartograph d. Reichsstadt Nürnberg (Schriftenreihe d. Alt Nürnberger Landschaft 4) 1957; Ders., Pfinzing, ein vergessener Kartograph (Die Stimme Frankens 32) 1966, 83-88; F. Schnblbögl, Eine Spessartkarte vom Jahre 1594 (1000 Jahre Stift u. Stadt Aschaffenburg) 1957, 653 bis 660; Ders., Zur Gesch. d. älteren Nümberger Kartographie (MVGN 51) 1962, 229 f.;

Ders., Eine Spessartkarte aus d. Jahre 1594 (Die Stimme Frankens 32) 1966, 79-82. 2 F. Bock, Johann Leonhard Beck u. seine Nürnberger Chronik (MVGN 44) 1953, 442 bis 447; E. Franz, Des Nürnberger Ratschreibers Johannes Müllner Bericht über d. Einzug d. Kaisers Matthias 1612 (ZBLG 4) 1931, 82-95; G. Hirschmann, Die Annalen d. Reichsstadt Nürnberg d. Ratsschreibers Johannes Müllner v. 1623 (Beitrr. z. Gesch. u. Kultur d. Stadt Nürnberg 7) 1971.

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Fortschritt nicht mehr ausschließlich im Studium der alten Autoritäten, sondern in der Beobachtung der Natur suchte. Joachim Camerarius, der Sohn des Humanisten, Begründer des Nürnberger Collegium Medicum, veröffentlichte nicht nur Kommentare zu medizinischen Autoritäten, sondern auch, mit seinem «Hortus medicus» (1588), die botanische Beschreibung der von ihm gezogenen Heilpflanzen. Auch als Zoologe war er bekannt.1 Als Chemiker und Mathematiker bekannt war Melchior Ayrer (f 1579),12 einer der größten Anatomen seiner Zeit war der aus Friesland stammende Nürnberger Stadtphysikus Volcher Coiter.3 Er veröffentlichte anatomische Tafeln (1J73), seine «Historia ossium infantis» war grundlegend. Neun Foliobände unveröffentlichter medizinischer Werke hinterließ Georg Palma (f 1591).4*Größtes Ansehen in ganz Deutschland genoß Johann Georg Volckamer, bedeutend als Anatom (Collegium anatomicum, 1654) wie durch physikalische Untersuchungen. Von 1686 bis 1693 war er Präsident der «Academia naturae curiosorum», die durch seine Bemühungen das Privileg Leopolds I. erlangte, nach welchem sie seither «Leopoldina» heißt. Mitglied der Leopoldina war auch sein Bruder Johann Christoph, ein Nürnberger Kaufmann, der den ererbten Botanischen Garten zu einer Musteranlage ausbaute und 1708 die wissenschaftliche Beschreibung der dort gezogenen Pflanzen erscheinen ließ. Präsident der Leopoldina war mit Ferdinand Jakob Baier (j* 1788) noch einmal ein Nürnberger, doch die wissenschaftliche Größe Volckamers erreichte er nicht. Volckamers gleichnamiger Sohn, der Verfasser der «Flora Norimbergensis» (1718), wurde zu seiner Zeit «für den größten Botanicus in Deutschland» gehalten (Will). Bedeutender noch war Christoph Jakob Treu/,3 der durch seine botanischen Veröffentlichungen (Plantae selectae, 1750/53; Hortus nitidissimus, 1755; Plantae rariores, 1761) die Aufmerksamkeit ganz Europas auf sich zog; die Akademien zu London, Florenz und Berlin wählten ihn zu ihrem Mitglied. Der letzte Wissenschaftlieh tätige Arzt der Epoche war Philipp Ludwig Wittwer, der Herausgeber des «Archivs für die Geschichte der Arzneykunde» (1790/91) und Verfasser einer «Geschichte des Kollegiums der Aerzte in der Reichsstadt Nürnberg» (1792). Neben dem Collegium medicum entstand 1623 zur Kontrolle und Fortbildung der Apotheker auch ein Collegium Pharmaceuticum, das älteste seiner Art in Deutschland.6 Ein Gelehrtentyp ganz neuer Art, den der Humanismus vorbereitet, die ihrer Erziehungsaufgabe bewußte Stadt, vor allem nach der Reformation, vollendet hat, 1 P. Delaunay, La Zoologie au seiziime siicle, Paris 1962, 84 ff., 284. 2 D. Wolfangel, Dr. Melchior Ayrer (1520 bis 1579), Med. Diss. Würzburg 1957. 3 R. Herrunger, Volcher Coiter 1534-1576 (Beitrr. z. Gesch. d. medizinischen u. naturwissenschaftl. Abbildungen 1) 1952; W. P. D. Wightman, Science and the Renaissance I, London 1962,205; P. Delaunay (s. o. Anm. 1) 77· 4 K. König, Der Nürnberger Stadtarzt Dr. Georg Palma 1543-1591 (Medizin in Gesch. u. Kultur 1) 1961. 3 E. Schmtot-Herrling, Die Briefsammlung

d. Nürnberger Arztes Christoph Jacob Trew (1695-1769) in d. UB Erlangen, 1940; R. N. Wegener, Christoph Jacob Trew (1695-1769). Ein Führer z. Blütezeit naturwissenschafd. Abbildungswerke in Nürnberg im 18. Jh. (Mitt. z. Gesch. der Medizin, Naturwiss. u. Technik 39) 1940, 218-228; J. P1RSON, Der Nürnberger Arzt 11. Naturforscher Christoph Jacob Trew 1695-1769 (MVGN 44) 1953, 448-576. 6 H. Gossmann, Das Collegium Pharmaccuticum Noriinbergcnsc u. sein Einfluß auf d. Nürnbergischc Medizinalwcsen (Quellen u. Stud. z. Gesch. d. Pharmazie 9) 1966.

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war der gelehrte Schulmann. Die spätmittelalterliche Stadt hatte die Schule laisiert, während der Reformation waren die Schulmänner zu Theologen, die Theologen zu Schulmännern geworden, die neue Verbindung blieb vorherrschend. Damit entstand, da die Gymnasien der Universität weit näher standen als heute, der Lehrer also Gelehrter sein mußte, neben einer ausgedehnten philologischen und historischen Literatur gleichzeitig eine theologische Literatur außerhalb der Universitäten. An die Stelle des gelehrten Mönchs trat im protestantischen Bereich der gelehrte Schulmann, der zugleich meist auch Prediger war. Ohne die Nürnberger Theologen und Schulmänner war die Universität Altdorf nicht denkbar, nur wenige der Nürnberger Gelehrten fanden dort keinen Platz. Unter denen, die außerhalb der Universität wissenschaftlich von Bedeutung waren, herrschten, mit einer Ausnahme, der des Mathematikers und Astronomen Johann Gabriel Doppelmayr,1 die historisch interessierten Gelehrten vor. Doppelmayr war Mathematikprofessor am Egidischen Gymnasium, er war berühmt durch seinen Himmelsatlas, seine Einleitung in die Astronomie und durch seine «Summa geometriae practicae» (1718). Er war Mitglied der Akademien zu London, Berlin und Petersburg. Weniger bedeutend war die Mehrzahl der Historiker, Wolfgang Lüder (j1 2,(1625 ‫ ־‬Pfarrer zu St. Sebald, der Chronist der Stadt, und der Dichter Siegmund v. Birken3* mit seinem «Ehrenspiegel des Erzhauses Österreich» (1667), mehr Literat als Historiker. Bedeutung für die Reformationsgeschichte hat der Pfarrer zu Wöhrd Georg Theodor Strobel (f 1794), der Herausgeber der «Beyträge zur Litteratur» des sechzehnten Jahrhunderts. Georg Wolfgang Panzer, * Pfarrer zu St. Sebald, war ein berühmter Literarhistoriker; seine «Annalen der älteren Teutschen Literatur» (1788) waren grundlegend für die deutsche Buchdruckergeschichte. Johann Ferdinand Roth, der zu St. Sebald Diakon war, kam ihm an Bedeutung fast gleich. Er wurde der Geschichtsschreiber des fränkischen Handels (1797) und schrieb eine vierbändige «Geschichte des Nürnberger Handels» (1800/02), zu einer Zeit, als dieses Thema in Deutschland noch kaum Bearbeiter gefunden hatte.5 Von schwer abzuschätzendem Einfluß auf die gesamte deutsche Historiographie des achtzehnten Jahrhunderts war der zu Lichtenau geborene Johann Christoph Gatterer,6 der einige Jahre Konrektor am Nürnberger Gymnasium war, ehe er 1758 einem Ruf an die Universität Göttingen folgte. Er legte, ein historischer Linn6, in oft peinlich anmutender schematisierender BegrifFlichkeit Grundlagen und Grenzen der historischen 1 Μ. Cantor, Vorlesungen über Gesch. d. Mathematik ΙΠ 19012, 502; L. Bagrow, Gesch. d. Kartographie, 1951, 109; K. Fischer, Die Familie Doppelmaier in Nürnberg (Bll. f. Fränk. Familienkunde 2) 1927, 26-27; H. Harms, Künstler d. Kartenbildes, 1962, 92; A. Fauser, Altere Erd- u. Himmelsgloben in Bayern, 1964, 25. 2 F. Bock, Der Chronist Wolfgang Lüder 1552-1624 (MVGN 47) 1956, 297-312. 2 W. Hausenstein, Der Nürnberger Poet Siegmund v. Birken in seinen hist. Schriften (MVGN 18) 1908, 197-235; A. Lhotsky, Österreich. Historiographie 1962,99; J. Kröll,

Der Dichter Sigmund v. Birken in seinen BeZiehungen zu Creußen u. Bayreuth (AO 47) 1967, 179-276. 4 Μ. v. Hase, Georgius WolfgangiusPanzer: Annales typographici (Börsenbl. d. deutschen Buchhandels 20) 1964, 1112-1115. 5 F. Bastian, Ebbe u. Flut handelsgeschichtl. Leistung in Bayern (ZBLG 9) 1936, 378; zur allgem. Problematik s. A. Kraus, Vernunft u. Gesch., 1963, 483 ff. 6 H. Wesendonck, Die Begründung d. neueren deutschen Geschichtsschreibung durch Gatterer u. Schlözer, 1876; Kraus (s. Anm. 5) 166 u. ö.

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Hilfswissenschaften fest, der Genealogie (1759), Geographie (1759), Heraldik (1769), und Numismatik (1773), besonders großen Einfluß gewann er durch seine Werke zur Diplomatik (1765, 1799). Um Theorie und Praxis der Universalgeschichte bemühte er sich in lange als führend anerkannten Werken, seine Zeitschriften waren von großem Einfluß. Außerordentlich berühmt, weil so typisch für seine Zeit, hat er doch mehr anregend gewirkt als bleibende Ergebnisse hinterlassen. Das gelehrte Zeitalter hat einen weiteren Typus, der zur Zeit des Humanismus entstand, fortentwickelt, den des wissenschaftlich gebildeten Handwerkers, der in theorerischer Besinnung seine praktische Tätigkeit zu höchsten Ergebnissen steigert. Aus Nürnberg stammte der Kupferstecher Michael Wening, dessen Landesbeschreibung Kurbayems (1701/26) von gleichem künstlerischen wie wissenschaftlichen Wert ist.1 Ebenfalls Kupferstecher war Johann Siebmacher, dessen «Wappenbuch» (1605/09) immer noch zu den wichtigsten heraldischen Hilfsmitteln zählt. Weit über Nürnberg hinaus bekannt war der Kartograph Johann Baptist Homann,1 2 nächst G. Mercator in Deutschland der bedeutendste. 1702 kam er mit seinem ersten Atlas heraus, der «Große Atlas» von 1716 enthielt 126 Karten. Auch unter seinen Nachfolgern blieb dieser hohe Sund erhalten; verdiente Nürnberger Kartographen waren auch Samuel Faber (j1716 ‫)־‬, ferner Christoph Weigel (j1725 ‫ )־‬und sein Sohn Johann Christoph (f 1746), die zusammen mitj. D. Köhler, dem Altdorfer Historiker, einen geographisehen und historischen Schulatlas zusammenstellten. Wie nahe das kartographische Gewerbe der Wissenschaft sund, wird besonders deutlich bei dem Kupferstecher Georg Christoph Eimmart (f 1705),3 einem Miurbeiter Homanns, zuletzt Direktor der Nürnberger Malerakademie. Eimmart stellte nicht nur die Stiche für Globen und Atlanten her, sondern war auch selbst, ehemals Schüler von Erhard Weigel in Jena, als Astronom wissenschaftlich tätig. Die Ergebnisse seiner Beobachtungen veröfientlichte er in den Acta Eruditorum und in den Miscellanea der Leopoldina. Noch ein halbes Jahrhundert später finden wir eine ähnliche Verbindung zwischen Wissenschäft und ihrer praktischen Anwendung bei dem Fürther Georg Moritz Lowitz (f 1774),♦ der für Homanns Erben gearbeitet hat, ehe er Mathematikprofessor in Göttingen und schließlich führendes Mitglied der Petersburger Akademie wurde. Auch Tobias Mayer (j1762 ‫)־‬, «einer der bedeutendsten Mathematiker und Astronomen seiner Zeit», arbeitete bis zu seiner Berufung nach Göttingen 1751 für Homann.’ 1 Vgl. HB II 803. 2 Ch. Sandler, Johann Baptist Homann. Ein Beitr. z. Gesch. d. Kartographie (Zschr. d. Ges. f. Erdkunde zu Berlin 21) 1886; W. Eberle, Ein verschollenes Nürnberger Kunstwerk (Nürnberger Hefte 1) 1949, 17-20; Bagrow (s. 0.606 Anm. 1) 170 f.; Harms (s. ebd.) 97; Fauser (s. ebd.) 98; Bagrow-Skelton, Meister d. Kartographie, 1963; Pröll-Hihschmann, Johann Baptist Homann u. seine Erben (AusStellung d. Stadtbibi. u. d. Stadtarchivs Nümberg) 1964; F. Schnelbögl, Dokumente z. Nürnberger Kartographie (Beitrr. z. Gesch. u. Kultur d. Stadt Nürnberg 10) 1966.

3 Schaper (s. 603) 131, 134ff.; E. Zinner, Deutsche u. niederländ. astronomische Instrumente d. 11.-18. Jhs., 1936; Fauser (s. o. 606 Anm. 1) 23; £. König, Instrumente (Barock in Nürnberg) 1962, 196; sein Planetarium ebd. Abb. nr. 66. 4 G. v. Selle, Die Georg-August-Univ, zu Göttingen 1737-1937, 1937, 98 f., 118; Fauser 24, 107 fr.; L. Hammermayer, Süddeutschrussische Wissenschaftsbeziehungen im 18. Jh. (Festschr. Μ. Spindler) 1969, 507, 518 f. ’Selle (s. Anm. 4) 96 f.; Harms (s. 603) 162 f.; E. G. Forbes, Tob. Mayer (Jb. f. Gesch. d. Obdt. Rst. 16) 1970.

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Ein weithin bekannter Zoologe war der Nürnberger Miniaturmaler August Johann Rösel von Rosendorf, dessen «Insecten-Belustigungen» (1740/61) durch die Genauigkeit wie durch die ansprechende künstlerische Form der Abbildungen das Entzücken Albrecht von Hallers erregten. Die Universität Altdorf ermöglichte es der Reichsstadt Nürnberg, viele ihrer begabten Söhne im Land zu behalten, doch nicht wenige wurden auch in die Fremde abgedrängt, wie der Theologe Caspar Melisander, der in Altenburg 1591 starb, Johann Wilhelm Baier d. Ä. (f 1695), der erste Rektor von Halle, der Mediziner Michael Alberti (j1757 ‫)־‬, langjähriger Dekan an der gleichen Universität, mit 439 DruckSchriften sicher einer der produktivsten Gelehrten seiner Zeit, oder Johann Philipp Irfeiffer, der in Königsberg lehrte und der in seinen «Libri IV antiquitatum Graecarum» (1689) den «ersten Versuch eines vollständigen Lehrgebäudes der griechischen Alterthümer» (Bursian) machte und mitwirkte, die Philologie zur Altertumswissenschaft zu erweitern. Aus Kirchensittenbach bei Hersbruck stammte der Historiker und Jurist zu Halle Nikolaus Hieronymus Gundling (j1729 ‫)־‬, dessen Werke zur deutschen Reichsgeschichte und zur Geschichte der «Teutschen Churfürsten-Staaten» die deutsche Historiographie aufs nachhaltigste befruchtet haben.1 Aus Altdorf stammte der hervorragende Historiker zu Landshut und München Konrad Männert,2 Preisträger der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1811, Verfasser einer Bayerischen Geschichte (1826) von hohem wissenschaftlichen Wert. Nürnberg und sein Territorium waren von einer kaum glaublichen geistigen Prägekraft; vom fünfzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert lehrten 140 Dozenten aus Nürnberg an den verschiedensten Universitäten, 80 sind als Schriftsteller bekannt.1 Es ist kein Zweifel, daß dieses eindrucksvolle Ergebnis in erster Linie auf die stadteigene Universität zurückzuführen ist, auf Altdorf. b) Die Universität Altdorf G. A. Will, Der Nürnberger Universität Denkwürdigkeiten. 1765; Ders., Gesch. und Beschreibung d. Nürnberger Universität in Altdorf, 1801; v. Steinmeyer (s. u. 669 Anm. 2); Reinhard (s. u. 668 Anm. 2); Pfeiffer, Hochschulbestrebungen (s. u. 664 Anm. 2); Liermann (s. u. 669 Anm. 1); Kunstmann (669 Anm. 5); Schultheiss (s. o. 603); Kraus (s. u. i 144) 345 ff.; H. C. Recktenwald, Aufstieg u. Niedergang d. Univ. Altdorf (ZBLG 30) 1967, 242-263; A. Kreiner, ProfessorenSchicksale u. Charakterköpfe aus d. Univ.-Gesch. Altdorfs (MVGN 37) 1940, 322-340; H. C. Recktenwald, Gelehrte d. Univ. Altdorf, 1966; S. Günther, Die mathemat. u. Naturwissenschäften an d. nümbergischen Univ. Altdorf (MVGN 3) 1881, 1-36; Kreiner (s. u. 669); F. Kleb, Gesch. d. Physik an d. Univ. Altdorf, 1908; G. Schäffer, Die Bedeutung d. Univ. Altdorf f. d. Gesch. d. Naturwissenschaften in Bayern (Der Zwiebelturm) 1962, 201-203; D. Flessa, Die Professoren d. Medizin zu Altdorf v. 1380-1809, Med.Diss. Erlangen-Nümberg 1969; K. SauerHaeberlein, Personalbibliographien d. Professoren d. Medizin zu Altdorf v. 1580-1809, Med. Diss. Brlangen-Nümberg 1969; G. Mummenhoff, Die Juristenfakultät Altdorf in d. ersten fünf Jahren ihres Bestehens, Jur. Diss. Masch. Erlangen 1959; A. Liermann, Die Altdorfer Juristen

1 E. Landsberg, Gesch. d. Deutschen RechtsWissenschaft III/1, 1898, 122 ff., Noten 72 ff.; F. Roth, Die Hauptwerke über bayer. Landesgesch. (Bayer. Zschr. f. Realschulwesen NF 7) 1899, 23 f.; H. Eichler, Von Ludewig u.

Gundling z. Romantik (HVjschr. 25) 1930, 214 ff. 2 F. Löschge, C. Männert. Leben u. Wirken eines Nümb. Gelehrten, 1756-1834, Diss. Offs.-Dr. Erl.-Nbg. 1970. 1 Goldmann (s. u. 669 Anm. 4)

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(Festschr. K. S. Bader) 1965, 267-280; v. Scheurl (s. u. 667 Anm. 2); Leder, Altdorf; H. Ch. Meyer, Ein Altdorfer Philosophenporträt (ZBKG 29) 1960, 145-166; R. Rocholl, Göttinger Professoren. Ein Beitr. z. deutschen Kultur- u. Literaturgesch., 1872; G. v. Selle, Die GeorgAugust-Univ, zu Göttingen 1737-1937, 1937; H. Scharold, Bayer. Botanisten vom 16. bis 18. Jh. (Gymnasium - Wiss. Festgabe z. Hundeijahrfeier d. Maximiliangymn. in München) 1950, 139; 132G. Kisch, Gestalten u. Probleme aus Humanismus u. Jurisprudenz, 1969.

Die unerhörte Steigerung des Bildungsbedürfnisses der Reichsstadt Nürnberg seit dem Frühhumanismus wird durch nichts so überzeugend dokumentiert wie durch die Tatsache, daß sich diese Stadt - einmalig im rechtsrheinischen Deutschland - ihre eigene Universität leistete. Gegründet 1622 zur Ausbildung der Theologen, Juristen und Schulmänner des eigenen Territoriums, hat die kleine Universität Altdorf lange Zeit große Anziehungskraft auch über Süddeutschland hinaus besessen; Leibniz hat dort promoviert, noch im achtzehnten Jahrhundert haben berühmte Professoren in Altdorf gelehrt. Die Universität war zu einem Zeitpunkt gegründet worden, wo die Theologie bereits in ihre beherrschende Stellung eingetreten war, aber obwohl 1593 mit Georg Siegel ein Schüler Melanchthons Rektor der Akademie, der Vorläuferin der Universität, geworden war, haben nicht die Theologen das Gesicht Altdorfs geprägt, zumal immer wieder theologische Kämpfe die Professoren in Parteien schieden. Die humanistische Tradition war in Altdorf lebendiger als das theologische Interesse. Den Zusammenhang mit dem Nürnberger Humänistenkreis hielten die großen Philologen der ersten Jahrzehnte aufrecht. Philologisch orientiert waren auch die ersten Juristen der Akademie. Auf Hubert Giphanius aus Holland, der mit Scaliger und Lipsius befreundet war, Herausgeber des Lukrez und bedeutendster Kenner der römischen Rechtsquellen,1 folgte 1592, als Giphanius nach Ingolstadt ging, sein Schüler Konrad Rittershausen (Rittershusius)12 aus Braunschweig, bekannt durch seine Ausgabe des Oppian (1597), seine Kommentare zu Plinius, Petronius und Phaedrus. Er war auch ein hervorragender Kenner des römischen Rechts, grundlegend war sein Hauptwerk, das «Jus Justinianum» (1615). Neben ihm wirkte in Altdorf Christoph Köhler (Colerus), Professor für Geschichte und Politik. Er erwarb sich «einen angesehenen Namen» (Bursian) durch seine Arbeiten zu römischen Historikern (1598/1602). Humanismus war zu dieser Wende zweier Epochen noch integrierender Bestandteil jeder Wissenschaft. Auch der aus Chalon sur Saönc stammende Hugo Donellus (Doneau),3 der zu den Wegbereitern der modernen Jurisprudenz gehört, war ein großer Kenner des römischen Altertums. Sein System des römischen Rechts, das in zahlreichen Abhandlungen, vor allem in seinen «Commentarii iuris civilis» (1589/90) 1 Bursian (s. o. 556) I 248 L; H. Schneppen, Niederländische Universitäten u. deutsches Geistesleben v. d. Gründung d. Univ. Leiden bis ins späte 18. Jh., 1960, 118, 125; vgl. auch HB II 805 f. 2 C. RiTTiiRsiiAusi.N, Vom fränk. Gelehrtengeschlcchtd. Rittershausen (Freie Schriftenfolgc d. Ges. f. Familienforsch. in Franken 6) 1954, 98-109; A. Söi.1 neu, Jus Commune 2,1969,178. 39 HdDG III,

3 H. Coing, Zur Gesell, d. Begriffes «subjektives Recht». Das subjektive Recht u. d. Rechtsschutz d. Persönlichkeit, 1959, 15 ff.; I I. Waiiieh, «Ars iuris» und «suum in persona ipsa» bei Hugo Donellus. Ein Beitr. z. Gesch. d. Methodologie u. d. Lehre v. den Menschenrechten (Arch. f. Gesch. d. Philosophie 43) 1961, 52 ff.; E. 1 Iolthöfer, Jus Conunune 2, 1969, !49 f·

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niedergelegt ist, fußt auf den römischen Rechtsquellen, aber Donellus schied gleichzeitig auch souverän aus, was seiner strengen Systematik widerstrebte. Er setzte, berühmter als sein Gegner Giphanius, den Sieg des mos Gallicus in Altdorf durch, für den bereits der erste Altdorfer Jurist, Johann Thomas Freigius (f 1583) gekämpft hatte; sein Schüler und Nachfolger Scipio Gentilis' aus der Mark Ancona schien ihn zu vollenden. Er gab die nachgelassenen Schriften seines Lehrers heraus, seine eigenen Werke bekunden alle «reiches Wissen, feines Urtheil und geschmackvolle Darstellung» (Stintzing), doch starb er schon 1616. Mit Rittershausen beherrschte die Rechtsschule des Giphanius die Zukunft, die Altdorf die vollen Rechte einer Universität bescherte. Mit Scaliger wetteiferte der Mediziner Nikolaus Taurellus12 aus Montbeliard, wiederholt Rektor der Altdorfer Akademie. Sein reiches Schrifttum gehört fast ganz der Philosophie zu, auch die Medizin betrieb er als Philosophie (Emblemata physicoethica, 1602); scharf und überlegen setzte er sich mit dem Averroismus und Pantheismus der italienischen Aristoteliker auseinander (Alpes Caesae, 1597). Dieses Werk war gleichzeitig eine Abrechnung mit seinem Altdorfer Kollegen Philipp Scherbe, der ein Anhänger Caesalpins war, seines wichtigsten philosophischen Gegners. Auch der Schüler des Taurellus und Nachfolger Scherbes, Emst Soner aus Nürnberg (f 1612), ein Gegner des Paracelsus, neigte zur humanistisch-philosophischen Betrachtung der Medizin. Der modernen Medizin stand näher Caspar Hofmann aus Gotha, einer der gelehrtesten Ärzte seiner Zeit, der Galen interpretierte und sich gegen William Harvey und seine Lehre vom Blutkreislauf auf Aristoteles berief, aber doch auch von Aristoteles lernte, die Erscheinungen selbst zu studieren, nicht nur die literarischen Autoritäten. Für die wissenschaftliche Entwicklung bedeutender war Ludwig Jungermann aus Leipzig, der seit 1625 in Altdorf lehrte und dort den botanischen Garten anlegte, lange Zeit der größte in Deutschland. Jungermann beschrieb, wohin er auch kam, die dort heimische Flora, zu Gießen, Leipzig, Frankfurt und Altdorf. Sein Nachfolger Moritz Hoffmann3 erweiterte den botanischen Garten, richtete ein anatomisches Theater ein und gründete 1682 ein chemisches Laboratorium; seine größte Leistung war die Entdeckung des Bauchspeicheldrüsen-Kanals, auch gab er eine Beschreibung der Altdorfer Flora heraus (1677). In den «Ephemerides» der Leopoldina erschienen zahlreiche Berichte von ihm über medizinische Beobachtungen. Auch sein Sohn Johann Moritz, der 1682 die Leitung des von seinem Vater ins Leben gerufenen ehemischen Instituts erhielt und der seit 1721 die Herausgabe der «Ephemerides» leitete, 1 Bursian (s. o. 556) 248f.; 284 f.; Schnee(s. o. Anm. 1) 125, 127 f. Zu den «beiden Wegen» der Jurisprudenz s. grundsätzlich Koschaker (s. u. 655 Anm. 6) u. G. Kisch, Humanismus u. Jurisprudenz. Der Kampf zwischen mos gallicus u. mos italicus a. d. Univ. Basel, 1955. 2 H. Ch. Mayer, Nicolaus Taurellus, der erste Philosoph im Luthertum. Ein Beitr. z. Problem Vernunft u. Offenbarung, Theol. pen

Diss. Göttingen 1939; Ders., Philosophenportrat (s. o. 609). 3 K. Wein, Mauritius Hoffmann u. seine Addenda ad catalogum plantorum spontanearum 1677 (Mitt. d. Bayer. Botan. Ges. 4) 1928, 115-120; H. Röhrich, Zur Gesch. d. «Doctorgartens» oder «Hortus medicus» der ehem. Nürnberger Univ. Altdorf (Erlanger Bausteine z. Gesch. d. fränk. Heimatforsch. 11) 1964, 31‫־‬43·

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veröffentlichte dort seit 1683 fast Jahr für Jahr seine Beobachtungen, Berichte über seine chemischen Experimente erschienen 1719. 1713 legte er seine Professur nieder und ging als Hofrat und Leibarzt des Markgrafen nach Ansbach.1 Das neue Zeitalter der naturwissenschaftlichen Forschung war aber nicht erst mit den Medizinern nach Altdorf gekommen, seit 1582 wirkte dort fohann Praetorius12 aus Joachimsthal, der vorher in Wittenberg Mathematik gelehrt hatte. Er lehrte das kopernikanische System, erfand das Diopterlineal und den Meßtisch (Mensula Praetoriana), Instrumente, welche die kartographische Vermessung wesentlich erleichterten, und unabhängig von dem berühmten Mathematiker Francois Viete (Vieta) löste er wenig später als dieser das Problem des Sehnenvierecks (1618). Sein Nachfolger Daniel Schwenter34 *kam ihm an Berühmtheit nicht gleich, doch war seine «Geometria practica» (1618) nicht nur sehr beliebt, sondern brachte auch, in der Anwendung der Kettenbrüche bei bestimmten mathematischen Operationen, einen methodischen Fortschritt. Bedeutende Forscher folgten nach, so Abdias Trew, * der ebenfalls ein mathematisches Lehrbuch schrieb (1651). Eine europäische Berühmtheit war Johann Christoph Sturm3 aus Hilpoltstein, nach Leibniz der begabteste Schüler Erhard Weigels, ein entschiedener Verehrer Newtons. Seine «Mathesis enucleata» (1689) war zu seiner Zeit in Deutschland das einzige Lehrbuch für höhere Mathematik, seine Schriften leiteten zu physikalischen Experimenten und zu meteorologischen Beobachtungen an, auch nahm Sturm magnetische Messungen vor und entwickelte physikalisehe Geräte. Die Royal Society hing sein Bild in ihren Räumen auf. Kurze Zeit lehrte in Altdorf auch Johann Tobias Mayer, der 1787 nach Erlangen ging, der Sohn des weit bedeutenderen Göttinger Mathematikers und Astronomen; damals hatte er ein Lehrbuch der praktischen Geometrie vorzuweisen (1778). Erwähnung verdient auch der Astronom Johann Heinrich Müller (j1755 ‫ )־‬aus Wöhrd bei Nürnberg, dessen zahlreiche Schriften jedoch keinen wesentlichen Fortschritt brachten, und der Geodät Johann Leonhard Späth6 aus Augsburg, bekannt vor allem durch sein Handbuch der ForstWissenschaft (1801). Auf dem Höhepunkt des naturwissenschaftlichen Jahrhunderts dominierten in Altdorf die berühmten Mediziner. Johann Jakob Baier7 aus Jena, der erste Geologe in Franken (Oryctographia Norica, 1708), ein fruchtbarer medizinischer Schriftsteller, war von 1730 bis 1740 Präsident der Leopoldina, sein Sohn Ferdinand übernahm 1769 dasselbe Amt, Mitglied der Gesellschaft war auch Johann Nikolaus Weiss aus Hof, ein 1 H. Krauss, Die Leibärzte d. Ansbacher Markgrafen (Familiengesch. Schriften 7) 1941, 16 f. 2 Cantor (s. o. 606 Anm. 1) II, 1900, 589; Bagrow (s. ebd.) 359; E. Zinner, Astronomie. Gesch. ihrer Probleme, 1951, 463. 3 Cantor (s. o. 606 Anm. 1) II 763; F. Dannbmann, Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung u. in ihrem Zusammenhange I, 1920, 331. 4 F. W. Euler, Die fränk. Gelehrtenfamilie Trew. Stamm- u. Ahnenlisten aus Bayern, * 39

Franken u. Schwaben (Der Familienforscher in Bayern, Franken u. Schw. 1, Beilage) 1950, 15‫־‬37· 5 Canto» (s. o. 606 Anm. 1) III 11; Schaper (s. 603) IJO. 6 F. J. Müller, Der Geodät Johann Leonhard Späth aus Augsburg 1739-1842 (Bayer. Zschr. f. Vermessungswesen 26) 1927, 59-75. 7 B. v. Freyberg, Johann Jacob Baiers Oryktographia Norica (Erlanger Geolog. Abh. 29) 1958·

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berühmter Anatom. Der bedeutendste Mediziner, der je in Altdorf dozierte, der Chirurg Lorenz Heister1 aus Frankfurt, der «Begründer der wissenschaftlichen Chirurgie in Deutschland», verfaßte seine beiden Hauptwerke, die in zahlreichen Auflagen erschienen und in mehrere Sprachen übersetzt wurden, das «Compendium Anatomicum» (1717) und die «Chirurgie» (1719) in Altdorf. 1719 folgte er einem Ruf nach Helmstedt. Johann Heinrich Schulze,1 2 ebenfalls Mitglied der Leopoldina, entdeckte 1727 die Lichtempfindlichkeit der Silbersalze. Der letzte namhafte Arzt, den Altdorf besaß, war einer der hervorragendsten Vertreter der MedizingeschichtsSchreibung, Johann Christian Gottlieb Ackermann3 aus dem Vogtland, der seine medizinischen Beobachtungen in zahlreichen Schriften bekanntmachte und dessen «Instituriones therapiae generalis» (1794/95) weite Verbreitung fanden. Bernhard N. G. * Schreger ging bereits nach vierjähriger Lehrtätigkeit in Altdorf 1797 nach Erlangen. Die Vertreter der Medizin, Mathematik und Astronomie waren zwar Wissenschaftlieh bedeutender als die anderer Disziplinen, aber im Bewußtsein der gelehrten Welt fanden die Philologen, Theologen und Juristen nicht weniger Aufmerksamkeit. Verdienste um die Fortentwicklung der Philologie zur Altertumswissenschaft erwarb sich Christian Gottlieb Schwarz aus Leipzig, der von 1709 bis 1757 in Altdorf lehrte; er behandelte das klassische Altertum in seiner ganzen Breite, Literatur, Recht und Geschichte, seine Studien zu den römischen Panegyrikern haben ihn berühmt gemacht. Sein Schüler und Nachfolger Johann Andreas Michael Nagel aus Sulzbach (f 1788), ein vielseitiger und fleißiger Schriftsteller, rief in Altdorf eine «Societas Latina» zur Förderung der Pflege des Lateins ins Leben. Die große Zeit humanistischer Gelehrsamkeit für Altdorf kehrte damit freilich nicht wieder. Die Theologie3 hatte die Philologie längst aus der führenden Stellung innerhalb der Geisteswissenschaften verdrängt, sie war jedoch gerade in Altdorf vielfach selbst zur Philologie geworden. Ein bedeutender Exeget war der Professor für orientalische Sprachen Gustav Georg Zehner aus Poppenreuth, der später die Dogmatik übernahm und ein «Summarium Theologiae Dogmaticae» (1722) erscheinen ließ, zahlreiche exegetische Abhandlungen verfaßte auch Johann Michael Lang aus Etzelwang, der 1709 wegen abweichender theologischer Ansichten das orthodoxe Altdorf hatte verlassen müssen. Die ältere Theologenschule vertrat vor allem Lukas Friedrich Reinhart aus Nürnberg, dessen »Compendium Theologiae» (1678) den modernen Begriff der Dogmatik in die Theologie einführte. Nach dem konservativen Johann Wilhelm Feuerlein aus Nürnberg, der ein «Compendium Theologiae Dogmaticae» (1747) veröffentlichte und neben der Dogmatik auch Exegese lehrte, nach Johann Bartholomäus Riederer (f 1771), der neben exegetischen Studien vor allem Quelleneditionen zur Rfformationsgeschichte veröffentlichte, wurde auch Altdorf in die große Auseinandersetzung der Zeit hineingezogen. Schon Johann Augustin Dietelmeier, der Gründer 1 A. Hibsch, Gesch. d. medizin. Wiss. in Deutschland ΙΠ, 19633, 140; Maumh-Habtl, Gesch. d. Chirurgie in Bayern, 1960, 9 f. 3 A. Krhneb, Der Nümberg-Altdorfer Professor Johann Heinrich Schulze 1687-1744 (Nürnberger Schaub) 1941, 183-184.

3 E. Heischkbl, Die Gesch. d. MedizingeSchichtsschreibung (Einführung in d. Medizinhistorik, hg. v. W. Artelt) 1949, 220. 4 S. u. 626. s Zum folgenden vgl. auch o. 424 f.

§ ‫סך‬. Die Reichsstadt Nürnberg mit Altdorf (A. Kraus)

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des ersten theologischen Seminars in Deutschland, bedeutet mit seiner «Vernünftigen Orthodoxie» den Abschluß der einen und den Übergang zur anderen Epoche. Einerseits gehörte er zu den Vorkämpfern der Dogmengeschichte, andererseits versuchte er, das Eindringen der Aufklärung in Nürnberg zu hemmen, doch vergebens. Noch um 1775 galt er als einer der größten Theologen seiner Zeit, doch wenige Jahre später mußte er erleben, daß er völlig im Schatten seiner aufgeklärten Gegenspieler stand. Schon Johann Christoph Döderlein1 aus Windsheim, der Herausgeber der «Theologisehen Bibliothek» (1780), der bereits rationalistische Bibelkritik übte, gehörte zu den Neologen, verfaßte aber auch eine Gegenschrift gegen die Wolfenbüttler Fragmente, Johann Philipp Gabler1 2 aus Frankfurt stand völlig auf dem Boden des Rationalismus. Sein Werk «De iusto discrimine theologiae biblicae et dogmaticae» (1787) trennte die Dogmatik von den Glaubensquellen und machte die biblische Theologie zu einem historischen Lehrfach, die Wunder faßte er, soweit sie nicht natürlich erklärbar waren, als Mythen auf - das Ende der Theologie. Von Gabler wie von Johann Salomon Semler3 abhängig, dem Hauptvertreter des theologischen Rationalismus in Deutschland, der ebenfalls kurze Zeit in Altdorf gelehrt hatte, ehe er nach Halle ging, war der Altdorfer Orientalist Georg Lorenz Bauer,4 dessen «Hebräische Mythologie» (1802) ebenfalls zu den Standardwerken der neuen Richtung gehörte. Schüler von Gabler war auch der letzte namhafte Altdorfer Theologe, PaulJoachim Vogel, der 1803 ein «Lehrbuch der christlichen Moral» erscheinen ließ. Vogel betrachtete in seinen Anfängen als Kriterium der Offenbarung die Prinzipien der Vernunft, in seiner späteren Entwicklung wandte er sich der Erweckungsbewegung zu, gelangte im Anschluß an Schleiermacher zur philosophischen Überwindung der Aufklärung und trat im Jenaer Atheismusstreit Fichte entgegen. Mit ihm fand die Altdorfer Schule ihre Fortsetzung in Erlangen. Den berühmten Theologen des letzten Jahrhunderts in der Geschichte Altdorfs standen nur wenige berühmte Juristen gegenüber, keiner gemahnte an die großen Anfänge der Altdorfer Jurisprudenz. Schon bald nach der Erhebung der Akademie zur Universität, im Verlauf also des Dreißigjährigen Krieges, hören die großen Namen auf, die Stadt scheute die Ausgaben, die mit der Gewinnung berühmter Juristen verbunden waren. So ließ man Johann Limnaeus,3 der mit seinem «Jus publicum Im1 K. Heussi, Gesch. d. Theol. Fakultät zu Jena, 1954, 193 ff; H. J. Kraus, Gesch. d. hist.krit. Erforschung d. Alten Testaments, 1956, 150; E. Hirsch, Gesch. d. neueren ev. Theologie IV, 19643, 100, 104; V, 19601, 47; Kantzenbach (s. u. 672 Anm. 2) 63 f. 2 Hartlich-Sachs, Der Ursprung des Mythosbegriffs in d. modernen Bibelwissenschaft, 1952; Kraus (s. Anm. 1) 136-140; Heussi (s. ebd.) 21$; Kantzenbach (s. ebd.) 66 f.; W. G. Kümmel, Das Neue Testament. Gesch. d. Erforschung seiner Probleme, 1958,115-124. 3 Kraus (s. o. 606 Anm. 5) 58 u. ö.; Kümmel (s. Anm. 1) 73-82 u. ö.; P. Hornig, Die Anfänge d. hist.-krit. Theologie. Johann Salo-

mo Semlers Schriftverständnis u. seine Stellung zu Luther, 1961; Μ. Werner, Der Protestant. Weg d. Glaubens, 1962; W. Schmittner, Kritik u. Apologetik in d. Theologie Johann Salomo Semlers, 1963. 4 Kraus (s. o. Anm. 1) 140,154 f.; Kümmel (s. o. Anm. 1) 124 ff. 5 F. Dickmann, Der Westfälische Frieden, 1959, 134ff·; A. Wolff, Die Notitia Regni Franciae des Johannes Limnaeus (ZBLG 23) 1960, X-41; R. Hoke, Die Reichsstaatsrechtslehre d. Johannes Limnaeus. Ein Beitr. z. Gesch. d. deutschen Staatsrechtswissenschaft im 17. Jh., 1968.

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perii Romano-Germanici» (1629) in die große Auseinandersetzung von Althusius bis Pufendorff um den Charakter des Reiches eingriff, der noch vor Conring die Fundierung des deutschen Staatsrechts auf den heimischen Rechtsquellen vertrat, nach kurzer Lehrtätigkeit wieder ziehen - er trat in die Dienste der fränkischen Hohenzollem-, ohne ihm die angestrebte Professur anzubieten. Das ganze siebzehnte Jahrhundert hat keine Größen ersten Ranges mehr gebracht, so bekannt Johann Wolfgang Textor aus Neuenstein-Hohenlohe, der Ururgroßvater Goethes, durch seine «Disputationes academicae» (1697) auch war. Ein klassischer Polyhistor war der Nürnberger Johann Christoph Wagenseil,1 der Staatsrecht, Geschichte und orientalische Sprachen lehrte, die Wasserskier erfand und über den Talmud arbeitete. Wertvollen QuellenStoff bieten seine Sammlungen zur Nürnberger Geschichte (1697). Als Juristen bedeutender waren jedoch Johann Christian Siebenkees1 aus Wöhrd bei Nürnberg und Julius Friedrich Malblanc aus Weinsberg, die mitsammen die «Allgemeine Juristische Bibliothek» (1781/86) herausgaben. Siebenkees gab außerdem ein «Juristisches Magazin» (1782/84) heraus, seine «Beyträge zum Teutschen Recht» (1786/91) wirkten vor allem für die Kenntnis der germanistischen Rechtsgeschichte. Sein Kollege Malblanc ergänzte ihn auch darin; wertvoll ist seine «Geschichte der peinlichen Gerichtsordnung K. Karl V.» (1783). Der größte Altdorfer Jurist war Johann Heumann v. Teutschenbrunn.123 Er befaßte sich mit der Enzyklopädie der Jurisprudenz und mit methodischen Randfragen, vor allem mit Rechtsgeschichte. Ihm gelang dabei durch seine «Initia juris politiae Germanorum» (1757) eine systematische Bewältigung des Verwaltungsrechts. Er versuchte ferner mit Erfolg, die Entstehungsgeschichte mittelalterlicher Rechtsbücher zu erklären, epochemachend war sein Beitrag zur Entwicklung der Diplomatik, nicht nur für Deutschland. In seinen «Commentarii de re diplomatica Imperatorum ac Regum Germanorum» (1745) ergänzte er Mabillons Beschreibung der äußeren Merkmale einer Urkunde durch die Lehre von ihren inneren Kennzeichen, stellte die für den Rechtsinhalt bedeutsamen Formeln zusammen und legte eine Liste der Kanzler an. Die Diplomatik des achtzehnten Jahrhunderts ging zum großen Teil von Heumann aus. Die Geschichte nahm damals für kurze Zeit in Altdorf eine hervorragende Stellung ein. Zusammen mit Heumann lehrte in Altdorf der damals neben dem Straßburger Historiker Schöpflin bedeutendste deutsche Universitätslehrer für Geschichte, Johann David Köhler * aus Colditz in Sachsen. Die von ihm entwickelte Methode in der Genealogie galt als vorbildlich das ganze achtzehnte Jahrhundert hindurch, die Nu1 J. Pirson, Johann Christoph Wagenseil u. Jean Chapelain. Die Univ. Altdorf im Dienste Colberts (Gedächtnisschr. f. A. Hämel) 1953, 197-22. 2 Zur Hochschätzung Savignys für Siebenkees s. A. Stoll, Der junge Savigny, 1927,285; W. Rieger, J. Ch. Siebenkees, Jur. Diss. Masch. Erl. 1952. 3 E. Rosenmund, Die Fortschritte d. Diplomatik seit Mabillon, vornehmlich in Deutsch-

land u. Österreich, 1897, 33 ff.; H. Bresslau, HB d. Urkundenlehre f. Deutschland u. Italien I3, 1958, 35; Kraus, Vernunft u. Gesch. 136 ff. 4 G. Waitz, Göttinger Historiker v. Köhler bis Dahlmann (Göttinger Professoren, hg. v. R. Rocholl) 1872; A. Gollwttzbr, Europabild u. Europagedanke. Beitr. z. deutschen Geistesgesch. d. 18. u. 19. Jhs., 1951, 62f.; Kraus (s. o. Anm. 3) 166 u. ö.

§ 1‫ך‬. Die Fürstentümer und die übrigen Reichsstädte (A. Kraus)

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mismatik verdankt ihm ihre systematische Grundlegung, die europäische Staatengeschichte hat er schon 1728, durch seinen «Entwurf eines Collegii über den gegenwärtigen Zustand von Europa», in Deutschland eingeführt. 1735 wurde er nach Göttingen berufen, um dort die historiographische Tradition zu begründen, durch welehe diese junge Universität bald berühmt wurde. Noch ehe die Universität Altdorf den politischen Umwälzungen zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts zum Opfer fiel, erstand ihren Gelehrten der erste Geschichtsschreiber in dem Professor für Philosophie und Poesie Georg Andreas fVill * aus Obermichelbach. Er zeichnete sich besonders durch sorgfältige bibliographische Ermittlung aus, seine «Bibliotheca Norica» (1772/93) ist ebensowenig ausgeschöpft wie sein Werk zur Nürnberger Gelehrtengeschichte (1755). Lebenskräftig war die Universität Altdorf nur bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, dann entzog ihr die nahe Neugründung Erlangen das Mark; Professoren und Studenten wanderten ab. Der Wandel der politischen Verhältnisse und der finanzielle und wirtschaftliche Niedergang wirkten ebenso lähmend auf das Nürnberger Selbstgefühl und auf den Willen zu eigener kultureller Repräsentation. Schon damals war der Bildungsraum Nürnberg aufgebrochen und lebte in engster Kommunikation mit dem größeren Franken der Reichsstädte und dem wiedervereinigten Fürstentum Ansbach-Bayreuth.

§71. DIE FÜRSTENTÜMER UND DIE ÜBRIGEN REICHSSTÄDTE

A. Meyer, Biographische Nachrichten v. d. Schriftstellern u. Künstlern, die gegenwärtig in d. Fürstentümern Ansbach u. Bayreuth leben, 1782; Vocks (s. o. 380); Fkenscher (s. o. 580); Krieg (s.o. $80); Schreibmüller (s. o. Bibi.); Ch. Beck, Die Wesenszüge d. Aufklärung in Franken (ZBKG 12) 1937, m-117; H. Liermann, Die rechtsgelehrten Beamten d. fränk. Fürstentümer Ansbach u. Bayreuth im 18. Jh. Ein Beitr. z. Gesch. d. deutschen Beamtentums (JffL 8/9) 1943. 255-292; T. Stettnbr, Mittelfränk. Naturforscher v. 1720-1820 (Jb. Mir.) 1924; W. Bonacker, Grundriß d. fränk. Kartographie d. 16. u. 17. Jhs. (Mainfr. H. 33) 1959; Jordan-Bürckstümmer; J. Kröll, Zum Gedankengut d. Aufklärung in Bayreuth (AO 39) 1959, 156-175; Schreibmüller (s. u. 670 Anm. 3); F. Bruckmeier, Die deutsche Schule Bayreuth im 18.Jh., 1932; Gymnasium Schweinfurt (s. u. 665 Anm. 1); Gymnasium Christian-Emestinum Bayreuth 1664-1964, Festschr. z. 300jähr. Bestehen d. Human. Gymn. in Bayreuth, 1964; H. Beck, Mitt, aus d. Gesch. d. Gymnasiums. Festschr. z. Feier d. dreihundertjähr. Bestehens d. Gymn. Casimirianum in Coburg 1605-1905, 1905; Festschr. z. 3$ojähr. Bestehen, 1955; J. G. Gruner, Das Gymnasium Casimirianum in Coburg 1605-1930,1930; F. G. Kaltwasser, Die Handschriften d. Bibi. d. Gymn. Cas. u. der Theres-Zieritz-Bibliothek (Kat. d. Landesbibi. Coburg ΙΠ) 1960; Gymnasium Fridericianum (s. u. 672 Anm. 2); Mengin ebd.; Krauss, Leibärzte (s. o. 611) Anm. 1; Μ. Simon, Bayreuthisches Pfarrerbuch, 1931; Ders., Ansbachisches Pfarrerbuch, 1955.

a) Schulmänner, Beamte, Ärzte. Die beiden Fürstentümer der Hohenzollem in Franken waren bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts getrennt, keines besaß allein soviel Gewicht, daß es einen kulturellen Schwerpunkt hätte bilden können, der Nürnberg 1 F. Bock, Georg Andreas Will, ein Lebensbild aus d. Spätzeit d. Univ. Altdorf (MVGN 41) 1950, 404-426.

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das Gleichgewicht gehalten hätte. Später als diese mächtige Reichsstadt dachten die Hohenzollem auch daran, ihren Staat nach neuzeitlichen Gesichtspunkten durchzuorganisieren, erst im späten siebzehnten Jahrhundert begegnen gelehrte Juristen, Schulmänner, Theologen und Ärzte in wachsender Zahl. Nicht anders war es mit dem Fürstentum Coburg, das je nach den Wechselfällen des Erbrechts und der Erbteilungen selbständig war oder den verschiedenen thüringischen Linien zugehörte. In enger Bildungsgemeinschaft mit den Residenzstädten lebten die protestantischen Reichsstädte Frankens, deren Bibliotheken,1 schon in der frühen Neuzeit zielbewußt ausgebaut, gelehrten Studien entgegenkamen. Coburg, das ebenfalls eine hervorragend ausgestaltete Bibliothek besaß,2 tendierte nach Thüringen, stand aber auch mit den südlichen Nachbarn in lebendigem Austausch. Der Versuch einer Coburger Universitätsgründung ist 1705 endgültig gescheitert (s. u. 671). Die fränkischen Juristen des achtzehnten Jahrhunderts, Richter, Verwaltungsbeamte und Archivare, haben in der deutschen Geschichtswissenschaft eine besondere Stelle eingenommen, Franken war geradezu «zum gelobten Land für den gelehrten Juristen» (Liermann) geworden, wegen der Gemengelage der Lehen und Besitzungen war genaue Kenntnis der im Vergangenen wurzelnden Rechtsansprüche unerläßlich. Das allein erklärt noch nicht die Vielfalt der Begabungen und Interessen, die wissenschaftliche Reife der Publikationen. Die Namen vieler Autoren sind heute vergessen, etwa die Schweinfurter Stadtschreiber Nikodemus Schön (j1599 ‫ )־‬aus Schleiz und Johann Heberer (f 1628), die Geschichtsschreiber der Reichsstadt? Von Dauer blieb nur der Ruhm von Johannes Limnaeus, der nach seinem Weggang von Altdorf (s. o. 613) einige Jahre als Hofmeister tätig war, bis er 1631 als Rat in die Dienste des Ansbacher Markgrafen trat. Als Geheimer Rat und Kämmerer ist er 1663 gestorben. Bekannt ist vielleicht auch noch der Ansbacher Hofrat Johann Heinrich v. Falcken* stein aus Schwabach, dessen «Antiquitates Nordgavienses» (1733) und «Antiquitates et Memorabilia Marchiae Brandenburgicae» (1751/52) noch immer unentbehrlich sind, der ein breites wissenschaftliches Werk vorlegte, meist unkritische Kompilationen wie seine Bayerische Geschichte (1748/63), aber durch die Vollständigkeit der Literaturerfassung immer noch von Nutzen. Hochgeschätzt wegen der Edition seines «Corpus historiae Brandenburgicae diplomaticum» (1756) war der Geheime Rat zu * E. Μ. Moritz, Die Bibliotheken d. freien Reichsstadt Schweinfurt (Veröffentl. d. Hist. Ver. u. Stadtarch. Schweinfurt 6) 1959; G. Lamping, Die Bibliothek d. freien Reichsstadt Windsheim, 1966; G. Schuhmann, Ansbacher Bibliotheken vom MA bis 1806, 1961. 2 F. Knorr, Die gcistesgesch. Bedeutung d. Bibliotheca Casimiriana (Festschr. z. 350jähr. Bestehen d. Gymn. Casimirianum Coburg) 1955; Ders., Die Geistesgesch. d. Stadt Coburg im Spiegel ihrer Bibliotheken (Jb. d. Coburger Landesstiftung 1) 1956, 113-164; W. Kratsch, Die Büchersammlungen d. Coburger Herzöge u. ihre Entwicklung zu einer öffentl. Bibliothek (ebd. 4) 1959,135-160; F. G. Kaltwasser, Die

SchloQbibliothek d. Herzogs Johann Casimir v. Sachsen-Coburg 1564-1633 (ebd. 6) 1961, 13-26; Die Wiegendrucke in Coburg, 1954. ‫ נ‬E. Saffert, Zur Schweinfurter Historiographie u. z. Gesch. d. Hist. Ver. Schweinfurt (Neujahrsbll. 26) 1954, 7-26. 4 Zu Falckenstcins Bayerischer Geschichte, 1748 abgeschlossen, 1763 erschienen, s. A. Kraus, Die bayer. Historiographie z. Zeit d. Gründung d. Bayer. Akad. d. Wiss. 1759 (ZBLG 21) 1958, 97-102; zu seiner «Thüringisehen Chronik» (1738) s. die kritischen Bemerkungen von L. Hammermayer, Neue Beitrr. z. Gesch. d. Schottenklosters St. Jacob in Erfurt (Jb. f. d. Bistum Mainz 8) 1958/60, 210 ff.

§ 71· Die Fürstentümer und die übrigen Reichsstädte (A. Kraus)

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Ansbach Christoph Philipp Sinold Schütz. Ein kostbares Werk der ausgehenden Barockhistoriographie ist die «Franconia illustrata» (1762) seines Ansbacher Kollegen Johann Sigmund Strebel;1 auf breiter urkundlicher Grundlage ruhend, ist seine fränkische Geschichte besonders rechtsgeschichtlich orientiert. Eine 128 Folianten umfassende Sammlung des Bayreuther Staats- und Lehensrechts hinterließ der Lehenspropst zu Bayreuth Georg Wilhelm Wipprecht (‫־‬j1792 ‫)־‬. Seine Sammlung gehört jedoch gleichzeitig der Rechtsgeschichte wie der praktischen Jurisprudenz an, ebenso wie das «Corpus Constitutionum Brandenburgico-Culmbacensium» (1746/48) des Bayreuther Staatsmannes Philipp Andreas Graf v. Ellrodt,2 «die bedeutendste praktisch-juristische Leistung» im Franken des achtzehnten Jahrhunderts (Liermann). Über Franken hinaus von allgemeinem Interesse waren die «Elementa iuris canonici et Protestantium ecclesiastici» (1731) des Bayreuther HofratsJohann Georg Pertsch oder die umfassendste und bis heute noch wichtigste Quellensammlung zur Geschichte des Westfälischen Friedens, die Ausgabe der «Acta pacis Westphalicae publica» (1734/36) seines KollegenJohann Gottfried v. Meiern,3 der 1722 als Justizrat nach Hannover gegangen war. Von hervorragender juristischer Bildung waren bereits seit dem siebzehnten Jahrhundert besonders die leitenden Staatsmänner und Inhaber der hochsten Hofämter zu Coburg. Von den zahlreichen gelehrten Beamten nennt die Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft die Kanzler Johann Jakob Avianus (j1688 ‫)־‬, der vorher Professor zu Erfurt und Jena gewesen war, und August Carpzov (f 1683), den Bruder des berühmten Begründes der neueren deutschen Jurisprudenz Benedikt Carpzov. Hofräte in Coburg waren die späteren Jenaer Ordinarien Achat Ludwig Karl Schmid (f 1784), zuletzt Kanzler zu Weimar, Verfasser mehrerer kirchenrechtlicher Kompendien und vorzüglicher Kenner des Verwaltungsrechts, und Johann Ludwig v. Eckardt (j* 1800), ein fruchtbarer juristischer Schriftsteller. Im allgemeinen herrschte, der besonderen Verwendung dieser Beamten entsprechend, die Wissenschaftliehe Beschäftigung mit der Jurisprudenz vor, doch besonders im achtzehnten Jahrhundert wurde der Interessenkreis um vieles weiter. Der Hofrat Ferdinand Adam v. Pemau (j1731 ‫ )־‬war ein bekannter Ornithologe, der Kammerpräsident Christoph Arzberger (j1822 ‫)־‬, der bis 1796 am Casimirianum Mathematik gelehrt hatte, veröffentlichtc eine ganze Reihe von mathematischen und astronomischen Werken, einer seiner Vorgänger, Johann Gerhard Gruner (f 1790), war historisch interessiert, er ist der Verfasser der historisch-topographischen Beschreibung von Coburg (1783). Die Grundlage für die Geschichte Coburgs legte der Regierungsadvokat und Archivar, zuletzt Leiter des Casimirianum Georg Paul Hönn (j1747 ‫ )־‬aus Nürnberg mit seiner «Sachsen-Coburgischen Historia» (1700), einem Werk, das aus sorgfältigen ArchivStudien hervorgegangen war. In die erste Reihe der deutschen Geschichtsforscher seiner Zeit gehörte schließlich der Hofrat und Geh. Archivrat zu Coburg Johann Adolph 1 F. Fkenschbr, Johann Sigmund Strebel, Archivar u. Historiker 1701-1764 (Jb. Mir. 82) 1964/65, 243-245. 1 Μ. Riedelbauch, Der Aufstieg, d. Wirken u. d. Niedergang d. Reichsgrafen v. Eilrodt (AO 39) 1959, 292-302.

3 K. v. Schlözer, Die Familie v. Meiern in Hannover u. am Markgräfl. Hof in Bayreuth, 1855; Dickmann (s. 613 Anm. 5) $01, 508 f.

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v. Schultes.1 Beginnend 1788 mit der «Diplomatischen Geschichte des Grad. Hauses Henneberg», hat er bis 1822 in immer neuen Ansätzen, unterstützt durch ausgedehnte Quelleneditionen, den gesamten Umfang der Coburger Geschichte bearbeitet. Besonders eng der Geschichtswissenschaft verbunden waren die Archivare Gottfried Stieber123von Ansbach, der 1761 seine «Historische Nachricht von dem Fürstentum Brandenburg-Onolzbach» herausbrachte, und Philipp Emst Spieß2 aus Ettenstatt. Spieß war Mitglied der Akademien zu München, Mannheim und Berlin, Mitarbeiter bei der St. Blasianischen Germania Sacra, seine «Archivischen Nebenarbeiten» (1783/83) und «Aufklärungen in der Geschichte und Diplomatik» (1791), exakte Quellenarbeit, machten den Archivar der Plassenburg berühmter als andere ihre großen Geschichtswerke. Sein Plan eines «Codex diplomaticus Franconicus» kam nicht mehr zur Ausführung. Auch der Nachfolger von Spieß, der spätere Direktor des Reichsarchivs Karl Heinrich Lang, der wegen der Spottsucht seiner Erinnerungen berüchtigte Ritter von Lang, gehört in die Reihe dieser hervorragenden Historiker unter den Beamten der fränkischen Fürstentümer. Während der kurzen Jahre seiner Tätigkeit in preußischen Diensten zu Ansbach-Bayreuth verfaßte er die «Neuere Geschichte des Fürstenthums Baireuth» (1798/1811),4*ein Werk, das zwar den selbstgesetzten Maßstäben nicht entfernt gerecht wird, aber vor allem dank reicher wirtschafts- und verfassungsgeschichtlicher Nachrichten von Wert ist. Um diese Zeit, gegen Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts, war Verständnis für Probleme der Wirtschaft auch unter Gelehrten oder hohen Verwaltungsbeamten nicht mehr selten, im ersten Viertel des Jahrhunderts dagegen stellte der ansbachische Hofrat Ernst Ludwig Carl,2 Assessor am Kaiserlichen Landgericht Nürnberg, dann «Charge d’affaircs» zu Wien und Paris doch eine Ausnahme dar. Mit seinem dreibändigen «Traite de la richesse des princes et de leurs itats» (1722/23), der anonym zu Paris erschien, gehört er zu den führenden Theoretikern der Nationalökonomie seiner Zeit. Auch unter den Schulmännern und Theologen des weiten Gebiets zwischen Weißenburg und Hof gab es zahlreiche Gelehrte, vor allem fleißige Historiker. Überragende Bedeutung besaß außer Libavius (s. u.) keiner,6 doch insgesamt haben sie in 1 K. v. Andrian-Wehbubg, Johann Adolph v. Schultes (Fränk. Lebensbilder 2) 1968, 377 bis 394. 2 G. Schuhmann, Die Deliciae topogeographicae Noribergenses u. ihre Verfasser. Ein Beitr. z. fränk. Historiographie d. 18. Jhs. (JffL 19( 1959. 485‫־‬505· 3 K. Th. v. Hhgel, Geschichtsforschung u. Archivwesen (Geschichtl. Bilder u. Skizzen) 1897, 175-193; H. Schbeibmülleb, Der erste große deutsche Archivar Phil. Emst Spieß (1734-1794) (Heimatbl. f. Ansbach 14) 1938, nr. 4; W. Lux, Philipp Emst Spieß aus Ettenstatt, ein bedeutender fränk. Archivar (Gunzenhäuser Heimatbote) 1953, nr. 38; Kraus, Vernunft u. Gesch. 190. Eine eingehende Würdigung steht noch aus.

4 S. o. 414 Anm. 4. Zum Historiker Lang vgl. auch A. Kraus, Die hist. Forsch, an d. Churbayer. Akad. d. Wiss., 1959, 18 u. ö. 5 K. Kunze, Emst Ludwig Carl. Ein fränk. Chargi d’afFaires u. Kameralist an Höfen d. europ. Absolutismus, 1966; Ders., Der ansbachische Hofrat Emst Ludwig Carl als Karneralist, Literat u. Agent im Paris d. frühen 18. Jhs. (Jb. Mfr. 84) 1967/68, 40-59. 6 Keinen Vergleich mit den im Text aufgeführten Historikern - die bedauerlicherweise keine moderne Biographie behandelt - halten die in folgenden Untersuchungen gewürdigten aus: W. G. Neukam, Georg Caspar Kirchmayer (J 1700) aus Uffenheim - ein unbekannter Historiograph Frankens (JffL 13) 1953, 129-136; K. Müssel, Johann Wolfgang

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zahllosen Abhandlungen und kleineren Werken die fränkische Vergangenheit erhellt. Besonders zu nennen sind wohl die Historiker zu Windsheim, Melchior Adam Pastorius,1 der Geschichtsschreiber des «Fraenckischen Kreyßes» (1702), und der Rektor des dortigen Gymnasiums Johann Georg Nehr, der 1790 bis 1794 in einer Reihe von Schulprogrammen die Geschichte Windsheims behandelt hat? Auch der Rektor von Weißenburg und Geschichtsschreiber der Reichsstadt Johann Alexander Döderlein (f 1745) genoß mehr als lokales Ansehen.’ Durch den Reichtum an archivalisehen Quellen zeichnet sich das Hauptwerk des umständlichen und wenig kritischen Vielschreibers Daniel Longolius * Rektor zu Hof, aus, die «Sicheren Nachrichten von Brandenburg-Culmbach» (1751/61). Einer seiner Schüler, der Superintendent von Wunsiedel, Johann Georg Wunderlich, der Herausgeber der «Wöchentlichen historisehen Nachrichten, besonders zur Geschichte des Frankenlandes» (1766/69), gründete 1784 die «Gesellschaft zur Aufklärung vaterländischer Geschichte» in Wunsiedel.’ Mehr als diese Gesellschaft hat der Pfarrer zu Markt Erlbach Samuel Wilhelm Oetter aus Goldkronach6 für die Geschichte Frankens geleistet, wenngleich seine Arbeiten, trotz reicher Urkundenbenutzung, wenig kritischen Sinn verraten und wertvoll vor allem als Materialsammlung sind. Sein «Versuch einer Geschichte der Burggrafen zu Nürnberg» (1751) genoß zu seiner Zeit jedoch hohes Ansehen. Außerordentlich verdienstvoll war das sechsbändige «Geographisch-statistisch-topographische Lexikon von Franken» (1799-1804) des Schweinfurter Pastors Johann Kaspar Bundschuh. Das große historische Interesse der fränkischen Schulmänner und Theologen hat die wissenschaftlichen Leistungen in Theologie und Philologie naturgemäß beeinträchtigt. Vor allem die Theologie als Wissenschaft wurde stark vernachlässigt, wenngleich sehr viele Theologen mit Fleiß und Hingabe die praktische Seelsorge durch ihre Schriften unterstützten. Von Bedeutung sind nur der Kulmbacher Superintendent Christoph Althofer aus Hersbruck, der neben zahlreichen anderen Schriften 1653 einen Evangelienkommentar veröffentlichte, Sebastian Kirchmeyer (f 1700), Superintendent zu Rothenburg, langjähriger Prediger und Lehrer am Gymnasium poeticum zu Regensburg,7 und Georg Ludwig Oeder aus Schopfloch, Dekan zu FeuchtRentsch u. sein «Brandenburgischer CederHein». Leben u. Werk d. ersten Professors am Bayreuther Gymnasium (1637-1690) (AO 42) 1962, 55-90. Zu nennen wäre vielleicht der bei Saffert (s. o. 616 Anm. 3) aufgeführte Schweinfurter Pfarrer J. Μ. Sixt mit seiner «Reformationsgeschichte der Reichsstadt Schweinfurt», 1794. Auch der Schweinfurter Rektor (1769-1802) J. Phil. Raßdörfer wird als Historiker genannt, ihre Arbeiten sind jedoch noch nicht kritisch gewürdigt. Ohne allgemeine Bedeutung ist auch J. Ch. Layriz (j■ 1731); vgl. dazu F. Ebert, Historia Curiana. Die Hofer Gesch. d. Mag. Johann Christoph Layriz (Nordoberfränk. Ver. f. Natur-, Gesch. u. Lkde. 19) 1958/59, 27-31· 1 Des Melchior Adam Pastorius .. . Leben Reisebeschreibungen, hg. v. A.R. Schmtit 1968.

2 Borst (s. o. 1138) 224. ’ Schnblbögl (s. o. 361) 460; G. Jänner, Döderlein (in: Uuizinburc s. o. 361) 111-120. 4 H. Raithel, Paul Daniel Longolius (Der Siebenstern 5) 1931, 4-8; Kraus (s. o. 618 Anm. 4) 87 f.; Ders., Der Beitr. d. Dilettanten z. Erschließung d. geschichtl. Welt im 18. Jh. (RQ 57) 1962, 214 f. ’ Η. H. Karasek, Die Gesellschaft z. Aufklärung Vaterland. Gesch., Sitten u. Rechte in Wunsiedel. Ein Beitr. z. Frühgesch. d. GeSchichtsvereine (AO 39) 1959, 229-244. 6 G. Pfeiffer, Samuel Wilhelm Oetter u. Erlangens frühe Stadtgesch. (Erlanger Bausteine z. fränk. Heimatforsch.6) 1959,69-76;Ders., Samuel Wilhelm Oetter (JffL 21) 1961,79-108. 7 Kraus (s. o. 1144) 356 f.

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wangen, der Herausgeber der «Alten und auserlesenen theologischen Bibliothek» (1733/34). Der einzige große Name unter den Theologen, der in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit im heutigen fränkischen Raum außerhalb der Universitäten Altdorf oder Erlangen begegnet, ist Johann Franz Buddeus,1 der vor der Wende zum achtzehnten Jahrhundert kurze Zeit am Gymnasium Casimirianum zu Coburg lehrte, ehe er nach Halle berufen wurde. In der Geschichte der Philosophie erscheint sein Name zusammen mit dem des Thomasius, dessen großes Anliegen der Begründung des Rechts auf der menschlichen Natur (Historia iuris naturae, 1706) er ebenfalls vertrat; in der Theologie, die er seit 1705 in Jena lehrte, leitete er durch die Anfänge der historisch-kritischen Betrachtungsweise zur Aufklärung über. Zwei Jahre lehrte zu Coburg auch der bekannte Gegner Kants, der spätere Göttinger Philosoph Johann Georg Heinrich Feder (f 1821). Sein Nachfolger Johann Christian Briegleb (f 1805),2 ein fruchtbarer philosophischer Schriftsteller, erreichte seine Bedeutung nicht. Auch Johann Salomo Semler, der berühmte Kirchenhistoriker zu Halle, war kurze Zeit am Casimirianum tätig. Unter der großen Zahl eifriger Philologen, die zu Coburg wirkten, besaß nur Gottlieb Christoph Harleß einen Namen, geringer war das Ansehen von Johann Friedrich v. Gruner (f 1778), der 1748 als Theologe nach Halle berufen wurde; Harleß ging nach Erlangen. Im allgemeinen haben, wie die Theologen, mit Ausnahme des Buddeus, auch die Schulmänner ihre philologische Gelehrsamkeit meist in kleiner Münze ausgegeben. Durch besondere Fruchtbarkeit zeichnete sich dabei der Rektor zu Wunsiedel Johann Georg Dietrich (f 1745) aus, zahlreiche Abhandlungen zur Philologie und zu Themen aus der hl. Schrift veröffentlichte der Ansbacher Rektor Johann Melchior Faber (f 1809), rege literarische Tätigkeit entfaltete auch sein Vorgänger Johann Georg Geret (f 1763). Eine Geschichte seiner Anstalt und zahlreiche pädagogische Abhandlungen veröffentlichte der langjährige Rektor des Rothenburger Gymnasiums Andreas Samuel Gesner.3 Kurze Zeit lehrte in Ansbach sein Bruder, der berühmte Göttinger Philologe Johann Matthias Gesner4 aus Roth bei Ansbach, der «Reformator der classischen Studien» (Bursian). Sein Schrifttumsverzeichnis umfaßt 221 Titel, der «Novus linguae et eruditionis Latinae thesaurus» (1749) bringt «großartige Bereicherungen aus dem Gebiete der Phraseologie, der Wort- und Sacherklärung» (Bursian), das erste große Werk Gesners, die «Institutiones rei scholasticae» (1715), zeugen «ebenso von ausgebreiteten Kenntnissen wie von ungewöhnlicher Reife des Urtheils» (Bursian). Die im achtzehnten Jahrhundert moderne Wissenschaft, die Wissenschaft von der Natur, fand im protestantischen Franken außerhalb Nürnbergs keine zielbewußte Pflege. Von allgemeiner Bedeutung waren der Rektor des Casimirianums zu Coburg 1 A. F. Stolzenburg, Die Theologie d. Johann Franz Buddeus, 1926; Hirsch (s. o. 613 Anm. 1) II 319-333; Heussi (s. 613 Anm. 1) 154-162; Μ. Frischeisen-Köhler- W. Moog, Die Philosophie d. Neuzeit bis z. Ende d. 18. Jhs., 1958, 459·

2 Keyssner, Μ. J. Ch. Briegleb (Gymn. Casim. Coburg, Ber. 1966/67) 3-5. 3 A. Schnizlein, Andreas Samuel Gesner, Rektor d. Rothenburger Gymn. 1716/71,1907. 4 Μ. Wegner, Altertumskunde, 1951, 90 ff; Bursian (s. o. 556) 387 ff.

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Andreas Libavius. (j1,(1616 ‫ ־‬der zu den führenden Chemikern seiner Zeit gehörte, ein erbitterter Gegner des Paracelsus (Alchimia triumphans, 1607), und der Hofastronom zu Ansbach Simon Marius.1 Er entdeckte 1610, gleichzeitig mit Galilei, die Jupitermonde, außerdem den Andromeda-Nebel; Entdeckungen und astronomische Berechnungen, die zum Teil genauer waren als die Galileis, veröffentlichte er 1614 in seinem Werk «Mundus Jovialis». Zu Bayreuth lehrte WolJgang Ludwig Graefenhahn (j1767 ‫)־‬, der in vielen Schulschriften die Verdienste deutscher Mathematiker und Physiker behandelte. Martin Frobenius Ledermüller aus Nürnberg (j1769 ‫)־‬, zuletzt Leiter des Naturalienkabinetts zu Bayreuth, veröffentlichte naturwissenschaftliehe Abhandlungen und die Ergebnisse mikroskopischer Untersuchungen. Eine steile Karriere machte der Apotheker Johann Georg Model123*aus Rothenburg, einer der Stifter und Präsident der Freien Oekonomischen Gesellschaft zu St. Petersburg, Mitglied auch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Sein Hauptwerk sind die drei Bände «Recreations physiques, oeconomiques et chymiques» (1774). Abenteuerlicher noch war der Lebenslauf von Johann Daniel Schoepf * aus Wunsiedel, Leibarzt des Markgrafen von Ansbach, der 1777 als Feldarzt bei den Ansbach-Bayreuther Subsidientruppen in Amerika Dienst tat und dann seine medizinischen, botanischen und zoologischen Beobachtungen aus der Neuen Welt veröffentlichte. Weniger Aufsehen erregten der Bericht des Pfarrers Johann Friedrich Esper aus Uttenreuth, später Superintendent zu Wunsiedel, über die fossilen Funde in der Fränkischen Schweiz (1774) oder die botanischen Studien des Freiherm Friedrich Wilhelm von GleichenRußwurm aus Bayreuth (Neuestes aus dem Reich der Pflanzen, 1764), aber in der Geschichte der fränkischen Naturforschung nehmen sie keinen geringeren Platz ein als Schoepf. Ein wissenschaftlich besonders tätiger Arzt war Johann Christian Voigt aus Zoppot (f 1810), der zu Schwarzach bei Kulmbach wirkte und über Blattern, Podagra und Typhus schrieb. Die Augen der Naturforscher in ganz Deutschland zog auf sich der Schweinfurter Physikus Johann Lorenz Bausch (f 1665), der Gründer und erste Präsident der deutschen Akademie der Naturforscher,’ 1686 Leopoldina genannt, die sich als Aufgabe die Erforschung der Natur zum Wohl der Menschheit gesetzt hatte. Mitglied der Leopoldina war auch der Coburger Landphysikus Johann Sebastian Albrecht (f 1774). Der größte fränkische Arzt, «einer der hervorragendsten Ärzte und Denker der letzten Jahrhunderte» (Diepgen), Georg Ernst Stahl aus Ansbach,6 lehrte in Halle. Er vollzog in seinen Werken, vor allem in seiner «Theoria medica vera» (1708) den 1 Die Alchemie d. Andreas Libavius, hg. v. F. Rex, 1964; H. Buttebsdobe, Andreas Libavius u. seine «Alchemia» (Jb. Gymn. Casim. Coburg) 1965/66, 3-5; Wightman (s. o. 556) I 258 ff.; II nr. 392 ff. 2 E. Zinneb, Zur Ehrenrettung d. Simon Marius (Vjschr. d. Astron. Ges. 77) 1942, 1-53; vgl. auch Pannekobk (s. o. 556) 231. 2 E. Ambubgbb, Beitrr. z. Gesch. d. deutschrussischen kulturellen Beziehungen, 1961, 59; Hammbbmaybb (s. 607 Anm. 4) 517 f.

4 A. Gbus, Johann Schoepf, Naturforscher u. Arzt (Jb. Mir. 84) 1967/68, 83-161. ’ Lit. HB II 780; vgl. auch Schnblbögl (s. o. 361) 469■ 6 Μ. Nbububgbr, Die Lehre von d. Heilkraft d. Natur, 1926; H. Metzger, Newton, Stahl, Boerhave, Paris 1930; W. Pagbl, Helmont, Leibniz, Stahl (SudhofTs Archiv 24) 1931,19 bis 59; A. Castiglioni, Histoire de la midecine, 1931, 477f.; C.-E. Kohlhaueb, Zwei bedeutende Ansbacher Wissenschaftler (Bayer-

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Bruch mit der mechanistischen Auffassung des Lebens und der Krankheiten, indem er, unmittelbar Einfluß nehmend auf die Schule von Montpellier, mit seinem Animismus den Vitalismus vorbereitete. In Andeutungen findet sich bei ihm bereits die Lehre von der inneren Sekretion, bahnbrechend war seine Erkenntnis, daß die Verbrennung aller Körper abhängig sei von ihrem Gehalt an einem Stoff, den er «Phlogiston» nannte - damit bereitete er unmittelbar die Oxydationstheorie Lavoisiers vor. Ein namhafter Mediziner war auch Johann Gottfried Zinn (j1759 ‫ )־‬aus Schwabach, der Nachfolger Hallers in Göttingen; er machte sich besonders um die Augenheilkünde verdient, war aber auch ein angesehener Botaniker. Ein anderer fränkischer Botaniker, Georg Christian von Oeder,1 war Professor und Aufseher des botanischen Gartens zu Kopenhagen; neben seiner «Flora Danica» (1761-1800) veröffentlichte er auch kameralistische und statistische Untersuchungen. Mit der «Naturgeschichte der Fische» in Preußen, Deutschland und Europa befaßte sich der zu Ansbach geborene Arzt Markus Eliezer Bloch (f 1799), der in Berlin wirkte. Ein bedeutender Mathematiker war Friedrich Wilhelm Stübner aus Bayreuth, Dozent zu Leipzig; er hat 1730 den für die Entwicklung der Mathematik wichtigen Satz von der möglichen Anzahl positiver und negativer Wurzeln einer Gleichung aufgestellt. Im siebzehnten Jahrhundert spielte dank der Rothenburger Familie Jung Mittelfranken eine Rolle auch in der deutschen Kartographie.2 Große Naturforscher hatten wenig Wirkungsmöglichkeiten in Franken, um so mehr die Philologen, trotzdem waren gerade diese sehr zahlreich außerhalb ihrer Heimat tätig, darunter so bekannte wie Georg Christoph Hamburger aus Feuchtwangen, Professor zu Göttingen und Sekretär der dortigen Sozietät der Wissenschaften, dessen Bibliographien (Zuverlässige Nachrichten von den vornehmsten Schriftstellern, 1756/64; Das gelehrte Teutschland 1767) die Gelehrtengeschichte in Deutschland sehr gefördert haben. Hervorragende Bedeutung für die Entwicklung der Altertumswissenschaft hatten Johann Friedrich Christ aus Coburg, seit 1739 Professor der Poesie zu Leipzig, dessen Vorlesungen den Anfang des archäologischen Unterrichts in Deutschland bedeuten, und Friedrich Wolfgang Reiz (j1790 ‫ )־‬aus Windsheim, der bahnbrechend war für die griechische Prosodie. land 66) 1964, 112-115; J. H. White, The history of the phlogiston-theory, London 1934; B. J. Gottlieb, Georg Emst Stahls De Synergeia naturae in medendo, 1695 (SudhofFs Archiv 43) 1959. 172-182; I. Strube, Die Phlogistonlehre Georg Emst Stahls (1659-1734) in ihrer histor. Bedeutung (Zschr. f. Gesch. d. Naturwiss., Technik u. Medizin 1) 1960, 27-51; W. Strube, Die Ausbreitung d. Naturanschauung Georg Emst Stahls unter den deutsehen Chemikern d. 18. Jhs. (ebd.) 52-61. 1 Th. Stettner, Georg Christian Oeder, Botaniker u. Staatsmann (Jb. Mfr. 66) 1930, 245-251; G. E. Hoffmann, Georg Christian Oeder, ein bevölkerungspolit. Schriftsteller d. 18. Jhs. (Arch. f. Bevölkerungswiss. 18) 1940,

87-102; Μ. Pittroff, Georg Christian Oeder, ein fränk. Naturforscher, u. seine Verdienste um d. dänische Landwirtschaft (Die Stimme Frankens 32) 1966, 111-112. 2 W. Bonacker, Georg Conradjung and his Manuscript Map of Franconia (Imago Mundi. A Review of early cartography 14) 1959, 113 bis 114; W. Scherzer, Georg Conrad Jung (1612-1691) u. d. Entwicklung d. Kartographie im Hochstift Würzburg (Berichte z. deutschen Lkde. 25) 1960,129-141; W. Bonacker, Leben u. Werk d. Rothenburger Kartographen Jung (Mainfr. Jb. 9) 1957, 1-52; W. Scherzer, Johann Georg Jungs Karte d. Hochstifts Würzbürg v. 1634 (ebd. 14) 1962, 231-245.

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Am wenigsten Feld zur Betätigung ihrer Neigung bot das beengte Franken den zahlreichen Pfarrerssöhnen, die sich der Jurisprudenz widmeten. Nicht wenige von ihnen haben sich durch reiche schriftstellerische Tätigkeit ausgezeichnet und hohe Stellungen eingenommen, doch auf die Entwicklung der Rechtswissenschaft nahm Einfluß nur Johann Balthasar Wemher aus Rothenburg, Jurist zu Wittenberg, dann Reichshofrat zu Wien, dessen «Selectae observationes forenses» (1710/23) seinen Ruhm als des «geschicktesten Ordinarius in ganz Deutschland», wie Thomasius sagte, begründet haben. Johann Wolfgang Kipping aus Bayreuth, Professor zu Helmstedt, entwickelte in seinem «Syntagma juris ecclesiastici» (1752) aus dem Naturrecht und den Grundprinzipien des positiven Rechts das protestantische Kirchenrecht weiter. Eine der einnehmendsten Persönlichkeiten unter den gelehrten Staatsmännem dieser Zeit stammte ebenfalls aus Franken, Veit Ludwig v. Seckendorf1 aus Herzogenaurach, Kanzler zu Gotha, zuletzt Kanzler der neugegründeten Universität Halle, berühmt durch seine großen historisch-pädagogischen Werke, das Buch vom «Deutschen Fürstenstaat» (1655), vom «Christenstaat» (1685), vor allem durch seine «Historia Lutheranismi» (1692).

b) Die Universität Erlangen Fikenscher, Univ. (s. u. 671 Anm. 3); G. W. A. Fikenscher, Vollständige akadem. Gelehrten-Gesch. d. königl. preuß. Friedrich-Alexander-Univ, zu Erlangen, 3 Bde., 1806; J. G. V. Engelhardt, Die Univ. Erlangen v. 1743 bis 1843, 1843; Dbuerlhin, Univ. (s. u. 672 Anm. 2); J. Gross, Die Univ. Erlangen, 1928 (ohne Belang); Zweihundert Jahre Univ. Erlangen, hg. v. J. H. Schoers (Deutschlands Erneuerung 27) 1943; Die Erlanger Univ., 1930; H. Zeltner, Die Friedrich-Alexander-Univ. in Erlangen (Deutsche Universitäten VI. Neue Deutsche Hefte 33) 1937, 233-242; H.J. Schoeps, Skizzen z. Erlanger Universitätsgesch. (JffL 25) 1963, 421-462; G. Pfeiffer, Gründung u. Gründer d. Univ. Erlangen (Festschr. H. Liermann) 1964, 160-176; H. Liermann, Erlangen, ein Mittelpunkt geistigen Lebens in Franken (ZBLG 29) 1966,199-211; Kantzenbach (s.u. 672 Anm.2);H. Kressel, Die theol. Fakultät d. Univ. Erlangen u. ihre Bedeutung f. Theol. u. Kirche (Erlanger Bausteine 14) 1967, 77-88; Baumgärtel (s. u. 673 Anm. 3); Liermann (s. 615); T. Schwarzach, Lehrer u. Unterricht an d. Medizin. Fakultät d. Univ. Erlangen v. 1743-1791, Med. Diss. Erlangen-Nürnberg 1966; L. Glasser, Personalbibliographien d. Professoren d. Medizin. Fakultät d. Univ. Erlangen v. 1743-1792, Med. Diss. Erlangen-Nürnberg 1967; A. Paetzke, Die Lehrer d. Heilkunde d. Univ. Erlangen 1792-1818, Med. Diss. ErlangenNürnberg 1966; B. Kaulbars-Sauer, Personalbibliographien d. Professoren d. Medizin. Fakultät d. Univ. Erlangen v. 1792-1830, Med. Diss. Erlangen-Nümberg 1969; A. Heidacher, Gesch. d. Chirurg. Universitätsklinik Erlangen, 1960; G. Hauser, Die Gesch. d. Lehrstuhls f. pathologische Anatomie u. d. neue patholog. Institut in Erlangen, 1907; H. Weidner, Der anatomische Lehrgegenstand u. seine Vertreter an d. Erlanger Univ, in d. Zeit v. 1743 bis 1850, Med. Diss. Erlangen 19531 H. WrrscHEL, Die Physiologie zu Erlangen v. d. Gründung d. Univ, bis z. Ausklang d. Romantik, Med. Diss. Erlangen 1964; F. Jamin, Die klinischen Meister d. Univ. Erlangen (Deutschlands Erneuerung 27) 1943, 207-223; Mauer-Hartl, Gesch. d. Chirurgie in Bayern, 1960, 30-32; O. Stählin, Das Seminar f. Klass. Philologie d. Univ. Erlangen, 1928; F. Henrich, Aus Erlangens chemischer Vergangenheit (Sb. d. Physik.-mediz. Sozietät in Erlangen 38) 1906; A. Schleebach, Entwicklung d. ehern. Forschung u. Lehre an d. Univ. Erlangen v. ihrer Gründung (1743) bis z. Jahre 1820, 1937; Pummerer-Henrich, 200 Jahre Chemie an d. Univ. Erlangen (Deutschlands Er-

1 W. Lüdtke, Veit Ludwig v. Seckendorff (Jb. d. Akad. Erfurt NF 54) 1939, 39-137; Η. H. Hofmann, Veit Ludwig v. Seckendorf, 1950; Rössler, 226-236; D. Blaufuss, Veit

Ludwig v. Seckendorfs Commentarius de Lutheranismo (1692) u. d. Beitr. d. Augsburger Seniors Gottlieb Spizel (ZBKG 39) 1970, 138-164 (Lit.).

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neuerung 27) 1943, 224-230; H. Röhrich, Der Botanische Garten d. Friedrich-Alexander-Univ. Erlangen-Nümberg (Erlanger Bausteine z. fränk. Heimatforsch. 12) 1965, 43-54; S. Günther, Geograph. Unterricht an einer deutschen Hochschule d. achtzehnten Jhs. (Mitt. d. Ges. f. deutsche Erziehungs- u. Schulgesch. 13) 1903, 244-260; E. G. Deuerlein, Ein Beitr. z. Frage d. Geographieunterrichts an d. höheren Schulen Erlangens in d. vorbayer. Zeit. Mit einem Anhang: Univ. Erlangen (JffL 23) 1963, 45-66; G. Köbler, Erlanger jurist. Vorlesungen (JffL 27) 1967, 241-251.

Viele begabte Landeskinder, die in Leipzig, Jena oder Halle studiert hatten, waren dort, von ihren Lehrern gefördert, berühmte Gelehrte geworden, die Heimat hatte sie verloren. Die Gründung einer eigenen Landesuniversität schaffte durchgreifenden Wandel. Über viele Vorstufen hin war 1743 die Erlanger Universität entstanden (s.u. 670 ff), durch den Heimfall von Bayreuth an die Ansbacher Linie 1769 war das notwendige weite Hinterland geschaffen, die Universität blühte auf. Es gelang aber auch schon 1743, vorzügliche Professoren aus ganz Deutschland zu gewinnen, berühmt waren vor allem die Erlanger Juristen, Mediziner und die allen Neuerungen zugetanen Theologen. Einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Jurisprudenz leistete Johann Justin Schierschmid aus Gotha, ein Schüler Wolffs; er übertrug die Wölfischen Prinzipien auf das Zivilrecht (Elementa juris civilis, 1735) und verfaßte ein System des Naturund Völkerrechts (1742). Andreas Elias Roßmann aus Halle war bereits Professor zu Jena, als er 1743 dem Ruf nach Erlangen folgte. Er verfaßte zahlreiche Abhandlungen über juristische Themen. Als einer der gelehrtesten Juristen galt Johann Christoph Rudolph aus Marburg; ein kühner Versuch war sein «Entwurf einer allgemeinen Geschichte der in Teutschland geltenden Reichsgesetze» (1759). Ein neuzeitliches System des Strafrechts, aufgebaut auf der Theorie des psychologischen Zwangs, aber unabhängig von Feuerbach, versuchte Karl Heinrich Gross aus Sindelfingen bei Stattgart; sein «Lehrbuch der philosophischen Rechtswissenschaft» (1802) beruht auf den Grundsätzen Kants. Den Übergang vom alten zum neuen Staatsrecht vollzog Johann Ludwig Klüber aus Tann, ein vorzüglicher Kenner des Lehnsrechts, in seiner «Einleitang zu einem neuen Lehrbegriff des deutschen Staatsrechts» (1803). Einflußreich war er auch durch die «Neue Literatur des teutschen Staatsrechts» (1791), die FortSetzung des Werkes von J. St. Pütter. 1792 bis 1793 war auch J. F. Malblanc, vorher in Altdorf,1 Mitglied der Erlanger Juristischen Fakultät, ehe er einem Ruf nach Tühingen folgte. Der berühmteste Erlanger Jurist der Jahrhundertwende war Christian Friedrich Glück aus Halle. In den 34 Bänden seiner «Ausführlichen Erläuterungen der Pandekten», die seit 1790 in regelmäßiger Folge erschienen, trug er die Literatur eines ganzen Jahrhunderts zusammen und wertete sie gründlich aus, Lehrer ganzer Generationen von Juristen. Die Erlanger Theologen * waren vor allem bekannt durch ihre Aufgeschlossenheit für alle modernen Strömungen. Als erster Lehrstuhlinhaber hat Joachim Ehrenfried Pfeiffer (f 1787)3 aus Güstrow, der in nahezu siebzig Abhandlungen zu allen denkbaren Fragen Stellung nahm, noch einen scharf umrissenen konservativen Stand1 S. 614. 2 S. o. auch 425.

3 Kraus (s.

o.

613 Anm. 1) 155.

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punkt behauptet, doch schon sein Nachfolger Johann Andreas Büttstett aus Kirchheim bei Erfurt legte in zahlreichen Schriften «Vernünftige Gedanken» über «die Geheimnisse der wahren Religion» (1730), «über die Natur Gottes» (1737), über «Gottes Vorsehung in der Welt» (1745) dar. Ein berühmter Neologe, der aber an der Lehre von der Trinität und an der Gottheit Christi noch festhielt, war jedoch erst Georg Friedrich Seiler' aus Creussen bei Bayreuth, der 1772 das homiletische Seminar errichtete. Seine Schriften, insgesamt 173, viele von ihnen in mehreren Auflagen herausgekommen, sicherten seinen Anschauungen weitesten Einfluß. Sein Ziel war die Versöhnung von Vernunft und biblischer Religion, in immer neuen Stufen suchte er sich diesem Ziel zu nähern (Der Geist und die Gesinnungen des vemunftmäßigen Christenthums, 1769; Kurze Geschichte der geoffenbarten Religion, 1772; Theologia dogmatico-polemica, 1774; Der vernünftige Glaube und die Wahrheit des Christentums, 1795). Im Schatten Seilers und seiner Schule standen Johann Georg Rosenmüller (Versuch, den Beweis der Göttlichkeit der Schrift... deutlich und vemunftmäßig vorzutragen, 1765), Johann Wilhelm Rau (Materialien zu den Evangelien, 1796/1803), Alexander Hänlein, dessen Einleitungsschriften in das Neue Testament (1794/1801) ebenfalls keine allgemeine Bedeutung erlangt haben, und Wilhelm Friedrich Hufnagel, ein radikaler Rationalist, Herausgeber der Zeitschrift «Für Christentum, Aufklärung und Menschenwohl» (1786). Die führende Stellung in Erlangen und den weitgreifenden allgemeinen theologischen Einfluß Seilers übernahm Christoph Friedrich Ammon12 aus Bayreuth, eine der meistgerühmten Persönlichkeiten Erlangens. Sein theologisches Erstlingswerk, der «Entwurf einer reinen biblischen Theologie» (1791/92) zeigt schon die Richtung seiner künftigen Entwicklung zum «Oflenbarungsrationalismus» im Sinne Seilers. Unter dem Einfluß Kants stehen seine «Christliche Sittenlehre» (1795) und seine «Summa theologiae christianae» (1803). In seinem letzten großen Werk, das er nach seiner Berufung als Oberhofprediger nach Dresden verfaßte, «Fortbildung des Christentums zur Weltreligion. Eine Ansicht der höheren Dogmatik» (1833/40), versuchte er noch einmal die Aussöhnung von Vernunft und Glauben. Den berühmten Erlanger Theologen ebenbürtig waren die Mediziner. Für ihre außerordentliche Hochschätzung in der wissenschaftlichen Welt zeugt die Tatsache, daß sich von 1788 bis 1818 das Präsidium der Leopoldina in Erlangen befand. Von 1788 bis 1791 war Präsident der Anatom Heinrich Friedrich v. Delius, gebürtig aus Wernigerode, Mitglied vieler Akademien, der über vierzig Jahre in Erlangen lehrte. Er verfaßte an die zweihundert Abhandlungen, die vor allem in den Erlangischen 1 O. Jordahn, Georg Friedrich Seilers Kindheit, Ausbildung u. erste Amtsjahre 1733-1770 0ffL 28) 1968, 93-214; Ders., Georg Friedrich Seilers Wirksamkeit als Professor in Erlangen 0ffL 29) 1969, 39-211; Ders., Georg Friedrich Seilers schriftsteil. Wirksamkeit auf d. Gebiet d. apolog. Dogmatik u. wiss. Exegese (ZBKG 38) 1969; Ders., Georg Friedrich Seiler. Prakt. Theol. d. Kirchl. Aufklärung, 1970. 2 Kraus (s. 613 Anm. 1) 140; Hirsch (s. 613 Anm. 1) IV 95; V 60 ff.; J. D. Schmidt, Die 40 HdBGUI, I

theolog. Wandlungen d. Christoph Friedrich v. Ammon. Ein Beitr. z. Frage d. legitimen Gebrauches philosoph. Begriffe in d. Christologie, Theol. Diss. Erlangen 1953; Ders., Christoph Friedrich v. Ammon. Ein Abriß seines Lebens u. seines theolog. Schaffens (ZBKG 24) 1955, 169-199; F. v. Ammon, Christoph Friedrich Ammon (1766-1850). Von Ahnenreihe u. Nachkommen eines fränk. Theologen (ebd. 32) 1963, 230-245.

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Gelehrten Anzeigen oder in den Acta physico-medica der Leopoldina erschienen, von 1755 bis 1768 gab er eine eigene Zeitschrift heraus, «Fränkische Sammlungen von Anmerkungen aus der Naturlehre, Arzneygelehrtheit, Oekonomie». Sein Nachfolger als Präsident der Leopoldina war Johann Christian Daniel v. Schreber aus Weißensee, Botaniker und Zoologe, der 1770 den neugegründeten Botanischen Garten in Erlangen eröffnete. In den Acta der Leopoldina veröffentlichte er zahlreiche Arbeiten über Insekten, Frösche oder Gräser, sein Werk über «Die Säugetiere» (1774/1806) wurde 1826 neu aufgelegt und seit 184ofortgeführt. Nach dem Tod Schrebers 1810 wurde Präsident der Erlanger Kollege Friedrich v. Wendt1 aus Sorau, der mit seinem «Collegium clinicum» von 1778 eine grundlegende Änderung im medizinischen Unterricht einführte, den praktischen klinischen Unterricht am Krankenbett in einer Art Ambulatorium, aber bereits mit dem Fernziel der Zusammenfassung der Patienten in einer Universitätsklinik. Dieses Ziel, für das er auch in seinen Schriften warb, erreichte er mit dem Bau eines Krankenhauses 1803. Beobachtungen und TherapieVorschläge veröffentlichte er in den Acta der Leopoldina, für welche auch eine ganze Reihe seiner Erlanger Kollegen schrieb, Johann Friedrich Weismann aus Neustadt a. Aisch (f 1760), der Anatom und Botaniker Casimir Christoph Schmidel1 aus Bayreuth, dessen «Icones plantarum» von 1747 bis 1797 immer wieder aufgelegt wurden, der Anatom Jakob Friedrich Isenflamm (j1793 ‫ )־‬aus Wien, der in fruchtbarer Verbindüng von Anatomie und Physiologie über das Zusammenwirken von Nerven, Muskein und Knochen arbeitete, und Friedrich Heinrich Loschge aus Ansbach, der die anatomische Anstalt erweiterte, ein grundlegendes Werk über «Die Knochen des menschliehen Körpers» (1789/96) und «Anatomische Tafeln» (1813) herausgab, aber auch zoologische Beobachtungen veröffentlichte. Ein berühmter Erlanger Anatom war auch Georg Friedrich Hildebrandt aus Hannover, dessen «Lehrbuch der Anatomie des Menschen» (1789/92) bis 1832 vier Auflagen erlebte. Auch sein «Lehrbuch der Physiologie des menschlichen Körpers» (1796) reichte mit seiner Wirkung weit in das neunzehnte Jahrhundert hinein (6. Aufl. 1828). Neben ihm lehrte der 1797 von Altdorf berufene Bernhard Nathanael Gottlob Schreger aus Zeiß, der sich besonders der Ausbildung von Chirurgen zuwandte (Grundriß der chirurgischen Technik, 1803; Grundriß der chirurgischen Operationen, 1806) und 1815 ein chirurgisch-klinisches Institut in Erlangen errichtete. Auch Schreger war Mitglied der Leopoldina und anderer gelehrter Gesellschaften. Schon Johann Friedrich Weismann aus Neustadt a. Aisch, der Entdecker des «Erlanger Blau» (1755) hatte ein chemisches Laboratorium eingerichtet, Delius hatte sich eingehend mit Chemie beschäftigt, der Anatom Hildebrandt hatte eine «Enzyklopädie der gesamten Chemie» (1799/1809) veröffentlicht, der Mathematiker, Physiker und Astronom Johann Tobias Mayer, der aus Altdorf kam, führte die Erlanger Tradition weiter. Als Chemiker brach er der Lehre Lavoisiers Bahn, sein Lehrbuch der Geometrie (1778) erlebte drei Auflagen. 1805 veröffentlichte er ein «Lehrbuch 1 A. Haidacher, Friedrich v. Wendt, ein Wegbereiter d. deutschen Universitätsklinik (Med. Monatsschr. 4) 1954, 265-267.

2 F. Leydic, Kasimir Christoph Schmidel, Naturforscher u. Arzt (Abh. d. Naturhist. Ges. zu Nürnberg 15) 1905, 325347‫·־‬

§ 71. Die Fürstentümer und die übrigen Reichsstädte (A. Kraus)

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über die physische Astronomie». Reiner Botaniker war der außerordentliche Professor für Medizin Georg Franz Hoffmann aus Marktbreit, der 1791 bereits nach Göttingen berufen wurde und 1803 nach Moskau ging. In Göttingen gründete er einen Botanisehen Garten. Sein Arbeitsgebiet waren vor allem Schwämme und Flechten, bekannt wurde er durch sein jährlich erscheinendes Botanisches Taschenbuch. Bin international bedeutender Schmetterlingsforscher, aber auch bekannt als Geologe und Mineraloge, war Eugen Johann Christoph Esper (f 1810) aus Wunsiedel.1 Die Geschichtswissenschaft, die in Franken so reich gepflegt wurde, fand in Erlangen keinen bedeutenden Fachvertreter. Der Philosoph Johann Martin Chladenius12 aus Wittenberg nimmt allerdings durch seine «Allgemeine Geschichtswissenschaft» (1752) den ersten Rang unter den deutschen Geschichtsphilosophen vor J. D. Wegelin und Herder ein, aber der HistorikerJohann Paul Reinhard (j1779 ‫ )־‬aus Hildburghausen war mit seinen zahlreichen Schriften kompilatorischen und populären Charakters wenig erfolgreich. Sein Nachfolger Johann Georg Meusel3 aus Eyrichshof war der bedeutendste deutsche Bibliograph seiner Zeit, Herausgeber der Literaturlexika «Das Gelehrte Teutschland» (1796-1805) und «Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstörbenen teutschen Schriftsteller» (1802/26), auch gab er mehrere Zeitschriften heraus und unterrichtete in der «Bibliotheca historica» (1782-1802) über das historische Schrifttum. Friedrich Karl Gottlob Hirsching * aus Uffenheim, Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie, sammelte ebenfalls Daten und Bibliographien; sein «HistorischGeographisch-Topographisches Stifts- und Closter-Lexikon» (1792) ist immer noch wertvoll. Mitglied der philosophischen Fakultät war auch der erste Historiker Erlangens, Georg Wolfgang August Fikenscher aus Bayreuth. Ein Philologe von außergewohnlichem Fleiß, großer Belesenheit und umfassendem Wissen, wenngleich nicht ohne kritische Mängel, war Gottlieb Christoph Harleß * (f 1815) aus Kulmbach. Erst durch die Universität Erlangen hat das Fürstentum Ansbach-Bayreuth den geistigen Mittelpunkt erhalten, der, ergänzend zum dynastischen Band tretend, die Einheit des Fürstentums vollendete. Durch den Fortfall der Konkurrenz Altdorfs wurde die Rolle Erlangens noch gesteigert, es wurde die alleinige Bildungsstätte des protestantischen Franken, ein Vorzug, von dem es noch lange seine Bedeutung bezog. 1 B. v. Freyberg, Eugen Johann Christoph Esper’s «Oryctographiae Erlangensis specimina quaedam» vom Jahre 1791 (Erlanger Bausteine z. fränk. Heimatforsch. 6) 1959, 193-207. 2 H. Müller, Johann Martin Chladenius (1710-1759). Ein Beitr. z. Gesch. d. Geisteswiss., bes. d. hist. Methodik (Hist. Stud. 134) 1917; R. Unger, Zur Entwicklung d. Problems d. hist. Objektivität bis Hegel, 1929, 98 ff.; Μ. Scheele, Wissen u. Glaube in d. Geschichtswissenschaft. Stud. z. Hist. Pyrrhonismus in Frankreich u. Deutschland, 1930,

40■

124 ff.; F. Wagner, Geschichtswiss., 1951,120; Kraus, Vernunft u. Gesch. 107. ‫ נ‬G. Leyh, Bibliographisches. Bibliothek, Bibliothekar, Bibliothekswiss. (Festschr. J. Vorstius) 1954, 78-8$; Kraus (s. o. 619 Anm. 4) 211 ff. 4 H. Schreiber, Ein Erlanger Bibliothekenkenner d. 18. Jhs.: Friedrich Karl Gottlob Hirsching (Zeugnisse fränk. Kultur. Fränk. Halbjahresschr.) 1931, 62-67. 5 O. Stählin, Gottlieb Christoph Harleß (Lebensläufe aus Franken 2) 1921, 177-183.

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Franken: E. III. Der Beitrag Frankens zur Entwicklung der Wissenschaften 1330-1800

5 72. DAS GEISTLICHE FRANKEN

AUgem. wissenschaftsgeschichtl. Literatur (bes. Theologie) s. HB II 779 f.: spezieU zu Franken s. o. J56f., 603.

Die Konfessionskarte Frankens umreißt gleichzeitig die Grenze zweier Bildungskörper, die trotz engster Nachbarschaft gegeneinander streng abgeschlossen waren und in vieler Hinsicht kultursoziologisch schroffe Unterschiede zeigten. In den protestantischen Fürstentümern und Reichsstädten war der alleinige Träger der Wissenschaftliehen Bildung der Bürger, die Stadt - Reichsstadt wie Fürstenresidenz - mit ihren Schulen war Bildungsmittelpunkt; in den katholischen Gebieten lag der Schwerpunkt bei den Orden, selbst die Universitäten waren von ihnen beherrscht. Ein Qualitätsunterschied war damit nicht verbunden, es neigten sich nur die Interessen jeweils anderen Schwerpunkten zu. Auch die Begabungsdichte war kaum verschieden, sie wurde hier wie dort in gleichem Umfang ausgenützt, wenngleich die laikale Natur der protestantischen Bildung mehr Juristen und Schulmänner hervorbrachte, während bei den Katholiken die Theologen zahlreicher waren. Die Pastoren und ihre Söhne als Träger einer lebendigen Bildungstradition fehlten im katholischen Franken, aber dafür strömten immer wieder begabte Kinder aus Bevölkerungsschichten nach, die in der exklusiveren protestantischen Bildungswelt nicht erschlossen wurden. Die Rolle der Universität als kraftvollster Mittelpunkt wissenschaftlichen Lebens war hier wie dort gleich. a) Das Hochstift Eichstätt Strauss (s. o. $70); Suttner (ebd.); Sax; Buchner; Ders., Schulgesch.; Sax-Bleicher; F. S. Romstöck, Die Astronomen, Mathematiker u. Physiker d. Diözese Eichstätt, 2 Tie, 1884/86; Willibaldinum (s. o. 429 Anm. 10).

Das kleine Fürstbistum Eichstätt, nahe bei Ingolstadt beginnend, hatte auf eine eigene Universität verzichtet, die Folgen waren geringe Wirkungsmöglichkeiten für Gelehrte des eigenen Gebiets und Abhängigkeit von fremden Hochschulen. In Ingolstadt wirkte der Mediziner Johann Jakob Treyling (f 1758),’ an der Benediktineruniversität Salzburg lehrten die berühmten Brüder Mezger,1 *3 von denen die beiden jüngeren, Joseph (j1683 ‫ )־‬und Paul (j1702 ‫)־‬, zugleich die bedeutenderen, in Eichstätt geboren waren. Aus Kronheim bei Eichstätt stammte der Straßburger Historiker Johann Heinrich Boeder,3 «kein origineller, aber ein feiner Kopf, in vielen Sätteln gerecht, scharfblickend und durchdringenden Geistes» (Wegele); seine «Dissertationes academicae» (1658) enthalten Abhandlungen, die «das gedankenreichste und ge1 Vgl. HB II 802; W. K. Ramminger, Die von A. F. v. Oefele nicht bearbeiteten ArzteBio-Bibliographien, Med. Diss. ErlangenNürnberg 1968, 124-129. 3 Vgl. HB II 784, 793 f., 812.

3 A. Klempt, Die Säkularisierung d. universalhist. Auffassung. Zum Wandel d. Geschieh tsdenkens im 16. u. 17. Jh., 1960, 48; E. Jircai, Joh. Heinrich Bökler (MIÖG 45) 1931, 322 bis 384·

§ 2‫ך‬. Das geistliche Franken (A. Kraus)

62g

diegenste» sind (Wegele), was damals in Deutschland über den Wert des Umgangs mit der Geschichte geschrieben wurde. Von ihm stammt auch eine «Historia universalis» (1681), einen guten Namen in der Altertumswissenschaft hat er durch seine Arbeiten zu römischen Historikern. Der Späthumanismus ist in Eichstätt, das einst ein bedeutendes humanistisches Zentrum war, fast spurlos vorübergegangen, kaum erwähnenswert ist die handschriftliche Chronik des Dekans zu Spalt Wolfgang Agricola (f 1601).1 Auch der Regens des Collegium Willibaldinum, Friedrich Staphylus (f 1614), der Sohn des gleichnamigen berühmten Apologeten zu Ingolstadt, hat trotz seiner zwölfbändigen Urkundensammlung zur Geschichte des Eichstätter Hochstifts, die ungedruckt blieb, keine überregionale Bedeutung. Im Kloster Rebdorf, das einst einen Kilian Leib gesehen hatte, wurden zwar dessen Annalen ständig fortgeführt, doch kehrte erst wieder im achtzehnten Jahrhundert eine neue Epoche historiographischer Fruchtbarkeit ein.1 Michael Stein1 aus Eichstätt berechtigte zu großen Hoffnungen, als er 1779 mit erst 32 Jahren starb. Er hinterließ handschriftlich einen «Codex diplomaticus Eichstettensis», eine ausgearbeitete Geschichte der Diözese und gesammeltes Material, Abhandlungen von ihm erschienen in den Veröffentlichungen der Bayerischen Akademie der Wissenschäften, deren Mitglied er war. Maximilian Münch aus Landsberg verfaßte eine «Geschichte des Frauenklosters Marienburg» (1782), eine sorgfältige, auf Urkunden beruhende Arbeit, eine umfassende Eichstätter Literaturgeschichte schrieb der letzte Bibliothekar von Rebdorf, Andreas Strauß * von dem 1791 auch eine «Historischtopographische Beschreibung der Stadt Eichstätt» erschien. Die Geschichtsschreibung hatte in Eichstätt eine alte Tradition, ihr fügte sich auch Johann Heinrich v. Falckenstein1 aus Schwabach ein, als er 1718 bis 1730 Hofrat in Eichstätt war; seine «Antiquitates Nordgavienses» (1733) beruhen auf Eichstätter Quellen. Im achtzehnten Jahrhundert regte sich auch Interesse an den Naturwissenschaften. Der Eichstätter Kanonikus Heinrich Gulden (f 1793), aus Spalt gebürtig, war Preisträger der Jablonowskischen Gesellschaft zu Leipzig und der Münchner Akademie, der ehemalige Dillinger Professor Ignaz Balthasar Pickel, * nach 1773 Kanonikus in seiner Heimatstadt Eichstätt, Mitglied der Akademien zu München und Erfurt, verfaßte ein Lehrbuch der Arithmetik (1771/72); zahlreiche Abhandlungen untersuchten physikalische und technische Probleme. Neben ihm lehrte am Eichstätter Lyzeum 1 W. Ulsameb, Wolfgang Agricola, Stiftsdekan v. Spalt (1336-1601). Ein Beitr. z. Gesch. d. Klerus im Bistum Eichstätt (Sehr. d. Inst. f. fränk. Landesforsch, a. d. Univ. Eriangen 9) 1960. 1 G. W. Zapf, Literar. Reisen durch einen Theil v. Baiern, Franken, Schwaben u. der Schweiz in d. Jahren 1780, 1781, u. 1782, 1783, 29-33; Zur Fortsetzung Leibs s. Deutsch (s. o. $71) i f.; Ders., Die Kleinen Annalen (ebd.) 5. 1 Kbaus, Hist. Forschung (s. 618 Anm. 4) 134 f-

* F. S. Romstöck, Andreas Strauß (Lebenslaufe aus Franken 2) 1921, 443-44$. 5 S. o. 616 Anm. 4. 6 F. S. Romstöck, I. B. Pickel (Lebensläufe aus Franken 1) 1919, 358-370; E. Schmotill, Dr. Ignaz Pickl u. d. Eisenhüttenwerk Obereichstätt (Sbl. d. Hist. Ver. Eichstätt 53) 1938, 171-186; J. Behbingeb, Ignaz Pickel (1736-1818) u. d. naturwiss. Stud. am Collegium Willibaldinum in Eichstätt (400 Jahre Coll. Will. Eichstätt) 1964, 140-181; vgl. auch n$$.

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Franken: E. III. Der Beitrag Frankens zur Entwicklung der Wissenschaften 1550-1800

Joseph Widmann Theologie, dessen «sehr verständige und klare Dogmatik» (Grabmann) (1775/76) die vorjosephinische Epoche der Theologie abschließt.

b) Das Hochstifi Würzburg Stumpf (s.o. 575);J. B. v. Siebold, Würzburg’s Gelehrte, Künstleru. Sammlungen (Fränk. Chronik, hg. v. B. Andres) 1807/1808; Schöpf (s. u. Bibi.); v. Pölnttz, Julius Echter; Scherf (s. o. 767 Anm. 3); Specker (s. o. 219); Μ. Domarus, Das Bildungswesen in Würzburg unter Friedrich Karl v. Schönbom, 1729-1746,1943; Merkle, Würzburg (s. o. 353); Hantsch (s. o. 379 Anm. 1); Domarus; Leitschuh, Erthal (s. u. 448 Anm.2); Renner (ebd.); Ders., Franz Ludwig von Erthal (Fränk. Lebensbilder 1) 1967,286-312; Flurschütz, Verwaltung (s. o. 354); Th. J. Scherg, Das Schulwesen unter K. Th. v. Dalberg 1,1939; v. Freeden (s.o.); Günther (s. o. 250); G. Link, Klosterbuch d. Diözese Würzburg, 2 Bde., 1873/76; G. Schwinger, Das St. Stephanskloster O.S.B. in Würzburg (AU 31/32) 1899/1900 - Universität Würzburg: Ch. Boenicke, Grundriß einer Gesch. der Universität zu Wirzburg, 2 Tie., 1782/88; Wegele; Haass (s. 1155); Merkle, Matrikel (s. u. 654 Anm. 2); Aus d. Vergangenheit d. Univ. Würzburg. Festschr. z. 350jähr. Bestehen d. Univ., hg. v. Μ. Buchner, 1932; A. Ruland, Series et vitae professorum Ss. theologiae, qui Wirceburgi ... docerunt, 1835. (Zu den Professoren aus dem Jesuitenorden s. auch Duhr); J. Hasenfuss, Die theolog. Fakultät an d. Univ. Würzburg im Wandel d. Zeiten (Heiliges Franken 2) 1954 nrr. 5-9; Braun (s. u. 654 Anm. 1); Merkle, Kirchengeschichte (s. u. 658 Anm. 5); Bigblmair, Patrologie (s. u. 658 Anm. 5); C. Risch, Zur Gesch. d. Juristen-Fakultät an d. Univ. Würzburg, Festrede 1873; C. L. v. Urlich, Die philos. Fakultät d. Univ. Würzburg, Festrede 1886; R. A. v. Köluker, Zur Gesch. d. medicinischen Fakultät an d. Univ. Würzburg, 1871; K. Rieger, Die Julius-Univ. u. d. Julius-Spital, 1916; C. J. Gauss, Vom Freihaus z. Frauenklinik (Aus der Vergangenheit, s. o.) 239-254; Sticker (s. u. 656 Anm. 1); Maurer-Hartl (s. o. 623) 26-30; Μ. Reindl, Lehre u. Forschung in Mathematik u. Naturwissenschaften, insbes. Astronomie, an d. Univ. Würzburg, 1966; W. C. Röntgen, Zur Gesch. d. Physik an d. Univ. Würzbürg, 1894 (Neudr. 1959); Scherer (s. u. 658 Anm. 5); H. Huss, Die Geschichtswiss. an d. Univ. Würzburg v. d. Gründung d. Univ, bis z. Auflösung d. Jesuitenordens, Diss. Masch. Würzburg 1940■

Eichstätt, von allen Seiten beengt, ohne politisches Gewicht, war aus eigener Kraft nur schwer in der Lage, ein großes Bildungsprogramm zu entfalten, es fehlten aber auch die Fürstbischöfe, die, wie in Würzburg Julius Echter von Mespelbrunn und die großen Regenten aus dem Hause Schönborn, schließlich Franz Ludwig von Erthal, den Glanz des absoluten Fürstentums vollendet wissen wollten durch den Ruhm, den die Pflege der Wissenschaften verleiht. Die verständnisvolle Sorge für die Bedürfnisse ihrer Universität kann den Würzburger Fürstbischöfen nicht hoch genug angerechnet werden, mit der Universität hing die wissenschaftliche Bedeutung Würzburgs aufs engste zusammen. Was, außer an wenigen Klöstern, an wissenschaftlicher Leistung im Hochstift außerhalb der Universität entstand, ist wenig. Die «Cautio criminalis» (1631) von Friedrich von Spee, der lange Zeit in Würzburg als Beichtvater die Hexen zur Verbrennung begleitete, wiegt allerdings um so schwerer; mit seinem Kampf gegen den Hexenwahn war er der Menschheit um ein Jahrhundert voraus. Nur wenige Würzburger lehrten an fremden Universitäten. Der bedeutendste Gelehrte, den Würzburg gebildet hatte, war der Trierer Kanonist Georg Christoph Neller,1 der aus Aub bei Ochsenfurt stammte, einer der führenden Kanonisten seiner Zeit. Großen 1 P. Mühlenbrock, G. Ch. Neller, der bedeutendste Kirchenrechtslehrer an d. Univ. Trier (Trierer Jb.) 1954,13-18; Raab (s. u. 1150 Anm. 2) 135-141 u. ö.; Ders., Georg Chri-

stoph Neller u. Febronius (AMK 11) 1959, 185-206; Ders., Clemens Wcnzeslaus v. Sachsei! u. seine Zeit 1739-1812, I, 1962, 3 u. ö.

§ 72. Das geistliche Franken (A. Kraus)

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Einfluß auf die kirchenpolitische Entwicklung im Reich hatten seine Werke «Principia juris publici Catholicorum» (1746) und «De concordatis Germaniae» (1748). Johann Nikolaus v. Hontheim stand ihm nahe. Nicht weniger berühmt als Neller war der Augustinereremit Engelbert Klüpfel1 aus Wipfeld, 1767 bis 1805 Dogmatiker zu Freiburg. Seine rein positiven «Institutiones theologiae dogmaticae» (1789), ein Versuch, aus der Dogmengeschichte den systematischen Zusammenhang der Dogmen herzustellen, waren bis 1856 an den österreichischen Universitäten obligatorisch. Nicht ohne kulturelle Bedeutung war die zu Mainz gehörende, aber Würzburg ebenso eng verbundene Stadt Aschaffenburg.1 2 Der Vikar des dortigen Kollegiatstifts Hugo Eberhard Heim (f 1800) befaßte sich mit Numismatik, Peter Anton Frank aus Aschaffenburg, der in Würzburg studiert hatte, ein großer Kenner des Reichskirchenrechts, wurde 1791 als Reichsreferendar nach Wien berufen. Die wenigen protestantischen Gelehrten, die aus dem Würzburger Territorium stammten, waren hier ohne ein ihnen gemäßes Tätigkeitsfeld. Der Mediziner Georg Marius,3 der besonders die Entwicklung der Geologie beeinflußte (Bergwercks Geschöpff, 1595), wurde Professor zu Heidelberg und Leibarzt des Pfalzgrafen, der Geschichtsschreiber des protestantischen Franken und Herausgeber einer historischen Zeitschrift für Schlesien, SigismundJustus Ehrhardt (f 1793),4 floh nach Schlesien und war zuletzt Pastor in Sorau. Die Würzburger Gelehrtengeschichte ist, diese wenigen Ausnahmen abgerechnet, wozu vielleicht noch der fürstbischöfliche Rat Konrad Dinner kommt, einer der Geschichtsschreiber des Klosters Münsterschwarzach vor 1600,’ die Geschichte der geistigen Leistung der Universität Würzburg, die im Verlauf des achtzehnten Jahrhunderts neben Wien zur bedeutendsten katholischen Universität Deutschlands aufrückte. Nicht allen Fakultäten kommt gleichmäßiger Anteil an diesem Aufstieg zu, aber bedeutende Gelehrte besaß Würzburg nicht nur in der Theologie. Die medizinische Fakultät hatte stets, ausgenommen die Drangzeit des Dreißigjährigen Krieges, einen hervorragenden Ruf in Deutschland. Schon Julius Echter berief bei der Neueröffnung der Universität hervorragende Ärzte, die Holländer Adrianus Romanus (van Roomen)6 und seinen Nebenbuhler Gottfried Steegh. Romanus, der bedeutendere von beiden, «strebte nach gründlichem Naturwissen und einer wissenschaftlichen Heilkunst» (Sticker), er war auch ein angesehener mathematischer Schriftsteller und beschäftigte sich mit Botanik; unter seinen medizinischen Schriften 1 W. Rauch, Engelbert Klüpfel, 1922; G. Pfeilschifter, Briefwechsel zw. Klüpfel u. Kümper 1780-1798 (Festschr. S. Merkle) 1922, 217-242. 2 L. Lehnhart, Die geistesgeschichtl. Bedeutung Aschaffenburgs an d. Zeitenwende v. 18. z. 19. Jh. (1000 Jahre Stift u. Stadt Aschaffenburg. Aschaffenburger b. 4) 1957, 877-901; L. Just, Mainzer Kultur- u. Geistesleben als Brücke zw. Rhein- u. Mainfranken (Mainfr. Jb. 10) 1958, 138-158. 3 R. Heyers, Dr. Georg Marius, gen. Mayer

v. Würzburg (1533-1606), Med. Diss. Würzbürg 1957. 4 Μ. Simon, Sigismund Justus Ehrhardt, ein verhinderter Kirchenhistoriker Frankens (ZBKG 31) 1962,195-205; Kraus (s. 619 Anm. 4) 200. 3 Hess, Kloster Banz (s. 640 Anm. 1) 88-92. 6 Canto« (s. o. 606) II 556 ff.; H. v. Bosmans, Notes sur la trigonom6trie d’Adrien Romain (Bibi. Mathematica 3. Folge 5) 1904, 342‫־‬354·

632 Franken: E. III. Der Beitrag Frankens zur Entwicklung der Wissenschaften 1550-1800 sind die «Pyrotcchnia» (1611) und «De formatione corporis humani in utero» (1615) die wichtigsten, obgleich sie nur Teilgebiete behandeln. Mit dem Ganzen der Medizin beschäftigte sich Steeghs «Ars medica» (1606). Auch in Würzburg kennt die wissenschaftliche Entwicklung diesen Wechsel zwischen Synthese und Analyse, immer wieder steht neben der Erforschung der Naturerscheinungen der Versuch, sie zum System zu vereinen. Im achtzehnten Jahrhundert kam beiden Wegen zur wissenschaftlichen Erkenntnis die zielbewußte Bereitstellung neuer Mittel zu Hilfe. Johann Barthel Adam Beringer1 aus Würzburg erreichte die Anlage eines großen botanischen Gartens und den Bau eines anatomischen Theaters, er wußte auch beides Wissenschaftlieh zu nutzen. Besonders tätig war er in der Botanik, er veröffentlichte unter anderem ein «Breviarium materiae remediorum» (1724), mit seiner «Lithographia Wirceburgensis» (1726) fiel er allerdings den geschickten Fälschungen seiner Studenten zum Opfer. Beringer, der auch über die Pest arbeitete, war Anhänger Stahls, einer seiner bedeutendsten Schüler war der Würzburger Mediziner Johann Simon Bauermüller aus Dettelbach, dessen anatomische und physiologische Schriften, darunter «Dissertationes de usu partium» (1726), noch von Haller gelobt wurden. Eine der namhaftesten Autoritäten in der Botanik der einheimischen Flora war Gabriel Heilman (f 1806) aus Würzburg. Mit Johann Georg Pickel aus Sommerach begann 1782 die Würzburger wissenschaftliche Chemie. Die größten Ärzte besaß Würzburg im ausgehenden achtzehnten Jahrhundert, den Physiologen Andreas Adam Senfft aus Würzburg (Elementa physiologiae pathologicae, 1774/78), den Anatomen und Chirurgen Karl Kaspar Siebold12 aus Jülich, der anatomische Präparierübungen in Würzbürg einführte; unter ihm wurde Würzburg «zu einem berühmten Zentrum der Chirurgie in Deutschland». Seine Söhne, unter denen besonders Georg Christoph Siebold als Geburtshelfer einen Namen hatte, lehrten ebenfalls dort. Die Naturwissenschaften wurden in Würzburg nicht nur durch die Mediziner gepflegt, wie anderswo, ihr größter Vertreter an der Universität, einer der genialsten deutschen Naturforscher seiner Zeit, war der Jesuit Athanasius Kircher3 aus Geisa in 1 H. Kirchner, Die Würzburger Lügensteine im Lichte neuer archiv. Funde (Zschr. d. deutsch. Geol. Ges. 87) 1935; The Lying stones of Dr. Johann Bartholomew Adam Beringer, being his Lithographiae Wirceburgensis, übers, u. hg. v. Μ. E. Jahn-D. J. Woolf, Univ, of Calif. Press 1963; Μ. E. Jahn, A further note an Dr. Johann Bartholomew Adam Beringer (Joum. of the Society for the bibliogr. of natural history 4, 3) London 1963, 160-161. 2 G. Sticker, Carl Caspar v. Siebold (Hippokrates), 1937, 381-387; H. Körner, Die Würzburger Siebold, 1967; Ders., Das Würzburger Gelehrtengeschlecht v. Siebold (100 Jahre wie ein Tag. Schulchronik SieboldRealgymn. Würzburg, hg. v. W. Dettelbacher) 1963/64, 5-90; Zitat Maurer-Hartl (s. 623) 48.

3 J. L. Pfaff, Vita A. Kircher, 1931; Rönt(s. o. 630) 5 ff.; F. D annemann, Die NaturWissenschaften in ihrer Entwicklung u. in ihrem Zusammenhänge I, 1920, 334 f.; II 302; K. Sapper, Athanasius Kircher als Geograph (Festschr. hg. v. Μ. Buchner, s. o. 630) 355 bis 362; O. Kaul, Athanasius Kircher als Musikgelehrter (ebd.) 363-370; B. Szezesniak, Athanasius Kircher’s China illustrata (Osiris 10) 1952, 385-411; C. Reilly, Athanasius Kircher S. J-, master of a hundred arts (The Month NS 29) 1963, 20-29; Η. B. Torrey, Kircher and the progress of medicine (Osiris 5) 1938, 246-275; J. Gutmann, Athanasius Kireher u. d. Schöpfungsproblem, Diss. Würzburg 1938; Zinnes, Astr. Instrum. (s. o. 607) 69; R. Hauschild, Die erste Publikation d. indisehen Nagari-Schriftzeichen in Europa durch gen

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Thüringen. Seine Bedeutung ist kaum zu überschätzen, ob es nun einzelne Erkenntnisse und Erfindungen oder die Ahnung des Zusammenhangs im Ganzen der Welt angeht. 1646 beschrieb er in seiner «Ars magna lucis et umbrae», die unter anderem die Optik behandelt, die Laterna magica und wies als erster auf die Fluoreszenz und die physiologischen Farben hin, 1655 stellte er die Hauptströme des Ozeans kartographisch dar, und lange vor Montgolfier suchte er im Heißluftballon die Lösung für das Problem des Menschenflugs. Sein «Mundus subterraneus» (1664) brachte die erste physikalische Erdbeschreibung, die neben Varenius bedeutsamsten Fortschritte in der Kenntnis der Erdnatur und des Erdinnem, und in seinem «Scrutinium contagiosae luis» (1658) hat er als erster einen Krankheitserreger mikroskopisch gesucht, wenige Jahre später hat er als Ursachen vieler Krankheiten kleine Lebewesen, die sich in der Luft befinden, bezeichnet, neben Harvey und Thomas Wharton der Begründer der Parasitologie. Zahllose Gegenstände der Wissenschaft hat er noch aufgegriffen, Sinologie, Sanskrit, mathematische Probleme, aber alles war gleichzeitig auf ein geheimnisvolles natürliches Zentrum hingeordnet. Unverstanden bis jetzt, da auch diese scheinbar phantastische Idee plötzlich Aktualität gewinnt, blieb die in «De arte magnetica» (1641) niedergelegte Erkenntnis von der vielgestaltigen Lebenskraft, die dem Weltall eingeschafFen sei und die durch Anziehung und Abstoßung die Welt architektonisch ordne, eine Kraft, die er die magnetische nannte. Was auch immer daran aus neuplatonischem Denken stammen mag, die naturwissenschaftliche Grundidee weist zum wenigsten auf Newtons Gravitationsgesetz hin. - Kirchers Schüler Kaspar Schott1 aus Königshofen im Grabfeld setzte für kurze Zeit die naturwissenschaftliche Tradition in Würzburg fort. Besonders kenntnisreich war er als Mathematiker, er verfaßte einen «Cursus mathematicus» (1661) und ein «Organum mathematicum» (1668), welches eine Verbesserung der Rechenstäbe brachte. Schott machte die ersten Experimente an lebenden Tieren, auch regte er als erster den Taubstummenunterricht an. Die Erfindung der Luftpumpe durch Otto von Guericke machte Schott bekannt (1657). Erst gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts, mit dem Mineralogen P. Bonavita Blank, besaß die Universität wieder einen bedeutenden Naturforscher außerhalb der medizinischen Fakultät. In der Philosophie blieben selbständige Leistungen bis tief ins achtzehnte Jahrhundert aus, nur der Scholastiker Edmund Voit, der Verfasser der «Veritas philosophiae peripatetico-christianae» (1740) besaß einen Namen, vor allem als Moraltheologe. Mit Nikolaus Burkhäuser beginnt auch in Würzburg das Zeitalter der eklektischen Philosophie; Reste der scholastischen Tradition vermengt mit Ansichten Lockes und Athanasius Kircher u. Heinrich Roth (Wissensch. Zschr. d. Friedrich-Schiller-Univ. Jena. Gesellschafts- u. sprachwiss. R. 5) 1955/56, 499-520; was A. Lhotsky, Österreich. Historiographie, 1962, 97 Anm. 321 schreibt, entspricht der dort angegebenen völlig veralteten Literatur. Kircher wird in der Wissenschaftsgeschichte mit größter Hochachtung erwähnt; G. Sarton, Introduction to the history of Science ΙΠ, 1936, 1007 u. ö.; R. Mousnier,

Les XVIe et XVII« sidcles (Histoire generale des civilisations VI) 1954; Taton (s. ö. 556) 115 u. ö.; A. Wolf, A History of Science Ι/Π, New York 1959, 298,425 u. ö.; U. Scharlau, A. K. als Musikschriftsteller, 1969; J. E. Fletcher (Isis 61) 1970, 52-67. 1 Röntgen (s. o. 630) 6; A. Heller, Gesch. d. Physik II, 1884, 144 ff.; Dannemann (s. Anm. 3) II 167 f.; F. Klemm, Technik. Eine Gesch. ihrer Probleme, 1954, 212, 434.

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Wolffs bildeten Burkhäusers System in den «Institutiones logicae et metaphysicae» (1772). Sein Nachfolger P. Columhan Rösser aus Banz brach völlig mit der scholastisehen Methode, P. Maternus Reuß1 aus St. Stephan in Würzburg wurde ein begeisterter Anhänger Kants. Die Würzburger Philosophen spielten auch in dieser Zeit lebendiger AuseinanderSetzung keine selbständige Rolle innerhalb ihrer Wissenschaft, doch im gleichen Zeitraum stieg die Würzburger Juristenschule, die bis etwa 1730 völlig unbedeutend war, zu außerordentlichem Ansehen auf. Fast jeder einzelne Ordinarius hat Erwähnung in der Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft gefunden. Johann Adam Ickstatt, der Inhaber des Lehrstuhls für Natur- und Völkerrecht, wurde als Erzieher des bayerischen Kurprinzen nach München berufen und erhielt einen Lehrstuhl in Ingolstadt,12 sein SchülerJohann Peter v. Banniza3*aus Aschaffenburg, der Verfasser eines «Systema jurisprudentiae criminalis» (1755), wurde an die Universität Wien berufen und zum Reichshofrat ernannt. An Gelehrsamkeit überragte ihn der Romanist Joseph Johann Ignaz Xaver Maria v. Schneidt * aus Mannheim, der das römische Recht in ein neues System brachte (1774), aber seine Lebensaufgabe vor allem in der Erschließung der Würzburger und fränkischen Rechtsgeschichte sah. Grundlegend ist vor allem sein «Thesaurus juris Franconici» (1786/97) in dreizehn Bänden. Den unmittelbaren Problemen des Gegenwartrechts wandte sich der zu Würzburg geborene Gallus Alois Kaspar Kleinschrod3 zu. Seine «Systematische Entwicklung der Grundbegriffe und Grundwahrheiten des peinlichen Rechts» (1794/96), ein Versuch der Verschmelzung von Naturrecht und positivem Recht nach den Vorstellungen der vorkritischen Aufklärungsphilosophie, machte ihn so berühmt, daß er mit der Ausarbeitung des Bamberger Strafgesetzbuches (1795) beauftragt wurde und daß sich sogar Bayern von ihm den «Entwurf eines peinlichen Gesetzbuchs für die kurpfalzbairischen Staaten» (1802) erbat. Kleinschrods Werk erlag der vernichtenden Kritik P. J. Anselm v. Feuerbachs; von dauernder Wirkung, ungeachtet der Opposition Nikolaus Thaddäus v. Gönners, war die «tiefgreifende Schrift» (Landsberg) Johann Michael SeuJJerts «Vom Verhältnis des Staats und der Diener des Staats gegeneinander» (1793). «Voll Geist und juristisehen Verständnisses» löste Seuffert die Spannungen zwischen den Forderungen des Staatsdienstes als einer öffentlichen Pflicht und der notwendigen Sicherung des Beamten gegen Gewissensvergewaltigung und willkürliche Entlassung. Als Staatsmann hat Seuffert auch energisch und geistvoll mit zahlreichen staatsrechtlichen StreitSchriften in den Kampf gegen die drohende Säkularisation eingegriffen. Den größten Einfluß auf das Rechtsdenken innerhalb der deutschen Reichskirche und an den theologischen Fakultäten besaß der Würzburger Kanonist Johann Kaspar Barthel6 aus Kitzingen, der «Fürst der Kanonisten». Besonders in drei Dissertationen 1 K. E. Mötsch, Matern Reuß. Ein Beitr. z. Gesch. d. Frühkantianismus an kath. Hochschulen, 1932. 2 Vgl. HB II 829 ff., 988 fT. 2 H. Banniza, Beitrr. z. Gesch. d. Geschlechte Banniza/Panniza (Deutsches Familienarchiv 32) 1966, 26$.

4 W. Engel, Joseph Maria Schneidt u. sein Thesaurus Juris Franconici (Mainfr. Jb. 7) 1955, 260-300. 5 F. Oetker, Kleinschrod u. Feuerbach in ihren strafrechtl. Grundanschauungen (Festschr. hg. v. Μ. Buchner, s. o. 630) 296-354. 6 H. Raab, Johann Kaspar Barthels Stellung

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«De concordatis Germaniae» (1740/65) hat er das Kirchenrecht in Deutschland auf neue Grundlagen gestellt. Mehr noch als der Salzburger Kanonist Zallwein hat er durch Einbeziehung der gesamten Reichsgeschichte und der Quellen des deutschen Staatskirchenrechts, der Reichsgrundgesetze und der Konkordate ein deutsches Kirchenrecht geschaffen und als Norm das gute alte Recht aufgestellt. Barthel hat also das Kirchenrecht an Zeit und Ort gebunden, hat es relativiert. Ein System zu begründen vermochte er unter diesen Voraussetzungen nicht, seine Bedeutung ist mehr aktuell kirchenpolitisch als wissenschaftlich. Seine Schule wirkte weiter in Trier, München und Würzburg. - Sein Würzburger Nachfolger Johann N. Endres (j1791 ‫)־‬ vollendete die Relativierung, indem er auch das Naturrecht seiner Zeit in die Quellen des Kanonischen Rechts einbezog, sein Nachfolger Johann Philipp Gregel aus Prölsdorf setzte seine Schule fort, erfuhr aber wegen seines Versuchs der kirchenrechtlichen Sanktionierung der neuen Verhältnisse (1804) schärfsten Widerspruch durch den späteren Würzburger Weihbischof Gregor Zirkel. Nach dem Schock der Säkularisation setzte auch in Würzburg wieder eine Neubesinnung ein. Heftiger als an anderen katholischen Universitäten hatten sich die Würzburger Theologen, die 1773 die Jesuiten abgelöst hatten, in der Reaktion auf die betont hartnäckig an der alten Theologie festhaltenden Jesuiten, der Reformtheologie zugewandt. Der Einschnitt, den das Jahr 1773 bildet, ist aber längst nicht so tiefgreifend, wie so gerne angenommen wird. Die Würzburger Jesuitentheologen, die auf eine große exegetische Tradition zurückblicken konnten, hatten nie den Zusammenhang mit den positiven Quellen der Theologie verloren. Der Lothringer Nikolaus Serarius, der bis 1597 in Würzburg lehrte, hinterließ sechzehn Folianten exegetischer Schriften, er war einer der bedeutendsten Exegeten seiner Zeit, auch als Mathematiker war er angesehen. Zweiundzwanzig Jahre lang lehrte in Würzburg der Kontroverstheologe P. Martin Beccanus,1 ein Niederländer, zuletzt Beichtvater Ferdinands II.; seine «Analogia veteris et novi testamenti» (1620) ist nicht nur für die Kontroverstheologie von Bedeutung. Durch seine «Summa theologiae scholasticae» (1612/22) übertrug er den Geist der spanischen Scholastik nach Würzburg, einer seiner Schüler war Adam Contzen.2 Den Höhepunkt der Würzburger Theologie brachte nicht das späte achtzehnte Jahrhundert, sondern die letzte Epoche der Jesuiten. Die Schüler des «fruchtbaren Förderers des Studiums der altbiblischen Exegese» (Hasenfuß), Franz X. Widerhofor, brachten die vierzehnbändige «Theologia Wirceburgensis» (1766/71) heraus, nach Grabmann das beste Handbuch der systematischen Theologie, das «in gleicher Weise das positive und spekulative Element berücksichtigt und in würdiger Weise die alte Theologie in Deutschland abschließt». Die letzte Auflage dieses FundamentalWerks erschien 1879. Die beteiligten Theologen waren Heinrich Kilber, der dogmengeschichtlich geschult war, Thomas Holtzclau, Ignaz Neubauer und Ulrich Munier. in d. Diskussion um d. Concordata Nationis Germanicae. Ein Beitr. z. Würzburger Kanonistik im 18. Jh. (Herbipolis Jubilans) 1952, 599-616; Ders. (s. u. 1150 Anm. 2) 79-96. 1J. Lbclek, Gesch. d. Religionsfreiheit im

Zeitalter d. Reformation I, 1965, 415 fF.; II 71 u. ö. 2 Vgl. HB II 366 Anm. 2, 786; E. A. Seils, Die Staatslehre des Jesuiten Adam Contzen, 1968.

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Der volle Sieg der positiven und historischen Theologie im Sinne Martin Gerberts kam in Würzburg erst mit den Nachfolgern der Jesuiten. Wissenschaftliche Bedeutung besaßen jedoch nur der Moraltheologe Anton Joseph Roßhirt,1 der in seinen «Institutiones theologiae moralis» (1789) nach dem Beispiel des Thomasius eine positive Einteilung der Moraltheologie versuchte, nämlich nach den Pflichten gegen Gott, gegen sich selbst und gegen den Nächsten, und der Dogmatiker Franz Oberthür,1 2 ein Gegner der Scholastik, der aber, obwohl vorwiegend dogmengeschichtlich orientiert, doch nicht allen spekulativen Geist aus der Theologie verdrängte. Seine «Idea biblica Ecclesiae Dei» (1790-1821) ist reich an tiefen Einsichten in das Wesen der christlichen Religion. Außergewöhnliche Verdienste erwarb er sich um die Kenntnis der Kirchenväter. Die große Wendung im neuzeitlichen Denken von der Spekulation zur Erfahrung hatte auch vor der Theologie nicht haltgemacht, sie hatte die positive und historische Theologie herbeigeführt. Auch die Jesuiten fanden sich damit ab, um so mehr, als die Kirchengeschichte gerade im Jesuitenorden ihre bedeutendsten Vertreter gefunden hatte. 1720 wurde auch in Würzburg ein historischer Lehrstuhl eingerichtet, sein erster Inhaber, P. Johann Seyfried aus Mainz, sammelte Material für eine Geschichte des Hochstifts, übergab es aber dann Johann Georg von Eckhardt,3 der auf seinen Vorschlag hin 1724 als Universitätsbibliothekar und Hofhistoriograph nach Würzburg berufen worden war. Eckhardt hat in Würzburg, dem Auftrag von Johann Philipp von Schönbom folgend, sein Hauptwerk geschrieben, die zwei Bände «Commentarii de rebus Franciae orientalis et episcopatus Wirceburgensis» (1729). «Er hat mit diesem Werk einen Ehrenplatz in der Geschichte der deutschen Historiographie erobert» (Wegele), es wurde das großartigste Werk der deutschen Barockhistoriographie. Eckhardt, der Herausgeber der editio princeps des Hildebrandslieds (1729), der fränkischen Volksrechte (1720) und einer Quellensammlung zur mittelalterlichen Geschichte (1723), war an Quellenkenntnis und kritischem Scharfsinn in Deutschland unerreicht, in gleichem Maße zeigte er Genauigkeit und Sorgfalt im einzelnen wie den Blick für das Ganze. Seine Geschichte Würzburgs war gleichzeitig die bis dahin beste Geschichte der Anfänge des deutschen Reiches, vorbildlich für das ganze Jahrhundert. Keiner der Historiker, die an der Universität lehrten, vermochte sich mit Eckhardt zu messen, doch hat P. Adrian Daude aus Fritzlar in seiner «Historia universalis et 1J. Stelzenbebgeb, A. J. Fahrmann, A. J. Roßhirt, J. Μ. Feder. Drei Würzburger Moraltheologen d. Aufklärungszeit (Festschr. hg. v. Μ. Buchner) 268-295; Ders., Anton Joseph Roßhirt. Eine Studie z. Moraltheologie d. Aufklärungszeit, 1937. 2 R. Stölzle, F. Oberthür (Lebensläufe aus Franken 1) 1919, 336-357; L. Faulhabeb, Oberthür als Pädagog, 1921; A. Lindig, Die Passivkorrespondenz Prof. Franz Oberthürs, Diss. Masch. Würzburg 1963; Ch. Schapeb, Franz Oberthür, ein häufiger Gast z. Goethezeit in Weimar (Goethe. NF d. Jb. d. GoetheGes. 23) 1961, 201-231; O. Volk, Professor

Franz Oberthür, Persönlichkeit u. Werk (Quellen u. Beitrr. z. Gesch. d. Univ. Würzburg 2) 1966. 3 H. Raab, Biographisches über d. Würzburger Hofhistoriographen Johann Georg v. Eckhart (WDGB11. 18/19) 1956/37, 212-216; H. Bahbeck, Johann Georg v. Eckhart 1674 bis 1730, Diss. Masch. Würzburg 1944; P. Stemmebmann, Die Anfänge d. deutschen Vorgeschichtsforschung, 1934, 120 ff.; W. Engel. Zwei große fränk. Geschichtsschreiber d. 17. Jhs., 1939; H. Leskien, Johann Georg v. Eckart (1674-1730). Das Werk eines Vorläufers d. Germanistik, Diss. Würzburg 1965.

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pragmatica» (1748/54) ein Handbuch geschaffen, das den besten in Deutschland ebenbürtig war, durch klare Anordnung des Stoffes, durch Umsicht in der Benützung der Literatur und der Quellen. Sein Nachfolger, P. Thomas Grehner (f 1787) aus Mergentheim, leistete Selbständiges nur für die lokale Geschichte, aber ohne die Kritik und ohne die umfassende Gelehrsamkeit Daudes. Erst das Jahr 1773 machte die Bahn frei für den größten Geschichtsschreiber, den Deutschland im achtzehnten Jahrhundert besaß, Michael Ignaz Schmidt1 aus Arnstein, dem jetzt die Reichsgeschichte übertragen wurde, nachdem auf seinen Vorschlag hin Kirchengeschichte und Profangeschichte getrennt worden waren. Noch in Würzburg begann er seine «Geschichte der Deutsehen» (1778/93), ein Werk tiefen Verständnisses für den sittlichen Auftrag, den damals der Geschichtsschreiber hatte, den Weg des Menschen aus den Wäldern zur Kultur zu beschreiben und Richter zu sein über Fürsten und Große. Schmidt hat aber nicht nur die Geschichtsauffassung der Pragmatik übernommen, er war auch von Herder berührt, der den Zugang zur individuellen Wesenheit geöffnet hat, und Möser hat ihn für das Volk als Träger der Geschichte begeistert. Auch im großen Geschichtswerk schöpfte er am liebsten aus den ersten Quellen. Neben Schmidt verdient kein anderer Würzburger Historiker mehr erwähnt zu werden.2 Die Würzburger Universität hat bis zum Beginn des neuen Jahrhunderts in stetigem Wachstum immer neue Stufen wissenschaftlicher Reife erstiegen; die medizinische und die juristische Fakultät hatten den höchsten Stand ihrer Geschichte erreicht, die theologische, einst führend unter den katholischen Universitäten, bewahrte auch nach 1773 noch großes Ansehen. Die nächste Epoche Würzburger Wissenschaftsgeschichte war kein Anfang auf neuem Boden.

c) Das Hochstift Bamberg Ch. G. Munn, Merkwürdigkeiten d. fürstbischöfl. Residenzstadt Bamberg, 1799; Looshorn; H. Jack, Erstes Pantheon d. Literaten u. Künstler Bambergs, 7 Hefte, 1812/15; Ders., Zweites J. Pantheon d. Literatur u. Künstler Bambergs v. XI. Jh. bis 1843, 1843; Weber; Hess, Matrikel (s. u. 660 Anm. 6); C. Lehmann, Über die Medizin an der Academia Ottoniana u. Universitas Ottoniana-Fridericiana Bambergensis 1735-1803, Med. Diss. Erlangen i967;Haass (s. 1155) 87ff.; Μ. Renner, Bamberg als Medizinisches Zentrum um 1800 (Mitt. f. d. Archivpflege in Bayern, Sondcrh. 5) 1967,40-47; K.-L. Sailer, Die Gesundheitsfürsorge im alten Bamberg, Med. Diss. Erlangen 1970; zu den Bamberger Fürstbischöfen und zum geistlichen Franken allgemeins. o.§$45,53.

In regem geistigen Austausch mit Würzburg stand, vor allem seit der Gründung der Academia Ottoniana 1647, das vergebens um gleichen Rang kämpfende Bamberg. Auch die Erhebung der Akademie 1773 zur Universität änderte nur wenig an dem Verhältnis der Abhängigkeit, in welchem Bamberg bis dahin gegenüber Würzburg 1 A. Berney, Michael Ignaz Schmidt (HJb. 44) 1924, 211-239; G. Degenhard, Das Bild d. deutschen Gesch. bei Michael Ignaz Schmidt (1736-1794), Diss. Masch. Göttingen 1954; W. Büttner, Lichte Seiten am Bilde zweier Würzburger Aufklärer (WDGB11.14/15) 1952/ 1953,635-655; Lindic (s.636Anm.2) 255 u.ö.; Kraus (s. o. 606 Anm. 5) 55 u. ö.

2 Z. B. Franz Berg, der unverdient viel Aufmerksamkeit gefunden hat: J. B. Schwab, Franz Berg, geistl. Rat u. Prof. d. Kirchengesch. an d. Univ. Würzburg, 1872; S. Merkle, Franz Berg (Lebensläufe aus Franken 2) 1921, 14 bis 25.

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stand, politisch durch die oftmalige Personalunion der Fürstbischöfe, geistig durch die Anziehungskraft der bedeutenderen Würzburger Universität, an die auch viele Bamberger Professoren abwanderten. Daude und Neubauer waren zuerst in Bamberg, ehe sie in Würzburg lehrten. Trotzdem hat auch die Bamberger Hohe Schule ein Jahrhundert lang, von tüchtigen Gelehrten repräsentiert, geistige Kraft ausgestrahlt und Einfluß auf die Entwicklung der Wissenschaften genommen, in der Philosophie war Würzburg, so scheint es, sogar von Bamberg abhängig. Erst P. Nikolaus Burkhäuser, der in Bamberg die naturwissenschafdichen Erkenntnisse in seinen Unterricht einbezogen hatte, brachte die eklektische Philosophie nach Würzburg, und als sich Georg Eduard Daum, seit 1777 Inhaber des philosophischen Lehrstuhls zu Bamberg, als einer der ersten katholischen Philosophen Kant angeschlossen hatte, folgte der Würzburger Ordinarius Μ. Reuß wenig später nach. Kantianer blieb auch sein Nachfolger, nennenswerte philosophische Leistungen liegen von beiden nicht vor. Die Bamberger Theologen zeichneten sich mehr aus. P. Ignaz Kreußler aus Mainz beschäftigte sich mit Dogmengeschichte, bekannt machte er sich durch eine neue lateinische Übersetzung der Psalmen, viel benutzt wurde sein Kompendium der griechischen Grammatik (1750). Bartholomäus Lutz (f 1756) schrieb eine Einleitung in das Kirchenrecht, P. Adam Reiser veröffentlichte seit 1753 eine 26bändige Erklärung der hl. Schrift, P. Leonhard Grebner, der das Kirchenrecht zu lehren hatte, behandelte in kenntnisreichen Aufsätzen die Chronologie und Geschichte des frühen Mittelalters, auch wandte er, ein Vorläufer Barthels, in seinem «Tractatus historicojuridicus» (1739) die historische Methode auf das Kirchenrecht an. Der Jurist Benedikt Schmidt, der 1761 nach Ingolstadt berufen wurde, befaßte sich vorwiegend, nach dem Beispiel der Juristen zu Halle oder des Johann Jacob Mascow, mit Reichsgeschichte; seine Arbeiten, die nicht mit der Methode des Historikers, sondern des Juristen den geschichtlichen Stoff in Argumente zerlegen, blieben ohne länger nachwirkendesEcho. Bedeutend als Gelehrte waren nur die Mathematiker P. Johann Jacobs1 aus Spießheim und P. Johann B. Roppelt,1 2 ein gebürtiger Bamberger, Benediktiner zu Banz, ferner die Mediziner Ignaz Joseph Döllinger,3 der ebenfalls aus Bamberg stammte, und Adalbert Friedrich Marcus (f 1816) aus Arolsen, der Leibarzt Erthals, ein fruchtbarer medizinischer Schriftsteller. Döllinger lehrte von 1794 bis 1803 in Bamberg, seine große Laufbahn als Anatom begann in Würzburg. Jacobs, der mehrere Lehrbücher der Mathematik veröffentlichte (Specimen matheseos, 1764; Demonstratio mathematica, 1780) zeichnete sich vor allem durch regelmäßig durchgeführte meteorologische Beobachtungen aus, die er in den Ephemeriden der Heidelberger meteorologischen Gesellschaft veröffentlichte. Roppelt war vor allem praktischer Geometer und 1 W. Hess, Johann Jacobs (ebd. 3) 1927, 277-281; Μ. Braubach, Die kirchl. Aufklärung im kath. Deutschland im Spiegel d. Journal von u. für Deutschland (HJb. 54) 1934, 60. 2 W. Hess, Johann B. Roppelt (Lebensläufe aus Franken 1) 1919, 386-394; Ders., Die Verteidigungsschrift d. Banzer Benediktiners u. Bamberger Universitätsprofessors J. B. Roppelt

(StMBO 36) 1951, 403-481; E. Krausen, Benediktiner als Kartographen (StMBO 68) 1957. 236. ‫ נ‬W. Lubosch, Ignaz Döllinger, Professor d. Anatomie u. Physiologie 1770-1841 (Lebenslaufe aus Franken 3) 1927, 179-95; Lehmann (s. o. 637) 59 f.

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Kartograph. Von ihm stammt eine «Historisch-topographische Beschreibung» des ganzen Fürstentums (1801), auch brachte er mehrere Karten davon heraus. Kurz vor der Aufhebung der Universität übernahm die Professur für Philosophie der Banzer Benediktiner Othmar Frank1 (f 1840), ein gebürtiger Bamberger. Er erhielt später in Würzburg und München den Lehrstuhl für Persisch und Sanskrit und verfaßte die erste Sanskritgrammatik (1823). Auch die großen Leistungen des Kanonisten Andreas Frey,1 2*4der 1795 die Vorlesungen aufnahm, fallen erst in die Jahre nach der Säkularisation, die er, anfänglich dem aufgeklärten Staatskirchenrecht weit entgegenkommend, ein Jahrzehnt lang geistvoll bekämpfte. Neben der Universität bildeten auch die Bamberger Zentralen der Minoriten und Karmeliten Mittelpunkte wissenschaftlichen Lebens. Besonders unter den Minoriten’ weilten zahlreiche theologische Schriftsteller; bekannt waren der Kontroverstheologe BertholdJakob (f 1812) und der Orientalist Juvenal Potschka (j1796 ‫)־‬, beide gebürtige Bamberger, vor allem P. Ladislaus Sappel aus Augsburg, der gegen Febronius auftrat, oder P. Paternus Steininger aus Zeil, Verfasser einer sechsbändigen Moraltheologie (1788/90). Der Karmelitenprovinzial Sebaldus a St. Christophoro (f 1726) war der größte deutsche Moraltheologe unter den Karmeliten. Große Bedeutung in der neuzeitlichen Wissenschaftsgeschichte hat das Fürstbistum Bamberg nie besessen, aber es hat auch berühmte Gelehrte hervorgebracht, wie den Philologen und Historiker Martin Crusius, * der aus Grebem bei Pottenstein stammte, und den Mathematiker Christoph Clavius,1 dessen Geburtsort Bamberg selbst oder ein nahegelegner Ort ist. Crusius war fast ein halbes Jahrhundert Professor der klassischen Sprachen zu Tübingen, von außerordentlicher literarischer Fruchtbarkeit, ein Bahnbrecher der Byzantinistik. Für die Geschichte nicht ohne Wert sind seine «Annales Suevici» (1595), eine reichhaltige Materialsammlung auch zu älteren Zeiten. Clavius lehrte in Rom, wo er in den Jesuitenorden eingetreten war, und in Coimbra Mathematik, berühmt wurde er, von Gregor ΧΙΠ. der Kommission zugeteilt, die den Kalender reformieren sollte, durch seine entschiedene und kluge Verteidigung der Reform gegen Scaliger und andere. Seine Ausgabe des Euklid (1574) mit erklärenden und weiterführenden Anmerkungen fand höchste Anerkennung. 1 F. Babinger, Othmar Frank (1770-1840). Ein Beitr. z. Gesch. d. morgenländ. Stud. in Bayern (ZBLG 22) 1959, 77-123; Ders., Die Pflege d. morgenländ. Stud. an d. Bayer. Akad. d. Wiss. unter König Max I. (Geist u. Gestalt I) 1959, 82-90. 2 E. Plassmann, Staatskirchenrechtl. Grundgedanken d. deutschen Kanonisten an d. Wende v. 18. z. 19. Jh., 1968; H. Raab, Kirche u. Staat im Urteil deutscher Kanonisten 1780 bis 1830 (Zschr. f. Schweiz. KG 63) 1969, 189, 199 f· ’ Minges (s. o. 1158 Anm. 1) 225. 4 Klüpfel (s. 1143 Anm. 4) 92; Burslan (s. o. 556) 203, 223 f.; G. E. Zacharias, Tübingen u. Konstantinopel, 1941; P. K. Enepekides,

Aus Wiener u. Pariser Handschriften. Beitrr. zu den griechisch-abendländ. Beziehungen im 16. Jh. (Jb. d. österr. Byz. Ges. 3) 1954, 67-79; Diarium Martini Crusii, hg. v. StahleckerStaiger, 1958. 5 O. Meyer, Christoph Clavius Bambergensis, Mathematiker, Astronom u. Komputist 1538-1612 (Fränk. Land in Kunst, Gesch. u. Volkstum, Beil, zum Neuen Volksbl. 9) 1962, nr. 12/13; Boas (s. o. 556) 351, 354; Pannekoek (s. o. 556) 228 ff. u. ö.; Wightman (s. o. 556) I 117 (hier neben Tycho Brahe gestellt: «the most able astronomers of the time»); Smith (s. o. 556) I 334.

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Franken: E. III. Der Beitrag Frankens zur Entwicklung der Wissenschaften 1550-1800

d) Die fränkischen Klöster Lindner, Schriftsteller (s. u. 1157); Hemmerle, Benediktinerklöster; R. Reinhard, Zur Gesch. d. Würzburger Benediktinerabteien im ausgehenden 16. Jh. (WDGB11. 28) 1966, 278-279; Krausen, Zisterzienserorden; Kraus, Benediktinische Geschichtsschreibung (s. o. 557); Minges (s. o. 1158 Anm. 1); Bavaria Franciscana antiqua IV, 1958, 392-442; G. Lohmeier, Franconia benedictina, 1969; Backmund; Backmund, Chorherrenorden; s. auch o. 628, 630.

Auch die Universität konnte nicht alle Begabungen aus dem Bamberger Gebiet an die Stadt fesseln, die umliegenden Klöster waren zum Teil selbst kleine Akademien oder wären, wie Banz,1 in der Lage gewesen, geradezu eine eigene Hochschule aufzubauen, aber von anderem Gewicht als die theologische Bildungsstätte der Franziskaner zu Dettelbach, einem Marienwallfahrtsort bei Würzburg, wo trotz der Lehrtätigkeit des berühmten Moraltheologen Patritius Sporer12 aus Passau oder des Moraltheologen Kilian Kazenberger aus Zellingen bei Würzburg, der Sporers Hauptwerke neu herausgab und dessen «Conferendae theologico-morales» (1729) hohes Ansehen genossen, keine wissenschaftliche Tradition von schulbildender Wirkung erwuchs. Das Benediktinerkloster Banz dagegen war im achtzehnten Jahrhundert in der gelehrten Welt so bekannt wie St. Emmeram in Regensburg oder St. Blasien im Schwarzwald, ein Verdienst auch seiner letzten Äbte, die selbst wissenschaftlich tätig waren. Die Benediktiner von Banz besaßen allerdings nicht so hervorragende Historiker wie St. Blasien oder St. Emmeram, ihr Ruhm gründete sich vor allem auf die Zeitschriften, die P. Placidus Sprenger3 und seine Mitbrüder herausgaben, den «Fränkischen Zuschauer» (1772/73) und die «Literatur des katholischen Deutschland», die mit allen FortSetzungen bis 1798 regelmäßig erschienen. Drei Gelehrte hatte Banz in den letzten Jahrzehnten seines Bestehens an die fränkischen Universitäten abgestellt, Rösser für Würzburg, Roppelt und Frank für Bamberg. Der Mathematikprofessor des Klosters, Udephons Schwarz, lehnte wiederholt Berufungen an die Universität ab, seine wichtigste wissenschaftliche Leistung ist ein «Handbuch der christlichen Religion» (1793/ 1794). Literarisch zeichneten sich noch besonders aus derExegetP. Beda Ludwig (f 1796) aus Würzburg und der Mineraloge Cölestin Stöhr (f 1836) aus Kronach. Die Seele der Banzer Aufklärungsbewegung waren Dominikus Schramm aus Bamberg und Placidus Sprenger aus Würzburg. Sprenger war von einer unglaublichen Vielseitigkeit, seine Rezensionen aus allen Wissensgebieten sind kaum noch überschaubar, sie sind allerdings oft auch stärker beeinflußt von seinem vorgefaßten Bildungsprogramm eines maßvollen Aufklärung im Sinne seines Freundes Michael Ignaz Schmidt und Oberthürs, eines seiner Mitarbeiter, als sachliche Beurteilung der wissenschaftlichen Leistung. Trotz starken Interesses auch für die Naturwissenschaften erbrachte er selbständige wissenschaftliche Leistungen nur auf dem Gebiet der Patri1 S. Hess, Das Kloster Banz in seinen BeZiehungen zu d. beiden Hochstiften Bamberg u. Würzb. unter Abt Joh. Burckhard, 1935; Forster (s. 456 Anm. 3); E. v. Guttenberg, Kl. B. in Vergangenheit u. Gegenwart, 1922. 2 Vgl. HB Π 795.

3 W. Hess, Der Banzer Benediktinerpater Plazidus Sprenger u. d. Gesetz v. d. Erhaltung d. Masse (StMBO 43) 1925, 208-212; Ders., Placidus Sprenger (Lebensläufe aus Franken 4) 1930, 398-410; Lindig (s. o. 636 Anm. 2) 430-466; vgl. auch Anm. 1.

§ 72. Das geistliche Franken (A. Kraus)

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stik, mit seinem «Thesaurus rei patristicae» (1784/92), nicht weniger zeichnete er sich aus durch seine große «Diplomatische Geschichte der Benediktiner-Abtei Banz» (1803). Von größerem Einfluß auf die Wissenschaftsentwicklung war der Dogmatiker Schramm,1 der in seiner theologischen Grundhaltung Martin Gerbert von St. Blasien, dem ersten modernen Theologen Deutschlands, nahestand. Schon sein «Compendium Theologiae Dogmaticae» (1768) war dogmengeschichtlich aufgebaut; den QuellenStoff für den historischen Theologen stellte er bereit in den achtzehn Bänden seiner «Analysis operum S. Patrum et Scriptorum ecclesiasticorum» (1780/96), einer Sammlung von Auszügen aus den Vätern. Seine «Institutiones Juris Ecclesiastici» (1774/75) waren der Versuch einer neuen, zugleich spekulativen und positiven Begründung des Kirchenrechts. Unter den fränkischen Benediktinern kam kein Theologe Schramm gleich, wenn auch P. Placidus Stürmer (f 1794) aus dem Kloster Neustadt a. Main ebenfalls im maurinischen Geist Dogmatik lehrte, doch der Zisterzienser aus Ebrach P. Bemhardin Bauer war kaum weniger bedeutend als Schramm.1 2 Seine «Theologia universa dogmatica, historica, critica» (1786/92) mit ihrer dogmengeschichtlichen Begründung der Lehrsätze über das Wesen und die Aufgaben der Kirche, ihre Rechtsordnung und ihre Sakramente stellt Bauer neben die großen Theologen der Übergangszeit, einen B. Stattler oder E. Klüpfel. In Ebrach machte sich auch der gelehrte Abt Eugen Montag! einen Namen durch die klare Erfassung der verfassungsgeschichtlichen Phänomene in seinen historisch-juristischen Streitschriften über die Reichsunmittelbarkeit und Exemption seines Klosters, besonders aber durch seine «Geschichte der teutschen staatsbürgerlichen Freiheit» (1801) - ein vergeblicher Versuch, die ReichsVerfassung zum Schutz des Adels und der Kirche zu Hilfe zu rufen. Seine Geschichte Ebrachs blieb ungedruckt, erst 1834 erschien die Geschichte des Klosters von einem der letzten Ebracher Zisterzienser, dem P. Weigand Wigand aus Bamberg. Mit Banz versuchte das Bamberger Benediktinerkloster Michelsberg * zu wetteifern, und tatsächlich war die Zahl der gelehrten Mönche dieses Klosters nicht viel geringer als die zu Banz, die geistigen Interessen lagen jedoch völlig anders. In Michelsberg herrschte in der letzten Epoche der Klostergeschichte, nachdem es einst in seinem Abt Johann Müller (j1627 ‫ )־‬einen namhaften Mathematiker besessen hatte, der juristische Geist vor. Einen bescheidenen Platz in der Geschichte des Kirchenrechts fanden P. Grtgor Kurtz (j1750 ‫ )־‬und P. Carlmann Rath (j1809 ‫ ;)־‬Rath lehrte an der Universität Bamberg. Einen nicht unbedeutenden Kanonisten besaß das Kloster Münsterschwarzach! in 1 P. Muschard, Das Kirchenrecht bei d. deutschen Benediktinern u. Zisterz. d. 18. Jhs. (StMBO 47) 1929, 538 ff.; zum geistigen Verhältnis Schramms zu Μ. Gerbert s. K.Werner, Gesch. d. kath. Theologie, 1889, 190 ff. 2 Ebd. 239; Muschard (s. Anm. 1) 585 f. 2 J. Jaeger, Eugen Montag (Lebensläufe aus Franken 2) 1921, 297-312; zu Abt Montag s. o. 356 Anm. 6; Plassmann (s. o. 639 Anm. 2) 66; zur Geschichte Ebrachs: W. Weigand, Gesch. d. fränk. Cisterzienserabtei Ebrach, 41 HdBG III, I

1834; J. Jaeger, Kloster Ebrach 19222; Festschr. z. 800 Jahrfeier d. ehem. Cisterzienserabtei Ebrach, 1928. 4 H. J. Jäck, Die Verdienste d. Abtei Michelsberg um d. Verbreitung d. Wissenschaften (Beitrr. z. Kunst- u. Lit.gesch.) Nürnberg 1822, 73; 15A. Lahner, Die ehern. BenedictinerAbtei Μ. zu Bamberg (BHVB 51) 1889. 5 Die Benediktinerabtei Münsterschwarzach, 1965; A. Kaspar, Die Quellen z. Gesch. d. Abtei Münsterschwarzach am Main, 1930; Ders.,

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Franken: E. III. Der Beitrag Frankens zur Entwicklung der Wissenschaften 1550-1800

P. Gregor von Mertzenfeld, dessen «Introductio ad jus publicum romano-ecclesiasticum» (1713) den papalistischen Standpunkt vertritt. Ein tüchtiger Mathematiker war Godefrid Böhm, ein Schüler von Kaspar Schott; er dozierte Mathematik zu Salzburg, sein Calendarium (1665) war ein geschätztes Hilfsmittel. Kirchenrecht und Theologie zu Fulda dozierte der spätere Abt Ludwig Beck (j1794 ‫ )־‬aus Hammelburg. Die reiche historiographische Tradition der Abtei versiegte bereits zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. Noch Humanismus und Frühbarock haben nur knappe Abtslisten gebracht, doch die Werke zur Geschichte von Münsterschwarzach von Leopold Wohlgemut (f 1686) und Burkard Bausch (j1715 ‫)־‬, die nur handschriftlich überliefert sind, holen besonders im zeitgeschichtlichen Teil weit aus; die Darstellung der Vergangenheit genügt allerdings kritischen Ansprüchen nicht. P. Ignaz Gropp1 von St. Stephan in Würzburg war neben Placidus Sprenger, der ein halbes Jahrhundert später lebte, der einzige fränkische Benediktiner, der als Hilstoriker dem Vorbild maurinischer Gelehrsamkeit nacheiferte. Mit seiner «Collectio novissima scriptorum et rerum Wirceburgensium» (1741/44) legte Gropp die Grundlage für eine Geschichte des Hochstifts, mit seiner «Würzburgischen Chronick» (1748/50) suchte er das Thema selbst zu bewältigen, nicht mit der Akribie eines Eckhardt, auch nicht mit der Quellenfülle eines Meichelbeck, aber doch im Besitz der kritischen Grundsätze seiner Zeit. Die fränkischen Klöster hatten es schwerer als die Klöster Kurbayems oder Schwabens, der Pflege der Wissenschaften volle Kraft zu widmen. Eingeengt durch das nahe protestantische Franken, meist auch von ihren Gründern nicht so reich bedacht wie die großen schwäbischen Reichsstifter, besaßen sie nicht die uneingeschränkten Auswahlmöglichkeiten unter einer großen Zahl von Bewerbern, die in Bayern bis zur Säkularisation selbstverständlich waren. Trotzdem haben Ebrach und Michelfeld Achtbares geleistet, Banz vollends wurde zum Mittelpunkt der katholischen Aufklärung. Mehr als in Bayern waren in Franken die Bischofsstädte auch geistige Zentren, die alle Begabungen des Umlandes an sich zu ziehen suchten, besonders seit 1773. Gerade dadurch wurde das katholische Land am Main zu einem Gebiet von besonders geschlossener geistiger Gestalt, einförmig war es jedoch keineswegs. Bei aller Abhängigkeit von Würzburg ist auch Bamberg durch seine Universität ungleich kräftiger als Freising oder Passau am geistigen Leben der Zeit beteiligt, Würzburg vollends, politisch von ganz anderem Gewicht als die bayerischen Hochstifte oder Augsburg, durfte getröst den Wettbewerb mit Mainz wagen. Dorthin war das katholische Franken, so Studiengesch. d. Abtei Münsterschwarzach vom dreißigjähr. Krieg bis z. Säkularisation (Abtei Münsterschwarzach. Arbeiten aus ihrer Gesch.) 1938, 153-185; Ders., Zur inneren Gesch. der Abtei Münsterschwarzach vor d. Säkularisation (Mainfr. Jb. 10) 1958, 200-215; St. Hilpisch, Die literar. Fehde d. Abtes Ludwig Beck mit Benedikt Oberhäuser von Lambach (Studia Suarzazensia. WDGB11. 25) 1963, 209-215; A. Wendehorst, Zur Münsterschwarzacher Geschichtsschreibung d. MA

(DA 16) 1960, 224-226; zur Schwarzacher Historiographie s. auch Hess (s. o. 640 Anm. 1) 88-92, 95‫־‬99· 1 Μ. Stöger, Der fränk. Geschichtsschreiber P. I. Gropp, 2 Tie., 1891/92; J. V. Hart, Lebensbild d. fränk. Geschichtsschreibers u. Pfarrherm zu Güntersleben P. Ignatius Gropp O. S. B., 1930; Muschard (s. o. 641 Anm. 1) 536 f.

§ J2. Das geistliche Franken (A. Kraus)

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sehr es auch darauf bedacht war, aus eigener Kraft zu leben, am weitesten geöffnet. Den Anschluß an die protestantischen Teile Frankens suchten erst die Banzer Benediktiner mit ihrem Aufklärungsprogramm, aber dafür blieb eine zu kurze Zeit. Diese Brücke zu schlagen wurde die Aufgabe des bayerischen Staates des neunzehnten Jahrhunderts.

IV

DAS HOCHSCHULWESEN IN SEINER ORGANISATORISCHEN ENTWICKLUNG

§73. TERRITORIALE, KONFESSIONELLE, BILDUNGSGESCHICHTLICHE GRUNDLAGEN

Seit der Gründung der Prager Universität (1348) durch Karl IV. als böhmischen Landesvater und zugleich als römischen König sowie der Konkurrenzstiftung Wien (1365) durch Karls habsburgischen Antipoden Rudolf IV. war in dem politisch und territorial pluralistischen deutschen Reich die Errichtung von Generalstudien durch weitliehe und geistliche Fürsten oder durch Städte zum stolzen Kriterium herrschaftlicher Kulturpflege und wirtschaftlich-politischer Potenz geworden, nicht zuletzt auch unter reichsgesetzlicher Förderung. Mit Friedrich UI. und Maximihan I. beginnt die kaiserliehe Universitätspolitik und -privilegierung * neben die päpstliche zu treten, um diese später in den protestantischen Territorien ganz abzulösen. Die (unsicher verbürgte) Empfehlung Kaiser Maximilians I. auf dem Wormser Reichstag 1495 an die Kurfürsten, Hohe Schulen zu gründen,2 und die wachsenden humanistischen Bestrebungen der deutschen Landesfürsten wirkten zusammen, um den längst als bitter empfundenen Bildungsvorsprung des «welschen» Nachbarn endgültig zu brechen. Hatte doch das Zeitalter von Schisma und Reformkonzilien - die Abwanderung deutscher Magister aus Paris und dann aus Prag, die Begegnung deutscher und Pariser Universitätsdeputanten in Konstanz und Basel,1 die Gutachtertätigkeit der Professoren für Konzilien und Fürstentage - schlaglichtartig die Bedeutung des selbstbewußt gewordenen Gesellschafts- und Berufsstandes der Gelehrten als geistige Macht und als die gegebenen Oratoren fürstlicher Politik beleuchtet. Seit der von Heidelberg (1385) eingeleiteten Gründungswelle deutscher Universitäten waren Entstehung und Gestaltung des akademischen Schulwesens engstens verflochten mit der einzelstaatlichen Entwicklung. Denn auf dem Boden der alten Reichsordnung mit den zahlreichen ständischen Hoheitsträgem von unterschiedlicher Größe, Macht und Struktur konnte 1 Μ. Meyhöfer, Die kaiserl. Stiftungsprivilegien f. Universitäten (Arch. f. Urkundenforsch. 4) 1912, 291-418, gibt die kaiserl. Priv. 1318-1784 und die päpstl. 1233-1507 in Regestenform. 2 G. Kaufmann, Gesch. d. deutschen Universitäten, 2 Bde., 1888/96 (Neudr. 1958), hier Π 14 f.

1 Ebd. II419 ff.; weiterhin etwa L. Dax, Die Universitäten u. d. Konzilien v. Pisa u. Konstanz, 1910; G. Ritter, Die Heidelberger Universität. Ein Stück deutscher Gesch., 1,1936 (einziger Bd.). - Eine befriedigende Gesamtdarstellung über die Stellung der Universitäten i. d. Konzilsepoche fehlt.

ff 3‫ך‬. Grundlagen (L. Boehm)

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weder Wien noch Heidelberg noch eine andere Universität eine dem mittelalterlichen Studium von Paris analoge Zentralstellung erlangen oder bewahren. Nahezu alle deutschen Hochschulgründungen des sechzehnten Jahrhunderts standen als instrumenta dominationis in aktuellem Bezug zum Erfolg der Territorialpolitik, sei es als Krönung überwundener dynastischer Teilungsperioden und Ausdruck der Staatskonzentration (wie u. a. Ingolstadt 1459/72 nach dem Vertrag von Erding 1450, Tühingen 1477/84 im Zusammenhang des Vertrags von Münsingen 1482) oder sei es als Folge der Konsolidierung von Teilherrschaften (z. B. Freiburg 1456 als zweite habsburgische Gründung durch die in Vorderösterreich und im Reich regierende leopoldinische Linie, das sächsisch-emestinische Wittenberg 1502 als Ersatz für das 1485 an die Albertiner verlorene Leipzig). Konkurrierender Wetteifer der Territorialfürsten bestimmte die Kulturpolitik gleichwie die Streuung, Schwerpunktbildung und die Art schulischer Institutionen. Wenn Ingolstadt (vgl. HB Π §§ 130 ff.) als jüngere Schwester der wittelsbachischkurpfälzischen Universität Heidelberg für Jahrhunderte die einzige altbayerische Landesuniversität blieb, so verdankte sie ihre Monopolstellung der kräftigen Entwicklung des Herzogtums seit Ludwig IX. dem Reichen und seiner im Reformationszeitalter gewahrten konfessionellen Geschlossenheit. Im benachbarten schwäbischen und fränkischen Raum hingegen wurden die Gründungen mehrerer Hoher Schulen und Akademien verschiedenen Typs Ausdruck des andersgearteten territorialen und konfcssionspolitischen Schicksals.1 Nachdem Franken seine Vorrangstellung als Königsland eingebüßt und das alte schwäbische Stammesherzogtum mit dem Untergang der Staufer sich aufgelöst hatte, war in beiden Landschaften die staatliche Sammlung größeren Stils mangels einer übergeordneten starken Herzogsgewalt steckengeblieben, gehemmt durch die fortschreitende Zersplitterung der Hoheitsrechte zwischen Hochstiftem, Reichsabteien, Reichsstädten und anderen mehr oder minder mächtigen Herrschaften, unter denen dennoch einigen der Aufbau ansehnlicher Territorien gelang. An der Ostgrenze des alemannischen Siedlungsgebiets im heutigen bayerischen Schwaben, wo einst die staufisch-schwäbische Politik sich gegen Bayern vorgeschoben hatte, war längs des Lechs das Hochstift Augsburg in dynamischem Ringen mit der Reichsstadt gewachsen; beide Potentaten wurden Vertreter entgegengesetzter Schulpolitik (vgl. § 131). In Franken hatte das Fürstbistum Würzburg seit dem zwölften Jahrhundert das Erbe des frühmittelalterlichen Herzogtums angetreten (Urkunde von 1168), nach Südosten hin begrenzt und teils in rechtlichem Gcmengengelage mit dem Bistum und Hochstift Bamberg. Immerhin berzeichnend ist es, daß Würzburg als erstes deutsches Hochstift - zwei Menschenalter vor Mainz und Trier - 1402 den Versuch einer Universitätsgründung machte (vgl. § 74). Bamberg stieß einerseits an das Hoheitsgebiet von Sachsen-Coburg (Residenzstadt Coburg 1920 an Bayern), andererseits an den Sperriegel, den die Hohenzollern-Burggrafen von Nürnberg, seit 1415 Kurfürsten von Brandenbürg, mit ihren Markgraftümem Ansbach-(Kulmbach) Bayreuth zwischen Ostfranken 1 Vgl. Bayer. Geschichtsatlas (Lit.).

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Franken: E. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung

und dem bayerischen Nordgau aufgerichtet hatten. Den seit der Dispositio Achillea 1473 gegenüber der Kurmark sich als Sekundogenitur verselbständigenden fränkisehen Markgrafenlanden war wie ein Block eingelagert das Territorium der Reichsstadt Nürnberg, an welche die Zollern ihre alten Burggrafenrechte 1427 hatten verkaufen müssen. Diese weltlichen Territorien Frankens entwickelten sich bildungspolitisch im Einflußfeld der Kurländer Brandenburg und Sachsen, des Fürstbistums Würzburg und des Landesstaates Württemberg. Es ist symptomatisch für den kulturellen Ehrgeiz der rivalisierenden Herrschaftsträger, daß es den politisch führenden Kräften - den Hochstiften Augsburg, Würzbürg, Bamberg, den Reichsstädten Augsburg, Nürnberg und Schweinfurt sowie den Markgrafen von Ansbach-Bayreuth - gelang, sich jeweils mit eigengeprägten Wissenschaftsinstitutionen aktiv in die deutsche Bildungspolitik einzugliedem.

Zur politischen Zersplitterung kommt die konfessionelle. Während in Altbayem die Reformation kaum Fuß faßte, öf&ieten sich in Schwaben und vor allem in Franken die weltlichen Reichsstände, voran die freien Reichsstädte und die Markgrafen von Brandenburg, früh und nachhaltig der neuen Lehre. Nachdem die Ansätze zur humanistischen Reform der deutschen Universitäten im Ansturm des politisch-religiösen Umbruchs vorübergehend steckengeblieben waren, hat die Epoche von Reformation und Gegenreformation in beiden Konfessionsbereichen die Entfaltung des gesamten Bildungswesens entscheidend vorangetrieben, teilweise neue schulische Formen geschaffen und in manchen Landschaften, wie in Schwaben und Franken, die Begründung akademischer Institutionen überhaupt erst angeregt. Die Neuordnung des protestantischen Schul- und Hochschulwesens nahm ihren Ausgang von den Sendschreiben der Reformatoren,1 so schon von Luthers Appell «An den christlichen Adel teutscher Nation» von 1520. In den harten Verdikten über den herkömmlichen scholastischen Lehrbetrieb und über die Vorherrschaft des «Heiden» Aristoteles trafen sich die Reformatoren kurzfristig mit den Humanisten und ihrem Patriotismus gegen das kirchliche Romanentum im Tenor der «Dunkelmännerbriefe», obwohl die Motive grundverschiedener Provenienz waren. Darüber hinaus aber entwickelte die reformatorische Publizistik zugleich ein neues BildungsProgramm, welches die Reform der Universitäten, die Errichtung von Knaben- und Mädchenschulen und die soziale Ausbildungshilfe für Arme den Obrigkeiten als moralische Pflicht, den Schulbesuch allen Volkskreisen als Gewissensgebot geradezu beschwörend einhämmerte. Die verfassungsrechtliche Grundlage gab der Speyerer Reichsabschied von 1526, indem er die Entscheidung über die Religionsfrage provisorisch in den Ermessenbereich der Reichsstände legte und damit die Weichen stellte 1 F. Paulsen, Gesch. d. gelehrten Unterrichts an d. deutschen Schulen u. Universitäten v. Ausgang d. MA bis z. Gegenwart, hg. v. R. Lehmann, 2 Bde., 1919/211, hier 1179387‫;־‬Th. Muthbb, Aus d. Universitäts- u. Gelehrtenleben im Zeitalter d. Reformation, 1866;

G. MEBTZ.Das Schulwesen d. deutschen Reformadon im 16. Jh., 1902; G. Kaufmann, Luther u. d. Reform d. deutschen Universitäten (Deutsche Revue üb. d. ges. nationale Leben d. Gegenwart 47) 1922.

§ 73· Grundlagen (L. Boehm)

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für den Aufbau des evangelischen Landeskirchen- und Schulregiments, das dann im Augsburger Religionsfrieden 1555 die definitive reichsrechtliche Legitimation erhielt. Namentlich unter der Wirksamkeit Philipp Melanchthons (j1560 ‫)־‬, des «praeceptor Germaniae»,1 erfuhr das höhere Schulwesen nach dem Leitbild der Wittenberger und Tübinger Universitätsreform sowie der ersten protestantischen Neugründung Marbürg (1527) eine umfassende organisatorische Reform, deren Grundzüge zum Verständnis des Folgenden hier nur kurz umrissen seien. 1. Wichtigste Grundlage für die Gestaltung des Verhältnisses von Universität und Staat bildete die landesherrliche Kirchenhoheit. War die Kirchenhoheit der weltlichen Reichsstände schon mit der spätmittelalterlichen Umbildung des Eigerikirchenwesens zum Patronat (Präsentationsrecht auf kirchliche Pfründen1 2) und durch den Ausgang der Reformkonzilien (Fürstenkonkordate) erheblich gesteigert worden, so erlebte sie nun ihre Vollendung durch das ius reformandi und den faktischen Übergang des ius episcopale auf die Landesgewalt. Seit dem Speyerer Reichstag 1526 wurde das Erziehungswesen insgesamt bis in Details der Lehrpläne hinein von den obrigkeitlich erlassenen Kirchen- und Schulordnungen geregelt3 und von den landesherrlichen bzw. -kirchliehen Visitationen überwacht. Richtungweisend im fränkischen Raum wurde die gemeinsam von Nürnberg und Brandenburg-Ansbach verfügte Kirchenordnung von 1533. Meist ausgearbeitet von eigens dazu berufenen Theologen und Juristen, haben diese Normen maßgeblich zur Territorialisierung und Konfessionalisierung der Schulen einschließlich der Hochschulen beigetragen, verstärkt seit dem späteren sechzehnten Jahrhundert, als im Zuge der Dogmatisierung der kirchlichen Lehre die Universitäten bzw. ihre Professoren und Promovenden ebenso wie Pfarrer, Lehrer und Beamte sich auf die regional geltende Bekenntnisgrundlage eidlich verpflichten mußten. Kirchenordnungen und Konkordienformeln (Konkordienbuch)4*hatten für 1 K. Hartfelder, Philipp Melanchthon als Praeceptor Germaniae (Mon. Germ. Paed. VII) 1889, Neudr. 1920; ergänzend F. Cohrs, Philipp Melanchthon, Deutschlands Lehrer (Sehr, d. V. f. Reformationsgesch. 14, H. 55) 1897; zur neueren Melanchthon-Forschung vgl. A. Sperl, Μ. zw. Humanismus u. Reformation, 1939, 200 ff. sowie G. Kisch, Melanchthons Rechts- u. Soziallehre, 1967, bes. 19 ff. 2 Die wachsende Universitätshoheit der Landesherren als Folge monarchischer Staatskonzentration spiegelt sich primär wider in wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur SchulUnterhaltung und -Verwaltung, wie z. B. Stifts-Inkorporationen, Kollegienstiftungen und Präsentation auf einträgliche Pfründen bzw. Kanonikate zur Professorenbesoldung, später auch Säkularisierung von Kirchengütem. Eine grundsätzliche Arbeit über die Zusammenhänge von Kirchenhoheit und Universitätsgeschichte in Spätmittelalter u. früher Neuzeit ist mir nicht bekannt. Vgl. etwa K. Pleyer, Die Vermögens- u. Personalverwal-

tung d. deutschen Universitäten, 1955; zu einem Sonderaspekt H. Demblius, Beitrr. z. Haushaltsgesch. d. Univ. Wien (Beitrr. z. Gesch. d. Univ. Wien 1) 1965. 3 Allg.: Simon; £. Sehling, Gesch. d. protestant. Kirchenverfassung, 19142* ; Die ev. KO d. id.Jhs., hg. v. £. Sehling, 5 Bde., 1902/13, jetzt fortg. v. Inst. f. ev. KR Göttingen 1965 ff. Ev. KO, hg. v. E. Vormbaum, 1:16. Jh., 1860; E. W. Zeeden, Kath. Überlieferung in den ev. KO d. 16. Jhs., 1959; Mertz (s. o. 646 Anm. 1) 161 ff., 457 ff. - Speziell: H. Westermayer, Die Brandenburg-Nümbergische Kirchenvisitation u. KO 1528 bis 1333, 1894; Schornbäum, Aktenstücke (s. o. 193); (weitere Lit. DW« 9434)· 4 Vgl. hist. Einleitung von Th. Kolde in: Symbolische Bücher d. ev.-luth. Kirche, 193ο12; zu Franken: W. F. Schmidt, Die fränk. Bekenntnisse, 1930; K. Schornbaum, Die brandenburg-nümbergische norma doctrinae 1373 (ARG 19f.) 1922f.; DW< * 10129, 10130; SCHOTTBNLOHBR.

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Franken: E. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung

den Aufbau der evangelischen Kirchen- und Schulverwaltung ähnliches Gewicht, wie im katholischen Raum die Tridentinischen Reformdekrete. 2. Von grundlegender wirtschaftlicher Bedeutung, auch als Anreiz für neue Stiftungen, wurde die Verwendung säkularisierter Kirchengüterfür Schulzwecke. Bereits auf dem Augsburger Reichstag von 1525/26 erstellte der Berater des Markgrafen vonBrandenburg, Johann Freiherr von Schwarzenberg, ein Gutachten mit der Empfehlung, in jedem Reichskreis hohe Schulen zu errichten, d. h. die Kirchengüterfrage und die Universitätsfrage reichsgesetzlich gemeinsam zu lösen.1 Auf Reichsebene damals zwar noch undurchführbar, fand der Vorschlag auf territorialer Ebene, nicht nur im Markgrafenland, Widerhall. 3. Eine verbreitete Erscheinung neuen Typs wurden die akademischen Gymnasien * (Gymnasium illustre, academicum) oder Lektorien, die teils als selbständige, teils an Trivial- oder Lateinschulen anschließend als «Gelehrtenschulen» mit aufgestocktem «auditorium publicum» (z. B. St. Anna Augsburg) in der Regel ohne Promotionsrecht auf das Universitätsstudium vorbereiteten und zuweilen selbst zu «Akademien» mit Promotionsrecht für den magister artium oder auch zu Volluniversitäten aufstiegen, repräsentativ das Ägidien-Gymnasium Nürnberg-Altdorf (vgl. § 76), ähnlieh wie auf katholischer Seite manche tridentinischen Seminare und Jesuitenkollegien (vgl. HB II, § 133). Vorbildhaft geprägt von den sächsischen Fürstenschulen, wirkte diese über das übliche Niveau der Partikularschulen hinausweisende Institution kräftig in den fränkischen Raum hinein, wo die Gymnasien wiederholt als Ansatzpunkte für die markgräfliche Hochschulpolitik dienten, allenfalls als neue geistige Zentren in regem geistigem Austausch mit den Universitäten standen. 4. Die Initiativen von Reformatoren und Landesherren für die Bereitstellung öffentlicher Mittel zur Schulverbesserung fanden auch Niederschlag in der Errichtung von Stipendien zum Unterhalt armer Studierender sowie in der Gründung von Pädagogien, Stiften, Konvikten, Alumnaten (vgl. Heilsbronn § 76) zur sprachlichhumanistischen Vorbereitung auf die höheren Studien, in Universitätsstädten meist organisatorisch verbunden mit der Hochschule. Ähnlich wie in den Jesuitenkollegien auf katholischer Seite erlebte hierin das spätmittelalterliche Klosterschul- und Bursenwesen eine zukunftsbeständige Neubelebung. Von modellhafter Strahlkraft für den gesamtdeutschen Raum wurden vor allem das Tübinger Stift (1536) und später die Francke’schen Stiftungen von Halle (1695). (Vgl. Erlangen § 76.) 5. Die Reformierung der Lehrpläne an den Gymnasien und Universitäten betraf primär eine Ersetzung der scholastischen Fächer und Methoden durch das Studium der Bibelwissenschaft sowie ihrer philologischen und historischen Hilfsdisziplinen (unter Betonung von Latein, Griechisch, auch Hebräisch); weiterhin die Ablösung der Kanonistik durch das weltliche Recht bzw. Landesrecht, und nicht zuletzt auch den beginnenden Einbau von Realien, also insgesamt ein Bildungsprogramm aus humanistischer Tradition, wie es Melanchthon der reformatorischen Pädagogik nahe1 D. Köhler, Reformationspläne f. d. geistl. Fürstentümer bei den Schmalkaldenern. Ein Beitr. z. Ideengesch. d. Reformation, Diss.

Greifswald 1912, 26 ff.; Jordan-Bürckstümmer 87 f. 2 Paulsen (s. o. 646 Anm. 1) I, bes. 328 ff.

§ 73· Grundlagen (L. Boehm)

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legte,1 wenngleich mit prinzipiell anderer Zielsetzung, als bei den Humanisten; die Schule - jeglicher Stufe - sollte in erster Linie dem «gemeinen christlichen Nutzen» dienen, das heißt der reinen evangelischen Lehre und dem Konfessionsstaat. 6. Indem bei Errichtung protestantischer Generalstudien die päpstliche Privilegierung entfiel und die kaiserliche oft auf sich warten ließ,123 erfuhr das Territorialitätsprinzip weitere Stärkung. Die bisherige Stellung des Universitätskanzlers als Aufsicht»organ der universalkirchlichen Gewalt (meist der zuständigen Diözesanbischof oder Stiftspropst) bei der Lizenzerteilung wandelte die Rechtsgrundlage. Die Generation Luthers und Melanchthons hat die Frage lebhaft diskutiert, ob es zur Promotion der Autorität des Kanzlers bedürfe; und sie wurde gutachtlich sowie hier und dort in der Praxis verneint.3 Die Tradition setzte sich dennoch durch; wo die Kanzler hinfort als landesherrliche Beamte die Lizenz verliehen, taten sie es theoretisch weiterhin als Vertreter der (kaiserlichen) Universalgewalt; die Grade behielten nominell die alte universale Geltung trotz faktischer Begrenzung auf den Landesstaat. Im achtzehnten Jahrhundert erlebte das Kanzleramt generell eine schöpferische Erneuerung;4 als halb staatliches, halb akademisches Kuratoramt mit verschiedenen Bezeichnungen (Direktor in Ingolstadt, Kanzler in Erlangen, Kurator in Göttingen) wurde es zur Plattform kameralistischer Universitätsverwaltung (vgl. Erlangen § 76). Im katholischen Deutschland setzte die Hochschulpolitik im Zeichen der Gegenreformation in den späten vierziger Jahren unter dem Pontifikat Pauls III. (j■ 1549) ein: in Altbayern initiiert vom Herzoghaus und der Universität Ingolstadt; im schwäbischen Raum eingeleitet durch den Augsburger Fürstbischof und die Universität Dillingen, erste gegenreformatorische Universitätsgründung in Deutschland; und in der Kirchenprovinz Mainz seit 1580 auf den Höhepunkt geführt vom fränkischen Hochstift Würzburg als zweitem großem Kraftfeld für die katholische Reform Süddeutschlands neben der Erzdiözese Salzburg (vgl. HB II § 133, dort auch zu Eichstätt). Die intensive und extensive Reorganisation des Schul- und Hochschulwesens - teils in analogen Organisationsformen, aber insgesamt von geschlossenerem Charakter als in den teilweise durch Lehrkontroversen gespaltenen protestantischen Territorien - erhielt ihre einheitliche Stoßkraft durch das Zusammenwirken der Tridentinischen Beschlüsse mit der Jesuitenpädagogik. 1. Nachdem das Konzil von Trient schon während der ersten Tagungsperiode 1546 in der Tradition früherer Konzilsbeschlüsse sich mit der Verbesserung des Unterrichts für den Klerikemachwuchs durch Errichtung theologischer Lektorate an den Käthedral- und Kollegiatskirchen befaßt hatte, wurde auf der 23. Sitzung Juli 1563 das 1 Vgl. o. 647 Anm. 1; dazu auch P. PeterGesch. d. aristotelischen Philosophie im Protestant. Deutschland, 1921, Neudr. 1964, bes. 118 ff. 2 Exemplarisch dafür die Universität Marbürg: gegründet 1527 als unmittelbare Folge des Speyerer Reichstags u. der Hornberger Synode 1526 allein aus landesherrlicher Machtvollkommenheit; man bemühte sich dennoch wegen des Promotionsrechts um kaiserl. Bestätisen,

gung, die 1531 verweigert, schließlich IJ41 gewährt wurde. Vgl. H. Hermelink, Die Univ. Marburg v. 1527 bis 1645, 1927, 16 ff.; Überblick bei Meyhöfer (s. o. 644 Anm. 1) Tabelle 411-413. 3 Hartfeldbr (s. o. 647 Anm. 1) 454 ff. 4 L. Boehm, Cancellarius universitatis. Die Universität zw. Korporation u. Staatsanstalt (Chronik d. Ludwig-Maximilians-Univ. München 1964/5) 1966, 186-204.

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Franken: E. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung

berühmte «Seminardekret» verabschiedet,1 welches alle Bischofskirchen verpflichtete, nach Maßgabe des Vermögens und des Umfangs der Diözese Seminare zur Erziehung des Priestemachwuchses einzurichten (vgl. auch HB II). Die kirchenrechtliche Sanktion dieser neuen schulischen Institution bedeutete nach Intention und Effekt keine exklusive Alternative zu den theologischen Fakultäten, sondern eine Ergänzung der bisherigen Ausbildungsmöglichkeiten.12 Indirekt hat sie sich auch auf die Vermehrung der Universitäten ausgewirkt, indem für manche Hochstifter die Seminargründung als Auftakt großzügiger Hochschulpolitik diente (vgl. Dillingen § 131, ‫־‬Würzburg § 74; dazu HB II § 133). Von folgenschwerster Bedeutung für die Konfessionalisierung der Territorien und ihrer Hohen Schulen wurde die 1564 durch päpstliche Bulle promulgierte Verordnung der professio fidei Tridentina als Voraussetzung für den Amtsantritt von Bischöfen, Äbten etc., seit 1568 bis ins achtzehnte Jahrhundert an allen katholischen Universitäten als Vorbedingung für Promotion und Berufung gefordert. 2. Die Auswirkung der Tridentinischen Dekrete auf die Hochschulentwicklung versteht sich vor allem aus der pädagogischen Aktivität des Jesuitenordens, der für gute zwei Jahrhunderte im Unterrichtswesen vor den älteren Schulorden dominierte als Bannerträger tridentinischen Geistes. Man darf die Ratio studiorum, die in ihrer bis 1599 definitiv ausgearbeiteten Redaktion für alle von der Societas Jesu geleiteten Studienkollegien und Fakultäten als verbindliche Norm galt, als erstes großes pädagogisches System im neuzeitlichen Europa ansprechen.3 Abgesehen von der wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung des Ordens für die Wiederbelebung des Thomismus im Gewände der spanischen Spätscholastik des Franz von Suarez (j1619 ‫ )־‬hat die Jesuitenpädagogik die Struktur des höheren Schulwesens entscheidend bestimmt. Denn nahezu alle (geistlichen wie weltlichen) katholischen Landesherren, zuerst im süddeutschen Raum, erbaten vom Papst bzw. vom Orden die Abordnung von Patres zur Durchführung der religiös-kirchlichen Reform durch Gründung von Niederlassungen und durch Berufung an die bestehenden Universitäten (s. u. § 74). Bis zum Ende des Sechzehntenjahrhunderts besetzten die Jesuiten an den meisten katholischen Universitäten die Theologischen und auch die Artistenfakultäten. Die Kooperation von Landesgewalt und Orden in der Weise, daß der Landesherr die wirtschaftliche Fundation der Jesuitenkollegien gewährleistete, intensivierte indirekt das Verhältnis von Schule und Staat, wenngleich der Orden die von ihm betreuten Institutionen sozusagen mediatisierte (vgl. bes. Dillingen § 131). Von schwerwiegender Konsequenz für die or1 H. Tüchle, Das Seminardekret d. Trienter Konzils u. d. Formen seiner geschichtl. Verwirklichung (ThQ 144) 1964, 12-30. 2 S. Merkle, Das Konzil v. Trient u. d. Universitäten, Festrede 1905 (jetzt: Sebastian Merkle. Ausgew. Reden u. Aufsätze, hg. v. Th. Freudenberger, 1965, 244-270); F. Heiner, Theolog. Fakultäten u. tridentinische Seminarien, 1900 u. 1901. 3 G. Μ. Pachtler, Ratio studiorum (Mon. Germ. Paed. DC) 1890, 141 ff. Neue Edition

der Quellen z. Jesuitenpädagogik wird vorbereitet von L. Lukacs, Mon. Paed. Soc. Jesu, bisher I (1340-1556) 1965; zur Bedeutung immer noch B. Duhr, Die Studienordnung d. Gesellschaft Jesu (Bibi. d. kath. Pädagogik) 1896 (Einl.); zur geistesgeschichtl. Seite: K. Eschweiler, Die Philosophie d. span. SpätScholastik auf den deutschen Universitäten d. 17. Jhs. (Span. Forsch, d. Görres-Ges. 1) 1928, 325; 151weitere Lit. Bihlmeyer-Tuchle $ 173·

§ 73· Grundlagen (L. Boehm)

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ganisatorische Entwicklung des hohen Schulwesens wurden vor allem drei Faktoren. a) Die Erneuerung des Kollegienprinzips gemäß dem modus Parisiensis im Unterschied zum freien Vorlesungsbetrieb des modus Italicus schuf einen neuen Typ des Gymnasiums als Internat oder Seminar und prägte zugleich einen neuen Typ der Hochschule; beide rückten als historische Parallelphänomene neben die evangelisehen Gelehrtenschulen und Pädagogien. Nach dem Modell der beiden erst-realisierten, noch von Ignatius von Loyola selbst 1551/52 in Rom begründeten «Normalschulen» der Jesuiten1 - des Collegium Romanum, das 1556 mit zwei Fakultäten zur Universität erhoben wurde (die spätere Gregoriana), und des Collegium Germanicum - verband das Unterrichtssystem des Ordens das Prinzip der Einheit von optimal-religiöser Erziehung und Ausbildung mit dem Prinzip der Stufung des Studienganges vom Gymnasium zum wissenschaftlichen Studium. Die Vorbildung in den propädeutischen Disziplinen der Artes («Humaniora» und artes naturales) erfolgte bereits im Knabenseminar oder Konvikt des Gymnasiums, worauf das philosophischtheologische Studium im Kolleg oder an der Universität aufbaute. b) Diese Dreigliedrigkeit des Studienaufbaues wurde an allen von Jesuiten begründeten oder übernommenen Studienanstalten durchgeführt. Die Folge war einerseits, daß an jenen Universitäten, wo Jesuiten einzogen, die Artistenfakultäten in enge Verbindüng traten mit dem örtlichen Jesuitenkolleg und -gymnasium, so daß die institutionelle Grenze zwischen Gymnasium und Fakultät verwischte; diese Tatsache trug mancherorts bei zu den Konflikten zwischen Orden und Universitätskorporation und hat zum Teil auch die Fortentwicklung der Artistenfakultät zur Philosophischen Fakultät im modernen Sinne gefördert2 (vgl. Dillingen und Würzburg sowie Ingolstadt). Andererseits konnten gemäß dem Vorbild der Gregoriana auch Jesuitenkollegien selbst zur Ausgangsbasis für Universitäten werden: mit dem Zwei-Fakultäten-System bildeten sie einen neuartigen Hochschultyp aus, dessen äußere Erscheinungsform eine Entsprechung in den teilprivilegierten protestantischen «Akademien» hatte (vgl. Altdort § 76) und in den Philosophisch-Theologischen Hochschulen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts fortlebt. (Vgl. HB IV). c) Die pädagogischen Grundsätze des Ordens haben die Lehrverfassung und -mcthode nachhaltig geprägt. Ausgerichtet auf uniformitas disciplinae und soliditas doctrinae in der Vermittlung des gesicherten philosophisch-theologischen ErkenntnisStandes, während die juristischen und medizinischen Disziplinen außerhalb und die humanistischen Fächer unterhalb der wissenschaftlichen Schwerpunkte lagen, hat die Jesuitenpädagogik zwar weder freie forscherliche Erudition ausgeschlossen noch war sie so grundsätzlich Humanismus-feindlich wie manche Kritiker wollten - auch das 1 R. G. V1LLOSLADA, Storia del Collegio Romano (1551-1773), !954; G. E. Gaus, Saint Ignatius* Idea of a Jesuit University, Milwaukee, 1954; J- Schröteler, Die Erziehung in d. Jesuitenintematen d. 16. Jhs., 1940; Duhr I; aufschlußreich ein Vergleich mit der Kolleg-

Ordnung Calvins für Genf: H. Pixberg, Der deutsche Kalvinismus u. d. Pädagogik, 1952. 2 Vgl. die Bemerkungen bei H. Dickerhof, Universitätsreform u. Wissenschaftsauffassung. Der Plan einer Geschichtsprofessur in IngolStadt 1624 (HJb. 88) 1968, bes. 333 f.

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Franken: E. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung

Jesuitenschultheater der Barockzeit1 hatte eine Wurzel in der humanistischen Ethikund Poetik-Tradition -,jedoch hat sie dem praktischen Unterricht auf die Dauer eine gewisse unelastische Einförmigkeit verliehen: darin beruhten Strahlkraft und Grenzen des Systems. Die Wortführer der antijesuitischen Hochschulreform der Aufklärung * knüpften teilweise an ähnlichen Problemen der Lehrmethode wieder an, wie einst die Humanisten und Reformatoren in Verurteilung des scholastischen Traditionalismus und die Jesuiten etwa in Verwerfung des Vorlesungsdiktats mittelalterlicher Manier.123 Das Verhältnis von Stoffvermittlung, Disputation und individueller Erudition hat alle Reformbewegungen erneut erregt. Das katholische und protestantische Hochschul- und Gelehrtenschulwesen des konfessionellen Zeitalters hat also in unterschiedlicher Weise die humanistische Universitätsreform aufgegriffen und modifiziert, wobei sich beiderseits die konfessionell geprägte Landesuniversität ausbildete. Diese hat bis ins achtzehnte Jahrhundert vorgeherrscht, um dann durch Statutenreformen und Neugründungen mit gewandelten Idealen abgelöst zu werden (vgl. Würzburg-Bamberg § 74, Erlangen § 76). Ein spezifisches Symptom der heraufziehenden Aufklärung zeigte sich wiederum in der Entstehung neuer akademischer Institutionen: 1. den Forschungsakademien als Alternative zur Universitäts-Lehranstalt (vgl. Schweinfurt § 75), 2. den Anfängen des technischen Unterrichtswesens (vgl. Würzburg, Bamberg; Augsburg § 131), 3. den Ritterakademien (vgl. Erlangen § 76); letztere, gleichgültig ob im evangelischen oder katholischen Bereich, ob von Benediktinern (vgl. Ettal HB II, §131) oder von Jesuiten geführt (z. B. Theresianum in Wien),4 haben unter Belebung des alten Intematsprinzips und als Ausdruck des neuen, französisch beeinflußten aristokratischen Gesellschaftsideals den humanistischen Unterricht zurückgedrängt zugunsten der Realien und der neuen Sprachen.’ Der fränkisch-schwäbische Raum hat infolge seiner staatlich-konfessionellen Heterogenität die Erscheinungsform von Hochschulen und Akademien qualitativ und quantitativ wesentlich bereichert. Grundpfeiler der gesamtbayerischen Hochschullandschaft blieben seit der Neuordnung im neunzehnten Jahrhundert die altbayerische Landesuniversität neben den zwei fränkischen Universitäten Würzburg und Erlangen (darin aufgegangen Altdorf), die Königlich-bayerischen Lyceen als Wurzel der Philosophisch-Theologischen Hochschulen, die Bayerische Akademie der Wissenschaften und die Deutsche Akademie der Naturforscher «Leopoldina» von Schweinfurt (seit 1878 Halle), die Münchener und die Nürnberger Akademie der Bildenden Künste. 1J. Müller, Das Jesuitendrama in d. Ländern deutscher Zunge vom Anfang (1555) bis z. Hochbarock (1665) (Sehr. z. deutschen Lit. 7) 2 Bde., 1930. 2 R. van Dülmen, Antijesuitismus u. kath. Aufklärung in Deutschland (HJb. 89) 1969, 52-80. 3 Paulsen (s. o. 646 Anm. 1) I 430 f. 4 Th. Cicalek, Beitr. z. Gesch. d. Theresianums (Jahres-Ber. üb. d. Gymnasium der k.k. Theresian. Akad. in Wien f. d. Schuljahr 1871

bis 72) 1872, 11-70, auch zur Vorgeschichte; aufschlußreich wegen der Ablösung der evangel. Landschaftsschule durch kath. SJ-Gymnasium: A. Marks, Adelige Standeserziehung in Linz 1612-1750 (Jb. d. Stadt Linz 1954) 1955, 337‫־‬392· ’ H. Maier, Die klass. Philologie u. d. Politische (Gymnasium 76, H. 3) 1969, 201-216; W. Aehle, Die Anfänge d. Unterrichts in d. engl. Sprache, bes. auf den Ritterakademien, 1938 (Urteile zeitgebunden). S. u. 672 Anm. 2.

§ 74· Hochschulinitiativen in Würzburg-Bamberg-Aschaffenburg (L. Boehm)

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In jüngster Zeit sind teils aus historischen Wurzeln die vierte (alt)bayerische LandesUniversität Regensburg, die Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Hochschule Augsburg, die Neugestaltung der Universität Erlangen-Nürnberg und Pläne für eine Universität Bayreuth erwachsen (vgl. Überblick HB II § 129).

5 74. HOCHSCHULINITIATIVEN IM KATHOLISCHEN FRANKEN

WÜRZBURG-BAMBERG-ASCHAFFENBURG

In Franken hat die Bildungspolitik der katholischen Reformation den alten selbstbewußten Geistesmetropolen Würzburg und Bamberg starke Impulse vermittelt. Die beiden Hochstifte verdankten es ihrer prononcierten Stellung in dem politisch-konfessionell zergliederten Raum sowie dem Weitblick ihrer hervorragenden Kirchenfürsten aus angesehenen Dynastien, daß die Bemühung um Durchführung des tridentinischen Schulprogramms zu Voll-Universitäten führten, die beide, vor allem aber Würzburg, über den engeren gegenreformatorischen Aufgabenbereich hinaus, ähnlieh wie Salzburg, in führende Positionen der katholischen Aufklärung hineinwuchsen.

a) Würzburg. Die Hochschulbestrcbungen reichen in Würzburg * noch in die erste deutsche Gründungsepoche zurück. Daß nach unsicherer Überlieferung schon Bischof Berthold von Sternberg (j1289 ‫ )־‬ein studium generale erwogen habe, das eine begrenzte Realisierung in der Zisterzienserabtei Ebrach fand, ist kennzeichnend für die günstigen bildungsgeschichtlichen Voraussetzungen im Bistum. Jedenfalls hat dann Bischof Johanni, von Egloffstein (j1411 ‫)־‬/ angeregt von den Vorbildern Heidelberg (1385), Köln (1388) und Erfurt (1392), in Fühlungsnahme mit König Ruprecht von der Pfalz im Sinne der römischen Obödienz-Politik das Projekt verwirklicht. 1402 bestätigte Papst Bonifaz IX. das studium generale Herbipolense gemäß den Privilegien der Schule von Bologna mit allen üblichen Fakultäten «tarn in theologice iuris canonici et civilis quam alia qualibet licita facultate».’ Die Höfe zum Großen Löwen, zum Katzenwicker und der Dechanteihof des Neumünsters standen für Beherbergung und Vorlcsungsbctricb zur Verfügung. Namhafte Professoren, u. a. der frühere Wiener Rektor Winand Ort von Stege, späterer kaiserlicher Sekretär, gaben der Gründüng Aufschwung. Jedoch mangelnde wirtschaftliche Fundierung, Unverständnis der Bürgerschaft, die Nachwehen des Städtekriegs, die finanzielle Mißwirtschaft des neuen Fürstbischofs hemmten den Fortbestand, so daß die Universität nach dem gewaltsamen Tod ihres dritten Rektors einging. Die Studenten aus Unterfranken zogen nun wieder hauptsächlich nach Erfurt. 1 Wegele; A. Chroust, Julius-MaximiliansUniversität Würzburg (Das Akad. Deutschland I) 1930, 413-424; J. Hasenfuss, JuliusMaximilians-Univ. Würzburg (Bücherreihe d. Länderdienstes) 19622; A. Schmidt, Zur Gesch. d. älteren Univ. Würzburg (WDGB11.11/12) 195θ> 85-102.

1 J. F. Abert, Aus d. Gesch. d. ersten Würzburger Univ, unter Bischof Johann v. EglofFstein (AU 63) 1923. ’ Wegele II (Urkundenbuch) nr. 2, 4 f.

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Franken: E. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung

Zvtat riß die organisatorische Tradition wieder ab bis auf einen Grundstock theologischer Studien.1 Aber die Erinnerung an jenes erste studium generale und die Mahnung seines Versagens standen Pate bei der zweiten dauerhaften Stiftung. Eigentlicher Gründer der Universität Würzburg wurde Julius Echter von Mespelbrunn (·(■ 1617),12*eine theologisch-juristisch wie auch organisatorisch hochbegabte Herrschematur großen Formats. Zu den Eckpfeilern seiner weitgreifenden Neuordnungsplane im Hochstift machte er die Reform des Bildungs- und Medizinalwesens durch Errichtung der Universität und des Julius-Spitals, die beide als Zentren des Aufstiegs der fränkischen Metropole bis heute seinen Namen tragen. Seit Regierungsantritt 1573 arbeitete der 28jährige Fürstbischof mit Energie und in souveräner Überwindüng mancher Widerstände, auch seitens des Domkapitels, am wirtschaftlichen und rechtlichen Ausbau des von seinem Vorgänger Friedrich von Wirsberg 1561 gegründeten und 1567 den Jesuiten übertragenen Gymnasiums oder Pädagogiums,’ an dem der im Stift bepfründete Klerikemachwuchs obligatorisch die Ausbildung absolvieren mußte. Bereits 1575 erwirkte er die Privilegien von Papst Gregor XIII. (dem Förderer der Gregoriana in Rom, die nach ihm bis heute den Namen trägt) und Kaiser Maximilian II. für eine erneuerte «universitas studii generalis» mit allen Rechten und Fakultäten der Universitäten Heidelberg, Tübingen, Freiburg, Ingolstadt: «in artibus, philosophia, theologia, iuribus, physica et medicina.»4 Voraus gingen Verhandlungen mit der kaiserlichen Kanzlei, da Bischof Julius den Privilegienentwurf zu eng gefaßt fand und daher mit ausdrücklichem Bezug auf das Papstprivileg von 1402 das Promotionsrecht nicht nur für «Baccalaureos» und «Magistros», sondern auch von «Doctores» in allen Fakultäten forderte. 1582 erfolgte die feierliche Eröffnung mit Emennung der Dekane für die vier Fakultäten; die juristische und medizinische standen allerdings vorerst nur auf dem Papier. Der Fürstbischof ließ sich selbst zum Rektor wählen und bestellte den Dekan der Philosophen zum Prorektor. Auch wenn das Priesterseminar, das Kilianskolleg, mit den aufgestockten philosophisch-theologisehen Kursen in der Hand der Jesuiten die Basis bildete, so nahm die institutionelle Entwicklung doch einen grundsätzlich anderen Verlauf, als in Dillingen. Denn einerseits wies schon die Einplanungjuristischer und medizinischer Fächer über die Jesuitenanstalt hinaus, zum anderen sicherte der fürstbischöfliche Rektor sich und seinen Nachfolgern das maßgebliche Gewicht bei der Verfassungsordnung, die er autoritativer in der Hand behielt, als sein älterer Zeitgenosse Otto von Waldburg. Somit wuchs Würzburg zu einem individuellen Typ der Hochstiftsuniversität, der sich zwar geistcspolitisch auf tridentinische Grundlage stellte, der jedoch weder auf eine KollegAcademia gemäß den Konstitutionen der Gesellschaft Jesu beschränkt blieb noch 1 C. Braun, Gesch. d. Heranbildung d. Klerus i. d. Diözese Wirzburg seit ihrer Gründung b. z. Gegenwart, I 1889. 2 S. Merkle, Julius Echter u. seine Universitat, Festrede 1917; G. v. Pölnttz, Julius Echter; J. Ahlhaus, Die Finanzierung d. Univ. Würzbürg durch ihren Gründer Fürstbischof J. Echter v. Mespelbrunn (Aus d. Vergangenheit d.

Univ. Würzburg, Festschr. hg. v. Μ. Buchner) 1932, 9-41; Die Matrikel d. Univ. Würzbürg, hg. v. S. Merkle, 1922. ’ Wegele II nrr. 13 ff.; Braun (s. o. Anm. 1); Duhr I 120 fF.; II162 fF.; III 98 f. 4 Wegblb II nr. 43, 80 fF. Zu den vorhergehenden Verhandlungen nr. 41, 77 f.

§ 74■ Hochschulinitiativen in Würzburg-Bamberg-Aschaffenburg (L. Boehm)

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auch ähnlichen Verfassungskämpfen wie Ingolstadt Raum bot. Die bischöfliche Regierungsgewalt behielt trotz Zubilligung der korporativen Autonomie an die universitas magistrorum durch die ersten Statuten von 1587’ faktisch die leitende Einflußmacht. In der Grundstruktur vertritt Würzburg gleichwie die altbayerische Schwester den regulären deutschen Hochschultyp als Kanzleruniversität mit Rektorats- und Senatsverfassung und Fakultätssystem, ausgestattet mit den üblichen Immunitäten bezüglich der Selbstverwaltung unter landesherrlicher Aufsicht. Sie zeigt indes einige dem geistliehen Stiftungscharakter entsprechende Besonderheiten, die letztlich der kirchlichen Landeshoheit zugute kamen. So war z. B. die korporative Disziplinargewalt stark begrenzt durch die geistliche Gerichtsbarkeit, der die Kleriker durch die Immatrikulation nicht entzogen wurden.1 2 Da der jährlich gewählte Rektor traditionell unverheiratet sein sollte,3 die Satzungen aber anders als in Ingolstadt auch die Wahl einer außerhalb der Fakultäten stehenden Persönlichkeit vorsahen,4 wurde es ein bis zur Säkularisation geübter Brauch, den Rektor aus der höheren Diözesanhierarchie, dem Domkapitel oder den Kollegiatsstiften zu nehmen, wenn nicht der Bischof selbst das Ehrenamt wahmahm, wieder Gründungsrektor oder wie zweimal Johann Philipp von Schönbom. Nur das Prorektorat wurde in der Regel von Professoren bekleidet. Kanzler waren die Würzburger Dompröpste, denen damit die Erteilung der höheren Grade oblag. Dem Jesuitenorden unterstanden nur die beiden von ihm getragenen Fakultäten; der Rektor des Kollegs versah im ersten Jahrhundert regelmäßig das theologische Dekanat, auch wenn er nicht aktiver Professor (actu regens) war. Entsprechend dem frühneuzeitlichen Unterrichtssystem in Verbindung mit dem Anliegen des tridentinischen Reformprogramms blieb die philosophische Fakultät noch bis 1794 organisatorisch gekoppelt mit dem Gymnasium,5 in dessen letzten beiden Klassen schon der Magister artium erworben werden konnte. Erst nach der Trennung entwickelte sie sich endgültig zur Universitätsfakultät im modernen Sinne. Konnten die Vorlesungen zunächst nur in den beiden Jesuitenfakultäten aufgenommen werden, so ermöglichte Bischof Julius durch planvolle Erweiterung der ökonomischen Grundlagen, u. a. durch Stiftung von Kollegien, bald auch den zügigen Ausbau der weltlichen Disziplinen. Rasch florierte die juristische Fakultät, deren Studenten, um nicht mehr mit den Alumnen im Kilianskolleg Zusammenleben zu müssen, ein Collegium iuristarum mit eigener Vermögensverwaltung erhielten. Eine SonderStellung der Juristen läßt sich an manchen Universitäten, angefangen schon in Prag, verfolgen, was wohl nicht zuletzt mit der Erinnerung an die Bologneser und an die Adelsprestige-Tradition, aber auch mit der aktuellen Bedeutung der Jurisprudenz im Landesstaat zusammenhing.6 Beredtes Zeugnis für das Wachstum der Fakultät geben 1 Ebd. nr. 70, 147 ff. 2 Außer Wecele I, Braun (s. o. 654 Anm. 1): Hasenfuss (s. o. 653 Anm. 1), H. Maack, Grundlagen d. studentischen Disziplinarrechts (Beitrr. z. Freiburger Wissenschafts- u. Universitätsgesch. 10) 1956. 3 So schon in Bologna und wohl durch Sta-

tuteneinfluß in Prag: clericus non coniugatus nec professus; Kaufmann (s. o. 644 Anm. 2) II 46 f. 4 Vgl. Statuten von 1587 bei Wecele II nr. 70, 154 ff. 5 Vgl. Dickerhof (s. o. 651 Anm. 2). 6 In Bologna und in Spanien (Kastilien, Ge-

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die noch zu Lebzeiten des Stifters angefertigten über 100 Dissertationen. 1587 waren auch die Statuten der medizinischen Fakultät erlassen,1 doch erst 1593 konnten zwei Lehrkanzeln besetzt werden. Als günstig sowohl für den personellen Bereich als auch für den Unterricht erwies sich die institutionelle Verbindung mit dem 1580 eingeweihten Julius-Spital, zumal von Anfang an auf die praktische Ausbildung in anatomischen Demonstrationen und botanischen Exkursionen Gewicht gelegt wurde (1610 Anlage eines Kräutergartens). Schon der erste Vertreter der praktischen Medizin und seither stets ein Professor der inneren Medizin wirkte gleichzeitig als Spitalarzt. Das Spital wuchs trotz mannigfacher, namentlich organisatorisch bedingter Spannungen allmählich zum bedeutendsten Attribut der Fakultät heran (erst 1921 wurden Spital und Fakultät getrennt): eine gute Basis für den Aufstieg der Würzburger Medizin, wie sie der Ingolstädter Universität erst in München im neunzehnten Jahrhundert durch die Nähe der Kliniken beschieden war. Julius Echters Gründung war so solide angelegt, daß die bald nach dessen Tod hereinbrechenden Nöte des Dreißigjährigen Krieges, die schwedische Eroberung Würzburgs 1631, die Auslieferung an das Haus Sachsen-Coburg (vgl. § 76) und der fünfjährige Stillstand des Studienbetriebs die Universität nicht ernstlich erschütterten. Die nach der Schlacht von Nördlingen 1634 zurückgewonnene bischöfliche Herrschäft wies die Alma Juha auf den Weg einer verfassungs- und wissenschaftsgeschichtlieh glückhaften Entwicklung, was nicht zuletzt dem Umstand zu danken war, daß die Nachfolger des Stifters kultivierte Mäzene jenseits von engherzigem Herrscheregoismus waren. Vor allem die drei Bischöfe aus der reichspolitisch so einflußreichen nassauischen Schönhorn-Dynastie,1 welche die Geschicke Würzburgs eng mit dem kurfürstlichen Erzstuhl von Mainz und den Traditionen des Erzkanzleramtes verkettete, prägten zukunftsbestimmend das Gesicht des Hochstifts: Der Leibniz-Freund Johann Philipp (1642-1673) sowie die Brüder Johann Philipp Franz (1719-1724) und Friedrich Karl (1729-1746), Neffen des Mainzer Kurfürsten Lothar Franz von Schönbom. Sie waren nicht nur Restauratoren des religiösen Lebens und Förderer der Kunst (der zweite Schönbom berief Balthasar Neumann zum Residenzbau), sondern die besonnene Verbindung von TraditionsVerantwortung und Reformoffenheit ermögUchte den Übergang vom Geist der Gegenreformation zur Aufklärung3 ohne Bruch als organische Entfaltung wissenschafdichen Fortschritts, so daß die Würzburger Hohe Schule neben der so anders gearteten Physiognomie der kurbayerischen LandesUniversität und konkurrierend mit Salzburg zum geistigen Vorort im katholischen setzbuch Alfons d. Weisen) bezeichneten sich die juristischen Doktoren seit den Universitätsanfängen als «domini», «seniores» im Unterschied zu den doctores oder magistri der anderen Fakultäten. - Zur Bedeutung des röm. Rechts für den Landesstaat generell P. Koschaker, Europa u. d. röm. Recht, 1947, sowie die hist. Darstellungen einzelner Universitäten. Z. Adelsstudium Müller (s. u. 677). 1 Wegele II nr. 72,191 ff.; dazu G. Sucker, Entwicklungsgesch. d. Medizinischen Fakultät

an d. Alma Julia (Festschr. hg. v. Μ. Buchner) 1932. 383-790. 2 Domabus. 3 R. Haass, Die geistige Haltung d. kath. Universitäten Deutschlands im 18. Jh. Ein Beitr. z. Gesch. d. Aufklärung, 1952; G. Schnürer, Kath. Kirche u. Kultur im 18.Jh., 1941; S. Merkle, Die kirchl. Aufklärung im kath. Deutschland, 1910; Ders., Würzburg im Zeitalter d. Aufklärung (AKG 11) 1913,166 bis 185.

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Deutschland aufrückte. Hier konnte seit 1731 ein Mann wie Johann Adam Ickstatt, der Schüler und Freund Christian Wolffs, als Natur- und Völkerrechtler die neuen Ideen vertreten, ohne, wie bald darauf als Direktor der Ingolstädter Universität, zum «Revolutionär» zu werden (vgl. Bd. II § 132). Diese Evolution wird in Würzburg vor allem in fünf organisatorisch wirksamen bildungspolitischen Tendenzen greifbar, die symptomatisch für die Universität der Aufklärungsepoche schlechthin sind. 1. Fundament aller Reformmaßnahmen war die damals allenthalben spürbare Steigerung der landesherrlichen Gewalt. Einerseits engte sie zwar die akademische Selbstverwaltung empfindlich ein. Wenn der Universität 1734 die «völlige Gerichtsbarkeit in bürgerlichen und peinlichen Sachen» zukommen sollte und «darinnen keine von Unseren (den geistlichen Regierungs-)Stellen und Gerichten den mindesten Eingriff thuen, sondern die omnimodo Iurisdictio civilis et criminalis» der Schule «allein solle verstattet werden»,1 ihr also exemte Stellung zugebilligt wurde, wie sie z. B. Ingolstadt nicht besaß, so stärkte das doch nur scheinbar die korporative Autonomie, während faktisch der Landesherr damit nur um so nachdrücklicher als Urheber das Recht jeweiliger Vorentscheidung betonte. Er übte selbstverständlich das Recht, Privilegien und Statuten je nach Befinden zu mehren oder zu mindern. 1749 mußte die Schule einen tiefen Eingriff in ihre Disziplinargewalt hinnehmen, als zur wirksameren Überwachung ein Universitäts-Fiskal als fürstbischöflicher Beamter ernannt wurde, dessen Amtsausübung keiner hinderlich entgegentreten durfte. Andererseits aber wurde für Würzburg, solange die Fürstbischöfe selbst Verkörperer eines vernünftigen Fortschritts waren, gerade dieser Verstaatlichungsprozeß eine Basis für wissenschaftliche und organisatorische Mobilität. 2. Weiterhin machte sich die Evolution der Aufklärung bemerkbar in der wachsenden Verselbständigung der Universität gegenüber den Kompetenzen der Societas Jesu, ohne deren Verdienste zu schmälern. Schon der erste Schönbom lockerte die Bindung der theologischen Fakultät an das Rektorat des Kollegs, indem das Dekanat fortan nur ein aktiver Professor bekleiden durfte. Die Leitung des 1654 wiederhergestellten Priesterseminars entzog er dem Orden zugunsten der Bartholomiten, also der von Bartholomäus Holzhäuser begründeten Vereinigung gemeinsam lebender Weltgeistlicher.1 2 Seit deren Beseitigung 1679 unterstand das Seminar freien Weltgeistlichen, und bald wurde es zum Hauptstützpunkt antijesuitischer Aufklärung in Würzburg. Wenngleich die Jesuiten weiterhin Theologie und Philosophie exklusiv versorgten, wodurch der an allen Jesuitenuniversitäten beklagte Lehrerwechsel so hervorragenden Gelehrten wie einem Athanasius Kircher3 oder einem Friedrich Spee nur kurze Tätigkeit am Ort vergönnte und wodurch andererseits das 1734 verfügte Prinzip der Fachprofessuren vorerst undurchführbar blieb, so bahnte sich doch all1 Wegele II nr. 143, 388 f. 2 Ebd. nr. ioj, 271 ff. u. nr. 107, 275 ff.; Braun (s. o. 654 Anm. 1); van Dülmen (s. o. 652 Anm. 2) 60 f., 70 f.; zur zeitgenössischen Beurteilung der Aufklärung in Würzburg Μ. 42 HdBG UI, i

Braubach, Die kath. Universitäten Deutschlands u. d. Franz. Revolution (HJb. 49) 1929, bes. 273. 3 Sarper (s. o. 632 Anm. 3); Kaul (ebd.).

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mählich auch in den Jesuitenfakultäten durch die Gleichstellung der nicht dem Orden zugehörigen Professoren ein Ausgleich der traditionellen und neuen Kräfte an. Einen Kulminationspunkt bildete das Jahr 1749: bei dem berühmten Hexenprozeß gegen Renate Sängerin, einem der jüngsten im bayerischen Raum1 (letzte Hexenhinrichtung in Kempten 1775), gaben zwar die noch im herkömmlichen Hexenwahn befangenen Gutachten den Ausschlag, jedoch gegen das sehr entschiedene, den Geist von Spees «Cautio criminalis» weiterführende Urteil des Juristen Johann Kaspar Barthel.12 Manehe Anstöße erhielten die antijesuitischen Tendenzen sowie überhaupt die damalige Würzburger Bildungspolitik auch durch die jüngste benachbarte Universitätsgründüng Fulda, wo der Fürstabt (Adolph von Dalberg), dessen geistliche Hoheit die Würzburger Bischöfe zäh anfochten, 1734 als Manifestation seiner exemten Stellung (1752 päpstlich bestätigt) die päpstlich und kaiserlich privilegierte Universität mit Benediktiner- und Jesuitenprofessoren eröffnet hatte; die dort direkte Auseinandersetzung zwischen beiden Schulorden verlieh der Fuldaer katholischen Aufklärung ihre eigene Note.3 3. Dem Abbau der dominierenden Stellung der Jesuiten lief parallel der Ausbau der realistischen, historischen und experimentellen Fächer und Methoden. Dem Staatliehen Bedarf an Beamten und Ärzten entsprechend kam dies primär dem juristischen und medizinischen Studium zugute und förderte die Naturwissenschaften innerhalb der alten Artistenfakultät, aber auch die philologisch-historischen Disziplinen. Die Studienordnung von 1734, welche die Universität ausdrücklich in eine neue Einrichtung bringen will, «wie es die gegenwärtige ... mercklich geänderte Umbstände und dermalige Läuffden der Zeiten . . . erfordern»,4 und die Verbesserungen von 1749 haben mit ihrem Fortschrittswillen geradezu das Gewicht eines neuen Stiftungsdekrets. Sie enthalten u. a. eingehende Bestimmungen zur Benutzung der anatomischen, chirurgischen, botanischen Laboratorien, zur regelmäßigen Abhaltung von demonstrationes anatomicae und exercitia chirurgica; sie begründen den klinisehen Unterricht im Julius-Spital, neue Lehrstühle für Geographie (schon 1725 mit Algebra und Analysis), Experimentalchemie und -physik, denen 1757 das Observatorium auf dem Neubauturm folgt; sie machen das juristische Korrepetitorentum zur obligatorischen Institution und legen das Studium der Geschichte allen Fakultäten für ihre jeweiligen Disziplinen (Kirchen-, Rechts-, Medizingeschichte) nahe,5 nicht zuletzt angeregt durch den als Hof- und Universitätsbibliothekar angestellten LeibnizSchüler Johann Georg von Eckhard. Insonderheit die Medizin erfuhr seit Berufung des Karl Kaspar Siebold (s. o. 632) 1769 eine gründliche Umbildung. 1 Merzbacher, Hexenproz. (s. 435 (Anm. 8) 2 Zu Barthel s. u. 634; F. Merzbacher in NDB 1, 1953, 607 f.; H. Raab, Johann Kaspar Barthels Stellung i. d. Diskussion um die Concordata nationis Germaniae (Herbipolis JubiIans. Festschr.) 1952, 599 ff. 3 W. A. Mühl, Die Aufklärung an d. Univ. Fulda mit bes. Berücksichtigung der phil. u. jur. Fakultät (1734-1805), 1961. 4 Wegele Π nr. 143, 357.

5 Grundlegend immer noch E. C. Scheues, Gesch. u. Kirchengesch. an d. deutschen Universitäten, 1927; jetzt J. Engel, Die deutschen Universitäten u. d. Geschichtswiss. (HZ 189) 1959, 223 ff. Vgl. auch speziell S. Merkle, Die Vertretung d. Kirchengesch. in Würzburg bis z.Jahre 1879(Festschr.hg. v.M. Buchner) 1932, 214, 146und A. Bicelmair, Die Patrologie an d. Univ. Würzburg im Zeitalter d. Aufklärung (ebd.) 215-238.

§ 74■ Hochschulinitiativen in Würzburg-Bamberg-Aschaffenburg (L. Boehm)

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4. Exemplarischen Ausdruck fanden diese Reformbestrebungen schließlich in der Milderung des konfessionellen Charakters der Hochschule, ohne daß sie deshalb ihre kirchlich-restaurative Funktion aufgegeben hätte. Die Statuten von 1734 erlaubten bereits, daß Angehörige aller im Reich anerkannten Glaubensbekenntnisse in allen Fakultäten studieren und daß ihnen Attestate erteilt werden können, auch wenn die Promotion weiterhin den Eid aufs Tridentinum voraussetzte. Mit den Ansätzen einer mehr praktisch als dogmatisch orientierten konfessionellen Toleranz war im süddeutschen Raum allein Heidelberg vorangegangen, dort allerdings bedingt durch die Sondersituation mehrfachen Konfessionswechsels. Als nach dem Dreißigjährigen Krieg der kalvinistische Kurfürst Karl Ludwig die Neuordnung der Pfalz und der Universität vomahm, beschränkte er in den Statuten den Eid auf die konfessionellen Bücher auf die Theologische Fakultät.1 Einschneidender schon war, daß bei der katholischen Restauration unter dem Haus Pfalz-Neuburg paritätische Besetzung der theologischen Lehrstühle gewährt wurde.1 2 Für eine kontinuierlich katholische LandesUniversität wie Würzburg hingegen war es damals zweifellos noch ein kühnes Unterfangen, wenn Friedrich Karl von Schönbom den berühmten protestantischen Chirurgen Lorenz Heister durch großzügige Zugeständnisse, u. a. der freien Religionsausübung, zu gewinnen suchte; Heister aber blieb in Helmstedt.3 Die Promotionserlaubnis für Protestanten durch Modifikation des vorgeschriebenen Eides erwirkte dann Siebold zunächst für seine Fakultät. Bei der zweiten Säkularfeier 17824 - weniger exklusiv aufgezogen als das Ingolstädter Jubiläum von 1772 - bewegte sich die Alma Julia sichtbar auf dem Wege zu einer paritätischen Universität, wenngleich es noch Erstaunen erregte, daß Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal (1779-1795),’ der kongeniale Großneffe des Stifters, mit Erfolg auch die protestantischen Hohen Schulen einlud. Seine bildungspolitischen Initiativen, unterstützt vom damaligen Rektor und Würzburger Domkapitular, dem Mainzer Statthalter und späteren Fürstprimas Karl Theodor von Dalberg (vgl. Aschaffenburg), waren getragen von zielklarer, aber maßvoll aufgeklärter Haltung, wie sie sich in den Statuten von 1785 niedergeschlagen hat. 5. Diese Statuten machen den gesellschaftspolitischen Aspekt der Aufklärungsreform besonders deutlich. Welch deutliche Sprache spricht doch z. B. die Empfehlung, daß die Studierenden, «weil sie mehr als andere Anspruch auf Einsichten und 1 Statuten von 1672 bei A. Thorbecke, Statuten und Reformationen der Universität Heidelberg, 1891, 551-3, S. 250 f. 2 Kurpfälzische Religionsdeklaration von 1705, vgl. E. Winkelmann, Urkundenbuch der Universität Heidelberg, 2 Bde. 1886, hier I, nr. 259, S. 407. 3 Sticker (s. o. 656 Anm. 1) 494 f. 4 H. Raab, Der Bericht d. Mainzer Prof. Hettersdorf u. Frank über d. Würzburger Universitätsjubiläum (WDGB11. 16, 17) 1954/5, 380-387; zu Ingolstadt: Beschreibung d. dritten Jubel Feyer d. Churfürstl. Bajer. Universi42'

tat. .. □ach dem Heiligen, Gelehrten, u. Zierliehen (Univ.-Arch. München D X, 9). 3 Flurschütz, Verwaltung (s. o. 354), Diss. Würzburg 1943; jetzt: F. Koeppel, K. v. Dalbergs Wirken für d. Hochstift Würzburg unter Franz Ludwig v. Erthal (ZBLG 17) 1953/4, 253-298; A. Ruland, Franz Ludwigs, Fürstbischof zu Bamberg u. Würzburg Verordnungen u. Rescripte bezügl. d. Studiums d. Philosophie a. d. Univ. Würzburg, 1862; S. Merkle (AKG) 1913, 166 ff; Büttner (s. o. 637 Anm. I)■

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Aufklärung machen,... auf die übrigen Volksklassen wirken und deren Sitten nach den ihrigen stimmen», wozu auch gehöre, daß der Gelehrte sich von Jugend auf angewöhnen muß, «nicht lichtschey zu seyn, und frühzeitig zu lernen, mit Menschen umzugehen, unter welchen er einst eine ausgezeichnete Rolle spielen soll»; deshalb dürfen sie an allen «öffentlichen und Privatvergnügungen der besseren Welt» teilnehmen.1 Universität und Gelehrtenstand beginnen aus der ständischen Isolierung herauszutreten in die Welt gesellschafdicher Kommunikation, wofür die Residenzund Stadtatmosphäre fruchtbarerer Boden war, als die dem Studium zuträglichere Ruhe einer Kleinstadt wie Ingolstadt, Landshut12*oder Altdorf. In Würzburg wirkte unter Erthal übrigens «eine der eigenartigsten Gestalten der Aufklärungszeit»,2 Franz Oberthür, der sich unermüdlich für die allgemeine Volksbildung, für die praktischen Wissenszweige und für das Armenwesen einsetzte, der sich als Professor der Dogmatik auch nicht scheute, die Vereinigung der Konfessionen zumindest für den Kultus zu erwägen, ähnlich wie analoge Bestrebungen in Fulda, sowie mit persönlichem Bngagement für eine soziale Besserstellung der Juden und ihre Zulassung in den Bildungsanstalten einzutreten.4*Dieser Geist beginnender Toleranz und Liberalität im Sinne des Humanitätsideals der Aufklärung dokumentiert sich nicht zuletzt darin, daß Erthal die Einführung der Kant’schen Philosophie in Würzburg und Bamberg förderte, indem er 1792 den Philosophieprofessor P. Matemus Reuss OSB mit Reisestipendium zu Kant nach Königsberg schickte.9 Die «peregrinatio academica» gehört wesentlich mit zum Bild der aufgeklärten Universität. Inzwischen hatte die Hohe Schule unter Bischof Adam Friedrich von Seinsheim (1755-1779) mit der Aufhebung des Jesuitenordens 1773 bereits den ersten Akt jener Neuorganisation erfahren, deren zweite einschneidendere Phase dann 1803 die Säkularisation des Hochstifts einleitete. Indes hatten Würzburgs Landesherren mit ihrer elastisch vorausschauenden Universitätspolitik diese Umstellungen organisatorisch wie geistig so weit vorbereitet, daß diese ohne tiefere Erschütterung vor sich gehen konnten. Zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts war es daher keine Frage, ob im neuen Staat Bayern Würzburg oder Bamberg als fränkische Landesuniversität neben Erlangen und dem altbayerischen Landshut fortbestehen sollte. b) Bamberg.6 Seit Erhebung zum Bistum 1007 mit Würzburg rivalisierende kirchlichgeistige Kapitale Ostfrankens, trat Bamberg seit Errichtung eines Tridentinischen 1 Wegele II nr. 163, 436 f. 2 Zur Landshuter Periode der Ludwig-Maximilians-Universität noch unüberholt Ph. Funk, Von d. Aufklärung z. Romantik, 1925. Die Diskussion um die Univ.-Translokation seit ca. 1740 in Ingolstadt berührt wesentlich auch die Frage des Stadtcharakters. 2 Bigblmair (s. o. 6j8 Anm. 5) 219; vgl. bes. Volk (s. o. 636 Anm. 2). 4 A. Lindig, Franz Oberthür als Menschenfreund. Ein Kapitel aus d. kath. Aufklärung in Würzburg (Qu. u. Beitrr., hg. v. O. Volk)

1966, bes. 37 ff.; Ders. (s. o. 636 Anm. 2); D. Weges, Die Juden im Hochstift Würzburg während d. 17. u. 18. Jhs., Diss. Masch. Würzbürg 1923; G. Richter, Ein «Fuldaer Plan» z. Wiedervereinigung d. christl. Konfessionen in Deutschland (Fuldaer Geschichtsbll. 10) 1911. Eine Diss. zur Stellung der Juden an. d. Univ. Ingolstadt-Landshut-München ist in Arbeit. 9 Mötsch (s. o. 634 Anm. 1). 6 Weber; W. Hess, Gesch. d. k. Lyceums Bamberg, 1903; Die Matrikel d. Akad. u. Univ. Bamberg, hg. v. W. Hess, 2 Teile,

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Seminars 1586 durch Bischof Emst von Mengersdotfbild als höhere Studienstätte in ernsthafte Konkurrenz zu Würzburg, obwohl - oder gerade weil - das Hochstift Bamberg wiederholt durch fürstbischöfliche Personalunion mit Würzburg verbunden war und dessen Geschicke in bildungspolitischer Hinsicht trotz aller Eigenständigkeit weitgehend teilte. So erstmals unter dem energievollen gegenreformatorischen Organisator Johann Gottfried von Aschhausen, der 1611/13 Studienkolleg und Klerikalseminar den Jesuiten übertrug;1 dann wieder unter Friedrich Karl von Schönbom, Adam Friedrich von Seinsheim und Franz Ludwig von Erthal, also unter jenen Landesherren, welche die Würzburger Reformen von 1734, 1773 und 1785 verfügten. Hatte das emestinische Kolleg schon von Anfang an insofern über die tridentinischen Ziele hinausgegrifFen, als die humanistischen Grundkurse allen Studierenden, nicht nur künftigen Theologen ofFenstanden, so gelang es Bischof Otto Melchior Veit von Salzburg 1648, im Jahr des Westfälischen Friedens, von Ferdinand ΠΙ. und Urban VIII. für die Schule die kaiserliche und päpstliche Privilegierung als «Academia» mit Promotionsrecht zu erlangen. Solange die Akademie nur aus zwei Fakultäten bestand, wurde die Verfassung ähnlieh wie in Dillingen ganz von der Societas Jesu bestimmt: der Orden stellte alle Professoren, den Rektor und den Kanzler, welch letztere Amtswalter zusammen mit den Dekanen und den zwei ältesten Theologieprofessoren eine Art akademischen Senat bildeten. Der Ausbau zur Universität wurde vorangetrieben durch Friedrich Karl von Schönbom, der gleichzeitig mit der Aktivierung des Würzburger Studienbetriebs in Bamberg 1735/45 die zwei weltlichen Fakultäten grundlegte durch Schaffung dreier juristischer Professuren, darunter einer für deutsches Strafrecht als eine der ersten ihrer Art auf deutschem Boden, sowie durch Berufung eines Mediziners, dem 1770 ein zweiter und ein Demonstrator für Anatomie folgten. Die juristische Fakultät, von Laien verwaltet, strebte naturgemäß bald eine Verfassungsänderung an, indem sie sich der Autorität des Jesuitenrektors und -kanzlers zu entziehen suchte unter Hinweis auf jene Hochschulen, wie Würzburg, wo beide Ämter von außerhalb des Lehrkörpers stehenden Persönlichkeiten wahrgenommen wurden. Der Bischof aber hielt diesbezüglich an der Stiftungsordnung fest, vielleicht auch, um den Eigencharakter Bambergs gegenüber der Würzburger Alma Mater zu wahren. So wurde für die Academia Ottoniana, obwohl sie bereits ein Studium generale mit den vier regulären Fakultäten war, doch erst mit der Neuorganisation von 1773 der Weg zur Universitätsverfassung frei. Das Kanzleramt ging nun über auf den Dompropst, der den Prokanzler aus der Weltgeistlichkeit bestellte. Der Rektor sollte zweijährlich turnusmäßig aus den Fakultäten gewählt werden. Zwischen dem Ende der Jesuitenregierung und der Säkularisation erlebte die Ottoniana Fridericiana eine glanzvolle, freilich allzukurze Blütezeit. Sie erfuhr systematischen Ausbau der Disziplinen wie in Würzburg. 1795 wurde sogar eine ursprünglich weitergehend geplante Lehrkanzel für die Kunst des Zeichnens in Verbindung mit Ingenieurwissenschaften geschafFen.2 1923/4; A. Scharnagl, Philosophisch-Theologische Hochschulen (Das Akad. Deutschland I) 1930, 683-685; Kist.

1 Duhr II 164 ff., 593 ff.; III 99 f.; s. u. 694. 2 Weber 306 ff.

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Einige Jahre später aber fiel die aufstrebende Universität der Säkularisation und der bayerischen Staatsneuordnung zum Opfer, um von nun an das Schicksal der übrigen bayerischen Lyceen zu teilen, ohne jedoch die Universitätspläne völlig aufzugeben. (Vgl. HB IV). c) Aschaffenburg. Eine ausgesprochene Übergangserscheinung zwischen der Hochschulepoche des alten Reiches und der staatlichen Neuordnung Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert war die kurzlebige Karls-Universität Aschaffenburg1: Ergebnis der traditionellen kurmainzisch-fränkischen Beziehungen und Produkt des politischen Schachspiels der Mächte um 1800. Sie war Verkörperung der zähen Bildungspolitik bewährten Stils des durch die napoleonische Ära im Mark getroffenen geistlichen Reichsfürstenstandes, Nachklang der ehrgeizigen Kulturverantwortung namentlich des Rhein-Main-Kirchenstaates unter den Dynastien der Erthals und Dalbergs. Als der Einmarsch der französischen Truppen 1792 dem linksrheinischen Teil des Mainzer Erzbistums und Kurfürstenstaates ein Ende setzte, war die alte Universität Mainz (gegründet 1477) gerade in eine höchst verheißungsvolle Reformperiode eingetreten unter der profilierten Mäzenatenpersönlichkeit Friedrich Karl von Erthal (j1802 ‫)־‬, dem Bruder des Würzburger Fürstbischofs Franz Ludwig.2 Die französische Besetzung von 1798 legte die Universität ohne förmliche Aufhebung lahm, die Professoren wurden ihres Gehalts entsetzt. Während die medizinische Fakultät sich auflöste, teils auch in der französisch verwalteten Mainzer icole speciale für Medizin noch bis 1817 eine wenig effektvolle Fortführung fristete, war es das Werk Karl Theodors von Dalberg, daß die übrigen Fakultäten Asyl in der zweiten erzbischöflichen Residenz Aschaffenburg fanden, wohin Erthal den kurfürstlichen Sitz zurückgezogen hatte. Dalberg, der schon in Würzburg sich tatkräftig für Universitätsbelange verwendet hatte (vgl. oben), seit 1802 Erzbischof von Mainz und Bischof von Worms, in der Umbruchszeit Fürstprimas des Rheinbundes, 1810 Großherzog von Frankfurt (wozu das Fürstentum Aschaffenburg gehörte), erwies sich vor dem Ende seiner weltlichen Herrschaft beim Sturz Napoleons als der geniale Organisator der Mainzer RumpfUniversität in Aschaffenburg. Sein Antrag bei der Reichsdeputation auf Belassung der rechtsrheinischen Güter für die Hochschule sowie die Bemühungen um kaiserliche und päpstliche Privilegierung verliefen zwar im Sande; jedoch durch geschickte Dotierung mit säkularisierten Kollegiatsstiftsgütem leistete er 1808 die offizielle Neugründung der nach ihm benannten Karls-Universität mit drei Fakultäten. Die Stif1 Th. J. Schekc, Dalbergs Hochschulstadt Aschaffenburg, 3 Bde., 1951/4; L. Lenhabt, Die geistesgeschichtl. Bedeutung Aschaffenburgs vom 18. zum 19. Jh. (Aschaffenb. Jb. 4) 1957; Koeppel (s. o. 659 Anm. 5); A. Ph. Bbück, Die Mainzer theol. Fakultät im 18. Jh., 1955; L. Just, Von d. alten z. neuen Universität (Miscellanea Moguntina, Beitrr. z. Gesch. d. Univ. Mainz 6) 1964; über Dalberg zuletzt H. Raab, Karl Theodor v. Dalberg. Das Ende d. Reichskirche u. d. Ringen um d. Wieder-

aufbau d. kirchl. Lebens 1803-1815 (AMK 18) 1966, 262-274; vgl. auch den Lit.-Bericht von H. Raab, Zur Gesch. d. Aufklärung im RheinMain-Gebiet (HJb. 88) 1968, 419-443. 2 Einige lokalgeschichtliche u. genealogische Hinweise zur Endgeschichte des Mainzer Kurfürstentums auch i. d. Familienchronik, aufgez. von Karl Joseph B0116, dem Sohn desjoh. Peter Bolli (f 1773), Erziehers der beiden Erthals u. späteren Hofgerichtsrats in Mainz: Priv.-Besitz L. Boehm.

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tung war sozusagen ein spätgeborenes Kind der Epoche fürstbischöflicher Reichs- und Territorialpolitik mit dem Gepräge persönlichkeitsbestimmter Kulturorganisation, in den ersten Jahren von beachtlicher Potenz. Sie versorgte u. a. die neu umschriebenen Diözesen Mainz, Limburg, Speyer mit der ersten Bischofsgeneration. Nichtsdestoweniger geriet die Universität in den Strudel des politischen und kirchenpolitischen Umbruchs. Kurz vor und nach der Angliederung des Fürstentums Aschaffenburg an Bayern erlebte die inzwischen nach französischem Muster umgebildete großherzoglich-frankfurtische Landesuniversität ohne offizielle Aufhebung ihren schrittweisen Abbau. Die übriggebliebene philosophische Fakultät, später wieder um die ins Priesterseminar (Aschaffenburg, dann Würzburg) abgewanderte theologische Sektion ergänzt, teilte seit 1808 die Geschichte der bayerischen Lyceen, um dann 1873 an Frequenzmangel einzugehen. Von 1798 bis 1873 besuchten etwa eineinhalbtausend Studenten Dalbergs Universität.

§75. KÜNSTLERISCH-TECHNISCHE UND NATURWISSENSCHAFTLICHE AKADEMIEBESTREBUNGEN.

NÜRNBERG-WÜRZBURG-SCHWEINFURT

Wenn Bamberg (vgl. § 74) als eine der ersten deutschen Hochschulen den Unterrichtszweigen Zeichnen und Ingenieurwissenschaften durch Inkorporation der anfangs selbständig geplanten Zeichen-Akademie den Weg zur Universität eröffnete, so bezeugt das die instinktsichere Aufgeschlossenheit der fränkischen Landesfürsten für die Zeichen der Zeit. Schon das Mittelalter hatte zwar um den Wert der artes mechanicae durchaus gewußt, ohne ihnen aber einen würdigen Platz im ordo scientiarum an den Schulen und Universitäten anzuweisen.1 Seit dem achtzehntenJahrhundert drängte die praktische Berufsausbildung vehement zur systematischen Pflege der «Realien», vorbereitet durch Ritterakademien und Kadettencorps, gefördert teils durch die künstlerischen Ambitionen des Barock und des Klassizismus, teils durch die technischen Bedürfnisse des Festungs- und Straßenbaus, teils durch die ökonomischen Belange des Staates, und nicht zuletzt auch durch den Aufschwung des experimentellen Denkens und Forschens. Bürgerlicher Humanismus, Adelsprestige und Aufklärung nährten gleicherweise die wissenschaftliche Akademiebewegung (vgl. HB II § 134) wie anderseits die Stiftung von Sprach-, Kunst- und Handwerks-Akademien. Für den pädagogischen Eros der rationalistischen Weltanschauung mit ihren Idealen der VolksWohlfahrt und Sozialisierung der Bildung zur Verbesserung des Lebensstandards, mit ihrem Glauben an die Allmacht der Erziehung zur Entfaltung aller natürlichen Anlagen des Menschen und mit ihrem Fortschrittsoptimismus rückten die technischen Fertigkeiten stärker ins Blickfeld des höheren Schulwesens. Paradigmatisch für diese Tendenzen waren etwa die Schriften des Göttinger Professors Johann Beckmann, vor 1 P. Sternagel, Die artes mechanicae im MA. Begriffs- u. Bedeutungsgesch. bis z. Ende d. 13. Jhs. (MHStud., Abt. MA 2) 1966; zum

folgenden auch Doeberl II 322 ff.; A. Heubäum, Das Zeitalter d. Standes- u. Berufserziehung, 190$.

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allem seine «Anleitung zur Technologie» (1777). Angeregt durch französische, preußisehe und österreichische Vorbilder1 (u. a. 1604 Sullys Ingenieurcorps, 1662 Colberts Academie de Sculpture et de peinture, 1692 die Wiener Meisterschule für Malerei, Bildhauerkunst, geometrisches Zeichnen, Fortifikation und Architekturkunst, woraus sich die K. Akademie der Bildenden Künste entwickelte, 1747 Maria Theresias Ingenieurakademie, 1699 die Berliner Akademie der Künste) entstanden in den fürstliehen und städtischen Territorien einerseits neuartige selbständige Studienstätten, andererseits begann man (zuerst in Wien 1752 und in Prag 1762) Vorlesungen über praktische Wissenszweige in die Universitäten einzugliedem, wodurch deren Anspruch auf Hochschulebene legitimiert wurde. Franken und Schwaben reihten sich früher als Altbayem in diese Entwicklung ein. Den Anfang machte Nürnberg mit einer Malerakademie.1 1661 von einem KupferStecher zunächst als Privatgesellschaft von Künstlern und Kunstfreunden gegründet, wurde sie um die Jahrhundertwende reichsstädtisch, um dann im neunzehnten Jahrhundert noch manche Minderungen und Wandlungen durchzumachen bis zur offiziellen Anerkennung als Kunsthochschule und als Akademie der Bildenden Künste im zwanzigsten Jahrhundert. Denn seitdem die in München 1770 errichtete öffentliche Zeichenschule 1808 zur Akademie der Bildenden Künste aufgestiegen war, bestand zunächst kein Bedürfnis für eine zweite Institution dieser Art. Noch vor der Münchener Zeichenschule hatte 1747 der fränkische Fürstbischof sein Placet gegeben zur Einrichtung einer Malerakademie in Würzburg1 23 mit der Auflage, die taugliche arme Jugend gratis mit dieser Kunst «und andern zur Zeichnung gehörigen Stücken» zu unterrichten. Zur nämlichen Zeit betrieben auch die Markgrafen von Bayreuth die Stiftung einer Akademie für Architekten, Bildhauer und Maler (1756),♦ die aber neben der Attraktion der «modernen» Erlanger Universität keinen Bestand hatte; 1763 wurde sie wieder aufgehoben. In Würzburg hingegen fanden jene Ansätze einen markanten Programmatiker in dem schon genannten Professor Franz Oberthür, der 1790 eine Bildungsreise nach Hamburg zum Besuch der dortigen «Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe» (gegründet 1765) unternahm und rastlos in Schrift und Praxis für den Künstlemachwuchs und für die Begründung einer Akademie mit Hochschulcharakter wirkte. Das Ergebnis blieb zwar hinter den Absichten zurück; 1806 erreichte er von der damaligen toskanisch-großherzoglichen Regierung die Bestätigung der «Gesellschaft zur Vervollkommnung der mechanischen Künste und Handwerke», der späteren «Polytechnischen Gesellschaft».5 Diese stand aber immerhin - nicht nur für Bayern - am Beginn eines neuen zukunftsbeständigen Schultyps: der polytechnischen Fachschule (bald auch in München, Nüm1 F. Schnabel, Die Anfänge d. technischen Hochschulwesens (Festschr. d. TH Fridericiana Karlsruhe) 1925,1-S6; vgl. auch den Überblick bei W. Schlink, Entstehung u. Entwicklung d. deutschen Technischen Hochschulen (Das Akad. Deutschland I) 1930, 423 ff. 2 G. Pfeiffer, Vier Jahrhunderte Nürnberger Hochschulbestrebungen (Die Nürnberger

Hochschule im fränk. Raum, hg. v. VoigtSchäfer) 1955, 11 ff. 3 Wegele II nr. 149, 402. 4 K. SrrzMANN, Die Frühzeit d. Architekten Carl Gontard in Bayreuth (AO 36) 1952,167fr.; Hartmann, Gesch. (s. o. 403 Anm. 3) I 158. 5 Professor Franz Oberthür, hg. v. O. Volk 1966, dort Bibliographie.

§ 75■ Akademiebestrebungen in NürnbergAViirzburg-Schweinfurt (L. Boehm)

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berg, Augsburg). Im Bayern des neunzehnten Jahrhunderts wurden die sogenannten polytechnischen Lyceen vorübergehend rechtlich den anderen königlichen Lyceen gleichgeordnet (ohne Promotionsrecht) und bereiteten das technische Hochschulwesen vor, um dann jedoch abseits der Technischen Hochschulen und der Universitäten als selbständige Fachschulen ohne staatliche Hochschulverfassung bis heute selbständig zu bleiben. (Zu jüngsten Bestrebungen vgl. HB IV). Für jene Epoche der aufkeimenden Freude am Beobachten, am Sehen, am Experiment, des Sinnes für das Wirkliche und Nützliche in Kunst, Technik und Natur lag der Akademiegedanke sozusagen in der Luft, zuerst verwirklicht in sprach- und naturforschenden Gesellschaften (vgl. Bd. II §§ 123, 129), deren europäische Dominante die 1635 bestätigte «Acadimie Fran^aise» und die 1666 von Colbert gestiftete «Acadimie des sciences» neben Colberts «Acaddmie de sculpture et de peinture» waren. Die faszinierende Zukunftsvision eines technischen Zeitalters durch Francis Bacon (f 1626) in seinem utopischen Roman «Neu-Atlantis» - ein Jahrhundert nach der «Utopia» des Thomas Morus - fand damals ihre unmittelbare Gefolgschaft bei den Gründern der 1662 zur staatlichen Akademie erhobenen «Royal Society» London, einer der frühesten und bedeutendsten naturwissenschaftlichen Vereinigungen nach den italienischen Sozietäten, welche die antike Akademie-Ideeschöpferisch wiederbelebt hatten, darunter die römische Accademia mit ihrer so bezeichnenden Namengebung: «dei Lincei» - «der Luchsäugigen». In Deutschland war der erste ähnliche Versuch 1622/24 in Rostock gescheitert. So bleibt der freien Reichsstadt Schweinfurt der Ruhm, daß in ihren Mauern die erste naturwissenschaftliche Akademie nördlich der Alpen kreiert wurde, die heute so benannte Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina (Halle). Ein Gymnasium academicum besaß die Stadt schon aus der Schwedenzeit, 1636 mit Hilfe König Gustav Adolfs errichtet, freilich zurückgeblieben hinter der ursprünglichen Konzeption.1 Gleich nach Kriegsende rief der Stadtphysikus Johann Lorenz Bausch 1651 in einem Rundschreiben auf zur Stiftung eines «Sodalitium ad excolendas res naturales», das bereits 1652 durch den Zusammenschluß Bauschs mit drei Schweinfurter Ärzten, darunter dem kaiserlichen Leibarzt Johann Michael Fehr aus Kitzingen, ins Leben trat als private «Academia Naturae curiosorum».1 2 Ihr erster Präsident wurde Bausch, der nach Studien in Italien 1630 in Altdorf feierlich zum Doktor der Medizin promoviert worden war.3 Bald traten der Sozietät weitere Mitglieder aus verschiedenen Städten bei, u. a. aus Erfurt, Leipzig, Ulm, Bem; bis 1562 waren es 1 325 Jahre Gymnasium Schweinfurt 1634 bis 1959. Jubiläumsschr. 1959. 2 R. Zaunick, Dreihundert Jahre Leopoldina. Bestand u. Wandel. Festvortrag bei d. Jubiläumsfeier in Halle 1952 (Nova Acta Leopoldina NF 15, nr. 104) 1952, 31-42; D. Ackermann, Dreihundert Jahre Leopoldina. Festvortrag bei d. Jubiläumsfeier in Schweinfurt 1952 (ebd. NF 16, nr. 114) 1954, 411-418; dort jeweils Berichte über Festveranstaltung sowie weitere Lit.; Stern (s. u. 669 Anm. 4);

Festschr. z. Gedenkfeier an d. vor 300 Jahren erfolgte Gründung d. Deutschen Akad. d. Naturforscher, hg. v. HV Schweinfurt 1952; J. Helfrich, Die dtsch. Akad. d. Naturf. Leopoldina: Veröffentlichungen des Hist. Ver. d. Stadtarchivs Schweinfurt (= Miscellanea Suinfurtensia Historica V) 1970, 100 ff. 3 Original des Dr.-Diploms im Stadtarchiv Schweinfurt; Faksimile mit Übersetzung: Nova Acta Leopoldina NF 16, nr.114, 1954, 456 ff.

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schon 25 Köpfe. 1672 erwirkte der Breslauer Physikus Sachs von Lewenheimb die kaiserliche Anerkennung durch Leopold I., aber erst 1677 konnte man sich die kostspielige Ausfertigung der Urkunde mit Statutenbestätigung leisten; und 1687 erfolgte auf Bitten des damaligen Präsidenten J. G. Volckamer vom Medizinal-Kolleg Nürnberg und des Direktors L. Schröck, Stadtphysikus 2u Augsburg, die Erteilung weiterer hoher kaiserlicher Privilegien.1 Präsident und Direktor und deren Nachfolger werden zu kaiserlichen Leibärzten ernannt und in den Reichsadelsstand erhoben, sie erhalten die Pfalzgrafenrechte und dazu die Befugnis, Doktoren und Lizentiaten nach vorheriger Prüfung durch drei ausgewiesene Doktoren zu ernennen; der Akademie wird überdies volle Zensurfreiheit gewährt. 1742 bestätigte der Wittelsbacher-Kaiser Karl VI. das Leopoldinische Privileg. Erfolg und Bestand der Akademie trotz schwaeher materieller Grundlage beruhten wohl vornehmlich auf ihrer eigentümlichen Verfassungsstruktur, indem sie sich nicht als ortsgebundene Institution, sondern als überlokal zusammengesetzte Vereinigung von Gelehrten konstituierte, deren Zusammenarbeit sich nicht im gemeinsamen Experimentieren, vielmehr im deskriptiven Publizieren manifestierte und deren Sitz jeweils mit dem Wohnort des Präsidenten wechselte: seit 1686 wanderte sie nach Nürnberg, Augsburg, Altdorf, Erfurt, Halle, Nürnberg, Erlangen, Bonn, Breslau, Jena, Dresden, bis schließlich ab 1878 Halle der ständige Sitz wurde. Diese lockere Organisation hatte denn auch den aktivsten Vertreter deutscher Akademiebestrebungen, Leibniz, zunächst zur Rüge veranlaßt,1 2 «dieses institutum ... ist doch nicht real genugsam, denn dadurch bereits habende Dinge aus andern Büchern conscribilliert, nicht aber neue aus eigener experienz entdecket werden. Es mangelt ... zu einem wohlformirten corpore, so einen gewißen fundum, union, ruhe, addresse, und anstatt hätte», so wie die ausländischen Akademien.3 Immerhin, die seit 1670 erschienenen «Miscellanea curiosa medico-physica Academiae naturae curiosorum sive Ephemerides Germanicae» gehören zu den ältesten naturwissenschaftlichen Fachperiodica Europas. Und die Leopoldina wahrte bis heute ihren Rang unter den angesehensten deutschen und internationalen Wissenschaftsakademien, zu deren Mitgliedern eine beträchtliche Zahl bayerischer Gelehrter zählten und zählen.

§76. HOCHSCHULPOLITIK IM PROTESTANTISCHEN FRANKEN

NÜRNBERG-ALTDORF UND ANSBACH-BAYREUTH-ERLANGEN

In den weltlichen Hoheitsgebieten Frankens hat die Reformation rasch und nachhaltig Eingang gefunden, zuerst in Nürnberg, wo der Ratsschreiber Lazarus Spengler,4 eigentlicher Leiter der reichsstädtischen Politik, für Luthers Lehre gutachtlich eintrat und sich mit dem markgräflich-brandenburgischen Sekretär und späteren Kanzler 1 Text in deutscher Übers, wiederabgedr. ebd. 413 ff. 2 J. Steudel, Leibniz u. d. Leop. (ebd.) 468. 3 Zu Leibniz’ Ak.-Plänen A. v. Harnack, Gesch. d. Kgl. Preuß. Ak. d. W. zu Berlin 1,1899.

4 Zu folgendem vgl. auch Lit. zu § 73; v. Schubert (s. o. 197 Anm. 2); Engelhardt (s. o. 194).

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Georg Vogler verband, der den Anschluß von Ansbach-Bayreuth ans Luthertum vorbereitete. Sogleich setzten beiderseits intensive Bemühungen um Hebung des Schulwesens ein. Dem Aufruf Luthers von 1524 «an die Bürgermeister und Ratsherren aller Städte deutschen Landes, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen,» folgte als eine der ersten nach Eisleben und Magdeburg Nürnberg 1526 mit der Gründung des Gymnasium zu St.Ägidien.1 Der Rat jener damals auf dem Höhepunkt ihrer wirtschaftliehen und kulturellen Blüte stehenden Stadt, der ersten zum Luthertum übergetretenen Reichsstadt - «Auge und Ohr Deutschlands», wie Luther die stolze Hochburg bürgerlichen Geistes nannte -, erwies durch seine selbstbewußte Aktivität die bildungspolitische Ebenbürtigkeit mit den landesherrlichen Territorien, ehe fürstlicher Absolutismus und aufgeklärte Staatspolitik die Förderung des Schulwesens monopolisierten. Die Nürnberger Stadtväter scheuten weder Kosten noch Mühen,1 um der zielbewußt protestantisch und humanistisch geplanten Bildungsstätte von vomeherein ein über die herkömmlichen Kloster-, Stadt- und Lateinschulen hinausragendes Niveau zu geben. Kein Geringerer als Melanchthon übernahm die Organisation der «Academiola», wie er sie bezeichnete, und er wies ihr in seiner «Ratio scholae Norimbergae nuper institutae»1 23 den Weg als Muster-Gelehrtenschule mit dem Erziehungsideal der humanitas christiana. Das Rektorat lehnte er allerdings ab, um in Wittenberg zu bleiben, nachdem die dortigen Unruhen sich gelegt hatten und der Bestand der Universität gesichert war. Dafür vermittelte er dem Nürnberger Gymnasium seinen Freund, den Graecisten Joachim Camerarius als Leiter und seinen Schüler, den Dichter und Philologen Eobanus Hessus zur Mitarbeit. Indes, die Vielzahl der Nürnberger Schulen hemmte die Frequenz von St. Ägidien, zumal Hessus und Camerarius in den dreißiger Jahren wieder abwanderten. Auch Melanchthons Rettungsversuch durch Abhaltung von dreißig Gastvorlesungen hielt den Verfall nicht auf, so daß Camerarius 1565 von Leipzig aus auf Grund seiner Erfahrungen als Reorganisator des sächsischen Gelehrtenschulwesens dem Nürnberger Stadtrat eine Reform durch Verlegung aufs Land vorschlug. Statt für Hersbruck oder Engelthal fiel die Entscheidung zugunsten von Altdorf, zugleich gedacht als Wirtschaftshilfe für das in den Markgrafenkriegen arg geschädigte Städtchen, das seit 1504 zum reichsstädtischen Hoheitsgebiet gehörte. 1575, kurz nach Camerarius * Tod, wurde in Altdorf die publica et trivialis schola als förmliche Neustiftung unter Leitung des Straßburger Professors, Luther- und Melanchthon-Schülers Valentin Erythräus eröffnet, diesmal mit höheren Zielen zur wissenschaftlichen und praktischen Ausbildung von Predigern, Ärzten, Schulmännem und Juristen für die Bedürfnisse des reichsstädtischen Territoriums. 1578 er1 Steiger, Melanchthongymnasium (s. o. 583). Hartfblder (s. o. 647 Anm. 1) 431 ff., 501 ff. 2 Aufschluß über die Professorengehälter gibt S. v. Scheurl, Die theol. Fakultät Altdorf im Rahmen d. werdenden Universität 1575-1623, 1949. Lit. zur Geschichte der Akademie u.

Universität Altdorf bei Kraus (s. u. 1144) 345 ff· 3 Abgedruckt bei H. W. Hberwaghn, Zur Gesch. d. Nürnberger Gelehrtenschulen, Progr. Gymn. Nürnberg 1860, 36 f.; vgl. JordanBürckstümmbr 91; Hartfelder (s. o. 647 Anm. 1) 431 ff.

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langte der Stadtrat von Kaiser Rudolf Π. das Privileg für die Schule,1 Baccalaureat und Magistergrad der Artes zu erteilen (promulgiert 1580), allerdings mit der einschränkenden Klausel, «intra terminos einer Partikularschule» zu bleiben, so daß die bereits florierenden Lehrkanzeln der Theologie, der Institutionen und der Physik oder Medizin von der Privilegierung ausgeschlossen blieben. 1581 erfolgte die erste Promotion. Für die Bewerber im Kirchen- und Schuldienst der Stadt wurde seit 1585 der akademische Grad vorausgesetzt. Wenn Nürnberg 1584 seine Wittenberger Stipendiäten zurückzog, so zeugt das vom wachsenden Anspruch der Gründung, die Bildungsverantwortung für den protestantischen Süden neben Tübingen zu übemehmen. Anstachelnd für die fortschreitende Hochschulentwicklung wirkte überdies die Konkurrenz Straßburgs, dessen 1538 gegründetes Gymnasium bereits 1566 zur Akademie erhoben worden war. Lehrplan und Gliederung nach praeceptores classici und professores publici in vier Klassen mit gleitendem Übergang vom Gymnasium zum höheren Studium lehnten sich an Straßburg an. DemBrlaß der «Leges scholae Altorphinae» durch den Stadtrat * 1580 folgte der Ausbau zur Akademie mit einer Hochschulverfassung städtischen Charakters. Leitung und begrenzte Selbstverwaltung oblag dem jährlich gewählten Rektor gemeinsam mit dem Senat, dem Kollegium der öffentlichen Professoren unter Beiziehung eines der Praeceptoren. Wurde das Rektorat ehrenhalber, wie auch andemorts üblich,1 23 einem nicht-promovierten Adeligen verliehen - so 1610 dem späteren Feldmarschall von Pappenheim -, so wurde ein amtierender Prorektor bestellt. Die vier fakultativen Gruppen erhielten 1583 Dekane, wobei die traditionelle Rangfolge der Fakultäten beibehalten wird: Theologen (als venerandus ordo bezeichnet), Juristen (magnificus ordo), Mediziner (gratiosus ordo) und Artisten oder Philosophen (amplissimus ordo). Die Stadt behielt sich eine strenge Oberaufsicht durch vier Kuratoren (Scholarchen) an Stelle eines Kanzlers vor,4 welche Visitationen durchführten und die Berufungen vomahmen, während der von den Scholarchen gewählte Prokanzler (Jurist) - der erste war des Joachim Camerarius Sohn Philipp - als Vertreter der Schule eine Mittelstellung zwischen Rektor und Stadtkuratorium innehatte und u. a. die Persönlichkeitsprüfung der Kandidaten vomahm. Die Bekenntnisgrundlage für die Lehre bildete die «Norma doctrinae et judicii» von 1573,5 an welche sowohl die Kirchenmänner als auch die Professoren aller Fakultäten gebunden waren. Die Erfüllung erlaubte allerdings großzügige Auslegung. 1589 wurde die akademische Gerichtsbarkeit geregelt. Insgesamt war die Verfassung der Schulejetzt nicht mehr, wie vorher, primär auf die städtisch-territorialen Belange abgestellt, sondern auf den Besuch fremder Scholaren, denen gegenüber die Stadtväter sich konziliante Sonder1Wohl zu datieren 26. Nov. 1578; vgl. Recktenwald, Aufstieg (s. o. 608) 17; Text des Stiftungsprivilegs bei J. J. Baier, Ausfuhrliehe Nachricht v. d. Nümbergischen Universitäts-Stadt Altdorf . . ., Nürnberg 1717, 21 ff. 2 Zur Verfassung u. a. Scheurl (s. o. Anm. 2) 58 ff.; A. Kluge, Die UniversitätsselbstVerwaltung (s. HB II 81$) 33; E. Reinhard,

Die Universität Altdorf (HJb. 33) 1912, 758 bis 774■ 3 Vgl. Müller (s. u. 677). 4 Zur Verfassung des Stadt-Universitätstyps vgl. schon die spätmittelalterliche Univ. Köln: A. Keussen, Die alte Universität Köln, 1934. s Scheurl (s. o. 667 Anm. 2) 35; Schornbäum (s. o. 647 Anm. 4).

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regelungen vorbehielten. Das war oft von recht realer Bedeutung, bedenkt man die rege Entfaltung studentischen Treibens etwa zur Zeit der Inskription Albrechts von Wallenstein (Waldstein) mit seinem Gefolge 1599,1 der sogleich Haupt von Studententumulten wurde, sich aber trotz drohender Relegation einen standesgemäßen straffreien Abzug zu sichern verstand. Dank der zielstrebigen Bildungspolitik des Stadtrats, geprägt von bürgerlichutilitaristischer Großzügigkeit, erlebte die Altdorfer Akademie in den erstenJahrzehn‫־‬ ten ihre kraftvollste Periode durch die Gewinnung international berühmter Gelehrter, vor allem Juristen, wie u. a. Giphanius, Donellus. Auch die Naturwissenschaft hatte profilierte Köpfe aufzuweisen. Als mit dem großen Krieg die wirtschaftliche Bedeutung Nürnbergs erlahmte, wurde die damals recht gut frequentierte Akademie12* gerettet, indem sie 1622/23 kurz nach der Beförderung Straßburgs als zweite und letzte deutsche Stadtuniversität die rechtlichen Grundlagen für den faktisch längst bestehenden Hochschulbetrieb erlangte. Das Privileg Kaiser Ferdinands Π.,’ wohl auch als Anerkennung für Nürnbergs taktischen Rückzug aus der evangelischen Union gewährt, versagte allerdings der theologischen Fakultät das Promotionsrecht. Erst 1696 erteilte Leopold I. auch dieses zugleich mit den Palatinatsrechten für den Prokanzler, nachdem er kurz vorher die Schweinfurter Akademie ausgezeichnet hatte. Nürnbergs Hohe Schule hatte damit kraft zäher und geschickter Politik ihr höchstes Ziel erreicht. Die Basis, das Ägidiengymnasium, ist 1633 nach Nürnberg zurückverlegt worden; jedoch die einst zur Anfangshilfe mit ihm verbundene Studienstiftung des Heiliggeist‫־‬ spitals, der «Zwölfknabenboden», blieb bei der Universität. Die Epoche größter Prosperität hatte Altdorf allerdings hinter sich. Zwar konnte die Universität mit ihren Attributen - Bibliothek, botanischem Garten, anatomischem Theater, Observatorium, chemischem Laboratorium - sich durchaus mit anderen Hochschulen messen, vor allem die medizinische Fakultät mit dem Chirurgen Heister (s. u. 612). Seit Anfang stellte Altdorf immerhin 122 Dozenten, teils von internationalem Rang, für die deutschen Universitäten, mehrere auch für die KaiserlichLeopoldinische Akademie.4 Aber der Krieg hatte die Wirtschaftskraft der Reichsstadt schwer erschöpft. Hatte der Aufstieg der Academiola im Zeichen der handels- und kulturpolitisch höchsten Anspannung der Stadt vor allem in Intensivierung der BeZiehungen zum böhmischen Osten gestanden,5 so machte nun der stetige Rückgang offenbar, welche Nachteile die strukturell bedingte enge Schicksalsgemeinschaft von 1 Baader, Wallenstein als Student an d. Universität Altdorf, 1860. Zum akadem. Leben in Altdorf allgemein: H. Liermann, Eriangen-Nümberg-Altdorf. Hohe Schulen u. geistiges Leben (JffL 22) 1962, 157-172. 2 E. v. Steinmeyer, Matrikel d. Universität Altdorf, 2 Bde., 1912. 5 Wiederabdruck bei Recktenwald (s. o. 608) 20 S.; vgl. dazu bes. A. Ernstberger, Die feierl. Eröffnung d. Univ. Altdorf (29. Juni 1623) (JffL 11/12) 1953, 109-122. 4 A. Kreiner, Nürnbergs u. Altdorfs Anteil

an d. Kaiserl. Leopoldinisch-Carolinischen Deutschen Akad. d. Naturforscher (MVGN 37) 1940, 309-322; L. Stehn, Zur Gesch. u. wiss. Leistung d. Deutschen Akad. d. Naturforscher «Leopoldina», 1952; K. Goldmann, Nürnberger als Professoren auf deutschen u. ausländ. Universitäten vom 15.-18. Jh. (Mitt, aus d. Stadtbibi. Nürnberg 2) 1963, 1 ff. 5 H. Kunstmann, Die Nürnberger Universität Altdorf u. Böhmen. Beitrr. z. Erforschung d. Ostbeziehungen deutscher Universitäten, 1963.

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Schule und Stadt gegenüber den fürstlichen Landesuniversitäten hatte. Zur Zeit, als Leibniz sich in Altdorf den Doktor der Rechte erwarb (1666), war schon seit Jahren wegen des Frequenzmangels die Aufhebung oder Rückverpflanzung nach Nürnberg erörtert worden. Die Frage wurde erneut akut, seitdem 1743 in Erlangen eine schwere nachbarliche Konkurrenz erwuchs. Immerhin fristete die Stadtuniversität ihr Leben noch bis zum politischen Umbruch nach der Jahrhundertwende. Erst 1809 wurde sie geschlossen und 1818 formell vom Bayerischen Staat aufgehoben zugunsten der Universität Erlangen, der auch Vermögen und Bibliothek zugewiesen wurden (vgl. HB IV). In den fränkischen Zollern-Landen kam es erst im achtzehnten Jahrhundert zu einer dauerhaften Universitätsgründung. Die Anfänge markgräflicher Hochschulpolitik reichten jedoch zurück in die frühe Reformationsepoche und in dieselben politischkonfessionellen Antriebe, denen das Nürnberger Ägidiengymnasium sein Entstehen verdankt hatte. Anreizend wirkte auch das Beispiel der kurbrandenburgischen Vettem, zumal deren Universität Frankfurt a. d. O. (1506) sich zunächst nur zögernd der Reformation erschloß. Da es im fränkischen Raum damals noch keine Hochschule gab - Würzburg und Altdorf folgten erst ein Halbjahrhundert später -, wären die kulturgeographischen Voraussetzungen zweifellos günstig gewesen. Markgraf Georg der Fromme (1527-1543), Mitschöpfer der Nümbergisch-Brandenburgischen KirchenOrdnung von 1533, bemühte sich energisch um Neuaufbau des Kirchen- und Schulwesens;1 er berief gelehrte Männer von auswärts zur reformatorischen Belehrung in die alten Klöster und Stifte, deren Präbenden er gewissenhaft für Schulzwecke zu verwenden gedachte. In diesem Zusammenhang tauchte erstmals der Gedanke einer Hochschulgründung auf, unterstützt durch die spezielle Empfehlung Luthers,12 «wäre das wol fein, das E. f. g. ein gelegen ort (oder zween) ym fürstenthum anrichtete zur hohen schulen, da man nicht allein die heilige schrifft, sondern die recht und allerley künste leret.» Das Projekt wurde zweiJahrzehnte lang zäh verfolgt durch Gewinnung von geeigneten Professoren zunächst für Ansbach, wo im St. Gumbrechtsstift ein Gymnasium eröffnet wurde,3 dann für Feuchtwangen,4 das besonders passend erschien wegen der schulischen Tradition im alten Reichsstift. 1532 machten Bürgermeister und Rat von Feuchtwangen ihrerseits eine Eingabe an den Landesherm, worin sie von «allen Fakultäten» sprechen. Und 1546 anläßlich der Anwesenheit Karls V. legten die Stadträte und der (letzte katholische) Stiftsdechant dem Kaiser deshalb eine Bittschrift vor. Jedoch die Ungunst der lokalen Verhältnisse, die Trennung der Regierungen von Ansbach und Bayreuth und wohl auch die allzu begrenzte Planung im Anschluß an 1 Neben Jordan-Bürckstümmer vgl. K. H. Schäfer, Märkisches Bildungswesen vor d. Reformation, 1928; Götz, Glaubensspaltung (s. o. 194); H. v. Schubert, Arbeiten z. Bekenntnisbildung u. Bündnispolitik 1529/30 verz. bei DW’ nr. 10083 »· 2 Grundlegend zum Ganzen Jordan-Bürckstümmer, hier 111; Th. Kolde, Briefwechsel Luthers u. Melanchthons mit Markgraf Georg u. Friedrich v. Brandenburg (ZKG 13) 1892.

3 Paulsen (s. o. 646 Anm. 1) I 313; H. Schreibmüller, Das Ansbacher Gymnasium 1528-1928, 1928; Jordan-Bürckstümmer !77 ff· 4 Ebd. 240 ff.; weiterhin W. Schaudic, Gesch. d. Stadt u. d. ehern. Stifts Feuchtwangen, 1927; R. Bayerlein, Das kurze Schicksal v. Frankens ältester Univ. (Die Stimme Frankens 24 nr. 5) 1958, 104; Hbmmeble, Benediktinerklöster 47 f.

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die bestehenden Lateinschulen ließen das Vorhaben im Sande verlaufen. Die Idee einer hohen Schule aber blieb wach. Vorübergehend knüpfte sie sich an die alte Zisterzienserabtei Heilsbronn,1 die Erbgrablege der älteren fränkischen ZollernDynastie (bis ins siebzehnte Jahrhundert), die in den Bauernkriegen säkularisiert wurde, allerdings noch durch manche innere Zwiespältigkeit gehemmt war; erst nach dem Tod des letzten altgläubigen Abtes (1578) wurde sie 1581/82 zur Fürstenschule nach sächsischem und wohl auch Tübinger Muster reformiert, vorerst als Ersatz für die fehlende Universität. Energischer griff Markgraf Georg Friedrich 1594/95 den Hochschulplan wieder auf, diesmal untermauert von konkreten gutachtlichen Organisations- und Personalvor* Schlägen für eine Universität in Kulmbach oder im Gymnasium illustre von Hof oder auch in Bayreuth mit vier Fakultäten, wobei für die beabsichtigte Konviktsstruktur das Tübinger Stift vorbildhaft wirkte. Man dachte an eine Bildungsstätte für das «rechte Luthertum» als Gegengewicht einerseits gegen die jesuitisch geprägte Universität Würzburg, andererseits gegen das damals als calvinistisch geltende Altdorf. Dennoch gescheitert, wurden die Kulmbacher Pläne dann wiederum 1645/48 aktuell unter Markgraf Christian. Jetzt fanden sie einen hervorragenden Verfechter in dem markgräflichen Generalsuperintendenten Christoph Althofer,1*3 der als Student in Altdorf zur Zeit der Universitätserhebung, durch seine Studien in Wittenberg, Leipzig und Jena und als langjähriger Theologieprofessor in Altdorf (seit 1629,1641 Rektor) reiche Erfahrungen gesammelt hatte. Unter ihm nahm denn auch das Programm greifbare Gestalt an. Mit der Planung von fünfzehn Professuren stand es übrigens nicht zurück hinter der späteren Erlanger Realisierung. Aber die letzten Kriegsjahre machten die Kostspieligkeit problematischer denn je. Zur selben Zeit wurden auch in den benachbarten wettinischen Landen der Emestiner Hochschulpläne ventiliert, die sich auf die Residenz Coburg konzentrierten.4 Auf dem Eisenacher Landtag 1598 erhielt Johann Casimir (f 1633), seit 1596 Herzog von Gotha und Coburg, die Zustimmung der Stände für den Universitätsplan, der als Konkurrenz zu Jena gedacht war. Indes, die beschränkten finanziellen Möglichkeiten der Teillande (die Jenaer Universität florierte nur dank des Kosten-Kondominats der zersplitterten emestinischen Linien), dazu der Krieg hemmten den weiteren Ausbau des 1605 gestifteten Gymnasium Casimirianum. Die Regierung Emsts I. d. Frommen (167s) von Gotha - in Coburg allzukurz - hätte wohl die Gewähr zügiger Initiativen gegeben. Denn seine zeitlebens verfolgte Bildungspolitik,5 zuerst angesetzt an dem ihm kurzfristig zugefallenen Fürstbistum Franken (1633/34), hatte sich in seinem Gothaer Kleinstaat glänzend bewährt; insonderheit durch die Organisation des Staat1 Paulsen (s. o. 646 Anm. 1) I 313 f., 595. * Texte bei Jordan-Bürckstümmer 41 ff. ‫ נ‬Ebd. 73 ff.; G. W. A. Fikenscher, Gesch. d. Königl. Preuß. Friedrich-Alexander-Univ, zu Erlangen, 1795, 176 ff. 4 Vgl. Festschr. z. 350jähr. Bestehen d. Gymnasium Casimirianum Coburg, 1955, bes.: F. Schilling, Der Coburger Universitätsplan,

seine Blüte und sein Untergang, 45-61; Jb. der Coburger Landesstiftung, 1956. 5 W. Boehne, Die pädagogischen Bestrebungen Emst d. Frommen von Gotha, 1888; darin auch bespr. die «Generalverfassung der Schulen im Herzogtum Franken». Eine Reorganisation der Universität Würzburg im evangelischen Sinne war geplant.

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liehen Schulwesens nach den «modernen» Prinzipien des Ratke und Comenius, nach oben hin verklammert mit dem Studienanfang in Jena (Vorstufe des Abiturs), hat Gotha offensichtlich das Muster abgegeben für V. L. von Seckendorffs Staatshandbuch vom «Teutschen Fürstenstaat» (1653). Emsts Söhne erlangten für Coburg 1677/78 die kaiserlichen Privilegien Leopolds I., deren Verwirklichung die südthüringischen Lande bis ins achtzehnte Jahrhundert lebhaft anstrebten; jedoch die Teilungsschicksale des so verheißungsvoll angelegten casimirianischen Staates machten das Projekt zunichte. Die Gründung einer markgräflich-zollemschen Landesuniversität hingegen blieb dem folgenden Jahrhundert vorbehalten. Wenn statt der bisherigen örtlichen Projekte nun Erlangen den Sieg davontrug, so hatte das seine guten Gründe. Das unscheinbare Städtchen,1 seit 1528 lutherisch, erhielt nämlich neue Impulse mit der Aufnahme französischer Hugenotten durch Markgraf Christian Emst 1686 nach der Aufhebung des Edikts von Nantes in Frankreich. Die Entstehung der Neustadt Christian-Erlang für die Refugiis, der Zuzug einer durch französische Kultur und religiöse Not geprägten geistig flexiblen Bevölkerungsgruppe, dazu der Residenzschloßbau veränderten mit einem Schlage die Atmosphäre der vorher verschlafenen Stadt, die bald ein Zentrum reformierter und adliger Kreise und Mittelpunkt geselligen Lebens wurde. Der Oberdirektor der Hugenottenstadt, Groß von Trockau, betrieb sogleich die Gründung eines Auditorium publicum, das 1701 umgewandelt wurde zu einer Academia practica oder Academia equestris im Stil der Zeit? Vorgeprägt vom Tübinger Collegium illustre (1589) und vom Mauritianum in Hessen (1599) hatte seit dem Dreißigjährigen Krieg mit dem wachsenden Einfluß des französischen Gesellschaftsideals die zeitgemäße «moderne» Erziehungsform und -schule der Ritterakademie zunehmend Eingang in die deutsche Bildungspolitik gefunden. Denn so wenig die herkömmliche scholastisch und humanistisch orientierte Ausbildung an den Universitäten dem Hof- und Militäradel zur Berufsvorbereitung noch genügen konnte, so sehr bedurften die Höfe im Zeitalter der heraufziehenden klassischen Außenpolitik und Diplomatie wohlgeschulter, rechts-, sprach- und umgangsgewandter Staats1 H.J. Schoeps, Das war Christian-Erlang, 1930; J. Bischoff, Die Entwicklung Erlangens im Überblick (JffL 11/12) 1953; Liermann, Erlangen (s. o. 623). 2 Zu Gesellschaftsideal und Ritterakademien allg. vgl. o. 632 Anm. 4L sowie Paulsen (s. o. 646 Anm. 1) I, bes. 314 ff.; F. Debitsch, Die Staatsbürger!. Erziehung an d. deutschen Ritterakademien, Diss. Halle 1927; zu Erlangen: E. Mengin, Die Ritter-Academie zu ChristianErlang. Ein Beitr. z. Gesch. d. Pädagogik, 1919; Gymnasium Fridericianum. Festschr. z. Feier d. 200jähr. Bestehens d. Humanist. Gymnasiums Erlangen 1743-1943, 1930; zur weiteren Geschichte der Universität: E. Deuerlein, Gesch. d. Univ. Erlangen in zeitl. Übersicht, 1927; W. Elert, Bayer. Friedrich-Alexander-

Univ. Erlangen (Das Akad. Deutschland I) 1930, in—120; F. W. Kantzenbach, Die Erlanger Theologie. Grundlinien ihrer Entwicklung im Rahmen d. Gesch. d. Theol. Fakultät 1743-1877, 1960. - Auch in Ingolstadt tauchte etwa gleichzeitig das Projekt einer Ritterakademie auf, ließ sich jedoch nicht verwirklichen; der Antrag von 1730 des Johann Josef Laubenthal, Inspektor der Holzniederlage zu Lechhausen, an den Kurfürsten scheiterte an den Voten der Universität, die u. a. auf Möglichkeiten der Adels-Erziehung an anderen Köllegien hinwiesen und das Unternehmen für überflüssig erklärten; vgl. Univ.-Arch. München G I Oct.-Nov. 1730. Zu Würzburg: F. K. Hümmer, Das v. Fürstbi. Julius gestiftete Seminarium Nobilium 1903.

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diener, deren Ausbildung - in neueren Sprachen, in realistischen Disziplinen, wie Mathematik, Fortifikation und Genealogie, in adligen Exerzitien - den praktischen Aufgaben entsprach. Das Bildungsideal des «galant homme» war keine Kampfansage gegen die konfessionellen Universitäten alter Ordnung, sondern es fügte sich gleichsam als neuer standesgemäßer Bildungsweg durchaus in die Ziele des barocken Konfessionsstaates auf dem Wege zum fürstlichen Absolutismus. Auch in dieser Hinsicht folgte der fränkische Schutzherr der Hugenottensiedlung und Ritterakademie Christian-Erlang den Bahnen Brandenburgs: dort hatte in der brandenburgisch gewordenen herzoglich-magdeburgischen Residenzstadt Halle ein hugenottischer Günstling 1680 mit Förderung des Großen Kurfürsten eine Exerzitienschule eingerichtet, die 1688 zur staatlichen Ritterakademie erhoben und 1694 zur Universität ausgebaut wurde.1 Auch die Francke’schen Stiftungen von Halle zeitigten deutliche Einflüsse auf die Erlanger Akademie. Als diese dann jedoch wider Erwarten nicht recht florierte 1741 wies eine Reklameschrift «Nachricht von der gegenwärtigen Verfassung der Ritterakademie ... zu Christian Erlang» nochmals auf die attraktiven Vorzüge u. a. für die «spielende» Erlernung der französischen Sprache hin, - konzentrierte sich nun der alte Universitätsplan mit neuer Kraft. Die Frage war nur, welches der beiden Fürstentümer, Ansbach oder Bayreuth, zum Zuge kommen sollte. 1726 stiftete die Markgrafenwitwe Christina Charlotte von Ansbach eine ansehnliche Summe aus der Privatschatulle und erwirkte ein Privileg Kaiser Karls VI. Dann aber wurde Bayreuth führend unter Markgraf Friedrich (1735-1763), der die Ritterakademie nach Bayreuth verlegte und mit dem dortigen Gymnasium 1742 zur Academia Fridericiana erhob, um sie 1743 mit Privileg Kaiser Karls VII. in Erlangen im Gebäude der eingegangenen Ritterakademie als Universität neu zu eröffiien, während das alte Ansbacher Gymnasium 1737 die Nachfolge der aufgehobenen Fürstenschule von Heilsbronn als neubelebtes Gymnasium academicum übernahm. Als treibende Kräfte2 standen hinter der Universitätsstiftung neben dem Markgrafen selbst seine Gemahlin Friederike Sophie Wilhelmine, die Schwester Friedrichs des Großen, und Daniel Superville, damals einer der angesehensten Männer am Hof, ein aus Rotterdam gebürtiger Franzose, welcher, empfohlen vom preußischen Königshof, seit 1739 als Leibarzt der Markgräfin und mit dem Titel eines Bergwerkdirektors in Bayreuth wirkte? Der Geist preußisch-französischer Aufklärung Voltaire’scher Prägung löste nun die bisher vorherrschenden pietistischen Strömungen in BayreuthErlangen ab. Exemplarisch greifbar wurde das schon bei den Eröflhungsfeierlichkeiten, als unter der Schirmherrschaft der Fürstin zwei Disputationen über höchst modern anmutende Thesen stattfanden, und zwar nach ihrer Weisung in deutscher Sprache und unter Ausschluß biblischer Argumentation: «Einer Materie Denkfähigkeit zuzuschreiben, ist keine sich selbst widersprechende Annahme», und: «Auch die Urstofie 1 W. Schrader, Gesch. d. Friedrichs-Universität zu Halle, 2 Bde., 1894; E. Neuss, Die vorakademischen Akademien in Halle (Hallesehe Universitätsreden NF) 1961, dort 27 f. Text des Reglement v. 1686 für die Exerzitienschule. 43 HdBGIII.i

2 Pfeiffer (s. o. 623). 2 E. Sbhling, Daniel v. Superville. Das Kanzleramt an d. Universität Erlangen, 1893.

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der Körper sind zusammengesetzt».1 Kennzeichnend für das geistige Milieu der Gründung ist auch das entscheidend für Erlangen gegen Kulmbach oder Hof plädierende Gutachten von E. Roßmann;1 2 es hebt u. a. hervor, allein in Erlangen könnten so wie in Halle und Leipzig «alle drey gedultete Religionen ihr Religions-Exercitium treiben». Im übrigen spreche für diese Stadt die Anwesenheit von Franzosen und Künstlern, die «allemahl zum Umgang mit Studenten geschickter» seien, «als Leute, die sich nur auf den Ackerbau, das Bierbrauen und andere ungeschickte Hanthirung legen». Das nahe Nürnberg biete überdies Möglichkeiten für den Wechsel. Neben den Aufklärungsuniversitäten Halle und Göttingen verkörperte die Erlanger Hohe Schule organisatorisch wie wissenschaftlich den neuen Typ der Kurator-Universität im Zeichen des rationalistisch-kameralistischen Stils, jedoch anfangs mit individueller Ausprägung der Verwaltungsstruktur. Die Verfassung wurde geordnet durch die markgräflichen Stiftungsbriefe von 1742 und 1743 und durch die von Bayreuth her inhaltlich bestimmten kaiserlichen Privilegien.3 Während der Landesherr sich den Titel des Rector magnificus reservierte, wurde die volle Leitungsgewalt und Aufsicht über alle Universitätsbelange einem dem Markgrafen immediat verantwortlichen Direktor im Rang eines Geheimen Rates übertragen, so daß Universitäts- und StaatsVerwaltung vorerst gesondert blieben. Im Unterschied zu anderen Hochschulen war der Direktor hier also nicht - etwa als Staatsminister oder auch als Professor - nebenamtlich mit den Kuratoraufgaben betraut, sondern er erfüllte diese hauptamtlich neben und unabhängig vom fürstlichen Staatsapparat. Ihm oblag die Berufung der Professoren, die Verpflichtung von Lehrern und Beamten, die Beaufsichtigung des Lehrbetriebes, die Zensur; er ernannte die ersten Professoren, den amtierenden Prorektor, den Prokanzler (Jurist), dem gleichzeitig die Pfalzgrafenbefugnisse zustanden, und die Dekane; und er normierte die jeweiligen Kompetenzen. Aufbau und erste Verfassungsentwicklung lagen demnach ganz in den Händen des Gründungsdirektors, - das war Daniel von Superville,4 der dem Amt durch seine sicheren, großangelegten und mutigen Konzeptionen abseits von bürokratischer Routine eine persönliche Note verlieh. Ähnlich wie Veit Ludwig von Seckendorff in Halle oder Gerlach Adolph von Münchhausen in Göttingen gehörte Superville in die Reihe der großen «organisateurs» des achtzehnten Jahrhunderts, der dank der Struktur seines Amtes ein noch zentralistischeres Regiment führen konnte, als jene. Er arbeitete unermüdlich für die Verbesserung der Lage der Professoren, für die Förderung der wissenschaftlichen Belange und der Bibliothek, der er seine eigene umfangreiche Sammlung von Büchern und medizinischen Instrumenten vermachte, und für die Selbständigkeit «seiner» Universität. Mit dem Einfluß aber wuchs auch die Zahl seiner Gegner, deren erster Sieg 1746 die Umwandlung des persönlichen Direktorats in ein Kuratorium zugunsten der kollegialen Mitwirkung von Senat und Fakultäten war 1 Ebd. 31; Liermann, Erlangen (s. o. 623) 203. 2 E. Rossmann, Gedanken v. Aufrichtung einer Universität in Teutschland insbes. zu Erlangen 1743 (Erlanger Universitätskalender

WS 1911) 29 ff.; Teilabdruck bei Sehung (s. o. 673 Anm. 3) 173 ff. 3 Stiftungsdokumente bei Fikenscher (s. o. 671 Anm. 3). 4 Sehung (s. o. 673 Anm. 3) bes. 92 ff.

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(z. B. für das Vorschlagsrecht bei Berufungen). Noch zwei Jahre wirkte Superville als vom Markgrafen ernannter Cancellarius perpetuus; 1748 wurde er aus nicht ganz geklärten Gründen gestürzt und trat in braunschweigische Dienste. In Erlangen fungierte zunächst ein neuer Kanzler, nach dessen Entlassung 1752 das Kuratorium noch verschiedentlich umgestaltet und schließlich abgelöst wurde durch eine dem Ministerium eingegliederte Kuratelbehörde, vergleichbar der bayerischen Geheimen Universitätskuratel für Ingolstadt.1 Diese Verfassungsentwicklung der Erlanger Hochschule war symptomatisch für die deutsche Universität auf dem Wege zur staatlichen Körperschaft des neunzehnten Jahrhunderts. Zweifellos erlebten die Universitäten im Zeitalter der profilierten Kuratoren, Kanzler oder Direktoren eine Blüteperiode seltener Art, die allerdings nur kurzlebige Übergangserscheinung blieb. Denn Allmacht und Leistung jener Vertrauensmänner im Glanz der fürstlichen Höfe, die noch nicht so sehr «Ressortchefs» oder Funktionäre staatlicher Unterrichtsbehörden waren, als vielmehr Organisatoren kraft Ansehens und verantwortungsfreudiger, oft mutiger Initiative, stand und fiel mit dem persönlichen Format und mit der fürstlichen Gunst; beides aber - der kollegialen Selbstverwaltungstradition der universitas magistrorum naturgemäß ein Dom im Auge - ließ sich nicht dauerhaft institutionalisieren. Und so wich die persönlich geprägte Kurator-Universität dem stetig vordringenden bürokratischen Mechanismus der staatlichen Behörden. An der Erlanger Universität machte sich der Verlust Supervilles bald empfindlich bemerkbar, nicht nur im häufigen Wechsel der führenden Verwaltungsleute, sondem auch in mancherlei Disziplinarschwierigkeiten mit den Studenten und in der progressiven Finanznot, zumal die Landstände kein besonderes Interesse zeigten. Unter Markgraf Friedrich Christian wurde sogar ernsthaft daran gedacht, die Universität aufzuheben,1 2 deren Gründung im Zeitalter der Forschungsakademie-Bewegung immerhin ein Wagnis gewesen war. Zwar sind auch für die folgenden Jahrzehnte manche Verbesserungen zu verzeichnen, namentlich unter Markgraf Alexander (1769 bis 1791) nach der Wiedervereinigung der beiden Fürstentümer; seit ihm führt die Hochschule den Namen Friderico-Alexandrina. Er erließ eine Verordnung, daß alle Landeskinder, die auf Anstellung rechnen, mindestens zwei Jahre in Erlangen Studieren müssen; er ging energisch gegen die Studentenorden vor, was Erlangen allerdings den Vorwurf mangelnder akademischer Freizügigkeit eintrug; er bemühte sich um Gewinnung bedeutender Gelehrter (der 1759 umworbene Kant lehnte allerdings ab). 1771 wurde ein Botanischer Garten angelegt und 1777 ein philologisches Seminar nach Göttinger Muster. Sichtbar spiegelt sich der Fortschritt auch wieder in der intensivierten Gutachtertätigkeit der Juristenfakultät.3 Eine gründliche Reorganisation brachte aber erst die preußische Ära 1791 bis 1806 unter Minister von Hardenberg, der schon in den letzten Jahren Markgraf Alexanders der 1 Vgl. künftig C. Wallenbxitbr, s. u. 677. 2 Fikbnscheb (s. o. 671 Anm. 3) 339 ff. 3 G. Baumgäbtel, Die Gutachter- u. Urteilsfähigkeit d. Erlanger Juristenfakultät im ersten 43*

Jh. ihres Bestehens, zugleich ein Beitr. z. Gesch. d. Rechtspflege (Erlanger Forsch. R. A : Geisteswiss. 14) 1962. - Zu folgendem auch Häutung (s. o. 407).

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Franken: E. IV. Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung

Universitätskuratel vorgestanden war. £s schien zunächst schmerzlich, daß die Universität nun herabsank zu einer unter den zahlreichen Schwestern des preußischen Königreiches, wodurch sie manche provinzielle Eigentümlichkeit einbüßte. Andererseits genoß sie mit der gestrafften Organisation vor allem eine reichlichere staatliche Dotierung, welche die markgräfliche Regierung nicht mehr hatte aufbringen können. König Friedrich Wilhelm ΙΠ. zeigte durch seinen zweimaligen Besuch in Brlangen lebhafte persönliche Anteilnahme an seiner jüngsten preußischen Hochschule, die bald wieder Anziehungspol für eine gelehrte Elite wurde und überdies bevorzugter Treffpunkt von Revolutionsflüchtlingen. Die Einrichtung neuer Institute wurde eingeleitet, insbesondere ein großzügig geplanter Klinikbau, dessen Fertigstellung jedoch der Kriegsausbruch hinderte. Die bis heute bestehende «Societas physicomedica» fand damals ihre Grundlegung (vollzogen 1808). Zu einer Wiege gesamtdeutscher Entwicklung wurde Erlangen in jenen unruhigen Jahren aber insonderheit hinsichtlich des Studentenwesens, das seit dem späteren achtzehnten Jahrhundert erhöhtes politisches Engagement entfaltete und durch Ordensbildungen, gesteigert durch Einflüsse der Französischen Revolution, teilweise staatsfeindliche Formen angenommen hatte.1 Es war daher von zukunftsweisender Tragweite, daß die Regierungsbehörde das Promemoria des Theologen Seiler beherzigte, den illegalen geheimen Orden nicht mehr einseitig durch Strafen, sondern durch offizielle kontrollierende Duldung gewisser studentischer Verbindungstendenzen zu begegnen. Die Anerkennung von vier Studentengesellschaften 1798 und die Gründung des ältesten Studentenkorps «Onoldia» in Erlangen2 wurde somit epochemachend für die differenzierte Geschichte der deutschen Verbindungen im neunzehnten Jahrhundert: Endpunkt des langen Prozesses der Ausgliederung der Studenten aus der mittelalterliehen universitas magistrorum et scholarium und Beginn ihrer selbständigen politisch-korporativen Zusammenschlüsse, die mit eine Wurzel bilden für das Ringen um das Verhältnis von Universität und Studenten in der Neuzeit. 1806 entstand zudem in Erlangen der erste deutsche Turnplatz, eingerichtet von Fechtmeister Johann Adolf Karl Roux. Was den Lehrbetrieb angeht, so konzipierte 1805 Fichte als Philosophieprofessor in Erlangen aus seiner Vorlesung über «Das Wesen des Gelehrten» seine bahnbrechenden, damals noch revolutionären «Ideen für die innere Organisation der Universität Erlangen» als Denkschrift für Hardenberg mit Vorschlägen zur Neugestaltung des Unterrichts nach dialogischen Prinzipien.3 Die Fortentwicklung erlitt indes eine Unterbrechung mit dem Zusammenbruch der preußischen Herrschaft, wodurch Ansbach (an Bayern) und Bayreuth (an Frankreich) nochmals auseinandergerissen wurden. Die französische Ägide Erlangens 1806 bis 1810 brachte zwar keine wesentlichen Verfassungsänderungen trotz spürbarer 1 Daten mit Lit.-Angaben bei Deuehlein (s. o. 672 Anm. 2); zum allgemeinen vgl. Schulze-Szymank, Das deutsche Studententum v. d. ältesten Zeiten b. z. Gegenwart, 19324; Μ. Rassem, Die problemat. Stellung d. Studenten im sog. Humboldtschen System (Revolution statt Reform? Der Student in

Hochschule u. Ges.) 1968, 15-36 (mit Lit.). Zentralbibi. u. -archiv f. Gesch. d. studentisehen Vereinigungen jetzt in der Univ.-Bibliothek Würzburg. 2 H. Schultheiss, Das Korps Onoldia zu Erlangen 1798-1898, 1898. 3 Schoeps, Skizzen (s. o. 623) 439 ff.

5 !6. Hochschulpolitik in Nürnberg - Altdorf und Ansbach - Bayreuth - Erlangen (L. Boehm)

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Einengung der Universitätsgerichtsbarkeit; sie brachte auch keine eigentliche geistige Stagnation, aber doch eine harte wirtschaftliche Krise. Erst nachdem die bayerische Verfassung von 1818 nach Jahren der Unsicherheit den Fortbestand der Hochschule verbürgt hatte, begann - erstmals - eine kontinuierliche Entfaltungsmöglichkeit für die dritte bayerische Landesuniversität (vgl. HB IV). Bibliogr. Nachtrag: Nach Veröffentlichung des HB II sind z. bayer. Hochschulgeschichte erschienen: A. Seifert, Statuten- u. Verfassungsgesch. d. Univ. Ingolstadt 1472-1586 (Ludovico Maximilianea. Univ. Ingolstadt-Landshut-München, hg. v. J. Spörl u. L. Boehm, Forschungen 1) 1971; vgl. hier bes. 53 zu Statutenbeziehungen Ingolstadt-Würzburg; H. Dickerhof, Land, Reich, Kirche im hist. Lehrbetrieb a. d. Univ. Ingolstadt. Ignaz Schwarz 1690-1763 (ebd. 2) 1971; C. Wallenreiter, Die Vermögensverwaltung der Univ. (Ingolstadt-)Landshut-München. Ein Beitrag zur Gesch. d. bayer. Hochschultyps vom 18. zum 20. Jh. (ebd. 3) 1971. - Als nächste Bände folgen (1972): H.J. Real, Die privaten Stipendienstiftungen der Univ. Ingolstadt im ersten Jh. ihres Bestehens; mit Anhang A. Seifert, Das Georgianum 1494-1600. Frühe Gesch. u. Gestalt eines staatlichen Stipendiatenkollegs; R. A. Müller, Universität und Adel. Eine sozio-strukturelle Studie z. Gesch. der Univ. Ingolstadt 1472-1648; vgl. dort u. a. Ausführungen zum Studienanteil des fränk. u. schwäb. Adels sowie zum Problem des frühneuzeitl. Adelsrektorats. - Vor Abschluß steht u. a. die Diss. von K. Neumaier zur Publizistik d. bayer. Rechtslehrer im 17. u. beg. 18. Jh. als Beitrag zur Jurisprudenz d. Barockzeitalters (erscheint ebd.). - Neben den Forschungen der Reihe Ludovico Maximilianea wird die Abtlg. Quellen 1972 eröffnet mit Dokumenten zur Univ.-Gerichtsbarkeit (Ingolstadt, Landesherr u. Kanzcllariat d. Bischofs v. Eichstätt) im 16. Jh., bearb. v. A. Seifert, sowie mit Dokumenten zur Gesch. u. Stellung der Phil. Fakultät München im Rahmen des bayer. u. dtsch. Hochschulwesens im 19. Jh., bearb. v. H. Dickerhof, beide Bände von Relevanz f. d. gesamtbayer. Hochschulraum. - Für das Jubiläum d. Univ. München 1972 befinden sich weiterhin in Vorbereitung eine Festschrift m. Beitrr. u. a. von J. Boessneck, H. Gericke, S. Gagner, H. Goerke, G. Schwaiger zur Institutions- u. Wiss.-Gesch. der Fakultäten u. Disziplinen sowie ein Band mit Bild-Dokumentationen z. Geschichte d. Ludwig-MaximiliansUniversität.

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DAS SCHULWESEN (1500-1800) §77. DAS EVANGELISCHE SCHULWESEN H. Heppe, Gesch. d. deutschen Volksschulwesens, 5 Bde., 1858/60; E. Reicke, Lehrer u. Unterrichtswesen in d. deutschen Vergangenheit. Mit 130 Abb. u. Beilagen nach Originalen aus d. 15. bis 18. Jh., 1901; G. Mertz, Das Schulwesen d. deutschen Reformation im 16. Jh., 1902; Heigenmooseh-Bock, Gesch. d. Pädagogik. Quellenbuch u. Überblick d. Gesch. d. Päd. Mit bes. Berücksichtigung d. Bayer. Erziehungs- u. Schulgesch., 2 Bde., 19123; J. Dolch, Lehrplan d. Abendlandes, 1959; F. Hahn, Die ev. Unterweisung in d. Schulen d. 16. Jhs., 1957; R. Alt, Bilderatlas z. Schul- u. Erziehungsgesch., 2 Bde., 1960/65; R. Schmidt, Volksschule u. Volksschulbau v. d. Anfängen d. niederen Schulwesens bis in d. Gegenwart, Diss. Mainz 1961; Dietrich-Klink, Zur Gesch. d. Volksschule, I: Volksschulordnungen 16.-18. Jh., 1964; H. Hettwer, Herkunft u. Zusammenhang d. Schulordnungen. Eine vergleichende Studie, 1965 (viel Lit.!). Will-Nopitsch (s. u. 1458); Will, Bibliotheca Norica (s. ο. 416); R. Vormbaum, Ev. SchulOrdnungen, 3 Bde., 1860/64; O. Langguth, Quellen z. Schulgesch. d. Grafschaft Wertheim, 1937; Bayer. Archivinventare (s. u. 1457); Simon, KO. - Schulgesch. Einzeluntersuchungen sind rar, Gesamtdarstellungen für größere Gebiete fehlen ganz. Medicus (s. o. 416); Beitrr. BK 1-32, 1895/1925; ZBKG; Einzelarbeiten, in dieser Reihe sind mehrere Pfarrerbücher erschienen (s. u. 1458), die wichtige.Lit. zur Schulgesch. enthalten; Simon (i . Aufl. mit Lit.); Simon, HAB; JordanBürckstümmer; W. K. Schultheiss, Gesch. d. Schulen in Nürnberg, 5 He., 1853/57; H. W. Heerwagen, Zur Gesch. d. Nürnberger Gelehrtenschulen, 4 Schulprogramme, 1860/68; Μ. Herold, Alt-Nümberg in seinen Gottesdiensten. Ein Beitr. z. Gesch. d. Sitte u. d. Kultus, 1890; H. Steiger, Das Melanchthongymnasium i. Nürnberg 1526-1926. Ein Beitr. z. Gesch. d. Humanismus, 1926; A. Jaeger, Stellung u. Tätigkeit d. Schreib- u. Rechenmeister (Modisten) in Nürnberg im ausgehenden MA u. z. Zeit d. Renaissance, Diss. Erlangen 1925; H. Heisinger, Die Schreib- u. Rechenmeister d. 17. u. 18. Jhs. in Nürnberg. Ein Beitr. z. Gesch. d. Lehrstandes, Diss. Erlangen 1927; A. Kosbl, Sebald Heyden (1499-1561). Ein Beitr. z. Gesch. d. Nürnberger Schulmusik i. d. Reformationszeit, 1940; Schröttel (s. o. 416); v. Scheurl (s. o. 420 Anm. 1); Leder, Altdorf; Ch. Beck, Zur Einwirkung d. Halleschen Pietismus auf d. Erziehungswesen in Franken, 1932; A. Gabler, Altfränk. Dorf- u. Pfarrhausleben 1559-1601 (Sinnbronn), 1952; D. Bloch, Gesch. d. Kirchen-, Schul- u. Stadtmusik i. Neustadt a. d. A. bis z. Beginn d. 20. Jhs., Diss. Erlangen 1956; Leder, Kirche u. Jugend in Nürnberg (s. o. 417 Anm. 4).

a) Vor der Reformation Forschungslage. Die Geschichte des Schulwesens in Franken ist weithin unerforscht. «Es klafft eine schmerzliche Lücke: nicht nur die schulgeschichtlich weniger ergiebigere Oberpfalz fehlt, sondern ganz Franken. Das letztere bedeutet freilich eine ungeheure Aufgabe: zu den markgräflichen und bischöflichen Gebieten treten ja zahlreiche Reichsstädte, von denen mehr als eine Schulen aufzuweisen hat, deren Geschichte auch neben dem alles überragenden Nürnberg von größtem Interesse ist.»1

1 So A. Rehm, Erziehungs- u. Schulgesch. Bayerns (ZBLG 15) 1949, 138-141; ebenfalls unerforscht ist die Markgrafschaft AnsbachBayreuth: Jordan-Bürckstümmer I 309; in

Neustadt a. d. Aisch ist über voneformatorisches Schulwesen so gut wie nichts bekannt: Bloch (s. o. ) 23; einiges in der Fränk. Bibliographie I (s. u. 1457).

77 $‫· *י‬Döj evangelische Schulwesen (K. Leder)

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1. Niedere Schulen. - Auf dem Lande. Für die vorreformatorische Zeit sind die bisher aufgefundenen Nachrichten spärlich. Über niedere Schulen auf dem Land ist so gut wie nichts bekannt; mit großer Wahrscheinlichkeit kann daraus geschlossen werden, daß trotz der vielfältigen Wünsche mittelalterlicher Synoden auf dem Land keine Schulen existierten.1 - In den Städten. Jedoch gab es in verschiedenen Reichsstädten bereits im dreizehnten Jahrhundert sog. «Schreib- und Rechenmeisterschulen», im Unterschied zu den mittleren und höheren Lateinschulen «Teutsche Schule» genannt.1 2* So sind mit Sicherheit in Dinkelsbühl, Nördlingen und Nürnberg «Teutsche» Schulen nachweisbar? Sie waren, und blieben bis ins achtzehnte Jahrhundert, Privatschulen, von Rat und Kirche grundsätzlich unabhängig und zunftmäßig geordnet. Gegen geringes Schulgeld vermittelten sie praktische Kenntnisse für das tägliche Leben der Kaufleute und Handwerker.4 Die Mehrzahl der Nürnberger Kinder besuchtekeine der vier Lateinschulen - von denen die Mädchen ja generell ausgeschlossen blieben bis ins achtzehnte Jahrhundert -, sondern eine der vielen Schreib- und Rechenschulen? Hierin wurden die jüngeren Kinder meist von sog. Lehrfrauen, die älteren von den Schreib- und Rechenmeistern, im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet. Schreiben und Lesen galt im Mittelalter als freies Gewerbe; so übte der Schulhalter sein Amt als freier Geschäftsuntemehmer aus. Aus diesem Grunde findet man auch kaum Nachrichten in den städtischen Archivalien; da die Lehrmethode streng geheimgehalten wurde, ist auch hierüber nichts bekannt.6 1 Zu den Synodalforderungen: A. Brück, Kurmainzer Schulgesch., 1960, 2; für das Eichstätter Bistum, zu dem auch Nürnberger Gebiete gehörten, stellt Buchner, Schulgesch. 7 fest: «Eine sog. Mesnerschule hat es im MA nicht gegeben»; die Visitationsprotokolle des Fürstbischofs Gabriel v. 1499 enthalten «keine Silbe über die Schulverhältnisse»: Buchner, Schulgesch. 23. In der benachbarten Oberpfalz ist nirgends eine Schule auf den Dörfern nachweisbar: J. B. Götz, Die religiöse Bewegung i. d. Oberpfalz 1520-1560, 1914, 151; ebenso in der Grafschaft Rieneck vor 1530 keine Schule nachweisbar: (AU 20) 1869, 148 f.; auch in Langenzenn keine Schule: (Jb. Mfr. 15) 1846, 19-23; in dem Freidorf Geißlingen ebenfalls vor 1577 keine Schule nachweisbar: W. Schaudig, Urkundl. Beitrr. (ebd. 45) 1896, 86; in Ostemohe vor 1595 keine Rede von einer Schule: F. Pröll, Ostemohe (ebd. 50) 1909, 129; auch in Gunzenhausen vor der Reformation keine Schule nachweisbar: Th. Stark, Heimatbuch Gunzenhausen, 1939, 45; i. d. Grafschaft Wertheim ebenfalls keine dtsch. Schule: Langcuth (s. o. 678); ebenso in Kirchenlamitz: F.Lippert (AO), 1917,1-50.-Anders Neundorfer s. u. 696. 2 1402 die erste in Lübeck, 1432 in Hamburg: Heppe (s. o. 678) 37 ff.

3 Der erste dem Namen nach bekannte Rechenmeister in Nürnberg ist Jobs Kapier, dem der Rat 1409 Aufnahme gewährte, «dieweil er Kinder lernt»: K. Weissmann, Zur Gesch. d. niederen Schulwesens in Altdorf u. seiner Umgebung (Reichswaldbl.) 1941, 3-7 u. 11; zu Nürnberg vgl. Jaeger (s. o. 678); zu Nördlingen: Daniel E. Beyschlag, Versuch einer Schulgesch. d. Reichsstadt Nördlingen, 6 He., Nördlingen 1793/97. 4 Jaeger (s. o. 678) u. P. Sander, Die reichsstädt. Haushaltung Nürnberg. Dargestellt auf Grund ihres Zustandes v. 1431-1440, 2 Bde., 1902, I 223; über die Besoldung deutscher Schulmeister vor der Reformation ist nichts bekannt; wohlhabendere Eltern hielten sich einen Hauslehrer: H. v. Schubert, Lazarus Spengler, 1934. 34· s Zu Anfang des 15. Jhs. ist bisher eine Mädchenschule nur in Nördlingen nachweisbar, 1411 aus zwei, 1420 aus drei Klassen bestehend: Nüzel, Schulwesen in Nördl. (HVN 18) 1934/ 3$, 41; zur Schulfrequenz in Nürnberg im 15. Jh.: s. Städtechroniken, Nürnberg (s. u. 1460) IV 382 f.; v. Schubert (s. o. Anm. 4) 35. 6 Jaeger (s. o. 678) 1-4; Paulsen (s. 646 Anm. 1) I 20; Schultheiss (s. o. 678) II 22-27; Sander (s. 0. Anm. 4) I 233.

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Franken: E. V. Das Schulwesen 1500-1800

2. Lateinschulen. Auch über Klosterschulen im Gebiet des späteren evangelischen Frankens ist nur wenig bekannt. Mit Sicherheit bestanden in den Zisterzienserklöstem Heilsbronn und Nördlingen bereits im vierzehntenJahrhundert Lateinschulen;1 spätestens seit 1411 ist eine Schule im Kloster Dinkelsbühl nachweisbar.1 2 Zu den ältesten Schulen in ihrem Gebiet gehören auch die beiden Klosterschulen in Gunzenhausen und Heidenheim.3* Die Klosterschulen hatten ihr Vorbild in der «schola cantorum» Gregors des Großen, waren in der Regel für Laien nicht zugänglich, boten keinen wissenschaftlichen Unterricht, sondern eine Vorbereitung für künftige Kleriker. * Neben ihnen existierten auch in kleineren Städten oft Parochialschulen, deren Geschichte ebenfalls bis ins dreizehnte Jahrhundert zurückverfolgt werden kann. So begegnet gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts eine ungeteilte Parochialschule in Nördlingen,1 im Laufe des vierzehntenJahrhunderts entstanden drei Pfarrschulen in Nürnberg,6 Schulen in Hersbruck, Neustadt/Aisch und Pappenheim.7*Seit dem fünfzehnten Jahrhundert sind Lateinschulen in Altdorf, Dinkelsbühl und Rothenburg bezeugt.· Diese Pfarr-, Parochial-, Trivial- oder Lateinschulen besaßen nicht die Aufgabe, bestimmte Bildungselemente zu vermitteln, sondern fungierten als Hilfsanstalt der Kirche. Die Schüler wurden bei den Gottesdiensten zum Choral- und Figuralgesang, sowie bei den Beerdigungen und Prozessionen gebraucht; für diese liturgische Mitarbeit wurden sie im Schreiben, Lesen des Lateinischen, sowie den Elementen der Musik unterrichtet, in Einzelfällen bis zur Universitätsreife vorbereitet.’ In diesem Tatbestand ist die Integration von Kirche und Schule bis ins achtzehnte Jahrhundert begründet. In Nürnberg war das höhere Schulwesen aber auch in das städtische Gemeinwesen integriert;10 die Kirche besaß hier kein Schulmonopol. Die Schule war sowohl mit der 1 Buchner, Schulgesch. 246 f.; Beyschlag (s. o. 679 Anm. 3) I 7 f. 2 L. Schnurrer, Die Urkunden d. Stadt Dinkelsbühl (Bayer. Archivinventare 15) 1960, nr.473■ 3 Stark (s. o. 679 Anm. 1) 44; von einem geregelten Unterricht d. Jugend enthalten die Stiftungsbriefe d. Klosters Langenzenn keine Nachricht, obwohl darin die Tätigkeit der Kleriker detailliert geschildert wird: Loschge, Schule Langenzenn (Jb. Mfr. 15) 1846, 19. ♦ Heigenmoosbr-Bock (s. 0.678) I 3-6; freilieh gab es auch Klöster mit einer inneren u. einer äußeren Schule, bes. bei d. Benediktinern: ebd. Π 10-12. 3 Beyschlag (s. o. 679 Anm. 3) I 11 f.; seit 1370 sind Nördlinger Söhne auf Universitäten nachweisbar: K. Kern (WF 5) 1916, 17-48. 6 Zur Gesch. d. Nürnberger Lateinschulen J. Ch. Siebenkees, Materialien z. Nürnberger Gesch., Nürnberg 1792,1 269-288.

7 Als erster Rektor wird 1418 Karlstein genannt: G. Schmidt, Werdegang d. Hersbrucker Schulen (Heimat-Beilage z. Hersbr. Zeitung 25) 1955. !3; zu Pappenheim: Buchner, Schulgesch. 455 f.; zu Neustadt: Bloch (s. o. 678) 23. 8 1470 erwähnt eine Stiftungsurkunde in Altdorf zwei Lateinschullehrer: Buchner 59; zu Dinkelsbühl: L. Schnurrer, Die Urkunden d. Stadt Dinkelsbühl 1451-1300, nr. 1289 v. 25.5.1474 (Bayer.Archiv. Inv. H.19) 1962; zu Rothenburg: H. W. Bensen, Das Gymn. zu Rothenburg ο. T. (Jb. Mfr.) 1848, 2. ’ Carl Chr. Hirsch, Nachricht v. den Nümberger Trivial-Schulen (Acta scholastica V) Leipzig u. Eisenach 1745, 351-384, 558-570. 10 Im 14. u. 15. Jh. gehen die Pfarrschulen allenthalben in die Observanz des Rates über, z. B. in Nördlingen: Nüzel, Die Anfänge d. Schulwesens (Jb. d. HV Nördlingen 18) 1934/ 35, 35 ff-

§ 7‫ך‬. Das evangelische Schulwesen (K. Leder)

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Kirche als auch mit dem Rat verbunden. Die Pfarrkirchen hatten alle finanziellen Lasten zu tragen und durften die Schüler dafür jederzeit zum liturgischen Dienst heranziehen. Die Leitung des Schulwesens lag in den Händen des Rates; dieser ließ sich geeignete Schulmeister nominieren, präsentierte sie dem Pfarrherren und verpflichtete sie durch einen Diensteid. Der Rat überwachte Lehrbetrieb und Disziplin und übte die Aufsicht über die von der Kirche zu unterhaltenden Gebäude aus.1 Die Schulmeister und deren Gehilfen waren ihrer Herkunft nach vagierende Studenten, Kleriker, oftmals selbst noch Schüler; sie wurden äußerst gering besoldet,1 2*wurden meist nur für einige Monate oder ein Jahr angestellt, wohnten und unterrichteten in einem halbzerfallenen Gebäude und mußten sich auf eigene Kosten bei größerer Schülerzahl Hilfslehrer halten, deren Kenntnisse meist nicht viel über denen der Schüler lagen. Je nach Güte des Lehrers waren die Schulen frequentiert.’ An Lehrstoff vermittelten sie das sog. Trivium: Grammatik, Logik und Rhetorik. Größere Schulen wie in Nümberg waren in drei oder vier Abteilungen gegliedert: Tabulisten, Donatisten, Catonisten und Alexandristen.4 Die vom Rat erlassene Schulordnung war für die Lehrer verpflichtend. Als älteste Nürnberger Schulordnung gilt die Hausordnung für die zwölf Chorales im Heilig-Geist-Spital aus dem Jahre 1343; wie in allen vorreformatorisehen Lateinschulen ist der Unterricht «darumb gemacht, das frum gaistlich leut gezogen werden»,5 Der Schulbericht des Nürnberger Rektors Georg Altenstein gibt lebendigen Einblick in die damals wohl überall ähnlichen Verhältnisse in den Lateinschulen; auch hierin wird die Schule als liturgische Hilfsanstalt derKirche sichtbar.6Die wohl im gleichen Jahr 1485 in Nürnberg erlassene Schulordnung wurde durch ihre humanistische Prägung auch für andere fränkische Lateinschulen bis weit ins siebzehnte Jahrhundert wegweisend.7

b) Im 16. Jahrhundert Für die Reformatoren besaß die Schule eine eminent kirchliche Bedeutung. So stand für Luther fest: «Und soll die christliche Kirche wieder aufkommen, so muß der An1 v. Schubert (s. o. 679 Anm. 4) 34 und Sander (s. o. 679 Anm. 4) I 224 f. 2 Zur Besoldung: Heerwagen (s. o. 678) I 34-36; J· Müller, Vor- u. frühreformator. Schulordnungen u. Schulverträge, I 1885, 103-105; E. Reicke, Lehrer u. Unterrichtswesen, 1901, 61-65; J. W. Hilpert, Gesch. d. Entstehung u. Fortbildung d. prot. KirchenVermögens der Stadt Nürnberg, 1848, 12 f., 47; zu Rothenburg: Bensen (s. o. 680 Anm. 8) 3; Gunzenhausen: K. Schornbaum, Zwei alte Saalbücher (ZBKG 22) 1953, 8 f.; Hilfslehrer: J. Ackstaller, Das Helfersystem i. d. mittelalterl. Schulerziehung, Diss. München 1933. ’ Bensen (s. o. 680 Anm. 8) 2 f.; in Nordlingen war im 14. Jh. der Schulmeister gleichzeitig Kaplan an St. Georg: Nüzel, Anfänge (s. o. 680 Anm. 10) 34.

4 Heigenmooser-Bock (s. o. 678) Π 10 ff.; Beyschlag (s. o. 679 Anm. 3) II24; C. Otto, J. Cochlaeus, 1874, 19°· 5J. Mülle» (Hg.), Vor- u. frühreformator. Schulordnungen u. Schulverträge in deutscher u. niederländ. Sprache, 2 Bde., 1885/86, hier I 17-22; Herold (s. o. 678) 282-28$; ihr ähnlich ist die älteste Bayreuther Schulordnung v. 1464: Heigenmooser-Bock (s. o. 678) I 26-29. 6 Heerwagen (ebd.) I 34-36. 7 Müller (s. o. Anm. 2) II145-159; Heerwagen (s. o. 678) I 8-12 u. II 5-10; Zur Frage der Datierung: Leder, Kirche u. Jugend (s. o. 617 Anm. 4); sie wurde z. B. in Nördlingen fast wörtlich übernommen: Beyschlag (s. o 679 Anm. 3) I 30 u. II 24-28.

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fang gemacht werden mit rechter Unterweisung der Kinder».1 Unterstützt von vielen Theologen und Gelehrten seiner Zeit bemühte er sich deshalb unentwegt um Aufbau, Ausbau und Reform des niederen und höheren Schulwesens? 1524 wandte sich Luther auch gezielt an die fränkischen Städte mit seiner Schrift: «An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen»? Zwei Jahre später unterbreitete er in seiner «Deutschen Messe und Ordnung des Gottesdienstes» detaillierte Vorschläge für die Unterweisung der Jugend. Im gleichen Jahr weihte der Präceptor Germaniae, Philipp Melanchthon, in Nürnberg das neue Gymnasium ein. In seinem «Unterricht der Visitatoren» veröffentlichte er 1528 einen präzisen Lehrplan für die Lateinschulen; er wurde auch für die fränkischen Schulen wegweisend? In seiner Predigt «Daß man Kinder zur Schulen halten solle» bezog sich Luther ausdrücklich auf die vorbildlichen Verhältnisse in Nürnberg; ganz klar formulierte er hierin das reformatorische Schulprogramm: «Nu ists ja gewis: wo man Kinder zu schulen hilfit, zeucht, hellt, auch dazu gelt und rat gibt, auff das solchs geschehe, das heisset ja gewislich die kinder zu Christo gebracht und gefordert. Ich rede ja itzt nicht von Bubenschulen noch von unzüchtigen heusem, Sondern von den schulen, da man kinder aufzeucht in künsten, züchten und rechten Gottesdienst, da sie lernen Gott und sein Wort erkennen und hernach Leute werden, tüchtig zu regieren Kirchen, Land und Leute, Heuser, Kind und Gesinde.»9 Mit Bedacht hatte Luther diese Schrift dem Nürnberger Ratsschreiber Lazarus Spengler gewidmet. Nürnberg stellt für Luther eine Art Modellfall dar bei der Verwirklichung seiner schulischen und damit katechetischen Pläne? Da sich das Schulwesen in Nürnberg und seinem Landgebiet ähnlich wie in vielen anderen fränkischen Städten und Territorien entwickelte und für die anderen Gebiete nur wenige Vorarbeiten vorliegen, soll im Folgenden besonders auf Nürnberg Rücksicht genommen werden. Die Mehrzahl der Kinder besuchte, zumindest im Winter, eine Schreib- und Rechenschule, auch Teutsche Schule genannt; in der Stadt wurden sie von geprüften und zugelassenen Schreib- und Rechenmeistern, auf dem Land von Pfarrern, noch nicht als Pfarrer angestellten Theologen, wenig ausgebildeten Lehrern oder Handwerkern geführt? Als Fibel benutzten die Kleinen die sog. «Tafel», die wichtige liturgische Texte enthielt. Doch bereits um 152$ wollten die Reformatoren den Lehrplan erwei1 Μ. Luther, WA 1, 494, 10 f. 2 Grundlegend immer noch Mertz (s. o. 678); neueste Darstellung von I. Asheim, Glaube u. Erziehung bei Luther, 1961. 3 Μ. Luther, WA 15, 9-53. ♦ Hberwagen (s. 0.678) I 28 f. u. 36 f.; Mertz (ebd.) 233. 9 Μ. Luther, WA 30, II 519 f. 6 Ausführlich bei Leder, Kirche u. Jugend (s. o. 417 Anm. 4). 7 Die Ansbacher Visitationsordnung 1336 verlangte, daß sich die Visitatoren genau nach

der Arbeit der deutschen Schulmeister erkundigen sollen, besonders ob sie den Katechismus treiben: Simon, KO 321, 339, 342; ebenso die Ansbacher Kapitelsordnung 1363/78: Simon, KO 334; ebenso in Rothenburg: ebd. 334. Wo im Ansbacher Gebiet Lehrer fehlten, wurden 1363 die Pfarrer selbst zum Unterrichten angewiesen: ebd. 293 u. Jordan-Bürckstümmer II 70 f. Der Mesnerdienst sollte möglichst an jemanden vergeben werden, der zum Schulehalten bereit war: Simon, KO 606.

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tert wissen: die Kinder sollten nicht nur notdürftig im Lesen, sondern auch im Schreiben, Rechnen, Singen und besonders in der Religion unterwiesen werden. Für den Schreib- und Rechenmeister Johann Layner verfaßte Leonhard Culmann in Nürnberg den «Zuchtmayster für die jungen Kinder» als praktisches Hilfsbuch mit Anregungen und Lehrskizzen. Layner ließ es 1529 drucken, «damit es auch anderen diene».1 Im Mittelpunkt dieses Buches standen die Zehn Gebote, das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser; aber auch auf allgemeine Lebensregeln, Tischsitten und den Tageslauf eines Schulkindes wurde hingewiesen. Inwieweit solche Bücher nur in der Hand des Lehrers blieben oder auch von den Eltern für die Kinder gekauft wurden, ist bisher nicht untersucht. Auch für den Unterricht im Katechismus und Kirchenlied erschienen Unterrichtshilfen.1 In seiner Schrift «An den Adel» hatte Luther 1520 postuliert: «Für allen dingen solt in den hohen und niedem schulen die fürnehmst und gemeynist lection sein die heylig schrifft, vnd den jungen knaben das Evangely.»’ Hierfür erweiterte besonders Veit Dietrich die schmale Basis der Unterrichtshilfen; er widmete seine «Summarien» nicht zufällig dem Deutschen Schulmeister Neudörfer in Nürnberg. Dietrich sah in seinen vielaufgelegten Summarien das geeignete Lehr-, Lese- und Lembuch für die Deutschen Schulen.1234* 1533 erschien von Culmann ein Leitfaden für die Lektüre der Episteln; er ist ein Beleg, daß bereits in diesenjahren Luthers Kleiner Katechismus in den Deutschen Schulen Nürnbergs gebraucht wurde.9 Für das Landgebiet fehlen bis 1560 alle Quellen. Der Nürnberger Rat befaßte sich in seinen Sitzungen immer wieder mit den Lateinschulen in der Stadt und auf dem Land. Man setzte einen eigenen Schulausschuß ein, der beraten sollte, «wie man den schulen aufhelfen und geschickte schulmeister bekommen könne»;6 in mehreren Sitzungen verhandelte man über die Schulmeisterbesoldung, bis ins achtzehnte Jahrhundert das größte Hemmnis für eine positive Entwicklung des Schulwesens. Auch 1524 beschäftigte sich der Rat mehrmals mit den Lateinschulen.7 1525 wurde Nürnbergs profiliertester Schulmeister, Seybald Heyden, beauftragt, er solle «fleißig bedenken und ratschlagen, wie man in schulen besser ordnung bekommen mag, dadurch die jugent zur lemung geraizt und gezogen werde».8 Im gleichen Jahr beschloß der Rat, Melanchthon selbst als Experten in Schulangelegenheiten nach Nürnberg zu bitten. Der Wittenberger Professor schickte ein Gutachten; unterdessen gelang es, die Humanisten Joachim Camerarius und Michael Roting 1 Leonhard Culmann, Zuchtmayster für d. jungen Kinder, Nürnberg 1329; dazu Ledes, Kirche u. Jugend (s. o. 417 Anm. 4). 2 Zunächst waren es die Gesangbücher des 16. Jhs., z. B. das Nürnberger v. 1525, ausdrücklieh für die Jugend bestimmt: Stadtbibi. Nbg.: 7 an Theol. 631. 8°; Katechismen u. Gesangbücher des 16. Jhs. in Nürnberg bei Wm, Bibi. Norica (s. o. 416) II. 3 Μ. Luthes, WA 6, 461. 4 B. Klaus, Veit Dietrich. Leben u. Werk, 1938; der Text bei J. Μ. Reu, Quellen z. Gesch.

d. kirchl. Unterrichts, 8 Bde., 1904/24, II 452 bis 489. 9 L. Culmann, Den Knaben u. Mägdlein so teutsch lern, frag u. antwort über die Epistel S. Paulus zu Tito verteutscht u. geordnet, Nürnberg 1333. 6 Nbg. StaatsArch.: RV 689,6 v. 13. 3.1523. 7 Nbg. StaatsArch.: RV 699,1$ v. 4. 2.1524 u. 699,19 v. 10. 2.1524 u. 703,22 v. 25. j. 1324 u. 708, 5 v. 20. 9. 1524. 8 Nbg. StaatsArch.: RV 719,20 v. 1. 8. 1323.

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für die projektierte Musterschule als Lehrer zu gewinnen.1 1544 setzte sich die Stadt Rothenburg erfolgreich mit Nürnberg in Verbindung, um von dort Anregungen zum Schulaufbau und geeignete Schulmeister zu bekommen? Die Nürnberger Lateinschulen des sechzehnten Jahrhunderts sind ebenso wie die in Ansbach,1 2345Heilsbronn, * Hof,s Mergentheim,678Nördlingen,3 Rothenburg,6 SchwäbischHall,9 Rieneck,10*Thundorf,11 Wertheim'3 und Windsheim'3 nicht primär Frucht eines humanistisch-bürgerlichen Bildungsideals; sehr komplexe Strömungen standen bei Schulreform und Schulneuaufbau Pate. Doch der theologische Impuls trieb vorwärts und verursachte in Verbindung mit dem humanistisch-bürgerlichen eine totale Wende in der fränkischen Schulgeschichte. Alle Schulordnungen, Schulmandate und Schulberichte Frankens durchzog die Maxime: «Schola verbi divini minister». Melanchthons Schulordnung von 1526 für die neue Nürnberger Schule wurde auch für die anderen Lateinschulen der Stadt und ihrem Einflußbereich wegweisend. In ihr entfaltete Melanchthon sein reformatorisch-humanistisches Schulprogramm.14 Die Theologie braucht die alten Sprachen, der Gottesdienst die Musik; deshalb steht beides im Zentrum des Lehrplanes; ein ganzer Tag wird ausschließlich dem Katechumenat vorbehalten. Damit war das pädagogisch-katechetische Grundsatzprogramm konzipiert, doch die Einzelprobleme hatte man größtenteils noch zu lösen. Mangelhafte Lehrerbesoldung, Schulgeldfrage und Schulraumnot erwiesen sich durch drei Jahrhunderte hindurch als dauernder Anlaß zu Klagen. Der Überwindung solcher Mißstände dienten viele Passagen zu Schulfragen in den fränkischen Kirchenordnungen.'3 Sie beschäftigten sich mit den Deutschen und Lateinisehen Schulen in Stadt und Land,16 mit der Ausbildung, Besoldung und Wohnung der Lehrer17 - wofür sehr oft säkularisierte Klostergebäude Verwendung fanden, wie 1 Nbg. StaatsArch.: RV 721, 9 v. 16. 9. 1525 u. 723,17 v. 25.11.1525; Steiger (s. o. 678). 2 Bensen (s. o. 680 Anm. 8) 8 f. 3 Jordan-Bürckstümmer I 327; Simon. 4 Simon 465, 518; W. Dannheimer, Die Heilsbronner Fürstenschüler 1582-1631 (ZBKG 28) 1959; Nbg. Landesk. Archiv: Acta generalia nrr. 411-419, Fürstensch. Heilsbr. 1584-1728. 5 K. Weissmann, Die Matrikel des Gymn. Hof, 1914. 6 G. Leuckner, Schulmeister u. Cantoren (WF NF 34) 1960, 96-101. 7 H. Frickhinger, Die Stiftungen d. St. N. (WF 10) 1925/26, 33 ff. 8 Μ. Weigel, Zur Gesch. d. Entstehung d. Rothenburger Gymn. (Beitrr. BK 3) 1897,275 bis 281; A. Schniziein, Abdias Wirkners Bericht über die lat. Schule zu R. (HV AltRothenburg) 1924/26. 9 K. Kern, Sebastian Coccius (WF NF 8) 1903, 78-108. 10 Μ. Wieland, Beitrr. z. Gesch. (AU 20) 1869, 61-368.

11J. Gutenacker, Einige Bemerkungen über d. Studienschule in Th. (AU 9, 2) 1847,144 bis 15°. 12 O. Langguth, Quellen z. Schulgesch. d. Grafsch. Wertheim, 1937; A. Kaufmann, Bruchstücke aus einer Culturgesch. d. Grafsch. Wertheim (AU 19, 2) 1867, 35-163. 13 Chr. W. Schirmer, Gesch. Windsheims, 1848, 129-132. 14 Vormbaum (s. 0.678) II760-765 ;K. HartFelder, Melanchthoniana Paedagogica, 1892, 7-10. 15 Simon, KO. 16 Ebd.293, 321, 339, 342, 354, 603, 605 u. ö. 17 Zur Besoldung in Rothenburg u. seinem Gebiet vgl. die Instruktion v. 1558: ebd. 603 u. 606; der lat. Schulmeister in Wertheim bekam 1585 jährl. 50 fl. u. 20 Malter Kom, der deutsehe 4 Malter Kom vom Chorstift: Kaufmann (s. o. Anm. 12) 44. Zur Prüfung: vgl. die Ansbacher Konsistorialordnung v. 1594: Simon, KO 389.

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z. B. in Rothenburg oder Wertheim1 den Schulgebäuden,2 dem Schulgeld,2 Schulpflicht und Schulstrafen,4 Aufsicht und Visitation der Schulen,5 armen Schülern6 und Schülerchor7 und nicht zuletzt mit den Stipendien und der Finanzierung des Schulwesens;6 skizzenhaft oder sogar ausführlich geben sie Lehrpläne, empfehlen Methoden und Bücher.’ Inwieweit die Kirchenordnungen freilich in die Praxis umgesetzt wurden und zu einer neuen Blüte des Schulwesens in der ersten Hälfte des Sechzehntenjahrhunderts führten, ist nicht nachweisbar; in Langenzenn z. B. scheint trotz ihrer Anordnungen wenig geschehen zu sein.10 Uber den Lehrstoff war man sich weitgehend einig. Culmann Heß z. B. keinen Zweifel darüber, daß es primäre Pflicht des Lehrers sei, daß er die ihm anvertraute Jugend «ante omnia ad pietatem et timorem Dei assuefaciat et in catechesi diligenter erudiat»; erst in zweiter Linie rangiere die Beschäftigung mit den artes liberales.11 Auch Sebald Heyden befaßt sich in seiner «Paedonomia scholastica» mit dieser Differenzierung des Stoffes. £r unterscheidet drei Sektoren im Lehrplan: «I. Prima et praestantissima pietas et religio. II. Artes liberales. ΠΙ. Civilitatis mores.»12 Damit wird die Geschichte der Schule in Franken im sechzehnten und siebzehnten, großenteils auch im achtzehnten Jahrhundert, Geschichte des Religionsunterrichtes.12 Als Folge eines unerfreulichen Schulstreites in Hersbruck arbeitete Heyden im Auftrag des Nürnberger Rates 1535 eine verbindliche neue Schulordnung aus, die in ihren Grundzügen, auch in anderen fränkischen Lateinschulen, bis ins achtzehnte Jahrhun1 Kaufmann (s. o. 684 Anm. 12) 42. 2 Nicht mehr benötigte bzw. bewohnte Klostergebäude wurden vielfach als Schulhaus bzw. Lehrerwohnung benutzt, z. B. in Hof: Simon, KO 463 f.; ebenso in Heilsbronn, ebd. 293. Die Ansbacher KonsistorialO 1594 ordnete den Bauunterhalt der Schulgebäude: ebd. 394· 2 Das Schulgeld war zu den Quatembern, also vierteljährig, fällig. In Nürnberg waren 1485 für jeden Schüler wöchentlich 2 Pfennige, für arme 1 Pfennig festgesetzt: um 2 Pfennige kaufte man damals V3 Pfund Rindfleisch: Simon, KO 321 Anm. 9. 4 Von einer Schulpflicht kann man im 16., 17. und 18. Jh. noch nicht sprechen: man bat die Eltern, mehr war nicht möglich: ebd. 464, 604. Übermäßiges Strafen war verboten: Kirchenvisitation Ansbach 1536: ebd. 320. 5 Die Ansbacher Synodalordnung 1556 weist Superintendenten u. Amtmann auf Schulvisitationspflicht hin: ebd. 339, 342; ebenso in Kulmbach: ebd. 344. 6 Bereits die Kitzinger Kastenordnung 1523 will arme Schüler unterstützt wissen: Simon, KO 74; ebenso die Nürnberger Almosenordnung 1522 (ebd. 26 f.) u. die Windsheimer Kastenordnung 1524: ebd. 675. 7 Die Kirchenordnungen befassen sich ausführlich mit der liturgischen Funktion des

Schiilerchores, z. B. in Nbg. KO 1533: ebd. 188, 197; Die Ansbacher Ordnung v. 1538 befiehlt den lat. Schulmeistern die Pflege des Choralgesanges: ebd. 397 f.; wenn die Schüler bei Kinderbeerdigung singen, soll kein Unterricht ausfallen: Ansb. KonsistorialO 1594: ebd. 392; über die verschiedenen liturgischen Gesänge vgl. die Hofer Ordo ecles. 1392: ebd. 405-476. 6 Das Einkommen nicht mehr benötigter geistlicher Stellen wurde oftmals für Stipendien verwendet: ebd. 293; über das Stipendienwesen vgl. F. W. A Layriz, Über d. Ursprung u. Fortgang d. Stipendien, Bayreuth 1801 u. Jordan-Bürckstümmer I 319-333. Auch in Nürnberg wurde kirchliches Vermögen für das Schulwesen verwendet: Simon, KO 486; in Wertheim wurden 15 eingezogene Stellen der Collegiatkirche zu Schulzwecken verwendet: (AU 19, 2) 1867, 42. ’ Die Rothenburger Instruktion 1558 ist eine detaillierte Schulordnung: Simon, KO 603 bis 606. 10 Loschge, Zur Gesch. d. Schulwesens (Jb. Mfr. 15) 1846, 21. 11 L. Culmann, Thesaurus Locorum, Nümberg 1551, b 6. 12 Sebald Heyden, Paedonomia scholastica, Nürnberg 1546, Absatz 2. 12 Leder, Kirche u. Jugend (s.0.417 Anm.4).

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dert Gültigkeit behielt.1 Darin gliedert er die Lateinschulen in drei Abteilungen. Die «Abecedarii» und die «Lectionarii» lernen durch Leseübungen den Inhalt der Tabula, d. h. Vaterunser, Glaubensbekenntnis und Zehn Gebote, auswendig und werden stufenweise bis zur Lektüre des Donatus geführt. Wer das Lesen sicher beherrscht, wird in die zweite Klasse «promoviert», wo man sich mit Catos Distichen und den lateinisehen Sprüchen Salomonis beschäftigt. Die Schüler der dritten Klasse befassen sich mit Terenz, Aesop, Ovid und Salomonis Sprüchen. Griechisch lehnt Heyden für die Landschulen ab.1 2 Bei der großen Kirchen- und Schulvisitation des Nürnberger Landgebietes 1560/61 legte der Altdorfer Schulmeister einen Stundenplan vor, der im großen und ganzen zwei Jahrhunderte überdauerte.3 Am Montag standen Cicero, die Colloquien des Erasmus, Melanchthons Grammatik und Syntax auf dem Stundenplan. Am Dienstag wurde vorzugsweise Luthers Kleiner Katechismus deutsch und lateinisch gelernt. Mittwoch und Donnerstag waren wieder den artes liberales vorbehalten. Am Freitag wurde besonders Musik getrieben: auf die für die Mensuralnotation unentbehrliche theoretisehe Unterweisung folgten praktische Übungen in der Form der im Gottesdienst üblichen «cantilenae». Am Samstag wurden die lateinischen Evangelien des kommenden Sonntags ausgelegt. Die Sebalder Lateinschule in Nürnberg, ebenso wie die in Rothenbürg4 oder Windsheim,5 war in vier Klassen gegliedert. In der untersten (Quarta) bestand ein starkes Gefälle im Wissen der einzelnen Schüler, da man weder ein festes Eintrittsdatum, noch einen Versetzungstermin kannte. Die Kinder blieben so lange in einer Klasse, bis sie den üblichen Stoff beherrschten. So saßen in der Unterklasse AbcSchützen, die gerade mit dem Buchstabieren anfingen, neben Schülern, die bereits lateinische Grammatikregeln aus dem Donat lernten. Vor und nach den Schulstunden versammelten sich die Schüler aller Klassen zu gemeinsamen Schulandachten, die oberen Klassen wirkten bei Matutin und Vesper als liturgischer Chor mit.6 Bei Begräbnissen sangen die armen Schüler; mit den übrigen behandelte der Lehrer in der Zwischenzeit Kirchenlieder. Eine Bibliographie der Schulbücher fehlt bisher; so kann hier zunächst nur auf die katechetischen Hilfsbücher hingewiesen werden? Die erste Gruppe dient der Unterweisung in der Lehre; hier findet man speziell Katechismen, Katechismusexpositionen und kleine dogmatische Lehrbücher, dazu die allgemeinen Schulbücher, die großen1 Z. B. in Feuchtwangen: W. Schaudic, Gesch. Feuchtwangens, 1927, 96. 2 Nbg. StaatsArch.: Rep. 33 a, S. I. L. 367 nrr. 233-239; dazu Schmidt (s. o. 680 Anm. 7) u. E. Wiedemann, Das Hersbrucker Schulwesen (Heimat-Beilage z. Hersbr. Zeitung 29) 1959, 2 f., 7 f.; H. Kuhn, Die Hersbr. SchulOrdnung (ZBKG 2) 1927, 71-90. 3 Nbg. StaatsArch.: Rep. 41a nr. 454 fol. 100f.; zum Altdorfer Schulwesen im 16.Jh.: L. Dirnhofer, Die Reformation in Altdorf bis 1542, Diss. Erlangen 1932. 4 Bensen (s. o. 680 Anm. 8) 1-26.

5 Ch. W. Schirmer, Gesch. Windsheims, 1848, 130 f. 6 Die liturgischen Aufgaben des Schülerchores umriß bereits die Nürnberger KO 1533: Simon, KO 197; vgl. auch ebd. 301, 392, 405 bis 476; zum Kurrendesingen: Reicks (s.0.681 Anm. 2) 125; die Rothenburger KO-Instruktion 1538 sah im Schülerchor ein Unterrichtshemmnis: Simon, KO 605; zum Schülerchor in Nürnberg vgl. Herold (s. o. 678) 88, 122 ff. u. besonders 281 ff. 7 Leder, Kirche u. Jugend (s. o. 417 Anm. 4).

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teils katechetischen Stoff enthalten. - Die zweite Gruppe umschließt die Büchlein, die den Schüler mit der Heiligen Schrift vertraut machen sollen: Passionalien, Historien- und Exempelsammlungen, Spruchbücher und Briefexpositionen, die oft reich mit Bildern ausgestattet sind. - Die dritte Gruppe, die geistlichen Lieder, faßt die beiden ersten in einfacher Form zusammen. Neben mittelalterlichen Hymnen, die in ihrer meist erweiterten Form einen festen Platz gerade in den Lateinschulen behaupten, stößt man auf Einzeldrucke von Lutherliedem, Choräle von einzelnen Dichtem und schließlich Gesangbücher; die letzteren nehmen im Laufe der Zeit immer mehr an Umfang zu und wurden zum wichtigsten Buch in der Hand der Lateinschüler, die im liturgischen Chor mitsangen. Die Nürnberger Kirchenvisitation 1560/61 zeigte Fortschritt und Mängel im Schulwesen in gleicher Weise.1 In den kleinen Landstädten gab es fast überall Deutsehe und Lateinische Schulen.1 2*Doch beklagte sich der Lateinische Schulmeister von Hersbruck: wenn er 120 Knaben mit nur einem Kollegen unterrichten müsse, sei kein ordentlicher Unterricht zu erwarten.’ Viele Landgemeinden verfügten über keinen Schulmeister. Die Bitte des Pfarrers von Engelthal wiederholte sich auch in anderen Gemeinden: «Bith, man wölle allda ein schulmeister annehmen, von wegen der armen jugendt, dann er het 12 feiner knaben, und möchten ir mer wem, könne er für sein person die kirchen und schul nit versehen, auch seins ampts nit.»4*

c) Im 17. und 18. Jahrhundert Im siebzehntenJahrhundert ist ein allgemeiner Rückgang im Schulwesen zu verzeichnen; das war zunächst durch den Dreißigjährigen Krieg verursacht. Vierklassige Schulen, z. B. in Rothenburg oder Wertheim, gingen bis auf eine Klasse zurück oder stellten den Betrieb ganz ein.’ In Windsheim waren von sechs Lehrern nur zwei übriggeblieben und selbst diese konnte der Rat nicht mehr besolden und übertrug ihnen eine Landpfarrei.6 Der tiefere Grund für den Schulrückgang lag in der schlechten sozialen Lage der Schulmeister. Die umfangreichen Tagebücher des Sinnbronner Pfarrers Thomas Wirsing aus den Jahren 1573-1601 lenken den Blick auf diesen dunklen Punkt. So erhielt der Sinnbronner Lehrer 1573 ein Jahresgehalt von sechs Gulden; die Schulpfennige der Kinder gingen nur unregelmäßig ein und fielen fast nicht ins Gewicht. Der Pferdehirte dieses Dorfes bei Dinkelsbühl z. B. konnte wesentlich besser leben? In Langenzenn oder Geißlingen war es nicht besser.’ Die Anstellung des Dorfschulmeisters geschah nur auf Zeit; nach Ablauf eines Jahres mußte er sich ebenso wie Hirt, Bader oder Hebamme einer entwürdigenden Wahl durch die Dorfbewohner 1 G. Hirschmann (ZBKG 32) 1963,111-132 u. Leder, Kirche u. Jugend (s. o. 417 Anm. 4). 2 Z. B. auch in Feuchtwangen: W. Schaudig, Gesch. d. Stadt u. d. ehern. Stiftes Feuchtwangen, 1927, 101 ff. ’ Visitationsbericht Hersbruck: Nbg. StaatsArch.: Rep. 41a, nr. 453 fol. 1-2 u. 24.

4 Nbg. StaatsArch.: Rep. 41a, nr. 453 fol. 3 f u. 26. 5 Kaufmann (s. o. 684 Anm. 12) 56; Bensen (s. o. 680 Anm. 8) 16. 6 Schirmer (s. o. 686 Anm. 5) 241 f. 7 Gabler (s. o. 678) 177 f. ’ Loschge, Langenzenn (s. o. 680 Anm. 3) 39.

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unterziehen.1 Um wenigstens über das Existenzminimum zu verfügen, war der Lehrer zu Nebenbeschäftigungen gezwungen, die wiederum den Unterricht fast zum Erliegen brachten.12 Auch die Stadtlehrer steckten unentwegt in finanziellen Sorgen: in Ansbach zwang die kümmerliche Besoldung die Deutschen Schulmeister zu einem «Hunger- und Kummerleben. Ihr Ansehen vor der Öffentlichkeit entsprach dieser sozialen Lage»;3 die Kriegsnot steigerte das Elend.4 Pochten aber die zunftmäßig organisierten Lehrer z. B. in Nürnberg auf regelmäßigen Schulbesuch und pünktliche Entrichtung des geringen Schulgeldes, so mußten sie damit rechnen, daß die Eltern ihre Kinder den Winkelschulmeistem ins Haus schickten.5 Dieser Mißstand und die ungenügende Schulaufsicht führten da und dort dazu, daß Schulhalter um mehr Schüler warben, als es einem guten Unterricht förderlich war. «Hatte ein Schüler den Donat und die Grammatik etwas studiert, so nahm er ein Weib und wurde Schulmeister, hängte eine Tafel heraus und lehrte die Kinder, obgleich er selbst nicht sauber schreiben und gar nicht rechnen konnte.»6 Aus diesen Gründen versuchte der Nürnberger Rat 1614 eine Schulreform durchzuführen; von den 57 festgestellten Deutschen Schulen durften nur 39 bleiben, die teilweise mit Hilfslehrern mehrklassig unterrichteten;7 auch kleinere Orte reformierten ihr Schulwesen: so bekam in Anlehnung an die Ansbacher und Heilsbronner Ordnung Langenzenn 1622 eine neue Schulordnung.8 Solche Schulreformen regten während und nach dem Dreißigjährigen Krieg besonders die Vertreter der sog. Reformorthodoxie an. In Nürnberg waren es Johann Michael Dilherr und Johann Säubert;9 in Rothenburg machte sich der Superintendent J. L. Hartmann besonders verdient.10 Aus finanziellen Gründen unterblieb jedoch die Verwirklichung der meisten Reformvorschläge.11 Mit seinem Ruf nach Stoffbeschränkung, fortgesetzter Wiederholung, Einheitsprinzip und möglichster Anpassung an das Verständnis der Schüler reiht sich Dilherr in den Kreis der Reformpädagogen des siebzehnten Jahrhunderts ein.12 Wichtiges neues Schulbuch wurde der Orbis pictus von Amos Comenius im Jahre 1658.13 1 A. Schnizlein, Rothenburger Kirchenvisitationen (Beitrr. BK 16) 1910, 274-276. 2 Sehr aufschlußreich ist in dieser Beziehung der Bericht des Gräfenberger Schulmeisters von 1560 in: Nbg.StaatsArch.: Rep.41a,nr454 fol. 2-4. 3 E. Foertsch, Die Schreib- u. Rechenmeister Jacobi (Jb. Mfr. 49) 1960/61, 185-204. 4 So wurde Rektor Joh. Georg Hochstatter im markgräflichen Crailsheim «zum achtenmal in einer Wochen uffs schröcklichst außgeplündert u. mit neun meistentheils kleinen Kindem in wilden Wald verjagt, umb ein mercklichs gebracht, u. in große Armuth gesetzt»: K. G. Scharold (AU 7, 2) 1842, 80. 5 Solche Winkelschulmeister hatten es sehr schwer u. waren andererseits unentbehrlich; z. B. in Wassertrüdingen: F. Löhrl, Gesch. d. Stadt W., 1926, 134 f.

6 F. L. Soden, Kriegs- u. Sittengesch. d. Reichsstadt Nbg. I, 1860, 357. 7 Ebd. 358. 8 Loschge, Langenzenn (s. o. 680 Anm. 3) 35‫־‬39· 9 Zu beiden vgl. Schröttbl (s. o. 416). 10 Bensen (s. o. 680 Anm. 8) 16 und P. Schattenmann, J. L. Hartmann, 1921. 11 Heerwagen (s. o. 678) II 27 f. für Nümberg; für Langenzenn: Loschge (s. o. 680 Anm. 3) 40 f. 12 Schröttel (s. o. 416) 52 ff. 13 Vgl. das ausführliche Nachwort v. H. Rosenfeld in d. Faksimileausgabe des Orbis v. 1964; auch H. Kunstmann, Comenius u. Nürnberg (Festschr. z. Com.-Feier d. Stadt Nbg.) 1957.

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Das miserable Ergebnis des Verhörs der Landpfarrer im Nürnberger Gebiet 1637 macht deutlich, daß das Schulwesen, ebenso wie z. B. im katholischen Kapitel Gerolzhofen,' ganz daniederlag.12 Die Jahrhundertwende brachte entscheidende Veränderungen im Schulwesen, ausgelöst durch neuerliche Visitationen und die vom Pietismus ausgehenden starken pädagogischen Impulse. Spener selbst hatte die Mängel durch eine neue Schulordnung abzustellen versucht; in Nürnberg schlugen deshalb die vom Pietismus erfaßten Theologen eine ähnliche Schulordnung vor.31698 wurde eine solche pietistisch orientierte Ordnung in Nürnberg und seinem Landgebiet verbindlich eingeführt.45Bereits Vormbaum hat darauf hingewiesen, daß mit dieser Ordnung in Nürnberg eine eigentliehe Volksschule entstanden sei;3 in ihr geht es den Verfassern primär «um Fortpflanzung der rcinenEvangelischen Glaubens-Lehre und des daraus erwachsenden löblichen und Gott gefälligen Christen-Wandels». Die Vertreter des Pietismus nahmen sich aus seelsorgerlichen Gründen des Schulwesens an. Die Gutachten zu dieser Ordnung und die dazu erlassene Instruktion beinhalten, daß man auch im achtzehnten Jahrhundert den Schulen eine vorzugsweise katechetische Aufgabe zudachte.6 Um diese nicht zu vernachlässigen, bekamen die Geistlichen bestimmte Schulen als «Visitator perpetuus» zugewiesen. Der Rat selbst wollte die Schulaufsicht nicht ausüben, deshalb übertrug er sie der Kirche;7 das führte immer wieder zu Spannungen zwischen Kirche und Schule.8* Als gute Frucht pietistischer Bemühungen um die Jugend darf man die Gründung vieler Armenschulen ansehen, in denen die Kinder kostenlos unterrichtet wurden; * durch Stiftungen konnten im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts immer neue errichtet werden. Zu unerbittlicher Kritik an den Schulverhältnissen setzte die Aufklärung auch in Franken an; in den Nürnberger Kirchenkonventen stand die Schulfrage ständig auf der Tagesordnung ;'* ausführliche Gutachten wurden erstellt und neue Schulordnungen von angesehenen Theologen ausgearbeitet," selbstverständlich erschienen auch viele neue Unterrichtsbücher.12 Reformfreudige Neologen, wie Witschel in Nürnberg, ur1 G. K. Scharold, Die Schulen im Capitulum Gerolzhofen im J. 1612 (AU 2, 1) 1834, 184-189. 2 Protokollauszüge im Germ. MuseumNbg.: Merkel Hs. 505. 40 pag. 3-70. 3 Carl Chr. Hirsch, Die Verdienste d. Stadt Nürnberg um d. Catechismum Lutheri, Nümberg 1752, 69 (Kinderlehr-Historie). 4 Heisinger (s. o. 678) 6; Hirsch (s. o. Anm. 3) 119-131; Schultheiss (s. o. 678) II 113-120. 5 Vormbaum (s. o. 678) II 755. 6 Hirsch (s. o. Anm. 3) 134-138; Schultheiss (s. o. 678) II 126-131; Leder, Kirche u. Jugend (s. o. 417 Anm. 4). 7 Hirsch (s. o. Anm. 3) 138. 8 A. Peter, Zur fränk. Schulgesch. (Beitrr. BK 26) 1919, 25-29 und (ZBKG 31) 1962, 44 HdBGUI, i

65-79; E. Hopp, Der Streit d. Gemeinde Ergersheim über d. Besetzung d. Schulstelle (Beitrr. BK 15) 1909, 166-193. * Zur Gesch. d. Armenschulen: Reickb (s. o. 678) 131 ff.; Siebenkees, Armenschulen (s. o. 423 Anm. 2); vgl. auch: Der Nürnberger Geschichts-, Kunst-u. Alterthumsfreund, 1842, 172-176, 182. 10Vgl. die Protokolle der Nürnberger Kirchenkonvente im German. Museum: Merkel Hs. 1040. 2° und 167. 2°; weiteres Material bei Leder, Kirche u. Jugend (s. o. 417 Anm. 4). 11 Gutachten Dietelmaiers v. 1774 für Altdorf: Nbg. StaatsArch.: Rep. 186: D-Akten nr. 1188 nrr. 31 u. 41; J. H. Witschel, Versuch einer Schulordnung f. d. Land, Nürnberg 1803; Leder, Altdorf 263 ff. (Junge). 12 Ebd. 264 f.; Bibliographie fehlt bisher.

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teilten: «Das größte Hindernis der wahren und vernünftigen Aufklärung lag bisher in den Schulen.»1 Zur Schullage am Ende des achtzehnten Jahrhunderts bemerkte Witschel: «Was haben die Landschulen bisher geleistet? Manche alles, was man verlangen kann. Aber freilich viele Schulen taugen gar nichts, bis auf diese Stunde.» Für die Stadtschulen gilt das gleiche. In Ansbach gründete J. G. Reuter 1795 als Privatunternehmen eine Töchterschule, «das einzige Mädcheninstitut im untergebürgisehen Fürstentum».2 Größere Schulreformen und Verbesserungen blieben jedoch dem neunzehnten Jahrhundert vorbehalten.3 5 78. DAS KATHOLISCHE SCHULWESEN Bigelmair, Konzil v. Trient (s. o. 428 Anm. 11) 39-91; Buchner, Eichstätt u. d. Konzil (s. o. 429 Anm. 12); Ders., Schulgesch.; Duhr; G. Giese, Quellen z. deutschen Schulgesch. seit 1800 (Quellen z. Kulturgesch. 15) 1961; H. Heppe, Gesch. d. deutschen Volksschulwesens, 5 Bde., 1858/60; D. G. Kramer, Frankens pädagogische Schriften, 1876; S. Merkle, Die kath. Beurteilung d. Aufklärungszeitalters, 1909; Ders., Die kirchl. Aufklärung in Deutschland, 1910; Nohl-Pallat, HB d. Pädagogik, 5 Bde., 1928/33; Paulsen (s.o. 646 Anm. 1); Schreiber, Weltkonzil; Weber; Wegele. D. Brauer, Die Entwicklung d. Geschichtsunterrichts an d. Jesuitenschulen Deutschlands u. Österreichs, 1540-1774 (HJb. 31) 1910, 728-759; Μ. Braubach, Die kirchl. Aufklärung im kath. Deutschland im Spiegel des «Journal von u. für Deutschland» (HJb. 54) 1934,178-220; F. BruckMeter, Die deutsche Schule Bayreuths, 1932; Μ. Dömung, Gesch. d. Lehrerausbildung in Bayern v. 1803-1933, Masch. Eichstätt 1939 (München, Bayer. Staatsbibi.); G. Denzler, Die religiöse Entwicklung Deutschlands im Dreißigjähr. Krieg - verdeutlicht am Beispiel d. Bistums Bamberg (BHVB 104) 1968, 383-405; CI. Engländer, Das Werden d. Würzburger Collegs d. Societas Jesu (Herbipolis jubilans, WDGB11. 14/15) 1952; Forster (s.o. 446 Anm. 3); N. Haas, Zur Gesch. d. Volksschule in Bamberg (Stadt- u. Landkalender) 1818; Ders., Gesch. d. Slavenlandes an d. Aisch u. den Ebrachflüßchen, 2 Bde., 1819; Ders., Gesch. d. Pfarrei St. Martin zu Bamberg u. sämtl. milden Stiftungen d. Stadt, 1845; S. Hagen, Das Volksschulwesen in Oberfranken, 1871; L. Helldorfer, Ein Gang durch d. Gesch. d. Bamberger Seminarist. Lehrerbildung (Fränk. Land 9) 1962, nrr. 8 u. 9; Ders., Ausschnitte aus d. Bamberger Schulgesch. (Alt-Franken, Zschr. f. Volkstüml. Heimatpflege, 1927/28); Th. Henner, Julius Echter v. Mespelbrunn, Fürstbischof v. Würzbürg u. Herzog v. Ostfranken 1573-1671 (Neujahrsbll. 13) 1918; G. Hübsch, Die Reformen u. Reformbestrebungen auf d. Gebiete d. Volksschule im ehern. Hochstift Bamberg unter d. Fürstbischöfen Adam Friedrich v. Seinsheim (1757-79) u■ Franz Ludwig v. Erthal (1779-95), 1891; H.Jann, Schulgesch. Forchheims. Ein Stück Forchheimer Schulgesch., 1924; J. Kist, Geistl. Bildungsstätten im Bistum Bamberg bis z. Gründung d. ersten deutschen Univ. (Fränk. Land 9) 1962, nr. 8; Ders., Mengersdorf (s. o. 430 Anm. 6); Ders., Tridentinum (s. ebd. Anm. 1); A. Kluckhohn, Beitrr. z. Gesch. d. Schulwesens im 18. Jh. (Abh. München 13) 1875, 171-241; E. G. Krenig, Collegium Fridericianum. Die Begründung d. gymnasialen Schulwesens unter Fürstbischof Friedrich v. Wirsberg (Lebendige Tradition, Festschr.) 1961,1-22; K. Küffner, Beitr. z. Gesch. d. Volksschule im Hochstift Würzburg v. Johann Gottfried v. Guttenberg bis z. Tode Adam Friedrichs v. Seinsheim, 1888; Lingg (s. o. 426 Anm. 7); F. Leist, Aus Frankens Vorzeit. Kleine Kulturbilder, 1881; E. Markert, Ein Visitationsbericht aus Julius Echters Zeit (Herbipolis jubilans, Festschr., WDGB11. 14/15) 1952, 537-554; F. Oberthür, Michael Schmidts Lebensgesch., 1802; G. v. Pölnitz, Der Bamberger Fürstbischof J. Ph. v. Gebsattel u. d. deutsche Gegen­

Einiges bei Leder, Kirche u. Jugend (s. o. 417 Anm. 4). 1 Witschel (s. o. 689 Anm. 11) 3. 2 H. Schreibmüller, J. G. Reuter u. seine Töchterschule (Jb. Mfr. 65) 1928/29, 27-53.

3 Z. B. in Besoldungsfragen: Foertsch (s. o. 688 Anm. 3) 199; A. Peter, Die SchulVerhältnisse im Bezirk Altdorf am Anfang d. 19. Jhs. (ZBKG 31) 1962, 65-79.

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reformation (HJb. 50) 1930, 47-69; Ders., Julius Echter; P. Rosenthai, Die «Erudition in den Jesuitenschulen», Diss. Erlangen 1905; D. Schahold, Die Schulen d. Capitulum Gerolzhofen im Jahre 1612. Beitr. z. Gesch. d. Schulwesens im ehern. Bistum Würzburg (AU 2) 1833, 184-189; Schmitt, Klerikalseminar (s. o. 430); J. Schmitt, Der Kampf um d. Katechismus in d. Aufklärungsperiode Deutschlands, 1935; G. Schnürer, Kath. Kirche u. Kultur im 18. Jh., 1941; A. Steinhuber, Gesch. d. Collegium Germanicum Hungaricum, 2 Bde., 1906; R. Stölzls, Erziehungs- u. Unterrichtsanstalten im Julius-Spital zu Würzburg v. 1580-1803, 1914; Weber; Ders., Gesch. d. Christenlehr-Unterrichts u. d. Katechismus im Bistum Bamberg, 1882; Wolkenau (s. o. 442 Anm. 1); E. Zirngiebl, Stud. über d. Inst. d. Ges. Jesu, 1870.

a) Das gelehrte Schulwesen Über das mittelalterliche Schulwesen s. o. $ 62.

1. Die nachtridentinischen Schulen. Von größter Wichtigkeit für das Schulwesen war am Beginn der Neuzeit die Erfindung der Buchdruckerkunst durch Johannes Gutenberg. Denn jetzt erst war es möglich, dem größten Mangel allen bisherigen Unterrichts, dem fast gänzlichen Fehlen von unterrichtlichen Hilfsmitteln, abzuhelfen. Weiter wurden bedeutsam Humanismus und Reformation, die auch für die katholisch gebliebenen Gebiete zu einer fruchtbaren Weiterentwicklung des Schulwesens führten. Grundlegende Aussagen über die Förderung der Erziehung und Bildung der Jugend wurden auf katholischer Seite zunächst und in ganz besonderem Maße durch das Konzil von Trient gemacht.1 Die Jahrzehnte von der Beendigung des Konzils bis zum Beginn des Dreißigjährigen Kriegs sind gekennzeichnet durch das Bemühen tatkräftiger Bischöfe, das Schulwesen zu fördern und, entsprechend den Beschlüssen des Konzils, zu ordnen. An den Dom- und Stiftsschulen2 wurde auch weiterhin nach dem Trivium unterrichtet. Sie wurden zur unmittelbaren Vorschule für den Besuch der Universitäten, waren aber daneben, vor allem an den Kathedralsitzen, Bildungsstätten für den Klerus. Dem gegenüber strebte vor allem die fränkische Ritterschaft die Einrichtung einer gelehrten Schule für breitere Bevölkerungsschichten an, die besonders auf Laienberufe vorbereiten sollte. Diesem Ziel sollte die auf humanistischer Basis arbeitende Partikularschule in Würzburg dienen.3 In der Person des Fürstbischofs Melchior von Giebelstadt (1544-1558), eines reformfreudigen und humanistisch gebildeten Mannes, erwuchs den neuen Bestrebungen ein großer Förderer. Doch erst sein Generalvikar und Nachfolger, Friedrich von Wirsberg, konnte am 28. April 1561 die auch Pädagogium genannte Partikularschule einrichten, die allerdings nur kurze Zeit bestand.4 Daneben bemühte er sich um eine Reform der alten Domschule. In Bamberg dagegen ist es über Versuche zur Einrichtung einer neuen Schule zunächst nicht hinausgekom­ ,Zum Konzil von Trient vgl. LThK X 341 bis 3 52 (Qu. u. Lit.). Die wichtigsten Beschlüsse für die Reform des Schulwesens und der Priesterausbildung wurden abgehandelt in sessio V, cap. i (De instituenda ...) Sp. 29 f. u. sessio XXIII, cap. 18 (Forma erigendi seminarium...) Sp. 146 f. (Mansi, Ampl. Collectio Concilio44*

rum, Bd. 33, 1545-1565, 1902). Über das Seminardekret vgl. Tüchlb (s. o. 650 Anm. 1). Neueste Ausgabe inj. Alberigo u. a., Conciliorum oecumenicorum decreta, 1962, 726 f. 2 Weber 64 ff. 3 Wegele I 85; Krenig (s. o. 690) 4. ♦Ebd.

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men, obwohl auch hier dem humanistischen Zeitgeist aufgeschlossene Bischöfe regierten und Rom auf Durchführung der Konzilsbeschlüsse drängte. Erst Fürstbischof Emst von Mengersdorf konnte schließlich die Widerstände, vor allem von Seiten des Kapitels, überwinden und in Bamberg am 23. Juni 1586 die neue Seminarschule eröffnen.’ Die Unterrichtsgegenstände waren durch die Konzilsbeschlüsse bestimmt. Die Lehrmethode wurde durch Statuten festgelegt, die u. a. verlangten, daß der Lehrstoff componendo, declamando, disputando, conferendo zu üben sei. Aufnahmealter war 16 Jahre. Gefordert wurden Vorkenntnisse in lateinischer Sprache und Schrift.2 Besonders bemerkenswert war, daß der Fürstbischof bei der Einrichtung der Schule über die Forderung des Konzils nach besserer Bildung des Klerus hinausging, indem er die Schule für alle nach höherer Bildung strebenden jungen Männer des Hochstifts öff· nete. In einem eigenen Mandat lud er am 26. Juni 1586 zum Besuch seiner neuen Schule ein. Den Nichtklerikem war so die untere Abteilung des Collegiums, das eigentliche Gymnasium, offen.3 Durch eigene Schulordnungen wurden Methode, Disziplin und Lehrstoff laufend verbessert und überwacht.

2. Die Jesuitenschulen. Aufgabe des Jesuitenordens war die Verteidigung und Verbreitung des katholischen Glaubens.4 Demgemäß befaßte sich der Orden neben der Seelsorge vor allem mit den Fragen der Erziehung und Bildung der Jugend. Sein Hauptaugenmerk war auf die gelehrten Schulen gerichtet. Er trat hier das aus der vorreformatorischen Zeit übernommene Erbe an und erfüllte es mit dem seinen Vorstellungen entsprechenden Geist. Nach einem von dem Ordensgeneral Aquaviva im Jahre 1595 veröffentlichten Studienplan (Ratio studiorum’) wurden die Lehrinstitute und auch der Studienablauf einheitlich geregelt und durchgeführt. Im ganzen handelte es sich dabei um ein stark humanistisch geprägtes Bild der Schulorganisation und der Lehrgegenstände, in kirchentreuer Auslegung und Durchführung. Der Plan6 ist gegliedert in 40 Vorschriften für den Provinzial, 24 für den Rektor, 30 für den Studienpräfekten, dazu noch in Einzelverordnungen für die Professoren. Besonderer Wert wird darin auf die Erziehung, namentlich auf die Hinführung des Menschen zu Gott gelegt. Die Wissenschaften sollen so gelehrt werden, «daß die Lernenden dadurch zur Erkenntnis und Liebe unseres Schöpfers und Erlösers angeeifert werden».7 Die VorSteher sollen «ihre Schüler zum Dienste und zur Liebe Gottes und zur Übung Gott wohlgefälliger Tugend begeistern und darauf hinwirken, daß sie all ihren Studien die Richtung auf dieses Ziel geben».’ Das christliche Erziehungsziel wird dabei höher bewertet als der umfassende Unterricht in allen Wissenschaften, was bei der Beurteilung der Jesuitenschule bedacht sein will. Die didaktische Seite der Ratio steht noch in enger Verbindung mit der Tradition der bisherigen Schulen. Methodisch ist die Ratio gegliedert in praelectio, repetitio, disputatio und compositio. Sie legt außerdem den genauen Stundenplan und die für den Unterricht benötigten Textbücher fest. Die 1 Weber 68 ff. 2 Ebd. 71. 3 Ebd. 70. 4 Duhr I.

’ Ausgabe von Pachtler (s. o. 6jo Anm. 3). 6 Duhr I 280 ff. 7 Ebd. 287. ·Ebd.

§ 78. Das katholische Schulwesen (B. Neundorfer)

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Ausbildung ist den psychologischen Erkenntnissen entsprechend eingeteilt in die Zeit des Gedächtnisses durch die besondere Pflege der Grammatik, die Zeit der Phantasie durch Poesie und Rhetorik, die Zeit des Verstandes durch die Philosophie. Die geistigen Fähigkeiten sollten insgesamt harmonisch ausgebildet und die religiös-sittliche Erziehung konsequent durchgeführt werden.1 Schon sehr früh begann der Einfluß des Ordens auch in den fränkischen Bistümern spürbar zu werden.12 Die Einführung stieß auf Widerstand. Gleich beim ersten Versuch der Gründung einer neuen Schule in Würzburg wandte sich das Kapitel gegen eine Beiziehung der Jesuiten mit der Begründung, «es sei zu besorgen, daß es mit den Jesuittem auch nichts tun werde, denn sie seien hochtrabend stolze Leute, haben sich also, daß man ihr bald genug habe».3 Die ohne jesuitische Lehrkräfte begründete Partikularschule war nach etwa zweijährigem Bestehen 1563 schon wieder eingegangen. Zur gleichen Zeit aber wurde auf Betreiben des Kapitels die alte Domschule reformiert.4 Allen Widerständen von Seiten des Kapitels und allen Schwierigkeiten beim Jesuitenorden selbst zum Trotz, gelang es dem unermüdlichen Einsatz des Bischofs schließlich doch, Patres nach Würzburg zu bekommen und ihnen das neuerrichtete Pädagogium anzuvertrauen. Am 27. Juni 1567 konnte der Stiftungsbrief für das Jesuitenkolleg unterschrieben werden, im Oktober des gleichen Jahres wurde zum Besuch der neuen Schule aufgerufen und am 11. November schon der Unterricht aufgenommen.5 Mit 17 Patres begannen die Jesuiten ihre Arbeit. Die «Neue Schule» fand rasch großen Zulauf, so daß schon ein Jahr nach der Gründung 23 Lehrkräfte etwa 800 Schüler unterrichteten. Wiederum ein Jahr später war die Schule bereits überfüllt. Nur wenig später als in Würzburg scheinen auch in Bamberg unter Bischof Veit II. zaghafte Versuche gemacht worden zu sein, den Jesuiten eine durch die Konzilsbeschlüsse geforderte neue Schule zu übertragen. Sie scheiterten alle am Widerstand des Kapitels, auch am zielstrebigen Wollen der Bischöfe, doch wuchs der indirekte Einßuß des Jesuitenordens vor allem seit den siebziger Jahren in zunehmen‫־‬ dem Maße. Etwa 30 Kleriker der Diözese studierten zwischen 1573 und 1600 am Germanikum in Rom, um nach ihrer Rückkehr durchwegs in einflußreichen Stellungen tätig zu werden.6 So stammten aus ihren Reihen die späteren Weihbischöfe Johann Schöner und Friedrich Förner.7 Ein Blick auf die knapp dreißigjährige Arbeit der Seminarschule vor der Berufung der Jesuiten zeigt, daß es vor allem die ehemali1 Ebd. 122 ff. 2 Engländer (s. o. 690) 519 ff. 3 Zitiert nach Duhr I 120, 840. 4 Krenig (s. o. 690) 5. 5 Duhr I 123 ff. - Zur Frage des Verhältn isses des Würzburger Fürstbischofs sowohl zu den Jesuiten wie insbesondere zum Schulwesen allgemein vgl.: Duhr I 840; Krenic (s. o. 690) 19: ... «Ohne das Gymnasium der Jesuiten, ohne ihre Tätigkeit in den Klassen der Humaniora, ohne ihre Vorlesungen in den thcologischen Disziplinen hätte Julius Echter von Mespelbrunn als Nachfolger Wirsbergs im

Bischofsamt nicht so ohne weiteres an die Wiederbegründung einer Universität gehen können. Auch in der Schulgeschichte konnte Echter auf den Fundamenten seines Vorgängers weiter bauen.» 6 Steinhuber (s. 0. 691) I 269ff.; Schmitt, Klerikerscminar (s. o. 430 Anm. 6) 57. 7 S. o. 433; Kist 95 ff. Auch Weihbischof Jakob Feucht, früher Rektor der Universität Ingolstadt, hat die Entwicklung des Schulwesens beeinflußt (Arch. d. Erzbistums Bamberg, Rep. I A 23; Wachter nr. 2417).

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gen Germaniker waren, die den Unterricht aufrechterhielten. Doch gerade sie wurden auch anderwärts dringend benötigt, so daß sich zum Lehrermangel erschwerend häufiger Lehrerwechsel1 gesellte. Trotzdem konnten die Bischöfe dieser Zeit, allen voran der Gründer der Seminarschule £mst von Mengersdorf selbst, die Berufung der Jesuiten nicht durchsetzen. Entscheidend war auch die zeitbedingte finanzielle und wirtschaftliche Not, die den Einzug der Patres immer wieder verzögerte? Erst Johann Gottfried von Aschhausen, Schüler des Jesuitenseminars von Fulda, konnte den Widerstand des Kapitels überwinden3 und 1611 die Gebäude des ehemaligen Karmelitenklosters in der Au an die Gesellschaft Jesu übergeben.4*Mit 15 Mitgliedern, darunter 7 Priestern, nahm der Orden seine Tätigkeit auf? Die Entwicklung in Eichstätt lief parallel. Schon 1565 hatte Fürstbischof Martin von Schaumberg das Collegium Willibaldinum gegründet, das 1614 den Jesuiten übertragen wurde und in der Folgezeit den Collegien in Bamberg und Würzburg dadurch in der Entwicklung gleich war.6 Seit ihrer Gründung waren die nachtridentinischen Schulen in ihren oberen Klassen, Collegium (seminarium maius), nur für die spezielle Erziehung der Geistlichen eingerichtet. Die unteren Klassen dagegen (seminarium minus), das Gymnasium, waren für alle geeigneten männlichen Jugendlichen geöffiiet. Die geistlichen Fürsten waren darauf bedacht, aus dem Volke möglichst vielen jungen Menschen die bestmögliche Bildung und Ausbildung zu vermitteln, der Auslese den Weg zur Universität zu öffiien und damit auch als Landesherren eine wesentliche Aufgabe zu erfüllen, nämlich für den Nachwuchs in ihren weltlichen Verwaltungsgremien zu sorgen. Das von den Jesuiten geprägte gelehrte Schulwesen lief in den fränkischen Bistümem während des siebzehnten und fast auch des ganzen achtzehnten Jahrhunderts, abgesehen von den schweren Rückschlägen schon im Dreißigjährigen Krieg, von anderen politischen Ereignissen relativ wenig berührt, ruhig weiter.7 Eine dauernde erhebliche Belastung stellten die Schwierigkeiten dar, die aus dem Gegensatz zwischen dem Diözesanklerus und den Jesuiten wie zwischen den Bischöfen und den Kapiteln erwuchsen. Sie wurden nie ganz überwunden und haben schließlich zur Änderung des Systems in den achtziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts mit beigetragen.

3. Die Schule der Aufklärung. Unter der Regierung des Fürstbischofs Friedrich Karl von Schönbom in den beiden fränkischen Hochstiften Würzburg und Bamberg begann ein erster Einbruch in die jesuitische Schulmethode. Er erließ am 1. November 1731 eine neue Studienordnung, worin u. a. den Lateinschulen vorgeschrieben wurde, anfangs die Regeln der Grammatik in deutscher Sprache vorzutragen,6 mit der Begründung, «es werde leichter und geschwinder gelemet, was geschwinder werde 1 Weber 75 ff.; Schmitt, Klerikalseminar (s. o. 430 Anm. 6) 162 ff. 2 Ebd. 70 ff.; Weber 83, 437 f. 3 Ebd. 82 ff., $16. 4 A. Decker, Das ehern. Karmelitenkloster zu Bamberg in d. Au (BHVB 91) 1951.

1 Weber 92 ff. 6 HB Π 833 (Lit.). 7 K. A. Schmid, Gesch. d. Erziehung vom Anfang bis auf unsere Zeit, 1901, 179-206; Duhr IV 2, 1-7$. 6 Wegele I 414 ff.; II 323.

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verstanden sein».1 In diesen und anderen Aussagen der Schulordnung wird bereits das Verlangen nach freierer Wissensvermittlung und rationellerer Lehr- und Lernmethode sichtbar. Entscheidend für die neue Entwicklung war die Aufgeschlossenheit des Fürstbischofs Adam Friedrich von Seinsheim, der in Würzburg 1755, in Bamberg 1757 zur Regierung kam? Er sammelte eine «pädagogische Tafelrunde» um sich, die dem Ideal des Philantropismus mit seinen Forderungen nach modernen Lehrmethoden und einer Geist und Körper gleichermaßen beanspruchenden Erziehung huldigte, und den Anstoß zu Reformen gab? Zu ihren Mitgliedern zählten Weihbischof und Professor Freiherr von Gebsattel, die Professoren Michael Ignaz Schmidt, Franz Oberthür u. a. Durch die Aufhebung des Jesuitenordens 1773 wurde die Entwicklung weiter vorangetrieben. Das mittlere und höhere Schulwesen, das fast ausschließlich unter der Leitung der Jesuiten gestanden hatte, war ohne Aufsicht und Lehrer? Um diesem Mißstand abzuhelfen, setzte Fürstbischof Seinsheim noch im gleichen Jahr eine Schulkommission ein? Die Angehörigen der Tafelrunde, die gegen das Monopol der Jesuiten gearbeitet hatten, kamen an die Führung, so besonders Ignaz Schmidt und Franz Oberthür, auch der Banzer Benediktiner Placidus Sprenger? Die akademischen Lehrstellen der Jesuiten wurden neu besetzt? An den Schulen traten Weltpriester an die Stelle der Jesuiten.1 23*68 Es war der Geist des Aufklärung, den der Nachfolger auf dem fränkischen Doppelthron, Franz Ludwig von Erthal, formlieh beschwor, als er erklärte, daß er «stets ein Förderer der wahren und zweckmäßigen Aufklärung sein und bleiben werde»? Neben seiner großen Sorge für die beiden fränkischen Universitäten bemühte er sich auch um die mittleren (lateinischen) Schulen beider Hochstifte. Er sorgte für gutes Lehrpersonal, für das materielle Wohl der Lehrer ebenso wie für das der Schüler, nahm an Prüfungen teil, besuchte Konferenzen der Professoren und informierte sich über den Stand des Unterrichts, über Disziplin und Sittlichkeit.10 Die Unterrichtsmethode wandelte sich gründlich. Der auf der Ratio studiorum basierende Lehrplan wurde geändert und den modernen pädagogischen Strömungen angepaßt. Neben den Sprachen wurde jetzt vor allem Mathematik und Philosophie gepflegt, besonders auch die Psychologie, da die Kenntnis des Menschen die Grundlage für die Ausübung jeden Amtes bilde." Mit diesem Durchbruch haben schließlich die geistlichen Staaten Frankens auf dem Gebiet des Schulwesens, vor allem des höheren Schulwesens, sich in die allgemeine Entwicklung eingepaßt. Das gelehrte Schulwesen war jetzt nicht mehr an eine kirchliehe Institution gebunden, sondern ganz der staatlichen Aufsicht unterstellt. Die neuen Schulen wurden hochstiftische Schulen. Die alten Dom- und Stiftschulen be1 Ebd. Π 327. 2 Ebd. I 433 ff; Wbbbh 132 ff; Küitnbb (s. o. 690) 61 ff. 3 Ebd. 46 ff. * Duhb IV 2, 567 f. s Wbbbb 169;-Hübsch (s. o. 690) 65. 6 Fobsteb (s. 446 Anm. 3) 190, 202 ff. Vgl. auch Kür4er (s. o. 690) 61 f., Hübsch 34; über Sprenger 640 Anm. 1.

7 Seinsheim wollte auch ohne die Aufhebung des Ordens das Schulmonopol der Jesuiten nicht fortbestehen lassen, vgl. Hübsch (s. o. 690) 34. 8 Wbbbb 132. ’ Hübsch 51. 10 Wbbbb 126 ff. 11 Ebd. 134 ff.

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standen dagegen in der früheren Form weiter.1 Sie sanken aber immer mehr zu Prinzipistenschulen herab, die neben der Vermittlung eines soliden Grundwissens, vor allem der Vorbereitung auf die gelehrten Schulen dienten. Ihnen reihten sich seit dem achtzehnten Jahrhundert auch eigene Schulen für die Mädchenbildung an, z. B. die Schule der Englischen Fräulein in Bamberg seit 17171 2*oder die Schule der Ursulinerinnen in Würzburg seit 1712.1

b) Das niedere Schulwesen

Schon im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert muß neben den von Geistlichen geleiteten und geführten lateinischen Schulen in den Städten bereits großes Interesse an sogenannten deutschen Schulen bestanden haben, in denen neben der Vermittlung religiösen Glaubensgutes Lesen und Schreiben in deutscher Sprache gelehrt und gefördert wurde (vgl. o. § 36 f.). In Bamberg wurde 1491 vom Stadtrat eine nur für die Stadt geltende Schulordnung erlassen. Sie war nach Inhalt und Aufbau eine Vorschrift für die deutschen Schulen, die neben den von der Kirche geleiteten und unterhaltenen lateinischen Schulen bestanden.4 Im Gegensatz zu den Städten haben wir über Landschulen aus der Zeit vor der Reformation kaum irgend eine Nachricht. Das ist zwar mit bedingt durch die noch nicht systematisch aufbereiteten Quellen. Lediglich aus dem Bistum Eichstätt ist bei einigen fürstbischöflichen Pfarreien gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts eine mit einer Schule in Beziehung zu bringende Nachricht vorhanden, so in Neustetten 1430, Mörnsheim 1464, Buxheim 1480, Egweil 1482, Greding 1487. Diese wenigen Beispiele bedeuten aber sicherlich nicht, daß nur in diesen Pfarreien Schulen vorhanden waren.’ Wir können sie gerade als Beweis für die Regel nehmen, daß zu jeder Pfarrei auch eine Schule gehören sollte. Man muß auch auf dem Lande die Entwicklung des Schulwesens im engsten Zusammenhang mit dem Ausbau der SeelsorgeOrganisation sehen. Die verschiedenen Wellen der Pfarreigründungen in den fränkisehen Bistümern haben sicherlich auch stets erste Ansätze eines Schulwesens im Gefolge gehabt. Aus der Tatsache, daß das Jahrhundert vor der Reformation auf dem Gebiet der Vervollkommnung der Organisation in den Diözesen durch Pfarreigründungen Bedeutendes geleistet hat, darf geschlossen werden, daß für die Anfänge 1 Die Domschulen waren noch im 18. Jh. als Unterrichtsanstalten tätig. Einer der bedeutendsten Schüler der Bamberger Domschule aus dieser Zeit war der in Bamberg 1750 geborene Anton von Bibra, später Domherr in Fulda, Führer der Aufklärung auf katholischer Seite. 2 2 $0 Jahre Institut der Englischen Fräulein, Bamberg, 1717-1967, 1967. 2 250 Jahre Ursulinenkloster Würzburg (1712-1962), Festschr. 1962. 4 Haas, St. Martin (s. o. 690) 70 ff.; Hübsch (s. ebd.) ii. Die Ordnung zeigt uns das Bamberger Volksschulwesen noch in dem Sta-

dium der mittelalterlichen städtischen «Leseund Schreibschule» mit zunftmäßiger Verfassung. Das «Schulgewerbe», in rechtlicher BeZiehung von privatem Charakter, wird von Bürgermeister und Rat konzessioniert und gleich einer anderen Zunft beaufsichtigt. Die Ordnung unterscheidet «teutsche Schulmeister und Schulfrawen» und enthält für dieselben eine Reihe von äußerlichen, amtlich disziplinierten Bestimmungen, gegen deren Übertretung konsequent «puss und straff» angedroht werden. Vgl. auch Haas, St. Martin 72 ff. ’ Buchneb, Schulgesch. 422, 380 f., 119ff., 152 ff., 204 ff.

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des Schulwesens zu diesem Zeitpunkt die damals möglichen Voraussetzungen geschaffen waren. Allerdings war im Vergleich zu den Städten auf dem Lande auch nicht ein annähernd gleiches Bedürfnis oder Verlangen in der Bevölkerung nach Vermittlung des Lesens und Schreibens vorhanden. Dazu kam weiter, daß als Lehrer außer den Pfarrern kaum jemand zur Verfügung stand oder dazu gewonnen werden konnte. Vermutlich wird sich die Entstehung der Schule auf den Dörfern so abgespielt haben, daß die Pfarrer die Mesner heranzogen und heranbildeten und die Mesner zu Lehrmeistern der Dorfbewohner wurden. Ländliche «Pfarrschulen», die vom Mesner als Lehrer geleitet werden («Mesnerschulen»),1 lassen sich vielerorts bis ans Ende der hochstiftischen Zeit nachweisen.

i. Schulordnungen bis zur Mitte des achtzehntenJahrhunderts. Die bereits hochentwickelte Pädagogik in der Zeit vom sechzehnten Jahrhundert bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts auf dem Gebiet des höheren Schulwesens fand in der Pflege des niederen Schulwesens dieser Zeit keine Entsprechung. Zwar fehlte es nicht an der Sorge der Bischöfe und auch nicht an Versuchen der Förderung dieser Schulen. Doch die erzielten Erfolge waren nur sehr bescheiden? In Bamberg erließ der energische Neidhart von Thüngen1 23 eine ganze Reihe für die Zeit wichtiger Mandate (Fastenmandat, Ehemandat, Religionsmandat),4*darunter auch ein Kinderlehrmandat (28. März 1598) für die Erteilung des Religionsunterrichts, in welchem er sich an «alle sowohl durch unser ganzes Fürstentum als in ... unser Stadt Bamberg gesessenen Teutsch und Lateinischen Schulmeister» wandte,3 und schon im Juni 1589 hatte Julius Echter in einem Mandat auf die allgemeinen Schulen und auf den Mangel an «treuen Schulmeistem» hingewiesen.6 Aber weder in Bamberg noch in Würzburg wurde zu jener Zeit eine ausdrückliche Verordnung über das Schulwesen erlassen, nicht etwa aus Geringschätzung der Schule, sondern weil man die Schule als einen zwar wichtigen, aber keineswegs so selbständigen Zweig innerhalb des seelsorglichen Bereiches ansah, daß sie einer eigenen Verordnung bedurft hätte. Das beweisen weiter eine ganze Reihe sogenannter Christenlehrmandate, die von den Bamberger Bischöfen beinahe alljährlich erlassen wurden, so etwa 1601, 1609, 1610, 1611.’ Ihre rasche Aufeinanderfolge zeigt, daß sie nur wenig beachtet wurden. Die niedere Schule auf dem Lande war ausschließlich Pfarrschule, sie wurde von den bischöflichen Anordnungen über Religion und Christenlehre direkt oder indirekt immer mit eingeschlossen. In den Städten war die Regelschule ebenfalls noch die Pfarrschule, auch Sprengelschule genannt, da es oft eine oder mehrere Schulen innerhalb der häufig sehr weit ausgedehnten Pfarrsprengel gab. In Bamberg erließ Johann Gottfried von Aschhausen6 am 8. März 1618 die zweite uns erhaltene Schulordnung, die wiederum nur für die Stadt * galt, aber im Gegensatz 1 Problem nicht völlig geklärt, s. o. 679. 2 Küffneb (s. o. 690) 1. 3 Vgl. Kist 89 ff. 4 Ebd. 91 ff. 3 Staatsarchiv Bamberg, Die deutschen Schulen zu Bamberg !$73-1616, Rep. B $7 VI.

6 Ebd., Bamberger Verordnungen Rep. B 26°. 7 Ebd., Bamberger Verordnungen Rep. 26°; vgl. Webeb, Christenlehrunterricht (s. o. 691). • Kist 96. * Zum folgenden s. Hübsch (s. o. 690) 12-19.

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zur ersten von 1491 von der geistlichen Regierung ausging. Ihr Titel lautet: «Ordnung der teutschen Schulen allhier.» Der Inhalt befaßt sich mit dem Religionsunter‫־‬ richt, dem Verhalten der Kinder in der Schule während des Unterrichts und der Schulpausen sowie auch in der Kirche und außerhalb der Schule. Ferner wird den Patres der Gesellschaft Jesu eingeräumt, daß sie zu bestimmten Zeiten in die Schule kommen und «die Kinder in Glaubenssachen und in der Gottesfurcht unterrichten» sollten. Wieder aus Bamberg ist uns aus dem Jahre 1658 eine weitere Schulordnung des Fürstbischofs Philipp Valentin Voit von Rieneck überliefert. Auch sie gilt nur für die Stadtschulen Bambergs. Sie unterscheidet sich insofern von ihrer Vorgängerin, als sie sich auch mit organisatorischen Fragen des Schulwesens innerhalb der Stadt abgibt. Alles scheint darauf hinzudeuten, daß es für die Bischöfe ein besonderes Anliegen war, die Oberaufsicht über das Schulwesen in der Hand zu behalten. £s werden Ausbildungsnachweise der Lehrer gefordert, und zwar eine Prüfung vor dem Geistliehen Rat, es werden außer dem Religionsunterricht auch andere Lehrgegenstände berührt, die Frage des Schulgeldes wird angeschnitten, es wird darauf hingewiesen, daß die Lehrer sich nicht gegenseitig die Kinder «abspannen», oder Kinder, die von einer Schule in die andere laufen, ohne Vorzeigung eines schriftlichen Testimoniums an- und aufnehmen. Auch hier wird den Jesuiten ein Visitations- und Aufsichtsrecht eingeräumt. Diese Bamberger Schulordnung von 1658 fand in der Folgezeit fast über ein Jahrhundert lang wiederholte Neuauflagen, so 1733 und 1755. Wesentlich daran ist vor allem, daß hier zum erstenmal eine Einteilung der Stadt in feste Schulbezirke versucht wird, und zwar auf Grund des territorialen Prinzips, d. h. Einweisung der Kinder in Schulen nach Straßenzügen.1 Bisher konnten die Kinder ohne Bindung an einen Wohn- und Pfarrbezirk irgendeine Schule der Stadt, auch eine der sögenannten Winkelschulen besuchen. Zum ersten Mal wird auch auf die Notwendigkeit des Rechnens hingewiesen. Bedeutsam ist, daß die seit 1618 bestehende Schulaufsicht der Jesuiten gebrochen und den Pfarr- und jeweiligen Stiftsgeistlichen übertragen wird.12 Damit kündigt sich eine neue Zeit auf dem Gebiet des Schulwesens an. In Würzburg sind uns für das Jahr 1691 Schulverordnungen bekannt, denen sich im Jahre 1693 eine große Kirchenordnung anschließt, die vor allem im neunzehnten Kapitel sich eingehend mit der Schule und den Schulmeistern befaßt. Sie geht inhaltlieh und sachlich nicht über das hinaus, was in Bamberger Verordnungen der geistliehen Regierung auf diesem Gebiet erlassen wurde.3 Auch aus den fränkischen Gebieten der Diözese Eichstätt wurden in den Pfarreien seit dem Sechzehntenjahrhundert Schulordnungen erlassen. Sie ergeben weder inhaltlich noch organisatorisch ein anderes Bild.4

2. Durchführung der Schulordnungen.5 Die Verantwortung für das Schulwesen und die Aufsicht darüber lag bei der Kirche. Die Bischöfe delegierten die Verantwortung 1 Haas, St. Martin (s. o. 690) 80 ff. 2 Hübsch (s. ebd.) 23. 3 Küfner (s. ebd.) 7 ff.

4 Buchner, Schulgesch. 6 ff. 5 Für die folgenden knappen Übersichten wird auf einige wenige Darstellungen (Dbnz-

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in der Regel an ihre eigentlichen Vertreter, die Pfarrseelsorger, oder die geistlichen Träger von Einzelschulen (Stiftsschulen) oder auch an besonders geeignete geistliche Institutionen wie den Jesuitenorden. Die Schule war eine rein geistlich-kirchliche Anstalt, die gläubige Christen und zugleich gute Staatsbürger heranbilden sollte. Die Träger der Einzelschulen waren, von den Ausnahmen der Stiftsschulen und auch wohl schon von den einzelnen Stadtschulen abgesehen, bei den Pfarr- oder Parochialschulen, also in der Regel die jeweiligen Kirchenfabriken. Damit sind die Schulen als Einrichtungen der Kirchen-Gemeinde gekennzeichnet, allerdings nicht im Sinne des Gemeindebegriffes des neunzehnten Jahrhunderts. In den Ausgabebüchem dieser Kirchenfabriken, in den sogenannten Gotteshausrechnungen, begegnen uns seit dem Beginn des sechzehnten Jahrhunderts in zahlreichen Pfarreien lückenlos Ausgabeposten für die Schulmeister. Es sind dies vielfach Primärquellen für den Nachweis eines Schulmeisters in den Pfarreien, aber auch für dessen vielseitige Tätigkeit im Dienste der jeweiligen Kirche. Die Lehrer jener Zeit waren keine Fachleute. Zwar wird in den Verordnungen immer wieder darauf hingewiesen, daß die Lehrer gut vorgebildet sein sollen, es werden Prüfungen vor dem Geistlichen Rat gefordert, es wird nicht nur das Verhalten der Kinder, sondern das der Lehrer und Lehrmethoden visitiert, aber in der Praxis war der Lehrer, vor allem in den Dörfern, kein Fachmann. In der Regel unterrichtete der Mesner (s. o. 697), aber er versah dieses Amt nicht als Hauptberuf. Seinen Lebensunterhalt mußte sich der als Lehrer Tätige fast stets durch einen für die dörfliche Gemeinschaft wichtigen Handwerksberuf (Schuster, Schneider o. ä.) verdienen. Für die Lehrtätigkeit erhielt er eine finanzielle Entlohnung, entweder von der Kirchenkasse oder zuweilen auch aus der Kasse der örtlichen Gemeinde, bisweilen auch durch ein Schulgeld, das die Eltern aufzubringen hatten. In der Hauptsache aber wurde er durch Naturalabgaben und durch Nießbrauchnutzung einiger Äcker aus der Kirchenfabrik oder aus dem Ortsgemeindevermögen («Schuläcker») entlohnt. Eine wichtige Tätigkeit der Lehrer in den Pfarreien und Dorfgemeinden, aber auch in vielen Kleinstädten, war die Ausübung der Gemeindeschreiberei. Der Unterrichtsbesuch war freiwillig. In den Städten fehlte bis ins achtzehnte Jahrhundert eine Schulsprengeleinteilung, so daß sich Eltern und Kinder ihren Lehrer gewissermaßen aussuchen konnten. Der Landlehrer hatte - die relativ geringe Besoldüng ist noch eigens zu berücksichtigen - nur eine kleine Schar von Kindern zu unterrichten. Die Freiwilligkeit im Schulbesuch hatte insofern ihr Gutes, als sie eine natürliche Auslese zur Folge hatte. Der Mangel einer allgemeinen Schulpflicht war zeitbedingt. Sie wäre aus praktisch-organisatorischen Gründen nicht durchführbar gewesen. Regelmäßiger Unterricht war, zumindest auf dem Lande, nur in den Wintermonaten möglich. Während der Sommermonate waren die Schulen nur mäßig besucht, häufig blieben sie ganz geschlossen. Lingg, Scharold u. Wolkenau) verwiesen. Reiches Material für jede einzelne Schule wäre in den Rechnungsbüchem der Kirchenfabriken der Pfarreien und in den

leh,

Visitationsberichten zu finden. Abgesehen von Buchner, Schulgeschichte, sind Einzeluntersuchungen nur in geringer Anzahl vorhanden.

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3. Die Neuordnung des niederen Schulwesens. Um die Mine des achtzehnten Jahrhunderts wurde die Sorge um die niedere Schule, vor allem die Landschule, die seit dem Ende des Minelalters kaum wesentlich entwickelt worden war, immer lebhafter empfunden, besonders in den Kreisen um die «Pädagogische Tafelrunde» des Bischofs Adam Friedrich von Seinsheim. Einen wirksamen Anstoß zur Reform gab 1765 der Würzburger Hofkaplan Johann Philipp Christoph Reibelt, der sich schon unter Carl Friedrich von Schönbom mit dem damiederliegenden Schulwesen befaßt hatte.1 £r stiftete 30000 fl. zur «gedeihlichen Verwendung ... für die Landschulmeister und zur davon abhängigen Verbesserung des Schulwesens in Hochfürstlich-Würzburgischen Landen»? Zur Beratung über die rechte Verwendung dieser Mittel berief Adam Friedrich am 16. September 1766 eine aus drei Geistlichen bestehende «Hofkommission»,123 die eine «Instruktion für die Schulmeister» und eine neue «Schulordnung» ausarbeitete. Für das Jahr 1768 ordnete er eine große statistische Erhebung über das Schulwesen an,4 die ein unerfreuliches Bild der Schulverhältnisse, vor allem auf dem Lande, ergab. Das Lehrpersonal war immer noch nach Herkunft und Bildung außerstande, einen guten Unterricht zu erteilen. Daneben war auch hinsichtlich des Besuchs der Schulen noch wenig Verständnis seitens der Eltern vorhanden. Die Aufsichtspflicht, die den Pfarrern oblag, wurde meistens als reine Formalität behandelt. War die Hofkommission zunächst nur als eine fallweise Einrichtung gedacht, so wurde sie schon im Februar 1767 in Permanenz erklärt.5 Unter dem 2. März 1770 wurde sie in eine aus Geistlichen und Laien bestehende Kommission für das Schulwesen umgewandelt. Sie sollte eigentlich nur ein dem Fürsten und der Geistlichen Regierung beratend zur Seite stehendes Gremium, also keine Schulbehörde im engeren Sinne sein.6 Die nach der Aufhebung des Jesuitenordens eingerichtete Schulkommission nahm sich auch, so in ihrer Sitzung vom 21. September 1773, des Elementarschulwesens an.7 Die Elementarschule sollte nicht nur zum Besten der Bevölkerung wirksam werden, sondern auch als eine Art Grundschule für die Lateinschulen dienen. Die Bamberger Schulkommission kam erst 1776 dazu, sich mit dem Trivial- oder Volksschulwesen eingehender zu befassen. Ihre Pläne zielten ab auf eine bessere Lehrart, gründliche Weiterbildung der bereits unterrichtenden und gute Ausbildung der neuen Lehrer. Neu war, daß zur Hebung der beruflichen Qualität der Lehrer ihre soziale Besser- und Sicherstellung gefordert wurde. Dementsprechend lautete das Endziel der Schulreform: Errichtung einer Ausbildungsstätte für die Lehrer und, entsprechend dem Reibeltschen Legat in Würzburg, die Bildung eines Schulfonds für die materielle Sicherung der Lehrer und der schulischen Einrichtungen. 4. Die Einführung der Lehrerbildung.8 Die frühesten Einrichtungen schufen Herzog Ernst der Fromme von Sachsen-Gotha (1640-1675), sein Enkel Herzog Friedrich Π. 1 Küffner (s. o. 690) 14 fF. 2 Ebd. 19, 21 f. 1 Hübsch (s. o. 690) 31; Küffner 23. 4 Küffner (s. ebd.) 34 ff 5 Ebd. 23 f.

6 Ebd. 64 ff. 7 Zum folgendenHübsch (s. o. 690)36 f. 8 Zur Lehrerbildung vgl.Dömling (s.o. ebd.).

§ 7&· Das katholische Schulwesen (B. Neundorfer)

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(1693-1737) und ein ehemaliger Schüler des Gymnasiums in Gotha, August Hermann Francke, der in Halle ein Lehrerseminar ins Leben rief. Für die katholischen Teile Deutschlands wurde der Abt von Sagan, Ignaz Felbiger, zum großen Reformer, der in Sagan Vorbereitungsanstalten für Lehrer errichtete. Nach seinen Plänen verbesserten ab 1774 fast alle katholischen Staaten ihre Schulverhältnisse. Besonders enge Beziehungen zu Abt Felbiger hatten die beiden fränkischen Hochstifte Bamberg und Würzburg.1 Fast alle bedeutenden Werke Felbigers wurden bei Göbhard in Bamberg und Würzburg verlegt. Angeregt durch Felbigers Katechismus brachte 1769 der Würzburger Hofmeister Michael Ignaz Schmidt1 2*seinen berühmten «methodus katechizandi» heraus. Schmidts Einfluß war die Errichtung eines Lehrerseminars im Jahr 1770 in Würzburg zu verdanken. Erster Direktor wurde der 34jährige Kaplan David Götz bei St. Peter, Verfasser einiger Lehrbücher. Der Unterricht wurde in Lesen, Schreiben, Rechnen, in Religion und Kirchengeschichte, auch in den Grundbegriffen der Geographie und Geschichte erteilt. Im Gegensatz zu den schlesischen Seminaren, die eigentlich nur Schulen waren, an denen die Lehrer in die Praxis eingeführt wurden, wurde das Seminar in Würzburg als Bildungsstätte der Lehrer, allerdings ohne Übungsschule, geführt.2 In Bamberg ging man zunächst den schlesischen Weg.4*Unter dem Kaplan Johann Gemer wurde 1776 als Provisorium eine Normalschule eingerichtet, die nach fünfzehn Jahren zum Lehrerseminar ausgebaut wurde. Die Lehrgegenstände waren vielschichtig: die Kunst zu katechisieren, die deutsche Sprache, die Schönschreibkunde, die Rechenkunst, die Musik, Naturlehre und Naturgeschichte, Haushaltskunde und Landwirtschaft, Erdbeschreibung, Kalligraphie, Anweisung zu Briefen und Bittschriften, schriftliche Aufsätze, Rechenkunst in Brüchen, Regeln zur Bildung eines besseren Geschmacks in der Instrumental- und Vokalmusik usw.2 Die Dauer der Kurse betrug anfangs sechs Monate, 1792 wurde sie auf zehn Monate ausgedehnt. 5. Das Schulwesen am Ende der hochstiftischen Zeit. Durch die verbesserte Besoldung der Lehrer und durch die Einrichtung der Lehrerseminare waren wichtige Voraussetzungen für die innere Erneuerung der allgemeinen Schule geschaffen. Auf dem Land wurden 1784 die Sommcrschulen eingeführt.6 Die Unterrichtszeiten und das Einschulungsalter der Kinder wurden fcstgelegt, die Schulpflicht, die bisher auf der Basis rein moralischer Verpflichtung und Gewohnheit stand und nicht gesetzlich geregelt war, wurde, vielfach mit Zwang, durchgeführt, dem Mangel an Lehrmitteln für den Elementarunterricht nach Möglichkeit abgeholfen.7 Der Bamberger Seminarschuldirektor Gemer brachte eine «Gründliche Unterweisung zur Deutschen Sprache für die Schulkinder im Hochfürstlichen Bistum Bamberg» heraus, ebenso eine «Systematische Anleitung zur Rechenkunst». Um die Unterschiede in den einzelnen Lan1 KÜFFNEH (s. O. 690) 52. 2 S. o. 695; ab 1778 Prof. d. deutschen Reichsgesch., 1781 Dir. des Haus-, Hof- u. Staatsarch. Wien; LThK IX, 1937’, 286f. über seine Bedeutung als Historiker s. o. 637. 2 Ebd. 67 ff.

4 Hübsch (s. 0.690 39,122ff.; Helldorfer, Lehrerbildung (s. o. ebd). 5 Hübsch 137, 198. 6 Ebd. 88. 7 Ebd. 101 ff.

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desteilen und Amtsbezirken hinsichtlich Schulleiter, Schulzeiten, Schulsprengel, Anzahl der Lehrer usw. zu beseitigen, wurde 1790 eine große schulstatistische Erhebung vorgenommen.1 Der Inhalt der Fragebögen zeigt die Ernsthaftigkeit der Bemühungen. Es wurden verlangt: Genaue Angaben über die Zahl der Ortsbewohner und ihrer Schulkinder sowie über ihre vogteiliche Gerichtsbarkeit, über die Schullehrer und ihre amtlichen Verrichtungen, über die Bestallung des Schuldienstes, über Schulbesuch und Sommerschulen, über die Schullokalitäten, Schulausstattung und Baulast, über Filial- und weitere Nebenorte und ihre Schulzustände, über die Schulen in den konfessionell gemischten Pfarreien. Auf der Grundlage der Umfrage erließ der Fürstbischof am 18. Mai 1792 eine Entschließung, die richtungweisend für die Schulverbesserung und Schulverwaltung während des letzten Jahrzehnts der hochstiftischen Zeit wurde. Die Kompetenzschwierigkeiten zwischen den Vikariaten als der oberen geistlichen Behörde und der Schulkommission als der vom Fürsten eingesetzten Staatliehen Oberbehörde konnten jedoch nicht beseitigt werden. Die Versuche, die Sachfragen der staatlichen Behörde, die Personalfragen dem geistlichen Vikariat zuzuteilen, zeitigten kein befriedigendes Ergebnis. Hier ging es einfach um die Frage, ob die Lehrer in erster Linie, wie bisher, Kirchendiener sein sollten oder Staatsdiener. In Bamberg entschied 1791 der Fürstbischof, daß der Schulkommission neben den Professoren der lateinischen Mittelschulen und dem Personal des Schullehrerseminars auch die Lehrer der Trivialschulen unterstellt wurden, die «unter unserer Landeshoheit stehen oder deren Dienste von uns besetzt werden und nicht etwa als Kirchendiener anzusehen sind», dazu gehörten auch die Lehrerinnen und Klosterfrauen des Englischen Instituts.2 Eine endgültige Entscheidung konnte jedoch, zumindest im Hochstift Bamberg, bis zum Ende nicht erreicht werden. Eine Entschließung vom 13. April 1799 befiehlt, daß die alljährlichen Visitationsprotokolle über das Schulwesen in duplo zu erstellen und sowohl an das Vikariat als auch an die Schulkommission zu senden seien.3 Daraus geht hervor, daß die Dekane, denen die unteren Schulen oblagen, sich den vorherigen Anordnungen, wonach die Lehrer als Staatsdiener nur der Schulkommission unterstellt seien, durch passiven Widerstand zu entziehen vermochten. Diese Schwierigkeiten wurden namentlich dort sichtbar, wo Landeshoheit und geistliche Gewalt nicht identisch waren. Hier wird die Eigenart der fränkischen «Staatlichkeit» (s. o. 352) in ganz besonderer Weise deutlich. Davon abgesehen darf festgestellt werden, daß die geistlichen Staaten in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts alles in ihrer Macht stehende und den Verhältnissen entsprechend Mögliehe unternommen haben, um auch das niedere Schulwesen nach Kräften zu fördern. So war schließlich, am Ende der hochstiftischen Staaten, die allgemeine Schulbildung als Volksschulbildung so weit gediehen, daß sie in die neuen Verhältnisse nach dem Übergang an Bayern rasch und ohne Schwierigkeiten überführt werden konnte. 1 Staatsarchiv Bamberg, Bamberger VerOrdnungen Rep. B 26°; Hübsch (s. o. 690) 105 ff.

2 Ebd. 68 f. 3 Ebd. 122, 173.

VI

LITERATUR, KUNST, MUSIK J 79. DIE DEUTSCHE DICHTUNG VOM ENDE DER «MITTELHOCH-

DEUTSCHEN BLÜTEZEIT» BIS ZUM AUSGANG DES MITTELALTERS

Wie in anderen deutschen Landschaften so wird auch in Franken seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts das literarische Leben reicher und vielseitiger. Eine der großen Leitgestalten der späthöfischen Periode hat diesen Zug zur Vielseitigkeit im eigenen Werk demonstriert. Es ist Konrad von Würzburg,1 der hier gestreift sei, obwohl ihn mit Franken wenig mehr als der Geburtsort und ein paar dialektische Anklänge verbinden: sein literarischer Wirkungsraum ist der Oberrhein zwischen Straßburg und Basel, und als Basler Bürger stirbt er hochbetagt im Jahre 1287? Konrads Opus ist von seltener Universalität. Es reicht vom höfischen Roman über Versnovellistik, Wappendichtung, lyrische Spruch- und Lieddichtung bis hin zur Heiligenlegende und zum hymnischen Marienpreis. Stilistisch folgt er dem Vorbild Gottfrieds von Straßburg und befindet sich damit in bester alemannischer Tradition. Darin freilich unterscheidet sich der formal ungewöhnlich begabte Franke von seinem großen Meister, daß für ihn und bei ihm Dichtung nicht als Emanation poetischen Schöpfungsdranges, sondern als Ergebnis kunstfertig-gelehrter Bemühung entsteht. Im Sinne solcher Kunstauffassung haben spätere Meistersinger ihn mit Recht zu einem ihrer literarischen Ahnen erklärt. Konrad selbst wieder wurde nachgeahmt von seinem jüngeren Landsmann Johann von Würzburg,3 der 1314 einen sentimentalen Minneroman Wilhelm von öster* reich vollendete. Auch er dichtete nicht in seiner Heimat, sondern, wie die Erwähnung von Gönnern erkennen läßt, in Schwaben (Eßlingen). Blick und heimlichöffentliche Werbung aber gehen beständig nach Österreich, woher nicht umsonst auch der Romanheld stammt. Der Widmung des Werks an die Herzöge Friedrich (den Schönen) und Leopold entspricht die deutlich bemerkbare Animosität gegen alles Bayerische. Hier berühren sich höfische Literaturfiktion und aktuelle politische Wirklichkeit. Ob es in Würzburg selbst so etwas wie ein literarisches Leben gegeben hat - auch Ruprecht von Würzburg,3 von dem wir eine nicht übel erzählte Versnovelle ■ VLII913-928; V 568; de Boor III 1,27-52; E. Strassner (Fränk. Klassiker) 110-122, 757 (Ausg. u. Lit; ‫״‬Pantaleon“ hg. v. W. Woesler, 19742)■ 2 Vgl. H. de Boor, Die Chronologie d. Werke Konrads v. Würzburg, insbes. d. Stellung d. Turniers v. Nantes (Beitr. [Tüb.] 89) 1967, 210-269; 1· Leipold, Die Auftraggeber

u. Gönner Konrads v. W., 1976. ‫ נ‬VL II 630-657; V 480; de Boor ΠΙ r, 99; 96U. P1LLOKAT (Fränk.Klassiker) 123-132, 758. 4 Hg. v. E. Regel, 1906. 5 VL ΠΙ 1151-1153; de Boor III 1, 277!; P1LLOKAT (s. Anm. 3); H. Fischer, Stud. z. dt. Märendicht., 1968, 2011., 351.

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Franken: E. VI. Literatur, Kunst, Musik

Die Treueprobe («Die zwei Kaufleute»)■ (um 1300) besitzen, ist kaum mehr als ein Name bleibt danach unentscheidbar. Am ehesten spräche dafür noch die große Sammlung mittelhochdeutscher Dichtung, die sich, offenbar aus persönlichem Interesse, der Würzburger Domscholaster und bischöfliche Protonotar Michael de Leone2 (t 1355) anlegte. Der erste Teil ging bis auf kleine Reste verloren, der zweite (UB München 2° Cod. ms. 731) enthält neben einer beachtlichen Zahl von Walther- und Reinmarliedem, Freidanks «Bescheidenheit» und manchem anderen einen großen Bestand an unsanglicher Kleindichtung, die z. T. nur hier erhalten ist, wie Konrads von Würzburg «Klage der Kunst» und «Turnier von Nantes» oder die Gedichte zweier anderer mainfränkischer Autoren, Lupoid Hornburgs3 (politische Sprüche auf Ereignisse der Jahre 1447 und 1448) und des eigenwilligen Königs vom Odenwald.4 In Bamberg schreibt inzwischen der geschäftige Schulmeister von St. Gangolf Hugo von Trimberg,3 aus dem Würzburgischen stammend, ein umfangreiches Lehrgedicht, das im Jahre 1300 vollendet wird und später den Titel Der Renner,6 erhält. Er wm darin ein durch Beispielerzählungen aufgelockertes und illustriertes Kompendium der Morallehre geben und wählt als Gerüst die sieben Hauptsünden, was (da ira und invidia zusammengefaßt sind) zu sechs Distinktionen führt. Doch wird dieses einleuchtende Aufbauprinzip im einzelnen nur wenig sichtbar, weil sich der Verfasser im Gestrüpp seiner üppig wuchernden Redseligkeit immer wieder verliert. Die Zeitgenossen haben sich trotzdem von diesem Werk angezogen gefühlt, vielleicht weniger von der dort ausgebreiteten moralischen Theorie als vielmehr von ihrer farbkräftigen Applikation, die von echter Lebenserfahrung getragen ist. Noch in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts taucht dann in Franken die Minnerede1 auf. An dieser eigenartigen Gattung, die damals allmählich in die vom absterbenden Minnesang aufgegebene Literaturfunktion einrückt, hat ein Egen von Bamberg6 mit zwei kürzeren Gedichten Anteil. Dieser Egen, von dessen Persönlichkeit wir sonst nichts wissen, wird in einem der repräsentativen Großwerke des Typs als unerreichtes Vorbild gepriesen, offenbar im Blick auf eine bei ihm besonders ausgeprägte manieristische Stilform, das «blüemen»,’ das in bestimmten literarischen Bereichen Mode zu werden beginnt. Das erwähnte Großwerk, die Minneburg,16 ist eine wortreiche, im einzelnen etwas verworrene Allegorie von der Erstürmung einer Burg Freudenberg (eine reine Frau) durch ein Kind (die Minne). Sprachliche Kriterien weisen es in den Würzburger Raum, ohne daß sich sein eigentlicher literarischer Standort näher bestimmen ließe. ■ Hg. v. Ch. Gutknecht, 1966; Fischer (s. 703 Anm. 5) 351. 2 VL III 382-385; P. Keyser, Michael de Leone(! 1355) u.seineliterar.Sammlung, 1966; Faksimile d. Rcinmar-Walther-Slg. hg. v. G. Kornrumpf, 1972. 2 The Poems of L. H., edited by C. H. Bell and E. G. Gudde, Berkeley 1945; VL II 488 bis 491; V 422. 4 Hg. v. E. Schröder (Arch. f. hess. Gesch. NF 3) 1901. 3-92; VL II 867; V 534. 5 VL II 530-535; V 434-436; de Boor III 1,

380-386; B. Müller (Fränk. Klassiker) 133 bis 148, 758f.; H. Stahleder, Arbeit in d. ma. Ges., 1972, 53-157· 6 Hg. v. G. Ehrismann, 4 Bde., 1908/11' (Nachdr. 1970). 7 I. Glier, Artes amandi, 1971. 8 Ders. 121-127. ’ K. Nyholm, Stud. z. sog. geblümten Stil, Abo 1971. 10 Hg. v. H. Pyritz, 1950; Glier (s. Anm. 7) 127-156.

§ 79■ Die deutsche Dichtung vom 13. bis 16. Jahrhundert (H. Fischer/J. Janota)

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Im fünfzehnten Jahrhundert zentralisiert sich das literarische Leben Frankens in Nürnberg (während das andere große weltliche Territorium, die Markgrafschaft Ansbach-Bayreuth, auffallend steril bleibt). Zwei Schichten heben sich hier deutlich von einander ab: eine gelehrt-humanistische und eine volkstümliche. Die literarische Produktion der ersten Schicht wendet sich wohl vorwiegend an ein patrizisches Publikum, und den Reihen der bevorrechteten Stände entstammen auch die meisten Autoren. Die benutzte Form ist die in Italien zur Blüte gelangte Prosa. Sie ist das Gewand des 1472 dem Nürnberger Rat gewidmeten Ehebüchleins1 des Bamberger Domherrn Albrecht von Eyb,12 in das der Verfasser zur Illustration seiner Thesen novellistische Erzählungen einfügte (darunter jedoch nicht, wie immer wieder behauptet wird, die «Grisardis» des Nürnberger Kartäusers Erhärt Groß).3 Sie ist das Gewand der deutschen Fassung der Meisterlinschen * «Nürnberger Chronik» (1488) wie der 1493 vom Nürnberger Stadtschreiber Georg Alt3*besorgten deutschen Übersetzung der Weltchronik Hartmann Schedels.6 Und der Prosaform bedient sich auch - und dies nicht nur wegen der Prosa der Vorlage - die Decameroneübersetzung 7 Arigos (gedruckt 1472), den wir heute nicht mehr mit dem Ulmer Stadtarzt Heinrich Steinhöwel, sondern mit dem Nürnberger Patrizier Heinrich Schlüsselfelder3 identifizieren; mit seiner folgenreichen Übersetzung wird endlich das bedeutendste Werk mittelalterlichen Novellierens auch in Deutschland heimisch. Dieser Vorherrschaft der Prosa im Literaturbetrieb der gelehrten Kreise verschließt sich - aus naheliegenden Gründen - nur die poetisch-musikalische Kunstpraxis, wie sie für Nürnberg durch das Schedelsche Liederbuch9 - es ist kein Originalwerk Schedels, sondern eine Sammlung, die er in jungen Jahren anlegte - und das Lochamer-Liederbuch10 belegt ist. Die volkstümliche Literatur der Kleinbürger hält dagegen in allen Bereichen am Vers fest und bekennt sich damit zur mittelalterlichen Formtradition. Ihr erster Exponent ist der Gelbgießer Hans Rosenplüt,11 der zwischen etwa 1425 und 1460 dichtete. Sein Repertoire ist nicht arm. Es umfaßt außer ernsthaften und schwankhaften Erzählungen auch noch geistliche Reden, politisch-historische Sprüche und Fasmachtspiele. Diese letzteren sind für uns besonders interessant, weil sie städtisches Brauchtum in litcrarisicrter Form zeigen, und zwar zu einer Zeit, wo beide entwicklungsgeschichtlichen Stufen, Reihenspiel und Handlungsspiel, noch lebendig und 1 Hg. v. Μ. Herrmann, 1890; Faksimile der Originalausgabe von Anton Koberger Nürnberg 1472, hg. v. E. Geck, 1966. 2 VL I2 180-186; H. Weihnacht (Fränk. Klassiker) 170-182, 759f. 3 VL II 102-106; NDB 7, 139; «Grisardis», hg. v. Ph. Strauch, 1931. 4 VL III 345349‫ ;־‬V 676. Zu weiteren Nümberger Chroniken s. Jacob-Weden, Quellenkünde d. deutschen Gesch. im MA, III 1952, 133-137· ’ NDB 1, 207 f. 6 Lit. über ihn bei Stammler (s. o. Anm. 2) 548 I. 45 HdBGIII, I

7 Hg. von A. v. Keller, 1860. 8 VL V 1032-1040; NDB 1, 352. 9 MGG XI, 1963, 1609-1612. 10 Hg. v. Salmen-Petzsch, 1972; Faksimile hg. v. K. Ameln, 1972; MGG VIII1080-1083; Ch. Petzsch, Das Lochamer Liederb., 1967. S. u. 789. 11 Fischer (s. 703 Anm. 5) 152-159, 346-349 (Ausg. u. Lit.); G. Schramm (Fränk. Klassiker) 183-194. 760. 12 E. Catholy, Fastnachtspiel, 1966; Fastnachtspicle d. 15. u. 16. Jhs., hg. v. D. Wuttke, 19782 (Lit.).

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produktiv sind.12 Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir in Rosenplüt den eigentlichen Urheber dieser Literarisierung sehen. Einer gerechten Würdigung von Rosenplüts dichterischer und geschichtlicher Leistung steht heute leider immer noch der Schock im Wege, den der freimütige Grobianismus seiner komischen Gedichte einer allzu sehr in Tabus befangenen Literaturwissenschaft einmal versetzte. Dasselbe gilt für Rosenplüts literarischen Nachfahren, den Barbier und Wundarzt Hans Folz1 (f 1513). Er ist dem in Geschmacksfragen ewig unsicheren und gelegentlieh zu süßlicher Blümelei neigenden Rosenplüt an sprachhandwerklichem Geschick, an darstellerischer Technik wie auch an allgemeiner Bildung beträchdich überlegen. So kann er, im dritten Viertel des Jahrhunderts von Worms nach Nürnberg übersiedelnd, es wagen, neben den von Rosenplüt gepflegten Typen, denen er u. a. noch das ökonomisch-medizinische Lehrgedicht beigesellt, sich auch des Meistergesangs123 anzunehmen, also jener zunftmäßig organisierten bürgerlichen Sangesübung, die aus der jüngeren Spruchdichtung (unter ihren letzten Vertretern der Franke Muskatblüt1) hervorgeht und damit formal letztlich auf der ritterlichen Liedkunst der Stauferzeit fußt. Über die Frühgeschichte der städtischen Meistersingervereinigungen fehlt es an Nachrichten, doch dürfte die Nürnberger Gesellschaft schon damals eine feste literarische Institution gewesen sein. Ihr besonderes Profil gewinnt sie aber erst, als unter Hans Folz der Versuch einiger Mitglieder abgewehrt werden konnte, nach Vorbild der rheinischen und schwäbischen Gesellschaften auch in Nürnberg neben den Tönen (Strophen- und Melodieform) der Zwölf alten Meister keine neuen Töne mehr zuzulassen.45 Ihre Vorrangstellung hat die Gesellschaft der Nürnberger Meistersinger dadurch erhalten, daß ihr Singen in neuen Tönen dann auch für die Gesellschaften in anderen Städten zum Vorbild wurde, und das ist vor allem das Verdienst des berühmten Schuhmachers Hans Sachs (1494-1576).’ Aber der Meistersang, den Sachs bei dem Nürnberger Weber Lienhart Nunnenpeck * erlernte, ist nur eine Seite seines poetischen Schaffens, und wiewohl er nicht weniger als dreizehn neue Töne schuf, so liegt sein dichterischer Schwerpunkt doch mehr im Bereich der kleinen Reimpaar1 Fischer (s. 703 Anm. 5) 160-162, 309-314 (Ausg. u. Lit.); J.Janota, H. Folz in Nürnberg (Philol. u. Geschichtswiss.,hg. v. H. Rupp) 1977, 74-91; Schramm (s. 705 Anm. 11). 2 Meisterlieder, hg. v. A. L. Mayer, 1908 (Nachdr. 1970); B. Nagel, Meistersang, 19712; H. Brunner, Die alten Meister, 1975. 3 E. Kiepe-Willms, Die Spruchdicht. Muskatpluts, 1976; VL III 460-465; V 699. 4 Brunner (s. Anm. 2) 80-83; B. Taylor, Der Beitr. d. H. Sachs u. seiner Nümb. Vorgänger zu d. Entwickl. d. Meistersinger-Tabulatur (H. Sachs u. Nürnberg, hg. v. H. Brunner u. a.) 1976, 245-274. 5 Nachdr. der Nürnberger Folioausg. (5 Bde.

1558-1579) mit Ergänzungen aus Einzeldrukken und Handschriften: H. Sachs, hg v. KellerGoetze, 26 Bde., 1870/1908 (Nachdr. 1964), mit Bibi, in Bd. 26; weitere Ausg. u. Lit. bei B. Könneker, H. Sachs, 1971 (hier auch eine erste Orientierung über das umfangreiche Oeuvre dieses Autors, für den eine wissenschaftliche Monographie ebenso fehlt wie eine Gesamtausg. seiner Meisterlieder); s. auch die Beiträge in der Gedenkschrift zum 400. Todestag, hg. v. Brunner (s. Anm. 4); Ders. in: Fränk. Klassiker, 264-278, 762f.; MGG XI 1231-1233. 6 VL III 633-635.

§ So. Literatur und Theater von 1550-1800 (H. Pörnbacher)

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dichtungen, der didaktischen und erzählenden (Fabeln, Schwänke) Sprüche und vor allem der Spiele, die er selbst in «Tragedi», «Comedi» und «Fasnachtspil» unterteilte. Über sechstausend Nummern hat der Unermüdliche im Lauf seines langen Lebens verfaßt (im Jahre 1567 waren es nach Sachsens eigener pedantischer Zählung bereits 6170): eine gewaltige Heerschar, in der (trotz Sachsens Offenheit gegenüber humanistischen Stofftraditionen) noch einmal das halbe Mittelalter in Stoff und Form ersteht. Hans Sachs ist gewiß nicht einer der Großen unserer Literaturgeschichte, aber dieser Nürnberger Schustermeister hat als Dichter solide, ehrliche Werkmannsarbeit geleistet, und betrachtet man den poetischen Impetus, der hinter einem so gewaltigen Oeuvre stehen muß, so wird man ihn - mindestens im mittelalterlichen Sinne - für einen echten Dichter halten.

§80. LITERATUR UND THEATER VON 1550 BIS 1800

Fränkische Literatur ist in diesem Zusammenhang die Literatur der heutigen bayerischen Regierungsbezirke Unter-, Mittel- und Oberfranken. Eine solche Begrenzung ist für unser Thema nicht unproblematisch, aber sie ist im Rahmen dieses Handbuchs gerechtfertigt und sicherlich weit weniger gefährlich, als die verschwommenen, von «völkischer» Betrachtungsweise bestimmten Definitionen aus dem ersten Drittel dieses Jahrhunderts.1 Die Forschungssituation ist ähnlich wiedie für Altbayem und Schwaben. Es fehlt eine befriedigende, wissenschaftliche Darstellung. Diese wird weder von Nadlers Werk geboten, noch kann sie von dem soeben erschienenen Band Fränkische Klassiker2 erwartet werden, der ähnlich der Bayerischen Literaturgeschichte (1965/67) aus Dichtermonographien besteht. Einen knappen Überblick gibt L. F. Barthel mit seiner Literaturgesch. d. fränk. Raumes,2 der auf den wenigen Seiten nicht einmal die wichtigeren Persönlichkeiten alle erfassen kann. Was fehlt, ist vor allem eine Darstellung der geistlichen Literatur, von der nur wenige Namen außerhalb der Nürnberger Barockdichtung bekannt sind. Fragmentarisch ist auch die Erforschung der Theatergeschichte. Besser bestellt ist es dagegen um Materialsammlungen zum Literaturbetrieb einiger Städte und Landschaften Frankens. Uber Nüm* berg berichtete zuletzt F. Bock in einem Vortrag Altnümberger Dichtung von Hans Sachs bis Grübel;1 über Ansbach J. Meyer, Ansbach, eine Heimstätte d. Dichtkunst, 1885; über Oberfranken L. Lunz, Die oberfränk. Dichtungen u. Dichter, 1924. In diesen Bändchen sind die alten Gelehrtenlexika des späten achtzehnten Jahrhunderts verarbeitet, doch fehlen Literaturhinweise fast durchwegs. Eine wichtige Hilfe zur Erforschung der Literatur in Franken bietet das 1964 gegründete «Institut für fränkische Literatur» der Stadtbibliothek Nürnberg, die einzige Einrichtung dieser Art in Bayern. Im Vergleich zu Altbayem und Ostschwaben kann Franken für den Zeitraum, von dem hier zu handeln ist, ohne Zweifel mit dem größten Reichtum aufwarten, mit einer stattlichen Zahl berühmter Sterne am Dichterhimmel der deutschsprachigen Lande. Der Grund dafür liegt nicht zuletzt in der politischen Vielgestaltigkeit des Gebietes. Die Gliederung des Stoffes verlangt deshalb neben der Berücksichtigung der einzelnen Epochen auch eine Einteilung nach Territorien. Überraschen mag die Behandlung des barocken Regensburg, soweit die Reichsstadt betroffen ist, zusammen mit der Literatur Nürnbergs. Aber in diesem Punkt ist das reichsstädtische Regensburg dem fränkischen Nürnberg näher verwandt als dem bayerischen Umland. Das Schrifttum der

1 Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf die Überlegungen von A. Dörfler, Gedanken über fränk. Dichtung (Fränk. Bund 1) 1924, 130 f., 336 f. und H. Seufert, Die fränk. Literaturgesch., ihrUmfangu. ihr Stand (Fränk. Monatshefte f. Heimatkunde, Kultur u. Kunst 10) 1931, 110-113. 45'

2 S. AV. 2 In: C. Scherzer II 355-388. 4 Vgl. H. Pyritz, Bibliographie z. deutschen Barocklit. (P. Hankamer, Deutsche Gegenreformation u. deutsches Barock) 1935, 482 f. 5 Gedruckt in MVGN 53, 1965, 363-385.

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Franken: E. VI. Literatur, Kunst, Musik

geistlichen Herrschaften ist kaum erforscht. Einige wenige Beispiele müssen deshalb genügen. Das ist bedauerlich, das Bild unterscheidet sich jedoch trotzdem nicht wesentlich von dem Altbayems, das im zweiten Band ausführlicher und in gewisser Weise exemplarisch für die geistlichen Territorien auch in Schwaben und Franken gezeichnet werden konnte.1 Von Umfang und Wichtigkeit des Stoffes her gesehen, müßte der Beitrag über die Literatur in Franken wohl die meisten Seiten füllen. Aber während es für Altbayem und zum Teil auch für Schwaben galt, kaum Bekanntes zusammenzutragen und zu einem Bild des literarischen Lebens zu verweben, besteht diese Aufgabe für Franken nicht in gleichem Maße. Die fränkischen Leistungen gehören in der HauptSache längst zum Kanon der deutschen Literaturgeschichte und brauchen hier nicht eigentlich vorgestellt, sondern nur in diesem spezifischen Zusammenhang aufgezeigt zu werden. Das mag die Kürze des Beitrags rechtfertigen.

a) Die Dichtung des Humanismus Allgem. Lit. zum Humanismus s. o. 556-569.

Mit Albrecht von Eyb (142O-1475)1 (s. o. 705) beginnt die stolze Reihe fränkischer Humanisten. Eyb schreibt ein glänzendes Humanistenlatein in seinen «Exercicii maxime et solacii causa» oder in der «Margarita poetica» (1472), aber er schreibt auch eine urwüchsige und gekonnte deutsche Prosa, so in seinem berühmten «Ehebüchlein» von 1472. Nicht zuletzt durch seine Übersetzungen wird er ähnlich wie Ulrich von Hutten und Johann von Schwarzenberg zum «Mitschöpfer der deutschen Erzählung und Prosa» (Nadler). Konrad Celtis1*3 hat als dichterisches Hauptwerk vier Bücher «Amores» (1J02) mit bedeutenden lyrischen Partien hinterlassen. Der vielseitige Willibald Pirkheimer (s. o. 588f.),der Mittelpunkt der Nürnberger Humanistenbewegung, war als Übersetzer, Herausgeber, Pädagoge und auch als Dichter tätig. Hartmann Schedels Geschichtsdichtung, das «Buch der Chroniken und Geschichten»,45 (s. o. 586) war von großem literarischen Einfluß im sechzehnten Jahrhundert. Von Johann von Schwarzenberg,3 der durch den Tod der Gattin zum Dichter geworden war, erschien 1502 ein «Trostspruch um abgestorbene Freunde».61512 schrieb er das «Büchle wider das Zutrinken»; es folgten Denkverse und Sittensprüche («Büchle Memorial») und schließlich eine Übertragung Ciceros ins Deutsche. Auch von Joachim Camerarius (s. o. 568) sind aus seinen einhundertfünfzig Schriften poetische Stücke bekannt. In Schweinfurt, der Heimatstadt Cuspinians (s. o. 563) glänzte für kurze Zeit Olympia Fulvia Morata (1526-1555)7 aus Ferrara, neben Charitas Pirkheimer die einzige Frau unter den gelehrten Humanisten. Ihr Haus in Schweinfurt wurde zu einer Heimstätte des Humanismus, der Poesie und der Musik. Lange nach ihrem Tod, 1 HB II 853-863, 867-870. » Nadler I 345 f.; G. Weber, Albrecht v. Eyb: Ehebüchlein (Bayer. Lit. Gesch. I) 384 bis 396 (mit Literaturhinweisen); H. Weinacht (Fränk. Klassiker) 170-182. 3 S.o. 600; Nadler I 352L, 373ff.;H.ZntNbauer (Fränk. Klassiker) 195-208. 4 Nadler 1351 f. 5 ADB 33, 305 f.; Nadler I 346-348; Ausgäbe der Werke in Neudrucken deutscher Literaturwerked. 16. u. 17. Jhs. nr. 176 «Das Büchlein vom Zutrinken» und nr. 215 «Trost-

spruch um abgestorbene Freunde», beide hg. v. W. Scheel. (Vgl. A. Götze in Anzeiger f. deutsches Altertum 33, 1909,179-184; P. CH. Kern (Fränk. Klassiker) 209-219. 6 Nach seinem Tod erweitert und verbessert unter dem Titel «Kummertrost» erschienen; 1613 von C. Vetter im ‫״‬Paradeißvogel“ hg. Vgl. HB II 862. 7 ADB 22, 211 f.; O. W1LDERMUTH, O. Μ., ein christl. Lebensbild, 1854; Schweinfurter Heimatbll. 13, 1936, 28, 36, 45 f.

§ 80. Literatur und Theater von 1580-1800 (H. Pörnbacher)

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1580, erschien in Basel ein kleines Bändchen mit ihren Briefen und ihren Gedichten in lateinischer und griechischer Sprache. b) Dichtung in Nürnberg bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Nadler I; Pyritz (s. o. 707 Anm. 4); Bock (s. o. 707); E. Mannack (Hg.), Die Pegnitzschäfer (Reclams Univ.-Bibl. 8545-48) (reiche Textauswahl, zuverlässige Bibliographie und vorzügliches Nachwort); B. Hubensthner, Ev. Barock (Unbek. Bayern 2) 1956, 203-214.

1. Das 16. Jahrhundert. Nürnbergs große Zeit beginnt schon gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts.1 Es ist die Zeit der Albrecht Dürer, Veit Stoß, Adam Krafft und Peter Vischer, der ersten Humanisten und der beginnenden Singschule mit Rosenplüt, Hans Folz und Hans Sachs (s. o. 706). Neben dem Meistersinger Sachs ist der Spruchsprechet Wilhelm Weber (1602-1661)12 zu erwähnen, als letzter großer Vertreter dieser eigenartigen halbamtlichen Gelegenheitsdichter der Stadt, und der Nürnberger Landsknechtdichter Yörg Graff (1475-1541);3 in die Fußstapfen des Stückeschreibers Sachs trittJakob Ayrer (1534-1605)4*aus Nürnberg, Verfasser einer Bamberger Reimchronik, geistlicher Gedichte und einer großen Zahl von Stücken («Opus theatricum» 1618). Seine Bedeutung aber liegt darin, daß er sich dem Einfluß der englischen Komödianten und ihrer Bühne öffnete und ihn durch seine eigenen Versuche weitergab. 2. Nürnberger Barockdichtung. Die Barockdichtung blüht in Franken an vielen Orten, aber nirgendwo wird sie intensiver gepflegt als in Nürnberg. Dort wurde 1644 der Pegnesische Blumenorden * gegründet, dessen Mitglieder sich die «Pegnitz-Schäfer» nannten. Diese Pegnitzschäfer bestreiten die Nürnberger Barockdichtung, und sie tun dies auf durchaus originelle Art: man wollte ein ideales Gesellschaftsleben, das man in «Gesprächsspielen» sich ausmalte, in die Wirklichkeit übersetzen. Auf ganz bestimmte Weise wurde auch die Sprache gepflegt, dadurch daß die Musikalität, durch «Klangmalerei»6 hörbar gemacht, und die Bildhaftigkeit des Deutschen demonstriert wurde. Vornehmlich Dichter der romanischen Sprachen galten als Vorbild, deren Werke man auch in Deutschland bekanntmachen wollte. Sowenig man nationale Enge kannte, sowenig huldigte man einer konfessionellen Einseitigkeit, wie die Verehrung der Nürnberger für Jakob Balde zeigt. Eine wichtige Funktion hat das Spiel, das Spiel mit der Sprache, das Gesellschaftsspiel in schäferlicher Verkleidung. Aber dabei bleibt es nicht. Die religiöse Dichtung tritt hinzu, geisdiche Lieder, und vor allem die 1 Gerade diese Periode wird von den Romantikem hervorgehoben und dem mittelalterliehen Nürnberg gleichgesetzt. Vgl. dazu L. Grote, Die romantische Entdeckung Nümbergs, 1967. 2 Bock (s. o. 707) 364 f. 3 Ebd. 365 f.; NDB 6, 731. 4 Nadler 1487-490; D. Kiesselbach (Bayer. Lit. Gesch. II) 197-210 (mit Literaturangaben); Η. B. Bock (Fränk. Klassiker) 279-288. 3 Auf die ältere Literatur kann verzichtet werden, zumal das Wichtigste aufgeführt ist

bei Mannack (s. o. 709); außerdem sei an neuerer Literatur erwähnt: C. Wiedemann, Johann Klaj u. seine Redeoratorien, 1966; J. Kröll, Der Pegnesische Blumen- u. Schäferorden (Bayer. Lit. Gesch. II) 211-223; Gebet um den Frieden. Aus d. Anfängen d. Pegnesisehen Blumenordens (Kat. d. Stadtbibi. Nümberg) 1968; van Dülmen, Sozietätsbildungen (s. 603) bes. 170-180. 6 Vgl. W. Kayser, Die Klangmalerei bei Harsdörffer, 19622 (Palaestra 179) u. Wiedemann (s. o. Anm. 5).

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geistlichen «Redeoratorien», eine neuartige Gattung, von Johann Klaj geschaffen.1 Mit Recht hat man das lange verkannte Werk der Pegnitz-Schäfer eine «Schatzkammer der deutschen Literatur» (Mannack) genannt, denn nicht nur der Dichtung werden neue Bezirke erschlossen, nicht nur die Sprache wird reicher und geschmeidiger, auch Belehrung und Unterhaltung bekommen ihren Platz eingeräumt.1 2 Das Kuriosum aber, daß der Pegnesische Blumenorden bis in die Gegenwart Bestand hat, ist wohl nur zu erklären durch seine enge Verbindung mit Nürnberg, mit einer bei allem Wandel kontinuierlichen Gesellschaft. Die «Pegnitz-Schäfer» brauchen hier nicht im einzelnen charakterisiert zu werden, nur die wichtigsten Namen seien genannt: Georg Philipp Harsdörffer (1607-1658) aus Nürnberg, Verfasser des berühmten «Poetischen Trichters», der zusammen mit Johann Klaj (1616-1656) aus Meißen den Orden begründeteSigmund von Birken (1626-168i),4*für den Fortbestand des Ordens von Wichtigkeit; Martin Limburger (1637-1692) und seine Frau Regina Magdalena (gest. 1691); als vorwiegend geistliche Dichter Johann Michael Dilherr (1604-1669) und Joachim Heinrich Hagen (1649-1693)’ in Bayreuth. Ein von den Zeitgenossen gefeiertes Mitglied des Ordens war Christoph Fürer von Haimendotff (1663-1732),6*Verfasser religiöser Schriften und Gedichte. Wenn auch nicht Mitglieder des BlumenOrdens, so doch eng mit ihm verbunden, waren die beiden Schüler Dilherrs Daniel Wülffer (1617-1685)’ und Johann Christoph Arnschwanger (1625-1696).8 Zum Bild der Nürnberger Barockdichtung gehören aber auch die österreichischen Exulanten, die um des lutherischen Bekenntnisses willen die Heimat verlassen mußten und in süddeutschen Reichsstädten, vornehmlich in Nürnberg und Regensburg, Zuflucht fanden, so in Nürnberg die Lyrikerin Catharina Regina von Greiffenberg (1633 bis 1694).’ Ihre bedeutendste Leistung, wie ihr ganzes Werk beherrscht vom rcligiösen Erleben, ist der Band «Geistliche Sonette, Lieder und Gedichte zu Gottseeligern Zeitvertreib» (1662)Jo mit mystischen Zügen und wohl nicht ohne Einfluß der großen Barocklyriker Friedrich Spee und Andreas Gryphius zu denken. Von ganz anderer Art als die Dichtung dieser oberösterreichischen Dame von Stand sind die fast einfältigen Lieder und «Sendbriefe» des ebenfalls in Nürnberg lebenden Exulanten Joseph Schaitberger (1658-1733)," eines Bergmannes aus dem Salzburgischen. In Nüm-

1 C. Wiedemann (s. o. 709 Anin. 5); H. Grassl, Der Sulzbacher Musenhof (Barock u. Aufklärung, hg. v. H. Schindler) 1972, 9-21. 2 Vgl. G. Ph. Harsdörffer, «Frauenzimmergesprächsspiele». 1 Über den Beginn des Ordens vgl. das «Pegnesische Schäfergedicht» von Harsdörffer undKlaj (1644); über Harsdörffer jetzt H. Zirnbauer (Fränk. Klassiker) 301-315; über Klaj, Wiedemann (s. o. 709 Anm. 5) u. H. Recknagel (Fränk. Klassiker) 316-324. 4 Wiedemann (ebd.) 325-336; s. HB II 855. ’ Zu DilhcrT u. Hagen vgl. Lit. bei Mannack (s. o. 709); K. Goldmann (Fränk. Klassiker) 289-300.

6 ADB 8, 207f.; Kosch V3 879f. Faber du Faur Π10 f. 7 ADB 44, 562; Faber du Faur II 70 f. 8 Ebd. 50 f.; NDB 1, 394; Kosch I’ 164 f. ’ H.-J. Frank, C. R. v. Gr. Leben u. Welt d. barocken Dichterin, 1967; E. Dünninger (Bayer. Lit. Gesch. II) 224-234; U. Naumann (Fränk. Klassiker) 349-359· 10 Neudruck hg. v. H. O. Bürger, 1967. 11 ADB 30, 553 f.; Hubensteiner (s. o. 709) 212. Vgl. auch H. Clauss, Liedcrsammlungen österr. Exulanten aus d. 17. Jh. (Jb. d. Ges. f. d. Gesch. d. Protestant, in Österreich 13) 1913; weitere Lit. bei Bircher (s. u. 71 i Anm. 7) 224 f. Anm. 91 ff.

§ 80. Literatur und Theater von 1550-1800 (H. Pörnbacher)

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berg fanden auch der Schlesier Friedrich Roth-Scholtz (1687-1736)1 («Todten-Schule» 1722) und der Polyhistor Erasmus von Francisci (1627-1694)12*4ihre geistige Heimat. 3. Regensburg und die Oberpfalz im siebzehnten Jahrhundert. Wohl liegen Regensburg und die Oberpfalz im altbayerischen Sprachraum, wohl beherbergte Regensburg eine fürstbischöfliche Residenz und die Fürstabtei St. Emmeram, aber neben dem katholischen Teil der Stadt gab es die protestantische Reichsstadt, und dieser gewichtige Teil hat im siebzehnten Jahrhundert viel mehr Verbindungen zu Nürnberg als zum bayerischen Umland. So war auch Regensburg Zufluchtsort für viele österreichische Exulanten. Die zentrale Figur der freien Reichsstadt Regensburg im siebzehntenJahrhundert ist Johann Ludwig Prasch (1637-1690),’ dessen Vorfahren ebenfalls aus Österreich stammen. Als äußerst vielseitiger Schriftsteller - über hundert Werke sind unter seinem Namen erschienen - genoß er bei seinen Zeitgenossen weithin großes Ansehen. Er war Lyriker und Dramatiker, hat lateinisch und deutsch gedichtet, theoretische Schriften verfaßt und das erste Wörterbuch eines deutschen Dialektes versucht, ein «Glossarium Bavaricum» von 1689. Johann Albert Portner (1632 bis 1687)7 wäre noch zu nennen und vor allemJohann Beer (1655-1700),4*neben Grimmeishausen der große Erzähler des Jahrhunderts.5 Seit 1665 lebte in Regensburg auch der österreichische Adelige WolfHelmhard von Hohberg (1612-1688),6 eine der markantesten Persönlichkeiten aus der Gruppe dichtender österreichischer Adliger im siebzehnten Jahrhundert.7 Er ist der Schilderet des ländlichen Lebens aus adliger Sicht. Bereits 1655 begann er mit «Hirtenliedem» im Geiste Vergils; dann folgten die Epen «Unvergnügte Proserpina» (1661), ein mythologisches Versgedicht nach Claudianus, und «Der Habsburgische Ottobert» (1664), eine Nachdichtung der Psalmen «Lust- und Arzeneygarten des königlichen Propheten David» (1675) und schließlich als sein wichtigstes Werk die «Georgica curiosa» (Nürnberg 1682), ein «Unterricht für den Landbau fürs adelige Land- und Feldleben». Wie es unter den Österreichern in Regensburg und Nürnberg enge literarische Kontakte gibt - Beispiele sind Wolf Helmhard von Hohberg und Catharina Regina von Greiffenberg -,’ so auch zwisehen den Zünften. Als Gradmesser dafür bezeichnet Nadler’ die Fastnachtsspiele des Regensburgers Stephan Egl von 1618. Georg Greflinger (1620-1677)10 schließlich ist 1 ADB 29, 349; Faber du Faur II 144. 2 ADB 7, 207; H. Sterzl (Fränk. Klassiker) 337-348. ’ K. Dachs, J. L. Prasch (VHOR 98) 1957; Ders. (Bayer. Lit. Gesch. II) 235-248 (mit Bibliographie). 4 R. Alewyn, J. Beer. Studien z. Roman d. 17. Jhs. (Palaestra 181) 1932. 5 Über die Regensburger Zeit vgl. A. Schiedecke (Hg.), J. Beer, Sein Leben von ihm selbst erzählt, 1965; Beispiel einer Regensburger Geschichte ist J. Beer, Printz Adimantus u. d. königlichen Princeßin Ormizella Liebes-Geschicht, hg. v. H. Pörnbacher (Reclams Univ.

Bibi. 8757) 1967. 6 O. Brunner, Adeliges Landleben u. europ. Geist. Leben u. Werk Wolf Helmhards v. Hohberg, 1949; G. Scherl (Barock u. Aufklärung, hg. v. H. Schindler) 1972, 22-34. 7 Vgl. Μ. Bircher, Johann Wilhelm v. Stubenberg (1619-1663) u. sein Freundeskreis (Quellen u. Forsch. NF 25) 1968. 8 Dazu auch Bircher 198 fF. ’ Nadler I 434. 10 W. v. Oettingen, Über G. Greflinger als Dichter, Historiker u. Übersetzer, 1882; NDB 7, 19; E. Bluhm (Euphorion 58) 1964, 74-97; Kosch VI’ 741 f-

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zwar nicht in Regensburg tätig, aber doch Regensburger von Geburt. Er hat seine Vaterstadt früh verlassen und war seit 1648 Notarius Publicus in Hamburg und Mitglied des «Elbschwanenordens». Nicht weniger wichtig als seine Dichtungen, vornehmlich Lieder und Epigramme, sind seine Übersetzungen aus dem Spanischen, Holländischen, Französischen und Lateinischen, ist seine Wirkung auf das geistige Leben Hamburgs durch die Herausgabe des «Nordischen Mercurius». Von Regensburg aus sei ein Blick geworfen auf die oberpfälzische Residenz Sulzbach, wohin Herzog Christian August (gest. 1708) im Jahre 1666 Christian Knorr von Rosenroth (1636-1689)1 berief, diesen vielseitig gelehrten Mann, dem selbst Leibniz Bewunderung zollte. Seine geistliche Lyrik sammelte er in dem Band «Neuer Helikon mit seinen Neun Musen...»(1684). Knorrs mystische Auffassung von der Schöpfung, sein Glaube an die Einheit von Gott und Natur wird deutlich in seinem bekannten Morgenlied «Morgen-Glantz der Ewigkeit, Licht vom unerschöpften Lichte». Diese theosophische Naturphilosophie, nicht zuletzt beeinflußt von seinen Kabbala-Studien und dem neu aufkommenden Pietismus, wird in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts von den «Rosenkreutzern» wieder aufgenommen und wirkt weiter auf Carl von Eckartshausen und Franz von Baader.1 23Daneben stehen Knorrs «glühende Sehnsuchtslieder» (Günther Müller), die gerade in der Ausgestaltung der Jesusliebe die geistliche Dichtung Johann Schefflers (= Angelus Silesius) als Vorbild verraten.

4. Nürnberg im achtzehnten Jahrhundert. Die große Zeit der Reichsstädte war im achtzehnten Jahrhundert längst vorbei, die Fürstenhöfe spielten eine wichtigere Rolle. Erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts machte noch einmal ein Mitglied des Pegnesisehen Blumcnordens von sich reden: der Mundartdichter Johann Conrad Grübel (1736 bis 1809)? Goethe schätzte ihn so sehr, daß er ihn neben Johann Peter Hebel stellte. Seine Besprechung Grübelscher Gedichte schloß er mit dem Satz: «Keine Spur von Schiefheit, falscher Anforderung, dunkler Selbstgenügsamkeit, sondern alles klar, heiter und rein, wie ein Glas Wasser»,4 und damit ist alles gesagt, was man von echter Mundartdichtung fordern kann (Josef Dünninger). Mit Grübel steht ostfränkische Mundartdichtung gleichwertig und beinahe gleichzeitig neben der schwäbischen Sebastian Sailers5 und der altbaycrischcn der «Tuxer Möß» und des Marccllinus Sturm.6 Die Nürnberger Barockdichtung war zu einem großen Teil geistliche Dichtung. Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts tritt noch einmal ein religiöser, ja mystischer Zug hervor, der am deutlichsten bei dem von dem württcmbcrgischcn Theosophen J. Μ. Hahn beeinflußten Bäckermeister Matthias Burger (1750-1825)’ zum Ausdruck 1 ADB 16; K. Salecker, Chr. K. v. Rosenroth (Palaestra 178) 1931. 2 Dazu ausführlich bei H. Grassl, Aufbruch z. Romantik, 1968. 3 J. Dünninger, Ostfränk. Mundartdichtung (RL II) 19642, 513 f.; Bock (s. o. 707 Anm. 5) 376; Mundartforschung u. Mundartdichtung in Franken (Kat. d. Stadtbibi. Nürnberg) 1966;

Dimpfl-Behnisch, Der Nürnberger Mundartdichter Johann Conrad Grübel (Bayer. Lit. Gesch. II) 1967, 249-262; H. Recknagel (Fränk. Klassiker), 396-408. 4 Zitiert bei Dünninger (s. o. Anm. 3). 5 S. u. 1185. 6 HB II 869 f. ’ F. Hauck in NDB 3, 45; Nadier III 386f.

§ 80. Literatur und Theater von 1350-1800 (H. Pörnbacher)

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kommt. Durch Gotthilf Heinrich Schubert und seine Naturlehre wird diese pietistischmystische Bewegung fruchtbar für die Dichtergeneration der Romantik. c) Die Residenzstädte Ansbach, Bayreuth und Coburg im 18. Jahrhundert Meyer (s. o. 707); Th. Stettner, Aus Ansbachs u. Frankens vergangenen Tagen, 1928; Nadler ΠΙ 368-380; H. Diterich, Der Ansbacher Kreis (Fränk.Klassiker).

Das achtzehnte Jahrhundert wird, je weiter es fortschreitet, das Zeitalter der Musenhöfe. Weimar ist das berühmteste Beispiel. Im fränkischen Ansbach gibt es am Hof schon unter Markgraf Johann Friedrich (1654-1686),1 der selbst mehrere Romane verfaßt hat, deutliche literarische Neigungen. Der Dichter Benjamin Neukirch war von 1718 bis zu seinem Tod 1729 dort Prinzenerzieher. Sigmund Ferdinand Weißmüller (1700-1748),1 2*Neukirchs Schüler, gab 1730 eine Anthologie «Poesie der Franken» heraus. So ist der Boden nicht unbereitet für die Generation der Anakreontiker, die gerade in Ansbach, Coburg und Bayreuth besonders zahlreich vertreten sind. Ja die Einflüsse der Rokokodichtung reichen von Uz über Thümmel hin bis zu Jean Paul? 1743 kehrte Johann Peter Uz (1720-1796)· * nach Abschluß der Studien in Halle in seine Vaterstadt zurück. In der Saalestadt hatte er sich befreundet mit Johann Wilhelm Gleim und Johann Nikolaus Götz, mit dem er 1746 «Oden Anekreons in reimlosen Versen» herausgab. Drei Jahre später brachte Uz mit Gleims Unterstützung einen Band «Lyrischer Gedichte». Ein weiterer Gedichtband folgte 1755, und 1760 sein «Versuch über die Kunst, fröhlich zu sein». Mit den Freunden initiierte er die anakreontische Mode, eine Richtung der Rokoko-Lyrik, die höfische Galanterie in die bürgerliche Welt übersetzt; zur Freude und zum Genuß gesellt sich die Tugend. Die Dichtung wird als Gesellschaftskunst und Gesellschaftsspiel verstanden, ja man hat die sinnlich-frohen Verse auch als Ausbruch aus der sozialen Enge des Bürgertums gesehen. Zu dem kleinen Freundeskreis in der «Zechgesellschaft», der sich in Ansbach um Johann Peter Uz sammelt, gehören der Lyriker und Dramatiker Joh. Friedrich v. Cronegk, Johann Zacharias Junkheim und Johann Friedrich Degen (1752-1836)? Herausgeber des «Fränkischen Musenalmanachs». Cronegk (1731-1757)6 gab zusammen mit Junkheim (1729-1790) und unter Mitarbeit von Uz und Gottlieb Paul Christ (1707 bis 1786) die Ansbach’schc littcrarischc Wochenschrift «Der Freund» (1754-1757) heraus. Sein preisgekröntes Trauerspiel «Codrus» wurde von den Zeitgenossen begeistert aufgenommen. Aber schon mit 27 Jahren starb er, ohne seine Vollendung, seine Reife als Dichter erlangt zu haben. In der Vorrede zu den posthum erschienenen «Schriften» 1 Meyer (s. o. 707) 8 f.; dort auch Hinweise auf seine Schwester Eleonore Juliana (1663 bis 1724), die sich ebenfalls in der Dichtkunst versuchte, und seine Tochter Wilhelmine Caroline (1683-1737), Königin von England; H. Diterich, Der Ansbacher Kreis (s. o.) 380 f. 2 J. H. Zedler, Universal-Lexikon 54, 1459 bis 1462; J. A. Vocke, Gcburts- u. TodtenAlmanach ansbach. Gelehrten, Augsbg. 1796f.

‫ נ‬A. Ancer, Litcrar. Rokoko (Slg. Metzler 25) 1962. 4 K. A. Baader, Freundschafti. Briefe, 1823, 225-228; E. Petzet, Uz, 19302; F. Aschka (Fränk. Klassiker) 360-368. 5 Zu Junkheim und Degen vgl. Meyer (s. o. 707) 32 f. 6 S. Roth, Die DramenJ. F. v. Croncgks, Diss. Frankfurt 1964 (mit der wichtigsten Literatur);

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Franken: E. VI. Literatur, Kunst, Musik

(1760) schreibt Uz über den Freund: «... Er war ein geborener Dichter, ein Liebling der Musen, der mit sonderbarer Leichtigkeit dichtete und schrieb, und immer voll Einfälle, voll Erfindung war.» Ein Freund Uzens war schließlich auch Carl Ludwig von Knebel (1744-1834)1 aus Wallerstein, der in Ansbach seine Jugend verbrachte und vor allem durch seine Freundschaft mit Goethe bekannt geworden ist. Den größten Erfolg hatte der Ansbacher Friedrich Wilhelm von Meyern (1762-1829) * mit seinem Roman «Dya-Na-Sove oder die Wanderer» (1777), von Schmeller (s. HB IV) noch mit Begeisterung gelesen. Mehrere Dramatiker aus Ansbach sind noch zu erwähnen, Julius Heinrich Reichsgraf von Soden (1754-1831),3 Johann Heinrich Keerl (1759-1810),4 Karl Sigmund von Seckendorf (1744-1785)’ und schließlich Lady Elisabetha Craven,6 spätere Gemahlin des Markgrafen Carl Alexander, die dem Literaturbetrieb am Hof letzte schwache Impulse gab. Lange Zeit in Coburg tätig war Moritz August von Thümmel (1738-1817),’ ein heiter-satirischer Erzähler in Wielands Art. Am bekanntesten wurde die «Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich» (1791-1805), die seinen Ruf als «Klassiker» im neunzehnten Jahrhundert begründete, ein Werk der Empfindsamkeit, deutlich beeinflußt von Laurence Sterne und J. J. Rousseau. Es ist auffallend, wie viele Beamte sich im späten achtzehnten Jahrhundert der Muse hingeben. In Regensburg etwa Albrecht Christoph Kayser (1756-1811)’ am Hof der Fürsten von Thum und Taxis mit einem reichen Prosawerk; in Bayreuth Heinrich Christoph Meyer (1766-1823),’ die Lustspieldichter Georg Friedrich Wetzel (geb. 1738)'° und Johann Christoph Krauseneck (1738-1799)." Das Zeitalter der Aufklärung war reich an satirischen Versuchen, wie sie der Bamberger Andreas Schlosser (1772-1815)," der Bayreuther Johann Gottlieb Münch (1774-1837)'3 und Andreas Georg Friedrich Rebmann (1768-1824)14 aus Kitzingen («Empfindsame Reise nach Schilda» 1793) neben anderen Prosawerken und Gedichten hinterlassen haben. Aus Bayreuth kamen schließlich der später in Augsburg als Stadtphysikus tätige Johann Georg Emanuel Rosner'3 und Johann Paul Friedrich Richter, genannt Jean Paul (geb. in Wunsiedel 1763, gest. in Bayreuth 1825),16 die zweifellos größte Dichtergestalt H. Dallhammer,J. F. v.Cronegk (Fränk. Klassiker) 369377‫·־‬ 1J. Meyer (s. o. 707) 33-37; Th. Stettner, Knebel, Goethes Urfreund (Aus Ansbachs u. Frankens vergangenen Tagen) 1928, 44-72; H. v. Maltzahn, K. L. v. K., 1929; Diterich (Fränk. Klassiker) 381-385. 2 Th. Stettner (Aus Ansbachs u. Frankens vergangenen Tagen) 1928, 73-86; Nadler III 370-372; H. Diterich (s. o.) 392-395. 3 Kosch III 2745 f.; Diterich ebd. 388 bis 392· 4 Kosch II 1238; Meyer (s. o. 707) 40. 5 ADB 33, 518; Kosch III 2679. 6 Meyer (s. o. 707) 42; ADB 15, 265. ’ H. Heldmann, Μ. Aug. v. Thümmel. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, 1964; Μ.

A. v. Th. (Kat. d. Stadtbibi. Nbg.) 1967; D. Kimpel, Der Roman d. Aufklärung, 1967 (Slg. Metzler 68); G. Sauder, Der reisende Epikureer, 1968; H. Glaser (Fränk. Kl.) 409-417. 8 Baader, Gel. Baiem 573-580. ’ Kosch II 1722. 10 Lunz (s. o. 707) 71. " Kosch II 1390. " Ebd. III 2507. 13 Ebd. III 1809. 14 ADB 27, 484; Kosch III 2172; H. Bebber (Fränk. Klassiker) 472-482. ” S. u. 1188. 16 Aus der umfangreichen Sekundärliteratur: E. Berend, Jean-Paul-Bibliographie. Neu bearb. v. J. Krogoll, 1963; Μ. Kommerbll, Jean Paul, 1933, 19664; U. Schweikert, Jean Paul, 1970 (Slg. Metzler 91).

§ 80. Literatur und Theater von 1500-1800 (H. Pörnbacher)

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aus dem Fränkischen seit dem Mittelalter. Jean Paul kann in diesem Rahmen nicht gewürdigt werden und braucht es auch nicht, denn längst gehört er zu den Anerkannten und Bewunderten. So mag die treffende Charakteristik eines Zeitgenossen, des Münchner Schriftstellers und Gelehrten Clemens Alois Baader, hier genügen: «Er ergreift das ganze Gemüth, und zieht es nicht zur Empfindeiei oder Schwärmerei, sondem zur reinen, hohen herzlichen, oft frommen Empfindung; er erweckt gute Gedanken und richtige Ansichten, und sein Witz, der so, wie seine Satyre, fein und treffend ist, zeichnet sich wie seine Sprache durch Originalität aus.»1

d) Die geistliche Literatur. Sollen Überschneidungen vermieden werden, so kann hier nicht alles an geistlicher Literatur, das des Zusammenhanges wegen in anderen Abschnitten schon erwähnt wurde, wiederum gewürdigt werden. Es braucht hier auch nicht wiederholt zu werden, was bereits über die geistliche Literatur im allgemeinen im Abschnitt Altbayem’ gesagt wurde. Ein Versuch, die geistliche Literatur Frankens, zumal auch die der sogenannten geistlichen Territorien, zu beschreiben, ist allerdings noch kaum möglich, da die Voraussetzungen dazu in noch stärkerem Ausmaß als etwa für Altbayem fehlen.’ 1. Prosaschrifttum. Während die evangelischen Erbauungsschriftsteller zum größten Teil im Abschnitt über Nürnberg erwähnt sind, seien hier noch einige katholische Autoren genannt. Den Anfang macht der meist in Altbayem und Tirol wirkende Franziskaner Johannes Nas (1534-1590)1 2*45aus Eltmann am Main, ein Meister der Prosa in seiner Zeit. Dagegen stand Cyriacus Schnauß (1512-1571)’ aus Coburg ganz im Dienste der Reformation. Ein Zentrum des geistlichen Schrifttums in Franken ist seit alten Zeiten die Bischofsstadt Bamberg. Die Reihe beginnt mit dem Bamberger Weihbischof Friedrich Fomer (gest. 1630).67Es folgen Andreas Presson (1637-1701),’ der das Werk «Pia Desideria» Hermann Hugos S. J. übersetzt und dem zweiten und dritten Band der Übersetzung in Anspielung auf Spees berühmtes Werk die Untertitel «Der weitberühmten Trutz Nachtigall Töchterlein» und «Der lieblichen Trutz Nachtigall Enckel» gibt; der Jesuit Conrad Purselt (1644-1706),8 der ganz anders schreibt als die gleichzeitigen Altbayem, beweglich in der Sprache, sparsam mit Schwänken und Exempeln; schließlich Johann Capistran Brinzing,9 in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts Prediger in Bamberg, und der Bamberger Domherr Philipp Anton Sigmund Frhr. von Bibra (1750-1803).10 In Würzburg wirken Johann Baptist Deppisch (1747-1800)," der neben Predigten auch deutsche Choralverse (1794) herausgegeben hat, und der Dominikaner Albertus Steffan (1685-1730)," ein zwar nicht sehr selbständiger, aber überaus lebendiger 1 Freundschaftliche Briefe, 1823, 154 f. 2 HB II, §§ 137-139· ’ In letzter Zeit grundlegend die Arbeiten von E. Moser-Rath, vor allem: Predigtmärlein d. Barockzeit, 1964. 4 S. HB II 852. 5 ADB 32, 84 ff.; Kosch III 2542. 6 Faber du Faur II 118. 7 Kosch III 2108 f.; Th. v. Oorschot (Hg.),

Friedrich Spees Güldenes Tugend-Buch, 1968, 720; Faber du faur 1255 f. 8 Moser-Rath 276-284. ’ Kosch II’ 65. 10 Baader, Lexikon I 1, 45f.; Kosch I’ 484. 11 J. G. Meusel, Lcx. d. vom Jahr 1750-1800 vcrst. teutschcn Schriftsteller II 332 f. 12 Moser-Rath 372-384.

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Franken: E. VI. Literatur, Kunst, Musik

steller ganz im Dienste der Seelsorge. Nicht zuletzt sei der Würzburger Fürstbischof Johann Philipp von Schönborn (1605-1673) mit seinen gereimten Psalmen, den Epistelund Evangelienliedem erwähnt.1® 2. Lyrik. Zu den protestantischen geistlichen Lyrikern zählen in erster Linie die «Pegnitz-Schäfer», zählen Catharina Regina von Greiffenberg und Christian Knorr von Rosenroth. Aber es gehören zu den geistlichen Lyrikern auch die Autoren der Gesangbücher für beide Konfessionen. Hier kann keine vollständige Übersicht geboten werden, einige Namen müssen genügen, um diesen Bereich anzudeuten. Das Schweinfurter «Gesang-Buch» von Johann Hoffet (1681)12*4ist zu nennen oder die Nürnberger Liedersammlungen wie die «Psalmen / Geistliche Lieder und Hausgesänge» (1653) von Johann Vogel (1589-1663),’ das «Nümbergische Gesangbuch» (1677) von Johann * Säubert und die Lieder Wolfgang Chr. Desslers (1660-1722),’ der auch wegen seiner «Lebensgeschichte» und seiner Übersetzungen zu nennen ist. Im Coburger Land sind es Johann Matthäus Meyfarth (1590-1642),6 der Dichter und Komponist Michael Franck (1609-1667)7 und Kaspar Friedrich Nachtenhöfer (1624-1685).8* 10 Die katholische Kirchenlieddichtung wird immer noch unterschätzt. Zu sehr stand sie für die Forschung im Schatten des evangelischen Kirchenliedes. Der bedeutendste katholische Vertreter Frankens auf diesem Gebiet dürfte wohl Johann Degen (gest. 1632) sein, der Herausgeber des «Bamberger Gesangbuches» (1. Auflage 1628).’ Erwähnt seien noch Hieronymus Schenk von Siemau (um 1500)'° Verfasser mehrerer Mariengedichte, Georg Vogler S. J., der in seinem «Catechismus» (Würzburg 1625 u. 1630) viele Lieder einflicht,11 Wolfgang Christoph Agricola,11 der Herausgeber des «GeistlichenWaldvögeleins» (Würzburg 1719) und nicht zuletzt der Kapuziner Isaac von Ochsenfurt (1648-1708)'’ mit seinen einfachen, predigthaften Gedichten. 3. Theater. Das geistliche Drama in Franken ist vornehmlich Jesuitentheater. An allen Kollegien wurde gespielt,14 in Regensburg und Eichstätt, in Amberg, Bamberg und Würzburg.1’ Von den fränkischen Jesuitendramatikem ist vor allem Franz Kallenbach (1663-1743)'6 zu nennen, der Verfasser satirischer Komödien wie «Wurmland» (1710) 1 Moser-Rath 347-371. la Neudruck der Psalmen mit Einleitung (u. Vita) von W. G. Marigold, 1972. 2 E. Lauerbach (Frankenland NF 6) 1954. ’ ADB 40, in; Kosch IV 3132; Faber du Faur II 21. 4 Ebd. 71; ADB 30, 415 f. ’ NDB 3, 616 f. 6 Kosch Π 1728. 7 ADB 7, 259 f.; Kosch I 539. 8 ADB 23, 192 f.; Kosch III 1834. ’ J. Dünninger, Das Lied v. S. Heinrich u. S. Kunigunde d. J. Degen v. 1626 (Rhein. Jb. f. Volksk. 11) 1960, 152-194 (Lit. S. 157). 10 F. GELDNER(Fränk.B11.2) 1950, 88 u. 98 f.;

ADB 31, 66; VL II 47. " B. Genz, J. Kuen, Diss. Köln 1957, 194. 12 W. Baumker, Das kath. deutsche Kirchenlied III, 1891, 43; Sommervogel VIII 886 f. 1 ’ C. Menze, Stud. 2. spätbarocken Kapuzinerdichtung, Diss. Masch. Köln 1953. 14 Literatur bei J. Müller, Das Jesuitendrama in d. Ländern deutscher Zunge v. Anfang bis z. Hochbarock II, 1930, 136 fr. (Lit. z. Lokalgesch. d. Jesuitendramas). 15 Über Würzburg vgl. die kleine Abhandlung von A. Meyer, Würzburger Theatergesch. (Frankenland 1) 1954, 70-73. 16 Faber du Faur I 260 f.; NDB 3, 95 f.; Kosch Π’ 445.

§ 81. Gotik in Franken (T. Breuer)

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und «Die qualifizierte Welt» (1714), die sich gegen das Alamode-Unwesen der Zeit richten. 4. Die Zeit der Aufklärung. Besondere Aufmerksamkeit würde das Kloster Banz als Mittelpunkt der katholischen Aufklärung in Franken verdienen. Während die Leistung der dortigen Mönche, vor allem des Paters Placidus Sprenger (173 5-1806)’für Philosophie und Theologie, sowie Valentin Rathgebers (gest. 1750) für Musik, eingehende Würdigung erfahren hat, wissen wir jedoch noch wenig über die Auswirkungen dieser Bewegung für die schöne Literatur. Eine Sonderstellung nimmt der Franziskaner Eulogius (Johann Georg) Schneider (1756-1794)1 2 aus Wipfeld bei Würzburg ein. Von geistlicher Dichtung kann bei ihm freilich keine Rede sein. Er trat zunächst hervor als Verfasser ästhetischer Schriften und Übersetzer von Predigten des hl. Chrysostomus, wurde 1789 Professor der schönen Wissenschaften in Bonn und gab 1790 einen Band «Gedichte» heraus mit bemerkenswerten Proben seiner Kunst: neben einfachen, volkstümlichen Versen stehen Gedichte in Klopstocks und Wielands Manier. Ein Jahr später zog er die Kutte aus, schloß sich 1791 in Straßburg der Französischen Revolution an, der er selbst zum Opfer fiel: er wurde 1794 in Paris hingerichtet. § 81. GOTIK IN FRANKEN

Vgl. HB I (Hilfsmittel: A I 1, A II 2, 3, A III, C 10 (bes. Bibliographie d. Kunst in Bayern). - AUgemein vgl. HB I 536 u. oben 146. Außerdem K. Sitzmann, Künstler u. Kunsthandwerker in Ostfranken, 1937; A. Stange, Deutsche Malerei d. Gotik, I u. II1934, IX 1938.

a) Anfänge. Die Gotik erscheint in Franken in mehreren, verschiedenen Bewegungen; erst ihr letzter Vorstoß, bei dem durch die Bettelorden der Baueifer der Städter entfacht worden ist, schaffte die Voraussetzungen zu ihrer Entfaltung in die Breite. Der Deutsche Orden, der seine Marburger Elisabethkirche in den Formen der Reimser Hochgotik errichtet hatte, siedelte diese Formen seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts auch im einschiffigen Saalbau seiner Würzburger Kirche an; dieser Bau wirkte dann weiter auf die im frühen vierzehnten Jahrhundert begonnene Jakobskirche des gleichen Ordens in Rothenburg. In Wolframs-Eschenbach baute der Deutsche Orden, vielleicht in Erinnerung an seine Marburger Kirche, um die Jahrhundertwende die erste Hallenkirche auf fränkischem Boden; der ältere Chor dieser Kirche erinnert dagegen nicht nur mit seinem platten Schluß an die Gewohnheiten der Zisterzienser, die in Ebrach dabei waren, einen Neubau zu errichten, der in weitreichenden, überregionalen und internationalen Beziehungen stand.3 Von der Abteikirche in Citeaux, deren prächtig erweiterter Chor 1193 geweiht wurden war, übernahmen die Ebracher 1 ADB 35, 304; W. Hess (Lebensläufe aus Franken 4) 1930; Forster (s. o. 446 Anm. 3); G. Lohmeier, Franconia Benedictina, 1969. 3 ADB 32, 103-108; E. Nacken, Stud. über Eulog. Schneider, 1933; J. Μ. Sailer über

Eulog. Schneider in H. Schiel, J. Μ. Sailer. Leben u. Briefe I, 1948, 89; Amery-Meisleh (Szenerien d. Rokoko, hg. v. H. Schindle») 1969. 373-285. 3 W1EMER (s. Ο. 152); SCHUNK (5. Ο. !53).

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1■ ranken: E. VI. Literatur, Kunst, Musik

Mönche spätestens im zweiten Jahrzehnt des dreizehnten Jahrhunderts den Grundriß; das vom queroblongen Mittelschiffsjoch ausgehend konstruierte Grundrißsystem taucht dann um die Jahrhundertmitte, verbunden mit zisterzienserischen Einzelformen, auch an St. Sebald in Nürnberg auf; auch am zweischiffigen Querhaus der Schweinfurter Stadtpfarrkirche finden sich zisterzienserische Formen. Selbstverständlieh gaben die Zisterzienserinnenklöster, die sich seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts gerade in Franken besonders ausbreiteten,1 Gelegenheit zu zisterziensischer und damit gotischer Form. Die flachgedeckten Langhäuser der zugehörigen Kirchenbauten sind sämtlich durch eine unterwölbte Nonnenempore in zwei Geschosse geteilt. Bei einigen dieser Bauten (Himmelspforten, Maidbronn, Birkenfeld) behält man den altzisterziensischen platten Chorschluß bei und läßt den massiven Unterbau des Dachreiters mitten im Kirchenschiff emporwachsen. Andere, für die weitere Entwicklung bedeutsamere Bauten bereichern den Grundriß durch einen polygonalen Chorschluß und setzen den Dachreiter ohne Unterbau auf. Schon um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts wird in Heiligenthal ein solcher Bau konzipiert, um 1300 in Mariaburghausen und in der ersten Hälfte des vierzehntenJahrhunderts in Sonnefeld in großartig klarer Form durchgeführt. In Schlüsselau und Himmelkron wirkt dann diese Form weit in das vierzente Jahrhundert hinein. Gegenüber älteren Bauten zeigt sich schon in Mariaburghausen eine Straffung in Einzelform und Gesamtaufbau, die in die Nähe der Bettelordensbaukunst führt. Diese stand bei dem platt geschlossenen Chor der Würzburger Franziskanerkirche auch ihrerseits in Beziehungen zur Zisterzienserarchitektur. Allerdings zeigt sich bei dieser dreischiffigen Kirche in der nur geringfügigen Überhöhung des Mittelschiffes der Gegensatz zur Kathedralkunst auch in einem völlig anderen Verhältnis zur Mehrschiffigkeit. Diese 1250 begonnene Kirche verbindet oberrheinische Traditionen mit italienischen Anregungen und hat ihrerseits wieder auf das Oberrheingebiet zurückgewirkt.2 Die Raumform ihres Langhauses, die dann in der Rothenburger Kirche des gleichen Ordens um 1300 mit einem polygonalen Chor verbunden worden ist, stand in der Nivellierung des basilikalen Querschnittes in einer sicher nicht zufälligen Beziehung zum spätgotischen Stadtkirchenbau Frankens. Einen Schritt weiter in dieser Richtung gehen die sicher schon ursprünglich flachgedeckten Langhäuser der Stadtkirchen in Schweinfurt und Mellrichstadt: sie verzichten auf die Durchlichtung des Obergadens.3

b) Die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts W. Pinder, Die deutsche Plastik vom ausgehenden MA bis z. Ende d. Renaissance (HB d. KunstWissenschaft) 1929; H. Müller, Fränk. Plastik in d. Zeit v. 1300-1470, Diss. Masch. Würzburg 1951; K. Martin, Die Nürnberger Steinplastik im 14. Jh., 1927; W. Pinder, Mittelalterl. Plastik Würzburgs, 1911. 1 W. Funk, Das ehern. Zisterziensemonnenldoster Birkenfeld an d. Aisch u. d. Zisterziensemonnenklöster in Franken, 1934; V. Riecke, Siedlungs- u. Baugesch. d. zw. 1230 u. 1250 im Bistum Würzburg gestifteten Frauenzisterzen, Diss. Masch. TH Stuttgart 1951.

2 H. Konow, Die Baukunst d. Bcttclordcn am Oberrhein, 1954, 9 fF. 3 Vgl. die Hinweise bei A. Schahl, Die Herkunft d. spätgot. Staffelhalle in Württemberg (Neue Beitrr. z. Archäologie u. Kunstgesch. Schwabens. Festschr. J. Baum) 1952, 90-97.

§ 81. Gotik in Franken (T. Breuer)

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Bereits gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts wurde der Neubau der zweiten Nürnberger Stadtpfarrkirche, St. Lorenz, am Langhaus begonnen.1 Welchen Einfluß die sicher bedeutenden Nürnberger Bettelordenskirchen auf diese Bauuntemehmung ausgeübt haben, ist schwer zu bestimmen; sie sind sämtlich zerstört. Es ist in diesem Fall jedoch unwahrscheinlich, daß der Einfluß groß war. Zu hoch steigt das ungeteilte, nur durch die Dienste gegliederte Mittelschiff mit seinen hochliegenden Fenstern über die Seitenschiffe auf, zu kräftig, zu reich gebündelt sind die Dienste in den älteren Teilen der Basilika. Eine Form, die unmittelbar aus der Reduktion der Kathedralarchitektur gewonnen war und deren sich die Bettelorden nur in ihren repräsentativsten Bauten wie der Regensburger Dominikanerkirche bedienten, mit der aber das Freiburger Münster als Stadtkirche schon in den offenen Wettstreit mit der Käthedrale getreten war, ist hier wieder ins Prächtige gesteigert. Der Vergleich mit St. Sebald mußte zu dieser Steigerung herausfordem, die dann ihrerseits ab 1309 zur Seitenschiffserweiterung bei St. Sebald trieb. Die Entwicklung der oberrheinischen Architektur stellte die Mittel zu diesem Wettstreit bereit. Das Langhaus der Rothenburger Jakobskirche folgte im späteren vierzehnten Jahrhundert, das der Bayreuther Stadtkirche sogar noch im fünfzehntenjahrhundert dem Beispiel der Nürnberger Lorenzkirche. Die Masse fränkischer Sakralarchitektur entwickelte sich allerdings, wie noch zu zeigen sein wird, auf anderen Bahnen. Die beiden großen Nürnberger Stadtpfarrkirchen, mit deren Bau Nürnberg begann, eine Stadt der Gotik wie keine andere zu werden, wurden seit etwa 1300 mit einer solch großen Zahl von Bauskulpturen bevölkert, wie sie in Franken noch nie gesehen war. Das große Erbe des dreizehnten Jahrhundert, das von den Werkstätten des Ober- und Mittelrheins umgewandelt worden war, wurde hier bisweilen in gängige Münze umgeschlagen; die Qualität litt dabei manchmal unter der Quantität der Produktion. Eine Muttergottes in St. Lorenz, Ziel einer später zugefügten Dreikönigsgruppe, ist über Bamberg noch am unmittelbarsten mit dem Geist des dreizehnten Jahrhunderts verbunden; am Südportal von St. Sebald sind es dagegen mehr Äußerlichkeiten, die vom Bamberger Fürstenportal und vom Mainzer Jüngsten Gericht des Naumburger Meisters abgesehen werden. Das Ziel jener Verwandlung wird allerdings in den diesem Portal zugehörigen Figuren der hl. Petrus und Katharina, die in ihrer Art hochbedeutend sind, besonders deutlich: An die Stelle des lebendigen Gliedes tritt der steile Block, die Bewegung bleibt an der Oberfläche. Der deutsche Südwesten hat, wenn wir die Plastik des Augsburger Domnordportales von 1343 als kennzeichnend nehmen dürfen, diese Umwandlung am entschiedensten durchgeführt. Die wappenhaft strenge Zeichnung, das ausgetrocknet flache Relief des dortigen Marientympanons geht weit über die Verwandlung hinaus, die die beiden Nordportale der Nürnberger Sebalduskirche mit Straßburger Erbe vornehmen. Aber gerade die Strömung, die sich im Extrem am Augsburger Domnordportal und dann auch in Nürnberg selbst an den Figuren derMoritzkapelle manifestiert, hat auch auf Apostel­ 1 Lutze, Nürnberger Pfarrkirchen (s. o. 156 Anm. 3) 44 ff. und G. Kleining, Der Stil in d. Baukunst. Wandlungen zw. 1030 u. 1300. Mit

Anhang aus d. Baugesch. v. St. Lorenz Nümberg, Diss. Masch. Erlangen 1949.

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Franken: E. VI. Literatur, Kunst, Musik

statuen in St. Sebald und vor allem auf das Westportal von St. Lorenz gewirkt. Die starre Fülle dieser Figuren jedoch, die Betonung der gewichtigen Masse harten Steines unterscheidet diese Nürnberger Plastik von der südwestdeutschen und unmittelbar südwestdeutsch bestimmten. Die Frage, ob sich hier etwas spezifisch Nümbergisches ankündigt, taucht auf. Würzburg war, im Gegensatz zu Nürnberg, selbst noch von der Plastik der hohen Gotik berührt worden, von einer Plastik, die im späteren dreizehnten Jahrhundert auch ein im Grunde innigeres Verständnis für die eigentlichen Ziele der französischen Meister gebracht hatte, als es der große Bamberger Meister aufbringen konnte. Das Höfische, Verbindliche ist es, was das Grabmal Ottos von Botenlauben und seiner Gemahlin Beatrix in Frauenroth so tief von der älteren Bambergischen und doch auch von der sächsischen Plastik unterscheidet; in Deutschland kennen wir nur in der Domvorhalle von Münster noch Ähnliches. Und es ist bezeichnend, daß die Gruppe der Maria mit den Drei Königen an den Pfeilern des Würzburger Domes, die dann in Franken unzählige Nachfolger gefunden hat, neben die entsprechende Portale der Kathedrale von Amiens gestellt werden konnte.1 Was die Würzburger Gruppe von der in Amiens unterscheidet, verbindet sie aber wieder mit dem Grabmal des Bischofs Manegold von Neuenburg (j1303 ‫ )־‬im gleichen Dom und damit mit den deutschen Traditionen des dreizehnten Jahrhunderts. £s ist die größere Eindringlichkeit des Individuellen im Dinglichen wie in der Person. Würzburgisch scheint schon an diesen Figuren zu sein, daß entschiedene Plastizität nie ganz zugunsten abstrakter Verblockung aufgegeben wird. Würzburg hängt mehr am Lebendigen als der deutsche Südwesten und Nürnberg. Am Grabmal des 1333 gestorbenen Bischofs Wolfram von Grumbach-Wolfskehl, das in Aufbau und Auffassung für die Würzburger Grabplastik maßgebend geworden ist, wird dieser Gegensatz deutlich. Eine lebensvolle Unmittelbarkeit verbindet diesen Bischof mit dem älteren Mangold von Neuenburg und dem jüngeren Albert von Hohenlohe; die vergeistigte Gestalt seines unmittelbaren Nachfolgers, Otto von Wolfskehl, f 1345, wirkt etwas fremd in dieser Reihe, der er sich formal, aber nicht in der inneren Haltung einordnet. Vielleicht war der Meister des Wolfskehl doch nicht in Würzburg zuhause, sondern ein Fremdling. Bamberg hatte, wie immer deutlicher wird, im vierzehnten Jahrhundert durchaus ein eigenes Wort zu sagen. Zunächst sind die Werke gotischer Architektur und Plastik in Bamberg konventionell zu nennen. Wenn wir auch die Bamberger Franziskanerkirche, 1273 oder 1274 geweiht, nach der Säkularisation abgebrochen, zu wenig kennen, um ihren Einfluß auf die dort 1338 begonnene Obere Pfarrkirche beurteilen zu können, so machen doch die Formen der Langhausarkaden dieser Pfarrkirche deutlich, daß ihr Baumeister von der maßgebenden Bettelordensbaukunst des Ober1 Pinder, Plastik Würzburg (s. o. 718) 45. Wilh. Pinder hat in dieser Arbeit über die Würzburger Plastik erstmals die Gedanken entwickelt, die dann das tragende Gerüst für sein o. a. Handbuch lieferten. Daß Pinder dabei von der Würzburger Plastik ausgehen konnte, ist nicht nur im Zufall seiner Würzburger Lehr-

tätigkeit, sondern auch darin begründet, daß Würzburg einerseits schon im Mittelalter durch seine Offenheit allen Anregungen gegenüber ein rechter Spiegel der deutschen, ja europäisehen Kunst war, andererseits das Plastische dort immer eine eminente, wenn nicht führende Rolle spielte.

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rheines herkam. Als Konkurrenzbau zur Bamberger Oberen Pfarre entstand noch in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts die Untere, St. Martin, ebenfalls eine Basilika; 1804 abgebrochen, wird sich ihre Gestalt allerdings erst verdeudichen lassen, wenn die jüngsten Ausgrabungen veröffentlicht sind. Ausgesprochen konventionell wesdich orientiert sind die drei plastischen Werke, die das späte dreizehnte Jahrhundert in Bamberg hinterlassen hat, einmal der eindrucksvolle sogenannte ältere Grabstein des hl. Otto in St. Michael, und zum andern die Grabmäler der Bischöfe Bkbert und Berthold im Dom, deren Qualität, da sie stark abgerieben sind, schwer zu beurteilen und leicht zu unterschätzen ist.1 Gegen Mitte des vierzehnten Jahrhunderts gibt dann Bamberg seinen höchst eigenen Beitrag zur Plastik des vierzehnten Jahrhunderts: Wohl nirgends sonst ist die Entkörperlichung, das lineare Gestalten, das für die mittleren Jahrzehnte des vierzehntenJahrhunderts so charakteristisch ist, so überzeugend plastisches und damit eben doch lebendiges Bild geworden, wie im Grabmal des Bischofs Friedrich von Hohenlohe, gest. 1352, im Bamberger Dom. Auch das bedeutet Bamberg, daß im gleichen Raum, in dem die Verkörperung ritterlicher Mannesblüte möglich war, auch das Gegenbild, der «entwordene» Mensch vollkommen gestaltet werden konnte. Die Linearität als Kunstmittel konnte die Chorplastik des Kölner Domes lehren. Sie bedeutete keineswegs den Verzicht auf Plastizität, im Gegenteil, die Entkörperlichung, die dieses und die von gleicher Hand geschaffenen Werke auszeichnet, ist ein eigentlich plastisches Thema, das in Nürnberg in diesem Sinne gamicht durchgeführt werden konnte. Der Meister dieses Grabmals dürfte am Gewände der Brautpforte der Oberen Pfarre zuerst zu fassen sein, er muß auch das der Äbtissin Agnes von Orlamünde in Himmelkron (j1353 ‫ )־‬und später noch die Grabdenkmäler der Anna von Henneberg, gest. 1363, in Sonnefeld, und des Fürstbischofs Friedrich von Truhendingen, gest. 1366, im Bamberger Dom geschaffen haben; auch die sog. Goldene Madonna der Veste Coburg, aus Holz geschnitzt und kaum vor dem siebenten Jahrzehnt des vierzehnten Jahrhunderts entstanden, zeigt noch seinen Stil - doch damit wird die diesem Kapitel mit Gründen gesetzte Zeitgrenze überschritten.12

c) Baukunst und Plastik der Parierzeit und des Weichen Stiles Vgl. die zum vorigen Abschnitt angegebene allgem. Literatur; ferner: Th. Mülles, Sculpture in the Netherlands, Germany, France, Spain 1400-1500 (The Pelican History of Art) Harmondsworth 1966, 33ff.; F. W. Fische», Unser Bild v. d. deutschen spätgot. Architektur, 1964.

Als im Bamberger Dom das Grabmal Friedrichs von Hohenlohe aufgestellt wurde, war in Nürnberg mit der etwa 1350 begonnenen Frauenkirche bereits ein Bau im Gange, der ein völlig anderes, diesseitigeres Lebensgefühl dokumentierte als das Grabmal des Bamberger Bischofs. Vier kräftig« :, vollrunde Säulen teilen den lichten, fast 1 Hierdurch irregeführt W. Lotz, Historismus in d. Sepulkralplastik um 1600 (Anz. d. German. Nationalmus.) 1940/53, 61 ff. 2 H. Kohlhaussen, Die Bamberger Madonna auf d. Veste Coburg (Jb. d. Coburger 46 HdBGUI.i

Landesstiftung) 1958, 59-74 und T. Breuer, Der Bamberger Karmelitenkreuzgang u. d. retrospektiven Tendenzen d. 14. Jhs. (Ber. d. LfD 26) 1967, 67-82, ber. 72.

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quadratischen Hallenraum, der bezeichnenderweise «Mariensaal» genannt wurde. Der Chor wirkt wie ein kapellenartiger Anbau an den gedrungenen Körper des Kirchhauses. Am Außenbau ist die Einheit einer geschmückten Masse an die Stelle plastisch gegliederter Form getreten; der Fassade, die sich dem neu entstandenen Markt zuwendet, ist Vorhalle und Michaelskapelle als Prunk- und Schaustück vorgesetzt, über den Giebel breitet sich ein reiches, dekoratives Kleid, ohne allerdings die Fläche zu gliedern; ein ähnliches Formengespinst überzieht den etwa gleichzeitigen Giebel der Lorenzerfassade. Der Versuch, die Nürnberger Frauenkirche in ihrer Gesamtheit von Vorstufen genetisch abzuleiten und zu erklären, schlägt fehl. Der von Kaiser Karl IV. als kaiserliche Kapelle gestiftete und eifrig geförderte Bau dürfte mit bezeichnender Rückbeziehung auf die Aachener Pfalzkapelle Karls des Großen entworfen und von Peter Parier ausgeführt worden sein. £r steht damit zugleich im Spannungsfeld zwischen neuen Strömungen, wie sie sich im schwäbischen und im böhmischen Raum zeigen und an denen Nürnberg offensichtlich schöpferisch mitbeteiligt ist.1 Die Frauenkirche ist kaum vollendet, als in Nürnberg ein zweiter, mindestens ebenso eigenständiger und revolutionierender Bau aufsteigt: der Hallenchor von St. Sebald, dem Langhaus innen wie außen in bewußter Antithese gegenübergestellt. Am Außenbau ist der Gegensatz zwischen aufgelegter, aufgezeichneter Dekoration und Baumasse noch deutlicher geworden als bei der Frauenkirche. Innen wird in ähnlicher Weise der Gewölbedienst als etwas absolut anderes der kantigen Masse des Pfeilers aufgesetzt. Auch beim Sebalder Chor führen die Versuche einer Ableitung nicht auf das Bigentliehe. Die Vielfältigkeit neuer Grundformen ist als besondere Möglichkeit der Zeit hinzunehmen und gerade im östlichen Franken mit besonderer Dichte der Beispiele zu belegen. Der erregende Wechsel von kantig vorstoßendem Pfeiler und Rundpfeiler im hallenförmigen, zu einem frühen Zeitpunkt schon von hohen Kapellen begleiteten Langhaus des Eichstätter Domes ist einmalig; ebenso einmalig, doch nicht minder bezeichnend für die Haltung der Zeit sind die im Kem ungegliederten Chorstrebepfeiler der Bayreuther Stadtkirche mit ihren geradezu soldatisch gereihten Blenden. In Bamberg mußte dieses neue Massengefühl an große Vorbilder der Stauferzeit anschließen, ja, den Vergleich mit ihnen suchen. Zunächst ist es für Bamberg bezeichnend, daß hier, im Kreuzgang der Nonnen von St. Theodor, in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts ein romanischer Kreuzgang nachgeahmt werden konnte;1 ein neuer Höhepunkt, auch und gerade im Stadtbild, wird dann gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts erreicht, wenn sich der turmartig aufragende Chor der Oberen Pfarre mit durchaus altertümelnden Formen seiner Gliederung dem Georgenchor des Domes zum Vergleich stellt. In Mainfranken steht die Ochsenfurter Stadtkirche aus der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts am Anfang einer Reihe von dreischiffigen Hallenkirchen, deren 1 Eichhorn, Frauenkirche Nürnberg (Kunstführer 618) 1955; G. Bräutigam, GmündPrag-Nürnberg (Jb. d. Berliner Museen NF 3) 1961, 38-75; Ders., Die Nürnberger Frauen-

kirche. Idee u. Herkunft ihrer Architektur (Festschr. P. Metz) 1965, 170-197. 1 Breuer (s. o. 721 Anm. 2).

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Mittelschiff zwar überhöht, aber nicht selbständig beleuchtet ist. Traditionen des späten dreizehnten Jahrhunderts werden hier wieder aufgenommen; über den Sebalderchor in Nürnberg hinausgehend, hat der Ochsenfurter Bau sogar unverstellt oktogonale Langhauspfeiler, so daß das Mittelschiffgewölbe unvermittelt aufgesetzt erscheint und die Raumwirkung, ganz im Sinne des Zeitstiles, etwas von nüchterner Klarheit empfängt. Die vermutlich etwas jüngere, 1377 begonnene Würzburger Marienkapelle mildert die Gegensätze wieder etwas, an den oktogonalen Pfeilern streichen wieder, wie bei St. Sebald,1 Dienste entlang, allerdings ist ihre Zahl auf zwei beschränkt. Dem heraufkommenden Weichen Stil entsprechend sind Proportionen und Wirkung wieder schlanker als in Ochsenfurt. Aber schon bei der 1410 bis 1441 errichteten Ansbacher Johanneskirche kehren die Pfeiler wieder eine unverstellt glatte Seite dem überhöhten Mittelschiffzu, die Schlankheit der Würzburger Marienkapelle ist aufgegeben. Sie wird auch sonst, soweit sich auch der Typus seit 1400 etwa im westlichen Franken ausbreitet (Haßfurt ab 1390, Königsberg 1397 begonnen, Gerolzhofen Anfang 15.Jh. begonnen, Kitzingen 15. Jh., Königshofen 1442 begonnen), nicht wieder aufgenommen. Zu diesem Typus gehören - nur die Würzburger Marienkapelle macht mit ihrem einen Westturm eine Ausnahme - ein, oder wie in Ansbach zwei Osttürme, mit denen romanische Traditionen fortgesetzt werden; die basilikale Anlage von St. Jakob in Rothenburg hatte bereits im ausgehenden vierzehnten Jahrhundert ein Ostturmpaar. Die Plastik ist noch, soweit es sich nicht um Grabplastik handelt, vor allem Bauplastik. Es ist ein neues, erdennahes Geschlecht, das die Frauenkirche in Nürnberg, vor allem an und in der Vorhalle bevölkert. Die Erscheinung ist bisweilen derb, massig nicht nur im Körperlichen, sondern auch im schweren Fallen der Gewänder; als Masse wirkt auch die Fülle, in der die Figuren nun auftreten.1 2 Was an der Frauenkirche immer wieder wiederholt wird, steht bei der schon in anderem Zusammenhang genannten Dreikönigsgruppe in St. Lorenz bereits vollendet, vollendet auch im künstlerischen Sinne, vor uns. Zu barocker Bewegung fortgeführt wird dieser Massenstil der Frauenkirche in der Apostelfolge in St. Lorenz, die innerhalb der Gotik geradezu befremdlich wirkt. Wie bei der Würzburger Marienkapelle meldet sich dann beim Schönen Brunnen auf dem Nürnberger Markt ein schlankeres Ideal, die Physiognomien werden schärfer charakterisiert. Am Ende dieser Entwicklung steht dann eine neue Feinheit, etwa bei den Folgen von Tonaposteln in Nürnberg, bei der eine Überfülle von Formen die Gegensätzlichkeit der Figurenbewegung in die Liniensprache des Zeitstiles übersetzt, oder bei den Figuren des Bamberger Westchorgestühls.3 Die aufblühende Reichsstadt Nürnberg hat sich natürlich am intensivsten dieses ihr entsprechenden neuen Stiles bemächtigt, aber auch in Bamberg und Würzburg zeigt sich die Wandlung, vielleicht sogar bruchloser in der Fortführung eigener Tradi1 K. Gerstenberg, Die Bauplastik in d. Marienkapelle zu Würzburg (ZKG 21) 1958, 107-121. 2 Hierzu zuletzt G. Schmidt, Peter Parier u. Heinrich IV. Parier als Bildhauer (Wiener Jb. ♦6·

f. Kunstgesch. 23) 1970, 108-152. 3 W. Beyerlein, Die Chorgestühle d. Bamberger Domes, Diss. Erlangen 1928; Μ. Bessau, Das Chorgestühl im Westchor d. Barnberger Domes, Diss. Masch. München 1951.

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tionen. Im Spätwerk des Hohenlohe-Meisters kündigt eine Versteifung des Formaufbaues den Umbruch an; am Turm der Oberen Pfarre erlaubt das neue Massengefühl dann eine Paraphrase der Visitatiogruppe des Domes. Im Würzburger Dom vollzieht das Grabmal Bischof Albrechts von Hohenlohe (f 1372) den Umbruch: Der Bischof tritt in körperlicher Massigkeit vor uns hin, sein Kopf ist von sprechender Porträthaftigkeit, Gewandfalte und Beiwerk scheinen der Figur aufgelegt. Das schlankere Ideal der Jahrhundertwende kündigt sich dann im Grabmal des Ritters Gottfried von Rieneck (f 1389) in der Würzburger Franziskanerkirche an.1 Mit ihm ist der Höhepunkt der so großardgen Entwicklung Würzburger Sepulkralplastik bezeichnet, die dann tief in das fünfzehnte Jahrhundert hineinreicht und für die es bezeichnend ist, daß sie die Elemente und den Grundcharakter des mm international herrschenden Weichen Stiles nur in entschiedener Umformung aufnahm - der ausgesprochen plastische Sinn Würzburgs wehrte sich gegen die reine, schwingende Linearität, in der sich andernorts der Weiche Stil auch in der Plastik auslebte. So stehen an der Trumeaumadonna der Würzburger Marienkapelle die Gegensätze einzelner Formsysteme viel zu scharf gegeneinander, als daß sie mit den Schönen Madonnen in eine Reihe gestellt werden könnten; eine Lieblichkeit, wie sie aus dem mittelrheinischen Grabmal der Anna von Dalberg in Oppenheim spricht, kennen die fränkischen Frauengrab‫־‬ mäler nicht und schon beim Grabmal des Würzburger Bischofs Johannes von Egloffstein (f 1411) bereitet sich, wenn auch mit den Vokabeln des Weichen Stiles, jene selbstbewußte Haltung vor, die dann das Grabmal des Johannes von Brünn (j1440 ‫)־‬, bestimmen wird. Grundlage zu Blüte und Ausbreitung der Würzburger Sepulkralplastik in den Jahrzehnten um 1400 schuf das nun, angesichts des unaufhaltbaren Niederganges, so verständliche Repräsentationsbedürfnis der fränkischen Ritterschaft. Die zahlreichen Denkmäler dieser würzburgischen Grabplastik haben sich bis ins Ries - Grabdenkmäler in Kirchheim und Klosterzimmem, bis in das bereits wettinisehe Coburg - Ritter von Bach in der Morizkirche - ausgebreitet; nach Bamberg dürfte die Würzburger Sepulkralkunst durch die adelsstolzen Konventualen von St. Michael und ihre neue Ottotumba gebracht worden sein. In dem Chor der Haßfurter Ritterkapelle, der als Kapelle einer ritterlichen Gesellschaft in sich geschlossen vom Langhaus getrennt ist, hat sich dieser Stand schließlich ab 1431 einen gemäßen Raum und ein gemäßes architektonisches Denkmal errichtet. Mit dem Schönen Brunnen, der in der Verbindung von Heiligem und Profanem noch einmal einBild der mittelalterlichen Weltordnung gab, repräsentiert sich das nun selbstbewußt gewordene Bürgertum der Freien Reichsstadt auch im profanen Denkmal, nachdem es sich bereits 1331-1340 ein bedeutendes Rathaus errichtet hatte. Der Profanbau, der mit den Burgen der Stauferzeit vor allem im Maingebiet schon zu hoher, selbständiger Blüte gekommen war, gewann im vierzehnten Jahrhundert erneut Bedeutung. Nürnberg umgab sich mit dem dritten und endgültigen Kranz von Mauern und Türmen. Neben dem ritterschaftlichen kam im bambergischen Forchheim und Kronach sowie im neuböhmischen Lauf an der Pegnitz noch einmal der landes1 Μ. H. v. Fbeeden, Das wiedergefundene Grabmal d. Grafen Gottfried v. Rieneck (J 1389) (WDGB11.14/15) 1952/53. 321-336.

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herrliche Burgenbau in Gang, sicher bewußt auf staufische Traditionen zurückgreifend. Der städtische Wehrbau wurde allenthalben von der Obrigkeit gefördert. Steinerne Wohnbauten blieben allerdings noch vereinzelt.

d) Malerei des 14. und 15. Jahrhunderts Stange (s. o. 717) I u. Π, IX 6-12]; E. Buchneb, Das deutsche Bildnis d. Spätgotik u. d. frühen Dürerzeit, 1953.

Die Forchheimer Pfalz, im späten vierzehnten Jahrhundert als bambergische Landesbürg wiederaufgebaut, birgt besonders reiche Reste an Wandmalereien. Bei der Freilegung 1831/32 nur fragmentarisch zum Vorschein gekommen und seitdem mehrfach restauriert, ist ihre stilistische Beurteilung erschwert. Das Wappen Fürstbischofs Albrecht von Wertheim (13 99-1421) über dem Eingang zum Kapellenraum gibt einen Hinweis zu ihrer Datierung. Die Bilder werden sämtlich um 1400 entstanden sein.1 Die Schwere und Massigkeit, die die etwas älteren Malereien in Nürnberg, das Paulusfresko in St. Sebald und die - völlig zerstörten - Wenzelsgeschichten in St. Moritz so eng mit der älteren böhmischen Malerei verbanden, ist in Forchheim schon wieder einer größeren Prägnanz und Feinheit gewichen. Die fränkische Glasmalerei, die beim Fenster in der Chorstimwand der Rothenburger Jakobskirche südwestdeutsches Gepräge zeigte,2 empfing gegen das Jahrhundertende neue Impulse von der böhmischen Malerei. Bei den neuen Stifterfenstem in St. Sebald zu Nürnberg (etwa 1379-1386), allerdings nur teilweise erhalten, und den um 1390 geschaffenen Fenstern in St. Martha entspricht die Massigkeit des Figurenstiles einer gewissen Unbekümmertheit in der Farbgebung. Die Figuren sind oft in große, perspektivisch angelegte Bildarchitekturen eingefügt, durch die die Fenster als Bilder von der wirklichen Architektur abgelöst werden. Sie sind nicht mehr leuchtende Wand, sondern beginnen, Ausblick in eine real denkbare Welt zu werden. Wie in den Malereien der Forchheimer Pfalz erscheinen jetzt deutsche Inschriften anstatt lateinischer. Nürnberg war damit zum bedeutendsten Zentrum der Glasmalerei in Deutschland geworden, neben dem in Franken kaum weitere Werkstätten von Rang zu vermuten sind.3 Am entschiedensten werden die neuen Ziele dann mit den jüngeren Chorfenstem von St. Jakob in Rothenburg angegangen, in denen sich große und neuartige Programme über die gesamte Fensterfläche ausbreiten. Von den hier gegebenen Voraussetzungen zehren dann die Malereien der untereinander eng verwandten Fenster in den Stadtkirchen von Münnerstadt und Iphofen, die der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts angehören.4 1 H. Kehkeb, Die Gotischen Wandmalereien in d. Kaiserpfalz zu Forchheim, 1912, datiert einige Fresken noch in das sechste Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts. Wir können jedoch keine derartigen stilistischen Unterschiede sehen. Zur Deutung vgl. B. Mülle■, Die ParierFresken in d. Pfalz zu Forchheim (BHVB 100) 1964, 241-253.

2 H. Wentzel, Meisterwerke d. Glasmalerei, 19J1. 50. 3 G. Fbenzbl, Nürnberger Glasmalerei d. Parierzeit, Diss. Masch. Erlangen 1954; Ders., Kaiserl. Fensterstiftungen d. 14. Jhs. in Nümberg (MVGN 51) 1962, 11. 4 Zuletzt: Mainfränk. Glasmalerei um 1420 aus den Kirchen in Münnerstadt u. Iphofen (Ausstellungskat.) 1974.

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Der städtische Baueifer, der die durchgreifende Wandlung der Architektur trug, schuf noch einmal große Gelegenheiten für die architekturgebundene Plastik und Malerei. Das neue Raumideal aber, der ungegliederte Einheitsraum, der sich dabei ankündigte, wies den Bildkünsten einen neuen Platz an: den Schreinaltar mit seinen beweglichen Flügeln. Damit war auch der Anlaß zur Entstehung der Tafelmalerei gegeben, die im nümbergischen Bereich sogar an die Stelle des dreidimensionalen Bildes treten konnte. Holzschnitzer und Tafelmaler traten - der Hochaltar von St. Jakob in Nürnberg zeigt es - in enge Werkstattgemeinschaft. Diese Altarwerkstätten, nicht mehr die Bauhütten sind es eigentlich gewesen, aus denen dann die Blüte der Dürerzeit ihre bedeutendsten Kräfte zog. Bei der Entstehung der Tafelmalerei leben die Traditionen der Wandmalerei ebenso fort wie die der Buchmalerei.1 In der Buchmalerei hatte im frühen vierzehntenJahrhundert das Ebracher Skriptorium erstmals einen großzügigen, gotischen Gewandstil gepflegt. Um 1360 ist dann in Nürnberg eine Werkstatt festzustellen, in der sowohl Miniaturen als auch Tafeln entstanden. Eine illuminierte Urkunde des Claraklosters zeigt absolut den gleichen Stil wie ein kleiner Altar der hl. Clara, ein Fragment eines zweiten Clarenaltares und die Fragmente eines kleinen Martha-Magdalena-Altares. Wirken diese Bilder wie vergrößerte Miniaturen, so enthält das Epitaphbild des Abtes Hirschlach in Heilsbronn (f 1350) noch etwas von der Monumentalität eines Wandbildes. Das rechte Maß für die Tafelmalerei wird in Nürnberg erstmals um 1370 am Hochaltar von St. Jakob gefunden, wo zugleich auch die neuen darstellerischen Möglichkeiten erstmals wirklich genutzt werden.2 Gegenüber den böhmischen und italienisehen Anregungen erhält sich der Altar große Selbständigkeit, mit ihm beginnt die eigentlich nümbergische Tafelmalerei. Er steht am Anfang einer in den Jahrzehnten um 1400 in Nürnberg entstandenen Folge von Altären, die in dem 1429 für die Bamberger Franziskanerkirche gemalten Altar gipfelt. Kurz vor 1400 müssen die querrechteckigen Tafeln geschaffen worden sein, die zu einem großen Marienaltar, vielleicht dem der Nürnberger Frauenkirche, gehören. Die Bilder wirken streng; von lieblicher Stimmung, kleinteiliger Zier und Prunk, wie sie der heraufkommende Weiche Stil liebt, ist in diesen Tafeln kaum etwas zu spüren, eine kostbare, delikate Farbigkeit war nicht das Ziel dieser Malerei. Dagegen wird das Tatsächliche mit Emst und knapper Eindringlichkeit geschildert, die handelnde Gestalt ist wichtiger als der Raum, der sie umgibt. Milder gestimmt, in der Grundhaltung doch verwandt, sind die um 1420 geschaffenen Gestalten des Imhoffaltares mit Marienkrönung auf der Vorderseite und Schmerzensmann auf der Rückseite sowie die Heiligen auf den Flügeln des Deichsleraltares. Auch hier bleibt der Sinn für monumentale Wirkung erhalten, der, verbunden

* E. Lutze, Die Buchmalerei (Nürnberger Malerei 1350-1450. Anz. d. German. Nationalmuscums) 1930/31. 7 ff.; E. H. Zimmermann, Die Tafelmalerei (ebd.) 23-49. Diese

Arbeit auch für die folgende Darstellung wichtig. 2 H. Beenkbn, Zu d. Malereien d. Hochaltares v. St. Jakob in Nürnberg (ZKG 2) 193, 323-333·

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mit der knappen Art, das Wesentliche zu berichten, dann zu der großartigen Kreuzigungsgruppe des Bamberger Altares führt, die vielleicht von der gleichen Hand wie die Rückseite des Imhoff-Altares gemalt wurde. Von der Umgebung isoliert, ragt das Kreuz empor, das Gedränge ist klar gegliedert, jede Figur kann in ihrer individuellen Anteilnahme am Geschehen geschildert werden. Die besonderen Möglichkeiten des Nürnbergischen scheinen auf. Inzwischen hatte die niederländische Malerei gelehrt, die menschliche Gestalt in ihrer isolierenden Körperlichkeit, das Gewand in seinem natürlichen knitternden Fall, ohne die verschleiernde Schönlinigkeit höfischer Kunst zu sehen und damit die Figur in ihrer unmittelbaren Plastizität vor Augen zu stellen. Die Vorbedingungen zur Aufnahme dieses neuen Figurenstiles waren in Nürnberg günstig. Der Meister des Tucheraltares, wohl doch vom Meister von Fllmalle berührt, führt ihn ein. Der namengebende Flügelaltar des Meisters, ehemals in der Kirche der Augustinereremiten zu Nürnberg, seit 1816 in der Frauenkirche, ist ein geradezu gewaltsam in die Fläche projizierter Schreinaltar. Die Figuren der Kreuzgruppe mit Verkündigung und Auferstehung auf der Mitteltafel, die Heiligenfiguren auf den Flügeln scheinen zwar durch ihre Bewegung in die Breite die Andersartigkeit des Goldgrundes, vor dem sie stehen, zu verleugnen, wirken aber doch mehr wie Inseln gedrängter Lebendigkeit innerhalb des Goldgrundes, dessen metallische Härte durch die Punzierung nur gesteigert ist. Umgekehrt ist es aber gerade die Härte des Gesamtcharakters, die, nicht wie bei Konrad Witz durch Ausblicke in die Landschaft, nicht durch Licht und Atmosphäre gemildert, Grund und Figur verbindet. Der kleinere Halleraltar in St. Sebald und wohl auch das Epitaph des Johannes von Ehenheim (f 1438) mit seinen etwas düsteren Heiligenfiguren sind Stationen auf dem Weg des Meisters zum Tücheraltar. Die zweite Entdeckung der niederländischen Malerei, die Beweglichkeit der Figur im umgebenden Raum, brachte Hans Pleydenwurff 1457 vielleicht aus Bamberg stammend nach Nürnberg mit, wo er dann mit der um 1470 gemalten großen Kreuzigung den Höhepunkt seines Schaffens erreicht. Von Golgatha, wo sich das Volk um den Gekreuzigten bewegt, geht der Blick hinunter und hinaus in die Landschaft, auf deren Straßen, zwischen felsigen Bergen, Menschen von und zur nahen Stadt ziehen. Freilieh wird man vor dieser Kreuzigungsdarstellung auch zurückdenken an den Altar der Bamberger Franziskanerkirche von 1429 und die Kreuzigungsgruppen, die im dritten Viertel des fünfzehnten Jahrhunderts im Umkreis Hans Pleydenwurffs - in Nürnberg oder in Bamberg - für Dinkelsbühl, Ebern und den Bamberger Domherrn Georg Graf von Löwenstein entstanden sind, machen diese Rückbeziehung nur noch deutlicher. Pleydenwurff selbst hat die anteilnehmende, nicht nur beobachtende und wiedergebende Wirklichkeitsschilderung auch zu dem Altersbildnis des Grafen Löwenstein befähigt, das mit einem Schmerzensmann zusammen ein Diptychon bildet. Mit dem 1462 vollendeten Hochaltar der Breslauer Elisabethkirche wird im Osten der Ruhm fränkischer Kunst durch Pleydenwurff mitbegründet. In der Nürnberger Werkstatt Pleydenwurffs arbeitete, wahrscheinlich schon 1465 am ehemaligen Hochaltar der Hofer Michaelskirche, Michael Wohlgemuth (1430 bis

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1519) mit, der, nachdem er sich 1470/71 in München bei Gabriel Mäleßkircher weitergebildet hatte, 1473 mit der Witwe Pleydenwurffs auch dessen Werkstatt erheiratete1 und schließlich der Lehrer Dürers wurde. Dürer hat, obwohl er von ihm kaum mehr als handwerkliche Grundlagen und Werkstattregeln mitbekommen hat, seinen Lehrer zweifellos verehrt; anders ist das Bildnis, das er 1516, drei Jahre vor dessen Tod, von seinem Lehrer malte, kaum zu verstehen. Die Produktion der Wohlgemuth-Werkstatt geht ins Massenhafte, solide Handwerklichkeit war ihr wichtiger als die Eroberung künstlerischen Neulandes. Man zehrte vom Erbe und wohl auch vom Ruhm Pleydenwurffs. Das bedeutendste Mitglied der Werkstatt war zweifellos Wilhelm Pleydenwurff, der Stiefsohn des Hans, der sich, wie der Stiefvater, auch als Glasmaler bewährte. Das Christophorusfenster der Straubinger Jakobskirche, deren Hochaltar um 1488 in der gleichen Werkstatt geschaffen worden war, dürfte von ihm stammen. An die Stelle des gegliederten Fensters ist hier, für diesen Bereich erstmals, eine tiefenräumliche Bildeinheit aus Glas getreten. Tiefere und nachhaltigere Eindrücke als von Wohlgemuth selbst hat der junge Dürer um 1487 bei dem Meister empfangen, der zusammen mitRueland Frueauf d. Ä. jene Tafeln malte, die jetzt im Germanischen Nationalmuseum unter dem Namen «Hochaltar der Augustinerkirche» vereinigt sind.1 2 Hier, auf den Tafeln dieses sicher vom Oberrhein gekommenen Meisters war zu lernen, wie lebendige Formerfindung mit monumentaler Wirkung, liebevolle Versenkung in das dingliche Detail mit freier Räumlichkeit zu verbinden war. Dennoch blieb diese Kirnst in Nürnberg zunächst ohne Nachfolge. In Bamberg, wo 1465 ein Wolfgang Katzheimer und 1508 noch dessen gleichnamiger Sohn als Maler nachzuweisen sind, hat Pleydenwurffs Stil selbständig und lebendig weitergewirkt; noch in einem um 1480 von Hertnid von Stein gestifteten Altar für St. Michael in Hof, noch gegen 1490 im Hochaltar der Stadtkirche Hersbruck wird sein Stil reflektiert. Der Meister dieses letztgenannten Altars liebt interessante Raumdurchblicke und topographische Berichte, das gleiche gilt vielleicht für den älteren Wolfgang Katzheimer, der möglicherweise an Wolgemuths Altar für die Zwickauer Marienkirche 1479 stark beteiligt war und dessen Werkstatt uns auf einer Apostelteilung das getreueste Porträt des spätmittelalterlichen Bamberg überliefert haben dürfte.

e) Plastik und Steinmetzkunst am Ausgang der Gotik Pinder, Deutsche Plastik (s. o. 718) 269 ff., 281 f., 30$ ff, 368, 411 ff., 528; H.Müller(s.0.718); E. Hessig, Die Kunst d. Meisters ES u. d. Plastik d. Spätgotik, 1935, bes. 91 ff; L. Fischel,

1 G. Betz, Der Nürnberger Maler Michael Wolgemut (1430-1519) u. seine Werkstatt, Diss. Masch. Freiburg 1955; R. Bhllm, Wolgemuts Skizzenbuch im Berliner Kupferstichkabinett, 1959. 2 F. Lahusen, Der Hochaltar d. ehern. Augustinerkirche St. Veith in Nürnberg, Diss. Masch. Freiburg 1957; E. Pfeiffer, Der «Augustiner-Hochaltar» u. vier weitere Nümber-

ger Altäre d. ausgehenden 15. Jhs. (MVGN 52) 1963/64, 305-398 hat wahrscheinlich gemacht, daß es sich hierbei um die Reste zweier verschiedener Altäre handelt, von denen nur der eine aus der Augustinerkirche, der andere aber aus der Kapelle des Ebracher Hofes in Nürnberg stammen dürfte. Zu Rueland Frueauf d. A. s. HB Π 902.

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Nikolaus Gerhaert u. d. Bildhauer d. deutschen Spätgotik, 1944, bes. 124 fr.; W. Paatz, Süddeutsche Schnitzaltäre d. Spätgotik, 1963,65 ff.; Th. Müller (s.0.721) 124ff, 178 ff; v. d. OstenVey, Painting and Sculpture in Germany and the Netherlands 1500-1600, Harmondsworth 1969.

In der Festigkeit, die den Schreinfiguren des Deocarusaltares in St. Lorenz zu Nürnberg eignet, deutet sich eigentümlich Nümbergisches an, in der Muttergottes von St. Sebald, ehemals zu einem Schrein gehörig, um 1430 geschaffen, ist es offenbar: anstelle der lieblichen Eleganz, die die jungfräulichen Himmelsköniginnen Ost-, Süd- und Westdeutschlands zur Schau tragen, hier mütterliche Schwere und die Pracht dekorativer Wiederholung, wie sie sich auch an der Lobenhoferschen Maria und dem Schmerzensmann von St. Jacob zeigt.1 Gegenüber der allgemeinen Weichheit des Zeitstiles kündigt sich hier ein Umbruch an, der gerade in Nürnberg bedeutsame Werke hervorgebracht und der, vielleicht vom gleichen Meister der Sebalder Madonna selbst, an der von Heinrich Schlüsselfelder 1442 für St. Sebald gestifteten Sandsteinfigur des hl. Christophorus vollzogen wird. Aus sanfter Beweglichkeit dort ist hier vollends mühevolles Tragen geworden, Körper- und Faltenmotive sind gespalten, die plastische Einheit ist von der Gewandoberfläche weg in die Figur selbst verlegt; im kugeligen Kopf des Christkinds tritt sie zutage. Die Zeitströmung trifft sich, wie in der Malerei, mit nümbergischer Eigenart und ermöglicht so das meisterliche Werk. In der monumentalen Grablegung von St. Aegidien von 1446 hat diese Entwicklung das ihr gemäße Thema und damit einen ergreifenden Abschluß gefunden: Erstarrung in der Klage. Damit schließt aber auch die altnümbergische Plastik ab, ein Werk, wie den Hochaltar von St. Jakob in Rothenburg von 1466, das seine Bedeutung aus der Rückverbindung zu dem Schwaben Hans Multscher verdankt, besitzt Nürnberg nicht. Erst ab etwa 1470 entstehen wieder Werke von Rang, so der Erzengel Michael in St. Lorenz, dessen Meister dann die neue, raumfassende Beweglichkeit kennt, die Nikolaus Gerhaert in die süddeutsche Plastik eingeführt hatte.1 In der Kunst Nikolaus Gerhaerts liegt auch der äußere Anstoß für die Entfaltung des vehementen Temperaments, das Veit Stoß (gestorben 1533) zu eigen war.3 Veit Stoß muß um 1473 aus Schwaben nach Nürnberg gekommen sein, die archivalische Überlieferung zu diesem Meister setzt jedoch erst mit seiner Übersiedlung von Nümberg nach Krakau 1477 ein, doch gehen wahrscheinlich die plastischen Teile des Altares, den die Wohlgemuth-Werkstatt 1479 nach Zwickau lieferte, auf Veit Stoß zurück - sie unterscheiden sich zu sehr von der gleichzeitigen autochthon nümbergischen Plastik.4 Nach Krakau war Veit Stoß gezogen, um dort den Hochaltar der Marienkirche zu schaffen. Dieser riesige, dreizehn Meter hohe Altar ist als erstes bezeugtes Werk bereits dokumentarisch für das Temperament und programmatisch für die Univer3 Die Literatur zu Veit Stoß weitgehend ver1 Hierzu und zum Folgenden vgl. zuletzt E. Zachmeier, Studien z. nümbergischen Holz- zeichnet bei P. Skubiszewski, Der Stil d. Veit plastik d. Spätgotik, Diss. Masch. Erlangen Stoß (ZKG 41) 1978, 93-133. 1956. 4 H. Stafski, Die Bildwerke im Hochaltar 1 Vielleicht doch ein Frühwerk des Veit Stoß: d. Zwickauer Marienkirche. Ein Beitr. z. E. Eichhorn in J. Viebig, Die Lorenzkirche in künstler. Herkunft d. Veit Stoß (Zschr. d. Deutsch. Ver. f. Kunstwiss. 22) 1968, 149-177. Nürnberg, 1971, 22.

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salität des Künstlers. Der Schrein wird erstmals zur Bühne, in der sich das heilige Geschehen unmittelbar vollzieht. Das öffiiende Rund des rahmenden Bogens ist wichtiger als das einschränkende Fialenwerk, das noch Pachers St. Wolfganger Altar in einen gotischen Himmel verwandelte. Die Flügeldarstellungen sind im wahrsten Sinne geschnitzte Bilder, ausgebreitet in der Fläche; an ihrer Farbigkeit dürfte der pinselkundige Meister doch selbst Hand angelegt haben. Daneben war Veit Stoß schon in Krakau auch als Steinbildhauer tätig. Im Grabmal Kasimirs IV. Jagello in Krakau, 1492, klärt er den Aufbau von Gerharts Wiener Kaisergrabmal und schafft damit Raum für den Schwung des eigenen Temperamentes. Sein Englischer Gruß von 1518, in St. Lorenz in Nürnberg freischwebend aufgehängt, ist über die Möglichkeiten des Schreinaltares hinaus letzte Interpretation des spätgotischen Raumes.1 Sein Talent als Maler, das ihn 1504 Riemenschneiders Münnerstädter Altar von 1492 fassen und mit Flügelbildem versehen ließ, wurde durch sein Talent als Graphiker ergänzt, das ihn, wohl ebenfalls schon in Krakau, zu Grabstichel und Kupferplatte greifen ließ. Das persönliche Temperament, das Veit Stoß die Beweglichkeit Nikolaus Gerhaerts’ zu gelegentlich ausfahrender Leidenschaft in seinen Figuren steigern ließ, hat in Nürnberg zu Zusammenstößen mit der Stadtordnung, mit dem Gesetz geführt. Um so ergreifender ist es zu sehen, wie im völlig eigenhändigen Bamberger Weihnachtsaltar von 1523 diese Leidenschaft gestillt zu inbrünstiger Andacht wird, gesättigt mit den Weistümem mystischer Versenkung in die Geheimnisse um Geburt und Sterben Christi.12 Wie schon vorher bei einigen Einzelfiguren verzichtet Stoß hier auf die Polychromie; nicht Vergegenwärtigung, sondern eine nur durch die Kunst in Licht und Dunkel erreichbare Schau ist das Ziel. Dadurch, daß sich nun, im Reformationszeitalter, durch die Kirnst das persönlich Innerste eines Menschen äußert, wird eben diese Kunst autonom. Als Veit Stoß 1496 aus Krakau nach Nürnberg zurückkehrte, fand er dort ungemein produktive Werkstätten vor, die eigene Traditionen pflegten. Die aus solchen Werkstätten, unter der Oberleitung Michael Wohlgemuths hervorgegangenen Altäre, wie der der Jakobskirche in Straubing von 1475/76, oder der Peringsdörffer Altar um 1486, beide aus der Nürnberger Augustiner-Kirche3 bestimmen am ehesten unser Bild von der nümbergischen Plastik des späteren fünfzehnten Jahrhunderts: Es sind tüchtige Leistungen, jedoch bleibt das reiche Bewegungsspiel, das die Zeit liebt, in der Geschlossenheit des Figurenaufbaues und der Härte der oft dekorativ aufgelegten Oberflächenformen gefangen; der Gesamtcharakter ist eher trocken zu nennen. Leider können wir die Fülle der aus dem späten fünfzehnten Jahrhundert erhaltenen Arbeiten nicht in die Anteile namentlich bekannter Bildschnitzer gliedern;4 die künstlerische Eigenart Simon Lainbergers (gestorben 1503), der nach den Quellen der berühmteste gewesen sein muß, ist noch nicht genügend verdeutlicht. 1 J. Taubebt, Der Englische Gruß d. Veit Stoß in Nürnberg (J. Taubert, Farbige Skulpturen) 1978, 60-72. 2 H. Stafski, Der Bamberger Altar d. Veit Stoß (Anz. d. Germ. Nationalmus.) 1970,47-68. 3 Pfeiffer (s. o. 728 Anm. 2) 363 ff.

4 Auch die Zusammenstellung von anonymen Werkeinheiten bereitet immer noch Schwierigkeiten; der Versuch von W. Funk, Der Meister d. Martha-Altares in d. St. Lorenzkirche zu Nürnberg, 1938, geht darin entschieden zu weit.

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Es ist verständlich, daß Veit Stoß für dieses Nürnberg immer ein Fremder bleiben mußte, so belebend auch seine unmittelbare Wirkung für die Nürnberger Kunst war. Weitreichender war die Wirkung, die von der Krakauer Werkstatt des Veit Stoß ausging.1 Wie in Nürnberg dann solche Anregungen wieder in eine beruhigte Klarheit zurückverwandelt werden konnten, zeigt der Hochaltar von Gutenstetten von 1511. Im Zusammenhang mit der nümbergischen Holzplastik stehen die Erzeugnisse der Nürnberger Gießhütte insofeme, als die Schnitzer der Altarwerkstätten zweifellos auch Modeln für die Formen des Bronzegusses herstellten. Am Anfang der Nümberger Bronzeplastik und zugleich am Anfang der Nürnberger Bronzebrunnen steht der um 1380 geschaffene Hanselbrunnen, am Taufbecken von St. Sebald von etwa 1420/30 wurde erstmals ein reiches figürliches Programm von einer an Glocken und Mörsern geübten Werkstatt ausgeführt.1 2 Diese Tradition wurde dann durch den 1453 vielleicht aus Niederdeutschland zugewanderten Hermann Vischer d. Ä. und seinen 1529 gestorbenen Sohn Peter Vischer d. Ä. weitergeführt.3 Die Krönung dieser Tätigkeit hätte schon 1488 die Ausführung des Sebaldusgrabes für St. Sebald werden können; seine Verwirklichung kam jedoch, unter ganz anderen Voraussetzungen, erst zwei Jahrzehnte später in Gang. Wie weit Peter Vischer d. Ä. selbst künstlerisch für Erzeugnisse seiner Hütte verantwörtlich war, ist schwer zu entscheiden, weil uns die Arbeitsteilung in der Bronzeplastik noch zu wenig deutlich ist.4*Immerhin wird dem älteren Vischer neben seinen technischen Fähigkeiten, die der Bronzeguß in hohem Maße voraussetzte, auch die Fähigkeit zu modellieren von Zeitgenossen ausdrücklich bescheinigt. Es ist daher verlockend, den sogenannten Astbrecher des Münchener Nationalmuseums von 1490 dem älteren Peter Vischer zuzuschreiben, zumal er eindeutig auf ein Wachsmodell zurückgeht. Zum schlüssigen Beweis fehlt allerdings zweierlei: Die Kenntnis des Gesamtzusammenhanges, in den diese Tragefigur eingeordnet war oder werden sollte - isoliert, wie sie ist, erscheint sie fortschrittlicher, renaissancischer-undzum Vergleich ein Werk, bei dem die Urheberschaft Vischers eindeutig ist.9 Die figürlichen Teile 1 G. Barthel, Die Ausstrahlungen d. Kunst d. Veit Stoß im Osten, 1944; K. Öttingeh, Die Schüler d. Veit Stoß 0ffL 14) 1954, 181-189. 1 E. Meyer, Nürnberger Bronzen d. VorVischer-Zeit (Festschr. E. Hanfstaengl) 1961, 21-30. 3 Grundlegend S. Meller, Peter Vischer u. seine Werkstatt, 1925. 4 Die Auseinandersetzung darüber ist neuerdings wieder in Gang gekommen. Während H. Staeski, Die Vischer-Werkstatt u. ihre Probleme (ZKG 21) 1958,1-26 den Nachweis versucht, daß der ältere Peter Vischer vornehmlieh als Gußtechniker anzusehen ist, weist D. Wuttke, Die Handschriften-Zeugnisse über d. Wirken d. Vischer nebst krit. Bemerkungen zu ihrer Auswertung (ZKG 22) 1959, 324-336

auf Quellen hin, aus denen er auch auf eine künstlerische Tätigkeit des älteren Peter Vischer schließen kann. Vgl. hierzu weiter H. Stake, Der jüngere Peter Vischer, 1962; K. Pechstein, Beitrr. z. Gesch. d. Vischerhütte in Nürnberg, Diss. FU Berlin 1962; E. Meyer, Hermann Vischer u. sein Sohn Peter Vischer d. A. (Zschr. d. Deutsch. Ver. f. Kunstwiss. 19) 1965,97-116. 9 Der bestechende Vergleich des Astbrechers mit Adam Krafts Selbstbildnis als Tragefigur am Sakramentshaus zu St. Lorenz in Nürnberg hat E. F. Bancb, Die künstler. Bedeutung Peter Vischers d. A. 0b. d. Preuß. Kunstsammlungen 50) 1929, 167 ff. und Ders., Die deutschen Bronzestatuetten d. 16. Jhs., 1949, 12 f. zur Zuschreibung der Bronzefigur an Adam Kraft

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der beiden Hauptwerke der Vischerschen Hütte dieser ersten Phase, die Grabdenkmäler Ottos IV. von Henneberg in Römhild, wohl um 1488, und des Erzbischofs Emst von Sachsen in Magdeburg, vollendet 1495, sind jedenfalls von der Kunst des Modelschnitzers bestimmt. Noch komplizierter wird die Frage der künstlerischen Anteilnahme des Gießers bei den Statuen der Könige Theoderich und Artus für das Innsbrucker Maximiliansgrab, für die vermutlich Entwürfe Dürers vorlagen. Neben Nürnberg hat Bamberg gegen 1500 eine durchaus eigene und bedeutende Holzplastik entwickelt; nur hat die Tätigkeit der Barockzeit im Bamberger Gebiet diesen Tatbestand weitgehend verdeckt.1 Am Anfang stehen die Apostelfiguren der Oberen Pfarre in Bamberg, die um 1480/81 aus der Werkstatt des Malers Ulrich Widmann hervorgingen. In ihrer Bewegtheit und scharfen physiognomischen Charakteristik sind sie treffende Beispiele des Zeitstiles. Der Sondercharakter des Bambergisehen, der sich bereits bei einigen dieser Figuren in großen, ungebrochenen FormSystemen zeigt, ist dann bei den Kirchenvätern des Hochaltares der Stadtkirche zu Hersbruck, um 1490, völlig ausgereift: die Schlankheit des Figurenideals und die Noblesse der Gewandbildung verbinden sich mit einer milden, ja feierlichen Gesamthaltung. Bezeichnenderweise ist von hier aus dann auch der Schritt zu einer Art glatten, spätgotischen Klassizismus möglich; bei dem um 1515/18 entstandenen Apostelabschied der Forchheimer Martinskirche wird er vollzogen. In Eichstätt weisen die Figuren des zwischen 1480 und 1490 entstandenenDomhochaltares auf eine bedeutende Werkstatt, deren Wirkungs- und Einflußkreis in seiner ganzen Weite wohl noch nicht erfaßt ist. Die Anregungen, welche die Kunst Nikolaus Gerhaerts gebracht hatte, werden in diesen Figuren und ihren Verwandten nicht ohne Temperament aufgenommen.2 Von anderen Voraussetzungen als die nümbergische und die eichstättische lebte die Würzburger Plastik des fünfzehnten Jahrhunderts, bis ihr die Kunst Riemenschneiders noch einmal einen letzten, neuen Sinn gab. In Würzburg hatte die Tafelmalerei nie eine bedeutende Rolle gespielt, dagegen hatte Bau- und Grabplastik den Sinn für eigentlieh plastische Wirkungen immer wachgehalten. Beim Grabmal des Fürstbischofs Johannes von Brunn (f 1440) hatte der Zeitstil dann die entschieden ergriffene Gelegenheit gegeben, mit harter und kantiger Form und mit scharfer Charakterisierung des Antlitzes das Bild eines selbstbewußten bischöflichen Herrschers zu geben. Meister Linhard (1454-1470 nachweisbar) führte diese Traditionen dann in die milder gestimmte Kunst des dritten Jahrhundertviertels über, bei seinen Grabdenkmälern der veranlaßt, wogegen Th. Mülles, Der sog. Astbrecher d. älteren Peter Vischer (Wissensch. Zschr. d. Karl-Marx-Univ. Leipzig, GesellSchafts- u. sprachwissensch. R. 4) 1953/56 entschieden Einspruch erhoben hat. Die Diskussion wird nicht so leicht abzuschließen sein vgl. Pbchstein 63 ff. u. Meyeb 114 (s. o. 731 Anm. 4). Mit dem Hinweis auf die überliefeite enge Freundschaft zwischen Peter Vischer d. Ä. und Adam Kraft zieht sich G. v. d. Osten, Über P. Vischers Törichten Bauern u. den

Beginn der «Renaissance» in Nürnberg (Anz. d. Germ. Nationalmuseums) 1963, 71-83, bes. 74 salomonisch aus der Affare. 1 R. Baumgästei^Flekchmann, Bamberger Plastik v. 1470 bis 1520 (BHVB 104) 1968, 353· 52 E. Hbbzog, Bildhauer u. Bildwerke in Eichstätt um 1500, Diss. Masch. München 1948, zu ergänzen durch das im Land, bes. auch im oberen Altmühlgebiet verstreute Material.

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Fürstbischöfe Gottfried Schenk von Limpurg (f 1445) und Johann von Grumbach (f 1468) den überlieferten Typus getrost fortsetzend. Ab 1485 ist dann Tilmann Riemenschneider in Würzburg Bürger und Meister.1 Wenn Riemenschneider stammesmäßig im mitteldeutsch-sächsischen Bereich,1 künstlerisch im Realismus der Niederlande und in den Schnitzwerkstätten Ulms beheimatet ist, so ist seine Kunst doch würzburgisch in einem tieferen Sinne. Denn wenn Würzburg in der Zeit, in der die Flächenkunst führend wurde, überhaupt noch ein Wort mitsprechen wollte, dann konnte das nur im bildmäßigen Relief sein. Dessen war aber Riemenschneider wie kaum ein anderer Meister, indem er in seinen monochromen, räumlich kaum entfalteten Schreingruppen die Reliefplastik in eine unmittelbare, malerische Beziehung zu Licht und Gegenlicht setzte. Daß die Monochromie der Altäre Riemenschneiders nicht pure Materialwirkungen im neuzeitlichen Sinne zum Ziele hatte, sondern vor allem den Lichtwert seiner Plastik qualifiziert, zeigt die «Fassung» des Rothenburger Blutaltares;3 daß das Gegenlicht zur Lichtrechnung Riemenschneiders gehörte, zeigt Durchfensterung und Aufstellung seiner Schreine in Rothenburg und Creglingen. Das Schwergewicht auch von Riemenschneiders Kunst lag in der Altarplastik, deren Gesamtzusammenhang allerdings nur beim Mariä-Himmelfahrts-Altar in Creglingen völlig, beim Heiligblutaltar mit der Abendmahlsdarstellung in Rothenburg fast völlig erhalten ist. Das Bild seiner übrigen Altäre läßt sich nur noch rekonstruieren, beim Kreuzaltar aus der Rothenburger Michaelskapelle in Dettwang noch verhältnismäßig leicht, beim eigentümlichen Baldachinaufbau über dem Hochaltar des Würzburger Domes, von dem sich nach der Zerstörung der Frankenapostel 1945 nur noch der Salvator in Biebelried erhalten hat, kaum noch. Daneben war aber Riemenschneider in viel stärkerem Maße als etwa Veit Stoß auch Grab- und Bauplastiker. In seinem Scherenberggrabmal von 1496/99 gewinnt er, gerade durch die Beschränkung auf ein verhältnismäßig flaches Relief, die eine Verinnerlichung der Darstellung ermöglicht, dem alten würzburgischen Grabmalsthema eine neue Seite ab, und in Bamberg wußte man sicher, warum man dem Würzburger und nicht einem Nürnberger mit dem Kaisergrab ein Werk verdingte, das trotz aller vom Schnitzmesser auf den Meißel übertragenen Feinheit, ohne leidenschaftliches Pathos doch neben der Monumentalität des dreizehnten Jahrhunderts bestehen konnte. Und nur Riemenschneider konnte am Marktportal und an den Strebepfeilern der Würzburger Marienkapelle Relieffiguren anbringen, die als vollendete Weiterführung der alten Hüttenplastik verstanden werden können. Freilich hegt in dieser Haltung auch die Mittelalterlichkeit Riemenschneiders beschlossen, die, mit der zugehörigen 1 Zu Riemenschneider vgl. J. Bier, T. R., I: Die frühen Werke, 1925; II: Die reifen Werke, 1930; III: Die späten Werke in Stein, Wien !973; Ders., T. R., Ein Gedenkbuch, 1931; Μ. H. v. Freeden, T. R., 195912; Ders., T. R. (Fränk. Lebensb. 3) 1969, 85-100. 2 E. Redslob, Erfurt als künstler. Heimat Tilmann Riemenschneiders (Festschr. Winkler) 1959, 171-180 versucht Verbindungen zur Er-

furter Plastik des späten 13. Jhs. herauszustellen; die Vergleiche bleiben jedoch sehr im allgemeinen. Am ehesten mag noch der träumerisch-lyrische Ausdruck, der den Werken Riemenschneiders eigentümlich ist, stammesgemäß bedingt sein. 3 E. Oellermann, Die Restaurierung d. Heilig-Blut-Altares von Tilmann RiemenSchneider (Ber. L£D 24) 1965, 75-85.

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lyrisch-verhaltenen bis wehmütigen Stimmung seiner Gestalten einem Nürnberger kindisch erscheinen mußte. Der Wirk- und Einflußkreis der Riemenschneiderwerkstatt war übergroß, er grenzte im Taubergebiet an die schwäbische, im Spessart an die mittelrheinische und in Südthüringen an die sächsische Kunstlandschaft, in die der Meister seinen Schüler Peter Breuer entließ;1 eine lokale Werkstatt pflegte auch in Coburg seinen Stil. In Nürnberg war der Ausgang der mittelalterlichen Bauplastik ein ganz anderer. Dort war man ja 1439 darangegangen, St. Sebald mit dem Chomeubau von St. Lorenz noch einmal zu übertrumpfen. Hatte Konrad Heinzelmann (gestorben 1455) das Chorsystem von Hl. Kreuz in Schwäbisch Gmünd aufgenommen, so wandelte eine doch wohl nach 1456 durch Konrad Roritzer aus Regensburg veranlaßte Planänderung durch den Verzicht auf Kapellen in den westlichen Chorjochen den Bau ins Weiträumige; darüber spannen sich dann gleichsam schwebend die Netzfigurationen des von Jakob Grimm 1466-1477 eingezogenen Gewölbes? An diesem Gewölbe traf sich ein neues architektonisches Raumgefühl mit einer ins letzte verfeinerten Steinmetzenkunst, in der vermutlich auch der junge Adam Kraft (um 1455/60 bis 1508/09) erzogen wurde? Weite Räumlichkeit, Bauen in großen Dimensionen und Feinheit des dekorativen und figürlichen Meißelwerkes treten jetzt in eine fruchtbare Spannung zueinander, von der auch das Sakramentshäuschen Adam Krafts lebt, in dem ab 1493 Steinmetzenarchitektur mit raumhaltigen Bühnen und verhältnismäßig kleinen Figuren der Großarchitektur modellhaft gegenübergestellt wird. Offenbar wird diese Spannung, wenn später die Wappen und Denksteine Adam Krafts den großen Flächen der Nutzbauten Hans Behaims d. Ä. (gestorben 1538)1 2*4 - Komhaus auf der Veste 1494/95, Alte Waage 1497/98 und Mauthalle 1498/1502 - Zeichenhaft wie Siegel aufgebracht sind. Das Große, die technische, und das Kleine, die künstlerische Leistung treten auseinander, auch im Werk des Architekten und Plastikers selbst: Hans Behaim d. Ä. errichtet neben seinen städtischen Großbauten die kleinen kunstreichen Inventionen der Allerheiligenkapelle 1506/07 und der Holzschuherkapelle 1513/15; Adam Kraft verwandelt die Modellarchitektur seines Sakramentshauses in die begehbaren Arkaturen seiner Höfe und des von ihm umgebauten Michelschores der Nümberger Frauenkirche. Von der Steinmetztradition lebt auch der 1532 gestorbene Veit Wirsberger, wenn er 1518 zusammen mit Hans Behaim d. Ä. das Sakramentshäuschen in Katzwang aufrichtet. Das etwas fragmentierte und in der Oberfläche stark geschä1 W. Hentschel, P. Breuer, 1931. 2 Zur hier im Anschluß an O. Schulz, Der Chorbau v. St. Lorenz in Nürnberg (Zschr. d. Deutschen Ver. f. Kunstwiss. 10) 1943, 55-80 dargelegten Auffassung von der Baugeschichte vgl. auch G. Stolz, Die zwei Schwestern. (500 Jahre Hallenchor St. Lorenz zu Nürnberg) 1977, 1—21, W. Mülle», Das Stemgewölbe d. Lorenzer Hallenchores (ebd.) 171-196 und BKD Stadt Nürnberg (Fehmng-Ress-Schwemmer) 65ff. u. 78 f. 2 W. Schwemmer, Adam Kraft, 1958; er-

gänzend hierzu A. Schädle», Das Hoheitswappen d. Bischofs Heinrich III. Groß v. Trockau an d. Alten Hofhaltung in Bamberg (Anz. d. German. Nationalmus.) 1963, 84-88. 4 E. Lutze, Hans Behaim d. A. (Zschr. d. Deutschen Ver. f. Kunstwiss. 5) 1938, 181-203; W. Schultheiss, Der Nürnberger Architekt Hans Behaim d. A., seine Herkunft u. erste Bautätigkeit bis 1491 (MVGN 47) 1956, 426 bis 443 weist die Herkunft Hans Behaims d. A. aus Sulzbach/Opf. nach.

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digte Werk verrät einen Bildhauer von künstlerischem Rang und dekorativer Phantasie, so daß es immer noch verlockend bleibt, den VW bezeichneten Pappenheimer Altar des Eichstätter Domes, dessen dekoratives Beiwerk dem des Katzwanger Sakramentshäuschens so eng zu vergleichen ist, als Frühwerk dieses mangels eindeutiger Überlieferung leicht zu unterschätzenden Bildhauers und Bildschnitzers anzusehen. In diesem Zusammenhang bleibt auch die von einem Meister Veit gelieferte Paulusstatue zu St. Sebald in Nürnberg zu bedenken.1 Bine Sonderstellung in der fränkischen Architektur der Spätgotik nimmt Coburg mit seiner Morizkirche ein: Der Nordwestturm, der 1450 mit dem Westchor begonnen wurde, ist Vorbildern in den sächsischen Kernlanden nachgezeichnet.2 Mit dem Chorbau der Michaelskirche in Hof wird ab 1480 die Disposition der Amberger Martinskirche aufgenommen; mit dem Westchor der Kronacher Pfarrkirche bringt ein Steinmetzarchitekt das gleiche Motiv aus Obersachsen, wo es inzwischen heimisch geworden war, zurück. 1521 begann an der Coburger Morizkirche der Langhausneubau, der dann aber liegenblieb, während sein Meister, der Steinmetzarchitekt Cunz Crebs, an den Renaissanceschlössem von Torgau und Berlin seine in Coburg begonnene Laufbahn ruhmreich fortsetzte.

f) Albrecht Dürer und sein Kreis Die ältere Dürerliteratur ist von H. W. Singer, Versuch einer Dürers-Bibliographie, Straßburg 19282, zusammengestellt. Aus diesem älteren Schrifttum sind vor allem hervorzuheben die Monographien von Μ. Thausing, Dürer. Gesch. seines Lebens u. seiner Kunst, 1876, und H. Wölffun, Albrecht Dürer, 1905. Von jenem Buch nahm die moderne wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Dürer ihren Ausgang, dieses zeigt als erstes den klassischen Dürer. Von neueren Monographien sind zu nennen: E. Flechsig, A. D., Sein Leben u. seine künstl. Entwicklung, 2 Bde., 1931; E. Panofsky, A. D., 2 Bde., Princeton 194s3 (deutsch, mit bibl. Anhang, der auch den Ertrag des Dürerjahres 1971 einbringt, 1977) und F. Winkle», A. D., Leben u. Werk, 1957; H. Th. Muspe», A. D., 1965. Ein Kompendium der Dürerkenntnis und des Dürerbildes der Gegenwart der Katalog Albrecht Dürer 1471/1971. - Dürers Werk haben vor uns ausgebreitet: H.Tietze-Tietze-Conrat, Krit. Verzeichnis d. Werke Ds., 2 Bde., 1928/38; F. Anzelewski, A. D.: Das malerische Werk, 1971; J. Meder, D.-Katalog. Ein Handbuch über A. Ds. Stiche, Radierungen, Holzschnitte, deren Zustände, Ausgaben u. Wasserzeichen, Wien 1932 u. F. Winkler, Ds. Zeichnungen, 4 Bde., 1936/39; W. L. Strauss, The Complete Drawings of A. D., New York, 1974; W. Koschatzky, Die Landschaftsaquarelle, 1971; K. A. Knappe, Dürer. Das Graphische Werk, 1964. Eine neue Dürerbibl. wurde als Sonderband im Rahmen der «Bibliogr. d. Kunst i. B.» durch das Germ. Nat.-Mus. 1971 veröffentlicht. Unser Dürerbild ist mitbestimmt von dem volkstümlichen Buch W. Waetzoldts, Dürer u. seine Zeit, 1935, vor allem aber von den Schriften Th. Hetzers, darunter Dürers Bildhoheit, 1939. Dürers Verhältnis zum Humanismus untersucht Gg. Weise, Dürer u. d. Ideale d. Humanisten (Tübinger Forsch, z. Kunstgesch. 6) 1953, Ein knappes und eindringliches Dürerbild zeichnen neuerdings G. Kauffmann, A. D. (Meilensteine europäischer Kunst) 1965,257-277 und Ders., Dürerfragen (Festschr. W. Hager) 1965, 54-65.

1 H. Radspibler, Der Pappenheimer Altar (Hist. Bll. f. Stadt u. Lkr. Eichstätt 11) 1962, 4, 7-8, Nr. 4/5; (12) 1963, 25-27 ist nicht bereit, die Unterschiede zwischen dem Pappenheimer Altar und dem Katzwanger Sakramentshäuschen aus dem unterschiedlichen Erhaltungszustand und dem Zeitabstand von zweiJahrzehn-

ten zu erklären und leugnet daher den Zusammenhang. 2 T. Breuer, Der Westbau d. Morizkirche in Coburg - Architektur zw. Franken u. Sachsen (Jb. d. Coburger Landesstiftung) 1958, 203-210; R. Teufel, Die Morizkirche zu Cobürg, 1965.

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Zu Düres Umkreis vgl. Meister um Albrecht Dürer (Ausstellungskatalog) 1961 (Anz. d. German. Nationalmus. 1960/6I).

In die spätgotische Welt Nürnbergs, die wir in den letzten Abschnitten zu zeichnen versuchten, wurde Albrecht Dürer (1471-1528) hineingeboren, aus ihr gewann er Anfange und wesentliche Züge seiner Kunst. Das innige Verhältnis zu allem Dinghaften, das seinen Darstellungen das Sachgerechte gibt, wurzelt hier ebenso wie das handwerkliche Ethos, das ihm auch in der Materialität seines Werkes Bleibendes erstreben läßt. Vom Fränkischen erbte er - selbst wenn seine Familie nicht aus Franken stammte - den Sinn für das Greifbare und Plastische, der darüber hinaus zum Innersten seiner künstlerischen Konstitution gehört1 und ihn zu stets neuem Ergreifen der Wirklichkeit in allen ihren Stufen führte. In der Goldschmiedelehrzeit beim Vater bekam er den Sinn für den Prachtwert einer Technik, eines Materials, einer Form, ja einer Farbe gelehrt. Das alles verpflichtet uns, auch hier von Dürer zu sprechen, wohl eingedenk, daß er weit über all diese Bindungen hinaus zu jenen letztlich einsamen Großen gehört, denen zu begegnen von jedem nachfolgendem Zeitalter neu als unausweichliche Bewährung gefordert ist. Dürers Lebenszeit war knapp bemessen, der Ausgang kann geradezu als tragisch bezeichnet werden, doch liegt darin auch der Sinn und die Geschlossenheit seines künstlerischen Daseins. Sein Weg führte von der Holzschnittfolge der Apokalypse von 1498, in der das unanschauliche Wort spätjüdischer Apokalyptik ins Bild gezwungen wurde und damit gleichsam eine erneute Offenbarung erfuhr, bis zum Stichporträt des Erasmus von Rotterdam von 1526, in dem der Dargestellte, hinter einer Bücherbarriere von geistiger Tätigkeit gefangengenommen, auch innerhalb des Bildaufbaues entrückt ist, während aus dem Hintergrund bildhaft gerahmt, in überwältigender Größe, die Inschrifttafel hervorleuchtet: «ΤΗΝ ΚΡΕΙΤΤΩ TA ΣΥΓΓΡΑΜΜΑΤΑ ΔΕΙΞΕΙ» - «das Eigentliche zeigen seine Schriften». Das Geschehen zu erfassen, das zwischen diesen beiden Lebenspolen liegt, führt wohl am ehesten zum Verständnis der Persönlichkeit, die sich in einem solchen Leben entfaltet. Dürers Frühwerk kulminiert in seinen Holzschnittfolgen, diese wieder in der Apokalypse. War Dürer vielleicht schon in der Wohlgemuth-Werkstatt für den holzgeschnittenen Buchschmuck tätig, so brachten die Wanderjahre, die er, aus der Lehre Wohlgemuths entlassen, angetreten hatte, gerade für seine Holzschnittkunst intensivste Weiterbildung. Der Ruhm Schongauers führte ihn an den Oberrhein; Schongauer war aber bei Dürers Ankunft schon gestorben. In den Holzschnitten Basler und wohl auch Straßberger Druckwerke ist der Weg des jungen Dürer an seiner Art, die Wirklichkeit in ihrer plastisch-räumlichen Erscheinung ganz neu zu ergreifen, mit aller Deutlichkeit zu verfolgen. Als er dann 1494 nach Nürnberg zurückgekehrt war, hatte sein Pate Anton Koberger bereits den Schatzbehalter des Stephan Fridolin und die Weltchronik des Hartmann Schedel, beide mit unzähligen 1 E. Holzingeb, Von Körper u. Raum bei Dürer u. Grünewald (Essays in honor of Erwin Panofsky) New York 1961, 238-258.

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Holzschnitten von Michael Wohlgemuth und Wilhelm Pleydenwurff, als Erzeugnisse seiner Presse vorgelegt.1 Nachdem von Albrecht Pfister 1461 in Bamberg Holzschnitte mit aus Lettern gedruckten Texten zusammengestellt worden waren, hatte Koberger damit den fränkischen Buchdruck zu einem ersten Höhepunkt geführt. Dennoch mußte die Apokalypse Dürers *, ebenfalls von Koberger gedruckt, völlig neu wirken, denn der Holzschnitt machte nun auch den Glanz eines Stoffes, das Strahlen eines Sternes, das unausweichliche Herannahen der Vernichtung und das ferne Walten Gottes, gesteigert durch das ungewohnt große Bildformat, unmittelbar anschaulieh. Man darf diese Holzschnitte nicht mit den modernen Maßstäben einer Werkgerechtigkeit messen, sondern muß sie von ihrer publizistischen Notwendigkeit und Wirksamkeit her verstehen. Das gleiche gilt von den frühen Schnitten der großen Passion; die frühen Schnitte des Marienlebens bedeuten den Nachklang dieser Epoche in einer Zeit, in der Dürer Problemen zugewandt war, die ihm bei seiner ersten Begegnung mit italienischer Kunst und Italien aufgegangen waren. Dürer hatte, schon ehe er die Apokalypse zeichnete, Italien zum ersten Male gesehen; das Italienerlebnis klingt auch in dieser Folge gelegentlich an. Was ihn aber seit der Begegnung mit italienischer Kunst besonders beschäftigte, nämlich sein Handwerk durch die Wissenschaft von Proportion und Perspektive zur Kunst im Sinne der Renaissance zu läutern, wurde erst in den Jahren um 1500 eigentlich offenbar. Es ist bezeichnend, daß es esoterische Kupferstiche sind, in denen Dürer über das Gewonnene berichtet: Im Stich Weihnachten, der die im Mittelbild des Paumgärtneraltares wohl 1502 gestellten perspektivischen Probleme klärend weiterführt, in dem Stich «Adam und Eva», in denen Dürer durch die konstruierte Normalfigur das absolut Schöne zu fassen suchte und in dem Stich «Nemesis», in dem Dürer auch durch das Thema das Walten des rechten Maßes feiert.1 23 In der zweiten Konfrontation mit der italienischen Kunst, bei der zweiten Italienreise 1505/07, die ihn vor allem nach Venedig, kurzfristig über Bologna aber auch nach Rom führt,4 beweist Dürer sich, seinen Zeitgenossen und der Nachwelt, daß er nicht nur der große Graphiker ist, sondern auch ein bedeutender Maler. Die nun wohl bewußte Begegnung mit der venezianischen Farbigkeit forderte ihn heraus, seine Anschauung über Möglichkeiten und Sinn farbiger Wirkung zu gestalten. Das 1 F. J. Stadler, Michael Wolgemut u. d. Nürnberger Holzschnitt im letzten Drittel d. 15.Jhs., Straßburg 1913. Neuerdings ist der durchaus nicht abwegige Versuch gemacht worden, dem jungen Dürer einzelne Schnitte der Schedelchronik zuzuweisen: L. Sedlaczek, Albrecht Dürer u. d. Illustrationen z. Schedelchronik, 1965; vgl. ferner: H. Lüdecke, Albrecht Dürers Wandeijahre. Ein Beitr. z. Gesch. d. Realismus in d. deutschen Graphik, 1959. 2 F.J. Stadler, Dürers Apokalypse u. ihr Umkreis, 1929; Μ. DvokAK, Dürers Apokalypse (Kunstgesch. als Geistesgesch.) 1924, 191 47 HdBGIII, I

bis 202; K. Arndt, Dürers Apokalypse, Versuche z. Interpretation, Diss. Göttingen 1956; R. Chadraba, Polit. Sinngehalte in Dürers Apokalypse (Wissenschafti. Zschr. d. Humboldt-Univ. zu Berlin, Gesellschafts- u. sprachwissenschaftl. R. 12) 1963, 79-106 und Ders., Dürers Apokalypse. Eine ikonologische Deutung, Prag 1964 glaubte die Folge als sozialrevolutionäres und politisches «Bilderpamphlet» interpretieren zu können. 3 H. Kaupfmann, Dürers «Nemesis» (Tymbos f. Wil. Ahlmann) 1951, 135-159. 4 F. W1NZ1NGER, Dürer in Rom (Pantheon 24) 1966, 283-287.

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geschah dann in einer Folge von Tafeln, die mit dem 1506 für die deutsche Kaufmannschaft in Venedig gemalten Rosenkranzbild begann und mit dem Allerheiligenbild für die Landauersche Kapelle in Nürnberg 1511 ihren Abschluß fand. Dürer hatte schon mit den Landschaftsaquarellen seiner ersten italienischen Reise gezeigt, daß er farbig sah; aber für die Dinge, die auf seinen Altartafeln zur Anschauung gebracht werden sollten, mußte Farbe etwas anderes sein als der zufällige Reiz ihrer Erscheinung - nämlich Steigerung ihrer Würde; und die gemalte Tafel selbst empfing für ihn ihren Wert nicht durch ihr Farbigsein an sich, wie für die Venezianer, sondern durch die schmuckhafte Steigerung, die gerade die ungebrochenen und hellen Buntwerke der Farben bewirken konnten. Man darf diese Art der Malerei nicht mit den MaßStäben des Malerischen messen, darf in ihr aber die «aufhebende» Vollendung dessen erkennen, was die spätmittelalterliche Malerei Deutschlands anstrebte. Leider ist ein Hauptwerk dieser Epoche, der mit besonderer Hingabe bereitete und gemalte Altar von 1509 für den Frankfurter Kaufmann Heller, 1729 in München verbrannt; das Bild Adams und Evas in Madrid zeigt aber, wie sehr Dürer, von allem Graphischen entfernt, in das Wesen farbiger Gestaltung eingedrungen war. Pinselzeichnung auf getöntem Grund und, 1503 vielleicht durch eine Begegnung mit Grünewald angeregt, Übung in der Kreidezeichnung waren die Vorbereitungen zu dieser Malkunst. Daß mit einem neuen Verhältnis zur Malerei auch ein neues Verhältnis zum Licht gewonnen war, zeigen die vollendenden Holzschnitte der Großen Passion, zeigt die kleine Passion, die Kupferstichpassion und die Meisterstiche der Jahre 1513/14. Zugleich gewinnt Dürer eine neue Vorstellung vom Bildganzen und damit die Grundläge für sein klassisches Spätwerk. Die drei Meisterstiche - Ritter, Tod und Teufel, der Heilige Hieronymus im Gehäus und Melancholia I - sind der Höhepunkt einer Schaffensperiode, die mit den Arbeiten für Maximilian ausklingt und in der die großen, für die Öffentlichkeit bestimmten Tafelbilder völlig fehlen. Im Stich der Melancholia wird das Wesen dieser Zwischenepoche vielleicht am deutlichsten: Souverän in der Beherrschung der künstlerischen Mittel des Kupferstiches, der durch die unbarmherzige Endgültigkeit, mit der sich der Stichel in die Platte gräbt, Höchstes fordert, aber auch mit den feinsten Wirkungen belohnt, fühlt der Künstler Gabe und Gefahr des melancholischen Temperamentes.1 In diese Zeit gehört auch eine düstere Eisenradierung. In den Arbeitenfür Kaiser Maximilian taucht gelegentlich die Gefahr des Künstlichen auf, etwa bei der Arbeit an dem Riesenholzschnitt des von Jörg Kölderer entworfenen Triumphbogens1 2 oder am Triumphwagen; dennoch sind auch solche Aufträge für Dürer Stationen auf dem Weg zum Klassischen. Die so komplizierte Aufgabe, die mit den Handzeichnungen zum Gebetbuch Kaiser Maximilians’ gestellt wurde, konnte 1 Panofsky-Saxl, Dürers Melancholia I, 1923· 2 Vgl. zuletzt P. Strieder, Zur Entstehung»gesch. v. Dürers Ehrenpforte f. Kaiser Maximilian (Anz. d. German. Nationalmus.) 1934/ 59, 128-142. ’ Grundlegend K. Giehlow, Beitr. z. Ent-

wicklungsgesch. d. Gebetbuches Kaiser Maximilians I. (Jb. d. kunsthist. Slgn. d. ah. Kaiserhauses 20) 1899, 30-112. Gesamtausgabe Ders., Kaiser Maximilians Gebetbuch, Wien 1907 und neuerdings W. L. Strauss, The Book of Hours of the Emperor Maximilian I., New York 1974. Vgl. ferner Th. Hetzer, Über

§ 81. Gotik in Franken (T. Breuer)

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Dürer nur lösen, weil er, «inwendig voller Figur», imstande war, dem Auftrag gemäß Sinn und Schmuck in einer neuen Welt der Anschauung und Gestaltung zu verbinden; im Entwurf für die Statue des Albrecht von Habsburg von 1513/14 für das Maximiliansgrab in Innsbruck1 bereitete die dürersche Phantasie die fast skurrile Märchenhaftigkeit des von Hans Leinberger geschnitzten Modells vor;3 Dürers plastischer Sinn bewährte sich vermutlich bei Entwürfen für die Figuren der Könige Artus und Theoderich aus der Vischerschen Gießhütte. Die Reise in die Niederlande, die dem Künstler mit zahlreichen Ehrungen die Früchte seines Ruhmes genießen läßt, leitet die letzte Periode seines Schiffens ein, in der der Mensch allein das zentrale Thema seiner Kunst ist. Ein großer Kupferstich der Kreuzigung, eine Passionsfolge wird zwar vorbereitet, aber nicht ausgeführt; vermutlich ein großes Triptychon, die Muttergottes mit Heiligen, wird geplant, aber nur ein Diptychon, die Vier Apostel, begleitet von mahnender Schrift, vollendet. In diesen Gestalten steht das Vermächtnis Dürers vor uns. Dürer hat jederzeit porträtiert.3 Aus seiner Frühzeit hat er eine Reihe von Selbstbildnissen hinterlassen, von denen das Münchener am deutlichsten das Menschenbild wiedergibt, das er erstrebte: weil Dürer im Menschen immer das Bild Gottes suchte, konnte er sich selbst in einer an das Christusbild erinnernden Gestalt wiedergeben. Auf einer neuen Stufe, differenzierter, vielleicht auch säkularisierter, erscheint Ahnliches in Dürers späten Bildnissen. Seine Menschen weisen, so wahr und treu sie gegeben sind, doch über ihrer Erscheinung hinaus auf ihre eigentliche Bestimmung. Die Würde des Menschen im Einzelnen ist der eigentliche Gegenstand dieser Bildnisse. Und als eine Art Bildnis müssen dann auch die Vier Apostel verstanden werden:4 Bildnis der vier Möglichkeiten männlichen Temperaments, durch den feierlichen Emst der Form, durch die klare Schlichtheit der Grundfarben ausgezeichnet als die Träger eines höheren Auftrages, der nur noch durch das Wort auszuführen war. Die Grenzen bildender Kunst sind erreicht; ein Hauch von Resignation mag diese Erfahrung, die sich eben auch im Erasmus-Kupferstich spiegelt, begleitet haben. Und Resignation wird in Dürers umfangreichem theoretischem Werk5 ausgesprochen:« Waß aber dy Schönheit sey, daz weis jch nit.»6 Die Schönheit, die im gemäßen Aufbau des

Dürers Randzeichnungen im Gebetbuch Kaiser Maximilians (Th. Hetzer, Aufsätze u. Vorträge) 1957. Π 4774‫·־‬ * Zum Innsbrucker Grabmalsprojekt vgl. HB II902 Anm. 2. 2 Ebd. 906. 3 Th. Hetzer, Dürers Bildnisse (Th. Hetzer, Aufsätze u. Vorträge) 1957, II 23-46. 4 Vgl. die wichtige Arbeit von K. Lankheit, Dürers Vier Apostel (Zschr. f. Theologie u. Kirche 49) 1952, 238-254; A. Μ. Vogt, Albrecht Dürer, Die Vier Apostel (Festschr. K. Badt) 1961, 121-134, versucht der Monumentalität der Dürerschen «Charakterfiguren» von 47*

der für den Gesamteindruck so bedeutsamen, fast abstrakt gebauten Wirkung der Gewänder her nahezukommen. Neuerdings als Zusammenfassung K. Martin, Albrecht Dürer, Die vier Apostel, 1963; zuletzt: P. Strieder, A. D. Vier Apostel im Nürnberger Rathaus (Festschr. Klaus Lankhcit) 1973, 151-157. 5 H. Rupprich, Dürer, Schriftl. Nachlaß, 3 Bde., 1956/69, vgl. zu dieser Neuedition Ders., Die Herausgabe v. Dürers schriftl. Nachlaß (Zschr. f. Kunstwiss. 15) 1961, 164-170. 6 Aus einem Entwurf Dürers zu einer Einleitung für ein Werk über die Malerei Rupprich (s. o. Anm. 5) II 100.

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einzelnen gegebenen Dinges erkannt wird, ist das einzig Faßbare. Gedruckt wurde von diesem theoretischen Werk allerdings nur 1525 die «Underweysung der Messung mit dem Zirckel un richtscheit», 1527 «Etliche underricht zu befestigung der stett, schloß und flecken», eine Befestigungslehre, die erst im 18. Jahrhundert in ihrem praktischen Wert richtig gewürdigt wurde,1 und im Todesjahr 1528 die «Vier bücher von menschlicher Proportion». Dürer hat direkt und indirekt auf die ganze europäische Kunst gewirkt.1 2 Seine engste Umgebung hat er so sehr bestimmt, daß es schon der Persönlichkeit eines Hans Baldung Grien bedurfte,3*um von Dürer anzunehmen, ohne abhängig zu werden. Dürer selbst sah in ihm, wie sich aus einer spärlichen Nachricht schließen läßt, weniger den nachstrebenden Jüngeren als vielmehr den mitstrebenden Freund. Unter den unmittelbaren Schülern nimmt Hans von Kulmbach * (um 1480-1521) den höchsten Rang ein, freilich ist seine Kunst in gewissem Sinne gefälliger als die des Meisters. Seine scharf erfaßten Portraits sind distanzierter als die Dürers, seine Berliner Anbetung der Könige von 1511 läßt durch die Längung der Proportionen, durch die Bedeutung der Säule im Bild schon den kommenden Manierismus ahnen. An seinem besten Werk, dem Tücherepitaph von 1513 hat allerdings Dürer selbst entscheidenden Anteil, ebenso amHauptwerk des Hans Schäuffelein (geboren zwischen 1480 und 1485, gestorben 1539), dem Altar aus Ober-St. Veit. Schäuffelein brachte dann 1510 Dürers Kunst nach Schwaben, nach Augsburg und Nördlingen. Die heiter-renaissancischen Züge in Dürers Kunst hat Wolf Traut (1486-1520), der Sohn des Nürnberger Malers Hans Traut, (gestorben 1516) hebenswürdig weitergeführt.3 Die neue Blüte Nümberger Glasmalerei, besonders durch Veit Hirsvogel (1461-1525) lebt von der Kirnst Dürers und seiner Umgebung.6 Schließlich hat auch der Antipode Dürers, Matthias Grünewald seinen Weg mehr als einmal gekreuzt. Mathias Grünewald, eigentlich Mathis Gothardt-Neithardt, wurde zu unbekannter Zeit geboren.7 Nach seinen Lehrjahren, die ihn auch nach Augsburg geführt haben müssen, ist er seit etwa 1503/04 in Aschaffenburg ansässig. Für die dortige Stiftskirche 1 Waetzoldt, Dürers Befestigungslehre, 1916. 2 Zur Wirkung Dürers auf Italien und die Niederlande vgl. A. Wedclgärtner, Alberto Duro (Festschr. J. Schlosser) Wien 1926, 162 bis 186, und J. Held, Dürers Wirkung auf d. niederländ. Kunst seiner Zeit, Den Haag 1931. Die Bedeutung Dürers für den Manierismus hat H. Kauffmann, Dürer in d. Kunst u. im Kunsturteil um 1600 (Anz. d. German. Nationalmus.) 1940/53, 18-60 umrissen. 3 Oettinger-Knappe, Hans Baldung Grien u. Albrecht Dürer in Nürnberg, 1963. * F. Winkler, Die Zeichnungen Hans Süß v. Kulmbachs u. Hans Leonhard Schäufeleins, 1942; Ders., Hans v. Kulmbach, 1959. 3 C. Rauch, Die Trauts, 1907. 6 G. Frenzel, Entwurf u. Ausführung in d. Nürnberger Glasmalerei d. Dürerzeit (Zschr.

f. Kunstwiss. 15) 1961, 31-59; Ders., Veit Hirsvogel, eine Nürnberger Glasmalerwerkstatt d. Dürerzeit (ZKG 23) 1960, 193-210; K. A. Knappe, Albrecht Dürer u. d. Bamberger Fenster in St. Sebald in Nürnberg, 1961. 7 Die Geburtszeit Grünewalds ist umstritten. 1455 wird als frühester, 1483 als spätester Termin angenommen. Das Verhältnis zur Kunst Hans Holbeins des Alteren (s. u. 1199) und zu Dürer ist ein starkes Argument für die Annähme, daß Grünewald erst um 1480 geboren ist. - Einen kritischen Überblick über die neuere Grünewaldliteratur gibt W. Brücker, Mathis Gothart Neithart, gen. Grünewald, in der neueren Forschung (Kunst in Hessen u. am Mittelrhein 3) 1963, 44-65. Hervorzuheben sind als Betrachtungen des Gesamtwerkes W. K. Zülch, Grünewald, Mathis Gothardt-Neithardt, 19492; A. Wedclgärtner, Grünewald,

§ 82. Die Kunst vom 16. bis 18. Jahrhundert (S. Benker)

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hat er um 1517/19 den (teilweise erhaltenen) Maria-Schnee-Altar geschaffen,1 vermutlich für die gleiche Kirche entstand um 1524/25 die heute dort befindliche Beweinung Christi. Wahrscheinlich war es auch ein Aschaffenburger Stiftspropst, der bei ihm den Altarfür Bindlach bei Bayreuth, heute in Lindenhardt, bestellte.1 Das Zentrum von Grünewalds Schaffen, der seit 1511 als Hofmaler des Erzbischofs von Mainz nachzuweisen ist, liegt allerdings außerhalb unseres Bereiches. Nicht das Würzburg Tilmann Riemenschneiders, sondern das Mainz Hans Backofens bildet seinen künstkrischen Umkreis.

§ 82. DIE KUNSTENTWICKLUNG VOM 16. BIS ZUM ENDE DES

18. JAHRHUNDERTS Vgl. HB I (Hilfsmittel): A I 1, A Π 2, 3, A ΙΠ, C 10 (bes. Bibliographie d. Kunst in Bayern). HB Π 908; G. v. d. Osten-H. Vey, Painting and Sculpture in Germany and the Netherlands 1500 to 1600 (The Pelican History of Art) Harmondsworth 1969; H. Krekel, Die Kunst d. deutschen Möbels I: Von d. Anfängen bis z. Hochbarock, 1968; H. Weiermann, Der Schloßbau in Bayern, Schwaben u. Franken. Zur Gesch. seiner Entwicklung, Hab.-Schr. TH München 1964; HenneboHoffmann, Gesch. d. deutschen Gartenkunst Π, 1965. KDB HI: Ufr. 1-24, 1911/27; V: Mittelfranken 1-8,10, 1924/59; VIII: Ofr. 1-2,1954/61 (vgl. auch u. 1464); BKD 2-3, 6-7, 10-22, 25, 28, 1958/68. (Es fehlen: Bamberg, Höchstadt/Aisch, Ebermannstadt, Rehau, Neustadt/Aisch, Scheinfeld, Rothenburg Stadt Π); Bau- u. Kunstdenkmäler Thüringens: Herzogthum Sachsen-Coburg u. Gotha, 4, 1907, H. 37 (Ostheim) 1911; H. Mayer, Die Kunst im alten Hochstift Bamberg u. in seinen nächsten Einflußgebieten, 2 Bde., 1952/55; R. Teufel, Bau- u. Kunstdenkmäler im Lkr. Coburg, 1956; K. Sitzmann, Künstler u. Kunsthandwerker in Ostfranken, 3 Tie., 1957/62; L. Baron Döry, Die Tätigkeit Italien. Stukkateure 1650-1750 im Gebiet d. BRD mit Ausnahme v. Altbayem, Schw. u. d. Oberpfalz (Arte e artisti dei laghi Lombardi 2) Como 1964, 129-151; T. Neuhofer, Beitr. z. Kunstgesch. d. Landkreises Eichstätt bzw. d. Hochstifts Eichstätt, bzw. Bayerns (Sbl. d. Hist. Ver. Eichstätt 59-62) 1963/69; E. Eichhorn, Vom Anteil «welscher» Künstler an d. Barockkunst Frankens (Erlanger Bausteine z. fränk. Heimatforsch. 6) 1959, 127-157; A. Wendehorst, Frankens Barockkultur im Urteil d. 19. Jhs. (JffL 27) 1967, 383-398; F. Knapp, Mainfranken, Bamberg, Würzburg, Aschaffenburg. Eine fränk. Kunstgesch., 19372; G. Piltz, Franken. Kunst einer Landschaft, 1958; E. Eichhorn, Die Kunst d. fränk. Raumes (Franken. Land, Volk, Gesch. u. Wirtschaft Π) 1959, 259-324; Hofmann-Schuhmann, Franken in alten Ansichten u. Schilderungen, 1967; H. Reuther, Dome, Kirchen u. Klöster in Franken nach alten Vorlagen, 1963; Η. H. Hofmann, Burgen, Schlösser u. Residenzen in Franken nach alten Vorlagen, 1961; A. Stange, Zur Kunstgeographie Frankens, 1935; A. v. Rettzenstein, «Fränk. Kunstgesch.» (Festschr. W. Pinder) 1938, 65-80; H. Krekel, Fürstenschlösser in Franken, 1936; Ders., Burgen u. Schlösser in Franken, 1955; A. v. Reitzenstein, Der Main, 1960; E. Kusch, Land d. Franken,

1962. Vgl· außerdem L. Dittmann, Die Farbe bei Grünewald, Diss. München 1955; H. Gasser, Das Gewand in d. Formensprache Grünewalds (Basler Stud. z. Kunstgesch. NF 3) Bem 1962. Wichtige Richtigstellungen finden sich bei A. Schädler, Zu den Urkunden über Matthis Gothard Neithart (MJBK 3. F. 13) 1962, 69-73. Die engagierten Schriften von Μ. Lanckoronska, Matthäus Gotthard Neithart. Sinngehalt u. hist. Untergrund d. Gemälde, 1963; Matthäus Neithart Sculptor, 1965 und

Neithart in Italien, 1967, gehen gelegentlich auch von berechtigten Fragestellungen aus. Als jüngste Arbeit von Gewicht ist zu nennen: G. Scheja, Der Isenheimer Altar d. Matthias Grünewald, 1969. 1 I. Krummbr-Schroth, Zu Grünewalds Aschaffenburger Maria-Schnee-Altar (Anz. d. German. Nationalmus.) 1964, 32-43. 2 G. Passavant, Kolloquium über Grünewalds Tafelbilder d. Lindenhardter Altars (Kunstchronik 30) 1977, 384-396.

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1961; H. Hofner, Hof als Kräftezentrum d. bildenden Künste, 1955; K. Sitzmann, Kunst u. Handwerk im Fichtelgebirgsraum (AO 41) 1961, 151-20$; Ders., Goldschmiedekunst u. Goldschmiede in Oberfranken (AO 30, 3) 1929, 1-84; F. H. Hofmann, Die Kunst am Hofe d. Markgrafen v. Brandenburg. Fränk. Linie, 1901; Ders., Bayreuth u. seine Kunstdenkmale, 1902; F. F. Leitschuh, Bamberg, 1914; H. Keller, Bamberg, 1962’; H. Muth, Aigentliche Abbildung d. Statt Bamberg, 1957; H. Mayer, Bamberger Residenzen, 1951; J. Hotz, Bamberger BaumeisterZeichnungen in d. Kunstbibliothek d. staatl. Museen zu Berlin I (BHVB 100) 1964, 493-516; II (ebd. 101) 1965, 551-556; H. Muth, Bamberger Baumeisterzcichnungen aus d. Besitz d. Mainfränk. Mus. Würzburg (ebd. 102) 1966, 507-529; I. Hillar-Leitherer, Bamberger Hausmadonnen, 1954; T. Breuer, Bamberger Land, 1965; K. Sitzmann, Forchheims Kirchen, ein Spiegel Bamberger Kunst, 1922; Engel-v. Freeden, Eine Gelehrtenreise durch Mainfranken 1660, 1952; H. Berchtenbreiter, Bürgeri. Wohnhausbauten d. Barockzeit in Ufr., Diss. TH München 1925; H. Kreisel, Würzburg, 1969·; R. E. Kuhn, Würzburger Madonnen d. Barock u. Rokoko, 1949; J. Steinmüller, Die Kanzel im Bistum Würzburg, 1940; K. Lohmeyer, Die rheinisch-fränk. Barockbaumeister, 1931; Th. Hampb, Nürnberger Ratsverlässe über Kunst u. Künstler im Zeitalter d. Spätgotik u. Renaissance, 3 Bde., 1904; K. Pilz, Nürnberg u. d. Niederlande (MVGN 43) 1952, 1-153; J. Neudörfer, Nachrichten v. Künstlern u. Werkleuten (zu Nürnberg) a. d. Jahr 1547, hg. v. G. W. K. Lochner, 1875; J. G. Doppelmayr, Hist. Nachrichten v. den Nümbergischen Mathematicis u. Künstlern, 1730; J. Bier, Das alte Nürnberg in Anlage u. Aufbau, 1926; F. Kribgbaum, Nürnberg, 1967♦; Gesch. Nürnbergs in Bilddokumenten, hg. v. G. Pfeiffer, 1970; F. T. Schulz, Nürnbergs Bürgerhäuser u. ihre Ausstattung I, Wien 1909/34; E. Mulzer, Nümberger Erker u. Chörlein, 1965; E. Gall, Rothenburg ο. T., 1955; Th. Neuhofer, Eichstätt, 19622; A. Gebessler, Ansbach, 1964; Ders., Dinkelsbühl, 1962; A. Bayer, Die Ansbacher Hofbaumeister beim Aufbau einer Fränk. Residenz, 1951; R. Schmidt, Hohenloher Land, 19602; W. Hotz, Odenwald u. Spessart, 1963.

a) Eindeutschung und Krise der Renaissance (ca. 1510-1530) HB Π 909; F. Winkler, Albrecht Dürer, 1957; Meister um Albrecht Dürer. Ausstellung, Nürnberg 1961; H. Höhn, Nürnberger Renaissanceplastik, 1924; E. F. Bange, Die deutschen Bronzestatuetten d. 16. Jhs., 1949; H. R. Weihrauch, Europ. Bronzestatuetten 15.-18. Jh., 1967.

Albrecht Dürer war unter allen deutschen Künstlern der, der sich am entschiedensten mit der Renaissancekunst Italiens auseinandersetzte. Da er aber auch der stärkste war, nahm er nur das an, was seinem eigenen Wesen entsprach. So hat bei ihm Motiv- und Ornamentschatz des Südens weit weniger Bedeutung als das Bemühen um das Menschenbild und die Reinheit der Form. Wenn er und die älteste Generation seiner Schüler, Hans Baldung, Hans von Kulmbach und Hans Schäufelein dadurch auch das Wesen der Renaissance trafen, so hatte diese Eindeutschung doch keine Zukunft. Fast gleichzeitig mit den antiklassischen Strömungen in Italien zeigten sich 1524 auch bei der jüngsten Gruppe von Dürerschülern Auffassungen, die Dürers Idealen entgegengesetzt waren. Hatte Dürer die Kunst religiös verstanden als etwas Heiliges zur Ehre Gottes, und den Künstler mit Gottes Geist erfüllt,1 so ist nun für die drei «gottlosen Maler», Sebald und Bartel Bekam und Jörg Pencz alles Kirchliche «bloßer Menschentand» und die Geschichte Christi gleich der Märe vom Herzog Emst.2 Die von diesen Meistem, die vorwiegend als Graphiker tätig waren, geschaffenen Werke sind 1 H. Rupprich, Dürers Stellung zu d. agnoetischen u. kunstfeindl. Strömungen seiner Zeit (SB München) 1959; F. Gerke, Der Christus Dürers u. Luthers (Gerke, Reformatio) 1965,

66; 53H. Lutz, A. Dürer in d. Gesch. d. Reformation (HZ 206) 1968, 22-44. 2 J. Baader, Beitrr. z. Kunstgesch. Nümbergs II, 1862, 74-79.

§ 82. Die Kunst vom 16. bis 18. Jahrhundert (S. Benker)

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meist kleinen Formats («Kleinmeister»),1 religiösen Themen fehlt die Transzendenz, weltliche Szenen, oft derbsatirischer Art, werden bevorzugt. Staunenswert ist Vielfalt und formale Vollendetheit, Dürers Phantasie und Sicherheit wird wie zu etwas Selbstverständlichem. Die beiden Beham scheiden nach der Verbannung 1525 aus der fränkischen Kunstgeschichte aus,1 nur Jörg Pencz kehrt auf die Dauer nach Nürnberg zurück (s. u. 749). Auf dem Gebiet der Plastik sind die Meister, die Dürers Bemühung um die Harmonie von Süden und Norden verstehen und ihr folgen, um die Gießhütte Peter Vischers1 23 gesammelt. Der Meister des Theoderich und Artus,4 nach dessen Modellen Peter Vischer 1512/13 jene Figuren des Innsbrucker Kaisergrabes goß, die in nie wieder erreichter Weise renaissancehafte Sicherheit im Formalen mit gotischer Idealität verbinden, war mit Dürer in engster Verbindung. Nach dessen Zeichnungen schuf er auch das Hennebergische Grabmal in Römhild (1507/12) und den Renaissancerahmen des Allerheiligenbildes (1508-11). Die «Nürnberger Madonna» und die Innsbrucker Figur der Elisabeth von Görz (1513-15)’ sind als Frauenfiguren ähnlich exemplarisch wie Artus und Theoderich. Jünger und entschiedener auf den Süden ausgerichtet ist Peter Vischer d. J. (1487-1528). 1507 schafft er eine der ersten Medaillen des Nordens, ist 1507/08 in Italien und seine weit großartigere 1509 entstandene Medaille mit seinem Selbstbildnis zeigt, welche Erfahrungen ihm zugekommen waren. Zusammen mit seinem Bruder Hermann (ca. 1486-Neujahr 1517) greift er 1508 in die Gestaltung des 1507 noch nach einem gotischen Plan begonnenen Sebaldusgrabes ein und umgibt es nun mit übersprießendem Leben, einer Fülle von Bildern, Allegorien, Putten, Tieren, die Berührungen mit der Kunst Oberitaliens (Riccio) zeigen. Die Apostelreihe scheint in vielem der internationalen Gotik der Zeit um 1400 verwandt, wobei deutsche und italienische Vorbilder mitsammen wirken, noch freier und lockerer sind die Bekrönungsfiguren. Die Konzeption der Architektur des 1519 vollendeten Ganzen wird umgewandelt, komplizierte Kuppelfolgen erinnern an Spätromanisches, der Innenraum des Gehäuses wieder ist fast «neugotisch» empfunden. In allem herrscht vollkommene Freiheit, geistvolle Vielfalt, absolute Sicherheit 1 Die gesamte Literatur in: Meister um Albrecht Dürer (s. o. 742) 36 ff., besonders zu nennen E. Waldmann, Die Kleinmeister, 1910. 2 Zu Bartel Beham s. HB II 913 u. K. LöCher, Stud. z. oberdeutschen Bildnismalerei d. 16. Jhs. (Jb. d. Staatl. Kunstslgn. in BadenWürtt. 4) 1967, 31-84. 3 S. Meller, P. Vischer d. A. u. seine Werkstatt, 1925 (in den Thesen überholt); BeyerKämpfer, Peter Vischer, 1960 (Bildband). Der jetzige Forschungsstand bei H. Stafski, Der jüngere Peter Vischer, 1962; Ders., Die Vischer-Werkstatt u. ihre Probleme (ZKG 21) 1958, 1-26 und K. Pechstein, Beitrr. z. Gesch. d. Vischerhütte in Nürnberg, Diss. Berlin 1962 (m. Bibi.); ferner H. Stafski, Zur neueren Lit. über d. Vischer-Werkstatt (JffL 22) 1962, 299

bis 312; D. Wuttkb, Die Histori Herculis d. Nürnberger Humanisten u. Freundes d. Gebrüder Vischer, Pangratz Bemhaubt gen. Schwenter, 1964; K. Pechstein, Der Aschaffenburger Martinsbrunnen für Kardinal Albrecht a. d. Nürnberger Vischerhütte (Anz. d. German. Nationalmus.) 1969, 35-41; D. Wuttke, Methodisch-Kritisches zu Forschungen über P. Vischer d. A. u. seine Söhne. Kunstgesch. u. Philologie (AKG 49) 1967, 208 bis 261; Ders., Typen d. chronikal. Einträge über d. Aufstellung d. Sebaldusgrabes (MVGN 55) 1968, 238-251; K. Pilz, Das Sebaldusgrabmal, 1970. 4 Stafski, Vischer-Werkstatt (s. Anm. 3) 19; 16K. Oettinger, Die Bildhauer Maximilians am Innsbrucker Kaisergrabmal, 1966. ’ Diese Zuschreibung von Oettinger 18-20.

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in der Welt der Renaissance, die hier gleichwohl nicht Import bleibt, sondern sich die mittelalterlichen Formtraditionen einverleibt. Das zweite große Werk sollte das Gitter für die Fuggerkapelle in Augsburg werden, das 1525 fertig war, nicht abgenommen und erst 1540 im Rathaussaal zu Nürnberg aufgestellt wurde. Nur kleine Teile haben sich erhalten (Schloß Montrottier bei Annecy), an denen nicht mehr die gleiche Lockerheit, sondern ein Tendieren zum Manierismus zu beobachten ist. Vom bildhauerischen Werk Hermann Vischers haben wir keine rechte Vorstellung, doch ist die Architektur beider Großwerke auf ihn zurückzuführen. Der Hochgerühmte zog 1515 «der Kunst wegen» nach Italien. Eine Gruppe von Zeichnungen,1 die ihm zugehören wird, enthält einen strengster römischer Renaissance entsprechenden Entwurf zum Sebaldusgrab, aber auch Zeugnisse intensiver Beschäftigung mit dem romanischen Bamberger Dom. Hans Vischer (f 1550), der nach des Vaters Tod 1529 die Gießhütte übernahm, war offenbar nur mehr der Erbe seiner Brüder, gediegenen fürstlichenEpitaphengalt seine Haupttätigkeit, doch sank Qualität und Bedeutung der einst so bedeutenden Gießhütte immer mehr ab. Der bruchlose Übergang von alten und neuen Formen, wie er sich in der Kirnst Dürers und der Vischersöhne zeigt, war ein Höhepunkt der deutschen Kunstgeschichte. Nur in Nürnberg hat es eine deutsche Renaissance gegeben. Doch deren Zeit war kurz. Bei allem Kunstfleiß hat neben den Hauptmeistem wenig Bestand. Zu erwähnen ist die von Dürer wesentlich beeinflußte Blüte des Goldschmiedehandwerks, besonders in Ludwig Krug (1489/90-1532) und Martin Krafft? Eine solche Sternstunde der Kunst konnte nur entstehen, wo auch der Boden bereit war. Das reiche, gebildete Patriziat von Nürnberg hatte schon lange nach der klassischen Welt Ausschau gehalten, Willibald Pirkheimer, Sebald Schreyer1 23 regten die Künstler zu neuen Versuchen an, Conrad Celtis mit seiner eigenartigen Verbindung von deutschem Nationalstolz und klassischer Bildung4 öffnete das Verständnis der Antike, so daß sie auf Nürnbergs Boden Wurzel fassen konnte. In der kleinen Bischofsstadt Eichstätt hat der Bildhauer Loy Hering (ca. 1485-nach 1554)’ eine fruchtbare Tätigkeit entfaltet. Der gebürtige Kaufbeurer kaum aus der Welt der Augsburger Frührenaissance (s. 1210), um 1513 zieht er nach Eichstätt, von wo aus er weithin (bis Boppard, Münden, Wien, St. Paul im Lavanttal) Adel und Prälaten mit geschmackvollen Epitaphien aus Solnhofer Stein beliefert. Die Vorlagen 1 W. Lotz, Zu Herrn. Vischers d. J. Aufnahmen Italien. Bauten (Miscellanea bibliothecae Hertzianae) 1961, 167-174. 2 H. Kohlhaussen, Nürnberger Goldschmiedekunst d. MA u. d. Dürerzeit 1240 bis 1540, 1968; L. Grote, Arbeiten d. Nürnberger Goldschmieds Μ. Krafft f. d. Hallesche Heiltum (Anz.d.German.Nationalmus.) 1967,30-3 5. 3 Ders., Die «Vorder-Stube» d. Sebald Schreyer. Ein Beitr. z. Rezeption d. Renaissance in Nürnberg (ebd.) 1954/59, 4367‫·־‬ 4 Der Briefwechsel des Konrad Celtis, hg. v. H. Rupprich, 1934, XIV-XVII.

5 F. Mader, L. Hering, 1905; F. DworDie Werke d. Loy Hering in Österreich (Wiener Jb. f. Kunstgesch. 4) 1926, 86-110; E. Kahl, Dürer-Nachfolge in d. Reliefplastik unter bes. Berücksichtigung d. Eichstätter Meisters Loy Hering, Diss. Erlangen 1940; A. Herrmann, L. Hering u. C. Rodt in Elchingen (Zschr. d. Deutschen Ver. f. Kunstwiss. 4) 1950, 165-172; H. Staeski, L. Hering (Fränk. Lebensbilder 3) 1969, 101-108; Bange (s.o. 742) 80 f., 135. schak,

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seiner Darstellungen bezieht er meist aus der Graphik Dürers. Erstaunlich ist, daß sein langes Schaßen trotz gewisser Routine qualitativ kaum nachläßt und die Stilstufe der frühen Renaissance fast ungetrübt beibehält. Sein Hauptwerk ist die Sitzfigur des hl. Willibald im Eichstätter Dom (1514). In der klassischen Ausgewogenheit von machtvoller Körperlichkeit und Milde des Ausdrucks vertritt sie denkwürdig eine Dürer nahe Auffassung. Loy Hering liefert auch nach Bamberg und Würzburg Grabmäler für die Fürstbischöfe.1 In dem Würzburger Grabmal Lorenz von Bibras (t T5T9) aus der Werkstatt Riemenschneiders aber ist das Renaissancebeiwerk von ganz anderer Art.1 2 Seine Putten, Säulen und Gehänge weisen auf die Landshuter Frührenaissance. Riemenschneiders Schüler, der Würzburger Bildhauer Peter Dell, (f 1552)3 kopiert sogar Werke Hans Leinbergers.4 Grabsteine in Arnstein (1517) und Münnerstadt (1534) zeigen deutlich die Abkunft von Nürnberger und Landshuter Erfindungen.5 Kardinal Albrecht von Brandenburg (j6(1545 ‫ ־‬ist einer der großen Kunstfreunde der Zeit. Die Werke, die in seiner Residenz Aschaffenburg erhalten sind, sind freilich nicht dort entstanden, sondern vorwiegend Nürnberger Herkunft und waren ursprünglich für das Neue Stift in Halle bestimmt. Aber auch der Rahmen von Grünewalds Maria-Schnee-Bild v.J. 1519 (Stiftskirche) hat sich bereits ganz von der gotischen Ornamentik freigemacht. Unbekannt ist die Herkunft des Baumeisters Johann Schoner, der 1526 das Rathaus (nur interessante Bauplastik erhalten) und 1541 den Marktbrunnen im fuldischen Hammelburg errichtet. Er vertritt kraftvoll eine süddeutsch gefärbte Frührenaissance.

b) Der Manierismus (ca. 1530-1590) HB II914; Bruhns (s. u. Anm. 1); Höhn, Bange, Weihrauch (s. 0.742); G. Rbhbein, Malerei u. Skulptur d. deutschen Frühmanierismus, 1939, 48-51.

Die Bautätigkeit des sechzehnten Jahrhunderts wird weitgehend von einem neuen Repräsentationsbedürfnis der Fürsten und Patrizier getragen. In Nürnberg wird der gotische Rathaussaal, der seit 1521 mit auf Entwürfen Dürers beruhenden Wandmalereien geschmückt worden war, durch das ehemals für die Fugger bestimmte Vischersche Gitter (s. 744) bereichert. Einem völlig neuen Bedürfnis gehobener Lebensführung entspringen zwei besonders zu nennende, patrizische Bauten von 1 L. Bruhns, Würzburger Bildhauer d. Renaissance u. d. werdenden Barock 1540 bis 1650, 1923. 34‫־‬37· 2 Ders., Die Grabplastik d. ehern. Bistums Würzburg während d. Jahre 1480-1540, 1912, 52-60. 5 Ders., Bildhauer (s. Anm. 1) 38-57; G. Lill, Aus d. Frühzeit d. Würzburger Bildhauers P. Dell d. Ä. (Mainfr. Jb. 3) 1951, 139 bis 159. 4 Eine Gruppe von Holzplastiken in der Gegend von Aschaffenburg (Hörstein u. a.) zeigen

ebenfalls Abkunft vom Stil Leinbergers in frühmanieristischer Variante (Abb. 76-78 u. 100 bei W. Hotz, Meister Mathis d. BildSchnitzer, 1961). 5 Bruhns, Grabplastik (s. o. Anm. 2) 47 bis 50, 89-91. 6 L. Grote, Kardinal Albrecht u. d. Renaissance in Halle, [1930]; W. Hotz, Das Hallesehe Heiltum u. d. Plastik am Untermain (Mainz u. d. Mittelrhein i. d. europ. Kunstgesch.) 1966, 373-384.

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modernster Haltung, der Hirschvogelsaal und das Tucherschlößchen, beide wohl unter wesentlicher Beteiligung Peter Flötners geschaffen. Ersterer war ein Gartensaal (1534) mit Renaissancevertäfelung und einem die ganze Flachdecke ausfüllenden mythologischen Gemälde des Jörg Pencz, wohl dem ersten großen Deckenbild im Norden, das in Untersicht gemalt war. (Das Gemälde und Reste der Vertäfelung jetzt im Fembohaus, aber nicht mehr in den originalen Verhältnissen.) Das Tucherschlößchen (1537-44)1 zeigt deutlichen Einfluß französischer Schloßarchitektur. Mittelalterliche Formen, romanisch anmutende, halb von der Wand aufgesogene Runddienste sind in durchaus manieristischer Weise wieder aufgegriffen. Renaissanceformen finden sich zahlreich auch in den reichen Hofarchitekturen des Nürnberger Bürgerhauses.1 2 Nürnbergs wichtigste Bauaufgabe aber war die Verstärkung und Modernisierung der Befestigungsanlagen.31538-45 waren die Burgbastionen nach den Plänen des Maltesers Antonio Fazuni4 großartig in ihrer genauen Zweckmäßigkeit erbaut worden. 1556-64 wurden die vier Haupttürme von Gerhard Unger rund ummantelt und über den oben angebrachten Geschützständen mit leichtem Dachwerk versehen. Diese Türme, nach Holzschnittabbildungen von solchen des Mailänder Castello Sforzesco konzipiert, sind eines der eindruckvollsten Bauwerke dieser Zeit. Sie vereinigen den Eindruck von Festigkeit und Eleganz, von Mittelalter und Neuzeit. Konventioneller sind die Bauten des aus Schaffhausen stammenden Stadtwerkmeisters Hans Dietmair (Herrenschießhaus 1582 und Zeughaus 1588). Sowohl in Schweinfurt wie in Rothenburg geht man an den Bau eines Rathauses, das den reichsstädtischen Rang deutlich vorweisen und dem Stadtbild einen Mittelpunkt geben sollte, Das Schweinfurter Rathaus wurde 1570-72 von Nickel Hofmann aus Halle gebaut. Es steht an der Stirnseite des Marktes und stellt diesem einen kräftig ausspringenden Vorbau mit Erkertürmchen entgegen. Die drei Giebel sind reich verziert, gotische Pässe schmücken die Dachgalerie. Sächsische Formtraditionen sind hier in einem abgewogenen, trotz aller Repräsentation zierlichen Bau wirksam geworden. Mächtiger gibt sich das Rathaus von Rothenburg,3 dessen Osthälfte 1572-77 neuerbaut wird. In breiter, mit Erker und Treppenturm gezierter Front steht es am Markt, im Schrägblick durch Ziergiebel und Turm bereichert. Nikolaus Hofmann hat 1570 den Bau beraten und einen Voranschlag geliefert. Wieweit sich der Bau darnach richtete, wissen wir nicht, jedenfalls bedeutet er in Großzügigkeit und Geschlossenheit einen wesentlichen Schritt über das Schweinfurter Rathaus hinaus. Der Bildhauer und Steinmetz Leonhard Weidmann (j1602 ‫ )־‬war hier und an anderen Rotlienburger Bauten (Spital, Hegereiterhaus, Gymnasium) wesentlich beteiligt, aber wohl nicht der maßgebliche Architekt. Auch die Vorwerke vor den Stadttoren 1 L. Grote, Die Tücher, 1961, 24-27, Abb. 66-78. 2 K. Staudhammer, Rigi Nümbergi udvarok - Nürnberger Höfe, Budapest 1943. 2 Η. H. Hofmann, Die Nürnberger Stadtmauer, 1967; A. Heuchel, Städt. Wehrbau in Süddeutschi, während Renaissance u. Frühbarock, 1940,47-54. Dort auch Abschnitte über

Dinkelsbühl, Eibelstadt, Ellingen, Forchheim u. Rothenburg. 4 Nach Fazunis Plänen wurde seit 1552 auch die Fünfeckanlage der Festung Lichtenau erbaut. ’ W. Döderlein, Untersuchungen z. Baumeisterfrage d. «Neuen Baues» am Rathaus zu Rothenburg ο. T. (HJb. 60) 1940, 707-724.

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(Spitaltor 1586) sind eindrucksvolle Zeugen von Rothenburgs Selbstbewußtsein. Ein Beispiel für die Baufreude auch kleiner Städte gibt das Rathaus von Marktbreit (1579), das auch noch die alte Vertäfelung der Ratsstube bewahrt hat und im Jahr 1600 durch den Anbau des Maintors zu einer schmuckreichen Baugruppe erweitert wurde. Unter den fürstlichen Bauten steht die markgräfliche Plassenburg' ob Kulmbach an erster Stelle. Nach der Zerstörung von 1554 ließ Markgraf Georg Friedrich von Ansbach seit 1562 durch Caspar Vischer (f 1579) die Burg größer neu erstellen. Sie vereinigt nun Wehrhaftigkeit und Repräsentation. Der überaus große rechteckige Hof ist rings mit dreigeschossigen Rundbogenarkaden umstellt, deren Stirnseiten aufs reichste mit Blattwerk und Medaillonbildem geschmückt sind, ein Höhepunkt der dekorativen Architektur jener Zeit. Vischer, der auch den Turm des Alten Schlosses in Bayreuth (1565/66) erbaute, hatte vorher in Coburg gearbeitet. Dort begann Herzog Johann Emst 1543 mit dem Bau des Stadtschlosses, der Ehrenburg, von der noch ein Teil erhalten ist. Die strenge Ordnung der Fenster kontrastiert wirkungsvoll mit dem ornamentierten Erker, dem ersten seiner Art in Coburg. Der Fürstbischof von Bamberg, Veit II. v. Würtzburg, fügte seiner Residenz einen Neubau1 an, der zusammen mit dem Einfahrtstor den alten Bauten ein neues Gesicht gab. 1569 war wieder Caspar Vischer zur Beratschlagung gebeten worden, Erasmus Braun (j1598 ‫ )־‬führte 1570-71 den schlanken, bewußt repräsentierenden Bau der Ratsstube mit dem asymmetrisch angebrachten Chörlein aus. Die Plastiken am Portal (von Pankraz Wagner) zeigen die Bamberger Dompatrone, das Ganze gibt deutlichen Eindruck von der jetzt viel mehr betonten Würde des Fürstbischofs. Erasmus Braun baute auch das bischöfliche Schloß Geyersurörth123 in Bamberg (1583 bis 87), das auf einer Regnitzinsel gelegen mit einem Garten und künstlichen Wasserspielen ausgestattet, einen angenehmen Aufenthalt bot. Die Bambergische Hauptfestung Kronach wurde seit 1564 mit neuen Bauten versehen, 1566 übernahm Daniel Engelhardt (j* 1598), Mitarbeiter Vischers an der Piassenburg, die Arbeiten, die ein strenges, wehrhaftes Gepräge zeigen. Der in Franken so zahlreiche ritterschaftliche Adel beginnt in gleicher Weise die mittelalterlichen Burgen durch wohnliche und zierliche Schlösser zu ersetzen. Eines davon, das Wasserschloß der Echter in Mespelbrunn (1551-69) ist zu einem Inbegriff des altdeutschen Schlosses geworden, obwohl die Intemationalität der manieristischen Architektur auch hier gilt. Früh vertritt den neuen Typus des herrschaftlichen Schlosses das 1535-38 erbaute markgräfliche Schloß Ratibor in Roth. Einheitlich ist auch der Vierflügelbau des Zobelschlosses in Giebelstadt (1581-85), mit Schmuckgiebeln versehen das in Friesenhausen (1563). Ein Festsaal aus der Mitte des Jahrhunderts wurde im Burgsinner Schloß in Thüngen wiedergefunden.4 Auch ein Großteil der Bausubstanz der fränkischen Städte entstammt dieser Zeit. Langsam dringt der Steinbau gegenüber dem Fachwerkhaus vor (Baumeisterhaus in Rothenburg 1596), doch ist wohl 1 H. Mader, Bau- u. Kunstgesch. d. Plassenbürg, 1933. 2 H. Mayer, Bamberger Residenzen, 1951, 36-43.

’ Ebd. 44-59; W. G. Nbukam, Neue Quellen z. Baugesch. d. Geyerswörthschlosses zu Bamberg (BHVB 100) 1964, 397-405. 4 A. Ress in Ber. LfD 22, 1963, 57-62.

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auch in den größeren Städten damals noch weitgehend in Fachwerk gebaut worden, wie es das Bild der Städte Dinkelsbühl, Rothenburg, Miltenberg bis heute bestimmt. In den Bildkünsten ist Nürnberg noch der führende Ort. Peter Flötner (j1(1546 ‫ ־‬leitet eine neue Epoche ein. Als er 1522 von Ansbach nach Nürnberg kommt, hat er offenbar ein gründliches Studium in Italien hinter sich. Er, der sich vorher wohl in Augsbürg die Grundlagen seiner Kirnst angeeignet hatte, bringt nun Renaissance in rein südlicher Ausprägung ohne jede gotische Reminiszenz. Bildhauer vom Fach ist sein Wirken durch eine umfangreiche graphische Produktion, durch Vorzeichnungen für das Kunsthandwerk gekennzeichnet. Besonders ist er Meister des Ornaments, die Groteske setzt sich durch ihn in Nürnberg durch. Als Bildhauer ist er durch Kleinplastiken (besonders Bleiplaketten), die Reliefs für den Silberaltar in Krakau (1538) und sein bedeutendstes Werk, den Apollobrunnen * (1532, jetzt im Peilerhaus Nümberg), bekannt. Dieser, von Pankraz Labenwolf gegossen, ist eines der nobelsten Werke der Nürnberger Renaissance. Dennoch ist hier eine manieristische Verhärtung und Kontrastierung der Körperformen unübersehbar. Zum Manierismus tendiert das kleinmaßstäbliche Werk Flötners, wie auch seine Raumschöpfungen (s. S. 746). Einige weitere Bronzebrunnen Nürnberger Gießer’ sind die einzigen größeren Werke der Nürnberger Plastik. Das Gänsemännlein, wohl bald nach 1530 gegossen, weist deutlich auf Sebald Behams Bauern zurück, bleibt aber ohne Spott und erhebt den Bauern trotz der Kleinheit zu monumentaler Würde. In der Art Flötners elegant ist der Puttenbrunnen im Rathaushof, den Pankraz Labenwolf 1549-57 goß· Sein Sohn Georg goß Brunnen für den dänischen König, für den Landgrafen von Hessen und den in der Universität Altdorf (um 1575). Benedikt Wurzelbauer schafft im Tugendbrunnen vor St. Lorenz (1585-89) ein manieristisches Prunkstück, das allerdings zeigt, daß die Nürnberger Plastik mehr und mehr zur Routine herabsank. Die Bildhauer, die die Modelle für diesen Brunnen schufen, sind uns nicht bekannt. Eine Zeitlang (1570-81) ist der niederländische Bildhauer Johann Gregor von der Schardt4 in Nürnberg. Neben Bronzestatuetten arbeitet er Porträts in Ton. Seine Büsten des Willibald Imhoff (1570) und seiner Gemahlin (Berlin) gehören in ihrer Verbindung von Realismus und Distanzierung zu den stärksten Porträtwerken der Zeit. 1 K. Lange, P. Flötner, 1897; E. F. Bange, P. Flötner (Meister d. Graphik 14) 1926; Peter Flötner u. d. Renaissance in Deutschland, AusStellung 1946; Bange (s. o. 742) 38-42; W. Pfeiffer, Eine Bronzestatuette v. Peter Flötner (Zschr. f. Kunstwiss. 10) 1956, 53-56; W. Schadendorf, P. Flötners Spielkarten f. Francesco d’Este (Anz. d. German. Nationalmus.) 1954/59. 143-169; I. Weber, Bem. z. Plakettenwerk v. P. Flötner (Pantheon 28) 1970, 516 bis 520; Crosby (s. u. 792, Anm. 10). * E. W. Braun, Ein Nürnberger Bronzebrunnen v. 1532/33 im Schlosse zu Trient (MJBK NF 2) 1951, 195-203.

’Bange (s. o. 742) 99-110; K. Pechstein, Nürnberger Brunnenfiguren d. Renaissance Apoll u. Diana, die göttl. Jäger, 1969 (behandelt u. a. Zimmerbrunnen, eine Nürnberger Spezialität). 4 R. A. Peltzer, J. G. von der Schardt aus Nymwegen (MJBK 10) 1916/18, 198-216; I. Himmelheber, Eine Kleinbronze v. J. G. v. d. Schardt (Jb. d. staatl. Kunstslgn. in BadenWürtt. 1) 1964, 164-172; L. L. Möller, Über d. florentin. Einwirkung auf d. Kunst d. Johann Gregor v. d. Schardt (Stud. z. toskan. Kunst) 1964, 191-204.

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Die Hauptaufgabe der Bildhauer ist das Grabmal des Adels und des höheren Klerus. Umfangreiche Denkmäler entstehen, die meist die Familie vor einem religiösen Bild aufgereiht und betend zeigen. Bei allem Aufwand überwiegt der Prunk die Feinheit der Durchführung, bedeutend ist jedoch oft die Phantasie des Ornamentalen. In Würzburg sind die beiden Peter Dell, Thomas Kistner, Christoph Schnebach (?), Veit Baumhauer, Hans Rodlein (zwei große Epitaphe in Wertheim) zu nennen.1 In Bamberg waren Kilian Sorg und Hans von Wemding, in Nürnberg Lucas Grüneberg (Mark grafentumba Heilsbronn 1566-73), in Eichstätt Philipp u. Wilhelm Sarder12* tätig. Aus Schwäbisch-Hall kam Erhard Barg, der das überaus große Echterepitaph in Hessenthal (1582) schuf und auch einige Zeit in Würzburg arbeitete. Die Nürnberger Malerei wird in.erster Linie durch Jörg Pencz (um 1500-1550)’ vertreten. Nach seiner Rückkehr nach Nürnberg (s. o. 743) wird er 1532 Stadtmaler. Bei Darstellungen aus biblischer oder weltlicher Geschichte, besonders in seinen KupferStichen, zeichnet er italianisierend im Sinne Raimondis. Bedeutender sind seine Porträts, in denen er die mächtigen Gestalten ganz an den Beschauer heranrückt. Lotto und Bronzino geben hier die Vorbilder, Pencz gelingt eine Stilisierung der Personen, die ihren Rang anschaulich macht, besonders heroisch in dem Porträt des Feldhauptmanns Sebald Schirmer (1545, Nürnberg). Ein kühner Schritt war sein (auf Leinwand gemaltes) Deckenbild des Hirschvogelsaals (1534) mit dem Sturz des Phaethon, das erste Deckenbild im Norden, das versucht, nach dem Vorbild Giulio Romanos den wirklichen Raumabschluß zu durchbrechen. Der Maler Nikolaus Neufchatel, * ein Niederländer, weilt 1561-73 in Nürnberg, wo ihm sein besonderes Können im Porträt zahlreiche Aufträge verschafft. Das Bild des Schreibmeisters Johann Neudörffer (1561, München) ist Zeuge seiner stillen, eindringlichen Darstellungskunst. Die Nürnberger Maler9 haben dagegen weitreichende Bedeutung als Graphiker. Eine Überfülle von Historien und Porträts, vieles davon kopiert, kommt von dem Niederländer Virgil Solis (1514-62)6*und dem Schweizer Jost Amann (1539-91),’ die von Nürnberg aus in Einzelblättern und vor allem im illustrativen Buchholzschnitt den Bedarf an Anschauung decken. Anderer Art ist die dem Kunsthandwerk dienende ornamentale Graphik. Hier treten vor allem die Goldschmiede Wenzel Jam1 Bbuhns, Bildhauer (s. o. 745 Anm. 1). Zur Verbreitung der Epitaphe auch im bürgerliehen Bereich s. O. Sblzeb, Die Friedhofshalle Marktbreit u. ihre Grabdenkmäler, 1968. 2 F. Madeb, Die Bildhauer Philipp u. Wilh. Sarder (Bayerland 25) 1913/14, 505-11; Bbuhns, Bildhauer (s. o. 745 Anm. 1) in bis 113· ’ H. G. Gmblin, G. Pencz (Fränk. Lcbensbilder 2) 1968, 237-259; Ders., G. Pencz als Maler (MJBK 3. F 17) 1966, 49-126; Meister um Albrecht Dürer (s.o.742) 31-33,151-165, 41 f. (Lit.); Μ. Liebmann, Ein Bildnis d. Pfalzgrafen Ottheinrich v. G. Pencz in d. Eremitage (Pantheon 23) 1965, 156-162; W. Pfbiffeb,

Zwei Zeichnungen v. G. Pencz (Pantheon 22) 1964, 143‫־‬150. 4 R. A. Pbltzeb, Nicolas Neufchatel u. seine Nürnberger Bildnisse (MJBK NP 3) 1926, 187 bis 231; P. Stmedeb, Zur Nürnberger Bildniskunst d. 16. Jhs. (MJBK 3. P 7) 1956, 120-137. 9 Ein Beispiel für den Durchschnitt ist der gleichwohl vielgesuchte Andreas Hemeisen (1538-1610). Vgl. Peltzhb-Blatnbb, Numberger Schützenbildnisse aus d. 16. Jh., 1927. 6 I. Fbankb, Die Handzeichnungen Virgils Solis, Diss. Masch. Göttingen 1968. 7 K. Pilz, Jost Ammann 1534-1591 (MVGN 37) 1940, 201-252.

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nitzer, Johannes Lencker d. Ä. (j1585 ‫ )־‬und Lorenz Stoer1 mit perspektivischen und stereometrischen Übungen hervor. Zwei Graphiker Nürnbergs ziehen nach Wien: Augustin Hirschvogel (1503-1553),2 Sohn des Glasmalers Veit Hirschvogel d. Ä., war eine Universalbegabung, den Nürnberg nicht halten konnte. Wenn er auch in Glasmalerei, Herstellung venetianischer Glaswaren, Kartographie und Geometrie tätig war, sind für uns seine stillen, beseelten Landschaftsradierungen wichtigstes Zeugnis seiner Kunst. 1536 ging er nach Laibach und 1544 nach Wien und erscheint als Erbe der Kunst Altdorfers und Hubers. Auch Hanns Lautensack (ca. 1520 bis ca. 1565),’ der durch scharf charakterisierte Porträtradierungen hervorgetreten war, läßt sich in einer Reihe von Landschaften aufs stärkste von Wolf Huber beeinflussen. Seit 1554 ist er in Wien tätig. Alle diese Meister stehen im engsten Zusammenhang mit dem blühenden Nürnberger Kunsthandwerk. Medailleure, Plattner, Glasmaler, Zinngießer, Kunstschmiede, Schreiner, Schreibmeister♦ und besonders Goldschmiede genießen einen weithin reichenden Ruf. Dem nachdürerschen Manierismus gehört der Goldschmied Melchior Baier5 an, dessen größtes Werk die Ausführung des Silberaltars für den Krakauer Dom (1531 bis 38) war, die nach Vorzeichnungen von Jörg Pencz und Modellen von Peter Flötner geschah. Baiers, wohl auch mit Flötners Hilfe geschaffene goldemaillierte Pfinzingschale (1534-36, Nürnberg) dürfte eines der edelsten Werke Nürnberger Goldschmiedekunst sein. Ruhm der Goldschmiede ist Wenzel Jamnitzer6 (1508-1585), der Aufträge aus aller Welt erhält, und dessen Prunkpokale in ihrer Omamentfülle und Feinheit des Details unübertroffen sind. Seine Schulung an der italienischen Goldschmiedekunst des hohen Manierismus ist deutlich. Von dort kommt auch die von ihm aufs höchste entwickelte Kunst des Naturabgusses von Pflanzen und Tieren in Silber. Wohl dadurch kam er auch zur Beschäftigung mit der Naturwissenschaft. Als hochgebildeter Künstler (s. o.) wurde er zum Inbegriff des Nümbergischen Künstlertums in der Nachfolge Dürers. * Jamnitzer, Lencker, Stoer. Drei Nümberger Konstruktivisten d. 16. Jhs., Ausstellung 1969. 2 K. Schwarz, A. Hirschvogel, 1917; E. Baumeister, Zeichnungen v. A. Hirschvogel aus seiner Frühzeit (MJBK NF 13) 1938/39, 203-211. 2 A. Schmitt, H. Lautensack, 1957; H. Schwarz, A Unique Woodcut by H. Lautensack (Pantheon 22) 1964, 143-150. Sein Vater war der Bamberger, dann Nürnberger Maler Paul Lautensack (1478-1558), der durch sein schwärmerisches Schrifttum bekannt wurde. Vgl. A. v. Aufsess, Die Altarwerkstatt d. Paul Lautensack, 1963. * Johann Neudörffer d. A., der große Schreibmeister d. deutschen Renaissance. Mit einer Einleitung v. A. Kapr, 1956; W. Μ. Brod, Fränk. Schreibmeister u. Schriftkünstler, 1968. ’ Kohlhaussen (s. o. 744) 437-503.

* Μ. Rosenberg, Jamnitzer. Alle erhaltenen Goldschmiedearbeiten. Verlorene Werke. Handzeichnungen, 1920; Bange (s. o. 742) 106 f.; K. Pechstein, Jamnitzer-Studien (Jb. d. Berliner Museen 8) 1966, 237-283; Ders., W.Jamnitzers Silberglocken mit Naturabgüssen (Anz. d. German. Nationalmus.) 1967, 36-43; Ders., Zeichnungen v. W.Jamnitzer (ebd.) 1970, 81-95; ferner: H. Kohlhaussen, Der Veit Holzschuher-Pokal v. Elias Lencker (MJBK NF 13) 1938/39, 91-108; J. Hayward, The Goldsmith’s Designs of the Bayer. Staatsbibliothek reattributed to Erasmus Homick (The Burlington Magazine 110) 1968, 201-206; Ders., The Drawings and Engraved Omaments of E. Homick (ebd.) 383-389; Ders., Fontainebleau nell’ interpretazione degli orafi di Norimberga (Anächitä viva 7) 1968, 4, 17 bis 2$.

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c) Später Manierismus (ca. 1580-1640) HB II 920; Freeden-Engel, Fürstbischof Julius Echter als Bauherr, 1951; G. Herbst, Die Bautätigkeit d. Fürstbischofs Julius Echter, Diss. Innsbruck 1967; Bruhns, Bildhauer (s. o. 745 Anm. 1) 103-455; Barock in Nürnberg 1600-1750, 1962.

Die weltliche Macht, die in der vorhergehenden Epoche vor allem durch den Glanz der Innenräume und der darin verwahrten Dinge ihre Bedeutung anzeigte, wendet sich nun mit monumentalen Werken mehr nach außen. Ihr tritt nun auch die Kirehe, die seit dem Ausgang des Mittelalters in dem konfessionell heftig umkämpften Land kaum mehr durch Bauten hervorgetreten war, zur Seite. Insbesondere ist es der Fürstbischof von Würzburg, Julius Echter (1573-1619), der im Bauen eine wesentliehe Bestärkung der Macht erblickt, der auch versteht durch Bauwerke die Bedeutung der in ihnen geschehenden Funktionen vor Augen zu führen. Seine ersten großen Unternehmungen gelten nicht seiner eigenen Person, sondern dem Wohl seines Staates: das Juliusspital und die Universität. Entsprechend der Zusammenfassung vieler Institutionen in neue Organisationen wird auch im Baulichen großzügig und völlig neu begonnen, beidesmal in geschlossener, regelmäßiger Vierflügelanlage. Vom Juliusspital (1576-85) ist nicht mehr als diese Anlage erhalten, dagegen ist die Universität (1582-86) im wesentlichen unverändert. Eine Seite des mit prächtigen Portalen und Giebeln geschmückten Gevierts bildet die Kirche (1583-91). Architekt dieses eigenartigen Baues war wie der ganzen Anlagen von Spital und Universität der aus Mainz beigezogene Georg Robyn (f 1594),1 ein Bildhauer aus Ypern, der auch in Florenz gewesen war. Der Bau ist dreischiffig, doch sind die Seitenschiffe mit doppelten Galerien ausgefüllt, durch die allein Licht ins Mittelschiff fällt, das ohne Chorausscheidung in einer Apsis endet. Somit ist ein schlanker, hoher Einheitsraum entstanden, der eine möglichst große Zahl von Teilnehmenden in bestimmter Ordnung zu einer Feier verbinden kann. Es ist das gleiche Wollen wie bei St. Michael in München, obwohl es hier in gänzlich anderer Form verwirklicht wird. Robyn geht aus von dem Typus der emporenumstandenen Schloßkapelle, seine stilistischen Voraussetzungen aber verlangen eine streng antikische Ordnung der drei Geschosse, wie sie sein Vorbild Cornelis Floris am Rathaus von Antwerpen angebracht hatte? Die Residenz des Fürstbischofs ist die Festung Marienberg.3 Sie erhält durch ihn ihr heutiges Aussehen, sie wird zum Fürstenschloß. Nach früheren, wohl von Robyn beratenen Bauten wird nach einem Brand i. J. 1600 der Nürnberger Jakob Wolff d. Ä. mehrmals nach Würzburg erbeten. Auch Wendel Dietrich (HB Π 921) und Josef Haintz (s. u. 1215) werden konsultiert. 1607 ist der Neubau vollendet, der mit mancherlei Beeinträchtigungen auf uns gekommen ist und zu einer regelmäßigen Vier1 Bruhns (s. oben) 114-117; Μ. H. v. Frbeden, Zum Leben u. Werk d. Baumeisters G. Robin (ZKG 11) 1943/44, 28-43; P. A. Riedl, Die Heidelberger Jesuitenkirche u. d. Hallenkirchen d. 17. u. 18. Jhs. in Süddeutschland, 1956,121 f.

2 Die Gewölbe der Kirche waren in gotischer Art mit reichem Rippenwerk geschmückt. 3 Freeden-Engel (s. o.) 5-61.

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flügelanlage mit Ecktürmen geworden war. Das Schloß Rimpar hatte Echter 1593 erworben und ließ darin zwei Säle mit reichen Stukkaturen schmücken. Die prächtigen Portale weisen in ihrem niederländischen Klassizismus auf Robyn als Architekten. Julius Echter bestimmte auch das Bild des kirchlichen Bauwesens in seinem ganzen Territorium. Eine Liste der bis zum Jahr 1610 vom Bischof unmittelbar bezuschußten Bauten zählt 398 Nummern.1 Ein Hauptwerk ist die Wallfahrtskirche Dettelbach, die der welsche Baumeister Lazaro Augustino1 1610-13 erbaute. Allerdings werden die gotischen Wölbungen und die Ziergiebel einheimischen Steinmetzen übertragen. Der Bau läßt die Charakteristika der kirchlichen Bauten der Echterzeit ablesen: Glatte Wände bilden einen verputzten, ungegliederten Kubus, darauf sind große, prachtvolle Ziergiebel gesetzt, die mit Beschlägwerk und Obelisken geschmückt sind. Ebenfalls manieristisch im Sinne des niederländischen Klassizismus sind die Portalrahmungen mit Säulen und Figuren, während die Gewölbe und die Fenstermaßwerke reiche, ganz ornamental empfundene gotische Formen zeigen. Altäre und Kanzeln entsprechen wieder dem Zeitstil. Die Echterbauten leben vom Kontrast, Giebel und Portale sind unverbunden den Baukörpem hinzugefügt, sie sollen Aufmerksamkeiten erregen und anziehen. Die gotischen Formen sind als die schlechthin sakralen gewählt, wie sie auch in den katholischen Gebieten am Rhein, zu denen Würzburg kunstgeschichtlich damals mehr Beziehungen hatte als zum katholischen Süddeutschland, noch als solche galten. Das Miteinander zweier Komponenten aber ist doch so fest geprägt, daß man mit einigem Recht vom «Juliusstil»1*34sprechen kann. Als reizvolles Beispiel soll noch die Kartäuserkirche Astheim (1603-06) genannt werden, in der noch der Lettner mit gotisierender Brüstung das Raumbild bereichert. Der Kurfürst von Mainz Johann Schweickart von Kronberg ließ 1607-16 durch den Straßburger Georg Ridinger das Residenzschloß in Aschaffenburg * neu erbauen. Noch wesentlich einheitlicher als Marienberg - nur ein mittelalterlicher Turm wurde einbezogen - zeigt die Anlage auch architektonisch eine andere Gesinnung. Ridinger stellt an die Ecken der quadratischen Anlage vier gewaltige Türme, die in Höhe und Flucht entscheidend über die Flügel hinausragen, er betont die Mitte der Trakte durch Giebel, gliedert den Bau durch Gesimse und Rahmungen. So ist das Schloß ein Bauwerk, das in einer einheitlichen architektonischen Konzeption durchgedacht ist und ein Zeichen der Macht, vor allem auch in seiner exponierten Lage über dem Main. Ridingers Formenschatz ist von den Niederlanden her gespeist,1 sein Aschaffenburger Werk aber ist eine selbständige, bedeutende Leistung. Die Jesuitenkirche in Aschaffenburg,6 die 1619-21 entstand, ist im Äußeren dem in Franken üblichen Kirchenstil angepaßt, im Innern jedoch ist sie ein Barockbau römischer Her1 Ebd. 62-94. 1 A. Μ. Zbndralli, I Magistri Grigioni.Poschiavo, 1938, 66. 3 Zum Problem des «Juliusstils» s. Bruhns, Bildhauer (s. o. 74$ Anm. 1) ioj-no u. Freedbn-Engel (s. o. 7ji) 5-9,32 f.; E. Kirschbäum, Deutsche Nachgotik, 1930. 4 J. Baum, Forsch, über d. Hauptwerke d.

Baumeisters Heinr. Schickhardt... sowie über d. Schlösser in Weikersheim u. Aschaffenburg, 1916, 97-112. 5 Vgl. die Giebel am Rathaus zu Leiden von Lievens de Key 1597. 6 J. Braun, Die Kirchenbauten d. deutschen Jesuiten I, 1908, 191-199.

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kunft, der erste in Franken. Nur flache Kapellen sind dem steilproportionierten Einheitsraum angeschlossen. Vermutlich hat der Rektor der Niederlassung, P. Johann Reinhard Ziegler, die Pläne zu dem bei aller Modernität doch etwas unbeholfenen Raum gegeben, der mit Stukkaturen (von Eberhard Fischer) ausgeschmückt wurde. Der Fürstbischof von Eichstätt, Johann Konrad v. Gemmingen, wollte wie in Würzbürg das Bergschloß, die Willibaldsburg,1 als modernes Fürstenschloß neu erbauen. Der 1609 begonnene Bau, den Elias Holl (s. u. 1214)12 entwarf und Hans Albertal (s. u. 1216) ausführte, wurde nie vollendet und stark verwüstet. Die weithin herrsehende Frontseite über dem Bergspom mit ihren wie in Aschaffenburg herausgelösten Ecktürmen, die ehemals mit Kuppeln gekrönt waren, ist bei viel zurückhaltenderen Zierformen Ridingers Schöpfung an Aussagekraft gleich. Der Innenhof ist mit kraftvollen Arkaden versehen. Die Jesuitenkirche in Eichstätt entstand 1617-20 als ein weiterer Bau der Nachfolge von St. Michael in München. Als Baumeister wird der Jesuitenbruder Jakob Kurrer (1585-1647)3*genannt, der aber als Planfertiger kaum in Frage kommt. Es handelt sich um einen Einheitsraum von klassischer Würde und Mächtigkeit, der ähnlich wie Dillingen, aber in strengerer Weise, Leitbild der barokken Gemeindekirche wird. Ein schlichterer Bau ist die Kirche St. Walburg in Eichstätt (1629-31), als deren Baumeister der Graubündner Martin Barbieri (1583-1633) * belegt ist. Neben der Residenz der Bamberger Fürstbischöfe wurde durch Johann Philipp v. Gebsattel 1604 ein neuer Trakt geschaffen,5 der Kembau der heutigen Residenz. Jakob Wolff d. Ä. führte diesen ernsten, mit Hofarkaden ausgestatteten Bau. Das kirchliche Bauwesen tritt gegenüber der Aktivität Würzburgs zurück. Giovanni Bonalino,6 ein Graubündner, baut 1628 den neuen Chor von St. Stephan in Bamberg. Lazaro Augustino (s. o. 752) erneuert 1610 gotisierend das Langhaus von St. Michael in Bamberg’ und erbaut 1610-18 die Wallfahrtskapelle auf dem Gügel, die wie der Chor von St. Stephan gotische mit klassischen Formen mischt. Im Herzogtum Coburg setzt Johann Casimir (1586-1633)’ die Bautätigkeit an der Ehrenburg fort. Der Straßburger Michael Frey erweitert und bereichert 1589-95 den bestehenden Bau, 1623-27 fügt Giovanni Bonalino den Altanenbau hinzu, ein sehr südliches Bauwerk - offene Arkaden, flaches Dach das nur verändert erhalten ist. Der Hauptarchitekt Coburgs ist Peter Sengelaub (1558-1622), dessen drei große Werke, 1 E. Mager, Beitr. zu Baugesch. u. Ikonographie d. Willibaldsburg I (Sbl. d. Hist. Ver. Eichstätt 60) 1962/64, 54-65. 2 Auch Jakob Wolff d. J. wird zugezogen. 5 P. Felder, Die Hofkirche St. Leodegar u. Mauritius in Luzern, 1958, 35-40; D. Kessler, Der Dillinger Baumeister Hans Alberthal (JHVD 51) 1945/49, 90-95 nimmt Bauausführang durch Alberthal an; Matthias Kager als Entwerfer scheint nach der noch recht unsicheren Kenntnis von seinem architektonischen Werk (Augsburger Barock, 1968, 52-55) ebenfalls unwahrscheinlich. * Zendralli (s. o. 752 Anm. 3) 66. 48 HdBG III, r

5 H. Maye», Bamberger Residenzen, 1951, 65-71; P. Vieri, Der Stuck, 1969, 53 f. 6 Das Modell schuf Valentin Juncker. Zendralli (s. o. 752) 71 f.; J. Hotz, Die Pfarrkirche zu Neufang, ein Werk d. Baumeisters Giov. Bonalino (BHVB 101) 1965, 545-550. 7 L. Bauer, St. Michael zu Bamberg nach d. Brand v. 1610 (BHVB 106) 1970, 185-205; Messerer (s. u. 762) 493. ’ Herzog Johann Casimir v. Sachsen-Coburg 1564-1633, Ausstellung 1964; Μ. Gerhardt, Betrachtungen zu Bildnissen Herzog Johann Casimirs (Jb. d. Coburger Landesstiftung) 1965, 89-106 (Sengelaub als Maler).

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Kanzlei (!$9799‫)־‬, Gymnasium Casimirianum (1601) und Zeughaus (1616-21) das Stadtbild Coburgs prägen. Polygonerker und Ziergiebel, früher auch Wandmalereien des Malerarchitekten Sengelaub schmücken die Bauwerke, das Gymnasium ist am Eck mit einem Standbild des Stifters (1628 von Veit Dümpel) ausgezeichnet. Reiche Stukkaturen zieren die von Johann Casimir ausgebaute Kirche von Oeslau (1604). In Ansbach war seit 1563 der schwäbische Baumeister Blasius Berwart (j1590 ‫*)־‬ tätig. 1586 begann er mit dem Umbau des Schlosses, den Gideon Bacher aus Ulm seit 1591 fortführte (nur im Stich überliefert). Bacher baute ferner das Kanzleigebäude (1594) mit sieben Giebeln und Sgraffitoverzienmg und den Mittelturm der Gumbertuskirche (1594-97), der zwischen den beiden gotischen Türmen stehend sich an das Vorbild der Gotik hält und eine eindrucksvolle Dreiturmfassade schafft. Berwart und Bacher bauen 1588-1601 für den Markgrafen die Festung Wülzburg, eine moderne Anläge auf Fünfeckgrundriß von mächtiger Schlichtheit der zweckbestimmten Mauern. Die Reichsstadt Nürnberg erfreute sich immer noch einer gewissen Prosperität. So konnte privates und öffentliches Bauen mit wichtigen Leistungen hervortreten. Wie beim Tucherschlößchen werden am (zerstörten) Toplerhaus (1590-97), das auf engem Grundriß in gotisch anmutenden Proportionen erbaut ist, französische Formen ins Nümbergische eingebunden. Niederländischer Herkunft ist der Ziergiebel des um 1590 für einen Niederländer gebauten Fembohauses.1 Das großartigste Privathaus aber baute sich Martin Peiler3 1602-07 in beherrschender Lage am Egidienberg (bis auf Teile des Hofes zerstört). Baumeister war Jakob Wolff d. Ä. (um 1546-1612), * der aus Bamberg kommend 1596 Stadtmeister geworden war. Die mit Rustika, Balustern und Obelisken kräftig akzentuierte Giebelfassade steht in niederländischer Tradition, der Hof im Schema des Nürnberger Hauses ist beiderseits von Arkaden und Galerien eingefaßt. Hier kommen auch neben Beschlägwerk wieder gotische Ornamente vor. Von der reichen Ausstattung sind nur Teile erhalten (jetzt im Fembohaus). Bedeutsam war auch Wolffs 1596-98 nach einer Konstruktion von Peter Carl gebaute Fleischbrücke, weil sie in ihrer Einbogigkeit das Vorbild der Rialtobrücke vor Augen hatte. Wolff gab auch, wie Elias Holl, 1608 Pläne für das Schloß Schwarzenberg, das jedoch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wieder verändert wurde. Der Sohn, Jakob Wolff d.J. (wohl 1572-1620), hatte die Gelegenheit, auf einer zweijährigen Reise die europäische Baukunst kennenzulernen. Neben die in Franken vorherrschenden niederländischen, teilweise auch französischen Einflüsse tritt jetzt auch Italien. Das zeigt nach dem strengen, monumentalen Bau des Baumeisterhauses auf der Peunt (1615) Wolffs Hauptwerk, die Erweiterung des Nürnberger Rathauses (1616-22).’ Vor das mittelalterliche Bauwerk stellte Wolff eine Schauseite von 36 1 Bayer (s. o. 742) 29-50. 2 W. Schwemme», Das Fembohaus zu Nümberg. Altstadtmuseum, 196012. ’ R. Schaffe», Das Pellerhaus in Nürnberg [1934]; W. Tunk, Der Stilwandel um 1600 im Spiegel d. Entstehungsgesch. d. Nürnberger Peilerhauses (Kunstgesch. Stud., Festschr. D. Frey) 1943, 291-314.

* W. Schwemme», Jak. Wolff d. Ä. u. d. J. (Fränk. Lebensbilder 3) 1969, 194-213. ’ W. Tunk, Der Nürnberger Rathausbau d. Jakob Wolff d. J. (Zschr. d. Deutschen Ver. f. Kunstwiss. 9) 1942, $3-90.

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Fensterachsen, die durch drei Portale und drei pavillonartige Dachaufbauten akzentuiert ist. Im Innern öflhet sich ein Arkadenhof von regelmäßigem Grundriß. Die Anlehnung an römische Paläste der Hochrenaissance ist offenbar, dennoch ist der Bau von herberer Art und fügt sich so Nümbergischer Tradition ein. Die Innenausstattung des Baues war reich, besonders waren die Deckenstukkaturen (von Hans u. Heinrich Kuhn aus Weikersheim) beachtlich. Der Rat hat in diesem Bau, der unvollendet eingestellt werden mußte, zum letzten Mal in reichsstädtischer Zeit ein großes Werk unternommen. Das Bauwerk sammelt eklektisch verschiedene Stiltraditionen zu einem Ganzen, es gab ihnen einen klassizistischen Rahmen, der Macht und Selbstbewußtsein der Reichsstadt anschaubar machte.1 Der Bautätigkeit der Fürsten und Reichsstädte entspricht auch eine regen Lebens auf dem Lande, wobei sich die politische Differenzierung bemerkbar macht. Auch kleine Städte, ja sogar Dörfer, können an den Bau eines Rathauses denken, wobei am Untermain die Charakteristika des «Juliusstils», schmuckreiche Giebel und Portale, gelten. Der Steinmetz Michael Imkeller baut die Rathäuser in Lohr (1601) und Rothenfels am Main (1598),12 Sulzfeld (1609) und Grettstadt (1590) sind besonders reizvolle Beispiele dörflicher Rathäuser. Für das städtische Fachwerkhaus ist das Deutsche Haus in Dinkelsbühl (um 1600) ein prächtiges Beispiel, für den Schloßbau kleinerer Dynasten sei das einfache Schloß Pappenheim (1608) genannt. Bin sehr eigenartiger protestantischer Kirchenbau steht im ehemals eisenachischen Ostheim vor der Rhön (1615-19). Die gotische Halle ist in manieristische, aus den Niederlanden übemommene Formen übersetzt, auf das Holzgewölbe malt Nikolaus Storant aus Meiningen eine frühmittelalterlich anmutende Komposition.3 Die Plastik erhält durch die aufblühende Bautätigkeit dieser Bpoche viele Aufgaben des dekorativen und figürlichen Schmuckes. Daneben bleibt die Grabmalkunst wichtig. Auch die Aufträge Julius Echters Hegen auf beiden Gebieten. Neben den älteren Meistem sind es nun Niederländer, die nach Würzburg gerufen werden und die wesentlichen Aufträge erhalten. Der Architekt Georg Robyn bringt seinen Bruder Johann und seinen Neffen Peter Osten aus Ypern mit. Johann Robyns4 Werk war der bis ans Gewölbe reichende Alabasteraltar der Würzburger Universitätskirche (1583 bis 1587), dann das Hochgrab des Bischofs und die Kanzel ebenda. All dies ist spurlos verschwunden. Aus seiner Herkunft aus dem Kreis des niederländischen Romanisten Cornelis Floris schließend, dürfte das aufwendige Zobelsche Epitaph in der Franziskanerkirche zu Würzburg (1589) von ihm konzipiert sein. Peter Osten1 schuf den ebenfalls verlorenen Altar für das Juliusspital und 1576-77 das Epitaph des Sebastian Echter im Würzburger Dom, ein hervorragendes Werk des niederländischen Manierismus auf deutschem Boden. Das zweimalige Darstellen des Verstorbenen, einmal noch lebend, dann als Leiche kommt auch von dort. Osten, dessen Hauptwerk das 1 Über den bedeutsamen Regensburger Kirchenbau des Nürnberger Architekten Johann Carl (1587-1665) s. HB II 923. 2 A. Bayer, Der Steinmetz Μ. Imkeller, 1960. 48·

3 Abb. i. Ber. LfD 22, 1963, 63 f. (A. Ress) ♦ Bruhns (s. o. 745, Anm. 1) 140-165. 3 Ebd. 120-139.

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Landgrafenepitaph in Darmstadt ist, erweist sich als «vielleicht der feinste und phantasievollste Omamentiker des ganzen Floriskreises» (Bruhns). Daneben aber wachsen nun auch Bildhauer in Franken heran, die in der Lage sind, mit der Formenwelt des internationalen Manierismus zu spielen und phantasie- und qualitätvolle Arbeiten zu liefern. An erster Stelle ist hier JohannesJuncker (1582- nach 1623)1 in Aschaffenburg zu nennen. Eine große Fülle von Werken, zum Teil von außerordentlicher Qualität, entstanden im Dienste des Mainzer Kurfürsten und des Aschaffenburger Stifts. Sein Material ist der Stein, oft in verschiedenen Farben angewandt, der lichte Alabaster bevorzugt. Die Kanzel der Stiftskirche (um 1602) zeigt ihn bereits völlig sicher in der goldschmiedehaft feinen Durcharbeitung eines höchst vielteiligen Ganzen. Triumphierender Höhepunkt der Plastik seiner Zeit sind Altar (gg. 1614) und Kanzel (1618) der Aschaffenburger Schloßkapelle, von der Fülle an Figuren und Reliefs wird deren Architektur überflutet, die Figuren (Alabaster) sind von höchster Leidenschaft bewegt, sind, obwohl von kräftiger Körperlichkeit, doch ganz Teil einer flimmernden Bewegung, vergessen sich in verzückter Hingabe. Der ungeheure Bedarf Frankens an gediegener Steinarbeit ließ neben vielen anderen auch die Werkstatt Michael Kems * (1580-1649) gedeihen. Kems Heimat- und HauptWohnsitz war Forchtenberg in Württembergisch-Franken, lange Jahre aber arbeitete er in Würzburg, wo er - obwohl evangelisch - Bürger und Ratsbildhauer war. In Würzburg war er vor allem durch die Kanzel des Domes (1609) bekannt geworden. Nach den Epitaphien für die Bamberger Bischöfe Neidhart von Thüngen und Johann Philipp v. Gebsattel (beide 1611, in St. Michael) und den Würzburger Johann Gottfried v. Aschhausen (f 1622) sind es seine Arbeiten für die Wallfahrtskirche Dettelbach, die ihn in die Kunstgeschichte der Juliuszeit einbinden. Das Portal (1612/13) ist ein szenenreiches Repräsentationsstück, derb, aber höchst wirksam angelegt. Die Kanzel (1626), der das Thema der Wurzel Jesse zugrundeliegt, ist ein Schaustück höchsten Aufwands, in dem der Figurenreichtum alles überwuchert. Sonst ist Kems Stil strenger und architektonisch gebunden, ein gewisser Klassizismus bindet ihn an die Renaissance, besonders im Ornament leistet er Hervorragendes. Während Michael Kem im Rahmen der fränkischen Niederländemachfolge bleibt, schreitet sein Bruder Leonhard3 (1588-1662) entschieden zum Barock hin; Italien war ihm bekannt. Der in Schwäbisch-Hall ansässige Bildhauer, der sehr viel Kleinplastik schuf, ist hier wegen der Figuren auf den beiden seitlichen Nürnberger Rathausportalen zu nennen (1617). Sie gehören in ihrer kraftvollen Körperlichkeit zum Bedeutendsten der Zeit; es ist ein neuer Stil, der sich in ihnen ankündigt. 1 Ebd. 235-304. Sein Bruder Zacharias Juncker (f 1665) war in Miltenberg und Würzbürg ansässig. Seine zahlreichen tüchtigen Werke s. ebd. 305-353; E. Markert, Zwei Kunstwerke aus d. Würzb. Kartause Engelgarten (Mainfr. Jb. 7) 1955, 246-259; R. Vierengbl, Neue archiv. Funde z. Biographie d. Bildhauerfamilie Juncker (Aschaffenb. Jb. 3) 1956, 249-258. Über den Vater Michael s. Μ. H. v. Freeden, Der große Kamin in Weikersheim,

ein Werk Michael Junckers (Mainfr. Jb. 2) 1950, 139-145· 2 G. Gradmann, Die Monumentalwerke d. Bildhauerfamilie Kem, 1917; Bruhns (s. o. 745, Anm. 1) 384-426; B. Reuter, Μ. Kems Maria Magdalenen-Altar in d. Klosterkirche zu Bronnbach (Mainfr. Jb. 6) 1954, 242-246. ‫ נ‬E. Grüninger, L. Kem, 1969; L. L. Mölleb, Zur Frühzeit Leonhard Kems (Pantheon 28) 1970, 32-45·

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Der Bildhauer Georg Brenck von Windsheim (1564-1635)1 nebst seinem gleichnamigen Sohn (♦ 1593) arbeitet hauptsächlich in Holz. Seine mit Reliefbildem versehenen Hochaltäre von Ochsenfurt (1612, nur Teile erhalten)12*und Frickenhausen (1617) sind fast die einzigen, die heute noch diese in Altbayem und Schwaben damals so beliebte Gattung in Franken vertreten. In Oberfranken und im Nürnberger Gebiet hatte der Nürnberger Bildhauer Hans Werner (nach 1550-1623)’ die meisten Aufträge im Gebiet des repräsentativen Grabmals. Viel in und für Bamberg tätig (Epitaph Bischof Emst v. Mengersdorf, 1592-96), arbeitet er auch für die Markgrafen. Auf der Plassenburg ist sein monumentalstes Werk, das Christianstor (1607),4*mit einem aus dem oberen Bogen heraussprengenden Reiterstandbild des Markgrafen. Werners Schwiegersohn Veit Dümpel (f 163 3)’ hat sich durch den Bemhardsaltar in Kloster Ebrach (1622-26), eine vielteilige Anlage mit zahlreichen Alabasterfiguren, als ein feinsinniger, besonders auch in der Figurenbildung ausgezeichneter Bildhauer erwiesen. Völlig anderer Art ist der Bronzekruzifixus vom Jahr 1625 am Westchor von St. Sebald in Nürnberg. Der Bildhauer des von Johann Wurzelbauer gegossenen Werks nimmt in der lastenden Schwere der Formen Barockes voraus.6 Das größte Epitaphwerk, das diese Zeit in Franken und wohl auch weit darüber hinaus hervorgebracht hat, ist das retabelartig im Chor der Morizkirche Coburg aufgestellte Prunkgrab des Herzogs Johann Friedrich Π. Nikolaus Bergner aus Pößneck (j* 1610)7 schuf 1595-1598 dieses bei aller bunten Monstrosität doch im Sinne des niederländischen Klassizismus klar aufgebaute Werk mit seinen realistischen, eindrucksvollen Porträts. Abraham Graß (um 1592-1633),8 ein Schlesier, tritt 1618 im Nürnberger Rathaus mit Reliefs an Prachtkaminen hervor. Er hatte in Antwerpen und vielleicht auch in München gelernt. Dies zeigt sein Hauptwerk, das Hochgrab des Markgrafen Joachim Emst (1625-33) in Heilsbronn. Der Realismus der liegenden Figur des Toten und die nach dem Vorbild Hendrik de Keysers in Delft zu seinen Häupten fliegende Fama weisen voraus auf den Barock. Für die Bildkünste ist dies keine Epoche mächtiger, neuschöpfender Kraft. Die Zeit steht unter dem starken Eindruck der Kirnst der Vergangenheit und flieht dämm leicht zu einer klassischen Form, wird klassizistisch. Das gilt besonders für das Vorbild Albrecht Dürer. Ganz Deutschland erlebt um 1600 eine erneute Hinwendung zu Dürer, als dem Ideal einer klassischen Zeit.1* In Nürnberg, wo in den Kabinetten der 1 Bruhns (s. o. 745, Anm. 1) 427-446; W. Funk, Die Bildschnitzerfamilie Brenck aus Windsheim, 1938. 2 Vom selben Bildhauer wie die Ochsenfurter Reliefs stammt der geschnitzte Flügelaltar in Breitensee 1598. Die vortreffliche Qualität ist den anderen Werken der Brencks weit überlegen. 2 Sttzmann (s. o. 741) 572-575. Nach Srrzmann ist der S. 749 genannte Hans von Wemding mit Werner identisch. 4 Mader (s. o. 747 Anm. 1) 83-92. ’Bruhns (s. o. 745, Anm. 1) 376-383;

Sitzmann (s. o. 741) 123 f.; E. Zapf, Georg Dümpel, Steinmetz zu Altenstein (Jb. d. Cobürget Landesstiftung) 1956, 224-231. 6 Sollte es von Abr. Graß modelliert sein? 7 E. Schmidt, N. Bergner (Jb. d. Coburger Landesstiftung 11) 1966, 81-122. 8 Sitzmann (s. o. 741) 206-210. Der Innsbrucker Bronzebildhauer Caspar Gras war wohl sein Bruder. 9 H. Kautfmann, Dürer in d. Kunst u. im Kunsturteil um 1600 (Anz. d. German. Nationalmus. 1940-53) 1954, 18-60.

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Patrizier noch vieles von Dürer lag, entstanden zahlreiche Kopien und Nachahmungen (besonders von Hans Hoffmann, f 1591/92 in Prag).1 In diesem Zusammenhang gehört auch das Nachbilden historischer Stile in postumen Grabdenkmälern (Bamberg, Ebrach)? Die Malerei tritt gegenüber der Plastik in dieser Zeit zurück. Doch dürfte vieles an dekorativer Ausmalung entstanden sein, dessen Kenntnis uns zu einer gerechteren Würdigung fehlt. In Nürnberg3 vertritt der Porträtist Lorenz Strauch (1554-1630)4 die Solidität Nürnberger aber niederländisch umgeformter Tradition. Wie eine Sternschnuppe taucht in Nürnberg Johann Hertz (1599-1635) mit einem Johannesbild auf, das Caravaggios Lichteffekte in Nümbergische Genauigkeit überträgt. Von Pauljuvenels d. Ä. (1579-1643) Fassadenmalereien5 haben wir Entwürfe, protestantische Kirchenmalerei vertritt Johann Kreuzfelder (f 1577).6 In Bamberg ist der Hofmaier Wolf Fugkher mit einem respektablen, an Tizian angelehnten Hochaltarbild in der Gügelkapelle (1630) zu nennen. Die Würzburger Malerei vertritt Balthasar Katzenberger mit 69 frischen Szenen aus dem Jagdleben an der Decke des Saals im Schloß Weikersheim (1601/02)? In allen Sparten des Kunsthandwerks hat Nürnberg dagegen einen immer noch weithin herrschenden Rang. Der Goldschmied Christoph Jamnitzer (1563-1618),’ ein Sohn Wenzels, führt die Kunst des Vaters in klassischere Strenge fort. Er ist als Zeichner und Omamentist genial und phantasievoll. Hans Petzolt (1551-1633)10 ist der bedeutendste Vertreter, der auch in den Geräteformen jetzt aufkommenden ersten Neugotik. Nürnberger Spezialitäten hohen Kunsthandwerks sind auch Edelzinn und Glasschnitt," Medailleure und Wachs- u. Tonbossierer12 halten die überkommene Qualitätshöhe. Fayence-Hausmaler und die für die Grabmäler unentbehrlichen Rotgießer liefern ihre Erzeugnisse weit über Nürnberg hinaus. Mit Augsburg ist Nüm« K. Pilz, H. Hoffmann (MVGN 51) 1962, 236-272. 2 W. Lotz, Historismus in d. Sepulkralplastik um 1600 (Anz. d. Germ. Nationalmus. 1940/53) 1954, 61-86. Gotisierend auch die Glocken von St. Michael in Bamberg 1613/14 (Abb. 4-5 bei Bauer, s. o. 753, Anm. 7). 5 Barock in Nürnberg, 1962, 38-55 (Lit.: 26-28). 4 H. Mahn, L. u. G. Strauch, 1927; G. Schiedlausky, Beitrr. z. Werk d. Gg. Strauch (Festschr. P. Metz) 1965, 366-378. 5 F. T. Schulz, Beitrr. z. Gesch. d. Außenmalerei in Nürnberg (Anz. d. Germ. Nationalmus.) 1911, 106-140; Μ. Baur-Hhnhold, Süddeutsche Fassadenmalerei, 1952, 32-34. 6 Über eine protestantische Bildgattung s. Μ. Meyer, Das Konfessionsbild in d. Andreaskirche zu Weißenburg (Uuizinburc-Weißenbürg 867-1967) 1967, 73-80. Das Weißenburger Bild ist 1606 von Wolf Hoffmann gemalt. 7 W. Μ. Brod, Fischfang u. Wasseijagd zu

Anf. d. 17. Jhs. (Mainfr. Jb. 21) 1969, 363-366. Auch die Malereien in der Kassettendecke der Klosterkirche Himmelspforten dürften vom selben Maler stammen. • Zu allem reiche Belege in: Barock in Nürnberg, 1962. ’ K. Pechstein, Eine unbek. Entwurfsskizze f. eine Goldschmiedeplastik v. C. Jamnitzer (ZKG 31) 1968, 314-321. 10 E. Böhm, H. Petzolt ein deutscher Goldschmied, 1939. 11 E. Meyer-Heisig, Der Nürnberger Glasschnitt im 17. Jh., 1963; A. v. Saldern, Unbekannte Gläser v. J. W. Schmidt, F. Winter u. F. Gondelach (Anz. d. German. Nationalmus.) 1970, 103-117. 12 G. v. Bezold, Der Nürnberger Wachsbonierer Georg Holdermann (Mitt. d. Germ. Nationalmus.) 1913, 1-12; R. Franz, Die Kachel «Christus am Olberg» von Georg III Vest. .. (Jb. d. Kunsthist. Just. d. Univ. Graz 2) 1966/67, 85-91.

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berg die führende Kunststadt Süddeutschlands, erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts beginnt ihr Niedergang. £ines der schönsten Werke hoher Schreinerkunst ist das Intarsienzimmer des Herzogs Johann Casimir auf der Veste Coburg (1632),’ zugleich auch das letzte seiner Art. Johann Casimir war selber - unter Leitung des geschickten Markus Haiden - als Elfenbeindrechsler tätig? Die Vielfältigkeit der politischen Landschaft in Franken spiegelt sich in dieser Epoche besonders stark in der Kunst. Mittelalterliche Tradition, die Auswirkungen der italienischen Renaissance, die über die Niederlande, Frankreich oder unmittelbar wirksam werden, durchkreuzen sich. Eichstätt ist Teil der altbayerisch-schwäbischen Kunstlandschaft. Im restlichen Franken aber ist zwischen katholischen und evangelisehen Herrschaften wenig Unterschied, die Künstler arbeiten hüben und drüben. Überall ist der Einfluß der Niederlande vorherrschend. Nürnberg bleibt in seiner konservativen Art und Strenge deutlich eine eigene Kunstprovinz und wahrt seine Traditionen.

d) Hochbarock (ca. 1640-1700) HB Π 930; Barock in Nürnberg, 1962; F. Kempteb, Würzburger Bildhauer 1650-1700, Diss. Masch. Frankfurt 1925; Μ. Kiuegba, Die Ansbacher Hofmaler d. 17. u. 18. Jhs. (Jb. Mir. 83) 1966.

Der Neubeginn des Bauwesens in Würzburg nach dem Dreißigjährigen Krieg lehnte sich zunächst an altertümliche Vorbilder an. Der Rote Bau des Rathauses (1659/60 von Sebastian Villinger) und das Neutor der Festung (um 1650) zeigen zwar einige Anklänge an den Juliusstil, in der starken plastischen Durcharbeitung der Fassade mit Rustika und einem gewissen Klassizismus knüpfen sie aber eher an Bauten Jakob Wölfls d. Ä. an. Erst die Ankunft des italienischen Baumeisters Antonio Petrini3 im Jahr 1657 (f 1701) brachte den Durchbruch zum Barock, der nun unvermittelt in seiner reifen Form in Würzburg auftrat. Die Karmelitenkirche in Würzburg (1660-69) wurde nach dem Aschaffenburger Versuch die erste Barockkirche Frankens, eine durch die Ordensgewohnheit besonders schlichte Wandpfeilerkirche, deren Fassade aber stolz das Schema des römischen Frühbarock vorträgt. Das eigentliche Werk des triumphalen Barock aber wurde Petrinis Neubau der Stiftskirche Haug in Würzburg (1670-91). Eine Wandpfeilerkirche mit großem Querhaus, die Vierung von einer gewaltigen Kuppel, der ersten in Franken, bekrönt, dieser zwei Fassadentürme mit dreifachen Helmen antwortend, so steht der Bau in malerischer Vielfalt über den niedrigen Häusern. Vorwiegender Eindruck ist der der Schwere aller Teile, oft merkwürdig an romanische Architektur erinnernd. Petrinis Werk ist schließlich der Turmbau der Universitätskirche (1696), ein Bau von plastisch schwellender Kraft und 1 G. Thiem, Die «Homstube» d. Herzogs Johann Casimir v. Sachsen-Coburg (Jb. d. Coburger Landesstiftung) 1958, 75-92. 2 K. Aschbngheen-Piacenti, «Beschreibung eines v. Helffenbein gedrehten Kunststücks» ...

v. Markus Haiden 1640 (Anz. d. Germ. Nationalmus.) 1964, 82-98. 3 H. Muth, A. Petrini (Fränk. Lebensbilder 3) 1969, 214-224.

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höchst malerischer Lebendigkeit, der das nun barock werdende Stadtbild Würzburgs prägt. An diesem Stadtbild hat Petrini durch die Ausbildung des Typs einer vornehmen Stadthausfassade (z. B. Rosenbachhof am Residenzplatz) wesentlichen Anteil. Das Bistum Bamberg bekannte sich noch im Jahr des Westfälischen Friedens zumBarock. Die damals begonnene Neuausstattung des Domes orientierte den doppelchörigen Raum durch großartige Ausstattungsstücke auf den Ostchor hin und verband die Raumteile zu einem durchgehenden Ganzen. Große Barockbauten aber entstanden erst als 1677 Petrini mit dem Weiterbau der Stiftskirche St. Stephan beauftragt wurde. Vor allem die hochragende Fassade bezeugt den Barock, während die geplante Kuppel unausgeführt blieb. In einem Zug ist der große Neubau der Jesuitenkirche in Bamberg1 (heute St. Martin) geführt (1686-1693). Der Architekt, Georg Dientzenhofer (1643-89), war über Prag aus Altbayern gekommen (s. HB II934). Grundlage seiner Raumidee ist die Michaelskirche in München, doch wird sie in der Höhenentwicklung reduziert, ist stärker in der Körperhaftigkeit der Bauglieder. So ist der Raum kräftiger und schwerer geworden. Die Fassade zeigt ebenfalls eine Vorliebe für starke Kontraste durch vor- und rückspringende Bauteile; die noch an manieristische Architektur erinnernde Vielteiligkeit ist bereits überlagert von barocker Vereinheitlichung nach dem Schema der römischen Kirchenfassaden. Bauleiter und Vollender der Kirche war Georgs Bruder Leonhard Dientzenhofer (1660-1707), der 1690 bambergischer Hofbaumeister wurde. Jetzt beginnen die fränkischen Stifte großzügige neue Klosteranlagen zu bauen und bedienen sich seiner Hilfe. Kloster Ebrach1 beginnt 1686 mit einer auf regelmäßigem Raster geplanten Neuanlage, deren Abteiflügel mit einem zierliehen, aber etwas altmodischen Brker neben der gotischen Kirchenfassade anläuft. 1696 begann die Neuanlage des Konventbaus auf dem Michelsberg in Bamberg, der in der den nachgotischen Westtürmen der Kirche vorgeblendeten Barockfassade seinen Ausgangspunkt hat? Auch die Anlage des Klosters in Banz (1698)1 234 und in Schöntal an der Jagst (1678) ist von ihm. In Bamberg baut er weiter die Karmeliterkirche (1692-1707) mit einer strengen Barockfassade sowie die Neue Residenz des Fürstbischofs Lothar Franz v. Schönbom (1697-1705).’ Die zwei Flügel, die den Domplatz gegen Norden hin schließen und an den Gebsattelschen Neubau (s. o. 753) angefügt sind, entsprechen in ihrer Strenge der Umgebung des Domes. Das Ende des langen Ostflügels aber ist durch einen höheren Eckpavillon abgeschlossen und hat, wenn auch nur Teilstück einer großen Ehrenhofplanung, in dieser einmaligen Situation große städtebauliche Bedeutung. Leonhard Dientzenhofers Bauten sind alle von 1J. Braun, Die Kirchenbauten d. deutschen Jesuiten II, 1910, 293-305; Riedl (s. o. 751) 138-140. 2 D. Trepplin, Bau u. Ausstattung d. Klostets Ebrach im 17. u. 18. Jh., Diss. Würzburg 1937; dazu Μ. H. v. Freeden in ZKG 7, 1938, 78-82. 3 Messerer (s. u. 762) 493-501. 4 H. Mayer, EinKirchenbauprojektL. Dient-

zenhofers f. d. Kloster Banz (Das Münster 6) 1953. 89 f.; J. Hotz, Zur Baugesch. d. Klosters Banz (BHVB 103) 1967, 447-484. ’ H. Mayer, Bamberger Residenzen, 1951, 72-101; P. Vierl, Der Stuck. Aufbau u. Werdegang erläutert am Beispiel d. Neuen Residenz Bamberg, 1969; ferner: A. Bayer, Dientzenhofers Triesdorfer Schloßbau (Jb. Mir. 77) 1957. 153-158.

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einer nüchternen Großartigkeit, zeugen von einem sicheren Verständnis für die AnOrdnung großer Baumassen, geben den weiterbauenden Architekten die Möglichkeit zu sinnvoller Ergänzung. Die Ausstattung der Residenz geschah großen Teils im Zug der Bauführung, der prächtige, schwere Stuck stammt von dem aus Wessobrunn stammenden Bamberger Stukkator Johann Jakob Vogel,1 das perspektivische Kirnststück des Deckengemäldes in dem nur einen Stock hohen Kaisersaal von dem Tiroler Melchior Steidl (1707)? Von den markgräflichen Schlössern wurde das Alte Schloß in Bayreuth von Elias Gedeler 1676 zu einer großzügigen Ehrenhofanlage erweitert, die Charles Philippe Dieussart und Leonhard Dientzenhofer ab 1691 mit strengen Fassadengliederungen versahen. Nach Ansbach war 1679 der als Bautheoretiker bekannte Georg Andreas Böckler3 berufen worden, der eine Reihe von Wohnhäusern entwarf. Das wichtigste Unternehmen aber war die Anlage der Neustadt Erlangen für hugenottische Flüchtlinge 1686 durch den Bayreuther Markgrafen Christian Emst. Die von Johann Moritz Richter geplante Stadt sollte sich in regelmäßiger Rechteckform an die Achse der Landstraße anschließen. Diese Achse durchschneidet zwei Plätze, an deren einem die reformierte Kirche, am anderen das nicht ausgeführte Manufakturgebäude (später das Schloß) beherrschend sein sollten. Im rechtwinkligen Straßensystem galt Einheitlichkeit der zweigeschossigen traufseitigen Häuser, die durch die dreigeschossigen Eckhäuser in eine städtebauliche Ordnung zusammengefaßt wurden. Wichtigster Bau ist die reformierte Kirche (1686),♦ die, ursprünglich turmlos, als rechteckiger Saal mit einer eingebauten Galerie in polygonaler Ellipsenform der Schlichtheit des reformierten Gottesdienstes vollkommen entspricht. Diametral entgegengesetzt ist der Charakter der Schloßkirche in der Ehrenburg zu Coburg,1 die 1690-1701 durch Christian Richter aus Weimar im Rahmen einer Neugestaltung dieses Schlosses, dem eine große Ehrenhofanlage angefügt wurde, entstand. Die 1697-1701 entstandenen Stukkaturen der Brüder Bartolomeo und Carlo Domenico Luchese, die auch den von gigantischen Atlanten umstandenen Riesensaal schufen, sind von gewaltiger Kraft und barocker Fülle (s. HB II 934)· Im evangelischen Kirchenbau auf dem Lande sind schmuck- und bilderreiche Holzempören beliebt, besonders schön ist z. B. Regnitzlosau (1668/69).6 Es ist anzunehmen, daß diese Ausstattung auch in Stadtkirchen Frankens häufiger war. Auch der katholische Kirchenbau war weitgehend auf Innenumgestaltung im Barockstil gerichtet. Als Beispiel eines kleineren Baues sei die Spitalkirche in Eichstätt, die 1698 von dem Graubündner Jakob Engel (1631-1714)7 gebaut wurde, genannt. • Vierl (s. 0. 760). 2 A. Hebest, Zur Ikonologie d. barocken Kaisersaals (BHVB 106) 1970, 207-344. 3 Bayer (s. o. 742) 51-68. 4 H. Thiel, Stud. z. Entwicklungsgesetz d. Markgrafenkirchen, 1955, 19-22. 3 H. Brunner, Die Bautätigkeit an Schloß Ehrenburg unter Herzog Albrecht (Jb. d. Coburger Landesstiftung) 1958, 159-184; H.

Baier-Schröcke, Die Schloßkapelle d. Ehrenbürg zu Coburg, ihre Stilist. Herkunft u. ihre Stukkateure (ebd.) 1958, 185-202; Dies., Die Schloßkapellen d. Barock in Thüringen, 1962; Dies., Der Stuckdekor in Thüringen vom 16. bis z. 18. Jh., 1968, 33-36, 45. 6 Thiel (s. o. Anm. 4) 16. 7 Zbndralu (s. o. 752) 64 f. unter Angelini, dem eigentlichen Namen.

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Die Landschlösser werden mehr und mehr dem neuen Lebensstil und offener Bauweise angepaßt. Eine völlig einheitliche Barockanlage ist das vierseitige, an den Ecken mit Türmen versehene Schloß Sternberg im Grabfeld (1667-69). Architekt war der Kapuziner Matthias von Saarburg, von dem auch der bedeutende Schönbomhof in Aschaffenburg (um 1670) gebaut wurde. Die Grundform des Aschaffenburger Schlosses wird unter Weglassung des Zierats zu barocker Mächtigkeit gesteigert. Gegenüber dieser reifen Leistung wirkt Petrinis Lustschloß Seehof1 (1687-95 für den Bamberger Fürstbischof Marquard Schenk v. Stauffenberg gebaut) privater, da es trotz ähnlichem Grundriß und wuchtigerer Turmkuppeln (von Joh. Dientzenhofer) im Dekor kleinteiliger ist. Auf dem Gebiet der Plastik setzt das WerkJustus Gleskers (j1 2(1678 ‫ ־‬einen mächtigen Anfang des Barocks. Der Frankfurter, aus Hameln gebürtige Bildhauer, hat in den Altären des Bamberger Domes sein Hauptwerk geschaffen und diesen Raum barock geprägt. Er war auf der Wanderschaft um 1630/40 nach den Niederlanden und nach Rom gekommen, wo der flämische Bildhauer Duquesnoy ihn beeindruckte. 1648-50 schafft er für den Bamberger Dom die zwei Baldachinaltäre in den beiden Chören, die dem Tabernakel Berninis in St. Peter nachempfunden waren und wie dieser Bronzesäulen hatten, die Kreuzigungsgruppe und den ehemals frei auf einer hohen Säule3 stehenden Auferstandenen; diese beiden Werke waren an den Stufen zu den Chören aufgestellt. All dies wurde 1835 beseitigt, nur die Kreuzigungsgruppe kam wieder in den Dom zurück, der Auferstandene und vier Engel stehen im Diözesanmuseum. Mit dem für die Barockkunst so bedeutungsvollen Gedanken des Ziboriumsaltares brachte Glesker auch den römischen Hochbarock nach Deutschland. Seine Werke verbinden leidenschaftliche Erregung mit männlicher Beherrschtheit der Form. Eine solche Höhe und klassische Reife hat die deutsche Barockplastik nicht wieder erreicht. Der Nürnberger Georg Schweigger (1613-90)4 trat schon jung als hervorragender Kleinplastiker hervor, wobei er sich den Stil der Dürerzeit vollkommen aneignete. Er schuf auch große Kruzifixe, in denen Veit Stoßens Vorbilder in bedeutender Weise barock interpretiert werden.3 Sein Hauptwerk ist der für den Nürnberger Hauptmarkt bestimmte Neptunbrunnen, (1660-68) der in Bronze gegossen, aber wegen des 1 Μ. Kämpf, Das fürstbisch. Schloß Seehof b. Bamberg (BHVB 93/94) 1956, 25-254; W. Biebinger, Der Schloßgarten v. Seehof, seine Topographie u. Figurierung (ebd. 96) 1959, 171-205; G. Bott, Ein Plan d. Schloßgattens v. Schloß Seehof (Anz. d. Germ. Nationalmus.) 1966, 134-141. 2 Hebzog-Ress, Der Frankfurter Bildhauer Justus Glesker (Sehr. d. Hist. Mus. Frankfurt a. Μ. 10) 1962, 53-148; L. L. Möller, Eine Elfenbeinarbeit v. J. Glessckher? (Miscellanea pro Arte - H. Schnitzler ...) 1965, 252-56. 3 Dazu: W. Messerer, Historismus in d. Bamberger Kunst d. Barockzeit (Festschr. Μ. Spindler) 1969, 490 f.

4 Μ. Schuster, Gg. Schweigger, Diss. Wien 1965; H. R. Weihrauch, G. Schweigger (1613 bis 1690) u. sein Neptunbrunnen für Nürnberg (Anz. d. Germ. Nationaltnus. 1940/53) 1954, 87-142; Barock in Nürnberg, 1962, 117-120; L. L. Möller, Noch einmal: Gg. Schweiggers Gustav-Adolf-Darstellung v. 1633 (Opuscula in honorem C. Hemmarck) Stockholm 1966, 167-180. 3 C. T. Müller, Veit Stoß. Zur Geltung seiner Werke im 17. Jh. (Zschr. d. Deutschen Ver. f. Kunstwiss. 9) 1942, 191-202; Ders., Frühe Beispiele d. Retrospektive in d. deutsehen Plastik (SB München) 1961, 15-17.

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finanziellen Ruins der Stadt nicht mehr aufgestellt und schließlich 1797 für den Park in Peterhof verkauft wurde (in Nürnberg Kopie von 1902, 1934 in eine Anlage verbannt). Die figurenreiche Anlage zeigt mit den beiden Reitern auf Meerrössern und vor allem in der Gestalt Neptuns Werke von höchster Spannung und leidenschaftlicher Kraft. Schweigger, dessen Kunst wohl von der Abraham Graß’ ausging, hatte offenbar durch Studium der Bildhauerkunst des Rubenskreises seinen hochbarocken Stil gefunden, der deutlich aber auch Nümbergische Traditionen aufnimmt. Nach Schweigger entstand in Nürnberg nur noch Kleinplastik (der Medailleur Georg Pfründt 1603-63),1 noch ein Bronzekruzifix in der Art des Veit Stoß von dem Schweiggerschüler Jeremias Eißler (j1702 ‫־‬, Klosterkirche Salem) und die bescheidene Beminireminiszenz des Tritonbrunnens von Leonhard Bromig 1687. Bemerkenswert ist, daß auch beim Hochaltar der evangelischen Petrikirche Kulmbach von Johann Brenck (1604-74)1 2*schon früh barocke Formen auftreten. Der 1649-52 entstandene Altar ist eines jener figurenreichen Barockwerke, wie sie vor allem in den evangelisehen Kirchen Mitteldeutschlands zu Hause sind. In Bayreuth wirkt seit 1678 der Hofbildhauer £lias Räntz (1649-1732),’ der aus Regensburg stammte und in Dresden, Venedig und Rom den Hochbarock kennengelemt hatte. Hauptwerke sind der mit dem Reiterstandbild Christian Emsts gekrönte Brunnen in Bayreuth (1699-1705), der Hugenottenbrunnen (1705-06) und das Reiterdenkmal (ChristianEmsts?, 1711-12) in Erlangen. Kanzel und Altar der Kirche Pilgramsreuth (1694 u. 1710) zeigen wie sein von Bernini, Schlüter und Melchior Barthel beeinflußter Barockstil auch in die evangelische Kirche dringt. Sehr fein sind seine Grabsteine, wie der des toten Kindes in Neustadt am Kulm (1683). Prächtig-barocke, in geschnitzte Figuren auslaufende Rennschlitten der Zeit haben sich auf der Veste Coburg erhalten.4 Die zahlreichen Bildhauer im katholischen Bereich sind vorwiegend wegen ihres dekorativen Geschicks zu rühmen. Meister wie Johann Philipp Preis1 und Johann Kaspar Brandt6 in Würzburg, Christian Handschuher in Eichstätt sind bekannt, ohne daß ihre künstlerische Persönlichkeit schon klar sichtbar wäre. Jedenfalls entsteht durch sie das prachtvolle neue Barockgesicht der Kirchen. Die Altarbilder im Würzburger Bereich1 stammen weitgehend von zwei guten Antwerpener Malern, die sich um 1659 in Würzburg ansässig machten: Oswald Onghers (1628-1706)8 und Johann Baptist de Ruel (1634-85).’ Sie bringen die Farbigkeit, Bewegtheit und das Pathos des Rubens nach Franken und wirken weithin vor1 A. Bechtold, G. Pfründt, 1925; Μ. J. Liebmann, Eine Bildnisbüste Wladislaw IV. v. G. Pfründt (Pantheon 25) 1967, 171-175. 2 Funk (s. o. 757) 43-46; K. Sitzmann, Die Kulmbacher Bildhauerwerkstatt aus d. Zeit d. Frühbarock: J. Brenck u. H. G. Schlehendom (Plassenburg-Jb.) 1038, 28-52. ‫ נ‬K. Sitzmann, Der Bayreuther Hofbildhauer Elias Räntz, 1949; S. Sturm-Buschatzki, Der Bildhauer Elias Räntz, Diss. Masch. Erlangen 1944. 4 H. Maedebach, Die Caroussel- oder Renn-

schlitten in d. Kunstslgn. d. Veste Coburg (Jb. d. Coburger Landesstiftung) 1964, 59-86. 1 E. Mabkbbt, Ein Altarauftrag an J. P. Preis (Mainfr. Jb. 2) 1950, 358-363. 6 R. E. Kuhn, Würzburger Madonnen aus Barock u. Rokoko, 1949, 11-18. 7 A. Hausladen, Die kirchl. Malerei am fürstb. Hof Würzburg im 17. Jh., Diss. München 1918. 8 E. Kainz, O. Onghers, 1913. ’ Μ. Wulff, Rüll, ein Barockmaler, 1930.

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bildlich. In Nürnberg erhalten die dort gepflegten Fächer der Malerei1 eine wichtige Stütze durch die Gründung der Akademie 1662? Sie war auf Anregung Joachim v. Sandrarts1234*entstanden, sein Nefie Jakob leitete sie. Joachim, eine der internationalen Malerpersönlichkeiten des siebzehnten Jahrhunderts (HB II 937 u. ΙΠ 1222), hatte 1649 in Nürnberg das Festbankett aus Anlaß der Friedensverhandlungen in einem riesigen, dem holländischen Gruppenbild verpflichteten Gemälde festgehalten. Von 1674 bis zu seinem Tode 1688 bleibt er ganz in dieser Stadt und bringt mm seine theoretischen Werke, die erste umfassende Darstellung von Kunstlehre und Kunstgeschichte in deutscher Sprache, in Druck. Der wichtigste Porträtist war Daniel Preisler♦ aus Prag (1627-65), dessen Selbstbildnis mit Familie ein wichtiges Zeugnis für das Menschenbild im siebzehntenJahrhundert ist. Spezialisierung ist das Los der meisten. Wilhelm van Bemmel (1630-1708) ist Landschafter, Benjamin v. Block1 Porträtist, Johann Schaper Glasmaler,6 Maria Sybilla Merian7 ragt unter den naturwissenschaftlichen Illustratoren hervor. Auch die Popularisierung des Barock durch Druckgraphik war in Nürnberg zu Hause, besonders im Kunstverlag der Christoph Weigel oder Paulus Fürst?

e) Spätbarock (ca. 1700-1740) HB Π 940; R. Kömstedt, Von Bauten u. Baumeistern d. fränk Barocks, 1963; Quellen z. Gesch. d. Barocks in Franken unter d. Einfluß d. Hauses Schönbom I: Die Zeit d. Erzbischofs Lothar Franz u. d. Bischofs Johann Philipp Franz v. Schönbom 1693-1729, 1931/55; Μ. H. v. Fbbeden, Würzburgs Residenz u. Fürstenhof z. Schönbomzeit, 1948; J. F. Abert, Vom Mäzenatentum d. Schönbom, 1950; Schönbomschlösser. Die Stichwerke Salomons Kleiners ... aufs neue hg. v. K. Lohmeyer, 1927; A. Stählin, Fürstlicher Barock in Franken. Kulturelles Leben d. Barockzeitalters in d. Markgraftümem Ansbach u. Bayreuth, 1968.

Die Jahre von 1693 bis 1746 sehen Mitglieder des Hauses Schönborn, Lothar Franz (1693-1729 in Bamberg) und seine beiden Neffen Johann Philipp Franz (1719-24 in Würzburg) und Friedrich Karl (1729-46 in Würzburg und Bamberg) auf den fränkischen Bischofsthronen. Ihre Kunstschöpfungen haben das Bild Frankens geformt. Wenn auch noch andere Bauherrn tätig waren, so ist doch die Kunst der Schönbom in ihrer Qualität, Breite und Femwirkung unvergleichbar. Fränkische Kunst erhielt in dieser Zeit eine führende Stellung im Reich, unterstützt durch die Tatsache, daß Lothar Franz und seine Neffen auch die Stifte Mainz, Trier, Worms, 1 Barock in Nürnberg, 1962, 33-109. 2 G. Schrötter, Die Nürnberger Malerakademie u. Zeichenschule im Zusammenhang m. d. Kunstleben d. Reichsstadt v. d. Μ. d. 17. Jhs. bis 1821, 1908. 3 L. Grote,J. v. Sandrart u. Nürnberg (Barock in Nürnberg) 1962, 10-21. 4 F. F. Lettschuh, Die Familie Preisler u. Markus Tuscher, 1886; H. Röttgen, Ein barockes Bild ▼. Vergänglichkeit u. Hoffnung. Zum Selbstbildnis D. Preißler u. seine Familie (Das Münster 15) 1962, 48 f.

1 Μ. Krieger, Benjamin v. Block (1631 bis 1689) (Jb. Mfr. 85) 1970, 77-103. 6 Th. Hampe, Urkundliches über d. Glasmaler J. Schaper (Anz. d. Germ. Nationalmus.) 1914/15, 128-132. 7 E. Rücker, Μ. S. Merian 1647-1717,1967; Dies., Μ. S. Merian (Fränk. Lebensbilder 1) 1967, 221-254. 8 Th. Hampe, Paulus Fürst u. sein Kunstverlag (Anz. d. German. Nationalmus.) 1914/15, 1-127; 1920/21, 137-170.

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Speyer, Konstanz und Ellwangen regierten. Die Darstellung dieser Auswirkungen ist in diesem Rahmen nicht möglich, sie beschränkt sich auf das heutige Franken. Lothar Franzens Persönlichkeit war universal.1 Er war nicht nur Kunstfreund, er sammelte auch eine bedeutende Bibliothek, seine Interessen und Absichten lassen sich in den erhaltenen Korrespondenzen in seltener Klarheit lesen. Vielgereist und belesen wie er war, war seine Leidenschaft Bauherr zu sein von hoher Kennerschaft gesteuert. Schon als Domherr begann er mit dem Ausbau des ererbten Schlosses Gaibach (durch Leonhard Dientzenhofer), bei dem er auch einen von ihm hochgeliebten Garten französischen Stils anlegen ließ, der zweimal in Stichwerken publiziert Wurde. Das Schloß Weißenstein ob Pommersfelden2 aber sollte zum Höhepunkt und Inbegriff der Kunstliebe Lothar Franz’ werden. 1711 begann der Bau auf einem neuen und freien Terrain, nachdem man zuerst den Umbau des alten, im Dorf gelegenen Schlosses versucht hatte. Lothar Franz wollte hier in allem Großes und Vollendetes schaffen. Es war ein Schloß, das in der Familie bleiben, das ihre Stellung im Reich befestigen und vor Augen führen sollte. Eine Zuwendung Kaiser Karls VI. an den Bauherrn, der 1711 die umstrittene Kaiserwahl geleitet hatte, gab die Möglichkeit. Lothar Franz hatte inzwischen den Bruder des 1707 verstorbenen Leonhard, Johann Dientzenhofer (1663-1726),3 der schon 1704-12 den Dom zu Fulda neuerbaut hatte, zu seinem Hofbaumeister ernannt und ihm Pommersfelden übertragen. Die Planungsgeschichte verläuft jedoch in ständiger Diskussion mit dem Bauherrn, der grundlegende gestalterische Ideen beiträgt und mit dem vom Neffen Friedrich Karl v. Schönbom in Wien zugezogenen Johann Lukas v. Hildebrandt (1668-1745),4 zum Teil auch mit Maximilian v. Welsch. Der trotz allem bruchlos erscheinende Bau darf als Invention des Bauherrn, der Dientzenhofer die durchgearbeitete Gestalt gab, angesehen werden, während Hildebrandt Flüssigkeit und Eleganz der Bauteile erreichte und Welschs Werk der vorgelagerte Marstall und der Garten ist.3 Das in erstaunlich kurzer Bauzeit 1718 vollendete Schloß ist in seiner Geschlossenheit und der Einheitlichkeit der Ausstattung eines der bedeutendsten Barockschlösser geworden, die klare Konzeption des Bauherrn ist bis ins Detail spürbar. Kem des dreigeschossigen, in drei Flügeln den auf der anderen Seite vom gekurvten Marstall geschlossenen Ehrenhof umfangenden 1 Μ. H. v. Freeden, Kunst u. Künstler am Hofe d. Kurfürsten Lothar Franz v. Schönbom, 1949; Kurfürst Lothar Franz v. Schönbom, Gedächtnisausstellung 1955; W. Boll, Zur Gesch. d. Kunstbestrebungen d. Kurfürsten v. Mainz, Lothar Franz v. Schönbom (Neues Arch. f. d. Gesch. d. Stadt Heidelberg u. d. Kurpfalz 13) 1926,168-248; E. Berckenhagen, Kat. d. Ausstellung Barock in Deutschland Residenzen, 1966, 225-240; O. Meyer, Kurfürst Lothar Franz v. Schönbom inmitten d. Gesch. seiner Zeit u. s. Hauses, 1957; P. HirschFeld, Mäzene. Die Rolle d. Auftraggebers in d. Kunst, 1968,189-203; W. Wenzel, Die Gärten d. Lothar Franz v. Schönbom, Diss. Frankfurt 1966.

2 H. Kreisel, Das Schloß zu Pommersfelden, 1953; W. Schonath, Kat. d. Ausstellung 250 Jahre Schloß Pommersfelden, 1968; W. J. Hofmann, Schloß Pommersfelden. Gesch. seiner Entstehung, 1968 (dazu W. Einsingbach in Kunstchronik 23, 1970, 89-103). 3 W. GniY.Joh. Dientzenhofer, Diss. Masch. Münster 1952. 4 B. Grimschitz, J. L. v. Hildebrandt, 1959, 78-84· 3 J. Meintzschel, Studien zu Μ. v. Welsch, 1963, 119-128; W. Götz, Deutsche Marställe d. Barock, 1964, 46-48.

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Schlosses ist das im kräftig ausspringenden Mittelpavillon eingebaute Treppenhaus, wohl das großartigste des Barocks. Die in dem riesigen Raum zweiläufig aufsteigende Treppe,1 die Hildebrandt mit Galerien umgab, führt zum Marmorsaal, zur Galerie, die Lothar Franz in leidenschaftlichem Bemühen gesammelt hatte und die neben seinen Gemächern liegen mußte, und zu den Kaiserzimmem. Alle Räume sind mit Stuck und Fresken, mit kostbarstem Mobiliar und chinesischem und frühestem Meißner Porzellan12 fürstlich ausgestattet. Einheimische und von auswärts, vor allem von Wien, berufene Künstler aller Sparten dienten diesem Werk. Johann Dientzenhofer hat gleichzeitig (1710-19) noch ein zweites Meisterwerk geschaffen, die Kirche von Banz.3 In sicherer Erfassung der großartigen landschaftlichen Lage fügte er die Kirche dem von seinem Bruder gebauten Kloster an, eine Doppelturmfassade von weithin wirkender Kraft. Wesentlicher aber ist der Innenraum. Dientzenhofer versetzt Raum- und Gewölbeordnung gegeneinander, schräg geführte Gewölbegurte bilden Gewölbefelder, die die vom Grundriß her zu erwartenden überschneiden. So wird der Raum nicht mehr in einzelne Joche unterteilt, sondern alle Teile sind in einem Hin- und Widerfließen ineinander verkettet. Der Raum umfängt so den Menschen mit unwiderstehlicher Macht. Diese Gewölbeordnung hat Johann in seiner Jugend bei seinem Bruder Christoph in Prag kennengelemt, er gibt sie jedoch, wohl auch von seiner unmittelbaren Kenntnis Italiens her, dichter, prächtiger, geheimnisvoller. Johann Dientzenhofer hat ferner mehrere kleinere Schlösser gebaut, den Ebracher Amtshof in Burgwindheim mit ausspringenden Eckpavillons und das zweite Stadtpalais des Bamberger Diplomaten Böttinger («Konkordia», 1722), dessen hohe Eleganz der Fassadengliederung durch deren malerisches Heraussteigen aus dem Wasser der Regnitz betont wird. Das ältere Böttingerpalais in der Judengasse4 (1713), dessen Urheberschaft nicht gesichert ist, ist von ganz anderer Art. Mit seiner stark plastischen, phantasievollen Dekoration der Fassade erinnert es an Prager Paläste. In Würzburg regierte anfangs des Jahrhunderts der Bischof Johann Philipp v. Greiffenclau (1699-1719). 1701-03 ließ er den Dom, der 1608 gewölbt worden war, durch Pietro Magno aufs reichste mit figural und ornamental gleich qualitätvollem Stuck ausschmücken (nur in Chor und Querhaus erhalten).’ Eine Ausmalung sollte in 1 Lothar Franz schreibt 1713: «Meine Stieg 1954. 359-366; Ders., Die Gewölbesysteme v. aber muß bleiben, als welche von meiner in- Banz u. Vierzehnheiligen, ihre Konstruktion u. vention u. mein Meister stuck ist.» Auch sonst Formgebung (Bonner Jbb. 164) 1964, 170-80; betont er, daß er der Meister des Ganzen sei, H. G. Franz, Bauten u. Baumeister d. Barockeine Aussage, die bei seiner Intelligenz nicht zeit in Böhmen, 1962; W. G. Assmann, Die gering zu bewerten ist. Klosterkirche v. Banz (Das Münster 21) 1968, 2 Lothar Franz führte die China-Mode in 273-78; Hotz (s. o. 760). Franken ein. Schon in Bamberg entstand 1700 ♦ F. Friedrich, Architekt, Baumeister u. ein Lackkabinett. Bildhauer d. Böttingerhauses (BHVB 100) 2 H. G. Franz, Die Klosterkirche Banz u. d. 1964, 525-527. Als ausführender Baumeister ist Kirchen B. Neumanns in ihrem Verhältnis z. Johann Amrtion belegt. Einsingbach (s. u. 767) 162 152hat die Zuschreibung an Welsch erböhm. Barockbaukunst (Zschr. f. Kunstwiss. 1) !947. 5472‫ ;־־‬H. Reuther, Gewölbesystem d. ledigt. Benediktinerabteikirche Banz (Das Münster 7) * A. Ress, Der Würzburger Dom-Stuck.

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großen Feldern jeweils mehrere Joche zusammenfassen. Sie wäre die erste dieser Art in Franken geworden, kam jedoch nie zustande. Der Baumeister des Bischofs war Joseph Greissing1 (1664-1721), ein Zimmermeister aus Vorarlberg, der sich in Würzbürg gegen 1695 niedergelassen hatte und zum Architekten aufgestiegen war. Er fügte sich alsbald dem von Petrini begründeten italianisierenden Barock Würzburgs ein, baute zahlreiche vornehme Höfe, deren plastisch reichverzierte Fassaden das Bild des barocken Würzburg bestimmten (Rückermainhof 1714-21, Jesuitenkolleg 1715-19, Hofflügel des Juliusspitals, z. T. nach Petrini 1700-14). Die großen Ehrenhofanlagen der Klöster Münsterschwarzach (1718-26) und Ebrach (1715-35) zeigen seine Fähigkeit zu großer wirkungsvoller Architektur. Von seinen Kirchen ist Großcomburg (1706-15) eine strenge Hallenkirche auf romanischer Grundlage die bedeutendste, eine Hallenkirche mit Emporen ist St. Peter in Würzburg (1717-21), beachtlich ist auch der Umbau der romanischen Stiftskirche Neumünster in Würzburg (1711-21)/ der ein großer Kuppelbau vorgelegt wurde. Die Fassade (1716), in ihrer kraftvollen Schwingung wohl das beste Werk des Würzburger Barock vor dem Residenzbau, geht über Greissings linearen Stil hinaus. Sie ist dem Werk des einmal beigezogenen Johann Dientzenhofer nah verwandt. Wichtig an Greissings Tätigkeit ist, daß er als fürstbischöflicher Stadt- und Landbaumeister Einfluß auf das gesamte Bauwesen des Hochstifts erlangte. Die barocke Formung des Landes ging von den zahlreichen unter ihm erbauten Amts- und Rathäusern sowie Landkirchen (Friesenhausen, Herlheim) aus. Balthasar Neumann, der vieles von Greissing gelernt hat, wird gerade in dieser Tätigkeit der Vollender des Werkes sein. Im Jahre 1719 wird in Würzburg der Neffe des Kurfürsten Lothar Franz, Johann Philipp Franz von Schönbom (1719-24)’ zum Fürstbischof gewählt. Unter ihm beginnt alsbald eine großartige Bautätigkeit. Zwei Projekte sind von besonderer Bedeutung, die Residenz * und die Schönbomkapelle. Eine Stadtresidenz der Bischöfe war bislang nicht über Provisorien hinausgekommen. Unter dem ständigen Drängen des Onkels und des Bruders kommt es nun zu einer großzügigen Neuplanung, die von der für die großen Schönbomschen Schöpfungen charakteristischen kollegialen Planung gesteuert wird. Lothar Franz bringt seinen Mainzer Architekten Maximilian v. Welsch (1671-1745)’ an erste Stelle. Friedrich Karl setzt seinen Vertrauensmann Barockisierung u. Wiederherstellung d. Würzburger Doms (Deutsche Kunst u. Denkmalpflege) 1962, 103-126. 1 R. Kengel, J. Greising, der Architekt d. fränk. Barockklöster (WDGB11. 14/15) 1952, 565-592; Lieb-Dieth, Die Vorarlberger Barockbaumeister, 19672, 86 f.; Riedl (s. o. 751) 150, 147173 f.; G. Zimmermann, Raumgliederung u. Ausstattung d. Klosterkirche Theres (WDGB11. 26) 1964, 325-333; J· Hotz, Die Fassade d. Abteikirche Theres. Ein Beitr. z. Werk v. J. Greising (Das Münster 14) 1961, 321-324; Μ. Renner, J. Greising. Der Architekt d. Schlosses Burgpreppach? (Mainfr. Jb. 14) 1962, 341-343.

1 F. Oswald, Zur Vorgesch. d. barocken Umbaues v. Neumünster. Eine Studie z. Würzburger Bauwesen um 1700 (Mainfr. Jb. 12) 1960, 103-113. ’ A. Schere, Johann Philipp Franz v. Schönbom, 1930, 100-124. ♦ Sedlmair-pfister, Die fürstbischöfl. Residenz zu Würzburg, 2 Bde., 1923; B. Gumschttz, Joh. Lukas v. Hildebrandt, 1959, 132 bis 144 (Lit.); Berckenhagbn (s. o. 765) 240 bis 250; C. Baubr, Der Würzburger Hofgarten (Mainfr. Jb. 13) 1961, 1-31. ’ W. Einsingbach, Johann Maximilian ▼. Welsch. Neue Beitrr. zu seinem Leben u. zu seiner Tätigkeit f. d. Fürsten Georg August v.

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Johann Lukas v. Hildebrandt immer wieder zur Beratung und Korrektur ein. Die drei Schönborn, leidenschaftliche Bauherrn, bringen ihre Gedanken und Vorstellungen ein, Lothar Franz unterstützt durch drei hohe Hofbeamte, Hans Georg v. Rotenhan, Philipp Christoph v. Erthal und Anselm Franz Freiherm v.Ritter zu Groenesteyn, * sogenannte Kavaherarchitekten, die Lothar Franz einmal seine «Baudirigierungsgötter» nennt. Der Bauherr aber hat sein Vertrauen in den Ingenieurleutnant Balthasar Neumann gesetzt, der auch von Lothar Franz schon bei der ersten Begegnung 1719 völlig richtig eingeschätzt wird, der nicht nur die erste Idee des Grundrisses angegeben hatte, sondern auch Koordinator der ganzen Planung wurde und so in die große, europäische Architektur hineinwuchs. 1723 schickt ihn sein Herr nach Paris, um die berühmten Architekten Germain Boffrand und Robert de Cotte um Begutachtung und Entwürfe zu bitten. Der Bau hat nicht seinesgleichen. Zwei rechteckigeBlocke mit je zwei Innenhöfen nehmen einen tiefen Ehrenhof in ihre Mitte. Die Fassaden mit zwei Haupt- und zwei Mezzaningeschossen sind durch säulengestützte Balkone, plastische Fensterrahmungen, reliefierte Ziergiebel und Dachgalerien geschmückt, aber in nichts um die fürstliche Großartigkeit gebracht, mit der sie die riesige vorgelagerte Platzfläche beherrschen. Integrierender und heute schmerzlich vermißter Bestandteil der Architektur war das lebhaft bewegte, von Hildebrandt entworfene Gitter, das dem Ehrenhof seine eigene Räumlichkeit gab. Die erste Konzeption des Baus war das Werk Neumanns, die Ausarbeitung des Grundrisses und die erhabene Strenge des Ganzen sind das Werk Welschs, Johann Dientzenhofer, der die Bauführung hatte, gab seine baumeisterliche Erfahrung hinzu, Schmuckreichtum und Eieganz hat Hildebrandt erreicht, Neumann wieder hat die unlösbare Einheit aller Elemente hergestellt. Johann Philipp Franz konnte zu seinen Lebzeiten nur den Westteil des nördlichen Gevierts bauen. Sein Nachfolger (C. F. v. Hutten 1724-29) stellte nur das schon Gebaute fertig. Erst als 1729 Friedrich Karl v. Schönborn, der schon vorher lebhaft Anteil am Bau genommen hatte, auf den Thron kam, wurde der Bau weitergeführt. Hier griff *Hildebrandt, der 1719 und 1731 nach Würzburg gekommen war, wieder ein. 1729-30 reist Neumann nach Wien, fügt nun zu seinen Pariser Erfahrungen die des österreichischen Barock und bindet Hildebrandts Gedanken, die besonders am zuletzt gebauten Mitteltrakt spürbar werden, dem jetzt von ihm geleiteten Bau ein, der 1744 vollendet wird. Das zweite wichtige Werk Johann Philipp Franz’ war die Gruft- und Gedenkkapelle für die Kirchenfürsten des Hauses Schönbom1 am Würzburger Dom. Der Plan, des 1721 begonnenen Baues stammte wieder von Welsch, Hildebrandt wurde konsul­ Nassau-Idstein (Nassauische Annalen 74) 1963, 79-170, bes. 163-170; J. Meintzschel, Stud. zu Max. v. Welsch, 1963. 1 G. Jahn, Ans. Franz Reichsfreiherr Ritter zu Groenesteyn, Diss. Masch. Bonn 1956. Von ihm stammt das Jagdschloß Jägersburg bei Forchheim (1721-28). 1 W. Boll, Die Schönbomkapelle am Würzburger Dom, 1925; Einsingbach (s. o. 767)

164 f.; R. Sedlmaier, Wolfg. v. d. Auveras Schönbom-Grabmäler im Mainfränk. Museum u. d. Grabmalkunst d. Schönbom-Bischöfe, 1955. 1425‫ ;־‬Gbimschitz (s. 767); dazu G. Passavant in Kunstchronik 13, 1960, 202 f.; Milde-Worbs, Die Schönbomkapelle. Das architekt. Konzept u. seine konstruktive Verwirklichung (WDGB11. 29) 1967, 273-275.

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tiert, Neumann führte den Bau, der 1724-29 eingestellt war, bis 1736 aus. Das Äußere, von einer Kuppel bekrönt, ist von kraftvoller Eleganz, im Innern - einem Kuppelrund mit zwei Ovalkapellen - von unergründlicher Vielansichtigkeit durch den vollkommenen Fluß zwischen den Raumteilen, der durch die von Neumann eingestellten Freisäulen erreicht wird. Die Bildwelt führt von der durch schwarzen Marmor eindringlich dargestellten Macht des Todes bis zum Licht des Himmels. -Johann Philipp Franz stellte die Stadt Würzburg unter strenge Baupolizei. Die Vorschriften gaben dem mit ihrer Überwachung beauftragten Neumann die Möglichkeit, das Bild der barocken Stadt weiter zu festigen. Residenz und Dom wurden durch einen neuen Straßenzug verbunden. Balthasar Neumanns (1687-1753)1 Tätigkeit ist von umgreifender Vielseitigkeit. Aus Eger war er als Stück- und Glockengießergeselle 1711 nach Würzburg gekommen, hatte sich dort in Geometrie, Feldmesserei und Architektur weitergebildet und war 1714 als Fähnrich in die Leibkompagnie eingetreten. Er hatte am Türkenkrieg teilgenommen, dann Wien und Mailand kennengelemt. Erst 1719 kommt er, der bis dahin wohl nur Wasserbauaufgaben durchgeführt hatte, zum Bauwesen. In der Schule des Residenzbaues wächst er zum ersten Baumeister seiner Zeit, der schließlich vom Kaiserhof und von den Höfen von Köln bis Konstanz immer wieder berufen wird. In den Hochstiften Würzburg und Bamberg übte er die Oberleitung über das ganze öffentliche und private Bauwesen aus, auch die Barockstadt Bamberg verdankt ihm wesentliche Akzente. Ebenso oblag das Militärbauwesen dem Obristen der fränkischen Kreisartillerie, der er zuletzt war, ferner Straßen-, Brücken- und Wasserbau. Nur wenige Hauptwerke können einzeln genannt werden. Noch der französischen Klassik verpflichtet ist das Oktogon der Propsteikirche von Holzkirchen (1728-30). Der erste selbständige Großbau war die ab 1820 abgebrochene Klosterkirche von Münsterschwarzach (1727-43)/ in der sein festlicher Stil im Innern wie im Äußeren entwickelt wurde. Gößweinstein (1730-39) und das Käppele in Würzburg (1740-52) werden in ihrem Schmuckreichtum wahrhaft volkstümlich. In kleineren Kirchen wie 1 Μ. H. v. Freeden, Balthasar Neumann, Leben u. Werk, 19632; Ders., B. Neumann (Fränk. Lebensbilder 1) 1967, 264-285; H.Reuther, Die Kirchenbauten B. Neumanns, 1960 (m. Lit. 44 u. 113 f.); dazu F. Oswald (WDGBll. 23) 1961, 250-262. Lit. seither: W. Einsingbach, Neue Planfunde zu B. Neumanns Mainzer Jesuitenkirche (Mainzer Zschr. 54) 1959, 33-40; Μ. Renner, Ein unbekannter Brief B. Neumanns (Mainfr. Jb. 12) 1960, 217-22; Ders., Unbekannte Briefe u. Quellen z. Wirken B. Neumanns 1728-53 (ebd. 13) 1961, 129-146; Μ. Solbach, Unveröffentl. Berichte u. Gutachten B. Neumanns (BHVB 97) 1959/60. 188-200; J. Hotz, Beitrr. z. Kirchenbaukunst B. Neumanns (Das Münster 14) 1961, 305-321; Kurfürst Clemens August, 1961 (Register); E. Lehmann, B. Neumann u. Kloster Langheim (ZKG 25) 1962, 213-242; 49 HdBGin, i

J. Hotz, B. Neumanns Anteil am Neuen Schloß in Meersburg (Jb. d. Staad. Kunstslgn. in Baden-Württ. 1) 1964, 199-216; Ders., Die Pfarrkirche in Saffig (Kr. Mayen), ein Werk B. Neumanns (AMK 15) 1963,440-453; Ders., Kat. d. Sammlung Eckert aus d. Nachlaß B. Neumanns, 1965; Ders. (s. o. 760); L. Andbrsen, Stud. zu Profanbauformen B. Neumanns, Diss. München 1966; W. Bartsch, B. Neumanns Entwurf z. Hofkirche d. Neuen Residenz zu Bamberg, Diss. Berlin 1969; U. Röhlig, Ein Entwurf B. Neumanns f. den Hochaltar d. Domes zu Worms (MJBK 3. F 19) 1968, 157-168; J. Hotz, Ein v. B. Neumann signierter Entwurf f. eine Chororgel in Münsterschwarzach (WDGB11. 25) 1963, 205-207. 2 H. Muth, Die künstler. Ausstattung d. Neumannkirche zu Münsterschwarzach (WDGB11. 25) 1963, 223-252.

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Gaibach (1740-45) und Kitzingen-Etwashausen (1740-45) sind die komplizierten Wölbeformen, die Neumann in seinen Hauptwerken ausführt, besonders klar zu sehen. In der Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen (1742-72)1 zeigt sich die auf Johann Dientzenhofers Banzer Kirche und Christoph Dientzenhofers böhmische Bauten zurückgehende Raumkunst12 in besonders reicher Phantasie, die durch die eigenmächtigen Änderungen des Thüringischen Baumeisters Gottfried Heinrich Kröhne aufgerufen worden war. Noch bedeutsamer ist die in der Auseinandersetzung mit Plänen Hildebrandts entstandene Hofkirche der Würzburger Residenz (173O-43).2 Mit ihrer makellos erhaltenen Ausstattung bietet sie auf den ersten Blick ein völlig malerisch empfundenes, bewegtes, dunkelfarbiges Bild, im Abschreiten aber zeigt sich die architektonische Phantasie eines vollkommenen Systems von Schwüngen und GegenSchwüngen, das den Raum und seine Schale im Gleichgewicht hält. Ebenso ist die Kapelle des bischöflichen Lustschlosses Werneck (173 3-44)♦ ein höchst differenzierter Raum. Das Schloß, unter steter Einflußnahme Hildebrandts gebaut, ist in der intimen Geschlossenheit des Vorhofes und der festlichen Pracht der Gartenfassade vollkommener Rahmen des fürstlichen Lebensstiles. Neumanns großartigste Raumfolge ist die von Treppenhaus, Weißem Saal und Kaisersaal in der Würzburger Residenz (ab 1735). In dem Wechsel von Durchblicken und erst langsam erfaßbarer ungeheurer Weite des Treppenhauses zur klaren Überschaubarkeit des Weißen Saals und zur illusionistisch ausgeweiteten, bewegten Pracht des Kaisersaales ist Neumanns Kunst der architektonisch vollkommen klaren Ausführung kompliziert-phantasievöller Raumgebilde offenbar. Als Techniker wie als Künstler war Neumann der erste seiner Zeit. Sein Treppenhaus und seine Kirche von Neresheim sind mit die machtvollsten Räume des deutschen Barock. Von der kirchlichen Baukunst in Mainfranken ist außerhalb des Schönbomschen Wirkungskreises noch die Abteikirche von Amorbach hervorzuheben. 1742-45 wird sie unter Beibehaltung der romanischen Türme nach einem Entwurf Welschs gabaut. Es ist das letzte Werk und auch der einzige große Kirchenbau dieses im Militärbauwesen bis zum General aufgestiegenen Mainzer Architekten. Wie sein nicht ausgeführter Entwurf für Vierzehnheiligen, ist der Bau streng und groß, aber für seine Zeit altmodisch und überholt. Erst die überaus reiche Rokokoausstattung gab dem Raum sein Leben. In den Residenzen der Markgrafen begann nun auch der Schloßbau im neuen festliehen Stil. Die Neustadt Erlangen, * die zunächst nur als Hugenottenstadt gedacht war, wurde ab 1701 als «Christian-Erlang» erweitert, eine Ritterakademie und eine lutherische Kirche (von Johann David Räntz, 1720) traten hinzu. Entscheidend aber 1 R. Teufel, Vierzehnheiligen, 19572; F. OsZur Vorgesch. d. Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen bis z. J. 1743 (BHVB 97) 1959/60, 201-214; H.-H. Möller, Gottfried Heinrich Kröhne u. d. Baukunst d. 18. Jhs. in Thüringen, 1956, 75-82. 2 Vgl. o. 766 Anm. 3. 9 Lit. s. o. 767 Anm. 4. WALD,

4 H. Reuther, Die Schloßkapelle zu Werneck u. ihre Stellung in d. nordeurop. Barockarchitektur (Das Münster 21) 1968, II3-120; Grimschitz (s. 767) 147-154. 9 F. Schmidt, Die Entstehung d. Neustadt Erlangen u. d. Erbauung d. markgr. Schlosses, 1963; Schmidt-Dbuerlein, Die höfischen Barockbauten zu Christian-Erlang, 1936.

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war die Errichtung des Schlosses, (1700-04) das mit seinem Park1 nun die Osthälfte der Neugründung einnahm. Der Architekt dieses strengen Baues war Antonio della Porta (j· 1702). Gottfried v. Gedeler fügte 1705-06 das Halboval der Orangerie hinzu, das mit einem Gegenstück die Gartenfront des Schlosses einrahmen sollte. Gedeler gab auch der 1706 abgebrannten Altstadt ein barock reguliertes Gesicht. 1715 wurde das (1743 reizvoll neu dekorierte) Theater erbaut, ein Logentheater mit drei Rängen, das älteste erhaltene Theater in Bayern. Zahlreiche Adelspaläste folgten den fürstlichen Bauten, so entstand das Bild einer barocken Residenz, freilich einer von einem sehr strengen Charakter, in der das Reguläre Prinzip war. Bei Bayreuth begann der Erbprinz Georg Wilhelm 1701 ebenfalls mit der Anlage einer neuen Stadt, St. Georgen am See,12 die sich einem großen, von Antonio della Porta erbauten Lustschloß, hinter dem ein künstlicher See lag, zuordnen sollte. Das bestehende Schloß wurde 1725-27 von Johann David Räntz als Sitz des Ordens de la Sinc6rit6 neuerbaut. Die Stadt wuchs nicht wesentlich über eine einzige Straße, die in ihrer Regelmäßigkeit noch heute kenntlich ist, ein Zucht- und Arbeitshaus und die Ordenskirche hinaus. Diese wohl von Gottfried v. Gedeler entworfene Kirche (1705-11), ein emporenumgebener Zentralraum mit Kanzelaltar, mit Stuck und Fresken geschmückt, bedeutet den Einbruch des italienischen Barock,3 der hier in komplizierten, kleinteilig dekorierten Gewölbeformen angewandt wird, in den evangelischen Kirchenbau Frankens. Die evangelischen Landkirchen, die sog. «Markgrafenkirchen», * eine eigenständige Kunstschöpfung des fränkischen Landes, nehmen nun an der allgemeinen Stilentwicklung des Barocks zum Rokoko und zum Klassizismus hin teil. Sie verzichten oft auf den Chor, den Gemeindesaal umgeben ein- oder zweigeschossig Emporen, die Decke ist stuckiert, Deckenfresken werden nicht abgelehnt, der große Säulenaltar enthält meist anstelle des Altarbildes die Kanzel und auch die Orgel kann noch damit verbunden werden. Der Kanzelaltar ist eine Übernahme aus Sachsen, die sich ab 1690 im evangelischen Franken verbreitet. Georg Wilhelm schuf als Markgraf noch einen zweiten Erholungsort bei Bayreuth, die Eremitage.3 Schon Christian Emst hatte bei St. Johannis einen Lustgarten mit Grottenhaus eingerichtet, sein Sohn baute 1715-18 ein Schlößchen, die Eremitage, das einfache Zellen und eine Grotte mit Wasserspielen um einen geschlossenen Innenhof enthält, während das Äußere den Eindruck einer von gewachsenen Felsen umgebenen Ruine hervorrufen sollte. Ähnlich waren auch im Wald wie Naturgebilde aussehende Eremitenzellen verteilt. Eine Linden-Anlage 1 U. Frenzel, Beitrr. z. Gesch. d. barocken Schloß- u. Gartenanlagen d. Bayreuther Hofes, Diss. Erlangen 1958, 1-40. 1 Ebd. 49-78. 3 Etwas älter sind die Kirchen Creußen (1700) und Thurnau (1701-06), die vom selben Stukkateur, Bemardo Quadri, stukkiert wurden, aber architektonisch bescheidener sind. ♦ H. Thiel, Stud. z. Entwicklungsgesch. d. Markgrafenkirchen (Die Plassenburg 9) 1955; R. Teufel, Der Einfluß d. Markgrafenstiles auf

d. kirchl. Baukunst d. Coburger Landes 0b. d. Coburger Landesstiftung) 1964, 115-142; A. Gebessler, Gestühlsordnung u. Emporen in d. Protestant. Barockkirchen Frankens (Ber. LfD 25) 1966, 38-52; H. Mai, Der ev. Kanzelaltar, 1969. 5 E. Bachmann, Anfänge d. Landschaftsgartens in Deutschland (Zschr. f. Kunstwiss. 5) 1951, 203-228, hier 214L; Frenzei (s.o. Anm. 1) 105-119.

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und die Naturlandschaft gaben gleicherweise diesem höfischen Vergnügen ihren Rahmen. Das umfangreichste Projekt aber war der Schloßbau der Markgrafen von Ansbach.1 Dort war schon 1694 Gabriel de Gabrieli (1671-1747) * der letzte bedeutende Baumeister aus dem italienischen Graubünden, als Hofarchitekt angestellt worden. Er kam aus Wien, wo er, teils unter Domenico Martinelli, am Liechtenstein-Palais gebaut hatte. So wurde der Ansbacher Barock unter Vorzeichen gestellt, die ihn von dem Klassizismus der Bayreuther Fürstenbauten trennen. Seit 1705 wurde das Ansbacher Schloß umgebaut, es entstanden die Arkadengänge im Hof, die das von Gabrieli oft angewandte Palladio-Motiv (ein von zwei Säulen gestützter Korbbogen) in drei Geschossen wiederholen. Großartigstes Werk ist die Fassade, die 21 Joche lang Riesenpilaster über hohem Sockel reiht, sie aber durch feine Risalite und plastischen Schmuck differenziert und lebendig macht. Es ist etwas von der Größe des Wiener kaiserlichen Barocks in diesem Bau. Weitere Bauten Gabrielis aus seiner Ansbacher Zeit sind das palastartige Rathaus der Reichsstadt Windsheim (1713-17), das elegantwienerische Prinzenschlößchen in Ansbach (1697-99) und das Blaue Schloß in Obernzenn(17n-x8). Der Weggang Gabrielis nach Eichstätt im Jahre 1716 war wohl auch dadurch verursacht, daß auch Ansbach sich nun der französischen Klassik enger anschließen wollte, während Gabrieli den süddeutschen Barock vertrat. Seine Nachfolger waren zunächst die Brüder v. Zocha,1 23 zwei Kavalierarchitekten. Karl Friedrich von Zocha (1683-1749) führte den Schloßbau 1719 bis 1731 in strengeren, französisch geschulten Formen weiter. Sein Hauptwerk ist die Orangerie (1726-28), die die Louvre-Fassade variiert. 1731 wird das Bauwesen dem Italiener Leopoldo Retti (1704-51)4 übertragen. Er kam vom Stuttgarter Hof und kehrte 1744 wieder dorthin zurück. Er stellte Gabrielis Fassade fertig, wobei ihm ein bedeutender Anteil an der heutigen Wirkung zukommt. Auch das Schloß Dennenlohe (1733-35) bezeugt seine Fähigkeit im Schloßbau. Er war, wie schon seine Vorgänger vielfach in die Barockisierung des Stadtbildes eingeschaltet, unter ihm wurde aber die südliche Stadterweiterung, die «Neue Auslage» des Markgrafen Carl Wilhelm Friedrich in regelmäßigem Grundriß um einen quadratischen Platz geschaffen und durch die Promenade mit der Altstadt verbunden. Retti schuf auch das Hauptwerk des evangelischen Kirchenbaus 1 H. Braun, Ansbacher Spätbarock 1695 bis 1791 (JffL 16) 1956, 453-491; Ders., TriesdorfSommerresidenz d. Markgrafen v. Brandenburg-Ansbach 1600-1791 (ebd. 17) 1957, 181 bis 242; E. Bachmann, Sieben Pläne z. Gesch. d. Ansbacher Hofgartens v. 1723-26 (ebd. 23) 1963, 1-15; Μ. Krieger, Der Hofbildhauer Joh. Christoph Fischer (Jb. Mfr. 79) 1960/61, 132-162. 2 Zendralli (s. o. 752) 86-94; Bayer (s. o. 742) 77-97; ΊΤ1. Neuhofer, Die Pfarrkirche zu Dietfurt, ein Werk v. G. de Gabrieli (Das Münster 6) 1953, 57-65; Ders. im Sbl. d. Hist. Ver. Eichstätt 60, 1962/64, 33 f.; (61) 1965/66, 9-11; (62) 1967/68, 86-94.

3 Bayer (s. o. 742) 98-118; W. Baumann, Die Orangerie zu Ansbach (Jb. Mfr. 79) 1960/ 61, 163-184. 4 Bayer (s.o. 742) 119-137; F. Scholl, Leopoldo Retti, 1930; H. Braun, L. Retty u. d. Ansbacher Schloßbau (JffL 19) 1959, 507-546; Ders., Die Neue Auslage zu Ansbach u. d. Hausbau J. D. Steingrubers 1762/63 (Jb. Mfr. 82) 1964/65, 168-189; L. Baron Döry, D. G. Frisoni u. L. Μ. Retti (ArteLombarda 12,2 u. 14,1) 1967 u. 1969, 127-138 u. 75-98; F. Cavarocchi, Artisti della Valle Intelvi e della diocesi Comense attivi in Baviera alia luce di carte d'archivio del Ducato di Milano (Arte lombarda 10) Milano 1965, 2, 135-148.

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im Ansbacher Land, die Gumbertuskirche (1736-38). Obwohl zwischen mittelalterliehe Bauteile gestellt, ist diese großartig vornehme Predigthalle ohne jede Verbindüng mit ihnen. Die nüchterne Kühle wird für die Ansbacher Variante der Markgrafenkirche1 vorbildlich, auch wenn dort noch des öfteren barocke Figurenaltäre neben dem Kanzelaltar erscheinen. Gabrielis Übersiedlung nach Eichstätt 1716 bedeutete für das Bischofsstädtchen einen entscheidenden Wandel. Bezeichnend ist, wie er 1714-18 dem mittelalterlichen Dom eine Westfassade vorblendete, die von höchster Eleganz, aber auch von unbedingter Würde ist. Daneben steht ihm aber auch monumentale Gestaltungskraft zu Gebote, die im Arkadenhof des Chorhermstifts Rebdorf zur Geltung kommt. Höchsten städtebaulichen Rang hat Gabrielis Anlage des Residenzplatzes (seit 1725). In leichter Kurve die Südseite des Domes umziehend reiht sich in geschlossener Front Fassade an Fassade, vornehm in der sparsamen Verwendung von Dekor, in der lockeren Verknüpfung einen der vollkommensten Plätze des süddeutschen Barocks bildend. Von ähnlichem Rang ist die Sommerresidenz mit dem Hofgarten (1735), ein Bau von gelassener Heiterkeit. Ins Kloster Notre Dame (1719) meisterhaft eingefügt ist der Rundbau der Kirche, ein Raum von ruhiger Festlichkeit mit reicher Stukkatur. Eine Residenzstadt tritt neu in das Licht, Ellingen.1 Der Sitz des Landkomturs der Ballei Franken des Deutschen Ordens wurde seit 1715 durch die Anlage eines fürstlich zu nennenden Schlosses und fast aller öffentlichen und privaten Bauten zu einer reizvollen Barockresidenz kleinsten Formats umgeschatfen. Das Schloß wurde unter Leitung Wilhelm Heinrich Beringers aus Öttingen von Franz Keller (1682-1724) 1711 mit dem Ostflügel begonnen. Die wuchtige Hauptschauseite (1718-20) mit drei großen Pavillons scheint Keller selbst geplant zu haben. Der ganze Bau schließt sich in drei Flügeln um einen Hof, dessen Innenseite die Kirche einnimmt, die 1748 der Wiener Franz Joseph Roth (1690-1758),’ der unter Keller als Stukkator gearbeitet hatte, neu gestaltete. Er baute auch Pfarrkirche (1728-31) und Rathaus (1745) des Städtchens, Orangerie und Reitschule und anderes zeigt seinen schmuckreichen, eleganten Stil, seine Liebe zu großen Steinfiguren und Ornament, seine unmittelbare Kenntnis des reichen österreichischen Barocks (Turm in Dürnstein in der Wachau). Er hat zur Strenge des Kellerschen Schlosses die Liebenswürdigkeit des Barocks hinzugefügt. Eine weitere Residenz entstand am Untermain. 1721 hatte Fürst Dominikus Marquard von Löwenstein aus der katholischen Linie die Herrschaft Kleinheubach gekauft und alsbald mit dem Bau eines mächtigen Schlosses begonnen (1723-32). Die dreiflügelige Ehrenhofanlage in strengen Formen, die besonders am Mittelpavillon die französische Herkunft des Architekten verraten, stammt von dem in Darmstadt tätigen Louis Remy de la Fosse. Johann Dientzenhofer hatte die Bauleitung. De la Fosse war auch der Architekt des Hohenlohischen Schlosses Schillingsfürst (1724), das12 1 W. Sperl, Der Protestant. Kirchenbau d. 18. Jhs. im Fürstentum Brandenburg-Onolzbach, 1951. 2 A. Schlegel, Die Deutschordens-Residenz Ellingen u. ihre Barock-Baumeister, 1927.

’ Den., Zur Lebensgesch. d. Deutschordensbaumeisten F. J. Roth (Jb. Mir. 84) 1968, 198-201; Götz (s. o. 765) 36, 63.

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in drei Flügeln beherrschend auf einem Bergspom steht. Vom Fürstabt von Fulda wurde 172$ durch Andreas Gallasini das Schloß Hammelburg erbaut, dessen Saalefront drei (mit falsch erneuerten Dächern gedeckte) Pavillons zieren. Die zahlreichen Landschlosser1 der Ritterschaft Frankens, die daneben entstehen, sind ein Abglanz dieses reichen fürstlichen Bauens. Zuletzt noch zur Reichsstadt Nürnberg. Sie trat vor allem durch zwei viel studierte Theoretiker hervor, den hochbarocken Paul Decker d. Ä. (1677-1713),2 dessen «Fürstlicher Baumeister» (1711) den Einfluß Andreas Schlüters verrät, und Johann Jakob Schübler (1689-1741)’ dessen Entwürfe ein gemäßigtes bürgerliches Spätbarock zeigen. Nur ein größerer Bau entstand: die 1696 abgebrannte Egidienkirche wurde 1711 von Gottlieb Trost (nach einem Entwurf seines 1700 verstorbenen Vaters Andreas) mit schmuckreicher Doppelturmfassade neu erbaut. Der helle, reichstukkierte Predigtsaal war der einzige barocke Raum Nürnbergs. Selbstverständlich geht mit dieser Hochblüte großer Architektur eine solche der Bildkünste und des Kunsthandwerks Hand in Hand. Bei der Unzahl an dekorativen Aufgaben - zu den genannten Bauten kommen ja noch die unzähligen Kirchen, die eine barocke Ausstattung erhalten - war es aber nicht die große Einzelleistung, die herausragende schöpferische Persönlichkeit, die notwendig war, sondern der Dienst am Gesamtkunstwerk des Baues. Vielfach wurde durch Architekt, «Dessinateur» oder Hofmaler alles bis zum Gerät hin vorgezeichnet. Das tat freilich dem Rang der Leistung der ausführenden Meister keinen Abbruch. Von den Würzburger Bildhauern ist Johann Balthasar Esterbauer (1672-1728),4 ein Altbayer, für den Hochbarock charakteristisch und vorwiegend durch Altarplastiken und Hausmadonnen bekaimt. Jakob van der Auwera (1672-1758)’ kommt aus Mecheln um 1700 nach Würzburg und zeigt dort den malerischen Barock der Rubensnachfolge. Er hat bei den Würzburgischen Großbauten, besonders in der Zeit Greitfenclaus und Friedrich Karls (Neumünster und Residenz) bis zum Jahr 1736 die bauplastische Ausstattung durchgeführt. Johann Philipp Franz bevorzugte dagegen den französischen Bildhauer Claude Curd (1685-1745),6 der vor allem die Schönbornkapelle ausstattete. Unter Bischof Hutten (1724-29) wird die alte Mainbrücke von Curl und vor allem von den Haßfurter Bildhauern Johann Sebastian und Volkmar Becker mit der großartigen Skulpturenreihe versehen. Stukkateur des Schlosses Pommersfelden ist seit t7nDanielSchenck, der von einer Studienreise nach Wien den lockeren Bandelwerkstil mitbringt. In der Würzburger Residenz sind um 1724/25 die Brüder Johann Peter und Carl Anton Castelli tätig, die im Stil der reifen Rέgence hervorragend arbeiten. 1 Μ. H. v. Freeden, Aus fränk. Landschlössem u. Prälaturen, 1969 (Bildband). 1 Sitzmann (s. o. 741) 84f.; E. Schneider, Paul Decker d. A., Diss. Frankfurt 1937; Ders., Die Zeichnungen Paul Deckers d. A. im Germ. Nationalmuseum (Anz. d. Germ. Nationalmus. 1936/39) 175-187. ’ H. Reuther, J. J. Schübler u. Balth. Neumann (Mainfr. Jb. 7) 1955, 345-352.

4 R. Diehl, B. Esterbauer, Diss. Masch. Frankfurt 1920; Kuhn (s. o. 763) 19-50. ’ G. Krüger, Jakob von der Auwera, Diss. Würzburg 1931; Kuhn (s. o. 763) 51-82. 6 Kuhn (s. o. 763) 83-90; L. v. Döry, Über d. Tätigkeit d. Würzburger Hofbildhauers Claude Curl vor 1721 (Mainfr. Jb. 15) 1963, 174· 165-

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In Bamberg' arbeitet am Anfang des Jahrhunderts der aus Weilheim stammende Sebastian Degler (um 1670-1730). Sein schwerer Barock wird von seinem Stiefsohn Joseph Matthias Götz in Passau verfeinert (s. HB II 957). Von Raphael Donner beeinflußt erscheint Franz Anton Schlott (1697-1736). Seine Figuren auf dem Michelsberg sind zu Recht berühmt. Seine Werkstatt übernahm Johann Peter Benkert (1709-65),1 2 ebenfalls ein Unterfranke, dessen hl. Kunigunde auf der Unteren Brücke (1744-45) auch seine dekorative Kraft zeigt. Nach 1746 siedelte er nach Potsdam über, wo er für Friedrich II. arbeitete. Unter der Leitung Rettis entstanden um 1735-45 die Raumdekorationen der Ansbacher Residenz.3*Dabei ist eine starke Einwirkung der bayerischen Hofkunst und auch Francois Cuvillies’ selbst festzustellen. Stuck- und Holzschnitzereien sind nach dem Vorbild von Cuvillies’ Reichen Zimmern gestaltet. Stukkateure waren Diego Carlone, der Wessobrunner Johann Schnell und wohl ein aus München erbetener Schüler Zimmermanns. Als «Dessinateur» war der Bildhauer Paul Amadeus Biarelle, als Schnitzer eine Gruppe von Münchner Hofkünstlem tätig. Die Folge der Räume bietet ein vortreffliches Bild von der Eleganz und Vornehmheit des zum Rokoko tendierenden Regence. Auch in Nürnberg und Eichstätt sind die Stukkateure meist italienischer Herkunft. Donato Polli (1663-1739)♦ aus Lugano war lange in Nürnberg seßhaft, wo er 1718 die Egidienkirche glänzend stuckierte (zerstört). In Eichstätt stuckiert Francesco de Gabrieli (1691-1727) die Jesuitenkirche 1717 prächtig aus. Der Eichstätter Hofbildhauer war Matthias Seybold (1696-1765), dessen ehemaliger Domhochaltar (jetzt in Deggendorf) eine in Komposition wie Durchführung bedeutende Arbeit ist. Die Maler der Zeit kamen weitgehend von auswärts nach Franken, für die hervorragendsten Aufträge mußten solche eigens berufen werden. So malte der Tiroler Steidl5 wieder in Pommersfelden und Banz, das Hauptfresko im Pommersfeldener Kaisersaal Johann Michael Rottmayr aus Wien (1717), das in Ansbach Carlo Carlone (1734), für die Neumünsterkirche in Würzburg berief man aus München Nikolaus Stuber (1736) und Johann Baptist Zimmermann (1724 u. 1732, seinen Bruder Dominikus als Stukkator 1721/22). Der größte Auftrag, die Ausmalung von Münsterschwarzach, wurde von Johann Holzer, der 1737 auch in Eichstätt zwei köstliche Werke hinterlassen hat, aufs großartigste ausgeführt (s. u. 1227). - In Franken ansässig werden die beiden würzburgischen Hofmaler Byß und Lünenschloß. Johann Rudolf Byß (1660-1738) aus Solothurn malte die Fresken im Treppenhaus in Pommersfelden (1717), in der Schönbomkapelle und in der Hofkirche in Würzburg. Er genoß das Vertrauen der Schönborn und gab 1719 den Katalog der Galerie Lothar Franz * in 1 Zu allen Sitzmann (s. o. 741); G. Barthel, Entwicklungsgesch. d. Bamberger Plastik v. Ende d. 17. bis z. Ausgang d. 18. Jhs., Diss. Frankfurt 1937; Hillar-Leitherer (s. o. 742). 2 F. Friedrich, Ein Bozzetto v. J. P. Benkert (BHVB 100) 1964, 517-20. 9 H. Kreisel, Die Ausstattung d. markgräfl. Wohn- u. Festräume in d. Ansbacher Residenz

(Zschr. d. deutschen Ver. f. Kunstwiss. 6) 1939, 50-86; Braun (s. o. 772); H. Kreisel, Deutsche Spiegelkabinette, 1953, 23. 4 T. Neuhofer im Sbl. d. Hist. Ver. Eichstätt 62, 1967/68, 80 f. 9 V. Meineckb-Berg, Die Fresken Μ. Steidls, Diss. München 1970.

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Druck. Lange Jahre leitete er die Ausstattung der Räume in der Würzburger Residenz. Anton Clemens Lünenschloß (1678-1763) * aus Düsseldorf war lange in Rom tätig und kam 1719 nach Würzburg, wo er in der Residenz und in Kirchen tätig war. Ebenfalls viel für die Familie Schönbom tätig war der aus Como stammende Architekturmaler Giovanni Francesco Marchini, der auf die flache Decke der Neumannsehen Pfarrkirche in Wiesentheid 1728 eine gewaltige Scheinarchitektur malte und in Pommersfelden und in der Kapelle Wiesentheid mit der Vortäuschung eines einstürzenden Gewölbes, einem Symbol der Vergänglichkeit, erschreckte. In Nürnberg kam durch den Zuzug des bedeutenden Porträtisten Johannes Kupezky (1667-1740)2 im Jahre 1723 ein neuer Anstoß des Barock in das etwas konventionell gewordene Kunstleben. Kupezky, ein Böhme, war in Italien, Ungarn und Wien tätig gewesen; er versteht es, den unkonventionellen Augenblick zu einem gültigen Porträt zu stilisieren. Georges Desmardes (s. HB II 963), der 1724 und 1728 in Nürnberg war, geht von ihm aus. Die Historienmalerei wird von Johann Martin Schuster (1667 bis 1738) vertreten, der für St. Lorenz ein großes Altarbild malt. Die Nümbergische Liebe zu Ansichten der Stadt3 und ihrer Umgebung befriedigt der Kupferstecher Johann Adam Delsenbach (1687-1765),4 der bei Fischer von Erlach tätig war und mit den Augen des Barockmenschen seine köstlichen Nürnberger Straßenbilder zeichnet. Von den Ansbacher Hofmalern verdienen Johann Christian Sperling (1689-1746) und Johann Peter Feuerlein (1668-1728)5 wegen ihrer respektablen Porträts genannt zu werden. Eine ganz andere Malerei, fernab dieser höfischen Welt, fand sich in ländlichen, aus Holz gebauten Synagogen.6 Während die städtischen Judengemeinden sich zurückhaltend dem Geschmack ihrer Umgebung anpaßten - die Ansbacher Synagoge baute L. Retti -, blühte auf dem Lande eine volkstümliche Malerei. Der Maler Elieser Süssmann aus Brod in Polen malte 1732-40 die Synagogen von Bechhofen (verbrannt), Horb a. Main (Museum Bamberg), Colmberg und Kirchheim (beide verbrannt) aus, deren Wände und Decke völlig mit Blumen, Ranken und Schrifttexten bunt bemalt sind. Volkstümliche Motive, die der hohen Kunst des Sechzehntenjahrhunderts entstammen, kehren auf dem Umweg über Osteuropa barockisiert zurück. Auf das Kunsthandwerk, das die Schloßbauherren des fränkischen Barock zu größten Leistungen anspomten, kann nur summarisch hingewiesen werden. Lothar Franz v. Schönborn hatte eine besondere Vorliebe für Spiegelkabinette,7 die ein Höhepunkt * D. Richter, Der Würzburger Hofmaler A. C. Lünenschloß, 1939. 2 E. SafaüIk, Joannes Kupezky, Prag 1928; F. DvoftÄK, Kupecky, der große Porträtmaler d. Barocks, Prag 1956; Barock in Nürnberg, 1962, 37, 82 f. 3 W. Schwbmmer, Nümbergische Ansichten aus alter Zeit, 1958; Ders., So war’s einmal. Nürnberg im 17. Jh. Kupferstiche v. J. A. Boener (1647-1720), 1968; J. G. Puschners Ansichten v. d. Niitnbergischen Univ. Altdorf. Eingeleitet v. K. Lengenfelder, 1938.

4 Delsenbachs Nümbergische Ansichten, hg. v. J. Bier, 1924; H. Zirnbauer, J. A. Delsenbach (Fränk. Lebensbilder 2) 1968, 290-332. 5 Μ. Krieger, Die Ansbacher Hofmaler d. 17. u. 18. Jhs. (Jb. Mfr. 83) 1966, 106-169. 6 D. Davidovicz, Wandmalereien in alten Synagogen. Das Wirken d. Malers Elieser Sussmann in Deutschland, 1969. 7 H. Kreisel, Deutsche Spiegelkabinette, 1953. 12‫־‬15·

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seiner Wohnungen in Gaibach und Pommersfelden waren. Von Gaibach,1 dem ältesten Spiegelkabinett in Süddeutschland (1709-13) sind nur Teilstücke erhalten, es war Lothar Franz’ eigenstes Werk. Dagegen ist das Kabinett in Pommersfelden,2 das unberührt erhalten ist, von dem Schreiner Ferdinand Plitzner (1678-1724)’ erdacht worden. Es ist eine der vollkommensten Gestaltwerdungen der barocken Raumidee der Verzauberung. Plitzner war ein genialer, wohl in Paris geschulter Kunstschreiner und saß als «gräflich Rotenhanscher Hofebenist» in Eyrichshof. Seine Arbeiten gingen meist nach Pommersfelden. Sein Lehrer war der Ansbacher Hofebenist Johann Matusch, dessen Möbel auf englische Vorbilder zurückgehen. Ebenfalls für Pommersfelden tätig war der Bamberger, aus Brabant stammende Servatius Brickard (1676 bis 1742). Virtuos sind die Einlegearbeiten des ebenfalls Schönbomischen Kunstschreiners Johann Georg Nestfell in Wiesentheid (1694-1762),4 sein Hauptwerk ist das Chorgestühl von Kloster Banz. Auch die in barocken Schlössern so beliebten Tapisserien wurden in Franken selbst hergestellt.5 In Würzburg war 1721-64 eine Manufaktur, in der Andreas Pirot die Folge des venezianischen Karnevals herstellte, hugenottische Wirker waren in Eriangen und Schwabach tätig. f) Rokoko und Rationalismus (ca. 1740-1780) HB Π 959; J. Μ. Ritz, Fränkisch-Bayer. Rokoko, 1923; StXhun (s. o. 764).

Das Bauen an den großen Schlössern und Kirchen, das den vorhergehenden Zeitabschnitt so bedeutend gemacht hatte, nimmt nun sehr rasch ein Ende. Vieles geplante bleibt Bruchstück. Nur in Bayreuth beginnt das 1735 zur Regierung gekommene Fürstenpaar Friedrich und Wilhelmine,6 die Schwester Friedrichs II., mit neuen Residenzbauten, die aber eine viel privatere, nach innen gewandte Atmosphäre haben. Neben der modernen Einrichtung des Bayreuther Schlosses, die 1753 verbrannte, war eine Neugestaltung der ihr 1735 geschenkten Eremitage Wilhelmines erstes Werk. Sie erweiterte den Bau (1736-44) und ließ ihn in Rokokoformen ausstukkieren und ausmalen. Ihre Stukkateure waren Italiener, vor allem der geniale Giovanni Battista 1 L. v. Döry-Jobahäza, Das «Vergulte Zimmer» d.Gaibacher Schlosses 1708-13 (MJBK3. F. 15) 1964, 195-224. 2 Kreisel, Pommersfelden (s. o. 765 Anm. 2) 57-64· ’ Ders., Eine Kommode v. Ferd. Plitzner im Germ. Nationalmus. (Anz. d. Germ. Nationalmus.) 1963, 154-159; L. Baron Döry, Zum Werk Ferd. Plitzners u. seines Kreises (ebd.) 1965, 129-139. Zu den Würzburger Schreinem der Zeit s. H. Kreisel, Die Kunstschätze d. Würzburger Residenz, 1930, 7-16; G. Himmelheber, Ein Lacksekretär aus Oberfranken (Pantheon 26) 1968, 93 f. 4 W. Hess, J. G. Neßtfell, 1908. 5 H. Kreisel, Die Würzburger Gobelin-

manufaktur u. ihre Erzeugnisse (Mainfr. Jb. 4) 1952, 151-175; L. Baron Döry, Würzburger Wirkereien u. ihre Vorbilder (ebd. 12) 1960, 189-216; Ders., Schwabacher u. Berliner Groteskenteppiche (Zschr. f. Kunstwiss. 11) 1957, 108; 91Ders., Erlanger Groteskteppiche (JffL 19( 1959, 547‫־‬59· 6 H. Thiel, Wilhelmine v. Bayreuth, 1967; Im Glanz d. Rokoko. Markgräfin Wilhelmine v. Bayreuth, hg. v. W. Mülles (AO 38) 1958; Markgräfin Wilhelmine v. Bayreuth u. ihre Welt, Ausstellung 1959; G. Pfeiffer, Markgräfin Wilhelmine u. d. Eremitagen Bayreuth u. Sanspareil (Archive u. Geschichtsforsch., Festschr. F. Solleder) 1966, 209-221.

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Pedrozzi.1 Dabei entstand auch ein japanisches Lack- und ein chinesisches, mit unregelmäßigen Spiegelscherben hergestelltes Spiegelkabinett. Dazu wird nun der Garten zu einer sentimentalen Landschaft ausgestaltet,1 bis 1745 standen hier schon sieben künstliehe Ruinen, wie das antikisierende Grabmal des Lieblingshundes Folichon, das Ruinentheater und Eremitenhäuschen. Nymphenbad und Drachenhöhle bezeichnen weiter den Charakter dieses romantischen Gartens, der zum Teil Landschaftsgarten scheinbar allem Natürlichen freien Lauf läßt. Es ist wohl der erste Landschaftsgarten auf dem Kontinent. Als Architekt war 1743 Joseph St. Pierre (1708/09-54),’ wohl ein schon in Deutschland beheimateter Piemontese, nach Bayreuth gekommen. Er baute im Park zuletzt (1749) das neue Schloß Eremitage, wieder eine Folge von «Eremiten»-Zellen, die in zwei gerundeten Flügeln einen Kuppelbau, den Sonnentempel, flankieren. Das Äußere ist ganz mit bunten Glasscherben inkrustiert. Im 1945 ausgebrannten Innern war ein Salet, das mit leichtem Stuck, plätscherndem Brunnen und singenden Vögeln vollkommene Illusion eines Gartens gab, der Höhepunkt jenes in Bayreuth so geliebten Nachschaffens der Natur. Noch mehr Natur ist der von Wilhelmine durch St. Pierre 1745-46 angelegte Felsengarten Sanspareil bei Zwemitz,4 in dem die romantische Landschaft sentimental, vor allem mit Motiven aus Fenelons’ «Telemaque», staffiert wurde. Die Bauten waren klein, künstlich ruinös, mit Glasflüssen oder Natureiementen verkleidet, einer in orientalischer Art. Natur und romantische Sensuchtswelt waren in diesem Werk, das damals tatsächlich «ohnegleichen» war, ineinander verschmolzen. Wilhelminens Theater- und Musikleidenschaft verlangte den Bau eines Opernhauses (1746-50). Das in Größe und Pracht zu den bedeutendsten Theatern seiner Zeit zu zählende Haus birgt hinter der strengen Fassade St. Pierres einen Theatersaal, den der italienische Spezialist Giuseppe Galli-Bibiena in vier Rängen mit überwältigender, noch ganz spätbarocker Formenfülle eingebaut hat. Nach dem Brande des alten Stadtschlosses 1753 wird ein neues Schloß1 am Rande der Altstadt in einem sich zu einer barocken Stadt formierenden Stadtviertel errichtet. Der von St. Pierre geführte Bau hebt aus einer sehr langen, gleichförmigen Fassade, die an einem Ende in Bürgerhäuser übergeht, nur das Mittelrisalit wirkungsvoll hervor. Im Innern und auf der Gartenseite zeigt sich, daß die ganze Anlage aus schon bestehenden Häusern zusammengebunden wurde. Dieses Provisorische ist eine Absage an strenge Form und RePräsentation. Wichtig sind allein die Innenräume und hier finden sich nicht weniger als sieben Spalier- und Gartenzimmer, die die Sehnsucht nach einer paradiesischen Natur befriedigen sollen. Am eindrucksvollsten ist das Palmenzimmer, durch das man wie durch eine Palmenallee schreitet und über sich die Vögel fliegen sieht. 1 F. Wolf, Der Dekorationsstil d. Stukkator G. B. Pedrozzi, 1965 (im Archiv ungedruckter wiss. Schriften Frankfurt); L. Baron Döry, J. G. H. Rieger u. d. Bayreuther Bildschnitzer, zwei Schüler Paul Egells (Jb. d. Staatl. Kunstslgn. in Baden-Wiirtt. 2) 1965, 249 bis 276. ’ Bachmann (s. o. 771) 214-219.

’ K. Merten, Der Bayreuther Hofarchitekt Joseph St. Pierre (AO 44) 1964, 7-160. 4 Bachmann (s. o. 771) 220-228; E. Bachmann, Felsengarten Sanspareil - Burg Zwernitz, 1962; Mbktbn (s. o. Anm. 3) 32-41. 1 E. Bachmann, Die Baugesch. d. Neuen Schlosses in Bayreuth (Zschr. f. Kunstwiss. 2) 1948, 49-62; Meuten (s. o. Anm. 3).

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Auf St. Pierre folgte Carl Gontard (1731-91),’ der mit dem Markgrafenpaar 1754/55 in Italien war und mit ihm die Antike und den Frühklassizismus des Raffael Mengs bewunderte. Wilhelmine stirbt im Jahr 1758 und mit ihr das Bayreuther Rokoko, das das äußerste an Auflösung der Form und auch der für die Barockwelt verbindliehen Gehalte gebracht hatte. Wilhelmines Kunstwerke sind eine Absage an das Pompöse und Zeremonielle, suchen nicht mehr das Vollendete, spiegeln Skepsis und Flucht in eine irreale Welt und eine umgedeutete Natur. Das Italienische Schlößchen, 1759 für die zweite Gattin Markgraf Friedrichs am Neuen Schloß gebaut, zeigt außen betonte Schlichtheit, innen aber einen seltsam schweren Stuck, der auf Rdgenceformen zurückgreift. Der Weg Gontards aber geht von der Beruhigung des spätbarocken Klassizismus, wie ihn schon St. Pierres Fassaden vertreten hatten, unmittelbar zum reinen Klassizismus, was sich an einer stattlichen Reihe von Bayreuther Fassaden zeigen läßt. Obwohl noch 1756 unter Leitung des Malers und Architekten Rudolf Heinrich Richter (ca. 1700-1771) eine Kunstakademie gegründet worden war, bricht 1763 des Bayreuther Kunstleben mit dem Tod des Markgrafen Friedrich jäh ab. Alle namhaften Künstler siedeln nach Berlin oder Potsdam über, wo Gontard noch eine große Rolle in der Schöpfung des preußischen Klassizismus einnehmen sollte. An die dortigen Bauten gemahnt die 1766-69 offenbar nach Plänen Gontards durch Richter erbaute Pfarrkirche Bindlach, die stattlichste der unter dem spürbaren Einfluß des Bayreuther Kunstlebens erbauten Landkirchen. In Ansbach endete das Bemühen um eine reiche Ausstattung der Residenz im wesentliehen schon mit dem Weggang Rettis 1744. Das Bauwesen übernahm Johann David Steingruber (1702-87),’ der auch als Theoretiker bürgerlicher Baukunst hervorgetreten ist. Sein beruhigter Stil basiert auf seinen langjährigen Erfahrungen in der Arbeit unter Zocha und Retti. Zahlreiche Kirchenbauten zeigen eine nüchterne Solidität, Hauptwerke sind die Stadtkirchen von Windsheim (1730) und Coburg (1738-42),’ die er aus gotischen zu Barockräumen nobler Schlichtheit umformt.4 Von seinen Schloßbauten ist die lockere Pavillonanlage von Birkenfeld (1738) zu nennen. Am Eiritstätter Bischofssitz kam 1750 Maurizio Pedetti (1719-99)5 auf die Stelle des Hofbaudirektors. Er stammte aus dem Intelvital bei Como und war als Verwandter Frisonis und Rittis nach Deutschland gekommen. Für die Hofhaltung des Bischofs entwirft er das lichte Treppenhaus der Residenz (1767), dessen leichte Rokokodeko­ 1 K. SrrzMANN, Die Frühzeit d. Architekten Carl Gontard in Bayreuth (AO 36) 1952, 140 bis 185. ’ E. Μ. Hausladen, Der markgräfl. Baumeister J. D. Steingruber u. d. ev. Kirchenbau, 1930; Sperl(s.0.773); Bayer (s. 0.742) 138 bis 159; C. Höfner, Das fürstl. Jagdhaus zu Rodach (Jb. d. Coburger Landesstiftung) 1964,143-152; H. Braun, Die Neue Auslage zu Ansbach u. d. Hausbau J. D. Stcingrubers 1762/63 (Jb. Mir. 82) 1964/65, 168-189. ’ T. Neuhofer in Sbl. d. Hist. Ver. Eichstätt 62,1967/68,95-101; Teufel (s. o. 771) 129-131.

4 Auch in Weißenburg sollte die Pfarrkirche umgebaut werden, man wandte sich aber an Architekten aus der katholischen Nachbarschäft; H. Schuster, Pläne z. barockenUmgestaltung d. Andreaskirche (Uuizinburc-Weißenburg 867-1967) 1967, 121-127. 1 Th. Neuhofer, Beitrr. z. Kunstgesch. d. Hochstifts Eichstätt (Sbl. d. Hist. Ver. Eichstätt 61) 1965/66, 18-21, 52f. u. ö.; H. u. K. Arndt, Ein «chäteau triangulaire» d. Maurizio Pedetti (Beitrr. z. Kunstgesch. Eine Festgabe f. H. R. Rosemann) 1960, 249-278; Cavarocchi (s. o. 772).

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ration auf einer schon sehr strengen Architektur sitzt, das Lustschloß Hirschberg (1760-64) und dessen Rokokoräume von ruhiger Heiterkeit, den Belvederepavillon an der Sommerresidenz Eichstätt (1779-81), eines der köstlichsten Werke jenes späten, in zopfige Formen gehüllten Rokoko. Meisterlich stellte er 1775-80 auf Gabrielis Residenzplatz die hohe Mariensäule, ein trotz der klassischen Anleihen noch ganz barock gedachtes Monument. In den Hochstiften Bamberg und Würzburg ist Balthasar Neumanns Kunst bestimmend. In Bamberg ist seit 1735 Johann Jakob Michael Küchel (1703-69),' ein Schüler Welschs, der auf einer Studienreise 1737 den bayerischen und österreichischen Barock sowie Dresden kennengelemt hatte, unter der Oberleitung Neumanns (bis 1746) tätig. Seine zahlreichen Landkirchen, Amtshäuser, Schloßbauten usw. gaben dem Bamberger Land sein Gesicht. In Bamberg ist besonders der schmuckreiche Rathausturm (1749-56) und die feinsinnige Erneuerung der Turmhelme des Domes (1766) zu nennen? Während diese Arbeit ein frühes Beispiel von Denkmalpflege genannt werden kann, soll nicht verschwiegen werden, daß er 1768 eine radikale Umgestaltung des Domes plante, die den Ostchor zum Eingangsteil gemacht hätte. Sein hervorragendes dekoratives Talent belegt die von ihm geleitete Ausstattung der Wallfahrtskirchen Gößweinstein und Vierzehnheiligen. Küchels Liebe gehörte dem Dekor, vor allem der Fassade. Zur Überlieferung der Barockarchitektur Frankens fügt er wieder die Liebe zum Ornament aus dem österreichischen Barock. In Würzburg stehen Johann Michael Fischer (1727-88)’ und Johann Philipp Geigel (1731-1800)4 ähnlich wie Küchel vor allem in der Arbeit an ländlichen Kirchen und öffentlichen Bauten. Des Neumannschülers Fischer Hauptwerk war die 1945 z. Tl. zerstörte Kirche von Grafenrheinfeld (1755-65), ein stattlicher, aber ganz ruhiger Raum. Von Geigel ist die Pfarrkirche in Kissingen (1772-75), ein sehr eigenartiger quadratischer Raum mit umlaufenden, nur vom schmalen Altarhaus unterbrochenen Emporen, schon klassizistisch in der Baugesinnung. Ruhig, im neuen Charakter gehalten, aber doch in der Konvention verbleibend war die Abteikirche St. Stephan in Würzburg (1788, 1945 weitgehend zerstört), radikal modern jedoch die gleichzeitige Kirche des Juliusspitals (1945 zerstört), dessen Straßenflügel Geigel in nüchternsten Formen 1789-91 baute. Eine wesentliche städtebauliche Arbeit war die Rahmung des Residenzplatzes durch Kolonnaden mit abschließenden hohen Säulen, die noch im Geist des Barocks gedacht sind. 1765-73 entstand die Jesuitenkirche St. Michael in Würzbürg’ (Chor erst 1798). An diesem Bau, an dem Gcigel und Fischer beteiligt waren, ist ’ T. Knoche, Joh. Jac. Mich. Küechel, Diss. Marburg 1937; J. Hotz, J. J. Μ. Küchel. Sein Leben, seine Mainzer Zeit u. seine Tätigkeit f. d. Landschlösser d. fränk. Adels, Diss. Würzbürg 1963; Ders., J. J. Μ. Küchel (Fränk. Lebensbilder 2) 1968, 356-376. 2 W. G. Neukam, Der Umbau u. d. Restaurierung d. Bamberger Domtürme 1765-68 (BHVB 99) 1963,489-501; Messerer (s. o. 762) 491‫־‬93■

’ H. Reuther, J. Μ. Fischers Bamberger Universitäts-Riß (Mainfr. Jb. 4) 1952, 351-359. 4 F. G. Neumann, Zwei Nachfolger B. Neumanns, J. Ph. Geigel 1731-1800, Η. A. Geigel 1765-98, Diss. Würzburg 1927; I. Hoffmann, Der süddeutsche Kirchenbau am Ausgang d. Barock, 1938, 38, 151-153, 161-172. ’ Dies. 166-172.

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die Wende des Barocks spürbar. Die großartige Feierlichkeit, die Strenge der nochmal an St. Michael in München erinnernden Emporenbasilika, sind altertümlich; obwohl barocke Beschwingtheit fast völlig ausgeschieden ist, wagt man in der Architektur noch nicht die Reduktion auf nüchterne Schlichtheit. Deshalb blieb auch die (1945 zerstörte) Wanddekoration beziehungslos zur Größe der Architektur. Franz Ignaz Michael v. Neumann (1733-85), * Balthasars Sohn, war im Gegensatz zu den genannten und anderen Schülern und Nachfolgern der einzige, der nicht bloß sachliche Zweckmäßigkeit oder zierliche Dekoration, sondern auch Bewegtheit und Macht des Raumes schaffen wollte. Er war Erbe seines Vaters, auch wenn er kaum einen von diesem hinterlassenen Bau, wie er es in Neresheim sehnlich wünschte, vollenden durfte. Es ist aber bezeichnend für die Zeit, daß keine seiner großen RaumSchöpfungen Wirklichkeit werden konnte, Nüchternheit und Sparsamkeit waren zu groß. Neumann, von höchster technischer und mathematischer Begabung, besuchte 1757/58 die Pariser Akademie. Seine großartigen Pläne, die große, andere Raumteile zu Annexen abwürdigende Kuppelbauten vorsehen (Hollfeld, Jesuitenkirche Würzbürg), bleiben ungebaut. Die Deutschordenskirche St. Elisabeth in Nürnberg2 wird zwar 1784 nach seinem Plan begonnen, aber in einer Leidensgeschichte immer neuer Planungen (darunter auch eine von Pedetti) gänzlich anders erbaut. So bleibt uns heute nur Neumanns Tätigkeit für die Dome von Mainz und Speyer, kongeniales Weiterbauen und denkmalpflegerische Ergänzung hochmittelalterlicher Architektur. Im Mainzischen Teil Frankens entstand neben der schon erwähnten Klosterkirche die Pfarrkirche zu Amorbach (1751-53).’ Der Mainzer Oberbaudirektor Anselm Franz Freiherr von Ritter zu Groenesteyn (s. o. 768) lieferte den Entwurf, der die auch in Mainz, Schöntal und Großcomburg vorkommende Form der Hallenkirche hat. Spätes, maßvolles Rokoko ist hier mit der im Grunde mittelalterlichen Raumform verbunden. Das Rokoko wurde beim Regierungsantritt Friedrich Carl v.Erthals 1774 vollends abgetan. Seit 1775 schuf er den Park Schönbusch beiAschaffenburg nach englischem Vorbild als Landschaftspark. Das 1778 begonnene Schlößchen (von Emanuel Joseph d'Herigoyen, 1746-1817) läßt alles Barocke hinter sich. Der weitere Ausbau des Gartens gehört in die folgende Zeit, wichtig aber ist, daß er die von den Gärten Wilhelmines begonnene Einbeziehung des Natürlichen zur Erfüllung bringt. Auch in der Deutschordensresidenz Ellingen beginnt der französische Klassizismus zur selben Zeit. Nachdem kurz vorher noch Matthias Bindner (1705-77)4 das Städtchen mit weiteren Rokokoakzenten (Rezatbrücken mit Heiligenfiguren 1762 und 1775) bereichert hatte, wird 1774 der mit d’Herigoyen bedeutendste Vertreter des französischen Klassizismus in Süddeutschland, Michael d’Ixnard (1723-95), zum Bau der * C. Weher, F. J. Μ. v. Neumann (Mainzer Zschr. 32) 1937,1-45; Hoffmann (s. o. 780 Anm. 4) 30-32, 172-185; P. van Trbbck, F. J. Μ. Neumann, Diss. Würzburg 1969; H. Reuther, F. J. Μ. Neumanns Konstruktionsriß für Neresheim (ZKG 21) 1958, 40-49. 2 H. Hesslein, Die Baugesch. d. Deutsch-

ordenskirche St. Elisabeth in Nürnberg, Diss. Würzburg 1925. 3 Riedl (s. o. 751) 192-194. 4 Schlegel (s. o. 773) 76-85. Von Bindner auch das Deutschordenshaus in Dinkelsbühl (1761-64) und der Bau der Nikolauskirche in Spalt 1767.

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Hofaltane und zur klassizistischen Neuausstattung der Wohnräume in der Residenz berufen. Die Fertigstellung der Würzburger Residenz, die um 1740 weithin unter Dach war, zog drei der bedeutendsten Bildhauer * der Zeit in ihren Bann. 1736 kommen Ferdinand Tietz und Johann Wolfgang von der Auwera1 2 nach Würzburg. Während Tietz aber nur mit untergeordneten Arbeiten beschäftigt wird und 1747 die Stadt wieder verläßt, steigt Auwera (1708-56), der Sohn des Jakob, in der Gunst der Bauherrn hoch auf. Friedrich Carl hatte ihn 1730 nach Wien kommen lassen, wo er an der Akademie studierte, in den Künstlerkreis Hildebrandts hineinwuchs und von Lorenzo Maticlli und Giovanni Giuliani stark beeinflußt wurde. Diesen Wiener Barock, unbeeinflußt von der Frühklassik Donners, bringt er 1736 nach Würzburg, wo ihm der Großteil der Bauplastik und die Leitung der Raumdekoration in der Residenz zufällt. Dazu kommen Ausstattungsstücke von höchster Pracht für Kirchen (Kanzeln in St. Peter und in Amorbach 1749) und die Grabmäler der Schönbombischöfe. 3 Seine Stärke ist das Ornament, das in reichsten Rokokoformen erblüht. Darin ist er sicher gefördert durch den größten Omamentbildhauer seiner Zeit, Antonio Bossi (f 1764).4*Geboren in Porto bei Lugano, hat er sich vermutlich ebenfalls in Wien weitergebildet. Von 1735-53 hat er alle Stuckarbeiten in der Residenz geschaffen (ein großer Teil 1945 zerstört). Seine Formphantasie, sein Reichtum, seine Anpassungsfähigkeit sind ohnegleichen. Ganz allein ihm hat Neumann den Weißen Saal anvertraut, ohne Farbe ist er nur durch den Stuck lebendig, dieser aber wächst in völliger Freiheit sich der Architektur einfügend unmerklich von Naturform zur abstrakten Rocaille, bezieht Tiere und Menschen ein, schwingt und schwebt ohne zu stocken und bleibt doch im Maß.’ Auch im Figürlichen (Hofkirche, Kaisersaal) war Bossi hervorragend, doch ist uns die sprudelnde Naivität, die das Werk jenes Ferdinand Tietz (1708-77)6 zu haben scheint, näher. Tietz stammte aus Holtschitz bei Brüx und wurde durch das leidenschaftlich bewegte Werk des böhmischen Bildhauers Matthias Braun beeindruckt; wahrscheinlich war er auch in Wien gewesen. 1747 war er von Würzburg nach Bam1 Für andere erstrangige Stuckarbeiten (Amorbach, Vierzehnheiligen, Käppele) berief man Johann Michael Feichtmayr und Johann Georg Üblherr aus Augsburg (s. 1231). 2 Μ. Kranzbühler, J. W. v. d. Auwera (Städel-Jb. 7/8) 1932, 182-219; Kuhn (s. o. 763) 91-123; Sedlmaier-Pfister (s. o. 767) 196 f.; Über den Bruder Lukas s. Kuhn 125-130, er entwarf den Würzburger Vierröhrenbrunnen 1763■ 3R. Sbdlmaier, Wolfg. v. d. Auveras Schönbom-Grabmäler im Mainfränk. Museum u. d. Grabmalkunst d. Schönbom-Bischöfe, 1955. 4 Sedlmaier-Pfister (s. o. 767) 190-192; H.-M. Sauren, Antonio Giuseppe Bossi, Diss. Würzburg 1932; Kuhn (s. o. 763) 131-141; F. Wolf, Die Ornamentik d. Gipsbildners A. Bossi, 1965 (im Archiv ungedruckter wiss. Schriften Frankfurt).

5 Giovanni Battista Pedrozzi war 1736 Mitarbeiter Bossis in Würzburg gewesen; ihn unterscheidet das Fehlen dieses Maßes. 6 X. Schaffer, Leidenschafti. Rokoko. Die Plastik d. Ferd. Tietz, 1958 (Essay, mit Lit.); H. Kreisel, Der Rokokogarten zu Veitshöchheim, 1933; F. Friedrich, Eine unbekannte EntWurfszeichnung v. F. Dietz (BHVB 100) 1964, 520 f.; E. Herzog, Verlorene Figuren v. F. Dietz a. d. Park v. Schloß Seehof (Mainfr. Jb. 11) 1959, 234-246; G. Bott, Wiedergefundene Figuren v. F. Tietz aus d. Schloßgarten v. Seehof (Kunst in Hessen u. am Mittelrhein 1/2) 1961/62, 98-103; G. Motz, Der Hofbildhauer F. Tietz. Ein Beitr. z. Personengesch. (Neues Trierisches Jb.) 1969, 13-15; ferner die oben 762 Anm. 1 genannte Lit. über Seehof.

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berg gegangen und erhielt alsbald große Aufträge für die Ausstattung des Parks von Seehof mit Gartenfiguren. 1752 meldet er die Fertigstellung von 102 Figuren, die bis auf wenige Reste am Ort und in Museen verlorengegangen sind. 1754-60 war er Hofbildhauer Franz Georgs v. Schönbom in Trier. Neben weiteren Arbeiten für Seehof und die 1784 zerstörte Seesbrücke,1 ein Glanzwerk der Zeit, beginnen 1763 die Arbeiten für den bischöflich Würzburgischen Schloßpark in Veitshöchheim. Dieser Park, wie der in Seehof durch Fürstbischof Adam Friedrich v. Seinsheim geschaffen, ist zum Inbegriff des Rokokogartens geworden: Geometrische Grundordnung, aber doch in lockerer Form und mit reicher Abwechslung, besetzt mit Figuren und Kleinarchitekturen, Nahes und Fernes aus dem Wissen der Zeit zusammengefügt, leichthin allegorisch und symbolisch auf ein Weltbild anspielend, ist er vollkommener Ausdruck des Lebensgefühls der Zeit. Tietz’ Gartenfiguren, zu denen auch noch vielfach Holzmodelle erhalten sind, sind von einer Beweglichkeit, die die Figur völlig dem dekorativen Zusammenhang einfügt. Nicht in den Gesichtem, im ganzen Gestus ist das Leben, das erotische Spiel, das in mythologischen, Schäfer- und Kinderszenen vorgeführt wird, dargestellt. Die Naivität, die aus den Gesichtem spricht, ist Verkleidüng. Auch große und ernste Themen (Parnaß in Veitshöchheim, Grabaltar in Trier) weiß er groß zu gestalten. Seine Kunst ist in höchstem Grad raffiniert und kompliziert, wie im Scherz aber trägt er sie vor und macht sie dadurch leicht und liebenswürdig.12* Weitere Bamberger Bildhauer1 sind noch mit respektablen Werken zu nennen. Georg Reuß (1704-68), von Auwera und Tietz beeinflußt, schnitzt die Kanzel von St. Michael (1751) und meißelt die Kreuzgruppc vor der Altenburg (1755). Die Brüder Bonaventura Josef (1728-78) und Franz Martin Mutscheie (1733-1804)♦ vertreten ein omamentreiches, später beruhigtes Spätrokoko. Vom ersteren ist der Schmuck des Rathausturms in Bamberg (1755-56), er ging 1771 als Porzellanmodelleur nach Rußland. Der andere ist vor allem in der reichen Rokokoausstattung von St. Gangolph (1768 f.) zu bewundern. Johann Bernhard Kamm (1736-1816)’ führt vom Rokoko zum Klassizismus. Zuletzt vertritt das sterbende Rokoko der Mutscheieschüler Friedrich Theiler (1768-1826)6 in Ebermannstadt, bei dem man schon die Nähe der Nazarener spürt. In Eichstätt wirken nebeneinander die Rokokobildhauer Joseph Anton Breitenauer (1724-84)’ und Johann Jakob Berg (* 1727, in Eichstätt 1760-85). Berg ist vor allem 1 G. Hojer, Der Figurenschmuck d. F. Dietz f. d. Bamberger Seesbrücke (Ber. LfD 26) 1967, 170-195. 2 Tietz1 Entwurf für das Geländer im Treppenhaus der Würzburger Residenz 1763 wurde leider nicht ausgeführt. Das Geländer in der ehern. Abtei Bildhausen, deren Stuck ein Nachklang der Würzburger Residenz ist, steht in der Mitte zwischen Tietz’ Trierer Treppe u. dem Würzburger Entwurf. 1 Über alle s. Sitzmann (s. o. 741). ♦ F. Friedrich, Μ. Mutscheie als Modelleur (BHVB 100) 1964, 522-525. Auch das von

Mabdebach (s.o. 763) 71 Johann Eusebius Kaufmann in Coburg zugeschriebene Epitaph in Hohenstein (1768) dürfte eher von einem der Mutscheie sein. ’ H. Roder, J. B. Kamm (BHVB 86) 1938, 104· 316 K. Kupfer, Der Bildhauer Fr. Theiler aus Ebermannstadt u. d. Künstlerfamilie Mutscheie, 1917; H. Keh, Die künstler. Struktur d. Bildhauers Fr. Theiler, Diss. Masch. Erlangen 1949; K. Kupfer, Fr. Theiler (Lebensläufe aus Franken 6) 1960, 591·595‫־‬ O. Lochner v. Hüttbnbach, J. A. u.

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der Stukkator der Residenz und des Schlosses Hirschberg mit seinen idyllischen Medaillons und dem großartigen Altarrelief des Sehers auf Patmos. In Würzburg übernahm 1759 der junge Bildhauer Johann Peter Wagner (1730-1808)’ die Werkstatt Wolfgang von der Auweras. Wagner, Sohn eines fränkischen Bildhauers, war in Wien und Mannheim gewesen, hatte nachhaltige Eindrücke von dem geschliffenen Stil Balthasar Molls und Paul Egells mitgenommen und war vor 1756 in die Werkstatt Auweras eingetreten. In der ungeheuren Anzahl kirchlicher Werke, die von ihm geschaffen wurden, verbindet er die lebhaft-barocke Tradition mit einer neuen Festigkeit der Konzeption. Seine Altäre reduzieren die Ornamentfülle entscheidend, werden schließlich zu ganz schlichten Säulenbauten. In den Figuren ist schon bei den brühmten Passionsszenen der Käppele-Stiege in Würzburg (1767 ff.) eine neue Empfindsamkeit zu spüren. Dennoch bleibt sein Werk bis zuletzt barocker Bewegtheit und einem in der Spätzeit manchmal rhetorisch werdenden Pathos verhaftet. Eine besondere Werkgruppe sind seine höfischen Arbeiten, besonders die Gartenfiguren der Würzburger Residenz und die zerstörten Figuren der Kaskade im Veithöchheimer Garten. Hier ist er, besonders in den mythologischen Figuren wesentlich klassizistischer. Seine Puttengruppen aber basieren auf dem Barock, sind durch ihre reine Form dem Zeitgefühl nahegebracht und bfieben dadurch vertraut und geliebt. Neben Wagner ist noch Johann Georg Winterstein (1743-1806)1 zu nennen, der ebenfalls vorwiegend im Ornamentalen den Weg zum frühen Klassizismus findet. Der Konsequenteste aber auf diesem Weg war der Stukkateur Materno Bossi (1739 bis 1802)3 aus Porto Ceresio bei Lugano, ein Neffe Antonio Bossis. Von 1767 an ist er der Stukkateur der Residenz. Sein Beginn ist absolute Meisterschaft, doch die eines sich auflösenden Rokoko, dessen Teile nicht mehr in lebendiger Beziehung stehen, auch auf ältere Formen zurückgreifen (Grünlackiertes Zimmer der Residenz 1769 und anschließende Räume, alles zerstört). Bald aber wandelt er sich zum kühlen Klassizisten, auf bunte Farben wird verzichtet, alle Formen aus der Antike gewählt. Die Aufgäbe des Stukkators, die Innendekoration, wird bei ihm zur Innenarchitektur; er gibt nichtklassischer Architektur die klassische Fassung. Sein größtes Werk ist die Umgestaltung der größten gotischen Kirche Frankens, Ebrach (1774-84). Eine antikische Gliederung ist über die gotische Architektur gekleidet. Bei dieser völligen Umdeutung wird zwar das historische Phänomen der Gotik nicht gesehen, doch sind Bau und Ausstattung aus einer ähnlichen Gesinnung gewachsen, einer herben Strenge und kühlen Klarheit. Stimmungsvoller ist der barocke Raum der Augustinerstiftskirche Triefenstein (1785/86). Trotz der antikischen Gebärde ist hier noch der Klang des Rokoko. Das ist vor allem auch das Verdienst des Malers Januarius Zick (vgl. u. 1230 Anm. 2). Rokoko und Klassizismus lagen in Unterfranken durch dreißig Jahre im I. A. Breitenauer (Sbl. d. Hist. Ver. Eichstätt 25/ 26) 1910/11, 45-88, dazu ebd. 61, 1965/66, 73 f. 1 H.-P. Trenschel, Die kirchl. Werke d. Würzburger Hofbildhauers Joh. Peter Wagner, 1968 (m. d. ält. Lit.); Ders., Die ErthalEpitaphien in d. Pfarrkirche zu Leuzendorf (Mainfr. Jb. 21) 1969, 183-204.

2 G. Hirsch, J. G. Winterstein, 1927. 3 Sbdlmaier-Pfister (s. o. 767) 225 f.; Hoffmann (s. o. 780) 40 £., 155-62; J. D. Stumpf, Die Tätigkeit Μ. Bossis im Kloster Ebrach (BHVB 97) 1961, 215-18.

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Kampf. In diesem Raum ist nichts davon. In seiner zart getönten, ungetrübt erhaltenen Harmonie ist er der schönste Raum jener poetisch gestimmten Zeit, die hier zum letztenmal sich eine Welt erschafft. Die vielen dekorativen Arbeiten in Kirchen und Schlössern stellen den Malern zahlreiche Aufgaben, wenn auch meistens dienender Art. Es ist aber nicht zu vergessen, welche Bedeutung ihnen durch die Farbfassung der Bauten, Räume und Plastiken zukam. Erst durch sie werden die Dinge vollkommen und auch das Äußere der Würzburger Residenz und die Gartenfiguren Tietz’ strahlten in leuchtenden Farben. Nur in wenigen Schloß- und Kirchenräumen (von letzteren vor allem Amorbach und Triefenstein) läßt sich die Vollkommenheit einer farbigen Raumstimmung noch erleben. Die großen Aufgaben aber fielen ausnahmslos Auswärtigen zu. An erster, unvergleichlicher Rangstelle steht Giovanni Battista Tiepolo,1 der 1750-53 infolge der wahrhaft mäzenatischen Gesinnung Carl Philipps von Greiffenclau in der Würzburger Residenz den Kaisersaal und das Treppenhaus malte. Die Szenen aus der rühmreichen Geschichte Würzburgs und die Darstellung der Erleuchtung der Welt durch das mythologisch verhüllt dargestellte Licht Christi1 wurden Herzstück der Kunst Frankens, ein Höhepunkt der abendländischen Kunstgeschichte. Von den anderen Gästen sind zu nennen Joseph Ignaz Appiani3 aus dem Mailändischen (Fresken in Seehof 1751, Vierzehnheiligen 1764-69 sehr verdorben, zerstört die in Würzburg und Klosterheidenfeld), die Schwaben Matthäus Günther (Amorbach, Käppele), Johann Anwander (Münnerstadt, Bamberg), Johann Zick (Würzburg und Amorbach, zerstört Aschaffenburg und Grafenrheinfeld) und sein Sohn Januarius (Triefenstein), sowie Konrad Huber (Amorbach, zerstört Würzburg), schließlich der schwedische Maler Alexander Roslin,4*der in Bayreuth hervorragende Pastellbildnisse hinterließ und Wilhelmine im Malen unterrichtete. Von den Würzburger Malern seien in erster Linie die zwei genannt, die - neben dem Sohn Domenico - Giambattista Tiepolo zur Seite standen, Franz Ignaz Roth (f 1767)’ und Georg Anton Urlaub (1713-1759),6 dessen Fresken in Ipthausen (1752) ihn als guten Schüler Tiepolos ausweisen. Ebenfalls vom Werk Tiepolos beeinflußt erweist sich Christoph Fesel (1737-1805)7 in seinem Fresko in St. Jakob in Bamberg. Weiter seien noch Johann Andreas Urlaub (Gaukönigshofen 1776-77) und Johann Peter Herrlein8 aus Kleineibstadt (Zeil 1761) genannt. In Bamberg beschäftigten sich die Mitglieder der Malerfamilie Treu’ vor allem mit Porträt- und Landschaftsmalerei, Joh. Jos. Scheubel mit Kirchenbildem. 1 v. Freeden-Lamb, Das Meisterwerk d. G. B. Tiepolo. Die Fresken d. Würzburger Residenz, 1956; (Knox-Thiem), Tiepolo. Zeichnungen v. G., D. u. L. Tiepolo, 1970. 2 G. Bott, Zur Ikonographie d. Treppenfreskos v. G. B. Tiepolo in d. Würzburger Residenz (Anz. d. Germ. Nationalmus.) 1965, 140-164. 3 H. Voss, Giuseppe Appiani: Versuch einer Würdigung (Pantheon 21) 1963, 339-353. 4 E. Bachmann, Die «Comödiantenbildnisse» d. Markgräfin Wilhelmine (AO 38) 1958, 186-193; G. W. Lundberg, Roslin, liv $0 HdBGIII, i

och verk, Malmö 1957,1 22-26; ΠΙ13 f. Auch J. E. Liotard war in Bayreuth (AO 47) 1967, 277-288. 3 Sedlmaier-Pfister (s. o. 767) 184. 6 Ebd. 198 f.; Μ. Gebhardt, Der JosephsZyklus v. G. A. Urlaub (Mainfr. Jb. 10) 1958, 216-235. 7 H. Heimann, J. Chr. Fesel, Diss. Würzburg 1933· *J. Pfeufer, J. P. Herrlein, ein fränk. Barockmaler, 197012. ’ Sitzmann (s. o. 741) 119-121; Bamberger

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In Eichstätt zeigt der Hofmaler Michael Franz (f 1793), ein gebürtiger Schwabe, die leuchtende Farbigkeit des Augsburger Rokoko in seinen prächtigen Fresken in der Residenz und in Hirschberg. Neben ihm steht der sensible Chrysostomus Winck (1725-95), ein Bruder Christian Wincks, dessen Altarbilder von der Augsburger Rokokomalerei beeinflußt sind. Das Heer der Kunsthandwerker, das all diesen Schöpfungen Vollendung und Leben gab, kann nur angedeutet werden. Hervorragende Möbelschnitzer und Schreiner’ statteten die Würzburger und Bamberger Residenz aus, unter ihnen auch Bildhauer wie Auwera und Tietz. Höhepunkte der Ornamentschnitzerei sind die Arbeiten von Ferdinand Hundt in Würzburg, feinste Intarsienmöbel fertigten Carl Maximilian Mattem in Würzburg und die Brüder Spindler2 in Bayreuth, die 1763 nach Potsdam gingen. Höhepunkt der Raumgestaltung waren die Paradezimmer der Würzburger Residenz (1740-44, 1945 verbrannt),3 besonders das Spiegelkabinett,4 das Friedrich Carl von Schönbom weitgehend selbst bestimmte. Die mosaikartig angeordneten Spiegel füllen sämtliche Wandflächen aus, sind zum Teil mit Hinterglasmalerei versehen und verhüllen so ganz und gar die Grenze von Sein und Schein. Der geniale Hofschlosser, dem alles Eisenwerk an der Würzburger Residenz anvertraut war, war der Tiroler Johann Georg Oegg (1703-83),’ der unmittelbar aus dem Künstlerkreis um Hildebrandt aus Wien gekommen war. Sein Hauptwerk, das Ehrenhofgitter, ist verloren, aber seine Tore und die kleineren Arbeiten, wie die Übersteiggitter, zeigen, daß er in Eisen Bossi und Auwera gleichkommen konnte.6 Die großen Bauträume, mit denen Franken in der Schönbomzeit eine Welt voll Herrlichkeit und Geordnetheit hatte schaffen wollen, waren ausgeträumt. Was diese Zeit suchte, war das Private und Intime. So entstanden die Gärten einer schwermütigen Dame, die den Menschen klein und Menschenwerk als vergänglich und zufällig erscheinen ließ, entstand der Garten des geistlichen Philosophen, der lächelnd auf die Leidenschaften der Welt sieht, das perfekte Spiegelkabinett, das die Wirklichkeit aufhebt, im Ganzen eine Welt des Zweifels und der Skepsis in feinster Geschliffenheit. Maler vom Spätbarock bis z. Romantik, AusStellung 1961. 1 H. Kreisel, Fränk. Rokokomöbel, 1956; Ders., Die Kunstschätze d. Würzburger Residenz, 1930. 2 Ein ganzes vertäfeltes Kabinett am Schloß Fantaisie im Bayer. Nationalmuseum (MJBK 3. F. 13) 1962, 272 f. 3 H. Kreisel, Die Wiederherstellung u. Einrichtung d. südl. Paradezimmer in d. Würzb. Residenz (Kunstchronik 23) 1970, 173-176. 4 Ders. (s. o. 776 Anm. 7) 23-27. ’ Daneben ist auch sein Schüler Markus Gattinger (f 1754), der Meister der Gitter im Dom und in Amorbach, zu nennen. Sedlmaier-Pfister (s. o. 767) 192 f.; SchrepferStumpf, Oegg u. Gattinger, 1952; J. D. Stumpf, Das Ebracher Kirchengitter, ein

Werk d. J. G. Oegg (Mainfr. Jb. 8) 1956, 269-283. 6 Literatur über die zahlreichen Porzellanund Fayencemanufakturen der Zeit: A. Bayer, Ansbacher Porzellan, 19592; Ders., Die Ansbacher Fayencefabriken 1710-1839, 19592; Μ. Krieger, Ansbacher Fayence u. Porzellan. Kat. d. Sammlung A. Bayer (Jb. Mir. 81) 1963, 15-255; F. H. Hofmann, Gesch. d. Bayreuther Fayencefabrik St. Georgen am See, 1928; A. Bayer, Keramische Hofkunst z. Z. d. Markgräfin Wilhelmine (AO 38) 1958, 202-208; A. Klein, Nürnberger Fayencen, 1963; E. Kramer, Die Fürstlich Bambergische Fayencefabrik 1763-66 (Keramos 25) 1964, 33-38; S. Ducret, Das Würzburger Porzellan d. 18. Jhs. 1775-80, 1968; E. Schneider, Keramik am Untermain, 1964.

§ 83· Musik (H. Schmid)

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Daneben aber wagte die Zeit noch ein gewaltiges Bild, das eine ganze Welt erschuf und Ausdruck von etwas Beständigem war, demgegenüber all die anderen Versuche als zeitgebunden erscheinen müssen.

§ 83. MUSIK

a) 1200—1500 Vgl. § 14; weiter F. Krautwurst, Das Schrifttum z. Musikgesch. d. Stadt Nürnberg (Veröffentl. d. Stadtbibi. Nürnberg 7) 1964; H. Zirnbauer, Musik i. d. alten Reichsst. Nürnberg (ebd. 9); G. Kinsky, Gesch. d. Musik in Bildern, 1929; A. Schering, Gesch. d. Musik in Beispielen, 1931.

In den letzten Jahrhunderten des Mittelalters bietet die Musikgeschichte Frankens zunächst nur wenig Bemerkenswertes. Die noch vorhandenen Quellen lassen uns überall eine eifrige Pflege des gregorianischen Chorals und seiner üblichen Nebenformen erkennen,1 zu denen neben den Tropen und Sequenzen sowie den lateinischen Liedern auch die anfangs lateinischen, bald aber immer mehr volkssprachlich werdenden und aus dem rein kirchlichen Bereich heraustretenden Spiele zu rechnen sind. Allerdings ist aus den fränkischen Gebieten nicht so viel eigenschöpferischer Beitrag überliefert wie etwa aus Altbayem, scheint vielleicht auch von Anfang an nicht vorhanden gewesen zu sein. Dafür zeigt sich, besonders in den Städten, in Stiftungen von Choralbüchem und zugunsten des Choralsingens (besonders Magnificatstiftungen) ein gerade in der Spätzeit des Mittelalters großes Interesse außerkirchlicher, zumeist bürgerlicher Kreise an kirchlich-liturgischer Musikpflege. Recht schlecht bestellt ist es dagegen mit Zeugnissen mittelalterlicher Mehrstimmigkeit: die quellenmäßig belegte Zweistimmigkeit altertümlicher, an das frühe Organum anschließender Art’ dürfte wohl mehr als eine Aufführungsweise der Gregorianik denn als eigentliche Pflege mehrstimmiger Musik betrachtet worden sein. Zwar haben wir aus der Bamberger Dombibliothek eine der berühmtesten Quellen der ersten europäischen Blütezeit mehrstimmiger Tonkunst, nämlich die als Bamberger Motettenhandschrift bekannte Sammlung1*3 von genau hundert sogenannten Doppelmotetten, d. h. Stücken, deren zwei Oberstimmen verschiedenen Text aufweisen, doch wissen wir nicht, wie und wann diese außerdem noch einen englischen Mensuraltraktat enthaltende Handschrift nach Bamberg gekommen ist. In Deutschland scheint sie allem Anschein nach nicht geschrieben worden zu sein; das enthaltene Repertoire des ausgehenden dreizehnten Jahrhunderts gibt einen Querschnitt durch die Musik dieser Zeit, wie wir ihn erweitert auch in einem etwa gleichaltrigen Kodex zu Montpellier4 antreffen und gewöhnlich mit der Schule von Notre Dame zu Paris in Verbindung bringen. Die auswärtige Entstehung dieser wichtigen Quelle besagt jedoch nicht, daß diese nicht schon früh nach Bamberg gekommen und dort auch 1 Vgl. Federl (s. o. 158 Anm. 2). ’ Ein Beispiel (in einem Karmelitergraduale aus Neustadt a. S.) bei Federl (s. o. 158 Anm. 2) 85/86. 3 Ausgabe (Faksimile und Übertragung) von 50*

P. Aubry (Cents motets du XÜIe siicle), 3 Bde., Paris 1908. Ausführlicher Artikel in MGG. 4 Ausgabe (Faksimile und Übertragung) von Yvonne Roksbth (Polyphonie du XHIe si0cle) 4 Bde., Paris 1935/48.

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praktisch verwendet worden sein kann. Leider ist uns nichts bekannt, was auf eine besonders rege, ein derartiges Repertoire einbeziehende Musikpflege am Bamberger Dom unmittelbar hinweist, doch ist vielleicht das anderen Orten gegenüber auffällige Zurücktreten der Orgel - die erste Nachricht von einer kleinen Domorgel haben wir hier erst aus Jem Jahre 1415 und auch später bekommt der Bamberger Dom nie ein großes, repräsentatives Werk - ein Indiz für Bevorzugung vokaler Musik, wobei wir allerdings nicht sagen können, ob diese bis in die Zeit der Bamberger Motettenhandschrift zurückreicht. Zur Bildung von Musikpflegestätten größerer Bedeutung ist es also offenbar im Verlaufe des Mittelalters in den fränkischen Gebieten ebensowenig gekommen wie in den sonstigen Landesteilen des heutigen Bayern; bei den geistlichen und weltlichen Territorialherren scheint sich das Bedürfnis an speziell musikalischer Repräsentation zumeist in dem ursprünglich landesfürstlichen Recht, Trompeter und Pauker halten zu dürfen, erschöpft zu haben, ein Recht, das sich später auch die Reichsstädte - so Nürnberg 1431 u. a. m. - aus keineswegs musikalischen Gründen erkämpfen. Immerhin sind diese Trompeter vielfach der Grundstock des musikalischen Personals in einer wie anscheinend auch sonst in Deutschland primär instrumentalen weltlichen Musikpflege. In den Städten waren allerdings schon lange, bevor man sich Trompeter halten durfte, Stadtpfeifer vorhanden, die meist schon in den ersten erhaltenen Rechnungsbüchem in Erscheinung treten. Später treten neben die Pfeifer im eigentliehen Sinne auch Instrumentalisten anderer Art und die städtische Musikrepräsentation greift mit dem sehr bald besondere Bedeutung erlangenden Posten des Organisten an der oder den wichtigsten Stadtkirchen sogar in das Gebiet der Kirchenmusik über. Aus diesem Grunde finden wir die Organisten nicht nur sehr früh schon namentlieh belegt, sondern unter ihnen auch bis weit in die Neuzeit hinein eine ganze Reihe von bedeutenden Persönlichkeiten wie Konrad Paumann (um 1410-1473), der schon vor seiner Übersiedlung nach München (1450)1 ein weitberühmter Meister war. Zumindest die ersten Fassungen seines mehrfach überlieferten »fundamentum organisandi» sind bereits in Nürnberg entstanden.2 Ihre vielleicht typischste Ausprägung fand die bürgerlich-städtische Musikpflege wohl in den Meistersingern,3 die sich seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts zu örtlichen Verbänden, sogenannten «Schulen» zusammenschlossen. Unter diesen nach dem Vorbild der Zünfte organisierten und sich mit wechselndem Erfolg im Singen, Dichten und Komponieren meist religiöser Lieder übenden Musikbeflissenen waren schon zu ihrer Zeit (und keineswegs erst seit R. Wagners so betitelter Oper) am berühmtesten die zu Nürnberg, das ja schon lange vorher Treffpunkt fahrender Sänger gewesen war (u. a. Muskatplüt und Oswald von Wolkenstein). Mit dem trotz der Erfindung einiger Melodien (Töne) zweifellos als Poeten denn als Musiker bedeu’ Vgl. HB I 971. 2 So die des dem Lochamer-Liederbuch (vgl. 789 Anm.3) angebundenen Orgelbuches und die der Hs. Erlangen, Univ.-Bibl. 729. Vgl. Ch. Wolff, Conrad Paumanns Fundamentum or-

ganisandi u. seine verseh. Fassungen (Arch. f. Musikwiss. 25) 1968, 196-222. 3 Vgl. W. Nagel, Stud. z. Gesch. d. Meistersinger (Musikai. Magazin 27) 1900 u. B. Nagel, Der deutsche Meistergesang, 1952.

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tenderem Hans Sachs (1494-1576)1 wurde hier auch der Gipfel des im Rahmen der konservativen Meisterregeln wohl Möglichen erreicht. Vorausgreifend sei noch bemerkt, daß, nachdem die meisten Schulen Deutschlands schon im Verlaufe des siebzehnten Jahrhunderts zum Erliegen kamen, die Nürnberger Schule bis ins Ende des achtzehnten Jahrhunderts fortbestand. Zu einem weiteren Gebiet spätmittelalterlicher Musikpflege hat Franken ebenfalls bedeutende Beiträge aufzuweisen: zwei der namhaftesten Sammlungen deutscher Lieder sind nämlich in diesem Raume entstanden, und zwar die Liedersammlung desNümberger Arztes Hartmann Schedel12 und das unter dem Namen seines späteren Besitzers Wolflein von Lochamer bekannte, ebenfalls in Nürnberg entstandene Liederbuch.3 Ist das um 1460 begonnene Schedelsche Liederbuch eine der wichtigsten und umfangreichsten Quellen zum mehrstimmigen deutschen Lied dieser Zeit, so enthält das etwa zehn Jahre früher zusammengestellte Lochamer-Liederbuch überwiegend einstimmige und daher nicht durch die Anpassung an ein mehrstimmiges Satzgefüge umgeformte Melodien. Beide Sammlungen bieten uns gerade durch die Zusammenstellung und die oft recht individuelle Fassung ihres Inhalts auch einen interessanten Einblick in das Musikleben dieser Zeit. Der bereits erwähnten bevorzugten Stellung der Organisten entspricht eine im Spätmittelalter allerorts rege Tätigkeit im Orgelbau, die teils von einheimischen, teils aus recht erheblicher Entfernung beigezogenen Meistem ausgeübt wird. Gerade diese in dem urkundlich meist am besten erfaßbaren Orgelbau4 häufig feststellbare weite räumliche Wirksamkeit überrascht immer wieder: so arbeitet in Nürnberg Heinrich Traxdorf aus Mainz (St. Sebald 1440-43) sowie Stephan Kaschendorf aus Breslau (Augustiner-und Egidienkirche 1460, anschließend in Nördlingen und Plankstetten) und den Nürnberger Hans Süss treffen wir um 1500 am Rhein vom Elsaß bis zu den Niederlanden. Doch auch der Bau anderer Instrumente erreichte über den Weg des Exportes weiteste Verbreitung, insbesondere die berühmten Nürnberger Trompeten und Posaunen, neben denen dort auch Holzblasinstrumente, Lauten und Metallsaiten hergestellt wurden. Der in früheren Zeiten in den Klöstern beheimatete Glockenguß war inzwischen ebenfalls zu einer von bürgerlichen Meistem ausgeübten Kunst geworden, die sich seit etwa 1300 an verschiedenen Orten nachweisen läßt, in den Nürnberger Gießhütten des fünfzehnten Jahrhunderts aber einen ihrer absoluten Höhepunkte erreichte.5 Noch vor der Wende zur Neuzeit befaßt sich auch die neuerfundene Buchdruckerkunst mit Musik: seit etwa 1480 entstehen - zunächst noch im Linien- und NotenZeichen nacheinander herstellenden Doppeldruckverfahren - in rasch zunehmender 1 S. o. 706; eine Komposition (Silberweise) bei Schering (s. o. 787). 2 Cgm. 810; Ausgabe v. R. Eitner (Das deutsche Lied d. XV. u. XVI. Jhs., Π, Beilage z. d. Monatsheften f. Musikgesch.) 1880; Faksimileausgabe (Erbe deutscher Musik 84) 1978; Neuausgabe v. Besseler-Kienast (Erbe deutscher Musik) in Vorbereitung.

5 Berlin, Staatsbibi. d. Stift. Preuß. Kulturbes., Mus. Ms. 40613; Faksimileausgabe hg. v. K. Ameln, 1925, 19722; Neuausgabe hg. v. Petzsch-Salmen (DTB NF Sonderbd. 2) 1972. 4 Vgl. H. Fischer, Der mainfränk. Orgelbau bis z. Säkularisation (Acta organologica 2) 1968,101-218. 5 S. u. 1246 Anm. 1.

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Zahl Choralnotendrucke der Offizinen Jörg Stuchs (Nürnberg), Michael Reiser (Eichstätt) und Georg Reiser (Eichstätt/Würzburg). b) 1500-1800 Vgl. a) u. § 14; H. J. Moser, Gesch. d. deutschen Musik, II1: Vom Beginn d.Dreißigjähr. Krieges bis z. Tode Joseph Haydns, 1922,193ο9; Einleitungen zu den einzelnen Bänden der DTB; K. Hartmann, Musikpflege in Alt-Bayreuth (AO 33, H. 1) 1936, 1-66; J. HÖRNES, Die Kirchenmusik in Franken im 16. u. 17. Jh. (AU 19) 1897; O. Kaul, Gesch. d. Würzburger Hofmusik im 18. Jh., 1924; Ders., Zur Gesch. d. Bamberger Hofmusik im 18. Jh. (Bll. f. fränk. Kunst u. Gesch.) 1925; Ders., Zur Musikgesch. d. ehern. Reichsstadt Schweinfurt, 1935; J. Sax, Musik u. Theater in d. fürstbischöfl. Residenzstadt Eichstätt bis 1802 (Jb. Mir. 46) 1898; A. Poncratz, Musikgesch. d. Stadt Erlangen im 18. u. 19. Jh., Diss. Erlangen 1958; G. Schmidt, Die Musik am Hofe d. Markgrafen v. Brandenburg-Ansbach vom ausgehenden MA bis 1806, 1956; für die zahlreichen Veröfientlichungen zu Teilgebieten der jeweiligen lokalen Musikgeschichte sei nochmals auf die sich ergänzenden Literaturangaben der Ortsartikel in MGG und Riemann Musik Lexikon (s. 0.156) verwiesen. Eine Zusammenfassung der Musikgesch. Nürnbergs vom 15.-18. Jh. bietet F. Krautwurst in: Pfeiffer, Nürnberg (s. o. 324) 1971, 211-218, 287-291, 344-346.

Seit etwa 1500 haben wir uns bei der Betrachtung der Musikgeschichte in deutschen Ländern nahezu ausnahmslos mit einer gegenüber den vorhergehenden Jahrhunderten recht verschiedenen Situation auseinanderzusetzen. Dies liegt nicht nur an der sich nun wesentlich ändernden Quellenlage, die jedoch, abgesehen von der Überlieferung der Werke namhafter Meister überlokaler Geltung, nach wie vor bis in die neueste Zeit weitgehend vom Zufall, dem der Erhaltung und dem der Wiederauffindung und Benützung, bestimmt wird, sondern auch an einer sich in Verhältnismäßig kurzer Zeit sichtlich wandelnden Einstellung zur Musik. War diese bisher ein allerdings oft zu hoher und höchster Qualität erhobener Gebrauchsgegenstand der Liturgie, der Repräsentation oder der Unterhaltung, vielfach traditionell bedingt und gebunden, so wird sie jetzt, ohne ihre genannten Gebrauchsfunktionen zu vemachlässigen, zu einem Gegenstand primär ästhetischen musikalischen Genusses. Mitten in diesem Umbruch steht beispielgebend für ganz Deutschland die Hofkapelle Kaiser Maximilians, zugleich letzter Höhepunkt repräsentativen Musizierens im hergebrachten Sinne und im deutschen Raum erste großartige musikalische Verwirklichung des neuen, von dem durch das, was wir mit Humanismus und Renaissance zu umschreiben gewohnt sind, veränderten Lebensgefühles. Eine zumindest gegenüber künstlerischen Spitzenleistungen veränderte Einsteilung, die nun geistigen, über das handwerklich Erlernbare hinausgehenden Fähigkeiten besondere Wertschätzung entgegenbrachte, kam nicht zuletzt der Musik zugute und ermöglichte dieser an der Wende zur Neuzeit auch in Franken eine bisher noch nicht erlebte Entfaltung. Überall nahmen humanistische Kreise tätigen Anteil am Musikleben: So dichtete z. B. Conrad Celtis für ein vom Nürnberger Sebaldusorganisten Sebastian Nachtigal mehrstimmig vertontes Sebaldusoffizium einen Hymnus (1493) und Johannes Cochläus (1510-15 Rektor bei St.Lorenz) verfaßte ein verbreitetes Musiklehrbuch (Tetrachordum musices, nach Kölner Erstdrucken zahlreiche Nümberger Auflagen). Desgleichen ist von Bischofssitzen und Klöstern ein Aufschwung der Musikpflege feststellbar, für den der Willibaldshymnus des Eichstätter Domkustos

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Johann von Schauenburg (1517) und die aus Kloster £brach erhaltenen, ebenfalls vierstimmigen Marienlieder (ca. 1510-13) als Beispiele genannt seien. Die vor allem in den Städten schnell um sich greifende Reformation führte zunächst zu einigen radikalen Änderungen auf dem Gebiete der Kirchenmusik.1 In Nürnberg wurden z. B. 1523/24 Karfreitagsspiel, Fronleichnamsprozession und Salve Regina abgeschafft, zu gleicher Zeit aber auch das erste evangelische Gesangbuch (Achtliederbuch) gedruckt und die Messe deutsch gesungen? Die ausgesprochene Wertschätzung der Musik durch Luther und die feste Stellung, die sie sich beim gehobenen Stadtbürgertum erworben hatte, ließen jedoch die evangelische Kirchenmusik bald wieder in die Kontinuität der allgemeinen Musikkultur einmünden. Zumal da Luther die lateinische Sprache keineswegs radikal aus der Liturgie verbannt hatte,3 spielte im Musikrepertoire offensichtlich für lange Zeit die Qualität eine größere Rolle als die konfessionelle Zugehörigkeit des jeweiligen Komponisten.4*Auch die planmäßige Einbeziehung der Musik in den Unterricht der städtischen Lateinschulen,3 die wir in gleicher Weise dann bei den Jesuitenschulen der Gegenreformation finden, war der Musikpflege nur förderlich und selbst kleinere Orte bemühten sich, dabei dem Vorbild der großen Reichsstädte nachzueifem, auch wenn man dort selbstverständlich nicht die Möglichkeit hatte, wie Nürnberg Meister vom Range eines Hans Leo Haßler (1564-1612)4 oder Leonhard Lechner (um 1553-1606)’ zu verpflichten. Doch ist dieses Bemühen nahezu überall, sei es nun aus erhaltenen Restbeständen, NotenInventaren oder Kirchenordnungen, deutlich zu erkennen aus dem, was musiziert wurde, wobei die Werke Orlando di Lassos über alle konfessionelle Grenzen hinweg sichtlich besonders geschätzt wurden.8 Welcher Stellung und Achtung sich die Musik damals im öffentlichen Leben der Städte erfreute, zeigt vielleicht am deutlichsten der Liedertisch im Rathaus von Amberg, das im sechzehnten Jahrhundert kulturell dem ebenfalls protestantischen Franken, insbesondere Nürnberg, eng verbunden war: in die steinerne Platte dieses heute 1 Vgl. F. Blume, Gesch. d. evang. Kirchenmusik, 1931, neubearb. 19651 2. 2 Vgl. S. Braungart, Die Verbreitung d. reformator. Liedes in Nürnberg in d. Zeit v. 1525-1570, Diss. Erlangen 1939. 3 Vgl. Th. Schrems, Die Gesch. d. gregorian. Gesanges in den protestantischen Gottesdiensten (VeröfFentl. d. gregorian. Akad. zu Freiburg i. d. Schweiz 15) 1930. 4 Ein Beispiel ist das Musikrepertoire der Nürnberger Egidienkirche, das heute noch nahezu komplett in zahlreichen Chorbüchem von der Hand des Kantors Friedrich Lindner erhalten ist (heute im German. Nationalmuseum und im Landeskirchlichen Archiv zu Nürnberg). Vgl. W. Rubsamen, The International «Catholic» Repertoire of a Lutheran Church in Nürnberg (1574-1597) (Annales Musicologiques 5) 1957, 229-327. 3 Vgl. F. Sannemann, Die Musik als Unter-

richtsgegenstand in den Ev. Lateinschulen d. 16. Jhs. (Musikwissensch. Stud. 4) 1904. 6 Gesamtausgabe hg. v. R. C. Crosby, bisher 11 von 14 Bänden 1961 fF. Vgl. auch A. Sandberger, Bemerkungen z. Biographie Hans Leo Haßlers u. seiner Brüder sowie z. Musikgesch. d. Städte Nürnberg u. Augsbürg im 16. u. zu Anfang d. 17. Jhs. (DTB 5, 1)· ’ Gesamtausgabe hg. v. K. Ameln (bisher 10 Bde.) 1954fF. Vgl. auch Μ. Schreiber, Die Kirchenmusik d. Kapellmeisters Leonhard Lechner Athesinus (1553-1606), 1935, u. U. Martin, Hist. u. stilkrit. Stud. zu Leonhard Lechners Strophenliedem, Diss. Masch. Göttingen 1957. 8 Als Beispiel sei die bei O. Kaul, Zur Musikgesch. d. ehern. Reichsstadt Schweinfurt, 193 5> 14 f· angeführten Inventare hingewiesen. Vgl. auch o. Anm. 3.

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noch vorhandenen Tisches ist unter anderem eine sechsstimmige deutsche Motette (Bitte um Gottes Gnade für den Rat der Stadt) kunstvoll eingeätzt.1 Das damalige Amberg tritt allerdings auch sonst in der Musikgeschichte verschiedentlich hervor:12* Sebastian Virdung, dessen «Musica getutscht und außgezogen» (also ein deutschsprachiger Auszug aus der Musiklehre) 1511 zu Basel gedruckt wurde,2 ist im Titel seines Buches als «Priester von Amberg» bezeichnet, und der aus Kemnath gebürtige Wolfgang Schmeltzl (ca. 1500-1561) war als Kantor in Amberg tätig, bevor er (unter Zurücklassung seiner Familie) in Wien wieder zum katholischen Glauben zurückkehrte und dort (nun als katholischer Priester) seine Komödien und seine bekannte Quodlibetsammlung (gedruckt 1544 von dem Nürnberger Drucker Petrejus4* ) herausgab. In Amberg geboren und dort auch längere Zeit als Arzt ansässig war Georg Forster (um 1514-1568), der 1539-56 in Nürnberg fünf Sammlungen von ihm redigierter mehrstimmiger deutscher Lieder zum Druck beförderte;2 ebenfalls gebürtiger Amberger war Kaspar Othmayr (1515-1533)6 und auch der aus Hahnbach stammende Regensburger Kantor und Komponist Andreas Raselius (um 1563-1602), zuletzt Hofkapellmeister in Heidelberg, bezeichnet sich selbst stets «Ambergensis».7 In Nürnberg waren die Liederdrucke Forsters übrigens keineswegs die ersten dieser Art: schon 1534 hatte Hans Ott, der auch als Herausgeber von Motetten- und MessenSammlungen auftrat, einen Band mit deutschen Liedern Arnolds von Bruck, Senfls und Breitengrasers erscheinen lassen,8*dem er 1544 einen zweiten, vielseitigeren folgen * ließ und selbst Spielkarten wurden hier auf ihren Rückseiten mit mehrstimmigen Liedsätzen versehen.10 Neben dem genannten Breitengraser traten weitere Nümber1 Abbildung und Ausgabe bei B. A. WallMusikalische Denkmäler d. Steinätzkunst d. 16. u. 17. Jhs. nebst Beitrr. z. Musikpflege dieser Zeit, 1912 (Teildruck in: Mitt, aus d. Stadtarchiv Amberg 1, 1912). 2 Die anderen oberpfälzer Städte treten gegenüber Amberg weit zurück: zwar finden wir fast überall Türmer sowie bei evangelisch-lutherischer Kirchenordnung auch Organisten, Kantoren und Singknaben, doch scheint mancherorts der Calvinismus jeglicher Musikpflege abträglich gewesen zu sein und darüber hinaus selbst diesbezügliche Zeugnisse vorhergehender Zeiten gründlich vernichtet zu haben. Lediglich in Mus. Ms. 89 der Bayer. Staatsbibi, zu München hat sich ein Chorbuch mit Werken von Orlando di Lasso, Valentin Judex u. a. erhalten, das nach D. Mettenleiter, Musikgesch. d. Oberpfalz, 1867, aus der Oberpfalz (Kapuzinerkloster in Neumarkt) stammt. 1 Faksimile-Neudrucke (hg. L. SchrAde) Kassel 1930 u. (hg. K. W. Niemöller) Kassel 1971. Virdung ist übrigens, wenn wir von einigen Minnesängern absehen, die erste Persönlichkeit, die aus der Oberpfalz stammend ins Licht der Musikgeschichte tritt. Im Mittelner,

alter dürfte sich hier das Musikleben ähnlich wie im stammesverwandten Ober- und Niederbayem, mit denen die Oberpfalz ja ebenfalls zur Kirchenprovinz Salzburg gehört, abgespielt haben. Vgl. dazu HB I u. II. 4 Vgl. Elsa Bienenfeld,Wolflgang Schmeltzl, sein Liederbuch u. d. Quodlibet d. 16. Jhs. (Sammelbde. d. Intern. Musikges. 6) 1904/5. 5 Neuausgabe der 1. Sammlung von 1539: Erbe deutscher Musik 20; 2. Sammlung von 1540: Publikationen älterer prakt. u. theoret. Musikwerke 29, 1905. Vgl. H. Kallenbach, Georg Forsters Frische Teutsche Liedlein (Gießener Beitr. z. deutschen Philologie 29) 1931. 6 Vgl. u. 793. 7 Vgl. HB II 977; erweiterte Neuauflage der ausgew. Werke (DTB 29/30) 1972. 8 Neuausgabe: Erbe deutscher Musik 15. Vgl. H. J. Moser, Otts erstes Liederbuch (Acta musicologica VI) 1934. 9 Neuausgabe: Publikationen älterer prakt. u. theoret. Musikwerke 1,1873. 10 Vgl. R. C. Crosby, Die Flötnerschen Spielkarten u. a. Curiosa d. Musiküberliefcrung d. 16. Jhs. aus Franken (DTB, NF Sonderbd. 1) 1967 (mit Faksimiles und Übertragungen).

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ger Schulmeister musikalisch hervor, so Joachim Heller und Erasmus Rotenbucher ebenfalls als Komponisten sowie als Herausgeber von Bicinien, d. h. zweistimmigen Gesängen,1 und Sebald Heyden (1499-1561) als Musiktheoretiker.1 Und Nürnberger Bürger waren auch die berühmten Lautenmeister Hans Gerle (j‫ ־‬um 1570, auch Lauten- und Geigenbauer), Sebastian Ochsenkhun (f 1574 in Heidelberg als Lautenist des Pfalzgrafen Ottheinrich) sowie der aus Preßburg stammende Hans Newsidler (t 1563) und dessen allerdings meit auswärts tätigen Söhne Melchior und Conrad (t159Σ/91 2 bzw. 1604 zu Augsburg).3 An den weltlichen Residenzen war das Musikleben, insbesondere soweit es die Hofhaltung selbst betraf, weitgehend vom Interesse und zumeist auch von der jeweiligen finanziellen Lage des Regenten abhängig. In Ansbach wirkte nach einer kurzen vorreformatorischen Blüte der Hofmusik um die Jahrhundertmitte Kaspar Othmayr (j1553 ‫ ־‬als Propst von St. Gumbert).4*Man hatte dort in dem nahegelegenen ehemaligen Zisterzienserkloster Heilsbronn den bemerkenswerten Versuch gemacht, katholische Formen in protestantischem Geist weiterleben zu lassen, was zu einer intensiven Pflege lateinischer Kirchenmusik führte. In vier umfangreichen Chorbüchem, geschrieben 1539-48 vom Schwiegervater des dort als Rektor amtierenden Othmayr, dem Klosterrichter Johannes Hartung, ist uns heute noch etwa die Hälfte des damaligen Repertoires erhalten.9 Der Pflege gottesdienstlicher Musik diente auch die 1563 unter Markgraf Georg Friedrich (f 1603) errichtete Ansbacher Hofkantorei,6 doch wurde unter deren Leiter Jakob Meiland (1542-77)7 daneben auch gleich eine Hofkapelle für Tafel- und Festmusik ins Leben gerufen. Nach Meilands Weggang (1574) zunächst zwar aufgelöst erstand sie jedoch bald wieder neu und führte unter dem Brescianer Theodor Riccius (Kapellmeister bis 1598) eine Glanzzeit des höfischen Musiklebens herauf, die allerdings die Jahrhundertwende nicht überdauerte. Auch die nach Mitteldeutschland orientierte Musikpflege in Bayreuth fand nicht allzulange später ein vorläufiges Ende: sie fiel den Kriegswirren zum Opfer, gerade als nach der endgültigen Übersiedlung des Hofes von der Plassenburg unter dem hier etwa ein Jahrzehnt tätigen Nürnberger Johann Staden und mit einer sechzehn Mann starken Hofkapelle ein solcher Aufschwung zu verzeichnen war, daß man zur Abnahme der neuen Stadtkirchenorgel im Jahre 1619 mit Schütz, Scheidt und Praetorius die ersten Meister des protestantischen Deutschland hierher einladen konnte. Auch in den katholischen Territorien war die Intensität des Musikbetriebes meist sehr von dem Interesse des jeweilig maßgebenden Herren abhängig. Von solch besonderer 1 Diphona amoena et florida, 1549; Bergkreyen, 1551. 2 Musica στοιχιιωσις, 1532; Musicae i. e. artis canendi libri II, 1537, 15401. Vgl. A. Kosel, Sebald Heyden (1499-1561). Ein Beitr. z. Gesch. d. Nürnberger Schulmusik in d. Reformationszeit (Literarhist.-musikwissensch. Abh. 7) 1940. 3 Werke v. H. Newsidler u. a. in Denkmäler d. Tonkunst in Österreich 37, bei O. Chilesotti, Lautenspieler d. 16. Jhs., 1891, 19692 u.

W. Tappert, Sang u. Klang aus alter Zeit, 1906. 4 Neuausgabe ausgew. Werke im Erbe deutscher Musik 16 u. 26; Monographie von H. Albrecht, Caspar Othmayr, 1950. 9 Vgl. F. Krautwurst, Die Heilsbronner Chorbücher d. Univ.-Bibl. Erlangen, Ms. 473, 1-4, Hab.-Schr. Masch. Erlangen 1956. 6 Vgl. Schmidt (s. o. 790). 7 Vgl. R. Oppel, Jacob Meiland 1542-1577. Ein Beitr. z. Musikgesch. d. Ansbacher Hofes, 1911.

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Vorliebe für Musik wissen wir z. B. bei dem Bamberger Bischof Ernst von Mengersdorf (1583-91) * und bei dem 1564-73 in Würzburg als Domscholaster tätigen Augsburger Kanoniker (und späteren Bischof) Egolph von Knöringen, einem Freund des berühmten Musiktheoretikers Glarean.12 Allgemein eingeführt wurde die mehrstimmige Figuralmusik erst gegen das Jahrhundertende, wohl in Zusammenhang mit der Durchführung der Trienter Liturgiereformen, wobei es nun auch überall zur AufStellung fester Kapellen kam, soweit solche nicht schon aus früherer Zeit bestanden.3 Noch ehe durch den Dreißigjährigen Krieg das Musikleben in den betroffenen Gebieten mehr oder weniger zum Erliegen kam, hatte das siebzehnte Jahrhundert die Auseinandersetzung mit den neuen, aus Italien ins Land gekommenen Musizierweisen der Mehrchörigkeit und des Generalbasses gebracht. In Nürnberg war es zunächst der bereits genannte Johann Staden (1581-1634), der in seinen Werken alles damals in der Musik überhaupt Mögliche zu Gehör brachte, angefangen von der lateinischen Motette über die (übrigens auch schon von Haßler, der ja einige Zeit zur Ausbildung in Italien gewesen war, gepflegte) Mehrchörigkeit und die Monodie bis zur den Generalbaß einbeziehenden Instrumentalmusik.4*Mit Stadens Sohn Gottlieb (1607-55), dem Komponisten des als erstes deutschsprachiges Singspiel geltenden «Seelewig» (in Harsdörffers Frauenzimmergesprächsspielen 1644)’ und dem Staden- und CavalliSchüler Johannes Erasmus Kindermann (1616-55)6 setzt sich die über viele Generationen hin ununterbrochenen Folge von guten, teilweise sogar hervorragenden als Stadtorganisten bestallten Musikern fort, mit denen Nürnberg seine Musikpflege nicht nur nahezu ungebrochen über den großen Krieg hinweg, sondern sogar bis in das nachfolgende Jahrhundert hinein weiterführen konnte? Auf Staden und Kindermann, folgten Heinrich Schwemmer und Georg Kaspar Wecker sowie mit dem vorher in Wien, Eisenach, Erfurt, Stuttgart und Gotha tätigen Johann Pachelbel * (1653 bis 1706, wie alle anderen gebürtiger Nürnberger) der namhafteste dieser Reihe. Auch 1 Orlando di Lasso widmete ihm mit einer sehr persönlich gehaltenen Dedikation seine letzten deutschsprachigen Werke (Newe Teutsehe vnnd etliche Frantzösische Gesang mit sechs Stimmen, 1390; vgl. Sämtl. Werke 18 u. 20, 1910, rev. u. erg. Neuaufl. 1970/71). 2 Knöringen hatte beim Studium Glarean (s. 1239 Anm. 9) kennengelemt und erwarb nach dessen Tod seine Bibliothek, die er dann zusammen mit seiner eigenen Musiksammlung der Universität Ingolstadt vermachte (heute in der Univ.-Bibl. München, vgl. Die Hss. d. Univ.Bibi. München II: Die Musikhss., beschr. v. CI. Gottwald, 1968). 3 Zur Musikpflege in Bamberg und Würzbürg vgl. Μ. Sack, Leben u. Werk Heinrich Pfendners (ca. 1390-1631). Ein Beitr. z. süddeutschen Musikgesch. im frühen 17. Jh., Diss. Masch. Berlin (FU) 1954. 4 Ausgew. Werke und Biographie (hg. E. Schmitz) in DTB 7, 1 u. 8, 1. Zur Gesamt-

Situation dieser Zeit vgl. L. Hübsch-Pfleger, Das Nürnberger Lied im deutschen Stilwandel um 1600, Diss. Masch. Heidelberg 1944. 3 Ausgabe in den Monatsheften f. Musikgesch. 13, 1882, $3 ff.; vgl. auch L. Schiede■mais, Die deutsche Oper, 1930, 19433. 6 Biographie, Werkverzeichnis und ausgew. Werke (hg. F. Schreiber) in DTB 13 u. 21-24. 7 Vgl. die ausführliche Einleitung zu DTB 6, I (Geistl. Konzerte u. Kirchenkantaten v. Nürnberger Meistem d. 2. Hälfte d. 17. Jhs., hg. v. Μ. Seiffert), weiter Edith v. Rumohr, Der Nümbergische Tasteninstrumentalstil im 17. Jh., dargest. an Arie, Variation u. Suite, 1939· 8 Vgl. die ausführl. Einleitung zu Denkm. d. Tonk. in österr. 8, 2 (94 Kompositionen, hg. v. H. Botstiber) sowie DTB 2, 1 u. 4, 1 (Kiavier- u. Orgelwerke, hg. Μ. Seiffert) ; prakt. Ausgabe d. Orgelwerke (hg. K. Matthaei, weitergef. v. W. Stockmeier) 6 Bde., 1928ff.

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die Stadtpfeiferei oder, wie sie nun hieß, Ratsmusik, wurde trotz der wechselvollen Zeiten nie vernachlässigt,1 nicht zuletzt dank der Förderung durch den damaligen «Deputierten zur Musik», den geheimen Rat und ersten Schul- und Kirchenpfleger Lucas Friedrich Behaim (j1 2.(1648 ‫ ־‬Desgleichen lebten die hier im sechzehntenJahrhundert entstandenen Musikkränzchen nach den schlimmsten Kriegsjahren schnell wieder auf. Aus den von ihnen gepflegten Singspielen entstand in den siebziger Jahren mit den Werken Johann Löhners3 (1645-1705, ebenfalls Organist in seiner Vaterstadt) eine vollständige deutsche Oper; doch brachte man in dem 1667 wie andernorts, so auch hier aus einem Umbau entstandenen Opernhaus bald auch italienische Opern zu Gehör, so z. B. beim Gastspiel der Truppe Sigismund Kussers, des seinerzeit wohl berühmtesten deutschen Opem-Unternehmers, Komponisten und Dirigenten kurz vor der Jahrhundertwende.4 An den Residenzen zu Ansbach und Bayreuth beherrschte die Oper das nach dem Dreißigjährigen Krieg endlich wieder erstehende Musikleben nahezu völlig. In Ansbach begann der Opembetrieb mit der Berufung Johann Wolfgang Francks’ zum Leiter der Hofmusik (1672). Er erlahmte auch nicht mit dessen Übersiedlung nach Hamburg (1678) -1679 komponierteJ. Löhner für Ansbach ein dort mehrfach wiederhohes Singspiel6 - und erlebte mit Francesco Antonio Pistocchis Berufung (1696) nochmals eine mehrjährige, nun neben der fortdauernden Pflege deutscher Opern aber nicht mehr französisch, sondern italienisch orientierte Blüte. Auch die konzertante Musik stand in Gunst, so daß sich der berühmte Geiger Giuseppe Torelli einige Jahre hier aufhielt (1697-99). Mit dem Tode des Markgrafen Georg Friedrich (1703) trat die Musik jedoch am Ansbacher Hof wieder in den Hintergrund, bis ihr die Umsiedlung der Bayreuther Hofkapelle 1769 nochmals neuen Auftrieb gab. Der Thronverzicht Karl Alexanders bereitete dann 1791 dem höfischen Musikleben Ansbach das endgültige Ende. - In Bayreuth, wo die Oper schon 1661 eingeführt worden war, finden wir seit der Jahrhundertwende einen ziemlich regelmäßigen Opembetrieb, der unter Markgraf Georg Wilhelm (1712-26) mit etwa fünf neuen Stücken pro Jahr seinen Höhepunkt erreichte. Nach seinem Tode setzte die Opempflege erst wieder mit Markgraf Friedrich (1735-69) ein, unter dessen auch selbst komponierender Gemahlin Wilhelmine Bayreuth zu einem Brennpunkt höfischer Musikpflege wird,7 die ihren heute noch sichtbaren Ausdruck in dem von Joseph Saint-Pierre und 1 Vgl. Th. Wohnhaas, Leistungen d. ReichsStadt z. Ratsmusik (1550-1670) (H. Zimbauer, Der Notenbestand d. Reichsstädtischen Nümbergischen Ratsmusik - Verödend, d. Stadtbibl. Nürnberg 1) 1959. 2 H. Zirnbauer, Lucas Friedrich Behaim, d. Nürnberger Musikherr d. Frühbarock (MVGN 50) 1960, 330-351■ 3 Löhner war auch ein namhafter Liederkomponist. Vgl. H. Krbtzschmar, Gesch. d. neueren deutschen Liedes (Kleine Handbücher d. Musikgesch. nach Gattungen) 1912. 4 Bibliographie z. Theatergesch. Nürnbergs,

bearb. v. Kertz-Strössenreuthbr (Verödend, d. Stadtbibi. Nürnberg 6) 1964; A. Sandbbrgbr, Zur Gesch. d. Oper in Nürnberg i. d. zweit. Hälfte d. 17. u. zu Anfang d. 18. Jhs. (Arch. f. Musikwiss. 1) 1918/19, 84-107 (auch in: Ges. Aufs. z. Mus.-Gesch. 1, 1921, 188 ff). 5 Vgl. R. Klages, Joh. Wolfg. Franck. Untersuchungen zu seiner Lebensgesch. u. seinen geisd. Kompositionen, 1937■ 6 Neudr. in DTB NF in Vorbereitung. 7 Vgl. dazu E. Schenk, Giuseppe Antonio Paganelli. Sein Leben u. seine Werke, nebst Beitrr. z. Musikgesch. Bayreuths, 1928.

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Guiseppc Galli-Bibiena erbauten Opernhaus findet. Diese Glanzzeit, in der neben namhaften italienischen Sängern auch hervorragende deutsche Instrumentalsolisten verpflichtet wurden (so die Flötisten Christian Franz Döbbert seit 1736 und Georg Gotthelf Liebeskind seit 1750, sowie die drei Brüder Kleinknecht seit 1738, 50 und 54),1 geht allerdings mit dem Tode der Markgräfin (1758) jäh zu Ende. Mit der Übersiedlung der Hofkapelle nach Ansbach (1769) verbleibt bis auf weiteres für Bayreuth nur mehr das von einheimischen Stadtmusikem und Dilletanten sowie von gelegentlichen Gastspielen durchreisender Virtuosen getragene Musikleben einer deutschen Kleinstadt. Auch die so schwungvoll begonnene Opempflege der Reichsstadt Nürnterj lebte im achtzehnten Jahrhundert nur mehr von den Aufführungen durchziehender Truppen, und die große Zeit der dortigen Kirchenmusik war mit dem Tode Pachelbels (1706) vorbei. Man blieb zwar durch die Oratorienaufführungen des Sebaldusorganisten Johann Siebenkees (1714-81) einigermaßen auf dem laufenden, mit Johann Matthias Leffloth, Johann Jakob Küflner, Johann Joachim Agrell und Georg Wilhelm Gruber gab es um die Jahrhundertmitte sogar so etwas wie eine Nürnberger Klavierschule,2 doch war dies alles nur ein schwacher Abglanz einstiger Größe; für Mozart, Haydn und Beethoven, die zu Bnde des Jahrhunderts durch Nürnberg reisten, war die Stadt und ihr Musikleben uninteressant geworden. In den katholischen Gebieten, wo weltliche und kirchliche Repräsentation eng miteinander verbunden blieben, wurden der Musik, gerade durch ihre Einbeziehung in das uns heute vor allem durch die bildenden Künste bekannte Gesamtkunstwerk barocker Liturgiegestaltung, stets entsprechende Leistungen abverlangt. So sehen wir in einer Zeit, in der sich die evangelische Kirchenmusik unserer Gebiete vielfach mit einem mehr oder minder hohen Anforderungen entsprechendem Organistendienst und der Befriedigung sonstiger laufender Bedürfnisse, wie etwa der verbreiteten Hochzeits- und Sterbekompositionen begnügte,2 überall - an Domen und Klöstem, Schloß- und Pfarrkirchen - Vokal- und Instrumentalkapellen entstehen oder, wo solche bereits vorhanden, die Instrumentalmusik sich gleichberechtigt neben die traditionelle Vokalmusik stellen, ja diese gelegentlich selbst in der Kirche über Gebühr zurückdrängen. Als Beispiel dafür sei hier nur an die seinerzeit berühmten Tusche und Aufzüge erinnert, die die Hofmusik des Fürstbischofs Adam Friedrich von Seinsheim (!75779‫ )־‬im Bamberger Dom zum besten gab. Selbstverständlich hatten diese Kapellen nicht allein dem Gottesdienst zu dienen: bei den Fürstbischöfen übernahmen sie auch Kammer- und Tafeldienst und in den Klöstern, wo sie nicht aus Berufsmusikem, sondern aus Konventualen bestanden, war die Musik über den Rahmen der Vorbereitung ihrer gottesdienstlichen Mitwirkung hinaus eine beliebte Freizeitbeschäftigung ,Joh. Steph. u. Joh. Wolfg. Kleinknecht, Selbstbiographie, Biographie u. Anh. «Über die Ansb. Musik» (hg. R. Schaal), 1948. 2 Vgl. H. Daffne», Die Entwicklung d. Klav.-Konzerts bis Mozart (Publ. d. Intern. Musikges., Beih. 2, 4) 1906. 2 Solche auf Kosten der Besteller gedruckte

Gelegenheitswerke sind in den Bibliotheken der überwiegend evangelischen Landesteile Bayerns zahlreich erhalten. Relativ selten dagegen sind die nie zum Druck gekommenen sonstigen Gebrauchskompositionen (Sonnund Feiertags-Kantaten, Orgelmusik u. dgl.) der Kantoren und Organisten überliefert.

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und, soweit dort Knaben unterrichtet wurden, wie an den Jesuitenschulen Unterrichtsgegenstand und wichtiger Bestandteil des nun auch von anderen Orden gepflegten Schuldramas.' Von den geistlichen Fürsten wurden dabei je nach Interesse, Zeitgeschmack und finanziellen Möglichkeiten Solisten und Kapellmeister von überall her verpflichtet; neben den allgemein anzutreffenden, weil meist billigeren Binheimischen wie z. B. der fürstbischöflichen Kapellmeister Joseph Meck in Eichstätt (1690-1758) finden wir seit Anfang des achtzehnten Jahrhunderts auch Italiener, wie z. B. Fortunato Chelleri aus Parma (1686/87-1757) * oder die Venezianer Giovanni Platti (um 1690-1763) und Girolamo Bassani (bis 1730 Bassist) in Würzburg,3 und später böhmische Musiker. Doch auch unter den eigenen Kräften der Klöster waren recht namhafte Musiker wie etwa Johann Valentin Rathgeber (1682-1750) zu Banz.4 Vor allem aber die Notenbestände, so der erst in jüngster Zeit wieder aufgefundene Großteil der bei der Säkularisation vorhandenen Musikalien der Zisterzienserabtei Ebrach5 vermitteln uns ein erstaunliches Bild vielseitiger klösterlicher Musikpflege. Typisch für die barocke Musikkultur sind auch die in der Spätzeit in zunehmendem Maß hervortretenden Kapellen kleinerer Territorialherren. Offenbar bestimmte sie nicht nur Repräsentationsbedürfnis im Rahmen ihrer Mittel (und gelegentlich diese überschreitend) den größeren Hofhaltungen nachzueifern; die Musik war eben immer mehr ein Bestandteil der Allgemeinbildung geworden, den man auch abseits der großen Residenzen so wenig wie möglich entbehren wollte. Solche herrschaftliche Musikpflege erreichte oft überraschenden Umfang; wir sehen dies am deutlichsten dort, wo solche Musikalienbestände noch geschlossen erhalten sind wie in Schloß Wiesentheid (Grafen Schönbom).6 Nur wenig wissen wir über das Musikleben in kleineren Orten und auf dem Lande. Kirchenmusiker und andere Musikanten gab es jedoch überall, auch wenn sie urkundlich nur gelegentlich, etwa bei Stellenbesetzungen oder bei der Rechnungslegung für irgendwelche Festlichkeiten (auch als Aushilfen bei Hofhaltungen) in Erscheinung treten. In den Städten fällt fast überall, nicht nur in den bereits genannten Orten, eine im Verlaufe des achtzehnten Jahrhunderts zunehmende bürgerliche Initiative außerhalb der ortsüblichen Kirchenmusik auf, die sich allenthalben in der Gründung privater Konzertvereinigungen äußert. Sie kam gerade noch 1 Das bereits oben erwähnte Amberg (s. 792) tritt auch jetzt wieder hervor: seit 1626 wurde dort jährlich mindestens ein solches Spiel, zumeist mit der Musik einheimischer Musiker, aufgeführt (Verzeichnis bei Μεγγβνιέπέβ, s. o. 792 Anm. 2), ab 1676 in einem eigens errichteten großen Theatersaal, der allerdings das Ende des Jesuitenordens nur um einige Jahre überdauerte. Doch auch in anderen Orten der Oberpfalz, z. B. in Sulzbach, fanden im 18.Jh. solche theatralischen Aufführungen der «studierenden katholischen Jugend» statt. 2 Vgl. Fortunato Chelleri, sein Leben u. Wirken, bes. an d. Höfen zu Würzburg u. Kassel, Diss. Masch. Heidelberg 1927. 3 Vgl. Kaul (s. o. 790).

4 Vgl. Μ. Hellmuth, Joh. Valentin Rathgeber. Ein mainfränk. Barockkomponist 1682 bis 1750. Leben u. Werkverzeichnis, Diss. Masch. Erlangen 1943. Neuausgabe des «Tafelkonfekts» (hg. H. J. Mosbb) im Erbe deutscher Musik 19. 5 R. Laugg, Studien z. Instrumentalmusik im Zisterzienscrkloster Ebrach in d. zweiten Hälfte d. 18. Jhs., Diss. Masch. Erlangen 1953. 6 Vgl. Die Musikalien d. Grafen v. Schön* bom-Wiesentheid, Thematisch-bibliograph. Kat., bearb. v. F. Zobeley (Verödend, d. Ges. f. Bayer. Musikgesch.) 1967 ff.; weiter Ders., Graf Rudolf Franz Erwein v. Schönbom (1677 bis 1754), seine Musikpflege u. MusikalienSammlung (Neujahrsbll. 21) 1949.

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rechtzeitig genug, um beim weitgehenden Zusammenbruch der kirchlichen und landesherrlichen Musikpflege durch Säkularisation und Eingliederung in das Königreich Bayem die plötzlich zur Provinz werdenden Städte und Residenzen vor dem völligen musikalischen Veröden zu bewahren. Im Instrumentenbau und Musikverlag sind bedeutende Leistungen zu verzeichnen. Nürnberg war vor allem durch seine Blasinstrumentenfabrikation berühmt, die über viele Jahrhunderte hinweg gleich hohen Stand behielt. Besonders bekannt waren die Nümberger Posaunen und Trompeten,1 doch sei auch darauf hingewiesen, daß hier die Umwandlung der alten Schalmei zur neuzeitlichen Klarinette erfolgte (um 1700 durch Johann Christoph Denner).1 Beim Orgelbau macht sich die gerade in diesem Handwerk seit alters feststellbare weit über die Heimat hinausreichende Wirksamkeit vieler Meister deutlich bemerkbar,1 *3 so arbeitet in Nürnberg, Kronach, Bayreuth und Wunsiedel 1653-74 der aus den Niederlanden stammende Zwickauer Meister Hermann Raphael Rottenstein, markgräflicher Hoforgelbauer in Kulmbach wird 1654 der Böhme Matthias Tretscher und die im Hunsrück ansässige Orgelbauerfamilie Stumm liefert 1782 ihr größtes und berühmtestes Werk nach Amorbach.4 Daneben aber wirken einheimische Orgelbauer höchster Qualität, wie, um nur einige Beispiele anzuführen, Johann Linhard Schannat (1616-61) aus Windsheim,1 der Erbauer der Rothenburger Orgeltrias, in Würzburg und ebendort auch - durch drei Generationen - die Familie Seuffert (1722-1804).4 Ausgezeichnete Leistungen sind noch für lange Zeit im Glockenguß zu verzeichnen, wenn auch die überragende Stellung, die Nürnberg um die Wende zur Neuzeit in dieser Kunst besaß, mehr und mehr verloren geht und das Land von kleineren örtlichen Gießhütten sowie von herumziehenden, jeweils gleich an Ort und Stelle gießenden Meistern versorgt wird. Musikverlag und Notendruck blühen in erster Linie in Nürnberg, das im sechzehnten Jahrhundert zum wohl bedeutendsten Musikverlagsort in Deutschland geworden war 1 Vgl. F. Jahn, Die Nürnberger Trompetenu. Posaunenmacher im 16. Jh. (Arch. f. Musikwiss. 7) 1925, 23-52; W. WÖRTHMÜLLEB, Die Nürnberger Trompeten- u. Posaunenmacher d. 17. u. 18. Jhs. (MVGN 45/46) 1954/55, 208 325 u. 372-480. 1 Vgl. E. Nickel, Der Holzblasinstrumentenbau in d. Freien Reichsstadt Nürnberg (Sehr. z. Musik, Bd. 8, hg. v. W. Kolneder) 1971. 3 Vgl. o. 789 Anm. 4. 4 Vgl. E. F. Schmid, Die Orgeln v. Amorbach, 2. Aufl. bearb. v. F. Bösken, Mainz o.J. [1963]; dazu ergänzend und berichtigend J. Eppelsheim, Die Stumm-Orgel d. ehern. Abtei Amorbach (Die Musikforschung 24) 1971, 43-70 u. 178-194· 1 Zur Familie Schannat vgl. auch Wohnhaas-Fischer, Die Orgelbauer Schonat in Franken u. den Niederlanden (Mainfr. Jb. 20) 1968, 242-265, u. Dies., Die Rothenburger Orgeltrias im Spiegel d. mainfränk. Orgelbaugesch. (WDGBU. 28) 1966, 141-65.

6 Auch hier ist wiederum auf Amberg zu verweisen, wo der bedeutendste Orgelbauer der Oberpfalz, Friedrich Pfannmüller aus Hirschau (um 1490-1562) vor seiner Umsiedlung nach Böhmen - er arbeitet dort neben anderem seit 1553 an der als Kaiserorgel berühmten Prager Domorgel - tätig ist. Die später in Amberg tätigen Meister glänzen allerdings weniger durch fachliche Leistung als durch geschicktes Ausnützen gegenreformatorischer und merkantilistischer Bestrebungen derObrigkeit, weshalb gerade zu den namhaftesten Orgelbauten des Landes mit Jos. Chr. Egedacher (Waldsassen 1698), J. K. Brandenstein (Amberg St. Martin 1742) und der Familie König (Plankstetten, Freystadt, Neumarkt u. a. 1707 fr.; vgl. HB II 979 f.) auswärtige Kräfte herangezogen werden. Vgl. auch Th. Wohnhaas (unter Mitarb. v. B. Moggb), Beitrr. z. Gesch. d. Orgelbaus in d. Oberpfalz. Amberger Orgelbauer im 18. Jh. (VHOR 105) 1965, 81-87.

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und diese Stellung erst im Verlaufe des achtzehnten Jahrhunderts endgültig verlor.1 Außer evangelischen Gesangbüchern, Liedern und Lautentabulaturen erschienen hier lateinische Messen und Motetten, französische Chansons, italienische Madrigale und später auch alle Arten von Instrumentalwerken. Unter den zahlreichen Offizinen sind die wohl wichtigsten die von Hieronymus Formschneider (seit 1532)/Johannes Petrejus (etwa gleichzeitig), Johannes Montanus (aus Gent, seit 1541/42) und dessen Nachfahren, die Familien Gerlach, Dietrich und Kaufmann, im siebzehnten Jahrhundert die Verlage der Familien Endter und Felsecker sowie im achtzehnten Jahrhundert Christoph Weigel d. J.1*3 und Johann Ulrich Haffner,4 der auch einen bis ins Ausland reichenden Musikalienhandel betrieb. Zu guter Letzt sei aus einer großen Reihe wenigstens einiger Persönlichkeiten gedacht, die zwar in Franken geboren, vielleicht auch ausgebildet wurden, ihre Leistungen aber anderswo vollbracht haben. So wurde der aus Cadolzburg stammende Johann Georg Pisendel (1687-1755),5*der als Ansbacher Chorknabe bei Pistocchi und Torelli gelernt hatte, zum gefeierten Geiger der Dresdner Hofkapelle, Georg Simon Löhlein (1727-82) * aus Neustadt a. d. Heide (bei Coburg), von seinen Zeitgenossen vor allem als Pädagoge hochgeschätzt, lebte und lehrte in Leipzig und Danzig, der bis vor kurzem allgemein als Böhme betrachtete Eichstätter Anton Filtz (1733-60)7 war als Cellist der berühmten Mannheimer Hofkapelle einer der beliebtesten und fruchtbarsten Mitglieder des dortigen Komponistenkreises und Georg Joseph Vogler (1749-1814)8 aus Würzburg, Orgelschüler des am dortigen Juliusspital wirkenden Ignaz Franz Kürzinger (aus Rosenheim, 1724-97), wurde als Abbi Vogler eine der berühmtesten, aber auch umstrittensten Musikerpersönlichkeiten seiner Zeit. 1 Vgl. P. Cohen, Die Nürnberger Musikdrucker im 16. Jh., 1927. 1 Vgl. Holzmann, Hieronymus Formschneiders Sammeldruck Trium vocum carmina, Nürnberg 1538, Diss. Masch. Freiburg i. Br. 1956. 3 Vgl. Nachwort von A. Berner zum Faksimileneudruck: Joh. Christ. Weigel, Musikalisches Theatrum . .. (Documenta musicologica R. 1, Bd. 22). 4 Vgl. L. Hoffmann-Erbrecht, Der Nümberger Musikverleger J. U. Haffner (Acta musicologica 16 u. 27) 1954/55. 5 Vgl. H. R. Jung, Johann Georg Pisendel (1687-1755), Leben u. Werk. Ein Beitr. z.

Gesch. d. Violinmusik d. Bach-Zeit, Diss. Masch. Jena 1956. 6 Vgl. F. v. Glasenapp, Georg Simon Löhlein (1725-1781). Sein Leben u. seine Werke, insbes. seine volkstüml. Musiklehrbücher, 1937■ 7 Einzelne Werke in DTB 3, 1 u. 16; them. Verzeichnis d. Symphonien DTB 3, 1, d. Kammermusik DTB 16 u. d. Kirchenmusik DTB NF 2. 8 Vgl. K. E. v. Schafhäutl, Abt Georg Ioseph Vogler. Sein Leben, Charakter u. musikal. System. Seine Werke, seine Schule, Bildnisse etc., !888.